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German Pages 388 [390] Year 2020
Ulf Weber
Das Apollonheiligtum von Didyma
Ulf Weber
Das Apollonheiligtum von Didyma Dargestellt an seiner Forschungsgeschichte von der Renaissance bis zur Gegenwart
Dieses Buch ist den einheimischen Arbeitern gewidmet, die durch die Jahrhunderte hindurch die Erforschung Didymas ermöglichten.
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnd.d-nb.de abrufbar
wbg Academic ist ein Imprint der wbg © 2020 by wbg (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der wbg ermöglicht. Umschlagsabbildung: Rekonstruktionszeichnung der Front des hellenistischen Apollontempels aus: M.-G.-A.-F. von Choiseul-Gouffier, Voyage pittoresque de la Grèce, Bd. 1 (Paris 1782) Taf. 113. Satz und eBook: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de ISBN 978-3-534-40366-0 Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF): 978-3-534-40368-4 eBook (epub): 978-3-534-40367-7
Inhalt Vorwort und Einleitung.............................................................................................................................7 Cyriacus von Ancona – 1446....................................................................................................................9 George Wheler und Jacob Spon – 1673 (Jeremy Salter und Dr. Pickering).....................................18 Edmund Chishull – 1709 und 1716 (William Sherard)......................................................................30 Richard Chandler, Nicholas Revett und William Pars – 1764............................................................43 Graf von Choiseul-Gouffier – 1776........................................................................................................56 James Dallaway – 1794............................................................................................................................66 William Gell, John P. Gandy und Francis Bedford – 1812..................................................................71 William Turner – 1815............................................................................................................................86 Pierre-Anne Dedreux, Thomas L. Donaldson, Jean-Nicolas Huyot – 1820........................................ 94 Charles Texier – 1835.............................................................................................................................105 Ludwig Ross – 1844................................................................................................................................116 Charles Thomas Newton – 1857/58.....................................................................................................126 Olivier Rayet und Albert Thomas – 1873............................................................................................138 Bernard Haussoullier und Emmanuel Pontremoli – 1895/96..........................................................158 Theodor Wiegand und Hubert Knackfuß – 1906 bis 1913 und 1924/25........................................174 Die Jahre vor 1906............................................................................................................................174 Das Jahr 1906....................................................................................................................................182 Das Jahr 1907....................................................................................................................................191 Die Jahre 1908 und 1909.................................................................................................................201 Das Jahr 1910....................................................................................................................................207 Das Jahr 1911....................................................................................................................................211 5
Die Jahre 1912 und 1913.................................................................................................................219 Die Jahre nach 1913.........................................................................................................................228 Heinrich Drerup, Rudolf Naumann und Klaus Tuchelt – 1962/64.................................................241 Klaus Tuchelt – 1965 bis 1973...............................................................................................................248 Rudolf Naumann – 1974 bis 1977........................................................................................................256 Klaus Tuchelt und Peter Schneider – 1975 bis 2001..........................................................................259 Axel Filges – 2002...................................................................................................................................284 Andreas E. Furtwängler – 2003 bis 2012.............................................................................................286 Helga Bumke – seit 2013.......................................................................................................................307 Schlusswort.............................................................................................................................................322 Danksagung............................................................................................................................................323 Anhang....................................................................................................................................................324 Karten und Pläne..............................................................................................................................325 Liste mit GPS-Koordinaten.............................................................................................................333 Bereich des hellenistischen Apollontempels..........................................................................333 Gebiet außerhalb des Apollontempels....................................................................................333 Glossar...............................................................................................................................................335 Literatur- und Abkürzungsverzeichnis.........................................................................................339 Verwendete Abkürzungen........................................................................................................359 Abbildungsnachweise......................................................................................................................360 Namensregister.................................................................................................................................366 Sachregister.......................................................................................................................................378
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Vorwort und Einleitung
Vorwort und Einleitung Im Apollonheiligtum von Didyma befand sich der größte Tempel aller antiken Orakelheiligtümer. Diese Tatsache und das hohe Ansehen seines Orakels machten Didyma im Altertum weltberühmt. Die Bedeutung des Apollonorakels von Didyma stand der des berühmtesten griechischen Orakels von Delphi nur wenig nach. Nachdem das Orakel von Didyma am Ende des 4. Jhs. n. Chr. verstummt war, baute man den Apollontempel nach und nach zu einer Festung um und errichtete eine Kirche in seinem Innenhof. Die anderen Tempel und Gebäude des Heiligtums wurden abgetragen, und aus ihren Bauteilen errichtete man Wohnhäuser und weitere Kirchen. Die schon im Altertum vorhandene Siedlung wuchs und bekam den Namen „Hieron“. Wenig später hatte die Stadt Hieron sogar einen eigenen Bischof. Diese byzantinische Phase endete um 1300, als die seldschukischen Türken das Gebiet eroberten. Danach setzen die Nachrichten über Didyma (Hieron) aus. In der Renaissance erwacht in Europa das Interesse am klassischen Altertum und die Erforschung Didymas beginnt. Diese erste Phase dauert vom 15. Jh. bis zum Anfang des 18. Jhs. Damals kamen nur wenige Besucher, die vor allem die berühmten christlichen Stätten, wie Ephesos, besichtigen wollten und nach Didyma nur kurze Abstecher unternahmen. 1764 brach die Zeit der wirklichen Untersuchungen Didymas an, als die ersten Forscher anreisten, die von Institutionen beauftragt waren, den sichtbaren Bestand aufzunehmen. Diese Phase lief bis 1873, dem Jahr, in dem die Ausgrabungen am Apollontempel begannen. Ihren Höhepunkt erreichten sie zwischen 1906 und 1913, als der gesamte Apollontempel freigelegt wurde. Die bisher letzte Etappe der Erforschung Didymas nahm ihren Anfang 1965: Seitdem steht nicht mehr nur der Apollontempel im Blickpunkt, sondern das gesamte Heiligtum von Didyma. Dazu gehört die Ausgrabung der Heiligen Straße von Milet nach Didyma mit ihren vielfältigen Gebäuderesten. Überdies wurden völlig unvermutet ein Theater und der nur aus Inschriften bekannte Artemistempel gefunden. Von 2004 bis 2015 konnte der Autor selbst an der Ausgrabung und Erforschung Didymas mitwirken. Da es erfahrungsgemäß heute manchmal Jahrzehnte dauert, ehe neue Erkenntnisse einer breiten Öffentlichkeit vorgestellt werden, entstand der Wunsch, dieses Buch zu schreiben. Eingebettet in die Forschungsgeschichte von Didyma sollen die wichtigsten Ergebnisse der Ausgrabungen dargestellt werden. Um dies zu erreichen versuchte der Autor, möglichst alle bisher erschienenen Bücher und Artikel auszuwerten. Die benutzten Quellen sind im Literaturverzeichnis kapitelweise angeführt. In der über 500-jährigen Geschichte der Erforschung von Didyma wurde noch nie ein Buch geschrieben, welches sich umfassend mit seinen schriftlichen und archäologischen Quellen auseinandersetzt. Die letzte (kurze) Gesamtdarstellung stammt bereits aus dem Jahr 1992. 7
Apollonheiligtum von Didyma
Die „Vermischung“ von Forschungsgeschichte und modernen Forschungsergebnissen ist ein neuer Ansatz, wenn es darum geht, einzelne Heiligtümer umfassend darzustellen. Sie wird für manchen Leser ungewohnt sein. Doch wenn er sich auf die Methode einlässt, wird er am Ende des Buches nicht nur über die ganze Vielfalt des Apollonheiligtums von Didyma informiert sein, sondern auch über antike Heiligtümer insgesamt. Aber nicht nur die Wissensvermittlung ist wichtig, sondern auch der Unterhaltungswert. Dazu sollen z. B. die abwechslungsreichen Erlebnisse der Forscher beitragen. Altertumskundliche Vorkenntnisse sind zum Lesen des Buches nicht erforderlich, da alle wichtigen Fachbegriffe im Text bzw. im Glossar erklärt werden. Die für das Verständnis des Textes notwendigen Karten und Pläne sind im Anhang zu finden. Dort ist ferner eine Liste abgedruckt mit den GPS-Daten wichtiger Orte, Monumente und Objekte in Didyma und Umgebung. Wenn dieses Buch das Interesse des Lesers für Didyma weckt oder bestärkt, hätte es seinen Zweck erfüllt. Didyma ist immer eine Reise wert. Ansonsten kann der Besuch der Museen empfohlen werden, in denen sich Stücke aus Didyma befinden: Dazu gehören die archäologischen Museen in Milet, Izmir und Istanbul, sowie außerhalb der Türkei das Britische Museum in London, der Louvre in Paris und das Pergamonmuseum sowie das Alte Museum in Berlin.
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Cyriacus von Ancona – 1446
Cyriacus von Ancona – 1446 Leben des Cyriacus von Ancona – Seine Reise nach Milet und Didyma – Archaische Metropole Milet – Von Didyma zu Jeronda/Yoran – Latmischer Golf – Schatzstiftung von 288/87 v. Chr. – Didyma in archaischer und hellenistischer Zeit – Beschreibung des Apollontempels – Erdbeben 1493 Im Jahr 1446 reiste Cyriacus von Ancona nach Didyma (heute Didim in der Westtürkei). Er war vermutlich der letzte Europäer, der den riesigen Apollontempel von Didyma sah, bevor er durch ein Erdbeben einstürzte. Cyriacus erlebte im 15. Jh. eine Zeitenwende: Nur sieben Jahre nach seinem Besuch in Didyma endete die Antike endgültig, als 1453 die Hauptstadt des Byzantinischen Reiches, Konstantinopel (heute Istanbul), von den osmanischen Türken erobert wurde. Bis dahin hatte die antike Gesellschaft mit christlicher Prägung noch existiert. In Europa war das anders. Dort hatte die Antike mit dem Beginn des Mittelalters im 6. Jh. n. Chr. geendet. Erst im 14. Jh. wandte man sich in Italien wieder der Kultur des klassischen Altertums zu. Diese „Renaissance“ erfasste schließlich ganz Europa. Im 15. Jh. wurde der Begriff des „Mittelalters“ geprägt, womit man die Epoche zwischen Antike und Neuzeit bezeichnete. Das Interesse an den Griechen und Römern war verantwortlich dafür, dass sich Cyriacus von Ancona aufmachte, den östlichen Mittelmeerraum zu bereisen und zu erforschen. Auf diese Weise gelangte er 1446 nach Didyma, wo die antike Kultur jedoch schon seit etwa 1300 erloschen war, als seldschukische Türken das Gebiet erobert hatten. Doch was brachte Cyriacus von Ancona dazu, sich der griechisch-römischen Antike zuzuwenden? 1391 wird er als Ciriaco de’ Pizzecolli in Ancona geboren. Nach der Schule absolviert der Sohn einer verarmten Witwe eine kaufmännische Lehre. Sein Beruf führt ihn 1412 zum ersten Mal in den Orient. Von Alexandria aus begibt er sich nach Rhodos und Chios. Anschließend sucht er die Ruinen der antiken Metropole Milet auf. Er besichtigt das große Theater und Reste anderer erhabener Gebäude. Dass er damals schon in das 15 Kilometer südlicher gelegene Didyma kam, wird von seinem Biographen, Francesco Scalamonti, nicht berichtet. Die nächsten Jahre in Cyriacus’ Leben sind von weiteren Reisen geprägt. Besonders beeindruckt ihn 1418 sein erster Aufenthalt in Konstantinopel. Cyriacus beginnt Lateinisch und später auch Griechisch zu lernen. Ein Schlüsselerlebnis für ihn lag im Herbst 1421: Damals fielen Cyriacus zum ersten Mal die Abdrücke von Bronzebuchstaben auf dem Trajansbogen in Ancona auf. Dieser eintorige Bogen war einst zu Ehren des römischen Kaisers Trajan (98–117 n. Chr.) errichtet worden. Noch niemand vor Cyriacus hatte versucht, die verlorengegangene Inschrift zu entziffern. Aber ihm gelang es und er erkannte, dass das Monument für den Kaiser, seine Frau Plotina 9
Apollonheiligtum von Didyma
und seine Schwester Marciana 114 n. Chr. gestiftet worden war, nachdem Trajan den Hafen von Ancona ausgebaut hatte. Cyriacus sah antike Texte und Bauwerke plötzlich im Zusammenhang. Diese Erkenntnis bildete die Grundlage für den Beginn der klassischen Altertumswissenschaften. Cyriacus war somit der erste Epigraphiker und Archäologe, eine Kombination, die es heute kaum mehr gibt. 1430 war wieder ein wichtiges Jahr in Cyriacus’ Leben. Nachdem er viele Altertümer Italiens und vor allem Roms gesehen hatte, entstand in ihm der Wunsch, nach Griechenland und Westkleinasien (heute Westtürkei) zu reisen. Deshalb begab er sich nach Adrianopel (heute Edirne), der damaligen Hauptstadt des Osmanischen Reiches. Dort erhielt Cyriacus von Sultan Murad II. die Erlaubnis, alle antiken Stätten im Osmanischen Reich besuchen zu dürfen. Ein Jahr später wurde ein Bekannter von Cyriacus zum Papst gewählt. Von nun an setzte sich Cyriacus für einen Kreuzzug gegen die Türken ein. Papst Eugen IV. sollte die West- und Mitteleuropäer mit den Griechen und der Orthodoxen Kirche vereinen, um die Türken aus den Gebieten des klassischen Altertums zu vertreiben und dort die weitere Ausplünderung der antiken Ruinen zu verhindern. Bis zur Realisierung des Kreuzzuges vergingen jedoch noch viele Jahre. Unterdessen nutzte Cyriacus ausgiebig seine Reiseerlaubnis im Osmanischen Reich. 1432 gelangte er zu dem sehr gut erhaltenen Hadrianstempel von Kyzikos bei der heutigen Stadt Bursa am Marmarameer. Dieser unter dem römischen Kaiser Hadrian (117–138 n. Chr.) errichtete Tempel wies die größten Säulen des Altertums auf; eine war jeweils 21,30 m hoch. Damals standen noch 31 Säulen aufrecht. Aber die Einwohner von Bursa waren dabei, den Tempel abzutragen, um Baumaterial zu gewinnen. Cyriacus sprach beim osmanischen Gouverneur vor, um diesem Raubbau Einhalt zu gebieten. Doch bei einem späteren Besuch stellte sich heraus, dass er damit wenig Erfolg gehabt hatte. Und heute ist nur noch das Fundament des Tempels mit wenigen Baugliedern vorhanden. Das Jahr 1432 nutzte Cyriacus weiter auf vielfältige Weise: In Konstantinopel traf er den byzantinischen Kaiser Johannes VIII. Palaiologos, um ihn von seinen Kreuzzugsplänen zu unterrichten. Außerdem gelang es ihm dort, ein Exemplar von Strabons Geographie zu kaufen. Von dieser Beschreibung der Welt um Jesu Geburt war bis dahin kein Exemplar nach Italien gekommen. Darin ist auch Milet mit seinem Apollonheiligtum von Didyma enthalten (Strabon, Geographica 14,1,2–11). Dieser Abschnitt erwies sich bei seinem späteren Aufenthalt dort als besonders wertvoll. Als Cyriacus nach Rom zurückgekehrt war, bekam er eine Audienz bei Papst Eugen IV. Dieser vertröstete ihn aber mit der Idee eines Kreuzzuges auf später. Auch hier setzte sich Cyriacus für den Erhalt der antiken Bauten Roms ein. In den folgenden Jahren war er viel in Griechenland unterwegs. 1438 dokumentierte er den Tempel der Athena Parthenos auf der Akropolis von Athen. Seine Zeichnung liefert wertvolle Hinweise zum ursprünglichen Aussehen dieses weltberühmten Baues, bevor er 1687 bei einer Pulverexplosion stark beschädigt wurde. 10
Cyriacus von Ancona – 1446
1439 einigten sich die katholische und die orthodoxe Kirche auf einem Konzil in Florenz, die Kirchenspaltung von 1054 zu beenden. Ein gemeinsamer Kreuzzug schien möglich. Papst Eugen IV. proklamierte ihn am 1. Januar 1443. Doch schon im November 1444 endete er vorerst mit der Niederlage des polnischen Königs Wladislaw III. bei Varna (Bulgarien), der vom osmanischen Sultan Murad II. geschlagen wurde. Schließlich konnte auch die Aufhebung der Kirchenspaltung im Byzantinischen Reich nicht durchgesetzt werden. Cyriacus reiste weiterhin viel und hatte keine Bedenken, 1445 beim Sultan vorzusprechen, um erneut eine Reiseerlaubnis für das ganze Osmanische Reich zu erhalten. Nachdem er sie bekommen hatte, setzte Cyriacus seine Entdeckungstouren mit diplomatischen und kaufmännischen Zwecken fort. Schließlich gelangte er wieder in das Gebiet des antiken Ioniens, welches etwa in der Mitte der heutigen türkischen Westküste lag (Karte 1). In einem Brief berichtet Cyriacus, dass er und seine Begleiter am 29. Januar 1446 von der griechischen Insel Chios zur benachbarten Insel Samos abfuhren. Dort angekommen ankerten sie im Hafen von Pythagorion. Am nächsten Morgen, einem Sonntag, lichteten sie zur vierten Nachtwache (bei Sonnenaufgang) die Anker und brachen nach Milet auf, dessen Hafen sie noch vor Mittag erreichten. Von dort aus liefen sie 30 Stadien (etwa 5,4 Kilometer) zu Fuß nach Palatia. Dies war der Name, den das Dorf bei den antiken Ruinen mittlerweile erhalten hatte. Er lebt bis heute weiter, denn das türkische Dorf bei Milet nennt sich noch immer „Balat“ (Karte 2). Milet war im Altertum eine Großstadt dank seiner günstigen Lage auf einer Halbinsel, von der aus wichtige Handelswege ins Landesinnere führten. Die Stadt des 7./6. Jhs. v. Chr. dehnte sich über eine größere Fläche aus als die der hellenistischen und römischen Zeit. In dieser archaischen Epoche war Milet sogar berühmter als Athen. Männer Milets begründeten die sogenannte Naturphilosophie, zu denen Thales von Milet zählt (um 624 bis etwa 547 v. Chr.). Das bedeutendste Heiligtum innerhalb Milets hatte man Apollon Delphinios geweiht, es diente zugleich als Staatsarchiv. Außerdem gab es in der Stadt je ein Heiligtum für Dionysos, für Artemis Kithone und für Athena, welches sich auf dem Gebiet der minoischen und mykenischen Siedlung des 3. bzw. 2. Jahrtausends v. Chr. befand. Wenig außerhalb Milets wurden Aphrodite Oikous und Athena Assessia verehrt. An den Außengrenzen der Stadt im Süden lagen ein Altar für Poseidon (siehe das Kapitel zu Chishull) und das wichtigste Heiligtum Milets überhaupt: das Orakelheiligtum von Didyma, wo Apollon und Artemis die Hauptgottheiten darstellten, aber vielen weiteren Göttern gehuldigt wurde. Eine einmalige Besonderheit stellen die Tochterstädte, die Kolonien, dar, die von Milet aus im 7./6. Jh. v. Chr. gegründet wurden. Es handelt sich um über 90 Städte, die Zeugnis geben von der Leistungsfähigkeit ihrer Metropole in Ionien. Die hauptsächlich am Schwarzen Meer errichteten Kolonien waren geprägt von ihrer Mutterstadt. Sie bedienten sich z. B. des milesischen Kalenders oder der milesischen Beamtennamen oder verehrten die Götter ihrer Metropole. 11
Apollonheiligtum von Didyma
Doch zu Beginn des 5. Jhs. v. Chr. wurde Milet nach einem Aufstand von den Persern zerstört. Erst in hellenistischer Zeit blühte die Stadt wieder auf. Aus der nachfolgenden römischen Kaiserzeit stellt das Theater das eindrucksvollste Monument dar. Cyriacus bewunderte es schon 1412 bei seinem ersten Besuch. Bei seinem zweiten Aufenthalt 1446 gab er die Breite der Front des Theaters mit 200 Ellen und seine Höhe mit 60 Ellen an; tatsächlich ist es 140 m breit und etwa 28 m hoch. Überdies erwähnt er die zwei großen und reich verzierten Frontportale des Theaters, die heute noch bewundert werden können (Abb. 1).
Abb. 1: Milet. Ansicht des Theaters. Keine Zweifel hatte Cyriacus, dass er sich am Ort des antiken Milets befand. Die Erinnerung daran war nie verloren gegangen, weil es seit der Antike kontinuierlich besiedelt gewesen war. Außerdem entdeckte Cyriacus an einer Ecke des Theaters eine Inschrift, die die Polis Milet erwähnt. Er dokumentierte zwei weitere Inschriften, die auch im Hinblick auf Didyma interessant sind: Eine Ehrung für Julia Artemo, die in Didyma Artemispriesterin war. Des Weiteren sah er eine Statuenbasis mit Inschrift für den spätrömischen Kaiser Julian Apostata (361–363 n. Chr.). Dieser war vom Christentum abgefallen und wollte dem Heidentum wieder zu neuer Blüte verhelfen. Julian, ein Neffe des ersten christlichen Kaisers Konstantin des Großen, ordnete daher an, dass alle Kapellen für Märtyrer rund um den Apollontempel von Didyma abzureißen seien (Sozomenos, Historia ecclesiastica 5,20,7). Aber seine Bemühungen, die heidnischen Kulte zu stärken, waren nicht von Dauer, weil er nach nur zwei Jahren Herrschaft in einer Schlacht gegen die Perser starb. Cyriacus blieb zwei Tage in Palatia, damit die genuesischen Kaufleute, die mit ihm reisten, mit den Einheimischen Handel treiben konnten. Anschließend machte sich die Gruppe zu Fuß nach Didyma auf. Noch einige Jahrhunderte zuvor hätten sie ein Schiff benutzen können, weil Milet 12
Cyriacus von Ancona – 1446
ursprünglich eine Hafenstadt gewesen war. Doch Ablagerungen des Flusses Mäander hatten den Hochseehafen Milets unbenutzbar werden lassen. Cyriacus beschreibt außerdem einen großen See bei Milet der 300 Stadien (etwa 54 Kilometer) Umfang hat. Dieser See existiert heute noch und heißt Bafa Gölü. Sein Wasser ist salzhaltig und reich an Fischen; über beides berichtet Cyriacus. Der Salzgehalt kommt daher, weil es sich bei dem See ursprünglich um einen Meerbusen handelte, der in der Antike „Latmischer Golf “ hieß. Der See entstand erst zwischen dem 10. und 13. Jh., und zurzeit des Cyriacus hatte er nur noch über einen Flussarm Verbindung zum Mäander (Karte 3). Cyriacus und seine Gefährten liefen von Milet südwestlich in Richtung Küste und dann die selbige entlang nach Didyma, wobei sie die Entfernung mit 100 Stadien (etwa 18 Kilometer) richtig überlieferten. Cyriacus berichtet, dass der Ort, der einst Didyma genannt wurde, nun Geronta hieße wegen der ungeheuren Höhe des marmornen Gebäudes dort. Dabei würde der Name „Geronta“ „antiker Palast“ bedeuten. Die Bezeichnung „Geronta“ geht allerdings zurück auf die nachantike Benennung Didymas mit „Hieron“, was auf Griechisch „(heidnisches) Heiligtum“ heißt. Daraus entstand später der Name „Hieronda“ oder „Jeronda“ (oder eben „Geronta“), der bis heute verkürzt zu „Yoran“ weiterlebt (Abb. 2).
Abb. 2: Apollontempel von Südosten. In Didyma befand sich also ein von den Milesiern gebauter Apollontempel. Cyriacus berichtet weiter, dass seine riesigen Säulen und Wände aus Marmor gemacht seien. Wahrhaftig außerordentlich sei dieser Tempel. Dem Hadrianstempel von Kyzikos stünde er nur nach bezüglich seiner 13
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Ausstattung mit Skulpturen und Reliefs. Sonst sei der Apollontempel nicht kleiner als der Hadrianstempel, was Cyriacus auf einer Zeichnung demonstrierte. Leider ist diese Zeichnung zusammen mit weiteren Aufzeichnungen verloren gegangen. In Cyriacus’ Brief ist allerdings noch der Anfang einer wichtigen Inschrift aus dem 3. Jh. v. Chr. überliefert, die ihn erkennen ließ, dass die Einwohner Milets den Apollontempel hatten bauen lassen. Bei dieser griechischen Inschrift handelt es sich um einen Brief, in dem eine Stiftung wertvoller Kultgefäße aus Gold, Silber und Bronze angekündigt wird; wobei goldene Gerätschaften mit einem Gewicht von etwa 14 Kilogramm genannt werden. Der Anfang der Inschrift ist heute verloren, sodass der Brief des Cyriacus für die ersten 21 Zeilen eine wichtige Quelle darstellt. Mit seiner Hilfe gelang es, die Inschrift in die Jahre 288/87 v. Chr. zu datieren. Der Absender des Briefes war der hellenistische König Seleukos I. (305–281 v. Chr.), einer der Nachfolger Alexander des Großen. Seleukos I. begründete die Dynastie der Seleukiden, die den Bau des hellenistischen Apollontempels maßgeblich förderte. Cyriacus sah noch große Teile dieses gewaltigen Bauwerkes aufrecht stehen, welches gegen 330 v. Chr. begonnen worden war. Eine erste Blütezeit hatte das Apollonheiligtum von Didyma zusammen mit Milet schon in archaischer Zeit erlebt. Apollon fungierte in Didyma als Orakelgott und sein Orakelheiligtum war nach Delphi das berühmteste in der antiken Welt, in das sogar ägyptische Pharaonen Geschenke weihten. Doch mit der Zerstörung Milets 494 v. Chr. durch die Perser verstummte das Orakel von Didyma, das heißt die Orakelquelle im Innern des Apollontempels versiegte. Nachdem Alexander der Große 334 v. Chr. Ionien von den Persern befreit und Milet erobert hatte, begann die zweite Blütezeit Didymas. Über die Anfänge davon wurde im Werk „Die Taten Alexanders“ des Kallisthenes berichtet (ein Auszug bei Strabon, Geographica 17,1,43). Darin heißt es, dass die Orakelquelle von Didyma nach der Befreiung Milets wieder aufsprudelte. Die Milesier schickten 331 v. Chr. eine Delegation zu Alexander nach Memphis in Ägypten, um ihm günstige Orakelsprüche aus Didyma zu überbringen. Beispielsweise sagte Apollon voraus, dass Alexander die Perser endgültig bei Gaugamela besiegen werde. Ob sich diese Episode tatsächlich so ereignete, ist fragwürdig. Dennoch macht sie es wahrscheinlich, dass die „Wiederbelebung“ des Orakels von Didyma in Angriff genommen wurde, unmittelbar nachdem Milet von den Persern befreit worden war. Denn damals begannen die Milesier, Apollon einen neuen Tempel in Didyma zu errichten. Dieser Tempel sollte zu den größten der Antike überhaupt gehören, nur die Bauten für Artemis in Ephesos und Hera auf Samos übertrafen ihn. Der Apollontempel nahm eine Grundfläche von 60 x 118 m ein (Plan 3). Auf einem Unterbau mit sieben Stufen erhob sich der von Säulen umfasste, eigentliche Tempelbau. Dieser rechteckige Naos misst 29 x 87 m an seinen Außenwänden und ist heute noch zum großen Teil erhalten. Die Gesamthöhe des Tempels betrug knapp 27 m, wobei eine Säule 19,70 m hoch war. Der Naos besaß im Osten auf seiner Eingangsseite zwei kleinere überdachte Räume und einen großen Innenhof im Westen. In diesem Innenhof befand sich ein kleiner tempelartiger Bau 14
Cyriacus von Ancona – 1446
(Naiskos), der die Kultstatue des Apollon beherbergte. Vor dem Naiskos lag die Orakelquelle und ein Apollon heiliger Lorbeerbaum. Der Entwurf des Apollontempels sah vor, den Naos mit zwei Reihen ionischer Säulen zu umgeben. Von diesen 108 Säulen konnten bis zum Ende der Antike jedoch nicht alle aufgestellt werden. Welcher Anblick bot sich Cyriacus von Ancona dar, als er im Februar 1446 nach Didyma kam? Wahrscheinlich standen der Naos und zumindest einige Säulen des Apollontempels noch aufrecht, denn Cyriacus erwähnt die riesigen marmornen Säulen und Wände des Tempels. Wäre seine Zeichnung erhalten, wüsste man es genauer. Wie die späteren archäologischen Forschungen zeigten, gab es in Didyma aber noch weitere Gebäude, wie z. B. ein Theater oder den Tempel der Artemis, von denen Cyriacus nichts schreibt (siehe die Kapitel zu Furtwängler und zu Bumke). Sie werden allerdings auch nicht in den Werken der antiken Schriftsteller genannt. Dort geht es immer nur um den monumentalen Apollontempel; so in der schon genannten Geographie des Strabon. Aber weil das Orakelheiligtum von Didyma 15 Kilometer südlich von Milet lag, musste es noch andere Bauten besitzen, um beispielsweise die Priester und Besucher des Orakels zu beherbergen und zu versorgen. Von ihnen war zurzeit des Cyriacus offensichtlich nicht mehr viel erhalten. Kenntnis von ihnen hätten Cyriacus nur Inschriften bringen können, die jedoch erst bei späteren Ausgrabungen zutage traten. Für den Bau des hellenistischen Apollontempels hatte man hauptsächlich weißen Marmor verwendet, der in der Nähe des schon erwähnten Latmischen Golfes abgebaut wurde. Nur die nicht sichtbaren Bereiche, wie die Fundamente oder die Füllungen der Wände, bestanden aus Kalkstein. Cyriacus hat also recht, wenn er von einem Tempel aus Marmor spricht. Seine Fertigstellung überforderte jedoch die Polis Milet, und viele Säulen auf der südlichen und nördlichen Langseite wurden nie errichtet. Den Naos hatte man aber bis zum 1. Jh. v. Chr. weitgehend fertigstellen können. In seinem ersten Vorraum befanden sich immerhin zwölf Säulen und im zweiten Vorraum noch einmal zwei Säulen. Deswegen werden die beiden Räume Zwölf- bzw. Zweisäulensaal genannt (Plan 3). In der römischen Kaiserzeit gelang es, die 20 Frontsäulen davor aufzustellen und die meisten Säulen der Rückseite sowie jeweils einige auf den Langseiten. Ab dem 3. Jh. n. Chr. baute man den Apollontempel nach und nach zu einer Festung aus; wofür er sich mit seinen hohen Wänden und nur einem Eingang im Osten gut eignete. Des Weiteren errichtete man um 500 n. Chr. eine Kirche im Innenhof des Tempels. Spätere Erdbeben verursachten Schäden, die aber nur teilweise beseitigt wurden. Dabei werden sicher schon einige Säulen eingestürzt sein. Die Kirche im Innern wurde zerstört und auch die Säulen des Zwölfsäulensaales. Der Bau musste auf Cyriacus wie ein Palast oder eher wie eine Festung gewirkt haben, weil die Zwischenräume der Frontsäulen vermauert waren und einbanden in die Wände des Naos. Jedoch war Cyriacus stark beeindruckt von der enormen Größe des Bauwerkes. 15
Apollonheiligtum von Didyma
Knapp 50 Jahre nach seinem Besuch in Didyma gab es ein schweres Erdbeben, bei dem die Tempelwände und die meisten Säulen einstürzten. Wahrscheinlich ereignete es sich am 18. Oktober 1493, denn damals sollen auf der nahen Insel Kos 5000 Menschen umgekommen sein. Wenn diese Zahl stimmt, wäre dieses Erdbeben das schlimmste in der Geschichte von Kos gewesen. Bei diesem Beben der Stärke 6,9 wurde das etwa 60 Kilometer entfernte Didyma stark in Mitleidenschaft gezogen. Vor dieser Katastrophe von 1493 sah Cyriacus als letzter Besucher der schon angebrochenen Neuzeit den Apollontempel. Aber auch heute nach seiner Ausgrabung ist er immer noch der am besten erhaltene Tempel an der türkischen Westküste. Jeder Besucher ist überwältigt, wenn er vor dem einst 27 m hohen Bau steht oder in sein Inneres hinabsteigt. Cyriacus blieb nicht lange in Didyma, sondern reiste auf die Insel Chios weiter. Bis Mitte des Jahres 1447 hielt er sich auf den ägäischen Inseln und an der heutigen türkischen Westküste auf. Erst dann begab er sich nach Griechenland. Bis zum Winter 1448/49 blieb Cyriacus dort, ehe er nach Italien übersetzte. Mittlerweile war auch der Kreuzzug gegen die Türken endgültig gescheitert, nachdem die Osmanen die Europäer auf dem Amselfeld (Kosovo) im Oktober 1448 geschlagen hatten. An einen neuen Kreuzzug war nicht zu denken, auch weil Cyriacus Verbündeter, Papst Eugen IV., gestorben war, und zwar bereits im Februar 1447. Über die Zeit nach Cyriacus’ Ankunft in Italien gibt es nur wenige Zeugnisse. Offensichtlich war ihm bis zu seinem Tod kein Aufenthalt mehr im Gebiet des antiken Griechenlands möglich. Vermutlich starb er schließlich 1452 in Cremona. Bei Cyriacus von Ancona handelte es sich um eine überaus vielseitige Persönlichkeit. Er wird u. a. bezeichnet als Händler, Buchhalter, Politiker, Reisender, Spion, Humanist und als Altertumsforscher. Letzterer „Beruf “ ist für dieses Kapitel besonders wichtig. Tatsächlich kann er als Begründer der modernen Archäologie gelten; wobei moderne Archäologen kaum solche Interessen wie Cyriacus aufweisen. Seine Verbindung von schriftlichen Quellen, seien es antike Autoren oder Inschriften, mit den Überresten der antiken Bauten blieb allerdings für lange Zeit einzigartig. Das wird auch an der Erforschung Didymas erkennbar, die ihre Fortsetzung erst im 17./18. Jh. fand. Damals hatte man anfangs sogar Probleme, Didyma als den Ort des antiken Apollonheiligtums überhaupt identifizieren zu können. Cyriacus war dies gelungen, indem er die Erdbeschreibung Strabons benutzte und die in Milet und Didyma sichtbaren Inschriften entzifferte. Seiner Beschreibung des Apollontempels ist außerdem zu entnehmen, dass das Bauwerk Mitte des 15. Jhs. noch weitgehend aufrecht stand. Nur deshalb konnte erschlossen werden, dass der einst weltberühmte Bau erst 1493 bei einem Erdbeben einstürzte. Ansonsten könnte man vermuten, dass dies schon einige Jahrhunderte zuvor geschehen wäre. Weiterhin zeigt die Beschreibung des Cyriacus, dass zu seiner Zeit von den anderen antiken Gebäuden im Apollonheiligtum nichts oder nur wenig zu sehen war. Dieser Befund deckt sich mit den späteren Überlieferungen der Reisenden und Forscher. Im Zuge einer starken Besiedlung 16
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des Gebiets um den Apollontempel schon in spätantiker Zeit waren offensichtlich alle anderen Gebäude abgetragen und als Baumaterial benutzt worden. Erst die Ausgrabungen in der zweiten Hälfte des 20. Jhs. und am Beginn des 21. Jhs. sollten dieses Bild ändern, als die Fundamente dieser Bauten zum Vorschein kamen.
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Apollonheiligtum von Didyma
George Wheler und Jacob Spon – 1673 (Jeremy Salter und Dr. Pickering) Reise von Wheler und Spon über Prusa nach Smyrna – Besichtigung der sieben Gemeinden der Johannes-Apokalypse – Ionischer Bund – Reise von Pickering und Salter nach Didyma – Älteste bekannte Zeichnung des Apollontempels – Belagerung Didymas durch die Goten 262 n. Chr. – Ausbau des Apollontempels zur Festung – Steinmetzinschriften am Apollontempel Am 20. Juni des Jahres 1675 stachen der Engländer George Wheler und der Franzose Jacob Spon von Venedig aus in See, um nach Konstantinopel zu reisen. Nachdem sie die Stadt eingehend besichtigt hatten, wollten sie eigentlich nach Athen weiterreisen. Aber dies gestaltete sich als schwierig. Zufällig trafen Wheler und Spon beim Botschafter auf eine Gruppe englischer Kaufleute, die zurück nach Smyrna (heute Izmir) wollten. Das war für die beiden eine günstige Gelegenheit, um die kleinasiatische Westküste kennenzulernen. Somit schlossen sie sich am 6. Oktober 1675 den Händlern an. Ihr Weg führte sie zunächst etwas ins Landesinnere nach Prusa (heute Bursa), in eine der alten Hauptstädte der Osmanen, bevor sie 1453 Konstantinopel erobert hatten (Karte 1). Prusa liegt unterhalb des Bithynischen Olymp (2542 m ü. NN), der heute Uludağ genannt wird und den die Händler auch erklommen. Vom Gipfel aus hatten sie eine herrliche Aussicht über die Propontis (heute Marmarameer) bis nach Konstantinopel. Interessant sind außerdem die Angaben zur Zusammensetzung der damaligen Bevölkerung Prusas: „40000 Türken, 12000 Juden und nicht so viele Griechen und Armenier“. Am 13. Oktober verließen die Engländer die Gegend und trafen wenig später auf ein halbes Dutzend Reiter, die ihnen später als Räuberbande vorgestellt wurde. Sie kamen jedoch ungeschoren davon, weil sie selbst bewaffnet waren und noch Janitscharen (Angehörige der Leibwache des Sultans) dabeihatten. Über weitere Stationen trafen die englischen Kaufleute mit Wheler und Spon am 21. Oktober in Smyrna ein. Antike Ruinen gab es dort reichlich, doch war ihre Deutung nicht einfach. Das Stadion und das Theater konnten sie aber leicht identifizieren; letzteres wurde gerade abgetragen, um eine neue Karawanserei zu bauen. Auch gab es zahlreiche Kirchen, für Griechen und Armenier sowieso, aber ebenso eine römisch-katholische. Daneben berichten die Engländer von dreizehn Moscheen und mehreren Synagogen. „Eine sehr lebendige Stadt, allerdings ohne Stärke und Schönheit“, wie sie schreiben. Von Smyrna aus machten Wheler und Spon u. a. einen Ausflug nach Ephesos, welches sie ausführlich besichtigten. Dabei suchten sie die berühmte Johannesbasilika auf, die ihrer Ansicht nach 18
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in eine Moschee umgewandelt worden war. Diese Kirche, im 6. Jh. n. Chr. von Kaiser Justinian errichtet, galt als eine der größten und prächtigsten im Byzantinischen Reich. Doch Wheler und Spon irrten sich, denn die Moschee, die sie aufsuchten, war von Anfang an eine Moschee gewesen: die Isabey-Moschee aus dem Jahr 1375 (Abb. 3). Und dafür hatten sie einen halben Dollar Eintritt bezahlen müssen an den „skrupellosen Wächter“. Zusätzlich waren sie enttäuscht von der Johannesbasilika, da sie „kein außergewöhnliches Gebäude“ sei.
Abb. 3: Ephesos. Blick auf die Isabey-Moschee vom Ayasoluk-Hügel aus. Die wirkliche Johannesbasilika lag damals schon in Trümmern, als Wheler und Spon nach Ayasoluk (heute Selçuk) kamen; denn nachdem diese Kirche in eine Moschee umgewandelt worden war, hatten sie die Mongolen 1402 zerstört. Von Ephesos kehrten Wheler und Spon nach Smyrna zurück. Von dort aus wollten sie noch weitere der sieben Gemeinden besichtigen, die in der Offenbarung des Johannes im Neuen Testament beschrieben werden (Off 2,1–3,22). Vor ihrem Aufenthalt in Smyrna hatten sie bereits Thyatira aufgesucht und jetzt ritten sie nach Pergamon und Sardis. Anschließend wandten sie sich Laodicea und zuletzt Philadelphia (heute Alaşehir) zu. Dort waren sie erfreut, auf vier Kirchen zu treffen und mehr als 200 Häuser mit christlichen Bewohnern. Nachdem Wheler und Spon alle sieben Gemeinden der Johannes-Apokalypse aufgesucht hatten, wendeten sie sich den Städten des Ionischen Bundes zu. Dazu gehörten dreizehn Poleis, die in der Antike einen gemeinsamen Bund unterhielten: Phokaia, Smyrna, Klazomenai, Erythrai, Teos, 19
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Lebedos, Kolophon, Chios, Samos, Ephesos, Priene, Myus und Milet (Karte 1). Die Plätze dieser antiken Städte alle selbst aufzusuchen, gelang Wheler und Spon nicht. Deshalb nahm Wheler in seine Publikation einen Bericht von Dr. Pickering und Jeremy Salter auf, die sich in Smyrna aufhielten und bereits zwei Jahre zuvor den Süden bereist hatten. Pickering und Salter waren zusammen mit anderen englischen Kaufleuten am 23. Juni 1673 von Smyrna Richtung Süden aufgebrochen. Nach zwei Tagen zu Pferd gelangten sie nach Scala Nuova (heute Kuşadası), nachdem sie am ersten Tag neun Stunden und am zweiten Tag zwölf Stunden im Sattel gesessen hatten. Meist übernachteten die Reisenden in Zelten mangels geeigneter Unterkünfte. Am dritten Tag erreichten die englischen Händler den heutigen Küstenort Güzelçamlı (damals Tschangly), in dessen Nähe sich das berühmte Panionion befand. Das Panionion war in der Antike der Versammlungsort des schon erwähnten Ionischen Bundes. Pickering und Salter schreiben, dass sie den Ort anhand einer Inschrift identifizieren konnten, die in der dortigen Marien-Kirche verbaut war. Für den folgenden Tag hatte sich die Gruppe vorgenommen, die südlich gelegene Mykale (heute Samsun Dağı) zu überqueren. Dieses bis zu 1265 m ü. NN hohe Mittelgebirge bot durch seine dichten Wälder viel Schatten und einige Quellen, aber der Aufund Abstieg war durch seine steilen Hänge sehr beschwerlich. Am Südfuß der Mykale trafen sie auf das gleichnamige Dorf Sanson (heute Güllübahçe), bei dem sich einige antike Ruinen befanden. Pickering und Salter vermuteten richtig, dass es sich dabei um das antike Priene handelte, eine der dreizehn Städte des Ionischen Bundes. Die Reisenden ritten weiter nach Süden über die Schwemmebene des Flusses Mäander (heute Büyük Menderes). Über diesen 16 Faden (rund 30 m) breiten Fluss konnten sie mithilfe einer Fähre übersetzen. Zwei Stunden später erreichten sie das Dorf Palatia (heute Balat), wo sie an einem Flussarm des Mäander ihre Zelte aufschlugen. Am nächsten Tag, dem 27. Juni 1673, besichtigten die Kaufleute die reichlich vorhandenen antiken Ruinen. Darunter beeindruckten sie besonders die Reste des riesigen Theaters, von dem schon Cyriacus von Ancona geschwärmt hatte (siehe das Kapitel zu ihm). Außerdem sahen die Männer eine Thermenanlage und eine große Moschee. Bei der Therme und dem Theater stießen sie jeweils auf große Gewölbe, die sie glauben ließen, die ganze Stadt sei über Gewölben errichtet wegen des nassen und weichen Baugrundes. Das war natürlich ein Trugschluss, da Baustrukturen mit Gewölben für antike Theater und Thermenanlagen überhaupt typisch sind. Schließlich fanden sie eine Inschrift, die bei einer griechischen Kirche verbaut war. Da in ihr die Polis Milet mehrere Male erwähnt wurde, erwogen sie, dass sie sich auf dem Gebiet der antiken Metropole Milet befanden (auch Mitglied im Ionischen Städtebund). Dennoch blieben Zweifel: Denn wie es sich für Antikenbegeisterte gehört, hatten die Reisenden die Landeskunde des Strabon (etwa 63 v.–23 n. Chr.) dabei; das Buch mit dem auch Cyriacus von Ancona über 200 Jahre vorher unterwegs gewesen war. 20
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Doch seit der Antike hatte sich die Beschaffenheit der Gegend gründlich geändert: Die einstige Küstenstadt Milet lag jetzt nicht mehr am offenen Meer, sondern nur noch am Südarm des Flusses Mäander; seinen Nordarm hatten die Kaufleute per Fähre überquert. Als man den hellenistischen Apollontempel in Didyma zu bauen begann, mündete der Mäander noch rund 10 Kilometer nordöstlich von Milet ins Meer (Karte 3). Seitdem aber hatte der Fluss seine Mündung an Milet vorbei ins Meer hinaus verlagert. Dabei war auch der Latmische Golf abgeschnitten worden, den Strabon noch beschrieben hatte. Aus der einstigen Bucht war ein See entstanden (heute Bafa Gölü; siehe das Kapitel zu Cyriacus von Ancona), den die Kaufleute um Pickering und Salter allerdings noch nicht erreicht hatten. Somit fanden sie zwar viele eindrucksvolle Ruinen, waren sich am Ende aber nicht sicher, in Milet oder in dem benachbarten Pyrrha gewesen zu sein (welches bis heute nicht gefunden werden konnte). Am späten Nachmittag desselben Tages brach die Gruppe auf zu einem weiteren Zweistundenritt, der sie in ein unbekanntes griechisches Dorf führte. Dort blieben sie bis zum nächsten Morgen, um nach zwei Stunden zu einer Meeresbucht zu gelangen, bei der es sich ihrer Meinung nach um den Latmischen Golf gehandelt haben könnte. Da sie wenig später jedoch Didyma erreichten, wird es wohl die Kowella-Bucht gewesen sein. Dort befand sich der antike Hafen von Didyma, der Panormos hieß (heute Mavişehir; Karte 2). Die riesigen Ruinen, vor denen sie nun standen, wurden von den dortigen Türken „Iotan“ genannt. Dieser Name stammt ab von der byzantinischen Bezeichnung Didymas als „Hieron“ und stellte wohl eine Verwechslung mit dem heute noch gebrauchten „Yoran“ dar.
Abb. 4: Ruine des Apollontempels von Norden aus gesehen (Jeremy Salter, 1673). 21
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Jeremy Salter fertigte eine Zeichnung an, und zwar die erste des Apollontempels überhaupt, die erhalten ist (Abb. 4). Die Zeichnung gibt einige Details des Tempels treffend wieder, enthält aber auch Ungenauigkeiten: Gut erkennbar ist, dass der Apollontempel von Norden aus gezeichnet wurde, also aus der Richtung, aus der die Reisenden kamen. Die zwei Säulen mit dem Architrav sind auf der Skizze fälschlich mit korinthischen statt mit ionischen Kapitellen versehen. Außerdem sind im Hintergrund zwei weitere Säulen zu sehen. Eine trägt richtig ein ionisches Kapitell. Aber ihr Säulenschaft erhielt nie seine Kanneluren, da sie unfertig blieb. Die vierte Säule rechts daneben trägt wiederum ein korinthisches Kapitell und ist etwas kleiner als die mit dem ionischen Kapitell. So scheint es möglich, dass bei Pickering und Salters Besuch insgesamt noch vier statt der heutigen drei Säulen aufrecht standen (Abb. 5).
Abb. 5: Apollontempel von Norden. Auf der rechten Hälfte der Skizze sind ein Stück Mauer und ein Pfeiler mit einem sogenannten Sofakapitell zu sehen. Mit solchen Pfeilern oder besser Pilastern waren die Wände des Innenhofes des Tempels verziert. Von außen konnte man sie eigentlich nicht sehen, es sei denn, Teile der Wände waren bereits eingestürzt. Dies war der Fall, wie die Zeichnung rechts des Pilasters erkennen lässt. Folglich ist der Pilaster mit dem Sofakapitell an der falschen Stelle eingezeichnet. 22
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Aber wichtiger ist zu wissen, dass damals noch ein kurzer Abschnitt der Wand des Naos aufrecht stand. Offensichtlich ist er – zusammen mit einer Säule – in den folgenden 150 Jahren eingestürzt, weil erst auf den Abbildungen späterer Zeit die Mauerkrone des Naos komplett zerstört ist und nur noch drei Säulen erhalten sind. Das Sofakapitell der Zeichnung weist unten einen horizontalen Streifen auf, der an den beiden Ecken nach oben umbiegt und sich jeweils an seinem oberen Ende zu einer Volute einrollt. Genauso waren die Sofakapitelle tatsächlich verziert. Ihren oberen Abschluss bildet ein sogenanntes ionisches Kyma, das man auch ansatzweise bei Salter erkennen kann. Er hat das Sofakapitell mit einer Blüte in der Mitte gezeichnet. Solche gab es tatsächlich, wobei die Blüte im Original nicht so groß ist und zusammen mit zahlreichen Ranken aus einem Blattkelch hervorsprießt (Abb. 6). Diese Rankenkapitelle wechselten sich am Bau mit Kapitellen ab, die mit zwei antithetischen Greifen verziert waren. Obendrein hatte man zwischen den Pilasterkapitellen einen Fries angeordnet, der nur aus Greifen bestand. Greifen, Mischwesen aus einem Raubvogel und einem Löwen, waren im Altertum dem Gott Apollon zugeordnet. Sie sollten vor allem das Übel abwehren und hatten somit apotropäische Wirkung, das heißt sie bewachten den Tempel des Apollon.
Abb. 6: Pilasterkapitell mit Ranken des hellenistischen Apollontempels. Das von Jeremy Salter gezeichnete Sofakapitell weist noch auf etwas anderes hin: Mit dem Bau des hellenistischen Apollontempels wurde um 330 v. Chr. begonnen und etwa 250 Jahre später war der Naos zum großen Teil fertig. Im Innenhof hatte man den Pilastern die Sofakapitelle aufgesetzt und den Greifenfries dazwischen ausgearbeitet. Als letztes Bauglied folgte darüber ein Architrav 23
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mit zwei Fascien (Streifen) und drei Ornamentbändern übereinander: Perlstab, lesbisches Kyma, Lotus-Palmettenfries (Abb. 7). Nachdem dieses Bauglied im späten Hellenismus in 25 m Höhe versetzt worden war, hatte man den Innenhof bis auf das letzte Glätten der Wände fertiggestellt. Dass man die Bauarbeiten hier abbrach und sich in römischer Zeit dem Aufstellen der Säulen um den Naos widmete, sollte sich als großes Glück erweisen. Denn auf dem nur grob geglätteten Wandsockel des Innenhofes haben sich viele eingeritzte Bauzeichnungen erhalten. Eine davon konnte mehrere Jahrzehnte lang nicht richtig gedeutet werden. Sie gibt einen Giebel eines kleinen Tempels wieder. Wie sich aber 2013 herausstellte, wurde an der Westwand des Innenhofes der Tempel der Artemis entworfen: Ein bislang einzigartiges Phänomen in der antiken Baugeschichte (siehe das Kapitel zu Tuchelt und Schneider sowie das zu Bumke).
Abb. 7: Rekonstruktionszeichnung des Gebälks im Sekos des hellenistischen Apollontempels. Zurück zur Zeichnung von Salter: Links und rechts des eben beschriebenen Pilasters sind insgesamt fünf unfertige Kapitelle zu sehen, die auf dem Kopf stehen. Heute ist nur noch ein Exemplar von ihnen vorhanden, welches nahe bei der Nordostecke des Apollontempels aufgestellt ist. Beim Besuch der Engländer scheinen also mehrere unfertige Kapitelle in Tempelnähe gelegen zu haben, die bereit zum Versetzen waren. Dies führte zu der Vermutung, dass man die Bauarbeiten am Apollontempel einstmals plötzlich eingestellt hatte: Im Jahr 262 n. Chr. plünderten die Goten das Artemisheiligtum von Ephesos. Die Kunde ihres Einfalls nach Westkleinasien hatte sich vorher schon bis nach Milet und Didyma verbreitet. Bis dahin hatte aufgrund des Friedens in diesem Teil des Römischen Reiches kein Bedarf an einer 24
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Stadtmauer bestanden. In Milet waren große Bereiche der hellenistischen Stadtmauer im Laufe der Zeit abgetragen worden. Nun aber musste über die Hälfte von ihr neu errichtet werden, um gegen die aus Südrussland zu Schiff kommenden Goten wehrhaft zu sein. Auch in Didyma wurde man aktiv: Das Apollonheiligtum war schon mehrere Male von Barbaren geplündert worden. Das letzte Mal von Seeräubern am Anfang des 1. Jhs. v. Chr. Das ganze Heiligtum konnte man nicht schützen. So versetzte man lediglich den Apollontempel in den Verteidigungszustand. So war es möglich, im Notfall alle Tempelschätze, auch die der anderen im Heiligtum verehrten Götter, im Apollontempel sicher zu verwahren. Der Bau bot dafür gute Voraussetzungen: Nur nach Osten hin war er offen, die anderen drei Seiten konnte niemand aufgrund der 20 m hohen Tempelmauern überwinden. Also vermauerte man die Tempelfront mit Werkstücken verschiedener Bauten, auf die man verzichten konnte. Dazu gehörten zahlreiche Grabbauten und das Bühnengebäude des Theaters. Man schloss mit ihnen die Zwischenräume der Frontsäulen und der Säulen, die bis zu den Anten des Naos folgten. Auf diese Weise entstand ein geschlossener rechteckiger Baukörper, den man nur noch durch eine Tür im Osten und eine kleine Pforte im Nordosten betreten konnte (Plan 4). Nachdem die Goten das Artemision von Ephesos verwüstet hatten, belagerten sie den zur Festung umgebauten Apollontempel. Als den darin Eingeschlossenen das Wasser knapp wurde, ließ Apollon eine neue Quelle aufsprudeln, wie drei Epigramme aus den Jahren danach berichten. Ihr Inhalt ist beinahe gleich und sie wurden zu Ehren Titus Flavius Festus verfasst, der die neue Quelle im Tempelinnenhof mit einem Brunnenhaus versehen ließ. Dies geschah in den Jahren 286 bis 293 n. Chr., als Festus Prokonsul der Provinz Asia war. Hier die Übersetzung eines der Epigramme: „Dies ist das Wunder: Die Quelle, die einst als die des Pythios emporströmte in goldfließendem Nass, hat auf sein Geheiß, als der Barbaren Kriegsgott, die von bitterem Durst gequälten Bürger einschloss, diese gerettet, indem sie diese Ader emporsandte. Jetzt aber ist sie die (Quelle) des Festus, des Beisassen der goldenen Dike. Denn er hat sie mit so viel glänzendem Schmuck umgeben und bringt dadurch des Gottes Geschenk zu Ehren; die Bürger aber erhält er durch der Nymphen Fluten, die Verbindung mit der delphischen Kastalia nachbildend. Denn den Nymphen ist die Wahrsagekunst lieb, durch die den Propheten der göttliche Geist gesetzt wird.“ (Übersetzung Theodor Wiegand)
In letzter Zeit wurden Zweifel daran laut, ob denn die Goten Didyma tatsächlich belagert hätten und die älteste Vermauerung wirklich zum Schutz vor ihnen errichtet worden wäre. Neben den 25
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drei Epigrammen belegen dies die archäologischen Befunde westlich des Apollontempels: Dort ging in der Mitte des 3. Jhs. n. Chr. ein mit Häusern und Straßen bebautes Areal bei einer Brandkatastrophe zugrunde (siehe das Kapitel zu Tuchelt). Den letzten Hinweis gibt aber der Fundort des Inschriftsteins mit den drei Epigrammen: Er war neben der Wasserkammer verbaut, die den letzten antiken Brunnen im Innenhof des Apollontempels umgab. Selbst in der frühbyzantinischen Kirche war dieser „heidnische“ Brunnen noch zugänglich und benutzbar (Plan 4). Wahrscheinlich befand sich hier, im Nordosten des Innenhofes, der Ort, an dem die Prophetin Apollons vom Wasser inspiriert wurde und die Orakel von sich gab. Dieser Brunnen ist heute noch vorhanden. Jedoch wurde er in den 50er-Jahren des 20. Jhs. zugeschüttet und sein oberer Bereich zerstört. Selbst damals soll er das einzig wirklich trinkbare Süßwasser ganz Didymas (heute Yoran oder Eskihisar) bereitgestellt haben; alle anderen Brunnen im Ort boten bitteres Wasser dar. Heute laufen unzählige Touristen über den einstmals heiligsten Ort im Apollontempel, ohne von seiner Bedeutung zu wissen: Denn eine Quelle bei einem Lorbeerbaum bildete im 8. Jh. v. Chr. das Naturmal, an dem man das erste Heiligtum für Apollon einrichtete (siehe das Kapitel zu Wiegand und Knackfuß zu den Jahren 1908 und 1909 sowie zum Jahr 1911). Die im Osten des Apollontempels neu errichtete Mauer wurde bei den ersten Ausgrabungen Ende des 19. Jhs. gefunden und von den Ausgräbern fortan „Gotenmauer“ genannt. Man hatte sie also nach dem Abzug der Goten nicht wieder abgerissen. Allerdings ließen später die Archäologen die Gotenmauer abgetragen. Heute ist nur noch ihr Baumaterial vorhanden, welches auf der Terrasse östlich des Apollontempels liegt. Eine in der Forschung diskutierte Frage lautet, ob man nach der Belagerung durch die Goten die Bauarbeiten am Tempel wieder aufnahm oder ob das Jahr 262 n. Chr. ihr Ende darstellte. Grundsätzlich spricht nichts dagegen anzunehmen, dass danach weitergebaut wurde. Vermutlich war man noch bis zum Ende des 4. Jhs. n. Chr. tätig und versuchte, weitere Säulen der Ringhalle zu errichten. Dies belegt auch das nicht versetzte Kapitell an der Nordostecke des Apollontempels (siehe oben). Doch zurück zur Zeichnung von Jeremy Salter (siehe Abb. 4): Wie schon erwähnt, wurden die Wände im Innenhof des Apollontempels nur grob geglättet. Die Außenwände erhielten jedoch nicht einmal diese grobe Glättung. Ihre Oberfläche beließ man so roh, wie die Blöcke aus dem Steinbruch kamen. Auf der Zeichnung sind auf den Wandquadern griechische Buchstaben zu erkennen, die heute noch auf vielen von ihnen vorhanden sind. Sie bezeugen die Vorliebe der Reisenden für Inschriften, von denen sie zahlreiche dokumentierten. Bei den Buchstaben auf den Quadern handelt es sich u. a. um Abkürzungen von Personennamen. Diese Abkürzungen konnte man zum Teil auflösen, weil die gleichen Namen in Inschriften auftauchen, die den Baufortschritt des Apollontempels in hellenistischer Zeit dokumentieren. Zu den ausführenden Steinmetzen gehörten viele Sklaven. Sie konnten dem Apollonheiligtum selbst gehören, der Polis Milet oder Privatleuten. Wenn Sklaven des Heiligtums die Bauteile vorbereiteten, standen die Buchstaben IE auf dem Bauteil (Abkürzung für TOΥ IEΡOΥ, „vom Heiligtum“). 26
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Wenn die Polis Milet Sklaven an das Heiligtum vermietet hatte, waren die Buchstaben ΔH oder ΔHMO eingemeißelt (Abkürzung für TOΥ ΔHMOΥ, „von der Polis“). Beide Varianten konnten zusammen oder allein auf einem Block stehen. Zusätzlich kommt häufig eine Namensabkürzung vor. Sie zeigt den privaten Vermieter von Sklaven an das Heiligtum an. Diese Deutung der Steinmetzinschriften von Albert Rehm ist nicht unumstritten, aber bis heute die plausibelste (Abb. 8).
Abb. 8: Nördliche Treppenwange mit Steinmetzinschriften des hellenistischen Apollontempels. Sämtliche dieser Steinmetzinschriften sind nur erhalten, weil der Apollontempel nie fertig wurde. Und solche Details machen den Bau zu einem einzigartigen Wissensspeicher für die antike Baukunst, denn es gibt kein anderes antikes Bauwerk, an welchem so viele Merkmale von seinem Fertigungsvorgang erhalten sind. Die Zeichnung von Jeremy Salter aus dem Jahr 1673 zeigt außerdem, dass die Trümmer des Apollontempels damals noch nicht überwachsen, geschweige denn überbaut waren. Die Bauteile des eingestürzten Tempels liegen wie unberührt seit dem Erdbeben von 1493 da (siehe das Kapitel zu Cyriacus von Ancona). Interessant ist weiterhin, dass auf drei Säulen korinthische Kapitelle zu sehen sind und ein weiteres am Boden liegt. Wie oben schon erwähnt, besaßen die Säulen des doppelten Säulenkranzes um den Tempel aber allesamt ionische Kapitelle; oder sollten solche besitzen, da nicht 27
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alle Säulen fertig wurden. Korinthische Kapitelle wies der Apollontempel mindestens zwei auf, womöglich aber vier: die zwei Halbsäulen an der Ostwand des Innenhofes trugen sicher korinthische Kapitelle und die beiden Säulen im sogenannten Zweisäulensaal östlich davon wahrscheinlich auch. Auffällig ist außerdem, dass weder auf der Zeichnung noch im Bericht dazu von weiteren antiken Bauten Didymas die Rede ist. Offensichtlich waren keine Reste solcher Gebäude zu sehen. Dass es sie dennoch gab, darauf wurde schon im Kapitel über Cyriacus von Ancona hingewiesen. Aber von der unter Kaiser Trajan (98–117 n. Chr.) gepflasterten Heiligen Straße, die von Milet aus nach Didyma führte, oder vom Artemistempel war wohl nichts mehr zu sehen (siehe das Kapitel zu Tuchelt und Schneider sowie das zu Bumke). Erstaunlich ist somit, dass eine auf den ersten Blick einfache Zeichnung des Engländers doch viele Informationen enthält, die für die Erforschung des Heiligtums wichtig sind. Im Übrigen sei noch einmal darauf hingewiesen, dass dies die erste und älteste bekannte Darstellung des Apollontempels überhaupt ist (siehe Abb. 4). Dass die englischen Kaufleute wirklich als Entdecker unterwegs waren, zeigt sich an ihren Deutungen der vorgefundenen Ruinen. Hier hatten sie außer den Texten der antiken Autoren kaum andere Hinweise. Bei der Identifizierung des großen marmornen Trümmerhaufens von Iotan taten sie sich schwer. Dr. Pickering war der Meinung, sie hätten das Grabmal des karischen Dynasten Maussollos (377–353 v. Chr.) gefunden. Dieser Bau, auch Mausoleum von Halikarnassos genannt, gehörte in der Antike zu den Sieben Weltwundern. Das antike Halikarnassos (heute Bodrum) liegt jedoch an der Spitze der gleichnamigen Halbinsel südlich von Didyma (Karte 1). Nachdem George Wheler die Notizen der Kaufleute über Iotan studiert hatte, vermutete er zunächst, es würde sich bei den Ruinen um ein riesiges Theater handeln. Aber nach weiteren Überlegungen zog er den richtigen Schluss, dass die Händler zum Orakel des Apollon von Didyma gelangt waren. Dieses Heiligtum hätte laut Strabon einen so großen Tempel beherbergt, dass er unfertig geblieben und deshalb kein Dach gehabt hätte. Außerdem lag das Heiligtum nicht weit weg von Milet (rund 15 Kilometer Luftlinie), was mit der Beschreibung des Strabon übereinstimmte (Strabon, Geographica 14,1,5–12). Pickering und Salter verließen nun Ionien und erreichten die antike Landschaft Karien. Dort gelangten sie nach Iasos (damals Askemkalesi), anschließend nach Mylasa (heute Milas) und Stratonikeia (heute Eskihisar); alle drei bedeutende Städte in der Antike. Damit endet der Einschub von Pickering und Salter in Whelers Publikation. Am 18. November 1675 brachen Wheler und Spon schließlich von Smyrna nach Athen auf, nachdem sie endlich ein Schiff für ihre Weiterreise gefunden hatten. Knapp ein Jahr später war auch ihr Aufenthalt in Griechenland und ihre Rückreise beendet: George Wheler erreichte am 15. November 1676 Canterbury. Er freute sich, Verwandte und Freunde wiederzusehen und dankte Gott für alle Bewahrung auf seiner Reise. 28
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George Wheler und Jacob Spon schrieben jeweils ein Buch über ihre Entdeckungstour. Wheler widmete sich den antiken Ruinen, fügte aber viele Beobachtungen zu Flora und Fauna in seinen 1682 erschienenen Bericht ein. Jacob Spon brachte seine Aufzeichnungen bereits 1678 heraus. Von seinem dreibändigen Werk widmete er einen Band den dokumentierten Inschriften. Spon verfasste damit einen der frühesten Inschriftenbände überhaupt. Dies unterstreicht, dass er und sein Kollege Wheler nicht nur zum Vergnügen und aus Abenteuerlust antike Stätten aufsuchten, sondern auch aus Forscherdrang. Sie stehen damit ganz in der Tradition des Cyriacus von Ancona, der über 200 Jahre zuvor den östlichen Mittelmeerraum bereist hatte.
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Edmund Chishull – 1709 und 1716 (William Sherard) Chishulls Reise nach Ephesos/Ayasoluk – Sherards Abstecher nach Milet und Didyma – Altar des Poseidon bei Didyma – Herkunft der Namen Didyma und Branchidai – Geschichte Didymas von spätantiker bis spätbyzantinischer Zeit – Kirchenbauten dieser Zeit in Didyma Viele Reisende des 17. und 18. Jhs. kamen an die Westküste Kleinasiens, um die sieben christlichen Gemeinden zu besuchen, von denen in der Offenbarung des Johannes die Rede ist (Off 2,1–3,22). Zu ihnen gehörten George Wheler und Jacob Spon, die im vorangegangenen Kapitel thematisiert wurden. Die sieben Gemeinden waren ebenso ein Ziel von Edmund Chishull, als er 1698 nach Smyrna kam. Man muss sich dabei vor Augen halten, dass sich zuerst im westlichen Kleinasien das Christentum flächendeckend ausgebreitet hatte (Karte 1). Der Apostel Paulus gründete bereits im 1. Jh. n. Chr. viele Gemeinden und später fanden die wichtigsten ökumenischen Konzilien dort statt. Dazu gehören die von Nikaia (325 n. Chr.), Konstantinopel (381 n. Chr.), Ephesos (431 n. Chr.) und Chalcedon (451 n. Chr.). Auf ihnen kamen die Bischöfe des gesamten Mittelmeerraumes und Europas zusammen und trafen theologische Grundsatzentscheidungen, die heute noch für die meisten Kirchen der Welt verbindlich sind. Kein Wunder also, dass die Europäer solche Orte aufsuchen wollten und auf der Suche nach Kirchen und Christen waren. Der Geistliche Edmund Chishull hatte am 12. September 1698 ein Schiff in England bestiegen und kam nach etwas mehr als zwei Monaten in Smyrna an, nämlich am 19. November 1698. Hier wirkte er als Kaplan der englischen Handelskompanie. Außerdem nutzte er die Zeit, um mit den Kaufleuten verschiedene Reisen zu unternehmen. So brachen sie am 21. April 1699 zu einer Tour nach Sardis und Ephesos auf, die – wie auch Smyrna – zu den sieben Gemeinden der Johannes-Apokalypse zählen. Am Abend des 27. April gelangten sie nach Sardis, der Hauptstadt des antiken Lyderreiches. Sein letzter König war der sagenhaft reiche Kroisos (Lateinisch „Crösus“), der von etwa 555 bis 547 v. Chr. regierte. Unter Alyattes, seinem Vater, wurden dort wahrscheinlich die ersten Geldmünzen weltweit geprägt, und zwar aus Elektron, einer Legierung aus Gold und Silber. Auch in Sardis war das Andenken an die antike Stadt nie verloren gegangen, denn die moderne türkische Siedlung nannte sich Sart. Am 30. April kam die Reisegruppe Ephesos so nahe, dass sie es hätte noch am selben Tag erreichen können. Doch Chishull und seine Begleiter wollten in einem Dorf übernachten, wo nur griechische Christen wohnten, nämlich in Şirince (bei Chishull: Kirkingécui). Da es östlich und 30
Edmund Chishull – 1709 und 1716 (William Sherard)
oberhalb von Ephesos liegt, wäre das günstig gewesen, denn sie kamen aus östlicher Richtung. Nur hatten sie einen Führer dabei, der sich nicht gut auskannte. Er führte die Gruppe zwar endlos bergauf, aber sein Pfad endete im Niemandsland. So mussten sie wieder hinunter und gelangten schließlich doch erst nach Ephesos, um von dort in einem anderthalbstündigen Ritt endlich hinauf nach Şirince zu kommen. Am nächsten Tag war Chishull überrascht, als ihm der ansässige Priester ein Buch mit den vier Evangelien zeigte, welches noch im 1. Jh. n. Chr. geschrieben worden wäre. Prochorus hätte es verfasst, einer der sieben Diakone in Jerusalem, die in der Apostelgeschichte erwähnt werden (Apg 6,1– 7). Der Tradition nach war Prochorus später der Schreiber des Evangelisten Johannes gewesen, sowohl in Ephesos beim Verfassen des Evangeliums als auch auf der Insel Patmos beim Schreiben der Offenbarung. Doch wie Chishull und seine Begleiter erkannten, stammte das Buch mit den Evangeliumstexten aus dem 6./7. Jh. n. Chr. Dennoch wollten sie es erwerben, was aber wohl misslang. Am 1. Mai um 10 Uhr kam die Reisegruppe nach Ephesos. Dort sahen sie viele antike Ruinen, aber auch viele türkische Bauten. Chishull bedauerte, dass die „barbarischen“ Türken Ephesos in Ayasoluk (bei Chishull: Aiasáluck; heute Selçuk) umbenannt hätten. Dabei ist Ayasoluk nur die verschmolzene Version von „Haghios Theologos“ (ein Titel des Evangelisten Johannes). So nannten die byzantinischen Griechen den Burghügel nordöstlich der antiken Stadt Ephesos; denn dort hatte Kaiser Justinian im 6. Jh. n. Chr. die Johannesbasilika errichten lassen (Abb. 9).
Abb. 9: Ephesos. Johannesbasilika, Blick von Nordwesten auf die Grabkammer des Johannes mit dem Synthronon im Hintergrund. 31
Apollonheiligtum von Didyma
Edmund Chishull wollte diese berühmte Kirche besichtigen. Doch leider hatte er auch hier keinen kundigen Führer dabei. Denn Chishull verfiel wie Wheler und Spon dem Irrtum, dass die Johannesbasilika in eine Moschee umgewandelt worden war. Denn man hatte ihn zur Isabey-Moschee geführt, die sich unterhalb des Ayasoluk-Hügels befindet. Die Kirche, in der das Grab des Evangelisten Johannes verehrt wird, war schon längst verfallen (siehe das Kapitel zu Wheler und Spon). Chishull beschreibt nun Merkwürdigkeiten an der „Johannesbasilika“. Sie sei zwar in gutem Zustand, aber der Umbau von einer Kirche zur Moschee sei nicht gelungen. Chishull störten z. B. die türkischen Skulpturen über den Eingängen zum Hof der Moschee. Ihn verwunderte besonders, dass keine Reste eines Altars im Osten und keine Spuren eines Eingangs im Westen zu sehen waren; beides doch typisch für Kirchengebäude. Daraus zog er den Schluss, dass nur wenig vom Baubestand der Basilika für die Moschee verwendet worden war. Bekannt war Chishull und seinen Begleitern überdies der Tempel der Artemis, eines der Sieben Weltwunder. Der einst riesige Bau befand sich zwischen dem antiken Ephesos und dem Ayasoluk-Hügel. Doch schon damals konnte man nur noch sein Fundamente bewundern. Chishull schreibt, dass es dort nichts mehr gebe, was der Rede wert sei. Denn im Jahr 262 n. Chr. hatten die Goten das Artemision geplündert. Danach war der Artemistempel kaum restauriert worden. Schließlich veranlasste der berühmte Kirchenvater des Ostens, Johannes Chrysostomos, am Anfang des 5. Jhs. n. Chr. die Zerstörung des Artemistempels. Von Ephesos aus machte sich die Gruppe um Chishull wieder auf den Rückweg nach Smyrna. Leider reisten sie nicht weiter nach Süden und besuchten z. B. Priene, Milet oder Didyma. Darauf verzichteten damals viele Reisende. Der Weg über die Berge nach Süden ins Tal des Mäanders war manchen vielleicht zu beschwerlich. Außerdem lagen die berühmtesten christlichen Stätten nördlich des Mäander, wie Ephesos, Smyrna, Sardis oder auch Pergamon. Dennoch hätte Milet für Christen anziehend sein können, denn der Apostel Paulus hatte sich hier auf seiner dritten Missionsreise einige Zeit aufgehalten (Apostelgeschichte 20,17–38). In Milet empfing er im Jahr 56 n. Chr. die Ältesten der ephesischen Gemeinde und hielt eine Abschiedsrede, bevor er anschließend in Jerusalem verhaftet wurde. Aber um 1700 war das türkische Dorf Balat inmitten der sumpfigen Mäanderebene anscheinend wenig reizvoll. Und an wichtigen heidnischen Monumenten – wie den gewaltigen Ruinen des Apollontempels von Didyma – bestand für christliche Reisende kaum Interesse; wobei dieser Tempel einen weitaus besseren Erhaltungszustand aufwies als der Artemistempel von Ephesos (daran hat sich bis heute nichts geändert). Edmund Chishull selbst gelangte somit nie nach Milet oder Didyma. Seine Tour nach Sardis und Ephesos hatte er am 3. Mai 1699 glücklich in Smyrna beenden können. Er unternahm weitere Reisen u. a. nach Konstantinopel. Am 10. Februar 1702 verließ Chishull Smyrna für immer und brach nach Adrianopel (heute Edirne) auf, von wo er über weitere Stationen zurück nach England gelangte. Überdies war Edmund Chishull mehr an antiken Inschriften als an antiken Gebäuden interessiert. So veröffentlichte er selbst einen Band mit Inschriften aus dem westlichen Kleinasien. Darin nahm 32
Edmund Chishull – 1709 und 1716 (William Sherard)
er jedoch auch kurze Beschreibungen antiker Stätten auf, die andere für ihn dokumentiert hatten. Dazu gehört ein Abschnitt über Milet und Didyma, den William Sherard verfasst hatte. Sherard war von 1703 bis 1716 britischer Konsul in Smyrna. Er besuchte Didyma in den Jahren 1709 und 1716. Sherard gibt über Didyma einen kurzen Zustandsbericht ab, der zeigt, dass er die Beschreibung des antiken Geographen Strabon gut kannte. Sherard schreibt nämlich, dass Didyma ungefähr auf halber Strecke zwischen dem Poseidion und Milet liegt. Das stimmt nicht ganz, denn Didyma befindet sich etwa 6,5 Kilometer nordöstlich vom Kap Poseidion und dann sind es noch einmal 15 Kilometer nach Milet (Karte 2). Strabon gibt die Distanz zwischen dem Poseidion und Didyma mit 18 Stadien an, etwa 3,2 Kilometer (Strabon, Geographica 14,1,5). Das Poseidion war in der Antike ein Heiligtum für den Meeresgott Poseidon. Dem Gott hatte man direkt am Meer einen prächtigen Altar aus Marmor errichtet, und zwar im 6. Jh. v. Chr. Später, als das Heiligtum verfallen war, wuchs ein einzelner Baum auf den Resten des Altars (Abb. 10). Daher erhielt das Kap in der Neuzeit den Namen Monodendri (Griechisch für „ein Baum“). Das im Altertum Poseidion genannte Kap befindet sich an der Südwestspitze der Milesischen Halbinsel und stellte den Beginn der Südgrenze Ioniens dar. Die Nordgrenze lag bei Phokaia und dem etwas südlich einmündenden Fluss Hermos (heute Gediz Nehri; Karte 1), der rund 30 Kilometer nordwestlich von Smyrna ins Meer mündet (Strabon, Geographica 14,1,2).
Abb. 10: Kap Monodendri. Blick von Osten auf die Reste des Poseidonaltars (1913). 33
Apollonheiligtum von Didyma
Noch heute kann man die von Wellen umspülten Altarreste des Poseidion besichtigen. Außerdem gibt es einen Leuchtturm, der schon von Weitem sichtbar ist und die Auffindung des Kaps erleichtert. Das Poseidion gehörte den Milesiern, wie Strabon schreibt. Wenn man von diesem Altar die genannten 18 Stadien landeinwärts geht, erreicht man das Orakelheiligtum des Apollon Didymeus, nämlich das in Branchidai. So lautet die Bezeichnung für Didyma bei Strabon. Apollon Didymeus bedeutet „Apollon von Didyma“. Didyma ist also eine der beiden Ortsbezeichnungen. Wahrscheinlich hieß der Ort vor der Ankunft der Griechen Dindyma. Dafür sind zwei Indizien vorhanden: Die Ureinwohner, die Karer, kannten viele Ortsnamen mit der Endung -yma, wie z. B. Loryma oder Sidyma. Außerdem gibt es viele Berge in Westkleinasien, die Dindymon heißen. Daher erhielt auch eine einheimische Muttergottheit den Namen Dindymene. Folglich trafen die ersten Griechen einen Ort an, der womöglich Dindyma hieß. Da sie ein Heiligtum für die Zwillinge Apollon und Artemis einrichten wollten, passten sie den Namen auf Didyma an. Denn „Didymoi“ ist das griechische Wort für „Zwillinge“. Mithin liegt bei der Benennung Didymas eine sogenannte Volksetymologie vor, das heißt die Einwanderer wandelten einen vorgefundenen Namen in einen um, der ihnen vertraut war. Dies ist die bisher wahrscheinlichste Erklärung für die Entstehung des Namens „Didyma“. Freilich war Apollon der bedeutendste Gott in Didyma, denn seinen Ruhm verdankte das Heiligtum vor allem seiner Orakeltätigkeit. Darauf deutet die Bezeichnung bei Strabon deutlich hin. Doch seine Schwester Artemis wurde schon immer mit verehrt in seinem Heiligtum und hatte einen eigenen Tempel. Dies belegen Inschriften und seit Kurzem das Fundament des Tempels; wobei Bauteile von ihm schon länger bekannt sind (siehe das Kapitel zu Bumke). Didyma hatte jedoch noch einen zweiten Namen, den Strabon erwähnt, nämlich Branchidai. Er geht auf Branchos zurück, der dem Mythos nach ein Sohn des Zeus war. Seine Mutter hatte ihn empfangen, als Zeus in Form eines Sonnenstrahls durch die Kehle in sie eindrang; auf Griechisch heißt Branchos „Heiserkeit“ oder „Halsschmerzen“. Der junge Knabe soll sehr hübsch gewesen sein; denn als er eines Tages Vieh hütete, sah ihn Apollon und verliebte sich in ihn. Durch einen Kuss verlieh Apollon dem Branchos die Sehergabe und fortan konnte er weissagen. An der Stelle seines Grabes wurde ihm später ein Tempel erbaut, und zwar in Branchidai. Soweit der Mythos, der allerdings in verschiedenen Varianten überliefert ist. Die Liebe Apollons zu Branchos verhalf Apollon zu seinem Beinamen Philesios (der Liebende), den er gelegentlich in Didyma trägt. Die Nachkommen des Branchos hießen von ihm abgeleitet Branchiden (Griechisch „Branchidai“). Sie sollen das Heiligtum verwaltet und in der Frühzeit die Priester gestellt haben. Zu Strabons Zeiten war das jedoch schon lange nicht mehr der Fall, damals lebte der Name des Priestergeschlechts nur im Ortsnamen Branchidai fort. Zudem hatte sich in hellenistischer Zeit eine andere Gründungslegende etablieren können: Am Ort der Heiligen Quelle und des heiligen 34
Edmund Chishull – 1709 und 1716 (William Sherard)
Lorbeerbaumes sollen Zeus und Leto die Zwillinge Apollon und Artemis gezeugt haben (siehe das Kapitel zu Furtwängler). Sherard schreibt nicht viel darüber, was er in Didyma sah. Er erwähnt die sehenswerten Überreste des gewaltigen Apollontempels und -orakels. Obwohl viele Trümmerteile des Tempels am Boden lägen, stünden dagegen viele Säulen noch aufrecht. Aber mehr als vier können es nicht gewesen sein, wie man anhand der Zeichnung von 1673 erkennen kann (siehe Abb. 4). Im Einklang mit Strabon schreibt Sherard, dass es viele alte Weihgeschenke von Königen und Fürsten gebe. Genauere Angaben macht er leider keine, außer dass das Heiligtum zuerst Branchidai, dann Didyma und heute Yoran genannt würde. Wie schon gesagt, war Edmund Chishull besonders an Inschriften interessiert. William Sherard fertigte für ihn eine Abschrift der sogenannten großen Schatzstiftung an, die schon Cyriacus von Ancona dokumentiert hatte (siehe das Kapitel zu ihm). Diese Inschrift vom Anfang des 3. Jhs. v. Chr. kann vielleicht als die berühmteste von Didyma gelten, da sie über Jahrhunderte hinweg viele Gelehrte dokumentierten. Sherard sah sie bei seinen beiden Besuchen in Didyma nördlich des Apollontempels liegen (1709 und 1716). Damals war sie noch vollständig erhalten, denn ihr Anfangsteil ging erst im Laufe des 19. Jahrhunderts verloren. Edmund Chishull war der Meinung, den in der Inschrift wiedergegebenen Brief hätte Seleukos II. (246–226 v. Chr.) an Milet geschickt. Damit lag er jedoch falsch, denn wie oben dargestellt war Seleukos I. (305–281 v. Chr.) der Absender. Dieser Irrtum hielt sich noch bis zum Ende des 19. Jhs. in der Forschung. Edmund Chishull gelangte während seines dreieinhalbjährigen Aufenthalts in Smyrna offensichtlich nie nach Didyma. Hätte es in Didyma damals eine sehenswerte Kirche gegeben, wäre er womöglich gekommen. In frühbyzantinischer Zeit gab es in Didyma mindestens drei größere Kirchen. Im Innenhof des Apollontempels hatte man eine dreischiffige Basilika errichtet. Von zwei weiteren Kirchen existieren zahlreiche Bauteile. Eine von ihnen stand unmittelbar südlich des Artemistempels. Aber offenbar war von ihnen zu Zeiten Chishulls nicht mehr viel zu sehen. Die christliche Geschichte Didymas wurde bisher nur wenig erforscht. Daher soll im Folgenden versucht werden, die wichtigsten Daten wiederzugeben. Nach dem Stillstand in klassischer Zeit erlebte das Apollonheiligtum im Hellenismus und in der römischen Kaiserzeit eine Blütephase. Doch einen ersten Rückschlag erlitt das heidnische Heiligtum mit der Belagerung durch die Goten im Jahr 262 n. Chr. Damals vermauerte man die Ostfront des Apollontempels mit Werkstücken abgetragener Gebäude. Dazu zählte z. B. das Bühnenhaus des Theaters, welches erst unter Kaiser Hadrian errichtet worden war (117–138 n. Chr.; siehe das Kapitel zu Furtwängler). Diese Schließung der Eingangsseite des Apollontempels erfolgte allerdings sehr sorgfältig und nach den Regeln antiker griechischer Baukunst, das heißt die Blöcke wurden mit Eisen- und Bronzeklammern ohne die Verwendung von Mörtel verbunden (Abb. 11). 35
Apollonheiligtum von Didyma
Abb. 11: Nordostecke der sogenannten Gotenmauer. Den heidnischen Kult nahm man nach der überstandenen Belagerung wieder auf, denn das Brunnenhaus für das Orakel wurde im Innenhof erneuert (siehe das Kapitel zu Wheler und Spon). Im Jahr 303 n. Chr. erteilte Apollon ein Orakel, welches die Christen unmittelbar betraf: Kaiser Diocletian (284–305 n. Chr.) wurde nach einer Anfrage angewiesen, die Christen zu verfolgen. Der Kaiser erließ daraufhin ein Edikt, welches zur bis dahin schwersten Verfolgung der Christenheit führte. Wenige Jahre später, 311 n. Chr., wurde durch ein weiteres Edikt des Kaisers Galerius (305–311 n. Chr.) die Christenverfolgung eingestellt. Damit begann der Niedergang der Verehrung der heidnischen Götter. Eine kurze Wiederbelebung erfolgte nur unter Kaiser Julian Apostata in den Jahren 361 bis 363 n. Chr. (siehe das Kapitel zu Cyriacus von Ancona). Erst in den Jahren 391 und 392 n. Chr. erließ Kaiser Theodosius zwei Edikte, die den Besuch der Tempel, das Opfer an Götzen und jeglichen Götzenkult verboten. Damit dürfte auch in Didyma das Orakel des Apollon endgültig verstummt sein. Der Tempel des Apollon war nie ganz fertig geworden, obwohl man womöglich bis zum Ende des 4. Jhs. n. Chr. an der Errichtung seiner Säulen gearbeitet hatte. Damals werden die Kulte aller in Didyma verehrten Götter eingestellt worden sein. Somit war der Weg frei, ihre Kultbauten für neue Zwecke zu nutzen. Da die Bevölkerung den heidnischen Göttern trotz des Verbots oft noch weiter huldigte, wandelte man ihre Tempel häufig in Kirchen um, damit dies unterblieb. 36
Edmund Chishull – 1709 und 1716 (William Sherard)
Neben Apollon war in Didyma seine Schwester Artemis die bedeutendste Gottheit. Sie hatte ihren eigenen Tempel etwa 80 m nördlich des Apollontempels. Den Artemistempel wandelte man jedoch nicht in eine Kirche um, sondern man errichtete sie direkt südlich dieses Tempels. Ein Grund dafür könnte sein, dass der heidnische Bau bereits in einem so schlechten Zustand war, dass man ihn nicht mehr umbauen, sondern nur noch abtragen konnte. Womöglich war der Artemistempel schon von den Goten 262 n. Chr. beschädigt worden, als sie den Apollontempel belagerten. Das legt auch die damalige Brandzerstörung von Häusern westlich des Apollontempels und an der Heiligen Straße von Milet nahe, die sich nicht weit weg vom Artemistempel befanden (siehe das Kapitel zu Tuchelt sowie das zu Tuchelt und Schneider). Dass die Kräfte Milets und Didymas nicht ausreichten, um den Kultbau der Artemis danach zu restaurieren, scheint sehr wahrscheinlich. Somit könnte den Artemistempel von Didyma ein ähnliches Schicksal ereilt haben wie den Artemistempel von Ephesos; denn auch dieser wurde 262 n. Chr. beschädigt und danach nicht vollständig wiederaufgebaut. Schließlich ließ man ihn Anfang des 5. Jhs. n. Chr. abreißen (siehe oben). Der vermutlich schlechte Zustand des Artemistempels von Didyma nach dem Gotensturm legte es nahe, neben ihm die erste Kirche Didymas zu errichten, vielleicht schon im 5. Jh. n. Chr. Darauf deutet der Grundriss der Kirche hin: ein dreischiffiger Bau mit nur einer großen Apsis im Osten. Dieser frühbyzantinische Kirchenbau wurde bisher jedoch nie genau untersucht, obwohl das Apsisfundament schon seit langem bekannt ist. Aber die Grabungsleiter Didymas verfolgten immer andere Interessen und die christliche Geschichte Didymas stand noch nie im Mittelpunkt. Folglich sind die Ausmaße der frühbyzantinischen Kirche südlich des Artemistempels unbekannt sowie spätere Umbauphasen. Klar ist jedoch, dass an derselben Stelle Griechen im Jahr 1830 eine dem heiligen Charalambos geweihte Kirche errichteten, nachdem sie die Gegend um den Apollontempel seit Ende des 18. Jh. neu besiedelt hatten. Heute bildet der Bau die Moschee von Yoran oder Eskihisar (Türkisch für „alte Burg“). Die zweite größere Kirche baute man um 500 n. Chr. im Innenhof des Apollontempels. Bei ihr handelt es sich um einen dreischiffigen Bau mit ebenfalls einer Apsis (Plan 4). Sie war knapp 36 m lang und 16 m breit. Das Baumaterial für diese Säulenbasilika lieferten abgetragene Gebäude, wie der Naiskos für das Kultbild des Apollon, das Brunnenhaus der Orakelquelle oder das sogenannte Prophetenhaus, welches sich außerhalb des Apollontempels befand. Die Orakelquelle integrierte man in den Kirchenbau. Der Eingang zum eigentlichen Brunnen lag neben dem Templon, der Altarschranke (Abb. 12). Folglich nahm das Allerheiligste der Kirche, der Bereich des Altars, das Allerheiligste des Apollontempels mit auf, und zwar den Orakelbrunnen. Westlich dieser Basilika wurde im Innenhof außerdem ein kleines Baptisterium errichtet (ca. 4,40 x 4,40 m). Es diente hauptsächlich zur Taufe Erwachsener. Die Kindertaufe praktizierte man jedoch auch. Deswegen wurde später ein Taufbecken im Kircheninnern installiert. Vermutlich entnahm man das Wasser für die Taufen aus dem ehemaligen Orakelbrunnen, der heute noch existiert, aber zugeschüttet ist (siehe das Kapitel zu Wheler und Spon). 37
Apollonheiligtum von Didyma
Abb. 12: Apsis der frühbyzantinischen Kirche im Sekos des Apollontempels. Wie schon erwähnt, gab es im 5./6. Jh. n. Chr. mindestens drei größere Kirchen in Didyma. Dies belegen Bauteile, die zur Ausstattung von drei steinernen Kanzeln gehören, die man auch Ambo nennt. Aber nur von den zwei genannten Kirchen bei den Tempeln der Götter Apollon und Artemis sind die Standorte bekannt, von der dritten jedoch nicht. Die archäologischen Ausgrabungen brachten noch weitere Gebäudereste des 5./6. Jhs. n. Chr. zutage. Besonders erwähnenswert ist das Gebiet nordwestlich des Apollontempels, wo die Heilige Straße von Milet in das Apollonheiligtum führt. Dort errichtete man Hallen mit Läden auf einer Seite der Straße über einem älteren, im 4. Jh. n. Chr. zerstörten Baubestand. Am Apollontempel verstärkte und erhöhte man die Vermauerung der Ostfront. Überdies kamen bei den Ausgrabungen viele Münzen dieser Zeit zum Vorschein, die ebenfalls eine hohe Frequentierung des Ortes anzeigen. Da das Apollonorakel damals nicht mehr aktiv war, ist von einer größeren Anzahl dauerhafter Bewohner auszugehen. Dies bezeugt ferner eine Inschrift des Jahres 533 n. Chr. Darin wird berichtet, dass die Siedlung Stadtrecht und obendrein den Namen „Justinianoupolis“ erhalten hatte. Außerdem geht es darum, dass Justinianoupolis steuerlich unabhängig von Milet werden will. Freilich gibt die Inschrift keine direkte Auskunft darüber, welcher Ort denn den Namen „Justinianoupolis“ verliehen bekommen hatte. Aber da sie in Didyma gefunden wurde, kann nur das ehemalige Apollonheiligtum gemeint sein; denn warum sonst hätte man sie dort aufstellen sollen? Kaiser Justinian, nach dem Didyma damals benannt wurde, war der bedeutendste Kaiser des 6. Jhs. Er regierte von 527 bis 565 n. Chr. und vergrößerte das Byzantinische Reich durch zahlreiche Eroberungen. Seine Hauptstadt war Konstantinopel, ehedem Byzanz, welches schon 38
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Konstantin der Große (324–337 n. Chr.) zur Hauptstadt des Römischen Reiches erhoben hatte. Der Aufstieg des ehemaligen Heiligtums Didyma zu einer selbständigen Stadt ist verbunden mit einer Blütephase im 5./6. Jh. n. Chr. In antiken Inschriften wird das Apollonheiligtum meist als Didyma bezeichnet und in literarischen Quellen meist als Branchidai. Daneben scheint es von den Einheimischen schon früh nur „Hieron“ (Heiligtum) genannt worden zu sein. Denn in der Gegend Milets war es das wichtigste Heiligtum. Unter der Bezeichnung „Hieron“ taucht der Ort zum ersten Mal in der zweiten Hälfte des 7. Jhs. in einer Bischofsliste auf. Womöglich hieß er schon zu Justinians Zeiten so und erhielt dann als eine Art „Ehrennamen“ den Namen „Justinianoupolis“. Dieser kann sich jedoch nicht länger als bis ins 7. Jh. gehalten haben; denn von da an wird der Ort immer als Hieron bezeichnet (und bis heute davon abgeleitet als Yoran). Seitdem war Hieron auch Bischofssitz. Vorher ist das eher unwahrscheinlich, weil weder Justinianoupolis noch Hieron in den Akten der christlichen Konzilien auftauchen. Dagegen nahm z. B. der Bischof Milets schon 325 n. Chr. an dem Konzil von Nikaia teil. Milet wurde außerdem im zweiten Viertel des 6. Jhs. n. Chr. zum Erzbistum erhoben. Vom 5. bis zum 7. Jh. blühten nicht nur Milet und Didyma (Justinianoupolis) auf, sondern auf der ganzen milesischen Halbinsel lässt sich eine hohe Siedlungsaktivität nachweisen. Das belegen Reste vieler dörflicher Ansiedlungen oder auch zahlreicher kleinerer Kirchen. Vom 8. bis zum 10. Jh. lassen solche Funde jedoch deutlich nach und es sind kaum noch Neubauten zu verzeichnen. Das 11. bis 13. Jh. bildete dann die zweite byzantinische Blütephase. Das haben auch die archäologischen Ausgrabungen in Didyma (Hieron) belegen können. An vielen Stellen traten Häuserreste dieser Epoche zutage, wobei außerdem immer eine große Anzahl Scherben der damals typischen byzantinischen Glasurkeramik mit dabei war. Rund um den Apollontempel wurden überdies Bauteile für neun Ölpressen gefunden, die zur Herstellung von Olivenöl dienten. Eine solche Presse mit der entsprechenden Ölmühle zum Zerkleinern der Oliven kam 2004 bei Ausgrabungen südlich des Apollontempels zum Vorschein (siehe das Kapitel zu Furtwängler). Doch selbst in wirtschaftlichen Hochzeiten galt es, immer wieder Rückschläge zu verkraften, denn das westliche Kleinasien ist ein Erdbebengebiet. Im frühen 7. Jh. war ein Erdbeben wohl dafür verantwortlich, dass die Kirche im Innenhof des Apollontempels einstürzte. Sie wurde jedoch anschließend in veränderter Form wiederaufgebaut. Dieses Erdbeben zerstörte ferner die Arkadenhalle an der Heiligen Straße und das Macellum nordwestlich des Apollontempels (siehe das Kapitel zu Tuchelt und Schneider). Irreparable Schäden verursachte ein späteres Erdbeben am Apollontempel selbst: In den beiden Räumen, die seinem Innenhof östlich vorgelagert waren, kam es zu einem Brand, der die Säulen dort zum Einstürzen brachte. Dabei handelte es sich um den sogenannten Zwölf- und den Zweisäulensaal. Diese beiden Säle waren schon länger bewohnt gewesen und die hölzernen Einbauten hatten wohl Feuer gefangen (Abb. 13 und 14). 39
Apollonheiligtum von Didyma
Abb. 13: Blick in den Zwölfsäulensaal des hellenistischen Apollontempels.
Abb. 14: Der Zweisäulensaal des hellenistischen Apollontempels von Südwesten. 40
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Eine Inschrift auf einem Türsturz bezeugt aber, dass der in eine Festung umgewandelte Tempel wiederhergestellt wurde, und zwar wahrscheinlich am Ende des 11. Jhs. Dabei zog man eine weitere Verteidigungsmauer ein, die die nördliche mit der südlichen Tempelante verband (Plan 4). Obendrein wurde die Wand zwischen dem Zwölf- und dem Zweisäulensaal neu aufgebaut und mit einem Wehrgang versehen. Zu guter Letzt errichtete man wahrscheinlich damals die gekrümmte Vormauer östlich des Apollontempels. Sie trat bei den Ausgrabungen am Anfang des 20. Jhs. zutage, wurde aber wie alle Befestigungsanlagen am Apollontempel entfernt (siehe das Kapitel zu Wiegand und Knackfuß zum Jahr 1906). Von diesem Schicksal blieben leider auch die Kirche und das Baptisterium im Innenhof nicht verschont. So kann man sich heute nur schwer vorstellen, wie der nachantike Apollontempel aussah. Die Bauteile der Kirche sind jedoch noch vorhanden und liegen südlich des Apollontempels (siehe Abb. 135). Heutzutage würde man sicher nicht mehr so radikal vorgehen und jegliche Anbauten nach der Mitte des 3. Jhs. n. Chr. entfernen. Am Anfang des 20. Jhs. standen die Arbeiten in Didyma unter der örtlichen Leitung von Hubert Knackfuß. Er war ein Architekt und damit beauftragt, den Apollontempel freizulegen. Es war eine enorme Leistung der türkischen und griechischen Arbeiter, die es schafften, den Apollontempel in den Jahren 1906 bis 1913 von seinen Trümmern zu befreien. Jedoch wurden die nachantiken Befunde dabei kaum dokumentiert, sondern so schnell wie möglich abgetragen. Auf diese Weise gingen wertvolle Hinweise zur Abfolge der Nutzungsphasen des Apollontempels in der Nachantike unwiderruflich verloren. Folglich ist es nicht genau feststellbar, wann die erste Kirche eingebaut, zerstört und erneuert wurde. Das Gleiche gilt für die verschiedenen Befestigungsmauern. Weiterhin wird in der spärlichen Grabungsdokumentation noch eine spätbyzantinische Kapelle erwähnt, die sich nordöstlich des Apollontempels befunden haben soll. Näheres wurde dazu aber nicht festgehalten, weder ein Grundriss noch ihre genaue Lage. Insgesamt gab es in spätbyzantinischer Zeit in Hieron/Didyma mindestens sieben Kirchen oder Kapellen: die genannte nordöstlich des Apollontempels, die Kirchen im Apollontempel und südlich des Artemistempels, eine Kapelle auf dem Hügel nördlich des Artemistempels und drei Kapellen südlich des Apollontempels. Erst für das 13. Jh. gibt es wieder schriftliche Quellen zu Hieron. Im Jahr 1214 wird es in den Akten des Johannesklosters auf der Insel Patmos erwähnt, und zwar geht es um den Hafen von Hieron, der zwischen Palatia (Milet) und Melanoudion (das antike Herakleia, heute Kapıkırı am Bafa Gölü) liegt. Weiterhin wird 1264 ein Niketas als Bischof von Hieron genannt. Bei dem byzantinischen Autor Maximos Planudes kommt Hieron in einem Brief vor. 1296 schreibt er, dass das Heiligtum des Apollon in Branchidai jetzt Hieron heißt und es an seiner Stelle eine Festung (Phrourion) gibt. Aus dieser Angabe geht immerhin hervor, dass das Phrourion von Hieron am Ende des 13. Jhs. noch nicht in der Hand der Seldschuken war. Als letztes Bauwerk im Apollontempel hatte man eine kleine Kapelle errichtet (Plan 4). Sie stand auf dem Schutt der zweiten Kirche im Innenhof des Tempels. Diese Kirche wird bei einem Erd41
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beben eingestürzt sein. Ob dies vor 1300 war oder danach, schon unter türkischer Besatzung, ließen die Ausgrabungen nicht erkennen. Somit könnte der letzte Kirchenbau im Apollontempel von griechischen Christen erst unter der Herrschaft der Seldschuken errichtet worden sein. Lange war er jedoch nicht in Gebrauch und die Kapelle stürzte bald ein. Jedenfalls wird sie im nächsten schriftlichen Bericht über Hieron nicht erwähnt, den Cyriacus von Ancona im Jahr 1446 verfasste (siehe das Kapitel zu ihm).
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Richard Chandler, Nicholas Revett und William Pars – 1764
Richard Chandler, Nicholas Revett und William Pars – 1764 Reise von England nach Smyrna – Von Smyrna nach Didyma – Der Naos des hellenistischen Apollontempels – Erste Zeichnungen von Baugliedern – Beschreibung der näheren Umgebung des Apollontempels Am 9. Juni 1764 begaben sich drei Engländer an Bord der „Anglicana“, die im Hafen von Gravesend an der Themsemündung vor Anker lag. Richard Chandler, Nicholas Revett und William Pars hatten sich für 60 Guineen auf der „Anglicana“ eingeschifft, die mit 32 Mann Besatzung und 16 Kanonen ausgestattet war. Das Schiff sollte die drei Herren nach Smyrna bringen. Der Wind stand gut und am Abend wollte man ablegen. Doch das war unmöglich, weil der zuständige Lotse betrunken war. So verschob sich die Abreise bis auf den Morgen des nächsten Tages, den Pfingstsonntag. Chandler, Revett und Pars reisten nicht im eigenen Interesse, sondern waren im Auftrag der Society of Dilettanti unterwegs. Diese Gesellschaft war 1734 in London gegründet worden, um die Künste und die Geisteswissenschaften zu fördern. 1764 hatte man genug Geld zusammen, um eine Expedition in den östlichen Mittelmeerraum auszurüsten. Ihre Teilnehmer sollten Informationen über den früheren Zustand der dortigen Staaten sammeln und insbesondere eine exakte Beschreibung der sichtbaren Reste der antiken Monumente liefern. Um diese Aufgabe korrekt auszuführen, hatte die Society eine Anweisung mit sechs Paragraphen verfasst, nach denen sich Chandler, Revett und Pars zu richten hatten. Ihre Hauptaufgabe bestand darin, von Smyrna (heute Izmir) aus Touren zu unternehmen, um die wichtigsten antiken Bauten der Umgegend aufzunehmen. Hinweise dazu bekamen sie von Robert Wood, der 1750 Ionien besucht hatte. Wood war ebenfalls Mitglied der Society of Dilettanti. Auf seiner Rückreise aus dem Nahen Osten, wo er die Ruinen von Palmyra (Syrien) und Baalbek (Libanon) studiert hatte, war er 1750 auch in Didyma vorbeigekommen. Richard Chandler sollte zunächst die antiken Schriftquellen studieren und dann den Begleittext verfassen. Nicholas Revett war Architekt und hatte sich bereits bei der Aufnahme der antiken Gebäude Athens Verdienste erworben. William Pars hatte die Aufgabe, Ansichten zu zeichnen und Reliefs zu kopieren. Darüber hinaus waren alle drei verpflichtet, Tagebuch zu schreiben und die Society of Dilettanti regelmäßig über ihre Fortschritte zu unterrichten. Neben einem angemessenen Gehalt stand den Männern ein Etat von 2000 Pfund zur Verfügung. Nachdem die Reise am 9. Juni 1764 begonnen hatte, lief die „Anglicana“ noch mehrere Häfen Englands an, um ihre Ladung zu vervollständigen. Am 3. Juli 1764 passierte das Schiff die Felsen 43
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von Lissabon. In Genua lag die „Anglicana“ vom 17. bis zum 25. Juli vor Anker, um verschiedene Waren ein- und auszuladen. Schließlich kam am 25. August 1764 die Bucht von Smyrna in Sicht. Doch das Schiff segelte nicht hinein, sondern drehte nach Norden ab. Der Kapitän hatte sich entschieden, Smyrna noch nicht anzulaufen, da dort im Frühjahr die Pest ausgebrochen war. Deshalb wollte er zuerst nach Konstantinopel segeln. Bis dahin fuhren die drei Engländer allerdings nicht mit, sondern schifften sich noch am selben Tag aus, und zwar in der Nähe der heutigen Stadt Çanakkale auf der asiatischen Seite der Dardanellen. Die „Anglicana“ feuerte drei Kanonenschüsse ab und ließ Chandler, Revett und Pars mit ihrem Gepäck zurück. Nun waren sie im Orient angekommen. Der englische Konsul holte sie ab, aber mit ihm konnten sie sich kaum verständigen, da er außer Türkisch nur gebrochen Italienisch und Französisch sprach. Der Konsul, „ein dicker, gut aussehender Jude“, lud die Engländer in sein Haus ein. Beim Essen hatten sie Probleme im Schneidersitz auf dem Boden zu sitzen und ohne Besteck mit den Fingern zu essen. Aber immerhin gab es Wein zum Essen. Das war ganz im Sinne der Society, denn auf zwei Dinge legte sie besonderen Wert: „The nominal qualification is having been in Italy, and the real one, being drunk“ (Zitat von Horace Walpole). Nach dem Essen (und Trinken) legte sich die Familie bis zum Nachmittag schlafen, was aufgrund der großen Mittagshitze im Orient üblich wäre, wie Chandler und seine Mitarbeiter erfuhren. Zur Nachtruhe bekam jeder der drei Engländer einen Teppich und ein Kissen. Betten gab es keine, wie sie überrascht feststellten. Außerdem ist in Chandlers Reisebericht zu lesen, dass sie deshalb keinen Moment zur Ruhe kamen und angesichts der körperlichen Qualen das Morgengrauen sehnlichst erwarteten. So viel zu den ersten Orienterfahrungen der Engländer. Bei ihren Erkundungen der nahen Umgebung kam noch eine weitere hinzu: Mehrmals wurden sie von Räuberbanden bedroht. Folglich bestiegen die drei bald ein englisches Schiff und fuhren auf die Insel Chios, um von dort nach Smyrna zu gelangen. Auf Chios erfreuten sie sich der hübschen Griechenmädchen, die in den Türen oder Fenstern der Häuser saßen und ihre Handarbeiten verrichteten. Dabei trugen die jungen Frauen nur bis zu den Knien reichende Röcke und bunte Kleider. Im Gegensatz dazu bekamen die Gelehrten keine türkischen Frauen zu Gesicht. Denn die Türken lebten in einem eigenen Viertel und „versteckten“ ihre Frauen. Schließlich kamen Chandler, Revett und Pars mit einem kleinen Schiff nach Smyrna (Abb. 15). Am Hafen holte sie ein Armenier ab, den der englische Konsul Antony Hayes beauftragt hatte. Von nun an waren die drei standesgemäß untergebracht und konnten sich ihren Studien widmen. Zuerst hielten sie in Smyrna Ausschau nach antiken Gebäuden. Dabei bemerkten sie, dass Türken aus den weißen Marmorblöcken des Theaters einen Basar und eine Karawanserei errichteten. Das Theater wurde schon seit vielen Jahren als Steinbruch genutzt, da Wheler und Spon bereits 1675 berichteten, dass es zum Bau einer Karawanserei ausgebeutet würde (siehe das Kapitel über sie). 44
Richard Chandler, Nicholas Revett und William Pars – 1764
Abb. 15: Smyrna. Blick auf den Landungssteg mit dem türkischen Viertel und mit der Akropolis im Hintergrund (Duc de Valmy, 1826). Ansonsten bemerkten die Engländer, dass Angehörige vieler Völker in Smyrna lebten, die meisten von ihnen Türken. Die protestantischen und katholischen Christen hätten ihre eigenen Kirchen; besonders schön sei aber die Kirche der Armenier. Auch die Juden besäßen ein oder zwei Synagogen. Zwei Kirchen der Griechen seien bei einem Brand vernichtet worden, deren Wiederaufbau die Türken erschwerten. Dazu bemerken die Engländer, dass auf diese Weise die Christen in Smyrna bald aussterben würden. Noch im Herbst des Jahres 1764 unternahmen Chandler, Revett und Pars Exkursionen von Smyrna aus. Von März bis August 1765 folgten weitere. Als eines der ersten Ziele steuerten sie Ephesos an. Auf der gleichen Reise besuchten sie bereits im Oktober 1764 Milet und Didyma. In vielen neueren Publikationen ist dagegen zu lesen, dass die englischen Gelehrten erst 1765 nach Didyma kamen. Das ist jedoch nicht richtig, wie man Richard Chandlers Buch „Travels in Asia Minor“ von 1775 entnehmen kann. Am 30. September 1764 brachen Chandler, Revett und Pars mit ihren Begleitern von Smyrna aus auf. An diesem Sonntagabend kamen sie nur bis zu einem Dorf etwas südlich von Smyrna, wo sie übernachteten. Am nächsten Tag ritten sie bereits 5 Uhr morgens los und gelangten fast schon in der Dunkelheit in Ayasoluk (heute Selçuk) an. Vom 2. Oktober bis zum 6. Oktober blieben sie dort. 45
Apollonheiligtum von Didyma
An ihrem ersten Morgen suchten sie die nahe gelegenen Ruinen von Ephesos auf. Dort stellten sie fest, dass die einstige antike Metropole nur von wenigen griechischen Hirten bewohnt wurde. Die Ruinen einer Kirche innerhalb der Stadtmauern hielten sie für die der berühmten byzantinischen Johannesbasilika. Etwas weiter weg lag die türkische Siedlung Ayasoluk, nämlich unterhalb des Burgbergs, wo sich tatsächlich die Reste der Johannesbasilika befanden (siehe die zwei vorangegangenen Kapitel). Den Burgberg besichtigten die Engländer auch. Dort sahen sie jedoch nur wenige Hütten und eine verfallene Moschee. Sonst gäbe es dort nur Abfall und unter jedem Stein einen Skorpion. Weiterhin suchten sie nach Resten eines der Sieben Weltwunder, nämlich dem Artemistempel, der zwischen antiker Stadt und dem Burgberg gelegen war. Von diesem einstmals berühmten Tempel fanden sie nichts mehr, obwohl Edmund Chishull seine Fundamente 1699 noch gesehen haben wollte (siehe das Kapitel zu Chishull). Schließlich hatten Chandler, Revett und Pars vier Tage in Ayasoluk und Ephesos verbracht. Am Sonnabend, dem 6. Oktober, begaben sie sich an der Küste entlang nach Süden, und zwar zuerst nach Scala Nuova (im Altertum Neapolis, heute Kuşadası). Nach dem Mittagessen ritten sie weiter nach Suki (heute Söke), welches am Ostende des Mykale-Gebirges liegt (Karte 1). Dort blieben sie die Nacht über in einer Karawanserei. Der nächste Morgen, ein Sonntag, begann mit einem heftigen Gewitter. Als sie um 7 Uhr starteten, blitzte und regnete es. Dennoch hatte das feuchte Wetter sein Gutes, denn die Engländer sahen am Weg viele blühende Sträucher. Ihr Duft und die frische feuchte Luft erinnerten sie an den Frühling, obwohl doch Herbst war. Nach einem Zweieinhalb-Stundenritt erreichten sie Kelebeş (Griechisch Kelebesion) am Südrand der Mykale. Dieses Dorf war eine um 1700 angelegte Neugründung von Griechen und Armeniern. Dort warfen sie einen kurzen Blick auf die nahen Ruinen des antiken Priene und machten sich anschließend auf nach Milet. Doch zuvor mussten sie den Mäander mit einer Fähre überqueren. Diese Überfahrt beschreiben sie ziemlich genau: Um 10 Minuten nach ein Uhr mittags setzten sie mit einer dreieckigen Fähre über. Der Fährmann war ein Schwarzer, der einem Satyr ähnelte. Satyrn sind in der griechischen Mythologie Mischwesen aus Mensch und Tier. Sie haben oft eine Stupsnase, eine Halbglatze, einen Bart, Eselsohren und einen Pferdeschwanz; welche Merkmale davon auf den Fährmann zutrafen, überliefert Chandler jedoch nicht. Interessant ist weiterhin, dass etwa 150 Jahre nach ihm noch Fähren des gleichen dreieckigen Typs benutzt wurden. Es gibt Fotos mit deutschen Archäologen, die Anfang des 20. Jhs. auf einer dreieckigen Fähre den Mäander überqueren. In Milet beeindruckte die Engländer – wie schon die Reisenden vor ihnen – das riesige Theater. Sonst sahen sie viele verfallene Gebäude, einige antike Inschriften und eine schöne Moschee mit Hütten daneben für die türkischen Familien. Diese nach ihrem Erbauer Ilyas Bey genannte Moschee wurde 1404 errichtet und ist ein prächtiger Marmorbau, den man heute noch besichtigen kann. In Milet (damals Palatia genannt) erhielten Chandler, Revett und Pars auch Besuch 46
Richard Chandler, Nicholas Revett und William Pars – 1764
vom Aga aus Suki (heute Söke). Dieser war mit seinem Gefolge zur Falkenjagd nach Palatia gekommen. Allerdings war er müde und hatte schlechte Laune, weil zwei seiner Lieblingsvögel nicht zurückgekehrt waren. Für den Aga wurde ein Sofa aufgestellt mit Sonnenschutz, auf das er sich legte und sofort im Beisein der Engländer einschlief. Aber später empfing sie der Aga, bewunderte ihre Waffen und gab ihnen ein Empfehlungsschreiben mit. Der 9. Oktober 1764 sollte dann der Tag werden, an dem Chandler, Revett und Pars die prächtigen Ruinen Didymas zu sehen bekamen. Ihrem Bericht nach brachen sie um 20 Minuten nach 8 Uhr morgens von Milet aus auf. Im nächsten Griechendorf Auctui (heute Akköy) machten sie allerdings schon wieder Halt und versorgten sich mit Proviant, denn weiter südlich war die Gegend nur sehr dünn besiedelt. Mit dem gekauften Geflügel und Eiern überquerten sie den letzten Höhenzug, der damals von den Griechen „Ta Stefania“ genannt wurde. Die Übersetzung davon lautet wörtlich „die Kränze“, aber im übertragenen Sinn „die Ränder der Berge“. Von dort aus kamen die Säulen des Apollontempels zum ersten Mal in den Blick. Der eingeschlagene Weg führte also nicht an der Küste entlang, sondern durch das Landesinnere. Heute kann man diesen Weg nur schwer verfolgen. Meistens muss man sich auf Schaf- und Ziegenpfaden durch die Macchia kämpfen. Der Weg, den die Engländer nahmen, führte vor Didyma noch durch eine kleine von Türken bewohnte Siedlung, damals Ura geheißen. Von Ura aus gelangten sie schließlich in einer halben Stunde zu den Ruinen Didymas. Damals konnte man also auf drei Wegen Didyma von Norden aus erreichen (Karte 2): Von Milet gelangte man zunächst in das Griechendorf Auctui. Von dort aus führte der östlichste Weg über Ura nach Didyma. Auf einer Karte vom Anfang des 20. Jhs. wird Ura als Turko-Jeronda bezeichnet, weil Türken dort wohnten und in Jeronda (dem ursprünglichen Didyma) Griechen. Heute ist Ura weitgehend verlassen. Der zweite Weg von Auctui nach Didyma war der einstige Prozessionsweg von Milet nach Didyma. Diese sogenannte Heilige Straße führte etwas weiter westlich über den „Ta Stefania“ genannten Höhenzug zum Hafen Didymas, Panormos (heute Mavişehir). Von da brauchte man wie von Ura noch etwa eine halbe Stunde nach Didyma. Schließlich ist die heutige Straße von Akköy nach Didyma zu nennen, die vom ehemaligen Auctui auf kürzestem Weg an die Küste führt und dort entlang nach Mavişehir und weiter nach Didyma. Chandler, Revett und Pars hatten – bevor sie Didyma von Ura aus erreichten – noch ein besonderes Erlebnis: Kurz nach Verlassen des Dorfes brach ein wilder Stier aus dem Gestrüpp hervor und griff ihren Führer an. Doch der konnte ihm durch eine schnelle Reaktion gerade noch ausweichen. Anschließend war es ihnen aber vergönnt, die Säulen des Apollontempels von Didyma ungestört zu bewundern, die sie als außergewöhnlich fein durch ihren schönen und leuchtenden Marmor beschreiben. Besonders abends würden die Schönheit und die Majestät der Tempelruinen zur Geltung kommen (Abb. 16). 47
Apollonheiligtum von Didyma
Abb. 16: Die Ruine des Apollontempels von Nordosten (William Pars, 1764). Leider war der Tag schon fortgeschritten und die Engländer mussten Didyma verlassen, weil sie hier nicht übernachten wollten. Sie ritten zurück nach Ura und bauten dort ihr Dreipersonenzelt auf. Sehr viel Komfort bot das Zelt nicht, denn sie lagen darin auf Stroh und das einzige Möbelstück war ein leeres Olivenglas. Schlafen konnten sie auch nicht, weil der bekannte wilde Stier ab und zu vorbeikam und sie mit seinem Gebrüll wachhielt. In Didyma hatten Chandler, Revett und Pars nicht nur den Apollontempel gesehen, sondern als erste berichten sie über andere antike Reste. So schreiben sie, dass der Weg zum Hafen von vielen marmornen Sarkophagen flankiert sei. Außerdem stünden an einer Stelle fünf Marmorstatuen. Bei diesem Weg zum Hafen handelt es sich um die Heilige Straße von Milet. Die Sarkophage und Statuen zeigen, dass man im Altertum an ihr entlang viele Grabmonumente errichtet hatte. Des Weiteren geben die Gelehrten einen ersten Bericht ab zur damaligen Beschaffenheit des antiken Hafens (Panormos). Als sie zu ihm hinabstiegen, sahen sie bereits von weitem einen kreisrunden Pier im Wasser leuchten. Dabei handelte es sich um marmorne Säulentrommeln für den Apollontempel, deren Durchmesser sie mit durchschnittlich 6 Fuß richtig angaben. Diese liegen gebliebenen Säulentrommeln waren noch bis in die Mitte des 20. Jhs. hinein sichtbar. Dann aber wurden sie im Zuge von Geländeerschließungen und Bauarbeiten verschüttet. Chandler, Revett und Pars sahen überdies am Hafen noch viele Ruinen von Häusern. Diese können nur aus byzantinischer Zeit 48
Richard Chandler, Nicholas Revett und William Pars – 1764
stammen, da der Hafen Didymas zuletzt in byzantinischen Urkunden erwähnt wird (siehe das Kapitel zu Chishull). Weiterhin überliefern die Engländer zum ersten Mal, dass die Türken die Ruinen von Didyma „alte Burg“ nannten (auf Türkisch „Eskihisar“). Die Bezeichnung „Eskihisar“ überlebte neben der als Yoran bis heute. Dazu kam in den 60er-Jahren des 20. Jhs. ein neues Dorf mit dem Namen „Yenihisar“ (neue Burg). Dieses wurde etwas südlich von Didyma angelegt, nachdem viele Häuser von Eskihisar bei einem Erdbeben 1955 beschädigt oder zerstört worden waren. Heute bilden beide „Dörfer“ zusammen mit vielen weiteren Gebäuden, die sich bis zur Meeresbucht südlich von Didyma erstrecken, den modernen Ort Didim. Diese Stadt wird wohl bald zur Großstadt werden, denn sie hat jetzt schon über 85000 permanente Bewohner, zu denen in der Feriensaison zehntausende Urlauber aus dem In- und Ausland hinzukommen. Nach ihrer ersten Übernachtung in Ura blieben Chandler, Revett und Pars nur noch zwei Tage in Didyma. Länger wollten sie nicht bleiben, da ihnen das Leben im Zelt zu dieser herbstlichen Jahreszeit arg zusetzte. Wie sie berichten, verließen sie Didyma am Freitag, dem 12. Oktober 1764, um 11 Uhr vormittags. Sie ritten an diesem „Sabbat der Türken“ noch etwas in südöstliche Richtung und erreichten eine große Meeresbucht, heute Golf von Akbük genannt. Von dort aus begaben sie sich auf den Rückweg nach Scala Nuova (heute Kuşadası), von wo aus sie weitere Exkursionen unternahmen. Obwohl die englischen Gelehrten nur zwei volle Tage in Didyma verbrachten, gelang es ihnen, eine Vielzahl von Informationen zum Apollontempel und seiner Umgebung zu sammeln. Als erste fertigten sie genaue Zeichnungen von Bauteilen des Tempels an und versahen sie mit den entsprechenden Beschreibungen. Zusätzlich trugen sie alle verfügbaren literarischen Quellen zusammen, die sich auf Didyma und den Apollontempel beziehen. Bereits 1769 konnten Richard Chandler, Nicholas Revett und William Pars damit die erste archäologische Abhandlung über Didyma veröffentlichen. In ihrem Buch „Ionian Antiquities“ werden die drei antiken Ruinenstätte Teos, Priene und Didyma zum ersten Mal ausführlich dargestellt. Ihre besondere Aufmerksamkeit widmeten die Engländer neben den schriftlichen Quellen vor allem den architektonischen Hinterlassenschaften der drei Orte. In Teos ist dies der Tempel des Dionysos, in Priene der der Athena und in Didyma natürlich der des Apollon. Zunächst wollten sie vom Apollontempel in Didyma einen Plan seines Grundrisses erstellen. Dies war allerdings unmöglich, weil die gesamte Osthälfte mit Trümmern verschüttet war. Lediglich an der Westseite des Tempels konnten sie seine Breite messen, die sie mit 162 Fuß 2 Zoll und 2/10 angaben. In Metern beträgt die Breite an der obersten Stufe 51,09 m. 49
Apollonheiligtum von Didyma
Des Weiteren machten sie die Beobachtung, dass der Naos im Westen keine Tür aufwies, das heißt es gab keinen sogenannten Opisthodom. Interessanterweise wird die Rückseite des Apollontempels in Bauinschriften dennoch mit „Opisthodomos“ bezeichnet. Die englischen Gelehrten schlossen aus dem Nichtvorhandensein eines Opisthodoms, dass der Pronaos deshalb besonders groß sein müsse, um die Proportionen des Tempelgrundrisses zu wahren. Damit hatten sie nicht ganz unrecht: Denn tatsächlich weist der Apollontempel im Osten sogar zwei Räume auf, den Zwölf- und den Zweisäulensaal (siehe das Kapitel zu Cyriacus von Ancona und Plan 3). Richtig erkannten sie weiterhin, dass nur die äußeren Schalen der Wände aus Marmor bestehen und die inneren Blöcke aus einheimischem Gestein (Kalkstein). Außerdem erschlossen die Gelehrten, dass der Apollontempel ein sogenannter dekastyler Dipteros war. Das bedeutet zum einen, dass die den Naos umgebende Ringhalle zwei Reihen Säulen besaß. Zum zweiten hatte der Tempel an seinen Schmalseiten jeweils zehn Säulen. Die ersten genauen Zeichnungen von den Bauteilen der Säulen fertigte Nicholas Revett an. Von ihren Säulenbasen, den Säulenschäften und den ionischen Kapitellen erstellte er exakte Stiche mit detaillierten Maßangaben. Als Vorbild für die ionische Säulenbasis diente ihm die der Nordwestecke. Sie war die einzige, die offen zu Tage lag. Bei ihr sind jedoch nur die Plinthe und die Spira darüber fertig ausgearbeitet; der darüberliegende Torus mit dem unteren Teil des Säulenschaftes trägt noch den Werkzoll. Auch hier zeigt sich, dass größere Teile der Säulenhalle des Tempels unfertig geblieben waren. Die Vorlage für die Wiedergabe des ionischen Kapitells bildeten offensichtlich die beiden Säulen, die auf der Nordseite noch aufrecht stehen. Auf seiner Zeichnung platziert Revett über dem Kapitell jedoch fälschlich einen Architrav mit zwei Fascien, der darüber mit einem Perlstab, einem lesbischen Kyma und einem kleinen Lotus-Palmettenfries versehen ist. Solch ein Bauglied gab es tatsächlich am Tempel, aber nicht über den Säulen, sondern im Innenhof als oberen Wandabschluss (siehe das Kapitel zu Wheler und Spon). Die Architrave über den äußeren Säulen besaßen hingegen – wie üblich am griechischen Tempel – drei Fascien und darüber einen Perlstab, ein ionisches Kyma und einen kleinen Lotus-Palmettenfries. Doch ein solches Bauteil konnte Revett nicht zeichnen, weil keine äußeren Architrav- oder Friesblöcke offen zutage lagen. Auf den Kapitellen der beiden noch stehenden Säulen der inneren Säulenreihe liegen zwei Architrave mit jeweils zwei Fascien Rückseite an Rückseite auf (Abb. 17). Über einem von ihnen ist ein weiterer Architrav mit zwei Fascien erhalten. Er gehörte aber schon zur Kassettendecke, die die Säulenhallen überspannte. Diese beiden übereinanderliegenden Architrave sind auf der Zeichnung von Revett richtig wiedergegeben, lediglich ihre Kombination mit einem Außenarchitrav mit zwei Fascien ist nicht korrekt. 50
Richard Chandler, Nicholas Revett und William Pars – 1764
Abb. 17: Blick von Norden auf die beiden noch stehenden Säulen der Nordseite des hellenistischen Apollontempels. Die Qualität der Zeichnungen ist durchgängig sehr hoch. Dies kann man besonders an den Stichen der Pilasterkapitelle und des Greifenfrieses dazwischen sehen. Wie im Kapitel zu Wheler und Spon schon erwähnt, zierten diese Bauglieder den oberen Abschnitt der Innenhofwand. Doch Chandler und seine Kollegen erkannten darüber hinaus, dass die Anordnung der Pilaster des Innenhofes mit der Position der Säulen der Ringhalle korrespondiert. In jedem Zwischenraum der Säulen ist ein Pilaster im Innern platziert (Plan 3). Insgesamt waren fünf Pilaster an der westlichen Innenwand angeordnet sowie jeweils elf an der nördlichen und südlichen Innenwand. Die östliche Innenwand besaß in der Mitte zwei korinthische Halbsäulen eingerahmt von je einer Lisene mit Kapitell. An einer dieser Lisenen begann der Fries mit Greifen, zog um den Tempelinnenraum herum und endete an der zweiten, gegenüberliegenden Lisene. Wie oben schon erwähnt, waren die Kapitelle des Innenraumes abwechselnd mit Ranken bzw. mit Greifen verziert (siehe das Kapitel zu Wheler und Spon). Die beiden Lisenenkapitelle der Ostseite trugen Rankenverzierungen. Die auf der nördlichen bzw. südlichen Längsseite unmittelbar folgenden Pilasterkapitelle wiesen Greifen auf. Die an den westlichen Ecken des Innenhofes aneinanderstoßenden Pilaster waren jeweils beide mit Greifen geschmückt. Zu den drei dazwischenliegenden Kapitellen der Westseite gehörten zwei Ranken- und dazwischen auf der Tempellängsachse ein weiteres Greifenkapitell (Abb. 18). 51
Apollonheiligtum von Didyma
Abb. 18: Pilasterkapitell mit Greifen des hellenistischen Apollontempels. Zusätzlich fiel Chandler, Revett und Pars ein Bauteil auf, welches sie nicht sofort zuordnen konnten. Es handelte sich um ein Kapitell eines im Querschnitt ebenfalls rechteckigen Bauglieds. Deswegen hätte es ebenfalls von einem Pilaster des Innenhofes stammen können, aber es war höher als deren Kapitelle. Davon waren viele auf der Nordseite des Apollontempels zu sehen, weil die nördliche Längswand des Naos in diese Richtung hin eingestürzt war. Aber mit keinem dieser Pilasterkapitelle stimmte das besondere, im Bereich der Nordwestecke liegende Kapitell überein. Somit folgerten die Gelehrten, dass es nur von einer der beiden Anten der Westseite des Tempels sein könne. Wie schon erwähnt, gab es auf der Westseite des Apollontempels keine Tür und die äußere Wand war demzufolge glatt. Lediglich die beiden Ecken waren hervorgehoben und sollten durch ihr leichtes Hervorragen den Anschein von Eckpfeilern erwecken. Das sie bekrönende Kapitell, welches die Engländer fanden, hat eine Breite von 1,66 m und eine Höhe von 1,20 m. Es ist auf seinen zwei Außenseiten (Norden und Westen) mit Reliefs verziert und wird oben von einer rechteckigen Platte (Abakus) abgeschlossen. Am oberen Rand dieses Abakus befindet sich ein ionisches Kyma (siehe Abb. 62). Die Reliefs weisen eine besondere Verzierung auf: Sie sind jeweils mit einer sogenannten Rankenfrau geschmückt. Dies ist eine weibliche Figur mit Flügeln, die mit einem Chiton bekleidet ist. Unter ihrem Gürtel sprießen aus ihrem Körper Akanthusblätter hervor, dessen Ranken sich an den Seiten zu Voluten aufrollen und in Palmetten enden. Außerdem trägt die Rankenfrau auf ihrem Kopf einen Kalathos. Das Antenkapitell von der Nordwestecke ist mit zwei beinahe identischen Reliefs verziert, die jeweils eine Rankenfrau mit den dazugehörigen Ornamenten zeigen. Vom Antenkapitell der Süd52
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westecke wurden bei späteren Ausgrabungen nur Bruchstücke gefunden, ebenso von dem der Südostante. Dabei trat auch das Antenkapitell der Nordostante zutage. Die Anten der Ostseite bildeten ein wirklich stumpfes Wandende und waren deshalb auf drei Seiten mit Rankenfrauen geschmückt. Das nordöstliche Antenkapitell ist heute im Tempelgelände nordöstlich des Apollontempels ausgestellt (Abb. 19). Leider ist nur eine Reliefseite erhalten. Sie zeigt aber, dass die Rankenfrauen trotz generell gleicher Beschaffenheit kleine Unterschiede aufwiesen: Ihr wächst ein lanzettförmiges Blatt aus dem Schoß nach unten. Auf den beiden Reliefs des nordwestlichen Antenkapitells handelt es sich jeweils um eine Blüte bzw. um eine Palmette.
Abb. 19: Nordseite des Kapitells der nordöstlichen Ante des hellenistischen Apollontempels. Das von Chandler und seinen Kollegen entdeckte Antenkapitell der Nordwestecke wurde 1873 von Olivier Rayet und Albert Thomas nach Paris in den Louvre gebracht, wo es heute noch ein besonderes Glanzlicht hellenistischer Architektur bildet (siehe das Kapitel zu den beiden). Mithilfe erhaltener Inschriften und stilistischer Vergleiche konnte erschlossen werden, dass die Antenkapitelle um die Mitte des 2. Jhs. v. Chr. geschaffen wurden. Das bedeutet, dass zu dieser Zeit die Wände des Naos schon weitgehend fertiggestellt waren. Warum man die Anten des Apollontempels mit Rankenfrauen verzierte, konnte bisher jedoch nicht ergründet werden. 53
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Ganz besonders wertvoll sind die Ansichten und Aufrisse mit Maßangaben eines korinthischen Halbsäulenkapitells. Davon gab es insgesamt nur zwei Kapitelle und sie befanden sich auf den beiden Halbsäulen an der Ostwand des Innenhofes. Heute sind beinahe sämtliche Fragmente von ihnen verloren, sodass man einzig von den Stichen der Engländer eine Vorstellung ihrer Größe und ihres Aussehens insgesamt gewinnen kann (Abb. 20).
Abb. 20: Korinthisches Halbsäulenkapitell des hellenistischen Apollontempels. Über ihre Untersuchungen zum Apollontempel hinaus liefern die drei englischen Gelehrten weitere Informationen, die die nähere und weitere Umgebung des Tempels betreffen. So mussten sie mit Bedauern feststellen, dass seit dem Besuch von Pickering und Salter in Didyma (1673) eine Säule, ein Pilaster samt Kapitell und ein letzter noch aufrechtstehender Wandteil eingestürzt waren (siehe dazu die Zeichnung von Salter [Abb. 4] sowie den Stich von Revett [Abb. 16]). Einen ganz wichtigen Hinweis geben die drei Gelehrten in einem Satz, der bisher nicht beachtet wurde: „Die deutlichen Spuren des umfangreichen Peribolos sind noch zu sehen“. Mit Peribolos bezeichnete man in der Antike die Umfassungsmauer eines Heiligtums. Bis heute konnten die Ausgrabungen in Didyma jedoch keine Reste eines Peribolos zutage fördern. Was könnten Chandler, Revett und Pars gesehen haben? Handelte es sich überhaupt um die Reste eines antiken Bauwerkes? Die mögliche Antwort darauf lieferte die zweite Expedition der Society of Dilettanti, die 1812 nach Didyma kam (siehe das Kapitel zu Gell, Gandy und Bedford). Des Weiteren sahen Chandler, Revett und Pars in der Nähe des Apollontempels die Ruinen mehrerer eingestürzter Kapellen; außerdem die Überreste vieler eingefallener Wohnhäuser, einige Brunnen und eine große Anzahl von Kalköfen. Eine Tempelruine aus Marmor lieferte nämlich alle nötigen Materialien für den Hausbau: Die Marmorblöcke konnte man zu handlichen Bruchstücken zerkleinern. Aus den Marmorsplittern wurde Kalk gebrannt, der für den Mörtel nötig war. Interessanterweise fielen den drei Engländern auch zwei kleine eingestürzte Moscheen beim Apollontempel auf. Folglich kann man alle diese Überreste nicht nur der byzantinischen Siedlung 54
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zuordnen, die sicher bis etwa 1300 existierte. Danach siedelten sich offenbar seldschukische Türken im damaligen Hieron an. Wie lange der Ort Hieron später noch bewohnt war, ist nicht genau bekannt. Ob bei Cyriacus von Anconas Besuch 1446 noch Griechen und Türken dort wohnten, kann anhand seiner Aufzeichnungen nicht erschlossen werden. Allgemein geht man davon aus, dass spätestens mit dem Erdbeben von 1493 Hieron verlassen wurde (siehe das Kapitel zu Cyriacus von Ancona). Wann sich Türken nordöstlich von Hieron in Ura (später Turko-Jeronda) niederließen, ist ebenfalls nicht bekannt (Karte 2). Jedenfalls bildete Ura die nächstgelegene Siedlung, als Chandler, Revett und Pars Didyma besuchten. Die Ruinen des Apollontempels wurden aber auch damals schon als Steinbruch genutzt. Denn als Robert Wood 1750 einen kurzen Abstecher nach Didyma machte, traf er zwei türkische Steinmetze an, die aus Marmorblöcken Grabmäler herstellten. Doch eine wirkliche Neubesiedlung Didymas setzte erst um 1780 ein, wie im Kapitel zu James Dallaway genauer zu lesen sein wird. Richard Chandler, Nicholas Revett und William Pars erfüllten ihren Auftrag, den sie von der Society of Dilettanti bekommen hatten. Schon im Herbst 1764, ein Jahr früher als bisher zu lesen, untersuchten sie die nähere Umgebung von Didyma und gaben von ihr sowie der Ruine des Apollontempels die bis dahin genaueste Beschreibung. Als erste versuchten sie, den Grundriss des Tempels zu erschließen. Dies gelang zwar nicht, aber dafür konnten sie den Bau richtig als dekastylen Dipteros einordnen. Darüber hinaus lieferten sie teilweise exakte Zeichnungen einzelner Bauglieder, auch von solchen, die heute verloren sind, wie den korinthischen Kapitellen. Dies stellt eine enorme Leistung für ihren kurzen Aufenthalt dar. Vom 25. März bis zum 8. August 1765 unternahmen Chandler, Revett und Pars weitere Touren von Smyrna aus. Ab dem 11. Mai bildete nicht mehr die Stadt Smyrna ihren Ausgangspunkt, sondern ein Dorf etwas weiter südlich. Dies war nötig, da in Smyrna wieder die Pest ausgebrochen war. Außerdem war im Norden der Stadt eine Art Bürgerkrieg zwischen lokalen Machthabern im Gange, sodass die Engländer eine baldige Abreise ins Auge fassten. Am Dienstag, dem 20. August 1765, war es dann endlich so weit. Sie hatten eine Zweimastbark gemietet mit 14 Mann Besatzung und stachen am Morgen darauf in See. Die nun folgenden Erlebnisse in Griechenland kann man im Reisebericht Richard Chandlers „Travels in Greece“ von 1776 nachlesen. Der Aufenthalt der Engländer in Griechenland dauerte bis zum 1. September 1766, als sie sich auf der Insel Zakynthos einschifften, um nach England zurückzukehren, wo sie am 2. November 1766 ankamen.
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Apollonheiligtum von Didyma
Graf von Choiseul-Gouffier – 1776 Reise ins Osmanische Reich – Von Lykien über Karien nach Didyma – Die Verlandung des Latmischen Meerbusens – Rekonstruktion des Grund- und Aufrisses des Apollontempels – Die Legende von den „Branchiden“ – Herodot, der Ionische Aufstand und die Perserzerstörung – Das Schicksal des Histiaios von Milet – Weiterreise nach Smyrna Ende März 1776 schiffte sich der Graf von Choiseul-Gouffier auf der Fregatte „Atalante“ ein, um an einer Expedition nach Griechenland und Westkleinasien (Westtürkei) teilzunehmen. Im Alter von 24 Jahren hatte Marie-Gabriel-Auguste-Florent von Choiseul-Gouffier seine Heimatstadt Paris verlassen, um sich einen Jugendtraum zu erfüllen, nämlich die berühmtesten Gegenden des klassischen Altertums kennenzulernen. Unter ihrem Kapitän Marquis de Chabert stach die Atalante in Toulon in See. Über Sardinien, Malta und Sizilien erreichte man schließlich griechische Gewässer. Nach einem Zwischenhalt auf der Peloponnes liefen die Franzosen einige Inseln der Kykladen an. Anschließend widmeten sie sich den Inseln, die Westkleinasien vorgelagert sind, wie Lemnos, Lesbos, Chios und Samos. Nachdem Choiseul-Gouffier und seine Begleiter die Insel Rhodos am 28. Juni 1776 verlassen hatten, gingen sie an der Südwestküste Kleinasiens beim antiken Telmessos (heute Fethiye) an Land (Karte 1). Von dort aus machten sich die Franzosen auf den Weg durchs Landesinnere. Sie suchten die bekannten antiken Stätten auf, kamen somit auch nach Didyma und Milet, und von dort reisten sie weiter über Ephesos nach Smyrna. Die Ergebnisse der Expedition Choiseul-Gouffiers bis nach Smyrna beinhaltet der erste Band seiner „Voyage pittoresque de la Grèce“, der 1782 erschien. Leider sind darin zur Reise selbst nur wenige Angaben enthalten, aber dafür umso genauere Beschreibungen der besichtigten archäologischen Stätten: Die Ruinen des lykischen Telmessos verließen die Franzosen am 30. Juni 1776 um 11 Uhr abends. Von dort aus begaben sie sich nach Nordwesten in Richtung der antiken Landschaft Karien, an die im Norden Ionien mit Didyma grenzt. Unterwegs wurden die Reisenden oft von den lokalen Würdenträgern eingeladen. Beim Aga des damaligen Moglah (heute Muğla) blieben sie eine Nacht. Sie bewunderten sein Haus und vor allem fielen ihnen die schwarzen Eunuchen auf, die den Harem des Agas bewachten. Sein Weg nach Ionien führte Choiseul-Gouffier u. a. nach Stratonikeia (heute Eskihisar), Mylasa (heute Milas), Halikarnassos (heute Bodrum) und schließlich nach Iasos (heute Kıyıkışlacık). Von dort aus ging die Reise am heutigen Bafa Gölü vorbei nach Didyma. Von Iasos waren die Franzosen am 13. Juli 1776 um 2 Uhr morgens aufgebrochen. Wie schon mehrmals erwähnt, war 56
Graf von Choiseul-Gouffier – 1776
der heute Bafa genannte See im Altertum kein See, sondern eine Meeresbucht, genannt Latmischer Meerbusen (siehe die Kapitel zu Cyriacus von Ancona sowie zu Wheler und Spon). Ein Ziel der Reise des Grafen von Choiseul-Gouffier war es, den Beobachtungen seiner Vorgänger etwas hinzufügen und eventuelle Fehler zu verbessern. So machte er sich als einer der ersten darüber Gedanken, warum der Fluss Mäander mit seinen Sedimenten den Latmischen Meerbusen zu einem See verlanden ließ. Nach der letzten Eiszeit mündete der Mäander bei der Stadt Aydın (das antike Tralleis) etwa 50 Kilometer östlich seiner heutigen Mündung ins Meer (Karte 3). Seit Ende des 2. Jahrtausends v. Chr. erhöhte sich der Sedimentgehalt des Flusses beständig und seine Mündung wanderte Richtung Westen. Choiseul-Gouffier schreibt, dass der Mäander von den Bergen Sedimente mitbringt, die er in flacheren Gebieten ablagert. Die Beschreibung dieses Vorganges ist richtig. Die Ursache dafür war der Mensch, der ab der späten Bronzezeit größere Flächen rodete und vermehrt Ackerbau betrieb. Der Regen konnte nun leicht größere Mengen Erde wegspülen und in die Flüsse transportieren. Im Laufe der klassischen Antike nahm die landwirtschaftliche Nutzung in Westkleinasien stark zu und der Latmische Golf verlandete immer schneller, bis sich zwischen dem 10. und 13. Jh. aus seinem Rest ein See gebildet hatte (heute Bafa Gölü). Unter dem Grafen von Choiseul-Gouffier wurde die erste Landkarte angefertigt, die diesen Vorgang und seine verschiedenen Phasen zeigt (Abb. 21).
Abb. 21: Bafa Gölü. Blick nach Nordwesten zur ehemaligen Ausfahrt aus dem Latmischen Meerbusen mit dem Mykale-Gebirge im Hintergrund. Auf dem Weg nach Didyma folgten der Graf und seine Begleiter der heutigen Straße, die westlich des ehemaligen Latmischen Meerbusens und östlich des Grion genannten Gebirges (heute İlbir 57
Apollonheiligtum von Didyma
Daği) nach Nordwesten führt. Bevor sie Didyma erreichten, machten sie noch einmal Rast in einem Dorf namens Yeşilköy (Türkisch für „grünes Dorf “). Diese Siedlung lag nur wenig südlich von Palatia (Milet) und dort gab es eine ergiebige Quelle. An dieser Quelle hofften die Franzosen, eine ruhige Nacht verbringen zu können. Diese Hoffnung erfüllte sich jedoch nicht, weil es Unmengen Moskitos aufgrund der vielen Wassertümpel gab. Wie Choiseul-Gouffier berichtet, ließen sich die Insekten auch durch den Rauch eines gewaltigen Feuers nicht vertreiben. Die Quelle lag südwestlich des schon erwähnten Dorfes Auctui (heute Akköy, siehe das Kapitel zu Chandler, Revett und Pars). Denn dort begannen in der Antike Wasserleitungen, die Frischwasser nach Milet führten. Auch heute ist dort noch eine Raststätte an der Straße, an der die Gartenbesitzer, die Erzeugnisse ihrer bewässerten Anlagen verkaufen. Bevor aber damals die französischen Reisenden nach Milet weiter ritten, besuchten sie den famosen Tempel des Apollon von Didyma: Die Beobachtungen des Grafen von Choiseul-Gouffier zum Apollontempel von Didyma wurden bisher wenig beachtet. Freilich hat er manche Dinge von seinen Vorgängern einfach übernommen, wie z. B. die Zeichnungen eines Pilasterkapitells, des Greifenfrieses (Abb. 22) und des korinthischen Kapitells aus dem Werk von Richard Chandler „Ionian Antiquities“ (siehe das Kapitel zu Chandler, Revett und Pars). Doch einige Überlegungen des Grafen waren 1782 durchaus neu.
Abb. 22: Greifenfries und Pilasterkapitell mit Ranken des hellenistischen Apollontempels. Zunächst einmal ließ er als erster einen Grund- und einen Aufriss des Apollontempels erstellen. Beide sind natürlich mit Fehlern behaftet, da ein Großteil des Tempels nicht offen zutage lag und niemand seinen einzigartigen Grundriss erahnen konnte. Choiseul-Gouffier setzte die Entdeckung 58
Graf von Choiseul-Gouffier – 1776
Richard Chandlers, dass es sich beim Apollontempel um einen dekastylen Dipteros handele, in rekonstruierte Pläne um. Richtig umgab er den Bau mit einer doppelten Ringhalle, die aus 10 x 21 Säulen bestand. Falsch war seine Vermutung, dass es auf der Ostseite eine dritte innere Säulenstellung gegeben hätte. Folglich rekonstruierte er den Naos auch um ein Säulenjoch kürzer als er wirklich war. Jedoch hatte man mit dem Tempelaufriss zum ersten Mal eine rekonstruierte Ansicht der Tempelfront vorliegen, die einen Eindruck von der Größe des 27 m hohen Bauwerkes vermittelte (Abb. 23).
Abb. 23: Rekonstruktionszeichnung der Front und des Grundrisses des hellenistischen Apollontempels (Graf von Choiseul-Gouffier, 1776). Laut Choiseul-Gouffier war der hellenistische Apollontempel von Didyma eines der größten Gebäude ionischer Ordnung, die die Griechen je bauten. Damit hatte er vollkommen recht, nur der Artemistempel von Ephesos und der Heratempel von Samos übertrafen den didymäischen Bau. Die Forscher vor Choiseul-Gouffier hatten sich immer gefragt, wie solch ein Riesentempel wohl überdacht gewesen sein konnte. Eine antike literarische Quelle überliefert dazu, dass der Apollontempel nie ein Dach erhielt, weil er einfach zu riesig war (Strabon Geographica 14,1,5). Der Graf äußerte jedoch die Vermutung, dass es sich um einen sogenannten hypäthralen Bau gehandelt haben könnte. Dieser Begriff bedeutet auf Griechisch „unter freiem Himmel“, das heißt der Apollontempel wäre von Anfang an ohne Dach geplant gewesen. Und tatsächlich war das der Fall, denn das Innere des Naos bildete ein hofartiger Raum, der in den antiken Bauberichten auch Sekos genannt wird (Griechisch für „Einfriedung, Umzäunung und Heiligtum“). 59
Apollonheiligtum von Didyma
In einer anderen Sache irrte Choiseul-Gouffier: Er nahm an, die schon beschriebenen Pilasterkapitelle mit Greifen- oder Rankenverzierung (siehe Abb. 22) hätten nicht den Innenhof geschmückt, sondern die Anten des Tempels. So kam er zu der Vermutung, der Sekos wäre rundherum durch korinthische Säulen an den Wänden untergliedert gewesen. Das war aber nur an der Ostwand des Innenhofes der Fall (siehe das Kapitel zu Wheler und Spon). Des Weiteren platzierte er den Greifenfries außen um den Naos herum statt innen. Das geschah wohl in Anlehnung an den Parthenon der Athener Akropolis, dessen Naos außen u. a. mit dem berühmten Fries zum Festumzug an den Panathenäen versehen ist. Überhaupt sind auch spätere Rekonstruktionen des Tempelgrundrisses und -aufrisses oft von denen anderer bekannter Tempel geprägt. Aber damit lag man meist falsch, weil der Grundriss des Apollontempels einmalig und ohne Parallele ist (Plan 3). Der Graf wusste jedoch, wie vorläufig seine Überlegungen waren. Deshalb machte er einen neuen, bis dahin nicht geäußerten Vorschlag: Man müsste die Möglichkeit haben, die riesigen Ruinen „umzugraben“. Erst dann könne man sich ein Urteil über ihren ursprünglichen Zustand erlauben. Choiseul-Gouffier war somit der erste, der die Ausgrabung des Apollontempels in Betracht zog. Die frühesten Ausgrabungen sollten Landsleute von ihm beinahe 100 Jahre später, nämlich 1873 durchführen (siehe das Kapitel zu Rayet und Thomas). Wie schon seine Vorgänger hatte der Graf von Choiseul-Gouffier eingehend die antiken literarischen Quellen zu Didyma und seinem Apollontempel studiert. Bereits erwähnt wurde, dass Didyma in der Antike auch unter dem Namen Branchidai bekannt war (siehe das Kapitel zu Chishull). Apollon hatte seinem Liebling Branchos die Sehergabe verliehen. Angeblich hätte es deswegen ein Priestergeschlecht mit dem Namen „Branchiden“ in Didyma gegeben, welches das Orakelheiligtum unabhängig von Milet verwaltete. So lautet eine Theorie. Sie basiert auf einer Geschichte, die der Alexander-Historiker Kallisthenes vermutlich erfunden und der Geograph Strabon überliefert hat (Strabon Geographica 11,11,4; 14,1,5; 17,1,43): Die Familie der Branchiden hätte im Gegensatz zu den meisten Griechen ein gutes Verhältnis zu den Persern gehabt. Als sich die Milesier 479 v. Chr. wiederholt gegen die Perser wendeten, sollen die Branchiden den Tempelschatz von Didyma an den persischen Großkönig Xerxes übergeben haben und ihm in seine Heimat gefolgt sein. Zuvor hätte Xerxes noch den Apollontempel von Didyma zerstören lassen. Die Branchiden sollen sich in der Landschaft Sogdiana (heute in Usbekistan) angesiedelt haben. Als Alexander der Große diese Gegend 329 v. Chr. eroberte, soll er die Stadt der Branchiden zerstört haben, weil er ihren Tempelraub und Verrat unter Xerxes missbilligte. In der „Beschreibung Griechenlands“ des Pausanias (etwa zwischen 160 und 180 n. Chr. geschrieben) ist ebenfalls zu lesen, dass Xerxes Didyma bei seinem Rückzug nach Persien 479 v. Chr. heimsuchte. Außerdem hätte Xerxes die Kultstatue von Didyma, den berühmten Bronze-Apollon des Kanachos mit nach Ekbatana (heute im Iran) genommen (Pausanias 1,16,3; 8,46,3). 60
Graf von Choiseul-Gouffier – 1776
Die meisten Althistoriker halten die Überlieferungen von Strabon und Pausanias, die die sogenannten Branchiden betreffen, für unwahr. Warum Didyma dennoch Branchidai hieß, ist nicht bekannt. Denn auch die Legende von Branchos als Liebhaber des Apollon ist lediglich eine hellenistische Erfindung. Aber vielleicht beruht sie ja auf einem älteren Kern. Strabon und Pausanias schrieben über Ereignisse, die sich Jahrhunderte vor ihrer Zeit ereigneten. Es gibt jedoch Zeugnisse zur Perserzerstörung von Didyma, die nur kurz danach verfasst wurden. Sie stammen von Herodot (ca. 485 bis 425 v. Chr.), der auch als „Vater der griechischen Geschichtsschreibung“ bezeichnet wird. Sein Geburtsort war Halikarnassos (heute Bodrum) in der damaligen Landschaft Karien, an die im Norden Ionien mit Didyma grenzt. Herodot beschäftigt sich in seinem Werk ausführlich mit den Kriegen zwischen den Persern und den Griechen. Am Ende des 6. Jhs. v. Chr. war Milet eine blühende Metropole, die damals auch als „Kleinod Kleinasiens“ bezeichnet wurde (Herodot 5,28). Die Stadt lag zwar im Herrschaftsbereich der Perser, sie wurde jedoch von einem milesischen Tyrannen regiert; eine Herrschaftsform ähnlich der des Königtums. An den persischen Großkönig mussten jedoch Abgaben entrichtet werden. 499 brach der berühmte Ionische Aufstand gegen die Perser aus, zu dem der milesische Tyrann die Ionier angestiftet hatte. Sein Name war Histiaios von Milet. Obwohl er dem Perserkönig Dareios einmal geholfen hatte, wurde er von ihm in seiner Residenz Susa gefangen gehalten. Deshalb hatte Histiaios seinen Schwiegersohn Aristagoras als stellvertretenden Tyrann in Milet eingesetzt. Ihn wollte er dazu bringen, einen Aufstand der Ionier gegen die Perser anzuzetteln. In einem gewöhnlichen Brief konnte Histiaios dem Aristagoras dies aber nicht mitteilen, weil ihn ja die Perser gelesen hätten. So verfiel Histiaios auf folgende List, die ebenso wie das bisher gesagte bei Herodot überliefert ist: Er nahm einen Boten, rasierte seinen Kopf kahl, schrieb die Botschaft auf den Kopf und wartete bis dessen Haare wieder nachgewachsen waren. Dann schickte Histiaios den Boten zu Aristagoras nach Milet mit der Anweisung, er solle ihm den Kopf kahlscheren. Das tat Aristagoras, las die Nachricht und wiegelte anschließend die Ionier gegen die Perser auf. Obendrein versuchte er noch andere griechische Verbündete zu gewinnen, wie z. B. die Athener (Herodot 5,11.24f.35f.). Die Frage war nun, wie man die Perser überwinden konnte. Dazu machte Hekataios von Milet einen besonderen Vorschlag. Er meinte, die Polis Milet sollte sich die Tempelschätze aus Didyma holen und damit eine Schiffsflotte bauen, um die persische Flotte zu vernichten. Besonders erwähnt hier Herodot die Stiftungen des sagenhaft reichen Lyderkönigs Kroisos in Didyma (zu Kroisos siehe auch das Kapitel zu Chishull). Doch der Vorschlag von Hekataios wurde abgelehnt (Herodot 5,36). Zu Ruhm kam er dennoch, denn er war der erste Autor einer griechischen Geschichte. Des Weiteren verfasste Hekataios ein Werk mit dem Titel „Erdbeschreibung“. Aus seinen Büchern zitierte später auch Herodot. Derselbe überliefert ferner, dass das Heer der aufständischen Griechen nach Sardis marschierte, wo der Satrap (persischer Gouverneur) seinen Sitz hatte. Die Burg von Sardis konnten die Griechen nicht erobern, aber dafür brannten sie die Stadt ab und den wichtigsten Tempel, nämlich den der Kybele. In der Antike verschonte man normalerweise die Heiligtümer, das war eine Art 61
Apollonheiligtum von Didyma
ungeschriebenes Gesetz. Die Griechen hielten sich aber nicht daran. Deshalb schworen die Perser Rache und verbrannten auf ihren späteren Feldzügen viele griechische Heiligtümer (Herodot 5,102.105). Dazu gehörten auch das Apollonheiligtum von Didyma und die Akropolis von Athen. Im sechsten Jahr des Aufstandes, 494 v. Chr., rückten die Perser schließlich gegen Milet vor. Milet vorgelagert war eine kleine Insel mit dem Namen „Lade“ (Karte 2). Dort fand die entscheidende Seeschlacht statt, die die Griechen verloren (Herodot 6,7–17). Heute ist diese ehemalige Insel nur noch ein Hügel unweit der Mündung des Flusses Mäander. Die Sedimente des Mäanders haben sein Tal verlanden und so aus der Insel Lade im Laufe der Jahrhunderte einen Hügel in einer weiten Ebene werden lassen. Nach der Seeschlacht belagerten die Perser Milet und eroberten es. Sie zerstörten die Stadt und deportierten die Überlebenden in ihre Hauptstadt Susa. Wie Herodot weiter schreibt, plünderten die Perser auch das Apollonheiligtum von Didyma und verbrannten es (Herodot 6,18–20). Dabei nahmen die Perser die Tempelschätze mit, zu denen auch die bronzene Kultstatue des berühmten spätarchaischen Bildhauers Kanachos von Sikyon gehörte (diese antike Stadt lag auf der Peloponnes, etwa 20 Kilometer nordwestlich von Korinth). Die Statue wird von Plinius dem Älteren im 1. Jh. n. Chr. genau beschrieben: Ein nackter Apollon, der in der linken Hand seinen Bogen hält und in der rechten einen Hirsch, der beweglich war (Naturalis historia 34,19). Dargestellt ist die Bronzestatue auf diese Weise häufig auf kaiserzeitlichen Münzen Milets und auf einem Relief vom Theater der Stadt Milet aus dem 2. Jh. n. Chr. (Abb. 24). Diese am Ende des 6. Jhs. v. Chr. geschaffene Apollonstatue wurde um 300 v. Chr. unter dem hellenistischen König Seleukos I. nach Didyma zurückgebracht und im neuen Naiskos des Apollontempels aufgestellt (siehe das Kapitel zu Wiegand und Knackfuß zu den Jahren 1912/13).
Abb. 24: Silberne Tetradrachme geprägt in Milet zwischen ca. 128 bis 132 n. Chr Auf der Vorderseite Kaiser Hadrian und auf der Rückseite eine stilisierte Ansicht des hellenistischen Apollontempels von Didyma. In dessen Mitte die Kultstatue, der Kanachos-Apollon, mit einem Hirsch in der rechten und einem Bogen in der linken Hand. 62
Graf von Choiseul-Gouffier – 1776
Dass die Milesier und die Tempelschätze wirklich nach Susa transportiert wurden, bezeugt ein archäologischer Fund. Bei Ausgrabungen in Susa wurde nämlich ein sogenanntes Bronzeastragal gefunden, welches eine Weihinschrift an Apollon im ionischen Alphabet trägt. Diese übergroße bronzene Nachbildung eines Gelenkknochens vom Schaf wiegt beeindruckende 93 Kilogramm und befindet sich heute im Louvre. Die Gelenkknochen des Schafes benutzte man im Altertum als Spielsteine, aber ebenso für Würfelorakel, die Apollon erteilte. Weil außerdem die Weihinschrift auf dem Bronzeastragal in Form und Inhalt denen gleicht, die im 6. Jh. v. Chr. in Didyma üblich waren, kann das wertvolle bronzene Weihgeschenk nur aus Didyma stammen. Für den Tyrannen Histiaios, der die Milesier zu ihrem Aufstand anstachelte, zahlte sich dies nicht aus: Wie Herodot berichtet, kam er zwar frei, wurde den Persern aber wieder gefährlich, sodass sie ihn schließlich wieder gefangen nahmen. Damit er ihnen nicht erneut gefährlich werden konnte, kreuzigte der Satrap von Sardis den Histiaios und schickte seinen eingesalzenen Kopf zum Großkönig nach Susa (Herodot 6,29f.). An diesen Geschichten Herodots sind viele Zweifel möglich, aber es gibt auch Hinweise, die für ihre Richtigkeit sprechen. Dass Histiaios wirklich lebte und ein bedeutender Mann in Milet war, scheinen die Ausgrabungen in Didyma zu zeigen: Denn dort trat ein Marmorblock mit einer Weihinschrift eines Histiaios an Apollon zutage (Abb. 25). Dass es sich dabei um den Tyrannen Histiaios handelte, ist wahrscheinlich. Er stiftete dem Apoll von Didyma eine Statue am Ende des 6. Jhs. v. Chr., die er vom Zehnten seiner Einnahmen finanzierte. Interessanterweise wurde die Inschrift Mitte des 19. Jhs. gefunden und Charles Th. Newton sah sie 1858 zum letzten Mal bei seinen Ausgrabungen an der Heiligen Straße in Didyma. Danach war sie über 100 Jahre verschollen, ehe dieses historisch wertvolle Fragment 1987 bei Abrissarbeiten an der Heiligen Straße wiedergefunden wurde.
Abb. 25: Wiederherstellungsversuch und Übersetzung der Histiaios-Inschrift nach Wolfgang Günther: „Histia[ios] hat (dieses Votiv) [als Zehnten] dem Apollo[n geweiht].“ 63
Apollonheiligtum von Didyma
Damit sind zwei Dinge deutlich geworden: Erstens gehörte das Apollonheiligtum von Didyma in spätarchaischer Zeit sicher zu Milet. Dafür gibt es eine ganze Reihe von Belegen: Denn die Perser hätten keinen Grund gehabt, Didyma zu verwüsten, wenn es nicht zu Milet gehört hätte. Dies war eine weitere Bestrafung dafür, dass sich Milet am Ionischen Aufstand beteiligt hatte. Außerdem ist es dadurch und durch die zeitnahen Überlieferungen Herodots so gut wie sicher, dass Didyma bereits 494 und nicht erst 479 v. Chr. von den Persern geplündert und verbrannt wurde. Überdies erwähnt Herodot an keiner Stelle seines Werkes – in dem Didyma wahrlich oft vorkommt –, dass es dort eine Priesterdynastie namens Branchiden gegeben hätte, die das Heiligtum unabhängig von Milet verwaltete. Es spricht dagegen alles dafür, dass die mächtige Polis Milet die Verwaltung und Finanzierung von Didyma sicherstellte. Die Überlieferungen des späteren Schriftstellers Strabon sind also – wie oben schon dargestellt – hinsichtlich der Branchiden unzutreffend, das heißt eine solche Dynastie gab es wohl niemals. Die Geschichte des sogenannten Branchidenfrevels erfand der Alexander-Historiker Kallisthenes wahrscheinlich (von Strabon wiederaufgenommen), um Alexander als gerechten Herrscher darzustellen, der Religionsfrevel und Verrat nicht duldete. Der Graf von Choiseul-Gouffier nahm neben der Darstellung von Herodot zur persischen Zerstörung Didymas auch die von Strabon und Pausanias mit auf. Eine Wertung der Quellen nach heutigen wissenschaftlichen Maßstäben war dem Grafen nicht möglich. Damit erging es ihm wie seinen Vorgängern, die ebenfalls meist unreflektiert die literarischen Quellen zitierten, so z. B. Richard Chandler. Nachdem die Franzosen Didyma besichtigt hatten, reisten sie wieder nach Norden und machten in Milet Station. Von den Ruinen der einstigen Metropole waren sie jedoch enttäuscht. Einzig das Theater hinterließ bei ihnen einen bleibenden Eindruck. Wie schon in den vorangegangenen Kapiteln geschildert, erging es den Reisenden vor Choiseul-Gouffier nicht anders. Obwohl Milet in archaischer Zeit sehr bedeutend und in hellenistischer und römischer Zeit ebenfalls zu einigem Ansehen gelangt war, enttäuschten seine Ruinen und die später ausgegrabenen Reste die meisten Besucher, die mit hohen Erwartungen kamen. Auch den heutigen ergeht es oft nicht anders: Sie nehmen von der antiken Stadt lediglich den Eindruck des riesigen Theaters mit und im Sommer zusätzlich den der unerträglichen Hitze in der Mäanderebene. Von Milet aus führte der Weg der Franzosen über Priene und Ephesos nach Smyrna. Die Zusammensetzung seiner Bevölkerung verdient hier wieder Beachtung, weil sie damals so vielfältig war: Von den 100000 Einwohnern Smyrnas wären etwa 60–65000 Türken, 21000 Griechen, 10000 Juden, 5–6000 Armenier und rund 200 Europäer gewesen. Dieses bunte Völker- und Religionsgemisch verließen Choiseul-Gouffier und seine Begleiter bald, um den Nordwesten Kleinasiens zu erkunden. Dazu gehörte z. B. Pergamon (heute Bergama). Intensiv befasste sich der Graf ferner mit Troja und seiner Umgebung. Er versuchte die naturräumlichen Gegebenheiten und 64
Graf von Choiseul-Gouffier – 1776
die noch vorhandenen Ruinen, den Beschreibungen in den Werken Homers (Ilias und Odyssee) zuzuordnen. Diese Arbeit beschäftigte den Grafen noch viele Jahre nach seiner Reise 1776. Aufgrund seiner wissenschaftlichen Verdienste wurde er 1783 in die Académie française berufen. Anschließend war er von 1784 bis 1791 französischer Botschafter in Konstantinopel, welches als Standort für seine Forschungen einen günstigen Ausgangspunkt bot. Die Französische Revolution kam ihm jedoch nicht gelegen. 1792 wurde er als Botschafter abgelöst und ging nach Russland ins Exil. 1802 konnte er unter Napoleon wieder nach Frankreich zurückkehren. Schließlich wurde er 1814 unter Ludwig XVIII. sogar Innenminister. Doch dieses Amt hatte der Graf von Choiseul-Gouffier nicht lange inne, denn im Juni 1817 starb er in Aachen. Die Ergebnisse seines Wirkens wurden in drei Bänden seiner „Voyage pittoresque de la Grèce“ der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Didyma wird darin schon im ersten Band von 1782 abgehandelt. Der zweite erschien 1809 und der dritte posthum 1822. Neben dem ältesten Grund- und Aufriss des Apollontempels ist auch die erste Karte zur näheren Umgebung Didymas mit Milet aufgenommen. Dass der Apollontempel als hypäthraler Bau geplant und ausgeführt wurde, das heißt ohne Dach, stellt eine Erkenntnis von Choiseul-Gouffier dar. Am interessantesten ist jedoch, dass er aufgrund der Ungereimtheiten bezüglich des Grundrisses des Apollontempels vorschlägt, Ausgrabungen durchzuführen. Um damit selbst schon anzufangen, fehlten ihm aber offensichtlich Zeit und Mittel.
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Apollonheiligtum von Didyma
James Dallaway – 1794 Reise von Smyrna nach Didyma – Das neue Dorf „Jeronda“ – Eine bislang unbekannte Zeichnung von Gaetano Mercati Beinahe völlig unbekannt ist der Aufenthalt von James Dallaway in Didyma im Jahr 1794. Über seine Reisen von Konstantinopel aus berichtet er 1797 in einem Buch, welches man 1799 ins Französische und 1800 ins Deutsche übersetzte. Leider wurden nicht alle Zeichnungen, die in der englischen Ausgabe enthalten sind, mit in die anderssprachigen übernommen. Nur so kann man erklären, dass eine wichtige Darstellung des Apollontempels von 1794 offensichtlich in Mitteleuropa nie Beachtung gefunden hat. Aber dazu später. James Dallaway wurde am 20. Februar 1763 in Bristol geboren. Er studierte am Trinity Collage in Oxford und wurde 1785 zum Diakon und später zum Pfarrer der Anglikanischen Kirche ordiniert. Anschließend studierte er noch Medizin und machte darin 1793 seinen Bachelor. Dies verhalf ihm zur Stelle des Kaplans und Arztes an der britischen Botschaft des Osmanischen Reiches in Konstantinopel. Diesen Posten hatte er vom März 1794 bis zum Oktober 1795 inne. Genauso wie Edmund Chishull als Kaplan war es Dallaway vergönnt, einige Exkursionen an der kleinasiatischen Westküste entlang unternehmen zu können (siehe das Kapitel zu Chishull). Genaue Angaben zur Reiseroute und -zeit sind nicht überkommen, weil ein Teil der Aufzeichnungen James Dallaways auf seiner Rückreise von Konstantinopel verloren ging und somit nie veröffentlicht wurde. Jedoch liegen die Beschreibungen der antiken Ruinen komplett vor mit einigen interessanten Episoden und Details. James Dallaway war 1794 über den Balkan nach Konstantinopel gekommen. Da er vielseitig interessiert war, enthält der erste Teil seines Buches über die Hauptstadt der Osmanen ausführliche Informationen, die ihre Geschichte, Bauten, Lebensverhältnisse, Religion und Politik betreffen. Von Konstantinopel aus machten sich Dallaway und seine Begleiter auf den Weg nach Süden. Sie kamen auch in das antike Prusa in Bithynien (heute Bursa), von wo aus sie aus den Bithynischen Olymp bestiegen – wie schon George Wheler und Jacob Spon im Jahr 1675 (siehe das Kapitel über sie). Dies ist nicht die einzige Parallele zu früheren Reisenden und zu manchen ihrer Fehlschlüsse: Sein Weg führte Dallaway weiter über Smyrna (heute Izmir) zu den Ruinen des antiken Ephesos. Dort suchte er – wie andere auch – vergeblich nach den Resten des Artemistempels, eines der Sieben Weltwunder. Angekommen im benachbarten Ayasoluk (heute Selçuk), stellte Dallaway scheinbar fest, dass die einstmals berühmte Johannesbasilika zu einer Moschee umgewandelt worden war, der allerdings schon das Dach fehlte. Damit irrte er jedoch, weil es sich um die Isa66
James Dallaway – 1794
bey-Moschee von 1375 handelte, die nie eine Kirche gewesen war (siehe die Kapitel zu Wheler und Spon sowie zu Chishull). Der Aufenthalt in Ayasoluk blieb Dallaway besonders unangenehm in Erinnerung, weil die ganze Nacht die Schakale heulten und keinen Schlaf zuließen. Von Ayasoluk ritten James Dallaway und seine Begleiter über die Hafenstadt Scala Nuova (heute Kuşadası) nach Söke, wo sie übernachteten (Karte 1). Sie waren nun nicht weit von den Ruinen des antiken Priene entfernt, welches sie am nächsten Tag aufsuchten. In dem nahen Griechendorf Kelebeş (Griechisch Kelebesion) hatte er ein besonderes Erlebnis: Unter den Dorffrauen fielen Dallaway zwei auf, die genauso wunderschön waren wie Frauen auf antiken Reliefs. Und noch etwas war neben den Ruinen des von Alexander dem Großen gestifteten Athenatempels bemerkenswert (Abb. 26): Die Reisenden bekamen in Kelebeş Fleisch von einem wilden Eber zu essen. Wildschweine sind noch heute im Mykale-Gebirge heimisch, am Fuß dessen sich die Ruinen von Priene und mittlerweile die Ruinen von Kelebeş befinden. Allerdings wird in keiner Gaststätte Wildschwein offen angeboten. Auch 1794 muss das selten der Fall gewesen sein, sonst hätte es Dallaway kaum der Erwähnung wert befunden.
Abb. 26: Priene. Die Ruine des Athenatempels von Westen (William Pars, 1764). Nachdem er und seine Mitreisenden sich an den schönen Mädchen erfreut und sich gestärkt – und nebenbei noch das antike Priene besichtigt hatten –, begaben sie sich weiter nach Süden. Mit einem dreieckigen Floß überquerten sie den Mäander. Eine Fähre gleicher Form hatte 1764 schon Richard Chandler beschrieben. Anscheinend war sie über 150 Jahre in Gebrauch, denn auch Anfang des 20. Jhs. benutzten sie noch die ersten deutschen Archäologen (siehe das Kapitel zu Chandler, Revett und Pars). Von Milet erwähnt Dallaway hauptsächlich das gut erhaltene und riesige Theater. Anschließend reiste er nach Didyma weiter, wo ein neues Dorf entstanden war. Wie Dallaway schreibt, werde es nur von Griechen bewohnt und sei in den vergangenen Jahren gegründet worden. Da der Graf von Choiseul-Gouffier auf seiner Reise 1776 Didyma noch unbewohnt vorgefunden hatte, muss die Siedlung zwischen 1776 und 1794 entstanden sein. Dallaway berichtet weiter, dass das Dorf 67
Apollonheiligtum von Didyma
bei den Ruinen des Apollontempels von den Türken „Giaur-Ura“ genannt werde (also Ura der Ungläubigen) und von den Griechen „Jeronda“. Das Ura der Türken lag etwa eine halbe Stunde nordöstlich von Giaur-Ura am Weg nach Milet (Karte 2). Interessant sind die unterschiedlichen Bezeichnungen für die beiden Dörfer: Die Türken nannten ihr Dorf „Ura“ und das Griechendorf beim ehemaligen Heiligtum „Giaur-Ura“. Die Griechen wiederum bezeichneten ihr Dorf mit „Jeronda“, abgeleitet von dem antik-byzantinischen Namen „Hieron“ für Didyma. Das türkische Dorf nannten die Griechen „Turko-Jeronda“, obwohl es nichts mit dem antiken Heiligtum zu tun hatte. Heute ist aus Jeronda „Yoran“ geworden und das aufgelassene Dorf Turko-Jeronda ist noch unter „Islam-Yoran“ bekannt. Dazu sind zwiespältige Beobachtungen bei Dallaway zu lesen. Er schreibt, es sei auffällig, wie die Dörfer der Griechen überall besser gedeihen als die der Türken. Doch bereits wenig später ist er von den modernen Griechen nicht mehr begeistert: Auf einem Fest in Giaur-Ura tanzen die griechischen Männer bei Mondlicht nach antiker Weise, wie sie behaupten. Das Lyraspiel dazu ist Dallaway jedoch zu eintönig und es wäre keine Melodie zu erkennen. Dies läge daran, dass die moderne Lyra nur drei Saiten aufweise und grob gefertigt sei, während im Altertum eine Lyra sechs oder acht Saiten besaß. Das alles wäre noch zu ertragen gewesen, wenn die Griechen nicht den größten Teil der Nacht durchgefeiert und die Engländer damit um ihren verdienten Schlaf gebracht hätten. Keine 20 Jahre vorher hätten Dallaway und seine Begleiter eine ruhige Nacht in Didyma/Jeronda verbringen können, weil es damals noch unbewohnt war. Aber bis 1794 hatte sich dies geändert: Über den Zustand der Ruinenstätte im Jahr 1794 gibt eine bislang unbekannte Zeichnung Auskunft. Sie bildet den Höhepunkt von Dallaways Aufzeichnungen über Didyma. Allerdings fertigte er sie nicht selbst an, sondern der Italiener Gaetano Mercati, der zum Stab des englischen Botschafters gehörte (Abb. 27).
Abb. 27: Ansicht der Ruine des Apollontempels und des Dorfes Jeronda von Norden (Gaetano Mercati, 1794). 68
James Dallaway – 1794
Auf der ältesten farbigen Darstellung Didymas ist im Grunde genommen nichts anderes zu sehen als auf dem Stich aus Richard Chandlers Publikation von 1769. Man blickt von Norden auf die Ruine mit den drei noch stehenden Säulen und einem großen Haufen mit Trümmern des Apollontempels. Wichtig ist aber, dass links im Hintergrund vier moderne Wohnhäuser zu erkennen sind. Sie waren bei Chandlers Besuch 1764 und auch bei dem des Grafen von Choiseul-Gouffier 1776 offensichtlich noch nicht vorhanden. Auf der Zeichnung sind die vier Häuser eher symbolisch zu verstehen. Denn vermutlich wird es schon mehr von ihnen gegeben haben und die Bauten hatten wahrscheinlich keine Sattel- oder Turmdächer, sondern wie üblich Flachdächer. Damit wäre also die Frage der Wiederbesiedlung Didymas geklärt: Spätestens nach dem Erdbeben von 1493 war Didyma entvölkert. Und erst zwischen 1776 und 1794 kamen Griechen – vermutlich von den benachbarten Inseln wie Samos – an die Ruinenstätte und gründeten Jeronda bzw. Giaur-Ura neu. Davon zeugt mit wenigen Strichen die Zeichnung von Gaetano Mercati. Aus Dallaways weiteren Aufzeichnungen sind keine neuen Angaben zur Tempelruine zu entnehmen: Er schreibt, dass es anstelle des heiligen Baumhaines – von dem der antike Geograph Strabon berichtet (Strabon, Geographica 14,1,5) – nur mehr größere Sträucher gebe. Somit böte das einst blühende Orakel einen traurigen Anblick. Weiterhin erwähnt Dallaway Reliefs mit jeweils zwei Greifen und einer Lyra in ihrer Mitte, die ja als Pilasterkapitelle im Tempelinnern angebracht waren (siehe das Kapitel zu Wheler und Spon). Die meisten Säulen seien umgestürzt. Die Säulenschäfte der zwei stehenden Säulen auf der Nordseite schätzte er auf eine Länge von jeweils 40 Fuß (etwa 12 m) ein. Damit lag er nicht falsch, denn rund ein Drittel der Säulenschäfte war noch im Schutt verborgen (Gesamthöhe 19,70 m). James Dallaway untersuchte auch die nähere Umgebung des Apollontempels. Von einer Erhebung am Meer sah er die Mauern eines runden Turmes. Weitere Angaben dazu macht er nicht. Die Turmreste sind in zweierlei Hinsicht interessant: Zum einen sind sie heute nicht mehr auffindbar. Zum anderen berichtete schon Richard Chandler 1764 von ihnen. Chandler schrieb, dass er zwischen dem Apollontempel und dem Meer, die Ruinen eines runden Gebäudes gesehen habe. Dieser Rundbau könnte für ein Leuchtfeuer oder als Wachtturm gedient haben. Darüber hinaus beobachtete er, dass die Mauern von schlechter Qualität seien und wohl kaum antik. Folglich könnte es sich um ein Gebäude byzantinischer Zeit gehandelt haben. Es muss aber recht imposant gewesen sein, da es sonst Chandler und Dallaway neben dem Apollontempel kaum erwähnt hätten. Das Gelände der milesischen Halbinsel wurde in den letzten Jahrzehnten intensiv auf bauliche Reste und Kleinfunde abgesucht (auch Survey genannt). Jedoch konnten zwischen Didyma und dem Meer im Westen keine Reste eines größeren Rundbaues gefunden werden. Mithin kann das von Chandler und Dallaway beschriebene Gebäude nur in den etwa 100 Jahren nach ihnen komplett abgetragen worden sein, weil es bereits in der ersten genauen Karte von 1900 nicht mehr mit verzeichnet ist. 69
Apollonheiligtum von Didyma
Der Besuch von James Dallaway in Didyma war also für die heutige Forschung nicht umsonst, obwohl sie seinen Aufenthalt bisher kaum wahrgenommen hat. Mit der bei ihm überlieferten Zeichnung von Gaetano Mercati, dem Bericht über das neue Giaur-Ura und über den noch nicht gefundenen Rundturm hinterlässt er in seinem Buch von 1797 wichtige Hinweise für die weitere Erforschung Didymas. Dallaway war von Beruf Pfarrer und Arzt, schrieb aber vor allem historische, kunsthistorische und architektonische Abhandlungen. Somit wirkte er im weitesten Sinne als Altertumsforscher, der sich ferner noch als Herausgeber betätigte. Mit Didyma hatte er im Spätsommer oder Frühherbst 1794 den südlichsten Punkt seiner Reise erreicht. Von hieraus begab er sich wieder nach Norden, wobei er z. B. die Inseln Samos, Chios, Lesbos und Lemnos besuchte. Lediglich eine einzige Datumsangabe ist in seinem Werk überliefert. So ist zu lesen, dass er am 18. November 1794 auf der Insel Tenedos ein Schiff nach Konstantinopel bestieg. Im Jahr 1795 muss Dallaway sich dann intensiv mit der Suche des antiken Troja beschäftigt haben, denn dieses Thema nimmt in seinem Buch viel Raum ein. Im Oktober 1795 begab er sich auf die Rückfahrt nach England. Dort traf er Ende desselben Jahres wohlbehalten ein, nachdem er unterwegs noch weitere griechische Inseln und Italien besucht hatte. Schließlich starb James Dallaway am 8. Juni 1834 im englischen Leatherhead.
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William Gell, John P. Gandy und Francis Bedford – 1812
William Gell, John P. Gandy und Francis Bedford – 1812 Reise nach Didyma – Caesars Gefangenschaft auf einer nahen Insel – Jeronda wächst und der Apollontempel dient als Steinbruch – Vitruv und die Architekten des hellenistischen Apollontempels – Die Maßeinheit „Fuß“ und der Plan des Apollontempels – Antike Inschriften zum Tempelbau – Die unvollendete Säule – Metrologie und die griechische Baukunst – Die Umgebungskarte Didymas von William Gell – Eine dorische Säulenhalle? Im Jahr 1811 sandte die englische Society of Dilettanti eine zweite Expedition nach Westkleinasien aus, um die antike Architektur Ioniens zu studieren. Der später zum Sir erhobene William Gell hatte die Leitung inne, und ihn unterstützten zwei Architekten, nämlich John Peter Gandy und Francis Bedford. Die erste Expedition der Society war von 1764 bis 1766 in Westkleinasien und Griechenland unterwegs gewesen, wobei sie im Oktober 1764 Didyma besucht hatte (siehe das Kapitel zu Chandler, Revett und Pars). Die Unternehmung der Jahre 1811 bis 1813 war von der Society of Dilettanti mit mehr finanziellen Mitteln als die von 1764 ausgestattet worden. Ihre Hauptaufmerksamkeit galt der Architektur der antiken Landschaft Ionien. Bereits die Mitglieder der ersten Expedition hatten dazu wichtige Erkenntnisse gesammelt. Diese sollte die zweite noch vermehren und Fehler der ersten Mission korrigieren. Das gelang, und infolgedessen war es der Society möglich, eine neue, verbesserte Ausgabe der Erstauflage von 1769 erscheinen zu lassen. Dieser erste Band der jetzt „Antiquities of Ionia“ genannten Reihe kam 1821 heraus. Darin werden der Dionysostempel von Teos, der Athenatempel von Priene, der Apollontempel von Didyma, der Zeustempel von Euromos (fälschlich für Labraunda gehalten) und der Heratempel von Samos vorgestellt. William Gell, John P. Gandy and Francis Bedford verließen am 5. Oktober 1811 England. Nach einer Zwischenstation auf der Insel Zante (heute Zakynthos), segelten sie weiter nach Athen. Von dort war aber wegen schlechten Wetters eine sichere Überfahrt nach Smyrna nicht gleich möglich. Deshalb begaben sie sich ins nahe Eleusis, um im dortigen Demeterheiligtum Ausgrabungen durchzuführen. Schließlich konnten die englischen Forscher am 30. April 1812 Athen verlassen und trafen am 6. Mai in Smyrna ein. Dort blieben sie bis zum 17. Mai und brachen anschließend nach Klazomenai (heute Urla) auf. Von der nahen Insel Chios fuhren sie weiter zur Insel Samos, von der sie am 19. Juni 1812 nach Didyma übersetzten (Karte 1). 71
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Kurz nach ihrer Abfahrt wurden sie von einem fremden Boot vor Piraten auf der nahen Insel Gaidrounisi (heute Agathonisi) gewarnt. Als sie jedoch an der Insel vorbeisegelten, ließen sich keine Piraten blicken und die Engländer erreichten sicher den Hafen von Didyma in der Kowella-Bucht (im Altertum Panormos genannt). So viel Glück hatte ein berühmter Reisender lange Zeit vor ihnen nicht gehabt. 75/74 v. Chr. war Gaius Iulius Caesar unterwegs auf einer Bildungsreise zur Insel Rhodos. Er hatte denselben Weg wie Gell, Gandy und Bedford genommen und wurde von Piraten entführt. Zu dieser Zeit machten Piraten viele Gebiete des Mittelmeers unsicher und hielten sich auch auf den Inseln Agathonisi und Farmakonisi auf, die Milet und Didyma vorgelagert sind. Wie der antike Schriftsteller Plutarch (etwa 45 bis 125 n. Chr.) berichtet, wurde Cäsar auf die nur vier Quadratkilometer große Insel Farmakonisi verschleppt. Dort soll er 38 Tage in Gefangenschaft verbracht haben. Anfangs wussten die Entführer wohl nicht, wen sie gefangen hatten, denn sie forderten nur 20 Talente Silber Lösegeld. Schließlich bot Caesar ihnen 50 Talente an. Auch sonst scheint es Caesar auf Farmakonisi nicht schlecht ergangen zu sein. Plutarch schreibt, dass Caesar den Piraten immer befahl, ruhig zu sein, wenn er sich hinlegte und schlafen wollte. Das geforderte Lösegeld wurde Caesar schließlich vom nahen Milet aus überbracht, und man entließ ihn dorthin in die Freiheit. In Milet besorgte sich Caesar Soldaten und Schiffe, segelte wieder zurück zur Insel und nahm die Piraten gefangen. Die Geschichte ist aber damit noch nicht zu Ende: Caesar brachte seine Entführer nach Pergamon, um sie dort bestrafen zu lassen. Da dies aber nicht geschah, übte er schließlich Selbstjustiz und ließ sie kreuzigen (Plutarch, Caesar 1,8–2,7). Diese Episode aus Caesars Leben ist ziemlich bekannt und taucht immer wieder in Zeitungen und Zeitschriften auf. Aber kaum einer weiß, wo sie sich abspielte. Doch in Didyma ist man vom Schauplatz nur 10 Kilometer entfernt: So viel beträgt die Entfernung zwischen Kap Monodendri, dem antiken Poseidonheiligtum an der Südwestspitze der milesischen Halbinsel (siehe das Kapitel zu Chishull), und der Insel Farmakonisi. Nicht weit von dem Kap gibt es noch einsame Strände (neben einer Kläranlage), von denen aus man die beste Sicht auf die Inseln Farmakonisi und Agathonisi hat. Piraten gibt es zwar keine mehr, aber dafür treiben Schlepperbanden ihr Unwesen. Nicht selten geschieht es, dass Flüchtlinge aus der Macchia auftauchen, in winzige Schlauchboote einsteigen und versuchen hinaus auf See zu fahren, um eine der beiden kleinen griechischen Inseln zu erreichen. Gell, Gandy und Bedford hielten sich für ihre Studien vom 19. bis zum 27. Juni 1812 in Didyma auf. Danach reisten sie weiter die Küste entlang bis in die antike Landschaft Lykien. Zurück ritten sie durchs Inland, und zwar durch Karien. Mithin kamen die drei englischen Forscher im Oktober 1812 noch einmal in Didyma vorbei. Von ihrem zweiten Aufenthalt berichten sie, dass die Griechen inzwischen den Terpenthin-Pistazienbaum auf dem Schutthügel des Apollontempels gefällt und aus zerschlagenen Bauteilen des Tempels eine Windmühle errichtet hätten. Überdies bestand 72
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das Dorf der neu zugezogenen Griechen bereits aus etwa 150 Häusern, für die der Apollontempel oder die byzantinisch-seldschukischen Hausreste das Baumaterial geliefert hatten. Noch 1776 war beim Besuch des Grafen von Choiseul-Gouffier keine Rede von einer Siedlung in Didyma gewesen. Aber bereits 1794 war der Ort wiederbesiedelt, wie die Zeichnung von Gaetano Mercati zeigt. Griechen hatten sich niedergelassen und nannten ihr Dorf „Ieronta“ (oder Jeronda), abgeleitet vom byzantinischen Namen „Hieron“ (siehe die Kapitel zu Cyriacus von Ancona und zu Dallaway). Die Nutzung des Apollontempels als Steinbruch hatte nun größere Ausmaße angenommen: Kleinere, oft skulptierte Bauteile zerhackte man so klein, dass sie zu Kalk verbrannt werden konnten. Aus diesem stellte man den Mörtel her, um die größeren Bruchsteine zu verbinden, die man aus Werkstücken des Tempels gewonnen hatte. Im Übrigen waren die Engländer nach wie vor der Meinung – gemeinsam mit den antiken Autoren Strabon und Pausanias –, dass man ursprünglich geplant hatte, den Sekos zu überdachen. Dies war ein Rückschritt, denn der Graf von Choiseul-Gouffier hatte knapp 40 Jahre vorher richtig vermutet, dass von Anfang an kein Dach für den Apollontempel vorgesehen war. In den Antiquities of Ionia von 1821 ist stattdessen zu lesen, dass bisher nirgendwo ein griechischer Tempel gefunden wurde, der hypäthral sei. Dies ist ein Begriff, der bei Vitruv auftaucht, welcher als Ingenieur in Caesars Heer diente. Vitruv schrieb zehn Bücher über die Architektur (De architectura), die er dem römischen Kaiser Augustus um 25 v. Chr. widmete. Vitruv erwähnt auch den hellenistischen Apollontempel von Didyma und seine Architekten (De architectura 7 praef. 16): Paionios von Ephesos und Daphis von Milet entwarfen den Plan des Tempels. Paionios hatte zuvor zusammen mit einem anderen Architekten eines der Sieben Weltwunder fertiggestellt, und zwar den Tempel der Artemis von Ephesos. Sein Vorgängerbau war einer Legende zufolge im Jahr 356 v. Chr. abgebrannt, als Alexander der Große geboren wurde. Interessanterweise können in Didyma am Apollontempel tatsächlich Ungereimtheiten festgestellt werden, die für die Arbeit von zwei Architekten sprechen: Offensichtlich kamen zwei unterschiedliche Maßeinheiten zum Einsatz. Das übliche Grundmaß der Antike war der Fuß. Ein Fuß konnte jedoch verschieden lang sein. Dies war abhängig von der Gegend und dem jeweiligen Herrscher. Diese Tatsache unterschied sich kaum von der Praxis, die in Europa bis zur Einführung des Meters am Ende des 19. Jhs. verbreitet war. Für die Planung des Grundrisses des hellenistischen Apollontempels wurde der sogenannte attische Fuß mit einer Länge von 29,42 cm verwendet. Dieser Fuß wurde nicht nur in Athen benutzt, sondern auch in anderen Gegenden Griechenlands und später im gesamten Römischen Reich mit einer Länge von etwa 29,5 cm. Den Gebrauch des attischen Fußes am Apollontempel von Didyma kann man am Rasternetz erkennen, welches die Basis für seinen Grundriss bildet. Die Mittelpunkte der Säulen und die Achsen der Wände wurden mit diesem Rasterplan festlegt. Die Abstände zwischen den Säulenachsen, auch Säulenjoch genannt, betragen immer 18 attische Fuß (durchschnittlich 5,296 m). 73
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Wollte man dies bezweifeln, müssten die knapp 5,30 m durch ein anderes Fußmaß geteilt werden. Damit erhielte man jedoch keine ganze Zahl, welche leicht weiter unterteilt werden könnte. Dies ist im griechischen Bauwesen aber eine Voraussetzung für kleinere Abstände und Abmessungen. Daneben gibt es einen weiteren Hinweis für die Verwendung des attischen Fußes, und zwar am Tempel selbst: Bereits seit langem sind fortlaufende Buchstaben auf dem Tempelfundament bekannt, deren Sinn erst vor wenigen Jahren durch den Autor erschlossen werden konnte: Im Innenhof, dem Sekos des Tempels, sind auf der obersten Fundamentschicht der Nordwand in regelmäßigen Abständen einzelne Buchstaben eingemeißelt, die eine Höhe von 2–5 cm haben (Abb. 28). Der durchschnittliche Abstand der 27 Buchstaben ist 1,323 m groß und entspricht damit dem Viertel eines Säulenjoches (4 x 1,324 m = 5,296 m). Der Buchstabenabstand beträgt somit 4 1/2 attische Fuß (1,324 m: 29,42 cm = 4,5).
Abb. 28: Ein Alpha (A) auf der nördlichen Euthynterie im Sekos des hellenistischen Apollontempels. Die Buchstaben beschrifteten einen Plan aus eingravierten Linien, die auf der obersten Fundamentschicht aus Kalkstein eingeritzt sind. Bei der Errichtung griechischer Großbauten wurden auf der Euthynterie oft Vorzeichnungen angebracht. Dieser Entwurf im Zusammenhang mit dem Apollontempel ist heute zwar noch erhalten, jedoch verdeckt, weil darauf die erste Schicht aus Marmorblöcken liegt. Die genannten Buchstaben sind sorgfältig eingemeißelt und gut erhalten. Sie können ihrer Form nach in den Zeitraum um 300 v. Chr. datiert werden. Dies stimmt mit dem vermuteten Baubeginn des Tempels nach 330 v. Chr. überein, den man aufgrund der historischen Quellen annimmt (siehe das Kapitel zu Wheler und Spon). 74
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Die neu entdeckten Buchstaben belegen aber noch eine weitere, schon länger vermutete Grundlage des Tempelplanes: Der Naos des Apollontempels weist ein harmonisches Breiten-Längenverhältnis auf. Er ist nämlich dreimal so lang wie breit. In attischen Fuß bedeutet das, dass der Breite von 99 Fuß eine Länge von 297 Fuß zugeordnet ist (29,126 m x 87,377 m). Anders ausgedrückt besteht der Naos aus drei Quadraten mit einer Seitenlänge von je 99 attischen Fuß (Abb. 29).
Abb. 29: Grundriss des hellenistischen Apollontempels mit dem Vierteljochraster, wie es die Buchstaben auf der Euthynterie vorgeben (Raster der Übersichtlichkeit wegen nur in zwei Quadraten à 99 attischen Fuß [AF] markiert). Auch hier ist keine Beliebigkeit möglich, wie die schon erwähnten Buchstaben auf der Euthynterie im Innenhof beweisen: Es handelt sich um die fortlaufenden Buchstaben des griechischen Alphabetes. Allerdings werden die letzten beiden Buchstaben Psi und Omega nicht benutzt. Denn nach dem 22. Buchstaben, dem Chi, beginnt die Reihe wieder mit Alpha. Folglich besteht ein Quadrat des Rasternetzes aus 22 x 4 ½ attischen Fuß, also 99 attischen Fuß Seitenlänge. Weil ein Alpha genau auf der Querachse des Apollontempels liegt, ergibt sich, dass der gesamte Rasterplan des Apollontempels aus zwei mal vier Quadraten à 99 attischen Fuß Seitenlänge zusammengesetzt ist. Jede Säule der Ringhalle, des Zweisäulen- und des Zwölfsäulensaales sowie jeder Pilaster des Innenhofes befindet sich an einer Stelle, wo sich zwei Linien des Rasters kreuzen. In die Mitte dieser zwei mal vier Quadrate sind die drei Quadrate des Naos eingeschrieben. Dieser Entwurf mit den Proportionen 2: 4 (bzw. 1: 2) und 1: 3 bildet die Basis für den Grundriss des hellenistischen Apollontempels. Nachgewiesen ist er durch die fortlaufenden Buchstaben auf der Euthynterie und die ganzzahligen Verhältnisse, die ihr Abstand von 4 ½ 75
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attischen Fuß z. B. für das Säulenjoch (18 attische Fuß) oder die Naosbreite (99 attische Fuß) ergibt. Mit dem attischen Fuß von 29,42 cm können jedoch die Abmessungen von Baugliedern des Tempels oder seine Außenmaße nicht ausgedrückt werden. Auch die in der Antike übliche Unterteilung eines Fußes in 16 Finger (Daktylen) und in noch weitere Untereinheiten führt zu keinem brauchbaren Ergebnis. Mithin spricht vieles dafür, dass noch ein zweites Fußmaß benutzt wurde. Die Untersuchungen dazu wurden in den letzten Jahren hauptsächlich von dem Salzburger Archäologen Wolfgang Sonntagbauer durchgeführt. Sie konnten aber wegen ihres erheblichen Umfanges noch nicht abgeschlossen werden. Dennoch sind drei eindeutige Belege für die Verwendung eines zweiten Fußmaßes am Apollontempel vorhanden: Zwei Hinweise finden sich in den antiken Inschriften, die über den Fortgang des Tempelbaues berichten. In diesen Bauberichten werden auch die Abmessungen einzelner Bauglieder oder ganzer Bereiche des Apollontempels genannt. Dafür wird die Bezeichnung Fuß, Quadratfuß oder Kubikfuß benutzt. Natürlich informieren die Inschriften nicht darüber, wie lang ein solcher Fuß war. Aber zweimal lässt sich dies leicht feststellen: Eine Säulenplinthe, also das quadratische Unterteil einer Säule, maß einer Inschrift gemäß genau 81 Quadratfuß. Folglich hatte die Plinthe 9 Fuß Seitenlänge. Die durchschnittlich gemessene Seitenlänge einer dieser zahllosen Säulenplinthen am Apollontempel beträgt 2,70 m. Teilt man diesen Wert durch Neun, kommt man auf 30,0 cm. Somit wäre dieser Fuß etwa einen halben Zentimeter größer als der attische Fuß (29,42 cm). Des Weiteren wird in einer anderen Bauinschrift die Breite der sogenannten Krepis des Tempels mit 200 Fuß angegeben, wie Lothar Haselberger herausfand. Mit dem Begriff „Krepis“ bezeichnet Vitruv den Stufenunterbau des Naos. An seiner untersten Stufe ist der Apollontempel im Westen 60,065 m breit. Wenn diese Breite 200 Fuß entsprach, wäre ein solcher Fuß 30,03 cm lang gewesen. Wenn man die Maße einer Säulenplinthe und der Krepisbreite mit den Abmessungen vergleicht, die in den Bauberichten genannt werden, ergibt sich ein etwa 30,0 cm betragendes Fußmaß. Dieser Fuß ist damit deutlich größer als der attische Fuß (29,42 cm), mit dem der Rasterplan des Apollontempels erstellt wurde. Das gleiche Fußmaß lässt sich an einer der drei noch aufrechtstehenden Säulen des Apollontempels nachweisen: Die Säule auf der Südseite ist nicht fertig geworden (Abb. 30). Ihr Säulenschaft mit den einzelnen Säulentrommeln ist nur grob geglättet und nicht kanneliert. Das ist ein Glücksfall, denn so haben sich auf den Säulentrommeln ihre Durchmesserangaben erhalten. Bis vor einigen Jahren konnte man sie nicht richtig deuten. Aber mit der Erkenntnis Wolfgang Sonntagbauers, dass ein größeres Fußmaß als das attische benutzt wurde, ist dies möglich. 76
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Abb. 30: Blick auf die unfertige Säule von Südwesten. Die jeweiligen Maßangaben geben den Durchmesser an, auf den die Säulentrommeln abgearbeitet werden sollten, nachdem sie übereinander zu einem Säulenschaft zusammengefügt waren (siehe das Kapitel zu Haussoullier und Pontremoli). Den beiden untersten Trommeln ist jeweils der griechische Buchstabe Z (Zeta) für die Zahl Sieben eingemeißelt (Abb. 31). Ihr heutiger Durchmesser beträgt 2,11 m bzw. 2,10 m. Teilt man diese Angaben durch Sieben, kommt man auf einen Wert von fast genau bzw. exakt 30 cm. Dieses Maß ergibt sich auch bei den anderen Säulentrommeln und ihren Durchmesserangaben. Damit ist die Verwendung eines Fußmaßes von 30 cm bei der Errichtung der Säulen belegt. Jeder Besucher Didymas fragt sich heute, warum zwei der drei noch stehenden Säulen fertig kanneliert sind und eine nicht. Die Antwort darauf ist, dass dem ausführenden Architekten bei der südlichen Säule ein Fehler unterlief. Um dies zu verstehen, muss man sich den Fertigungsprozess einer Säule und ihre Form vor Augen halten. Der Durchmesser einer Säule ist unten größer 77
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als oben. Aber der Durchmesser nimmt von unten nach oben nicht gleichmäßig ab, denn jeder Säulenschaft ist etwas „angeschwollen“. Dies nennt Vitruv die „Entasis“ einer Säule. Für die Errichtung eines Säulenschaftes wurden Trommeln unterschiedlicher Höhe verwendet, so wie sie aus dem Steinbruch verfügbar waren. Deshalb musste bei jeder Säule für jede Trommel ihr Durchmesser neu berechnet werden. Das machte der Architekt auch für die heute unvollendete Säule in Didyma. Auf der Baustelle glättete man zuerst die Oberseiten der Trommeln und anschließend ihre Unterseiten. Nun brachte man gegenüberliegende Lehren an, die den vorgesehenen Durchmesser der Trommeln unten festlegten. Und in eine dieser acht vertieften Felder gravierte man den Durchmesser ein (siehe Abb. 31).
Abb. 31: Ein Zeta (Z) auf der untersten Säulentrommel der unfertigen Säule. Nachdem die Säulentrommeln zum Schaft zusammengefügt waren, verjüngte man den Schaft von unten nach oben entsprechend den Lehren und den Durchmesserangaben. Bei der unfertigen Säule hatte sich jedoch ein Fehler eingeschlichen: Etwa in der Mitte der Säule, nimmt der Durchmesser von einer Trommel zur nächsten plötzlich so stark ab, dass man hier keine Entasis mehr hätte anbringen können. Deshalb vollendete man diese Säule nicht (siehe das Kapitel zu Haussoullier und Pontremoli). An griechischer Architektur interessierte Besucher werden dies heute dankbar registrieren, weil man so leicht Einsicht in den antiken Bauprozess bekommt. So kann z. B. jeder deutlich sehen, dass die Säulen erst nach ihrem Zusammensetzen kanneliert wurden. Wo jedoch der Fehler an der unfertigen Säule lag, ist nicht ganz klar. Entweder die Durchmesser wurden falsch berechnet oder die Säulentrommeln falsch aufeinandergeschichtet, das heißt eine für weiter oben vorgesehene zu weit unten. 78
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Darüber kann sich der Betrachter vor Ort weitere Gedanken machen, nachdem er versucht hat, mit einem Fernglas oder einem guten Fotoapparat die kleinen griechischen Buchstaben zu finden, die die Durchmesser angeben. Dieses Detail sollte man sich nicht entgehen lassen, weil es – wie so vieles am Apollontempel – einmalig und an keinem anderen antiken Bau zu finden ist. Doch zurück zu den zwei Fußmaßen: Der attische Fuß mit 29,42 cm und ein mit 30,0 cm etwas größerer Fuß lassen sich also zweifelsfrei am hellenistischen Apollontempel nachweisen. Diese Erkenntnis könnte ihre Entsprechung in der Nachricht des Vitruv finden, dass zwei Architekten den Plan es Apollontempels entwarfen. Da keine Anzeichen für eine Bauunterbrechung oder eine gravierende Planänderung vorliegen, scheint der Entwurf mit zwei Fußmaßen von Anfang an beabsichtigt gewesen zu sein. Man kann nun fragen, wie dies vor sich gegangen sein könnte. Denn an ein und demselben Bau mit zwei verschiedenen Maßen gleichzeitig zu arbeiten, ist schwer vorstellbar. Aber das war offensichtlich nicht der Fall in Didyma: Denn zuerst wurde mit dem attischen Fuß der Rasterplan des Apollontempels erstellt. Die Ausführung des Baues, das heißt die Maße jedes Bauteils, jedes Raumes und die Außenmaße des Tempels, erfolgte mit dem leicht vergrößerten Fuß. Über dem Plan mit dem attischen Fuß wurde der Tempel mit einem vergrößerten Fuß errichtet. Folglich gab es keine Probleme beim Bauvorgang, weil beide Fußmaße getrennt zum Einsatz kamen. Dennoch sind sie miteinander verbunden. Am Schluss dieses Abschnittes zur Metrologie des Apollontempels zeigt sich, dass er äußerst knappgehalten ist, wenn man ihn mit der antiken Bedeutung der Proportionen von Tempeln und ihren Baugliedern vergleicht. Heute ist dieses Thema kaum mehr vermittelbar und viele Bauhistoriker machen einen Bogen darum. Damit klammert man jedoch einen großen Bereich des Altertums aus. Mathematik, Musik und Architektur waren damals eng miteinander verbunden. Manche antiken Philosophen meinten sogar, die ganze Welt basiere auf Zahlenverhältnissen (siehe das Kapitel zu Newton). Dieses Wissen liegt heute weitgehend brach. Dennoch kann man, wie in der klassischen Musik, die klassische Baukunst erst richtig verstehen und genießen, wenn man ihre Grundlagen kennt. Für die antike griechische Architektur war es kennzeichnend, dass jedem Tempel eine Ordnung zugrunde lag, das heißt verschiedene Teile wurden zu einem Ganzen unter einem bestimmten Prinzip zusammengefügt. Mithin standen alle Bestandteile zueinander in Beziehung, die man durch Proportionsverhältnisse ausdrückte. Diese Ordnung galt aber immer nur für einen Tempel, folglich war sie veränderlich, und deshalb findet man nirgendwo den gleichen Tempel zweimal. Neben diesen Proportionen gab es ein Maß, welches die Grundlage für die Abmessungen eines jeden Bauteils bildete. Beides, Proportionen und Maß, kennzeichneten jeden antiken Tempel und wahrscheinlich auch die meisten anderen Großbauten. Der Apollontempel beeindruckt heute zuerst durch seine Größe. Des Weiteren wird meistens seine unglaublich hohe Ausführungsqualität gewürdigt. Doch den Plan, der dahinterstand und alles bis ins kleinste Detail umfasste, übersieht man gern. Ohne diese Vorleistung, die vermutlich Paionios von 79
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Ephesos und Daphnis von Milet zuzuschreiben ist, hätte dieses gewaltige Projekt allerdings nie ausgeführt werden können. Bei Vitruv wird auch der Architekt des Athenatempels von Priene genannt, der diesen Tempel etwa im dritten Viertel des 4. Jhs. v. Chr. errichten ließ. Er hieß Pytheos und verwendete zum ersten Mal einen Rasterplan für einen ionischen Tempel. Dieser Entwurf des Athenatempels von Priene ist ziemlich simpel und es kam nur ein Fußmaß zum Einsatz, nämlich der attische Fuß. Dem gegenüber ist der Plan des Apollontempels von Didyma vom Ende des 4. Jhs. v. Chr. weitaus komplexer. Ihm liegt zwar ebenfalls ein Rasterplan zugrunde, aber er ist nicht so leicht erkennbar. In Priene sind z. B. die Säulenplinthen genauso groß wie der Abstand dazwischen. In Didyma ist dies jedoch nicht der Fall. Dort sind die Säulenplinthen größer als der Abstand zwischen ihnen. Und zwar wurden die Plinthen in dem Maß vergrößert, wie der attische Fuß vergrößert wurde, um das zweite Fußmaß zu bilden. Die Säulenplinthen sind also das Bauglied, an dem beide Fußmaße erkennbar sind, wie Wolfgang Sonntagbauer feststellte. Der Entwurf des Apollontempels stellt damit den Höhepunkt der Tempelbaukunst zurzeit der Ionischen Renaissance dar (siehe das Kapitel zu Haussoullier und Pontremoli). Die Grundlagen dafür lieferte die Spätklassik z. B. mit dem Athenatempel von Priene, dem Artemistempel von Ephesos oder mit einem weiteren Weltwunder, dem Mausoleum von Halikarnassos. Diese Blüte der griechischen Baukunst in Didyma blieb im Verlauf des Hellenismus und später in der römischen Kaiserzeit unerreicht. Nicht umsonst bezeichnete einst ein englischer Journalist den Apollontempel von Didyma als den Sieben Weltwundern zugehörig (siehe das Schlusswort). Zusätzlich sind am Apollontempel viele Merkmale erhalten, die Hinweise geben, wie solch ein Bauwerk ausgeführt wurde. Dazu gehören die Buchstaben auf der obersten Fundamentschicht des Sekos oder die Durchmesserangaben auf den Bauteilen der unfertigen Säule. Beide stellen einzigartige Zeugnisse des Originalplanes bzw. des Bauprozesses dar, weil noch nie Parallelen zu ihnen an anderen griechischen Tempel entdeckt wurden. Doch zurück zur zweiten Expedition der Society of Dilettanti: William Gell fertigte den ersten Lageplan von Didyma an. Darauf sind die neu entstandenen Häuser zu sehen, die Griechen in den Jahrzehnten zuvor rund um den Apollontempel gebaut hatten. Die nach Didyma führenden Wege sind ebenfalls eingetragen zusammen mit den an ihnen liegenden Kapellen und Kirchen. Dieser Plan stellt eine großartige Leistung dar und vermittelt ein genaues Bild davon, wie die nähere Umgebung Didymas damals beschaffen war. Bis heute sind manche Details dieser Karte noch nicht endgültig ausgewertet worden (Karte 4). Insgesamt sind vier Wege eingezeichnet, die Didyma/Jeronda zum Ziel hatten. Aus Richtung Südwesten kam der Weg vom Kap Monodendri, also vom ehemaligen Poseidonaltar. Kurz vor Jeronda sind links dieses Weges eine Quelle und rechts eine Kapelle eingetragen. Diese Kapelle war dem heiligen Merkurios geweiht und ihre Reste existieren noch. Ungefähr auf gleicher Höhe ist südlich des Apollontempels eine weitere Kapelle verzeichnet. Sie war die Friedhofskapelle von Jeronda, von der 80
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man bisher fälschlich annahm, sie sei dem heiligen Georg geweiht gewesen. Diese Kapelle ist in den letzten Jahren ausgegraben worden (siehe die Kapitel zu Turner und zu Bumke). Am östlichen Ortsrand von Jeronda befand sich eine dritte Kapelle, an der eine Straße nach Osten vorbeiführte. Von dieser Kapelle ist oberirdisch nichts mehr sichtbar; vermutlich war sie der heiligen Weisheit (Hagia Sophia) geweiht. Nördlich des Apollontempels ist die Hauptkirche des Ortes zu erkennen, die man etwa 100 m von ihm entfernt errichtet hatte. Der Patron dieser Kirche war der heilige Charalambos. An ihrer Stelle baute man 1830 eine neue Kirche, wie es eine Inschrift auf ihrer Nordseite bezeugt. Dieser Bau existiert heute noch weitgehend unverändert und wird seit 1924 als Moschee genutzt. Nördlich der Hauptkirche befindet sich auf einem Hügel eine vierte Kapelle. Sie war dem heiligen Taxiarchis (Erzengel Michael) geweiht. Nordwestlich dieser Kapelle beginnt inmitten von Ruinen ein nach Norden führender Weg, der sich aufteilt; nach Westen führt er zum damals modernen Hafen und nach Nordwesten zum antiken Hafen (heute Mavişehir). Etwas östlich, beinahe parallel, verläuft die Heilige Straße von Milet, die von antiken Gräbern, Sarkophagen und Statuen flankiert ist. Am Beginn der Heiligen Straße sind fünf Statuen eingezeichnet. Von ihnen fertigte John P. Gandy eine Zeichnung an, die zusammen mit einer Löwenskulptur in das Buch von 1821 aufgenommen wurde. Diese Statuen mit der Darstellung sitzender Männer befinden sich seit 1858 im Britischen Museum in London (siehe das Kapitel zu Newton mit Abb. 50). Auf der gerade erläuterten Karte von William Gell von 1812 ist ein Detail zu sehen, welches schon 1764 von Richard Chandler erwähnt worden war. Chandler schrieb, dass noch deutliche Spuren des umfangreichen Peribolos zu sehen wären. Am häufigsten bestand der Peribolos aus einer Mauer und das Heiligtum war über Tore zugänglich. Aber nicht jedes Heiligtum war von einer Mauer eingefasst, oft waren seine Grenzen nur durch Grenzsteine markiert. In Didyma wurden bis heute keine Reste eines Peribolos bei Ausgrabungen gefunden. Dagegen trat ein archaischer Grenzstein in situ zutage (also an seinem ursprünglichen Ort), und zwar am östlichen Rand der Heiligen Straße auf Höhe der späteren römischen Thermen (siehe das Kapitel zu Tuchelt und Schneider). Zwei weitere Grenzsteine kamen bei den Ausgrabungen zum Vorschein, aber ohne dass ihr originaler Standort bekannt wäre. Durch ihre Aufschriften können sie in die hellenistische bzw. späthellenistische Zeit datiert werden. Richard Chandler macht in seiner Beschreibung keine Angaben darüber, wo sich die Reste des Peribolos befanden. Aber auf Gells Karte von 1821 ist ein „ancient wall“ nördlich der Hauptkirche des heiligen Charalambos und östlich der Taxiarchis-Kapelle eingetragen. Da diese „antike Mauer“ im Begleittext sonst nicht erwähnt wird, kann nur sie den Peribolos meinen, den Chandler schon erblickte und der offensichtlich 1812 noch zu sehen war, als William Gell und seine Begleiter nach Didyma kamen. Dem Plan nach begann die antike Mauer östlich der Taxiarchis-Kapelle. Am Beginn der Mauerreste befand sich ein Brunnen unmittelbar nördlich. Von da ab verlief die Mauer ziemlich genau Richtung Osten, und zwar etwa 80 m. An ihrem östlichen Ende biegt die Mauer laut Karte nach Süden um und läuft noch rund 15 m weiter. 81
Apollonheiligtum von Didyma
Heute ist von diesen Mauerresten (in der Karte nur gestrichelt eingezeichnet) nichts mehr zu sehen. Ihrer Lage nach kann es sich kaum um den Peribolos des Apollonheiligtums gehandelt haben, da weiter nördlich noch Reste antiker Bauten gefunden wurden (siehe das Kapitel zu Wiegand und Knackfuß zum Jahr 1906). Folglich könnten die antiken Mauerreste auch von einem anderen Gebäude stammen. Dass es sich überhaupt um antike Hinterlassenschaften handelt, ist sehr wahrscheinlich, denn Richard Chandler und nach ihm William Gell werden sicher eine antike Mauer aus Quadern von einer späteren Mauer aus kleinen mit Mörtel verfugten Steinen haben unterscheiden können. Mithin gäbe die „antike Mauer“ auf Gells Plan einen Hinweis zur Lage eines antiken Gebäudes ab, welches bisher noch nicht gefunden wurde. Dabei handelt es sich um die größte antike Baustruktur, die neben den Ruinen des Apollontempels und der römischen Therme 1812 noch vorhanden war. Und doch hat man sie bisher immer übersehen. Vielleicht auch deshalb, weil die Mauer in jüngeren Karten nicht mehr vorkommt, denn sie wurde offensichtlich nach 1812 komplett oberirdisch abgetragen oder aber überbaut. Der Brunnen östlich des Taxiarchis-Hügels existiert heute noch (die Kapelle dagegen nicht mehr) und unmittelbar südlich des Brunnens liegt das Gelände einer ehemaligen Schule (Abb. 32). Weiter nach Osten schließen sich ein freier Platz und Wohnhäuser an, wo sich die Ecke der antiken Mauer befinden müsste. Archäologische Untersuchungen wären also möglich, zumal die Schule vor wenigen Jahren geschlossen und abgerissen wurde.
Abb. 32: Blick auf den abgedeckten Brunnen am Rande des Schulgeländes und östlich des Taxiarchis-Hügels, in dessen Nähe sich womöglich die dorische Säulenhalle befand. Einstweilen kann man erörtern, ob es nicht bekannte antike Gebäude gab, die für eine Grundfläche mit Abmessungen von mindestens 80 x 15 m in Frage kämen. Und tatsächlich existierte ein solches: 82
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Denn schon seit Jahren kommen bei Ausgrabungen nördlich des Apollontempels immer wieder Bauteile zum Vorschein, die zu einer großen dorischen Säulenhalle gehörten. Doch bisher konnte das Fundament dieses Baues nicht gefunden werden. Von der dorischen Säulenhalle in Didyma sind einige Säulentrommeln, Kapitelle, Architrave, Friesblöcke und die darüber liegenden Geison-Simablöcke erhalten. Der Stil und die Form dieser Bauglieder zeigen an, dass die Halle im 2. Jh. v. Chr. erbaut wurde, wie Lothar Haselberger herausfand (siehe das Kapitel zu Tuchelt und Schneider). Eine Säulenhalle – auch Stoa genannt – war im Altertum ein langgestreckter Bau, der meistens in Heiligtümern errichtet wurde, um Menschen, aber auch kostbaren Weihgeschenken Schutz vor Regen und Schatten zu bieten. Auf einer Langseite war eine solche Halle offen und Säulen trugen das Dach. Die andere Langseite bildete die geschlossene Rückwand. Bei größeren Säulenhallen war das Dach ein Satteldach. Deshalb hatte man bei solchen Bauten das Innere in zwei Schiffe gegliedert und in der Mitte trug eine weitere Säulenreihe den Dachfirst. Zu dieser Form der Hallen scheint auch die dorische Stoa von Didyma gehört zu haben. Richard Chandler könnte nun Reste der Rückwand und östlichen Seitenwand dieses Baues gefunden haben, als er 1764 in Didyma weilte. Dafür sprechen nicht nur der Grundriss der von William Gell registrierten Fundamente, sondern vor allen Dingen die Fundorte der Bauteile der dorischen Säulenhalle. So wurden z. B. bei den Ausgrabungen an der Heiligen Straße (wenig westlich des vermuteten Hallenstandorts) immer wieder Werkstücke und Fragmente der dorischen Stoa gefunden. Noch näher daran kamen bei Ausgrabungen an der heutigen Moschee (die ehemalige Hauptkirche) Bauteile zum Vorschein, die zur dorischen Halle gehörten; einige sind sogar noch an der Moschee verbaut, wie z. B. ein Friesblock an der südwestlichen Ecke und ein dorisches Kapitell auf der Nordseite (Abb. 33).
Abb. 33: Ein hellenistisches dorisches Kapitell verbaut unter einer Säule der ehemaligen Kirche des heiligen Charalambos (heute Moschee). 83
Apollonheiligtum von Didyma
All diese Erkenntnisse passen zu den Grabungs- und Forschungsergebnissen der letzten Jahre. Denn bei ihnen kamen unmittelbar nördlich der Moschee die Fundamente des Artemistempels zum Vorschein (siehe das Kapitel zu Bumke). Nun kann man durch Gells Karte vermuten, dass sich parallel zum Artemistempel etwa 20 bis 30 m nördlich von ihm eine große dorische Halle befunden haben könnte, denn für viele griechische Heiligtümer ist eine solche Lagebeziehung typisch. Die Teilnehmer der zweiten Expedition der Society of Dilettanti nach Didyma kamen 1812 zu einigen wichtigen Ergebnissen: Nach dem Grafen von Choiseul-Gouffier erstellten die Engländer den zweiten rekonstruierten Grundriss des hellenistischen Apollontempels. Als erste erkannten sie, dass es zwischen dem Pronaos und dem Innenraum des Tempels einen zweiten, kleineren Raum gab (Abb. 34). Der Pronaos wird ja in Didyma als „Zwölfsäulensaal“, der zweite Vorraum als „Zweisäulensaal“ und der Innenhof als „Sekos“ bezeichnet. Die Funktion oder gar die Gestalt des Zweisäulensaales konnten die englischen Gelehrten jedoch nicht erschließen, weil dieser Bereich mit am höchsten verschüttet war. Ausgrabungen oder das „Umgraben“ des Tempels, wie es Choiseul-Gouffier vorschlug, zogen sie jedoch nicht in Betracht.
Abb. 34: Rekonstruierter Grundriss des hellenistischen Apollontempels (John P. Gandy, 1812). Im Übrigen wunderten sich Gell, Gandy und Bedford zu Recht über die niedrigen Architrave des Apollontempels. Sie wären viel zu klein für den Tempel. Diese Schlussfolgerung war richtig, weil bis zum damaligen Zeitpunkt noch keine Architrave und sonstige Gebälkteile ausgegraben waren, die von den äußeren Säulen des Tempels stammten. Alles, was man kannte, waren die Architrave auf den beiden stehenden Säulen der Nordseite. Bei ihnen handelt es sich jedoch um Säulen der inneren Säulenreihe, auf denen niedrige Architrave mit nur zwei Fascien lagen, die gleichzeitig 84
William Gell, John P. Gandy und Francis Bedford – 1812
zur Kassettendecke gehörten (siehe das Kapitel zu Chandler, Revett und Pars). Diese Architrave waren freilich zu niedrig als Außenarchitrave, die – wie üblich – drei Fascien besaßen. Aber solche sollten erst bei den französischen Ausgrabungen am Ende des 19. Jhs. zutage treten (siehe das Kapitel zu Haussoullier und Pontremoli). Am Ende des Jahres 1812 kehrten William Gell, John P. Gandy und Francis Bedford von Kleinasien nach Athen zurück und im Frühjahr 1813 segelten sie heim nach England. Die drei Engländer erfüllten ihren Missionsauftrag, die Ergebnisse der ersten Expedition zu überprüfen und Fehler zu beseitigen. Besonders wichtig wurde für die nächste Zeit und bis heute ihr Lageplan von Didyma. Denn er zeigt, wie stark Jeronda damals schon wieder besiedelt war.
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Apollonheiligtum von Didyma
William Turner – 1815 Das Leben Turners – Reise nach Konstantinopel – Von dort ins östliche Mittelmeer – Die beschwerliche Anreise nach Didyma – Beschreibung von Jeronda – Die Kapelle des heiligen Merkurios und die Hauptkirche des heiligen Charalambos – Rückreise über Smyrna und Konstantinopel nach London Auch Laien können wichtige Beiträge für die Forschung leisten, nicht zuletzt, weil sie oft mehr Enthusiasmus für eine Sache entwickeln als Wissenschaftler, die vielleicht aus Karriere- oder gar aus Gewinnsucht an etwas arbeiten. William Turner war ein solcher „Laie“. Als einziger Besucher Didymas hinterließ er eine Beschreibung des Ortes Jeronda aus dem Jahr 1815. Turner war nicht als Gelehrter gekommen, sondern als Reisender, der sich für die antiken Ruinen interessierte, aber darüber hinaus ein Faible für die Sitten, Gewohnheiten und Traditionen der Einheimischen hatte. In seinem später verfassten Werk liefert Turner außerdem wirtschaftliche und demographische Daten der von ihm bereisten Gegenden, die heute noch nützlich sind. Für derartige Beobachtungen hatten viele Forscher mit ihren Spezialinteressen damals und heute keinen Blick. Am 5. September 1792 wurde William Turner in Yarmouth (heute Great Yarmouth, Norfolk) geboren. Sein Vater Richard Turner war ein Freund von George Canning, des bedeutenden Politikers, der es sogar bis zum Premierminister brachte. Canning sorgte dafür, dass William Turner bereits 1811 in den diplomatischen Dienst eintreten konnte. Der britische Botschafter im Osmanischen Reich, Robert Liston, ermöglichte Turner von 1812 bis 1817 mehrere ausgedehnte Reisen nach Griechenland und in den Orient. Dabei gelangte er im Dezember 1815 auch nach Didyma. Nachdem Turner 1817 nach England zurückgekehrt war, wurde er 1824 noch einmal als Sekretär der britischen Botschaft nach Konstantinopel berufen. Anschließend wirkte er von 1829 bis 1838 als britischer Gesandter in Kolumbien. Danach ist über Turners Leben wenig bekannt. Er starb am 10. Januar 1867 in Leamington Spa (Warwickshire). William Turner war als Diplomat und Schriftsteller tätig. Sein wichtigstes Werk mit dem Titel „Journal of a Tour in the Levant“ erschien 1820 und beinhaltet in Tagebuchform die Erlebnisse seiner Reisen von 1812 bis 1817. Wie schon erwähnt, werden darin Land und Leute sowie die antiken Ruinen ausführlich beschrieben. Überdies sind viele farbige Zeichnungen beigefügt.
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William Turner – 1815
Am 8. April 1812 stach William Turner mit der „Argo“ von Portsmouth aus in See. Über Cadiz und Gibraltar fuhr das Schiff weiter nach Sizilien und Malta und steuerte anschließend einige griechische Inseln der Ägäis an. Turner segelte aber nicht direkt nach Konstantinopel weiter, um seinen Posten bei der britischen Botschaft anzutreten, sondern verließ die „Argo“ am 22. Juni 1812 an den Dardanellen. Am 28. Juni gelangte er auf dem Landweg nach Konstantinopel (Abb. 35).
Abb. 35: Konstantinopel. Blick von Pera (Galata-Viertel) über das Goldene Horn zum Sultanspalast und zur Hagia Sophia (rechts im Mittelgrund). Links im Mittelgrund die asiatische Seite (Duc de Valmy, 1826). Ein wichtiges Ereignis für Turner als Botschaftsangestellter war eine Audienz beim Sultan Mahmud II., den er zusammen mit dem britischen Botschafter besuchen durfte. Dabei erlebte er, wie die Janitscharen, die Elitetruppe und Leibgarde des Sultans, ihr Frühstück erhielten. Dies glich einem Wettkampf: Das Kommando zum Beginn der Essensausgabe war ein lauter Schrei. Daraufhin rannten alle Janitscharen los. Wer schnell war, bekam zwei oder drei Portionen Reis und von den langsamen erhielten manche gar nichts. Nachdem die britische Gesandtschaft unzählige prunkvolle Räume durchschritten hatte, wurde sie zu dem 28-jährigen Sultan Mahmud II. vorgelassen. Ihn beschreibt Turner als den hübschesten Türken, den er je gesehen hatte. Außerdem war er von rund 200 Eunuchen umgeben. Die Audienz dauerte nur zehn Minuten. Der Botschafter brachte sein Anliegen auf Französisch vor und dies wurde ins Türkische übersetzt und umgekehrt. Im Osmanischen Reich und in Europa herrschten 1812 unruhige Zeiten. Der französische Kaiser Napoleon Bonaparte befand sich im August auf seinem Feldzug gegen Russland. Der englische Botschafter sollte einen Friedensvertrag zwischen Russland und dem Osmanischen Reich ver-
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Apollonheiligtum von Didyma
mitteln. Napoleon hatte dagegen Gesandte geschickt, die dies verhindern sollten, um Russland zu schwächen. Schließlich wurde der Frieden zwischen Russen und Osmanen aber geschlossen. Die Stadt Konstantinopel und andere Gegenden des Osmanischen Reiches hatten zu dieser Zeit aber noch ein anderes Problem: Die Pest grassierte und forderte tausende Opfer. 1812/13 starben laut William Turners Angaben in Konstantinopel 220000 Türken an der Pest, 40000 Armenier, 32000 Juden, 28000 Griechen und 155 Personen anderer Nationalität. Das war ohne Zweifel eine Katastrophe, die jedoch zu dieser Zeit im Osmanischen Reich immer wieder einmal auftrat. Deshalb hatten schon Chandler, Revett und Pars 1764 Smyrna nicht anlaufen können und mussten die Stadt 1765 schnell wieder verlassen, da abermals die Pest ausgebrochen war (siehe das entsprechende Kapitel). Am 20. Februar 1815 brach William Turner zu einer langen Reise von Konstantinopel auf. Sie führte ihn zunächst in den Nahen Osten. Über Rhodos und Zypern gelangte er ins Heilige Land, wo er u. a. Galiläa, Samaria und Judäa bereiste. Anschließend führte ihn sein Weg nach Ägypten. Erst Ende November 1815 begab sich Turner wieder auf den Rückweg. Von Alexandria aus fuhr er über Zypern und Rhodos zur Insel Kos, wo er am 10. Dezember ankam. Auf dieser Insel lebten seinen Angaben zufolge damals 5000 Türken und 3000 Griechen; heute sind es etwa 31000 Griechen und 2000 Türken. William Turner setzte am 18. Dezember 1815 von der Insel Kos auf das Festland nach Bodrum über. Auf dem Landweg kamen Turner und sein griechischer Diener George am 23. Dezember nach Melasso (heute Milas, im Altertum Mylasa). George war ein Grieche und hieß wohl eher Georgios. Für Turner arbeitete er als sogenannter Dragoman, womit man Dolmetscher im Osmanischen Reich und im Orient bezeichnete. Von Mylasa aus wollten die beiden weiter nach Norden, u. a. nach Didyma und Milet. Doch auf dem Landweg sei das im Winter wegen Nässe und Überflutungen nicht möglich, erfuhren sie von den Einheimischen. Deshalb ritten Turner und sein Dragoman am 27. Dezember zum nächsten Hafen am Golf von Iasos. Nach fünf Stunden kamen sie dort an und mieteten ein kleines Schiff für ihre Weiterfahrt. Das Boot war 25 Fuß lang (etwa 8 m) und wurde von einem Griechen und seinen beiden Söhnen bedient. Turner und sein Diener George bestiegen das Schiff noch am selben Tag und segelten nach Iasos. Zum Besichtigen der antiken Ruinen war es zu spät und außerdem regnete es ohne aufzuhören. Das Boot hatte eine kleine Kammer unter Deck und dort machte es sich Turner auf den Ballaststeinen bequem. Zu essen gab es nicht viel, weil sich die Griechen noch in der vorweihnachtlichen Fastenzeit befanden. Bei ihnen standen hauptsächlich Oliven, Fisch und Brot auf dem Speiseplan, wie Turner berichtet. Am nächsten Tag besichtigte er trotz alledem Iasos und fertigte auch eine Karte davon an. Mittags war Turner fertig und das Boot setzte seine Fahrt nach Norden fort, um in einer Bucht zu ankern. Am 29. Dezember war es so weit, William Turner und seine Begleiter näherten sich Didyma. Nachdem sie bei günstigem Wind um 2 Uhr nachts losgesegelt waren, wachte Turner um halb 88
William Turner – 1815
acht auf, als sie sich an der Südküste der Milesischen Halbinsel befanden. Um halb neun gingen sie wahrscheinlich in der „Ta Kokkina“ genannten Bucht vor Anker. Sie liegt wenig südlich des antiken Hafens von Didyma (Karte 2). Ihren Namen erhielt die Bucht „Ta Kokkina“ von der roten Erde, die östlich von ihr ansteht und auch sonst für die Milesische Halbinsel typisch ist; denn „kokkinos“ bedeutet auf Neugriechisch „rot“. Von „Ta Kokkina“ bis Didyma (Jeronda) sind es knapp vier Kilometer. Turner schreibt, dass sein Kapitän „Reis“ (ironisch so benannt nach dem berühmten türkischen Seefahrer Piri Reis) meinte, in einer Viertelstunde werden er und George in Jeronda sein. Das stimmte aber nicht, denn über eine Stunde liefen sie über schlammige Felder, und der Dreck an ihren Schuhen nahm bei jedem Schritt zu. Deshalb ließ sich Turner zu der Bemerkung hinreißen, dass er sich an keinen Mann im Osmanischen Reich erinnern kann, der jemals eine Entfernung richtig eingeschätzt hätte. Als Turner in Jeronda ankam, ging er als erstes in ein Kaffeehaus, um sich zu erholen und zu stärken. Immerhin bekam er dort ein „gutes Dinner mit exzellentem Fisch“. Anschließend beschreibt er in seinem „Journal of a Tour in the Levant“ den Ort. Von den Türken werde das Dorf „Yoran“ genannt und von den Griechen „Yeronta“. Wie schon erwähnt, gehen beide Namen auf die Bezeichnung „Hieron“ für „Heiligtum“ zurück (siehe das Kapitel zu Cyriacus von Ancona). Turner überliefert mit „Yoran“ erstaunlicherweise den Namen des Ortes, der noch heute in Gebrauch ist. Weiterhin berichtet Turner, dass der Vorsteher von Jeronda ein Grieche sei, der dem Aga von Söke untersteht und in Scala Nuova (heute Kuşadası) residiert. Die folgende Beschreibung des Dorfes fällt wenig vorteilhaft aus: „Es besteht aus 90 miserablen Hütten aus Stein und einer armseligen Kirche“. Ausführlicher widmet sich Turner den antiken Hinterlassenschaften. An erster Stelle nennt er natürlich die Reste des Apollontempels. Die Mitte des Dorfes werde von zwei gigantischen ionischen Säulen gebildet, die noch über Architrave verbunden seien. Außerdem lägen überall Bauteile des Tempels herum. Etwa 400 Schritte nordwestlich von Jeronda sah Turner einen großen gemauerten Bogen mit einem Mauerstück aus der Erde ragen. Aufgrund der Bauweise aus kleineren Blöcken, die mit Mörtel versetzt sind, datierte er diese Ruine richtig in römische Zeit. Bei späteren Ausgrabungen ergab sich, dass es sich um eine Thermenanlage handelte (siehe das Kapitel zu Naumann). Etwas weiter im Nordwesten wurden Turner die Statue eines Löwen und zwei Sitzstatuen gezeigt, die noch halb in der Erde steckten. Er erkannte allerdings nicht, dass sie sich an der Heiligen Straße befanden, die von Milet nach Didyma führte. Drei Jahre zuvor hatte William Gell eine Karte des Gebiets angefertigt, auf der noch mehr Statuen verzeichnet sind (siehe das Kapitel zu Gell, Gandy und Bedford). Neben dieser Beschreibung von Bekanntem schildert William Turner zwei Kirchenbauten, die für die neuzeitliche Kirchengeschichte von Didyma/Jeronda wichtig sind. Rund 400 Schritte südwestlich des Dorfes, sah er einen „offenen Platz ohne Mauern und Dach, der als Einfriedung für 89
Apollonheiligtum von Didyma
eine Kirche diente und 15 Quadratfuß groß war“. Wahrscheinlich wird es sich um eine kleine Kapelle gehandelt haben, die aber sicher größer war als die von Turner angegebene Abmessung. Dieser Bau bestand aus Bauteilen des Apollontempels. In seinem Fußboden befand sich eine kleine Säule, die nur vier Fuß herausragte und eine Inschrift trug. Diese Inschrift schrieb Turner ab. Sie wurde in den folgenden Jahren noch mehrmals gesehen und dokumentiert. Aber seit dem Ende des 19. Jhs. ist sie wie viele andere verschwunden. Die zweite Kirche lag laut Turner in der Mitte von Jeronda. Sie wird ebenfalls als offener Platz geschildert, dessen Einfriedung wiederum aus Bauteilen des Apollontempels bestand. Sie soll 18 x 15 Fuß groß gewesen sein. Auch hier kopiert er eine Inschrift, die heute verschollen ist, aber Mitte des 19. Jhs. noch gesehen wurde. William Turner beschrieb also zwei „Kirchen“, wobei die eine im Ort lag und die andere etwa 200 m südwestlich davon. Er charakterisiert diese Bauten ziemlich abwertend, wie ja überhaupt die Bauten Jerondas von ihm nicht besonders wertgeschätzt wurden. Bekannt ist, dass das etwa 1780 gegründete Dorf zu Turners Zeiten schon aus 90 Häusern bestand. Eine genaue Ansicht des Ortes fertigte 1820 Pierre-Anne Dedreux an. Darauf sind viele einstöckige Häuser mit Flachdächern zu sehen. Vermutlich werden die beiden von Turner beschriebenen Kirchen so ähnlich ausgesehen haben. Bei der Kirche in Ortsmitte wird es sich um die 1830 erneuerte Hauptkirche gehandelt haben, die heute als Moschee genutzt wird. Auf Dedreux’s Zeichnung ist sie folglich noch nicht zu erkennen (siehe das Kapitel zu Dedreux, Donaldson und Huyot). Turner erwähnt eine zweite Kirche südwestlich von Jeronda. An dieser Stelle ist auf der Karte von William Gell von 1812 bereits eine Kirche eingezeichnet (Karte 4). Auf den späteren Karten der deutschen Forscher um 1900 wird diese Kapelle als die des heiligen Charalambos bezeichnet. Diese Identifizierung ist aber falsch. Ein weiteres Manko bezüglich der neuzeitlichen Kirchenlandschaft von Didyma/Jeronda betrifft die einstige Hauptkirche des Ortes. Von ihr scheint nicht bekannt zu sein, wem sie geweiht war. Das ist ein unbefriedigender Zustand nach über 100 Jahren deutscher Forschung dort. Abhilfe bringen hier die antiken Inschriften Didymas, die als Baumaterial für die Häuser und die Kirchen der griechischen Neusiedler im 18. und 19. Jh. zahlreiche Verwendung fanden. Die zwei von William Turner gefundenen Inschriften wurden 1843/44 noch einmal von Philippe le Bas dokumentiert. Der französische Altertumsforscher war ein hervorragender Epigraphiker, der während seines Aufenthalts in Didyma viele Inschriften kopierte. Le Bas erwähnt zwei Kirchen in Didyma, in denen Blöcke mit antiken Inschriften verbaut sind. Eine wäre dem heiligen Charalambos geweiht und die andere dem heiligen Merkurios. Aus den kurzen Beschreibungen Le Bas’ geht eindeutig hervor, dass es sich bei der Kirche im Ort um die des heiligen Charalambos handelt. Zur Lage der Kirche des heiligen Merkurios macht Le Bas dagegen keine Angaben. Interessant ist nun, dass die beiden Inschriften Turners in jeweils einer der Kirchen verbaut waren, wie Le Bas schreibt. Allerdings würde sich gemäß Turner die Kirche des heiligen Cha90
William Turner – 1815
ralambos südwestlich des Ortes befinden und die des heiligen Merkurios im Ort. Das ist aber unmöglich, was spätere Angaben des Franzosen Bernard Haussoullier und des Deutschen Albert Rehm belegen. Sie beschäftigten sich vom Ende des 19. Jh. bis in die erste Hälfte des 20. Jhs. ausführlich mit den Inschriften Didymas. Unter Benutzung der Arbeiten von Haussoullier konnte Rehm schließlich die maßgebliche Monographie zu diesem Thema Didymas erstellen (siehe das Kapitel zu Haussoullier und Pontremoli). Beim genauen Studium dieses Bandes wird deutlich, dass Albert Rehm davon überzeugt war, dass man die Hauptkirche von Didyma/Jeronda dem heiligen Charalambos geweiht hatte (Karte 4). Diese Erkenntnis war den beiden deutschen Geographen, Paul Wilski und Walter von Marées, die 1900 und 1906 jeweils eine Karte von Didyma und seiner Umgebung erstellten, verborgen geblieben. Und noch heute geht man deshalb davon aus, die Kapelle des heiligen Charalambos hätte sich südwestlich von Jeronda befunden. Die Existenz einer dem heiligen Merkurios geweihten Kapelle ist hingegen ganz in Vergessenheit geraten. Durch die Beobachtungen Turners (obwohl eine Verwechslung) und denen von Le Bas sowie denen von Haussoullier und Rehm kann man Folgendes klar erkennen: Die größte Kirche von Didyma nördlich des ehemaligen Apollontempels und südlich des Artemistempels hatte man dem heiligen Charalambos geweiht. Charalambos war der Überlieferung nach Bischof von Magnesia am Mäander im 2. Jh. n. Chr. Die Ruinen dieser bedeutenden antiken Stadt befinden sich etwa 50 Kilometer nordöstlich von Didyma (Karte 1). Charalambos erlitt am Anfang des 3. Jhs. n. Chr. das Martyrium unter dem römischen Kaiser Septimius Severus (193–211 n. Chr.), und zwar im kleinasiatischen Antiochia in Pisidien. Er ist ein wichtiger Heiliger in der griechisch-orthodoxen Kirche. Sein Gedenktag ist der 10. bzw. 23. Februar. Und so war es auch in Didyma/Jeronda. Denn im Tagebuch der deutschen Ausgräber vom Samstag, dem 23. Februar 1907, findet sich folgender Eintrag: „Griechischer Feiertag (heiliger Charalambos). Es wird nicht gearbeitet“. Heute sind die Reste der zweiten, von Turner gefundenen Kirche etwa 250 m südwestlich des Apollontempels auf einem Feld zu sehen. Dort lag die Kapelle des heiligen Merkurios. Er war ebenfalls ein Märtyrer aus Kleinasien. Der Soldat Merkurios wurde um 225 n. Chr. geboren und soll 250 n. Chr. in Caesarea (heute Kayseri) in Kappodokien geköpft worden sein. Damals gab es die bis dahin schwersten Christenverfolgungen unter dem römischen Kaiser Decius (249–251 n. Chr.). William Turner macht noch eine weitere Angabe zu den Kirchen von Didyma/Jeronda, die von Bedeutung ist: Er fragte nämlich seinen Führer, warum man an den beiden genannten Stellen Kirchen errichtet habe. Der Grieche antwortete, weil es dort schon im Altertum Kirchen gab. Diese Beobachtung ist richtig, denn sowohl unter der Kapelle des heiligen Merkurios als auch unter der Hauptkirche des heiligen Charalambos existieren Reste spätantiker Kirchenbauten. Sie wurden allerdings nie archäologisch untersucht (siehe das Kapitel zu Chishull). Bei Ausgrabungen fand man jedoch unter der Friedhofskapelle von Jeronda (bisher fälschlich dem heiligen Georgios zugeschrieben) ebenfalls Reste einer spätantiken Kirche (siehe das Kapitel zu Bumke). 91
Apollonheiligtum von Didyma
Die Angaben von Turners Führer zeigen, dass die Griechen in Didyma am Ende des 18. Jhs. noch gut erhaltene Ruinen byzantinischer Kirchen vorfanden, auf oder in denen sie ihre neuen Kirchen einrichteten. Genau das bestätigen die Beobachtungen von Chandler, Revett und Pars aus dem Jahr 1764. Denn sie hatten in der Nähe des Apollontempels mehrere eingestürzte Kapellen gesehen (siehe das Kapitel über sie). Am Abend des 29. Dezember 1815 saß Turner bei den Griechen im Kaffeehaus. Dort erzählten sie ihm einige Geschichten, die dem Engländer kaum glaubwürdig erschienen. Eine von ihnen lautete folgendermaßen: Wie alle wissen, verreisen die Engländer gern. Das Ziel ihrer Reisen sind Orte, an denen Schätze versteckt sind. Dieses Wissen haben die Engländer aus ihren vielen Büchern. Wenn sie dann einen Schatz gefunden haben, verwandeln sie ihn durch Zauberkunst in Fliegen. Die Insekten lassen sie nach England in ihre Häuser fliegen, wo sich die Fliegen in Geld zurückverwandeln. So absurd diese Geschichte auch scheinen mag, sie passt zu der heute noch vorhandenen Auffassung mancher Türken (und Griechen), dass unter antiken Tempeln unermessliche Schätze versteckt wären. Vom Apollontempel in Didyma wird dies ebenso vermutet. Vor ein paar Jahren wurden im Tempel Messungen mit Radar vorgenommen, um über die Beschaffenheit seiner Fundamente und des Felsens darunter Aufschlüsse zu erhalten. Die Messungen erfolgten mit einem Staubsauger ähnlichen Gerät, das über mehrere Kabel mit einer „Bodenstation“ verbunden war. Dieses Geschehen erregte die Aufmerksamkeit der Einheimischen, denn sie glaubten, es werde der Tempelschatz gesucht. Einer von ihnen nahm dabei den Autor heimlich beiseite und fragte unauffällig, ob denn der Schatz schon gefunden sei. Eine Antwort darauf war schwierig, weil die Anfrage eher wie ein Scherz klang. Doch er bekräftigte seine Frage und ließ nicht locker. Der Schatz wurde damals jedenfalls nicht gefunden. Immerhin bewies die Reaktion der Einheimischen, dass ihn bis dahin noch niemand anders entdeckt hatte. Eine weitere Geschichte wurde Turner im Kaffeehaus erzählt, die tatsächlich einen gewissen Wahrheitsgehalt aufweist: Das ganze Wissen der Engländer stamme von den (byzantinischen) Griechen aus Konstantinopel. Damit hatten die Griechen aus Jeronda nicht unrecht, denn zu Zeiten des Byzantinischen Reiches gelangten viele Bücher antiker Autoren von Konstantinopel nach Europa, vor allen Dingen nach Italien. Diese Schriften, wie z. B. die des antiken Geographen Strabon, waren bis ins hohe Mittelalter in Europa unbekannt. Erst mit ihrer Kenntnis war es den Europäern möglich, die antiken Ruinenstätten auf ihren Reisen namentlich zu identifizieren (siehe das Kapitel zu Cyriacus von Ancona). Die Nacht des 29. Dezember 1815 durfte Turner im einzigen „ordentlichen“ Haus von Jeronda zusammen mit seinem Diener George und dem Bootskapitän verbringen. In der Morgendämmerung des folgenden Tages brach Turner zu Pferd nach Milet auf. Dafür benutzte er den Weg, der heute die Straße bildet: Turner ritt erst drei Stunden die Küste nach Norden und dann noch eine Stunde nach Osten. In Milet (damals Palatia) sah er viele Ruinen, aber einzig die des Theaters sei 92
William Turner – 1815
wirklich sehenswert. In Palatia wollte Turner zu Mittag etwas essen, fand aber keine Einwohner vor. Alle Männer wären draußen zur Arbeit und die Frauen kamen nicht aus ihren Häusern. Dennoch hatte Turner ein erfreuliches Erlebnis. Eine „hässliche alte Türkin“ getraute sich doch heraus und gab ihm ein Maisbrot. Turner wollte sie bezahlen, aber sie nahm sein Geld nicht. Danach ritt Turner zum nahen Mäander. Dort gab es eine Fähre zum Übersetzen, aber die brauchte er nicht. Denn er wollte über den 70 Fuß (etwa 23 m) breiten Fluss schwimmen. Die türkischen Fährleute und sein Diener George rieten ihm davon ab. Turner ließ sich jedoch nicht davon abbringen und bat sie seine Kleidung und seine Pistole zu bewachen. Weil das Wasser sehr schlammig war und tatsächlich eine starke Strömung hatte, schwamm er nur bis in die Mitte des Flusses und kehrte wieder um. Diese Episode passt zu Turners überliefertem Versuch, den Hellespont (heute die Dardanellen) zu durchschwimmen. Allerdings scheiterte er dabei ebenso, obwohl diese Aufgabe weitaus schwieriger war, als den Mäander zu durchqueren. Am Mittag des 30. Dezember ritten Turner und seine Begleiter zurück nach Jeronda, wo sie um viertel nach drei ankamen. Dort verbrachten sie den Rest des Tages im Kaffeehaus. Bei Sonnenuntergang begaben sie sich zum Hafen, um im Boot zu schlafen. Eine Stunde nach Mitternacht war der Wind günstig und sie legten ab. Ihr Weg führte sie zu den Inseln Patmos und Samos und von dort in den Hafen von Scala Nuova (heute Kuşadası). Vorbei an den Ruinen von Ephesos gelangten sie am 16. Januar 1816 nach Smyrna (heute Izmir). William Turner überliefert von Smyrna die Zusammensetzung seiner Bevölkerung: Von den etwa 100000 Einwohnern wären zwischen 50000 und 60000 Türken, 30000 Griechen, 8000 Armenier, 8000 Juden und zwischen 2000 und 3000 Franken, also Mittel- und Westeuropäer. Einige Jahrzehnte zuvor hatte Graf von Choiseul-Gouffier (1776) die Gesamtzahl der Bevölkerung Smyrnas ebenfalls mit 100000 angegeben (siehe das Kapitel zu Choiseul-Gouffier). Warum gab es kein Wachstum? Vom November 1813 bis zum Juli 1814 hatte die Pest gewütet und zwischen 50000 und 60000 Opfer gefordert. Nach weiteren Stationen traf William Turner am 4. Februar 1816 wieder in Konstantinopel ein. Am 28. Oktober desselben Jahres verließ er vorerst endgültig die Hauptstadt des Osmanischen Reiches und gelangte am 1. Februar 1817 mit dem Schiff nach Triest. Von dort kam er auf dem Landweg nach Calais, setzte mit der Fähre nach Dover über und erreichte schließlich am 8. April 1817 London, und zwar exakt fünf Jahre nach seiner Abfahrt in Portsmouth. Obwohl William Turner kein Gelehrter war, gelangen ihm einige bedeutende Beobachtungen zu Didyma/Jeronda. Seine Vorgänger interessierten sich meist nur für den Apollontempel. Turner hingegen beschreibt als erster die römische Thermenruine. Aber er stellte auch den Kontakt zu den Einheimischen her und nutzte ihr Wissen. Turner berichtet von zwei noch jungen Kirchenbauten, in denen antike Inschriften verbaut waren. Bei ihrer Dokumentation unterlief ihm eine Verwechslung. Dennoch trug sie dazu bei, die Weihung der Hauptkirche an den heiligen Charalambos und die einer Kapelle im Südwesten an den heiligen Merkurios zu bestätigen. 93
Apollonheiligtum von Didyma
Pierre-Anne Dedreux, Thomas L. Donaldson, Jean-Nicolas Huyot – 1820 Der berühmte Architekt und Archäologe Charles R. Cockerell in Didyma – Reise von Dedreux, Donaldson und Huyot nach Didyma – Die Funktion des Zweisäulensaales und der „Labyrinthoi“ – Die Verkündigung der Orakel – Eine großzügige Elfenbein-Spende aus Ägypten – Zur hellenistischen dorischen Säulenhalle – Donaldsons und Huyots Wirken als Architekten Im 19. Jh. machten sich viele Reisende nach Westkleinasien auf. Über alle zu berichten, die Didyma erreichten, würde zu weit führen. Somit sollen nur die Forscher herausgegriffen werden, die etwas Bedeutsames feststellten oder dauerhafte Spuren in Didyma hinterließen. In diesem Zusammenhang ist ein berühmter Besucher Didymas zu erwähnen: Charles Robert Cockerell. Der englische Architekt (1788–1863) war auch als Archäologe tätig, allerdings nicht in Didyma. Zusammen mit dem Deutschen Carl Haller von Hallerstein entdeckte er 1811 auf der griechischen Insel Ägina Marmorskulpturen, die sich heute in der Münchner Glyptothek befinden. Dabei handelt es sich um Figuren aus den Giebeln des Tempels für die Göttin Aphaia. Sie wurden um 500 v. Chr. geschaffen und sind die bekanntesten Beispiele griechischer Plastik aus der Zeit, wo die Spätarchaik endete und der sogenannte strenge Stil begann. Ein Jahr später (1812) kam Cockerell nach Didyma und begeisterte sich für die Überreste des Apollontempels. Er fertigte Zeichnungen an, die zwar für die Erforschung des Ortes kaum von Belang sind, aber für seine Tätigkeit als Architekt sehr wichtig wurden. Besonderen Eindruck hinterließen bei Cockerell die Greifen auf den Pilasterkapitellen und auf dem Fries des Innenhofes. Reliefs mit ähnlichen Greifen platzierte er an seinem vielleicht bekanntesten Bauwerk, dem heutigen Ashmolean Museum in Oxford, welches zwischen 1839 und 1845 errichtet wurde (Abb. 36).
Abb. 36: Oxford, Ashmolean Museum. Relief mit zwei Greifen, die denen der Pilasterkapitelle und des Frieses im Sekos des hellenistischen Apollontempels von Didyma nachempfunden sind. 94
Pierre-Anne Dedreux, Thomas L. Donaldson, Jean-Nicolas Huyot – 1820
Für die Erforschung Didymas ist Cockerell dennoch wichtig, wenn auch auf Umwegen: Er veröffentlichte zusammen mit Kollegen einen Ergänzungsband der Reihe „Antiquities of Athens“. Der erste Band war bereits 1762 erschienen und von James Stuart sowie Nicholas Revett verfasst worden. Letzterer hatte 1764 Didyma besucht und die Ergebnisse seiner Reise erschienen 1769 (siehe das Kapitel zu Chandler, Revett und Pars). Charles R. Cockerell publizierte u. a. mit einem weiteren englischen Architekten, Thomas L. Donaldson, 1830 den letzten Band der „Antiquities of Athens“. Darin ist ein kurzer Abschnitt über Didyma enthalten, den jedoch Donaldson verfasste. Dieser Absatz von Thomas Leverton Donaldson ist erwähnenswert, weil er einen wichtigen Hinweis zu einem noch nicht gefundenen Bauwerk in Didyma enthält, den bisher niemand beachtete. Doch dazu weiter unten. Über das Leben von Thomas L. Donaldson ist nicht viel bekannt. Am 19. Oktober 1795 wurde er in London geboren, wo er am 1. August 1885 im Alter von fast 90 Jahren starb. Er war von antiker Architektur begeistert und bereiste von 1818 bis 1823 Italien, Griechenland und Kleinasien. Auf dieser Reise traf der englische Architekt 1820 zwei französische Architekten, nämlich Jean-Nicolas Huyot und Pierre-Anne Dedreux. Zusammen mit ihnen besichtigte Donaldson einige Stätten Kleinasiens, wahrscheinlich auch Didyma. Mit Huyot und Dedreux begann 1820 ein von französischen Forschern geprägtes Jahrhundert in Didyma. 1835 folgte ihnen Charles Texier. 1873 fanden unter Albert Thomas und Olivier Rayet schließlich die ersten Ausgrabungen in Didyma statt, die 1895/96 von Bernard Haussoullier und Emmanuel Pontremoli fortgeführt wurden (siehe die entsprechenden Kapitel). Der Architekt Jean-Nicolas Huyot wurde 1817 vom Grafen von Forbin eingeladen zu einer Reise in die Levante. Am 22. August 1817 stach die „Kleopatra“ von Toulon aus in See und erreichte am 2. September die griechische Insel Melos. Die Expedition stand anfangs unter keinem guten Stern, denn noch auf See war am 30. August der Maler Cockereau gestorben. Huyot hatte ebenfalls Pech: Zwei Tage nach der Ankunft auf Melos besichtigte er mit großem Eifer das antike Theater. Dabei sprang er über einen Marmorblock und brach sich ein Bein. Es war ein komplizierter Bruch, sodass der Graf von Forbin ihn nach Smyrna brachte. Dort wurde Huyot von Kapuzinermönchen in mehreren Monaten wieder gesund gepflegt. Im März 1818 war Jean-Nicholas Huyot so weit genesen, dass er einen Ausflug nach Ephesos unternehmen konnte. Über Pergamon und andere antike Stätten reiste er im April 1818 weiter nach Konstantinopel. Schließlich brach Huyot im September 1818 nach Ägypten auf, wo er ein Jahr verbrachte. In Ägypten nutzte der Franzose die Zeit nicht nur für architektonische Studien, sondern er kopierte auch zahlreiche Hieroglyphen-Inschriften. Diese übersandte er anschließend Jean-François Champollion in Paris. Champollion erlangte im Jahr 1822 Berühmtheit, nachdem er als erster die ägyptischen Hieroglyphen entziffert hatte. Dabei halfen ihm zwei Kartuschen mit Pharaonennamen, die Huyot für ihn kopiert hatte. 95
Apollonheiligtum von Didyma
Über Huyots Reisewege ist nicht viel bekannt. Aber jedenfalls erreicht er zwischen Ende September und November 1819 Smyrna. Etwas später, zwischen Januar und April 1820, trifft er dort den französischen Architekten Pierre-Anne Dedreux. Huyot und Dedreux starten am 11. April 1820 zu einer viermonatigen Reise durch Westkleinasien, auf der sie der schon erwähnte englische Architekt Thomas L. Donaldson zeitweise begleitete. Jean-Nicholas Huyot verfasste dazu einen Reisebericht auf 325 Folio-Blättern (entspricht etwa dem A4-Format). Dieser wird zusammen mit mehr als 300 Zeichnungen in der französischen Nationalbibliothek aufbewahrt. Beides blieb bis heute größtenteils unveröffentlicht. Bekannt ist aber, dass Huyot und Dedreux über die antiken Ruinenstätten Ephesos, Teos, Magnesia am Mäander, Priene und Herakleia am Latmos nach Milet und Didyma reisten. Von dort aus begaben sie sich u. a. über Iasos, Halikarnassos (heute Bodrum) bis nach Telmessos (heute Fethiye), den südlichsten Punkt ihrer Expedition (Karte 1). Durch die antike Landschaft Karien ritten sie wieder zurück nach Smyrna, wo sie am 20. Juli 1820 angelangten. Ihr Weg führte die beiden Franzosen weiter nach Athen, wo sie bis Dezember 1820 blieben. Anfang des Jahres 1821 reisten sie auf die Peloponnes und im Juli 1821 nach Rom. Schließlich waren sie 1822 wieder in Paris zurück. Nach dem Urteil späterer Forscher machte Jean-Nicholas Huyot 1820 die bis dahin besten architektonischen Studien zum Apollontempel in Didyma. Aber sie sind bis heute „vergraben“ in der Nationalbibliothek von Frankreich in Paris. Deshalb sind die Untersuchungen Huyots weitgehend unbekannt. Wären sie im 19. Jh. veröffentlicht worden, hätten sie sicher viel Aufsehen erregt und die Forschung vorangebracht. Einige Zeichnungen von Huyot und von Dedreux wurden jedoch 1838 publiziert, und zwar in dem Buch „Voyage de l’Asie Mineure“ von Léon de Laborde. Darunter ist eine Ansicht von Didyma, die Pierre-Anne Dedreux zeichnete (Abb. 37).
Abb. 37: Jeronda und die Ruine des Apollontempels von Südosten (Pierre-Anne Dedreux, 1820). Sie zeigt eine der ältesten bekannten Gesamtansichten des Ortes Jeronda mit vielen interessanten Details. Von Südwesten aus überblickt man die Siedlung mit den Ruinen des Apollontempels im Zentrum. Auf dem Schutthügel hinter den drei Säulen ist die im Spätsommer 1812 erbaute Wind96
Pierre-Anne Dedreux, Thomas L. Donaldson, Jean-Nicolas Huyot – 1820
mühle zu sehen (siehe das Kapitel zu Gell, Gandy und Bedford). Im Hintergrund sind drei weitere Windmühlen zu erkennen, die von einer wachsenden landwirtschaftlichen Nutzung des Gebietes und einer größeren Anzahl von Bewohnern zeugen. Eine Kirche ist dagegen auf der Zeichnung nicht dargestellt, weder nördlich der Tempelruine die Kirche des heiligen Charalambos noch eine der Kapellen. Dennoch sind auf der Umgebungskarte von William Gell von 1812 die größere Hauptkirche sowie mehrere Kapellen verzeichnet (Karte 4). Sie muss es also gegeben haben. Aber auf Dedreux’s Zeichnung sind nördlich des Apollontempels, wo sich die Hauptkirche befand, nur einstöckige Gebäude mit Flachdächern vorhanden. Somit kann man aus diesen Hinweisen schließen, dass es die Charalambos-Kirche sicherlich gab, aber sie anscheinend kein besonders aufwändiger Bau war. Erst 1830 wurde an ihrer Stelle eine größere Kirche mit zentraler Kuppel errichtet, die heute noch existiert und als Moschee genutzt wird (siehe das Kapitel zu Chishull). Neben der Gesamtansicht Didymas von Dedreux ist von Huyot ein rekonstruierter Grundriss des Apollontempels veröffentlich worden. Einen solchen Grundriss zu erstellen war ein schwieriges Unterfangen, da der hellenistische Bau noch nicht ausgegraben war. Mithin ist die Zeichnung natürlich fehlerhaft, aber es handelt sich ja um eine Rekonstruktion auf Basis der 1820 sichtbaren Überreste. Jean-Nicolas Huyot gelang es trotzdem, etwas ganz Neues in seinen Plan aufzunehmen: Er war offensichtlich der allererste, dem die Treppen im Zweisäulensaal auffielen, die in den Bauberichten „Labyrinthoi“ genannt werden. Nördlich und südlich des Zweisäulensaales sind große Treppenhäuser eingebaut, die auf das flache Dach des hellenistischen Tempels führten. Das ist einmalig und findet sich bei keinem anderen griechischen Tempel. Lediglich in Unteritalien und Sizilien gibt es einige griechische Tempel archaischer und klassischer Zeit, die kleine Treppenhäuser hinter dem Tempeleingang aufweisen. Ebenso besaß der berühmte Zeustempel von Olympia schmale Treppen, um für Wartungs- oder Reparaturarbeiten in den Dachstuhl gelangen zu können. Doch die aufwändig gestalteten Treppenhäuser von Didyma zusammen mit ihren großen Zugangsportalen schließen praktisch aus, dass sie nur profan genutzt wurden. Doch konnte bisher niemand ergründen, welchem kultischen Zweck die Dachterrasse diente, zu der die beiden Treppen führten. Bevor Jean-Nicholas Huyot diese Treppen entdeckte, hatte man schon erkannt, dass sich zwischen dem Tempelvorraum (Zwölfsäulensaal) und dem Innenhof (Sekos) ein weiterer Raum befand. Seine exakte Größe ergab sich jedoch erst bei seiner kompletten Ausgrabung am Anfang des 20. Jhs. Der von den deutschen Ausgräbern sogenannte Zweisäulensaal maß rund 9 x 14 m und an seinen Schmalseiten schloss sich je ein Treppenhaus an. Seinen Namen erhielt dieser Raum von den zwei korinthischen Säulen, die seine Decke trugen (siehe Abb. 14). Von Osten her konnte man den Zweisäulensaal nicht betreten, obwohl er in diese Richtung eine riesige Türöffnung besaß, die 5,63 m in der Breite und etwa 14 m in der Höhe maß. Dies war die scheinbare Eingangstür zum Tempelinneren. Ihre Schwelle liegt jedoch 1,46 m über dem Bodenniveau des Zwölfsäulensaales, sodass man sie nicht überschreiten konnte (Abb. 38). 97
Apollonheiligtum von Didyma
Abb. 38: Das große Portal zwischen Zwölf- und Zweisäulensaal des hellenistischen Apollontempels. Die Bauteile für diese Türöffnung weisen wahrhaft gigantische Ausmaße auf: So ist die noch vor Ort liegende Türschwelle 7,90 m breit, 2,12 m tief und 1,01 m hoch. Auch die beiden 14 m hohen Türgewände waren jeweils monolith. Sie bildeten die schwersten Marmorblöcke, die am Tempel verbaut wurden. Ein Türgewände wog über 70 Tonnen. Auf ihnen lag der Türsturz, der in etwa die Ausmaße der Schwelle hatte, aber bei einem Brand vollständig zerstört wurde. Durch die Bauberichte weiß man, dass die Errichtung dieser Tür 217/16 v. Chr. begann, als die Türschwelle verlegt wurde. Etwas nach 190 v. Chr. versetzte man den Türsturz. Alle diese Blöcke sind unglaublich groß und schwer, und doch wurden sie mit Präzision millimetergenau versetzt. Unvorstellbar wie man dies vor über 2200 Jahren mit hölzernen Kränen und Flaschenzügen schaffte. Aber der vor Ort liegende Schwellblock zusammen mit den zwei beschädigten Türgewänden bezeugt diese Leistung heute noch. Nur von Westen her, aus dem Sekos, konnte man den Zweisäulensaal betreten. Dazu musste man einen Höhenunterschied von 5,38 m durch eine große Freitreppe überwinden, die 15,5 m breit ist und 22 Stufen hat (Abb. 39). Bis vor wenigen Jahren dienten die Treppenstufen bei Konzerten als Sitze für die Zuhörer. Das bislang letzte Konzert fand im August 2007 statt und wurde von einem türkischen Jugendorchester dargeboten, welches Bizet, Brahms, Gynt und Schumann spielte. Tatsächlich ähnelt der Innenhof des Tempels einem Konzertsaal mit seinen auf drei Sei98
Pierre-Anne Dedreux, Thomas L. Donaldson, Jean-Nicolas Huyot – 1820
ten geschlossenen Wänden und den Sitzstufen auf der Ostseite. Da der Sekos aber nur durch zwei schmale Tunnel zugänglich ist, und es damit keinen Notausgang für die Zuhörer gibt, sind Konzerte heute nicht mehr erlaubt. Als sie noch stattfanden, boten sie den Besuchern jedoch das einmalige Erlebnis einer Tempelbesichtigung bei Dunkelheit.
Abb. 39: Blick von Westen auf die Freitreppe mit den drei Türen zum Zweisäulensaal des hellenistischen Apollontempels. Wenn man die Freitreppe zum Zweisäulensaal erklommen hat, kann man diesen durch drei große Türen betreten. Jede von ihnen ist 2,10 m breit und 5,40 m hoch. Im Gegensatz zum 14 m hohen Ostportal waren diese drei Türen tatsächlich verschließbar. Im Fußboden sind die Vertiefungen für die Türangeln noch vorhanden. An diesen drei Türen zeigt sich erneut, was der hellenistische Apollontempel für ein prachtvoller Bau war: Für die Verzierung ihrer Türflügel war nämlich rund eine Tonne Elfenbein gestiftet worden. Im Jahr 2014 betrug der Preis für ein Kilogramm Elfenbein in China 2100 Dollar. 1000 Kilogramm Elfenbein wären damit heute über zwei Millionen Dollar wert. Für Didyma stiftete zuerst in den Jahren 54/53 v. Chr. Ptolemaios XII., der ägyptische Pharao, 34 Stoßzähne für die Verzierung der Türen. Wenig später, zwischen 51 und 48 v. Chr., spendete sein Sohn, Ptolemaios XIII., noch einmal die gleiche Menge Elfenbein nach Didyma für die Ausschmückung der Türen. Dieser Pharao war im Übrigen der Bruder von Kleopatra, die mit ihm zusammen einige Jahre regierte. Ptolemaios XIII. wurde 47 v. Chr. von Gaius Iulius Caesar in Ägypten besiegt, wobei er anschließend auf der Flucht im Nil ertrank. 99
Apollonheiligtum von Didyma
Die drei prächtig mit Elfenbein verzierten Türen konnten von jedem Besucher des Apollontempels gesehen werden, der vor der unüberschreitbaren Schwelle zum Zweisäulensaal stand. Bei geöffneten Türen war es überdies möglich, in den Sekos zu schauen, wo man das Dach des Naiskos erblickte und den heiligen Lorbeerbaum Apollons. Ebenfalls sah man links und rechts im Zweisäulensaal die Türen zu den beiden Treppenhäusern. Sie waren jeweils 1,80 m breit und 4,20 m hoch und durch zwei Türflügel verschließbar. Von unten führten 1,20 m breite Treppen mit 68 Stufen auf das Dach. Über vier Podeste waren die fünf Treppenläufe miteinander verbunden. Somit gab es jeweils vier Zwischendecken. Die untere Zwischendecke befindet sich in einer Höhe von 4,76 m und misst rund 9 x 1,2 m. Sie ist reich verziert: An ihrer Unterseite windet sich ein großer plastisch ausgearbeiteter Mäander von einer Schmalseite zur anderen (Abb. 40). Dazwischen sind eingelegte Quadrate angeordnet. Im Gegensatz zum Rest des Treppenhauses war dieser Bereich komplett fertig, das heißt man hatte ihn sogar bemalt. Farbreste sind heute noch sichtbar. Es wurden die Farben Blau, Ocker, Rot, Gelb und Violett verwendet. Besonders auffällig waren die aufgemalten Rosetten in der Mitte der Quadrate. Azurblau füllte die Zwischenräume des Mäanders aus, und mit Rot und Blau war am Deckenrand ein lesbisches Kyma aufgemalt.
Abb. 40: Detail der Deckenverzierung des südlichen Treppenhauses des hellenistischen Apollontempels. 100
Pierre-Anne Dedreux, Thomas L. Donaldson, Jean-Nicolas Huyot – 1820
Diese Art der Deckenverzierung wurde in Didyma erfunden, denn zuvor gab es sie an keinem anderen antiken Bauwerk. Und noch heute kann die Mäanderdecke des südlichen Treppenhauses vor Ort bewundert werden. Wie schon erwähnt, wurden die Treppenhäuser in den Bauberichten „Labyrinthoi“ genannt. Für diese Bezeichnung kommen zwei Gründe in Frage: Zum einen kann das Mäandermuster als Deckenverzierung dafür verantwortlich sein, weil es einem Labyrinth ähnelt. Zum anderen gleicht die Treppe selbst einem Labyrinth, da man viermal die Richtung wechselte, ehe man die Dachterrasse erreichte (Abb. 41). Darüber hinaus muss es ziemlich dunkel im Treppenhaus gewesen sein, denn es gab nur zum Sekos hin kleine Schlitzfenster zur Beleuchtung.
Abb. 41: Rekonstruierter Querschnitt durch den Zweisäulensaal und seine Treppenhäuser. Blick von Westen. Letztlich muss man sich fragen, warum es die großzügig und aufwändig gestalteten Treppenhäuser zum Dach überhaupt gab und warum der Zweisäulensaal nur von innen statt von außen zugänglich war. Letzterer Raum vermittelte zwischen dem Tempeläußeren und dem Tempelinneren. Vor seine Schwelle konnte jeder treten und in den Sekos schauen. Durch die beiden Tunnel links und rechts war der Sekos zwar erreichbar, aber die Tunnelein- und ausgänge konnten mit Türen verschlossen werden. Wer aber durfte den Zweisäulensaal von innen betreten? Darüber gibt es verschiedene Theorien: Eine plausible ist die, dass von diesem Raum die Orakelsprüche an die Anfragenden verkündet wurden. Die Konsultanten standen also im Bereich des Zwölfsäulensaales. Der oberste Beamte des Apollonheiligtums, der Prophet, begab sich, nachdem ihm die Anfrage mitgeteilt worden war, durch die Tunnel in den Innenhof. Dort stellte er die Frage der Prophetin, die über der heiligen Quelle saß. Sie antwortete ihm und der Prophet ging über die Freitreppe in den Zweisäulensaal. 101
Apollonheiligtum von Didyma
Von der unüberschreitbaren Schwelle aus verkündete er nun den Orakelspruch an die Delegation. Ihre Teilnehmer erfreuten vorher und nachher den Gott Apollon mit hymnischen Gesängen, wie man aus Inschriften weiß. So wird die Funktion des Zweisäulensaales gedeutet. Noch keine einleuchtende Erklärung gibt es dafür, warum man die Treppenhäuser so aufwändig gestaltete. Zuerst wurde vermutet, die Treppen dienten lediglich dazu, das Dach des Tempels zu erreichen, um Wartungsarbeiten vornehmen zu können. Doch dazu hätten viel kleinere, unscheinbarere Treppen genügt. Somit kann man davon ausgehen, dass auf dem Dach Kulthandlungen stattfanden. Darüber gibt es jedoch keine antiken Zeugnisse, sodass man auf Spekulationen angewiesen ist. Architektonische Forschungen ergaben, dass die Deckenhöhe des Zweisäulensaales die gleiche war, wie die des Zwölfsäulensaales und die der Ringhalle. Außerdem fand man bei den Ausgrabungen am Anfang des 20. Jhs. keine Reste einer Dachdeckung in diesem Bereich, das heißt die Kassettendecke über den Säulen bildete das Dach. Um sie regendicht zu machen, hatte man sie mit einer Art Betonestrich versehen, in dem größere Mosaiksteine eingedrückt waren. Somit bildete der vordere Bereich des Tempels ein zusammenhängendes Flachdach. Dieses war von einer anderthalb Meter hohen Brüstung umgeben, nämlich dem oberen Gebälk des Tempels aus Fries, Zahnschnitt und Geison (siehe Abb. 41). Deshalb konnte auch kein Außenstehender die kultischen Vorgänge auf dem Tempeldach beobachten. Gut geeignet war die Tempelterrasse zur Beobachtung von Sternen am Nachthimmel. Dazu passt auch die merkwürdige Ausrichtung des Tempels. Seine Ostfront ist nämlich nicht – wie sonst bei vielen griechischen Tempeln – genau nach Osten orientiert, sondern nach Ostnordosten. Die Abweichung von der Ostrichtung nach Norden beträgt etwas über 32 Grad. Die Ostseite zeigt in etwa auf den Sonnenaufgangspunkt am 21. Juni sowie auf die beiden Sterne Castor und Pollux aus dem Sternbild der Dioskuren. Aber da die Längsachse des Apollontempels in der Antike weder genau auf Castor oder Pollux noch genau auf die aufgehende Sonne ausgerichtet war, ist die Frage nach dem Grund der Orientierung des Tempels nach wie vor nicht ganz geklärt (siehe das Kapitel zu Texier). Und das trifft genauso zu für die Frage, welche kultischen Handlungen man auf dem Tempeldach ausführte. Jean-Nicolas Huyot war also der erste Forscher, der die Treppen auf das Dach des Apollontempels dokumentierte. Der Sinn und Zweck dieser Labyrinthe ist bis heute eines der Rätsel des einzigartigen Tempelbaues geblieben. Die meisten Besucher kamen nach Didyma, um die Überreste des berühmten Apollontempels zu sehen. Viele untersuchten diesen Bau, seine Bauteile und oft Inschriften. Doch kaum jemand widmete sich der nahen Umgebung des Tempels. Dass es noch weitere Gebäude und sogar Tempel gab, wissen wir heute sicher aus Inschriften und Ausgrabungen. Die Reisenden bis zum Jahr 1820 scheinen sich darüber kaum Gedanken gemacht zu haben. Als erste beschrieben Chandler, Revett 102
Pierre-Anne Dedreux, Thomas L. Donaldson, Jean-Nicolas Huyot – 1820
und Pars nicht nur die Ruinen des Apollontempels, sondern die anderer Gebäude, wie von Wohnhäusern, Kapellen oder Moscheen oder die Statuen und Sarkophage an der Heiligen Straße von Milet (siehe das Kapitel zu Chandler, Revett und Pars). Die drei Engländer erwähnten ferner zuerst den vermutlichen Peribolos des Apollonheiligtums. 1812 erscheint schließlich eine antike Mauer im Umgebungsplan Didymas von William Gell, die sich nördlich des Apollontempels befindet und wohl den beschriebenen Peribolos meint (Karte 4). Wie in dem Kapitel zu Gell, Gandy und Bedford ausgeführt, könnte es sich bei dem Peribolos nicht um eine Umfassungsmauer handeln, sondern eher um die Überreste einer großen dorischen Säulenhalle. Dieser von Chandler beschriebene und von Gell gezeichnete „ancient wall“ ist heute nicht mehr zu sehen, aber schon seit den frühesten Ausgrabungen treten in seiner Nähe immer wieder Bauglieder einer dorischen Stoa zutage. Überraschend war es nun zu lesen, dass Thomas L. Donaldson mehrere Bauglieder der Wände, der Säulen und des dorischen Frieses des „Peribolos“ vorfand (siehe Abb. 33). Sie alle gehören seiner Meinung nach zusammen. Damit dürfte es sich um Bauteile dorischer Säulen gehandelt haben, da nur solche zusammen mit einem dorischen Fries verbaut worden sein können. Folglich kann es eigentlich kaum noch Zweifel an der These geben, dass etwa 70 m nördlich des Artemistempels eine große Stoa gelegen war, die im 2. Jh. v. Chr. errichtet wurde. Dies belegen eindrucksvoll die bisherigen Indizien bestehend aus der Zeichnung von Gell und den kurzen Erwähnungen bei Chandler und Donaldson. Sie zeigen eindrucksvoll, wie man ohne Ausgrabungen nur mithilfe „alter“ Aufzeichnungen Hinweise zur Lage antiker Gebäude finden kann, die man schon seit Jahren sucht. Thomas Leverton Donaldson lieferte den entscheidenden Hinweis dazu, dass es sich bei dem vermuteten Peribolos nicht um eine Umfassungsmauer des Heiligtums, sondern um eine dorische Säulenhalle handelt. Nun bleibt es deutschen oder in Zukunft türkischen Archäologen vorbehalten, an der vermuteten Stelle nach den Fundamenten der Stoa zu suchen. 2019 erfolgten erste Sondagen, die aber noch keinen Erfolg zeitigten. Huyot und Dedreux waren schon 1822 wieder nach Paris zurückgekehrt. Donaldson ließ sich ein Jahr länger Zeit und kam 1823 wieder zurück nach London. Wenig später gewann er den Wettbewerb zum Bau der Holy Trinity, einer Kirche in der Brompton Road von London, die von 1826 bis 1829 errichtet wurde. Thomas L. Donaldson tat sich anschließend weniger durch den Bau wichtiger Gebäude hervor, sondern eher durch seine Tätigkeit als Lehrer und Publizist. Jean-Nicolas Huyot ist Frankreich in guter Erinnerung geblieben, weil er zusammen mit Abel Blouet den Arc de Triomphe de l’Étoile fertigstellte. Der Bau dieses riesigen Bogenmonuments war 1806 unter Napoleon begonnen worden, nachdem er in der Schlacht bei Austerlitz gesiegt hatte. Seit 1823 arbeitete Huyot in Abständen an der Fertigstellung des Arc de Triomphe mit, die schließlich 1836 erfolgte. 103
Apollonheiligtum von Didyma
Damit hatte Huyot an einem Großbau mitgewirkt, der jedoch mit dem Apollontempel von Didyma nur ansatzweise vergleichbar ist. Der Arc de Triomphe nimmt eine Grundfläche von rund 22 x 45 m ein und ist knapp 50 m hoch. Der hellenistische Apollontempel ist 60 m breit, knapp 120 m lang und 27 m hoch. Damit würden etwa sieben Arc de Triomphe auf die Grundfläche des Apollontempels passen, wobei der Bogen aber beinahe doppelt so hoch ist wie der Tempel. Das Altertum ließ Jean-Nicolas Huyot jedoch nie los: Denn am 2. August 1840 starb er im Alter von knapp 60 Jahren an den Folgen des Beinbruches, den er am 4. September 1817 im antiken Theater von Melos erlitten hatte.
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Charles Texier – 1835
Charles Texier – 1835 Von Konstantinopel nach Didyma – Zur geographischen Orientierung des Apollontempels – Die Ausrichtung zur Sonne und die Zeugung des Branchos – Die Vermessung einer Säule – Wertvolle archaische und hellenistische Weihgeschenke in Didyma 1834 machte der Franzose Charles Texier die Entdeckung seines Lebens: In Zentralanatolien stieß er auf die Ruinen der Hauptstadt des Hethiterreiches. Da die Hethiter bis dahin noch gänzlich unbekannt und unerforscht waren, konnte Texier jedoch die Überreste ihrem Reich nicht zuordnen, welches im 2. Jahrtausend v. Chr. seine Blütezeit hatte. Später ergab sich aus Keilschrifttexten, dass diese Hauptstadt Hattuscha hieß, die Texier beim türkischen Dorf Boğazköy gefunden hatte. Ein Jahr danach, 1835, kam Charles Texier nach Didyma. Als erster bestimmte er dort die Höhe einer Säule des Apollontempels richtig (19,70 m). Sie ist bis heute maßgeblich, obwohl alle Forscher annehmen, Texier hätte sie falsch gemessen und erst Armin von Gerkan hätte sie 1913 exakt festgestellt. Charles Texier wurde am 29. August 1802 in Versailles geboren und starb am 1. Juli 1871 in Paris. Im Jahr 1833 beauftragte die französische Regierung den Archäologen und Architekten, für wissenschaftliche Studien Kleinasien zu bereisen. Dafür blieben Texier einige Jahre Zeit, und so war er von 1833 bis 1837 unterwegs. Als Ausgangspunkt für seine Reisen diente Texier meistens Konstantinopel. 1834 erreichte er von dort aus den östlichsten Punkt seiner Exkursionen, nämlich das schon erwähnte Hattuscha bei Boğazköy. Im selben Jahr gelangte er auch nach Milet. Darüber schreibt er – wie schon viele vor ihm –, dass das Theater die einzige sichtbare antike Ruine sei. Schon damals hatte Texier vor, nach Didyma weiterzureisen, aber das blieb ihm und seinen Begleitern leider verwehrt: Sie hatten gehofft, sich in Milet (damals und heute Balat geheißen) mit Proviant und Gerste für ihre Pferde versorgen zu können. Aber das erwies sich als unmöglich und somit mussten sie wieder umkehren. Resigniert schrieb Texier sinngemäß: „Die Mutter aller Kolonien (Milet) war nicht in der Lage, vier Freunde und ihre Gäule zu ernähren“. Zur Erklärung ist hinzuzufügen, dass Milet in archaischer Zeit die bedeutendste griechische Stadt war und im 7. und 6. Jh. v. Chr. über 90 Kolonien (Tochterstädte) vor allem am Schwarzen Meer gründete; so viele wie keine andere griechische Stadt (siehe das Kapitel zu Cyriacus von Ancona). Für 1835 hatte sich Charles Texier vorgenommen, die Küste Westkleinasiens zu erforschen. Der französische Botschafter in Konstantinopel stellte ihm dafür die Mésange zur Verfügung, einen Schoner, der Texier auch mit seiner Besatzung helfen sollte. Am 4. April stach die Mésange von der osmanischen Hauptstadt aus in See. Schlechtes Wetter ließ sie jedoch nach einigen Tagen 105
Apollonheiligtum von Didyma
wieder umkehren. Erst im Juni waren die Bedingungen besser, und so passierte die Mésange am 25. Juni 1835 die Dardanellen. Texier und seine Begleiter erkundeten zunächst die Gegenden um Troja und Pergamon, ehe sie Mitte Juli Smyrna erreichten. Dort hielten sie sich nicht lange auf. Sie umsegelten die Çeşme-Halbinsel und gingen bei den Ruinen der antiken Stadt Teos an Land, welche zu den dreizehn Städten des Ionischen Bundes gehörte (siehe das Kapitel zu Wheler und Spon). Die Hauptattraktion von Teos waren die Reste des größten Dionysostempels auf griechischem Boden. Ihn hatte einer der berühmtesten antiken Architekten, Hermogenes von Alabanda, um 200 v. Chr. entworfen. Alabanda war im Übrigen eine Stadt im karischen Hinterland, die nur etwa 50 Kilometer von der ionischen Küste entfernt lag; seine Ruinen können heute noch besichtigt werden (Karte 1). Hermogenes ist deshalb erwähnenswert, weil seine Schriften die Grundlage für das Werk Vitruvs über antike Architektur bildeten (siehe das Kapitel zu Gell, Gandy und Bedford); und von den Büchern des Hermogenes nichts anderes erhalten ist. Über all das erfährt man von Charles Texier erstaunlicherweise nichts, weil er Teos nur im Zusammenhang mit seiner Reise nach Didyma erwähnt. Am 15. Juli 1835 segelte er von Teos mit der Mésange zum Kap Arbora, wo sich der Altar des Poseidon südwestlich von Didyma befand, der die Grenze zwischen Ionien und Karien markierte (siehe das Kapitel zu Chishull). Am Kap des „Baumes“ (Übersetzung des lateinischen Wortes „arbor“) wollte Texier an Land gehen, aber das war unmöglich, da es dort keine geeignete Bucht gibt (Karte 2). So segelten die Franzosen wieder etwas nach Norden, um beim antiken Hafen von Didyma, Panormos (heute Mavişehir), vor Anker zu gehen. Dort konnten sie ebenfalls nicht haltmachen, da die Bucht verlandet war. Weil Charles Texier aber nicht zum zweiten Mal abreisen wollte, ohne Didyma erreicht zu haben, segelte die Mésange noch etwas nördlich bis zu einem langen Sandstrand. Das Meer war ruhig, deshalb ließ Kapitän Lejeune vor der flachen Küste südlich des Mäanderdeltas die Anker auswerfen. Den Apollontempel von Didyma hatten sie dabei immer im Blick, weil seine drei noch stehenden Säulen den Seeleuten zur Orientierung dienten. Abends ging Texier mit den Offizieren ins Dorf Jeronda. Dort stellten sie fest, dass alle Einwohner Griechen sind. Es gab rund 40 Familien, die in etwa 20 Häusern wohnten. Mit „einem“ Haus meinte Texier offenbar eher einen Hof mit einem größeren Haus und allen Nebengebäuden. Denn schon Gell, Gandy und Bedford berichteten 1812, dass es in Jeronda um die 150 Wohnhäuser gebe (siehe das Kapitel zu ihnen). Offensichtlich hatte Texier sowieso nur Augen für die Ruine des Apollontempels. Denn er berichtet, dass in Jeronda lediglich eine Windmühle existiere, und zwar die auf den Trümmern des Apollontempels. Aber auch hier hatten bereits die Engländer 1812 und Huyot 1820 mehrere Windmühlen rund um das Dorf dokumentiert. Mag die nähere Umgebung des Apollontempels Texier nicht besonders interessiert haben, desto wertvoller sind seine Beobachtungen zu den baulichen Resten. Zunächst stellte er fest, dass die Längsachse des Riesenbaues nicht wie bei griechischen Tempeln üblich Ost-West orientiert war. Die Achse des Apollontempels weiche etwa 30 Grad nach Norden von Osten ab. Zuvor hatten dies schon Gell, Gandy und Bedford in ihrer Umgebungskarte von Didyma registriert, ohne allerdings 106
Charles Texier – 1835
die Abweichung im Text zu erwähnen. Texier wies als erster auf diese Anomalie hin, ohne sie jedoch zu deuten. Bereits der älteste, um 700 v. Chr. errichtete Apollontempel wies die gleiche Orientierung auf wie der hellenistische Bau, nämlich eine um 32° 20’ nach Norden verschobene Ostrichtung (Plan 1). Dazwischen hatte man um 550 v. Chr. den archaischen Apollontempel errichtet (Plan 2), der um knapp zwei Grad weniger weit nach Norden wies (also nur 30° 35’). Die Sonne ging im antiken Didyma genau 29° 2’ nördlich der Ostrichtung auf. Sie schien also wenige Tage zur Sommersonnenwende in den Innenhof des Apollontempels; allerdings nur am Morgen. Sonnenstrahlen aus Osten erreichten somit den abgesonderten Bereich des Tempels lediglich in einem ganz bestimmten Zeitraum. Bei diesem eindrucksvollen Schauspiel schienen die Strahlen zwischen den mittleren Säulen des Zwölfsäulensaales durch das große Portal in den Zweisäulensaal und von dort durch dessen zwei Säulen und die mittlere Tür in den Sekos (Abb. 42). Welchen Sinn könnte dieses Schauspiel gehabt haben, wenn doch mittags sowieso die Sonne den ganzen Innenhof beschien?
Abb. 42: Sonnenaufgang am 20. Juni 2017 um 5.26 Uhr über dem hellenistischen Apollontempel. Apollon wurde bei den Griechen als Sonnengott verehrt und auch in Didyma ist die Verehrung des Apollon Helios in der Kaiserzeit nachgewiesen (Helios bedeutet im Griechischen „Sonne“ und „Sonnengott“). Dies reicht als Begründung für die merkwürdige und bisher ungedeutete Ausrichtung des Apollontempels von Didyma aber nicht aus, weil die griechischen Apollontempel in der Regel andere Orientierungen aufweisen. 107
Apollonheiligtum von Didyma
Hier ist deshalb auf den Mythos von Branchos zurückzukommen, der der Geliebte Apollons war. Der Überlieferung nach wurde Branchos gezeugt, indem sich Zeus in einen Sonnenstrahl verwandelte und in den Hals seiner Mutter schien (siehe das Kapitel zu Chishull). Hier könnte folglich die Verbindung zum kurzzeitigen Eindringen der Sonnenstrahlen in den Sekos liegen, und zwar in den Frühstunden der ersten Sommertage eines jeden Jahres. Sonnenstrahlen zeugten den ersten Seher von Didyma, der hier auch begraben sein soll, und Sonnenstrahlen bescheinen einen bestimmten Bereich zu einer ganz bestimmten Zeit im Innern des Apollontempels. Ob dies der alleinige Grund war, dem Apollontempel seine besondere und einmalige Ausrichtung zu geben, ist nicht sicher. Denn mit etwa dem gleichen Unterschied wie der Bau auf die Sonne zeigt, weist er auf die Hauptsterne des Sternbilds der Dioskuren, Castor und Pollux; allerdings einige Grad nach Norden abweichend statt nach Süden. Und am 21. Juni konnte man den Aufgang von Castor und Pollux nicht beobachten. Dies war nur von Mitte Juli bis Mitte Oktober möglich. Ein Problem bereitet die vorhandene Orientierung des Apollontempels auf die Dioskuren jedoch: Obwohl Castor und Pollux genauso Zwillinge waren wie Apollon und Artemis, wurde kein Hinweis in Didyma gefunden, dass man sie dort kultisch verehrte. Darüber hinaus gibt es sonst keine mythische Verbindung mit Apollon oder Artemis, außer dass Zeus der Vater der beiden Zwillingspaare war. Im Gegensatz dazu lässt sich die Sonne gut mit Apollon und seinem Tempel in Verbindung bringen. Zum einen wurde Apollon selbst als Sonnengott verehrt und zum anderen zeugte Zeus seinen Liebling Branchos durch einen Sonnenstrahl und Branchos begründete die Sehertradition Didymas (siehe das Kapitel zu Choiseul-Gouffier). Vielmehr als die Orientierung des Apollontempels interessierten Charles Texier jedoch die Gestalt und die Größe dieses monumentalen Bauwerkes. Er wunderte sich, dass nirgendwo Kapitelle und Gebälkteile zu sehen sind. Und stellte fest, dass viele Bauteile, die 1764 von Richard Chandler beschrieben wurden, nicht mehr existieren. Dazu gehören z. B. die zwei korinthischen Halbsäulenkapitelle, die auf der Ostseite des Innenhofes angebracht waren. Sie hatte man 1812 unter der Windmühle begraben und ihre Überreste sollten erst 1906 bei ihrem Abriss wiedergefunden werden. Schon Gell, Gandy und Bedford war 1812 aufgefallen, dass keine Außenarchitrave, Friesoder Geisonblöcke vom Tempelgebälk vorhanden sind. Insbesondere vermisste Texier ionische Kapitelle der Säulenhallen, die er hätte am Boden vermessen und zeichnen können. Davon gab es anscheinend keine mehr, obwohl Jeremy Salter 1673 noch einige auf seiner Skizze festgehalten hatte (siehe das Kapitel zu Wheler und Spon). Charles Texier hatte nun keine Wahl, wollte er neue Zeichnungen der ionischen Kapitelle anfertigen, musste er auf eine der drei noch stehenden Säulen zurückgreifen. Außerdem hatte er großes Interesse daran, die Säulenhöhe genau festzustellen. Der französische Forscher schätzte sie auf etwa 20 m ein. Daraufhin versuchte er im Ort Jeronda eine entsprechende Leiter zu finden, aber die Griechen konnten ihm nicht weiterhelfen. Es gab keine, obwohl auch eine etwas kleinere genügt hätte, weil der untere Teil der Säulen mit Basis und 108
Charles Texier – 1835
Plinthe rund 2 m hoch verschüttet war. Texier hatte aber Glück, denn ihm stand die Mannschaft des Schoners Mésange hilfreich zur Seite. Die Franzosen um Kapitän Lejeune beschlossen, die beiden nördlichen Säulen zu erklimmen: Zuerst warfen sie ein dünnes Seil über die Balken der Kassettendecke, die die beiden Säulenkapitelle verbinden. Dann zogen sie daran ein dickes Seil nach und ein Matrose kletterte anschließend hinauf (Abb. 43).
Abb. 43: Die Ruine des Apollontempels von Nordosten. Charles Texier und ein Matrose auf dem Gebälk und zwei Offiziere darunter (Charles Texier, 1835). 109
Apollonheiligtum von Didyma
Nun war der Weg frei für Texiers Arbeiten: Es wurde ein Flaschenzug oben festgemacht, an dem er sich in einem Stuhl hinaufziehen ließ. Dies war ein Spektakel, bei dem das ganze Dorf zusammenlief. Die Griechen konnten überhaupt nicht verstehen, wozu man solch einen Aufwand betrieb. Glücklicherweise haben die Franzosen dieses Ereignis zeichnerisch festgehalten, sodass wir heute noch einen Eindruck des gewagten Unternehmens bekommen können. Das versammelte Dorf und seine Häuser sind freilich auf der Darstellung nicht zu sehen, sondern nur zwei französische Offiziere und der Matrose mit Texier auf den Säulen. Der frühere Grabungsleiter von Didyma, Klaus Tuchelt, zweifelte Ende des 20. Jhs. daran, dass eine solche Besteigung überhaupt stattgefunden habe. Doch neben Texiers Bericht und Zeichnung gibt es einen weiteren Beleg dafür: das Ergebnis seiner Forschungen. Denn entgegen Tuchelts Auffassung hat Charles Texier als erster Forscher die Höhe einer Säule des Apollontempels korrekt bestimmt, nämlich mit 19,70 m. Erstaunlich ist, wie er das machte, obwohl doch der untere Bereich der Säulen noch im Schutt steckte. Aber offensichtlich war es gar nicht nötig, dass die man beiden Säulen ganz vermaß. Denn etwas weiter westlich konnte Texier die Höhe des Stylobats, also des Säulenumgangs messen, weil dort Säulenbasen freilagen, wie auf seinem Tempelgrundriss zu erkennen ist. Laut Tuchelt hätte Texier, die Gesamthöhe der Säule auf 17,853 m bestimmt. Diese Höhe gibt aber auf Texiers Zeichnung nur die Höhe des Säulenschaftes an und nicht der ganzen Säule. Hinzu kommen die quadratische Plinthe mit einer Höhe von 44,4 cm, die daraufliegende Säulenbasis mit 76,7 cm und das Kapitell mit 61,5 cm. Alles zusammen ergibt eine Gesamthöhe von 19,68 m; deren Differenz von 2 cm zu 19,70 m im üblichen Bereich der Schwankungen am Bau des Apollontempels liegt. Die richtige Bestimmung der Säulenhöhe ist also das erstaunlichste Ergebnis von Texiers Wirken in Didyma. Im 20. Jh. bemühten sich zwei deutsche Bauforscher 1913 und 1985 noch einmal, die beiden nördlichen Säulen zu erklimmen und konnten – ohne sich dessen bewusst zu sein – Texiers Ergebnis von 1835 nur bestätigen. Charles Texier vermaß weitere Bereiche des Apollontempels, wobei seine Maße teilweise übereinstimmen mit den tatsächlichen Abmessungen, teilweise aber auch von ihnen abweichen. Seine Schlussfolgerungen waren ebenfalls nicht immer richtig. So nahm er z. B. an, die Randbereiche des Innenhofes seien überdacht gewesen und im Westen hätte es einen separaten Raum gegeben. Damit wäre immer noch ein großer Teil des Sekos unter freiem Himmel gelegen (hypäthral), aber zugleich hätte die Kultstatue in einem geschützten Bereich im Westen des Hofes gestanden. Texier kannte die schriftlichen Quellen, die von dem berühmten Bronze-Apollon des Bildhauers Kanachos berichten (siehe das Kapitel zu Choiseul-Gouffier). Seine Überlegung war, dass diese Statue nicht im Freien gestanden haben könne. Damit lag er richtig, allerdings hatte man im Altertum ein extra Gebäude für die Kultstatue errichtet. Dieser tempelartige Bau, Naiskos genannt, wurde jedoch erst bei den Ausgrabungen am Anfang des 20. Jhs. gefunden (siehe die Kapitel zu Cyriacus von Ancona sowie zu Wiegand und Knackfuß zum Jahr 1911). 110
Charles Texier – 1835
Schließlich meinte Charles Texier – wie vor ihm schon der Graf von Choiseul-Gouffier –, dass Ausgrabungen im Innern des Apollontempels unbedingt nötig seien. Ohne diese blieben Texiers Bemühungen letztlich erfolglos, neue Erkenntnisse zum Grundriss des Apollontempels vorzulegen. Damit erging es ihm wie seinen Vorgängern. Es war Texier nur möglich, Zeichnungen einzelner Bauteile zu erstellen, z. B. von den Pilasterkapitellen und dem Antenkapitell mit der Rankenfrau (siehe dazu das Kapitel von Chandler, Revett und Pars). Dass sich Charles Texier für die Umgebung des Apollontempels nur bedingt interessierte, wurde bereits oben erwähnt, kommt aber noch an einer anderen Stelle seiner Beobachtungen zum Ausdruck: Nördlich des Apollontempels fielen ihm marmorne Sitzstatuen auf. Sechs davon standen in einer Reihe und hatten keine Köpfe mehr. Texier schreibt noch, dass sie alle auf einem Holzstuhl zu sitzen scheinen und ägyptischen Sitzstatuen ähneln. Ihren Stil bezeichnete er als „vor-antik“. Damit lag er nicht ganz falsch, weil die Statuen tatsächlich wenig mit griechischer Plastik der klassischen oder hellenistischen Epoche gemein haben. Statuen aus dem 6. Jh. v. Chr., also aus spätarchaischer Zeit, kannte man damals kaum (siehe die Abb. 45 und 50). Interessant ist seine Interpretation des Kontextes, in dem die Statuen aufgestellt waren. Er deutete sie als Schmuck des Stadions, welches er östlich von ihnen in einer Senke vermutete. Das war aber nicht der Fall. Das Stadion lag stattdessen südlich des Apollontempels und die Sitzstatuen flankierten die Heilige Straße von Milet. Zu dieser Erkenntnis war William Gell bereits 1812 gekommen und hatte die zahlreichen Skulpturen und Sarkophage an diesem besonderen Weg von Milet auf einer Karte einzeichnen lassen (siehe das Kapitel zu Gell, Gandy und Bedford). Diese Statuen sitzender Männer und Frauen aus dem 6. Jh. v. Chr. wurden nicht nur an der Heiligen Straße gefunden, sondern auch in der Umgebung Milets. Sie standen weiter im Focus der Forscher, die Charles Texier nachfolgten (siehe z. B. die Kapitel zu Ross und Newton). Bei den in Didyma gefundenen Sitzstatuen handelte es sich um Weihgeschenke an Apollon oder an andere Götter, die in seinem Heiligtum verehrt wurden. Dazu gehörten Artemis, seine Zwillingsschwester, und ihre Eltern Zeus und Leto. Aus Inschriften sind über 20 Götter bekannt, die in Didyma einen Kult besaßen. Wenn man darüber hinaus die Götter extra zählt, die einen eigenen Beinamen hatten, erhält man sogar die doppelte Anzahl. Diese Vielzahl verehrter Götter ist für griechische Heiligtümer typisch. Das Apollonheiligtum von Didyma unterscheidet sich aber von anderen Heiligtümern durch seine reichen und berühmten Weihgeschenke. Statuen wurden den Göttern dort von archaischer Zeit bis in die Spätantike geweiht. Ab der hellenistischen Epoche bevorzugte man Bronzestatuen. Obwohl keine von ihnen aus Didyma erhalten ist, sind viele marmorne Statuenbasen überkommen, auf denen man die Bronzestandbilder verdübelt hatte. Auf diese Weise haben sich viele Weihinschriften erhalten, die in die Statuenbasen eingemeißelt waren. Dargestellt hatte man Herrscher, aber auch Privatpersonen, Halbgötter (Heroen) und Götter. 111
Apollonheiligtum von Didyma
Gestiftet, das heißt bezahlt, wurden die Standbilder oft von der Polis Milet oder aber von einzelnen Bürgern. Charles Texier kannte die schriftlichen Quellen zu Didyma gut und somit auch die berühmtesten Weihgeschenke: Sie hatte der Lyderkönig Kroisos im 6. Jh. v. Chr. ins Apollonheiligtum gestiftet. Doch sie blieben nicht lange in Didyma. Denn als die Perser das Heiligtum nach dem Ionischen Aufstand 494 v. Chr. plünderten, nahmen sie die wertvollen Weihgeschenke mit (siehe das Kapitel zu Choiseul-Gouffier). Einzig viele marmorne Statuen, wie die Sitzbilder an der Heiligen Straße, ließen sie zurück; und bei den Ausgrabungen im 19. und 20. Jh. kam eine große Anzahl von ihnen zum Vorschein. Das Apollonorakel von Didyma war nach dem von Delphi das bedeutendste Griechenlands. Das wussten auch die nichtgriechischen Herrscher, wie der reiche Lyderkönig Kroisos (etwa 555 bis 547 v. Chr.), der im nicht weit entfernten Sardis residierte. Der Geschichtsschreiber Herodot überliefert ein Jahrhundert später, dass Kroisos bei den wichtigsten Orakeln anfragte, wann eine passende Gelegenheit sei, gegen das erstarkende Perserreich in den Krieg zu ziehen. Um die Orakel günstig zu stimmen, sandte Kroisos ihnen Geschenke. Delphi erhielt dabei am meisten, wie Herodot ausführlich schreibt (Hdt. 1,46.92). Das Erstaunliche ist, dass Kroisos nach Didyma (bei Herodot heißt es „zu den Branchiden bei Milet“) Weihgeschenke schickte, die das gleiche Gewicht hatten und ähnlich denen waren, die er nach Delphi weihte. Liest man nach, was Delphi alles bekam, wird einem die Bedeutung Didymas in seiner Frühzeit deutlich: einen goldenen Löwen mit dem Gewicht von zehn Talenten (ein Talent wog etwa 25 Kilogramm), ein goldenes Frauenstandbild von drei Ellen Höhe (eine Elle maß rund 50 cm), weitere zehn Talente Gold und 228 Talente Silber sowie mehrere goldene und silberne Gefäße. Darunter waren zwei riesige Krüge zum Mischen von Wasser und Wein, sogenannte Kratere. Der goldene Krater wog fast zehn Talente und der silberne nahm beinahe 600 Amphoren auf (eine Amphore fasste über 25 l). Diese sagenhaften Geschenke von Kroisos in das Apollonheiligtum von Delphi kannte jeder Grieche (Hdt. 1,50f.; 8,35). Sie waren sprichwörtlich geworden. Und Schätze in ungefähr diesem Ausmaß befanden sich auch in Didyma; wobei natürlich noch Weihungen anderer Herrscher hinzukamen. Sogar der ägyptische Pharao Necho II. ließ Geschenke nach Didyma bringen. Nachdem Necho II. die Juden (bei Herodot steht „Syrer“, Hdt. 2,159) in der Schlacht bei Megiddo 609 v. Chr. besiegt hatte, weihte er die in der Schlacht getragene Rüstung nach Didyma. Bei diesem Kampf wurde König Josia von Juda schwer verwundet und starb an seinen Verletzungen (2. Chr. 35,20–24). An anderer Stelle kommt Herodot noch einmal auf die Weihgeschenke in Didyma zu sprechen. Hekataios von Milet hatte beim Aufstand der Ionier gegen die Perser folgenden Vorschlag gemacht: Man solle doch die Schätze aus Didyma nehmen und davon eine Schiffsflotte bauen, um den Persern die Herrschaft über die Meere zu entreißen (Hdt. 5,36; siehe auch das Kapitel zu Choiseul-Gouffier). 112
Charles Texier – 1835
Die Ionier unterlagen schließlich 494 v. Chr. gegen die Perser, und Milet mit seinem Apollonheiligtum Didyma wurde geplündert und teilweise verbrannt. Interessant ist, dass genau dies den Milesiern von dem bedeutendsten Orakel Griechenlands, dem in Delphi, vorhergesagt worden war (Hdt. 6,19). Danach erholte sich Milet zwar schnell wieder, aber es dauerte bis zum Beginn des Hellenismus, ehe das Apollonorakel von Didyma wieder zu alter Größe zurückfand. Die Nachfolger Alexanders des Großen unterstützten den Tempelneubau und machten zahlreiche Stiftungen. Inschriften von 299 v. Chr. bezeugen, dass Seleukos I. (305–281 v. Chr.) und sein Sohn Antiochos eine große Markthalle (Stoa) in Milet bauen ließen, deren jährliche Einkünfte für die „Ausschmückung“ von Didyma zu verwenden seien. Die Überreste dieser ein Stadion (ca. 180 m) langen Halle wurden bei den deutschen Ausgrabungen auf dem Südmarkt Milets sogar gefunden. Seleukos und sein Sohn Antiochos stifteten 288/87 v. Chr. ebenfalls Gefäße aus Edelmetallen nach Didyma: goldene mit ca. 14 Kilogramm Gewicht und silberne mit etwa 40 Kilogramm Gewicht. Hinzu kamen 10 Talente wertvolles Weihrauchharz, ein Talent Myrrhe und andere Gewürze (siehe das Kapitel zu Cyriacus von Ancona). Kenner des Neuen Testaments werden bemerken, dass auch dem neugeborenen Jesus Gold, Weihrauch und Myrrhe von den „Magiern“ aus dem Osten dargebracht worden war (Evangelium nach Matthäus 2,1–12). Das waren also die Gaben, die eines Gottes würdig sind. In Didyma geben Inschriften, sogenannte Schatzurkunden oder Inventarlisten, über den Bestand an Weihgeschenken Auskunft. Die ältesten Listen stammen aus den letzten zwei Jahrzehnten des 4. Jhs. v. Chr. Eine Inschrift aus dem Jahr 277/6 v. Chr. belegt, dass das Apollonheiligtum gerade geplündert worden war und nur wenige „Schätze“ übrig blieben. Bei den Räubern handelte es sich um Gallier, die um diese Zeit durch Westkleinasien zogen. Von diesem Frevel erholte sich Didyma recht schnell und auch die Bauarbeiten am riesigen Apollontempel gingen voran. Freilich dauerte es bis in die erste Hälfte des 2. Jhs. v. Chr. ehe der Naos, also der eigentliche Tempel, fertig war. Diese Zeit war die der größten Blüte Didymas im Hellenismus. Neben dem Apollontempel hatte man damals einen neuen Artemistempel gebaut. Um 200 v. Chr. waren große panhellenische Festspiele zu Ehren Apollons eingeführt worden, zu denen ganz Griechenland eingeladen war. Damit zusammen hatte das Apollonheiligtum die Asylie erhalten, das heißt Didyma war das Recht auf Unverletzlichkeit seiner Grenzen verliehen worden. Verfolgte Bürger konnten hier Zuflucht suchen und waren geschützt (siehe das Kapitel zu Furtwängler). Außerdem stand das Orakel von Didyma international in hohem Ansehen. Weihgeschenke erreichten es aus verschiedenen Königshäusern. 180/79 v. Chr. stiftete das bithynische Königshaus (Landschaft im Nordwesten Kleinasiens) Gefäße aus Edelmetall und Geld ins Heiligtum. Etwas später, 178–176 v. Chr., sind Stiftungen der Spartokiden bezeugt. Sie beherrschten die Krim mit der Hauptstadt Pantikapaion, welche einst milesische Kolonisten gegründet hatten. 113
Apollonheiligtum von Didyma
Unterdessen war Didyma vom Einfluss der Seleukiden in den Machtbereich der Ptolemäer gelangt, die ihr Reich von Alexandria aus regierten. Um 100 v. Chr. ist eine Stiftung des Königs Ptolemaios IX. inschriftlich belegt. Er spendete vier goldene Phialen (Schalen). Nicht zu vergessen ist die große Menge Elfenbein (rund eine Tonne), die Ptolemaios XII. und Ptolemaios XIII. um die Mitte des 1. Jhs. v. Chr. nach Didyma stifteten (siehe das Kapitel zu Dedreux, Donaldson und Huyot). Hieran wird ferner deutlich, wie sich das Apollonheiligtum von Didyma finanzierte: Einen Teil der Einnahmen stellten Spenden und Stiftungen dar. Allerdings kamen diese Einkünfte zu unregelmäßigen Zeiten. Doch regelmäßige Einnahmen gab es auch: Jede von Milet aus gegründete Kolonie musste jährlich eine goldene Phiale nach Didyma schicken. Diese „Aparche“ genannte Abgabe ist seit dem 3. Jh. v. Chr. nachgewiesen. Eine solche Phiale musste 100 alexandrinische Drachmen wiegen (etwa 355 Gramm) und Milet hatte über 90 Kolonien gegründet. Schließlich wird noch eines an den Weihgeschenken klar, die nach Didyma kamen: Phialen stifteten im Hellenismus auch die Poleis Megalopolis und Chalkis nach Didyma, ansonsten nur Städte aus dem östlichen Griechenland (dem westlichen Kleinasien). Hier war also das Orakel von Didyma vorherrschend, während Delphi im griechischen Mutterland sowie in Unteritalien und Sizilien die Vormachtstellung innehatte. Am 15. Juli 1835 hatte Charles Texier mit der Mésange Didyma erreicht. Spätestens am 24. Juli 1835 verließ er es, da er am selben Tag zur südlich gelegenen Insel Kos gelangte. Anschließend erforschte Texier noch weitere antike Stätten an der kleinasiatischen Küste bis nach Lykien. Ende des Jahres 1835 gelangte er zurück nach Smyrna. Ein Jahr später fuhr er die Südküste Kleinasiens entlang bis zum antiken Tarsos in Kilikien. Nachdem Charles Texier 1837 zurück in Frankreich war, nahm er die Veröffentlichung seiner Forschungsergebnisse in Angriff. Der Titel seiner Publikation lautete „Description de l’Asie Mineure“. Der erste Band erschien bereits 1839 sowie der zweite und dritte 1849. Im zweiten Band wird Didyma abgehandelt. Wie andere Forscher nahm Texier viele Inschriften mit in sein Werk auf. Das Besondere bei ihm ist jedoch, dass er bei vielen griechischen Inschriften drei Texte in seinem Kommentar angibt: zuerst eine Zeichnung der Inschrift mit den originalen Buchstabenformen, dann die Transkription dieses Textes mit Worttrennung, Betonungs- und Satzzeichen sowie drittens die französische Übersetzung. Damit war Texier ziemlich modern, denn so werden heute noch Inschriften veröffentlicht. Seine Beobachtungen zum Apollontempel sind nicht immer zutreffend. Das gilt auch für die Rekonstruktion des Tempelgrundrisses. Im Zweisäulensaal ist keine architektonische Struktur angegeben, obwohl Texier in der zugehörigen Beschreibung die beiden Treppen zum Tempeldach erwähnt, die schon Jean-Nicholas Huyot 1820 dokumentiert hatte. Ließ Charles Texier bereits Teile des Tempels freilegen? Denn an einer Stelle musste der Stylobat offen gelegen haben, damit er die Höhe einer Säule bestimmen konnte. Denn Texier war der 114
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erste, der sie richtig mit 19,70 m (bzw. 19,68 m) angab. Doch leider fand dieses Ergebnis bis heute keinen Eingang in die Forschungsliteratur. Seine Faszination für die antike Architektur brachte es wohl mit sich, dass Charles Texier sich kaum für die Umgebung des Apollontempels interessierte. Nur kurz erwähnt er sechs Sitzstatuen in einer Reihe, die an der Heiligen Straße von Milet aufgestellt waren. Diese Statuen sollten der Gegenstand der Forschungen werden, denen sich die Nachfolger Texiers in den nächsten Jahren widmeten.
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Ludwig Ross – 1844 Ross’ Wirken in Griechenland – Beschwerliche Anreise nach Didyma – Die Heilige Straße von Milet – Die Prophetin von Didyma und ihr Stab – Das Amt des Propheten, des Stephanephoren, der Tamiai und der Hydrophoren – Die Mäanderebene – Heimreise nach Deutschland Mit Ludwig Ross kam der erste deutsche Archäologieprofessor nach Didyma. Dort machte er zwar keine spektakulären Entdeckungen, aber vor allem seine Reisebeschreibungen sind heute noch lesenswert. Ludwig Ross war begeisterter Archäologe, Philologe und sprühte vor Ideen. So schlug er vor, deutsche Siedler sollten das fruchtbare, aber weitgehend brachliegende Mäandertal urbar machen und dort deutsche Kolonien gründen, statt nach Amerika auszuwandern. Freilich blieb dieser Vorschlag des deutschen Patrioten ungehört. Ludwig Ross wurde am 22. Juli 1806 in Holstein geboren und verbrachte die ersten Lebensjahre auf dem väterlichen Landsitz in Altekoppel. Er studierte Philologie, also Lateinisch und Griechisch, und wurde 1829 promoviert. Sein Hauptinteresse galt dem antiken Griechenland. 1832 kam Ross zum ersten Mal dorthin. Genau in diesem Jahr war Prinz Otto von Bayern zum König Griechenlands ernannt worden. Im Februar 1833 trat er sein Amt in der damaligen Hauptstadt Nafplion auf der Peloponnes an. Dort setzte König Otto Ludwig Ross als „Conservator der Antiquitäten“ für die Peloponnes ein. 1834 wurde Athen zur Hauptstadt Griechenlands erklärt. König Otto berief Ludwig Ross im August desselben Jahres zum Oberkonservator der Altertümer Griechenlands. In dieser Funktion unternahm Ross Ausgrabungen auf der Akropolis und stellte sich einer bis dahin nie dagewesenen Aufgabe: dem Wiederaufbau eines antiken Tempels (Abb. 44).
Abb. 44: Athen, Akropolis. Der Tempel der Athena Nike von Nordwesten. 116
Ludwig Ross – 1844
Der kleine Tempel der Athena Nike stand ursprünglich auf der Westspitze der Athener Akropolis. In der zweiten Hälfte des 5. Jhs. v. Chr. war er errichtet worden und ein Werk von höchster Qualität sowie reich mit Reliefs verziert. Bis zum Ende des 17. Jhs. stand er aufrecht, ehe ihn die Osmanen abtrugen und seine Bauteile zur Befestigung der Akropolis verwendeten. Zusammen mit den Architekten Gustav Eduard Schaubert und Christian Hansen ging Ludwig Ross daran, die Werkstücke des Tempels aus den Festungsmauern herauszulösen und den Niketempel zum zweiten Mal aufzubauen. Dies war eine Pionierleistung, die heute selbstverständlich geworden ist. An vielen antiken Stätten hat man seitdem Bauten zum Teil oder ganz wiedererrichtet. In der Umgegend von Didyma sind dies z. B. die Celsus-Bibliothek von Ephesos oder der Bad-Gymnasium-Komplex in Sardis. Für Didyma hätte Ross sicher auch Wiederaufbau-Pläne entworfen, wenn er dort hätte Ausgrabungen durchführen können. Ludwig Ross war ein Enthusiast. So quittierte er 1836 seinen Dienst als Oberkonservator, weil es schon länger zwischen ihm und dem griechischen Kultusministerium zu Differenzen gekommen war. Bereits im Juni 1837 wurde er jedoch zum Professor für Archäologie an der König-Otto-Universität in Athen ernannt. Diese Stelle verlor er bei den Unruhen in Griechenland im September 1843 wieder. Für sein ursprüngliches Heimatland war dies aber ein Glücksfall, denn so konnte Ludwig Ross weltweit als erster Professor für Archäologie berufen werden, und zwar an die Universität Halle-Wittenberg. Ross trat seine Professur aber noch nicht an, denn die Universität hatte ihn für zwei Jahre freigestellt, um Griechenland und den Orient bereisen zu können. Und so war er in den Jahren 1844/ 45 dort unterwegs und besuchte 1844 Didyma in Westkleinasien. Am 27. April 1844 stach Ludwig Ross in See vom Piräus aus, dem Hafen Athens. Als Begleiter hatte er auf eigene Kosten den Architekten Emil Laurent aus Dresden dabei, der für ihn zahlreiche Zeichnungen anfertigte. Außerdem reiste der griechisch-französische Reisediener François Vitali mit, der ferner als Dolmetscher fungierte. Über verschiedene griechische Inseln segelte die kleine Gruppe bis nach Lykien im südwestlichen Kleinasien. Am 30. April liefen sie z. B. die Insel Tenos an (wenig nordwestlich von Mykonos; Karte 1). Dort wurden sie von den Einheimischen mit Pauken und Trompeten empfangen, weil man Ross für den neuen Gouverneur der Insel hielt. Da er auf einem Schiff mit königlichem Wappen reiste, waren die Griechen dieser Täuschung erlegen. Auf den kleinen Inseln blieb Ross meist nur ein oder zwei Tage, während er auf Rhodos vierzehn Tage zubrachte. Von dort reisten er und seine Begleiter am 30. Mai 1844 in einem kleinen Boot mit drei Mann Besatzung ab. Ehe sie die lykische Küste erreichten, machten sie Halt auf der griechischen Insel Kastellorzio. Dort wachte Ludwig Ross in der Nacht von einem Höllenlärm auf: Es gab eine totale Mondfinsternis. Die Griechen und Türken waren darüber sehr erschrocken, weil sie befürchteten, Dämonen rauben die Mondgöttin Selene. Mit Geschrei, Gewehrschüssen, Getrommel, Gesang und Gebeten 117
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zu den Heiligen wollten sie die Dämonen vertreiben. Das gelang auch, nach einiger Zeit klarte der Mond wieder auf. Ross schrieb dazu, wenn er das Griechisch der Einwohner nicht verstanden hätte, hätte er sich im Land der Hottentotten gewähnt. Am 1. Juni 1844 erreichte Ross’ kleines Boot die türkische Küste bei Myra. Anschließend erkundete er die antiken Stätten in Lykien. Wie andere Forscher ärgerte Ross sich über die fortschreitende Zerstörung der antiken Bau- und Kunstwerke durch die Einheimischen: „Das sei in Griechenland und der Türkei dasselbe und durch kein Gesetz könne man dies verhindern“. Zu dieser Auffassung hatten sicher Ross’ Erfahrungen als Oberkonservator der Altertümer Griechenlands beigetragen. Die Schlussfolgerung, die er daraus zog, kann nicht verwundern: „Diese Tatsache (das heißt die Zerstörung) rechtfertigt jede Wegführung von Kunstwerken nach Europa“. Und damit hatte Ludwig Ross recht. Viele der antiken Denkmäler, die sich heute in europäischen Museen befinden, gäbe es nicht mehr, wenn sie vor Ort geblieben wären. Dieses Faktum muss bei heutigen Rückforderungen immer mit in Betracht gezogen werden. Ebenso ist dabei zu bedenken, dass Kulturgüter in europäischen Museen aus Griechenland oder Kleinasien zu Reisen in die Ursprungsländer anregen und diese davon profitieren können. Am 19. Juni 1844 erreichte Ludwig Ross mit seinen mittlerweile drei Begleitern Stratonikeia in der antiken Landschaft Karien. Neben seinem Architekten und dem Reisediener hatte er seit kurzem noch Mustafa dabei, der als Pferdeknecht diente. Es war allerdings ein besonderer Pferdeknecht, denn er trug immer einen grünen Turban, der seine Abstammung vom Propheten Mohammed bezeugte. Mustafa und François hielten für Ross und Laurent jeden Morgen Kaffee bereit. Nach dem Frühstück verpackten sie alle Vorräte in die wichtigste Kiste, die die Reisenden mit sich führten. Sie enthielt Kaffee, Tee, Zucker, Reis, Maccaroni, einen Teetopf mit Teetassen, sechs Blechteller, Tee- und Esslöffel, Messer und Gabeln, Kochgeschirr, Butter, Käse, Salz, Pfeffer und Senf, eine Kaffeemaschine mit Spirituskocher, ein paar Flaschen Weingeist zum Kochen, Rum zum Tee, Kerzen und Streichhölzer sowie die Reiseapotheke mit Chinin, Heftpflaster und Brausepulver. Am selben Tag gelangten Ludwig Ross und seine Begleiter noch nach Mylasa (heute Milas). Der 20. Juni diente ihnen zunächst als Ruhetag, ehe sie nachmittags per Boot nach Milet aufbrechen wollten. Dazu ritten sie um 3 Uhr zum 5 Stunden entfernten Hafen von Mylasa los. Eine Barke auf dem Weg nach Konstantinopel wollte die Reisenden mitnehmen und drei Stunden nach Sonnenuntergang absegeln. Wie ein schlechtes Omen springt kurz vor der Ankunft in Külük-Köy (heute Güllük) vor Ross ein großer Wolf über den Weg und alle erschrecken furchtbar. In Külük-Köy erfahren sie, dass die Barke schon kurz nach Sonnenuntergang abgefahren sei, weil der Wind dem Kapitän gerade günstig erschien. Da der Tag beinahe vergangen war, konnte Ross nur auf ein anderes Boot am nächsten Tag hoffen. Tatsächlich fanden er und seine Begleiter ein Schiff mit vier samischen Fischern, die sie über Iasos nach Didyma bringen wollten. Doch zuvor kam noch der türkische Gesundheitsbeamte zur 118
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Passkontrolle. Er wunderte sich, dass bei Ross, Laurent und Vitali „bartlos“ im Pass eingetragen war. Denn sie alle drei hatten lange Bärte und sahen aus wie Derwische (muslimische Bettelmönche). Aber der türkische Beamte nahm es nicht schwer. Auf diese Weise hatte er eine Aufgabe und konnte den Pass entsprechend ändern zum Preis von 18 Piastern, einem Taler und sechs Silbergroschen, wie Ross genau vermerkte. Am Abend des 21. Juni 1844 verließ die Barke den Hafen. Ludwig Ross, Emil Laurent und François Vitali hatten ihre Matratzen auf den getrockneten Fischen der Samier ausgebreitet und dachten eine geruhsame Nacht zu verbringen. Aber es kam anders: Ein Gewitter zog auf und es regnete stark. Das Lager auf den stinkenden Fischen wurde nun ungemütlich. Doch sie mussten durchhalten. Ungefähr 40 Stunden kreuzte die Barke und versuchte nach Norden zu segeln. Aber es half alles nichts. Schließlich legte das Boot an, es wurde Feuer gemacht und auf besseres Wetter gewartet. Das Boot konnte am nächsten Abend weitersegeln und landete am Vormittag des 23. Juni am Strand südlich von Didyma an (heute Altınkum, damals Karakuja). Ludwig Ross bezeichnete den Landeplatz als Teichiussa, wie schon andere Forscher vor ihm. Teichiussa war im Altertum eine Ansiedlung, die zu Milet gehörte. Eine Inschrift mit der Erwähnung dieses Ortsnamens hatte man in der Nähe des besagten Landeplatzes gefunden und vermutete, dort müsse sich Teichiussa befunden haben. Aber Reste antiker Bauwerke gibt es an dieser Stelle, vier Kilometer südöstlich von Didyma, nur aus byzantinischer Zeit. Somit muss Teichiussa anderswo gelegen haben. Die Inschrift sowie weitere antike Werkstücke hatte man wahrscheinlich in byzantinischer Zeit in diese Bucht verschleppt, um sie zum Bau von Kirchen wiederzuverwenden. Nachdem Ludwig Ross und seine beiden Mitreisenden in Didyma angekommen waren, klarte das Wetter auf und die Sonne schien. Nun hatten sie Gelegenheit, ein Bad zum Reinigen und Erfrischen zu nehmen. Damals wird es ziemlich einsam am Strand gewesen sein, der heute zu Altınkum (Türkisch für „Goldsand“) gehört. Jetzt befindet sich dort der wichtigste Badeplatz von Didim, an dem man im Sommer kaum noch etwas von dem „goldenen Sand“ sieht, sondern nur noch Liegen, Sonnenschirme und Menschen. Doch damals genoss Ludwig Ross sein Bad und empfand Vorfreude auf den Besuch Didymas, weil er die Säulen des Apollontempels und die Windmühle bereits erblickte. Ganz allein waren die Reisenden aber nicht, denn sie fanden immerhin jemanden, den sie nach Gerontas (eigentlich Jeronda) schickten, um Pferde zum Abholen ihres Gepäcks zu organisieren. Nach einem Ritt von einer knappen Stunde gelangten sie in das Dorf der Griechen, laut Ross „Gerontas“ genannt. Er überlegte, wie es zu diesem Namen gekommen sei und erwog, ob er nicht von „geron“ dem altgriechischen Wort für „alt“ oder „Greis“ abgeleitet sei. Eine Verbindung zu dem altgriechischen Wort „hieron“ (= Heiligtum) konnte er nicht erkennen. Und doch stammt die neugriechische Bezeichnung von Didyma, nämlich Jeronda oder Hieronda, davon ab (siehe das Kapitel zu Cyriacus von Ancona). 119
Apollonheiligtum von Didyma
Der 23. Juni 1844 war ein Sonntag. Aber nicht nur deswegen hatten sich alle Einwohner in einer „Kaffeeschenke“ versammelt. Dorthin waren sie nicht wegen Ludwig Ross gekommen, sondern wegen ein paar anderen schiffbrüchigen Samiern. Sie waren in der vergangenen Nacht bei Kap Monodendri in Seenot geraten. Die Samier konnten sich retten, aber ihr Schiff war gesunken. Davon berichteten sie im Kaffeehaus den neugierigen Einheimischen. Ross hatte unterdessen Gelegenheit, sich den Ort anzuschauen. Er zählte etwa 150 bis 160 Häuser. Also weit mehr als Charles Texier, der 1835 nur 40 gesehen haben wollte. Dass die Angabe von Texier nicht ganz stimmen kann, wurde schon bemerkt. Gerontas oder besser Jeronda hatte sich zu einer größeren Ortschaft entwickelt, obwohl es doch erst um 1780 gegründet worden war. Ludwig Ross schreibt, dass die meisten Einwohner Albanisch sprachen und aus Athen und seiner Umgegend, wie Megara und der Insel Salamis, eingewandert seien. Viele von ihnen überlegten nach Griechenland zurückzugehen, weil es dort mehr Freiheit gebe. Allerdings wären die Steuern höher als im Osmanischen Reich. Ludwig Ross erinnerte sich an das, was der antike Geograph Strabon zu Didyma geschrieben hatte: Der Innenraum des Apollontempels sei beinahe so groß, dass ein ganzes Dorf darin Platz hätte (Geographica 14,1,5). Als Ross dabei die Szenerie betrachtete, meinte er, Strabons über 1800 Jahre alte Ansicht hätte sich jetzt erfüllt. Denn die Häuser der Griechen standen alle dicht gedrängt um die Ruine des Apollontempels, die man mit einer Windmühle bekrönt hatte. Ludwig Ross widmete seine Hauptaufmerksamkeit aber nicht dem Apollontempel, sondern der Heiligen Straße nördlich davon. Damals kannte man nur den Abschnitt, den schon William Gell 1812 auf seiner Karte eingezeichnet hatte (siehe das Kapitel zu Gell, Gandy und Bedford). Rund 200 m nordwestlich der Kapelle des heiligen Taxiarchis waren die ersten Statuen und Sarkophage zu sehen. Von da an konnte man den Verlauf des Weges etwa 600 m weit nach Nordwesten verfolgen. Zum einen war die Mulde der ehemaligen Straße zu erkennen und zum anderen Statuen und Sarkophage rechts und links von ihr. Obwohl der weitere Weg der Heiligen Straße damals nicht nachvollziehbar war, zeigte ihr Verlauf Richtung Nordwesten an, dass sie zum antiken Hafen Panormos geführt haben musste. Ross war deshalb der Auffassung, dass die Prozessionsteilnehmer von Milet und anderswo per Schiff nach Panormos gekommen und von dort zu Fuß nach Didyma gezogen wären. Als erster verglich Ross die Heilige Straße von Didyma mit anderen Prozessionswegen im antiken Griechenland oder im Alten Ägypten. In Karien gab es Heilige Straßen von Mylasa ins Zeusheiligtum nach Labraunda und in Attika von Athen ins Demeterheiligtum nach Eleusis. In Ägypten hatte man oft die Wege zu Heiligtümern oder Grabmälern mit Statuen verziert. In Saqqara standen Sphinxstatuen zu beiden Seiten des Weges zum Serapeum. Eine weitere „Sphinxallee“ existierte zwischen zwei Tempeln in Luxor. Doch Ludwig Ross erkannte auch, dass man die Sphingenalleen Ägyptens nur bedingt mit den Heiligen Straßen Griechenlands vergleichen kann. In Didyma gab es zwar Statuen am Prozessionsweg, aber bei weitem nicht so viele und regelmäßig aufgestellte 120
Ludwig Ross – 1844
wie am Weg zu manchem ägyptischen Heiligtum. Für die Heiligen Straßen Griechenlands war es außerdem typisch, dass man Gräber oder größere Grabanlagen an ihnen errichtete; davon zeugen die zahlreichen Sarkophage am Weg nach Didyma, die teilweise heute noch zu sehen sind. An diesem Prozessionsweg sah Ludwig Ross neun Sitzstatuen, die bis zu zwei Dritteln hoch verschüttet waren (Abb. 45). Deshalb spricht er immer wieder davon, wie leicht es wäre, die Heilige Straße mit ihren Monumenten auszugraben. Offensichtlich erkannte er, dass dagegen eine Freilegung der Tempelruine viel schwieriger und aufwändiger wäre; denn davon redet er nie.
Abb. 45: „Versunkene“ Sitzstatuen an der Heiligen Straße nach Didyma. Im Hintergrund die Ruine des Apollontempels mit der Windmühle darauf (Emil Laurent, 1844). Angesichts der für die griechische Kunst ungewöhnlichen Sitzstatuen fragte sich Ludwig Ross, wer dargestellt sei und ob es sich um Männer oder Frauen handelte. Denn die weichen Körperformen der Statuen mit leicht vorgewölbter Brust erlaubten es nicht, die Frage des Geschlechts eindeutig zu beantworten. Die einheimischen Bauern waren der Meinung, es handele sich um junge Frauen, denn sie bezeichneten die Statuen mit „kopéles“, dem neugriechischen Wort für „Mädchen“. Ludwig Ross konnte das Geschlecht der dargestellten Personen nicht anhand ihres Aussehens klären. Deswegen überlegte er, welche Amtsträger es im antiken Didyma gab, die man im 6. Jh. v. Chr. dargestellt haben könnte. Denn für ihn war klar, dass die Sitzstatuen älter sein müssten als die Perserzerstörung im Jahr 494 v. Chr. (siehe das Kapitel zu Choiseul-Gouffier). Inschriften des 6. Jhs. v. Chr. geben aber keine Auskunft zum sogenannten Kultpersonal in Didyma. Hier kann man nur auf spätere Quellen des Hellenismus und der römischen Kaiserzeit zurückgreifen. Schon erwähnt wurde das Amt der Prophetin. Sie saß über der Heiligen Quelle im Innenhof des Apollontempels und wurde von deren Wasser inspiriert (siehe die Kapitel zu Wheler und Spon sowie zu Dedreux, Donaldson und Huyot). Ein spätantiker Schriftsteller berichtet über wenige Einzelheiten der Inspiration: Zuerst reinigte sich die Prophetin bei einem rituellen Bad. Dann begab sie sich in den Sekos und fastete drei Tage lang. Der Orakelgott Apollon erfüllte sie schließlich, 121
Apollonheiligtum von Didyma
wenn sie den Saum ihres Gewandes oder ihre Füße in das heilige Wasser hielt. Als dritte Option wird noch das Einatmen der Dämpfe des Wassers zur Inspiration angegeben (Jamblichus, Über die Geheimlehren 3,11). Die Heilige Quelle lag im Nordosten des Sekos und war von einem Brunnenhaus teilweise überdeckt (siehe das Kapitel zu Wiegand und Knackfuß zu den Jahren 1908 und 1909 sowie zum Jahr 1911). Die Prophetin saß wahrscheinlich in der Kammer unter dem Brunnenhaus und hielt außerdem einen Stab in ihren Händen, wie Jamblichus schreibt. Das Ganze erscheint aus heutiger Sicht unglaubwürdig; was nicht besonders verwundert, da Jamblichus die einzige Quelle zu diesem Thema in Didyma ist. Erstaunlich ist jedoch, dass vor einigen Jahren im Nordosten des Sekos ein Fund gemacht wurde, der für diese Angelegenheit außerordentlich wichtig ist; dessen Bedeutung aber bisher nicht erkannt wurde: Der mögliche Knauf des Stabes der Prophetin wurde bei Ausgrabungen im Jahr 2005 gefunden (Abb. 46). Damals kam ein kugelförmiger Bronzeknauf im Nordosten des Innenhofes zum Vorschein, und zwar ganz in der Nähe des Orakelbrunnens. Dieser Bronzeknauf bildete ursprünglich die Bekrönung eines Holzstabes, also einer Art Zepter. Interessant ist dabei, dass der Bronzeknauf aus dem 8./7. Jh. v. Chr. stammt, also aus der Zeit, in der die Milesier das Apollonheiligtum von Didyma gründeten. Somit gibt es einen einzigartigen archäologischen Fund, der die von Jamblichus geschilderte Prozedur bestätigen kann.
Abb. 46: Fragment eines Bronzeknaufs (4,4 cm hoch und 6,3 cm breit). Neben der Prophetin existierte noch das Amt des Propheten, welches das höchste im Apollonheiligtum war. Der Prophet wurde für ein Jahr gewählt, konnte aber mehrere Jahre hintereinander diese kostenintensive Stelle innehaben. Der Prophet musste nämlich Bankette ausrichten und an122
Ludwig Ross – 1844
dere Aktivitäten im Heiligtum finanzieren. Folglich ist klar, dass nur Männer aus besonders reichen und angesehenen Familien Milets dieses Amt übernehmen konnten. Die beiden wichtigsten Funktionen des Propheten waren darüber hinaus die Durchführung der Opfer für Apollon und die Verkündigung seiner Orakelsprüche. Schließlich qualifizierte das Amt des Propheten für das höchste Amt in der Polis Milet, nämlich das sogenannte Stephanephorat. Nach den Stephanephoren (Griechisch für „Kranzträger“) erfolgte auch die Zählung der Jahre in Milet (und Didyma), das heißt ihr Name bezeichnete das Jahr und wurde quasi als Jahreszahl verwendet. Neben verschiedenen untergeordneten Ämtern existierte noch die wichtige Funktion der Tamiai in Didyma. Sie waren die Schatzmeister des Heiligtums, machten die Buchhaltung und verwalteten die Tempelschätze. Das war eine verantwortungsvolle Aufgabe, denn die Einnahmen (und Ausgaben) des Heiligtums waren beträchtlich (siehe das Kapitel zu Texier). Ab etwa dem 3. Jh. v. Chr. amtierten die Tamiai halbjährlich, das heißt immer zwei pro Jahr. Bei den jungen Frauen Milets war das Priesteramt der Artemis von Didyma das populärste. Davon zeugen Dutzende von Inschriften. Diese Priesterinnen wurden „Hydrophoren“ genannt und jeweils für ein Jahr bestimmt. Ihre Väter waren oft die Propheten Didymas. Somit ist deutlich, dass auch die Hydrophoren nur aus den angesehensten Familien Milets kamen. Hydrophore heißt auf Griechisch „Wasserträgerin“. Bekannt ist aus Inschriften, dass sie Wasser für die Opfer an Artemis herantrugen. Überdies führten sie Mysterien durch, also Geheimkulte, über die man allerdings nichts weiß. Weil sie als „Wasserträger“ bezeichnet werden, vermuten manche, dass sie in irgendeiner Weise am Orakelkult Apollons beteiligt waren. Dort spielte Wasser schließlich die wichtigste Rolle. Aber eben Wasser aus dem Brunnen, über dem die Prophetin saß. Folglich musste das Wasser nicht erst gebracht werden. Somit ist es unwahrscheinlich, dass die Priesterinnen der Artemis eine Funktion im Orakelkult des Apollon hatten. Ludwig Ross kannte noch nicht alle dieser Informationen. Aber auch mit ihnen hätte er nicht sagen können, ob die Sitzstatuen an der Heiligen Straße Propheten oder Hydrophoren darstellen. Wahrscheinlich waren weder die einen noch die anderen gemeint, wie eine später gefundene Inschrift zeigt (siehe das Kapitel zu Newton). Am Ende ließ Ludwig Ross drei dieser Statuen von Emil Laurent zeichnen und nahm sich vor, wiederzukommen und sie auszugraben (siehe Abb. 45). Dazu kam es jedoch nie. Auch 1844 war Ludwig Ross nicht lang in Didyma geblieben, denn schon am späten Nachmittag des 23. Juni brachen er und seine Begleiter zu Pferd nach Milet auf. Sie nahmen den Weg, der heute als moderne Straße nach Milet führt: Zuerst ritten sie zum antiken Hafen Panormos. Dort ankerten viele Boote von den Inseln Patmos und Ikaros, die Erntehelfer nach Jeronda und Akköy brachten. Von Panormos verlief der Pfad etwa eine Meile die Küste entlang und wendete sich dann ins Landesinnere in Richtung Akköy (Karte 2). Kurz vor diesem Dorf, gab es rechts eine ergiebige Quelle. Hier wollten die Reisenden eine ruhige Nacht verbringen. 123
Apollonheiligtum von Didyma
Sie schlugen ihr Lager auf und bereiteten ihr Abendmahl aus den Vorräten ihrer berühmten Küchenkiste zu. Nachdem die Sonne untergegangen war, machten sie es sich auf ihren Matratzen bequem. Doch während sie sich hinlegten, stiegen von den umliegenden, gut bewässerten Gärten Myriaden von Mücken auf, um sich ihre Abendmahlzeit zu suchen. Ross’ und Gefährten versuchten ihnen zu entkommen, indem sie ihre Matratzen immer weiter die Hügel hinaufschleppten in der Hoffnung, dass die Mücken ihnen nicht folgten. Doch die Mücken ließen nicht locker. Zuletzt blieb ihnen nichts weiter übrig, als Pfeife rauchend umherzulaufen und auf den Morgen zu warten. Ein wenig Trost hätten Ludwig Ross und seine Begleiter wohl erfahren, wenn sie gewusst hätten, dass bereits der Graf von Choiseul-Gouffier 1776 die gleichen Erfahrungen gemacht hatte. Bei seinem Aufenthalt hatte er es selbst mit einem großen Feuer nicht vermocht, die Mücken zu vertreiben. Jedoch erkannte Ross, nachdem er ins nahe Dorf Akköy weitergeritten war, dass man sich doch wirkungsvoll gegen die Mücken schützen kann: Denn auf den Dächern der etwa 200 Häuser waren überall Zelte aus Baumwollstoff aufgestellt, in denen die mehrheitlich griechischen Einwohner die Nächte verbrachten. Von der Höhe bei Akköy aus erblickte Ludwig Ross zum ersten Mal die Mäanderebene mit dem nahen Milet. Im Hintergrund erhob sich die Mykale und im Rücken der Latmos, beides etwa 1300 m hohe Mittelgebirge. Die Gegend faszinierte ihn auch eingedenk seiner Geschichte. Vielleicht kam ihm hier der Gedanke, dass es doch sinnvoll wäre, die fruchtbare Ebene, die damals kaum genutzt wurde, mit deutschen Siedlern zu bevölkern. Ross hielt sich in Milet nicht lange auf, setzte über den Mäander und zog mit seinen Begleitern zu den Ruinen Prienes unterhalb der Mykale weiter. Die gut erhaltene Ruine des Athenatempels veranlasste ihn zu der Bemerkung, dass man diesen Bau leicht wiederaufbauen könnte – genauso wie den Niketempel auf der Athener Akropolis. Bis heute wurden jedoch nur fünf Säulen wiedererrichtet. Nicht weit von der Ruinenstätte gab es wieder ein Griechendorf, wo die Reisenden übernachteten. Bei den Griechen hieß es Kelebesion, während es die Türken „Kalebesch“ nannten. Da „besch“ auf Türkisch „fünf “ heißt, existierte die folgende Legende, nach der das Dorf seinen Namen erhalten haben sollte: Einmal wären nämlich fünf Männer enthauptet und ihre Köpfe auf Pfähle gesteckt worden. Das konnte aber nicht stimmen, da das Dorf und sein Name griechischen Ursprungs waren. Ludwig Ross begeisterte sich aber mehr für das grünende und blühende Mäandertal und er fragte sich wiederholt, warum es seine Landsleute nach Texas zog und nicht hierhin. Dies hatte jedoch auch politische Gründe, denn damals wie heute sind Einwanderer nicht immer und überall willkommen. Über Söke kamen Ross und seine Begleiter am nächsten Tag nach Scala Nuova (Kuşadası). Dort mieteten sie ein Schiff an, welches sie zurück nach Athen bringen sollte. Das Boot mit vier Mann Besatzung legte am Abend des 27. Juni ab und am 2. Juli 1844 erreichten sie wohlbehalten den Hafen von Piräus. Nachdem sie dort – wie üblich – zehn Tage in Quarantäne verbracht hatten, gelangten sie zum Endpunkt ihrer Tour, Athen. 124
Ludwig Ross – 1844
Nach weiteren Reisen kehrte Ludwig Ross schließlich im Herbst 1845 nach Deutschland zurück. Dort trat er seine Professur für Klassische Archäologie in Halle an der Saale an. Interessant ist hierbei, dass die Leiter der Ausgrabung in Didyma seit 2003 ebenfalls von der Universität Halle-Wittenberg kommen: von 2002 bis 2012 der Professor für Klassische Archäologie Andreas E. Furtwängler und seit 2013 Helga Bumke. Ludwig Ross verbrachte glückliche Jahre in Griechenland. Doch seit dem Winter 1847 plagten ihn schwere Durchblutungsstörungen in den Beinen, die sich langsam verschlimmerten und schließlich zur Bewegungsunfähigkeit führten. Dieses Leiden war die Ursache dafür, dass er am 6. August 1859 in Halle Suizid beging. Als Klassischer Archäologe erwarb sich Ludwig Ross viele Verdienste. Am Augenfälligsten ist davon wohl der Wiederaufbau des Niketempels auf der Athener Akropolis. Doch ebenso wichtig waren seine Ausgrabungen am benachbarten Parthenon, dem bekanntesten aller klassischen Tempel. Ross machte als erster archäologische Ausgrabungen, bei denen die Abfolge der Schichten (Stratigraphie) beachtet und dokumentiert wurde. Wenn es seine Gesundheit erlaubt hätte, wäre Ludwig Ross vielleicht noch einmal nach Didyma zurückgekehrt und hätte dort wissenschaftliche Ausgrabungen durchgeführt. Das war ihm jedoch nicht vergönnt. In Erinnerung von ihm bleibt seine Idee der deutschen Besiedlung des Mäandertales. Dies war freilich ein wenig realistischer Vorschlag, der damals kaum Beachtung fand. Aber in gewisser Weise kam es dennoch zu seiner Ausführung: Denn statt deutscher Bauern ließen sich deutsche Archäologen in der Mäanderebene und seiner näheren Umgebung am Ende des 19. und am Anfang des 20. Jhs. nieder. In keiner anderen Gegend der klassischen Antike sind auf so engem Raum so viele deutsche Ausgrabungen durchgeführt worden bzw. werden heute noch durchgeführt. Dazu gehören die Ausgrabungen von Milet, Didyma und Priene. An diesen drei Orten wurden auch Grabungshäuser mit Magazinen errichtet. Allerdings hat man die Grabung Priene mittlerweile in türkische Hände übergeben. Überdies gab es noch weitere Ausgrabungen im Mäandertal, und zwar in Myus, wenig östlich von Milet, und in Magnesia am Mäander, eine Ausgrabung, die heute ebenfalls von türkischer Seite betrieben wird. Deutsche Archäologen erforschten ferner die Gegend des einstigen Latmischen Meerbusens, den der Mäander zu einem Binnensee werden ließ. Die wichtigste Ruinenstätte dort ist Herakleia am Latmos. Zu guter Letzt ist noch das Panionion zu erwähnen, welches ebenfalls von deutschen Archäologen untersucht wurde. Es befindet sich auf der Nordseite der Mykale etwa gegenüber von Priene (Karte 1). An den genannten Orten arbeiteten mittlerweile Hunderte deutscher Forscher, hauptsächlich Klassische Archäologen. Dies war natürlich nur möglich mit Erlaubnis und freundlicher Unterstützung durch das Osmanische Reich bzw. die Türkische Republik. Wenn Ludwig Ross dies hätte ahnen können, hätte er vielleicht noch zu Lebzeiten seinen Vorschlag zur deutschen Besiedlung der Mäanderebene ad acta gelegt. 125
Apollonheiligtum von Didyma
Charles Thomas Newton – 1857/58 Das Mausoleum von Halikarnassos – Ausflug nach Didyma – Pierre Trémaux und die ersten Fotografien von Didyma (1853/54) – Die Heilige Straße von Milet nach Didyma und die Frühjahrsprozession – Die ersten Ausgrabungen in Didyma – Teichiussa und der Peloponnesische Krieg – Der Fund wichtiger Inschriften – Abtransport der Sitzstatuen – Über Knidos zurück nach London 1857 kam Charles Thomas Newton zum ersten Mal nach Didyma, um sich im Auftrag der britischen Regierung nach Erwerbungen für das Britische Museum in London umzusehen. Dazu machte er Ausgrabungen an der Heiligen Straße nördlich des Apollontempels. Somit steht Newton zwischen zwei Epochen der Erforschung Didymas: Zum einen endet mit ihm die Phase der Aufnahme des sichtbaren Bestandes in Didyma. Nachdem unter der Society of Dilettanti die Überreste des Apollontempels untersucht und eine Umgebungskarte erstellt worden waren (siehe die Kapitel zu Chandler, Revett und Pars sowie zu Gell, Gandy und Bedford), erforschte Charles Th. Newton die Heilige Straße nördlich des Apollontempels genauer. Damit war aus seiner Sicht die Untersuchung Didymas zunächst abgeschlossen. Zum anderen läutete Newton eine neue Epoche ein, denn er machte in Didyma als erster Ausgrabungen im größeren Stil. Diese neue Phase sollte 1873 richtig beginnen, als französische Altertumsforscher nach Didyma kamen und seine Erforschung bis zum Ende des Jahrhunderts prägten. Über die Kindheit und die Ausbildung von Charles Th. Newton ist nicht viel bekannt: Er wurde am 15. oder 16. September 1816 in England geboren und studierte am Christ Church College in Oxford von 1833 bis 1840. Seit dem Ende seines Studiums arbeitete er für das Britische Museum in London. Als seine wichtigste Zeit im Orient können die Jahre von 1852 bis 1859 gelten, als er britischer Vizekonsul auf der Insel Lesbos war. Zwischendurch amtierte er knapp ein Jahr als Konsul auf der Insel Rhodos. Diese Jahre gaben Newton die Gelegenheit, zu anderen griechischen Inseln und nach Kleinasien zu reisen. Dazu stattete ihn das britische Außenministerium mit finanziellen Mitteln aus. Nebenbei hatte er so den Auftrag, nach antiken Kunstwerken Ausschau zu halten und sie für das Britische Museum zu erwerben. Am 17. Februar 1852 verließ Charles Th. Newton den Hafen von Southampton und segelte über die Insel Malta und Patras nach Athen. Im April 1852 gelangte er nach Konstantinopel und reiste von dort weiter nach Mytilene auf Lesbos. Im März 1855 kam Newton zum ersten Mal nach Bodrum an der kleinasiatischen Westküste südlich von Didyma (Karte 1). Bodrum war seit dem Altertum bekannt als Standort eines der Sieben Weltwunder. Das Mausoleum von Halikarnassos (antiker Name von Bodrum) hatte der karische Dynast Maussollos in der Mitte des 4. Jhs. v. Chr. errichten lassen als Grabmal für sich und seine Frau. Dieser riesige Bau war reichlich mit Skulpturen und Re126
Charles Thomas Newton – 1857/58
liefs verziert, die die damals berühmtesten griechischen Bildhauer angefertigt hatten. Eine ausführliche Beschreibung dieses Monuments ist beim antiken Schriftsteller Plinius dem Älteren überliefert (Naturalis historia 36,9) und führte zu großer Bekanntheit des Grabmals seit der Renaissance. Zu Newtons Zeiten wusste man außerdem, dass das Mausoleum im 15. und 16. Jh. komplett abgetragen worden war. Dies hatten die Ritter des Johanniterordens unternommen, um ihre am Hafen gelegene Festung St. Peter zu errichten (Abb. 47). Bereits 1846 ließen die Briten aus der Johanniterfestung zwölf Friesplatten des Mausoleums nach London bringen. Weitere Skulpturen und Bauelemente waren auch danach noch sichtbar, und zwar in der Burg verbaut; einige sind es noch heute. Newton wollte einerseits weitere Bauteile des Grabbaues ins Britische Museum abtransportieren lassen, andererseits hatte er das Ziel, den ursprünglichen Standort des Mausoleums zu finden; denn er war unbekannt.
Abb. 47: Halikarnassos (heute Bodrum). Ansicht der Festung St. Peter (Richard P. Pullan, 1855). Im Herbst 1856 begab sich Newton nach London, um die Erteilung von Genehmigungen beim Osmanischen Reich zu organisieren, die den Transport von Bauteilen des Mausoleums nach London ermöglichen sollten. Außerdem bereitete er ein Schiff mit allen für die Ausgrabung des Fundaments nötigen Materialien vor. Anfang November 1856 kam die „Gorgon“ in Bodrum an. An Bord war auch der Korporal Spackman, der Fotografien der Unternehmungen anfertigen sollte. Die Suche nach dem Fundament des Mausoleums begann Newton am 1. Januar 1857. Bereits in einem Brief vom 10. April 1857 berichtet er, dass der Unterbau des Weltwunders gefunden sei, und zwar zusammen mit vielen Bauteilen, Fries- und Skulpturfragmenten. Die nächsten Monate waren Newton und seine Mitarbeiter damit beschäftigt, die Umgebung des Mausoleums freizulegen und zu erforschen. Schließlich drängte es Newton aber, nach Didyma zu gelangen, welches er bisher noch nie gesehen hatte. 127
Apollonheiligtum von Didyma
Mittlerweile lag ein anderes britisches Schiff in Bodrum vor Anker, um die Unternehmungen Newtons zu versorgen. Die „Supply“ verließ aber am 20. Oktober 1857 den Hafen, um von Malta neue Vorräte zu beschaffen. Charles Th. Newton fuhr bis zur Insel Kalymnos mit und von dort aus weiter nach Geronta (Didyma). Es begleiteten ihn der Korporal Spackman als sein Fotograf, drei türkische Arbeiter und sein alter Freund, der Schwammhändler Antonio Maillé. Newtons Ziel war es zunächst, Zeichnungen und Fotos von den bekannten archaischen Statuen an der Heiligen Straße zu machen. Newton war allerdings nicht der erste, der in Didyma Fotografien anfertigte. Wenige Jahre zuvor, 1853/54, gelangte Pierre Trémaux auf seiner Expedition durch den Orient hierher. Der französische Architekt machte von vielen antiken Stätten die frühesten Fotos, als er durch Tunesien, Libyen, Ägypten, Syrien, Kleinasien und Griechenland reiste; so auch von Didyma. Dort fotografierte Trémaux eine Löwenstatue, die Newton später nach London transportieren ließ. Außerdem legte er eine Sitzstatue an der Heiligen Straße frei und fertigte auch von ihr Aufnahmen an. Das war allerdings das letzte Foto dieser Plastik, denn seitdem ist sie verschollen. Des Weiteren fotografierte Pierre Trémaux zum ersten Mal die Ruine des Apollontempels und einzelne Bauteile von ihr. Auf der Fotografie von Südosten sieht man im Vordergrund zahlreiche Häuser der Griechen und viel Baumaterial, welches wohl von zerschlagenen Baugliedern des Tempels stammt. Im Hintergrund ragen die drei Säulen des Kultbaues hervor und dazwischen die Windmühle mit einem weiteren Griechenhaus (Abb. 48). Auf einem anderen Foto sind zwei Pilasterkapitelle des Apollontempels und ein Balken der Kassettendecke zu sehen.
Abb. 48: Blick auf die Ruine des Apollontempels von Südosten. Die älteste bekannte Fotografie Didymas (Pierre Trémaux, 1853/54). 128
Charles Thomas Newton – 1857/58
Diese Fotos kannte Newton sicher nicht. Aber heute sind sie umso wertvoller, da es die ältesten mit Ansichten des Apollontempels sind. Schließlich landete Newton im Oktober 1857 südlich von Didyma an, und zwar beim heutigen Altınkum, damals Karakuja (schwarze Bucht) genannt. Als Grundlage für seine Forschungen an der Heiligen Straße benutzte er den Plan, den William Gell 1812 angefertigt hatte (Karte 4). Die Heilige Straße war zu Newtons Zeiten nordwestlich des Apollontempels ab etwa 200 m Entfernung deutlich zu erkennen. Nach weiteren 90 m begann der Abschnitt, der von sichtbaren Sitzstatuen, Grabbauten und Sarkophagen flankiert war. Den Verlauf der Straße konnte man von da noch etwa 500 m verfolgen (Abb. 49). Dabei war klar, dass sie in Richtung des antiken Hafens Panormos führte. Dort endete sie jedoch nicht. Denn dass die Heilige Straße von Milet über Land nach Didyma verlief, wusste Newton noch nicht. Er ging wie Ludwig Ross davon aus, dass die Prozessionsteilnehmer per Schiff von Milet nach Panormos fuhren und sich von dort zu Fuß nach Didyma begaben (siehe das Kapitel zu Ross).
Abb. 49: Plan der Heiligen Straße von Milet im Bereich des Apollonheiligtums (Benjamin Spackman, 1857). Dieser insgesamt rund 18 Kilometer lange Prozessionsweg begann mitten in der Stadt Milet, nämlich beim Heiligtum des Apollon Delphinios. Von dort zogen die Teilnehmer nach Didyma ins Heiligtum des Apollon Didymeus. Die Prozession wurde jeweils einige Tage nach Beginn des neuen Jahres durchgeführt, welches in Milet am ersten Neumond nach der Frühlings-Tagundnachtgleiche begann. Der Prozessionszug verließ die Stadt Milet durch das sogenannte Heilige Tor. Dort war im Jahr 101/102 n. Chr. eine Bauinschrift angebracht worden, in der auf Lateinisch und Griechisch die Erneuerung der „heiligen Straße“ unter dem römischen Kaiser Trajan dokumentiert wird. Der nach dem Tor folgende Weg wird bereits in einer Inschrift des 2. Jhs. v. Chr. als „Hiera Hodos“, also als „heilige Straße“ bezeichnet. 129
Apollonheiligtum von Didyma
Die Heilige Straße führte von Milet südlich in Richtung des modernen Ortes Akköy und von dort auf einen rund 200 m ü. NN gelegenen Höhenzug, der im Altertum „Akron“ und in der Neuzeit von den Griechen „Ta Stefania“ genannt wurde (siehe das Kapitel zu Chandler, Revett und Pars). Von dort ging es langsam abwärts bis zum Hafen Didymas. Danach stieg der Weg wieder gemächlich an, bis er auf etwa 70 m ü. NN Didyma erreichte (Karte 2). Während der Prozessionen wurde unterwegs an sieben Stationen Halt gemacht und dort u. a. heilige Gesänge für Apollon gesungen. Eine Station, die lokalisiert werden kann, ist das Heiligtum der Nymphen, welches 3,5 Kilometer südlich der Passhöhe des Akron liegt. Dort entspringt u. a. eine Quelle und es gibt zahlreiche Grabbauten, die die Heilige Straße flankieren (siehe das Kapitel zu Tuchelt und Schneider). Über den Ablauf der Prozession gibt eine Inschrift Auskunft, die im Heiligtum des Apollon Delphinios in Milet gefunden wurde und sich heute im Alten Museum von Berlin befindet. Diese Inschrift entstand im 2. Jh. v. Chr., geht aber zum großen Teil bereits auf das 6./5. Jh. v. Chr. zurück. Die Prozession endete mit einem Tieropfer am Altar des Apollon in Didyma. Charles Th. Newton interessierten die sichtbaren Statuen an dem Prozessionsweg nördlich des Apollontempels von Didyma. Bei ihrer Freilegung stellte er fest, dass die Statuen zum großen Teil westlich der Straße aufgestellt waren. Der Weg selbst war etwa 20 Fuß (rund 6 Meter) breit und man hatte ihn mit Randsteinen auf beiden Seiten eingefasst (siehe Abb. 49). Wenig westlich des Weges fand Newton außerdem eine niedrige Begrenzungsmauer, die aus regelmäßigen Blöcken bestand. Sie ist heute komplett verschwunden, vermutlich war sie schon im 6. Jh. v. Chr. angelegt worden. Im Herbst 1857 beschränkten sich Newtons Unternehmungen hauptsächlich auf das Freilegen der archaischen Sitzstatuen und ihre Dokumentation. Weitere Ausgrabungen an der Heiligen Straße wie an der genannten Begrenzungsmauer machte Newton erst ein Jahr später, nachdem er die Sitzstatuen hatte abtransportieren lassen. 1857 arbeiteten lediglich drei Türken für Newton, denn die einheimischen Griechen waren dafür nicht zu gewinnen. Deswegen grub Newton nicht die ganze Straße aus, sondern eine Sitzstatue nach der anderen, insgesamt zehn Exemplare. Acht von ihnen waren an der Heiligen Straße aufgestellt. Für einige hatte man aus der Begrenzungsmauer Teile herausgebrochen, um sie platzieren zu können. Die Fotos von Trémaux und von Newton zeigen, dass die Statuen bei ihrer Auffindung ohne Basis einfach auf der Erde standen. Damit ist aus heutiger Sicht klar, dass dies nicht von Anfang an so gewesen sein kann. Jede antike Statue stand normalerweise auf einem Unterbau, der aus einer einfachen Steinplatte bis hin zu einem ganzen Gebäude bestehen konnte. Weil dies bei den Sitzstatuen des 6. Jhs. v. Chr. nicht der Fall war, gelangten sie also erst später an die Heilige Straße. Diese Tatsache erschloss sich Newton bei seinem Aufenthalt in Didyma allerdings noch nicht. Die Frage, wann genau die Sitzstatuen entlang der Heiligen Straße platziert wurden, ist schwer zu beantworten. Dennoch gibt es ein paar Indizien: Didyma wurde von den Persern am Anfang des 5. Jhs. v. Chr. geplündert und teilweise zerstört. Dabei kamen der Apollontempel und andere Gebäude zu schaden (siehe das Kapitel zu Choiseul-Gouffier). Wertvolle Weihgeschenke nahmen 130
Charles Thomas Newton – 1857/58
die Perser mit, andere – wie z. B. die marmornen Sitzstatuen – blieben da und wurden vielleicht nur beschädigt. Bis zur Befreiung von der Perserherrschaft durch Alexander dem Großen am Ende des 4. Jhs. v. Chr. schwieg das Orakel von Didyma. Als man um 330 v. Chr. den Neubau des Apollontempels in Angriff nahm, mussten der archaische Apollontempel und seine Nebengebäude abgetragen werden. Dabei ist es gut möglich, dass die Sitzstatuen aus dem Gebiet um den Apollontempel an die Heilige Straße gebracht und dort neu aufgestellt wurden. Da ihre Stifter längst gestorben waren, nahm daran niemand mehr Anstoß. Ludwig Ross meinte, die Sitzstatuen hätten ihr Vorbild in ägyptischen Statuen, für die es typisch sei, Menschen sitzend zu zeigen. Im griechischen Raum sind Sitzstatuen des 6. Jhs. v. Chr. nur in Ionien, das heißt hauptsächlich in Milet und Didyma sowie auf der Insel Samos, gefunden worden. Ihre Datierung ist zum einen anhand stilistischer Merkmale möglich. Zum anderen tragen einige von ihnen Weihinschriften, deren Buchstabenformen man datieren kann. Außerdem werden die dargestellten Personen oft beim Namen genannt. Manche von ihnen sind aus historischen Quellen bekannt und liefern auf diese Weise zusätzliche Datierungshinweise. Charles Th. Newton legte eine Sitzstatue frei, die eine ganz besondere Weihinschrift trägt: „Ich bin Chares, Sohn des Klesios, Vorsteher von Teichiussa, ein Weihgeschenk für Apollon“. Diese Statue kann aufgrund stilistischer Merkmale und der Buchstabenformen der Inschrift in die Zeit zwischen 575 und 550 v. Chr. datiert werden (Abb. 50). Wenn man nur diese Inschrift hätte, wüsste man lediglich, dass der „Archos“ von Teichiussa von sich eine Marmorstatue anfertigen ließ und sie ins Apollonheiligtum von Didyma weihte. Der Archos Chares sitzt auf einem Thron, hat als Untergewand einen sogenannten Chiton an und trägt darüber ein Himation, einen mantelartigen Umhang. Wie Chares aussah, weiß man nicht, weil in späterer Zeit ihm und allen anderen Sitzstatuen die Köpfe abgeschlagen wurden, außer einer einzigen.
Abb. 50: Sitzstatuen von der Heiligen Straße nach ihrer Ausgrabung („Chares“ ist der zweite von links), heute im Britischen Museum von London. 131
Apollonheiligtum von Didyma
Doch das spannende an Chares aus Teichiussa ist, dass genau diese beiden Bezeichnungen in anderen schriftlichen Quellen wiederauftauchen. Wie oben erwähnt, fand man 1903 bei Ausgrabungen im Apollon Delphinios-Heiligtum von Milet eine Inschrift, die Informationen zur Prozession nach Didyma enthält. Die letzte Station trägt dabei die Bezeichnung „bei den Standbildern des Chares“. Und genau diese „Standbilder“ hatte Newton ausgegraben und eine davon war eben Chares von Teichiussa. Somit bemerkten die Forscher am Anfang des 20. Jhs., als sie die Inschrift zur Prozession lasen, dass sie nun einen der sieben Orte kannten, an dem für Apollon heilige Gesänge angestimmt wurden. Diese Stelle befand sich vor den Toren Didymas, nämlich an der Heiligen Straße etwa 500 m nordwestlich des Apollontempels (Karte 6). Später entdeckten die Forscher das schon erwähnte Nymphenheiligtum, welches die dritte Station bildete (siehe das Kapitel zu Tuchelt und Schneider). Da die Sitzstatuen inklusive der des Chares erst am Anfang des 4. Jhs. v. Chr. entlang der Heiligen Straße aufgestellt wurden und vorher innerhalb des Apollonheiligtums standen, ergab sich ein weiteres: Die Inschrift aus Milet geht zurück auf das 6./5. Jh. v. Chr. Der Abschnitt, in dem die Prozessionsstation „bei den Standbildern des Chares“ geschildert wird, kann daher erst bei ihrer Abschrift im 2. Jh. v. Chr. eingefügt worden sein. Das zeigt, dass auch solche scheinbar unveränderlichen Rituale – wie der Ablauf einer Prozession – im Verlauf der Jahrhunderte Veränderungen unterlagen. Ebenfalls schon erwähnt wurde im Kapitel zu Ludwig Ross, dass Teichiussa in anderen Inschriften genannt wird. Diese Inschriften fand man in der Gegend von Karakuja („schwarze Bucht“, heute Altınkum). Dorthin waren sie aber offensichtlich zusammen mit anderen marmornen Bauteilen aus dem Apollonheiligtum gelangt, um in byzantinischer Zeit Gebäude zu errichten. Grundsätzlich hatten die ersten Forscher jedoch recht damit, dass Teichiussa südlich von Didyma und Milet lag. Denn dies bezeugt der nach Herodot bedeutendste griechische Geschichtsschreiber, Thukydides, in seinem Werk über den Peloponnesischen Krieg. Im Peloponnesischen Krieg standen sich zwei Parteien gegenüber: die Athener und die Lakedaimonier mit ihrer Hauptstadt Sparta auf der Halbinsel Peloponnes. Beide kämpften mit wechselnden Verbündeten von 431 bis 404 v. Chr. gegeneinander. Diese Auseinandersetzungen beschrieb der aus Athen stammende Thukydides (ca. 460 bis 400 v. Chr.) zeitnah. Dieser bedeutendste Krieg der griechischen Geschichte machte auch vor den Griechen in Westkleinasien nicht halt. Im Sommer des Jahres 412 v. Chr. kündigte Milet das Bündnis mit Athen auf, welches zuvor über Jahrzehnte bestanden hatte. Dazu hatte Alkibiades die Milesier überredet, der selbst ein Athener war, jetzt aber in Diensten der Lakedaimonier stand. Es wurde ein neuer Bund gegründet zwischen den Lakedaimoniern und den Persern, dem Milet beitrat. Die Athener nahmen dies nicht einfach hin und schickten deshalb eine Flotte mit Truppen nach Milet (Der Peloponnesische 132
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Krieg 8,17f.). Zunächst hatten sie Erfolg, denn sie konnten den Befehlshaber der Lakedaimonier, Chalkideus, bei Panormos töten. Dies ist die einzige Stelle bei Thukydides, in der der Hafen Didymas erwähnt wird. Dieser war also 412 v. Chr. Schauplatz eines wichtigen historischen Ereignisses (Der Peloponnesische Krieg 8,24,1). Wichtig ist aber, dass im Verlauf dieser Auseinandersetzung auch Teichiussa eine Rolle spielte: Am Ende des Sommers landeten die Athener mit verbündeten Kräften aus Argos vor Milet und lagerten sich dort. Die Milesier machten zusammen mit ihren Verbündeten einen Ausfall und es kam zum Kampf. Die Argeier auf Seiten der Athener wurden geschlagen ebenso wie die Lakedaimonier und die Perser auf Seiten der Milesier. Daraufhin zogen sich die Milesier in ihre Stadt zurück und die Athener setzten sich davor fest. In der Folge kamen weitere Verbündete der Lakedaimonier, also auch Milets, aus Sizilien per Schiff zu Hilfe. Sie ankerten im Golf von Iasos bei Teichiussa, wie Thukydides schreibt (Karte 1). Der Golf von Iasos liegt zwischen der milesischen Halbinsel im Norden und der Bodrum-Halbinsel im Süden. Er wurde nach der karischen Stadt Iasos benannt, die am östlichen Ende des Golfes lag. Bei Teichiussa fand ein wichtiges Treffen statt: Alkibiades, der Athener in Diensten der Lakedaimonier, traf die zu Hilfe gekommenen Truppen aus Sizilien und von der Peloponnes. Alkibiades berichtete ihnen von der Belagerung Milets durch die Athener. Nachdem aber die Athener von der Übermacht ihrer Gegner erfuhren, zogen sie sich von Milet zurück auf die ihnen verbündete Insel Samos. Am Morgen darauf brachen die Lakedaimonier und ihre Verbündeten von Teichiussa aus auf, um die Athener anzugreifen. Doch die waren nicht mehr da. Daraufhin fuhren sie nach Teichiussa zurück. Dort trafen die Lakedaimonier und Sizilier auf den persischen Befehlshaber Tissaphernes. Er überredete sie, das feindliche Iasos anzugreifen. Die reiche Stadt Iasos wurde erobert und geplündert. Von dort aus begaben sich die Lakedaimonier nach Milet und blieben dort. Damit endet die Schilderung der Ereignisse des Peloponnesischen Krieges im Sommer 412 v. Chr. bei Thukydides (Der Peloponnesische Krieg 8,25–28). Teichiussa gehörte also zu Milet und im 6. Jh. v. Chr. war dort Chares, der Sohn des Klesios, als Archos eingesetzt (siehe Abb. 50); ein herrschaftliches Amt, dessen Aufgaben allerdings nicht genau bekannt sind. In der Mitte des 5. Jhs. v. Chr. war Teichiussa – wie auch Milet selbst – mit Athen verbündet. Beide zahlten Beiträge in den sogenannten Delisch-Attischen Seebund ein, die inschriftlich belegt sind. Danach fiel Milet mit Teichiussa von Athen ab und kämpfte gegen Athen auf Seiten der Lakedaimonier und Perser. Teichiussa war also kein unbedeutender Demos (Griechisch für Volk, Dorf usw.), der zu Milet gehörte. Bis heute konnte es nicht sicher lokalisiert werden. Der Ort, der dafür am ehesten in Frage kommt, ist eine ehemalige Halbinsel (heute Saplı Adası, auf Deutsch „Insel mit Henkel“) südlich von Didyma und etwa 6,5 Kilometer nordöstlich von Karakuja (Abb. 51). Diese Halbinsel wurde zuletzt von Walter Voigtländer intensiv untersucht. Seitdem ist es wahrscheinlich, dass sich Teichiussa auf Saplı Adası in der heutigen Bucht von Akbük befunden hat. 133
Apollonheiligtum von Didyma
Abb. 51: Blick von Südosten auf die Insel Saplı Adası im Golf von Akbük, auf der sich vermutlich das antike Teichiussa befand. Charles Th. Newton legte acht Sitzstatuen von Männern und zwei von Frauen frei. Weiterhin grub er zwei Löwenstatuen aus. Viel Aufmerksamkeit widmete er ferner den Inschriften. Das betraf nicht nur die Inschriften auf den Statuen, sondern auch alle anderen, die er fand. So kopierte Newton u. a. die heute berühmte Weihinschrift des Histiaios an Apollon, die er in einem Haus nahe der Heiligen Straße verbaut fand. Histiaios war um 500 v. Chr. Tyrann von Milet und stiftete die Milesier zum Aufstand gegen die Herrschaft der Perser an (siehe das Kapitel zu Choiseul-Gouffier). Für die Entzifferung der Inschriften nahm sich Newton viel Zeit. So schreibt er, dass er die Weihinschrift auf einem der beiden Löwen über zehn Tage hinweg beobachtete, ehe er ihren kompletten Wortlaut kopieren konnte. Neben den Statuen fand Newton noch eine Basisplatte einer archaischen Statue, deren Weihinschrift erhalten war. Die Söhne eines gewissen Anaximandros weihten diese Statue Apollon. Das ließ Newton aufhorchen, denn als Altertumsforscher kannte er natürlich den berühmten Naturphilosophen aus Milet, Anaximandros. Anaximandros lebte von etwa 610/09 bis 547/46 v. Chr. in Milet und war Schüler und Nachfolger des Thales, dem ältesten der sogenannten Naturphilosophen. Nach Auffassung des Anaximandros hat der Kosmos die vollendete regelmäßige Form einer Kugel. Die Erde besitzt die Gestalt eines Zylinders, dessen Höhe und Durchmesser im Verhältnis von 1: 3 stehen. Auf dem halben Durchmesser des Erdzylinders basieren dann die Entfernungen der Sternen-, der Mondund der Sonnensphäre. Die Sternensphäre ist von der Erde 3 x 3 = 9 halbe Durchmesser entfernt, die Mondsphäre 2 x 9 halbe Durchmesser und die Sonnensphäre 3 x 9 halbe Durchmesser des Erdzylinders. 134
Charles Thomas Newton – 1857/58
Das Ganze wäre nicht der Erwähnung wert, wenn nicht der Apollontempel und der Artemistempel von Didyma ebenfalls grundlegende Proportionen aufweisen würden, in denen die Zahlen eins, zwei und drei vorkommen sowie das Verhältnis von 1: 3 und ein Vielfaches davon. Diese Tatsache zeigt nämlich, wie sehr Philosophie, Architektur und damit auch Mathematik sowie Musik in der Antike miteinander verbunden waren (zum Apollontempel siehe das Kapitel zu Gell, Gandy und Bedford sowie zum Artemistempel das zu Bumke). Und von eben diesem Anaximandros könnten seine Söhne eine Statue in das Apollonheiligtum von Didyma geweiht haben. Freilich war der Name des Philosophen recht häufig bei den Griechen. Zumal die Buchstabenformen der Weihinschrift kaum auf das Jahrzehnt genau datiert werden können. Dennoch besteht durchaus die Möglichkeit, dass der Vater und Philosoph Anaximandros in den Jahren 570–560 v. Chr. von seinen Söhnen in Didyma geehrt wurde, indem sie Apollon sein Standbild weihten. 1858 ließ Charles Th. Newton die Basis der Söhne des Anaximandros mit nach London nehmen, und seitdem steht sie dort im Britischen Museum. Im Spätherbst des Jahres zuvor konnte Newton lediglich Statuen freilegen, da er nur drei Arbeiter zur Verfügung hatte. Ansonsten untersuchte er – wie schon erwähnt – die Inschriften. Aber auch das konnte Newton nicht sehr lange ausführen, da er an Malaria erkrankte. Fieberattacken hinderten ihn 1857 weiter in Didyma zu arbeiten. Der feuchtkühle Winter war keine gute Jahreszeit. Aber nach der Einnahme von Chinintabletten gingen die Fieberschübe vorüber und Newton konnte Ende November 1857 nach Bodrum zurückkehren, nachdem er etwa einen Monat in Didyma verbracht hatte. Die folgenden Monate hielt sich Charles Th. Newton in Knidos auf, um dort Ausgrabungen durchzuführen. Dabei wurde eine große Löwenskulptur „versandfertig“ gemacht, die von einem Grabbau in Knidos stammt und heute im Innenhof des Britischen Museums bewundert werden kann. Nach Didyma wollte Newton unbedingt zurückkehren, um die Sitzstatuen nach London bringen zu können. Dafür gab es verschiedene Gründe. 1857 hatte Newton bemerkt, dass die Statuen, sobald er sie ausgegraben hatte, nicht mehr sicher waren. Vandalismus stellte sich schnell ein. Aber auch ohne diesen hätte Newton wohl den Abtransport der Statuen befürwortet, da dies ja eine seine Aufgaben war. Im Übrigen waren seit 1812 bis zu Newtons Aufenthalt mindestens drei andere Sitzstatuen „verloren“ gegangen. William Gell hatte 1812 zwei von ihnen dokumentiert, und hinzu kommt die Sitzstatue, die Pierre Trémaux 1853/54 fotografiert hatte. Charles Th. Newton informierte die britische Regierung über den kunsthistorischen Wert und die mögliche Zerstörung der Statuen von Didyma. Die Regierung beantragte beim Osmanischen Reich ihre Abholung. Nachdem die Genehmigung von der „Hohen Pforte“ vorlag, das heißt von der Regierung des Osmanischen Reiches, stach Newton am 26. August 1858 in See. Dieses Mal brachte die „Supply“ von Knidos 60 türkische Arbeiter mit, um den Transport der Statuen und die Ausgrabungen durchführen zu können. 135
Apollonheiligtum von Didyma
Die „Supply“ war in der Bucht von Karakuja südlich von Didyma vor Anker gegangen. Mit Hilfe der mitgebrachten Arbeiter und den Ochsengespannen der Einheimischen gelang es Newton, pro Tag eine Statue von Didyma auf das Schiff transportieren zu lassen. Danach widmete er sich der Freilegung der Heiligen Straße nördlich des Apollontempels. Dort konnte er noch einige Grabbauten ausgraben, und er ließ eine Karte mit allen Befunden anfertigen (siehe Abb. 49). Darauf sind zum ersten Mal die Überreste der römischen Thermenanlage eingezeichnet und benannt, die etwa 50 m westlich des Endes der Heiligen Straße sichtbar waren. Bereits William Gell hatte 1812 auf seiner Karte an dieser Stelle Ruinen eingetragen, ohne sie aber genauer zu benennen (Karte 4). Newton dokumentierte nun die Lage eines großen Bogens und eines weiteren beachtlichen Mauerrestes, die beide aus Bruchsteinen errichtet waren. Wie spätere Forschungen und Ausgrabungen ergaben, gehörten sie zu einer römischen Thermenanlage des 2. Jhs. n. Chr. (siehe das Kapitel zu Naumann). Charles Th. Newton machte noch eine weitere interessante Beobachtung: Ihm fiel eine eingestürzte Kirche auf dem Weg zwischen Geronta (Didyma) und Karakuja (heute Altınkum) auf. Leider macht er keine Angaben zu ihrer genauen Lage. Dennoch erwähnt er, dass die Kapelle „Panagia“ genannt werde. Solch ein Kirchenbau, der der Mutter Gottes Maria (der Allerheiligsten) geweiht ist, wurde bis heute nirgendwo anders erwähnt. Dennoch gibt es einen Anhaltspunkt für seine Lage: Auf einer Karte von 1900 ist eine unbenannte Kirchenruine eingezeichnet, die sich etwa einen Kilometer nördlich von Karakuja befand. Dabei könnte es sich um die Kapelle gehandelt haben, die der Panagia geweiht war. Allerdings hatte Paul Wilski im Jahr 1900 keine Kenntnis davon. Folglich könnte die Bemerkung Newtons für die Kirchengeschichte Didymas durchaus wertvoll sein. Aber noch ein weiteres ist an der Kapelle wichtig. Denn Newton barg aus der Ruine eine für Didyma bedeutende Bauinschrift, die sich heute im Britischen Museum befindet: In dieser Inschrift wird die Stiftung von Elfenbein für den Apollontempel geschildert, die der ägyptische Pharao Ptolemaios XIII. in der Mitte des 1. Jhs. v. Chr. beauftragt hatte (siehe das Kapitel zu Dedreux, Donaldson und Huyot). Charles Th. Newton blieb 1858 knapp einen Monat in Didyma. Ende September war er gezwungen abzureisen, weil viele seiner türkischen Arbeiter erkrankt waren. Die ungesunde Jahreszeit hatte begonnen und der Durchfall griff um sich. Weil Newton aber nicht wollte, dass sein Zeltlager zu einem Lazarett wurde, ließ er die Ausgrabungsarbeiten beenden, obwohl er sie gern noch weitergeführt hätte. Bevor Newton Didyma endgültig verließ, verbrachte er noch einen Tag im nahen Milet. Anschließend fuhr er mit der „Supply“ nach Knidos zurück. Am 28. September 1858 verließ die „Supply“ Knidos mit dem Ziel London. An Bord hatte sie etwa 100 Kisten mit Skulpturen und anderen Funden aus Knidos, aber auch aus Didyma. Von dort waren u. a. zehn Sitzstatuen, zwei Löwenstatuen und einige Inschriftenblöcke dabei. Newton ver136
Charles Thomas Newton – 1857/58
brachte den Winter und das folgende Frühjahr noch in Knidos, ehe er sich am 8. Juni 1859 wieder auf den Weg nach London machte. 1861 schuf man im Britischen Museum eine neue Abteilung für Objekte der griechisch-römischen, also der klassischen Antike. Diese Abteilung leitete Newton von 1861 bis 1885. Außerdem war er von 1880 bis 1888 Professor für Klassische Archäologie am University College von London. Charles Th. Newton starb am 28. November 1894 in Margate (Kent, England). Newtons Bedeutung als Klassischer Archäologe ist für Didyma nicht so groß wie für Halikarnassos oder Knidos. Dennoch machte er in Didyma einige interessante Beobachtungen und begann immerhin mit den ersten größeren Ausgrabungen. Freilich galt sein Hauptinteresse wahrscheinlich seinem eigentlichen „Arbeitgeber“, dem Britischen Museum in London. Für das Erwerben von Skulpturen, Reliefs, aber auch von Inschriften bemühte er sich sehr. Deshalb gibt es heute in diesem Museum eine sehenswerte Sammlung zu archaischer Plastik aus Didyma.
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Apollonheiligtum von Didyma
Olivier Rayet und Albert Thomas – 1873 Der Deutsch-Französische Krieg 1870/71 – Ausgrabungen in Milet – Der „Torso von Milet“ – Forschungen in Herakleia am Latmos – Ausgrabungen am Apollontempel von Didyma – Der Fund einer Kirche im Innenhof – Bemerkungen zur antiken Bautechnik – Die Säulenbasen der Ostfront des Apollontempels – Sueton und Didyma – Schwierige Rekonstruktion des Tempelgrundrisses – Das Dach des hellenistischen Apollontempels – Zur Bemalung des Tempels – Der schwierige Abtransport von Bauteilen für den Louvre Für Archäologen ist es ungewöhnlich, dass Geldgeber zu ihnen kommen und fragen, wo sie Ausgrabungen machen möchten. Doch so unvorstellbar diese Situation sein mag, der französische Altertumsforscher Olivier Rayet hat sie erlebt: Im Frühjahr 1872 wurde er den wohlhabenden Baronen Gustave und Edmond von Rothschild vorgestellt. Die Brüder hatten vor, Ausgrabungen zu finanzieren und baten Olivier Rayet um entsprechende Vorschläge. Der 25-jährige Archäologe empfahl ihnen Milet und seine Umgebung mit dem Mäandertal. Durch diese Gegend war er zwei Jahre zuvor gereist und ihre reichen Hinterlassenschaften des Altertums hatten ihn fasziniert. So kam es, dass Rayet zusammen mit dem Architekten Albert Thomas die ersten Ausgrabungen am Apollontempel von Didyma durchführen konnte, und zwar im Sommer 1873. Olivier Rayet wurde am 23. September 1847 in Cairou (Department Lot, Südfrankreich) geboren. Er hatte keine leichte Kindheit. Seine Mutter starb früh und sein Vater war ein einfacher Beamter. Den ersten Unterricht erhielt er von seinem Vater und von seinem ältesten Bruder. Später ging er in Paris zur Schule und studierte dort u. a. Geographie und Alte Geschichte. Letztendlich war Rayet jedoch klassischer Altertumsforscher, der sich in der Archäologie und der Epigraphik auskannte. 1869 wurde er zum Mitglied der École française d’Athènes ernannt. Dieses französische Forschungsinstitut bestand zur Erforschung des klassischen Altertums in Athen. Durch seine Berufung dorthin war es Rayet möglich, den östlichen Mittelmeerraum zu bereisen. Auf diese Weise lernte er Italien, Griechenland, den Balkan, Nordafrika, Syrien und Kleinasien kennen. Als er sich ein Jahr später auf der Insel Kos befand, erreichte ihn die Meldung, dass der französische Kaiser Napoleon III. am 19. Juli 1870 Preußen den Krieg erklärt hatte. Olivier Rayet war Patriot, aber auch Republikaner. Napoleon III. und seine Armee verloren gegen die Preu138
Olivier Rayet und Albert Thomas – 1873
ßen, die den französischen Kaiser am 2. September 1870 gefangen nahmen. Daraufhin wurde am 4. September die Dritte Französische Republik ausgerufen, was Rayet sehr begrüßte. Der Krieg ging weiter und ein Freund Rayets, Léon Gambetta, wurde zum Innen- und Kriegsminister ernannt. Die Preußen und ihre Verbündeten blieben jedoch siegreich und belagerten ab dem 19. September Paris. Olivier Rayet kehrte vorerst von seiner Reise zurück und wollte zu Vater und Bruder nach Paris. Dies war aber nicht mehr möglich. Léon Gambetta verließ mit einem Ballon die eingeschlossene Hauptstadt und organisierte die Weiterführung des Krieges von außerhalb. Paris kapitulierte schließlich am 29. Januar 1871. Dies war Gambetta und auch Rayet gar nicht recht, und sie plädierten mit vielen anderen für eine Fortsetzung der Kämpfe sowie nach Ende des Krieges für eine Revanche gegen das unterdessen gegründete Deutsche Reich. Dennoch hatte das Ende der Belagerung von Paris für Rayet sein Gutes, denn er traf seinen Vater und seinen Bruder wohlbehalten wieder. Frankreich hatte zwar den Deutsch-Französischen Krieg verloren, aber für Rayet ging das Leben beinahe wie gewohnt weiter, und er konnte noch 1871 nach Griechenland zurückkehren. Bereits 1870 war Olivier Rayet auf seinen Reisen nach Milet gelangt. Diese Ruinenstätte mit ihrer berühmten Vergangenheit hatte ihn so beeindruckt, dass er hier Ausgrabungen machen wollte, falls es ihm einmal möglich sein sollte. Daneben hatte Rayet auf seinen Expeditionen die Leidenschaft für das Sammeln antiker Kunstwerke entdeckt. Diese beiden Wünsche Rayets sollten bald in Erfüllung gehen: Denn im Frühjahr 1872 wurde er mit den Baronen Gustave und Edmond aus der Bankiersfamilie Rothschild bekannt gemacht. Sie wollten eine Ausgrabung finanzieren. Rayet schlug ihnen Milet und seine Umgegend vor. Im Juni 1872 willigten die Rothschilds ein und Rayet machte sich auf den Weg nach Konstantinopel, um die Grabungsgenehmigung zu beantragen. Dies war allerdings schwieriger als gedacht, denn erst nach mehrmonatigen Verhandlungen erhielt er den notwendigen Ferman (Erlass des Ministers) von der Hohen Pforte. Die beste Jahreszeit für Ausgrabungen war nun fast vorüber. Mitte September begab sich Olivier Rayet nach Milet und ließ im Oktober Arbeitsgeräte hierin bringen, um mit den Ausgrabungen beginnen zu können. Schöne Statuen waren am ehesten vom Theater zu erwarten. Das Theater Milets war eines der größten in Kleinasien und schon viele Antikenbegeisterte hatten es vor Rayet bewundert (siehe die Kapitel zu Cyriacus von Ancona sowie zu Wheler und Spon). Der halbrunde Zuschauerraum (Cavea) war am besten erhalten, während das Bühnengebäude (Skene) davor zum großen Teil eingestürzt war. An der Skene begann Olivier Rayet auszugraben. Und tatsächlich fand er neben vielen Architekturfragmenten vier gut erhaltene Frauenstatuen. Von herausragender Bedeutung war jedoch ein eher unscheinbarer Fund: Der Marmortorso einer Männerstatue (Abb. 52). 139
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Abb. 52: Milet. Der im dortigen Theater gefundene „Torso von Milet“ (ca. 480–470 v. Chr.), heute im Louvre von Paris. Von dieser Statue eines nackten stehenden Mannes fehlen die Beine, die Arme und der Kopf. Dennoch kann sie aufgrund des gut erhaltenen Restes in die Zeit um 480 bis 470 v. Chr. datiert werden. Sie entstand also kurz nach der Zerstörung Milets am Anfang des 5. Jhs. v. Chr. (siehe das Kapitel zu Choiseul-Gouffier). Im Hellenismus restaurierte man die Männerstatue und stellte sie im Bühnengebäude des Theaters auf. Alle Funde der Ausgrabungen Rayets gingen in das Eigentum der Barone von Rothschild über, wie es der Ferman geregelt hatte. Doch die Rothschilds schenkten den größten Teil der Funde dem Louvre in Paris (siehe Abb. 63). Und so ist der frühklassische „Torso von Milet“ bis heute eine große Attraktion dieses Museums. Dort sah ihn der deutsche Dichter Rainer Maria Rilke und widmete ihm sein Sonett „Archaïscher Torso Apollos“. Freilich ist nicht sicher, ob die Marmorstatue Apollon darstellte. Dennoch ergibt sich auf diese 140
Olivier Rayet und Albert Thomas – 1873
Weise eine Verbindung zu Didyma. Zumal der „Torso von Milet“ durchaus Ähnlichkeiten mit der Kultstatue von Didyma aufweist, die der Bronzegießer Kanachos am Ende des 6. Jhs. v. Chr. schuf (siehe das Kapitel zu Choiseul-Gouffier). Neben dem Theater hatte Rayet noch zwei andere Ziele in Milet. Zum einen wollte er aus der Blütezeit Milets, das heißt aus archaischer Zeit vor den Perserkriegen, Gebäude finden und dabei möglichst Tempel. Zum anderen versuchte er, das südliche Stadttor auszugraben, an dem die Heilige Straße nach Didyma begann. Doch beides gelang ihm nicht. Denn die Bedingungen für Ausgrabungen waren nicht gut: Die Ruinen überdeckte eine Schwemmschicht von bis zu 6 m Höhe, die der Fluss Mäander im Laufe der Jahrhunderte angehäuft hatte. Darüber hinaus sorgten die heftigen Regenfälle im November und Dezember für ein unangenehmes Klima. Dazu kam, dass der Flusspegel des Mäanders höher lag als die Ebene von Milet. Folglich glich Milet im Winter einem großen See, aus dem nur wenige große Ruinen hervorragten. Im Dezember 1872 musste Olivier Rayet deshalb die Ausgrabungen abbrechen. Er hatte aber noch Gelegenheit, die nähere Umgebung Milets zu erkunden. In der westlichen Nekropole fand er eine archaische Löwenstatue und zwei Sitzstatuen, die denen von der Heiligen Straße Didymas glichen, die Charles Th. Newton dort wenige Jahre zuvor freigelegt hatte (siehe das vorangegangene Kapitel). Außerdem entdeckte Rayet einige bis dahin unbekannte Inschriften. Anschließend widmete er sich dem schwierigen Abtransport der Statuen, der ein „Kampf gegen den ständigen Regen“ war, wie er berichtet. Der archaische Löwe und die zwei Sitzstatuen von Frauen können heute zusammen mit einer dritten im Louvre besichtigt werden, die Rayet erst im Juni 1873 in Milet fand. Im Spätherbst 1872 erkrankte Olivier Rayet an Malaria und litt seitdem unter Fieberschüben. Auch deswegen verließ er Ende Dezember Milet und verbrachte den Winter in Athen. Im März 1873 kehrte er nach Westkleinasien zurück. Dieses Mal hatte er zur Unterstützung den Architekten Albert Thomas dabei, der an der Französischen Akademie in Rom arbeitete, dem Gegenstück zur Französischen Schule in Athen, welcher Rayet angehörte. Das erste Ziel von Olivier Rayet und Albert Thomas war Jeronda mit der Ruine des Apollontempels von Didyma. Hier konnten sie mit ihren Forschungen allerdings nicht beginnen, weil sie die Genehmigung dafür noch nicht erhalten hatten. Somit widmeten sie sich zunächst den Überresten der antiken Stadt Herakleia am Latmos. Diese befinden sich inmitten des türkischen Dorfes Kapıkırı am ehemaligen Latmischen Meerbusen (heute Bafa Gölü, siehe das Kapitel zu Wheler und Spon). Herakleia war in der Antike per Schiff von Milet aus erreichbar und lag etwa 22 Kilometer östlich davon. Bereits Richard Chandler hatte die Gegend des Bafa Gölü bereist und Herakleia 1765 wiederentdeckt. Doch den beiden Franzosen Olivier Rayet und Albert Thomas war es vergönnt, dort die ersten Ausgrabungen durchführen zu können (Karte 3). Zu ihrer Zeit ritt man von Milet aus in acht Stunden nach Herakleia. Zunächst bewunderten die Franzosen die Landschaft, sie erinnerte sie an einen Schweizer Alpensee (siehe Abb. 21). Das im Türkischen „Beşparmak“ genannte Mittelgebirge mit seinen gigantischen Gneisblöcken sei einzig141
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artig. An seinem Fuß der Bafa Gölü und die eindrucksvollen Ruinen der Polis Herakleia, die eine beinahe komplett erhaltene Stadtmauer mit vielen Wachtürmen, den gut erhaltenen Athenatempel, die Agora, das Theater und ausgedehnte Nekropolen umfasste. Inmitten des Ganzen hatten die Türken ihren Weiler Kapıkırı errichtet. Erstaunlich ist, dass sich an dieser Szenerie bis heute nicht viel geändert hat. Damit zählen ein Besuch von Herakleia und Wanderungen im Latmos-Gebirge zu den eindrucksvollsten Unternehmungen, die an der türkischen Westküste möglich sind. Olivier Rayet und Albert Thomas blieben sechs Wochen in Herakleia. Sie fertigten viele Zeichnungen und Fotografien an und erstellten u. a. den ersten Stadtplan. Ihre Ausgrabungen beschränkten sich auf den Bereich der Agora, wo sie auch einige Inschriften fanden (Abb. 53). Dazu gehören ein kleiner Altar für Aphrodite und eine Sonnenuhr. Olivier Rayets kurzes Leben erlaubte es ihm nicht, ihre Forschungsergebnisse zu Herakleia am Latmos zu veröffentlichen. Und so sind sie heute leider vergessen.
Abb. 53: Herakleia am Latmos. Die südliche Halle der Agora mit dem Latmos-Gebirge im Hintergrund. In den ersten Tagen des Mai 1873 erreichten Olivier Rayet und Albert Thomas das griechische Dorf Jeronda, nachdem sie die Erlaubnis für ihre Arbeiten dort erhalten hatten. Wie noch kaum einer vor ihnen erfreuten sie sich an der herrlichen Lage dieses Ortes: Im Norden sind die schroffen Berge der Insel Samos und das Mykale-Gebirge zu sehen. Im Osten erhebt sich das felsige Latmos-Gebirge und im Süden das mit Wäldern überzogene Grion-Gebirge. Hinzu kommen der 142
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Golf von Iasos in südlicher Richtung und das weite blaue Meer im Westen, aus dem u. a. die Inseln Patmos, Leros, und Kalymnos aufragen (Karte 1). Doch die Freude über die schöne Umgebung und die lang ersehnte Grabungsgenehmigung währte nicht lang: Die Franzosen stellten schnell fest, dass die einheimischen Griechen von einer Ausgrabung des Apollontempels nicht viel hielten. Viele ihrer Häuser befanden sich direkt über den Tempelruinen, so auch eine Windmühle, um ihr Korn zu mahlen (Abb. 54). Deshalb war den Griechen wenig daran gelegen, ihre Grundstücke zu verkaufen. Wie bei Olivier Rayet zu lesen ist, besaßen viele reiche Griechen Grundbesitz in Jeronda, wohnten aber in Konstantinopel.
Abb. 54: Die Ostseite der Ruine des Apollontempels (Albert Thomas, 1873). Am liebsten hätte Rayet die Windmühle über dem Zweisäulensaal des Apollontempels gekauft und abgerissen, da der Weg zu ihr direkt durch den Zwölfsäulensaal des Tempels verlief. Aber dieser Erwerb war selbst für seine finanziellen Verhältnisse zu teuer, denn dann hätte er kein Geld mehr gehabt, um Entschädigungen zu zahlen für Sondierungen an anderen Stellen des Tempels. Olivier Rayet hatte also nicht die Mittel, um den gesamten Tempel freizulegen. Daher konzentrierte er sich auf zwei Ziele: Erstens wollte er Exemplare aller Bauglieder finden, die für die Rekonstruktion des Grund- und Aufrisses des Tempels nötig waren. Zweitens nahm er sich vor, mit Skulpturen versehene Bauelemente nach Frankreich schaffen zu lassen, um im Louvre eine Sammlung antiker Architektur einzurichten. Seine Ausgrabungen konzentrierten sich auf vier Stellen im Tempelbereich: 1. das Tempelinnere, 2. den Zweisäulensaal, 3. die beiden noch stehenden Säulen im Norden und 4. den Bereich, wo er die Ostfront des Tempels vermutete. Dazu setzte Rayet zwischen 50 und 100 Arbeiter ein, die 143
Apollonheiligtum von Didyma
es ihm gelang zu rekrutieren, obwohl die Einheimischen ihm nicht gerade freundlich gesonnen waren. Denn er schreibt, dass die Ausgrabungen nur unter tausendfachem Kreischen, Wehklagen und Fluchen der Frauen beginnen konnten. Schon die Vorgänger Rayets hatten herausgefunden, dass es sich beim hellenistischen Apollontempel um einen dekastylen Dipteros handelt, der folglich 10 Säulen auf den Schmalseiten, 21 auf den Langseiten und eine Ringhalle mit einer doppelten Säulenreihe besaß. Doch viele Details des Grundrisses des Orakeltempels waren noch unbekannt. Charles Texier hatte 1835 die Höhe einer Säule mit 19,70 m richtig bestimmt und auch andere Maße des Baues (siehe das Kapitel zu Texier). Doch ohne Ausgrabungen war vieles im Dunkeln geblieben. Olivier Rayet wollte herausfinden, wie und wo im Tempelinnern die Kultstatue Apollons aufgestellt gewesen war und wo die Orakelquelle lag. Deshalb ließ er im Sekos von Westen nach Osten einen Graben anlegen. Dabei stieß er auf die Reste einer kleinen Kirche, die sich im nordöstlichen Bereich befand. Einige Zeit später und viel tiefer fand er einen Plattenbelag, der aus großen antiken Marmorblöcken bestand (Abb. 55). Rayet schlussfolgerte richtig, dass dieser Fußboden nicht antik sei. Er erkannte, dass es sich um den Boden der ersten im Sekos errichteten Kirche handeln müsse.
Abb. 55: Plan der Ruine des Apollontempels mit den modernen Häusern und der Windmühle vor den Ausgrabungen Olivier Rayets und Albert Thomas’ (1873). Als er westlich dieses Plattenbelags noch tiefer graben ließ, stieß er nur auf unberührte Erde. Daraus schloss Rayet, dass das Tempelinnere in der Antike nicht gepflastert war. Erst um 500 n. Chr. errichtete man im Sekos eine Kirche, deren Plattenboden Rayet entdeckte. Diese Kirche wurde später umgebaut und stürzte bei einem Erdbeben ein. Die Kapelle, die Rayet fand, errichtete man um 1300 über den Trümmern (siehe das Kapitel zu Chishull). 144
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Olivier Rayet legte außerdem im Tempelinnern an der Südseite eine Pilasterbasis frei. Unter diesem dritten Pilaster von Osten aus ließ er eine Sondage bis hinunter zu den Fundamenten der Tempelmauern anlegen. Dabei stellte er korrekt die Gliederung des gesamten Wandaufbaues fest (siehe Abb. 125): Die Pilaster „stehen“ auf einer attischen Basis, die aus einem Wulst, einer Hohlkehle und einem Wulst (Torus, Trochilus und Torus) besteht. Darunter folgt die glatte Plinthenschicht. Sie ist über dem Deckgesims des Wandsockels angebracht, das mit einem Eierstab und einem Perlstab verziert ist. Der glatte Wandsockel besteht aus sechs Lagen Mauerwerk. Als Basis dient eine Schicht aus Torus, Trochilus und einem glatten Abschnitt. Darunter folgt wiederum eine Plinthenschicht. Bis hierhin ist das Baumaterial für die äußeren Wandschalen einzig weißer Marmor. Unter der marmornen Plinthenschicht folgen drei Schichten aus Kalksteinquadern, die das Fundament der Naosmauern bilden. Rayet gibt die Höhe dieser Schichten an und vermerkt die grobe Bearbeitung ihrer Außenseiten. Der antike Laufhorizont lag auf Höhe der Oberkante der obersten Fundamentschicht, der Euthynterie. Denn genau auf diesem Niveau traten bei späteren Ausgrabungen zwei Öffnungen in der Westwand des Sekos zutage, die zur Entwässerung des Innenhofes dienten (siehe das Kapitel zu Knackfuß und Wiegand zu den Jahren 1912/13). Folglich lag der Boden des Sekos rund 4 m tiefer als der Plattenbelag des äußeren Säulenumganges. Olivier Rayets Grabungsergebnisse zum Fundament der Naosmauern gerieten jedoch in Vergessenheit. Der Autor erlebte 2005 selbst mit, wie eine Sondage an der Innenseite der nördlichen Sekoswand angelegt wurde, um zum ersten (!) Mal die Beschaffenheit des Fundaments zu klären. Denn bei den deutschen Ausgrabungen von 1906 bis 1913 hatte man die Unterbauten des Naos nicht untersucht. So heißt es in der maßgeblichen Publikation von Hubert Knackfuß, dass es unbekannt bleibt, wie viele Fundamentschichten unter der Euthynterie liegen. Olivier Rayet hatte dies bereits 1873 herausgefunden: nämlich zwei Schichten. Genau zum gleichen Ergebnis kamen die Ausgrabungen im Jahr 2005. Was Olivier Rayet im Sekos jedoch nicht fand, waren Reste eines Baues für das Kultbild und für die Orakelquelle. Sie waren zwar vorhanden, wurden aber erst bei den Ausgrabungen am Anfang des 20. Jhs. entdeckt. Rayet vermutete dennoch richtig, dass die berühmte bronzene Apollonstatue des Kanachos in einer Art „Ädikula“ stand, die heute Naiskos (kleiner Tempel) genannt wird (siehe das Kapitel zu Choiseul-Gouffier). Das zweite große Ziel war für Olivier Rayet die Ermittlung der Säulenhöhe des Apollontempels. Dazu musste er eine der beiden Säulen freilegen lassen, die auf der Nordseite noch aufrecht standen. Doch hier gab es Probleme: Denn die westliche Säule war von einem Garten mit Obstbäumen umgeben und die östliche Säule bildete die Ecke eines Hauses (siehe Abb. 55). Rayet berichtet, dass es viele lebhafte Diskussionen mit dem Grundstücksbesitzer gab, ehe die Bäume gefällt werden konnten und er mit den Arbeiten an den Säulen beginnen konnte. Um die Verärgerung des Besitzers nicht zu vergrößern, grub Rayet nur den kleinen Bereich zwischen den beiden Säulen aus, und zwar bis zur Naoswand. 145
Apollonheiligtum von Didyma
Mithilfe von Seilen und Flaschenzügen ließ sich Albert Thomas bis zu den Kapitellen hinaufziehen und konnte die Säulenhöhe messen. Außerdem war es ihm so möglich, detaillierte Zeichnungen der Kapitelle und der auf ihnen liegenden Bauglieder anzufertigen. Die Höhe einer Säule wurde von Albert Thomas auf 19,40 m bestimmt. Das sind jedoch 30 cm zu wenig. Schon Charles Texier hatte die Säulenhöhe mit 19,70 m richtig angegeben (siehe das Kapitel zu ihm). Warum Thomas die Höhe des Säulenschaftes auf 17,555 m bestimmte und nicht wie Texier auf 17,85 m, ist heute nicht mehr erschließbar. Nichtsdestotrotz bestechen die Zeichnungen von Albert Thomas durch eine hohe Qualität und Detailgenauigkeit. Überdies macht er zum ersten Mal überhaupt Angaben dazu, wie die Bauteile des Tempels untereinander verbunden waren. Horizontal hatte man die Werksteine mit Klammern verbunden und vertikal mit Dübeln. Da beim griechischen Werksteinbau kein Mörtel verwendet wurde, musste jedes Bauteil exakt an das nächste passen, ohne dass Zwischenräume in den Fugen entstanden. Für die Klammern und Dübel wurden in die Werkstücke die notwendigen Vertiefungen eingemeißelt, und zwar etwas größer als nötig. Für Klammern brachte man die Löcher auf den Oberseiten der Blöcke an, und zwar so, dass sich die Mitte der Klammer über der Fuge befand. Dann konnte man die Klammer einlegen und sie mit Blei vergießen, um die nötige Festigkeit zu erreichen. Rayet registrierte z. B., dass die Wandquader mit verbleiten Eisenklammern zusammengefügt waren. In Ausnahmefällen kamen auch Bronzeklammern am Apollontempel zum Einsatz; sie traten jedoch erst bei späteren Ausgrabungen ans Tageslicht (Abb. 56).
Abb. 56: Die noch verbleiten Hälften zweier Bronzeklammern am Architrav der Südostecke des hellenistischen Apollontempels. 146
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Für die Verdübelung der Wandquader benutzte man meist Holzdübel, die im unteren und im oberen Block verbleit wurden. Wenn diese Dübel aber nicht an einer vertikalen Fuge lagen, konnte man sie ohne einen Gusskanal nicht mit Blei vergießen. Deshalb wurden auf den Oberseiten mancher Blöcke horizontale Gusskanäle eingemeißelt oder man durchbohrte den ganzen oberen Block von seiner Oberseite bis zum Dübelloch auf seiner Unterseite (Abb. 57).
Abb. 57: Dübelloch mit vertikalem Bohrloch an einem beschädigten Marmorblock des südlichen Tunneleingangs zum Sekos des hellenistischen Apollontempels. Diese Methode konnte man aber nicht bei den Säulentrommeln anwenden, weil es zu aufwändig gewesen wäre, jede zu durchbohren. Wie schon Rayet feststellte, waren die Dübel zum Verbinden der Säulenbauteile aus Bronze. Sie konnten einen kreisförmigen Querschnitt aufweisen oder einen rechteckigen wie z. B. bei den Holzdübeln der Wandquader. Allerdings hatte man die Bronzedübel an den Säulen nicht selbst verbleit, sondern sie saßen in passgenauen Bronze147
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schuhen. Folglich war in der Mitte jeder Ober- und Unterseite einer Säulentrommel ein Bronzeschuh verbleit. In ihn setzte man den Bronzedübel ein und konnte anschließend die obere Säulentrommel darauf absenken. Beide Bauteile waren nun fest verbunden, ohne dass der Dübel noch mit Blei vergossen werden musste. Die Ausgrabungen am Apollontempel gestalteten sich wegen der auf den Trümmern stehenden Häuser als schwierig und teilweise auch gefährlich. Denn da Olivier Rayet immer nur kleine Sondagen anlegen ließ und der Schutt nicht großflächig beseitigt wurde, rutschte immer wieder Schutt in die ausgehobenen Löcher nach. Dies war auch der Fall bei der Freilegung des nördlichen Treppenhauses im Zweisäulensaal. Dort durfte am Ende nur noch ein Arbeiter ausgraben, der von den anderen an einem Seil gesichert war. Sollte Schutt nachrutschen, hatten zwei Arbeiter die Aufgabe, ihren angeseilten Kollegen schnellst möglich herauszuziehen. Letztlich wurde es Rayet doch zu gefährlich und er ließ die Arbeiten im Treppenhaus abbrechen. Wahrscheinlich kannte Rayet nicht die Dokumentation zu den Treppenhäusern des französischen Architekten Jean-Nicholas Huyot, der 1820 in Didyma gewesen war (siehe das Kapitel zu Dedreux, Donaldson und Huyot). Die wichtigste und erfolgreichste Grabung ließ Rayet an der Ostfront des Apollontempels durchführen. Allerdings hatte er es hier nicht nur mit unwilligen Hausbesitzern zu tun, sondern er durfte auch den Weg zur Windmühle für die Dorfbewohner nicht unterbrechen. Rayet musste sich deshalb auf den Bereich östlich der südlichen Ante des Naos beschränken. Dort gab es zwar keine Häuser, aber er musste einen Ofen kaufen und abreißen lassen sowie einen Gemüsegarten erwerben. Die Entschädigung für die dortigen Tomaten und Bohnen war höher, als die gleichen Früchte 1870/71 im belagerten Paris kosteten, berichtet Rayet. Er konnte nun die beiden Säulen östlich der Südante freilegen. Allerdings wollte er noch eine weitere Säulenbasis der Ostseite ausgraben. Diese vierte Säule von Süden befand sich jedoch zum Teil unter dem Haus eines Papas (Neugriechisch für „Priester“). Dieser ließ überhaupt nicht mit sich reden, weder wollte er eine Entschädigung noch einen Wiederaufbau seiner „Bruchbude“ akzeptieren. Dabei wollte Rayet bloß eine Wand von seinem Haus entfernen lassen. Olivier Rayet ließ sich jedoch nicht beirren und versuchte, trotzdem das Unterteil der vierten Säule freizulegen, währenddessen er das Haus des Papas mit Bohlen abstützte (Abb. 58). Doch dies hatte keinen rechten Erfolg, weil die Südwand des Hauses plötzlich von großen Rissen durchzogen war und der Papas deswegen ein großes Geschrei machte. Der Schaden war so groß, dass man die Wand nicht mehr reparieren konnte und sie abgetragen werden musste. Damit war genau das eingetreten, was sich Rayet für seine Arbeiten gewünscht hatte.
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Abb. 58: Ausgrabungen an der Ostfront des hellenistischen Apollontempels (Albert Thomas, 1873). Daraufhin ließ sich endlich die vierte Säule von Süden ausgraben. Nördlich davon konnte er noch die siebente und achte Säule der Ostfront freilegen. Daraus erkannte Rayet, dass alle Säulen den gleichen Abstand aufwiesen, sie also wie auf einem Raster angeordnet waren. Die Distanz von einer Säulenachse zur nächsten beträgt immer knapp 5,30 m (siehe das Kapitel zu Gell, Gandy und Bedford). Außerdem ergab sich, dass die Säulenbasen der Ostfront spiegelsymmetrisch verziert waren. Die dritte Säulenbasis von Süden wies dasselbe Schema auf wie die dritte Säulenbasis von Norden; die vierte Säulenbasis von Süden dasselbe Schema wie die vierte Säulenbasis von Norden usw.
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Weitere Säulenbasen der Ostfront konnte Olivier Rayet nicht ausgraben. Deshalb erkannte er nicht das komplette Schema der Verzierung der östlichen Säulen: Die Ecksäulen hatten wie alle anderen Säulen des Apollontempels Basen vom ionischen Typ. Über der quadratischen Plinthe folgte hier die sogenannte Spira, ein zylinderförmiges Bauglied, bei welchem zwischen drei Rundstabpaaren zwei Hohlkehlen angeordnet waren. Über der Spira saß der Torus, ein wulstförmiges Bauglied. Die zweite und die neunte Säulenbasis der Ostfront hatten statt der Spira einen glatten Zylinder, der mit einem doppelten Mäander verziert war. Den Torus darüber hatte man mit zwei Lotus-Palmettenfriesen geschmückt (Abb. 59). Die dritte und die achte Säulenbasis der Ostfront waren wie attische Säulenbasen aufgebaut, also aus Torus, Trochilus und Torus. Auf der oberen Hälfte des unteren Wulstes hatte man einen Lotus-Palmettenfries ausgearbeitet. Die Hohlkehle darüber war glatt. Statt des oberen Wulstes gab es einen niedrigen Zylinder mit einem Rankenfries. Die vierte und die siebente Säulenbasis der Ostfront glichen vom Aufbau her der zweiten und der neunten Basis. Doch hier war der Zylinder, der die Spira ersetzte, mit jeweils zwölf Tafelbildern verziert. Der Torus darüber ist mit mehreren Reihen aus Lorbeerblättern geschmückt. Die Tafelbilder sind zum großen Teil mit pflanzlichen Ornamenten verziert, aber vereinzelt auch mit im Meer lebenden Mischwesen, die zur antiken Mythologie gehörten (Abb. 60). Schließlich sind noch die fünfte und die sechste Säulenbasis der Ostfront zu nennen. Sie gehören zum ionischen Typ, wobei der obere Torus besonders verziert ist, nämlich mit einem Lotus-Palmettenfries.
Abb. 59: Zweite Säulenbasis von Süden an der Ostfront des hellenistischen Apollontempels. 150
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Abb. 60: Siebente Säulenbasis von Süden an der Ostfront des hellenistischen Apollontempels. Hinzuzufügen ist noch, dass die achte und die neunte Säulenbasis unfertig blieben, das heißt die Ornamente sind nur vorgeritzt, wurden aber nicht ausgeführt. Dennoch bildet die Ostfront des Apollontempels von Didyma mit ihren acht verzierten Säulenbasen ein einmaliges architektonisches „Ereignis“. An keinem anderen antiken Tempel gibt es auf diese Weise spiegelbildlich geschmückte Basen. Olivier Rayet war von ihnen vollends begeistert, obwohl er gehofft hatte, mit großen Skulpturen versehene Säulenunterteile vorzufinden. Solche sogenannten columnae caelatae waren bei Ausgrabungen am Artemistempel von Ephesos zutage getreten. Dort hatte der Engländer John Turtle Wood 1869 nach langem Suchen endlich den Standort des berühmten Artemistempels entdeckt. Unzählige Reisende vor Wood hatten nach dem Artemistempel, einem der Sieben Weltwunder, Ausschau gehalten und ihn nicht gefunden. Zu ihnen gehörten viele, die nach Didyma weitergereist waren, wie Edmund Chishull, der noch das Fundament des Artemistempels gesehen haben wollte, oder George Wheler und Jacob Spon sowie James Dallaway (siehe die Kapitel zu ihnen). Bei den Ausgrabungen John T. Woods traten reliefierte Säulenbasen aus spätklassischer Zeit zutage, deren Figuren mythologische Szenen zeigen. Diese Basen bildeten einen Höhepunkt seiner Entdeckungen, die Wood ins Britische Museum nach London bringen ließ. Rayet hatte in Didyma ebenfalls ein einzigartiges Zeugnis griechischer Architektur gefunden. Anhand stilistischer Merkmale konnten die Säulen der Ostfront des Apollontempels durch den 151
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Archäologen Stefan Pülz datiert werden, und zwar in die Regierungszeit des Kaisers Hadrian (117–138 n. Chr.). Sie sind damit deutlich jünger als der noch in hellenistischer Zeit fertiggestellte Naos des Tempels. Bis vor einiger Zeit glaubte man, die Säulenbasen der Ostfront seien unter dem römischen Kaiser Caligula (37–41 n. Chr.) geschaffen worden. Dafür zog man u. a. eine Stelle bei dem römischen Schriftsteller Sueton (um 70 bis nach 122 n. Chr.) heran. In seiner Biographie über Kaiser Caligula ist nämlich zu lesen, dass Kaiser Caligula sich fest vorgenommen hatte, das Didymaeum bei Milet zu vollenden (Sueton, Caligula 21). „Didymaeum“ auf Lateinisch oder „Didymaion“ auf Griechisch sind Bezeichnungen für das Heiligtum des Apollon in Didyma, die antike Schriftsteller neben „Branchidai“ und „Didyma“ verwendeten. Jeder Name konnte sowohl das gesamte Heiligtum als auch nur den Apollontempel bezeichnen. Letzteres trifft natürlich für die Stelle über Kaiser Caligula bei Sueton zu. Ihm gelang es jedoch nicht, das Didymaeum fertigzustellen. Ob und welche Bauarbeiten zu seiner Zeit stattfanden, ist ebenfalls unklar. Neuere stilistische Forschungen ergaben aber die Datierung der ornamentierten Säulenbasen in die erste Hälfte des 2. Jhs. n. Chr. Olivier Rayet erkannte die Einmaligkeit der Säulenbasen der Ostfront. Da ihm daran gelegen war, Objekte für den Louvre in Paris zu sammeln, entschied er sich, die dritte und die vierte Säulenbasis mitzunehmen. Dies ging relativ einfach, da von den östlichen Säulen nur noch ihre Basen mit ein oder zwei Säulentrommeln existierten. Der Rest war bei einem Erdbeben lange vorher eingestürzt. Bei der Freilegung der Säulenbasen war Rayet auch auf die sogenannte Gotenmauer gestoßen. Diese Mauer hatte man kurz nach der Mitte des 3. Jhs. n. Chr. errichtet, um die Plünderung des Apollontempels durch die Goten zu verhindern (siehe das Kapitel zu Wheler und Spon). Dazu wurden die Zwischenräume der östlichen Säulen mit einer Mauer verschlossen, die laut Rayet mehr als 3 m dick war. Rayet stieß als erster Forscher in Didyma auf die Gotenmauer. Er folgerte richtig, dass sie dazu diente, den Apollontempel zu einer Festung umzubauen. Allerdings war das Apollonorakel auch nach dem Mauerbau noch in Betrieb und weissagte bis ins 4. Jh. n. Chr. (siehe das Kapitel zu Chishull). Durch die Ergebnisse der Ausgrabungen konnte der Architekt Albert Thomas den ersten einigermaßen zuverlässigen Grundriss des Apollontempels anfertigen. Olivier Rayet beschreibt die Gliederung des Naos in einen Pronaos (Zwölfsäulensaal), in einen Oikos (Zweisäulensaal) und den Innenhof (Sekos). Außerdem vermerkt er die beiden Treppenhäuser südlich und nördlich des Zweisäulensaales. Ferner nahm Rayet an, der Zweisäulensaal sei von Osten über eine Treppe zugänglich gewesen. Ursprünglich war dies jedoch nicht der Fall, denn vom Zwölfsäulensaal führten Tunnel in den Sekos und von dort eine Treppe in den Zweisäulensaal. Aber die Tunnel entdeckte Rayet nicht, weil sie noch unter den Trümmern verborgen waren. Ebenso waren darunter die drei Türöffnungen zwischen Sekos und Zweisäulensaal begraben, sodass Rayet und Thomas nur eine Tür in dieser Wand rekonstruierten (Abb. 61). 152
Olivier Rayet und Albert Thomas – 1873
Abb. 61: Rekonstruierter Grundriss des hellenistischen Apollontempels (Albert Thomas, 1873). Die Abmessungen der einzelnen Gebäudeteile bestimmte Thomas zum großen Teil richtig. Die Größe des Stylobats gab er jedoch zu klein an (49,78 x 108,55 m statt 51,09 x 109,34 m), weil dessen Außenkanten nicht freigelegt worden waren. Hier hätte er gesehen, dass entgegen den Gepflogenheiten der ionischen Tempelbaukunst, der Stylobat nicht bündig mit den äußeren Säulenplinthen abschloss, sondern weiter hervorragte. Obendrein rekonstruierte Thomas den Stufenunterbau des Tempels mit drei Stufen, so wie meist üblich in der griechischen Tempelbaukunst. Der Stylobat des Apollontempels von Didyma war jedoch über sieben Stufen zu erreichen und an der Frontseite über eine Treppe mit dreizehn Stufen. Rayet und Thomas waren sich bewusst, dass ihr Grundriss und auch ihr Aufriss fehlerhaft bleiben mussten, da noch nicht von allen Baugliedern Exemplare gefunden worden waren. Jedoch fanden sie als erste Fragmente der Außenarchitrave mit drei Fascien. Aber vom Fries, dem Geison oder der Sima oder von einem Kapitell der äußeren Säulenhallen traten keine Reste zutage. Dennoch stellten sie einige Vermutungen an, die sich später als zutreffend erwiesen. So gingen Rayet und Thomas davon aus, dass an den Tempelschmalseiten Giebel oberhalb des Gebälks geplant waren, aber keine Giebelskulpturen. Ebenso vermuteten sie, dass man das Dach über den Säulen mit marmornen Dachziegeln gedeckt hatte. Bei der Freilegung des gesamten Apollontempels am Anfang des 20. Jhs. wurden weder Bauteile eines Giebels noch marmorne Dachziegel gefunden, die vom Tempel stammten. Auch traten keine Fragmente von Giebelskulpturen zutage. Solche gehörten wahrscheinlich nie zum Plan des Tempels, da sie unüblich für ionische Tempel in Westkleinasien waren, wie Rayet schon selbst festgestellt hatte. Doch Giebel über der Ost- und Westfront waren sicher vorgesehen gewesen, ebenso wie eine Dachdeckung mit Marmorplatten. Dies belegen im Übrigen auch die Reste einer 153
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betonartigen Schicht mit großen Mosaiksteinen, die das „provisorische“ Dach über dem östlichen Tempelbereich bildeten und dort gefunden wurden (siehe das Kapitel zu Dedreux, Donaldson und Huyot). Rayet und Thomas sind viele neue Entdeckungen am Apollontempel gelungen. So waren sie die ersten, die Reste seiner antiken Bemalung beschrieben. Die meisten Bauglieder des Apollontempels leuchteten dem Betrachter nicht nur weiß wie Marmor entgegen, sondern alle verzierten Bereiche hatte man bemalt. Da der Apollontempel nie komplett fertig wurde, ist es umso erstaunlicher, wie viele Abschnitte doch mit Farbe versehen waren. Rayet und Thomas stellten Farbreste auf den Kapitellen und den Ornamenten der Architrave fest. Am besten hatte sich die Bemalung auf Bruchstücken der Kassettendecke erhalten; was nicht verwundert, da die Kassetten ja nicht der Witterung ausgesetzt waren. Wie Rayet bemerkt, war der Hintergrund häufig mit Blau bemalt und hervorstehende Ornamente häufig mit Rot. Andere Farben wurden jedoch auch verwendet, wie man später an der Decke des südlichen Treppenhauses feststellte und dort heute noch sehen kann (siehe das Kapitel zu Dedreux, Donaldson und Huyot). Ende Juli 1873 brach Olivier Rayet die Ausgrabungsarbeiten in Jeronda (Didyma) ab. Die Gelder, die die Rothschilds zur Verfügung gestellt hatten, gingen langsam zu Ende und Rayet selbst hatte gerade drei Malariaanfälle überstanden. Außerdem mangelte es ihm an Unterstützung seiner Arbeiten durch die türkischen Behörden, und die Einheimischen waren ihm von Anfang an nicht wohlgesonnen. Deshalb bemühte sich Rayet, schnell den Abtransport der Architekturteile aus Didyma zu organisieren. Er reiste nach Smyrna, um ein Schiff zu ordern. Ein Mitarbeiter kümmerte sich derweil um den Transport der Stücke zur nächst gelegenen Meeresbucht. Die Bucht des antiken Hafens Panormos kam dafür nicht in Frage, weil sie verlandet war. Dennoch ist Rayets Bemerkung zu Panormos interessant: Denn er sah dort noch etwa 30 (!) Säulentrommeln, die für den hellenistischen Apollontempel bestimmt waren. Einige Reisende vor ihm hatten bereits diese Säulentrommeln erwähnt, aber nicht ihre Anzahl. Rayet fragte sich nun, warum die Bauteile im Hafen geblieben waren. Wiesen sie Schäden auf, die sie für den Tempelbau unbrauchbar machten, oder wurde der Bau des Tempels plötzlich abgebrochen, sodass sie nicht benötigt wurden? Hier zeigt sich Rayets Scharfsinn, denn beides ist möglich. Die Franzosen entschieden sich schließlich für die Bucht „Ta Kokkina“ wenig südlich des antiken Hafens Panormos (Karte 2). Rayet konnte in Smyrna eine Brigg chartern, die Chioten gehörte. Dazu schreibt er, dass die Einwohner der Insel Chios einen schlechten Ruf hatten und als „Halsabschneider“ galten. Dennoch erledigten die Schiffsleute ihre Arbeit ordentlich. Einige Probleme gab es aber: Der Abtransport der schwergewichtigen Werkstücke aus Jeronda dauerte einen ganzen Monat und in der letzten Woche musste sogar die Nacht durchgearbeitet werden. 154
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Die schwierigste Aufgabe stellte aber nicht der Transport über Land dar, sondern die Verladung der Bauteile ins Schiff. Hierzu war ein provisorischer Kai gebaut worden. Die größten Probleme gab es beim Verladen des „wertvollsten“ Stückes, nämlich eines Antenkapitells. Dieses Antenkapitell von der Nordwestecke des Apollontempels hatten die Engländer Chandler, Revett und Pars 1764 zum ersten Mal beschrieben. Seitdem war es immer wieder bewundert worden, da es auf zwei Seiten ein seltenes Motiv zeigt, nämlich eine sogenannte Rankenfrau (siehe das Kapitel zu Chandler, Revett und Pars). Bis zu Rayets Aufenthalt in Didyma hatte es keinen größeren Schaden genommen und er hatte die Genehmigung erhalten, es mit nach Paris nehmen zu dürfen (Abb. 62).
Abb. 62: Zeichnung der Westseite des nordwestlichen Antenkapitells des hellenistischen Apollontempels (heute im Louvre von Paris). Dieses Antenkapitell fiel zweimal beim Verladen ins Wasser. Zuerst rutschte es vom Kai hinein und beim zweiten Mal rissen die Seile des Flaschenzugs, mit dem man es herausziehen wollte. Beim dritten Versuch klappte es aber. Olivier Rayet konnte noch drei Pilasterkapitelle abtransportieren, von denen zwei mit Ranken und Palmetten verziert sind und das dritte mit Greifen. Hinzu kommen noch drei halbe Pilasterkapitelle, die in den Ecken des Sekos angebracht waren. Außerdem war es Rayet möglich, sechs Blöcke des Greifenfrieses zu verladen, der sich zwischen den Pilastern im Sekos befand (siehe das Kapitel zu Wheler und Spon). Zu diesen Bauteilen aus 155
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der hellenistischen Bauphase des Apollontempels kamen noch zwei aus der kaiserzeitlichen Bauphase: Es handelt sich um die dritte und die vierte Säulenbasis der Ostfront, die Rayet unter großen Schwierigkeiten hatte freilegen lassen. Die Architekturteile aus Didyma waren allesamt in den Besitz der Barone von Rothschild übergegangen, die sie zum größten Teil dem Louvre in Paris vermachten. Dort war es mit ihnen möglich, eine einzigartige Sammlung griechischer Architektur aufzubauen. Vom hellenistisch-römischen Apollontempel von Didyma gibt es in keinem Museum außerhalb der Türkei eine größere Sammlung. Durch ihre Aufbewahrung im Museum weisen die Bauteile überdies einen sehr guten Erhaltungszustand auf, mit dem die im Freien in Didyma befindlichen Stücke nicht konkurrieren können (Abb. 63).
Abb. 63: Paris, Louvre. Ansicht des ehemaligen Milet-Saales u. a. mit zwei Säulenbasen und drei Pilasterkapitellen des hellenistischen Apollontempels von Didyma. Das mit zwei Greifen verzierte Pilasterkapitell behielten die Rothschilds jedoch in ihrem Besitz. Gustave von Rothschild verbrachte das Kapitell in sein Hotel in der Avenue de Marigny in Paris. Seit 1972 gehört der Gebäudekomplex dem französischen Staat und wird als Gästehaus für Staatsoberhäupter benutzt. Es gibt jedoch Planungen, das Pilasterkapitell von dort in den Louvre zu überführen. 156
Olivier Rayet und Albert Thomas – 1873
Als Olvier Rayet und Albert Thomas Didyma Mitte August 1873 verließen, hatten sie beide Ziele erreicht, die sie sich mit den ersten Ausgrabungen am Apollontempel vorgenommen hatten: Zum einen war es ihnen gelungen, den hellenistischen Tempel zu „rekonstruieren“. Es gab nun anschauliche Rekonstruktionszeichnungen des Grund- und des Aufrisses sowie des Längs- und des Querschnittes. Die Grundmaße des Apollontempels waren so exakt bestimmt, wie es die partiellen Ausgrabungen eben zugelassen hatten. Zum anderen hatten es Rayet und Thomas vermocht, qualitätvolle Architekturproben des Tempels auszuführen und im Louvre den Grundstock für eine erstklassige Sammlung antiker Architektur zu legen. Darüber hinaus gelangten durch sie drei archaische Sitzstatuen und eine archaische Löwenskulptur sowie der berühmte Torso von Milet in die Abteilung antiker Plastik des Louvre. Diese Sammelleidenschaft war auch eine patriotische Aufgabe. Denn mittlerweile gab es eine Art Wettstreit zwischen den großen europäischen Museen um antike Funde. Als Vorbild hatte Rayet das Britische Museum in London vor Augen, welches schon damals die bedeutendste Sammlung antiker Architektur weltweit besaß. Zu den Skulpturen des Parthenon aus Athen waren in der Mitte des 19. Jhs. zahlreiche Reliefs des Mausoleums von Halikarnassos dazugekommen, die Charles Th. Newton entdeckt hatte. Durch ihn gelangten auch die Sitzstatuen von der Heiligen Straße bei Didyma in das Britische Museum (siehe das Kapitel zu Newton). Außerdem hatte John T. Wood gerade die schon erwähnten columnae caelatae vom Artemistempel in Ephesos ausgegraben und nach London geschickt. Hier besaßen Frankreich und der Louvre also Nachholbedarf. Das junge Deutsche Reich war damals noch kein ernstzunehmender Partner in diesem „Wettkampf “ und nahm erst gegen Ende des 19. Jhs. daran teil. Zurück in Paris wurde Olivier Rayet im Januar 1874 zum Professor für Archäologie an der Bibliothèque nationale berufen. Wenig später erhielt er auch einen Ruf an die École pratique des Hautes Études, wo er griechische Epigraphik sowie Keramik und Topographie Athens unterrichtete. Parallel dazu arbeitete er an mehreren Büchern. Seine Arbeit wurde jedoch von Fieberschüben behindert. Dennoch gelang es ihm 1877 und 1880, zwei von mehreren geplanten Bänden zu seinen Forschungen in Westkleinasien zu veröffentlichen; darunter auch die Ergebnisse zu Didyma. Hier waren seine Ausgrabungen für seine Nachfolger richtungweisend. Interessant ist, dass Rayet mit wenigen kleinen Sondagen bedeutende Ergebnisse erzielte. Diese Methode gleicht der heutigen Archäologie, die zumindest in Didyma auf dieselbe Weise vorgeht. Von 1875 bis 1885 zählte Rayet zu den bekanntesten Altertumsforschern weltweit. Er hätte zu dieser Wissenschaft sicher noch mehr beitragen können, wenn er nicht seit 1885 wegen seiner Krankheit arbeitsunfähig gewesen wäre. Am 19. Februar 1887 starb Olivier Rayet im Alter von nicht einmal 40 Jahren.
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Apollonheiligtum von Didyma
Bernard Haussoullier und Emmanuel Pontremoli – 1895/96 Vorbereitungen zur Ausgrabung der Ruine des Apollontempels – Das Ende der Heiligen Straße im Apollonheiligtum – Bauteile des archaischen Apollontempels – Das Gebälk des hellenistischen Apollontempels – Die „Ionische Renaissance“ – Zur unvollendeten Säule – Die Herkunft des Kalksteins und des Marmors für den hellenistischen Apollontempel – Die Steinbrüche am Bafa Gölü – Die Bauberichte von Didyma und die Errichtung des großen Portals Französische Gelehrte prägten die Erforschung Didymas im 19. Jh. Im Jahr 1820 kamen Pierre-Anne Dedreux und Jean-Nicholas Huyot nach Didyma, 1835 Charles Texier sowie 1873 Olivier Rayet und Albert Thomas. Alle trugen sie Wichtiges zur Erhellung der Geschichte und der Gestalt des Apollonheiligtums bei (siehe die entsprechenden Kapitel). Dies war auch der türkischen Antikenverwaltung nicht entgangen. Sie wandte sich 1894 an Frankreich und bat um weitere Ausgrabungen in Didyma. Das war das einzige Mal, dass sich das Osmanische Reich bzw. die Türkei ans Ausland wandte, um Feldforschungen in Didyma unternehmen zu lassen. Noch 1873 hatte Olivier Rayet nur unter großen Schwierigkeiten die Genehmigung dafür erhalten, und auch nach 1895/96 sollte es bis heute so bleiben. Aber 1894 suchte der Direktor der Altertümer und Museen der Türkei nach Objekten für das Antikenmuseum in Konstantinopel. Am Ende bekam Osman Hamdi Bey tatsächlich wertvolle Stücke für das Museum in Konstantinopel. Auch die Franzosen wollten welche für den Louvre. Dieses Mal gingen sie jedoch leer aus. Denn seit 1884 gab es in der Türkei ein Gesetz, welches alle Funde von Ausgrabungen zunächst dem staatlichen Archäologiemuseum übereignete. Infolge der bisherigen Forschungen in Didyma war es bekannt, dass die weitere Ausgrabung oder gar die Freilegung des gesamten Apollontempels nicht leicht sein würde: ein riesiger Tempel in der Mitte eines Dorfes, wobei sich viele Häuser direkt auf den Tempelruinen befanden. Trotzdem fiel die Anfrage von Osman Hamdi Bey bei den Franzosen auf fruchtbaren Boden. Denn die französische Archäologie suchte nach Betätigungsfeldern im Ausland. In den letzten Jahren hatte vor allem die deutsche Altertumsforschung große Erfolge bei der Ausgrabung von Olympia auf der Peloponnes und von Pergamon im nördlichen Westkleinasien erzielt. Deshalb wurde von französischer Seite alles unternommen, damit die Ausgrabungen in Didyma 1895 fortgeführt werden konnten. 158
Bernard Haussoullier und Emmanuel Pontremoli – 1895/96
Mit der Grabungsleitung wurde der Archäologe Bernard Haussoullier beauftragt. Ihn unterstützte der bedeutende französische Architekt Emmanuel Pontremoli, der am 13. Januar 1865 in Nizza geboren wurde und am 25. Juli 1956 in Paris starb. Bernard Haussoullier kam am 12. September 1853 in Paris zur Welt. Als Student war er ein Schüler von Olivier Rayet und wurde später zu seinem Freund. Rayet hatte ja bereits 1873 in Didyma ausgegraben (siehe das vorangegangene Kapitel). Haussoullier wurde 1876 Stipendiat der École française d’Athènes. Wie schon Rayet war es ihm dadurch möglich, viele Reisen zu unternehmen, die ihn u. a. nach Griechenland und Westkleinasien führten. In dem berühmtesten aller Apollonorakel, in Delphi, konnte er 1880 Ausgrabungen an der dortigen Heiligen Straße durchführen. 1885 wurde Bernard Haussoullier an die École pratique des Hautes Études berufen, deren Direktor er bis zu seinem Tod am 26. Juli 1926 war. Zur Ausgrabung von Didyma weilten Haussoullier und Pontremoli 1895 und 1896 dort. Im Jahr 1897 reiste Bernard Haussoullier nochmals allein nach Didyma. Unterstützt wurden die beiden Grabungskampagnen von Smyrna aus durch den französischen Konsul. Mittlerweile gab es eine Eisenbahnverbindung von Smyrna bis nach Söke. 1866 hatte man die Strecke bis Aydın fertiggestellt und 1890 bis Söke verlängert. Diese Stadt liegt etwa 50 Kilometer nordöstlich von Didyma. Von Söke aus existierten zu Haussoulliers Zeit zwei Wege, die zu Fuß, zu Pferd oder mit dem Ochsenkarren nach Didyma führten: Der östliche Weg war der kürzere. Auf ihm gelangte man über die Dörfer Sarıkemer (Türkisch für „gelbe Brücke“) und Turko-Jeronda (das „türkische Didyma“) nach Jeronda (das „griechische Didyma“). Dieser Weg existiert heute nicht mehr. Der westliche Weg ist aber als Straße ausgebaut noch vorhanden und führte schon damals über Priene, Milet und Akköy nach Jeronda. Im Juli 1895 trafen Bernard Haussoullier und Emmanuel Pontremoli in Jeronda ein (Abb. 64). Trotz der türkischen Einladung zur Ausgrabung des Apollontempels musste Frankreich die Arbeiten selbst finanzieren; und so ist es bis heute üblich. Haussoullier schreibt, dass er nicht genügend Geld zur Verfügung hatte, um alle Häuser zu kaufen, die sich auf der Tempelruine befanden. Schon deshalb wäre es unmöglich, den Tempel ganz freizulegen. Überdies würde die Ausgrabung des Tempels nie fertig werden wegen der ungeheuren Schuttmassen, die ihn begraben. Damit irrte Haussoullier jedoch, wie die 1906 begonnenen deutschen Ausgrabungen wenige Jahre später zeigen sollten (siehe das Kapitel zu Wiegand und Knackfuß). Bernard Haussoullier macht nur knappe Angaben zum Ort Jeronda selbst: Es gebe mehr als 300 Häuser mit einer großen Kirche und einer Schule daneben (die Kirche des heiligen Charalambos wurde 1924 zur Moschee umgewandelt, während die später erneuerte Schule heute geschlossen ist). Die in Jeronda wohnenden Griechen kommen ihren Nachnamen nach von den Inseln Samos und Kreta sowie vom griechischen Festland. Unter ihnen gibt es drei Papas (Neugriechisch für „Priester“), zwei Schulmeister und zwei Ärzte. 159
Apollonheiligtum von Didyma
Abb. 64: Blick von Südosten auf Jeronda und die Ruine des Apollontempels mit der Kirche des heiligen Charalambos (heute Moschee) in Hintergrundmitte. Weitere Angaben zu seinem Aufenthalt in Jeronda oder zur Umgebung der Tempelruine macht Haussoullier nicht. Seine begrenzten finanziellen Mittel erlaubten es ihm 1895 nur, eine Sondage im Norden des Apollontempels zu machen, wo er die Einmündung der Heiligen Straße von Milet vermutete. Im Jahr darauf, 1896, ließ er die gesamte Ostfront des Tempels freilegen. Im Norden des Apollontempels hoffte Haussoullier, das Ende der Heiligen Straße von Milet zu finden. Doch dies gelang ihm nicht (ganz). Was Haussoullier und Pontremoli im Norden fanden, aber nicht beschreiben, sind das Ende einer Terrassenmauer, eine Treppe auf die Terrasse und westlich davon den Beginn einer Freitreppe (Plan 3). All das wurde wenig später von den deutschen Archäologen noch einmal freigelegt. Jedoch ist auf dem französischen Plan schon Folgendes zu sehen: Etwas westlich der nordöstlichen Tempelecke endete die Mauer, welche die Terrasse vor der gesamten Ostfront des Apollontempels abstützte. Diese Mauer, die den Ostvorplatz begrenzt, wurde Ende des 4. Jhs. v. Chr. errichtet im Zusammenhang mit dem Neubau des Apollontempels (siehe das Kapitel zu Furtwängler). Die Terrasse oberhalb der Mauer konnte über fünf Treppen erreicht werden, von denen die nordwestliche unter Haussoullier ausgegraben wurde. Westlich dieser Treppe beginnt die schon erwähnte Freitreppe, die allerdings nur ein paar Meter weit erhalten ist. Dennoch ist erkennbar, dass sie vom Tempel weg nach Norden wegschwenkt (Plan 3). Solche Freitreppen dienten in der Antike oft als Sitze für die Zuschauer bei Opfern, Festen oder Prozessionen. Da jedes Frühjahr die wichtige Prozession von Milet nach Didyma unternommen wurde und ihren Schlusspunkt die Opfer an Apollon bildeten, wird die Prozession an der Freitreppe vorbei auf den Ostvorplatz geführt haben, wo die Opfer stattfanden. Denn verlängert man das letzte erhaltene Stück der Heiligen Straße in Richtung Apollontempel, würde sie direkt zu Füßen der Freitreppe an ihr vorbeiführen (Karte 6). Dabei passierte sie die zwei Postamente, die bei späteren Ausgrabungen unter Klaus Tuchelt 1986 zutage traten (siehe 160
Bernard Haussoullier und Emmanuel Pontremoli – 1895/96
das Kapitel zu Tuchelt und Schneider). Folglich fand Bernard Haussoullier wahrscheinlich doch die Einmündung der Heiligen Straße zum Apollontempel; freilich auf andere Weise als er es sich erhofft hatte. Jedoch konnte er seinen „Fund“ nicht deuten, weil die Heilige Straße von Norden her noch nicht bis zu ihrem Ende ausgegraben war. Auf Haussoulliers Plan ist außerdem zu erkennen, dass er einen breiten Graben bei den beiden noch aufrechtstehenden Säulen im Norden anlegte. Diesen Bereich hatte schon Olivier Rayet ausgraben lassen, doch Haussoullier legte zusätzlich die Krepis und von dort noch über 20 m Fläche nach Norden frei; wo er eben auf das Ende der Terrassenmauer und die Freitreppe stieß. Dort machte er weitere interessante Funde: Es traten nämlich Teile des archaischen Apollontempels zutage. Da Haussoullier aber annahm, dass von diesem Bau alle Werkstücke in den Fundamenten des hellenistischen Apollontempels verbaut wären, konnte er seine Objekte nicht richtig deuten. U. a. kam ein Friesblock zum Vorschein, der sich an einer Gebäudeecke befand und den eine Gorgo ziert (Abb. 65). Am rechten Rand des Blockes sind außerdem zwei riesige Löwentatzen zu sehen, die zeigen, dass weitere Abschnitte des Frieses mit Figuren geschmückt waren. In der antiken Mythologie gab es drei Gorgonen, das heißt geflügelte Frauen mit Schlangen auf ihren Köpfen, deren schrecklicher Anblick jeden zu Stein erstarren ließ. Die Gorgo und der furchterregende Löwe sollten also apotropäische, das heißt abschreckende Wirkung haben und so das Heiligtum beschützen. Der genannte Eckfriesblock ist auf einer Seite 0,53 m, auf der anderen 0,93 m breit und 0,91 m hoch. Aufgrund seiner Dimensionen kann er nur von einem sehr großen Bau stammen. Deshalb ordnet man ihn heute dem archaischen Apollontempel zu (siehe das Kapitel zu Wiegand und Knackfuß zum Jahr 1911). Haussoullier meinte, der Friesblock mit Gorgo und Löwe könnte von einem Grabbau oder einem Siegesmonument an der Heiligen Straße stammen und sei in byzantinischer Zeit zum Apollontempel hin verschleppt worden.
Abb. 65: Eckfriesblock vom archaischen Apollontempel mit einer Gorgo und zwei Löwentatzen (heute im Archäologischen Museum von Istanbul). 161
Apollonheiligtum von Didyma
Als man später im 20. Jh. gezielt die Fundamente des hellenistischen Apollontempels ausgrub, fand man darin verbaut weitere Bauteile und Skulpturen spätarchaischer Zeit. Bereits in byzantinischer Zeit waren die Tempeltreppe und Säulenfundamente auf den westlichen Langseiten des Tempels abgetragen worden. Dabei konnte man die Quader leicht wiederverwenden, verzierte Bauteile oder Skulpturen wurden umgearbeitet oder blieben liegen. So erging es dem beschriebenen Friesblock und anderen Werkstücken: Im seinem Nordgraben fand Haussoullier überdies die Hälfte eines großen spätarchaischen Antenblockes, der auf seiner Vorderseite mit zwei Eierstäben und dazwischen mit einem Lotus-Palmettenfries verziert ist (siehe Abb. 108). Manche Forscher vermuten heute, dieser und weitere solcher Blöcke stammen von den Anten eines Altars. Doch wahrscheinlicher ist eine andere Lösung: Wie spätere Ausgrabungen zeigten, hatte bereits der archaische Tempel in seinem Innenhof Pilaster, die die Wände gliederten. Diese müssen Kapitelle besessen haben, so wie die mit Greifen und Ranken verzierten Pilasterkapitelle des hellenistischen Apollontempels. Folglich kann man mit der älteren Forschung annehmen, dass Haussoullier das erste Bruchstück (0,56 m breit und 0,75 m hoch) eines Pilasterkapitells des archaischen Apollontempels fand (siehe das Kapitel zu Wiegand und Knackfuß und den Abschnitt zum Jahr 1911). Die größte Anzahl Funde stellten jedoch spätarchaische Dachziegel aus Ton dar. Davon traten im Nordgraben u. a. große Traufziegel zutage, die sich an den Langseiten eines Gebäudes befanden. Sie bildeten dort den Abschluss des Daches und waren mit einem doppelten, aufgemalten Flechtband verziert. Die gefundenen Fragmente können ihrem großen Format nach vom archaischen Apollontempel stammen (Abb. 66). Kalyptere der gleichen Größe wurden ebenfalls gefunden. Sie waren an den Traufen mit Lotusblüten verziert und werden deswegen Antefixe genannt.
Abb. 66: Fragment eines Traufziegels des archaischen Apollontempels mit schwarzem Flechtband auf gelbem Hintergrund (ca. 13 x 25 cm). 162
Bernard Haussoullier und Emmanuel Pontremoli – 1895/96
Ferner kamen viele Fragmente ähnlicher Dachziegel zum Vorschein, die aber deutlich kleiner sind. Folglich ist es wahrscheinlich, dass diese Kalyptere von kleineren archaischen Bauten stammen als dem Apollontempel. Neueren Forschungen nach könnte es sich dabei um Hallen oder womöglich um den Artemistempel gehandelt haben. Darüber hinaus trat in Haussoulliers Nordsondage eine marmorne Volute von einem Altar zutage. Bei ihr handelt es sich um eine spätarchaische Eckvolute, die man auf der Oberseite der Altartische an den Ecken anbrachte. Vom Altar des Apollon kann dieses Bauteil nicht sein, da es sich bei ihm um einen Rundbau handelte. Somit käme der Altar seiner Schwester Artemis in Frage, der sich zusammen mit dem Artemistempel nördlich des Apollontempels bei der heutigen Moschee befand. Bernard Haussoullier fand noch weitere Statuen des 6. Jhs. v. Chr. Sie fand er aber nicht nur im Nordgraben, sondern auch an anderen Stellen rund um den Apollontempel. Die Genehmigung, um sie für den Louvre mitzunehmen, erhielt er jedoch nicht. Dafür wurden 1901 alle aufgeführten Architektur- und Skulpturfunde in das archäologische Museum von Konstantinopel überführt. Im Jahr 1896 konzentrierten sich Bernard Haussoullier und Emmanuel Pontremoli auf die Ostseite des Apollontempels. Nach weiteren Verhandlungen mit den dortigen Hausbesitzern konnten sie deren Häuser abtragen und die gesamte Ostfront des Tempels freilegen. Zum ersten Mal wurde so festgestellt, dass sich der riesige Tempel auf einem siebenstufigen Unterbau befand. Üblich war in der griechischen Architektur eine Krepis mit drei Stufen. Sieben Stufen wie in Didyma erhöhten einerseits den Tempel und verlangten ferner einen viel höheren Bau- und Materialaufwand. Während der Stylobat 51,09 m breit ist (bei Haussoullier fälschlich mit 49,78 m angegeben), hat der Tempel an seiner untersten Stufe eine Breite von 60,13 m. Die Länge des Stylobats gibt Haussoullier ebenfalls etwas zu kurz an: Sie beträgt statt 108,55 m nämlich 109,34 m. An seiner untersten Stufe ist der hellenistische Apollontempel 118,34 m lang. Haussoullier ließ die gesamte Osttreppe ausgraben bis zur ersten Säulenreihe mit den verzierten Säulenbasen (siehe das Kapitel zu Rayet und Thomas). An der nördlichen Ecke rückte er soweit nach Westen vor, bis eine Verbindung mit dem Nordgraben von 1895 erfolgte. Doch den Bereich des Zweisäulensaales konnte er nicht freilegen, weil sich dort die Windmühle befand. Da eine der sieben Krepisstufen jeweils 0,45 m hoch ist, hatte man an der Ostfront des Tempels kleinere Stufen eingebaut. Die Stufenhöhe beträgt hier die Hälfte einer Krepisstufe, sodass man auf der Ostseite über dreizehn Stufen auf den Stylobat gelangte (siehe Abb. 2). Den Übergang zwischen dieser Treppe und der Krepis bildeten zwei Podeste oder Treppenwangen, die jeweils auf Höhe der dritten Säule platziert sind. Auf diesen Podesten standen in der Antike wahrscheinlich Statuen; womöglich die zwei Fackelträger, die auf einem kaiserzeitlichen Relief aus Milet und auf milesischen Münzen abgebildet sind (siehe das Kapitel zu Wiegand und Knackfuß zum Jahr 1907). 163
Apollonheiligtum von Didyma
Auch Haussoullier fiel auf, dass der Tempel an vielen Stellen unfertig geblieben war. So hatte man den Stylobat einzig an der Ostfront komplett mit großen Marmorplatten gepflastert. An den Ringhallen zu den Langseiten hörte diese Pflasterung auf und es gab einen kleinen Absatz, der auf die Kalksteinfundamente überleitete. Bernard Haussoullier konnte aber nicht nur die Zusammensetzung des Unterbaues der Ostfront klären, denn ihm gelang es endlich – nach vielen Jahrhunderten – den Aufbau des Tempelgebälks festzustellen. Er fand Teile von Architrav, Fries, Zahnschnitt und Geison des Apollontempels, die bisher noch nie zutage getreten waren. Der insgesamt 1,59 m hohe Architrav war in drei Fascien gegliedert, über denen ein Perlstab, ein Eierstab und ein Fries mit Palmetten folgten. Die spektakulärste Entdeckung stellten Teile des Tempelfrieses dar: Zwischen Pflanzenranken und Blüten hatte man Häupter von Gorgonen auf dem 1,15 m hohen Fries angeordnet (Abb. 67). Wie oben schon erwähnt, gab es in der griechischen Mythologie drei Gorgonen, von denen eine Medusa hieß und als einzige sterblich war. Ihr hatte der Held Perseus den Kopf abgeschlagen. Der schreckliche Anblick der Gorgo Medusa mit Schlangen auf ihrem Haupt ließ jeden Menschen zu Stein erstarren. Insofern sollte der Fries am Apollontempel apotropäische, das heißt Übel abwehrende Wirkung haben.
Abb. 67: Friesblock mit einer Gorgo des hellenistischen Apollontempels. 164
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Über ihm folgte wieder ein Eierstab (0,33 m hoch). Darauf hatte man den beim ionischen Tempel üblichen Zahnschnitt angeordnet, dessen Zähne jeweils 0,59 m hoch und rund 0,44 m breit waren. Die Vorderseiten der Zähne waren verziert, u. a. mit Blüten oder Palmetten. Darüber folgte ein lesbisches Kyma (0,30 m hoch), welches das höchste am Tempel versetzte Bauglied bildete. Seine Oberseiten sind noch unbearbeitet, das heißt auf ihm folgten keine weiteren Bauteile. Die Sima an den Langseiten oder die Giebel an den Schmalseiten wurden also nie errichtet (Abb. 68).
Abb. 68: Rekonstruierte Ansicht des Gebälks über dem südlichen Eckjoch der Ostfront des hellenistischen Apollontempels. Insgesamt erreichte das Gebälk damit eine Höhe von 3,96 m. Darunter standen die 19,70 m hohen Säulen auf dem 3,15 m hohen Stufenbau. Damit betrug die zur Ausführung gekommene Gesamthöhe des Apollontempels 26,81 m. Wenn die Giebel fertiggestellt worden wären, hätte der Bau die 30 m wohl überschritten. Aber dazu kam es nie. Dennoch war vor allem die Ostfront des Tempels reichverziert. Haussoullier und Pontremoli fanden Reste der beiden Eckkapitelle, die aufwändig figürlich verziert waren. Bei den Ausgrabungen am Anfang des 20. Jhs. traten weitere Fragmente zutage, die eine Rekonstruktion ihrer Anordnung erlaubten: Das südöstliche Eckkapitell trug die Büsten von Apollon und Zeus sowie direkt an der Ecke einen Vogelgreif. Zwischen den Götterbüsten und dem Greif befand sich je ein Stierkopf. Das nordöstliche Eckkapitell hatte man mit den Büsten von Artemis und Leto, an der Ecke mit einem Löwengreif und ebenfalls mit zwei Stierköpfen geschmückt. Es waren also die Zwillinge und ihre Eltern dargestellt, ihre wertvollsten Opfertiere sowie zwei apotropäische Greifen (Abb. 69). 165
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Abb. 69: Die Büsten von Apollon und Zeus, die das südöstliche Eckkapitell des hellenistischen Apollontempels zierten. Die Büsten von Apollon, Artemis, Zeus und Leto passen zu ihrer etwa gleichzeitigen Erwähnung in der Weihinschrift des Theaters. Die Skene trägt eine Weihinschrift wohl des Jahres 129 n. Chr., in der das neue Bühnengebäude diesen vier Göttern geweiht wird, der Stadt Milet und dem Kaiser Hadrian (117–138 n. Chr.). Von Apollon und Artemis kennt man ihre Tempel in Didyma (siehe die Kapitel zu Furtwängler und zu Bumke). In Inschriften wird ein heiliger Bezirk des Zeus erwähnt, aber von Leto zeugen keine Inschriften. Dennoch zeigen ihre Darstellung am Apollontempel und ihre Nennung in der Weihinschrift der Skene an, dass sie in Didyma verehrt wurde. Aufgrund der Tempel für Apollon und Artemis ist klar, dass sie die bedeutendsten Götter in Didyma waren. Zumindest in der Kaiserzeit gehörten Zeus und Leto zu den ebenfalls sehr wichtigen Göttern. Bernard Haussoullier äußert sich zur Datierung der genannten figürlichen Kapitelle oder auch der Gorgo-Medusa-Häupter auf dem Tempelfries nicht. Freilich wusste er, dass man an dem Apollontempel mehrere Jahrhunderte baute, ohne dass er ganz fertig wurde. Seinen Entwurf ordnet er der „Ionischen Renaissance“ zu, also einem Wiederaufleben der ionischen Bauordnung in Westkleinasien. Diese begann in der Mitte des 4. Jhs. v. Chr. mit dem Bau des Mausoleums von Halikarnassos und dem Athenatempel von Priene. Kurz danach wurde der Artemistempel von Ephesos errichtet und nach 330 v. Chr. der Apollontempel von Didyma. Am Ende des 3. Jhs. v. Chr. war die Ionische Renaissance vorbei. Bernard Haussoullier beschäftigte sich als Epigraphiker auch mit den Bauinschriften von Didyma. Daraus ergab sich der Weiterbau des Apollontempels vom 3. bis ins 1. Jh. v. Chr. Beim Schrift166
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steller Sueton steht außerdem, dass Kaiser Caligula (37–41 n. Chr.) den Tempel vollenden wollte (siehe das Kapitel zu Rayet und Thomas). Diese Stelle führt Haussoullier zwar an, bezweifelt aber, dass Kaiser Caligula dazu fähig war wegen seiner kurzen Regierungszeit. Nach neueren stilistischen Forschungen von Stefan Pülz ist es wahrscheinlich, dass die Säulen der Ostfront und ihr Gebälk erst am Anfang des 2. Jhs. n. Chr. errichtet wurden (siehe das Kapitel zu Rayet und Thomas). Diese reich verzierte Eingangsfront des eigentlich hellenistischen Apollontempels ist einmalig in der griechischen Tempelbaukunst, wie Bernard Haussoullier feststellte. Zuunterst die beiden Podeste mit Statuen, dann die reich verzierten Säulenbasen, darüber der Medusenfries, überhaupt das Gebälk mit seinen vielen Ornamentbändern und schließlich der ornamentierte Zahnschnitt. Hinzu kommt noch der Tempelinnenhof mit den sorgfältig ornamentierten Pilasterkapitellen und dem umlaufenden Greifenfries. All das wirft die Frage auf, warum man den Tempel so reich verzierte. Bernard Haussoullier vermutet, dass der archaische Apollontempel als Vorbild gedient haben könnte. Jedoch sei dies nicht nachweisbar, weil von diesem Bau noch kein Stück gefunden wurde. Aber hier irrte er sich, denn wie oben dargelegt, zierten den archaischen Apollontempel Gorgonen und Löwen auf seinem Architrav. Darüber hinaus hatte man die Säulen der Tempelfront mit Reliefs versehen, es gab also sogenannte columnae caelatae. Außerdem ist es wahrscheinlich, dass auch seine Pilaster im Innenhof geschmückt waren. Die reiche Ausschmückung – vor allem der Front – des hellenistisch-römischen Apollontempels kann durchaus auf den archaischen Vorgängerbau zurückgehen. Bernard Haussoullier widmete seine Aufmerksamkeit auch kleinen Details am Apollontempel. So erkannte er als erster die Durchmesserangaben auf der unkannelierten Säule der Südseite. Sie sind u. a. wichtig, um das Fußmaß zu bestimmen, mit welchem der Tempel gebaut wurde (siehe das Kapitel zu Gell, Gandy und Bedford). Andererseits erklären sie, warum die Säule nicht kanneliert wurde. Bei der Berechnung der Verjüngung des Säulenschaftes von unten nach oben hatte sich nämlich ein Fehler eingeschlichen. Dadurch verjüngte sich der Schaft schon auf halber Höhe zu stark, um noch den oben nötigen Durchmesser zu erreichen. Als man dies merkte, war es jedoch schon zu spät und man brach die Arbeiten ab. Bis zur neunten Säulentrommel von unten verlief die Ausarbeitung nach Plan. Wie im Kapitel zu Gell schon erwähnt, sollten die untersten Trommeln einen Durchmesser von sieben Fuß haben und sind deshalb mit einem Zeta gekennzeichnet (Griechisch für „sieben“). Je Trommel nahm der Durchmesser um etwa einen Daktylus ab (= „Finger“, kleinste Einheit von etwa 1,88 cm). Auf der neunten Trommel von unten registrierte Haussoullier folgende Durchmesserangabe: Ϛ Δ Η ΙϚ ΛΒ (= 6 1/4 1/8 1/16 1/32) Fuß (Abb. 70). Dieses Maß ergibt zusammen etwa 6,47 Fuß oder rund 1,94 m. Die Durchmesserangabe der folgenden Trommel ist nicht gut erhalten, aber die der elften Trommel schon: Ϛ Η (= 6 1/8) Fuß, welche etwa 1,84 m ergeben. Somit beträgt der Durchmesserunterschied von der neunten zur elften Säulentrommel 10 cm, also 5 cm pro Trommel. Wie 167
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erwähnt, waren aber eigentlich nur knapp 2 cm vorgesehen (ein Daktylus). Hier war folglich ein Fehler beim Berechnen passiert, den man aber erst bemerkte, als es zu spät war. Und Haussoullier war der erste, der sich mit den Durchmesserangaben beschäftigte. Er konnte sie jedoch nicht richtig deuten, weil er davon ausging, dass der attische Fuß mit einer Größe von 29,5 cm benutzt wurde. Aber das war nicht der Fall, denn es kam hier ein vergrößertes Fußmaß von rund 30,0 cm zum Einsatz (siehe das Kapitel zu Gell, Gandy und Bedford).
Abb. 70: Durchmesserangabe auf der neunten Trommel der unfertigen Säule des hellenistischen Apollontempels. Haussoullier bemerkte außerdem, dass auf jedem Säulenbauteil von der Basis bis zur obersten Trommel jeweils ein X eingehauen war (Abb. 71). Dieses X (der griechische Buchstabe Chi) versuchte er als Markierung für die Anbringung der Kanneluren zu deuten. Aber dies ist kaum wahrscheinlich, weil die Chis nicht übereinander angebracht sind. Obendrein ist der Buchstabe auch auf den zwei Teilen der Säulenbasis eingehauen. Somit kann es sich nur um eine sogenannte Versatzmarke handeln, also ein Zeichen, welches dazu diente, zusammengehörige Bauteile zu kennzeichnen. Versatzmarken setzte man im griechischen Bauwesen ein, um den Bauvorgang zu vereinfachen und zu beschleunigen.
Abb. 71: Die Versatzmarke Chi (X) auf dem Torus der Säulenbasis der unfertigen Säule des hellenistischen Apollontempels. 168
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Auf der Baustelle wurden die Blöcke zum Aufrichten der Säule „X“ vorbereitet und aneinander angepasst. Dabei erhielt jedes Teil ein X und eine Durchmesserangabe. Auf diese Weise war klar, dass sie alle zu einer Säule gehörten, und darüber hinaus war so ihre genaue Lage innerhalb der Säule festgelegt. Außerdem fielen Bernard Haussoullier – wie schon Pickering und Salter 1673 – die zahlreichen Steinmetzinschriften auf den Außenseiten der Tempelbauteile auf. Sie konnten aus drei Bestandteilen bestehen, die anzeigen, ob Sklaven des Heiligtums, der Polis Milet oder von privaten Vermietern an einem Werkstück mitgearbeitet haben (siehe das Kapitel zu Wheler und Spon). Haussoulliers Deutung dieser Steinmetzinschriften ging bereits in diese Richtung. Wichtig ist aber, dass er sich Gedanken darüber machte, wo diese Inschriften eingeschlagen wurden und woher das Baumaterial für den Apollontempel überhaupt kam. Womöglich wurden die Buchstabenkombinationen schon im Steinbruch angebracht. Aber aus welchen Steinbrüchen kam z. B. der Marmor für den Apollontempel? Olivier Rayet hatte vermutet, der Marmor wurde von Fourni geliefert, einer Inselgruppe, welche sich wenig südwestlich von Samos befindet (Karte 1). Dort gibt es tatsächlich antike Steinbrüche, die allerdings nichts nach Didyma exportierten. In den Bauberichten von Didyma wird erwähnt, dass der Kalkstein aus der näheren Umgebung Didymas stammt. Untersuchungen durch Barbara und Gregor Borg ergaben, dass im Umkreis von wenigen Kilometern um das Apollonheiligtum viele kleinere Steinbrüche existierten, in denen der weißgraue Kalkstein abgebaut wurde. Die Bauberichte umfassen nur die Zeit vom 3. bis zum 1. Jh. v. Chr. Darin werden zwei Orte genannt, aus denen Marmor nach Didyma geliefert wurde. Einer von ihnen, Ioniapolis, konnte durch Anneliese Peschlow-Bindokat am südöstlichen Ufer des heutigen Bafa Gölü lokalisiert werden (Karte 3). Dort befanden sich ausgedehnte Marmorsteinbrüche, die der Polis Milet gehörten und aus denen viel Baumaterial nach Didyma geliefert wurde (Abb. 72). Etwas weiter nördlich, am Ostufer des Bafa Gölü, gab es weitere Marmorbrüche, die der Polis Herakleia gehörten und aus denen ebenfalls Marmor nach Didyma kam. Da der Bafa Gölü im Altertum nur eine Meeresbucht und kein See war, konnte der Marmor aus beiden Steinbruchgebieten per Schiff leicht bis nach Panormos, dem antiken Hafen Didymas, transportiert werden. In beiden Steinbrüchen am ehemaligen Latmischen Golf liegen noch heute viele Bauteile, die man für den Apollontempel vorgesehen hatte. Die meisten von ihnen wiesen kleine oder größere Mängel auf, sodass man sie zurückließ, weil sie unbrauchbar waren. Auf dem Gebiet des Hafens von Ioniapolis befinden sich z. B. noch viele Säulentrommeln (Karte 3). Marmoranalysen des Ehepaars Borg ergaben außerdem, dass in hellenistischer Zeit Marmor von der Insel Thasos geliefert wurde. Die dortigen antiken Steinbrüche beim Ort Aliki sind heute noch beeindruckend, weil sie direkt am Meer liegen und einen leuchtend weißen Marmor bereitstellen. Dieser thasische Marmor wurde am Apollontempel z. B. für die Säulen im Zwölfsäulensaal verwendet und für die beiden Türgewände des großen Portals zum Zweisäulensaal (siehe Abb. 38). 169
Apollonheiligtum von Didyma
Abb. 72: Bafa Gölü, Marmorbruch von Milet. Zwei unfertige Säulentrommeln für den hellenistischen Apollontempel von Didyma. Blick nach Norden Richtung Herakleia am Latmos. In der römischen Kaiserzeit bezog man viel Marmor von der Insel Prokonessos (heute Marmara im Marmarameer). Dieser weiße Marmor weist ebenfalls eine hohe Qualität auf. Mit ihm errichtete man viele Säulen der äußeren Säulenreihe des Apollontempels. Dazu gehören die der Nordseite und vor allem die der reichverzierten Ostfront. Bernard Haussoullier arbeitete bekanntlich nicht nur als Archäologe, sondern auch als Althistoriker und Epigraphiker. In dieser Funktion brachte er 1902 ein Buch heraus über die Geschichte Milets und Didymas. Darin gibt es zum ersten Mal ein Kapitel über die Bauberichte von Didyma. In späteren Aufsätzen beschäftigt sich Haussoullier weiter mit dieser besonderen Gattung der Inschriften Didymas, die auf großen Steinstelen eingemeißelt waren. Sie hatte man öffentlich vor dem Apollontempel aufgestellt, und dort wurden auch die meisten gefunden. In diesen Inschriften wird Rechenschaft darüber abgelegt, was in einem Jahr im Apollonheiligtum von Didyma gebaut wurde und wieviel es kostete. Erhalten sind Bauberichte von der zweiten Hälfte des 3. Jhs. v. Chr. bis zum Anfang des 1. Jhs. v. Chr. Sie sind die besten Zeugnisse, um die Baugeschichte des Apollontempels in dieser Blütephase zu erschließen. Eigentümer des Apollonheiligtums war die Polis Milet, die deshalb das Geld für den Bau zur Verfügung stellte. Am Beginn jedes Berichts standen die Beamten, die in dem genannten Jahr 170
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verantwortlich waren. Der höchste Beamte Milets, der auch dem Jahr seinen Namen gab, war der Stephanephor (Kranzträger). Ihm folgte der Name des Propheten, des Oberpriesters von Didyma. Danach werden die beiden für den Haushalt Didymas Verantwortlichen genannt, die sogenannten Tamiai (siehe das Kapitel zu Ross). Zum Schluss führte man die Namen des Architekton (Architekt) und des Epistates (Bauleiter) an. Ein Beispiel lautet folgendermaßen (Nr. 27 bei Albert Rehm): „Unter dem Stephanephoren Echekrates, Sohn des Eudemos, dem Propheten Aristeides, Sohn des Polyxenos, den Tamiai und Beisitzern im Heiligtum Pisaios, Sohn des …, und Euboulos, Sohn des Hierokles, dem Architekten … und dem Epistates der Bauarbeiten am Tempel des Apollon von Didyma Dionysikles, Sohn des Sosthenes, wurden ausgeführt von den Sklaven des Gottes laut Rechenschaftsbericht folgende Arbeiten: Im Naos wurden 328 Marmorblöcke verbaut mit einem Ausmaß von 3858 Kubikfuß zum Preis von 4 Drachmen pro Fuß. Das ergibt 15432 Drachmen. Zudem wurden 147 Kalksteinblöcke verbaut mit 1414 Kubikfuß zu einem Preis von einer Drachme pro Fuß. Das ergibt 1414 Drachmen. Hinzukommen 170 Kalksteinblöcke zu insgesamt 1214,5 Kubikfuß. Ihr Gesamtpreis beträgt bei einer Drachme pro Fuß 1214,5 Drachmen“.
Etwas weiter unten wird berichtet, dass ein Bauteil versetzt wurde, welches 660 1/24 Kubikfuß umfasste und pro Kubikfuß 30 Drachmen kostete. Bei diesem hohen Preis pro Fuß vermutete Albert Rehm, dass es sich nur um die marmorne Türschwelle des großen Portals zwischen Zweiund Zwöfsäulensaal handeln könne (siehe das Kapitel zu Dedreux, Donaldson und Huyot). Und in der Tat ergeben die Ausmaße von etwa 7,90 x 2,12 x 1,01 m rund 660 Kubikfuß. Laut Baubericht kostete die Verlegung der Türschwelle 19801 ¼ Drachmen. Aufgrund der bekannten Beamtennamen kann der obenstehende Baubericht in die Jahre 217/16 v. Chr. datiert werden. Insgesamt wurden in diesem Jahr für den Apollontempel 37861 ¾ Drachmen aufgewendet. Dies entspricht etwa den durchschnittlichen Ausgaben von 40000 Drachmen pro Jahr, die die Stadt Milet für den Bau des Apollontempels bereitstellte. Damit hätte die Errichtung der geplanten 122 Säulen des Tempels etwa 120 Jahre gedauert, denn eine von ihnen kostete 39000 Drachmen. Folglich verwundert es nicht, dass nie alle Säulen aufgestellt wurden. Aus anderen antiken Quellen ist bekannt, dass Angehörige vieler Berufsgruppen im Altertum etwa eine Drachme pro Tag verdienten, also zwischen 300 und 400 Drachmen pro Jahr. Milet gab somit jedes Jahr rund das Hundertfache von einem Durchschnittsverdienst für den Apollontempel aus. Damit kann man sich heute noch ein Bild von den Kosten des Tempelbaues über mehrere hundert Jahre machen. Mit den folgenden zwei Bauberichten beschäftigte sich ebenfalls bereits Bernard Haussoullier. Aus Nr. 31 bei Albert Rehm geht u. a. hervor, dass die beiden Türgewände für das große Portal 171
Apollonheiligtum von Didyma
vom Chresmographion in den Zwölfsäulensaal gebracht wurden. Dort bereitete man sie zum Verbauen vor. Anschließend hob man die beiden jeweils rund 70 Tonnen schweren Blöcke an Ort und Stelle. Das geschah am Anfang der 80er-Jahre des 2. Jhs. v. Chr. Seit dem Verlegen der Türschwelle waren etwa 30 Jahre vergangen. Aber während dieses Zeitraumes hatte man u. a. die Wände des Zwölf- und Zweisäulensaales errichtet, um an ihnen die Türgewändeblöcke befestigen zu können. Im gleichen Baubericht wird noch erwähnt, dass der Türsturz in demselben Jahr vom Hafen Panormos ins Heiligtum gebracht wurde. Dass die Bauarbeiten schnell vorangingen, belegt der nächste Baubericht Nr. 32, der ein Jahr später entstand. Darin wird u. a. Rechenschaft über den Einbau des Türsturzes und des darüber angebrachten Frieses gegeben, die rund 15 m über dem Fußboden des Zwölfsäulensaales befestigt wurden. Das Präskript dieses Berichtes ist nicht erhalten: „Es wurde der Türsturz vom Chresmographion in den Zwölfsäulensaal (Prodomos) des Tempels gebracht. Ein viergliedriger Flaschenzug wird gebaut und aufgestellt. Ein zweigliedriger wird ebenfalls aufgestellt. Der Türsturz wurde hochgezogen und auf den Türgewänden verankert. Vom Panormos ins Heiligtum wurden heraufgebracht der Friesblock und sein Gegenblock. Der Gegenblock wurde bearbeitet, heraufgezogen und befestigt. Der Friesblock wurde verziert, heraufgezogen und befestigt.“
Dieser Baubericht ist besonders wichtig, weil darin Bauglieder erwähnt werden, von denen keinerlei Reste erhalten sind. Der Türsturz und der Fries darüber wurden bei einer Erdbeben- und Brandkatastrophe in mittelbyzantinischer Zeit komplett zerstört (siehe das Kapitel zu Chishull). Ihre Außmaße werden der Türschwelle vergleichbar gewesen sein. Leider sind in beiden Bauberichten (Nr. 31 und 32) keine Angaben über die Kosten der Türgewände, des Türsturzes und des Frieses erhalten. Dennoch kann man mithilfe der drei genannten Berichte den Aufbau des großen Portals nachvollziehen. Insgesamt bieten die Bauberichte eine Vielzahl von Informationen nicht nur zur Baugeschichte, sondern auch zum Bauablauf. Die Grundlage für ihre Auswertung legte Bernard Haussoullier. Weitere Inschriften mit Bauberichten traten seit seiner Zeit immer wieder in Didyma zutage und wurden zuerst von Albert Rehm und später von Wolfgang Günther publiziert. Im Jahr 1904 veröffentliche Bernard Haussoullier seine Grabungsergebnisse von Didyma. Großen Anteil daran hatte der Architekt Emmanuel Pontremoli. Die äußere Gestalt des hellenistischen Apollontempels von Didyma war damit geklärt. Dennoch blieben Fragen offen, die den Zugang zum Innenhof und dessen Beschaffenheit überhaupt betrafen. Haussoullier war in dieser Beziehung pessimistisch und meinte der Apollontempel würde nie ganz freigelegt werden können. Aber dies war nur eine Frage der Umstände und der zur Verfügung stehenden Mittel. Mit großem 172
Bernard Haussoullier und Emmanuel Pontremoli – 1895/96
Aufwand wurde der Apollontempel schließlich in den Jahren 1906 bis 1913 unter deutscher Leitung komplett ausgegraben. Das „französische Jahrhundert“ in Didyma war damit aber noch nicht ganz beendet. Denn Bernard Haussoullier forschte unterdessen weiter am Apollonheiligtum und seinen Inschriften. Im Mai 1914 wurde er von Theodor Wiegand, dem Leiter der Ausgrabungen in Didyma, und von Wilhelm von Bode, dem Generaldirektor der Königlichen Museen in Berlin, eingeladen, zusammen mit Albert Rehm die Herausgabe der Inschriften von Didyma zu übernehmen. Diese Einladung zur deutsch-französischen Zusammenarbeit nahm Haussoullier gern an. Allerdings wurde nichts daraus, weil der 1. Weltkrieg im selben Jahr begann. Als 1926 noch immer nicht mit der Publikation der Inschriften Didymas begonnen war und Bernard Haussoullier im Sterben lag, übergab er alle seine Aufzeichnungen der französischen Nationalbibliothek. Dort sollten sie aber den deutschen Forschern offenstehen zur Benutzung für das Werk über die Inschriften Didymas. Albert Rehm übernahm diese Aufgabe und weilte 1931 sowie 1942 in Paris, um Haussoulliers Nachlass auszuwerten. Rehm konnte auf diese Weise auch Inschriften mit aufnehmen, die 1895/96 gefunden wurden und noch unpubliziert waren. Albert Rehm erlebte die Veröffentlichung der Inschriften Didymas selbst jedoch nicht mehr. Er starb 1949 und erst 1958 wurden sie von Richard Harder herausgegeben.
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Apollonheiligtum von Didyma
Theodor Wiegand und Hubert Knackfuß – 1906 bis 1913 und 1924/25 Die Jahre vor 1906 Das Werden des Archäologen Theodor Wiegand – Von Priene nach Milet – Langwierige Vorbereitungen zur Ausgrabung Didymas – 11. Mai 1905, hoher Besuch aus Konstantinopel Der Klassische Archäologe Theodor Wiegand und der Architeckt Hubert Knackfuß vollbrachten die bisher größte Leistung im Zusammenhang mit der Erforschung von Didyma: Unter ihrer Leitung gelang es, den Apollontempel und seine nahe Umgebung freizulegen. Dabei fanden sie im Tempel die beiden Tunnel, die den Zwölfsäulensaal mit dem Sekos verbinden, und die große Freitreppe mit den drei großen Türen, über die man vom Sekos in den Zweisäulensaal gelangt. Im Innenhof des Apollontempels machten Wiegand und Knackfuß die spektakulärsten Entdeckungen: Sie legten unter dem Baptisterium der ersten Kirche das Fundament des hellenistischen Naiskos frei, in dem einst die Kultstatue Apollons aufgestellt war. In der Kirche selbst traten rund ein Drittel aller Bauteile vom aufgehenden Mauerwerk dieses Naiskos zutage. Und sie fanden das wichtigste Kultmal, die Orakelquelle im Nordosten des Sekos, die noch in spätbyzantinischer Zeit als heilig galt (Abb. 73).
Abb. 73: Theodor Wiegand im südlichen Tunneleingang des hellenistischen Apollontempels. 174
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Lange hatten die Altertumsforscher auf die Entdeckung des „vorpersischen“ Apollontempels warten müssen; womit die Reste des Baues gemeint sind, den die Perser am Beginn des 6. Jhs. v. Chr. verwüsteten. Theodor Wiegand und Hubert Knackfuß gruben im Sekos des hellenistischen Apollontempels ein großes Pi-förmiges Fundament aus, auf dem im 6. Jh. v. Chr. ein Apollontempel errichtet worden war. Dazu passend kamen innerhalb des hellenistischen Naiskos die Fundamente des spätarchaischen Naiskos zum Vorschein. Aber das Bild des archaischen Apollonheiligtums sollte noch weiter aufgehellt werden: Denn östlich des Apollontempels wurden die Reste des Apollonaltars gefunden, errichtet im 6. Jh. v. Chr. und bis zum Ende der Antike benutzt. Außerdem traten noch die Fundamente zweier Hallenbauten aus dem 6. Jh. v. Chr. zutage, das eine auf der Ostterrasse und das andere südwestlich des Apollontempels. Schließlich unternahmen Wiegand und Knackfuß von Anfang an große Anstrengungen, den Apollontempel und seine nähere Umgebung zu erhalten. Im Gegensatz zu ihren französischen Vorgängern verzichteten sie auf den Einsatz von Sprengstoff, um Trümmer des Tempels leichter beiseiteräumen zu können. Überdies wurden alle Bauteile sachgerecht um den Bau herum gelagert. Zu ihrem Schutz und zu dem des Tempels ließen sie eine Mauer aus unbrauchbaren Blöcken um das gesamte Areal errichten. Von den freigelegten Resten des Apollontempels wurde möglichst viel in situ belassen und mit Stahl und Mörtel gesichert. Zu guter Letzt ließen Wiegand und Knackfuß die Sekosmauer bis zu etwa einem Drittel ihrer ursprünglichen Höhe wieder aufbauen; die einzige wirkliche Rekonstruktionsmaßnahme bis heute. Theodor Wiegand war ein begeisterter Altertumsforscher, der neben Didyma an vielen anderen Stellen wirkte. So war er maßgeblich an der Planung des Berliner Pergamonmuseums beteiligt, wodurch z. B. der Pergamonaltar und das Markttor von Milet ihre repräsentativen Standorte in diesem Museum erhielten. Neben Didyma grub Wiegand u. a. Priene, Milet und das Heraion von Samos aus und erforschte den Latmos. Dabei halfen ihm sein Durchsetzungsvermögen und seine Beharrlichkeit. In der Schule war dies Wiegand nicht zu Gute gekommen, denn es heißt, er sei kein guter Schüler gewesen. Am 30. Oktober 1864 kam Theodor Wiegand in Bendorf am Rhein zur Welt. Sein Vater arbeitete als Arzt. Als Theodor 10 Jahre alt war, nahm der Vater eine Stelle als Kurarzt in Wiesbaden an und die Familie zog dorthin um. Theodor interessierte sich sehr für Geschichte, vor allem für die Antike, sowie für Natur und Sport, aber das schulische Lernen einzig um guter Noten willen erfüllte ihn nicht. Außerdem blieb er wegen häufiger Krankheiten oft dem Unterricht fern. Der junge Wiegand war zwar ein einfühlsamer und pflichtbewusster Mensch, aber dem langweiligen Schulalltag konnte er nur wenig abgewinnen. Das Gymnasium in Wiesbaden vermisste ihn deshalb nicht, als er ans Gymnasium nach Kassel wechselte. Dort wurde sein Interesse für die Malerei und die Literatur geweckt. Im letzten Schuljahr verbesserten sich 175
Apollonheiligtum von Didyma
Wiegands Noten und er entdeckte Latein und Altgriechisch für sich, Sprachen, mit denen er sich vorher nur widerwillig beschäftigt hatte. Mit 21 Jahren machte Theodor Wiegand in Kassel das Abitur. Anschließend ging er nach München und begann, Kunstgeschichte zu studieren. Dort leistete Wiegand auch einen einjährigen Militärdienst ab, der ihm leicht viel, weil ihm Kameradschaft und Pflichterfüllung am Herzen lagen. Nachdem Wiegand fünf Semester studiert hatte, begab er sich 1888 nach Griechenland, denn das klassische Altertum war mittlerweile in den Mittelpunkt seines Interesses gerückt. In Athen konnte Wiegand für die Zweigstelle des Deutschen Archäologischen Instituts arbeiten. Außerdem machte er Bekanntschaften mit einflussreichen Archäologen, die ihm später noch nützen sollten. Das wichtigste an Wiegands halbjährigem Aufenthalt in Athen war die Erkenntnis, dass er seine wissenschaftliche Ausbildung erst fortsetzen müsse, ehe er als Archäologe wirklich selbständig arbeiten könne. Nach einem Aufenthalt in Rom schrieb sich Theodor Wiegand im Wintersemester 1889/90 an der Berliner Universität ein. Dort studierte er Klassische Archäologie, aber vor allem Philologie, also Latein und Altgriechisch. Beide Fächer sah man damals als die Voraussetzung für die Erforschung des klassischen Altertums an, was heute nur noch bedingt der Fall ist. Aber Wiegand studierte sie mit seiner ihm nun gegebenen Zielstrebigkeit. Nach vier Semestern in Berlin wechselte er krankheitsbedingt nach Freiburg. An der Universität Freiburg verfasste Theodor Wiegand seine Doktorarbeit, worauf er im Januar 1894 seine Doktorurkunde erhielt. Nach einigen Museumsaufenthalten in europäischen Städten begab er sich im Winter 1894/95 abermals nach Athen. Dort erhielt er das Angebot, an der geplanten Ausgrabung von Priene in Westkleinasien mitzuwirken. Als Assistent des Leiters Karl Humann reiste er im September 1895 über Smyrna nach Priene. Humann war bekannt als Entdecker und Ausgräber des berühmten Pergamonaltars. Allerdings konnte er die Ausgrabung von Priene kaum mehr selbst leiten, da er schwer erkrankt war. Deshalb übernahm Theodor Wiegand schon ab Herbst 1895 viele Leitungsaufgaben. Im April 1896 starb Karl Humann und Wiegand wurde kommisarischer Grabungsleiter von Priene. Anfang des Jahres 1898 ging Wiegand im Auftrag der Königlich-Preussischen Museen zu Berlin nach Konstantinopel, um sich um die Erteilung eines Ferman (Genehmigung) für die Ausgrabung Milets zu kümmern; was ihm auch gelang. Im Oktober 1898 reiste Kaiser Wilhelm II. nach Konstantinopel. Wiegand traf ihn dort, um ihm die Wichtigkeit der Ausgrabung Milets nahezulegen. Vor allem wollte er des Kaisers Fürsprache beim Sultan erreichen, um eine für die Berliner Museen günstige Fundteilung in Milet zu erwirken. Damals lernte Wiegand auch Hubert Knackfuß kennen, in dessen Hände er später die Ausgrabung von Didyma legte. Knackfuß wurde in Dalheim am 25. Juni 1866 geboren und studierte in Aachen Architektur. Später arbeitete er als Bauforscher und hatte großen Anteil an den Ausgrabungen von Milet und Didyma. 176
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Im Winter 1898/99 bereitete Theodor Wiegand von Priene aus die Ausgrabung Milets vor. Die Arbeiten in Priene schloss er im April 1899 zusammen mit Hans Schrader ab. Für Wiegand hatten die Forschungen in Priene auch persönlich Folgen, denn im Herbst 1898 hatte er dort seine künftige Ehefrau, Marie Siemens, kennengelernt, die er im Januar 1900 heiratete. Marie Siemens war die Tochter von Georg Siemens, der als Direktor der Deutschen Bank den Bau der Bagdadbahn von Konya nach Bagdad finanzierte und organisierte. Am 3. Oktober 1899 erfolgte offiziel der erste Spatenstich zur Ausgrabung Milets. Theodor Wiegand hatte sich bis dahin einen guten Ruf als fähiger Archäologe, aber auch als Kenner der türkischen Sitten und Gebräuche erworben. Um in einer fremden Kultur erfolgreich arbeiten zu können, reicht dies aber nicht, denn darüber hinaus respektierte Wiegand die einheimischen Gepflogenheiten und war in der Lage, seine Interessen zum Nutzen aller auf freundliche und bestimmte Art durchzusetzen. Ende des Jahres 1899 kam es schließlich zu einem Abkommen zwischen dem Deutschen Reich und dem Osmanischen Reich, welches die Aufteilung der Grabungsfunde regelte. Man hatte sich vertraglich darauf geeinigt, dass die Hälfte der Funde in der Türkei verblieb und die andere Hälfte an die Berliner Museen nach Deutschland ging. 1901 kam der Architekt Hubert Knackfuß nach Milet und arbeitete fortan auf der Ausgrabung für Theodor Wiegand. Für seine Einreise ins Osmanische Reich erhielt Knackfuß von Wiegand noch ein paar Hinweise, die er beachten sollte. In einem Brief vom 9. September 1901 heißt es, Knackfuß solle doch seinen Revolver nebst Munition nicht in den Koffer tun, sonst werde beides von der Zollbehörde konfisziert. Am besten sei es, beides bei der Einreise am Körper zu tragen. Das nahe Apollonheiligtum von Didyma hatte auf Theodor Wiegand schon eine besondere Anziehung ausgeübt, als er noch in Priene arbeitete. In einem Brief vom 8. März 1897 schreibt er Folgendes: „Von Didyma hatten wir einen bedeutenden Eindruck. Aber ungeheure Kosten ohne entsprechenden Ertrag an Funden. Das halbe Dorf muss demontiert werden. Die Grube (der Franzosen) ist über 8 m tief, die Blöcke so gewaltig, dass sich die Franzosen mit Pulversprengungen (!) geholfen haben, da sie die nötigen Hebemaschinen nicht bei sich hatten.“
Trotz des zwiespältigen Eindrucks war Theodor Wiegand spätestens nach Beginn der Ausgrabung von Milet bestrebt, die Arbeiten nach Didyma auszudehnen. Bereits 1892 hatte man von deutscher Seite die Ausgrabung Didymas ins Auge gefasst. In einem Telegramm hatte Reinhard Kekulé von Stradonitz, der Direktor der Sammlung antiker Skulpturen der Königlich-Preussi177
Apollonheiligtum von Didyma
schen Museen zu Berlin, Karl Humann gebeten, er möge ihm doch die Kosten für eine Grabungskampagne in Didyma mitteilen. Humann antwortete aus Smyrna, dass der Häuser- und Terrainankauf 40000 Mark und ein Jahr Arbeit mit einer Eisenbahnanlage 60000 Mark kosten würden. Das waren enorme Summen. Aber nichtsdestotrotz beantragte Humann 1895 an der Hohen Pforte in Konstantinopel die Aufnahme archäologischer Forschungen in Didyma. Er erhielt jedoch aufgrund des Einspruchs des französischen Botschafters keine Erlaubnis. Denn 1894 war die türkische Antikenverwaltung an die französische Regierung herangetreten und bat um Fortsetzung der Ausgrabung von Didyma, die 1895/96 erfolgte (siehe das Kapitel zu Haussoullier und Pontremoli). 1902 erreichte Theodor Wiegand in Milet die Kunde, dass die Franzosen ihre Grundstücke und Werkzeuge in Didyma versteigern lassen wollten. Daraus schloss Wiegand, dass Frankreich sein Interesse an der Ausgrabung Didymas aufgegeben habe. Folglich bemühte er sich ab 1903, Grundstücke in Didyma/Jeronda anzukaufen; was ihm auch gelang. Im Januar 1904 reichte Deutschland ein Gesuch beim Sultan Abdul Hamid II. ein, in dem es um die Grabungserlaubnis für Didyma ersuchte. Mittlerweile hatte man 1897 Theodor Wiegand zum auswärtigen Direktor der Königlich-Preussischen Museen zu Berlin ernannt, der seinen Sitz in Konstantinopel hatte. Der dortige türkische Antikenverwalter Osman Hamdi Bey unterstützte die deutschen Bemühungen. Aber noch gab es französische Einwände. Wiegand reiste deshalb im April 1904 nach Athen und verhandelte mit dem Direktor der Französischen Schule, Théophile Homolle. Daraufhin gab Frankreich seine ablehnende Haltung auf. Unterdessen hatte sich Theodor Wiegand von Milet aus weiter darum bemüht, Grundstücke in Didyma zu erwerben. In einem Brief vom 30. April 1904 berichtet er, wie ihn der italienische Vizekonsul Hadji Dimu aus Aydın dabei unterstützte. Dieser griechische Großgrundbesitzer besaß großes Ansehen in der Gegend, weil er einst viel Land an die griechische Bevölkerung verteilt hatte. In Jeronda wurden er und Wiegand deshalb freudig begrüßt. Die Verkaufsverhandlungen waren aber dennoch nicht einfach. Sie glichen einer „dreitägigen heißen Schlacht“. Danach besaß Wiegand einschließlich der früheren Erwerbungen in Jeronda etwa zwölf Häuser, zehn Viehställe, drei Kaffeehäuser, eine Schusterwerksatt, mehrere Backöfen, zwei gut gehende Kramläden, eine verfallene Moschee und schließlich auch die Windmühle, die die Ruinen des Apollontempels bekrönte. Obwohl Theodor Wiegand schon viele Grundstücke erworben hatte, war ihm klar, dass er weitere kaufen musste und dafür mehr Geld brauchte. Denn um den Apollontempel herum sollte eine freie Fläche geschaffen werden, um die ausgegrabenen Bauteile lagern zu können. Im Oktober 1904 fungierte er deshalb als Reiseführer auf einer Dampferfahrt des Norddeutschen Lloyd im Mittelmehr. Wiegand zeigte den Teilnehmern die Inseln Santorin, Kreta und Rhodos sowie Priene, Milet und Didyma und das archäologische Museum von Konstantinopel. Dabei konnte er für seine Ausgrabungen 44000 Mark an Spendengeldern einsammeln.
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Ende 1904 ergab sich, dass Wiegands Zuversicht nicht unberechtigt gewesen war: Per Irade hatte Sultan Abdul Hamid II. am 8. Dezember 1904 die Ausgrabung von Didyma durch die Königlich-Preussischen Museen zu Berlin genehmigt. Doch es gab ein weiteres Problem: Die Griechen aus Didyma/Jeronda brauchten Land, auf dem sie ihre neuen Häuser bauen konnten. Ein bedeutender Grundherr von Jeronda, Urfy Bey, stellte außerhalb des Dorfes einen geeigneten Acker von etwa drei Hektar zur Verfügung. Die anderen reichen Grundbesitzer lehnten diese Fläche jedoch ab, da es nicht ihr Land war und sie damit nichts am Verkauf verdienen konnten. Dies schreibt Wiegand u. a. in einem Brief vom 27. April 1905. Damals hatte er bereits rund 20 Häuser abreißen lassen. Schließlich wurde wieder mithilfe Hadji Dimus eine Lösung gefunden. Obwohl nun der Beginn der Ausgrabung Didymas in greifbare Nähe gerückt war, traten immer wieder Schwierigkeiten auf. Eines Tages kamen die türkischen Steuereintreiber und verlangten von den ehemaligen Besitzern der abgetragenen Häuser noch die Grundsteuern. Sie liesen sich nicht abwimmeln, und wer von den alten Eigentümern nicht zahlen konnte oder wollte, der musste sein Vieh abgeben oder landete gar im Gefängnis. Diesmal sprang Wiegand nicht persönlich ein – was er manches Mal tat –, sondern er schickte eine Beschwerde an den Kaimakam (Landrat) mit den Unterschriften vom Bürgermeister und vom Gemeinderat. Daraufhin mussten die Steuereintreiber von ihren ungerechtfertigten Ansprüchen zurücktreten. Am 11. Mai 1905 war es endlich so weit, der kaiserlich-deutsche Botschafter kam aus Konstantinopel mit S. M. Spezialschiff „Loreley“ nach Didyma/Jeronda, um mit dem ersten Hackenschlag die Ausgrabung offiziel zu eröffnen. Marschall Freiherr von Bieberstein entstieg dem Schiff morgens um 5 Uhr in der Kowella-Bucht (dem antiken Hafen Didymas), wie Wiegands Frau Marie in einem Brief an ihre Mutter vom 22. Mai 1905 berichtet. Dort wurde der Botschafter von acht Gendarmen und ihrem Major begrüßt, der Frau Wiegand durch seinen „schmierigen Kragen“ im Gedächtnis blieb. Nach einem einstündigen Ritt erreichte die Delegation Didyma/Jeronda, in dem alle Häuser mit grünen Zweigen geschmückt waren. Zunächst wurde Freiherr von Bieberstein im Haus des Leonidas bewirtet, welches noch auf der Nordostecke des Apollontempels stand. Leonidas war der reichste Bauer von Jeronda und wollte sein Haus nur zu einem völlig überhöhten Preis verkaufen. Schließlich fand der erste Spatenstich bei der Windmühle auf dem Apollontempel statt (Abb. 74). Symbolträchtig übergab Theodor Wiegand dem Botschafter dafür eine alte französische Hacke, der daran seinen Spaß hatte. Denn die französischen Archäologen hatten sich am Ende des 19. Jhs. vergeblich bemüht, die Windmühle zu kaufen und waren überdies der Ansicht gewesen, dass die Freilegung des gesamten Tempelareals niemals gelingen werde.
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Apollonheiligtum von Didyma
Abb. 74: Die Ruine des Apollontempels und die Windmühle darauf von Osten (um 1905). Freilich hatte man dies im Mai 1905 noch nicht geschafft. Aber die Voraussetzungen dafür waren vorhanden: Wiegand hatte es vermocht, über 60 Häuser anzukaufen hauptsächlich mit dem Geld privater Spender, die aus der Gegend von Bremen bis Wien und von Breslau bis Düsseldorf kamen. Die offizielle Eröffnung der Ausgrabung von Didyma bedeutete aber nicht, dass es wirklich losgehen konnte. Denn z. B. waren die aufgekauften Häuser noch abzutragen. Deshalb rechnete Wiegand nicht mit einem Grabungsbeginn vor dem Frühjahr 1906. Im September 1905 schreibt Theodor Wiegand, dass es ihm gelang, sich von einem türkischen Großgrundbesitzer in Jeronda einen Weinberg schenken zu lassen. Dort, auf einem Hügel südwestlich des Apollontempels, wollte er das deutsche Stationshaus errichten. Ferner bekam Wiegand damals einen Acker unterhalb des Weinbergs übertragen, den er parkähnlich gestalten ließ. 180
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Das heutige deutsche Grabungshaus befindet sich mit seinen Nebengebäuden noch an der gleichen Stelle und die Bäume unterhalb sind mittlerweile zu einer auffälligen Landmarke herangewachsen (Abb. 75 und 76).
Abb. 75: Blick über die Tempelruine nach Westen zum deutschen Grabungshaus links am Horizont (um 1906).
Abb. 76: Die Südseite des hellenistischen Apollontempels mit Blick auf das deutsche Grabungshaus (2004). 181
Apollonheiligtum von Didyma
In einem anderen Brief vom 15. November 1905 schildert Theodor Wiegand, wie er Griechen besucht, deren Häuser er aufgekauft hatte: „In Didyma habe ich heute die Neu-Ansiedlung des Dorfes besucht. Die Leute kamen heraus und waren sehr dankbar. Es sind lauter ganz Arme. Einer hatte ein Haus, aber noch keinen Stall. Ich fragte ihn, wo er denn das Pferd ließe, da sagte er: ‚Abends holen wir es herein in die Wohnhütte, das schadet nichts, im Gegenteil, das Pferd hilft im Winter heizen.‘ Bedürfnisloser kann man kaum sein.“
Des Weiteren war Wiegand immer noch damit beschäftigt, Häuser zu kaufen, die auf der Tempelruine oder in ihrer Nähe standen. Hierbei half ihm der kaiserlich ottomanische Regierungsvertreter für Milet, ein Grieche namens Evangelos Meimaroglu. Er hatte in Stuttgart studiert und kannte sich in der Gegend von Milet und Didyma sehr gut aus. Deshalb konnte er Theodor Wiegand und seinen Mitarbeitern Plätze zeigen, an denen sich weitere antike oder byzantinische Ruinen befanden. Ebenso kannte er die Namen dieser Stätten und der einzelnen griechischen Gehöfte der damaligen Zeit. Diese Erkenntnisse flossen u. a. in den ersten Band der Grabungsergebnisse von Milet ein, die Theodor Wiegand herausgab. Dieses Buch mit dem Titel „Karte der milesischen Halbinsel“ erschien 1906 von Paul Wilski. Neben der bis heute besten Karte dieser Gegend (von 1900) enthält es wichtige Informationen im Begleittext und außerdem interessante Fotos, die Didyma betreffen. Mit der Hilfe von Evangelos Meimaroglu war es Theodor Wiegand schließlich gelungen, das Haus des Leonidas zu kaufen, welches noch immer auf der Nordostecke des Apollontempels stand. Wiegand schreibt in einem Brief vom 3. Dezember 1905, dass damit für 675 Pfund „das letzte Bollwerk gefallen sei“.
Das Jahr 1906 Der Beginn der Ausgrabung des Apollontempels – Wohin mit dem Schutt? – Die „Stadt“ Didyma in römischer Zeit – Die Ausdehnung des Apollonheiligtums von Didyma – Eine byzantinische Befestigung und eine Terrassenmauer östlich des Apollontempels – Die Bebauung der Ostterrasse – Eine Ölmühle im Süden – Ein unerwarteter Fund Am 29. April 1906 war es endlich so weit, die erste deutsche Ausgrabungskampagne in Didyma konnte beginnen. Bis zum 16. Dezember 1913 folgten weitere Kampagnen, nur unterbrochen durch Pausen in den Sommermonaten. Die gesamte Arbeitszeit vor Ort betrug rund sechseinhalb Jahre. Außer an Sonn- und Feiertagen wurde täglich von 6 bis 18 Uhr gearbeitet, wobei es um 8.30 Uhr eine kurze Pau182
Das Jahr 1906
se und um 13 Uhr eine Stunde Mittagspause gab. Dabei waren jeden Tag durchschnittlich etwa 80 einheimische Arbeiter für die Ausgrabung tätig. Mit ihrer Hilfe gelang es, den gesamten Apollontempel freizulegen und das ihn umgebende Areal mit einer Mauer einzufassen. Zwischen Mauer und Tempel wurden alle abgeräumten oder ausgegrabenen Architekturstücke in Reih und Glied gelagert. Die meisten von ihnen liegen heute noch an der Stelle, wo sie vor über 100 Jahren platziert wurden (Abb. 77).
Abb. 77: Areal nördlich des Apollontempels mit Bauteilen und Fragmenten desselbigen (im Hintergrund die Kirche des heiligen Charalambos). Das ganze Unternehmen war eine logistische Meisterleistung, die angefangen hatte mit dem Erwerb der Häuser auf der Tempelruine. Sie galt es nun weiter abzureißen, um Platz für die Ausgrabung zu schaffen. Das Hauptproblem stellten dabei die anfallenden Schuttmassen dar. Wohin mit ihnen und auf welche Weise? Bei heutigen Ausgrabungen wird oftmals der Schutt temporär neben den Sondagen gelagert, weil diese nach der Kampagne wieder zugeschüttet werden. In Didyma wollte man den Tempel jedoch dauerhaft freilegen. Der Schutt musste also ebenfalls dauerhaft abgelagert werden. Theodor Wiegand schreibt in einem Brief vom 14. September 1906, dass die Bauern deshalb Schwierigkeiten machen: „Seit zwei Tagen bin ich nun an der Quelle und am Tempel der Weissagung und wäre ganz dankbar, wenn das Orakel mir sagen könnte, ob ich mit meinen Bauern von Jeronda fertig werde oder nicht. Die Schwierigkeit, die man uns bereitet, besteht in Geldforderungen für die Erlaubnis, Schutt auf den Feldern abzuladen. Dafür will ich, wie auch in Milet, kein Geld zahlen und stelle mich auf den Standpunkt, dass die Felder ja nur besser von der neuen Erde werden. Ich bin sehr neugierig. 183
Apollonheiligtum von Didyma
Inzwischen lasse ich 300 m Schienen und 15 Kippmulden mit Kamelen herbringen. Arbeiter sind genug vorhanden und warten auf Beschäftigung.“
Mit der Bahn und den Kamelen zum Ziehen der Kippmulden sollte der Grabungsschutt von der Ruine auf die Felder gebracht werden. Wenig später ergab sich deshalb ein weiteres Problem mit den einheimischen Griechen, wie Wiegand in einem Brief vom 13. Oktober 1906 berichtet. Der Bürgermeister lehnte die Feldbahn durch Jeronda ab, weil sie für die Kinder gefährlich wäre und sie totgefahren werden könnten. Er drohte mit Protesten der Bevölkerung. Wiegand schreibt, dass deswegen der Bischof von Söke (damals Sokia) zwei Tage zuvor nach Jeronda gekommen war und dem Bürgermeister „den Kopf gewaschen“ hätte. Schließlich wandte sich Wiegand an den Kaimakan (Landrat) von Sokia, der ebenfalls auf den Bürgermeister einwirkte, sodass er schließlich nachgab. Kleine Prosteste gegen die Feldbahn hatte es wohl dennoch schon gegeben. Denn Wiegand berichtet, dass er dem „ältesten Lümmel“ der protestierenden Kindergruppe ein „paar handfeste Maulschellen gab und der Spuk danach vorbei war“. Bevor der Schutt auf die Felder nördlich und südlich des Dorfes transportiert werden konnte, war eine weitere Sache zu klären: Befanden sich dort unter der Erde noch Reste antiker Bauten? Denn ehe man die Flächen mehrere Meter hoch mit Erde bedeckte, bot es sich an, diese Frage vorher zu klären. Heute würde man diese Untersuchungen mit naturwissenschaftlichen Methoden vornehmen. Solche geophysikalischen Prospektionen werden z. B. mit Radar oder elektrischer Widerstandsmessung durchgeführt. Doch vor über 100 Jahren legte man einfach in regelmäßigen Abständen Gräben an, um vorhandene antike Bebauung zu finden. Dabei traten etwa 250 m nördlich des Apollontempels Siedlungsreste zutage, die in die römische Kaiserzeit datiert wurden. Man fand Hausmauern aus Bruchsteinen mit Mörtel und außerdem viele Kleinfunde wie römisches Glas und typisch römische Keramik, sogenannte Terra Sigillata. Zwischen den bis zu 1,5 m hoch erhaltenen Hausmauern verliefen Gassen mit Abwasserkanälen. 1909 stieß man wenig südlich dieser Sondagen von 1906 noch einmal auf Siedlungsreste römischer Zeit (Karte 5). Auf einen ähnlichen Befund traf man ca. 150 m südlich des Apollontempels. Die genaue Lage der dort angelegten „Versuchsgräben“ ist – im Gegensatz zu denen auf der Nordseite – nicht mehr feststellbar. Laut dem Grabungstagebuch von Hubert Knackfuß wurden 1906 und 1907 südlich des Apollontempels genau solche Hausmauern gefunden wie nördlich des Tempels. Diese Bruchsteinmauern seien 0,50 bis 0,65 m stark und umschlossen rechteckige Räume von Wohnhäusern. Im November 1907 traten Hausmauern auf einer Länge von etwa 25 m in einem 3 m breiten Versuchsgraben zutage. Bereits im Februar 1906 hatte man eine wichtige Entdeckung in Didyma gemacht, nämlich eine Frischwasserleitung aus Tonröhren. Eine solche Röhre war jeweils knapp 0,50 m lang und wies einen Durchmesser von 0,23 m auf. Diese Wasserleitung diente zur Versorgung der Häuser südlich des Apollontempels. 184
Das Jahr 1906
Auch wenn die exakte Position der drei Versuchsgräben nicht bekannt ist, weiß man ihre ungefähre Lage. Es kann sich nur um das Gebiet zwischen dem südlichen Ende der neugriechischen Bebauung und der Kapelle des heiligen Merkurios handeln (Karte 5). Diese Annahme wurde 2007 bestätigt, als bei illegalen Ausgrabungen an dieser Kapelle ihre Fundamente freigelegt worden waren. Unter den Kirchenfundamenten traten die Reste eines Mosaikfußbodens zutage, der wohl zu einem römischen Wohnhaus gehörte. Warum Klaus Tuchelt indes den Befund von 1906/07 nicht mit in sein Werk zur Topographie Didymas aufnahm, bleibt rätselhaft. Seitdem stellte das Stadion die Südgrenze des Heiligtums in allen Publikationen dar, bis 2010/11 das noch etwas südlicher gelegene Theater gefunden wurde. Aber noch etwa 100 m weiter südlich waren bereits 1906/07 die römisch-spätantiken Siedlungsreste zum Vorschein gekommen, die hier zum ersten Mal wieder erwähnt werden. Theodor Wiegand genügte es, diese Befunde summarisch aufzunehmen, denn einerseits galt sein Hauptaugenmerk der Freilegung des Apollontempels und andererseits blieben die Überbleibsel der Siedlung für spätere Ausgrabungen bestehen. Und so ist es bis heute geblieben: Der Schutt der Ausgrabungen vom Anfang des 20. Jhs. schützt sie nach wie vor. Im Laufe der folgenden Jahrzehnte kamen immer mehr Zeugnisse zur Siedlung von Didyma zum Vorschein. Wie bereits erwähnt, besaß Didyma bzw. Hieron in frühbyzantinischer Zeit das Stadtrecht und nannte sich für kurze Zeit „Justinanoupolis“ (siehe das Kapitel zu Chishull). Bis zur Eroberung der Stadt durch die Seldschuken um 1300 war Hieron sogar Bischofssitz. Doch wie war es von der archaischen bis in die römische Zeit? Dazu gibt es bisher nur punktuelle Forschungsergebnisse. Die ältesten Siedlungsreste traten rund 150 m westlich des Apollontempels zutage, nämlich bei Ausgrabungen in den Jahren 1969 und 1972 (siehe das Kapitel zu Tuchelt). Dort datiert die früheste Bebauung bereits in das 6. Jh. v. Chr. Diese Besiedlung bestand von hellenistischer Zeit bis in die Kaiserzeit fort, und zwar aus einem dichten Netz von Häusern und Straßen mit Wasserkanälen. Die Gegend wurde wahrscheinlich beim Einfall der Goten 262 n. Chr. zerstört, wie der Ausgräber Klaus Tuchelt feststellte. Danach baute man die Häuser nicht wieder auf. Weitere großflächige Bebauung existierte innerhalb des Heiligtums rechts und links der Heiligen Straße von Milet, also im Nordwesten des Apollontempels. Auch hier stammen die ältesten Bauten aus archaischer Zeit. Im 2. Jh. n. Chr. wurde auf diesem Areal außerdem eine Thermenanlage errichtet. Im Jahr 2002 machte Axel Filges noch eine interessante Entdeckung zur Bebauung Didymas. Rund 250 m nördlich des Apollontempels und 50 m nördlich der Versuchsgräben von Wiegand ließ er geophysikalische Prospektionen vornehmen. Dabei ergaben sich Anzeichen für große aufwändige Wohnhäuser, die womöglich in die ersten nachchristlichen Jahrhunderte datieren (siehe das Kapitel zu Filges und Karte 6). Insgesamt scheint die „zivile“ Siedlung von Didyma in der römischen Kaiserzeit regelrecht aufgeblüht zu sein. Davon zeugen auch Inschriften. In einer, die noch aus dem 1. Jh. v. Chr. stammt, werden die Einwohner in vier Kategorien unterteilt: 1. Kultpersonal für das Heiligtum, 2. Bürger aus Milet, 3. Fremde 185
Apollonheiligtum von Didyma
und 4. Bürger aus der näheren Umgebung. Dass die Siedlung auch nach dem Goteneinfall 262 n. Chr. fortbestand, belegt eine andere Inschrift vom Ende des 3. Jhs. n. Chr., in der Didyma als „Polis“ bezeichnet wird (also als Stadt). Überdies sind zwei weitere literarische Zeugnisse zu erwähnen, die ebenfalls von einer Siedlung im Apollonheiligtum sprechen: Einmal handelt es sich um Strabons Erdbeschreibung (Geographica 14,1,5) aus der Zeit kurz vor Christi Geburt und zum anderen um Plinius den Älteren und seine Naturalis historia aus dem fortgeschrittenen 1. Jh. n. Chr. (Naturalis historia 5,112). Aus weiteren Inschriften ist bekannt, dass es in der römischen Kaiserzeit in Didyma eine Reihe von Profanbauten gab, das heißt solche, die nicht unmittelbar mit dem Heiligtum zu tun hatten. Dazu gehören ein sogenanntes Macellum und eine Basilika. Bei ersterem Gebäudetyp waren um einen freien Platz Räume angeordnet und es diente meistens als Fleisch- oder Lebensmittelmarkt. Das Macellum befand sich wahrscheinlich nordwestlich des Apollontempels (siehe das Kapitel zu Tuchelt und Schneider). Bei einer Basilika handelte es sich meist um eine mehrschiffige Halle, in der Geschäfte getätigt wurden oder Gerichtsverfahren stattfanden. Ihre Existenz für Didyma ist zwar inschriftlich gesichert, jedoch hat man ihre Reste noch nicht entdeckt. Zum Macellum, zur Basilika und zur schon erwähnten Thermenanlage passt das neu gefundene Theater südlich des Apollontempels (siehe das Kapitel zu Furtwängler). Alle diese Bauten entstanden in der Kaiserzeit und stellen Belege dar für ein lebhaftes städtisches Leben in Didyma. Schließlich ergibt sich aus dem Geschilderten und zahlreichen anderen inschriftlich erwähnten, aber noch unentdeckten Gebäuden, dass das Apollonheiligtum von Didyma in der Antike dicht bebaut war und sich über eine große Fläche ausdehnte. Dies steht im Gegensatz zum ausgegrabenen Bestand an antiken Resten. Das deutlich sichtbare Zentrum bildet der Apollontempel, während die meisten anderen wieder zugeschüttet wurden. Dazu gehören südöstlich vom Tempel ein antikes quadratisches Fundament unter der ehemaligen Friedhofskapelle, das Theater westlich davon sowie die bedeutenden Siedlungsreste südlich und westlich des Apollontempels. Nach der Grabung offen gelassen und teilweise restauriert wurden die Bauten rechts und links der Heiligen Straße mit der Thermenanlage im Nordwesten. Nördlich des Apollontempels liegen die wieder verfüllten Fundamente des Artemistempels und wiederum nördlich davon die noch unausgegrabene dorische Stoa sowie noch etwas weiter nördlich die verfüllten Siedlungsreste, die Theodor Wiegand fand, und die prospektierten Villen von Axel Filges (Karte 6). Mithin ist eine mehr oder minder dichte antike Bebauung rund um den Apollontempel nachgewiesen. Sie ist auch wahrscheinlich für das Viertel östlich des Apollontempels, obwohl dort noch nie Ausgrabungen unternommen oder geophysikalische Prospektionen durchgeführt wurden. Die vorhandenen Inschriften legen es nahe, dass sich im Osten einige der darin genannten, aber noch nicht entdeckten Gebäude befanden. Theodor Wiegands Hauptinteresse galt bekanntermaßen dem Apollontempel. Bis zum Frühjahr 1907 wurden die nördlich, östlich und südlich an den Tempel angrenzenden Bereiche freigelegt. 186
Das Jahr 1906
Diese großen Freiflächen waren nötig, um die verstürzten Bauteile des Apollontempels lagern zu können, die bei dessen Ausgrabung in großer Zahl zutage traten. Dabei gelangen bereits einige interessante Entdeckungen. Unmittelbar östlich des Apollontempels wurde eine bogenförmige Befestigungsmauer aus byzantinischer Zeit gefunden (Abb. 78). Das Gebiet zwischen ihr und der bereits beschriebenen Gotenmauer (siehe das Kapitel zu Wheler und Spon) bildete eine Art Vorburg, die praktischerweise den Brunnen vor dem Tempel mit einschloss (siehe den Abschnitt zu den Jahren 1912/13). Als die gekrümmte Festungsmauer noch nicht existierte, hatte man von der Gotenmauer einen Gang oder besser einen Tunnel zum Brunnen gegraben, um im Belagerungsfall keinen Wassermangel zu erleiden. Dies bedeutet weiterhin, dass damals die Brunnen im Sekos vertrocknet waren oder nur wenig Wasser gaben (Plan 4).
Abb. 78: Blick von Osten auf die bogenförmige byzantinische Befestigungsmauer vor dem Apollontempel, die vermutlich im 11. Jh. errichtet wurde. Die knapp 2 m starke Befestigungsmauer bestand aus Bruchsteinen und größeren Blöcken im Mörtelbett. Sie war bei ihrer Ausgrabung etwa 2 m hoch erhalten. Ferner saß sie auf einer Schuttschicht auf, die 2,25 m oberhalb des antiken Bodenniveaus endete. Deshalb war schnell klar, dass diese Vormauer aus byzantinischer Zeit stammt. Ihre genaue Datierung und die des Tunnels zum äußeren Brunnen ist schwierig, weil bei ihrer Freilegung die archäologischen Kontexte nicht untersucht wurden. Überdies ließ Wiegand beide Bauwerke später abtragen, um darunter weiter ausgraben zu können. Hubert Knackfuß vermutete, dass der Zugang zum Brunnen in der zweiten Ausbauphase der Gotenmauer im 6. Jh. n. Chr. angelegt wurde. Während dieser Zeit dürfte die 187
Apollonheiligtum von Didyma
Vorburg noch nicht bestanden haben, denn sonst wäre der Tunnel zum Brunnen nicht nötig gewesen. Folglich entstand die gekrümmte Befestigungsmauer womöglich am Ende des 11. Jhs., als die Tempelfestung erneuert wurde (siehe das Kapitel zu Chishull). Östlich der Vormauer trat eine ebenfalls gekrümmte Terrassenmauer zutage, die den östlichen Tempelvorplatz auf allen Seiten begrenzte. Im Süden schloss die Terrassenmauer unmittelbar an die Südtribüne des Stadions an. Dann führte sie bogenförmig um die Ostfront des Apollontempels und endete westlich von seiner Nordostecke an der Freitreppe. Diese schon erwähnte Freitreppe rahmte den nördlichen Tempelvorplatz ein, der das Ende der Heiligen Straße von Milet aufnahm (siehe das Kapitel zu Haussoullier und Pontremoli). Die 116 m lange bogenförmige Terrassenmauer besteht aus großformatigen Kalkstein- und Porosblöcken und ist bis zu einer Höhe von etwa 2 m erhalten (Abb. 79). Die ca. 1 m starke Mauer besteht aus zwei Schalen, wobei die nach außen zeigende aus regelmäßigen Quadern und die innere aus kleineren Blöcken zusammengesetzt ist. Um die darüber liegende Ostterrasse erreichen zu können, gab es fünf Treppen in regelmäßigen Abständen (Plan 3). Als oberen Abschluss hatte man der Mauer flache Platten aufgelegt, die mit einem etwa 35 cm hohen ionischem Kyma verziert sind. Diese Platten aus gelbbraunem Poros oder weißgrauem Kalkstein (und vereinzelt aus weißem Marmor) können aufgrund ihrer technischen Details und der Form des Kymas in die Mitte des 6. Jhs. v. Chr., also spätarchaisch, datiert werden. Folglich gingen Wiegand und Knackfuß davon aus, dass die Terrassenmauer im 6. Jh. v. Chr. beim Neubau des Apollontempels errichtet worden war.
Abb. 79: Ostvorplatz des Apollontempels mit der spätklassischen Terrassenmauer und den Treppen, die zur Ostterrasse führen. 188
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Einige dieser Kymaplatten lagen noch in situ auf der Mauer, als man sie freilegte. Andere fand man zu ihren Füßen, weil sie bei Erdbeben herabgestürzt waren (siehe Abb. 95). Einem Detail widmete man jedoch nicht die entscheidende Aufmerksamkeit: Denn an mindestens einer Stelle war ein großes Fragment einer Kymaplatte ganz unten im Fundament der Terrassenmauer verbaut. Später entstanden deshalb Zweifel an der Datierung der Mauer in die archaische Zeit. Weitere Forschungen, vor allem von Peter Schneider und Andreas E. Furtwängler, ergaben, dass lediglich die fünf Treppen im 6. Jh. v. Chr. errichtet wurden und die Terrassenmauer erst im Verlauf des 4. Jhs. v. Chr. (siehe das Kapitel zu Furtwängler). Mithin zeigte sich weiter durch Schneiders Forschungen, dass man die Kymaplatten in sekundärer Verwendung als Mauerabdeckung im 4. Jh. v. Chr. verwendet hatte. Dabei gelang ihm noch eine andere Beobachtung: Primär hatten die Kymaplatten den oberen Abschluss der Sekosmauern des archaischen Apollontempels gebildet (siehe den Abschnitt zum Jahr 1911). Als man diesen von den Persern beschädigten Bau im Laufe des 4. Jhs. v. Chr. abtrug, wurden die verzierten Kymaplatten „recycelt“ und mit ihnen die neu errichtete Terrassenmauer abgedeckt. Bei diesen Arbeiten hatten noch Theodor Wiegand und Georg Kawerau die Grabungsleitung von Didyma inne, ehe sie Ende des Jahres 1906 an den Architekten Hubert Knackfuß übertragen wurde. Wiegand hielt sich in den ersten Jahren jedoch in der Nähe auf, denn er agierte weiterhin als Leiter der Ausgrabung von Milet. Oberhalb der beschriebenen Terrassenmauer befindet sich eine wenig tiefe, ebene Fläche, ehe das Gelände nach Nordosten hin sanft ansteigt. Diese sogenannte Ostterrasse war schon seit dem 6. Jh. v. Chr. bebaut, wie Knackfuß im Herbst 1907 feststellte. Zum Vorschein kam der Unterbau einer langgestreckten einschiffigen Stoa, deren offene Seite zum Apollontempel zeigte. Diesen spätarchaischen Bau hatte man aus gelbbraunem Poros errichtet mit einer Grundfläche von rund 7 x 34,5 m. Er diente der Aufbewahrung von Weihgeschenken, die nicht der Witterung ausgesetzt werden konnten (Plan 2). Die Halle wurde vermutlich am Ende des 4. Jhs. v. Chr. abgetragen, nachdem sie die Perser am Beginn des 5. Jhs. v. Chr. zerstört oder beschädigt hatten. An ihrer Stelle errichtete man einzelne Statuen oder auch Monumente aus Statuengruppen in hellenistischer und römischer Zeit. Von ihnen fand Knackfuß noch mehrere Fundamente auf der Ostterrasse (Plan 3). Im Jahr 2006 war die Ostterrasse erneut das Ziel archäologischer Untersuchungen, die unter der Leitung von Andreas E. Furtwängler ausgeführt wurden. Dabei konnte ein wichtiger Befund von Hubert Knackfuß korrigiert werden. Er war der Meinung, im Südosten der Terrasse die Reste einer zweiten spätarchaischen Halle entdeckt zu haben. Die Grabungen unter Furtwängler, die der Autor dort selbst ausführte, ergaben aber, dass dies nicht der Fall ist. Eine zweite spätarchaische Stoa existierte auf der Ostterrasse nicht, weil die vermeintlich gefundene Ecke zu einem hellenistischen Weihgeschenk gehörte, welches aus archaischen Bauteilen zusammengesetzt war. Außerdem bestätigten die Grabungen von 2006 die Aussage, dass man die Terrassenmauer erst im 4. Jh. v. Chr. errichtet hatte (siehe das Kapitel zu Furtwängler). 189
Apollonheiligtum von Didyma
Auf der Nordseite des Apollontempels traten bei den Ausgrabungen unter Wiegand und Knackfuß keine architektonischen Reste zutage. In geringer Tiefe stieß man dort auf den anstehenden Felsen, nämlich gelbbraunes Porosgestein. Unmittelbar südlich des Apollontempels befand sich im Altertum das Stadion, dessen Südtribüne man im Abstand von 14 m von den Tempelstufen gebaut hatte. Bei der Freilegung dieses Gebietes wurde eine große Zahl byzantinischer Häuser gefunden, die an den Tempel angrenzten. Sie waren meist aus zerkleinerten Blöcken der Tempeltreppe errichtet und wurden von Theodor Wiegand als „mittelalterliche Wohnhütten“ bezeichnet, die man ohne zu zögern beseitigte. Dass es sich dabei nicht nur um Wohnhäuser handelte, zeigte eine neue Ausgrabung im Jahr 2004 nahe der Südwestecke des Apollontempels. Damals konnte eine Anlage zur Produktion von Öl aus Oliven freigelegt werden (Abb. 80). Sie bestand aus einer Mühle zum Zerkleinern der Oliven und aus einer Presse zum Ausquetschen des Öls. Beides war etwa bis ins Jahr 1300 in Betrieb, ehe die spätbyzantinische Stadt Hieron von den Seldschuken eingenommen wurde (siehe die Kapitel zu Chishull und zu Furtwängler).
Abb. 80: Bestandteile einer spätbyzantinischen Ölmühle und -presse: Mühlstein, Pressbett und Mahltasse (von links nach rechts) nahe der Südwestecke des Apollontempels. Wieder zurück ins Jahr 1906: Einen wichtigen Schritt in der Erforschung Didymas bildete die Erstellung eines neuen Ortsplans. Der Hauptmann Walter von Marées konnte ihn im Oktober 190
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1906 fertigstellen. Das vermessene Gebiet umfasst einen Umkreis von etwa 750 m um den Apollontempel, also Didyma/Jeronda und seine nähere Umgebung. Die Karte ist heute noch sehr nützlich, weil sie die Bebauung zur damaligen Zeit zeigt und einige antike und byzantinische Ruinen. Lediglich die Benennung zweier Kirchen außerhalb Jerondas ist fehlerhaft (siehe Karte 5 und das Kapitel zu Turner). Am Ende des Jahres 1906 konnte endlich die Windmühle auf der Ruine des Apollontempels abgetragen werden. Unter ihrem Fundament machten Wiegand und Knackfuß einen ganz besonderen Fund: Es traten die Reste der korinthischen Halbsäulenkapitelle zutage, die die Wand zwischen Sekos und Zweisäulensaal zierten (siehe Abb. 20). Die beiden Kapitelle galten seit Revetts Dokumentation von 1764 als verschwunden (siehe das Kapitel zu Chandler, Revett und Pars). Wenige Jahre später hatte man die Kapitelle zerkleinert und darauf die Windmühle errichtet. Doch das Schicksal sollte es auch nach ihrer Aufdeckung 1906 mit den einzigartigen korinthischen Kapitellresten nicht gut meinen: Als nach dem 1. Weltkrieg das Grabungshaus von Didyma abbrannte, wurden sie mit zerstört (siehe den Abschnitt zu den Jahren nach 1913), sodass heute von ihnen gar nichts mehr erhalten ist.
Das Jahr 1907 Fund der „Mäander“-Decke – Ein Räuberhauptmann macht die Gegend unsicher – Die Freilegung des Zwölfsäulensaales – Inschriften von Kaiser Trajan an der Heiligen Straße – Milet und Didyma unter Kaiser Hadrian – Ein ungewöhnlicher Bau: der Apollonaltar – Der Fackellauf – Der Altarbezirk für alle Götter Nachdem die Windmühle beseitigt und genügend Freiflächen um die Tempelruine herum entstanden waren, ging man im Frühjahr 1907 an die Freilegung des Apollontempels selbst. In einem Brief an seine Frau vom 6. Juni 1907 berichtet Wiegand von einem der ersten bedeutenden Funde: „Ich komme eben von einer sehr schönen Entdeckung im Tempel. Wir sind in das südliche innere Treppenhaus eingedrungen und haben die ganze Marmordecke unverletzt wiedergefunden. Sie ist 9 m lang, 1 m breit und die ganze Fläche ist mit riesigen hochplastischen Mäanderschlingen dekoriert, die noch Reste ihrer gesamten alten Bemalung in rot und blau tragen, an Kymatien, Innenfeldern und zentralen Rosetten. Du kannst Dir denken, wie mich das erfreut, denn es ist das erste größere Novum über die französische Forschung hinaus und ein wunderhübscher, ermutigender Abschluss für die Frühjahrskampagne 1907, die so viel Störungen hatte.“ 191
Apollonheiligtum von Didyma
Die genannte Decke befindet sich in einem der beiden Treppenhäuser des Zweisäulensaales, die Jean-Nicholas Huyot 1820 entdeckt hatte (siehe das Kapitel zu Dedreux, Donaldson und Huyot). Ihre Bemalung ist teilweise erhalten und zählt bei den Besichtigungen des Apollontempels zu den Höhepunkten (Abb. 40 und 81). Für Theodor Wiegand war es natürlich wichtig, zu Erkenntnissen zu gelangen, die über die französischen Forschungen vom Ende des 19. Jhs., aber auch über die der vergangenen Jahrhunderte hinausgingen. An solchen Ereignissen sollte es in den nächsten Jahren nicht mangeln.
Abb. 81: Plastisches Mäandermuster an der Decke des südlichen Treppenhauses des hellenistischen Apollontempels. „Störungen“ gab es freilich immer. Und in völliger Sicherheit befand man sich nie. In einem Brief vom 26. Mai 1907 berichtet Wiegand, dass er auf einen Kollegen aus Mylasa (heute Milas) wartet, der ihn besuchen will. Stattdessen aber bekommt er zu hören, dass der Kaimakam (Landrat) von Mylasa zusammen mit seinen Beamten im Amtshaus ermordet worden sei. Dafür war die Räuberbande des Tschakidji verantwortlich. Bei Mehmet Tschakidji handelte es sich um einen Räuberhauptmann vom Schlage Robin Hoods. Die Armen und Unterdrückten mochten ihn, weil er gern Regierungskassen plünderte und ihnen davon abgab. Doch Tschakidji hatte offensichtlich auch Unterstützung von offizieller Seite. Denn es hieß, dass die Kassen immer dann gut gefüllt 192
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waren, wenn sie Tschakidji ausraubte. Er machte viele Jahre die Gegend unsicher und konnte auch von 700 albanischen Räubern nicht gefasst werden, die die türkische Regierung angeheuert hatte. Im Oktober 1909 schreibt Wiegand, dass „mehrere tausend Soldaten unterwegs seien, um dreißig Kerle zu fassen“. Der Wali (Provinzgouverneur) von Smyrna hatte die hohe Summe von 1000 Pfund als Belohnung für den Kopf des Tschakidji ausgesetzt. Als Gegenmaßnahme bot der Räuberhauptmann 1500 Pfund für den Kopf des Wali. Die Zeiten waren also unruhig und die türkische Regierung hatte die ländlichen Gegenden nicht fest in der Hand. So gelang es ihr erst 1911, Tschadikji unschädlich zu machen. Er geriet in einen Hinterhalt, und nach einem dreitägigem Gefecht starb Tschakidji wahrscheinlich, obwohl das Volk lange Zeit nicht glauben wollte, dass ihr Held nicht mehr lebte. Nachdem also die Windmühle auf der Tempelruine beseitigt worden war, wollte man zunächst die östliche Hälfte des Apollontempels freilegen. Dabei traten im Zwei- und im Zwölfsäulensaal zuerst die verschiedenen Einbauten aus byzantinischer Zeit zutage. Darunter staken im rund 3 m hohen Schutt die Säulenstümpfe des Zwölfsäulensaales. Diese Auffüllung hatte den unteren Teil der Säulen geschützt, als es wahrscheinlich im 11. Jh. zu einer Brandkatastrophe gekommen war. Dabei stürzten die Säulen der beiden Säle ein, denn die Reste ihrer Kassettendecke wurden oberhalb der Schuttschicht gefunden. Anschließend stellte man die Tempelfestung wieder her, deren Einbauten Wiegand und Knackfuß fanden und beseitigten (siehe auch das Kapitel zu Chishull). Bei der Katastrophe im 11. Jh. scheinen auch die Säulen der nördlichen Peristasis des Apollontempels eingefallen zu sein. Denn ihre Bauteile fand man dort vielfach in byzantinische Häuser verbaut. Dagegen standen die beiden Säulenreihen der Ostfront wohl noch bis zu dem Erdbeben 1493 aufrecht. Ihre Überreste traten nur wenig unter der Oberfläche zutage, als Wiegand und Knackfuß die Ostseite freilegten. Ein Grund dafür, dass die östlichen Säulen länger stehen blieben, könnte darin liegen, dass die äußeren Säulen dort von der Gotenmauer ummantelt waren (siehe das Kapitel zu Wheler und Spon). Die genaue Höhe dieser Mauer ist nicht bekannt, aber wahrscheinlich erreichte sie die halbe Säulenhöhe (etwa 10 m). Schon Haussoullier hatte 1895/ 96 den größten Teil dieser Gotenmauer abtragen lassen. Den Rest ließen Wiegand und Knackfuß demolieren. Dennoch lässt sich heute noch die Lage dieser in der Mitte des 3. Jhs. n. Chr. errichteten Mauer nachvollziehen. Als Haupteingangstür zum Apollontempel diente nämlich von da an ein Portal im mittleren Säulenjoch der Ostseite (Plan 4). Seine ursprüngliche Lage ist noch gut zu erkennen. Überdies sind vor dem ehemaligen Eingang die Stufen der Treppe deutlich stärker abgenutzt als sonst. Das zeigt, dass diese Tür lange Zeit in Gebrauch war. Als Wiegand und Knackfuß den Zwölfsäulensaal vollständig freilegten, stießen sie ferner auf eine Treppe vor dem großen Portal zum Zweisäulensaal. Die Schwelle dort war eigentlich unüberschreitbar, weil 1,46 m hoch. Aber in der Mitte des 3. Jhs. n. Chr. hatte man zum ersten Mal eine Treppe vor dieser Schwelle errichtet, um leichter das Tempelinnere erreichen zu können (Abb. 82 und Plan 4). Denn sonst war dies nur über die beiden engen Tunnel möglich. Spätestens als um 193
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500 n. Chr. die erste Kirche im Sekos gebaut wurde, war diese Treppe noch notwendiger, damit die Gottesdienstbesucher leicht den Innenhof erreichen konnten.
Abb. 82: Die wohl im 3. Jh. n. Chr errichtete Treppe zwischen Zwölfund Zweisäulensaal des hellenistischen Apollontempels. Ab dem Frühjahr 1907 erfolgten deutsche Ausgrabungen an der Heiligen Straße von Milet, wenn Arbeiter vom Apollontempel frei waren oder es dort vorübergehend nicht weiter ging. Nördlich der Thermenanlage fuhr man da fort, wo Charles Th. Newton 1857 aufgehört hatte (siehe das Kapitel zu Newton). Dabei traten weitere Grabbauten und Sarkophage außerhalb des Heiligtumgeländes zutage sowie fünf Sitzstatuen. Allerdings kamen auch neue Funde und Beobachtungen hinzu. Dazu zählt ein römischer Meilenstein, der zweisprachig, auf Lateinisch und Griechisch, beschriftet ist. Diese Inschrift passt zu anderen Inschriften, die in Milet und Didyma gefunden wurden und davon berichten, dass unter dem römischen Kaiser Trajan (98–117 n. Chr.) die Heilige Straße von Milet nach Didyma erneuert wurde. In Milet und Didyma waren jeweils zwei Stelen aufgestellt, die folgenden Wortlaut enthielten: „Imperator Caesar, Sohn des vergöttlichten Nerva, Nerva Traianus Augustus Germanicus, oberster Priester, Inhaber der tribunizischen Gewalt, Konsul zum 4. Mal, Vater des Vaterlandes, hat, 194
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auch hierin die Bedürfnisse der Milesier berücksichtigend, die für die Riten des didymäischen Apollo erforderliche Straße, mit Durchschneidung von Hügeln und Auffüllung von Tälern, begonnen, vollendet und geweiht, durch den Prokonsul (der Provinz Asia) Quintus Iulius Balbus, unter der Leitung des praetorischen Legaten (des Prokonsuls) Lucius Passerius Romulus.“ (Übersetzung der lateinischen Version durch Norbert Ehrhardt und Peter Weiß)
In Milet war eine dieser Stelen im Heiligtum des Apollon Delphinios aufgestellt, wo die Prozessionen nach Didyma begannen. Eine weitere befindet sich am sogenannten Heiligen Tor von Milet, durch welches die Festzugsteilnehmer Milet verließen. Für Didyma vermutet man, dass eine Stele am Eingangstor zum Heiligtum und die andere in der Nähe des Apollontempels aufgestellt war. Unterwegs, also zwischen Milet und Didyma, hatte man Meilensteine errichtet, die die Entfernung von Milet aus anzeigten. Einen davon fanden die deutschen Ausgräber 1907 in der Nähe von Didyma. Er trat jedoch nicht in situ zutage, sodass seine Entfernungsangabe von 11 Meilen (rund 16,2 Kilometer) nicht überprüfbar ist. Womöglich war der Meilenstein bei dem antiken Hafen Panormos aufgestellt, weil die Heilige Straße insgesamt mindestens 18 Kilometer lang war (siehe das Kapitel zu Newton). Heute liegt der Meilenstein immer noch am Ort seiner Auffindung, und zwar nördlich des Ausgrabungsgeländes von Didyma und wenig östlich der Heiligen Straße in einem Olivenhain, wo ihn interessierte Besucher nach etwas Suchen jederzeit wiederfinden können (Abb. 83).
Abb. 83: Trajanischer Meilenstein in einem Olivenhain an der Heiligen Straße von Milet. 195
Apollonheiligtum von Didyma
Das Apollonheiligtum von Didyma ist in vielerlei Hinsicht einzigartig gewesen, und dazu zählt der Neubau der Heiligen Straße von Milet durch Kaiser Trajan. Wahrscheinlich initierte er nicht nur den Bau, sondern finzanzierte ihn auch. Die römischen Kaiser traten als Stifter vieler Projekte in Erscheinung, auch der Straßenbau gehörte dazu. Doch die Erneuerung einer Straße, die vorwiegend sakralen Zwecken diente, ist lediglich von Milet-Didyma bekannt. Diese Maßnahme bildete ein deutliches Zeugnis der Freigebigkeit von Kaiser Trajan. Überdies waren die römischen Kaiser als oberste Priester (pontifex maximus) für die Aufrechterhaltung und Förderung der heidnischen Götterkulte verantwortlich, denn sie garantierten den Fortbestand des Römischen Reiches. Der Neubau der Heiligen Straße zum zweit wichtigsten Orakelheiligtum der antiken Welt war deshalb ein wichtiges Zeichen der Frömmigkeit (pietas) von Kaiser Trajan. Die Verbundenheit dieses Kaisers mit Milet und Didyma kommt ferner darin zum Ausdruck, dass er zur Zeit der Fertigstellung der Heiligen Straße, 101/102 n. Chr., das höchste Priesteramt von Didyma, die Prophetie, übernahm, die stellvertretend für ihn wohl ein Milesier ausübte. Zwischen 115 und 117 n. Chr. amtierte Kaiser Trajan schließlich als Stephanephor von Milet, das höchste Amt dieser Polis. Auch der Adoptivsohn Trajans, Kaiser Hadrian (117–138 n. Chr.) hielt an der engen Verbindung zu Milet und Didyma fest. In seiner Regierungszeit wurde die reich geschmückte Ostfront des Apollontempels von Didyma fertiggestellt. Besonders erwähnenswert sind die Säulenbasen (siehe das Kapitel zu Rayet und Thomas) sowie das Gebälk mit den großartigen Medusenhäuptern (siehe das Kapitel zu Haussoullier und Pontremoli). Zum Besuch von Kaiser Hadrian 129 n. Chr. in Milet und Didyma wurde ihm zu Ehren und dem Volk von Milet sowie den Göttern Apollon, Artemis, Zeus und Leto das neu errichtete Bühnengebäude und die vergrößerte Cavea des Theaters von Didyma geweiht (siehe das Kapitel zu Furtwängler). Der erwähnte Meilenstein war nicht die einzige Entdeckung, die Knackfuß an der Heiligen Straße machte. Nur wenige Meter entfernt von ihm traten rechts und links der Straße Fundamente zutage, die einst zu einem großen Eingangstor ins Apollonheiligtum gehörten. Von ihm wurden noch die beschädigten Unterbauten aus Bruchsteinen im Mörtelbett gefunden. Ohne sie genauer zu untersuchen, konnten sie aufgrund ihrer Bauweise in die römische Kaiserzeit datiert werden. Weiterhin vermutete man, dass dieses Tor (etwa 340 m nordwestlich des Apollontempels) zu Ehren Kaiser Trajans errichtet wurde, als 101/02 n. Chr. die Baumaßnahmen an der Heiligen Straße abgeschlossen waren (Karte 6). Am Ende des Jahres 1907 machten Wiegand und Knackfuß einen weiteren bedeutenden Fund: Östlich des Apollontempels traten die Reste des Altars für Apollon zutage. Damit war eines der beiden grundlegenden Elemente des Apollonheiligtums gefunden, nur die Heilige Quelle fehlte noch. Sie sollte später bei den Ausgrabungen im Sekos zum Vorschein kommen. 196
Das Jahr 1907
Im Grabungstagebuch vom Dezember 1907 ist zu lesen: „ … bei weiterer Tiefgrabung zeigt sich, 6 m von der Unterstufe des Tempels, ein archaisches Kalksteinfundament von bogenförmiger Gestalt mit Durchmesser von etwa 6 m …“. Erst im Oktober 1910 wurde der Altarbau weiter freigelegt. Falls hierbei der Eindruck entsteht, dass man planlos bald hier bald dort ausgrub, so ist dies eine Täuschung. Der Wechsel zwischen den Ausgrabungsplätzen hatte meist logistische Gründe. Denn die Freilegung des Tempels und seiner Umgebung musste so erfolgen, dass z. B. der Schutt immer über Rampen und mit der Feldbahn möglichst leicht abgefahren werden konnte. Deshalb erfolgte die Ausgrabung in der Regel schrittweise. Im Oktober 1910 war jedenfalls die bogenförmige Festungsmauer auf dem Platz östlich des Tempels entfernt und der gesamte Ostvorplatz konnte freigelegt werden. Dabei traten die Überreste des sogenannten Rundaltars vollständig zutage (Abb. 84). Der Altar des Apollon von Didyma war ein ungewöhnlicher Bau. Der Rundbau bestand aus einer schmalen ringförmigen Mauer von 0,50 m Breite und 7,90 m Durchmesser. Sie war nicht sehr hoch und aus weißgrauen Kalksteinblöcken zusammengesetzt. Durch je einen Eingang im Westen und im Osten konnte man den Innenraum erreichen, wo sich der eigentliche Brandopferaltar befand. In der griechischen Antike bestanden die Altäre für Brandopfer meist aus einer rechteckigen Plattform, die über eine Treppe bestiegen werden konnte. Und auf der Plattform stand der steinere Altartisch, auf dem man den Göttern die Opfergaben verbrannte.
Abb. 84: Reste des archaischen Rundbaus östlich des Apollontempels, der den Blut-Aschealtar des Apollon umgab. 197
Apollonheiligtum von Didyma
In Didyma befand sich der „Altartisch“ dagegen in dem Rundbau aus der Zeit um 550 v. Chr. Der Altartisch war aber nicht aus behauenen Steinen zusammengefügt, sondern aus dem Blut der Opfertiere und der Asche der verbrannten Opfergaben. Über Stufen in diesem Blut-Aschekegel konnte man die Plattform erreichen, auf der die Brandopfer dargebracht wurden (Abb. 85).
Abb. 85: Rekonstruktionszeichnung des Blut-Aschealtars des Apollon. Diese besondere Altarkonstruktion für Apollon blieb bis zum Ende der Antike in Betrieb (Pläne 2 und 3). Obwohl man in Didyma beinahe alle Gebäude im Laufe der Jahrhunderte erneuerte, hielt man an dieser Altarform für Apollon fest und das über beinahe 1000 Jahre. Ein einzigartiges Phänomen für das es in der antiken Welt kaum Parallelen gibt. Allein in Olympia soll es für Zeus einen ähnlichen Altar aus Asche gegeben haben, den der antike Autor Pausanias beschreibt. Doch im Gegensatz zu Didyma konnten in Olympia bisher keine architektonischen Reste des Zeusaltars gefunden werden. Nach Theodor Wiegand erfolgten weitere Ausgrabungen am Apollonaltar 1972 unter Klaus Tuchelt und 1991/92 von Florian Seiler. Doch diese Forschungen wurden bisher nicht publiziert. Dennoch vertreten seitdem einige Forscher die Meinung, der Rundbau hätte nicht den Altar des Apollon beherbergt. In einem Aufsatz von 2015 konnte der Autor alle Quellen und Erkenntnisse zum Apollonaltar zusammenfassen und nachweisen, dass er sich im Rundbau befand. Im Gegensatz zu einigen modernen Archäologen war Theodor Wiegand sofort überzeugt davon gewesen, mit dem Rundbau die Umhegung des Blut-Aschealtares gefunden zu haben. Die antiken Schriftquellen in Latein und Griechisch zu Didyma kannte er alle, und damit konnte er sofort die Verbindung zu Pausanias herstellen, der Folgendes schrieb: 198
Das Jahr 1907
„Es gibt auch in Didyma bei Milet einen Altar, er wurde von dem thebanischen Herakles gebaut, wie die Milesier sagen, aus dem Blut der Opfertiere; seitdem hat das Blut der Opfertiere ihn nicht zu besonderer Größe aufgehöht.“ (Pausanias, Beschreibung Griechenlands 5,13,11; Übersetzung Eduard Meyer)
Der mythische Halbgott Herakles soll vor dem Jahr 1000 v. Chr. gelebt haben. Dieses hohe Alter des Apollonaltars konnte in Didyma bisher archäologisch nicht nachgewiesen werden. So könnte man auch die Existenz des von Pausanias geschilderten Apollonaltars aus Blut in Didyma bezweifeln. Dagegen spricht jedoch zum einen der Befund des Rundbaues vor der östlichen Schmalseite des Apollontempels. Zumal die Altäre der griechischen Tempel in der Regel immer vor ihrer Eingangsseite im Osten lagen. Zum anderen gibt es eine Reihe bildhafter und topographischer Hinweise, die das Vorhandensein eines kegelförmigen Blut-Aschealtars im Rundbau auf dem Ostvorplatz wahrscheinlich machen. Ein kegelförmiger Altartisch mit einer Flamme auf der Spitze ist mehrmals auf kaiserzeitlichen Münzen Milets dargestellt und auf einem Relief des 2. Jhs. n. Chr. aus dem Theater von Milet, welches sich heute im Pergamonmuseum von Berlin befindet (Abb. 86). Über die tatsächliche Nutzung des Apollonaltares und seine Lage geben Inschriften Auskunft, die in Didyma und Milet unter Wiegand gefunden wurden. Im Heiligtum des Apollon Delphinios von Milet trat eine bereits erwähnte Inschrift zutage, die u. a. über die Frühjahrsprozession von Milet nach Didyma berichtet. Sie wurde im 2. Jh. v. Chr. verfasst, geht inhaltlich aber auf das 6./5. Jh. v. Chr. zurück (siehe das Kapitel zu Newton). Aus dieser Inschrift wird klar, dass die Prozession am Altar des Apollon Didymeus endete und ihm mehrere Schafe, Ziegen und Rinder geopfert wurden.
Abb. 86: Milet. Relief vom Theaterfries mit Elementen aus dem Apollonheiligtum von Didyma: in der Mitte der Kanachos-Apollon mit dem Bogen in der linken und dem Hirsch auf der rechten Hand, daneben der Blut-Aschealtar des Apollon Didymeus, zwei Fackelträger und auf der linken Schmalseite der Apollon heilige Lorbeerbaum (Mitte bis zweite Hälfte 2. Jh. n. Chr). 199
Apollonheiligtum von Didyma
Der Apollonaltar musste folglich von der Heiligen Straße leicht erreichbar sein. Bei den Ausgrabungen Wiegands und Knackfuß’ stellte sich heraus, dass die von Milet kommende Straße einen Knick macht und vor der Freitreppe auf der Nordseite des Apollontempels enden würde, wenn sie soweit erhalten wäre. Von dort aus führt der einzige Weg um die Nordostecke des Tempels herum auf den Ostvorplatz mit dem ausgegrabenen Rundbau, der den Brandopferaltar enthielt (siehe das Kapitel zu Haussoullier und Pontremoli sowie Plan 3). Apollon, wie auch den anderen griechischen Göttern, opferte man meist die ungenießbaren Teile der Opfertiere. Knochen und Fett wurden in Fell gewickelt und verbrannt. Das Fleisch und die Innereien bekamen die Priester oder die Teilnehmer am Kult, oder es wurde verkauft. Bei großen Festen konnte die Anzahl der Opfertiere deshalb beträchtlich ansteigen. In einer schon mehrmals erwähnten Inschrift des Jahres 288/87 v. Chr. wird eine bedeutende Stiftung wertvoller Gegenstände ins Apollonheiligtum aufgelistet, die durch den hellenistischen König Seleukos I. erfolgte (siehe z. B. das Kapitel zu Cyriacus von Ancona). Darin stiftet Seleukos I. den Milesiern außerdem 1000 Schafe und zwölf Ochsen, die dem Apollon Didymeus zu opfern sind. Allein aus diesem Passus der Inschrift kann man eine gute Vorstellung davon gewinnen, wie bedeutend das Apollonheiligtum von Didyma in der Antike war. Obendrein wird deutlich, welche Menschenmengen an den Festtagen nach Didyma kamen. Von dem Fleisch der genannten Opfertiere konnten wohl mehrere tausend Besucher satt werden. Die Anlagen zur Verarbeitung des Fleisches (das Macellum) befanden sich im Nordwesten des Heiligtums bei der sogenannten Felsbarre (siehe das Kapitel zu Tuchelt und Schneider). Die Leute kamen jedoch nicht nur zum Essen nach Didyma, sondern ihnen wurden auch sportliche und musische Wettkämpfe dargeboten, was schon allein die Bauten des Stadions und des Theaters bezeugen (siehe das Kapitel zu Furtwängler). Im Jahr 1907 hatten Wiegand und Knackfuß dazu passend zwei Inschriften gefunden, die man in der römischen Kaiserzeit zu Ehren von Siegern im Fackellauf aufgestellt hatte. Den Start- und Zielpunkt des Fackellaufs bildete gemäß den Inschriften der Altar des Apollon. Südlich des Rundbaus wurden außerdem Steinblöcke gefunden, die als Halterungen für eine Startvorrichtung bei läuferischen Wettkämpfen gedient haben könnten. Ferner liegt westlich dieser Blöcke das Stadion (Plan 3). Folglich passt die Schilderung des Fackellaufs in den Inschriften perfekt zur topographischen Situation östlich und südlich des Apollontempels. Hinzu kommt noch, dass die vermeintlichen Blöcke der Startvorrichtung in anderen griechischen Heiligtümern als Halterungen für Fackeln dienten. An dieser Stelle bietet es sich an, auf einen weiteren wichtigen „Gebäudekomplex“ auf dem Ostvorplatz des Apollontempels einzugehen, von dem heute nichts mehr sichtbar ist. Wie schon erwähnt, war der Altar in griechischen Heiligtümern das wichtigste Element, um den Kult der Götter sicherzustellen. In den meisten Heiligtümern wurde nicht nur ein Gott verehrt, sondern 200
Die Jahre 1908 und 1909
mehrere oder sogar viele. Dazu benötigten die Götter nicht unbedingt einen eigenen Tempel, aber einen eigenen Altar. Dieser musste nicht groß sein und konnte z. B. aus einem etwa Nachttisch großen Steinblock bestehen. Die damit verehrte Gottheit war meist in einer Inschrift angegeben. In Didyma gab es – wie in anderen Heiligtümern – einen besonderen Bezirk, in dem man mehrere solcher kleinen Altäre aufgestellt hatte. Davon zeugt u. a. eine Inschrift, in denen dieser Bereich in Didyma „pantheos peribomismos“ genannt wird. Die Übersetzung dieser im Griechischen einzigartigen Wortkombination könnte in etwa lauten: „Bezirk um den (Apollon)altar für alle Götter“. Dass dieser „pantheos peribomismos“ beim Apollonaltar lag, ergibt sich daraus, dass sich in anderen Heiligtümern, wie Olympia oder Klaros, ebenfalls bei den Hauptaltären viele kleine Altäre befanden. In Didyma zeigen die Inschriften, dass in seinem „pantheos peribomismos“ z. B. die Göttinnen Tyche und Soteira Kore sowie die Götter Poseidon Asphaleios und Asklepios Soter kleine Altäre besaßen. Bereits erwähnt wurde ein Relief aus dem Theater von Milet, welches die Kultstatue des Apollontempels, den sogenannten Kanachos-Apollon, zeigt (siehe oben und das Kapitel zu Choiseul-Gouffier). Neben der Statue ist der Blut-Aschealtar vor dem Apollontempel zu sehen (siehe Abb. 86). Rechts und links dieser Szene ist jeweils die Statue eines Fackelträgers abgebildet. Zwei nackte junge Männer mit wehenden Mänteln halten eine Fackel nach unten. Außerdem tragen sie Lorbeerkränze. Somit könnte es sich um Siegerstatuen des Fackellaufes vom Altar zum Altar handeln. Einen möglichen Aufstellungsort dieser Statuen stellen die beiden Treppenwangen der Ostfront des Apollontempels dar (siehe das Kapitel zu Haussoullier und Pontremoli). Ein weiteres wichtiges Merkmal des Apollonheiligtums ist auf der linken Nebenseite des genannten Reliefs abgebildet, nämlich ein Lorbeerbaum. Damit sind auf dem Relief alle besonders „heiligen“ Elemente des Apollonheiligtums zu sehen, außer die Orakelquelle oder ihre architektonische Fassung.
Die Jahre 1908 und 1909 Die Entdeckung der beiden Tunnel in den Sekos – Wer durfte in den Sekos? – Die spätbyzantinische Kapelle im Sekos – Die byzantinische Einfassung der Orakelquelle Bis zum Jahr 1908 hatten Wiegand und Knackfuß die Arbeiten soweit vorangetrieben, dass rund um den Apollontempel ausgegraben werden konnte. Dabei handelte es sich im Vergleich zu den Ausgrabungen unter Haussoullier und Pontremoli um eine riesige Fläche. Während die Franzosen 1895/96 auf etwa 2300 m² arbeiteten, war Wiegand stolz zu berichten, dass das jetzi201
Apollonheiligtum von Didyma
ge Gebiet 10650 m² umfasst. Um es vor dem Zugriff der Einheimischen zu schützen, errichtete man nach und nach eine 2 m starke und bis zu 5 m hohe Trockenmauer an seinem äußeren Rand. Das Jahr 1908 diente u. a. dazu, die beiden Vorräume zum Sekos des Apollontempels weiter freizulegen, den Zwölf- und den Zweisäulensaal. Ende des Jahres ging man dazu über, im Sekos selbst Ausgrabungen vorzunehmen. Da man außer im Hochsommer immer arbeitete, mussten die Arbeiten im Winter oft bei Kälte und Nässe ausgeführt werden. Wenn dazu noch Stürme kamen, ruhten manchmal alle Tätigkeiten. Doch selbst im Grabungshaus war es dann nicht angenehm. Davon zeugt ein Brief Wiegands vom 8. Dezember 1908 aus Milet. Darin heißt es: „Es ist so kalt, dass ich kaum schreiben kann. Alles voller Eis. Pernice legte sich gestern Abend folgendermaßen ins Bett: Unterjacke, Nachthemd, Kakijacke, schwarzer Gehrock, außerdem herabgelassenes Moskitonetz. Lyncker liegt mit 41 Grad Fieber“.
Die Umstände waren also nicht immer einfach, zumal man die Häuser kaum richtig beheizen konnte. Aber der Frühling 1909 trug mit seinen Neufunden zur Aufhellung der Stimmung bei. Am 19. April 1909 schreibt Theodor Wiegand in einem Brief aus Didyma: „Heute Abend wurde ich zum Pronaos (Zwölfsäulensaal) des Tempels gerufen. Dort lag in der Nordwestecke der Schutt noch 3 m hoch. Man war da plötzlich eingebrochen und es zeigte sich unvermutet eine schmucklose Tür. Wir ließen eine Leiter hinunter. Da gelangten wir in einen kaum verschütteten etwa 1 m breiten und 15 m langen, von Ost nach West sich senkenden Gang, dessen Wände und Gewölbe von so prachtvoll feiner Steinfugung sind, dass ich sie gar nicht genug beschreiben kann.“
Man hatte etwas in der griechischen Tempelbaukunst Einmaliges gefunden: überwölbte Tunnel von 2,50 m Höhe, die in das Innere des Tempels führen. Und obendrein war der nördliche Tunnel komplett erhalten. Zusammen mit dem gleichartigen südlichen Tunnel (am 22. Mai 1909 entdeckt) sind sie es noch heute und bilden eine der Attraktionen bei der Besichtigung des Apollontempels (Abb. 87). Die beiden Gewölbegänge führen vom Zwölfsäulensaal direkt in den Innenhof des Tempels, und zwar unter dem Zweisäulensaal hindurch. Bevor sie in den Innenhof münden, gibt es jeweils einen 5 m langen Vorraum. Von ihm aus ist über drei Treppenstufen der Sekos erreichbar. Diese drei Stufen sind mit den drei untersten Stufen der großen Freitreppe vom Zweisäulensaal identisch. Insgesamt überwinden die Tunnel und ihre Vorräume so einen Höhenunterschied von 4,02 m (siehe das Kapitel zu Dedreux, Donaldson und Huyot). 202
Die Jahre 1908 und 1909
Abb. 87: Hellenistischer Apollontempel. Der südliche Tunnel, der vom Zwölfsäulensaal in den Sekos führt. In hellenistisch-römischer Zeit bildeten die Gewölbegänge den einzigen Zugang in den Innenhof (Plan 3). Mit Türen waren die beiden Tunnel jeweils am Ein- und Ausgang verschließbar. Das große Portal dazwischen besaß zwar keine Türflügel, aber die knapp 1,50 hohe Schwelle war „unüberschreitbar“. Selbst wer sie überwand, konnte durch die drei verschließbaren Türen zwischen Zweisäulensaal und Freitreppe vom Innenhof ferngehalten werden. Im Sekos lagen die Heilige 203
Apollonheiligtum von Didyma
Quelle mit dem Brunnenhaus, ein Lorbeerbaum und der Naiskos mit dem Kultbild Apollons. Eine wichtige Frage ist, welche Personen außer dem Kultpersonal den Sekos betreten durften. Lange Zeit war man der Meinung, dass tatsächlich nur die Priester und die Prophetin Zugang hatten. Ein Grund dafür ist, dass der Innenhof in den Bauberichten „Adyton“ genannt wird; erst in kaiserzeitlichen Inschriften wird er als „Sekos“ bezeichet. Als Adjektiv bedeutet „Adyton“ im Altgriechischen „unbetretbar“. Daher ging die Forschung bisher davon aus, dass der Innenhof für Laien nicht zugänglich war. Als Substantiv wird „Adyton“ jedoch häufig gebraucht, um die Cella, also den Hauptraum eines griechischen Tempels, zu bezeichnen. Die Tempelcella mit ihrem Kultbild war zumindest an Festtagen für alle Besucher eines Tempels geöffnet. Und genauso wird es auch in Didyma gewesen sein. Denn das Kultbild des Apollon, welches der Künstler Kanachos geschaffen hatte, war in der Antike sehr berühmt. Es wird z. B. häufig auf Münzen dargestellt (siehe das Kapitel zu Choiseul-Gouffier mit Abb. 24). Dies wäre wohl kaum der Fall gewesen, wenn man die Bronzestatue nie hätte im Sekos besichtigen können. Außerdem wurden die Wände des Sekos von Handwerkern zum Entwerfen von Baugliedern benutzt. Deshalb musste der Innenhof für sie auf jeden Fall zugänglich sein. Und darüber hinaus sind auf der Freitreppe eingeritzte Spielbretter für ein antikes Mühlespiel vorhanden. Sie geben ebenfalls Zeugnis davon, dass der Sekos zumindest zeitweise für Besucher geöffnet war. Folglich dienten im Altertum die beiden 1909 entdeckten Tunnel dazu, nicht nur das Kultpersonal, sondern auch „einfache“ Menschen in den Innenhof zu geleiten. Dabei bildeten die Gewölbegänge quasi einen Übergang vom Profanen ins Heilige. Man ging vom Hellen durch das Dunkel ins Licht des Sekos und konnte dort die Kultstatue im Naiskos, den „Kultbaum“ und das Brunnenhaus der Heiligen Quelle andächtig betrachten, in einem von der Außenwelt durch über 25 m hohe Mauern abgetrennten Bereich. Heute ist diese „Katabasis“ (Hinabsteigen auf Griechisch) immer noch ein Ereignis, aber wie mögen die Apollon-Gläubigen vor 2000 Jahren beeindruckt gewesen sein, als sie den Abstieg wagten? Von den beiden Gewölbegängen konnten Wiegand und Knackfuß 1909 nur die Eingänge im Zwölfsäulensaal freilegen, aber die Ausgänge im Innenhof noch nicht. Der Hof des Apollontempels war meterhoch verschüttet. Im Osten lag eine etwa 5 m hohe Schicht aus Bauteilen und Schutt und im Westen betrug die Verschüttung rund 3,5 m. Obwohl man im April 1909 das Ausgraben der beiden Tempelvorräume noch längst nicht beendet hatte, ging man daran, den jüngsten Einbau im Sekos freizulegen und abzutragen. Dabei handelte es sich um eine kleine spätbyzantinische Kapelle. Ihr Innenraum maß 2,75 x 4,14 m mit einer 1,19 m breiten und 0,58 m tiefen Apsis im Osten. Der Eingang lag im Westen und die Wandstärke betrug lediglich 0,60 m. Ihr Fußboden lag 2,76 m über dem antiken Laufniveau des Sekos (Abb. 88). 204
Die Jahre 1908 und 1909
Abb. 88: Reste der kleinen spätbyzantinischen Kapelle (vor den zwei Pilasterkapitellen) im Sekos des hellenistischen Apollontempels.
Auf diese Kapelle war schon Olivier Rayet gestoßen bei seinen Grabungen im Innenhof 1873 (siehe das Kapitel zu Rayet und Thomas). Er hatte bereits einen Teil des Baues abtragen lassen. Bei den deutschen Ausgrabungen wurde sie schließlich komplett beseitigt. Dieses um 1300 errichtete Gotteshaus war aber nicht unbedeutend, denn laut Hubert Knackfuß hatte es „als letztes die Heiligkeit der uralten Kultstätte gehütet und bewahrt“. Die Kapelle war also der jüngste Kultbau innerhalb des Apollontempels. Aber man hatte ihn nicht irgendwo im Sekos errichtet, sondern genau über der Heiligen Quelle, die in heidnischen Zeiten als Orakel und seit christlichen Zeiten das Wasser für die Taufen gespendet hatte (Plan 4). Ob diese Tatsache den Anlass für Knackfuß’ Zitat lieferte, ist nicht bekannt. Jedenfalls fiel es bis heute keinem Forscher auf, dass die innere Nordostecke der spätbyzantinischen Kapelle direkt über dem Orakelbrunnen lag, beide nur durch wenige Meter Schutt voneinander getrennt. Man fand zwar keinen Schacht, der eine Verbindung zwischen dem Brunnen und der Kapelle hergestellt hätte. Da aber die Kapelle in dem 21 x 45 m großen Innenhof genau an dieser Stelle gebaut wurde, kann kein Zweifel daran bestehen, dass die „Bauherren“ die ungefähre Position 205
Apollonheiligtum von Didyma
der Heiligen Quelle darunter kannten. Als man lange vorher die erste Kirche im Sekos um 500 n. Chr. errichtet hatte, war jedoch ein neuer Treppenschacht hinunter zur Kammer mit der Heiligen Quelle gebaut worden, deren Einfassung 2,5 m unter dem Bodenniveau des Innenhofes lag (Abb. 89). Zu dieser Erkenntnis kam Hubert Knackfuß, weil man für diesen Schacht u. a. Bauteile des hellenistischen Naiskos verwendet hatte. Genaue archäologische Untersuchungen erfolgten seiner Zeit jedoch nicht. Theodor Wiegand bemerkt dazu: „Diese Untersuchung (der Orakelquelle) steht noch aus“. Und so ist es geblieben. Keiner der deutschen Grabungsleiter konnte sich bisher dazu durchringen, das einstige Kultzentrum des Apollonheiligtums bis in seine Tiefe zu erforschen; was mit wenig Aufwand zu bewerkstelligen wäre. Im Übrigen führte der genannte Brunnen im Nordosten des Sekos tatsächlich besonderes Wasser und das noch im 20. Jh. Hubert Knackfuß berichtet, dass der Brunnen seit seiner Ausgrabung der bevorzugte des ganzen Ortes sei. Das Wasser aller anderen Brunnen von Jeronda sei leicht bitter, aber das aus der „Heiligen“ Quelle als einziges süß. Im Jahr 1925 ließ Hans Hörmann den Treppenschacht hinunter zu dieser Quelle abtragen (Abb. 90). Schließlich schüttete man den noch bestehenden Brunnenschacht in den 50er-Jahren des 20. Jhs. zu. Damit bleibt das wichtigste Kultmal von Didyma quasi unerforscht und geriet beinahe in Vergessenheit. Dieses Faktum ist ein Rätsel. Ebenso rätselhaft ist der Grund für den Bau der spätbyzantinischen Kapelle über der Heiligen Quelle. Gerne würde man wissen, welche Bedeutung das einst heidnische Kultmal in christlicher Zeit hatte.
Abb. 89: Der nordöstliche Bereich des Sekos des hellenistischen Apollontempels mit den Einbauten der frühbyzantinischen Basilika. Im Vordergrund der Altarraum mit den Zugängen zur Heiligen Quelle. 206
Das Jahr 1910
Abb. 90: Blick von Osten in den Sekos des hellenistischen Apollontempels. Im Vordergrund die Reste des Treppenschachtes hinunter zur Heiligen Quelle, deren Lage das Brunnenmundloch markiert (1924/25).
Das Jahr 1910 Die Säulen des Zweisäulensaales – Die schwierige Planung des Pergamonmuseums – Die Basilika im Sekos und ihre Ausstattung – Ein Kloster im Innenhof? Die Arbeiten konzentrierten sich am Jahresanfang auf die weitere Freilegung von Zwölf- und Zweisäulensaal. Sie waren nicht einfach, weil dabei die freigelegten Säulenstümpfe und Mauern gleichzeitig mit dem weiteren Ausgraben gesichert und befestigt werden mussten. Diese Restaurierungsmaßnahmen wurden so gut ausgeführt, dass beispielsweise die Stahlringe um die Säulenstümpfe beinahe 100 Jahre hielten und erst in den letzten zwei Jahrzehnten zurückgebaut wurden. Unter der Leitung des Steinmetzmeisters Christoph Kronewirth hat man z. B. die Stahlringe entfernt und durch implementierte Edelstahlstäbe die Stabilität sichergestellt. Im Zweisäulensaal stießen Wiegand und Knackfuß 1910 auf die Reste der beiden Innensäulen (siehe Abb. 14). Ihre Existenz hatte man wegen der Größe des Saales (8,74 x 14,04 m) vermutet, weil die Decke aus marmornen Kassetten bestand, die eine entsprechende Abstützung in Form der Säulen benötigten. Die Säulen weisen unten eine attische Basis auf, unter der sich – untypisch für die griechische Architektur – keine Plinthe befindet. Fragmente der Kapitelle dieser Säulen 207
Apollonheiligtum von Didyma
fand man nicht. Dennoch steht zu vermuten, dass es sich um korinthische Kapitelle handelte, da solche in frühhellenistischer Zeit häufig in Innenräumen Verwendung fanden (siehe Abb. 41). Diese Annahme wird erhärtet durch die beiden korinthischen Kapitelle auf den Halbsäulen, die die Ostwand des benachbarten Sekos zierten. Bis zum Sommer 1910 hatte man endlich die beiden Vorräume des Sekos, den Zwölf- und den Zweisäulensaal, „völlig gesäubert“. Seitdem konnten sich Wiegand und Knackfuß ganz auf den Innenhof und die Peristasis des Apollontempels konzentrieren. Dazu waren jeden Tag etwa 100 Arbeiter angestellt, die zur Hälfte aus Türken und zur Hälfte aus Griechen bestanden. Für diese schwierige und auch gefährliche Arbeit nahm man möglichst erfahrene Grabungsarbeiter. Die Schwierigkeit lag u. a. darin, bis zu sechs Tonnen schwere Blöcke mit relativ einfachen Mitteln aus ihrer verklemmten Lage zu befreien. Dann wurden sie über schiefe Ebenen abtransportiert (Abb. 91). Dabei war nicht immer klar, wie fest der Untergrund beschaffen war und ob er nicht nachgibt. Wie Theodor Wiegand berichtet, gab es bis zum Sommer 1910 nur einen schweren Unfall seit Grabungsbeginn 1906.
Abb. 91: Arbeiter bewegen einen Architrav des hellenistischen Apollontempels im Bereich des Stadions. So weit gingen also die Grabungen in Didyma planmäßig voran. Wiegand wirkte hauptsächlich in Milet, während seine Frau in Konstantinopel wohnte. Dienstlich hatte Theodor Wiegand öfters in der Hauptstadt des Osmanischen Reiches zu tun. Dabei galt es ferner, die Planungen für das Pergamonmuseum in Berlin voranzutreiben. Jedoch war dies nicht immer einfach, weil er sich nur selten in der deutschen Hauptstadt aufhielt. Darüber berichtet Wiegand in einem Brief vom 29. März 1910 aus Konstantinopel. Er schrieb ihn an seinen Kollegen Hans Schrader, mit dem er u. a. in Priene zusammengearbeitet hatte: 208
Das Jahr 1910
„Ich kann Dir auch von Berlin einiges ‚Skandalöse‘ berichten. Heimlich hat Bode mit Hoffmann die Entscheidung über das Pergamonmuseum so getroffen und sich durch S. M. (seine Majestät Kaiser Wilhelm II.) bestätigen lassen, dass unser Markttor (aus Milet) ins Freie ‚an die Luft’ gesetzt wird, zwischen Nationalgalerie und Neues Museum, wo es zwar verblüffend echt ‚wirkt’, aber die Werkstücke sicherem Untergang entgegengehen. Und mit größter Mühe hat Winnefeld gerade noch erreicht, dass der Altarsaal (für den Pergamonaltar) 30 m tief wird. Hoffmann wollte die Frieslängen knicken! Ich habe fest protestiert, jede Verantwortung abgelehnt.“
Die Probleme in Berlin resultierten hauptsächlich aus dem Tod des Architekten für das Pergamonmuseum. Albert Messel war nämlich 1909 gestorben. Der neue Architekt Ludwig Hoffmann plante zusammen mit dem Preußischen Kulturministerium entscheidende Änderungen, die der Wiegand’schen Idee einer großen antiken Architekturabteilung entgegenstanden. Nach dem 1. Weltkrieg wurden die Planungen und Baumaßnahmen noch schwieriger, weil die Geldmittel knapp waren. Schließlich gab es erst 1927 eine endgültige Entscheidung und 1930 konnte das Pergamonmuseum doch nach den Plänen Messels eingeweiht werden. Letztendlich hatte Theodor Wiegand „den Museumskrieg“ gewonnen. Der Pergamonaltar bekam einen eigenen Saal. Das Markttor von Milet wurde im Inneren aufgestellt und darüber hinaus gibt es einen weiteren Saal mit griechischer Architektur, in dem u. a. Architekturproben der deutschen Ausgrabungen von Priene, Magnesia am Mäander und Didyma platziert wurden (siehe Abb. 108). Auf diese Weise besitzt und präsentiert das Pergamonmuseum von Berlin eine weltweit einmalige Sammlung antiker Architektur, die zum großen Teil das Verdienst von Theodor Wiegand ist. Zurück nach Didyma: Als man begann, den Sekos freizulegen, war man Ende 1910 auf die große Freitreppe gestoßen, die von den drei westlichen Türen des Zweisäulensaales hinunter in den Innenhof führt (siehe das Kapitel zu Dedreux, Donaldson und Huyot). Dabei stellten Wiegand und Knackfuß fest, dass die Treppe in frühbyzantinischer Zeit als Unterlager für die Apsis der ersten Kirche im Apollontempel gedient hatte. Der Aufbau dieser dreischiffigen Säulenbasilika wurde schon an anderer Stelle beschrieben (siehe das Kapitel zu Chishull). Interessant ist, dass ein Großteil ihrer Innenausstattung bei der Freilegung zutage trat. Die Basilika wurde um 500 errichtet und im frühen 7. Jh. umgebaut, ehe man sie wohl im 11. Jh. nach einem Erdbeben aufgab. Der Altarraum der rund 36 m langen Kirche war 7 m lang und 6,5 m breit (Plan 4). Ihn hatte man vom übrigen Kirchenschiff durch das Templon getrennt. Dabei handelt es sich um eine etwa ein Meter hohe Wand, die aus verzierten Pfeilern und Schrankenplatten zusammengesetzt war. Im Zentrum des Altarraumes befanden sich das Tabernakel und darunter der Altar (siehe Abb. 89). Vom Tabernakel kamen Säulenbasen und -kapitelle zum Vorschein. Südlich davon stand in einer Nische das Taufbecken, welches etwa 1 x 1 x 1 m maß und damit groß genug war, um Erwachsene unterzutauchen. In der nordwestlichen Ecke des Altarraumes lag der Eingang zur Treppe, der hinunter zur Kammer mit der Heiligen Quelle führte. 209
Apollonheiligtum von Didyma
In der Apsis östlich des Altarraumes hatte man am äußeren Rand zwei Rundbänke (Synthronon) für die Presbyter angebracht. In ihrer Mitte waren sie durchbrochen für den Thron des Bischofs, die Kathedra. Hier saß also der Bischof von Hieron, der zum ersten Mal in der zweiten Hälfte des 7. Jhs. erwähnt wird (siehe das Kapitel zu Chishull). Zwischen Synthronon und Tabernakel befand sich auf den untersten Treppenstufen das Lesepult. Des Weiteren trat nördlich davon am Apsisbeginn ein Tisch zutage, der eine große 1,41 x 1,05 m messende marmorne Tischplatte trug. Hier handelte es sich wahrscheinlich um den Prothesistisch, auf dem die eucharistische Wandlung von Brot und Wein in Leib und Blut Christi erfolgte. In der Mitte des Kirchenschiffes wurden die Reste des Ambos, der Kanzel, ausgegraben, der über zwei Treppen von Osten und Westen erreichbar war. Diese Einbauten und noch weitere fand man bei den Ausgrabungen zum großen Teil in situ vor, was eine ziemliche Besonderheit darstellt. Wiegand und Knackfuß beschlossen dennoch, die Kirche bis auf das Tabernakel und das Baptisterium im Nordwesten des Sekos abzutragen (Abb. 92). Die Gründe dafür sind nachvollziehbar. Denn in der Kirche waren viele Bauteile des hellenistischen Naiskos wiederverwendet. Außerdem befanden sich unter der Kirche die Fundamente des archaischen Apollontempels und des hellenistischen Naiskos. Für die „Tiefgrabungen“ wurde also die Kirche zum großen Teil demontiert. Später, in den Jahren 1924/25, beseitigte man schließlich sogar das Tabernakel und das Baptisterium; obwohl eigentlich unnötig. Heute können die Bauteile der Kirchen aus dem Innenhof südlich des Apollontempels besichtigt werden, und zwar im Bereich des Stadions.
Abb. 92: Die westliche Hälfte und das Baptisterium der frühbyzantinischen Basilika im Sekos des hellenistischen Apollontempels. 210
Das Jahr 1911
Wie oben schon erwähnt, wurde die erste Kirche nach einem Erdbeben im frühen 7. Jh. umgebaut. Aus dem dreischiffigen Bau machte man durch Vermauern der Arkaden einen einschiffigen. Die Seitenschiffe und der Narthex wurden mit verschiedenen Einbauten versehen, die darauf hindeuten, dass der ganze Innenhof des Tempels als Kloster diente. Im südlichen Seitenschiff grub man einen neuen Brunnen und ganz in der Nähe errichtete man einen Backofen. Auch die Zwischenräume zwischen den Sekosmauern und den Kirchenmauern wurden mit Räumen für unterschiedliche Zwecke ausgefüllt, sodass ab diesem Zeitpunkt der ganze Innenhof bebaut war. Nachdem Kirche und Kloster wohl im 11. Jh. untergegangen waren, trieb man noch einen rechteckigen Brunnenschacht innerhalb des Naiskosfundaments in die Tiefe. Aus dieser Zwischenphase hatten sich ebenfalls viele Räume und Kammern im Innenhof erhalten. Um 1300 wurde die Kapelle über der Heiligen Quelle errichtet. Aber auch aus dieser Zeit existierten weitere Gebäude- oder „Hütten“-reste, die bei den Ausgrabungen zutage traten. Dazu gehört ein vierter Brunnen im Sekos, ein runder innerhalb des Naiskosfundaments. Während der Ausgrabungen im Innenhof kamen auch immer wieder byzantinische Gräber zum Vorschein. Von dieser über 800 Jahre langen christlichen Nutzung des Sekos ist heute nur noch wenig zu sehen. Die Brunnenkammer mit Treppe zur Heiligen Quelle ist entfernt und ihre ehemalige Lage nur noch durch die Platte mit dem Brunnenmundloch erkennbar. Der Brunnen des Klosters im ehemaligen südlichen Seitenschiff der Kirche existiert noch. Die zwei anderen im Bereich des Naiskosfundaments sind dagegen ebenfalls zugeschüttet. Letzten Endes sind die einzelnen Phasen der christlichen Nutzung des Sekos nicht mehr mit Sicherheit rekonstruierbar. Zwar wurden beim Abtragen der Einbauten viele Fotografien und Zeichnungen angefertigt. Die meisten davon gingen jedoch nach dem 1. Weltkrieg verloren. Andererseits wäre selbst bei Erhaltung der kompletten Dokumentation eine Rekonstruktion der Nutzungsphasen unmöglich, weil die archäologischen Befunde nicht ausführlich genug festgehalten worden sind. Dazu gehören vor allem Kleinfunde, wie Scherben von Keramik- und Glasgefäßen oder Reste von Geräten aus Metall.
Das Jahr 1911 Reiche Funde im Südwesten – Die Entdeckung des archaischen Tempelfundaments – Überlegungen zum Aussehen des archaischen Apollontempels – Das Brunnenhaus über der Orakelquelle – Wiegand geht nach Berlin Eine wichtige Ausgrabung erfolgte 1911 im Südwesten des Apollontempels. Dort kamen die reichsten Funde der archaischen und der spätgeometrischen Zeit zum Vorschein, die in Didyma jemals gefunden wurden. Doch leider sind sie zum großen Teil in den Wirren nach dem 1. Welt211
Apollonheiligtum von Didyma
krieg zugrunde gegangen (siehe den Abschnitt über die Jahre nach 1913). Bekannt sind sie nur durch Berichte aus den Grabungstagebüchern und von Überblicksfotos. Ohne dass bei der sogenannten Südwestgrabung archaische Gebäudereste in situ gefunden wurden, traten sehr viele Fragmente archaischer Bauten zutage. Dazu gehören u. a. Säulenbauteile aus gelbbraunem Poros, weißgrauem Kalkstein und weißem Marmor. Doch man konnte sie nicht gleich einem archaischen Bau zuordnen, obwohl natürlich die Verbindung zum Apollontempel dieser Epoche nahelag. Die Zeit dafür war erst im Mai 1911 gekommen. In einem Brief an seine Frau vom 8. Mai 1911 schreibt Theodor Wiegand Folgendes: „Inzwischen geht hier die Entdeckerei in der erwünschtesten Weise fort. Von dem geradezu entzückenden kleinen Innenbau der Cella ist jetzt kaum mehr ein Glied unvertreten. Alles steckt in der byzantinischen Kirche, die wir schon teilweise abbrechen. Und dann kam gestern einen halben Meter unter dem Kirchenfundament eine gewaltige Quermauer heraus – da haben wir den archaischen Tempel zweifellos gefunden. Junge, Junge – was wird das alles noch geben!“
In dem enthusiastischen Bericht Wiegands werden zwei bedeutende Neufunde im Sekos erwähnt (bei Wiegand die „Cella“): zum einen die Werkstücke des hellenistischen Naiskos, die in der Kirche verbaut waren, und zum anderen das Fundament des archaischen Apollontempels. Heute ist sein Unterbau im Sekos gut sichtbar. Denn wie oben beschrieben, hatte man die letzten Reste der byzantinischen Kirchen darüber 1924/25 abgetragen. Dabei trat im Innenhof ein Pi-förmiges Fundament zutage, das nach Osten hin offen war (Abb. 93). Dieser Unterbau besteht aus großen Kalksteinblöcken, die exakt aneinanderpassen, aber untereinander weder durch Dübel noch durch Klammern verbunden sind. Solche Verbindungen waren in der griechischen Architektur erst ab der obersten Fundamentschicht, der Euthynterie, üblich. Das Baumaterial der Fundamentblöcke, weißgrauer Kalkstein, ist in Didyma typisch für die Zeit ab der Mitte des 6. Jhs. v. Chr. Kleinere Steinbrüche, aus denen dieses Gestein stammt, gibt es viele in wenigen Kilometern Umkreis von Didyma. Vorher benutzte man zum großen Teil gelbbraunen Poros, der auf dem Heiligtumsgelände selbst ansteht. Aber auch für den archaischen Apollontempel aus der Mitte des 6. Jhs. v. Chr. kam schon teilweise Marmor zum Einsatz, der wahrscheinlich aus den Steinbrüchen am Latmischen Meerbusen stammte (heute Bafa Gölü). Das archaische Fundament besteht aus drei Streifen, die einen Bau trugen, dessen Eingang im Osten lag (Plan 2). Die Ausdehnung des Unterbaues beträgt von Norden nach Süden 19,90 m. Der nördliche Streifen ist 34 m lang erhalten und der südliche 33 m. Das Fundament ist auf allen Seiten etwa 3 m breit, wobei an den Innenseiten Vorlagen für Pilaster hinzukommen, die rund 0,80 m ausladen. Durchgehend sind zwei Schichten Blöcke erhalten, an manchen Stellen auch die der dritten Schicht. Von der darüber liegenden Euthynterie und dem aufgehenden Mauerwerk ist nichts in situ 212
Das Jahr 1911
überkommen. Da der östliche Teil beim Bau des hellenistischen Apollontempels demontiert wurde, ist nicht mehr genau feststellbar, wie weit sich der archaische Apollontempel nach Osten ausdehnte.
Abb. 93: Blick von Südwesten in den Sekos des hellenistischen Apollontempels. Vor der nördlichen, westlichen und südlichen Sekoswand befindet sich das Pi-förmige Fundament des archaischen Apollontempels (schwarz umrandet). Auffällig ist außerdem, dass seine Längsachse um rund 1,5 Grad gegenüber der Achse des hellenistischen Tempels nach Süden gedreht ist. Damit verläuft die Längsachse des archaischen Tempels im Osten genau durch die Mitte des Rundbaues für den Apollonaltar. Weil dieser obendrein ebenfalls aus weißgrauem Kalkstein errichtet ist, kann kaum ein Zweifel daran bestehen, dass Altar und Tempel zur gleichen Zeit gebaut worden sind. Das Aussehen des Apollonaltars kann aufgrund seines Befundes und der anderen dazu überlieferten Quellen recht genau erschlossen werden (siehe den Abschnitt zum Jahr 1907). Doch wie steht es mit dem Apollontempel aus der Mitte des 6. Jhs. v. Chr.? Die Überlegungen dazu basieren auf dem von Wiegand und Knackfuß gefundenen Fundament, den zahlreichen bei ihrer Grabung sowie früher und später zutage getretenen Bauteilen sowie Vergleichen mit anderen Tempeln. Daraus ergibt sich ein Bau, der dem hellenistischen Apollontempel in vielem glich; wobei natürlich der archaische Tempel das Vorbild für den hellenistischen bildete. Eine zweireihige Säulenhalle umgab den Naos, den eigentlichen Tempel. Dafür sprechen die zahlreichen archaischen Bauteile für Säulen, die Basen, Schäfte und Kapitelle umfassen. Sie stammen u. a. aus der Südwestgrabung von Wiegand und Knackfuß sowie später direkt aus den 213
Apollonheiligtum von Didyma
Fundamenten des hellenistischen Apollontempels. Dort sind die Zwischenräume der Unterbauten für die Säulen mit zahlreichen archaischen Fragmenten von Bauteilen und Skulpturen gefüllt. Die südlichen und nördlichen Peristasis-Fundamente hatte man teilweise schon in byzantinischer Zeit demontiert und für Gebäude benutzt. Dabei blieben manche archaischen Fragmente einfach liegen und wurden später von den Archäologen wiederentdeckt. Dazu gehört der von Haussoullier gefundene Eckfriesblock mit einer Gorgo und den Resten eines Löwen (siehe das Kapitel zu Haussoullier und Pontremoli). Ein ähnlicher Block trat bei den Ausgrabungen von Wiegand und Knackfuß zutage: Ebenfalls nördlich des Tempels fanden die beiden einen Eckarchitravblock, den ebenfalls eine Gorgo ziert. Thomas Schattner vermutete daraufhin, dass an den Ecken des archaischen Apollontempels jeweils zwei Gorgonen übereinander angebracht waren. Die Architrave seien nur an den Ecken verziert gewesen und der Fries zumindest an den Frontseiten (Abb. 94).
Abb. 94: Rekonstruktionszeichnung der Südostecke des Gebälks des archaischen Apollontempels (Ansicht von Osten). Über dem Fries hatte man offensichtlich Platten mit einem großen ionischen Kyma angebracht. Viele von ihnen wurden im 4. Jh. v. Chr. wiederverwendet, als man die Terrassenmauer als Begrenzung des östlichen Tempelvorplatzes errichtete (siehe den Abschnitt zum Jahr 1906). Dabei gelangten die Kymaplatten als obere Abdeckung auf die Terrassenmauer (Abb. 95). 214
Das Jahr 1911
Abb. 95: Mit einem ionischen Kyma verzierte Platte, vermutlich vom spätarchaischen Apollontempel. Zur Peristasis des archaischen Apollontempels sind noch weitere Aussagen möglich: Nur wenige Säulen bestanden offensichtlich aus Marmor. Abgesehen von denen der Ostseite waren die meisten aus Kalkstein und Poros, da viele Säulenfragmente aus diesen Materialien gefunden wurden. Zu diesem Schluss kommt Uta Dirschedl, die seit einigen Jahren dazu Forschungen betreibt, die Peter Schneider initiierte (siehe das Kapitel zu Furtwängler). Endgültige Aussagen sind hier jedoch schwierig, weil die Fundamente für eine archaische Peristasis fehlen; sie wurden beim Bau des hellenistischen Tempels abgetragen und ihre Blöcke in seinem Unterbau wiederverwendet. Überdies weiß man seit der Entdeckung des hellenistischen Artemistempels, dass es auch einen archaischen Artemistempel gab (siehe das Kapitel zu Bumke). Folglich könnten neue Forschungen ergeben, dass Fragmente, die bisher dem archaischen Apollontempel zugewiesen wurden, stattdessen vom Artemistempel stammen. Dennoch ist eines sicher: Der archaische Apollontempel besaß einige Säulen, die mit figürlichen Reliefs verziert waren. Diese columnae caelatae aus Marmor hatte man mit sogenannten Koren, jungen Frauen, versehen und andere aus Poros mit Schiffsdarstellungen (Abb. 96). Der archaische Apollontempel war also ein reich geschmückter Bau, was bereits für den hellenistischen Apollontempel festgestellt werden konnte (siehe das Kapitel zu Haussoullier und Pontremoli). Im Grundriss ähnelten sich beide Bauten ebenfalls. Um die Rekonstruktion des archaischen Apollontempels hat sich vor allem Gottfried Gruben verdient gemacht. Seiner Ansicht nach könnte er bereits einen Zweisäulensaal, also einen Raum mit zwei Säulen zwischen Pronaos und Innenhof aufgewiesen haben. Ohne Zweifel war der archaische Apollontempel jedoch hypäthral, das heißt sein Naos hatte kein Dach. Das belegt u. a. der Fund von Fundamenten für einen Naiskos, der sich in der westlichen Hälfte des archaischen Sekos befand. Dieses kleine Tempelchen beherbergte die Kultstatue (Plan 2). 215
Apollonheiligtum von Didyma
Abb. 96: Fragment einer Kore einer marmornen columna caelata des archaischen Apollontempels (heute im Alten Museum von Berlin). 216
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Spätere Ausgrabungen im Innenhof ergaben außerdem, dass die Heilige Quelle bereits im 7. Jh. v. Chr. im östlichen Bereich des Sekos lag, wahrscheinlich dort, wo sie in frühbyzantinischer Zeit neu eingefasst worden war (siehe die Abschnitte zu den Jahren 1908/09 und 1912/13). Lediglich bei der Gründung des Heiligtums im 8. Jh. v. Chr. scheint die Heilige Quelle an der Stelle der beiden späteren Naiskoi gesprudelt zu haben. Diese Erkenntnis wird den Forschungen Heinrich Drerups verdankt (siehe das Kapitel zu Drerup, Naumann und Tuchelt). Im Kapitel zu Wheler und Spon ist zu lesen, dass das Brunnenhaus der Heiligen Quelle im späteren 3. Jh. n. Chr. erneuert wurde. Dieses Brunnenhaus existierte aber nicht länger als bis 500 n. Chr. Beim Bau der ersten Kirche trug man es ab und erneuerte den Treppenschacht hinunter zur Kammer mit der Quelle – wie gerade erwähnt. Ein Fundament für ein Brunnenhaus bei der Heiligen Quelle wurde bis heute nicht gefunden. Dennoch ist es wahrscheinlich, dass das Apollonorakel in seiner Blütezeit, das heißt sowohl in der archaischen als auch in der hellenistisch-römischen Epoche, eine architektonisch gefasste Heilige Quelle besaß. Davon gingen schon Wiegand und Knackfuß aus. Sie fanden im Sekos zwei kleinere Giebelhälften, die jeweils mit einer Sphinx in Relief verziert sind (jeweils etwa 2 m breit und maximal 0,70 m hoch). Die beiden Sphingenreliefs sind am Ende des 6. Jh. v. Chr. geschaffen worden und gehörten einem spätarchaischen Brunnenhaus im Innenhof des Apollontempels an, wie Walter Voigtländer und Peter Schneider vermuten (Abb. 97). Wenn dem so ist, könnten sie bis zum Ende der Antike im Brunnenhaus verbaut gewesen sein, weil die beiden Giebelhälften im Kirchenfundament zutage traten.
Abb. 97: Spätarchaisches Relief mit einer Sphinx von einem Gebäudegiebel, vermutlich vom Brunnenhaus der Heiligen Quelle im Apollontempel. Wahrscheinlich wird man hier nie Sicherheit gewinnen können. Jedoch ist die Existenz einer architektonisch gefassten Orakelquelle ab der Fertigstellung des spätarchaischen Apollontempels anzunehmen, denn die Heilige Quelle war schließlich das wichtigste Kultmal. Dazu benötigte man nicht unbedingt ein Brunnenhaus, denn über der eigentlichen Quelle oder dem Brunnen 217
Apollonheiligtum von Didyma
gab es ja eine Kammer, von der eine Treppe nach oben führte. In dieser Kammer wird sich die Prophetin bei ihrer Inspirierung durch Apollon aufgehalten haben. Letztlich kann man heute vom archaischen Apollontempel ein genaueres Bild gewinnen als zu Wiegands und Knackfuß’ Zeiten; wobei umfassende Forschungsergebnisse noch nicht vorliegen. Hier kann deshalb nur eine vorläufige Synthese erfolgen: Die Grundfläche des Dipteros betrug etwa 44 x 88 m (Plan 2). Die Säulen der Peristasis bestanden zumindest auf der Ostseite aus Marmor und sonst aus Poros. Die äußeren östlichen und vermutlich auch einige Säulen der Langseiten waren unten mit Reliefs verziert. Über den Säulen befanden sich an den Ecken reliefierte Architrave und darüber der Fries, der ebenfalls teilweise mit Reliefs geschmückt war. Darüber folgte ein ionisches Kyma. Das Dach hatte man vermutlich im östlichen Bereich mit Dachziegeln aus Marmor und sonst über den Ringhallen mit Dachziegeln aus Ton gedeckt (siehe Abb. 66). Von den Pilastern im Innenhof sind Teile der Kapitelle überkommen. Auch hier könnten Platten mit ionischem Kyma den oberen Wandabschluss gebildet haben. Im Nordosten des Innenhofes lag die Kammer mit der Heiligen Quelle und vielleicht mit einem Brunnenhaus darüber, während sich im Westen der Naiskos für das Kultbild befand und dazwischen wahrscheinlich der heilige Lorbeerbaum. Über die genaue Datierung des spätarchaischen Apollontempels besteht in der Forschung keine Einigkeit, zumal mehrere Bauphasen möglich sind, die sich über einen längeren Zeitraum erstreckten. Am wahrscheinlichsten ist somit die Mitte des 6. Jhs. v. Chr., etwa von 575 bis 525 v. Chr. Über die Gestalt des Kultbildes des Apollon zu dieser Zeit und davor ist nichts bekannt, da die berühmte Kultstatue des Bronzegießers Kanachos erst im letzten Viertel des 6. Jhs. v. Chr. geschaffen wurde (siehe das Kapitel zu Choiseul-Gouffier). Das Jahr 1911 brachte für Theodor Wiegand eine berufliche Veränderung mit sich, denn am 1. Juli war ihm die Leitung der Antikenabteilung der Königlich-Preussischen Museen in Berlin übertragen worden. Die Ausgrabung von Milet hatte er 1910 beendet und in Didyma lag die weitere Arbeit in den Händen des Architekten Hubert Knackfuß. Folglich konnte Wiegand allmählich nach Berlin übersiedeln. In der Hauptstadt des Deutschen Reiches ließ er für sich und seine Familie ein komfortables Wohnhaus in Dahlem bauen. Der klassizistische Bau des Architekten Peter Behrens wurde 1911/12 errichtet. Vor dem Haus in der Peter-Lenné-Straße 28–30 befindet sich ein Vorbau, welcher einem Peristyl gleicht, welches Wiegand zusammen mit einem Wohnhaus in Priene (Haus Nr. 33) ausgegraben hatte. Offensichtlich hatte Theodor Wiegand auf den Entwurf seines Hauses Einfluss genommen, was angesichts seines Engagements für die Gestaltung des Pergamonmuseums in Berlin nicht verwundert. Heute liegt die Wiegand’sche Villa auf dem Gelände des Deutschen Archäologischen Instituts und beherbergt u. a. den Sitz seines Präsidenten und das Architekturreferat. 218
Die Jahre 1912 und 1913
Die Jahre 1912 und 1913 Die Kurvatur am hellenistischen Apollontempel – Der Brunnen auf dem Ostvorplatz – Ein trauriger Zwischenfall – Zwei Abflüsse für Regenwasser im Sekos – Der hellenistische Naiskos im Apollontempel – Die Rückgabe des Kanachos-Apollon nach Didyma – Der spätarchaische und ein vermutlich klassischer Naiskos Die Hauptarbeit der deutschen Ausgrabungen während der letzten beiden Jahre vor dem 1. Weltkrieg bestand darin, den Sekos weiter freizulegen. Das Abräumen der Peristasis um den Apollontempel war schon weit fortgeschritten und ging seinem Ende entgegen. Nachdem dies geschehen war, konnte Hubert Knackfuß den hellenistischen Tempel genauer vermessen. Dabei zeigten sich architektonische Feinheiten, die typisch für die griechische Baukunst sind, aber nicht überall auf die gleiche eindrucksvolle Weise beobachtet werden können. Besonders erwähnenswert ist ein Detail, nämlich die sogenannte Kurvatur. Dabei versucht man, lange horizontale Linien an Baugliedern zu vermeiden, indem die Mitte höher ist als die Anfangs- und die Endpunkte. Damit wird aus einer Waagerechten eine leichte Kurve oder Krümmung. Diese künstliche „Belebung“ der Tempelarchitektur kann z. B. an der Krepis des hellenistischen Apollontempels beobachtet werden. Die Oberseite der Stufen der Ostfront liegt etwa 7,3 cm höher verglichen mit der nordöstlichen und der südöstlichen Ecke. Besonders leicht zu erkennen ist die Kurvatur aber an einem anderen Bauglied, nämlich an den äußeren Plinthen der nördlichen und südlichen Sekosmauern (Abb. 98). Wenn man z. B. von der südöstlichen Ante des Apollontempels entlang der Oberkante der Plinthe nach Westen schaut, ist ihre Krümmung deutlich zu sehen. Die Kurve steigt dort bis zu 11,7 cm in der Mitte der Sekoswand an. Am 15. Februar 1913 wollte man ein bis dahin scheinbar unbekanntes Maß des Tempels nehmen, nämlich die Höhe einer Säule. Der Architekt Armin von Gerkan wurde zu diesem Zweck auf die beiden noch stehenden Säulen auf der Nordseite hinaufgezogen, und zwar mit Flaschenzügen. Er bestimmte die Höhe für eine Säule von der Plinthe bis zum Kapitell auf 19,70 m. Damals wusste man jedoch nicht, dass bereits der Franzose Charles Texier 1835 eine Säule vermessen hatte und auf das gleiche Ergebnis gekommen war (siehe das Kapitel zu Texier). Im April 1913 untersuchte man ferner den Brunnen vor der Ostfront des hellenistischen Apollontempels (Pläne 2 und 3). Dazu räumte man alle Steine heraus und schöpfte ihn leer. Laut Tagebuch hatte man den Brunnen Ende April bis auf den Felsen ausgenommen. Großartige Funde traten dabei nicht zutage. 219
Apollonheiligtum von Didyma
Abb. 98: Die 87,42 m lange Südseite des Naos des hellenistischen Apollontempels. Die Höhe der Kurvatur an der Plinthenschicht beträgt 11,7 cm. Aber nichtsdestotrotz handelt es sich bei diesem Brunnen um den mit der höchsten Qualität im ganzen Heiligtum. Er weist einen äußeren Durchmesser von etwa 4 m auf und seine Wandungsstärke beträgt jeweils rund 1 m. Überdies ist er laut Knackfuß 10 m tief. Der Brunnen führt heute noch reichlich Wasser und im Frühling steigt der Grundwasserspiegel meist so stark an, dass das Wasser überläuft (Abb. 99).
Abb. 99: Brunnen des 2. Jhs. v. Chr. vor der Ostfront des hellenistischen Apollontempels. 220
Die Jahre 1912 und 1913
Knackfuß war der Ansicht, der Brunnen sei womöglich in der zweiten Hälfte des 6. Jhs. v. Chr. errichtet worden. Sein Baumaterial ist weißgrauer Kalkstein. Die gekrümmten Quader sind fein bearbeitet und passgenau aneinandergefügt. Damit ergibt sich jedoch noch kein anderer Datierungsansatz als „klassische Antike“. Aber laut einem Baubericht aus der ersten Hälfte des 2. Jhs. v. Chr. wurden 2700 Kubikfuß (rund 70 Kubikmeter) Kalkstein für einen Brunnen benutzt. Diese Menge passt zu dem Brunnen nördlich des Apollonaltars, denn für ihn waren maximal 88 Kubikmeter Kalkstein nötig. Da es keinen anderen Brunnen dieser Größe oder Tiefe im Apollonheiligtum gibt, der außerdem über so fein versetzte Kalksteinquader verfügt, ist von Folgendem auszugehen: Der Brunnen östlich des Apollontempels und nördlich des Altars wurde im 2. Jh. v. Chr. aufwändig erneuert. Darüber hinaus ist es wahrscheinlich, dass ein archaischer Vorgängerbau an der gleichen Stelle existierte. Denn bei Opferhandlungen an einem Brandopferalter benötigte man viel Wasser und der Altar des Apollon aus dem 6. Jh. v. Chr. lag nicht weit entfernt. Die Arbeiten in Didyma gingen gut voran, obwohl Theodor Wiegand sich nun seltener vor Ort aufhielt. Von einem traurigen Zwischenfall berichtet er in einem Brief aus Didyma am 9. September 1912: „Vorgestern Mittag brachte man uns die grässlich zugerichtete Leiche des braven Georgios Kjolaflis ins Dorf (Jeronda), der als bester Kenner der Gegend Wilski, Marées, Lyncker bei den Kartenaufnahmen begleitet hatte. Er war wieder als Hirt gegangen und hatte bei dieser Gelegenheit Zeuge sein müssen, wie mehrere christliche Albanesen seinen Oberhirten umbrachten. Um den lästigen Zeugen aus der Welt zu schaffen, hat die blutgierige Gesellschaft auch ihn mit zwei anderen umgebracht. Es ist ein rechter Jammer, zu sehen, wie unbeschützt dies arme Volk ist und wieviel gerade von den besten und rechtschaffensten Elementen gewaltsam umkommen. Übrigens sitzen die Mörder hinter Schloss und Riegel. Gestern wurde den ganzen Nachmittag eine halbe Stunde von unserem Dorf mit einer mehrköpfigen Räuberbande gekämpft. Die Nacht scheint ihr zum Entweichen verholfen zu haben. Auf die Gendarmerie ist kein Verlass.“
Vor allem die einheimische Bevölkerung war vor Raub und Mord nicht sicher. Doch damals gehörte dies offensichtlich zu ihrem Alltag, wie auch die Episode mit Mehmed Tschakidji zeigt (siehe den Abschnitt zum Jahr 1907). Im Sekos des Apollontempels stieß man bei seinem Ausräumen unvermutet auf Abflussschächte für das Regenwasser. Im Mai 1913 kam in der Westwand, nahe bei den Ecken, je ein solcher Schacht zum Vorschein. Diese beiden Öffnungen führen zunächst beinahe waagerecht nach Westen, verbinden sich unter der westlichen Peristasis zu einem einzigen Schacht, der noch einige Meter weiter nach Westen verfolgt werden konnte. Dort kann man den aus Quadern errichteten 221
Apollonheiligtum von Didyma
Tunnel noch heute vor der westlichen Begrenzungsmauer einsehen. Noch weiter westlich stieß Klaus Tuchelt 1965 auf die Reste dieses unterirdischen Kanals (siehe das Kapitel zu Tuchelt). Eine wichtige Information ließ sich aus der Lage der beiden Abflussöffnungen ableiten: Ihre Unterkante gibt nämlich das originale Laufniveau im Sekos an, das man bis dahin nicht kannte (Abb. 100). Bei Starkregen konnte das Wasser durch die beiden Öffnungen aus dem Innenhof abfließen, weil er ringsum geschlossen war und es keine andere Abflussmöglichkeit gab. Damit durch die Öffnungen keine Diebe eindrangen, hatte man sie ursprünglich mit Bronzegittern in der Sekoswand verschlossen, deren Befestigungslöcher noch vorhanden sind (Beobachtung von Jean-Charles Moretti). Heute ist die nördliche Öffnung mit einem Stein verschlossen, während die südliche offen ist und regelmäßig von Katzen benutzt wird, die das Tempelinnere besuchen.
Abb. 100: Öffnung des südlichen Abflussschachtes im Sekos des hellenistischen Apollontempels. Unten in der Mitte sind die Reste des Dübelloches zur Befestigung des bronzenen Verschlussgitters zu sehen. Interessant ist, dass bereits der archaische Apollontempel einen Abflusskanal für Regenwasser besaß. Er durchdrang das Sekosfundament des spätarchaischen Baues ebenfalls im Westen, etwa in der Mitte der Westseite, wo er heute noch zu sehen ist (siehe Abb. 93). Östlich davon machten Theodor Wiegand und Hubert Knackfuß 1913 weitere wichtige Entdeckungen: Sie fanden die Fundamente dreier Naiskoi. Bis heute sind in der Forschung aber nur zwei von ihnen wirklich bekannt, der archaische und der hellenistische. Aber dazwischen gab es wahrscheinlich noch einen „Übergangsnaiskos“ der klassischen Zeit, wie es die Forschungen von Andreas E. Furtwängler im Jahr 2005 zeigten (siehe das Kapitel über ihn). Bereits seit 1911 hatte man beim Freilegen der Basilika im Sekos immer wieder Bauteile eines hellenistischen Gebäudes gefunden, welches relativ klein, reich verziert und von sehr hoher Qualität war. Viele marmorne Wandquader dieses Baues bildeten den Fußboden der Kirche, darunter traten u. a. Säulentrommeln von ihm zutage. Aus seinen Wandquadern hatte man ferner die östlichen Wände der Seitenschiffe errichtet. 222
Die Jahre 1912 und 1913
Bis zum Februar 1913 verfügte man über Fragmente oder ganze Werkstücke von fast allen Bereichen dieses kleinen tempelartigen Baues. Von den früheren Forschungen war bekannt, dass es sehr wahrscheinlich ein besonderes Gebäude für die Kultstatue Apollons im Sekos gegeben hatte. Solche Vermutungen hatten 1873 u. a. Olivier Rayet und Albert Thomas angestellt, und eine Ädikula für das Kultbild war Bestandteil ihrer Rekonstruktion des Innenhofes (siehe das Kapitel zu ihnen). Mithin warteten Wiegand und Knackfuß beinahe täglich darauf, bei den Arbeiten im Sekos auf das Fundament des Naiskos zu stoßen, wie sie das Gebäude nannten. „Aber erst im Februar 1913, als die Cella (der Sekos) ganz von Sturzblöcken befreit war, erhielten wir die Bestätigung. Jetzt trat das Fundament des prostylen Marmornaiskos zutage, …“, schreibt Theodor Wiegand. In der Westhälfte des Innenhofes fand man ein Fundament, dessen Quader aus weißgrauem Kalkstein besonders sorgfältig bearbeitet waren. Nach seiner gesamten Ausgrabung konnte man die Ausmaße des rechteckigen Fundaments mit 8,59 x 14,54 m angeben (Abb. 101). Die Längsachse dieses Gebäudes liegt auf der des hellenistischen Apollontempels, von dessen Westwand der Unterbau ca. 4,70 m entfernt ist. Er bestand aus rund 1,30 m breiten Streifenfundamenten, die sich unter den Wänden und unter den Säulen des Gebäudes befanden. Dieser hellenistische Naiskos besaß zwei Räume, was ein nordsüdliches Querfundament belegt, welches einen kleineren Pronaos im Osten von der Cella im Westen abgrenzte. Der Unterbau bestand aus vier Schichten etwa gleich großer Quader, die ab der zweiten Schicht untereinander verklammert und verdübelt waren.
Abb. 101: Blick von Westen auf die Naiskosfundamente aus drei verschiedenen Phasen im Sekos des Apollontempels. 223
Apollonheiligtum von Didyma
Diese technischen Details belegen die Einbringung des Fundaments in hellenistischer Zeit. Wiegand und Knackfuß konnten sich somit sicher sein, dass die zahlreichen in der Kirche wiederverwendeten Bauteile des Naiskos nur von einem Bau auf diesem Fundament stammen können, weil ihr Größenverhältnis übereinstimmte. Das Fundament des hellenistischen Naiskos ist sehr gut erhalten und die drei untersten Schichten liegen zum großen Teil noch in situ und Blöcke der vierten Schicht, der Euthynterie, lose auf ihnen. Für diesen Unterbau waren etwa 88 Kubikmeter Kalkstein notwendig, während man für den oben erwähnten Brunnen rund 70 Kubikmeter verbaute. Dies ist verschwindend wenig gegenüber der Menge Kalkstein, die für den hellenistischen Apollontempel insgesamt Verwendung fand, nämlich etwa 10000 Kubikmeter oder 25000 Tonnen. Doch zurück zum hellenistischen Naiskos: Bereits Wiegand und Knackfuß konnten seinen grundsätzlichen Aufbau erschließen, wobei später noch einzelne Erkenntnisse durch Lothar Haselberger und den Autor hinzukamen. Bei dem Bau handelte es sich um einen viersäuligen Prostylos, das heißt es gab im Osten eine Vorhalle (Pronaos) mit vier Säulen, die den Eingangsbereich vor der Cella des kleinen Tempels bildete. Auf dem Querfundament befand sich die Wand mit der Tür zwischen Pronaos und Cella, die das Kultbild, den Kanachos-Apollon, beherbergte (Abb. 102).
Abb. 102: Rekonstruktionszeichnung des Naiskos im Sekos des hellenistischen Apollontempels. Oberhalb seines Fundaments bestand der Naiskos ganz aus weißem Marmor. Seine Krepis wies nur zwei Stufen auf. Der Stylobat der Ostfront trug vier ionische Säulen mit ionischer Basis, während die 224
Die Jahre 1912 und 1913
Wände auf einem attischen Basenprofil ruhten. Noch nicht endgültig geklärt sind der Wandaufbau und die Höhe des Naiskos. Aber einen sicheren Hinweis darauf gibt die antike Nummerierung seiner Wandschichten durch sogenannte Versatzmarken. Sie stammen wahrscheinlich von einem Aufund Abbau des Naiskos im 3. Jh. n. Chr. für eine umfassende Restaurierung. Die Nummerierung der Schichten scheint zu belegen, dass es insgesamt 15 Wandschichten aus weitgehend gleich hohen Quadern gab, also sogenanntes isodomes Mauerwerk, wie es schon Hubert Knackfuß vermutete. Folglich könnte die Wand- und damit auch die Säulenhöhe am hellenistischen Naiskos etwa 7,66 m betragen haben, wie der Autor bei seinen Forschungen zu den Versatzmarken feststellte. Die Antenkapitelle der Vorder- und der Rückseite des Naiskos waren reich verziert, u. a. mit feingliedrigen Akanthusranken auf den Langseiten. Besonders erwähnenswert ist der schmale Fries über dem Architrav und die Sima über dem Geison. Der Fries ist mit aufeinander folgenden Lotosblüten und Palmetten verziert, die auch die beiden Giebelsimen schmückten (Abb. 103). Die Traufsimen der Langseiten hatte man mit Akanthusranken versehen, zwischen denen Löwenköpfe als Wasserspeier hervorragten. Die Decke des Pronaos bestand aus marmornen Kassetten, während die Decke der Cella aus Holz gefertigt war. Das Dach des Naiskos hatte man komplett mit marmornen Dachziegeln gedeckt, deren Deckziegelbahnen über der Traufsima in Stirnziegeln endeten, die jeweils eine Palmette zierte.
Abb. 103: Bauglieder des hellenistischen Naiskos: Vorderseite eines Antenkapitells (oben), Friesblock (unten). 225
Apollonheiligtum von Didyma
Obwohl nur sein Fundament in situ erhalten ist, stellt der hellenistische Naiskos von Didyma eines der Bauwerke dar, die für die Erforschung der frühhellenistischen Architektur außerordentlich bedeutend sind. In jedem Handbuch über griechische Architektur ist er zu finden, weil zum einen von seinen Bauteilen große Mengen überkamen und weil er zum anderen „außerstilistisch“ datiert werden kann. Das trifft nur für wenige Bauten zu und bedeutet, dass das Datum ihrer Errichtung durch historische Quellen gesichert ist und nicht allein durch stilistische Vergleiche. Pausanias berichtet in seiner „Beschreibung Griechenlands“ an zwei Stellen, dass der hellenistische König Seleukos I. (305–281 v. Chr.) den Bronze-Apollon des Kanachos von Ekbatana (heute Iran) nach Didyma zurückschickte (Pausanias 1,16,3; 8,46,3; siehe Abb. 24). Dies wird frühestens im Jahr 300 v. Chr. der Fall gewesen sein, ab diesem Jahr hatte Seleukos I. durch seine Bündnispolitik Zugriff auf die kleinasiatische Westküste mit Milet und Didyma. Im Heiligtum des Apollon Delphinios in Milet trat bei Wiegands Ausgrabungen eine mächtige Statuenbasis zutage, die eine Bronzestatue von Seleukos I. trug und ihm von den Milesiern errichtet worden war. Sie könnte der Dank für die Rückgabe der von den Persern geraubten Apollonstatue nach Didyma gewesen sein, die wohl in den Jahren 300/299 v. Chr. erfolgte. Zu diesem Zeitpunkt hatte man auch den Naiskos im Innenhof des Apollontempels von Didyma fertiggestellt. Für Theodor Wiegand war die Gestaltung des Innenhofes des hellenistischen Apollontempels damit geklärt: Im Westen befand sich der Naiskos mit dem Kultbild und im Nordosten die Heilige Quelle mit architektonischer Fassung; dazwischen wuchs der heilige Lorbeerbaum, von dem er aber keine Reste mehr fand. Diese Auffassung wurde 1962 durch die Forschungen Heinrich Drerups im Sekos bestätigt. Dabei ergab sich, dass die Heilige Quelle in der Frühzeit im Bereich des Naiskos lag, aber in hellenistisch-römischer Zeit dort keine Wasser führenden Schichten mehr existierten. Dazu passt, dass die beiden byzantinischen Brunnen innerhalb des Naiskosfundaments wohl nie Wasser führten, wie Wiegand und Knackfuß feststellten. Mit Lothar Haselbergers Entdeckung der Ritzzeichnungen an den inneren Sekoswänden änderten sich nach 1979 die Datierung und der Zweck des hellenistischen Naiskos. An der Westwand des Sekos meinte Haselberger, den Entwurf des Giebels des Naiskos gefunden zu haben. Da diese Wand aber nicht vor 250 v. Chr. aufrecht stand, konnte auch der Naiskos nicht früher entstanden sein. Weiterhin schlussfolgerte man, dass deshalb der Kanachos-Apollon nicht im Naiskos gestanden haben konnte, da er ja bereits 50 Jahre vorher zurückgeschickt worden sei. Schließlich funktionierte Klaus Tuchelt den Naiskos zum Brunnenhaus für die Orakelquelle um, weil der Bau irgendeinen Zweck haben musste. Auslöser für diese Überlegungen war die Ritzzeichnung mit dem vermeintlichen Entwurf des Naiskos. In Details stimmt diese Zeichnung tatsächlich mit dem kleinen Tempel überein, jedoch ist sie über 2 m breiter. Dieses Problem konnte man nie lösen. Außerdem wurde kein passender Standort für den Kanachos-Apollon gefunden, der nun nicht mehr als Kultstatue, sondern als einfaches Weihgeschenk interpretiert wurde. Obendrein widmete man seitdem der Heiligen Quelle im Nordosten des Sekos überhaupt keine Aufmerksamkeit mehr. 226
Die Jahre 1912 und 1913
Das ganze Dilemma konnte erst in den letzten Jahren aufgelöst werden. Wie zu Wiegands Zeiten kann der Naiskos als Kultbildschrein angesprochen werden, der 300/299 v. Chr. fertiggestellt war. Die Heilige Quelle befand sich in hellenistisch-römischer Zeit nicht im Naiskos, sondern im Nordosten des Sekos, dort wo noch um 1300 eine Kapelle über ihr errichtet wurde. Denn dem Autor gelang es, Bauteile zu identifizieren, die von einem zweiten Naiskos stammen und ebenfalls zu der Ritzzeichnung im Sekos passen. Des Weiteren konnte er feststellen, dass die Maße der Zeichnung mit einem neu gefundenen Fundament bei der heutigen Moschee von Didyma/Jeronda übereinstimmen. Folglich ergibt sich, dass der Artemistempel im 2. Jh. v. Chr. anhand des Naiskos im Apollontempel entworfen wurde, und zwar an der Westwand in dessen Innenhof. Der „Apollon-Naiskos“ bildete also das Vorbild für den Artemistempel, der nördlich des Apollontempels bei der ehemaligen Kirche des heiligen Charalambos (heute Moschee) errichtet worden war (siehe das Kapitel zu Bumke). Innerhalb des Naiskosfundaments kamen die Überreste zweier Vorgängerbauten des hellenistischen Naiskos zum Vorschein. Bis zu den Forschungen Andreas E. Furtwänglers im Jahr 2005 glaubte man jedoch, sie einem einzigen archaischen Naiskos zuordnen zu können. Von diesem hat sich aber nur ein Teil seiner westlichen Rückwand erhalten, genauer gesagt die innere Schale von dessen zweischaliger Mauer. Da diese an beiden Enden gekürzt wurde, sind keine Aussagen über die Breite (und über die Länge) dieses archaischen Baues möglich, der im 6. Jh. v. Chr. errichtet worden war (siehe Abb. 101). Später, vermutlich im 5./4. Jh. v. Chr., baute man an der gleichen Stelle einen kleineren Naiskos. Von ihm sind die Reste seiner einschaligen Längswände überkommen, die seine Breite auf ca. 5 m festlegen. Seine Länge bleibt jedoch unbekannt. Dass es ihn überhaupt gab, machen zum einen seine Fundamente wahrscheinlich und zum anderen eine große Anzahl besonderer Dachziegel. Sie wurden von Phil Sapirstein dem sogenannten samischen Typ von Didyma zugeordnet, da sie auf der Insel Samos typisch für die klassische Zeit sind. Weil darüber hinaus kein einziges der unzähligen Fragmente dieses Daches verbrannt ist, kann es nur nach der Perserzerstörung entstanden sein, denn von sämtlichen Dächern Didymas, die zuvor entstanden, gibt es verbrannte Exemplare. Außerdem stammte das samische Dach den Dimensionen seiner Ziegel nach von einem kleinen Gebäude. Vielleicht gehörte es deshalb zum „Übergangsnaiskos“, der im beschädigten archaischen Sekos errichtet worden war, um den Kult für Apollon im 5./4. Jh. v. Chr. weiterführen zu können. Eine weitere Frage betrifft die Nutzung des archaischen und des klassischen Naiskos. Laut Heinrich Drerup befand sich die Heilige Quelle ursprünglich im Bereich der drei Naiskoi. Dort vertrocknete sie wahrscheinlich schon im 7. Jh. v. Chr. „Verlegte“ man sie damals schon dorthin, wo in frühbyzantinischen Zeit der Treppenschacht von der Kirche hinunter zu ihr erneuert wurde? Das wäre möglich, konnte aber bis heute mangels Ausgrabungen an dieser Stelle nicht bestätigt werden. Hinzu kommt, dass die Orakelquelle nach der Verwüstung des Heiligtums durch die Perser versiegte (am Anfang des 5. Jhs. v. Chr.). Erst am Ende des 4. Jhs. v. Chr. gab sie der 227
Apollonheiligtum von Didyma
historischen Überlieferung nach wieder Wasser von sich und führte das Orakel von Didyma zu einer neuen Blüte (siehe das Kapitel zu Cyriacus von Ancona). Wenn dies stimmte, hätte der Naiskos des 6. Jhs. v. Chr. als Kultbildschrein zuerst den Vorgänger des Kanachos-Apollon aufgenommen und ab dem letzten Viertel des 6. Jhs. v. Chr. die berühmte Bronzestatue selbst. Nachdem die Perser sie geraubt und wohl auch den Naiskos zerstört hatten, errichtete man im Laufe des 5. Jhs. v. Chr. den „Übergangsnaiskos“ und stellte dort einen Ersatz für die entführte Kultstatue auf. Dieser Bau wurde erst am Ende des 4. Jhs. v. Chr. abgetragen, als man den hellenistischen Naiskos an seiner Stelle baute. So viel zur komplizierten Geschichte der drei Naiskoi im Innenhof zweier Apollontempel. Noch basiert manches davon auf Vermutungen, aber so oder so ähnlich wird es gewesen sein, denn die Kultstatue und die Heilige Quelle spielten – neben dem Altar – die wichtigste Rolle im Kult des Apollon von Didyma. Ehe die deutschen Ausgrabungen in Didyma am 16. Dezember 1913 vorerst abgeschlossen wurden, machten Wiegand und Knackfuß noch einen Fund, der jedoch erst nach den beiden Weltkriegen genauer erforscht werden sollte: Auf der Südseite des Apollontempels, nahe der Südwestecke, traten die gut erhaltenen Überreste einer archaischen Halle zutage (siehe das Kapitel zu Drerup, Naumann und Tuchelt). Damit ermöglichten die deutschen Forschungen neben der kompletten Erschließung des hellenistischen Apollontempels auch ein Bild des archaischen Apollontempels und seiner näheren Umgebung (Plan 2). An dessen Nordseite endete die Heilige Straße von Milet. Vor der Ostfront des spätarchaischen Apollontempels hatte man seinen Altar und einen Brunnen errichtet. Die östliche Terrasse war über fünf Treppen erreichbar und auf ihr befand sich eine einschiffige langgestreckte Halle. Ein eben solcher Bau lag südwestlich des Apollontempels.
Die Jahre nach 1913 Weitere Forschungen nach 1913 – Das Erscheinen der Grabungspublikation – Der 1. Weltkrieg und seine Folgen – Schwieriger Wiederbeginn 1924 – Ein neuer Brunnen im Sekos – Maßnahmen zur Erhaltung der Tempelruine – „Didyma“ im Pergamonmuseum von Berlin – „Didyma“ und Hitlers Neue Reichskanzlei Theodor Wiegand und Hubert Knackfuß hatten es geschafft, die riesige Ruine des Apollontempels zwischen April 1906 und Dezember 1913 freilegen zu lassen. Daran wirkten hunderte einheimischer griechischer und türkischer Männer mit, nicht zu vergessen ihre Frauen und Mütter, die sie dabei mit allem Notwendigen versorgten. Der Zustand von Ende 1913 entspricht weitgehend dem Bild, welches sich dem heutigen Besucher darbietet, wenn er den Apollontempel und das Gelände 228
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innerhalb der unter Wiegand und Knackfuß erbauten Begrenzungsmauer besichtigt. Die Beschaffenheit des Ausgrabungsgeländes hat somit bereits selbst historischen Wert. Eine große Aufgabe mussten Wiegand und Knackfuß aber noch bewältigen, nämlich die Vorbereitung der Grabungsergebnisse zur Publikation. Dazu waren zwei weitere Grabungskampagnen in Didyma nötig, die allerdings erst nach dem 1. Weltkrieg durchgeführt werden konnten. Die erste Kampagne fand vom 11. Mai bis zum 30. November 1924 statt und die zweite vom 9. Mai bis zum 23. Dezember 1925. Dabei wurden u. a. im Innenhof des Apollontempels die letzten Reste der Basilika abgetragen und dort Ausgrabungen durchgeführt. Schließlich erfolgten im März und April 1930 einige „Ergänzungsgrabungen“ und zuletzt 1938 noch ein paar Vermessungen sowie zeichnerische und fotografische Aufnahmen (Abb. 104).
Abb. 104: Rekonstruiertes Schaubild der Ostseite des hellenistischen Apollontempels. Die Drucklegung des dreibändigen Werkes erfolgte im Januar 1940 durch Carl Weickert, dem Direktor der Antikenabteilung der Staatlichen Museen zu Berlin. Als Herausgeber setzte man Theodor Wiegand posthum ein, der 1936 gestorben war und das Erscheinen des Buches 1941 nicht mehr miterlebte. Das dreibändige Werk mit dem Titel „Didyma, erster Teil. Die Baubeschreibung in drei Bänden“ schrieb hauptsächlich Hubert Knackfuß. Es ist in einen Text-, einen Foto- und einen Zeichnungsband aufgeteilt. Der Architekt und Bauforscher, Hubert Knackfuß, der sich in Didyma große Verdienste erworben hatte, starb am 30. April 1948 in München. Der 1. Weltkrieg und seine Folgen veränderten das Osmanische Reich grundlegend. Besonders betroffen war das westliche Kleinasien, welches durch einen Bevölkerungsaustausch in manchen Gegenden einen beinahe kompletten Zusammenbruch erlebte. Das Osmanische Reich hatte sich in diesem Krieg mit dem Deutschen Reich, mit Österreich-Ungarn und mit Bulgarien verbündet. Dies 229
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lag vor allem daran, dass England, Frankreich, Italien und Russland seit einigen Jahren danach strebten, sich Gebiete des Osmanischen Reiches einzuverleiben und seine Souveränität zu beschneiden. Auch an Didyma ging der 1. Weltkrieg nicht spurlos vorüber. Im Sommer 1916 hatte die englische Luftwaffe die falsche Information bekommen, dass sich im deutschen Grabungshaus ein Waffenlager befände und dort außerdem Kriegsmaterial hergestellt werde. Daraufhin bombardierten die Engländer das Gebäude von einem Flugzeug aus. Die Schäden waren nicht groß und konnten repariert werden. Dennoch hatte man anschließend die wichtigsten Funde, Unterlagen und Fotoplatten in ein Haus des Dorfes Jeronda umgelagert. Anfang September 1916 kehrte Theodor Wiegand zurück nach Konstantinopel, diesmal nicht als Archäologe, sondern als Hauptmann der Landwehr. Er sollte eine Spezialtruppe mit hochwertigem Material nach „Südpalästina“ führen. Interessanterweise waren Wiegand als Adjutant der Architekt Karl Wulzinger zugeteilt und als Dolmetscher der Professor für Archäologie Carl Watzinger, der später eine Biographie über Theodor Wiegand verfasste. Wiegands Truppen sollten an einem Feldzug teilnehmen, bei dem das Osmanische Reich den Suezkanal von den Engländern zurückerobern wollte. Letztlich wurde daraus aber nichts und es ging nur darum, den Vormarsch des Feindes nach Palästina zu verlangsamen. Theodor Wiegand lernte auf seiner Reise durch den Orient seine Pracht kennen – und seine antiken Ruinen –, aber auch das durch jahrelange Misswirtschaft und schließlich den Krieg verursachte Leid. Eine für die Erforschung Didymas günstige Gelegenheit bot sich am Ende des 1. Weltkrieges: Am 25. Mai 1918 überflog Oberleutnant Kertscher den Ausgrabungsort und machte um 8.40 Uhr Luftaufnahmen davon. Kertscher gehörte der deutschen Fliegertruppe in Smyrna an und dank ihm ist der Zustand des Ortes Jeronda mit dem Apollontempel in hoher Auflösung heute noch gut nachvollziehbar (Abb. 105). Kurz vor Kriegsende suchte Hubert Knackfuß Didyma auf. Er räumte sämtliche Inschriften und Architekturfragmente, die im Grabungshaus geblieben waren, in den Garten desselbigen um. Auf diese Weise wurden sie später beim Brand 1921 nicht zerstört. Nach dem Ende des 1. Weltkrieges am 30. Oktober 1918 besetzten die Siegermächte Teile des Osmanischen Reiches. Die Italiener nahmen u. a. Südwestkleinasien bis zum Fluss Mäander in Beschlag. Milet und Didyma wurden im November 1918 also italienisch. Die Besatzer zogen in Jeronda ein und ihre Offiziere okkupierten das deutsche Grabungshaus. Durch ihre Sorglosigkeit brannte es eines Tages vollkommen aus. Was war passiert? Die Italiener hatten einen Generator mit Benzinmotor unter der hölzernen Veranda aufgestellt, der Strom lieferte für ihren drahtlosen Telegraphen. Während eines Sturms am 26. September 1921 fing der Motor Feuer, dieses griff auf das Grabungshaus über, welches daraufhin abbrannte (Abb. 106). Glücklicherweise waren nach dem englischen Fliegerangriff 1916 die schriftlichen und fotografischen Dokumentationen sowie die Funde in ein Haus ins Dorf Jeronda ausgelagert worden. Doch hier vernichtete den größten Teil davon ein Brand während des „Bevölkerungsaustausches“ 1922. Lediglich die von Knackfuß 1918 im Garten des Grabungshauses abgelegten Inschriften und Architekturfragmente blieben erhalten. 230
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Abb. 105: Luftbild vom 25. Mai 1918 (Norden ist rechts).
Abb. 106: Die Ruine des deutschen Grabungshauses, welches am 26. September 1921 abgebrannt war. Das Jahr 1922 wurde zum Schicksalsjahr der Einwohner von Jeronda und Westkleinasien. Auch Griechenland hatte nach dem 1. Weltkrieg auf der Seite der Gewinner gestanden und im Mai 1919 u. a. Smyrna (Izmir) an der türkischen Westküste besetzt. Griechenland versuchte in der Folge 231
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ganz Westkleinasien mit Istanbul zu erobern, dies ließen die anderen Alliierten zu – vor allem die Briten – oder ermunterten die Griechen sogar noch dazu. Bei der türkischen Bevölkerung hatte sich gegen die Besatzer und die ihnen ergebene türkische Regierung unter Sultan Mehmed VI. Widerstand geregt. Eine führende Rolle spielte dabei Mustafa Kemal Pascha, der später „Atatürk“ genannt wurde. Er installierte in Ankara eine Gegenregierung zu der des Sultans in Istanbul. Die Alliierten entmachteten 1920 praktisch den Sultan, konnten sich aber gegen Ankara und Mustafa Kemal nicht durchsetzen. Im August 1920 wurde zwischen dem Osmanischen Reich und den Siegermächten der Vertrag von Sèvres geschlossen, der – ähnlich dem Vertrag von Versailles dem Deutschen Reich – dem Osmanischen Reich einen Großteil seines Gebietes entzog. Aber im Gegensatz zum Versailler Vertrag konnte der Vertrag von Sèvres nicht durchgesetzt werden, weil ihn die Türken unter Mustafa Kemal Pascha nicht akzeptierten. Die Griechen drangen unter Duldung Englands derweil nach Osten vor und wollten Ankara erobern. Doch im August 1921 endete ihr Vormarsch 70 Kilometer vor Ankara und am 30. August 1922 wurden sie von den Türken endgültig geschlagen (heute Nationalfeiertag in der Türkei). Die Türkei erklärte sich am 29. Oktober 1923 zur Republik mit der Hauptstadt Ankara, und Mustafa Kemal Pascha war ihr erster Staatspräsident. Die Auseinandersetzungen zwischen Griechen und Türken waren für ihr Verhalten nicht folgenlos, obwohl sie z. B. in Didyma/Jeronda friedlich zusammengelebt hatten. Es kam zu schlimmen Verfehlungen auf beiden Seiten. Da die Türken siegreich waren, flohen tausende Griechen ab September 1922 von der Türkei nach Griechenland oder wurden vertrieben. Schließlich vereinbarte man 1923 im Vertrag von Lausanne u. a. einen Bevölkerungsaustausch, der aber zum Teil schon vorher stattgefunden hatte. Danach mussten alle Einwohner griechisch-orthodoxen Glaubens von der Türkei nach Griechenland auswandern und alle muslimischen Glaubens von Griechenland in die Türkei übersiedeln; ausgenommen waren die orthodoxen Griechen aus Istanbul und die muslimischen Türken in Westthrakien. Auf diese Weise wurden etwa zwei Millionen Menschen „ausgetauscht“. Diese Ereignisse im und nach dem 1. Weltkrieg sind sehr verkürzt dargestellt. Sie sind jedoch nötig, um besser verstehen zu können, was in dieser Zeit in Didyma/Jeronda und der nahen Umgebung geschah. Theodor Wiegand kehrte 1924 noch einmal dorthin zurück. Eher war es nicht möglich, weil Deutschland erst nach dem Vertrag von Lausanne einen Freundschaftsvertrag mit der Türkei hatte abschließen können, der die Weiterarbeit in Didyma erlaubte. Bereits im Juli 1923 schickte das Deutsche Archäologische Institut den Schweizer Archäologen Paul Schazmann nach Didyma und Milet, um sich über die Kriegsschäden informieren zu lassen. Die Ausgrabungen waren unbeschadet geblieben, aber nicht die Grabungshäuser (siehe oben). Als Theodor Wiegand im Herbst 1924 nach Didyma und Milet kam, bot sich ihm ein trauriger Anblick dar. Die ehemals griechischen Dörfer Akköy und Jeronda waren seit September 1922 232
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menschenleer, Akköy und Jeronda hatten 1914 jeweils etwa 1500 Einwohnern gezählt. Auch Turko-Jeronda mit seinen einst 150 türkischen Bewohnern war entvölkert. Lediglich das türkische Dorf Balat bei Milet mit etwa 800 bis 1000 Einwohnern bestand noch, weil die Griechen auf ihrem Zug nach Ankara den Mäander nach Süden nicht überschritten hatten. Die Häuser standen leer oder waren verbrannt, nachdem im Sommer 1923 ein schlimmer Brand der Macchia die Gegend verheert hatte. Das Mobiliar der griechischen Häuser lag teilweise noch auf den Straßen, da es nicht mitgenommen werden konnte. Die Kirchen und Friedhöfe lagen verwüstet danieder. Wie Wiegand schreibt, waren die Griechen bettelarm gegangen, aber die neuen Bewohner sind noch ärmer, das heißt die „Mohammedaner“, die 1924 angekommen waren. Nach Jeronda kamen etwa 300 thrakisch-mazedonische Einwanderer. Sie brachten viele Krankheiten mit und es gab keine Ärzte oder auch Handwerker. So starben in den ersten drei Monaten nach ihrer Ankunft 60 von ihnen. Eine Normalisierung der Verhältnisse dauerte lang, obwohl die neue türkische Regierung das Möglichste tat und Saatgetreide sowie Bauholz zur Verfügung stellte, wie Wiegand schreibt. Das Leiden der örtlichen Bevölkerung und überhaupt die Erkenntnis über die schlimmen Folgen des 1. Weltkrieges ließen den Verlust des Grabungshauses von Didyma für Wiegand nicht ganz so schlimm erscheinen. Vieles war zwar verloren, aber die meisten der Zeichnungen und Fotografien ließen sich noch einmal anfertigen. Bereits im Mai 1924 hatte Theodor Wiegand begonnen, den Wiederaufbau des Grabungshauses in die Wege zu leiten. Gelder wurden beantragt und im August 1925 ein Kostenvoranschlag erstellt, laut dem das Haus „in vereinfachter Form“ etwa 9000 Mark kosten würde. Für das abgebrannte Haus hatte Wiegand einen Schaden von 30000 Mark geltend gemacht. Die ausbleibende Finanzierung bildete offensichtlich den Grund für den nicht erfolgten Wiederaufbau des Grabungshauses von Didyma. In den Jahren 1924 und 1925 wohnten und arbeiteten die deutschen Forscher im Haus des ehemaligen griechischen Bürgermeisters von Jeronda, dessen Haus noch einigermaßen gut erhalten war. Auch manches andere war neu, denn wie Wiegand schreibt, „ist jetzt freitags Feier- und Ruhetag“ anstelle des Sonntags bei den Griechen im Osmanischen Reich. Im Herbst 1924 war der Architekt Hubert Knackfuß damit beschäftigt, Zeichnungen von Bauteilen und der Ruine des Apollontempels selbst zu erstellen. Theodor Wiegand kopierte Inschriften. Störungen und Probleme gab es auch. Im Grabungstagebuch ist zu lesen, dass am 27. September 1924 der Steuereinnehmer zu Wiegand kam. Er wollte die Steuern für die Grabungshäuser in Priene, Akköy (Milet) und Jeronda kassieren. Doch in Akköy und Jeronda waren diese Häuser schon seit drei Jahren zerstört. So stellte Wiegand einen Antrag auf Erlass der Steuern. Überdies ließ die Genehmigung zur Ausgrabung im Sekos des Apollontempels lange auf sich warten und erreichte Wiegand erst am 12. November per Telegraph aus Ankara. Inzwischen waren die deutschen Archäologen damit beschäftigt, das Haus des Bozjürüki in Jeronda aufzuräumen, welches 1916 angemietet worden und 1922 abgebrannt war. Die Fotoplatten 233
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und schriftlichen Unterlagen waren alle zerstört sowie die meisten Kleinfunde. Lediglich einige Skulpturenfragmente hatten „überlebt“. Neben Theodor Wiegand und Hubert Knackfuß waren die Architekten Hans Hörmann und Manfred Bühlmann mit in Didyma. Letzterer konnte jedoch nur wenig arbeiten, da er immer wieder von Malaria-Anfällen heimgesucht wurde. Wiegand dokumentierte seine Fieberschübe. Am 21. Oktober hatte Bühlmann mittags 39,4 Grad Körpertemperatur und abends 40,6 Grad. Am nächsten Tag klang der Schub ab und mittags wurden 38,6 Grad sowie abends 36,8 Grad gemessen. Die Besserung hielt jedoch nicht lange an und Wiegand berichtet am 26. November 1924, dass Bühlmanns Zustand „sehr schlimm“ sei. Bevor die Grabungserlaubnis Anfang November eintraf, machte Wiegand einen Abstecher zum Poseidon-Altar am Kap Monodendri nur wenig südwestlich von Didyma (siehe das Kapitel zu Chishull). Dort fand er die Altarreste noch intakt vor, aber der Baum, nach dem man das Kap benannt hatte, war abgebrannt. Wiegand schreibt melancholisch: „Die Stimmung des Ortes ist zerstört“. Schließlich konnten am 15. November die Arbeiten im Sekos des Apollontempels beginnen. Wie bereits erwähnt, wurden die Reste der byzantinischen Basilika endgültig abgetragen. Dabei kamen u. a. weitere Bauteile des hellenistischen Naiskos zum Vorschein. Darunter traf man fundleere Erde bzw. Sand an. Am 30. November stellte man die Arbeiten ein. Theodor Wiegand reiste am 1. Dezember nach Söke ab und von dort aus weiter nach Smyrna und Konstantinopel. Dort bestieg er am 11. Dezember 1924 den Orientexpress und kam drei Tage später in Berlin an. Dies war seine letzte Kampagne in Didyma, denn an der des folgenden Jahres nahm er nicht mehr teil. Am 9. Mai 1925 begannen in Didyma die Arbeiten wieder. Diesmal wurden sie von dem Klassischen Archäologen Martin Schede begonnen, der bereits von 1910 bis 1913 in Didyma mitgearbeitet hatte. Er reiste jedoch am 7. Juni nach Konstantinopel ab und übergab die Grabungsleitung an den Architekten Hans Hörmann. Dieser führte die Ausgrabungen im Sekos des Apollontempels fort. Dort traf er auf einen bis dahin unbekannten Brunnen, der sich unmittelbar östlich des hellenistischen Naiskosfundaments befindet und heute noch existiert (siehe Abb. 93). Dieser Brunnen ist über 8 m tief und wurde in spätbyzantinischer Zeit gleichzeitig mit der kleinen Kapelle errichtet, als der Zugang zur ehemaligen Heiligen Quelle schon verschüttet war. Wenngleich der neu entdeckte Brunnen eine große Tiefe aufweist, ist nicht sicher, ob er jemals Wasser führte. Erstaunlicherweise stand 1924 weiter östlich im Brunnen der Heiligen Quelle das Wasser 4 m unter dem Oberflächenniveau an. Aber 1925 ließ Hörmann das kleine Treppenhaus hinunter zur Heiligen Quelle abtragen. Außerdem musste er den Brunnenschacht darüber auf Anweisung des türkischen Regierungsvertreters zuschütten lassen. Hans Hörmann berichtet, dass die einheimischen Bauern nicht einverstanden waren, dass der Brunnen mit der ehemals Heiligen Quelle verschlossen wurde. Offensichtlich gruben sie ihn später wieder aus, denn in den 50er-Jahren des 20. Jhs. verfüllte man ihn schließlich endgültig (siehe den Abschnitt zum Jahr 1909 sowie das Kapitel zu Wheler und Spon). Heute liegt an der Stelle des Schachtes zur Heiligen Quelle nur ein Marmorblock mit dem Brunnen234
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mundloch. Im Sommer 2019 führte man dort Ausgrabungen durch. Da aber nicht tiefer als etwa 1,50 m gegraben wurde, stieß man nicht auf den antiken Brunnenschacht der Heiligen Quelle. Hans Hörmann war außerdem für einige Erhaltungsarbeiten im und am Apollontempel verantwortlich, die heute noch bestehen. So untermauerte er Pilasterkapitelle im Innenhof, die sich dort entlang der Nord- und Südseite befinden. Außerdem ließ Hörmann Stützpfeiler unter dem ionischen Kapitell vor der Nordostecke des Apollontempels errichten, durch welches heute noch die Höhe der Verschüttung nachvollziehbar ist, auf der dieses Kapitell gefunden wurde. Am berühmtesten sind vielleicht Hörmanns Pfeiler auf der Westseite des Apollontempels, die dort die riesigen Säulentrommeln einer umgestürzten Säule abstützen (Abb. 107).
Abb. 107: Säulentrommeln einer bei einem Erdbeben umgestürzten Säule (Westseite des hellenistischen Apollontempels). Diese Arbeiten wurden im Dezember 1925 durchgeführt und am 23. Dezember endete die letzte größere Grabungskampagne in Didyma vor dem 2. Weltkrieg. Für Theodor Wiegand war damit das Kapitel „Didyma“ erst einmal abgeschlossen. Weitere Ausgrabungen plante er hier nicht. U. a. war es noch nötig, die Ergebnisse zu publizieren, was zum großen Teil Hubert Knackfuß übernahm (siehe oben). Ein offener Punkt betraf Funde, die aus Didyma in die Berliner Museen gebracht werden sollten. Neben Kleinfunden war man dort auch an Architekturteilen interessiert. Den Bauforscher Richard Borrmann hatte man an den Planungen für die Aufstellung der antiken Architektur im Pergamonmuseum beteiligt. In einem Brief vom 26. Juni 1925 schreibt er u. a. an Theodor Wiegand: „ … sollte es noch möglich sein, die Baustücke des reizenden Naiskos im großen Apollontempel zu Didyma für das Museum zu erwerben und dort zur Aufstellung zu bringen, so 235
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würde Berlin für die Kunst des hellenistischen Zeitalters ebensoviel bedeuten als London für das klassische Zeitalter.“
Schließlich gelang es, Werkstücke des „reizenden Naiskos“ nach Berlin zu holen. Obwohl in Deutschland nach dem 1. Weltkrieg schwierige politische und wirtschaftliche Verhältnisse herrschten, konnte am 2. Oktober 1930 das Pergamonmuseum feierlich eröffnet werden, für dessen Umsetzung Theodor Wiegand jahrzehntelang gekämpft hatte (siehe den Abschnitt zum Jahr 1910). In einem nach dem 2. Weltkrieg nicht mehr zugänglichem Raum hatte man viele Bauteile aus Didyma ausgestellt, sodass man fast von einem „Didyma-Saal“ sprechen konnte (Saal I für frühgriechische Baukunst). Darunter befanden sich Werkstücke des hellenistischen Naiskos aus dem Apollontempel von Didyma; Exemplare fast jedes Baugliedes waren vertreten. Obendrein hatte man den Architravblock mit einer Gorgo vom archaischen Apollontempel ausgestellt, ein Pilasterkapitell (oder Antenkapitell) und ein ionisches Säulenkapitell desselbigen Tempels (siehe das Kapitel zu Haussoullier und Pontremoli) sowie zwei kleine archaische Antenkapitelle (Abb. 108). Nach der Grundsanierung des Pergamonmuseums, die zurzeit läuft, soll der genannte Saal I wieder als Ausstellungsraum genutzt werden. Laut Aussagen der Museumsleitung werden dort auch Bauteile des hellenistischen Naiskos von Didyma zu sehen sein.
Abb. 108: Berlin, Pergamonmuseum. Saal I für frühgriechische Baukunst (von 1930 bis 1939 geöffnet). Archaisches Pilasterkapitel aus Didyma (hinten Mitte) und eine Architekturprobe des Poseidonaltars vom Kap Monodendri (hinten rechts). Davor sind Bauteile aus Olympia zu sehen. 236
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Am 1. April 1931 trat Wiegand den Ruhestand an, der jedoch nicht lange währte, denn am 1. Oktober 1932 übernahm er das Präsidentenamt des Archäologischen Instituts des Deutschen Reiches (heute Deutsches Archäologisches Institut). Aus dieser Zeit liegt ein interessantes Dokument vom 1. März 1934 vor, welches Änderungen bei der Leitung der Forschungseinrichtung zum Inhalt hatte und von Theodor Wiegand verfasst wurde: „ … Das Führerprinzip gehört zu den staatlich-weltanschaulichen Grundsätzen des Dritten Reiches. Das Archäologische Institut des Deutschen Reiches betrachtet es deshalb als seine Pflicht, sich diesem Grundsatz anzupassen. Als Führer des Archäologischen Instituts des Deutschen Reiches hat danach der Präsident zu gelten. Er ist für die Führung der Geschäfte des Instituts in seiner Gesamtheit allein verantwortlich und besitzt volle Autorität bei den nachgeordneten Dienststellen. …“
Bis dahin war der Präsident an die Beschlüsse der Zentraldirektion und ihrer Mitglieder gebunden gewesen. Nun nicht mehr. Jedoch machte Wiegand am Ende des Schreibens darauf aufmerksam, dass er nach wie vor großen Wert auf „den erfahrenen Rat der Mitglieder der Zentraldirektion“ lege. Zudem verwahrte sich Wiegand bei wissenschaftlichen Angelegenheiten vor der Einmischung politischer Institutionen. So erschien 1936 unter Theodor Wiegand als Herausgeber das Buch „Das südliche Ionien“, Band 3,5 der Grabungspublikation von Milet. Es beinhaltet eine Karte von Karl Lyncker und die Beschreibung dazu von Alfred Philippson. Philippson war Jude und ein renommierter Geograph, und dennoch konnte das Buch erscheinen. Schließlich hatte Theodor Wiegand das Amt des Präsidenten des Deutschen Archäologischen Instituts des Deutschen Reiches noch bis zu seinem Tod am 19. Dezember 1936 inne. Somit erlebte Theodor Wiegand nicht mehr die Einweihung der Neuen Reichskanzlei in Berlin am 9. Januar 1939. Für den Bau des Amtssitzes von Adolf Hitler war der Architekt Albert Speer verantwortlich. Erste Planskizzen hatte er dem Führer bereits 1936 vorgelegt. Die eigentlichen Bauarbeiten begannen im März 1938. In kurzer Zeit errichtete man den 421 m langen Gebäudekomplex entlang der Voßstraße, für dessen Entwurf der hellenistische Apollontempel von Didyma eine wichtige Grundlage darstellte. Diese Erkenntnis wird dem Archäologen Andreas Grüner verdankt, der die Parallelen zwischen beiden Bauten aufdeckte. Was Hitler mit dem Bau der Neuen Reichskanzlei bezweckte, wird in folgendem Ausspruch von ihm deutlich: „Ich muss in nächster Zeit wichtigste Besprechungen abhalten. Dazu brauche ich große Hallen und Säle, mit denen ich besonders kleineren Potentaten imponieren kann.“ An diese Vorgabe hielt sich Albert Speer. Um bis in den Empfangssaal der Neuen Reichskanzlei zu gelangen, mussten die Besucher eine Wegstrecke von 300 m zurücklegen. Durch eine Art Propylon im Osten kam man in den sogenannten Ehrenhof. Von dort führte eine Freitreppe in 237
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die Vorhalle, die den Weg zum Mosaiksaal freigab. Anschließend gelangte man in den runden Saal, von dem aus die 146 m lange Marmorgalerie erreicht wurde. Von ihrem westlichen Ende aus konnte man schließlich den großen Empfangssaal betreten. Nach Passieren des schlichten Eingangs an der Wilhelmstraße stand man im Ehrenhof, der 68 m lang und 26 breit war. Dieser Hof ist ganz bewusst dem Sekos des hellenistischen Apollontempels von Didyma nachempfunden, der rund 54 m lang und 22 m breit ist. Vor allem die Westwand des Ehrenhofes gleicht der Ostwand des Sekos. Über einer großen Freitreppe mit Treppenwangen erheben sich jeweils vier Stützen mit drei Durchgängen: in Didyma zwei korinthische Halbsäulen zwischen zwei Pilastern mit drei Türen und in Berlin vier vereinfachte dorische Säulen mit einer Tür und zwei großen seitlichen Fenstern (Abb. 109 und 110 sowie Abb. 39).
Abb. 109: (oben): Rekonstruktionszeichnung der Ostwand des Sekos im hellenistischen Apollontempel. Abb. 110: (unten): Neue Reichskanzlei. Westseite des Ehrenhofes, die u. a. die Freitreppe im Sekos mit den drei Portalen zum Zweisäulensaal des hellenistischen Apollontempels zum Vorbild hatte. Die Treppenwangen mit den zwei Bronzestatuen sind vermutlich denen der Ostfront des Apollontempels nachempfunden. 238
Die Jahre nach 1913
Ein bisher unbeachtetes Detail sind die zwei Bronzestatuen nackter Jünglinge von Arno Breker, die auf den Treppenwangen der Freitreppe standen. Die linke stellte einen Fackelträger mit der Bezeichnung „Die Partei“ dar und die rechte einen Schwertträger mit der Bezeichnung „Die Wehrmacht“. In Didyma gab es zwei ähnliche Statuen, die jeweils eine Fackel hielten. Sie hatte man vermutlich auf den Treppenwangen der Freitreppe vor der Ostfront des Apollontempels aufgestellt. Die wichtigste Darstellung der beiden Fackelträger von Didyma befindet sich im Pergamonmuseum von Berlin, denn sie sind zusammen mit der Kultstatue des Apollon auf einem kaiserzeitlichen Relief abgebildet, welches am Theater von Milet verbaut war (siehe den Abschnitt zum Jahr 1907 mit Abb. 86). Albert Speer und Arno Breker werden dieses Relief vermutlich gekannt haben. Die beiden Fackelträger von Didyma halten ihre Fackeln allerdings nach unten im Gegensatz zu dem Fackel- und dem Schwertträger der Neuen Reichskanzlei, die Fackel bzw. Schwert nach oben erhoben. Gottfried Gruben, einer der bedeutendsten deutschen Bauforscher, bezeichnete den Sekos des Apollontempels von Didyma als den „gewaltigsten aller antiken Säle“. In den 30er-Jahren des 20. Jhs. bildete er das Vorbild für den Ehrenhof in Hitlers Reichskanzlei und wurde damit zu einer „Ikone des Nationalsozialismus“, die sich nach dem 2. Weltkrieg „als eines der wichtigsten Symbole des nationalsozialistischen Terrors im Gedächtnis der Nachwelt festsetzte“, wie es Andreas Grüner treffend formulierte. Albert Speer verarbeitete außerdem noch den Zweisäulensaal des Apollontempels von Didyma in seinem Entwurf. In der neuen Reichskanzlei fand dieser Raum seine Nachahmung in der Vorhalle, die den Ehrenhof mit dem Mosaiksaal verband. Diese Vorhalle öffnete sich zum Mosaiksaal mit einer Tür und zum Ehrenhof mit einer Tür sowie zwei seitlichen Fenstern. Der Zweisäulensaal weist nach Osten hin das große Portal zum Zwölfsäulensaal auf und nach Westen hin die drei Türen zum Sekos. Vorhalle und Zweisäulensaal gleichen sich außerdem durch seitliche Türen, die zu Treppenhäusern führen. Deutlich ist auch hier, dass Albert Speer die „Vorgaben“ aus Didyma nicht detailgetreu kopierte. Sondern wie Hans-Ernst Mittig es ausdrückte, war die Antikenrezeption im Nationalsozialismus davon geprägt, „brauchbare Teile zweckorientiert herauszunehmen“. Die klassische Architektur der Griechen und Römer hatte somit für die Bauten des Nationalsozialismus eine wichtige Bedeutung. Albert Speer griff für seinen Entwurf der Neuen Reichskanzlei auf den monumentalen Apollontempel von Didyma und seine für einen griechischen Tempel einmalige Raumaufteilung zurück. Speer war ein Kenner der antiken Architektur, denn er hatte bei dem Bauforscher und Archäologen Daniel Krencker an der Technischen Hochschule Berlin studiert. Hinzu kam, dass Didyma ein archäologisches Prestigeobjekt des Deutschen Kaiserreiches und der Weimarer Republik war. Folglich kannte man den Apollontempel von Didyma in den Bevölkerungskreisen, die sich für die klassische Antike interessierten. Daran änderte auch die Tatsache nichts, dass seine Endpu239
Apollonheiligtum von Didyma
blikation erst 1941 erschien. Vorher hatte es bereits eine Reihe von Vorberichten, Mitteilungen und Vorträgen über Didyma gegeben. Mithin konnte Albert Speer nach Eröffnung der Neuen Reichskanzlei damit rechnen, dass manch einer Elemente des hellenistischen Vorbilds in Didyma wiedererkannte.
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Heinrich Drerup, Rudolf Naumann und Klaus Tuchelt – 1962/64
Heinrich Drerup, Rudolf Naumann und Klaus Tuchelt – 1962/64 Die Kuba-Krise – Das Erdbeben von 1955 – Die Südwesthalle – Die Reste einer zweiten, weiter östlich gelegenen Halle – Asche von der Perserzerstörung – Der älteste „Tempel“ für Apollon, der spätgeometrische Sekos Nach dem 2. Weltkrieg wurden die deutschen Forschungen in Didyma am 8. Oktober 1962 wiederaufgenommen. Sie endeten jedoch bereits am 23. Oktober desselben Jahres, weil die Kuba-Krise zwischen den USA und der Sowjetunion ihrem Höhepunkt zustrebte. Die Türkei war als NATO-Mitglied daran beteiligt, weil die USA auf ihrem Territorium Atomraketen stationiert hatten. Am Ende der Krise, dem 28. Oktober 1962, erklärte sich die Sowjetunion offiziell bereit, ihre Atomsprengköpfe und Raketen von Kuba abzuziehen. Die USA garantierten im Gegenzug die Entfernung ihrer Atomraketen aus der Türkei. Dies sollte allerdings geheim bleiben. Rudolf Naumann, damals Direktor der Abteilung des Deutschen Archäologischen Instituts in Istanbul, hatte die Wiederaufnahme der Ausgrabungen in Didyma beantragt, und sie war von der Generaldirektion der Altertümer und Museen in Ankara genehmigt worden. Unter Wiegand und Knackfuß hatten die Königlich-Preussischen bzw. später die Staatlichen Museen zu Berlin die Trägerschaft der Ausgrabung innegehabt. Die Abteilung des Deutsches Archäologischen Instituts in Istanbul war 1928 gegründet worden. Nach ihrer Schließung im August 1944 wurde sie 1954 wiedereröffnet. Erstaunlich dabei war, dass das Institut nach 10 Jahren der Schließung vollkommen unversehrt von den türkischen Behörden an die deutschen Archäologen übergeben werden konnte. Heute gehört das Deutsche Archäologische Institut zum Auswärtigen Amt der Bundesrepublik Deutschland und die Außenstelle in Istanbul ist seit 1962 für die Ausgrabung von Didyma verantwortlich. Noch Theodor Wiegand hatte geschrieben, dass die Arbeiten in Didyma 1924/25 völlig zu Ende geführt worden wären. Die Ergebnisse der Ausgrabung erschienen 1941 nach seinem Tod in einem dreibändigen Werk. 1958 publizierte Albert Rehm die Inschriften von Didyma in einem Band. Doch Rehm ließ Zweifel an Wiegands Aussage verlauten. Er äußerte sich nämlich wie folgt: „Man sieht, die gesamte Anlage ist durch die Ausgrabung keineswegs geklärt worden.“ Schließlich nahm sich der Bauforscher und Archäologe Rudolf Naumann dieser Aufgabe an. Er kam am 18. Juli 1910 in Fichtenau bei Berlin zur Welt. Wie Albert Speer studierte er Architektur an der Technischen Hochschule Berlin. Von 1954 bis 1960 war Naumann zweiter Direktor der Ab241
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teilung Rom des Deutschen Archäologischen Instituts. Anschließend wurde er 1961 zum ersten Direktor der Abteilung Istanbul ernannt. Dieses Amt hatte er bis 1975 inne. Am 24. April 1996 starb Rudolf Naumann in Affalterbach bei Ludwigsburg. Nach seinem Amtsantritt als Direktor des Deutschen Archäologischen Instituts in Istanbul initiierte Rudolf Naumann die Wiederaufnahme der Ausgrabungen in Didyma. Der Türkei war daran offensichtlich ebenfalls gelegen, denn während der ersten Kampagne besuchte der Generaldirektor der Altertümer und Museen, Rüstem Duyuran, am 20. Oktober 1962 Didyma. Zu Beginn des 20. Jhs. hatte Theodor Wiegand große Schwierigkeiten gehabt, die Häuser bei der Ruine des Apollontempels zu kaufen, denn die Einwohner wollten sie nicht aufgeben. Die Bebauung rund um den Tempel ließ also keine freie Wahl der Ausgrabungsflächen zu. 1962 bestand laut Rudolf Naumann dagegen Hoffnung, dass ganz Yoran oder Eskihisar in absehbarer Zeit umgesiedelt werde. Wie war es dazu gekommen? Am Morgen des 16. Juli 1955 hatte ein Erdbeben der Stärke 6,8 die Region um Söke erschüttert. Das Epizentrum lag rund 15 Kilometer westlich von Milet und Didyma. Es gab zwar nur wenige Tote, aber das türkische Dorf Balat bei Milet wurde beinahe komplett zerstört. Ebenso waren viele Häuser in Didyma/Eskihisar (alte Burg) beschädigt oder zerstört worden. Die türkische Regierung beschloss daraufhin, außerhalb der alten Dörfer neue errichten zu lassen. Balat, welches praktisch auf dem antiken Milet lag, wurde etwas weiter südlich neu errichtet und Alt-Balat komplett aufgegeben. Auch in Didyma/Eskihisar hatte man dies vorgehabt. Denn zwei Kilometer südlich des alten Dorfes wurde ein neues errichtet mit dem Namen Yenihisar (neue Burg). Dazu riss man einige alte Häuser ab, um Baumaterial für die neuen Gebäude zu erhalten. Wie Rudolf Naumann 1962 schreibt, „geht die Aussiedlung aber nur langsam vorwärts, und es ist vorläufig nicht abzusehen, wann der Prozess abgeschlossen sein wird. So können neue Ausgrabungen noch nicht ungehindert und in größerem Ausmaß begonnen werden.“ Dabei ist es bis heute geblieben. Mittlerweile ist die Situation noch schwieriger, weil die alten Häuser unter Denkmalschutz stehen. Dennoch können die deutschen Ausgrabungen seit 1962 interessante und teilweise erstaunliche Ergebnisse vorweisen. Dazu trugen auch Rudolf Naumanns Unternehmungen im Oktober 1962 bei. Sein Ziel war es, die Frühgeschichte des Apollonheiligtums, also die Zeit vor dem 6. Jh. v. Chr., zu erhellen. Dazu erfolgten Sondagen von ihm und Klaus Tuchelt im Südwesten des hellenistischen Apollontempels sowie von Heinrich Drerup und Friedrich Hiller im Sekos dieses Tempels. An der Südwestecke des Apollontempels hatte Otto Ziegenaus 1930 noch schnell eine Baustruktur aus gelbbraunen Porosblöcken vermessen, ohne sie komplett erforschen zu können. Diese Baureste wurden 1962 von Naumann und Tuchelt erneut freigelegt. Dabei ergab sich, dass der rechtwinklige Mauerzug zu einer nach Norden offenen Halle gehörte. Der ursprünglich Pi-förmige Bau erstreckte sich von West nach Ost auf etwa 15,50 m Länge bei einer Breite von 3,42 m. Erhalten sind teilweise die beiden unteren Schichten aus flachen Platten, einige Orthostaten sowie eine 242
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flache Schicht darüber. Über der Fundamentschicht folgten also der Toichobat und darauf die zweischaligen Orthostaten sowie die Deckschicht. Dabei beträgt die Mauerstärke etwa 0,50 m und die erhaltene Gesamthöhe 1,06 m (Abb. 111).
Abb. 111: Blick auf die Reste der archaischen Südwesthalle, deren nordwestliche Ante sich unter dem Krepisfundament des hellenistischen Apollontempels befindet. Rudolf Naumann vermutete, dass das aufgehende Mauerwerk aus Lehmziegeln mit Holzstützen gefertigt war. Ebenso mit Holzpfosten wäre die nach Norden offene Seite abgestützt gewesen. Weiterhin habe das Dach aus Holz und Lehm bestanden. Möglich wäre aus heutiger Sicht auch eine Konstruktion aus behauenen Porosblöcken, Poros säulen als Stützen und ein Pultdach mit tönernen Dachziegeln. Denn gerade im Südwesten des Apollontempels traten schon unter Wiegand viele Fragmente kleinerer Säulen aus gelbbraunem Poros zutage. Des Weiteren sind bei allen Ausgrabungen unzählige Fragmente von Terrakotta-Dachziegeln gefunden worden, die ins 6. Jh. v. Chr. datieren. Eine exakte, auf ein Jahrzehnt genaue Datierung dieser Stoa ist unmöglich. Dennoch meinten Naumann und Tuchelt, sie sei zwischen 610 und 600 v. Chr. gebaut worden. Nachgrabungen im Jahr 2004 ergaben laut Andreas E. Furtwängler eine Bauzeit zwischen 570 und 560 v. Chr. Folglich wird man nicht falsch liegen, wenn man die Errichtung der Südwesthalle an den Anfang des 6. Jhs. v. Chr. datiert (siehe das Kapitel zu Furtwängler). Etwa zur gleichen Zeit wurde die Stoa auf der Terrasse östlich des Apollontempels gebaut. Von ihrem Unterbau fand man ebenfalls zwei Schichten aus Porosplatten und darüber Orthostaten 243
Apollonheiligtum von Didyma
(siehe das Kapitel zu Wiegand und Knackfuß zum Jahr 1906). In der gleichen Bauweise, jedoch aus anderem Gestein, wurde der Rundbau um den Apollonaltar verfertigt. Zu seinem Bau nutzte man bereits den festeren weißgrauen Kalkstein statt des gelbbraunen Poros für die Hallen im Osten und Südwesten. Bereits 1913 wurde etwa 22 m östlich der Südwestecke des Apollontempels ein kurzes Mauerstück aus gelbbraunen Porosplatten entdeckt und als „Weihgeschenkträger“ bezeichnet (Plan 2). Dieser kurze, nur ca. 2 m lang erhaltene Abschnitt aus schmalen Platten befindet sich 2,85 m südlich der untersten Tempelstufe. Überkommen sind drei flache Schichten mit einer Gesamthöhe von 0,56 m, wobei die oberste Schicht lediglich 0,53 m breit ist. 1964 und 2007 fanden an dieser Stelle Nachgrabungen unter Klaus Tuchelt bzw. Andreas E. Furtwängler statt. Sie ergaben, dass es sich um den kurzen Rest des Unterbaues für eine schmale Mauer handelt, die sich weiter nach Westen und Osten erstreckte. Womöglich gehörte der einstige Weihgeschenkträger zu einer weiteren archaischen Halle südlich des Apollontempels. Genau datierbare Funde zu ihrer zeitlichen Einordnung kamen 2007 nicht zum Vorschein (siehe das Kapitel zu Furtwängler). Erwähnenswert ist noch, dass bei den Grabungen 1962 an der Südwesthalle eine etwa 40 cm starke Ascheschicht angetroffen wurde, die aus der Zeit nach der Plünderung und Brandschatzung Didymas durch die Perser 494 v. Chr. (siehe das Kapitel zu Choiseul-Gouffier) zu stammen scheint, denn es fand sich darin keine Keramik, die jünger als etwa 500 v. Chr. wäre. Ansonsten konnte bei den Ausgrabungen Didymas an keiner anderen Stelle ein solcher „Zerstörungshorizont“ gefunden werden. Allerdings trat auf dem Taxiarchis-Hügel im Norden des Heiligtums eine starke Ascheschicht zutage. Dieser Hügel diente offensichtlich nach 494 v. Chr. als „Schutthalde“ bei der Aufräumung des Heiligtums (siehe das Kapitel zu Tuchelt und Schneider). Eine letzte interessante Beobachtung zur Südwesthalle betrifft ihren Höhenunterschied zum hellenistischen Apollontempel. Der westliche Mauerschenkel der Stoa endet genau unter dem Rand des Fundaments für den Stufenbau des Tempels. Die zwei Schichten des Tempelfundaments sind zusammen 1,08 m stark. Hinzu kommen 0,85 m bis zur Oberkante des Fundaments der Südwesthalle. Folglich lag das Laufniveau des Stadions südlich des hellenistischen Apollontempels knapp 2 m höher als das Bodenniveau der Südwesthalle im 6. Jh. v. Chr. Die Aufschüttung darüber mit der schon genannten Ascheschicht enthielt u. a. Poros- und Kalksteinbrocken sowie zahlreiche Dachziegelfragmente aus Terrakotta. Hinzu kommen viele Keramikscherben vom 8. bis zum 6. Jh. v. Chr. sowie andere Kleinfunde aus der gleichen Zeit. Wie bereits bei den Ausgrabungen am Anfang des 20. Jhs. kamen an der Südwesthalle Funde aus dem 8. Jh. v. Chr. zutage. Ein Bau aus dieser spätgeometrischen Epoche konnte jedoch von Wiegand noch nicht identifiziert werden. Dies blieb Heinrich Drerup und Friedrich Hiller vorbehalten, die im Oktober 1962 Grabungen im Sekos des Apollontempels durchführten. 244
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Drerup und Hiller öffneten eine Fläche südlich des hellenistischen Naiskosfundaments und nördlich des Unterbaus für den spätarchaischen Apollontempel. Dort hatte bereits Knackfuß einen älteren Fundamentstreifen festgestellt. Die Platten aus gelbbraunem Poros erstrecken sich auf einer Länge von 5,15 m etwa parallel zum Fundament des hellenistischen Naiskos von West nach Ost. Bis zu drei Schichten sind erhalten mit einer Gesamthöhe von 0,50 m. Die Breite der oberen Schicht beträgt rund 0,90 m (Abb. 112).
Abb. 112: Blick von Südwesten in den Sekos des hellenistischen Apollontempels. Grau umrandet sind die Mauerreste des spätgeometrischen Sekos. Dieser Fundamentstreifen liegt auf unberührtem Boden auf. Ca. 5 m östlich von ihm existierte am Anfang des 20. Jhs. noch einen Rest seiner Fortsetzung, das heißt an zwei Stellen einzelne Platten. Passend dazu war damals nordöstlich davon ein weiterer schmaler Fundamentstreifen aus gelbbraunen Porosplatten zutage getreten. Überkommen ist hauptsächlich die unterste Schicht auf einer Länge von 4,70 m, die durchschnittlich 1,05 m breit ist. Damit konnten Drerup und Hiller die Reste zweier in etwa paralleler Mauerzüge dokumentieren, deren Abstand rund 10 m beträgt (Plan 1). Doch war es ihnen nicht möglich, die Ausdehnung dieses Baues nach Osten oder Westen festzustellen. Sie vermuteten jedoch, die älteste Einfriedung der Heiligen Quelle und des Lorbeerbaumes gefunden zu haben. Dabei gingen sie davon aus, dass das aufgehende Mauerwerk über den Porosblöcken aus Lehmziegeln bestand. Eine Überdachung war aufgrund der 10 m voneinander entfernten Mauern nicht anzunehmen. Bei den Ausgrabungen traten spätgeometrische Scherben des 8. Jhs. v. Chr. zutage, die Heinrich Drerup den ältesten Sekos von Didyma in die Zeit um 700 v. Chr. datieren ließ. Die Heilige Quelle 245
Apollonheiligtum von Didyma
kann sich damals noch nicht an ihrem späteren Standort im Nordosten des hellenistischen Sekos befunden haben, weil die Nordmauer des spätgeometrischen Tempels genau darüber geführt hätte. Überdies fanden Drerup und Hiller Kalkablagerungen einer Süßwasserquelle. Sie belegen, dass in der Frühzeit des Apollonheiligtums Süßwasser im Bereich der späteren Naiskosfundamente zutage trat. Die Reste des bislang ältesten gefundenen „Apollontempels“ hatte man also um die Heilige Quelle und den Lorbeerbaum errichtet. Im Jahr 2005 wurden unter Andreas E. Furtwängler Nachuntersuchungen im Sekos vorgenommen, dabei konnte ein wichtiger Fund zum spätgeometrischen Apollontempel gemacht werden. Es kamen zwei gelbbraune Porosblöcke in situ zum Vorschein, die einen Teil der Rückwand dieses Baues bildeten. Somit war es möglich, den Grundriss des ältesten Apollontempels zu rekonstruieren, abgesehen von seiner Ostfront. Eine Wiederherstellung seiner Grundmaße erlauben zwei Befunde. Zum einen sind griechische Tempel des 8./7. Jhs. v. Chr. oft 100 Fuß lang gewesen. Sie werden auch als „Hekatompedoi“ (= Hundertfüßer) bezeichnet. Zum anderen beträgt die Breite des ersten Apollontempels etwa 10,40 m. Da der Kernbau des hellenistischen Apollontempels ein Breiten-Längenverhältnis von 1: 3 aufweist und der spätarchaische vermutlich ebenso, kann man vermuten, dass diese Proportion bereits den spätgeometrischen Bau auszeichnete. Das Dreifache von 10,40 m beträgt 31,20 m. Die genannten frühen griechischen Hekatompedoi hatten eine Länge zwischen 30 und 35 m abhängig vom verwendeten Fußmaß. Mithin würde der spätgeometrische Apollontempel von Didyma mit einer Länge von 31,20 m einen „guten“ Hekatompedos abgegeben haben. Dabei hätte ihn schon die so wichtige Proportion von 1: 3 ausgezeichnet. Diese Hypothese scheint gewagt. Sie ist es aber nicht, weil der bislang früheste Apollontempel durch die Blöcke seiner Westwand eine gesicherte Länge von mindestens 24 m hatte. Folglich fehlen nur wenige Meter zu einem Hekatompedos, der aber deshalb umso wahrscheinlicher ist. Obwohl man 1962 nur zwei Wochen hatte ausgraben können, förderten die vier Archäologen erstaunliche Ergebnisse zutage. Als bedeutendste Erkenntnis kann die Identifizierung des spätgeometrischen Apollontempels gelten, der eigentlich noch kein Tempel war, sondern eine Ummauerung des „Allerheiligsten“, der Quelle und des Lorbeerbaumes. Vom Altar dieses Kultbaues wurden bis heute keine Reste gefunden. Laut Forschungen des Autors könnte er sich auf einer Felsterrasse befunden haben, die später vom Zweisäulensaal des hellenistischen Apollontempels überdeckt wurde. Diese Möglichkeit ist zu erwägen, weil in geometrischer Zeit Altäre häufig auf natürlichen Felsen lagen (Plan 1). Eine weitere Erkenntnis der „neuen“ Grabungen beinhaltet die Rekonstruktion und Datierung der Südwesthalle. Im Übrigen begann mit dem Jahr 1962 die bis heute anhaltende genaue Dokumentation und Auswertung der Kleinfunde in Didyma. Ihr Vergleich mit den Funden der nachfolgenden Ausgrabungen in Didyma und andernorts erlaubt u. a. ihre einigermaßen zuverlässige 246
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Datierung. Während die wichtigsten Kleinfunde damals ins Museum nach Istanbul gelangten und der Rest in Didyma verblieb, werden heute die bedeutendsten Funde nach Milet ins Museum bzw. Magazin gebracht und der Großteil der Funde wird im Depot des Grabungshauses von Didyma aufbewahrt. Mit dem Jahr 1962 begann in Didyma ferner die Suche nach den Funden oder ihren Überresten der Ausgrabungen von Theodor Wiegand. In den Monaten September und Oktober 1964 wurden diese Arbeiten unter Klaus Tuchelt intensiviert. Ihm gelang es, über 600 Fragmente von Baugliedern, Skulpturen und Inschriften zusammenzutragen, die über den ganzen Ort verteilt zu finden waren. Sie wurden vorläufig in die Ruine des alten Grabungshauses gebracht.
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Apollonheiligtum von Didyma
Klaus Tuchelt – 1965 bis 1973 Die Vorbereitung einer Ausgrabung – Der heilige Hain von Didyma – Ein neues Grabungshaus wird gebaut – Siedlungsreste westlich des Apollontempels – Orakelinschriften – Der hadrianische Tabernakelbau Mit dem Jahr 1965 begann ein neuer Abschnitt in der Erforschung Didymas. Die Ausgrabungen erfolgten von nun an nicht mehr nur unmittelbar um den Apollontempel und an der Heiligen Straße, sondern auch außerhalb dieses Gebietes. Federführend bei den Forschungen der folgenden Jahrzehnte sollte Klaus Tuchelt sein, der bereits an den ersten beiden Grabungskampagnen 1962 und 1964 in Didyma teilgenommen hatte. Klaus Tuchelt wurde am 25. April 1931 in Dessau geboren. 1949 begann er, Klassische Archäologie in Halle (Saale) zu studieren. Dieses Studium setzte er ab 1951 an der Freien Universität in Berlin fort und schloss es 1956 an der Universität München mit der Promotion ab. Nur kurze Zeit danach begann er eine Tätigkeit als Referent an der Abteilung Istanbul des Deutschen Archäologischen Instituts. Hier wurde seine Liebe zur Türkei geweckt, die bis zu seinem Tod anhielt. Von 1964 bis 1968 wirkte Klaus Tuchelt an der Universität Mainz, wo er sich 1968 habilitierte. Daran anschließend hatte er von 1969 bis 1981 den Posten des zweiten Direktors des Deutschen Archäologischen Instituts in Istanbul inne. In Didyma war er seitdem für die Durchführung der Ausgrabungen und anderer notwendiger Arbeiten verantwortlich, obwohl Rudolf Naumann die Grabung formell als erster Direktor von Istanbul aus leitete. Dies war bis 1975 der Fall, dann wurde Wolfgang Müller-Wiener zum ersten Direktor der Abteilung Istanbul ernannt. Im Jahr 1977 übertrug man die Grabungsleitung Didymas von Rudolf Naumann auf Klaus Tuchelt. Tuchelt hatte sie in der Folge bis zu seinem Tod 2001 inne. Während der Kampagne im Herbst 1965 wurden ca. 50 m westlich der Südwestecke des Apollontempels Grabungssondagen angelegt. Dieses Gebiet hatte man ausgewählt, weil es inmitten alter Wohnhäuser unbebaut war. Damals gab es die Möglichkeit, auf privatem Grund auszugraben, wenn die Sondagen nach der Ausgrabung wieder zugeschüttet wurden. Heute ist dies nur noch auf staatlichem Gelände möglich. Eine andere Möglichkeit besteht jedoch darin, die zur Ausgrabung vorgesehenen Grundstücke zu kaufen. Dazu sind aber zwei Voraussetzungen notwendig: Zunächst muss man sich vergewissern, dass es lohnenswert ist, die Fläche zu kaufen. Danach sind Geldgeber zu suchen, die die nötigen Mittel bereitstellen. 248
Klaus Tuchelt – 1965 bis 1973
1965 war die einzige praktikable Möglichkeit, um in Didyma herauszufinden, ob sich antike Strukturen unter der Erde befinden, Gräben auszuheben. Solche Gräben hatten schon Wiegand und Knackfuß an verschiedenen Stellen um den Apollontempel anlegen lassen, um nach antiken Befunden zu suchen. Daher werden diese Gräben oder auch größere, meist rechteckige Flächen „Sondagen“ oder „Suchschnitte“ genannt. Seit einigen Jahrzehnten gibt es ferner naturwissenschaftliche Methoden, um Flächen nach Baustrukturen abzusuchen. Mit solchen geophysikalischen Prospektionen wurden schon ganze Stadtpläne unausgegrabener Siedlungen erstellt. In Didyma hatten sie teilweise auch Erfolg, jedoch darf die Erde über den Baubefunden z. B. nicht allzu sehr mit größeren Steinen durchsetzt sein, sonst sind die Ergebnisse der Prospektionen unklar. Somit ist man heute innerhalb von Didyma immer noch auf Suchschnitte angewiesen. Auf diese Weise wurden auch die wichtigsten Entdeckungen der letzten Jahre gemacht, wie der Fund des Theaters oder das Fundament des Artemistempels (siehe die Kapitel zu Furtwängler und zu Bumke). Klaus Tuchelt begann also 1965, die Umgebung des Apollontempels nach antiken Bauresten „abzusuchen“. An der oben genannten Stelle westlich des Tempels fand er jedoch keine größeren Bauten. Einen interessanten Fund machte er dennoch: Es trat der Kanal zutage, der das überschüssige Wasser aus dem Sekos des hellenistischen Apollontempels ableitete (siehe das Kapitel zu Wiegand und Knackfuß zu den Jahren 1912/13). Das Ende dieses Kanals aus Werksteinen konnte allerdings bis heute nicht gefunden werden. Tuchelt hatte sich für seine Sondagen einen Platz unmittelbar westlich der Umfassungsmauer des Tempels ausgesucht (Karte 6). Die Bodenoberfläche liegt dort etwa 3 m tiefer als das antike Bodenniveau im Sekos. In 5 m Tiefe stieß Klaus Tuchelt auf Fels, womit die Ausgrabung beendet war. Darüber hatte er Sand und Kalkablagerungen dokumentiert, die die Fortsetzung der gleichen Schichten darstellen, die man innerhalb des Apollontempels u. a. 1962 und 2005 gefunden hatte (siehe die entsprechenden Kapitel). Der Apollontempel wurde also in einer Senke errichtet, in der sich Wasser sammelte, welches Sand mit sich führte und Kalk ablagerte. Dieses „Tal“ biegt westlich des Apollontempels nach Süden ab. Über dem Fels und den Sand- und Kalkschichten traf Tuchelt auf fundleeren Lehm und erst darüber auf Erdschichten mit hauptsächlich hellenistischer und kaiserzeitlicher Keramik. Die ältesten Funde stammten jedoch wieder aus dem 8./7. Jh. v. Chr. Außerdem traten Fragmente von Dachziegeln zutage, die von archaischer über die hellenistische bis in römisch-byzantinische Zeit datieren. Damit sind die Befunde der Sondagen von 1965 in etwa deckungsgleich mit denen, die rund 50 m nördlich davon Wiegand und Knackfuß 1909 angelegt hatten. Ihre genaue Lage ist nicht mehr feststellbar, allerdings werden sie im Bereich der Nordwestecke des Apollontempels gelegen haben. Genau 100 Jahre später machte Helga Bumke den gleichen Befund, als sie etwa 50 m nördlich der Nordwestecke des Apollontempels Suchschnitte anlegen ließ. Dort traf sie ebenfalls nur auf byzantinische bzw. neuzeitliche Hausmauern und große Mengen an Dachziegelfragmenten, die verteilt waren auf mehrere Meter tiefe Schichten (siehe das Kapitel zu Furtwängler). 249
Apollonheiligtum von Didyma
Doch wieder zurück zu Klaus Tuchelt und den 60er-Jahren des 20. Jhs. Sein Anliegen war es, die Topographie des gesamten Apollonheiligtums zu erschließen. Dass es weit mehr Bauten umfasste als den Apollontempel, zeigten Tuchelt z. B. die über 70 Inschriften, in denen solche Gebäude genannt werden. Allerdings geht es in diesen Inschriften und in den literarischen Quellen nicht nur um Bauwerke, sondern auch um andere Anlagen und ihre Bewohner im Heiligtum des Apollon von Didyma. Dazu gehört ein heiliger Hain mit Bäumen, also ein heiliger Park oder Wald. Er wird u. a. bei dem antiken Schriftsteller Strabon erwähnt, und zwar in seiner Erdbeschreibung (14,1,5). Dieser „prächtige Wald“ taucht ferner in einer sogenannten Orakelinschrift aus Didyma auf, wo man ihn als „Paradies“ bezeichnet (siehe unten). Da von diesem heiligen Hain und seinem Baumbestand heute nichts mehr erhalten ist, muss man versuchen, seine Lage auf andere Art zu erschließen. Knackfuß und Tuchelt nahmen deshalb für den heiligen Hain die Gebiete in Anspruch, die weitgehend unbebaut waren sowie genügend Erde und Feuchtigkeit aufwiesen. Schließlich kommt aufgrund dieser Überlegungen im näheren Umkreis des Apollontempels nur das Gebiet westlich von ihm in Frage (Karte 6). Im Norden wird es begrenzt durch die Heilige Straße, im Westen und Süden durch die dort festgestellte Bebauung. Freilich ist damit die genaue Lage des heiligen Haines nicht bewiesen, aber zumindest wahrscheinlich gemacht. Für weitere Arbeiten in Didyma war es nötig, ein Grabungshaus mit Depots zur Verfügung zu haben. Das alte Grabungshaus war nach dem 1. Weltkrieg abgebrannt (siehe das Kapitel zu Wiegand und Knackfuß zu den Jahren nach 1913). Die Ruine konnte nicht wiederaufgebaut werden. Deshalb entwarf Rudolf Naumann, der ja Architektur studiert hatte, ein neues Grabungshaus mit einem Depot, welches auch als Museum dienen sollte. Diese beiden Gebäude wurden 1967 mit Mitteln der Volkswagen-Stiftung errichtet. Klaus Tuchelt weilte im August und September 1968 in Didyma, um das Grabungshaus und das Depotmuseum einzurichten. Inzwischen war er zum zweiten Direktor der Abteilung Istanbul des Deutschen Archäologischen Instituts gewählt worden. Dieses Amt konnte Tuchelt jedoch erst im Februar 1969 antreten. Im September und Oktober 1969 hielt er sich in Didyma auf, wo neue Bauarbeiten begannen. Zusätzlich zum Depotmuseum nördlich des Grabungshauses wurde südlich davon ein reiner Magazinbau mit einem Arbeitshof gebaut. Auch dieses Mal stellte die Volkswagen-Stiftung das notwendige Geld zur Verfügung. 1970 weilte Klaus Tuchelt im Frühjahr in Didyma, um den Bau des Magazingebäudes weiterzuführen und die Arbeiten für den Herbst vorzubereiten. Von Mitte August bis Ende Oktober war er noch einmal in Didyma und währenddessen wurden der Rohbau des Depots und des Arbeitshofes fertiggestellt. Des Weiteren ließ Tuchelt das ganze Areal des Grabungshauses mit einer rund 400 m langen Mauer umgeben, sodass die im Freien ausgestellten Funde geschützt waren (Abb. 113). 250
Klaus Tuchelt – 1965 bis 1973
Abb. 113: Im Vordergrund das Magazingebäude und im Hintergrund das Grabungshaus des Deutschen Archäologischen Instituts (2019). Eine ebenfalls für die nächsten Dekaden wichtige politische Entscheidung wurde 1970 getroffen: Der Bundeskanzler Willy Brandt entschied am 7. Juli 1970, dass die Zuständigkeit für das Deutsche Archäologische Institut vom Innenministerium zum Auswärtigen Amt der Bundesrepublik Deutschland wechselte. Bereits von 1874 bis 1934 hatte das Institut zum Auswärtigen Amt des Deutschen Reiches bzw. des Dritten Reiches gehört. Theodor Wiegand amtierte seit dem 1. Oktober 1932 als Präsident des Deutschen Archäologischen Instituts, als es der Reichskanzler Adolf Hitler 1934 vom Auswärtigen Amt erst dem Innenministerium und wenig später dem Ministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung zuordnete. Nach dem 2. Weltkrieg wurde das Deutsche Archäologische Institut 1947 neugegründet und hatte seit dem Existieren der Bundesrepublik Deutschland zu dessen Innenministerium gehört. Schließlich wurde das Institut am 26. Februar 1971 an das Auswärtige Amt „übergeben“, während die beiden zuständigen Minister, Hans-Dietrich Genscher (Innenministerium) und Walter Scheel (Auswärtiges Amt) zugegen waren. In Didyma kümmerte sich unterdessen Klaus Tuchelt bei zwei Aufenthalten im Mai und Juni 1971 um die Einrichtung der neuen Gebäude. Im Jahr darauf konnte im Herbst schließlich das Depotmuseum eröffnet werden. Darin sind hauptsächlich Bauteile des hellenistischen Naiskos aus dem Apollontempel ausgestellt, sodass man einen Eindruck von seinem Aussehen und seinen fein ausgearbeiteten Details bekommen konnte. 1973 wurde im Frühjahr unter Tuchelt ferner die Aufstellung von Inschriften und Baugliedern im Garten des Grabungshauses abgeschlossen. Darunter befanden sich marmorne Werkstücke des Poseidonaltares von Kap Monodendri aus dem 6. Jh. v. Chr. (siehe das Kapitel zu Chishull). Das Museum und der Garten sind heute allerdings für Besucher nicht mehr zugänglich. 251
Apollonheiligtum von Didyma
Damit war für die Grabung Didyma für die nächsten Jahrzehnte eine solide Ausgangsbasis für alle Forschungs- und Restaurierungsarbeiten geschaffen worden. Sämtliche Gebäude werden heute noch genutzt, obwohl ihre Unterhaltung in den letzten Jahren immer schwieriger wurde, weil die nötigen Geldgeber fehlen. Bereits im Herbst 1969 waren unter der örtlichen Leitung von Klaus Tuchelt weitere Ausgrabungen in Didyma durchgeführt worden. Dazu hatte er sich eine größere unbebaute Fläche etwa 150 m westlich des Apollontempels ausgesucht. Was er 1969 mit zwei Sondagen begann, setzte er im Herbst 1972 mit einer Flächengrabung an der gleichen Stelle fort (Karte 6). Auf dem größten unbebauten Platz in der Nähe des Apollontempels traten bereits 20 cm unter der Oberfläche die ersten antiken Befunde zutage. Wie sich herausstellte, war das ganze Gebiet seit dem Ende der Antike nicht mehr bebaut gewesen. Dies war für die Ausgrabung überaus günstig, da so die einzelnen Bauphasen ungestört erforschbar waren. Insgesamt wurde unter Tuchelt eine etwa 50 x 50 m große Fläche freigelegt, die zwischen 6 und 8 m höher liegt als der Apollontempel. Dabei traten bis zu 1 m hoch erhaltene Hausmauern zutage, die zwischen 0,50 und 0,60 m stark sind. Die dafür verwendeten Kalksteinblöcke hatte man zumeist nur auf den Außenseiten geglättet. Das ganze Areal wurde im Altertum von zwei gepflasterten Straßen durchzogen. Eine verläuft von Südosten nach Nordwesten und die andere rechtwinklig dazu. Die durchschnittlich 3 m breiten Straßen wiesen zum Teil Gehsteige und Abwasserkanäle auf. Die ältesten Funde gehören dem 8. Jh. v. Chr. an, also der spätgeometrischen Periode, wie dies ebenfalls an vielen anderen Stellen Didymas der Fall ist. Die älteste Hausbebauung stammt jedoch erst aus der zweiten Hälfte des 6. Jhs. v. Chr. Danach folgte ein Ausbau der Siedlung im 2. Jh. v. Chr. Die letzten Funde datieren in die Mitte des 3. Jhs. n. Chr. Während dieser Phase wurden die Häuser bei einer Brandkatastrophe zerstört. Der Ausgräber Klaus Tuchelt brachte sie in Zusammenhang mit dem Einfall der Goten im Jahr 262 n. Chr. Danach baute man die Häuser nicht wieder auf. Mit diesem Befund konnte Tuchelt die inschriftlich bezeugte Belagerung durch die Goten in Didyma auch archäologisch nachweisen. Die Zerstörungen bei den Plünderungen durch die Goten gelang es bisher an keiner anderen Stelle des Apollonheiligtums zu belegen, weil dort die architektonischen Reste in der Spätantike bzw. der byzantinischen Zeit überbaut worden waren (siehe zur sogenannten Gotenmauer am Apollontempel das Kapitel zu Chishull und Plan 4). In einigen der unter Tuchelt ausgegrabenen Häuser fanden sich Getreidereste, die er untersuchen ließ. Dies war das erste Mal in Didyma der Fall. Dabei stellte sich heraus, dass die Einwohner zu 79 % Emmer und zu 12 % Weizen aßen. Emmer ist ebenfalls eine Weizenart, dessen Körner wie die der Gerste lange Grannen aufweisen. In der klassischen Antike war Emmer die am weitesten verbreitete Getreidesorte. Er eignet sich u. a. zur Brotherstellung. Nach der Ausgrabung 1972 wurde die gesamte Ausgrabungsfläche wieder zugeschüttet, sodass heute von den Siedlungsresten nichts mehr zu sehen ist. Vor einigen Jahren hat die Belediye 252
Klaus Tuchelt – 1965 bis 1973
(Stadtverwaltung) von Didyma den Platz teeren lassen, und er dient nun als großer Parkplatz, von dem aus man zu Fuß die Heilige Straße und den Apollontempel erreichen kann. Klaus Tuchelt verglich die Siedlungsreste westlich des Apollontempels mit denen, die Wiegand und Knackfuß 1906 und 1909 nördlich des Apollontempels gefunden hatten. Aber wie man aus den Tagebüchern weiß, hatten Wiegend und Knackfuß ebensolche Häuser- und Straßenreste südlich des Apollontempels gefunden; was Tuchelt entgangen war. Mithin ergab sich also nach Klaus Tuchelts Ausgrabungen 1969 und 1972, dass man Bebauung rund um den Apollontempel nachgewiesen hatte, außer östlich des Tempels (siehe das Kapitel zu Wiegand und Knackfuß zum Jahr 1906 sowie Karte 6). Im Laufe der Jahre traten bei den Ausgrabungen und bei anderen Bauarbeiten im Ort Funde zutage, die man von den alten Grabungen kannte, aber scheinbar verloren gegangen waren. Andererseits gab es neue Entdeckungen, zu denen Inschriften gehörten. Sie hat vor allen Dingen der Althistoriker Wolfgang Günther bearbeitet. Er erstellte 1969 z. B. ein Verzeichnis mit den wieder gefundenen Inschriften. Von den neuen Inschriften erforschte Günther zwei sogenannte Orakelinschriften. Sie bilden eine Besonderheit des Apollonorakels von Didyma. In ihnen wurde im Wortlaut die Anfrage an das Orakel und die Antwort Apollons aufgezeichnet. Diese Texte meißelte man in Stein und stellte viele von ihnen im Apollonheiligtum auf. Auf diese Weise gelangten einige dieser Inschriften bis in unsere Zeit. Sie sind eine „Spezialität“ Didymas, weil es diese Praxis in keinem anderen antiken Orakelheiligtum gab. Die erhaltenen Orakelinschriften zeigen, dass sich in der römischen Kaiserzeit viele Privatleute an das Orakel von Didyma wandten. Außerdem hatten viele Anfragen einen religiösen Inhalt, der kultische Probleme im Apollonheiligtum betraf. Eine der beiden 1969 neu aufgetauchten Orakelinschriften stammt aus der späten Kaiserzeit und berührt zwei für Didyma wichtige Themen: den heiligen Hain (hier „Paradies“ genannt, siehe oben) und den Bezirk zur Verehrung aller Götter um den Apollonaltar, den „pantheos peribomismos“ (siehe das Kapitel zu Wiegand und Knackfuß zum Jahr 1907). Hier die Übersetzung von Hildebrecht Hommel aus dem Artikel von Wolfgang Günther. „Anfrage des Tamias Hermias: Der Altar der in deinem Heiligtum (verehrten) Tyche ist im sogenannten Paradeisos infolge der ringsum errichteten Gebäude eingeschlossen und wird deshalb von vielen nicht aufgesucht. Ist es daher wünschenswerter und besser und der Göttin willkommen, dass auch dieser Altar ebenso wie die übrigen Götter(Altäre) in die Gruppierung um den (Haupt)Altar einbezogen wird, oder nicht? Der Gott (Apollon) erteilte das Orakel: 253
Apollonheiligtum von Didyma
Allen Göttern sei Achtung gezollt und allen Verehrung! Der fromme Tamias Hermias, der Sohn des Epagathos.“
Das Amt des Tamias war das des Schatzmeisters in Didyma (siehe das Kapitel zu Ross). Der Tamias Hermias sorgte sich im 3. Jh. n. Chr. offensichtlich um einen Altar der Göttin Tyche. Er befand sich im heiligen Hain, der in der Kaiserzeit nach und nach bebaut worden war. Wie oben dargestellt, lag der heilige Hain vermutlich westlich des Apollontempels. Seine Ränder wären dann im Westen und Süden von Wohnbebauung eingefasst gewesen, die vielleicht nach und nach in den Hain selbst vorgedrungen war (Karte 6). Hermias regte deshalb an, den Tyche-Altar in den „pantheos peribomismos“ beim Apollonaltar umzusetzen, was Apollon mit seiner Antwort unterstützte, denn alle Götter seien gleich zu verehren (Plan 3). Ob Hermias diesen Auftrag in die Tat umsetzte, ist nicht bekannt, weil ein Altar der Göttin Tyche in Didyma bisher nicht gefunden wurde. Dennoch ist durch die Orakelinschrift sicher, dass man die griechische Göttin des Schicksals im Apollonheiligtum verehrte. Neben der Bearbeitung von alten und neuen Inschriften ging es Klaus Tuchelt um architektonische Bauglieder, die nicht vom Apollontempel stammten. Sie waren von Wiegand und Knackfuß an verschiedenen Stellen rund um den Apollontempel gelagert worden. Den beiden hatte die Zeit gefehlt, sie zu untersuchen und einzelnen Bauten zuzuordnen. Unter Tuchelt begann man damit, dies auszuführen. Frank Bérard fing im Herbst 1970 an, die Werkstücke des sogenannten Tabernakelbaues aufzunehmen, die sich zum großen Teil auf der Terrasse östlich des Apollontempels befinden. Von diesem wahrscheinlich zweigeschossigen Marmorbau sind viele Gebälk- und Gesimsblöcke sowie Säulenbauteile überkommen (Abb. 114). Er bestand lediglich aus einer reich verzierten Fassade, die durch vorspringende Tabernakel gegliedert war. Zu weiteren Forschungen an diesem Bau kam Bérard im Sommer 1996, 1997 und 1999 nach Didyma, nachdem man diesem Gebäude neue Bauteile zuweisen konnte. Nun stand fest, dass die zweigeschossige Fassade durch Säulen korinthischer Ordnung verziert war. Auf diese Weise konnte Bérard eine Rekonstruktion des Tabernakelbaues erstellen, die jedoch nur im Bericht über die jährlichen Ausgrabungen in der Türkei veröffentlicht wurde (siehe unten). Die Entstehung des Tabernakelbaues kann ziemlich genau datiert werden, weil seine Weihinschrift auf dem Architrav des Erdgeschosses überkommen ist. Darin wird der Bau dem Kaiser Hadrian, den Göttern Apollon Didymeus, Artemis Pytheie, Zeus und Leto sowie dem Volk von Milet geweiht. Da Kaiser Hadrian die Polis Milet 129 n. Chr. auf einer seiner zahlreichen Reisen besuchte, wird man zu diesem Anlass den Tabernakelbau in Didyma errichtet haben. Wiegand und Knackfuß vermuteten, dass es sich bei diesem Gebäude um ein sogenanntes Nymphäum handelte, ein prunkvoll ausgestattetes Brunnenhaus, denn dafür waren Tabernakel 254
Klaus Tuchelt – 1965 bis 1973
charakteristisch. Sie gehörten aber ebenso zu Bühnengebäuden von Theatern. In den Jahren 2010/ 11 wurde der Zuschauerraum des Theaters von Didyma bei Ausgrabungen entdeckt. In der Folge vermutete Helga Bumke, dass der Tabernakelbau wohl sein Bühnengebäude gebildet haben wird (siehe das Kapitel zu Furtwängler).
Abb. 114: Gebälkecke des hadrianischen Tabernakelbaues. Bedauerlich ist es, dass die Forschungen Frank Bérards zum Tabernakelbau bisher nie vollständig publiziert wurden. Diese Praxis ist leider typisch geworden für die Arbeiten in Didyma und auf anderen Ausgrabungen. Viele Gebäude- oder Fundkomplexe werden aufwändig untersucht und die Ergebnisse nicht veröffentlicht. Insofern ist es gut, dass seit 1979 jedes Jahr in der Türkei eine Konferenz (Kazı sonucları toplantısı) stattfindet, auf der alle Grabungsleiter über die Arbeiten des Vorjahres berichten müssen. Die darauf basierenden Berichte über die Grabungsergebnisse sind mittlerweile für jeden im weltweiten Netz zugänglich.
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Apollonheiligtum von Didyma
Rudolf Naumann – 1974 bis 1977 Die Zypern-Krise – Erste Ausgrabungen an der römischen Thermenanlage – Ihre vier Haupträume – Weitere Räume und die Palästra Dem Bauforscher Rudolf Naumann ist es zu verdanken, dass die Ausgrabungen in Didyma 1962 wiederaufgenommen wurden (siehe das Kapitel zu Drerup, Naumann und Tuchelt). Bis 1975 wirkte er als erster Direktor der Abteilung Istanbul des Deutschen Archäologischen Instituts, ehe er pensioniert wurde. Die Grabungsleitung von Didyma hatte er bis 1977 inne. Im Spätsommer 1974 bereitete er die Erforschung des zweiten Großbaues von Didyma vor, dessen Ruinen als einzige neben denen des Apollontempels die Jahrhunderte hindurch immer sichtbar waren: die römische Thermenanlage im Nordwesten des Heiligtums (Karte 4). Jedoch war Naumann im Sommer 1974 mit ähnlichen Problemen konfrontiert, die bereits 1962 zu einem frühzeitigen Abbruch seiner Grabungen geführt hatten: Damals war es die Kuba-Krise und jetzt hatte der Konflikt auf der Insel Zypern eskaliert. Deswegen besetzte die Türkei den Nordteil Zyperns. Eine bewaffnete Auseinandersetzung zwischen Griechenland und der Türkei schien bevorzustehen. Deshalb ließ die Türkei alle Ausgrabungen an ihrer West- und Südküste einstellen. Wegen der Kuba-Krise hatten die deutschen Forscher Didyma im Oktober 1962 frühzeitig verlassen müssen (siehe das Kapitel zu Drerup, Naumann und Tuchelt). 1974 konnten sie dagegen erst später anfangen. Unter Rudolf Naumann war es in der zweiten Septemberhälfte schließlich möglich, mit den Forschungen an der Thermenanlage zu beginnen und die anstehenden Ruinen beispielsweise zu vermessen. Die Ausgrabung dieses Baues erfolgte dann in den Jahren 1975 bis 1977. Damals wurden wegen ungeklärter Besitzverhältnisse nur die vier Haupträume der Therme untersucht. Erst in den Jahren 2000 bis 2002 konnte unter Axel Filges das nördlich angrenzende Gebiet erforscht werden. Dabei ergab es sich, dass die römische Thermenanlage von Didyma viel größer war, als es die noch vorhandenen Ruinen suggerieren (Karte 6). Der heute sichtbare Bogen der Thermenruinen gehörte zum Caldarium, dem Warmbad einer römischen Badeanlage (Abb. 115). Dieser etwa 9 x 15 m große Raum konnte mit einer Fußbodenheizung erwärmt werden. Das zugehörige Präfurnium befand sich östlich des mit einem Tonnengewölbe überdachten Caldarium. Die heute restaurierten Ruinen lassen noch seine Bauweise erkennen: Große und kleine Kalksteinquader wurden mit Mörtel zusammengefügt. Rudolf 256
Rudolf Naumann – 1974 bis 1977
Naumann konnte den Bau u. a. damit in die erste Hälfte des 2. Jhs. n. Chr. datieren. Die neueren Forschungen zwischen 2000 und 2002 ergaben schließlich eine etwas frühere Datierung an den Anfang des 2. Jhs. n. Chr. (siehe das Kapitel zu Filges).
Abb. 115: Die Ruine der römischen Thermen von Südosten. Der Bogen gehörte zum Caldarium. An das Caldarium schlossen sich Richtung Nordosten drei weitere Räume an: Das beinahe quadratische Tepidarium (lauwarmer Baderaum) maß rund 8 x 8 m und besaß zusätzlich zwei Apsiden. Das Tepidarium verfügte ebenfalls über eine Fußbodenheizung. Auch wurde der Heizraum unter dem Fußboden, das Hypokaustum, wie beim Caldarium von einem außerhalb liegenden Brennofen, dem Präfurnium, beheizt. Nordöstlich schloss sich das Frigidarium an, der Kaltbaderaum. Er maß 7,5 x 14 m mit einer Apsis. Seine starken Mauern lassen vermuten, dass das Frigidarium von einem Tonnengewölbe überdeckt war. Im Nordwesten befand sich ursprünglich ein Becken mit kaltem Wasser. Wie für eine römische Therme vom sogenannten Reihentyp üblich bildete im Nordosten das Apodyterium den ersten Raum, von dem aus die anderen drei Haupträume erreichbar waren. Dieser in etwa 13,3 x 14,5 m große Raum diente hauptsächlich zum An- und Auskleiden der Thermenbesucher. Außerdem besaß er eine Tür in seiner Nordostwand, die auf die sogenannte Thermengasse führte, die wiederum nach rund 40 m in die Heilige Straße einmündete (Karte 6). Nach Geländeankäufen erfolgten in den Jahren 2000 bis 2002 neue Forschungen zur Thermenanlage. Sie begannen im April 2000 mit geophysikalischen Prospektionen nördlich der Ruine. Dabei wurden weitere Räume entdeckt, aber vor allem der Grundriss der Palästra festgestellt. Diese Art von Sportplatz gehörte häufig zu Thermenanlagen und maß in Didyma 25 x 40 m. Bei 257
Apollonheiligtum von Didyma
den Ausgrabungen traten nordwestlich des Apodyteriums und des Frigidariums drei weitere Räume zutage. Sie führten zu einer 25 m langen Halle, von der aus die Palästra erreichbar war. Eine Halle gleicher Größe folgte der Palästra im Nordwesten. Östlich dieses „Sportplatzes“ kamen die Mauern einer 15 x 26 m großen Zisterne zum Vorschein, die bis fast an die Heilige Straße reichten. Dieser Bau besaß ferner ein Obergeschoss, welches wohl ebenfalls einen Zugang zur Thermenanlage bildete. In den folgenden Jahren wurden keine weiteren Forschungen an diesem Baukomplex durchgeführt. Somit bleiben die Kenntnisse dazu unvollkommen. Hinzuzufügen ist noch, dass Rudolf Naumann eine umfangreiche Renovierungsphase der Therme feststellte. Dabei stattete man u. a. das Apodyterium und das Frigidarium mit qualitätvollen Mosaiken aus. Der Umkleideraum erhielt außerdem vier Mittelstützen. Um das Mittelquadrat sind auf dem Mosaikfußboden Meerwesen angeordnet, und im äußeren Register wechseln sich Jagdhunde, Leoparden, Bergziegen und Bäume miteinander ab. Die Randbegrenzung bildet ein Rankenornament. Um die Erhaltung der Mosaiken nicht zu gefährden, wurden sie nach Ende der Ausgrabungen wieder zugeschüttet. Axel Filges konnte mit seinen Forschungen zur Thermenanlage u. a. die Datierung der Bauphasen präzisieren. Ihre Entstehung lag am Anfang des 2. Jhs. n. Chr. Der Ausbau mit Mosaikfußböden erfolgte wohl im 3. Jh. n. Chr. Bereits im 6. Jh. n. Chr. wurde die Therme nicht mehr als Bad benutzt. Zerstört wurde sie im 7. Jh. n. Chr., als bei einem Erdbeben zudem die Bauten an der Heiligen Straße zugrunde gingen. Danach gab es sicher eine Weiternutzung des Areals, aber erst ab dem 10. Jh. lässt sich wieder eine intensivere Nutzung mit Gebäuden nachweisen. Rudolf Naumann gelang es, während seiner Zeit als Grabungsleiter von Didyma die wichtigsten Räume der römischen Thermenanlage des Apollonheiligtums auszugraben. Spätere Forschungen unter Axel Filges zeigten, dass es sich um einen weitaus größeren Gebäudekomplex handelte als angenommen. Er befand sich passend am wichtigsten Eingang des Apollonheiligtums. Somit konnten sich die von Milet und vom Hafen kommenden Pilger dort erfrischen, bevor sie die heiligen Stätten aufsuchten (Karte 6).
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Klaus Tuchelt und Peter Schneider – 1975 bis 2001
Klaus Tuchelt und Peter Schneider – 1975 bis 2001 Die Heilige Straße von Milet innerhalb des Apollonheiligtums – Die Gebäude östlich und westlich der Heiligen Straße – Das Haus der Tamiai und der Südostbau – Das vermeintliche Heiligtum der Artemis – Seine Umdeutung als Macellum – Der archaische Kultbezirk an der Heiligen Straße – Das Heiligtum der Nymphen an der Heiligen Straße – Der Taxiarchis-Hügel – Ritzzeichnungen im Apollontempel – Antike Reste in der Moschee Im Sommer 1975 begann Klaus Tuchelt den riesigen Bereich nordwestlich des Apollontempels auszugraben, durch den die Heilige Straße von Milet führte und der in der Antike dicht bebaut war. Die letzten Sondagen ließ er dort im Jahr 1996 vornehmen. Die endgültige Aufarbeitung der Befunde ist bis heute nicht abgeschlossen. Bei den Arbeiten dort unterstützte Klaus Tuchelt – neben vielen weiteren Mitarbeitern – der Bauforscher Peter Schneider. Beide waren schließlich der Meinung, nordwestlich der Heiligen Straße und südlich der Thermenanlage (siehe das vorangegangene Kapitel) das Heiligtum der Artemis von Didyma gefunden zu haben. Diese Deutung ist jedoch überholt, obwohl sie Eingang in zahlreiche Fachliteratur gefunden hat. Peter Schneider wurde 1950 in Hornberg im Schwarzwald geboren. Nach dem Abitur studierte er von 1971 bis 1979 Architektur in Karlsruhe. Ab 1979 arbeitete er bis 2005 regelmäßig in Didyma mit. Seitdem ist Schneider weiterhin mit Forschungen und Publikationen über Didyma beschäftigt, die u. a. den archaischen Apollontempel betreffen. Seine Promotion erfolgte 1995 zum Thema „Ein Kultbezirk an der Prozessionsstraße von Milet nach Didyma“ an der Universität Karlsruhe. Vorher und nachher arbeitete Peter Schneider an verschiedenen Forschungseinrichtungen. 1999 wurde er schließlich Professor für Baugeschichte und Denkmalpflege an der Hochschule für Technik in Stuttgart, wo er bis zu seiner Pensionierung 2015 lehrte. Unter Klaus Tuchelt und Peter Schneider wurde die Heilige Straße nicht nur innerhalb des Apollonheiligtums untersucht, sondern auch außerhalb von Didyma. Dabei gelang es, einzelne Heiligtümer auszugraben und zu identifizieren. Daneben erforschten Tuchelt und seine Mitarbeiter noch andere Bereiche des Apollonheiligtums. Im Besonderen bemühte sich Klaus Tuchelt um den Schutz und die Erhaltung des Apollonheiligtums. So wurden 1976 von der türkischen Regierung der Ortskern von Yoran und ein etwa 600 m breites Gebiet um ihn herum unter Schutz gestellt. Dieses Areal darf seitdem nicht mehr bebaut werden. Darüber hinaus begann 1992 die 259
Apollonheiligtum von Didyma
Restaurierung des Apollontempels, die von erfahrenen deutschen und türkischen Steinmetzen, u. a. von Christoph Kronewirth und İsmail Çelimli, bis heute fortgeführt wird. Bereits unter Theodor Wiegand hatte man 1909 festgestellt, dass der letzte Abschnitt der Heiligen Straße von Milet nach Didyma gepflastert gewesen war. Klaus Tuchelt wollte nach gründlichem Studium der schriftlichen Quellen zu Didyma herausfinden, wie weit sich die antike Bebauung um den Apollontempel ausdehnte und welche Gebäude bzw. Heiligtümer sich dort befanden (siehe das Kapitel zu Tuchelt). Eine in moderner Zeit unbebaute und dem Apollontempel nahe Fläche lag im Nordwesten Didymas. Dort wurde zuerst auf Privatgrundstücken gegraben, ehe 1978 und 1985 knapp zwei Hektar Land erworben werden konnten. Nur damit war es möglich, die ausgegrabenen Überreste nicht wieder zuschütten zu müssen. Allerdings gelang es bis heute nicht, sie der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. 1986 ließ Tuchelt eine 110 m lange Steinmauer bauen, die das Nordwestareal vor dem damaligen Straßenverkehr schützen sollte, aber eben auch interessierte Besucher fernhält. Unmittelbar hinter dieser Mauer, also direkt nördlich der modernen Straße, beginnt der gepflasterte Abschnitt der Heiligen Straße, der auf etwa 200 m Länge freigelegt wurde (Abb. 116). Wie bereits erwähnt, ließ Kaiser Trajan den Prozessionsweg zwischen Milet und Didyma 101/102 n. Chr. erneuern (siehe das Kapitel zu Newton). Innerhalb des Apollonheiligtums von Didyma wurde die 5–6 m breite Straße mit großen Kalksteinplatten gepflastert. Den Unterbau für diese etwa 25 cm starken Platten bildete eine bis zu 40 cm starke Schicht aus Kalksteinbrocken. Rechts und links hatte man die Straße mit profilierten Randsteinen eingefasst.
Abb. 116: Die Heilige Straße von Milet. Rechts die restaurierten Mauern der Kammern der kaiserzeitlichen Säulenhalle, davor der Unterbau des Propylon zur Thermengasse und links im Hintergrund die heutige Moschee. 260
Klaus Tuchelt und Peter Schneider – 1975 bis 2001
Diese aufwändig gestaltete Straße begann oder endete vielmehr etwa 100 m nördlich des Apollontempels. Lief man von dort aus in gerader Richtung nach Süden weiter, gelangte man auf die Nordseite des Apollontempels. Dort befand sich eine Art Festplatz, der zum Teil mit einer Treppenanlage für die Zuschauer eingefasst war (siehe das Kapitel zu Haussoullier und Pontremoli). Die Prozession von Milet zog von hier aus weiter um die Nordostecke des Apollontempels auf den östlichen Vorplatz mit dem Apollonaltar (Karte 6). Manche Forscher meinen aber, die Prozessionen seien am Ende der Heiligen Straße nach links (Osten) abgebogen und oberhalb des Apollontempels bis zur Terrasse östlich des Tempels gezogen. Deshalb versuchten sie, mit Ausgrabungen dort den weiteren Verlauf des Prozessionsweges zu finden. Das vermochten aber in den letzten Jahren Andreas E. Furtwängler (2008/2009) und Hüseyin Cevizoğlu (2013–2015) nicht. Jedoch war es womöglich Klaus Tuchelt bereits 1986 gelungen, das Ende des Prozessionsweges freizulegen. Er hatte nämlich eine Sondage südlich der modernen Straße anlegen lassen, und zwar genau in Verlängerung der Heiligen Straße, die ja nördlich davon endete. In besagter Sondage fand Tuchelt zwei große quadratische Fundamente aus Kalksteinen in Mörtel, die eine dazwischenliegende 2 m breite Pflasterung flankierten. Die beiden Fundamente haben eine Grundfläche von jeweils 2 x 2 m und befinden sich auf unberührtem Boden. Ihrer Machart nach können sie gleichzeitig mit dem trajanischen Straßenausbau entstanden sein. Die Pflasterung dazwischen ist jedoch jünger, entstand vielleicht im 6. Jh. n. Chr. Darunter wurde aber ein Laufhorizont des 2. Jhs. n. Chr. festgestellt. Wozu dienten die beiden Postamente? Trugen sie einen Torbogen, der das Ende der Heiligen Straße oder besser des Prozessionsweges markierte? Eine endgültige Antwort ist hier nicht möglich. Aber da zwischen den beiden Fundamenten die Verlängerungslinie der Heiligen Straße verläuft, ist eine solche Funktion nicht unwahrscheinlich. Im Übrigen wurde das Areal der Sondage von 1986 später teilweise überbaut. Von der Lage der Postamente kann man dennoch eine Vorstellung bekommen: Denn auf dem nördlichen Fundament liegt eine unbenutzte Säulentrommel für den Apollontempel. Die Oberseite dieser Trommel mit 2 m Durchmesser ragt heute noch ein paar Zentimeter aus dem Straßenbelag heraus ganz in der Nähe eines Cafés. Schräg gegenüber – hinter der Mauer – beginnt der heute sehr eindrucksvolle „Boulevard“, die trajanische Heilige Straße. Sie war auf beiden Seiten von Gebäuden flankiert. Diese wurden hauptsächlich ab hellenistischer Zeit errichtet. Davor gab es nur wenig Bebauung. Jedoch existierte eine befestigte Heilige Straße bereits ab dem 6. Jh. v. Chr. Sie war mit Kalksteinrundlingen gepflastert. Das Gehniveau dieser ältesten Straße lag knapp 2 m unter dem trajanischen Straßenbelag. Aus archaischer Zeit stammt auch der einzige Grenzstein des Apollonheiligtums (siehe das Kapitel zu Gell, Gandy und Bedford). Er wurde am östlichen Straßenrand etwa 15 m nördlich der späteren Thermengasse in situ gefunden; wo er heute noch sichtbar ist (Karte 6). Der zylinderförmige Kalksteinblock hat einen 261
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Durchmesser von 1 m und ist 0,66 m hoch. Dieser vermutliche Grenzstein bildet den bisher einzigen Anhaltspunkt für die Ausdehnung des Apollonheiligtums im 6. Jh. v. Chr. In der römischen Kaiserzeit verlief die Grenze wohl 100 m weiter nördlich, weil man dort beiderseits der Heiligen Straße Fundamente für ein mögliches Tor fand (siehe das Kapitel zu Wiegand und Knackfuß zum Jahr 1907). In hellenistischer Zeit wurde die Heilige Straße zweimal erneuert und „höher gelegt“, wahrscheinlich im 3. und 1. Jh. v. Chr. Die Randsteine der letzten hellenistischen Straßenbaumaßnahme kamen unter den kaiserzeitlichen Randsteinen zum Vorschein. Damals wurde auch eine Frischwasserleitung aus Tonrohren verlegt, zusätzlich zu den Abwasserkanälen beiderseits der Straße. Der aufwändigste Ausbau erfolgte jedoch unter Kaiser Trajan. Dieses heute noch sichtbare Kalksteinpflaster lag bis etwa in die Mitte des 6. Jhs. n. Chr. offen zutage, ehe man es teilweise überdeckte und eine weitere Schicht aufbrachte. Als im 7. Jh. n. Chr. die Gebäude entlang der Heiligen Straße zerstört wurden, bedeutete dies auch das Ende der ehemals „Heiligen“ Straße und sie wurde mit Häusern überbaut. Nach einzelnen Tiefensondagen in beschädigten Abschnitten der trajanischen Straße und ihrem Freilegen überhaupt erfolgten u. a. 1987 Grabungen nördlich außerhalb des Apollonheiligtums. Auf diese Weise stellte man den genauen Straßenverlauf und ihre Beschaffenheit bis zu einer modernen Tankstelle fest, hinter der keine Reste der Heiligen Straße bis zum antiken Hafen Didymas (heute Mavişehir) wegen Überbauung mehr feststellbar sind. Außerhalb des Apollonheiligtums hatte man die Heilige Straße beim Ausbau unter Trajan lediglich mit Randsteinen versehen und dazwischen als Belag ein kleinteiliges Steingemisch aufgebracht. Anstehender Fels wurde geglättet. So führte die Heilige Straße mit rund 18 Kilometer Länge von Didyma bis nach Milet, genauer gesagt bis an das sogenannte Heilige Tor, an dem eine Inschrift über den Straßenbau unter Kaiser Trajan angebracht ist (siehe die Kapitel zu Newton sowie zu Wiegand und Knackfuß zum Jahr 1907). Der genaue Straßenverlauf ist nicht überall völlig klar. Der Hafen Didymas, Panormos, wurde jedoch sowohl vom Apollonheiligtum als auch von Milet aus in beinahe gerader Linie angesteuert (Karte 2). Von dort aus transportierte man ferner das Baumaterial für den Apollontempel und die anderen Bauten mit Ochsenkarren nach Didyma. Ob dafür die Heilige Straße genutzt wurde, ist nicht klar. Jedoch muss vor Erreichen des gepflasterten Abschnitts eine „Baustraße“ abgezweigt sein, denn Ochsenkarren sind nachweislich nicht über das glatte Pflaster gefahren und die Hufe der Ochsen hätten darauf keinen Halt gefunden. Zwischen Panormos und Milet existieren entlang der Heiligen Straße an vielen Stellen Reste antiker Bebauung. Unter Klaus Tuchelt und Peter Schneider wurden dort zwei „Heiligtümer“ ausgegraben, über die weiter unten berichtet werden wird. Klaus Tuchelt war vor allem daran interessiert, Gebäude oder Heiligtümer Didymas zu finden, über die z. B. in Inschriften berichtet wird. Eines davon ist das Artemisheiligtum. Dieses glaubten er und Peter Schneider westlich der Heiligen Straße im Bereich der sogenannten Felsbarre gefun262
Klaus Tuchelt und Peter Schneider – 1975 bis 2001
den zu haben. Im Süden und im Westen wird dieses Areal durch die moderne Straße von Didyma nach Mavişehir begrenzt und im Norden durch die römische Thermenanlage (Karte 6). Bei der Felsbarre handelt es sich um einen Hügelrücken, der aus dem für Didyma typischen gelbbraunen Poros besteht, über dem sich teilweise Kieselsedimente (Konglomerat) befinden. Erste Baumaßnahmen bei der Felsbarre erfolgten im 7. Jh. v. Chr. Im Laufe der Zeit wurden u. a. vier kleinere Becken (jeweils etwa 4 x 4 m messend) im Fels angelegt, die sich durch Sickerwasser fühlten. Diese „Quellen“ versiegten jedoch bald, und ab dem Hellenismus grub man mehrere Brunnen, um weiterhin genügend Wasser zur Verfügung zu haben. Die Frage, die sich von Anfang an stellte, war natürlich, wofür man Wasser aus mindestens fünf Brunnen auf der Felsbarre brauchte? Dazu ist es nötig, die baulichen Reste und die Kleinfunde zu betrachten. Größere Gebäude gab es in archaischer Zeit nicht. Damals wurden das westliche und das südliche Wasserbecken angelegt. Kurz darauf entstand das nördliche Wasserbecken, welches man mit dem Südbecken durch einen Kanal verband. Beide befinden sich etwa 10 m von der parallel verlaufenden Heiligen Straße entfernt. Überdies erfolgten in archaischer Zeit weitere kleine Einbauten auf der Felsbarre. Erst im 3./2. Jh. v. Chr. fanden größere Baumaßnahmen entlang der erneuerten Heiligen Straße statt. Östlich von ihr entstanden u. a. zwei Gebäude, die mit ihren Säulenhallen an die Straße angrenzten. Gegenüber bei der Felsbarre wurde ein Bau errichtet, der sich mit 11 m Breite zur Heiligen Straße hin öffnete und 17,40 m lang ist. Die Ausgräber deuteten dieses Fundament als einen offenen, heiligen Bezirk und bezeichneten ihn als „Altartemenos“. Für wenig hohe Umfassungsmauern sind seine 1,30 m breiten Fundamente jedoch zu stark (Abb. 117).
Abb. 117: Die Südwestecke des „Altartemenos“ (Tamiaion, 2. Jh. v. Chr.) an der Heiligen Straße links im Vordergrund. Rechts die rückwärtigen Räume der trajanischen Säulenhalle. 263
Apollonheiligtum von Didyma
Nördlich davon baute man im späten Hellenismus zwei größere Gebäude mit jeweils mehreren Räumen um einen Hof. Beide sind durch die Gasse getrennt, die von der Heiligen Straße in Richtung Therme führt. Ihnen wurde bisher noch keine Funktion zugewiesen, aber aufgrund ihres Grundrisses könnten sie als Unterkünfte für das Kultpersonal gedient haben. Ehe sich die Deutung von Klaus Tuchelt und Peter Schneider des ganzen Bereiches als Heiligtum und später als Artemisheiligtum durchsetzte, gab es noch einen anderen Deutungsansatz, der jedoch in Vergessenheit geriet: Er betrifft das „Altartemenos“. Wolfgang Günther interpretierte es zunächst als Amtslokal der Tamiai, der Schatzmeister von Didyma (siehe das Kapitel zu Ross). Dabei ging Günther davon aus, dass der Bau eine wichtige Bedeutung hatte, weil er sich direkt an der Heiligen Straße befand. Im Übrigen ist es durchaus wahrscheinlich, dass es sich um ein überdachtes Gebäude handelte, da seine starken Fundamente eher dafürsprechen als für eine Umfassungsmauer. Entscheidend für Günthers Vorschlag waren jedoch zwei Inschriften, die auf Wandquadern aus Kalkstein eingehauen sind und 1978 beim „Altartemenos“ in Zweitverwendung gefunden wurden. Sie tragen Aufzeichnungen der Tamiai, die für die Finanzverwaltung in Didyma zuständig waren. Bereits der Bearbeiter der Inschriften von Didyma, Albert Rehm, vermutete, dass die zahlreichen ihm bekannten Tamiai-Inschriften an einem Gebäude angebracht waren. Obendrein nahm er folgerichtig an, dass diese wichtige Behörde in Didyma ihr eigenes Amtslokal besaß (siehe das Kapitel zu Haussoullier und Pontremoli). Da die beiden neuen Inschriften die Tamiai betreffend beim „Altartemenos“ gefunden wurden und es manchmal üblich war, Inschriften der Amtsträger auf ihrem Amtslokal anzubringen, könnte sich in hellenistischer Zeit das „Haus der Tamiai“ (Tamiaion) an der Heiligen Straße befunden haben. Im Übrigen kam die fälschliche Bezeichnung „Altartemenos“ auch wegen eines südlich anschließenden Altars zustande, der jedoch noch unter Tuchelt als nördliches Wasserbecken umgedeutet wurde. Östlich der Heiligen Straße trat an ihrem Knick der sogenannte Südostbau zutage (Karte 6). Wenige Meter dahinter – in Richtung des „Taxiarchis-Hügels“ – fand man eine Stützmauer aus großen Kalksteinblöcken, die auf einer Länge von etwa 30 m freigelegt wurde. Beide Bauwerke gehörten offensichtlich zusammen und wurden von den Ausgräbern vorläufig in das 2. Jh. v. Chr. datiert. Beim Südostbau handelt es sich um eine Plattform, die etwas über 6 m breit ist. Ihre Länge beträgt knapp 6 m, die Ostseite ist jedoch ausgeraubt. Das Fundament und die Euthynterie aus Kalksteinblöcken sind in situ überkommen (Abb. 118). Darüber hinaus traten bei der Ausgrabung marmorne Bauglieder zutage, die zum Südostbau gehörten. Gefunden wurden u. a. Architrav-Friesblöcke, die auf Säulen auflagen; außerdem Teile der Kassettendecke und des Giebels. Obwohl der Südostbau bereits 1990/91 ausgegraben wurde, sind bis heute über ihn nur kurze Anmerkungen in Vorberichten veröffentlicht. Dennoch kann man aus dem Bekannten schließen, 264
Klaus Tuchelt und Peter Schneider – 1975 bis 2001
dass es sich um einen kleinen tempelartigen Bau (Naiskos) gehandelt haben wird; und nicht um einen Altar, wie die Ausgräber vermuteten.
Abb. 118: Blick auf die Plattform des Südostbaues (2. Jh. v. Chr.) an der Heiligen Straße von Südwesten. Im späten Hellenismus, etwa im 1. Jh. v. Chr., errichtete man rechts und links der Heiligen Straße einschiffige Säulenhallen, und zwar nördlich des Südostbaues. Wenig später kamen in der frühen Kaiserzeit rund 40 m lange Säulenhallen beiderseits der Heiligen Straße südlich des Südostbaues hinzu. Die nördliche Halle auf der Westseite hatte jedoch nicht lange Bestand, denn schon im 2. Jh. n. Chr. wurden sie und das vermutliche Amtslokal der Tamiai abgetragen und eine große Hallenanlage unmittelbar westlich der Heiligen Straße errichtet (Abb. 119). Diese Halle war L-förmig, weil sie sowohl die Heilige Straße auf 65 m flankierte als auch die Thermengasse auf 35 m Länge. Hinter dem Säulengang hatte man eine Reihe Kammern angeordnet, insgesamt 17 Räume. Die Wände bestanden aus Kalkbruchsteinen im Mörtelbett. Diese Mauern wurden unter Klaus Tuchelt restauriert und geben heute so einen guten Eindruck dieser mächtigen Anlage wieder (siehe Abb. 116). Allerdings ist sie nur von Norden aus über Wiesen und Felder zu erreichen, weil die bereits erwähnte Mauer längs der modernen Straße einen Zugang von Süden aus nicht erlaubt. 265
Apollonheiligtum von Didyma
Abb. 119: Wiederherstellungsversuch (2. Jh. n. Chr.) der Säulenhalle an der Heiligen Straße mit den beiden Hofhäusern nördlich der Thermengasse. Ein Erdbeben zerstörte die Hallen rechts und links der Heiligen Straße im 4. Jh. n. Chr. Das oben erwähnte Hofgebäude nördlich der Gasse zu den Thermen scheint aber schon früher zerstört worden zu sein, nämlich beim Einfall der Goten in Didyma 262 n. Chr. So jedenfalls deutete Klaus Tuchelt die Befunde dort (siehe das Kapitel zu Wheler und Spon sowie das zu Tuchelt). Im 5./6. Jh. n. Chr. wurde nach einer „Zwischennutzung“ der Ruinen eine neue Hallenanlage westlich der Heiligen Straße gebaut, und zwar eine Arkadenhalle mit Rundbögen. Im 7. Jh. n. Chr. zerstörte ein Erdbeben den gesamten Komplex. Später, vielleicht im 10. Jh., erfolgte ein Wiederaufbau mit Häusern. Als Zwischenergebnis ist zu bemerken, dass die Funktion der Bauten nordwestlich des Apollontempels lediglich bei der Therme klar ist. Wozu die Anlagen auf der Felsbarre und um sie herum letztlich dienten, ist schwer zu erschließen, weil die 1975 begonnenen Forschungen nie umfassend publiziert wurden. Jedoch erlauben die bisher erschienenen Berichte eine vorläufige Deutung. Zunächst ist zu bemerken, dass keine Inschriften auf dem Gebiet zutage traten, die Hinweise auf die Nutzung des gesamten Komplexes geben. Eine Ausnahme davon stellen die beiden Tamiai-Inschriften dar, die eine Interpretation des „Altartemenos“ als Amtslokal der Tamiai nahelegen. Wie aber kam es zur Identifizierung der beschriebenen Gegend als Heiligtum der Artemis durch Klaus Tuchelt und Peter Schneider? 266
Klaus Tuchelt und Peter Schneider – 1975 bis 2001
Dabei spielten die Brunnen auf der Felsbarre eine Rolle. In ihnen fanden sich jeweils hunderte von zerbrochenen Schöpfgefäßen aus Ton, deren Nutzung wohl von hellenistischer bis in frühbyzantinische Zeit reichte. Ein Gefäß fasste jeweils 4–5 Liter Wasser und besaß einen Bügelhenkel, an dem das Seil befestigt war. Der Boden des Tongefäßes hatte einen kleinen Durchmesser, damit es beim Auftreffen auf das Wasser umkippte und volllief. Da sich die Ausgräber nicht vorstellen konnten, dass diese Gefäße unabsichtlich beim Wasserschöpfen kaputtgingen, deuteten sie diese als Weihgeschenke; also als sogenannte Votivgaben, die für einen Gott in den Brunnen deponiert wurden. Dabei ist dieser Befund typisch für antike Brunnen und an vielen Orten anzutreffen. Die tönernen Schöpfgefäße waren preiswert herzustellen und folglich leicht ersetzbar. Über den Schichten mit diesen Schöpfgefäßen fand man in den Brunnen hunderte Kilogramm von Tierknochen, die in spätantiker und frühbyzantinischer Zeit eingefüllt worden waren. Diese Knochen konnten laut Tuchelt nur von Opfern an die Götter stammen. Dagegen sprach aber eigentlich, dass die an die griechischen Götter zu opfernden Knochen zusammen mit dem Fell und Fett verbrannt wurden. Keiner der Knochen aus den Brunnen weist jedoch Brandspuren auf. Die Knochen stammen zu 75 % von Rindern, und zwar hauptsächlich von Ochsen. Außerdem sind etwa 15 % von Schafen und Ziegen, 4 % von Schweinen und 5,5 % von Hunden. Knochen aller Körperbereiche traten zutage, außer Zehenknochen und Schädelkalotten. Wie Klaus Tuchelt selbst feststellte, lag das daran, dass man die Tiere nicht im Bereich der Felsbarre geschlachtet hatte. Denn beim Abziehen des Felles verbleiben die Zehenknochen im Fell. Die Schädelkalotten entfernte man im Altertum oft von den Schädeln der Opfertiere, um sie z. B. an Tempeln aufzuhängen. Trotz dieses für ein griechisches Heiligtum überaus merkwürdigen Befundes glaubte Klaus Tuchelt, ein solches Heiligtum gefunden zu haben. Bei der Antwort auf die Frage welcher Gottheit es geweiht war, half ihm die Fülle der Anlagen, die mit Wasser zu tun hatten, nämlich Brunnen, Becken, Kanäle und Schöpfgefäße. Dieser Befund passte seiner Meinung nach zu den Priesterinnen der Artemis, die in Didyma Hydrophoren (Wasserträger) hießen (siehe das Kapitel zu Ross). Allerdings musste Klaus Tuchelt eingestehen, dass nirgendwo ein Brandopferaltar oder der inschriftlich bezeugte Tempel der Artemis im Bereich der Felsbarre zum Vorschein gekommen war. Wegen der vielen offensichtlichen Ungereimtheiten fiel es nach Tuchelts Tod Helga Bumke nicht schwer, seine Deutung in einem Aufsatz von 2006 zu revidieren. Sie hatte 1995 begonnen, die Funde von der Felsbarre mit auszuwerten. So bekam sie Einblick in den Widerspruch zwischen Interpretationsidee und archäologischer Befunde. Für ein Heiligtum sei es untypisch, dass die einfache Gebrauchskeramik überwiege und Reste wertvoller Weihgeschenke fehlen. Üblich war es bei den Griechen auch, Weihinschriften auf den Votiven anbringen. Aber auf den hunderten Schöpfgefäßen fand sich keine einzige Inschrift. Außerdem wären nirgendwo Opfer bezeugt, bei denen man den Göttern nur die Knochen weihte. Schließlich opferte man in der Regel männlichen Göttern männliche Tiere und weiblichen Göttern weibliche Tiere. Warum waren dann im Artemisheiligtum mehrheitlich Knochen von Ochsen zutage getreten? 267
Apollonheiligtum von Didyma
Letztlich meinte Helga Bumke, dass die Anlagen auf der Felsbarre und die Halle davor als eine Art Fleischmarkt dienten. Sie machte noch auf die vielen Hackspuren auf den Knochen aufmerksam, die auf eine schnelle Verarbeitung der Opfertiere hindeuten. Danach wurde nichts weiter zum ehemaligen „Artemisheiligtum“ publiziert, obwohl doch weitere Hinweise für seine Interpretation als „Fleischbank“ von Didyma sprechen. Für ein schlichtes griechisches Heiligtum hätte man kaum eine solche Vielzahl an Brunnen und Becken zur Wasserversorgung benötigt. Wenn aber tatsächlich viele Tiere auf einmal geschlachtet wurden und schnell zu verarbeiten waren, dann schon. Denn es ist z. B. bekannt, dass man Apollon oftmals dutzende Tiere auf einmal opferte (siehe das Kapitel zu Wiegand und Knackfuß zum Jahr 1907). Die Schlachtung fand immer am Altar statt, also für Apollon am Rundbau vor seinem Tempel. Anschließend transportierte man die Kadaver zur „Fleischbank“ an der Heiligen Straße, wo sie zerteilt und verkauft wurden. Darüber hinaus ist ein solches Macellum für Didyma inschriftlich bezeugt (siehe das Kapitel zu Wiegand und Knackfuß zum Jahr 1906), worauf Helga Bumke in ihrem erwähnten Aufsatz hinwies. Ein letzter Gedanke sei noch angefügt: Wenn sich im Nordwesten von Didyma das zweitwichtigste Heiligtum, nämlich das der Artemis, befunden hätte, müssten dort eigentlich die Reste einer Kirche zutage getreten sein. Denn es war in der Spätantike üblich und nötig, die heidnischen Kultstätten zu beseitigen und an ihrer Stelle einen christlichen Kultbau zu errichten. Aber das geschah beim „Artemisheiligtum“ nicht. Das Macellum war damals nicht mehr notwendig, weil keine Tieropfer mehr stattfanden. So konnte man seine Einrichtungen demolieren und die ebenfalls nicht mehr benötigten Brunnen wurden mit den Knochen der Opfertiere „versiegelt“. Vor diesem Bezirk errichtete man schließlich die schon erwähnte Arkadenhalle im 5./6. Jh. n. Chr. Weitere Überlegungen zu diesem über Jahrzehnte hinweg ausgegrabenen und erforschten Gebiet des Apollonheiligtums bleiben schwierig, solange die Befunde nicht ausführlich veröffentlicht sind. Dies schmälert jedoch nur zum Teil die Arbeit von Klaus Tuchelt, Peter Schneider und all den anderen. Denn dadurch ist es heute möglich, den Bereich westlich der Heiligen Straße nicht mehr als Artemisheiligtum, sondern als Macellum zu bezeichnen. Zumal im Jahr 2013 das Fundament des Artemistempels etwa 150 m weiter östlich – hinter der heutigen Moschee – zum Vorschein kam (siehe das Kapitel zu Bumke). Klaus Tuchelt und Peter Schneider erforschten die Heilige Straße umfassend, das heißt von ihrem Ende im Apollonheiligtum in Didyma bis zu ihrem Anfang vor den Toren Milets. Im Jahr 1900 hatte Paul Wilski bereits an einigen Stellen den Straßenverlauf zwischen Milet und Didyma feststellen können (siehe das Kapitel zu Wiegand und Knackfuß zu den Jahren vor 1906). Ab 1979 unternahm Peter Schneider weitere Forschungen dazu. Im Jahr 1984 gab es an der Heiligen Straße einen spektakulären Neufund. Auf dem Höhenzug zwischen Milet und Panormos (heute Mavişehir) wurden an einer Stelle Fragmente archaischer Statuen gefunden. Karin Gödecke entdeckte eine Sphinx und Wolf Schiele eine Sitzstatue. 268
Klaus Tuchelt und Peter Schneider – 1975 bis 2001
In dieser Gegend hatte es vier Jahre zuvor einen schweren Maccienbrand gegeben, der Mauer und Gebäudereste zum Vorschein kommen ließ. Wie bereits erwähnt, führte die Heilige Straße von Milet in gerader Linie nach Panormos. Etwa 4,5 Kilometer südlich von Milet beginnt der Anstieg zu einem Höhenzug, der in der Antike „Akron“ genannt wurde (Griechisch für „Spitze“ oder „Gebirge“). Heute führt ein Feldweg dort hinauf, der im Dorf Akköy hinter der Moschee beginnt. Hier ist ferner ein guter Ausgangspunkt, um die Heilige Straße bis nach Mavişehir entlang zu wandern. Die ersten antiken Überreste der Heiligen Straße sind nach Ersteigung des etwa 200 m ü. NN liegenden Akron sichtbar. Von dort läuft man knapp 1,5 Kilometer nach Südsüdwesten über eine Ebene bis zum Beginn der Macchia. Nun führt ein sanft abfallendes Tal hinunter nach Panormos und Didyma, welches hier zum ersten Mal in den Blick kommt. Die Heilige Straße verläuft rechts oberhalb einer Schlucht. An deren Anfang kam westlich der Straße die Stelle mit den Skulpturenund Mauerresten zutage (Karte 2). In den Jahren 1985 und 1986 wurde dieser Bereich von Klaus Tuchelt, Peter Schneider und ihren Mitarbeitern ausgegraben. Abschließende Forschungen erfolgten 1988. Man fand einen rund 40 x 90 m großen rechteckigen Bezirk, der von einer 1 m starken Mauer aus Kalksteinen eingefasst war. An dieser Anlage führte die Heilige Straße 10 m entfernt parallel daran vorbei. Die größere südöstliche Hälfte des vermutlichen Heiligtums war offensichtlich unbebaut geblieben. Eine Mauer trennte sie von der nordöstlichen Hälfte. Nördlich dieser Trennmauer lag der Eingang zum sogenannten Kultbezirk an der Heiligen Straße auf rund 173 m ü. NN (Abb. 120).
Abb. 120: Heilige Straße zwischen Milet und Didyma. Grundrissrekonstruktion des archaischen Kultbezirks. 269
Apollonheiligtum von Didyma
In der Mitte des nördlichen Bereiches trat eine halbkreisförmige Mauer mit einem Durchmesser von 16 m zutage. Sie bildete die Basis für die Aufstellung von mindestens zehn männlichen und weiblichen Sitzstatuen, die für die Gegend um Milet im 6. Jh. v. Chr. typisch waren (siehe das Kapitel zu Texier). Diese Statuen sind stark beschädigt, weil man versucht hatte, sie gewaltsam zu zerstören und ihnen die Köpfe abschlug. Hier an der Heiligen Straße fand man solche für Ionien typischen Sitzstatuen zum ersten Mal an ihrem ursprünglichen Aufstellungsort. Östlich dieser Halbkreis-Basis kamen die Reste eines rund 12 x 7 m messenden Gebäudes, des sogenannten Ostbaues, zum Vorschein. Dieser längsrechteckige Bau wies eine Tür nach Süden auf und hatte Kalksteinwände als Sockel für Lehmziegelmauern, die außen mit Glimmerschieferplatten verkleidet waren. Westlich der Halbkreis-Basis kam das zweite Gebäude zum Vorschein, ein kleines Haus mit vorspringenden Anten von etwa 10 x 5 m Größe und gleicher Bauart. Sein Eingang zeigte ebenfalls nach Süden. Ansonsten trat westlich des Antenbaues noch ein kleines Häuschen mit einer Herdstelle zutage. Die beiden großen Gebäude hatten Dächer, die mit qualitätvollen Dachziegeln aus Ton gedeckt waren. Vom Dach des Ostbaues wurden über 6000 Fragmente gefunden, die Peter Schneider bearbeitete. Die Fugen zwischen den flachen Stroteren hatte man mit gekrümmten Kalypteren überdeckt. Plastisch verziert waren die Traufziegel der Langseiten mit einem doppelten Flechtband. Die Kalyptere der Traufseite wiesen überdies jeweils ein Gorgoneion auf, also den Kopf einer Gorgo (siehe das Kapitel zu Haussoullier und Pontremoli). Dieses Dach aus dem dritten Viertel des 6. Jhs. v. Chr. stellt eine Besonderheit des antiken Ioniens dar, weil es beinahe vollständig überkam. Den Anlass zur Auffindung des Heiligtums hatte der Fund eine Sphinx-Skulptur gebildet. Davon existierten ursprünglich sechs Stück, die auf der Mauer vor der Heiligen Straße aufgestellt waren. Von vier dieser Sphingen fertigte man Abgüsse an, die im Grabungshaus von Didyma im Garten aufgestellt sind. Die Originale befinden sich zusammen mit den Sitzstatuen im Museum von Milet. Am Ende stellte sich den Ausgräbern die Frage, wann und wie diese Anlage genutzt wurde. Der Bezirk hatte sicher eine kultische Funktion, weil er an einer so abgelegenen und doch herausragenden Stelle der Heiligen Straße eingerichtet wurde. Inschriften fand man keine, die zur weiteren Aufklärung hätten beitragen können. Auch die Inschrift aus dem Delphinion von Milet, die die Prozession von dort ins Apollonheiligtum von Didyma schildert, kann hier nicht weiterhelfen (siehe das Kapitel zu Newton). Topographisch käme zwar die Station „bei der Dynamis“ in Frage, aber da die Inschrift aus dem 2. Jh. v. Chr. stammt und der Kultbezirk lange vorher zerstört wurde, kann diese Station nicht gemeint sein. Zur Datierung und Funktion des heiligen Bezirkes heranziehen kann man also nur die Gebäude- und Skulpturenreste sowie die übrigen archäologischen Befunde. Stilistisch lassen sich die Sitzstatuen, die Sphingen und die Gorgoneia der Dachziegel in das dritte Viertel des 6. Jhs. v. Chr. datieren. Damals entstand die Anlage. Insgesamt kamen etwa 4800 Keramikscherben zum Vorschein. Davon wurden die besser erhaltenen und halbwegs be270
Klaus Tuchelt und Peter Schneider – 1975 bis 2001
stimmbaren katalogisiert, und zwar 191 Stück. Man fand keine ganzen Gefäße und sonst nur sehr kleine Scherben. Andere wertvolle Funde möglicher Votivgaben aus Ton, Metall oder Holz traten nicht zutage. Um ein Heiligtum für eine bedeutende Gottheit kann es sich mithin nicht gehandelt haben. Ferner wurden die Scherben sämtlich in einer Schicht gefunden, die sich unmittelbar unter der Erdoberfläche befand. Die Scherben stammen weitgehend von sogenannter Gebrauchskeramik, die nicht genau datiert werden kann. Dennoch ist deutlich, dass der überwiegende Anteil dem späten 6. Jh. v. Chr. angehört. Nur sehr wenige Scherben ordnen die Bearbeiter dem 5. und 4. Jh. v. Chr. zu. An dem Befund ist zu erkennen, dass der Kultbezirk nur über einen relativ kurzen Zeitraum genutzt wurde. Klaus Tuchelt zufolge sollen die Keramikscherben aber anzeigen, dass die Anlage etwa 200 Jahre in Gebrauch war. Das ist unwahrscheinlich, weil dann auch die Gebäude aus Lehmziegelmauern und die Dachziegeldächer Spuren einer Restaurierung aufweisen müssten. Richtig ist Tuchelts Beobachtung, dass die Anlage absichtlich zerstört wurde, was z. B. an den zerschlagenen Skulpturen erkennbar ist. Des Weiteren beinhalten die Keramikscherben viele Amphoren und Trinkschalen, also Gefäße, die bei Festgelagen benutzt worden sind. Scherben von Kochtöpfen wurden nur wenige gefunden, sodass davon auszugehen ist, dass das Essen für die Festteilnehmer „angeliefert“ und im Herdhaus nur aufgewärmt wurde; Tierknochen fand man übrigens keine. Der Kultbezirk diente also zur Feier von Gelagen. Aber wer traf sich dort und wer wurde verehrt? Darauf gibt es bis heute keine sichere Antwort. Wahrscheinlich ist jedoch, dass es sich um Angehörige adliger Familien aus Milet handelte. Vermutlich verehrten sie in dem Kultbezirk ihre mythischen oder wirklichen Vorfahren. Dazu passen die Sitzstatuen von Männern und Frauen im Zentrum des heiligen Bereiches. Die letzten Fragen zu dem Kultbezirk lauten nun, wann und durch wen er zerstört wurde. Klaus Tuchelt verortete die Zerstörung zuerst in der Mitte des 5. Jhs. v. Chr. und später im 4. Jh. v. Chr. Jedoch ist eine so lange durchgehende Nutzung der Anlage – wie oben gesagt – eher unwahrscheinlich. Wenn der Kultbezirk nur eine kurze Zeit in Betrieb war, dann ist der naheliegende Grund im niedergeschlagenen Ionischen Aufstand zu suchen. Danach zerstörten die Perser 494 v. Chr. Milet und plünderten das Apollonheiligtum von Didyma (siehe das Kapitel zu Choiseul-Gouffier). Warum sollen sie nicht eine kleine Abordnung über die Heilige Straße geschickt haben, um wichtige Bauwerke dort zu zerstören? Folglich kann man davon ausgehen, dass der Kultbezirk nicht mehr als 50 Jahre genutzt wurde. Dass die Anlage danach nicht wiederaufgebaut wurde, ist ebenfalls einleuchtend. Denn in der Mitte des 5. Jhs. v. Chr. beherrschten die Athener Milet. Damals wurden auf Druck Athens in Milet demokratische Reformen durchgeführt und adlige Familien aus Milet verfolgt, die sich dagegen sträubten. Mithin wäre ein Wiederaufbau des Kultbezirks in klassischer Zeit kaum möglich gewesen. 271
Apollonheiligtum von Didyma
Nach und nach wurden die wertvollen Bauteile der verlassenen Anlage ausgeraubt und sie geriet in Vergessenheit, obwohl man die Heilige Straße daneben noch bis ins 5./6. Jh. n. Chr. nutzte. Und erst 1984 entdeckte eine Wandergruppe aus dem Grabungshaus von Didyma bei ihrem „Sonntagsspaziergang“ den Kultbezirk wieder. Erstaunlicherweise erschien bereits 1996 die Endpublikation darüber. Sie trägt den Titel „Ein Kultbezirk an der Heiligen Straße von Milet nach Didyma“. Dieses Buch stellt den ersten Band dar, der zu den neuen Ausgrabungen in Didyma seit 1962 veröffentlicht wurde. Wenn ihn die heutigen einheimischen Raubgräber lesen könnten, würden sie vielleicht auch ihre erfolglosen Bemühungen einstellen, dort wertvolle Funde zu machen. An ihren Löchern und Erdhaufen kann man allerdings den Kultbezirk leicht am Beginn der Macchia auf dem Weg von Akköy aus finden. Mit der genannten Publikation wird ferner die Bedeutung der Heiligen Straße von Milet nach Didyma unterstrichen, und zwar schon im 6. Jh. v. Chr. Diese wird heute von manchen Forschern angezweifelt. Aber der aufwändige Ausbau der Heiligen Straße über das Akron belegt die Wichtigkeit des Apollonheiligtums von Didyma für Milet. Die Straße diente in ihrer Streckenführung auf keinen Fall als Transport- oder Wirtschaftsweg, und dennoch wurden die Felsen buchstäblich für sie abgearbeitet. Dass die Heilige Straße trotzdem oft begangen wurde, zeigt die Einrichtung des prunkvoll mit Statuen geschmückten Kultbezirkes kurz unterhalb ihres höchsten Punktes. Diese Anlage aus der Blütezeit Milets im 6. Jh. v. Chr. war dort für alle „Wanderer“ gut zu sehen. Die Heilige Straße blieb im Focus von Klaus Tuchelt und Peter Schneider. Neben weiteren Ausgrabungen innerhalb des Apollonheiligtums in den folgenden Jahren wendeten sie sich 1994 dem sogenannten Nymphenheiligtum zu. Es befindet sich ca. 2 Kilometer südlich des eben beschriebenen archaischen Kultbezirks (Karte 2). Geht man von dort die Heilige Straße rechts des Tales bis auf etwa 110 m ü. NN hinunter, gibt es links der Straße eine Quelle. Dort fand Theodor Wiegand bereits 1901 das Unterteil einer archaischen weiblichen Sitzstatue, auf der eine Weihinschrift an die Nymphen angebracht war. Somit folgerte er, dass an dieser Stelle das Nymphenheiligtum lag, welches bei der Neujahrsprozession von Milet nach Didyma aufgesucht wurde. Nymphen waren im Altertum Naturgottheiten, die oft eine Quelle und ihr Wasser verkörperten. Zu ihrer Verehrung bedurfte es nicht unbedingt eines Tempels, sie konnte auch im Freien geschehen. Ein Nymphenheiligtum wird in der bereits erwähnten Inschrift aus dem Apollon-Delphinios-Heiligtum in Milet genannt. Die darin u. a. geschilderte Prozession macht an sieben Stationen halt, um Gesänge und Opfer für Apollon darzubringen. Die dritte Station bildete die Wiese auf dem Akron bei einem Nymphenheiligtum. Die siebente und letzte Station lag bei den Standbildern des Chares, die kurz vor dem Eingang nach Didyma aufgestellt waren (siehe das Kapitel zu Newton). 272
Klaus Tuchelt und Peter Schneider – 1975 bis 2001
Nach Theodor Wiegand beschäftigte sich erst wieder Peter Schneider mit dem vermutlichen Nymphenheiligtum. Er nahm die Baureste auf und fertigte einen Plan an (Abb. 121). Die Heilige Straße verläuft etwa 5 m oberhalb der besagten Quelle. Der Zugang zur Quelle erfolgte über eine 3 m breite und 50 m lange Rampe, die südlich der Quelle von der Heiligen Straße abzweigte. Auch heute noch ergießen sich pro Minute ca. 20 bis 40 Liter Wasser aus der Quelle in ein modernes Auffangbecken. Etwas unterhalb befinden sich zwei weitere, größere Becken als Viehtränken. Ferner wird das Wasser zur Bewässerung abwärts gelegener Gärten benutzt.
Abb. 121: Heilige Straße zwischen Milet und Didyma. Übersichtsplan des Nymphenheiligtums (erstellt vor der Ausgrabung). Peters Schneiders Forschungen waren der Anlass für Ausgrabungen im Bereich der Quelle, die im August und September 1994 durchgeführt wurden. Die Ergebnisse dieser Forschungen publizierten im Jahr 2000 Helga Bumke, Alexander Herda, Elgin Röver und Thomas Schattner. 273
Apollonheiligtum von Didyma
Bei den Ausgrabungen im unmittelbaren Umkreis der Quelle traten keine baulichen Reste aus der Antike zutage. Doch fand man nördlich davon die Überbleibsel einer römischen Thermenanlage. Auf einer Fläche von etwa 15 x 20 m kamen Mauern von vier Räumen zum Vorschein; die Anlage war ursprünglich jedoch größer. Unter den Räumen traten die Reste einer Fußbodenheizung (Hypokaustum) zutage, außerdem wiesen die Wände Wandbemalung auf oder waren mit Marmorplatten verkleidet. Wasserrohre aus Ton wurden ebenfalls gefunden, die wohl das Quellwasser in die Therme leiteten. Diesen Bau errichtete man um 100 n. Chr., umgebaut wurde er um 200 n. Chr. und noch einmal am Anfang des 4. Jhs. n. Chr. Ein Erdbeben in der zweiten Hälfte des 4. Jhs. n. Chr. zerstörte die Therme. Dieses Erdbeben war wohl das gleiche, dass die Bauten des Macellum an der Heiligen Straße in Didyma zum Einsturz brachte (siehe oben). Im 5./6. Jh. n. Chr. entstanden bei der Quelle neue Häuser unter Nutzung der alten Thermenmauern. Schließlich wurde die Gegend im 7. Jh. n. Chr. verlassen. Oberhalb, das heißt westlich der Heiligen Straße, befanden sich im Altertum aufwändige Grabbauten, die man in spätantiker/frühbyzantinischer Zeit zu Wohnhäusern umbaute. Allerdings war zu dieser Zeit die Therme unterhalb nicht mehr in Betrieb. Aber wer nutzte sie in der römischen Kaiserzeit? 1994 wurden deshalb auch Sondagen etwa 65 m unterhalb der Quelle links der Heiligen Straße angelegt. Dort traten Mauern zutage, die womöglich zu einer Siedlung gehörten, die sich seit spätestens hellenistischer Zeit dort befand. Ein genaues Bild der antiken Bebauung im Bereich der Quelle existiert jedoch bis heute nicht, weil die Forschungen 1994 nur begrenzte Ausgrabungen zuließen. Weitere waren damals vorgesehen, konnten aber bis heute nicht durchgeführt werden. Im Jahr 2002 erfolgte lediglich eine geophysikalische Prospektion unter Axel Filges, die die Vermutungen von 1994 bestätigte (siehe das Kapitel zu Filges). Dennoch trugen die damaligen Ausgrabungen und Funde dazu bei, die Annahme zu erhärten, dass sich das Nymphenheiligtum der Prozessions-Inschrift bei der Quelle befand. Ein wichtiges Indiz bildete der Fund einer spätarchaischen Frauenstatue (einer Kore), die als Weihgeschenke in Heiligtümer beliebt waren. Der augenfälligste Hinweis bleibt aber die von Wiegand gefundene Statue, die eine Weihinschrift an die Nymphen ziert. Die archäologischen Forschungen innerhalb des Apollonheiligtums von Didyma und außerhalb u. a. beim archaischen Kultbezirk ergaben, dass die Heilige Straße im 6. Jh. v. Chr. ausgebaut wurde. In Tälern wurden auf einer Seite Stützmauern errichtet und der Bereich dahinter aufgefüllt, sodass eine 5 bis 6 m breite Trasse entstand (Abb. 122). Solch ein Abschnitt ist auch noch im Bereich des Nymphenheiligtums anzutreffen. Die dort zutage getretenen Keramikfunde beginnen ebenfalls in der archaischen Zeit und reichen bis in die frühbyzantinische Epoche, wobei die klassische Periode (5./4. Jh. v. Chr.) nur sehr schwach vertreten ist. Dies hängt sicher mit dem Niedergang Milets und Didymas nach dem niedergeschlagenen Ionischen Aufstand 494 v. Chr. zusammen. Folglich kann von einer Nutzung des Nymphenheiligtums vom 6. Jh. v. Chr. bis ins 4. Jh. n. Chr. ausgegangen werden. 274
Klaus Tuchelt und Peter Schneider – 1975 bis 2001
Abb. 122: Heilige Straße zwischen Milet und Didyma. Blick auf die nach Süden führende Straße im Bereich des archaischen Kultbezirks. Nach 1994 stand das vermutliche Heiligtum der Nymphen noch einmal kurz im Rampenlicht: Am 16. September 2006 wurde in Didyma das 100-jährige Jubiläum des Beginns der deutschen Ausgrabungen gefeiert. Dabei hatten die Gäste die Möglichkeit, die Heilige Straße von Milet nach Didyma ein paar Kilometer entlang zu wandern. Von Akköy aus ging es das Akron hinauf. Oben allerdings verlief sich die etwa 50 Mann starke Wandergruppe ein paar Mal unter Führung des Autors, da diesem der Weg damals noch nicht vertraut genug war. Schließlich fand man bei 38 Grad im Schatten doch noch den archaischen Kultbezirk an der Heiligen Straße, der in der Macchia schwer auszumachen war. Die Gruppe mit zahlreichen in der Türkei arbeitenden Archäologen, dem Bürgermeister von Didyma und dem deutschen Botschafter in der Türkei gelangte nach zwei Stunden zur Mittagszeit an das Nymphenheiligtum, welches mit seiner reichlich sprudelnden Quelle für eine unerwartete Erfrischung der meisten Wanderer sorgte. Etwas später lieferten Grabungsmitarbeiter per Traktor noch einen Imbiss mit Brot, Gemüse und Obst an. Nun wurde der Halt der modernen „Prozession“ doch noch zu einem kleinen Festgelage bei den Nymphen auf den Wiesen des Akron. Im Jahr 2000 begann Helga Bumke unter dem Grabungsleiter Klaus Tuchelt, Ausgrabungen auf dem sogenannten Taxiarchis-Hügel vorzunehmen. Dieser stellt im Apollonheiligtum mit 77 m ü. NN die höchste Erhebung dar, die jedoch nur wenig herausragt (Höhe der Heiligen Straße und der untersten Stufe des Apollontempels jeweils 68 m ü. NN). Der Taxiarchis-Hügel liegt etwa 100 m nordwestlich der heutigen Moschee (75 m ü. NN) und ebenfalls rund 100 m östlich der Heiligen Straße (Karte 6). 275
Apollonheiligtum von Didyma
Heute ist der „Gipfel“ des Taxiarchis-Hügels ein unscheinbarer Ort, weil er als Feld und Weide genutzt wird. Vor über 100 Jahren war das anders, denn damals befanden sich auf ihm eine Windmühle und eine Kapelle, die dem heiligen Taxiarchis, dem Erzengel Michael, geweiht war (Karte 5). Sie wurde – wie all die anderen Kapellen von Jeronda – 1922 beim „Bevölkerungsaustausch“ beschädigt oder zerstört (siehe das Kapitel zu Wiegand und Knackfuß zu den Jahren nach 1913). Bereits 1974 hatte Rudolf Naumann einige Sondagen auf dem Taxiarchis-Hügel anlegen lassen. Er stellte fest, dass die Kapelle des 19. Jhs. einen spätbyzantinischen Vorgänger hatte. Ansonsten fand er in der Kapelle einen Brunnen und um sie herum spätantike Mauern sowie viele byzantinische und moderne Gräber. Überdies traten hochwertige archaische Kleinfunde zutage. Aufgrund dieser Funde und der Annahme, dass christliche Kapellen oft über antiken Tempeln errichtet wurden, führte Helga Bumke auf dem Taxiarchis-Hügel in den Jahren 2000, 2001, 2003 und 2009 Ausgrabungen durch (Abb. 123).
Abb. 123: Der Taxiarchis-Hügel von Südosten. Im Hintergrund Mavişehir, wo sich der antike Hafen Didymas, Panormos, befand. Dabei kamen große Mengen qualitätvoller Weihegaben zutage, die man den Göttern Didymas in archaischer Zeit dargebracht hatte. Dies war eine erstaunliche Entdeckung, weil diese Funde das hohe Ansehen und die damalige weltweite Bedeutung des Apollonheiligtums bekräftigten, die bisher hauptsächlich aus schriftlichen Quellen bekannt war. Das Fundspektrum entspricht dabei exakt dem, welches in viel kleineren Mengen bei allen Ausgrabungen im und um den Apollontempel herum z. B. in den Jahren 2004 bis 2009 gefunden wurde (siehe das Kapitel zu Furtwängler). 276
Klaus Tuchelt und Peter Schneider – 1975 bis 2001
Im Großen und Ganzen traf man auf der Hügelkuppe des Taxiarchis immer wieder drei Schichten an, die sich über dem anstehenden Felsen befinden. Die direkt auf dem Felsen liegende Erdschicht enthält weitgehend Funde vom Ende des 8. bis in die Mitte des 6. Jhs. v. Chr. Die Schicht darüber wurde in der zweiten Hälfte des 6. Jhs. v. Chr. aufgebracht. Besonders charakteristisch ist die folgende Schicht: Sie besteht größtenteils aus Asche und den bereits erwähnten Funden, die nicht jünger sind als die Zeit um 500 v. Chr. Somit kann man schlussfolgern, dass die Ascheschicht nach der Plünderung und teilweisen Zerstörung des Apollonheiligtums im Jahr 494 v. Chr. auf dem Taxiarchis-Hügel deponiert wurde. Hier wird sich der moderne, dem Nützlichkeitsdenken verfallene Mensch sofort fragen, warum man den „Heiligtumsabfall“ auf der höchsten Erhebung von Didyma abgelagerte. Die Antwort darauf lautet, dass Dinge, die den Göttern geweiht waren, nicht aus dem Heiligtum herausgebracht werden durften. Dies galt auch für nicht mehr benötigte oder nicht mehr benutzbare „Geschenke“. Folglich musste man einen Platz für sie finden, der noch nicht bebaut war und innerhalb des Heiligtums lag. Dazu bediente man sich des Taxiarchis-Hügels. Er wurde später nur spärlich überbaut und lieferte so – ein Glücksfall für die Archäologie – ungestörte Schichten mit archaischen Funden. Die erste Deponierung erfolgte offensichtlich in der zweiten Hälfte des 6. Jhs. v. Chr., davon zeugen die beiden unteren Schichten und ihre Funde. Die obere, dritte Schicht wurde nach 494 v. Chr. auf den Hügel gebracht. Sie „versiegelte“ man mit einer Schicht aus größeren und kleineren Kalksteinen. Darüber trat bei den Ausgrabungen lediglich eine dünne Humusschicht zutage. Die Ascheschicht enthielt viele Stücke fein verzierter Bronzebleche, bronzene Pfeilspitzen, eiserne Lanzenspitzen und -schuhe, silberne Fibeln sowie eine große Menge Keramikscherben. Sie lassen sich Gefäßen zuordnen, die aus den Gegenden stammen, die die beliebteste und teuerste Keramik archaischer Zeit herstellten. Dazu gehörten Korinth, Athen, Sparta, die Insel Chios und auch Ionien selbst. Solche Zuordnungen sind anhand der Tonfarbe und -zusammensetzung sowie der Art der Bemalung der Gefäße möglich. Überdies wurde auch Keramik aus Etrurien (die heutige Toskana) und Lydien (östlich von Ionien) importiert (Karte 1). Es fanden sich ferner Weihegaben, die in Ägypten und auf der Insel Zypern produziert wurden. Dazu gehören z. B. kleine Gefäße aus Alabaster oder Statuetten aus Fayence. Hinzu kommen viele Fragmente von Öllampen aus Ton und natürlich unzählige Scherben der lokalen Gebrauchskeramik. Die Anzahl der Funde war so groß, dass ihre wissenschaftliche Bearbeitung bis heute nicht abgeschlossen ist. Wie bereits erwähnt, gleicht das Fundspektrum dem, welches in den Schichten um den hellenistischen Apollontempel angetroffen wurde. Das heißt in den Planierungen für den hellenistischen Tempel finden sich größtenteils nur Objekte aus archaischer Zeit. Der offensichtliche Grund dafür ist, dass in klassischer Zeit das Apollonheiligtum nur wenig frequentiert wurde. Andreas E. Furtwängler stellte bei seinen Ausgrabungen fest, dass die Aufräumarbeiten für den Bau des hellenistischen Apollontempels erst in der zweiten Hälfte des 4. Jhs. v. Chr. begannen. Damals wurde u. a. die gekrümmte Terrassenmauer östlich des Tempels errichtet. Sie bekrönte 277
Apollonheiligtum von Didyma
man mit Kymaplatten des archaischen Apollontempels, dessen Ruine man zuvor abgetragen hatte (siehe das Kapitel zu Wiegand und Knackfuß zum Jahr 1906). Bei den Vorbereitungen zum Bau des hellenistischen Apollontempels kam es praktisch zur „Mülltrennung“ der archaischen Überreste. Brauchbare architektonische Bauteile wurden wiederverwendet, die meisten davon in den Fundamenten des riesigen Apollontempels. Reste kleinerer Votivgaben aus Ton oder Metall sortierte man weitgehend aus und deponierte sie zusammen mit der Asche auf dem Taxiarchis-Hügel. Die „Aussortierung“ war jedoch nicht gründlich genug, denn geringe Mengen der kleineren Weihegaben sind überall im Heiligtumsgebiet anzutreffen. Helga Bumke zog aus den Funden des Taxiarchis-Hügels jedoch eine andere Schlussfolgerung. Ihrer Meinung nach befand sich auf der Erhebung ein separates Heiligtum, dessen Gottheit bisher unbekannt ist. Gegen diese These gibt es allerdings verschiedene Argumente. U. a. wurden bei den Ausgrabungen keine verbrannten Tierknochen gefunden, das heißt Brandopfer fanden dort nicht statt. Dagegen sind die Funde eindeutig als Votivgaben einzuordnen, was durch vereinzelte Weihinschriften belegt wird. Die Weihegaben sind zum großen Teil keiner Gottheit – weder Apollon noch Artemis noch anderen – zuordenbar. Die sogenannten Aegyptiaca (Gaben aus Ägypten) verweisen laut Bumke auf weibliche Stifterinnen, die diese wiederum an Artemis geweiht haben könnten. Folglich wurden offensichtlich die Reste wertvoller Votive von Apollon und Artemis auf dem Taxiarchis-Hügel deponiert. Darüber hinaus sind alle Funde sekundär auf den Taxiarchis-Hügel gekommen, das heißt sie waren ursprünglich an einem anderen Ort aufgestellt. Darauf deuten anpassende Keramikscherben hin, die über den ganzen Hügel verteilt gefunden wurden. Letztlich zeigen die Architektur- und vor allem die Dachziegelreste aus den Schichten des Taxiarchis-Hügels, dass sie von Bauten aus dem gesamten Apollonheiligtum stammen. Den Ergebnissen der Untersuchungen von Phil Sapirstein soll hier nicht vorgegriffen werden. Dennoch ist bereits bekannt, dass viele Fragmente tönerner Dachziegel in den Schichten des Taxiarchis-Hügels zutage traten. Sie stammen von mindestens drei verschiedenen Bauten des 6. Jhs. v. Chr., u. a. vom archaischen Apollontempel (siehe die Kapitel zu Haussoullier und Pontremoli sowie zu Wiegand und Knackfuß zum Jahr 1911). Überdies sind die Bruchstücke teilweise verbrannt, das heißt die Gebäude kamen offensichtlich 494 v. Chr. bei der Plünderung durch die Perser zu Schaden. Wie wertvoll der ungestörte Fundkomplex des Taxiarchis-Hügels für die Geschichte des Apollonheiligtums von Didyma wirklich ist, wird man erst ermessen können, wenn die Publikation dazu erschienen ist. Aber durch Helga Bumkes Ausgrabungen reiht sich Didyma jetzt schon unter die großen Heiligtümer mit reichen und „internationalen“ Fundkomplexen ein, zu denen u. a. das Zeusheiligtum von Olympia, das Apollonheiligtum von Delphi, das Heraion von Samos und das Artemisheiligtum von Ephesos gehören. Die Funde Didymas aus vielen Gegenden der damals bekannten Welt zeigen einerseits, wie weit die Einheimischen reisen konnten und Weihgeschenke mitbrachten, und andererseits, von woher Fremde kamen, um bedeutende Votive zu stiften. Darüber hinaus stellt die Ascheschicht vom Taxiarchis-Hügel einen bedeutenden archäologisch fassbaren Beleg für die Verheerung 278
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durch die Perser dar. Sie zeigt mit ihren verbrannten Dachziegelfragmenten, dass die Plünderer in mehreren Gebäuden des Apollonheiligtums Feuer legten und deren Dächer danach einstürzten. Solche Einsichten konnte die Brandschicht vom Südwesten des Apollontempels nicht liefern, ein weiteres Zeugnis des persischen Überfalls (siehe das Kapitel zu Drerup, Naumann und Tuchelt). In der Zeit von 1975 bis zum Tod Klaus Tuchelts 2001 fanden in Didyma eine Reihe weiterer Untersuchungen statt. Im Oktober 1979 entdeckte Lothar Haselberger im Sekos des Apollontempels Bauzeichnungen, die an den Wänden eingeritzt sind. Auf über 200 m2 wurden daraufhin Bauzeichnungen festgestellt, die im Sekos auf der Süd-, West- und Nordwand angebracht sind sowie auf den Wänden des Zweisäulen- und des Zwölfsäulensaales (Plan 3). Damit stellt der hellenistische Apollontempel den einzigen griechischen Tempel dar, von dem solch eine Fülle an Bauzeichnungen überkommen ist. Obendrein stellte sich in den letzten Jahren heraus, dass die Zeichnungen nicht nur Bauglieder des Apollontempels enthalten, sondern auch des hellenistischen Artemistempels (siehe das Kapitel zu Bumke). Die Ritzlinien sind nur etwa 0,5 mm tief eingraviert. Lediglich einige Ritzkreuze sind stärker eingetieft, und zwar an Punkten, wo sich wichtige Linien treffen (Abb. 124). Man geht heute davon aus, dass die geglätteten Marmorwände zuerst mit der Mineralfarbe Rötel eingefärbt und anschließend die Ritzungen mit einem Metallstichel oder -zirkel vorgenommen wurden. Auf diese Weise konnte man die weißen Linien auf rotem Untergrund gut erkennen. Letztlich überkamen viele Ritzzeichnungen bis heute, weil der Apollontempel unfertig blieb, das heißt die abschließende Glättung der Marmorwände wurde nicht mehr ausgeführt.
Abb. 124: Etwa 4 x 4 cm großes Ritzkreuz an der westlichen Sekoswand des hellenistischen Apollontempels, an der der hellenistische Artemistempel entworfen wurde. 279
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Bei Auffindung der Bauzeichnungen durch Lothar Haselberger war zunächst unbekannt, wann man sie angebracht hatte. Den terminus post quem dafür stellt die Fertigstellung der Wände dar, auf denen sie eingeritzt sind. Im Sekos hatte man die Sockelwände gegen Mitte des 3. Jhs. v. Chr. aufgerichtet. Anschließend könnten die Bauzeichnungen bis zum Ende der Antike entstanden sein. Eine Datierung ist hier nur möglich, wenn man den Versatz der dargestellten Bauglieder zeitlich einordnen kann. Die Zeichnungen sind bis auf eine Ausnahme allesamt im Maßstab 1: 1 gehalten. Lediglich zwei von ihnen sind bisher hinreichend veröffentlicht. Auf der nördlichen Sekoswand wurde eine Säule des hellenistischen Apollontempels entworfen. Charakteristisch für sie ist die sogenannte Entasis, das heißt eine leichte Schwellung des Säulenschaftes. Um die Entasis einer Säule festzulegen, also den Durchmesser des Säulenschaftes von unten nach oben, wurde eine Zeichnung im Maßstab 1:16 angefertigt. Darauf ist der gestauchte Umriss eines Säulenschaftes zu sehen, der mithilfe von 60 knapp 2 cm voneinander entfernten Linien dargestellt ist. Diese Bauzeichnung befindet sich nur wenige Meter westlich des nördlichen Tunnelausganges im Sekos und kann dort am frühen Nachmittag (bei Streiflicht) am besten betrachtet werden. Daneben ist ein Säulenhalbkreis eingeritzt, der dazu diente, die Lage der 24 Kanneluren einer Säule zu bestimmen. Über diese beiden Detailzeichnungen ziehen sich drei horizontale Linien, die über 18 m lang sind. Hier hat man einen Säulenschaft mit seiner Entasis im Maßstab 1: 1 entworfen, wobei die erwähnte verkleinerte Zeichnung als Grundlage diente. Die ersten Säulen des Apollontempels wurden in der Mitte des 3. Jhs. v. Chr. im Zwölfsäulensaal errichtet. Damals hatte man gerade die Wandsockel des Sekos fertiggestellt. Aus dieser Zeit könnte somit der Entwurf einer Säule an der nördlichen Sekoswand stammen. Die zweite große Bauzeichnung befindet sich auf der westlichen Sekoswand. Dort gibt es eine 12 m breite Zeichnung, die den Giebel und das Gebälk mit vier Säulenachsen eines kleinen Tempels zeigt (Abb. 125). Auf der rechten Seite ist ein vereinfachter Schnitt durch das Gebälk des Tempels eingeritzt, welcher den Fries, den Zahnschnitt, das Geison und die Sima umfasst. Links schließt sich das Giebeldreieck mit den vier Frontachsen an. Lothar Haselberger stellte in den 80er-Jahren des 20. Jhs. fest, dass die Bauglieder des hellenistischen Naiskos zu der Schnittzeichnung des Gebälks passen. Die Abweichungen betragen nicht mehr als 5 mm. Allerdings ist auch das Dach der Zeichnung flacher geneigt (12 Grad) als das des Naiskos (13,7 Grad). Der größte Unterschied zwischen Bauzeichnung und Naiskos betrifft jedoch die Breite. Der Bau der Zeichnung ist 10,71 m breit, während das Naiskosfundament nur 8,59 m misst. Da der Naiskos vier Frontsäulen hatte wie der Bau der Zeichnung, schlussfolgerte Lothar Haselberger, dass man den Naiskos an der Sekos-Westwand entworfen hatte. Dieser Schluss war zu dieser Zeit naheliegend, weil kein anderer solcher Bau bekannt und die Bauzeichnung genau hinter dem Naiskos angebracht war. Haselberges Deutung führte jedoch anschließend zu einer Kette von Fehlinterpretationen. Denn seiner Meinung nach konnte der Naiskos erst im dritten Viertel des 280
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3. Jhs. v. Chr. errichtet worden sein, nachdem man die Sockelwände des Sekos errichtet hatte, und nicht schon 300 v. Chr., wie bisher angenommen (siehe das Kapitel zu Wiegand und Knackfuß zu den Jahren 1912/13). Schließlich ergaben Forschungen des Autors, dass die Bauzeichnung an der Sekos-Westwand die Front des Artemistempels zeigt, dessen Fundament anschließend bei der Moschee gefunden wurde. Weil der Artemistempel im 2. Jh. v. Chr. entstand, ist damit auch der Entwurf seiner Front auf der westlichen Sekoswand in die gleiche Zeit datiert (siehe das Kapitel zu Bumke).
Abb. 125: Westliche Sekoswand des hellenistischen Apollontempels mit den erhaltenen Ritzlinien (rot), die den Entwurf des Gebälks und des Giebels vom hellenistischen Artemistempel wiedergeben. Auf der südlichen Sekoswand entdeckte Lothar Haselberger die Ritzzeichnungen eines weiteren Säulenschaftes des Apollontempels sowie Querschnitte mit dem unteren und dem oberen Durchmesser einer solchen Säule. Diese Zeichnungen gehören jedoch wie viele weitere zu denen, die nie veröffentlicht wurden. Unter ihnen scheinen sich nicht nur Bauglieder des Apollontempels zu befinden, sondern auch des Artemistempels. Haselberger schreibt z. B.: „ … ausgedehnte, noch gänzlich ungeklärte Zeichnungskomplexe überziehen, oft dicht ineinander verwoben, die übrigen Teile der Adytonsockelwände“. Dabei erwähnt er die 4,5 m hohe Zeichnung einer Tür, die sich nicht dem Apollontempel zuweisen lässt. Könnte man hier eine Tür des Artemistempels entworfen haben? Überprüfbar ist dies im Moment nicht. Lothar Haselberger arbeitete bis 2002 in Didyma mit und nahm dort u. a. sämtliche Bauteile des hellenistischen Naiskos auf. Er beschäftigte sich auch mit anderen Bauten. So dokumentierte und erforschte Haselberger die Werkstücke einer dorischen Halle aus Marmor, die er in die erste 281
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Hälfte des 2. Jhs. v. Chr. datierte. Hier könnte es sich um die Stoa handeln, deren Fundamente nördlich der Moschee womöglich auf dem Plan von Gell 1812 eingezeichnet wurden (Karte 4). Bauteile der Stoa sind in der heutigen Moschee verbaut und befinden sich beim Apollontempel auf der Ostterrasse (siehe das Kapitel zu Gell, Gandy und Bedford). Doch sowohl vom Naiskos als auch von der dorischen Halle veröffentlichte Haselberger nur jeweils eine Querschnittzeichnung, die Ergebnisse der Bauteilaufnahmen jedoch nicht. Weiterhin untersuchte er die unfertige, noch aufrechtstehende Säule des hellenistischen Apollontempels (siehe das Kapitel zu Haussoullier und Pontremoli). Aufwändig vermessen wurde sie von ihm im Jahr 2001, wie man den kurzen Grabungsberichten entnehmen kann. Aber auch hier blieben die Ergebnisse unpubliziert. Die Identifizierung des Artemistempels durch den Autor ermöglichten Bauteile, die 1994 südlich der heutigen Moschee gefunden wurden. Damals und im Jahr darauf fanden Renovierungsarbeiten inner- und außerhalb der ehemaligen Kirche statt. In einer Sondage wenig südwestlich der Moschee kamen drei marmorne Architravblöcke und zwei marmorne Friesblöcke eines kleineren Tempels ionischer Ordnung zutage. Diese Bauteile lagerte man im Grabungsmagazin ab, ohne dass sie einem bekannten Gebäude Didymas zugeordnet werden konnten. Sie gleichen zwar den entsprechenden Baugliedern des hellenistischen Naiskos, aber eine exakte Übereinstimmung liegt nicht vor (siehe das Kapitel zu Bumke). Innerhalb der Moschee traten bei den Ausgrabungen unter Thomas Schattner in den Jahren 1994/95 antike Strukturen zutage. In der westlichen Hälfte wurde eine ebene Steinlage auf einer Fläche von 9,5 x 10,6 m freigelegt. Dafür wurden laut Schattner polygonale, also unregelmäßig geformte Kalksteinblöcke verwendet. Sie dienten als Unterlager für rechteckige Marmorplatten, deren regelmäßige Anordnung durch Stemmlöcher auf den Kalksteinen erkennbar ist. An wenigen Stellen fand man diese flachen Marmorplatten in situ vor. Die ursprüngliche Ausdehnung dieses Fundamentes ist nicht klar, weil in byzantinischer Zeit eine Kirche darüber errichtet wurde (siehe das Kapitel zu Chishull). Der antike Unterbau wurde von den Ausgräbern etwa in hellenistische Zeit datiert. Thomas Schattner und Klaus Tuchelt vermuteten, dass er für einen Altar gedient haben könnte; auch weil Kirchen oft über antiken Kultstätten errichtet wurden. Thomas Schattner veröffentlichte seine Forschungen zum Fundament in der Moschee bisher nicht. Neue Untersuchungen begannen 2012 im Zusammenhang mit der Suche nach dem Fundament des Artemistempels unter Helga Bumke. Dabei wurde festgestellt, dass es sich bei der untersten Schicht aus polygonalen Platten nicht um Werksteine, sondern um eine anstehende Felsschicht handelt, die sowohl innerhalb der Moschee als auch außerhalb im Westen und Norden von ihr ansteht. Diese Lage aus Kalksteinen wurde lediglich auf ihrer Oberseite geglättet, um ein Pflaster aus rechteckigen Marmorplatten aufzunehmen. Dass dieser gepflasterte Platz im Bereich der Moschee in der Antike tatsächlich einen Altar trug, ist unwahrscheinlich. Um als Unterlager für einen Altar 282
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zu dienen, waren die Marmorplatten viel zu aufwändig in regelmäßige Form gebracht worden und ihre Oberseite hätte man dafür nicht auf Ansicht bearbeiten müssen. Offensichtlich handelte es sich nur um eine Platzanlage südlich des Artemistempels (siehe das Kapitel zu Bumke). Alle diese Grabungssondagen wurden nach Beendigung der Arbeiten wieder zugeschüttet. Dennoch kann man an einer Stelle die geglättete Felsschicht betrachten: Innerhalb der Moschee wurde ein Bereich von etwa 2 x 2 m offen belassen und der Fußboden darüber mit Glasplatten abgedeckt. Darüber befindet sich ein Teppich, den der Imam aber gern für interessierte Besucher beiseite rollt. Der geglättete Felsboden und die Stemmlöcher darauf sind gut zu erkennen. Am 21. September 2001 starb Klaus Tuchelt an einem Herzschlag im Grabungshaus von Didyma. Die einheimischen Mitarbeiter der Ausgrabung erreichte diese Nachricht erst gegen Mittag. Sie begaben sich ins Grabungshaus und hielten dort die Totenwache bis zum Nachmittag. Klaus Tuchelt hatte sich ein hohes Ansehen bei den Einheimischen in Didyma erworben, während seiner Tätigkeit dort von 1962 bis 2001. Ein ehemaliger türkischer Arbeiter, der heute als Wächter am Apollontempel arbeitet, berichtet folgende Episode: Jeden Morgen kam Klaus Tuchelt vor Arbeitsbeginn auf die Ausgrabung und begrüßte die türkischen Arbeiter persönlich mit Handschlag. Dabei sagte er zu jedem die übliche Begrüßung: „Günaydın, kolay gelsin“ (Guten Morgen, leicht soll [dir die Arbeit] sein). Diese Gepflogenheit endete mit seinem Tod. In Didyma war es Klaus Tuchelt, der die Forschungen auf das Gebiet außerhalb des Apollontempels lenkte. Unter seiner Führung wurde das Gelände nordwestlich des Tempels gekauft, ausgegraben und restauriert. Damit stellen die Ruinen rechts und links der eindrucksvollen Heiligen Straße – neben dem Apollontempel – die einzigen dar, die nicht wieder zugeschüttet wurden, so wie das bei allen späteren Grabungen der Fall war. Des Weiteren bemühte sich Klaus Tuchelt, die Kenntnisse zur Heiligen Straße von Milet zu erweitern, woran Peter Schneider maßgeblich beteiligt war. Ebenfalls unter Tuchelt setzte die Restaurierung des Apollontempels ein, die bis heute von Christoph Kronewirth fortgeführt wird. Unter Klaus Tuchelt begann auch Helga Bumke ihre Ausbildung als Archäologin in Didyma. Sie führt die Erforschung der Umgegend des Apollontempels konsequent weiter (siehe das Kapitel zu Bumke).
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Apollonheiligtum von Didyma
Axel Filges – 2002 Geophysikalische Prospektionen rund um Didyma – Neues zur Therme, zum Nymphenheiligtum und zur Größe der Siedlung Didyma Von 2000 bis 2002 leitete Axel Filges die Arbeiten vor Ort in Didyma. Nach dem Tod des Grabungsleiters Klaus Tuchelt im September 2001 hatte Filges während der Kampagne 2002 auch diese Position inne. Axel Filges wurde 1965 geboren und studierte Klassische Archäologie, Alte Geschichte und Kunstgeschichte an der Universität Münster. Er wurde dort 1995 promoviert. Von 1997 bis 2002 war er Referent an der Abteilung Istanbul des Deutschen Archäologischen Instituts. Danach arbeitete Filges an der Universität Tübingen. Im März 2004 wurde er wissenschaftlicher Assistent an der Universität Frankfurt. Dort ist er seit 2009 als Akademischer Rat angestellt und habilitierte sich 2013. Seit 2012 ist er außerdem stellvertretender Grabungsleiter von Priene. In den Jahren zwischen 2000 und 2002 ließ Axel Filges umfangreiche geophysikalische Prospektionen rund um Didyma durchführen. Damit wollte er zunächst ohne Ausgrabungen feststellen, wie weit das Gelände um den Apollontempel bebaut war. Auf größeren, heute unbebauten Flächen ist das eine gute Methode, um dies mit geringem Aufwand herauszufinden. Im April 2000 begannen die Prospektionen nördlich des Apollontempels von Didyma. Der Geophysiker Harald Stümpel setzte überwiegend Geomagnetik ein, um die dortigen Felder zu untersuchen. Auf den Ergebnisbildern erscheinen dabei unbebaute Flächen hellgrau, Mauern weiß und Lehmziegel sowie Brandzerstörungen dunkelgrau bis schwarz. Westlich der Heiligen Straße und nördlich der Thermenanlage wurden so zahlreiche Mauern identifiziert, die zur Palästra und zu einer Zisterne gehörten. Beide ließ Axel Filges anschließend teilweise ausgraben (siehe das Kapitel zu Naumann). Nordwestlich der Therme und östlich der Heiligen Straße lässt das Ergebnis der Geomagnetik vermuten, dass sich dort kleinteilige Wohnbebauung befand, wie sie unter Wiegand bereits nördlich und südlich sowie unter Tuchelt westlich des Apollontempels zum Vorschein kam (siehe das Kapitel zu Wiegand und Knackfuß zum Jahr 1906 sowie das zu Tuchelt und Karte 6). Ferner deutete die Geomagnetik auf dem Taxiarchis-Hügel auf Brandschichten hin. Diese traten bei der Ausgrabung dort schließlich auch zutage. Am Nymphenheiligtum an der Heiligen Straße fanden im Jahr 2000 ebenfalls geophysikalische Prospektionen statt. Dort konnten weitere Baustrukturen auf der Gräberterrasse westlich oberhalb der Quelle lokalisiert werden. Außerdem gab es neue Erkenntnisse zur Ausdehnung der Siedlung (siehe das vorangegangene Kapitel). 284
Axel Filges – 2002
Im Jahr 2001 untersuchte Harald Stümpel weitere große Flächen westlich und südwestlich des Apollontempels. Klaus Tuchelt hatte 1969 und 1972 etwa 150 m westlich des Tempels Sondagen angelegt und dort Wohnbebauung vom 6. Jh. v. bis zum 3. Jh. n. Chr. gefunden. Auf diesem Gebiet befindet sich heute ein großer Parkplatz, vom dem aus man zu Fuß den Apollontempel erreicht (siehe das Kapitel zu Tuchelt). Westlich davon prospektierte Harald Stümpel eine Fläche von rund 150 x 250 m und konnte dort ebenfalls Wohnbebauung feststellen. Auf einem Feld etwa 200 m südwestlich des Apollontempels und nördlich des Grabungshausgeländes ergab die Untersuchung dagegen keinerlei Baustrukturen. 2002 wurden geomagnetische Prospektionen südlich des Apollontempels durchgeführt mit einer Ausdehnung von rund 150 x 150 m. Dort zeigte sich, dass Theodor Wiegand die Felder zur Ablagerung der Erde seiner Ausgrabungen benutzt hatte. Angemerkt wird dazu im Bericht von 2003, dass dies bisher völlig unbekannt gewesen sei. Außerdem konnte die Prospektion nicht feststellen, ob sich unter der meterdicken Ablagerung noch antike Strukturen befinden. Dies ist aber tatsächlich der Fall, wie man den Grabungstagebüchern von Hubert Knackfuß entnehmen kann. Darin wird ausführlich beschrieben, wie der Schutt der Südseite mit Feldbahnen auf den Feldern im Süden deponiert wurde. Überdies hatte man dort vorher Testgrabungen unternommen, die Straßen und Mauern von Wohnhäusern zutage förderten (siehe das Kapitel zu Wiegand und Knackfuß zum Jahr 1906). Ebenfalls 2002 prospektierte Harald Stümpel eine Fläche etwa 250 m nördlich des Apollontempels. Dort wurden auf einem Gebiet von rund 50 x 200 m Strukturen sichtbar, die womöglich von großen, Villen ähnlichen Häusern stammen. Axel Filges konnte somit feststellen, dass sich die Wohnbebauung Didymas in der römischen Kaiserzeit weiter nach Norden und nach Westen erstreckte, als bis dahin angenommen (Karte 6). Dieser Befund wurde bisher jedoch nicht durch Ausgrabungen überprüft und ausführlicher untersucht.
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Apollonheiligtum von Didyma
Andreas E. Furtwängler – 2003 bis 2012 Der archaische Apollontempel – Bedeutende Funde – Eine byzantinische Ölmühle – Drei Naiskoi im Hof des Apollontempels – Die Ostterrasse – Eine minoische Handelskolonie auf der „Haseninsel“ – Raubgräber und die Entdeckung des Theaters – Der Zuschauerraum und das Bühnenhaus des Theaters – Musische und sportliche Agone in Didyma – Toposinschriften – Die Legende von Zeus und Leto – Wichtige Publikationen Im Jahr 2002 wurde Andreas E. Furtwängler vom Deutschen Archäologischen Institut zum Nachfolger von Klaus Tuchelt bestimmt. Seit Amt als Grabungsleiter von Didyma trat er 2003 an. Dort war es sein Ziel, mehr über die Gestalt des Apollonheiligtums und seine Bauten in der Zeit vom 8. bis zum 4. Jh. v. Chr. zu erfahren. Darüber hinaus wollte Furtwängler Kenntnisse zur Vorgeschichte des griechischen Apollonheiligtums sammeln. Hinweise auf eine bronzezeitliche Phase gibt es in Didyma selbst zwar nicht, aber 5 Kilometer entfernt auf einer kleinen Insel. Dort konnte der Prähistoriker François Bertemes eine minoische Handelskolonie freilegen, die durch die Folgen des berühmten Vulkanausbruchs der Insel Thera/Santorin in der Mitte des 2. Jahrtausends v. Chr. unterging. Andreas E. Furtwängler wurde am 11. November 1944 in Zürich geboren. Er studierte Klassische Archäologie an den Universitäten Bern, Paris, Ankara und Heidelberg. An letzterer erfolgte seine Promotion 1973. Danach arbeitete Furtwängler auf den Ausgrabungen von Pergamon und Demetrias mit, ehe er von 1976 bis 1981 für das Deutsche Archäologische Institut in Athen tätig und an der Ausgrabung des Heraion von Samos beteiligt war. Von 1981 bis 1994 wirkte Furtwängler an der Universität Saarbrücken, wo er 1991 auch habilitiert wurde. 1994 erhielt Andreas E. Furtwängler die Professur für Klassische Archäologie der Universität Halle/Saale, die er bis zu seiner Emeritierung 2010 innehatte. Bis zur Übernahme der Grabungsleitung von Didyma führte er Ausgrabungen auf Kreta und in Georgien durch. Im Zentrum von Furtwänglers Forschungen in Didyma standen der archaische Apollontempel und seine nähere Umgebung sowie die Übergangsphase des Heiligtums bis zum Bau des hellenistischen Apollontempels. 2003 begann ein Projekt von Uta Dirschedl und Peter Schneider, welches die Untersuchung des archaischen Apollontempels beinhaltet. Dabei werden vorrangig die Fragmente der Bauteile dieses Tempels aufgenommen, seit 2006 unter der alleinigen Leitung von Uta Dirschedl. Obwohl das Unternehmen den archaischen Apollontempel umfasst, werden sämtliche archaischen Bauteile dokumentiert. Dies ist notwendig, da eine Zuweisung der Bruch286
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stücke an den Apollontempel nicht ohne weiteres möglich ist. Obendrein wurde vor Kurzem der hellenistische Artemistempel gefunden. Während seiner Untersuchung ergab sich, dass er mit großer Wahrscheinlichkeit einen archaischen Vorgänger hatte (siehe das Kapitel zu Bumke). Folglich existierten mindestens zwei archaische Tempel in Didyma, denen die gefundenen Fragmente zugeteilt werden müssen. Bereits bei den Ausgrabungen von Knackfuß und Wiegand sowie vorher unter Haussoullier und Pontremoli waren archaische Tempelbauteile zutage getreten. Dazu gehören Säulen-, Architrav- und Frieselemente sowie Kymaplatten aus Marmor und Kalkstein. Ihre Zuweisung an den archaischen Apollontempel ist unstrittig, weil sie eine entsprechende Größe aufweisen (siehe das Kapitel zu Haussoullier und Pontremoli sowie das zu Wiegand und Knackfuß zum Jahr 1911). Unter Andreas E. Furtwängler wurden ab 2004 mehrere Ausgrabungen am hellenistischen Apollontempel durchgeführt, und zwar an den Fundamenten seiner Säulenhallen. Zwischen den massiven Unterbauten für die einzelnen Säulen gibt es Lücken, die mit Erde und Bauschutt verfüllt sind. Darin kamen dutzende archaische Architekturfragmente zum Vorschein. Sie gehörten zu Quadern, aber auch zu Säulen und anderen Baugliedern, wohl hauptsächlich zu solchen des Apollontempels. Überdies zeigte das freiliegende hellenistische Tempelfundament, dass man für seine Errichtung auch ganze Blöcke des archaischen Vorgängers wiederverwendet hatte. Solche verfüllten Zwischenräume gibt es am hellenistischen Apollontempel noch mehr. Sie auszugraben lohnt aber im Moment nicht, weil die Bearbeitung und Untersuchung der dort zu findenden Fragmente Jahrzehnte in Anspruch nehmen würde. Dies bleibt späteren Generationen überlassen. Eine große Zahl archaischer Architekturfragmente wurde außerdem 2005 bei der Ausgrabung des hellenistischen Naiskosfundaments gefunden. Damit hatte man die Baugrube dieses Fundaments aufgefüllt. Wenige archaische Bruchstücke traten ferner bei den Ausgrabungen auf dem Taxiarchis-Hügel zutage, und zwar in der Ascheschicht der Perserzerstörung (siehe das Kapitel zu Tuchelt und Schneider). Eine Vorstellung vom Aussehen des archaischen Apollontempels zu bekommen ist schwierig, aber aufgrund seines vorhandenen Sekosfundaments nicht unmöglich. Den Forschungen Uta Dirschedls ist es zu verdanken, dass der rekonstruierte Grundriss des archaischen Apollontempels von Gottfried Gruben weiter an Wahrscheinlichkeit gewonnen hat. Gruben meinte, dass es sich bei diesem Tempel um einen Dipteros handelte, also um einen Tempel, der von einer zweireihigen Säulenhalle umgeben war (Plan 2). Die berühmtesten Parallelen dazu finden sich nicht weit weg von Didyma, nämlich auf der Insel Samos im Heraheiligtum und in Ephesos im Artemisheiligtum. Die Untersuchungen Uta Dirschedls zeigen, dass über 70 größere Säulenfragmente vorhanden sind, die zu Säulen aus Poros oder Kalkstein mit einem Durchmesser von 0,70 bis 1,20 m gehörten. Hinzu kommen eine kleinere Anzahl von Bruchstücken von Säulenschäften aus weißem Marmor sowie Teile archaischer Säulenbasen aus allen drei Materialien. Diese Vielzahl der Fragmente, die Größe des archaischen Sekosfundaments sowie die Parallelen auf Samos und in Ephesos machen 287
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es wahrscheinlich, dass der archaische Apollontempel von einer doppelten Säulenhalle umgeben war. Manche Säulen hatte man oben und unten mit Reliefs verziert zu sogenannten columnae caelatae (siehe Abb. 96). Dieser Apollontempel wurde in der Mitte des 6. Jhs. v. Chr. errichtet (siehe das Kapitel zu Wiegand und Knackfuß zum Jahr 1911). Fragmente kleinerer Säulen könnten hingegen auch vom archaischen Artemistempel stammen. Im Sommer 2004 wurde bei den Ausgrabungen unter Andreas E. Furtwängler ein bedeutender Fund gemacht, der ein Licht auf die von ihm untersuchte Frühgeschichte des Apollonheiligtums wirft: Es trat das 23 cm lange und 5 cm starke Fragment vom Bein eines bronzenen Dreifußkessels zutage (Abb. 126). Diese großen bronzenen Gefäße stellten in geometrischer Zeit, hier im 8. Jh. v. Chr., wertvolle Weihgeschenke in Heiligtümern dar. Dieses fein mit Zickzack- und Wellenlinien verzierte Bronzefragment stammt seiner Machart von einem Dreifuß, welcher auf der Peloponnes gefertigt worden war. Es liefert einen wichtigen Hinweis dafür, dass man ins Apollonheiligtum von Didyma schon kurz nach seiner Gründung bedeutende Votive weihte.
Abb. 126: Fragment vom Bein eines bronzenen Dreifußkessels (8. Jh. v. Chr.). Vorderansicht, Seitenansicht und Rückansicht (von oben nach unten). Die Grabungen konzentrierten sich im Jahr 2004 auf das Gebiet nahe der Südwestecke des Apollontempels. Dort hatten zwar schon Hubert Knackfuß und Rudolf Naumann Ausgrabungen durchgeführt, dennoch gelangen neue Erkenntnisse. U. a. ergab sich eine Umdatierung der Reste der dortigen archaischen Stoa an den Anfang des 6. Jhs. v. Chr. (siehe die Kapitel zu Wiegand und 288
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Knackfuß zu den Jahren 1912/13 sowie zu Drerup, Naumann und Tuchelt mit Abb. 111). Die Baureste der Halle hatte man bei der Errichtung des hellenistischen Tempels verfüllt, um eine ebene Fläche für das Stadion zu erreichen, welches parallel zur Südseite des Apollontempels lag. In den hellenistischen Aufschüttungen traten zum größten Teil archaische Funde zutage, deren Spektrum dem des Taxiarchis-Hügels entspricht, das heißt hauptsächlich Keramikscherben, aber auch bronzene Pfeilspitzen, Fibeln oder Blechreste (siehe das Kapitel zu Tuchelt und Schneider). Daneben gab es unzählige Fragmente archaischer Tondachziegel, die verschiedenen Gebäuden angehörten. Interessant ist der Höhenunterschied zwischen dem Gehniveau der archaischen Halle und dem des hellenistischen Stadions. Er beträgt etwa 2 m. Da die Halle im 6. Jh. v. Chr. wahrscheinlich die südliche Heiligtumsgrenze darstellte, ergab sich damit auch, dass in archaischer Zeit noch kein Stadion existierte, jedenfalls nicht an der gleichen Stelle wie das spätere hellenistische. Damit zeigten Furtwänglers Forschungen, dass die heute vorhandenen Stadionreste, wie z. B. die der Südtribüne oder die der vermutlichen Startvorrichtung (siehe das Kapitel zu Wiegand und Knackfuß zu den Jahren 1906 und 1907), tatsächlich erst in hellenistischer Zeit entstanden, und zwar durch eine aufwändige Aufschüttung des Geländes südlich und westlich des Apollontempels. Vermutungen mancher Forscher, dass hellenistische Stadion könnte einen archaischen Vorgänger an gleicher Stelle gehabt haben, sind folglich nicht mehr haltbar (Pläne 2 und 3). Ab mittelbyzantinischer oder vielleicht schon frühbyzantinischer Zeit beseitigte man die Aufschüttungen teilweise und legte eine Reihe von Häusern oder Räumen südlich des Apollontempels an. Die oberirdischen Reste dieser Anlagen wurden unter Theodor Wiegand abgetragen. Bei den Ausgrabungen 2004 traten aber dennoch die wichtigsten Bestandteile einer spätbyzantinischen Ölproduktionsanlage zutage, die der Autor bearbeiten konnte. Die Anlage bestand zum einen aus einer Mühle zum Zerkleinern der Oliven mit Mahltasse und Mühlstein; beides gefertigt aus marmornen Bauteilen des ehemaligen Apollontempels. Zum anderen wurde die Ölpresse mit einem Pressbett aus Marmor und einem großen Gegengewicht aus Kalkstein gefunden (Abb. 127 und 111). Weitere Teile solcher Anlagen kamen im Übrigen rund um den Apollontempel bei den Ausgrabungen unter Wiegand und Knackfuß zum Vorschein (siehe das entsprechende Kapitel zum Jahr 1906). Die Kampagne im Sommer 2005 begann damit, dass die türkischen Grabungsarbeiter eine Lohnerhöhung verlangten. Sie wollten die Anhebung ihres Gehalts von 19 auf 25 Millionen türkische Lira durchsetzen. Darauf konnte der Grabungsleiter zunächst nicht eingehen, und deshalb streikten die Arbeiter einen Tag, bis es zu einer Einigung kam. Damals betrug der Wechselkurs etwa 1 Euro zu 2 Millionen türkische Lira. Bei dem auszuhandelnden Gehalt handelte es sich nicht etwa um den Stundenlohn, sondern um den Lohn für einen Tag, der somit zwischen 9,50 und 12,50 Euro betragen sollte. Zu der damaligen Zeit zahlte der Grabungsleiter das Gehalt wöchentlich am Samstagnachmittag nach Feierabend aus, wobei der arbeitsfreie Sonntag mitbezahlt wurde. Einige Jahre späte machte es der türkische Staat zur Pflicht, den Lohn zu überweisen. Anfangs stellte dies einige Arbeiter vor Probleme, weil sie kein Bankkonto besaßen. 289
Apollonheiligtum von Didyma
Abb. 127: Rekonstruktionsversuch einer spätbyzantinischen Ölproduktionsanlage nahe der Südwestecke des hellenistischen Apollontempels. Links die Ölmühle und rechts die Ölpresse. Im Jahr 2005 erstreckten sich die Ausgrabungen auf den Sekos des hellenistischen Apollontempels. Dabei traten z. B. Blöcke der Rückwand des spätgeometrischen Sekos zutage, die es erlaubten, seinen Grundriss zuverlässiger als bisher zu rekonstruieren (siehe das Kapitel zu Drerup, Naumann und Tuchelt sowie Plan 1). Ferner wurden die Fundamente des archaischen Naiskos neu untersucht. Hierbei stellte sich heraus, dass vom Bau des 6. Jhs. v. Chr. nur ein Teil seiner Rückwand erhalten ist. Die beiden ihm bisher zugeschriebenen Längswände stammen wohl von einem „Übergangsnaiskos“, der im 5./4. Jh. v. Chr. genutzt wurde (siehe Abb. 101). Spätere Forschungen unter Furtwängler erhärteten die These der Existenz eines solchen Baues, von der bereits der Althistoriker Joseph Fontenrose ausgegangen war. Denn bei Furtwänglers Ausgrabungen kamen viele Fragmente eines Tonziegeldaches zum Vorschein, die ihrer Typologie nach in klassische Zeit gehören. Dieses Ergebnis wird dem Archäologen Phil Sapirstein verdankt. Interessant an diesem sogenannten samischen Dach ist, dass keines der zugewiesenen Dachziegelfragmente verbrannt ist. Das heißt der Bau mit diesem Dach existierte zur Zeit der Perserzerstörung 494 v. Chr. noch nicht. Da sich die Fragmente aber allesamt in Schichten befanden, die vor oder beim Bau des hellenistischen Apollontempels angefüllt wurden, muss dieses Gebäude in klassischer Zeit entstanden sein. Der Größe der Dachziegel entsprechend kämen die beiden parallelen Naiskosmauern innerhalb des hellenistischen Naiskosfundaments dafür in Frage (siehe das Kapitel zu Wiegand und Knackfuß zu den Jahren 1912/13). Mithin stellt dieser von Furtwängler postulierte Übergangsnaiskos ein wichtiges Element dar, welches Kultaktivitäten im 5./4. Jh. v. Chr. in Didyma bezeugt. Eine Überraschung brachte der 11. August 2005, denn damals vermeldete der leitende Restaurator des Apollontempels Christoph Kronewirth, dass er einen großen Block mit einer Inschrift am Rande 290
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des Tempelgeländes gefunden habe. Diesen Marmorblock hatte man offensichtlich im Winter zuvor bei Straßenbauarbeiten entdeckt und mit einem Bagger über den Zaun befördert. Solche „Inschriftenneufunde“ gab es schon mehrere in Didyma, dieser stellte jedoch den bislang größten dar. Untersuchungen des Autors ergaben, dass es sich bei dieser Inschrift um eine sogenannte Orakelinschrift handelte, die für das Apollonorakel von Didyma typisch waren (siehe das Kapitel zu Tuchelt). Sie ist auf einem marmornen Wandquader eingehauen, der 0,64 m hoch, 1,34 breit und 0,43 m tief ist (Abb. 128).
Abb. 128: Spätkaiserzeitliche Orakelinschrift zum Kult der Horen auf der Vorderseite eines Marmorquaders. Von welchem Gebäude das Bauteil stammt, ist nicht bekannt. Bekannt ist jedoch die Entstehungszeit der Inschrift, denn aufgrund der Buchstabenformen kann sie ins 3. Jh. n. Chr. datiert werden. Das Orakel hat den Kult weiblicher Götter zum Inhalt, nämlich den der Horen. Der Prophet Agathon fragt bei Apollon an, ob die Horen mit Gesängen an ihrem Altar geehrt werden sollen oder nicht. Daraufhin antwortet Apollon: „Von unserer wahrhaftigen Stimme, dienender Prophet, vernimmst du, wie es sich dem Herkommen gemäß für einen Priester gebührt, dass man ehren solle die Koren (junge Frauen) mit zweifachen Gesängen und lieblichen Tänzen. Die Horen gebaren als unsterbliche Kinder die Hoffnungen, Göttern und Menschen eine große Hilfe. Deshalb wirst du, wenn du – wie es dein Sinn ist – mit heiliger Sorgfalt opferst, aufgrund deiner Frömmigkeit edlen und unsterblichen Ruhm erlangen.“ 291
Apollonheiligtum von Didyma
Das Amt des Propheten war das höchste Amt in Didyma (siehe das Kapitel zu Ross). Es gibt noch vier weitere Orakelinschriften, in denen ebenfalls der Prophet die Anfrage stellte. Die Horen wurden in der römischen Kaiserzeit hauptsächlich als die Götter der Jahreszeiten verehrt. Für Didyma ist die Orakelinschrift das einzige Zeugnis ihres Kultes. In der Inschrift werden die Horen als die Erzeuger der Hoffnungen gepriesen, die Menschen und Göttern eine große Hilfe sind. Was konkret damit gemeint ist, wird in dem Orakel nicht gesagt und bleibt folglich unbekannt. Vermuten kann man lediglich, dass der Altar der Horen zusammen mit anderen kleinen Altären beim Apollonaltar aufgestellt war (siehe das Kapitel zu Wiegand und Knackfuß zum Jahr 1907). Hier sollte der Prophet ihnen opfern und dabei sollten die Horen zusätzlich mit Gesängen und Tänzen geehrt werden. Somit gibt die Orakelinschrift einen Einblick in den Kult eher unbekannter Götter im 3. Jh. n. Chr., das heißt schon beinahe am Ende der heidnischen Antike. Im Sommer 2006 stand die Ostterrasse im Focus der Forschungen von Andreas E. Furtwängler. Hier konnte mit mehreren Sondagen die Bebauung in archaischer und hellenistisch-römischer Zeit untersucht werden (siehe auch das Kapitel zu Wiegand und Knackfuß zum Jahr 1906). Im 6. Jh. v. Chr. existierte eine große Halle auf der Terrasse, die über fünf Treppen erreicht werden konnte (Abb. 129). Endgültig konnte Furtwängler den Nachweis erbringen, dass die gekrümmte Terrassenmauer erst am Ende des 4. Jhs. v. Chr. errichtet wurde und nicht schon in archaischer Zeit. Schon bei einer früheren Ausgrabung hatte man ein Fragment der archa ischen Kymaplatten im Mauerfundament gefunden, die in Zweitverwendung die Terrassenmauer bekrönten. Ein weiteres Fragment trat bei Furtwänglers Ausgrabung hinter der Mauer zutage. Diese Kymaplatten stammen vom archaischen Apollontempel und lagen ursprünglich auf dessen Sekosmauern auf (siehe das Kapitel zu Wiegand und Knackfuß zum Jahr 1911 mit Abb. 95). Wenn sich also Fragmente von ihnen im Fundament oder in der Hinterfüllung der Terrassenmauer befanden, kann die Mauer nur nach dem archaischen Tempel errichtet worden sein. Ein weiteres Indiz dafür sind die Fragmente archaischer Tondachziegel, die ebenfalls aus der Hinterfüllung der Mauer stammen. Überdies kamen hier auch Bruchstücke von Dachziegeln des sogenannten samischen Daches zum Vorschein, das vermutlich den Naiskos des 5./4. Jhs. v. Chr. deckte (siehe oben). In hellenistisch-römischer Zeit errichtete man mehrere große Weihgeschenke mit Statuen auf der Ostterrasse, deren Fundamente bei den Ausgrabungen wieder freigelegt wurden. Nachdem diese Ausgrabungen im Bereich des Apollontempels im August 2006 beendet waren, sollten die türkischen Grabungsarbeiter im September auf der anfangs erwähnten Insel weiterarbeiten. Die Haseninsel (Türkisch „Tavşan adası“) liegt etwa 5 Kilometer nordwestlich von Didyma. Auf den Weg dahin passiert man Panormos (heute Mavişehir) und kann die Insel vom Strand Orman kampı (Türkisch für „Wald-Campingplatz“) per Boot oder Schwimmen erreichen. Die Haseninsel ist nur 250 m vom Land entfernt (Abb. 130). Ursprünglich handelte sich um eine 292
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Halbinsel, die jedoch durch geologische Vorgänge in frühbyzantinischer Zeit vom Festland abgeschnitten wurde. Die Insel misst rund 90 x 180 m und war vor Beginn der archäologischen Forschungen komplett mit Macchia überwuchert.
Abb. 129: Blick von Westen auf eine der fünf Treppen, die auf die Ostterrasse führte vom Platz vor der Ostfront des Apollontempels.
Abb. 130: Blick von Osten auf die Haseninsel mit den Resten einer kretisch-minoischen Handelskolonie des 3. und 2. Jahrtausends v. Chr. 293
Apollonheiligtum von Didyma
Für die Ausgrabungen mussten zuerst Werkzeug und Arbeiter auf die Insel gebracht werden. Der Hausmeister des Grabungshauses Didyma besitzt ein größeres Ruderboot, welches dazu benutzt wurde. Am Morgen des 1. September 2006 fuhr er mit dem Traktor und vier Arbeitern in eine Bucht bei Kap Monodendri. Dort, wo sich in der Antike der berühmte Poseidonaltar befand, luden sie das Boot auf den Anhänger. Beim Grabungshaus wurde noch Werkzeug aufgeladen und außerdem der Autor. Nach der Fahrt zum Orman kampı und dem Abladen des Bootes ruderte ein Arbeiter das vollbeladene Boot in einer halben Stunde zur Haseninsel. Dort wurde mithilfe von Astscheren und Macheten zuerst ein „Hafen“ mit Lagerplatz freigeschnitten. Bis zum Nachmittag gelang es schließlich, zwei Wege zum West- bzw. Nordende der Insel anzulegen. Hier fühlte man sich tatsächlich wie bei einem Abenteuer. Hasen lebten auf der Insel allerdings keine mehr. Dafür gab es Ratten und Wespennester. Für das Zurückrudern von der Haseninsel wurden wegen starker Strömung indes 45 Minuten gebraucht. In den nächsten Tagen begannen unter François Bertemes die Ausgrabungen auf der Insel. Bereits ein Jahr zuvor hatte er an den Abbruchkanten der Insel Kulturschichten und Mauerreste festgestellt, die neue Erkenntnisse zur Bronzezeit der Ägäis verhießen. Von 2006 bis 2011 gelang es Bertemes und seinen Mitarbeitern, eine kretisch-minoische Handelskolonie des 3. und 2. Jahrtausends freizulegen. Dabei traten verschiedene Gebäudereste, u. a. ein Brennofen für Keramikgefäße und viele Kleinfunde zutage. Auf einigen Tongefäßen haben sich sogar Linear-A-Schriftzeichen erhalten. Die gefundene Keramik ist eindeutig minoisch-kretisch. Obendrein kam ein typisch minoisches Siegel aus Bergkristall zum Vorschein, auf dem ein Segelschiff eingraviert ist. Die Niederlassung der Kreter wurde Mitte des 2. Jahrtausends v. Chr. durch einen Tsunami zerstört, den ein Vulkanausbruch der Insel Thera/Santorin ausgelöst hatte. 2007 fanden nur kleine Ausgrabungen im Süden des Apollontempels statt, die an die Forschungen von 2004 anknüpften. Etwas östlich der damals erforschten archaischen Halle wurden die Reste einer zweiten archaischen Halle (Südwesthalle II) freigelegt, die bis dahin als eine Basis für ein Weihgeschenk angesprochen worden war (siehe das Kapitel zu Drerup, Naumann und Tuchelt sowie Plan 2). Zudem ließ Andreas E. Furtwängler im Apollontempel geophysikalische Untersuchungen per Radar durchführen, um die Struktur der Fundamentierung im Zwölf- und Zweisäulensaal sowie im östlichen Bereich des Sekos zu klären (siehe das Kapitel zu Turner). In den Jahren 2008/09 versuchte Furtwängler, eine Fortsetzung der Heiligen Straße innerhalb des Apollonheiligtums zu finden. Dazu ließ er Sondagen etwa 100 m nördlich der Nordwestecke des Apollontempels anlegen, das heißt wenige Meter östlich der 1986 von Klaus Tuchelt ausgeführten Sondage. Ein gepflasterter Bereich – also die Fortsetzung der Heiligen Straße – trat nicht zutage, aber eine hellenistische Statuenbasis und der vermutliche Rest einer archaischen Sitzstatue wurden in einer Aufschüttung gefunden. Somit bleibt die Vermutung bestehen, dass Tuchelt mit 294
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den zwei 1986 entdeckten Postamenten das Ende der Heiligen Straße im Heiligtum gefunden hatte (siehe das Kapitel zu Tuchelt und Schneider sowie Karte 6). 2009 begann ein neuer Abschnitt der Ausgrabung von Didyma, denn seitdem werden die Forschungen finanziell stark von der Nordrheinwestfälischen Akademie der Wissenschaften und Künste unterstützt. Dies ist dem Forschungsprojekt von Helga Bumke geschuldet, welches den Titel „Kulte im Kult“ trägt. Damit beabsichtigt sie, außerstädtische Heiligtümer und die dort verehrten Götter zu untersuchen. Das Apollonheiligtum von Didyma ist Teil des Projekts und das Heiligtum, in dem Ausgrabungen durchgeführt werden. 2009 ließ Helga Bumke zunächst noch einmal Grabungen auf dem Taxiarchis-Hügel vornehmen. Besonders reiche Funde erbrachte die schon bekannte Ascheschicht, die nach der Perserzerstörung 494 v. Chr. dort abgelagert wurde (siehe das Kapitel zu Tuchelt und Schneider). Des Weiteren ließ Bumke etwa 20 bis 30 m nördlich des Apollontempels, nahe seiner Nordwestecke, Sondagen anlegen. Dort kamen jedoch nur byzantinische und moderne Hausmauern zum Vorschein sowie Aufschüttungen aus Dachziegeln. Antike Gebäudereste traten nicht zutage. Damit ergab sich ein weiterer Anhaltspunkt für Klaus Tuchelts These, dass sich in diesem Bereich womöglich der heilige Hain befunden hatte (siehe das Kapitel zu Tuchelt und Karte 6). Im Jahr 2010 ging es schließlich darum, einen geeigneten Grabungsplatz südlich des Apollontempels zu finden, und zwar außerhalb seiner modernen Umfassungsmauer. Dort gibt es ein größeres Gebiet mit baufälligen oder schon eingestürzten Häusern, die nach dem Erdbeben von 1955 verlassen worden waren (siehe das Kapitel zu Drerup, Naumann und Tuchelt). Da das Gelände etwa 100 x 100 m groß ist und es nicht flächendeckend ausgraben werden konnte, wurde zuerst eine Geländebegehung durchgeführt und nach antiken Mauerresten gesucht. Voruntersuchungen mit geophysikalischen Prospektionsmethoden waren hier nicht erfolgversprechend, weil es neben möglichen antiken Mauern, byzantinische und moderne im Boden gibt sowie viele große Steine. Völlig unerwartet wurde hier 2010 das Theater von Didyma gefunden. Diese spektakuläre Entdeckung zählt zu den Höhepunkten der Forschungsgeschichte Didymas. Die Auffindung und Identifizierung des Theaters war nach heutigen Maßstäben eher ungewöhnlich und soll deshalb im Folgenden ausführlicher geschildert werden: Am Vormittag des 29. Juli 2010 schwärmten viele Archäologen über das oben beschriebene Gelände aus und bahnten sich bei 35 Grad im Schatten einen Weg durch die 2 m hohen Mariendisteln. Die Erfolgsaussichten, dabei auf eine unbekannte antike Mauer zu stoßen, waren gering. Nachdem die Suchenden schon lange Zeit umherliefen, rief plötzlich die Studentin Johanna Willner, sie hätte ein Loch mit einer großen Mauer darin gefunden. Sie hatte sich einen Weg bis zu einem eingefallenen Haus gebahnt, wo viel Müll herumlag. Als eigentlich schon alle bereit waren zu gehen und nur noch an Schatten und das Mittagessen im Grabungshaus dachten, hatte die Studentin eine verdreckte Matratze hochgehoben und darunter ein ca. 3 m tiefes Loch entdeckt. Das 295
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Erstaunliche war, dass sie dabei auf dem obersten Block einer anscheinend antiken Mauer stand, die bis zum Boden des Loches reichte (Abb. 131).
Abb. 131: Zwei einheimische Arbeiter im Loch, welches Raubgräber nördlich der Mauerreste der Cavea des kaiserzeitlichen Theaters angelegt hatten. Mit solch einem Fund hatte keiner gerechnet. Aber zunächst dauerte es einige Zeit, bis sich alle bis zu dem Loch vorgekämpft hatten und einen Blick hineinwerfen konnten. Die halbkreisförmige Vertiefung hatte einen Durchmesser von etwa 1,5 m. Offensichtlich war sie von Raubgräbern angelegt worden, die antike Statuen oder Münzen suchten. Nachdem die illegalen Archäologen ihre Arbeit beendet hatten, bedeckten sie das Loch mit einer alten Matratze. Die Raubgräber fanden wahrscheinlich nichts Bedeutendes, wie die Ausgrabungen später zeigten, denn das Gelände um die Mauer bestand hauptsächlich aus Aufschüttungen aus Erde, kleineren Steinen und zerbrochenen Dachziegeln. Doch für die Archäologen um Helga Bumke hatte sich unverhofft eine Gelegenheit ergeben, ein bisher unbekanntes, vermutlich antikes Gebäude erforschen zu können, welches sich nur etwa 50 m südlich des Apollontempels befand. Ein erster Blick auf die im Loch sichtbare Mauer zeigte folgenden Befund: Sie war aus quaderförmigen Blöcken zusammengefügt, die man ohne Mörtel versetzt hatte. Damit handelte es sich mit großer Wahrscheinlichkeit um eine antike Mauer. Außerdem konnte man erkennen, dass Sitzstufenblöcke des nahen Stadions wiederverwendet worden waren. Da man das Stadion im Hellenismus errichtet hatte (siehe oben und unten), war für die Mauer eine spätere Datierung anzunehmen, wohl die römische Kaiserzeit. Vor Beginn der Ausgrabung mussten zunächst noch einige Vorarbeiten erledigt werden, wie das Entfernen des Bewuchses, Müll entsorgen, Beiseiteräumen der losen Steine und das Einmessen 296
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der Fläche in den Grabungsplan. Am 2. August war es schließlich soweit, das Freilegen der Mauer begann. Viel Zeit blieb nicht, da für das Ende der Arbeiten der 30. August 2010 schon festlag. In diesen vier Wochen ergab sich folgender Befund der Mauer: Sie ist leicht gekrümmt, war mindestens 21 m lang und durchschnittlich 1,20 m breit (Abb. 132). An ihrem westlichen Ende biegt sie rechtwinklig nach Süden hin ab. Weiterhin ist die Mauer von einer gut erhaltenen Treppe durchbrochen, die von Norden nach Süden hinaufführt. Die Mauer selbst ist zweischalig, das heißt innen und außen besteht sie aus längs geschichteten Blöcken, die einige quer geschichtete zusammenhalten. Außerdem hatte man die quaderförmigen Blöcke mit Eisenklammern und -dübeln verbunden, die mit Blei vergossen waren. Als Baumaterial kamen hauptsächlich Blöcke aus Kalkstein zum Einsatz. Dazu gehören die bereits erwähnten Sitzstufen aus dem wenig nördlich gelegenen Stadion.
Abb. 132: Blick von Osten auf die nördliche Cavea-Außenmauer des kaiserzeitlichen Theaters (das zugeschüttete Raubloch liegt in Bildmitte). 297
Apollonheiligtum von Didyma
Unter einer Stufe der Treppe kam eine römische Münze zum Vorschein, die ihrer schlechten Erhaltung wegen nicht sofort bestimmt werden konnte. Das gelang später Torsten Kleinschmidt, einem Archäologen aus Jena. Er stellte fest, dass es sich um eine Prägung aus Milet handelte, die in der Zeit des römischen Kaisers Nero in den Jahren von 64 bis 68 n. Chr. erfolgte (Abb. 133). Diese Bronzemünze bildet den wichtigsten Anhaltspunkt für die Datierung der Mauer und des zugehörigen Baues. Weil sie unter einer Stufe gefunden wurde, können die Treppe und die Mauer erst nach ihrer Prägung errichtet worden sein. Die Münze stellt somit den terminus post quem für die Errichtung der Mauer dar. Freilich bildet die Münze nicht den einzigen Datierungshinweis, hinzukommen z. B. Keramikscherben, die sich in die zweite Hälfte des 1. Jhs. bis in das erste Viertel des 2. Jhs. n. Chr. datieren lassen.
Abb. 133: Bronzemünze geprägt in Milet zwischen 54 und 68 n. Chr. Auf der Vorderseite der Kopf des Kaisers Nero mit einem Lorbeerkranz und auf der Rückseite die Kultstatue des Apollon von Didyma mit einem Hirsch in der rechten und einem Bogen in der linken Hand (eine vergleichbare Münze trat bei der Ausgrabung des Theaters von Didyma zutage). Die Grabung des Sommers 2010 brachte keinen Aufschluss über die endgültige Funktion der freigelegten (und wieder zugeschütteten Mauer). Diese sollte erst im Jahr darauf geklärt werden können. Die Kampagne im Sommer 2011 begann zunächst damit, dass die Projektleiterin Helga Bumke die stündliche Zigarettenpause auf der Ausgrabung verbieten wollte. Diese kurze Pause zum Rauchen und/o der Wassertrinken gab es schon seit vielen Jahren für die türkischen Arbeiter. Sie hatte sich als sinnvoll und nötig erwiesen, während der täglichen Arbeitszeit von 7 bis 16 Uhr und von Montag bis Sonnabend. Die neue Anordnung verstanden die Einheimischen nicht und wehrten sich mit „zivilem Ungehorsam“, das heißt sie machten nicht mehr gemeinsam, sondern einzeln ihre notwendigen Pausen. Schließlich musste Helga Bumke ihre neue Bestimmung zurücknehmen, weil sie sich nicht durchsetzen ließ. An dieser Stelle sei bemerkt, dass die Leistung der türkischen Grabungsmitarbeiter in der Sommerhitze zwischen 30 bis 40 Grad im Schatten enorm ist. Hinzu kommt, dass die Ausgrabungen in Didyma immer per Hand durchgeführt werden, das heißt mit Hacke, Schaufel 298
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und Schubkarre. Über Jahrzehnte hinweg wurden von den Einheimischen so tausende Kubikmeter Erde bewegt. Kurz nach dieser Episode wurde das Rätsel gelöst, zu welchem Bau die 2010 gefundene Mauer gehört: Am Morgen des 28. Juli 2011 kamen der türkische Regierungsvertreter, Teyfik Göktürk, und der stellvertretende Grabungsleiter, Hüseyin Cevizoğlu, zur Ausgrabung. Beide wollten sich über die bisherigen Ergebnisse informieren. Dazu zeichnete der Autor den Grundriss der freigelegten Mauer in den Sand. Ohne zu zögern meinte Teyfik Göktürk, es handelt sich um ein Odeion, also um einen halbkreisförmigen überdachten Bau, der im klassischen Altertum für Musik- und Theateraufführungen benutzt wurde. Hüseyin Cevizoğlu fügte hinzu, dass es auch ein antikes Theater gewesen sein könnte. Und tatsächlich boten diese beiden Gebäudetypen die einzige mögliche Erklärung für eine gekrümmte Mauer, die sich etwa im rechten Winkel mit einer geraden Mauer trifft. Ein Jahr hatten sich die deutschen Archäologen den Kopf zerbrochen, wie der architektonische Befund des Jahres 2010 zu interpretieren sei. Und nun war mit einfachsten Hilfsmitteln und frischen Ideen die Deutung der damit wichtigsten Entdeckung seit Jahren gelungen. Dennoch gab es noch Zweifler, denn es fehlten eindeutigere Hinweise, wie z. B. gekrümmte Sitzstufen. Folglich wurden weitere Sondagen innerhalb der vermuteten Cavea angelegt. Als diese nicht sofort den gewünschten Erfolg brachten, wollte Grabungsleiter Andreas E. Furtwängler das weitere Ausgraben beenden. Eine einzige Sondage erlaubte er noch. Zuvor hatte die Archäologin Ivonne Kaiser in einer anderen Sondage die mutmaßlichen Fundamente für gekrümmte Sitzstufenblöcke des Theaters gefunden. Daraufhin ließ der Autor die letzte Sondage in Verlängerung dieser Unterbauten anlegen. Am 23. August 2011 war es soweit, in über 2 m Tiefe kamen im Grabungsschnitt von Emel Aksoy die Silhouetten von typischen Sitzstufen eines antiken Theaters zum Vorschein (Abb. 134). Alle standen aufgeregt am Rand der Sondage und schauten hinunter, wie die türkisch-deutsche Archäologin die fein gearbeitete Sitzstufe mit Kelle und Besen freilegte. Mithilfe des Radius dieser Stufenblöcke und der gekrümmten Außenmauer konnten schließlich sogar die Gesamtmaße des Theaters bestimmt werden. Im Gegensatz zu anderen antiken Theatern traten in Didyma nur spärliche Reste zutage. Diese wurden hier jedoch von niemandem erwartet, denn für Städte bildeten Theater einen ganz normalen Bestandteil, aber nicht für Heiligtümer. Insofern stellt die Entdeckung des Theaters wirklich einen „Meilenstein“ in der Erforschung des Apollonheiligtums von Didyma dar. Aber auch nach Auffindung der Sitzstufen wollten manche ihre Zugehörigkeit zu einem Theater nicht akzeptieren. So wurde dieser bedeutende Fund im Grabungshaus nicht weiter gefeiert. Lediglich die türkischen Arbeiter erhielten am Nachmittag des 23. August vom Autor ein Eis am Stiel spendiert, um sie wenigstens ein bisschen spüren zu lassen, was die Ausgrabung des Theaters für die Untersuchung des klassischen Altertums bedeutet. 299
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Abb. 134: Blick von Osten in die Sondage mit den einzigen in situ gefundenen Sitzstufen des kaiserzeitlichen Theaters. Dass diese Entdeckung damals überhaupt möglich war, ist ferner dem türkischen Besitzer des Grundstücks zu verdanken, auf dem sich das Theater befindet. 2010 wurde er vor Beginn der Ausgrabungen gar nicht um Erlaubnis gefragt. Vor der Kampagne 2011 hatte er sich darüber beschwert. Daraufhin wurde er gebeten, die Ausgrabung zu erlauben, und man sicherte ihm zu, nach Ende der Arbeiten die Sondagen wieder zuzuschütten. So erfolgte die Ausgrabung des Theaters in den Jahren 2010/11. In den folgenden Jahren konnte das Theater von Didyma nicht weiter freigelegt werden. 2012 erhielt Didyma vom türkischen Kultur- und Tourismusministerium keine Genehmigung, Ausgrabungen durchführen zu können, und wenig später wurde ein Gesetz erlassen, das Ausgrabungen auf privaten Grundstücken verbietet. Damit stellt die einzige Möglichkeit für die weitere Erforschung des Theaters der Ankauf der entsprechenden Grundstücke dar. Doch dazu kam es bisher nicht. Dennoch genügten die ausgegrabenen Reste, seine Bauphasen und seinen Grundriss einigermaßen genau zu bestimmen. Der Zuschauerraum des Theaters öffnete sich nach Südwesten und seine Mittelachse verläuft parallel zur Längsachse des hellenistischen Apollontempels (Karte 6). Von der Nordwestecke der Cavea sind nach Osten 27 m der leicht gekrümmten Außenmauer er300
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halten. Von der gleichen Ecke biegt im rechten Winkel die südliche Außenmauer ab, die auf 8,5 m Länge freigelegt wurde. Die Fundamente dieser Mauern ruhen auf dem geglätteten Felsboden und darüber sind sie bis zu 3,5 m hoch erhalten. Die Sitzstufen bzw. ihre Unterbauten kamen in zwei Sondagen weiter südlich zum Vorschein. Damit erreichte die Cavea etwa einen Durchmesser von 48 m und die kreisförmige Orchestra einen von rund 13 m. Die bereits erwähnte Treppe führte zum Diazoma, einem Umgang, der die Cavea in eine obere und eine untere Hälfte teilte. Vom Diazoma aus waren die Sitzreihen über kleine Treppen erreichbar. Mit vermutlich 22 Sitzreihen fasste das Theater knapp 3000 Zuschauer. Keramikscherben und die genannte Bronzemünze (siehe Abb. 133) zeigen an, dass dieser Bau in der zweiten Hälfte des 1. Jhs. n. Chr. errichtet wurde. Etwas später vergrößerte man das Theater. Davon zeugen trapezförmige Anbauten an die nördliche Außenwand der Cavea. Im Gegensatz zu ihr bestehen die Anbauten aus geglätteten Bruchsteinen im Mörtelbett. Sie sind durchschnittlich 1,5 m breit und 4 m lang. Ihr regelmäßiger Abstand untereinander zeigt, dass sie mit Keilsteingewölben überdeckt waren, die noch einmal sechs Sitzreihen trugen. Mit dem Anbau fanden knapp 4000 Zuschauer im Theater Platz. Aufgrund seiner schlechten Erhaltung könnte man auf die Idee kommen, das Theater sei vielleicht gar nicht fertiggestellt worden. Das ist aber nicht der Fall, denn es wurden große Blöcke gefunden mit röhrenförmigen Vertiefungen an ihren Kanten. An diesen Röhren konnte man Seile befestigen, die Sonnensegel über den Zuschauerraum spannten (Beobachtung von Jean-Charles Moretti). Andere Theater zeigen, dass sich solche Blöcke immer am oberen Rand der Cavea befanden. Die zweite Bauphase des Theaters kann durch Keramikscherben an den Anfang des 2. Jhs. n. Chr. datiert werden. Unterstützt wird diese zeitliche Einordnung durch eine Entdeckung von Helga Bumke. Sie erkannte, dass der sogenannte Tabernakelbau wahrscheinlich das Bühnenhaus, die Skene des Theaters, bildete. Diese zweigeschossige Fassade mit mehreren vorspringenden Tabernakeln war im 3. Jh. n. Chr. in der sogenannten Gotenmauer vor der Ostfront des Apollontempels verbaut worden. Am Ende des 19. Jhs. trugen die französischen Archäologen die Gotenmauer weitgehend ab und es kamen u. a. die Bauteile des Tabernakelbaues zum Vorschein (siehe das Kapitel zu Rayet und Thomas). Seitdem rätselte man, zu welchem Gebäude diese fein verzierte Fassade gehört haben könnte. In der Antike hatte man sie für Nymphäen (Brunnenhäuser), für aufwändige Torbauten oder für Bühnenhäuser verwendet. Letzteres wird in Didyma der Fall gewesen sein. Eine Rekonstruktion des Tabernakelbaues oder eben des Bühnenhauses erstellte vor vielen Jahren Frank Bérard. Leider erfolgte die Gesamtpublikation bisher nicht (siehe das Kapitel zu Tuchelt mit Abb. 114). Am wichtigsten vom Tabernakelbau ist seine Weihinschrift. Ein unbekannter Stifter weihte ihn nämlich den Göttern Apollon, Artemis, Zeus und Leto, dem römischen Kaiser Hadrian (117–138 n. Chr.) sowie dem Volk von Milet. Bekannt ist, dass Hadrian die Polis Milet 129 n. Chr. besuchte. Somit ist es naheliegend zu vermuten, dass der Kaiser damals nach Didyma kam und die neue Skene sowie die vergrößerte Cavea des Theaters einweihte. 301
Apollonheiligtum von Didyma
Der genaue Grundriss des Bühnenhauses konnte bisher nicht festgestellt werden, auch nicht mithilfe geophysikalischer Prospektionen, die 2012 an seinem vermutlichen Standort durchgeführt wurden. Klar ist aber, dass es sich bei der Skene um ein separates Gebäude handelte. Wie bei Theatern des griechischen Typs üblich, lag das Bühnenhaus etwas entfernt vor der Cavea. Somit konnten die Zuschauer ihre Sitzplätze auch über die Gänge zwischen Cavea und Skene erreichen. Sie werden Parodoi genannt und führten in die Orchestra im Zentrum der Cavea. Bei Theatern römischen Typs war die Cavea dagegen genau halbkreisförmig und sie bildete mit der Skene ein zusammenhängendes Gebäude. In Didyma konnte man aber feststellen, dass die Cavea größer als halbkreisförmig war. Dies zeichnete Theater griechischen Typs aus, die im römischen Kleinasien bevorzugt errichtet wurden. Obwohl die Existenz eines Theaters in Didyma in keiner Inschrift direkt bezeugt ist, gibt es doch einige indirekte Zeugnisse, die jetzt nach seiner Entdeckung erst richtig gedeutet werden können. 2008 hatte Wolfgang Günther eine Inschrift veröffentlicht, die in der Treppe an der Südostecke der heutigen Moschee verbaut ist. Mit der Inschrift ehrte das Volk von Milet einen gewissen Melanthios, Sohn des Idrieus. Melanthios hinterließ dem Apollon Didymeus und dem Volk von Milet sein Erbe und ordnete an, dass 10000 Denare für die Bauarbeiten am Theater verwendet werden sollen. Damals vermutete Günther, dass es sich um das Theater von Milet handelte, welches unter dem römischen Kaiser Nero (54–68 n. Chr.) ein neues Bühnengebäude erhielt. Die Inschrift lässt sich nicht genau datieren, aber die neronische Zeit käme in Frage. Mithin könnte man nach dem Fund des Theaters in Didyma fragen, ob Melanthios nicht 10000 Denare dafür hinterließ; zumal die Inschrift im Apollonheiligtum von Didyma aufgestellt war. In diesem Fall hätte man eine Bauinschrift für das Theater, die seine Errichtung am Ende der Regierungszeit Neros stützt. In anderen Inschriften des 2. und 3. Jhs. n. Chr. werden Sieger geehrt, die bei verschiedenen musischen Wettkämpfen in Didyma gewannen. Dazu gehörten die Disziplinen der Beredsamkeit, Gesang mit Kithara-Begleitung und Aufführungen von Tragödien. Aus diesen Inschriften ist außerdem zu ersehen, dass die Wettbewerbe im Rahmen der „Megala Didymeia“ stattfanden. Bei diesen „Großen Didymeen“ handelte es sich um Festspiele zu Ehren Apollons, die man alle vier Jahre in Didyma veranstaltete. Die genannten musischen Agone wurden im Theater von Didyma ausgetragen. Des Weiteren berichten die Inschriften von gymnischen Agonen, die man im nahe gelegenen Stadion veranstaltete. Eine solche Inschrift lautet folgendermaßen: „Der Rat und das Volk (von Milet) ehrten Eros, Sohn des Eros, weil er im Stadionlauf und im Doppelstadionlauf der Knaben siegte bei den Megala Didymeia im Heiligtum.“
Diese Siegerinschriften bezeugen u. a. folgende Disziplinen: Knabenringkampf, Stadion- und Doppelstadionlauf der Knaben, Faustkampf und Fünfkampf der Knaben sowie Langlauf und Faustkampf der Männer. Sie stammen ebenfalls aus dem 2. und 3. Jh. n. Chr. 302
Andreas E. Furtwängler – 2003 bis 2012
Man kennt aber nicht nur die Namen der Sieger in Didyma, sondern auch die vieler Zuschauer. Sie ritzten ihre Namen auf den Stufen des Apollontempels ein, um ihre Stammplätze zu markieren. Derartige „Toposinschriften“ (Topos = „Ort, Platz“ im Griechischen) befinden sich sowohl auf den südlichen Stufen des Apollontempels als auch auf einigen der Westseite. Dort sind sie jedoch nur auf der südlichen Hälfte vorhanden, das heißt die Läufe führten bei den Didymeia nicht um den Tempel herum, sondern das Stadion erstreckte sich noch weiter nach Westen. Damit wird es wohl die typische Länge für ein griechisches Stadion von etwa 180 m gehabt haben (Plan 3). Das Längenmaß „Stadion“ umfasste in der Antike 600 Fuß, wobei ein Fuß in Didyma und Milet rund 30 cm lang war (siehe das Kapitel zu Gell, Gandy und Bedford). Die eingeritzten Namen stehen immer im Genitiv, um den „Besitzanspruch“ deutlich zu machen. Beispiele sind: (der Platz) des Philostratos, des Dionysios, des Demetrios, des Alkinoos, des Euangelos, des Lysimachos, des Antiochos, des Iason usw. Interessant ist, dass sich die meisten Toposinschriften auf den untersten beiden Stufen, also auf den besten Plätzen, befinden (Abb. 135). Manche von ihnen sind nur grob eingeritzt, andere sorgfältig eingemeißelt. Letztere markierten wohl die Plätze von Personen, die ihnen von den Beamten zugewiesen worden waren, die die Spiele leitenden, nämlich von den Propheten (siehe das Kapitel zu Ross). Dies ist auch deshalb wahrscheinlich, weil hinter einigen Personennamen der Name des Propheten beigefügt ist. Hinzu kommen manchmal noch Berufsbezeichnungen. Auf diese Weise geben die dutzenden Toposinschriften auf den südlichen und westlichen Tempelstufen auffällige Einblicke in das antike Sport- und Kultgeschehen von Didyma.
Abb. 135: Toposinschriften auf den unteren Stufen der Südseite des hellenistischen Apollontempels. In der oberen Bildhälfte sind Bauteile aus der frühbyzantinischen Basilika zu sehen, die sich ursprünglich im Sekos des Tempels befand. 303
Apollonheiligtum von Didyma
Hinzuzufügen ist, dass die Inschriften für die Sieger im Fackellauf von und zum Apollonaltar ebenfalls aus dem 2. und 3. Jh. n. Chr. stammen (siehe das Kapitel zu Wiegand und Knackfuß zum Jahr 1907). Diese Fackelläufe zu Ehren Apollons waren jedoch nicht Bestandteil der Großen Didymeen, sondern sie veranstaltete man einmal jährlich zu einem besonderen Zeitpunkt. Das Stadion wurde folglich in der hohen und späten Kaiserzeit noch benutzt, obwohl man Teile von ihm schon in der zweiten Hälfte des 1. Jhs. n. Chr. in der Cavea des Theaters verbaut hatte (siehe oben). Doch womöglich stammen diese Blöcke aus dem Bereich des Zugangs, der vom Stadion ins benachbarte Theater führte. Wie oben bereits erwähnt, demontierte man vor dem Einfall der Goten 262 n. Chr. das Bühnenhaus des Theaters. Danach wurde es nicht wiederaufgebaut. Ob man das Theater danach weiternutzte, ist nicht bekannt, aber wahrscheinlich. So wurde z. B. die Heilige Quelle am Ende des 3. Jhs. n. Chr. mit einer neuen Brunnenfassung versehen (siehe das Kapitel zu Wheler und Spon), das heißt der Heiligtumsbetrieb lief weiter. Für die römische Kaiserzeit gibt es also reichliche Informationen zu den Agonen in Didyma. Für die Zeit davor ist dies nicht der Fall. Das früheste Zeugnis stellt ein Beschluss des Volkes von Milet dar aus dem Jahr 299/98 v. Chr. Darin wird Antiochos, der Sohn des Königs Seleukos I., für seine Verdienste um Didyma geehrt. U. a. bekommt Antiochos einen Ehrenplatz bei den Festspielen für den Gott Dionysos in Milet und bei den Chorwettbewerben in Didyma verliehen. Für das Apollonheiligtum werden somit musische Wettkämpfe erwähnt, die jährlich stattfanden und Didymeia genannt wurden. Schließlich hatte das Apollonheiligtum am Ende des 3. Jhs. v. Chr. solch eine Berühmtheit erlangt, dass die Didymeia zu „Megala Didymeia“ erhoben wurden. Das Stadion muss also damals bereits existiert haben (siehe oben). Das bedeutete, die Spiele zu Ehren Apollons waren ab etwa 200 v. Chr. panhellenisch, das heißt alle Griechen konnten daran teilnehmen. Außerdem fanden die Didymeia nicht mehr jedes Jahr, sondern nur noch alle vier Jahre statt. Die Großen Didymeen konnten sich nun mit den Spielen von Olympia und Delphi messen. Für die Sieger änderte sich auch einiges. Sie bekamen keine Geldpreise mehr, sondern nur noch Lorbeerkränze verliehen. Schon einige Jahre zuvor hatte die Familie der Seleukiden ihre Verbundenheit mit Didyma in einem anderen Beschluss bewiesen. In einem um 246 v. Chr. abgefassten Schreiben wurde dem Apollonheiligtum die Asylie verliehen. Dieses Privileg erhielten nur wenige antike Heiligtümer und Städte. Es bedeutete, dass Personen oder Sachen nicht mit Gewalt aus Didyma entfernt werden durften. Damit war die Unverletzlichkeit des Apollonheiligtums garantiert. Zu dieser Zeit taucht zum ersten und letzten Mal in einer Inschrift eine Kultlegende auf, die sonst unbekannt ist. 1904 wurde im Asklepios-Heiligtum auf der Insel Kos eine Stele ausgegraben, auf der eine Inschrift aus der Zeit um 200 v. Chr. eingemeißelt ist. Darin wird erwähnt, dass Zeus und Leto beim Orakel von Didyma die Zwillinge Apollon und Artemis zeugten, also bei der Heiligen Quelle am Lorbeerbaum. Diese Legende vom sogenannten Hieros Gamos (Griechisch 304
Andreas E. Furtwängler – 2003 bis 2012
für „heilige Hochzeit“) entstand wohl erst in hellenistischer Zeit. Dass Didyma der Ort der Vereinigung von Zeus und Leto war, konnte ihm deshalb kein anderer Ort streitig machen. Damit schloss Didyma zur ersten Riege der Apollonheiligtümer auf. Auf Delos hatte Leto die Zwillinge Apollon und Artemis geboren und in Delphi erfolgte der erste Orakelspruch Apollons. Dieser „neue“ Gründungsmythos für Didyma passte in dieser Phase des Heiligtums besser zu ihm als die Legende, dass es am Grab des Branchos gegründet worden war (siehe das Kapitel zu Chishull). Denn dieser alte Mythos hatte eher regionale Bedeutung und der neue entsprach dem nun wieder erstandenen „internationalen“ Rang von Didyma. Auch wenn es sich nur um einen Mythos handelt, bezeugt doch die Inschrift von Kos die vier wichtigsten Götter, die man in Didyma verehrte. Apollon und Artemis besaßen je einen eigenen Tempel. Zeus und Leto hatten ihre eigenen Altäre. Die göttliche Familie ist ferner an prominenter Stelle des Apollontempels dargestellt gewesen: Jeweils zwei von ihnen zierten die Kapitelle der südlichen und der nördlichen Säule seiner Ostseite. Überdies hatte man ihnen das Bühnenhaus des Theaters geweiht (siehe das Kapitel zu Haussoullier und Pontremoli mit Abb. 69 sowie oben). Darüber hinaus bezeugen weitere Inschriften, dass noch eine Vielzahl anderer Götter in Didyma verehrt wurde. Zu ihnen gehören u. a. Hekate, Aphrodite, Poseidon, Demeter, Kore und Hermes. Der „griechische Götterhimmel“ war aber weitaus größer, wenn nicht sogar unendlich groß. Denn jeder Gott konnte verschiedene Beinamen haben und separat verehrt werden. Apollon hatte in Didyma den Beinamen Didymeus, in Milet wurde ihm u. a. als Apollon Delphinios gehuldigt. Seinen Vater Zeus verehrte man in Didyma als Zeus Soter, Zeus Hyetios, Zeus Telesiurgos, Zeus Kataibates und als Zeus Hypsistos. Dieser antike Kosmos der Götter kann kaum durchschaut werden, zumal Didyma dabei nur ein Beispiel eines zwar durchaus größeren, aber nicht ungewöhnlichen Heiligtums darstellt. Auch die Schwester Apollons, Artemis, wurde in Didyma unter mehreren Namen angerufen. Der bedeutendste Kult galt Artemis Pytheie. Für sie hatte man spätestens in archaischer Zeit einen eigenen Tempel errichtet. Die Entdeckung des hellenistischen Nachfolgers wird u. a. Thema des folgenden Kapitels sein. Der Fund des Theaters von Didyma wurde von niemandem erwartet. Der Verfasser des Inschriftenbandes zu Didyma, Albert Rehm, meinte, die musischen Agone wären womöglich in einem temporären Bau in Didyma abgehalten worden. Joseph Fontenrose vermutete, dass diese Wettkämpfe im Theater von Milet stattfanden. Andererseits ist die Existenz eines Theaters in einem bedeutenden extraurbanen Heiligtum wie Didyma nichts Besonderes. Das Apollonheiligtum von Delphi besaß ein Theater, das Zeusheiligtum von Dodona, das Poseidonheiligtum von Isthmia, das Letoon von Xanthos und das Asklepieion von Pergamon. Man könnte noch einige mehr nennen. Für Didyma war die Entdeckung des Theaters jedoch enorm wichtig, weil man nun mehr über seine topographische Ausdehnung wusste. Mit dem Theater war ein neuer Großbau im Süden hinzugekommen. Im Norden sollte bald der Artemistempel folgen. 305
Apollonheiligtum von Didyma
Am Schluss ist noch zu erwähnen, dass es unter Andreas E. Furtwängler als Grabungsleiter nicht nur bedeutende Ergebnisse bei den Ausgrabungen gab. Denn während seiner Amtszeit erschienen vier Bände über Funde der Didyma-Ausgrabungen: 2004 ein Band zur hellenistischen und kaiserzeitlichen Gebrauchskeramik der Ausgrabungen an der Heiligen Straße von Ulrike Wintermeyer. 2006 folgte ein Band zu den Fundmünzen der Jahre 1962 bis 1998 von Hans Roland Baldus. Ein Jahr darauf wurden der Band von Thomas Schattner zur Fundkeramik des 8. bis 4. Jhs. v. Chr. veröffentlicht sowie ein Band über die Skulpturen und Statuenbasen von der klassischen Epoche bis in die Kaiserzeit von Axel Filges.
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Helga Bumke – seit 2013
Helga Bumke – seit 2013 Grabungen bei der Friedhofskapelle – Ein antikes Fundament – Das „Prophetenhaus“ als Propylon? – Die Entdeckung der Bauteile des hellenistischen Artemistempels – Das Fundament des Artemistempels wird gesucht und gefunden – Zu einem möglichen archaischen Vorgängerbau – Eine antike Nekropole bei Panormos Im Jahr 2013 übernahm Helga Bumke die Grabungsleitung von Didyma. Mit ihrem Forschungsprojekt „Kulte im Kult“ führte sie bereits seit 2009 Ausgrabungen in Didyma durch. Dabei trat u. a. das Theater von Didyma zutage (siehe das vorangegangene Kapitel). Zu Bumkes Zielen in Didyma gehört es, mehr über die Bauten und Kulte herauszufinden, die es neben dem Apollontempel dort gab. Nachdem sie in einem Aufsatz von 2006 nachweisen konnte, dass das Artemisheiligtum doch nicht nordwestlich des Apollontempels an der Heiligen Straße lag (siehe das Kapitel zu Tuchelt und Schneider), galt ihr Hauptaugenmerk den Ort der Verehrung von Artemis zu lokalisieren. Schließlich gelang dies in den Jahren 2013/14. Helga Bumke wurde am 16. September 1966 in Berlin geboren. Sie studierte Klassische Archäologie, Alte Geschichte und Kunstgeschichte in Berlin und Heidelberg von 1986 bis 1993. 1997 wurde Bumke in Berlin promoviert. An der Ausgrabung Didymas nahm sie zum ersten Mal 1994 teil. In den Jahren 1997 bis 2000 hatte sie ein Forschungsstipendium des Deutschen Archäologischen Instituts. Von 2000 bis 2010 war Bumke wissenschaftliche Mitarbeiterin der Universität Bonn. Nachdem sie sich 1997 habilitiert hatte, bekam sie 2010 den Lehrstuhl für Klassische Archäologie an der Universität Bochum. 2011 wechselte Helga Bumke an die Universität Halle-Wittenberg. Schon bei den französischen Ausgrabungen des 19. Jhs. v. Chr. waren in Didyma antike Bauteile zum Vorschein gekommen, die nicht zum hellenistischen Apollontempel gehörten (siehe die Kapitel zu Rayet und Thomas sowie zu Haussoullier und Pontremoli). Bei den folgenden Forschungen traten bis heute immer wieder ganze Werkstücke oder nur Fragmente von Architekturteilen zutage, die von anderen antiken Bauten stammen. Die größeren von ihnen sind heute auf den Flächen um den Apollontempel herum gelagert. Sie sind bisher nie ausführlich dokumentiert und untersucht worden. Die kleineren Fragmente befinden sich in den Magazinen des Grabungshauses. Vereinzelt hat man Versuche unternommen, die Architekturteile bekannten Bauten zuzuweisen, wie z. B. dem archaischen Apollontempel (siehe das Kapitel zu Furtwängler). Außerdem wurde versucht, die Bauteile zu identifizieren, die offensichtlich von einem gemeinsamen Bau stammen. Dazu gehören der hadrianische Tabernakelbau (das Bühnenhaus des Theaters), eine hellenistische dori307
Apollonheiligtum von Didyma
sche Säulenhalle (stand vermutlich nördlich des Artemistempels) und ein hellenistischer dorischer Antenbau, das sogenannte Prophetenhaus. Im Rahmen ihres Forschungsprojekts „Kulte im Kult“ versucht Helga Bumke in Didyma, u. a. die Fundamente dieser und anderer Bauten zu finden. Dies gelang ihr etwa 95 m südöstlich des Apollontempels. Dort kam bei Ausgrabungen in den Jahren 2013 bis 2015 ein antikes Fundament zum Vorschein, und zwar unter der örtlichen Leitung von Ivonne Kaiser. Den Ausgangspunkt für diese Untersuchungen bildeten die Überreste einer Kapelle. Auf der alten Karte von Marées aus dem Jahr 1906 ist sie als dem „Hagios Georgios“ geweiht verzeichnet (Karte 5). Dies ist aber falsch. Denn tatsächlich wird sie in den Aufzeichnungen von Hubert Knackfuß lediglich „Friedhofskapelle“ genannt. Ein großer Friedhof mit Beinhaus befand sich gleich neben ihr. Die Hagios Georgios-Kapelle lag dagegen südwestlich von Didyma auf dem Weg nach Kap Monodendri, und zwar etwa 1200 m vom Apollontempel entfernt. Dies belegen die Karte von Paul Wilski aus dem Jahr 1900 sowie Aufzeichnungen und Fotos von Albert Rehm. Die Ausgrabungen an der Friedhofskapelle (in den neuen Forschungsberichten „Kapelle des Hagios-Georgios“ genannt) zeigten, dass an dieser Stelle vermutlich schon im 5./6. Jh. n. Chr. ein christlicher Kultbau errichtet wurde. Das einschiffige Gebäude mit einer Apsis im Osten maß etwa 5,50 x 11 m (Abb. 136). Im 11./12. Jh. vergrößerte man die Kirche auf rund 14 m Länge. Nach Aufgabe dieser Kapelle zwischen dem 13. und dem 15. Jh. wurde sie im 19. Jh. erneuert und als Friedhofskapelle genutzt, deren Weihung allerdings unbekannt ist. Nachdem die Griechen 1922 vertrieben worden waren, verfiel sie (siehe das Kapitel zu Wiegand und Knackfuß zu den Jahren nach 1913).
Abb. 136: Die Apsis der Friedhofskapelle von Südwesten. Darin Blöcke des Fundaments, welches vielleicht ein hellenistisches Propylon trug. 308
Helga Bumke – seit 2013
Wie schon erwähnt, trat darunter ein antikes Fundament aus Kalksteinquadern zutage, von dem bis zu zwei Schichten erhalten sind. Es besteht aus vier etwa 1,65 m breiten Streifen, die zusammen ein Rechteck mit den Ausmaßen von 11 x 12 m bilden. Die Beifunde ergaben nur eine grobe Datierung in den Hellenismus bzw. in die römische Kaiserzeit. Bisher ist es ebenso unklar, welcher Gebäudetyp sich auf dem Fundament befand. Die Ausgräber sprechen lediglich von einem „repräsentativen Bau“. Aber aufgrund seiner Lage und des Fundaments ohne Zwischenmauern käme ein Propylon infrage, das heißt ein aufwändiger Torbau, der den südöstlichen Eingang für das Apollonheiligtum von Didyma bildete (Karte 6). So könnte das oben genannte „Prophetenhaus“ auf dem Unterbau gestanden haben. Dieser dorische Antenbau entstand in der zweiten Hälfte des 2. Jhs. v. Chr. Er besaß an seiner Front vier Säulen zwischen den Anten und war damit 9,32 m breit (Abb. 137). Mit einer Krepis aus drei Stufen hätte er etwa eine Breite von 10,50 m aufgewiesen, die gut zu dem 11 m breiten Fundament unter der Friedhofskapelle passen würde. Die Säulenfront hätte vermutlich nach Südosten gezeigt zum Weg, der von Teichiussa her nach Didyma führte (siehe das Kapitel zu Newton). Von der Rückseite des Prophetenhauses hat sich ein Türlaibungsfragment erhalten. Die zum Apollontempel zeigende Seite des Propylon hätte also eine Türwand aus womöglich drei Türen besessen.
Abb. 137: Rekonstruktionszeichnung der Frontseite des vermutlichen Propylon (ehemals Prophetenhaus) aus der zweiten Hälfte des 2. Jhs. v. Chr. Propheteninschriften überzogen die Außenseiten des ganzen Gebäudes sowie die genannten Säulen und ihr Gebälk. In den kurzen Inschriften folgte hinter dem Wort „Prophet“ in der Regel der Name des amtierenden Propheten und sein Vatersname. Die ältesten dieser Inschriften datieren an den Anfang des 1. Jhs. v. Chr. und die jüngsten ins 3. Jh. n. Chr. Das deshalb sogenannte Pro309
Apollonheiligtum von Didyma
phetenhaus wurde spätestens um 500 n. Chr. abgetragen. Damals verwendete man die Trommeln seiner vier Säulen und andere Werkstücke, um die Kirche im Sekos des Apollontempels zu errichten (siehe das Kapitel zu Chishull). Ob das „Prophetenhaus“ tatsächlich als Propylon den Südosteingang nach Didyma bildete, wird man wahrscheinlich nie nachweisen können. Jedoch hätten dort die Besucher die „Graffiti“ der jährlich amtierenden Propheten gut erkennen können. Die Namen der Amtsträger des höchsten Amtes in Didyma wären so unübersehbar gewesen. Als nächstes soll die Entdeckung des hellenistischen Artemistempels von Didyma geschildert werden. Sie geschah ähnlich überraschend und unvorgesehen wie die des Theaters (siehe das Kapitel zu Furtwängler). Bereits im Jahr 1994 waren bei Ausgrabungen unmittelbar südlich der Moschee von Didyma fünf rätselhafte Marmorblöcke zutage getreten, und zwar drei Architrav- und zwei Friesblöcke (siehe das Kapitel zu Tuchelt und Schneider). Die Architrave weisen jeweils drei Fascien auf sowie darüber einen Perlstab und ein ionisches Kyma. Die beiden Friesblöcke sind in der unteren Hälfte mit einem Lotus-Palmettenfries verziert. Die obere Hälfte schmückt ein Perlstab mit einem lesbischen Kyma und einen Zahnschnitt darüber. Sowohl die Ornamentierung als auch die Abmessungen der Blöcke stimmen mit den Baugliedern des hellenistischen Naiskos im Apollontempel im Großen und Ganzen überein. Jedoch gibt es kleinere Abweichungen (Abb. 138). Deshalb wurden die Bauteile inventarisiert und ihre Karteikarten mit der Aufschrift „Pseudo-Naiskos“ versehen. Damit verstaubten sie im Architektur-Depot des Grabungshauses von Didyma.
Abb. 138: Fries des Apollon-Naiskos (oben) und des Pseudo-Naiskos bzw. Artemistempels (unten). 310
Helga Bumke – seit 2013
Im Sommer 2005 führte der Autor unter der Leitung von Andreas E. Furtwängler u. a. Ausgrabungen am Fundament des hellenistischen Naiskos im Hof des Apollontempels durch. In der Folge dessen war eine Untersuchung der Bauglieder dieses kleinen Tempels nötig. Dabei stellte sich heraus, dass beinahe alle von ihnen mit sogenannten Versatzmarken versehen sind (siehe das Kapitel zu Wiegand und Knackfuß zu den Jahren 1912 und 1913). Zum ersten Mal traten so die fünf Architrav- und Friesblöcke des Jahres 1994 wieder ins Rampenlicht. Ihnen sind nämlich keine Versatzmarken eingemeißelt. Sie stammen also nicht vom Apollon-Naiskos, sondern von einem anderen hellenistischen Bau. Damit ergab sich weiterhin, dass die genannten Werkstücke einem kleinen Tempel angehörten, der dem Naiskos des Apollon ähnelte. Und dieser neue Tempel könnte der aus Inschriften bekannte Artemistempel gewesen sein. Doch bis zum Nachweis dieser These sollte es wiederum einige Jahre dauern. Erst 2012 wurde auf Anraten des Autors mit seiner Bauteilaufnahme begonnen, und zwar im Rahmen des Projekts „Kulte im Kult“ von Helga Bumke. Damals erhielt Didyma vom türkischen Kultur- und Tourismusministerium zwar keine Erlaubnis für Ausgrabungen, dennoch durfte in den Depots gearbeitet werden. Dies sollte sich als Glücksfall für die Entdeckung des Artemistempels erweisen, denn so konnte die eigentlich als Vermesserin engagierte Juliane Goischke beginnen, die fünf bekannten Bauteile des „Pseudo-Naiskos“ zu zeichnen. Dabei zeigte sich, dass die Architrav- und Friesblöcke zwar genauso hoch sind wie die entsprechenden Bauglieder des Apollon-Naiskos, aber um etliches tiefer und breiter. Die Wandarchitrave des Naiskos sind z. B. 54,8 cm hoch, 1,19 m breit und kaum mehr als 0,70 m tief. Die entsprechenden Bauglieder des Pseudo-Naiskos sind 55,5 cm hoch, über 1,84 m lang und mindestens 0,85 m tief gewesen. Sie mussten also einem etwas größeren Bau angehört haben. Solch ein Bau war tatsächlich bekannt, nämlich von der Ritzzeichnung an der Westwand im Hof des Apollontempels (siehe das Kapitel zu Tuchelt und Schneider mit Abb. 125). Die dortige Zeichnung zeigt den Giebel eines 10,71 m breiten Tempels, während der Apollon-Naiskos nur rund 8 m breit war. Womöglich hatte man ihn dort gar nicht entworfen – so wie Lothar Haselberger vermutete –, sondern stattdessen den etwas größeren Tempel seiner Schwester Artemis? Diese Theorie des Autors belegten die zur Zeichnung passenden Blöcke des Pseudo-Naiskos noch nicht ganz. Aber mittlerweile war er auf der Suche nach weiteren Bauteilen des Pseudo-Naiskos u. a. auf einen Geison-Simablock gestoßen, der sich als „Schlüssel“ zur Lösung des Problems erweisen sollte. Als nämlich im Jahr 2002 ebenfalls keine Ausgrabungen in Didyma durchgeführt worden waren, hatten die Archäologen u. a. das Dorf um den Apollontempel nach antiken Werkstücken und Fundamenten abgesucht. Dabei hatte man den großen marmornen Geison-Simablock in einem Garten westlich des Apollontempels (wieder)gefunden. Denn bei späteren Recherchen ergab sich, dass er bereits im November 1909 nordwestlich des Apollontempels zum Vorschein gekommen war. Hubert Knackfuß hatte ihm sogar eine seiner 311
Apollonheiligtum von Didyma
seltenen Skizzen im Grabungstagebuch gewidmet. Danach ging das wichtige Bauteil in den Jahren nach dem 1. Weltkrieg verloren, ehe es 2012 von Juliane Goischke erneut gezeichnet wurde. Ihre Schnittzeichnung macht deutlich, dass das Geison und die Sima dieses bislang unbekannten Bauwerkes perfekt zur Ritzzeichnung im Sekos des Apollontempels passen. Überdies zeigte sich, dass Architrav und Fries des Pseudo-Naiskos ganz genau mit der Zeichnung übereinstimmen, während die entsprechenden Teile des Apollon-Naiskos bis zu 1 cm von ihr abweichen (Abb. 139).
Abb. 139: Ritzzeichnung an der westlichen Sekoswand des hellenistischen Apollontempels. Links mit Baugliedern des Apollon-Naiskos, rechts mit solchen des Artemistempels (vormals Pseudo-Naiskos). Mit dieser unerwarteten Übereinstimmung gelang es, einen neuen, bislang unbekannten Tempel zu identifizieren, ohne dass Ausgrabungen durchgeführt worden wären. Einmalig in der Klassischen Archäologie sind an diesem Tempel mehrere Dinge. Zum einen hat man seine Entwurfszeichnung im Maßstab 1: 1 vorliegen. Zum anderen weiß man, wie dieser Entwurf zustande kam. Die Architekten kopierten den Apollon-Naiskos in großen Teilen, aber gleichzeitig vergrößerten sie ihn. Weil der Apollon-Naiskos das Vorbild für den neuen Tempel lieferte, ergab sich beinahe von allein, dass dieser lange gesuchte Bau der Göttin Artemis geweiht sein musste, der Zwillingsschwester Apollons. 312
Helga Bumke – seit 2013
Nach Vorträgen kam deshalb die Frage auf, warum man den Artemistempel im Sekos des Apollontempels entworfen hatte, obwohl er dort nicht errichtet wurde. Klar ist, dass der Entwurf in der Nähe des Apollon-Naiskos erfolgen musste, weil er ja als Vorbild diente. Dazu eignete sich die Fläche an der schon vorhandenen Sockelwand sehr gut. Anhand dieser Zeichnung konnte man eine kleinere, tragbare Skizze anfertigen. Sie versah man mit den Maßen des Entwurfes. Mit dieser Skizze war es möglich, den Artemistempel an einem beliebigen Ort zu errichten. Ein Beispiel für eine solche verkleinerte Zeichnung stammt aus dem Athenaheiligtum von Priene. Sie ist auf einer etwa 30 x 30 cm großen Steinplatte eingeritzt und nicht genau maßstabsgerecht. Darauf ist der Giebel mit dem Gebälk des Athenatempels dargestellt. Diese Ritzzeichnung gleicht der des Artemistempels von Didyma sehr, außer dass sie verkleinert und nicht im Maßstab 1: 1 ausgeführt ist. Im Übrigen fand Lothar Haselberger im Sekos des Apollontempels von Didyma ein Bruchstück einer Marmorplatte, auf der ein Abschnitt eines Gebäudes eingeritzt ist. Bisher konnte er es aber keiner vorhandenen Ritzzeichnung zuordnen. Schließlich zeigt diese Praxis, dass die Griechen wohl bis ans Ende des Hellenismus nicht in der Lage waren, maßstäbliche Zeichnungen herzustellen. Wenn sie es nämlich im 2. Jh. v. Chr. in Didyma gewesen wären, hätten sie sich den Entwurf in tatsächlicher Größe an der Westwand des Sekos sparen können. Diese spektakuläre Entdeckung sollte nicht die letzte im Zusammenhang mit dem Tempel der Artemis gewesen sein. Doch zunächst galt es, die weiteren Schritte zu seiner Erforschung zu planen. Mit den bisherigen Kenntnissen war es möglich, die Depots und das Gelände um den Apollontempel nach weiteren Bauteilen und Fragmenten des vermutlichen Artemistempels abzusuchen. Dabei ließen sich etwa 40 auffinden. Das ist sehr wenig und es zeigte sich, dass vom Artemistempel nicht viel aus dem Altertum überkommen ist. Zu den genannten sechs großen Blöcken kam lediglich ein Architrav bei Ausgrabungen 2014 hinzu. Ansonsten handelt es sich weitgehend um kleinere Fragmente. Mit ihnen und der Ritzzeichnung kann man eine Idee vom Aussehen der Frontseite des Artemistempels bekommen. Es handelte sich um einen ionischen Prostylos mit vier Säulen (siehe z. B. Abb. 102). Durch die stilistische Einordnung seiner Bauornamentik ist seine Entstehung im 2. Jh. v. Chr. gesichert. Aber der tatsächliche Grundriss blieb unklar, dafür fehlte sein Fundament. Erstaunlicherweise trat dies 2013 – nur ein Jahr später – zutage. Für die Ausgrabungen in diesem Jahr hatte Helga Bumke die Moschee von Yoran ins Auge gefasst. Dort gab es bekanntermaßen antike Strukturen, aber ohne dass man sie wirklich hätte deuten können (siehe das Kapitel zu Tuchelt und Schneider). Zunächst wurde der Autor mit Sondagen unmittelbar nördlich der Moschee beauftragt, und zwar in einem kleinen Garten mit Olivenbäumen, der etwa 7 m breit und 30 m lang ist und an den ein Schulgebäude im Norden grenzt (Abb. 140). An dieser Stelle hatte noch nie jemand Ausgrabungen durchgeführt, wohl weil man annahm, dass die Moschee, die ehemalige orthodoxe Kirche, über einem antiken Bau errichtet worden war und daneben zu graben zwecklos wäre. 313
Apollonheiligtum von Didyma
Abb. 140: Blick von Westen in den Garten nördlich der heutigen Moschee, wo die Fundamente des hellenistischen Artemistempels zum Vorschein kamen (links ein Gebäude der ehemaligen Schule). Nur drei Tage nach Grabungsbeginn kam am Dienstag, dem 6. August 2013, ein antikes Quaderfundament im „Moscheegarten“ zum Vorschein. In den folgenden vier Wochen konnten dort sechs Sondagen angelegt werden, die die Reste eines stattlichen Tempelfundamentes zutage förderten. Allerdings mussten die Arbeiten jeden Freitag zwischen 13 und 14 Uhr kurz unterbrochen werden, weil sich dann die Gläubigen zum Mittagsgebet versammelten. Der einheimische Imam unterstützte die Ausgrabungen nach Kräften, doch zum Freitagsgebet kamen immer so viel Muslime, dass sie auch im Moscheegarten ihre Gebetsteppiche ausbreiten mussten. Davon konnten sie nicht einmal die bis zu 2 m tiefen Löcher der Grabungssondagen abhalten, die rund um die Olivenbäume angelegt worden waren. Das Tempelfundament war nämlich nur 2 m nördlich der Moschee zutage getreten, die auf den Mauern einer frühbyzantinischen Kirche errichtet ist (Karte 6). Normalerweise baute man am Ende der heidnischen Antike die Kirchen direkt über einen Tempel und benutzte z. B. seine Mauern weiter. Hier aber hatte man die Kirche neben dem antiken Tempel errichtet und ihn dabei bis auf seine Fundamente abgetragen (siehe das Kapitel zu Chishull). Deshalb dauerte es bis 2013, ehe man sie fand. 314
Helga Bumke – seit 2013
Damals kam der südöstliche Bereich des Fundaments zum Vorschein. Die Mauern aus Kalksteinquadern zeigten allesamt, dass der Bau exakt ost-westlich ausgerichtet war. Diese Orientierung ist für griechische Tempel charakteristisch gewesen, folglich hatte man den Unterbau für ein solches Gebäude gefunden. Seine Streifenfundamente sind durchschnittlich 1,70 m breit. An einer Stelle hat sich die 1,45 m breite Euthynterie erhalten. Die darauf erhaltenen Ritzlinien zeigen an, dass die erste marmorne Schicht darüber 1,26 m breit war. Darauf erhob sich die südliche Längswand des Tempels (Abb. 141).
Abb. 141: Die Fundamente des hellenistischen Artemistempels von Norden. Im Hintergrund das Fundament der südöstlichen Ante mit der Euthynterie. Im Vordergrund das Fundament der vermutlichen Tempelrückwand. Im Jahr 2014 wurde das Tempelfundament weiter ausgegraben. Dabei kam auch seine Südwestecke ans Licht, sodass seine Gesamtlänge auf 31,60 m bestimmt werden konnte. Der rechteckige Unterbau besaß im Innern zwei Querfundamente, die das ganze Gebäude in drei Räume unterteilten. An ihnen ist auffällig, dass die Achsabstände dieser nordsüdlich angeordneten Fundamente immer ein Vielfaches von 3,31 m aufweisen. Dies ist genau der Achsabstand, den die Ritzzeichnung im Apollontempel für die Säulen des Artemistempels vorgibt. Damit hatte man ein Indiz für die Breite des neu gefundenen Fundaments vorliegen. Denn wenn es tatsächlich den Artemistempel trug, müsste es für einen Bau von 10,71 m Breite geeignet gewesen sein. 315
Apollonheiligtum von Didyma
Im Sommer 2015 wurde daraufhin eine Sondage an der Stelle angelegt, wo ein rund 11,50 m breites Fundament enden müsste. Und genau darin kam die Nordwestecke des Tempelfundaments zum Vorschein. Aber auch hier waren nur die untersten Schichten erhalten. Das heißt an keiner Stelle wurde aufgehendes Mauerwerk des Artemistempels in situ gefunden. Ohne die Verbindung des Fundaments mit der Ritzzeichnung im Apollontempel hätte man bis heute keinen sicheren Beleg, welcher Tempel sich in der Antike rund 80 m nördlich des Apollontempels befand. Der freigelegte und später wieder zugeschüttete Unterbau war also 11,50 m breit und 31,60 m lang (Abb. 142). Damit handelte es sich um einen sehr langgestreckten Tempel, genauer gesagt war er dreimal so lang wie breit. Allerdings nicht an seinen Außenmaßen, sondern – eine Besonderheit – an den mittleren Achsen seiner Wände und Säulen. Ferner wiesen seine drei Räume ganzzahlige Größenverhältnisse von Länge und Breite auf: der östliche Raum die Proportion von 2: 3, der mittlere die von 4: 3 und der westliche die von 3: 3. Jeweils eine Einheit entspricht dabei dem Achsabstand von 3,31 m der Ritzzeichnung im Apollontempel.
Abb. 142: Rekonstruktionszeichnung des Grundrisses des hellenistischen Artemistempels als tetrastyler Amphiprostylos, dessen Frontseite nach Westen zeigt: die erhaltenen Fundamente (hellgrün); die möglichen Standorte der Stufen, Wände und Säulen (schwarz); das Grundrissraster mit den Proportionen der einzelnen Räume und des gesamten Grundrisses (rot). Solche „Zahlenspielereien“ mögen manchem Leser beliebig erscheinen. Im Falle des Artemistempels von Didyma sind sie aber zweifelsfrei nachgewiesen. In der griechischen Tempelbaukunst spielten Proportionen eine wichtige Rolle. Jedoch sind sie nur selten so eindeutig nachzuweisen wie am Fundament des Artemistempels; oder wie am hellenistischen Apollontempel von Didyma (siehe das Kapitel zu Gell, Gandy und Bedford). Bereits erwähnt wurde, dass 1994 in der Moschee ein Felsfundament zutage trat, welches in der Antike ein Pflaster aus Marmorplatten trug (siehe das Kapitel zu Tuchelt und Schneider). 316
Helga Bumke – seit 2013
Bei den Ausgrabungen in den Jahren 2013 bis 2017 stellte sich heraus, dass diese Felsschicht noch bis wenigstens 20 m westlich der Moschee reichte. Weiterhin zeigte sich, dass sie als Fundament der nördlichen Längswand der Moschee bzw. schon der frühbyzantinischen Kirche gedient hatte. Die genannte Felsschicht aus Kalkstein weist auf ihrer Oberseite die Höhe von etwa 75,20 m ü. NN auf. Auf dieser Höhe erstreckt sich der geglättete Fels auch innerhalb des Fundaments des Artemistempels und bildete auf seiner Ostseite das Unterlager für eine Säulenstellung (Karte 6). Damit ist nun zu fragen, wie denn tatsächlich der Grundriss des Artemistempels ausgesehen hat und wie seine nähere Umgebung beschaffen gewesen sein könnte. Deutlich geworden ist, dass südlich des Tempels ein großer freier Platz lag, der mit Marmorplatten gepflastert war. Östlich des Artemistempels fällt das Gelände ab und bei 74,20 m ü. NN trat wieder eine Felsschicht zutage. Nördlich davon gab es bis vor wenigen Jahre eine Schule, die aber geschlossen wurde. Hier und westlich des Tempelfundaments fanden bisher noch keine größeren Ausgrabungen statt. Folglich konnte der Altar des Artemistempels noch nicht gefunden werden. Bei griechischen Tempeln lag er vor der Eingangsseite, welche in der Regel nach Osten zeigte. Doch bei Grabungen östlich des Artemistempels kamen keine Altarreste zum Vorschein. Damit stellt sich die Frage, ob der Artemistempel von Didyma nicht nach Westen orientiert gewesen sein könnte, und zwar zur unterhalb vorbeiführenden Heiligen Straße. Im Übrigen waren die berühmten Artemistempel von Ephesos und von Magnesia am Mäander ebenfalls nach Westen – und nicht wie üblich nach Osten – ausgerichtet. Wenn die Pilger vom Hafen Panormos nach Didyma kamen, sahen sie zunächst den Tempel der Artemis auf dem Hügel links der Heiligen Straße liegen, während der „Säulenwald“ des Apollontempels erst im Hintergrund auftauchte. Den Artemistempel hatte man am wichtigsten Punkt des Heiligtums errichtet, sodass er von allen Seiten sichtbar war. Der Apollontempel lag dagegen in einer Senke. Die topographische Situation des Heiligtums würde also eher für eine Westorientierung des Artemistempels sprechen. Auf diese Weise wären auch sein Altar und der von ihm aufsteigende Rauch von den Ankommenden aus Norden gut sichtbar gewesen (Karte 6). Für diese Lösung spricht ferner die Anordnung der Fundamente des Artemistempels. Obwohl sich auf ihnen keine Mauer- oder Säulenreste erhalten haben, ergibt sich bei einer Westorientierung als Rekonstruktion ein typisch griechischer Amphiprostylos. Ein solcher Tempel hatte auf beiden Schmalseiten die gleiche Anzahl Säulen. Der Artemistempel besaß gemäß der Ritzzeichnung im Apollontempel – und das ist sicher – vier Säulen an seiner Frontseite, also an der Westseite. Das einzelne Streifenfundament im Osten zeigt, dass auch dort nur eine Säulenstellung gelegen haben kann. Folglich lässt sich ein Amphiprostylos rekonstruieren (siehe Abb. 142). 317
Apollonheiligtum von Didyma
Die weitere Gestalt des Tempelgrundrisses bleibt hypothetisch. Die westliche Vorhalle des Tempels, der Pronaos, wäre quadratisch gewesen. Die nach Osten folgende Cella hätte den größten Raum gebildet. Hier müsste sich das Kultbild der Artemis Pytheie (ihr Beiname in Didyma) befunden haben. Die rückwärtige Halle, der Opisthodom, war ziemlich sicher von sechs Säulen umgeben, weil dies der Befund des Tempelfundaments nahelegt. Ob der wirkliche Grundriss des Artemistempels jemals erschlossen werden kann, ist ungewiss. Ob er nach Westen ausgerichtet war, könnten Ausgrabungen dort womöglich klären, wenn z. B. ein Altarfundament gefunden würde. Wirklich sicher ist die Grundfläche des Tempels von etwa 11,50 x 31,60 m, seine Datierung ins 2. Jh. v. Chr., die Gestaltung seiner Front mit vier ionischen Säulen und sein Gebälk mit Architrav, Fries, Geison und Sima. Ist es denn wahrscheinlich, dass dieser Tempel Artemis und keinem anderen Gott geweiht war? Hier kann es kaum Zweifel geben. Zum einen diente der Naiskos des Apollon als Vorbild. Zum anderen gibt es einige Inschriften, in denen der Tempel der Artemis direkt oder indirekt erwähnt ist. Ihr Kultbild, dem Schmuck geweiht wurde, wird in einer Inschrift des Jahres 271/70 v. Chr. genannt. Die Existenz eines Kultbildes eines Gottes setzt das Vorhandensein eines Tempels voraus, in dem es aufgestellt werden konnte. Ferner überliefert eine frühkaiserzeitliche Inschrift, dass ein Gebäude für Artemis, sicher ihr Tempel, eine neue Tempeltür aus Bronze erhielt. Neben dem Tempel für Apollon wird in den Inschriften Didymas nur ein Tempel der Artemis erwähnt, ob also ihre Eltern Zeus und Leto einen Tempel besaßen, ist unbekannt. Aus den Inschriften zum Artemistempel ergibt sich nun ein Problem, denn offensichtlich besaß Artemis schon im 3. Jh. v. Chr. einen Tempel (siehe die Inschrift von 271/70 v. Chr.). Die Reste des gefundenen Tempels stammen aber aus dem 2. Jh. v. Chr. Folglich muss man davon ausgehen, dass es mindestens einen Vorgängerbau gab. Dies ist auch deshalb wahrscheinlich, weil Artemis bereits in Weihinschriften des 6. Jhs. v. Chr. in Didyma erwähnt wird. Ihr Kult war neben dem des Apollon schon immer der wichtigste in Didyma. Deshalb wird schon in spätarchaischer Zeit ein Artemistempel in Didyma existiert haben. Über seine Gestalt sind bisher keine Aussagen möglich, aber es gibt zwei Bauglieder, die möglicherweise von ihm stammen: Zum einen wurde ein marmorner Mädchenkopf bei den Ausgrabungen an der Heiligen Straße gefunden, der um 540 v. Chr. entstand (Abb. 143). Dargestellt ist laut Klaus Tuchelt eine Priesterin der Artemis. Dieses etwa 15 cm hohe Köpfchen gehörte womöglich zu einer kleinen reliefierten Säule, einer columna caelata. Sie könnte am spätarchaischen Artemistempel verbaut gewesen sein. Zum anderen könnte von dort ebenso ein Relief mit Tänzerinnen stammen, welches sich heute im Britischen Museum von London befindet (Abb. 144). Bereits Theodor Wiegand vermutete, dass dieses Relief einem „alten“ Tempel in Didyma angehörte, aber für den Fries des spätarchaischen Apollontempels ist es zu klein (53,5 cm hoch und 83,5 cm breit). Auf der Friesplatte sind junge Frauen dargestellt, die im Reigen tanzen. Datiert wird das Relief ebenfalls um 540 v. Chr. 318
Helga Bumke – seit 2013
Abb. 143: Marmorner Kopf einer Artemispriesterin (Höhe etwa 15 cm, um 540 v. Chr., Archäologisches Museum von Milet), vermutlich vom Relief einer columna caelata des spätarchaischen Artemistempels.
Abb. 144: Relief mit Tänzerinnen (53,5 x 83,5 cm, um 540 v. Chr., Britisches Museum London), vermutlich vom Fries des spätarchaischen Artemistempels. Einen letzten Hinweis zur Existenz eines archaischen Artemistempels bildet die Länge seines Nachfolgers aus dem 2. Jh. v. Chr. Er ist nämlich in etwa 100 antike Fuß lang (Fundamentlänge 319
Apollonheiligtum von Didyma
31,60 m). Dies war die bevorzugte Länge früher griechischer Tempel, sogenannter Hekatompedoi („Hundertfüßer“; siehe das Kapitel zu Drerup, Naumann und Tuchelt). Der ungewöhnlich langgestreckte Grundriss des hellenistischen Tempels könnte somit ein Indiz dafür sein, dass es an der gleichen Stelle schon einen archaischen Vorgänger gleicher Länge gab. Unter Helga Bumkes Leitung begannen noch zwei weitere Grabungsprojekte in Didyma. Der stellvertretende Direktor der Ausgrabung, Hüseyin Cevizoğlu, führte von 2013 bis 2015 Sondagen durch, die Aufschlüsse zum Verlauf und Ende der Heiligen Straße im Apollonheiligtum bringen sollten. Wirklich neue Erkenntnisse gab es hierbei jedoch nicht (siehe das Kapitel zu Tuchelt und Schneider). Des Weiteren führte Anja Slawisch eine sogenannte Rettungsgrabung in der Nähe des antiken Hafens Panormos (heute Mavişehir) durch (Abb. 145). Etwa 500 m südöstlich des Hafens stießen Geologen im Sommer 2011 zufällig auf eine antike Nekropole. In einem Graben für eine Wasserleitung waren an den Seitenwänden Keramikgefäße, Knochen und Asche zu sehen. Schließlich konnte ein begrenztes Gebiet von 2012 bis 2014 zusammen mit dem Museum von Milet ausgegraben werden, um die Nekropole vor ihrer möglichen Zerstörung zu dokumentieren. Denn rund um Mavişehir wird viel gebaut, und wie lange das Areal geschützt werden kann, ist nicht sicher.
Abb. 145: Die Bucht von Mavişehir, der antike Hafen Didymas (Panormos) von Süden. Die antike Bucht lag östlich und ist verfüllt. Insgesamt konnten Slawisch und ihre Mitarbeiter 78 Gräber des 7. und 6. Jhs. v. Chr. freilegen. Neben Körperbestattungen erfolgten besonders im 6. Jh. v. Chr. viele Brandbestattungen. Die Überreste davon setzte man in Keramikgefäßen bei. Im Übrigen bestand der größte Teil der Grabbeigaben aus Keramikgefäßen. Die Untersuchung der Knochenreste der Bestatteten läuft noch, um z. B. Geschlecht, Alter und Todesursache feststellen zu können. 320
Helga Bumke – seit 2013
Die Erkenntnisse einer solchen „Rettungsgrabung“ sind natürlich begrenzt, weil der Kontext der Nekropole unbekannt ist. Wer sich dort bestatten ließ, ist unklar, denn eine antike Hafensiedlung konnte bisher nicht gefunden werden; jedoch existierte eine spätere byzantinische (siehe das Kapitel zu Chandler, Revett und Pars). Daher versuchen Anja Slawisch und Toby Wilkinson seit 2015 mit Geländebegehungen rund um Panormos mehr über die antike Topographie dieser Gegend herauszufinden.
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Apollonheiligtum von Didyma
Schlusswort Beim Erarbeiten des Buchinhalts ergab sich zur Forschungsgeschichte Didymas viel Neues, weil sie nie eingehend untersucht wurde. Sie zeigt deutlich, dass Didyma kein „nationales“, sondern ein „internationales“ Heiligtum ist. Dieser Tatbestand wird auch dem Leser nicht verborgen geblieben sein. Denn an der Untersuchung Didymas waren Forscher verschiedener Nationen beteiligt, die auf unterschiedlichen Gebieten wichtige Beiträge lieferten, wie Italiener, Engländer, Franzosen, Deutsche, Griechen und Türken. Heute ist die Ausgrabung des Apollonheiligtums zwar noch in deutscher Hand, aber die Grundlagen für seine Erforschung wurden von Enthusiasten aus anderen Ländern gelegt. Die Ergebnisse der Ausgrabungen werden jedoch immer im Schatten der Majestät und Erhabenheit des Apollontempels stehen, des eindrucksvollsten antiken Bauwerks in der heutigen Türkei und vermutlich des ganzen griechischen Altertums. Heute ist der Ruhm des einzigartigen Tempels etwas verblasst angesichts vieler wiederaufgebauter Ruinen an anderen antiken Stätten, in die die Touristenströme gelenkt werden. Doch 1764 war das noch anders: Damals setzte in Didyma die Epoche der Begeisterung und Wertschätzung der grandiosen Architektur des Apollontempels ein, als der englische Gelehrte Richard Chandler die Ruinenstätte aufsuchte. Chandler schrieb über den Apollontempel, dass selbst ein geschmackloser Besucher von ehrfürchtigem Bedauern erfasst werden muss, wenn er nur die Größe der Ruine sähe, die gewaltigen Ausmaße der einzelnen Bauteile, die Würde der noch stehenden Säulen, die Schönheit der zahllosen Kapitelle und anderen verzierten Werkstücke als Zeugnisse für die unerreichte Höhe der Handwerkskunst. Ein unbekannter Journalist kam zu Chandlers Zeiten ebenfalls nach Didyma, um die Stätte zu besichtigen. Obwohl er den Apollontempel zum ersten Mal sah, nichts von seiner Geschichte und nicht einmal seinen Namen wusste, ließ er sich zu folgenden Worten hinreißen: „Dieses Bauwerk hat sicher zu den Sieben Weltwundern gehört“. Dem war zwar nicht so, aber ohne Zweifel kann es als achtes Weltwunder des Altertums bezeichnet werden.
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Danksagung
Danksagung Zuerst danke ich Gott, dass dieses Buch zustande kam. Viele Menschen haben bewusst oder unbewusst an seiner Fertigstellung mitgewirkt. Bei allen, die meine Arbeit in Didyma und Zuhause in Deutschland unterstützten, möchte ich mich herzlich bedanken. Ein wissenschaftliches Buch außerhalb der akademischen und sonstigen wissenschaftlichen Institutionen zu schreiben und zu veröffentlichen ist ein finanzielles „Minusgeschäft“. Umso mehr danke ich den Geldgebern und sonstigen Unterstützern in materieller Hinsicht: meiner Mutter Erika Weber, meinem Vater Ulrich Weber (†), meinem Bruder Kai Weber, meinem Patenonkel Ludwig Meinunger (†) und Andreas E. Furtwängler. Als Berater und Helfer in vielerlei Hinsicht möchte ich mich bei folgenden Menschen und Einrichtungen herzlich bedanken: Ralf Ketscher, Isabel Bonora, Andreas E. Furtwängler, Frederik Grosser, Linda-Marie Günther, Wolfgang Günther, Alexander Herda, Sebastian Hollstein, Jan Köster, Uta Kron, Ludovic Laugier, Hans Lohmann, Glenn Maffia, Martin Maischberger, Jean-Charles Moretti, Marc Müllenhoff, Olivier Riss, Phil Sapirstein, Thomas Schattner, Peter Schneider, Ronny Seidel, Wolfgang Sonntagbauer, Anja Slawisch, Moritz Taschner, der wbg für die Aufnahme des Buches in ihre Reihe wbg Academic sowie Lea Eggers und Jens Seeling für die vertrauensvolle Zusammenarbeit, dem Türkischen Kultur- und Tourismusministerium, den Staatlichen Museen zu Berlin mit dem Pergamonmuseum und dem Alten Museum, der Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek in Jena, den Benediktiner-Abteien von Ettal, Ottobeuren und Plankstetten, der Christusträger-Bruderschaft im Kloster Triefenstein, dem Haus Hoheneichen und dem Haus Gries der Deutschen Provinz der Jesuiten sowie dem Trappisten-Kloster von Nový Dvůr. Ulf Weber Tanna im Advent 2019
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Apollonheiligtum von Didyma
Anhang
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Karten und Pläne
Karten und Pläne
Karte 1: Westkleinasien und die Ägäis mit den wichtigsten antiken Landschaften, Städten und Heiligtümern.
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Apollonheiligtum von Didyma
antiken Landschaften, Städten und Heiligtümern.
Karte 2: Die milesische Halbinsel im klassischen Altertum.
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Karten und Pläne
Karte 3: Die Phasen der Verlandung des Mäanderdeltas seit 3500 Jahren.
Karte 4: Ausschnitt aus der Karte Didymas von William Gell (1812). Markiert sind die römische Thermenruine und der „ancient wall“.
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Apollonheiligtum von Didyma
Karte 5: Didyma/Jeronda und seine Umgebung im Jahr 1906 mit den bekannten Kirchen und Kapellen (blau).
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Karten und Pläne
Karte 6: Die antiken Baubefunde von Didyma mit dem modernen Straßenverlauf (grau).
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Apollonheiligtum von Didyma
Plan 1: Das Zentrum des Apollonheiligtums mit dem ältesten Sekos und dem vermutlich ersten Altar (Ende 8. Jh. bis 7. Jh. v. Chr.).
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Karten und Pläne
Plan 2: Das Zentrum des Apollonheiligtums in spätarchaischer Zeit (6. Jh. bis Anfang 5. Jh. v. Chr.).
Plan 3: Das Zentrum des Apollonheiligtums in hellenistischer und römischer Zeit.
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Apollonheiligtum von Didyma
Plan 4: Rekonstruierter Grundriss des hellenistischen Apollontempels mit den nachantiken Ein- und Vorbauten.
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Liste mit GPS-Koordinaten
Liste mit GPS-Koordinaten Liste der GPS-Koordinaten wichtiger Orte und Objekte in Didyma und Umgebung (Bezugssystem WGS 84, auch von Google-Earth genutzt)
Bereich des hellenistischen Apollontempels Vermutliche Lage der Heiligen Quelle 37.38499 27.25631 Ritzzeichnung mit der Entasis einer Säule 37.38505 27.25629 Ritzzeichnung mit der Gebälkecke des Artemistempels 37.38482 27.25596 Spätgeometrischer Sekos, Rest seines Südwest-Fundaments 37.38477 27.25608 Bronzeklammern an einem Eckarchitrav des Apollontempels 37.38507 27.25726 Kirchenbauteile im Stadion 37.38499 27.25692 Kirchenbauteile südwestlich des Apollontempels 37.38435 27.25595 Bauteile des hellenistischen Naiskos westlich des Apollontempels 37.38449 27.25579 Teile des Tabernakelbaues auf der Ostterrasse 37.38544 27.25728 Orakelinschrift zum Kult der Horen 37.38558 27.25605
Gebiet außerhalb des Apollontempels Moscheegarten mit dem Fundament des Artemistempels 37.38601 27.25592 Brunnen, bei dem vermutlich die hellenistische dorische Stoa lag 37.38650 27.25570 Taxiarchis-Hügel 37.38662 27.25506 Archaischer Grenzstein von Didyma 37.38647 27.25377 Meilenstein an der Heiligen Straße 37.38736 27.25289 333
Apollonheiligtum von Didyma
Friedhofskapelle (Fundament für Propylon?) 37.38425 27.25771 Orchestra des Theaters 37.38405 27.25690 Kapelle des heiligen Merkurios 37.38207 27.25606 Eingang Grabungshaus 37.38263 27.25396 Haseninsel nördlich von Mavişehir 37.41968 27.21624 Nymphenheiligtum an der Heiligen Straße 37.44358 27.26031 Archaischer Kultbezirk an der Heiligen Straße 37.45910 27.26753 Poseidonaltar bei Kap Monodendri 37.35378 27.19209 Steinbruch von Milet beim Dorf Pınarcık 37.45802 27.52402
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Glossar
Glossar Geometrische Zeit – ca. 900 bis ca. 700 v. Chr. Archaische Zeit – ca. 700 bis ca. 490 v. Chr. Klassische Zeit – ca. 490 bis 323 v. Chr. Hellenismus – 323 bis 31 v. Chr. Römische Kaiserzeit – 31 v. Chr. bis 284 n. Chr. Späte Kaiserzeit – 284 bis 476 n. Chr. Frühbyzantinische Zeit – 476 bis 641 Mittelbyzantinische Zeit – 641 bis 1204 Spätbyzantinische Zeit – 1204 bis 1453 Abakus – quadratische Deckplatte des Kapitells Aga – Großgrundbesitzer und „Dorfältester“ im Osmanischen Reich Agon – Griechisch für „Wettkampf “ Akanthus – distelartige Pflanze mit feingliedrigen Blättern Ambo – über Treppen erreichbares Podest („Lesebühne“), meist in der Mitte der Kirche Amphiprostylos – Tempel mit Säulen an der Front- und an der Rückseite Ante – Stirnpfeiler; pfeilerförmiger Abschluss einer vorspringenden Mauer Apodyterium – Raum zum An- und Auskleiden einer römischen Therme Architrav – unterster, meist auf Säulen aufliegender Teil des Gebälks Asylie – Recht auf Unverletzlichkeit für Heiligtümer und Städte Attische Basis – Säulenbasis, gebildet aus einer Hohlkehle zwischen zwei Wülsten (Abfolge: Torus, Trochilus, Torus) Caldarium – warmer Baderaum einer römischen Therme 335
Apollonheiligtum von Didyma
Cavea – halbkreisförmiger Zuschauerraum eines antiken Theaters Cella – meist zwischen Pronaos und Opisthodom gelegener Hauptraum eines Tempels Chiton – sackartiges Gewand aus einem Stück dünnen Stoff columna caelata – Säule, die oben und/oder unten mit Reliefs versehen ist Diazoma – horizontaler Umgang einer Cavea Dipteros – mit zwei Säulenreihen umgebener Tempel Entasis – Schwellung des Säulenschaftes Epigraphik – Inschriftenkunde Euthynterie – oberste Fundamentschicht; auf der Oberseite besonders geglättet zur Aufnahme der ersten sichtbaren Bauteile Fascie – vorstehender Streifen an einem Architrav Fries – Flächenstreifen über dem Architrav, der mit Ornamenten oder Figuren verziert sein kann Frigidarium – kalter Baderaum einer römischen Therme Geison – vorspringendes Gesims Hydrophore – Griechisch für „Wasserträgerin“ Hypäthral – Griechisch für „unter freiem Himmel“; Bezeichnung für Tempel, deren Innenraum nicht überdacht ist Hypokaustum – unter dem Fußboden liegender Heizraum in situ – Lateinisch für „am Ort“ Ionien – Gebiet an der heutigen türkischen Westküste, in der Antike von Griechen besiedelt Ionische Basis – Säulenbasis, gebildet aus einem wulstförmigem Teil (Torus) und einem zylinderförmigen darunter (Spira) Ionisches Kyma – auch Eierstab genannt; friesartiges Ornament, bei dem zwischen eiförmigen Gebilden mit Schale jeweils eine Blattspitze angeordnet ist Kalathos – Griechisch für „Korb“; Kelch des korinthischen Kapitells Kalypter – Deckziegel, also Dachziegel, der sich über der Fuge zweier Flachziegel befindet Kannelur – Längsrillen des Säulenschaftes 336
Glossar
Kassette – vertieftes Feld in der Decke Kathedra – Thron des Bischofs Kithara – antike Leier mit sechs bis acht Saiten Krepis – Stufenunterbau eines Tempels Lesbisches Kyma – friesartiges Ornament, bei dem zwischen herabhängenden herzförmigen Blättern jeweils eine weitere Blattspitze angeordnet ist Lisene – senkrechter, flacher Mauerstreifen zur Gliederung der Wandfläche Macellum – Fleischmarkt Naiskos – kleiner Tempel Naos – Tempel Narthex – schmale Vorhalle zwischen Eingang und Kirchenschiff Odeion – kleiner Theater ähnlicher Bau, aber überdacht Opisthodom – Raum hinter der Cella eines Tempels Orchestra – meist halbkreisförmiger Platz zwischen Cavea und Skene eines antiken Theaters Palästra – Ringplatz einer Therme oder eines Gymnasiums Palmette – pflanzliches Ornament mit sich fächerförmig ausbreitenden Blättern Parodos – Gang zwischen Cavea und Skene eines Theaters griechischen Typs Peribolos – Umfassungsmauer eines antiken Heiligtums Perlstab – Ornament mit Perlen und mit je einer Scheibe dazwischen Pilaster – Pfeiler vor einer Wand, der in Basis, Schaft und Kapitell unterteilt ist Plinthe – flache quadratische Platte; unterster Teil einer Säulen- oder Pfeilerbasis Polis – Griechisch für „Stadt“ Präfurnium – Brennofen für ein Hypokaustum Presbyter – Griechisch für „ältere Männer“; Bezeichnung für die Vorsteher einer christlichen Gemeinde Pronaos – Vorhalle vor dem Hauptraum eines Tempels Prostylos – Tempel mit Säulen an der Front 337
Apollonheiligtum von Didyma
Prothesis – Griechisch für „Bereitung“, d. h. die Wandlung von Brot und Wein in Leib und Blut Christi Prokonsul – lateinische Amtsbezeichnung für den „Gouverneur“ einer römischen Provinz Pronaos – Vorraum eines griechischen Tempels Sekos – Griechisch für „Einfriedung, Hof “; in den Bauberichten von Didyma den Innenhof des Apollontempels bezeichnend Sima – aufgebogener Rand des Daches zur Ableitung des Regenwassers Skene – Bühnenhaus eines antiken Theaters Spira – unterer Teil einer ionischen Säulen-, Pilaster- oder Wandbasis, bestehend aus drei doppelten Rundstäben mit je einem Trochilus dazwischen Stadion – antikes Längenmaß, ca. 180 m Stoa – Säulenhalle Stroter – flacher Dachziegel Stylobat – oberste Stufe der Krepis; Standfläche der Säulen Synthronon – umlaufende Bänke in der Hauptapsis einer Kirche für die Presbyter Talent – antikes Gewichtsmaß von ca. 25 Kilogramm Templon – Wand, die das Kirchenschiff vom Altarraum trennt Tepidarium – lauwarmer Baderaum einer römischen Therme terminus ante quem – Zeitpunkt, vor dem etwas entstand terminus post quem – Zeitpunkt, nach dem etwas entstand Toichobat – Schicht oberhalb des Fundaments, die das aufgehende Mauerwerk trägt Torus – wulstförmiger Teil einer Säulen-, Pilaster- oder Wandbasis Trochilus – Hohlkehle an einer Säulen-, Pilaster- oder Wandbasis Volute – schneckenförmige Einrollung Zahnschnitt – Ornament des ionischen Gesimses, ahmt hervorragende Deckenhölzer nach
338
Literatur- und Abkürzungsverzeichnis
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Apollonheiligtum von Didyma
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George Wheler und Jacob Spon – 1673 (Jeremy Salter und Dr. Pickering) I. Blum, Milet in der römischen Kaiserzeit, mit einem Beitrag von E. Altenhöfer, in: O. Dally u. a. (Hrsg.) Zeiträume. Milet in Kaiserzeit und Spätantike (Berlin 2009) 42–59. 340
Literatur- und Abkürzungsverzeichnis
H. Bumke, Didyma in der Spätantike, in: O. Dally u. a. (Hrsg.) Zeiträume. Milet in Kaiserzeit und Spätantike (Berlin 2009) 68–81. J. Fontenrose, Didyma. Apollo’s Oracle, Cult, and Companions (Berkeley 1988) 20–24. 157. 206–208. W. Günther – S. Prignitz, Ein neuer Jahresbericht über Baumaßnahmen am Tempel des Apollon von Didyma, Chiron 46, 2016, 157–175 bes. 168 f. F. W. Hasluck, Topographical Drawings in the British Museum Illustrating Classical Sites and Remains in Greece and Turkey, BSA 18, 1911/12, 270–281. A. Külzer, Ephesos in byzantinischer Zeit. Ein historischer Überblick, in: F. Daim – J. Drauschke (Hrsg.), Byzanz, das Römerreich im Mittelalter, Teil 2: Schauplätze (Mainz 2010) 521–539. M. Müllenhoff, Geoarchäologische, sedimentologische und morphodynamische Untersuchungen im Mündungsgebiet des Büyük Menderes (Mäander), Westtürkei (Marburg 2005) 188–215. Ph. Niewöhner, Milet in frühbyzantinischer Zeit, in: O. Dally u. a. (Hrsg.) Zeiträume. Milet in Kaiserzeit und Spätantike (Berlin 2009) 61–67. A. Peschlow-Bindokat, Die Steinbrüche von Milet und Herakleia am Latmos, JdI 96, 1981, 157– 214. A. Peschlow-Bindokat, Der Latmos. Eine unbekannte Gebirgslandschaft an der türkischen Westküste (Mainz 1996) 53–57. A. Rehm, Die Inschriften, Didyma 2 (Berlin 1958) 94–96. F. Rumscheid, Priene. Führer durch das „Pompeji Kleinasiens“, mit Beiträgen von W. Koenigs (Istanbul 1998) 22–25. 222 f. A. Schnapp, Spon, Jacques, in: Der Neue Pauly, Supplement Bd. 6 (Stuttgart 2001) 1179–1182. J. Spon, Voyage d’Italie, de Dalmatie, de Grèce et du Levant: fait és année 1675 et 1676, Bd. 1 (Lyon 1678), 273–387. J. Spon, Voyage d’Italie, de Dalmatie, de Grèce et du Levant: fait és année 1675 et 1676, Bd. 3, Contenant les inscriptions de chaque ville et leur explications, avec quelques medailles et autres monuments antiques (Lyon 1678), 152–161. G. Wheler, A Journey into Greece (London 1682), 211–288 bes. 267–272. Th. Wiegand, Achter vorläufiger Bericht über die von den staatlichen Museen in Milet und Didyma unternommenen Ausgrabungen (Berlin 1924) 21–25. 341
Apollonheiligtum von Didyma
Edmund Chishull – 1709 und 1716 (William Sherard) F. Cauer, Branchos und Branchidai, in: Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft, Bd. 3, 1: Barbarus bis Campanus (Stuttgart 1897) 809–814. E. Chishull, Antiquitates Asiaticae Christianam aeram antecedentes, ex primariis monumentis Graecis, descriptiae, Latinè versae, notisque & comentariis illustratae. Accedit monumentum Latinum Ancyranum (London 1728) 66–72. E. Chishull, Travels in Turkey and back to England (London 1747). D. Feissel, Un rescrit de Justinien découvert à Didymes (1er Avril 533), Chiron 34, 2004, 285–365. J. Fontenrose, Didyma. Apollo’s Oracle, Cult, and Companions (Berkeley 1988) 5. H. Knackfuß, Die Baubeschreibung in drei Bänden, Didyma 1 (Berlin 1941) 11–45. A. Külzer, Ephesos in byzantinischer Zeit. Ein historischer Überblick, in: F. Daim – J. Drauschke (Hrsg.), Byzanz, das Römerreich im Mittelalter, Bd. 2: Schauplätze (Mainz 2010) 521–539. W. Müller-Wiener, Mittelalterliche Befestigungen im südlichen Jonien, IstMitt 11, 1961, 5–122, bes. 38–42. U. Peschlow, Byzantinische Plastik in Didyma, IstMitt 25, 1975, 211–257. E. Pontremoli – B. Haussoullier, Didymes. Fouilles de 1895 et 1896 (Paris 1904) 17–21. L. Robert, Sur Didymes a l’époque byzantine, Hellenica XI–XII, 1960, 490–504. K. Tuchelt, Didyma in byzantinischer Zeit, Didyma-Wegweiser 8 (Berlin 1984). K. Tuchelt, Didyma. Bericht über die Arbeiten der Jahre 1975–1979, IstMitt 30, 1980, 99–189 bes. 119–121. U. Weber, Eine spätbyzantinische Ölpresse im Apollonheiligtum von Didyma, IstMitt 59, 2009, 383–406.
Richard Chandler, Nicholas Revett und William Pars – 1764 R. Chandler – N. Revett – W. Pars, Ionian Antiquities. Published with Permission of the Society of Dilettanti (London 1769) 27–53. 342
Literatur- und Abkürzungsverzeichnis
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Graf von Choiseul-Gouffier – 1776 M.-G.-A.-F. von Choiseul-Gouffier, Voyage pittoresque de la Grèce, Bd. 1 (Paris 1782). M.-G.-A.-F. von Choiseul-Gouffier, Voyage pittoresque de la Grèce, Bd. 2, 1 (Paris 1809). M.-G.-A.-F. von Choiseul-Gouffier, Voyage pittoresque de la Grèce, Bd. 2, 2 (Paris 1822). N. Ehrhardt, Didyma und Milet in archaischer Zeit, Chiron 1998, 11–20. W. Günther, Neue Inschriften aus Didyma, Chiron 42, 2012, 255–269 bes. 257–259. A. Herda – H. Brückner – M. Knipping – M. Müllenhoff, From the Gulf of Latmos to Lake Bafa. On the History, Geoarchaeology, and Palynology of the lower Maeander Valley at the Foot of the Latmos Mountains, Hesperia 88, 2019, 1–86 bes. 60–63. E. Pontremoli – B. Haussoullier, Didymes. Fouilles de 1895 et 1896 (Paris 1904) 29 f. K. Tuchelt, Die Perserzerstörung von Branchidai-Didyma und ihre Folgen – Archäologisch betrachtet, AA 1988, 427–438. 343
Apollonheiligtum von Didyma
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Literatur- und Abkürzungsverzeichnis
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Apollonheiligtum von Didyma
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Charles Texier – 1835 W. Günther, Das Orakel von Didyma in hellenistischer Zeit, IstMitt Beiheft 4 (Tübingen 1971) 18–37; 93–95; 125–127. E. Pontremoli – B. Haussoullier, Didymes. Fouilles de 1895 et 1896 (Paris 1904), 33 f. R. Senff, Milet. Eine Metropole des archaischen Ionien, in: J. Oberste (Hrsg.), Metropolität in der Vormoderne. Konstruktion urbaner Zentralität im Wandel (Regensburg 2012) 35–58. Ch. Texier, Description de l’Asie Mineure, Bd. 2 (Paris 1849) 316–327. Ch. Texier, Description de l’Asie Mineure, Bd. 3 (Paris 1849) 250–254. K. Tuchelt, Didyma und seine Wiederentdeckung I (1765–1858), Didyma-Wegweiser 9 (Berlin 1984). H. Waltenberg – W. Gleißberg, Das Rätsel von Didyma und seine astronomische Lösung, Sterne und Weltraum 8/9, 1968, 217–220. 346
Literatur- und Abkürzungsverzeichnis
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Charles Thomas Newton – 1857/58 St. L. Dyson, Newton, Charles Thomas, in: Der Neue Pauly, Supplement Bd. 6 (Stuttgart 2001) 880–882. N. Ehrhardt – P. Weiß, Eine monumentale Dankesgabe: Trajans Neubau der Heiligen Straße von Milet nach Didyma, Chiron 41, 2011, 217–262. A. Herda, Der Apollon-Delphinios-Kult in Milet und die Neujahrsprozession nach Didyma, MilForsch 4 (Mainz 2006) 9–20. 327–332. 425–442. H. Knackfuß, Die Baubeschreibung in drei Bänden, Didyma 1 (Berlin 1941) 52. Ch. Th. Newton, A History of Discoveries at Halikarnassus, Cnidus and Branchidae, Bd. 2, 2 (London 1863). Ch. Th. Newton, Travels and Discoveries in the Levant, Bde. 1 und 2 (London 1865). F. N. Pryce, Catalogue of Sculpture in the Department of Greek and Roman Antiquities of the Britisch Museum, Bd. 1, 1: Prehellenic and Early Greek (London 1928) 101–117. 347
Apollonheiligtum von Didyma
W. Ruge, Teichiussa, in: Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft, Bd. 2, 9: Taurisci bis Thapsis (Stuttgart 1934) 126. P. Schneider, Zur Topographie der Heiligen Straße von Milet nach Didyma, AA 1987, 101–129. P. Trémaux, Exploration archéologique en Asie mineure (Paris 1858). K. Tuchelt, Die archaischen Skulpturen von Didyma. Beiträge zur frühgriechischen Plastik in Kleinasien, IstForsch 27 (Berlin 1970). W. Voigtländer, Teichiussa: Näherung und Wirklichkeit (Rahden 2004).
Olivier Rayet und Albert Thomas – 1873 R. Chandler, Travels in Asia Minor (Dublin 1775) 165–168. E. Pontremoli – B. Haussoullier, Didymes. Fouilles de 1895 et 1896 (Paris 1904), 35–38. St. Pülz, Untersuchungen zur kaiserzeitlichen Bauornamentik von Didyma, IstMitt Beih. 35 (Tübingen 1989) 17–46. 128 f. O. Rayet, Fouilles faites en Asie Mineure aux frais de MM. les Barons G. et E. de Rothschild, RA 27, 1874, 9–21. O. Rayet, Études d’archéologie et d’art, herausgegeben und mit einer Biografie versehen von S. Reinach (Paris 1888) I–XVI; 102–169. O. Rayet – A. Thomas, Milet et le golf Latmique, Fouilles et explorations archaeologiques, Tome 2 (Paris 1880–85) 39–54.
Bernard Haussoullier und Emmanuel Pontremoli – 1895/96 B. E. Borg, Marmor für Apoll – Ein Beitrag zur Baugeschichte des Jüngeren Didymaion und der historischen Topographie seiner Umgebung, in: J. Bergemann (Hrsg.), Wissenschaft mit Enthusiasmus. Beiträge zu antiken Bildnissen und zur historischen Landeskunde, Klaus Fittschen gewidmet (Rahden 2001) 79–101. G. Borg – B. E. Borg, The History of Apollo’s Temple at Didyma, as Told by Marble Analyses and Historical Sources, ASMOSIA 6 (Venedig 2003) 271–278. 348
Literatur- und Abkürzungsverzeichnis
G. Borg – B. E. Borg, From Small Quarries to Large Temples – The Enigmatic Source of Limestone for the Apollo Temple at Didyma, W-Anatolia, ASMOSIA 6 (Venedig 2003) 427–436. J.-B. Chabot, Éloge funèbre de M. Bernard Haussoullier, CRAI 70/3, 1926, 195–199. W. Günther, Eine neue didymäische Bauinschrift, IstMitt 19/20, 1969/70, 237–247. B. Haussoullier, Études sur l’histoire de Milet et du Didymeion (Paris 1902) 158–192. A. Peschlow-Bindokat, Die Steinbrüche von Milet und Herakleia am Latmos, JdI 96, 1981, 157– 214. E. Pontremoli – B. Haussoullier, Didymes. Fouilles de 1895 et 1896 (Paris 1904). A. Rehm, Die Inschriften, Didyma 2 (Berlin 1958) 13–67.
Theodor Wiegand und Hubert Knackfuß – 1906 bis 1913 sowie die Jahre danach AA 1973, Jahresbericht des DAI für 1972, 747 f. G. Borg – B. Borg, Die unsichtbaren Steinbrüche. Zur Bausteinprovenienz des Apollon-Heiligtums von Didyma, AW 29, 1998, 509–518. U. Dirschedl, Der archaische Apollontempel („Tempel II“) in Didyma – Erste Ergebnisse der Aufarbeitungskampagnen 2003–2009, in: Th. Schulz (Hrsg.), Dipteros und Pseudodipteros. Bauhistorische und archäologische Forschungen, BYZAS 12 (Istanbul 2012) 41–68. N. Ehrhardt – P. Weiß, Eine monumentale Dankesgabe: Trajans Neubau der Heiligen Straße von Milet nach Didyma, Chiron 41, 2011, 217–262. A. E. Furtwängler, Didyma: Ein Überblick über die jüngeren Forschungen, Colloquium Anatolicum 8 (Istanbul 2009) 1–21 bes. 1–4. A. Grüner, Von Didyma zur Reichskanzlei. Eine Ikone des Nationalsozialismus und ihr hellenistisches Vorbild, Pegasus 6, 2004, 133–148. G. Gruben, Das archaische Didymaion, JdI 78, 1963, 78–182. G. Gruben, Griechische Tempel und Heiligtümer (München 2001). W. Hahland, Didyma im 5. Jh. v. Chr., JdI 79, 1964, 142–240 bes. 176–230. L. Haselberger, Bericht über die Arbeit am Jüngeren Apollontempel von Didyma, IstMitt 33, 1983, 90–123 bes. 105–114. 349
Apollonheiligtum von Didyma
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Literatur- und Abkürzungsverzeichnis
C. Watzinger, Theodor Wiegand: ein deutscher Archäologe (München 1944). U. Weber, Der hellenistische Naiskos von Didyma im Licht seiner Versatzmarken des 3. Jhs. v. und des 3. Jhs. n. Chr., in: M. Bachmann (Hrsg.), Bautechnik im antiken und vorantiken Kleinasien. Internationale Konferenz vom 13.–16. Juni 2007 in Istanbul, Byzas 9 (Istanbul 2009) 295–308 bes. 301–303. U. Weber, Eine spätbyzantinische Ölpresse im Apollonheiligtum von Didyma, IstMitt 59, 2009, 383–406. U. Weber, Der Altar des Apollon von Didyma, IstMitt 65, 2015, 5–61. G. Wiegand (Hrsg.), Theodor Wiegand, Halbmond im letzten Viertel: archäologische Reiseberichte (Mainz 1985). Th. Wiegand, Sechster vorläufiger Bericht über die von den Königlichen Museen in Milet und Didyma unternommenen Ausgrabungen (Berlin 1908). Th. Wiegand, Siebenter vorläufiger Bericht über die von den Königlichen Museen in Milet und Didyma unternommenen Ausgrabungen (Berlin 1911). Th. Wiegand, Achter vorläufiger Bericht über die von den staatlichen Museen in Milet und Didyma unternommenen Ausgrabungen (Berlin 1924). Th. Wiegand, Die milesische Landschaft, Milet 2, 2 (Berlin 1929). Zentralarchiv der Staatlichen Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Didy 1. 2. 3. 15. 69. 97. 161. 165.
Heinrich Drerup, Rudolf Naumann und Klaus Tuchelt – 1962/64 AA 1963, Jahresbericht des DAI für 1962, Didyma, XI. AA 1965, Jahresbericht des DAI für 1964, Didyma, XIII. E. Altunel, Evidence for Damaging Historical Earthquakes at Priene, Western Turkey, Turkish Journal of Earth Sciences 7, 1998, 25–35. K. Bittel, Abteilung Istanbul, in: K. Bittel – H. Kyrieleis (Hrsg.), Beiträge zur Geschichte des Deutschen Archäologischen Instituts 1929 bis 1979, Teil 1 (Mainz 1979) 65–92. H. Drerup – R. Naumann – K. Tuchelt, Bericht über die Ausgrabungen in Didyma 1962, AA 1964, 333–384. 351
Apollonheiligtum von Didyma
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Klaus Tuchelt – 1965 bis 1973 AA 1966, Jahresbericht des DAI für 1965, Didyma, XVII. AA 1969, Jahresbericht des DAI für 1966 und 1967, Didyma, XXXII. AA 1970, Jahresbericht des DAI für 1968 und 1969, Didyma, XII. XIV. XLVI. XLVIII. AA 1971, Jahresbericht des DAI für 1970, Didyma, I. XV. XVII. AA 1972, Jahresbericht des DAI für 1971, Didyma, 799. 811. AA 1973, Jahresbericht des DAI für 1972, Didyma, 747 f. AA 1974, Jahresbericht des DAI für 1973, Didyma, 681. A. Furtwängler, Didyma 2009, KST 32/2, 28–41 bes. 31. H. Knackfuß, Die Baubeschreibung in drei Bänden, Didyma 1 (Berlin 1941) 154. A. Peschlow-Bindokat, In Memoriam Klaus Tuchelt, 25.4.1931–21.9.2001, IstMitt 52, 2002, 7 f. A. Rieche, Die Satzungen des Deutschen Archäologischen Instituts von 1828 bis 1972 (Mainz 1979) 199 f. 222. 352
Literatur- und Abkürzungsverzeichnis
K. Schattner, In Memoriam Klaus Tuchelt, AW 32, 2001, 665 f. K. Tuchelt, Didyma. Bericht über die Arbeiten 1969/70 mit Beiträgen von H. Gesche und W. Günther, IstMitt 21, 1971, 45–108. K. Tuchelt, Didyma. Bericht über die Arbeiten 1972/73 mit einem Beitrag von M. Hopf, IstMitt 23/24, 1973/74, 139–168. K. Tuchelt, Vorarbeiten zu einer Topographie von Didyma, IstMitt Beiheft 9 (Tübingen 1973) 11 f. 19. 92–94. K. Tuchelt, Didyma 1996, KST 19,1 (1997) 795–818 bes. 798. K. Tuchelt, Didyma 1997, KST 20, 2 (1998) 77–92 bes. 78. 82 Abb. 2 f. K. Tuchelt, Didyma 1999, KST 22, 2 (2000) 39–42 bes. 40.
Rudolf Naumann – 1974 bis 1977 AA 1975, Jahresbericht des DAI für 1974, Didyma, 606–608. A. Filges, Didyma 2001, KST 24/2, 2002, 59–68. A. Filges, Didyma 2002, KST 25/1, 2003, 147–154. G. Maffia, Faint Whispers from the Oracle. Archaeological Environment Surrounding the Temple of Apollo at Didyma (Middletown 2019) 31–36. R. Naumann, Die Ausgrabungen bei den Thermen in Didyma, IstMitt 30, 1980, 177–189. K. Tuchelt – A. Filges, Didyma 2000, KST 23/2, 2001, 1–12.
Klaus Tuchelt und Peter Schneider – 1975 bis 2001 AA 1975, Jahresbericht des DAI für 1974, Didyma, 608. AA 1976, Jahresbericht des DAI für 1975, Didyma, 536–538. AA 1985, Jahresbericht des DAI für 1984, Didyma, 722. AA 1999, Jahresbericht des DAI für 1998, Didyma, 615 f. H. Bumke – A. Herda – E. Röver – Th. Schattner, Bericht über die Ausgrabungen 1994 an der Heiligen Straße von Milet nach Didyma. Das Heiligtum der Nymphen?, AA 2000, 57–97. 353
Apollonheiligtum von Didyma
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Literatur- und Abkürzungsverzeichnis
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355
Apollonheiligtum von Didyma
Axel Filges – 2002 A. Filges, Didyma 2001, KST 24/2, 2002, 59–68. A. Filges, Didyma 2002, KST 25/1, 2003, 147–154. A. Filges – H. Bumke – E. Röver – H. Stümpel, Didyma. Bericht über die Arbeiten 2000, AA 2002/ 1, 79–118. K. Tuchelt – A. Filges, Didyma 2000, KST 23/2, 2001, 1–12.
Andreas E. Furtwängler – 2003 bis 2012 H. R. Baldus, Fundmünzen aus den Jahren 1962–1998, Didyma 3, 3 (Mainz 2006). F. Bertemes – K. Hornung-Bertemes, Minoer in Didyma. Ein Siegel und seine Geschichte, in: R. Einicke u. a. (Hrsg.), Zurück zum Gegenstand. Festschrift für Andreas E. Furtwängler zum 65. Geburtstag (Langenweißbach 2009) 169–194. J. Breder – H. Bumke – I. Kaiser – U. Weber, „Kulte im Kult“ – Der sakrale Mikrokosmos in extraurbanen griechischen Heiligtümern am Beispiel von Didyma – Erste Ergebnisse, KuBA 2, 2013, 181–187. J. Breder – M. Kohnert – G. Pantelidis, Das neu entdeckte Theater von Didyma, in: Didyma. Bericht über die Arbeiten von 2010–2013, AA 2015/1, 125–146. U. Dirschedl, Der archaische Apollontempel („Tempel II“) in Didyma – Erste Ergebnisse der Aufarbeitungskampagnen 2003–2009, in: Th. Schulz (Hrsg.), Dipteros und Pseudodipteros. Bauhistorische und archäologische Forschungen, BYZAS 12 (Istanbul 2012) 41–68. U. Dirschedl, Der archaische Apollontempel („Tempel II“) in Didyma und die Genese der monumentalen ionischen Sakralarchitektur, e-Forschungsberichte des DAI, 2018/1, 109–117. W. Fauth, Asylon, Der Kleine Pauly, Bd. 1 (München 1979) 670 f. A. Filges, Skulpturen und Statuenbasen von der klassischen Epoche bis in die Kaiserzeit, mit Neubearbeitung der Inschriften durch Wolfgang Günther, Didyma, 3, 5 (Mainz 2007). J. Fontenrose, Didyma. Apollo’s Oracle, Cult, and Companions (Berkeley 1988) 14 f. 67–73. A. E. Furtwängler, Didyma 2004, KST 27/2, 2005, 205–212. A. E. Furtwängler, Didyma 2005, KST 28/2, 2006, 405–418. 356
Literatur- und Abkürzungsverzeichnis
A. E. Furtwängler, Didyma 2006, KST 29/3, 2007, 471–490. A. E. Furtwängler, Didyma 2007, KST 30/2, 2008, 267–284. A. E. Furtwängler, Didyma 2008, KST 31/2, 2009, 145–164. A. E. Furtwängler, Didyma 2009, KST 32/2, 2010, 28–41. A. E. Furtwängler, Didyma: Ein Überblick über die jüngeren Forschungen, Colloquium Anatolicum 8 (Istanbul 2009) 1–21. G. Gruben, Das archaische Didymaion, JdI 78, 1963, 78–182. W. Günther, Das Orakel von Didyma in hellenistischer Zeit, IstMitt Beiheft 4 (Tübingen 1971) 66–109. W. Günther, Der Gott als Erbe – Eine neue Inschrift aus Didyma, Chiron 38, 2008, 111–116. R. Herzog, Das panhellenische Fest und die Kultlegende von Didyma, 33. Sitzungsberichte der königlich-preussischen Akademie der Wissenschaften (Berlin 1905) 979–993. A. Rehm, Die Inschriften, Didyma 2 (Berlin 1958) Nr. 50. 161–184. Th. Schattner, Die Fundkeramik vom 8. bis zum 4. Jh. v. Chr., Didyma 3, 4 (Mainz 2007). A. Slawisch, Didyma. Untersuchungen zur sakralen Topographie und baulichen Entwicklung des Kernheiligtums vom 8.–4. Jh. v. Chr., in: I. Gerlach – D. Raue (Hrsg.), Sanktuar und Ritual. Heilige Plätze im archäologischen Befund (Rahden 2013) 53–60. U. Weber, Eine spätbyzantinische Ölpresse im Apollonheiligtum von Didyma, IstMitt 59, 2009, 383–406. U. Wintermeyer, Die hellenistische und kaiserzeitliche Gebrauchskeramik, unter Mitarbeit von Helga Bumke, mit einem Beitrag von Gerhard Jöhrens, Didyma 3, 2 (Mainz 2004).
Helga Bumke – seit 2013 H. Bumke, Die Schwester des Orakelgottes. Zum Artemiskult in Didyma, in: J. Mylonopoulos – H. Roeder (Hrsg.), Archäologie und Ritual (Wien 2006) 215–237. H. Bumke, Ein zweiter Kultbau in Didyma, AW 2015/1, 4. H. Bumke – J. Breder, Die Kulte von Didyma im Licht neu entdeckter Bauten, AW 2016/2, 52–60. H. Bumke – F. Bertemes – H. Cevizoğlu – E. v. Gaisberg, Didyma 2013, KST 36/2, 2014, 467–488. 357
Apollonheiligtum von Didyma
H. Bumke – F. Bertemes – H. Cevizoğlu – E. v. Gaisberg – A. Tanriöver, Didyma 2014, KST 37/3, 2015, 391–416. H. Bumke – H. Cevizoğlu – E. v. Gaisberg – A. Tanriöver, Didyma 2015 und 2017, KST 40/2, 2018, 407–426. H. Cevizoğlu, Didyma: Die Heilige Straße im Bereich des Apollontempels, e-Forschungsberichte des DAI, 2019/1, 224–228. A. Furtwängler – H. Bumke – F. Bertemes – H. Cevizoğlu, Didyma 2012, KST 35/3, 2013, 302–312. L. Haselberger, Bericht über die Arbeit am Jüngeren Apollontempel von Didyma, IstMitt 33, 1983, 92 f.; Taf. 18, 1. I. Kaiser – G. Pantelidis, Die Kapelle des Hagios Georgios – Der Befund, in: Didyma. Bericht über die Arbeiten von 2010–2013, AA 2015/1, 146–155. H. Knackfuß, Die Baubeschreibung in drei Bänden, Didyma 1 (Berlin 1941) 31 f. 150–154. W. Koenigs, Der Athenatempel von Priene. Bericht über die 1977–82 durchgeführten Untersuchungen, IstMitt 33, 1983, 134–176. F. N. Pryce, Catalogue of Sculpture in the Department of Greek and Roman Antiquities of the Britisch Museum, Bd. 1, 1: Prehellenic and Early Greek (London 1928) 116 f. A. Rehm, Die Inschriften, Didyma 2 (Berlin 1958) 155–168. B. Reichardt, Kirchen in Didyma, in: Didyma. Bericht über die Arbeiten von 2010–2013, AA 2015/1, 156–167. A. Slawisch, Panormos, Türkei: Die Arbeiten der Jahre 2012 und 2013, e-Forschungsberichte des DAI, 2014/3, 114–119. A. Slawisch – T. C. Wilkinson, Panormos, Türkei: Die Arbeiten der Jahre 2014 und 2015, e-Forschungsberichte des DAI, 2016/2, 114–118. K. Tuchelt, Branchidai – Didyma (Mainz 1992) 37. 32 Abb. 50. U. Weber, Versatzmarken im antiken griechischen Bauwesen, Philippika 58 (Wiesbaden 2013) 91–93. U. Weber, Wie ein zweiter hellenistischer Naiskos in Didyma helfen kann, die Probleme des ersten zu lösen, in: Didyma. Bericht über die Arbeiten von 2010–2013, AA 2015/1, 112–119. U. Weber, Antike Gebäudefundamente nördlich der Moschee von Didyma, in: Didyma. Bericht über die Arbeiten von 2010–2013, AA 2015/1, 119–124. 358
Literatur- und Abkürzungsverzeichnis
U. Weber, Ein zweiter hellenistischer Naiskos im Apollonheiligtum von Didyma? (Kurzfassung), in: Koldewey-Gesellschaft (Hrsg.), Bericht über die 48. Tagung für Ausgrabungswissenschaft und Bauforschung vom 28. Mai bis 2. Juni 2014 in Erfurt (Stuttgart 2015) 169–171. P. Wilski, Karte der Milesischen Halbinsel (1:50000) mit erläuterndem Text, Milet 1, 1 (Berlin 1906).
Verwendete Abkürzungen AA
Archäologischer Anzeiger
ASMOSIA
Association for the Study of Marble and other Stones in Antiquity
AW
Antike Welt
Boreas
Münstersche Beiträge zur Archäologie
BSA
British School of Athens
Chiron
Mitteilungen der Kommission für Alte Geschichte und Epigraphik des DAI
CRAI
Comptes rendus des séances de l’Académie des Inscriptions et Belles-Lettres
DAI
Deutsches Archäologisches Institut
DiskAB
Diskussionen zur archäologischen Bauforschung
Hellenica
Recueil d’épigraphie, de numismatique et d’antiquités grecques
IstForsch
Istanbuler Forschungen
IstMitt
Istanbuler Mitteilungen des Deutschen Archäologischen Instituts
KST
Kazı sonuçları toplantısı (Berichte über die Ausgrabungen in der Türkei)
KuBA
Kölner und Bonner Archaeologica
MilForsch
Milesische Forschungen
ÖJh
Österreichische Jahreshefte
Pegasus
Berliner Beiträge zum Nachleben der Antike
RA
Revue Archéologique
ü. NN
über Normalnull
ZPE
Zeitschrift für Papyrologie und Epigraphik 359
Apollonheiligtum von Didyma
Abbildungsnachweise Wenn nicht anders angegeben, stammen die Karten, Pläne, Zeichnungen und Fotos vom Verfasser. Abb. 4: G. Wheler, A Journey into Greece (London 1682), 271 Abb. 9 des 3. Buches. Abb. 7: H. Knackfuß, Die Baubeschreibung in drei Bänden, Didyma 1 (Berlin 1941) Taf. 33 Z 267. Abb. 10: ©ANTIKENSAMMLUNG, STAATLICHE MUSEEN ZU BERLIN – PREUSSISCHER KULTURBESITZ – Foto: Archiv (Inv.-Nr. 359). Abb. 11: H. Knackfuß, Die Baubeschreibung in drei Bänden, Didyma 1 (Berlin 1941) Taf. 29 F 37. Abb. 12: ©ANTIKENSAMMLUNG, STAATLICHE MUSEEN ZU BERLIN – PREUSSISCHER KULTURBESITZ – Foto: Archiv (Inv.-Nr. 257). Abb. 15: L. de Laborde, Voyage de l’Asie Mineure (Paris 1838) Taf. 3, 7. Abb. 16: R. Chandler – N. Revett – W. Pars, Ionian Antiquities. Published with Permission of the Society of Dilettanti (London 1769) Taf. 3, 2. Abb. 20: R. Chandler – N. Revett – W. Pars, Ionian Antiquities. Published with Permission of the Society of Dilettanti (London 1769) Taf. 3, 9. 10. Abb. 22: M.-G.-A.-F. von Choiseul-Gouffier, Voyage pittoresque de la Grèce, Bd. 1 (Paris 1782) Taf. 114, 4. 5. Abb. 24: Roma Numismatics Ltd., E-Sale 57, Lot 648: https://www.coinarchives.com/a/lotviewer. php?LotID=1480306&AucID=3059&Lot=648&Val=40838ca5643a585cb809ae67b547a566 (abgerufen am 24.9.2019). Abb. 25: Verfasser auf Grundlage von W. Günther, Neue Inschriften aus Didyma, Chiron 42, 2012, 259; 267 Abb. 2. Abb. 26: R. Chandler – N. Revett – W. Pars, Ionian Antiquities. Published with Permission of the Society of Dilettanti (London 1769) Taf. 2, 1. Abb. 27: J. Dallaway, Constantinople Ancient and Modern, with Excursions to the Shores and Islands of the Archipelago and to the Troad (London 1797) 227; Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek – Niedersächische Landesbibliothek, Gm-A 7395 Temple of Apollo Dydimaeus. 360
Abbildungsnachweise
Abb. 34: R. Chandler – N. Revett – W. Pars, Antiquities of Ionia, Bd. 1. Published by the Society of Dilettanti (London 1821) Taf. 3, 3. Abb. 35: L. de Laborde, Voyage de l’Asie Mineure (Paris 1838) Taf. 10, 22. Abb. 37: L. de Laborde, Voyage de l’Asie Mineure (Paris 1838) Taf. 67, 95. Abb. 41: H. Knackfuß, Die Baubeschreibung in drei Bänden, Didyma 1 (Berlin 1941) Taf. 15 Z 154. Abb. 43: Ch. Texier, Description de l’Asie Mineure, Bd. 2 (Paris 1849) Taf. 136. Abb. 45: L. Ross, Archäologische Aufsätze, Bd. 2 (Leipzig 1861) Taf. 3, 1. Abb. 46: A. Slawisch, Eine runde Sache: Zu einem Fragment einer Bronzekeule aus Didyma, in: R. Einicke u. a. (Hrsg.), Zurück zum Gegenstand. Festschrift für Andreas E. Furtwängler zum 65. Geburtstag (Langenweißbach 2009) 202 Taf. 1, 1. 2 (Zeichnung A. Slawisch; Foto P. Grunwald, DAI Berlin). Abb. 47: Ch. Th. Newton, A History of Discoveries at Halikarnassus, Cnidus and Branchidae, Bd. 1 (London 1862) Taf. 33. Abb. 48: P. Trémaux, Exploration archéologique en Asie mineure (Paris 1858) Didyme Taf. 4. Abb. 49: Ch. Th. Newton, A History of Discoveries at Halikarnassus, Cnidus and Branchidae, Bd. 1 (London 1862) Taf. 76. Abb. 50: Ch. Th. Newton, A History of Discoveries at Halikarnassus, Cnidus and Branchidae, Bd. 1 (London 1862) Taf. 75. Abb. 54: O. Rayet – A. Thomas, Milet et le golf Latmique, Fouilles et explorations archaeologiques, Tome 2 (Paris 1880–85) Taf. 32. Abb. 55: O. Rayet – A. Thomas, Milet et le golf Latmique, Fouilles et explorations archaeologiques, Tome 2 (Paris 1880–85) Taf. 31. Abb. 58: O. Rayet – A. Thomas, Milet et le golf Latmique, Fouilles et explorations archaeologiques, Tome 2 (Paris 1880–85) Taf. 30. Abb. 61: O. Rayet – A. Thomas, Milet et le golf Latmique, Fouilles et explorations archaeologiques, Tome 2 (Paris 1880–85) Taf. 35. Abb. 62: O. Rayet – A. Thomas, Milet et le golf Latmique, Fouilles et explorations archaeologiques, Tome 2 (Paris 1880–85) Taf. 46. Abb. 63: H. Knackfuß, Die Baubeschreibung in drei Bänden, Didyma 1 (Berlin 1941) Taf. 115 F 290. 361
Apollonheiligtum von Didyma
Abb. 64: E. Pontremoli – B. Haussoullier, Didymes. Fouilles de 1895 et 1896 (Paris 1904) Taf. 1. Abb. 65: E. Pontremoli – B. Haussoullier, Didymes. Fouilles de 1895 et 1896 (Paris 1904) Taf. 20. Abb. 66: Ph. Sapirstein (Grabung Didyma Inv.-Nr. DZ1715). Abb. 68: H. Knackfuß, Die Baubeschreibung in drei Bänden, Didyma 1 (Berlin 1941) Taf. 66 Z 510. Abb. 69: E. Pontremoli – B. Haussoullier, Didymes. Fouilles de 1895 et 1896 (Paris 1904) Taf. 7. 8. Abb. 73: ©ANTIKENSAMMLUNG, STAATLICHE MUSEEN ZU BERLIN – PREUSSISCHER KULTURBESITZ – Foto: Archiv (Inv.-Nr. Didyma 1b, PM 1936). Abb. 74: ©ANTIKENSAMMLUNG, STAATLICHE MUSEEN ZU BERLIN – PREUSSISCHER KULTURBESITZ – Foto: Archiv (Inv.-Nr. Didyma 1b, PM 1938). Abb. 75: ©ANTIKENSAMMLUNG, STAATLICHE MUSEEN ZU BERLIN – PREUSSISCHER KULTURBESITZ – Foto: Archiv (Inv.-Nr. D14, 34). Abb. 77: ©ANTIKENSAMMLUNG, STAATLICHE MUSEEN ZU BERLIN – PREUSSISCHER KULTURBESITZ – Foto: Archiv (Inv.-Nr. D364). Abb. 78: ©ANTIKENSAMMLUNG, STAATLICHE MUSEEN ZU BERLIN – PREUSSISCHER KULTURBESITZ – Foto: Archiv (Inv.-Nr. D30, 70). Abb. 80: Peter Grunwald (DAI Berlin). Abb. 82: H. Knackfuß, Die Baubeschreibung in drei Bänden, Didyma 1 (Berlin 1941) Taf. 43 F 67. Abb. 84: H. Knackfuß, Die Baubeschreibung in drei Bänden, Didyma 1 (Berlin 1941) Taf. 227 F 635. Abb. 85: A. v. Gerkan, Zum Aschenaltar von Samos, in: K. Schauenburg (Hrsg.), Charites. Studien zur Altertumswissenschaft (Bonn 1957) 15 Abb. 2 (Zeichnung A. v. Gerkan). Abb. 86: ©ANTIKENSAMMLUNG, STAATLICHE MUSEEN ZU BERLIN – PREUSSISCHER KULTURBESITZ – Foto: Johannes Laurentius (Inv.-Nr. Sk 1592). Abb. 88: ©ANTIKENSAMMLUNG, STAATLICHE MUSEEN ZU BERLIN – PREUSSISCHER KULTURBESITZ – Foto: Archiv (Inv.-Nr. 49). Abb. 89: H. Knackfuß, Die Baubeschreibung in drei Bänden, Didyma 1 (Berlin 1941) Taf. 61 F 100. Abb. 90: ©ANTIKENSAMMLUNG, STAATLICHE MUSEEN ZU BERLIN – PREUSSISCHER KULTURBESITZ – Foto: Archiv (Inv.-Nr. D375). Abb. 91: ©ANTIKENSAMMLUNG, STAATLICHE MUSEEN ZU BERLIN – PREUSSISCHER KULTURBESITZ – Foto: Archiv (Inv.-Nr. 161). 362
Abbildungsnachweise
Abb. 92: Th. Wiegand, Achter vorläufiger Bericht über die von den staatlichen Museen in Milet und Didyma unternommenen Ausgrabungen (Berlin 1924) Taf. 3. Abb. 94: Th. Schattner, Architrav und Fries des archaischen Apollontempels von Didyma, JdI 111, 1996, 18 Abb. 19a (Zeichnung L. Lüders nach G. Gruben, Das archaische Didymaion, JdI 78, 1963, 158 Abb. 39). Abb. 95: P. Schneider, Untersuchungen an der Terrassenmauer im Apollon-Bezirk von Didyma, IstMitt 34, 1984, 335 Abb. 7 (Zeichnung P. Schneider). Abb. 96: ©ANTIKENSAMMLUNG, STAATLICHE MUSEEN ZU BERLIN – PREUSSISCHER KULTURBESITZ – Foto: Ingrid Geske (Inv.-Nr. Sk 1721). Abb. 97: H. Knackfuß, Die Baubeschreibung in drei Bänden, Didyma 1 (Berlin 1941) Taf. 219 F 646. Abb. 102: Th. Wiegand, Achter vorläufiger Bericht über die von den staatlichen Museen in Milet und Didyma unternommenen Ausgrabungen (Berlin 1924) Taf. 7. Abb. 103: Th. Wiegand, Achter vorläufiger Bericht über die von den staatlichen Museen in Milet und Didyma unternommenen Ausgrabungen (Berlin 1924) 12 Abb. 5a; 13 Abb. 6. Abb. 104: H. Knackfuß, Die Baubeschreibung in drei Bänden, Didyma 1 (Berlin 1941) Taf. 1 Z 511. Abb. 105: Th. Wiegand, Achter vorläufiger Bericht über die von den staatlichen Museen in Milet und Didyma unternommenen Ausgrabungen (Berlin 1924) Taf. 9. Abb. 106: ©ANTIKENSAMMLUNG, STAATLICHE MUSEEN ZU BERLIN – PREUSSISCHER KULTURBESITZ – Foto: Archiv (Inv.-Nr. D201). Abb. 108: ©ANTIKENSAMMLUNG, STAATLICHE MUSEEN ZU BERLIN – PREUSSISCHER KULTURBESITZ – Foto: Archiv (Inv.-Nr. PM245). Abb. 109: H. Knackfuß, Die Baubeschreibung in drei Bänden, Didyma 1 (Berlin 1941) Taf. 14 Z 153. Abb. 110: R. Wolters – H. Wolff, Die Neue Reichskanzlei. Architekt: Albert Speer (München 1940) 20. Abb. 111 und 112: P. Grunwald (DAI Berlin). Abb. 119: Branchidai – Didyma (Mainz 1992) 3 Abb. 47 (Zeichnung P. Schneider); mit Zusätzen des Verfassers. Abb. 120: Branchidai – Didyma (Mainz 1992) 42 Abb. 65 (Zeichnung P. Schneider). Abb. 121: P. Schneider, Zur Topographie der Heiligen Straße von Milet nach Didyma, AA 1987, 112 Abb. 8 (Zeichnung P. Schneider). 363
Apollonheiligtum von Didyma
Abb. 125: Verfasser auf Grundlage von L. Haselberger, Bericht über die Arbeit am Jüngeren Apollontempel von Didyma, IstMitt 33, 1983, Taf. 13. Abb. 126: Dieter Morche (Inv.-Nr. NO-FS12). Abb. 128: Andreas Northe. Abb. 131 und 132: Glenn Maffia. Abb. 133: Emporium Hamburg (Lagerverkauf). Abb. 134 und 136: Glenn Maffia. Abb. 137: H. Knackfuß, Die Baubeschreibung in drei Bänden, Didyma 1 (Berlin 1941) Taf. 85 Z 680. Abb. 138: U. Weber, Ein zweiter hellenistischer Naiskos im Apollonheiligtum von Didyma? (Kurzfassung), in: Koldewey-Gesellschaft (Hrsg.), Bericht über die 48. Tagung für Ausgrabungswissenschaft und Bauforschung vom 28. Mai bis 2. Juni 2014 in Erfurt (Stuttgart 2015) 169 Abb. 1. Abb. 139: U. Weber, Wie ein zweiter hellenistischer Naiskos in Didyma helfen kann, die Probleme des ersten zu lösen, in: Didyma. Bericht über die Arbeiten von 2010–2013, AA 2015/1, 118 Abb. 7 (linke Zeichnung: L. Haselberger). Abb. 141: Glenn Maffia. Abb. 142: Verfasser unter Verwendung von U. Weber, Antike Gebäudefundamente nördlich der Moschee von Didyma, in: Didyma. Bericht über die Arbeiten von 2010–2013, AA 2015/1, 120 Abb. 8; 121 Abb. 9 und H. Bumke – J. Breder, Die Kulte von Didyma im Licht neu entdeckter Bauten, AW 2016/2, 54 Abb. 3.
Karten und Pläne Karte 2: nach A. Herda, Burying a Sage: The Heroon of Thales on the Agora of Miletos. With Remarks on Some Other Excavated Heroa and on Cults and Graves of the Mythical Founders of the City, in: O. Henry (Hrsg.), Les mort dans la ville. Pratiques, contextes et impacts de inhumation intro-muros en Anatolie, de debut de l’Âge du Bronze à l’époque romaine, 2èmes recontres d’archéologie d’IFÉA, Istanbul, 14–15. Novembre 2011 (Istanbul 2013), 90 fig. 20. Karte 3: M. Müllenhoff – M. Handl – M. Knipping – H. Brückner, The Evolution of Lake Bafa (Western Turkey) – Sedimentological, Microfaunal and Palynological Results, in: G. Schernewski und T. Dolch (Hrsg.): Geographie der Meere und Küsten, Coastline Reports 1 (2004), 56 Abb. 1. 364
Abbildungsnachweise
Karte 4: R. Chandler – N. Revett – W. Pars, Antiquities of Ionia, Bd. 1. Published by the Society of Dilettanti (London 1821) Taf. 3, 1. Karte 5: H. Knackfuß, Die Baubeschreibung in drei Bänden, Didyma 1 (Berlin 1941) 12 Abb. 1 mit Zusätzen des Verfassers. Karte 6: Verfasser auf Grundlage eines Planes von P. Schneider mit Zusätzen aus A. Filges, Didyma 2002, KST 25/1, 2003, 153 Abb. 6, aus J. Breder – M. Kohnert – G. Pantelidis, Das neu entdeckte Theater von Didyma, in: Didyma. Bericht über die Arbeiten von 2010–2013, AA 2015/ 1, 126 Abb. 15; 140 Abb. 32 und aus U. Weber, Der Altar des Apollon von Didyma, IstMitt 65, 2015, 20 Abb. 6.
Plan 1: Verfasser nach Vorlagen von P. Schneider (P. Schneider, Zum alten Sekos von Didyma, IstMitt 46, 1996, 149 Abb. 1; K. Tuchelt, Branchidai – Didyma [Mainz 1992] 19 Abb. 27) mit Zusätzen aus A. E. Furtwängler, Didyma: Ein Überblick über die jüngeren Forschungen, Colloquium Anatolicum 8 (Istanbul 2009) 18 Abb. 11 und aus A. Slawisch, Didyma. Untersuchungen zur sakralen Topographie und baulichen Entwicklung des Kernheiligtums vom 8.–4. Jh. v. Chr., in: I. Gerlach – D. Raue (Hrsg.), Sanktuar und Ritual. Heilige Plätze im archäologischen Befund (Rahden 2013) 57 Abb. 10. Plan 2: Verfasser unter Verwendung von G. Gruben, Das archaische Didymaion, JdI 78, 1963, 97 Abb. 5 mit Zusätzen von A. E. Furtwängler, Didyma: Ein Überblick über die jüngeren Forschungen, Colloquium Anatolicum 8 (Istanbul 2009) 1–6; 16 Abb. 6. Plan 3: Verfasser auf Grundlage des Planes von F. Krischen in Knackfuß, Die Baubeschreibung in drei Bänden, Didyma 1 (Berlin 1941) Taf. 79 Z 618. Plan 4: Verfasser unter Verwendung von Knackfuß, Die Baubeschreibung in drei Bänden, Didyma 1 (Berlin 1941) Taf. 8 Z 146 mit Zusätzen der Taf. 2 Z 18; 3 Z 95; 4 Z 92.
365
Apollonheiligtum von Didyma
Namensregister Abdul Hamid II. 178f.
Aphrodite 98f.
Adrianopel 10, 32
Apollon Delphinios 11, 129–132, 195, 199, 226, 272, 305
Agathonisi 72
Apollon Didymeus 34, 129, 199f., 254, 302, 305
Ägina 94 Ägypten 14, 88, 95, 99, 120, 128, 277f.
Apollon Helios 107
Akbük, Golf von 49, 133, 134
Apollon Philesios 34
Akköy: siehe Auctui
Argos 133
Akron 47, 130, 269, 272, 275
Aristagoras 61
Aksoy, Emel 299
Armenier 18, 44–46, 64, 88, 93
Alabanda 106
Artemis Kithone 11
Alexandria 9, 88, 114
Artemis Pytheie 254, 305, 318
Aliki: siehe Thasos
Asia, römische Provinz 25, 195
Alkibiades 132f.
Askemkalesi: siehe Iasos
Altınkum: siehe Karakuja
Asklepios Soter 201
Alyattes 30
Atatürk: siehe Mustafa Kemal Pascha
Amselfeld 16
Athen, Akropolis 10, 60, 62, 116f., 124f., 157
Anaximandros 134f.
Athena 10f., 49, 116f.
Ancona, Trajansbogen 9 Ankara 232f., 241, 286
Auctui (Akköy) 47, 58, 123f., 130, 159, 232f., 269, 272, 275
Antiochia in Pisidien 91
Augustus 73
Antiochos I. 113, 304
Ayasoluk 19, 31f., 45f., 66f.
Aphaia 94
Aydın: siehe Tralleis 366
Namensregister
Baalbek 43
Branchos 34, 60f., 108, 305
Bafa Gölü: siehe Latmischer Golf
Brandt, Willy 251
Balat 11, 20, 32, 105, 232, 242
Breker, Arno 239
Baldus, Hans Roland 306
Bühlmann, Manfred 234
Bas, Philippe le 90f. Bedford, Francis 71–85, 106, 108
Bumke, Helga 125, 249, 255, 267f., 275f., 278, 282f., 295f., 298, 301, 307–321
Behrens, Peter 218
Bursa: siehe Prusa
Bérard, Frank 254f., 301
Byzanz: siehe Konstantinopel
Berlin Altes Museum 8, 130, 176–179, 216 Deutsches Archäologisches Institut 218, 232, 237, 241f., 251 Neue Reichskanzlei 237–240 Pergamonmuseum 8, 175–179, 199, 208f., 218, 235f., 241
Caesar, Gaius Julius 72f., 99 Caesarea in Kappadokien 91 Caligula 152, 167 Çanakkale 44 Canning, George 86
Bertemes, François 286, 294 Beşparmak: siehe Latmos
Castor 102, 108
Bieberstein, Marschall Freiherr von 179
Çelimli, İsmail 260
Bithynische Könige 113
Çeşme-Halbinsel 106
Bithynischer Olymp 18, 66
Cevizoğlu, Hüseyin 261, 299, 320
Blouet, Abel 103
Chalcedon, Konzil von 30
Bode, Wilhelm von 173
Chalkideus 133
Bodrum: siehe Halikarnassos
Chalkis 114
Boğazköy: siehe Hattuscha
Champollion, Jean-François 95
Borg, Gregor und Barbara 169
Chandler, Richard 43–55, 58f., 64, 67, 69, 81–83, 88, 92, 102f., 108, 141, 155, 322
Borrmann, Richard 235
Charalambos 91
Branchidai/Branchiden 34f., 39, 41, 60f., 64, 112, 152
Chares von Teichiussa 131–133, 272 367
Apollonheiligtum von Didyma
Chios 9, 11, 16, 20, 44, 56, 70f., 154, 277
Edirne: siehe Adrianopel
Chishull, Edmund 30–42, 46, 66, 151
Ehrhardt, Norbert 195
Choiseul-Gouffier, Graf von 56–65, 67, 69, 73, 84, 93, 111, 124
Ekbatana 60, 226 Eleusis, Demeterheiligtum 71, 120
Cockerell, Charles Robert 94f.
Ephesos 7, 18–20, 30–32, 45f., 56, 64, 93, 95f., 287 Artemistempel (Artemision) 14, 24f., 32, 37, 59, 66, 73, 80, 151, 157, 166, 278, 317 Celsus-Bibliothek 117 Isabey-Moschee 19, 32 Johannesbasilika 18f., 31f., 46, 66 Konzil von 30
Cyriacus von Ancona 9–17, 20, 28f., 35, 42, 55
Dallaway, James 55, 66–70, 151 Daphnis von Milet 80 Dardanellen 44, 87, 93, 106 Dareios 61
Erythrai 19
Decius 91
Eskihisar 26, 37, 49, 242
Dedreux, Pierre-Anne 90, 94–104, 158
Eugen IV. 10f., 16
Delphi 7, 14, 112–114, 159, 278, 304f.
Euromos, Zeustempel 71
Demeter 71, 120, 305 Deutsches Reich, Deutschland 125, 139, 157, 177f., 218, 232, 236f., 239, 251
Farmakonisi 72
Didim 9, 49, 119
Fethiye: siehe Telmessos
Didymaeum, Didymaion: siehe Branchidai
Filges, Axel 185f., 256, 258, 274, 284f., 306
Dindyma, Dindymene, Dindymon 34
Florenz 11
Diocletian 36
Fontenrose, Joseph 290, 305
Dionysos 11, 49, 71, 106, 304
Forbin, Graf von 95
Dioskuren 102, 108
Fourni 169
Dirschedl, Uta 215, 286f.
Franken 93
Donaldson, Thomas L. 94–104
Frankreich 65, 96, 103, 114, 139, 143, 157– 159, 178, 230
Drerup, Heinrich 217, 226–228, 241–247 368
Namensregister
Furtwängler, Andreas E. 125, 189, 222,
Güzelçamlı: siehe Tsangly
227, 243f., 246, 261, 277, 286–306, 311
Hadji Dimu 178f. Hadrian 10, 35, 62, 152, 166, 191, 196, 254, 301
Gaidronisi: siehe Agathonisi
Halikarnassos 28, 56, 61, 80, 88, 96, 126– 128, 135, 157, 166
Galerius 36 Galiläa 88
Halle an der Saale 117, 125, 248
Gallier 113
Hallerstein, Carl Haller von 94
Gambetta, Léon 139
Hansen, Christian 117
Gandy, John P. 71–85, 106, 108
Harder, Richard 173
Gaugamela 14
Haselberger, Lothar 76, 83, 224, 226, 279– 282, 311, 313
Gell, William 71–85, 89f., 97, 103, 106, 108,
Haseninsel: siehe Tavşan Adası
111, 120, 129, 135f., 167, 282, 327
Hattuscha 105
Gerkan, Armin von 105, 219 Geronta 13, 119f., 128, 136
Haussoullier, Bernard 193, 201, 214, 287
Giaur-Ura 68–70
Hayes, Anthony 44
Gödecke, Karin 268
Hekataios von Milet 61, 112
Goischke, Juliane 311f.
Hekate 305
Göktürk, Teyfik 299
Hera 14
Gorgo, Medusa 161, 164, 166f., 214, 236, 270
Herakleia am Latmos 41, 96, 125, 138, 141f., 169f.
Grion 57, 142
91, 95, 158–173,
Herakles 199
Gruben, Gottfried 215, 239, 287
Herda, Alexander 273
Grüner, Andreas 237, 239
Hermes 305
Güllübahçe: siehe Sanson
Hermogenes von Alabanda 106
Günther, Wolfgang 63, 172, 253, 264, 302
Hermos 33 369
Apollonheiligtum von Didyma
Herodot 61–64, 112, 132
Jamblichus 122
Hethiter 105
Janitscharen 18, 87
Hiller, Friedrich 242–246
Jerusalem 31f.
Histiaios von Milet 56, 61, 63, 134
Johannes Chrysostomos 32 Johannes VIII. Palaiologos 10
Hitler, Adolf 237, 251
Johannes, Evangelist 19, 30–32
Hoffmann, Ludwig 209
Josia 112
Homolle, Théophile 178
Judäa 88
Horen 291f.
Juden 18, 45, 64, 88, 93, 112
Hörmann, Hans 206, 234f.
Julia Artemo 12
Humann, Karl 176, 178
Julian Apostata 12, 36
Huyot, Jean-Nicolas 90, 94–104, 106, 114,
Justinian 19, 31, 38f.
158, 192
Justinianoupolis 38f.
Iasos und Golf von 28, 56, 88, 96, 118, 133,
Kaiser, Ivonne 299, 308
143
Kallisthenes 14, 60, 64
Ikaros 123
Kalymnos 128, 143
Ioniapolis 169
Kanachos von Sikyon 60, 62, 110, 141, 145, 204, 218, 226
Ionier 61, 112 Ionischer Aufstand 112f.
Kap Arbora: siehe Kap Monodendri
Ionischer Bund 18f.
Kap Monodendri 33, 72, 80, 120, 234, 236, 251, 294, 308, 334
Iotan 21, 28 Islam-Yoran: siehe Ura
Kapıkırı: siehe Herakleia am Latmos
Istanbul: siehe Konstantinopel
Karakuja 119, 129, 132f., 136
Italien, Italiener 10, 16, 70, 92, 95, 138, 230,
Karien, Karer 28, 34, 56, 61, 72, 96, 106, 118, 120
322 Izmir: siehe Smyrna
Kastellorzio 117 370
Namensregister
Kelebesion 46, 67, 124
Kybele 61
Kilikien 114
Kyzikos, Hadrianstempel 10, 13f.
Klazomenai 19, 71 Kleinschmidt, Torsten 298
Laborde, Léon de 96
Kleopatra 95, 99
Labraunda 71, 120
Knackfuß, Hubert 41, 145, 174–241, 245,
Lade, Insel 62
249f., 253f., 285, 287–289, 308, 311
Lakedaimonier 132f.
Knidos 126, 135–137
Laodicea 19
Kolophon 20
Latmischer Golf bzw. Meerbusen 13, 15, 21, 41, 56f., 125, 141f., 169f., 212
Konstantin der Große 12, 39
Latmos 96, 124f., 138, 141f., 170, 175
Konstantinopel
Laurent, Emil 117–119, 121, 123
Archäologisches Museum 158, 161, 163, 178, 247
Lebedos 20
Hohe Pforte 135, 139, 178
Lemnos 56, 70
Konzil von 30
Leonidas 179, 182
Kore 201, 215f., 274, 291, 305
Leros 143
Kos 16, 88, 114, 138, 304f.
Lesbos 56, 70, 126
Kosovo: siehe Amselfeld
Leto 35, 111, 165f., 196, 254, 301, 304f., 318
Kowella-Bucht 21, 72, 179
Liston, Robert 86
Krencker, Daniel 239
Kroisos 30, 61, 112
London 43, 93, 95, 103 Britisches Museum 8, 81, 126–128, 131, 135–137, 151, 157, 236, 318f. Holy Trinity-Kirche 103
Kronewirth, Christoph 207, 260, 283, 290
Loryma 34
Kuba 241, 256
Luxor 120
Külük-Köy 118
Lykien 72, 114, 117f.
Kuşadası: siehe Scala Nuova
Lyncker, Karl 202, 221, 237
Kreta 159, 178, 286
371
Apollonheiligtum von Didyma
Mäander, Fähre 20f., 46, 67, 93
Milet Apollon Delphinios-Heiligtum 11, 129f., 132, 195, 199, 226, 272, 305 Archäologisches Museum 247, 270, 319f. Erzbistum 39 Heiliges Tor 129, 195, 262 Ilyas Bey-Moschee 46 Kolonien 11, 105, 114 Markttor 175, 209 Südmarkt 113 Therme 20 Torso von 139–141, 157
Magnesia am Mäander 91, 96, 125, 209, 317 Mahmud II., Sultan 87 Marciana 10 Marées, Walter von 91, 190, 221, 308 Maria, Allerheiligste 136 Marmara: siehe Prokonessos Marmarameer: siehe Propontis Maussollos 28, 126
Minoer, minoisch 11, 286, 293f.
Mavişehir: siehe Panormos
Mittig, Hans-Ernst 239
Maximos Planudes 41
Moglah (Muğla) 56
Megalopolis 114
Mohammed 118
Megiddo 112
Mongole 19
Mehmed VI. 232
München Glyptothek 94
Meimaroglu, Evangelos 182
Murad II., Sultan 10f.
Melanoudion: siehe Herakleia am Latmos
Mustafa Kemal Pascha 232
Melanthios 302
Mykale 20, 46, 57, 67, 124f., 142
Melos 95, 104
Mykener, mykenisch 11
Memphis 14
Mylasa 28, 56, 88, 118, 120, 192
Mercati, Gaetano 68–70, 73
Myra 118
Merkurios 91
Myus 20, 125
Messel, Albert 209 Milas: siehe Mylasa
Nafplion 116
Milesische Halbinsel 11, 33, 39, 69, 72, 89,
Napoleon I. 65, 87f., 103 Napoleon III. 138
133, 182, 326 372
Namensregister
Naumann, Rudolf 241–248, 250, 256–258, 276, 288
Pars, William 43–55, 88, 92, 103, 155 Patmos 31, 41, 93, 123, 143
Necho II. 112
Paulus, Apostel 30, 32
Nero 298, 302 Newton, Charles Thomas 141, 157, 194
Pausanias 60f., 64, 73, 198f., 226 63, 126–137,
Peloponnes 56, 62, 96, 116, 132f., 158, 288 Pergamon 19, 32, 64, 72, 95, 106, 158, 286, 305
Nikaia, Konzil von 30, 39 Niketas 41
Perseus 164
Nizza 159
Peschlow-Bindokat, Anneliese 169
Nymphen 25, 272, 274
Philadelphia 19 Philippson, Alfred 237
Olympia 97, 158, 198, 201, 236, 278, 304
Phokaia 19, 33
Osman Hamdi Bey 158, 178
Phrourion 41
Otto, Prinz von Bayern 116f.
Pickering, Dr. 18–29, 54, 169
Oxford, Ashmolean Museum 94
Piräus 117, 124 Plinius der Ältere 62, 127, 186
Paionios von Ephesos 73, 79
Plotina 9
Palatia 11f., 20, 41, 46f., 58, 92f.
Plutarch 72
Palmyra 43
Pollux 102, 108
Panionion 20, 125
Pontremoli, Emmanuel 95, 158–173, 201, 287
Panormos 21, 47f., 72, 106, 120, 123, 129, 133, 154, 169, 172, 195, 262, 268f., 317 Nekropole 320f.
Poseidion: siehe Kap Monodendri Poseidon 33, 201, 305
Pantikapaion 113
Priene, Athenatempel 67, 71, 80, 124, 142, 166, 313
Paris Arc de Triomphe 103f. Louvre 8, 53, 140, 152, 155f. Nationalbibliothek, französische 96, 173
Prochorus 31 Prokonessos 170 373
Apollonheiligtum von Didyma
Propontis 10, 18, 170
Samsun Dağı: siehe Mykale
Prusa (Bursa) 10, 18, 66
Sanson 20
Ptolemaios IX. 114
Santorin 178, 286, 294
Ptolemaios XII. 99, 114
Sapirstein, Phil 227, 278, 290
Ptolemaios XIII. 99, 114, 136
Saplı Adası: siehe Teichiussa
Pülz, Stefan 152, 167
Saqqara, Serapeum 120
Pyrrha 21
Sardis 19, 30, 32, 61, 63, 112, 117
Pythagorion 11
Sarıkemer 159
Pytheos 80
Scala Nuova 20, 46, 49, 67, 89, 93, 124 Scalamonti, Francesco 9
Rayet, Olivier 53, 95, 138–159, 169, 205, 223
Schattner, Thomas 214, 273, 282, 306
Rehm, Albert 27, 91, 171–173, 241, 264, 305, 308
Schazmann, Paul 232
Schaubert, Gustav Eduard 117
Revett, Nicholas 43–55, 88, 92, 95, 102f., 155, 191
Schede, Martin 234
Rhodos 9, 56, 72, 88, 117, 126, 178 Rilke, Rainer Maria 140
Schneider, Peter 189, 215, 217, 259–283, 286
Ross, Ludwig 116–125, 129, 131f.
Schrader, Hans 177, 208
Rothschild, Gustave und Edmond von 138– 140, 154, 156
Schwarzes Meer 11, 105
Schiele, Wolf 268
Selçuk: siehe Ayasoluk
Russland 25, 65, 87f., 230
Selene 117 Seleukiden 14, 114, 304
Salter, Jeremy 18–29, 54, 108, 169
Seleukos I. 14, 35, 62, 113, 200, 226, 304
Samaria 88
Seleukos II. 35
Samos 11, 20, 56, 69–71, 93, 131, 133, 142, 159, 169, 175, 227 Heratempel (Heraion) 14, 59, 278, 286f.
Septimius Severus 91 Sherard, William 30–42 374
Namensregister
Sidyma 34
Stümpel, Harald 284f.
Siemens, Georg 177
Sueton 138, 152, 167
Siemens, Marie 177
Suki (Sokia, Söke) 46f., 67, 89, 124, 159, 184, 234, 242
Şirince 30f. Sizilien 56, 87, 97, 114, 133
Ta Kokkina 89, 154
Slawisch, Anja 320f.
Ta Stefania: siehe Akron
Smyrna Archäologisches Museum 8 Basar 44 Karawanserei 18, 44, 46 Pest 44, 55, 88, 93 Stadion und Theater 18 Synagoge 18, 45
Tarsos 114 Tavşan Adası 292, 334 Teichiussa 119, 126, 131–134, 309 Telmessos (Fethiye) 56, 96 Tenedos 70
Sogdiana 60
Tenos 117
Söke, Sokia: siehe Suki
Teos 19, 49, 71, 96, 106
Sonntagbauer, Wolfgang 76, 80
Texas 124
Soteira Kore 201 Sowjetunion 241
Texier, Charles 95, 105–115, 120, 144, 146, 158, 219
Sozomenos 21
Thales von Milet 11, 134
Sparta 132, 277
Thasos 169
Spartokiden 113
Theodosius 36
Speer, Albert 237–241
Thera: siehe Santorin
Spon, Jacob 18–29, 30, 32, 44, 51, 66, 151
Thomas, Albert 53, 95, 138–159, 169, 205, 223
Strabon 10, 14–16, 20f., 28, 33–35, 59–61, 64, 69, 73, 92, 120, 186, 250
Thukydides 132f.
Stradonitz, R. Kekulé von 177
Thyatira 19
Stratonikeia 28, 56, 118
Tissaphernes 133
Stuart, James 95
Titus Flavius Festus 25 375
Apollonheiligtum von Didyma
Trajan 9f., 28, 129, 191, 194–196, 260–263
Walpole, Horace 44
Tralleis 57, 159, 178
Watzinger, Carl 230
Trémaux, Pierre 128, 130, 135
Weickert, Carl 229
Troja 64, 70, 106
Weiß, Peter 195
Tschakidji, Mehmet 192f., 221
Wheler, George 18–29, 30, 32, 44, 51, 66, 151
Tschangly (Güzelçamlı) 20
Wiegand, Theodor 173–244, 247, 249, 251, 253f., 260, 272–274, 284f., 287, 289, 318
Tuchelt, Klaus 110, 160, 185, 198, 222, 226, 241–286, 294f., 318
Wilhelm II. 176, 209
Türken, osmanisch, Osmanen 9, 16, 18, 66, 88, 117 seldschukisch, Seldschuken 7, 9, 41f., 55, 73, 185, 190
Wilkinson, Toby 321 Willner Johanna 295 Wilski, Paul 91, 136, 182, 221, 268, 308 Wintermeyer, Ulrike 306
Turko-Jeronda: siehe Ura
Wladislaw III. 11
Turner, William 86–93
Wood, John Turtle 151, 157
Tyche 201, 253f.
Wood, Robert 43, 55 Wulzinger, Karl 230
Uludağ: siehe Bithynischer Olymp Ura 47–49, 55, 68, 159, 233
Xerxes 60
USA 241
Yarmouth 86
Varna 11
Yenihisar 49, 242
Venedig 18
Yeşilköy 58
Versailles 105, 232 Vitali, François 117, 119
Zakynthos 55, 71
Vitruv 71, 73, 76, 78–80, 106
Zeus 34f., 108, 111, 165f., 196, 198, 254, 301, 304f., 318
Voigtländer, Walter 133, 217 376
Namensregister
Ziegenaus, Otto 242 Zypern 88, 256, 277
377
Apollonheiligtum von Didyma
Sachregister (der hellenistische Apollontempel besitzt keinen übergeordneten Eintrag) Abakus 52
Aparche 114
Abflusskanal, -öffnung, -schacht 219, 221f.
Apollonaltar 175, 191, 197–201, 213, 221, 244, 253f., 261, 268, 292, 304
Ablagerungen: siehe Sedimente
Apollontempel, archaischer Architrav 167, 214, 218 Fries 161, 214, 218 Fundament, pi-förmiges 210–213 Grundrissrekonstruktion 214f., 218, 246, 287f. Pilasterkapitell 162, 218, 236 Säulen 167, 213–218, 286–288
Achse, Längs- 51, 102, 106, 213, 223, 300 Quer- 75 Säulen- 73, 149, 280, 316 Wand- 73, 316 Ädikula 145, 223 Adyton: siehe Sekos Aga 47, 56, 89 Agon 200, 286, 302, 304f.
Apollontempel, spätgeometrischer 244–246, 290
Akanthusblätter 52, 225
Architekton 171
Alabaster 277
Architrav 22f., 50, 146, 164, 167, 208
Alphabet, griechisches 63, 75
Archos 131, 133
Altartemenos 263f., 266
Artemisaltar 163, 317
Amphiprostylos 316f.
Artemisheiligtum 262, 264, 267f., 307
Amphore 112, 271
Artemispriesterin 12, 123, 267, 319
Amtslokal der Tamiai: siehe Tamiaion
Artemistempel, hellenistischer 7, 28, 32, 35, 37, 41, 91, 103, 113, 318 Entwurf 227, 279–281, 311–313 Fundament 84, 186, 249, 268, 313–316, 333 Gebälk 280, 282, 310–312, 333
Ante 25, 41, 52f., 60, 148, 162, 219, 243, 270, 309, 315 Antenbau, dorischer: siehe Prophetenhaus Antenkapitell 52f., 111, 155, 162, 225, 236 378
Sachregister
Orientierung 315
Baubericht, -inschrift 50, 59, 76, 97f., 101, 129, 136, 158, 166, 169–172, 204, 221, 302
Proportion 135, 316
Bauzeichnung: siehe Ritzzeichnung
Grundrissrekonstruktion 316–318 Kultbild 318
Tempeltür 281, 318
Beamtenname 11, 121, 171, 185, 204, 264
Artemistempel, archaischer 215, 287f., 318–
Begrenzungsmauer 130, 222, 229
320 columna caelata 318f.
Betonestrich 102
Fries 318f.
Bischof 7, 30, 39, 41, 91, 184f., 210
Hekatompedos 319f.
Blattkelch 23
Asche 198, 277f., 320
Blei 146–148, 297
-schicht 244, 277–279, 284, 287, 295
Blut-Aschealtar: siehe Apollonaltar
Asylie 113, 304
Blüte 23, 53, 162, 164f., 225
Aufriss 54, 56, 58–60, 65, 143, 153, 157
Bogen 62, 199, 298
Ausrichtung 102, 105, 107f., 315, 317
Brandschicht: siehe Ascheschicht Bronze -apoll 60, 62, 110, 141, 145, 199, 201, 204, 218f., 224, 226, 228 -astragal 63 -gitter 222 -knauf 122 -schuh 147f. -zeit 57, 286, 294
Basilika im Innenhof 35, 37, 206, 209f., 222, 229, 234, 303, 333 Ambo 38 Apsis 38, 209f. Baptisterium 37, 41, 174, 210 Kathedra 210 Kloster 211
Bruchsteinmauern 73, 136, 184, 187, 196, 265, 301
Narthex 211 Presbyter 210 Prothesis 210
Brunnen, byzantinische 26, 54, 187f., 206, 211, 226, 234 -haus 25f., 36f., 122f., 204, 211, 217f., 226, 254, 301 -mundloch 207, 211
Schrankenplatte 209 Synthronon 210 Tabernakel 209f. Taufbecken 37, 209 Templon 37, 209 379
Apollonheiligtum von Didyma
Buchstabe 9, 26f., 74f., 77, 79f., 114, 131, 135, 168f., 291
Dübel, Bronze- 146–148 Holz- 147, 223, 297 -loch 147, 222, 297
Bühnengebäude, -haus: siehe Theater, Skene
Durchmesser, -angaben 48, 76–80, 134, 167–169, 184, 197, 220, 261f., 267, 270, 280f., 287, 301
Büste 165f.
Cavea: siehe Theater Cella 204, 212, 223–225, 318
Eckkapitell 165f.
Chiton 52, 131
Edikt 36
Chresmographion 172
Eierstab: siehe Kyma, ionisches
Christen, -heit, -tum 12, 30, 32, 36, 42, 45 -verfolgung 36, 91
Elfenbein 94, 99f., 114, 136 Entasis 78, 280, 333
columna caelata 151, 157, 167, 215f., 288, 318f.
Entwässerung 145 Epigramm 25f.
Dach 28, 59, 65f., 73, 101f., 138, 153, 215
Epigraphie, Epigraphiker 10, 90, 138, 157, 166, 170
Dachterrasse 97, 100f. Dachziegel marmorne 153, 218, 225 samische: siehe Übergangsnaiskos tönerne 162f., 218, 243f., 249, 270f., 278f., 289f., 292, 295f.
Epistates 171
Daktylus 167f.
Euthynterie 74f., 145
Erdbeben 9, 15f., 27, 39, 49, 55, 69, 144, 152, 172, 189, 193, 209, 211, 235, 242, 258, 266, 274, 295
Deckgesims 145 Denar 302
Fackel, -lauf 200f., 239, 304
Deponierung, deponieren 267, 277f., 285
Fackelträger 163, 199, 201, 239
Dipteros, dekastyler 50, 55, 59, 144, 218, 287
Farbreste 100, 154, 279
Drachme 62, 114, 171
Fascie 24, 50, 84f., 153, 164
Dreifußkessel, bronzener 288
Fayence 277 380
Sachregister
Gewölbegang: siehe Tunnel
Feinkeramik 211, 244, 249, 270f., 274, 277f., 289, 298, 301, 320
Giebel 153, 165
Fels 92, 190, 246, 249, 262, 272, 277 -barre 200, 262–268 -schicht unter der Moschee 282f., 301, 316f.
Glasurkeramik, byzantinische 39 Glättung, glätten 24, 26, 76, 78, 279 Gold 14, 112–114
Ferman 139f., 176 Festplatz 261
Goten, -mauer, -sturm 24–26, 32, 35–37, 152, 185–187, 193, 252, 266, 301, 304
Festung 7, 15, 25, 41, 152, 187f., 193, 197
Götzen, -kult 36
Fibel 277, 289
Grabbau, -monument 25, 48, 129f., 136, 161, 194, 274
Flaschenzug 98, 110, 146, 155, 172, 219
Greif, Greifenfries 23, 51f., 58, 60, 69, 94, 155f., 162, 165, 167
Flechtband 162, 270 Fleischbank, -markt: siehe Macellum
Große Didymeen: siehe Megala Didymeia
Freitreppe, Ostfront 239 im Sekos 98f., 101, 174, 202–204, 209, 237f. westlich der Terrassenmauer 160f., 188, 200
Grundriss 49f., 55, 58–60, 65, 73, 75, 84, 97, 110f., 114, 144, 152f., 215 Grenzstein 81, 261f., 333
Frühlings-Tagundnachtgleiche 129
Gusskanal 147
Fundament 15, 74, 145, 161f., 164, 214, 243f., 278, 287, 294
Halbkreis-Basis 270
Fuß 48f., 73–80, 167, 171, 246, 303, 319
Halbsäule, korinthisches Halbsäulenkapitell 28, 51, 54, 108, 191, 208, 238
Fuß, attischer 73, 75–80, 168 Fußmaß 74, 76, 80, 167f., 246
Halle Arkadenhalle 39, 266 Halle auf der Ostterrasse 175, 189, 228, 292 hellenistische dorische Säulenhalle 82–84, 103, 186, 281f., 307f., 333 Säulenhalle 38, 113, 258, 260, 263, 265f., 268 Südwesthalle 175, 228, 242–244, 288f. Südwesthalle II 189, 244, 294
Gebälk 102, 109, 165, 167, 196 Gebrauchskeramik 267, 271, 277, 306 Geomagnetik: siehe Prospektion, geophysikalische Getreide 233, 252 381
Apollonheiligtum von Didyma
Kapelle (bzw. Kirche) Charalambos- 37, 81, 83, 90f., 93, 97, 159f., 183, 227 Friedhof- 80f., 91, 186, 308f., 334 Georgios- 81, 91, 308 Hagia Sophia- 81 Märtyer- 12 Merkurios- 80, 90f., 93, 185, 334 Panagia- 136 spätbyzantinische 41f., 54, 80, 92, 144, 204–206, 211, 234 Taxiarchis- 81f., 120, 276, 333
Handelskolonie, kretisch-minoisch 286, 293f. Heilige Gesänge 102, 130, 132, 272, 291f., 302 Heiliger Hain 69, 250, 253f., 295 Heilige Quelle 14f., 25f., 34, 37, 101, 121f., 144f., 174f., 183, 196, 201, 204–211, 217f., 226–228, 234f., 245f., 304, 333 Hekatompedos 246, 320 Hieroglyphen, ägyptische 95 Hieros Gamos 304 Himation 131
Kapitell, ionisches 22, 24, 26, 50, 108, 110, 146, 153f., 165f., 219, 235, 305 korinthisches 22, 27f., 54f., 58, 108, 191, 207f.
Hirsch 62, 199, 298 Hofgebäude 266 Höhe 13f., 16, 24f., 59, 165
Kassette, Kassettendecke 50, 85, 102, 109, 128, 154, 193, 207, 225, 264
Hund 258, 267 Hydrophore: siehe Artemispriesterin
Katabasis 204
Hypäthral 59, 65, 73, 110, 215
Klammer, Bronze- 35, 146, 333 Eisen- 146, 212, 223, 297
Inspiration 121f.
Knochen 63, 200, 267f., 271, 278, 320
Ionische Renaissance 80, 166
Konsul 25, 33, 44, 126, 159, 178, 194f. Krater 112
Jubiläum, 100-jähriges Grabungs- 275
Krepis 76, 161, 163, 219, 224, 243 Kreuzzug 10f., 16
Kalathos 52
Krieg, Deutsch-Französischer 138f. 1. Weltkrieg 173, 191, 209, 211f., 219, 229–236, 250, 312 Peloponnesischer Krieg 132f.
Kalkofen 54 Kalypter 162f., 270 Kanachos-Apollon: siehe Bronzeapoll
Kultbezirk, archaischer 259, 269–272, 274f., 334
Kannelur, kannelieren 22, 76–78, 167f., 280 382
Sachregister
Kultbild, -statue 15, 37, 60, 62, 110, 141, 144f., 174, 201, 204, 215, 218, 223f., 226–228, 239, 298, 318
Mäander (Ornament) 100f., 150, 191f. Macellum 39, 186, 200, 268, 274 Märtyrer 12, 91
Kultgefäß 14
Maßstab 280, 312f.
Kultlegende 304
Mauerwerk, isodomes 225
Kultmal 174, 206, 217
Megala Didymeia 302–304
Kultpersonal: siehe Beamtenname
Meilenstein 194–196, 333
Kultur- und Tourismusministerium, türkisches 300, 311
Metrologie 73–80 Mischwesen 23, 46, 150
Kurvatur 219f.
Mondfinsternis 117
Kyma, ionisches 23, 50, 52, 145, 162, 164f., 188, 214, 218, 310 lesbisches 24, 50, 100, 165, 191, 310
Mörtel 35, 54, 73, 82, 89, 146, 175, 184, 187, 196, 256, 261, 265, 296, 301 Mosaikfußboden 102, 154, 185, 238f., 258
Kymaplatte 188f., 214f., 278, 287, 292
Labyrinth 191f.
Moschee: siehe Kapelle, Charalambos Münze 30, 38, 62, 163, 199, 204, 296, 298, 301, 306
97, 100–102, 148, 152, 154,
Myrrhe 113
Lehm, -ziegel 243, 245, 249, 270f., 284
Mysterium 123
Leuchtturm 34 Lisene 51
Naiskos (Apollon-), archaischer 175, 210, 212, 223, 227f., 290 klassischer (Übergangs-) 222f., 227f., 290, 292 hellenistischer 222–228, 235f., 280–282, 310–312, 318, 333 Datierung 226 Fundament 174, 210–212, 223f., 280, 287, 311 Funktion 226f. Gebälk 225f., 251, 280f., 310–312
Lorbeerbaum, -blatt, -kranz 15, 26, 35, 100, 150, 199, 201, 204, 218, 226, 245f., 298, 304 Lotus-Palmettenfries 24, 50, 150, 162, 310 Löwe 23, 81, 89, 112, 128, 134–136, 141, 157, 161, 167, 214, 225 Löwengreif 165 Lyra 68f. 383
Apollonheiligtum von Didyma
Parodos 302
Rekonstruktion 224f. Versatzmarken 225, 311
Peribolos 54, 81f., 103
Naos 14f., 23, 50, 52f., 59f., 75f., 145, 152, 171
Peristasis: siehe Ringhalle
Naturmal 26
Perlstab 24, 50, 145, 164, 310
Neumond 129
Pfeiler: siehe Pilaster
Nymphenheiligtum 132, 272–275, 284, 334
Phiale 114
Nymphäum 254, 301
pietas 196 Pilaster 22–24, 51f., 54, 75, 145, 162, 167, 209, 212, 218, 238
Ochse 200, 267 -nkarren 136, 159, 262
Pilasterbasis 145
Odeion 299 Olive, -nöl 39, 190, 289
Pilasterkapitell 23, 51f., 58, 60, 69, 75, 94, 111, 128, 155f., 205, 235f.
Öllampe 277
Piraten 25, 72
Ölmühle, -presse 39, 190, 289f.
Plan 49, 59, 73–76, 79f., 153
Opfer 36, 123, 130, 160, 165, 197–200, 221, 267f., 272, 278, 291f.
Plinthe, Säulen 50, 76, 80, 110, 150, 153, 207, 219 -schicht 145, 220
Opisthodom 50, 318
Podest: siehe Treppenwange
Orakelbrunnen, -quelle: siehe Heilige Quelle
pontifex maximus 196 Poros 188–190, 212, 215, 218, 242–246, 263, 287
Orakelinschrift 250, 253f., 291f., 333 Ordnung, ionische 59, 166, 282
Portal, großes (zwischen Zwölf- und Zweisäulensaal) 98, 107, 158, 169, 171f., 193, 203, 239 Türgewände 98, 169, 171f.
Orientierung: siehe Ausrichtung Ostbau 270 Ostterrasse 175, 188f., 282, 292, 293, 333
Türschwelle, unüberschreitbare 98, 171f. Türsturz 98, 172
Palmette 24, 50, 52f., 150, 155, 162, 164f., 225, 310
Postament 160, 261, 295
pantheos peribomismos 201, 253f.
Pronaos 50, 84, 152, 202, 215, 223–225, 318 384
Sachregister
Sarkophag 48, 81, 103, 111, 120f., 129, 194
Prophet, Prophetie 25, 101, 116, 122f., 171, 196, 291f., 303, 309f.
Satteldach 83
Prophetin 26, 101, 121–123, 204, 218
Säule dorische 83, 103, 238 korinthische 22, 27f., 51, 54f., 58, 60, 97, 108, 191, 208, 238, 254 unkannelierte 167
Prophetenhaus 37, 270, 308–310 Propheteninschrift 309 Propylon: siehe Prophetenhaus Proportion 75, 79, 134f., 246, 316
Säulenbasis attische 145, 150, 207, 225 ionische 50, 224
Prokonsul 25, 195 Prospektion, geophysikalische 184–186, 249,
Säulenhöhe 108, 110, 145f., 193, 225
257, 274, 284f., 295, 302
Säulenjoch 59, 73f., 76, 193
Prostylos, ionischer 224, 313
Schacht, Brunnen- 206, 211, 234f. Treppen- 206f., 217, 227
Prozession 120f., 129f., 132, 160, 195, 199, 260f., 270, 272, 274f.
Schaf 63, 199f., 267
Pseudo-Naiskos: siehe Artemistempel
Schaft, Säulen- 22, 50, 69, 76–78, 110, 146, 167, 213, 280f., 287
Ranke 23, 51f., 58, 150, 155, 164, 225, 258
Schatzmeister: siehe Tamiai
Rankenfrau 52f., 111, 155
Schatzstiftung 9, 35
Raster, -netz, -plan 73, 75f., 79f., 149, 316
Schöpfgefäß 267
Rekonstruktion 24, 59f., 157, 165, 198,
Schule 82, 159, 314, 317
214f., 238, 246, 254, 269, 290, 309, 316f.
Schwein 67, 267
Rind 199, 267
Sedimente 13, 57, 62, 246, 249, 263, 285
Ringhalle 26, 50f., 59, 75, 102, 144, 164,
Seeräuber: siehe Piraten
193, 208, 214f., 218f., 221
Rötel 279
Siedlung, römisch-byzantinisch 7, 16f., 38f., 54, 103, 184–186, 190, 252f., 274, 284f., 321 neuzeitlich 55, 67, 69, 73, 82, 96, 106, 248
Rundbau, -altar: siehe Apollonaltar
Siegel, minoisch 294
Ritzlinie, -zeichnung 24, 279–281, 315, 333 Rosette 100, 191
385
Apollonheiligtum von Didyma
Silber 14, 30, 62, 72, 112f., 277
Steinbruch 78, 169, 212, 334
Skene: siehe Theater
Steinmetzinschrift 18, 27, 169
Sklave 26f., 169, 171
Stephanephor 123, 171, 196
Society of Dilettanti 43f., 54f., 71, 80, 84, 126
Stierkopf 165
Sonnenaufgangspunkt 102
Streifenfundament 223, 315, 317
Sonnengott 107f.
Strenger Stil 94
Sphäre 134
Stroter 270
Sphinx 120, 217, 268, 270 Spielbrett 204
Stylobat 110, 114, 153, 164, 224 -breite und -länge 153, 163
Spira 50, 150
Südostbau 264f.
Spitze, Lanzen-, Pfeil- 277, 289
Survey 69
Stoa: siehe Halle
Sprengstoff 175 Tabernakelbau, hadrianischer 248, 254f., 301, 307, 333
Sofakapitell 22f. Sommersonnenwende 107
Tafelbild 150
Stab der Prophetin 122
Talent 72, 112f.
Stadion 111, 185, 188, 200, 208, 244, 289, 302–304 Sitzstufenblöcke 296f., 299 Südtribüne 188, 190, 289
Tamiai 123, 171, 254, 264–266 Tamiaion 263–266 Taufe, Kinder- 37, 205
Stadtmauer 25, 46, 142
Taxiarchis-Hügel 81f., 244, 264, 275–278, 284, 287, 289, 295, 333
Stadtrecht 38, 185 Startvorrichtung 200, 289
Terrassenmauer 160f., 182, 188f., 214, 277, 292
Statue, Bronze- 62, 111, 204, 226, 228, 238f. Löwen- 128, 134, 136 Marmor- 48, 131, 140 Sitz- 89, 111, 115, 121, 123, 128–132, 134– 136, 141, 157, 194, 268, 270–272, 294
Terra Sigillata 184 Theater 7, 28, 185f., 200, 249, 305 Bauinschrift 302 Cavea 196, 255, 295–302, 304 Datierung 298, 301f.
Statuenbasis 12, 111, 226, 294, 306 386
Sachregister
Vogelgreif 165
Entdeckung des 295–300 griechischer Typ 302 Größe des 301 Orchestra 301, 334 römischer Typ 302 Sitzstufe 299f. Skene 25, 35, 139f., 166, 196, 255, 301f., 304f., 307, 333 Sonnensegel 301
Volute 23, 52, 163 Vormauer 41, 187f. Votiv 35, 63, 83, 105, 111–114, 130f., 189, 226, 267, 271, 274, 276–278, 288, 292, 294 Wandsockel 24, 145, 280 Wasserbecken 263f.
Therme, römische 81f., 89, 93, 136, 185, 256–258, 265f., 274, 284
Wasserkanal, -leitung 184f., 252, 262
Thermengasse 257, 260f., 265f.
Weihegabe, -geschenk: siehe Votiv
Toposinschrift 303
Weihgeschenkträger 244
Tor 196, 262
Weihinschrift 63, 111, 131, 134f., 166, 254, 267, 272, 274, 278, 301, 318
Torus 50, 145, 150, 168
Weihrauch 113
Treppenhaus: siehe Labyrinth Treppenwange 27, 163, 167, 201, 238f.
Weltwunder, Sieben 28, 32, 46, 66, 73, 80, 126f., 151, 322
Trochilus 145, 150
Werkstein, -bau 146, 249, 282
Trommel, Säulen- 48, 76–78, 147f., 152, 154, 167–170, 235, 261
Werkzoll 50 Wettkampf: siehe Agon
Tunnel 99, 101, 147, 152, 174, 193, 202–204, 280
Windmühle 72, 97, 106, 108, 119–121, 128, 143f., 148, 163, 178–180, 191, 193, 276
Turm 69f.
Wissensspeicher 27
Türen, drei (zwischen Sekos und Zweisäulensaal) 99f., 174, 203, 209, 238f.
Wohnhaus, -bebauung: siehe Siedlung
Tyrann 61, 63, 134
Zahnschnitt 102, 164f., 167, 280, 310
Versatzmarke 168, 225, 311
Zerstörung, Brand- 37, 252 Perser- 14, 61, 64, 121, 140, 227, 244, 277, 287, 290, 295
Villa: siehe Siedlung
Ziege 199, 267
Verhältnis: siehe Proportion
387
Apollonheiligtum von Didyma
Zuschauerraum: siehe Theater, Cavea Zwillinge 34f., 108, 111, 165, 304f., 312 Zwischendecke 100 Zylinder 134, 150, 261
388