168 10 89MB
German Pages 300 [304] Year 1993
Linguistische Arbeiten
290
Herausgegeben von Hans Altmann, Peter Blumenthal, Herbert E. Brekle, Gerhard Heibig, Hans Jürgen Heringer, Heinz Vater und Richard Wiese
Hans-Jörg Schmid
Cottage und Co., idea, start vs. begin Die Kategorisierung als Grundprinzip einer differenzierten Bedeutungsbeschreibung
Max Niemeyer Verlag Tübingen 1993
Meinen Eltern
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Schmid, Hans-Jörg : Cottage und Co., idea, start vs. begin : die Kategorisierung als Grundprinzip einer differenzierten Bedeutungsbeschreibung / Hans-Jörg Schmid. - Tübingen : Niemeyer, 1993 (Linguistische Arbeiten ; 290) NE:GT ISBN 3-484-30290-9
ISSN 0344-6727
© Max Niemeyer Verlag GmbH & Co. KG, Tübingen 1993 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Druck: Weihert-Druck GmbH, Darmstadt Einband: Hugo Nadele, Nehren
Inhalt Vorwort Typographische Konventionen
1. Einleitung 1.1 Inhaltsüberblick und Vorgehensweise 1.2 Grundbegriffe - Kategorisierung und Bedeutung
2. Kognitive Grundlagen der Kategorisierung 2.1 Die klassische Theorie der Kategorisierung 2.2 Die Roschsche Revolution: Die Prototypentheorie 2.2.1 Empirische Erkenntnisse 2.2.1.1 Farben und Formen 2.2.1.2 Kognitive Bezugspunkte 2.2.1.3 Semantische Kategorien 2.2.1.4 Familienähnlichkeiten 2.2.1.5 Basiskategorien 2.2.2 Interpretation der Experimente 2.2.2.1 Nicht-Arbitrarität von Attributen in der Welt 2.2.2.2 Die Natur der Attribute 2.2.2.3 Zum Status des Prototypenkonzepts 2.2.2.4 Zur Universalität des Prototypenkonzepts 2.2.3 W. Labov: Experimente zu den Kategoriengrenzen 2.2.4 Was ist Prototypikalität? 2.2.4.1 Was sind Prototypen? 2.2.4.2 Prototypen vs. Stereotypen 2.3 Roschs Kritiker 2.3.1 Die frühen Kritiker 2.3.2 Heterogenität der Taxonomien 2.3.3 Der Einfluß des Kontexts 2.3.4 Ähnlichkeit als Grundlage der Kategorienkohärenz 2.3.5 Begrenzter Objektbereich 2.4 Roschs Kinder: Kategorienstrukturen 2.4.1 Ketten innerhalb von Kategorien 2.4.2 ICMs und radiale Kategorien 2.4.3 Kategoriennetzwerke
IX X
l l 3
6 7 9 10 10 11 12 13 14 15 15 19 20 21 24 26 28 33 36 36 37 38 40 42 43 45 52 59
VI
2.4.4 Kategorienhierarchien 2.5 Zum Kategorienerwerb 2.5.1 Kategorienerwerb 2.5.2 Erwerb von Kategorienhierarchien 2.6 Zusammenfassung und Überleitung zu Kapitel 3
3. Sprachliche Kategorien: Vier Problernkreise 3.1 Metapher, Metonymie und Polysemie 3.1.1 Polysemie 3.1.2 Metapher und Ähnlichkeit 3.1.3 Metonymie und Kontiguität 3.2 Ambiguität, Vagheit und Unscharfe 3.2.1 Definition und Terminologie 3.2.2 Ambiguitätstests 3.2.3 Deskriptive Aspekte 3.3 Lexikalische und aktuelle Bedeutung 3.4 Kontext 3.5 Zusammenfassung und Überleitung zum empirischen Teil
4. Cottage and Co.: Kognitive Semantik und Wortfeldtheorie am Beispiel des Wortfelds der Häuserbezeichnungen 4.1 4.2 4.3 4.4
Einleitung Methodologische Vorbemerkungen zur Herkunft der Daten Feldabgrenzung Feldanalyse 4.4.1 Peripherer Feldbereich 4.4.2 Lodgel und cabin 4.4.3 Dimensionen 4.4.3.1 Größe (SIZE) 4.4.3.2 Lage (SETTING) 4.4.3.3 Material (MATERIAL) 4.4.3.4 Architektur (CONSTRUCTION) 4.4.3.5 Bewohner (INHABITANTS) 4.4.3.6 Einstellung des Sprechers (SPEAKER'S ATTITUDE) 4.4.4 Kotextanalyse 4.4.5 Gesamtdarstellung der Feldanalyse 4.4.6 Evaluierung 4.5 Cottage and Co. und kognitive Semantik 4.5.1 Prototypische Kategorien
67 75 76 78 79
81 81 81 84 91 95 96 98 102 108 111 118
121 121 122 124 128 128 131 134 134 135 135 136 137 139 140 141 144 148 148
VII
4.5.2 Kategorienstrukturen 4.5.2.1 Eigenschaften des außersprachlichen Referenten 4.5.2.2 Soziokultureller Kontext 4.5.2.3 Situativer Kontext - Sprecher - Hörer 4.5.3 Zusammenfassung und Gesamtschau
5. Idea: Kognitive Semantik im Umgang mit abstrakten Nomina 5.1 Zur Strategie der Bedeutungsanalyse 5.2 Orientierung 5.2.1 Wörterbücher 5.2.2 Grammatiken 5.2.3 Halliday & Hasan (1976) und Lakoff & Johnson (1980) 5.3 Datengewinnung 5.4 Datenerfassung und quantitativer Überblick 5.5 Datenauswertung und Interpretation 5.5.1 Unspezifizierte Verwendungsweisen 5.5.1.1 "Thoughts" 5.5.1.2 "Opinions" 5.5.2 Verwendungsweisen mit dem Attribut 'neu' 5.5.2.1 "Einfall" 5.5.2.2 "Gute Idee" 5.5.2.3 "Gute Ideen" 5.5.2.4 "Dumme Gedanken" 5.5.3 Verwendungsweisen mit dem dominanten Attribut 'hypostasierend' . . . . 5.5.3.1 "Mental picture" 5.5.3.2 "Concept" und "image" 5.5.3.3 "Imagination" 5.5.3.4 "Instrument" , 5.5.3.5 "Aim" 5.5.4 Faktive Verwendungsweisen 5.5.4.1 "No clue" 5.5.4.2 "Feeling" 5.5.4.3 "Belief 5.5.5 Metonymische Verwendungsweisen: Music 5.5.6 Rein anaphorische Verwendungen 5.5.6.1 Referenz 5.5.6.2 Lexikalische Kohäsion 5.6 Zusammenfassung und Gesamtdarstellung
155 156 158 160 162
165 165 166 166 168 169 174 175 183 184 184 187 188 188 190 191 192 194 195 199 204 207 208 210 211 211 212 214 215 215 217 218
VIII
6. To start vs. to begin: kognitive Semantik und Synonymenvergleich 6.1 Einleitung 6.2 Orientierung 6.2.1 Wörterbücher 6.2.2 Grammatiken 6.2.3 Weitere Literatur 6.3 Datengewinnung 6.4 Datenerfassung und quantitativer Überblick 6.5 Datenauswertung und Interpretation 6.5.1 Inchoative Verwendungsweisen 6.5.1.1 Inchoative Verwendungsweisen in SVO-Sätzen 6.5.1.2 Inchoative Verwendungsweisen in SVA-Sätzen 6.5.1.3 Inchoative Verwendungsweisen in SV-Sätzen 6.5.2 Spezifische Verwendungsweisen 6.5.2.1 Dynamische Verwendungsweisen 6.5.2.2 Kontinuative Verwendungsweisen 6.5.2.3 Verbale Verwendungsweisen 6.6 Zusammenfassung und Gesamtdarstellung
220 220 221 221 223 224 225 226 236 237 237 247 253 256 258 261 265 267
7. Ergebnisse
270
Literatur
273
1. Wörterbücher 2. Grammatiken 3. Weitere Literatur .
273 273 274
Namenregister
284
Sachregister
287
IX
Vorwort Ich bin einer beträchtlichen Anzahl von Leuten für ihre Hilfe zu großem Dank verpflichtet: Allen voran Prof. Dr. Leonhard Lipka, der diesen Band durch sein umfassendes Fachwissen bereichert und seine Entstehung mit viel Einfühlungsvermögen unterstützt hat, und Dr. phil. habil. Friedrich Ungerer, der die Entwicklung meiner Gedanken mit Interesse begleitet und durch konstruktive Kritik gefördert hat. Zu danken ist weiterhin Prof. Dr. Peter R. Lutzeier und den Herausgebern der Linguistischen Arbeiten, vor allem Prof. Dr. Hans Altmann und Prof. Dr. Herbert E. Brekle. Für ihre höchst uneigennützige und kompetente Anteilnahme an meiner Arbeit während meines Aufenthalts in England gilt mein herzlicher Dank den Professoren William J. Jones (damals Westfield College, London) und Martin Durrell (damals Royal Holloway and Bedford New College, Egham/Surrey), für ihre Bereitschaft, sich auf Interviews mit und Fragebögen von mir einzulassen, den Studenten und Mitarbeitern des Westfield College, London, meinen Freunden Keith Jones, Deborah, Nick und Stephen, sowie meinen Kollegen Sue Bollinger, Nick Flynn, Jane Heck, David Marks und Fiona Scanion. Andrea Brosch-Heiler danke ich für ihre bereitwillige Hilfe mit den Datenbankprogrammen, Wolfgang Falkner für seine unerhört gewissenhafte und aufmerksame Lektüre und Korrektur des Manuskripts. Große Verdienste um die Fertigstellung der Arbeit hat sich auch Heike Kratzert erworben, einerseits durch ihr künstlerisches Geschick beim Zeichnen der Bilder für die Interviews zu Kapitel 4 und andererseits durch ihr erfrischendes Desinteresse am Rest der Arbeit, das es mir ermöglicht hat, nie die anderen schönen Seiten des Lebens zu vergessen.
Typographische Konventionen Kapitälchen: Kategorien (HOUSE, IDEA) Großbuchstaben: semantische Dimensionen (SIZE, SETTING) '...': Attribute ('faktiv','dynamisch') [...]: semantische Merkmale ([large], [made of wood]) {...}: optionale Merkmale ({rich inhabitants}, {rustic})
XI
Wie kann der kalte tote Buchstabe diese himmlische Blüte des Geistes darstellen! (J.W. Goethe, Die Leiden des jungen Werther)
1. Einleitung 1.1 Inhaltsüberblick und Vorgehensweise Die vorliegende Arbeit befaßt sich mit der Problematik der Erfassung und Beschreibung der Bedeutung von Lexemen vor dem Hintergrund der sog. kognitiven Linguistik1. Sie stellt einen Beitrag zur Anwendung und empirischen Überprüfung von Theorien dar, die aus dieser Forschungsrichtung bisher hervorgegangen sind. Die Arbeit gliedert sich in einen theoretischen (Kap. 2 und 3) und einen empirischen Teil (Kap. 4 bis 6). Im theoretischen Teil werde ich zuerst (Kap. 2) einen Überblick über die Forschung im Bereich der Prototypentheorie und der kognitiven Linguistik geben. Ausgangspunkt sind dabei die auf empirischem Weg gewonnenen Erkenntnisse zum Wesen natürlicher Kategorien von E. Rösch und deren Interpretation (2.2.1 und 2.2.2). Die Arbeiten Roschs, die sich vor allem mit den Zentren von Kategorien befaßten, werden in 2.2.3 durch die Darstellung von Versuchen von W. Labov zu den Kategoriengrenzen ergänzt. Ausgehend von Rösch und Labov werde ich in 2.2.4 die zentrale Frage nach dem Wesen der Prototypikalität und der Natur von Prototypen stellen. Kapitel 2.3 gibt einen selektiven Überblick über die wichtigsten Kritikpunkte, die in der Literatur gegen das Prototypenkonzept vorgebracht wurden. Roschs Prototypenmodell war ursprünglich nicht für die lexikalisch-semantische Arbeit konzipiert, sondern als psychologisches Modell der Kategorisierung. Unter der Überschrift "Roschs Kinder" werden in Kapitel 2.4. die prominentesten Übertragungen bzw. Weiterentwicklungen aus den 80er Jahren im Hinblick auf ihre theoretische Aussagekraft und ihre praktische Leistungsfähigkeit referiert und untersucht. Das zentrale Erkenntnisinteresse in diesem Kapitel liegt in den Fragen nach der internen Struktur von Kategorien, nach interkategorialen Beziehungen und nach der Rolle, die Prototypen innerhalb von Kategorien spielen. Kapitel 2.5 schließlich stellt eine Beziehung zwischen der Prototypentheorie der Kategorisierung und Erkenntnissen zum kindlichen Erwerb von Kategorien her. Ziel des zweiten theoretischen Kapitels (3.) ist es, die Leistungsfähigkeit der in 2. gewonnenen Theorien im Hinblick auf vier Bereiche zu überprüfen, die traditionell Schwierigkeiten bei der semantischen Analyse verursachen. Ihre Diskussion ist deshalb unerläßliche Voraussetzung für den empirischen Teil. Zum einen ist dies der Problemkreis der Polysemie von Lexemen, der auf der Basis einer kognitiven Sichtweise eng mit metaphorischen und metonymischen Bedeutungsübertragungen verknüpft ist (Kap. 3.1). Zum zweiten gilt es, den Problemkreis um die Begriffe Ambiguität, Vagheit und Unscharfe zu diskutieren. Dabei werden uns vor allem terminologische, heuristische und deskriptive Aspekte interessieren. Die Kapitel zur Unterscheidung zwischen lexikalischer und aktueller Bedeutung (3.3) und zur Funktion, die dem Kontext bei der semantischen Analyse beigemessen werden muß (3.4), sind in erster Linie als methodische Basis für die empirische Arbeit erforderlich. 1
Vgl. etwa Lakoff (1987a), Langacker (1987a, 1988a, b), Rudzka-Ostyn (1988a).
Der empirische Teil der Arbeit (Kap. 4 bis 6) hat eine doppelte Zielsetzung. Auf der inhaltlichen Seite geht es um die Bedeutungsanalyse und -beschreibung der drei ausgewählten Bereiche des Lexikons. Dazu kommt aber noch das theoretisch-methodologische Interesse der Überprüfung des Theoriengebäudes aus Kapitel 2 und 3 anhand sprachlichen Materials. Die Wahl von Material und Methoden für die empirischen Teile der Arbeit ist vom Prinzip der Differenzierung gesteuert. Differenziert werden soll nach verschiedenen Parametern der semantischen Analyse. Da wäre zum ersten das exemplarische Sprachmaterial. Hier werde ich differenzieren nach der Wortart (konkrete Nomina vs. abstrakte Nomina vs. Verben) und nach dem Abstraktionsgrad von Lexemen (übergeordnete vs. untergeordnete Begriffe). Diese Kriterien erklären die Auswahl der disparaten empirischen Beispielbereiche in den Kapiteln 4-6, die auf den ersten Blick vielleicht etwas willkürlich anmuten mag. Als zweites gilt es, entsprechend dem Material die Methode der Analyse zu variieren: Konkrete Nomina (Kap. 4) mit vorwiegend referentieller Funktion lassen sich in Beziehung zu realweltlicher Erfahrung erfassen; hier sind Interviews mit native speakers angebracht. Abstrakta und Verben auf der anderen Seite (Kap. 5 und 6) stehen primär in enger struktureller Verknüpfung zum umgebenden Text; dementsprechend werde ich in diesen Bereichen mit Kontextanalysen von Textkorpora arbeiten und Informantenbefragungen nur zur Unterstützung heranziehen. In allen drei empirischen Kapiteln kommt also - allerdings mit sehr unterschiedlicher Gewichtung - eine Mischung aus Korpus- und Interviewmethode (vgl. Leisi 21985: 145ff) zur Anwendung. Zum dritten darf der theoretische Hintergrund der Analyse nicht unflexibel bleiben. Obwohl die vorliegende Studie im Rahmen der kognitiven Linguistik arbeitet, verschließt sie sich auch nicht traditionelleren Ansätzen der Bedeutungsanalyse. Vielmehr wird hier ausdrücklich der Versuch gemacht, Analysemethoden, die sich in der strukturalistischen Semantik bewährt haben, mit modernen kognitiven Ansätzen zu verbinden. Im ersten empirischen Kapitel der Arbeit (Kap. 4) werde ich deshalb eine Koppelung von Wortfeldtheorie und kognitiver Semantik anstreben, im dritten (Kap. 6) werde ich die Möglichkeiten der kognitiven Semantik zum Synonymenvergleich aufzeigen. Auch in Kapitel 5, das das isolierte Lexem idea zum Gegenstand hat, wird das strukturalistische Prinzip der Kontrastierung und Differenzierung sprachlicher Einheiten dominieren. Schließlich muß der Modus der Beschreibung der Bedeutung den jeweiligen Gegebenheiten angepaßt werden: Konkreta stehen zur außersprachlichen Wirklichkeit in einer (noch zu klärenden) Beziehung; dies kann und muß die Beschreibung berücksichtigen. Abstrakta und Verben abstrahieren von der Realität. Für ihre Bedeutung muß deshalb zu anderen Hilfsmitteln der Beschreibung gegriffen werden. Die lexikalische Semantik ist kein isolierter Zweig der Sprachforschung, sondern überlappt sich mit anderen Disziplinen. Erkenntnisse aus anderen Disziplinen werden also zum Teil auch in einer semantischen Arbeit, wie der vorliegenden, zu verarbeiten sein. So ist es unerläßlich, daß syntaktische Überlegungen in Form einer Berücksichtigung des syntaktischen
Kotexts in die Arbeit eingehen.2 Den Überschneidungen zur Textlinguistik, Pragmatik und Soziolinguistik werde ich an Stellen, wo dies nötig und sinnvoll erscheint, Rechnung tragen.3 Gerade in der Integration von Aspekten aus diesen drei Bereichen liegt eine Möglichkeit der Horizonterweiterung der Semantik, die ja eines der Ziele der kognitiven Semantik überhaupt und auch dieser Arbeit ist. Jede Arbeit muß aber auch Grenzen haben. Die unvermeidlichen Verknüpfungen zur diachronischen Sprachforschung4 werde ich weitestgehend aus meiner Diskussion ausklammern. Dasselbe gilt für die engen Beziehungen zur Wortbildungslehre (vgl. Lipka 1981). Während die drei obengenannten Disziplinen Textlinguistik, Pragmatik und Soziolinguistik die lexikalische Semantik nämlich ohne großen Aufwand unterstützen und bereichern können, werfen die Diachronie und die Wortbildungslehre völlig neue Probleme und Fragen auf, die meines Erachtens nicht mehr zu einer Wortsemantik im engeren Sinn gehören. Angesichts des ohnehin beträchtlichen Umfangs der Arbeit werde ich also Aspekte aus diesen beiden Bereichen im Regelfall vernachlässigen.
1.2 Grundbegriffe - Kategorisierung und Bedeutung
Aus dem Titel dieser Arbeit wird deutlich, daß ich als Grundlage einer Bedeutungsbeschreibung, die in der geschilderten Weise differenziert wird, die Kategorisierung ansehe. Dies wirft gleichzeitig drei Fragen auf, deren Beantwortung das Ziel dieses Abschnitts ist, nämlich: a) Was verstehe ich5 unter dem Begriff der 'Kategorisierung'? b) Was verstehe ich unter dem Begriff der 'Bedeutung' sprachlicher Elemente? c) In welcher Beziehung stehen die beiden Begriffe 'Kategorisierung' und 'Bedeutung' zueinander?
V.a. in den Kapiteln 5 und 6. 3
Z.B. in 3.4, 4.5.2 und 5.
4
Vgl. etwa den Begriff der "diachrony-in-synchrony" von Lyons (1977: 621). Ganz bewußt wird hier nicht danach gefragt, was man unter den verschiedenen Begriffen versteht, denn es sind hier weder eindeutige Definitionen zu erwarten, noch kann es in diesem frühen Stadium der Arbeit mein Ziel sein, einen erschöpfenden Forschungsüberblick zu geben. Sowohl die philosophischen Hintergründe zur Frage des Wesens der Kategorisierung als auch die Problematik der Vieldeutigkeit des Begriffs 'Bedeutung' sollen aus dieser Arbeit soweit wie möglich ausgeklammert werden. Es soll also hier prinzipiell nur darum gehen, meinen eigenen Standpunkt zu diesen Fragen klarzumachen.
Zu a)
Sprechen und Denken sind untrennbar mit Kategorisieren verbunden.6 Egal, ob ich feststelle, daß mein Nachbar ein Geizhals ist, oder ob ich mich frage, wie die Hauptstadt des Staates San Marino heißt, Prozesse der Identifikation und Zuordnung von Kategorien sind immer beteiligt. In jedem Fall fasse ich - aufgrund welcher Kriterien auch immer - eine Gruppe von distinkten Dingen, Gedanken, Tätigkeiten, also Einheiten jeder Art, zu einer Kategorie zusammen. Unter dieser Sichtweise nimmt die Kategorisierung eine wichtige Brückenfunktion zwischen der realen Welt und unserem Denken ein. Kategorien, die für den "naiven" (Leisi 2 1985: 13) Sprachbenutzer in der Welt real vorgegeben zu sein scheinen, sind das Produkt eines Kategorisierungsprozesses, der einzelne realweltliche Erfahrungen auf Kategorien abbildet. Die Kategorisierung wird also hier prinzipiell als kognitiver Prozeß angesehen. Aus diesem Grunde ist auch das zweite Kapitel einer ausführlichen Diskussion der kognitiven Grundlagen der Kategorisierung gewidmet.
Zub) Wie schwer greifbar der Begriff der 'Bedeutung' ist, ist in der Linguistik spätestens seit Ogden & Richards (1923) offensichtlich, die in The Meaning of Meaning 22 Bedeutungen des Wortes "meaning" auflisteten. Einerseits existiert eine Vielzahl verschiedener Bedeutungstheorien7, auf der anderen Seite ist "die" Bedeutung nichts Monolithisches, sondern sie muß in verschiedene Typen aufgespalten werden.8 Von der Bedeutung an sich zu sprechen, stellt also eine grobe Vereinfachung dar. Dies muß klar gesehen werden.9 In einer semantischen Studie muß entsprechend herausgearbeitet werden, was für ein Bedeutungskonzept zugrunde liegt. Dieses Konzept muß aber flexibel bleiben, da es sich zum Teil erst aus der empirischen Arbeit ergeben kann. Ein Bedeutungsbegriff sollte ja nicht a priori dem Bereich theoretischer Gedankenarbeit entspringen, sondern auch empirisch überprüft werden. Eine solche Überprüfung ist eines der Ziele dieser Arbeit.
Für Aussagen ähnlichen Inhalts vgl. z.B. Lakoff & Johnson (1980: 165), Meivis & Rösch (1981: 89), Jackendoff (1983: 77), Wierzbicka (1985: 146), Lakoff (1987a: 5), Langacker (1987a: 369), Taylor (1989: VII). Auch ein von dieser Gruppe so weit entfernter Autor wie der Philosoph Quine (1977: 157) bemerkt über die eng mit der Kategorisierung verbundene similarity: "We cannot imagine a more familiar or fundamental notion than this, or a notion more ubiquitous in its applications." Vgl. dazu Ullmann (1962: 54ff), Geckeler (1971: 45ff), Lyons (1981: 30ff), Lipka (1990a: 52ff). Vgl. dazu Erdmann ("1925: 141ff), Schmidt (* 1967: v.a. 44ff; vgl. auch 3.3), Lyons (1977: 50ff); 1981: 33f), Leech (21981:23). Für Überblicksdarstellungen zum Bereich der Bedeutungstypen vgl. Geckeler (1971: 70ff), Kastovsky (1982:37ff), Lipka (1990a: 46,60ff). Für Bedeutungstypologien im Rahmen der kognitiven Linguistik vgl. Cuyckens (1984a, 1984b), Lewandowska-Tomaszczyk (1988: 20). Lipka (1990a: 5) spricht bei solchen Begriffen in Anlehnung an Enkvist (1973: 17) von "notational terms", die von verschiedenen Forschem in unterschiedlichen Theorien und Kontexten verschieden definiert werden können.
Als Ausgangspunkt kann aber jetzt schon festgestellt werden, daß als Basis für meine Bedeutungsauffassung der Gebrauch der Sprache dient. Meines Erachtens läßt nur die Beobachtung des Sprachgebrauchs verläßliche Rückschlüsse auf die Bedeutung von Sprache zu. Anstelle abstrakter Gedankengebäude und introspektiver Überlegungen schließe ich mich Wittgensteins (1953: 20) Forderung an, bei der semantischen Analyse nach dem Gebrauch von Wörtern zu fragen. Meine Bedeutungsauffassung läßt sich also vorläufig der Gruppe der operationalen Bedeutungsdefinitionen zuordnen.10
Zuc) Vor dem Hintergrund dieses Bedeutungskonzepts ist auch der fundamentale Zusammenhang zu sehen, den ich zwischen Kategorisierung und Bedeutung annehme. Dabei erscheint die Vorstellung von drei verschiedenen Ebenen hilfreich, nämlich der der realen (bzw. von uns real wahrgenommenen) Welt, der des Verstands und der der Sprache. Selbstverständlich sind diese drei Ebenen auch schon in dem wohlbekannten semiotischen Dreieck von Ogden & Richards (101949: 11) enthalten. Entscheidend ist für mich aber der Zusammenhang zwischen den drei Ebenen. Ausgehend von der Sprache sind wir zuerst mit 'Lexemen' konfrontiert, die ich als Abbilder kognitiver Einheiten betrachte. Diese kognitiven Einheiten ('Begriffe', 'concepts') sind ihrerseits im Rahmen der konzeptualistischen Weltsicht, die ich zugrunde lege (vgl. Lyons 1977: 112ff), für die Kategorisierung der Welt verantwortlich. Hier zeigt sich erneut die Mittlerfunktion der kognitiven Ebene, auf der die Kategorisierung abläuft. Als Konsequenz aus dieser Sicht von Welt, Denken und Sprache ergibt sich, daß eine Möglichkeit der Beschreibung von sprachlicher Bedeutung darin liegt, den Inhalt der abgebildeten Kategorie zu beschreiben. Folglich gilt es, eine Beziehung zwischen der realen Welt und der Sprache über das Denken und Wahrnehmen herzustellen. Dies ist gleichzeitig eines der Hauptanliegen der kognitiven Semantik. Übertragen auf meinen ersten empirischen Bereich, das Wortfeld der Häuserbezeichnungen im Englischen, würde dies etwa bedeuten, daß eine Erfassung aller realweltlichen Objekte, die native speakers zur Kategorie COTTAGE oder BUNGALOW zählen würden, letztendlich eine Beschreibung der Bedeutung der Lexeme cottage und bungalow liefert. Bei Abstrakte und Verben ist die Angelegenheit natürlich etwas komplizierter, das Prinzip bleibt jedoch erhalten. Die empirische Arbeit wird zeigen, wieweit mein Bedeutungsansatz auch in diesen Bereichen des Lexikons einsatzfähig ist.
10
Vgl. dazu Ullmann (1962: 64ff), Geckeier (1971: 62ff). Nach Leisi (51975: 113) wurden in den Jahren 1952/53 in drei verschiedenen Schriften unabhängig voneinander operationale Bedeutungsdefinitionen entwickelt, und zwar von P. Kecskemöti, von L. Wittgenstein in den Philosophischen Untersuchungen (1953: 20) und von Leisi selbst in der ersten Auflage von Der Wortinhalt (1952).
2. Kognitive Grundlagen der Kategorisierung Die Literatur zu den kognitiven Aspekten der Kategorien ist unüberschaubar geworden. Die Kategorisierung kann als eine kognitionspsychologische Domäne mit starken Einflüssen auf die sprachwissenschaftliche Forschung gelten. Einen guten Einstieg in den Problemkreis bietet das Buch von Smith & Medin (1981), das einen umfassenden Überblick über verschiedene Kategorisierungstheorien vermittelt. Smith & Medin unterscheiden mit Hilfe von zwei Fragen drei grundsätzlich verschiedene Ansätze, die sich in der Literatur in mehreren Varianten niederschlagen (vgl. Abb. 2.1).
Unitary Representation ?
no Exemplar View
Properties True of All Members ?
no Probabilistic View
Classical View
Abb. 2.1: Kategorisierungstheorien nach Smith & Medin (1981: 4) Die Frage nach einer einheitlichen Repräsentation eines Begriffs trennt den exemplarischen Ansatz (die Antwort lautet "nein") \omprobabilistischen und dem klassischen Ansatz (beide antworten mit "ja"), die sich ihrerseits durch ihre Einstellung zum Status der Attribute voneinander abgrenzen lassen: Für den klassischen Ansatz sind die Merkmale für alle Mitglieder einer Kategorie wahr, für den probabilistischen Ansatz nicht. In meinen folgenden Darstellungen wird der Schwerpunkt nach einer kurzen Charakterisierung der klassischen Theorie auf der sog. Prototypentheorie liegen, die bei Smith & Medin je nach Entwicklungsphase unter den exemplarischen oder den probabil istischen Ansätzen zu finden ist. Die Prototypentheorie nimmt hier deshalb einen so breiten Raum ein, weil sie als Antwort auf die lange Zeit vorherrschende klassische Theorie in den letzten beiden Jahrzehnten bedeutende Auswirkungen auf das Denken in der sprachwissenschaftlichen Theorie und Praxis hatte. Darüber hinaus ist sie eine vergleichsweise junge Strömung, die in Deutschland bei weitem noch nicht die Verbreitung und das Ansehen genießt, die ihr meines Erachtens aufgrund ihrer interessanten und revolutionären Erkenntnisse zukommen.
Ein letztes einleitendes Wort sei zum Zusammenhang zwischen der Forschung zur Kategorisierung und Theorien des sog. mentalen Lexikons, also unseres imaginären Wortspeichers im Gedächtnis, eingefügt. Zwischen den beiden Bereichen besteht vor allem in der empirischen Forschung eine enge Beziehung der gegenseitigen Beeinflussung und Ergänzung. Die vorliegende Arbeit hat zum primären Gegenstand die Kategorisierung im Hinblick auf ihre Interdependenz mit der Bedeutung sprachlicher Einheiten. Deshalb soll hier nur kurz auf die wichtigsten Modelle und Überblicksdarstellungen verwiesen werden. Als gute Übersicht eignet sich das überaus verständlich und ansprechend geschriebene Buch von Jean Aitchison (1987), auf das ich auch in anderen Kontexten noch detaillierter verweisen werde. Daneben sind Hörmann (1976, 1981), Smith (1978) und Smith & Medin (1981) als Einstieg hilfreich. Die bedeutendsten Modelle des mentalen Lexikons, so z.B. das "feature comparison model" (Smith, Shoben & Rips 1974), das "marker search model" (Glass & Holoyak 1975) und das "property comparison model" (Me Cioskey & Glucksberg 1978, 1979), bauen auf dem Konzept der Dekomposition von Begriffen in Merkmale auf. Ein weiteres Modell, das in der Literatur große Resonanz gefunden hat, ist das "spreading activation model" von Collins & Loftus (1975). Diesem liegt die Vorstellung des mentalen Wortspeichers als Netzwerk von Knoten zugrunde, das durch die semantischen Beziehungen zwischen den Lexemen entsteht.1 Wird ein Begriff aktiviert, so breitet sich die Aktivität auf den Pfaden des Netzwerks aus, wobei ihre Intensität immer mehr abnimmt. Durch die Nennung des Lexems red beispielsweise (Collins & Loftus 1975: 412) werden durch die Aktivierungsverbreitung Begriffe aktiviert, die semantisch oder konzeptuell eng mit der Farbe rot verbunden sind und deshalb im mentalen Lexikon nahe bei red angeordnet sind: typischerweise rote Objekte wie fire engine, apples, ehernes, violets, roses, sunsets, davon wiederum ausgehend, allerdings mit geringerer Intensität, auch flower, sunrises, clouds usw.
2.1 Die klassische Theorie der Kategorisierung Die klassische (oder auch aristotelische) Theorie der Kategorisierung2 ist in ihrer Denkweise eng mit dem metaphysischen Realismus bzw., in Lakoffs Ausdrucksweise, mit einer objektivistischen Weltanschauung (1982: 4ff, 15) verbunden. Dieser Weltanschauung liegt die Vorstellung zugrunde, daß eine Welt unabhängig vom betrachtenden oder denkenden Subjekt existiert, und daß die Dinge in dieser Welt sich durch jeweils spezifische, ihnen inhärente
Für eine Weiterentwicklung einer solchen psycho]inguistiscb orientierten Konzeption des Lexikons als Netzwerk und die gleichzeitige Umsetzung für die Implementierung in eine On-line-Dalenbank vgl. die Artikel zum sog. WordNel Projekt im Internationaljournal of Lexicography Vol.3, No.4, v.a Miller et al. (1990), aber auch Beckwith & Miller (1990), Fellbaum (1990), Gross & Miller (1990), und Miller (1990). Vgl. Smith & Medin (1981: 22-61) für eine ausführlichere Diskussion.
Eigenschaften auszeichnen. Der historische Ursprung dieser Vorstellung liegt, wie so oft, in den Gedanken Platons und vor allem Aristoteles'. Gemäß der klassischen Theorie haben die Kategorien folgende Kennzeichen:3 Die Kategorien in der Welt werden durch zusammenfassende Begriffe abgebildet. Diese Begriffe lassen sich am geeignetsten mit Hilfe von Merkmalen darstellen (Smith & Medin 1981: 25). Die Merkmale stellen eine Verbindung zwischen den Begriffen und den Dingen in der Welt dar. Einerseits dienen sie der Spezifikation der Intension der Begriffe, und andererseits sind sie den Mitgliedern der Kategorie bzw. der Extension des Begriffs inhärent (Mervis & Rösch 1981: 90). Ein Beispiel mag diese Beziehung verdeutlichen: Der Begriff screw hätte etwa die folgenden Merkmale (nach Nida 1975: 47ff):4 inanimate, artefact, made of metal, functions as rigid fastener5, shape: a head at one end of a relatively long shank, threaded. Diese Merkmale sind definierende Merkmale, d.h. sie sind jedes für sich allein notwendig und in ihrer Gesamtheit hinreichend, um den Begriff zu beschreiben (vgl. Smith & Medin 1981: 25; Lakoff 1982: 15). Alle Objekte, die über die definierenden Qualitäten verfügen, sind Mitglieder der jeweiligen Kategorie. Folglich haben alle Mitglieder der Kategorie denselben Status, sind also gleichwertig (Rösch & Mervis 1975: 574, Lakoff 1982: 15). Die Kategorien haben klare Grenzen, die sich aus ihrer internen Definition durch die Merkmale ergeben und die somit unveränderbar sind. Ein Objekt ist in jedem Fall eindeutig einzuordnen: Entweder es gehört zu einer fraglichen Kategorie, weil es die notwendigen und hinreichenden Bedingungen erfüllt, oder es gehört ihr nicht an, falls notwendige Bedingungen fehlen. Zusammenfassend lassen sich folgende Punkte im Hinblick auf die Kategorien gemäß einer klassischen Theorie festhalten:
-
Die Definition der Kategorien geschieht ausschließlich intern durch notwendige und hinreichende Bedingungen der Kategorienzugehörigkeit. Die Kategoriengrenzen sind klar definiert, starr und unveränderbar. Die Kategorienmitglieder sind alle gleichwertig, da sie alle dieselben gemeinsamen Merkmale haben.
Diese Charakterisierung lehnt sich an Rösch & Mervis (1975), Mervis & Rösch (1981), Smith & Medin (1981) und Lakoff (1982) an. Eine leicht abweichende, aber völlig kompatible Darstellung findet sich unter der Bezeichnung "categorical view" bei Labov (1973: 342ff). Auch Taylor (1989: 21-37) gibt einen leicht verständlichen Überblick und bemerkt vernünftigerweise, daß eine solche Kurzdarstellung des klassischen Ansatzes sowohl stark vereinfachend als auch übertreibend ausfallen muß (1989: 22). Dies gilt in gleichem Maße für die hier vorliegende Wiedergabe der klassischen Theorie. Diese Merkmalsliste orientiert sich bewußt nicht an bestehenden Konventionen der Merkmalssemantik (vgl. z.B. Bierwisch 1970; Lipka 1972: 30-83; Lipka 1979:189-196; Sprengel 1980; Schneider 1988: 40-67), um ihren rein exemplarischen und unideologischen Charakter zu unterstreichen. Dieses von Nida genannte Merkmal entspricht nicht mehr einer reinen klassischen Kategorisieningstheorie, weil es sich dabei nicht um ein inhärentes Merkmal handelt, sondern um ein funktionales, das einen interagierenden und denkenden Organismus voraussetzt.
Untergeordnete Begriffe innerhalb von Begriffs Hierarchien, z.B. rigid fastener - screw · pointed Phillips screw haben die jeweiligen definierenden Merkmale der übergeordneten Begriffe in ihrem Merkmalsinventar eingebettet (Smith & Medin 1981: 25).
2.2 Die Roschsche Revolution: Die Prototypentheorie
Der im letzten Abschnitt geschilderte klassische Ansatz der Kategorisierung wurde beginnend mit dem Anfang der 70er Jahre heftig in Frage gestellt. Maßgebliche Ausgangspunkte in dieser vergleichsweise jungen kritischen Entwicklung waren die Experimente und Erkenntnisse von Anthropologen wie etwa Berlin & Kay6 und Psychologen wie Rösch, Mervis und ihren Mitarbeitern7, sowie von einigen Linguisten.8 Auf der theoretischen Ebene ist diese Strömung stark durch Wittgensteins Philosophische Untersuchungen und speziell durch die mittlerweile wohlbekannte Passage zur Kategorie SPIEL (1953: 66f) beeinflußt worden. Ob Wittgenstein tatsächlich als geistiger Vater der sog. Prototypentheorie angesehen werden kann, ist umstritten.9 Unstrittig ist aber, daß der entscheidende Anteil an der Entwicklung der Prototypentheorie der Arbeit von E.H. Rösch und ihren Mitarbeitern zuerkannt werden muß. Der Ausdruck Roschsche Revolution, den ich von Posner (1986: 53) übernommen habe, erscheint mir deshalb durchaus gerechtfertigt. Ziel dieses Abschnittes ist es, Ursprünge, Entwicklung und Kemaussagen der Prototypentheorie darzustellen. Es scheint mir angebracht, in einem ersten Schritt über die wichtigsten Versuche Roschs zuerst möglichst wertungsfrei und objektiv zu berichten (vgl. 2.2.1). Auf diese Weise soll es dem Leser ermöglicht werden, sich von den so häufig anzitierten und so selten beschriebenen Versuchen Roschs ein relativ eigenständiges und unvoreingenommenes Bild zu machen. Erst im zweiten Schritt werde ich auf die Deutung der Ergebnisse durch Rösch selbst und durch andere eingehen (vgl. 2.2.2). Als Ergänzung zu Roschs Experimenten, die vor allem die Frage der Kategorienzentren betreffen, werden in 2.2.3 die semantischen Versuche Labovs (1973, 1978) referiert, die die Problematik der Kategoriengrenzen zum Hauptgegenstand haben. Schließlich wird Abschnitt 2.2.4 den Begriff Prototyp einer kritischen Betrachtung unterziehen und ihn in 2.2.4.2 von dem ähnlichen Konzept der Stereotypen abgrenzen sowie die jeweiligen Stärken und Schwächen der beiden Konzepte herausarbeiten.
6
Vgl. Berlin & Kay (1969), Berlin et al. (1973), Kay & McDaniel (1978) und die Verweise dort.
7
Vgl. Reed (1972), Rösch (1973a, 1973b, 1975a, 1975b, 1977,1978, 1988), Rösch & Mervis (1975), Rösch et al. (1976); Mervis & Rösch (1981). Vgl. auch die Veröffentlichungen E. Roschs unter ihrem früheren Namen E.R. Heider in der Bibliographie.
8
Vgl. Lakoff (1972), Labov (1973, 1978), Fillmore (1975a, 1975b, 1976, 1977b, 1978).
9
Vgl. etwa Givon (1986: 81 ff), der dies abstreitet.
10
2.2.1 Empirische Erkenntnisse Zentrales Angriffsziel der ersten Phase der Experimente Roschs (1973a, 1973b, 1975a, 1975b) ist die Behauptung der klassischen Kategorisierungstheorie, alle Mitglieder einer Kategorie seien im Status gleichwertig. Roschs Vorstellung sieht anders aus: Kategorien haben eine interne Struktur, in der manche Kategorienmitglieder als bessere Beispiele oder klarere Fälle hervorgehoben sind. Kategorienmitglieder weisen unterschiedlich große Ähnlichkeit zu diesen sog. Prototypen10 auf und variieren demnach im Grad ihrer Kategorienzugehörigkeit (Rösch 1975b: 193).
2.2.1.1 Farben und Formen Die ersten Berichte von Experimenten, die ich hier darstellen möchte (Rösch 1973a, 1973b), stützen sich auf Versuche, die Rösch unter ihrem früheren Namen E.R. Heider veröffentlicht hat.11 Gegenstand dieser Publikationen war aufbauend auf Berlin & Kay (1969) der Bereich der Farben. Versuchspersonen (VPn) waren in Heider (1971) Kinder und in Heider (1972) die Dani, ein unter steinzeitlichen Bedingungen lebender Eingeborenenstamm in Indonesisch Neu Guinea. Berlin & Kay (1969) hatten argumentiert, daß es eine begrenzte Anzahl von basic color terms gebe. Wurden Informanten verschiedener Kulturen nach den besten Beispielen für ihre, jeweiligen Grundfarben gefragt, so neigten sie dazu, dieselben Bereiche aus dem Farbspektrum auszuwählen. Diese überkulturell auffälligen oder hervorstechenden (engl. salient) Zonen des Spektrums wurden von Berlin & Kay als focal points bezeichnet. Rösch war es nun in den Versuchen Heider (1971) und (1972) gelungen nachzuweisen, daß Kinder, schon bevor sie die jeweiligen Farbtermini erwarben, sich an den Fokalpunkten orientierten. Weiterhin hatte sie festgestellt, daß die Dani, deren Sprache keinen der acht chromatischen Farbtermini enthielt12, sich Ausdrücke für Fokalfarben besser merken konnten als für andere Farben. Auch in Rösch (1973b)13 wurden als VPn Angehörige des Danistamms eingesetzt. Ziel der Farbexperimente war es festzustellen, ob Kategorien mit einer natürlichen internen Struktur, d.h. Kategorien, die um Fokalfarben als Zentrum angeordnet sind, genauso leicht
Der englische Terminus prototype stammt in dieser Verwendung von Reed (1970). Die Charakterisierung als "bestes Beispiel", "klarster Fall" oder "typischstes Kategorienmitglied" mag in diesem Stadium als Provisorium genügen, bis wir den Begriff vor dem Hintergrund der gesamten Entwicklung von Roschs Arbeit in 2.2.4 kritischer werten können. 11
Heider (1971), Heider (1972), Heider & Oliver (1972). Ihre beiden Termini mili und mola denotierten lediglich die Unterscheidung zwischen hell/ warm und dunkel/ kalt. Dementsprechend sind sie der ersten Stufe in der universellen evolutionären Folge nach Berlin & Kay (1969: 14ff; vgl. auch Wierzbicka 1990b: 130f, 142ff) zuzurechnen. Ich werde im folgenden aus Rösch (1973b) zitieren. Rösch (1973a) ist im ersten Teil inhaltlich weitgehend identisch, der zweite Teil leitet die Experimente in Rösch (1975b) ein.
11 oder schwer erlernt würden wie "unnatürliche" Kategorien. Dazu wurden drei verschiedene Kategoriengruppen aus Farbchips aufgestellt: zwei Gruppen mit den angenommenen Fokalfarben im Zentrum der Kategorie, zwei Gruppen mit Farben als Kategorienzentrum, die an den Grenzen der jeweiligen Farbbereiche lagen, und zwei Gruppen mit den Fokalfarben an der Peripherie der Kategorie. Um die Erkenntnisse aus dem Farbbereich auch auf andere Wahrnehmungsbereiche auszudehnen, wurde dasselbe Versuchsprinzip auf geometrische Formen übertragen. Als fokale oder prototypische Formen kamen die sog. Guten Formen der Gestaltpsychologie, Quadrat, Kreis und gleichseitiges Dreieck, zum Einsatz. In beiden Fällen wurden die VPn angeleitet, die jeweiligen Termini für die ihnen bislang unbekannten Kategorien zu lernen und im Gedächtnis zu behalten. Im Überblick können wir die folgenden Ergebnisse vermerken (Rösch 1973b: 348):
-
-
VPn aus einer Kultur, die weder Färb- noch Formbegriffe verwendet hatten, lernten Namen für angenommene natürliche Prototypen schneller als für andere Stimuli, sogar wenn der natürliche Prototyp nicht das zentrale Mitglied einer Kategorie war. Angehörige dieser Kultur lernten Färb- und Formbegriffe leichter, wenn die angenommenen natürlichen Prototypen die zentralen Mitglieder waren, als wenn die Kategorie auf andere Weise organisiert war. Zumindest bei den Formen neigten die VPn dazu, ihre Definition einer Kategorie in Richtung des natürlichen Prototypen zu verzerren, d.h. sie hielten häufig den natürlichen Prototyp für das typischste Mitglied, selbst wenn er in der fraglichen Kategorie eigentlich peripher war.
2.2.1.2 Kognitive Bezugspunkte In Rösch (1975a) wird erneut die Problematik der Prototypen angesprochen. Sie werden hier als cognitive reference points bezeichnet, ein Ausdruck, der in der weiteren Entwicklung Roschs und bei anderen Autoren nur sehr spärlich verwendet wird. Gegenstandsbereiche der Versuche waren wiederum die Farben, sodann Linien im zweidimensionalen Raum und die Zahlen. Als kognitive Bezugspunkte wurden die Fokalfarben (vgl. Rösch 1973b), im Bereich der Linien vertikale, horizontale und diagonale Linien und bei den Zahlen die Vielfachen von zehn angenommen. Zum Einsatz kamen zwei Versuche: ein sprachliches Experiment mit Hilfe der von Lakoff (1972) postulierten hedges und ein räumliches Experiment über die Einschätzung der psychologischen Distanz. Stimuli waren jeweils Paare von Farben, Linien und Zahlen, deren beide Bestandteile es einander zuzuordnen galt. Im sprachlichen Experiment war der Unterschied zwischen den beiden Stimuli durch die jeweilige hedge vorgegeben, während die Wahl der Bezugspunkte den VPn überlassen wurde; im Gegensatz dazu war bei den räumlichen Aufgaben der Bezugspunkt festgelegt, während die Distanz bzw. der Unterschied von der Versuchsperson gewählt werden mußte.
12 Im ersten Experiment bekamen die Vpn die Aufgabe, Paare in sprachliche Rahmen der folgenden Art einzusetzen: is essentially . is basically . is sort of . is almost is roughly Loosely speaking is
.
Die Hypothese bezüglich der kognitiven Bezugspunkte konnte voll bestätigt werden. Mit hoher Konsistenz verteilten die VPn die Paare von items so, daß der angenommene Bezugspunkt in die erwartete Bezugsposition kam (Rösch 1975a: 540); also etwa pink is sort of red anstelle von red is sort of pink, 89 is almost 90 anstatt 90 is almost 91. Im zweiten Versuch mußten dieselben Stimulipaare auf einer halbkreisförmigen Fläche räumlich zueinander angeordnet werden. Prinzipiell ergab dieses Experiment eine weitere Bestätigung der Hypothese bezüglich der angenommenen kognitiven Bezugspunkte. Kleine Unterschiede im Detail in bezug auf die Dimensionen Sättigung und Farbton bei den Farben und die verschiedenen Methoden sind hier nicht von Bedeutung. Als wichtiges Ergebnis der Studie hält Rösch (1975a: 544f) fest, daß nicht alle Mitglieder einer Kategorie gleichwertig sind, und daß die jeweils besten Beispiele einer Kategorie, oder Prototypen, als kognitive Bezugspunkte fungieren, im Hinblick auf welche die Kategorienzugehörigkeit anderer Kategorienmitglieder beurteilt wird.
2.2.1.3 Semantische Kategorien Auch in den Experimenten, über die in Rösch (1975b) berichtet wird, lag das Hauptaugenmerk auf der internen Struktur der Kategorien. Die zentrale Frage dieser Versuche lautete, ob die interne Struktur auch für andere als die bisher getesteten Bereiche nachweisbar ist, oder anders ausgedrückt, ob VPn auch für andere Bereiche ein Urteil über die interne Struktur abgeben könnten. Dieses Interessengebiet war gleichsam in einer Pilotstudie auch schon in Rösch (1973a) mit zwei Experimenten angesprochen worden. Weiterhin war die Frage von Interesse, inwieweit die interne Struktur von Kategorien Auswirkungen auf die Verarbeitung von kognitiven Kategorien hat. Von besonders weitreichender Bedeutung ist das erste Experiment aus dieser Versuchsreihe: hier wurden Typikalitätsskalen für Objekte aus neun Bereichen erarbeitet, die als Grundlage nicht nur für die weiteren Versuche in diesem Artikel, sondern auch für andere Veröffentlichungen diente (z.B. Rösch & Mervis 1975, Rösch et al. 1976). Die VPn hatten in diesem Experiment die Aufgabe, Objekte auf einer Sieben-Punkte-Skala im Hinblick auf ihre Typikalität für den übergeordneten Begriff einzuordnen. Die übergeordneten Begriffe waren furniture, fruit, vehicle, weapon, vegetable, carpenter's tool, bird, sport, toy und
13
clothing. Zu beurteilen galt es Objekte wie z.B. automobile, bicycle, camel, elevator im Bereich vehicle oder saw, hammer, pencil, brush, crane im Bereich carpenter's tool. 209 VPn nahmen an dem Versuch teil. Statistische Auswertungen erlaubten es, eine Typikalitätsskala für jeweils 50 Objekte aufzustellen. Die Skalen kamen in den weiteren Experimenten als Normen zum Einsatz. So ergaben die statistischen Normtabellen etwa für die Kategorie VEGETABLE, daß pea und carrot prototypischen Status haben, während potato und parsnip mittelmäßige und dandelion, peanut und rice sehr wenig typische Kategorienmitglieder sind. Die Darstellung der weiteren sieben Experimente aus Rösch (1975b) wäre unnötig langatmig. Zum Einsatz kamen in erster Linie Versuche, die sich der sog. PrwwVig-Technik bedienten, d.h. der Vorgabe von Stimuli in Form von Wörtern oder Bildern. Wichtigstes Ergebnis der Versuche war die Erkenntnis, daß die interne Struktur ein durchgängiger Aspekt bei den untersuchten übergeordneten Begriffen ist. Als zweite fruchtbare Erkenntnis trat neben anderen (vgl. Rösch 1975b: 224ff) zutage, daß die kognitive Repräsentation von Kategorien mit der taxonomischen Tiefe eines Begriffs variiert. Nur Begriffe unterhalb der übergeordneten Ebene waren in der Lage, konkrete physikalische Repräsentationen hervorzurufen. Dieses Ergebnis ist deshalb so bedeutsam, weil es den Ausgangspunkt für die zweite Phase der Roschschen Experimente bildet, in denen das Prinzip der Familienähnlichkeiten, die taxonomische Tiefe und speziell die Basisebene (basic level) der Kategorien zum vorrangigen Erkenntnisinteresse werden.
2.2.1.4 Familienähnlichkeiten In Rösch & Mervis (1975) geht es um die theoretische Fundierung und die statistische Absicherung des Prototypenbegriffs. Zur Verfolgung dieser beiden Ziele wird auf Wittgensteins in den Philosophischen Untersuchungen postuliertes Konzept der Familienähnlichkeiten und auf das statistische Maß der Reizvalidität (cue validity) zurückgegriffen. Berücksichtigt werden weiterhin das unterschiedliche Verhalten von Kategorien verschiedener taxonomischer Tiefen - übergeordnete Kategorien und Kategorien der Basisebene werden getrennt - und der Unterschied zwischen semantischen und künstlichen Kategorien. Zum Einsatz kamen die Methoden der Attributenauflistung, der Kategorienzuordnung, der Prototypikalitätsbeurteilung und des Kategorienlernens bzw. -identifizierens. Damit gelang für übergeordnete natürliche Kategorien (z.B. WEAPON, CLOTHING), Kategorien der Basisebene (z.B. CAR, TRUCK, CHAIR, TABLE, LAMP) und künstliche Kategorien (Buchstabenketten) der Nachweis, daß die prototypischen Mitglieder von Kategorien diejenigen sind, welche die meisten Attribute mit den anderen Mitgliedern der Kategorie gemeinsam haben und die wenigsten Attribute mit Mitgliedern anderer Kategorien teilen. Bei den künstlichen und somit besonders gut manipulierbaren Kategorien zeigte sich eine enge Korrelation zwischen der internen Kategorienstruktur und typischen psychologischen Meßgrößen: Familienähnlichkeit innerhalb der Kategorien und geringe Überlappungen zwischen Kategorien auf der einen Seite korrelierten mit Parametern wie Lerntempo, Reaktionszeit bei der Identifikation von Items nach dem Lernen der Kategorie und Prototypikalitätsbeurteilungen auf der anderen Seite.
14
2.2.1.5 Basiskategorien Rösch & Mervis (1975) markiert den Übergang von der Prototypenphase zur Basisebenenphase (vgl. Lakoff 1982: 16f) der Roschschen Versuche. In Rösch et al. (1976) rückt die Basisebene der Kategorisierung in den Brennpunkt des Interesses. Der Artikel beschreibt 12 Experimente, die im einzelnen darzustellen die Geduld und Ausdauer des Lesers arg strapazieren würde. Ich möchte mich deshalb mit einem Bericht der Gegenstandsbereiche, Ziele und wichtigsten Ergebnisse begnügen. Stimuli in den Experimenten waren konkrete Objekte, Zeichnungen und Termini aus neun Bereichen, die sich teilweise mit denen aus Rösch (1975b) deckten. Die items entstammten drei verschiedenen taxonomischen Ebenen; es handelte sich um drei biologische und sechs nicht-biologische Taxonomien. Die Versuche waren darauf ausgerichtet, Objekte der Basisebene (basic objects) operational zu definieren und weitere Implikationen der Basisebene der Kategorisierung aufzudecken. Folgende Ergebnisse sind von besonderer Bedeutung; von ihnen sind zum Teil auch die eingesetzten Methoden indirekt abzuleiten:
-
-
Es gibt eine Basisebene der Abstraktion in Taxonomien von konkreten Objekten, die die umfassendste Ebene ist, auf der die Objekte einer Kategorie eine größere Anzahl von Attributen gemeinsam haben. Diese Basisebene ist gleichzeitig die abstrakteste Ebene, auf der Objekten spezifische Bewegungsmuster größerer Anzahl zugeordnet werden können. Während etwa jede Art von Stuhl mit den spezifischen Bewegungsmustern sich-darauf-setzen und aufstehen verbunden werden kann, ist eine derartige Gemeinsamkeit für die Angehörigen eines übergeordneten Begriffs wie Möbel nicht möglich. Ein untergeordnetes Objekt wie KüchenStuhl erhöht die Zahl der typischen spezifischen Bewegungsmuster nur wenig oder gar nicht. Objekte der Basisebene nehmen eine signifikante Sonderstellung zwischen übergeordneten und untergeordneten Begriffen ein im Hinblick auf die Ähnlichkeit in der Gesamtform der Kategorienmitglieder und in bezug auf die Identifizierbarkeit von stilisierten Darstellungen der Objekte. Sie werden als perzeptuelle und funktionale Gestalten wahrgenommen. Objekte werden zuerst und am schnellsten als Mitglieder ihrer Basisebenenkategorie identifiziert. Die Basisebene der Kategorisierung entwickelt sich als erste bei Kindern in einer erwachsenenähnlichen taxonomischen anstatt einer assoziativen oder anekdotischen Form. Die Namen für Mitglieder der Basisebenenkategorien werden zur Beschreibung von Bildern bevorzugt verwendet, sie sind in den ersten Äußerungen von Kindern vorrangig vertreten und scheinen - wie ein Vergleich zwischen Englisch und ASL (American Sign Language) ergab - die notwendigste Ebene der Sprache darzustellen. Unerwartet war das Ergebnis, daß bei den biologischen Taxonomien die angenommene übergeordnete Ebene der Kategorisierung (TREE, BIRD, FISH etc.) aus dem Test als Basisebene hervorging. Tree, bird und fish sind also als Termini auf der Basisebene anzusehen,
15
während die ursprünglich als Basisebene angesetzten maple, oak, trout, salmon, eagle, sparrow schon der untergeordneten Ebene zuzurechnen sind.14
2.2.2 Interpretation der Experimente Im letzten Abschnitt habe ich versucht, Rosens Experimente losgelöst von ihren jeweiligen Interpretationen zu referieren. In diesem Abschnitt werde ich nun zur Darstellung der Deutung der Versuche übergehen und auf diese Weise aufzeigen, wie Rösch ihre Experimente zu einem umfassenden Modell der Kategorisierung ausweitet. Grundsätzlich muß dazu eingangs unterstrichen werden, daß Rösch selbst ihre Versuchsergebnisse überaus vorsichtig auslegt und sich voreiliger theoretischer Schlußfolgerungen so weit wie möglich enthält. Die unter 2.3 angeführten Kritiker der Prototypentheorie verfallen manchmal der Versuchung, nicht Roschs, sondern die eigene Interpretation der Versuche anzugreifen. Zusätzlich zu den in 2.2.1 erwähnten Veröffentlichungen werden in diesem Abschnitt Rösch (1977), (1978) und (1988) sowie Mervis & Rösch (1981) Berücksichtigung finden. Alle vier Artikel, vor allem aber der zuletzt genannte, geben einen guten Überblick über die verschiedenen Versuchsreihen und eignen sich deshalb hervorragend als Erstlektüre für Novizen auf dem Gebiet der Prototypentheorie. Mit Rösch (1988) liegt eine aus beträchtlichem zeitlichen Abstand heraus geschriebene Zusammenfassung vor, in der Rösch in leicht lesbarer Form Ursprünge, Entwicklung, Ausweitung und Aussichten der Prototypentheorie Revue passieren läßt. Da es unmöglich und unnötig ist, hier alle Details bezüglich der Interpretation der Experimente aufzurollen, werde ich mich im folgenden auf die Aspekte des Bereichs beschränken, die die nachhaltigsten Auswirkungen auf den Forschungsbereich hatten: ausgehend vom zentralen Argument der Nicht-Arbitrarität von Attributen in der Welt (2.2.2.1) werden die Erkenntnisse zur Basisebene der Kategorisierung und zu den Prototypen zu referieren sein. Eng damit verbunden ist die Frage nach der Natur der Attribute (2.2.2.2). Schließlich werden zwei wichtige Aspekte der Roschschen Versuchsergebnisse, nämlich der Status des Prototypenkonzepts (2.2.2.3) und die Frage nach der Universalität des Prototypenkonzepts, (2.2.2.4) diskutiert werden.
2.2.2.1 Nicht-Arbitrarität von Attributen in der Welt Ein zentrales Argument, das sich wie ein roter Faden durch die ganze Entwicklung der frühen Prototypentheorie verfolgen läßt15, ist die Behauptung, daß Attribute in der Welt nicht arbiträr
14
Zur Frage der Relativität der Basisebene und der Kategorienhierarchien generell vgl. 2.3.2 und 2.4.4.
15
Vgl. Rösch (1973b: 329; 1977: 28-30); Rösch et al. (1976: 383); Mervis & Rösch (1981: 91f).
16
verteilt sind, sondern strukturiert auftreten.16 Dies hat für Rösch vor allem vor dem Hintergrund der psychologischen Versuchspraxis bis zu den 70er Jahren - die meisten Experimente bedienten sich arbiträrer künstlicher Attribute - und der jahrtausendelangen Tradition aristotelischer Kategorien revolutionären Charakter. Im Bereich der Farben und Formen wurde herausgefunden, daß es bestimmte Farbbereiche im Spektrum (Fokalfarben) und bestimmte Formen (die guten Formen der Gestaltpsychologie) gibt, die im Hinblick auf die Wahrnehmung eine prominente Position einnehmen und maßgeblich an der Kategorienbildung beteiligt sind. Für alltägliche Objekte in der Welt weisen folgende Indizien auf eine strukturierte Verteilung von Attributen hin: -
Lebewesen weisen typische Bündel von Merkmalen auf. So neigen z.B. Lebewesen, die Federn haben, eher dazu, auch Flügel als Merkmale zu haben, als solche, die einen Pelz tragen. Dasselbe Phänomen der Merkmalsbündelung und -korrelation läßt sich am Beispiel des Wortfelds der Häuserbezeichnungen (vgl. 4.2.2) beobachten. Auf einer bestimmten Ebene der Kategorisierung, der Basisebene, scheint die Clusterbildung von Attributen besonders ausgeprägt zu sein. Ist die Struktur von Attributen in manchen Bereichen nicht besonders dominant, so wird der Mensch sie aus Gründen der kognitiven Ökonomie übertreiben oder erzeugen.17
Die beiden letzten Punkte, die so kurz formuliert vielleicht noch etwas vage klingen mögen, leiten direkt über zu den Ergebnissen bezüglich der Basisebene der Kategorisierung.18 Roschs Theorie zur Basisebene bei konkreten Objekten hat zwei Wurzeln: zum einen die Erkenntnisse von Berlin & Kay 1969 zu den basic color terms und zum anderen die fünf ethnobiologischen Kategorienebenen, wie sie unter anderem in Berlin et al. (1973: 214f; vgl. auch 2.4.4, S.?) dargestellt sind: 1. "unique beginner" 2. "life form" 3. "folk genera" 4. "specific taxa" 5. "varietal taxa"
(z.B. plant, animal) (z.B. tree, grass, mammal) (z.B. oak, robin, cat) (z.B. post oak, white fir) (z.B. baby lima bean, butter lima bean)
Von entscheidender Bedeutung ist die dritte, die generische Ebene, von der Rösch die Basisebene der Kategorisierung ableitet. Aufbauend auf die verschiedenen besonderen Eigenschaften dieser Ebene (vgl. die Darstellung von Rösch et al. 1976 in 2.2.1.5) stellt Rösch
16
Hier drängt sich natürlich zuerst einmal die Frage auf, ob die Attribute wirklich "in der Welt" oder vielleicht vielmehr im kognitiven Bereich zu suchen sind. Auf diese Zuordnungsfrage werde ich weiter unten im Punkt 2.2.2.2 gesondert eingehen.
17
Erneut wird hier die Schwierigkeit einer klaren Trennung der realweltlichen und der kognitiven Ebene deutlich.
18
Vgl. Rösch (1977: 30-35; 1978: 30-35); Rösch et al. (1976: 384); Mervis & Rösch (1981: 92-95).
17
fest, daß die Basisebene die fundamentalste Stufe der Hierarchie im Hinblick auf den Kategorienerwerb und die Kategorienverarbeitung ist. Es handelt sich um diejenige Ebene, auf welcher die intrakategoriale Ähnlichkeit im Vergleich zur interkategorialen Ähnlichkeit ihr Maximum erreicht. Während Oberbegriffe wie FURNITURE oder VEHICLE wenige oder keine gemeinsamen Attribute aufweisen19, zeichnen sich die Mitglieder der Kategorien CHAIR, SOFA, CAR oder TRUCK durch ein relativ hohes Maß an Ähnlichkeit aus. Untergeordnete Begriffe haben wiederum zu viele Merkmale mit den kontrastierenden Kategorien gemeinsam, z.B. KITCHEN CHAIR und DESK CHAIR. Diese Verhältnisse der Attributenverteilung lasssen sich mit Hilfe des statistischen Maßes der Reizvalidität beschreiben.20 Die Validität eines gegebenen Reizes als Indikator für eine gegebene Kategorie steigt mit der Häufigkeit, mit der der Reiz mit der Kategorie verbunden ist, und sinkt, wenn die Häufigkeit, mit der mit anderen Kategorien verbunden ist, steigt.21 Die Attributenverteilung bei Mitgliedern der Basisebene der Kategorisierung läßt sich auch - und dies stellt einen weiteren Schritt in der Entwicklung der Interpretation Roschs dar22 mit Hilfe der kognitiven Ökonomie ausdrücken.23 Die Basisebene ist in dieser Interpretation diejenige Abstraktionsebene, auf welcher der Organismus die größte Information mit dem geringsten kognitiven Aufwand erhält. Effektivität und Effizienz halten sich hier die Waage. In der Terminologie der traditionellen Logik würde man davon sprechen, daß auf dieser Stufe ein ideales Verhältnis von Intension und Extension herrscht, d.h. Basiskategorien denotieren ein Maximum an Objekten, ohne gleichzeitig zu wenig Bedeutungsinhalt zu haben. Der Sonderstatus der Basisebene unter den drei Abstraktionsebenen spiegelt sich innerhalb der Kategorien in den Prototypen wider.24 Die Prototypen entwickeln sich durch dieselben Prinzipien, die durch die Maximierung der Reizvalidität und der kognitiven Ökonomie beschreibbar sind. Je prototypischer ein item für seine jeweilige Kategorie ist, desto mehr Attribute hat es mit den anderen Mitgliedern der Kategorie gemeinsam und desto weniger teilt es mit den Mitgliedern anderer, kontrastierender Kategorien. Diese Attributenverteilung wird unter Rückgriff auf Wittgenstein (1953) mit dem Terminus Familienähnlichkeiten belegt (Rösch & Mervis 1975; Mervis & Rösch 1981: 99f). Damit wird gleichzeitig einerseits die Tatsache angesprochen, daß die Kategorienmitglieder nicht ein gemeinsames Merkmal haben
19
Das gemeinsame Attribut der "Möbelhaftigkeit" oder "Fahrzeughaftigkeit" ist nicht nur, wie Wolski (1988: 419) bemerkt, komplex und dekomponierbar, sondern auch hoffnungslos zirkulär.
20
Vgl. Rösch & Mervis (1975: 575); Rösch et al. (1976: 3841); Smith & Medin (1981: 78ff). So hätte beispielsweise das Attribut having feathers eine hohe Reizvalidität für die Kategorie bird, weil alle Vögel Federn haben, und nichts hat Federn, was kein Vogel ist - sieht man einmal von Forellenködern und Showgirls ab (vgl. Pulman 1983: 88).
22
Vgl. Lakoff (1987a: 42f); Geeraerts (1988a: 207f); sowie 2.2.2.4 und 2.2.4.
23
Vgl. Rösch (1977: 29); Rösch (1978: 280; R°sch et "'· (1976: 384)·
24
Vgl. Rösch (1977: 35-37); Rösch et al. (1976: 433); Mervis & Rösch (1981: 99).
18
müssen, und andererseits die Erkenntnis ausgedrückt, daß die Kategorienmitglieder nicht gleichwertig, sondern für die Kategorie unterschiedlich gute Beispiele sind. Gradients of representativeness have been found not only for color and geometric shape categories but also for many common semantic categories (e.g. "dog", "furniture"). (Rosch & Mervis 1981: 95). Representativeness of items within a category has been shown to affect virtually all of the major dependent variables used in psychological research. (Rosch & Mervis 1981: 96).
Das Prinzip der Familienähnlichkeiten wird von Armstrong et al. (1983: 269) ebenso originell wie einsichtig mit Hilfe der "Smith brothers" exemplifiziert (vgl. Abb 2.2).25
Abb. 2.2: Die Smith Brothers (Armstrong et al. 1983: 269). Als Kehrseite des hohen Grads von Repräsentativität in den Prototypen stellt Rosch die Behauptung auf, daß das Prinzip der Familienähnlichkeiten auch impliziere, daß Kategoriengrenzen nicht festgelegt seien (Mervis & Rosch 1981: lOOff). Dieses Argument läßt sich aber meines Erachtens von Roschs Versuchen direkt nicht ableiten. Ich werde deshalb auf die Frage der Kategoriengrenzen im Punkt 2.2.3 im Zusammenhang mit Labovs Experimenten zurückkommen. Durch die aufgezeigte Kategorienstruktur ergibt sich ein Kategoriensystem mit einer vertikalen und einer horizontalen Dimension (Rosch 1978: 30).26 Die vertikale Dimension betrifft die Ebene der Inklusivität von Kategorien, z.B. die Achse, auf der sich COLLIE, DOG, MAMMAL, ANIMAL, LIVING BEING voneinander unterscheiden.27 In der Terminologie der Bedeutungsbeziehungen ä la Lyons (1977: 291ff) würde man in diesem Fall von einer
25
Der Leser möge selbständig versuchen, die Attribute der Smith-Brüder, den prototypischen Smith, der die meisten dieser Attribute auf sich vereint, und peripherere Mitglieder der Familie ausfindig zu machen.
26
Taylor (1989: 46f) spricht in diesem Zusammenhang von den beiden Achsen der Kategorisierung, "the two axes of categorization".
27
vgl. zur Zweideutigkeit der Inklusionsbeziehung die Anmerkungen auf S. 67 in 2.4.4.
19
Hyponymiebeziehung2* sprechen. Cruse, der noch feiner differenziert, nennt diese Art von Beziehung Taxonymie (1986: 137ff). Die horizontale Ebene beinhaltet die Segmentierung der Kategorien auf derselben Ebene der Inklusivität, z.B. die Dimension, auf der DOG und CAT, CAR und BUS oder CHAIR und SOFA einander gegenüberstehen. Diese Beziehung trägt bei Lyons (1977: 288) den Namen "incompatibility", was gleichzeitig sehr deutlich den entscheidenden Unterschied zwischen Lyons' strukturalistischer bzw. digitaler und Roschs prototypischer bzw. analoger Sichtweise veranschaulicht. Für Lyons ist ein Objekt entweder ein Sofa oder ein Stuhl, für Rösch ist durchaus ein Objekt vorstellbar, das irgendwo zwischen einem Sofa und einem Stuhl anzusiedeln ist. Doch auch derart eklatante Unterschiede in der Grundauffassung können nicht darüber hinwegtäuschen, daß durch das Postulat des Kategoriensystems eine eindeutige Parallele zwischen der Prototypentheorie und strukturalistischen Theorien in der linguistischen Semantik Europas besteht. Neben den Bedeutungsbeziehungen nach Lyons (1968, 1977) denke ich dabei vor allem an die deutsche Tradition der Wortfeldlehre nach Trier und Weißgerber (vgl. die Zusammenschau in Geckeier 1971) und ihre moderneren Nachfolger, die sog. Tübinger Schule der Lexematik um E. Coseriu.29 Kapitel 4 dieser Arbeit wird am Beispiel des Wortfelds der Häuserbezeichnungen zeigen, in welcher Form eine sinnvolle Synthese zwischen den beiden Theorien vorstellbar ist.
2.2.2.2 Die Natur der Attribute Rösch arbeitet bei ihren Versuchen zur Kategorisierung mit dem Mittel der Dekomposition von Bedeutungen in Attribute. Ihres Erachtens sind Attribute wertvolle Hifsmittel zur Analyse und Beschreibung der Kategorienstruktur, sie haben aber nicht die definierende Natur, wie wir sie aus den Merkmalslisten z.B. von Katz & Fodor (1963) oder Nida (1975) kennen (Rösch & Mervis 1975: 576). Prinzipiell ist Rösch der Meinung, daß derartige Listen notwendiger und hinreichender Merkmale nicht die psychologische Realität widerspiegeln: While it may still be argued that the 'true' meaning of such category names must reside in philosophical or linguistic primitives consisting of feature lists of that [d.h. notwendig und hinreichend] nature, the present study offers evidence that such accounts do not appear to mirror psychological reality. (Rosch 1975b: 225).
Attribute und Merkmale sind sich demnach insofern ähnlich, als beide Hilfsmittel bei der Dekomposition von Begriffen sind. Merkmale wurden aber häufig so aufgefaßt, als käme ihnen ein definierender Status zu, während Attribute ausdrücklich nur beschreibend eingesetzt werden und somit weder notwendige noch hinreichende Bedingungen darstellen sollen.
28
Der Terminus 'Hyponymie' wurde in dieser Verwendung auch von Lyons, allerdings schon früher (1963: 69), in die Semantik eingebracht.
29
Vgl. Coseriu (1967), Coseriu & Geckeier (1981), Geckeier (1988).
20
Zwei Probleme sind im Zusammenhang mit der Natur der Attribute erwähnenswert. Erstens ist sich Rösch eindeutig über den gefährlichen Status der Attribute im klaren (Mervis & Rösch 1981: 106): Was als Attribut und was als Kategorie betrachtet wird, hängt von der jeweiligen Abstraktionsebene ab, auf der man arbeitet. Der identische Ausdruck, z.B. red oder circular, kann einerseits als Gegenstand einer Untersuchung und damit als Kategorie und andererseits als Mittel der Beschreibung und somit als Attribut verwendet werden. Dies gilt in gleichem Maße für die vier Hauptarten von Attributen, nämlich "parts, physical characteristics such as color and shape, relational concepts such as taller, and functional concepts" (Mervis & Rosch 1981: 108). Zum zweiten ist die Frage von Interesse, ob die in 2.2.2.1 erwähnte nicht-arbiträre Attributenstruktur in der Welt gegeben ist oder ob sie erst durch den wahrnehmenden Organismus geschaffen wird. In bezug auf diese Frage hat Rosch ihre Meinung augenscheinlich geändert. In Rosch et al. (1976: 429) vertritt sie die Ansicht, daß es eine Struktur "da draußen" gibt, will dies aber nicht als metaphysische Behauptung verstanden wissen, sondern eher als empirische, die ein denkendes oder experimentierendes Subjekt voraussetzt. Beispielhaft ist etwa das folgende Zitat: Given a knower who can perceive the complex attribute of feathers, fur and wings, it is an empirical fact Out there' that wings co-occur with feathers more than with fur. (Mervis & Rosch 1981: 429; meine Hervorhebung).
Diese Auffassung wird an anderen Stellen von Rosch eingeschränkt (Rosch 1978: 41f; Mervis & Rosch 1981: 106), denn nach einer Beurteilung der von Versuchsteilnehmern genannten Attribute traten Probleme im Hinblick auf drei Typen von Attributen auf: Teile, wie z.B. seat für CHAIR, Relationen, wie z.B. large für PIANO, das im Vergleich zu BUILDING klein ist30, und Funktionen wie you eat on it für TABLE. Solche Attribute, die nicht nur in der Kenntnis der Objekte liegen, sondern auch Weltwissen und Erfahrung bezüglich menschlicher Aktivitäten voraussetzen, scheinen nicht Teil der Kategorien zu sein, sondern sich erst nach der Entwicklung des gesamten Kategoriensystems herauszubilden. Dieser wichtige Aspekt ist der Ansatzpunkt für Lakoffs Theorie des "experientialism" (Lakoff 1982, 1987a).
2.2.2.3 Zum Status des Prototypenkonzepts Ein kontroverser Problemkreis, der im Zusammenhang mit der Deutung der Experimente Roschs nicht unberücksichtigt bleiben darf, ist die Frage nach dem Status des Prototypenkonzepts. Ausgelöst durch Mißverständnisse bei der Rezeption ihrer Versuche, fühlte sich Rosch offenbar genötigt, eine Klarstellung zu dieser Frage aus ihrer Sicht zu liefern. Sie unterstreicht (Rosch & Mervis 1975: 600), daß das Prinzip der Familienähnlichkeiten keineswegs als
30
Dieses Problem wird in der Sprachwissenschaft durch die Postulierung verschiedenartiger Nonnen erfaßt. Bei Leisi (21985: 57) etwa würden derartig heterogene Vergleiche durch die "Gattungs- oder Speziesnorm" eingeschränkt Leech (21981:101) spricht von einer nötigen "object-related norm", die einen Mittelwert für die Polarität large - small für das fragliche Objekt liefert
21
Prinzip der kognitiven Verarbeitung, sondern als deskriptives Prinzip verstanden werden muß. Es bestehen Beziehungen zu Verarbeitungsmodellen nur insofern, als jede Erklärung der Prozesse, die Reize oder Attribute in Prototypen umwandeln, ihre Erkenntnisse berücksichtigen muß. Wie schon erwähnt, weist die Prototypenstruktur korrelative Zusammenhänge zu typischen Parametern der psychologischen Forschung auf, wie z.B. Reaktionszeit bei der Kategorienverarbeitung und -Identifikation, Lerntempo bei künstlichen oder neuen Kategorien usw. Das Prototypenkonzept stellt aber deshalb - man erkennt wieder die vorsichtige Interpretation Roschs - noch lange kein Verarbeitungsmodell dar, sondern erlegt etwaigen kognitiven Repräsentationen oder Prozeßmodellen lediglich Beschränkungen auf, die es in die jeweilige Theorie zu integrieren gilt (Rösch 1978: 41). Diese Erkenntnis stellt den Endpunkt einer Entwicklung in Roschs Arbeit dar. Lakoff (1987: 42f) unterteilt ihr Gedankengut zur Kategorisierung in drei Phasen: In Phase I (späte 60er bis frühe 70er Jahre) war eine physiologische Deutung ihrer Versuchsergebnisse dominant. In Phase II (Anfang bis Mitte der 70er Jahre) ging Rösch soweit, die Prototypeneffekte mit der kognitiven Kategorienstruktur gleichzusetzen und die Prototypen als mentale Repräsentation zu verstehen. Diese gewagte Interpretation wurde, wie oben dargestellt, in Phase III (späte 70er Jahre) wieder aufgegeben.
2.2.2.4 Zur Universalität des Prototypenkonzepts Viele Aspekte der Roschschen Versuchsergebnisse, z.B. die interne oder Prototypenstruktur der Kategorien, die Prinzipien der Reizvalidität und der kognitiven Ökonomie oder das Prinzip der Familienähnlichkeiten, bieten sich aufgrund ihres allgemeinen und alles durchdringenden Charakters als Kandidaten für einen universalen Status an. Für welche Aspekte ihrer Theorie erhebt Rösch nun Anspruch auf Universalität? Ihre Aussagen zu dieser Frage sind erfreulich eindeutig: Universalen Charakter hat das Grundprinzip der Kategorienbildung, das sich mit Hilfe der Reizvalidität beschreiben läßt (vgl. Rösch et al. 1976: 435; Mervis & Rösch 1981: 93). Während dieses Prinzip als universal angenommen werden muß, ist das Ergebnis der Kategorienbildung, das Kategoriensystem, in mehrerlei Hinsicht relativ: Einmal kann der Inhalt der Kategorien nicht universal sein, da die Umwelt und ihre Struktur starken Variationen unterworfen sind und verschiedene Kulturen, Subkulturen und Individuen unterschiedliche Interessen und bevorzugte Wissensgebiete haben. Dementsprechend weisen sowohl die Basisebene auf der vertikalen Dimension als auch die Prototypen auf der horizontalen Dimension ein hohes Maß an Relativität auf. Dies gilt ganz besonders für Objekte auf der Basisebene der Kategorisierung, denn diese resultiert ja in erster Linie aus einer Interaktion zwischen den Menschen und der Welt, aus der verschiedene Schwerpunktsetzungen, Interessengebiete und Wissensgrade hervorgehen.31 Ein eklatantes Beispiel für eine solche Verschiebung der Basisebene aufgrund von Expertenwissen wird von Rösch et al. (1976: 430)
1
Die Kulturabhängigkeit und Relativität von Kategorien unterstreichen auch: Dougherty (1978: 76), Wierzbicka (1985: 295), Lipka (1989: 229ff>
22
berichtet: In ihren Versuchen zum Oberbegriff VEHICLE fiel eine VP durch eine höchst idiosynkratische Taxonomie im Bereich des Basisobjekts airplane auf. Die verschiedenen Testparameter machten eine Verlagerung der Basisebene nach unten deutlich, die sich leicht durch die Tatsache erklären ließ, daß die VP zwar wie die anderen VPn auch ein Student war, vorher aber als Flugzeugmechaniker tätig gewesen war. Die Relativität der Basisebene der Kategorisierung muß also als Faktum akzeptiert und festgehalten werden (Mervis & Rösch 1981: 93). Ein zweiter, schwierig zu fassender relativierender Faktor ist der Kontext bzw. die Situation.32 Diese Frage ist eng mit der Unbestimmtheit von Kategorien verbunden33, und es besteht auch bei Rösch ein offensichtliches Problembewußtsein für diesen Bereich. In Rösch (1978: 42f) wird festgestellt, daß Kontexteffekte in keinem Fall ausgeschlossen werden können und beide Dimensionen des Kategoriensystems vom Kontext beeinflußt werden. Trotzdem wird die Experimentiersituation mit dem Argument verteidigt, daß die Abwesenheit eines spezifischen Kontexts die VPn dazu anrege, einen möglichst "normalen" Kontext für das Auftreten des jeweiligen Objekts zu konstruieren. Auf diese Weise entstehe für jedes Objekt der jeweils passende Situationskontext quasi automatisch. Dieser Standpunkt ist natürlich leicht Kritik ausgesetzt, wie auch in Mervis & Rösch (1981:102) unverblümt zugegeben wird (vgl. auch 2.3.3). Gleichzeitig heben die Autorinnen aber den primär destruktiven Charakter der Kritik und den Mangel an damit einhergehenden Alternatiworschlägen hervor. Als dritter Aspekt im Zusammenhang mit der Darstellung relativistischer Tendenzen darf eine Ausnahme nicht verschwiegen bleiben: Die stark von der Wahrnehmung abhängenden Kategorien von Farbe und Form dürften wohl ein besonders geringes Maß an interkultureller und interindividueller Variation der Prototypen aufweisen. Because the prototypes are probably physiologically determined, for such categories [= color and form] the content as well as the form of categories should be universal, and only the category boundaries are expected to vary with culture. (Rösch 1977: 2).
Um abschließend einen zwar überaus vereinfachten und groben, aber dafür, wie ich hoffe, übersichtlichen und leicht zugänglichen Überblick über die Experimente Roschs und die Entwicklung der Interpretationen zu verschaffen, sind die Artikel Rösch (1973a) bis Rösch et al. (1976) in Tabelle 2.1 auf S. 23 schematisch zusammengefaßt.
Vgl. zur terminologischen Trennung von Kontext und Kotext und weiteren Problemen im Zusammenhang mit dem Kontext 2.3.3 und 3.4.3. 33
Vgl. auch 3.2.
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24
2.2.3 W. Labov: Experimente zu den Kategoriengrenzen Wie schon festgestellt wurde lag der Schwerpunkt von Rosens Arbeit auf den Zentren der Kategorien. Ihre Behauptung, die Kategoriengrenzen seien unscharf, war eher eine Begleiterscheinung ihrer Versuche, die von den postulierten Kategorienbildungsprinzipien deduziert werden konnte, als eine explizit getestete und nachgewiesene Hypothese. Doch auch auf diesem Gebiet wurden zur selben Zeit erstmals Versuche durchgeführt, und zwar von dem Soziolinguisten W. Labov (1973,1978). Labovs Veröffentlichungen sind in der einschlägigen Literatur wohl ebenso häufig zitiert worden wie die von Rösch. Im Gegensatz zu diesen ist ihre Darstellung häufig relativ explizit ausgeführt worden34, so daß meine Bemerkungen sich in diesem Bereich auf ein weniger ausführliches Maß beschränken können. Labovs Experimente wurden über einen Zeitraum von etwa zehn Jahren (1964-1974) durchgeführt. Sie zielen darauf ab, die Vorstellung der klassischen Theorie der Kategorisierung, bzw. in seinen Worten des "categorial view" (Labov 1973: 342ff), daß Kategoriengrenzen scharf und starr seien, in Frage zu stellen. Zu diesem Zweck legte er VPn eine Reihe von Bildern von Gefäßen wie Tassen, Schalen, Bechern und "Haferin"35 vor, die bezüglich der Parameter Durchmesser, Höhe, Form und Material kontinuierlich variierten. Die VPn wurden gebeten, die jeweiligen Bilder zuerst isoliert und dann eingebettet in Kontexte wie Lebensmittel, Kaffee und Blumen zu benennen. Die Auswertung der Antworten erbrachte das Ergebnis, daß die Kategoriengrenzen vage sind und stark vom Kontext abhängen und daß die verschiedenen Parameter wie Höhe, Durchmesser und Material nicht voneinander isoliert wirken, sondern sich gegenseitig beeinflussen. Neben seinen eigenen Experimenten erwähnt Labov (1978: 229ff) eine Studie von Boortien über die Verwendung von Termini für Flaschen, die vergleichbare Ergebnisse aufzeigt. Diese wird von Lipka (1987: 288f) durch eine Diskussion des Kontraste zwischen bottle und decanter ergänzt. Die Rezeption von Labovs Versuchen in der Literatur ist im allgemeinen positiv. Von den Autoren, die Labov zitieren, wird die vage, kontextabhängige Natur der Kategoriengrenzen in aller Regel anerkannt (vgl. die Verweise unter Fußnote 34). Autoren, die bezüglich der Variabilität der Kategoriengrenzen anderer Ansicht sind, ziehen es offenbar vor, Labov in ihren Veröffentlichungen nicht zu erwähnen (z.B. Cruse 1986, Wolski 1988). Kritik wird jedoch an anderen Aspekten von Labovs Artikeln geübt. Schneider (1988: 89f) hält die Experimente für nur beschränkt aussagekräftig, weil sie als Hintergrund eine rein referenzsemantische Fragestellung haben. Diese Kritik ist durchaus gerechtfertigt, da ähnliche Versuchsanordnungen für abstrakte Nomina oder Verben nur schwer vorstellbar sind. (Die Versuche
34
Vgl. Leech (21981:118f); Geeraerts (1985b: 44f, 139); Wieizbicka (1985:12f, 19ff); Aitchison (1987:46f); Lipka (1987a: 286; 1989c: 256f; 1990a: 55ff); Schneider (1988: 83, 86, 89f). Das Standarddeutsch bietet keine überzeugende Übersetzung für den englischen Begriff mug (vgl. Lipka 1990a: 56). Der bayerische Ausdruck Hafen dagegen scheint sowohl bezüglich der Form der denotierten Objekte als auch hinsichtlich des Gebrauchs der Termini z.B. in Stehcafes ("cup or mug of coffee?" bzw. "Tasse oder Haferl Kaffee?") äquivalent zu sein.
25
von Coleman & Kay (1981) für das englische Verb lie zeigen allerdings einen möglichen Weg auf.) Weiterhin verliert Schneiders Kritik meines Erachtens dadurch an Berechtigung, daß sich Schneider selbst durch die mangelnde Berücksichtigung extralinguistischer situationskontextualer Faktoren eine mindestens ebenso drastische Einschränkung auferlegt (vgl. Schneider 1988: 86f). Auch Wierzbicka (1985:13) wendet sich gegen den referenzsemantischen Ansatz Labovs. Labov definiert in einer Form, die sehr stark an die Gebrauchsbedingungen von Leisi erinnert (vgl. Lipka 1987: 286), die Bedeutung als "the conditions which govern denotation" (1973: 347f). Wierzbicka moniert zu Recht, daß ein derartiges Verständnis der sprachlichen Bedeutung einen wichtigen Teil vernachlässigt, den wir beispielsweise mit Leech 21981: 18f) die assoziative oder mit Lyons (1981: 33) die nicht-deskriptive oder nicht-propositionale Bedeutung nennen können. Darüberhinaus attackiert Wierzbicka die mathematische Formel, die Labov als Alternative für herkömmliche Lexikondefinitionen offeriert, wegen ihrer Un- bzw. Schwerverständlichkeit. Auch diesem Kritikpunkt kann zugestimmt werden. Wierzbickas Alternative kann ich aber auch nur mit gemischten Gefühlen akzeptieren: Einerseits kann man nicht umhin, ihre ausführliche und scharfsinnige Darstellung des prototypischen Gebrauchs und des daraus resultierenden Aussehens der fraglichen Gefäße zu bewundern (Wierzbicka 1985: 19ff). Andererseits weisen aber die davon abgeleiteten Definitionen von cup und mug einen wahrhaft monumentalen Umfang (für beide Begriffe vier Seiten) und eine schon fast lächerlich wirkende Liebe zum Detail auf36, so daß der Fortschritt des Alternatiworschlags durchaus zu bezweifeln ist.37 Trotz des großen Umfangs beschränken sich die Definitionen aber auf eine Beschreibung der Prototypen und vernachlässigen kategorieninterne Strukturen wie Polysemie, die zu einer erschöpfenden Bedeutungsbeschreibung eines Begriffs zweifellos dazugehören (Geeraerts 1990a: 197; vgl. a. die drei empirischen Teile der vorliegenden Arbeit). Unabhängig davon, wie ernst man die von Schneider und Wierzbicka geäußerten Einwände nehmen will, gilt es festzuhalten, daß die Experimente von Labov als ein starkes Indiz für die Vagheit und Variabilität der Kategoriengrenzen angesehen werden müssen. Als weitere Bestätigung für die These sei abschließend ein Artikel von McCloskey & Glucksberg (1978) erwähnt, der gleichsam die Methoden von Rösch und Labov miteinander verbindet. Die beiden Wissenschaftler erstellten für mehrere übergeordnete Begriffe eine Typikalitätsskala mit zehn Punkten, wobei 10 für höchst typisch und l für extrem atypisch stand. Im Gegensatz zu Rosens Experimenten wurden somit auch Beispiele berücksichtigt, die eindeutig nicht zur fraglichen Kategorie gehörten. Es wurden nicht nur, wie bei Rösch und Labov verschiedene Personen, sondern auch dieselben VPn zweimal in einem Abstand von einem Monat befragt. 36
Vgl. etwa über cup: "They are rounded and open at the top so that one can drink easily from them by tipping the top part slightly towards the mouth without any of the liquid going outside where one doesn't want it to go." (Wierzbicka 1985: 33).
37
Vgl. dazu auch Geeraerts (1990a: 195ff), der den Standpunkt vertritt, daß aus einer theoretischen Perspektive heraus nichts gegen die Definitionen ä la Wierzbicka spricht. Lediglich aus praktisch-lexikographischer Sicht weisen sie aufgrund ihrer Länge offensichtliche Nachteile auf. Diese Auffassung teile ich.
26
So konnte unter einem intrasubjektiven Aspekt die Frage nach der Stabilität der Kategorien bei Einzelpersonen über einen Zeitraum hinweg untersucht werden. Für übergeordnete Begriffe konnten McCloskey & Glucksberg feststellen, daß bei sehr typischen Kategorienmitgliedern (z.B. chair für FURNITURE, dog für ANIMAL) und bei Beispielen, deren Beziehung zur fraglichen Kategorie bestenfalls komischer Natur war (z.B. happiness für DISEASE, air conditioning für WEATHER PHENOMENA) die Beurteilungen der Zugehörigkeit übereinstimmend und konsistent waren. Bei Beispielen mit mittlerer Typikalität38 (z.B. bookends - FURNITURE, penguin - BIRD, sea horse - FISH) traten interindividuelle Unterschiede und intraindividuelle Inkonsistenzen zwischen den beiden Befragungen auf.
2.2.4 Was ist Prototypikalität? Quasi als Zwischenbilanz möchte ich an dieser Stelle zur Frage nach dem Wesen der Prototypikalität Stellung nehmen. Von Posner (1986) und Geeraerts (1988d) ist bereits mit Nachdruck auf die prototypische Natur des Konzepts der Prototypikalität hingewiesen worden. Eine genaue Definition für den Begriff existiert nicht, obwohl sie vom Standpunkt der terminologischen Klarheit durchaus wünschenswert erscheinen mag. Der Begriff wird in der Regel mit einem oder meist mehreren der folgenden Merkmale in Verbindung gebracht, die aus der bisherigen Diskussion deutlich geworden sind (vgl. Geeraerts 1988d, 1989: 592ff): Prototypische Kategorien können nicht mittels einer Gruppe von notwendigen und hinreichenden Kriterien definiert werden; oder besser formuliert, um auch den Fall der Polysemie klassischer Kategorien mit einzuschließen, für die das auch nicht möglich ist (Geeraerts 1988d: 349): Prototypische Kategorien erwecken den Eindruck von Eindeutigkeit, die mit (nach klassischer Form definierter) Polysemie gepaart ist. Prototypische Kategorien weisen eine Struktur von Familienähnlichkeiten mit überlappenden Bedeutungen auf. Die Mitglieder prototypischer Kategorien zeichnen sich durch einen unterschiedlichen Grad der Kategorienzugehörigkeit aus; sie variieren in ihrer Repräsentativität für die Kategorie. Prototypische Kategorien haben verschwommene Kategoriengrenzen. Diese vier Hauptargumente der Prototypentheorie stehen in krassem Gegensatz zu den in 2.1 auf Seite 8 aufgelisteten Kennzeichen der klassischen Theorie der Kategorisierung. Wie Geeraerts (1988d; 1989: 592ff) überzeugend aufzeigt, sind diese vier Merkmale zwar inhaltlich miteinander verknüpft, aber keineswegs voneinander abhängig oder gar jeweils einzeln notwendig. So ist es weiterhin auch nicht mehr erstaunlich, daß sich der Begriff der Prototypikalität, der sich auf diese nicht-notwendigen Merkmale stützt, nicht allgemeingültig definieren
Diesen entsprechen bei Rösch die Beispiele mit niedriger Typikalität; sie sind somit an der Kategoriengrenze anzusiedeln.
27 läßt, sondern ebenfalls prototypikalischer Natur ist. Gerade die Tatsache, daß es keinen normierten oder normierbaren Begriff der Prototypikalität gibt, sieht Geeraerts (1989: 602) als Untermauerung des Konzepts selbst an. Aufschlußreich ist in diesem Zusammenhang natürlich auch die Frage nach den Ursachen der Prototypikalität. Diese wird in einem Artikel von Geeraerts (1988a) angesprochen. Er präsentiert vier Hypothesen zum Ursprung der Prototypikalität, die alle von Rösch formuliert wurden.39 1) Die physiologische Hypothese (Rösch 1973a, 1973b) vermutet die Ursache der Prototypikalität in der physiologischen Struktur des Wahrnehmungsapparats. 2) Gemäß der referentiellen Hypothese (Rösch & Mervis 1975) resultiert die Prototypikalität aus der strukturierten Attributenverteilung in der Welt. 3) Die statistische Hypothese (Rösch 1975b), die am besten in Verbindung mit der Familienähnlichkeitentheorie aus 2) betrachtet wird, berücksichtigt als weiteren Faktor die Häufigkeit der Konfrontation mit einem Begriff. 4) Die psychologische Hypothese (Rösch 1977) schließlich bedient sich einer funktionalen Erklärung der Prototypikalität. Hier handelt es sich um den uns mittlerweile ja vertrauten Interpretationsansatz (vgl. S.17) mit Hilfe der kognitiven Ökonomie. Geeraerts favorisiert, meiner Ansicht nach zu Recht, die funktionale bzw. psychologische Hypothese, da sie allein eine stichhaltige Erklärung für die Prototypikalität von Kategorien liefern kann: Sie existiert, weil sie eine Verbindung der drei fundamentalen Forderungen der kognitiven Psychologie ermöglicht: maximale Informationsdichte, strukturelle Stabilität und flexible Anpassungsfähigkeit. Kurzum: "Prototypicality exists because it is cognitively ad· vantageous" (Geeraerts 1988a: 223; Hervorhebung im Original). Schon in einem früheren Artikel hat Geeraerts (1985a: 138ff; vgl. auch 1990b: 70f) die Bedeutung dieser Prinzipien unter dem diachronischen Aspekt des Bedeutungswandels untersucht und festgestellt, daß die Prototypentheorie bestens mit dem Phänomen des Bedeutungswandels kompatibel ist und ein stichhaltiges Erklärungsmodell liefern kann.40 Trotz der größten Aussagekraft der funktionalen Erklärung der Ursachen der Prototypikalität darf aber meines Erachtens der Faktor der Häufigkeit des Auftretens eines Beispiels für eine Kategorie (vgl. die statistische Hypothese oben unter 3) nicht unberücksichtigt bleiben. Hier wäre es aber falsch, von einer Ursache der Prototypikalität zu sprechen. Ich ziehe es vor, die Häufigkeit neben Repräsentativität und Zentralität eines Beispiels als weiteres Kriterium zur Auswahl eines Prototypen oder prototypischen Bereichs innerhalb der Kategorie zu verwenden. Gerade vor dem Hintergrund quantitativer Untersuchungen, wie ich sie in den
39
Die vier Hypothesen sind bereits in die tabellenartige Zusammenfassung auf S. 23 eingearbeitet. Sie erscheinen dort in der Spalte "Interpretation".
40
Dies gilt allerdings in gleichem Maß für Lipkas (1979, 1985) Konzept der inferential features, mit deren Hilfe diachronische Bedeutungsverschiebungen im Rahmen der Merkmalssemantik beschrieben werden können.
28
Kapiteln 5 und 6 anstellen werde, sollte bei eindeutigen Zahlen die Häufigkeit als Faktor der Prototypikalität zugelassen werden. Eindeutige Zahlen liegen etwa bei dem Verb begin vor, wo die Bedeutung "inchoativ" mit einer relativen Häufigkeit von 93.4% der Beispiele im LOB klar überwiegt (vgl. 6.5.1). Trotz allem sollten aber die weiteren Kriterien Repräsentativität und Zentralität gleichermaßen berücksichtigt werden (vgl. Cuyckens 1991: 164ft). Von den vier oben genannten Kennzeichen prototypischer Kategorien lassen sich auch die wichtigsten Formen der Prototypikalität ableiten, nämlich "categorization on the basis of similarity rather than identity, structural clustering round a central sense, and differences in membership salience" (Geeraerts 1987: 285). Es wäre also sicherlich falsch, Prototypikalität als ein monolithisches Phänomen aufzufassen. "The important thing is not to know what prototypicality 'really' is, but rather to see what different kinds of things are intuitively grouped together as prototypical phenomena" (Geeraerts 1987: 285). Cruse baut auf Geeraerts (1987) auf und dekonstruiert noch weiter: Er zeigt auf, daß das Phänomen der "centrality" auf drei verschiedenen Dimensionen basiert, nämlich "well-formedness, typicality, and quality" (1990: 384ff).
2.2.4.1 Was sind Prototypen? Ich habe es bislang bewußt vermieden, genaue Charakterisierungen oder gar Definitionen des Begriffs Prototyp zu wagen; und dies aus gutem Grund. Ganz in Einklang mit der Grundhaltung der Prototypentheorie scheint es nämlich auch hier schlechterdings unmöglich zu sein, den Begriff mittels einer Definition der Form "ein Prototyp ist ..." festzunageln. Der Begriff Prototyp ist ein wahrhaft prototypisches Beispiel für die Erkenntnis, daß Wörter "slippery customers" sind (Labov 1973: 341). Der Terminus Prototyp gehört offensichtlich zu den "notational terms" im Sinne Enkvists (1973: 17).41 Bedauerlich ist allerdings, daß nur von den wenigsten Autoren, die den Terminus verwenden, explizit angezeigt wird, was sie unter dem Begriff verstehen, wie es für solche notational terms wünschenswert wäre. Während diese Tatsache natürlich einerseits als Schwäche und Abbild eines vermeintlich chaotischen Zustande innerhalb der Strömung angesehen werden kann, wird sie von Vertretern der Prototypentheorie geradezu als Stärke und Zeichen für die konsequente Verfolgung des Ansatzes gepriesen (vgl. Geerarerts 1989: 602). Diese Tatsache muß auch vor dem Hintergrund gesehen werden, daß der Prototypikalitätsbegriff selbst, wie oben dargestellt, sich aufgrund der verschiedenen Ausprägungen einer Definition entzieht. Sicher ist die Vagheit des Prototypikalitätskonzepts und die unklare Natur der Prototypen aber auch darauf zurückzuführen, daß die Prototypentheorie im Vergleich zu anderen wissenschaftlichen Strömungen noch sehr jung ist und mit den typischen Kinderkrankheiten zu
41
Vgl. dazu auch Lipka (1990a: 5).
29
kämpfen hat.42 Dieser Eindruck wird dadurch erhärtet, daß auch in der Entwicklung von E. Rösch das Verständnis der Prototypen Veränderungen durchgemacht hat. Zur Veranschaulichung der terminologischen Unsicherheit zitiert und kommentiert Lipka (1987a: 282f; 1989: 227) sechs verschiedene Definitionen von Prototypen. Vor diesem Hintergrund ist es auch nicht mehr verwunderlich, daß auch andere Autoren, die sich an unterschiedlichen Stadien der Roschschen Entwicklung orientieren, verschiedene Vorstellungen von dem Begriff haben. Es kann also in diesem Abschnitt bei der Beantwortung der Frage Was ist ein Prototyp? nicht darum gehen, eine eindeutige Definition zu finden. Vielmehr werde ich durch eine Übersicht über unterschiedliche Ansichten und Verwendungen versuchen, das Konzept gleichsam einzukreisen. Ein allgemeines Vorverständnis sollte ja schon aus der Darstellung der Versuche Roschs und ihrer Interpretationen hervorgegangen sein. Vorweg sei bemerkt, daß sich der Terminus Prototyp in der linguistischen Literatur keineswegs uneingeschränkter Beliebtheit erfreut. Wierzbicka (1985: 80f) etwa bemängelt die Tatsache, daß das Lexem prototype in der Alltagssprache unter der Bedeutung "the first thing or being of its kind; model" lexikalisiert ist und so Unklarheiten und Verwirrungen entstehen können. Darüber hinaus hält sie den Begriff für eine "catch-all-notion" (1985: 343), die auf eine heterogene Menge von Phänomenen angewendet wird. Aus diesem Grund würde sie den Terminus stereotype*3 eigentlich vorziehen, beugt sich aber dem Druck der Institutionalisierung in der linguistischen Sprachgemeinschaft und verwendet in ihrem Buch das Wort prototype. Smith & Medin (1981:169) vermeiden ebenfalls den Terminus, weil sie der Ansicht sind, daß er in zu vielen Varianten in der Literatur eingesetzt wird. Sie glauben aber, den folgenden gemeinsamen Kern aus den verschiedenen Verwendungsweisen herausfiltern zu können: A representation of a concept, or a part of such a representation, that (1) reflects some measure of central tendency of the instances' properties or patterns; (2) consequently is more similar to some concept members than others; and (3) is itself realizable as an instance. (Smith & Medin 1981: 169).
Obwohl dieser Definitionsversuch auf eine umfangreiche Kenntnis der einschlägigen Literatur aufbaut, halte ich ihn nur mit Einschränkungen für vertretbar. Während die Punkte (1) und (2) vorbehaltlos gebilligt werden können, gilt es, bei der einleitenden Charakterisierung und bei Punkt (3) zumindest wachsam und kritisch zu sein. Ich habe schon erwähnt, daß Rösch verschiedene Dinge bezüglich des Status des Prototypenkonzepts klargestellt hat. Eindeutig
Wie wir vor allem in Kapitel 2.4 bei den "Kindern" Roschs noch sehen werden, läßt sich der Zustand in der Prototypentheorie durchaus mit dem vergleichen, den Danes 1974 so treffend für die Funktionale Satzperspektive der Prager Schule konstatierte: "Weil es sich um einen verhältnismäßig jungen Forschungsbereich handelt, will jeder Forscher eine eigene Auffassung (auch wenn sie sich nur wenig von den anderen unterscheidet) auch durch seine eigene Terminologie erhärten". (1974: 222). 43
Dazu ist zu sagen, daß auch der Begriff 'stereotype' in der Alltagssprache lexikalisiert ist; vgl. etwa OALD: "image, idea, character, etc. that has become fixed or standardized in a conventional form without individuality (and is therefore perhaps false)". Daneben dürfte 'stereotype' auch schon in der Soziolinguistik und den Sozial Wissenschaften generell als Fachterminus institutionalisiert sein (vgl. Bußmann 21990: s.v. Stereotyp).
30
stellt sie fest, daß "prototypes do not constitute a theory of representation of categories" (1978: 40).44 Und was Punkt (3) des Zitats von Smith & Medin betrifft: For natural-language categories, to speak of a single entity that is the prototype is either a gross misunderstanding of the empirical data or a covert theory of mental representation." (Rosch 1978: 40).
Rösch wehrt sich hier also ausdrücklich gegen eine Interpretation ihrer Ergebnisse, die Prototypen als einzelne Kategorienmitglieder und die Prototypentheorie als Verarbeitungsmodell anstatt als Erklärungsmodell versteht (vgl.a. Lakoff 1987a: 136f; Vandeloise 1990: 408f). Wie so oft wirkt auch in diesem Fall die hypostasierende Funktion des Wortes, die abstrakte mentale Entitäten vergegenständlicht und zur Substanz erhebt. Ich bin der Ansicht, daß bei manchen Typen von Kategorien, v.a. bei Konkreta wie den Häuserbezeichnungen in Kap. 4, die Darstellung des Prototyps in Form eines konkreten Beispiels am sinnvollsten und leistungsfähigsten ist. Trotzdem darf aber nicht angenommen werden, die jeweilige Darstellung eines konkreten Beispiels sei der Prototyp der Kategorie. Einer expliziten Definition aus der Feder Roschs kommt der folgende Passus wohl am nächsten: By prototype of categories we have generally meant the clearest cases of category membership defined operationally by people's judgements of goodness of membership in the category. (Rosch 1978: 36; meine Hervorhebung).
Eine präskriptive, starre Definition wird bewußt vermieden, stattdessen wird auf die operationale Definition verwiesen, wie sie von Rosch et al. (1976) für die Basiskategorien und die Prototypen experimentell nachgewiesen wurde. Der Vorteil einer solchen operationalen Definition liegt darin, daß unterschiedliche Ausprägungen der Prototypikalität (Geeraerts 1987: 285; vgl. S.28) gleichermaßen erfaßt werden. Auf der anderen Seite kann aber an dieser Haltung mit großem Recht auch kritisiert werden, daß es durchaus kein Qualitätsmerkmal für eine Theorie darstellt, wenn der zentrale Begriff derartig vage definiert ist. Andere Autoren greifen unterschiedliche Aspekte der Prototypentheorie auf und stellen sie in den Vordergrund. Dies ist auch ein völlig legitimer Vorgang, da ja, wie bemerkt, der Terminus Prototyp als notational term verschieden verstanden und definiert werden kann. Roschs Auffassung, die ja mittlerweile schon 15 Jahre alt ist, muß keineswegs als die eine, autorisierte Version angesehen werden. Die meisten späteren Definitionsversuche zeichnen sich allerdings durch ein beträchtliches Maß an Vagheit und/ oder Einseitigkeit aus. Einige Beispiele mögen dies zeigen:45 44
Fraglich ist natürlich hier wiederum, ob Smith & Medin und Rosch dieselbe Vorstellung bezüglich dessen haben, was sie mit dem Wort representation bezeichnen.
4
Interessant sind in diesem Zusammenhang auch Stellen in der jüngsten Literatur, wo der Begriff zum Teil nicht explizit definiert, sondern implizit z.B. durch Appositionen gekennzeichnet wird. Schon wenige Beispiele aus einem Sammelband (Tsohatzidis 1990a) können die Divergenz der Auffassungen bzw. den etwas sorglosen Umgang mit dem Begriff demonstrieren: Brown (1990: 21): "A prototype is the best example of a category or, in other words, is most representative of things included in a class [...]. The prototype, then, is the core of a category which is 'surrounded by' other members that are not as representative of that class". Lehrer (1990b: 371): "the concept (type) behind the word, that captures the sense of the normal cases - the prototype of the concept". Tsohatzidis (1990b: 1): "a particular category
31 A semantic prototype associates a word or phrase with a prelinguistic, cognitive schema or image. (Coleman & Kay 1981: 27). Certain of the listed meanings will be more cognitively prominent; they will have a natural salience other meanings do not have. We might call these prototypical meanings; they are the meanings thought of first. The most salient meaning often is one defined in the concrete domain [and] may be historically prior. (Lindner 1981: 49) Die visuell wahrnehmbare Gestalt ist demnach das Kennzeichen kategorialer Prototypen. (Hejj & Strube 1988:74)
Coleman & Kay, die mit ihrer Studie des Verbs lie den Versuch machen, das Prototypenkonzept auf Verben und damit insbesondere auch auf abstraktere und kulturabhängigere Begriffe auszudehnen, stellen entsprechend den kognitiven Aspekt in den Vordergrund. Die Termini schema und image verraten die Affinität zu Theorien, die die sprachliche Bedeutung in größere Schemata oder Rahmen einbetten, wie etwa Filimores frame semantics (1975a, 1975b, 1976).46 Lindner hebt den Aspekt der natural salience hervor und nähert sich ansonsten dem Kern des Prototypenkonzepts mit vagen Einzelgesichtspunkten, die schlecht nachweisbar und teilweise auch umstritten sind. Heij und Strube greifen einen zugegebenermaßen überaus wichtigen Punkt heraus, nämlich die Bedeutung der visuell wahrnehmbaren Gestalt.47 Sie ziehen es vor, diesen Aspekt als allein entscheidenden Faktor in den Vordergrund zu stellen und die anderen Gesichtspunkte der operationalen Definition Roschs außer acht zu lassen. Mit größerer Neigung zur Differenzierung geht Lakoff (1986: 33ff) ans Werk. Er subkategorisiert in insgesamt sieben verschiedene Arten von Prototypen und wird so meiner Ansicht nach der prototypischen Natur des Prototypenkonzepts eher gerecht als dies mit Definitionen vom Typ "Ein Prototyp ist ..." möglich ist. Eine Einschränkung auf ein enges Begriffsverständnis, wie sie etwa von Wierzbicka (1985: 343) befürwortet wird, halte ich im gegenwärtigen tentativen Stadium in der Entwicklung der Prototypentheorie für eine unnötige und hinderliche Beschränkung des Interessenbereichs. Ein derart junges Forschungsgebiet muß offen für weitere Anregungen aus den verschiedensten Bereichen bleiben. Lakoff postuliert und exemplifiziert die folgenden Arten von Prototypen. Es sei schon hier daraufhingewiesen, daß uns diese Liste später (in 2.4.2, S.53) noch einmal in neuem Gewand begegnen wird.
member that has been (naturally or culturally) established as the best example (or prototype) of its kind". Tversky (1990: 336): "These central or typical members or prototypes [...)". Vgl. zu dem Begriff schema und verwandten Termini wie frame, script und plan die Bemerkungen in Fn.69 in 2.4.3. 47
Vgl.a. Lipka 1989b: 256f und, für den lexikographischen Aspekt bildlicher Darstellungen, Stein 1991: 99ff.
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1. Typische Beispiele (Typical examples) Robins and sparrows are typical birds. 2. Soziale Stereotypen (Social stereotypes} The stereotypical mother is a housewife. 3. Ideale (Ideals) The ideal husband: a good provider, faithful, strong, respected, attractive. 4. Musterbeispiele (Paragons) The Cadillac of vacuum cleaners (Ideale sind abstrakte Konzepte, während Musterbeispiele durch konkrete Mitglieder verkörpert sind.) 5. Generatoren (Generators) Erzeugung einer Kategorie durch zentrale Mitglieder und allgemeine Regeln, z.B. die Zahlen: zentrale Mitglieder sind die natürlichen Zahlen, der Rest entsteht durch Anwendung der arithmetischen Verknüpfungsregeln. 6. Untermodelle (Submodels) Die Zahlen werden durch das Untermodell des Dezimalsystems verstanden. 7. Auffällige Beispiele (Salient examples) Hier handelt es sich vor allem um besonders vertraute, denkwürdige oder sonst herausragende Beispiel einer Kategorie. Sie können eine völlig idiosynkratische Grundlage haben, wie etwa der Hund des Nachbars als auffälliges Beispiel für die Kategorie HUND. Es kann einem nicht entgehen, daß auch in dieser Liste konkrete Beispiele als Prototypen aufgenommen sind. Weiterhin fällt auf, daß die Reihe sehr heterogen wirkt. Als gröbere Einteilung böte sich z.B. die Trennung von beispielhaften (l, 2, 3, 4 und 7) und generierenden Prototypen (5 und 6) an. Schließlich zeigt nicht zuletzt die Tatsache, daß dieselben Subkategorien bei Lakoff (1987a; vgl. S.53) als Typen metonymischer Modelle auftreten, daß diese Typologie von Prototypen eher provisorischer Natur ist. Trotzdem halte ich diese Aufschlüsselung für durchaus aufschlußreich, weil sie den variablen Charakter des Prototypenbegriffs widerspiegelt. Im Einklang mit Vandeloise (1990: 434) bin ich der festen Überzeugung, daß unterschiedliche Arten von Kategorien auch die Postulierung unterschiedlicher Typen von Prototypen verlangen. Es wäre fast naiv, für die drei verschiedenen Beispielanalysen im empirischen Teil dieser Arbeit gleichartige Prototypen zu erwarten. So werde ich beispielsweise im Bereich der Bezeichnungen für Häuser (vgl. 4.5.1) mit Abbildungen von konkreten Beispielen arbeiten können, was natürlich weder für das abstrakte idea noch für die Verben start und begin sinnvoll wäre. Als Fazit kann ich vorläufig festhalten, daß eine einheitliche Spezifizierung des Begriffs Prototyp weder realistisch wäre noch wünschenswert erscheint. Dies darf aber nicht darin resultieren, daß Prototypen beliebig ausgewählt und eingesetzt werden können;48 vielmehr
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Vgl. die beißende Kritik an einem solchen Vorgehen von Wierzbicka (1989: 736t) und (1990s: 348ff), sowie (1990a: 365): "In too many cases, these new ideas [d.h Roschs Erkenntnisse bezüglich der Prototypen; Anm. des Verf.] have been treated as an excuse for intellectual laziness and sloppiness."
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muß gefordert werden, daß die Wahl des jeweiligen Prototyps klar begründet und die jeweilige Art (z.B. bestes Beispiel, abstrahiertes Beispiel, zentrales Beispiel usw.) eindeutig spezifiziert werden muß. Eine ähnliche Forderung vertritt auch Cruse (1990: 382ff), der mit Berechtigung darauf hinweist, daß der Prototypenbegriff nicht monolithisch gesehen werden darf. Vielmehr gilt es, verschiedene Formen und Ursachen der Prototypikalität auseinanderzuhalten.
2.2.4.2 Prototypen vs. Stereotypen In Zusammenhang mit Wierzbickas Kritik am Prototypenkonzept haben wir weiter oben (vgl. S.29) schon den Terminus Stereotyp kennengelernt. Dieser Terminus ist neben den schon erwähnten Gebräuchen eng mit dem Philosphen H. Putnam verknüpft, der ihn als Teil einer Bedeutungstheorie verwendet. Unter einem Stereotyp versteht Putnam "the associated idea of the characteristics of a normal member of [a] kind " (1970: 144) oder, etwas später: "In ordinary parlance a 'stereotype' is a conventional (frequently malicious) idea (which may be wildly inaccurate) of what an X looks like or acts like or is" (1975b: 249). Nachdem das Stereotypenkonzept einige Gemeinsamkeiten mit dem Prototypenbegriff aufweist, scheint es sinnvoll, die beiden Konzepte im Hinblick auf ihre Kernaussagen und ihre Leistungsfähigkeit zu vergleichen. Beide Konzepte arbeiten mit Attributen bzw. Merkmalen, die einer jeweiligen Kategorie zuzuordnen sind. Diese werden aber in beiden Fällen nicht als notwendige und hinreichende Kriterien verstanden, sondern sind lediglich Hilfen bei der deskriptiven Arbeit. Auf Grund des nicht-kriterialen Charakters der Attribute erlauben beide Modelle variable Kategoriengrenzen. Die Unscharfe der Kategoriengrenzen ist in erster Linie auf die unterschiedlichen Urteile verschiedener Sprecher zurückzuführen. Beide bedienen sich zur Erklärung der Kategorienkohärenz des Konzepts der Ähnlichkeit (vgl. 2.3.4) und setzen eine reale, in sich strukturierte Welt voraus (Schwarze 1982: 3). Die Aussagen von Putnam über Stereotypen bzw. von Rösch über Prototypen beziehen sich jeweils auf "normale" Kontexte, d.h. im Klartext, die Begriffe werden praktisch dekontextualisiert betrachtet. Soweit die Übereinstimmungen zwischen den beiden Ansätzen. Sie lassen sich allgemein durch eine Abkehr von der klassischen Theorie der Kategorisierung und durch eine Integration des denkenden und wahrnehmenden Organismus in die Kategorienbildung sowie eine Einbeziehung einer strukturierten realen Welt in die semantischen Überlegungen charakterisieren. Die Unterschiede zwischen den beiden Modellen sind gut durch eine Klärung des jeweiligen Ursprungs aufzuzeigen. Das Stereotypenkonzept wurde von dem Philosophen H. Putnam entwickelt und wurzelt in philosophischen Überlegungen zur Frage der Referenz von natural kind terms. E. Rösch ging bei ihrer Entwicklung des Prototypenmodells von perzeptuellen Kategorien wie den Farben aus, die unter anthropologischen und vor allem kognitionspsychologischen Fragestellungen untersucht wurden. Es liegt in der Natur der jeweiligen Disziplinen begründet, daß sich der Prototypenansatz heute in einer empirisch fundierten Form
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präsentiert, die zur Frage der Attribute von Kategorien auf eine beachtliche Anzahl von Experimenten verweisen kann. Der Stereotypenansatz kann dies von sich meines Wissens nicht behaupten. Zu praktischen Fragen in bezug auf einzelne Attribute werden nur spärliche beispielhafte Informationen gegeben, die auf Introspektion beruhen. Wo liegen weitere Unterschiede, die eine Beurteilung der jeweiligen Leistungsfähigkeit der beiden Konzepte zulassen? Wie aus der obigen Definition der Stereotypen hervorgeht, sind vor allem drei Aspekte des Begriffs wichtig: die Konventionalität, die Tendenz zur Boshaftigkeit und die Möglichkeit der Inkorrektheit. Die Konventionalität der Kategorien ist auch in Roschs Prototypen schon durch die Versuchsanordnung und Art der Befragung wiederzufinden. Die Gesichtspunkte "frequently malicious" und "which may be wildly inaccurate" sind dagegen nur beim Stereotypenkonzept anzutreffen. Beide Aspekte sind zwar intuitiv überzeugend und spielen sicher eine wichtige Rolle beim Umgang mit sprachlichen Kategorien, sie sind aber überaus problematisch, weil sie schlecht operationalisierbar und schwierig empirisch nachweisbar sind. Es ist daher keineswegs verwunderlich, daß sie in ein theoretisch-hypothetisches philosophisches Konzept integriert sind, in einem primär empirisch angelegten psychologischen Modell aber fehlen. Mit anderen Worten: Die beiden Faktoren mögen dem Stereotypenkonzept zwar auf der theoretischen Seite einen Pluspunkt einbringen, für die praktische psychologische und auch die lexikalisch-semantische Arbeit ist ihr Nutzen zumindest zweifelhaft. Was haben nun die Prototypen den Stereotypen voraus? Nächst der schon erwähnten empirischen Fundierung und der bedeutend umfangreicheren Detailinformation bezüglich der Attribute von Kategorien zeichnet sich das Prototypenkonzept dadurch aus, daß es in der linguistischen Arbeit nicht nur in der Semantik49 schon ertragreich eingesetzt worden ist (vgl. 2.3.5 und 2.4). Des weiteren muß deutlich hervorgehoben werden, daß, während die Stereotypen isolierte und unstrukturierte Items sind, das Prototypenmodell durch die Gewichtung der Attribute eine Struktur innerhalb der Kategorien und Beziehungen zwischen den Kategorien widerspiegelt. Ich habe ja schon ausdrücklich auf das Kategoriensystem hingewiesen, das durch eine Verbindung der horizontalen und vertikalen Achse entsteht. Dieses Kategoriensystem erinnert stark an Postulate und Modelle aus der strukturalistischen Semantik; es stellt eindeutig einen weitaus geeigneteren Ausgangspunkt für semantische Überlegungen dar als die isolierten Stereotypen. Es scheint durchaus denkbar und soll im praktisch-empirischen Teil dieser Arbeit durchexerziert werden, die Vorteile der Prototypentheorie mit den unabstreitbar wertvollen Methoden der strukturalistischen Semantik eines Lyons oder Coseriu zu verbinden. Ich will die Gegenüberstellung resümieren: Das Prototypenkonzept besticht durch seine empirische Fundierung, die explizite Detailarbeit auf der Attributenebene, die Anwendbarkeit auf lexikalisch-semantische Fragestellungen und den Aspekt der Struktur. Es scheint mir deshalb bedeutend leistungsfähiger zu sein. Dies bedeutet aber nicht, daß das Stereotypenkonzept wieder völlig in der Versenkung nicht-akzeptierter wissenschaftlicher Konzepte ver-
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Vgl. etwa drei Beispiele für Anwendungen des Prototypenbegriffs auf die Wortklassen: Leech, Deucbar & Hoogenraad (1982: 43), wo mit einem Bündel von drei unterschiedlich gewichteten Kriterien (Funktion, Form und Bedeutung) gearbeitet wird, Langacker (1987b) und Ungerer (1991: 171f).
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schwinden muß. In Fällen, in denen tentative Aussagen über Klischees oder Volkstheorien gemacht werden müssen, ist der Terminus Stereotyp gerade aufgrund der Tatsache geeignet, daß auch falsche oder sogar kontradiktorische Attribute integriert werden können. Man erinnere sich nur an das social stereotype aus Lakoffs Liste der Arten von Prototypen. Demnach kann als Endergebnis, wie so oft (vgl. z.B. Lipka 1987 über den Zusammenhang zwischen Prototypensemantik und Merkmalssemantik), festgehalten werden, daß eine Beziehung der Komplementarität vorliegt. Trotz der weitaus größeren Leistungsfähigkeit des Prototypenkonzepts brauchen die Stereotypen nicht als überflüssiges Nebenkonzept, sondern können als Ergänzung verstanden werden. Wie wichtig eine deutliche Differenzierung der Termini Prototyp und Stereotyp ist, mag ein kurzer Einblick in terminologische Verwendungen und Fixierungen im Bereich der germanistischen Linguistik zeigen. Wolski kommt in seinem Artikel "Zu Problemen des Prototypen- und Stereotypenansatzes in der lexikalischen Semantik" (1988) zu einem oberflächlich ähnlichen Resultat wie ich. Sein Vergleich ist aber insgesamt wenig hilfreich und konstruktiv, weil er beiden Ansätzen überaus skeptisch gegenübersteht. Er stellt zu Recht fest, daß beide Modelle aus unterschiedlichen Disziplinen stammen (Wolski 1988:415). Nach einer sehr kritischen Diskussion allerdings weniger Aspekte (vgl. auch 2.3.3, S.39) kommt er zu dem Schluß, daß beide in der lexikalischen Semantik einsetzbar sind unter der Bedingung, daß sie aus ihrem jeweiligen Postulatsrahmen herausgelöst werden (Wolski 1988: 421). Was und wieviel von den beiden Modellen noch übrig bleiben soll und wie eine Anwendung dieser Rudimente auf die lexikalische Semantik seiner Meinung nach aussehen würde, wird von Wolski leider nicht näher spezifiziert. Er verweist dafür u.a. auf Lutzeier (1985), der den Stereotypenbegriff von Putnam übernimmt und in seine linguistische Semantik integriert. Problematisch wird Lutzeiers interessanter Ansatz dadurch, daß er eigentlich den Terminus Stereotyp verwendet, aber offensichtlich den Roschschen Prototypenbegriff als Hyponym zum Begriff Stereotyp betrachtet (Lutzeier 1985: 115). Diese Ansicht kann aber vor dem Hintergrund der Diskussion in diesem Abschnitt nicht unterstützt werden. Schwarze (1982: 3) nimmt folgende terminologische Trennung vor: "Ein Prototyp sei ein typischer Referent", "ein Stereotyp hingegen sei die Menge der Eigenschaften, die einen Prototypen definieren". Der Nutzen dieser etwas willkürlich anmutenden Festlegung ist meines Erachtens zweifelhaft: Sie schränkt den Prototypenansatz, ohne daß dafür eine Notwendigkeit bestünde, auf konkrete Objekte ein (abstrakte Begriffe, Verben und Präpositionen haben in der Regel keinen Referenten) und vermischt die beiden Modelle in ungerechtfertigter Art und Weise. Die als Beispiele genannten Merkmale des Stereotyps für Stuhl ('dient zum Sitzen', 'hat eine Lehne und vier Beine...') könnten mit gleichem Recht der Praxis der Prototypenlehre zugeordnet werden.
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2.3 Roschs Kritiker
Schon im letzten Abschnitt ist die an sich selbstverständliche Tatsache erwähnt worden, daß die Prototypentheorie Roschscher Prägung nicht einhellig Anklang in der wissenschaftlichen Gemeinschaft der Psychologen und Linguisten gefunden hat. An den verschiedensten Aspekten sowohl im empirisch-praktischen als auch im interpretativ-theoretischen Bereich wurde Kritik geübt. Gegenstand dieses Abschnitts wird es sein, diejenigen von Roschs Kritikern herauszugreifen, deren Einwände aus linguistischer Sicht besonders schwerwiegend sind und entsprechend viel zur Weiterentwicklung der Prototypentheorie (vgl. 2.4) beigetragen haben.
2.3.1 Die frühen Kritiker In zwei mittlerweile klassischen Artikeln ritten Osherson & Smith (1981) und Armstrong, L. Gleitman und H. Gleitman (1983) scharfe Attacken gegen die noch junge Prototypentheorie. Diese Angriffe sind, so meine ich, elegant von Lakoff (1982: 30-43; 1987a: 136-152) pariert worden. Ich werde deshalb hier nur kurz den Schlagabtausch darstellen und ergänzen und im weiteren stattdessen jüngere Herausforderungen ausführlicher diskutieren. Osherson & Smith (1981) attackieren die Prototypentheorie in zwei Bereichen, nämlich bei kombinatorischen Begriffen und bei den Wahrheitsbedingungen für Konzepte. Dadurch wird schon deutlich, aus welchem Lager die Kritik stammt. Im einzelnen diskutieren sie konjunktive Begriffe wie striped apple, logisch leere und universale Begriffe wie z.B. apple that is not an apple und fruit that either is or is not an apple und disjunktive Begriffe wie z.B. wealth bestehend aus liquidity und investment. Sie stellen fest, daß für alle behandelten Fälle die Prototypentheorie in Verbindung mit der "fuzzy-set-theory" (Zadeh 1965) kein adäquates Erklärungsmodell bietet. Diese Kritik wird von Lakoff als nicht stichhaltig entlarvt, da sie erstens zu Unrecht die Verbindung der Prototypentheorie mit der fuzzy-set-theory für gegeben und unumgänglich akzeptiert und zweitens von einem überholten Stadium der Prototypentheorie, nämlich der Phase II (vgl. Tabelle 2.1, S.23), ausgeht. Schließlich demonstriert Lakoff, daß auch die von Osherson & Smith vorgeschlagene Alternativtheorie, die einen Begriffskern und einen Identifikationsmechanismus postuliert, nicht besser funktioniert. Auch Armstrong et al. (1983) machen den Fehler, die Prototypeneffekte als Struktur (d.h. als "ist eine Struktur" im Sinne von Lutzeier 1985: 53f) zu interpretieren bzw. die Prototypentheorie als Verarbeitungsmodell anzusehen. So bemängeln sie (1983: 270t), daß die Prototypentheorie kein bestimmtes Realisationsmodell anbiete und daß keine genaue Vorstellung über die Natur der Attribute sowie ihre Speicherung und Verarbeitung bestehe. Dazu kann nur wiederholt werden: Weder beabsichtigt die späte Prototypentheorie, auf diese Fragen schlüssige Antworten zu geben, noch ist die Alternativtheorie - sie baut auf Osherson & Smith (1981) auf - in dieser Hinsicht leistungsfähiger.
37 Armstrong et al. wiederholen die Roschschen Experimente über die Struktur von Kategorien für Begriffe, die wohldefiniert sind, nämlich EVEN NUMBER, ODD NUMBER, PLANE GEOMETRY FIGURE und FEMALE. Für alle Kategorien erhalten sie eine ähnliche interne Struktur wie Rösch und werten dies als Indiz für die Inkorrektheit der Prototypentheorie. Doch auch diese Wertung ist wiederum nur auf die oben erläuterte Fehlinterpretation der Prototypentheorie zurückzuführen. Armstrong et al. weisen lediglich nach, daß auch für Kategorien, die eigentlich klar definierbar sind, Prototypenefiekte auftreten. In diesem Zusammenhang weist Lakoff (1982: 26) auch darauf hin, daß die Experimente die Notwendigkeit unterstreichen, zwischen dem Grad der Kategorienangehörigkeit und dem Grad der Repräsentativität zu unterscheiden. Alle Mitglieder von Kategorien wie FEMALE oder ODD/ EVEN NUMBER sind im Hinblick auf ihre Kategorienzugehörigkeit gleichwertig, denn es gibt keine geraden Zahlen, die "gerader" als andere sind. Bezüglich ihrer Repräsentativität aber sind sie verschieden; 2 und 4 beispielsweise sind wohl repräsentativer für die Kategorie der geraden Zahlen als etwa 552 oder 776.
2.3.2 Heterogenität der Taxonomien Zum Einstieg in diesen Abschnitt sei der Leser gebeten, noch einmal den letzten Paragraphen im Abschnitt 2.2.1.5 (S.14) über das unerwartete Testergebnis in Rösch et al. (1976) zur Kenntnis zu nehmen. Wider Erwarten, aber doch intuitiv einleuchtend, erwiesen sich TREE, BIRD und FISH als psychologisch auffälliger als etwa MAPLE, ROBIN oder COD. Dieses mit der dortigen Testhypothese etwas schlecht vereinbare Resultat wurde von Rösch et al. (1976: 392f) dahingehend gedeutet, daß bei biologischen Taxonomien eine Verschiebung der Basisebene stattfindet. Wierzbicka (1985: 158f) kritisiert meines Erachtens zu Recht, daß diese Erklärung mit der Behauptung, die Basisebene sei immer die mittlere Ebene einer Taxonomie, nicht gut einhergeht, wenn man die schon erwähnte Taxonomiengrundstruktur nach Berlin et al. (1973) zugrunde legt. Die Definition der Basisebene als der psychologisch auffälligsten ist mit dem Verständnis als mittlerer Ebene in Taxonomien nicht immer kompatibel. Wie ist das zu erklären? Wierzbicka (1985: 260ff) sieht die Ursache in der mangelnden Differenzierung des Taxonomiekonzepts. Ihrer Meinung nach verfallt Rösch der "fallacy of set inclusion" (Wierzbicka 1985: 261), indem sie die logische Beziehung der Merkmalsinklusion unreflektiert auf die begriffliche Beziehung kind of überträgt. Zur Verdeutlichung: All oaks are trees, and not vice versa, therefore an oak is a kind of tree. (Wierzbicka 1985: 261)
Hier funktioniert die Merkmalsinklusion auf der semantischen Ebene wie auf der logischen. Aber: Every policeman is somebody's son, and not vice versa, but this does not mean that a policeman is conceptualized in English as a kind of son." (Wierzbicka 1985: 261)
Wierzbicka unterscheidet in umfangreichen Diskussionen insgesamt fünf verschiedene Arten von Taxonomien bzw. Nicht-Taxonomien. Es ist keineswegs unser Anliegen, diese hier in
38 ähnlich detaillierter Form wiederzugeben.50 Es ist aber sinnvoll, die berechtigte Kritik an Rösch im Prinzip zu verdeutlichen. Echte Taxonomien mit einer typischen ldnd-of-Bez\ehung bestehen im Bereich der natürlichen Arten: a flower is a kind of plant, a robin is a kind of bird etc. Dies gilt auch für die Beziehung zwischen untergeordneter und Basisebene bei nominellen Arten: a kitchen chair is a kind of chair. Zwischen Basisebene und übergeordneter Ebene trifft dies aber nicht mehr zu. Die Beziehung car - vehicle beispielsweise weicht von der Jb'/tt/-o/-Beziehung ab. Während robin, swallow und penguin in einer Kategorie sind, weil sie zur selben Art gehören, fassen wir car, bus und truck aufgrund ihrer gemeinsamen Funktion in einer Kategorie zusammen (vgl. a. Wierzbicka 1990a: 355f). Natürliche Arten sind "gegeben", sie erzeugen echte Taxonomien der kind-of-Beziehung, Artefakte dagegen bilden aus rein funktionalen Gesichtspunkten Oberbegriffe (Wierzbicka 1985: 263ff; Cruse 1986: 140; Keil 1987: 186; Brown 1990: 43). Beispiele aus Rösch et al. (1976: 388) wären MUSICAL INSTRUMENT, TOOL, CLOTHING, FURNITURE, VEHICLE; auch FRUIT hat funktionalen Charakter (vgl. Lyons 1981: 72). Diese unterscheiden sich grundlegend von den anderen Kategorien TREE, FISH, BIRD, nicht nur wie von Rösch et al. dargestellt durch das Merkmal [± biological taxonomy], sondern auch durch die semantische Beziehung zwischen den hierarchischen Ebenen und den Grad der Kategorienvagheit. Funktionale Kategorien sind vager als rein taxonomische Kategorien (Wierzbicka 1985: 268f, 286; vgl.a. 3.2). Aufgrund sprachlicher und begrifflicher Überlegungen unterscheidet Wierzbicka (1985: 269ff) "collective supercategories: singularia tantum vs. pularalia tantum" und "heterogeneous classes of'stuffs' and choppable things" als weitere nicht-taxonomische Oberbegriffe, auf die ich nicht weiter eingehen möchte. Es bleibt festzuhalten: Rösch & Mervis (1975) und Rösch et al. (1976) behandeln unterschiedliche Beispiele von Hierarchien in gleicher Weise. Ihre Beispiele knife, words und foot verhalten sich aber zu ihrem (durchaus zweifelhaften) Oberbegriff WEAPON sicher nicht ähnlich wie maple, birch und oak zu TREE. Die letzteren werden immer Arten von Bäumen sein, bei den ersten drei Beispielen ist nur die Funktion ähnlich und, was Quelle weiterer Kritik ist, die Funktion als Waffe kommt einem sicherlich nur vor dem Hintergrund der Versuchsanordnung und der Fragestellung in den Sinn. Offensichtlich spielt der Kontext eine entscheidende Rolle. Seinem bedeutenden Einfluß werde ich mich im nun folgenden Abschnitt zuwenden.
2.3.3 Der Einfluß des Kontexte Der Einfluß des Kontexte ist in zweifacher Hinsicht Quelle für Kritik an Roschs Versuchen und Interpretationen. Der erste Aspekt, nämlich die Tatsache, daß der Faktor Kontext in Roschs Experimenten de facto unberücksichtigt bleibe, ist schon im Zusammenhang mit der Interpretation der Versuche angeklungen (vgl. 2.2.2.4). Rösch äußert sich zu dieser Thematik
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Noch feinere Unterscheidungen trifft Cruse (1986), der sich allerdings dadurch von unterscheidet, daß sein Buch in hohem Maße stnikturalistisch-sprachimmanent orientiert ist.
Wierzbicka
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insofern etwas fatalistisch, als sie lediglich die mangelnde Konstruktivität in Form von Altematiworschlägen seitens der jeweiligen Kritiker moniert. Sie hält ihre Versuche in einem allgemeinen Kontext für aussagekräftig und gültig. Diese Ansicht wird durch Versuche von Roth & Shoben (1983) untermauert. Sie stellen fest, daß Experimente mit kontextfreien Stimuli die Prototypikalitätsskala in relativ allgemeinen Kontexten richtig vorhersagen (1983: 376). Die zweite Form der Kritik an Rösch in bezug auf den Einfluß des Kontexte stammt vor allem aus der germanistischen Linguistik (vgl. Lutzeier 1985: 115; Wolski 1988: 419). Von Wolski wird die Ansicht vertreten, die unterschiedliche Typikalität von Kategorienmitgliedern sei lediglich auf die von den VPn jeweils verschieden angenommenen Kontexte zurückzuführen. Der fehlende Kontext in Verbindung mit der Kollektivierung individueller Urteile wird als Quelle der Prototypikalität postuliert. Wolski (1988: 419) stellt fest: Bei Beschränkung auf usuelle Kontexte würde der Prototypenargumentation der Boden entzogen - mit gleichzeitiger Auflösung des Anspruches, etwas über angeblich 'unscharfe Begriffe' ('fuzzy concepts') aussagen zu können.
Dieser Auffassung muß unter Berücksichtigung von Roth & Shoben (1983) entschieden widersprochen werden. Der Artikel berichtet über vier Experimente zur Überprüfung der Auswirkungen des Kontexts auf die Struktur von Kategorien. Die Versuche ergaben zwar, daß die Verteilung der Repräsentativität von Kategorienmitgliedern mit der Einführung eines Kontexts völlig neu strukturiert wird. Das im kontextfreien Text für die Kategorie BIRD periphere chicken wird vor dem Kontext des Satzes The bird walked across the farmyard zum Prototypen. Roth & Shoben (1983: 370) machen aber auch keinen Hehl daraus, daß auch in sehr speziellen Kontexten eine Prototypikalitätsskala erhalten bleibt: In addition, the results reveal a number of parallels between category terms presented in context and category terms presented in isolation. Experiment 2 showed that category terms presented in context can generate a graded GOE [= goodness of example] distribution similar in form to the typicality distribution in the absence of context
Was sich also ändert, ist der Inhalt der Kategorienstruktur durch eine an den Kontext angepaßte völlige Restrukturierung, das eigentliche Prinzip der Kategorienstruktur bleibt dagegen intakt. Zu demselben Resultat kommt Barsalou (1987: 101) in einer ausführlichen Übersicht über Ergebnisse der empirischen Forschung zu gradierten Strukturen. Dies sind eindeutige Argumente gegen die Vorbehalte von Wolski bzw. seine Anprangerung eines "angedichtete[n] Vagheitsproblem[s]" und einer "angebliche[n] Vagheit" (1988: 419). In dem Artikel Wolski (1988) geht der Verfasser, ähnlich wie schon in Wolski (1980: 149ff), derart hart mit Rosens Versuchen und Erkenntnissen ins Gericht, daß ich mich einiger weniger Anmerkungen nicht enthalten kann. Meines Erachtens beruht Wolskis Kritik auf einigen Ungenauigkeiten bzw. Unterlassungen: Zum einen wird - ganz wie bei Armstrong et al. (1983), die auch zitiert werden - die überholte Form der Prototypenlehre angegriffen. Von einem "unterschiedliche^] Grad [...] der Kategorienmitgliedschaft" (1988: 418; meine Hervorhebung) für definitorische Konzepte ist spätestens seit Lakoff (1982), implizit sogar schon seit Rösch (1977) mit der Aufgabe der statistischen zugunsten der funktionalen Prototypikalitätserklärung (vgl. S.27), keine Rede mehr. Zweitens werden die "Vagheit und
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'Fuzzy Sets Theory"' (1988: 416) in einen Topf geworfen, als wären sie untrennbar miteinander verbunden.51 Tatsache ist aber, daß schon in Rösch (1977) und (1978) dasfuzzysef-Konzept nicht einmal mehr genannt wird. Andererseits sind, drittens, wichtige Roschsche Konzepte wie die Familienähnlichkeiten, die kognitive Ökonomie oder die Bedeutung der Basisebene der Kategorisierung in Wolski (1988) überhaupt nicht erwähnt. In gleicher Weise werden, viertens, die für den Problemkreis höchst relevanten Veröffentlichungen Labov (1973), McCloskey & Glucksberg (1978) und Roth & Shoben (1983) dem Leser nicht zur Kenntnis gebracht. Stattdessen werden Kay & McDaniel (1978) - zwei der bedeutendsten Befürworter der Prototypenlehre, bzw. der Vorstellung von "graded degrees of membership" (1978: 625) - mit der Bemerkung zitiert, daß jede Farbkategorie wohldefinierte Grenzen hat (Kay & McDaniel 1978: 623), Über die hinaus trotz Zuordnungsspielraum eine Kategorie nicht ausgeweitet werden kann. (Wolski 1988: 417).
Daß Kategorien Grenzen haben, wurde auch von der Prototypenlehre nie bestritten. Daß man im kontinuierlichen Spektrum der Farben als letzte Instanz die nächste Fokalfarbe als Kategoriengrenze postulieren kann, leuchtet auf Anhieb ein und gehört zu den Grundpfeilern der Prototypentheorie; ein prototypisches Rot wird nie ein peripheres Gelb werden. Beide Tatsachen ändern aber nichts an der Erkenntnis der unterschiedlichen Repräsentativität von Kategorienmitgliedern und der unscharfen Natur der Kategoriengrenzen, die von Vertretern der Prototypenlehre meines Erachtens zu Recht so nachdrücklich befürwortet werden.
2.3.4 Ähnlichkeit als Grundlage der Kategorienkohärenz Roschs Prototypenmodell der Kategorisierung arbeitet, wie die meisten anderen Modelle, z.B. das klassische auch, mit der Ähnlichkeit als Erklärungsmodell der Kategorien. Ganz besonders leicht erkennbar ist dies natürlich beim Familienähnlichkeiten-Modell. Die Ähnlichkeit wird zur Erklärung der Frage bemüht, wie die Mitglieder einer Kategorie als Begriff zusammengehalten werden. Das Prinzip der Familienähnlichkeiten dient als kategorienbildendes Prinzip, es erzeugt Kategorienkohärenz. Diese grundsätzliche Annahme der Prototypentheorie wird von Murphy & Medin (1985) und Medin & Wattenmaker (1987) angegriffen und als unzureichend entlarvt. Ihren eigenen Vorschlag eines theory-based approach verstehen sie eher als Ausbau denn als Widerlegung des Ähnlichkeitskonzepts (Medin & Wattenmaker 1987: 33). In beiden Artikeln wird als Musterbeispiel eines auf Ähnlichkeit basierenden Ansatzes das "contrast model" von A. Tversky (1977) ins Visier genommen. Da Tversky (1977) in mancher Hinsicht als Weiterentwicklung von Rösch verstanden werden kann, gelten die Kritikpunkte am contrast model in gleichem Maße für Roschs Ansatz (vgl. Murphy & Medin 1985: 292f; Medin & Wattenmaker 1987: 26ff):
Denselben Fehler begeht auch Cruse (1990: 386ff) in seinem Versuch, sich der Prototypensemantik zu öffnen, nachdem er in Cruse (1986) den Prototypenbegriff noch völlig vernachlässigte.
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Es gibt keine Beschränkung, außer empirischer Testerfahrung, was als Attribut für einen Begriff gelten darf; die Listen können theoretisch auch endlos lang sein. To illustrate this point Murphy and Medin (1985) argue that the number of attributes that plums and lawnmowers have in common could be infinite: both weigh less than 1.000 kilogrammes (and less than 1.001 kg), both are found in our solar system (on the earth, etc.), both cannot hear well, both have a smell, both can be dropped, both take up space, and so on. (Medin & Wattenmaker 1987: 27).
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Entscheidender Faktor bei der Erzeugung der Kategorienkohärenz ist die Gewichtung der Attribute; z.B. wären ein Stinktier und ein Zebra eher in einer Kategorie als ein Pferd und ein Zebra, wenn das Attribut gestreift entsprechend dominant gewichtet wäre. Werden alle Attribute gleichwertig behandelt, stellt dies einen Rückschritt zur klassischen Theorie dar. Legt man die Gewichtung fest, so ist die Berücksichtigung des Kontexts nicht mehr möglich. Läßt man die Gewichtung völlig offen, so wird das Konzept der Ähnlichkeit so flexibel, daß eine Erklärung der Kategorienkohärenz praktisch unmöglich bzw. willkürlich wird. Die Gewichtung der Attribute scheint also ein schier unlösbares Problem aufzuwerfen. Eng mit dem Problem der Gewichtung verbunden ist das der Heterogenität der Attribute (Aitchison 1987: 60). Die Attribute müßten nicht nur unterschiedlich gewichtet sein, sondern entstammen völlig verschiedenen Bereichen wie z.B. Form des fraglichen Objekts vs. Wissen des Sprechers über Funktions- oder Lebensweise des Objekts. Eine objektive Beurteilung der Attribute erweist sich deshalb als sehr schwierig. Selbst wenn man das einfache Attributenmodell zu einem korrelierten Attributenmodell ausweitet, wie es in Rösch et al. (1976) geschehen ist, werden die Probleme nicht kleiner. Das korrelierte Attributenmodell sagt aus (vgl. 2.2.2.1), daß Merkmale nicht isoliert, sondern in Clustern in der Welt auftreten. Die Beziehungen unter den Merkmalen sind jedoch so zahlreich (Keil 1981b), daß völlig unklar ist, weshalb gerade bestimmte Bezüge für die Kategorie ausgewählt werden. Problematisch sind auch - wie schon von Rösch selbst bemerkt (1978: 41f; vgl. 2.2.2.2) funktionale, relationale und Teil-eines-Ganzen-Attribute (vgl. Pul man 1983: 97), da sie erst nach Kenntnis der Kategorie identifiziert werden können. Auf diese Weise entsteht die Gefahr der Zirkularität. Ich hatte schon weiter oben als Beispiel das Attribut der Möbelhaftigkeit für die Kategorie FURNITURE erwähnt. Zirkularität kann Rösch auch deshalb vorgeworfen werden, weil viele Attribute selbst besser als Kategorien angesehen werden müssen; auch dieses Problem war Rösch natürlich nicht entgangen (vgl. Mervis & Rösch 1981: 106; Pulman 1983: 98).
Diese Einwände gegen alle auf Ähnlichkeit basierenden Kategorisierungsmodelle und somit auch gegen das Prototypenmodell sind primär theoretischer Natur und können durch die empirische Arbeit etwas entkräftet werden. So verliert etwa der Angriff auf die theoretische Endlosigkeit der Attributenlisten stark an Vehemenz, weil die Merkmalslisten bei Rösch ja auf empirischem Weg ohne Vorgaben gefunden wurden (vgl. Rösch & Mervis 1975, Rösch et al. 1976). Dasselbe gilt für die Gewichtung der Attribute. Trotzdem ist die Kritik sehr ernst zu nehmen und verlangt eine Modifizierung und Weiterentwicklung der Prototypentheorie. Ich
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werde deshalb bei meiner Behandlung der "Kinder" Roschs (vgl 2.4.2) und der Metapher (vgl. 3.2) noch mehrmals auf die Problematik der Ähnlichkeit zurückkommen.
2.3.5 Begrenzter Objektbereich Cuyckens (1984a) vergleicht, nachdem er den klassischen Ansatz der Kategorisierung für unzureichend befunden hat, den Roschschen Prototypenansatz mit der Mischtheorie von Armstrong et al. (1983). Er kommt zu dem Schluß, daß beide Modelle ihre Vor- und Nachteile aufweisen und für unterschiedliche Bereiche verschieden gut einsetzbar sind. Während bei definierbaren Begriffen wie odd/ even number, female oder den natürlichen Zahlen die Mischtheorie, bestehend aus Begriffskern und Identifikationsmechanismus, geeigneter zu sein scheint, hält Cuyckens die Prototypentheorie z.B. bei konkreten Objekten für leistungsfähiger und adäquater (1984: 181). Ähnlich argumentiert Lipka (1987), der die Prototypensemantik der Merkmalssemantik gegenüberstellt. It is obvious that the concept of prototype may be more easily applied to natural classes, noun classes and the categorization of objects than to verbs and more abstract categories. (Lipka 1987a: 291).
Er hält deshalb die Prototypensemantik nicht für eine Alternative, sondern für eine hilfreiche Ergänzung zur Merkmalssemantik. Intuitiv neigt man dazu, sich den Argumenten der beiden Autoren zu beugen und Grenzender Anwendbarkeit der Prototypentheorie anzuerkennen. Dies sollte aber auf keinen Fall geschehen. Meiner Ansicht nach begeht Cuyckens, ähnlich wie Armstrong et al. (1983), den Fehler anzunehmen, daß definitorische Kategorien auch defmitorisch interpretiert werden. Gerade die Versuche von Armstrong et al. zeigen aber, daß auch definitorische Kategorien Prototypeneffekte aufweisen, d.h. daß es innerhalb der Kategorie unterschiedliche Grade der Repräsentativität gibt. Lakoff (1986: 36ff) demonstriert am Beispiel mother, daß der angenommene Begriffskem, der ja der klassischen Theorie mit notwendigen und hinreichenden Kategorien entspricht, keineswegs so eindeutig ist, wie Armstrong et al. und mit ihnen Cuyckens annehmen. Das Merkmal a woman who has given birth to a child, das den möglichen Begriffskern im Sinne der Mischtheorie fassen würde, gilt weder für stepmothers, adoptive mothers oder foster mothers; trotzdem würden alle diese Mütter von ihren '''Kindern (um welche Art von Kindern handelt es sich im Einzelfall?) als mother bezeichnet. Lipkas Behauptung stellt meines Erachtens weniger einen theoretischen Vorbehalt dar als vielmehr ein Urteil über die bis 1987 (bzw. etwas früher) erfolgten Anwendungen der Prototypentheorie. Die bis zu diesem Zeitpunkt veröffentlichten Arbeiten außerhalb der konkreten Kategorien waren tatsächlich spärlich oder nicht weitreichend bekannt. Die wichtigsten sind: Brugman (1981) über over, Coleman & Kay (1981) über das Verb lie, Lindner (1981) über Verb-Partikel-Konstruktionen mit up und out, Geeraerts (1983, 1984) über die diachronische Entwicklung von holl. vergrijpen, Rudzka-Ostyn (1985) über holl. uit und poln. vvy, Geeraerts (1985a) über holl. type. Lipka ist aber völlig zu Recht sehr vorsichtig
43 und setzt das obige Zitat mit der Einschränkung fort: "In principle, however, this is by no means impossible." (1987a: 291). In der Tat hat sich der Objektbereich der Prototypentheorie im letzten halben Jahrzehnt stark ausgeweitet. Daß die Prototypentheorie auch im Bereich der Verben einsetzbar ist, zeigen neben den Klassikern Coleman & Kay (1981) auch Geeraerts (1983, 1984), RudzkaOstyn (1989) über ask und Dirven (1991) über agree. Insgesamt ist eindeutig ein Trend weg von konkreten Objekten zu möglichst vieldeutigen Lexemen zu erkennen, wobei sich die Präpositionen und Partikel als Musterbeispiele vielseitig einsetzbarer lexikalischer Einheiten besonderer Beliebtheit erfreuen. Neben den oben schon erwähnten Studien auf diesem Gebiet wären hier in erster Linie die Arbeiten zu konkreten und übertragenen Verwendungen der räumlichen Präpositionen von Fillmore (1982), Hawkins (1984, 1988), Radden (1985, 1989), Herskovits (1986, 1988), Schulze (1988, 1990a Ms., 1990b, 1991), Cuyckens (1988, 1991), Taylor (1988) und Kalisz (1990) zu nennen. Hier wird deshalb besonders intensiv gearbeitet, weil die räumlichen Präpositionen für die Prototypentheorie bzw. die kognitive Semantik zwei entscheidende Vorteile mit sich bringen: Sie sind weitverzweigte, vieldeutige Kategorien und basieren auf der Raumwahrnehmung. Als meine Aufgabe fasse ich es auf, den Gegenstandsbereich nicht nur nach der Wortart, sondern auch nach dem Abstraktionsgrad und der Methodologie zu variieren und differenzieren. Deshalb setze ich mich in den empirischen Kapiteln 4 bis 6 mit konkreten und abstrakten Substantiven sowie Verben, mit subordinate und superordinate terms, mit Feld-, Einzelwortund Synonympaaranalysen und schließlich mit der Korpus- und der Interviewmethode auseinander. Aufgrund dieser Fülle von Fragestellungen halte ich es für gerechtfertigt, den Bereich von Präpositionen und Partikeln, der im Rahmen der kognitiven Semantik ohnehin primär bearbeitet wird, auszuklammern.
2.4 Roschs Kinder: Kategorienstrukturen
Alle im letzten Abschnitt erwähnten praktisch-semantischen Untersuchungen waren mit zum Teil beträchtlichen Modifizierungen der Prototypentheorie Roschscher Prägung verbunden, deren Notwendigkeit auch schon in den Kapiteln 2.3.3 und 2.3.4 unterstrichen wurde. Roschs bahnbrechende Arbeiten hatten zwar die Schranke aufgezeigt, mit der klar definierte Kategorien, deren Mitglieder mit Hilfe von notwendigen und hinreichenden Bedingungen gleichwertig zugelassen sind, konfrontiert sind; auch hatte sie den Ausweg zu "natürlichen" Kategorien mit internen Strukturen bestehend aus Prototypen und peripheren Mitgliedern beschrieben. Damit war aber der Weg für eine fruchtbare semantische Arbeit im Bereich der Linguistik noch lange nicht geebnet. Rösch stellte ihren geistigen Kindern lediglich einen Wegweiser auf, der sie in eine neue vielversprechende Richtung lenkte. Das Prototypenmodell stattete Roschs Nachfolger in der Kategorienforschung nur gleichsam mit einer stilisierten Landkarte im großen Maßstab aus. Das detaillierte Netz von Straßen und Wegen galt es noch zu erforschen.
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Als größtes Hindernis bei diesem Vorhaben stellte sich das Wesen der Struktur der Kategorien heraus. Es war völlig unklar, durch welche Arten von Beziehungen die intrakategoriale Struktur hergestellt wird. Welcher Natur und welchen Ausmaßes sind die Unterschiede zwischen Prototyp und Kategorienperipherie? Wie lassen sich die angenommenen Beziehungen am besten darstellen, oder, um im geo- bzw. kartographischen Bild zu bleiben, wie sollen die Knotenpunkte und Wegstrecken gekennzeichnet und in die Karte eingetragen werden? Weiterhin war auch immer noch unklar, wie man sich die Natur eines Prototyps vorzustellen hatte. Ausgerüstet mit dem abstrahierten Plan Rosens machte sich eine ganze Reihe von Linguisten an die Arbeit und - wen mag es wundern? - kam zu einer Vielzahl unterschiedlicher Ergebnisse. Die beiden umfangreichsten und detailliertesten Atlanten für den Dschungel der Kategorien sind bislang von Lakoff (1987a) und Langacker (1987a) entworfen worden52, die beide von mehreren "Taschenausgaben" flankiert sind (Lakoff 1982, 1986, 1987b; Langacker 1983,1988a,b,c). Weitere kundige Führer durch die Kategorienlandschaft, die sich vor allem durch Klarstellungen, Aufräumungsarbeiten und praktisches Arbeiten hervorgetan haben, sind im europäischen Raum Geeraerts (1983, 1985a, 1987, 1988a, b, c, d, e, 1989, 1990a, b) und Rudzka-Ostyn (1985, 1988a, b, 1989). Lakoff und Langacker haben beide komplexe Systeme von Kategorienstrukturen entwikkelt, die zwar vom Ansatzpunkt und der Terminologie her sehr verschieden, in der Anwendung aber durchaus kompatibel sind (vgl. Langacker 1988d: 384). Als Beispiel für einen Ansatz, der beide Modelle integriert, läßt sich Schulze (1988, 1990a Ms.) nennen. Der Titel dieses Kapitels ist bewußt zweideutig gewählt worden. "Kategorienstrukturen" können entweder kategorieninterne Strukturen sein, deren Problematik bislang geschildert wurde, oder interkategoriale Strukturen, also Beziehungen zwischen verschiedenen Kategorien. Zum Beispiel wäre die Beziehung zwischen apple und banana als Mitgliedern der Kategorie FRUIT als Problem intrakategorialer Strukturen anzusehen, während der Kontrast zwischen DOG und cow als interkategorialer Kontrast anzusehen ist. Schon die Beispiele machen die Sinnlosigkeit einer derart strikten Trennung zwischen beiden Aspekten deutlich und rechtfertigen die intendierte Ambiguität der Kapitelüberschrift. Selbstverständlich läßt sich das Paar DOG - cow als Auszug aus der Mitgliederliste einer Kategorie MAMMAL oder ANIMAL oder LIVING BEING oder OBJECT usw. interpretieren. Eine allgemeine, theoretisch klar fundierte Trennung zwischen intrakategorialen und interkategorialen Beziehungen ist nicht sinnvoll, da beide Aspekte notwendigerweise bedeutsam werden, sobald zwei verschiedene Ebenen taxonomischer Tiefe eingeführt werden. Auf der einstufigen Ebene DOG vs. CAT vs. cow liegen interkategoriale Beziehungen vor, sobald aber z.B. ANIMAL als übergeordenete Kategorie hinzugenommen wird, entwickelt sich die Angelegenheit zu einem intrakategorialen Problem. In die Sprache strukturalistischer Bedeutungsbeziehungen übersetzt würde dieser Sachverhalt so klingen: Prinzipiell sind Synonymic und die verschiedenen Arten des Bedeutungs52
Vgl. dazu auch die Rezensionen von Langacker (1988d), Flanagan (1989) und Aitchison (1990c) zu Lakoff (1987a) und Lehmann (1988) sowie Hudson (1989) zu Langacker (1987a).
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kontrastes sowie die Ko-Hyponymie Beziehungen, die zwischen verschiedenen Kategorien bestehen. Kommt aber eine Hyponymiebeziehung in Form eines Hyperonyms (= superordinate = Archilexem) ins Spiel, so handelt es sich strenggenommen nur noch um eine Kategorie, also um intrakategoriale Beziehungen innerhalb einer, wenn auch taxonomisch höherstehenden, Kategorie. Es findet offensichtlich ein Wechselspiel zwischen den verschiedenen Aspekten statt, je nachdem, welche Dimension des Kategoriensystems im Vordergrund steht. Als Konsequenz aus diesem ambivalenten Status der Kategorienstrukturen muß gefordert werden, daß die jeweilige(n) Ebene(n) des Interesses gekennzeichnet und erkennbar ist (sind), d.h. daß der relevante Ausschnitt aus den Kategorienbeziehungen in vertikaler (z.B. ANIMAL MAMMAL - DOG - ALÄVTIAN) und in horizontaler Richtung (z.B. DOG - CAT - cow) spezifiziert wird. "When an analysis is done on different levels of abstraction, it is important to maintain them separate." (Vandeloise 1990: 410f).53 Im gegenwärtigen Kapitel werde ich wie folgt vorgehen: Ich werde mit Hilfe von Lipkas Konzept der dual categorization in den Bereich der Kettenbildung innerhalb von Kategorien einleiten (2.4.1). Davon ausgehend werde ich mich mit Lakoffs Idealized Cognitive Models und seinen radialen Kategorien auseinandersetzen (2.4.2). Diese beiden Abschnitte sind vorrangig auf den intrakategorialen Bereich hin orientiert, wir bewegen uns hier prinzipiell nur auf einer taxonomischen Ebene. Im Punkt 2.4.3 werde ich mich mit Langackers Kategoriennetzwerken beschäftigen, die über eine Ebene hinausgehen, aber als Darstellungen von Einzelkategorien konzipiert sind. Sie spiegeln demnach voll den Mischcharakter des Begriffs "Kategorienstrukturen" wider. In 2.4.4 werde ich dann zu Problemen übergehen, die primär die vertikale Achse der Inklusionsbeziehungen betreffen. Im Anschluß an dieses Kapitel wird Kapitel 2.5 einen selektiven Einblick in die Problematik des Kategorienerwerbs bringen.
2.4.1 Ketten innerhalb von Kategorien Im folgenden gilt es, vornehmlich intrakategoriale Strukturen, also Beziehungen zwischen den in verschiedenen Ausmaßen prototypischen Angehörigen einer Kategorie zu beschreiben. Dazu müssen einige Vorbemerkungen gemacht werden: Pauschale Aussagen darüber, auf welche Art und Weise und in welchem Ausmaß bestimmte Kategorienmitglieder vom Prototyp abweichen, sind nicht zu erwarten. Dies ist einerseits darauf zurückzuführen, daß die Distanz zum Prototyp mit dem Kontext fließend variiert - was ja durchaus auch mit den Hauptprinzipien der Prototypensemantik vereinbar ist. Andererseits kann es nicht darum gehen, Verhältnisse so zu beschreiben, "wie sie wirklich sind", sondern sie vor dem Hintergrund der verwendeten Theorie möglichst den Fakten angemessen, übersichtlich und aufschlußreich darzustellen. Leider wird dieser Aspekt zu oft in der Schwebe gelassen oder übergangen. Es soll deshalb noch einmal
Sinngemäß so auch schon Langacker (1983: 55).
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betont werden: Bei der Beschreibung von Kategorienstrukturen (wie ich sie auch in den drei empirischen Kapiteln dieser Arbeit präsentieren werde) ist das Ziel nicht die einzig wahre Darstellung, sondern eine deskriptiv-adäquate und verständliche. Diese Überzeugung findet sich auch bei Hörmann und Langacker: "there will always be more than one theoretical structure which is compatible with the data of the experiments" (Hörmann 1986: 146). Langacker (1987a: 28) stellt sich entschieden der "exclusionary fallacy" entgegen, also der fälschlichen Annahme, es gäbe nur eine richtige Analyse sprachlicher (und auch anderer) Phänomene, die alle anderen ausschließt. Wir haben es mit einem Gradienten der Abweichung vom Prototypen zu tun, dessen Einteilung ein bestimmtes Maß an Willkür fordert, sowohl was die Feinheit der Unterscheidungen betrifft (was ist der minimale Unterschied, den ich als solchen postulieren will?) als auch was die angesetzten Grenzen angeht (was ist schon figurativer Gebrauch, was ist es noch nicht?).
Als Einstieg in den Bereich der primär intrakategorialen Strukturen will ich mich zuerst mit deutlich erkennbaren Beziehungen innerhalb von Kategorien auseinandersetzen. Es handelt sich um kategorienausdehnende Verwendungsweisen von Lexemen, die traditionell mit den Termini Metapher und Metonymie bezeichnet werden. Diese Übertragungsbeziehungen sind zwar keineswegs die geringfügigsten strukturverursachenden Prinzipien innerhalb von Kategorien, ich möchte aber trotzdem mit ihnen meine Diskussion beginnen, weil sie sich aufgrund ihrer Vertrautheit als Einführung in die Materie gut eignen. Ich möchte das Grundmodul intrakategorialer Kettenbildung, das von Lipka (1988a, 1990a: 123ff) mit dem Terminus "dual categorization" benannt wird, anhand von einigen Auszügen aus Shakespeares Sonetten einleiten. (1) So long as men can breathe or eyes can see, So long lives this, and this gives life to thee. (18, 13-14) (2) Is it for fear to wet a widow's eye That thou consum'st thyself in single life? (9, 1-2) (3) Lo, in the orient when the gracious light Lifts up his burning head, each under eye Doth homage to his new-appearing sight Serving with looks his sacred majesty. (7, 1-4) (4) Mine eye and heart are at a mortal war How to divide the conquest of thy sight. (46, 1-2) (5) Sometimes too hot the eye of heaven shines, And often is his gold complexion dimmed. (18, 5-6) (6) Full many a glorious morning have I seen Flatter the mountain tops with sovereign eye. (33, 1-2) Gegenstand unseres Interesses ist das Lexem eye und die Kategorie, die sich vor dem Hintergrund dieses Mini-Korpus dahinter verbirgt. Wir wollen nicht zu unbedarft an die Untersuchung herangehen, sondern das Wissen über Attribute wie organ of sight (OALD)
47 oder part of the body bzw. part of the head5* stillschweigend voraussetzen. Ausgestattet mit dieser Kenntnis fällt es uns nicht schwer, Beispiele (1) und (2) zu deuten, denn es ist uns bekannt, daß Augen sehen und weinen können. Diese Attribute sind in unserer Vorstellung von prototypischen Augen enthalten. Bei Beispiel (3) werden wir erstmalig stutzen und eine mit Leisis "semantic discomfort" (21985: 132f; der Begriff geht auf C.S. Lewis zurück) verwandte Erfahrung verspüren. Wie kann ein Auge Ehrfurcht vor etwas zeigen und jemandem dienen? Prinzipiell sind hier zwei Erklärungen denkbar: Entweder sieht das Auge besonders ehrfürchtig und unterwürfig aus oder das Auge steht hier für den ganzen Menschen, der seine Ehrfurcht beweist und zu dienen bereit ist. Auffällig ist hier natürlich auch die Gegenüberstellung von eye und head; ich werde in Kürze darauf zurückkommen. In Beispiel (4) drängt sich die Frage auf, wie das Auge Krieg führen kann. Wieder bieten sich mindestens zwei Lösungen an: Vielleicht ist die Aussage mortal war nicht so wörtlich zu nehmen, vielleicht ist eye irgendwie umzudeuten, vielleicht aber auch beides. In den Beispielen (5) und (6) stellen wir schließlich mit Erstaunen fest, daß nicht nur Lebewesen, sondern auch abstrakte Entitäten wie der Himmel und der Morgen ein Auge haben; hier können wir vermuten, daß es sich wohl um die Sonne handeln muß. Was haben wir bei unserer zugegebenermaßen höchst naiven Lesart getan? Wir haben grundsätzlich einmal unsere Bereitschaft bekundet, auch auf den ersten Blick suspekte Wortgebräuche zu verstehen, und uns damit als kreative Sprachbenutzer ausgewiesen. Diese Neigung ist unabhängig von der Prototypentheorie schon von verschiedenen Autoren festgestellt worden, so z.B. von Hörmann (1976: 193): "Die Tendenz zu einer sinnvollen Auffassung steuert und bestimmt den Analyseprozeß", und Leech (21981: 7): It seems to be an incontrovertible principle of semantics that the human mind abhors a vacuum of sense; so a speaker of English faced with absurd sentences will strain his interpretative faculty to the utmost to read them meaningfully.
In ähnlicher Weise äußern sich auch Lehrer (1974: 89) und Fillmore (1975a: 137), jeweils vor dem speziellen Hintergrund der angewandten Merkmals- bzw. Frame-Semantik. Der Kem dieser Fähigkeit, nämlich die Annahme der Sinnhaftigkeit oder "Sinnkonstanz" (Hörmann 1976: 179ff) spiegelt sich auch im "Cooperative Principle" von Grice (1975: 45ff) wider. Welche Strategien unserer interpretative faculty haben wir nun in unserem einfachen Beispiel eingesetzt? Wir haben uns prinzipiell zweier Hilfsmittel bedient, die schon seit der Antike als Stilmittel bekannt sind und von Jakobson (1956) als die beiden Pole der Sprache bezeichnet werden: Metonymie und Metapher. Die fundamentale Bedeutung der Übertragung wird auch schon von Ullmann unterstrichen, wenn er betont, daß "metaphorical transposition is fundamental to the working of language" (1962: 163), und daß "these two forces [Metapher und Metonymie] are inherent in the basic structure of human speech" (1962: 223).
54
Vgl. in diesem Zusammenhang Cruse (1979: v.a. 36) zur Transitivität der Teil-Ganz-Beziehung und zur Sonderstellung von head als autonomes Ganzes. Während sich in der Regel /uu-a-Beziehungen auf das größte Ganze beziehen (vgl. " arm has fingers vs. The body has fingers) wird offensichtlich head als autonom angesehen (The head has a nose, eyes etc.).
48
Als definierende Merkmale von Metapher und Metonymie werden häufig Ähnlichkeit bzw. Nachbarschaft der Referenten angenommen (z.B. Ullmann 1962: 212, 218; Lipka 1988: 357t).55 Unsere Interpretationsversuche in (3) und (4) sind ausgezeichnete Beispiele für Metonymien: In (3) steht das Auge stellvertretend für den ganzen Menschen, der sich unterwürfig verhält, in (4) steht das Auge für die personifizierte wahrnehmende Instanz, die gegen den inneren, fühlenden Bereich, verkörpert und personifiziert durch das Herz, Krieg führt. In den Beispielen (5) und (6) handelt es sich um geradezu klassische Metaphern. Wir bedienen uns der Ähnlichkeit zwischen der Sonne und dem Auge (runde Form, die aus einem relativ gleichmäßigen Hintergrund hervorsticht; bestreicht die Welt mit Blicken bzw. Strahlen; die Erscheinung von Sonne / Auge sagt etwas über den Hintergrund, d.h. den Himmel und das Wetter bzw. das Gesicht und den Gemütszustand aus; ist am Tag hell und geöffnet, in der Nacht dunkel und geschlossen), um die fraglichen Metaphern zu interpretieren und zu verstehen. Indem wir zur Erhaltung der Sinnkonstanz diese Arten des semantischen Transfers nicht nur tolerieren, sondern bei der Deutung der Sätze bewußt einsetzen, dehnen wir die ursprünglich vorhandene Kategorie stark aus. Wir erklären uns dazu bereit, Wortgebräuche als Kategorienmitglieder anzuerkennen, die sich in beträchtlichem Ausmaß von den Prototypen, wie wir sie eingangs verstanden haben, entfernt haben. Auf diese Weise "[we] impose a dual (or even multiple) categorization on extralinguistic reality " (Lipka 1988a: 355). Im semantischen Transfer - vor allem in der Metapher und der Metonymie - liegt das Grundmodul der kategorialen Ausdehnung und Kettenbildung56 verborgen. Es läßt sich schematisiert wie in Abb. 2.3 (vgl. S.49) darstellen. Als zweites Beispiel, das noch besser das Prinzip der intrakategorialen Kettenbildung verdeutlicht und das erste Beispiel untermauern kann, soll die Etymologie des Lexems talent dienen. Die ursprüngliche Bedeutung des Wortes in der Antike, z.B. gr. talanton oder lat. talentum, war die einer Gewichtseinheit bzw. Waage. Durch eine Metonymie, die analog zu der häufigen Form Gefäß für Inhalt, etwa im Sinne von Maßeinheit fiir Wiegegut verlief, wurde die Kategorie auf die Menge des Wiegeguts, in der Regel Gold oder Silber übertragen, und so entstand die zweite Bedeutung als Geldeinheit. In diesem Sinn wird das Wort auch in der neutestamentlichen Parabel von den Talenten verwendet (Matthäus XXV, 14-30). Wahrscheinlich ausgelöst durch diese wichtige Bibelstelle erfolgt auf der Basis des Attributs 'wertvoll' ein weiterer Schritt der multiple categorization, dieses Mal als Metapher, zu der heute mittlerweile zentralen Bedeutung mental endowment, natural ability (2OED: s.v. talent, III.). Das Prinzip der Kettenbildung und das Prinzip der Familienähnlichkeiten wird hier besonders deutlich, weil eine sinnvolle Verbindung zwischen der ursprünglichen und der heutigen
55
Zu einer detaillierten Diskussion bezüglich Metapher und Metonymie vgl. Kapitel 3.1.
56
Der Begriff des "chaining within categories" stammt meines Wissens von Lakoff (1982:72; vgl. a. 1986: 30,1987a: 418ff). Er ist insofern nicht ganz glücklich gewählt, als durch das Bild der Kette die Vorstellung eines eindimensionalen Stranges evoziert wird, die nur bedingt sinnvoll ist Ich verwende den Begriff ebenso wie Lakoff trotzdem, da ich ihn zur verständlicheren Einführung in das Prinzip der komplexen radialen Kategorien (vgl. 2.4.2) bzw. der Kategoriennetzwerke i.S. Langackers (vgl. 2.4.3) als hilfreich erachte.
49
Bedeutung nur über das Bindeglied Wert, Geld bzw. Reichtum möglich war (unterstützt durch den großen Einfluß der Bibel auf die abendländische Kultur; diesen kann man auch an der Tatsache erkennen, daß der moderne Sinn von engl. talent auch im Deutschen, Französischen und Italienischen lexikalisiert ist). Die entstandene Kette läßt sich auch hier wieder gut graphisch darstellen (vgl. Abb. 2.4).
'eye' 'eye'
'eye' Metapher
'eye'
Metonymie
Metapher
Abb. 2.3: Semantische Übertragung als Grundmodul der Kategorienausdehnung57 'talent'
Metonymie
Metapher
Abb. 2.4: Graphische Darstellung der etymologischen Entwicklung von talent
57
Daß in der Darstellung zuerst nur eine metaphorische Übertragung abgebildet ist, hat lediglich expositorische Gründe und soll keineswegs eine wie auch immer geartete Priorität der metaphorischen vor der metonymischen Übertragung implizieren.
50
Nun liegt natürlich der folgende Einwand auf der Hand: 'Was hat die überaus große Fähigkeit Shakespeares zum Metapherngebrauch und die diachronische Analyse eines Lexems mit der intrakategorialen Kettenbildung zu tun? Beim Einen handelt es sich um kreativen literarischen Sprachgebrauch, beim Zweiten um die altbekannte Erscheinung des Bedeutungswandels. Es scheint schon etwas vermessen, wenn davon Aussagen über die Kategorisierung abgeleitet werden.' Diese Vorbehalte sind aber keineswegs gerechtfertigt. Figurative language, or semantic transfer [...] is not only a matter of stylistics and figures of speech in parole, but provides generalizable and productive regularities for the language system, also from a historical point of view. (Lipka 1988a: 355)
Daß Metaphern im Zusammenhang mit dem Lexem eye durchaus nicht außergewöhnlich sind, beweisen die lexikalisierten Verwendungen eye of a needle, a hook and eye und eye of a potato. Doch damit nicht genug: Körperteile generell sind eine sehr fruchtbare Quelle für Träger58 von Metaphern: arm (of tree, sofa), face, hands (of watch), foot, leg (of chair, table, sofa), head (of nail), lip (of cup), mouth (of cave, river), neck (of bottle, violin) (Lipka 1988a: 361). Ähnliche Anhäufungen von Übertragungen existieren auch in vielen anderen Bereichen: Übertragungen räumlicher Begriffe auf die Dimension Zeit, Übertragungen konkreter Begriffe auf abstrakte Bereiche, Tiermetaphern, Formübertragungen allgemeiner Art. Dementsprechend stellen Lakoff & Johnson, deren Buch übrigens eine wahre Fundgrube für Beispiele aus diesen Bereichen darstellt, völlig zu Recht fest, daß metaphors and metonymies are not random but instead form coherent systems in terms of which we conceptualize our experience. (1980: 41).
Die Vereinbarkeit von semantischem Transfer bzw. dual categorization, Prototypentheorie und Bedeutungswandel wird, wie oben schon erwähnt, in zwei Artikeln von Geeraerts (1983, 1985a) eindrucksvoll und überzeugend demonstriert. Das Prinzip der Familienähnlichkeiten, etwa in der schematischen Vorstellung ABC, BCD, CDE, DEF etc., hat vor allem in der diachronischen Semantik eine starke intuitive Überzeugungskraft, da sich die totale Differenz zwischen ABC und DEF mit Hilfe der zeitlichen Distanz und den Zwischenstadien sehr viel leichter erklären läßt. Ein einfaches Beispiel war das Lexem talent; ebenfalls gut eignet sich die von Leisi (21985: 134f) dargestellte Entwicklung von nice vom lat. Lehnwort nescius ('unwissend'), über 'unklug', 'pedantisch' (bei Chaucer),'feine Unterscheidungen treffend', 'wählerisch' (z.B. bei Milton und auch noch bei J. Austen), 'gesellschaftlich zu unterscheiden wissend' schließlich zum heute schon fast bedeutungsleeren 'freundlich, nett' etc. Für einen weiteren wichtigen Aspekt der dual categorization sei noch einmal auf das obige Zitat von Lakoff & Johnson (1980: 41) verwiesen. Lipka (1988a: 359), der die Stelle ebenfalls zitiert, läßt bei seinem Kommentar den Faktor der "coherent systems" in den Vordergrund treten. Mir scheint jedoch auch der zweite Teil "in terms of which we conceptualize our experience" hervorhebenswert. Zum einen ist dieser Teilsatz vor allem vor dem Hintergrund der Zeit seiner Äußerung (1980) bemerkenswert, weil geradezu blasphemisch
58
Vgl. Leisi (?1985: 185) und die Ausführungen über und zahlreichen Beispiele für Metaphern und Metonymien in Lipka (1988a: 357ff; 1989b; 1990a: 122ff) sowie in 3.1.
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subjektivistisch. Im Rahmen einer linguistischen Veröffentlichung, ganz besonders in Amerika, von "conceptualize" und "experience" zu sprechen, wäre noch 10 Jahre vorher auch für Lakoff eine Ungeheuerlichkeit gewesen. Zum anderen zeigt uns das Zitat, daß wir es bei der Erklärung von Metaphern nicht mit einer einfachen Darstellung der sprachlichen oder begrifflichen Ähnlichkeit bewenden lassen können. Vielmehr müssen wir, so wie wir es auch in unserer sehr vagen Beschreibung der Ähnlichkeit von Auge und Sonne demonstriert haben, Erfahrung, Wahrnehmung, Weltwissen, Theorien über die Welt, Stereotypen usw. berücksichtigen (vgl.a. 2.4.2 und 3.1). Dies ist weder bei der Anwendung der klassischen Theorie der Kategorisierung noch bei ihrem linguistischen Pendant, den sprachimmanenten semantischen Theorien, machbar. LJpka muß also nachhaltig unterstützt werden in seiner Forderung, daß das Phänomen der dual categorization can only be accounted for by a dynamic, interdisciplinary theory of semantics which transcends structuralism and includes referents and our perception and cognitive models of the world. (1988a: 355).
Ganz im Gegensatz zu Lakoff, der am liebsten alles, was in irgendeiner Weise mit dem klassischen Kategorisierungsansatz verbunden ist, aus der Literatur getilgt sehen würde, geht Lipka in seiner Forderung, über den Strukturalismus hinauszugehen, einen kompromißbereiten konstruktiven Weg. Die verschiedenen Strömungen des Strukturalismus dürfen nicht verdammt und verteufelt werden, wie dies Lakoff tut, sondern ihre Verdienste vor allem im Bereich der verschiedenen Methoden müssen anerkannt und ihre Denkweisen integriert werden. Wie dies praktisch aussehen kann (vgl.a. Kapitel 4-6), läßt sich noch einmal an den Sonettbeispielen zeigen. Wie gelangten wir etwa in Beispiel (4) Mine eye and heart are at a mortal war auf die Interpretation von eye als Stellvertreter für den wahrnehmenden Bereich? Letztendlich hat uns eine primär strukturalistische Überlegung, nämlich der Kontrast zu heart, ebenfalls einem Körperteil, dazu bewogen. Ohne dieses Indiz wären wahrscheinlich andere kognitive Modelle in den Vordergrund getreten, die meiner Ansicht nach weniger plausibel sind. Die Berücksichtigung der Kontrastbeziehung zwischen zwei inkompatiblen Teilen eines Ganzen hat demnach die Wahl der richtigen Vorstellung ermöglicht, nämlich der Theorie 'der Mensch besteht aus verschiedenen Instanzen, von denen zwei die wahrnehmende und die fühlende sind'. Ähnliche Verhältnisse liegen in (3) vor: Hier wird der pars eye dem toto head gegenübergestellt und so die Abhängigkeitsbeziehung zwischen dem Menschen (Metonymie von eye) und der Sonne (hier interessanterweise metaphorisiert durch head) gespiegelt. Erneut erweisen sich strukturalistische Denkmethoden als überaus hilfreich. Es gilt also noch einmal hervorzuheben: Die erprobten Methoden des Strukturalismus wie Kontrastsuche, Darstellung von Bedeutungsbeziehung anderer Arten (z.B. Synonymic, Hyponymie, Teil-Ganz-Beziehungen59 usw.) und Feldanalyse sind keineswegs mit der Forderung nach einem kognitiven Ansatz unvereinbar, sondern sind als Ergänzung höchst wertvoll und hilfreich. Weltwissen, Wahrnehmung, Erfahrung und kognitive Modelle sind unbedingt SO
Von Cruse (1986: 157) etwas idiosynkratisch "meronomies" tituliert
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als relevant zu erachten, aber unterstützt durch bewährte strukturalistische Methoden (vgl. Kapitel 4-6).
2.4.2 ICMs und radiale Kategorien Im letzten Abschnitt sind mehrmals schon sogenannte kognitive Modelle der Wirklichkeit erwähnt worden. Was diese Modelle sind, wie sie im einzelnen aussehen können und auf welche Weise sie in eine Theorie der Kategorisierung integriert werden können, wird dieser Abschnitt der Arbeit zeigen. Lakoff (1987a: 68ff, 77ff, 113f, 282fr)60 postuliert eine ganze Reihe unterschiedlicher sog. "Idealized Cognitive Models" (ICMs). Diese ICMs haben in Lakoffs Theorie mindestens zwei Funktionen.61 Zum einen werden sie als kategorienkonstituierende Instanzen gesehen, zum anderen als Ursachen von Prototypeneffekten: The main thesis of this book [= Lakoff 1987a] is that we organize our knowledge by means of structures called idealized cognitive models, or ICMs, and that category structures and prototype effects are byproducts of that organization. (Lakoff 1987a: 68)
Auf diese Weise steuert Lakoff geschickt sein Ziel an, eine quasi notwendig erscheinende Beziehung zwischen der Kategorisierung und den Prototypen herzustellen. Der zweifache Status der ICMs läßt die Forderung "keine Kategorie ohne Prototypeneffekte" als eine Wahrheit a priori erscheinen. Die Vorstellung dieser Modelle führt Lakoff auf vier unterschiedliche Quellen zurück: -
-
Filimores Frame Semantics (1977a, b, c, 1982) und die damit verwandten Theorien der "schemas" (Rumelhart 1975), "scripts" (Schank & Abelson 1977) und "frames with defaults" (Minsky 1975); Lakoff & Johnsons (1980) Theorie von Metapher und Metonymie; Langackers kognitive Grammatik (1983, 1987a); Fauconniers Theorie der mentalen Räume (1985).
Wie von verschiedenen Rezensenten (vgl. Langacker 1988d: 385, Flanagan 1989: 354, Aitchison 1990c: 150, 153) zu Recht bemerkt wird, hinterläßt Lakoffs Women, Fire and Dangerous Things einen etwas zusammengeflickten Eindruck. Häufige Wiederholungen und inhaltliche Sprünge tragen nicht eben zur Klarheit und Kohärenz des Buches bei. Dem aufmerksamen Leser wird an den Seitenverweisen auffallen, daß das Folgende den Versuch macht, mehr inhaltlichen Zusammenhang in die Darstellung zu bringen. 61
Was für die Struktur des Buches von Lakoff (1987a) gilt, kann leider zum Teil auch über den Inhalt bemerkt werden. Weder der Status der ICMs innerhalb Lakoffs Theorie noch ihr Wesen oder ihre Funktion innerhalb der Theorie wird deutlich. Besonders kritisch steht Vandeloise (1990:409) den ICMs gegenüber: "ICMs are made of such vague and disparate elements that their representation by a psychologist or a linguist is highly problematic." Später noch etwas aggressiver (1990: 413): "Since they are polyvalent, it is doubtless the case that ICMs can make miracles when introduced in mental representations." Und schließlich: "However, to make up an expression [ = ICMs] is not to give it meaning" (1990: 434).
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Lakoffs Modelle sind idealisierte Modelle, d.h. sie abstrahieren von realen Gegebenheiten und Erfahrungen. Damit ist verknüpft, daß sie nicht objektiv in der Welt existieren, sondern von den Menschen einer Kulturgemeinschaft entworfen werden. Des weiteren ist damit verbunden, daß sie unter allen möglichen Merkmalen eines Begriffe diejenigen auswählen, die systematisch wirksam bzw. gesellschaftlich oder instrumentell signifikant sind (McCauley 1987:293). Die Siebentagewoche unseres Kalenders etwa ist ein idealisiertes Modell, das vom Menschen der eigentlich analogen unstrukturierten Zeit unter Auswahl weniger Aspekte aufgelegt wurde. ICMs sind kognitiver Natur, weil jedes Verständnis eines Wortes einen aktiven Vergleich zwischen dem Modell des Wortes und der jeweiligen Situation, in der es verwendet wird, voraussetzt. Der Gebrauch der Modelle hängt von unserer imaginativen Fähigkeit ab, verschiedene Standpunkte einzunehmen, so daß auch verschiedene Modelle gleichzeitig für ein und denselben Bereich miteinander konkurrieren können. Als einfaches Beispiel kann man etwa auf die Bereitschaft hinweisen, mit der wir flexibel eine Person als Vertreter verschiedener sozialer Rollen (Lyons 1977: 574) auffassen. Wir haben im letzten Abschnitt im Zusammenhang mit der dual categorization zwei von Lakoffs ICMs bereits kennengelernt: metaphorische und metonymische Modelle. Beide sind - wie in Lakoff & Johnson (1980) ausführlich dargestellt - an der strukturierten und systemhaften Ausdehnung von Kategorien beteiligt. Im letzten Abschnitt zeigte sich, wie etwa der Bereich der Körperteile sich als fruchtbarer Nährboden für Metaphern in andere Bereiche erweist. Diese beiden Typen von ICMs verursachen drastische Kategorienausweitungen, die leicht erkennbar sind, und deshalb wurden sie an den Anfang der Diskussion gestellt. Im Bereich der metonymischen Modelle lassen sich verschiedene Typen voneinander unterscheiden (Lakoff 1987a: 85ff). In vielen Fällen werden social stereotypes in einem kategorienumfassenden Sinn eingesetzt; ein Stereotyp steht also für eine ganze Kategorie. Das Stereotyp einer Mutter, die nicht nur die genetische Mutter ist, sondern auch fürsorglich ihr Kind ernährt und erzieht, läßt sich hier als Beispiel anführen (zu diesem Beispiel siehe auch S.42, 54). Davon trennt Lakoff die typischen Beispiele (Apfel und Orangen für Obst), die Ideale ("the ideal husband is a good provider, faithful, strong, respected, attractive", Lakoff 1987a: 87), Musterbeispiele ("paragons"; z.B. er ist ein echter Uwe Seeler), Generatoren (die natürlichen Zahlen), Submodelle (10,100,1000 etc. zum Verständnis der Größenordnung von Zahlen) und hervorstechende oder persönlich sehr vertraute Beispiele. Dem aufmerksamen Leser wird sicher nicht entgangen sein, daß hier die in 2.2.4.1 (vgl. S.31) aus Lakoff (1986: 33ff) zitierten Arten von Prototypen in identischer Form, aber in neuem Gewand wieder aufgetaucht sind. Neben den metaphorischen und metonymischen Beziehungen sind auch weniger schwerwiegende Abweichungen vom Prototyp feststellbar. Diese erzeugen einerseits die Kategorienstruktur und sind andererseits für Prototypeneffekte, d.h. für unterschiedliche Grade der Repräsentativität für die Kategorie verantwortlich. Die einfachste Form der Prototypeneffekte entsteht durch Abweichung eines ICMs von dem Verständnis der jeweils vorliegenden Situation. Dieses Phänomen wird von Fillmore (1982) am klassischen Beispiel bachelor aufgezeigt. Das Lexem bachelor ergibt nur Sinn vor einem ICM, das besagt, daß in einer bestimmten Gesellschaft spezielle Erwartungen bezüglich der Art, der Voraussetzungen und des Alters einer Heirat gegeben sind. Paßt in einer Situation
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dieses ICM schlecht, sehr schlecht oder überhaupt nicht (z.B. für den Papst oder Tarzan), so entsteht eine Abweichung vom Prototyp. Ähnliche Verhältnisse werden sich auch für den sozio-kulturell wichtigen Bereich der Häuser in Kapitel 4.5.2 ergeben. Solche Modelle, die Elemente von Situationen, ihre Eigenschaften oder die Beziehungen zwischen ihnen charakterisieren (Lakoff 1987a: 113) und keine imaginativen oder figurativen Hilfsmittel in Anspruch nehmen (1987a: 285), werden propositionale Modelle genannt. In Lakoff (1987a: 284ff) werden die propositionalen Modelle in weitere Unterarten eingeteilt, allerdings in derart tentativer Manier, daß wir uns in diesem Zusammenhang auf das bisher Gesagte beschränken wollen. Als zweite Ursache von Prototypeneffekten werden die sog. "cluster models" (Lakoff 1987a: 74ff) genannt. Hierbei handelt es sich um Kombinationen mehrerer propositionaler ICMs zu einem, das in seiner Gesamtheit psychologisch fundamentaler ist. Als Beispiel diskutiert Lakoff den Begriff mother, in dem verschiedene Modelle konvergieren: birth model, genetic model, nurturance model, marital model, genealogical model. Eine weniger prototypische Mutter wäre demnach eine Stiefmutter, eine Adoptivmutter oder eine genetische Mutter, die ihr Kind nicht selber erzieht. Lakoffs Argumentation und Beispiel scheint mir durchaus einleuchtend zu sein. Es muß aber an dieser Stelle ausdrücklich in Erinnerung gerufen werden, daß Lakoffs Ausgangspunkt Kategorien, also kognitive Einheiten, und nicht sprachliche Einheiten wie Lexeme sind. Vor einer primär linguistisch orientierten Analyse könnte Lakoffs Beispiel mother nicht standhalten. Diese würde nämlich ergeben, daß mother auf der einen Seite und adoptive mother, surrogate mother oder genetic mother auf der anderen Seite unterschiedlichen taxonomischen Ebenen angehören. Somit sind sie in der Form, wie es Lakoff tut, nur bedingt miteinander vergleichbar (vgl. Wierzbicka 1990a: 353). Bisher haben wir uns mit drei Typen von ICMs auseinandergesetzt: propositionalen Modellen mit der Unterart der Clustermodelle, metaphorischen und metonymischen Modellen. Daneben nennt Lakoff noch als wichtigen Bereich image-schematic models, die schematische Bilder vor allem bezüglich der äußeren Form und Bewegung von Objekten spezifizieren. Diese Bild-Schemata sind der kognitiven Grammatik Langackerscher Prägung entlehnt. Typischerweise handelt es sich dabei um Darstellungen von Verwendungsweisen von Präpositionen mit Hilfe der Einheiten "trajectory" und "landmark".62 Auch stilisierte Darstellungen der äußeren Form von Objekten, wie sie von Leisi (21985: 37), Lipka (1989a: 226, 1989b: 256ff) und zum Teil auch in Wörterbüchern (vgl. dazu Stein 1991) eingesetzt werden, wären diesem Bereich zuzuordnen. Bei Lakoffwerden beispielsweise die beiden Sätze The bird flew over the yard und The plane flew over the hill aufgrund der unterschiedlichen Form der landmarks (yard vs. hill) als verschiedene Beispiele ("instances") eines Schemas analysiert (Lakoff 1987a: 420ff). Diese Analyse scheint mir ein Beispiel dafür zu sein, daß zu früh Unterschiede zwischen Verwendungsweisen postuliert werden. Daß die beiden genannten Sätze verschiedene Bedeutungen haben, ist meiner Meinung nach lediglich auf den Kontrast zwischen den Präpositionalergänzungen zurückzuführen und keineswegs auf unterschiedliche Varianten von over. Eine
62
Vgl. z.B. Brugmann (1981), Lakoff (1987a: 416ff), Schulze (1988; 1990a Ms.).
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Ausweitung der Kategorie OVER halte ich in diesem Fall für überflüssig, ebenso wie die vorgeschlagene Differenzierung der landmarks in punktförmige, ausgedehnte, vertikale und vertikal-ausgedehnte. Hier liege ich erneut auf einer Linie mit Vandeloise (1990: 416ff). Dies führt allerdings neben Lakoffs Tendenz, die Polysemie zu übertreiben, eine Reihe weiterer schwerwiegender Kritikpunkte ins Feld, deren Berechtigung meines Erachtens aber noch nicht völlig überschaubar ist. Als fünfte Art von ICMs wird in Lakoff (1987a: 289) auf sog. symbolic models verwiesen, die für die Behandlung von lexikalischen Kategorien wie WORT oder MORPHEM, grammatischen Kategorien wie NOMEN oder VERB und grammatikalischen Konstruktionen wie head-modifier-structures zuständig sind. Die Postulierung dieses Modelltyps - noch in Lakoff 1986 werden sie nicht erwähnt - stellt den Versuch dar, auch die Funktionsweise der Sprache in die Theorie der ICMs als Brückenglieder zwischen Welt und Sprache einzugliedern. Diese ICMs sind also eine Bestandteil der Metasprache. Zur besseren Übersichtlichkeit sind die vier Haupttypen von ICMs im folgenden noch einmal in Kurzform zusammengefaßt und ergänzt: Propositionale Modelle spezifizieren Elemente, ihre Eigenschaften und die Beziehungen, die zwischen ihnen bestehen, und strukturieren auf diese Weise einen großen Teil unseres Wissens über die Welt. Sie können einfache Prädikate über mehrere Elemente, zweckgerichtete Vorgänge, Merkmalsbündel bezüglich der Elemente, taxonomische Strukturen, radiale Strukturen und vieles andere enthalten (vgl. Lakoff 1987a: 284ff), dürfen aber keine imaginativen oder figurativen Aspekte aufweisen. Leider lassen Lakoffs verschiedene Bemerkungen zu diesem Bereich (1987a: 68ff, 113f, 284ff) ein klareres Bild nicht zu; man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß es sich hier um eine primär negativ definierte Kategorie handelt, die alles enthält, was nicht von den anderen erfaßt wird. Dies stellt zwar an sich noch keine Schwäche dar - welche wissenschaftliche Typologie kommt ohne einen solchen waste paper basket aus? -, verwunderlich ist nur, daß diese Kategorie an den Anfang von Lakoffs Darstellung gestellt ist. Bildschematische Modelle spezifizieren schematisierte bildhafte Vorstellungen von Objekten, Bewegungen, räumlichen Beziehungen zwischen Objekten. Sie sind eng mit der Wahrnehmung und der kinästhetischen Erfahrung des Menschen verbunden. Viele abstrakte Phänomene werden mit Hilfe (unästhetischer Bildschemata konzeptualisiert, die auf unsere Erfahrung im Umgang mit Objekten und insbesondere auf die Körpererfahrung zurückzuführen sind.63 Nach Johnson (1987) dient die Erfahrung unseres Körpers als Grundverständnis für eine ganze Reihe wichtiger Schemata wie z.B. das Behältnisschema (der Körper als begrenzender Behälter), das Teil-Ganzes-Schema, das Verbindungsschema, das ZentrumPeripherie-Schema und viele andere.64 All diese Schemata sind in verschiedene abstrakte Bereiche der Sprache hineinprojiziert worden. 63
Vgl. Lakoff & Johnson (1980: 25ff); Johnson (1987); Lakoff (1987a: 271ff).
64
Schon früher, aber in gleichermaßen extremer Form wie bei Johnson, finden wir dieselbe Ansicht prägnant formuliert bei dem Ethnologen und Anthropologen Malinowski: "Ultimately all the meaning of all words is derived from bodily experience." (zitiert nach Halliday & Hasan M989: 7). Für einen Einblick in den momentanen Stand der psychologischen Forschung zu "mental images" vgl. Logic & Denis (1991).
56 Metaphorische Modelle übertragen propositionale oder bildschematische Modelle von einem Bereich in einen anderen. Die von Reddy (1979) postulierte fundamentale conduitmetaphor (vgl. 3.1) beispielsweise überträgt unser Wissen über den konkreten Transport von Objekten in Behältnissen auf den abstrakten Bereich der Kommunikation, in dem Ideen, Vorstellungen, geistige Inhalte (vgl. Kap. 5) in Wörter verpackt, gespeichert und "gesendet" werden. Metonymische Modelle stellen innerhalb einem oder mehrerer der bisher genannten Modelle Funktionen zwischen Teilen her. In einem propositionalen Modell, das aus einer TeilGanzes-Beziehung besteht (z.B. head - body), wird durch ein metonymisches Modell eine Beziehung zwischen Teil und Ganzem hergestellt. Auf diese Weise kann der Teil als Stellvertreter für das Ganze stehen, allerdings unter denjenigen Aspekten, die funktional und kulturell besonders hervorstechend sind65 (z.B. This country needs clever heads.} Durch Kombinationen und Reihungen verschiedener und gleichartiger ICMs können schließlich komplexe Kategorienstrukturen entstehen, die wir mit Lakoff radial structures oder radial categories nennen können (1987a: 83f, 91f, 204f, 287). Eine radiale Kategorie, abstrahiert darstellbar wie in Abb. 2.5, ist gekennzeichnet durch die Wahl eines Zentrums, durch Ausweitungsprinzipien in Form von ICMs, die die Verbindungen charakterisieren, und durch spezifische konventionelle Ausweitungen, die zwar durch die jeweiligen Prinzipien motiviert, aber nicht vorhersagbar sind. Die spezifischen Ausweitungen sind lexikalisierte Einzelfälle aus der durch die Prinzipien ermöglichten Palette von Varianten.
Abb. 2.5: Schematisierte Darstellung radialer Kategorien am Beispiel over (Lakoff 1982: 82; vgl .a. 1987a; 4S6)66
65
Vgl. dazu meinen Vorschlag zur Definition der Metonymie in 3.1.3, der perzeptuelle, funktionale und soziokulturelle Faktoren berücksichtigt. Wie weiter oben schon im Zusammenhang mit dem Begriff des chaining of categories muß auch hier festgestellt werden, daß zumindest zu der von Lakoff gewählten Form der Darstellung der Begriff des 'Netzwerks' besser passen würde.
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Nach dieser Darstellung von Lakoffs Atlas für den Kategorienurwald muß ich mich nun fragen, ob damit alle Fragen, die ich bezüglich der Kategorienstrukturen gestellt hatte, geklärt sind. Zur Erinnerung: Von zentralem Interesse waren die beiden Probleme der Natur der Prototypen und der qualitativen Art sowie des quantitativen Ausmaßes der Unterschiede von peripheren Mitgliedern zu Prototypen. Von diesen beiden Fragen hatte ich mir einen klärenden Beitrag zum Rätsel des Wesens der Prototypikalität erhofft. Bezüglich der zweiten Frage hat Lakoff, wenn auch nicht fest untermauerte Erkenntnisse, so doch relativ klar formulierte Vorstellungen anzubieten, deren Gültigkeit oder zumindest Anwendbarkeit durch empirische Forschung wie in Kapitel 5 dieser Arbeit überprüfbar ist: Prototypeneffekte bzw. intrakategoriale Strukturen - beide sind ja, wie schon erwähnt, untrennbar miteinander verbunden - werden in unterschiedlicher Ausprägung durch die verschiedenen Arten von ICMs verursacht. Was die erste Frage nach der Natur der Prototypen angeht, so können wir uns an die in Lakoff (1986: 33ff) erwähnten Subkategorien von Prototypen halten, die, wie bemerkt, identisch sind mit den in diesem Abschnitt dargestellten metonymischen Modellen (Lakoff 1987a: 85ff). Allerdings darf die Freude über die Subkategorien nicht darüber hinwegtäuschen, daß damit über die eigentliche Essenz des Begriffs 'Prototyp' nichts Neues ausgesagt ist. Andererseits wiederum habe ich ja schon in Kapitel 2.2.4.1 (vgl. S.Slf) festgestellt, daß eine solche Offenheit für alle möglichen Arten von Prototypen begrüßenswerter ist als eine zu engstirnige oder willkürliche Festlegung auf ein bestimmtes Begriffsverständnis. Während der Diskussion über die kategorienstrukturerzeugenden Modelle habe ich ständig bewußt über eine große inhaltliche Lücke hinweggesehen, die sich an dieser Stelle in der Argumentation meiner Arbeit auftut. Wir erinnern uns, daß ein Hauptinteresse der Arbeit darin liegt, eine Beziehung von der (wahrgenommenen) Welt über den Verstand in die Sprache hinein herzustellen (vgl. S.5). Lakoffs kognitive Modelle der Welt wurden in diesem Abschnitt aus der Sprache abgeleitet, beispielsweise durch Analysen von Metaphern und Metonymien. Der Bezug Sprache - Kognition ist demnach in unserem Modell etabliert. Dies kann ich aber bislang von dem Verhältnis Kognition - Welt nicht behaupten, da ich ausdrücklich betont habe, daß es sich bei den ICMs um kognitive Modelle handelt, die eine begrifflich-abstrakte Struktur haben und demnach nicht direkt in der realen Welt verankert sind. Wir finden uns also vor einer Kluft zwischen Welt und Verstand. Wie ist dieser Spalt zu überbrücken? Es bieten sich zwei uns schon bekannte Konzepte zu einer vorbegrifflichen Fixierung der Erfahrung in der Welt an (vgl. Lakoff 1987a: 269ff). Zum einen kann man annehmen, daß die visuelle Wahrnehmung der räumlichen Dimension und die kinästhetische Wahrnehmung und Erfahrung des menschlichen Körpers als fundamentale nicht-abstrakte Ebene fungieren. Aus diesen unmittelbar aufgenommenen Bereichen werden mittels metaphorischer und metonymischer Übertragungen Wahrnehmungsstrukturen in abstrakte Felder hineinprojiziert. Als zweites fundamentales Konzept dienen die Kategorien der Basisebene (vgl. 2.2.1.5). Auch von ihnen wird angenommen, daß sie vorbegrifflicher Natur sind und unmittelbar konzeptualisiert werden können. Die verschiedenen Kennzeichen der Basisebene, die wir in 2.2.1.5 kennengelernt haben, weisen auf einen Sonderstatus hinsichtlich der Wahrnehmung der äußeren Form und der Möglichkeiten des motorischen Umgangs mit den jeweiligen
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Objekten hin. Ein solches Verständnis der Basiskategorien als entscheidendem Verbindungspunkt zwischen Welt, direkter Wahrnehmung und kognitiver Struktur von Kategorien ist dabei, sich bei verschiedenen Vertretern der kognitiven Linguistik durchzusetzen.67 Es hat vor allem für Anhänger ökologisch orientierter Theorien (vgl. die Beiträge in Neisser 1987a) zentrale Bedeutung. Aus diesem Blickwinkel heraus muß aber noch einmal unterstrichen werden, daß ICMs nicht Modelle von Kategorien sind, sondern Modelle über die Welt, die kategorienkonstituierend sind. Selbstverständlich ist Lakoff nicht der einzige Autor, der nachdrücklich die Forderung nach Modellen oder Theorien zur Erklärung der Kategorienkohärenz erhoben hat. Argumente, die den Ruf nach Modellen stärken, finden sich auch in anderen Bereichen. Mervis (1987: 228) beispielsweise berichtet von einer Beobachtung beim Spracherwerb ihres Sohnes Ari, die eindeutig als Indiz gewertet werden kann, daß Ari schon im Alter von 22 Monaten die ersten modeil- oder theorieähnlichen Prinzipien beim Kategorienerwerb einsetzte und damit über eine reine Feststellung äußerlicher Ähnlichkeiten hinausging. Schon 1979 hatten Clark & Clark (1979: 789) in ihrem fruchtbaren Artikel zu den sog. "contextuals" festgestellt, daß "people have GENERIC THEORIES about concrete objects, theories they use for categorizing objects". Diese Theorien haben im einzelnen drei Aspekte: physikalische Charakteristika, die normale Ontogenese und potentielle Funktionen eines Objekts. Der kognitive Gesichtspunkt, der für Lakoff so wichtig ist, tritt hier allerdings nicht so klar hervor. In hohem Maße gilt dies andererseits für den Ansatz von Medin & Wattenmaker (1987; vgl. auch Murphy & Medin 1985 und S. 40), der sich theoretisch in vielen Teilen mit demLakoffs deckt. Anstatt von ICMs sprechen Medin & Wattenmaker von Theorien, die die Kategorienkohärenz herstellen. Damit wenden sie sich ausdrücklich gegen die auf Ähnlichkeit als kategorienstiftender Funktion basierenden Modelle der Kategorienstruktur (vgl. 2.3.4) und verlagern das Problem der Kategorienkohärenz auf eine höhere, kognitive Ebene. Theorien im Sinne Medin & Wattenmakers unterscheiden sich von Lakoffs ICMs durch ein größeres Maß an Systematizität und Formalität; sie lassen sich demnach als elaborierte und komplexe ICMs auffassen (McCauley 1987: 292). Während etwa Lakoffs metaphorische und metonymische Modelle trotz ihres strukturierenden Charakters prinzipiell auch als Einzelbeziehungen innerhalb von Kategorien darstellbar sind - wie wir es zur Einführung des "Grundmoduls" auch getan haben -, ist für die Theorien der systematische, kategorienübergreifende und nicht nur kategorien-, sondern auch wissensstrukturierende Aspekt entscheidend. Begriffe, als mentale Abbilder von realweltlichen Kategorien, sind eingebettet in Theorien und weisen in dem Maß Kohärenz auf, in dem sie mit dem Hintergrundwissen und den naiven Theorien über die Welt übereinstimmen (Medin & Wattenmaker 1987: 58).
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Johnson (1987: 208f); Lakoff (1987a: 269ff); Mervis (1987: 224); McCauley (1987: 304£); Neisser (1987c: 13ff): Nicht damit in Verbindung zu bringen ist in diesem Fall Langacker (1987a: 147ff), der von "basic domains" spricht (vgl. S.64), die die niedrigste Ebene in begrifflich komplexen Hierarchien einnehmen. Eine Verankerung der Hierarchien in der Welt wird hier nicht explizit zum Gegenstand der Überlegungen gemacht.
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Weitere Versuche, aufbauend auf die ICMs das Konzept der Ähnlichkeit als kohärenzstiftendes Mittel zu modifizieren, finden sich bei Brooks (1987: 160ff) und Turner (1987: 184ff). Turner verwendet die ICMs zur Herstellung und Begründung von Ähnlichkeitsbeziehungen und gibt dem Konzept der Ähnlichkeit eine größere deskriptive Kraft, indem er es auf diese Weise sehr viel detaillierter aufspaltet. Brooks akzeptiert zwar die Existenz zentraler kognitiver Modelle, wie sie von Lakoff postuliert werden; ihm ist aber daran gelegen, daß darüber hinaus Analogien zu früher erlebten und interpretierten Episoden kategorienerzeugend wirken können, ohne daß komplexe idealisierte Modelle abgerufen werden müssen. In seiner einleitenden Zusammenfassung als Herausgeber des Sammelbandes charakterisiert Neisser diesen Ansatz kurz und treffend mit dem folgenden Beispiel: To determine that the creature bounding towards us is a dog, for example, we need not compare it to some canine prototype that we have accumulated over the years; neither do we have to weigh its properties against those of an idealized canine cognitive model. It is enough to see that the beast looks much like Rover, who used to live next door. Rover was certainly a dog, so this beast is very likely a dog as well. (Neisser 1987b: 6).
Offensichtlich wirkt der Ansatz, in einer derart einleuchtenden Art formuliert, recht überzeugend. Er scheint aber auch durchaus mit Lakoffs Modellen vereinbar. Der dargestellte Vergleichsprozeß wäre bei Lakoff unter den metonymischen Modellen (vgl. S.53) der "typical examples" eingeordnet; er wäre in dieser Form aber zugegebenermaßen mit mehr kognitivem Aufwand verbunden. Gerade dagegen wendet sich Brooks (1987: 142ff) aber und betont die einfache Natur des Vergleichs mit ähnlichen erlebten Episoden.
2.4.3 Kategoriennetzwerke Bisher haben wir uns fast ausschließlich mit Lakoffs Ansatz zur Kategorienstruktur befaßt. Es gilt in diesem Abschnitt, das zweite prominente Modell, das Netzwerkmodell von Langacker68, unter die Lupe zu nehmen. Das Netzwerkmodell ist als Mischung aus zwei Kategorisierungstypen konzipiert: der Kategorisierung durch Prototypen und der Kategorisierung durch Schemata (Langacker 1987a: 371). Während Prototypen als typische Beispiele einer Kategorie aufgefaßt werden, enthalten Schemata (im Langackerschen Sinn) eine abstrakte Charakterisierung, die mit allen Mitgliedern derjenigen Kategorie, die das Schema definiert, voll vereinbar ist: It is an integrated structure that embodies the commonality of its members, which are conceptions of greater specificity and detail that elaborate the schema in contrasting ways. (Langacker 1987: 371).*5
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vgl. Langacker (1987a: 369ff; 1988b: 50ff; 1988c: 133ff).
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Diese Verwendung des Terminus schema unterscheidet sich von anderen in den kognitiven Wissenschaften und der Linguistik gebräuchlichen, die schemata eher im Sinne von begrifflichen Rahmenbedingungen, Variablenkonstellationen und Variablenbeziehungen oder -Strukturen definieren (vgl. Minsky 1975; Rumelhart 1975; Fillmore 1976: 13ff, 1977b: 58, 1977c: 127; Coleman & Kay 1981: 27; Corrigan 1989:
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Beide Arten von Kategorisierungsprinzipien arbeiten bei der Bildung komplexer Kategoriennetzwerke Hand in Hand, indem sie zwei Typen von intrakategorialen Beziehungen herstellen: Elaborationen (Beziehungen zwischen einem Schema und seinen jeweiligen Abbildungen) und Extensionen (Beziehungen zwischen prototypischen und peripheren Werten). Aus einer ungeordeneten Liste von verschiedenartigen lexikalisierten Einzelverwendungen eines Lexems etwa in Form eines Korpus läßt sich durch die Spezifizierung dieser beiden Beziehungen ein Netzwerk herstellen, das in Form von Schemata die ableitbaren Verallgemeinerungen enthält und als Ganzes die Komplexität der jeweiligen Kategorie abbildet. Der Unterschied zwischen Elaborationen und Extensionen ist prinzipiell quantitativer und nicht qualitativer Natur, auch wenn er in der Regel qualitativ konzipiert wird (Langacker 1987a: 371f). In beiden Fällen liegt eine Veränderung vom Schema bzw. Prototyp zur aktuellen Verwendungsweise vor. Während bei der Beziehung Prototyp - aktuelles Beispiel eine echte Abweichung feststellbar ist, beläuft sich die Abweichung des aktuellen Beispiels vom Schema auf Null. Die aktuelle Instantiierung ist lediglich genauer spezifiziert als das Schema. In other words, schematic and prototype representations of categories turn out to be aspects of the same, more general phenomenon. [...]. A schema is simply a prototype, all of whose instantiations are fully compatible with [...] the abstract representation. Conversely, a prototype may be regarded as a schema, some of whose instantiations are only partially compatible with [...] the abstract representation. (Taylor 1990:533).
Wir wollen versuchen, diesen recht abstrakten Zusammenhang mit Hilfe eines Beispiels und analoger strukturalistischer Termini zu fassen. Wir können unter Auslassung theoretischer und ideologischer Aspekte zu diesem Zweck das Schema als begrifflichen Inhalt eines Archilexems oder Superordinates verstehen, z.B. house (vgl. Kap. 4). Das abstrakte Schema house wird in den verschiedensten Objekten, die wir mit der Phonemsequenz lhassl benennen, instantiiert; es handelt sich um einen Fall von Elaboration von einem Schema zu einem - wir wollen der Einfachheit halber von einem typischen Haus ausgehen - Prototypen. Diese Beziehung können wir in Anlehnung an Langacker graphisch wie in Abb. 2.6 darstellen, in der der durchgezogene Pfeil für die Beziehung der Elaboration steht, das unterbrochene Kästchen für das Schema und das fettgedruckte Kästchen für den Prototyp. In den meisten Fällen wären wir abhängig von letztendlich pragmatischen Faktoren70 bereit, einem fraglichen Haus eine spezifischere Bezeichnung wie etwa cottage oder bungalow zu geben, wir würden - in strukturalistischer Terminologie - Hyponyme einführen.
5). In der Linguistik ist ein klassischer Ansatz, der in diese Richtung weist, Filimores Kasusgrairunatik (1968, 1977a) mit den bekannten Kasusrahmen. Auch die von de Beaugrande (1980: 171ff; vgl.a. de Beaugrande & Dressler [1981: 90]) in die Textlinguistik eingeführte Verwendung von schema weicht von Langackers Auffassung ab (vgl.a. Lipka 1987: 283). Eine engere Beziehung läßt sich dagegen zur Auffassung von Rumelhart & Ortony (1977: 101) herstellen: "schemata represent stereotypes of concepts". Taylors Ansicht (1990: 524), Langackers Schemabegriff sei gut mit Jakobsons "Gesamtbedeutungen" vergleichbar, die er mit hochgradig abstrakten semantischen Merkmalen definiert, scheint mir sehr gewagt. Der Zusammenhang ist - wie Taylor auch selbst darstellt (1990: 524) - lediglich auf einer sehr oberflächlichen Ebene herzustellen. 70
Vgl. dazu Cruse (1977).
61
house
schema
l house
prototype
Abb. 2.6 Auch hierbei handelt es sich um Elaborationen im Langackerschen Sinn, weil keine Abweichung vom ursprünglichen Schema vorliegt, sondern nur eine weitere Spezifizierung. In der Sprache der Merkmalssemantik könnten wir auch sagen, daß weitere Merkmale hinzukommen, ohne daß sich die ursprünglich vorhandenen verändern. Vergleiche dazu Abbildung 2.7.
house
schema
house prototype
cottage
bungalow
villa
Abb. 2.7 Anders verhält es sich mit zweifelhaften Fällen wie etwa castle oder palace, die aufgrund ihrer Größe, Befestigungsanlagen, Repräsentationsfunktion eher periphere Mitglieder der Kategorie house sind. Es liegt eine Beziehung der Abweichung vom Prototyp, also ein Fall von Extension im Sinne Langackers vor. Die Extension wird von Langacker mit gestrichelten Pfeilen dargestellt (vgl. Abb. 2.8).
62
house
schema
1 house prototype
cottage
castle
palace
Abb. 2.8
Entscheidend für den Einschluß von castle und palace in die Kategorie house ist das wahrgenommene Maß an Ähnlichkeit zwischen den Objekten (Langacker 1987a: 372). Auf diese Weise entsteht ein höchst komplexes Netz von Beziehungen, das sich in Netzwerkmodellen aus Knoten und Bögen, die Paarbeziehungen herstellen, darstellen läßt. Durch meine Wiedergabe der Theorie unter Zuhilfenahme der analogen strukturalistischen Termini wurde deutlich, daß die Kategoriennetzwerke taxonomienübergreifend sind, denn sowohl Inklusionsbeziehungen als auch Oppositionsbeziehungen sind darin integriert. Als Beispiel für ein komplexes Kategoriennetzwerk ist in Abbildung 2.9 die Kategorie run in der Darstellung von Langacker (1988c: 135) wiedergegeben. Das Netzwerk enthält neben einem sehr allgemeinen Schema "RAPID MOTION" einen sogenannten "global category prototype" (1988c: 134), nämlich "RAPID 2-LEGGED LOCOMOTION (person)", der durch den fettgedruckten Kasten gekennzeichnet ist. Elaborationen sind, wie schon bemerkt, durch durchgezogene Pfeile gekennzeichnet, Extensionen durch gestrichelte Pfeile. Für eine vollständige linguistische Beschreibung einer Kategorie ist das ganze schematische Netzwerk inklusive des globalen und eventueller lokaler Prototypen und der verschiedenen Beziehungen notwendig. Da die einzelnen Knoten ihrerseits auch aus Netzwerken bestehen können, kann die Darstellung einerseits überaus kompliziert werden, andererseits werden durch unterschiedliche Fokussierungen auf bestimmte Knoten verschiedene Zugänge zu einer gemeinsamen Wissensbasis eröffnet. Dies bringt mich zu einem weiteren wichtigen Begriffspaar im Rahmen der kognitiven Grammatik Langackers, nämlich der Unterscheidung von "profile" und "base" (1987a: 183ff). Die beiden Begriffe wurden 1982 von Langacker Undefiniert in die damals von ihm noch "Space Grammar" (1982: 46) genannte Theorie eingeführt. Sie dürften - ohne daß dies gekennzeichnet wird - der Gestaltpsychologie entlehnt sein.
63 Perceived intuitively, the profile (in the words of Susan Lindner) 'stands out in bas-relief against the base. The semantic value of an expression resides in neither the base nor the profile alone, but only in their combination; it derives from the designation of a specific entity identified and characterized by its position within a larger configuration. (Langacker 1987a: 183)
{"RAPID"] J_MOTIONj
AMD 2-LEGGED LOCOMOTION
(person)
COMPETITIVE 2-LEGGED LOCOMOTION (race)
Abb. 2.9: Die Kategorie run in der Netzwerkdarstellung (Langacker 1998c: 135) Als Beispiel zeigt Langacker (vgl. Abb. 2.10) auf, wie circle einerseits Profil vor der Basis space sein kann, andererseits aber auch Basis für das Profil arc. Die Begriffe Profil und Basis werden in Kapitel 6 (vgl. 6.5.1.1) für die semantische Differenzierung von start und begin hilfreich werden.
(b)
O SPACE CIBCLE
CIRCLE
ARC
Abb. 2.10: Circle als Profil und Basis (Langacker (1987a: 184)
64
Bei der Herstellung bzw. Beurteilung eines Netzwerks sind noch einige weitere Aspekte zu beachten: a) Die Anzahl der Knoten zwischen mehreren Elaborationen des Schemas lassen Aussagen über das Maß der elaborativen Distanz zu. Thatched-roof cottage ist beispielsweise weiter von dem Schema house entfernt als cottage. b) Auch das Ausmaß der Extension ist variabel; am äußersten Ende stehen Extensionen in andere kognitive Domänen (siehe unten auf dieser Seite) mit Hilfe von Metaphern und Metonymien, z.B. the Tudor house, a publishing house, the Lower house, the White house. c) Einige Teile des Netzwerks haben prominenten Charakter: Das sind erstens die Basiskategorien aufgrund ihres schon erwähnten psychologischen Ausnahmestatus, dann der Prototyp wegen seiner entwicklungspsychologischen Priorität und der kognitiven Salienz sowie schließlich das Schema auf der höchsten Ebene, weil es das größte Ausmaß an Verallgemeinerung verkörpert. d) Auch wenn die Kategoriennetzwerke zwangsweise als statische Systeme repräsentiert werden müssen, so darf nicht vergessen werden, daß es sich bei ihnen eher um dynamische, sich ständig entwickelnde Strukturen handelt (Langacker 1987a: 381 ff). e) Jedes ganze Kategoriennetzwerk ist vor dem Hintergrund sogenannter "cognitive domains" (Langacker 1987a: 147ff; 1988b: 53ff) zu beurteilen, in die es eingebettet ist. Kognitive Domänen werden definiert als "a coherent area of conceptualization relative to which semantic units may be characterized" (Langacker 1987a: 488). Ohne zu verwegene Beziehungen etablieren zu wollen, kann man wohl feststellen, daß die kognitiven Domänen als kognitive Pendants zu den verschiedenen Arten von Feldern71 verstanden werden, die vor allem in der europäischen Semantikforschung postuliert worden sind. Sie haben aber eher Affinität zu sogenannten Begriffsfeldern, da ja die Netzwerke an sich schon als lexikalische Felder aufgefaßt werden können. Typische fundamentale kognitive Domänen wären etwa der dreidimensionale Raum, die Zeit, oder die Geruchswahrnehmung. Es existieren aber auch sehr viel spezifischere Bereiche wie finger für knuckle oder right triangle für hypotenuse. "A concept or conceptual complex of any degree of complexity can function as an abstract domain" (Langacker 1987a: 488). Langacker nimmt zwar Unterteilungen in verschiedene Arten kognitiver Domänen vor (1987a: 147ff), scheint aber weiter an dem äußerst heterogenen Charakter des Begriffs keinen Anstoß zu nehmen. Vielmehr versucht er, Bezüge zu Konzepten anderer Autoren herzustellen: "An ICM [Lakoffscher Prägung] is roughly equivalent to what I prefer to call Cognitive Domain, Fillmore 1982 a Frame." (Langacker 1988d: 385f). Sicher kann Langacker als Rezensent von Lakoff (1987a) eine große Vertrautheit mit der Materie schlecht abgesprochen werden. Trotzdem bin ich der Ansicht, daß der Vergleich zwischen den ICMs und den kognitiven Domänen hinkt. Die beiden Konzepte sind in den jeweiligen Modellen unterschiedlichen Orten zugeordnet worden. Während die kognitiven
71
Für eine Aufarbeitung unterschiedlicher Termini in den verschiedenen Varianten der Feldlehre vgl. v.a. Lipka (1980), aber auch Geckeier (1971: 85f, 107ff, 167fl); Lehrer (1974), Lyons (1977: 251ff), Schneider (1988: 31ff); Lipka (1990a: 152fi).
65
Domänen quasi als Hintergrund aufgefaßt werden, vor dem die Kategorien zu verstehen sind, agieren die ICMs in erster Linie in den Kategorien als strukturerzeugende und kategorienausdehnende Prinzipien. Die kognitiven Domänen sind demnach eher mit Medin & Wattenmakers (1987) Theorien vergleichbar. Prinzipiell haben zwar alle drei Konzepte dieselbe Funktion im jeweiligen Modell, nämlich eine kognitive Verankerung der Kategorien zu ermöglichen, die Funktionsweise variiert aber. Die Betonung dieser feinen Unterscheidungen mag vielleicht etwas übertrieben und pedantisch anmuten, sie ist aber durchaus wertvoll, denn sie läßt erkennen, daß Lakoffs ICMAnsatz das einzige Modell ist, das detaillierte Angaben über die Art der Beziehungen innerhalb von Kategorien in einer systematischen Weise macht. Dies ist die große Stärke des Ansatzes von Lakoff und es ist deshalb nicht erstaunlich, daß auch Autoren, die prinzipiell von Langackers Standpunkt ausgehen, trotzdem in mehr oder weniger ausführlicher Form auf die ICMs Bezug nehmen (vgl. z.B. Schulze 1988: 39, 1990a Ms.; Rudzka-Ostyn 1989: 615, 643). Über die Unterscheidung zwischen Extension und Elaboration hinaus ist darüber bei Langacker und Medin & Wattenmaker nicht viel zu finden. Langacker stützt sich bei der Erklärung der Beziehung der Extension auf den Begriff der Ähnlichkeit (1987a: 372; vgl.a. oben S.62), dessen mangelnde Fundierung und Einsetzbarkeit im Abschnitt 2.3.4 und im Zusammenhang mit Medin & Wattenmaker schon angeklungen ist (vgl.a. 3.1). Es gilt demnach festzuhalten, daß Lakoffs ICM-Ansatz für den einen Teil unseres zentralen Erkenntnisinteresses, nämlich der Frage nach der Natur intrakategorialer Strukturen, aufschlußreichere und detaillierte Vorstellungen bringt als Langacker. Wie sieht es nun mit der zweiten am Anfang dieses Kapitels aufgeworfenen Frage nach der Natur der Prototypen aus? Kann uns Langacker hier weiterhelfen? A prototype is a typical instance of a category, and other elements are assimilated to the category on the basis of their perceived resemblance72 to the prototype. (Langacker 1987a: 371). The global category prototype [...]: this is presumably the meaning that is acquired first, and also the one most likely to be activated in a neutral context (Langacker 1988c: 135).
Drei Kriterien lassen sich aus diesen beiden Passagen zu den Prototypen destillieren: Typikalität, Priorität beim Kategorienerwerb und psychologische Priorität beim dekontextualisierten Aktivieren des Lexems. Alle drei Kriterien sind meines Erachtens nicht sehr hilfreich. Sie sind vager Natur, schlecht empirisch überprüfbar und variieren vermutlich sehr stark bei verschiedenen Sprechern. Langacker scheint bezüglich des Prototypenkonzepts keinen dringenden Klärungsbedarf zu sehen und trägt deshalb wenig zu einer Erhellung der Natur der Prototypen bei. Wir müssen also erkennen, daß Langacker für die in unserem Zusammenhang gestellten Fragen keine ergiebige Informationsquelle ist. Trotzdem läßt sich sein Modell, wie beispielsweise von Rudzka-Ostyn (1989) und Schulze (1988, 1990a Ms.) gezeigt, recht fruchtbar in der praktischen semantischen Arbeit einsetzen. Dies ist neben den hilfreichen Konzepten 77
"
Hkr wird noch einmal der Einsatz des Ahnlichkeitskonzepts deutlich, das aber wohl zur Aufklärung der Kategorienkohärenz nicht ausreicht Auch der Übergang von allgemeiner zu wahrgenommener ("perceived") Ähnlichkeit bringt bestenfalls eine rein theoretische Verbesserung mit sich.
66 'Basis' und 'Profil' darauf zurückzuführen, daß Langacker Probleme der sprachlichen Bedeutung unmittelbarer als solche behandelt als Lakoff, bei dem Kategorienanalyse und Bedeutungsanalyse praktisch synonym sind. Während in Lakoff (1987a) die Kategorien ähnlich wie in dieser Arbeit den ausdrücklichen Ausgangspunkt darstellen, ist in Langacker (1987a) das zehnte Kapitel über Kategorisierung eher eine Begleiterscheinung im gesamten Kontext. Was den Ansatz Langackers meines Erachtens für die praktisch-semantische Arbeit so attraktiv macht - und aus diesem Grund soll er auch im empirischen Teil meiner Arbeit verstärkt zum Einsatz kommen -, ist der wichtige strukturelle Aspekt der Kategoriennetzwerke.73 Die feldartige Darstellung, die im Gegensatz zu Lakoff mehrere Lexeme gleichzeitig berücksichtigen kann und gezielt die lexical units74 eines Lexems zueinander in Beziehung setzt, stellt sich aus meiner Sicht als immenser Vorteil heraus. Sie ermöglicht eine Form empirischen Arbeitens, die auf bewährte Fragestellungen aus der strukturalistischen Semantik wie etwa Vergleichen zwischen in verschiedenster Weise zusammenhängenden Lexemen und Lexikoneinheiten zurückgreifen kann. Es darf aber nicht verschwiegen werden, daß die Unterscheidung zwischen Elaboration und Extension letztendlich vage und fließend ist. So war es beispielsweise keineswegs eindeutig, daß wir bei der Einführung der Kategoriennetzwerke davon ausgegangen sind, daß castle und palace so weit von house abweichen, daß sie als Extension gesehen werden müssen. Hierzu sind unterschiedliche Ansichten durchaus denkbar. Ich halte es in jedem Fall für hilfreich, wenn man eine Zwischenstufe ausdrücklich zuläßt, in der eine Abweichung vom Prototyp vorliegt, die sich aber nicht übertragend auswirkt. Verknüpfen wir in dieser Weise das Netzwerkmodell mit den ICMs Lakofrs, so können wir Elaborationen, Ausweitungen und Übertragungen voneinander trennen, wobei die Ausweitungen den propositionalen Modellen und die Übertragungen den metaphorischen und metonymischen Modellen entsprechen. Wie ich im empirischen Teil zeigen werde, lassen sich beide Konzeptionen dadurch in ein Modell integrieren, daß die Darstellung des Netzwerkmodells durch eine Spezifizierung der Beziehung in Anmerkungen ergänzt wird. Ich glaube, auf diese Weise die Stärken der beiden Ansätze gut miteinander verbinden zu können. Zum Abschluß dieses Abschnitts seien noch zwei Kommentare hervorgehoben, die Langacker in seiner Diskussion der Kategorisierung eher beiläufig abgibt: -
Er erwähnt die Fähigkeit der Angehörigen einer Sprachgemeinschaft zur konventionellen Ausnützung von Ausdehnungen von Kategorien (1987a: 370). Wichtig erscheint mir hier vor allem der Aspekt der Konventionalität zu sein, der Langacker als Grenzkriterium für die Zugehörigkeit zur Grammatik einer Sprache dient. Übertragen auf das sehr viel ältere Konzept der Norm, die von Coseriu (21967a: 11) zwischen die Saussureschen Ebenen der
73
Aitchisons Buch (1987: z.B. 187) über das mentale Lexikon ist darüber hinaus ein Indiz, daß eine Netzwerkkonzeption von Kategorien auch die psychologische Realität abbildet.
74
Vgl. Cruse (1986: 76f), Lipka (1990: 130ff). Cruse (1986: 77) definiert: "A lexical unit is [...] the union of a lexical form and a single sense." Zur stilistischen Variation werde ich in meinen Ausführungen alternativ auch das deutsche Äquivalent Lexikoneinheit verwenden.
67
langue und parole eingeschoben wurde, kann man auch sagen, daß Langacker völlig zurecht für einen Einschluß der Norm neben der langue in die Beschreibung des Kategoriensystems bzw. des Lexikons einer Sprache plädiert. Er liegt damit prinzipiell auf einer Linie mit Lipka (1991 Ms.), der diese Ebene für Probleme der Institutionalisierung sowohl im Bereich der Wortbildung als auch von Metapher und Metonymie für sehr hilfreich hält. Zweitens versäumt Langacker nicht zu erwähnen, daß unter den Mitgliedern einer Sprachgemeinschaft eine beträchtliche Variabilität bezüglich der Spezifitat der schematischen Netzwerke zu erwarten ist (1987a: 376).75 Es kann nicht genügend hervorgehoben werden, daß aufgrund unterschiedlicher Erfahrungen, Umwelteinflüsse, Wahrnehmungskriterien und Verallgemeinerungsprinzipien eine große Bandbreite divergierender Netzwerke besteht. Experten haben ein reichhaltigeres und besser strukturiertes Netzwerk in ihrem Spezi albereich als Laien oder Novizen (Hejj & Strube 1988: 78). Diese Variation wird allerdings die Kommunikation nicht beeinträchtigen, solange die Gemeinsamkeiten groß genug sind.
2.4.4 Kategorienhierarchien Langackers Ansatz, der primär an einzelnen Kategorien orientiert ist, aber trotzdem Kategorienteile unterschiedlicher taxonomischer Tiefe enthält, ermöglicht mir einen fließenden Übergang zur nächsten Thematik, den hierarchischen Beziehungen zwischen Kategorien. Ich hatte diese Art von Beziehung, die die vertikale Achse des Kategoriensystems betrifft (vgl. Rösch 1978: 30, Taylor 1989: 46f), in 2.2.2.1 auf S. 18 schon als Inklusionsbeziehungen angesprochen, ohne auf den zweideutigen Status des Begriffs der Inklusion in der Linguistik hinzuweisen (Lipka 1990a: 154). Es muß betont werden, daß es sich in unserem Zusammenhang von kognitiven Kategorien in der Welt um einen Fall von denotativer Inklusion in Lipkas Terminologie handelt. Die Kategorie COTTAGE ist beispielsweise in der Kategorie HOUSE enthalten, die ihrerseits in der Kategorie BUILDING (im allgemeineren Sinn) eingeschlossen ist.76
15
Vgl. a Vandeloise (1990: 410): "There is little doubt that different human beings might represent the same category differently".
76
Das Gegenstück zur denotativen Inklusion wäre die "sense inclusion" (Lipka 1990a: 154) oder Bedeutungsinklusion: Der Bedeutungsanteil house ist notwendigerweise in dem Lexem cottage enthalten. Der Unterschied zwischen beiden Inklusionsbeziehungen wird bei Lipka (1990a: 51) durch eine Graphik herausgearbeitet.
68 Die ausführlichsten frühen Arbeiten zu Hierarchien77 stammen aus der Anthropologie78, wo erstmals die Erkenntnis gewonnen wurde, daß die natürliche Umwelt von Sprachen in der Regel in nicht mehr und nicht weniger als fünf taxonomische Stufen eingeteilt wird (Berlin et al. 1973: 214f; Gruse 1986: 145), die wir in 2.2.2.1 auf S. 16 schon kennengelernt haben:79
plant
- unique beginner (= archilexeme) - life-form (= "kind") (= genus) - specific
(= species)
- varietal
(= variety)
Abb. 2.11: Die fünf Stufen biologischer Hierarchien (Lipka 1990a: 155; aufgebaut auf Gruse 1986: 145) Es muß allerdings bemerkt werden, daß die Anzahl der hierarchischen Ebenen entscheidend von der Methode der Unterteilung beeinflußt wird. So gelangt beispielsweise Miller (1990: 248ff) bei seiner Erfassung von Nomina für die On-Line-Datenbank WordNet (vgl. Fn.l, S.7) zu mehr, selten aber mehr als zehn Ebenen (1990: 252). Der Grund für die zusätzlichen Stufen ist darin zu suchen, daß Miller bei seinem sog. "inheritance system" nur nach der Differenzierung durch gemeinsame bzw. verschiedene Merkmale vorgeht und zu diesem Zweck auch eher ungewöhnlich anmutende Zwischenstufen wie z.B. "odd-toed ungulate" (1990: 252) einführen muß, das zwischen den Ebenen "equid" und "herbivore" steht.
77
Ich verwende hier den Begriff Hierarchie als Oberbegriff für verschiedene Arten von mehrstufigen Systemen, die durch Inklusionsbeziehungen entstehen. Die wichtigste Unterart ist die der (biologischen) Taxonomien (vgl. 2.3.2). Damit liege ich auf einer Linie mit Lyons (1977: 295ff) und Cruse (1986: 112ff, 145), aber in Opposition zu Leechs (21981: 106) Konzept der "hierarchic oppositions", das er für Kontrastreihen wie inch/foot/yard oder January/February/March usw. verwendet
78
Vgl. z.B. Berlin & Kay (1969), Kay (1971), Berlin (1972), Berlin et al. (1973).
79
In diesem Zusammenhang muß noch einmal auf den Begriff der 'Expertise' (vgl. Hejj & Strube 1988) verwiesen werden. Selbstverständlich besteht ein beträchtlicher Unterschied zwischen der Kenntnis und dem Einsatz von Begriffen auf den verschiedenen Ebenen zwischen Experten und Laien bzw. "normalen" Sprechern. Diese Erkenntnis führt letztendlich in den Bereich der Soziolinguistik und zum Begriff des "codeswitching" und verwandten Phänomenen (vgl. Bußmann 21990: s.v. code-switching und die bibliographischen Verweise dort), die auch durch die Verwendung eines jeweils unterschiedlich spezifizierten Vokabulars erkennbar sind.
69
Zwischen den verschiedenen taxonomischen Ebenen besteht eine InkJusionsbeziehung, zwischen den Lexemen, die die jeweiligen Kategorien denotieren, sprechen wir von einer Hyponymiebeziehung. Dabei darf nicht außer acht gelassen werden, daß die Hyponymie eine relative Beziehung ist (Lipka 1990a: 155). Diese Tatsache hatte ich in 2.2.2.2 schon im Zusammenhang mit der Forderung unterstrichen, daß die taxonomische Ebene, auf der jeweils gearbeitet wird, zu spezifizieren ist: Beispielsweise kann ein Archilexem in einer Hierarchie (house, cottage, thatched-roof cottage) selbst Hyponym in einer höheren Hierarchie sein (artefact, building, house}. An dieser Stelle wird in den meisten Veröffentlichungen, die sich zur vertikalen Achse der Kategorisierung äußern, die entscheidende Bedeutung der Basisebene unterstrichen und die Diskussion auf deren verschiedene Aspekte fokussiert.80 Dabei werden meist die Roschschen Erkenntnisse bezüglich der Basisebene referiert, die uns aus 2.2.1.5 und 2.2.2.1 vertraut sind, und (wie in 2.4.2 beschrieben) ihre Brückenfunktion zwischen Welt, Kognition und Sprache81 herausgearbeitet. Diese Verweise auf vorhergehende Abschnitte und andere Autoren mögen bezüglich der Basisebene genügen. Ich möchte stattdessen noch einmal auf die oben gestellte Forderung zurückkommen, jede Kategorienanalyse bzw. semantische Analyse von Lexemen müsse eindeutig die für die Untersuchung relevanten Ebenen in einer Hierarchie aufdecken und kennzeichnen. Warum erscheint mir diese Forderung so wichtig? Ihre Grundlage liegt in der Frage, ob es zwischen den Kategorien verschiedener Ebenen Unterschiede gibt, die es bei der Analyse zu berücksichtigen gilt. Sind hierarchisch hochstehende Kategorien systematisch und regelhaftig von niederen Kategorien verschieden? Die Antwort auf diese Frage muß, auch wenn dies selten so deutlich zur Sprache kommt, ein eindeutiges Ja sein. Es sind entscheidende Unterschiede auf mehreren Dimensionen feststellbar, denen ich mich im folgenden unter den Stichworten a) Umfang der Hierarchie, b) relevante Kategorisierungsrunktion und c) Repräsentation des Prototypen zuwenden will. Zum einfacheren Verständnis werde ich mich dabei auf die in Abb. 2.12 dargestellte dreistufige Auswahlhierarchie beziehen, in der HOUSE als superordinate category, COTTAGE, MANSION und LODGE als basic level categories und THATCHED-ROOF COTTAGE etc. als subordinate categories festgelegt sind.82
80
Vgl. z.B. Pulman (1983: 83ff), Verscheuren (1985: 48ff), Johnson (1987: 208«), Lakoff (1987·: 46ff), Langicker (1987a: 380), Ncisser (1987c: 13ft), Taylor (1989: 46fl). Erwähnenswerte Ausnahmen stellen Wierzbicka (1985:146ff, 258ff) und B. Tversky (1986,1990) dar, die sich beide ausführlich mit Problemen der ganzen Hierarchiestniktur befassen. In der Strukturalis tischen Semantik sind Diskussionen zur Hyponymiebeziehung im allgemeinen häufig zu finden: vgl. Leech (21981:92ff), Lyons (1977: 291 ff), Cruse (1986: 136ff), Lipka (1990a: 144ff).
81
Vgl. dazu auch Kay 1971: 878f.
82
Die Einteilung ist in diesem Stadium willkürlich getroffen und durchaus fraglich. Im Rahmen einer größeren Hierarchie wäre wohl am ehesten house als basic level term anzunehmen. Die folgende Diskussion, für die die Auswahlhierarchie ja lediglich als Explikationshilfe dienen soll, wird uns bei der Klärung dieser Frage helfen. Vgl. die Bemerkungen zur Relativität der Basisebene am Ende dieses Abschnitts, S. 74.
70
house
cottage
thatched-roof cottage
mansion
Palladian mansion
lodge
hunting lodge
Abb. 2.12: Auswahlhierarchie house
a) Umfang der Hierarchie Auf den ersten Blick wird klar, daß, auch wenn, wie von Langacker gefordert, alle Knoten im Netzwerk explizit gemacht werden, die Kategorie HOUSE umfassender ist als etwa COTTAGE oder HUNTING-LODGE. Dieser Größenunterschied ist per definitionem in der denotativen Inklusionsbeziehung verankert, und seine Feststellung hat somit einen Anflug von Trivialität. Mit dem Faktum des abnehmenden Kategorienumfangs ist aber ein zweiter, sehr viel wichtigerer Aspekt verbunden, nämlich die sich verringernde Neigung zur Netzwerkbildung. Mit abnehmender Höhe in der Hierarchie geht gleichzeitig die Zahl der möglichen und vor allem der lexikalisierten Elaborationen zurück.83 HOUSE steht noch zu einer ganzen Reihe von Kategorien in einer Elaborationsbeziehung; d.h. in strukturalistischer Ausdrucksweise, das Lexem house hat eine große Anzahl von Hyponymen mit einfacher (Simplizia) oder komplexer (Wortbildungssyntagmen) Morphologie. Im Falle von THATCHED-ROOF COTTAGE indessen sind weitere Elaborationen, die effektiv neue Kategorien abspalten (bzw. neue Merkmale hinzufügen), viel schwerer vorstellbar.84 83
84
Ähnlich, allerdings in abweichender Terminologie, auch bei Lehrer (1990b: 380): "Superordinates are likely to be more prototypical [i.e. have a prototypical category structure; Anm. des Verf.] than hyponyms". Gettbten Linguistenaugen wird der unterschiedliche lexikalische Status zwischen den Ebenen nicht entgangen sein. Ich habe ausdrücklich versucht, auf der Ebene der subordinates Syntagmen zu finden, die einen quasi-lexikalisierten Status und demnach schon fast Wortbildungscharakter haben. Selbstverständlich wäre es bei Ausschöpfung aller Mittel der Wort- und Syntagmen-Bildung kein Problem, weitere Unterkategorien wie white thatched-roof cottage oder wooden hunting lodge with a large garden zu finden. Allgemein besteht die folgende Tendenz bezüglich der Korrelation zwischen taxonomischer Ebene und lexikalischem Status: Archilexeme weisen häufig syntaktische Restriktionen besonderer Art auf, z.B.
71
Dasselbe Phänomen ist auch im Hinblick auf die zweite intrakategoriale Beziehung Langackers, die Extension, zu erkennen, und zwar in gleichem Maß für die verschiedenen Ausmaße von Extensionen. Für house liegen lexikalisierte Abweichungen vom Prototyp, beispielsweise castle, palace oder shack, Metaphern wie the house of Tudor und Metonymien wie the Upper House auf der Hand. Subordinates wie Palladian mansion dagegen sind schon so detailliert spezifiziert, daß nur in kleinerem Rahmen Abweichungen vom Prototyp geduldet werden. Mit anderen Worten: Die Bereitschaft von Sprechern, ein bestimmtes Objekt als untypisches Beispiel bzw. "Gerade-noch-Haus" zu tolerieren, ist für eine größere Anzahl von Stimuli-Varianten vorhanden als für Beispiele von untypischen palladianischen Herrenhäusern. Für schwerwiegendere metaphorische Abweichungen haben dieselben Feststellungen Gültigkeit: Der Ausruf "This is a true cottage" wäre etwa bei der Besichtigung eines besonders gemütlich ausgestatteten Wohnmobils oder einer ungewöhnlich liebevoll hergerichteten Hundehütte durchaus angebracht. Lexeme oder Syntagmen der untergeordneten Ebene wären in solchen metaphorischen Gebräuchen dagegen nicht zu erwarten (vgl. ?"This is a true palladian mansion" im obigen Kontext). Insgesamt läßt sich also die folgende Tendenz von Hierarchien festhalten: Je weiter wir uns in einer Hierarchie nach unten bewegen, desto weniger Elaborationen und Extensionen sind zu erwarten und desto einfacher wird dementsprechend die Netzwerkstruktur der jeweils untergeordneten Kategorien. Umgemünzt auf eine eher sprachimmanente Terminologie können wir denselben Zusammenhang bei Lehrer so formuliert finden (vgl. a. 3.1 und 5.6): "Frequent and general predicates are more amenable to conventional polysemy than infrequent and semantically more complex terms". (1990a: 229; meine Hervorhebung).
b) Relevante Kategorisierungsfunktion In einem der ersten Artikel, in denen C. Fillmore seine Vorstellungen zur sog. FrameSemantik entwickelte, warf er die fundamentale Frage nach dem Grund für die Existenz eines Lexems in einer bestimmten Sprache auf (Fillmore 1976: 26). Wie, ausgedrückt mit Cruse (1986: 148), wird aus einer latent vorhandenen, aber verborgenen "covert category" eine offene, die durch ein Lexem abgebildet wird? Filimores Antwort lautet: For [a] word to exist, there has to be some cognitive schema with reference to which it performs categorizing function. (1976: 26; meine Hervorhebung)
relevant
Zum einen ist dieses Zitat bemerkenswert, da es stellvertretend für viele andere Aussagen Filimores steht, die seine höchst einflußreiche Vorreiterrolle für die gesamte Bewegung der kognitiven Linguistik demonstrieren könnten. Eine Vielzahl der Gedanken, die heute von Autoren wie Lakoff und Langacker dargestellt werden, sind von Fillmore vorweggenommen
Unfähigkeit zur Pluralbildung (z.B. furniture; vgl.a. dk interessanten Bemerkungen von Markmann (1987: 276) zum grammatikalischen Verhalten von superordinates in 18 verschiedenen Sprachen). Basistermini sind in der Regel Simplizia und subordinates meist Wortbildungs- oder freie Syntagmen. Dies ist aber wie bemerkt nur eine Tendenz, die auf keinen Fall als allgemeingültige Regel mißverstanden werden darf (vgl. S.74).
72
und von diesen mehr oder weniger explizit übernommen worden. (Beide versäumen es auch nicht, seinen Einfluß zumindest pauschal anzuerkennen; vgl. Lakoff 1987a: IX, Langacker 1987a: 5). An dieser Stelle geht es mir aber in erster Linie um den in dem Zitat verwendeten Begriff der relevant categorizing Junction. Dieses Konzept kann interpretiert werden als das intuitive Gefühl, daß für viele Lexeme ein einziges oder eine kleine Gruppe von Attributen entscheidend an der Kategorisierung beteiligt ist. Besonders offensichtlich ist dies bei den Adjektiven, die in der Regel nur eine Dimension denotieren (Wierzbicka 1986: 363). Aber auch andere Lexeme scheinen Attribute zu haben, die sehr nahe an einen notwendigen Status herankommen, z.B. darf der notorische bachelor nicht für Männer angewendet werden, die verheiratet sind. Das linguistische oder semasiologische Pendant zur relevanten Kategorisierungsfunktion stellen Leisis Gebrauchsbedingungen dar (21985: 39ff), die ebenfalls als Suche nach solchen dominanten Attributen aufgefaßt werden können. Beispielsweise muß ein Schimmel weiß sein (Farbe), ein Ring muß rund sein mit einem Loch in Mitte (Form), ein Nugget mußte zumindest ursprünglich aus Gold sein (Substanz). Entscheidend bezüglich dieser Gebrauchsbedingungen bzw. der relevanten Kategorisierungsfunktion - und dies rechtfertigt auch den Exkurs - ist die Tatsache, daß ein Bezug zwischen der Art der dominanten Gebrauchsbedingung und der hierarchischen Ebene besteht. Archilexeme, mit Ausnahme von solchen im Bereich biologischer Taxonomien, denotieren Kategorien, die in der Regel als dominantes Attribut die Funktion haben, z.B. TOOL, VEHICLE, WEAPON (vgl. Wierzbicka 1985: 263ff; Tversky 1986: 66, 1990: 338). Bei Basisebenenkategorien im Bereich der Artefakte besteht die relevante Kategorisierungsfunktion dagegen in der Regel aus einer Mischung zwischen Funktion und äußerer Erscheinung. Von besonderer Bedeutung ist dabei die Form der funktionstragenden Teile. Ein überzeugendes Plädoyer für die außerordentliche Wichtigkeit von Teilen für die Kategorisierung von Objekten auf der Basisebene hält Tversky (1986: 69ff, 1990: 337ff). Besonders erfolgreich tragen demnach solche Teile zur Kategorisierung bei, die perzeptuell hervorstechend und für die Funktion des Objekts bedeutsam sind, z.B. seat für CHAIR, legs für PANTS und blade für SAW (Tversky 1986: 79, 1990: 339) oder, im Kontext von Kapitel 4, roo/oder wall für HOUSE. Entscheidend für die Kategorisierung von subordinates sind zusätzliche Detailinformation über die Funktion (HUNTING LODGE), Teile (THATCHED-ROOF COTTAGE), Formdetails (PALLADIAN MANSION) oder Material (STONE COTTAGE).85 Im Rahmen der gegenwärtigen Diskussion darf der wichtige Aspekt nicht außer acht gelassen werden, daß auch der konnotative Anteil der Bedeutung bei der Kategorisierungs-
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Vgl. dazu auch Tversky (1990: 338): "From subjects' attribute listings, it was clear that different subordinate categories belonging to the same basic level category (different shirts or pants; different boats or buses; different apples or grapes) tend to share parts and differ from one another in characteristics of their parts or in other features. In contrast, objects belonging to different basic level categories from a single superordinate category tend to share function while having different parts (shirts vs. pants; boats vs. buses; grapes vs. apples."
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funktion in zunehmendem Maß beim Übergang von superordinates über basic level categories zu den subordinates großes Gewicht erhält. Wie sich bei Informantenbefragungen ergab (vgl. Kapitel 4), sind neben Formdetails beispielsweise für Lexeme wie cottage und mansion konnotative Merkmale wie [comfortable], [cosy], [friendly people live there] bzw. [posh], [cold], [nouveaux riches live there] auch psychologisch gesehen sehr dominant.86 Die enge Korrelation der Funktion als dominanter Gebrauchsbedingung für Archüexeme und die etwas schwächer ausgeprägten Regelmäßigkeiten auf den niedereren Ebenen scheinen ein Phänomen zu sein, das zumindest im Bereich der Artefakte weitreichende Gültigkeit hat. Es sollte deshalb in Form einer entsprechenden Erwartungshaltung am Anfang jeder Kategorien- bzw. semantischen Analyse stehen und kann auf diese Weise als Raster für den Einstieg in ein fragliches Netzwerk dienen. Von großem Interesse ist der Zusammenhang vor allem wegen seiner Auswirkungen auf die Darstellung der Ergebnisse einer Analyse, speziell die Darstellung der Prototypen, der ich mich jetzt zuwenden will.
c) Repräsentation des Prototypen Ziel einer jeden Netzwerkanalyse muß die Abbildung der Kategorisierungsprinzipien, die im Spiel sind, und die Spezifizierung der Prototypen und anderen Knoten des Netzwerks sein. Für die zweite Teilaufgabe sind prinzipiell Angaben wie Synonyme, lexikonähnliche Definitionen oder Paraphrasen, Attributenlisten (Lehrer 1990b: 369) oder bildliche Darstellungen (diese werden von Lehrer nicht erwähnt) denkbar. Grundsätzlich halte ich bei Artefakten bildliche Darstellungen von Prototypen für ein probates Mittel, da sie auf ökonomische Weise der Gestaltkonzeption von Objekten gerecht werden, realitätsnah sind und der im Spracherwerb so wichtigen Zeigdefinition (vgl. Leisi 5 1975; 19) sehr nahe kommen. Nun muß aber bemerkt werden, daß vor dem Hintergrund des letzten Abschnitts deutlich wurde, daß sich die verschiedenen Ebenen in Hierarchien unterschiedlich gut für eine Repräsentation in Bildform eignen. Am besten funktionieren Bilder auf der Basisebene, da die Objekte auf dieser Ebene vor allem durch die äußere Form und durch ihre Teile charakterisiert sind. Eine der ersten Erkenntnisse Roschs bezüglich der Basisebene betraf ja die gemeinsame Form und die daraus folgende Darstellbarkeit in schematisierten Zeichnungen (Rösch 1977: 34; vgl.a. 2.2.1.5). Kategorien der Basisebene wie HAMMER, BIRD, PANTS eignen sich hervorragend zur bildlichen Darstellung.87
RA
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Mehr und mehr stellt sich im Laufe der Diskussion heraus, daß in unserer beispielhaften Auswahlhierarchie house in der Tat besser als Kategorie der Basisebene behandelt worden wäre. Es ist monomorphematisch, durch eine Mischung aus Form und Funktion determiniert, bildhaft leicht darstellbar (vgl. unten: c) Repräsentation der Prototypen) und enthält im Gegensatz zu den Lexemen auf der nächsttieferen Ebene (cottage, mansion, villa) einen geringen konnotativen Bedeutungsanteil. Der Aspekt der unterschiedlichen Eignung von Begriffen verschiedener hierarchischer Ebenen für bildliche Darstellungen in Lexika wird von Stein (1991) in ihrem ansonsten sehr differenzierten Aufsatz über Illustrationen in Wörterbüchern nicht erörtert.
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Dies kann man von superordinates sicherlich nicht behaupten. Man versuche nur, sich ein mentales Bild der Kategorie VEHICLE zu machen, und man wird sofort auf Objekte der Basisebene absteigen (und somit ein metonymisches Modell entwerfen) oder ein nicht verwertbares Bild erzeugen. Dies ist auf die Tatsache zurückzuführen, daß die dominante Gebrauchsbedingung hier die Funktion ist. Andererseits ist hier die Spezifizierung des Prototyps mit Hilfe der Funktion means of transporting things and persons einfach und, vor allem, wenn sie durch typische Beispiele der Basisebene gestützt wird, eindeutig. Auf der untergeordneten Ebene schließlich hängt die Darstellbarkeit von der dominanten Kategorisierungsrunktion ab. Liegt sie in der Funktion (z.B. HUNTING-LODGE), wird eine adäquate bildliche Darstellung zumindest schwerer fallen, als wenn Aspekte der äußeren Beschaffenheit relevant sind (z.B. THATCHED-ROOF COTTAGE). Wieder kann in jedem Fall der Bezug zur Basisebene nur hilfreich sein. Man kann schon an diesen wenigen Bemerkungen erkennen, daß einerseits die Basisebene tatsächlich den geeigneten Einstieg in das gesamte Begriffssystem bietet und andererseits eine Differenzierung bei der Repräsentation von Prototypen dringend geraten sein wird. Abschließend sei noch einmal auf einen Aspekt der Basisebene verwiesen, den wir schon kurz angesprochen haben. Im Zusammenhang mit den Versuchsergebnissen Rosens hatte ich bereits Gelegenheit, auf die Notwendigkeit der Unterscheidung zwischen dem Prinzip der Basisebene und der jeweiligen aktuellen Höhe der Basisebene in einer Hierarchie hinzuweisen (vgl. 2.2.2.4). Während das Prinzip der Basisebene als universal angesehen werden muß, variiert die Höhe der Basisebene von Kultur zu Kultur, von Sprecher zu Sprecher je nach Interesse, Erfahrung und Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Bereich. Die Relativität der Basisebene muß als Faktum akzeptiert werden (vgl. McCauley 1987: 305). Somit können uns weder Unterschiede im Auftreten von Simplizia in einer Hierarchie wie z.B. die notorischen monkey/ape vs. "Äffchen"/Menschenaffe und snail/slug vs. Nacktschnecke/"Gehäuse "-Schnecke noch das Fehlen eines Wortes für Schnee in der Sprache der Eskimos, für Sand in der Sprache der Aborigines und für Kamel im Arabischen, wie von Lyons (1981: 67) festgestellt, in Erstaunen versetzen. Offensichtlich weicht die Höhe der Basisebene in diesen Sprachen in den jeweiligen Bereichen von den uns vertrauten ab. Mit dieser Erkenntnis muß auch das Bewußtsein verbunden sein, daß die meisten Kriterien, die in der Literatur zur Erkennung der Basisebene vorgeschlagen werden, insbesondere auch der monomorphematische Status, eher als Indizien und Tendenzen denn als Kriterien oder Regeln aufzufassen sind. Unter keinen Umständen darf der Fehler gemacht werden, die Basisebene, die ja primär ein Postulat psychologischer Überlegungen ist, mit Kriterien auf der sprachlich-morphologischen Oberfläche definieren zu wollen.
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2.5 Zum Kategorienerwerb
Eine doch recht umfangreiche Diskussion kognitiver Aspekte der Kategorisiemng, wie sie hier vorgestellt wurde, darf einen wichtigen Gesichtspunkt, nämlich den des Kategorienerwerbs von Kindern, nicht völlig ausklammern. Ich möchte deshalb in diesem Abschnitt jüngere Veröffentlichungen aus diesem Bereich dazu verwenden, die Validität der bisher dargestellten Vorstellungen zur Kategorisiemng unter dem Aspekt des Kategorienerwerbs zu überprüfen. Ist die Prototypentheorie der Kategorisierung mit Beobachtungen darüber, wie sich Kinder Kategorien aneignen, vereinbar? In ihrem faszinierenden Buch über das mentale Lexikon widmet Aitchison (1987) ein Kapitel dem Erwerb von Wortbedeutungen. Kinder haben dabei drei verschiedene, aber verknüpfte Aufgaben zu bewältigen: die Benennungsaufgabe, die Verpackungsaufgabe und die Netzwerkbildungsaufgabe. Vergleiche dazu die lustige Darstellung aus Aitchison, die in Abbildung 2.13 wiedergegeben ist. Während die Benennungsaufgabe in erster Linie das Erkennen des symbolischen Gehalts von Wörtern betrifft und somit nicht zu unserem momentanen Interessenbereich gehört, sind die beiden anderen Aufgaben eindeutig Kompetenzen, die beim Kategorienerwerb eine Rolle spielen. Die Verpackungsaufgabe stellt Kinder vor das Problem, Kategorien zu bilden und Kategoriengrenzen zu erkennen. Die Netzwerkbildungsaufgabe verlangt von ihnen die Fähigkeit, Bezüge zwischen Kategorien herzustellen. Wir haben es also prinzipiell mit denselben Fragen zu tun wie in den vorangegangenen Abschnitten, nur hier aus einer entwicklungspsychologischen Perspektive. Unter dieser Sichtweise lauten die Fragen, denen wir uns im folgenden stellen müssen: Wie bilden Kinder Kategorien (vgl. 2.5.1) und wie bauen Kinder Kategoriennetzwerke bzw. -hierarchien auf (vgl. 2.5.2)?
NETWORK BUILDING DUCK — quack
Abb. 2.13: Die drei Teilaufgaben beim Erwerb von Wortbedeutungen (Aitchison 1987: 87)
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2.5.1 Kategorienerwerb Allen Eltern, die aufmerksam die sprachliche Entwicklung ihres Kindes verfolgen, fällt früher oder später auf, daß ihr Kind Kategorien geformt hat, die manchmal beträchtlich von den Kategorien Erwachsener abweichen. Beispiele für solche Differenzen sind in der einschlägigen Literatur zu Häuf zu finden. Vygotsky (zitiert in Aitchison 1987: 91f) etwa diskutiert das Kindwort qua ('quack'), das eine Ente auf einem Teich, eine Tasse Milch, eine Münze mit einem Adler und das Auge eines Teddybärs denotieren kann. Kindkategorien weichen in der Regel durch Unter- oder Ubergeneralisierungen im Vergleich zu Erwachsenenkategorien ab.88 Ziel von Entwicklungspsychologen und Psycholinguisten, die in diesem Bereich arbeiten, muß die Erforschung der Grundlagen solcher Differenzen sein. Bis dato scheint sich in der Literatur die Ansicht durchzusetzen, daß Merkmalskonzeptionen der Kategorisierung (vgl. 2.1) als Erklärungsmodelle für den Kategorienerwerb nachhaltig nicht geeignet sind (Hörmann 1981: 49ff). Weder die von der TG so nachdrücklich vertretene Ansicht, Kinder seien mit angeborenen semantischen Merkmalen ausgestattet (vgl. Kegel 31987: 177f), noch die Ansicht E. Clarks (1973), daß Kinder permanent neue Merkmale ihren unvollkommenen Einträgen im mentalen Lexikon hinzufügen, finden heute noch weitreichende Anerkennung. Anstelle dessen findet gerade in diesem Bereich das Prototypenkonzept immer mehr Anhänger (vgl. Aitchison 1987: 94). Von den verschiedenen Autoren werden unterschiedliche Aspekte bezüglich der Vorgehensweise von Kindern beim Kategorienerwerb hervorgehoben:
a) Limitierende Annahmen beim Kategorienerwerb Von Carey (1978:264) wird auf der Basis von Berechnungen angenommen, daß Sechsjährige über einen passiven Wortschatz von 14 000 Wörtern verfügen.89 Die schier unglaubliche Fähigkeit von Kindern, sich in kurzer Zeit eine derartig große Zahl von Wörtern anzueignen, legt die Vermutung nahe, daß Kinder dabei nicht ohne bestimmte Regeln oder Einschränkungen ans Werk gehen. Zwei besonders plausible Beschränkungen werden von Markmann (1987: 256ff) zu Bedenken gegeben. Kinder scheinen sehr früh in ihrer sprachlichen Entwicklung davon auszugehen, daß es sich bei den meisten Kategorien, die ihnen angeboten werden, vom ontologischen Status her um Objektkategorien und nicht um Relationen, Ereignisse o.a. handelt.
Der Spracherwerb ist im übrigen eine der Ursachen (vgl. Görlach 21982: 24) für Sprachwandel bzw. für die diachronische Verschiebung von Kategorien. Wie in der Einleitung schon bemerkt, wird der Bereich der Diachronie aber aus dieser Arbeit ausgeklammert. QQ
Die Zahl 14 000 umfaßt flektierte Wörter und Wortbildungen; die Anzahl der Wortstämme, über die ein Kind dieses Alters passiv verfugt, wird auf 8000 beziffert.
77 Entwicklungspsychologisch eng mit dieser Hypothese verbunden sind die weit verbreiteten Annahmen, daß kognitive Kategorien vor der Fähigkeit, sie zu verbalisieren, vorhanden sind (Geeraerts 1985b: 203) und daß eine vorsprachliche ontologische Strukturierung der Welt zumindest existiert - auch wenn sie nicht angeboren ist (Hörmann 1981: 35) -, in der physikalische Objekte die zeitlich primären ontologischen Kategorien sind (Keil 1979: 105). In einfachen Worten: Kinder haben schon vor der Fähigkeit zu sprechen eine bestimmte Vorstellung von der Welt, in der diese primär aus "Dingen" besteht. Die zweite Grundannahme, die Kinder beim Kategorienerwerb zu hegen scheinen, legt fest, daß jedes Objekt nur Mitglied einer Kategorie sein kann (Markmann 1987: 269ff). Aus Kindersicht kann ein Ding nur entweder ein Pferd oder ein Tier sein, sicherlich aber nicht beides zugleich. Diese zweite Annahme führt zu großen Verzögerungen beim Erwerb der Inklusionsbeziehung, auf die ich in 2.5.2 zurückkommen werde. Festzuhalten sind vorläufig als Grundprinzipien beim Kategorienerwerb die Annahme von Objektkategorien und die Annahme des gegenseitigen Ausschlusses von Kategorien.
b) Kategorienerwerb und häufige Handlungsmuster Ein entscheidender Faktor nicht nur des kindlichen Lernens allgemein, sondern auch des Spracherwerbs, ist das Handeln. Aktiv handeine Kinder lernen Kategorien eingebettet in typische Ereignisse oder Handlungsmuster kennen. Erzählungen junger Kinder (ab 3 Jahren) zeigen, daß schon sehr früh schematisierte Repräsentationen häufig erlebter Ereignisse wie Essen, Einkaufengehen, Sich-für-das-Bett-bereit-machen gewonnen werden, die durchaus mit Skripten (i.S. Schank & Abelsons 1977) oder Schemata (i.S. Rumelharts 1975) vergleichbar sind (Fivush 1987: 236). Davon leiten Kinder primär zwei Arten von Kategorien ab: Erstens, thematische Kategorien über räumlich-zeitliche Zusammenhänge zwischen Objekten ; zum Skript "Essen" z.B. gehören Hochstuhl, Lätzchen, Teller, Löffel etc. (Fivush 1987: 244ff). Die thematischen Kategorien spiegeln sich in der Tendenz von Kindern wider, in Wortassoziationsexperimenten kollokative Bezüge herzustellen, z.B. table - eat, dark - night, send - letter (Aitchison 1987: 95). Zweitens bilden Kinder frühzeitig funktionale Kategorien, d.h. in diesem Fall Kategorien von Objekten, die typischerweise in einer Handlung eine bestimmte Funktion haben. Durch die Gegenüberstellung von verschiedenen Objekten, die an derselben Stelle in einem Skript auftauchen können, entstehen sehr früh kontrastive Beziehungen zwischen Kategorien. Offensichtlich wurde lange Zeit die Rolle, die funktionale Attribute von Objekten im Rahmen vertrauter Handlungen spielen, zugunsten von Attributen der äußeren Form stark unterschätzt (vgl. Fivush 1987: 239ff, Benelli et al. 1988: 633).
c) Kategorienerwerb und Weltwissen Ein dritter, in der Literatur ebenfalls vernachlässigter Aspekt bezüglich des kindlichen Kategorienerwerbs ist die Korrelation zwischen dem Wissen über die Welt und der Kenntnis
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von Kategorien. Im Abschnitt 2.4.2 wurde ausführlich der massive Anteil von kognitiven Modellen oder Theorien über die Welt an der Kategorienkohärenz geschildert. Selbstverständlich haben Kinder keine Möglichkeit, sich diese teilweise sehr komplexen Modelle in sehr kurzer Zeit anzueignen. So ist es nicht verwunderlich, wenn ein Kind zwar eine Sparbüchse und eine Kerze aufgrund ihrer runden Form vorläufig zur Kategorie BALL zuläßt, Fußbälle (amerikanische!) wegen der abweichenden Form aber ausschließt (Mervis 1987: 204f). Dem Kind fehlt das nötige Wissen über die kulturelle Funktion der jeweiligen Objekte. Stattdessen betont es die Formattribute und die Funktionsattribute, die in seiner eigenen Welt gelten (es spricht ja schließlich grundsätzlich nichts dagegen, auch Sparbüchsen oder Kerzen, solange sie die richtige Form haben, als Ball zu verwenden). Mit einer Anhäufung von Wissen über die Welt und die Kultur, in der das Kind lebt, nimmt auch die Angleichung der Kindkategorien an die Erwachsenenkategorien zu (Benelli et al. 1988: 633). Daß der Fortschritt vom jeweiligen Bereich und von der Beschäftigung des Kindes mit Objekten aus dem jeweiligen Bereich zusammenhängt, liegt auf der Hand (vgl. Keil 1987: 177f). Mit zunehmender Kenntnis über eine bestimmte Domäne machen Kinder einen Übergang durch, der von Keil als "characteristic-to-defining shift" (1987:180) bezeichnet wird. Mit diesem Konzept, das Keil auf jahrelange Beschäftigung mit der Materie stützen kann (vgl. Keil 1979, 1981a,b, Keil & Battermann 1984), versucht er eine allgemeine Erklärung für die Entwicklung im Kategorienerwerb zu liefern. Gemäß dieser findet ein Übergang statt von einer relativ ausgewogenen Gewichtung vieler Merkmale, die häufig im Zusammenhang mit einer Kategorie auftreten, zu einer deutlichen Betonung eines oder zweier Merkmale oder Dimensionen. Nach Keils (1987: 179) Experimenten sind für kleine Kinder die Attribute 'Palmen', 'vergrabene Schätze', 'Sandstrand' und 'Leute mit Baströckchen' ebenso wichtig für die Kategorie INSEL wie das Attribut 'an allen Seiten von Wasser umgeben'. Bei älteren Kindern findet ein Wechsel von den vielen charakteristischen Merkmalen zu dem einen definierenden statt. Trotz allem geht Keil aber davon aus, daß prinzipiell eine Prototypenstruktur vorliegt, innerhalb derer sich die Gewichtung der Merkmale wie beschrieben verändert (1987: 18). Zusammenfassend läßt sich festhalten, daß die in 2.2. und 2.4. entwickelte Theorie der Kategorisierung mit den angesprochenen neueren Modellen und Erkenntnissen aus der Kategorienerwerbsforschung gut vereinbar ist. Im speziellen ist für beide Bereiche die Bedeutung menschlichen Handelns und menschlicher Interaktion mit der Welt und das idealisierte Wissen über die Welt in Form von Modellen oder Theorien noch einmal zu unterstreichen. Es soll auch nicht versäumt werden anzumerken, daß zwischen den Bereichen der Kategorien- und Kategorienerwerbsforschung eine enge Zusammenarbeit und ein fruchtbarer Austausch besteht.
2.5.2 Erwerb von Kategorienhierarchien Mit dem Erwerb einzelner, isolierter Kategorien ist aber nur die halbe Arbeit für das lernende Kind erledigt. Es gilt gleichzeitig, Beziehungen zwischen den Kategorien herzustellen, aus denen schließlich komplexe Netzwerke werden, die erst die schnelle und sichere Verarbeitung
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garantieren. Diese zweite Teilaufgabe scheint noch schwieriger zu sein als die erste, denn sie geht offensichtlich nur sehr langsam und mühsam vonstatten (vgl. Aitchison 1987: 95; MacWhinney 1989: 212). Wo liegen die Gründe für die Probleme bei der Hierarchiebildung? Traditionell, zumindest aber seit Piaget (Inhelder & Piaget 1964), ist davon ausgegangen worden, daß die Ursache für die zögerliche Netzwerkbildung in der Unfähigkeit kleiner Kinder zu sehen ist, das Prinzip der Inklusionsbeziehung zu verstehen. Hier stellt der offensichtliche Widerwille der Kinder, einem Ding mehr als einen Namen zu geben, ein großes Hindernis dar (vgl. Markman 1987: 269ff; und 2.5.1). "If a pig is a pig, then it can't be an animal." (Aitchison 1987: 94). Zweijährige Kinder verfügen zwar über Oberbegriffe wie toy oder animal, diese sind aber für Ansammlungen verschiedener Vertreter reserviert und werden bei Testfragen in bezug auf Individuen (z.B. "Is this an animal?") nicht eingesetzt bzw. akzeptiert. Der Ansicht, die noch nicht verstandene Inklusionsbeziehung blockiere die Hierarchiebildung, ist durch Versuche von Benelli, Arcuri und Marchesini (1988) das Wasser abgegraben worden. Die drei italienischen Wissenschaftler konnten nachweisen, daß auch Kinder, die überprüfbar die logische Inklusionsbeziehung gemeistert hatten, trotzdem nicht in der Lage waren, Definitionen der Form "[subordinate category] is/are [superordinate category]" (z.B. ORANGES are FRUIT) zu produzieren. Das mangelnde Verständnis der Inklusionsbeziehung scheidet demnach zumindest als alleinige Begründung für die Schwierigkeiten bei der Netzwerkbildung aus. Als Alternativbegründung geben Benelli et al. (1988:633) das mangelnde Wissen der Kinder über die Welt und Defizite im Bereich der Abstraktionsfahigkeit an. Wir sind also einmal mehr an der Unverzichtbarkeit von enzyklopädischer Information und kognitiven Modellen über die Welt angelangt.
2.6 Zusammenfassung und Überleitung zu Kapitel 3
In diesem Abschnitt möchte ich die wichtigsten Erkenntnisse und Probleme, die sich aus der Diskussion kognitiver Aspekte der Kategorisierung herauskristallisiert haben, in kurzer Form rekapitulieren, um damit auf den nächsten, rein sprachwissenschaftlich orientierten Teil überzuleiten, dem dann das hier Resümierte als Grundlage dienen soll. Ausgangspunkt meiner Überlegungen war die seit den Philosophen der griechischen Antike dominante, sog. klassische Theorie der Kategorisierung, die rigide und wohlbestimmte Kategorien annimmt, die durch notwendige und hinreichende Kriterien definiert sind. Danach wurden die wichtigsten Experimente von E. Rösch referiert, die als bedeutendste Pionierin einer Gegenbewegung zur klassischen Kategorisierungstheorie, der Prototypentheorie, angesehen werden muß. Es wurden die markantesten Ergebnisse bezüglich der angenommenen internen Struktur von Kategorien, die aus Prototypen und peripheren Mitgliedern bestehen, sowie bezüglich der Basisebene der Kategorisierung herausgearbeitet. Dabei wurde hervor-
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gehoben, daß das Prototypenmodell von Rösch nicht als Verarbeitungs-, sondern als deskriptives Modell konzipiert war. Rosens Arbeiten wurden ergänzt durch Experimente von W. Labov, die starke Indizien für vage und verschwommene Kategoriengrenzen erbrachten. Von zentralem Interesse waren anschließend die Fragen nach der Natur des Prototypikalitätskonzepts und dem Wesen der Prototypen, die beide - in Einklang mit den Ansichten der Prototypentheorie - nicht eindeutig, sondern nur bedingt beantwortet werden konnten. Im Anschluß daran kristallisierten sich bei einer Übersicht über Einwände von Kritikern Roschs die Kontextabhängigkeit von Kategorien und der eingeschränkte Objektbereich als umstrittene Aspekte heraus; daneben erwies sich der Einsatz des Konzepts der Ähnlichkeit zur Erklärung der Kategorienkohärenz als höchst problematisch. Ausgehend von den dadurch aufgeworfenen Forderungen nach plausibleren und festeren Fundamenten der Kategorienkohärenz und nach der Art und dem Ausmaß der Beziehungen zwischen den unterschiedlichen Mitgliedern von Kategorien wurden moderne, programmatische Ansätze aus der Strömung der kognitiven Linguistik vorgestellt. Die beiden detailliert referierten Modelle von Lakoff und Langacker zeichnen sich dadurch aus, daß jeweils kognitive Ebenen eingeführt werden, die Kategorienstruktur und -kohärenz erklärbar machen sollen. Während aber Lakoffs idealized Cognitive Models ausdrücklich eine Doppelfunktion als experientielle Basis und kategorienkonstituierende Kraft ausüben, dienen bei Langacker die cognitive domains als Hintergrund, in den Kategoriennetzwerke eingebettet sind. Im Laufe dieser Darstellungen, besonders aber in der sich daran anschließenden Diskussion von Kategorienhierarchien, ergab sich immer wieder die Möglichkeit, analoge Termini und Konzepte aus traditionelleren strukturalistischen Strömungen im Bereich der Semantik wie der Wortfeldlehre oder der Semantik der Bedeutungsbeziehungen mit einzuflechten. Ich habe mich dabei ganz bewußt von den rein kognitiven Aspekten mehr und mehr einer primär linguistischen Sichtweise zugewendet, da ja ein Ziel dieser Arbeit darin besteht, eine Verbindung zwischen Welt und Sprache als Kommunikationsmittel über die Welt herzustellen. Im nun folgenden Kapitel 3 werde ich mich schließlich ganz traditionellen linguistischen Fragestellungen zuwenden, dabei aber die kognitiven Aspekte aus Kapitel 2, die unter dem Stichwort "Kognitive Linguistik" zunehmend in die Sprachwissenschaft Einzug halten, als theoretischen Rahmen beibehalten. Prinzipiell wird es mir darum gehen zu überprüfen, was eine kognitiv geprägte Linguistik zu notorischen Problemen der semantischen Forschung beitragen kann. Ich werde bei diesem Unterfangen noch einmal mit einer Frage beginnen, die neben anderen schon im Brennpunkt des zu Ende gehenden Abschnitts lag, ohne aber bisher zufriedenstellend geklärt worden zu sein. Es handelt sich um die Frage nach den Beziehungen zwischen den Knoten in einem Kategoriennetzwerk. Eher linguistisch formuliert, geht es um Probleme von Polysemie oder um Beziehungen zwischen den Sememen90 oder lexical units eines Lexems.
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Vgl. Hansen et al. (21985:14,179ff), Schneider (1988: lOlff). Lipka (1990a: 76) definiert: "Sememe is here defined as a specific meaning, or 'sense' of a lexeme made up of complex semantic components."
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3. Sprachliche Kategorien: Vier Problemkreise
3.1 Metapher, Metonymie und Polysemie Richtig ist allerdings, daß in der überwiegenden Mehrzahl aller Fälle Vieldeutigkeit auf der Übertragung eines vorhandenen Wortes auf einen neuen Begriff beruht Dabei ist "Übertragung1' immer im weitesten Sinne zu verstehen, so daß dieser Ausdruck ebensogut die eigentliche Metapher, wie die sogen. Metonymie, die Synekdoche, die Einschränkung und Erweiterung eines ursprünglichen Wertumfangs in sich begreift. Es ist ja eine der bekanntesten Erscheinungen, daß das Wort oft übergeht vom Ganzen auf den Teil, von der Gattung auf die Art, von der Ursache auf die Wirkung, vom Zeichen auf die Sache oder umgekehrt usf. Die unendliche Fülle der Möglichkeiten spottet jeden Versuchs einer erschöpfenden Klassifizierung und Rubrizierung wie sie schon Aristoteles in Angriff genommen hatte. Heute ist man geneigt, alle diese nach rein logischen Gesichtspunkten aufgestellten und mehr zur Übersicht der dichterischen und rhetorischen Tropen dienenden Kategorien zum alten Eisen zu werfen. Man sucht die psychologischen Bedingungen des Bedeutungswandels aufzudecken und durch diese neue Einteilungsprinzipien zu gewinnen. (16; meine Hervorhebung). Daß schließlich derselbe Sprachlaut Begriffe bezeichnen kann, die auch nicht den allergeringsten direkten Zusammenhang mehr aufweisen, erklärt sich leicht aus der Tatsache, daß es Übertragungen von Übertragungen gibt, daß sich die Bedeutungen in der mannigfaltigsten Weise verzweigen, und daß überdies in der Kette einer Bedeutungsentwicklung einzelne Glieder außer Gebrauch kommen können. Geht der Name eines Begriffes A auf einen Begriff B und von B auf einen dritten C über, so muß wohl jeder mit dem folgenden noch irgendwie gemeinsame Elemente haben, nicht aber der erste mit dem dritten. (21) So offenkundig und einleuchtend aber auch alle diese Tatsachen sind, immer wieder begegnet man der Anschauung, als sei Vieldeutigkeit doch nur die Ausnahme und Eindeutigkeit des Wortsinnes die Regel. Tatsächlich bilden aber die Ausdrücke, die nur eine einzige, scharf begrenzte Bedeutung haben, einen verschwindenden Bruchteil aller Worte. (33; meine Hervorhebung). Polysemie ist sicher ein Zeichen für Blühen und Wachstum einer Sprache; sie ist ein Zeichen für die Regsamkeit und Anpassungsfähigkeit des Volksgeistes. (64).
3.1.1 Polysemie Abgesehen von dem gelegentlich etwas ungewöhnlichen Vokabular und dem streckenweise leicht pathetischen Stil liefern diese Zitate - ihre Herkunft wurde bewußt verschwiegen - nur wenige und speziell wenige inhaltliche Indizien dafür, daß sie nicht dem Zeitalter der Kognitiven Linguistik entstammen, sondern schon 1910 von dem Philologen und Sprachwissenschaftler Karl-Otto Erdmann verfaßt wurden1. Sowohl die "psychologistische" Annäherung
1
Die Seitenangaben bei den Zitaten verweisen auf die vierte Ausgabe (1925) des 1910 erstmals veröffentlichten Buches Die Bedeutung des Wortes.
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an die Metapher als auch die Konzepte von Kategorienketten bzw. Familienähnlichkeiten, die hier schon anklingen, sowie das Akzeptieren von Polysemie und ihrem kreativen Charakter als Faktum der Sprache - dies alles sind Gedanken, die heute von Vertretern der kognitiven Linguistik gerne als ungeheuer neue Erkenntnisse propagiert werden. K.-O. Erdmann belehrt uns eines Besseren und zeigt, daß eine wahrhaft "kognitive" Beschäftigung mit der Sprache nichts Neues, sondern eher eine sehr alte Form der Sprachwissenschaft ist, die aber zwischen den 30er und den 70er Jahren unseres Jahrhunderts durch die positivistisch-behavioristischstrukturalistische Vorherrschaft in den Geisteswissenschaften verpönt war oder in Vergessenheit geraten ist. Selbst wenn zugestanden werden muß, daß das Hauptinteresse der Philologen und frühen Sprachwissenschaftler im Bereich der Diachronie lag, so darf trotzdem nicht darüber hinweggesehen werden, daß Gelehrte wie K.-O. Erdmann Interessen hatten und Theorien vertraten, die heute wieder brandaktuell sind bzw. wiederentdeckt werden. Aus meinem Überblick über die kognitiven Aspekte der Kategorisierung ging deutlich hervor, daß ich, ebenso wie Erdmann, Ketten- oder Netzwerkkategorien und damit polyseme Lexeme2 als die Regel ansehe. Ich gehe davon aus, daß "tatsächlich [...] die Ausdrücke, die nur eine einzige, scharf begrenzte Bedeutung haben, einen verschwindenden Bruchteil aller Worte [ausmachen]". (Erdmann 41925: 33; vgl.a. oben). Selbstverständlich war das Problem der Polysemie auch im strukturalistisch geprägten Zeitalter der Linguistik ein häufig diskutiertes Thema. Oft stand dabei die Abgrenzung von der Homonymie im Vordergrund, aber auch andere wichtige Aspekte wie der lexikographische Umgang mit Polysemie und der Zusammenhang zu Vagheit und Ambiguität wurden diskutiert. Ausführliche und kompetente Darstellungen dieser Problembereiche liegen mit Kastovsky (1982: 121ff), Lipka (1986a, 1990a: 75ff, 135ff) und Schneider (1988: lOlff) vor, und Verweise auf diese Autoren mögen deshalb in diesem Zusammenhang genügen. Lediglich auf den sehr jungen Beitrag von Langacker (1988c: 136ff), der auf das in Abschnitt 2.4.3 vorgestellte Netzwerkmodell der Kategorisierung aufbaut, soll etwas detaillierter eingegangen werden. Wie auch Kastovsky (1982: 122), Schneider (1988: 106f) und Lipka (1990a: 139)3 vertritt Langacker die Ansicht, daß vor dem Hintergrund seines Netzwerkmodells semantische Verwandtschaft zwischen Knoten des Netzwerks eine Frage unterschiedlichen Ausmaßes ist und deshalb nicht eine Dichotomic zwischen Homonymie und Polysemie, sondern eher ein Kontinuum mit zwei Endpolen angenommen werden muß. Homonymie wird in diesem Sinne als Endpunkt einer Skala der Polysemie verstanden, an dem die semantische Beziehung zwischen zwei Bedeutungsvarianten nur noch in ihrer gemeinsamen phonologischen Realisie-
Polysemie wird hier verstanden als das Phänomen, daß ein Lexem mehrere Bedeutungen trägt bzw. kontextabhängig verschiedene Sememe zugeordnet bekommt (Schneider 1988: 141); sie wird häufig der Homonymie gegenübergestellt, wo wir es mit zwei Lexemen mit zusammenhanglosen Bedeutungen zu tun haben (Lipka 1990: 136). Darüber hinaus äußern diese mittlerweile weitverbreitete Ansicht z.B. Cruse (1986: 71), Deane (1988: 345) und Taylor (1989: 103).
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rung liegt.4 Somit besteht also das Problem nicht mehr darin, zwischen Polysemie und Homonymie zu unterscheiden, sondern das Netzwerk so exakt und umfassend wie nur möglich zu spezifizieren. Damit macht Langacker den Schritt deutlich, dessen Unterlassung zu viel vielleicht unnötiger Diskussion geführt hat: Welchen Standpunkt man in der Polysemie-Homonymie-Frage einnimmt, hängt letztendlich immer von der angenommenen semantischen Theorie ab; allgemeingültige globale Wahrheiten aufzustellen macht in diesem Bereich ganz besonders wenig Sinn. Folgen wir Langackers Überlegungen ans Ende, so haben wir wieder Anschluß an die zentrale Frage der letzten Abschnitte gefunden, an die Frage nach den Beziehungen unter den Knoten eines Netzwerks bzw. Bedeutungsvarianten oder Lexikoneinheiten ('lexical units' nach Cruse 1986 und Lipka 1990a) eines Lexems. So wie wir die Netzwerktheorie kennengelernt haben, waren nicht nur Elaborationen wie house -> cottage und leicht vom Prototyp abweichende Extensionen wie house -> palace, sondern auch stark abweichende Extensionen wie house -* Tudor house, Lower house Bestandteile ein und derselben Kategorie. Es handelte sich also um Fälle von Polysemie.5 Dies bedeutet, daß ein Lexem auch eine Vielzahl metaphorischer Bedeutungen inkorporieren kann. Auch vor dem Hintergrund der Netzwerktheorie bleibt aber weiterhin die Frage unklar, ab wann eine Bedeutungsvariante als echte Übertragung gelten sollte im Gegensatz zu leichten Abweichungen vom Prototypen. Damit eng verbunden ist die Suche nach den definitorischen Merkmalen von Metapher und Metonymie; was also gilt als Metapher bzw. Metonymie und was nicht? Mit diesen beiden Gesichtspunkten möchte ich mich in den folgenden Kapiteln unter den Stichworten Metapher und Ähnlichkeit (3.1.2) und Metonymie und Kontiguität (3.1.3) auseinandersetzen.6
Diese etwas gewagt anmutende Formulierung, die sich so nonchalant über die doch wohl etablierte Grenze zwischen den verschiedenen Polen des sprachlichen Zeichens bzw. zwischen den Disziplinen der Semantik und der Phonologic hinwegsetzt, darf natürlich nicht ohne Kommentar bleiben. Sie muß verstanden werden vor dem Hintergrund der Ansicht Langackers, daß semantische und phonologische Einheiten lediglich zwei Varianten von symbolischen Einheiten darstellen, die unterschiedlich symbolisiert und codiert sind (Langacker 1987a: 76ff). Auf der Basis psycholinguistischer Forschung zum mentalen Lexikon ist diese Auffassung keineswegs so abenteuerlich, wie sie anfangs klingen mag: Aitchison (1987: 184) berichtet nämlich von Experimenten verschiedener Forscher, die ergaben, daß auch bei semantisch völlig verschiedenen Homonymen wie z.B. bug ('spy', 'insect') im mentalen Lexikon zumindest für eine sehr kurze Zeitspanne beide Möglichkeiten der Bedeutung aktiviert werden. Diese Ansicht ist durchaus nicht selbstverständlich. Lipka etwa, der in seiner Outline of English Lexicology (1990a: 138) semantiscbe Übertragungen auch als Fälle von Polysemie sieht, vertritt noch 1986 (137) die Ansicht, man solle bei Metapher und Metonymie zunächst von Homonymie ausgehen. Dieser Meinungswandel kann als symptomatisch für die Auswirkungen gesehen werden, die das Gedankengut der KL auch in Deutschland in zunehmendem Maße in den letzten Jahren gehabt hat. Im folgenden werde ich den Begriff Metapher in der engeren Bedeutungsvariante verwenden, in der er von Phänomenen wie Metonymie, Synekdoche, Hyperbel usw. abgegrenzt ist (vgl. Nöth 1985: l, Kittay 1987: 293), da sich zeigen wird, daß mit dem Wechsel von kognitiven Domänen bzw. semantischen Feldern ein relativ eindeutiges Kriterium für die Trennung vorliegt Ich weise also Metapher als Oberbegriff zurück und werde stattdessen bei Fällen, in denen Metapher, Metonymie u.a. zusammengefaßt werden sollen, den Terminus semantische Übertragungen verwenden. Die Literatur zur Metapher wird immer umfangreicher
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3.1.2 Metapher und Ähnlichkeit Schon in Kapitel 2.4.1 habe ich Vorbehalte bezüglich eines Verständnisses der Metapher angemeldet, das sich völlig auf die Ähnlichkeit der Referenten als definierendes Kriterium stützt. Ich werde in diesem Abschnitt auf die gemeinsame Problematik von Metapher, Kategorisierung und Ähnlichkeit in noch kritischerer Art wieder zurückkommen müssen. Aitchison definiert Metaphern als Wortverwendungen mit "broken typicality conditions" (1987: 145).7 Sie bezieht sich damit ausdrücklich auf die Prototypentheorie und vertritt die Ansicht, daß "there is no difference between a word used in a non-prototypical way and a metaphor" (1987: 149). Diese etwas pauschale Feststellung würde meiner Ansicht nach eindeutig an Klarheit gewinnen, wenn das Nomen "difference" durch das Adjektiv "qualitative" modifiziert wäre. In der ursprünglichen Form divergiert die Aussage von Aitchisons sonstigem Ansatz, aus dem deutlich hervorgeht, daß auch sie unterschiedliche Grade metaphorischer Übertragungen annimmt. So spricht sie etwa von mehr oder weniger prototypischen Metaphern, wobei die letzteren sich dadurch auszeichnen, daß the items compared are likely to be dissimilar, in that they come from different semantic fields, and similar in that they share obvious, minor characteristics" (Aitchison 1987: 146).
Demnach ist der entscheidende Wechsel auf dem Kontinuum von untypischem zu übertragenem Wortgebrauch im Übergang in ein neues semantisches Feld zu suchen. Mit ähnlichen Kriterien nähert sich Kittay (1987) einer Metaphemdefinition. Sie faßt Metapher als eine Inkongruenz der wörtlichen konventionellen Bedeutung kombinierter Äußerungsteile auf. Dabei wird die Inkongruenz als Unvereinbarkeit der semantischen Felder verstanden, denen die jeweiligen Äußerungsteile angehören (1987: 65ff, 70f). Analog zu Aitchison stellt Kittay (1987: 292) fest, daß die zwei beteiligten semantischen Felder nur wenige, unbedeutende Merkmale gemeinsam haben, die aber durch die Metapher in den Brennpunkt gelangen. Auch Langacker setzt sein kognitives Pendant zu den semantischen Feldern, die cognitive domains (vgl. 2.4.3), als Kriterium dafür ein, ob eine Übertragung als metaphorisch gelten kann (1987a: 379).
und schwieriger zu überschauen; vgl. beispielsweise allein für die Zeit zwischen 1970 und 1985 die Bibliographie von van Noppen et al. (1985). Es soll deshalb der Verweis auf einige Meilensteine der linguistisch ausgerichteten Metapheraforschung genügen, die als Orientierung dienen können: Richards (1936), Weinrich (1958), Black (1962), Leech (1969: 148ff), Ortony (1979; darin v.a. die Beiträge von Black, Reddy und Searle), Lakoff & Johnson (1980), Paprotto & Dirven (1985; darin v.a. der Beitrag von Nöth), Kittay (1987). Ich werde mich im folgenden weitgehend auf jüngere Beiträge aus den 80er Jahren beschränken. Als komprimierte Einstiege in ältere Theorien der Metapher eignen sich Nöth (1985: 2ff), Kittay (1987: 13ff) und Lakoff (1987a: 67ff). 7
Als sprachimmanentes Pendant aus der generativen Transformationsgrammatik wäre hierzu die Verletzung von Selektionsrestriktionen (Chomsky 1965: 90ff) oder Projektionsregeln (Katz & Fodor 1963: 193ff) zu nennen, die ebenfalls zur Erkennung von Metaphern dienen können (vgl. a. Lipka 1972: 47-51, 1990a: 160ff; Kittay 1987: 74f). Auch Coseriu bringt Metapher und lexikalische Solidaritäten zueinander in Beziehung. Eine Metapher ist für ihn definierbar als eine "Nichtsolidarität der syntagmatisch verbundenen Termini" (Coseriu 1967: 302).
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Für die eng dem Feldgedanken verbundene A. Lehrer8 sind semantische Felder deshalb im Zusammenhang mit Metaphern besonders interessant, weil häufig eine ganze Feldstruktur auf einen neuen Bereich übertragen wird und weil sich von einer detaillierten Analyse der Felder und ihrer Übertragungen allgemeine kognitive Prinzipien ableiten lassen (vgl. Lehrer 1990a). When the lexical field from one conceptual domain is transferred to another, the semantic relationship between the lexemes remains. For example, hot and cold are antonyms in the temperature domain. When transferred to athletics a hot basketball player is one who shoots accurately and a cold one misses his shots. The antonymy of a pair is preserved. (Kittay & Lehrer 1981: 33).' In metaphor what is transferred are the relations which pertain within one semantic field to a second, distinct content domain. That, in short, is how I characterize metaphor. (Kittay 1987: 36).
Kittay & Lehrer (1981: 33) stellen ein Spenderfeld ("donor field") einem Empfängerfeld ("recipient field") gegenüber. In ähnlicher Weise hatte schon lange vor ihnen Weinrich von einem "bildspendenden" und einem "bildempfangenden" Feld gesprochen und so den feldoder bereichsübergreifenden Charakter der Metapher hervorgehoben (Weinrich 1958: 514f). Erklärungsversuche der Metapher mit Hilfe des Feldgedankens, wie ich sie oben beschrieben habe, stehen aber nur für eine von mehreren Gruppen von Theorien, die versuchen, über den einfachen Ähnlichkeitsansatz hinauszugehen. Die Vergleichstheorie, die nach Ähnlichkeiten zwischen den Bedeutungen wörtlicher und übertragen verwendeter Wörter bzw. der denotierten Referenten sucht, ist die Grundlage vieler Metapherndiskussionen bis in die 80er Jahre hinein. So ist sie im Prinzip beispielsweise bei Jakobson & Halle (1956: 76ff), Ullmann (1962: 223ff), Leech (1969: 151ff), Hansen et al. (21985: 207) und Lipka (1988a: 385) zu finden. Wie schon mehrmals bemerkt, ist aber das Ähnlichkeitskonzept nur begrenzt tauglich, vor allem dann, wenn man sich auf das Suchen gemeinsamer Merkmale zur Darstellung der Ähnlichkeit beschränkt (vgl. Geeraerts 1985a: 140). Versucht man beispielsweise einmal, völlig objektiv eine Ähnlichkeit zwischen eye und eye of a needle und eye of a potato herzustellen, so wird man feststellen, daß weder bezüglich der Form noch bezüglich der Funktion objektive Gemeinsamkeiten vorhanden sind, die Augen enger mit Nadelöhren verbinden als mit Kanaldeckeln oder Autoscheinwerfern. Im einzelnen spricht vor allem ein logisches und ein ontologisches Argument gegen das Ähnlichkeitskonzept (Nöth 1985: 9f). Gemäß dem logischen Argument mangelt es der Ähnlichkeit an Aussagekraft, weil für zwei Dinge immer irgendeine Art von Gemeinsamkeit gefunden werden kann (vgl. Murphy & Medin 1985: 292; Searle 1979: 106; vgl.a. 2.3.4 und Vgl. Lehrer (1974, 1985, 1990a), Kittay & Lehrer (1981), sowie (Kittay 1987) für eine Metiphemtheorie, die eine Synthese zwischen dem Feldgedanken in der Semantik und der inleraktionistiscben Theorie aus dem Bereich der Philosophie (vgl. Black 1962) darstellt. Dieses Zitat ist nicht nur wegen seiner zweifellos wichtigen Erkenntnis interessant, sondern auch wegen der Erkenntnis bzw. dem Problembewußtsein, das ihm fehlt Kittay & Lehrer versäumen es nämlich zu fragen, warum die Antonymie in der beschriebenen Form und nicht umgekehrt übertragen wird. Schließlich könnte ja auch ein gut treffender Basketballspieler, der "cool" bleibt, cold sein und ein schlecht treffender hot. Für Fragen dieser Art fühlen sich Kittay & Lehrer offenbar nicht zuständig. Hilfreicher sind dabei Lakoff & Johnson, die mit ihren Metaphemgleichungen versuchen, auf gerade solche Fragen Antworten zu geben.
86 2.4.2). Das ontologische Argument kritisiert die naive Vorstellung, die Ähnlichkeit sei real in der Welt gegeben (vgl. Lakoff & Johnson 1980: 153f; Johnson 1987: 67ff), und sucht sie stattdessen im menschlichen Denken oder in der Sprache. Ein Versuch, das Ähnlichkeitskonzept durch Modifikationen wieder wirkungsvoll zu machen, ist Turners Schachzug (1987: 12 ff; ähnlich auch Pulman 1983:131), mit Familienähnlichkeiten zu arbeiten. So wird zumindest das logische Argument entkräftet, weil die Ähnlichkeit viel restriktiver aufgefaßt werden kann und trotzdem Bezüge herstellbar sind. Das ontologische Gegenargument ist aber immer noch gültig. Dieses zu widerlegen, kann als Hauptziel von Johnson (1987) verstanden werden. Johnson bezieht Wahrnehmung, kulturelles Weltwissen und Erfahrungen in die Überlegungen mit ein und geht von unseren bildhaften Vorstellungen über Objekte und unseren Körper aus. Diese direkten Erfahrungen dienen als Basis für metaphorische Projektionen in abstrakte Bereiche, die unser Denken formen und strukturieren (Johnson 1987: 73). Metaphern sind also gemäß dieser Auffassung keine bilateralen Ähnlichkeitsbeziehungen zwischen zwei Einheiten, sondern strukturübertragende und -erzeugende Mechanismen. Eine Ähnlichkeitsbeziehung ist nur insofern postulierbar, als ein Isomorphismus zwischen einer ursprünglichen konkreten und einer abstrakten Struktur besteht. Nimmt man auch noch Johnsons Begriffe der "sourcedomain" und "target-domain" (1987: 116) dazu, so wird die Affinität zu Weinrichs bildspendendem und bildempfangendem Feld sowie Kittay & Lehrers donor und recipient field eklatant. Johnson geht das Problem aber nicht von der sprachlichen, sondern von der psychologischen Seite an. Er versucht in seinem Buch eine kognitive Erklärung für die in der Linguistik schon früh erkannten Phänomene zu geben. Die Parallelen im Metaphemverständnis liegen auf der Hand. Das Vorläuferwerk für Johnson (1987) (und natürlich auch Lakoff (l987a)) ist Lakoff & Johnson (1980), das als Pionierarbeit im Bereich der modernen, kognitiv orientierten Metaphernforschung angesehen werden muß und dessen Vorreiterrolle in den meisten kognitiv ausgerichteten Ansätzen der 80er Jahre erkennbar ist. Auch Lakoff & Johnson gehen intensiv auf die Rolle der Ähnlichkeit ein (vgl. 1980: 147ff). Ihr revolutionärer Gedankengang, der an der Wurzel der ganzen kognitiven Bewegung liegt, sagt aus, daß Metaphern nicht auf einer Ähnlichkeitsbeziehung beruhen, sondern daß sie eine Ähnlichkeitsbeziehung schaffen.10 Auf diese Weise können durch Metaphern verschiedene Aspekte eines Begriffe hervorgehoben
10
Wie die folgenden Zitate von Weinrich und Black zeigen, hält sich die Originalität dieses Konzepts bei Lakoff & Johnson durchaus in Grenzen. So überaus revolutionär war ihr Gedankengang offensichtlich auch nicht: "Es wird ja immer gesagt, die Metapher sei im Grund genommen nur eine Umkleidung dessen, was als Ähnlichkeitsstruktur in der Sache bereits vorhanden ist. Auch die scholastische analogia entis geht von solchen Voraussetzungen aus, als ob es in der Natur, im Sein schon Analogien gäbe, die dann mehr oder weniger glücklich metaphorisiert abgebildet werden. Ich bin umgekehrt der Ansicht, daß die Metaphern der Sprache Analogien erst stiften, daß also Analogien nkht der Natur abgelesen werden, sondern in die Natur hineingelesen werden als unsere Entwürfe, als unsere Hypothesen. Eine Metapher ist ein Aspekt unserer Weltdeutung." (Weinrich 1968:118f; meine Hervorhebung). Und Black: "It would be more illuminating in some of these cases to say that the metaphor creates the similarity than to say that it formulates some similarity antecedently existing". (1962: 37).
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werden. Folgende Beispiele aus E. Brontes Wuthering Heights können belegen, wie durch verschiedene Metaphern eine ganze Reihe unterschiedlicher Aspekte des komplexen Konzepts love in den Brennpunkt gelangen. (1) I should be in a curious taking if I surrendered my heart to that young person [...]. (191)11 (2) He has extinguished my love effectually [...]. (208) (3) She has been pining for your sake [...] and raving about you [...]. (145) (4) His new source of trouble sprang from the not anticipated misfortune of Isabella Linton evincing a sudden and irresistible attraction towards the tolerated guest. (139) In Beispiel (l) wird durch das Verb surrender der kämpferische oder kriegerische Aspekt der Liebe in den Vordergrund gerückt. Beispiel (2) versetzt uns durch das Verb extinguish in den kognitiven Bereichere mit all unserem Hintergrundwissen darüber wie 'heiß', 'gefährlich', 'kann zerstören', 'kann kurzzeitig aber sehr intensiv sein'. Die Verben pine und rave in (3) erwecken Assoziationen in den Bereich madness und pain hinein, während attraction in (4) eher die Domäne physikalischer Kräfte anspricht. Lakoff & Johnson (1980: 49ff, 139) bieten eine Vielzahl weiterer Metaphern aus dem Bereich love an (ebenso Kövecses 1986: 61ff), die allerdings nicht alle in gleichem Maße überzeugen können (vgl. Goddard 1989), da insbesondere der Auffindungsmodus im Einzelnen unklar bleibt. Methodische Schwächen sind weder bei ihnen noch bei Kövecses (1986) zu übersehen.12 Trotzdem glaube ich, daß vor allem die von Kövecses vorgestellten Analysen von anger, pride und love durchaus erhellende Beiträge zur semantischen Forschung darstellen, da sie sich in das unwegsame Feld abstrakter, emotionaler Begriffe hineinwagen, um das andere semantische Strömungen gerne einen weiten Bogen machten. Ihre Beispiele können zudem den wichtigen Aspekt untermauern, daß Metaphern nicht isoliert, sondern in Systemen auftreten, die im Extremfall ganze Strukturen von einem Bereich in einen anderen abbilden können. Hier sind weitere Beispiele für die oben erwähnten Übertragungen, die ich bei Bronte gefunden habe (vgl. Lakoff & Johnson 1980: 49, Kövecses 1986: 84): (1) Liebe ist Krieg: She pursued him relentlessly. He overpowered her. She is besieged by suitors.
11
Die Seitenangaben beziehen sich auf die von David Da ich« herausgegebene Penguin-Ausgabe von Wuthering Heights (196S).
12
Vor dem Hintergrund dieser Kritik erhält der einleitende Satz zu Lakoffs Stellungnahme zur Strömung der kognitiven Linguistik in der ersten Ausgabe der Zeitschrift Cognitive Linguistics einen leicht ambivalenten Sinn: "I generally prefer not to engage in methodological discussions and would rather just get on with my work." (Lakoff 1990: 39).
88 He is known for his many rapid conquests. (2) Liebe ist Feuer: My heart's on fire. He was burning with love. She set my heart on fire. She is his latest flame. (3) Liebe ist Wahnsinn: I'm crazy about her. She drives me out of my mind. He's gone mad over her. (4) Liebe ist eine physikalische Kraft I was magnetically drawn to her. I could feel the electricity between us. His whole life revolves around her.
Weitere metaphorische Konzeptualisierungen der Liebe, die sich in einer ganzen Reihe sprachlicher Ausdrücke und Wendungen widerspiegeln, sind (vgl. Kövecses 1986: 62ff, 82f): (5) Liebe ist eine Einheit (von zwei komplementären Teilen) We are one. She is my better half.
(6) Liebe ist eine Flüssigkeit in einem Behältnis She was filled with love. He overflowed with love.
Für Lakoff, Johnson und Kövecses scheint offensichtlich der systematische, über einzelne Metaphern hinausgehende Aspekt ein wichtiges methodisches Kriterium zu sein. Soviel geht zumindest implizit aus ihrer Vorgehensweise hervor. Aus meinen Beispielen und ihrer Interpretation wird deutlich, daß mir zur Erkennung des jeweiligen donor fields aus sprachlicher Sicht die angenommene prototypische Bedeutung eines Lexems in Zusammenhang mit der
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als am gängigsten eingestuften Kollokation als Kriterien dienen.13 Aus kognitiver Sicht suche ich nach möglichst fundamentalen Domänen, sog. basic cognitive domains im Sinne Langackers (1987a: 147ff), wie dem zwei- oder dreidimensionalen Raum und anderen eng mit der Wahrnehmung verbundenen Bereichen wie Licht-, Färb-, Geruchs- und Lautwahrnehmung. Auf unserer Suche nach diesen grundlegenden Bereichen wird es häufig der Fall sein, daß wir mehrere ineinander geschobene Metaphern postulieren müssen. Lakoff & Johnson (1980: 140ff) nennen dieses Phänomen "entailment of metaphors", Langacker spricht davon, daß "most concepts presuppose other concepts" (1987a: 147). In meinem Beispiel (4) etwa führt ein erster Schritt hinunter auf den metaphorischen Ebenen zum Konzept Anziehungskraft ('attraction'), das wiederum auf das noch grundlegendere Konzept der Erdanziehungskraft zurückgeht. Ich will rekapitulieren: Ähnlichkeit scheint sich als Erklärungsprinzip für Metaphern nach meinen Überlegungen grundsätzlich zu eignen, aber nur, wenn zwei einschränkende Aspekte berücksichtigt werden. Erstens sind Metaphern nicht isolierte Übertragungen einzelner Lexembedeutungen, sondern sie bilden ganze Strukturen übergeordneter Felder und Bereiche auf andere Bereiche ab. Es kann sich dabei auch um Situationen oder Szenen handeln (vgl. Leisi 21985: 183f). Stellvertretend für eine ganze Reihe von situationalen Metaphern in Lipka (1990: 125f) sei das Lexem crane in der Bedeutung 'Maschine zum Heben von schweren Lasten' erwähnt, das die semantische Motivation nicht nur von der gemeinsamen Gestalt mit dem Tier bezieht, sondern auch von ähnlichen prototypischen Handlungen wie Hin- und Hergehen und Dinge vom Boden auflesen. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang, daß das Merkmal 'kann fliegen' außer acht bleibt, was als Beispiel dafür dienen kann, wie Metaphern bestimmte Aspekte bei der Übertragung herausgreifen, während andere unterdrückt werden. Im Hinblick auf das weiter oben erwähnte Beispiel eye of a needle ist durchaus denkbar, daß der prototypische Umgang mit dem Nadelöhr, nämlich das Hinein- bzw. Hindurchsehen beim Einfädeln sozusagen von Auge zu Auge, auch zur Lexikalisierung der Metapher beigetragen hat. Zweitens darf Ähnlichkeit nicht als objektiv, unabhängig von der Sprache existent verstanden werden. Dieser Aspekt ist je nach Art der beteiligten Felder von unterschiedlich starker Auswirkung: Bei Übertragungen von einem konkreten auf ein anderes konkretes Feld funktioniert die Ähnlichkeit, verstanden als subjektiv wahrgenommene Ähnlichkeit, noch gut als Erklärungsmodell.14 In Fällen jedoch, in denen konkrete Bereiche auf abstrakte projiziert werden, kann man genaugenommen von wahrgenommener Ähnlichkeit nicht mehr sprechen.
13
Vgl. für eine Anwendung dieser Strategie die Metaphernanalyse von idea in 5.2.3.
14
Vgl. Lipka (1988a: 361), der diese Ansicht mit Beispielen aus dem Bereich der Körpermetaphem, Formähnlichkeitsmetaphem und Tiermetaphem belegt Daß uns die Ähnlichkeit durch eine schon etablierte Metapher häufig viel größer vorkommt, als sie bei genauer Überlegung rein objektiv feststellbar ist, hat das Beispiel eye · eye of a needle gezeigt.
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In solchen Fällen wird die Ähnlichkeit oft erst durch die Metapher hergestellt;15 ein Beispiel wäre der Begriff der Zeit, der ohne Metaphern aus dem räumlichen Bereich kaum konzipierbar wäre. Die in der jüngsten Literatur zur kognitiven Theorie der Metapher unter dem Stichwort der "Invariance Hypothesis" (Lakoff 1989, 1990)16 heiß diskutierte Frage, ob bei einer solchen Abbildung die topologische oder bildschematische Struktur erhalten bleibt, stellt sich also in diesem Bereich gar nicht. Hier müssen wir unser Interesse vielmehr darauf ausrichten, inwieweit die Struktur in der Zieldomäne erzeugt wird, anstatt zu fragen, ob sie mit einer vorher existierenden Struktur des Zielbereichs konsistent ist (Brugman 1990:259). Ein zweiter großer Bereich des Lexikons, in dem Begriffe ihre interne Struktur erst vermittels metaphorischer Übertragungen bekommen, ist der Bereich der Emotionen. Das oben diskutierte Beispiel love hat dies exemplarisch gezeigt. Ein umfassender Nachweis, daß auch andere Kategorien aus dem Bereich der Emotionen sich auf diese Art und Weise ihre Struktur von anderen Ebenen - insbesondere vermutlich der Basisebene - "holen", wäre allerdings noch zu erbringen. Wie tief die Beziehung in vielen Fällen schon in unserem Denken eingegraben ist17, zeigt die Tatsache, daß wir bei vielen abstrakten Bereichen gar nicht in der Lage sind, Zusammenhänge ohne die zugrundeliegende konkrete Metapher zu konzipieren. Dies gilt beispielsweise für den oben schon erwähnten Bereich der Zeit, der in vielen Sprachen ohne die Hilfe räumlicher Vorstellungen nicht begreifbar (im eigentlichen und übertragenen Sinn!) wäre. Ein geradezu klassisches Beispiel, dem auch Lakoff & Johnson schon verpflichtet sind, ist die von Reddy (1979) postulierte "conduit"-Metapher. Reddy listet eine Vielzahl von Möglichkeiten auf, wie das Englische Äußerungen über zwischenmenschliche verbale Kommunikation in Worte kleiden kann. Hier einige wenige Beispiele (Reddy 1979: 286ff; Hervorhebung im Original): (1) (2) (3) (4) (5)
Try to get your thoughts across better. You have to put each concept into words very carefully. Try to pack more thoughts into fewer words. That thought is in practically every word. Can you actually extract coherent ideas from that prose?
Aus seinen zahlreichen Beispielen extrahiert Reddy vier Kategorien, die den Hauptrahmen18 der coruaui-Metapher bilden. (1) Language functions like a conduit, transferring thoughts bodily from one person to another; (2) in writing and speaking, people insert their thoughts or feelings in the words; (3) words accomplish the transfer by
Dies gilt natürlich auch für die dichterische Sprache, deren Reiz ja ganz besonders im kreativen Gebrauch von Metaphern liegt. 16
Vgl. dazu auch Lakoff & Turner (1989), Brugmann (1990) und Turner (1990).
17
Vgl. dazu auch den Begriff des "entrenchment" bei Langacker (1987a: 59f) und Brugman (1990: 263ff). Daneben postuliert er einen Nebenrahmen (1979: 291), auf den ich aber nicht näher eingehen kann.
91 containing the thoughts or feelings and conveying them to others; and (4) in listening and reading, people extract the thoughts and feelings once again from the words. (Reddy 1979: 290).
Dieser Metaphernrahmen wird im Kontext meiner empirischen Analyse des Lexems idea in Kapitel 5 noch einmal Gegenstand unseres Interesses sein. Aus kontrastiver Sicht ist interessant, daß auch die Deutschen Gedanken in Worte verpacken oder fassen, daß es leere Worte gibt, die man erst mit Sinn füllen muß, oder daß man sich manchmal mit hohlem Geschwätz konfrontiert sieht. Wir sagen auch, wir können einem Satz keinen Sinn entnehmen, bzw., daß der Sinn eines Satzes in einem bestimmten Wort steckt. Schließlich können wir sogar Worte fallenlassen oder sie einem Gesprächspartner im Mund herumdrehen. Aus allem, was in der vorangegangenen Diskussion über die Metapher gesagt wurde, wird eine Grundhaltung deutlich, die exakt mit unserer Diskussion kognitiver Kategorien (vgl. Nöth 1985: llf; Lipka 1990a: 124) übereinstimmt: Erklärungsmodelle des Phänomens Metapher müssen die menschliche Erfahrung, Wahrnehmung und Denkweise mit einbeziehen. Metaphern sind kreative Prozesse19, die wie kognitive Instrumente (Black 1979: 39) neue Ähnlichkeiten schaffen können, wo vorher vielleicht keine wahrgenommen wurden. Dabei spielen ähnlich wie bei der Metonymie (vgl. S.94f) sozio-kulturelle Aspekte eine wichtige Rolle. Nur eine nach vielen Seiten hin offene Semantik kann diesen reizvollen Aspekt der Sprache adäquat beschreiben.
3.1.3 Metonymie und Kontiguität Bislang habe ich mich ausschließlich mit der Metapher im engeren Sinne auseinandergesetzt und die eng mit ihr verwandte Metonymie vernachlässigt. Aus Platzgründen will ich mich mit der Metonymie nicht ganz so ausführlich befassen.20 Einige Anmerkungen bezüglich der Unterscheidung zwischen Metapher und Metonymie und der Definition der Metonymie dürfen aber trotzdem nicht ausbleiben. Während ich für die Metapher als definierendes Kriterium postuliert hatte, daß die übertragene Bedeutung des Lexems einem anderen semantischen Feld zuzuordnen sei, so gilt für viele Wissenschaftler (z.B. Turner 1987: 21, Rudzka-Ostyn 1988b: 521) die Tatsache, daß beide Bedeutungen in ein und demselben Feld bleiben, als Kriterium für Metonymie. Die jüngste und expliziteste Formulierung dieser Ansicht findet sich bei Goossens (1990: 325). In other words, the crucial difference between metonymy (as well as synecdoche) and metaphor is that in a metaphoric mapping two discrete domains are involved, whereas in a metonymy the mapping occurs within a single domain.
19
Die Kreativität von Metaphern auf der Ebene des Sprachsystems und des Lexikons ist das besondere Anliegen von Dirven (1985: 95ff) und Lipka (1990c). Beide heben die Parallelen zwischen Metapher/ Metonymie einerseits und den verschiedenen Wortbildungsmechanismen andererseits hervor.
20
Vgl. Jakobson & Halle (1956: 76ff), Ullmann (1962: 218-220), Lakoff & Johnson (1980: 35fi), Hansen et al. (21985: 205ff), Lakoff (1987a: 68ff), Turner (1987: 21ff), Herskovits (1988: 285ff), Lipka (1988a: 358 1989b).
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Von anderen Autoren wird, ausgehend von der klassischen Rhetorik, die Nachbarschaft ('contiguity') von Referenten als definierendes Merkmal propagiert (z.B. Jakobson & Halle 1956: 76, Ullmann 1962: 212ff, Lipka 1988a: 358), wobei die Kontiguität oder "reale Beziehung" (Plett 41979: 77) in vielen Fällen extrem weitläufig und vage aufgefaßt wird. Plett z.B. formuliert: '"Reale Beziehung' heißt: kausaler, räumlicher, zeitlicher Zusammenhang." (41979: 77). Noch allgemeiner, mit einer negativen Definition, operiert Ullmann, bei dem Kontiguität "includes any associative relations other than those based on similarity" (1962: 212). Wie gut funktionieren diese beiden Definitionskriterien - Erhalt des semantischen Feldes und Kontiguität -, wenn wir Beispiele von typischen metonymischen Beziehungen unter die Lupe nehmen (die Beispiele stammen aus Lipka 1988a: 362, der sie aus Ullmann (1962: 218ff), Lakoff & Johnson (1980: 41) und Leisi (21985: 190f) extrahiert hat)? 1. Pars pro toto. 2. Totum pro parte. 3. Continens pro contento. 4. Inhalt für Gefäß. 5. Mittel für Handlung. 6. Eigenschaften für den Träger. 7. Material für den Gegenstand. 8. Organ für die Eigenschaft. 9. Place of origin für food, drinks. 10. Garment für person. 11. Characteristic quality für person, object. 12. Action für result. 13. Producer für product. 14. Object für user. 15. Controller fur controlled. 16. Institution fur people. 17. Place für institution, event. Wendet man die beiden postulierten Kriterien auf diese Liste an, so gerät man in große Schwierigkeiten: Wie sind beispielsweise bei (13) ein Gemälde (semantisches Feld: Objekt, Kunstwerk etc.) und der Maler (semantisches Feld: Lebewesen, Mensch etc.) einem gemeinsamen semantischen Feld zuzuordnen? Man müßte auf der Suche nach einem gemeinsamen Archilexem (vielleicht thing, object ?) in der ontologischen Taxonomie der Kategorien so weit nach oben gehen, daß die Aussagekraft des Kriteriums 'Erhalt des semantischen Feldes' gegen Null gehen würde. Trotzdem kann man aber ohne weiteres mit Hilfe einer Metonymie ein Bild a Picasso oder a fine Turner nennen. Andere Beispiele, in denen die Diskrepanz zwischen den semantischen Feldern schon im Namen der metonymischen Beziehung enthalten ist, sind etwa (10), (14), (16) oder (17).
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Auch das Kriterium der Kontiguität ist problematisch: faßt man das Konzept der Kontiguität in einem engen Sinn als räumliche Kontiguität auf, so gerät man bei der Interpretation von (18)-(20) in Schwierigkeiten. (18) Nixon bombed Hanoi, (vgl. (15)) (19) I'll have a Löwenbräu, (vgl. (13)) (20) The buses are on strike, (vgl. (14)) Die räumliche Kontiguität ist hier zumindest fraglich, sie muß eher historisch verstanden werden. Setzt man infolgedessen einen weiten Kontiguitätsbegriff an, wie etwa oben Ullmann (1962) oder Plett (41979), so entpuppt sich die Kontiguität, ähnlich wie die Ähnlichkeit als Kriterium für die Metapher, als ein hoffnungslos vages Kriterium, da rein theoretisch jede Art von Objekt oder Einheit mit einer anderen in einer assoziativen Beziehung stehen kann, ohne daß daraus Metonymien entstehen. Auch wenn natürlich die mangelnde Umkehrbarkeit des Kriteriums nicht allzu viel aussagt, so darf dariiberhinaus noch festgestellt werden, daß bei eigentlich produktiven Metonymientypen wit producer -product Lücken entstehen, die nicht durch mangelnde Kontiguität erklärbar sind. I could hardly say Mary was delicious, meaning by Mary the cheesecake which Mary made, in spite of the analogy between Mary's mixing and processing of ingredients to produce her cake and Picasso's mixing and application of colours to produce his paintings. (Taylor 1989: 123).
Es scheint also zumindest eine Modifizierung der Metonymiendefinition angeraten zu sein. Wieder verspricht eine Verlagerung des definitorischen Problems auf die höhere Ebene kognitiver Modelle Hilfe. Bei den Beispielen (18)-(20) etwa hilft ein Verständnis der Kontiguität als konzeptualisierter, kognitiver Kontiguität. Es gehört zu unserem Weltwissen, daß Nixon letztendlich für den Befehl verantwortlich war, daß das fragliche Bier irgendwann einmal in einer Brauerei mit dem Namen "Löwenbräu" entstanden ist und daß Busse in der Regel immer von denselben Leuten gesteuert werden, deren Beruf diese Tätigkeit darstellt. Wichtig zur Klärung der in diesen Fällen wohl vorrangig kausalen Beziehung werden demnach Begriffe wie Weltwissen, Assoziationen, Konventionen, häufige Situationen, stereotype Szenen und Handlungsmuster. Einen richtungsweisenden Weg bei ihrer Suche nach dem Wesen der Metonymie gehen meines Erachtens Taylor und Turner: The essence of metonymy resides in the possibility of establishing connections between entities which cooccur within a given conceptual structure. (Taylor 1989: 123f). A metonymy is a cognitive process wherein one thing related to another in a single conceptual domain is used to stand for [another] thing. [...]. A thing may stand for what it is conventionally associated with. (Turner 1987: 21).
Beide weiten den Metonymiebegriff aus, Turner betont aber fälschlicherweise den Aspekt eines begrifflichen Bereichs, Taylor drückt sich übervorsichtig und damit vage aus. Ich möchte im folgenden eine Merkmalsdefinition der Metonymie anbieten, die in bester prototypischer Manier zu verstehen ist, d.h. prototypische Metonymien weisen alle erwähnten Merkmale auf, es gibt aber auch untypischere Metonymien, für die nicht alle zutreffen.
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Merkmale prototypischer Metonymien: (a) Konzeptualisierte Kontiguität, verstanden als räumliche, zeitliche oder kausale Assoziation, die auf der Grundlage der in b) und c) genannten Kriterien basiert und auf diese Weise erklärbar sein muß. (b) Gemeinsames, funktionsorientiertes und/oder perzeptuell herausragendes Auftreten in vertrauten oder kulturell wichtigen stereotypen Situationen oder Handlungsmustern. (c) Durch häufiges gemeinsames Auftreten der Entitäten: konventionale stereotypische Assoziation zwischen beiden. (d) Stand-for-relation (vgl. Lakoff 1987a: 78ff). Merkmal (a) dürfte nach den vorausgegangenen Überlegungen unmittelbar verständlich sein. Merkmal (b) vereint mehrere Aspekte; in anderen Worten ausgedrückt besagt es: Einheiten, die an häufig auftretenden bzw. kulturell wichtigen Situationen, Ereignissen und vor allem Handlungen typischerweise gemeinsam beteiligt sind und die beide bedeutende Funktionen im Rahmen der Situation etc. haben bzw. besonders auffällig sind (vgl. Herskovits 1988: 285ff), eignen sich prinzipiell zur Metonymienbildung. Der situative und kulturelle Kontext ist also für das Phänomen der Metonymie entscheidend (vgl.a. 3.4).2I Die unterschiedliche kulturelle Bedeutung ist etwa für die wenig überzeugende Metonymie von Mary für cheese cake im Gegensatz zu Picasso für painting verantwortlich. Wichtige Grundlage für den Kontext ist (vgl. Merkmal (c)), daß sich durch die Handlungs- oder Ereignisstruktur eine in hohem Maße konventionalisierte Assoziation der beiden Einheiten ergeben hat.22 Schließlich zu Merkmal (d): Die beiden Einheiten stehen nicht wie bei der Metapher in einem "ist-ähnlichwie" - Verhältnis, sondern in einer "steht-für" - Beziehung zueinander. Ein Beispiel soll den Sinn der von mir vorgeschlagenen Definition verdeutlichen. Es dürfte den meisten Angehörigen des englischen Sprachraums bekannt sein, daß man auf den jeweils amtierenden Präsidenten der Vereinigten Staaten mit Hilfe der lexikalisierten Metonymien the White House und the Oval Office Bezug nehmen kann. Beide Objekte haben eine klar erkennbare Kontiguität zum Präsidenten, die aber sein Schreibtisch, sein Auto und sein Koch zumindest in gleichem Ausmaß aufweisen können. Warum sind aber ausgerechnet die beiden erstgenannten als Metonymien lexikalisiert? Oval Office und White House eignen sich meines Erachtens deshalb besonders gut als Metonymien, weil sie eine wichtige Funktion haben (der Präsident arbeitet, wohnt und schläft dort, er empfängt Gäste und die Presse dort, usw.) und weil sie aufgrund der Besonderheiten des Weiß- bzw. Ovalseins weithin bekannt und somit, im Psychologenjargon, "hochsalient" sind. Diese Tatsachen sind im kulturellen
21
Die Bedeutung des sprachlichen Kotexts für die Metonymie wird von Jakobson & Halle (1965: 71) im Zusammenhang mit Problemen von Aphasikern im Umgang mit Metonymien erwähnt. Die Kriterien b) und c) sind nicht nur für die Metonymie, sondern in gleichem Maß auch für die Metapher und für Wortbildungssytagmen, vor allem N+N-Komposita gültig, bei denen die beiden Nomina häufig in einer sehr allgemeinen Beziehung zueinander stehen (vgl. Lipka 1971b: 220ff), deren Interpretation vom kulturellen und situativen Kontext abhängt Vgl. auch den Begriff der 'contextuals' bei Clark & Clark (1979).
95 Bewußtsein der Amerikaner tief verwurzelt. Es ist sicher kein Zufall, daß im Deutschen zwar das Weiße Haus, das man beinahe täglich im Fernsehen, häufig auch zusammen mit dem Präsidenten, in den Nachrichten betrachten kann, als Metonymie lexikalisiert ist, das "Ovale Büro, das man sehr viel seltener zu sehen bekommt, aber wohl (noch) nicht. Die Konventionalität und die häufige Assoziation spielen, wie bei Komposita und häufigen Kollokationen im allgemeinen, offensichtlich eine große Rolle. (Interessanterweise scheint auch im Englischen White House schon fester lexikalisiert zu sein als Oval Office, wie ein Blick in ein modernes Handwörterbuch (COLLINS PLUS) zeigt: Darin hat das Oval Office keinen Eintrag, während das White House in der wörtlichen ("1. the official Washington residence of the president of the U.S.") und der metonymischen Bedeutung ("2. the U.S. presidency") enthalten ist.) Abschließend soll ein Punkt bezüglich der Unterscheidung von Metapher und Metonymie geklärt werden. In der Literatur wird - wie auch in unserer Diskussion - davon ausgegangen, daß die beiden zwei aufgrund sprachlicher und kognitiver Überlegungen voneinander klar trennbare Phänomene sind. Damit verfallen wir aber wieder dem verführerischen Reiz klar getrennter Kategorien. Es muß deshalb betont werden, daß nicht nur der Übergang zwischen beiden keineswegs eindeutig ist, sondern auch Mischformen zwischen beiden existieren. Diese werden von Goossens (1990) in einem programmatischen Artikel unter dem als übergreifend aufgefaßten Blend "metaphtonymy" anhand eines Korpus untersucht. Mir scheint allerdings die methodische Basis in bezug auf die Identifikation der verschiedenen Unterformen der metaphtonymy und der "reinen" Metaphern und Metonymien so unzureichend, daß in diesem Bereich noch eine vorsichtige Rezeption "empirischer" Daten angeraten ist.
3.2 Ambiguität, Vagheit und Unscharfe
Ausgangspunkt des letzten Abschnitts war die als Faktum akzeptierte These, daß polyseme Lexeme die Mehrzahl der Mitglieder des Lexikons einer Sprache ausmachen. Polysemie soll uns auch in diesem Kapitel als Ein- bzw. Überleitung dienen. "Das Auftreten polysemer Lexeme in konkreten Äußerungen führt zu lexikalischer Ambiguität" (Schneider 1988: 107). "In [...] / don't want to have a pig in the house, the word pig is polysemous, and gives rise to an ambiguity" (Taylor 1989: 101). Sowohl Schneider als auch Taylor stellen klar den engen Zusammenhang dar, der zwischen der Polysemie als /angHe-Problem und der Ambiguität als poro/e-Problem existiert. Werden polyseme Lexeme in einen sprachlichen Ko-text eingepaßt, so entsteht in vielen Fällen die Möglichkeit, den Satz in verschiedenen Lesarten zu verstehen, das entsprechende Wort kann mehrdeutig bzw. ambig sein. Ich möchte meine Diskussion der Ambiguität in drei getrennte, aber miteinander verbundene Punkte gliedern, nämlich den definitorisch-terminologischen Problembereich, in dem es um die Definition der Ambiguität und die Abgrenzung von der Vagheit und der Unscharfe gehen wird (vgl. 3.2.1), den
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heuristischen Problembereich, in dem es gilt, Ambiguitätstests zu finden (vgl. 3.2.2), und den deskriptiven Teil, der mit Hilfe einer Fülle von Beispielen eine geeignete Form der Darstellung demonstrieren wird (vgl. 3.2.3). Diese Gliederung hat mehr expositorischen als logischen Wert, da der Beschreibungs- und Auffindungsmodus untrennbar an eine gegebene Definition geknüpft sind.
3.2.1 Definition und Terminologie Aus meinem Kapitel 2 geht deutlich die Auffassung hervor, daß wir es grundsätzlich nicht mit wohlbestimmten, sondern mit "unbestimmten" (Pinkai 1985: 39ff) oder "schlechtbestimmten" (Wolski 1980) Kategorien zu tun haben. Kategorien, die prinzipiell einen klar definierten Charakter erwarten lassen, wie etwa odd number, plane geometry figure oder female (vgl. Armstrong, Gleitman & Gleitman 1983: 274ff), weisen auch Prototypeneffekte auf, d.h. auch sie werden in der kognitiven Verarbeitung zu unbestimmten Kategorien (vgl. 2.3.1). Es müssen aber unterschiedliche Ursachen für die Unbestimmtheit bzw. "Variabilität", wie es Schneider (1988: 141) nennt, oder "variation" in der Terminologie von Gruse (1986: 51), voneinander unterschieden werden.23 Zum einen kann die Variabilität auf Polysemie zurückzuführen sein, wobei ein Lexem mehrere unterscheidbare Bedeutungen (genauer Sememe oder Lexikoneinheiten) trägt, die kontextabhängig ausgewählt werden. Können also für eine sinnvolle Satzinterpretation zwei oder mehrere lexical units selektiert werden (Cruse 1986: 51), so sprechen wir von einem Fall von Ambigutiät. Dem stellt Cruse Fälle von generality gegenüber, bei denen nicht aus einer Gruppe distinkter lexical units selektiert wird, sondern ein einziges lexical unit modifiziert wird.24 Dieses Phänomen wird von Schneider als Unscharfe bezeichnet und als eine nicht kategoriale und nicht kontextabhängige Erscheinungsform der Variabilität [definiert, die] eine inhärente Unbestimmtheit, das Fehlen absoluter Exaktheit bestimmter Teile der Zeichenbedeutung in einem schmalen, beschränkten Bereich [aufweist] (Schneider 1988: 141).
Während beispielsweise das Lexem cousin vage ist bezüglich der Ausprägung der Dimension sex (es kann sich also um eine Cousine oder um einen Cousin handeln) und demnach nur ein modifizierbares lexical unit enthält, trägt das Lexem bank mindestens zwei lexical units, 'financial institution' und 'side of river', von denen eins im jeweiligen Kontext selektiert werden muß.
23
Die Termini Unbestimmtheit und vor allem Schlechtbestimmtheit tragen eine negative Konnotation, die zumindest im Falle Wolskis auch eine abwehrende Haltung gegenüber dem Konzept widerspiegelt. Da in dieser Arbeit die inhärente Variabilität von Lexembedeutungen ausdrücklich befürwortet wird, soll im folgenden Schneiders und Cruses Terminologie der Vorrang gegeben werden.
24
Im Jargon der kognitiven Linguistik formuliert klingt dieselbe Auffassung so: "Ambiguity is then defined as the existence of two or more lexical meanings for a particular lexical form, vagueness as the existence of two or more conceptual specifications." (Geeraerts 1987: 277).
97
Pinkai (1985) präsentiert eine detaillierte und aufschlußreiche Aufgliederung des Problembereichs und verwendet die Termini Unbestimmtheit als Oberbegriff sowie Mehrdeutigkeit und Vagheit, die er aber jeweils noch weiter untergliedert. An seiner Darstellung werde ich mich im folgenden orientieren. Ein umfassender Überblick über die verschiedenen Möglichkeiten der Einteilung ist in unserem Zusammenhang nicht erstrebenswert.25 Es soll im folgenden lediglich ein Bewußtsein dafür geweckt werden, daß die Ursachen für Vagheit sehr vielfaltiger Natur sein können. Referentielle Vagheit wird beispielsweise bei Begriffen wie mountain (vgl. Quine 1960: 125f) auf doppelte Weise wirksam, weil zum einen der Übergang zwischen Berg und Tal fließend ist (wo hört der Berg auf und wo fängt das Tal an?) und zum anderen die Zugehörigkeit von geographischen Erhebungen zur Kategorie im Einzelfall fraglich sein kann (zählt dieser Hügel schon als Berg oder noch nicht?). Diese Art von Vagheit entsteht durch das Raster, das die digitale Kategorisierung der Sprache notwendigerweise über die analoge reale Welt wirft; deshalb auch der Terminus referentielle Vagheit. Diese Form der Vagheit wird uns auch bei der Analyse des Wortfelds der Häuserbezeichnungen in Kapitel 4, v.a. in 4.5.1 beschäftigen. Eine völlig andere Art der Vagheit wird durch die "relative Unbestimmtheit" (Pinkai 1985: 45f) ausgelöst, die vor allem bei Gradadjektiven und Adverbien auftritt: talll short, rich/poor, rather, quite, often, much sind inhärent vage, da ihre Bedeutung stark vom Kound Kontext abhängt. Dies ist ganz im Gegensatz zur referentiellen Vagheit ein primär sprachliches Problem, dem die Linguistik mit der Postulierung unterschiedlicher Normen26 begegnet ist. Als dritte Form sei schließlich noch auf die sog. "Randbereichsunschärfe" (Pinkai 1985: 46) hingewiesen, die wir im Kontext von "fuzzy category boundaries" (Labov 1973: 342ff; vgl. 2.2.3) und "fuzzy meaning" (Leech 21981: 119ff) schon kennengelernt haben. Prototypische Beispiele sind die Farbadjektive, andere Adjektive wie wet, bitter, ill und eine große Anzahl von Substantiven, die Objekte denotieren wie die notorischen cup und mug. Diese Art von Vagheit ist teilweise mit der notwendigen Kategorisierung der realen Welt, also der referentiellen Vagheit, und teilweise mit kognitiven Prozessen verbunden. Für den Bereich der konkreten Substantive könnte man sagen, daß die referentielle Vagheit, also die Tatsache, daß Objekte in der Wirklichkeit nicht in fertigen Klassen oder Kategorien, sondern als Individuen unterschiedlichster Ausprägung auftreten, die Ursache für die Randbereichsunschärfe der sprachlichen Kategorien, sprich Lexeme, ist. Die Tatsache, daß Schneider Unscharfe als Äquivalent zu Pinkais Vagheit verwendet, Pinkai Unscharfe aber als untergeordnetes Phänomen ansieht, zeigt, daß die Terminologie in diesem 25
Die hier dargestellten Informationen sind insofern ausreichend, als sie uns mit dem nötigen Rüstzeug für die praktischen Analysen (vgl. Kap. 4-6, v.a. 4.5.1) ausstatten. Für weiterführende Literatur vgl. neben Pinkal (1985) auch Ullmann (1962: 118ff) und Kempson (1977: 124ff) und jeweils die Verweise dort
26
vgl. Leisi (51975: 99f), Leech (21981: lOlf), Hansen et al. (21985: 2180, Le's> C^^SS: 57ff) und Fn. 30 in 2.2.2.2.
98
Bereich keineswegs einheitlich und durchsichtig ist. Deshalb soll Tabelle 3.1 einen Überblick über die verschiedenen Termini mit den jeweiligen Autoren geben. Bei der Beurteilung von Tabelle 3.1 muß aber berücksichtigt werden, daß Pinkai noch weitere Unterscheidungen trifft, die im Einzelnen nicht integriert sind. Wir wollen in jedem Fall festhalten, daß grundsätzlich zwei verschiedene Arten der Variabilität (in der Terminologie Schneiders) existieren, wobei es sich bei der einen um mehrere voneinander trennbare Sinne eines Lexems handelt und beim anderen um einen Sinn eines Lexems, der sozusagen dehnbar ist. Für die Verwendung weiterer Termini, die aus Gründen der expositorischen Klarheit nicht erwähnt wurden, wie indeterminacy, indefiniteness of reference, neutrality, unmarkedness oder lack of specification, sei auf Zwicky & Sadock (1975: 2ff) verwiesen. Tabelle 3.1:
Terminologie im Bereich Vagheit und Ambiguität bei Pinkai (1985), Cruse (1986), Geeraerts (1987), Langacker (1987a), Schneider (1988) und Taylor (1989).
variationCrwe VariabilitätSclaiejdei Unbestimmtheitpialul , Laagicker, Taylor
ambiguitycm> lexikalische Ambiguität^^.^, Mehrdeutigkeit?^ ambiguity e«^ LM8Kke,i T,ytar
generalityCmt ^"•sc^r/eschiieider Vagheittiaai vagueness ^^ LutefAtt T.ytor
3.2.2 Ambiguitätstests In bezug auf den heuristischen Aspekt der Ambiguität geht es darum, Tests für die Erkennung mehrdeutiger Worte in Kontexten zu finden und sie jeweils - hier liegt der enge Zusammenhang zum definitorischen Aspekt - von lediglich vagen Worten abzugrenzen. Ambiguitätstests von unterschiedlicher Qualität und heuristischem Wert sind in der Literatur nicht nur zur für uns bedeutsamen lexikalischen Ambiguität, sondern vor allem auch zur syntaktischen
99 Mehrdeutigkeit postuliert worden.27 Ich will in diesem Abschnitt zuerst stellvertretend auf die von Gruse (1986: 54ff) und Taylor (1989: lOOff) dargestellten Tests eingehen28 und danach Langackers (1988c: 137ff) Lösungsvorschlag mit Hilfe des Netzwerkmodells unter die Lupe nehmen. Cruse trennt seine Ambiguitätstests in indirekte und direkte Verfahren. Die indirekten Tests, die allerdings seiner Meinung nach nicht ausreichend sind (1986: 55), haben enge Affinität zu unserem im letzten Abschnitt als die Metapher definierend aufgestellten Kriterium des Wechsels des semantischen Feldes. One approach to the diagnosis of ambiguity relies on finding, for two different occurrences of a word form, different relations of meaning with other items." (Cruse 1986: 54).
Mit anderen Worten: können wir für zwei Verwendungen eines Wortes jeweils verschiedene Bedeutungsbeziehungen herstellen und damit - denn das ist ja die Konsequenz - ein Wort in zwei verschiedene semantische Felder eingliedern, so handelt es sich um ein ambiges Lexem. Das Adjektiv light beispielsweise ist mehrdeutig, weil in dem Satz The room was painted in light colours. der Kontrast dark wäre, in dem Satz Arthur has rather a light teaching load. dagegen heavy als Antonym zu postulieren wäre (Beispiele aus Cruse 1986: 55). Cruse versäumt aber, auf die oben erwähnte Tatsache hinzuweisen, daß ein ambiges Lexem vermöge seiner verschiedenen lexical units mehreren semantischen Feldern angehört. Light findet demnach nicht nur einen Platz in den Feldern von Helligkeits- und Gewichtsadjektiven, wie im LLCE angegeben29, sondern in vielen weiteren intensitätsdenotierenden Feldern wie z.B. Dichte (magnesium is a light metal), Konzentration (a light wine), Gemütszustände (light music, a light head) oder Wichtigkeit (no light matter) (alle Beispiele aus COLLINS PLUS s.v. light). Ich kann also für metaphorische Übertragungen von Lexemen und distinktive lexical units, d.h. Ambiguität, dieselbe Regel festhalten: Fungiert ein und dasselbe Lexem in zwei oder mehreren semantischen Feldern, so ist das Lexem als ambig anzusehen, und die Wahr27
Vgl. z.B. Quine (1960: 129ff), Lakoff (1970), Zwicky & Sadock (1975), Kempson (1977: 128ff), Robdenburg (1985), Cruse (1986:54ff), Taylor (1989: lOOff). Die Frage nach syntaktischer Ambiguität oder constructional homonymy war ja auch das Gnindproblem, Über das Chomsky schon 1957 mit seinem klassischen Beispiel "the shooting of the hunters frightened me" (88ff) ein lange Diskussion innerhalb der TG auslöste.
28
Vgl. a. Lehrer (1990a: 377ff)
29
Light findet sich im LLCE unter den Rubriken "Colour of hair and skin" (50), "having light" (551), "having a lot of colour" (554) und "heavy" (749). Die Definition von light unter der Rubrik "having a lot of colour" als "having a lot of white" mit den Beispielen His hair was light brown, und She wore a light green dress. ist m.E. nicht von übermäßig großer Überzeugungskraft.
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scheinlichkeit des Vorliegens metaphorischer Übertragungen innerhalb der Kategorie ist sehr groß. Neben diesem indirekten Kriterium hat Cruse noch drei direkte Tests anzubieten (1986: 58ff): a) Wie Cruse zu Recht bemerkt, ist sein erster Test "difficult to apply in practice, but it is conceptually important" (1986: 58). Nachdem dieser Test darüberhinaus in Cruses Terminologie etwas umständlich wirkt und schwierig verständlich ist, in der Sprache der Prototypensemantik dagegen sehr einfach dargestellt werden kann, möchte ich die Idee, die hinter dem Test steht, im Prototypenjargon vermitteln. Kurz gesagt liegt der zu testende Unterschied darin, daß lediglich vage Lexeme einen gemeinsamen prototypischen Kern aufweisen, während für genuin ambige Lexeme ein für alle lexical units gültiger Begriffskern nicht gefunden werden kann30 (vgl.a. Pinkai 1985: 52; Geeraerts 1987: 287ff31, 1990: 205). b) Der zweite Test von Cruse verlangt von ambigen Lexemen, daß die verschiedenen Bedeutungen unabhängig voneinander maximierbar sein sollten (1986: 60). Dieses Testverfahren baut auf die "rule of maximisation" auf, "the details of which are not entirely clear" (Cruse 1986: 60). Entsprechend nebulös ist auch Cruses Argumentation in diesem Abschnitt, die zu dem Ergebnis führt, daß dog ein ambiges Lexem ist, während horse vage ist. Ich werde dazu in Abschnitt 3.2.3 noch Stellung nehmen. c) Der dritte Test von Cruse wird auch von Taylor (1989: lOlf) dargestellt.32 Dieser Test baut auf die Tatsache auf, daß die Koordination von zwei unterschiedlichen Bedeutungen eines ambigen Lexems bzw. die anaphorische Substitution (vgl. Halliday & Hasan 1976: 112ff) mit do so too oder ähnlichem ein Zeugma bzw. einen (mehr oder weniger guten) pun ergibt. Zum Beispiel: ''John and his driving licence expired last Thursday. ''John's driving licence expired last Thursday; so did John. Vage bzw. general Termini sind nach Cruse nicht zeugmatisch: I?1
My cousin, who is pregnant, was born on the same day as Arthur's, who is the father.33
Für eine Anwendung dieses Tests auf die beiden Lexeme hui und lodge vgl. 4.3 und 4.5.I. 31
In dem Artikel "On necessary and sufficient conditions" zeigt Geeraerts (1987) scharfsinnig den Zusammenhang zwischen Prototypikalität und Ambiguität auf. Er macht deutlich, daß zwischen einem intuitiven Verständnis von Ambiguität und einer analytischen Definition nach dem Muster klassischer Kategorien unterschieden werden muß. Von der jeweiligen Auffassung der Ambiguität hängt in der Folge auch die Konzeption der Prototypikalität ab.
32
Ähnlich auch schon bei Lipka (1972: 55ff) und Kastovsky (1982: 43, 112ff). Ich möchte an dieser Stelle - ohne explizit zu kritisieren, nur im Sinne eines Denkanstoßes - auf den Sinn (oder Unsinn) von zweckorientiert erfundenen Beispielen hinweisen. Ist ein solcher Salz in realen Sprechsituationen wirklich denkbar, oder ist er nur vor der jahrzehntelangen Tradition derartiger Beispielsätze in der Sprachwissenschaft verständlich?
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Inwieweit der nicht-zeugmatische Charakter dieses Satzes so unumstritten ist, wie Cruse vorgibt, soll dahingestellt bleiben. Der Spielraum, der offensichtlich bei der Beurteilung solcher Tests offen bleibt, zeigt aber, daß ihre Aussagekraft bei allem Drang zur Objektivität durchaus subjektiven Einschränkungen unterworfen ist. Ein letzter, geradezu klassischer Test, der schon von Quine (1960: 129) gleichsam als Definition genannt wird, wird von Taylor (1989: 101) angeführt, von Cruse aber ausgelassen: Propositionen, die ambige Lexeme enthalten, können mehrere Wahrheitswerte haben, d.h. sie können wahr und falsch sein. Die oben schon erwähnte Proposition There is a pig in the house könnte beispielsweise in der wörtlichen Lesart ('Tier') falsch sein, während sie in der übertragenen Lesart ('Mensch, der sich benimmt wie ein Schwein') den Wahrheitswert wahr zugeordnet bekommen könnte. Lassen wir die vier Ambiguitätstests in ihrer Gesamtheit und das indirekte Kriterium mit Hilfe der semantischen Felder noch einmal vor unserem geistigen Auge Revue passieren, so scheinen wir bei einer kombinierten Ausschöpfung unseres Instrumentariums eine leistungsfähige Testmaschinerie an der Hand zu haben. Auf der anderen Seite ist die Reliabilität der Tests durch eine beträchtliche intersubjektive Variabilität bei der Beurteilung beeinträchtigt. Taylor kann deshalb nur beigepflichtet werden, wenn er feststellt: "Unfortunately, the results from ambiguity tests are frequently far from unambigous themselves." (1989: 102). Die Konsequenz aus dieser Erkenntnis besteht - wie es heute in der Linguistik allenthalben en vogue ist - darin, daß die Aufgabe rigider Dichotomien gefordert und an deren Stelle ein Kontinuum propagiert wird. Dieser Schritt führt meines Erachtens in die richtige Richtung, auch wenn empirisch gesehen die Probleme sich dadurch nicht verringern, sondern womöglich sogar komplizieren. Die Kontinuumsthese bildet auch das Fundament von Langackers (1988c: 137ff) Beitrag zu dieser Diskussion, in dem er wieder - wie auch für die Unterscheidung zwischen Homonymie und Polysemie (vgl. 3.1) - sein Netzwerkmodell als Panacea anpreist. Vage und ambige Lexeme unterscheiden sich in diesem Modell durch die unterschiedliche Dominanz oder Auffälligkeit ('salience') von Schema und Instant i ierung. Bei in etwa eindeutigen Fällen von Vagheit ist das Schema im Vergleich zu den Instantiierungen hochsalient, bei klaren Fällen von Ambiguität herrschen umgekehrte Verhältnisse. Während bei dem vagen uncle das übergeordnete, nicht-spezifizierte Schema (vgl. 2.4.3) dominant ist (dargestellt durch das fettgedruckte Kästchen in Abb. 3.1), ist das Schema des ambigen ear im Vergleich zu den hochsalienten Instantiierungen völlig unbedeutend (gekennzeichnet durch das unterbrochene Kästchen in Abb. 3.1). Neben der Salienz des jeweiligen Knotens im Netzwerk wird - in echter KL-Manier - "ease of activation" (Langacker 1988c: 139), d.h. der geringe Arbeitsaufwand beim Auffinden und Abrufen des jeweiligen Knotens im mentalen Lexikon, als Unterscheidungskriterium anzitiert. Problematisch an dieser höchst einsichtigen und übersichtlichen Darstellung ist allein, aber dafür umso schwerwiegender, die Tatsache, daß es sich eben nur um eine verbesserte Form der Darstellung handelt, während das eigentliche heuristische Problem nur auf eine andere Ebene verlagert worden ist. Beide miteinander verknüpften Kriterien, die zum Einsatz kommen, nämlich sowohl Salienz als auch Abrufgeschwindigkeit von Bedeutungsvarianten, sind schwer operationalisierbar und werden bei Langacker auf rein intuitiv-subjektiver Basis
102
gehandhabt. Die eigentliche Detailarbeit wird somit wieder auf die Ebene der Erstellung des Netzwerks übertragen, für die aber keine expliziten Arbeitshilfen bereitgestellt werden. Die Kontinua zwischen Polysemie und Homonymie sowie Vagheit und Ambiguität könnten also mit Hilfe eines detailliert analysierten Netzwerks problemlos geklärt werden; andererseits sind wir aber zumindest an dieser Stelle noch nicht in der Lage - und dabei gibt uns Langacker auch recht wenig Unterstützung -, ausführliche Netzwerke zu entwerfen. Wir stecken in einer Zange zwischen theoretisch wohlklingenden und deskriptiv leistungsfähigen Modellen und einem eklatanten Wissensmangel bezüglich der Methodologie und Heuristik einzelner Netzwerke.
a) uncle EAR
MOTHER'S BROTHER
>i
FATHER'S BROTHER
EAR
(body part)
I
EAR 2
I (ear of com)
Abb. 3.1: Uncle vs. ear in der Netzwerkdarstellung (Langacker 1988c: 138) Aus dem Dilemma, in das uns Langacker mit seinen theoretischen Versprechungen hineinbefördert hat, möchte ich mich wie folgt befreien: Zum ersten will ich klar festhalten, daß Langackers Lösungsvorschlag für die Unterscheidung zwischen Vagheit und Ambiguität prinzipiell nur deskriptiven, aber keinen heuristischen Wert hat. Zum zweiten stelle ich fest, daß die heuristische Arbeit auf die Erstellung der Netzwerke verlagert ist, aus denen dann Fälle von Vagheit und Ambiguität ebenso wie Beispiele für Polysemie und Homonymie ablesbar sind. Methoden für die Analyse und Darstellung verschiedener Netzwerke werde ich en detail an drei Beispielgruppen in den Kapiteln 4 bis 6 dieser Arbeit zeigen. Drittens will ich für den momentanen Stand der Dinge Intuition und Introspektion als heuristische Methoden akzeptieren, um im nächsten Abschnitt den deskriptiven Wert des Netzwerkmodells demonstrieren zu können.
3.2.3 Deskriptive Aspekte Um den Kontinuumsgedanken bei der Darstellung der Netzwerke noch transparenter als Langacker es tut zu gestalten, werde ich im Gegensatz zu ihm drei Stufen der Salienz graphisch voneinander unterscheiden: fettgedruckte Kästchen stehen für hochsaliente Knoten, durchgehend normalgedruckte Kästchen für durchschnittliche und unterbrochene Kästchen für geringe Salienz. Es sei noch einmal hervorgehoben, daß es im folgenden primär um die
103 Demonstration deskriptiver Vorteile des Netzwerkmodells geht; die Beurteilungen der verschiedenen Beispiele sind rein intuitiv begründet. Ich will die Beispielreihe mit den in der Literatur so beliebten Beispielen aus der Welt der Lebewesen beginnen34 und zuerst ein relativ eindeutiges Beispiel für Vagheit anführen (vgl. Abb. 3.2).
Abb. 3.2 Das Lexem elephant kann als relativ klarer Vertreter von vagen Ausdrücken angesehen werden, da (zumindest in unserem Kulturkreis) die geschlechtlich spezifizierten Varianten relativ unbedeutend sind und der übergeordnete Sinn als prototypischer Kern verstanden werden kann. Prinzipiell ähnlich verhält es sich beim Lexem horse, nur mit dem Unterschied, daß aufgrund der höheren kulturellen Bedeutung des Pferds in Westeuropa die beiden geschlechtlich spezifizierten Varianten lexikalisiert sind, so daß eine pragmatisch bedingte Veränderung der Spezifizierungsebene (vgl. Cruse 1977) lexikalisch erleichtert ist (vgl. Abb. 3.3). Trotzdem muß meiner Ansicht nach dekontextualisiert das übergeordnete Schema horse als dominant betrachtet werden. Sehr ähnliche Bedingungen liegen bei dog vor, mit dem kleinen Unterschied, daß bei dog die männlich spezifizierte Variante (= dog^) dasselbe signifiant trägt wie die übergeordnete
(=*»*·)·
34
vgl. Zwicky & Sadock (1975: 7ff), Cruse (1977: 156ff), Lyons (1977: 308), Kempson (1980: 12 ), Rohdenbuig (1985: 1170), Cruse (1986: 60f, 63f), Lipka (1986: 132ff; 1990a: 65). Die folgenden Ausführungen werden sich ausschließlich mit Autohyponymen (Geeraerts 1987: 285) befassen, bei denen für die geschlechtlich unspezifizierte Variante einer Gattung von Lebewesen dieselbe Lautgestalt verwendet wird wie für eine oder beide geschlechtlich spezifizierte Varianten. Auf einen ähnlichen Typus der Ambiguität, die sog. "generic/type-specific polysemy" (Brown 1990: 28ff), werde ich nicht näher eingehen. Bei diesen Fällen, die in der anthropologischen Literatur für verschiedene Sprachen detailliert beschrieben sind (vgl. z.B. Berlin 1972), tragen generiscbe Kategorien denselben Namen wie untergeordnete Kategorien, so daß beispielsweise ein und dasselbe Wort die Kategorien oak und white oak denotiert
104
Abb. 3.3 Grundsätzlich ist demnach dog auf der Vagheits-Ambiguitätsskala ähnlich wie horse einzuordnen; nur die doppelte phonologische Verwendung rückt dog etwas näher an die Ambiguität heran als horse (vgl. Abb. 3.4).
Abb. 3.4 Ein Gegenbeispiel zu dog stellt cow dar, bei dem zwar die Netzwerkkonstellation ebenfalls mit der von horse und dog übereinstimmt; hier gilt aber die phonologische Variante der weiblichen Form (= cow^) für das unspezifizierte Schema (= cow^ (vgl. Abb. 3.5).
Abb. 3.5
105
Erneut drängt sich dafür eine Erklärung mit Hilfe der "cultural salience" (Lyons 1977: 248) auf. Folgende Regel ließe sich hier aufstellen: Während im Regelfall die männliche phonologische Form mit der übergeordneten identisch ist (z.B. dog, lion), tritt bei Tierarten, bei denen die weiblichen Vertreter kulturell bedeutsamer sind, die weibliche Form als unmarkierte auf. Im Deutschen wird diese Beziehung auch durch die Wahl des Genus unterstützt: die Kuh, die Henne, aber der Hund. Inwieweit durch das Genus des Wortes im Deutschen auch eine kognitive Orientierung auf das Geschlecht des Referenten eines unspezifizierten Wortes ausgelöst wird, kann hier nicht beantwortet werden. Die Äußerung "Schau, ein Hund" evoziert aber wohl allein schon durch das männliche Genus des Worts eher einen männlichen Hund als Referenten, auch wenn die Äußerung neutral gemeint ist. Interessant ist auch, daß das deutsche Archilexem Rind (vgl. dazu auch Coseriu 1967: 294) im Vergleich zu Kuh wenig salient ist. Eine spontane Äußerung würde wohl seltener "Schau, ein Rind" oder "Schau, ein Ochse", sondern eher "Schau, eine Kuh" lauten.35 Das entsprechende deutsche Dreiernetzwerk weicht also von dem englischen ab (vgl. Abb. 3.6).
Abb. 3.6
man
1
Abb. 3.7 35
Diese Ansicht läßt sich rein sprachlich dadurch stützen, daß Wortbildungen mit Kuh existieren, die auch übertragen oder idiomatisch verwendet werden (vgl. Kuhdorf, Kuhhandel, Kuhfladen, das geht auf keine Kuhhaut); für Komposita mit Rind ist dies wohl weniger der Fall, mit Ausnahme des metaphorischen Gebrauchs von Rindvieh für Menschen.
106
Wir sind dem kontrastiven deutschen Beispiel Kuh einen Schritt weiter in Richtung auf die Ambiguität hin gegangen, der wir uns mit dem englischen man noch weiter nähern (vgl. Abb. 3.7). Hier befinden wir uns zum ersten Mal auf einer der Ambiguitat näheren Stufe, da die spezifizierten Varianten salienter sind als die übergeordnete. Salopp ausgedrückt können wir sagen, daß wir es uns bei Hunden und Kühen im allgemeinen noch leisten können, sie im Normalfall als geschlechtlich unspezifiziert aufzufassen; beim Menschen könnte dies aber Probleme verursachen. Die niedrige Salienz des allgemeinen manv spiegelt sich sprachlich in einer Ausnahmestellung wider: Diese Variante tritt nur in Ausdrücken mit generischer Referenz ohne Determinator auf (Lyons 1977: 309).36 Rein begrifflich gesehen würde sich man, als gemeinsamer prototypischer Kern zwar noch eignen, die niedrige kognitive Salienz und das eingeschränkte morpho-syntaktische Potential (Ungerer 1991: 172) machen es aber für einen echten Prototypen, und damit das gesamte Lexem man für einen Anwärter auf Vagheit, untauglich. Die Endstufe klarer Ambiguität haben wir schließlich dann erreicht, wenn ein gemeinsames Schema37 nur noch aufgrund der phonologischen Übereinstimmung vorliegt. Mit bat, tick und colt (vgl. Lipka 1986a: 133f) existieren auch für diesen Fall Beispiele aus dem Tierreich (vgl. Abb. 3.8).
bat
'animal1
5l bat _ cricket
Abb. 3.8
36
Die Beziehung zwischen dem morpho-syntaktischen Verhalten eines Lexems und seinem "Erfolg" als sprachlichem Zeichen wird von Ungerer (1991) im Rahmen seines Vorschlags fiir ein Zeichenmodell mit pragmatischer, soziolingu is tischer und kognitiver Basis diskutiert. Mit lingerers (1991:172ff) Worten könnte man feststellen, daß das "morpho-syntactic potential" der Lexikoneinheit ma«, geringer ist als das der spezifizierten Variante man2. Damit verbunden ist nach Ungerers pragmatischer Interpretation des sprachlichen Zeichens, daß man{ als sprachliches Zeichen weniger "erfolgreich" ist als man2. Prinzipiell ist damit exakt dasselbe ausgedruckt wie mit meiner bisherigen Formulierung, man2 sei kognitiv hervorstechender als man,. Vgl. dazu unbedingt Fn.4 auf S.83. Die Annahme eines "gemeinsamen Schemas" ist bei diesen Bei-spielen nur vor Langackers Auffassung des linguistic unit zu verstehen. Im Fall von bat, tick und colt etwa wird das gemeinsame Schema nur noch durch den phonologischen Pol der sprachlichen Einheit aufrecht erhalten. Vgl. dazu v.a. auch den Verweis auf Aitchison (1987) in Fn.4.
107 Ordnen wir die bisher genannten Beispiele auf einer Skala von vage bis ambig an, so ergibt sich folgendes Gesamtbild:
ambig
vage
1 elephant
I 1 horse dog
I cow
\
Kuh
\ man
\ bat
Abb. 3.9
Im Zusammenhang mit der Diskussion von cow hat sich schon einmal das Wörtchen "unmarkiert" in meine Überlegungen eingeschlichen. Dieses Wort verweist auf das in der Linguistik diskutierte Problem der Markiertheit38, für das die Netzwerkdarstellung ebenfalls anwendbar ist. Klassische Beispiele für markierte bzw. unmarkierte Fragen wären How short is that rope? im Gegensatz zu How long is that rope? oder How badly does he speak Russian? vs. How well does he speak Russian? (vgl. Leech 21981: 114). Bei diesen Dimensionsadjektiven stellt der größere oder positive Wert meist den dominanten bzw. unmarkierten Knoten dar, der auch unspezifiziert verwendet werden kann. Die Auswahl des jeweiligen dominanten Knotens kann einmal auf die von Psycholinguisten postulierte Pollyana-Hypothese (vgl. Leech 1983: 147t) zurückzuführen sein, zum anderen aber auch darauf, daß etwa für die Dimension lineare räumliche Ausdehnung in einer Richtung ('length') die Wahl des kleinen, negativen Pols der Opposition, der ja gegen Null geht, wenig Sinn macht. Das plausibelste Modell für Adjektive wie long, good, rich wäre demnach das Knotenmodell des Schemas Kuh (vgl. Abb. 3.6), d.h. das Modell mit einer dominanten spezifizierten Variante und zwei durchschnittlich salienten weiteren Knoten (vgl. Abb. 3.10).
Abb. 3.10
38
vgl. Lyons (1977: 307ff), Leech (21981: 113ff), Cruse (1986: 257ff), Lakoff (1987a: 59ff), Croft (1990: 58ff), Langacker (1990: 226ff), Lipka (1990: 63ff).
108
Diese Dimensionsadjektive sind also, wie viele andere Lexeme auch, gleichzeitig ambig und vage, da sie zusätzlich ja auch graduierbare Adjektive und somit Beispiele relativer Unbestimmtheit (i. S. Pinkais 1985: 45f; vgl. 3.2.1) sind.
3.3 Lexikalische und aktuelle Bedeutung
Am Ende von Kapitel 3.2.2 mußte ich ein Dilemma diagnostizieren, in das ich hineingeraten war, indem ich Langackers Netzwerkmodell konsequent verfolgt hatte: ich hatte einerseits die theoretische Gewißheit, mit einem exakt analysierten Kategoriennetzwerk die Gegenüberstellungen Polysemie - Homonymie und Vagheit - Ambiguität wie von selbst auflösen zu können, war aber andererseits nicht mit dem nötigen theoretischen und praktischen Handwerkszeug zur Erstellung eines solchen Netzwerks ausgestattet. Um dieses Defizit auszugleichen, gilt es nun, Fortschritte in den Bereichen Methodologie und Heuristik der Kategorien zu machen. Zu diesem Zweck möchte ich in diesem Kapitel die wichtige Unterscheidung zwischen lexikalischer und aktueller Bedeutung einführen, die uns zur Frage nach dem Kontext von Wörtern in Äußerungen bringen wird (vgl. 3.4). Ausgangspunkt meiner Überlegungen ist erneut die Annahme, daß Lexeme in der Regel polysem sind, d.h. mehrere Bedeutungen haben können. Der entscheidende Aspekt, der uns in diesem Kapitel interessieren wird, steckt in dem unscheinbaren Modalverb "können" im letzten Satz. Ein polysemes Lexem, darstellbar in Form eines Kategoriennetzwerks, gibt dem Sprecher die Möglichkeit, aus den verschiedenen Bedeutungen eine für die beabsichtigte Äußerung passende Variante anzuvisieren.39 In dem Augenblick, in dem ein Lexem geäußert und so Bestandteil der Rede wird, findet auch auf der inhaltlichen Seite ein Übergang von der Möglichkeit zur Wirklichkeit statt. Die Betrachtungen der Wörter unter dem Doppelaspekt von Sprache als Wirklichkeit und als Möglichkeit macht es nun auch notwendig, den Begriff der Wortbedeutungen nach diesen Gesichtspunkten zu differenzieren. Ich bezeichne deshalb die eindeutig determinierte Wortbedeutung im Kontext als aktuelle Bedeutung und verwende für den komplexen Inhalt des Wortes als Bestandteil des Systems der Sprache den Terminus lexikalische Bedeutung. (Schmidt "1967: 24)
Aus den verschiedenen Möglichkeiten der lexikalischen Bedeutung werden Sprecher und Hörer einer realen Äußerung die jeweils plausibelste aktuelle Bedeutung auswählen. Bei diesem Vorgang wird aus einem polysemen Lexem in der Regel ein monosemes Wort. Er wird deshalb vor allem in der germanistischen Sprachwissenschaft gern mit dem Begriff
39
Sowohl bei humoristischer als auch bei literarischer Sprache ist häuGg ein bewußtes Evozieren zweier oder mehrerer Bedeutungsvarianten, von Kombinationen der Varianten oder Zwischenstufen von Varianten beabsichtigt Vgl. dazu den Begriff der "Polyvalenz" bei Beaugrande & Dressler (1981: 88).
109
Monosemierung bezeichnet.40 In der englischsprachigen Literatur findet sich häufiger der Ausdruck disambiguation.41 Eine vollständige Monosemierung oder Disambiguierung stellt allerdings außer bei Fachsprachen einen sicher selten erreichten Idealfall dar. Vorsichtiger und sinnvoller scheint es deshalb zu sein, wenn man mit Leech (21981: 67) davon ausgeht, daß der Kontext jeder Variante der lexikalischen Bedeutung eine bestimmte Wahrscheinlichkeit zuordnet, als aktuelle Bedeutung gemeint bzw. verstanden zu werden. Bei dieser Zuordnung, die ja in einer Art Grauzone zwischen langue und parole abläuft, spielt das Konzept der 'Norm' von Coseriu (1967: 11) eine Rolle. Des weiteren bietet sich hier eine Verweis auf das Zeichenmodell von Ungerer (1991; vgl. Fn.36) an: auf allen drei Interpretationsebenen (referentiell, soziolinguistisch und kognitiv) des Zeichens werden hier keine Ja-Nein-Entscheidungen, sondern Skalen der Abhängigkeit, Akzeptabilität bzw. Motivation postuliert. Im optimalen Fall würde eine Variante die Wahrscheinlichkeit l erreichen, während alle anderen die Wahrscheinlichkeit 0 aufweisen würden. Eindeutig ist in jedem Fall, daß beim Übergang von der lexikalischen zur aktuellen Bedeutung nicht nur die Ambiguität, sondern auch die Vagheit eines Lexems beträchtlich abnimmt. Eveiy word, no matter how precise and unambiguous, will derive from the context a certain determinateness which, by the very nature of things, can arise only in specific utterances. (Ullmann 1962: 52).
Die Unterscheidung zwischen lexikalischer und aktueller Bedeutung geht meines Wissens im deutschen Sprachraum auf Wilhelm Schmidt zurück, der sie aus der russischen Sprachwissenschaft übernommen hat. In seiner 1963 veröffentlichten Habilitationsschrift (1963; 41967) entwickelt Schmidt neben dieser fundamentalen Unterscheidung auch ein Konzept für die Struktur der lexikalischen Wortbedeutung, das auf verblüffende Weise mit den Kategoriennetzwerken, wie wir sie von Langacker kennengelernt haben, verwandt ist. Eine Wiedergabe des "(nicht vollständige[n]) Strukturschemafs] der lexikalischen Wortbedeutung 'grün'" (Schmidt 41967: 27) kann zeigen, daß nicht nur die Art der Darstellung, sondern auch die begriffliche, wenn natürlich auch nicht die terminologische Auffassung der Arten von Beziehungen im Strukturschema durchaus mit Langackers Ansatz vergleichbar sind (vgl. Abb. 3.11). So ist beispielsweise die Langackersche Trennung von Elaboration und Extension im Prinzip auffindbar. Elaborationen entsprechen lexisch-semantischen Varianten erster Ordnung, d.h. Wörtern "mit eigentlicher Bedeutung", Extensionen finden ihr Pendant in lexisch-semantischen Varianten zweiter Ordnung, d.h. "Varianten mit übertragener Bedeutung" (Schmidt 4 1967: 50; Hervorhebungen im Original). Auch ein gewisses Maß an Ratlosigkeit oder Willkür bezüglich der Frage einer fundierten Abgrenzung beider Arten der Abweichung von Varianten ist beiden Konzepten gemein. Die Affinität zwischen Schmidt ("1967) und Langacker (1987a) zeigt einmal mehr - nach dem Beispiel K-O. Erdmanns und der Feldlehre -, daß die als so 40
Vgl. z.B. Hansen et al. (21985: 198), Schneider (1988: 107); Lipka (1990a: 173).
41
Vgl. Lyons (1977: 582), Leech ^1981: 67), Lipka (1990a: 174). Cruse differenziert von vornherein feiner und unterscheidet zwischen der "modulation by context" für general terms und "contextual selection (of senses)" für ambige Lexeme (1986: 52).
110
neu und revolutionär propagierte kognitive Linguistik durchaus in einem geistigen Verwandtschaftsverhältnis zu den verschiedensten älteren Strömungen in der Sprachwissenschaft steht.
\ (A) - Hauptbedeutung (o.CJ - wörtliche Bedeutung, primäre Bedeutung}· ^—' beziehungen, 1. Abatraklionsebene, lexiach.... semanlifche Varianten erster Ordnung* '· "9 " "^ertragene Bedeutungen, sekundäre lie"· deutungabeziehunyen,2. Abstraktionsebenr, lexiach-semantische Varianten zweiterOrdnung
Abb. 3.11: "Das (nicht vollständige) Strukturschema der lexikalischen Wortbedeutung ' g r ü n ' . (Schmidt "1967: 27). Die bisherige Diskussion von lexikalischer und aktueller Bedeutung könnte fälschlicherweise den Eindruck erwecken, es handle sich jeweils um zwei klar getrennte Gegensätze. Es ist aber Schmidts besonderes Anliegen (41967: 24), der "Frage nach dem Wechselverhältnis von aktueller und lexikalischer Wortbedeutung ein großes Gewicht" beizumessen. Zu Recht stellt sich Schmidt ausdrücklich gegen eine isolierte Betrachtung beider Ebenen und unterstreicht die gegenseitige Beeinflussung. Akzeptiert man die interaktive Beziehung zwischen aktueller und lexikalischer Bedeutung, so stellt sich aus logischer und methodologischer Sicht die Frage, welche von beiden Ebenen die vorrangige ist und in der empirischen Arbeit die zeitlich primäre sein muß. An dieser Frage schieden sich die Geister vor allem vor dem Hintergrund der von Chomsky ausgelösten Kompetenz-Performanz-Diskussion über Jahrzehnte hinweg. Stellvertretend seien hier die konträren Ansichten von Schmidt und Leech zitiert: Dazu [zur Klärung der Beziehung zwischen System und Rede] ist es natürlich notwendig, die Untersuchung da anzusetzen, wo die Sprache tatsächlich in Aktion auftritt, das heißt, es muß vom Wort im Kontext, in der Rede, ausgegangen werden, und nicht vom sprachlichen System. (Schmidt 41967: 121). The study of meaning-in-context is logically subsequent to the study of semantic competence, rather than the other way around. (Leech 21981: 69).
Ill
Wie sollen wir uns in Anbetracht derart gegensätzlicher, aber gleichermaßen vehement vertretener Ansichten verhalten? Kallmeyer et al. (31980: 129ff) stellen eine Aporie fest, die dadurch entsteht, daß sich die lexikalische und die aktuelle Bedeutung gegenseitig definieren und es praktisch unmöglich ist, einen Bereich als primär konstitutiv für den anderen nachzuweisen. Sie nennen aber den Spracherwerb als, auch meines Erachtens, eindeutiges Indiz dafür, daß die aktuelle Bedeutung als primär zu betrachten ist. In Einklang mit ihnen und Hörmann (1976: 33ff) besteht für mich kein Zweifel daran, daß der Position Schmidts der Vorzug gegeben werden muß. Wie, so muß man sich angesichts von Leechs Zitat fragen, haben wir denn systematischen Zugriff zu einem derart komplexen Bereich wie der semantischen Kompetenz? Diese Frage mag ein weiteres Zitat von Leech näher beleuchten: Instead of seeing total meaning as an aggregate derived from contexts, we see the contextual meanings as dependent on a previously established set of potential meanings. (Leech 21981:68; meine Hervorhebung).
Es mag ja aus rein logischer Sicht sinnvoll sein zu behaupten, daß die aktuelle Bedeutung von der lexikalischen abhängt - auch wenn dies im Hinblick auf die überaus großen kreativen Fähigkeiten der Sprachbenutzer höchst fraglich ist. Aus heuristischer Sicht dagegen ist dieser Ansatz in keinem Fall haltbar, da der Auffindungsmodus des "previously established set of potential meanings" alles andere als klar ist. Ich bin der dezidierten Ansicht, daß letztendlich die Struktur der lexikalischen Bedeutung nur mittels Analysen der verschiedenen aktuellen Verwendungen auf der Ebene der Rede im Kontext gefunden werden kann. Damit liege ich auch auf einer Linie mit Wittgensteins Ratschlag (1958: 20), nicht nach der Bedeutung, sondern nach dem Gebrauch der Wörter zu suchen. An diesem methodischen Weg vom kontextualisierten Wort zum abstrahierten Lexem werde ich auch bei der Darstellung der empirischen Arbeit festhalten.
3.4 Kontext Während der vorangegangenen Seiten wurde immer wieder deutlich, daß der entscheidende Faktor bei der Festlegung der aktuellen Bedeutung eines Wortes der Kontext ist. Diesem gilt es sich nun zuzuwenden. Ich hatte im Zusammenhang mit der Diskussion kognitiver Aspekte der Kategorisierung schon mehrmals Gelegenheit, auf die fundamentale Bedeutung des Kontexte für und seine eklatanten Auswirkungen auf die Kategorien sowie die Problematik der Integration des Kontexte in eine Theorie hinzuweisen (vgl. 2.2.3, 2.3.3). Versuche und Veröffentlichungen von Labov (1973, 1978), Roth & Shoben (1983) und Barsalou (1987) wurden zitiert, die die verändernden Wirkungen des Kontexts auf die Kategoriengrenzen, die Kategorienstruktur und den Kategorienumfang deutlich machten. Neben der schon erwähnten dominanten Funktion der Disambiguierung von polysemen Lexemen werden in der Literatur als Funktionen des Kontexts in bezug auf Lexeme genannt:
112
-
Bedeutungsverengung bei sehr vielfältig verwendbaren Lexemen wie to do (Ullmann 1962: 52). Bestimmung der Wortart bei zweifelhaften Wörtern wie z.B. Konversionen bzw. Nullableitungen (Ullmann 1962: 52). Fixierung der Referenz deiktischer Elemente (Lyons 1977: 205, Leech 21981: 67). Angabe von Ersatzinformation für durch Ellipse ausgelassene Elemente (Leech 21981:67). Fixierung der illokutionären Kraft der Äußerung (Lyons 1981: 201, 205f).
Ziel meiner gegenwärtigen Diskussion des Kontexts wird es sein, einen für diese Arbeit einsetzbaren Kontextbegriff zu finden. Insbesondere stellt sich dabei die Frage, welche Faktoren des Kontexts für empirische Untersuchungen wie die in den Kapiteln 4 bis 6 relevant sind und in welcher Form sie eingebracht werden können. Ich will beginnen mit einer terminologischen Unterscheidung, die sich in der modernen Sprachwissenschaft, v.a. in der Textlinguistik42, durchzusetzen scheint (vgl. Schneider 1988: 94, Lipka 1990a: 23, 117), zwischen dem Kotext43 (verstanden als sprachliche Umgebung) und dem Kontext (verstanden als außersprachliche Rahmenbedingungen).44 Der Kotext, d.h. die Worte und Sätze vor und nach einem Wort, läßt sich weiter gliedern in lexikalischen und syntaktischen Kotext. Ich werde mich damit an dieser Stelle nicht weiter beschäftigen, sondern verweise für die Vorgehensweise in diesem Bereich auf die Kapitel 5 und 6, wo die Analyse des Kotexts eingehend demonstriert wird. Stattdessen will ich ausführlicher auf den außersprachlichen Kontext eingehen, der in verschiedenen semantischen Theorien meines Erachtens in untragbarer Weise vernachlässigt worden ist. In der Berücksichtigung des außersprachlichen Kontexts und damit der Definition des Begriffs Kontext überhaupt liegt ein entscheidender Faktor, der alle in der Geschichte der Semantik entstandenen Bedeutungskonzepte in gewisser Weise prägt und klassifiziert. Die unterschiedlichsten Extreme und Zwischenstufen sind vorgeschlagen worden. Eine minimalistische Einstellung bei der Kontextintegration finden wir beispielsweise in der sog. Tübinger Lexematik nach Coseriu und Geckeier45 und in der sinnrelationalen Semantik von Cruse (1986). So werden von Coseriu und in dessen Nachfolge von Geckeier kontextuelle oder situationale Varianten im Rahmen sog. Vorunterscheidungen von vornherein
42
Vgl. Petöfi (1972: 12), de Beaugrande (1980: 12f), Brown & Yule (1983: 46), Halliday & Hasan (21989: 76).
43
Ich schließe mich in der Orthographie dieses Worts ohne Bindestrich der Schreibweise von Bußmann (21990) an.
44
In dem Lexikon von Bußmann (:1990) treten bezüglich der Trennung zwischen Kontext und Kotext auch in der neuen zweiten Auflage noch Unstimmigkeiten auf. Während unter dem Stichwort Kontext die auch von mir erwähnte Handhabung der Begriffe aufgezeigt wird, findet sich unter Kotext unter Verweis auf den Erfinder dieses Terminus, J.C. Catford, die umgekehrte Verwendung.
45
Vgl. Coseriu (1970, 1975), Geckeier (1971), Coseriu & Geckeier (1981), Geckeier (1988).
113
als Untersuchungsgegenstand ausgeschlossen.46 Cruse (1986) distanziert sich schon eingangs in seinem Buch von einer denkbaren Berücksichtigung des außersprachlichen Kontexte, unter anderem47 mit der auf dem Kriterium der Einfachheit beruhenden, zweifelhaften Begründung, daß "linguistic context is more easily controlled and manipulated" (1986: 1). Vor diesem Hintergrund bekommt Cruses Charakterisierung seiner Semantiktheorie als "'contextual' approach" (1986: 1) aus der Sicht eines modernen, weiteren Verständnisses des Kontextbegriffs heraus einen etwas amputierten Beigeschmack.48 Das konträre Extrem zum Ausschluß des Kontexts aus semantischen Überlegungen liegt in Form des sog. "contextualism" (Leech 21981: 61) oder der "contextual theory of meaning" (Lyons 1977: 607ff) vor. Diese Art von semantischer Theorie kann auch unter einem zweiten Gesichtspunkt als Gegenstück zu Coseriu, Geckeier und Cruse gesehen werden: Während diese drei Autoren den Schwerpunkt ihrer Überlegungen auf die paradigmatische Achse der Sprache legen49, betonen die Anhänger des Kontextualismus die syntagmatischen Beziehungen zwischen Wörtern (vgl. den Begriff der "collocation" bei Firth 1957: 194ff). Die kontextualistische Bedeutungstheorie wurde ausgehend von dem Anthropologen und Ethnologen B. Malinowski vor allem von dem britischen Sprachwissenschaftler J.R. Firth entwickelt (Firth 1957; vgl.a. Halliday & Hasan 21989: 5ff). Malinowski erkannte als erster den einschränkenden Einfluß, den das damals herrschende Verständnis des Kontexts im Sinne des heutigen Kotexts hatte, und führte deshalb die Begriffe des "context of situation" und "context of culture" ein (vgl. Ullmann 1962: 50f; Lyons 1977: 607, 609; Halliday & Hasan 2 1989: 6f). Firth übernahm den Begriff des Situationskontexts und ging sogar so weit, das Konzept von sprachlicher Bedeutung überhaupt vom Ko- und Kontext abhängig zu machen. Daneben erstellte er Rahmenbedingungen für die Beschreibung des Situationskontexts: die Teilnehmer einer Situation, ihre verbalen und non-verbalen Handlungen, die Folgen dieser Handlungen und weitere Merkmale der Situation (Firth 1957: 181ff; vgl.a. Halliday & Hasan 2 1989: 8). Eine derartige Erfassung und Absteckung von Parametern der Sprechsituation, die von genuin semantischen zu pragmatischen Betrachtungen führt, ist vor allem in der Ethnographie der Kommunikation (vgl. Hymes 1967), in der Sozi öl i ngu ist i k und in der Textlinguistik als 46
Vgl. Geckelei (1971: 188 ), Coecriu & Geckeier (1981: 55), Geckeier (1988: 13f). Coseriu (1975: 253ff) setzt sich in einer Studie unter der Überschrift "Determinierung und Umfeld" eingehend mit Faktoren dessen, was wir Disambiguierung genannt haben, sowie dem Kontext auseinander. Er trifft dort auch eine Unterscheidung der Umfelder (der Begriff stammt von Bühler) in die Bereiche Situation, Region, Kontext und Redeuniversum (1975: 278) und führt in allen vier Bereichen noch feiner getrennte Unterphinomene ein. Leider kommt er aber meines Wissens weder an dieser Stelle noch in seinen anderen Werken auf diese vielversprechende Gliederung außersprachlicher Faktoren zurück, die hier lediglich theoretischen und programmatischen Charakter hat.
47
Die beiden anderen Einwände lauten: a) "the relation between a lexical item and extralinguistic contexts is often crucially mediated by the purely linguistic contexts"; und b)"any aspect of an extra-linguistic context can in principle be mirrored linguistically" (Cruse 1986: 1).
48
Natürlich ist es völlig legitim, wenn Cruse den notational term 'Kontext' anders auffaßt. Ausnahmen sind Coserius Coserius "lexikalische Solidaritäten" (1967) und zwölf Seit Seiten bei Cruse über syntagmatisehe Beziehungen (vgl. 1986: 100-109, 279-281; vgl.a. Lipka 1990b: 173).
114 sinnvoll erkannt und in früchtetragender Weise eingesetzt worden. Im letztgenannten Bereich ist vor allem Halliday (1978; Halliday & Hasan 21989) zu nennen, der die unüberschaubare Gesamtmenge denkbarer Situationsfaktoren in die drei Bereiche "field of discourse", "tenor of discourse" und "mode of discourse" zusammenfaßt (Halliday & Hasan 21989: 12ff). Meyer (1975:If) teilt den Kontext in drei verschiedene Sphären ein: den sprachlichen Kontext (= unser Kotext), die aktuelle Sprechsituation einer Äußerung (die Menge derjenigen nicht-sprachlichen Gegebenheiten, die im Augenblick des Sprechens unmittelbar vorhanden sind) und den sozio-kulturellen Kontext (die Menge der allgemeinen Präsuppositionen, die in einem gegebenen typischen Kommunikationszusammenhang von den Teilnehmern gemacht werden, z.B. das Wissen über die Welt, bestimmte Normen und Konventionen). Er ist sich dabei durchaus bewußt, daß eine klare Grenzziehung im Einzelfall nur schwierig oder gar nicht durchführbar sein wird. Die bisher genannten Ansätze zeigen, daß wir für eine adäquate Berücksichtigung des Kontexts über den Tellerrand rein strukturalistisch-semantischer Theorien hinaussehen müssen und uns auf mehr pragmatisch, textlinguistisch und diskursanalytisch orientierte Strömungen ausrichten müssen. Daß eine durch pragmatische Aspekte ergänzte semantische Sprachbetrachtung leistungsfähiger ist, soll durch drei Beispiele noch einmal untermauert werden: Professor: Student:
Perhaps you should see Prof. Jones about it. He might be able to help you. He is a brilliant scholar in this field. Oh yes, that's a brilliant idea.
Würde man versuchen, diesen erfundenen Kurzdialog möglichst adäquat ins Deutsche zu übertragen, so wäre es sicher falsch, das Adjektiv brilliant in beiden Äußerungen in gleicher Form zu übersetzen. Während in der Äußerung des Professors in dem Adjektiv "echte" Wertschätzung i.S. von 'herausragend', 'brilliant', 'hochrenommiert' steckt, verwendet die Studentin brilliant eher als allgemeinen Ausdruck positiver Einstellung wie etwa bei dt. 'super', 'toll', seltener 'großartig', also als Modewort. Zu dieser Erkenntnis gelangen wir zwar teilweise auch aus den jeweiligen Kollokationen, vor allem aber können wir sie aus einer Berücksichtigung des Alters, der sozialen Rolle und des dafür typischen Sprachgebarens der beiden Sprecher ableiten. Ein zweites Beispiel: Bei meiner empirischen Arbeit im Bereich to start und to begin (vgl. Kap. 6) kristallisierte sich sowohl bei der Analyse des LOB-Korpus als auch vor allem bei Fragebögen und Interviews mit Informanten die Tatsache heraus, daß die Verwendung der beiden Verben keineswegs von rein denotativen Aspekten der Bedeutung gesteuert wird, sondern auch, manchmal sogar vor allem, durch den Kontext und das Medium. Bei der Gegenüberstellung von It all began in 1066. It all started in 1066.
war die häufigste spontane Reaktion der Informanten "it depends". Wichtige Faktoren bei der Wahl des Verbs sind dabei offensichtlich, ob die Äußerung geschrieben oder gesprochen
115
vorzustellen ist50, zu wem und in welcher Situation es gesagt wird bzw. in welcher Art von schriftlichem Kontext oder Werk es geschrieben wird. Zum dritten: Bei meinen Befragungen von Immobilienmaklern als Spezialisten im Umgang mit dem Wortfeld der Häuserbezeichnungen wurde von Informanten deutlich hervorgehoben, daß der Begriff cottage von Angehörigen ihrer Branche eindeutig mißbraucht wird (vgl. 4.5.2). So werden die mit dem Lexem cottage verknüpften Konnotationen der Ländlichkeit, Gemütlichkeit, Zurückgezogenheit und Ruhe ausgenützt, um den Kunden normale Stadthäuser mit dieser Bezeichnung schmackhafter zu machen. Zu einer solchen bewußten Bedeutungsverschiebung eines Lexems trägt eine ganze Reihe von Faktoren bei: nicht nur der Sprecher selbst und sein Geschäftsinteresse sowie seine soziale Rolle als Makler, sondern auch der Hörer bzw. die Erwartungen des Hörers, die wiederum vom Sprecher antizipiert werden, die Kauf-, Werbe- oder Informationssituation, das gemeinsame kulturelle Wissen über die Art von Häusern und die Art zu wohnen. Aus diesen drei Beispielen geht hervor, daß der Kontext letztlich ein endlos komplexer Bereich ist, der für manche Forscher (vgl. oben etwa Gruse oder Geckeier) eine Art von Pandorabüchse darstellt, die sie lieber verschlossen halten wollen. Enkvist formuliert treffend: "The context analyst's first embarrassment is richness" (1980: 79). Es kann also in keinem Fall darum gehen, den Kontext in seiner ganzen Komplexität in eine semantische Analyse zu integrieren, sondern vielmehr darum, für die lexikalische Semantik relevante Faktoren zu extrahieren und eine sinnvolle Form der Darstellung zu finden. To recognize the importance of context in our understanding of language, literal and metaphorical, is only a first step. The second and far more painstaking step is to learn how to specify the significant elements of context (Kittay 1987: 141; meine Hervorhebung).
Welche Konzepte kann uns die einschlägige Literatur für dieses Problem anbieten? Sehr allgemeine und umfassende Definitionen und Ansätze finden sich in der pragmatisch orientierten Sprachphilosophie und der Pragmatik. Searle behandelt den Kontext unter dem Label "background assumptions" und stellt fest: For a large class of unambiguous sentences such as 'the cat is on the mat', the notion of the literal meaning of the sentence only has application relative to a set of background assumptions. The truth conditions of the sentence will vary with variations in these background assumptions; and given the absence or presence of some background assumptions the sentence does not have determinate truth conditions. (Searle 1979: 125).
Daß diese Auffassung einem subjektivistischen und relativistischen Bedeutungsverständnis Tür und Tor öffnet, liegt auf der Hand. Ähnliches gilt für den Kontextbegriff in der umstrittenen pragmatisch-kognitiven Relevanztheorie von Sperber & Wilson: The set of premises used in interpreting an utterance (apart from the premise that the utterance in question has been produced) constitutes what is generally known as the context. A context is a psychological construct, a subset of the hearer's assumptions about the world." (Sperber & Wilson 1986: 15).
50
Für einen überzeugenden korpus-gestützten Ansatz zur Differenzierung der einfachen Unterscheidung zwischen geschriebener und gesprochener Sprache vgl. Biber (1986).
116 Schwierig nachzuvollziehen und nicht zu befürworten ist meines Erachtens die Eingrenzung auf die Interpretation des Hörers. Sicherlich ist der Kontext bei der Sprachproduktion durch den Sprecher in gleichem Maß mitbestimmend. Auch die kognitive Linguistik hat durchaus Überlegungen zur Frage des Kontexte anzubieten. In den Kapiteln 2.4.2 und 2.4.3 habe ich ausführlich verschiedene theoretische Konstrukte diskutiert, die als kognitive Hintergrundebene aufgefaßt werden, vor der Kategorien verarbeitet werden. Prinzipiell spricht meines Erachtens nichts dagegen, Lakoffs ICMs, Langackers cognitive domains oder Medin & Wattenmakers theories als Mittel zur Erfassung vor allem des kulturellen Kontexts einzusetzen.51 Besonderes Interesse gilt dem Kontext als Ursache schwerwiegender Komplikationen und Erschwernisse im Bereich der maschinellen Übersetzung (vgl. Lyons 1977: 583) und der künstlichen Intelligenz (vgl. Minsky 1975, Rumelhart 1975, Schank & Abelson 1977, Winograd & Flores 1986). Das visionärste Kontextverständnis weisen aus dieser Gruppe Winograd & Flores auf. Ausgehend von einer Kritik von Searles background assumptions machen sie deutlich, daß der Kontext nicht in Form weiterer Propositionen a la formaler Semantik konzipiert werden sollte, sondern als Hintergrund einer organisierten Welt, in der wir leben, arbeiten, handeln und sprechen (1986: 57ff). Hier kann selbstverständlich nicht der Ort sein, auf diese auf die Heideggersche Hermeneutik zurückgehende Konzeption näher einzugehen. Sie mag lediglich als faszinierende Vision eines Kontextbegriffs angeführt sein, der die Trennung zwischen kontextuellem Hintergrund und Bedeutung, zwischen Welt und Sprache, zwischen Subjekt und Objekt in eine gemeinsame Vorstellung des in der Welt handelnden und sprechenden Menschen integrieren will. Während eine derartige Berücksichtigung des Kontexts heute noch utopisch sein mag, haben verschiedene Ansätze der Integration stereotyper Situationen, Szenen oder Handlungen (scripts, schemata, scenarios etc.52) wie Restaurantbesuche53, Kindergeburtstage54, Geschichtenstrukturen55 oder "commercial event" bzw. "commercial transaction"56 schon Früchte getragen. Sowohl im Bereich der künstlichen Intelligenz als auch in der linguistischen Forschung kann eine Postulierung solcher Rahmenfaktoren auch für die Bedeutungsanalyse einzelner Wörter hilfreich und ökonomiefördernd wirken. Das von Fillmore mehrmals behandelte commercial event kann beispielsweise viel zum Verständnis nicht nur von buy, sondern auch von sell, spend, charge for und pay beitragen (vgl. Fillmore 1977c: 102ff). Bei Lexemen, die typischerweise in solch stereotypen Situation auftreten, kann ein Verweis auf den Rahmen nur zuträglich sein.
51
Für den Entwurf eines ICMs für den Bereich der Häuserbezeichnungen vgl. 4.5.2.
52
Für weitere Begriffe vgl. 2.4.3 und Fillmore (1985: 223, Fn.4).
53
Vgl. Schank & Abelson (1977: 42ff).
54
Vgl. Minsky (1975: 242f).
55
Vgl. Rumelhart (1975).
56
Vgl. Fillmore (1976: 20, 1977b: 58f, 1977c: 102ff), Halliday & Hasan (21989: 54ff).
117
Aus meinen bisherigen Darstellungen von Kontextbegriffen in der Literatur ist wohl ersichtlich geworden, daß eine hol istische Sicht des Kontexts wenig Erfolg verspricht. Ansätze, die den Kontext in mehrere Faktoren, Merkmale oder Dimensionen aufgliedern, scheinen leistungsfähiger zu sein. Hasan (Halliday & Hasan 21989:55ff) entwickelt aus den drei oben erwähnten Parametern von Halliday das Konzept der "contextual configuration" (CC) (21989:55), indem sie die Begriffe field, tenor und mode als Variablen auffaßt, die jeweils durch spezifische Werte repräsentiert sind. Einer Einsicht Hasans kommt in diesem Zusammenhang zentrale Bedeutung zu: Here let me point out that the CC is not the end of the story where the notion of context is concerned: to reiterate, it is simply a particular calibration of values frozen at a particular point in delicacy for a particular purpose. Moves in delicacy are essential for explaining other features of texts. (Halliday & Hasan 21989: 105f; meine Hervorhebung).
Es wird hier erneut auf die prinzipielle Endlosigkeit des Kontexts hingewiesen und gleichzeitig das entscheidende Kriterium für die Auswahl relevanter Kontextmerkmale und ihre "Eichung" oder Körnung genannt, nämlich der Zweck der Untersuchung. Dieser Ausweg aus dem Kontextdilemma des Semantikers hat gleichzeitig etwas Fatalistisches und etwas Faszinierendes an sich. Für fatalistisch halte ich ihn deshalb, weil im Endeffekt dem Semantiker völlig freie Hand gelassen wird, je nach Gegenstand der Analyse manche Kontextfaktoren für relevant zu erachten und andere zu vernachlässigen. Gerade dieser Freiraum für den Semantiker ist aber andererseits auch das Überzeugende an Hasans Vorschlag, denn auf diese Weise werden die Verhältnisse des alltäglichen Sprachgebrauchs kopiert. Schließlich besteht ja das Faszinosum des menschlichen Sprachbenutzers genau darin, daß relevante Kontextinformation, soweit sie bekannt ist, intuitiv berücksichtigt wird, irrelevante aber automatisch unterhalb der Bewußtseinsschwelle bleibt. Ich bin also mit Hasan der Ansicht, daß es wenig Sinn hat, "dekontextualisierte" Forderungen für die Kontextberücksichtigung aufzustellen. Stattdessen muß man, wie dies ja auch schon in der Pragmatik und Soziolinguistik - und im übrigen auch schon bei Firth durchexerziert wird, Parameter der Sprechsituation erfassen. Diese können dann optional je nach ihrer Relevanz für den jeweiligen Untersuchungsgegenstand spezifiziert werden. Als wichtigste Parameter des Situationskontexts übernehme ich von Hymes (1967: 20ff) die "components of speech", die er - vielleicht etwas gezwungen - unter der Eselsbrücke SPEAKING auflistet: -
-
(S) Setting, or Scene (P) Participants or Personnel (E) Ends (goals, purposes, outcomes) (A) Art Characteristics (form and content) (K) Key (= tone, manner or spirit in which an act is done) (I) Instrumentalities (channel and code) (N) Norms of Interaction and of Interpretation (G) Genres
118 Die obengenannten (stereo)typischen Situationen wie etwa Skripts oder Schemata lassen sich meines Erachtens als abgespeicherte Konstellationen dieser Parameter bzw. als bestimmte contextual configurations*^ auffassen. So sind etwa für das Skript des Restaurantbesuchs (Schank & Abelson 1977: 42ff) fast alle der obengenannten Kriterien zu einem beträchtlichen Ausmaß spezifiziert. Im empirischen Teil der Arbeit werde ich den Kontext in der geschilderten pragmatischen Form (im alltäglichen Sinn des Begriffs) berücksichtigen. Dies gilt nicht nur für den situativen, sondern auch für den kulturellen Kontext, der vor allem im Kapitel 4 von beträchtlicher Signifikanz sein wird. In den Kapiteln 5 und 6, wo ich ja in erster Linie mit der Korpusmethode anhand des LOB-Materials arbeite, wird die Kontextrelevanz weit hinter der des Kotexts zurückstehen. Hier zeigt sich ein deutlicher Nachteil der Arbeit mit Korpora geschriebener Sprache, die außer der Textkategorie kaum kontextuelle Informationen liefern.
3.5 Zusammenfassung und Überleitung zum empirischen Teil
Hauptanliegen von Kapitel 3 war es, in Kapitel 2 gewonnene Erkenntnisse aus der Erforschung kognitiver Aspekte der Kategorien auf traditionell problematische Fragestellungen der semantischen Theorie und Praxis zu übertragen und anzuwenden. Demgemäß war ein Grundtenor allen vier Unterkapiteln wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß gemeinsam: Die semantische Forschung kann einen entscheidenden Fortschritt dadurch erzielen, daß kognitive und sozio-kulturelle Aspekte in die Überlegungen eingebracht werden. So habe ich in Kapitel 3.1 versucht, die traditionellen Auffassungen von Metapher und Metonymie, die von den Begriffen Ähnlichkeit und Kontiguität geprägt sind, in Richtung einer Integration kognitiver und sozio-kultureller Faktoren zu korrigieren. Von gleich hoher Bedeutung sind diese Aspekte auch für eine Berücksichtigung des Kontexte bei der semantischen Beschreibung. Das zweite wichtige Grundprinzip, das ich aus Kapitel 2 übernommen habe, war das angesetzte Verständnis von Kategorien. Kategorien wurden prinzipiell als vage und variabel aufgefaßt und die sie denotierenden Lexeme entsprechend als semantisch unscharf und mehrdeutig. Diese Vorstellung von Kategorien spiegelt sich meines Erachtens am besten in Langackers Netzwerkmodell wider, das deshalb in Kapitel 3 als Grundlage diente und, wenngleich in modifizierter Form, auch in den Kapiteln 4 bis 6 eingesetzt wird. Insbesondere erwies sich das Netzwerkmodell nützlich zur Beschreibung der Polaritäten Homonymie Polysemie (3.1.1) und Ambiguität - Vagheit (3.2.3). Mit großen Mängeln ist das Netzwerkmodell aber auf der heuristischen Seite, also im Bereich praktisch-semantischer Arbeit, behaftet. Hier haben sowohl Langacker als auch Lakoff beträchtliche Defizite, während kognitive Linguisten in Europa wie Rudzka-Ostyn, Dirven, Schulze und vor allem Geeraerts
Gerade der Begriff der 'Konfiguration' erfaßt meines Erachtens gut die Vorstellung der Zuordnung von Größen oder Werten auf bestimmte Parameter.
119
auf diesem Gebiet Interessantes geleistet haben. Diese Forscher haben mir deshalb, auch wenn es im folgenden nicht durch explizite Verweise belegt ist, als Inspiration und Vorbild für die empirische Arbeit gedient. Neben den beiden erwähnten Hauptanliegen dieses Kapitels - dem Ruf nach der Integration kognitiver und sozio-ltultureller Aspekte in die Semantik und der Anwendung des Netzwerkmodells - hat Kapitel 3 noch folgendes geleistet:
-
In den terminologisch überaus verwirrenden Bereich um die Begriffe 'Ambiguität', 'Variabilität', 'Vagheit' etc. wurde ein gewisses Maß an Klarheit und Übersichtlichkeit gebracht. Tests zur Erkennung von Ambiguität wurden diskutiert und ihre Validität und Reliabilität als zumindest zweifelhaft eingestuft. Es wurde ein Überblick über verschiedene Möglichkeiten der Kontexterfassung gegeben, der mit der fatalistisch-pragmatischen Feststellung endete, daß letztendlich der Semantiker über die Relevanz des Kontexts und die Art seiner Erfassung und Darstellung je nach Untersuchungsgegenstand immer neu zu entscheiden habe. Die Unterscheidung zwischen aktueller und lexikalischer Bedeutung nach Schmidt (^1967) wurde eingeführt. Für die empirische Arbeit wurde vorgegeben, daß die Ebene der lexikalischen Bedeutung in der Vorgehensweise das primäre Er-kenntnisinteresse sein müsse, die lexikalische Bedeutung dagegen das Endergebnis einer Analyse. Insofern sind wir nun also bereit, die theoretischen Überlegungen aus Kapitel 2 und 3 praktisch anzuwenden bzw. empirisch zu überprüfen.
Dazu gilt es aber noch einige klärende Gedanken vorwegzunehmen. Zum ersten soll noch einmal daran erinnert werden, daß die Auswahl des Materials und der Methoden der drei empirischen Kapitel vom Prinzip der Differenzierung (vgl. Einleitung Kap. 1.1) gesteuert ist. Zweitens muß die Terminologie im empirischen Teil erläutert werden. Im Einklang mit meiner operationalen Bedeutungsdefinition werde ich im Falle des realen Auftretens von Wörtern mit aktueller Bedeutung von "Verwendungen" sprechen, im Falle von postulierten Gruppen gleicher Verwendungen von "Verwendungsweisen" (vgl. auch Schulze 1990 Ms.). Verwendungen sind also der Ebene der parole zuzurechnen, Verwendungsweisen dagegen der Ebene der langue. Der Begriff der 'Verwendungsweise' entspricht - unter Vernachlässigung der ideologischen Unterschiede - dem Terminus der 'Lexikoneinheit' oder 'lexical unit' bei Cruse (1986) und Lipka (1990a). Verwendungsweisen bilden Subkategorien ab - im seltenen Fall von monosemen Lexemen bilden sie Kategorien ab -, die sich zueinander in Beziehung setzen lassen und schließlich eine Gesamtkategorie bilden. Diese Gesamtkategorie stellt wiederum das Abbild der Bedeutung des jeweiligen Lexems dar (vgl. Einleitung Kap. 1). Schließlich noch ein Letztes zu Material und Methode der Studien: Wie in der Einleitung schon erwähnt, arbeite ich in allen drei Kapiteln mit einer Mischung aus Interview- und Korpusmethode. Zu den Informanten werde ich in den verschiedenen Kapiteln gesondert Stellung
120
nehmen. Als Korpus kam das sog. LOB-Korpus zum Einsatz.58 Mit etwa einer Million Wörtern hat sich dieses Korpus schon in verschiedenen lexikologischen Studien als zu wenig umfangreich erwiesen (vgl. Leitzke 1989 und Grimm 1991). Es wäre somit falsch anzunehmen, es müßten jeweils alle gängigen Verwendungsweisen eines Lexems im LOB belegt sein. Dazu reicht das Datenvolumen nicht aus. Die Arbeit mit dem LOB ist deshalb immer durch Kontrollen in modernen Lexika und durch Informantenbefragungen ergänzt und abgesichert worden. Für die vorliegende Arbeit stellt der geringe Umfang aber ansonsten nur einen unbedeutenden Mangel dar. Probleme treten meines Erachtens bei semantischen Arbeiten nur dann auf, wenn versucht wird, von sehr wenigen Beispielen im LOB Korrelationen zum alltäglichen Sprachgebrauch abzuleiten. So treten beispielsweise eher idiosynkratische Verwendungen von Lexemen im LOB häufig zwar mehrmals, aber alle im selben Text auf, was das zahlenmäßige Verhältnis zur Gesamtzahl aller Beispiele im LOB natürlich stark verzerrt. Die Verwendungsweise von idea "music: motif, theme" (vgl. 5.5.5), die nur in einem Text von einem Autor benutzt wird, dort aber achtmal, ist ein solcher Fall. Ich werde deshalb bei allen geringen Vorkommenshäufigkeiten Ableitungen für das "normale" Sprachverhalten vermeiden und die geringe Anzahl jeweils explizit nennen. Für das Gros der Verwendungsweisen stellte sich dieses Problem aufgrund des häufigen Auftretens meiner Ziellexeme im LOB (idea 361 Beispiele, start 318, begin 472) erst gar nicht. Sind Verwendungsweisen mit 50, 100 oder gar 441 Beispielen im LOB belegt, so wie begin in einer rein inchoativen Bedeutung (vgl. 6.5.1), dann bin ich der Ansicht, daß sich davon auch Aussagen über den systemhaften Gebrauch des Lexems deduzieren lassen.
Vgl. Johansson et al. (1978) fttr weitere Informationen zu diesem Korpus. Verwendet wurde in erster Linie die computerisierte Version (Hofland & Johansson 1986a), für schnellere Kurzabfragen aber die MicroficheKonkordanz (Hofland & Johansson 1986b).
121
4. Cottage and Co.: Kognitive Semantik und Wortfeldtheorie am Beispiel des Wortfelds der Häuserbezeichnungen 4.1 Einleitung
Ich möchte den empirischen Teil der Arbeit mit einer semantischen Analyse der Simplizia im Wortfeld der Häuserbezeichnungen im Englischen beginnen. Zuerst zur Einordnung des Untersuchungsgegenstandes: Wie sind die Mitglieder des Wortfelds im Lexikon auf den Dimensionen Wortart, Abstraktheitsgrad und taxonomische Tiefe anzusetzen (vgl. 2.4.4)? Es ist unzweifelhaft, daß es sich bei Lexemen wie cottage, mansion oder bungalow um Substantive handelt, und zwar solche, die konkrete Dinge in der Realität denotieren. Wir werden also wohl in der Analyse die außersprachliche Realität in unsere Überlegungen mit einbeziehen müssen. Zur Frage der taxonomischen Ebene der Ziellexeme der Studie kann auf Überlegungen in Kapitel 2.4.4 verwiesen werden, die ergaben, daß house sinnvollerweise als Kategorie der Basisebene anzusehen ist. Demnach wären die Kategorien unseres Wortfelds der untergeordneten Ebene zuzuordnen. Treffen meine Vermutungen in Kapitel 2.4.4 zu, so ist zu erwarten, daß für die Lexeme des Wortfelds Funktion, Form und Teile für die Kategorisierung relevant sind, daß ein beträchtlicher konnotativer Bedeutungsanteil im Spiel ist und ein relativ begrenztes Maß an Extensionen und Elaborationen, d.h. an Polysemie und metaphorischen Übertragungen vorliegt. Es muß betont werden, daß meine Analyse des Wortfelds sowohl inhaltliche als auch methodologisch-theoretische Ziele verfolgt. Zum einen soll die Semantik bzw. die Kategorienstruktur des Wortfelds analysiert und beschrieben werden. Zum anderen bin ich aber auch an einer Überprüfung der Leistungsfähigkeit des Konzepts der Bedeutungsanalyse und -beschreibung interessiert, das in den Kapiteln 2 und 3 entwickelt wurde. Die Zielsetzung im theoretischen Bereich steuert auch die Vorgehensweise- bzw. Darstellungsweise meiner Studie: Ich werde nach einer kurzen Beschreibung der Herkunft des Datenmaterials (4.2) in einer ersten Phase eine exemplarische Feldanalyse nach traditionellem Muster durchführen (4.3 und 4.4).1 Das Ergebnis dieser Analyse werde ich sodann einer kritischen Bewertung unterziehen (4.4.5). Im abschließenden dritten Schritt (4.5) werde ich aufzeigen, wie die Feldanalyse durch den Einsatz unseres kognitiven Ansatzes ergänzt und verbessert werden kann. Durch diese Art des Vorgehens beabsichtige ich zu demonstrieren, daß die Feldtheorie allein als semantisches Modell nicht adäquat ist. Eine Kombination aus Feldtheorie und kog-
Ich bin mir natürlich völlig darüber im klaren, daß von einer "traditionellen" Feldanalyse oder von der Wortfeldtheorie zu sprechen eine grobe Vereinfachung ist Aus Platzgründen kann es aber nicht mein Ziel sein, die verschiedenen Strömungen und Probleme der Feldforschung zu referieren (vgl. dafür Geckeier 1971, 1988; Kastovsky 1982: 124ff, 139ff; Lutzeier 1982; Leisi 21985: 105-113; Schneider 1988: 30-39; Lipka 1980, 1990a: ISlff).
122
nitiver Semantik hingegen stellt meines Erachtens ein leistungsfähiges und gewinnbringendes Instrumentarium zur Bedeutungsbestimmung dar.
4.2 Methodologische Vorbemerkungen zur Herkunft der Daten
In diesem Abschnitt möchte ich nur die wichtigsten Angaben zur Herkunft der Daten meiner Analyse und zur Vorgehensweise machen. Das Material der Studie stammt aus informellen Interviews, die ich im Sommer 1990 in London mit native speakers des britischen Englisch2 durchgeführt habe. Die Gesamtanzahl der Informanten belief sich auf 14 Personen beiderlei Geschlechts im Alter von 18 bis 59 Jahren. Die folgende Liste gibt einen Überblick über Altersgruppe und beruflichen Status der Informanten: Anzahl 4 5 l l l l l
Berufsgruppe Studentinnen Hochschullehrer/innen Sekretärin Wachpersonal Photoeditor Marketingfachfrau Ingenieur
Altersgruppe 18-25 35-45 59 48 31 30 30
Die Interviews liefen in drei Phasen ab, wobei der Phase (1) die Ermittlung von hypothetischen Dimensionen des Felds mit Hilfe der in der Bibliographie angegeben Lexika vorausging. In Phase (1) wurden mit Hilfe eines Fragebogens (vgl. Tabelle 4.1) die Merkmalsausprägungen der verschiedenen Lexeme auf den Dimensionen ermittelt; fünf Informanten halfen in dieser Phase. Aus der jeweiligen Merkmalskonstellation wurde, so weit dies möglich war, eine bildliche Darstellung entwickelt, die in der Phase (2a) neun Informanten (zwei von diesen waren auch in Phase (1) beteiligt) zur Benennung und Beurteilung gezeigt wurden. In der Phase (2b) wurde die in (1) gewonnene Merkmalskonstellation in schriftlichen Zusammenfassungen drei Informanten (einer von diesen war auch in Phase (2a) beteiligt) zur Kommentierung vorgelegt. Ergänzt wurden die Interviews durch Gespräche mit Experten, und zwar mit Angehörigen einer Immobilienagentur und einem Architekten.
Die Angaben von zwei Informanten, nämlich dem Photoeditor und dem Ingenieur, sind mit Vorsicht zu bewerten. Beide sind gebürtige Australier und leben erst seit fünf bzw. einem Jahr in London. Bei interessanten Abweichungen dieser beiden Informanten werde ich jeweils auf ihren Ausnahmestatus hinweisen.
123
abelle 4.1: Fragebogen zur Ermittlung von Merkmalen
villa L Size la. Number of storeys Ib. Number of inhabitants Ic. Number of windows Id. Number of entrance doors 2. Purpose 3. Inhabitants 3a. Social class 3b. Servants ? 4. Setting 5. Construction 5 a. Material 5b. Sophistication of construction 5c. Type of roof 6. Interior 6a. General character 6b. Degree of refinement 7. Durability
lodge
hut
palace
...
124
4.3 Feldabgrenzung Erster Schritt einer jeden Feldanalyse muß die Festlegung des Gegenstandsbereichs, also die Abgrenzung des Feldes nach außen sein.3 Wie Leisi höchst zutreffend bemerkt, ist dies letztendlich immer ein Vorgang, der nur mit einem hohen Maß an Arbitrarität durchgeführt werden kann: Die meisten Feld-Arbeiten [vergeudeten] proportional zu viel Zeit und Kraft mit der Abgrenzung des Feldes nach außen [...]. Die Abgrenzung, dies dürfte jetzt klar sein, ist nur eine Notmaßnahme, damit die Arbeit nicht ins Unendliche wächst. Sie ist aber, da ihr keine immanenten Kriterien zu Grunde liegen, stets willkürlich, und deshalb ist die darauf verwendete Arbeit oft schlecht angewendet. (Leisi 21985: 107)
Entsprechend möchte ich die Feldaußenabgrenzung nur mit dem nötigsten Aufwand gestalten. Folgende Kriterien definieren die Zugehörigkeit der Lexeme zu unserem Objektbereich: (1)
(2)
Semantisches Kriterium: Archisememe: a) Allgemeines Archisemem des Gesamtfelds: [building that is used for dwelling] b) Spezifisches Archisemem des zentralen Feldbereichs: [building whose primary purpose is dwelling] Morphologisches Kriterium: Simplizia (vgl. Lipka 1980: 95ff)
Gemäß Kriterium (2) handelt es sich also um ein "Wortfeld" im engeren Sinn des Terminus, wie er von Lipka (1980) verwendet wird. Komposita bzw. Syntagmen wie manor house, detached house, semidetached house oder country house fallen aus der Studie heraus. Dieser Schritt ist zur Begrenzung des Umfangs nötig, auch wenn natürlich erkannt werden muß, daß vor allem auf der Ebene der Subkategorisierung von Feldern Simplizia und komplexe Lexeme in derselben bedeutungsdifferenzierenden Funktion auftreten (vgl. Lipka 1981: 375ff). Gleiches gilt für Lexeme wie hall und court, die als Häuserbezeichnungen heute in erster Linie nur noch als Bestandteil von Namen auftauchen (z.B. Bückling Hall, Ragley Hall; Hampton Court Palace, Wellington Court, Coughton Court). Das allgemeine Archisemem [building that is used for dwelling] in Bedingung (la) (s.o.) definiert das Feld als Ganzes. Als Grundlage dafür dienen Wörterbuchdefinitionen von house, das ich als Archilexem des Feldes ansehe. Das Kriterium [building whose primary purpose is dwelling] in (Ib) trägt der Tatsache Rechnung, daß einige Lexeme das entscheidende Merkmal [used for dwelling] in viel deutlicherer Ausprägung tragen als andere. Das Kriterium 'primärer Zweck' dient als Dimension zur Aufteilung des Feldes in einen zentralen Bereich und periphere Randzonen.4 Die Wahl dieses Kriteriums ist dadurch zu rechtfertigen, daß die
Vgl. zur Frage der Feldabgrenzung auch Lehrer (1974: 35), Nida (1975: 192), Lipka (1980: 99), Kastovsky (1982: 127), Schneider (1988: 38f). Zur Unterscheidung zwischen zentralen und peripheren Zonen des Wortfelds vgl. Lehrer (1974: lOlff), Lipka (1980: 99), Kastovsky (1982: 127), Schneider (1988: 36f). Prinzipiell ist ist es zwar eher angeraten,
125 Kategorie HOUSE wie die meisten Kategorien von Artefakten, d.h. Objekten, die vom Menschen hergestellt werden, vorrangig eine funktionale Basis hat.5 Selbstverständlich stellt der Einsatz von lediglich einem Kriterium ein grobe Vereinfachung dar. Im Ausgleich gewinnt die erste Darstellung des Feldes aber an Anschaulichkeit und Übersichtlichkeit, was meines Erachtens am Anfang der Studie wesentlicher ist als deskriptive Genauigkeit. Unter Anwendung der drei genannten Kriterien präsentiert sich der Gegenstand unserer Feldanalyse wie in Tabelle 4.2 dargestellt. An den Indizes in der Tabelle ist zu erkennen, daß ich schon in diesem frühen Stadium beim Lexem lodge verschiedene Bedeutungen bzw. lexical units (i.S. von Gruse 1986: 76f) unterscheide. Diese Maßnahme ist nötig, weil die verschiedenen lexical units unterschiedlichen Bereichen des Gesamtfelds zugeordnet werden müssen. Dies bedeutet also, daß ich lodge als ambiges Lexem auffasse (vgl. 3.2.1), das sich, um in der Terminologie von 3.2.1. zu bleiben, nicht auf einen Prototyp reduzieren läßt. Ich differenziere hier, vorläufig ausgehend vom Eintrag im LLCE, die folgenden lexical units: lodge,: Iodge2:
a smaller house near a country house, esp one at the entrance to the grounds. a country house used as a place from which to hunt or shoot animals.
Im Gegensatz zu lodge sind die beiden Nennungen von hut in der Tabelle nicht mit Indizes versehen. Diese Darstellung soll meine Auffassung widerspiegeln, daß hut nicht ein ambiges, sondern ein vages bzw. in der Terminologie von Cruse ein general lexeme ist (vgl. 3.2.1, vor allem auch 4.5.1, S.153). Die beiden Bedeutungsvarianten 'very basic kind of house used for dwelling' und 'small house used for overnight stays' lassen sich auch referentiell auf einen gemeinsamen Nenner bringen. Deshalb wird hut in der Gesamtdarstellung (vgl. S.142f) im zentralen und im peripheren Bereich auftreten.6 Im Zentrum des Feldes stehen fünf Lexeme, die alle das Merkmal [primary purpose: dwelling] maximal ausgeprägt haben. Zum zentralen Interessenbereich der Analyse zähle ich aber auch noch die anderen drei Lexeme, die in der Tabelle fett gedruckt sind, nämlich palace, hut und cabin. Für diese drei Typen von Häusern ist das fragliche Merkmal weniger stark ausgeprägt: Der primäre Zweck kann das Wohnen sein, dies muß aber nicht der Fall
diese Einteilung erst nach Beendigung der Feldanalyse festzulegen. Ich habe sie hier aus Gründen der Ökonomie vorweggenommen, denn auf diese Weise kann ich mich für eine Detailanalyse von Beginn an auf den zentralen Bereich des Felds konzentrieren. Vgl. Brown (1990: 43): "All manufactured things have in common the fact that they are made for some specific purpose or purposes." Ähnlich auch Wierzbicka 1985: 263ff, Cruse 1986: 140 und Keil 1987: 186. Vgl. auch 2.3.2. Zum Verhältnis von hut und cabin vgl. S.132ff.
126 Tabelle 4.2: Gegenstand der Feldanalyse Lexem
b) Primärer Zweck
castle
befestigte Schutzanlage; früher auch Wohnen
palace
Wohnen und Repräsentieren
a) Archisemem
mansion villa Iodge1
Wohnen (zentraler Bereich des Felds)
cottage bungalow hut hut
cabin
Wohnen oder zeitweiliges Wohnen
Gebäude, das zum Wohnen benutzt wird
Iodge2 chalet
zeitweiliges Wohnen; Übernachtung
shack shanty
Schutz
hovel
sein. So wird ein palace7 am oberen Ende der Tabelle auch für reine Repräsentationszwecke Hier und im folgenden Text gehe ich mit der Präzision meiner Formulierungen aus stilistischen Gründen relativ großzügig um. So müßte die Formulierung "ein palace [wird] zu Repräsentierzwecken genutzt" in korrekter Form lauten: "ein Objekt, das zur Kategorie palace gehört, ..." oder "ein Objekt, das von dem Lexem palace denotiert wird,...". Diese Art der Ausdrucksweise wäre auf die Dauer aber recht umständlich. Wichtig ist diese Bemerkung deshalb, weil ansonsten in den weiteren Ausführungen der Eindruck entstehen könnte, als ginge es mir nicht mehr um die Analyse von Lexemen, sondern um die Beschreibung von Objekten. Wenn ich also von den "Merkmalen" eines palace spreche, so sind die Merkmale des Lexems palace gemeint, das eine bestimmte Klasse von Objekten in der Wirklichkeit denotiert (vgl. dazu auch Leisi 2 1985: 39). Ein Präzedenzfall für eine ähnliche Konvention der Formulierung liegt bei Lyons (1977: 177) vor, wo "what does the expression 'x' refer to" als Kurzform verwendet wird für "what is the speaker
127
genutzt, hut und cabin in der Tabelle weiter unten können auch primär als reine Übernachtungsmöglichkeit dienen. Das Hauptinteresse meiner Studie wird sich auf diese acht Lexeme richten. In welcher Beziehung stehen nun die anderen Lexeme zu diesem zentralen Bereich des Felds? Castle stellt eindeutig einen Grenzfall für das Wortfeld der Häuserbezeichnungen dar, da das Kriterium 'Zweck' für Objekte, die in diese Kategorie fallen, kaum dominant ist. Es handelt sich vielmehr um Objekte von historischer Bedeutung, die in bezug auf ihre Funktionalität ähnlich "gegeben" wie Bäume oder Berge, also als funktionslose Einheiten, konzeptualisiert werden. Auch aufgrund der stark abweichenden Größe und der eigentümlichen Architektur der Kategorienmitglieder kann castle nur als höchst peripheres Mitglied unseres Zielwortfelds betrachtet werden. Castle nimmt eine Position im semantischen Raum ein, an der sich zwei Subfelder des Feldes 'building' überlappen, nämlich die Felder mit den Archilexemen 'house' und 'historical monument' (vgl. Abb 4.5, S. 143). Am unteren Ende der Tabelle 4.2 befinden sich Bezeichnungen für Arten von Häusern, die ebenfalls von den zentralen Mitgliedern des Wortfelds abweichen. Lodge2 und chalet dienen in erster Linie nicht dem Wohnen, sondern lediglich der Übernachtung bzw. einem zeitlich begrenzten Aufenthalt. Diese Lexeme stehen also in engem Zusammenhang mit hut und cabin. Noch weiter unten stehen Lexeme (shack, shanty, hovel), bei denen es - je nach Sprecher -fraglich ist, ob die Objekte, die mit diesen Lexemen denotiert werden, die Funktion des Wohnens überhaupt adäquat erfüllen. Durch die Verwendung eines dieser Lexeme wird also das zentrale Merkmal [used for dwelling], das unser Wortfeld definiert, thematisiert bzw. in Frage gestellt. Man kann als Hauptfunktion solcher Bauten eher [shelter] als [dwelling] annehmen. Es sei noch einmal darauf hingewiesen, daß dies nur eine erste Grobeinteilung ist, die sich im Laufe der Studie durch andere Kriterien aber noch bestätigen wird. Abschließend muß noch auf den Ausnahmestatus von bungalow, villa und chalet in bezug auf ihre etymologische Herkunft verwiesen werden. Alle drei Lexeme sind zwar aus anderen Sprachen entlehnt, aber in unterschiedlichem Ausmaß im Englischen lexikalisiert. Bei bungalow ist die Integration ins englische Lexikon so weit vorangeschritten, daß von den meisten jüngeren Sprechern die indische Herkunft von Lautform und Referent nicht mehr realisiert wird. Anders bei villa, das noch eng mit den Mittelmeerländern, v.a. Italien assoziiert wird. Davon abgeleitet existiert die Bezeichnung aber auch schon als Bezeichnung für Häuser in England (vgl. den Eintrag im OED, v.a. l.d). Chalet schließlich dürfte noch am wenigsten im Englischen lexikalisiert sein, was sich unter anderem auch an der engen Orientierung an der französischen Aussprache festmachen läßt (vgl. üpka 1991 Ms.). Lediglich der Hauptton ist von der zweiten auf die erste Silbe verschoben worden. Ähnlich wie villa wird auch dieses Lexem sowohl in einer ursprünglichen, eng mit der Schweiz verbundenen Denotation als auch in einer jüngeren britischen Variante verwendet (vgl. dazu unten S.lSOff).
referring to by means of *x' (in uttering such-and-such a sentence)".
128
4.4 Feldanalyse
Bevor ich mit der eigentlichen Feldanalyse beginne, möchte ich in weniger ausführlicher Form die Lexeme im peripheren Feldbereich, also castle, Iodge2, chalet, shack, shanty und hovel behandeln (vgl. 4.4.1). Im Anschluß daran werde ich mich noch gesondert mit den beiden Lexemen Iodge2 und cabin beschäftigen, die sich aus unterschiedlichen Gründen kaum bzw. nur mit unverhältnismäßigem Aurwand in die Feldanalyse integrieren lassen (vgl. 4.4.2).
4.4.1 Peripherer Feldbereich a) Castle Zur mangelnden Funktionalität von castle wurde weiter oben schon erschöpfend Stellung bezogen. Castle ist durch ein reichhaltiges Attributeninventar auf unterschiedlichen Dimensionen relativ klar spezifiziert: [old], [(former) residence of nobles], [strongly built for fortification}, {very large}, {surrounded by walls}, {battlements}, {turrets}, {moat}, {arrow slits}. Die wichtigsten Attribute aus dieser Liste sind sicher die beiden ersten; die weiteren variieren je nach Referenten. Die letzteren sind also keine distinktiven Merkmale, sondern optional. Dieser Status wird von Lipka (1979: 194f; 1985; 1990a: 114f) mit dem Begriff der inferential features erfaßt und in Nachfolge einer Konvention Lehrers (1974: 84) mit geschweiften Klammern gekennzeichnet. IPs [= inferential features] are not discrete, obligatory, and inherent but rather optional, supplementary, and dependent on linguistic and extralinguistic context, from which they may be inferred. (Lipka 1990a: 114)*
Die große Anzahl quasi-notwendiger und optionaler Attribute erleichtert die Suche nach einem prototypischen Beispiel, denn eine Art von Prototyp (vgl. "best example" in 2.2.4.1) ist ja gerade dadurch gekennzeichnet, daß ein prototypisches Kategorienmitglied alle relevanten Attribute aufweist. Da es sich in unserem Fall um Kategorien konkreter Objekte handelt, bin ich der Ansicht, daß ein reales Beispiel, das ein Maximum an relevanten Attributen hat, aus rein deskriptiver Sicht9 am besten dazu geeignet ist, einen Prototyp zu erfassen. Ein solcher Prototyp ist in Abbildung 4.1 wiedergegeben. Bei der wahrhaft redundanten Fülle von prototypischen Attributen ist es kaum verwunderlich, daß alle neun Informanten, denen dieses Bild vorgelegt wurde, spontan das gesuchte Lexem castle nannten.
Neben der Erfassung von Vagheit sowie regionaler und stilistischer Variation sind IFs weiterhin dafür konzipiert, alle mögliche Arten von Bedeutungswandel bzw. -Verschiebungen zu erklären (vgl. Lipka 1985, 1990a: 114; für eine Anwendung auch Markus 1989: 245ff), die aber nicht im Rahmen dieser (synchronen) Arbeit behandelt werden können. Die Betonung liegt hierbei auf der Einschränkung "aus deskriptiver Sicht". Der dargestellte Prototyp erhebt keineswegs Anspruch darauf, die Realität kognitiver Strukturen abzubilden (vgl. 2.2.4.1).
129
Abb. 4.1: Castle Interessant ist castle vor allem auch aus kontrastiver Sicht. Wir haben es hier mit einer englischen Kategorie zu tun, in der zwei deutsche Kategorien konvergieren, nämlich Burg und Schloß. Graphisch läßt sich dies wie in Abbildung 4.2 darstellen (vgl. Lipka 1990a: 50; Form der Darstellung leicht modifiziert): castle Schloß
Burg
Abb. 4.2 So wird beispielsweise Windsor Castle in deutschen Reiseführern als das Schloß von Windsor bezeichnet (z.B. bei Polyglott), Edinburgh Castle dagegen wird in der Regel mit die Burg von Edinburgh übersetzt.
b) Lodge2 Lodge2 wurde weiter oben gemäß dem LLCE definiert als ein Landhaus, das bei Jagdunternehmungen zum Aufenthalt und zur Übernachtung verwendet wird. In dieser Verwendung ist es den meisten meiner Informanten geläufig. Davon abgeleitet wird es vor allem von den australischen Informanten, aber auch von britischen, ganz allgemein als Haus verstanden, das bei allen möglichen Formen aktiver Freizeitbetätigung, sei es nun Jagen, Wandern oder vor allem Skifahren, eine Übernachtungsmöglichkeit bietet. Rein äußerlich werden solche Häuser eher klein, sehr rustikal, einfach, aber gemütlich und selbstverständlich in ländlicher Lage konzeptualisiert. Es besteht also eine enge Affinität zu hut und vor allem cabin (vgl. S.132).
130
c) Chalet Ähnlich wie lodge erhält auch das Lexem chalet im Eintrag im LLCE mehrere Bedeutungen, die eigentlich unterschiedlichen Zonen des Felds zugeordnet werden müßten: D4 nouns: smaller houses chalet 1 a usu wooden house with a steeply sloping roof, esp common in Switzerland 2 a small hut used by shepherds in the Alps during the summer. D6 nouns: modern kinds of houses chalet 1 a small house with a sloping roof 2 a hut in a holiday camp. Von meinen Informanten wurden bei der Beantwortung der Fragen lediglich die beiden lexical units unter D4 im LLCE ins Auge gefaßt. Häufig werden beide Varianten miteinander verknüpft, so daß die unter meinen Informanten vorherrschende Auffassung von chalet etwa wie folgt charakterisiert werden könnte: chalet
small house in alpine regions of Switzerland used for dwelling during winter esp. skiing holidays.
Die anderen lexical units im LLCE, die auch in ähnlicher Form in anderen Lexika gefunden werden können, sind zwar den meisten Informanten geläufig, sie treten aber erst nach expliziten Hinweisen auf diese Verwendung an die Oberfläche des Bewußtseins.
d) Shack, shanty, hovel Als häufigste Charakterisierung für diese drei Typen von "Gebäuden" - vorbehaltlos von Häusern zu sprechen, wäre wohl verfehlt - werden sowohl in Lexika als auch von den Informanten die Begriffe "roughly made" und "ramshackle", also 'morsch', 'baufällig', verwendet. Vergleiche beispielsweise die Einträge im COLLINS PLUS und im LLCE: COLLINS PLUS shack shanty10 hovel
10
I. a roughly built hut 1. a ramshackle hut, crude dwelling [...] 1. a ramshackle dwelling place. 2. an open shed for livestock, carts, etc. [...]
Von meinen australischen Informanten wird eine regionale Bedeutungsvariante von shanty beschrieben, die auch im OED und in anderen Wörterbüchern erwähnt wird: "Austral, and N.Z. A public-house, esp. unlicensed; » 'sly-grog shop'" (OED s.v. shanty 2.). Diese Verwendung dürfte als Metonymie von der ursprünglichen i/uz/iry-artigen Bauweise dieser Bars zu erklären sein.
131
LLCE shack shanty hovel
a hut, usu not carefully made a very roughly made hut, usu in a town deprec a small dirty house or hut
Aus diesen Definitionen gehen die wichtigsten Merkmale der drei Lexeme hervor: [not carefully made}, [roughly made], [small], [crude], [dirty]. Ein weiteres Kennzeichen ist das Material: Ziegel ist undenkbar; stattdessen kommen alle möglichen Arten provisorischer Materialien wie Holzplanken und Wellblech zum Einsatz. Wie unterscheiden sich nun die drei Lexeme untereinander? Alle drei scheinen ja KoHyponyme von hut zu sein. Erstens besteht eine Skala von shack über shanty bis hovel auf der Dimension "ramshackle". Nicht umsonst ist es hovel am unteren Ende der Skala, das ähnlich wie das deutsche Wort Loch auch übertragen, z.B. für Wohnungen, verwendet werden kann: "What a hovel he lives in!" (LLCE s.v. hovel). In dieser Richtung ist auch das Label deprec, also 'abwertend', im LLCE zu verstehen. Es ist anzunehmen, daß die im COLLINS PLUS unter 2. vermerkte Bedeutung der Ursprung für 1. ist. Die etymologische Wurzel von hovel ist laut OED nicht geklärt. Zweitens wird shanty und in geringerem Maße auch hovel eng mit slumartigen Ansiedlungen an Stadträndern verbunden. Dafür ist wohl in erster Linie das Wortbildungssyntagma shantyto\vn 'Slum' verantwortlich. Shack dagegen weist eher auf eine ländliche Umgebung hin; es liegt enger bei hut und cabin als die anderen beiden Lexeme. Zusammenfassend muß man festhalten, daß alle drei Lexeme, wie auch oben schon bemerkt, höchst fragliche Mitglieder des Wortfelds houses sind. Dafür sind neben der Bauweise vor allem gesellschaftliche Normen wie etwa Leisis (21985: 58f) "ästhetische" oder "Ordnungsnorm" verantwortlich, die das Archisemem \primary purpose: dwelling] in Frage stellt. Aus Sicht der Bewohner von shacks oder shanties besteht bezüglich dieses Merkmals sicher kein Zweifel: Sie haben in diesen "Häusern" ihr Zuhause, wohnen dort. Aus Sicht der Gesellschaft handelt es sich um "Hütten" oder "Baracken", in denen man vielleicht "hausen", "sein Dasein fristen" oder "überleben" aber nicht wohnen kann. Hier zeigt sich zum ersten Mal sehr deutlich ein evaluativer oder "axiologischer" Aspekt (Krzeszowski 1990), über den im folgenden noch mehr zu sagen sein wird (vgl. S. 159).
4.4.2 Lodgel und cabin a) Lodgel Die Aussagen meiner Informanten zu lodge variieren sehr stark. Dies ist zum einen auf die Ambiguität von lodge zurückzuführen (vgl. den Eintrag im LLCE weiter oben) und zum anderen auf die Tatsache, daß auch lodgel allein kaum festzulegen ist. Es ergeben sich von der
132 äußeren Form her keine nennenswerten gemeinsamen Merkmale, wenn man die verschiedenen Äußerungen der Informanten vergleicht. Grundsätzlich muß man feststellen, daß die Variante lodget im Vergleich zu Iodge2 wenig hervorstechend ist; bei einer Informantin ist überhaupt keine konkrete Vorstellung bezüglich der möglichen Referenten von lodge vorhanden. Detailliertes über lodgei war im Prinzip nur von den Experten zu erfahren. Das entscheidende Merkmal der Lexikoneinheit lodge^ ist nach deren übereinstimmender Ansicht SETTING11 [rural], das sich aller Vermutung nach vom historischen Ursprung der Referenten, nämlich von porter's lodge oder gamekeepers lodge herleitet. Ähnlich wie bei cottage wurden aber auch hier die positiven ländlichen Konnotationen ausgenutzt12, so daß heute lodge auch für Häuser in suburbanen und urbanen Lagen verwendet wird, soweit auch nur ansatzweise in der Bauweise und der näheren Umgebung ländliche Faktoren vorliegen. Man muß also die Frage zumindest erwägen, ob es sich eher um ein optionales Merkmal {rural} handelt. Lodgel ist also schwer zu fassen. Es ist fraglich, wie viel von der früheren Bedeutung noch übrig geblieben ist, die durch Lage [at the entrance to the grounds of a large country house or estate] und Funktion [dwelling place of porter or gamekeeper] der Referenten definiert war. Klar scheint lediglich zu sein, daß die beiden heute üblichen Bedeutungen lodget 'Haus mit ländlichem Charakter' und Iodge2 'Haus zur Übernachtung beim Freizeitsport' jeweils von einem der beiden Merkmale der ursprünglichen Bedeutung abgeleitet sind. Ich werde die Lexikoneinheit lodge^ aufgrund ihrer höchst vagen Bedeutung aus der Analyse des zentralen Feldbereichs ausklammern. Dieser Schritt erscheint mir auch deshalb gerechtfertigt, weil, wie oben bemerkt, die Bedeutung von lodge^ nur den Experten wirklich geläufig ist. Es ist also fraglich, ob es überhaupt noch zum "common core" des Lexikons zu rechnen ist oder schon dem Bereich "technical" angehört (Quirk et al. 1985: 16ff).
b) Cabin A permanent human habitation of rude construction. Applied esp. to the mud or turf-built hovels of slaves or impoverished peasantry, as distinguished from the more comfortable 'cottage' of working men, or from the 'hut' of the savage, or temporary 'hut' of travellers, explorers, etc. (OED, s.v. cabin 2.a)
Soweit der Eintrag zu cabin im OED, der meines Erachtens deutlich die sprachhistorische Tradition des OED offenbart. Trotz aller interessanten sozialhistorischen Informationen, die der Eintrag liefert, und der überzeugenden feldartig kontrastierenden Darstellung muß festge-
11
Zur Erinnerung: Ich werde zur besseren Übersichtlichkeit folgende typographische Konvention einsetzen: Dimensionen werden in GROSSBUCHSTABEN, Merkmale in eckigen KLammern [] und inferential features in geschweiften Klammern {} gedruckt Die von mir befragten Angehörigen einer Immobilienagentur machten keinen Hehl aus der Tatsache, daß positiv konnotierte Begriffe wie cottage und lodge ganz gezielt dazu eingesetzt werden, um Häuser an den Mann zu bringen (vgl. dazu auch S.160). Auch hier kommt also offensichtlich der axiologische Aspekt (vgl. S. 159) zum Tragen.
133
stellt werden, daß die hier vertretene Auffassung heute nicht mehr aktuell ist. Von meinen Informanten wird cabin deutlich von der Charakterisierung im OED abweichend verwendet. Von den denotativen Merkmalen her besteht nach der Beurteilung meiner Informanten kein Unterschied zwischen cabin und hut. Die beiden Häusertypen an sich sind also rein äußerlich nicht voneinander zu trennen. Wie sich bei der Vorlage der Zeichnungen ergab, scheinen aber Lage und Umgebung wichtige distinktive Merkmale zu sein.
Abb. 4.3: Cabin Abbildung 4.3 zeigt eine Zeichnung, die von einer Deutschen13 nach meinen Angaben bezüglich der Dimensionen und Merkmale von hut angefertigt wurde. Bei den englischen Informanten, denen diese Zeichnung mit der Frage "what would you call this?" vorgelegt wurde, war trotz des für hut typischen Aussehens ein Widerwillen zu bemerken, das Haus uneingeschränkt als hut zu benennen. Von etwa der Hälfte der Informanten wurde intuitiv cabin genannt, auch die andere bevorzugte nach meiner Nennung cabin anstelle von hui. Ausschlaggebend für diese Beurteilung war lediglich die Umgebung, und zwar das Aussehen der Bäume um die Hütte herum. Instinktiv hatte die (süd)deutsche Zeichnerin Nadelbäume als Hintergrund gewählt, die in England sehr selten sind. Diese Tatsache ermöglichte es, daß quasi zufällig der wichtigste Unterschied zwischen hut und cabin gefunden werden konnte: cabin wird eng mit Nordamerika und Kanada assoziiert, mit Nadelwäldern und "lumberjacks", typischerweise als log cabin. Hut hat eher Verbindungen zu den heimischen britischen Gefilden. Man kann also für cabin ein inferential feature SETTING [North America} postulieren. Zusätzlich zu dieser Einordnung und von ihr beeinflußt sind noch klare konnotative Unterschiede festzustellen. Cabin wird als wärmer, rustikaler, gemütlicher und romantischer aufgefaßt, hut eher als "basic" und "cold".
13
Ich möchte an dieser Stelle noch einmal Heike Kratzert herzlich danken, die nicht nur mit großer Kunstfertigkeit die Zeichnungen von Häusern erstellte, sondern auch in allen architektonischen De tail fragen eine unermeßliche Hilfe für mich war.
134
Ansonsten liegen hut und cabin semantisch eng beieinander. Beide können als Wohnhäuser von relativ armen Leuten und als Übernachtungsmöglichkeit in ländlicher, vor allem bergiger Umgebung aufgefaßt werden. Ich bin der Ansicht, daß ich deshalb zur besseren Übersichtlichkeit cabin bei der Feldanalyse beiseite lassen kann.
4.4.3 Dimensionen Ich kann mich jetzt dem zentralen Bereich meines Zielwortfelds widmen. Dabei werde ich die sechs relevanten Lexeme palace, mansion, villa, cottage, bungalow und hut in bezug auf sechs verschiedene Dimensionen einander gegenüberstellen. Wie auch von Lutzeier festgestellt wird, stellen solche Dimensionen ein wichtiges Hilfsmittel zu Erfassung der Struktur eines Wortfelds dar (1982: 14). Neben Lipka (1980: 109f; 1990a: 145, 152ff) und Kastovsky (1982: 81ff), die beide ebenfalls mit dem Begriff der "Dimension" operieren, setzt sich vor allem Schneider (1988) für dieses Konzept ein. Er argumentiert für eine reduzierte Verwendung von einfachen Merkmalen, da diese zu häufig durch das Binaritätsprinzip eine Begrenzung darstellen. Anstelle von "features" propagiert er "feature dimensions", die sich besser zur Erfassung von mehrwertigen Kriterien, Kontinua und Skalen eignen.
4.4.3.1 Größe (SIZE) Nach der Funktion ist die offensichtlichste Dimension, auf der Oppositionen innerhalb des Wortfelds existieren, die Größe der denotierten Objekte. Meine Einordnung der Lexeme auf dieser Dimension beruht auf den Angaben der Informanten in bezug auf eine pauschale Gesamtbeurteilung der Größe (vgl. Reihe l in Tab. 4.1, S.123) und auf die spezielleren Fragen la bis Id nach der Anzahl von Stockwerken, Bewohnern, Fenstern und Eingangstüren. Abstrahiert man von den Detailangaben, die ohnehin gut miteinander und mit dem Gesamturteil korrelieren, so ergibt sich im Überblick folgendes Gesamtbild:
palace
bungalow cottage
mansion villa
very large SIZE
large
medium
hut
1
1
small
very small
Es geht aus dem Diagramm deutlich hervor, daß sich grundsätzlich zwei Cluster large vs. small herausbilden. Eine Ausnahmestellung im Hinblick auf die Dimension SIZE nimmt die Kategorie bungalow ein, die durch das Merkmal [one storey] vergleichsweise eindeutig definiert ist. Dies ist eines der wenigen Attribute in unserem gesamten Feld, das den Status eines notwendigen Merkmals erreicht.
135
4.4.3.2 Lage (SETTING) Dritte bedeutsame Dimension ist die typische Lage der Kategorienmitglieder. Unser Kontinuum auf dieser Dimension erstreckt sich von rural über suburban bis urban/city. Dabei ist auch die Darstellung im eigentlichen Sinn als Kontinuum zu verstehen. Villa beispielsweise wird als Haus konzeptualisiert, das zwischen rural und suburban anzusiedeln ist, also entweder am Stadtrand oder in Stadtgebieten mit ländlichem Charakter zu suchen ist. palace mansion cottage hut
villa
bung alow
palace mans ion
1 rural SETTING
suburban
urban
Am deutlichsten sind die Aussagen für [rural] bei cottage und hut sowie für [suburban] bei bungalow. Bei palace und mansion variieren die Angaben. Übereinstimmend werden für palace Lagen auf dem Land und in der Stadt angenommen, was durch die Lage der berühmtesten Beispiele wie Buckingham Palace und Lambeth Palace einerseits und Blenheim Palace andererseits nicht verwunderlich ist. Bei mansion wird rural eindeutig der Vorrang gegeben. Nur von wenigen Sprechern wird auch eine Lage in der Stadt als Möglichkeit angegeben, die von den anderen ausgeschlossen wird. Diese Diskrepanz ist wahrscheinlich auf die Tatsache zurückzuführen, daß bei einigen Sprechern Assoziationen zur Verwendung im Plural, wie sie in London üblich ist, auftreten.14 Palace und mansion sind entsprechend auf der Dimension SETTING an zwei Stellen vermerkt.
4.4.3.3 Material (MATERIAL) Die Angaben meiner Informanten zum Material sind nur bei hut einheitlich. Bei palace und cottage ist eine klare Orientierung in Richtung stone zu erkennen, die aber keineswegs notwendigen Charakter hat. Für beide Typen von Häusern sind auch Ziegel als Material denkbar. Die Dimension MATERIAL ist vergleichsweise problematisch, zum einen, weil ein Haus häufig aus verschiedenen Materialien gebaut wird, und zum anderen, weil viele Häuser verputzt sind, was das eigentliche Baumaterial perzeptuell und kognitiv zu einer wenig bedeutsamen Dimension abwertet. Beispielsweise werden verschiedene Materialien an einem Haus, nämlich Ziegel und Holz, häufig für bungalow genannt. Bei villa und mansion wird 14
vgl. OED, s.v. mansion, 3.e: "Used in pi. as the designation of the large buildings divided into 'flats', which began to be erected in London about 1860."
136 zwar in der Regel von einem einheitlichen Baustoff ausgegangen; in beiden Fällen können sich die Informanten aber Naturstein und Ziegel gleichermaßen gut vorstellen. Bezüglich des Materials muß man also festhalten, daß diese Dimension wenig aussagekräftig ist. Lediglich im Fall von hut kann man davon sprechen, daß das Material ein hervorstechendes Merkmal mit distinktiver Funktion ist. MATERIAL ist also auch in die Gesamtdarstellung (vgl. S. 142) nur mit Vorbehalt zu integrieren. Auch die Verwendung der Merkmale als inferential features ist nur begrenzt einsetzbar, und zwar zur Beschreibung stereotypischer Varianten.15 Ist die Variabilität zu groß, wie bei villa und mansion, helfen auch inferential features nicht weiter. palace cottage mansion villa
bungalow mansion villa
-J I
bungalow hut
1 I
stone for MATERIAL
I
brick
U
wood
4.4.3.4 Architektur (CONSTRUCTION) Zwei miteinander korrelierende Dimensionen, die im Fragebogen (vgl. S.123) durch die Fragen nach der Bauweise im allgemeinen (Frage 5) und nach der "sophistication of construction" (Frage 5b) erfaßt wurden, lassen sich unter dem Oberbegriff 'Architektur' zusammenfassen. Ich nenne diese Dimension CONSTRUCTION. palace mansion
villa
complex CONSTRUCTION
cottage
medium
bungalow
simple
hut
very simple
Erneut ergibt sich ein klare Zweiteilung des Feldes mit palace, mansion und villa am oberen Ende der Komplexitätsskala und hut am unteren Ende. Cottage und bungalow sind ebenfalls mit einem niedrigen Komplexitätsgrad anzusetzen, wobei cottage etwas höher steht als bungalow. Diese Clusterbildung korreliert mit der auf der Dimension SIZE. Zur Frage 5c im Fragebogen nach der Art des Daches ist zu bemerken, daß auch diese Dimension als distinktives Merkmal unergiebig ist. Übereinstimmend werden für alle sechs zentralen Kategorien Satteldächer bezüglich der Form angegeben; nur bei palace werden auch Flachdächer für möglich erachtet. Was das Material des Daches betrifft, erlaubt wiederum das
Für meine Verwendung der Begriffe 'Stereotyp' und 'stereotypisch' vgl. 2.2.4.2.
137 hohe Ausmaß an Variabilität keine definitiven Aussagen. Die Informanten nennen zwar häufig typische Dachmaterialien wie "thatched roof für cottage oder "tile" für bungalow, weisen aber gleichzeitig darauf hin, daß dies nur typische oder Klischeefälle sind. Andere Materialien sind auch in diesen Fällen gleichermaßen möglich. Eng mit der Architektur sind auch die Frage nach dem Alter (Frage 8, S. 123) und nach der Dauerhaftigkeit (Frage 7) des Hauses verbunden. Indirekt liegt auch hier die Bauweise als Kriterium zugrunde, denn nur ein solide gebautes Haus kann alt sein und den Anschein erwecken, daß es noch einige Zeit überdauern könnte. palace mansion cottage villa
-I I
1
1
high DURABILITY
bungalow
1
I medium
1
hut
1 I low
Bei einem Vergleich mit dem Diagramm oben ist zu erkennen, daß sich die Vorstellungen der Informanten bezüglich der Dauerhaftigkeit weitgehend mit der Beurteilung der Bauweise decken. Lediglich cottage fällt aus dem Rahmen, da cottages typischerweise zwar einen einfachen Grundriß haben, aber auch massiv und dauerhaft gebaut sind. Auf dieser Dimension weicht cottage besonders deutlich von bungalow ab. Häuser, die mit diesem Begriff bezeichnet werden, zeichnen sich durch eine im Vergleich zu cottage eher leichte Bauweise aus.
4.4.3.5 Bewohner (INHABITANTS) Es kann nicht entgehen, daß sich der Charakter der Dimensionen, die ich hier postuliere, verändert. Es ist ein Übergang zu beobachten von Kriterien, die eng mit den jeweiligen Referenten der Lexeme zusammenhängen, zu solchen, die eher im (geistigen) Auge des Betrachters liegen. Wir haben es also mehr und mehr mit Aspekten zu tun, die traditionell zum Bereich der Konnotation16 gerechnet werden. Erstaunlicherweise sind es aber gerade die Fragen nach konnotativen Dimensionen wie "what kind of people do you think live in a cottage, mansion etc.?", die bei Interviews besonders bereitwillig und detailliert beantwortet werden. Auf diesen interessanten Aspekt werde ich weiter unten noch zurückkommen. Die Frage nach potentiellen Bewohnern und ihrem sozialen Status wird von Informanten in einer ähnlichen Form beantwortet, wie ich sie weiter oben in bezug auf das Material der
Vgl. Lipka (1990a: 63f) für einen kurzen informativen Überblick über den Begriff der Konnotation bei Kastovsky (1982: 37ff), Hansen et al. (M 985: 17ff) und Ullmann (1962: 74) und verwandte Begriffe bei Lyons (1977: 287) und Leech (21981: 12fl). Schon Erdmann (1925: 103ff) trennt bei jedem Wort den "begrifflichen Inhalt" einerseits vom "Nebensinn" und dem "Gefühlswert" andererseits. Im Zeitalter der kognitiven Semantik, wo Perception«! und assoziierte Emotionen ähnlich wichtig werden wie Intensionen, weicht diese Unterscheidung immer mehr auf (vgl. Langacker 1987a: 18; Krzeszowski 1990: 136, 148f; Tomaszczyk & Lewandowska-Tomaszczyk (1990: XX).
138
Dächer geschildert habe: Es bestehen sehr klare stereotypische Vorstellungen darüber, wer im Klischeefall etwa ein cottage (Rentnerehepaar) oder einen bungalow (Familie mit einem oder zwei Kindern) bewohnt. Alle Informanten sind sich aber gleichzeitig der Tatsache bewußt, daß dies jeweils nur stereotype Vorstellungen sind, die in der Realität einer beträchtlichen Variabilität unterworfen sind.
palace
mansion villa
cottage bungalow
1 royalty17 aristocracy uc18
umc
1 Imc
hut 1
we
Die Einordnung der Lexeme auf der Dimension SOCIAL CLASS OF INHABITANTS wird zusätzlich dadurch erschwert, daß eine große intersubjektive Variation vorliegt. Es ist offensichtlich, daß der persönliche Hintergrund des Informanten eine gewichtige Rolle beider Beurteilung der Frage nach den Bewohnern spielt. So klaffen beispielsweise die Einschätzungen für mansion deutlich auseinander. Einigkeit besteht zwar über den vermuteten Reichtum der Bewohner, dieser wird aber von manchen Informanten völlig neutral als "very rich people" beschrieben, von anderen dagegen deutlich abwertend als "nouveaux-riches" (vgl. 4.3.6 zur Einstellung des Sprechers). Alle Informanten haben keinen Zweifel daran, daß die Bewohner von palace und mansion über Hausangestellte oder Bedienstete verfügen, auch für villa wird diese Möglichkeit von den meisten eingeräumt (Frage 3b). Von der Beurteilung der Bewohner läßt sich eine deutliche Parallele zu den Vorstellungen der Informanten über die Atmosphäre (Frage 6a, S.123) und die Innenausstattung (Frage 6b) der jeweiligen Häuser ziehen. Palace und mansion sind zwar mit Visionen von großartigem Glanz und Luxus, von Ornamenten und Antiquitäten verknüpft, werden aber, was die Gesamtatmosphäre angeht, eher mit Kälte und Ungemütlichkeit verbunden. Auch villa ruft Vorstellungen einer luxuriösen Innenausstattung hervor, die sich aber in diesem Fall in einem "bewohnbaren" Rahmen hält und mit Geschmack assoziiert wird. Cottage ist der Inbegriff von Wärme und Gemütlichkeit, gepaart mit einem Anflug des Altmodischen und Überfüllten. Es herrschen Charakterisierungen vor wie "warm", "comfortable", "cosy", "small", "homely", "cluttered". Demgegenüber haften bungalow Assoziationen wie "cheap", "basic", "cool" und "foreign" an. Hut schließlich befindet sich auch auf diesen Dimensionen wieder am unteren Ende der Skala mit einem Gesamtcharakter, der im günstigsten Fall noch mit "rustic" bezeichnet wird, und einer äußerst kargen Innenausstattung.
17
Die Tatsache, daß auch Bischöfe in palaces wohnen oder besser residieren, ist den Informanten natürlich geläufig. Sie ist aber so wenig herausragend, daß sie nicht automatisch genannt, sondern erst auf Anfrage bestätigt wird.
18
Die Abkürzungen stehen für: uc= upper class; umc= upper middle class; lmc= lower middle class; wc= working class.
139
4.4.3.6 Einstellung des Sprechers (SPEAKER'S ATTITUDE) Mit der letzten Dimension SPEAKER'S ATTITUDE gelangen wir schließlich zum rein konnotativen oder emotiven Anteil der Wortbedeutung, bzw. ihrem axiologischen Aspekt (vgl. S.159). Die Frage 9 im Fragebogen auf S.123 wurde im Interview in folgender Form gestellt: "Would you like to live in a house like that?". Zweifellos besteht bei der Beantwortung dieser Frage ein enger Zusammenhang zu den im Fragebogen weiter oben geäußerten Vorstellungen in bezug auf Bewohner und Innenausstattung auf der einen Seite und bezüglich Frage 10 nach dem sozial historischen Hintergrund auf der anderen Seite. Vor allem die Antwort auf Frage 10 ist natürlich erheblich vom Bildungsgrad des Informanten beeinflußt. Es wird aber in jedem Fall deutlich, daß sozial historisches Hintergrundwissen und eigene Lebenserfahrungen, soweit vorhanden, in die persönliche Beurteilung von Häusertypen mit eingehen. Im Fall von mansion beispielsweise beeinflußt die Kenntnis der historischen Wurzeln solcher Häuser deutlich die Bewertung der Informanten. Interviewpartner, die wissen, daß mansions erst seit der industriellen Revolution gebaut werden und typischerweise die Häuser von neureichen Industriellen waren, die aus den verschmutzten Städten auf das Land auswichen, beurteilen sowohl die Bewohner als auch die Häuser selbst eher negativ. Diejenigen Informanten, denen dieser Zusammenhang nicht geläufig ist, haben insgesamt eine viel positivere Grundeinstellung zu mansion, die eher durch Gefühle wie Bewunderung oder sogar Neid gekennzeichnet ist. Die globale Tendenz - soweit eine solche überhaupt auszumachen ist (vgl. S.159) - sieht im Überblick folgendermaßen aus: Palace und mansion werden von den meisten Sprechern als zu groß, kalt und deshalb unwohnlich bezeichnet. Hui als Wohnstätte steht praktisch außer Diskussion. Bungalow wird aufgrund der eher biederen und kalten Konnotationen ebenfalls vorwiegend ablehnend beurteilt. Hoch im Kurs stehen prinzipiell nur cottage und villa, wobei aber unterschiedliche Qualitäten ausschlaggebend sind: Bei cottage basiert das positive Urteil vorwiegend auf den Attributen "cosy" und "homely", bei villa eher auf "elegant" and "tasteful". Man sieht also, daß auch der persönliche Hintergrund des Informanten bzw. des Sprechers eine bedeutende Rolle spielt. Fortschrittliche junge Menschen haben eine andere Einstellung zu Häusertypen wie cottage oder bungalow als etwa das stereotype Rentnerehepaar. Den Varianten sind hier kaum Grenzen gesetzt. Diese Tatsache darf auch nicht verwundern, da Konnotationen ja per definitionem (vgl. Leech 21981: 13) von Sprecher zu Sprecher verschieden sind. Nicht zuletzt deshalb wird in so manchem Standardwerk zur Semantik (z.B. Lyons 1977 und Leech 21981; vgl. dazu auch Krzeszowski 1990: 136 und Lipka 1990a: 46) der konnotative Bedeutungsanteil elegant beiseite gelassen. Dies halte ich aber gerade bei einem Wortfeld mit derartig hoher soziokultureller Bedeutung wie dem der Häuser für nicht tragbar. Die verschiedensten Äußerungen der Informanten neben den eigentlichen Fragen im Interview zeigen deutlich, daß der konnotative Bedeutungsanteil gerade in einem solchen Feld eine große Rolle spielt. Ich bin der Auffassung, daß die Möglichkeit der Integration der reichen Konnotationen in die Feldanalyse auch mit Hilfe von connotative oder inferential features zumindest begrenzt
140
ist. Gelingt der Versuch, was bei größerem Aurwand und Sachverstand sicher denkbar ist, so ist das Ergebnis meines Erachtens in jedem Fall mit mangelnder Ökonomie belastet. Wie ich selbst das Dilemma von erheblicher Variabilität im konnotativen Bereich einerseits und der Notwendigkeit der Standardisierung der Bedeutungsanalyse andererseits auf ökonomischere Weise lösen möchte, werde ich in Kapitel 4.5 zeigen.
4.4.4 Kotextanalyse Vor allem vor dem Hintergrund der ausführlichen Kotextanalysen, die ich den Kapiteln 5 und 6 präsentieren werde, ist es natürlich interessant zu überprüfen, inwiefern sich das Urteil der Informanten im lexikalisch-semantischen Kotext widerspiegelt. Wie in den beiden nächsten empirischen Kapiteln habe ich mich auch hier des Materials aus dem LOB-Korpus bedient. Trotz der teilweise äußerst geringen Vorkommenshäufigkeit der fraglichen Lexeme im LOB (vgl. die Zahlen unten) kann man feststellen, daß eine erstaunlich große Anzahl von lexikalischen Kotextsignalen vorliegt, die die Einschätzung der Informanten bestätigen. Diese lexikalischen Signale sind - völlig unabhängig von ihrem syntaktischen Status - in Relation zu den diskutierten Dimensionen und Merkmalen im folgenden aufgelistet (vgl. dazu auch die Abbildungen 4.4 und 4.5 , S.142f). Hinter den Lexemen ist jeweils die Vorkommenshäufigkeit im LOB angegeben. Dabei sind aber immer nur die Bedeutungsvarianten berücksichtigt, die zu unserem Wortfeld gehören; die Verwendungen von cabin in der Bedeutung 'Schiffskabine' beispielsweise gehen nicht in die Zahl ein. Bungalow (9):
Cabin (2): Castle (43): Cottage (45):
Hovel (2): Hut (24):
Lodge (13): Mansion (7): Palace (48):
SETTING [suburbian]: suburbia, suburbian SPEAKER'S ATTITUDE [cold], [uncomfortable]: bachelor's bungalow SETTING [rural]: barn medieval, king's, ivy grown, moated, courtyard SETTING [rural]: landscape, pond, stable, fields, rural experience, in the country, in the middle of Dartmoor, on the Cornish cliffs, the village blacksmith's cottage, villager, vines dirty, evil smelling, cannot bear to enter PRIMARY PURPOSE [overnight stay]: bivouac, scout's hut SETTING [rural]: village, field, boulders, mountain-side, grounds, shepherd's hut MATERIAL [wood]: built of pine logs or some such timber, cedar hut 'porter's lodge': gate (3mal), gates (2mal) SIZE [very large]: three-storeyed, vast INTERIOR [luxurious]: treasures INHABITANTS [royalty]: king's palace, queen, queen's palace INHABITANTS [bishop]: episcopal
141
Shack (6): Villa (11):
INTERIOR [sumptuous]: opulence, magnificent, grand SIZE [very large]: vast CONSTRUCTION [ramshackle]: roughly-built, a hole in the shack SETTING [Mediterranean]: Italian, Roman INHABITANTS [very rich]: millionaire
4.4.5 Gesamtdarstellung der Feldanalyse Wichtiger Teil jeder Feldanalyse ist eine zusammenfassende Gesamtdarstellung des Felds. Diese hat die Funktionen, einen globalen Überblick über das Feld zu ermöglichen und feldinterne Beziehungen so weit wie möglich aufzuzeigen. Jede Überblicksdarstellung involviert notwendigerweise einen Abstraktionsprozeß mit mehr oder weniger großen Vereinfachungen, da eine Erfassung aller Details das Ziel der Darstellung, nämlich den Überblick, verhindern würde. Die Gesamtschau kann also die detailliertere Beschreibung der Anordnung der Lexeme auf den Dimensionen nur ergänzen und zusammenfassen, keineswegs aber ersetzen. Entscheidend ist, daß alle relevanten, d.h. distinktiven Dimensionen bzw. Merkmale in den Überblick integriert sind. Nimmt man sich diese grundsätzlichen Überlegungen zur Gesamtdarstellung zu Herzen, so ergeben sich als Gesamtbilder des zentralen Bereichs und des peripheren Bereichs unseres Feldes die Baumdiagramme auf den Seiten 142 und 143. Dabei wird keinesfalls der Anspruch erhoben, die verwendete Form der Darstellung sei die einzig mögliche oder einzig richtige. Ich bin mir vielmehr völlig darüber im klaren, daß es sich, sowohl was die Analyse des Feldes als auch die Form der Darstellung betrifft, lediglich um eine Variante handelt, die mir aber am sinnvollsten erscheint. Vor allem bezüglich der Wahl der Art der Darstellung sind jeweils differenzierte Überlegungen nötig (vgl. Lehrer 1974: 18; Lipka 1980 und Schneider 1988: 34). Die Form des Baumdiagramms bietet sich im Falle des zentralen Feldbereichs vor allem deshalb an, weil durch die miteinander korrelierenden Dimensionen SIZE und CONSTRUCTION eine deutliche Zweiteilung des Feldes entsteht, die durch ein Baumdiagramm übersichtlich dargestellt werden kann. Andere Formen der Darstellung, wie etwa Matrix-, Kästchen- oder Kreisdiagramme (vgl. Lipka 1980: 108ff), sind meines Erachtens hier weniger gut geeignet. Die Darstellung des Feldzentrums basiert auf den sechs Dimensionen PRIMARY PURPOSE, SIZE, CONSTRUCTION, SETTING, MATERIAL und INHABITANTS, wobei im linken Flügel die Dimension MATERIAL ausgelassen wurde, da sie keine distinktive Funktion hat. Die an sich wichtige Dimension SPEAKER'S ATTITUDE ist nicht in das Diagramm integriert, da die Urteile der Informanten zu variabel sind, um den distinktiven Status dieser Dimension anerkennen zu können. Die Zusätze in geschweiften Klammern sindoptionale Merkmale, wie sie von Lehrer (1974: 84) und in der Folge auch von Lipka (1980: 104ff) verwendet werden.
142 'houses'
PRIMARY PURPOSE [dwelling]
PRIMARY PURPOSE [other] (vgl. Abb. 4.5)
SIZE / CONSTRUCTION [small] / [simple]
SIZE / CONSTRUCTION [large] / [complex]
SETTING [rural/suburban]
SETTING [rural] ([urban])
SETTING [rural atmosphere]
SETTING [suburban]
MATERIAL [brick/wood]
INHABITANTS [royalty]
palace
ADDITIONAL PURPOSE {official residence)
INHABITANTS [uc]
mansion
villa
SETTING [rural]
MATERIAL [stone]
INHABITANTS [me]
lodge.
INHABITANTS SETTING {nouveaux{mediterranean} riches} (expensive) (pleasant) (tasteful)
Abb. 4.4.: Darstellung des zentralen Feldbereichs
bungalow
(cool) (conventional)
cottage
{thatched roof) (cosy) (comfortable) (warm)
MATERIAL [wood]
INHABITANTS [we]
hut
1
ALTERNATIVE PURPOSE [overnight stay] (vgl. Abb. 4.5)
143
'houses'
'historical monuments'
PRIMARY PURPOSE [o; in former times: fortified dwelling]
PRIMARY PURPOSE [dwelling] (vgl. Abb. 4.4)
castle
PRIMARY PURPOSE [temporary dwelling]
PRIMARY PURPOSE [shelter]
SIZE/CONSTRUCTION [small] / [simple]
{very large) (surrounded by walls) (battlements) (turrets) (arrow slits) (moat)
SETTING [Switzerland)
MATERIAL [wood]
MATERIAL [anything available]
INHABITANTS [holidaymakers / sportsmen]
INHABITANTS [very poor]
SETTING [North America)
chalet
cabin
(rustic)
(romantic)
SIZE /CONSTRUCTION [small] / [makeshift/ ramshackle]
SETTING (Britain)
Abb. 4.5.: Darstellung des peripheren Feldbereichs
hut~ (rustic)
(vgl. Abb. 4.4)
shack
shanty
hovel
(slum)
(slum)
(derog.)
144 Bei der Darstellung des peripheren Bereichs ist die Überlappung zum Wortfeld historical monuments erkennbar. Es kommen dieselben Dimensionen wie beim zentralen Bereich zum Einsatz. Die im Vergleich zum Feldzentrum große Ähnlichkeit von chalet, cabin, Iodge2 und hut einerseits und shack, shanty und hovel andererseits spiegelt sich graphisch in der Tatsache wider, daß Gabelungen im Baumdiagramm erst auf einem niedrigen Niveau auftreten.
4.4.6 Evaluierung Mit erfolgter Analyse der Lexeme auf den einzelnen Dimensionen und mit der graphischen Gesamtdarstellung des Felds haben wir die wichtigsten Aufgaben einer Feldanalyse bewältigt. Ich möchte deshalb an dieser Stelle innehalten, um das Ergebnis meiner Analyse und die Gesamtdarstellung zu bewerten. Da jede Wortfeldanalyse als Ergebnis ein Modell der hypothetischen lexikalisch-semantischen Verhältnisse im jeweiligen Bereich des Lexikons auswirft, werde ich mich zur Beurteilung der folgenden Kriterien aus der Modelltheorie bedienen:19 (1) Adäquatheit, d.h. spiegelt die Analyse und Darstellung präzise die "echten" Verhältnisse im Wortfeld wider? (2) Vollständigkeit und (3) Einfachheit.
(1) Adäquatheit Meine Analyse hat ja zum Teil nur exemplarischen Charakter; deshalb darf das Ziel hier natürlich nicht darin bestehen, die Adäquatheit von Detailinformationen in Frage zu stellen. Vielmehr geht es mir darum, grundsätzlich festzustellen, ob unsere Wortfeldanalyse deskriptive Adäquatheit hat. Im einzelnen möchte ich dabei zu den Fragen der Präzision von Analyse und Darstellung des Wortfelds und der Ähnlichkeit unseres Modells zu den "realen" Bedingungen Stellung nehmen. Prinzipiell sind meines Erachtens der Präzision einer Wortfeldanalyse keine Grenzen gesetzt. Dimensionen und Merkmale der Lexeme können bei entsprechendem Aufwand sicher mit großer Genauigkeit aufgefunden und beschrieben werden. Hier ist also prinzipiell kein Problem vorhanden. Weniger leistungsfähig scheint mir die Wortfeldanalyse dagegen bei der Kehrseite der Medaille zu sein, bei der Darstellung der Variabilität (vgl. 3.2) im Feld. Meine Feldanalyse und insbesondere die Gesamtdarstellung suggerieren Präzision, wo in der Sprache keine vorhanden ist. Die Gesamtdarstellung erweckt den Eindruck deutlich voneinander getrennter, klassischer Kategorien. Immer wieder ergeben in krassem Gegensatz dazu die Beurteilungen meiner Informanten, daß eine stark ausgeprägte inter- und intraindividuelle Variation bezüglich ihrer Bedeutungsauffassung der Lexeme besteht. So entstehen auf den verschiedenen Dimensionen keine starren Trennlinien, sondern Kontinua und Skalen. Dieser Tatsache können wir bei der Behandlung der Einzeldimensionen teilweise noch Rechnung tragen, z.B. dadurch,
19
vgl. Gülich & Raible (1977: 16) und die Verweise dort auf Edmundson (1967).
145
daß ein Lexem an verschiedenen Stellen einer Dimension auftaucht (vgl. z.B. die Dimension MATERIAL S. 135). Im Baumdiagramm aber sind Kontinua und Mehrfachzuordnungen auch mit den Methoden der Kreuzklassifizierung (vgl. unten S.146) und der inferential features nicht zu erfassen.20 Die inferential features sind zweifellos ein wichtiges und leistungsfähiges Mittel, Vagheit durch die Darstellung von Konnotationen bzw. Inferenzen und Stereotypen festzustellen. Ausgeprägte inter- und intraindividuelle Variabilität können aber auch sie weder erfassen noch beschreiben. Die Feldanalyse ist also für unser Beispielfeld zu präzise; über die nicht abzustreitende Vagheit der Lexeme wird ein rigides Raster geworfen. Es zeigt sich also, daß die Feldanalyse eine unzulässige Homogenisierung und Idealisierung der semantischen Verhältnisse im Wortfeld vornimmt (vgl. Kastovsky 1982: 127; Schneider 1988: 37, v.a. Fn. 5). Neben der Vagheit bereitet auch die zweite Form der Variabilität (vgl. 3.2), die Ambiguität unserer Feldanalyse, massive Probleme. Sollen sie in die Dimensionsanalyse und in das Baumdiagramm integriert werden, so müssen ambige Lexeme wie lodge, chalet und in gewisser Weise hut in Lexikoneinheiten aufgespalten, mit Indizes versehen und an verschiedenen Stellen in das Feld eingegliedert werden. Dabei geht aber der enge Zusammenhang zwischen den verschiedenen Lexikoneinheiten eines Lexems verloren. Lodgel und Iodge2 treten im Baumdiagramm wie zwei verschiedene Lexeme auf, der enge semantische Bezug zwischen den beiden lexical units bleibt auf der Strecke. Dasselbe gilt für die Varianten von hut. Die Feststellungen in bezug auf die übertriebene Präzision der Feldanalyse bedeuten natürlich auch einen eklatanten Mangel auf der Seite der Ähnlichkeit des Modells. So spekulativ Vermutungen über die vermeintlich "echten" Verhältnisse im Wortfeld auch immer sein mögen, so kann nach meiner Erfahrung aus den Interviews doch kein Zweifel daran bestehen, daß die beschriebenen Formen der Variabilität Realität sind. Da die traditionelle Feldanalyse aber in diesem Bereich eindeutige Schwächen aufweist, muß ihr die Ähnlichkeit und damit die Adäquatheit von Analyse und Darstellung abgesprochen werden. Dies gilt in ganz besonderem Maß für den eminent wichtigen Bereich des konnotativen Bedeutungsanteils. Dieser Aspekt der Bedeutung ist in Form von Dimensionen nur sehr schwer zu erfassen, im Baumdiagramm sind bestenfalls Angaben in Form von optionalen Merkmalen denkbar, etwa unter Verwendung von inferential features. Doch auch diese Methode ist letztendlich nicht adäquat, da die entscheidenden interindividuellen Unterschiede nicht berücksichtigt werden können. Ich habe schon weiter oben betont, daß gerade bei einem für alle Menschen so wichtigen Bereich wie dem Wohnen der soziokulturelle Hintergrund in eine semantische Analyse des entsprechenden Wortfelds unter allen Umständen Eingang finden muß.
In einer Matrixdarstellung wäre dies zwar möglich (vgl. Lipka 1980: 109), diese hat aber auf der anderen Seite den Nachteil, eindeutig den Eindruck klassischer, rigider Kategorien zu erwecken, was meines Erachtens der größte Schwachpunkt von traditionellen Feldanalysen ist.
146 (2) Vollständigkeit Eine semantische Analyse, die über so schwerwiegende Probleme wie Vagheit, Ambiguität und Konnotation nur so wenig zu sagen hat, kann schwerlich als vollständig bewertet werden. Darüber hinaus sind dies nicht einmal die einzigen Aspekte, die bei einer Feldanalyse notgedrungen außer acht bleiben. Große Probleme bereitet auch die Frage der Überlappungen, die in der Wortfeldtheorie schon seit Triers (21973: 1) Mosaikmetapher diskutiert wird.21 Betrachtet man beispielsweise das Baumdiagramm des peripheren Feldbereichs (S. 143), so wird der enge semantische Zusammenhang zwischen shack, shanty und hovel durch die Darstellung noch gut sichtbar. Die Affinität dieser drei Lexeme zum Bereich der Lexeme mit dem Merkmal PRIMARY PURPOSE [temporary dwelling] (vgl. Abb. 4.5, S.143), die ja auch sehr groß ist, geht dagegen im Baumdiagramm völlig unter, da sich das Diagramm schon sehr weit oben aufspaltet. Das gleiche gilt im Diagramm des zentralen Bereichs für villa und cottage, deren Bedeutung sich durch die gemeinsamen Merkmale SETTING [rural] und SPEAKER'S ATTITUDE [positive] deutlich überlappt. Lodgel schließlich, das ja durch das quasi-definierende Merkmal SETTING [rural] auch zu diesem Bereich zu zählen ist, läßt sich wegen der beträchtlichen Vagheit nicht ohne Übervereinfachungen in das Diagramm eingliedern. Die jeweils vorliegenden Überlappungen werden also im Diagramm ignoriert. In bescheidenen Maßen läßt sich das Überlappungsproblem durch den Einsatz einer sogenannten Kreuzklassifizierung (vgl. Lipka 1990a: 69, 71, 133) in den Griff bekommen. Eine Kreuzklassifizierung ermöglicht eine Darstellung überlappender Kategorien in einem nicht strikt hierarchisch geordneten Feld. Ein Beispiel für eine Kreuzklassifizierung liegt im Baumdiagramm des zentralen Feldbereichs auf der Dimension SETTING vor. Hier treten nicht nur einander gegenseitig ausschließende Merkmale auf, sondern beispielsweise [rural] kommt an verschiedenen Stellen vor, und es sind auch Kombinationen wie [rural/suburban] zugelassen. Die Methode der Kreuzklassifizierung kann aber nur als höchst bescheidener Versuch gewertet werden, der gewaltigen Komplexität der Beziehungen in unserem Wortfeld gerecht zu werden. Sieht man einmal von dem Problem der Überlappungen ab, so muß auch darüber hinaus auffallen, daß die Möglichkeiten, feldinterne Beziehungen darzustellen, stark eingeschränkt sind. Greifen wir als Beispiel noch einmal das Lexem hut heraus. Hut ist, wie oben bemerkt, einerseits auf den Skalen von SIZE und CONSTRUCTION sehr eng mit der Gruppe shack-shanty-hovel verbunden. Nicht umsonst taucht in den meisten Wörterbuchdefinitionen dieser drei Lexeme das Wort hut auf (vgl. oben S.130f die Einträge von LLCE und COLLINS PLUS). Man könnte also an eine Beziehung der Hyponymie oder gar Synonymic denken. Auf der anderen Seite muß hut im Hinblick auf das Merkmal PURPOSE [overnight stay] in Zusammenhang zu Iodge2, chalet und natürlich cabin gebracht werden. Abgesehen von den
21
Selbstverständlich ist hier nicht der einzige Ort, wo diese Problematik erkannt und nach Auswegen gesucht wird. Auf der Seite der Darstellung von Überlappungen ist hier Lipkas (1980:108ff) Diskussion von Kreisund Kästchendiagrammen zu nennen. Überlegungen, die auch die wichtigere heuristische Seite des Problems der Überlappungen betreffen, werden von Lutzeier (1982), Schneider (1988) und Lehrer (1990b: 375ff) angestellt
147
regionalen Unterschieden haben wir ja hut und cabin als Synonyme betrachtet. Zum dritten gehört hut zusammen mit villa, cottage und lodgel zu den Häusertypen, die man in erster Linie in ländlicher Umgebung erwarten würde. Die Komplexität des semantischen Netzwerks, in das hut ganz offensichtlich eingebettet ist, geht jedoch nur zu einem geringen Maß aus den Diagrammen hervor. Es sollte aber meines Erachtens gerade das Anliegen einer Feldanalyse sein, Bedeutungsbeziehungen aller Art (vgl. Lyons 1977: 270ff; Gruse 1986; Lipka 1990a: 152ff) herauszuarbeiten und darzustellen.
(3) Einfachheit Zweifellos sind Übersichtlichkeit und Einfachheit eindeutige Pluspunkte der feldartigen Darstellung. Vor allem die zusammenfassende Gesamtdarstellung ermöglicht einen kurzen informativen Überblick über den gesamten Zielbereich des Lexikons, da auf diese Weise die Redundanz von Merkmalen optimal ausgenutzt wird. Prinzipiell ist also meines Erachtens der feldtheoretische Ansatz ausgehend vom Kriterium der Einfachheit zu befürworten. Dies gilt vor allem für Felder, die auf Grund nur mäßiger soziokultureller Bedeutung einen geringen konnotativen und axiologischen Bedeutungsanteil haben, wie etwa das von Nida (1975: 47ff) analysierten Feld der "rigid fasteners". Mit einem derartigen Feld haben wir es aber, wie mehrmals bemerkt, hier nicht zu tun. In der Zusammenschau lassen sich die Schwächen der erarbeiteten Wort feldanal yse traditionellen Stils auf folgende Mängel zurückführen:
• -
die Unfähigkeit, den sprachlichen Phänomenen der Vagheit und Ambiguität in adäquater Weise Rechnung zu tragen. die Unrahigkeit, Überlappungen zwischen den Kategorien und andere feldinteme semantische Beziehungen in ihrer ganzen Komplexität abzubilden. die Unfähigkeit, den massiven konnotativen Bedeutungsanteil adäquat zu beschreiben und den wichtigen soziokulturellen Hintergrund in die Beschreibung zu integrieren.
In dem nun folgenden Abschnitt werde ich versuchen, ein komplementäres deskriptives Modell anzubieten, das in der Lage ist, diese Probleme in überzeugenderer Form anzupacken. Zwei Dinge sollen dabei schon vorweg geklärt werden. Zum einen ist auch das verbesserte Modell nur eines von vielen möglichen22 und selbstverständlich optimierbar. Es entspricht aber dem in den Kapiteln 2 und 3 dieser Arbeit aufgezeigten momentanen Stand der Forschung in der kognitiven Semantik. Zum zweiten darf das Modell auch wirklich nur als verbessertes Modell aufgefaßt werden, d.h. es baut (ähnlich wie Lutzeier 1982 und Lehrer 1990b) auf traditionelle Wortfeldmodelle (vgl. Geckeier 1971, Lehrer 1974, Lipka 1980) auf
Vgl. Lutzeier (1982) für eine andere Möglichkeit mit Hilfe des Stereotypenkonzepts, die von ähnlichen Kritikpunkten und Prämissen ausgeht, sowie Lehrer (1990b) als Beispiel für einen weiteren Versuch der Kombination von Wortfeld- und Prototypenbegriff.
148
und entwickelt diese weiter. Ich habe ja schon in Kapitel 2 unterstrichen, daß ich der Ansicht bin, daß erprobte strukturalistische Methoden und neuere Theorien und Erkenntnisse aus der kognitiven Semantik sich gegenseitig mit synergetischem Effekt ergänzen können (vgl. auch Lipka 1989b: 259). Wie dies im Einzelfall aussehen kann, wird das nächste Kapitel exemplarisch aufzeigen.
4.5 Cottage and Co. und kognitive Semantik
4.5.1 Prototypische Kategorien Der erste Schritt zur Modifizierung der Wortfeldanalyse traditionellen Stils besteht darin anzuerkennen, daß es sich bei den Häusertypen um prototypisch strukturierte Kategorien handelt (vgl. 2.2). Es lassen sich für die jeweiligen Lexeme prototypische Referenten finden, die eine große Anzahl der distinktiven und optionalen Attribute der Kategorie aufweisen. Ein Beispiel für einen solchen konkreten Prototypen, und zwar einen für das Lexem castle, haben wir bereits auf S.129 kennengelernt. Neben diesen prototypischen Vertretern existieren aber auch noch periphere Kategorienmitglieder, die auf einer oder mehreren Dimensionen von den Prototypen abweichen. So zeichnet sich beispielsweise ein prototypisches cottage durch ein thatched roof aus; ein cottage mit Ziegeldach ist immer noch ein cottage, aber eben kein so (proto)typisches mehr. Ein starkes Indiz dafür, daß die Kategorien von Häusern eine prototypische Struktur haben, ist der häufigsten Antwortstrategie der Informanten zu entnehmen. Im Regelfall beschreiben die Versuchspersonen zuerst ihre persönliche prototypische Auffassung oder die stereotype, also klischeeartige (vgl. 2.2.4.2) Vorstellung von einer bestimmten Häuserkategorie. Bei längerem Nachdenken oder ausgelöst durch Rückfragen werden diese Aussagen dann meist deutlich relativiert durch hedges wie "typically", "mostly", "usually" oder durch explizite Einschränkungen wie "but it needn't ... [e.g. have a thatched roof]". Dies ist auch der häufigste Kommentar, der von den drei Informanten in der Interviewphase (2b) (vgl. 4.2.) abgegeben wurde. Diesen Informanten wurden ausführliche schriftliche Charakterisierungen der Häusertypen mit der Bitte vorgelegt, ihre Meinung dazu zu äußern. Ein weiteres Anzeichen für die zumindest nicht klassische Struktur der Kategorien ist die überaus häufige Verwendung von labels wie usually und especially in den einschlägigen Wörterbucheinträgen. Diese labels spiegeln deutlich den variablen Charakter der Kategorien wider, der eine eindeutige Definition deutlich erschwert oder unmöglich macht. In Kapitel 2.2.4.1 im theoretischen Teil habe ich mit Nachdruck gefordert, daß bei jeder Analyse die Natur eines postulierten Prototypen zu spezifizieren sei. Im Zusammenhang mit der Abbildung von castle habe ich auch schon kurz zu diesem Problem Stellung genommen. Prototypen von Kategorien konkreter Objekte sind meines Erachtens am besten durch bildliche Darstellungen konkreter Beispiele zu erfassen (vgl. 2.2.4.1, sowie Lipka 1989b: 256ff).
149
Besonders bei Kategorien, deren Mitglieder vergleichsweise komplex sind, ist diese Methode sehr ökonomisch, da sich eine Vielzahl von Dimensionen einfach in ein Bild integrieren läßt. Die bildliche Darstellung wird darüber hinaus der holistischen Sicht gerecht, die sicherlich für Objekte dieser Art vorherrscht, und sie entspricht der ursprünglichsten Form des Kategorienerwerbs, der Zeigdefinition. Nicht umsonst kommen in modernen Wörterbüchern (z.B. OALD, LDCE) bildliche Unterstützungen der Definitionen verstärkt zum Einsatz. Es muß aber noch einmal betont werden, daß die Darstellungen nicht Abbilder real existierender kognitiver Strukturen sein sollen, sondern lediglich deskriptive Hilfsmittel sind. Nun zu den einzelnen Prototypen:
a) Bungalow
rm ~i n~n bungalow
Abb. 4.6: Bungalow nach LDCE Bungalow
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12
Abb. 4.7: Bungalow nach OALD
cowl aerial conservatory French window parasol clothesline crazy paving deck chair vegetable garden garden shed backdoor tiles
150 Unterschiedliche Arten von Prototypen haben die Darstellungen von bungalow im Eintrag für house im LDCE (Abb. 4.6) und im Appendix l des OALD (Abb. 4.7) zur Grundlage. Vergleicht man die beiden Bilder, so wird deutlich, daß unterschiedliche Auffassungen von Prototypen zugrunde liegen: Bei der Darstellung im LDCE handelt es sich im Gegensatz zur Abbildung in der ersten Auflage (vgl. LDCE l, s.v. house) um einen stilisierten Prototypen, bei dem von optionalen Attributen abstrahiert und lediglich Wert auf das definierende Merkmal [one-storeyed] gelegt wird. Das Bild im OALD (und im LDCE 1) dagegen integriert auch nicht-notwendige Attribute, das Haus wird in einen typischen Rahmen bzw. situativen Kontext eingepaßt. (Natürlich ist diese Vorgehensweise auch rein praktisch darauf zurückzuführen, daß eine ganze Reihe anderer Begriffe wie cowl, aerial usw. ebenfalls veranschaulicht werden sollen.)
b) Cottage Auch der Eintrag cottage im LDCE wird durch eine Abbildung einer "typical English cottage" unterstützt (vgl. Abb. 4.8). cottage
a typical English cottage
Abb. 4.8: Cottage im LDCE Diese Abbildung weist deutlich die wichtigen Merkmale von cottage auf: [small], [rural], [old], {thatched roof}. Ferner evoziert das Bild, ohne daß diese im Bild explizit festzumachen wären, axiologische Attribute wie {inviting} oder {looks cosy and warm}. Die Tatsache, daß ein stilisierter Prototyp, wie ihn dasselbe Lexikon (LDCE) für das Lexem bungalow anbietet, für cottage kaum vorstellbar wäre, zeigt, daß cottage ein durch Assoziationen und Konnotationen viel reicheres Lexem ist. Zur weiteren Bestätigung der wichtigsten Attribute von cottage habe ich meinen Informanten drei zusätzliche Zeichnungen von Häusern vorgelegt, die in einschlägigen Architekturbänden als cottage bezeichnet werden. Die Informanten sahen die Abbildungen jeweils nur einzeln und nacheinander; zusätzlich waren zwischen diesen drei Bildern andere Häusertypen eingeschoben. Obwohl oder gerade weil sich alle drei Bilder als nicht maximal prototypisch entpuppten, waren die Kommentare der Informanten sehr aufschlußreich.
151
Abb. 4.9 Abbildung 4.9 diente als Kontrollbild bezüglich der Dimensionen SIZE und CONSTRUCTION. Die mit Abstand am häutigsten genannte Bezeichnung war house oder country house.23 Die Frage, ob als Bezeichnung auch cottage denkbar wäre, beantwortete nur eine Informantin positiv. Die anderen Informanten schlössen cottage mit der Begründung aus, daß das dargestellte Haus zu groß, vor allem auch zu hoch sei, zu viele Anbauten habe, nicht genügend Gemütlichkeit ausstrahle und so aussehe, als gehöre es wohlhabenden Leuten. Abbildung 4.10 wurde von allen 10 Informanten ohne große Überlegung als cottage bezeichnet. Es handelt sich also um ein hochgradig prototypisches Mitglied der Kategorie cottage. Das Maximum an Prototypikalität erreicht die Darstellung nur deshalb nicht, weil das Haus kein Strohdach hat. Die Tatsache, daß Abb. 4.10 trotzdem so einhellig und bereitwillig mit cottage verknüpft wird, zeigt, daß {thatched roof] lediglich ein optionales Merkmal ist.
Abb. 4.10
23
Diese häufige Antwort zeigt deutlich, daß Lyons' Ansicht (1977: 544), das Kompositum country house sei in einer von 'house in the country' abweichenden Bedeutung lexikalisiert, nämlich als 'house in the country belonging to (or having once belonged to) an aristocratic family', keineswegs für den Durch-schnittssprecher des Englischen zutrifft. Sie scheint vielmehr auf der - in diesem Fall - übersensiblen Intuition des "native linguist" zu beruhen. Hier zeigt sich der Vorteil des "non-native linguist", der völlig unvoreingenommen die Äußerungen von Informanten aufnehmen und damit reale Sprache beobachten kann.
152
Abb. 4.11 Wie hervorstechend ("salient") dieses optionale Merkmal allerdings wirken kann, zeigt das Gegenstück zu 4.10, Abb. 4.11. Hier kommt die Nennung von cottage bei den Informanten viel zurückhaltender als bei 4.10, vermutlich wegen des etwas kühlen, bungalowähnlichen Gesamteindrucks. Erst beeinflußt durch die Art des Dachbelags entschließen sich die meisten Informanten dann doch fur cottage. Von zwei Informantinnen wurde dieses Kriterium sogar explizit genannt: "if this is a thatched roof then it must be a cottage". Es wird also deutlich, daß auch optionale Attribute entscheidend an der Zuordnung eines Objekts zu einer bestimmten Kategorie beteiligt sein können. Dabei spielen natürlich auch Stereotypen, wie in 2.2.4.2 aufgefaßt, ein wichtige Rolle. c) Mansion Für das Zielwort mansion wurden den Informanten zwei Abbildungen (vgl. Abb. 12 und 13) vorgelegt, wieder unterbrochen durch andere Bilder, um einen direkten Vergleich zumindest anfangs zu unterbinden. Von der Gesamterscheinung her ähneln sich die beiden Häuser sehr. Beide wurden entweder automatisch oder nach meiner Nennung von fast allen Informanten als Mitglieder der Kategorie mansion akzeptiert, so daß man davon ausgehen kann, daß der Häusertyp mansion im Prinzip getroffen ist. Der entscheidende Unterschied liegt in der Größe der beiden Gebäude: Abb. 4.12 wird als a small mansion und als rather too big for a villa bezeichnet, etwa die Hälfte der Informanten würde country house bevorzugen. Abb. 4.13 wird wahrscheinlich auch wegen der Anbauten und Nebengebäude mit viel größerer Bereitschaft mansion genannt. Von mehreren Sprechern wird auch palace ins Spiel gebracht, allerdings unter dem Vorbehalt des Merkmals [royalty]. Die beiden Bilder bestätigen also das Kontinuum von villa über mansion zu palace auf der Dimension SIZE und die imposante äußere Gesamterscheinung von
153
mansions, die häufig ihren Niederschlag in der Kombination palladian mansion findet. Aufgrund ihrer Säulen, Gesimse und Bögen lassen sich beide abgebildeten Häuser auch dieser Subkategorie zuordnen.
it
Abb. 4.12
Abb. 4.13 Wie ist die Frage nach den Prototypen nun für die polysemen Lexeme lodge, chalet und hut zu beantworten? Kann das Prototypenkonzept auch bei der Lösung des Problems der Polysemie helfen? Ich habe bei der Feldanalyse argumentiert, daß hut als Fall von Vagheit gewertet werden muß, während lodge und chalet Beispiele von Ambiguität sind, da für die verschiedenen Bedeutungsvarianten von hut ein gemeinsamer Prototyp zu finden ist, für die von lodge und chalet jedoch nicht (vgl. S.125). Dies war natürlich, wenn man an sich an die Diskussion in 3.2 erinnert, eine grobe Vereinfachung. Dort habe ich für eine Aufgabe der Dichotomie Ambiguität - Vagheit zugunsten eines Kontinuums zwischen den beiden Polen plädiert. Als deskriptives Hilfsmittel wurden in 4.2.3 aufbauend auf Langacker graphische Darstellungen
154 von Schemata und Prototypen von Kategorien verwendet. Unterschiedliche Positionen auf dem Kontinuum zwischen Ambiguität und Vagheit wurden dabei durch eine dreistufige Hervorhebung von Schema oder Prototyp gekennzeichnet. Für die drei Kategorien von Häusern ergeben sich bei Anwendung dieser Methode die Abbildungen 4.14 bis 4.16. Die dicke Umrandung von hut^ im Gegensatz zu lodgel sowie chaletl zeigt, daß hut eher zum Pol Vagheit, lodge und chalet eher zur Ambiguität tendieren. Bei hui ist das Schema am markantesten, bei lodge ist es eine spezifizierte Variante, bei chalet gehe ich davon aus, daß die ursprüngliche Variante mit Bezug zur Schweiz noch die dominante ist. Indiz dafür ist die noch vorherrschende französische Aussprache des Worts. Zum Hintergrund der Darstellung der Kategorie lodge sei auf die Diskussion auf S. 132 verwiesen.
hut j small, basic house usu. made of wood
'
hut
hut 3 used as a place for overnight stays
used for permanent dwelling
Abb. 4.14: Hut
lodge j type of house
lodge 2 house in the country used for overnight stays, esp. on holiday
Abb. 4.15: Lodge
lodge 3 type of house with a rural atmosphere
lodge 4 dwelling place of porter at the entrance to a large estate or dwelling place of game keeper
155
chalet l type of house
chalet 2 rustic type of house in the Swiss Alps
chalet 3 place for overnight stays in alpine regions
Abb. 4.16: Chalet Es hat sich also gezeigt, daß eine prototypische Sichtweise der Kategorien, ergänzt durch das Netzwerkmodell von Langacker (vgl. 2.4.3 und 3.2), eine differenziertere Erfassung der drei polysemen Lexeme ermöglicht. Die gezeigte Form der Analyse und Darstellung hat darüberhinaus gegenüber traditionellen Feldanalysen den Vorteil, daß die internen Bedeutungsbeziehungen zwischen den Subkategorien deutlich werden.
4.5.2 Kategorienstrukturen Nun darf bei allem Enthusiasmus für die Verbesserungen an unserem Modell ein Aspekt nicht vergessen werden: Mit der Anerkennung der prototypischen Struktur der Kategorien und der Darstellung hypothetischer Prototypen ist prinzipiell noch nicht viel Fortschritt im Vergleich zur obigen Analyse gemacht worden. Die Einführung des Prototypenbegriffs ermöglicht es uns nur, Vagheit, Ambiguität und konnotativen Bedeutungsanteil nicht mehr als unerklärliche Probleme zu fürchten, sondern als inhärente Bestandteile der Sprache zu akzeptieren und zu integrieren. Das ist aber nur der erste Schritt. Beendeten wir die Analyse hier, so würden wir wahrhaftig den Prototypenbegriff zur "intellectual laziness and sloppiness" (Wierzbicka 1990a: 365) mißbrauchen. Bis hierher haben wir nur Prototypen charakterisiert. Deren Beschreibung ist rein theoretisch auch mit Hilfe von inferential features zu bewerkstelligen. Prototypen machen aber nur einen geringen Teil der Gesamtkategorien aus. Jetzt gilt es, die Kategorienperipherien, d.h. die Abweichungen von den Prototypen, zu erfassen und dadurch die Kategorienstrukturen völlig offenzulegen (vgl. 2.4). "What a cognitivist likes to know is not just what constitutes the centre of a category, but how this centre can be extended towards peripheral cases, and how far such an extension can go." (Geeraerts 1988c: 452). Einen ersten Schritt in diese Richtung haben wir mit der Darstellung der komplexen Kategorien hut, lodge und chalet schon getan. Die weitere Erfassung der Kategorienstrukturen wird uns gleichzeitig die Möglichkeit geben, den konnotativen Bedeutungsanteil und den soziokulturellen Hintergrund in unsere Beschreibung zu integrieren. In diesen beiden Aspekten
156
- der Erfassung der gesamten Kategorienstruktur und der massiven Berücksichtigung des konnotativen Bedeutungsanteils - ist der Vorteil eines kognitiven Ansatzes gegenüber einem reinen Feld- oder Merkmalsansatz, wenngleich unterstützt durch inferential features, zu suchen. Die Ausgangsfrage muß also lauten: In welcher Hinsicht weichen periphere Verwendungen der fraglichen Lexeme von den jeweils prototypischen ab? Sicherlich müssen trotz der beträchtlichen Variabilität, die bei den Interviews beobachtet wurde, den Abweichungen Grenzen gesetzt sein, weil ansonsten das Kategoriensystem zusammenbrechen würde bzw. die paradigmatischen Unterscheidungen im Wortfeld sich auflösen würden. Die Zuordnung von Objekten zu Kategorien ist ja trotz aller Variabilität keineswegs beliebig. Sieht man von der Ambiguität als Quelle der Variabilität einmal ab - wie der Prototypenansatz hier funktioniert habe ich schon gezeigt -, so läßt sich die Problematik von Vagheit und Konnotation auf drei Faktoren zurückführen: die Eigenschaften des Referenten in der Wirklichkeit (4.5.2.1), den soziokulturellen Kontext (4.5.2.2) und den situativen Kontext sowie Sprecher und Hörer als Faktoren der Kommunikationssituation (4.5.2.3).
4.5.2.1 Eigenschaften des außersprachlichen Referenten Die offensichtlichste Ursache für Abweichungen von Installierungen vom Prototypen liegt in der Tatsache, daß Objekte in der Wirklichkeit nicht in vorgefertigten Kategorien auftreten, sondern als Individuen. Als solche tauchen sie in den unterschiedlichsten Formen und Ausprägungen auf, und erst die Sprache oder eine Sprachgemeinschaft bzw. die Verstandesbegriffe - je nachdem, ob man nominalistisch oder konzeptualistisch argumentieren will teilt sie in Kategorien ein. Wir haben es also mit einem klaren Fall von referentieller Vagheit zu tun, der völlig sprecherunabhängig zu einer Randbereichsunschärfe der jeweiligen Lexeme führt (vgl. 3.2.1). Der ganze Bereich inter- und intraindividueller Variabilität und unterschiedlicher Konnotationen kann also hier vorerst ausgeklammert werden. Die referentielle Vagheit als Problem der außersprachlichen Realität abzutun und somit aus den semantischen Überlegungen auszuklammern, wie dies Coseriu und Geckeier (vgl. Geckeier 1971: 179ff; 1988: 13f; Coseriu & Geckeier 1981: 54f) tun, ist meines Erachtens eine grobe Vereinfachung und Verfälschung des Untersuchungsgegenstandes. Stattdessen muß versucht werden, Ausprägungen und Erscheinungsformen der Vagheit zu beschreiben. Prinzipiell können wir davon ausgehen, daß die Vagheit nicht grenzenlos ist. Rein quantitativ duldet der sprachliche Kommunikationsprozeß nur ein gewisses Maß an Abweichungen vom Prototypen auf verschiedenen Dimensionen. Dieses Maß ist meines Erachtens, und hier liegt das Problem, pauschal nicht zu erfassen. Wie lange zum Beispiel ein cottage bei zunehmender Größe noch als cottage bezeichnet werden darf, ist also losgelöst von anderen Dimensionen nicht festzulegen. Bei einer kombinierten Sichtweise mehrerer Dimensionen dagegen sind eher Aussagen über die Grenzen der Vagheit möglich. Es ist keineswegs der Fall, daß beliebige Kombinationen von Merkmalen auftreten, wie es eine Merkmalssemantik im strengen Sinn von
157
klassischen Kategorien erwarten würde. Vielmehr treten, ähnlich, wie dies Rösch (1977: 28ff) für Lebewesen wie Vögel und Fische bemerkt hat (vgl. 2.2.2.1 zur Nicht-Arbitrarität von Attributen in der Welt), Merkmalsbündelungen und -korrelationen auf.24 Die enge Korrelation der Dimensionen SIZE und CONSTRUCTION hatten wir ja schon bei der Feldanalyse festgestellt und bei der Darstellung zur Vereinfachung ausgenützt: Kleine Häuser sind in der Regel auch einfach gebaut, große Häuser zeichnen sich durch komplexere Grundrisse und Konstruktionen aus. So viel ließ sich ohne Rekurrenz auf außersprachliches, kulturelles Wissen erkennen. Setzen wir außersprachliches Hintergrundwissen ein, so können wir die Aussagen über die Grenzen der Vagheit weiter präzisieren und die Ökonomie der Darstellung erhöhen: Weitere Korrelationen bestehen nämlich zwischen den Dimensionen SIZE/ CONSTRUCTION und MATERIAL, zwischen SETTING und MATERIAL, zwischen SETTING und CONSTRUCTION sowie zwischen PRIMARY PURPOSE und verschiedenen anderen Dimensionen. Große Häuser müssen aus statischen Gründen aus belastbaren, dauerhaften Baustoffen wie Ziegel oder Naturstein gebaut werden. Je kleiner die Häuser werden, je mehr wir uns also dem Bereich von hut und shack-shanty-hovel nähern, desto einfacher werden im Normalfall die Konstruktionen und entsprechend leichter auch die Materialien mit Holz, Wellblech oder, wie von Informanten genannt, "anything available". Es sind also insofern der referentiellen Vagheit Grenzen gesetzt, als ein palace aus Holz oder ein shack aus Ziegel praktisch undenkbar sind. Was die Korrelation von SETTING und MATERIAL betrifft, so sind vor allem cottage und bungalow interessant. Die Kombination SETTING [rural] l MATERIAL [stone] für cottage ist natürlich keineswegs zufällig. Durch die erschwerte Materialbeschaffung auf dem Land bietet sich als Baustoff das am einfachsten verfügbare Material an, nämlich der Naturstein der umliegenden Gegend. Dies wird von einigen Informanten und von den Experten auch als typisches Baumaterial für cottage genannt. Ein weiterer Zusammenhang existiert zwischen der ländlichen Lage und der massiven Bauweise bei cottage: wegen der oft isolierten Position und dem rauhen ländlichen Klima empfiehlt sich eine belastbare und dauerhafte Konstruktion. Anders bei bungalow: Hier sind Beschaffung bzw. Transport des Materials durch die stadtnahe Lage kein Problem. Die Wahl des Materials ist also eher durch finanzielle Gesichtspunkte gesteuert, wobei natürlich auch die eher gemäßigten klimatischen Bedingungen in der Stadt eine Rolle spielen. Bungalows aus Naturstein sind zwar vorstellbar, treten aber in der Realität selten auf. Der referentiellen Vagheit sind also deutliche Grenzen gesetzt. Schließlich besteht natürlich ein enger Zusammenhang zwischen der Hauptdimension PRIMARY PURPOSE und den verschiedensten anderen Dimensionen. Kombinationen wie ADDITIONAL PURPOSE [representation], SIZE [very large], CONSTRUCTION [complex], INHABITANTS [royalty] und INTERIOR [sumptuous] fur palace sind leicht zu erklären,
Vgl. zur Interdependenz und Korrelation zwischen Dimensionen auch die Beschreibung der Versuche Labovs in 2.2.3.
158
wenn man kulturelles Wissen über die Monarchie, Staatsempfänge und Traditionen des Repräsentierens einsetzt. Dieses Wissen befähigt dann auch dazu festzustellen, daß schwerwiegende Abweichungen vom Prototypen bei dieser Kategorie nicht zu erwarten sind, da das Klischee, aufweiche Weise ein Monarch sein Land zu vertreten habe, hochspezifiziert ist. Es konnte also gezeigt werden, daß bei einer kombinierten Sichtweise der Dimensionen starke Einschränkungen bezüglich der referentiellen Vagheit der Wirklichkeit bzw. Randbereichsunschärfe der Lexeme aufgestellt werden können. Erklärbar und beschreibbar werden diese Einschränkungen aber erst unter Einsatz von außersprachlichem soziokulturellen Wissen. Diesem Bereich werde ich mich jetzt detaillierter zuwenden.
4.5.2.2 Soziokultureller Kontext Das soziokulturelle Wissen zu erfassen, das wir unbewußt bei der Sprachverarbeitung einsetzen, ist ungemein problematisch. Dies wissen wir spätestens seit den ersten Versuchen von Forschern im Bereich der künstlichen Intelligenz, die sich zum Ziel setzten, Modelle menschlichen Wissens zu entwickeln (vgl. Minsky 1975, Rumelhart 1975, Rumelhart & Ortony 1977, Schank & Abelson 1977; vgl. auch 3.4). Ein Modell des angewandten Wissens in bezug auf Häuser und Wohnen zu entwerfen, wäre allein ein gewaltiges Forschungsvorhaben. Dies kann also nicht mein Ziel sein. Stattdessen werde ich versuchen, aus der Flut der Hintergründe diejenigen als besonders relevant auszuwählen, die für die Dimensionen der Feldanalyse interessant und für die Konnotationen verantwortlich sind. Zur Frage, in welcher Form das Wissen grundsätzlich konzipiert und dargestellt werden soll, haben wir in Kapitel 2 und 3 unterschiedliche Möglichkeiten kennengelernt. Prinzipiell scheint es mir unerheblich, ob wir etwa wie Searle (1979: 125; vgl. 3.4) "background assumptions", wie Medin & Wattenmaker (1987; vgl. 2.4.2) "theories" oder wie Lakoff (1987a: 68ff; vgl. 2.4.2) "ICMs" zu diesem Zweck postulieren. Die "background assumptions" passen deshalb weniger gut in unser Konzept, weil sie von Searle in Form von Propositionen mit dem entsprechenden philosophisch-ideologischen Überbau aufgefaßt werden. Unter den anderen beiden Möglichkeiten wähle ich die von Lakoff aus, weil sie in der Literatur die deutlichste Resonanz gefunden hat. Ich möchte also versuchen, ein ICM zur Erfassung des soziokulturellen Hintergrunds zu entwickeln, das den sprachlichen Umgang mit den Wörtern unseres Wortfelds prägt. Ausgangspunkt eines solchen Modells kann meines Erachtens nur der Mensch und nicht die Häuser sein. Diese Wahl läßt sich zum einen damit begründen, daß Häuser, wie oben schon bemerkt, von Menschen für Menschen geschaffene, durch die Funktion bestimmte Objekte sind. Ein zweites Indiz für die anthropozentrische Sicht im Zusammenhang mit unserem Wortfeld ist die Tatsache, daß die Informanten auf die Frage nach den Bewohnern von bestimmten Häusertypen besonders bereitwillig und detailliert Angaben machen. Zum dritten läßt sich die Bedeutung des Faktors 'Mensch' auch aus dem deutlich bewertenden Ton
159 ablesen, den manche Wörterbuchautoren bei Häuserdefinitionen einsetzen. Man vergleiche dazu die evaluierenden Adjektive in den folgenden drei Definitionen: villa: a big pleasant house [...] (COBUILD) hovel: a small miserable dwelling (COD) mansion: a large and stately building (OALD) Ähnlich menschenorientiert sind Definitionszusätze wie "esp. one which is dirty or needs a lot of repair" (COBUILD, s.v. hovef) oder "usu. belonging to a wealthy person" (LDCE, s.v. mansion). Ausgehend vom Menschen kann man unter Berücksichtigung der Dimensionen unserer Wortfeldanalyse ein ICM in den folgenden grob skizzierten Bahnen postulieren: Menschen in unseren Klimazonen brauchen geschützte Räume zum Leben und Wohnen. Zu diesem Zweck bauen sie Häuser verschiedenster Art. Jeder Mensch oder, besser, jede Familie entscheidet abhängig von ihren persönlichen Vorstellungen und ihren finanziellen Möglichkeiten selbst darüber, in welcher Art von Haus sie wohnt. Es besteht also eine klare Korrelation zwischen einem Haus und seinen Bewohnern, was zur Folge hat, daß ein Haus - ähnlich wie heutzutage ein Auto - nicht nur aus funktionalen Gesichtspunkten gebaut bzw. erworben wird, sondern auch aus Prestigegründen. Zweifellos stellt also ein Haus ein Statussymbol dar. Der Begriff des Prestige impliziert in jedem Fall eine Wertung der Häusertypen, deren hohe Signifikanz sich ja auch schon im Zusammenhang mit den Fragen nach der Dimension SPEAKER'S ATTITUDE (vgl. 4.4.3.6, S.139) andeutete. Der wertende bzw. "axiologische" Aspekt von ICMs wird in einem Artikel von Krzeszowski (1990) behandelt. Krzeszowski (1990: 138f) sieht das axiologische Adjektivpaar "good/bad" als für die Semantik fundamentalste Polarität an, noch vor der Polarität "true/ false". Es gibt jedoch unterschiedliche Ausmaße axiologischer Dominanz, die Krzeszowski mit dem sog. "axiological principle" erfaßt: Words bave a tendency to be axiologically loaded with 'good' or 'bad' connotations in proportion to the degree of the human factor associated with them. (1990: 150)
Dieses Prinzip kann ich nur uneingeschränkt unterstützen, da ja auch ich weiter oben schon auf die immense Bedeutung des Faktors 'Mensch' hingewiesen habe. Allerdings muß ich vor dem Hintergrund meines Wortfelds der Einschätzung Krzeszowskis (1990: 150) widersprechen, konkrete Nomina hätten die Tendenz, axiologisch weniger beladen zu sein als abstrakte. Dies gilt meines Erachtens nur für natural kinds, die er auch als Beispiele nennt. Bei Artefakten dagegen ist der Faktor 'Mensch' in der Regel höchst bedeutsam (vgl. S.125). Häuser können dafür als Paradebespiel gelten. Bezüglich der Bewertung des Prestiges, das mit einem Haus verbunden ist, herrschen nun stereotype Vorstellungen, die aber stark von der jeweiligen sozialen Schicht abhängig sind: Positiv evaluiert werden große Häuser mit reizvoller Architektur in stadtnaher Lage, aber ländlicher Atmosphäre, d.h. mit möglichst großem Grund oder Garten und stiller natürlicher Umgebung. Negativ werden kleine Häuser beurteilt, die architektonisch banal und billig wirken und in dicht bebauten Wohngebieten stehen. Soweit die Dimensionen SIZE, CON-
160
STRUCTION und SETTING. Zusätzlich sind der Gesamteindruck und Vorstellungen über die Innenausstattung von erheblicher Bedeutung. Hoch im Kurs stehen Gemütlichkeit, Ruhe, Geschmack, Wärme, Individualität und Idylle, schlecht angesehen werden Kälte, Sterilität, Anonymität, Vereinheitlichung und zu große Schlichtheit. Die teilweise gegenläufige Tendenz dieser Bewertungen führt zu der unterschiedlichen Gesamtbewertung von Häusertypen, die sich von den rein äußerlichen Merkmalen her ähneln. Bungalow beispielsweise wird wegen der Attribute klein, kalt, einfach, billig, bieder usw. vorwiegend negativ beurteilt, wärend cottage trotz Merkmalen wie klein und einfach angenehme Konnotationen hervorruft, die im Bereich von Gemütlichkeit und Wärme wurzeln. Bei mansion überwiegt die Vorstellung von Übergröße, Kälte und neureichen Bewohnern die eigentlich positiven Eigenschaften wie groß, luxuriös und teuer. Referenten in der Wirklichkeit, die schlecht in dieses Modell einzupassen sind, rufen Abweichungen vom Prototypen bzw. Prototypeneffekte (vgl. Lakoff 1987a: 69ff) hervor. Häuser wie ungemütliche cottages oder einladende, warme bungalows mit individuellem Charakter sind also mit Filimores (1982: 34) und Lakoffs (1987a: 69; vgl. 2.4.2) Beispielen des Papsts und Tarzans zu vergleichen, auf die das ICM von bachelor nicht anwendbar ist. Selbstverständlich spielt, wie ich weiter oben schon kurz bemerkt habe, die Person des Informanten bzw. Sprechers, vor allem die soziale Schicht und der bildungsmäßige, berufliche und finanzielle Hintergrund, eine große Rolle. Es ist klar, daß für einen Menschen, der sein Leben lang in einer kleinen dunklen Wohnung leben mußte, auch ein bungalow die Erfüllung eines Traums sein kann. Es muß also betont werden, daß es sich hier um ein idealisiertes Modell (ICM) handelt, das nur einen weitgehenden Konsens aus den Meinungen meiner Informanten widerspiegelt. Ich fasse das ICM aber trotzdem als Hintergrund auf, vor dem Sprecher- bzw. situationsbedingte Varianten, wie sie im folgenden Abschnitt diskutiert werden, zu interpretieren sind.
4.5.2.3 Situativer Kontext - Sprecher - Hörer Mit der Berücksichtigung des situativen Kontexts und von Sprecher und Hörer betreten wir endgültig Terrain, das traditionell eher der Pragmatik oder Soziolingusitik als der Semantik zugeordnet wird. Daß aber auch solche Faktoren Auswirkungen auf die Auffassung der Bedeutung von Wörtern haben, läßt sich kaum abstreiten. Zur Demonstration dieser situativen Kontexteinflüsse soll im folgenden auf drei typische Sprechsituationen eingegangen werden, die den Gebrauch der Häuserbezeichnungen erfordern. Auf eine Sprechsituation, die im Regelfall die Verwendung von Häuserbezeichnungen involviert, habe ich weiter oben (vgl. Fn.12) schon hingewiesen, nämlich das Beratungs- oder Verkaufsgespräch zwischen einem Immobilienmakler und einem potentiellen Käufer. Diese Situation ist deswegen für uns besonders aufschlußreich, weil von Maklern die Konnotationen von Häuserbezeichnungen natürlich bewußt zur Belebung des Geschäfts eingesetzt werden. Dies wurde von den von mir befragten Angehörigen einer Immobilienagentur auch unverhohlen zugegeben. Im besonderen wird dabei das hohe Prestige der Begriffe lodge und
161
cottage ausgenützt. Blättert man beispielsweise in den Katalogen der Agentur, so stößt man neben prototypischen Beispielen von cottages auch auf Häuser, die unter dieser Bezeichnung angepriesen werden, aber rein äußerlich nichts mehr mit den Prototypen zu tun haben. Eine Verbindung zu typischen Merkmalen ist bei manchen dieser "cottages" bestenfalls noch über den sozialhistorischen Hintergrund, d.h. über die ursprünglichen Bewohner herzustellen. Vor diesem Hintergrund ist auch das schon relativ alte Syntagma terrace(d) cottage zu verstehen. Diese Bezeichnung rührt vom ursprünglichen Zweck dieser kleinen Reihenhäuser her, nämlich billigen Wohnraum für Arbeiter oder Bauern zu bieten. Wie die ländlichen Konnotationen der Ruhe und Natur von lodge von Immobilienmaklern eingesetzt werden, habe ich schon im Verlauf der Feldanalyse erwähnt (vgl. Fn.12). Ein geschickter Makler muß natürlich auf die unterschiedlichen Erwartungen und Bedürfnisse seiner Kunden eingehen, und deshalb ist es keineswegs verwunderlich, daß auch das mit zweifelhaften Konnotationen belastete mansion in den Broschüren relativ häufig zu finden ist. Man kann also davon ausgehen, daß für die Zielgruppe unter den Käufern der Begriff mansion kaum negativ beladen sein kann. Dies ist ein Beispiel dafür, inwiefern auch der Hintergrund des intendierten Hörers oder Lesers Auswirkungen auf die Wortwahl des Sprechers haben kann. Eine weitere Situation, von der interessante Erkenntnisse bezüglich der Konnotationen abzuleiten sind, ist die Namensgebung für Häuser. Vor allem in ländlichen Gegenden und in eher noblen Wohngebieten am Stadtrand trifft man ja in England häufig auf Schilder mit dem Namen des Hauses. Sicherlich ist es kein Zufall, daß sich bei diesen Häusernamen erneut cottage und lodge besonderer Beliebtheit erfreuen.25 Kombinationen wie Rose Cottage oder White Lodge sind Ausdruck der emotionalen Bindung der Bewohner an ihr Heim. Ob das jeweilige Haus auch den Erwartungen entspricht, die man bei einem "normalen" referentiellen Gebrauch an die Verwendung eines der beiden Lexeme stellen würde, steht dabei nicht unbedingt zur Debatte. Abweichungen vom Prototypen sind hier durchaus in beträchtlichen Maßen üblich. Der Gebrauch von villa, das von den Konnotationen her am ehesten noch in namengebender Funktion zu erwarten wäre, wird vermutlich durch die sprichwörtliche britische Liebe zum Understatement verboten.26 Die dritte Situation, in der die Verwendung unserer Häuserbezeichnungen zu erwarten wäre, ist gleichzeitig die neutralste, nämlich die Beschreibung eines Hauses von Leuten, über die gesprochen wird. Ein typisches Äußerungsmuster wäre etwa "They live in a [type of house] in [name of town]". Bei dieser Sprechsituation kann man davon ausgehen, daß die stereotypen Vorstellungen, wie ich sie oben mit dem ICM beschrieben habe, in klarster Ausprägung vorhanden sind. Den Klischees ist in solchen Situationen Tür und Tor geöffnet. Abweichungen vom Prototypen sind in solchen Situationen vor allem aufgrund emotionaler Faktoren wie Neid, Boshaftigkeit oder Spott zu erwarten.
Im LOB (vgl. 4.4.4) kommen die folgenden Lexeme in Großschreibung, d.h. als Hausname oder Teil eines Hausnamens vor: cottage (7 mal), castle (21 mal), lodge (7 mal), palace (38 mal), villa (5 mal). 26
Die in der letzten Fußnote erwähnten erwähnten fünf Beispiele für Hausnamen mit villa sind alle eindeutig als italienische Hausnamen identifizierbar.
162
4.5.3 Zusammenfassung und Gesamtschau Was hat uns der kognitive Ansatz über die Erkenntnisse der reinen Feldanalyse hinaus nun gebracht? Wir haben uns im ersten Schritt durch die Anwendung des Prototypenbegriffs in die Lage versetzt, eine differenziertere und adäquatere Beschreibung von Vagheit und Ambiguität der Kategorien zu liefern. Unter Zuhilfenahme visueller Prototypen konnten für einige Kategorien typische Mitglieder herausgearbeitet werden. Im zweiten Schritt habe ich versucht, den Zusammenhang zwischen prototypischen und peripheren Mitgliedern der Kategorien herzustellen. Es wurden drei Faktoren diskutiert, die jeweils gleichzeitig Ursache und limitierender Faktor der zum Teil beträchtlichen Variabilität der Lexeme sind. Im einzelnen sind vor allem die referentielle Vagheit, die Vereinbarkeit von Referenten in der Wirklichkeit mit unserem ICM von Häusern und pragmatische Aspekte wie Sprechsituation, Sprecher und Hörer als wichtige Faktoren zu nennen. Auf diese Weise habe ich auf einen Streich die interne Struktur der Kategorien freigelegt sowie die mangelnde Berücksichtigung von Vagheit, Ambiguität und konnotativer Bedeutung in der traditionellen Analyse kompensiert. Die ganze Komplexität der sich überschneidenden Kategorien und der anderen Faktoren in eine Gesamtdarstellung zu bringen ist meines Erachtens ein hoffnungsloses Unterfangen. Würde man beispielsweise in eine solche Gesamtschau die in den Diagrammen 4.14 bis 4.16 erarbeiteten Ausprägungen auf der Skala zwischen Ambiguität und Vagheit erneut integrieren wollen, würde die Übersichtlichtkeit der Abbildung stark verringert. Ebenso verhindert die Notwendigkeit der Zweidimensionalität die Möglichkeit, die ganze Komplexität der Überlappungen auf den verschiedenen Dimensionen des Netzwerks darstellen zu können. Sieht man aber zum Zweck der Übersicht von den soziokulturellen und pragmatischen Hintergründen teilweise ab, so läßt sich das gesamte Netzwerk der Kategorien im Feld der Häuser gut erfassen. Abbildung 4.17 auf S.163 zeigt den Versuch einer solchen Gesamtschau. Alle Kategorien haben die Attribute [building] und [used for dwelling] des Archisemems. Es taucht deshalb nicht in jedem Kästchen von neuem auf. Die fettgedruckten Kästchen stehen jeweils für den prototypischen Bereich von Kategorien, der durch die Angabe von Attributen charakterisiert ist, die weitgehend mit denen aus den Baumdiagrammen übereinstimmen. Überlappungen zwischen den Prototypen existieren nur bei polysemen Lexemen27 oder bei Synonymen, also etwa bei hut und cabin. Die dünnen Kästchen kennzeichnen die peripheren Kategorienbereiche, d.h. die Abweichungen vom prototypischen Kern. Zwischen den Kategorienperipherien existiert ein komplexes Netzwerk von Familienähnlichkeiten (vgl. 2.2.1.4). Die beiden schraffierten Flächen verweisen auf die unter der Abbildung angegeben wichtigsten Attributencluster im Netzwerk.
27
Für eine ähnliche Form der graphischen Darstellung von Kategorienüberlappungen und Merkmalclustern vgl. Geeraerts (1987: 278, 1988d: 350, 1990a: 202, 1990c: 59 et passim).
163
CHALET
HUT 2
dwelling Alps Switzerland
overnight sta) very small rustic
HUT 1
CABIN shelter overnight stay {North
CHALET overnight stay rustic wood
ι •
SHANT\
HOVEL
shelter very small crudely buil
shelter very small crudely buil slum
shelter very small crudely built slum {derog}
'
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ill I I
S
>
>.> 1
ii
!!I !
v
shelter very smal basic wood
SHACK
\?
COTTAGE
2
weekend house f
COTTAGrE LODGE
2
overnight stay rural \
n = :
d~
^LODGE
LODGE3 dwelling-place of porter or gamekeeper
N
1
BUNGALOW
dwelling small comfortab le warm rural
dwelling small simple cold suburban
1
dwelling rural atmosphere
%%$·$$[
"^
HP PALACE dwelling + representation royalty
CASTLE fortification (+ dwelling in the past) historical monument
MANSION
VILLA
dwelling very large expensive nouveau-riche
dwelling large tasteful pleasant rural/suburban
VILLA Mediterranean countryside
= cluster PRIMARY PURPOSE [overnight stay] = cluster SETTING [rural]
Abb. 4.17: Gesamtdarstellung aus Sicht der kognitiven Semantik
164
Abb. 4.17 enthält die gesamte Information, die auch in den Abbildungen 4.4 und 4.5 dargestellt wird. Sie geht aber noch weit darüber hinaus. Zum ersten gibt sie die graduierte Struktur der Kategorien, also den Unterschied zwischen prototypischem Zentrum und Peripherie wieder. Zweitens integriert sie polyseme Kategorien wie z.B. hut oder lodge in einer einsichtigen Form. Drittens macht die Darstellung die ganze Komplexität intra- und interkategorialer Beziehungen deutlich. Die Überlappung von hut und cabin wurde weiter oben schon erwähnt; die Hyponymiebeziehung zwischen hut und shack/ shanty/ hovel wird dadurch transparent, daß die letzteren drei Kategorien im peripheren Bereich von hut enthalten sind. Vor allem erscheint mir die Tatsache hervorhebenswert, daß deutlich wird, wie Bedeutungsvarianten von Lexemen gleichzeitig zu anderen Varianten desselben Lexems und zu Varianten anderer Lexeme in Beziehung stehen. Schließlich vermittelt Abb. 4.17 auch eine Vorstellung von zwei Clustern von Attributen im Feld.
165
5. Idea: Kognitive Semantik im Umgang mit abstrakten Nomina 5.1 Zur Strategie der Bedeutungsanalyse Schon ein vergleichsweise kleiner Ausschnitt aus der ganzen Palette der möglichen Verwendungen von idea wie die folgenden zehn Beispiele aus dem LOB zeigt, wie stark die verschiedenen aktuellen Bedeutungen dieses Lexems voneinander abweichen. (1) (2) (3) (4) (5) (6) (7) (8) (9) (10)
So the idea of a personal mission by the Prime Minister to Paris was dropped. If you have seen broken dolls you have some idea of the picture. They then tend, in their turn, to oppose the newer groups whose ideas and methods are more modern still. Because situations which may contain all the elements of fear can arise suddenly, it is a good idea to condition a child to some extent against it. She'd had no idea, until this moment, just how desperately disturbing love could be [...]. Yet in spite of the fact that his ideas did his business no good George would never conceal them. In the idea type of story it [i.e.sex] can have almost no place; [...]. We must end the idea of war. Trees have got the right idea. To extemporize from a preconceived design or upon ideas given by an auditor is splendid exercise, [...].
Es ist augenscheinlich unmöglich, alle Verwendungen von idea, die wir intuitiv durch so unterschiedliche Synonyme wie plan (1), impression (2), thoughts (3), thing (4), notion (5), convictions (6), concept (8), musical theme (10) ersetzen würden, auf einen semantischen Nenner zu bringen. Synonyme für die Beispiele (7) ('abstract, ^intellectual) und (9) ('attitude) zu finden, stellt an sich schon ein Problem dar. Für eine fundierte Analyse der lexikalischen Bedeutung von idea ist deshalb eine breite Datenbasis und eine klare methodische Strategie notwendig. Grundprinzip bei meiner Bedeutungsanalyse von idea soll die Offenlegung von Material und Methode sein. In diesem Abschnitt werde ich einen Überblick über die methodische Strategie der Analyse geben. Die Transparenz des eingesetzten Sprachmaterials ist durch eindeutige Verweise zur Lokalisierung im LOB gewährleistet. Ich werde bei meiner Analyse wie folgt verfahren: Auf eine vorläufige Orientierung (5.2) mit Hilfe der linguistischen Literatur, die auch eine von Lakoff & Johnson (1980) ausgehende Metaphernanalyse des Korpusmaterials enthält (vgl. IVlff), folgt der erste Schritt der Kontextund Kotextanalyse, die Datengewinnung aus dem LOB-Korpus (5.3). Diese Daten werden in einer Datenbank zu einem Arbeitskorpus erfaßt (5.4) und danach ausgewertet, d.h. es wird
166
versucht, Gruppen von Verwendungen mit prototypischen Verwendungsweisen zusammenzufassen (5.5). Gleichzeitig mit der Phase der Datenauswertung läuft die semantische Interpretation der Verwendungsweisen ab, die sich in erster Linie auf Gegenüberstellungen zwischen den verschiedenen hypothetischen Verwendungsweisen und zu paradigmatisch benachbarten Lexemen wie thought, notion, concept stützt. Im letzten Schritt (5.6) gilt es schließlich, ein Gesamtbild zu erarbeiten, in dem alle Verwendungsweisen in ihren Relationen zueinander enthalten sind.
5.2 Orientierung
5.2.1 Wörterbücher Untersucht wurden die folgenden Lexika: COBUILD, COD, COLLINS, LDCE, OALD, OED. Stellvertretend für die Lexika der Größenordnung "Tischlexikon" wollen wir uns eingangs den Eintrag im COD im folgenden etwas genauer ansehen. l a conception or plan formed by mental effort (have you any ideas?; had the idea of writing a book). 2 a mental impression or notion; a concept, b a vague belief or fancy (had an idea you were married; had no idea where you were). 3 an intention, purpose, or essential feature (the idea is to make money). 4 an archetype or pattern as distinguished from its realization in individual cases. 5 Philos. a (in Platonism) an eternally existing pattern of which individual things in any class are imperfect copies, b a concept of pure reason which transcends experience. (COD s.v. idea)}
Als erster beachtenswerter Punkt kann festgestellt werden, daß in diesem Lexikoneintrag Gruppen abstrakter Begriffe zu lexical units zusammengeschlossen werden, die wir von unserem alltäglichen Verständnis her nie als Synonyme betrachten würden: die Kombinationen bzw. Gleichsetzungen conception -plan, mental impression - notion und vague belief -fancy sind keineswegs so unproblematisch, wie dies die Form des Eintrags vermuten läßt. Wie wenig objektiv eine derartige Einteilung in lexical units ist, zeigt ein einfacher Vergleich mit dem Eintrag im LDCE, wo sowohl andere lexical units postuliert als auch die verschiedenen Subkategorien anders voneinander geschieden werden: l [C] a plan, thought, or suggestion for a possible course of action [...]. 2 [C;U (of)] a picture in the mind; CONCEPTION [...]. 3 [C;U (of)] knowledge or understanding [...]. 4 [C] a guess; feeling that something is probable [...] 5 [C] an opinion or belief [...] 6 [the+S(of)] a plan or intention [...]. (LDCE s.v. idea)
Zwischen beiden Einträgen eine Korrelation herzustellen, so daß eine gemeinsame Basis erkennbar wird, ist unmöglich, da zum einen beim LDCE neue Elemente hinzukommen (z.B.
Informationen zu idiomatischen Wendungen, zu Wortbildungen und zur Etymologie, die als solche gekennzeichnet sind, werden hier nicht widergegeben.
167
knowledge or understanding, opinion or belief), zum anderen Synonyme bzw. Paraphrasen, die uns aus dem COD bekannt sind, auf andere Weise kategorisiert werden: z.B. COD: conception or plan COD: mental impression CONCEPTION
vs. vs.
LDCE: plan, thought, or suggestion LDCE: picture in the mind or notion
Die Einbeziehung weiterer Lexika würde diese Divergenz bei der Einteilung und der Charakterisierung der Subkategorien noch weiter erhöhen. Ein zweiter wichtiger Aspekt ist die Frage nach der notorischen Zirkularität von Lexikondefinitionen. Für Sprachlerner oder "normale" Lexikonbenutzer ist dieses Problem nicht so akut, sondern es kann sogar einen Vorteil darstellen, wenn ein Lexikon durch miteinander verknüpfte Einträge quasi ein Einkreisen der gesuchten Bedeutung ermöglicht. Für den Semantiker indessen, der ja gerade nach Unterschieden zwischen Lexemen sucht, sind zirkuläre Lexikondefinitionen wenig informativ. Das Problem der Zirkularität ist im Bereich der Abstrakta natürlich besonders schwerwiegend, weil nicht auf bildliche Darstellungen und realweltliche Erfahrungen verwiesen werden kann. Im COD lassen sich beispielsweise die folgenden "Kurzschlüsse" finden, wenn man einige der im Eintrag idea gegeben Äquivalente weiterverfolgt: s.v. concept:
s.v. conception: s.v. notion: s.v. thought:
l a general notion; an abstract idea [...]. 2 colloq. an idea or invention to help sell or publicize a commodity [...]. 3 Philos. an idea or mental picture of a group or class of objects formed by combining all their aspects. 1 [...] 2 an idea or plan, esp. as being new or daring. 1 a a concept or idea; a conception [...] b an opinion [...] c a vague view or understanding. 2 [...] 3 [...] [...] 4 an idea or piece of reasoning produced by thinking. [...].
Als zusätzliche Erschwernis kommt bei der Arbeit mit den untersuchten Lexika die Tatsache hinzu, daß mit Ausnahme des COBUILD-Lexikons die Informationen zur syntaktischen Verwendung und ganz besonders zu eventuellen Korrelationen zwischen der syntaktischen Verwendung und verschiedenen lexical units spärlich sind (LDCE) oder gänzlich fehlen (COD, COLLINS, LLCE, OALD, OED). Im COBUILD erlauben die Angaben der zusätzlichen Spalte wenigstens Vermutungen über die jeweilige aktuelle Verwendung. Diese Spalte enthält Anhaltspunkte bezüglich der Form eventueller postmodifizierender PPs und Nebensätze und stellt Beziehungen zwischen der Funktion im Satz und bestimmten lexical units her. Es darf aber dabei nicht verschwiegen werden, daß die Zuordnung von Beispielen zu den Subkategorien aus der Sicht unserer Analyse nicht immer optimal verlaufen ist.2
Das Beispiel l had little idea at that time of buying my own house, fuf die aktuelle Bedeutung 'intention' etwa wirkt wegen des Premodifiers little und der VP have vor allem auf junge Sprecher als nicht akzeptabler
168
Der Erkenntniswert von Lexika für eine semantische Analyse des Lexems idea hält sich demnach aufgrund der Vagheit und Zirkularität sowie der mangelnden Anbindung an syntaktische Variablen in engen Grenzen. Schließlich sind Lexika ja vor allem an andere Zielgruppen als Semantiker und Lexikologen gerichtet. Auch das so oft als normativ aufgefaßte OED stellt in diesem Fall natürlich keineswegs eine Ausnahme dar. Als ersten Schritt in Richtung der Bedeutungsanalyse von idea können wir aus der Wörterbuchauswertung lediglich die sehr allgemeine Hypothese gewinnen, daß das Lexem eindeutig dem abstrakten Bereich des Lexikons angehört und grundsätzlich mentale Phänomene denotiert. Im Sinne einer groben Orientierung läßt sich idea somit einem Wortfeld zuordnen, das sich vorläufig durch Begriffe wie concept, conception, plan, notion, intention, belief, opinion, pattern und archetype abstecken läßt. Es ist offensichtlich, daß dabei weder die feldinternen Beziehungen zwischen idea und anderen Lexemen noch die externe Feldabgrenzung in irgendeiner Form spezifiziert sind.
5.2.2 Grammatiken Es wurden folgende Grammatiken einer Durchsicht unterzogen: Leech & Svartvik (1975), Quirk et al. (1985), Ungerer et al. (1984), Lamprecht (1971; 1986), Dirven & Putseys (1989), Sinclair (1990). Im Index findet sich das Lexem idea lediglich in der Grammatik von Leech & Svartvik.3 Leech & Svartvik erwähnen das Lexem idea im Zusammenhang mit "appositive clauses as postmodifiers" (1975: 270). Sie behandeln an dieser Stelle appositive Nebensätze, die mit that oder to-Infinitiven eingeleitet sind und postmodifizierende Funktion haben. Als Kopf eines solchen Nebensatzes muß nach Leech & Svartvik ein abstraktes Nomen wie etwa fact, idea, reply, answer, promise etc. vorliegen. Als Beispiel für die zwei verschiedenen Nebensatztypen werden unter anderem genannt: His wife tried to conceal the fact that he was seriously ill. The mayor launched an appeal to the public to give blood to the victims of the disaster.
Auch Quirk et al. verweisen auf diese Funktion des Lexems idea unter der Überschrift "apposition with general nouns" (1985: 1321). Aus ihrer Darstellung geht hervor, daß für sie nicht nur infinite Nebensätze mit -Infinitiv und lhat-Sätze, sondern auch partizipiale und interrogative Nebensätze als Appositionen gelten. The thought of playing against them arouses all my aggressive instincts. Her account of what she had done that year did not satisfy her colleagues.
Satz, da sich für diese Kollokation immer mehr die aktuelle Bedeutung 'notion', 'clue', 'inkling' durchzusetzen scheint Dirven & Putseys (1989) enthält keinen Index, was meines Brach tens für eine Grammatik, die doch oft als Referenzwerk verwendet wird, ein eindeutiger Mangel ist.
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Die ausführlichste Auseinandersetzung mit sog. general nouns* im Bereich von Grammatiken findet sich in der Grammatik aus dem COBUILD-Projekt in Birmingham (Sinclair 1990:389f) unter der Überschrift "ways of referring back". Hier werden verschiedene Gruppen von general nouns5 mit Hilfe semantischer und textueller Kriterien erarbeitet: eine Gruppe von Lexemen, die auf Textabschnitte oder Sprechakte Bezug nehmen, wie etwa question, excuse, statement, summary, story, warning; eine weitere Gruppe von Lexemen, die auf Ereignisse und Zustände verweisen, wie action, event, move, situation, state of affairs und schließlich eine Gruppe von general nouns, die Gedanken und Gefühle wieder aufgreifen, wie attitude, belief, view, theory. Zur letzten Gruppe ist idea zu zählen, das dort auch erscheint. In den Grammatiken von Ungerer et al. (1984), Lamprecht (1971; 1986) und Dirven & Putseys (1989) ist das Lexem idea meines Wissens nicht in herausragender Form erwähnt. Weder zur Thematik der Apposition noch im Zusammenhang mit general nouns wird es speziell hervorgehoben.
5.2.3 Halliday & Hasan (1976) und Lakoff & Johnson (1980) Vermutlich bauen Quirk et al. (1985) bei der Verwendung des Terminus general noun auf die Behandlung der Problematik bei Halliday & Hasan (1976: 274ff) auf. Gemäß deren Darstellungen gehört idea zur Klasse der general nouns, die sich durch eine Zwischenstellung zwischen der grammatikalischen und der lexikalischen Kohäsion auszeichnen. Die Verwandtschaft mit grammatikalischen Formen der Kohäsion zeigt sich in der Tatsache, daß ein general noun häufig durch ein anaphorisches Pronomen mit referentieller Funktion (in der Verwendung bei Halliday & Hasan) ersetzbar ist. Lexikalisch gesehen sind general nouns "superordinate members of major lexical sets" (Halliday & Hasan 1976: 275); deshalb können sie ganz entsprechend den Regeln der lexikalischen Kohäsion ähnlich wie auch Synonyme anaphorisch auf vorher genannte Textstellen zurückverweisen. Halliday & Hasan (1976: 275) illustrieren die kohäsive Funktion von idea an dem folgenden Beispiel: Henry seems convinced there's money in dairy farming. I don't know what gave him that idea.
Hier verweist idea unterstützt durch that als Determinator zurück auf das Verb convinced im vorhergehenden Satz. Zur semantischen Differenzierung von anderen general nouns charakterisieren Halliday & Hasan (1976: 274) das Lexem idea durch die Komponente [fact]. Diese Einschätzung kann allerdings, wie unsere Analyse zeigen wird, nicht aufrecht erhalten werden, da sie nur einen kleinen Teil der unterschiedlichen Verwendungsweisen von idea erfaßt und daneben
Der Begriff stammt von Halliday & Hasan (1976: 274); vgl. unten auf dieser Seite. Trotz der Beratertätigkeit Hallidays, die sich in der Gliederung des Kapitels bei Sinclair (1990) und etwa in der Verwendung von Termini wie "cohesion" und "ellipsis" (1990: 385) niederschlägt, fällt der Terminus "general noun" in dieser Grammatik vermutlich dem Anliegen zum Opfer, Fachtermini weitestgehend zu vermeiden. Er wird nicht verwendet.
170
ungeeignet ist, idea von dem gleichermaßen als general noun fungierenden Lexem fact abzugrenzen. Festzuhalten bleibt, daß aus semantischer Sicht idea als Archilexem hoher Ordnung angesehen werden muß und daß zumindest bei einem Teil der Verwendungen die kohäsive Funktion auf der textuellen Ebene neben semantischen Überlegungen in Betracht gezogen werden muß. Eine weitere Behandlung von idea, allerdings völlig anderen Charakters, finden wir in Lakoff & Johnson (1980: 46ff), jenem Buch, das wir im theoretischen Teil der Arbeit als Pionierwerk der kognitiven Linguistik schon kennengelernt haben. Lakoff & Johnson verwenden idea als Beispiel für ihre Behauptung, daß Metaphern teilweise alltägliche Begriffe strukturieren und daß sich diese Struktur in unserer Sprache widerspiegelt (1980: 46). Zu diesem Zweck postulieren sie verschiedene Metaphern für unseren sprachlichen Umgang mit "ideas" und versuchen, diese mit mehr oder weniger idiomatischen Beispielen zu belegen. Hier eine kleine Auswahl (Lakoff & Johnson 1980: 46ff): IDEAS ARE FOOD What he said left a bad taste in my mouth. All this paper has in it are raw facts, halfbaked ideas, and warmed-over theories. IDEAS ARE PEOPLE Look at what his ideas have spawned. Those ideas died off in the middle ages. Where'd you dig up that idea? IDEAS ARE PLANTS His ideas have finally come to fruition. That idea died on the vine. That's a budding theory. IDEAS ARE COMMODITIES It's important how you package your ideas. He won't buy that. That idea just won't sell. IDEAS ARE MONEY He's rich in ideas. That book is a treasure trove of ideas. Als weitere Metaphern werden genannt: IDEAS ARE PRODUCTS, IDEAS ARE RESOURCES, IDEAS ARE FASHIONS und IDEAS ARE CUTTING INSTRUMENTS. Was bringt uns diese Liste über die Erkenntnis hinaus, daß wir in der Tat mit Hilfe von konkreten Metaphern über abstrakte Begriffe sprechen; und speziell, was bringt uns diese Liste für das Ziel einer Bedeutungsanalyse des Lexems ideal Dem Leser wird wohl sehr bald klar
171 geworden sein, daß der Ansatz von Lakoff & Johnson für unser primäres Anliegen wenig hilfreich ist. Offensichtlich geht es den beiden Autoren keineswegs um das Lexem idea, sondern lediglich um die Art und Weise, wie wir den gesamten Bereich menschlichen Denkens konzeptualisieren und entsprechend verbalisieren. Dies zeigt sich am deutlichsten in der Tatsache, daß in vielen Beispielen das Wort idea nicht einmal erwähnt ist. Eine weitere Frage ist, wie typisch die Beispiele von Lakoff & Johnson tatsächlich für den alltäglichen Sprachgebrauch sind. Dies läßt sich durch eine Gegenüberstellung untersuchen, welche Typen von Metaphern bei Verwendungen von idea im LOB-Korpus vorkommen. Anstelle einer zusammenhanglosen Auflistung der Metaphern im Korpus bringt der kleine Text auf der nächsten Seite, der von mir frei erfunden wurde, alle Beispiele von metaphorisch verwendeten Adjektiven und Verben im LOB. Erkennungskriterium für metaphorische Verwendungen war, wie in 3.1.2 diskutiert, die oberflächliche Unvereinbarkeit von Kollokationen. Rein praktisch wurde dieses Kriterium dann als erfüllt angesehen, wenn im OALD der erste Lexikoneintrag unter einem Lemma nicht dem Feld abstrakter Entitäten zuzurechnen war. Diesem Kriterium liegt die Annahme zugrunde, daß der jeweils erste Eintrag von den Autoren des Lexikons als prototypische Verwendungsweise angesehen wird. Bei produce etwa findet sich im OALD als erste Lexikoneinheit "create something by making, manufacturing, growing etc." bei sound "in good condition; not hurt, diseased, injured or damaged". In der linken Spalte neben dem Text habe ich versucht, in Großbuchstaben eine kurze Charakterisierung des bildspendenden Felds bzw. der Basisdomäne zu geben (vgl. 3.2.1). Kriterium für die Postulierung des bildspendenden Felds war der erste, als prototypisch eingestufte (s.o.) Lexikoneintrag im OALD. Alle diese metaphorischen Verwendungen sind den "ontological metaphors" nach Lakoff & Johnson (1980: 25ff) zuzurechnen. Our experience with physical objects (especially our own bodies) provide the basis for an extra-ordinarily wide variety of ontological metaphors, that is, ways of viewing events, activities, emotions, ideas, etc. as entities and substances. (Lakoff & Johnson 1980: 25).
Grundsätzlich lassen sich die Metaphern aus dem LOB in zwei Kategorien ontologischer Metaphern einteilen, nämlich (in der Notation von Lakoff & Johnson 1980) IDEAS ARE ANIMATE BEINGS und IDEAS ARE OBJECTS. Unter die erste Metapher fallen im obigen Text Verwendungen, die Ideen zu Menschen oder Tieren machen. Ideen können 'gesund', 'verarmt', 'wild' sein; sie können 'adoptiert', 'empfangen' und 'getötet' werden; sie 'kommen herum', können 'attackieren' und 'kapitulieren'. Ideen lassen sich also als "geistiger Nachwuchs" genauso gut konzeptualisieren wie als "kriegführende Parteien". Die zweite ontologische Metapher, IDEAS ARE OBJECTS, läßt sich durch ein kohärentes System von konvergierenden Metaphern belegen: Ideen haben (wie Objekte) eine bestimmte räumliche Ausdehnung und Form, sie bestehen aus bestimmten Materialien und Substanzen, die jeweils entsprechende Eigenschaften aufweisen, sie sind visuell wahrnehmbar. Man kann sie 'unterstützen' und 'fallen lassen', 'hinauswerfen', 'ins Regal stellen' oder irgendwo 'anbringen'. Schließlich kann man sie auch 'verkaufen', falls sie noch nicht 'ausgegangen' sind.
172
Plato and Aristotle in the Land of Ideas
Even when Plato was old and ill, he still produced a lot of sound ideas. But since he was so old, he didn't know what to do with them. So he tried to sell the stronger ones, some of them were dissipated, others were impoverished anyway, so he abandoned them. When he was finally running out of ideas, he gave the last ones to his pupil Aristotle and put them into his head. He fixed them there and linked them up with Aristotle's own little ideas. Unfortunately, on the way a couple of ideas were dropped, because Plato didn't support them enough. Aristotle had a close look at Plato's ideas: there were big and little ones, some were faint, others were bright and clear. Some he could not see well, because they were hazy. Since he could not tame the wild ideas, he threw them out or tried to shelf them deep down in his head. But Aristotle wasn't happy. Instead of only adopting Platos ideas Aristotle wanted to conceive his own ideas which would then feed on others' thoughts and expand. Later, when his little ideas would be big enough to get about, he could form them in the way he liked them, some slender, some broad, some rigid or even sharp. With his own new ideas Aristotle wanted to attack Plato's old ideas, kill some of them and make the rest surrender. After the war of ideas his ideas could begin to ferment in peace, until they would finally erupt with a big noise.
IDEAS ARE ... ANIMATE
GOODS
GOODS OBJECTS
GOODS PEOPLE GOODS
PLACES OBJECTS OBJECTS OBJECTS
OBJECTS
HAVE SIZE OBJECTS VISIBLE HAVE SIZE VISIBLE VISIBLE OBJECTS
OBJECTS VISIBLE VISIBLE ANIMALS OBJECTS
OFFSPRING ANIMALS
CHILDREN HAVE SIZE PEOPLE HAVE FORM
OBJECTS HAVE FORM HAVE SUBSTANCE COMBATANTS
ANIMATE COMBATANTS BIOLOGICAL SUBSTANCE
VOLCANO
Es finden sich also mit IDEAS ARE FOOD, IDEAS ARE PEOPLE, IDEAS ARE PRODUCTS, IDEAS ARE COMMODITIES, IDEAS ARE RESOURCES, IDEAS ARE MONEY und IDEAS ARE CUTTING INSTRUMENTS sieben von den Metaphern aus Lakoff & Johnson (1980) im LOB wieder; nur IDEAS ARE FASHIONS und IDEAS ARE PLANTS haben keine Belege. Zusätzlich zu diesen Metaphernkomplexen gibt es noch die beiden eher isolierten metaphorischen Verwendungen IDEAS ARE BIOLOGICAL SUBSTANCES IN A FERMENTING PROCESS und IDEAS ARE VOLCANOS. Für eine größere Anzahl von Metaphern dieses kreativen Typs dürfte die Datenbasis mit nur einer Million Wörtern dann eben doch zu schmal sein.
173
Einerseits stellen die beiden großen Metaphernsysteme eine eindeutige Untermauerung für eine ganze Reihe von Postulaten dar, die von Lakoff & Johnson (1980) ja nur mit selbst erfunden Beispielen belegt werden. Die Konzepte der "ontological metaphor" (1980: 25ff), der "metaphorical coherence" (1980: 41ff, 77ff, 87ff) und des "entailment of metaphors" (1980: 140ff) erfahren durch die Beispiele aus dem LOB eine klare Bestätigung. Auf der anderen Seite muß jedoch auch festgestellt werden, daß die Metaphorik der real produzierten Sprache im LOB weit weniger stark ausgeprägt ist als das mit soviel Kreativität erstellte Beispielmaterial in Metaphors we live by. Die Existenz der Metaphern wird zwar deutlich, sie werden aber in alltäglicher Sprache in etwas weniger blumigen Bildern versprachlicht. In jedem Fall zeigen die Beispiele, daß die Grundhypothese der vorliegenden Studie, die Metapher der Konkretisierung und Hypostasierung, sich im Material des LOB sehr deutlich bemerkbar macht. Diese Metapher hat zur Folge, daß wir häufig über ideas reden, als handle es sich nicht um abstrakte Begriffe, sondern um konkrete, abgrenzbare Entitäten. Die Vergegenständlichung abstrakter, mentaler Einheiten ist in jeder der postulierten Metaphern enthalten. Wir haben es beim Umgang mit idea also mit einem deutlichen Fall der Hypostasierung zu tun: Abstrakte mentale Begriffe werden in der Sprache vergegenständlicht und zur Substanz erhoben (Leisi 5 1975: 23). Interessant ist in diesem Zusammenhang die Auffassung von idea, die sich in dem Artikel "Having ideas and having the concept" von dem Philosophen M. Crimmins (1989) offenbart. (In diesem Artikel stellen - was der allgemein formulierte Titel nicht vermuten lassen wurde die Begriffe ideas und concept nicht das Hauptthema dar, sondern dienen lediglich als Konstrukte zur Behandlung der alten aristotelischen Frage, ob blinde Menschen Vorstellungen von bzw. Wissen über Farben haben können.) Ideas, as well as beliefs, are things in the head, mental entities. (Crimmins 1989: 285) An idea or a notion is in one way like a folder in a filing system: it is set up to organize and unite knowledge about a specific property or individual. And an idea or notion is also in one way like a word in a language - it represents, or stands for, its content. (Crimmins 1989: 286)
Der ersten Passage können wir dasselbe Verständnis von idea entnehmen, das schon weiter oben angeklungen ist, als 'mentale Einheit'. Die Metapher idea = file folder in a filing system im zweiten Zitat ist eine Unterform der sog. Container-Metapher, die von Lakoff & Johnson (1980: 29ff) auf überzeugende Weise als fundamentale Metapher menschlichen Denkens dargestellt wird. Ideas lassen sich dementsprechend konzeptualisieren als Behältnisse, die mentale Einheiten enthalten bzw. aufnehmen können. Auch die Analogie idea - word im zweiten Zitat ist in meinen Überlegungen schon aufgetaucht, allerdings nur indirekt, und zwar im Zusammenhang mit dem Begriff der Hypostasierung. Von Leisi (51975: 23) wird nämlich in erster Linie der sprachlichen Einheit 'Wort' hypostasierende Funktion zugeschrieben. Nun tut sich natürlich die Frage auf, ob und inwiefern sich die sprachliche Einheit 'Wort' und das Wort idea in ihrer hypostasierenden Funktion voneinander unterscheiden. Diese Frage möchte ich dahingehend beantworten, daß das 'Wort' hypostasierend auf der Ebene des Sprachsystems, d.h des Lexikons tätig ist. Es
174 dient auf dieser Ebene dazu, unsere Gefühle, Erfahrungen, Vorstellungen etc. zu "verpacken" (vgl. Leech 21981: 32f). Exakt dieselbe Funktion hat auch das Wort idea, aber dieses arbeitet während des aktuell ablaufenden Sprachproduktionsprozesses. Es ermöglicht eine Hypostasierung von in der Textwelt aufgebauten oder aufgrund des Weltwissens rekonstruierbaren Phänomenen, die ja nach den pragmatischen Bedürfhissen unterschiedlich detailliert spezifiziert sein können. Zusätzlich ermöglicht es die Integration situationeller, z.B. deiktischer Aspekte. Das Beispiel [N14 164]
I can't make old Will like the idea of my being up here [...]
aus dem LOB zeigt deutlich, wie ein zeitlich andauernder, aber begrenzter Zustand so in eine mentale Einheit verpackt wird, daß - im Gegensatz zur Hypostasierung durch das 'Wort' deiktische Elemente wie my, up und here enthalten und interpretierbar sind. Es läßt sich also der folgende Unterschied festhalten: Das Wort idea hat was ich eine aktuelle hypostasierende Funktion nennen möchte, während das 'Wort' dauerhafte, lexikalisierte Hypostasierungen im Sprachsystem bewirkt. Ich möchte zusammenfassen, mit welcher Hypothese ich meine eigene Analyse der Verwendungen von idea im LOB-Korpus beginne: -
-
Prinzipiell sehe ich idea als Archilexem eines abstrakten, mentalen Feldes an, über das wir aber mittels lexikalisierter und institutionaliserter Metaphern häufig in konkreten Worten sprechen. Bei allen Überlegungen muß die potentielle Fähigkeit des Lexems idea im Auge behalten werden, als kohäsionsbildendes Mittel im Text Bezüge zwischen auch weiter voneinander entfernten sprachlichen Einheiten herzustellen. Der Aspekt der Apposition scheint im Zusammenhang mit idea bedeutsam zu sein und muß deshalb berücksichtigt werden. Wir wollen das Wort idea mit Hilfe der co«tawer-Metapher begreifen: idea dient als Behälter für mentale Einheiten verschiedenster Art. Diese Metapher spiegelt die aktuelle hypostasierende Funktion von idea wider.
5.3 Datengewinnung
Die Kontext- und Kotextanalyse basiert auf der Computerversion des LOB-Korpus. Zur Datengewinnung wurden alle 361 Sätze, in denen das Lexem idea vorkommt, mittels eines Suchprogramms lokalisiert und ausgedruckt. Schon nach einer vorläufigen Durchsicht des Datenmaterials wurde deutlich, daß bei einem hohen Prozentsatz der Beispiele die Einheit 'Satz' als Kotextlimit eindeutig zu klein war, um sinnvolle Aussagen über die Semantik von
175
idea zuzulassen. Dieser Befund kann als weitere Bestätigung für die wichtige textuelle Funktion von idea gewertet werden, die sich ja auch schon oben in der Literatur angedeutet hat. Das Datensuchprogramm für das LOB wurde deshalb so verändert6, daß der Kotextrahmen von einem auf drei Sätze erhöht wurde, wobei sich das Zielwort idea jeweils im mittleren der drei Sätze befand.
5.4 Datenerfassung und quantitativer Überblick
Im zweiten Schritt der Analyse wurde mit den 361 Beispielen anhand von 12 Parametern bzw. sog. "Feldern" das Arbeitskorpus in Form einer Datenbank erstellt.7 Jedem Feld wurden je nach Kotext des Beispiels unterschiedliche "Werte" zugeordnet. Ziel beim Entwurf der Datenbankstruktur, d.h. bei der Zulassung der Felder und Werte, war es, alle möglichen Variablen, die auf die aktuelle Bedeutung von idea Einfluß haben könnten, zu erfassen. Dabei galt es, verschiedene als relevant erachtete Aspekte von Kontext und Kotext zu berücksichtigen: Das Feld LOB dient zur Identifikation der Beispiele, die darin integrierte Information über den TEXT hat durch den Hinweis auf das Textgenre die zusätzliche Funktion einer Integration des Faktors 'Kontext' in das Arbeitskorpus. Die Felder VP und REF_EXPR enthalten Informationen zum lexikalischen bzw. semantischen Kotext. Der syntaktische Kotext wird in den Feldern DETER, PREMOD, POSTMOD und CONSTIT erfaßt. REFJTYPE integriert zusammen mit REF_EXPR die innertextuelle Funktion von idea in die Datenbank. Das Feld APPOS wird eingeführt, um unserer Erwartungshaltung Rechnung zu tragen, daß idea in einem appositiven Verhältnis zu Phrasen oder Teilsätzen stehen kann. Das Feld SYNONYM schließlich enthält eine vorläufige intuitive semantische Beurteilung des jeweiligen Beispiels. Neben den notwendigen Feldern zur Identifikation der Daten im LOB erfaßt unsere Datenbank also lexikalische, syntaktische und semantische Kotextfaktoren, zu einem leider relativ geringen Maß den Kontext sowie die Möglichkeit innertextueller und appositiver Beziehungen. Im folgenden werde ich die Natur der einzelnen Felder und ihre möglichen Werte aufzeigen. Gleichzeitig soll mit Hilfe von Tabellen ein quantifizierender Überblick über die Verteilung der Werte in den 13 Feldern gegeben werden. Die tabellarische Darstellung stellt jeweils Singular- und Pluralmorphem einander gegenüber. Ein klarer Unterschied zwischen Singular- und Pluralverwendungen war schon bei der Erfassung der Daten aufgefallen, und er geht deutlich aus den folgenden tabellarischen Gegenüberstellungen hervor. Er läßt sich für
Für die bereitwillige und kompetente Unterstützung beim Umgang mit den verwendeten Datenbankprogrammen danke ich A. Brosch-Heiler. Als typographische Konvention wird festgelegt, daß die Kurzformen der Felder in Großbuchstaben (z.B. DETER, PREMOD) gedruckt sind und die Abkürzungen für die Werte in eckigen Klammern (z.B. [def], [adjp] etc.).
176
die Felder TEXT, DETER und CONSTIT auch mit Hilfe des x2-Tests (vgl. Woods et al. 1986: 132ff) nachweisen.8 Wie ist dieser Unterschied zu erklären? Schließlich würden wir erwarten, daß ähnlich wie bei cottage - cottages, table - tables, institution - institutions die Bedeutung eines Lexems bei der Verwendung in Singular und Plural konstant bleibt. Auch in Wörterbüchern wird ja die Pluralbildung lediglich als grammatisches Phänomen und nicht als bedeutungsverändernder Vorgang behandelt. Zum einen ist ideas, wie die Tabellen zeigen werden, syntaktisch und semantisch viel weniger spezifiziert als idea: Bei 67% der Beispiele ist ideas nicht postmodifiziert (gegenüber 31% bei idea), 48% sind nicht determiniert (idea: 2%). Dazu kommt zum zweiten, daß bei jeder Art von Substantiv die Versetzung in den Plural automatisch einen geringeren Grad an Wohlbestimmtheit zur Folge hat, weil man nicht davon ausgehen kann, daß es sich jeweils um eine Zahl von identischen Objekten oder anderen Referenten handelt. Als analoges Beispiel aus meinem letzten Themenbereich könnte man anführen, daß ein Haus nur entweder ein cottage oder ein mansion oder ein hut usw. sein kann. Houses dagegen kann sich durchaus auf eine gemischte Gruppe unterschiedlicher Typen von Häuser beziehen. Bei idea wird die Unbestimmtheit zusätzlich durch den abstrakten Charakter erhöht. Eine weitere Ursache für das abnormale Verhalten von idea im Bezug auf die Semantik des Plurals läßt sich möglicherweise im hybriden Status des Lexems auf den Dimensionen 'konkret - abstrakt' und 'zählbar - nicht-zählbar' finden. Prototypische abstrakte Substantive wie love, music, truth neigen auf der zweiten Dimension eher zum nicht-zählbaren Pol. "There is a considerable degree of overlap between abstract and noncount" (Quirk et al. 1985: 247). Idea ist sicherlich als prototypisches abstraktes Substantiv einzustufen, aber, ähnlich wie viele seiner paradigmatischen Verwandten concept, notion, theory, oder thought, zählbar. Prinzipiell sind abstrakte Begriffe natürlich nur schwer quantifizierbar und damit schlecht zählbar. Doch die Metapher der Vergegenständlichung zeigt einen Weg auf, wie ein abstrakter Begriff wie idea zählbar werden kann. Als gutes Beispiel kann das folgende dienen: [A07 115] We wish to negotiate on one of your ideas - an eased form of the retain and transfer system. Hier suggeriert die hypostasierende Verwendung von idea, daß man eine Idee aus dem Gesamtinventar einer Person isoliert herausgreifen könnte. Andererseits gibt es aber auch Pluralverwendungen, bei denen der Plural eher im Sinne eines abstrakten, quantitativ unbestimmten Kollektivs verstanden werden muß, z.B.:
Hier die jeweligen Totalabweichungen und die gemäß der Freiheitsgrade dazugehörigen Signifikanzniveaus: TEXT: 24.46,0,001 %-Niveau; DETER 85.30,0,001 %-Niveau; CONSTIT: 17.20, 0,001%-Niveau. Um den Test reliabel zu halten, mußten teilweise Werte ausgeschlossen werden, da sie unter der Häufigkeit S blieben, zum anderen Teil wurden Gruppen ähnlicher Werte gebildet, um die Häufigkeit über den kritischen Wert 5 zu bringen. Die Zahlen für POSTMOD sind wegen zu vieler Häufigkeiten unter 5 für den x2-Test nicht geeignet. Ein kurzer Blick auf die Tabelle 5.6 zeigt aber die deutlichen Unterschiede auf. Bei APPOS erübrigt sich der x2-Test aufgrund der eindeutigen Zahlenverhältnisse (vgl. Tabelle 5.8).
177 [A09 233]
Mr Cavanagh has already met Miss Worsley at Kensington Palace to talk over ideas.
In der deutschen Übersetzung würde sich dieser kollektive Aspekt gut durch die Formulierung zu einem Gedankenaustausch widergeben lassen. Diese unterschiedlichen zugrundeliegenden Pluralkonzeptionen können als Erklärung dafür dienen, daß im Falle von idea Singular- und Pluralbedeutungen so ungewöhnlich stark voneinander abweichen können.
a) LOB (LOB-Korpus Referenz) Diese Information ermöglicht eine Lokalisierung der Beispiele im LOB. Ich verwende dabei die im LOB üblichen Angaben über Textkategorie, Textnummer und Zeilennummer (vgl. z.B. Schneider 1988:169). Die Referenzangabe [G29 104] beispielsweise wäre zu deuten als "LOB Textkategorie G, Textnummer 29, Zeile 104". Aus Gründen des vereinfachten Datenzugriffs wurden in den Datenbank und auch in den nachfolgenden Tabellen bei den Textkategorien die relativ ähnlichen Kategorien K bis R in einen Wert [K] zusammengefaßt. Hier der Überblick über die Textkategorien im LOB und die jeweilige Anzahl der Texte, die alle einen Umfang von etwa 2000 Wörtern aufweisen (Johannson et al. 1978: 3). Text categories
Number of texts
A Press: reportage B Press: editorial C Press: reviews D Religion E Skills, trades, and hobbies F Popular lore G Belles lettres, biography, essays H Miscellaneous (government documents, foundation reports, industry reports, college catalogue, industry house organ) J Learned and scientific writing K General fiction L Mystery and detective fiction M Science fiction N Adventure and western fiction P Romance and love story R Humour
44 27 17 17 38 44 77 30 80 29 24 6 29 29 9
Total
500
178 Die möglichen Werte bezüglich der Textkategorie in den Tabellen lauten demnach nur [A] bis [K], bei den Beispielen aber [a...] bis [k...] bzw. [A...] bis [1C..], wobei bei den Kennzeichnungen der Beispiele Großbuchstaben das {s}-Morphem signalisieren, also ideas, und Kleinbuchstaben das {0}-Morphem9, idea. Die Unterscheidung zwischen Verwendungen von idea im Singular und im Plural ist demnach bei den Beispielen in den späteren Ausführungen an der Referenz zum LOB erkennbar.
Tabelle 5.1: TEXT
TEXT
A
B
C
D
E
F
G
H
J
K
Tot
idea
21
10
7
9
22
20
32
7
36
69
233
ideas
8
5
6
1
11
14
45
10
14
14
12«
total
29
15
13
10
33
34
77
17
50
83
361
b) VP (Verbalphrase) In diesem Feld wird das Hauptverb, in manchen Fällen kombiniert mit einem Hilfsverb oder einer Prädikatsergänzung, desjenigen Teilsatzes registriert, in welchem idea jeweils vorkommt; z.B.: [a02 Oil] "So the idea of a personal mission of the Prime Minister to Paris was dropped" wird analysiert als VP [be dropped]. Tabelle 5.2 enthält die häufigsten Verben.
Tabelle 5.2: VP 0
VP
abandon
be
be +
conceive
get
give
have
like
idea
4
32
26
3
10
5
37
5
4
9
98
ideas
0
7
34
0
2
3
9
0
0
2
71
total
4
39
60
3
12
8
48
5
4
11
169
think it
Rest
Die Postul ierung eines {0}-Morphems für idea im Singular hat keine ideologischen Hintergründe, sondern dient lediglich der Kontrastierung zur Pluralverwendung mit dem {s}-Morphem.
179
c) REF_EXPR (expression referred to) In dieser Spalte finden sich Ausdrücke bzw. Textteile, auf die idea endophorisch Bezug nimmt. Dabei spielt es in diesem Feld weder eine Rolle, ob die fragliche Passage vor oder nach der Nennung von idea auftritt, noch welcher Natur der Bezug ist. Beziehungen der Referenz und der lexikalischen Kohäsion im Sinne von Halliday & Hasan (1976) wurden gleichwertig behandelt. Im obigen Beispiel [a02 11] etwa gilt [of a personal mission] als REF_EXPR, in anderen Fällen liegt eine Repetition vor, so daß als REF_EXPR [idea] genannt wird. Bei exophorischem Bezug von idea taucht in der Spalte REF_EXPR der Wert [0] auf.
d) REFJTYPE (reference type) Das Feld REF_TYPE gibt die Art bzw. Richtung der Referenzbeziehung an. Es wurden insgesamt vier verschiedene Werte zugelassen: [ana] [cata] [exo] [ana/cata]
anaphorischer Bezug kataphorischer Bezug exophorischer Bezug anaphorischer und kataphorischer Bezug
Ein klares Beispiel von [ana/cata] liegt mit [a!9 31] und [a!9 34] vor, die im LOB in zwei aufeinanderfolgenden Sätzen stehen: [a!9 031]: a man [...] can hardly be expected to have much idea of what is going on in 1961. [a!9 034]: [...] anyone [...] would get a quite lunatic idea of what was going on in it. Bei [a!9 034] liegt nicht nur eine kataphorische Beziehung zu der postmodifizierenden PP "of what was going on in it" vor, sondern gleichzeitig eine anaphorische Beziehung zu idea im vorhergehenden Satz.
Tabelle 5.3: REF TYPE REFJTYPE
ana
cata
exo
ana/cata
total
idea
53
139
20
21
233
ideas
4
23
99
2
128
total
57
162
119
23
361
180
e) DETER (determiner) Die Spalte DETER gibt das letzte Element der Determinatorengruppe an (vgl. Quirk et al. 1985: 241ff). Folgende Werte ergaben sich für dieses Feld als Möglichkeiten:
[der] [demon] [indef] [no] [num] [poss] [quant] [0]
bestimmter Artikel (the) Demonstrativpronomina (this, that, these, those) unbestimmte Determinatoren (a, an, some, any) "no" Zahlwörter (two, first) Possessivpronomina (Aw, her, their) Quantifikatoren (much, all, many) kein determinierendes Element
Tabelle 5.4: DETER DETER
def
demon
indef
no
num
poss
idea
128
15
57
13
2
13
1
4
233
ideas
20
1
4
0
1
39
2
61
128
total
148
16
61
13
3
52
3
65
361
quant
total
0
f) PREMOD (Prämodifikator) Als prämodifizierende Elemente (vgl. Quirk et al. 1985: 1321ff) konnten in meinem Korpus lediglich drei verschiedene Werte festgestellt werden: [adjp] [np] [0]
Adjektivphrase Nominalphrase kein prämodifizierendes Element
Tabelle 5.5: PREMOD PREMOD
adjp
np
0
total
idea
64
5
164
233
ideas
50
2
76
128
total
114
7
240
361
181
g) POSTMOD (Postmodifikator) Folgende post modifizierende Phrasen bzw. Teilsätze innerhalb von Nominalphrasen mit idea als Kopf treten in meinem Korpus auf: [about] [along] [as to] [behind] [for] [from] [in] [interr] [of] [on] [rel] [to] [that] [0]
Präpositionalphrase (PP) mit about PP mit along PP mit as to PP mit behind PP mit for PP mit from PP mit in postmodifizierender interrogativer Nebensatz PP mit of PP mit on postmodifizierender relativer Nebensatz postmodifizierender infiniter Nebensatz, eingeleitet mit to postmodifizierender appositiver Nebensatz, eingeleitet mit that kein postmodifizierendes Element
Tabelle 5.6: POSTMOD about
along
as to
behind
for
from
in
interr
of
on
rel
that
to
0
idea
1
0
0
2
3
0
0
11
%
0
6
34
6
74
ideas
8
1
1
0
2
1
2
0
9
3
15
0
1
85
total
9
1
1
2
5
1
2
11
105
3
21
34
7
159
POSTMOD
h) CONSTIT (Satzglied) Die Spalte CONSTIT gibt die Funktion an, die die NP mit idea als Kopf im jeweiligen Satz oder Teilsatz ausfüllt: [a] [c] [exclam] [premod] [postmod] [o] [su]
Adverbiale Subjektsergänzung Verwendung in einer verblosen Satzkonstruktion Prämodifikator Postmodifikator Objekt Subjekt
182 Tabelle 5.7: CONSTIT O
Su
total
16
123
60
233
0
30
58
35
128
1
46
171
95
361
CONSTIT
A
C
exclam
prem
idea
6
22
5
1
ideas
0
3
2
total
6
25
7
postm
i) SYNONYM Das Feld SYNONYM ist keineswegs als Versuch zu werten, eine klare Bedeutungsbestimmung durchzuführen. Dies hieße ja, den eigentlichen Zweck der Analyse vorwegzunehmen. Vielmehr dient dieses Feld lediglich als vager Anhaltspunkt, der nicht mehr als eine rein intuitive Beurteilung des Bedeutungsgehalts darstellt. Dieses vorläufige Urteil der Bedeutung sollte nur beim Auffinden eklatanter Ähnlichkeiten zwischen verschiedenen Verwendungsweisen hilfreich sein. Bei der Beurteilung wurden Singular- und Pluralverwendungen unterschiedlich bewertet: Die Singularverwendungen wurden der Kategorisierung des OED zugeordnet, wobei als Kürzel die verschiedenen lexical units, gekennzeichnet durch arabische Zahlen, und ihre Subkategorien, dargestellt durch Kleinbuchstaben, verwendet wurden. Auch Zwischenpositionen, z.B. [9a/9e] oder [8a/9a], wurden bei zweifelhaften Fällen zugelassen. Bei den Pluralbeispielen wurde anders verfahren, da sich bald herausstellte, daß die Kategorisierung des OED für diese kaum einsetzbar war. Einerseits waren zu wenige Beispiele klar einem lexical unit zuzuordnen, auf der anderen Seite gab es zu viele Verwendungen, die inhaltlich keinem der im OED genannten lexical units entsprachen. Es mußten daher andere, passendere und vagere Subkategorien gefunden werden. Hier bot sich als Hilfsmittel eine kontrastive Sichtweise an, da das Deutsche im Bereich von idea von vornherein feinere Unterscheidungen trifft als das Englische. Ein Archilexem mit einer ähnlich vielseitigen bzw. unspezifizierten Bedeutung wie der von idea existiert in der deutschen Sprache nicht. Aus einem kontrastiven Vergleich ergaben sich für die Verwendungen mit dem Pluralmorphem folgende Werte als - und das sei noch einmal betont - provisorische Synonyme:
[a] [g] [i] [m] [p] [s] [v] [ü] [?]
'Ansichten', 'Meinung' 'Gedanke' 'Einfall' Musik: 'Motiv', 'Thema' 'Plan' 'schlechte Gedanken' 'Vorstellung' 'Überzeugung' Bedeutung unklar
183
j) APPOS (Apposition) Das Feld APPOS ist als logisches Feld definiert, das nur die beiden Werte 'wahr' oder 'falsch' bzw. [j] und [n] annehmen kann. Tabelle 5.8: APPOS APPOS
ja
nein
total
idea
96
137
233
ideas
4
124
128
total
100
261
361
5.5 Datenauswertung und Interpretation
Ziel der Phase der Datenauswertung und Interpretation ist das Auffinden von signifikanten Gemeinsamkeiten von einzelnen Verwendungen, die ihre Kategorisierung in Verwendungsweisen erlaubt. Zur vollständigen Interpretation ist es weiterhin notwendig, die Attribute von Prototypen jeder Verwendungsweise darzustellen, und zu erarbeiten, inwiefern periphere Mitglieder der Verwendungsweisen bzw. Subkategorien vom prototypischen Zentrum abweichen. Bei schwierigen Interpretationsfragen von Beispielen und Abgrenzungsfragen zwischen Subkategorien legte ich fünf native speakers Testsätze vor, um mein eigenes Urteil abzusichern.10 Ich habe schon mehrmals bemerkt, daß aufgrund der Vielfalt der verschiedenen Verwendungsmöglichkeiten angenommen werden muß, daß idea ein intensional sehr wenig spezifiziertes Lexem ist, d.h. es dürften sich nur wenige, womöglich gar keine Attribute finden lassen, die für den Großteil der Verwendungen Gültigkeit haben. Für die semantische Interpretation eines solchen "general nouns" (im Sinne von Halliday & Hasan 1976 und Cruse 1986) hat seine Unbestimmtheit die Folge, daß Ko- und Kontext zur Fixierung der aktuellen Bedeutung einen immensen Beitrag leisten. Für die semantische Analyse wiederum bedeutet dies, daß Ko- und Kontext die entscheidenden heuristischen Hilfsmittel werden. Selbstverständlich könnte man es auch mit der Feststellung bewenden lassen, daß idea ein sehr allgemeines Lexem mit confczmer-Funktion ist, in das alles Erdenkliche "hineingepackt" werden kann. Damit ist sicher ein wichtiger Aspekt des Lexems charakterisert. Die eigentliche semantische Detailarbeit ist damit aber nicht erfolgt. Diese beginnt erst mit der Berücksichtigung der systematischen differenzierenden Auswirkungen von Ko- und Kontext.
10
Ich danke meinen fünf britischen Kollegen Sue Bellinger, Nick Flynn, Jane Heck, David Marks und Fioni Scanion für ihre Bereitschaft, sich über Probleme bezüglich winziger semantischer Unterschiede zwischen Beispielen wahrhaftig den Kopf zu zerbrechen.
184
Oftmals wird sich dem Leser vielleicht die Frage aufdrängen, ob nicht semantische Aspekte, die eigentlich nur im Kotext stecken, zu unrecht auf idea projiziert werden. Es sei deshalb noch einmal ausdrücklich wiederholt, daß angesichts der wenig spezifizierten Bedeutung von idea eine wortimmanentere Analyse wenig ertragreich wäre und die Ko- und Kontextanalyse somit den einzig sinnvollen Weg darstellt.
5.5.1 Unspezifizierte Verwendungsweisen 5.5.1.1 "Thoughts" Ich wende mich zuerst dem Bereich der Verwendungen von idea zu, in dem das Wort syntaktisch und semantisch gesehen am wenigsten spezifiziert ist. Dies trifft in höchstem Maße für zwei Verwendungsweisen zu, die nur bei idea im Plural auftreten. Ich will deshalb mit diesen beginnen und zuerst einige Beispiele zur Charakterisierung des prototypischen syntaktischen Kotexts nennen: a) [F01 019] For a piece of understood knowledge is not a mere succession of ideas. [G21 160] [...] for through appreciating the beauty of things you come in time to appreciate the beauty of ideas. [G69 128] The new framework of ideas on which any new dominant religion will be based is at once evolutionary and humanist. b) [J09 107] [J34 087] [J41 014]
[...]; of Niels Bohr who was a very comforting theoretician with great skill in bridging the gap between startlingly new theoretical concepts and classical ideas. One may, however, ask wether he has gone far enough in rejecting traditional ideas [...] The conservatives are charged with selling political ideas as if they were detergents.
Wie sich den Beispielen leicht entnehmen läßt, ist hier ideas in Konstruktionen eingebettet, die in hohem Maße unspezifiziert sind. Typischerweise liegt eine von zwei verschiedenen Konstruktionsvarianten vor: entweder a) DETER [0] PREMOD [0] POSTMOD [0], oder b) DETER [0] PREMOD [adjp] POSTMOD [0]. Im ersten Fall a) ist offenkundig, daß ideas keine Art von direkter näherer Bestimmung erhält: Es fehlen Hinweise auf die Art der Referenz; prä- und postmodifizierende Elemente, die wie in den anderen Verwendungsweisen semantische Informationen enthalten, liegen ebensowenig vor. Es besteht also hier meines Erachtens keine Möglichkeit, so wie nachher dem Kotext über die oben diskutierten Attribute 'mental' und 'hypostasierend' hinaus (vgl. S.173ff) Attribute zu entnehmen. Dasselbe gilt weitgehend für die Beispiele der zweiten syntaktischen Variante, den Fällen mit PREMOD [adjp]. In der AdjP treten Adjektive eines charakteristischen Typs auf, z.B. mathematical, French, communist, social, democratic, Chinese, classical, traditional, political. Bei diesen Adjektiven handelt es sich eindeutig um sog. nicht-inhärente Adjektive (Quirk et
185
al. 1985: 435). Während man also etwa good ideas paraphrasieren kann durch ideas which are good oder umformen kann zu these ideas are good, ergeben beide Transformationen bei Adjektiven wie political oder traditional keinen Sinn (vgl. "ideas which are traditional, 'these ideas are political). Stattdessen müßte man hier mit Paraphrasen arbeiten wie beispielsweise ideas that are related to ... oder ideas that originate in ... . Es liegt also ein andere semantische Beziehung zwischen Adjektiv und Substantiv vor. Viele der genannten Adjektive sind geradezu prototypische Beispiele für die von Leitzke (1989) diskutierten sog. relationalen Adjektive. Auch von ihrem lexikalischen bzw. morphologischen Status her gehören diese Adjektive zum Themenbereich von Leitzkes Studie, da es sich bei allen oben genannten Beispiele um (de)nominale Adjektive im Sinne Leitzkes handelt. Entscheidend ist nach Leitzke (1989: 131) an diesem Typ von Adjektiven, daß sehr variable semantische Beziehungen zwischen dem Adjektiv und dem head-noun bestehen können, die im einzelnen von Faktoren auf unterschiedlichen sprachlichen Ebenen und der außersprachlichen Realität abhängen. Die verschiedenen Adjektive ordnen die ideas jeweils lediglich einer bestimmten Denkweise, Ideologie oder einem Themenbereich zu, ohne darüber hinausgehende systematische semantische Informationen zu enthalten, wie dies bei inhärenten Adjektiven wie good oder new der Fall ist. Prinzipiell sind also die Verwendungen der syntaktischen Variante mit PREMOD [adjp] semantisch ähnlich unspezifiziert wie die mit PREMOD [0], wenn man von der "Denkbereichszuordnung" einmal absieht. Es läßt sich also resümieren, daß die Verwendungen vom Typ "thoughts" aus syntaktischer, und daraus resultierend auch aus semantischer Sicht ein Höchstmaß an Unbestimmtheit aufweisen. Die einzigen Attribute, die von unserem Ausgangspunkt - wir hatten eingangs (vgl. S.174) als hypothetisches Grundinventar die Attribute 'mental', 'hypostasierend' und 'bezugherstellend' angesetzt - noch übrig bleiben, sind 'mental* und 'hypostasierend'. Diese Verwendungsweise kann deshalb meines Erachtens als Schema (i.S. Langackers; vgl. 2.4.3) angesehen werden, da sie den gemeinsamen semantischen Nenner aller Subkategorien darstellt. Will man vor dem Hintergrund dieser Charakterisierung der Methodik einer vergleichenden strukturalistischen Semantik treu bleiben, so drängt der Befund unmittelbar die Frage auf, inwiefern sich die Verwendungsweise "thoughts" noch von dem semantisch eng verwandten Lexem thought unterscheidet. Denn rein intuitiv ließe sich dieses Lexem mit denselben Attributen charakterisieren. Auch bei den sechs Beispielen, die ich oben zitiert habe (vgl. S. 184), scheinen thought oder Varianten wie thoughts oder thinking für ideas gut austauschbar zu sein. Prinzipiell muß zu dieser Frage festgestellt werden, daß sich ideas und thought auch auf der syntaktischen Ebene, v.a., was die Kombination mit postmodifizierenden Phrasen angeht, sehr ähneln. Wie aus den beiden tabellarischen Gegenüberstellungen11 der jeweils prozentual häufigsten DETERs und POSTMODs für concept, fact, idea, ideas, notion und thought hervorgeht (vgl. Tab. 5.9 und 5.10), unterscheiden sich ideas und thought gemeinsam durch den hohen Anteil von DETER [0] und POSTMOD [0] von den anderen Lexemen.
Die Zahlen geben den prozentualen Anteil der jeweiligen determinierenden bzw. posünodifizierenden Elemente an, bezogen auf die Gesamtanzahl der Beispiele des jeweiligen Lexems im LOB. Phraseologische Verwendungen von fact wie äs a matter of fact und in fact wurden dabei aus der Rechnung ausgeschlossen.
186 Tabelle 5.9 poss
0
5,9
2,0
5,9
3,7
5,2
0
1,1
54,9
24,5
6,4
5,6
1,7
ideas
15,6
3,1
0,8
30,5
47,6
notion
69,0
13,8
3,4
6,9
0
thought
36,2
10,7
0,7
4,7
43,0
DETER in %
def
indef
concept
70,5
15,7
fact
88,8
idea
demon
Tabelle 5.10 POSTMOD in %
of
that
0
rel
concept
74,5
0
15,7
3,9
fact
4,1
71,2
19,5
0
idea
41,2
14,6
31,7
2,6
ideas
7,0
0
67,2
10,9
notion
55,2
24,1
13,8
0
thought
16,7
6.7
69,8
1,3
Offensichtlich wird in vielen Fällen thought ähnlich unspezifiziert verwendet, wie ich es in diesem Abschnitt für ideas festgestellt habe. Es darf auch nicht verschwiegen werden, daß in vielen Fällen ideas in der momentan diskutierten Verwendungsweise und thoughts) synonym und somit austauschbar sind. Trotz allem bin ich aber der Ansicht, daß ein Bedeutungsunterschied mit systemhaftem Charakter vorhanden ist: Im Gegensatz zu ideas sind thoughts etwas Dynamisches. Sie sind eng mit mentaler Aktivität, also mit bewußt gesteuertem Denken verbunden. Ideas dagegen haben einen sehr deutlichen passiven Aspekt. Ideen kann man haben (nicht denken!), oder sie sind, zumindest bei dieser Verwendungsweise, einfach vorhanden, ohne daß ein denkendes Subjekt impliziert sein muß. Gedanken indessen müssen aktiv von einer Person gedacht werden. Mit diesem Unterschied zwischen ideas und thought auf den Skalen passiv vs. aktiv und statisch vs. dynamisch geht eine weitere Möglichkeit der Differenzierung einher, die meines Erachtens die Basis der Unterscheidung darstellt. Ideas in der Verwendungsweise "thoughts" zeichnen sich durch einen permanenten Aspekt (Attribut 'permanent') aus. Sie lassen sich auch als etabliert kennzeichnen, und gerade diese Tatsache ermöglicht ja auch die Zuordnung zu den ideologischen Denkbereichen, die ich oben festgestellt habe. Im Deutschen kann man
187 diese Verwendung von ideas häufig sehr treffend mit den Begriffen 'Weltanschauung' oder auch 'Gedankengut' wiedergeben. Thought(s) auf der anderen Seite sind etwas temporäres. Man ist mit der mentalen Arbeit an einem bestimmten Gedanken eine Zeit lang beschäftigt und läßt ihn dann wieder fallen.
5.5.1.2 Opinions" Die Verwendungen vom Typ "opinions" ähneln denen vom Typ "thoughts" insofern, als auch hier wieder nur Pluralbeispiele existieren und bei den prototypischen Fällen keine postmodifizierenden Elemente auftreten. Entsprechend ist es auch hier wieder schwer, Aussagen darüber zu machen, was die ideas sind bzw. beinhalten. Wir können ganz wie oben bei "thoughts" (vgl. S.184ff) wieder von den Attributen 'mental', 'hypostasierend' und 'permanent' ausgehen. Im Gegensatz zu "thoughts" ist aber bei "opinions" immer eine Angabe in bezug auf die Person oder Personen, die die ideas hat oder haben, im Spiel. Die deutlichste Art einer sprachlichen Umsetzung dieses possessiven Aspekts ist die Verwendung eines Possessivpronomens als DETER. [C15 032] [E05 Oil]
[F02 071] [J42 095]
The dream of Peter Mann [...] sees Kops striking a balance between the urgency of his ideas and his talent for vital, colourful entertainment. [...] some of our younger people, fresh from the best design schools in the world, drifted off to Scandinavian and other countries where they felt their ideas and ideals were more appreciated [...]. Meanwhile, each 'graduate' is encouraged to seek help and advice in working out his ideas [...]. The administrators of the nationalised electricity undertaking seem to have got their ideas from old-fashioned electrical engineers [...].
Anhand dieser Beispiele wird deutlich, daß zwar Aussagen gemacht werden über den oder die "Besitzer" von ideas, die Art oder das Wesen der Ideen werden aber nicht näher spezifiziert. Prinzipiell ist es also denkbar, daß mittels ideas auf die unterschiedlichsten Arten von Ideen gemeinsam Bezug genommen wird. Andererseits spielt die Natur der einzelnen Ideen, die gemeint sind, gar keine so große Rolle, weil sie ohnehin als Ganzheit, als Kollektiv, im Sinne einer persönlichen Ideologie konzeptualisiert sind. Entscheidend ist hier ganz offensichtlich nicht, was für Ideen thematisiert werden, sondern vielmehr, wer diese Ideen hat. Neben dem Attribut 'mental' läßt sich demnach als dominantes Merkmal dieser Verwendungsweise das Attribut 'possessiv' feststellen. Die Verwendungen mit DETER [poss] stellen rein quantitativ mit 26 Beispielen im LOB den Großteil dieser Verwendungsweise dar. Es gibt aber auch noch eine Reihe anderer sprachlicher Möglichkeiten, den possessiven Aspekt herauszuarbeiten: a) Die klarsten Entsprechungen zu DETER [poss] sind possessive POSTMODs in der Form besitzanzeigender o/-Genitive oder possessiver Relativsätze:
[F34 038]
[...] the post-impressionists were attacking the ideas of the impressionists
188
[J60 117]
[...] Valery [...] looks back, not without sympathy despite the detachment, at the ideas and difficulties which he had had in 1894 [...].
Von diesen beiden Typen liegen im Arbeitskorpus vier Beispiele vor. b) Eine weitere deutliche Form der Besitzanzeige sind VPs wie have und hold: [A03 042] [G56 110]
[...] on both the leaders have identical ideas. In view of the strong ideas he held with reference to drugs [...].
Bei drei der fünf Beispiele dieses Typs im Arbeitskorpus wird die Tatsache, daß es sich um Ideen handelt, die eng zu einer Person gehören, noch dadurch unterstützt, daß ideas mit kontrastanzeigenden Adjektiven kollokiert ist, nämlich identical, varied und wrong. c) Schließlich gibt es eine Reihe anderer Beispiele, bei denen kein deutliches possessives Element vorliegt. Stattdessen steht hier die Tatsache im Vordergrund, daß es sich um unterschiedliche ideas oder - um ein geeignetes deutsches Äquivalent einzubringen 'Ansichten' handelt. Dieser kontrastive Aspekt kann in der VP, z.B. bei differ oder change, in der AdjP, z.B. bei discrepant, oder auch in einer NP wie exchange versteckt sein.
5.5.2 Verwendungsweisen mit dem Attribut 'neu' Ich gehe nun zu etwas deutlicher spezifizierten Varianten von idea über, die ich unter dem Attribut 'neu' zusammengefaßt habe. Alle hier subsumierten Verwendungsweisen teilen den Aspekt einer mentalen Einheit, die vor einem bestimmten Zeitpunkt nicht vorhanden war und sozusagen erstmals in das Ideeninventar einer Person Aufnahme findet. Da in diesem Bereich des Lexikons das Englische mit idea und inspiration im Vergleich zum Deutschen vergleichsweise wenig differenziert, werde ich zur Benennung der Verwendungsweisen in diesem Abschnitt auf das Deutsche zurückgreifen.
5.5.2.1 "Einfall" Oberflächlich eng mit "thoughts" und "opinions" verbunden, wenn auch mit weiteren semantischen Spezifizierungen, sind eine Reihe von Singularverwendungen. Diese sind nicht postmodifiziert (POSTMOD [0]) und stehen nicht in einer auf Anhieb erkennbaren ReferenzBeziehung zu anderen Textstellen (REF_TYPE [exo]). Ob in der Tat eine echte exophorische Referenzbeziehung (i.S. von Halliday & Hasan 1976: 31ff) zur außersprachlichen Welt vorliegt, wollen wir im Einzelfall nicht hinterfragen. REFJTYPE [exo] definiert sich also als negative Kategorie, durch das Fehlen jedweder endophorischer Beziehungen. Auf der Oberfläche findet sich entsprechend der mangelnden innertextuellen Verweise ein hoher Anteil von DETER [indef] und [num]. Beispiele: [a!8 143] [a 18 150]
His approach to a play is to discover One simple idea [...]' He gets an idea, and must stick to it.
189
[g72 164] [n05 175]
By rationalisation it produces better value for money, but it avoids the peril of a new idea ... The word put an idea into his head, and he hurried through the lounge and went to the phone.
Bei der Analyse dieser Beispiel fällt auf, daß ein vergleichsweise hohes Vorkommen von PREMOD [adjp] vorliegt. Es tauchen sowohl evaluative Adjektive wie bright oder sharp als auch vorrangig deskriptive Adjektive wie simple, pure, contrasting, new oder general auf. Die hohe Anzahl unterschiedlicher Adjektive fuhrt zu der Vermutung, daß wir es hier ebenso wie bisher mit einer besonders allgemeinen Bedeutungsvariante von idea zu tun haben, die je nach der Bedeutung des Adjektivs und der VP verschiedene zusätzliche Bedeutungsnuancen annehmen kann. Dies läßt sich weiter untermauern: In Beispiel [a!8 143] oben deutet das Verb discover darauf hin, daß es sich um eine 'neue', 'bisher nicht gefundene' mentale Einheit handelt. Diese Komponente läßt sich auch bei dem Verb get in [a!8 150], dem Adjektiv new in [g72 164] und dem Prädikat put an idea into his head in [n05 175] entnehmen. Der Aspekt einer neuen Idee gehört also zweiffellos zu allen diesen Verwendungen, wenn auch in unterschiedlich deutlichem Maß. Hauptfunktion von idea in den folgenden Beispielen ist lediglich die Einführung einer mentalen Bedeutungskomponente. Ansonsten fungiert idea nur als sehr allgemeines Nomen, so wie etwa person als Platzhalter für die Komponente 'menschlich' verwendet wird (vgl. Halliday & Hasan 1976: 274; Quirk et al. 1985: 1368). Der semantische Kern der jeweiligen NPs liegt nicht auf ihrem Kopf idea, sondern auf den prämodifizierenden evaluativen Adjektiven. Dies ist auch daran zu erkennen, daß idea in diesen Fällen kaum Tonstärke erhält. Der Hauptton liegt stattdessen auf dem Adjektiv: [clO 168] [r04 170]
[... and his eye hit on a ground mike near the footlights.] He had a bright idea. Then he got an even sharper idea.
Ich habe ganz bewußt am Anfang dieses Abschnitts davon gesprochen, daß innertextuelle Beziehungen "auf Anhieb" nicht erkennbar seien. Dies ist sicherlich der Fall, wenn man die Verwendungen aus einer oberflächlichen, rein syntaktischen Perspektive betrachtet. Dringt man aber tiefer in semantische oder inhaltliche Beziehungen ein (d.h. betritt man den Bereich der "Kohärenz" im Sinne von de Beaugrande & Dressler 1891: 84ff), so zeigt sich, daß eine Reihe dieser Verwendungen eine verborgene kataphorische Komponente aufweisen. Unser Weltwissen baut im Zusammenhang vor allem mit 'neuen' oder 'plötzlich entstandenen' Ideen eine Erwartungshaltung auf. Wir gehen stillschweigend davon aus, daß eine Veränderung der geistigen Konstitution einer Person, die ja durch das Hinzukommen einer neuen mentalen Einheit bewirkt wird, in irgendeiner Form Auswirkungen auf ihr Denken und/oder Handeln haben muß. Explizit gemacht werden diesen Folgen bei den Beispielen [clO 168] und [n05 175]: [clO 168] [n05 175]
He had a bright idea. He stopped dancing, pulled the mike upstage and ... The word put an idea into his head and he hurried through to the lounge and went to the phone.
Wirft man noch einmal einen Blick auf die anderen Beispiele, die ich weiter oben zitiert habe (vgl. S.188), so wird man bei mehreren feststellen, daß man sich fast unbemerkt in eine
190
Erwartungshaltung begibt, die irgendwann im folgenden Text befriedigt werden muß, soll die Sinnkontinuität bzw. Sinnkonstanz (Hörmann 1976:179ff) erhalten bleiben. Wir ertappen uns bei der Lektüre der Beispiele dabei, daß wir uns quasi automatisch Fragen stellen wie "und was für eine Idee war das?", "und was ist dann passiert?" oder "und was hat er/sie dann getan?". Ich bin deshalb der Ansicht, daß es gerechtfertigt ist, als wichtiges Attribut vieler Verwendungen in dieser Gruppe einen kausalen Aspekt anzusetzen. Die Nennung einer nicht explizit mit anderen Textteilen verknüpften Idee ist für den Leser der Grund, nach Indizien für Folgen und Veränderungen im weiteren Kotext zu suchen. Dies gilt vor allem für 'neue' Ideen, trifft aber in geringerem Maße auch für andere Beispiele zu. Ausnahmen stellen Beispiele dar, die explizit auf die außersprachliche Realität verweisen wie die oben zitierten [c!7 157] und [e24 62] oder auch die folgenden beiden Beispiele: [e02 020] [j53 127]
Figure 2(A) shows the idea. Significantly, as Schiller now approaches the vital core of his idea, his mode of expression changes.
Hier ist es praktisch unmöglich, zwischen einer echten mentalen Einheit und dem Produkt des Denkens zu unterscheiden. An dieser Stelle geht also idea über den rein mentalen Bereich hinaus und sprengt somit die Schranken des Schemas, die ich auch in der Ausgangshypothese grundsätzlich für die Kategorie idea angesetzt hatte.
5.5.2.2 "Gute Idee" Verlassen wir den Bereich von REFERJTYPE [exo], so stoßen wir auf Beispiele, die eine Umkehrung des kausalen Aspekts, also einen konsekutiven Aspekt, beinhalten. Diese Beispiele unterscheiden sich von den bisherigen dadurch, daß nicht eine verborgene kataphorische, sondern eine explizite anaphorische Referenz-Beziehung vorliegt (vgl. auch S.215ff). Allerdings ist das Referenzsignal nicht in der NP von idea zu suchen, sondern in der speziellen Art des Subjekts des Satzes. [a07 123] [f03 203] [glO 128]
[A new system was suggested by the football league management committee ...] It was an absolutely first-class idea by the league [...] [He calls the Director captain, refers to him starting as cabin-boy, keeping the ship off the rocks, etc.] A sound idea. [She had seen plenty of trouble and finally succumbed to the buffeting of fate and retired to bed for good.] This was a very sensible idea ...
Subjekte bei diesem Verwendungstyp sind immer sog. extraponierte Subjekte der Form it, this oder there. Bei zwei Beispielen sind Subjekte dieser Form ausgelassen worden (vgl. [fD3 203]). Die NP mit idea als Kopf steht bei all diesen Verwendungen in der Position der Subjektsergänzung und sie ist entweder durch [adjp] oder [np] prämodifiziert oder durch [rel] postmodifiziert. DETER ist bei allen Fällen [indefj.
191
Es läßt sich anhand der Beispiele erkennen, daß die Modifikatoren dem positiv-evaluativen Typ angehören.12 Hauptfunktion dieser Verwendungsweise ist neben dem Aspekt der 'neuen Idee' offensichtlich, mit Hilfe des extraponierten Subjekts anaphorisch auf vorangegangenen Text zu verweisen und den Inhalt dieser Textpassage zu "mentalisieren", zu hypostasieren und positiv zu evaluieren. Während bei den Beispielen oben die Idee der Grund für eine Handlung war, ist hier die Beurteilung die Folge einer Handlung. Es liegt also eine konsekutiver Aspekt vor. Prinzipiell ist natürlich genausogut eine negative Evaluierung möglich, sie ist aber in meinem Korpus nicht belegt.
5.5.2.3 "Gute Ideen" Die Verwendungen, die hier unter "Gute Ideen" zusammengefaßt sind, stellen quasi die Pluralvariante von "Gute Idee" dar. Nichtsdestoweniger scheint mir der Unterschied so bedeutend zu sein, daß die Postulierung einer distinkten Verwendungsweise gerechtfertigt ist. Dies wird im folgenden zu zeigen sein. [B08 033] [E05 028] [J09 084] [R01 185]
A politician of endurance (as proved over Suez), able also to produce new ideas that can excite. Manufacturers [...] are now willingly employing designers wishful to introduce new ideas. [...] and while they were chatting after supper Rutherford suddenly came out with his first ideas about the atomic nucleus [...]. He would rather be a supporter than an opposer, and he will always endorse good ideas, whichever side they come from.
Deutlich ist anhand dieser Beispiele der Aspekt der 'neuen' Idee zu erkennen. Er wird in der Regel, z.B. durch Adjektive wie new oder first, explizit geäußert. Aber auch Verwendungen mit good wie [ROI 185] implizieren deutlich das Attribut, daß es sich nicht um altbekanntes Gedankengut, sondern um innovative Ideen handelt. Zusätzlich sind aber die Verwendungsweisen mit new, etwas weniger auch die mit first, klar positiv konnotiert. Offensichtlich besteht in der Sprache ein enger Zusammenhang zwischen den Attributen 'neu' und 'positiv evaluativ' in bezug auf Ideen.13 Insofern besteht also eine deutliche Affinität zwischen "Gute Idee" und "Gute Ideen": Beide haben 'positiv evaluativ' als wichtiges Attribut. Der dritte häufige Aspekt, den ich für "Gute Idee" postuliert habe, der konsekutive Aspekt, ist bei den Pluralverwendungen nicht erkennbar, und deshalb gehe ich von zwei distinkten Verwendungsweisen aus. Eine ausgedehnte Überlappung ist offenkundig vorhanden, aber beide Subkategorien decken auch jeweils getrennte Bereiche ab (vgl. Abb. 5.1, S. 194).
12
Vgl. für die erste Nennung eines Merkmals +negEv("-»-negative Evaluation") Lipka (1972:136ff), wo dieses Merkmal für den Großteil von Verb-Partikel-Konstruktionen mit up postuliert wird. Vgl. dazu aber die negativ evaluativen Verwendungen, die unter 'dumme Gedanken' (vgl. S.192) gruppiert sind. Möglicherweise spiegelt diese Zweiteilung in "gute" und "schlechte" neue Gedanken auch die Tatsache wider, daß je nach Einstellung des Sprechers (konservativ vs. progressiv) neue Ideen sehr unterschiedlich konnotiert sind.
192 Das Attribut 'neu* kann auf das Wort idea anstelle des oder zusätzlich zum PREM auch durch die VP, z.B. durch Verben wie come to s.o., produce, put forward, introduce oder come out with übertragen werden. Ähnlich kann auch das Attribut 'positiv evaluativ', so wie in den drei folgenden Beispielen, häufig erst aus dem Kotext geschlossen werden: [A37 031]
[E30 060] [E32 189]
His Fleetwood office, a spot of elegance in inelegant surroundings, buzzes with ideas and amiability and remarkable for a high-powered executive, he has not a single ulcer! Immediately, special offers were started and they were given more assistance with ideas for efficient merchandising and profitable promotions. She listed such names as Cut Diamond, Emerald, Opal, Garnet, etc. and finally, running out of ideas, stuffed the paper in her make-up case.
5.5.2.4 "Dumme Gedanken" Ich habe schon im letzten Abschnitt in Fußnote 13 darauf hingewiesen, daß es auch Ausnahmen für die Regel gibt, daß die Attribute 'neu' und 'positiv evaluativ' in Kombination auftreten. In meinem Arbeitskorpus habe ich fünf Beispiele gefunden, die zwar das Attribut 'neu' in mehr oder weniger ausgeprägter Form aufweisen, aber trotzdem deutlich negativ evaluativ oder negativ konnotiert interpretiert werden. Hier zuerst die Beispiele: [Kl6 123] [L17 028] [N01 182] [P05 047] [P28 069]
You'd better get rid of any other ideas you might have had. If you've got any funny ideas about anything, forget them. If they spotted us flying due east over Ancona, it might give them ideas. There's no need to put ridiculous ideas into Norrie's head. Yesterday's encounter outside the shop seemed to have given her ideas and she had been casting glances at him all the morning.
Es ist im Einzelfall keineswegs einfach herauszufinden, warum diese Verwendungen intuitiv sofort den Eindruck einer negativen Berwertung der Ideen hinterlassen. Ich habe in den Hervorhebungen jeweils versucht, ein mögliches Signal für den negativen Aspekt zu lokalisieren. Im Gegensatz zu run out of oben in [E32 189], das ein positiv konnotiertes Objekt impliziert, haben get rid o/[K16 123] und forget [L17 028] in Imperativischen Verwendungen eindeutig negative Auswirkungen auf ihr Objekt, da sie in der Regel mit unangenehm konnotierten Begriffen kombiniert sind. Nur etwas, was man eigentlich nicht will, will man loswerden, und dasselbe gilt auch für das Vergessen, wenn es einer anderen Person empfohlen oder befohlen wird. Mit Weinreich (1966: 429ff; vgl. auch Lipka 1990a: 162f) könnte man sagen, daß get rid of und forget im Imperativ ein "transfer feature" enthalten. Schwieriger ist das Auffinden von Textsignalen für die negative Bewertung bei den anderen drei Beispielen. Deutlich ist hier wiederum, daß es sich um eine 'neue' Idee handelt, die sozusagen zum Ideeninventar einer Person erstmalig hinzukommt. Der entscheidende Unterschied zur Neuartigkeit der Ideen bei den Beispielen in "Gute Ideen", die ja positiv evaluiert waren, scheint mir in der Tatsache zu liegen, daß im momentanen Fall die Ideen einer Person von der Umwelt oder von anderen Menschen 'gegeben' oder 'eingesetzt' werden.
193
Im prototypischen Fall des Typs "Gute Ideen" ist idea mit have kollokiett, d.h. eine Person entwickelt selbst eine neue Idee. Beim Typ "Dumme Gedanken" indessen haben wir es mit Verben wie give und put into s,o. 's head zu tun. Offensichtlich geht die Metaphorik des Denkens, die sich hier in der Sprache widerspiegelt, davon aus, daß Ideen, die nicht aus der eigenen Denkarbeit hervorgehen, sondern von außen 'eingesetzt' werden, schlechte Ideen bzw. "Dumme Gedanken" sind. Die Verwendungsweise "Dumme Gedanken" ist meines Erachtens diejenige Verwendungsweise, welche am ehesten einen idiomatischen Status zugesprochen bekommen könnte (vgl. dazu auch S.207), da die semantische Transparenz der Ausdrücke deutlich eingeschränkt ist. Liest bzw. versteht man Formulierungen wie to give s.o. ideas oder to put ideas into s.o. 's head wörtlich, so drängt sich ein negatives Element prima facie keineswegs auf. Die eine oder andere Variante dieser idiomatischen Verwendungsweise findet auch in den meisten Wörterbüchern spezielle Würdigung: COBUILD
put ideas into someone's head: 'you make them think that certain things are possible for them which they had not thought about before, and you make them want to change their lives; used showing disapproval.
COD
get (or have) ideas colloq.: 'be ambitious, rebellious put ideas into a person's head: 'suggest ambitions etc. he or she would not otherwise have had
COLLINS
get ideas: 'to become ambitious, restless etc.'
LDCE
put ideas into someone's head: 'to make someone hope for things they cannot have'
OALD
give sb ideas: 'give sb expectations or hopes which may not be realized'
OED
Colloq. phr. to get (or have) ideas (into one's head): 'to conceive notions of a particular kind, usu. undesirable or harmful; spec, to entertain a notion or intention of being rebellious, violent, etc.
Neben dem Attribut 'negativ evaluativ' ist bei einem Vergleich dieser Lexikoneinträge kaum ein gemeinsamer Nenner festzustellen. Am ehesten scheint noch eine Bedeutungsnuance im Sinne von 'falsche Erwartungen, Hoffnungen, Ehrgeiz wecken oder entwickeln' vorherrschend zu sein. Dieser Aspekt wird aber wiederum vor dem Hintergrund selbst der lediglich fünf Beispiele aus dem LOB, v.a. [N01 182] und [P28 069], fraglich. Ich bin deshalb der Ansicht, daß alles, was über die Charakterisierung 'neue, negativ evaluative mentale Einheit' hinausgeht, stark vom jeweiligen Ko- und Kontext abhängig und somit rein spekulativ ist. Eine klare Systematizität oder Regelhaftigkeit kann ich hier über das Gesagte hinaus nicht feststellen. Bevor ich zu weiteren Verwendungsweisen übergehe, möchte ich als Zusammenfassung und Verdeutlichung die bisher diskutierten Subkategorien in Abbildung 5.1 graphisch darstellen.
194
Die Abbildung zeigt das hypothetische Kategorienschema "thoughts", dessen Hauptattribute 'mental' und 'hypostasierend'14 auch in allen anderen Verwendungsweisen mit Ausnahme der metonymischen Verwendungen von "Einfall" enthalten sind. Des weiteren läßt sich der gemeinsame Kern 'neu' sowie die Überlappung im Bereich von 'pos. eval.' erkennen.
metonymic
"thoughts" mental reifying (permanent)
"EinfaJJ" {causal} "dumme Gedanken" neg. eval.
"gute Idee" {consecutive}
pos. eval.
"gute Ideen" opinions possessive {permanent}
Abbildung 5.1
5.5.3 Verwendungsweisen mit dem dominanten Attribut 'hypostasierend' Zahlenmäßig bilden diese Verwendungsweisen den größten Teil der Beispiele aus der Datenbank. Unter diesen wiederum stellen den Hauptanteil die Verwendungen mit POSTMOD [of] (183 Beispiele). Bei diesen Verwendungen war das Kriterium der Apposition ein wichtiges heuristisches Hilfsmittel (vgl. Quirk et al. 1985: 1321). Dabei ergab sich die klare Tendenz, daß o/-Phrasen mit deutlich dynamischer Bedeutung in appositiven Konstruktionen auftreten. 14
In Ermangelung eines besseren englischen Ausdrucks habe ich für 'hypostasierend' auf den Begriff der reification zurückgegriffen (vgl. Lipka 1990: 16, Fn.12), der zusätzlich den Vorteil hat, im Gegensatz zu hypostasis oder hypostathation nicht durch negative Konnotationen belastet zu sein.
195 Als grundsätzliche Trennung innerhalb der Verwendungen mit POSTMOD [of] kann man also unterscheiden zwischen o/-Phrasen mit dynamischer Bedeutung, die in appositiver Beziehung zu idea stehen (vgl. 5.5.3.1), und nicht-appositiven o/-Phrasen mit statischer Bedeutung (vgl. 5.5.3.2). Innerhalb der zweiten Gruppe werde ich noch weiter differenzieren.
5.5.3.1 "Mental picture"15 Doch zuerst zu den dynamischen Verwendungen. Prototypen für diese Gruppe sind Beispiele mit der Struktur idea of V^, z.B.: [e28 097] [f07 122] [k!5 038]
[...] for many reasons the old idea of investing one's money in this sort of security is, and will probably remain, unfashionable. Siberian peasants view with disgust the idea of eating hare. I had knocked her down but I had never held her hand; and at the idea of holding her hand I practically felt faint.
Durch die ing-Form als Ergänzung der O/-PP erhält idea eine dynamische Komponente. Als Verben treten in dieser Funktion typische dynamische Verben wie ask, distribute, eat oder come auf. Seltener können auch auf den ersten Blick eher statische Verben wie z.B. live oder be zum Einsatz kommen. Bei näherer Betrachtung entpuppen sich diese Verben aber nicht als rein statische Verben, sondern als Beispiele für den semantischen Verbtyp "stance" (vgl. Quirk et al. 1985: 205f), die hier in einem temporären, begrenzt durativen und insofern auch dynamischen Sinn verwendet werden. In jedem Falle gilt für die Struktur idea of V^ daß ein menschlicher Agens beteiligt sein muß. Im Gegensatz zu den Verwendungen vom Typ "belief (POSTMOD [that] DETER [def], vgl. S.212), die auch eine dynamische Komponente enthalten können, fehlt bei "mental picture" das faktive Moment. Es wird hier nicht auf ein Faktum verwiesen, sondern auf die Vorstellung einer hypothetischen, vergangenen oder zukünftigen Handlung, eines solchen Ereignisses oder vorübergehend andauernden Zustands Bezug genommen. Dies läßt sich verdeutlichen, indem wir zur Gegenüberstellung Beispiel [fö7 122] bei weitgehender Erhaltung des Satzsinnes in eine / -Konstruktion vom Typ "belief1 umformen: ~[f07 122]16
Siberian peasants view with disgust the idea that some people eat hare.
15
Es sei besonders an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich daran erinnert, daß es sich bei den Namen der Verwendungsweisen nur um stark vereinfachende Kürzel zur Unterscheidungshilfe und nicht um echte Synonyme bandelt Dies gilt es besonders bei den bedeutungsäbnlicben Begriffen wie "picture" und "image" oder "notion" und "concept" (vgl. S.198ff) zu beachten.
1
Hier und im folgenden kennzeichnet das Symbol - ein in irgendeiner Form transformiertes Beispiel.
196
Die fAaf-Konstruktion macht "that some people eat hare" zum Faktum, während durch die o/Phrase lediglich die hypothetische Vorstellung ausgedrückt wird. Häufig tritt bei dem Konstruktionstyp idea of V-mg der Wert REFJTYPE [ana/cata] auf, d.h., es wird etwas vorher schon einmal Erwähntes aufgegriffen und in der »/-Phrase wieder genannt oder weiterentwickelt. Dies läßt sich durch eine Erweiterung des Kotexts von [f07 122] zeigen: [f07 122]
The heads of the lambs are considered great delicacies and go first. When roasted, the unbounded joy of the native cracking the skull and picking out the tasty bits is nauseating in the extreme. Siberian peasants view with disgust the idea of eating hare.
Hier wird deutlich, wie die Thematik des Essens in der o/-Phrase explizit aufgenommen und durch den neuen Aspekt hare fortgesetzt wird. Gleichzeitig zeigt dieses Beispiel überzeugend, wie das Wort idea aus der abstrakten Behandlung des dynamischen Begriffs "Essen" eine bildhafte, substantielle Einheit, "the idea of eating hare" formt. Die fließende Thematik wird in einer Vorstellung einer bestimmten realen Handlung zu einem Begriff hypostasiert und gleichzeitig mentalisiert. Der Eindruck einer vor dem geistigen "Auge" visualisierten Handlung wird in [fÖ7 122] zusätzlich durch das metaphorisch verwendete Verb view verstärkt. Neben der Visualisierung werden auch die drei weiteren Grundfunktionen des Lexems idea, nämlich vor allem die Hypostasierung, die Mentalisierung und die Kohärenzbildung, in diesem Beispiel sehr schön deutlich. Abweichungen von der prototypischen syntaktischen und semantischen Struktur der Verwendungsweise "mental picture" können a) durch einen eher nominalen Charakter des Partizips oder b) durch die Einführung eines neuen, unbelebten Subjekts bedingt sein. Zu a):
[b!7 070]
It is a lamentable fact that many of our children today feel embarrassed and uncomfortable at the idea of worshipping God.
In Übereinstimmung mit der jeweiligen Auffassung von worshipping ändert sich in diesem Satz auch die aktuelle Bedeutung des kataphorischen idea, so daß ein dynamisches oder ein eher statisches Verständnis möglich wird. Die Entscheidung, ob es sich hier um eine quasibildhafte Vorstellung einer konkreten Handlung oder um den abstrakten Begriff einer institutionalisierten Routine handelt, fällt überaus schwer. Sie kann wohl nicht eindeutig gefällt werden. [b!7 070] muß deshalb meines Erachtens als Brückenbeispiel zwischen "mental picture" und "concept" (vgl. S.199ff) verstanden werden. Zu b):
Ähnliches gilt für Fälle, bei denen in der o/-Phrase ein neues Subjekt eingeführt wird. Von diesem Typ gibt es im LOB nur drei Beispiele:
197 [f20 003] [j35 101] [n!4 164]
In 1937, when the idea of Lakeland becoming a "national park" was an idea only, [...] This idea of the element only deriving its meaning from the system as a whole [...] I can't make old Will like the idea of my being up in here, [...]
Es ist schon anhand dieser drei Beispiele erkennbar, daß die Semantik bzw. der ontologische Status des Subjekts des partizipialen Nebensatzes Einfluß darauf hat, ob idea eher als bildhafte Vorstellung eines konkreten Zustands (wie in [n!4 164]) oder als abstrakter Begriff eines Zustands oder Prozesses verstanden wird (wie in [J35 101]). [f20 3] ist meines Erachtens zwischen diesen beiden Polen anzusiedeln. Deutlich ist bei allen drei Beispielen in jedem Fall der dynamische Charakter durch die Verbformen becoming, deriving und being (vgl. dazu die Bemerkungen oben über die Gruppe der "stance"-Verben bei Quirk et al. 1985: 205f). Zur selben Verwendungsweise wie idea of Vmg zähle ich Verwendungen, bei denen die o/-Phrase durch dynamische Nomina bzw. nominalisierte Aktionen oder Ereignisse ergänzt ist bzw. in der o/-Phrase eine Partizipialform eines Verbs von der semantischen Struktur gesehen ausgelassen wird oder erwartet würde: Dynamische Nomina bzw. Nominalisierungen: [a02 Oil] [a03 032]
So the idea of a personal mission by the Prime Minister to Paris was dropped. The wish was particularly apparent [...] in Yugoslav approval of the idea of an inter-African consultative assembly [...]
Ellipse eines dynamischen Verbs: [b07 166] [f!6 108]
[...] when the idea of more taxes on spending is canvassed. [...] when the idea of a new regional council for the six northern home counties was abandoned.
[b07 166] und [f!6 108] sind Beispiele für «/-Phrasen, deren dynamische Bedeutung durch das Einsetzen von Verben transparent gemacht werden kann. In [b07 166] könnte man zur Verdeutlichung des Satzsinns ergänzen "the idea of imposing more taxes ...", in [f!6 108] "the idea of setting up a new regional council ...". In [a02 Oil] und [a03 032] haben die Nomina mission bzw. assembly einen deutlichen dynamischen Charakter; assembly ist darüber hinaus eine deverbale Nominalisierung, die durch eine (vereinfachte Form einer) head-noun-Analyse (vgl. Kastovsky 1982: 189) auf die Syntagmen "the act of assembling" oder "the result of assembling" zurückführbar ist, die beide dynamisch sind. Es handelt sich also bei beiden Typen von Beispielen nicht um eine abstrakte Vorstellung, sondern um, häufig in die Zukunft orientierte, Vorstellungen von konkreten Handlungen. In Fällen, bei denen eine solche prospektive Komponente zur dynamischen hinzutritt, kämen als Synonyme zu idea etwa plan, project oder auch strategy in Betracht. Dies ist vor allem dann
198
der Fall, wenn die VP andeutet, daß es sich um eine "neu" konzipierte Idee handelt, wie z.B. bei conceive, come to someone oder have. Hier liegt ein enger semantischer Zusammenhang zu der kausalen Komponente von "Einfall" vor (vgl. S. 190). Bei den Beispielen mit prospektivem Charakter ist der Übergang von der rein mentalen, in die Zukunft gerichteten Einheit zur tatsächlichen Handlungsstrategie fließend. Insofern muß man also festhalten, daß hier idea erneut über den durch die Komponenten 'mental' und 'Entität' abgesteckten Rahmen hinausgeht, da der mentale Status verlorengegangen ist. Dieser Zusammenhang läßt sich als metonymische Beziehung des Typs producer -product auffassen. Die Handlungsstrategie ist das Produkt bzw. das Resultat gedanklicher Arbeit. Ohne daß der Begriff der Metonymie auftaucht, findet sich dieser Zusammenhang auch in Lexikoneinträgen, z.B. im OALD: "plan, etc. formed by thinking". Von den ähnlichen Verwendungen "concept" und "image" (vgl. S.199ff) läßt sich die Verwendungsweise idea ofNdyaiittusc)i, die ich hier behandelt habe, rein oberflächlich durch die jeweiligen Determinatoren und Prämodi fikatoren der Nomina in der o/-Phrase unterscheiden. Typischerweise hat bei "concept" die Präpositionalergänzung keinen Determinator. Bei "image" tritt als Determinator der bestimmte Artikel auf und bei "mental picture" entweder ein unbestimmter Artikel oder die Kombination prämodifizierende AdjP + kein Determinator. Prototypische Beispiele für die drei Verwendungsweisen wären: "mental picture": [a02 Oil] So the idea of a personal mission [...] "concept": [g!3 115] We must end the idea of war. "image" : [j32 094] [...] we have very little idea of the distribution of such features
Abweichend von dieser Tendenz liegt bei "mental picture" lediglich ein Beispiel mit einem Demonstrativpronomen als Determinator vor: [J54 103]
So if the action of raising the arm can be understood as the bodily movement incurred in raising the arm together with a desire, one can understand the desire without invoking the idea of this action.
Dieses Beispiel demonstriert gleichzeitig drei wichtige Aspekte von "mental picture" und kann uns somit zu einer Art von Zusammenfassung dienen: a) Es zeigt deutlich das Phänomen der Nominalisierung einer Handlung, wobei der dynamische Charakter hier sogar durch das Nomen action explizit verbalisiert ist; b) Es verdeutlicht die damit zusammenhängende Hypostasierung einer Handlung ("the act(ion) of raising the arm") und c) exemplifiziert, wie unterstützt durch das Demonstrativpronomen this ein Bezug auf den vorangegangen Text hergestellt wird.
199
5.5.3.2 "Concept" und "image" Weiter oben habe ich den ersten grundsätzlichen Schnitt durch die Menge der Verwendungen mit POSTMOD [of] anhand der korrelierten Parameter APPOS [ja] / dynamische o/-Ergänzung einerseits und APPOS [nein] / statische »/-Ergänzung andererseits vorgenommen. Ich komme jetzt zur zweiten Gruppe, den Verwendungen mit statischer Ergänzung. Diese Gruppe ist keineswegs in sich einheitlich; vielmehr ist es notwendig, auch hier Dimensionen zur semantischen Unterscheidung einzuführen. Ich halte eine Einteilung in drei Subkategorien für sinnvoll: Unter "imagination" (vgl. S.204ff) fasse ich diejenigen Verwendungen mit POSTMOD [of] zusammen, die in der o/-Ergänzung ein interrogatives Element enthalten. Mit dieser Verwendungsweise werde ich mich weiter unten in 5.5.3.3 auseinandersetzen. In diesem Abschnitt gilt es, die zwei anderen Verwendungsweisen auszudifferenzieren. Dazu möchte ich zuerst die postmodifizierenden PPs beider Verwendungsweisen auflisten, um dem Leser selbst einen Überblick über die Unterschiede zu ermöglichen (vgl. Tab. 5.11., S.200). Auf Anhieb sticht auf der linken Seite der Liste die Tatsache ins Auge, daß Determinatoren in den Ergänzungen zu of fast gänzlich fehlen. Im Gegensatz dazu weisen alle Beispiele mit Ausnahme der Pluralnominalphrase "of Tory bogeymen" [g52 089] und des Ortsnamens "of London" [g52 195] auf der rechten Seite entweder einen bestimmten oder einen unbestimmten Artikel als Determinator auf. Dieser oberflächlich feststellbare Unterschied läßt sich durch jeweils unterschiedliche Typen der Referenzbeziehung zur außersprachlichen Welt erklären (vgl. Lyons 1977: 177ff; Quirk et al. 1985: 265ff). Die Nominalphrasen unter "concept" stehen zur Wirklichkeit in einer Beziehung der unbestimmten Referenz, d.h. sie "do not refer to a specific individual or class" (Lyons 1977: 178). Die Beispiele unter "image" indes ermöglichen eine eindeutige Identifikation eines Referenten oder einer Klasse von Referenten in der Wirklichkeit. Rein syntaktisch lassen sich die meisten dieser Beispiele als definite NPs charakterisieren. Doch leider sind die Verhältnisse nicht ganz so einfach, wie die Formulierungen im letzten Absatz vermuten lassen würden. Dem kritischen Leser wird aufgefallen sein, daß einerseits auf der linken immerhin fünf definite NPs zu finden sind ([g52 193], (J09 062], [J53 067], (J53 142], [J62 170]). Auf der anderen Seite sind unter "image" mehrere indefinite NPs zu finden, deren Funktionsweise als definite Referenz ja zumindest fraglich ist (z.B. [c09 123], [e!4 064], [g06 185], [g!5 055]). Um die Einteilung in der Form, wie sie in der Liste angegeben ist und wie ich sie für sinnvoll halte, zu rechtfertigen, ist es also nötig, ein weiteres Kriterium neben dem Typ der Referenz einzuführen. Ein erneuter Blick auf die Liste zeigt, daß wir es auf der linken Seite vornehmlich mit abstrakten und auf der rechten Seite primär mit konkreten Begriffen zu tun haben. Wenn wir uns der Typologie der Wortklassen auf einer ontologischen Basis bedienen, wie sie von Lyons (1977: 438ff) postuliert wird, so können wir die Beispiele auf der linken Seite den "thirdorder entities" zuordnen und die Beispiele auf der rechten Seite den "first-order entities". Lyons charakterisiert die first-order entities folgendermaßen: It is characteristic of all first-order entities (persons, animals and things) that, under normal conditions, they are relatively constant as to their perceptual properties; that they are located, at any point in time, in what
200 is, psychologically at least, a three-dimensional space; and that they are publicly observable [...]. First-order entities are such that they may be referred to [...]. (Lyons 1977: 443; meine Hervorhebung).
Third-order entities dagegen sind "such abstract entities as propositions which are outside space and time" (Lyons 1977: 443).
Tabelle 5.11: Gegenüberstellung der o/-Phrasen bei den Verwendungsweisen "concept" und "image" "image"
"concept"
d02 077 d03 219 d!4 155 e26 018 e28 159 fö4098 f04 111 g!3 115 g48 172 g52 193 g57 182 g64044 g64086 J05099 j06 158 J09062 J18 162 J53 051 J53067 j53 120 j53 142 j53 203 j62 170 rOl 141 rOl 142 rOl 143 rOl 143
of meeting-house intimacy of reward or profit of death of bliss of annual rental value of tunnels of destruction of war of realistic painting of the mother country of public morality of science of truth of effective mass of kinetic movement of the nucleus of time as implying evolution of freedom of the anima of beauty of the conquest of "a resistance" of judgement of Death's kingdom of free enterprise of class privilege of equality of regimentation
b!3 229 C07062 c09123 c!5 143 el 4 064 e!8 085 e28 181 4116 g06 185 g!5 055 g52 089 g52 195 g53 102 g56003 h02 210 j!3 189 J32005 j32 094 j36 125 J37 115 J54040 j54 045
k05 189 k09045 k09111 n05 201
of of of of of of
the picture their inner corruption a young Frenchman the personality and form a glass front the formidable body of international yachtsmen of the worth of his house of the cost of things of a necromancer of a divine-human being of Tory bogeymen of London of the House of Commons of the celestial bed of the phenomena confronting us of the factors involved of the influence of genetic factors of the distributions of such features of the relative value of passes in the English language of the nature of these university disputations of that which they produce of that towards which the endeavour is directed of the toupee of his intention of the military instrument of the game which conquest was playing
201
Prinzipiell korreliert dieser semantische Unterschied der Lexeme bzw. ontologische Unterschied der jeweiligen Referenten mit dem Typ der Referenz, wie auch aus der hervorgehobenen Passage im Zitat von Lyons ersichtlich ist: Typische abstrakte Begriffe wie death, bliss, truth, beauty, equality treten, wenn überhaupt von einem referentiellen Gebrauch gesprochen werden kann, in der Regel in unbestimmter Referenz auf. Konkrete Begriffe wie picture, glass front, celestial bed, toupee eignen sich demgegenüber hervorragend für Verwendungen in definiten NPs. Häufig sind bei diesen Verwendungen auch Personen zumindest indirekt im Spiel, z.B. in [c09 123], [e!8 085], [g06 185] und [g52 089]. Hier treten also keine Schwierigkeiten auf. Es gibt aber zwei Typen von Kombinationen, in denen die Korrelation nicht mehr aufrechterhalten wird: Beispiele mit definiter Referenz auf einen abstrakten Referenten, z.B. [g52 193] oder (J62 170] einerseits, und andererseits Beispiele von indefiniter Referenz auf konkrete Referenten, z.B. [c09 123], [e!4 064] oder [g06 185]. Unser semantisches bzw. ontologisches Nebenkriterium ist dazu in der Lage, die Kategorisierung dieser Problemfalle zu erklären. In diesen Fällen wird das Kriterium des Typs der Referenz vom semantischen bzw. ontologischen Kriterium überlagert. Erst eine Abwägung des einzelnen Beispiels auf den beiden Dimensionen 'Art des Referenzbezugs' und Ontologischer Status des Referenten' erlaubt eine endgültige Zuordnung zur jeweiligen Verwendungsweise. Der zugrundeliegende semantische Unterschied zwischen "concept" und "image" läßt sich also so charakterisieren: Die NPs unter "image" sind alle mehr oder weniger gute Beispiele für first-order entities: Sie stellen einen Bezug auf Referenten in der Wirklichkeit her, die ihrerseits in den meisten Fällen in Raum und Zeit lokalisierbar sind. Ist das nicht der Fall, wie etwa bei "of a divinehuman being" [g!5 55], so ist der Referent aber doch eindeutig identifizierbar. Die Mischung der Merkmale 'definite Referenz' und/oder 'first-order entity' ermöglicht eine quasi-bildhafte, visuelle Vorstellung des Referenten. Doch sind natürlich nicht alle Beispiele, die ich unter "image" aufgelistet habe, in gleichem Maße visualisierbar. Die beiden syntaktisch eher hölzernen und damit einhergehend semantisch ziemlich undurchsichtigen Beispiele [J54 040] und [j54 045] sind zwar wohl klare Fälle von definiter Referenz, die Identifikation eines Referenten ist aber durch die abstrakte Formulierung stark erschwert. Sie stellen für mich Brückenbeispiele zwischen "image" und "concept" dar, da eine eindeutige Zuordnung in Anbetracht der Vagheit des Ausdrucks kaum möglich ist. Auch die Beispiele [h02 210], [J32 005], (J32 094], [J36 125] und [J37 115] tendieren, wenn auch nicht so deutlich wie [j54 040] und [j54 045], in Richtung "concept", weil sie inhaltlich relativ abstrakter Natur sind. Andererseits handelt es sich bei diesen Beispielen um klare definite NPs, was letzlich bei der Zuordnung zu "image" den Ausschlag gibt. Der mediale Status solcher Beispiele ist meines Erachtens keineswegs ein Anzeichen für die mangelnde Abgrenzbarkeit der Subkategorien, sondern vielmehr ein Beleg dafür, wie die aktuellen Bedeutungen der verschiedenen Verwendungen im Sinne der Prototypentheorie fließend ineinander übergehen. Die NPs unter "concept" referieren, sofern sie überhaupt referentiell verwendet sind, nicht definit auf einen identifizierbaren Referenten oder eine Klasse von Referenten, sondern unbestimmt. Die Begriffe sind nicht greifbar, nicht in Raum und Zeit anzusiedeln. Diese zweifache Form der Abstraktion - man könnte von ontologischer und referentieller
202
Abstraktion sprechen - hat zur Folge, daß die Denotata der NPs ohne Einsatz von konventionellen Metaphern oder Emblemen wie beispielsweise dem Sensenmann für den Tod visuell nicht vorstellbar sind, sondern lediglich als abstrakte Begriffe konzeptualisierbar sind. Sicherlich hat das menschliche Denken die Tendenz zur Vergegenständlichung solcher Abstrakte, so daß Ausdrücke wie "the idea of war" [g!3 115] oder "the idea of destruction" [f04 111], die rein sprachlich auf einer völlig abstrakten Ebene bleiben, mit Hilfe von mentalen Bildern beispielsweise von sterbenden Soldaten oder zerstörten Häusern und Städten hypostasiert und visualisiert werden. In der sprachlichen Verwendung von indefiniten NPs wie den beiden genannten Beispielen ist diese Konkretisierung aber meines Erachtens nicht angelegt. Die Verwendungsweise "concept" kommt der in manchen Wörterbüchern angegebenen Verwendung von idea in der Philosophie im Sinne einer platonischen oder Kantschen Idee am nächsten. Z.B. im OED: I. General or ideal form as distinguished from its realization in individuals; archetype, pattern, plan, standard. 1. In Platonic philosophy: A supposed eternally existing pattern or archetype of any class of things, of which the individual things in that class are imperfect copies, and from which they derive their existence. [...] 11. In the Kantian and transcendental schools: A conception of reason that transcends all experience".
Gute Kandidaten für eine solche geradezu fachterminologische Verwendung sind die Beispiele [J53 051], fj53 067] und fj53 120]: (J53 051] It has to do firstly, and more particularly, with the conditions in the mind of the percipient which permit the transference of the idea of freedom to the object 'in appearance' [...] (J53 067] It covers and attempts to legitimate the extrusion of the idea of the anima [...] [j53 120] He [...] considers that Kant's solution is misguided and impoverishes the idea of beauty. Natürlich muß hier auch der thematische und kontextuelle Rahmen stimmen, und es ist sicher kein Zufall, daß diese drei Beispiele in TEXT [J], also in der Kategorie "learned and scientific writing" zu finden sind. In dieser Verwendung verliert idea das Attribut 'mental* oder 'im menschlichen Verstand' zugunsten eines metaphysischen Attributs im Sinne der Vorstellung einer 'universellen und ewigen Existenz' (vgl. den Eintrag im OED oben). Historisch gesehen verlief der Prozeß der Übertragung natürlich genau umgekehrt von der platonischen Idee zum heutigen Allerweltswort; dies sollte aber für meine synchron orientierte Studie nicht ausschlaggebend sein. Die Verwendungen vom Typ "image" zeichnen sich über die oben erwähnten Merkmale hinaus durch typische Verbkollokationen aus wie have, get, give und gain. Diese Verben, die zwar im Falle von have und get zugegebenermaßen auch als Funktionswörter fungieren können, tragen alle eine Bedeutungskomponente des Besitzens oder des Transfers von Besitz. Sie verdeutlichen deshalb nicht nur erneut den hypostasierenden Effekt von idea, sondern konkretisieren die Metapher, die wir in unserer Sprache im Umgang mit ideas ansetzen. Wir konzeptualisieren offensichtlich ideas vor allem im Zusammenhang mit first-order entities als
203 mentale Einheiten bzw. Vorstellungen, die man 'haben* oder 'nicht haben', 'geben', 'bekommen' und 'gewinnen' kann. Neben der possessiven Metapher ist typisch für die Verwendungsweise "image", daß das geistige Bild nicht vollständig oder nicht zutreffend ist bzw. sein kann. Dies äußert sich auf der sprachlichen Oberfläche darin, daß diese Verwendungen mit DETER [indef] oder einschränkenden Prämodifikatoren wie 'little' oder 'faintest' kombiniert sind. Nicht die eine, richtige Vorstellung von einer Sache ist gemeint (the idea of...), sondern irgendein, wie auch immer falsches oder unpräzises, Bild, quasi lediglich ein 'Eindruck' (some idea of..., an idea of..., little idea of...). Einige Beispiele fur "image" sind also in einen nicht-assertiven Kotext eingebaut, der am deutlichsten am DETER [no] zu erkennen ist. Selbstverständlich existieren Übergänge von "image" zu anderen Verwendungsweisen mit POSTMOD [of], die praktisch nicht klar einzuordnen sind. Es liegen in meinem Arbeitskorpus neben den oben schon erwähnten Brückenbeispielen zu "concept" Übergänge zu "imagination" (vgl. 5.5.3.3, S.204) vor, wo das Hauptmerkmal das interrogative Element in der o/-Phrase ist. [f!4 116] [j!3 189] [k09 045] [k!7 058]
She has no idea of the cost of things [...] A consideration of the two systems [...] gives an idea of the factors involved and how best to arrive at the objective [...] [...] I hadn't the faintest idea of his intention [...] If he could not guess the address, he had a shrewd idea of its whereabouts.
Alle vier Beispiele lassen sich problemlos bei völligem Erhalt der Bedeutung zu Konstruktionen der Form idea of + interr (vgl. 5.5.3.3, S.204) uniformen: ~[f!4 116] ~[J13 189] ~[k09 045] ~[k!7 058]
She has no idea of how much things cost [...] [...] gives an idea of which factors are involved ... [...] I had n't [sic] the faintest idea of what he was up to. [...] he had a shrewd idea of where it was.
Daß bei Beispiel [J13 189] die o/-Phrase mit einem interrogativen Nebensatz koordiniert ist, ist ein weiteres Indiz für den interrogativen Charakter der Ergänzung der o/-Phrase. Zusammenfassend kann bezüglich der Subkategorisierung des Löwenanteils der Verwendungen mit POSTMOD [of] die folgende Korrelation zu der Entitätentypologie von Lyons etabliert werden: die dynamischen o/-Ergänzungen ("mental picture") sind Beispiele für Lyons' second-order entities, also Beispiele für "events, processes, states-of affairs, etc., which are located in time and which, in English, are said to occur or take place, rather than to exist" (Lyons 1977: 443). Lyons' first-order entities sind als Ergänzungen zu o/in "image" und die third-order entities in "concept" wiederzufinden. Diese Form der Subkategorisierung entspricht auch meiner intuitiven Einschätzung des Beispielsmaterials. Sie ist aber nicht willkürlich getroffen, sondern das Ergebnis einer detaillierten Analyse der Parameter APPOS, DETER, PREM sowie der semantischen und referentiellen Natur der (»/-Ergänzungen der fraglichen Beispiele. Daß in diesem Fall die intuitive Gruppierung der Beispiele so
204
ausgezeichnet mit der Kotextanalyse und einem so gut etablierten Konzept wie der Lyonsschen Typologie vereinbar ist, weist auf eine gute Fundierung der angesetzten Subkategorien hin. Intuition, Datenbankanalyse und linguistische Tradition konvergieren bei dieser Einteilung in hohem Maß.
5.5.3.3 "Imagination" "Imagination" unterscheidet sich von "image" lediglich dadurch, daß in der o/-Phrase explizit ein interrogatives Element auftaucht: [a!9 031] [g!3 173] [k06 091]
Now a man who was too old in 1922 can hardly be expected to have much idea of what is going on in 1961. [...] it seemed as if one ought to have not only an idea of what was going on [...] Suddenly he had an idea of how much worse it might be [...]
Übertragen in unsere Metapher der 'mentalen Einheit im Verstand von Menschen' bedeutet dies, daß es bei diesen Beispielen um die Vorstellung eines nicht-bekannten oder im wahrsten Sinne des Wortes "fraglichen" Zustands oder Vorgangs geht. Je nach Modifikation von idea kann die Vorstellung bezüglich der jeweiligen Frage mehr oder weniger vollständig oder präzise sein. Typischerweise müssen wir das Ausmaß und die Genauigkeit der Vorstellung eher niedrig ansetzen, da in den meisten Fällen dieses Typs ein nicht-assertiver Kontext im Satz vorherrscht. Folgende Merkmale eines nicht-assertiven Kontexts tauchen auf (vgl. Quirk et al. 1985: 784f): a) b) c) d)
DETER [no] oder Satznegation Fragesätze Restriktive Adjektive wie hazy, faintest, vague Restriktive Adverbien wie only, hardly.
Wie schon bemerkt, besteht offensichtlich in mehrerlei Hinsicht ein enger Zusammenhang zwischen "image" und "imagination": Zum einen wäre die gemeinsame Tendenz zum nichtassertiven Kontext zu nennen und die daraus resultierende semantische Komponente der Unvollständigkeit oder Ungenauigkeit der Vorstellung; bei "imagination" führt dies dazu, daß je nach DETER Synonyme wie 'imagination', 'notion', 'clue' oder dt. 'Ahnung' anzusetzen wären. Zum anderen sind auch die typischen Verben mit have, get und form identisch. Ein noch engerer struktureller und semantischer Zusammenhang besteht schließlich zu den Verwendungen, die unter "inkling" zusammengefaßt sind, nämlich den Verwendungen mit POSTMOD [interr]. Rein syntaktisch besteht der Unterschied zwischen "imagination" und "inkling" nur in der Verwendung bzw. Auslassung von of im Postmodifikator. Die Beispiele von "inkling" haben sogar eine noch klarer definierte Struktur als die vom Typ "imagination":
205 Alle elf Beispiele haben als VP [have] und stehen in der Position CONSTIT [o] im Satz, die Subjekte der Sätze sind immer Personen. Sieben der elf Beispiele sind durch DETER [no] determiniert, die anderen vier durch [indef]. Alle elf Beispiele kommen in Sätzen mit nichtassertivem Kontext, wie oben definiert, vor. Ähnlich wie "imagination" steht also wieder der Aspekt der unvollständigen bzw. in diesem Fall häufiger der nicht vorhandenen mentalen Einheit im Vordergrund. Nach Feststellung dieser zahlreichen Gemeinsamkeiten stellt sich natürlich jetzt in erster Linie die Frage, ob der kleine strukturelle Unterschied ±[of] auch auf der se m an tischen Seite Auswirkungen hat. Zur Entscheidung dieser Frage zuerst ein paar Beispiele: [f!7 206] [f33 027] [kll 043] [112 173] [114 017]
You have no idea how many girls come here who have never been shopping by themselves, [...] But have you any idea how much you should have at a time? He can make trees do just what he likes, but he's no idea how he does it. My hands became numbed with cold and I had only a vague idea where I was. I've told you I have no idea who this warning could have been for.
Der erste vielversprechende Schritt bei der Beantwortung der obigen Frage ist der Versuch, in die verschiedenen Beispielsätze die Präposition einzusetzen. Dieser Insertionstest wirft bei unseren fünf Beispielen unterschiedlich zufriedenstellende Ergebnisse aus: Am ehesten ist die Möglichkeit der Ergänzung bei [f!7 206] und [112 173] vorstellbar, bei den anderen drei Beispielen, v.a. bei [114 017], wird die «/-Konstruktion von meinen Informanten als zumindest höchst zweifelhaft beurteilt. Nun gilt es zu untersuchen, ob und welche semantischen Unterschiede zwischen den Beispielen auftauchen, wo beide Konstruktionen möglich sind. Dazu soll kontrastiv auch noch einmal auf das Beispiel [a!9 031] zurückgegriffen werden, das im Original mit POSTMOD [of] (vgl. S.204) verwendet wurde: [a!9 031] ~[a!9 031] [f!7 206] ~[f!7 206] [k!2 173] ~[k!2 173]
Now a man who was too old in 1922 can hardly be expected to have much idea of what is going on in 1961. Now a man who was too old in 1922 can hardly be expected to have much idea what is going on in 1961. You have no idea how many girls come here who have never been shopping by themselves, ... You have no idea of how many girls come here who have never been shopping by themselves, ... My hands became numbed with cold and I had only a vague idea where I was. My hands became numbed with cold and I had only a vague idea of where I was.
Bei der Beurteilung dieser Vergleichspaare besteht unter meinen Informanten keine völlige Übereinstimmung, abgesehen von der Ansicht, daß die Verwendung von of einem höheren
206 Stilniveau zuzurechnen ist, in manchen Fällen aber auch etwas hölzern klingt. Von manchen native speakers werden die beiden Sätze, wenn sie ohne weitere Angaben oder Hinweise vorgelegt werden, als semantisch völlig identisch angesehen. Andere Informanten sehen einen schwer spezifizierbaren Unterschied, der sich am ehesten durch den Kontrast 'mehr oder weniger vage oder präzise' umschreiben läßt. Aus der Kenntnis unserer allgemeinen Metapher und den Überlegungen zu "imagination" kann ich die folgende Hypothese einer Bedeutungsdifferenzierung ableiten. Bei der Verwendungsweise POSTMOD [of] (= "imagination") habe ich von einer unvollständigen oder nicht vorhandenen Vorstellung gesprochen, wobei die Annahme einer Vorstellung durch die Verwandtschaft von "imagination" zu "mental picture" und "image" bestimmt war. Wir haben also drei Komponenten bei der Erfassung dieser Bedeutungsvariante angesetzt: (1) eine mentale Einheit, die (2) eine Vorstellung bezüglich (3) einer Frage enthält. Die Annahme der Vorstellung muß aber bei der Verwendungsweise ohne of ("inkling") wegfallen. Hier reicht es aus, von nur zwei Komponenten auszugehen: zum einen (1) von der im untergeordneten interrogativen Nebensatz geäußerten Frage und zum anderen (2) von der dazugehörigen mentalen Einheit, die in der Regel leer oder nicht vorhanden ist. Es besteht nicht nur keine Vorstellung bezüglich einer Frage, sondern nicht einmal Wissen bezüglich einer Frage. Der Unterschied, der hinter diesem abstrakten und deutlich metaphorisierten Verständnis des Bedeutungskontrastes steht, läßt sich sprachlich durch zwei verschiedene Paraphrasen fassen: POSTMOD [of] + cl^: 'you can't imagine ...' z.B.: ~[f!7 206] You can't imagine how many girls come here who ... POSTMOD [interr]: 'you don't know ...' z.B.:~[f!7 206] You don't know how many girls ... Bietet man den Informanten diese Paraphrasen zur Unterscheidungshilfe an, so besteht eine eindeutige Zuweisung von POSTMOD [of] + cl^,, zur Bedeutung "imagination" (you can't imagine) und von POSTMOD [interr] zu "inkling" (you don't know). In vielen Fällen ist eine klare Entscheidung für die eine oder andere Variante nicht möglich. Es bleibt aber festzuhalten, daß tendenziell die obige Zuordnung in Fällen, in denen beide syntaktischen Muster denkbar sind, Gültigkeit hat. Daß diese Hypothese auch für Verwendungen mit DETER [indef] gültig ist, wurde an einem Beispiel aus dem COBUILD-Lexikon überprüft: a) COBUILD: Can you give us an idea how much it will cost. b) ~COBUILD: Can you give us an idea of how much it will cost. Übereinstimmend wird dieses Kontrastpaar von Informanten so beurteilt, daß der erste Satz als Frage nach dem Preis verstanden wird, der zweite dagegen nach dem Preisniveau, nach einer "price-range". Übertragen in die Sprache unserer Metapher können wir interpretieren: Satz a) äußert eine Bitte um das Übergeben einer mentalen Einheit, die das Wissen über den
207 Preis enthält, Satz b) eine Bitte um das Übergeben einer mentalen Einheit, die nur eine Vorstellung bezüglich des Preises enthält. Offensichtlich besteht eine weitere semantische Affinität zu den Beispielen der Verwendungsweise "no clue" (S.211f). Der Unterschied zu dieser Verwendung liegt darin, daß bei POSTMOD [that], wie es für diese Konstruktion prototypisch ist, die mentale Einheit ein Faktum enthält, während es sich bei POSTMOD [interr] um eine Frage handelt. Bei "no clue" werde ich argumentieren, daß eine Verwendung der fAaf-Konstruktion in der ersten Person im Präsens nicht möglich ist, weil diese eine kontradiktorische Bedeutung ergibt: Der Satz */ have no idea that he is gone, hat keinen Sinn. Hier würde der Sprecher äußern, daß er über keine mentale Einheit verfügt, die die Information bezüglich einer Tatsache enthält. Trotzdem enthält die Äußerung - paradoxerweise - die Feststellung der Tatsache. In der Konstruktion von "inkling" dagegen tauchen hier keine Probleme auf: / have no idea where he is gone läßt sich interpretieren als die Feststellung, daß der Sprecher über keine mentale Einheit verfügt, die die Antwort auf die Frage im Nebensatz enthält.
5.5.3.4 "Instrument" Eine weitere Subkategorie deutlich hypostasierender Verwendungen hat die eindeutig erkennbare Struktur VP [Kopulaverb] POSTMOD [to] CONSTIT [o]. [d06 023] [e03 036] [f32 179] [g!6 017]
Because situations which may contain all the elements of fear may arise suddenly, it is a good idea to condition a child to some extent against it. It is also a good idea to spin the chuck by hand [...] He may think it a good idea to try her on guava juice [...] [...] I suggested that it would be a good idea for me to make an anthology
Bei allen vier Beispielen dieses Typs im LOB fungiert idea als Ergänzung zu einem "leeren" extraponierten Subjekt ü oder here (in Beispiel [B2 179] ist idea Objektergänzung zu it). In allen vier Fällen ist idea mit dem Adjektiv good kollokiert und als DETER liegt [indef] vor. Diese Verwendungsweise stellt sich also in einer relativ stereotypen Struktur der Form "it is a good idea to ..." dar. Diese feste Fügung der Kollokation wirft die Frage auf, ob die Struktur nicht schon als idiomatische Wendung betrachtet werden muß. Die Annahme eines phraseologischen Status ist meines Erachtens aber aus zwei Gründen nicht gerechtfertigt: Erstens ist bei dieser Formel ein sehr hoher Grad an semantischer Transparenz gegeben, eine Demotivierung ist nicht erkennbar. Zweitens geht das Adjektiv good auch in anderen syntaktischen Konstruktionen bereitwillig die Kollokation mit idea ein. Damit läßt sich also feststellen, daß zwei der wichtigsten Kriterien für Idiomatizität (vgl. Carter 1987: 58)17,
Carter (1987:58) nennt als Kriterien für "fixed expressions": "non substirutable or fixed collocations", "more than single word unit", "semantically opaque".
208
nämlich fehlende semantische Transparenz und Unveränderbarkeit der Kollokation, nicht erfüllt sind. Semantisch gesehen erhält idea durch die Kombination mit good eine deutliches positivevaluatives Element. Als entscheidende semantische Komponente läßt sich aber' Instrumenten' ausmachen, denn eine gut funktionierende Paraphrase für diese Beispiele wäre "it is useful to ...", was den instrumentellen Aspekt dieser Verwendungsweise klar herausarbeitet.18 Der Typ "instrument", also die Struktur "it is a good idea to ...", darf auf keinen Fall mit der syntaktisch relativ ähnlichen Verwendungsweise "aim" ("The idea is to ...") verwechselt werden. Zur semantischen Ausdifferenzierung möchte ich im nächsten Abschnitt kommen.
5.5.3.5 "Aim" Die Beispiele aus dem LOB, die ich unter "aim" zusammengefaßt habe, sind ähnlich wie die bei "instrument" syntaktisch eindeutig erkennbar. In allen Fällen ist idea nicht postmodifiziert und fungiert als Subjekt eines SVC-Satzes, mit der Ausnahme von [a24 026], einer verblosen Äußerung, die in freier Apposition zu "a brewery bid" steht. [a24 026]
The very idea - a brewery bid.
Im COD wird die Fügung the very idea als idiomatische Wendung mit der evaluativen Bedeutung "colloq. an exclamation of disapproval or disagreement" angegeben. [a08 198] [c04 202] [e04 086] [g23 050] [119 150]
The idea is to get the probable players and reserves together for two full week-ends of coaching and training [...] The idea is to see what happens when parts of the mind not normally available without hypnosis are used. The main idea is to have the moulds standing as rigid as possible ... My idea was that he could tell me the facts on the way. The idea seemed to be that 'Laura Thistledown' was vamping the goofy nephew of the local aristocracy ...
Wie deutlich aus den Beispielen hervorgeht, kann die Subjektergänzung, die gleichzeitig immer den REF_EXPR enthält, grundsätzlich zwei verschiedene Strukturen haben, nämlich einen infiniten to-Nebensatz oder einen iA0/-Nebensatz. Zwischen diesen beiden Strukturen dürften keine semantischen Unterschiede bestehen. Die i/iai-Struktur ist vielmehr darauf zurückzuführen, daß im untergeordneten Nebensatz ein neues Subjekt eingeführt wird. Zusätzlich zu diesen Strukturen können auch noch Postmodifikatoren wie [rel] bei [eil 152] und [behind] bei [dlO 144] eingeschoben werden.
18
Vgl. generell Lipka (1979: 197ff) zur Möglichkeit, von Paraphrasen Merkmale bzw. Attribute abzuleiten.
209
[ell 152] [dlO 144]
One idea I have for the future is to develop more things that don't involve me personally and my talent. This idea behind it is presumably that the catechism ought to mention one ministerial action in the Church of England ...
Die prototypischen Beispiele ([a08 189], [c04 202], [e04 086]) weisen eine deutliche finale Komponente auf, die belegbar ist durch die bedeutungserhaltende Paraphrase "this is done in order to ...". Der Zweck einer Handlung steht bei diesen Verwendungen im Zentrum. Das etwas untypischere Beispiel [eil 152] verschiebt den semantischen Schwerpunkt der Verwendung von idea vom Zweck der Handlung zu ihrem Ziel. Synonyme wie "aim" oder "objective" (vgl. a. COBUILD s.v. idea 3.) wären hier denkbar, die aber gleichzeitig auch für die obigen Beispiele [a08 189], [c04 202] und [e04 86] keineswegs auszuschließen sind. "Purpose" und "objective" werden als Synonyme für idea in [c04 202] auch von den Informanten gleichermaßen bereitwillig produziert bzw. auf Vorgabe akzeptiert. Stellen wir die Struktur von "instrument" ("it is a good idea to ...") derjenigen von "aim" ("the idea is to ...") direkt gegenüber, so wird der Unterschied zwischen den ähnlichen Konstruktionen deutlich: a) [d06 023]
b)~[d06 023] a)~[c04 202] b) [c04 202]
Because situations which may contain all the elements of fear may arise suddenly, it is a good idea to condition a child to some extent against it. The idea is to condition a child to some extent against it. It is a good idea to see what happens when parts of the mind not normally available without hypnosis are used. The idea is to see what happens when parts of the mind not normally available without hypnosis are used.
Von meinen Informanten wird der Kontrast zwischen den beiden Konstruktionen einhellig dahingehend beurteilt, daß a) jeweils die instrumentelle und positiv-evaluierte Bedeutung "it is useful to ..." und b) die finale Bedeutung "it is done in order to ..." hat. Die Bedeutung in b) ließe sich im Deutschen wohl am besten mit dem Begriff 'Hintergedanke* fassen. Wie die Formulierung des obigen Beispiels ("This idea behind it is ... [dlO 144]) beweist, existiert die räumliche Vorstellung des "Dahinter-Steckens" auch im Englischen. Abbildung 5.2 auf der nächsten Seite gibt abschließend einen graphischen Überblick über die Verwendungsweisen mit 'hypostasierend' als dominantem Attribut und ihre Beziehungen zu den vorher diskutierten Verwendungsweisen.
210
metonymic
"thoughts" mental reifying {permanent}
"Einfall" {causal} purposive
"gute Idee" {consecutive}
metonymic
"mental picture dynamic
instrument
"concept" metaphysical abstract, indef. reference "image" concrete, def. reference {possessive}
opinions possessive {permanent}
;^ ;> *?^·/·:·. ·\
"dumme Gedanken" neg. eval.
. pos. eval. "gute Ideen"
instrumental pos. eval.
imagination"
"inkling"
intern visualized
interr. not visualized J
Abb. 5.2
5.5.4 Faktive Verwendungsweisen Dieser Abschnitt wird sich mit Verwendungen von idea im Singular in der Kombination mit entweder explizitem oder ausgelassenem POSTMOD [that] beschäftigen. Allen Konstruktionen dieser Art ist gemeinsam, daß idea durch den that-Sztz eine deutliche faktive Komponente erhält. Innerhalb dieses Konstruktionstyps lassen sich aber nach dem jeweiligen Determiner auf einer zusätzlichen epistemischen Ebene aufgrund unterschiedlich hoher Wissensgrade drei Subkategorien unterscheiden.
211
5.5.4.1 "No clue" Am deutlichsten ist der faktive Aspekt bei der Kombination mit DETER [no] zu erkennen, z.B.: [a!9 040] [122 015] [p07 191]
They would have no idea that the current British theatrical renaissance is having an effect far beyond the West End of London [...] [...] the old man seldom comes near the wing where Vera is hiding Anna and has no idea they are there Carrie, I had no idea you were a wealthy woman.
Alle fünf Verwendungen dieses Typs im LOB lassen sich paraphrasieren durch die Formulierung "be not aware of the fact that...". Diese Verwendungsweise ist neben DETER [no] und POSTMOD [that] auch durch die VP [have] identifizierbar. Bei ihrer Interpretation müssen zwei Ebenen voneinander getrennt werden, eine faktive und eine epistemische Ebene. Zum einen geht es um das Faktum, das im -Satz verbalisiert ist. Zum anderen geht aus der Struktur VP [have] DETER [no] idea POSTMOD [that] hervor, daß die mentale Einheit, die dieses Faktum metaphorisch gesprochen "enthält", nicht im "mind" der Person in der Subjektposition vorhanden ist. Der Satz gibt auf der epistemischen Ebene also die Information, daß die Person nicht über diese mentale Einheit verfügt. Dementsprechend wäre eine Satz wie have no idea that he is gone paradox (vgl. auch "inkling", S.206). Die semantische Anomalie derartiger Sätze zeigt darüber hinaus, daß es sich bei dem Prädikat have no idea mit ^/-Ergänzungen um ein faktives Prädikat im Sinne der Kiparskis (vgl. Kiparski & Kiparski 1970: 148) handelt. Vgl. dazu deren Beispielsätze: *I don't realize that he has gone away. *I have no inkling that a surprise is in store for me.
5.5.4.2 "Feeling" Behalten wir diese Trennung zwischen der faktiven und der epistemischen oder Wissensebene bei, so läßt sich auch die Kotextkonstellation VP [have] DETER [indef] idea POSTMOD [that] interpretieren: [e22 061] [k06 126] [117 055]
"He might even brighten up and say that he had an idea that they breed fine horses and horsemen." "He had an idea his father would have liked to hear him say hopeful things about his work, [...]" "Then Loddon got confused, but he had an idea they turned round the Albert Hall ..."
212
[p25 015]
"... I have an idea that if my sister has had anything to do with this, they won't need telling."
Erneut ist der faktive Aspekt, der im that-Satz enthalten ist, deutlich zu erkennen. Auf dieser Ebene besteht also kein Unterschied zu "no clue". Im Gegensatz zu dieser Gruppe existiert aber bei DETER [indef] ein, wenn auch eingeschränktes, Wissen über die Tatsache im thatSatz. Das Ausmaß des Wissens ist je nach Kotext variabel, es muß in jedem Fall größer als 0% (= DETER [no]) und kleiner als 100% sein, tendiert aber prinzipiell eher gegen 0. Für die vier Beispiele im Korpus, die ich alle oben zitiert habe, bieten sich demgemäß die folgenden Paraphrasen an: [e22 061] [k06 126] [117 055] [p25 015]
... that he believed (in the fact) that ... ... he had a feeling / a vague belief ... ... he believed ... ... I have a feeling ...
Das unterschiedliche Ausmaß an Wissen, das sich in diesen Paraphrasen widerspiegelt 'glauben' hat wohl noch einen höheren Wissensgrad als 'ein Gefühl haben' - wird in erster Linie durch Tempus und Aspekt des Verbs im that-Satz determiniert (vgl. [e22 061] "they breed", [k06 126] "would have liked", [117 055] "they turned round", [p25 015] "they won't need"). Vom kontextuellen Aspekt her ist auffällig, daß sowohl DETER [no] als auch [indef] bei POSTMOD [that] signifikant häufig in TEXT [k] auftreten. Von den neun Beispielen im LOB sind sieben dieser Textkategorie zuzuordnen, jeweils eines entstammt den Kategorien [a] und [e]. Vier der neun Beispiele stehen in Sätzen, die Teile direkter Rede sind und / als Subjekt haben. Von diesen Tatsachen können wir ableiten, daß diese Verwendungsweise einem tendenziell eher kolloquialen Sprachniveau zuzuordnen ist.
5.5.4.3 "Belief Die dritte und quantitativ größte Gruppe von Verwendungen mit POSTMOD [that] ist erkennbar durch DETER [def] (Anzahl = 20) und DETER [demon] (Anzahl = 1). [a28 187] [d!4 118] [k!2 064]
[...] he was born at Solingen, Germany, and cannot understand how the idea got about that he is Palestine-born. [...] he must abandon the idea that human lives are separate entitites [...] That fitted the circumstances better than the idea that Zuck had been followed
Auch bei diesen Beispielen ist die Trennung zwischen faktiver und Wissensebene aufschlußreich. Wiederum hat der that-Satz einen Inhalt mit faktiver Komponente. Von
213
vollständigem Wissen der Tatsache kann aber auch hier auf der epistemischen Ebene nicht gesprochen werden, sondern es bieten sich Paraphrasen wie "belief in the fact that" oder "assumption" an. Das Vertrauen in den Umfang des Wissens ist in jedem Falle größer als bei DETER [indefj, auch wenn natürlich wieder die Semantik der VP im rAaf-Satz wichtig ist. Vergleiche etwa: [a06 174] [j69 110] [102 169] [e!6 005] [k!9 088]
He dimissed the idea that Britain would be swamped by cheap labour. [...] people who think in terms of half life have the idea that all activity will have ceased in about twice that time. The idea that he could be induced to accept money [...] The idea was expressed in motor sport last month that enthusiasts [...] should eschew 'vintage' designs [...] [...] they've got the idea that you and I ought to make a go of it.
Die Modalverben would, will, could, should und ought to verleihen auch dem Wort idea unterschiedliche Bedeutungsnuancen. Der futurische Aspekt in [a06 174], (J69 110] und [102 169] macht es natürlich schwer, den Begriff 'Faktum' ins Spiel zu bringen; man sollte hier wohl eher von zuversichtlichen Vorhersagen sprechen. Die Hilfsverben should [e!6 005] und ought to [k!9 088] bringen eine evaluative Komponente ein, so daß bei [e!6 005] "recommendation" und bei [k!9 088] "they think it would be a good thing for us ..." eingesetzt werden könnten. Zentrales Attribut der in Abschnitt 5.5.4 zusammengefaßten Verwendungen ist also semantisch gesehen die Komponente 'faktiv'. Dieser Eindruck läßt sich durch einen Vergleich mit der Verwendung von fact im LOB erhärten. Der Vergleich zeigt, daß rein quantitativ bei fact als typische Postmodifier-Konstruktion mit einem Anteil von 71,2%19 -Sätze vorkommen (vgl. Tabelle 5.10, S.186). Im Gegensatz zu fact kommt aber bei idea das modale Element des Wissens über die Tatsache ins Spiel.20 Diesen Gesichtspunkt habe ich in metaphorischer Form so erklärt, daß die Existenz bzw. das Ausmaß der Existenz des Faktums in Form einer
Bei dieser Rechnung wurden Phraseologismen wie as a matter of fact und in fact von vornherein ausgeschlossen. Interessant ist in diesem Zusammenhang ein Beispiel, das Leech (21987: 115, Note a) zur Unterscheidung zwischen "factual" und "theoretical meaning" von Verben und zur Erkennung des sog. "putative should" anführt. Er nennt die beiden Beispielsätze: "This fact - that man destroys his environment - worries us deeply". "This idea - that man should destroy his environment - worries us deeply". Dazu kommentiert er:"It would not be possible here to change the positions of the nouns idea and fact* Dies ist aber nur zur Hälfte korrekt In der Tat könnte fact nicht idea ersetzen. Umgekehrt wäre dies aber sehr wohl möglich: "This idea - that man destroys his environment - worries us deeply". Dieser Satz ist vollkommen akzeptabel. Der Bedeutungsunterschied zu "The fact..." beruht wie in 5.5.2.1 beschrieben auf der Einfuhrung der zusätzlichen epistemischen Komponente. Idea könnte hier also paraphrasiert werden durch "The belief in the fact..."
214
mentalen Einheit variiert. Aufgrund von Variablen wie DETER [no] vs. [indefj vs. [def] und der Semantik der VP im -Satz ließen sich drei Untergruppen voneinander unterscheiden, deren Bedeutungen paraphrasiert werden können durch "be not aware of the fact that" ("no clue"), "have a vague belief or feeling that" ("feeling") und "belief, assumption that" ("belief). Für die graphische Integration in das bisherige Bild der Kategorie verweise ich auf die Gesamtdarstellung in Abbildung 5.3 (S.219).
5.5.5 Metonymische Verwendungsweisen: Music Im Laufe meiner bisherigen Diskussion von idea hatte ich schon dreimal Gelegenheit, darauf hinzuweisen, daß bestimmte Subkategorien über den hypothetischen Rahmen der Gesamtkategorie hinausragten (vgl. die Seiten 190, 198, 202). In zwei Fällen, bei den Verwendungsweisen "Gute Idee" und "mental picture", habe ich festgestellt, daß oft die Unterscheidung zwischen mentalen Einheiten und deren Realisierung verschwimmt. Diese lassen sich meines Erachtens als eindeutige Beispiele für metonymische Beziehungen werten. In Analogie zu der in 3.1.3 aufgestellten Liste typischer metonymischer Beziehungen, müßte man für diese Fälle eine Beziehung vom Typ "gedankliche Enstehung für sichtbare Handlung" postulieren. Als drittes habe ich die Möglichkeit erwähnt, daß "Ideen" den mentalen Bereich verlassen und metaphysischen Status annehmen können. Man vergleiche dazu die Diskussion bei "concept" auf Seite 202. Hier gilt es nun eine Verwendungsweise ("music") metonymischen Charakters zu erörtern, bei der im Gegensatz zu den anderen Subkategorien der Großteil der Kategorie außerhalb des mentalen Bereichs anzusiedeln ist. Unter diachronischer Betrachtungsweise besteht sicher kein Zweifel, daß die aktuelle Bedeutung "Music, a thematic phrase or figure; motif (COLLINS) sich als Metonymie vom mentalen Bereich, und zwar vermutlich von der Verwendungsweise "Einfall" in den Bereich der realen musikalischen Phänomene hineinentwickelt hat. Aus diesem Grund gehört diese Verwendung auch unbedingt zu einer Analyse des Lexems idea. Die Lexikalisierung ist aber meines Erachtens schon so weit fortgeschritten, daß man davon ausgehen kann, daß der Großteil dieser Subkategorie außerhalb des Schemas liegt (vgl. Abb. 5.3, S.219). In allen neun Fällen im Korpus - nur eines von diesen Beispielen [g42 146] steht im Singular - ist die aktuelle Bedeutung deutlich anhand des Ko- und Kontexts auszumachen. Anstatt die Beispiele ausführlich zu zitieren, möchte ich mich damit begnügen, eine Reihe der lexikalischen Kotextsignale anzugeben: artist, form, expression, music, themes, counterpoint, composer, to extemporize, auditor, Händel, organ usw. Alle neun Beispiele im LOB treten in Reihe innerhalb eines Texts auf. Dies ist einerseits ein Indiz dafür, daß natürlich auch das kontextuelle Umfeld stimmen muß. Auf der anderen Seite zeigt uns diese Häufung von Beispielen für eine wohl eher seltene Verwendungsweise, daß trotz der 361 verwendeten Beispiele das Material aus dem LOB für verläßliche quantitative Urteile bezüglich der Häufigkeit von Verwendungsweisen nicht ausreicht. Eine
215
Sprachsammlung von einer guten Million Wörtern kann eben noch lange nicht als repräsentativ angesehen werden (vgl. 3.5).
5.5.6 Rein anaphorische Verwendungen Abschließend gilt es noch eine Gruppe von Verwendungsweisen zu behandeln, die rein semantisch gesehen nichts Neues bringen. Bei den Beispielen dieses Typs ist aber dafür die echt kohäsive Funktion im Sinne von Halliday & Hasan (1976: 4ff), d.h. die Funktion der semantischen Verknüpfung von Textteilen über die Satzgrenzen hinweg, am deutlichsten ausgeprägt. Im Gegensatz dazu mußten wir bei der kataphorischen Referenz feststellen, daß die Verweise im Text in der Regel innerhalb der Satzgrenzen, meistens sogar innerhalb der Grenzen der NP blieben. Einerseits stellt sich entsprechend der dominanten textuellen Funktion die Bedeutung dieser Verwendungen in einer höchst allgemeinen Form dar, die sich flexibel an die Erfordernisse des Kotexts, speziell des Ausdrucks, auf den Bezug genommen wird, anpaßt. Aufgrund der überaus großen Variabilität der Beziehungen lassen sich detailliertere generalisierte Angaben zu Untergruppen dieser Verwendungsweise deshalb nur sehr schwer machen. Auf der anderen Seite liegt aber gerade in der Tatsache, daß der Gebrauch von idea bei diesen Beispielen primär auf eine andere Textstelle ausgerichtet ist, eine Möglichkeit der weiteren Subkategorisierung dieses Typs: Alle Beispiele in dieser Gruppe lassen sich entweder zu einer der bisher diskutierten Verwendungsweisen expandieren, da sie explizite demonstrative, personale oder komparative Referenzsignale aufweisen (5.5.6.1) oder sind eindeutige Beispiele der lexikalischen Kohäsionen im Sinne von Halliday & Hasan (5.5.6.2). Dementsprechend lassen sich zwei Subkategorien voneinander unterscheiden.
5.5.6.1 Referenz Die erste Subkategorie zeichnet sich durch die Möglichkeit der Explikation oder Expandierung zu POSTMOD [of], [that] oder [to] aus. Es liegen hier Reduktionen vor, die in der Regel auf Beziehungen vom Typ demonstrative oder personal reference nach Halliday & Hasan zurückzuführen sind. Je nachdem, welche der drei POSTMOD-Konstruktionen die naheliegendste und plausibelste ist, nimmt die Verwendung die prototypischen semantischen Charakteristika der jeweiligen Struktur an. Oft ist die Wahl der möglichen Paraphrase nicht eindeutig und demnach die Zuordnung zu mehreren Verwendungsweisen möglich. Diese Tatsache spiegelt aber lediglich den Eindruck wider, daß eine eindeutige Präzisierung der aktuellen Bedeutung einer Verwendung oft weder möglich noch vom Sprecher beabsichtigt ist.
216 [b04 213]
[e!2 131]
[122 125]
[Some people are for ever complaining that teenagers earn too much and spend it all when they get it.] Now a survey of the post office savings bank shows how wrong that idea is. -> '... shows how wrong the idea that teenagers ... is.' [I agree with our editor when he asks for a deeper understanding of Christmas.] Do we ever give the idea a moment's thought? -> '... give the idea of (a deeper understanding) of Christmas a moments thought?' [But if you want to know why I went there you'll have to ask Anne Archer.] It was her idea. -> 'It was her idea to go there.'
Deutliche Signale der anaphorischen Beziehung bei den 28 Verwendungen dieses Typs sind die Determinatoren: 16mal [def], elfmal [demon] und einmal [poss] (siehe oben [122 125]). Indefinite Determinatoren sind nur in Ausnahmefällen bei stark ausgeprägten lexikalischen Verknüpfungen in der Lage, eine derart klare anaphorische Beziehung zwischen Passagen aus verschiedenen Sätzen herzustellen. Ein weiteres Beispiel, das ich zum Bereich der demonstrativen Referenz rechnen möchte, auch wenn dies bei Halliday & Hasan nicht genannt wird, ist die Verwendung von above in [J01 122]: [jOl 122] The practical application of the above idea will involve experimentation before it can be realised.
considerable
Die enge funktionale Verwandtschaft von above zu den Demonstrativpronomina, die ja die prototypischen Vertreter demonstrativer endophorischer Referenzsignale sind, rechtfertigt meines Erachtens diese Zuordnung. Neben Beispielen für demonstrative und personale Referenz lassen sich auch Verwendungen vom Typ komparativer Referenz im Sinne von Halliday & Hasan (1976: 76ff) finden. Bei allen sechs Beispielen im LOB, die ich zu diesem Typ gruppiert habe, taucht das Referenzsignal in einer prämodifizierenden AdjP auf. Die verwendeten Adjektive sind such, same und earlier. [elO 181]
[g76 018]
[f!6 053]
[Is this all too suggestive of play-acting - so possibly losing that air of reality which is the strong feature of this print.] It all depends, but a little sensible directing now and then can make a big difference in the appeal of such an idea. [The inevitable pause in policy-making is no doubt one of the reasons why a change of President is so often said to mark the end of an era, or the beginning of a new one.] Coincidence also sometimes contributes to the same idea. [The mutually beneficial effects of the merger were by this time apparent.] As a result of our opposition, the national executive abandoned its earlier idea
217
5.5.6.2 Lexikalische Kohäsion In zwei Fällen im LOB ([g!6 019], [g32 162]) besteht eine Verknüpfung zwischen einer referentiellen (i.S. von Halliday & Hasan 1976) und einer lexikalischen Kohäsion im Zusammenhang mit idea. Doch darüber hinaus gibt es noch eine Reihe anderer Fälle, in denen Sätze deutlich durch die lexikalische Kohäsion miteinander verknüpft sind, und zwar durch Repetition des Wortes idea oder durch das Wiederaufgreifen mit einem "synonym" oder "near-synonym" (vgl. Halliday & Hasan 1976: 277ft). Häufig stehen allerdings beide lexikalischen Ausdrücke im selben Satz, so daß wir von echter Kohäsion i.S. von Halliday & Hasan nicht mehr sprechen können. [a!8 153]
[g!6 019]
[g32 162]
[h!7 068]
[He gets an idea, and must stick to it. In the face of this, I tempted disaster by raising the bogy of cutting Shakespeare, and scholarly interpretation.] The former he shrugged away, and I assume that for him the 'idea' justifies the means. [Presently, with an appetite sharpened by the American anthology, I suggested to him that it would be a good idea for me to make an anthology picked from the many poets he had published.] He fell for this idea ... The Darwinian theory of evolution seemed to him fruitful in so far as the higher organisms derive from the lower, but to reconcile this idea with what he knew of the spiritual world was immeasurably difficult [...] I threw out a hint (my idea would have required further legislation [...]) that some financial assistance might be given [...]
Neben der Exemplifizierung des Mechanismus der lexikalischen Kohäsion lassen sich an diesen Beispielen noch zwei weitere wichtige Aspekte verdeutlichen: Zum einen zeigen die beiden Beispiele [g!6 019] und [g32 162], daß nicht nur häufig die lexikalische und die referentielle Kohäsion (erkennbar an dem Demonstrativpronomen this in Determinerfunktion) ineinandergreifen, sondern daß diese Fälle auch expandierbar sind, wie weiter oben demonstriert. Zum anderen läßt vor allem [g32 162] die Vermutung zu, daß eine genaue Lokalisierung des Antezedens nicht immer möglich ist. In diesem Beispiel etwa kämen als Antezedens für this idea entweder theory oder the higher organisms derive from the lower in Frage. Beide sind meines Erachtens gleichermaßen plausibel. Diese Unbestimmtheit der Verweise ändert aber nichts an der Grundaussage, die ich in Zusammenhang mit der Gruppe rein anaphorischer Verwendungsweisen überhaupt treffen will: idea ist in diesen Verwendungen lediglich eine Art von Platzhalter oder Hinweissignal, das anzeigt, wo die semantische Information zu suchen ist. Das Wort selbst bringt den Bedeutungsgehalt 'mentale Einheit' mit, zusätzliche Komponenten hängen von der Bedeutung des Antezedens ab. Alle diese Fälle bringen also keine neuen semantischen Komponenten in meine Analyse ein, so daß sie auch in der nun folgenden Gesamtdarstellung der Kategorie 'idea' nicht auftauchen werden.
218
5.6 Zusammenfassung und Gesamtdarstellung
Eine ausführliche verbale Zusammenfassung erübrigt sich angesichts des Überblicks, den die graphische Gesamtdarstellung in Abbildung 5.3 auf der nächsten Seite gibt. Zusätzlich zu Abbildung 5.2 sind hier nur noch der faktive Bereich und die Verwendungsweise "music" integriert. Ich habe es während der ganzen Diskussion der Kategorie 'idea' vermieden, bezüglich der Frage nach einem prototypischen Kern Stellung zu nehmen; und dies mit gutem Grund. Während es nämlich relativ einfach ist, das Schema der Kategorie i.S. Langackers herauszufinden, verläuft die Suche nach einem "global prototype" (Langacker 1988c: 134) ergebnislos. Wie auch Cuyckens (1991: 165f) feststellt, ist es ab einem gewissen Grad an Komplexität der internen Kategorienstruktur schier unmöglich, einen globalen Prototyp zu isolieren. Meines Erachtens gibt es über das Schema hinaus keinen prototypischen Kern, der für die gesamte Kategorie Gültigkeit hätte und somit als kohärenzerzeugendes Zentrum fungieren könnte. Wie die Graphik 5.3 erkennen läßt, bestehen zwar relativ lose Beziehungen zwischen den verschiedenen Subkategorienzentren, ansonsten halten aber nur die Attribute des Schemas 'mental' und 'hypostasierend' die Kategorie zusammen. Besteht man auf der Existenz eines globalen Prototyps, so müßte man das Schema als eine Form des abstrahierenden Prototyps ansehen. Dies halte ich aber nur für die zweitbeste Lösung. Ich erachte es für sinnvoller, die Existenz eines globalen Prototypen zu verneinen und wie geschildert die Kategorienkohärenz dem Schema zuzuschreiben. Zusätzlich gehe ich dann aber davon aus - und auch dies wird in Abbildung 5.3 deutlich -, daß drei lokale prototypische Bereiche existieren, die eine hohe Kohärenz unter den Subkategorien erzeugen. Diese drei Bereiche 'neu', 'hypostasierend' und 'faktiv' sind in Abbildung 5.3. durch die Schraffierungen gekennzeichnet. Es wird weiterhin deutlich, daß die angegliederten Subkategorien sich jeweils in diesem prototypischen Bereich überlappen. Durch die Abbildung wird auch deutlich, daß sich im Falle von idea bewahrheitet hat, was ich in Kapitel 2.4.4 als Erwartungshaltung formuliert habe, nämlich daß Lexeme auf einer sehr hohen Abstraktionsebene sehr viele Elaborationen und Extensionen aufweisen. Zusätzlich zur sehr allgemeinen Bedeutung ist idea auch noch ein relativ häufiges Lexem, so daß sich die Einschätzung Lehrers (1990a: 229; vgl. 2.4.4), häufige und allgemeine Lexeme seien besonders vieldeutig, in beiden Punkten bestätigt hat.
219
"music" metonymic
"thoughts" mental reifying {permanent}
metonymic "Einfall" {causal}
purposive
"dumme Gedanken" neg. eval.
'gute Idee" {consecutive}
metonymic
'mental picture" dynamic
instrumental pos. eval.
"image" concrete, def. reference (possessive) ~ opinions possessive {permanent}
"gute Ideen"
"instrument"
metaconcept" physical abstract, indef. reference
. pos. eval.
"no clue" epistemic 0%
imagination"
"inkling"
intern visualized
interr. not visualized ..
"belief epistemic 90%
factive
"feeling" epistemic 30% v
Abb. 5.3: Graphische Gesamtdarstellung der Kategorie IDEA
/
220
6. To start vs. to begin: kognitive Semantik und Synonymenvergleich
6.1 Einleitung
In meinem letzten empirischen Teilgebiet wende ich mich nun schließlich dem Bereich der Verben zu. Entscheidendes Erkenntnisinteresse in diesem Kapitel soll die Bedeutung des englischen Verbs start sein. Um jedoch auch hier wieder die Stärken einer strukturellvergleichenden Vorgehensweise ausnützen zu können, werde ich in der folgenden Analyse start dem bedeutungsmäßig benachbarten Verb begin gegenüberstellen. Diese Methode bringt einen zweifachen Vorteil mit sich: Zum einen ermöglicht sie eine differenziertere semantische Analyse als bei einer isolierten Betrachtungsweise von start, und zum anderen bietet sie mir die Gelegenheit aufzuzeigen, daß kognitive Semantik und Prototypentheorie auch in den Bereich der Synonymik wertvolle heuristische und deskriptive Verbesserungen einbringen können. Man wird sich an dieser Stelle fragen, warum nicht auch im vorliegenden Kapitel eine feldartige Betrachtungsweise gewählt wird, die weitere benachbarte Lexeme wie commence, initiate, inaugurate, institute, introduce, launch, set off, set out, set up mit berücksichtigt. Die. Einschränkung auf die zwei Lexeme start und begin, die allein schon aus Platzgründen notwendig ist, läßt sich auf der theoretischen Ebene damit begründen, daß die Leistungsfähigkeit des Prototypenansatzes für die Feldanalyse in Kapitel 4 schon ausreichend demonstriert wurde. Aus semantischer Sicht läßt sie sich zusätzlich dadurch rechtfertigen, daß die semantische Ausdifferenzierung von start und begin viel schwieriger ist als bei den anderen Lexemen: Commence dürfte zwar von der Denotation her mit begin gut übereinstimmen, gehört aber eindeutig einer höheren Stilebene an.1 Die anderen obengenannten Verben können alle als Hyponyme von start und begin betrachtet werden, d.h. sie sind semantisch näher spezifiziert und kommen entsprechend auch viel seltener vor.2 Abgesehen von den unumstrittenen semantischen Überlappungen, auf die ich nicht näher eingehen kann, sind diese Verben mit start/begin also kaum vergleichbar.
'
Vgl. z.B. Collins 1953: 15, Leech & Svartvik 1975: 24 und LDCE s.v. start. Die Einschätzung, daß commence einer höheren Stilebene und anderen situationalen und sprecherbedingten Varietäten zuzuordnen ist als begin, läßt sich weiter durch unterschiedliche Bemerkungen und labels in den Wörterbüchern untermauern: "forma? (COD), "a rather formal word" (COBUILD), "fml or pomp" (LDCE), "(fmt)" (OALD), 'commence has more formal associations with law and procedure, combat, divine service, and ceremonial" (OED, in allen Lexika s.v. commence). Hier die Häufigkeiten des Auftretens im LOB: commence 29, initiate 9, inaugurate 2, institute 10, introduce 137, launch 38, set off 12, set out 45, set up 44. Start kommt 318 mal vor, begin sogar 472 mal.
221
Was die Methode der Analyse betrifft, so kann ich auf meine Ausführungen in Kapitel 5.1 verweisen, da die Strategie der Analyse von start/begin mit der im Bereich von idea identisch ist. Ich werde dementsprechend wieder mit einer Orientierung mit Hilfe von Lexika, Grammatiken und weiterer Literatur beginnen.
6.2 Orientierung
6.2.1 Wörterbücher Auch bezüglich der Informativität von Wörterbüchern läßt sich hier gegenüber den Bemerkungen in Kapitel 5.2.1 nicht viel Neues aussagen. So hilfreich die einschlägigen Einträge für den Sprachlerner vielleicht sein mögen, und auch dies ist fraglich, für den Semantiker ermöglichen sie aufgrund ihrer Zirkularität und mangelnden Objektivität nur eine grobe Vororientierung. Wie unterschiedlich die Einträge in den verschiedenen Lexika strukturiert sind, zeigt der tabellarische Überblick über die lexical units in Tabelle 6.8 (vgl. S.233). Schon eine einfache quantitative Gegenüberstellung der Anzahl von lexical units in Wörterbüchern vergleichbarer Größe, wie in Tabelle 6.1 dargestellt, vermittelt eine Vorstellung vom Ausmaß der Auffassungsunterschiede bei der Subkategorisierung.
Tabelle 6.1: Zahl der lexical units von begin und start in Lexika vergleichbarer Größe Lexikon
begin
start
COBUILD
9
10
COD
6
18
COLLINS
4
13
LDCE
2
14
OALD
7
9
Inwiefern die Lexikoneinträge letztlich doch zu meiner Analyse beitragen konnten, werde ich weiter unten im Abschnitt 6.4 (vgl. S.230) noch diskutieren. An dieser Stelle geht es mir vor allem um die Hinweise zum Gebrauch der beiden Verben, die sich im LDCE, im 3OALD und im OALD finden lassen:
222 USAGE 1 You can start/begin to do something or you can start/begin doing something, but the "doing" form is less common with begin. You cannot use the "doing" form when the first verb is in the -ing form: I'm beginning/starting to cook dinner, or when the second verb deals with feelings or the mind: She started/began to understand. 2 Begin cannot be used instead of start before off, up, out, back or in the meanings a (of a machine) to (cause to) start working: The car won't start, b to start in a match or competition, c to make a surprised or sudden movement 3 Commence is used like begin, not start, and is very formal. (LDCE s.v. start) [...] 2 [...] (The in/ is preferred when the pred denotes a state of mind or mental activity) [...] (The inf is preferred when the grammatical subject is lifeless, not a person). [...] (Either the infoi the gerund is used when the grammatical subject is a person and when the pred indicates an activity or process, not a state.[...]) (3OALD s.v. begin) NOTE ON USAGE: 1 Very often begin and start can be used in the same way, though start is more common in informal speech: What time do you begin/start working in the morning? The concert begins/starts at 7.30pm. 2 After continuous tenses of begin and start we do not normally use the -ing form of a verb: He began/started cry ing/to cry but it's starting/beginning to rain) NOT raining). 3 In some senses only start can be used: If we want to get there tonight, we should start (ie set off) now. The car won't start/I can't start the car. (OALD s.v. begin)
Davon lassen sich die folgenden Hypothesen ableiten: Begin gehört einer höheren Stilebene an als start. Start deckt ein breiteres semantisches Spektrum ab als begin. Die Kombination starting/beginning +Villg ist ungebräuchlich. Gemäß LDCE und 3OALD tritt die Kombination start/begin +Vtag nicht bei emotiven und kognitiven Verben auf ("[...] when the verb deals with feelings or the mind", LDCE). Weitere Informationen zur Bedeutungsdifferenzierung von start und begin liefern Synonymenwörterbücher. Hayakawa (o.J.: 40) beispielsweise schreibt: In many contexts start is interchangeable with begin: The engine started (or began) smoking. But start places more emphasis on the fact of making a beginning, the mere act of setting out, whereas begin often suggests the start of a process in fulfillment of a purpose.
Hier wird ein quasi "telischer" Aspekt formuliert, der vermutlich auf reiner Introspektion beruhen dürfte. Webster's New Dictionary of Synonyms (41975: 94) stellt die folgende Behauptung auf, die es zu überprüfen gilt: Start implies opposition to stop; it therefore suggests a setting out from a particular point (as on a journey, a race, or a course) often after inaction or waiting.
Andere mehr oder weniger fundierte Vermutungen zur Bedeutungsdifferenzierung von start und begin, die ich im einzelnen nicht zitieren möchte, finden sich bei Klein & Friedrich (1968: 32). Diachronisch interessant und aufschlußreich ist die Tatsache, daß start in älteren Synonymenlexika noch nicht begin gegenübergestellt wird. So taucht in Percy (1901) start gar nicht auf, begin wird mit commence kontrastiert. In Crabb (1816; 1966) werden begin, commence und enter upon voneinander unterschieden, start findet man dagegen bei den Verben spring, startle und shrink. Unterstützen läßt sich dies durch unsystematische Beobachtungen in der Literatur: Verwendungen von start im Sinne von 'anfangen, beginnen' sind in der Literatur des 19. Jahrhunderts höchst spärlich. Selbst noch bei V. Woolf bin ich im
223
Hinblick auf Verwendungen mit dieser Bedeutung in dem Roman Mrs Dalloway (1925) nur einmal fündig geworden, und zwar als Emphase zu begin? Bei P.G. Wodehouse indessen, der zeitlich zwar mit V. Woolf vergleichbar ist, aber stilistisch auf einem viel informelleren, moderneren Niveau arbeitet, werden start und begin schon austauschbar gebraucht. Der Eindruck, daß start in der Bedeutung 'beginnen' eine vergleichsweise junge Erscheinung ist, wird durch die Kontrolle im OED erhärtet. Dort ist start im Sinne 'begin' (Eintrag 24.a.) zum ersten Mal mit einem Zitat aus dem Jahre 1833 versehen. Die älteste Bedeutung von start, die im OED verzeichnet ist, lautet 'to leap, jump, caper' und ist auf 1000 datiert. Wir können also bezüglich der Etymologie und diachronischen Entwicklung der beiden Verben festhalten, daß beide zwar schon in altenglischer Zeit existierten (ae. beginnan bzw. häufiger onginnan und ae. styrtan, me. sterte), aber nur ae. beginnan schon die heute dominante Bedeutung 'beginnen, anfangen' hatte. Ae. styrtan dagegen ist etymologisch verwandt mit ahd. stürzen, dem modernen stürzen. Es kann schon an dieser Stelle vorweggenommen werden, daß die dynamische Bedeutungskomponente, die im etymologischen Ursprung von start offensichtlich enthalten ist, auch heute noch den markantesten Unterschied zu begin ausmacht.
6.2.2 Grammatiken Ziel meiner Konsultation von Grammatiken war es in erster Linie, noch mehr als in den usage notes der Lexika über den syntaktischen Gebrauch von start und begin in Erfahrung zu bringen. Diejenigen Grammatiken, die auf Konstruktionen mit start und begin eingehen, nämlich Lamprecht (1980), Ungerer et al. (1984) und Quirk et al. (1985), sind sich so weit einig: Prinzipiell können start und begin durch Verben im to-Infinitiv und in der ing-Form4 ergänzt werden, ohne daß dabei ein Bedeutungsunterschied festzustellen wäre. Als Beispiel nennen etwa Quirk et al. (1985: 1192): to write while in hospital. Lucy started [...] writing while in hospital.
Von dieser grundsätzlichen Regel werden die folgenden Abweichungen festgestellt: Lamprecht (1980: 278f; vgl. dazu auch die Bemerkungen aus dem 3OALD oben) schreibt, das Gerund (in Lamprechts Terminologie) sei eher üblich,
"So it wasn't a failure after all! It was going to be all right now - her party. It had begun. It had started." (Woolf 1925; 1976: 151). Vgl. zu diesem Zitat meine Interpretation auf S.246. In den Grammatiken werden unterschiedliche Termini für die Ergänzung in der ing-Form verwendet. Während Lamprecht (1980: 278) und Ungerer et al. (1984: 181) bei "verbs expressing beginning, continuation or ending" vom gerund sprechen, verwenden Quirk et al. die Termini ing-participle und ingform. Der Ausdruck gerund wird von Quirk et al. (1985: 1064, 1292) nur an zwei Stellen als traditioneller Terminus erwähnt, der abgelehnt wird. Nachdem gerade bei Verben wie start und begin die Entscheidung, ob es sich bei der mg-Ergänzung um ein Partizip mit vorrangig adjektivischen Eigenschaften oder ein Gerund mit eher nominalen handelt, alles andere als leicht fallt, werde ich den neutralen Begriff "ing-Form" verwenden.
224 wenn [das Verb] entweder eine vorsätzliche Tätigkeit (nach Personal-Subjekt) bezeichnet (She began talking), oder wenn es nach unpersönlichem it steht In anderen Fällen [...] wird der Infinitiv gesetzt, der im gesprochenen Englisch sowieso üblicher ist. Ebenso steht der Infinitiv, wenn begin oder start selber (als Verlaufsform) auf -ing endet.
Nach Ungerer et al. (1984: 181) kann die Wahl des Infinitivs auf die Stative Bedeutung des Complement-Verbs zurückzuführen sein. Quirk et al. (1985: 1192) führen als Ausnahme zur obengenannten Regel an, daß in other cases, a contrast between 'potentiality' and 'performance' may influence the choice: to speak, but stopped, because she objected. He started speaking, and kept on for more than an hour. The association of the -ing participle with the progressive aspect may also influence a preference for the participle where multiple activities are involved: to open all the cupboards. He began opening all the cupboards. Here opening is more appropriate than to open.
Meine Analyse des LOB-Korpus, die natürlich mit viel mehr Aufwand verbunden ist, als es den Autoren von Grammatiken möglich ist, wird zeigen, inwieweit diese Aussagen in den Daten des LOB Bestätigung finden.
6.2.3 Weitere Literatur Besondere Aufmerksamkeit wurde den Verben vom syntaktischen Typ 'begin' vor allem in der frühen Transformationsgrammatik geschenkt (vgl. Chomsky 1962 und Rosenbaum 1967), da sie zu einer kleinen Gruppe von Verben gehören, die eine sog. "intransitive verb-phrase complementation" erlauben (Rosenbaum 1967; vgl. auch Miller & Johnson-Laird 1976: 445). Interessant ist im Rahmen dieser Diskussion vor allem ein Artikel von Garcia (1967), die aufzeigt, daß diese Verben sich syntaktisch teilweise wie Hilfs- oder Modalverben und teilweise wie Vollverben verhalten. Sie fordert deshalb in erstaunlich moderner Manier eine Aufgabe der Dichotomic zwischen lexikalischen Verben und Hilfsverben zugunsten eines Kontinuums von den Vollverben über sog. "aspectuals", zu denen auch begin zu zählen ist, Modalverben und Hilfsverben zu reinen Tempusmarkern wie dem {ed}-Morphem (Garcia 1967: 866). Auch Palmer (21988: 172ff) geht von der Vorstellung eines Kontinuums aus, allerdings geht es ihm um die Freiheit der Kombinationsmöglichkeiten innerhalb von Verbalphrasen (VPs). Seine Palette reicht von lexikalischen Vollverben, die frei mit Hilfsverben kombinierbar sind, über VPs mit Modalverben und die sog. "catenatives" zu VPs, die semantisch und syntaktisch gesehen einen "echten" untergeordneten Teilsatz enthalten wie z.B. "I bought the
225
boat to sail the world". Die catenatives, zu denen auch start und begin zu rechnen sind, bilden nach Palmer sog. komplexe VPs. Diese ganzheitliche Sichtweise von VPs wie began to talk spiegelt die auch hier vertretene Auffassung wider, daß die Verben start und begin jeweils am besten in Verbindung mit den sie ergänzenden Verben zusammen analysiert werden sollten. Nur am Rande erwähnt seien die Anstrengungen von Perlmutter (1970) und Ross (1972), die zum Ziel haben, einen doppelten Eintrag von begin einmal als intransitives und zum anderen als transitives Verb ins Lexikon zu rechtfertigen (vgl. Perlmutters Titel "The two verbs begin"). Solche Absichten haben für das nach Polysemie trachtende Zeitalter der kognitiven Semantik höchstens noch wissenschaftshistorischen oder komischen Wert. Aus der Sicht des kognitiven Semantikers interessanter ist der Versuch von Miller & Johnson-Laird (1976: 447ff), den abstrakten Begriff BEGIN zu beschreiben, unter den neben begin auch Verben wie commence, start, set about u.a. fallen. Miller & Johnson-Laird gehen zwar von der Beziehung zwischen Sprache und Wahrnehmung aus und passen deshalb gut zum kognitiven Ansatz, das Ergebnis ihrer Überlegungen bleibt aber auf einem so abstrakten, an der Prädikatenlogik orientierten Niveau, daß es für die hier verfolgten Zwecke wenig hilfreich ist. Lediglich ihre Form der graphischen Darstellung werde ich später (vgl. S.241) aufgreifen.
6.3 Datengewinnung
Wie auch bei der Analyse von idea in Kapitel 5 wurde im Fall von start und begin das Beispielmaterial mit einem Suchprogramm aus der computerisierten Version des LOB-Korpus gewonnen. Im Gegensatz zu idea erwies sich in diesem Fall die Einheit Satz als ausreichendes Kotextmaß. Ausgeschieden aus der Analyse wurden folgende Beispiele: a) Alle Verwendungen von start und beginning, die durch den LOB-tag als Nomina identifizierbar waren, b) Alle Verwendungen von start, die eindeutig als phrasal verbs mit den Partikeln up, out, off (6, l bzw. 7 Beispiele) identifiziert werden konnten, c) Alle Verwendungen von begin in der formelhaften Fügung to begin with (11 Beispiele). Die Kriterien b) und c) wurden eingesetzt, um das Beispielmaterial auf monolexematische Verwendungen von start und begin einzuschränken. Die Zulassung von Verb-Partikel-Konstruktionen und Phraseologismen zur eigentlichen Datenanalyse hätte den Untersuchungsgegenstand weiter - und wie ich meine unnötig - heterogenisiert.5
Vgl. zu dieser Thematik die zwei umfangreichen und detaillierten Studien zu Verb-Partikel-Konstruktionen mit out und up von Lipka (1972) mit den Methoden der Merkmals- und Feldsemantik und von Lindner (1981) im Rahmen der kognitiven Semantik.
226
Als zu bearbeitendes Datenmaterial blieben mir nach dieser leichten Reduzierung 472 Beispiele von begin und 318 von start, also eine Gesamtanzahl von 790 Verwendungen der beiden Verben.
6.4 Datenerfassung und quantitativer Überblick
Analog zur Methodik bei idea wurde das gesamte Beispielmaterial mit Hilfe von Feldern in einer dBase-Datenbank erfaßt. Im folgenden werde ich einen Überblick über die Felder sowie die je Feld zugelassenen Werte und ihre absolute und prozentuale Verteilung geben. Die Tabellen bilden die Grundlage für die Datenauswertung und Interpretation in Kapitel 6.5, wo ich jeweils signifikante Zahlen aus den Tabellen wieder herausgreifen werde.
a) LOB, TEXT Diese beiden Felder dienen ähnlich wie bei idea zur eindeutigen Identifizierung jedes Beispiels und zur Erkennung der jeweiligen Textkategorie.
b) MORPHEME Tabelle 6.2. gibt einen Überblick über die zahlenmäßige Verteilung der Beispiele auf die fünf möglichen Flexionsendungen.
Tabelle 6.2: MORPHEME MORPHEME
TOTAL
start %
begin %
%
{0}
182
23.0
109
34.3
73
15.4
{s}
49
6.2
19
6.0
30
6.4
{ing}
86
10.9
36
11.3
50
10.6
{edl}
379
48.0
111
34.9
268
56.8
{ed2}
94
11.9
43
13.5
51
10.8
790
100
318
100
472
100
TOTAL
227
c) SENTENCE Das Feld SENTENCE gibt an, in welcher Satzkonstruktion das jeweilige Beispiel von start oder begin auftritt. Dabei wurden nur notwendige Ergänzungen berücksichtigt. Adverbiale der Zeit, des Orts und der Art und Weise wurden als notwendige Ergänzungen analysiert, so daß nur Verwendungen ohne jegliche Verbergänzung als echte intransitive Verwendungen mit [sv] erfaßt wurden. Es gibt also für das Feld SENTENCE drei mögliche Werte: [sv]: [svo]: [sva]:
[Eil 079] [...] when the Bunny Lewis success story really began. [F04 038] The police began a systematic search of the line [...] [F02 120] Each course starts with an informal evening meeting [...]
In Fällen, bei denen entweder ein Objekt und eine Adverbiale (z.B. [GO9 082] "William Connor, who began that column in 1935 [...]") oder zwei Adverbiale (z.B. [A14 032] "The trouble started on Thursday afternoon with a fault on the main 33.000 volt transmission line [...]") auftreten, wurde lediglich die erste Ergänzung in die Analyse eingebracht. Diese Regelung gilt auch für die Felder SYN_C und SEM_C. Abschließend der tabellarische Überblick über die Verteilung:
Tabelle 6.3: SENTENCE SENTENCE
TOTAL
start %
begin %
%
sv
102
12.9
38
11.9
64
13.6
sva
171
21.6
90
28.3
81
17.2
svo
507
64.2
180
56.6
327
69.3
imp.va
3
0.4
3
0.9
0
0
imp.vo
7
0.9
7
2.2
0
0
TOTAL
790
100
318
100
472
100
d) SYN_C Das Feld SYN_C (syntax of complement) erfaßt die formal-syntaktische Erscheinung der Verbergänzung. Diese steht natürlich in engem Zusammenhang zur Satzkonstruktion, so daß sich der Überblick am sinnvollsten wie in Tabelle 6.4 darstellen läßt.
228 Tabelle 6.4: SYN C SYN_C
TOTAL
%
[sv]
[sva]
[svo]
begin
start
%
%
0
102
12.9
38
11.9
64
13.6
advp
29
3.7
19
6.0
10
2.1
cl,8
15
1.9
3
0.9
12
2.5
PP
128
16.2
70
22.0
58
12.3
np
144
18.2
96
30.2
48
10.2
ing
77
9.7
53
16.7
24
5.1
to
295
37.3
39
12.7
256
54.2
TOTAL
790
100
318
100
472
100
e) SEM_C Auch für die Semantik der Verbergänzung läßt sich eine Beziehung zur Satzkonstruktion herstellen. Bei [sva]-Sätzen treten semantisch gesehen nur lokative und temporale Adverbiale sowie Adverbiale der Art und Weise auf. Bei [svo]-Sätzen mußten mehrere Gruppen unterschieden werden. Hier wieder die Werte im Überblick sowie eine kurze Charakterisierung der Natur der Werte (vgl. Tabelle 6.5). Beispiele für die Werte werden in der Diskussion der Dateninterpretation noch in ausreichender Menge Erwähnung finden. Auf sie kann ich deshalb hier verzichten. Selbstverständlich sind alle diese Kategorien vage, und die jeweiligen Definitionen sind angreifbar. Aufgrund des relativ umfangreichen Datenmaterials ist meines Erachtens aber eine höhere Präzision bei der Trennung der Kategorien nicht notwendig, da sich Fehleinschätzungen im Ergebnis der Analyse durch inhomogene Gruppen von Verwendungen offenbaren würden. [abstract] [action] [cognition] [human] [institut.] [object] [process] [state] [locative] [manner] [temporal]
(= abstrakte Entität) (= Handlung mit menschlichem Urheber) (= Zustand, Prozess oder Handlung kognitiver oder perzeptueller Natur) (= Mensch) (= Institution wie z.B. society oder school] (= Gegenstand) (= Prozess) (= Zustand) (= Ortsangabe) (= Umstandsangabe der Art und Weise) (= Zeitangabe)
229
Tabelle 6.5: SEM C SEM_C
TOTAL
start %
[SV]
[sva]
%
%
102
12.9
38
11.9
64
13.6
2
0.2
1
0.3
1
0.2
action
295
37.3
142
44.7
153
32.4
cognition
100
12.6
4
1.3
96
20.3
human
2
0.2
2
0.6
0
0
institut.
7
0.9
7
2.2
0
0
object
9
1.1
9
2.8
0
0
process
63
8.0
10
3.1
53
11.2
state
29
3.7
8
2.5
21
4.4
locative
58
7.3
42
13.2
14
3.0
manner
76
9.6
30
9.4
46
9.7
temporal
47
5.9
23
7.2
24
5.1
790
100
318
100
472
100
0
abstract
[svo]
begin
TOTAL
0 SEM_SU Für die Semantik des Subjekts des Satzes, in dem start bzw. begin als Hauptverb fungieren, waren grundsätzlich dieselben Kategorien einsetzbar wie für SEM_C (vgl. Tabelle 6.6, S.230). Lediglich Ortsangaben treten nicht als Subjekt auf. Als zusätzlicher Wert wurde hier [animate] für Tiere in Subjektposition eingeführt.
e) SYNONYM Im Gegensatz zu allen bisher diskutierten Feldern, bei denen die Zuordnung von Werten mit wenig Schwierigkeiten verbunden war, sind im Falle des Feldes SYNONYM grundsätzliche Überlegungen vonnöten. Bei der Synonymzuordnung von idea habe ich mich für die Singularverwendungen am OED orientiert, bei den Pluralverwendungen kamen deutsche Entsprechungen zum Einsatz. Das OED ist jedoch im Fall von begin und vor allem start nicht gut zur Orientierung geeignet, weil die Subkategorisierung meines Erachtens zu sehr auf die
230
historische Entwicklung der verschiedenen Bedeutungsvarianten ausgerichtet ist. Für eine synchron-moderne Untersuchung ist dieses Raster nicht hilfreich. Die Verwendung deutscher Entsprechungen stellt sich als gleichermaßen ungeeignet heraus: Zum einen können für manche Bedeutungsvarianten wie "cause to begin" oder "set a person going in conversation" kaum passende deutsche Lexeme gefunden werden, zum anderen erzeugt das Deutsche ein Subkategorisierungsraster, das möglicherweise für das Englische ungeeignet ist. Dies würde im gegenwärtigen Fall größere Auswirkungen haben als bei idea, weil hier - wie sich zeigen wird - der Synonymzuordnung größerer Wert beigemessen wird. Prinzipiell ergeben sich für die Auswahl der SYNONYM-Werte zwei weitere Möglichkeiten: Man könnte auf ein kleineres Lexikon zur Subkategorisierung zurückgreifen oder die Synonyme rein intuitiv nach eigener Einschätzung selektieren. Beide Verfahren sind mit großer Subjektivität behaftet, da auch die Einteilung in Lexika nur die Einschätzung des oder der jeweiligen Autoren widerspiegelt (vgl. Tabelle 6.8, S.233). Gewählt wurde schließlich ein Mittelweg zwischen diesen Positionen, d.h. es wurden zuerst mehrere Wörterbücher konsultiert und deren Einteilung als Ausgangspunkt genommen, bei fraglichen Beispielen war dann aber doch Intuition die letzte Instanz.
Tabelle 6.6: SEM SU SEM_SU
TOTAL
begin
start %
%
%
0
10
1.3
10
3.1
0
0
abstract
72
9.1
13
4.1
59
12.5
action
60
7.6
27
8.5
33
7.0
animate
10
1.3
5
1.6
5
1.1
cognition
14
1.8
1
0.3
13
2.7
509
64.4
219
68.9
290
61.4
institution
12
1.5
4
1.3
8
1.7
object
36
4.6
16
5.0
20
4.2
process
27
3.4
16
5.0
11
2.3
state
24
3.0
5
1.6
19
4.0
temporal
16
2.0
2
0.6
14
3.0
TOTAL
790
100
318
100
472
100
human
231
Weiter oben habe ich schon erwähnt, daß in dieser Analyse dem Feld SYNONYM eine größere heuristische Bedeutung zukommt als bei idea. Dies gilt aber nur für die Verwendungen, wo durch den Kotext die aktuelle Bedeutung genau spezifiziert und klar erkennbar war. In zweifelhaften Fällen und bei Beispielen mit sehr allgemeiner, rein inchoativer Bedeutung wurde als default-Synonym der Wert [incho] eingesetzt. Diese Verwendungen machen, wie Tabelle 6.7. zu entnehmen ist, mit einer Anzahl von 656 Beispielen den Hauptanteil (83.0%) des Materials aus. Sie werden von den anderen Beispielen gesondert analysiert und untereinander ausdifferenziert (vgl. 6.5.1). Tabelle 6.7: SYNONYM SYNONYM
TOTAL
start
begin
%
%
%
be far from
3
0.4
1
0.3
2
0.4
begin a career
10
1.3
6
1.8
4
0.8
1
0.1
1
0.3
0
0
begin to speak
14
1.8
0
0
14
3.0
cause to begin
28
3.5
28
8.8
0
0
656
83.0
215
67.6
441
93.4
introduce
3
0.4
3
0.9
0
0
jump
3
0.4
3
0.9
0
0
protrude
1
0.1
1
0.3
0
0
set going in a conv.
2
0.2
2
0.6
0
0
set in motion
12
1.5
12
3.8
0
0
set out
14
1.8
14
4.4
0
0
set out (fig.)
24
3.0
16
5.0
8
1.7
set up
7
0.9
7
2.2
0
0
start a race
2
0.2
2
0.6
0
0
start running
4
0.5
4
1.3
0
0
start time unit
6
0.8
3
0.9
3
0.6
790
100
318
100
472
100
begin as
incho
TOTAL
232
Interessanter als [incho] sind im Zusammenhang mit dem Feld SYNONYM alle anderen Werte. Tabelle 6.8 (vgl. S.233ff) gibt eine Übersicht über alle SYNONYM-Werte, die zum Einsatz kommen, in Relation zu den lexical units in sechs Lexika. Hier zeigt sich deutlich ich habe das schon im Kontext der Wörterbuchorientierung in 6.2.1 erwähnt -, wie unterschiedlich die verschiedenen Lexika subkategorisieren. Des weiteren geht aus der Tabelle hervor, daß ich einerseits Verwendungsweisen postuliert habe, die nicht in Wörterbüchern angegeben werden ([begin as] und [start time unit]), und andererseits in den Lexika eine Reihe von lexical units genannt werden, die nicht unter meine ife/ow/i-Kategorie [incho] fallen sowie im LOB nicht belegbar sind (vgl. S.235). Die Rechtfertigung für die Synonyme [begin as] und [start time unit] werde ich bei der Einzeldiskussion dieser beiden Verwendungsweisen liefern. Zu den lexical units der Lexika, die nicht im LOB vorkommen, möchte ich dagegen hier Stellung nehmen. Die lexical units "enable to make a beginning" (COD s.v. start) bzw. "support in the first part of a venture" (COLLINS s.v. start) wurden nach informeller Rücksprache mit native speakers als lexikalisierte Verwendungsweisen akzeptiert, die aber im LOB nicht vorkommen. Bei den anderen Synonymen auf Seite 235 der Tabelle war meines Erachtens größere Skepsis bezüglich der Aktualität ihrer Verwendung angebracht. Deshalb wurden typische Beispielsätze mit den jeweiligen Bedeutungsvarianten 14 Informanten 6 vorgelegt. Hier die lexical units, Testsätze und Ergebnisse im Einzelnen: (1) "Of a beast: (force to) leave its lair" (OED s.v. start, ähnlich auch im COD, OALD und COLLINS). Testsatz: "The major function of a hunting-dog is to start the game." Ergebnis: Zwölf von den 14 Informanten gaben an, die Bedeutung des Wortes start in diesem Satz zu kennen, aber nur sieben würden diesen Satz auch selbst produzieren.Trotzdem muß wohl aufgrund der hohen passiven Verbreitung der Bedeutung angenommen werden, daß diese Verwendungsweise aktuell ist und der allgemeinen Standardsprache angehört. (2) "(Cause to) break away from its place" (OED s.v. start, ähnlich auch im COD und im COLLINS). Testsätze: "The force of the shock was so tremendous that the 'Titanic' started in every joint." (OED s.v. start 8.) "The storm was horrible. The little ship started one of her planks, and filled." (nach OED s.v. start 21a.)
Als Informanten stellten sich erneut vierzehn Mitglieder (Studenten, Dozenten und nichtwissenschaftliche Mitarbeiter beiderlei Geschlechts) des Westfield College, University of London, zur Verfügung, denen ich auch an dieser Stelle noch einmal für ihre Hilfsbereitschaft und Geduld danken möchte.
233
Tabelle 6.8: Übersicht über Lexikoneinträge zu start und begin in ausgewählten Wörterbüchern unter Bezugnahme auf die im Korpus angesetzten Verwendungsweisen Usage be far from
COD
LDCE
beg 6 show any attempt or likelihood
COBUILD
OALD
COLLINS
OED
beg 8 be very difficult to do
beg 5 make an attempt to do sth.; show some likelihood of doing
beg 4 have the least capacity (to do something)
beg le make any (or the least) approach to, come anywhere near
sta 7 begin a career
begin a career
beg 3 start on its career sta 12a begin a career
begin as begin to speak
beg 5a start speaking
cause to begin
sta 2 set in motion sta 7b cause to begin
introduce
sta 8 found or establish
jump
sta 11 make a sudden movement sta 12 spring out, up
beg 2 (cause to) come into existence sta 2 (cause to) come into existence
beg 5 say first
beglc begin a speech, start speaking, speak
sta 5 cause or enable to begin or begin happening; [...] (cf. introduce)
sta 23 cause to begin to act or operate
sta 5 [...] (cf. cause to begin); establish, originate sta 11 make a quick movement sta 12 move suddenly and violently from rest
sta 15 move the body quickly as a result of surprise or fear
sta 6a make a sudden movement; sta 6b jump (up) suddenly
sta 4 make a sudden involuntary movement; jump
sta 2a move with a bound or sudden violent impulse sta 2e move suddenly from one's place sta 5a undergo a sudden involuntary movement of the body
234
Usage
protrude
COD
LDCE
OALD
COBUILD
sta3b of the eyes: burst out, escape from their sockets
sta 7 move, rise or appear suddenly
sta 17 burst forward
sta 23d set (a person) going in conversation
set going in conversation set in
motion
set out
sta 6a begin operating staob cause to begin operating
sta 3 (cause to) begin operation
sta 5 set out; begin a jour-
sta 5 begin a journey
sta 9 make a machine begin to work
sta 4a (of an engine) begin running sta 4b cause (a machine) to start working
sta 3 set or be set in motion
sta 1 begin a journey; leave; set
ney
off sta 12b with reference to reasoning: assume as one's point of departure
sta 8 found or establish
start a race
sta 10 give a signal to start in a race
start running
sta 4 set oneself in motion or action
start time unit
sta 23c set going; set (machinery) in motion
sta lla set out; begin a journey
set out (fig·)
set up
OED
COLLINS
sta 8 establish
sta 9 take part in competition from the beginning
sta 12 cause a race to begin
sta 6 establish or be established; set up
sta 23e establish, to set
sta 9 enter or be entered in a race
sta 10 set out from the barrier in a race sta 22 cause to set out in a race
up
235
Usage
COD
weitere lexical units, die nicht im Korpus vorkommen und nicht unter [incho] fallen
sta 14 rouse from its lair
sta IS give way
sta 7a enable to make a beginning
LDCE
COBUILD
OALD
COLLINS
sta 8 drive (an animal) from a hiding-place
sta 11 rouse from a hidingplace
sta 9 of a beast: leave its lair sta 17 force to leave its lair
sta 8 work or cause to work loose
sta 8 break away from its place sta 21a cause to break away from its place
sta 10 flow violently from a source
sta 3a issue suddenly and violently sta 20a discharge the contents of
OED
sta 7 support in the first part of a venture sta 2b spring on one's feet sta 2d awake suddenly
Ergebnis: Für zwölf Informanten waren die beiden Testsätze zwar verständlich, lediglich einer konnte sich aber vorstellen, start in dieser Bedeutung zu verwenden. Bei Rückfrage konnte festgestellt werden, daß dieser Informant Hobbysegler ist. Es scheint demnach gerechtfertigt, diese Verwendung nicht dem common core des Englischen, sondern eher der Seefahrerfachsprache zuzuordnen. (3) "Discharge the contents of (OED s.v.stort, ähnlich auch im COLLINS) Testsatz: "After the roasting is finished the coffee beans are started in big metal boxes." Ergebnis: 13 der 14 Informanten konnten mit dieser Verwendung von start nichts anfangen. Lediglich ein Informant glaubte den Satz zu verstehen, die Paraphraseprobe ergab aber, daß er eine andere aktuelle Bedeutung angesetzt hatte. Diese Verwendungs-
236 weise dürfte also entweder nur einem sehr kleinen Kreis von Fachleuten (nach Vermutung eines Informanten in der Kohleindustrie) geläufig sein, oder sie muß als obsolet angesehen werden. (4) "Spring on one's feet" (OED s.v.starf) Testsatz: "When the sergeant entered the room, the soldiers started on their feet." (nach OED s.v. start 2b.) Ergebnis: Dieser Satz wird von allen 14 Informanten richtig verstanden, keine(r) würde ihn aber selbst verwenden. Als Paraphrasen werden u.a. angeboten: " ... jumped to their feet", "... started to their feet", "... leapt to their feet", "... came to attention". Bei Veränderung der Präposition von "on" zu "to" liegt also offensichtlich eine gebräuchliche Verwendungsweise vor, die bei der Gesamtkategorie 'start' berücksichtigt werden muß. (5) "Awake suddenly" (OED s.v. start) Testsätze: " The cock was still crowing, when I started out of my dream." (OED s.v. start 2d.) "The car made such a noise as to start you suddenly out of your sleep". Ergebnis: Alle 14 Informanten verstehen beide Sätze korrekt, lediglich fünf beim ersten und zwei beim zweiten Satz würden sich aber dieser Formulierung bedienen. Insgesamt werden beide Sätze von den Informanten als eher "altmodische" Ausdrucksweise empfunden. Die Verwendungsweise dürfte also wohl im Aussterben begriffen sein und wird durch Syntagmen mit wake und/oder durch nominale Ausdrücke wie with a start ersetzt. Ich werde also bei der Erfassung der Gesamtkategorie 'statt' die Verwendungsweisen "of a beast: (force to) leave its lair" und "spring to one's feet" berücksichtigen, die anderen drei dagegen als veraltet oder fachsprachlich beiseite lassen.
6.5 Datenauswertung und Interpretation
In diesem Kapitel werde ich zuerst (6.5.1) alle Verwendungsweisen, die vorläufig unter [incho] zusammengefaßt wurden, differenzieren. Im zweiten Teil (6.5.2) gilt es die Verwendungsweisen, die nicht mit SYNONYM [incho] bewertet wurden, zu diskutieren und zueinander und zur dominanten Verwendung [incho] in Beziehung zu setzen.
237
6.5.1 Inchoative Verwendungsweisen Tabelle 6.7 (S.231) macht deutlich, daß die Verwendungen mit SYNONYM [incho] mit 83.0% den Löwenanteil aller Beispiele ausmachen. Dies gilt in besonderem Maß für begin, wo sich der Anteil dieser Verwendung am Gesamtvorkommen sogar auf 93.4% beläuft. Vor allem für begin, aber auch für start, wo der Anteil mit 67.6% immer noch sehr hoch ist, kann man also davon ausgehen, daß zumindest von der Häufigkeit der Verwendung her diese Verwendungsweise als prototypisch gelten kann. Doch wie in 2.2.4 diskutiert, darf die Häufigkeit nicht allein als Maß für Prototypikalität gelten. Repräsentativität für die Kategorie und Zentralität im Rahmen aller Verwendungen sind weitere Indizien für Prototypikalität, die sich aber erst in der weiteren Diskussion herausstellen werden (vgl. die Zusammenfassung auf S. 267ff). Selbstverständlich liegt uns mit den 656 [inchoj-Verwendungen kein völlig homogener Block von Beispielen vor. Vielmehr muß das Datenmaterial nach verschiedenen Gesichtspunkten weiter differenziert werden, was letzlich auch zu einer deutlichen Unterscheidung zwischen dem Gebrauch und damit auch der Bedeutung von start und begin führen wird. Ich werde die Beispiele zuerst getrennt nach ihrer Verwendung in den Satzkonstruktionen [svo], [sva] und [sv] behandeln und innerhalb dieser Gruppen weiter nach den Feldern SEM_C, SYN C und SEM SU differenzieren.
6.5.1.1 Inchoative Verwendungsweisen in SVO-Sätzen Tabelle 6.9 gibt einen Überblick über die Semantik der Ergänzungen zu start und begin in [svo]-Sätzen. Diese Tabelle allein ist für unterschiedliche Verwendung von start und begin schon sehr aufschlußreich: Start ist bei einem Großteil der Beispiele (87,6%) mit [action] verbunden, über die 5%-Marke schafft es daneben lediglich [process]. Die Standardabweichung der prozentualen Werte für start beträgt 41,82. Begin dagegen weist bei einer Standardabweichung von nur 17,87 eine viel breitere Streuung bei der Wahl der Ergänzungen auf: Alle vier Werte liegen über fünf Prozent. Losgelöst von der Statistik und in etwas weniger technischen Worten kann man also festhalten: Start wird vorrangig in klar dynamischen Kotexten verwendet, in erster Linie bei Handlungen und seltener bei Prozessen. Auch begin wird bei willentlich verursachten Handlungen gebraucht, aber zu einem geringeren Anteil. Deutliches Übergewicht hat begin bei kognitiven Vorgängen oder Zuständen sowie bei Prozessen ohne belebten Agens und bei Zuständen allgemein. Start hat also eher agentiv-dynamischen Charakter, begin eher kognitivstatischen.
238
Tabelle 6.9: SEM C SEM_C
start
TOTAL
begin %
%
% 265
59.0
113
87.6
152
47.4
cognition
99
22.0
3
2.3
96
30.0
process
63
14.1
10
7.7
53
16.6
state
22
4.9
3
2.3
19
6.0
449
100
129
100
320
100
action
TOTAL
Prototypische Beispiele können dies belegen: [A17 083] [A17 084] [K04 110] [D16 094] [N16 106]
Now that we have begun to become familiar with these, we can also begin to discriminate in our judgments of Delius, Sibelius and Vaughan Williams [...] She began to imagine life at Bracciano, [...] But now they started messing about with his children. Relieved, she started running in the opposite direction, [...].
Nun stellt sich natürlich für den kognitiven Semantiker, der sich gegen das Autonomiepostulat der Semantik (Langacker 1988b: 49f; Cuyckens 1991:46ff) wendet, die Frage, ob dieser Befund auf der semantischen Ebene auch einen Niederschlag im syntaktischen Verhalten der beiden Lexeme findet. Zur Klärung dieser Frage werde ich im folgenden die wichtigsten semantischen Ergänzungstypen ihren jeweiligen syntaktischen Realisierungen gegenüberstellen.
a) SEM_C [action] Tabelle 6.10 zeigt auf, wie Verbergänzungen mit der Bedeutung [action] syntaktisch realisiert werden. Start und begin verhalten sich bezüglich der Wahl ihrer Ergänzungen offensichtlich sehr verschieden (die Totalabweichung 42,25 im x2-Test ist bei 2 Freiheitsgraden hochsignifikant auf dem 0.001-Niveau): Begin wird vorzugsweise mit dem to-Infmitiv kombiniert, während start variabler ist, aber eher mit der mg-Form konstruiert wird: [B07 058] [A18 022]
[...] when he has to start writing a surtax cheque [...] [...] the director, Otto Preminger, began to film recently in Washington [...]
239
Tabelle 6.10: [action] SYN_C
start
TOTAL %
begin %
%
np
54
24.2
26
28.0
28
21.4
ing
58
26.5
43
46.2
15
11.9
to
108
49.3
24
25.8
84
66.7
total
220
100
93
100
127
100
Bevor wir diese Ergebnisse zu den Eigenschaften in Beziehung setzen können, die wir weiter oben postuliert haben, müssen wir uns noch einmal den Sonderstatus von Verben wie start und begin vor Augen führen. Wie schon von Garcia (1967; vgl. oben S. 224) erkannt wurde, dürfen diese Verben nicht als lexikalische Vollverben verstanden werden. Vielmehr suggerieren die Termini "aspectuals" von Garcia (1976: 866) und "aspectual verbs of beginning, continuing, and ending" bei Quirk et al. (1985: 1192) meines Erachtens ganz zurecht, daß diese Verben vorrangig die Funktion haben, einen bestimmten Aspekt7 zur Gesamtbedeutung des Satzes beizutragen. Aus der Sicht der kognitiven Linguistik handelt es sich hier um eine Frage der "Perspektive" (vgl. Langacker 1987a: 120ff) einer Situation. Die Frage in unserem Zusammenhang muß nun also lauten: Kann das dynamische bzw. Stative Bedeutungselement, das oben für start bzw. begin angenommen wurde zu den jeweiligen Aspekten bzw. Perspektiven, die von der ing-Form bzw. dem Infinitiv erzeugt werden, in Beziehung gesetzt werden?
Der Begriff "Aspekt" sollte nicht unkommentiert eingeführt werden, da vor allem in der deutschen Linguistik, wo auch der Begriff der "Aktionsart" verwendet wurde und wird, in diesem Bereich terminologische Unklarheiten besteben (vgl. a. Bußmann 21990, s.v. Aktionsart, Aspekt). Eine frühe Diskussion von Aktionsarten findet sich bei Deutschbein (1920). Obwohl dieser unter anderem definiert, daß Aktionsarten Eigenschaften sind, "die jeder Handlung und jedem Vorgang zukommen" (1920: 80), so zeigen seine Ausführungen über Intensive, Iterativa, Kausative und andere Aktionsarten doch, daß es sich bei ihm um der Verbbedeutung inhärente Komponenten handelt, die zum Teil morphologisch erkennbar sind. Im Englischen werden diese durch andere Verben wie etwa become, get u.a. oder aber durch periphrastische Formen ausgedrückt Hier sprechen englische Grammatiker vom "aspect", der eigentlich aber nicht in der Verbbedeutung enthalten ist, sondern durch grammatische Formen umgesetzt wird. In den SurveyGrammatiken der Quirk-Schule schlägt sich diese terminologische Unklarkheit insofern nieder, als etwa in der University Grammar (1973) im Zusammenhang mit der Möglichkeit im progressiven Aspekt aufzutreten noch von der verb meaning ausgegangen wird, in der Comprehensive Grammar (1985) aber eine Typologie nach "situation types" (vgl. a S.241) aufgestellt wird. Die Verwirrung entsteht also grundsätzlich dadurch, daß einerseits nach inhärenten semantischen Komponenten der Verbbedeutung gesucht wird, andererseits nach grammatikalischen Oberflächensignalen, die eine bestimmte Vorgangssichtweise hervorrufen. Beide Elemente spielen auch hier eine Rolle.
240
Prinzipiell läßt sich der Kontrast zwischen dem Infinitiv und der ing-Form mit dem Unterschied zwischen "potentiality" und "performance" erfassen (Quirk et al. 1985: 1192; vgl. a. oben S. 223f). Umgesetzt auf die Verben des Beginnens bedeutet dies, daß die ing-Form die eigentliche Handlung bzw. den Vorgang des Beginnens in den Brennpunkt bringt, wohingegen der Infinitiv den Blick in den Zustand nach dem eigentlichen Beginn hinüber lenkt. Der Infinitiv vermittelt ein Element der Modalität und Intentionalität, das auf mögliche spätere Zustände hinweist, die ingbündelt die Aufmerksamkeit im eigentlichen Moment des Zustandwechsels. Wie wir gesehen haben, ergab die statistische Analyse, daß start vorrangig durch die ing-Form ergänzt wird, begin indessen mit dem Infinitiv. Offensichtlich liegt hier eine deutliche Übereinstimmung zwischen den statistischen Daten und der hypothetischen Bedeutung vor: Start trägt ein deutliches dynamisches Element, das die Perspektive auf den kurzen Zeitraum der Zustandsveränderung lenkt. Begin hingegen profiliert den Zustand nach dem eigentlich inchoativen Moment zumindest mit. Diese Interpretation kann durch einen Verweis auf das oben schon zitierte Beispielpaar untermauert werden, das von Quirk et al. (1985: 1192) zur Verdeutlichung des {Contrasts zwischen "potentiality" und "performance" gebracht wird. Der Einfachheit halber seien die beiden Sätze noch einmal zitiert. to speak, but stopped, because she objected. He started speaking, and kept on for more than an hour. Nachdem der Hörer die Äußerung He started to speak aufgenommen hat, wird er stillschweigend davon ausgehen, daß das Sprechen weiter andauert; deshalb ist es sinnvoll und nötig, den zweiten Teilsatz mit der adversativen Konjunktion but einzuleiten. Als Reaktion auf die Äußerung He started speaking jedoch wird der Hörer seine Aufmerksamkeit auf den Beginn selbst richten und benötigt deshalb weitere Informationen, wenn er annehmen soll, daß das Sprechen fortgesetzt wird. (Selbstverständlich würde jeder englische native speaker beide Sätze auch mit ausgetauschten untergeordneten Sätzen akzeptieren. Trotzdem zeigen die statistischen Ergebnisse aus dem LOB, daß, obgleich offensichtlich kein sprachliches Bewußtsein für diesen Unterschied vorhanden ist, Sprecher des Englischen ein ausgesprochene Neigung haben, die Verben in der beschriebenen Form zu verwenden.) Das bislang vertretene Argument läßt sich weiter stützen, wenn man den Begriff der Perspektive wörtlich nimmt und das syntaktisch-semantische Verhalten der Verben des Beginnens mit dem der Wahrnehmung vergleicht. Verben wie see, watch oder hear können je nach der Form ihrer Ergänzung einer Situation oder Szene unterschiedliche Perspektiven verleihen: The infinitive indicates an action or event is being regarded as a whole, with its result included. The present participle indicates that an action or event is regarded as a process which is taking place (progressive aspect). (Ungerer et al. 1984: 184; Hervorhebung im Original)
241
Der Infinitiv ruft demnach eine ganzheitliche Perspektive eines Ereignisses hervor, die ing-Form profiliert den Prozess selbst, d.h. den dynamischen Aspekt. Die Parallelen zu den Befunden über start und begin sind offensichtlich. An einer anderen Stelle in der Quirkschen Grammatik (Quirk et al. 1985: 200), in Zusammenhang mit der Vertypologie nach Situationstypen (vgl. Fußnote 7), wird begin als Beispiel der Kategorie "transitional acts" genannt. Verfolgt man die Verzweigungen des Baumdiagramms, so erhält man für diese Gruppe die Elemente dynamic, punctual, conclusive und agentive. Dazu ist zuerst einmal anzumerken, daß trotz der Wahl von dynamic anstelle von Stative bei der ersten Entscheidung das bisher von mir vertretene Stative Element vorhanden ist, und zwar in dem Element conclusive (vgl. dazu auch S.253). Vor allem, wenn man andere Beispiele, die zusätzlich zu begin genannt werden, also etwa sit down, catch (a ball) oder stop in die Überlegungen mit einbezieht, so wird deutlich, daß diese Verben durch das Eintreten eines neuen Zustandes, d.h. das konklusive Element, auch etwas "Statisches" beinhalten. Start dagegen enthält dieses Element nicht. Deshalb würde ich dafür plädieren, daß start in dieser Verbtypologie zur Gruppe der "momentary acts" zu zählen ist, die sich von den transitional acts durch das Element "non-conclusive" unterscheiden. Zusammenfassend läßt sich also festhalten, daß der postulierte dynamische Aspekt für start und der Stative für begin durch die jeweiligen Formen der Ergänzung und die Parallelen mit den Verben der Wahrnehmung zusätzliche Rechtfertigung erhält. Aus einer kognitiven Sicht der Sprache heraus lassen die jeweiligen Perspektiven, die sich hinter diesen verschiedenen Aspekten verbergen, unter Rückgriff auf Miller & Johnson-Laird (1976: 450; vgl. S.225) und die Konzepte Basis und Profil aus der kognitiven Semantik Langackers (1987a: 183ff; vgl. 2.4.3) wie folgt darstellen: Die Basis des Begriffs ist für beide Lexeme identisch. Sie kann bildlich wie in Abbildung 6.1 wiedergegeben werden.
Beginn Zustand l | Zustand 2 000000000000000011111111111111111
Abb. 6.1 Unterschiede ergeben sich nun bei der Zuordnung des Profils zur Basis. Für start (vgl. Abb 6.1a) liegt das Profil (durch Fettdruck gekennzeichnet) auf dem Augenblick des Beginns.
Beginn Zustand l | Zustand 2 000000000000000111111111111111111 Abb. 6.1(a): start
242 Bei begin hingegen (vgl. 6.1.b) muß der ganze Zustand 2 inklusive des Übergangs ins Profil gebracht werden.
Beginn Zustand l | Zustand 2 000000000000000111111111111111111
Abb. 6.1(b): begin Es existieren also Unterschiede zwischen start und begin in der Verwendungsweise [incho]. Trotz alldem muß aber deutlich hervorgehoben werden, daß die Konstellation SEM_SU [human] + start/begin + SEM_C [action] für beide Verben statistisch gesehen als prototypische Verwendungsweise der Gesamtkategorie angesehen werden muß. Keine andere Wertekombination in der gesamten Datenbank bringt es vor allem bei start (28.9%), aber auch bei begin (26.3%) auf einen so hohen Prozentsatz in Relation zu allen Beispielen. In Komponenten aufgegliedert kann der gemeinsame prototypische Kern von start und begin demnach als eine Kombination der Attribute 'inchoativ' und 'dynamisch' spezifiziert werden, wobei aber 'inchoativ' deutlich dominanter ist (vgl. auch Abb. 6.2, S.248).
b) SEM_C [cognition] und SEM_C [state] Als geeignete Kontrollgruppen für die oben aufgestellten Behauptungen bieten sich die Beispiele SEM_C [cognition] und SEM_C [state] an, da die Verben dieser Kategorien prototypische Beispiele für Stative Verben sind. Unter den Wert [cognition] fallen nämlich alle Verben, die bei Quirk et al. (1985: 202f) unter dem Oberbegriff "'private' states" zusammengefaßt werden, also "intellectual states", "states of emotion or attitude", "states of perception" und "states of bodily sensation". Beispiele für state verbs im LOB sind etwa appear, be heavy, look like. All diese Verben können nach Ungerer et al. (1984: 181; vgl. S.224) die Ursache dafür sein, daß die Verbergänzung in der Form [to] auftritt; z.B.: [E10 040] [E14 015] [L06 075]
It began to be realized that it was a great waste of labour [...]. [...], until I began to feel that I was in a position where [...]. Lea was beginning to feel dizzy.
Die Zahlen in Tabelle 6.11 bedeuten eine unzweifelhafte Bestätigung der bisherigen These. Zum einen ist bemerkenswert, daß start überhaupt nur in ganzen drei Fällen mit [cognition] kombiniert wird, begin dagegen 96 mal. Betrachtet man schließlich die syntaktische Realisierung dieses semantischen Typs, so wird erneut deutlich, wie eng der Infinitiv beim Ergänzungsverb mit dem Stativen Aspekt verknüpft ist. Lediglich fünf der 96 Beispiele sind nicht mit dem Infinitiv konstruiert.
243
Tabelle 6.11: [cognition] SYN_C
start
TOTAL
begin %
%
% np
4
4.0
0
0
4
4.2
ing
2
2.0
1
33.3
1
1.0
to
93
93.9
2
66.6
91
94.8
total
99
100
3
100
96
100
Dasselbe gilt ohne Einschränkung für die Verben des state-Typs. Hier mögen die Zahlen in Tabelle 6.12 für sich sprechen.
Tabelle 6.12: [state] SYN_C
TOTAL
start
begin %
%
%
np
2
9.1
0
0
2
10.5
ing
3
13.6
3
100
0
0
to
17
77.3
0
0
17
89.5
total
22
100
3
100
19
100
An dieser Stelle muß eine Verwendungsweise außerhalb des Bereichs von SYNONYM [incho] eingeflochten werden, da sie semantisch sehr eng mit SEM_C [state] verknüpft ist. Dabei handelt es sich um die Verwendungsweise "be far from". Diese Verwendungsweise kommt im ganzen Korpus nur dreimal vor, zweimal bei [beg] und einmal bei [sta]: [F28 168]
[...] the offered 600 did not begin to compare with the Sheriff income of 5.000
[Hll 077] [N22 072]
[...] a plan on these lines would not begin to meet the needs of the situation. I [...] went back to my car with a head full of thoughts - none of which started to make sense.
Die Beispiele sind durch ihre spezifische syntaktische und semantische Konstellation relativ eindeutig erkennbar: alle Sätze sind negiert und weisen die Kombination SENTENCE [svo],
244
SYN_C [to] und SEM_SU [abstract] auf. Die infiniten Verbalphrasen, die als Ergänzungen zu start bzw. begin fungieren, beschreiben Zustände mentaler oder abstrakter Natur; deshalb der Zusammenhang zu SEM_C [cognition] und [state]. In allen drei Beispielsätzen ist ein mehr oder weniger expliziter Vergleich zwischen einem Istzustand und einem erwünschten, positiv evaluierten Sollzustand enthalten. Das Entscheidende an dieser Verwendungsweise ist, daß die Sätze immer negiert sind. Die Logik hinter dieser Verwendung von start und begin besteht also darin, daß ein gewünschter Sollzustand nicht nur nicht eintritt, sondern nicht einmal beginnt einzutreten. Der Istzustand ist noch sehr weit vom Sollzustand entfernt, daher meine Wahl des Synonyms "be far from". Wie aus Tabelle 6.8 auf S.233 hervorgeht, findet diese Verwendungsweise in den Lexika sehr unterschiedliche Entsprechungen, die zum Teil nur an Hand der Beispiele identifizierbar sind. Allen Paraphrasen ist aber gemein, daß sie sich an der nicht-negierten Verwendung orientieren. In Anbetracht der Tatsache, daß es eine nicht-negierte Form dieser Verwendungsweise wohl nicht gibt,8 halte ich solche Versuche der Bedeutungsbeschreibung für verfehlt. Ich bin stattdessen der Auffassung, daß diese Verwendungsweise explizit als not begin bzw. not start beschrieben werden muß. Geschieht dies, so wie ich es demonstriert habe, so kann man innerhalb des vertrauten inchoativen Bedeutungspotentials von start und begin bleiben. Die aktuelle Bedeutung ließe sich so etwa charakterisieren als 'nicht-inchoativ' -'erwünschter Zustand'. Auf diese Weise müssen nicht Begriffe wie "attempt" (COD, OALD), "likelihood" (COD, OALD), "difficult to do" (COBUILD) oder "capacity" (COLLINS) bemüht werden, die semantisch prinzipiell nichts mit begin oder start zu tun haben. Am ehesten scheint mir noch die zweite Paraphrase im OED, "come anywhere near", den Kern zu treffen, da sie sich an vertraute lokative Bedeutungen anschließen läßt. Ein letztes Wort zum Unterschied zwischen start und begin in dieser Bedeutungsvariante: In allen Lexika ist das einschlägige lexical unit unter dem Lexem begin, nicht aber unter start verzeichnet. Das Beispiel aus dem LOB zeigt aber, daß start offensichtlich auch diesen ursprünglich für begin reservierten Gebrauch mittlerweile übernommen hat. Meines Erachtens besteht bezüglich dieser Bedeutungsvariante kein semantischer Unterschied zwischen den Lexemen.
c) SEM_C [process] Ähnlich deutlich wie bei [cognition] und [state] sind die Verhältnisse auch bei [process]. Das entscheidende Kriterium für die Wahl von [process] bei der Zuordnung von Werten zu Feldern in der Datenbank bestand im Fehlen eines menschlichen Agens. Typische Prädikate in Komplementposition zu start oder begin im LOB wären hier etwa take shape, fill, outgrow, improve, reach saturation point. Es handelt sich dabei um process-Verben, die von Quirk et al. (1985: 201) als "conclusive and durative" eingestuft werden. Was diesen Verben fehlt, ist
Die meisten Lexika vermeiden in charakteristisch vorsichtiger Weise mit Hilfe von labels eindeutige Aussagen; vgl. z.B. "usu in negative sentences" (OALD s.v. begin) oder "usu. with neg" (COD s.v. begin).
245
nicht der dynamische, sondern der agentive Aspekt. Sie kommen nicht mit einem menschlichen Agens als Subjekt vor. Die niedrige Anzahl von start mit [process] in Tabelle 6.139 läßt vermuten, daß nicht nur der dynamisch-potentielle Aspekt, sondern auch die Tendenz zur Kombination mit einem Agens ein Kennzeichen von start im Gegensatz zu begin ist. Bei den nicht-agentiven Verwendungen mit SEM_C [process] überwiegt nämlich der Anteil von begin sehr deutlich. Die Tatsache, daß fast ausschließlich die Konstruktion SYN_C [to] verwendet wird, ist ein weiteres Indiz dafür, daß die mg-Form mit Agentivität verknüpft ist, der Infinitiv hingegen mit Nicht-Agentivität.
Tabelle 6.13: [process]
SYN_C
TOTAL
start %
begin %
%
np
1
1.6
0
0
1
1.9
ing
3
4.8
1
10
2
3.8
to
59
93.6
9
90
50
94.3
total
63
100
10
100
53
100
Ich fasse die Ergebnisse zum Bereich SYNONYM [incho] SENTENCE [svo] zusammen: Den prototypischen Kern dieser Gruppe von Verwendungen bildet bei beiden Lexemen die Konstellation SEM_SU [human] start/begin SEM_C [action], d.h., ein menschlicher Agens beginnt eine Handlung. Dabei ist start aber deutlicher mit dem agentiven Aspekt verknüpft als begin. Eng an diesen Kern angegliedert sind Varianten von aktuellen Bedeutungen, bei denen die beiden Verben semantisch klar divergieren. Der Gebrauch von start ist weitgehend an den prototypischen dynamisch-agentiven Kotext gebunden; hier werden wir in Kürze
Hier sollte eine kurze Bemerkung zur Beurteilung der Signifikanz der Zahlen nicht fehlen. Im Idealfall sollte ein Vergleich zwischen zwei Populationen durch den x2-Test ausgedrückt werden, so wie weiter oben bei [action] (vgl. Tabelle 6.10). Dies ist aber aus verschiedenen Gründen (z.B. wenn ein Wert unter 5 sinkt; vgl. Woods et al. 1986: 144) nicht immer möglich. Außerdem sind vermutlich nicht alle Leser mit diesem statistischen Maß vertraut und haben deshalb nur eine vage Vorstellung, was es aussagt Ein einfacher Vergleich der absoluten Häufigkeit des Auftretens würde allerdings das Verhältnis verfälschen, da die Gesamtanzahl von start und begin im LOB ja unterschiedlich hoch ist. Ein relativ verläßlicher und leicht erfaßbarer Wert ergibt sich aber durch einen Vergleich des Verhältnisses der jeweiligen Werte zueinander mit dem Verhältnis aller Beispiele: 318(sfart): 472(begin) = 0.67. Liegt das aktuelle Verhältnis unter diesem Wert, wie hier bei [process] (10:53=0.18), so überwiegt die Anzahl von begin relativ gesehen die von start. Liegt das Verhältnis dagegen über 0.67 wie oben bei [action] (93:126=0.73, vgl. Tabelle 6.10), so treten im LOB relativ mehr Beispiele von start auf.
246
weitere Varianten kennenlernen. Begin hingegen wird deutlich in einer anderen Richtung verwendet, nämlich im Zusammenhang mit emotiven und kognitiven Zuständen und Prozessen und in anderen eher Stativen, nicht-agentiven Kotexten. Eine kognitive Sichtweise dieser sprachlichen Befunde, die auf die außersprachliche Welt und unsere Wahrnehmung zurückgreift, ermöglicht es mir, die Ergebnisse auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen: Während start bei der Beschreibung sichtbarer Anfänge von Aktionen verwendet wird, kommt begin eher bei nicht-wahrnehmbaren, also kognitivemotiven Wechseln von Zuständen zum Einsatz. Ich will diese Erklärung die "Sichtbarkeitsthese'1 nennen. Diese Charakterisierung des Bedeutungsunterschieds, die in bester kognitiver Manier auf der subjektiven Wahrnehmung von Situationen beruht, eignet sich als fundamentale Erklärung für die Gegensatzpaare dynamisch/agentiv (start) und stativ/nicht-agentiv (begin). Vor diesem Hintergrund ist auch die oben zitierte emphatische Verwendung von start bei V. Woolf (vgl. S.222) besser zu interpretieren: Zuerst einmal hat für Mrs Dalloway ihre lang vorbereitete und mit Spannung erwartete Party "begun", was die ruhige Zufriedenheit über das Eintreten und Andauern des erwünschten Zustands ausdrückt. Aber die Party hat auch "started", d.h. sie ist wie die Teilnehmer an einem Sprint förmlich explodiert oder "ins Rollen gekommen" mit allen dynamischen Konnotationen des Redens, Lachens, Tanzens usw., die start heraufbeschwören kann. Zwei weitere Befunde aus der Datenbank, und zwar a) ein syntaktischer bzw. flexionsmorphologischer und b) ein eher pragmatischer, können dieses Gesamtbild noch weiter stützen. a) Zum ersten möchte ich auf die Zahlen der Beispiele von ing-Verwendungen von start (36) und begin (50) verweisen, die Tabelle 6.2 auf S.226 zu entnehmen sind. Es handelt sich also um Beispiele vom Typ "She was starting / beginning to ...". Weiter oben habe ich die Auffassung vertreten, start müsse der Quirkschen Kategorie "momentary acts" zugeordnet werden, begin dagegen "transitional acts". Konsultiert man nun Quirk et al. bezüglich der Möglichkeiten der jeweiligen Verbtypen, im progressiven Aspekt, also der ing-Form aufzutreten, so wäre bei start die Wahl der progressiven Form darauf zurückzuführen, "that some repetition of the event took place" (1985: 208). Bei Verben vom Typ begin wird die Verlaufsform antizipatorisch erklärt, "ie that the progressive refers to a period LEADING UP to the change of state" (1985: 209). Dementsprechend dürfte start nur selten oder nie in der Verlaufsform auftauchen, da wiederholtes dynamisch-punktuelles Beginnen kaum vorstellbar ist. Begin indessen, das langsame Übergänge und Prozesse denotiert, bietet sich für eine Verwendung in der Verlausform eher an. Die Verteilung 36:50 = 0.72 besagt aber, daß start relativ sogar etwas häufiger mit dem {ing}-Morphem auftritt. Wie ist dieser Widerspruch zu erklären? Unser Dilemma löst sich in Wohlgefallen auf, wenn wir die Beispiele genauer im Hinblick auf ihre syntaktische Funktion untersuchen. Das {ing}-Morphem kommt ja nicht nur zum Ausdruck eines progressiven Aspekts zum Einsatz, sondern daneben auch bei Verbalphrasen in infiniten Nebensätzen. Eine diesbezügliche Auswertung des Beispielmaterials von MORPHEME {ing} ergibt das folgende Resultat: Starting wird nur in vier der 36 Beispiele
247
in einer echten Verlaufsform verwendet, die anderen 32 sind Hauptverben infiniter Nebensätze wie in dem Beispiel: [A15 045]
[...] fares would be fixed for the traffic year starting April 1, 1963.
Bei begin sind die Verhältnisse genau umgekehrt. Von den 50 Beispielen sind 37 echte Verlaufsformen, nur 13 Verwendungen stehen in infiniten Nebensätzen. Noch deutlicher wird dieser Zusammenhang durch die Feststellung, daß die Struktur "is/was beginning ..." bei einem Großteil der Beispiele mit mentalen Verben wie think, feel, detest, see, understand usw. kombiniert ist. Die Verteilung des {ing}-Morphems kann also als eindeutige Stutzung der These zum Bedeutungsunterschied zwischen start und begin gelten. b) Als zweite Untermauerung möchte ich die eindeutige Verteilung der beiden Verben in Imperativ-Verwendungen erwähnen. Tabelle 6.3 (vgl. S.227) gibt für start zehn Beispiele im Imperativ an, für begin dagegen keines. Auch dieser Befund geht mit der These, die ich aufgestellt habe, konform. Imperativ-Verwendungen von Verben haben semantisch gesehen eine eindeutige dynamische und agentive Qualität. "Imperatives are restricted to predictions that allow a dynamic interpretation" (Quirk et al. 1985: 827). Diese Qualität besitzt nur start in ausgeprägtem Maß, so daß Äußerungen wie "Begin!" oder "Begin to think!" zumindest eher ungewöhnlich sind. In der mittlerweile vertrauten graphischen Darstellung läßt sich nun die erarbeitete Konstellation von Subkategorien mit Abbildung 6.2. auf Seite 248 erfassen.
6.5.1.2 Inchoative Verwendungsweisen in S VA-Sätzen Tabelle 6.15 bietet einen Überblick über die adverbialen Ergänzungen bei den Verwendungen SYNONYM [incho] SENTENCE [sva] bzw. [imp.vaj. Tabelle 6.15: SYNONYM [incho] SENTENCE [sva] bzw. [imp.va]
SEM_C
TOTAL
start %
begin %
%
locative
32
25.8
19
33.9
13
19.1
manner
54
43.5
20
35.7
34
50.0
temporal
38
30.6
17
30.4
21
30.9
TOTAL
124
100
56
100
68
100
248
BEGIN
START
incho
incho
I
Stative
dynamic agentive
nonagentive
incho process
incho cognitive
Abb. 6.2: Subkategorien der inchoativen Verwendungsweisen in SVO-Sätzen10
Gemäß dieser Tabelle überwiegt bei den Gesamtzahlen der beiden Verben in dieser Verwendungsweise start gegenüber begin (56:68 = 0.82). Start wird also häufiger in Konstruktionen verwendet, in denen ausgesagt wird, wann, wo oder aufweiche Weise etwas begonnen hat. Dieser Befund läßt sich gut mit der oben aufgestellten Sichtbarkeitsthese (vgl. S. 246) vereinbaren: Umstandsangaben dieser Art sind für sichtbare oder als sichtbar konzeptualisierte Situationen wichtiger als für mentale Vorgänge. Deshalb sind vor allem Elemente der lokalen (vgl. das Verhältnis 19:13 = 1.46), aber auch der temporalen Deixis (17:21 = 0.80) bei start eher zu erwarten als bei begin. Bei begin ist entsprechend der Anteil der manner-Adverbiale höher (20:34 = 0.58). Insgesamt ist der Unterschied zwischen start und begin aber mit einer Totalabweichung von x^ 4.05 auf dem 0.2-Niveau bei zwei Frei10
Diese Abbildung ist wie die weiteren (6.3ff) auch in die Gesamtdarstellung in Abbildung 6.6 auf S.268 integriert Es wird sich deshalb nicht nur hier, sondern auch während der gesamten folgenden Ausführungen immer wieder lohnen, auf die zusammenfassende Graphik 6.6 auf S.268 zu rekurrieren. Viele der abstrakten Zusammenhänge dürften durch die graphische Darstellung der Subkategorien greifbarer werden.
249 heitsgraden nur wenig signifikant. Die einzelnen Zahlen sollten also nicht überbewertet werden. Um weiter zu überprüfen, ob die in 6.5.1.1 aufgestellten Aspektpaare 'dynamisch' vs. 'stativ' usw. auch für den Bereich SENTENCE [sva] gelten, ist vor allem die Natur des jeweiligen Subjekts (vgl. Tabelle 6.16) aufschlußreich. In Tabelle 6.16 sind natürlich vor allem die divergierenden Werte bei [abstract], [action], [human], [process] und [temporal] zu beachten. Ich glaube, daß es sicherlich als Bestätigung der These 'dynamisch/agentiv' vs. 'stativ/nicht-agentiv' aufgefaßt werden kann, daß start bei [action], [human] und [process] überwiegt, begin dagegen bei [abstract] und [temporal] (vgl. die durch Fettdruck hervorgehobenen Werte in Tabelle 6.16). Zur Veranschaulichung dieser Verwendungen möchte ich für jeden dieser Subjekttypen zwei Beispiele herausgreifen und kurz kommentieren.
Tabelle 6.16: SEM_SU bei SYNONYM [incho] SENTENCE [sva] bzw. [imp.va] SEM_SU
TOTAL
start
begin
%
% 0
%
3
2.4
3
5.3
0
0
abstract
30
24.1
6
10.7
24
35.3
action
20
16.1
13
23.2
7
10.3
1
0.8
0
0
1
1.5
human
35
28.2
19
33.9
16
23.5
institut.
2
1.6
1
1.8
1
1.5
object
1
0.8
1
1.8
0
0
process
17
13.7
10
17.9
7
10.3
state
8
6.4
3
5.3
5
7.3
temporal
7
5.6
0
0
7
10.3
TOTAL
124
100
56
100
68
100
cognition
(a) SEM_SU [abstract] [C01 Oil]
Most stories of Miss Nightingale begin and end with her work in the Crimea.
250
[G69 130]
Gods begin as hypotheses serving to account for certain phenomena of outer nature [...]
Diese beiden LOB-Zitate können als Musterbeispiele für den abstrakten Kotext-Rahmen dienen, in dem begin in Kombination mit einem adverbial of manner häufig Verwendung findet.
(b) SEM_SU [action] Als Gegenstück zwei Beispiele von start mit Zeit- bzw. Ortsadverbiale und vergleichsweise dynamischen Subjekten: [A14 032] [B27 086]
The trouble started on Thursday afternoon [...] [...] lecture courses are about to start all over the country [...]
(c) SEM_SU [human] Bei den Verwendungen mit menschlichem Subjekt liegen oft Ellipsen vor, die wie beim ersten Beispiel unten durch den Kotext oder wie beim zweiten durch Inferenzen aufgrund des Kotexts und des außersprachlichen Kontexts ausgefüllt werden können. [A37 184] [AO5 170]
She paints all through the day every day, starting [to paint] at 8 am [...] We started [the meeting] with the plaintive wailings of Mr Healey, shadow foreign secretary [...]
Durch die Ellipsen entsteht eine große Ähnlichkeit zu intransitiven Verwendungen mit menschlichem Subjekt auf der einen Seite und zu einer Reihe von anderen elliptischen Verwendungsweisen wie z.B. "begin to speak", die in der Regel auch elliptisch, also nur durch "begin" realisiert werden (vgl. S.265) auf der anderen Seite.
(d) SEM_SU [process] [B07 058] [J06 090]
Further up the scale, where progression starts again with surtax [...] Downward movement may in some forms start as a passive sinking [...]
Leicht erkennbar ist hier der dynamische Aspekt, der für die größere Anzahl von start bei SEM_SU [process] verantwortlich ist.
(e) SEM_SU [temporal]
251
Bei den sieben Verwendungen mit SEM_SU [temporal], die alle mit begin auftreten, zeigt sich dagegen eine sehr Stative und absichtlich abstrakte Sichtweise, die bewußt von den handelnden Menschen absieht. Man vergleiche die folgenden drei Beispiele: [P08 127] [KOI 177] [K10 034]
The morning began just the same as the others. They had not been in touch since the unsatisfactory evening that had begun with the intrusion of the callow young man [...] The afternoon which had begun so promisingly [...]
Diese Verwendungsweise steht in enger Verbindung zu drei anderen Typen. Erstens stellt sie eine etwas elaboriertere Form der intransitiven Verwendung von begin mit SEM_SU [temporal] dar: [B13 221] [F08 072]
As the week-end began two British journalists were sending this despatch [...] The important thing is that she must make it plain before the evening begins
Von diesem Typ gibt es im Korpus sieben Beispiele für begin und nur eines für start (Even before the season started [...] [E15 009]). Umgekehrt sind die Verhältnisse dagegen bei der zweiten Verwendungsweise, die hier zu erörtern ist, nämlich dem Typ "start time unit". Ich habe schon bei der Diskussion von Tabelle 6.7. bemerkt, daß diese Verwendungsweise nicht in den Wörterbüchern erwähnt wird. Hier einige Beispiele: [F33 201] [H09 016] [N10 044]
When the first frosts come start the day with porridge and milk. In prison he was described as an unhappy creature who had started life badly [...] Yet this new government may not like to start what they call a new era with the execution of a white man.
Offensichtlich liegt hier wie oben der Beginn einer Zeitspanne vor, doch bei diesen Beispielen kommt zusätzlich zur Darstellung der Art und Weise dieser Zeitspanne ein menschlicher Verursacher ins Spiel. Die Bedeutung dieser Verwendung besteht also aus vier Komponenten: (1) (2) (3) (4)
einer Zeitspanne (realisiert durch SEM_C [temporal]), einer Charakterisierung dieser Zeitspanne (realisiert durch [manner]), die ein Resultat darstellt, und zwar das Resultat des Eingreifens eines menschlichen Agens (realisiert durch SEM_SU [human] bzw. den Imperativ).
Kurz gesagt verschmelzen hier neben dem inchoativen Aspekt eine temporale, eine kausative, eine resultative und eine Komponente der Art und Weise. Diese Verwendungsweise, die ich in Ermangelung eines besseren Ausdrucks "start time unit" genannt habe, ist meines Wissens in keinem Lexikon beschrieben. Sie kommt nur bei start vor und kann als kausative Variante
252
des Typs SEM_SU [temporal] SENTENCE [sva] SEM_C [manner] (z.B.'The afternoon started promisingly") angesehen werden. Dies ist vor allem deshalb plausibel, weil ich später noch zeigen werde, daß die Möglichkeit der "Kausalisierung" von Verwendungen bei start (nicht aber bei begin) ein durchgängiges Prinzip ist (vgl. S.267).11 Als dritte muß in diesem Kontext noch die Verwendungsweise "begin as" behandelt werden. Für diese von mir postulierte Verwendungsweise gibt es im ganzen Korpus nur ein Beispiel. Auch in Lexika findet diese Verwendung keine Resonanz. Warum also habe ich dieses Beispiel - unter Berücksichtigung des "principle of diminishing returns" (Lyons 1968: 153) - nicht einer anderen Verwendungsweise zugeordnet? Die Gründe dafür liegen in erster Linie im außergewöhnlichen syntaktischen Verhalten des fraglichen Beispiels: [D06 171]
[...] the following Monday was day six and Tuesday started day one again and so on.
Es ist kaum zu übersehen, daß es sich bei dieser Verwendung von start um ein Kopulaverb handelt, so daß wir als Satzkonstruktion nicht [svo], sondern [svc], also Subjekt - Kopulaverb - Subjektergänzung vorliegen haben.12 Nachdem diese Verwendung in keinem Lexikon beschrieben ist, habe ich zur Überprüfung meinen Informanten einen vergleichbaren Testsatz vorgelegt. Dieser ("After the long weekend Tuesday started day one of the week") wurde von 13 der native speakers akzeptiert und von zehn sogar als mögliche eigene Aussage angesehen. Es handelt sich also offensichtlich um eine durchaus gängige Verwendung von start. Wie aber läßt sich nun ihre Bedeutung charakterisieren? Wie in den Lexika, so findet auch in der großen Grammatik von Quirk et al. die Verwendung von start als Kopulaverb keine Erwähnung im Zusammenhang mit "copular complementation" (1985: 1171ff), obwohl Antonyme von start, nämlich end up und wind up, von Quirk et al. an dieser Stelle genannt werden. Bezüglich seiner semantischen Einordnung in die beiden Quirkschen Kategorien "current attribute" und "resulting attribute" (Quirk et al. 1985: 1171f) muß man wohl erneut feststellen, daß diese Verwendungsweise von start eher zu den dynamischen Verben, also zur Gruppe "resulting attribute" wie etwa become, get, grow, end up, wind up usw. zu rechnen ist. In Analogie zu den allerdings sehr vagen "semantic notes on copular verbs" bei Quirk et al. (1985: 1174) läßt sich die Bedeutung von
Vgl. Lipka (1982: 10), der davon spricht, daß "ambiguity as to inchoative or causative sense is also to be found with zero-derivatives". Dazu ist zu sagen, daß das Konzept der Null- oder Nullmorphem-Ableitung keineswegs unumstritten ist. Von ihren Befürwortern (vgl. Kastovsky 1982: 79f, 172f; Lipka 1990a: 84ff) werden als Hauptargumcnte eine semantische Inklusionsbeziehung zwischen Basis und Ableitung und die semantische Analogie zu morphologisch expliziten Suffixableitungen angeführt. Vor dem Hintergrund, daß es sich beim vorliegenden Beispiel start (inchoativ) - start (kausativ) aber offensichtlich um eine metonymische Beziehung unter Erhalt der Wortklasse handelt, ist es heute gemäß modernen, kognitiven Theorien nicht mehr sinnvoll, hier überhaupt von zwei Lexemen zu sprechen. Vielmehr handelt es sich dabei um eine Bedeutungsübertragung innerhalb einer Kategorie (vgl. dazu die jüngeren Überlegungen Lipkas (1990a: 139t), die in dieser Richtung interpretiert werden können). In den Tabellen wird die Verwendung trotzdem als [svo] behandelt, da dieses eine Beispiel die Tabellen nur unnötig komplizieren würde.
253
start als Kopulaverb wie folgt umreißen: Es gehört zusammen mit get, go, turn und grow zur Gruppe der "verbs of becoming", wobei der Schwerpunkt von start aber im Gegensatz zu den anderen Verben, die Quirk et al. beschreiben, auf dem Zeitpunkt des Übergangs liegt. Semantisch gesehen funktioniert diese Variante also ähnlich wie die Beispiele vom SEM_SU [temporal] + SEM_C [temporal] (vgl. oben S.251: "the morning began just the same as the others."). Der Unterschied liegt darin, daß bei "Tuesday started day one of the week" eine resultative Komponente hinzukommt, die sich folgendermaßen umschreiben läßt: Die Tatsache, daß Dienstag zum ersten Tag der Woche wird, verursacht, daß dieser Tag an den Anfang der Woche gelangt. Der Beginn ist also die Folge des ganz spezifischen Übergangs. Die resultierende Komponentenkonstellation lautet demnach: 'inchoativ/conclusiv' (vgl. S.241) ("Tuesday becomes day one"), 'temporal' ("Tuesday becomes day one"), 'resultativ' ("Therefore Tuesday is the beginning of the week") und noch einmal 'inchoativ/ nicht-conclusiv' ("Tuesday starts day one"). Diese semantische Struktur dürfte wohl eher Seltenheitswert haben und für die Systematik der Gesamtkategorie start von marginaler Bedeutung sein. Trotzdem scheint mir aufgrund der fehlenden Erwähnung in Grammatiken und Lexika, der außergewöhnlichen Syntax und der interessanten semantischen Struktur dieser Verwendung die etwas ausführliche Diskussion doch gerechtfertigt zu sein. Festzuhalten bleibt für den Bereich SYNONYM [incho] SENTENCE [sva], daß die Hypothese, die ich für SENTENCE [svo] aufgestellt habe, weitere Bestätigung gefunden hat. Das Grundgerüst von Abbildung 6.2. bleibt also erhalten, wird aber durch weitere Subkategorien ergänzt (vgl. Abb. 6.3, nächste Seite). Dabei fällt auf, daß dort, wo die temporalen Verwendungen die zusätzlichen Komponenten 'kausativ' und 'resultativ' annehmen, nur starf-Verwendungen belegt sind. Andererseits läßt die Graphik erkennen, daß im Bereich von begin das temporale und das Stative Element eine Verknüpfung eingehen können (vgl. S.251).
6.5.1.3 Inchoative Verwendungsweisen in SV-Sätzen Tabelle 6.17 auf Seite 255 stellt eine Liste der Subjekttypen in intransitiven Sätzen mit dem SYNONYM [incho] zur Verfügung. Bei vielen der Werte ist die Anzahl der Beispiele zu gering, um verläßliche Aussagen bezüglich der jeweiligen Systematik der Verwendung wagen zu können. Die meisten der etwas höheren Werte passen sich nahtlos in das Bild der transitiven Verwendungen ein, vor allem [state] (stative Bedeutung) und [human] (agentiv, häufig elliptisch). Die Beispiele mit SEM_SU [temporal] habe ich weiter oben schon (vgl. S.251) zu anderen Verwendungsweisen in Beziehung gesetzt. So weit entspricht die Tabelle dem, was aufgrund der Hypothese zu erwarten war. Problematisch ist vor diesem Hintergrund aber die Verteilung von start und begin (10:24 = 0.42) bei SEM_SU [action]. Nachdem start als das dynamischere der beiden Verben charakterisiert wurde, wäre hier wohl eher ein Übergewicht von sfarf-Beispielen zu erwarten
254
gewesen. Zur Klärung dieses unerwarteten Befunds können einige Beispiele und grundsätzliche Überlegungen zur Natur der intransitiven Verwendungen beitragen.
BEGIN
START "start time unit" causative "begin as" incho, temp., manner, result incho
I
temporal / locative / manner
incho
incho
stative
dynamic agentive
nonagentive
incho process
incho cognitive
Abb. 6.3
[E15 100] [A07 112] [J22 113]
Well, the hunt has only started, and you've only crossed the first field. [...] 72 hours before the players' strike is due to begin. About 1897 the crying began - [...]
255
Tabelle 6.17: SEM_SU bei SYNONYM [incho] SENTENCE [sv] SEM_SU
begin
start
TOTAL
%
%
%
abstract
3
3.6
1
3.3
2
3.8
action
34
40.9
10
33.3
24
45.3
cognition
2
2.4
1
3.3
1
1.9
human
14
16.9
10
33.3
4
7.5
institution
5
6.0
3
10.0
2
3.8
object
1
1.2
0
0
1
1.9
process
5
6.0
2
6.7
3
5.7
state
11
13.2
2
6.7
9
17.0
temporal
8
9.6
1
3.3
7
13.2
TOTAL
83
100
30
100
53
100
Offensichtlich handelt es sich bei all diesen Beispielen um sog. ergative Verwendungen von start und begin (vgl. Lyons 1968: 359); das bedeutet, daß in diesen Sätzen die Aktion von der kanonischen Prädikatposition auf die Subjektposition verlagert ist. Durch die Insertion eines Agens und eine einfache Transformation ließen sich diese Sätze problemlos in vertraute Strukturen wie z.B. "people have only started hunting ..." umwandeln. Die Möglichkeit dieser ergativen Verwendung von start und begin wird auch im COBUILD - aber auch nur da - in der Zusatzspalte zur Grammatik erwähnt. Man muß sich nun natürlich die Frage stellen, was einen Sprecher/ Schreiber dazu bewegen kann, anstelle der kanonischen die ergative Struktur zu wählen. Zuerst sind hier die rein oberflächlichen Faktoren der Informationsverdichtung und Verkürzung zu nennen, die durch die ergative Struktur ermöglicht werden. Auf einer tieferen semantischen Ebene zeichnet sich die ergative Verwendung dadurch aus, daß der Beginn einer Handlung topikalisiert (vgl. Lipka 1990a: 89) werden kann, gleichzeitig aber Agens und Dynamik der Handlung in den Hintergrund treten. Die Nominalisierung und Subjektivierung bzw. Topikalisierung des Verbs hat nämlich gleichzeitig eine "Stativierung" und "De-Agentivierung" der Handlung zur Folge.13 Genau diese beiden Faktoren sind meines Erachtens letztendlich dafür verantwort13
Hier liegen Analogien zur textuellen Funktion von Wortbildungssyntagmen vor (vgl. Lipka 1987b, 1990a: 171ff). Mit der beschriebenen Nominalisierung in der ergativen Struktur geht genau wie bei vielen Wortbildungssyntagmen eine Informationsverdichtung, Topikalisierung und Hypostasierung des Verbs einher.
256
lieh, daß in ergativen Strukturen start so viel seltener verwendet wird als begin. Schließlich läuft die prototypische Bedeutung von start 'dynamisch/agentiv' diesen Tendenzen genau entgegen, während begin an sich schon deutlicher in die Richtung Stativ und nicht-agentiv geht. Die intransitiven Verwendungen von start und begin lassen sich demnach in den Thesenrahmen der Bedeutungsbeschreibung eingliedern, ohne das bisherige Subkategorisierungsraster zu verändern. Ich habe damit das gesamte Datenmaterial, das vorläufig mit SYNONYM [incho] gekennzeichnet worden war, erfaßt und kann nun zu den spezifischeren Verwendungen übergehen.
6.5.2 Spezifische Verwendungsweisen Für die nun folgende Diskussion der spezifischen Verwendungsweisen von start und begin kann uns als erster Orientierungsrahmen Tabelle 6.7 auf S.231 dienen, die einen Überblick über alle SYNONYM-Werte gibt. Diese Liste stellt aber natürlich lediglich das unstrukturierte Rohmaterial zur Verfügung, mit dem es jetzt zu arbeiten gilt. Zusätzlich sind noch die beiden lexical units, die im LOB nicht belegt waren, nämlich "of an animal: (force to) leave its lair" (vgl. S.232) und "spring on one's feet" (vgl. S.236f) zu berücksichtigen. Meine Aufgabe besteht im folgenden darin, alle Verwendungsweisen außer denen, die ich schon behandelt habe ([incho], [be far from], [begin as] und [start time unit]; vgl. S.243 und 251ff), aufgrund semantischer Überlegungen zueinander und zum prototypischen Kern in Beziehung zu setzen und dadurch die Kategorienstruktur aufzudecken. Ich bin der Ansicht, daß sich alle Verwendungsweisen in ein sechsstelliges Attributensystem integrieren lassen, das sich auf der einen Achse durch die semantischen Attribute 'dynamisch', 'kontinuativ' und 'verbal' und auf der anderen Achse durch die eher logischen bzw. ontologischen Attribute 'konkret', 'figurativ' und 'kausativ' definiert. Dieses Attributensystem ist zur Orientierung für die nachfolgenden Ausführungen mit den SYNONYM-Werten aus Tabelle 6.7 in Tabelle 6.18 zusammengefaßt. Als Gliederungsprinzip verwende ich im folgenden die semantischen Attribute in der vertikalen Spalte. Zuvor werde ich aber auf die Verwendungsweise "cause to begin" eingehen, da diese sich, wie Tabelle 6.18 zeigt, über alle drei semantischen Bereiche erstreckt. Zuerst ist hervorzuheben, daß das Synonym "cause to begin" nur bei start vorkommt. Syntaktisch betrachtet hat diese Verwendungsweise eine sehr einheitliche Struktur: Alle 28 Beispiele dieses Typs im LOB treten in der Konstruktion SENTENCE [svo] SYN_C [np] auf. Von ihrer Semantik her sind die Beispiele etwas vielfältiger, wenngleich die Kombination SEM_SU [human] SEM_C [action], wie sie auch die beiden nachfolgenden Beispiele exemplifizieren, mit einer Zahl von 16 den größten Anteil hat. [A26 074] [A36 186]
Can you imagine that we would start a war? I did not start the campaign by writing to the local press.
257
Tabelle 6.18 'konkret'
Tigurativ'
'dynamisch' (vgl. 6.5.2.1)
jump spring to one's feet leave its lair start running start a race
set in motion protrude
'kontinuativ' (vgl6.5.2.2)
set out
set out (fig.) begin a career
'verbal' (vgl. 6.5.2.3)
begin to speak
'kausativ' cause
to
begin
set in motion force to leave its lair set up introduce
set going in a conversation
In all diesen Beispielen wäre start in einem einfachen Paraphrasentest durch cause to begin oder durch explizite kausative Konstruktionen (vgl. Kastovsky 1973: 266) wie make begin ersetzbar. Weitere typische Nomina in Objektposition neben war (3 Beispiele) und campaign (2) sind fire bzw. conflagration (5), conversation bzw. talk (4) und trouble (2). Die Verwendungen mit conversation und talk sind natürlich eng verknüpft mit den Verwendungsweisen "begin to speak" und "set going in a conversation" (vgl. S.265ff). Interessant ist die Tatsache, daß in Subjektposition neben Menschen auch Abstrakta, Objekte, Aktionen und sogar Zustände als Verursacher fungieren können. Die letzten beiden Möglichkeiten wurden schon von Fillmore im Rahmen der Kasusgrammatik unter dem Begriff "event-causation" beschrieben, "according to which the occurrence of one event has the occurrence of another event as its consequence" (1971: 46).14 Hier die Beispiele aus dem LOB: [C02 145] [E03 084] [A24 076]
[It was ] [...] one of the films that started what was then an anti-cliche movement [...] [...] for a spark from a grinding or sanding wheel can start a fire. And when the latest batch of results was revealed yesterday, it started a storm at Great Yarmouth.
Start scheint also im Gegensatz zu begin ein inhärentes Potential zur kausativen Verwendung zu haben, was vor dem Hintergrund der Sichtbarkeitsthese (vgl. S.246) emeut kaum
Für eine ausführliche Diskussion von Problemen der Analyse kausativer Verben im Rahmen der Kasusgranunatik, der generativen Semantik sowie der Wortbildungslehre Marchands vgl. Kastovsky (1973).
258 verwunderlich ist. Bei sichtbaren oder als sichtbar konzeptualisierten Anfängen sind oft nicht nur, wie weiter oben bemerkt (vgl. S.248), die äußeren Umstände (wo, wann, wie?), sondern auch die Ursachen (warum?) von Interesse. Diese Ursache gelangt bei den Verwendungen "cause to begin" in die Subjektposition des Satzes. Es wird also auch hier wieder eine Informationsverdichtung (vgl. S.255) erreicht. Meine weiteren Ausführungen werden zeigen, daß der kausative Aspekt nicht nur bei der unspezifischen Verwendungsweise [incho], sondern auch bei einer ganzen Reihe anderer Verwendungsweisen zum Tragen kommt.
6.5.2.1 Dynamische Verwendungsweisen Alle 21 Verwendungen dieser Gruppe im LOB sowie die beiden zusätzlichen lexical units aus den Lexika, die hierher gehören, sind ausschließlich Bedeutungsvarianten von start. In keiner dieser eindeutig dynamischen aktuellen Bedeutungen wird begin verwendet. Diese Tatsache werte ich als neuerliches starkes Indiz für den oben formulierten Unterschied zwischen start und begin.
a) Konkret Semantisch und syntaktisch am wenigsten komplex sind aus dem dynamischen Bereich die Verwendungen vom Typ "jump". Die drei Beispiele, die hier im LOB zu finden waren, sind nicht nur in bezug auf ihre syntaktische Konstruktion und Bedeutung identisch, sondern entstammen alle derselben Textkategorie [K], also fiktionalen Texten. [K18 131] [N21 034] [N14 195]
Stuart stepped into that light, making her start for she had not known there was anyone near. The clock was striking six when a loud knock on the door made her start. One of the team-horses blew its nose and the girl started.
In allen Sätzen sind die dynamischen Handlungen durch intransitive Konstruktionen verbalisiert, wobei aber jeweils als Grund für die Bewegung explizit Überraschung oder Schreck im Satz angegeben wird. Die Bedeutung dieser Verwendungsweise wird von allen Lexika recht einheitlich als "make a sudden (involuntary) movement" angegeben (vgl. Tabelle 6.8, S.233). Einen kleinen Schritt in Richtung einer weiteren Spezifizierung der Bedeutung macht die Verwendungsweise "spring to one's feet", die im LOB nicht belegt ist. Hier liegt ein Fall einer minimalen, aber doch identifizierbaren Elaboration i.S. Langackers (vgl. 2.4.3) vor. Aus einem ungerichteten Zusammenzucken wird hier eine gerichtete Bewegung des ganzen Körpers aus einer sitzenden oder liegenden in eine stehende Position. Hier ist also statt einer reinen Körperbewegung schon ein erstes kleines Maß an Fortbewegung im Spiel. In beiden Fällen wird die Bewegung durch Überraschung oder ähnliches ausgelöst.
259
Die Verwendungsweise "of a beast: leave its lair", die ebenfalls im LOB fehlt, stellt offensichtlich eine einfache Übertragung auf die Welt der Tiere dar. Die Bedingungen 'schnelle Ganzkörperbewegung' und 'ausgelöst durch Schreck' wird dabei noch ergänzt durch die Komponente 'Versteck bzw. Bau fluchtartig verlassen" bzw. 'schnelle Lokomotion'. Bemerkt sei zu dieser Verwendung nur noch, daß es sich dabei nicht um eine Bedeutungsübertragung, also um einen figurativen Gebrauch handelt, sondern lediglich um den Einsatz eines Verbs mit anderen Referenten in Subjektposition. Doch auch im menschlichen Bereich wird die einfache Form "jump" noch weiter elaboriert. Hier ist zuerst der Typ "start running" zu nennen, von dem im LOB vier Beispiele (alle aus TEXT [K]) vorkommen. [N22 102] [N18 105]
I had started for the elevator when she asked innocently: Thudding feet started after her.
Alle vier Beispiele sind mit direktional-lokativen Adverbialen kombiniert. Die schnelle dynamische Bewegung wird also hier nicht nur zur Lokomotion, sondern wie oben beim Aufspringen zu einer gerichteten Form der Lokomotion weiterspezifiziert. Als letzte Stufe von Elaborationen in diesem Bereich liegen schließlich zwei Beispiele von "start a race" vor: [E16 196] [E17 161]
Hüll [...] won the scratch event [...], started badly and fell back after a spin. [...] although he started well and put in a good finish there could be no doubt of Brown's superiority.
Hier machen Kontext und Kotext deutlich, daß es sich um ein sportliches Rennen handeln muß. In beiden Fällen im LOB wird die Art und Weise des Starts geschildert; es sind aber auch genausogut intransitive Verwendungen denkbar, z.B. in der beschreibenden direkten Rede bei Sportreportagen ("And now the horses have started."). Soweit zu den Beziehungen der konkreten dynamischen Verwendungen untereinander. Wie sieht es nun mit der Relation zum prototypischen Kern der Gesamtkategorie aus? Es ist vermutlich während der Diskussion deutlich geworden, daß hier von den beiden Komponenten, die den prototypischen Kern charakterisieren (vgl. S.237, 242), die inchoative zugunsten der dynamisch-agentiven stark in den Hintergrund tritt. Ein Blick auf die kurze Beschreibung des etymologischen Ursprungs von start auf S.223 oder noch besser eine Vergewisserung mit Hilfe des OED klärt uns darüber auf, daß der dynamische Aspekt der historisch primäre ist. Start hat sich erst über die letzten 150 Jahre von einem dynamischen Bewegungsverb zu einem dynamischen inchoativen Verb verändert. Es wäre für die Prototypensemantik ein leichtes, diese diachrone Entwicklung zu erfassen (vgl. z.B. Geeraerts 1983 und die Beiträge in Geeraerts 1990b). Nachdem dies aber eine synchrone Studie ist, werde ich nicht nur auf die Beschreibung der Entwicklung verzichten, sondern muß auch unter Vernachlässigung der historischen Gegebenheiten davon ausgehen, daß heute die inchoative Bedeutungskomponente dominanter ist als die dynamische. Die Mischung aus 'inchoativ', 'dynamisch' und 'agentiv', wie in 6.5.1.1 (vgl. S. 237, 242 und 268) dargestellt,
260
wird deshalb als Prototyp aufgefaßt, die primär dynamischen Verwendungen indessen als Elaborationen bzw. Extensionen.
b) Figurativ und kausativ Der bedeutendste figurative Gebrauch von dynamischen Verwendungen stellt gleichzeitig eine referentielle und eine semantische Übertragung dar. "Set in motion" steht für Verwendungen, bei denen start vom Menschen auf den Bereich von Maschinen, v.a. Autos übertragen wird. Damit geht auch eine metaphorische Übertragung einher, da die Ähnlichkeit zwischen den "Bewegungen" einer Maschine und denen des Menschen nicht so leicht herstellbar ist, wie dies bei Mensch und Tier der Fall war. Der Normalfall für diesen Gebrauch von start ist natürlich der kausative, bei dem ein Mensch als Verursacher eine Maschine in Gang setzt. Deshalb werden in diesem Abschnitt figurative und kausative Verwendungen gemeinsam behandelt. Typische Beispiele wären: [L07 121] [L19 182]
[...] Clive started the engine and gave me my first lesson in manoeuvering up and down the river. I listened until they crunched away into silence, then I started the car.
Der Paraphrasentest etwa mit "to cause to run" funktioniert problemlos. In diesem Zusammenhang muß darauf hingewiesen werden, daß sich die Metaphorik 'Fortbewegung Mensch' - 'Bewegung Maschine' keineswegs in dem einen Wort start erschöpft, sondern weiter geht. Wir haben es hier mit einem bildspendenden und einem bildempfangenden Feld i.S. von Weinreich (vgl. 3.1.2) zu tun. Neben dem Verb run, das schon oben im Beispiel aufgetaucht ist, wären hier als naheliegende noch stop, go, work und dt. laufen, gehen, anhalten, stoppen zu nennen. Zusätzlich zu den "normalen" kausativen Verwendungen finden sich im LOB auch noch drei Beispiele für nicht-kausative, intransitive Varianten, die allerdings alle demselben Text entstammen: [R08 151] [R08 159]
The engine started, stopped, started, stopped again, always for no apparent reason. Then as we were all giving up in despair [...] the pump started [...].
Schließlich gehören zur Subkategorie 'dynamisch' noch weitere Untergruppen, und zwar eine kausative und eine figurative. Die kausative Verwendung "of an animal: to force to leave its lair" steht in einer so transparenten Beziehung zur oben beschriebenen nicht-kausativen Verwendung, daß sich weitere Worte erübrigen. Erwähnung soll aber eine damit zusammenhängende Tatsache finden. Ich habe weiter oben behauptet, start habe ein inhärentes Potential zur kausativen Verwendung (vgl. S.257). Dies gilt offensichtlich für "set in motion", "leave its lair" ebenso wie für "start a race" (vgl. z.B. The umpire started the race = 'caused the race to begin' oder 'caused the participants to start'). Für die Typen "jump" und "start running"
261
hingegen existiert keine kausative Entsprechung (*He started his brother i.S. von 'He caused his brother to move suddenly'). Es wäre allerdings falsch, hier eine Lücke im Kategoriensystem zu vermuten. Vielmehr ist dieser Platz schon von einer anderen Kategorie, nämlich startle, eingenommen und kann bzw. braucht deshalb nicht mehr von start besetzt zu werden. Die figurative Verwendung "protrude", die es abschließend noch zu behandeln gilt, ist nur einmal im LOB belegt: [M04 096]
He looked again, eyes starting from his head.
Ich interpretiere diese Verwendung, die auch als lexical unit ins COD, OALD sowie ins OED Eingang gefunden hat (vgl. Tabelle 6.8, S.233), als Übertragung des Typs "jump" auf die Augen. Insofern erscheint mir die Beschreibung "of the eyes: to burst out" im OED (ähnlich auch im COD) geeignet zu sein, sie sollte aber durch einen Hinweis auf die metaphorische Beziehung zur Verwendungsweise "jump" gestützt werden. Ich habe nun alle Verwendungsweisen unter der Komponente 'dynamisch' bearbeitet und kann das Resultat meiner Überlegungen nun in die graphische Darstellung der Gesamtkategorie, so wie sie bisher vorlag (vgl. Abb. 6.3, S.254), einarbeiten und so die intrakategorialen Beziehungen verdeutlichen (vgl. Abb. 6.4, nächste Seite).
6.5.2.2 Kontinuative Verwendungsweisen a) Konkret [G25 060] [P19 109] [P23 090]
As a young man he [...] would dance all night [...]before starting on a thirtymile walk at dawn. He then started on a tour of investigation [...] A moment later, [...] the train started on its way.
Die Verwendungsweise, die ich mit dem zweifelhaften Terminus "kontinuativ" benannt habe, läßt sich schwer in einen einzelnen Begriff dieser Art hineinpressen. "Kontinuativ" muß deshalb als Kürzel für ein ganzes Attributenbündel aufgefaßt werden. Ich habe diesen Terminus deshalb ausgewählt, weil der kontinuative Aspekt der eigentlich distinktive ist, d.h. derjenige, der diese Verwendungsweise von anderen verwandten unterscheidet. In ihrer ganzen Komplexität kann ihre Bedeutung wie folgt beschrieben werden: Mit "jump" und "start running" verbindet sie das Element der Lokomotion, das hohe Maß dieser Verwendungen an Dynamik fehlt aber. Mit den Attributen des prototypischen Kerns stimmt 'kontinuativ' überein, es handelt sich also um eine Elaboration. Das entscheidende Attribut, das zu 'inchoativ', 'agentiv' und 'lokomotiv' hier hinzukommt, ist nun 'kontinuativ', d.h., es handelt sich um den Beginn einer andauernden, fortgesetzten Handlung. Dadurch bekommt die Handlung auch meist einen zielgerichteten, also telischen Charakter.
262 BEGIN
START
"starttimeunit" | causative
"start a race" ^causative ("startle" causative) set in motion Causative "of an animal: force to leave its lair" :ausative
start a race dynam., direct., I locomotive, competitive
"begin as" incho, temp., manner, result incho temporal / locative / manner
"start Tunning"
set in motion of an engine, dynam., esp. a car; direct., start running locomotive "of an animal: leave its lair" dynam., "spring to direct., one's feet" locomotive dynam., direct.
(
"jump"
incho
dynam.
dynamic"1 agentive
nonagentive
incho stative incho process
"of the eyes: protrude" dynam. incho cognitive
Abb. 6.4
Die prototypische Vorstellung für diese Bedeutung ist die Metapher des Antritts einer Reise: Aus einer Ruhestellung setzt sich ein Mensch in Bewegung mit der Absicht eine längere Zeit und in einem relativ ausgedehnten räumlichen Maß in Bewegung zu bleiben. Unweigerlich wird man sich hier an das Zitat aus Webster's Synonymenwörterbuch (vgl. S.222 dieser Arbeit) erinnern, wo derselbe Gedanke in ähnlicher Weise formuliert wurde.
263 b) Figurativ Nachdem die Metapher der Reise seit Urzeiten im Denken des Menschen verankert sein dürfte, darf es nicht verwundern, daß es von der konkreten Vorstellung der Reise ausgehend eine Reihe von semantischen Übertragungen gibt. Da wäre zuerst die Verwendungsweise zu nennen, die ich schon bei der Synonymzuweisung "set out (figuratively)" erwähnt habe. [G37 038] [G60 004] [J44 086]
We start from the assumption that [...] I should like to start this talk by asking what is meant by 'social philosophy'. They start from the assumption that wage rates are fixed institutionally.
Von den wenigen Beispielen ist schon die relevante Metapher deduzierbar. Die Vorstellung einer Reise wird auf den mentalen Bereich übertragen. Gedankengänge, Argumentationsstränge und konkrete Realisationen solcher mentalen Vorgänge wie sprachlicher Äußerungen (vgl. 6.5.2.3 'verbal'), Aufsätze oder Reden werden mittels der Reise-Metapher konzeptualisiert. Ein Gedankengang (man beachte auch im Deutschen die Metapher) führt uns von einem Ausgangspunkt über mehrere Schritte zu einem Ziel. Similarly, a train of thoughts takes or leads us through various stages or steps until we finally arrive at our goal. Neben der Gebäude-Metapher und der Behälter-Metapher (vgl. Lakoff & Johnson 1980: 90ff) dürfte dies im Englischen und im Deutschen eine der gängigsten Arten der Konzeptualisierung und Versprach!ichung von abstrakten Zusammenhängen sein. Ich habe bisher nicht erwähnt, daß die Verwendungsweise "set out (fig.)" auch bei acht Beispielen von begin vorkommt. [G02 135] [G67 111]
In chapter one he gives his strong reasons for writing, beginning by saying how difficult [...] They might begin by noting that Weber was fascinated [...]
Diese Tatsache paßt ideal in das bisherige Bild, das ich vom Unterschied zwischen start und begin gezeichnet habe. Exakt an der Stelle, wo die Verwendungen wieder in den mentalen Bereich hineinreichen, tauchen auch wieder Beispiele für begin auf15. Diesen fehlt allerdings der metaphorische Hintergrund, und auch das ist wiederum leicht begreifbar, wenn man berücksichtigt, daß die Reise-Metapher eine dynamisch-agentive Qualität voraussetzt, die begin nicht aufweist. Die Beispiele von start und begin für die Verwendungsweise "set out (flg.)" sind also oberflächlich semantisch identisch, von der kognitiven Konzeptualisierung her sind sie grundverschieden. Start evoziert die Metapher der Reise, begin hat rein inchoative Bedeutung, die jeweiligen Komplemente wie "argument", "speech" oder "essay" sind impliziert, tauchen aber auf der Oberfläche nicht auf. Es liegt hier also ein weiteres Beispiel für elliptische Verwendungen vor. 15
In der Gesamtdarstellung auf S. 268 wird man diese Überlappung vergeblich suchen. Leider ist es aufgrund der notwendigen Zweidimensionalität der Darstellung nicht möglich, alle Beziehungen zu erfassen, dk in einem selbstverständlich mehrdimensionalen Kategoriensystem existieren.
264 Ein zweiter Bereich, der figurativ einen kontinuativen Aspekt evoziert, ist die berufliche Laufbahn. [A39 [C02 [A09 [A42
112] 017] 224] 050]
She began on the West Indies radio station's equivalent of children's hour. He began his career as an actor [...] John Cavanagh [...] who started his career 'picking up pins in Paris salon'[...] He is planning a career in engineering, starting with a year's spell with a Leeds firm.
Die Verwendungsweise "begin a career" tritt in gleichem Maß bei start und begin auf. Bei beiden wird das Berufsleben als ein zeitliches Kontinuum aufgefaßt, das zu einem bestimmten Zeitpunkt seinen Beginn hat. Metaphern sind dabei meines Erachtens nicht im Spiel. Zu dieser Verwendungsweise gibt es im Fall von start auch eine kausative Variante, die allerdings im LOB nicht vorkommt. Im OED ist diese Variante unter dem lexical unit 23. "to set up or establish in business" zu finden. Für begin ist diese kausative Verwendung wiederum nicht gebräuchlich.
c) Kausativ Dies bringt uns zu zwei weiteren kausativen Verwendungen von start, die sehr eng miteinander verbunden sind. Beide sind auch Übertragungen in den abstrakten Bereich hinein. Zum einen handelt es sich dabei um den Typ "set up", der sich durch die einheitliche Struktur SEM_SU [human] SENTENCE [svo] SYN_C[np] SEM_C [institut.] auszeichnet. [A09 203] [A13 258]
Mme Payling, who now teaches in London, started the Payling musical society after the war. It is 'Morris and company 1861-1940', a tribute to Morris and his associates 100 years after they started their firm.
Davon unterschieden habe ich die Verwendungsweise "introduce", die nicht wie oben als Ergänzung [institut.] hat, sondern [action]: [A01 201] [E30 060]
[...] it was labour which first put a ceiling on health spending and started charges [...] Immediately, special offers were started [...]16
Beide Typen haben eine inchoative, eine kausative und eine kontinuative Komponente. Sie unterscheiden sich lediglich durch den eher Stativen, abstrakten Charakter der mit dem Wert
Diese Passivkonstruktion wurde bei der Datenauswertung wie alle Passivsätze in Aktivkonstruktionen mit einem menschlichen Agens umgewandelt, also hier "Immediately, they started special offers [...]".
265
[institut.] erfaßten Ergänzungen wie society und firm bei "set up" gegenüber dem dynamischen Charakter von beispielsweise charges oder offers bei "introduce" (SEM_C [action]). Sie können entsprechend paraphrasiert werden als "cause a lasting abstract entity to begin to exist" bzw. "cause a lasting activity to begin to be done". Abbildung 6.5 auf der nächsten Seite stellt abschließend die Gesamtheit der internen Beziehungen des Bereichs 'kontinuativ' und deren Einordnung in das Gesamtkategoriensystem start/begin graphisch dar.
6.5.2.3 Verbale Verwendungsweisen a) Konkret Die konkrete verbale Verwendungsweise "begin to speak" ist eindeutig eine Domäne von begin. Start kommt in dieser Bedeutungsvariante im LOB nicht vor. Im prototypischen Fall handelt es sich dabei um elliptische, intransitive {edl}-Verwendungen, die in Form von Minimalsätzen den Sprecher einer direkten Rede identifizieren: [L02 057] [L04 033]
'See here, Sam', Nick began. 'Look, Bob', Harry began, after a brief silence.
Seltener findet man begin in dieser aktuellen Bedeutung auch in [sva]-Sätzen, in denen die Art und Weise des Sprechens näher beschrieben wird: [A05 138] [P15 112] [K06 022]
He began in a low, almost chatty monotone, [...] I began with abrupt, sometimes not quite coherent sentences, [...] He had begun quickly, as if, now that he had to talk, he must do it before she could question him [...]
Charakteristischerweise entstammen 13 der 14 Beispiele im LOB der Textkategorie [K], sind also fiktionale Texte. Es besteht also hier ein enger Bezug zwischen der Textsorte und einer Verwendungsweise. Das gleiche gilt auch für "set out (fig.)", das komplementär zu "begin to speak" verteilt ist. Es tritt in 50 % aller Beispiele in den Kategorien [G] (belles lettres, biography, essay etc.) und [J] (learned and scientific writings) auf. b) Kausativ Auch zu der Verwendungsweise "begin to speak" gibt es eine kausative Variante, die aber natürlich wieder von dem Verb start eingenommen wird. Diese Variante wird im OED beschrieben als "to set (a person) going in conversation, induce to begin to talk on some
266
START
BEGIN
"start time unit" causative start a race dynam., direct., J locomotive, competitive
[ "start a race" Icausative ("startle" causative) "set in motion" 'set in motion" of an engine, esp. a car; ausative stan running "of an anima force to leavf its lair" causative
"of an animal: leave its lair" dynam., direct., locomotive
"begin as" incho, temp., manner, result incho
"start running" dynam., direct., locomotive
temporal / locative / manner
incho
incho "spring to one's feet" dynam., direct.
"jump"
dynamic
stative
dynam. agentive
nonagentive
incho process
"of the eyes: protrude" dynam.
set out "set up in bu- | "begin a career" .siness" caus. (j contin., figurat., profess.
"set up" gaus., instit. "introduce" .caus., dynam.
"set out (fig.)" contin., agent., mental
contin., dynam., agent, locom.
"set out (fig.)"
com.,
mental
Abb. 6.5 subject" (s.v. start). Es liegt bei dieser Verwendungsweise ganz offensichtlich eine Verknüpfung der inchoativen, verbalen und kausativen Bedeutungskomponente vor. Für sie lassen sich im LOB zwei Belege finden, wiederum beide in TEXT [K]:
267
[K27 055] [R09 107]
It might start him on one of those speeches [...] If you could only get him started, he had a splendid set-piece.
6.6 Zusammenfassung und Gesamtdarstellung
Nachdem nun das ganze Beispielmaterial des LOB bearbeitet, d.h. subkategorisiert ist, können wir uns einen abschließenden Überblick über die beiden Kategorien start und begin verschaffen. Graphisch umgesetzt findet sich dieser in Abbildung 6.6, Seite 268. Als erstes fällt dabei ins Auge, wieviel umfangreicher und genauer spezifiziert sich die Subkategorienlandschaft von 'start' im Gegensatz zu 'begin' präsentiert. Zweites hervorstechendes Merkmal der Graphik ist der gemeinsame, aber geteilte prototypische Kern von start und begin. Nicht nur die beiden Kerne allein, sondern vor allem auch die jeweiligen Extensionen machen aber deutlich, daß start stark in Richtung sichtbar dynamischer und agentiver Situationen orientiert ist, begin dagegen in Richtung stativer und kognitiver, also nicht-agentiver Situationen. Diesen Zusammenhang habe ich (vgl. S.246) die "Sichtbarkeitsthese" genannt. Am dynamischen Aspekt des prototypischen Kerns von start hängt nun ein ganzes Netzwerk von Subkategorien, die sich grob in die beiden Stränge 'dynamisch' und 'kontinuativ' einordnen lassen. Beide Stränge erstrecken sich in die beiden Bereiche 'figurativ' und 'kausativ' hinein, die in der Graphik mit Schraffierungen unterlegt sind. Gerade durch diese Art der Darstellung wird meines Erachtens besonders transparent, mit welcher Systematizität hier Bedeutungsübertragungen von Subkategorien auftreten. Bei start handelt es sich also um eine Kategorie mit durchaus beträchtlicher Komplexität, die sich aber mit Hilfe weniger Dimensionen gut erfassen läßt. Eine letzte Bemerkung zur Wahl des prototypischen Kerns. Ich habe in Abschnitt 6.5.1 (vgl. S. 237, 242 sowie die Diskussion in 2.2.4) schon erwähnt, daß die Wahl der Prototypen zumindest nicht allein auf dem Kriterium der Häufigkeit basieren darf. Zentralität und Representativität für die Kategorie müssen in die Überlegungen Eingang finden. Diesbezüglich wirkt Abb. 6.6 verfälschend, weil durch die gemeinsame Erfassung von start und begin der Prototyp für start etwas an den Rand rückt. Bei einer alleinigen Darstellung von start würde der prototypische Bereich automatisch ins Zentrum zwischen rein inchoativen, dynamischen und kontinuativen Verwendungen rücken. Er würde sozusagen die Schaltstelle oder den Knotenpunkt darstellen, der die Kategorienkohärenz erzeugt, Als repräsentativ kann der prototypische Kern gleichermaßen gelten, weil ein gewisses Maß der drei Komponenten 'inchoativ', 'dynamisch' und 'agentiv' wohl in allen weiteren Subkategorien, wenn auch in unterschiedlicher Ausprägung, enthalten ist. Von reinen Elaborationen i.S. Langackers (vgl. 2.4.3) zu sprechen wäre wohl hier ebenso verfehlt wie von deutlich abweichenden Extensionen. Klare Extensionen dürften allerdings bei den Übertragungen in den figurativen und den kausativen Bereich vorliegen.
268
BEGIN
START "start time unit' causative
causative iraove I
"start a race" \ dynam., direct., I locomotive, competitive
["start a race" I causative
"N
"begin as" incho, temp., manner, result
J
incho
causative)
) "start C "set in motion" ~~\ running' f~ dynam., set in motion' \ of an engine, direct., J esp. a car; causative I \ start running / loco~v motive \ "of an animal: Ν "of an anima : leave its lair" V force to leavi dynam., "spring to its lair" one's feet" direct., ^causative dynam., / locomotive direct, v J r "of the eyes: protrude" causative L dynam.
temporal / locative / manner
^ΐίίίϊίίίϊϊίίίίίίίίίίίΐίΐίίίίίίίΐί
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