Cosima Wagner: Ein Leben für ein Genie [3 ed.]
 3777002348, 9783777002347

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08/0712 /H Marek/Cosima Wagner. Ein Lebe George

R.Ma

FOR LANGUAGE-GERMAN

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COS

R | E N G WA Ein Leben für ein Genie Biographie

„Wagner, Cosima, geboren Como 25.12.1837, gestorben Bayreuth 1.4.1930, Tochter Franz Liszts und der Gräfin d’Agoult, war seit 1857 mit Hans von Bülow verheiratet (1870 geschie-

den), in zweiter Ehe seit 1870 mit Richard Wagner. Aus der Verbindung mit Richard Wagner gingen hervor: Isolde, Eva und Siegfried. Der Tatkraft Cosimas ist zum guten Teil die Ver-

wirklichung der Bayreuther Festspiele zu verdanken, deren künstlerische Lei-

terin sie nach Wagners Tod bis 1908 war.“

Das sind die lexikalischen Daten über die zweite Frau Richard Wagners. Doch was verbirgt sich hinter dieser nüchternen Aufzählung? Die uneheliche Tochter von Franz Liszt und der Gräfin d’Agoult heiratete mit 20 Jahren Hans von Bülow, den ersten Dirigenten, der sich bedingungslos und selbstlos für Richard Wagner einsetzte. Zwölf Jahre später, aus der Ehe waren inzwischen zwei Kinder hervorgegangen, verließ sie ihn und band sich an den damals noch immer umstrittenen Komponisten, an einen Mann, der 24 Jahre älter war als sie, das Idol sowohl ihres Vaters als auch ihres Mannes verkörperte und zudem noch einige Zentimeter kleiner war als sie. Doch sie hatte sein Genie erkannt und begriff sein Sendungsbewußtsein. Sie weihte ihr Leben diesem mehr angefeindeten als gefeierten Mann und seinem Werk. Um Richard Wagner zu helfen, erlernte sie die Kunst der vollendeten Diplomatie: Sie konnte überzeugen, überreden, täuschen, schmeicheln, lügen, wie die Umstände es erforderten; sie besänftigte Richard Wagners Wohltäter König Ludwig II. von Bayern und nutzte bedenkenlos Bülows treue Ergebenheit aus; sie verhandelte mit Ministern, Händlern, Architekten und Sängern und erlebte an der Seite ihres Mannes den größten Triumph: Die Eröffnung des Festspielhauses

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BB:

George R. Marek

COSIMA WAGNER Ein Leben für einGenie

George R. Marek

COSIMA WAGNER Ein Leben für ein Genie

ERSCHIENEN BEI HESTIA

Der Autor dankt insbesondere für die Abdruckerlaubnis der „Letters of Richard Wagner“, The Burrell Collection, herausgegeben von John N. Burk, Copyright 1950 und 1978, Mcmillan Publishing Co., Inc. Der Lektor und der Verlag danken dementsprechend Herrn Dr. Manfred Eger vom RichardWagner-Museum Bayreuth, der die deutschsprachigen Originale, namentlich die Auszüge aus dem Tagebuch der Susanne Weinert, zur Veröffentlichung zur Verfügung stellte. Die Auszüge aus „Collected Music Criticisms of Bernard Shaw“ wurden mit Erlaubnis der „Society of Authors“ als Nachlaßverwalter George Bernard Shaws wiederabgedruckt. Die Fotos für den Bildteil wurden dem Verlag zur Verfügung gestellt von: Foto „König Ludwig II.“: Archiv für Kunst und Geschichte, Berlin Alle sonstigen Fotos, einschließlich Bildvorlagen für Schutzumschlag, Vor- und Hintersatz: Nationalarchiv der Richard-Wagner-Stiftung / Richard-WagnerGedenkstätte, Bayreuth

Vorsatz: „Parsifal“, letzte Partiturseite mit der Widmung an Cosima Hintersatz: Brief Cosimas an Richard Wagner, Weimar, 29. Juli 1877

Aus dem Amerikanischen übertragen von Dorothee Dummer Bearbeitung und wissenschaftliche Dokumentation Monika Seehof Titel der Originalausgabe „Cosima Wagner“

3. revidierte Auflage 1983 Printed in Germany © 1981 by George R. Marek © der deutschsprachigen Ausgabe 1982 by Hestia Verlag GmbH, Bayreuth ISBN 3-7770-0234-8 Umschlaggestaltung: Atelier 14, München Satz: Druckhaus Bayreuth Druck und Bindung: May & Co., Darmstadt

Für Richard und Margot

INHALT

Vorwort

2: Kapitel

Waise mit lebenden Eltern

13

. Kapitel

Der verschämte Freier

41

. Kapitel

Wachsende Vertrautheit

2

. Kapitel

Der König und der Komponist

83

. Kapitel

Kabale und Liebe

103

. Kapitel

Die Tagebücher

141

. Kapitel

Der König hat genug

177

. Kapitel

Cosima verändert sich

193

Das „Weltabschiedswerk“

239

. Kapitel

Die Hohepriesterin

263

. Kapitel

Stille und erneutes Klingen

279

. Kapitel

Die Herrin im hohen Haus

303

. Kapitel

Das „Weltabschiedswerk“ wird weltlich

321

Cosima zieht nach oben

339

Flucht in die Vergangenheit

359

N7.R 100. SD RR N . Kapitel

ES Fl DRD I. DSWS

Kapitel

19: Kapitel Bibliographie

37

Zeittafel

313

Register

379

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VORWORT

Jeder, der sich in das Dickicht der Wagner-Literatur wagt, muß Ernest Newman

dankbar sein. Er war es, der einen be-

gehbaren Pfad bahnte durch das Gestrüpp des Mystizismus und das Unterholz der Mystifikation, das von den „offiziel-

len“ Bayreuth-Biographen — Karl Glasenapp, Julius Kapp, Houston Stewart Chamberlain und andere — gepflanzt worden war. Newman rückte auch das Bild jener in allen . Farben ausgemalten Porträts von Autoren wie Paul Becker, Henry T. Finck, Max Koch, Ferdinand Pohl und Guy de Pourtales zurecht, die Wagner im Übermaße, aber mit geringer Über- und Einsicht liebten. Seit Newman den vierten und letzten Band seines Werkes „The Life of Richard Wagner“ im Jahre 1946 veröffentlichte, ist eine erstaunliche Anzahl

von Dokumenten aufgetaucht. Das Dickicht ist noch undurchdringbarer geworden: Es vergeht kaum ein Jahr, in dem nicht ein neues Buch über Wagner herausgegeben wird. Newmans Werk hat dennoch nichts von seiner Gültigkeit verloren. Es enthält übrigens eine kurze, aber sorgsam gezeichnete Charakterisierung Cosimas. Wenn

man

bedenkt, welch bedeutende

Rolle Cosima

im

Leben ihres Mannes spielte, und wenn man weiter bedenkt, welch herausfordernde und widersprüchliche Persönlichkeit sie war, so ist es erstaunlich, daß nicht schon mehr über sie

geschrieben wurde.

Ihr „offizieller“ Biograph war Richard

Graf Du Moulin Eckart. Er veröffentlichte 1929, also ein Jahr bevor sie starb, und 1931, ein Jahr nach ihrem Tod, ein zwei-

bändiges Werk. Es ist schlichtweg eine schamlose Lobeshymne. Das Beste, was sich über diese Biographie noch sagen läßt, ist, daß sie eine Menge beiläufiger Mitteilungen enthält, die sich neben der häufigen Unterdrückung der Wahrheit vor allem dadurch auszeichnen, daß sie in großzügiger Nichtbeachtung von genauen Daten und Quellenangaben präsentiert werden. Ebensowenig wird Du Moulin Eckart Cosimas Cha9

rakter wirklich gerecht: Bei diesem „Saubermann“

erscheint

sie nur strahlend weiß. Eine nur halb so lange Biographie von Max Millenkovich-Morold, die 1937 herauskam, ist als besser

zu werten. Zählt man noch zwei in Umfang und Inhalt belanglose Versuche

hinzu, Douglas

Sutherlands

„Twilight of

the Swans“ (1973) und „Cosima Wagner“ von Alice Hunt Sokoloff (1969), dann ist das de facto alles, was an Biographischem über Cosima erschienen ist. Cosimas Tagebücher, die 1976 und 1977 veröffentlicht wurden, erweckten wiederum Neugier an ihr, an Wagner und

ihrem

gemeinsamen

Leben.

Sie erklärten

vieles, eröffnen

neue Perspektiven. Peter Gay bezeichnete sie als „ein historisches Dokument von nicht zu übertreffendem Interesse“, Hans Mayer gar erklärte erst unlängst, daß „deren Bedeu-

tung für unser kulturelles Leben bis heute auch nicht annähernd begriffen wurde“. Dieses überaus umfangreiche Dokument mit seinen Tausenden tagtäglichen Details verlangt jedoch nach einer Sichtung, einer Synthese und Interpretation, unterstützt durch Cosimas Briefe und das Zeugnis jener, die sie kannten. Ich liebe Wagners Musik, seit ich als dreizehnjähriger Junge zum

ersten

Mal

„Die Walküre“

hörte, und

zwar

in

einer Ecke der dritten Reihe in der Galerie des Wiener Opernhauses. Von jener Ecke aus konnte ich zwar nur einen kleinen Ausschnitt von Hundings Hütte sehen, meine Begei-

sterung wurde dadurch jedoch nicht beeinträchtigt. Diese Liebe hat mit den Jahren nicht nachgelassen, auch wenn ich mich oft genug irritiert fühlte durch die philosophischen Schriften

des

Komponisten

wie

„Was

ist deutsch?“

oder

„Staat und Religion“. Mit Cosima habe ich mich erst seit relativ kurzer Zeit beschäftigt. Dieses Buch versucht darzustellen, wer sie war und was sie leistete.

Es ist unmöglich, Cosimas Geschichte zu erzählen, ohne auf Wagners Leben zurückzugreifen. Wenn der Leser hier deshalb einigen wohlbekannten Tatsachen wiederbegegnet, so muß ich um Verständnis bitten. Ich hoffe dennoch, genügend frische, bisher unveröffentlichte Tatsachen in diesem Versuch zusammengetragen zu haben, um das Bild dieser Frau zu zeichnen, die unentbehrlich war im Leben jenes Künstlers und die durch ihre Kraft, ihre Liebe und Intelligenz einen einzigartigen Platz in der Musikgeschichte einnımmt.

10

Um dieser Aufgabe gerecht werden zu können, schulde ich Dr. Dietrich Mack, dem Mitherausgeber von Cosimas Tagebüchern, dem Herausgeber ihrer Briefe und Aufzeichnungen und dem Autor der Schrift „100 Jahre Bayreuther Festspiele“

tiefen und aufrichtigen Dank. Er stellte mir einige, bisher noch unveröffentlichte Briefe zur Verfügung — ja, es gibt derer immer

noch viele! -, nahm

sich die Zeit, zahlreiche

Einzelheiten mit mir zu besprechen und half mir, in den verschiedenen Stadien der Entstehung dieses Manuskriptes. Unterstützung fand ich auch bei Dr. Manfred Eger, dem Direktor des Wagner-Museums in Bayreuth, Friedelind Wagner, Wayne D. Shirley von der Library of Congress, Henry Pleasants aus London, Rigbie Turner von der Pierpont Morgan Library, Sir Robin Mackworth-Turner von den Königlichen Archiven in Windsor Castle und Robert W. Gutmann, Autor von „Richard Wagner“, einem umstrittenen,

dem aber

wichtigen Buch. Ich danke

besonders

auch

Frances

Lindley,

einer guten

Freundin und hervorragenden Lektorin, die einem zeigt, wie man ein Buch besser machen kann. Und schließlich möchte ich Dorothee Dummer, die dieses Buch übersetzt hat, meinen besonderen Tribut zollen. Ich

habe selbst einige Übersetzungen

gemacht

und weiß, wie

schwierig es ist, „jed’ Wort und Ton“ in einer anderen Spra-

che zu finden. Ich glaube, Frau Dummer hat diese Aufgabe glänzend gelöst. New York, März 1980

George R. Marek

1. KAPITEL

Waise mit lebenden Eltern

Thomas Mann ging 1933 freiwillig aus dem Hitler-Deutschland nach Lugano ins Exil. Sieben Monate zuvor hatte er an der Münchener

Universität einen Vortrag über „Leiden und

Größe Richard Wagners“ gehalten. Diesen Vortrag wiederholte er in Amsterdam, Brüssel und Paris — und erst außerhalb Deutschlands wurde ihm bewußt, was in seinem geliebten Land geschah. Er entschloß sich, in diese „Hölle, die

Amok auch

lief“, nicht zurückzukehren: immer,

Prompt wurde

er mußte

sich

vom

ihm seine deutsche

Unter welchen Dritten

Reich

Opfern loslösen.

Staatsangehörigkeit ab-

erkannt, sein Haus, sein Wagen und sein Bankkonto in Mün-

chen

beschlagnahmt.

Entwurzelt

und versunken

in tiefste

Melancholie, wußte er nicht, wo er sich eine neue Heimat suchen sollte. Dennoch, inmitten dieser Ratlosigkeit, kreisten seine Gedanken immer noch um den deutschesten aller deut-

schen Komponisten. Am Mann in sein Tagebuch:

1. September 1933 schrieb Thomas

Gespräch über den zu schreibenden Roman der Sphäre WagnerLiszt-Cosima-Nietzsche,

ein

höchst

interessantes

Thema,

der

komplizierteste, weitschichtigste europäisch-deutsche Gegenstand... Die Liszttochter, geistig mondän und nicht-deutsch (um nicht zu sagen „undeutsch‘“) von Geburt, trägt einerseits Katho-

lisch-weihrauchhaftes in die Wagner-Sphäre hinein, inspiriert oder schreibt selbst aber auch die antisemitischen und deutschnationalistischen Artikel des späten Wagner in den Bayreuther Blättern.

13

Zwei Tage später begann er, die Korrespondenz zwischen Liszt und Marie d’Agoult zu lesen. Der geplante Roman aber wurde niemals geschrieben. Später versuchte sich Henry Handel Richardson, die ausgezeichnete australische Autorin von „Maurice Guest“, „Ihe

Fortunes of Richard Mahony“, an diesem Sujet. „The Young Cosima“ erschien 1939, ein Erfolg blieb jedoch aus. Es bedarf nicht der Romanform, um die Geschichte dieser Frau zu schildern, denn ihr ganzes Leben erscheint wie ein

überlebensgroßer Roman. Cosimas Leben spricht für sich selbst - Cosima, die Wagners Kreativität stärkte und belebte und dadurch selbst Unsterblichkeit erlangte; Cosima, das an sich schwächere Werkzeug, die, was sie anstrebte, mit un-

beugsamer Entschlossenheit verfolgte. Cosima, ein stolzes, hochgewachsenes Wesen, das von einem eitlen Vater und einer dünkelhaften Mutter hohe Selbsteinschätzung gelernt hatte, aber dennoch auch in selbstloser Aufopferung zerfloß. In stärkstem Maße ein- und scharfsichtig, konnte sie der Wahrheit gegenüber blind sein. Umfassend gebildet, machte sie sich zahlreicher Fehlurteile schuldig. Im Grunde aufrichtig, nahm sie in Lügen Zuflucht. Die einzelnen Elemente ihres Charakters standen oft in krassem Gegensatz zueinander. Sie war ein Puzzle, dessen Teile nur schwer zusammen-

zufügen waren. Heute ist das möglich, oder zumindest eher möglich; nicht

nur, weil uns die Tagebücher vorliegen, die sie von 1869, ihrem 32. Lebensjahr an bis zu Wagners Tod im Jahre 1883 führte (sie war damals 46 Jahre alt), sondern auch deshalb, weil in den vergangenen Jahren viele ihrer Briefe aus den Archiven aufgetaucht sind. Als sie starb, schrieb Olin Downes, der Musikkritiker der „New York Times“: „Wahrscheinlich

kennt man die wirkliche Cosima weniger als irgendeine andere prominente Persönlichkeit, die mit Wagner zu tun hatte. Wahrscheinlich

wird sie die rätselhafteste,

aber auch

eine der bedeutendsten Gestalten bleiben.“ Sie war bedeutend.

Heute

erscheint

sie uns

vielleicht

weniger

rätselhaft,

aber ohne Zweifel geht von ihr nach wie vor eine Faszination aus, wie sie allem Rätselhaften eigen ist. Glückliche Familien sind alle gleich; aber jede unglückliche Familie ist auf ihre eigene Art unglücklich. Cosima stammt aus einer unglücklichen Familie, einer Familie, die eigentlich keine war. Sie kam als zweites Kind von Franz 14

Liszt und Marie Catherine Sophie de Flavigny, Gräfin d’Agoult zur Welt. Ihre Eltern verband eine leidenschaftliche Liebe, die Leidenschaft zweier schöner Menschen

füreinan-

der — und wie so manche große Leidenschaft endete diese in tiefstem Haß. Im Jahr

1833, als beide sich zum

ersten Mal trafen, war

Liszt zweiundzwanzig und bereits ein Genie, bei dessen Anblick manche

Frau

in Ohnmacht

fiel, und zwar

nicht nur,

weil das Korsett zureng geschnürt war. Marie war sechs Jahre älter als Liszt und mit einem trockenen, konventionellen, rei-

chen und um

zwanzig Jahre älteren königlichen Beamten

verheiratet. Sie war Mutter dreier Kinder, von denen eines erst kurz zuvor gestorben war. Innerlich unzufrieden, hatte

sie jedoch ein Leben ruhiger Respektabilität geführt, bis... ja, bis zu dem Augenblick, in dem sich, wie sie schrieb, „die

Tür öffnete, und eine wunderbare Erscheinung vor meine Augen trat... eine hochgewachsene und überaus schlanke Gestalt, ein bleiches Gesicht mit großen, meergrünen Augen.“ Diese Augen fielen auf eine junge Frau, schlank und rank wie eine Pappel, mit glänzendem blonden Haar, in die neueste und teuerste Pariser Kreation gekleidet. Maries Charme und Ausstrahlung wurden noch unterstrichen durch die kunstvoll eingerichteten Räume, in denen sie lebte. Sie war sehr stolz darauf, Mitglied der guten französischen Gesellschaft zu sein; sie allerdings gehörte nur halb dazu, weil ihre Mutter, eine geborene Bethmann,

aus einer deutschen

Ban-

kiersfamilie stammte, die wahrscheinlich ursprünglich jüdischen Glaubens war. Aber sie entschied sehr schnell, daß sie diesen Liszt mehr brauchte als die „Gesellschaft“, mehr als ihre Ehe, mehr als alle Pariser Verehrer, die ihr einen unmißverständlichen Blick zuwarfen, wenn sie sich zum Kuß über

ihre Hand beugten. Marie verließ ihren fortan mit diesem

Mann

und ihr geliebtes Paris, um

Künstler zu leben, dessen „rascher Blick

loderte und leuchtete wie das Schwert des Cherubim“. Die Götter der Romantik umstanden diese Liaison, Byron und Musset und George Sand. Damals und später wirkte Liszt auf Frauen unwiderstehlich. Sie pflegten sich in sein Hotelzimmer zu stehlen, um das Wasser auszuschöpfen, mit dem er sich gewaschen hatte. In Rom, anläßlich eines Empfangs, war es — wie berichtet wurde 15

— unmöglich, die bezaubernden, himmlischen Frauen zu zählen, die sich zitternd wie kleine Vögel dem „schrecklichen

Zauberer“ zu Füßen warfen. Marie wollte den schrecklichen Zauberer ganz für sich alleine haben, sie wollte ihn der vergifteten Pariser Atmosphäre entziehen und in einer weniger verführerischen Umgebung mit ihm leben. Zunächst ließen sich die beiden in Genf nieder, wo sie einen gesellschaftlichen Zirkel begründeten, auch wenn Marie die steifen ortsansässigen Calvinisten nicht ausstehen konnte, was auf ebensolche „Gegenliebe“ stieß. Marie fühlte, daß noch etwas fehlte, um den vielumworbe-

nen Künstler-Geliebten ganz an sich zu binden. Natürlich: ein Kind. Ein Kind würde über ihrer Verbindung schweben wie ein Cherubim

in Tizians „Himmelfahrt“.

Im Dezember

1835 wurde Blandine geboren. Ihre Eltern liebten sich noch, oder glaubten es zumindest, und Liszt, der vierundzwanzigjährige Vater, war hingerissen vom Charme des reizenden Kindes. Weniger Marie, denn die Realitäten der Babypflege waren nicht so romantisch — und Windeln rauher als Seide. Das Kind erwies sich als eine Fehlbesetzung in diesem Idyll, das Marie sich erträumt hatte: ein Idyll, in dem sie die Hand ihres Geliebten ergreifen und ihn zu einem höheren Leben führen würde, mit Goethe, Dante und Tasso als Weggefährten. Liszt war bereit, sich führen zu lassen, aber während er

die reine

Bergluft

Künstlerzimmern,

atmete,

sehnte

er sich nach

stickigen

dem überheizten Konzertsaal, dem Publi-

kum, das den Atem anhielt und in Verehrung erstarrte. Er begann, sich physisch und geistig zurückzuziehen. Zwischen Frühjahr 1833 und Winter 1837 gab er nur einundzwanzig Konzerte. Aber Maries Bann hielt noch an und sie wußte, was sie zu

tun hatte: Nach Genf benutzte sie Italien als Bühne ihrer Verzauberungskünste. War man Franzose und verliebt, so ging man nach Italien (und als Italiener ging man nach Frankreich). Sie mieteten eine Villa am Ufer des Comer Sees in der Nähe

von

Bellagio

und

lebten

dort

„in alta

solitudine“,

machten Picknicks unter Olivenbäumen und ruderten an noch sonnigen Tagen auf noch sonnenbestrahltem Wasser. Für einige Zeit war Liszt glücklich in diesem kleinen Liebesnest. Es blieb jedoch nicht lange ungestört. Ein zweites Kind war unterwegs. 16

Francesca Gaetana Cosima Liszt wurde am 25. Dezember 1837 geboren. Sie war keineswegs ein sehr willkommenes Weihnachtsgeschenk. Mit ihrem mageren kleinen Körper und einer Nase, beinahe so groß wie die des Pinocchio, war

der neue Nachwuchs nicht annähernd so attraktiv wie die hübsche Blandine. Sobald Liszt der Schicklichkeit Genüge getan hatte, verließ er seine Familie und ging nach Mailand. Von dort aus sandte er Marie überschwengliche Liebesbriefe (voll und ganz im Stil des romantischen Zeitalters, Sonnen-

untergang, der bleiche Mond und Bildbeschreibung ä la Correggio eingeschlossen), die allerdings nicht ganz seine Freude darüber verbergen konnten, wieder in einer großen Stadt und frei von allen Familiensorgen zu sein. Mehr als je zuvor war er ruhelos und unentschlossen. Liszt wußte nicht, ob er Cosima gernhatte oder sie insgeheim verabscheute. Nichtsdestotrotz kehrte er vorübergehend zu Marie zurück. Im Februar zogen sie nach Venedig um, aber schon im April begab er sich wieder auf Reisen. Dieses Mal — und zweifellos meinte er es ernst - um mitzuhelfen, Geld für

die Opfer der entsetzlichen Flutkatastrophe in Ungarn aufzubringen, aber in Wirklichkeit wohl eher, weil er die Freiheit

des vagabundierenden Virtuosen brauchte. Während er in Wien Triumphe feierte, schrieb er Marie, drängte sie, nachzukommen und beteuerte: „Ich liebe Sie, ja

ich liebe Sie mit aller Kraft. Ich gehöre Ihnen allein.“ Doch gleichzeitig berichtete er von Frauen, die sich ihm an den Hals warfen. Als Marie erkrankte und ihn zurückerwartete,

kam an seiner Stelle nur ein Brief. Sie weinte und nannte ihn nach seiner Rückkehr verbittert einen „Don Juan und Emporkömmling“. Trotzdem lebten sie wieder zusammen, im Mai 1839 wurde Sohn Daniel geboren. Jetzt erkannte Liszt,

der König der Flatterhaftigkeit, wie ausweglos er an diese Häuslichkeit gefesselt war. Drei Kinder... schon der Lärm, den sie machten, war nicht gerade musikalisch — zumindest nicht in seinen Ohren. Er versank in tiefste Depressionen, arbeitete nicht, rauchte ununterbrochen und trank zwanzig Tassen Kaffee am Tag. Erneut gingen sie auf Reisen; Cosima und Blandine waren mit von der Partie, während man Daniel

mit dem

Kindermädchen

in Palestrina

ließ. Die Villa in

Lucca, in welcher sie den Sommer verbrachten, war ein duf-

tendes lauschiges Nest, ein Ruheplatz für Schäferstündchen. Für Marie jedoch wurde sie zum Gefängnis: 12

Meine Kräfte sind erschöpft. Ich leide entsetzlich; ich fühle, ich so nicht mehr leben kann, daß ich bald sterben muß oder Verstand verliere - und dann welche Verzweiflung für ihn! Leben wäre zerstört, seine künstlerische Zukunft zerschlagen, Genius wird erlöschen. [M&moires]

Sein Genie Entfernt von

daß den Sein sein

erlöschen? Sie war ein schlechter Prophet. ihr konnte es sich sogar ausgezeichnet

weiterentwickeln. Aber auch Liszt litt unter dieser Liebe, aus der er ausbrechen wollte, jedoch niemals konnte, zumindest

nicht ganz. Selbst in späteren Jahren, als er Marie haßte, gelang es ihm niemals, die Verbindung ganz abbrechen zu lassen. Die Kinder erwiesen sich in diesem Drama sexueller Anziehung als völlig überflüssig, aber sie waren nun einmal da, und man konnte sie nicht einfach von der Bühne nehmen.

Was sollte er mit ihnen anfangen? Er hatte nur den Wunsch, sie irgendwo sicher unterzubringen und sie angemessen erzogen zu wissen, ohne daß er seine kostbare Zeit darauf verwenden mußte, mit ihnen Purzelbäume zu machen oder Ver-

stecken zu spielen. Maries Einstellung zu den Kindern war zwiespältig. Einerseits empfand sie eine Art Herstellerstolz, andererseits hatte sie ein Gefühl der Last, als handele es sich bei ihnen um Gewichte, die an ihren nach neuen Abenteuern

ausgestreckten Armen hingen. Am Ende des Jahres erklärte Liszt, er habe sich entschlossen, wieder auf Konzertreisen zu gehen; dieses Mal sollte es

durch zahlreiche Konzertsäle in ganz Europa gehen. Wo würden Marie und die Kinder während seiner Abwesenheit leben? Italien betrachtete sie nun als ein falsches Paradies. Es hatte ihr nicht dazu verholfen, ihren rastlosen

Liebhaber festzunageln. Ebensowenig war es ihr, da sie ständig unterwegs gewesen waren, gelungen, sich im leidenschaftlich ersehnten gesellschaftlichen Leben zu etablieren und der Mittelpunkt

eines „Kreises

berühmter

Menschen“

zu sein,

wie Liszt es ausdrückte. Er meinte damit Männer. Marie aber wollte keine Liebhaber, sie wollte Bewunderer (obwohl sie in späteren Jahren auch einige Affären hatte). Sie schämte sich, in der Rolle der entlassenen Geliebten nach Paris zurückzukehren,

andererseits

aber fühlte

sie, daß

sie sich dort, im

Herzen des Romantizismus, am ehesten die private Bühne bauen konnte, auf der sie die Hauptrolle spielen würde. Sie besprachen das Problem und kamen zu dem Schluß, daß 18

Marie dorthin zurückgehen und vorläufig bei Liszts Mutter wohnen sollte. Die Kinder sollten Großmutters Aufsicht übergeben werden. Großmama Anna strahlte. Am 19. Oktober 1839 schiffte Marie sich zusammen mit der vierjährigen Blandine und der kaum zweijährigen Cosima in Livorno ein. Liszt hatte sie zum Schiff begleitet und ihre Kabine mit Blumen überhäuft. Von Genua aus, wo das Schiff kurz anhielt, schrieb sie ihm: Wie kann ich dieses geliebte Land Italien verlassen, ohne Ihnen ein letztes Adieu zu sagen. Wie kann ich zusehen, daß diese zwei schönen und erfüllten Jahre aus meinem Leben scheiden, ohne

mich nach Ihnen zu sehnen. O mein lieber Franz!

Es waren wahrlich keine schönen und erfüllten Jahre gewesen. Trotzdem verspürte Liszt, in dem Wissen, daß Marie ge. gangen

war,

ein Aufwallen

alter Liebe.

„Adieu

und

noch

einmal adieu.... lassen Sie mich immer der Ihre und nur der Ihre sein“, schrieb er. Dann seufzte er erleichtert auf, und für

ihn begann eine Zeit pianistischer Weiterentwicklung, die ihn nach Wien, Budapest, Prag, Dresden und Leipzig führte. Erst sechs Monate später war er wieder in Paris. Marie hatte sich bereits in einem hübschen Haus eingerichtet — mit einem Salon im maurischen Stil, einem mit antiken Spiegeln ausgekleideten Wohnzimmer und einem Renaissance-Boudoir — und, obwohl sie sich selbst sah als die nach Theseus seufzende Ariadne, hatte sie einige berühmte Zeitgenossen um sich versammelt: Eugene Sue, Sainte-Beuve, Victor Hugo, Lamar-

tine und sogar Balzac. Letzterer hatte zwar in seinem Roman „Beatrix“ ein ziemlich boshaftes Porträt von ihr gezeichnet, schien aber den Schöpfungen ihres ausgezeichneten Küchenchefs nicht abgeneigt zu sein. Die Mädchen lebten bei ihrer Großmutter, einer einfachen, ungebildeten, uneleganten, aber warmherzigen Frau, die bereit war, alles zu tun, was ihr Sohn von ihr verlangte.

Zum ersten Mal in ihrem Leben machten die Kinder die Erfahrung, was es heißt, geliebt zu werden. Zum ersten Mal wurden sie geherzt und geküßt, und sie erwiderten es ihrerseits mit Küssen auf Annas Wangen, die sich trocken anfühlen mußten für ihre jungen Lippen. Man konnte sich wohl fühlen bei Anna - nicht zuviel „mach dies, mach das“ und „nein, das darfst du nicht“. „Sitz gerade bei Tisch‘ und „iß

19

deinen Teller leer‘ waren beinahe die einzigen Anweisungen, die Anna den Mädchen gab. Was ihre Mutter betraf, so wußten Cosima und Blandine war, aber sie sahen sie fast nie.

zwar,

daß sie in ihrer Nähe

Als Liszt Marie wiedersah, schlugen die Flammen Liebe

wieder

hoch,

die er verlöscht

geglaubt

hatte.

seiner Trotz

ihrer verletzten Eitelkeit liebte Marie ihn immer noch. So sehr es ihn auch schmerzte zu sehen, wie sie ihn durchschaute, er fand sie doch immer noch anziehend. Liszt fuhr nach

England, und sie folgte ihm. Marie war unglücklich; jetzt war weniger seine Untreue Gegenstand ihrer Vorwürfe, sondern vielmehr seine Erfolgs-Sucht, die ihrer Meinung nach einen „Katzenjammer“

nach sich ziehen würde. Aber ihrer beider

Verbindung kam zu keinem Ende. Das Wechselbad zwischen Umarmung und Schmähung dauerte noch weitere vier Jahre an. Sie sahen sich immer seltener, obwohl sie noch dreimal

gemeinsame Sommerferien auf der Rheininsel Nonnenwerth verbrachten. Schließlich, im Frühling 1844 in Paris, entschied

Liszt, daß er nun endgültig genug hatte. Bei einem Abendessen mit Marie sah er sich einer Frau gegenüber, die ihm erklärte, sie hasse Musik, da sie sie zu lange geliebt habe, und

überhaupt könne sie nur noch Langeweile und Überdruß empfinden. Das war natürlich die falsche Taktik. Kurz danach

schrieb

ihr Liszt:

„Ich möchte

Sie nicht sprechen,

nicht sehen und noch weniger Ihnen schreiben.“ Es war im Grunde aussichtslos. Marie war nicht fähig, ein derart schroffes Ende zu akzeptieren. Sie versuchte sich mit einem neuen Trick: sie wolle ihn treffen, um mit ihm die Zukunft der Kinder zu besprechen. Feierlich erklärte sie, mütterliches Pflichtgefühl und Liebe erforderten dies. Liszt verweigerte die Zusammenkunft, war aber damit einverstanden,

Marie

die Erziehung

der Kinder zu überlassen. Zumindest habe er nichts dagegen einzuwenden,

wenn

sie sich, wie er ironisch schrieb, in Zu-

kunft mehr damit beschäftigen wolle als in der Vergangenheit. Liszt sah aber seitens seiner Mutter keine Probleme, denn

seiner Meinung nach hatte sie die nicht einfache Aufgabe bisher sehr gut gelöst. Wenn es jetzt darum gehen sollte, Anna die drei Kinder — Daniel war inzwischen mit den beiden Mädchen zusammen bei Liszts Mutter — wieder wegzunehmen: Nein! Und nochmals nein! 20

Marie war weit davon entfernt, dieses Verbot unwidersprochen hinzunehmen. Natürlich fragte niemand die Kinder, wo

oder mit wem sie leben wollten — selbst wenn sie den Mut gehabt hätten, einen Wunsch zu äußern. Während ihrer Kindheit zog Cosima — gezwungenermaßen - von einem Ort zum anderen. Heute spielte sie am Ufer eines italienischen Sees, morgen wurde sie im Bois de Boulo-

gne spazieren geführt, dann lebten sie in einer Pension in den Bergen — mit ständig wechselnden Kindermädchen und Dienstboten, mit einer Mutter, die entweder ständig vor dem Spiegel oder an ihrem Schreibtisch* saß, mit einem Vater, der meistens durch Abwesenheit glänzte, auch wenn er zu Hause, also anwesend, war. Die Kinder, das kann man wohl

sagen, waren Waisen mit lebenden Eltern. Mehr als dreißig Jahre später schrieb Cosima in ihr Tagebuch: Donnerstag, 23. [März 1871]. Der Tag geht in Vorbereitungen zum Empfang der Mutter vorbei. Ich ordne Papiere und lese alte Briefe vom Vater, die mir wiederum klar zeigen, daß ich weder Vater noch Mutter gehabt. Alles ist mir R. [Wagner] gewesen, er einzig hat mich geliebt. In jeder Familie mit zwei Mädchen ist eine „die Schöne“, die andere „die Kluge“: Blandine war eine Schönheit. Cosima bewunderte ihre ältere Schwester und stimmte Besuchern zu, die Blandines Äußeres lobten. Sie empfand ihrer

Schwester

gegenüber jedoch keine

Eifersucht.

Die beiden

waren enge Freundinnen; sie teilten ihr Zimmer, sie. teilten ihre „Geheimnisse“. Als Anna auf Liszts Anordnung hin Blandine in eine vornehme Mädchenschule schickte, war

Cosima

kreuzunglücklich

und

bittelte

und

bettelte

unter

Tränen so lange, bis Anna sie — „cette petite folle“ — schließ-

lich in derselben Schule anmeldete. Zu ihrem Namenstag fand Anna dann ein Briefchen an ihr Kopfkissen gesteckt, das — kleine Rechtschreibfehler eingeschlossen — lautete: Meine liebe Großmutter! Wem danke ich allein des Lebens Entzücken? Wer naht mir so liebreich mit zärtlichen Blicken? Ich fühl’ es und vergess’ es nie, denn mein ganzes Glück - sind Sie. Cosima Liszt. * Marie hatte während der ersten Jahre ihres Zusammenlebens mit Liszt ihr Tagebuch begonnen; nach der Trennung erschien es unter dem Pseudonym Daniel Stern.

21

Marie gemahnten die Kinder an ihr Älterwerden, wenngleich sie immer noch hoffte, ihr Haar werde blond und ihr

Teint strahlend bleiben. Auch wenn sie von Zeit zu Zeit den Wunsch verlauten ließ, die — wie sie es nannte — „Früchte ihres Leibes“ in ihre Arme zu schließen, ihr Hauptinteresse bestand immer darin, sie als Instrumente ihrer Rache zu benutzen und sie dem Mann zu nehmen, den sie einst so sehr

geliebt und der sie zutiefst beleidigt hatte. Liszt, schwach und leicht beeinflußbar, jedoch im Grunde ein gütiger Mensch, machte sich ab und zu Sorgen um die Kinder, vergaß sie aber dann wieder völlig. Er war zu sehr gefangen in dem Kampf, über sich selbst und seinen Erfolg als strahlender Virtuose hinauszuwachsen und ein Schöpfer bedeutender Musik zu werden. Er konnte nur ein Vater „malgr& lui“ sein, ein Vater

auf dem Papier. Nach dem Bruch mit Marie mied er Paris und kehrte erst neun Jahre später dorthin zurück. 1846 veröffentlichte Marie unter dem Pseudonym Daniel Stern ihren Roman

„Nelida“.

Er resümierte,

ziemlich

rachsüchtig,

ihre

Zeit mit Liszt. Damals war Cosima neun Jahre alt — noch nicht alt genug um zu verstehen, aber alt genug um zu fühlen. Als ihre Erst-Kommunion

bevorstand,

schrieb

sie ihrem

Vater und bat ihn, zur Feier zu kommen: Er jedoch kam nicht. Zurückweisungen dieser Art können eine junge Seele abhärten oder gar erdrücken. Cosima ließ sich nicht erdrükken. Sie lernte früh, entschlossen ihre Ziele zu verfolgen. Und schon in jungen Jahren zeigte sie Willensstärke. Vermutlich lernte sie Zielstrebigkeit und Ausdauer von Marie. Und jene war es auch, die ihr den ewig gültigen Rat gegeben hatte, daß ein Mädchen das Beste aus ihren vorteilhaften Zügen machen müsse. Man sagte Cosima, sie sähe „interessant“ aus. Am vorteilhaftesten waren ihre langen blonden Haare, ein Erbe von Marie, und Cosima erkannte bald ihren Wert. Als Backfisch bürstete sie ihr Haar regelmäßig morgens und abends. Und sie entwickelte eine Geste, die Ja meinte, wäh-

rend sie Nein sagte, indem sie den Kopf zurückwarf, damit die Haare sie umschmeichelten. Das war eine einstudierte Bewegung, sie übte sie vor dem Spiegel. Dagegen war es für sie vollkommen natürlich, ihren Geist und Verstand zu üben und zu kultivieren. Niemand gab dazu den Anstoß, niemand

mußte sie anleiten. Sie fand in Büchern ein zweites Leben, und sie las kreuz und quer alles, was ihr unter die Finger 22

kam. Von einer kleinen Französin, die im romantischen Zeitalter aufwuchs, ist anzunehmen, daß sie jedes Wort der „Drei Musketiere“, des „Grafen von Monte Christo“, von „Notre Dame de Paris“ und „Die Elenden“ verschlingen würde. Aber ebenso verschlang sie Dante und Goethes „Faust“ (in

einer französischen Übersetzung), und sobald ihr Englisch ausreichend war, versenkte sie sich in Byrons Gedichte. George Sands „Indiana“ war ihre Lieblingslektüre; sie versteckte das Buch, wenn ihre Großmutter in der Nähe war.

Von ihrem Vater hatte sie eine natürliche Musikalität geerbt und schon als Kind reagierte sie auf Musik wißbegierig und mit kritischem Verstand. Als sie ungefähr acht Jahre alt war, fing das Klavierspielen an, ihr Spaß zu machen. Sie lernte schnell und spielte bald Mozart-Sonaten

und Webers

„Auf-

forderung zum Tanz“ nach einer Bearbeitung ihres Vaters, die sie schwierig fand, „denn ich bin nicht sehr kräftig, aber . Ich werde mir Mühe geben, es ohne Fehler zu spielen“. Ihr Lesehunger wuchs in dem Maße, in dem er gefüttert wurde, und sie sah sich bereits als zukünftige berühmte Schriftstellerin, als Autorin, die ihre eigenen Regeln aufstel-

len würde, als eine zweite George Sand. Oder konnte sie vielleicht Pianist werden wie ihr Vater? Sie wußte es nicht. Aber eines war ihr klar: daß sie nämlich „etwas Besonderes“ sein

würde und anders als diese Bonbons lutschenden Mädchen von der Schule. Mit ihren blauen, vor Wißbegierde strahlenden Augen, ihrem Ausrufezeichen von einer Nase, dem Mund, der schon „erwachsen“ wirkte, mit ihren langen, gut-

geformten Beinen, die stets auf dem Sprung zu sein schienen, mit jenen etlichen Zentimetern, um die sie ihre Klassenkameradinnen überragte, war sie zweifellos ein entschlossen wirkendes Mädchen. Wenn Großmamas Freundinnen beim Tee über sie sprachen, nannte man sie zwar schon „sage“ (weise), aber in ihr gab es auch eine ungezähmte, kaum zurückzuhaltende Heftigkeit. Da sie sich durchaus bewußt war, wer ihre Eltern waren, blieb sie nicht frei von einer gewissen naiven Arroganz. In der Schule benahm sie sich manchmal so, als sei sie gerade einem Taubenschlag mit preisgekrönten Vögeln entflogen. Daher hatte sie auch wenig Freunde, ihr Liebesbedürfnis kam Bruder und Schwester zugute. Wie sie in späteren Jahren Du Moulin Eckart erzählte, hatte die ungewöhnliche familiäre Situation ein überaus starkes Band zwi-

23

schen ihr und ihren beiden Geschwistern geschaffen... „wie es sich die Mehrzahl der Brüder und Schwestern wohl kaum vorstellen kann... und das ich nun wie eine schwere Kette hinter mir

herziehe. Oft habe ich das Gefühl, als sei ich entwurzelt.“

2 Für die junge Cosima war Liszt der sagenumwobene Lancelot. Warum kam er nicht, nahm sie in seine Arme und befrei-

te sie aus diesem albernen Mädchenpensionat? Warum machte er sie nicht wenigstens zur bedeutenden Persönlichkeit unter ihren Schulkameradinnen - allein durch seine Gegenwart? Im Alter von zwölf Jahren schrieb sie ihm:

„Nun

beginnen die Ferien, werden wir Sie in dieser Zeit sehen? Sie haben diesen Besuch zu lange hinausgeschoben, der uns so glücklich machen

würde, aber ich bin sicher, daß dies nicht

Ihr Fehler ist und daß Sie gleichfalls den Wunsch hegen, uns zu sehen.“ Liszt hegte diesen Wunsch durchaus nicht. Seine Briefe an sie klingen wie Episteln eines selbstgerechten Oberlehrers: Er kritisierte ihre Art sich auszudrücken (sie schrieb ihm meistens in Französisch, gelegentlich in Englisch), pickte ihre Rechtschreibfehler heraus und ermahnte sie, nach „höheren Zielen im Leben zu streben“. Seine Briefe waren Predigten ohne Güte und Wärme, nur geeignet, Abstand zu schaffen zu dieser Tochter, die ihn an vergangene Leidenschaft und gegenwärtige Unannehmlichkeiten erinnerte. Mehr und mehr wandten sich die drei Kinder ihrer Mutter zu.

Marie

wollte

Blandine

zu

sich

nehmen,

Cosima

und

Daniel dagegen nicht. Bald jedoch begannen alle drei, sie in ihrem Salon des noblen Wohlgeruchs zu besuchen — zunächst mit Großmutters Wissen. Als die Besuche aber immer häufiger wurden, hatten sie das Gefühl, es sei besser, diese geheimzuhalten. Liszt hörte natürlich davon und war außer sich. An seinen Freund und Vermögensverwalter Joseph Massart schrieb Liszt: „... Ich kann offensichtlich nicht Madame d’Agoults Recht anfechten, sich mit ihren beiden Töchtern zu beschäftigen und in verschiedener Weise in ihre Erziehung einzugreifen. Meine einzi-

24

ge Möglichkeit... besteht darin, das Geld zu verweigern, daß sie zu diesem Zwecke fordern könnte und darum bat ich Sie, sich um ihre Abrechnungen zu kümmern. Nun ist es sicher so, daß ich

mich weigern werde, die dreitausend Francs für Cosima zu geben. Dagegen werde ich Ihnen diese Summe regelmäßig für Blandine überweisen. Meiner Meinung nach sollten Cosima und Daniel bei meiner Mutter bleiben und ich hoffe, Madame d’Agoult wird dieser Entscheidung zustimmen. Sollte... sie anderseits versuchen, Cosima gewaltsam zu sich zu nehmen, so würde ich mich gezwungen sehen, alle drei Kinder mit nach Deutschland zu nehmen, wo sie keine Gewalt über sie hätte. [Frühling 1845]

Marie

beabsichtigte

keineswegs,

Cosima

zu

sich

zu

nehmen. Trotzdem brach sie vor „gekränkter Mütterlichkeit“

aus wie ein Vulkan, schimpfte und rauchte vor Wut und suchte schließlich juristischen Rat. Konnte Liszt ihr die Kinder nehmen, wenn sie sie wollte? Nein, behauptete ihr . Anwalt, denn Liszt konnte die Kinder nicht als legitim erklä-

ren lassen. Liszts Anwalt war gegenteiliger Ansicht: Der Vater brauche nur die österreichische Staatsbürgerschaft für sie zu erwerben, damit seien alle Ansprüche Maries nichtig. Die Korrespondenz schwoll an zu einem Crescendo an Gehässigkeit. Liszt an Marie: Vor einem Jahr, Madame, glaubte ich, daß die unglaublichen Ansichten über mich, die sich bei Ihnen angesammelt, und die Sie

mir in verschiedenen Briefen kundgetan hatten, ein Geheimnis zwischen uns beiden bleiben würden. Außerdem war ich der Meinung, daß Sie im Andenken an Ihre Liebe, die Sie einst für mich

empfunden haben, sich anderen Menschen gegenüber ebenso diskret verhalten würden, wie ich es in dieser Beziehung immer getan habe, wenn es Ihre Person betraf: Nun kann ich diese Illusion nicht länger bewahren, denn ich kann kaum mehr darüber hinwegsehen, daß Sie allen Leuten die unglaublichsten und beleidigendsten Geschichten über mich erzählen... [2. Mai 1845] Marie an Liszt: Sie sind der feigsten Handlung fähig: Sie wagen es, aus der Entfernung und unter dem Vorwand der Legalität einer Mutter zu drohen, die nur die Frucht ihres Leibes verlangt... Ich sehe, Monsieur, ich bin gefangen in einem aussichtslosen Kampf und mir bleibt nichts anderes übrig, als zu Ihrem Herzen zu flehen, zu

25

Ihrem Verstand, Ihrem Gewissen. Aber ich protestiere vor Gott und den Menschen. Ich protestiere vor allen Müttern gegen das gewaltsame Unrecht, das mir angetan wird... Dieser Protest endete mit den Worten: „Von nun an, Monsieur, haben Ihre Kinder keine Mutter mehr.“

Das hatte mehr mit Schauspielerei als mit wahren Empfindungen zu tun. Marie war es ganz zufrieden, nicht ernsthaft mütterliche Verantwortung tragen und sich mit den Kindern nur dann beschäftigen zu müssen, wenn es ihr gelegen kam. Die kleinen Besucher erschienen frisch gewaschen und mit gestärkten Kragen in ihrem Salon. Cosima beäugte neugierig die Reihen der in rotem Leder gebundenen Bücher, die in der Bibliothek standen, und Marie konnte sie zur Großmut-

ter zurückschicken, wenn sie genug davon hatte, die nachmittägliche süße Wohltäterin zu spielen. Anna sah nichts Schlimmes in diesen Besuchen. Warum sollten die Kinder nicht das lebhafte Kommen und Gehen im Haus ihrer Mutter und deren ausgezeichnete Patisserie genießen? Liszt war da ganz anderer Meinung. Anfang 1847, das heißt drei Jahre nach seiner Trennung von Marie, lernte Liszt die achtundzwanzigjährige Fürstin Carolyne von Sayn-W ittgenstein kennen und lieben. An seine Mutter schrieb er, daß „die Lösung seiner Lebensfrage genaht“ sei durch diese ‚‚tres

extraordinaire, mais tres extraordinaire et &minente“ Frau. Ja, außergewöhnlich war sie tatsächlich, willensstark und getrieben von einer fanatischen Religiosität, die sie jedoch nie daran hinderte, ihre sexuellen Begierden zu stillen. Liszt und sie liebten sich unter einem drei Meter hohen Kreuz in ihrem Schlafzimmer. Carolyne verließ ihren Mann, ihre weitreichenden Liegenschaften, wo der Rasen jeden Morgen von barfüßigen Leibeigenen geplättet wurde, verkaufte alles, was sie besaß und beantragte die Auswanderung aus Rußland. Ihrem Mann - er war persönlicher Adjutant des Zaren gelang es, dem zunächst einen Riegel vorzuschieben. Dennoch machte sie sich mit ihrer kleinen Tochter Marie, einigen

Dienstboten und zentnerschwerem Gepäck auf die Reise. Als 1848 die Revolution durch Europa tobte, erließ der Zar plötzlich den Befehl, die Grenzen zu schließen. Ein Kurier ritt Carolyne nach, um sie zurückzurufen, aber er kam eine Stunde

zu spät. Sie hatte gerade die Grenze passiert, um sich mit Liszt zu treffen. 26

Kaum angekommen, begann sie, Liszts Leben durchzuorganisieren, und zwar in allen Einzelheiten, wobei die Kinder ganz und gar nicht unter ‚ferner liefen“ fielen. Diese Kinder: Sie verbrachten viel zuviel Zeit mit jener Frau, die „Nelida“

geschrieben hatte und wurden von der alten Dame Liszt zu sehr verwöhnt. Carolyne war davon felsenfest überzeugt, und sie wußte, was zu tun war. Die Kinder brauchten eine feste

Hand - und sie kannte eine solche handfeste Person. Es war niemand anderes als jene Gouvernante, die ihre eigene Kindheit beherrscht hatte. Dieser Madame Patersi de Fossombroni war es gelungen, ein außergewöhnlich eigensinniges und verwegenes kleines Mädchen - sprich: Carolyne - unter Kontrolle zu bringen, und Carolyne, obwohl nie völlig gezähmt, hatte die Patersi - sie ging auf die Siebzig zu und lebte in Petersburg — ins Herz geschlossen. Ein besserer Aufpasser konnte gar nicht gefunden werden. Die alte Dame, stets ein-

‚gepanzert in ein schwarzes Kleid mit WalfischstäbchenKragen, wurde nach Weimar gebeten. Liszt hatte dort die Stelle des Hofkapellmeisters übernommen, Carolyne war ihm gefolgt. Madame Patersi kam mehr tot als lebendig an. Wahrscheinlich hatte sie stocksteif während der ganzen Bahnfahrt aufrecht gesessen, ohne sich anzulehnen und vermutlich auch ohne es sich zu erlauben, die Eisenbahntoilette

zu benutzen. Carolyne steckte sie ins Bett und pflegte sie zwei Monate lang, bis sie soweit genesen war, daß sie nach Paris reisen konnte. Liszt schrieb am 25. Oktober 1850 aus Weimar an seine Mutter: Ich hätte vorgezogen, daß Ihnen diese Zeilen durch Madame Patersi überbracht worden wären, der ich Sie bitte, meine beiden

Töchter zu übergeben, da ich ihr deren Erziehung hinfort anzuvertrauen wünsche. Von Herzen danke ich Ihnen für alle Liebe, mit der Sie sich in den letzten Monaten der Kinder angenommen, und auch diese werden Ihnen stets gleich mir für die Pflege, die Sie ihrer ersten Jugend angedeihen ließen, dankbar bleiben. Unglücklicherweise ist Madame Patersi gleich bei ihrer Ankunft hier erkrankt und kann nicht vor vierzehn Tagen in Paris eintreffen, da Sie aber ausziehen, will ihre Schwester Madame Saint-

Mars, die mit ihr und meinen Töchtern Rue Casimir-P£rier Nr. 6, Faubourg St. Germain, wohnen wird, die Güte haben, die Kinder

abzuholen und bis zur Ankunft von Madame Patersi bei sich zu behalten. Wollen Sie also nach Empfang dieses Briefes Blandine und Cosima ihrer Hut übergeben. Haben Sie auch die Güte, liebe

2

Mutter, die mir von Ihnen bezeichneten Möbel sowie alles übrige zum Hausstand Gehörige, was Sie nach Ihrer Versicherung entbehren können, in die erwähnte Wohnung von Madame Patersi bringen zu lassen... Man wird also sechs silberne Bestecke, Glas und Porzellan, Tisch- und Bettwäsche usw. nötig haben. Ich müßte dies alles neu anschaffen und wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie ihnen davon abtreten wollten, was Sie selbst nicht gebrauchen. Ich habe Madame Patersi gebeten, Sie mit meinen Töchtern häufig zu besuchen, sie aber überallhin zu begleiten... Sie allein hat zu entscheiden, was ihnen erlaubt oder verboten

werden soll...

Anna war zutiefst verletzt. Warum dieses plötzliche Abkappen einer natürlichen Beziehung? Warum wurden ihr die Kinder in so herrischer Weise genommen? Liszt wollte es so, getrieben von seiner Ehrfurcht vor Adelstiteln. Er, der aus bescheidensten

Verhältnissen

stammte,

wollte seine Töchter

wie Prinzessinnen erzogen sehen — Anna war ihm für diesen Zweck zu einfach. Auch das ‚„vornehme“ Mädchenpensionat

der Madame Bernard war ihm nun nicht mehr vornehm genug. Er erklärte, die Schule habe „sehr bekümmernde schlechte Folgen“ auf ihre Erziehung gehabt. Und so wurden Blandine und Cosima der gestreng blickenden Gouvernante übergeben. Sie sollte Prinzessinnen aus ihnen kneten. Cosima wehrte sich zuerst, doch schon bald gab sie klein bei. An ihren Vater schrieb sie: Ich sage es Ihnen offen: daß ich einen großen Schmerz empfunden habe, Großmama zu verlassen. Mir scheint, daß es eine große Undankbarkeit wäre, ohne Schmerz sich von einer Großmutter

zu entfernen, die uns soviel Güte gezeigt hat. Aber Frau von Saint-Mars ist so gut, daß ich schon vollständig an sie gewöhnt bin und sie recht liebe. Ich bin durchaus bereit, das gleiche gegenüber Madame Patersi zu empfinden, die Sie so sehr loben ... [1850]

Cosima log wie gedruckt, und noch weniger entsprach es ihren wahren Gefühlen, wenn sie an Carolyne dankbare Briefe schrieb. Schon mit dreizehn Jahren hatte sie also gelernt, sich Vorwänden und Ausflüchten zu bedienen. Wie sonst sollte sie annehmbare Beziehungen unterhalten zu diesem

weitentfernten

Vater

und jener Frau,

die ihn jetzt

„besaß“, einer Frau, die sie noch nie gesehen hatte und von der sie kaum

28

mehr wußte, als daß sie Litaneien betete und

eine Zigarre nach der anderen rauchte. Und was ihre altmodisch-rückständige Aufseherin betraf, so wußte Cosima, daß sie folgsam sein und im stillen ihren eigenen Weg gehen mußte. Madame Patersi erwies sich nichtsdestotrotz als keine schlechte Lehrerin. Wenn ihr Lehrplan anspruchsvoll war, so störte das Cosima nicht im geringsten. Sie lehrte sie Geschichte, wobei sie besonderen Wert auf Erzählungen von Königen legte und hervorhob, daß der Fortschritt der Menschheit solchen „Helden“ wie Peter dem Großen und Napoleon zu verdanken war. Sie lasen die „Klassiker“ wie Corneille, Racine, Shakespeare. „Alle haben mich stark interessiert, Macbeth aber ziehe ich vor und ich habe die Stelle

auswendig gelernt, wo der Held vor sich einen Dolch sieht, das ist die schönste des ganzen Stückes. Ich ziehe Shakespeare Corneille vor, aber ich liebe Racine mehr als die beiden.“ Madame Patersi brachte Cosima Deutsch bei, eine

Sprache, in der sie solche Fertigkeit erlangte, daß sie eine von La Fontaines Fabeln übersetzte, und sie vervollkommnete ihr

Englisch. (Ein Brief Cosimas vom 5. Juni 1851 an ihren Vater ist in gutem Englisch geschrieben.) Vor allem aber hatte Cosima

muß, man und ohne

zu lernen, wie eine „feine Dame‘

sich benehmen

wie man standesgemäß einer Kutsche entsteigt, wie in einen Salon eintritt, wie man eine Herzogin begrüßt im Gegensatz dazu eine Bürgerliche, wie man speist, zu zeigen, daß man hungrig ist - und wie man verbirgt,

daß man gekränkt ist. „Du mußt stark sein“, lautete die Devise, und Tränen wurden als nutzloses Wasser deklariert. „Du mußt beten, aber sei nicht unterwürfig, denn Gott liebt die Stolzen“, war eine weitere. Cosima sog all das in sich auf.

Carolyne paßte auf die Patersi auf, die Patersi wiederum paßte auf die Mädchen auf. Trotzdem gelang es ihnen, und Cosima

insbesondere,

Marie

heimlich

zu

besuchen.

Anna

wohnte weit entfernt vom Faubourg St. Germain und sah die Kinder

niemals

ohne

deren

Gouvernante.

Als Mutter,

die

ihren Sohn anhimmelte, war sie nun ganz auf seiner Seite. Sie zeigte

kein

Verständnis

für

Maries

Interessen:

„Madame

d’Agoult weiß sich schon zu zerstreuen, auch ohne daß sie einen Teil der Erziehung dieser Kinder auf sich nimmt.“ Marie war natürlich anderer Ansicht: „Ich kann nicht umhin,

mich zu fragen, welche absurde Laune ihn dazu veranlaßt, seinen Kindern eine Zufalls-Mutter aufzudrängen, statt sie 29

dem natürlichen Gefühl ihres Herzens folgen zu lassen, das

sie in meine Richtung geführt hätte... Er hat ihren jungen Geist verwirrt. Er hat darauf bestanden, daß sie Empfindun-

gen vortäuschen, statt ihre wahren Gefühle zeigen zu können.“ Eine Zeitlang war es den Mädchen sogar verboten, den Namen ihrer Mutter zu erwähnen. Alle Handlungen und Äußerungen Cosimas wurden überwacht. Madame Patersi erlaubte ihr nur alle zwei Wochen, dem Vater zu schreiben, und die Briefe wurden zensiert, um sicherzugehen, daß sie

nur nichtssagend und höflich waren. Nach dem Tod ihrer Mutter im Jahr 1876 erinnert sich Cosima in ihrem Tagebuch, wie sie entgegen dem strikten Verbot immer heimlich zu Marie gegangen waren: „Ich kann gar nicht beschreiben, welchen Eindruck diese Sonntage immer auf mich machten. Ich sehe mich noch, wie ich mit den Augen die wundervolle

Bibliothek meiner Mutter verschlang. Und wenn wir in unser enges, streng geregeltes, von zwei siebzigjährigen Gouvernanten bewachtes Leben zurückkehrten, so blieb der Eindruck, daß wir gerade das Paradies verlassen hatten.“

Zu jener Zeit nahm Carolyne die Zügel endgültig fest in ihre Hand, und zwar durch ihren Pariser Vertreter „vor Ort“.

Sie hatte in Weimar die ‚Villa Altenburg“ gemietet, in der sie ganz offen mit Liszt zusammenlebte. Carolyne hoffte, beim Vatikan die Scheidung ihrer Ehe zu erreichen. Liszt verliebte sich, je enger er sich an sie band, mehr und mehr in sie. Keiner seiner Biographen konnte diese blinde Leidenschaft jemals ganz erklären, aber sie liegt möglicherweise in der Zufriedenheit begründet, die ein Mann, der viele schöne Frauen gekannt hat, in einer Frau findet, die keine Schönheit ist und

ihm geradeheraus sagt, was er zu tun und zu lassen hat. Als nächstes wünschte Carolyne - im Gegensatz zu deren Vater — die Kinder in ihrer Nähe. Sie wollte alles, was Liszts Leben

betraf, unter ihre Kontrolle bringen.

3 Vermutlich war es Carolynes Idee, daß Liszt nach Paris fahren sollte, um die Kinder zu sehen, ganz bestimmt aber

war es ihr Wunsch, ihn dorthin zu begleiten. Sie reisten nach 30

Basel, wo

sie Wagner

trafen.

Damals

bereits

berühmt

-

„Rienzi“ war auf beträchtlichen Erfolg gestoßen und Liszt, ein glühender Verehrer seiner Musik, hatte „Tannhäuser“ und „Lohengrin“ in Weimar auf die Bühne gebracht -, war

Wagner nun gezwungen, in Zürich zu leben, da er 1849 wegen seiner offen geäußerten revolutionären politischen Ideen steckbrieflich gesucht wurde. Er lebte von aus dem Freundeskreis

geliehenem Geld

und

einer jährlichen

„Zu-

wendung“ seiner Bewunderin Julie Ritter, deren Sohn Karl ein aufstrebender Dichter und Komponist war. Auf Liszts Drängen hin kam Wagner mit nach Paris. Am 10. Oktober 1853 trafen sie dort zusammen: Carolyne und ihre Tochter, Wagner, Anna Liszt, Madame Patersi und die Kinder; Blandine war fast achtzehn, hübsch und heiratsfähig; Cosima,

noch nicht ganz sechzehn, war lang und dünn, daß man ihr den Spitznamen

„Storch“

gegeben

hatte, und Daniel, vier-

-zehnjährig, hatte eine verblüffende Ähnlichkeit mit seinem Vater. Es war das erste Mal seit acht Jahren, daß Liszt seine Kinder wiedersah. So beklemmend die erste Begrüßung auch gewesen sein mag, so gezwungen und verlegen sich Cosima diesem Fremden gegenüber fühlen mochte, der ihr Vater war: Carolyne gelang es, all das in resoluter Weise zu überspielen. Sie umarmte, küßte und lobte die Kinder, schenkte ihnen kleine Golduhren und erklärte, sie hoffe, daß sie von

jetzt an auf immer zusammenbleiben würden. In der darauffolgenden Woche gab Liszt ein „Familienfest“, zu dem auch

Wagner, Berlioz und der Journalist Jules Janin eingeladen waren. Wie immer las Wagner aus seinen Werken vor, diesmal aus dem letzten Akt der „Götterdämmerung“. Es gab kein Entrinnen. Wie muß das die jungen Leute gelangweilt haben! Was sollten sie mit diesem schwerverständlichen und gewichtigen Fragment anfangen? Cosima fragte sich, wie ein Opernkomponist es überhaupt fertigbringen konnte, auch seine eigenen Librettos zu schreiben, und kurz darauf las sie Wagners Texte zu „Lohengrin“ und ‚„Tannhäuser“. Bei diesem ersten Treffen machten jedoch weder Cosima noch Blandine auf Wagner Eindruck. Er stellte nur ihre „anhalten-

de Schüchternheit“ fest. Carolynes Tochter Marie, die reizende

„Magnolet“,

erin-

nerte sich an dieses Familientreffen: 3l

Ich stand im Alter der beiden Mädchen, die noch ziemlich ungeschliffen, mit verschreckten Rehaugen in die feindliche Welt schauten. Die ältere, Blandine, war netter, runder, gefälliger — keineswegs himmelstürmend, und mit ihrem Persönchen schon ziemlich zufrieden. Die arme Cosima aber war im ärgsten Backfischstadium — groß und eckig, gelb mit breitem Mund und langer Nase, ein Abbild ihres Vaters. Nur ihr langes Goldhaar war von

seltenem Glanz, war eine große Schönheit. Auch in dem armen Kinderherzen gärte es wie in einem Vulkan. Dunkler Liebesdrang, überschäumende Eitelkeit pulsierten in dem Herzchen — und hie und da wurden ihre schmalen Lippen von dem angeborenen Spott der Pariserin mutwillig gekräuselt. Ihr Bruder Daniel war der jüngste — ein weicher, immer traurig aussehender Knabe mit träumerischen Augen... In dem schlichten kleinen Salon der Rue Casimir-P£rier nach einem einfachen Essen bei Liszts Kindern las uns Wagner den Schluß der „Nibelungen“.

Die Kinder

verstanden kaum genug Deutsch, um den Sinn der Worte zu fassen. Doch wurden auch sie von unserer Rührung ergriffen. Ich sehe noch Cosimas verzücktes Gesicht, wie die Tränen über ihre spitze Nase liefen. Damals hatte Wagner noch keinen Blick für das häßliche Kind. [Marie Hohenlohe, „Erinnerungen an Richard

Wagner“) Für Cosıma, die dem Wiedersehen voller Erwartungen ent-

gegengefiebert hatte, erwies sich der Besuch als eine herbe Enttäuschung. Liszt war ständig in Pariser Gesellschaftskreisen unterwegs, und sie sah ihn kaum ohne Anhang. Als die Zeit für seine und Carolynes Abreise gekommen war, war noch nichts über Cosimas Zukunft entschieden. Sie bekam ein paar Moralpredigten mehr zu hören, und dann war er wieder weg — beinahe ebenso ein Fremder wie vorher. Madame Patersi ordnete an, daß Cosima sofort schreiben, sondern zunächst eine verstreichen lassen solle, bevor sie ihm dankte. Als es soweit war, schrieb Cosima

ihrem Vater nicht „schickliche Zeit“ für seinen Besuch eine wahre Epistel

— voller Süßholzgeraspel wie „die völlig mütterliche Güte der Fürstin“, „wir sind dankbar,

Ihren Namen

zu tragen“ usw.

Man kann davon ausgehen, daß die Gouvernante ihr diesen Brief in die Feder diktierte. Liszts Antwort lautete, sie müsse mehr von und für die Musik lernen. Wenig später durften die Mädchen ein Konzert besuchen, das Berlioz gab. Dort trafen sie Marie d’Agoult - war es Zufall? Marie hatte sich im Hintergrund gehalten, während Liszt und ihre Nachfolgerin in Paris waren. Jetzt aber brach 32

sie in Tränen aus und beteuerte, man müsse sich wieder öfter sehen; sie könne nicht länger ohne ihre Kinder leben, sie seien das Einzige, was ihr in dieser Welt noch bliebe — und:

ob sie sie nächsten Dienstag besuchten? Begeistert sagten die Mädchen zu. Zweifellos konnte man mit Marie mehr Spaß haben als mit Carolyne. Cosima schrieb ihrem Vater darüber, teils weil er es sowieso von der Gouvernante erfahren würde,

teils um seine Reaktion zu testen: Madame Patersi wird Ihnen, mein theurer Vater, gesagt haben,

daß unsere Mutter in dem Konzert von Berlioz am letzten Sonntag anwesend war und daß sie dort mit uns übereingekommen, daß sie am Dienstag um ein Uhr uns abholen wird und um neun Uhr zu uns zurückbringt. Das hat in der Tat stattgefunden. Sie hat uns zu sich gebracht, hat uns zuerst emporsteigen lassen in ihr Arbeitszimmer, wo sie uns einen Augenblick allein gelassen hat,

uns bittend, hier uns etwas auszuwählen. Wir haben hier über der Bibliothek, theurer Vater, Ihr Medaillon in Bronce gesehen und

Ihr Portrait en face von Ingres, das ganz allein an der einen Wand hing. Dann kam sie zurück und fragte uns, ob wir das Haus schön fänden. Sie hat sich über unsere Lebensweise eingehend informiert, über unsere Arbeiten, über unsere Beziehungen, über

unsere Gewohnheiten und sagte uns, daß sie Daniel ungemein lieb fände. Auf den Wunsch hin, den sie uns ausgesprochen hat, die Werke Wagners kennenzulernen, haben wir ihr den „Lohen-

grin“ und den „Fliegenden Holländer“ gebracht. Da Daniel den „Tannhäuser“ in seiner Pension hat, konnten wir ihn ihr noch

nicht geben. Das wird ein anderes Mal geschehen, ebenso wie Ihre Broschüre über die beiden Werke, für die sie ein lebhaftes Interesse gezeigt hat. Sie war im hohen Grade charmant gegen uns, voller Zärtlichkeit, Liebe und mütterlicher Sorge, nichts an-

deres zeigend als Glück und Freude, ohne irgendwelchen Hintergedanken. Wir haben viel zusammen gesprochen von Ihnen, lieber Papa, wie man eben sprechen kann. Sie hat uns u.a. gesagt, daß, wenn das Geld, das sie uns anbiete, Ihnen nur im geringsten mißfiele, würde sie nicht mehr davon reden, ebensowenig von

dem italienischen Lehrer, den sie uns zu geben wünschte, weil sie einen sehr distinguierten Mann kenne, welcher uns das Italienische vorzüglich beibringen könnte und der uns, wie sie meinte, angenehm wäre. Aber sie hat ausdrücklich betont, daß sie darauf

unbedingt verzichte, wenn es Ihnen nicht passen würde, und fügte hinzu, daß es das Wesentlichste für sie sei, uns zu sehen, und nachdem Sie ihr diese Erlaubnis gegeben, möchte sie die Dinge in keiner Weise komplizieren. Heute besucht sie Daniel, zu dem wir uns begeben werden ... [Zitiert nach Du Moulin Eckart]

33

Liszt sah ein, daß da kaum mehr etwas zu machen war. Selbst er stellte fest, daß Blandine und Cosima alt genug waren, um selber zu entscheiden, wen sie besuchen wollten —

auch wenn es ihre Mutter war. Mehr schlecht als recht konstruierte

er Einschränkungen

und

Vorschriften,

stellte

ein

paar unsinnige „Extrabedingungen“. Die Mädchen sollten immer im Fiaker oder der Privatkutsche abgeholt werden, und zwar von Marie persönlich und keinesfalls durch eine Vertreterin. „An den Tagen, an denen sie Frau Patersi zu Ihnen bringt, versteht es sich von selbst, daß diese nicht als

Gouvernante aus einem minderen Stockwerk zu behandeln ist, die man

im Nebenzimmer

warten läßt, daß Sie ihr viel-

mehr alle Rücksichten zu erweisen haben, die einer Frau gebühren, die durch ihre Stellung, ihr Alter und durch ihre Eigenschaften achtungswert ist... (Brief an Marie, am 4. Sept. 1854) Marie dachte natürlich nicht daran, diese Anordnungen zu befolgen. Ihr ging es nur darum, die Kinder auf ihre Seite zu ziehen und weg von dieser Wittgenstein. Sie betrachtete Liszts Liaison mit Carolyne immer noch als eine vorübergehende Vernarrtheit, als nicht vergleichbar mit der wahren Vereinigung von Genie und Schönheit, von der sie, an sich selbst denkend, träumte. Um ihre Pläne zu verwirklichen, setzte sie auch ihren Reichtum ein. Blandine war in heiratsfähigem Alter, und

Cosima würde es bald sein. Als Mitgift stellte sie 100 000 Francs in Aussicht — ein großzügiges Geschenk, aber Marie konnte es sich leisten. Als Antwort darauf bestieg Liszt wieder einmal die „Familienkanzel“.

Er schrieb am 20. No-

vember 1854 an Marie: Meine Kinder, so hoffe ich, werden das Bekenntnis meines

Lebens teilen und niemals für einen möglichen materiellen Vorteil auch nur das geringste von meiner moralischen Erbschaft preisgeben, die für sie wertvoller ist als alle Güter der Erde... Ich habe Ihnen in klaren Ziffern eröffnet, was ich für die Versorgung meiner Kinder tun kann. Mit den Zinsen des Kapitals, das ich für sie bestimme, habe ich bisher ihren Unterhalt und ihre Erziehung bestritten... Wenn Sie die Mitgift Blandinens und Cosimas erhöhen wollen, so ist es mir unmöglich, Ihnen irgend etwas vorzuschreiben oder zu verwehren, und es ist selbstverständlich, daß auch meine Töchter mit der Freude, Sie wiederzusehen, nie-

mals den Gedanken an einen persönlichen Vorteil verbinden

34

werden, sei es auch die Aussicht auf einen Mann... Das Wort „Geschäft“, das Sie in Ihrem letzten Brief gebrauchen, ist hier

nicht am Platze, denn ich vermöchte weder Ihre Rückkehr zu den Kindern noch deren Heirat jemals als ein Geschäft zu betrachIeNn..a:

Er sandte dieses Schreiben zur Weiterleitung an Madame Patersi, mit der Anweisung, den Brief von Cosima und Blandine lesen und abschreiben zu lassen. Für seine Töchter fügte er postscriptum hinzu: Seid überzeugt, daß es nie in meiner Absicht gelegen sein konnte, Euch zum Vorwande eines Streites mit Eurer Mutter zu machen, und wenn ich Eure Trennung von ihr bisher als etwas Unvermeidbares hingenommen und aufrechterhalten habe, so geschah dies nur in dem höheren Gefühle meiner Pflicht. Ich würde es ohne Zweifel vorgezogen haben, wenn diese mir weniger Unangenehmes auferlegt hätte. — Einstweilen habt Ihr nur eines zu tun: zu warten, bis Frau d’Agoult ihren Gegenbesuch bei Frau Patersi macht. Ihr dürft in keinem Falle vor diesem Besuche zu ihr hingehen.

Es liegt auf der Hand, daß Liszt nicht gerade glücklich war über Maries Einfluß, zumal Cosima weiterhin fröhlich berichtete, wie sie im Louvre waren und „Mama uns alle Bilder. erklärte“, wie unterhaltsam ein Essen in Maries Haus gewesen sei, oder daß sie den „Barbier von Sevilla“ gesehen

hätten und daß Marie ihr Bücher eines neuen englischen Schriftstellers namens Dickens gegeben hatte, der so wundervolle Geschichten erzählte, daß sie sie geradezu verschlinge. Liszt fühlte sich nicht wohl dabei — und erst recht nicht Carolyne. Der Vatikan zeigte sich unversöhnlich, Carolyne bekam ihre Scheidung nicht. Liszt störte das weniger, aber sie war unglücklich. Je mehr sie versuchte, die Verbindung zu seiner. früheren Liebe ganz abreißen zu lassen, um so mehr wollte sie zur Ersatzmutter seiner Kinder werden. Madame Patersi schien der Aufgabe nicht mehr gewachsen, die räumliche Nähe

zu dieser

„Sirene“

Marie

machte

Umerziehung

und

Umpolung der Kinder unmöglich. Von dieser Lage der Dinge ausgehend beschloß Carolyne, daß die Kinder aus Paris weg mußten. Es gab keine Schwierigkeiten, Liszt davon zu überzeugen — aber wohin, und unter wessen Aufsicht sollten sie gegeben werden? 3

4 Liszt hatte sich einen Lieblingsschüler erkoren: Hans von Bülow, der neunzehn Jahre jünger war. Liszt sah in ihm seinen legitimen Erben durch Gottes Gnaden und sein eigenes Talent. Dieses Talent hatte einen steinigen Weg gehen müssen:

Bülows

Eltern

bestanden

darauf,

würde, und er hatte ständig dagegen seine erstaunliche Begabung in seinen und brillanten Klavierkonzerten unter Sein Vater gab endlich nach, während protestierte. Die Ehepartner zerstritten

daß

er Anwalt

anzukämpfen, bis er jugendlich-kraftvollen Beweis stellen konnte. seine Mutter weiterhin sich immer mehr, und

Hans war fast noch ein Kind, als sich seine Eltern scheiden ließen. Der Vater heiratete wieder, Hans lebte in Berlin bei

seiner Mutter, einer grobknochigen Frau, die einen Kranz dicht geflochtener Zöpfe um den Kopf und eng zusammengekniffene Lippen hatte. „Eine harte Seele“ nannte sie Du Moulin Eckart. Franziska von Bülow hatte auf alle Lebensfragen vorgefertigte Antworten parat, und ihre Ansichten über Menschen und Meinungen innerhalb ihres Gesichtskreises waren so starr wie ein Felsblock. Sie wußte alles — entweder aus der Bibel oder der Zeitung. Sie wußte, was „anständig“ war. Zu

den Dingen, die sie für unanständig hielt, zählte auch die neue Musik von Richard Wagner, für die ihr Sohn sich so leidenschaftlich begeisterte. Liszt dagegen war für sie in Ordnung: er war ein „Gentleman“. Franziska verstärkte die nervliche Belastung ihres Sohnes, der schon von Natur aus überreizt, angespannt und unduldsam war, der sich der Tradition deutschen Junkertums verpflichtet fühlte. Vielleicht überstieg Bülows Scharfsinn einfach das Maß seiner Kräfte. Ein Intellektueller wie er, ungeduldig mit langsamer Denkenden, eher kränkelnd und mit seinem Gesundheitszustand durch seine Arbeitswut Raubbau treibend, verletzte seine

Feinde wie seine Freunde durch messerscharfen Sarkasmus — und selbst wenn er lobte, brannte es, wie Brahms sagte, „wie

Salz in den Augen“. Wenn solche Naturen sich für etwas begeistern können, geben sie sich völlig hin: Bülow hatte sich Wagners Musik hingegeben. Deswegen und wegen seines Talentes liebte ihn Liszt. 36

Liszt und Carolyne faßten nun den Entschluß, die Mädchen nach Berlin zu schicken und sie unter Frau von Bülows Obhut zu stellen.* Die Mädchen würden näher an Weimar sein und Cosima konnte unter der Anleitung von Hans weiter Musik studieren. Madame Patersi war alt und schwach geworden; es war besser, sie durch ein teutonisches Gegenstück

zu ersetzen. Frau von Bülow konnte die Bitte kaum abschlagen, nachdem Liszt so viel für ihren Sohn getan hatte. Liszt erschien dieser Umzug sehr vernünftig, denn einerseits wollte er seine Töchter von Marie trennen, andererseits wollte er sich nicht damit belasten, sie selbst im eigenen Haus zu

haben:

Ab nach Berlin also! Wahrscheinlich

glaubte er —

oder redete es sich zumindest ein —, das Beste für seine Töchter zu tun. Daß er sie aber in ein Haus schickte, in dem der

eine Bewohner eine hin- und hergerissene Persönlichkeit, der andere eine geistig und seelisch verkorkste alte Frau war, das sah er nicht. Was auch immer die vordergründigen Argumente für diesen

Plan waren,

er kam

letztlich

fast einer Entführung

gleich. Als Cosima und Blandine von der Entscheidung hörten, brachen sie in Tränen aus. Sollten sie wieder ihrer gewohnten Umgebung entrissen werden, mußten sie sich wieder an ein fremdes Gesicht in einer fremden Stadt gewöhnen, würden sie ihre Mutter nie wieder besuchen können? Cosima wagte es sogar, von den „tyrannischen Forderungen“

ihres Vaters zu sprechen. Anna zögerte nicht, sofort einen langen Brief an ihren Sohn zu schicken, in dem sie ihn bat,

die Angelegenheit noch einmal zu überdenken. 3. September 1855: Ich bin so beunruhigt, nachdem ich seit zehn Tagen weiß, was nun neuerdings über Blandine und Cosima beschlossen ist. Die Fürstin sagte mir dies mit einer Gleichgültigkeit, man wird sie nach Berlin schicken unter der Aufsicht der Madame de Bülow, die mit ihnen bleiben wird, sie zu gouverner. Ich konnte sonst nichts darauf sagen, als die Kinder sind zu groß, um wieder eine

Veränderung mit sie zu machen. Die Fürstin antwortete darauf, es wird sonst nie ein Ende mit Schreiberei der Madame d’Agoult nehmen, die seit einiger Zeit sehr impertinent in ihren Briefen an Dich ist. Aber, liebes Kind, betrachte, in die vierte Hand diese

Kinder zu geben, in ein fremdes Land, wo sie keinen Menschen kennen, dies ist gewiß nicht gleichgültig für sie, und ich befürchte, * Daniel blieb seiner Studien wegen weiter in Paris.

37

wenn dies geschieht, daß eine oder die andere krank fällt. Es wäre

besser gewesen, die Fürstin hätte die Madame Patersi in Polen oder Rußland gelassen und nicht diese Kinder einer Frau anvertraut, die schon dazumal im 72. Jahre war, als sie ihrer Leitung

übergeben waren. Sie war schon zu müde. Wie ich das erstemal in Weimar war und ihr Portrait sah, sagte ich der Fürstin, diese Frau

ist zu alt für diese Unternehmung, aber sie antwortete sogleich: „Ah, elle est encore bien verte.“ [Sie ist noch ganz vital], aber ich war traurig für die Kinder, und Du kannst Dich vielleicht noch daran erinnern, ich weinte viel. Nun, als ich nach Paris kam, sah ich ein, daß ich mich fassen muß, und Gott gab mir die Gnade dazu. Habe die Kinder vorbereitet zu ihrer neuen Pension, mußte

viel gegen meine Gefühle sprechen — und es ging. Sie schickten sich in diese alte Frau, die nie fühlte für sie — denn als sie ankam hier, hatte sie la t&te monter [Hochmut] durch die Princesse über ihre Mutter, hatte eine Antipathie wider die Blandine und begrüßte sie mit den Worten: „C’est sa mere“ [sie ist wie ihre Mutter], mit ihrem bekannten Ton. Blandine, die unter der sanften Leitung der bescheidenen Madame Laure Bernard war, schien diese sehr fremd. Sie weinte viel, man sagte ihr „‚c’est de

l’eau“ [Tränen sind Wasser], und so mehr dergleichen. ... Die Kinder sind gut und müssen mit Liebe geleitet werden, denn sie haben hochfühlende Herzen. Madame de Bülow scheint mir eine führende Frau zu sein, aber nach Preußen die Kinder zu geben,

wegen der Mutter! ... [Zitiert nach Du Moulin Eckart]

Der Vater ließ sich nicht umstimmen. Bevor Blandine und Cosima zu den Bülows abgeschoben wurden, durften sie ihn allerdings in Weimar besuchen. Liszt war in deprimierter Stimmung, der Besuch kein umwerfender Erfolg. Die Mädchen hatten ihre Fröhlichkeit teilweise wiedergewonnen, versuchten ihn aufzuheitern, denn natürlich war es für sie ein großes Erlebnis, überhaupt mit ihrem Vater zusammensein

zu können. Liszt aber mochte sich nicht in seinem geregelten Tagesablauf stören lassen, ob sie nun sein abendliches WhistSpiel unterbrachen oder ihn morgens um sieben Uhr aufweckten. Er sprach dann halb spaßhaft, halb im Ernst von

ihrer

„Tabacocratie“,

was

nach

Rousseau

eine

Lärmherr-

schaft bedeutete. Marie d’Agoult, die zu diesem Zeitpunkt gerade Paris war, hörte erst nach ihrer Rückkehr von dieser chen Entwicklung. Sie setzte sich sofort hin und ihrem Ärger in zwei Briefen an Cosima und Blandine 38

nicht in neuerlimachte Luft:

„Ich bin über ihn so bestürzt, daß ich nicht weiß was anfangen. Man hat gewartet, bis ich nicht mehr da bin, um Euch etwas tun

zu lassen, was gegen Eure Ehre ist... Man wird Euch Schimpfliches begehen lassen, ohne daß Ihr es ahnt. Ihr esset das Brot einer Fremden, einer Fremden, die nicht die Frau Eures Vaters ist und es niemals sein wird. Ich würde Euch lieber arbeiten sehen, um zu

leben, oder betteln, als diese letzte Beschimpfung.“ Sie forderte Blandine, die bald volljährig sein würde auf, es schlichtweg abzulehnen, nach Berlin zu gehen. „Sage, daß Du Dich dagegen aufzulehnen beginnst und nicht mehr nachlassen wirst. Trachtet Euch so zu benehmen, daß die Person, die Euch betrügt, unterdrückt und entehrt, selber wünschen muß, Euch entfernt zu

sehen. Das übrige geht mich an. Im Himmel oder in der Hölle, ich gehöre zu Euch, und Ihr gehört zu mir. Oh, meine stolzen Kinder, bleibt immer stolz!“ (15. August 1855)

In der Eile und Aufregung der Abreise ließen die Mädchen Maries Briefe liegen. Madame

Patersi fand sie, las sie — und

schickte

Liszt.

sie postwendend

an

Er seinerseits

war

so

wütend, daß er sie Punkt für Punkt beantwortete, als handele

es sich darum, dem Ultimatum einer feindlichen Regierung zu entgegnen. Er ließ seine Antwort wiederum nicht gleich Marie,

sondern

zunächst

seinen

Töchtern

zukommen,

als

hätten sie die Worte ihrer Mutter geschrieben. Auf Maries Feststellung: „Ihr werdet das Brot einer Fremden erwiderte er:

essen... .“

Seit Eurer Geburt bis zum heutigen Tage hat Eure Mutter niemals für das Brot, das Ihr eßt, für den Ort, wo Ihr wohnt usw. die

geringste Sorge getragen. Obwohl sie sich immer eines beträchtlichen Einkommens erfreute, hat sie es doch für richtig gehalten,

dieses nur für ihre persönliche Annehmlichkeit auszugeben und mir seit neunzehn Jahren die alleinige und ausschließliche Aufgabe zu überlassen, für alle Eure Bedürfnisse zu sorgen und die Kosten Eurer Erziehung zu tragen. Wenn nun eine Fremde käme und sich um Euer Brot kümmern wollte (was nicht der Fall ist), so meine ich, daß sie Euch weniger fremd bliebe, als Euch Eure Mutter bisher geblieben ist... Die gewaltsamen Ausdrücke der Frau d’Agoult beweisen nur, daß sie große Worte macht, wenn sie, um ihr schlechtes Gewissen zu beruhigen, sich bemüht, das Unrecht, das sie selbst begangen, in irreführender Weise auf einen anderen abzuwälzen ... Ich wäre Euch sehr verbunden,

wenn Ihr mir erklären wolltet, mit Hilfe der Erleuchtung Eurer Mutter, inwiefern diese „Person“ Euch jemals betrogen hat, wann

39

sie es je versucht hat, Euch zu unterdrücken, und in welcher Art

sie Euch entehrt... Wie gehässig auch die Rolle ist, die mir Frau d’Agoult zuteilen möchte, so kann ich doch, wenn ich nicht meine väterliche Pflicht vernachlässigen und in Euren Herzen keine unnatürlichen Gefühle aufkommen lassen will, mich der harten Notwendigkeit nicht entziehen, sozusagen vor dem Richterstuhle meiner eigenen Kinder zu erscheinen und mich vor ihnen zu verteidigen, indem ich ihnen beweise, daß ich niemals etwas getan oder sie zu etwas veranlaßt habe, „was gegen die Ehre ist“. Ihre Mutter, so schrieb

er weiter, wolle ihm um jeden Preis und zu jeder Zeit nur schaden, und da es ihr nicht gelang, ihn durch seine Position oder sein Gewissen zu treffen, versuche sie, ihn in seiner Zuneigung zu ihnen zu verletzen und in seiner Achtung und Liebe zur Fürstin. Was Maries Anruf des Stolzes betraf, konterte er: „Wenn Ihr nur

stolz wäret, so hättet Ihr für Eure Mutter zu erröten wegen ihres Zornes und ihrer Gehässigkeit... .“

Nach diesen ellenlangen Ergüssen war es natürlich Liszt, der die Oberhand behielt. Wie konnte es anders sein? Er war der „Vater“ — und man lebte im 19. Jahrhundert. Blandine und Cosima, letztere noch nicht ganz achtzehn, wurden also

aus dem lebenslustig-lieblichen Paris in das verstaubte Berlin verpflanzt. Der

Wechsel

bezeichnete

ein

Lebensgefühl

Cosimas,

dessen sie sich zu dieser Zeit voll bewußt war. Man schickte sie quasi von Pontius zu Pilatus, sie konnte weder bei ihrem Vater noch bei ihrer Mutter leben: Sie gehörte zu niemandem und nirgendwohin. Um sich zu schützen, schnallte sie ihren Panzer aus Selbstvertrauen noch enger.

40

2. KAPITEL

Der verschämte Freier

Musik, „die Kunst allein, die er ewig lieben kann“, sie diente

Bülow zuweilen auch dazu, Feindseligkeiten zu schüren. Er liebte Musik so sehr, sie erzeugte in ihm ein solches Fieber,

daß er einem Publikum, das sie nachlässig oder gleichgültig aufnahm, nicht verzeihen konnte. Als Pianist und Dirigent verwendete er jede Faser seiner Energie und Kraft auf jedes seiner Konzerte, und von seinen Zuhörern verlangte er, daß

sie ihrerseits mit ganzer Kraft zu verstehen suchten, was immer er ihnen vorsetzte. „Je travaille comme un negre“ (Ich schufte wie ein Negersklave), sagte er und erwartete, daß jeder es ihm gleichtat. Wenn ihn das Publikum nicht zufriedenstellte, zeigte er offen sein Mißfallen. Amy Fay, Liszts amerikanische Schülerin, schrieb: „Sein Gesicht schien zu sagen: ‚Ihr seid alle Schweinehunde, und mir ist es völlig

egal, was ihr von meinem Spiel haltet.““ Er belehrte seine Zuhörer in herablassender Weise oder — noch schlimmer — verließ inmitten eines Konzerts wütend den Saal. Einmal fiel ihm in der ersten Reihe Ferdinand Hiller ins Auge, ein Pianist, den er verabscheute. Daraufhin weigerte er sich weiterzuspielen, bevor sein Klavier nicht so gestellt wurde, daß er Hiller nicht mehr sehen konnte.* Bülow bezeichnete seine Konzerte als „Attentatskonzerte“.

In den Großstädten Europas stellte er die letzten fünf Klavier-Sonaten Beethovens vor — man hielt sie damals für * Cosima erinnert sich an den Vorfall in ihrem Tagebuch. Hiller war Jude und Bülow beinahe ebenso antisemitisch wie Wagner.

41

schrecklich kompliziert - und später, im Jahre 1889, gab er in New York eine Reihe von Konzerten,

nicht

weniger

als zweiundzwanzig

auf deren Programm

Sonaten

standen.

Ein

Bülow-Konzert sah ungefähr so aus: Beethovens „Neunte“, dann Pause, dann die „Neunte“ noch einmal, von Anfang bis

Ende. Der Kritiker Hanslick beschrieb diese Prozedur als Ungläubige mit einem Feuerwehrschlauch taufen. Als Bülow Dirigent des Hoforchesters in Meiningen wurde - es war übrigens seine letzte feste Anstellung -, ließ er die Musiker aus dem Gedächtnis spielen. Sein eigenes Erinnerungsvermögen konnte man ohne Übertreibung als phantastisch bezeichnen. Dieser hitzige und heftige, kleingewachsene Mann mit seinem kleinen Spitzbart — ein Don Quixote, der, wenn er dirigierte, gegen Windmühlen zu kämpfen schien — lechzte nach Anerkennung. Dennoch machte er sich betont über Orden und Auszeichnungen lustig und schien es zu genießen, sich Feinde zu schaffen. Seine Unbeliebtheit sei grenzenlos, schrieb er, und er wies einen Lorbeerkranz mit den Worten zurück, daß er kein Vegetarier sei. Ein unbequemer Mann,

der aber ungeheuren Einfluß auf die damalige Musikinterpretation hatte - und das wußte jeder. Warum fielen auf seine glänzenden Fähigkeiten diese Tropfen ätzender Säure? Wahrscheinlich lag es daran, daß er

einfach nicht direkt empfinden und fühlen konnte, daß es ihm nicht möglich war, sich emotional ganz und gar gehenzulassen, daß er nichts hatte von jener warmherzigen Naivität,

die in der Musik so wichtig ist. Diesen Mangel ersetzte er durch übertriebene Begeisterung, gepaart mit übertriebenem Hochmut. Als in München der Orchesterraum verbreitert werden

sollte

und

man

ihn

darauf

hinwies,

daß

dadurch

wertvolle Plätze der ersten Reihen verlorengingen, antwortete er: „Was

macht’s,

ob ein paar Dutzend

Schweinehunde

mehr oder weniger im Parkett sitzen.“ Die Journalisten Jagten ihn wegen dieser Bemerkung beinahe aus der Stadt. Es ist sicher, daß er zutiefst darunter litt zu wissen, daß er nur

„Interpret“ war und daß er wahrscheinlich auch niemals ein überzeugender kreativer Künstler werden würde. Er schien eine Eiche zu sein, aber er war nur Efeu, das sich um Künst-

ler wie Berlioz, Liszt, Wagner und in späteren Jahren um Brahms rankte. Bülows Beziehung zu Liszt war mehr als nur die eines Schülers zum Lehrer; sie war die eines Meßdieners zum Prie-

42

ster, eines Sohnes zum Vater. Nun also waren Liszts Töchter bei ihm, Sendboten seines Halbgottes. Blandine ließ ihn gleichgültig. Sie war ihm schon zu unabhängig und vielleicht auch zu hübsch. Als der um sieben Jahre Ältere konnte er sich der jüngeren Schwester gegenüber mehr in der „Beschützerrolle“ sehen. Da sie unter demselben Dach lebten und sich jeden Tag — wenn auch unter den wachsamen Blicken seiner Mutter - sahen, begann er Cosima mit anderen Augen zu be-

trachten. Er stellte seine kühlere Beurteilung beiseite und schrieb Liszt bereits vierzehn Tage nachdem er angefangen hatte, den Mädchen Unterricht zu geben, daß beide, aber besonders die jüngere, ihm „Verblüffung, Bewunderung, ja Exaltation“ abnötigten. „Sie haben nicht etwa Talent, sondern Genie.“

Genie? Diese Übertreibung konnte auf Liszt kaum überzeugend wirken, und er antwortete ihm, er solle „ihnen keinerlei ‚Oberflächlichkeit oder Pudelei‘“ nachsehen. Bülow hatte sie in der Musik ihres Vaters unterrichtet: „So mache sie denn zu

vortrefflichen Propagandistinnen der Zukunftsmusik.“ Nicht nur die räumliche Nähe brachte Cosima und Hans einander näher: sie hatten Bedürfnisse, die sich ähnelten oder

ergänzten. Er sehnte sich nach Sanftheit und Wärme, und sie brauchte das Gefühl, irgendwohin und zu jemandem zu gehören. Und sie hatten sich gegenseitig etwas zu geben. Sie machte ihn mit Musset bekannt, mit Victor Hugo und George Sand, während er ihr die Klangwelt der deutschen Romantiker wie Weber und Schubert eröffnete und ihr Verständnis für Wagners „Fliegender Holländer“, „Tannhäuser“ und „Lohengrin“ vertiefte. Tag für Tag wuchs in Cosima die

Bewunderung für diesen Mann, der mit Musik — auch der umstrittenen

„Zukunftsmusik“



mit

der

Inbrunst

eines

Evangelisten umging. Diese Bewunderung entsprang jedoch mehr ihrem Verstand als ihrem Herzen. Am 19. Oktober 1855, ungefähr sechs Wochen nachdem die Mädchen in sein Haus gezogen waren, gab Bülow ein Konzert, dessen Programm ziemlich konventionell war, mit einer Ausnahme: Als Schlußnummer hatte er Ouvertüre und Venusberg-Musik aus dem „Tannhäuser“ gewählt. Diese

Musik war keineswegs das Neueste vom Neuen. In Weimar und

Dresden

war

der

„Tannhäuser“

insgesamt

auf keine

schlechte Resonanz gestoßen und Wagner selbst hatte 1852 die Ouvertüre in Zürich dirigiert, ein Ereignis, an das sich 43

Mathilde Wesendonck auch noch in späteren Jahren als eine „Offenbarung“ erinnerte. In jener Oktobernacht jedoch erschien die „Tannhäuser“-Musik

den Berlinern wie ein Gift-

trank. Sie pfiffen, zischten, trampelten und buhten. Bülow empfand die Kränkung um so stärker, als Liszt eigens aus Weimar gekommen war, um dem Konzert beizuwohnen. Frustriert und total erschöpft wurde Bülow in seiner Garderobe

ohnmächtig.

Liszt

blieb

bei ihm,

während

die

beiden Mädchen mit Bülows Mutter nach Hause zurückkehrten. Um zwei Uhr morgens brachte Liszt den Dirigenten schließlich nach Hause und verabschiedete sich an der Haustüre. Alle waren zu Bett gegangen, alle außer Cosima. Sie war aufgeblieben, um ihm ein Wort des Trostes zu sagen. Beide waren allein. Hans dankte ihr und gestand, er zittere vor dem Augenblick, wo sie das Haus verlassen würde. Cosima antwortete: „Dann bleibe ich“.

Diese Beteuerungen, die in der Morgendämmerung

nach

einer turbulenten Nacht aus ihm herausbrachen, konnte man

nicht Liebe nennen. Cosima, noch nicht ganz achtzehn und noch nicht zur Frau erweckt, war von Mitleid erfüllt. Hans liebte sie nicht völlig um ihrer selbst willen, sondern weil sie

ihres Vaters Tochter war. Er war sich überhaupt nicht sicher, ob er einen zufriedenstellenden Ehemann abgeben würde. Seine

Selbstzweifel

waren

schuld

daran,

daß

er

erst

am

20. April 1856, also sechs Monate später, bei Liszt um die Hand seiner Tochter anhielt. Bülow an Liszt: Wollest Du die Güte haben, mein Geständnis ohne ungläubiges Lächeln aufzunehmen, daß es nur eine Art von angeborener Schüchternheit ist, eine gewisse Schwerfälligkeit, sich mitzuteilen, die mir schon oft geschadet hat, daß ich Dir von meiner Liebe zu Deiner Tochter Cosima noch nicht sprach. Es ist mehr als Liebe, was ich für sie empfinde. Der Gedanke, mich Dir, den ich als den

hauptsächlichen Urheber und Erreger meines gegenwärtigen und künftigen Daseins betrachte, noch mehr zu nähern, faßt alles Glück zusammen, das ich hienieden erwarte. Cosima überragt für mich nicht nur als Trägerin Deines Namens alle Frauen, sondern auch, weil sie Dir so gleicht, weil sie durch so viele Eigenschaften ein treuer Spiegel Deiner Persönlichkeit ist... Ich schwöre Dir, daß, so sehr ich mich durch meine Liebe zu ihr gebunden fühle,

ich niemals zaudern würde, mich ihrem Glücke zu opfern, indem ich sie freigebe, falls sie bemerken sollte, sich in mir getäuscht zu haben. Ihr Wille, ja sogar ihre Laune soll mir heilig sein.

44

Liszt hielt seine Zweifel nicht hinter dem krankhafte

Launen

und

Stimmungen,

Berg: Bülows

seine

Neurasthenie,

seine Kopfschmerzen machten ihm Angst. Außerdem hatte er ja gehofft, daß Cosima in den Hochadel heiraten würde. (Es muß allerdings gesagt werden, daß er ganz zufrieden sein konnte, als Blandine im darauffolgenden Jahr einen gutaussehenden,

eleganten

französischen

Anwalt,

Emile

Ollıvier,

heiratete, der später einen wichtigen Posten in der französischen Regierung innehatte.) Liszt würde sich dieser Heirat auf unabsehbare Zeit weiterhin widersetzt haben, hätte nicht sein „besseres Ich“ erkannt, wie stark der Wunsch in Hans wuchs, Cosima zu heiraten,

und

hätte

„Cosima,

nicht

Marie

‚enfant

d’un

d’Agoult genie‘,

ihr Mißfallen

ist ihrem

Vater

geäußert: sehr

ähn-

lich...“ Nur die Umstände hätten sie in eine Heirat getrieben, die ihrer Ansicht nach niemanden glücklich machen werde. Marie fühlte, daß Cosima Hans nicht wirklich liebte. Sie fühlte ebenso, daß Cosima und Blandine vieles in Kauf nehmen würden, um ein eigenes Heim zu haben, und daß

Cosima sich von der Aufsicht durch Bülows Mutter befreien wollte, welche sie für ziemlich beschränkt hielt. Nicht zu un-

recht: (Sie war beschränkt). Marie sah Cosima als zukünftige Konzert-Pianistin,

während

Liszt nur daran dachte, dies zu

verhindern. Maries Mißbilligung der Heirat wurde zum Zünglein an der Waage. Nach vielem Wenn und Aber stimmte Liszt endlich zu. (Den Hochzeitstermin kündigte er Prinzessin Carolyne an, indem er beifügte: „... wenn Sie damit einverstanden.‘) Die

Trauung fand am Kirche

18. August

statt, obwohl

Cosima

1857 in einer evangelischen katholisch

war.

Liszt war bei

den Feierlichkeiten anwesend, nicht dagegen Marie d’Agoult. Eine seltsame Hochzeitsreise folgte. Sie reisten nicht alleine ab. Liszt begleitete die Brautleute bis nach Weimar, ihrem ersten Ziel. Von dort aus fuhr das frischgebackene Ehepaar nach

Baden-Baden,

um

Richard

Pohl,

einen

Dichter

und

Freund der Bülows und Wagners, zu besuchen. Dann ging die Reise, in Begleitung des jungen Karl Ritter, weiter zum Genfer See. Karl und Bülow waren zusammen zur Schule gegangen, und Karl war überglücklich, daß man ihm erlaubte,

dem Liszt-Bülow-Wagner-Kreis anzugehören, wenn auch nur am Rande. Er war ebenfalls frisch verheiratet. Für seine Frau war es ein zweifelhaftes Vergnügen, in Gegenwart von 45

Cosima und Hans zu sein, denn sie wurde von ihnen etwas herablassend behandelt, aber ändern konnte sie nicht viel

daran. So stimmte sie wohl oder übel dem Plan zu, wonach alle zusammen Wagner in Zürich besuchen wollten. Wagner lebte oberhalb von Zürich, am so bezeichneten „Grünen Hügel“, auf dem Besitz von Otto Wesendonck,

der

ihm ein hübsches, bequemes Haus gegen ein geringes Entgelt quasi als Geschenk überschrieben hatte. Aus Dankbarkeit nannte Wagner dieses Haus „Asyl“. Seine Frau Minna war ihm dorthin gefolgt, was Wagner allerdings nicht davon abhielt, sich in die Frau seines Gastgebers zu verlieben. Es war eine Leidenschaft, die unter dem Deckmantel obstruser Phi-

losophien die sexuelle Anziehung apostrophierte. Schöpferisches Genie gärte in ihm: Er hatte gerade fast den gesamten zweiten Akt von „Siegfried“ in großen Zügen entworfen. Jetzt brauchte er dringend jemanden, der zuhören und verstehen würde. Weder Minna, die keine Sympathie für diesen schrecklichen „Bandwurm“ von ‚Ring‘ empfand, noch Mathilde Wesendonck, die trotz all ihrer Intelligenz und der Be-

wunderung, die sie für Wagner hegte, wenig musikalisches Verständnis hatte, wurden diesem Anspruch gerecht. Aber Bülow würde verstehen! Er konnte diese Musik schon „hören“, wenn

er den Entwurf lesen würde, er konnte dem

Komponisten helfen, das bisher Geschriebene zu beurteilen. Noch bevor Wagner sich im Asyl eingerichtet hatte, bat er Bülow inständig zu kommen: 1. April 1857 Lieber Johannes! Falls Du für mich frei bist, bitte ich darüber nachzudenken, wie

Du es anfängst, mich diesen Sommer wirklich zu besuchen. Kämst Du mit Cosima, so wäre das ganz famos. Ich beziehe jetzt

ein herrlich gelegenes, nett eingerichtetes Häuschen, mit großem hübschem Garten, frei, still und wie ich es nur wünschen konnte.

Der Teilnahme der Familie Wesendonck verdanke ich diese große Wohltat: man hat es eigens gekauft, um es mir gegen kleinen Zins für Lebenszeit zu überlassen. Dort will ich diesen Sommer die noch restierenden zwei Akte des Siegfried arbeiten. Kommst Du mich zu besuchen, so verspreche ich Dir, mit mir für diese Zeit im Paradiese zu sein. — Ich möchte gerne mit Dir musizieren: Du mußt mir meine neuen Sachen spielen, ich bleibe ihnen sonst immer fremd... der erste Akt des Siegfried (bereits auch instrumentiert) ist gut ausgefallen, ja besser, als was ich je gemacht. Komm bald, dann nehmen wir’s durch...

46

Auf dem Weg nach Zürich verlor Bülow mit der typischen Geistesabwesenheit

des Künstlers seinen Koffer, in dem die

gesamte Reisekasse war. Cosima war entsetzt: Sie konnten doch nicht als „Bettler“ bei den Wagners und Wesendoncks auftauchen.

„Laß uns nach Berlin umkehren“,

drängte sie.

Aber nach etlichen Telegrammen kreuz und quer tauchte der Koffer samt Inhalt wieder auf. Das junge Paar zog im Asyl ein und war nun von früh bis spät mit Wagner zusammen. Ritters waren in Zürich geblieben und kamen häufig zu Besuch herüber. Bülow spielte die „Siegfried“-Auszüge - und er spielte sie zu Wagners Verblüffung so sicher, als seien es Fingerübungen für Anfänger. Während Bülow über das Klavier gebeugt spielte, rief er gleichzeitig „kolossal“, „einzigartig“, „das reicht ins kommende

Jahrhundert“,

„es ist eine

wahre Erlösung aus dem Weltkote“. Cosima und Mathilde hörten

zu, während

Minna

im Haus

herumschwirrte,

dem

Komponisten Champagner und Bülow Schweizer Bier servierte. Cosima blieb still, während sie den quirligen kleinen Mann beobachtete, der alle Aufmerksamkeit auf sich zog und der in allen Einzelheiten wissen wollte, was jeder einzel-

ne über jedes Wort und jede Note dachte. Als er die Frage direkt an sie richtete, murmelte Cosima, sichtlich bewegt und deshalb zurückhaltend, ihr Deutsch reiche nicht aus, sich ent-

sprechend auszudrücken. Wagner, der seine eigenen Texte leidenschaftlich gern laut vorlas und wie ein Schauspieler rezitierte, wartete nun mit einer Lesung

aus

„Tristan

und

Isolde‘

auf, dessen

Manu-

skript er Mathilde gegeben hatte. Bülow lieh sich das Libretto aus und schrieb es ab, Cosima nahm die Abschrift an sich. Allein in ihrem Zimmer las sie es immer wieder, bis spät in

die Nacht hinein. Obwohl sie nicht darüber sprach — weder mit ihrem Mann noch mit Wagner -, bemerkte letzterer, daß

sie irgendwie beunruhigt schien und ihm gegenüber „ernstlich befangen“ war. Wagner hingegen gab sich so ungezwungen, als seien sie Freunde von Kindesbeinen an.

Während der restlichen Wochen ihres Aufenthaltes im Haus Asyl kam es manchmal vor, daß Cosima mit verweinten Augen erschien, um kurz darauf in heftiges Lachen auszubrechen, französische

Knittelverse

zu rezitieren,

durch

Felder

und Wälder zu rennen oder in Überlautstärke auf dem Klavier zu spielen. Abends beobachtete sie Wagner beim Whistspielen oder hörte seinen endlosen Vorträgen über die ver47

schiedensten Themen zu. Häufig verschwommen, manchmal mit glasklarer Einsicht redete er über die unterschiedlichsten Dinge: Theaterreformen, das Grundsätzliche des deutschen Charakters, Beethovens „Neunte“, die Pariser Dekadenz, das

Gift, das die Juden im Land verströmten. Währenddessen saß Bülow da und verdrehte die Augen nach der Partitur, als wolle er mit Pfeilen nach den kleinen schwarzen Punkten zielen. Cosima hingegen sah den Mann an, der diese neuen Töne geschaffen hatte. Und nach wie vor sagte sie kein Wort. Wagner kannte sich mit ihr nicht aus. Als das junge Paar abgereist war, schrieb er an Bülow:

„Zuvor aber muß

ich Dir

noch sagen, daß mich Cosimas Zurückhaltung vor mir wirklich betrübt, seitdem ich sicher zu sein glaube, daß sie sich ernstlich vor mir befangen fühlt. Sollte ihr meine Art zu fremdartig gewesen, hier und da eine schroffe Äußerung, ein kleiner Hohn sie verletzt haben, so hätte ich recht zu bereuen,

mich in meiner Zutraulichkeit etwas zu viel haben gehenlassen: was ıch dann jedesmal herzlich gern einsehe und bereue, wenn ich mir eine aufrichtig werte Person dadurch entfremdet habe... Meine ganze rücksichtslose Zutraulichkeit zu mir sympathischen Personen hat mir schon manche Entfremdung zugezogen: Möge die Deiner lieben jungen Frau mir von keiner langen Dauer sein!“ Die liebe junge Frau und ihr Mann kehrten am 28. September nach Berlin zurück, nachdem sie drei Wochen im Asyl verbracht hatten. Die Abschrift des „Tristan“ hatten sie mit dabei, und Bülow schrieb

an seinen Freund: wöhnlichen

„Jetzt feiere ich ganz andere als die ge-

Flitterwochen,

und

meine

Frau

ist nicht eifer-

süchtig.“

2 In Berlin warf sich Bülow auf seine Arbeit, gab Konzerte, dirigierte und organisierte Musikabende. Er stürzte sich darauf wie Kinder auf ein Karussell und war glücklich, oder war es —

besser gesagt - in dem Maße, in dem es ihm eben gelang, glücklich zu sein. Er galt nun als das „große Tier“ des Berliner Musiklebens, und Cosima spielte mit Eleganz und Leichtigkeit die Rolle der Gattin dieses berühmten Dirigenten. 48

Franziska von Bülow hatte man in eine eigene Wohnung ausquartiert, wo der Sohn sie nur äußerst selten besuchte. Im Haus von Hans und Cosima gaben sich jetzt die Berühmten der Zeit ein Stelldichein, darunter der Astronom Giovanni Schiaparelli, Entdecker der sogenannten ‚„Marskanäle“, der

revolutionäre Dichter Georg Herwegh, dessen „Gedichte eines Lebendigen“, wenn auch nur vorübergehend, Deutschlands Freiheitsbewegung stärkten, sowie Ferdinand Lassalle,

Schüler von Marx und Gründer der Deutschen ArbeiterPartei. Für letzteren empfand Bülow große Sympathie, obwohl Lassalle Jude und bis in die Zehenspitzen antipreuBisch war. Cosima konnte ihn nicht ausstehen, brachte es nur

mit Mühe über sich, ihm mit der gebotenen Höflichkeit zu begegnen und weigerte sich, seine Einladungen zum Abendessen anzunehmen. Sie vermutete, daß er Drogen (Haschisch) nahm und fürchtete, daß er Bülow dazu verführen “ könnte. Aus dem Freundeskreis in Berlin löste einer in größtem Maße bei Cosima Bewunderung aus: Karl August Varnhagen,

zwar

schon

in hohen

Jahren,

aber

dennoch

gerade auf der Höhe seines Ruhmes als Diplomat Schriftsteller. Seine bereits 1833 verstorbene Frau war geistreiche Rahel Levin gewesen, in ihrer Jugendzeit Freundin Beethovens. Varnhagen machte Cosima mit

und

und die eine den

auserlesensten Werken der deutschen Literatur vertraut, und

sie begann, für die „Revue Germanique“ Übersetzungen ins Französische zu machen. Diese Übersetzungen erschienen zwar anonym, waren aber durchaus brauchbar. Was Cosima vor allem wünschte, war dabei zu helfen, um

ihren Mann zu einem schöpferischen Künstler zu machen. Zum damaligen Zeitpunkt war ihr bereits klar, daß sie selbst niemals eine große Schriftstellerin werden oder Erfolge als Musikerin

ernten würde.

Ihre Rolle, das fühlte sie, war die

einer Mit-Arbeiterin, Mit-Streiterin. Sie wollte inspirieren, anspornen, ermutigen; und wenn auch nur aus der Entfernung: Sie sehnte sich danach, an der Entstehung eines Kunstwerkes teilzuhaben. Es widerstrebte ihr zuzusehen, wie Bülow seine ganze Energie für die Interpretation der Musik anderer Männer verbrauchte - ein Bemühen, das, sobald die letzte Note verklungen ist, zur bloßen Erinnerung verblaßt.

Bülow hatte einige kleinere Stücke komponiert. Würde er genug schöpferische Kraft besitzen, eine ganze Oper zu schreiben? 49

Die Figur des Merlin, Zauberer am

Hofe König Arthurs,

begeisterte ihn, und er hatte zwei seiner Freunde aus Schriftstellerkreisen gebeten, das Thema für ihn zu bearbeiten. Keiner der beiden Versuche befriedigte ihn jedoch. Insgeheim und mit großer Konzentration machte sich Cosima nun . an die Arbeit und entwarf ein Merlin-Stück. Am Weihnachtsabend fand Bülow das Manuskript hübsch verpackt auf seinem Schreibtisch. Er war überglücklich: Sofort würde er mit der Vertonung beginnen, und im Frühling, so versprach er, werde der erste Akt fertig sein. Die Zeit verging, doch nichts kam dabei heraus. Ebenso war es mit einem noch ehrgeizigeren Projekt, einer Vertonung der „Orestie“. Später zerstörte Bülow alle Unterlagen zu Merlin, und Cosima tat dasselbe mit ihrem Libretto. Der Entwurf zur „Orestie“ blieb erhalten, fürwahr fragmentarisch, denn Bülow hatte noch keine

einzige Note dazu komponiert. Es galt als ausgemachte Sache, daß der Höhepunkt ihres nächsten Urlaubs im Jahre 1858 ein zweiter Besuch bei Wagner werden sollte. Aber — wie so oft bei einem zweiten Anlauf — stand über diesem Besuch kein glücklicher Stern. Als die Bülows

Tenöre

Ende

Juli ankamen,

wohnten

bereits

im Asyl. Wagner hatte Joseph Tichatschek,

ersten Tannhäuser,

zwei

seinen

eingeladen, dem unerwartet kurz darauf

der junge Albert Niemann folgte, den der Komponist für Tristan in Betracht zog. Zwei Tenöre im Haus — das konnte ja nicht gutgehen: Beide weigerten sich zu singen und zogen daraufhin wieder aus. Endlich konnten Hans und Cosima einziehen, aber noch am selben Tag wurden sie unfreiwillige Zeugen einer Szene zwischen Wagner und Minna, die sie überraschte

und schockierte.

Sie wußten

damals

nicht, was

alles vorausgegangen war. Wagner, der dabei war, die Musik für „Tristan“ zu komponieren, und sich in einem tranceähnlichen Zustand befand,

als habe er selbst den Liebestrank geschluckt, sah in Mathilde Wesendonck das Symbol seiner Isolde. Mathilde war aus Fleisch und Blut, an sie richtete er diese Musik, die in Wirklichkeit nicht dieser Frau, sondern dem Phänomen „Liebe“

an sich galt. Er beabsichtigte, Mathilde im Morgengrauen des 7. April 1858 eine Bleistiftskizze des Vorspiels zum ersten Akt jenes Ton-Gedichts zu schicken, das Thomas

Mann

„Musik,

die so ganz und so gar nicht ist“ genannt hat. Dazu hatte er ihr einen acht Seiten langen Brief geschrieben, der mit den 50

Worten endete: „Heut’ komm’ ich in den Garten; sobald ich Dich sehe, hoffe ich einen Augenblick Dich ungestört zu

finden! - Nimm meine ganze Seele zum Morgengruße! —“ Wie sich herausstellte, fing Minna den Dienstboten mit dem Päckchen ab, öffnete es und las den Brief. In aller Ruhe

gelesen, wäre auch ihr klargeworden, daß das nicht unbedingt ein Liebesbrief war, sondern eher eine tristaneske Verzichts- und Entsagungs-Erklärung.* Aber Minna, herzkrank und im Bewußtsein, daß ihre Schönheit verblich und ihr Mann sich von ihr abwandte, faßte den Brief so auf wie jede

eifersüchtige Ehefrau. Sie überfiel Wagner mit dem üblichen Redeschwall aus empörter Rechtschaffenheit, schrie heraus, daß sie sich an dieser „schändlichen Frau“ rächen werde und

daß Richard sie in einen frühen Tod treibe. Wagner versuchte, sie zu beruhigen. Aber sie wurde nur noch wütender und beschimpfte ihn mit all der Bitterkeit eines enttäuschten ‘Lebens: Daß es unmöglich wäre, mit einem so unberechenbaren Mann einen ordentlichen Haushalt zu gründen und zu führen, daß er total verrückt sei, solches Zeug wie „Tristan“

zu schreiben machen. Am

anstatt

nächsten

Opern,

Tag hatte

die

Minna

dem

Publikum

sich beruhigt**,

Freude und

es

wurde beschlossen, daß sie nach Brestenburg zur Kur gehen sollte, in eine Spezialklinik für Herzkranke. Bevor sie abfuhr, besuchte sie Mathilde und warnte sie, wie sie es ausdrückte,

vor den Konsequenzen unüberlegter intimer Beziehungen mit ihrem Mann und zeigte ihr Wagners Brief. Mathilde sprach daraufhin mit Otto - sofort und über alles. Sie wollte keineswegs ihre bislang sorgenfreie Ehe ruiniert wissen — so sehr es ihr auch gefallen mochte, sich als Wagners Quelle der „Inspiration“

zu sehen, und

so sehr es auch

ihrem

Selbst-

bewußtsein schmeichelte, daß er einige Liedertexte vertont hatte, die „Wesendonck-Lieder“. * In ähnlichem Sinn schrieb Wagner am 6. Juli an Mathilde: „Die ungeheueren Kämpfe, die wir bestanden, wie könnten sie enden, als mit dem Siege über jedes Wün-

schen und Begehren?“ Dennoch konnte Minna wohl kaum etwas anderes darin sehen als ein typisches Dreiecksverhältnis. Aber es schien ihr gar nicht so viel auszumachen, denn sie sagte auch einmal, daß Männer eben öfters ein Verhältnis hätten. Minna beklagte vielmehr die „Demütigung“ und „Kränkung“. Sie konnte nicht verstehen, daß Wagner Mathilde während

der Zeit, in der er den „Tristan“ schrieb, einfach brauchte

und daß er sich anschließend innerlich wieder von ihr entfernen würde. ** Sie nahm wegen ihrer Herzkrankheit Opium. Darin kann auch der Grund für ihre extremen Stimmungswechsel gelegen haben.

51

Otto und Mathilde

kamen

zu dem

Schluß, daß man

mit

einem Künstler tolerant sein müsse, und eigentlich gab es keinen Grund dafür, daß die Wagners nicht weiter im Asyl wohnen bleiben sollten, selbst wenn Mathilde zunächst erklärte, sie könne dieses Haus niemals wieder betreten. Wie

großzügig auch immer die Wesendoncks gewesen sein mochten (oder bemüht,

ihren

berühmten

„Flüchtling“

nicht zu

verlieren) und welcher Art auch immer Mathildes Gefühle sein mochten, es blieb ein bitterer Nachgeschmack.

Das wie-

derum warf seine Schatten auch auf jenen Mann, der sich aus der Welt des Tages zurückgezogen hatte, um einzutauchen in die Welt der Nacht

seines zweiten

„Tristan“-Aktes.

Minna

war fort, er konnte ungestört komponieren, und die alte Zuneigung zu seiner Frau wallte wieder auf. Er schrieb ihr, beschwor sie, sich keine

Sorgen zu machen,

nur an ihre Ge-

sundheit zu denken, das Opium aufzugeben und zu ihm zurückzukehren, sobald sie sich besser fühle. Alles würde gut werden. Alles wäre gut geworden, hätte Minna vernünftig gehandelt. Am 15. Juli holte Wagner sie zurück aus der Klinik. Eine Blumengirlande schmückte die Haustür des Asyl als Willkommensgruß. Minna war begeistert: Für sie bedeute es, daß sie über ihre „Rivalin“ triumphierend zurückkehrte, und

sie bestand darauf, die Dekoration für einige Tage hängen zu lassen. Mathilde dagegen äußerte ihr Mißfallen an dem Blumenbogen. Sie war wohl nicht ganz der „Engel“, als den Wagner sie beschrieb. Eine etwas feinfühligere Frau hätte kein Theater gemacht wegen einer derartigen Kleinigkeit, um damit eine Frau zu treffen, der gegenüber sie alle Vorteile hatte — ob in puncto

Aussehen,

Gesundheit,

Jugend

oder

Reichtum. Minna ihrerseits nahm ihre Eifersuchtstiraden wieder auf und klagte ihren lächerlich eitlen Ehemann an, sich schäbig zu benehmen. Mitten in diese prekäre Situation hinein, sechs Tage nach Minnas Rückkehr, fiel Cosimas und Hans’ Ankunft und beide, sowohl Mathilde als auch Minna,

nahmen Cosima zur Seite und überschütteten sie mit ihren Klagen. Wagner wurde klar, daß er nicht mehr länger im Asyl bleiben konnte. Wahrscheinlich wollte er auch gar nicht länger bleiben. Die Komposition des „Tristan“ war im großen und ganzen fertig; was

noch

nicht

auf dem

Papier stand,

hatte

er im

Kopf. Für die letzte Detailarbeit, die exakte Ausarbeitung 32

der Gesangslinien und der Orchestrierung, mußte er sich von beiden, sowohl von

Minna

als auch von Mathilde

trennen.

Aber im Augenblick mußte er noch bleiben, weil nicht nur die Bülows,

sondern

auch

andere

Besucher

kamen:

Marie

d’Agoult, der Pianist Karl Klindworth, der Münchener Dirigent

Franz

Lachner

und

Karl

Tausig



ein kleiner,

sehr

junger, Zigarre paffender ausgezeichneter Pianist, der Liszt imitierte und dessen Angeberei Wagner belächelte, was aber seiner Sympathie für ihn keinen Abbruch tat. Die Gäste wohnten in Zürich und kamen besuchsweise ins Haus Asyl, um Wagner Gesellschaft zu leisten und sich gegenseitig enthusiastisch mit Auszügen

aus „Rheingold“

und „Walküre“

zu unterhalten. Trotzdem erklärte Bülow, daß die Atmosphäre

„schwül

und

gewitterschwanger“

war.

Cosima

war

in

Sorge: Wann würde der nächste Streit ausbrechen? Mußte sie Zeugin erneuter Angriffe sein? Vor ihrer Abreise, weniger als . einen Monat, nachdem sie angekommen waren, gingen Hans und Cosima mit Wagner zum Haus der Wesendoncks, um sich von Mathilde zu verabschieden.

Bülow war ‚in Tränen

aufgelöst, Cosima düster schweigend“. In späteren Jahren war Cosima davon überzeugt, daß sie schon damals in Wagner verliebt war. Es kann sich dabei vielleicht aber auch um eine Art fiktive Erinnerung handeln, aus der sie sich im Nachhinein ihre Lebensgeschichte konstruierte.

Sicher ist jedoch,

daß

sie Wagners

Leiden

wahr-

nahm und daß sie Mitleid für ihn empfand. Der „Tristan“ klang in ihrem Geiste nach, mit Tönen frustrierter Liebe... Wie beredsam

dieser Mann, der ihr so wenig Aufmerksam-

keit schenkte, ihre eigenen Gedanken ausdrückte!

3 Während ihres Aufenthaltes bei den Wagners waren die Bülows nach Zürich gefahren, um sich mit Cosimas Mutter zu treffen. Marie war aus Paris gekommen, um ihren Schwie-

gersohn kennenzulernen.

Bülow

schrieb daraufhin

am

24.

Juli 1858 in einem Brief an Richard Pohl: „Daniel Stern hat

mir einen großen,

unerwarteten

Eindruck

gemacht.

Noch 33

immer wunderschön und edel an Gestalt und Zügen, in ihrem weißen Haar... Sie besitzt Würde und Hoheit ohne alle Strenge — das elegante, feine laissez-aller ...‘“ Er fügte hinzu: „Ich darf nicht an die andere denken [Carolyne] — aber es ist eben der natürliche,

äußere

gegen sie protestiert und protestieren schließend ins Asyl zurück, während Genf weiterfuhren, um Blandine zu Karl Ritter ihren Weg. Cosima war dieser gutaussehende ihres Mannes sehr sympathisch, auch

Schönheitssinn,

der

darf.“ Bülow kehrte anCosima und Marie nach besuchen. Dort kreuzte und intelligente Schüler wenn ihr auffiel, daß er

ein zutiefst verstörter Mensch war. Karl erzählte ihr, daß seine Heirat ein furchtbarer Fehler gewesen sei*, und wahr-

scheinlich sprach auch sie davon, wie unglücklich sie sich fühlte — mit einem Mann, den sie zwar achten, aber niemals

lieben konnte, einem innerlich verkrüppelten, von Minderwertigkeitskomplexen gequälten Wesen, das ihr einmal erklärte, daß „Tristan“ für ihn „niederdonnernd“ sei und seine

produktive Bülow:

Kraft

und

Laune

gänzlich

„Das ist so fabelhaft himmelhoch,

gebrochen

habe.

daß alles andere

pygmäenhaft erscheint...“ Ja, Cosima war ebenso unglücklich wie Karl. Sie wollte nicht mehr weiterleben. So, wie das Unglück anderer oft das eigene Unglück an die Oberfläche bringt, geschah es mit den beiden: Cosimas ungezähmte Ader brach in Karls Gegenwart durch. Sie nahmen ein kleines Boot und ruderten auf den See hinaus. Plötzlich flehte Cosima ihn an, sie über Bord zu stoßen und zu ertränken. Karl sagte, er würde tun, was sie verlangte, aber nur, wenn er ıhr nachfolgen dürfe. Nein — das war nun doch zu schrecklich! Eine so grausige Abmachung konnte sie nicht eingehen. Aneinandergeklammert weinten beide und beschlossen, die tödliche Entscheidung um drei Wochen zu verschieben.

So hätten sie Gelegenheit,

sich alles noch einmal

durch den Kopf gehen zu lassen und dementsprechend zu handeln. Die Gefahr, so ernst sie es im Augenblick auch meinten, ging vorüber. Drei Wochen später schrieb Cosima an Karl, sie bedauere ihre Unbeherrtschtheit und schäme sich,

dankte ihm für seine Anteilnahme und beschwor ihn, den Vorfall geheimzuhalten. Er tat es nicht: Karl erzählte Wagner davon. * Karl hatte nach zwei homosexuellen würde.

54

Verhältnissen

gehofft, daß die Ehe ihn ändern

Cosima kehrte zum Asyl zurück. Ihre Zeit dort war abgelaufen, Bülow mußte wieder nach Berlin. In der Stunde des

Abschieds, das heißt, eigentlich im letzten Augenblick, beugte sich Cosima über Wagners Hand, nahm sie und bedeckte sie mit Tränen und Küssen. Überrascht sah er sie an. Die plötzliche Überschwenglichkeit dieser zurückhaltenden jungen Frau machte einen derartigen Eindruck auf ihn, daß er den Vorfall später in seinem Tagebuch erwähnte, das er für Mathilde Wesendonck schrieb. Man hatte beschlossen, daß Wagner mit Karl Ritter zusammen,

mit dem

er auch die Kosten

teilen wollte - Karl

zahlte natürlich so gut wie alles —, nach Venedig gehen würde, um dort weiter zu arbeiten. Minna sollte, solange es nötig war, im Asyl bleiben, den Umzug und Verkauf einiger persönlicher Dinge überwachen und sich dann nach Dresden in die Hände ihres treuen Freundes Dr. Pusinelli begeben. - Am 17. August standen Minna und Richard im Morgengrauen

auf. Nach

dem

Frühstückstee

begleitete

sie ihn, noch

ruhig und gelassen, zum Bahnhof, wo er den Fünf-Uhr-Zug nach Venedig nehmen würde. Sie schlenderten auf und ab, bewunderten den strahlenden Sonnenaufgang. Plötzlich brach Minna in Tränen aus: ‚Sieh mich an, Richard“, flehte

sie. Er tat es nicht. Minna verließ das Asyl am 2. September. Sie konnte es sich nicht verkneifen, noch eine letzte Spitze an Mathilde abzuschießen: „Geehrte Frau!“ schrieb sie, „Mit blutendem

Herzen muß ich Ihnen vor meiner Abreise noch sagen, daß es Ihnen gelungen ist, meinen Mann nach beinahe 22jähriger Ehe von mir zu trennen. Möge diese edle Tat zu Ihrer Beruhigung, zu Ihrem Glück beitragen!“ Wie immer man Wagners Bindung zu Mathilde sehen möchte - ob die Elemente, die das Feuer schürten, geistiger oder physischer Art waren, oder, was wahrscheinlich ist, eine

Mischung aus beiden -, es war für jene kleine Freundesgruppe offensichtlich,

daß auf dem

„Grünen

Hügel“

in Zürich

eine Flamme brannte. Wagner leugnete es später, sogar sich selbst gegenüber, aber zu jener Zeit brannte das Feuer lichterloh. Cosima sah diese Flamme. Sie sah sie sogar noch lange nachdem sie verlöscht war. Es war eine unangenehme Erinnerung, die ihr immer wieder in den Kopf stieg, die ıhr

immer noch und immer wieder weh tat. Cosima und Wagner sprachen später des öfteren darüber, und als Wagner Cosima 33

seine Biographie diktierte, beschönigte er die ganze Affäre mit Halbwahrheiten, um Cosima zu beruhigen. Cosima aber ließ die Sache keine Ruhe: Sie zerrte sie wieder ans Tageslicht, um mit ihrer Lieblingstochter Eva darüber zu sprechen. Eigentlich war es nicht ihre Art, sich über frühere Affären Wagners aufzuhalten; Mathilde aber verursachte ein Stechen in ihrer Brust, das sie nie loswerden würde. Cosima war mei-

stens klug genug, darüber zu schweigen, und verlegte sich auf bloßes Beobachten. Als sie Mathilde nach Ablauf von vier Jahren wiedersah, merkte sie an, daß jene ihre Haarfarbe von

Blond auf Brünett geändert hatte. Viele Jahre später Wagner war bereits tot — schrieb Eva auf, was Cosima ihr erzählt hatte. Hier sind einige Auszüge aus dem Manuskript, aus dem Cosima spricht: Im August

1858, als Bülow

und

ich, wir nach

Zürich

kamen,

waren die Beziehungen zwischen deinem Vater und Mathilde Wesendonck abgebrochen. [Stimmt nicht] In seinem Tagebuch hätte er geschrieben: „Sie hat mich an ihren Mann gänzlich verraten. Schönste, aber schmerzlichste Täuschung“. Die Briefe

waren gegenseitig zurückgegeben, auf Wunsch von Frau W., und alle Manuskripte ihm wieder eingehändigt. [Stimmt nicht] Ich besuchte Frau W., eine Aufklärung versuchend. Inmitten meines Besuches erschien überraschend dein Vater, ich wollte mich entfernen, er rief mir zu: „Bleib“, und so vernahm ich ungefähr den Inhalt des einen Briefes. Wie er beendete, verweigerte

Frau W. die Hand... Und bald geschah unsere Abreise in Verzweiflung darüber, daß die Niederlassung aufgegeben wurde. Nach den vergeblichsten Versuchen, Frau W. umzustimmen, rief eines Tages dein Vater zu

Minna: „Pack ein, Minna, die ist eifersüchtig!“... Folgende Äußerungen sind mir im Laufe der Jahre von deinem Vater über diese Beziehung gemacht worden: „Das Bedürfnis war so ungeheuer groß.“ „Sie war sehr lieblich.“ „Sie hat mir hübsch

bei der Arbeit geholfen“ (durch anmutige Aufmerksamkeiten im täglichen Leben). „Es war eine Beziehung, an welche die Prüfung nicht hätte herantreten dürfen.“ Als „Tristan“ herannahte und ihrer dabei nicht gedacht wurde, übernahm ich es, ihr zu schreiben und sie aufzufordern zu

kommen. Sie erwiderte: Nur eine Einladung des Meisters könne sie dazu bewegen; daß er den Wunsch nicht habe, dem entnähme

sie einen irdischen dürftigen Trost: den, daß es so besser sei. Ich zeigte ihre Antwort deinem Vater, und darauf erfolgte das kleine

56

Briefchen.* Sonst wurde ihr nichts mitgeteilt. Auch später unsere Trauung nicht... Die Entfremdung wuchs immer mehr von da ab, und als sie im Jahre 1876 den „Ring“ hier hörte, sagte sie mir: „Ach, die Kriemhilde heißt hier Gutrune.“

Als Frau W. mich in München im Jahre 1868 besuchte, frug sie mich: Ob ich es denn in der Musik aushielte. Und fügte hinzu: „Finden Sie nicht, daß das Leben immer interessanter wird, für eine Lücke, die entsteht, erhält man reichlichen Ersatz.“ Ich

wußte, daß sie mir damit kundtun wollte, daß sie sich gefaßt habe. Beziehungen zu „Tristan“: Als der Tristan konzipiert wurde, war

die Beziehung noch eine liebenswürdig-anmutige. Mit der Vollendung der Dichtung (bei welcher bereits die Hauptthemen des Werkes entstanden waren) verwandelte sich die Beziehung in eine schwärmerisch-exaltierte. Die „Träume“ und „Im Treibhaus“ wurden mit bereits vorliegenden Themen des Tristan ‚‚illustriert“,

wie sich dein Vater ausdrückte. Demnach ist nicht der II. Akt aus den „Träumen“ entstanden ... Als es sich um die Herausgabe der

5 Gedichte (die aus Not geschah) handelte, sagte mir dein Vater in freundlichem Ton: Mathilde W. habe es ihm nicht verhehlen können, daß es ihr schmeichele, mit ihm gemeinsam in die Öffentlichkeit zu treten. Später schrieb er mir bitter: „Das, was ihr

Heiligstes hätte sein sollen, gab sie preis, so daß mir diese Lieder wertlos sind und ich sie ausgesungenen Sängerinnen schenke.“

Aus diesen Notizen, ob den Tatsachen entsprechend oder nicht, geht eines mit Gewißheit hervor: Bis zu ihrem Lebensende war Cosima nur auf eine einzige Frau wirklich eifersüchtig — und das war Mathilde Wesendonck.

4 Cosima war jetzt eine voll erblühte junge Frau, und es schien, als wolle sich das Schicksal bei ihr für eine unglückliche Ehe entschuldigen, indem es sie mit größerer Schönheit beschenkte. Die scharfen Züge ihres Gesichts waren weicher geworden und ließen ihre Augen, in lebhaftem Gegensatz zu ihrem dunklen Teint, noch leuchtender blau erscheinen. Trotz ihrer * Das Briefchen: „Freundin! Der Tristan wird wundervoll. Kommen

Sie?

Ihr R. W. 15. Mai 1. Aufführung

37

französisch-deutschen

Abstammung

sah sie eher wie eine

Italienerin aus, wie eine jener irdischen Madonnen von Cor-

reggio. Ihr blondes Haar glänzte. Bülow betrachtete sie voller Ehrfurcht, und wie er seiner Mutter in einem Brief einmal beichtete, fühlte er sich im Umgange mit Cosima eigentlich noch immer so „geniert‘“ wie einst als Bräutigam. Zwischen Cosima und ihrem nur allzu respektvollen Ehemann stand das Bild Wagners. Wie konnte sie die Szenen im Asyl vergessen? Wie konnte sie den Reichtum dieser Musik vergessen, die schon durch ein einziges Klavier zum Leben erweckt wurde? Wie erst würde es klingen, wenn

ein Orche-

ster diese Noten spielte? Wagners Genie war für sie zur lebendigen Gegenwart geworden, auch wenn sie noch weit davon entfernt war, Wagner als Mann zu betrachten. So häufig sie auch an ihn dachte, sie wagte nicht, ihn anders zu sehen als einen Freund, einen gemeinsamen Freund, den sie mit ihrem Mann teilte. Nach wie vor war sie die treue Gattin,

gewandte Gastgeberin, nüchtern denkende Vertreterin geschäftlicher Interessen und unermüdliche Reisebegleiterin. 1859 gab Bülow in Prag und dann in Paris Konzerte, wo ihn die Begeisterung der Franzosen

für „die schmachvollen

Er-

fahrungen, die ihm Berlin kredenzt hatte“, entschädigte. Marie d’Agoult sorgte für gesellschaftliche Unterhaltung. Zu ihren Freitagabend-Diners versammelte sie jene Persönlichkeiten um sich, die zum „guten Ton“ gehörten, und für die „gute Küche“

sorgte ein Könner,

der zuvor

bei den Roth-

schilds in Diensten gestanden hatte. Baudelaire war einer der Gäste. Seine „Blumen des Bösen“ waren vor zwei Jahren veröffentlicht und als obszön verdammt worden, aber als Gast in

diesem Zirkel war er durchaus willkommen. Vielleicht sah man in ihm auch mehr den Übersetzer von Poe als den eigenständigen Dichter. Cosima erinnerte sich später an seine Gedichte, als sie hörte, daß Baudelaire versuche, die Stimmung

und Klangfarbe des „Lohengrin“-Vorspiels in Versen auszudrücken. Der Autor eines anderen skandalumwitterten Buches, „Madame Bovary“, kam ebenfalls, um den berühmten Diri-

genten zu begrüßen, um mit Cosima über seine Schwierigkeiten zu sprechen, das „treffende Wort“ zu finden. Sie lernten

auch

Turgenjew

und

seine

heißgeliebte

Pauline

Viardot

kennen, und Cosima — wer war es nicht? — war hingerissen

von Paulines Charme. 58

Sie besuchten die Aufführung

einer

brandneuen Oper, Gounods „Faust“, die sie entsetzlich fanden, sie wurden von Berlioz eingeladen, dessen Musik

Bülow gefördert hatte. Berlioz war sechsundfünfzig, nicht sehr gesund und kämpfte vergeblich darum, daß sein großes zweiteiliges Werk „Die Trojaner“ von der Pariser Oper angenommen und aufgeführt wurde. Cosima und Bülow trafen ihn häufig. Sie mochten ihn gern, obwohl er für Wagner keine Begeisterung aufbringen konnte. In diesem geistreichen Zirkel, gepudert mit dem Silberstaub Pariser Konversation, verbrachten die Bülows einige Wochen,

in denen

sie sich näherzustehen

schienen

- viel-

leicht aber war Cosima auch zu beschäftigt, um die innere Leere zu empfinden. Sie fühlte sich glücklich in der Umgebung ihrer Kindheit - im Rückblick rosiger als in der Realität —, glücklich, wieder französisch

zu sprechen, glücklich,

mit ihrer Mutter und Großmutter zusammensein zu können. “Auch

Madame

Patersi lebte noch, aber es ist anzuzweifeln,

daß Cosima sie oft besuchte. Nach ihrem Aufenthalt in Paris kehrten die Bülows nach Berlin zurück, und Hans verbrachte Stunde um Stunde damit, die Klavierauszüge von „Tristan“ auszuarbeiten. „Bin

ich mit dem Auszug fertig, so will ich weiter zu produzieren suchen“, schrieb er seiner Mutter. Er versuchte es nicht - zu-

mindest nicht ernsthaft. Im August besuchte sie dann Cosimas Bruder Daniel. Er kam frisch vom Jurastudium in Wien, hatte darin beachtliches Talent bewiesen und einige akademische Auszeichnungen erhalten. Als Junge war er so hübsch gewesen wie sein Vater — er ähnelte der Ingres-Zeichnung des jungen Liszt —, aber als Cosima ihn nun sah, tat ihr das Herz

weh. Er war offensichtlich sehr krank, abgemagert und von einem trockenen, pfeifenden Husten geplagt. Schon bald nach seiner Ankunft mußte er das Bett hüten. Die Diagnose stand fest: Schwindsucht — damals fast mit Sicherheit ein Todesurteil. Die Bülows pflegten ihn während der folgenden drei Monate, und Hans verbrachte seine geringe Freizeit so oft wie möglich am Bett des Kranken. Daniel lag still da, sprach kaum ein Wort, aber ununterbrochen las er — Tassos „Befreites Jerusalem“, Cervantes’ „Don Quixote“, „Faust“ —, so, als wolle er nicht sterben, ohne vorher soviel wie möglich

die Gedanken

anderer

Männer

in sich aufgenommen

zu

haben. Manchmal schrieb er an seinen Vater in dünnen, fein

gezeichneten

Strichen,

aber

er bat Liszt nicht

um

einen 39

Besuch. Es war Cosima, die er bei sich haben wollte, in jedem

wachen Augenblick. Liszt kam erst, als Daniel im Sterben lag, und auch dann

nur, weil Carolyne ihn dazu gedrängt hatte. Er schrieb ihr am 12. Dezember 1859: „Sie haben gut getan, Teuerste, mich hierherzusenden, es war, ich fürchte es, hohe Zeit.“ Am dar-

auffolgenden Abend, um Mitternacht, stand Liszt plötzlich auf und ging in Daniels Zimmer. Cosima war an dessen Bett in die Knie gesunken: Daniel war tot. Cosima übernahm die letzten

Liebesdienste,

wusch

und

kleidete

den

Toten

und

legte ein Bild von Pascal in den Sarg, von dem er zuletzt gesprochen hatte. Nur Liszt, Cosima und Bülow begleiteten den Sarg

zum

Friedhof.

Bülow

schrieb:

„Ein

trüber

Besuch

kam... Der Tod. Aber nicht in seiner christlichen Mißgestalt, sondern als griechischer Jüngling mit ausgelöschter Fackel.“

Und

Cosima:

„Manchmal

meine

ich, mein

Herz

birst... dann denke ich, er hat das Leben nicht geliebt... daß er nur kam, um es sozusagen ganz leicht zu berühen. Cosima mußte irgendwie Trost finden — und sie wußte, daß ihr ein neues Kapitel ihres Lebens bevorstand: Sie erwartete ein Kind. Am 12. Oktober 1860 brachte sie eine Tochter zur Welt,

die sie Daniela

Senta

taufte, teils im Andenken

an

ihren Bruder, teils an Wagner. Warum gerade Senta? War es eine autobiographische Anspielung, wollte sie das verstörte, geängstigte Wesen aus der Legende vom „Fliegenden Holländer“ mit sich selbst vergleichen? Weder der Vater noch der Großvater begrüßten das Kind mit der Freude, die einem Erstgeborenen normalerweise zuteil wird. Liszt befand sich in verbitterter Stimmung, nach-

dem seine Karriere in Weimar auf einige ernsthafte Hindernisse gestoßen und seine Heirat mit Carolyne immer noch ungewiß war. Carolyne war nach Rom gefahren, beim Papst um die Billigung ihrer Scheidung persönlich zu bitten, aber Liszt ahnte im voraus, daß ihre Fürsprache vergeblich sein würde. Er fühlte sich alt in dem Bewußtsein, daß er, der unvergleichliche, romantische Held, nun Großvater geworden war. Ebensowenig konnte Bülow die Rolle des Vaters mit ungetrübter Freude akzeptieren. Er schrieb an Joachim Raff: „Ich komme mir dabei einigermaßen lächerlich vor... Robert Schumann pflegte während eines solchen, seinem 60

Hause nicht ungeläufigen Ereignisses sich zu Bette zu legen oder heulend und jammernd durch alle Zimmer zu toben. Nun, das gerade habe ich nicht getan, aber doch eine Art Verbrecherbewußtsein die ganze letzte Zeit mit mir herumgeschleppt, das selbst meinen Klaviersessel häufig in eine schiefe Ebene gebracht hat. Vorläufig schweigt nun das Pıano, welches dem ‚chant‘ [des Kindes] Platz gemacht hat.“ Cosima konnte Daniela nicht stillen, was sie sehr bedrück-

te. Sie magerte ab, sah matt und teilnahmslos aus, und die Arzte befürchteten, daß sich die Krankengeschichte ihres Bruders bei ihr wiederholen würde. Ruhe und frische Bergluft —

das

war

die

Behandlungsmethode,

die

man

dafür

kannte. Also wurde sie unverzüglich zur Kur nach Bad Reichenhall geschickt, während ihr Mann nach Paris fuhr, um Wagner bei der Vorbereitung der „Tannhäuser“-Produktion,

die für März geplant war, zu helfen. „Ich kann Wagner in einem kritischen Moment, wie der gegenwärtige, nicht verlassen“, schrieb er. „Es handelt sich um das Gelingen einer Art

musikalischen oder theatralischen Staatsstreiches .. .“ Der Staatsstreich entpuppte sich als ungeheurer Fehlschlag und als ein Skandal, der in die Theatergeschichte einging. Junge Aristokraten aus dem Jockey-Club waren verärgert, weil Napoleon

III. befohlen

hatte, das Werk

„eines Deut-

schen“ in Paris aufzuführen. Daß außerdem das Ballett nicht ihrem Wunsch gemäß ım zweiten Akt gebracht wurde, versetzte sie gar in Rage: Eine Oper mit einem Ballett zu beginnen, wo es ihnen doch kaum möglich war, wenigstens rechtzeitig zum Applaus nach dem ersten Akt im Theater zu sein, war geradezu grotesk! Deshalb organisierten sie eine Mißfallenskundgebung. Mit Jagdpfeifen, Flageoletts und anderen Lärminstrumenten bewaffnet, unterbrachen sie ständig die Musik, und der Krawall steigerte sich bei jeder der drei Auf-

führungen, bis die Oper abgesetzt wurde, immer mehr. Baudelaire schrieb: „Was wird Europa von uns denken?... Diese Handvoll Rüpel bringt uns alle miteinander in Verruf!“ Wagner, mit seinem unzerstörbaren Selbstbewußtsein, erholte sich davon. Er hatte inzwischen eine Teil-Amnestierung erlangt und konnte nach Deutschland zurückkehren. Zunächst aber reiste er nach Wien, um seinen „Lohengrin‘“ zum

ersten Mal in einem Opernhaus zu hören und zu sehen. Anschließend besuchte er Liszt in Weimar. Dieser, vergraben in 61

seine eigenen Sorgen, war keine große Hilfe für Wagner. Er hatte sich schon geweigert, zur Zeit des Asyl-Aufbruchs, nach Zürich zu kommen. Die Freundschaft der beiden war also zu diesem Zeitpunkt ziemlich abgekühlt, was wahrscheinlich auch mit Carolynes Eifersucht auf Wagners Ruhm zu tun hatte. Wagner hielt es für klug, die schwelende Glut alter Sympathie wieder etwas anzufachen. In Weimar traf er auch Blandine

und

ihren

Mann

Emile

Ollivier,

und

Blandine*

schlug vor, daß sie alle zusammen nach Bad Reichenhall fahren sollten, um Cosima zu besuchen. Da Wagner ohnehin nach Wien zurückkehren mußte, ging er begeistert auf den Vorschlag ein. Er wollte gerne — natürlich als Olliviers Gast — ein paar Tage an diesem schönen Flecken verbringen, der direkt auf seinem Weg nach Wien lag, und er freute sich, die junge Frau wiederzusehen, die sich in so seltsamer Weise in Zürich von ihm verabschiedet hatte. Sie fanden Cosima nicht nur erholt, sondern offensichtlich blühend vor. Wagner und sie machten lange Spaziergänge, und wie ein Kind rannte sie ihm über die grünen und gelben Felder voraus, die Arme gen Himmel gestreckt. Sie lachten zusammen, aßen Walderdbeeren mit Bergen frischer Sahne, und Wagner nannte sie „das

wilde Kind“. Blandine hingegen sah in ihrem veränderten Benehmen die „timidite d’un sauvage“ (Schüchternheit einer Wilden). Als Wagner sich von Cosima verabschiedete, bemerkte er „einen fast scheu fragenden Blick“.

3 Wie sein Holländer war Wagner jetzt dazu verdammt, von Ort zu Ort zu ziehen, immer auf der Flucht vor seinen Gläubigern - von Wien nach Paris, weiter nach Venedig, zurück nach Paris, nach Mainz und Karlsruhe, um sich schließlich in Biebrich am Rhein niederzulassen, wo er hoffte, sein neues

Werk, die „Meistersinger“, beenden zu können. Er war jetzt neunundvierzig Jahre alt, hatte wenig Aussicht, seinen ‚Tri-

stan“ aufgeführt zu sehen, noch weniger Aussicht, seine Ehe-

= Robert Gutmann behauptet in seinem provokativen Buch „Richard Wagner“, dieser hätte eine Affäre mit Blandine gehabt. Dafür scheint aber jeder Beweis zu fehlen.

62

probleme zu lösen und gar keine Aussicht, jemals unter seinem Schuldenberg hervorkriechen zu können. Minna war Ende Februar 1862 nach Biebrich gekommen. Sie wollte den Versuch machen, wieder einen gemeinsamen Haushalt zu etablieren, aber schon am Tag nach ihrer Ankunft überhäufte sie Wagner mit Vorwürfen: Mathilde Wesendonck war nach wie vor der Anlaß ihrer Wut. Nach zehn Tagen - Tage, die Wagner

als „zehn

Tage

der Hölle‘

beschrieb

- reiste

Minna wieder ab. Der Versuch einer Versöhnung war fehlgeschlagen. Bald danach, während einer kurzen Reise nach Frankfurt,

lernte Wagner Friederike Meyer kennen, eine hübsche, offenbar talentierte Schauspielerin, die er ohne große Überredungskünste dazu brachte, ihn über seine Einsamkeit hinwegzutrösten. Drei Frauen spielen nun in seinem sorgengetrübten Leben

eine Rolle:

Minna

als Ortrud, Friederike als

Venus - eine weltliche Venus allerdings — und ferne, immer mehr verblassend, Mathilde als Isolde. Diese Besetzung war jedoch noch ungenügend: Wie immer brauchte er auch intellektuelle Ansprechpartner, brauchte ein verständnisvolles, einfühlsames Publikum. Sobald er die Vorspiele zum ersten und dritten Akt „Meistersinger“ entworfen und zu Papier gebracht hatte, bat er die Bülows, ihn zu besuchen und Zeuge seines, wie er sich ausdrückte, „vollendeten Meisterwerkes“ zu werden. Sie kamen, er las vor, er spielte — und sie waren überwältigt. Nach der Todessehnsucht des „Tristan“ nun

diese Schöpfung einer beschaulich-heiteren Welt aus vergangenen Zeiten, nun also diese nach Holunder duftende Komödie. Besonders Cosima reagierte geradezu ekstatisch. Sie liebte den feurigen jungen Stolzing, aber noch mehr liebte sie Hans Sachs — ein Selbstporträt Wagners. Ihre wachsenden Gefühle für den Autor übertrug sie auf die Schöpfungen seines Geistes — hier konnte sie ungestraft ihrer Schwärmerei frönen.

Hans

Sachs,

der Dichter,

der an

die neue

Kunst

glaubt, der Philosoph, der die Welt und ihre Eitelkeit duldsam und ohne Verachtung sieht, der ältere Mann, der Zunei-

gung für die noch so junge Eva empfindet, dieser Hans Sachs war für die fünfundzwanzigjährige Cosima ein Idol, das ihre Phantasie beherrschte. Dichtung und Wahrheit verschmolzen. Sie schrieb über ihre Begeisterung, wenn

auch in wohl

überlegten Worten, an den Dichter und Romanschriftsteller Alfred Meissner: 63

Biebrich, 20. Juli 1862 .. „Wir sind zwei Schritte von Wiesbaden entfernt, wohin wir aus

Torheit manchmal gehen, wie man zu unangenehmen Menschen geht, weil sie in der Nachbarschaft wohnen. Ich komme immer mit größerer misanthropischer Stimmung zurück, als ich hingegangen bin. Es ist ein fürchterlicher Anblick, diese Anhäufung von abgelebten Frauen, von Spielern, von Seiltänzern, von Juden,

wo man vergeblich eine ehrenhafte Gestalt sucht. Das ist das Vaterland der Leute ohne Gesinnung, die sich hier zusammenfinden, ähnlich wie die Vertreter der sozialen Hierarchie: hier ist das

Alter ohne Würde, die Jugend ohne Anmut, die Eleganz ohne Anziehungskraft, die Aristokratie ohne Noblesse, der Reichtum ohne Glanz, alles ist gewöhnlich, niedrig, trivial, unedel, und

wenn man durch Zufall im Parke von Wiesbaden den Gesang eines Vogels hört, so frägt man sich, wie ein so reiner Zwitscherer

inmitten dieser schamlosen Maskerade noch sein Stimmlein erheben kann. Nach diesen Ausführungen werden Sie mich fragen, warum ich mich in diesem Land niedergelassen habe. Ah, voilä! Wir sind hier aus Freundschaft für Wagner, der sich in Biebrich eingenistet hat und der von Zeit zu Zeit, wie alle Sterblichen, die

Notwendigkeit fühlt, ein Wort mit einem befreundeten Wesen zu tauschen. Er hat uns gebeten zu kommen und wir sind gekommen und wir haben für zwei Monate gemietet... Die letzte Dichtung von Wagner, die „Meistersinger‘“ — Hans Sachs - ist ein Meisterwerk. Er hat, wie Shakespeare, die Vereini-

gung von heiterer Komik mit dem Hohen herbeigeführt. Die Größe schwebt wie eine Sonne über der Handlung, die mit den drolligsten Zufällen geschmückt ist, wo der Humor sich eint mit tiefster Bewegung, ohne an seiner Kraft irgendwie zu verlieren. Hans Sachs ist vom Kopf bis zum Fuß in Bronze, lebend und stark, als ob ihn Peter Vischer geschaffen hätte. An ihren Vater schrieb Cosima aus Biebrich in ähnlichem Ton: ... Die Meistersinger verhalten sich zu den anderen Schöpfungen Wagners wie das Wintermärchen zu den Werken Shakespeares. Wagners Phantasie hat sich in das Heitere und Schalkhafte verloren, sie hat durch ihren Zauber das mittelalterliche Nürnberg mit seinen Gilden und Zünften, seinen HandwerkerPoeten, seinen Pedanten und seinen Rittern heraufbeschworen, um in der höchsten, edelsten Weise das befreiendste Lachen her-

vorzurufen. Von dem Geiste und der Bestimmung des Werkes abgesehen, könnte man es in seiner künstlerischen Ausführung mit

dem Sakramentshäuschen in der St.-Lorenzo-Kirche zu Nürnberg vergleichen. Wie dort der Bildner, so hat hier der Tonsetzer

64

die anmutigste, reinste Form erreicht, die Kühnheit in ihrer höchsten Vollendung, und wie am Fuße des Sakramentshäuschens Adam Krafft das Ganze mit ernster und gesammelter Miene trägt, so ist esin den Meistersingern die Gestalt des Hans Sachs, der mit ruhig- lieber Heiterkeit die Handlung beherrscht und leitet.

Bülow verbrachte fast eine Woche lang acht Stunden täglich mit der Abschrift des Librettos der „Meistersinger“. Eine Hitzewelle machte die Arbeit noch mühsamer, doch Bülow

hing an dieser Aufgabe. Und je enger er mit dem Werk vertraut wurde, um so geringer schätzte er seine eigenen kreativen Fähigkeiten ein. Ein Werk wie die „Meistersinger“, das wußte er, würde er niemals schaffen können. Es machte ihn richtiggehend krank, die Fahnenabzüge einiger seiner eigenen Lieder zu lesen, die ihm sein Verleger gerade geschickt hatte. Auch Cosima gab sich keinem Zweifel mehr hin: Ihr Mann würde niemals ihre Hoffnungen erfüllen können. Und Bülow

wiederum?

Er

konnte

die

anbetenden

Blicke,

die

Cosima ihrem Sachs-Wagner zuwarf, doch wohl kaum übersehen! Wie ein unförmiger Felsbrocken schien er mitten in diesem

Strom

von

Bewunderung

zu

stehen,

der zwischen

seinem Freund und seiner Frau dahinfloß. Auch Wagner zeigte seine innere Erregung. Er benahm sich wie ein Schulbub

auf Ferien,

machte

Kopfstände,

verse und sprang samt seinem

Hund

deklamierte

Kanittel-

in den Rhein. Aber -

immer noch war alles „Schweigen und Geheimnis“.

Als die Bülows abreisten, begleitete Wagner sie bis Frankfurt, wo Goethes „Torquato Tasso“ mit Friederike Meyer in

der Rolle der Prinzessin

aufgeführt werden

sollte. Als sie

nach der Ankunft einen Platz überquerten, sah Wagner einen leeren Schubkarren stehen, und er machte Cosima den Vor-

schlag, sie darin zum Hotel zu fahren. Cosima war postwendend

einverstanden,

aber Wagner

fühlte sich plötzlich ver-

legen und tat es dann doch nicht. In späteren Jahren erinnerten sich beide gern und schmunzelnd an diesen kleinen Flırt. Plötzlich kam eine Schreckensnachricht aus St. Tropez. Blandine war nach der Geburt ihres ersten Kindes an Kindbettfieber erkrankt. Ollivier hatte zunächst gezögert, es Cosima mitzuteilen, aber als der Zustand der Kranken immer

schlechter wurde, bat er Cosima zu kommen. Es war zu spät. Blandine starb am 11. September 1862. Der Tod der Schwester traf Cosima irgendwie noch härter als der Verlust ihres 65

Bruders, weil Blandine und sie sich besonders nahegestanden

hatten. Aber andererseits war ihr diesmal die Unmittelbarkeit des Todes erspart geblieben. Ob der Ehemann, die Mutter oder Großmutter

hübsche

— jeder, der sie gekannt

und fröhliche Blandine

hatte, hatte die

geliebt. Cosima

beschloß,

nach Paris zu reisen, in erster Linie, weil sie ihre Mutter und ihre Großmutter trösten wollte, vielleicht aber auch, weil sie

gern die Gelegenheit wahrnahm, für eine Weile nicht in Berlin zu sein. Während also Liszt zu Ollivier reiste, fuhr Cosima nach Paris. Dort wohnte sie bei Anna, die sie tröstete,

hegte und pflegte. Nach ein paar Wochen wollte die alte Dame den Gedanken nicht mehr ertragen, sich von ihrem einzigen noch verbliebenen Enkelkind wieder trennen zu müssen, und Cosima ließ sich beinahe dazu bewegen, nach Paris zu ziehen. Bülow hätte man auf der musikalischen

Szene der Stadt durchaus willkommen geheißen. Aber Liszt war es dann, der im Oktober 1862 seiner Mutter in vernünfti-

gen Worten darlegte, daß ein solcher Umzug nicht möglich sei: Die arme liebe Cosima hätte ihren Besuch bei Ihnen gern verlängert. Sie hängt mit inniger Liebe an Ihnen; aber andererseits kann sie ihr Mann in der Stellung, die er in Berlin, überhaupt in Deutschland einnimmt, nicht entbehren. Es wäre nicht klug,

wenn er seinen jetzigen Wohnort Berlin verließe, bevor ihm anderswo eine ebenso gesicherte Position geboten würde. Bülow hat besondere Rücksichten auf seinen Landesherrn zu beobachten,

der ihn zu seinem Hofpianisten ernannt und mit einem Orden ausgezeichnet hat... Sein Name und seine Antezedentien legen ihm strenge Verpflichtungen auf. Er muß die Haltung eines Mannes zeigen, auf den man sich ernstlich verlassen kann ... Das alles habe ich Ollivier ausführlich erklärt, der es Cosima geschrieben haben wird... Cosima reiste also nach Berlin zurück. Schwarz gekleidet,

bleich und erschöpft, verzweifelt über den Tod ihrer Schwester, verwirrt durch diese Liebe, die sie sich selbst nicht eingestehen wollte. Sie ahnte, daß ihr Leben in der nächsten Zeit

nicht einfacher werden würde, zumal sie erneut schwanger war. Kaum zu Hause angekommen, hatte sie gerade noch Zeit gehabt, das Nötigste im Haus zu ordnen und einem schlampigen Dienstmädchen zu kündigen, als sie sich schon wieder mit Bülow auf den Weg machte. Es ging nach Leipzig. 66

Hans sollte dort Liszts neues Klavierkonzert in A-Dur spielen; Wagners junger Freund Wendelin Weißheimer wollte zudem einige seiner eigenen Werke vorstellen, und Wagner selbst würde die „Tannhäuser“-Ouvertüre und auch zum ersten Mal das „Meistersinger“-Vorspiel dirigieren. In Leipzig war es unvermeidlich, daß Cosima und Wagner sich wiedersahen. Diesmal genügte ein Blick, ein Wort des Grußes, um sie einzuschließen in ihr eigenes Universum. Alles andere um sie herum schien uninteressant — selbst die Musik. Das Konzert war ihnen gleichgültig, Weißheimers höchst mittelmäßige Bemühungen ebenso. Nur ein kleines Publikum kam am 1. November, aber Wagners Anhänger zeigten ihre Begeisterung lautstark und anhaltend. Doch dieses Mal blieb dieser Virtuose an Wichtigtuerei ungerührt vom Applaus. Er dachte nur an sie. Cosima erschien ihm wie ein Wesen von einem anderen Stern. „Alles, was uns erfüllte,

war so ernst und tief, daß nur die unbedingte Hingebung an den Genuß unseres Wiedersehens über jene Abgründe uns hinweghelfen konnte... Die Proben erschienen uns wie ein sonderbar erheiterndes Schattenspiel, dem wir wie lachende

Kinder zusahen.“* Danach trennten sich wieder ihre Wege. Wagner beabsichtigte nach Wien zu fahren, wo er hoffte, „Tristan“ aufgeführt

zu sehen. Er hatte nur noch sehr wenig Geld, und praktisch alle Quellen, aus denen es bisher immer wieder gesprudelt hatte, waren versiegt. Konzerte zu geben war die einzig mögliche Notlösung, aber das Dirigieren war für ihn zum Alpdruck geworden. Es raubte ihm alle Energie und hinderte ihn daran, Noten

aufs Papier zu setzen.

Seine Konzerte

in

Wien brachten ihm künstlerische Erfolge und finanziell ein Desaster: Das erste, am 26. Dezember 1862, besuchte auch Kaiserin Elisabeth, deren einsame Seele von Wagners Musik gerührt wurde; das zweite fand am Neujahrstag 1863 statt, das dritte — Elisabeth war wieder anwesend — am 11. Januar. Im Februar erhielt Wagner eine Einladung, in Rußland zu konzertieren.

Dort saß das dicke Geld — was

auch

Berlioz,

Verdi und viele andere Musiker, Liszt eingeschlossen, wußten-, aber Wagner, mittlerweile hatte er keinen roten Heller mehr, wußte nicht einmal, wie er die Reise finanzieren sollte. Bülow, durchaus kein reicher Mann, war der Retter in letzter * Autobiographie

67

Not: Er verkaufte einen Ring, den der Großherzog von Baden ihm geschenkt hatte. Wagner würdigte diese Freundschaftsgeste, indem

er schrieb:

„Wer sonst noch ungeliebte

Kostbarkeiten besitzt, soll sie mir getrost opfern - im vollen Ernst... ich werde das Zeug alles schön und herrlich einlösen und ersetzen.“ Und damit reiste er ab, um im April 1863 von Rußland mit der hübschen Summe von siebentausend Talern zurückzukommen - eigentlich genug, um länger als ein Jahr nicht schlecht davon zu leben. Nicht so bei Wagner. Er warf das Geld mit vollen Händen zum Fenster hinaus, ließ

sein Mobiliar

aus

darauf das meiste

Heim

Biebrich davon

nach Wien

abzustoßen,

um

bringen, dann

um

kurz

sein neues

äußerst üppig und kostspielig zu möblieren;

überall

Samt und Seide, teure Polstermöbel, orientalische Teppiche —

und drei Bedienstete. Auf der Rückreise von Rußland hatte Wagner in Berlin haltgemacht, wo er Cosima immer noch geschwächt und kränklich von der Geburt ihres zweiten Kindes Blandine* vorfand. Bülow schrieb an einen Freund: „Betreffs meines Familienlebens wirst Du wissen, daß ich bereits zwei Töchter habe. Es fehlt nur noch die dritte, um mich zum Lear auszu-

bilden.“ Wagners Geld war aufgebraucht, er mußte wieder auf Konzertreise gehen. Erstaunlicherweise war es ihm gelun* Du Moulin Eckart erklärte, daß Cosima beinahe starb wegen der „beispiellosen Rücksichtslosigkeit‘“ von Bülows Mutter, die eine Hebamme erst holte, als das Kind bereits geboren war. Wie üblich bietet er keinen Beweis für diese Behauptung, noch wird die Begebenheit von sonst irgend jemandem erwähnt. Anmerkung März

des Lektors:

Cosima selbst erwähnt diese schwierige Geburt am

1869 in ihren Tagebüchern:

„Vor sechs Jahren war mir um

19.

diese Abendstunde

recht übel; übel und elend dabei. Wie stumpf und dumpf brachte ich ohne jeden Beistand das Kind zur Welt; wie gleichgiltig wurde es vom Vater empfangen! Einzig war in der Ferne Richard um mich besorgt, und ich wußte es nicht. Wie öde, wie leer, wie in-

nerlich gestört war damals mein Leben! Wie könnte ich es R. jemals genügend danken, was seine Liebe an mir vollbracht? So elend fühlte ich mich damals, daß ich keinem sagte, daß die Geburtswehen über mich kamen und daß das Kind bereits da war, als man die Hebamme rief. Die Schwiegermutter wohnte im Haus, Hans war anwesend,

Bedienung war genügend da, und ich wanderte einsam im Salon und wand mich wie ein Wurm und winselte; ein unaufhaltsamer Schrei weckte das Haus, und sie trugen mich auf mein Bett, wo Boni denn auch herauskroch. In jedem Hause ist die Erwartung

eines Kindes eine Freude, ich wagte es Hans kaum zu sagen, daß ich schwanger sei, so unfreundlich nahm er es auf, gleichsam wie eine Störung seines Behagens. Niemandem habe ich jemals dies gesagt; jetzt schreibe ich es auf, nicht um Hans anzuklagen (die Mühsale des Lebens waren für ihn groß, und er hat nicht gewußt, was einer Frau wohlund wehtut, da ich immer geschwiegen), sondern weil ich mit Grauen an diese Nacht in Berlin denke und mir die Erfüllung meines Schicksals an ihr recht begreiflich wird.“

68

gen, sich eine kleine Wiener Geldverleiher,

Wahrscheinlichkeit Weder

Wagners

Summe auszuborgen — von einem der zweifellos auch wußte, daß die

einer

Rückzahlung

gleich

Null

war.

Verleger Schott, der ihm erklärte, nur ein

millionenschwerer Prinz könne seine finanziellen Bedürfnisse befriedigen, noch die Wesendoncks wollten weiterhin das Loch mit einem andern zustopfen. Es war also klar, daß im

Spätherbst wieder die Parforcejagd seiner Gläubiger angeblasen würde. Nach seinem letzten Besuch bei den Wesendoncks in Zürich stand Löwenberg auf seinem Tourneeplan. Er

hatte

mit

Bülow

vereinbart,

daß

dieser

während

kurzen Reisestopps in Berlin zum Bahnhof kommen

des

sollte,

um sich mit ihm zu beraten. Bülow aber überredete ihn, seine

Reise für einen Tag zu unterbrechen und das Konzert zu besuchen, das er an diesem Abend in Berlin geben würde. Während Bülow probte, unternahmen

Wagner und Cosima - sie

war inzwischen wieder ganz gesund - eine Spazierfahrt in der Kutsche.

Sie waren

allein, sie saßen eng nebeneinander,

es

war ein milder Herbstnachmittag — und plötzlich schmolz ihre bisherige Zurückhaltung dahin. „Diesmal ging uns Schweigenden der Scherz aus: wir blickten uns stumm in die Augen, und ein heftiges Verlangen nach eingestandenster Wahrheıt übermannte uns zu dem keiner Worte bedürfenden Bekenntnis eines grenzenlosen Unglücks, das uns belastete“, schrieb Wagner viele Jahre später. Diese Nacht blieb er in Bülows Haus. In dieser Nacht wurden sie ein Liebespaar. Es war der 28. November 1863.* * Das Datum selbst schiene an sich unwichtig, würden nicht einige Biographen den Leser im dunkeln tappen lassen, wenn es um den Beginn der Liebesbeziehung geht: Glasenapp zum Beispiel, der „offizielle“ Bayreuther Hausbiograph, der seine Informationen — oder besser gesagt: Fehlinformationen — von Cosima persönlich bekam. W.A. Ellis, sein britisches Gegenstück, betet Glasenapp nach. Du Moulin Eckart schwindelt sich ohne Zeitangaben über die Angelegenheit hinweg. Erst Ernest Newman gibt das korrekte Datum an, wobei er sich auf jenen Satz bezieht, der aus der offiziellen

“ Autobiographie Wagners gestrichen worden war. Jene Stelle, wo Wagner von der nachmittäglichen Spazierfahrt zusammen mit Cosima spricht und die in der privaten Version wiedergefunden wurde, lautet: „Unter Tränen und Schluchzen besiegelten wir das Bekenntnis, uns einzig anzugehören.“ In ihren Tagebüchern erwähnt Cosima den 28. November 1863 mehrmals als das Datum, das sie als Wendepunkt betrachtet.

69

3. KAPITEL

Wachsende Vertrautheit

So also sah jene Kette von Ereignissen aus, die zu einer der ganz großen Liebesromanzen in der Musikgeschichte führte. Cosimas und Wagners „Zueinanderfinden“ hatte etwas Romanhaftes an sich, folgte dem oft beschriebenen Muster von

Gleichgültigkeit,

Lächerlichmachen,

unerklärlicher

ge-

genseitiger Anziehung; die vergeblich geleugnet wird, bis hin zum offenen Geständnis und zur Erfüllung aller Sehnsüchte. Sechs Jahre zuvor hatte sich Cosima in einem Brief an Carolyne Wittgensteins Tochter Marie noch ironisch über Wagners Lebensstil geäußert. Darin bedauerte sie das Schicksal des verarmten Lamartine, für dessen Lebensunterhalt gesammelt wurde, und erklärte, daß sie eher ihm Geld geben würde als „Richard von Zürich“. Sie sei zu dem Schluß gelangt, daß

der berühmte Bankrott Wagners nur allzu gerne von dieser modernen Beatrice (Mathilde Wesendonck) vertuscht werde,

die ihrem Poeten den Himmel materieller Sicherheit und Bequemlichkeit biete — möglicherweise sei dies der einzige Himmel, an den er glaubte! Als Cosima zum ersten Mal zu Besuch im Asyl war, hatte

sie erwartet, gelangweilt oder peinlich berührt zu sein. Sie wollte Marie über die „Tragikomödien“, deren Zeugin sie sein und die man ihr vielleicht — leider! — anvertrauen würde, berichten. Am Ende aber war es so, daß die ‚„Tragikomö-

dien“, Wagners Konflikte mit Minna und seine Frustration über Mathilde, ihr eher tragisch als komisch erschienen. Wagners Gefühle für Cosima wuchsen sogar noch langsamer. Er sah in ihr, der um vierundzwanzig Jahre Jüngeren, 71

ein Schulkind mit Schürzchen. Als sie dann als frisch-verheiratete Ehefrau ins Asyl kam, war sie erst zwanzig, und Wagner erschien der Altersunterschied (er selbst wurde 44) unüberbrückbar — besonders wenn er sich in niedergedrückter Stimmung befand. Im Jahre 1859, nachdem er sich mit Bülows genügend angefreundet hatte, um Cosima darum bitten zu können, den „Tannhäuser“ für die Pariser Aufführung ins Französische zu übersetzen, nannte er sie „liebes

Kind“. (Cosima versuchte sich daran, gab aber bald wieder auf: es war „bis zur Unmöglichkeit

schwierig“.) Drei Jahre

später, nachdem Hans und Cosima ihn in Biebrich besucht hatten, schrieb ihr Wagner jedoch einen Brief, der, wenn man

zwischen den Zeilen liest, eine wachsende hüllt:

Anziehung

ent-

Biebrich, 21. Sept. 1862 Mit wahrem Jammer blickte ich letzthin, als ich vom Bahnhof

hinabstieg nach Euren Fenstern.* Glaubt mir, ich bin kindisch empfänglich für Liebe! Ich wußte mich gar nicht mehr zurechtzufinden, da ich Euch nicht mehr dort oben wußte. Nur Eines beru-

higte mich: ich hatte mir zu sagen — „das ist nicht zum ersten Mal!“ - „Wie oft erlebte ich gleiche Verlassenheit und Oede!“ Es ist ein wunderlich, feucht-kaltes Gefühl, das Herz schrumpft zu-

sammen — „nur tief in des Busens Berge glimmt noch lichtlose Gluth!“ - Ich hab Euch so ’was schon gesagt! — **

* Die Fenster des Hauses, das sie in Biebrich bewohnten.

** Dieser Brief und einige der folgenden Auszüge stammen aus den kümmerlichen Resten der Wagner-Cosima-Korrespondenz, die vor der Vernichtung bewahrt geblieben sind. Noch 1927 glaubte man die Briefe in einem „eisernen Schrank“ in Wahnfried verschlossen und aufbewahrt.

1930 erklärte Eva Chamberlain, daß sie „auf ausdrückli-

chen Wunsch meiner Mutter und meines Bruders“ die ganze Sammlung verbrannt habe. Dies geschah kurz nach Siegfrieds Tod. Dessen Witwe, Winifred Wagner wiederum, erklärte später, „niemand außer mir hatte das Recht, das Wahnfriedarchiv ohne meine Zustimmung zu öffnen“. Die Briefe seien wahrscheinlich heimlich von „jeman-

dem“ entwendet worden, während sie Toscanini besucht hatte, um sein Engagement für die „Parsifal“-Aufführungen des Jahres 1931 mit ihm zu besprechen. Winifred erstattete pro forma Anzeige „gegen Unbekannt“. Sie wußte natürlich, daß Eva die „Schuldige“ war. Eva, gestützt durch Bezeugungen ihres Mannes, Houston Stewart Chamberlain, beteuerte, daß sie und Cosima

1909 in Wahnfried

„ein Autodafe alter Correspon-

denzen“ durchgeführt hätten, und daß dies auf Cosimas schehen sei. Wahrscheinlich waren dies Cosimas Briefe an den 1930 verbrannten Schriftstücken um Wagners Briefe Millenkovich-Morold, der eine Cosima-Biographie schrieb, antwortete:

72

ausdrücklichen Wunsch geWagner, während es sich bei an Cosima gehandelt hatte. ging dieser Frage nach; Eva

Doch selbst, nachdem Cosima und Wagner ein Liebespaar geworden waren, verschwanden andere Frauen nicht vollständig aus seinem Kopf, zumal ihm seine heimliche Verbindung mit Cosima damals als gefährlich erschien und nicht als das, was er auf Dauer brauchte. Er konnte sich auch nicht vorstellen, daß Cosima sich jemals offen zu ihm bekennen würde. Einerseits träumte er also — wenn auch nur verschwommen - von Mathilde Wesendonck, andererseits spielte er mit dem Gedanken, mit Henriette von Bissing eine Be-

ziehung anzuknüpfen.

Sie war eine reiche Witwe und ver-

sprach, eine nicht unbeträchtliche Summe

für ihn aufzubrin-

gen, die ihm für längere Zeit finanzielle Unabhängigkeit garantieren würde. Letztlich wurde aber nichts daraus, denn Bayreuth, 4. Okt. 1935

„Hochgeehrter Herr von Millenkovich, Wie ich Ihrem Briefe vom 1. Oktober entnehme, werde ich von Frau Winifred Wagner einer Lüge u. des Diebstahls geziehen. Ich sehe mich nun genöthigt, die Vorgänge, auf welche sich diese Anklage beruft, festzustellen: 1) Meine Mutter hat einst ihre eigenen sämtlichen Briefe an meinen Vater persönlich vernichtet. 2) Meine Mutter schenkte mir persönlich vor langen Zeiten schon - sie leitete damals noch die Festspiele - die Briefe meines Vaters an sie. Siehat sie persönlich aus dem damaligen eisernen Schrank Wahnfrieds entnommen und widmete sie mir in einer großen Casette, in welche sie einen Zettel einfügte mit den eigenhändig geschriebenen Worten: „Meinem Schutzengel geweiht.“ Ich kann dieses Document vorweisen. Meine Mutter fügte mündlich hinzu: „Du kannst Einblick in die Briefe nehmen und sie dann vernichten“. Gar oft im Verlaufe der Jahre stellte sie mit sorgenvollem Ausdruck die Frage an mich: „Nicht wahr, du hast die Briefe Papas an mich zerstört?“ — Ich beruhigte sie, indem ich ihr versicherte, ihren Wunsch bestimmt auszuführen.

Mein Bruder war einige Male zugegen, wie meine Mutter diese Frage an mich wiederholte, und bei solcher Gelegenheit war es, dass er sich unbedingt dafür erklärte, den Wunsch meiner Mutter zu erfüllen. Diess bestimmte dann auch meine Handlung. 3)Die Tagebücher meiner Mutter erhielt ich ebenfalls als persönliche Gabe von ihr; es geschah als Mitgift zu meiner Vermählung. -- Auch diese entnahm sie persönlich dem eisernen Schrank mit den Worten: „Sie gehören Dir — bei Dir weiss ich sie geborgen.“ Der Gedanke an diese Schenkung war ihr noch bis in die spätesten Zeiten eine Beru'higung. "ich bin zu jeder Stunde bereit einen Eid vor Gott über diesen Thatsachenbestand abzulegen. Diese meine schriftliche Darstellung bitte ich Sie, hochgeehrter Herr von Millenko-

vich, an meine Schwägerin in Wahnfried gelangen zu lassen. Eva Chamberlain-Wagner“ Wie auch immer die Wahrheit aussehen mag - feststeht, daß der größte Teil des Briefwechsels in der Tat vernichtet wurde — wenn sind.

auch hie und da Überreste zu finden

73

Henriette kam zu der Überzeugung: „Und wenn ich Wagner rette, so liebt er doch am Ende nur die Wesendonck.“

Betrachtet man die gesellschaftlichen Zusammenhänge, so liegt es auf der Hand, daß Cosima und Wagner gleichermaßen unfrei waren. Gefühlsmäßig war die Situation anders: Bevor sie sich von Wagner gefesselt fühlte, waren Cosimas tiefere Gefühle noch ungeweckt, ihre Fähigkeit zu lieben hatte brachgelegen. In diesem Sinn war sie frei. Wagner hingegen war eben dabei, sich aus einer heftigen Verbindung zu lösen und nach neuen Verbindungen zu tasten, wenn auch verhalten und indirekt. Es war Cosima, die ihn sozusagen zurechtrückte. Sie war es, die die Führung ergriff. Sie war es, die mehr Freier als Gefreite zu sein schien, und es war wiederum sie, die alle Konkurrentinnen konkurrenzlos machte.

Was zog sie gegenseitig an? Genie, Faszination, Schwierigkeiten, Kummer und Leid. Daß ein junges Mädchen gefesselt sein würde von Figuren wie Lohengrin, Tannhäuser und Siegfried war voraussehbar. Daß der Schöpfer dieser überreichen, heroischen Musik selbst eine faszinierende wie provozierende Persönlichkeit war, wird von fast allen, die ihn

kannten, bezeugt. Aber da war noch etwas anderes. Selbst ankerlos, sprach Cosima in starkem Maße auf jenen Menschen an, der gegen vielerlei Strömungen ankämpfte. Wagners Leben

erschien ihr, als sie ihm näherkam,

nicht mehr

nur als verwirrend, sondern als ebenso unsicher und gefährdet wie ihr eigenes. Sie verstand die Widersprüchlichkeit des Genies, das — unzufrieden mit der bisherigen, eher konventionellen Arbeit, die ihm Ruhm gebracht hatte — es wagte,

einen neuen, äußerst schwierigen Weg auf ein weitentferntes Ziel hin zu gehen. Sie sah, daß eine tiefe Unzufriedenheit in sein Gesicht geschrieben stand, und sie ließ sich nicht täuschen, wenn

er als eine Art Sicherheitsventil

in lärmende

Ausgelassenheit ausbrach. Zu dieser geistigen Übereinstimmung kam eine starke physische Anziehungskraft hinzu. Der Komponist von „Tristan“, der Dichter, der den Untergang der Welt der Tatsache zuschrieb, daß Alberich die Liebe verfluchte, war ein Mann

mit einer starken erotischen Ausstrahlung. Man kann vermuten, daß Cosima mit ihm zum ersten Mal sexuelle und erotische Erfüllung fand. Wenn Bülow - er sagte dies oft selbstironisch — sich überhaupt an etwas hingeben konnte, dann nur

der Musik. 74

Wagner

dagegen

war

wirklich

ein Mann

aus

Fleisch und Blut, seine gesamte Lebensgeschichte zeigt, wie sehr er körperliche Liebe brauchte. Er muß übrigens ein guter Liebhaber gewesen sein. Cosimas Tagebuch, das beginnt, nachdem sie bereits seit mehr als fünf Jahren eine enge Liebesbeziehung

hatten,

deutet,

wenn

auch

nur

diskret,

darauf hin, daß sie ihre sexuellen Beziehungen zu Wagner genoß. Dieses Vergnügen sollte bis zu seiner letzten Krankheit andauern. Cosima

wußte,

was

sie wollte.

Sie hatte

sich bereits

in

jungen Jahren, als sie hauptsächlich sich selbst überlassen war, einen gesunden Egoismus zugelegt. Und je älter sie wurde, um so selbstsicherer wurde sie. Ihren Ehebruch nahm

sie dennoch nicht auf die leichte Schulter. Selbst als all ihre Hoffnungen, die sie in Bülow gesetzt hatte, sich zerschlagen hatten, selbst nachdem sie sich in Wagner verliebt hatte, versuchte sie, ihre Ehe weiterzuführen und aufrechtzuerhalten —

eine Aufgabe, die in immer größerem Maße praktisch nicht zu bewältigen war. Du Moulin Eckart — und diesmal müssen wir ihm tatsächlich glauben, denn Eckarts Vater war Bülows Schüler und kannte ihn gut — beschrieb Hans von Bülow als ... einen Mann, der nicht für die Ehe geschaffen war. Seine Heftigkeit war manchmal so stark, daß ein Berliner Arzt schon lange vor dem Eintreten Richard Wagners in das Bülowsche Haus erklärt hatte, es sei bewundernswert, daß Frau Cosima diesen Zustand überhaupt zu ertragen vermöge. Aber da war sie viel zu sehr Künstlerkind. Sie kannte die Heftigkeit des eigenen Vaters, und sie vermochte über diese gerade aus der künstlerischen Produktion und Tätigkeit hervorgehende namenlose Erregung hinwegzusehen, und aus den heftigsten Szenen ging sie mit einer gewissen Kühle und selbst mit der Äußerung eines gewissen Humors hervor. Nicht nur mit Gelassenheit, sondern auch mit Humor ver-

suchte Cosima viele Leute wieder zu beschwichtigen, die durch Bülows Ungehobeltheit verletzt wurden. Selbst nachdem sie sich getrennt hatten, verteidigte sie ihn weiter. Das

belegt ein erst unlängst wieder aufgetauchter Brief, den sie am 8. Juni 1867 schrieb, als sie vorübergehend aus „diploma-

tischen

Gründen“

stammt

aus der Zeit, als sie schon

nach

München

zurückgekehrt mit Haut

und

war.

Er

Haaren

Wagner angehörte. Zwischen Bülow und seinem langjährigen Freund Alexander Ritter war es offensichtlich wegen einiger 2

miesmachender Bemerkungen Bülows, Ritters Qualitäten als Musiker betreffend, zu einem Zerwürfnis gekommen. Cosima schrieb damals an Ritters Frau Franziska, die Wagners Nichte war: Es erscheint mir wie eine Art Pflicht, mit Ihnen über das leidige Mißverständnis, das entstanden ist, zu sprechen .... Hören Sie mich freundlich an... Ihr Gemahl sagt meinem Mann, dieser schätze sein Talent gering; da tut er ihm großes Unrecht, und ich glaube, wer irgendwie mit Hans einigermaßen bekannt ist, wird wissen, wie freudig anerkennend seine Natur sich erwiesen hat, sei es über die verborgensten oder die offenkundigsten Verdienste. Wo er hinkommt, regt er an, entwickelt er die vorhandenen Keime, akklamiert die hervorgebrachten Blüten, wie könnte er

einem Freunde gegenüber anders sein als gegen die ganze Welt, einem Freunde, den er so liebt und ehret wie Ihren Herrn

Gemahl. Sie erinnert Franziska daran, daß Bülow sich für eine Zu-

sammenarbeit mit Ritter eingesetzt hatte und daß auch Franziska Lehrerin in jener Musikschule werden sollte, deren Leitung Bülow übernehmen würde. Zu diesem Zeitpunkt waren diese Pläne noch nicht konkret ausgereift. Also hatte Alexander an Bülow geschrieben und um eine Entscheidung gebeten. Bülow hatte jedoch nicht geantwortet. Warum? Er [Hans] wollte die Sache noch recht überlegen, ob er wirklich Ihnen beiden die Stellung bieten könnte, die Ihnen gebührte. Gewissenhaft, wie er ist, überlegte er sich die Verhältnisse hier, seine

eigene Stellung, die günstigen und ungünstigen Chancen, mit welchen wir zu rechnen haben. Zu dieser Überlegung fügen Sie noch die fast übermenschlichen Anstrengungen der letzten sechs Wochen hinzu; ich habe ihn am Tage kaum eine halbe Stunde gesehen, Separat- und Gesamtproben für Orchester, Solisten und Chöre, Regie des „Lohengrin“, Konferenzen wegen der Organisation der Musikschule, dazu seine Schüler - kein Mensch würde

von ihm verlangt haben, er solle schreiben ... Ihr Herr Gemahl kennt ja Hans, sagte ihm auch selbst, daß sein Berliner Leben ihn sehr reizbar gemacht habe; auch ist seine Bedeutung in der musikalischen Welt nebst seinen außerordentlichen Fähigkeiten auch mit seinen merkwürdigen, ich gebe zu, manchmal schroff abstoßenden Eigenschaften in Zusammenhang zu bringen... Wenn ich Ihnen im Vertrauen sage, teure Frau, daß sowohl mein Vater als auch Ihr Onkel Hans die Eigentümlichkeiten seines

76

Wesens in Betracht des nicht hoch genug zu schätzenden Wertes seines Charakters freundlich übersehen und manches heftige Wort hingenommen haben, so werden Sie mir vielleicht zugeben, daß Ihr Herr Gemahl zu eilig mit Deutungen bei der Hand war,

die sich schwer zurücknehmen und schwer vergessen lassen. Das schneidende, schroffe Auftretens Hans’ ist kein Zeichen seiner

Geringschätzung, glauben Sie es mir! Und für einige gereizte

Worte, die er fallen läßt, wieviele Beweise von wirklicher Freund-

schaft und teilnehmender Achtung hat er nicht allen seinen Freunden gegeben!

Cosima sah keine Möglichkeit, die beiden Männer zu versöhnen, aber sie hoffte, später, wenn die Wogen geglättet waren, mit Franziskas Hilfe die „gräßliche Dissonanz“ beseitigen zu können. In diesem Sinne schrieb sie an Franziska, mit der Bitte, ihr fehlerhaftes Deutsch zu entschuldigen. - Weiteren Einblick in Cosimas Verhalten gibt ein Brief, den sie an Bülow schrieb, nachdem sie ihn verlassen hatte. Er zeigt, was es für sie bedeutete, mit einem Manne verheiratet zu sein, der „nicht für die Ehe geschaffen“ war. Es ist ein weitschweifiges und wohlüberlegtes Schreiben, ein Versuch,

sowohl sich selbst zu rechtfertigen als auch ihn zu entlasten. Und es zeigt ihre entschiedene Haltung. Am 15. Juni 1869 schrieb sie: Mein lieber Hans,

durch Richter habe ich erfahren, daß Du Deine Entlassung eingereicht hast; andererseits habe ich auch erfahren, daß Du Deutschland verlassen willst und Du Deinerseits wissen möchtest, wie ich

mir das künftige Schicksal unserer Kinder und die Aufteilung unserer gemeinsamen Güter vorstelle. Dies ermutigt mich, Dir mit der gebotenen Zurückhaltung und mit der Bitte, mir nicht zürnen zu wollen, falls mein Schreiben gerade ungelegen kommt, einiges darzulegen. Was meine Unterredungen mit Dir betrifft, so war mir stets nur wenig Glück beschieden - als ich versucht habe, zwischen uns einen achtbaren Frieden wiederherzustellen, hattest Du nur Spott und Ironie für mich übrig, als ich Dich um die endgültige Trennung gebeten habe, wolltest Du nicht auf mich hören. Bitte höre mich heute mit Wohlwollen an, bitte gehe ohne äußerliche Befangenheit in Dich, indem Du daran gedenkst, was wir

seit Jahren gemeinsam erlitten.haben....

Sie fragte ihn, warum er seine Stellung aufgeben und München verlassen wolle. Wenn der Grund darin läge, daß er die 74

„Zweideutigkeiten

und Verleumdungen“,

von denen er um-

geben war, nicht länger ertragen konnte, so verstehe sie ihn vollkommen. Wäre der Grund aber, daß er dachte, er habe etwas „vorzutäuschen und zu vertuschen“, um die Situation zu glätten, so sei das falsch, denn „weder Schuld noch Schande können jemals auf Dich fallen.“ Man kennt Deine Charakterzüge und man schätzt Dich, deshalb wird sich das unwürdige Geschrei nur gegen mich erheben. Zuallererst weil ich eine Frau bin, von der man erwartet, daß sie Sitte und Moral aufrechterhält, sodann weil ich eine Mutter bin, die sich für ihre Kinder aufopfern sollte, und schließlich, weil Du ein Ehrenmann bist, den zu ehelichen ich freudig zustimmte. Wenn Du sagst, daß die Schande, derer man mich anprangert,

notwendigerweise auf Dich zurückfällt und Dir nichts als Kummer bereitet, so muß ich Dir darauf sagen, daß es in Deinen Händen liegt, uns dies zu ersparen. Wenn Du behauptest, daß die Verfolgungen, denen wir in München ausgesetzt waren, unsere gemeinsame Existenz ausgehöhlt haben, auch wenn wir darin übereingekommen waren, uns zu trennen, so gibst Du ja unsere Situation gerade solchen Reaktionen preis: wenn es mir schon nicht an größtem Tadel fehlt, sollte uns wenigstens die Beschämung erspart bleiben. Ich gestehe, daß ich es gern gesehen hätte, wenn Du in München bleibst (vorausgesetzt natürlich, daß Dein körperliches Wohlbefinden nicht einen längeren Gesundheitsurlaub erforderlich macht); wegen der Kinder wünschte ich mir dies, weil ich mir vorstelle, daß es Dir mit Deinem Gehalt eher

möglich sein Könnte, für sie etwas auf die Seite zu legen - und auch für Dich, denn Du bist nicht für ein unstetes Leben geschaffen und ich wüßte weder in Deutschland noch anderswo einen Ort, wo Du Dich wirklich wohler fühlen könntest...

In der Einsamkeit und Stille meines jetzigen Daseins habe ich schon oft Rückschau gehalten über mein bisheriges Leben und ernst befragte ich mein Gewissen. Niemals verhehlte ich mir die Tragweite meines Dich betreffenden Irrtums, denn der Deinige

bestand nur darin, mich geheiratet zu haben. Ich versichere Dir, daß mein ganzes Sinnen und all meine Sorgen während der sieben Monate seit unserer Trennung einzig Dir galten (und ich hoffe inständig, daß Dir die dafür erforderliche Gemütsruhe und Gewogenheit gegeben sei, um glauben zu können, was ich Dir hier zu sagen habe). Hundertfach habe ich mich befragt, was ich tun könnte, was ich tun sollte, und ich schwöre Dir, daß es nie-

mals eine selbstsüchtige Geringschätzung war, die mich davon abhielt, zu Dir hinzueilen.

Immer wieder tauchte vor mir die Erinnerung an unser Zusam-

78

menleben auf, wie es seit unserem zweiten Verlobungsjahr gewesen ist, um mir vor Augen zu führen, daß ich Dich, trotz allen

guten Willens, den ich dareingab, nicht glücklich machen konnte. Nichts was ich tat, geriet mir richtig... . wie oft schicktest Du mich von Deinem Lager weg, wenn Du krank warst, ohne daß ich wußte warum, und denke doch daran, daß ich, als ich Lulu unter

dem Herzen trug, es Dir nicht zu sagen wagte, als ob meine Schwangerschaft etwas Unrechtmäßiges gewesen wäre... Dennoch gestehe ich ein, daß ich Dich nie verlassen hätte, wäre ich nicht mit jenem Wesen zusammengetroffen, in das sich das meinige so sehr versenkt hat, daß ich nicht wüßte, wie davon wieder loszukommen wäre. Niemals wirst Du ermessen können,

welch ein innerer Kampf, welches Leid mir auferlegt wurde, und unmöglich ist es mir, Dir meine Bestürzung zu beschreiben, die sich meiner bemächtigte, als mir gewahr wurde, daß ein Leben zu dreien nicht zu verwirklichen war. Es waren nicht die Demütigungen, die Du mir auferlegtest, die mich so tief betrübten: bitte - glaube mir, daß ich an jenem Punkt angekommen war, wo man Unglück und Leid leichter zu ertragen vermag als Freude und Glück... .* Cosima fuhr weitere eineinhalb Seiten fort, um Verständ-

nis und Vergebung zu bitten. Erst am Ende des Briefes kam sie auch auf die praktischen Probleme, sprich: die Zukunft der Kinder und die Aufteilung ihres gemeinsamen Vermögens, zu sprechen.

Es entsprach Bülows Natur, daß er diesen Brief sofort beantwortete, indem er alle Schuld auf sich nahm und seinem Bedauern Ausdruck gab, daß er ihr „all die Hingabe, die sie ihm erwiesen habe, so schlecht, so boshaft vergolten habe“. Er sei ein Bankrotteur, schrieb er, und wolle nur noch ster-

ben. Cosimas Erwiderung erfolgte durch einen weiteren langen Brief, der — tränenreich und besänftigend — wie folgt endete: Ich glaubte nicht, daß Du mich brauchtest — das war mein Irrtum; dann hoffte ich, Deine Arbeit für,die Kunst würde die Lücke füllen, die durch meine Abwesenheit entstanden war. Wir sind

arme Kreaturen, Hans, wir wandern von Fehlern zu Illusionen, bis Kummer und Sorgen uns treffen und zur Wahrheit geleiten... Wir können immer in Verbindung bleiben und uns vielleicht gegenseitig helfen. Ich wünsche den Tod nicht mehr herbei, * Cosima schrieb diesen Brief in französischer Sprache, weil sie sich damals so noch besser verständlichmachen und ausdrücken konnte als im Deutschen.

79

weil ich vor allem den Wunsch habe, Gutes zu tun. Ich verlange von Dir, daß Du nicht den Tod suchst, denn Deine Hilfe ist für die Kinder lebenswichtig. Diese Forderung ist die Bestätigung und die Summe aller meiner Gefühle: Laß mich meinen Brief damit schließen.

Dennoch war Cosimas Liebe stets stärker als alle Gewissensbisse, alle Vernunft. Sie kannte Wagners Ruf in puncto Frauen. Als beide sich ineinander verliebten, war ihr klar, daß er kaum mehr besaß als ein Bettler, aber sie war bereit,

ihre Sicherheit als Gattin eines berühmten Dirigenten aufzugeben. Sie war sogar bereit, der übergroßen Mißbilligung ihres Vaters, der sich unter Carolynes Einfluß vom zügellosen Menschen zum Moralisten gewandelt hatte, mutig zu trotzen. Andererseits gelang es ihr niemals, sich ganz von ihren Schuldgefühlen zu befreien. Sie verfolgten sie ihr Leben lang, quälten sie in ihren Träumen. Aber Schuld, Mißbilligung, Skandal - sie wurden aufgewogen durch die Macht ihrer Liebe und durch die früh einsetzende Überzeugung, daß es ihr — und nur ihr — möglich sein würde, Wagners Genie auf

die Bahn kreativen Höhenfluges zu bringen diesem Weg zu begleiten. Aus dem Tagebuch, 8. Januar 1869:

und ihn auf

Liebe Loulou und liebe Boni, heute ist eures Vaters Geburtstag; ich wünsche, daß er denselben in friedlicher versöhnter Stim-

mung begehe, kann ich auch nichts dazu beitragen. Es war ein großes Mißverständnis, das uns ehelich verband; das Gefühl, das

ich für ihn damals vor 19 Jahren empfand, ich empfinde es noch, große Teilnahme für sein Schicksal, Freude an seinen Geistesund Herzensgaben, wirkliche Achtung für seinen Charakter, bei vollständigstem Auseinandergehen der Anlagen. Gleich im ersten Jahre meiner Ehe war ich so verzweifelt über diese Konfusion, daß ich sterben wollte; viele Irrtümer entstanden aus meiner Not, doch ermannte

ich mich stets wieder, und euer Vater hat nichts

geahnt von meinem Leiden und wird mir, so glaube ich, das Zeugnis nicht versagen, daß ich ihm in Freud und Leid beigestanden und daß ich ihm nach Kräften geholfen habe. Niemals würde er mich verloren haben, wenn das Schicksal mir nicht denjenigen zugeführt hätte, für welchen zu leben und zu sterben ich als meinen Beruf erkennen mußte. Nicht einen Vorwurf habe ich eurem Vater zu machen, wenn auch die letzten Jahre mir schwer wurden

über alle Maßen...

Wahl war...

80

mir blieb nur die Wahl, die keine

Acht Jahre später, am 3. Februar 1877: Ich träume viel von Hans, neulich hörte ich ihn deutlich in der

Nähe Klavier spielen...

Was an ihr war es, das Wagner so anzog? Das diesen Mann, der nicht gerade für die Beständigkeit seiner Gefühle berühmt

war,

weiterhin

fesselte?

Sicher

ihre Jugend,

ihre

nicht alltägliche blonde Schönheit, ihre bedingungslose Ergebenheit und Verehrung, ihre schnelle Auffassungsgabe, ihr natürliches Musikverständnis — ja, all das, aber zwei weitere

Eigenschaften kamen noch hinzu: Sie war eine außerordentlich gute Zuhörerin. Und wie gerne redete er! Seinen endlosen Monologen — er hielt sie über so unterschiedliche Themen wie Musik und Vivisektion, Aischylos und Bismarck, Kindererziehung und Damenmode, Buddhismus und die Engländer, Schopenhauer und Pressezensur — hörte sie mit konzentrierter

Aufmerksamkeit

zu und

verstand

instinktiv,

im rechten Moment einen kleinen Stein in seinen Redefluß zu werfen, der ihn noch mehr sprudeln machte. Schließlich und endlich liebte er sie auch, weil sie war, was er nicht war —

aristokratisch. Ihr Benehmen war anmutig, voller Grazie, seines hingegen war ungehobelt. Von Marie hatte sie die Kunst geerbt, ihre Gegner mit einem Lächeln zu schlagen, während Wagner seine Kontrahenten mit flammenden Reden zu bombardieren pflegte, bis sowohl er als auch der Gegner total erschöpft waren. Er nannte sie den Besten aller Diplomaten. Tatsächlich enthielt das Repertoire ihrer Diplomatie — wenn nötig — auch Rücksichtslosigkeit. Um ihn zufriedenzustellen, würde sie vor nichts haltmachen.

Als Cosima sich von einem Ehemann mit Talent abwandte und sich dem Liebhaber, der ein Genie war, zuwendete, ge-

schah das nicht leichten Herzens. Nicht gedankenlos beging sie Ehebruch, nicht, ohne den Preis dafür zu kennen. Das Letzte, was man ihr vorwerfen könnte, ist Leichtsinn. Damals

und später war sie nur allzu ernsthaft. Unter Qualen hatte sie ihre Wahl getroffen — und es blieb ihr, wie sie sagte, „nur die Wahl, die keine Wahl war...“

8l

Ze MuPORN"

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4. KAPITEL

„Der König und der Komponist“

Als

für

Wagners

Vermögensverhältnisse

die

allerletzte

Stunde schlug, kam ein deus ex machina zu seiner Hilfe, und zwar so plötzlich und unerwartet, wie es nur ein schlechter

hätte. Sein Retter war

ein Jüngling,

noch nicht einmal neunzehn Jahre alt, der am

Dramaturg

10. März 1864

zum

erfunden

König von Bayern ausgerufen wurde.

Maximilian

II.

war im Alter von zweiundfünfzig Jahren gestorben, sein Sohn

Ludwig wurde sein Nachfolger. Die Inthronisation

verwandelte

das verträumte,

einsame

Kind Ludwig mit zu wenig Taschengeld in den mächtigen und reichen Herrscher über Deutschlands zweitgrößten Staat. Schon als Dreizehnjähriger war Ludwig hingerissen von der „Tannhäuser“- und „Lohengrin“-Musik. Er kannte die Texte

auswendig, und er hatte Wagners Prosa-Dichtungen immer wieder gelesen, ohne deren Autor überhaupt zu kennen. Die „Lohengrin“-Sage hatte für ihn eine besondere Faszination.

Als Junge pflegte er seine Briefe mit einem Kreuz und einem Schwan zu unterzeichnen, und nun sah er sich selbst als den

modernen Nachfolger dieses missionarischen Ritters. Für den Fall, daß er an die Macht kommen

sollte, hatte er schon vor

langer Zeit beschlossen, Wagners Ideen zur Erneuerung deutscher Kunst Wirklichkeit werden zu lassen. Vier Wochen nachdem er König geworden war befahl Ludwig II. seinem Kabinettssekretär, Hofrat Franz von Pfistermeister:

„Finden

Sie Richard Wagner!“ -

|

83

Das war gar nicht so einfach, denn Wagner versteckte sich vor seinen Gläubigern. Der Hofrat suchte in München, Basel und Wien nach ihm und fand ihn schließlich in Stuttgart. (Selbst Cosima hatte zu jener Zeit keine Ahnung, wo Wagner sich aufhielt und sorgte sich um ihn.) Als ihm die Visitenkarte des „Königlich-Bayrischen Kabinettssekretärs“ überbracht wurde, war Wagner höchst beunruhigt, daß man sein Ver-

steck in Stuttgart entdeckt hatte, und hielt diese Karte für den neuesten Trick eines besonders hartnäckigen Gläubigers. Deshalb ließ er sich verleugnen. Der Hotelbesitzer kam jedoch

wieder

und

erklärte,

der Herr

bestehe

darauf,

ihn

in einer wichtigen Angelegenheit persönlich zu sprechen. Wagner vereinbarte daraufhin widerstrebend einen Termin für den nächsten Morgen. Er schlief in dieser Nacht miserabel: Welche neuen unangenehmen Überraschungen hatte das Schicksal wohl wieder für ihn auf Lager? Am Morgen erfuhr er es: Ein König hatte ihn gerufen. Ein ihn bewundernder König war bereit, ihm alles zu geben, was er brauchte. Ein einziger Satz hatte ihn aus Elend und Armut in Glanz und Glorie erhoben, hatte ihm den Weg aus dem Hotelzimmer mit verschlossener Tür durch die Pforten eines Palastes geöffnet. Man schrieb den 3. Mai 1864, und Wagner richtete, zu Tränen gerührt, einen Brief an Ludwig, in dem er von der „göttlichen Wirklichkeit“ sprach, die in sein „armes liebebedürftiges Leben getreten“ sei: „Und dieses Leben,

sein letztes Dichten und Tönen gehört nun Ihnen, mein gnadenreicher junger König...“ Der Fünf-Uhr-Morgenzug sollte gerade abfahren, und Pfistermeister saß bereits in seinem Abteil, als Wagner mit seinem Freund Weißheimer angerannt kam. Er nahm an, seine Fahrkarte nach München würde ihm bezahlt werden. Da er tatsächlich keinen roten Heller mehr

besaß, hatte er

seine Hotelrechnung mit seinem letzten Wertgegenstand beglichen, einer Schnupftabaksdose,

die man

ihm in Rußland

geschenkt hatte. Als er nun feststellte, daß er ohne Fahrkarte und ohne Geld war, bat er Weißheimer

um Hilfe. Weißhei-

mer rannte zum Fahrkartenschalter, dann zurück zum Zug und konnte die Karte, als der Zug schon losfuhr, gerade noch

durch das Fenster ins Abteil werfen. Ludwig war zutiefst gerührt, als er schließlich den nervösen

kleinen Mann mit seinem großen Kopf und seinen blitzenden Augen kennenlernte, dessen Ideale er schon vor so langer 84

Zeit zu seinen eigenen gemacht hatte. Gleich am nächsten Tag schickte er Wagner eine Nachricht: „Seien Sie überzeugt, ich will alles tun, was irgend in meinen Kräften steht,

um Sie für vergangenes Leid zu entschädigen. Die niederen Sorgen des Alltagslebens will ich von Ihrem Haupt auf immer verscheuchen.... Unbewußt waren Sie der einzige Quell meiner Freuden von meinem zarten Jünglingsalter an, mein Freund, der mir wie keiner zum Herzen sprach .. .“ Der König und der Komponist sahen sich während der folgenden Monate täglich. Ein förmlicher Vertrag wurde unterzeichnet, wonach Ludwig die Aufführungs- und Ertragsrechte aus Wagners zukünftigen Werken zustanden, Wagner würde dafür eine großzügige jährliche Zuwendung von viertausend Gulden erhalten. Der König gab ihm außerdem zusätzliche viertausend Gulden, um die drückendsten Schulden

zu bezahlen. (Wagner benutzte jedoch nicht die ganze Summe, um seine Gläubiger zu bezahlen und belog sogar seinen guten Freund Dr. Anton Pusinelli über die Höhe der Zuweisungen aus der königlichen Schatulle.) Am Starnberger See, nicht weit von des Königs Schloß Berg, wurde ihm eine hübsche Villa, das Landhaus Pellet, zur

Verfügung gestellt. Hier sollte er die Planung für mustergültige Aufführungen seiner Werke in Angriff nehmen - „Lohengrin“ 1864, „Tristan“ 1865, danach die „Meistersinger“ und „Tannhäuser“ -, sollte die Gründung einer Musikschule in

die Wege leiten. Es waren

heitere und friedliche Tage, es

waren edle Pläne — und Wagner arbeitete ernsthaft und mit

Begeisterung daran. Dennoch:

sein Verlangen nach Cosima

ließ nicht nach. Kaum hatte er sich mit Haushälterin, Diener und Hund in dem Landhaus eingerichtet, schrieb er auch

schon begeistert an Bülow: 12. Mai 1864 Ein unerhörtes Wunder ist in mein Leben getreten! Das Unglaubliche ist Wahrheit. Ein junger König ist mein treuester Jünger. Er übernimmt die Sendung, all meine Werke der Welt in der von mir gewollten Weise vorzuführen und mich selbst gegen jede Sorge zu schützen... - Aber etwas fehlte noch, um seine Ekstase zu vervollständi-

gen, vier Wochen später schrieb er an Bülow: 85

186 9.} Juni i 1864 Mein lieber Hans! Was ich Dir jetzt sage, und um was ich Dich jetzt bitten werde, nimm das nicht als einen schnellen Einfall augenblicklicher Laune, sondern — wie einen wichtigen Paragraphen des letzten Willens eines Sterbenden auf. — Ich lade Dich ein, mit Weib, Kind

und Magd für diesen Sommer bis so lange wie möglich Dein Quartier bei mir zu nehmen. — Dies ist das Resultat langer Beratung mit mir. — Hans, Ihr trefft mich im Wohlstand: mein Leben ist voll-

kommen umgestaltet! Ich bin getragen von der gediegensten Liebe, dem reinsten Willen. Aber - mein Haus ist öde! -— Und nun

erst empfinde ich dies schmerzlicher als je... Bevölkert mein Haus, wenigstens für einige Zeit! ... Er versicherte ihnen, daß eine ganze Etage zu ihrer Verfü-

gung stünde und daß sie jederzeit ihre Ruhe und Abgeschlossenheit haben könnten, wenn sie sie wollten. Er müsse sie in

diesem

bedeutungsschwersten

Moment

seines

Lebens

um

sich haben: „Um des Himmels Willen, Kinder! Kinder! Kein

Nein! Ich könnt’ es jetzt nicht ertragen!“ Dem Brief folgte noch ein Stoß Telegramme. Sie mußten kommen! Eine Woche später schrieb er dann einen langen Brief an Cosima, da Bülow offensichtlich noch unentschlossen war. Er

erklärte ihr, sie sollten seinem Urteil vertrauen und schlug vor,

daß

Hans

den

Sommer

dazu

nutzen

sollte,

„meinen

lieben jungen König“ mit den Werken der Musik bekanntzumachen:

„Er ist ohne alle Musik erzogen, kennt nur meine

Werke, aber von Beethoven und fast aller sonstigen Musik gar nichts.“ Es wäre doch ausgezeichnet für Bülows Karriere. Man bedenke nur: dem König von Bayern nahezustehen! „Täglich

läßt er mich

fragen,

ob

er auf meinen

Freund

[Bülow] hoffen dürfe.“ Als des Königs Vorspieler wäre Hans ein Gehalt von mindestens 1500 Gulden sicher. Und außerdem: Starnberg, 16. Juni 1864 München ist einer der wohlfeilsten Orte Deutschlands... Hans,

wenn er will, macht seine Kunstreisen, giebt fast gar keinen Unterricht mehr, quält sich mit nichts, arbeitet hübsch und - ich habe Euch!

Als Postscriptum fügte er hinzu: „Wir haben hier einen wunderschönen Kuhstall mit 40 herrlichen Schweizer Kühen. Welche Milch für die Kinder!!!“

86

Dieser Brief war mit der Absicht geschrieben, daß auch Bülow ihn lesen sollte. Unehrlich war er nur insofern, als Wagner das förmliche ‚Sie‘ benutzte, während Cosima und

er sich nun schon seit geraumer Zeit duzten. War er, waren sie beide, so naiv, Bülow glauben machen zu wollen, ihre Be-

ziehung sei noch „förmlich“? Keine Frage, sein Verlangen nach Cosima war es, das ihm diese Ausflüchte und Vorwände eingab. Es war allerdings weder unwahr noch hinterlistig, wenn er schrieb, wie sehr er Bülows Gegenwart erwünschte. Er kannte Bülows Hingabe und seine Fähigkeiten nur allzu gut, und er wußte, wie wichtig sie für ıhn und für die theatralische Realisierung seiner noch nicht aufgeführten Werke waren. Schließlich sollten alle seine Pläne nicht nur als ein Memorandum auf des Königs Schreibtisch liegenbleiben. Wenn er von sich selbst absah — und Wagner lag viel daran, sich von öffentlichen Auftritten zurückzuziehen -, wo sollte er einen Musiker finden, der dem

wechselseitigen Spiel von Gesang und Orchester seiner symphonischen Dichtungen gerecht werden konnte, wo war der Dirigent, der es fertigbrachte, für den Hörer die Spannung einer derart langen, neuartigen und anspruchsvollen Tondichtung zu halten, wie sein „Tristan“ es war. Er brauchte

Bülow und nannte ihn sein zweites Ich. Außerdem — und das war ganz uneigennützig — wußte er, daß Bülow der richtige Mann war, die geplante Musikschule vorzubereiten und einzurichten. Bülow stimmte schließlich zu. Cosima kam mit ihren kleinen Töchtern Blandine und Daniela am 29. Juni 1864 im Landhaus

Pellet an; es war kaum

sechs Wochen her, daß Wagner dorthin gezogen war. Bülow traf erst am 7. Juli ein. Zu dieser Zeit hatte Wagners Verbindung mit Cosima bereits ihre endgültige Gestalt angenommen — das künftige Dreiecksverhältnis wurde im Haus am See besiegelt. Der König wußte von alledem nichts. Er ahnte nicht das geringste. Und Bülow? Wieviel wußte er? Und wie bald? Bevor

man

diese

Fragen

beantwortet,

denen

Ernest

Newman mit der Akribie und dem Scharfsinn eines Wissenschaftlers nachgegangen ist, sollte man zunächst auf die herausragenden Merkmale von Wagners und Cosimas Beziehung zum König in jener ersten, glorreichen Zeit eingehen. Zunächst einmal sonnte Wagner sich also im rosigen Glanz dieses idealistischen und romantischen Souveräns. Ludwigs 87

„Anormalität‘“ beeinträchtigte nicht dessen Energie und Zielstrebigkeit: Schon in jungen Jahren wußte er, daß er homosexuell war, aber seine Liebe zu dem Komponisten zeigte keine offenkundige Komponente dieser Art. Ludwigs mädchenhaft verzückte

falschen sicher

Art, Briefe zu schreiben, sollte nicht zu

Schlüssen

führen.

der damals

übliche

Zumindest romantische

teilweise

war

Stil, auch

dies

Cosimas

und Wagners Briefe wirken oft maßlos übertrieben. Und es steht fest: Ludwig war kein Dummkopf. Er war nur manchmal zu vertrauensvoll, manchmal zu sehr Theoretiker für seine praktischen Aufgaben, aber trotz alledem — und beson-

ders in seiner Jugend — war sein Geist aufnahmefähig. Er war anderen deutschen Potentaten haushoch überlegen. Ludwig wollte ein vereintes Deutschland.

tum

seiner Krone

auszugeben,

Er war bereit, den Reich-

um

für seine

Untertanen

Kunst, wie er sie verstand, zu fördern. Seine krankhaften und

schrecklichen

Idiosynkrasien

— seine Angst,

angestarrt

zu

werden, seine Manie, Märchenschlösser zu bauen, seine Wei-

gerung, mit Ministern zu konferieren, seine Sonnenkönig-Allüren — entwickelten sich erst später. Am Anfang war Ludwig voll von echtem Idealismus, voll von hochfliegenden Zielen. Seine Liebe zu Wagner war so umfassend, daß sie auch

Cosiıma und Bülow einschloß. Er mochte Cosima besonders gern und sah in ihr die ideale Frau und Mutter. (Ludwig haßte seine eigene Mutter.) Er bat sie zu helfen, die kleinen Unannehmlichkeiten

von Wagners Leben fernzuhalten;

Minna war ja krank und weit weg, und er hatte keine Frau um sich, die ihm das Dasein verschönte. Ludwig betrachtete Wagner, Cosima, Bülow und sich selbst als ein heiliges Quar-

tett, das sich den höchsten Zielen der Kunst verschrieben hatte. In seiner Vorstellung war dieses „Quartett“ eine Vereinigung im Geiste, eine Freundschaft, wie sie reiner nicht sein konnte. Daß noch irgend etwas anderes dabei eine Rolle spielen konnte, kam dem jungen König überhaupt nicht in den Sinn. Im Oktober 1864 zog Wagner nach München. Auf Wunsch des Königs war ein elegantes, großes, fast zu protziges Haus mit Garten für ihn gemietet worden. Bülows waren schon zuvor nach Berlin zurückgekehrt, um dort ihren Umzug zu regeln. Mitte November ließen sich dann Hans, Cosima und

ihre beiden München

88

kleinen

nieder.

Mädchen

Ludwig

hatte

in einem Bülow

eigenen zum

Haus

in

„Königlichen

Vorspieler“ ernannt. Das Haus der Bülows lag nicht weit entfernt von Wagners Haus. Sie waren wieder zusammen, bereit,

die großen Aufgaben in Angriff zu nehmen. Cosima teilte ihr Leben zwischen beiden Haushalten auf, allerdings nicht gleichmäßig. Mehr und mehr verbrachte sie ihre Zeit mit Wagner. Sie kümmerte sich um seine Korrespondenz, beriet ihn im Umgang mit den Regierungsbeamten, war

oft anwesend,

wenn

die königlichen

Abgesandten

mit ihm sprachen, gelegentlich auch, wenn er eine persönliche Audienz beim König hatte. Sie machte Reinschriften seiner Essays und Briefe, verscheuchte langweilige Besucher und sorgte dafür, daß der Komponist germanischer Sagen immer mit französischem Champagner versorgt war. Noch in jenem Jahr, an Cosimas Geburtstag, gab Hans von Bülow sein erstes Konzert vor Münchner Publikum. Er spielte ım Odeon unter anderem die Phantasie in C-Dur von Mozart und Beethovens Es-Dur-Konzert. (Lachner dirigierte „ganz erträglich“, sagte Bülow.) Er hatte extra ein konservatives Programm zusammengestellt, schrieb er seiner Mutter, um

den vielen

Schwarzsehern,

die in der heranrückenden

Streitmacht Wagner-Bülow eine Zerstörung aller musikalischen Werte der Vergangenheit sahen, Lügen zu strafen. Das Konzert war ein Bombenerfolg. Ludwig war anwesend und wohlwollend, aber Bülow fühlte, daß des Königs Aufnahme-

bereitschaft ganz ausschließlich auf Wagners Musik konzentriert war. Für Wagner öffneten sich die Palasttore, wann immer er es

wünschte, für ihn war der König jederzeit zu sprechen, immer bereit, ihm seine ganze Aufmerksamkeit zu schenken. So konnte es nicht ausbleiben, daß die eifersüchtige Kamarilla am Hof unruhig werden mußte. Sie nannten Wagner „Lolotte“,

in Anspielung

auf Lola Montez,

einem

anderen

königlichen Liebling. Zunächst war Wagners Verhalten umsichtig, aber schon zu Anfang des Jahres 1865 hatte seine Arroganz wieder die Oberhand gewonnen. Als er sich sogar dem König gegenüber einige Fauxpas erlaubt hatte, verbündeten sich Politiker und Presse, um gegen Wagner Front zu machen. Ihre Vorwürfe wurden zunächst versteckt, bald aber offen geäußert: Der König, verloren in seine voll orchestrierten

„Tristan“-Träu-

mereien, vernachlässige seine Verwaltungsgeschäfte, und Wagner entzöge dem öffentlichen Haushalt furchterregende 89

Summen. Der tiefere Grund dieses Ränkespiels lag aber weder in der Eifersucht derjenigen begründet, die immer im Vorzimmer abgespeist wurden, noch in Wagners arrogantem Auftreten oder seiner Geringschätzung des Münchner Kunstlebens, bevor er sich aus den Wolken zu ihnen herabgelassen hatte, sondern war vielmehr in dem Unbehagen zu suchen, das Mittelmäßige immer empfinden, wenn man ihre Mittelmäßigkeit herausfordert. Auf jeden Fall war noch kein Jahr vergangen, seit der König nach Wagner geschickt hatte, als in der Augsburger „Allgemeinen Zeitung“ ein Artikel erschien, der ans Eingemachte ging. Wagner wurde angeklagt, die königliche Gunst und Freizügigkeit zu mißbrauchen, worüber das bayerische Volk in den letzten Monaten teils unterdrückt, teils offen sein Mißfallen gezeigt habe, während seine „Genossen“ die beleidigende Unverfrorenheit besäßen, von „bayerischer Stupidität“ zu

sprechen. Bülow, der ein besonderes Talent hatte, das falsche Wort zur falschen Zeit zu sagen, ließ folgendes in der Zeitung abdrucken: 21. Februar, 1865

Eine Münchner Korrespondenz der „Allgemeinen Zeitung“ beschuldigt die sogenannten Genossen des Herrn Richard Wagner des Mißbrauchs ihrer Beziehungen zum königlichen Hof. Da unter gedachen Genossen ich, der Unterzeichnete, allein die Ehre gehabt habe, in derartige Beziehungen zu treten, so übe ich mein Recht aus und erkläre den anonymen Urheber jener Verdächtigung für einen ehrlosen Verleumder. Hans von Bülow.

Cosima versuchte, die Angelegenheit zu glätten. Sie schrieb einen taktvollen Brief an Pfistermeister, erklärte, ihr Mann fühle sich gekränkt, nicht weil man den Künstler, sondern

weil man

den Ehrenmann

kritisiert habe. Indem

sie auch

Bülow verteidigte, wurde Cosima wahrscheinlich klar, daß sie

selbst in Gefahr war, in den Morast journalistischer Schimpf und Schande gezogen zu werden, aber sie hatte das Gefühl, sich zu diesem Vorfall irgendwie äußern zu müssen. Noch hoffte sie, daß ihr Geheimnis, das Geheimnis ihrer brennen-

den Liebe, geheimgehalten werden konnte. Bis jetzt hatten die Journalisten, die den beiden „Zugereisten“ am Rockzip90

fel hingen, sich noch nicht mit ihr beschäftigt. Und mit dem Mut oder der Selbsttäuschung, in der sich Betroffene so oft wiegen, redete sie sich ein, daß ihre Liaison hinter zugezogenen Vorhängen versteckt bleiben würde.

2 Zu jener Zeit war Cosima mit Wagners Kind schon im siebten Monat schwanger: Isolde kam am 10. April 1865 zur Welt. Am Tag ihrer Geburt dirigierte Bülow die erste Orchesterprobe von „Tristan“.

Wenn in den älteren Wagner-Biographien die Krise zwischen Hans und Cosima überhaupt zur Sprache kommt, so wird stets versichert, daß Bülow in völliger Unwissenheit über dıe wahre Natur der Beziehung Wagners und Cosimas schwebte. Erst als er zufällig einen an Cosima adressierten Brief öffnete — was er eigentlich nie tat, aber Cosima war verreist und er nahm an, der Brief enthielte eine wichtige Nachricht, die weitergeleitet

werden

müsse

-, wurden

ihm

die

Augen mit blendender Abruptheit geöffnet.* Dies soll angeblich im Mai 1866 geschehen sein, also mehr als ein Jahr nach Isoldes Geburt. Ernest Newman hat in seiner Biographie, Band III, Kapitel 21 „The Triangle“, aufgezeigt, daß diese überraschende

Of-

fenbarung nicht nur unwahrscheinlich, sondern geradezu unmöglich ist. Bülow konnte wohl kaum all die Andeutungen übersehen haben, die zu jener Zeit immer wieder in der Presse erschienen, ebenso mußten ihm die Bemerkungen aus dem Freundeskreis Wagners zu Ohren gekommen sein. Der Komponist Peter Cornelius, damals ein enger Freund von * Julius Kapp spricht in „Richard Wagner und die Frauen“ von einem leidenschaftsvollen Liebesbrief Wagners. Dafür gibt es jedoch keinerlei Beweise. Im Gegenteil. es erscheint in höchstem Maße unwahrscheinlich, daß Wagner derart unvorsichtig war, aus-

gerechnet dann einen Liebesbrief in Bülows Haus zu schicken, wenn Cosima — was er wußte — nicht dort war. Von diesem vermeintlichen Brief ausgehend, zieht Kapp den Schluß,

daß

sich Bülow

auf diese

Weise

die ganze

bittere

Wahrheit

offenbarte.

In

„Wagner“ hingegen stellt Curt von Westernhagen die Theorie auf, daß Ludwig in diesem Brief Cosima seinen Wunsch abzudanken mitteilte. Auch das erscheint unwahrscheinlich: Warum sollte Ludwig nicht gleich Wagner, sondern zuerst Cosima schreiben?

9]

allen dreien, schrieb ganz offen über die Liebesaffäre in seinem Tagebuch und ebenso in den Briefen an seine Braut. Ende

1865 war sich Cornelius sicher: „Die Hauptsache aber

ist das Liebesverhältnis zwischen Cosima und Wagner... Aber was das mit Bülow wird? Ob er überhaupt Wagner seine Frau gänzlich überlassen hat in einem hochromantischen Einverständnis? Die wirkliche Ehe zwischen Hans und Cosima war wohl schon längere Zeit nur eine Scheinehe. Hansens Benehmen wäre sonst nicht zu erklären.“ In einem späteren Brief an Bülow spricht Cosima unverhüllt von der „menage ä trois“. Er wußte offensichtlich, wer

mit dem „Dritten“ gemeint war. Und Jahre später erwähnt Cosima einmal, daß sie von Juni 1864 an, also ungefähr seit

dem Zeitpunkt, als sie Wagner im Landhaus Pellet besuchte, keine ehelichen Beziehungen mehr mit ihrem Mann hatte. Das alles beweist, daß Bülow nicht der traditionell „blinde“,

betrogene Ehemann war. Er wußte Bescheid. Und er duldete, was er nicht ändern konnte. Er ging nicht auf die Barrikaden,

tobte nicht, klagte nicht an — außer später einmal —, und er war mehr als nur ein Dulder: Nach wie vor war er bemüht,

Wagner in jeder ihm möglichen Weise zu helfen. Ganz bestimmt sollte man Bülow nicht als Figur aus einer Komödie, als unwissenden Dummkopf

ansehen, der nicht merkte, daß

er ein Hahnrei ist, sondern als Figur einer Tragödie. Die Antwort auf die Frage, wann Bülow die volle Wahrheit erfuhr, muß unbestimmt bleiben, obwohl es einige Hinweise

gibt. Als er im Juli 1864 zu seiner Familie ins Landhaus Pellet nachkam,

waren

seine

Nerven

zerrüttet.

Zudem

war

das

Wetter naß und unfreundlich, das Haus infolgedessen kalt und feucht, und Bülow erholte sich von der einen Krankheit,

um die nächste zu bekommen. Bis August hatte sich Bülows Zustand so sehr verschlechtert, daß er an beiden Beinen und

einem Arm gelähmt zu sein schien. Am 19. August verließ er plötzlich die Villa und zog nach München ins Hotel „Bayeri-

scher Hof“. Am selben Tag verließ Cosima ihn, krank wie er war, um zu ihrem Vater nach Karlsruhe zu reisen, der dort bei einem Musikfest war. Liszt hatte sie weder erwartet, noch

schien er zunächst zu verstehen, warum sie gekommen war. Zwei Tage später schrieb Liszt an Carolyne, daß er sich nicht ganz im klaren über Bülows Stellung in München in bezug auf Wagner, usw. sei. Er erfuhr auch, daß Hans bereit war, alles über Bord zu werfen und nach Berlin zurückzukeh-

22

ren, trotz aller Gunst- und Ehrenbezeugungen, die König Ludwig ihm zuteilwerden ließ. Am 28. August kehrte Cosima in Begleitung ihres Vaters nach München zurück. Am nächsten Tag fuhr sie nach Starnberg, um mit Wagner zu sprechen, woraufhin

beide zusammen

noch am selben Tag wie-

derum nach München fuhren. Tags darauf begaben sich Wagner und Liszt zum Starnberger See, am 31. August war Liszt wieder zurück in München. Wagner folgte ihm am 2. September nach, am dritten fuhr Liszt ab. Noch am selben

Tag reiste Cosima mit den Kindern nach Berlin. Warum sollte Bülow plötzlich der bequem eingerichteten Villa, wo man ihn gut gepflegt hätte, ein Hotel vorgezogen haben? War es in München vielleicht einfacher, schnell einen

Arzt zu bekommen? Das ist ziemlich unwahrscheinlich. Starnberg lag nahe genug bei München, um einen Arzt kommen zu lassen. Warum sollte Cosima ihren halb gelähmten Ehemann allein im Hotel lassen, um ihren Vater zu besu-

chen? Warum sollte Wagner rastlos zwischen dem Landhaus Pellet und München hin und her fahren? Und warum sollte Liszt, der sowohl seine Tochter als auch Wagner schon seit ei-

niger Zeit nicht gesehen hatte und der so schnell wie möglich nach Rom zurückkehren wollte, seine Reise unterbrechen und nach München fahren? Für Ernest Newman ergab sich aus diesem Puzzle folgendes Bild:

„Bülows

Zusammenbruch

ist wahrscheinlich

zum

Teil das Ergebnis einer offenen Enthüllung der neuen häuslichen Situation“. Wahrscheinlich fuhr die verstörte Cosima, so meint er, nach Karlsruhe, ohne auf eine Einladung ihres Vaters zu warten, um ihn über die Krise zu informieren und

um seinen Rat und seine Hilfe zu erbitten. Es ist allerdings wahrscheinlicher, daß Cosima gar keinen Rat suchte, sondern

ihren Vater nur über die Angelegenheit informieren wollte. Liszt war zutiefst beunruhigt. Er bedauerte Bülow, und er sah einen häßlichen

Skandal

voraus,

in den seine Tochter, sein

Schüler und sein Freund verwickelt sein würden. Er fuhr mit dem Vorsatz nach München,

mit den dreien „vernünftig zu

reden“. Wagner bemerkte, wie Liszt ergraut, wie sehr er gealtert war. Obwohl angeregt und musikalisch hochgestimmt von den „Meistersinger“-Auszügen, die Wagner für ıhn gespielt hatte, fuhr Liszt schweren Herzens ab. Es war ihm nicht gelungen, Cosimas oder Wagners Entscheidung zu beeinflussen. 93

Wenn Bülow die Wahrheit schon zu einem viel früheren Zeitpunkt kannte, warum ertrug er dann diese qualvolldegradierende

Situation?

„Es

ist mir

ein

unumstößliches

Dogma: W. ist der größte Tondichter, ganz ebenbürtig einem Beethoven, einem Bach - und außerdem noch weit mehr. Er

ist die Incarnation des deutschen Kunstgeistes, sein unvergänglichstes Denkmal“ — so schrieb er noch 1866 an Jessie Laussot. Er hätte alles getan, um — wenn nicht den Menschen Wagner, dann den Künstler Wagner, den Schöpfer großer Werke zu schützen, denn:

„Bei Gott - alles, was Ideales im

deutschen Geiste noch steckt und Erhaltungswürdiges, das lebt in diesem einzigen Kopfe.“ Die Aufführung des „Iristan“ mußte vorangetrieben werden. Das war wichtiger als irgendeines Menschen Schicksal, ob Mann oder Frau. Dieses Werk, das für die Ewigkeit bestimmt war, mußte zum Leben erweckt werden. Er erkannte,

daß

er der Kunst

einen

außerordentlichen

Dienst erwies. Deshalb hielt er sich aufrecht wie ein Gardeoffizier, übersah mit großer Selbstbeherrschung das hämische Grinsen in seiner Umgebung und stellte sich mit allen seinen Kräften weiter in den Dienst der Musik, deren neue Sprache

er - und zu jenem frühen Zeitpunkt vielleicht nur er — anderen beibringen konnte. Bülow war nicht an der Nase herumgeführt worden. Er hatte seine Entscheidung ganz bewußt getroffen. Noch eine Überlegung mag eine Rolle gespielt haben: Trotz all seines Idealismus wußte er — wie die meisten Künstler —, was gut für seine Karriere war. An der Spitze von Mün-

chens Musikwelt zu stehen, bedeutete einen großen Schritt auf der Leiter nach oben. Unter König Ludwig würde München ein wichtigeres Musikzentrum werden als Berlin. Und zumindest anfangs mußte er nicht wie in Berlin gegen den Klüngel feindlicher Kritiker kämpfen, obwohl er auch hier in München sein Bestes tat, um sich neue Feinde zu schaffen. Nur einmal kam die Bitterkeit, die er in seinem Herzen

vergraben hatte, zum Vorschein — und dabei holte er gegen Wagner aus, nicht gegen Cosima. Er schrieb Gräfin Claire Charnac£, einer Halbschwester Cosimas, von den Qualen, die

er erdulden mußte: „Nur noch ein Opfer könne er bringen — sein Leben!“

94

15. September 1869 ... Aber vor diesem Opfer schreckte ich zurück —- kann man mir das als Verbrechen anrechnen? Vielleicht hätte ich dem nicht einmal ausweichen sollen, wenn ich nur an ihm, jenem Mann, der

in seinen Werken so erhaben ist und so verworfen in seinen Handlungen, die geringste Andeutung der Loyalität wahrgenommen hätte, das flüchtigste Zeichen des Wunsches, aufrecht und ehrenhaft zu handeln ... Aber diese Anklage, die ich eben aussprach und für die eine zwanzigjährige enge Beziehung mir mehr als ausreichende Beweise geliefert hat, war sie nicht notwendig, um eine andere Person freizusprechen, die einst in ihrer überragenden Intelligenz wie in ihrer Loyalität, ihrer Offenheit und ihrem edlen Charakter, Ihnen, Madame, so sehr und schwester-

lich ähnelte?

Dem Münchner Publikum und der Presse gegenüber galt 'es den Schein zu wahren. Cosima mußte nach außen hin die prominente Gattin ihres prominenten Ehemannes bleiben, und das war eine Aufgabe, der sie voll und ganz gewachsen war. Sie achtete darauf, immer mit Bülow gesehen zu werden, wenn er spielte oder dirigierte. Sie empfing Gäste, ordnete seine häuslichen ebenso wie seine geschäftlichen Angelegenheiten und zeigte sich in der Öffentlichkeit niemals als enge Freundin Wagners. Trotzdem gelang es ihr nicht, den Klatsch und das Geschwätz zum Schweigen zu bringen. Die Sache war einfach zu pikant! Nach einer der ersten Proben zu „Tristan“ erschien eine Karikatur in einer Mün-

chener Zeitung, die einen hoheitsvollen Wagner zeigte, der Arm in Arm mit der ihn wie ein Turm überragenden Cosima voranschritt, während Bülow mit gebeugtem Rücken die „Iristan“-Partitur

schleppend,

schüchtern

hinterhertrottete.

Das war ein Wink mit dem Zaunpfahl. Noch offenere Brandmarkung sollte folgen. Obwohl Wagner die Angriffe als boshaftes Geschwätz abtat und obwohl Cosima wahrhaft in würdevoller Weise die Ruhe bewahrte, indem sie vorgab, nichts von alledem zu bemerken,

waren beide nervös. Wagner konnte seinen Teil an Beschimpfungen ertragen. Zu den Musikern, die ihn während einer Probe warnten, er stünde zu nahe an der Kante des Podiums, sagte er: „Meine Herren, ich bin daran gewöhnt, am

Rande des Abgrundes zu stehen“. Auch Cosima war bereit, das Spiel weiter zu spielen, so sehr sie sich auch nach einer 95

Lösung sehnte. Nur eine große Angst jagte beide: Unter allen Umständen mußte die Wahrheit einem Mann verborgen bleiben, dem Träumer und Schwärmer in der Residenz — König Ludwig.

3 Die geplante „Tristan“-Uraufführung unter Bülows Leitung machte Fortschritte. Ludwig Schnorr von Carolsfeld — der Tenor, wie Wagner nie wieder einen vergleichbaren finden sollte - sang den Tristan, seine Frau Malvina die Isolde. Die

Generalprobe, zu der König Ludwig an die sechshundert Gäste eingeladen hatte, machte einen überwältigenden Eindruck. Dann kam der Schock. Die Uraufführung mußte verschoben werden, weil Malvina plötzlich heiser geworden war. Am

10. Juni 1865, mit fast einem

Monat

Verspätung,

fand

schließlich die Premiere statt. Sie begann um sechs Uhr abends und dauerte bis kurz vor Mitternacht. Ludwig saß regungslos in seiner königlichen Loge. Am Ende waren einige verwirrt, einige wütend, aber die meisten waren erfüllt von Ehrfurcht und Bewunderung. Bülow schrieb, daß dieser Aufführung der größte Erfolg beschieden war, den ein neues Werk von Wagner jemals hatte: Die Schnorrs, so Bülow, waren unglaublich; alle anderen durchaus erträglich, das Or-

chester exzellent. Auch Schnorr reagierte enthusiastisch, wobei er seine eigene Leistung unter den Scheffel stellte: Seiner Ansicht nach hatte er nur wenig für den überwältigenden Erfolg getan, nur die zwingende Kraft Wagners habe dies erreicht. Dennoch, schrieb er an Cosima, sei er auf diesen Abend stolz, denn erst seither fühle er seine wahre Bestimmung als Künstler, seither sei er auch sicher, nicht als

Nichtswürdiger den großen Atem von Wagners spürt zu haben. Am

21. Juli

1865, kaum

drei Wochen

nach

Geist verder vierten

„Iristan“-Aufführung, starb Schnorr im Alter von nur neunundzwanzig Jahren. Es war ein unersetzlicher Verlust für Wagner, ein Verlust, den er bis an das Ende seiner Tage nicht

verschmerzte. 96

Wagners

Gegner sahen darin ein Schuldbe-

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Die Mutter Franz Liszts (2. v. 1.) mit Daniel, Cosima und Blandine sowie der Erzieherin Madame Patersi

Cosima, Blandine und Daniel Liszt

Zeichnung von Friedrich Preller, Weimar

1855

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Mathilde Wesendonck Marmor-Büste von L. Keiser, Paris 1860

_

Cosima und Richard Wagner Foto Fritz Luckhardt, Wien 1872

Franz Liszt mit Tochter Cosima

Foto Hanfstaengl, 1867

kenntnis:

Sie

erklärten,

diese

„Tristan“-Partie

hätte

den

Sänger umgebracht. Zu Wagners Kummer kam hinzu, daß auch Cosima ihn für

ein paar Wochen verlassen mußte. Sie sollte mit Bülow nach Budapest fahren und sich dort in der ersten Augustwoche mit Liszt

treffen,

dessen

„Heilige

Elisabeth“

Bülow

dirigieren

sollte. Müde, erschöpft und wehen Herzens zog sich Wagner in die königliche Jagdhütte Hochkopf, hoch oben in den bayerischen Bergen, zurück, die Ludwig ihm für den Sommer

zur Verfügung gestellt hatte. Cosima hatte ihm zum Abschied ein in braunes Leder gebundenes Notizbuch geschenkt und ihn gebeten, dem „Braunen Buch“ seine Gedanken während

ihrer Abwesenheit

anzuvertrauen.

Nur

sein Diener

Franz

und sein Hund leisteten ihm Gesellschaft. Er las „Die Elenden“ Victor Hugos, studierte das „Ramayana“, beschäftigte sich wieder mit dem Parzival-Stoff, den Großteil seiner Zeit verbrachte er jedoch damit, sich nach Cosima zu sehnen und

sie in seine Träume einzuspinnen. Denn noch sah er keinen Weg, den sie ganz offen gemeinsam gehen konnten. Das „Braune Buch“, eines der wichtigsten Wagner-Doku-

mente, wurde erst vor einigen Jahren komplett veröffentlicht. Jahrzehntelang hatte man es unter Verschluß gehalten, nur den offiziellen Bayreuth-Biographen zugänglich und auch diesen nur bruchstückweise.

dieses Dokumentes, Seiten, überklebte

Eva Chamberlain,

verstümmelte andere

in dem

die Hüterin

es. Sie entfernte

einige

einfältigen Bemühen,

sie

unlesbar zu machen und dies alles wegen meist recht harmloser Bemerkungen. Apropos: In diesem Zusammenhang sei erwähnt, daß die Wagnerschen

Dokumente,

so zahlreich sie auch sind, in be-

trächtlichem Ausmaß mißbraucht und in einigen Fällen auch gefälscht wurden, wobei die ursprünglich Schuldige Cosima war. Nach Wagners Tod bedienten sie und die Bayreuther Helfer sich ungeheurer Mengen von „Reinweichern“, um das „Monument“ damit weißzuwaschen. Sie vernichtete einige

von Nietzsches Briefen (dennoch fand man in seinem Nachlaß noch Entwürfe dieser Briefe wieder). Sie verbrannte Cornelius’ Briefe an Wagner, sie merzte kompromittierende Passagen aus Wagners Briefen an Mathilde Wesendonck aus, und so weiter. Und was Wagner ihr als „Mein Leben“

dik-

tierte, war eine selbstrechtfertigende und oft verlogene Autobiographie. 97

Er

schrieb

„Mein

Leben“

für

König

Ludwig,

dessen

Wunsch es war, jedes Detail aus Wagners Leben zu kennen. „Freundin Cosima ruht nicht, mich an den Wunsch unseres Königs zu mahnen“, schrieb Wagner kurz nach der „Tri-

stan“-Uraufführung an Ludwig. Das Buch erschien zunächst in einer kleinen Auflage als Privatdruck, und Wagner gab einige Exemplare an ein paar enge Freunde mit der Einschränkung weiter, daß der Inhalt nicht für die Öffentlichkeit

bestimmt sei. Auch Ludwig bekam ein Exemplar. Nach Wagners

Tod

versuchte

Cosima, jedes einzelne

dieser

Bücher,

sogar Ludwigs, wieder an sich zu bringen — offenbar in der Absicht, einige Änderungen für die erneute, nunmehr öffentliche Auflage vorzunehmen. Der Drucker Bonfantini in Basel war jedoch durch die strikte Anweisung, nur achtzehn Exemplare herzustellen, hellhörig geworden: er schien da etwas ganz Besonderes in Händen zu haben. Er machte also für sich eine Extra-K.opie. Seine Witwe verkaufte dieses Exemplar später an Mary Burrell, einer unermüdlichen Sammlerin von Wagneriana. Sie beabsichtigte, „endlich die Wahrheit“ über Wagner auf-

zudecken und damit Minna Wagner und deren uneheliche Tochter Natalie in ein besseres Licht zu rücken. Cosima erfuhr davon und war schlau genug, die Änderungen in der offiziellen Ausgabe so geringfügig wie möglich zu halten, denn sie wußte, daß jegliche Diskrepanz zwischen beiden Ausgaben aufgedeckt werden könnte. Ein ähnliches Hickhack gab es mit Cosimas Tagebüchern, die sie von 1869 bis 1883 geführt hatte. Cosima vermachte sie ihrer Lieblingstochter Eva, die sie verschloß und Einblick nur in bestimmte Teile erlaubte — und auch das nur jenen Wagner-Biographen,

die

dem

„offiziellen“

Bayreuth

genehm

waren. Erst nach einem langen Rechtsstreit erhielt die Stadt Bayreuth das Recht, sie zu veröffentlichen: im Jahre 1976. Mehr als ein Jahrhundert war vergangen, seitdem Cosima zum erstenmal ihre Erlebnisse und Gedanken zu Papier gebracht hatte. Um

zu Wagners

„Braunem

Buch“

zurückzukehren

und

speziell zu jenen Einträgen, die er während seiner Einsamkeit in Hochkopf machte, so bezeugen sie eine erstaunliche Unreife. Dieses

Genie,

mittlerweile

zweiundfünfzig

Jahre

alt,

führt hier Selbstgespräche wie ein Student im zweiten Semester, der sich nach seiner kleinen Freundin verzehrt: 98

[18. August 1865] O Cosima! Du bist die Seele meines Lebens! Ganz und gar! — Ich sah in das flache Land hinein; suchte „Heimat“ — dachte mir München ohne Dich. Alles Grab! Nichts, nichts mehr ohne Dich! Du bist die Seele von Allem was

noch in mir lebt. —- Gute Nacht! — Parzival hat schön geschrieben! — Auch gearbeitet! - Gute Nacht, Cos! — 19. Aug [1865] Guten Morgen, meine Seele! — Wetter grau - regnerisch! Kalt! Da muß man innen sich hell und warm halten. — Das Rheingold ist auch angekommen. Nun will ich’s neu verpakken, und dem König nach Hohenschwangau zum Geburtstag schicken.* ... Er freut sich mich am 25. in Hohenschw. zu sehen; aber - ich werde nicht gehen. Es ist mir wirklich zu anstrengend. Ich befinde mich so, dass ich eben nur mit grösster Sorge u. Ruhe unter der drohenden Krankheit durchflüchte. Ich werd’ ihm heut’ schreiben, und die Partitur schicken. Du hast doch Sorge getragen, dass das Kissen** richtig abgegeben wird? Ich hoff’s.... Schlimm ist Eines! — Ein gewisser Ekel vor dem Dasein erzeugt sich daraus, dass die Vorstellung endlich mit dem wesentlichen Bild der Welt erfüllt ist, und daran sich nicht mehr viel ändern,

auch nichts Neues mehr hinzukommen kann. Ich mag sinnen was ich will, so wende ich mich endlich mit einem gewissen Überdruss ab, weil ich fühle, das habe ich Alles schon einmal gewonnen. Ich treffe in Allem auf Ideen, die ich schon hatte: der Reiz der Ent-

deckung ist gänzlich geschwunden. So bleibt denn nichts Fesselndes mehr übrig, als — die Ausführung der Form, die reine künstlerische Freude am Vollenden der Darstellung. Ich hoffe es, hieran wieder großes Genügen zu finden... Schnorr’s Tod bildet einen noch unermesslich bedeutsamen Abschnitt in meinem Leben... Von Dir weiß ich seit 2 Tagen nichts. — Welch trauriges Dasein! — Ach! Vereint in einem besseren Klima! Am Ganges! — Gute Nacht, liebe Seele! Gute Nacht! —

Zwei Tage zuvor hatte ihm Cosima einen eifersüchtigen Brief geschickt. Wagner hatte sich vor drei Jahren von einer hübschen und intelligenten Frau, zwanzig Jahre jünger als er, stark angezogen gefühlt. Wie weit ihre Beziehung ging, ist nicht bekannt, man weiß nur, daß er versuchte, Mathilde Maier von ihren „elenden, kleinbürgerlichen Rücksichten“ * Die Originalpartitur, die sich Wagner von dem Vorbesitzer Otto Wesendonck für den König zurückerbeten hatte. ** Cosima hatte dem König zum Geburtstag ein Kissen gestickt, mit Motiven aus „Holländer“, „Tannhäuser“, „Lohengrin“, „Siegfried“ und „Tristan“.

9

abzubringen, damit sie komme und ihm den Haushalt führe. Auf diesen Vorschlag kam

er wieder zurück, als er an den

Starnberger See zog (Etwa fünf Monate nachdem Cosima und er sich geschworen hatten, sich „einzig gegenseitig“ anzugehören!). Er versprach Mathilde damals sogar die Heirat, sollte Minna sterben. Sie lehnte ab. In dem Maße wie seine Liebe zu Cosima wuchs, verblaßte Mathildens Bild. Er schrieb ihr von Zeit zu Zeit freundliche Briefe, dankbar in

der Erinnerung schwelgend, aber es steckte nichts mehr dahinter. Später sandte er ihr ein Exemplar der privaten Autobiographie — erbat sie dann aber wieder zurück. Cosima wußte davon: Dieser Vorfall genügte, Eifersucht zu zeigen — oder sie vorzutäuschen. 18. Aug [1865] Guten Morgen, böses Kind! — Was hast Du mir gestern für einen garstigen Brief geschrieben! — Ich komme immer mehr dahinter, wie bös er ist. Eigentlich sagst Du mir darin nichts anderes, als dass Du Unrecht hättest mich so

lieb zu haben, und dagegen Deinen Vater übel zu behandeln, der Dich doch einzig liebte; Das ist hübsch! Und diess geht Dir ganz leicht von Statten, namentlich wenn Du von mir fort bist, und bei

Deinem Vater !—- Und nun muß die unglückliche M.M. wieder herhalten: Gott, was habe ich nicht mit der Alles vor - ja! wie ich mit der umginge — was ich da für Zärtlichkeiten verschwende! u.s.w. — Das ist alles sehr hübsch, und sieht gerade so aus, als ob

Du es auf einen „Bruch“ mit mir absähest. Mach’s nur so fort! — BilEil Hoffentlich kommt sehr bald ein gescheidter Brief, sonst ist’s aus!

Natürlich waren sie in kürzester Zeit wieder versöhnt. Am selben Tag machte er später noch einen langen Eintrag, der wirkt wie die Fieberphantasien eines kranken Mannes — was erin der Tat auch war: Wie ich einzig Kunstmensch bin, kann ich auch nur ein künstliches Leben führen. Dazu gehört: fast gar nicht mehr mit den Leuten verkehren; gar nicht mehr sprechen, oder nur im Scherz, nie ernsthaft, denn das wird immer gleich leidenvoll und unnütz. Wenn der König meine Vorschläge eingeht, und ich dadurch mein Leben bis zum Tode angenehm gesichert u. von jeder Sorge befreit sehe, denke ich nur noch an das Schaffen, nicht aber mehr

an das Wirken. Ich richte mir dann einen vollständigen Hof ein. Hans muß

Alles „Wirken“

übernehmen:

Schule, Aufführungen

u.s.w. Ich verkehre mit der Welt nur noch durch ihn; und zwar

100

immer nur eigentlich scherzend. Unmittelbar bekümmere ich mich um nichts mehr. Alle Wochen soll einmal Hofhaltung bei mir sein: da empfange ich den Rapport meines Generals und seiner Adjutanten: was zu Stande kommt, freut mich, was nicht zu Stande kommt, betrübt mich nicht, denn ich habe es mir nicht

erwartet. Das geht nun so seinen Lauf. Aber mit dem Arzt werd’ ich eine richtige Diät verabredet haben: da werd’ ich meinen Tag so einrichten, dass ich den allergrössten Vortheil für meine Arbeiten daraus ziehe. Das muss

ganz künstlich eingerichtet werden,

und dann geht es wie zu Versailles, bei Louis XIV her: mit steifster Etiquette, wie auf Fäden gezogen. Unwohlsein darf mich nie mehr stören. Cosima muss immer bei mir sein - immer dabei: das geht nicht anders. Aber wir sprechen nie, besonders nie ernst. Dann, glaube ich, bringe ich den ganzen Ernst meiner Kunstwerke noch zu Stande: aber der Ernst muss einzig da liegen. Alles übrige muss leicht und heiter sein. Cosima ist aber heimlich mit ernst: das versteht sich! — Aber sie lässt sich’s nicht merken.

diese Alles Wenn noch chen

Bloss Brünnhilde, und wie all

Personen heissen, sollen es merken lassen, wie ernst das gemeint ist. Nicht wahr? — So soll’s werden! — der König nicht kann! Dann Alles umgekehrt: dann nur ‚Wirken‘ — und gar kein Schaffen. Dann in das kleine Stübzu Euch: den ganzen Tag Besorgungen, zu thun, mit den

Leuten mich abgeben, belehren, anordnen, reden u. Gott weiss

was Alles. Aber alles heiter, ohne Ärger: denn ich werde dann ganz

arm

sein, gar, gar-nichts

mehr

besitzen,

nichts

mehr

als

Deine und Parzival’s* Briefe, selbst nicht mehr meine Manuscripte: Alles, Alles werde ich fortgegeben haben. Nur mein Krankenbett behalte ich: mit dem komme ich zu Euch, Hans bekommt besseren Gehalt, und ich lebe von Euch, ganz wie ein Bettler.

Dann geht’s auch: dann kann ich viel wirken, Schule machen, und Alles mit guter Laune. Dann - soll das sein, und das Andre nicht. — Auch gut! Und du bist immer dabei und darfst viel reden!

Ein paar Tage später, als seine Sehnsucht noch größer geworden war, zitierte er Tristan: „Das Schiff - siehst du’s noch nicht?“ Während er am Prosaentwurf für „Parzival“ arbeite-

te, glaubte er zu spüren, wie sich die Türe bewegte. Sein Herz schien zu zerspringen: „ -— sie tritt dahinter hervor!“ Aber es

istnur der Wind... Wagner war sich darüber im klaren, daß Bülow und Cosima nur auf Liszts Drängen nach Budapest fuhren. Das * Den Namen Parzival gebrauchte Wagner im engsten Kreise für König Ludwig II., der auch selbst gelegentlich mit diesem Namen unterschrieb.

101

bedeutete für Wagner und Cosima eine Trennung von fünf Wochen. Während dieser Zeit muß Liszt abermals versucht haben, seine Tochter davon abzubringen, ihre Ehe zu zerstö-

ren. Und auch dieses Mal hatte er keinen Erfolg. Am 13. September 1865, als Bülow und Cosima nach München zurückkehrten, hatte sich nichts, aber auch gar nichts verändert: „Isolde“ nahte, nicht um zu sterben, sondern um zu leben.

Das einzige Ergebnis von Liszts Bemühungen war, daß Wagners Sympathien für ihn sich sehr abgekühlt hatten. Im „Braunen Buch“ macht er seinem Ärger Luft, indem er voraussagt, Cosima werde ihren Vater nach wie vor lieben, sobald sie wieder von ihm getrennt wäre, während er, Wagner, lernen werde, Liszt zu hassen. Am 1. September 1865 schreibt er: Mir ist dieser ganze katholische Kram in tiefster Seele zuwider: wer sich dahinein flüchtet [Liszt war im August Abbe geworden], muß wohl viel zu büssen haben. Im Traume sprechend hast Du mir es einmal enthüllt: es war furchtbar. Dein Vater ist mir widerwärtig. - und wenn ich ihn ertragen konnte, so lag in meiner blinden Nachsicht mehr Christenthum, als in seiner ganzen Frömmelei... [Eva versuchte diesen Eintrag ebenfalls unleserlich zu machen]

Zehn Tage später war aus Wagners sehnsuchtsvollem Verlangen Verzweiflung geworden. Das dokumentiert ein unzusammenhängender Eintrag im „Braunen Buch“, der wiederum nur teilweise vorhanden ist, da Eva zwei Seiten davon

vernichtete: Dein

Brief, Liebe!

Wieder

heller Wahnsinn!

Wahnsinn

u. kein

Ende! ... Wenn es sein muss, so sei’s: ich ergebe mich. Vielleicht ist Dir das nöthig: Es gefällt dem Vater: er hat Dich gern dabei, — Du bist gern dabei. Warum bin ich auch da? Du hast zuviel! - Ich — kann das nicht mehr mit machen, ja nur mit fühlen! Gott weiß, wie Du zurückkommen wirst. Ich weiss, wie Du vorm Jahre von

der Begleitung Deines Vaters ankamst! Es war fürchterlich: Du schlaflos, ruhlos, schwach, hinfällig, elend, zerfleischt! Ich fühlte

eine Pein, die mit gar nichts zu vergleichen ist. So wird’s nun wieder sein. Und über’s Jahr?- Die Bach’sche Fuge — derselbe Tanz.- Wie komm ich mir dabei vor? - Und von Isoldchen läufst Du fort, nun schon 5 Wochen -: Du verdienst eben nicht so ein

liebes Kind! Wenn Du wieder auf Abenteuer gehst, nehme ich das Kind zu mir, und Du... [Der restliche Eintrag fehlt.]

102

5. KAPITEL

Kabale und Liebe

Cosıma, für die die Liebe bisher nur als abstrakter Begriff bestanden hatte, erlebte und erfühlte sie nun konkret. Wagner

gab ihr — und nur ihr - alle Liebe, derer er fähig war. Alle Gedanken an Mathilde, Friederike oder Henriette waren verflogen. „Du bist Elisabeth, Elsa, Isolde, Brünnhilde und Eva, alles in einem“, sagte er und erklärte, man müsse erst ein gewisses Alter erreichen, um zu wissen, was Liebe wirklich sei.

In ihren Augen konnte er nichts falsch machen. Auch wenn es ihr nicht gelang, jene Ausbrüche von Wut und Haß, in die er von Zeit zu Zeit verfiel, zu dämpfen, so ertrug sie sie doch unerschüttert in der Überzeugung, daß er einzigartig war. Von Anfang an bis zu ihrem Ende hatte sie sich der Idolatrie Wagners geweiht, ihre Persönlichkeit wurde abgeschliffen und paßte sich mehr und mehr seinem Charakter an. Es war unvermeidlich, daß sie seine Ideen zu ihren eigenen machte, seine Vorurteile übernahm. Ihrer Ansicht nach hatte

sie ein Finger des Schicksals berührt, hatte ihr eine Aufgabe übertragen, die ihrem Leben Bedeutung gab - „C’£tait une mission“, wie Liszt es ausdrückte. Es gab ihr Befriedigung, sich ihm zu unterwerfen. Sie gab Wagner alles, was er sich wünschte,

und

bewahrte

sich trotzdem

ihre

eigene,

starke

Persönlichkeit. Ab und an freilich zeigte sie ihre Hörigkeit überdeutlich, mit dem Stolz einer ganz bewußten Demut. Nach und nach nahm sie eine „germanische“ Gestalt an, aus

der jungen Französin wurde eine „deutsche Frau“. Bald war auch sie mit Leib und Seele eine Missionarin für die „Errettung der deutschen Kunst“, während die französische Kultur

103

gleichermaßen an Bedeutung verlor. Diese Mission erforderte auch die Rettung des allen anderen überlegenen schen Charakters“, der „deutschen Rasse“.

„deut-

Ihre abgöttische Liebe geriet jedoch nicht in Konflikt zu ihrem scharfen und oft praktischen Verstand. Daher gelang es ihr, zumindest

ab und zu, etwas Vernunft

in das Leben

dieses Mannes aus Licht und Schatten zu bringen. Sie ergriff von Wagner Besitz und mit ihm alles, was ihn umgab. So entschied sie, welche Freunde man behalten, welche man abschütteln würde. Peter Cornelius schrieb seiner Braut bedauernd, daß Cosıma als entfremdendes Element zwischen ihn und Wagner trat. „Aber Wagner“, schrieb er weiter, „weiß nur solang von den Menschen, als er sie

braucht, und verliert je mehr auch die Elastizität, wenigstens den Schein zu wahren, und am meisten die Herzensgüte, allen

gerecht

zu

werden,

für jeden,

der

es

verdient,

ein

freundliches Gesicht zu erhalten.“ Zudem mochte Cosima Tausig nicht und verfaßte eine „Bannbulle“ gegen Tausig. „Wagner lavierte, um sich über seine Vergangenheit mit dem Geschmähten keine Blößen zu geben...“ Und Tausig beklagte sich, daß „Wagner letzthin den sehr sonderbaren Einfall hatte, mir durch das delphische Orakel [Cosima] auf eine höchst unzivile Art die Originalpartitur des Tristan abfordern zu lassen...“ Er habe auf diese Zumutung nicht geantwortet, denn schließlich: „Ein Brief von Wagner hätte sich jedenfalls geschickt!“ Cosıma öffnete alle Briefe, die Wagner erhielt und machte Vorschläge, wie sie beantwortet werden sollten. Sie öffnete sogar Minnas Briefe, zu der Gerüchte der neuen Affäre gedrungen waren und die ihrem Mann nun wieder seine Untreue vorwarf. Am 5. Oktober 1865 schrieb Wagner ihr: „Deinen Brief habe ich noch nicht gelesen: seit dem im ver-

gangenen Frühjahr von Dir empfangenen Brief, der mich so schmachvoll

betrübte,

habe

ich

mir

vorgenommen,

mein

Herz und meine Erinnerung nicht unnötig zu verbittern.....“ Es waren die letzten Worte, die Wagner an Minna richtete — aller Wahrscheinlichkeit nach von Cosima inspiriert. Wie ein Eintrag im „Braunen Buch“ zeigt, beabsichtigte er

erstaunlicherweise sogar, Cosima in einer künstlerischen Frage zu konsultieren, namentlich ging es um zwei mögliche Versionen, die Geschichte des heiligen Speers im „Parsifal“ abzuhandeln: „Was ist besser, Cos?‘“ Aber er bekam von ihr

104

keinerlei Kritik zu hören. Leider! Die Weitschweifigkeit des Gurnemanz, die Längen im „Tristan“ durch König Markes Ansprache, die Schwächen im Schlußteil des „Holländer“

(Wagner selbst war sich dessen bewußt) oder die Überlänge von Beckmessers Ständchen (die in Aufführungen meistens gekürzt wird) scheinen Cosima niemals gestört zu haben. Sie schätzte und verehrte Größe und Einmaligkeit von Wagners Genie ohne Einschränkung. Und sie zweifelte keinen Augenblick an seiner großen Bedeutung für die Nachwelt. Jede Note war ihr heilig, und sie erklärte Daniela, es genüge nicht, nur das Lied an den Abendstern oder Isoldes Liebestod zu genießen: man müsse ganz in seiner Welt aufgehen, um seine Größe und seine Leistung voll erfassen zu können. Was ihren königlichen Wohltäter anging, so waren sie ihm zwar

beide

empfanden

aufrichtig

dankbar,

sie oft als weniger

aber die Nähe

angenehm.

zum

Thron

Die Liebe

des

Königs sei eine wahre Dornenkrone, bekannte Wagner. Jene

Woche jedoch, die er mit Ludwig auf Hohenschwangau verbrachte, war eine Zeit ungetrübter Freuden — oder zumindest fast, denn Prinz Paul von Thurn

und Taxis, Ludwigs

„Ge-

spiele“, war oft anwesend. Und aus der Fülle seiner Bewunderung für Wagner schrieb der junge König am 26. August 1865 an Cosima einen Brief: Wir, seine Freunde, wollen Ihn schirmen mit mächtigem Schutze;

kein greller Schein des Tageslichts soll Ihn wecken aus den wonnigen Träumen, in „Seiner“ Welt muß Er einzig u. ungestört leben u. schaffen, die Erdensorgen müssen Ihm nun entschwinden; barg im Busen sich Ihm Sonne, leuchten Ihm lachend Sterne der Wonne! — Und während Er der Erde nun gänzlich entrückt ist, muß die Kunstschule gegründet werden, müssen d. Kräfte gewonnen werden, deren Er so nöthig bedarf, und erheben soll sich der prachtvolle Bau, das Festtheater der Zukunft! ... Von Ihm

nur gehen sie aus die göttlichen Wunder, Er ist der unerschöpfliche Bronnen alles Lichtes. — Was ich irgend zu thun vermag, werde ich thun, diess schwöre ich Ihnen! - Alles soll erfüllt

werden! -— Wenn mir auch Rücksichten zu nehmen eine Nothwendigkeit ist, so werde ich doch alle Hindernisse besiegen, dessen seien Sie versichert; denn für Ihn kam ich zur Welt, Ihm

nur gehöre ich. -...

Ludwig zu Gefallen begann Cosima ein „Wagner-Buch“ zusammenzustellen.

Sie sammelte, was sie finden konnte, an

105

frühen Kompositionen, Essays und persönlichen Notizen Wagners, wobei sie hie und da ein bißchen polierte, um sicher zu sein, daß sie keinen Stein des Anstoßes

enthielten.

In ihrem Übereifer ging dann zuweilen jegliches Zartgefühl verloren. So erhielt Wagner einen Brief von Mathilde Wesendonck: „Frau von heute, um einige

Bülow ersucht mich in einem Schreiben Ihrer literarischen Manuskripte, die in

meinem Besitz sind. Ich habe die Mappe durchblättert, allein es ist mir unmöglich etwas zu senden, es sei denn, auf Ihren

persönlichen Wunsch hin.“ Sie schickte ihm eine Liste aller Manuskripte, die sie besaß, und Wagner antwortete:

„Bestes

Kind! Ich glaub’, es geschähe am besten, die ganze Mappe zu schicken.“ Wagner war der Mann, auf den das Goethe-Wort zutraf: Er konnte nichts schwerer ertragen als eine Reihe von guten Tagen. Komponist, Dichter, Dirigent zu sein, war seinem un-

ruhigen Geist nicht genug. In seiner Selbstüberschätzung war er überzeugt davon, daß er ebenso ein tiefsinniger Philosoph, ein weitblickender Staatsmann war. Auf Ludwigs Vorschlag hin — der König teilte Wagners Meinung über Wagner - bereitete er nun ein politisches Journal vor, das dazu dienen sollte, dem König bei der Lösung politischer Probleme zu helfen (Natürlich konnte das nur Ärger bringen!): Es handelte sıch dabei um so komplexe Fragen wie eine Verfassung, die die vielen deutschen Einzelstaaten zufriedenstellen würde (nach Wagner war nichts weiter nötig, als sich die „besten

Qualitäten“ der deutschen Rasse zum Leitmotiv zu nehmen); wie man der Hegemonie Preußens entgegenwirken konnte; wie der Einfluß von Juden (gefährlich!), Franzosen und Jesuiten auf das öffentliche Leben zunichte gemacht werden konnte;

wie man

die Rettung

durch

das „deutsche

Volk“

finden sollte. Ludwig, der sich selbst als Retter, ganz in der Tradition

Lohengrins,

sah,

bedankte

sich

herzlich

bei

Wagner und Cosima, war jedoch klug genug, den unglaublichen Dilettantismus dieses Schriftstückes* auf den zweiten Blick zu erkennen. Wagner beschränkte sich nun nicht mehr auf die Theorie, sondern machte konkrete Vorschläge für die Besetzung verschiedener Ministerposten. (Es erübrigt sich, darauf hinzuweisen, daß in Wagners Empfehlung der „richtige Mann“ stets derjenige war, von dem man wußte, daß er * Dreizehn Jahre später überarbeitete Wagner das Essay und veröffentlichte es unter dem Titel „Was ist deutsch?“

106

Wagners künstlerische Ziele unterstützen würde.) Während sich seine egozentrischen Weltanschauungen über immer weitere Gebiete ergossen — wobei Cosima das Vergrößerungsglas in Händen hielt —, wuchsen seine Ansprüche an den königlichen Geldbeutel ins Unermeßliche. Diese Forderungen brachten Münchens Bürger in Wallung, obwohl nicht wenige unter ihnen Wagners Bedeutung als Komponist anerkannten, und den Ministern gaben sie erneut den Anlaß, ihn als schamlosen Ausnützer königlicher Großzügigkeit hinzustellen, wobei die hartgesottenen

Politiker sich über ihn als

einen aufgeblasenen Phantasten mokierten. Liberale Geister, und es gab damals deren nicht wenige in Deutschland, waren angewidert von seinen Hetzereien gegen die Juden. Die Saat des Hasses war aufgegangen, seine Empfehlungen begegneten den finsteren Blicken der Mißtrauischen oder dem höhnischen Grinsen der Unwissenden, die hinter einem Bierkrug . sitzend ihre Meinung verkündeten. So stieß er selbst dann auf Ablehnung, wenn es sich um konstruktive Vorschläge handelte, wenn

er sich für die neue

Musikschule

einsetzte,

nach einer Reform gegen die tödliche Routine der Opernhäuser rief oder für den Bau eines völlig neuen Theaters plädierte. Cosima, die unter der öffentlichen Meinung mehr litt und die ständig wachsenden Schmähungen fürchtete, versicherte Wagner trotzdem nach wie vor, daß er in jeder Beziehung recht habe, half ihm nach wie vor dabei, seine Briefe

und Memoranden für den König zu verfassen. Anfang August 1865 bat Wagner den König, auf der Basis eines neuen Anstellungsvertrages, um die runde Summe von vierzigtausend Gulden. Es war nicht das erstemal, daß er den König um eine große Summe zusätzlich zu seinem jährlichen Gehalt angegangen hatte. Nur dieses Mal war der Betrag größer, auch wenn er im Vergleich zum jährlichen privaten Budget des Königs (2,5 Millionen Gulden) gering war. Wagner begründete seinen Antrag damit, daß er alte Schulden begleichen sowie seinen eigenen Unterhalt in angemessener Weise bestreiten wolle. Außerdem,

so schrieb er, beab-

sichtige er, mit einem Teil des Geldes mittellosen Musikern zu helfen — ungeachtet seines „häuslichen Auskommens.“ Wie wir schon ahnten, sollte sich dieses „Auskommen“ nach

wie vor in höchstem Maße als das Gegenteil erweisen. Aus den Formulierungen der Bittschrift läßt sich übrigens unschwer Cosimas Schreibstil erkennen. 107

Der König ließ Wagner von August bis Oktober warten, bevor er der Bitte nachgab. Im Grunde blieb ihm nichts anderes übrig, denn er fürchtete, Wagner zu kränken. Als endlich die Zusage kam, war auch Cosima zugegen. Sie bot sich an, das Geld selbst abzuholen. Mit dem ihr eigenen poetischen Taktgefühl schlug sie vor, daß die Gabe ihm von einem anderen liebenden Freund, sprich: Cosima, ausgehändigt werden sollte. So ging sie, in Begleitung von Daniela und dem Kindermädchen, zur königlichen Finanzkasse. Die Beamten freuten sich durchaus nicht königlich, sondern zeigten offen ihre Ablehnung. Sie erklärten ihr, nur die Hälfte des ‚Betrages sei in Banknoten vorrätig, die andere Hälfte müsse sie schon in Silbermünzen mitnehmen. Cosima ließ sich dadurch nicht in Verlegenheit bringen. Sie schickte das Kindermädchen nach zwei Kutschen und begann gelassen, zusammen

mit der Gouvernante,

die schweren Geldsäcke

einzula-

den. Offensichtlich beschämte sie die Beamten damit, denn nach einer Weile halfen sie höflich mit.* Die Sache mit den vierzigtausend Gulden wäre wahrscheinlich inmitten all der anderen politischen und wirtschaftlichen Probleme untergegangen. Wagner aber tappte prompt ın die Falle, die ihm clevere Politiker gestellt hatten. Am 26. November 1865 veröffentlichte der Münchner „Volksbote“ einen direkten Angriff gegen ihn, indem es unter anderem hieß, er habe den Staat in weniger als einem Jahr 190 000 Gulden gekostet, er habe sich mit seinen Ände-

rungsvorschlägen in die Kabinettspolitik eingemischt, um seinen Einfluß auf den König zu untermauern, und sein Ziel sei letztlich nicht nur die finanzielle Ausbeutung, sondern auch eine Hinwendung zur „Demokratie“. Der Artikel war der Köder, mit dem man ihn einfangen sollte. Wagner - es konnte nicht ausbleiben — wurde aus der Reserve gelockt, und Cosima, die bisher immer noch ihre Kon-

tenance bewahrt hatte, rauchte förmlich. Einen Angriff auf sie selbst hätte sie eher hingenommen, aber dieses widerliche In-den-Schmutz-Ziehen ihres hochherzigen Geliebten — das war

zuviel!

Statt sich ruhig zu verhalten,

verfaßten

beide

* Diese berühmte Anekdote wird oft so erzählt, als sei sie ein bewußter Schritt seitens der Beamten der Kabinettskasse, um in der Öffentlichkeit den Unmut gegen Wagner zu schüren. Ernest Newman hat darauf hingewiesen, daß das praktisch unmöglich war, da es zu diesem Zeitpunkt, zumindest was die breite Öffentlichkeit betrifft, noch keinerlei

Schwierigkeiten gab.

108

einen langen Gegenangriff, den das Konkurrenzblatt „Neue-

ste Nachrichten“ mit dem größten Vergnügen drei Tage später abdruckte. Obwohl anonym, verrieten doch der Stil und die aufgebrachten, schwülstigen Formulierungen seine Urheber.

Das

Manuskript

trägt Cosimas

Handschrift,

aber

sie hat dabei wahrscheinlich mehr getan als nur die Worte niederzuschreiben.

Fest steht, daß sie das „Corpus

delicti“

persönlich zur Zeitung brachte. Der Artikel bestand von Anfang bis Ende aus nackter Polemik — und er erwies sich im höchsten Maße als Mißgriff. So wurde am Ende erklärt, „daß

mit der Entfernung zweier oder drei Personen, welche nicht die mindeste Achtung im bayerischen Volke genießen, der König und das bayerische Volk mit einem Male von diesen lästigen Beunruhigungen befreit wären.‘“* Sein Gegenangriff erwies sich als Kardinalfehler: genau das war es, was die Po-

litiker brauchten! Des Königs Namen mit derartig gallebitteren Äußerungen in Zusammenhang zu bringen, war eine Anmaßung, die nicht geduldet werden konnte. Ob Hofbeamten, Jesuiten, der Erzbischof von München oder Mitglieder der königlichen Familie: alle warnten den König unisono davor, daß - sollte Wagner bleiben — dies nur böse Folgen zeitigen könnte.

Sie erinnerten

ihn daran, daß in einem

Land, aus

dem man Lola Montez verjagt und Ludwig I. gezwungen hatte abzudanken, eine Revolution durchaus möglich war. Ludwig

II. wurde

schwach.

Man

sagte ihm, er habe

‚zu

wählen zwischen der Liebe und Verehrung seines treuen Volkes und der Freundschaft Richard Wagners“. Die Warnung kam zum passenden Zeitpunkt: eine Krise schwelte. Österreich unter dem konservativen Franz Joseph und PreuBen zu Bismarcks Blütezeit hatten Unstimmigkeiten. Der „of-

fizielle‘“ Streitpunkt war, wer das Herzogtum Schleswig-Holstein regieren sollte, in Wirklichkeit ging es darum, wer die Führung der einzelnen deutschen Staaten oder, um es ganz simpel zu sagen, wer die Oberherrschaft über das deutsche Volk übernehmen sollte. Bayern mußte, so oder so, eine klare Position beziehen, wollte es nicht zu einem Staat zweiter

Klasse degradiert werden — oder noch schlechter.

Ludwig

stand vor der Frage, wessen „Freund“ er sein sollte — Bismarcks, den er haßte oder Franz Josephs, den er nicht leiden * Am Tag, als der Artikel geschrieben worden war, erklärte Wagner dem König, daß er noch niemals irgend jemanden zu einem Zeitungsartikel angestiftet habe — geschweige denn, daß er einen selbst geschrieben hätte!

109

konnte. Es war die wohl schwierigste Entscheidung, die er je zu treffen hatte, und gerade jetzt brauchte er, mehr denn je, besagte „Liebe und Verehrung“ seines Volkes. Freiherr Ludwig von der Pfordten, der Ministerpräsident, hielt es für

seine „heilige Pflicht“, offen seine Meinung zu sagen, selbst auf die Gefahr hin, „Seine Majestät zu kränken“.

entwarf

ein Memorandum,

in dem

Pfordten

er unmißverständlich

darauf hinwies, daß ‚in Zeiten wie diesen, wenn die Existenz

von Staat und Krone auf dem Spiel steht“, gehandelt werden mußte. Ludwig mußte sich trennen von diesem Mann, der es gewagt hatte zu behaupten, die in Treue erprobten Männer im königlichen Kabinette genössen nicht die mindeste Achtung im bayerischen Volke. „Dieser Mann ist vielmehr seinerseits verachtet von allen Schichten des Volkes... ., verachtet... wegen seiner Undankbarkeit und Verräterei an Gönnern und Freunden, wegen seiner übermütigen und liederlichen Schwelgerei und Verschwendung, wegen seiner Schamlosigkeit, mit der er die unverdiente Gnade Euerer Majestät ausbeutet....“ So stark der Druck auch war, der König hätte wahrscheinlich nicht nachgegeben, wären ihm inzwischen nicht selbst, wenn auch noch nicht begründete Zweifel gekommen über den Menschen Wagner. Nichts und niemand konnte ihn allerdings abbringen von seinem Glauben an den Künstler Wagner. Was Wagner als Politiker betraf, so war er inzwischen zu der Überzeugung gelangt, daß des Komponisten politische Ideen auf Sand gebaut waren. Was schlimmer war: Wagner hatte sich angemaßt, Ludwigs Wahl von Ministern und Beamten zu kritisieren. Ludwigs Stolz war verletzt, und er entschied, wenn auch mit einem tiefen Gefühl persönlichen Verlustes, daß Wagner Bayern für „sechs Monate“ zu

verlassen hatte. Natürlich Monate nur eine höfliche

wußte jeder, daß diese sechs Umschreibung für „auf unbe-

stimmte Zeit‘ waren. Ludwig: „Worte können den Schmerz nicht schildern, der mir das Innere zerwühlt.“ Cornelius

schob später alle Schuld auf Cosima. Er war der festen Überzeugung, daß sie allein für den Artikel in den „Neuesten Nachrichten‘ verantwortlich war. Am Abend des 6. Dezember 1865 wurde Wagner die Entscheidung des Königs mitgeteilt. Er trank gerade mit Cosima und Peter Cornelius Tee; Bülow war verreist. Ein Besucher wurde angemeldet. Es war Johann von Lutz, ein blasser, win-

110

ziger, händereibender

zweiter

Kabinettssekretär,

der später

die machtvolle Position des bayerischen Ministerpräsidenten erlangen sollte. Er brachte die Aufforderung, das Land zu verlassen, in unaufdringlichem, trockenem Ton vor. Zuerst hielt Wagner das Ganze für einen Scherz, Cosima war einer Ohnmacht nahe. Als Wagner endlich die Situation erkannte, ergoß er sich in einer Flut von Beschimpfungen, so daß Lutz ihn mit dem Hinweis unterbrach, daß er in offiziellem Auf-

trag gekommen sei. Cosima legte ihre Hand beschwichtigend auf Wagners Arm. Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Sie wußte, was

dies bedeutete:

erneute

Trennung.

Cosima,

die

immer noch versuchte, nach außen hin den Schein zu wahren, konnte nicht mit ihm gehen. Die häßliche Farce mußte weitergespielt werden. Am

10. Dezember, morgens um Viertel nach sechs, verließ

Wagner München - aschfahl und gespenstisch aussehend. Cosima und drei Freunde hatten ihn zum Bahnhof begleitet. Ruhig und gefaßt winkte sie dem abfahrenden Zug nach. An jenem kalten Wintermorgen tat sie so, als ob ihr Geliebter nur für eine Woche auf Urlaub ginge. Aber sechs Monate würden vergehen. Würde man Wagner erlauben zurückzukehren?

Peter Cornelius,

der mit am

Bahnhof

war, schrieb

später: „Als der Waggon hinter den Pfeilern verschwand, war es wie das Zerrinnen einer Vision.“

2 Wagner fuhr nach Bern, Vevey, Genf, Lyon, dann in den Süden

Frankreichs,

Nest der Ruhe“

um, wie er Cosima

zu finden. In Marseille

telegraphierte,

„ein

erreichte ihn die

Nachricht von Minnas Tod. Sie kam durch Cosima, an die sich Dr. Anton Pusinelli, Minnas Arzt und treuer Freund, ge-

wandt hatte in der Annahme, daß sie Wagners Aufenthaltsort kannte. Minna starb am 25. Januar 1866. Pusinelli telegraphierte fragend, was zu tun sei: „Que faire?“ Wagner war zwar tief bewegt, bat aber Dr. Pusinelli, das Begräbnis „seiner unglücklichen, armen Frau“ zu arrangieren, da er zu weit entfernt sei, um nach Dresden zu kommen. Cosima

111

weinte und dachte an die Wandlung, die diese Ehe durchgemacht hatte - vom strahlenden Glück zu trostloser Unvereinbarkeit. Sie hatte Minna gern gemocht in jenen Tagen in Zürich, als sie sich zum ersten Mal begegnet waren. Minnas Tod gab der Presse Gelegenheit zu einem offenen Angriff gegen Cosima. Die Augsburger „Postzeitung“ berichtete, daß Cosima am Tag von Minnas Begräbnis „in glänzend weißer Kleidung“ das Münchner Schauspielhaus besucht habe, „und

so anscheinend

ihrer besonderen

Freude

Aus-

druck gegeben.“ Bülow hielt es für angebracht, auf dieses „Geschmier“ zu antworten: Da Frau von Bülow, die Tochter des hochwürdigen Abbe Franz Liszt in Rom, der Öffentlichkeit nicht angehört, da sie weder Schauspielerin, Sängerin, Schriftstellerin usw. ist, kurz nicht zu

denjenigen Damen zählt, deren Photographie man in den Kunsthandlungen ausstellt und verkauft, so darf ich es mir als eine der impertinentesten Unziemlichkeiten verbitten, wenn ihre Privathandlungen, und als solche gilt ein Theaterbesuch, wäre er auch in der auffallendsten Toilette und selbst am Todestage des nächsten Anverwandten

erfolgt, in öffentlichen Zeitschriften kritisiert,

lobend oder tadelnd überhaupt erwähnt werden... Trotzdem nun zufälligerweise alle in der Münchner Korrespondenz der Nr. 32 der Postzeitung enthaltenen Behauptungen erlogen sind — denn: erstlich stehen wir in keiner verwandtschaftlichen Beziehung zu meinem hochverehrten Freunde Herrn Richard Wagner, noch standen wir in freundschaftlicher zu seiner verstorbenen Gattin, zweitens hat meine Frau am Bestattungstage der Frau Wagner das Münchner Schauspielhaus nicht besucht, endlich pflegt sie niemals in „glänzend weißer Kleidung“ zu erscheinen.

Es war ein matter Trost für Cosima, daß Ludwig ihr ständig versicherte, seine Liebe zu Wagner sei ungetrübt. „Brauche ich Ihnen zu sagen“, so schrieb er ihr, „was ich in der

letzten Zeit ausgestanden habe, daß ich mit blutender Seele zu jenem Schritt mich entschloß?!“ Wagner und Cosima sehnten sich nach einander — durch Telegramme versuchten sie die Entfernung zu überbrücken. Im Januar telegraphierte er: Um Gottes Willen, Liebe, Liebe, jetzt keine Halbheiten! Wir

haben genug einem Monat reden, nichts Nest unserer

112

gelitten, um uns von neuem quälen zu wollen! In - so Gott will - in Ruhe vereint, nicht mehr davon mehr von München: Letzte Rettung! Laß mich das Ruhe aufsuchen!

Es sollte aber März werden, bevor Cosima den Mut faßte,

nach Genf zu fahren, um Wagner zu treffen. Sie nahm Blandine mit. Wagner erklärte ihr, daß nichts, weder Geld noch

Jegliche künstlerische Aufgabe, ihn dazu bewegen könnten, nach München zurückzukehren. Er hatte in diesem Sinne auch an den König geschrieben:

„Deshalb, hören Sie wohl,

Geliebter: — Ich kehre nicht nach München

zurück! Sagen

Sıe diess den Elenden, die Sie betrügen und verrathen ....“ Er

hatte die Vertonung der „Meistersinger‘“ wieder aufgenommen und benötigte dazu die größtmöglichste Konzentration. Aber er brauchte auch Cosimas Gegenwart. Daher schlug er vor, ein Haus zu suchen, in dem sie mit Daniela, Blandine und natürlich Isolde, seinem eigenen Kind, zusammen mit

ihm wohnen könnte — und Bülow wäre jederzeit gern gesehen, wenn und wann immer er kommen wollte. Wagner wollte

alles auf einmal:

Cosima,

ihre drei Kinder,

die in

- Bülows Haus lebten, und die Freundschaft mit Bülow, der weiter in München

bleiben sollte, um seinen eminent wichti-

gen Posten beizubehalten und jene Modellaufführungen zu leiten und zu überwachen, die der König sich so sehnlichst wünschte. Wie ein wohlwollender Gott würde Wagner dazu aus der Ferne seinen Segen geben, ohne selbst daran mitzuwirken. Im März machten sich Wagner und Cosima auf die Suche nach einem Ort, der geeignet war, den verbannten Doyen der Zukunftsmusik aufzunehmen — und seine Geliebte dazu. Nachdem sie drei Tage lang verschiedene Häuser angesehen hatten, fanden sie eine große Villa bei Luzern. Das Haus lag, von Pappeln umgeben, auf der Anhöhe einer Landzunge zum Vierwaldstätter See. Von der einen Seite sah man auf den See, von der anderen die Alpen und den ‚„Rigi“, der sich laut Cosima wie ein „bombastischer Drache“ erhob und ihr,

wenn sich die Wolken zusammenbrauten, wie Walhall erschien. Die Villa hieß Tribschen. Cosima prüfte das Haus mit den Augen einer Hausfrau, befand es für gut und kehrte nach

München zurück. Wagner beschloß auf den ersten Blick, die Villa zu mieten. Sie mußte für ein Jahr im voraus bezahlt werden — mit fünftausend Schweizer Franken. Das war nicht gerade billig: Wagner bat die königliche Finanzkasse in München, ihm umgehend den Rest seines Jahresgehalts für 1866 zu schicken. Anstatt dessen sandte ihm der König fünftausend Franken als Geschenk. 113

Am 15. April zog Wagner in Tribschen ein. Er war begeistert - nur Cosima fehlte. Sie war da, wo sie glaubte, sein zu müssen:

nämlich

in München,

bei ihren Kindern.

Wagner,

der sich nach ihr sehnte, las die alte Sage von Melusine, der Meernixe, halb Weib, halb Fisch, die mit dem Grafen Ray-

mond de Poitiers unter der Bedingung eine Ehe einging, daß er sie samstags nicht sehen durfte. Nachdem er sie in ihrer Doppelgestalt im Bade überrascht hatte, verließ sie ihn sofort. Wagner sah sich selbst als Raymond: „Soeben Melusine ausgelesen, ach! ach Gott! Mir bricht das Herz!“, schrieb er an Cosima. Und er bat sie, so schnell sie nur konnte, an

diesen wunderschönen See zurückzukommen, wo jeder Kahn umgeben schien von einem silbernen Kreis. Hier würde sie himmlischen Frieden finden. Er war sich Cosimas nicht sicher. War sie wie Melusine, die, wie es hieß, in Vollmond-

nächten noch immer kam, um die jüngsten Kinder zu versorgen, und von der dann nichts mehr gesehen ward. (Das Original dieses Briefes vom 17. April wurde zerstört, nur die Kopie eines Teiles davon existiert noch.)

2 Wie Cosima rückblickend in ihrem Tagebuch schrieb, waren die sechs in Tribschen verbrachten Jahre trotz aller Probleme die glücklichsten ihres Lebens. Dort lebte sie in vollkommener Nähe zu Wagner, erlebte, wie die „Meistersinger“ und „Siegfried“ vollendet wurden, wie er das „Siegfried-Idyll“ komponierte und mit der „Götterdämmerung‘“ begann. Dort

wurde sie seine Ehefrau, dort kam ihr Sohn zur Welt. Vier Tage nachdem Wagner den Mietvertrag unterschrieben hatte, lud er Bülow,

Cosima

und die drei Kinder

ein,

nach Tribschen zu kommen und „so lange wie möglich zu bleiben“. Die gesamte untere Etage stehe zu ihrer Verfügung. Am 12. Mai kamen Cosima und die Kinder. Eine Woche später schrieb Cosima dem König: „Gestern nahmen wir die Biographie wieder auf. Des Morgens schreibe ich ab, abends diktiert der Freund.“ Bülow konnte sich zunächst beruflich nicht freimachen und traf erst am 10. Juni ein. Jetzt waren sie alle wieder unter einem Dach. Laut Peter Cornelius 114

war

Bülow

gekommen,

um

Cosima

„die

endgültige

Ent-

scheidungsfrage zu stellen: Willst du mir oder Wagner angehören?“ Das Problem mußte endlich gelöst werden, das Dreiecksverhältnis

erwies

sich als impraktikabel,

das

„Geheimnis“

ließ sich nicht länger vertuschen. Weder Cosima noch Wagner könnten noch einmal derart nervenaufreibende Situationen wie zu Wagners Geburtstag am 22. Mai durchstehen. Ein paar Monate zuvor, im Januar desselben Jahres 1866,

hatte Ludwig bereits mit dem Gedanken gespielt abzudanken. Sogar Selbstmordgedanken verfolgten ihn. Die Trennung von Wagner machte ihn zutiefst unglücklich, und er schrieb an „Lange halte diess sage ich strichen, die

die „theure, hochverehrte Frau“ (Cosima): ich es nicht aus, von Ihm getrennt zu leben, Ihnen; ich leide fürchterlich!“ Die Monate verWunde hörte nicht auf, ihn zu schmerzen. Im

Gegenteil, ohne Wagner war sein Leben „Marter! Verzweiflung! ... kann ich nicht leben mit und für Ihn, so ist mir der Tod willkommen...“ Am 15. Mai schickte der König ein langes Telegramm an Wagner, in dem er erklärte, er wolle abdanken und auf die „Krone und den öden Glanz“ verzich-

ten. Dem Telegramm folgte noch am selben Tag ein verzweifelter Brief mit einem konkreten Vorschlag. Wagner solle in der Nähe von Schloß Berg ein Haus nehmen, um Ludwig ganz nahe sein zu können. Er, Ludwig, zwar ohne Thron und Königswürden, aber voll von unerschütterlicher Liebe und Treue, würde nie mehr von seinem „Geliebten“ getrennt

werden. „Es könnte ja auch die Freundin [Cosima] mit ihren Kindern in die Nähe ziehen! .... solange Wir noch auf Erden sind, o laß Uns zusammen

sein, Ihr Todestag

ist auch der

meine; ..“ Ob

diese

„Schmerzensschreie“

und

„Flehensbitten“

für

voll genommen werden sollten oder nur eine Art „Taktik“ waren: sie klangen jedenfalls ernst genug für die beiden in Tribschen,

denn

natürlich würden

Ludwig wirklich abdanken. dem

Menschenverstand:

sie alles verlieren, sollte

Wagner antwortete

„Ein halbes

Jahr

mit gesun-

Geduld!!

- Sie

müssen dieses Opfer bringen... Sich, der Sie Ihren hohen Beruf verfehlen würden, wenn Sie in diesem schicksalschwe-

ren halben Jahre Sich nicht für Ihr ganzes Leben stählten.“ Wagner schlug Ludwig weiter vor, die Loyalität seiner Mini115

ster zu prüfen, sich dem Volk zu zeigen und bei der Eröffnung des Landtages am 22. Mai zugegen zu sein, und nicht zuletzt sorgfältig abzuwägen, welche Stellung Bayern im preußisch-österreichischen Konflikt einnehmen sollte. Und erst wenn Ludwig selbst davon überzeugt sei, alles getan zu haben, was für sein Land getan werden mußte, könne er den

nächsten Schritt überlegen. Das klang alles zwar vernünftig, war aber durchsetzt von Wagners Eigeninteressen. Ludwig nahm einige dieser Ratschläge an. Er eröffnete zwar den Bayerischen Landtag, verschob den Termin allerdings vom 22. auf den 27. Mai - an Cosima telegraphierte er: „Empfang eiskalt! Presse schändlich!“ Als sich die Situation jedoch so zuspitzte, daß die Mobilmachung ausgerufen werden mußte, zog er sich nach Berg zurück und war für niemanden mehr zu sprechen. Die Idee abzudanken gab er auf,

doch eines stand für ihn fest: Er würde unter allen Umständen Wagners Geburtstag mit ihm in Tribschen feiern. (Daher auch die Verschiebung der Landtags-Sitzung!) Es war keine Frage: Wagner mußte den König einladen und sich begeistert zeigen. Was aber mit Cosima? Wie sollte man ihre Anwesenheit erklären, wie konnte man plausibel machen, daß sie sich hier als „Dame des Hauses“ eingerichtet hatte, mit all

ihren Kindern? Der König war nach wie vor davon überzeugt, daß zwischen Wagner und ihr Freundschaft

bestand,

und nichts als Freundschaft. Beiden war klar, daß der König von Bayern unmöglich das Haus eines Mannes besuchen konnte, der mit der Frau eines anderen zusammenlebte.

Die

einzige Möglichkeit war, ihm zu sagen, Cosima sei „zufällig“ in Tribschen zu Besuch. Tatsächlich, Ludwig glaubte es.

Es erscheint beinahe unmöglich, an Ludwigs Blauäugigkeit zu glauben,

angesichts dessen, was

allgemein

bekannt

war

und dessen, was sich vor seinen Augen abspielte. Aber tatsächlich: sein Vertrauen war so unerschütterlich wie das eines Kindes, das an Märchen glaubte. Zweifellos wollte Ludwig auch nichts anderes glauben.

Der Mann,

der die künstleri-

schen Träume des Königs wahrmachen sollte, konnte einfach nicht mit der Frau seines ergebensten, treuesten Freundes ins Bett gehen! Er mußte glauben, daß sich die „hochverehrte“ Cosima an ihr eheliches Treuegelöbnis hielt. Es war, wenn auch

im Unterbewußtsein,

eine absichtliche

Blindheit.

Zu-

sätzlich zu dieser gewissen idealistischen Arglosigkeit mag bei Ludwig noch etwas anderes, wiederum unbewußt, eine Rolle

116

gespielt haben: Obwohl homosexuelle Beziehungen zwischen ihm und Wagner nie nachgewiesen werden konnten, obwohl Wagner physisch das genaue Gegenteil der jungen Männer war, von denen Ludwig sich sexuell angezogen fühlte, betrachtete er Richard Wagner als ein Wesen, das, wie er selber schrieb, nicht ein gewöhnlicher Sterblicher war, und er emp-

fand die Abneigung des Homosexuellen, der sein Idol nicht „in heißem Verlangen“ nach einer Frau sehen wollte.

Ludwigs Stippvisite in Tribschen erfolgte unter höchster Geheimhaltung. Als Vorhut schickte er Fürst Paul von Taxis,

als Vorspiegelung seiner weiteren Anwesenheit auf Berg ließ er am 22. Mai um drei Uhr morgens ein Geburtstagstelegramm an Wagner aufgeben. In Wirklichkeit aber galoppierte er um diese Zeit auf eine kleine Bahnstation zu, wo er den

Expreßzug nach Lindau nahm. Am Bodensee schiffte er sich ein und tauchte rechtzeitig zum Mittagessen in Tribschen auf, . gekleidet in einen blauen Byron-Umhang und einen riesigen Hut mit Straußenfedern.

Bei seiner Ankunft befahl er, man

solle Walther von Stolzing hießen ihn überschwenglich Zwei Tage später reiste er durch diesen Besuch. Aber

anmelden. Wagner und Cosima willkommen. wieder ab, beglückt und bestärkt natürlich sickerte die Wahrheit

durch und gab einem neuen

Skandal Nahrung,

der schlim-

mer war als alle vorher, denn er wurde durch die Kriegsangst, die das ganze Land erfaßt hatte, noch skandalöser. Wie konnte ein Herrscher in solchen Zeiten sein Land verlassen,

und sei es auch nur für zwei Tage? Die Angriffe richteten sich gegen Wagner, Bülow und diesmal auch speziell gegen Cosima. Die Zeitungen bedauerten den ‚jugendlichen, begeisterten König“, der gegen solche „Ränke“ nicht gewappnet sei und durch

„teuflische

Mittel“

vergiftet worden

sei. Sie

verlangten, daß Cosima und Bülow aus Bayern ausgewiesen werden

sollten.

Die

„Stufen

des

Bayerischen

Thrones“

müßten gereinigt werden von dieser „Gattung habgieriger, eigennütziger und gebrandmarkter Abenteurer“. Cosima wurde „Madame

dellmutter

Hans“ genannt, auf den Namen

anspielend.

„Einstweilen

befindet

einer Bor-

sich

selbige

‚Madame Hans‘, die schon seit vorigen Dezember vom Publikum den bezeichnenden Namen ‚Brieftaube‘ erhalten hat,

bei ihrem ‚Freunde‘ (oder was?) in Luzern während

und war auch

des hohen Besuchs dort“, hieß es im „Volksboten“

vom 31. Mai 1866. 217

Dieses Mal konnte Bülow nicht mehr schweigen, jetzt mußte er sprechen, um seine Frau zu verteidigen. Doch wie ungeschickt und plump stellte er sich dabei an! Er verlangte vom „Volksboten“ einen Widerruf und forderte den Chefredakteur zum Duell. Beides wurde verweigert. Was konnte er noch tun? Vor Gericht gehen? Das würde endlos lange dauern, und eine Verleumdungsklage konnte weder seinen noch Cosimas Namen reinwaschen. Und wie sollte er etwas beweisen, von dem er wußte, daß es nicht der Wahrheit entsprach? Er beschloß, nach Tribschen zu fahren und sich mit

Cosima und Wagner zu beraten. Wagners Vorschlag, der Bülows und Cosimas vollste Zustimmung fand, war folgender: Wagner würde den König im Namen ihrer Freundschaft darum bitten, mit der Erlaubnis, ihn zu veröffentlichen, einen Brief an Bülow zu schreiben, in welchem er bestätigte, daß er, der König, „die genaueste

Kenntnis des edlen und hochherzigen Charakters Ihrer geehrten Gemahlin [Cosima] Mir verschaffen konnte, so bleibt mir das Unerklärliche jener verbrecherischen öffentlichen Verunglimpfung zu erforschen übrig, um, zur klaren Einsicht des schmachvollen Treibens gelangt, mit schonungslosester Strenge gegen die Übeltäter, Gerechtigkeit üben zu lassen“. Kurz gesagt, Wagner hatte tatsächlich die Unverfrorenheit, Ludwig darum zu bitten, die Lüge öffentlich abzusegnen. Diesem Brief ließ er am 8. Juni ein Telegramm an Prinz Paul folgen, in dem er ein Ultimatum stellte. So schrieb er unter anderem: „... wird ihm [Bülow] die von mir erbetene einzig gültige Genugthuung versagt, so muß auch ich sein Schicksal

theilen,

und

fortan

selbst

für

den

erhabenen

Freund todt sein.“ Brief wie Telegramm waren in etwa so „feinfühlig“ wie ein

Schuß aus dem Kanonenrohr. Erst einige Tage zuvor war Ludwig in Tribschen gewesen, himmelhochjauchzend gestimmt durch die Anziehungskraft von Wagners Persönlichkeit und die Schönheit der „Meistersinger“-Musik. Wagner hätte psychologisch keinen besseren Augenblick wählen können, um zu Ludwig zu sagen: Tu, was ich sage, oder Du

verlierst mich. Es war pure Erpressung. Die drei in Tribschen waren aus dem

Häuschen.

Zwar

konnten sie kaum annehmen, daß dieser „Brief des Königs“

die Zeitungen zum Schweigen bringen würde, aber Cosimas und Bülows Ausweisung würde dadurch vereitelt werden. 118

Und

vor

allem

die „Meistersinger“-Premiere

in München

wäre gerettet — unter der Aufsicht des Komponisten und von Bülow dirigiert. Nichts, auch nicht der niederträchtigste Skandal, sollte dem entgegenstehen. Wagner wußte: Ludwig konnte und wollte unter keinen Umständen ein derart wichtiges musikalisches Ereignis scheitern sehen. Aber Wagner gab immer noch keine Ruhe. Einen Tag nach dem Telegramm schrieb er dem König noch einen Brief, in dem er zu erklären versuchte, woher es kam, daß man behauptete, Cosima sei seine Mätresse. „Am 6. Dezem-

ber vorigen Jahres“, schrieb Wagner, „hatte dieselbe Freundin, deren Mann für längere Zeit verreist war, mit ihren Kin-

dern bei mir gespeist.“ Als Cosima von der Ausweisung hörte, habe sie sich derart aufgeregt, daß sie nicht gewagt habe, die Nacht allein zu Hause zu verbringen. Darüber hinaus habe sie ihn, Wagner, trösten wollen. „,...sie fürchtet . wahnsinnig zu werden, und beschwört mich, ihr mein Gast-

zimmer so lange einzuräumen, als sie mich sicher aus dem entsetzlichen München geleitet weiss.‘ Natürlich hätten seine Feinde daraus geschlossen ... die Gattin meines treuen Freundes B. sei meine - -. Sie habe vier Nächte bei mir geschlafen, und für ihre Liebkosungen habe sie sich mit den Geldsäcken bezahlt gemacht, welche sie der k. Kabinettskasse entlockte. Freund B. liesse sich das gefallen, und nähme

sich dazu wohl noch die Gratification, welche er dem k.

Hoforchester entzöge.— So ist es. Das begegnet den Freunden des Königs von Bayern in dessen Residenzstadt München.

Die Lügen nahmen kein Ende. Cosima spielte dabei die traurigste Rolle und trieb die ganze Angelegenheit auf die Spitze mit einem langen, wie verlogenen Brief* an Ludwig, welcher sich ihr gegenüber stets nur gütig und liebevoll gezeigt hatte. Sie sprach, auf die Tränendrüsen drückend, von ihren „drei Kindern, denen ich es schulde, den ehrenwerten

Namen ihres Vaters fleckenlos zu übertragen“. Eines von den dreien war schon Wagners Kind, und das vierte war unterwegs — ebenfalls von Wagner. (Eva kam am 17. Februar 1867 zur Welt.) * Der Brief ist zum

7. Juni datiert, aber wahrscheinlich

schickte sie ihn erst ein paar

Tage später ab - nachdem Bülow in Tribschen angekommen war, und sie mit ihm darüber sprechen konnte. Bülow kannte mit Sicherheit seinen Inhalt.

119

7. Juni, 1866 Zum ersten, zum letzten Male flehe ich für uns. Auf die Knie

sinke ich vor meinem König und bitte in Demut und Noth um den Brief an meinen Mann, damit wir nicht in Schmach und Schande das Land verlassen, worin wir nur Gutes gewollt - ich darf wohl auch sagen, getan haben. Mein theurer, hoher Freund,

wenn Sie dieses offene Wort sprechen, dann ist alles gut, dann können wir hier bleiben, dann wollen wir auf den Trümmern

wieder aufbauen, mutig und trosterfüllt, als wäre nichts geschehen - sonst müssen wir dahinziehen, geschmäht und verlassen, demjenigen die einzigen Freunde entziehen, die ihm nichts mehr geben konnten als ihre Existenz mit Ruf, Ruhm und die sich nun dies alles anderwärts aufbauen müssen, um ihm eine Stätte bieten zu können. Mein hehrster Freund, der in unser Leben wie eine

Gotterscheinung getreten ist, o geben Sie es nicht zu, daß wir, die Schuldlosen, verjagt werden. Ihr königliches Wort kann einzig unsere angegriffene Ehre wieder herstellen, es kann dies vollständig, alles verschwindet davor. Mein theurer Herr, ich wage nun zu

sagen wie jener Held dem König, den er auszeichnet: Sire, vous faites bien, Sie werden recht daran thun, uns zu beschützen und

das Volk wird es verstehen... In einer ernsten, heiligen Stunde sprachen Sie mir von Ihrem tiefen Erfassen der Nichtigkeit der höchsten Weltgüter gegenüber den Pflichten der Liebe. Sie kennen diese geheimnisvoll bestimmenden Stunden, in welchen das Wahre mit Sonnenhelle ent-

gegentritt. Im Namen dieser geweihten Stunde sage ich: Schreiben Sie meinem Mann den königlichen Brief! ... Ist das gnädige Schreiben möglich, so will ich meinen Mann überreden, daß wir heimkehren - sonst — wie dürften wir in einer Stadt verweilen, in der man uns wie Verbrecher behandeln

konnte. Wie könnte mein Mann in einer Stadt zu wirken vermögen, in der die Ehre seiner Frau angetastet wurde. Mein königlicher Herr, ich habe drei Kinder, denen ich es schulde, ihnen den

ehrenwerten Namen ihres Vaters fleckenlos zu übertragen, für diese Kinder, damit die nicht einst meine Liebe zu dem Freunde schmähen, bitte ich Sie, mein höchster Freund, schreiben Sie den

Brief. Ist der Brief möglich, so will ich für dieses Glück alle Erdenprüfungen fröhlich tragen. Ist er nicht möglich, dann scheide ich hiemit von dem gütigen Freund, küsse in Demut und Dank seine königliche Hand, erflehe Gottes Segen auf sein hohes Haupt und entferne mich mit meinem edlen, vielleicht tötlich verwundeten Mann dahin, wo dem Müden, Schuldlosen Ruhe und

Achtung geboten wird. Könnte ich sagen, daß unser zertrümmertes Leben dem Dämon genügen wird, und dafür ein Heil für unseren König erwachsen, vielleicht würde das tiefgekränkte

120

Frauen- und Mutterherz doch zur Freude sich darüber emporschwingen können, allein ich glaube es nicht. Auf uns zielen sie nicht allein, die Bösen.

Dieser Brief markiert den größten Schandfleck in Cosimas Charakter. Dieser Brief war wohl ihre schamloseste Lüge überhaupt. Weder in ihrem Tagebuch noch in anderen Schriften hat sie ihn je erwähnt, und es ist anzunehmen, daß

sie sich deswegen zutiefst geschämt hat. Das einzige, was man zu ihrer Entschuldigung sagen kann, ist, daß eine Verkettung von Panik und Liebe sie dazu getrieben hat, ihn zu schreiben.

4 Nun gut, der König schrieb den Brief. Er wurde an eben jenem Tag veröffentlicht, als Bayern, das sich mit Österreich verbündet

hatte, Preußen

den

Krieg

erklärte.

Nur

wenige

schenkten dieser Erklärung Glauben — (Cornelius bemerkte: „Diesen Artikel, den ihm die besonneneren

Freunde, selbst

Bülow, gewiß widerraten und ausgeredet hätten, hat Wagner zweifelsohne einzig mit Cosima und durch Cosima aufgereizt geschrieben, diktiert oder angeordnet.‘‘) — und noch wenigere hielten es der Mühe wert, sich in diesen Zeiten mit dem Schicksal eines „zugereisten“ Musikers, noch dazu eines Preußen, zu befassen. Der Krieg war bald verloren. Aber Bis-

marck, weitsichtig genug, sich Wilhelm I. zu widersetzen, ließ Österreich und Bayern nicht zu sehr bluten. Im Grunde hatte er erreicht, was er wollte: den klaren Beweis, daß Preußen —

und nicht Bayern - die herrschende Rolle in Deutschland zustand. Jetzt konnte auch kein Zweifel mehr darüber bestehen,

wer die Staatsgeschäfte des Landes lenken würde. Die Reform Deutschlands — wie Bismarck es plante und wie Bismarck es bezeichnete — hatte begonnen. In gewisser Weise ähnelte der 1866er Krieg dem ein Jahr zuvor beendeten amerikanischen Bürgerkrieg: der konservative, landwirtschaftlich

strukturierte Süden wurde durch den progressiven, industrialisierten Norden besiegt. Bayern

konnte

sich dennoch,

dank

der geschickten

Ver-

121

handlungen des Ministerpräsidenten, Freiherr Ludwig von der Pfordten, ein gewisses Maß an Unabhängigkeit erhalten. Pfordten war jener, den Wagner und Cosima leidenschaftlicher haßten als irgendeinen anderen aus Ludwigs Kabinett. Immer wieder hatte Wagner den König gedrängt, sich von „diesem Pfordten“ zu trennen und ihm empfohlen, den Fürsten Hohenlohe-Schillingsfürst an dessen Stelle zu setzen. Was Wagner nicht wußte, wohl aber der König, war, daß der

Fürst durchaus Bismarcks Ansichten teilte. Was Cosima betraf, so hegte sie gegen Pfordten Haßgefühle, seitdem sie ihn in einem persönlichen Gespräch darum gebeten hatte, Wagners Rückkehr nach München zu unterstützen. Er hatte ihr damals einen langen, wortreichen Vortrag gehalten, dessen Quintessenz „Nein“ war. Pfordten war der Meinung,

daß Wagner „das zerstörende Moment unseres heutigen Lebens und Staatswesens“ darstellte. Cosima erklärte dem König, daß sie mit diesem Mann nichts anfangen könne: Seine Grenzen seien seine einzigen Stützen, er sei von beschränktem Geist. Aber in jener Krisenzeit gelang es Pfordten in langen Stunden zäher Verhandlungen, Bismarck einige Konzessionen für Bayern abzuringen, wenngleich die Staatskasse dreißig Millionen Gulden bezahlen mußte — etwa fünfzigmal soviel, wie der König privat (nicht die Staatskasse!) für die Unterstützung Wagners ausgegeben hatte. Ludwig, beschämt und gedemütigt, zog sich mit Prinz Paul von der Außenwelt zurück und ließ zu seiner Unterhaltung nächtliche Feuerwerke veranstalten. Was „seinen“ Brief an Bülow betraf, so

schien er nicht zu bemerken, daß man ihn hintergangen und mißbraucht hatte, oder - falls er es wußte — sagte zumindest nichts dazu: allzu groß war sein Bedürfnis, Wagners Bild des Dichter-Komponisten hochzuhalten, allzusehr glaubte er, bei ihm, und in wachsendem Maße auch bei Cosima, Linderung seiner Qualen, Besänftigung seiner Verwirrtheit zu finden. Und in der Tat fühlt man, daß Cosima und er sich nach dem

politischen Debakel näherkamen, auch wenn sie sich selten sahen. Cosima schrieb nun häufiger, denn der König hatte sie gebeten, ihm alles zu berichten, was in Tribschen vor sich

ging; auch beider Umgangston wurde etwas weniger förmlich. Ludwig hatte jetzt die Angewohnheit, jedem Brief an Wagner einen zweiten an Cosima hinterherzuschicken, in dem er nachfragte, wie Wagner reagiert hatte. Und erneut 122

dachte er daran, auf den Thron zu verzichten. Cosima schrieb

ihm damals: Könnte ich nur die Tränen, die Wünsche, das Bangen und Sorgen

der letzten Zeit Ihnen entsenden, dies wäre die einzige Antwort auf Ihr gestriges Schreiben! ... Mir sind Sie als Märtyrer der Krone, wie der Freund mir als ein Märtyrer der Kunst erschien. Mir kam es vor, als ob das Kreuz, das Ihnen auferlegt worden,

diese höchste, heilige Würde sei! Wie soll ich Sie nun nicht verstehen, wenn Ihre tiefe, große Seele sich in mir ergießt und mir das

sagt, was ich ahnungsvoll weiß. Und doch und doch, mein wunderbarer Freund, ich schaudere vor dem Gedanken zurück... denn, theuerster Freund, in dieser öden Zeit, wo überall der

Glaube nur Schacher ist, habe ich in Wahrheit an das Königtum von Gottes Gnaden geglaubt, es ist für mich eine Religion gewesen. Ja, an Sie einzig habe ich als König geglaubt... . Ich sehe in dieser Stunde nur noch die Trümmer und wage kaum zu hoffen... So blicke ich denn auf zu Ihnen, großer, theurer Freund, begreife Sie in jeder Faser Ihres Wesens, weiß auch, daß ich an Ihrer Stelle so empfinden würde wie Sie, und wage es dennoch nicht Ihnen zuzurufen: „Entbürde Dich der unheilvollen Last“... Hegte ich einen Wunsch, so wäre es der, daß als letzter

König der theuerste Freund den Thron verließe, daß gütige Engel die Krone gen Himmel trügen und daß die entgötterte Menschheit in der Gleichheit der vollsten Gemeinheit ihr elendes Leben führte. Doch das sind Träume... [21. oder 22. Juli 1866]

Cosima half Ludwig dabei, sein Gleichgewicht wiederzugewinnen. Er blieb König. Bülows trauriges Schicksal hingegen nahm seinen Lauf. Seine Verbitterung wuchs. Für einige Zeit floh er nach Basel, aber als er am 7. April 1867 auf Wagners Drängen hin von Ludwig zum offiziellen „Hofkapellmeister und Leiter der künftigen königlichen Musikschule“ ernannt wurde (Wagner fuhr eigens nach Basel, um ihm selbst die Nachricht zu überbringen), kehrte er nach München zurück und setzte dort seine Arbeit in einer Atmosphäre offener Feindseligkeit fort. Ein gewisser Herr Bülow aus Mecklenburg war ebenfalls nach München gezogen, und ein paar aufgebrachte Zeitgenossen, die ihn fälschlich für den Bülow hielten, schlugen ihm nachts die Fensterscheiben ein. Einem Freund schrieb Hans, er sei musikmüde,

zukunftsmüde,

na-

mentlich aber gegenwartsmüde: Er wolle sich beschränken, obskur werden (was schneller gehen werde als mit der Be123

rühmtheit) und unter einem anderen Himmel möglichst unbehelligt weiterleben. Die Vorbereitungsarbeiten zu Wagners neuem Werk, das Bülow

das ‚„klassischste,

deutscheste,

reifste und

allgemein

zugänglichste Kunstwerk“ nannte, wollte er sich jedoch unter keinen Umständen nehmen lassen, auch wenn er spätestens seit Weihnachten wußte, daß Cosima ein Kind erwartete, das nicht von ihm sein konnte. Als Eva zur Welt kam, fuhr er

sofort nach Tribschen, und an Cosimas Bett sagte er unter Tränen: „Je pardonne“, worauf sie erwiderte: „Il ne faut pas

pardonner, il faut comprendre“ (Ich verzeihe - Nicht verzeihen muß man, sondern verstehen). Zwei Monate nach Evas Geburt bestand Cosima darauf, wieder zu Bülow nach Mün-

chen zu ziehen, wenn auch nur vorübergehend. Sie wollte der Welt, ihrer Welt zeigen, daß sie immer

noch seine Ehefrau

war und daß jener verlogene Brief, den zu schreiben man den König veranlaßt hatte, der Wahrheit entsprach. Vor allem aber hatte sie den aufrichtigen Wunsch, Bülow, der sich am Rande eines Zusammenbruchs befand, zu helfen. Das Un-

glaubliche dabei ist nicht nur, daß Bülow mit ihrer Rückkehr einverstanden war, sondern daß es ihr tatsächlich gelang, ein gewisses Maß an Ruhe und Ausgeglichenheit in sein Haus zu bringen. Sie war sogar so gut darin, daß einige aus dem Bekanntenkreis wirklich glaubten, sie sei für immer zurückgekehrt und „die Affäre sei beendet“.

Dieser „Vertuschungs-Versuch“ — sie nahm, als sie Wagner verließ,

nicht

nur

Daniela,

Blandine

und

Isolde,

sondern

sogar das Baby Eva mit - hing natürlich auch mit ihrer ständigen Angst zusammen, Ludwig könnte die Wahrheit entdekken. Seit dem bewußten Brief vom Juni 1866 war diese Angst nur noch gewachsen. Man muß die Gefahr dieser Entdekkung nicht nur im Zusammenhang mit Ludwigs Gefühlen sehen, sondern insbesondere auch im Zusammenhang mit dem Sittenkodex des neunzehnten Jahrhunderts. Ein Jahrzehnt zuvor war „Madame Bovary“ veröffentlicht worden, „Anna Karenina“ würde kaum zehn Jahre später erscheinen.

Diese Romane waren Ausdruck einer gewissen Moral, an der niemand rütteln durfte: demnach war eine „Liaison“ allgemein üblich und uninteressant, der Ehebruch einer verheira-

teten Frau dagegen unverzeihlich und dies um so mehr, wenn Kinder davon betroffen waren. Man glaubte mit Inbrunst an die „Reinheit der Frau“,

124

beeinflußt

durch

die romantische

Dichtung, besonders aber auch durch Johann Gottlieb Fich-

tes „Reden an die deutsche Nation“. Die Deutschen waren nach Ansicht dieses Philosophen dazu bestimmt, die „Fackel

der Kultur voranzutragen“, und um dieser ihrer Bestimmung folgen zu können, mußten

die Männer

bereit sein, auf dem

Schlachtfeld zu kämpfen, die Frauen dagegen hatten zuverlässig und treu zu sein. Als Mütter sollten sie voll und ganz in ihren Kindern aufgehen, sollten beten und den Herd hüten. Wilhelm II. brachte dieses Gefühl später mit „KKK“ (Kinder, Kirche, Küche) zum Ausdruck. Eine deutsche Frau

läßt sich die Aufzucht ihrer Kinder nicht nehmen - niemals! Wenn

sie es dennoch tut, wird sie an dem gesellschaftlichen

Spießrutenlauf zerbrechen. Nirgendwo war die „doppelte Moral“ heuchlerischer als in Deutschland. Selbst Cosima glaubte an diese Normen, zumindest bis zu Wagners Tod. Und Ludwig, selbst ein Außenseiter, neigte um so mehr dazu, von allen anderen ein Verhalten innerhalb der Konventionen zu fordern. Er konnte dem „Zeitgeist“

nicht entkommen. Darüber hinaus durfte er es sich als König nicht leisten, Übertretungen dieses Sittenkodex zu übersehen. Auch wenn er sich manchmal dagegen auflehnte, hatte er das Credo an das Bürgertum angenommen. Was würde aus dem Plan zur Erneuerung deutscher Kultur nach den richtigen, sprich: nach Wagners, Grundsätzen werden? Und was sollte, praktisch gesehen, aus Ludwigs finanzieller Unterstützung werden, wenn er die Wahrheit erfahren würde? Am 15. November 1865, in seinem ersten Freudentaumel, hatte Wagner ins „Braune Buch“ 'geschrie-

ben: O, meine Cosima! Wir werden glücklicher sein, als es je Sterbliche waren, denn wir Drei [der König eingeschlossen] sind unsterblich. Der Tod kann unsren Bund nicht lösen, und doch hoffe ich, ich werde durch grosses Alter ergänzen, was an Lebensdauer

uns unterschieden machen könnte. O Cosima! Nun sind nur noch die Werke zu schaffen. Glücklicher können wir nicht mehr werden. Es ist nicht möglich. Der Lenz des Dreilebens steht in vollster Blüthe: der Sommer kann nur noch die Früchte reifen!... Schweigen! Wir sind nicht von dieser Welt, -— Du, Er — und ich.

Aber

sie waren

von

dieser Welt, und

Cosima

sah mehr

noch als Wagner, daß es dem König durchaus möglich war, 125

den überreichen Sommer in einen bitterarmen Winter zu verwandeln. Cosimas Rückkehr nach München stürzte Wagner in Trübsal. Im „Braunen Buch“ notierte er: „Das Leben fällt von mir

ab... Wie müde bin ich!“ Während ihrer Abwesenheit hatte er eine schöne Gewohnheit abgelegt: seine langen Spaziergänge durch die Wälder Luzerns, selbst bei stürmischem Wetter (er trug dann immer ein Paar riesiger Gummistiefel, und Cosima pflegte zu sagen, er sähe aus, wie sein eigener „Holländer“). Auch mit den Hunden spielte er nicht mehr, er vergaß, die beiden Pfauen Wotan und Frigga zu füttern, die im Garten umherstolzierten. Trotz seiner Depression begann er, den sonnendurchfluteten letzten Akt der „Meistersinger“

zu komponieren. Cosima, die die Fortschritte dieses komödiantischen Meisterwerks bewundernd-aufmerksam verfolgte, hatte dem König geschrieben: Es ist wie ein tönendes sanftes Strahlen. Man weiß nicht, hört man das Licht, oder sieht man den Ton in dieser milden sonnigen Verzückung. Wenn der Vorhang sich schließt... ., dann bewegt sich unter Glockengeläute das ganze alte Nürnberg, es ist, als ob die alten Häuser selbst sich feierlich in Zug setzen. Ich glaube, jedem Deutschen muß dabei voll stolzer Freude und schönem Selbstbewußtsein das Herz in der Brust sich heben und beben. Dabei ist die Feinheit des musikalischen Details so zart, daß ich

es nur mit den wunderbar zierlichen Arabesken des Sakramentshäuschens in der St. Sebalduskirche vergleichen kann [richtig: Lorenzkirche], welches von dem Meister Adam Krafft ruhig sicher getragen wird, wie hier der noch viel größere, musikalisch poetische Reichtum und Schmuck vom Meister Sachs. Kurz vor dem Schluß der ‚„Meistersinger“, nachdem

Wal-

ther die Annahme der Meisterwürde verweigert hat, wendet sich Hans Sachs ermahnend an Walther und das Volk: „Drum sag ich Euch: ehrt Eure deutschen Meister! Dann bannt Ihr gute Geister; und gebt Ihr ihrem Wirken Gunst, zerging in Dunst das heil’ge röm’sche Reich, uns bliebe gleich die heil’ge deutsche Kunst!“ Dieser Schluß, ganz abgesehen von seinem chauvinistischen Inhalt, ist dramaturgisch gesehen ziemlich albern, und

auch Wagner

hatte das Gefühl,

man

sollte ihn streichen.

Nicht so Cosima: sie, die Französin, bestand darauf, ihn bei-

zubehalten. In Wirklichkeit war das gesamte Heilige Römi126

sche

Reich

bereits

„in

Dunst

zergangen“,

aber

Cosima,

Wagner und Ludwig glaubten, daß alles Edle und alles Heil des deutschen

Charakters

zwar

nicht

in Preußen,

aber

in

Bayern weiterlebte — mit Nürnberg als pulsierendem Symbol („Wie friedsam treuer Sitten, getrost in Tat und Werk, liegt nicht in Deutschlands Mitten mein liebes Nürenberg!“ dieser Satz von Sachs war eines von Cosimas Lieblingszitaten).

5 Ganz weltliche Gefahren sollten aus unerwarteter Richtung auf sie zukommen:

Malvina, Ludwig Schnorrs Witwe, setzte

diese bizarre Episode in Szene. In der Uraufführung des „Iristan“ hatte auch sie als Isolde Glanzlichter gesetzt, und Wagner und Ludwig verehrten sie als eine große Künstlerin. Der König hatte ihr — auf Empfehlung von Cosima und Wagner - eine jährliche Apanage gewährt, von der es sich in München gut leben ließ. Es verstand sich außerdem von selbst, daß Malvina an der geplanten Musikschule als Gesangslehrerin arbeiten sollte. Die beiden Frauen, Cosima und Malvina, mochten sich, und Malvina schrieb, wenn vielleicht

auch in romantischer Übertreibung an Bülow, Cosima sei ihr „so lieb wie ihre eigene Seele“.

In jenem

November.

1866

glaubte Malvina Wagner allein in Tribschen und beschloß, ihn zu besuchen. Mit ihm konnte sie in alten Erinnerungen an ihren Mann, den sie sehr geliebt hatte, schwelgen. Entgegen aller Vernunft nahm sie eine ihrer Schülerinnen, ein Fräulein Isidore von Reutter, mit. Jene war ungebildet und nicht ganz von dieser Welt: sie erklärte Wagner und Cosima, sie könne mit den Toten sprechen und die Geister aus der Tiefe rufen. Der Geist des toten Schnorr habe zu ihr gesprochen und habe ihr verkündet, sie werde König Ludwig heiraten. Wagner, der doch von Ludwig alles bekam, was er

wollte, sollte bei diesem Unterfangen als Vermittler fungieren. So habe der Tote es befohlen, „alles auf direktes Geister-

kommando“.

Malvina hatte das alles ernst genommen. Und

mehr noch:

Sie, der immer noch das Herz blutete über den

Verlust ihres Mannes,

die ostentativ Trauerkleidung

trug, 127

hatte sich ganz einem selbstgestrickten Mystizismus hingegeben. So erhielt also auch sie, mittels eines „Magnetopath“

(was immer das auch sein mochte), Instruktionen ihres verstorbenen Mannes. Sie schrieb ihm jeden Abend und vernahm dann seine Antworten im Schlaf. Bei dieser Gelegenheit also gab er ihr zu verstehen, daß es einzig und allein nur

ihre Aufgabe sei, Wagner zu führen, zu leiten und ihm zu helfen, sein gigantisches künstlerisches Werk zu vollenden. Allein durch ihre Hilfe würde Wagner fähig sein, einen zweiten „Tristan“ hervorzubringen. Wagner hatte sich für seinen idealen Tristan, Ludwig Schnorr,

seine

alte

Liebe

und

Anhänglichkeit

bewahrt,

Cosima teilte seine Gefühle, wenn auch weniger sentimental — sie empfingen also die beiden Besucherinnen sehr herzlich. Als aber Malvina und die Reutter anfingen, ihren Hirngespinsten freien Lauf zu lassen, weigerte sich Wagner zuzuhören. Statt dessen schrieb er einen kleinen Brief, in dem er Malvina mitteilte, er sei gerne bereit, sie wieder zu empfan-

gen, allerdings ohne jenes Fräulein Reutter, die versucht hatte, auch Cosima ihr spiritualistisches Gefasel mitzuteilen. Cosima brachte den Brief in das Hotel in Luzern, in dem die

beiden Damen logierten. Malvina, die sich und ihre Wohltaten zurückgewiesen sah, änderte ihren „Schlachtplan“. Wessen Schuld war es denn, daß man ihr und ihrer Schülerin

eine Abfuhr erteilt hatte? Warum sollte Wagner etwas dagegen haben, von ihr geführt und „gerettet“ zu werden? Cosima!

Sie war der böse Geist, die Königin der Nacht, die

Wagner vom rechten Weg abgebracht hatte. „O ich kenne ihn wohl“, schrieb Malvina an Wagner, „den unsauberen Geist, der aus Deinen Worten spricht — das bist Du nicht!

Dein Geist ist edel und wahr, und groß und warm Dein Herz! Weh jenem

teuflischen

Wesen,

das Deinen

edlen

Geist in

schmachvolle Fesseln geschlagen . .“ In ihrer Raserei Cosima Wagners Cosima kalt. Ganz „alles“ dem König

drohte Malvina, Bülow zu erzählen, daß „Geliebte“ sei. Diese „Neuigkeit“ ließ anders war es jedoch, als Malvina drohte, zu offenbaren. Es war durchaus möglich,

daß Ludwig sich einer derart trüben Quelle gegenüber unzugänglich gezeigt hätte, aber Cosima und Wagner konnten es kaum darauf ankommen lassen. Malvina schickte dem König tatsächlich einen Brief, in dem sie sich austobte, Ludwig war jedoch nicht in München und bekam ihn erst einige Wochen 128

später zu lesen. In der Zwischenzeit hatten Cosima und Wagner sich des klassischen Prinzips „Angriff ist die beste Verteidigung“ bedient. Ihr Angriff bestand darin, daß sie Ludwig schrieben, sie beide könnten es sich wohl leisten, Malvinas Verleumdungen zu ignorieren, hingegen befürchteten sie, daß seine, des Königs, Reputation durch jeglichen Kontakt mit einer derart gestörten Frau in den Schmutz gezogen würde. „Es ist“, empfahl Wagner in seinem langen, wohlbedachten Brief, „nach meinem Erachten, an der Zeit,

den Folgen der Bierhausconversation ... über die intimsten, die königliche Person betreffenden Vorgänge, wie sie in München zur frechsten Gewohnheit geworden sind, mit sorgsamster Strenge entgegenzutreten.“ Malvina sollte man, mit dem

dezenten

Hinweis,

dazu

bringen,

endlich

daß sie sonst ihre Pension

Ruhe

zu

geben.

Und

verlöre,

was

jene

„Person“ Reutter betreffe, so sei diese nicht einmal der Ver-

achtung wert. Kreaturen wie jene beiden sollten kurzerhand verbannt werden, ohne daß sich der König herabließe, ihnen

auch nur die geringste Aufmerksamkeit zu schenken, geschweige denn eine Audienz gewähre. Wagner schrieb diesen Brief, aber es läßt sich unschwer erkennen, daß Cosima der wahre Autor war. Sie war es, die

die leidige „Malvina-Affäre“ in die Hand genommen hatte. Cosima gab Ludwig zu verstehen, daß Malvina in Wagner verliebt sei — eine liebestolle Witwe also, auf der Jagd nach einem Witwer, so vernarrt, daß sie sich selbst dazu anfeuerte,

den Frieden eines unschuldigen Mannes zu zerstören. Cosima hätte sich in diesem günstigen Moment vielleicht frei heraus zu ihrem Dilemma äußern und dem König die Wahrheit sagen können. Wenn er sie überhaupt akzeptiert hätte, dann von ihr. Aber inzwischen hatte sie sich bereits so

in ihr Lügengewebe verstrickt, daß sie sich daraus nicht mehr befreien konnte. Daß ein Bekenntnis Cosimas dennoch sehr gewagt gewesen wäre, geht aus einer Nachricht Ludwigs an Kabinettssekretär Lorenz von Düfflipp hervor, in der von einigen politischen Artikeln die Rede ist. Ludwig glaubte, Cosima

sei die Verfasserin

dieser

Artikelreihe

„Deutsche

Kunst und deutsche Politik“ — tatsächlich aber hatte Wagner sie geschrieben. Die ersten Beiträge dieser Reihe gefielen Ludwig noch, die späteren jedoch, polemische Ergüsse gegen Frankreich, sagten ihm nicht mehr zu und nun schrieb er an Düfflipp: 129

13. Dezember

1867

Diesen Abend erhielt ich Ihren Brief. Ich bin wie aus den Wolken gefallen. — Diese feine, geistvolle Frau v. Bülow widmet sich der Preßschmiererei, schreibt diese heillosen Artikel! fürwahr, eines solchen Bubenstreiches hätte ich die gebildete Cosima nicht für fähig gehalten! Noch mehr überrasche es ihn aber, schrieb er weiter, daß

er, Düfflipp, die Situation Wagner,

Frau von

Bülow

und

Frau Schnorr, nicht für „ganz koscher“ halte. Sollte es sich herausstellen, daß dieses üble Gerücht auf Wahrheit beruhe, „sollte also wirklich Ehebruch mit im Spiele sein? — Dann

wehe!“ Zunächst

würde weiter obwohl Bayern

hoffte

Ludwig,

die

„Sache“

Schnorr-Reutter

sich im Sande verlaufen. Er kümmerte sich nicht darum und beantwortete auch Wagners Brief nicht, er ihm insoweit entgegenkam, als er Malvina anwies, zu verlassen. Sie sollte jedoch weiter ihre Pension be-

ziehen: es war keine Rede davon, sie ihr zu nehmen. Malvina

aber respektierte diese Entscheidung

nicht. Sie beschloß -

„komme,

zu bleiben

was

wolle!“ — in München

und

dem

König zu beweisen, daß Cosima eine „gewissenlose“ Frau war. Zu Weihnachten hoffte Cosima die Rachegelüste ihrer Feindin etwas beschwichtigen zu können. Sie schrieb ihr deshalb: 25. Dezember

1866

Malvine! Es ist heute der welterlösende Tag, zugleich der Tag, an dem ich geboren! Ich habe mein Herz in Wahrheit ergründet und nicht einen Schatten gehässiger Gesinnung darin gefunden, selbst keine Erbitterung gegen die Unglückliche, die uns so traurig entzweien durfte. Sieh, ich weiss alles, was Du über mich gesagt, ich kenne jeden Deiner Schritte, während ich Dir nicht ein Haar krümmen möchte, hast Du die Mutter dreier Kinder, die Tochter und die Frau zweier edler Menschen geschmäht, gesucht, sie an

den Pranger zu stellen, und hast dabei auch den vielgeprüften Freund nicht geschont! Ich glaube es fest und heilig, Du warst bethört und hast mehr dabei gelitten als Du mir jemals Leiden bereiten kannst; weiter vermagst Du nichts, vielleicht ist Dein - in

Deinen Augen wohl gerechtfertigter - Haß befriedigt; für eine mir völlig unbewußte Schuld hast Du Rache genommen, Du hast das Schlimmste mir angethan, was einer Frau anzutun ist... Ich frage Dich: Was hast Du von mir gewollt, das ich nicht gethan, und was habe ich gethan, das Du nicht gewollt? War es möglich,

130

daß mein Unglauben an Frl. v. R’s Visionen, und die Angst, sie möchte Dein Gemüth gänzlich zerstören, aus einer Freundin, die Du mir warst, Dich zur Feindin mir machte?... Nun Du Deine

feindselige Stimmung ohne Rücksicht auf irgend etwas gestillt hast, sage ich Dir ernst und freundlich: bei allem, was ich je geliebt, bei allem was ich gelitten, bei allem was ich für das Leben und den Tod erhoffe, bei dem Wohl meiner Kinder und bei dem

Frieden derer, die ich verloren, ich habe nicht einen Finger gegen Dich gerührt! - Laß den Frieden in Deinem Herzen wieder einziehen! Wir werden uns wahrscheinlich nie wiedersehen, vergiß,

was Du mir Uebles angethan, wie ich es vergesse... [Und so geht das noch eineinhalb Seiten lang weiter in Variationen zu dem Thema.] Cosima von Bülow, geb. Liszt

Malvina konterte am 12. Januar 1867 mit einem zehn Seiten langen Brief an Ludwig, und berührte darin einen wunden Punkt, der den König ernstlich zu beunruhigen begann. Im letzten Sommer, so schrieb sie, habe Wagner ihm jenen zur Veröffentlichung bestimmten Brief diktiert, habe ihn dazu veranlaßt, eine Torheit zu begehen, zu einem Zeit-

punkt, als schon alle Welt wußte, in welcher Beziehung Frau von Bülow zu Wagner stand. Nun sei jener die treibende Kraft jener Ungerechtigkeiten, die ihr zugefügt würden -. würde auch nur eine Silbe alles dessen bekannt, so würde ihn

das Tausende von Herzen kosten... Cosima und Wagner kämpften weiter 2. Januar schrieb Wagner dem König, daß Bülow große Qualen verursachten: wieder Name in den Schmutz gezogen. Aber nicht von

Bülow,

auch

Cosima,

die arme,

dagegen an. Am Malvinas Angriffe einmal würde sein nur der edle Herr

arme

Cosima

könne

nicht mehr schlafen. Und da ihre Niederkunft bevorstünde — er, Wagner müsse sich in diesem

Fall um

sie kümmern,

da

Bülow in Basel sei -, sei ihre Gesundheit ernsthaft gefährdet. Cosima sei sowohl auf der Straße als auch im Theater von Malvina diesbezüglich angesprochen und „provoziert“ worden. Diese ständigen Belästigungen müssen ein Ende finden, bat er.

Malvina war nicht das einzige Problem, das seit jenem düsteren Jahr der Niederlage Bayerns zwischen dem König und dem Komponisten stand. Wagner und Cosima zogen weiter über Pfordten her. Die Haßkampagne hatte schließlich ihre Wirkung: Ludwig wurde schwach. Mit Pfordten weiter zu ar131

beiten, sei unmöglich, schrieb Ludwig an Cosima schon im Oktober 1866. Und erstaunlicherweise fügte er hinzu, daß er

jetzt Fürst Hohenlohe

erwäge. Bald erhielt auch Bismarck

einen Bericht aus München, der besagte, daß man letztlich immer wieder auf Richard Wagner stoße, wenn man nach

Gründen der königlichen Ungnade suchte, die die Minister bedrohte. Im Dezember wurde diese Drohung wahr gemacht. Ludwig fragte Pfordten, ob irgend etwas dagegen spräche, daß Wagner in angemessener Zeit wieder nach München zurückkehre. Pfordten erfaßte sofort die Bedeutung dieser scheinheiligen Frage. Sein lang angestauter Ärger brach durch, und er antwortete, daß er Wagner für den übelsten Menschen unter der Sonne halte. Er könne nur bleiben, wenn

der König für immer auf ihn verzichtete.

|

Von der Pfordten „durfte“ gehen. Es spielte keine Rolle mehr, daß Ludwigs Großvater, der Ex-König, aus Rom geschrieben hatte und ihn beschwor, diesen Wechsel nicht vor-

zunehmen, weil Hohenlohes Überzeugungen preußisch und nicht bayerisch seien*. Ludwig ließ etliche Monate vergehen, bevor er den Brief seines Großvaters beantwortete. Erst jetzt reagierte Ludwig und begann sich zu wundern: Warum haßte Pfordten Wagner und Cosima so sehr, daß er seine Stellung opferte? Steckte hinter all jenen Zeitungsberichten vielleicht doch ein Körnchen Wahrheit? Spielte Cosima ein falsches Spiel mit ihm? Warum

war sie so sehr dagegen, daß

Malvina mit ihm sprach, wenn diese hysterische Frau nur mit Klatsch und Verleumdung aufwarten konnte? Konnte er sich wirklich hundertprozentig auf Wagners Wort verlassen? Wagners und Cosimas heftige Reaktion auf Malvina schienen doch seltsam übertrieben.

Irgend etwas war hier „nicht

koscher“. Heimlich ließ Ludwig Franz, Wagners ehemaligen Diener,

herbeizitieren,

und

befragte

ihn über

Cosima.

Es

gelang ihm jedoch nicht, aus dem gerissenen Burschen etwas herauszubekommen.

Es ist schon eine Ironie des Schicksals,

daß der Schleier, wenn auch nur um Fingersbreite, von einer exzentrischen Frau gelüftet wurde, die es nicht um der Wahrheit willen tat, sondern aus Eifersucht auf Cosima.

Die Geschichte verlief schließlich doch im Sande. Ludwig bestand nicht darauf, sie des Landes zu verweisen, entzog ihr * Um der Wahrheit die Ehre zu geben: Hohenlohe kannte nur eine Überzeugung — daß er für Größeres bestimmt war. Er schaffte es, indem er Reichskanzler wurde.

132

auch die Pension nicht, jedoch blieben jegliche Kontaktversuche unbeantwortet - ob mündlich oder schriftlich. Malvina lebte forthin zurückgezogen, bis sie im Jahr 1904 starb. Weder Cosima noch Wagner haben ihr jemals verziehen. Noch vierzig Jahre später kamen bei Cosima Ressentiments gegen sie zum Vorschein. Wagner, der sie ursprünglich mit der Schröder-Devrient verglichen hatte - für ihn das höchstmögliche Lob -, und der sie seine „unvergeßliche Isolde“ genannt hatte, erwähnte sie nicht ein einziges Mal, als er 1868

seine „Erinnerungen an Ludwig Schnorr von Carolsfeld“ schrieb. | Es kam mit dem König zu keinem offiziellen Bruch. Ludwig hielt nach wie vor an dem Glauben fest, daß er und Wagner die Pläne für die Musikschule und das neue Theater, vielleicht die Aufführung der kompletten Tetralogie und schon bald — die Uraufführung der „Meistersinger“ verwirk-

lichen könnten. Nach und nach jedoch entzog er sich der beschwörenden Präsenz Wagners. Der Freund wurde nicht mehr zu jenen intimen Gesprächen nach Hohenschwangau eingeladen, die bis spät in die Nacht gedauert hatten. Drei Monate lang schrieb der König nicht einmal mehr. Es herrschte Schweigen: ein Schweigen der Ernüchterung. Was Cosima betraf, so erschien sie dem jungen Schwärmer nun in einem etwas zweideutigen Licht, und er verlor oder unterdrückte absichtlich etwas von dem Vertrauen, das er bisher in

sie investiert hatte. Später, als seine Liebe zu Wagner wieder aufflammte,

benutzte

er Cosima

als feinfühligen

Dolmet-

scher. Vom Menschen Wagner zog er sich ebenso wie von Cosima mehr und mehr zurück. Er sah sie kaum noch und ersetzte sie in Gedanken durch fiktive Wesen, die jenem selben,

künstlich beleuchteten Zauberreich angehörten wie die Helden aus der Oper. „Die Meistersinger von Nürnberg“... Wagner beendete die Kompositionsskizze des dritten Aktes kurz nach dem Tumult

um

Malvina

und schrieb als Abschluß:

„7. Februar

1867, St.-Richards-Tag, eigens für Cosima fertiggestellt.“ Drei große Aufgaben blieben noch. Erstens: Vollendung der Orchesterskizze des dritten Aktes sowie Niederschrift der Partitur des zweiten und dritten Aktes. Zweitens: Bülow mußte als Dirigent für die Uraufführung gewonnen werden, was Wagner für deren Erfolg als besonders wichtig erschien. Drittens: Den Sängern mußte beigebracht werden, was in 133

schauspielerischer Hinsicht und stimmlichem Ausdruck von ihnen erwartet wurde. Letzteres beabsichtigte Wagner, selbst zu

übernehmen,

trotz

seines

Schwures,

München

niemals

wieder zu betreten. Die zweite Aufgabe erwies sich als die schwierigste. Bülow wollte nicht mehr in München arbeiten. Er war es mehr als leid, von den „Schweinehund-Journali-

sten“ verfolgt zu werden. Wagner mußte sich für ihn beim König verwenden, um außerordentliche Vergünstigungen herauszuschlagen: So sollte Bülow unbeschränkte Vollmacht erhalten, um das Opernorchester neu aufzubauen, um Sänger

nach seiner Wahl zu engagieren, um unbegrenzt Proben halten zu können, usw. Es war charakteristisch für Cosima, daß sie Wagner voll und ganz in seinem Bemühen unterstützte, Bülow zur Rückkehr zu bewegen. Beide wußten sie: wenn er kam, mußte Cosima mit ihm zusammenleben. Das Idyll in

Tribschen würde — für wer weiß wie lang? — unterbrochen sein, und sie alle drei müßten mehr als vorsichtig sein, um einen neuen Skandal zu vermeiden. Cosima war bereit, eine Rolle spielen zu müssen, die ihr zuwider war, während

Wagner um seiner Kunst willen eine Trennung von der Frau auf sich nahm, die er leidenschaftlicher als je zuvor liebte. Bülow traf ein, Cosima ebenfalls, und sie mieteten eine

Wohnung in München, mit einem extra Zimmer für Wagner. Und nun stand wieder ihre gemeinsame Unschuldskomödie auf dem Programm. Cosima spielte ihre Rolle perfekt: die liebenswürdige Gastgeberin und elegante Gattin des berühmten Dirigenten. Bei den Proben — Cosima stets zugegen — arbeiteten Wagner und Bülow in trauter Harmonie zusammen.* Beim Zuschauen dachte Cosima, daß Wagner, wäre er

nicht Musiker geworden, den größten Schauspieler der Welt abgegeben hätte — so lebendig vermittelte er den Sängern ihre Rolle in Bewegung, Ausdruck und Tonfarbe -, während Bülow als Dirigent zweifelsohne nicht seinesgleichen hatte. Die Uraufführung fand am 21. Juni 1868 in Gegenwart des Königs statt. Wagner wollte sich eigentlich nicht sehen lassen, aber das Hofprotokoll verlangte, daß er sich dem König vorstellte, sobald Ludwig seinen Platz eingenommen hatte. Ludwig bestand darauf, daß Wagner an seiner Seite in der * Ab und zu brachen allerdings Bülows wahre Gefühle durch. Während einer Probe zu Hause fiel einmal ein Foto von Wagner und der kleinen Eva aus dem' „Meistersinger“-

Manuskript, während er die Seiten wendete. Da stand Bülow auf und verließ, mühsam seine Tränen unterdrückend, den Raum.

134

Königsloge blieb. Am Ende des ersten Aktes klatschte das Auditorium begeistert und rief nach Wagner, aber er zeigte sich nicht. Nach dem zweiten Akt und erst recht nach dem letzten Akt war das Publikum in seinem Enthusiasmus kaum mehr zu bremsen, aber erst auf Ludwigs Drängen verbeugte sich Wagner von der Loge aus. Bülow soll damals gesagt haben:

„Horaz neben Augustus“ — ein Ausspruch,

der sich

schlagartig in ganz Deutschland verbreitete. Das hatte man allerdings noch nie gesehen! Ein Bürgerlicher, ein einfacher Musiker, wagte es, Huldigungen in Gegenwart Seiner Majestät entgegenzunehmen. Ein Journalist schrieb, er habe automatisch zur Decke geblickt, um zu sehen, ob nicht der Kron-

leuchter herunterfalle. Cosima saß in einer anderen Loge. Sie wurde nicht von Ludwig empfangen. Es war der bis dahin erfolgreichste Augenblick in Wagners Karriere. Trotz einiger Kritiker, die das Werk verrissen und, wie Hanslick, es für eine „Krankheitserscheinung“ hielten, wurden die ,„Meistersinger“ bald von allen Theatern

Deutschlands übernommen. Das Publikum liebte Hans Sachs, und die gesamte Oper wurde zum nationalen Lobund Preisgesang. Im Morgengrauen nach der Premiere, immer noch unter dem Einfluß des großartigen Erlebnisses, schrieb Ludwig einen tief bewegten Brief an Wagner: „Alles, Alles verdanke ich Ihnen! Heil der deutschen Kunst! In diesem Zeichen werden Wir siegen.‘ Zweifellos wäre dies der geeignete Augenblick für Wagner gewesen, offen und ehrlich mit dem König zu sprechen. Statt dessen aber reiste er zwei Tage später nach Tribschen ab. Innerhalb eines Monats folgte ihm Cosima nach, und Wagner sang den alten Refrain da capo: Er schrieb an Ludwig, Cosima könne die Verleumdungen nicht länger ertragen, denen sie in München ausgesetzt sei. Sie sei so „tief und ungemein,

dass sie in diese Welt nicht

gehört“. Und was ihn selbst beträfe, so habe er den Eitelkeiten dieser Welt schon längst entsagt. Er hege nur noch den Wunsch, zurückgezogen zu leben. Seine ganze Kraft, ja sein Leben gehöre dem König, für den er es auch auf sich nehme,

seine Gesundheit zu pflegen, so daß esihm möglich wäre, das ihm von seinem Wohltäter aufgetragene große Werk zu vollenden. Man kann förmlich die Orchesterbegleitung zu diesem

„recitativo

verpulverte

einen

patetico“

ziemlich

hören.

Nebenbei

namhaften

bemerkt:

Betrag in den

Er

Ort 135

seiner „entsagungsvollen“ Zurückgezogenheit, wie Cornelius bei

einem

Besuch

im

August

feststellte:

„Nun

hat

er

[Wagner] eine Masse Geld hineingesteckt, dran gebaut und eingerichtet, und wenn man so eine Voliere sieht mit Goldfasanen und anderen seltnen Vögeln, so denkt man sich unwillkürlich:

Gnad’

uns

Gott, was

muß

das den Mann

für ein

Geld kosten. Dabei die Bestellung von so ein paar Morgen Park und Gemüsegarten — etwa acht Dienstboten, wenig gesagt - einen Einspänner mit Pferd.“ Cosima war es schließlich, die beschloß, daß alles nicht so

weitergehen konnte. Im September machte sie mit Wagner einen Ausflug nach Italien, und auf dem Rückweg brach im Tal von Lavorgo eine Überschwemmung über sie herein. Für einige Schreckensstunden lang versank ein Spaziergang in tobendem Gewitter. Sie glaubten, nun sei das Ende gekommen. „Dem Tode in das Angesicht zu schauen, heißt die volle Wahrheit erkennen“, schrieb Wagner dem König. Dieses Er-

innertwerden an die Unsicherheit der menschlichen Existenz half Cosima, ihren Entschluß zu fassen. Am 14. Oktober, ein paar Tage nach ihrer Rückkehr, beschloß sie, nach München

zu fahren und ihren Mann um die Scheidung zu bitten. Von nun an sollte ihr Leben nur noch dem des Geliebten verbunden sein. Doch selbst zu diesem Zeitpunkt wagten sie es nicht, dem König die volle Wahrheit zu sagen: sie verlegten sich darauf, auf die neue Entwicklung der Dinge nur anzuspielen. Wagner schrieb in seinen Briefen nur von ‚„nothwendigen Entschlüssen“ oder daß Cosima zurückgereist sei, „um

ihre Lage zu ordnen und ihre würdevollen Entschlüsse voll auszuführen.‘ Der König antwortete nicht. Aus der Zeit vom 14. September

1868, dem Tag der Abreise nach Italien, bis

zum 10. Februar 1869 ist kein einziger Brief Ludwigs an Wagner vorhanden. Wagner sagte später rückblickend, Cosima habe damals schon im Juli ihre Entscheidung getroffen. Das ist durchaus möglich. Warum aber sollte sie, kaum von einer ermüdenden Reise zurückgekehrt, sich umgehend mit ihren vier kleinen Mädchen auf den Weg nach München machen? Nur um mit Bülow zu sprechen? Die Erklärung liegt auf der Hand: Sie wußte, daß sie Wagners drittes Kind erwartete. Wie sollte sie sich ihr Leben in München wieder einrichten, wenn nicht nur Bülow, sondern auch seine Mutter (die bei ihrem Sohn wohnte und die ihre Schwiegertochter schon immer gehaßt 136

hatte) ihren Zustand sehr bald bemerken würden - ganz zu schweigen von allen Bekannten bis zu jenen, die man auf der Straße traf. Sie mußte einfach handeln. Sie war zuversichtlich, daß

sie, wie

auch

immer,

erreichen

würde,

was

sie

wollte. Das war jedoch ein Irrtum. Bülow sagte nein — keine Scheidung! Die Gründe für seine Weigerung kann man nur vermuten. Sicher konnte er nicht gehofft haben, Cosima zurückzugewinnen. Möglicherweise wollte er sich und ihr allen Ärger, alle Aufregung einer Scheidung ersparen, zumindest in so unmittelbarer Folge auf die glücklichen Tage der „Meistersinger“.

daß er annahm, machen,

Wahrscheinlicher

eine Scheidung würde

weiter in München

machte ihm jetzt viel Freude, Musik, sondern auch andere chen Hingabe. Vieles spricht Arbeit war ihm zum einzigen

zu bleiben.

ist,

es ihm unmöglich Seine Arbeit dort

er dirigierte nicht nur Wagners Opern, und zwar mit der gleifür diesen letzten Grund: seine Lebenszweck geworden. Bülow

versuchte, Cosima klarzumachen, daß sie sich gar nicht scheiden lassen konnte, da sie katholisch sei. Cosima antwortete,

daß sie dann eben ihre Religion wechseln werde. Bülow beschwor sıe, davon abzusehen, um ihren Vater, dem er so viel Dank schuldete, nicht zutiefst zu kränken. Aber Cosima hätte

in dieser Situation auch ein ganzes Dutzend Väter gekränkt. Wie sich später herausstellte, zog sich Liszt tatsächlich auch von ihr zurück und brach fast jede Verbindung zu Wagner ab. Beinahe elf Jahre sollten vergehen, bevor ihre alte Freundschaft die Wolken der Mißbilligung wieder durchbrach,

aber

Wagner die Während te, zog sich Verwandten

nicht,

weil

Liszt

es

so

wollte,

sondern

weil

Initiative ergriff. Cosima sich mit ihrem Mann zu einigen versuchWagner von alledem zurück und besuchte seine in Leipzig. Er war in ausgelassenster Stimmung,

imitierte die Leute von der Münchener Oper, schimpfte über alle Theater Deutschlands, machte sich über die Juden lustig und spielte Ausschnitte aus den „Meistersingern“ vor und

übernahm dabei sämtliche Rollen. Am 11. November kehrte er nach Tribschen zurück und versank sofort in Melancholie. Das Leben sei hart und bitter, schrieb er einem Freund - und es sei für ihn immer so gewesen, seit seiner frühen Heirat.

Niemand

könne

ihn wirklich verstehen.

Wie sollte er die

Kraft aufbringen, den „Ring“ zu beenden? Er wußte, daß der

König ihm grollte. Er lebte in totaler Abgeschlossenheit. 137

Fünf Tage darauf, am späten Abend

des 16. November

1868, traf Cosima mit Isolde und Eva in Tribschen ein - für

Wagner war die Sonne wieder aufgegangen. Sie umarmten sich, Cosima sagte ihm, daß sie diesmal nicht nur „zu Besuch“ gekommen sei. Sie war nun da und würde bleiben, für immer; sie würde ihn nie wieder verlassen. Cosima hatte

Eva und Isolde mitgebracht — ein deutliches Zeichen, daß beide Wagners

Kinder

waren,

auch wenn

Bülow

weiterhin

vorgab, Isolde sei seine Tochter. Jetzt mußte Wagner darüber mit dem König sprechen. Er glaubte, in einem persönlichen Gespräch könne er am besten alles erklären oder zumindest den Schock verringern. Er bat um eine Audienz: „De profundis clamo. Vertrauungsvoll harre ich Ihres Winkes!“ Aber der König antwortete nicht. Der Verzicht auf Ehrbarkeit und Ansehen, die Angst vor der Reaktion des Königs, die drückenden Schuldgefühle, die Trennung von ihren zwei älteren Kindern, die pikanten Kari-

katuren, mit denen die Münchener Zeitungen weiterhin ihre Leser amüsierten — so sehr das alles Cosima verletzte, es än-

derte nichts an ihrem festen und schwerwiegenden Entschluß. Die Überdramatisierung, die oft aus ihren Briefen und vor allem aus den Tagebüchern spricht, machte die Ge-

wißheit nur noch gewisser. Edouard Schur£, der französische Schriftsteller,

ein

großer

Bewunderer

Wagners,

nannte

Cosıma beides, eine Intrigantin und eine Heroine. In ihrer Liebe war sie eine Heldin. In ihr Tagebuch schrieb sie: ... Gern will ich alles erleiden, nur um an seiner Seite zu stehen, bis in die späteste Nachwelt sollen sie mich verunglimpfen, habe ich nur ihm geholfen, habe ich nur ihm die Hand reichen dürfen und ihm sagen: ich folge dir bis in den Tod! ... Mein einziges Gebet: mit Richard in derselben Stunde dereinst sterben. Mein höchster Stolz, alles von mir gewiesen zu haben, um ihm zu

leben .:..

Aber selbst inmitten aller Freude, endlich mit Wagner vereint zu sein, konnte sie sehr wohl falsch sein. Am 29. Dezem-

ber 1868 schrieb Wagner dem König einen langen Brief zum Jahresende, dankte ihm für alles, was er für ihn getan hatte, und bedauerte, daß er für eine geraume Zeit die „Sonne

seines Lebenspfades“

hatte entbehren müssen.

ließ sich, wie schon erwähnt, erst zum

138

(Der König

10. Februar

1869 zu

einer

Antwort

herab.)

In einem

Nachsatz

seines

Briefes

schrieb Wagner, er lege einen Brief von Cosima bei, den er soeben erhalten habe - immer noch versuchte er, die Tatsache zu vertuschen. Cosima lebte nun schon seit sechs Wochen mit ihm zusammen, saß neben ihm, während er schrieb, und — steckte mit ihm unter einer Decke. Natürlich verfaßte sie den

notwendig gewordenen

Brief, natürlich datierte sie ihn auf

den 27. Dezember zurück.

Allerdings gab sie dem König in jenem absichtlich falsch datierten Brief einen kleinen Hinweis, eine versteckte Anspie-

lung auf die entscheidende Veränderung in ihrem Leben: ... Es wäre mir unmöglich, dieses Jahr zu schließen und das neue zu beginnen, ohne Ihnen, mein König, den Gruß des Dankes, den Segen der Liebe zu Füßen zu legen. Gleich geheimnisvoll liegt hinter uns das vergangene, vor uns das kommende Jahr — wer wäre so vermessen, so baldige Deutung dem Guten wie dem Schlimmen, das ihn befallen, zu geben? Wer so kühn,

die Erreichung dieses oder jenes Ziel[es] sich zuzusagen? Ueber diese Dunkelheit herrscht einzig die Leuchte der Liebe; nach welcher Seite auch die Fackel gewendet wird, das Licht hebt sich empor und steigt gen Himmel - sagt ein indisches Sprichwort. Wie auch die Fackel meines Lebens gerungen, gewunden oder geschwungen wird, hoch und rein wird die Flamme der Liebe zu Ihnen, mein freundlicher Herr, schimmern, und erhellte diese

Flamme nur noch das eigene Herz! Haben Sie doch ihn geliebt, dem ich mein Leben geweiht, und den Glauben gehegt, der meine Seele verklärt.

139

6. KAPITEL

Die Tagebücher

Lügen haben bekanntlich kurze Beine. Bülow sagte in München jedem, der sich über Cosimas lange Abwesenheit wunderte, sie sei nach Versailles gefahren, um ihre Halbschwester, Gräfin Claire de Charnac&, zu besuchen, und er sagte es auch

all jenen, die es gar nicht wissen wollten. Er log wie gedruckt. Ohne

Zweifel

wußte

er, daß

sie in Tribschen

war.

Kaum

dorthin zurückgekehrt, hatte Cosima begonnen, lange, zärtliche Briefe an die achtjährige Daniela, ihre älteste Tochter, zu

schreiben, die mit Blandine zusammen bei Bülow lebte. Es ist kaum vorstellbar, daß Bülow diese Briefe nicht gesehen und gelesen hat. Cosima schrieb manchmal in Französisch, um Daniela mit der Sprache vertraut zu machen, manchmal in Deutsch. Der Inhalt bestand aus den üblichen Mitteilungen zwischen Mutter und Kind: Eva weint jetzt nicht mehr, wenn sie mit kaltem Wasser gewaschen wird. Macht nicht soviel Lärm vor Vaters Arbeitszimmer! Folgt Hermine [Gouvernante]! Weint Boni immer noch, wenn sie im Domino verliert? Tante

Claire,

die uns

gerade

in Tribschen

besucht,

möchte gerne, daß Du zu ihr nach Versailles kommst, und das wird einestags möglich sein, wenn Du brav bist und immer schön Deine Aufgaben machst, und so weiter. Über

Danielas und Blandines zwei kleine Schwestern in Tribschen berichtete Cosima, daß Loldi (Isolde) ein großes Stück Blumenkohl auf die Gabel nahm und es „Rigi“ nannte, daß sie

dachte, die Tannenbäume im Wald seien Weihnachtsbäume für böse Kinder, weil sie keine Kerzen trugen, daß Eva sich

einen Lampenschirm aufsetzte und damit durch das Zimmer tanzte. 141

Wie lang glaubte Bülow, seine erfundene Geschichte auf-

rechterhalten zu können? Wie lange konnte man Cosimas Anwesenheit in Tribschen verheimlichen? Im Februar 1869 machte der unglückselige Mann offenbar den Vorschlag, daß Cosima noch einmal zu ihm nach München kommen sollte — nur um den Schein zu wahren und für ein paar Monate. Aber Wagner protestierte: Sollte Cosima ihn nochmals verlassen, und sei es auch nur für kurze Zeit, so bedeute das sein Ende

und das Ende seiner Arbeit. Cosima dagegen spielte, wie aus ihrem Tagebuch hervorgeht, mit der Idee, Hans zu schreiben,

„daß ich auf zwei Monate nach München

zu den Kindern

käme, um von da mit allen vier hier nach Tribschen Anfangs

Mai zurückzukehren.“ Der Zweck der Übung liegt auf der Hand:

„Ich habe die Vermeidung eines Eklats im Auge, der

Kinder und des Königs wegen.“ Aber Wagner wollte nichts davon hören. Bülow, nun vollkommen verärgert, erklärte daraufhin, daß die beiden Kinder, seine Kinder, für immer bei ihm bleiben

sollten. Ihr Zuhause sei bei Forderung begründet, aber denn sie entsprang seinem nicht ein Ausdruck seiner

ihrem Vater. An sich schien seine in Wirklichkeit war sie es nicht, Verlangen nach Rache und war Liebe zu Daniela und Blandine.

Bülow wußte, wie sehr er Cosima wehtun würde, wenn er die Kinder von ihr trennte; ebenso war ihm klar, daß er für die Vaterrolle nicht taugte und sie nur spielte, um seine treu-

lose Frau zu bestrafen. Er verbrachte nur sehr wenig Zeit mit den Kindern, und seine Mutter, eine so verkniffene Großmutter, wie Zola sie nicht besser hätte erfinden können,

kommandierte sie nur herum und tadelte sie ständig. Cosima indessen versuchte weiterhin, dem König Sand in die Augen zu streuen. Am 7. April 1869 begann sie einen Brief an ihn, den sıe an den zwei darauffolgenden Tagen fortsetzte. Im zweiten Teil des Briefes behauptete sie, daß beinahe zwei Wochen seit den vorherigen Zeilen vergangen waren, und daß sie jetzt in Tribschen sei. Offensichtlich wollte sie den Eindruck erwecken, daß sie gerade angekommen war. In Wahrheit lebte sie seit fast einem Jahr in Tribschen, wenn man von der Reise nach Italien, den in München verbrachten

Wochen sowie ein paar Kurzreisen zu Bülow oder Liszt absah. Gab es in diesem Lügengewebe überhaupt noch ein Stückchen Wahrhaftigkeit? Ja: es ist vom Anfang bis zum Ende in 142

der Liebe zu finden, die Cosima

und Wagner

füreinander

fühlten. Diese Liebe war durch und durch aufrichtig. Sie war von seiner wie von ihrer Seite ohne Fehl. Richard und Cosima waren Tristan und Isolde des 19. Jahrhunderts. Selbst das Pathos, mit dem beide — er mehr als sie - ihrem Gefühl Ausdruck gaben, ändert nichts an seinem Wahrheitsgehalt. Die Wahrhaftigkeit ist, wenn auch subjektiv getönt, in den berühmten

Tagebüchern

zu finden,

die Cosima

am

ersten

Tag des Jahres 1869 begann und bis zum letzten Tag vor Wagners Tod führte. Auf diesen fünftausend, nicht zur Veröffentlichung vorgesehenen Seiten, war sie ehrlich mit sich selbst. Cosima hielt ihre Freuden und ihre Ärgernisse spontan fest, sie notierte Trivialitäten und große Ereignisse — ein Konglomerat von Eindrücken, das keineswegs Literatur sein sollte. Manche Selbstrechtfertigung, das war unvermeidlich, schlich sich dabei ein, aber sie versuchte weder die Dinge zu .beschönigen, wenn

sie nicht schön waren, noch die Stimme

ihres Gewissens zu dämpfen. Objektivität kann von einem so persönlichen Dokument nicht erwartet werden. Cosima war außerdem keine geübte Stilkünstlerin, es gelang ihr nie so ganz, sich in korrektem Deutsch auszudrücken. Trotz alledem — auch wenn sie sich ständig wiederholt - sind die Tagebücher eine unmittelbare und bewegende Schilderung zweier miteinander verbundener Leben. Nein, sie sind mehr als das: Sie sind ein Dokument, das Cosimas und Richards Zeitalter

beleuchtet und es uns näherbringt. Beide waren Geschöpfe ihres Jahrhunderts: Wagner - trotz aller schöpferischer Kraft seines Genies, trotz all seiner revolutionären Ideen als Künstler, Organisator und Publizist — wie Cosima - trotz ihrer un-

konventionellen Lebensauffassung. Sie teilten die vorherrschenden Ansichten: Vertraue der mit Orden bestückten Uniform des Majors, mißtraue dem Parlament, glaube, daß die Frau dem Manne

untertan ist, wisse, daß die Sozialisten

verderbt sind, bewundere die Schöpfung, verneige dich ehrfurchtsvoll vor dem König. Die Tagebücher, begonnen zu Zeiten eines Ehebruchs, führen uns letztlich eine typisch bürgerliche Ehe des 19. Jahrhunderts vor. Und Cosima präsentiert sich uns jeden Tag. Sooft wir auf ihrer Seite stehen, sooft stößt sie uns zurück. Cosima verschloß ihre Augen völlig vor Wagners schlechten Charakterzügen: vor seinem fehlenden Verständnis, ja seiner Verachtung für Menschen, die anders dachten oder 143

fühlten als er, vor seiner Verdammung

aller Ideen, die nicht

den von ihm festgesetzten Normen entsprachen, vor seinen überzogenen und manchmal abstoßenden Grundsatzerklärungen, vor seiner Überzeugung, daß er nicht nur ein großer Komponist, sondern auch als Schriftsteller bestenfalls mit Shakespeare und Aischylos vergleichbar war. (Eine Karikatur in einer Berliner Zeitschrift zeigt Shakespeare und Aischylos, wie sie sich in Ehrfurcht vor Wagner verbeugen!) Strafverschärfend kommt hinzu, daß sie in ihm den liebenswürdigsten, freundlichsten, ehrlichsten und selbstlosesten

Menschen sah, den man sich vorstellen konnte. Natürlich gab es für Wagner keinen Grund, anderer Meinung zu sein. Cosima empfand es als Glück, in — um in Miltons Worten zu sprechen — „einer totalen und hoffnungslosen Finsternis“ zu leben. Die damit verbundenen, eher unglücklichen Konsequenzen sah sie nicht. Cosima machte sich alle Vorurteile Wagners zu eigen: seine Fremdenfeindlichkeit, seine Taubheit gegenüber zeitgenössischer französischer und italienischer

Musik,

seinen

Haß

auf Brahms,

seine

Herabsetzung

Schumanns, seine alberne Beurteilung von englischer Dichtung (von der er so gut wie keine Ahnung hatte) und natürlich

seinen

scharfen

Antisemitismus,

den

sie zwar

schon

hatte, bevor sie ihn kannte, der nun aber auf so fruchtbaren Boden traf, daß jede dritte Seite ihrer Tagebücher irgendeine bissige Bemerkung über Juden enthält.* Dennoch ersteht aus den Tagebüchern vor uns das Bild einer Persönlichkeit, der man Achtung nicht versagen kann: Eine feinfühlige Frau mit einer ausgeprägten Empfänglichkeit für vieles in Musik, Poesie, Literatur und der bildenden Kunst; die perfekte Gefährtin für einen launischen, an-

spruchsvollen und anstrengenden Mann, die fähig war, immer für ihn da zu sein, ohne deshalb ihre eigene Würde und Individualität aufzugeben. Cosima war es denn auch, die im Juni 1867, ungefähr ein

Jahr nach dem Besuch des Königs in Tribschen, verhindert hatte, was zu einem ernsten Zerwürfnis zwischen Ludwig und Wagner hätte führen können. Ludwig hatte fiebernd vor Vorfreude einer geplanten Neueinstudierung des „Lohengrin“ entgegengesehen. Für die Titelrolle hatte Wagner Josef Ti* Man hat angenommen, daß ihr Antisemitismus in ihrem Haß gegen Prinzessin CaroIyne Wittgenstein wurzelte, die sie fälschlicherweise für jüdisch hielt und die sie verabscheute, weil sie über Liszt dominierte. Aber das ist nur eine Vermutung.

144

chatschek engagiert. Als Ludwig bei der Generalprobe am ll. Juni Tichatschek sah, waren all seine Illusionen zerstört. Der strahlende Held aus seinen Phantasien wurde von einem sechzigjährigen, schwammig-schlaffen Mann verkörpert, der das Gleichgewicht im Schwanenboot nur deshalb halten konnte, weil er sich an einen Pfosten klammerte, der zu eben

diesem Zweck an Deck befestigt worden war. Was er hörte, gefiel Ludwig keineswegs besser: das Tremolo eines Tenors, das jener vergeblich durch übergroße Lautstärke und „Grimassen“ zu überspielen suchte. Auch Ortruds primitives Herumwedeln mit den Armen konnte Ludwig nicht ertragen. Wagner, ebenso ungeschickt wie unklug, sagte Ludwig, er hätte Tichatschek eben nicht durch Operngläser betrachten sollen. Kein Wunder also, daß der König sauer reagierte und anordnete, daß die Aufführung so bald wie möglich, aber mit anderen Sängern stattfinden sollte. Wagner schmollte. Nun griff Cosima ein und schrieb Ludwig einen langen Brief, der zu ihren diplomatischen Meisterstücken gehört. Sie versicherte ihm, daß er natürlich vollkommen recht gehabt habe, bat ihn aber gleichzeitig, Wagners Standpunkt zu überdenken, der da geglaubt hatte, Tichatschek, einst ein großer Künstler, sei immer noch in der Lage, auf der Bühne die per-

fekte Illusion herzustellen. Die dem Willen des Königs entsprechende Vorstellung fand schließlich am 16. Juni statt — mit Heinrich Vogl als Lohengrin und Therese Thoma als Ortrud. Bülow hatte mit ihnen geprobt und in den wenigen Tagen ein wahres Wunder vollbracht, wofür ihm Ludwig einen anerkennenden Brief schrieb. Nach der Aufführung bestand Cosima darauf, daß Wagner den König um eine persönliche Audienz bat. Wagner weigerte sich zunächst, denn wie üblich sah er sich selbst als den Märtyrer, worauf Cosima mit einem „endgültigen Bruch“ drohte. Zweifellos war es ihr damit nicht ernst, aber die Dro-

hung zündete: Wagner bat folgsam um eine Audienz und gab später zu, wie recht sie hatte, da seine Weigerung sicher ernsthafte Folgen gehabt hätte. Wie sich zeigte, bekam Wagner, der sein ganzes Repertoire an Überredungskunst aufbot, was er wollte. Ludwig verzieh — und mehr als das: Jetzt war es Ludwig,

der sich entschuldigte:

„Ich küsse die

Hand, die mich geschlagen.“ Dennoch war die Verstimmung des Königs nicht ganz verflogen. Cosima wußte das. Ganz anders reagierte Cosima, als es anläßlich der Premie-

145

ren

von

„Das

Rheingold“

und

„Die

Walküre“

wiederum

Mißhelligkeiten zwischen Wagner und Ludwig gab. Dieses Mal stand sie unnachgiebig auf Wagners Seite - trotz des Risikos, daß Ludwig seine Subventionen zurückziehen könnte.

(Dieses Risiko bestand zwar, aber sie schätzten Ludwigs Hochherzigkeit zu gering ein.) Cosima war sogar bereit, der Armut ins Angesicht zu sehen, solange sie es nur mit Richard zusammen tun konnte. „Wir sprechen von den Möglichkeiten des künftigen Lebens in einer Mansarde zu Paris. Eine Stube und zwei Kammern für uns und die Kinder. Gott weiß, was das Schicksal uns bestimmt“, schrieb sie. Das war natürlich

schon etwas übertrieben. Zu jener Zeit brachten Wagners Opern bereits genügend Geld ein, um nicht in einer Mansarde hausen zu müssen. Cosima schlich sich auch - trotz Bülows ausdrücklichem Verbot - heimlich in die Proben für eine Münchener „Tannhäuser“-Aufführung, weil sie Wagner berichten wollte, was

zu Hause vor sich ging. Natürlich war sie es, die dort die entsprechenden Entscheidungen traf — ob über die Schulen der Kinder, über Dienstboten oder bei den Alltagsproblemen im Haushalt. Darüber hinaus war sie als Gastgeberin oft Mittelsperson für Wagners Freunde und sorgte dafür, daß die Konversation nicht abbrach, wenn Wagner sich ab und zu innerlich zurückzog und abkapselte. Ihr erstes Tagebuch (von insgesamt 21 Heften) begann sie mit einer edelmütigen Zweckbestimmung: l. Januar [1869]. Mit Weihnachten, meinem 31. Geburtstage, sollte dieses Buch beginnen; ich bekam es in Luzern nicht. So soll denn der erste Tag des Jahres auch den Anfang meiner Berichte an euch, meine Kinder, enthalten. Ihr sollt jede Stunde meines Lebens kennen, damit ihr mich dereinst erkennen könnt, denn

sterbe ich früh, so werden die anderen gar wenig über mich euch sagen

können,

sterbe

ich alt, so werde

ich wohl

nur

noch

zu

schweigen wissen. Ihr sollt mir so helfen meine Pflicht erfüllen — ja meine Kinder, meine Pflicht. Was ich damit meine, werdet ihr später erfahren. Alles will euch die Mutter von ihrem jetzigen Leben sagen, denn sie glaubt, daß sie dies kann.

Das Jahr 1868 bezeichnet den äußeren Wendepunkt meines Lebens, in diesem Jahre wurde es mir gegönnt, das zu betätigen, was seit fünf Jahren mich beseelte. Dieser Betätigung habe ich nicht nachgesucht, sie nicht herbeigeführt, das Schicksal hat sie mir auferlegt. Damit ihr mich versteht, muß ich euch bekennen,

146

daß bis zu der Stunde, wo ich meinen wahren innersten Beruf er-

kannte, mein Leben ein wüster, unschöner Traum war, von welchem ich euch nichts erzählen mag, denn ich begreife ihn selbst nicht und verwerfe ihn mit der ganzen Kraft meiner jetzt geläuterten Seele. Der Anschein war und blieb ruhig, das Innere war verödet, verwüstet,

als das Wesen

sich mir offenbarte,

welches

mir rasch erhellte, daß ich noch gar nicht gelebt. Eine Wiedergeburt, eine Erlösung, ein Ersterben alles Nichtigen und Schlechten

in mir ward mir meine Liebe, und ich schwor mir, sie durch den Tod, durch heiligste Entsagung oder durch gänzliche Hingebung zu besiegeln.... Ich rief ihm zu: Ich komme zu dir und will mein höchstes, heiligstes Glück darin finden, dir das Leben tragen [zu] helfen. Da trennte ich mich von euch, meine zwei ältesten teuren Kinder. Ich habe es getan und würde es noch jeden Augenblick tun, und doch entbehre ich euch und gedenke euer Tag und Nacht. Denn ich liebe euch alle, alle gleich ...

An jenem Neujahrstag beschreibt sie, wie sie die beiden Kinder Eva und „Loldchen“ mit weißen Atlas-Kleidern und Kränzen und Rosen herausputzt, damit sie „Onkel Richard“

gratulieren. (Alle Kinder nannten Onkel Richard bald Vater und dann Papa.) Vor dem Mittagessen liest er aus seinem Essay „Das Judentum in der Musik“, über dessen Tragweite

sie dann während des Essens sprechen: ‚... wir besprachen die Lage der Kunst, wie sie die Juden bestellt haben, wo zum

ersten Mal mir Mendelssohn als tragische Figur erschien.“ Später spielt Richard für die Kinder auf dem Klavier und sie tanzen dazu. Dann läßt er zu Loldis großer Freude einen Hampelmann hüpfen. Sie bittet ihn dann, ihr weiter seine Autobiographie zu diktieren, „eines Aberglaubens wegen: Es heißt, was

man

am

ersten

Tage

des Jahres

tut, setzt man

fort.“ (Cosima war sehr abergläubisch. Sie glaubte zum Beispiel, daß es Unglück brachte, wenn man ein totes Pferd sah, und daß man niemals einen Brief mit dreizehn Seiten schreiben durfte.) Cosima schreibt mit der goldenen Feder, mit der er die Reinschrift von „Tristan“ und „Siegfried“ geschrieben hatte. Für sie ist es „die Feder, die das Hehrste gezeichnet,

das ein höchster Geist entworfen“. Sie beschließt den Eintrag dieses ersten Tages: So seid denn gesegnet, meine Kinder, ihr fernen, ihr nahen, und

du auch, mein unbekanntes,

das du noch in meinem

Schoße

ruhst.... Alles, was ich liebe, ruhet jetzt, so will auch ich schlafen

gehen. Euch und ihm mein letzter freundlichster Gedanke!

147

2 Ein Gefühl des Glücks atmet aus den ersten hundert Seiten der Tagebücher. Sie waren endlich vereint, lebten füreinander und für die Kinder: „R. arbeitet“. Sie näht, stickt und

hört die leidenschaftlichen Themen aus der Schlußszene des „Siegfried“. Eine Decke aus Schnee hüllt Haus und Garten ein. Die Kinder tollen herum, machen viel Lärm, aber es stört ihn nicht im geringsten. Cosimas Sinnentaumel wächst mit den Wochen, aber auch ihre Angst. Sie ist oft traurig, macht sich Sorgen: Daniela und Blandine fehlen ihr sehr. Sie hofft, daß die Trennung nur vorübergehend ist. Wann würde Bülow Vernunft annehmen? Sie kann sich des Königs Schweigen nicht erklären — es deprimiert auch Wagner so sehr, daß er daran denkt, die Arbeit am „Ring“ aufzugeben, eine Vorstellung, die sie so erschreckt, daß sie mit ihm zu

streiten beginnt, worauf er ärgerlich wird. Im Traum unterhält sie sich mit ihrer Schwester, aber als sie aufwacht, sucht Cosima nach Blandine: „Ach! sie ist ja tot.“ Sie hat weder Schwester noch Bruder: „Hans schweigt, der Vater muß jetzt in Deutschland sein; wie fremd ist mir alles geworden, was

mit dieser Welt zusammenhängt!“ Brief Liszts kommt,

Als ein moralisierender

schreibt sie: „Wie wenig hat mich der

Vater doch gekannt!“ Als Eva so heftig wird, daß sie nach ihrer Mutter schlägt, nimmt Cosima es ernst. Pauline Viardot schickt ein Protestschreiben gegen den ‚„Judentum“-Aufsatz — inzwischen sind

mehr als fünfzig Briefe mit vernichtenden Kritiken in Tribschen eingetroffen —, und Cosima entwirft eine Antwort, weil

sie diese

großartige

Künstlerin

bewundert.

diesen Brief als seinen eigenen aus, Cosima

Wagner meint:

gibt

„Sie ist

Jüdin, das ist nun klar“ [sie war es nicht]; sie kann sich überhaupt nicht vorstellen, wie beleidigend verächtlich machend Wagners Ergüsse wirken müssen. Sie hört, daß Hans ver-

schiedene Konzerte abgesagt hat: „Da brach mir das Herz, den ganzen Morgen weinte ich und schluchzte und überlegte.“ Aber ihr ganzer Kummer, all ihre Sorgen sind wie weggeblasen durch einen Blick, ein freundliches Wort von ihm.

Andererseits macht sie die geringste unwirsche von ihm kreuzunglücklich: 148

Bemerkung

Heute abend tat mir Richard weh - er, der sonst nur Balsam auf

die Seele mir legt! — er meinte bei der Biographie, die ich innig bat fortzuführen: „Dies unschuldige Leben könne doch keinen Reiz für mich haben“. Warum

er dies gesagt? Ich weiß es nicht,

denn er denkt es gewiß nicht. Einsam für mich habe ich heute unaufhaltsam geweint... [17. Januar 1869]

Die Männer und Frauen jener Zeit vergossen überhaupt viele Tränen. Wagner weinte, Bülow weinte, Ludwig weinte. Zu Marie d’Agoult sagte Liszt eines Abends: „Wollen wir heute zu Abend essen oder wollen wir weinen?“ Die Seiten der Tagebücher waren benetzt mit Cosimas Tränen, aber oft waren diese Tränen nur ein Nachhall ihres Glücks. Ihre gegenseitige Liebe und Anbetung verschleißt sich nicht. „Du solltest einen Gott zum Ehemann haben“, sagt Wagner, und Cosima antwortet: „Aber das habe ich doch“. „Deine frühere Frau wäre jetzt zu alt für dich“, sagte sie, worauf er antwortet, daß er tatsächlich schon stark gealtert wäre, wenn er die Ehe mit Minna aufrechterhalten hätte. „Mein Alles’chen!“ nennt er sie. Als es Frühling wird, erscheint sie ihm schöner als je zuvor.

Sie trägt ein Kleid aus rosa Kaschmirwolle mit riesigen, von belgischer Spitze eingefaßten Ärmeln. Wenn sie zusammen spazierengehen, setzt sie sich dazu einen ausladenden, mit Rosen dekorierten Hut im Renaissance-Stil auf. Es vergeht fast kein Tag, ohne daß er ihr ein zärtliches Kompliment macht:

„Er wisse nur eines, daß, seitdem die Welt bestünde,

kein Mann in seinem Alter [er war sechsundfünfzig] ein Weib so geliebt habe wie er mich.“ Er sei lieber mit ihr zusammen als mit Shakespeare persönlich, wenn er käme, um sich mit ihm zu unterhalten. (Kein Zweifel, wäre Shakespeare gekommen, hätte ihm Wagner ein paar gute Ratschläge gegeben.) Vor ihm fühlte Cosima sich klein und unbedeutend: Als ich bereits zu Bett war und wir schon Abschied genommen, kam R. noch einmal, mir sagend, „ich könne gar nicht wissen, wie lieb er mich habe; es sei ihm immer wie ein Traum, daß ich ganz

da sei, er glaubte, ich sei ihm nur geliehen!“ Das stimmt mich zum Gebet; was kann ich vom Leben Übles sagen, die ich, ohne Verdienst irgend welcher Art, ohne Anrecht, ohne irgendetwas, das es erklärte, ein solches Glück gefunden. Während ich andere Vortreffliche so Leiden tragen sehe; freilich fehlt das Leiden mir nicht, doch ist es um

R., um

Hans, nie um

mich!

[21. Oktober

1870]

149

Eine Woche später sagte Wagner: Dann will ich nichts von Liebestragik wissen, die Weltseele ist mir ganz gleichgültig, ich will dich behalten und sehr lange leben. [29. Oktober 1870] Er versicherte ihr, daß er, wäre sie nicht zu ihm gekommen,

„keine Note mehr geschrieben“ hätte. Diese Beteuerung kann nicht unbedingt für bare Münze genommen werden: Die Kraft seines Genies war sicher groß genug, daß er seinen Weg gegen alle Hindernisse gegangen wäre, und sicher hätte er den „Ring“ beendet, nachdem er damals schon so weit mit

„Siegfried“ vorangekommen war. Zweifelsohne aber machte seine Liebe zu ihr ihm die Arbeit leichter und steigerte seine Kreativität. Abends las Wagner ihr oft vor: aus der „Odyssee“, Stücke

von Sophokles, Goethe (ihre Lieblingsstücke waren „Faust“ und die „Wahlverwandtschaften“), Schiller, Ariosto, Ovid, Gibbon, Lope de Vega, Calderon, Boccaccio, Xenophon, Taine, Scott, Voltaire, indische Sagen, nordische Mythen, die „Erzählungen aus 1001 Nacht“, E. T. A. Hoffmann, Plutarch, Plato, Schopenhauer, Lessing, Carlyle, Byron, Balzac und —

Shakespeare. Shakespeare stand über allen: er war der einzige Autor, den Cosima als ebenbürtig empfand, und in seltenen Augenblicken erachtete sie ihn sogar Wagner gegenüber als überlegen. Ihre Lieblingsstücke lasen sie immer wieder, und jedesmal

diskutierten

sie sie leidenschaftlich,

um

sich

dann erneut an die Lektüre zu machen. Cosima liebte besonders beide Teile von „Heinrich IV.“ und „Hamlet“, Wagner alle drei Teile von „Heinrich VI.“, „Julius Cäsar‘ und „Macbeth“. Er las mit seiner „tiefen, mitreißenden Stimme“, so

daß Cosima „bis ins Tiefste ihrer Seele bewegt“ zu Bett ging. „Abends die Scene zwischen Hamlet und seiner Mutter wie

etwas Ungekanntes Zeile für Zeile, Wort für Wort vorgenommen.“ (12. Oktober 1874). „Niemand würde es glauben“, rief Wagner aus, „daß meine Frau über den Tod von Brutus und

Cassius weinte.“ Wagners Kommentare zu Shakespeare waren anerkennend, seine Analysen gingen aber über die Bemerkungen eines intelligenten Studenten nicht hinaus, was Cosima jedoch

nicht

davon

abhielt,

‚handele es sich dabei um großen Gelehrten. 150

sie schriftlich

die Essenz

festzuhalten

der Weisheit

als

eines

Gleich nach Shakespeare kam bei ihr „Don Quixote“. „In

Cervantes fühle ich einen germanischen Geist“, sagte Wagner. Cosima schrieb diesen Unsinn kommentarlos und unkritisch nieder. Aber sehr oft, immer wenn sie sich deprimiert fühlte, bat sie Wagner, ihr das eine oder andere Aben-

teuer des Ritters vorzulesen. Beide waren erstaunlich belesen, besonders wenn man be-

denkt, wie viel Wagner selbst schrieb und komponierte und wie sehr Cosima in ihre Pflichten als seine rechte Hand und Sekretärin eingespannt war, aber dessen ungeachtet gingen sie durch diese umfangreiche Lektüre um keinen Millimeter von ihrem festgefügten Weltbild ab. Platos Modell des idealen Staates brachte ihren Glauben an den starken Helden nicht ins Wanken, und Lessing vermochte ihre Rassenvorurteile nicht abzuschwächen. Sie erklommen einen Berg von Büchern und blieben doch auf ihrem Ausgangspunkt stehen. Sie widmeten sich jedoch nicht nur der „großen Literatur“.

Beide, besonders Cosima, lasen zur Unterhaltung auch Triviales: sentimentale Romane, Kriminalgeschichten und Abenteuerromane. Mit Spannung warteten sie auf jede neue Ausgabe

der

„Fliegenden

Blätter“

und

des

„Kladdera-

datsch‘“. Cosima hielt sich außerdem Pariser Modezeitschriften, und obwohl ihr die Münchner Zeitungen aus gutem Grund verhaßt waren, las sie sie und ärgerte sich hinterher um so mehr.

3 In den ersten Junitagen fühlte sich Cosima zunehmend krank, und Wagner übernahm es, das Tagebuch weiterzuführen. Ihre Geburtswehen begannen in der Nacht des 5. Juni. Er war außer sich vor Angst, marschierte unruhig im Zimmer auf und ab wie jeder werdende Vater, konnte nicht schlafen, weil er ihre Schreie hörte und wurde halb wahnsinnig, als die Hebamme

ausrief:

„Ach,

Herr

Gott

im Himmel!“

Er war

schon auf das Schlimmste gefaßt — bis das Dienstmädchen mit den Worten hereinstürmte: „Ein Sohn ist da!“In diesem

Augenblick, unter der freundlichen Mitwirkung von Mutter 151

Natur, die offensichtlich die Bedeutung des Augenblicks erkannt hatte, ging die Sonne über dem Rigi auf. Ihre Strahlen fielen auf die Orange-Tapete der Schlafzimmertür und tauchten schließlich den ganzen Salon in ein strahlendes Licht, während die Kirchenglocken über den See hallten. Der Sohn wurde am Sonntag, den 6. Juni 1869, um vier Uhr mor-

gens geboren. Wagner zerfloß in Tränen. Um sechs Uhr wurde er zu Cosima vorgelassen und nahm ihre Hand in die seine. Wie der Sohn heißen sollte, verstand sich von selbst:

Siegfried. Nach der Geburt war Cosima schwach und leidend. Erst eine Woche später, am darauffolgenden Sonntag, schrieb sie wieder

selbst

in

ihr

Tagebuch:

„Mein

Siegfried,

Krone

meines Lebens, zeige Du, wie ich Deinen Vater geliebt! — Den Tee mit R. getrunken. Um 9 zu Bett. R. liest mir aus ‚D. Quixote‘ vor.“ Zwei Tage später — „noch sehr schwach“ — nimmt sie all die verbliebene Kraft zusammen, um einen langen Brief an Bülow zu schreiben, als „letzten Versuch

einer Verständigung.“ Cosima schrieb ohne große Hoffnung auf eine positive Antwort, nachdem ihre letzte Unterredung mit Bülow ein Fehlschlag gewesen war. Wie Bülow Comtesse Charnace& später erzählte, hatte Cosima

ihn damals

angelo-

gen: 15. September 1869 Im November,

als ich ihr eine fast indiskrete Frage im Zusam-

menhang mit dem Grund für ihre plötzliche Abreise [nach Tribschen, im November 1868] stellte — ich hatte sie vergeblich gebeten, bis zu Liszts Ankunft im Januar zu warten -, hielt Cosima es

für richtig, mir zu antworten, indem sie eine Lüge beeidete.

Diese Lüge bestand sicherlich in ihrer Antwort auf die Frage, ob sie wieder ein Kind von Wagner erwarte. Als er Cosimas Schreiben erhielt, war mehr als ein halbes Jahr ver-

gangen, seit er die „taktlose“ Frage gestellt hatte. Das Kind war geboren — und in Bülows Herzen hatte eine erstaunliche Veränderung stattgefunden. Anstelle von Haß und Trotz empfand er Zuneigung und zeigte Mitgefühl. Keiner hätte das voraussagen können, am wenigsten Cosima. Er hatte verstanden. Seine Antwort in freundlichem und tröstendem Ton zeigt ihn von seiner besten Seite.

152

17. Juni 1869 Liebe Cosima, ich danke Dir, daß Du die Initiative ergriffen hast,

und ich werde Dir keinen Grund geben, es zu bedauern. Ich fühle mich zu unglücklich — durch meine eigene Schuld -, um nicht jeden ungerechten Vorwurf vermeiden zu wollen, der Dich kränken könnte. Während der sehr grausamen Trennung, zu der Du Dich für verpflichtet hieltest, erkannte ich alles Unrecht, das auf meiner Seite ist, und ich werde es bei den unvermeidlichen Erörterungen des Gegenstandes mit meiner Mutter und Deinem Vater stets auf das Nachdrücklichste unterstreichen. Ich habe Dich sehr schlecht, sehr böse gelohnt für all die Aufopferung, die Du mir in unserem vergangenen Leben so verschwenderisch dargebracht hast. Ich habe Dein Leben vergiftet, und ich habe nur der Vorsehung zu danken, daß sie Dir ein nicht tödliches Gegengift gab im vorletzten Augenblick, ehe Du den Mut zur Fortsetzung Deines Frondienstes verlieren mußtest. Aber leider — seitdem Du mich verlassen hast - fehlt mir mein einziger Halt im Leben, im Lebenskampfe. Dein Geist, Dein Herz, Deine Freundschaft, Deine Geduld, Deine Nachsicht, Dein Verständnis, Deine Ermutigun-

gen, Deine Ratschläge - endlich und vor allem Deine Gegenwart, Dein Blick, Dein Wort - alles das bildete meinen Lebenshalt. Der Verlust dieses höchsten Gutes, dessen ganzen Wert ich erst nach dem Verlust erkannte, ließ mich zusammenbrechen, menschlich

und künstlerisch - ich bin ein Schiffbrüchiger. Glaube nicht, daß diese Klage - ich leide genug, um mir auch eine Klage gestatten zu dürfen, um so mehr, als ich niemand anklage als mich selbst -,

glaube nicht, daß eine Ironie oder Schärfe gegen Dich darin enthalten sei. Du hast es vorgezogen, Dein Leben und die Schätze Deines Geistes und Herzens einem weit höheren Dasein zu widmen - weit entfernt, Dich darob zu tadeln, billige ich es unter allen Gesichts-

punkten, gebe ich Dir vollständig recht. Ich schwöre Dir, der einzige tröstende Gedanke, der bisweilen ein wohltätiger Strahl in meiner inneren Finsternis und meinen äußeren Widerwärtigkeiten gewesen ist, war dieser: wenigstens ist Cosima hienieden glücklich. Dann beschreibt er ausführlich, warum

er auf seine Stel-

lung in München verzichtet: Laß mich noch beifügen, daß die gewaltsame Beschäftigung mit diesem unglücklichen Riesenwerk, dem Tristan — mich buchstäblich kaputt gemacht hat. Die öffentliche Aufführung wird am - Sonntag stattfinden, ich übernehme dafür die Verantwortung, es wird keine Entweihung sein - ich schrieb darüber unlängst an

153

Wagner - und sie wird mich zum letzten Male an der Spitze des Orchesters sehen. Mein Münchner Aufenthalt wird dort enden,

wo er angefangen hat (mehr circulus fatalis als vitiosus) und wird es mir erleichtern, später die ganze Kette der Ereignisse und meiner Leiden (der Strafe für meine Verfehlungen gegen Dich), die zwischen den Darstellungen desselben Werkes im Abstande von vier Jahren liegt, wie — einen schweren Traum anzusehen.

Nachdem

er gesteht, er sei zu feige für einen Selbstmord

gewesen, obwohl er „der Versuchung nicht hätte widerstehen

können, wenn ihm jemand ein paar Tropfen Blausäure gereicht hätte“, geht er auf ihre Bitten ein: Diese Trennung von Dir — Du hattest keine andere Wahl, denke stets an den Beginn dieser Zeilen — sie muß vollendet werden. Ich muß mich von allem trennen, was zu Dir und zu Richard Wagner gehört - da mein vergangenes Leben nur diese beiden Leitsterne hatte (ich könnte noch die Person Deines Vaters hinzufügen) — muß ich mich von Euch sogar in Gedanken trennen, soweit das einem Menschen möglich ist. Ergib Dich keinem Mißverständnis: ich schlage Dir keineswegs den £clat und die Verdrießlichkeiten einer Scheidung vor. Wenn Dein Vater dieser Meinung ist, wenn er es vorzieht, daß Deine Vereinigung mit dem Leben Richard Wagners diese offizielle Bestätigung erhalte - ich habe dem meinerseits nichts entgegenzuhalten. Aber da ich, wie Du Dir wohl denken kannst, nicht die Lust, nicht die Absicht oder den Wunsch habe, mich wieder zu verheiraten, so habe ich keinen Grund, die

Scheidung vorzuschlagen, um dies zu ermöglichen. Andererseits überlasse ich Dir unsere Kinder, überlasse ich ihre Erziehung Deiner Leitung, da ich finde, daß diese die beste ist, die sie erlangen können, da ich vollkommen Deine Ansicht teile,

daß es unmöglich wäre, sie meiner alten Mutter oder irgendeinem Gliede meiner Familie (wenn ich von Familie sprechen könnte) anzuvertrauen —- und wenn Dein ausgezeichnetes Herz bereit ist, die Kinder zu erziehen, trotz aller Abneigung und alles gerechten Grolls, die Du gegen ihren Vater hegst - so weiß ich nicht, warum ich Dir nicht meinen Namen lassen soll. Ich finde, daß es klein und der Situation nicht würdig wäre — wenn ich mich zum Ausdrucke einer Empfindlichkeit hinreißen ließe, die gegenüber Deinen aufopferungsvollen Vorschlägen leicht falsch gedeutet werden könnte. Gestatte mir, daß ich diese mit Bestimmtheit ein-

fach und kurz beantworte: Das Jahrgeld Deines Vaters (sowie das Deiner Mutter) gehört den Kindern. Da Du ihre Erziehung leitest, so müssen Deine 6000

Francs nach Recht und Vernunft für diese Erziehung verwendet werden. Der Genosse Deines gegenwärtigen und künftigen

154

Lebens wird es wohl auf sich nehmen, die Ersparungen, die Du

bei dieser Summe machen kannst, entsprechend anzulegen. Dein eigenes Vermögen, das Du in unsere traurige Ehe mitgebracht hast — war es nicht für mich, der sich seiner Armut schämte, der erste Stein des Anstoßes, die erste Verwirrung meines Pflichtgefühls, ja meiner Liebe? Ich kann die Last nicht von mir nehmen,

daß ich der finanzielle Vormund der Kinder sein soll mit Hilfe Deines Geldes. Was ich von meiner Seite (im Augenblick) ihnen zusichern kann, das ist nur das kleine Vermächtnis der Tante

Frege (5000 Taler — die im Hause Frege selbst placiert sind), das sich, wenn ich Chance habe, bis zu ihrer Großjährigkeit verdoppeln könnte. Du wirst die Gnade haben - ich bitte Dich innigst darum - es ebenso zu verstehen, daß ich unser ganzes Ameublement nur als Dein persönliches Eigentum betrachten kann. Wenn ich von hier abgehe, und das wird (wie ich hoffe) am 1. August sein, werde ich nur über einige Gegenstände verfügen, die zweifellos mir gehören — wie meine Kleider, Bücher und Musikalien ... Du kannst einen Teil verkaufen oder nach Tribschen schicken oder endlich die Möbel usw. im Lagerhaus aufbewahren und versichern lassen, die wir nach unserer übereinstimmenden Willensmeinung als Eigentum der Kinder betrachten.

Er versichert ihr, daß er München vor Eröffnung der neuen Opern-Saison verlassen wird — ohne Aufsehen zu erregen. Er werde als Grund offiziell einen langen Urlaub angeben, um den Zeitungen keine neue Nahrung für die Klatschspalten zu liefern. Was die Pläne für die Zukunft betreffe, so stehe noch

nichts fest. Nur eins wisse er: er müsse weit weg von München - oder besser noch von Deutschland. So, da hast Du einen Brief, der recht schlecht geschrieben ist,

wenig würdig, von der Verfasserin jenes Briefes gelesen zu werden, auf den er die Antwort sein soll, aber im Grunde ist das

keine Antwort. Es ist eine Art Testament, geschrieben von einem Hirn und einem Herzen, die recht krank und zur Hälfte zerrüttet

sind — gleichwohl enthält er nichts Verrücktes und nichts Unvernünftiges... Gott schütze und segne die Mutter der Kinder, die so glücklich sind, daß sie sich ihnen auch ferner widmen will. Bülows Brief kam am neunzehnten des Monats an. Cosima

war immer noch sehr schwach von Siegfrieds Geburt, und Wagner hielt das Schreiben zunächst zurück, weil er fürchtete, daß der Brief sie zu sehr aufregen könnte. Als sie aber am nächsten Tag anfing, sich Sorgen zu machen, warum sie noch

155

nichts von Bülow gehört hatte, gab Wagner ihr den Brief mit dem Kommentar, er sei „sehr schön“. Cosima las und war zutiefst erschüttert. „Viele Tränen heute vergossen“. Sie überlegte „Tag und Nacht“, was sie als nächstes tun sollte. „Ich will ihm vorschlagen, nach München mit den Kindern zu kommen, um dort mit ihm zu schließen.“ Daraus wurde

allerdings nichts, und schon bald darauf fuhr sie nach Zürich, um die „glücklichen Kinder“, Daniela und Blandine,

abzu-

holen und sie nach Tribschen mitzunehmen. Der Briefwechsel im Juni war für sehr lange Zeit die letzte Verbindung zwischen Cosima und Hans. EIf Jahre sollten vergehen, bevor sie sich wiedersahen. Mit Wagner sprach Bülow nie wieder auch nur ein einziges Wort. Am 18. Juli 1870, etwas mehr als ein Jahr nach Bülows großzügigem Verzicht, wurden er und Cosima geschieden. Wagner heiratete Cosima am 25. August und machte dadurch die Voraussagen jener „wissenden‘“ Freunde zunichte, die behauptet hatten, er

würde sich bestimmt nicht in einer zweiten Ehe binden. Das Dreiecksverhältnis war gelöst.* Sie hatten jetzt fünf Kinder im Haus. Wagner erwies sich als hingebungsvoller Vater. Es gehörte zu den wenigen wirklich liebenswerten Zügen seines Charakters, daß er nicht den geringsten Unterschied zwischen seinen eigenen Töchtern und denen Bülows machte. Siegfried, „Fidi“, allerdings war „etwas Besonderes‘ — sowohl in Cosimas als auch in seinen

Augen. * Bülow machte Ernst aus dem, was er an Cosima geschrieben hatte. Er weigerte sich, nach München zurückzukehren, trotz aller dringenden Einladungen von König Ludwig. Für einige Zeit lebte er in Italien, wo er etwas Trost und Ruhe fand. Dann

machte er

Konzertreisen als Pianist und Gastdirigent, bis er schließlich 1880 das Orchester von Meiningen übernahm, das damals als das beste Orchester Europas galt. Dort trat er für Brahms ein. Er wurde gefeiert, ja geradezu vergöttert, und als wesentliche treibende Kraft in der Geschichte der ausführenden Kunst anerkannt. Dennoch fand er niemals inneren Frieden, obwohl er auch zum zweiten Mal heiratete. Er starb im Jahre 1894 in

Kairo.

156

4 Als Tochter eines Elternpaares, für das exaltierte Redewendungen und leidenschaftliche Gebärden das tägliche Brot waren, neigte Cosima natürlich in starkem Maße zur Überdramatisierung. Dies war einer ihrer Züge, der sie mit Wagner verband, denn alles, was ihn betraf, sah er als Thea-

ter an, als ein riesiges Theater mit vielen Zuschauern. Wenn es um Gefühle ging, so bediente sie sich einer übertrieben schwülstigen Wortwahl, wodurch sie den Grad ihrer Freude oder Traurigkeit nicht nur beschrieb, sondern vielmehr steigerte. Zum Teil entspricht die Sprache ihrer Tagebücher dem damals üblichen Stil, zum Teil ist sie aber auch der Tatsache

zuzuschreiben, daß sie sich selbst als Protagonistin in einem historischen Theaterstück, als Portia zu Wagners Brutus, sah.

So wollte sie zum Beispiel, daß man sie vor Wagner kniend fotografierte. Ihr Schuldgefühl Bülow gegenüber erwähnt sie so oft, daß man den Eindruck gewinnen muß, sie pflegte es in geradezu masochistischer Weise. Gleiche Nachtgedanken, aus dem Schlaf wachte ich durch die Erscheinung von Hans im Traume jäh auf. Am Tage hatte ich seinen Brief wieder gelesen, weil ich das Schlimme, das ich — wenn auch willenlos — verschuldet, mir nie vertuschen will und

mir im Gegenteil immer tiefer einpräge, um es zu büßen und zu sühnen wie ich kann. [27. Juni 1869] Meinen Gram um Hans — niemals ausgesprochen - errät R., und er wird darüber traurig. Er gedenkt der Scenen, denen er beigewohnt, wo Hans mich geschlagen, und sagt, er sei entsetzt gewesen über die gleichgültige Ruhe, mit welcher ich dies ertragen hätte. [11. Juli 1869]

Hierbei handelt es sich sicherlich nicht um pure Einbildung. Bülow konnte zuweilen sehr unbeherrscht sein. Sie berichtet von einer „traurigsten Erfahrung an Blan-

dine“: Es wird mir erzählt, daß sie neulich aus einem Buch las: „Es gab

einmal eine garstige Mama, die hat den Papa verlassen und hat einen andren geheiratet, das war sehr garstig. Ich werde das nie tun.“ Und das vor zwei Mägden, die es wiedererzählen. [8. Oktober 1871]

157

Ihr Schuldgefühl ist die „Schlange in ihrer Brust“ inmitten

eines Paradieses. Als sie Daniela bei kindlichen Lügen ertappte, nahm sie das sehr schwer: Ich bin und bleibe heute ernst gestimmt, gramerfüllt; wie seltsam werde ich bestraft, wie wahrhaftig bleibt sich die Natur treu! Sie straft mich in dem ältesten Kind aus meiner Ehe mit Hans, zeigt mir dadurch, wie ungesegnet diese Ehe ward, und straft mich auch dadurch, daß sie meinen liebsten Gedanken, den, ein edles Wesen für Hans’ einzigen Trost heranzuziehen, gänzlich zunichte macht. [6. Juni 1873]

Das Leben an Wagners Seite war voller Dramatik, und dazu kam noch die von ihr selbst fabrizierte Theatralik. Seine Geburtstage pflegte sie zu zelebrieren, als handelte es sich um kosmische Ereignisse. Tagelang probte sie mit den Kindern die geplanten Überraschungen. Am Geburtstag im Jahre 1869 zum Beispiel stand sie um fünf Uhr morgens auf, dekorierte das ganze Treppenhaus mit Bergen von Blumen, stellte seine Büste, die sie mit einem Lorbeerkranz krönte, in die Mitte des Salons und verkleidete die Mädchen als „Friedensboten“. Die Mädchen nahmen ihre Plätze ein, und wenn

er aufgewacht war und unter Klängen seiner eigenen Musik die Treppe herunterkam, rezitierten sie mittelalterliche Gedichte, die sie auswendig gelernt hatten (die Armen!) oder sagten von Cosima selbstverfaßte Reime auf. Ein Vogelbauer wurde geöffnet, um seinem Bewohner die Freiheit wiederzugeben, und um halb elf Uhr erschien das Pariser Quartett, die

einzige Formation, die nach Wagners Meinung Beethoven gerechtwerden konnte. Abends, nach einem festlichen Champagner-Souper, wurden die Glückwunschtelegramme vorgelesen und ein Feuerwerk abgeschossen ... Eine andere Variation in diesem Hokuspokus war, daß die Mädchen sich als Charaktere aus den verschiedenen Opern verkleideten, während Cosima mit Fidi auf dem Arm Sieglinde darstellte. Oder: Cosima mietete eine fünfundvierzig Mann starke Militärkapelle, die im Garten „Lohengrin“ aufspielte, während die Kinder so viele Kerzen auf den Rand seiner Badewanne steckten, wie er Jahre zählte. Die Geburts-

tagsgeschenke rangierten von Wagner-Porträts über Seide und Satin aus Paris (woraus Morgenröcke angefertigt werden sollten), bis hin zu lebendigen Pfauen, die den Hühnern und

Hunden im Garten Gesellschaft leisteten. 158

Obwohl Wagner sich eingestandenermaßen danach sehnte, in Ruhe gelassen zu werden, konnte er nichts gegen das ständige Kommen und Gehen seiner Bewunderer tun. Er war eine Berühmtheit geworden, die beides hervorrief: leidenschaftliche Ablehnung und leidenschaftliche Anerkennung. Cosima sonnte sich gern in seinem Ruhm, aber ihre Pflichten als Gastgeberin spannten sie zunehmend ein. Wagner zuliebe beschäftigte sie mehr Personal, als sie es sich leisten konnten, mit dem Ergebnis, daß sie zwar ausreichend und angemessen bedient wurden, aber auch reichlich Ärger mit den sieben oder acht Dienstboten hatten: Unverschämtheiten, Diebstäh-

le, Liebesgeschichten.* Besonders viel Ärger gab es mit den Gouvernanten. Cosima bestand darauf, die Kinder selbst zu unterrichten, gab ihnen Stunden in Französisch, Englisch,

deutscher Geschichte und Klavier - und das ging so weit, daß keine Gouvernante mit etwas Selbstbewußtsein im Haus bleiben wollte. Selbst Wagner war gelegentlich eifersüchtig auf die nie enden wollende Aufmerksamkeit, mit der sich Cosima

ihren Kindern widmete. Nur wenn Fidi kein Halsweh hatte oder Bonis Magen in Ordnung war, hatte sie Zeit für Gäste. Wenn mit den Kindern irgend etwas nicht stimmte, war sie außer sich vor Sorge. Sofort wurde ein Arzt gerufen, und wenn Evas Erkältung über Nacht nicht abklang, wurde ein zweiter Arzt zugezogen. Die

Kochkünste

in Tribschen

waren

nichts

Berühmtes,

Cosima erwähnt sie in ihren Tagebüchern so gut wie nie. Ihre bevorzugten Mahlzeiten waren das Frühstück mit Wagner zusammen

und die „Jause“, zu der sie oft Gäste

einluden.

Wagner aß meistens zuviel Kuchen und bedauerte es hinterher. Zu den interessantesten Gästen zu jener Zeit zählten Catulle Mendes, französischer Romancier, Essayist und Begründer der „Revue Fantaisiste‘“, seine Frau Judith, Tochter von

Theophile Gautier, und der Dichter und Schriftsteller Villiers de l’Isle-Adam. Judith war damals erst neunzehn Jahre alt und seit zwei Jahren verheiratet. Sie war ein außerordentlich begabtes Mädchen. Ihre Sprachkenntnisse und ihre Beschlagenheit in puncto Literatur waren erstaunlich: Sie hatte bereits Übersetzungen chinesischer Gedichte veröffentlicht. Überdies war sie eine ausgesprochene Schönheit — Baudelaire * So stahl zum Beispiel eine Köchin, die sich als einzige als wirklich brauchbar erwiesen hatte, Geld. Als Cosima sie zur Rede stellte, verließ sie wutschnaubend das Haus.

159

nannte sie „petite fille grecque‘“ — mit ihrem griechischen Profil, ihrem langen, gelockten Haar und ihrer hinreißenden Figur. Wagner spielte sich vor ihr auf, machte auf „jungenhaft“, kletterte

schwang zweiten

auf den

höchsten

sich über Fensterbank Stock

des Hauses.

Baum

und

Cosima

des Gartens

Fensterladen notierte:

„Sie

oder

in den ist sehr

merkwürdig, so ungezogen, daß es mich förmlich verlegen macht, dabei gutmütig und schrecklich enthusiastisch. Sie zwingt förmlich Rich., aus der Walküre und aus Tristan zu spielen und zu singen.“ [16. Juli 1869] Am nächsten Tag: „Die

Frau

spricht

alles

aus,

was

ich

im

tiefsten

Herzen

glaube; daß sie es aussprechen kann, macht sie mir fremd.“ Cosima fühlte... und ahnte irgend etwas. Im November

1868, als Wagner auf Verwandtenbesuch

in

Leipzig war, hatte er einen jungen, bebrillten, schüchternen Professor der Philologie namens Nietzsche kennengelernt. Er erfuhr, daß dieser junge Mann leidenschaftlicher Anhänger seiner Musik war und lud ihn ein, Sonntag abends einmal vorbeizukommen. Nietzsche kam, zitternd vor Aufregung. Wagner

spielte ihm aus den „Meistersingern‘“ vor. Sie ent-

deckten einen gemeinsamen Enthusiasmus für Schopenhauer und unterhielten sich bis spät in die Nacht hinein. Nach diesem ersten gemeinsamen Abend in Leipzig lud Wagner Nietzsche nach Tribschen ein. Im Februar 1869 wurde Nietzsche an den Lehrstuhl für klassische Philologie an der Universität Basel berufen, am

17. Mai kam

er nach Tribschen.

Während der nächsten Tage gewann Cosima den Eindruck, daß Nietzsche, der trotz seines ungeheuren Schnurrbartes so jung aussah,

daß

man

sich ihn kaum

als ‚Inhaber“

eines

Lehrstuhles vorstellen konnte, einen guten Einfluß auf Wagner hatte. In der Tat sollte Nietzsche in der folgenden Zeit nicht weniger als dreiundzwanzigmal nach Tribschen kommen und für viele Jahre Wagners und Cosimas bester Freund bleiben. Zu Wagners Geburtstag schrieb er, daß die besten und erhabensten Augenblicke seines Lebens mit dem Namen Wagner verbunden seien. Der um 31 Jahre jüngere Nietzsche war ebenso hochmütig und egozentrisch wie Wagner, ließ sich aber dennoch gerne von ihm anleiten, wenn es darum ging, die Musik in ihren verschiedensten Formen zu entdecken. Umgekehrt fand Wagner in den Forschungsarbeiten des Jüngeren über die griechische Tragödie vieles, das seinen eigenen Ideen Nahrung gab. 160

Richard Wagner auf der Gartentreppe von Haus Wahnfried mit Familie u. Freunden, 1881 Im Vordergrund (v. 1.): Isolde, Daniela, Eva, Siegfried, im Hintergrund (v. 1.): Blandine, Heinrich v. Stein (Hauslehrer Siegfrieds), Cosima und Richard Wagner, Paul v. Joukowsky.

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Hermann Levi (links) und Felix Mottl George Bernard Shaw mit Hans Richter vor dem Festspielhaus, 1908

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begann

Wagner Richard mit Bülow v.

Beziehung engere die als Cosima Zeit,derin

7774

Joukowsky v. Paul von Gemälde Wagner Cosima

Nach Du Moulin Eckart war Cosimas Begeisterung für Nietzsche geringer als die ihres Mannes. Ihre Tagebücher widerlegen diese Ansicht jedoch*, ebenso ihre Briefe. Sie waren wirklich sehr gute Freunde — obwohl ihre bemutternde Art dieses Genie, das sich seiner Kraft bewußt war, manchmal ir-

ritiert haben muß. Er fühlte sich zu ihr hingezogen. Cosima bewunderte seine Gedanken und betrachtete ihn als Mitglied des engsten Freundeskreises, was sich dadurch zeigte, daß sie ihn um die Erledigung von allerlei kleinen Wünschen in Basel bat, ungeachtet

der Tatsache,

daß er vielleicht etwas

Wichtigeres zu tun hatte. Wenn Du Moulin Eckart aus dem Verhältnis zwischen Cosima und Nietzsche Disharmonien herausliest, dann vielleicht in der Absicht, eine Erklärung für Nietzsches spätere Abtrünnigkeit geben zu können. Aber erst viel später, während der Entstehungszeit

des „Parsifal“

und

als sie sich in

Sorrent Ende 1876 zuletzt trafen, machte Nietzsche Wagner schlecht und mokierte sich über seinen christlichen Helden und die „christliche Dekadenz“. Damals zimmerte er sich eine neue Welt zusammen und „philosophierte mit dem Hammer“. Seine berühmte Streitschrift „Der Fall Wagner“

erschien erst nach Wagners Tod, im Jahre 1888. Auch gegen Cosima holte er aus, als er schrieb, der Ruin großer Künstler seien dıe Frauen, die sie anbeteten. ... In vielen Fällen der weiblichen Liebe, und vielleicht gerade in den berühmtesten, ist Liebe nur ein feinerer Parasitismus, ein

Sich-Einnisten in eine fremde Seele, mitunter selbst in ein fremdes Fleisch — ach! wie sehr immer auf „des Wirtes“ Unkosten! —

Zu Weihnachten 1870 sandte Nietzsche den Entwurf einer geplanten Arbeit über „Die Entstehung des tragischen Gedankens“, woraus später „Die Geburt der Tragödie aus dem Geist der Musik“ werden sollte. Cosima schrieb über das Manuskript: „Es ist von höchstem Wert; die Tiefe und Großar-

tigkeit der in gedrängtester Kürze gegebenen Anschauung ist ganz merkwürdig... Besondere Freude gewährt es mir, daß R’s Ideen auf diesem Gebiet ausgedehnt werden können“. [26. Dezember 1870] Anfang April kam Nietzsche von Lugano herüber und las aus „Die Geburt der Tragödie“ in

* Dort wird er namentlich mehr als 250mal erwähnt!

161

ihrer endgültigen Form vor. Cosima lobte: „Man sieht hier einen sehr begabten Menschen von R’s Gedanken auf eigene Weise durchdrungen“. Nietzsche verließ Tribschen eine Woche später, nachdem er die Kinder noch mit einer zahmen grünen Schlange beglückt hatte. Als das Buch dann mit einer Widmung in Tribschen ankam, schrieb Cosima: ... zu Mittag treffe ich R. sehr auf- und angeregt durch Pr. Nietzsche’s Buch, er ist glücklich, dies erlebt zu haben;

er sagt,

nach mir käme N. und dann Lenbach, der sein Bild gemacht... Und an Nietzsche schrieb Cosima: O wie schön ist Ihr Buch! Wie schön und wie tief, wie tief und kühn!.... Sie haben in diesem Buche Geister gebannt, von denen ich glaubte, daß sie einzig unsrem Meister dienstpflichtig....

Wie immer man auch heute über Nietzsches Theorie denkt, in der er die Unterscheidung zwischen dem „Dionysischen“ und dem „Apollonischen“ Kunstideal postulierte, eines steht fest: Cosima war davon zutiefst beeindruckt. Sie erkannte sein Genie, und er war dankbar für ihr Verständnis.

Sie war mit ihm einer Meinung, wenn er nicht an die Demokratie glaubte, und sein Konzept des „Übermenschen“ sah sie in Wagner verwirklicht (fälschlicherweise allerdings, denn Nietzsche schrieb, daß der Übermensch ein Zerstörer, nicht ein Erbauer sei, und Wagner war einer der großen „Erbau-

er“). Sie fühlte instinktiv, daß sich hinter Nietzsches grandiosen Erklärungen über Wagners Werk (,,Sie müssen mit Ihrer

Kunst in Ewigkeit Recht haben“) eine Art Selbstbestrafung verbarg. Und sie wußte, welch schreckliche Schmerzen seinen

Körper quälten. Erst als er sich gegen Wagner gestellt hatte, wandte auch sie sich von ihm ab, nannte „Zarathustra“ ver-

krampfte Hilflosigkeit, die nur durch seine Krankheit zu erklären sei. Er dagegen attackierte sie in seiner Schrift „Menschliches, Allzumenschliches“. Er nannte sie nicht mit Namen, aber alle gebildeten Leser wußten, wen er meinte, als er von der Frau an der Seite des Genies als dem „Opfertier“

sprach: Nicht selten findet eine Frau den Ehrgeiz in sich, sich zu dieser Opferung anzubieten, und dann kann freilich der Mann sehr zufrieden sein — falls er nämlich Egoist genug ist, um sich einen sol-

162

chen freiwilligen Blitz-, Sturm- und Regenableiter in seiner Nähe gefallen zu lassen. Als Cosima dies las, erklärte sie ihrer Freundin Marie von Schleinitz, dies sei der „Sieg des Bösen“. Nietzsches Haß war ebenso stark wie Nietzsches Liebe. Damals, in Tribschen war er fast verliebt in sie - und mehr.

Cosima war die Frau, die er viele Jahre lang, wenn auch verhalten, aus tiefstem Herzen verehrte. Im November 1871 komponierte er ein Klavier-Duett, das er ihr widmete, und

auf das er sehr stolz war. Später, in den dunklen Tagen seiner Geistesgestörtheit, Anfang 1889, brach sein starkes Gefühl wieder durch. In seinen Wahnsinnszetteln nannte er sie „Prinzeß Ariadne, meine Geliebte“. Er glaubte viele Inkarnationen durchgemacht zu haben: „Buddha, Alexander, Cäsar,

Lord Bakon [sic!] der Shakespeare schrieb... zuletzt war ich Voltaire, Napoleon... vielleicht auch Richard Wagner... Dies Mal aber komme ich als der siegreiche Dionysos, der die Erde zu einem Festtag machen wird... .“

5 Als

Nietzsche

zum

erstenmal

nach

Tribschen

kam,

hatte

Hans Richter dort schon seit fast drei Jahren gelebt. Er war, als er ankam, ein dreiundzwanzigjähriger ungarischer Musiker, und Wagner hatte ihn als Sekretär und Kopisten zu sich

genommen. Als glühender Verehrer des Komponisten nahm er den Auftrag bereitwillig an und begann voller Eifer sogleich mit der Abschrift der „Meistersinger“-Partitur. Richter war von Tribschen außerordentlich beeindruckt, in seinem

Tagebuch zählt er auf: Es seien da Wagner, Baronin Bülow und die Kinder Lulu, Boni. Loldi (Eva wurde erst im kommenden Februar geboren), die Haushälterin Vreneli mit ihrer Nichte Marie, die Erzieherin der Kinder, sowie Agnes, die Kinderschwester, die Köchin Marie, der Diener Steffen, der

Stiefel-Jost und er selbst. Außerdem gäbe es noch zwei Goldfasane, zwei Katzen,

ein Pferd und die Freunde

Russ und

Koss (Hunde) — sowie eine Menge Mäuse. Cosima mochte 163

Richter gern, weil er respektvoll und gefällig war, mit den Kindern so manchen Spaß trieb, die Hunde spazierenführte und für sie nach Luzern zum Einkaufen fuhr. Wagner schätzte ihn sehr, denn er erkannte Richters außergewöhnliches musikalisches Talent. Richter selbst fühlte sich glücklich, denn nirgendwo

hätte er lernen können, was er hier „unter

den Augen dieses Genies“ lernte. Daß Richter sich so wohl fühlte, lag auch daran, daß Cosima ihm für Leib und Magen

soviel anbot, wie er wollte — und er war ein gewaltiger Esser. Wagner begann sofort, ihn als „seinen“ Dirigenten anzulernen, und er war es dann auch, der den ersten „Ring“ in Bay-

reuth dirigierte, wenn auch nicht ganz zu Wagners und Cosimas Zufriedenheit; Bernard Shaw und Debussy aber bewunderten ihn. Richter war natürlich immer bei den Tischgesprächen dabei, damals und auch später. Er hörte Wagner über seine unzähligen Themen mit Cosima sprechen. Tempo, Rhythmus und Phrasierung der Beethoven-Symphonien wurden eingehendst analysiert. Wagner war einer der ersten, der Beetho-

vens letzte Quartette wirklich zu schätzen wußte. Er hatte besondere Sympathie für Weber — mit dem Ergebnis, daß Cosima den „Freischütz“ zu einer ihrer Lieblingsopern machte. Rossini war ein Genie, sein „Barbier‘ ein Meisterwerk. Mendelssohn war ein Nachahmer der Großen, wie es

die Juden meistens seien. Und Verdi? Cosima und Wagner hatten das „Requiem“

in Wien gehört: Cosima meinte, daß

es besser sei, gar nicht erst davon zu sprechen. Ihre Rangfolge der großen Komponisten der Welt sah ungefähr so aus: zuerst und vor allen kam Wagner, dann folgten Beethoven und

Bach,

die

sich

gleichwertig

waren,

und

schließlich

Mozart und Weber. Wenn es um andere Themen ging, konnte Wagner ziemlich törichte und unbedarfte Ansichten haben, und je dümmer sie waren, um so dogmatischer bestand er darauf.

War er der Meinung, daß die neue französische Damenmode unzüchtig war und es einen Mann abstoßen würde, wenn „zuviel gezeigt“ wurde - nun gut: Cosima trug tagsüber lange schwarze Seidenkleider, abends waren sie dann weiß und mit

Spitze verziert oder königsblau mit langer Schleppe — aber immer ohne ein Dekolletee. Überhaupt: die Franzosen kamen als Schuldige für alles Übel dieser Welt gleich nach den Juden. Französische Poesie war nur aufgeblasene Prosa. 164

Alles, was er haßte, kam

in dieser Sprache zum

alles sei trivial, niedriges Cosima,

Geschwätz.

Und

die ihre Sprache liebte, stimmte

Ausdruck,

die Französin

ihm begeistert zu

und hoffte mit ihm, daß Frankreich den Krieg gegen Preußen verlieren würde. Sie schluckte die gesamte Kriegspropaganda: Die Franzosen waren unaussprechlich grausam, sie erschossen Verwundete, ein vierzehnjähriger Junge stach einem Arzt die Augen aus. Die deutschen Soldaten dagegen, ja die benahmen sich selbstverständlich wie Ehrenmänner. „Paris wird bombardiert,

wer nicht hören will muß

fühlen,

kann man da populär sagen“, heißt es am 2. November 1870 im Tagebuch. Und weiter: Gerüchte vom Waffenstillstand, die uns keine Freude machen; R. wünscht das Bombardement. [von Paris — 4. November 1870] Es ist die Rede, daß Metz nur geschleift wird, was R. sehr unangenehm. „Darum die ganz Hetz, um nur zu schleifen Metz“. [27. Februar 1871]

In voller Übereinstimmung zitiert sie ihn: Übrigens, daß die Kommunisten wirklich ganz Paris in Brand stecken wollten, ist der eine grandiose Zug; sie sind mir ekelhaft durch ihr Regierungsspiel gewesen, ihre Heuchelei, ihre galonierte pedantische Organisation, der Franzose weiß es nicht anders; daß sie aber den Ekel vor der Pariser Kultur bis zum Brand empfanden, ist grandios. Nun können die Deutschen sich nichts denken, was ohne diese Zivilisation sei; ich habe es mir damals gedacht in meinem ‚Kunstwerk der Zukunft‘. Nichts sah ich in Deutschland erstehen, aber ich sah, daß der Boden, von woher alles Schlechte gekommen, das uns überflutet, schwankt, und nun

entwarf ich mir eine neue Welt. [17. Juni 1871]

Auf Wagner

der

Welle

des

deutschen

Nationalismus

schrieb

1870 eine Farce mit dem Titel „Eine Kapitulation“,

worin er sich über die leidvollen Kriegsauswirkungen in Paris (wo Cosimas Mutter lebte!) lustig machte. Selbst die Deutschen fanden dieses geschmacklose Pamphlet durchaus nicht komisch. Cosima jedoch hielt es für unglaublich witzig. Die Franzosen waren jedoch nicht die einzigen, an denen Wagner seinen Ärger ausließ. Cosima verstand die Wurzeln dieser Haßgefühle. Sie stammten aus der Zeit seiner frühen, bitteren Kämpfe, aus der Schwierigkeit, die Welt so zu gestal165

ten, wie er sie für sich selbst entworfen hatte, aus der Kom-

plexität der neuen Musiksprache, die er perfektioniert hatte und deren Grammatik der Zuhörer erst noch lernen mußte. Wagner kannte und wußte vieles, was er aber nicht kannte und wußte,

machte

ihn mißtrauisch

und

ärgerlich. Cosima

beugte sich liebevoll dem Sturm seiner Wut. Über die englische Sprache, die sie mit Vergnügen sprach, sagte er, daß sie überhaupt keine richtige Sprache sei, sondern bestenfalls ein Dialekt! Shelley, entschied er, war „kein Dichter“. Als sie die

großartige Szene zwischen

Heinrich

IV. und dem

Prinzen

lasen, waren sie erschüttert und voll von Bewunderung. Dann

aber verglichen sie den englischen Text mit dem deutschen, und das Deutsche erschien ihnen viel edler. Das war ganz bestimmt seine Meinung und nicht ihre, aber sie widersprach ihm nicht. Amerika hielt er für wenig kreativ: Kultur habe eben nichts mit riesigen Dimensionen und einem perfekten Eisenbahnsystem zu tun. Später berichtete Cosima, daß viele Anfragen aus Amerika kamen und Wagner auf sie zählte, um das Festspielhaus voll zu bekommen, was er allerdings als nicht sehr schmeichelhaft für die Deutschen bezeichnete. Mit der Zeit wurde Cosima deutscher als deutsch. Während Wagner sich nichts daraus machte zu sagen, ein Deutscher sei nur getrieben von seiner Gier und seiner Lust, erklang in allen Briefen Cosimas, ob an die Kinder oder Freunde, das „Deutschland, Deutschland, über alles...“

Obwohl sie in ihrer übergroßen Liebe eine Meinung nach der anderen von ihm übernahm, blieb sie dennoch, was sie war, und entwickelte sich darüber hinaus weiter: Sie war Erzieherin und Lehrerin ihrer Kinder, sie las Dante, sie achtete

darauf, daß die Hausmädchen die Wäsche ordentlich besorgten, sie konnte mit Nietzsche über Philosophie diskutieren und mit Wagner oder Richter vierhändig auf dem Klavier spielen. Sie liebte, ebenso wie er, Tiere und Natur und konnte die Vögel nach ihren Stimmen unterscheiden. In der Liebe machte sie ihn ebenso glücklich wie er sie. Sie sprach nicht darüber, aber ab und zu erwähnte sie in ihrem Tagebuch eine ‚intime Stunde“. Dieser häßliche kleine Mann, der an einer Gesichtsrose litt

und ein schlecht sitzendes Bruchband trug, der Tabak schnupfte (weshalb er sich oft in Wolken von Parfüm hüllte), der so jähzornig sein konnte, daß er mit den Fäusten die Möbel bearbeitete — dieser Mann übte eine unglaubliche Fas166

_ zination auf Frauen aus. Selbst als er noch unbekannt und ohne einen Pfennig gewesen war, liefen sie ihm hinterher. Von einer unbedeutenden Affäre abgesehen - und selbst da blieb seine Liebe zu Cosima unverändert. Ebenso verliebte sich Cosima

nie in einen anderen

Mann,

noch viele Jahre nach Wagners Tod Frau galt. Cosima war religiös. Und obgleich mell zum protestantischen Glauben sie regelmäßig zur Beichte, schickte und betete. Immer, wenn

obwohl

sie selbst

als eine begehrenswerte sie Wagners wegen forübergetreten war, ging ihre Kinder zur Kirche

sie etwas bedrückte, betete sie. In

ihrem Tagebuch erwähnt sie oft ihre Bitten an Gott, und fast immer sind diese Bitten benetzt mit Tränen.

Einmal, als sie

gerade zur Kirche ging, „entließ mich R. mit den Worten: ‚Grüße Deinen Heiland von mir, obgleich er vom Anbeginn

bis zum Dekan viel Konfusion angestiftet hat.““ Er selbst fühlte sich vom Buddhismus angezogen. Das christliche Dogma lehnte sich seiner Meinung nach an die jüdische Religion an und das sei ein Unglück. Er besprach mit ihr ein Musikdrama, das auf der indischen Mythologie basieren sollte, als er sich aber dem „Parsifal‘“ zuwandte, begnügte er sich damit, sich von der christlichen Religion inspirieren zu lassen. Cosima intensivierte sein Interesse dafür. Später jedoch, in hohem Alter, bemerkte sie gegenüber dem Dirigenten Weingartner, daß sie ein Mißverhältnis empfände zwischen der „Parsifal“-Dichtung — einem Trugbild an Fröm-

migkeit, einer mit Sex gemischten Talmi-Gläubigkeit — und jener visionären Kraft und Herrlichkeit der Musik. Was musikalisch am Karfreitag geschieht, sprengt eben die Mauern einer jeden Kirche. Ihr Interesse an Malerei war größer als bei Wagner. Allerdings begleitete er sie gerne in Kirchen und Museen und freute sich an dem, was er sah. Die italienischen Maler waren ihr am liebsten, bei ihnen fand sie „Licht und Klarheit“. Ihre

Beurteilungen Schwärmereien.

waren Am

überlegt, sie waren allerliebsten

war

keine

ihr Tizians

exaltierten „Christus

mit dem Zinsgroschen“. Der Kontrast zwischen Christus’ blassem, jungen Gesicht und dem des dunkelhäutigen Pharisäers rührte sie zutiefst: „Es ist wie Musik“. Mit französischen Malern wie Watteau, Ingres oder Delacroix konnte sie

hingegen wenig anfangen, für die Impressionisten fehlte ihr jegliches Verständnis. Makart, diesen mit Farbe um sich hau167

enden Angeber, der Nackte mit Kleidern malte, hielt sie für einen kühnen Künstler mit originellen Ideen, diese Ansicht teilten aber die meisten ihrer Zeitgenossen. Sie schenkte Wagner Kunstbücher und -drucke, und er freute sich darüber. Natürlich bezog er die bildende Kunst auf seine eigene Arbeit. Was Dürer betrifft, sagte er zu Cosima: „Das ist ein Mann, mit dem ich mich verstehen würde“. Weder er noch sie hatten viel für Rubens übrig, „jenem Jesuitenschüler“,

dessen Frauen sie vulgär und von „träger Sinnlichkeit“ fanden. In der Sixtinischen Kapelle fände R. das jüdische Element zu überwiegend... „Fanatismus, Trauer, Haß“, no-

tierte Cosima, der dieses Stückchen Kunstanalyse genug war, um es schriftlich festzuhalten.

wichtig

6 Cosima und Wagner hatten äußerst selten Meinungsverschiedenheiten.

Wenn

es überhaupt

dazu

kam,

dann

entweder

wegen seiner verschwenderischen Art, mit Geld umzugehen („Ich habe Angst, aber ich sagte nichts“, schrieb sie) — oder,

weil er ihrer Meinung nach den Kindern gegenüber zu nachsichtig war. Als sie zum Beispiel unachtsam waren und ihre Tassen zerbrachen, ließ Cosima

sie daraufhin nur noch aus

Zinnbechern trinken. Wagner macht diese Anordnung rückgängig: „Ich gebe nach, aber innerlich bin ich darüber traurig“, schreibt sie. Das kleine Mädchen, das unter der Strenge von

Madame

Patersi gelitten hatte, saß nun

am

Kopfende

eines langen Tisches und überwachte strikt die Hausaufgaben der eigenen Kinder. Die vier Mädchen gingen zur Schule,* während für Fidi ein Hauslehrer engagiert worden war. Einmal, als Blandine und Daniela sich besonders schlecht benahmen, mit Eva stritten und Cosima sehr verärgerten, gab

Wagner ihnen eine Ohrfeige. bedauerte er es zutiefst. Er schlagen, schluchzte er. Daß nach körperlicher Züchtigung

Aber schon unmittelbar danach habe kein Recht, ein Kind zu sie zur Bestrafung der Kinder griffen, geschah so gut wie nie,

* Zusätzlich wurden sie ab und zu von einer Gouvernante unterrichtet.

168

und das in einem Zeitalter, in dem man von dem erzieheri-

schen Wert des Rohrstocks überzeugt war. Wie sehr Cosima sich von kindlichen Lügen Danielas und Blandines getroffen und verletzt fühlte, läßt sich an einem

und Blandine

Vorfall mit Daniela

ablesen. Wagner versuchte, sie deswegen zu

trösten: „R. meint, ich solle es nicht ernst nehmen,

‚Jugend

habe nicht Tugend‘““, notierte sie am 27. November 1871. Wagner beschwor sie, nachsichtiger zu sein. Cosima konnte seine Meinung nicht teilen und war für Strenge: „Die Kinder

werden sehr ernstlich vorgenommen, mit ihnen geweint, gebetet, sie so weit gebracht, daß sie mich um Strafe bitten.“ (3. Dezember 1871) Wagner sollte Tribschen am 9. Dezember verlassen: Er mußte zu Besprechungen nach München und Bayreuth, anschließend nach Mannheim, wo er ein Konzert dirigieren sollte. Zunächst war geplant gewesen, daß Cosima ihm nach Mannheim nachreisen und Daniela mitbringen sollte. Nun aber hatte Cosima ihre Meinung geändert: Daniela mußte zur Strafe zu Hause bleiben. Wagner hielt das für grausam und setzte sich für Daniela ein, Cosima und er stritten sich kurz vor seiner Abreise. Als sie voneinander schieden,

herrschte Mißklang. Wagner grämte sich die ganze Fahrt hindurch, und als der Zug in Zürich hielt (ungefähr zwei Stunden,

nachdem

er Luzern

verlassen

hatte), schickte

er

Cosima ein Telegramm und einen langen Brief: .. „Wie sollte ich Dich, Wunderbare!

beim letzten Abschiede ver-

stehen. Du schienst völlig unwillig gegen mich und meiner Berührung auszuweichen?... Nun lief ich Dir nach, um noch eine letzte Umarmung von Dir zu haben: diese weigertest Du mir... Sei mir gesegnet, wie Du mir geliebt bist, mein Weib, mein theures, herrliches Weib! — Küsse alle Kinder von mir, alle - die um

mich weinten! Sei gütig und hoffnungsvoll auch für das, was Deine Sorge am schwärzesten erfüllt... Tröste Dich, sei vertrauungsvoll, so wird Dir auch die Milde nicht mehr als Schwäche erscheinen! ...

Am Tag darauf schrieb er aus München: ... Sei gut mir, und verzeihe mir in einem fort! — Sind die Kinder artig? Hat Fidi wieder nass gemacht? Du weißt doch, wir haben einen Sohn? Einen „Sohn“? Und gute, gute Töchter, von denen

- die eine endlich, endlich auch der Mutter ähnlich sieht! - Küsse 169

sie alle, alle von mir, sie, die in Deinem theuren Mutterschoosse

genährt sind! - Ich liebe Dich, wie gewiss noch keine geliebt wurde. Gesegnete, Geliebte, Wunderbare! — Leb wohl, schlaf’

wohl, sei ruhig göttlich, wie immer, wenn Du ganz in Deinem Seelenheim bist! ....

Er konnte die Angelegenheit nicht auf sich beruhen lassen. Am nächsten Tag: [München] Montag 11 December 1871 ...Nun aber, Liebe! Erhöre meine Bitte. Bringe Lulu mit nach Mannheim. Ich habe Dir Alles gesagt hierüber; nun kann ich Dich nur noch bitten. Blick’ einen Augenblick aus dem Kreise der Vorstellung[en], die Dich so sorgenvoll einnehmen, heraus, es giebt noch eine andere Seite. Aber nicht hierüber wollte ich mich etwa belehrend auslassen, sondern Dich nur bitten, und Dir

sagen, dass ich dagegen genau weiss wie wir es mit dem Weihnachten machen, damit Du sicher Deinen Zweck erreichst, und

zugleich uns allen nicht den theuren Abend verdirbst. Du wirst den Beiden verdeckt in der Gallerie bescheren, und die Kleinen

werden allein heruntergerufen: dann erst die grossen; sie sollen dann von Dir, oder mir ernstlich befragt werden, was sie [von] der Bedeutung ihrer Strafe halten (wenn Du willst, diess selbst vor den Leuten): sie sollen sagen ob sie sich des Weihnachten für würdig hielten; draussen stünden Geschenke für sie — ob sie glaubten, dass sie ihnen gehören dürften. Ich hoffe einen guten und grossen Eindruck, und endlich darf Gnade für Recht ergehen. Vor Allem aber, versäume den wichtigen Entwickelungsschritt für Lulu nicht, — halte sie nicht von Mannheim zurück. Ich

bitte Dich auf das Innigste darum! . .*

Erstaunlicherweise „Großer Kummer,

blieb

Cosima

dennoch

unerbittlich.

daß ich Lulu nicht mitnehme, Gott gebe,

daß dadurch die Unwahrheit ihr für ewig aus dem Herzen getrieben werde.“ (15. Dezember 1871). Es ist allerdings anzunehmen, daß diese Entscheidung eher Trotz und Groll im Herzen des elfjährigen Mädchens verstärkte. Es gab eine noch ernstere Unstimmigkeit - sie betraf Liszt. Die Tagebücher enthüllten Cosimas zwiespältige Gefühle ihrem Vater gegenüber. Im Grunde ihres Herzens hatte sie ihm weder sein distanziertes Verhalten in ihren Kindertagen * Diese Auszüge sind jenen sehr raren Briefen Wagners an Cosima entnommen, die nicht vernichtet worden sind. Manfred Eger besorgte die Veröffentlichung in den Programmheften der Bayreuther Festspiele.

170

vergeben noch seine Bemühungen, ihre Ehe mit Bülow zu kitten. Diese Wunden waren noch nicht vernarbt. Und es war Cosima - nicht Wagner -, die schrieb, sie bezweifelte, daß ihr

Vater irgend etwas für sie getan hätte, wenn nicht der König gewesen wäre. Als Cosima im Jahre 1868 zielstrebig und vor allen anderen Dingen auf ihre Scheidung hinarbeitete, sprach Liszt sich heftig dagegen aus. Im Juli 1870, nachdem die Scheidung ausgesprochen worden war, hatte sie in Tribschen Besuch von Bülows Freund Karl Klindworth. Unter Tränen bat sie ihn, bei Bülow für sie zu sprechen, daß er ihr verzeihen möge, was sie ihm Böses zugefügt habe. Wie Klindworth später Bülow schrieb, fügte sie hinzu, sie wünsche ihren Vater nicht mehr zu sehen, da sie erbost sei über die geringe Sympathie, die er ihr gezeigt habe. Damals schrieb sie ihrem Vater nicht einmal mehr. Ihre Freundin Marie von Schleinitz beschwor sie daraufhin, Liszts Würde zu respektieren und den ersten Schritt zu machen, um die Verbindung mit ihm wieder aufzunehmen. Das tat sie schließlich auch, jedoch nicht warmherzig, wie Marie es empfohlen hatte, sondern in abgewogenen Worten. Dennoch - und das galt pauschal: auch wenn sie Groll gegen ihren Vater hegte, liebte sie ihn doch. Zum Teil bestand diese Liebe aus der für sie selbstverständlichen Hingabe des Kindes zu seinen Eltern, die sie ebenso von ihren eigenen Kindern erwartete. Zum größeren Teil jedoch liebte sie Liszt aufgrund seiner Persönlichkeit, seines Enthusiasmus für

Wagners Musik, seiner Großzügigkeit, seiner Ausstrahlung, die mit zunehmendem Alter patriarchalisch wurde, und schließlich auch aufgrund der weltweiten Anerkennung seines Genies. Noch wesentlicher aber bestimmte ihre Gefühle die Erkenntnis, daß Liszt trotz all seiner Erfolge keine Zufriedenheit kannte. An König Ludwig hatte sie einmal geschrieben, sogar als Kind habe sie gewußt, daß ihr Vater un-

glücklich sei, trotz all des Glanzes und Triumphes, die ihn umgaben.

Sie habe mit ihm gelitten, heimlich und still, wie

ein Kind. Wagner verstand die Wechselbäder in Cosimas Gefühlen nur teilweise. Natürlich bewunderte er Liszt als Künstler und war sich zumindest zu Beginn seiner eigenen Karriere bewußt, daß er Liszt Dank schuldete, sowohl in menschlicher als in künstlerischer Hinsicht, aber Dankbarkeit hatte bei

Wagner

bekanntlich

die

Beständigkeit

einer

Seifenblase. 171

Wann

immer

er Cosimas

Liebe

für ihren Vater

bemerkte,

wurde Wagner eifersüchtig. Als Liszt sie am 15. Oktober 1872 zum

ersten Mal in Bayreuth besuchte, bemühte

er sich, die

alten Unstimmigkeiten vergessen zu machen. Aber irgendwie konnte er es nicht lassen, und er deutete an, sie beide, Cosima

und Wagner, hätten Bülow auf dem Gewissen. Cosima versuchte daraufhin, die Sache mit ihm auszudiskutieren: Langes Gespräch mit dem Vater; Fürstin Wittgenstein quält ihn in Bezug auf uns, er solle Wagner’s Einfluß fliehen, künstlerisch

wie moralisch, mich nicht wiedersehen, dies erheische seine Würde, wir hätten einen moralischen Mord an Hans verübt u.s.w. Ich bin sehr betrübt, daß der Vater also gequält wird - er ist so müde, und immer wird an ihm gezerrt! Namentlich die unselige Frau in Rom hat nie anderes gewußt, als ihn aufzuhetzen — mich und uns will er aber nicht aufgeben. Dieses Gespräch hält mich lange beim Vater zurück, und leider kränke ich R. dadurch, daß

ich ihn lange alleinlasse... den Tag über herrscht eine kleine Verstimmung. [17. Oktober 1872]

Im Juli dieses Jahres hatte Wagner

die Orchesterskizze

zum dritten Akt der ‚„Götterdämmerung“ beendet. Er schrieb: „Ende. Alles um Cosel zu erfreuen. 22. Juli 1872, R.W.‘“ Es dauerte noch einmal zwei Jahre, bis er am 21. No-

vember 1874 die ganze Partitur vollendet hatte. Und folgendes geschah an jenem „dreifach heiligen, denkwürdigen Tag“: Dreifach heiliger, denkwürdiger Tag! Gegen die Mittagsstunde ruft mir R. hinauf, ich möchte ihm die Zeitungen hinabreichen,

da er mir gestern geklagt, wie angestrengt er sei, und noch versichert, er würde erst Sonntag fertig, vermeinte ich, er könne vor Müdigkeit nicht mehr arbeiten, scheu wich ich der Frage aus; um ihn zu zerstreuen, warf ich ihm den eben erhaltenen Brief des

Vaters hin, vermeinend — da er freundlich in Bezug auf unsere Reise nach Pest war - ihn zu zerstreuen. Es läutet zu Mittag, ich treffe ihn den Brief lesend, er verlangt Erklärungen von mir, ich sage ihm, was ich hierauf zu antworten gedenke, vermeide mit Absicht, auf das Partiturblatt zu blicken, um ihn nicht zu kränken. Gekränkt zeigt er mir, es sei vollendet, und sagt bitter zu

mir: Wenn ein Brief des Vaters käme, sei alle Teilnahme für ihn, alles weggewischt. — ich unterdrücke den Schmerz des Mittags, doch wie R. nachher die bittre Klage wiederholt, muß ich in Tränen ausbrechen und weine noch jetzt, indem ich dies schreibe. So ist mir denn diese höchste Freude geraubt worden, und gewiß

112

nicht durch die schlimmsten Regungen in mir! „Daß wissend würde ein Weib!“ Daß ich unter Schmerzen mein Leben diesem Werke geweiht habe, erwarb mir nicht das Recht, seine Vollendung in Freude zu feiern. So feiere ich sie im Schmerz, segne das hehre, wundervolle Werk mit meinen Tränen und danke es dem

argen Gott, welcher mir auferlegte, diese Vollendung zuerst durch meinen Schmerz zu sühnen. Wem ihn sagen, wem ihn klagen diesen Schmerz, gegen R. kann ich nur schweigen, diesen Blättern vertraue ich es an, meinem Siegfried, sie mögen ihn lehren: keinen Groll, keinen Haß, grenzenloses Mitleid mit dem armseligsten Geschöpf, dem Menschen... [21. November 1874] Sie war so erschüttert, daß es beinahe zwei Wochen dauer-

te, bis sie sich wieder ihrem Tagebuch anvertrauen konnte. Jahre später, knapp drei Wochen vor Wagners Tod, hatten sie eine letzte Meinungsverschiedenheit wegen Liszt, weil Wagner meinte, Liszts jüngste Komposition zeige Spuren von Geisteskrankheit. Cosima widersprach heftig. Daraufhin ‚sprang Wagner aus dem Bett und brüllte: Sie glaube wohl, sie sei die Tugend selbst! Liszt seinerseits konnte sich nie ganz damit abfinden, daß Cosima Wagner geheiratet hatte. So schickte er ihr monatlich eine Unterstützung und adressierte sie stets an „Baronin Bülow“. Natürlich ärgerte sie das. Nach Wagners Tod kamen sich Vater und Tochter zwar wieder etwas näher, aber als Liszt im Jahre 1886 in Bayreuth starb, sah Cosima keinen Grund, irgendeine der geplanten Aufführungen abzusetzen. Der Tod ihres Vaters durfte das Lebenswerk ihres Mannes nicht beeinträchtigen. In ihrem letzten Lebensjahr gestand sie Eva jedoch: „Ich kann mit Großpapa sagen, j’ai fait ce que j’ai pu [ich tat, was ich tun konnte]; er fehlt als Beistand. Ich kannte Großpapa vielleicht anders, wie man ihn sonst kennt. Er fehlt doch sehr als Per-

sönlichkeit und ich möchte sagen als Hilfe.“

7 Wagner zu Gefallen lernte sie Whist, ein Kartenspiel, das er gern und häufig spielte, auch wenn er es haßte zu verlieren. Er knurrte und schimpfte, wenn er schlechte Karten bekam; 173

war es nicht Fortunas Pflicht und Schuldigkeit, dem Schöpfer des „Ring“ Asse und Könige zu geben? Ein ungarisches Sprichwort sagt: „Spiele Karten mit deinem Mann und du merkst, was für ein Mensch er ist“ — Cosima merkte rein gar nichts. Sie nahm sogar noch Bescheidenheit in den Katalog seiner Tugenden auf: Merkwürdig

sind die Träume

R.’s, er, dem nicht nur der Sinn,

sondern jedes Verständnis für die Eitelkeit abgeht, hatte nichts als eitle Visionen! Und sie beschreibt folgendes Erlebnis mit diesem „bescheidenen Mann“, als sie die „‚Orestie“ lesen. Er sagt: „Ich erklä-

re das als das Vollendetste in jeder Beziehung, religiöser, philosophischer, dichterischer, künstlerischer. Die Historien von Shakespeare kann man daneben nennen, aber er hatte keinen

athenischen

Staat,

keine

Schluß“. Cosima darauf:

Stiftung „Ich nenne

des

Areopag

-

zum

einzig den Ring dane-

ben.“ Wagner: „Es [der „Ring“] ist aber außer von einem Einzelnen entworfen, um gleich werden, wie es mit den neu gegründeten schah.“ (24. Juni 1880) Wagners wertvollste Liebesgabe, das Werk,

der Zeit, etwas verpfuscht zu Religionen gewelches sie ge-

wissermaßen unsterblich machte, war jenes Geschenk, das er

ihr zum dreiunddreißigsten Geburtstag machte. Geheimnisvolle Vorbereitungen waren dem Ereignis vorangegangen. Wagner fuhr auffallend oft weg, und Richter übte aus irgendeinem Grunde so ausgiebig auf der Trompete, daß Cosima die Ruhe in Tribschen ernsthaft gefährdet sah. Erst später sollte ihr klar werden, was das alles auf sich hatte: Wagner probte heimlich mit einem kleinen Orchester, das Richter in Zürich zusammengestellt hatte und in dem Richter selbst den Part der Solo-Trompete übernommen hatte. Am frühen Morgen des 25. Dezember 1870 nahmen die Musiker ihre Plätze im Treppenhaus ein, Wagner erhob seinen Taktstock, und zum ersten Mal:hörte man die zauberhaften Klänge jenes wundervollen Werkes, das er eigens für Cosima komponiert hatte. Die Kinder und ein höchst erstaunter Nietzsche waren anwesend. Cosima schrieb in ihr Tagebuch: Von diesem Tag, meine Kinder, kann ich euch nichts sagen, nichts von meinen Empfindungen, nichts von meiner Stimmung, nichts, nichts. Dürr und trocken will ich euch nur sagen, was ge-

174

schah: Wie ich aufwachte, vernahm mein Ohr einen Klang, immer voller schwoll er an, nicht mehr im Traum durfte ich mich wähnen, Musik erschallte, und welche Musik! Als sie verklungen,

trat R. mit den fünf Kindern zu mir ein und überreichte mir die Partitur des „Symphonischen

Geburtstagsgrußes“

-, in Tränen

war ich, aber auch das ganze Haus; auf der Treppe hatte R. sein Orchester gestellt und so unser Tribschen auf ewig geweiht! Die „Iribscher Idylle“, so heißt das Werk. - - - Nach dem Frühstück

stellte das Orchester [sich] wieder ein, und in der unteren Wohnung ertönte nun die Idylle wieder, zu unserer aller Erschütterung; darauf Lohengrin’s Brautzug, das Septett von Beethoven und zum Schluß noch einmal die nie genug Gehörte! - Nun begriff ich R.’s heimliches Arbeiten, nun auch des guten Richter’s Trompete (er schmetterte das Siegfried-Thema prachtvoll und hatte eigens dazu Trompete gelernt), die ihm viele Ermahnungen von mir zugezogen hat. „Laß mich sterben“, rief ich R. [zu] „Es war leichter für mich zu sterben, als für mich zu leben“, erwiderte

er mir. [25. Dezember 1870] Wagner versprach Cosima, daß das „Siegfried-Idyll“, wie

es später genannt wurde, ihr allein gehören und niemals veröffentlicht werden sollte. Etwas später jedoch, als die Kosten für seidene Morgenröcke, französisches Parfüm, die acht Be-

diensteten und die kostspieligen Möbel wieder einmal die Zuwendung des Königs und das inzwischen beträchtliche Einkommen aus eigenen Werken überstiegen, verkaufte er das „Idyll“. Cosima war traurig: „Der heimliche Schatz wird nun jedermanns Eigentum“, hoffte aber, die Welt würde sehr

viel Freude daran haben und dadurch ihren Verlust ausgleichen. Und so fuhr sie fort, täglich ihre Gedanken, ihre Empfindungen - und vor allem ihre Liebe - schriftlich festzuhalten: Bei den Worten Carlyle’s, wie wenig man von großen Menschen wirklich wisse, wie schattenhaft sie der Nachwelt erscheinen, gedenke ich dabei dieser Tagebücher, in welchen ich das Wesen R.’s mit möglichster Deutlichkeit den Kindern vermachen möchte, deshalb jedes Wort, das er auch über mich spricht, [ich] der Bescheidenheit zum Trotz niederschreiben möchte, daß das Bild ihnen bliebe - allein, ich fühle es, der Versuch mißlingt - Klang

der Stimme, Akzent, Bewegung, Blick, wie soll ich diese weitergeben! Doch ist es vielleicht besser als nichts, und so führe ich das

Stümperwerk fort. [21. März 1873]

175

7. KAPITEL

Der König hat genug

Nach dem Ausflug in Cosimas Tagebücher Geschichte ihres Lebens mit dem Sommer genommen. Siegfried war geboren, Bülow die Scheidung eingewilligt und beschlossen, lassen. In jenem Jahr wurde Cosima —

sei der Faden zur 1869 wieder aufhatte plötzlich in München zu verdie Botschafterin

dieses Genies mit der schlechten Verdauung, seinen schwül-

stigen Zügen und dem Geist, der alles wissen wollte — ihrer Eigenschaft als bevollmächtigte Gesandtin nicht gerecht: Es gelang ihr nicht nur nicht, das ernste Zerwürfnis mit Ludwig zu verhindern, sondern sie war vielmehr dessen indirekte Ur-

sache. „Das Rheingold‘ war im Frühjahr 1864 vollendet worden. Es hatte bisher unaufgeführt herumgelegen, da sich zunächst beide, der König und Wagner, darauf geeinigt hatten, daß der „Ring“ als Ganzes und in einem eigens dafür erbauten Theater gegeben werden sollte. Aus dem Theaterbau war nichts geworden. Teils war der Plan von den Ministern stets auf die lange Bank geschoben worden, da sie der Meinung waren, das Geld sollte besser anders verwendet werden, teils

hatte Wagner selbst für genügend Verwirrung gesorgt. Ludwig wollte dennoch in den langersehnten Genuß einer Aufführung kommen, wenn auch nur durch ein Teil des Ganzen. Ludwig bat also Wagner, ihm zu liefern, was ihm schon von

Rechts wegen

zustand.

Er hatte die Rechte

am

„Ring“

bereits gekauft, durch jenen Vertrag, der Ende 1864 unterzeichnet wurde. Wagner jedoch, verärgert, daß aus dem 177

Theaterprojekt nichts geworden war, zeigte sich — wie immer, wenn ihm ein Strich durch die Rechnung gemacht wurde — von seiner schlechtesten Seite. Er spielte tatsächlich sogar mit der Idee, sich an Bismarck um Hilfe zu wenden. In anderen Worten:

er zog es ernsthaft in Betracht, sich von Bayern ab-

und Preußen zuzuwenden, was glatter Betrug seinem Wohltäter gegenüber gewesen wäre. Cosima hatte ihm abgeraten. Sie wies darauf hin, daß er von Bismarck, Berlin und jenem

kleinmütigen Preußenkönig weder das Verständnis noch die Großzügigkeit erwarten konnte, derer er bedurfte. Über sein unloyales Verhalten machte sich Cosima kaum mehr Gedanken als Wagner selbst, sie war jedoch davon überzeugt, daß die Butter auf seinem Brot in Bayern auch in Zukunft dicker sein würde als in Preußen — sowohl in finanzieller als auch in künstlerischer Hinsicht. Wagner würde also bei Ludwig und der bequemen Unterstützung bleiben. Aber ‚„Rheingold“ — niemals!: es sollte nicht in München aufgeführt werden. Er führte dazu an, daß er erstens nach wie vor der Ansicht sei, daß der „Ring“ als

Einheit und in einer von ihm selbst überwachten Inszenierung aufgeführt werden sollte und daß zweitens „Das Rheingold“ mit seinen außerordentlichen bühnentechnischen Problemen im Münchner Opernhaus verpfuscht würde, wenn es zwischen „Die Jüdin‘“ und dem ‚„Barbier von Sevilla“ auf den

Spielplan käme. War es nicht ursprünglicher Zweck von Ludwigs Unterstützung gewesen, diese „edlen (Wagners Adjektiv) Werke vor dem profanen Kontakt“ mit den bestehenden Opernhäusern zu bewahren? Dresden hatte wegen der ‚„Wal-

küre“ um Aufführungsrechte angefragt, Wagner hatte aber nicht eingewilligt. Nun schien er also anzudeuten, daß Ludwigs Münchener Opernhaus keineswegs besser war als die entsprechende Dresdner Institution. Inwiefern seine Gründe gerechtfertigt sein mochten — und es war völlig klar, daß die „Rheingold“-Inszenierung sehr sorgfältig und in keiner Weise „routinemäßig‘“ vorbereitet werden mußte —, die dahinter versteckte Wahrheit jedenfalls klang anders. Er wollte einfach nichts mit München oder seinem Theater zu tun haben, denn gerade damals wurde Cosima von der Presse und der Gesellschaft dieser Stadt wie eine Verbrecherin behandelt. Wie sollte sie sich wieder in jene Löwenhöhle der Journaille begeben können? Um nur ein Beispiel zu nennen: Der Münchener Korrespondent der 178

Augsburger „Allgemeinen Zeitung‘ veröffentlichte im September 1869 einen ausführlichen Artikel, in dem er der Leitung des Opernhauses dazu gratulierte, den „wahren Charakter“ dieses Musik-Autokraten erkannt zu haben, der mit der

Unbeschwertheit des Genies seine dichterische Moral in das wirkliche Leben übertrage und ein Wagner-Tristan, CosimaIsolde gegen Bülow-Marke-Theater inszeniert hatte. Nicht nur das war deutlich. Der Schreiber forderte, daß eine derart wichtige Kunst-Institution, wie es das Münchener Hof-Thea-

ter war, nicht länger die Arena für rückhaltslose Zügellosigkeit sein sollte. Kurz und gut, Wagner erhob Einspruch gegen eine Aufführung nicht nur aus künstlerischen Gründen. Seine Anwesenheit bei einer solchen Inszenierung hielt er für unbedingt notwendig — und damit hatte er sicher recht. Aber warum wollte er dann nicht nach München gehen? Einfach deswegen, weil er das Gefühl hatte, daß er dort nicht mit Cosima zusammen sein konnte, und weil er nicht im Traum daran

dachte, ohne Cosima dorthin zu gehen. Möglicherweise gab “ es noch andere unbewußte Motive für seine Dickköpfigkeit. Seine Haß-Liebe,

die ihn mit Ludwig verband,

das Wissen

um seine Abhängigkeit vom König und damit jenes Ressentiment gegen den Wohltäter, dem man eben jene Wohltäterrolle kaum jemals verzeiht, sowie sein Machtkomplex

- all

diese Faktoren waren so bestimmend, daß er sich auf ein gefährliches Spiel einließ. Natürlich war er davon überzeugt zu gewinnen. So ging er also unruhig in seinem Haus in Tribschen auf und ab, wie ein niederländischer Maler gekleidet, mit schwarzem Samtrock, schwarzen Kniehosen aus Atlas,

schwarzen Seidenstrümpfen, einer in viele Fältchen gelegten hellblauen

Atlas-Krawatte,

„dazu

ein

Hemd

aus

feinem

Leinen mit echten Spitzen und das Künstlerbarett auf den damals noch üppigen braunen Haaren“*, und verfluchte alle Münchener, die sich gegen ihn „verschworen“ hatten. Nur er war im Recht! Nur er hat die reinsten Motive! Nietzsche, der nach Tribschen zu Besuch kam, teilte seine Meinung, daß

Cosima beschützt werden mußte. Cosima konnte nachts kaum mehr schlafen und war halb wahnsinnig vor Angst: Was würde der König tun? Von ganzem Herzen wünschte * So beschrieb ihn Nietzsches Schwester Elisabeth.

179

sie, zwischen

beiden wieder

Frieden

zu stiften, unter allen

Bedingungen, mit einer Ausnahme allerdings: Sie schlug vor, daß Wagner ohne sie nach München gehen, die Proben übernehmen und somit des Königs sehnlichen Wunsch erfüllen sollte. Er lehnte rundweg ab. Was sie betraf, so brachte sie es

nicht fertig, mit ihm nach München zu gehen und den Öffentlichen Anprangerungen als Ehebrecherin und den ständig neuen Attacken dieser Art die Stirn zu bieten. Wie sie beschämt notierte, nannte sie die führende Münchner Zeitung „Cosima fan tutte“. Wagner sandte dem König einen Bittbrief nach dem anderen, ein sichtbarer Erfolg blieb jedoch aus. Ludwig hatte inzwischen hinter allen Spitzfindigkeiten die Wahrheit erkannt. Wenn ihm noch irgendein Zweifel über die Art der Beziehung zwischen Wagner und Cosima geblieben war, so wurde er von Bülow genommen,

der ihm die Ursache seines Rück-

tritts offen aussprach. Abgesehen von der Ablehnung, die er, Bülow, durch einige unzufriedene Orchestermitglieder und durch die Verunglimpfungen in den Zeitungen erfahren mußte, litt er, wie er in seinem Brief vom 25. Juni an den König schrieb, unter der Freudlosigkeit seines Privatlebens,

das einen schweren Schlag erlitten habe durch die endgültige Trennung von

‚meiner Frau, die es vorzieht,

... sich dem

Schöpfer unsterblicher Meisterwerke in Euer Majestät Diensten zu widmen“. Daß Wagner, natürlich nur aus „selbstlosen“ Beweggründen heraus, fortfuhr, dem König seine Proteste in allen Ton-

arten vorzutragen, um sein „Rheingold“ vor einer erbärmlichen

Aufführung

zu

bewahren,

half

nun

nichts

mehr:

Ludwig hatte erkannt, daß diese Argumente auf verschiedenste Weisen interpretiert werden konnten. Wie auch immer: er, der König, wünschte dieses Werk zu hören. Daß er Cosima nun in einem etwas zwiespältigen Licht sah und ebenso, daß Wagners Weigerung damit in Zusammenhang stehen mußte, ließ Ludwig um so mehr auf seinem Wunsch und Willen bestehen. Hans Richter hatte Bülows Stelle als Musikdirektor in München übernommen; Wagner selbst hatte sich für den talentierten jungen Mann eingesetzt. Der König verfügte, die „Rheingold“-Aufführung vorzubereiten, und zwar unter Richters Leitung. Wagners musikalische Wünsche, die Richter kannte, sollten sorgfältig beachtet werden. Seine Weige180

rung jedoch, nach

München

zu kommen,

um

bei der Ver-

wirklichung jenes Ereignisses, an dem Ludwigs Herz hing, mitzuhelfen, stieß auf taube Ohren.

Fast zwei Monate lang wurde geprobt. Nach der Generalprobe am 27. August 1869, bei der Ludwig anwesend war, berichtete Richter über einige technische Probleme, die nicht gelöst werden konnten. In Wagner hatten Wut und Ärger inzwischen explosive Kräfte erreicht. Die Nachricht von Richter war der auslösende Knopfdruck, um jegliches Maß zu verlieren. Er befahl Richter und dem Bariton Betz, der den

Wotan singen sollte, von ihrem Engagement zurückzutreten. Beide befolgten seinen Wunsch sofort, und Wagner glaubte, daß dies nun das Ende der Aufführung sein würde. Er hatte seinen Trumpf ausgespielt. Er hatte allen, auch diesen Leuten von der Münchener Oper, eine Kostprobe seiner Macht gegeben. Seine Werke sollten seinen Vorstellungen entsprechend aufgeführt werden — oder überhaupt nicht. Wie sich herausstellte, irrte er sich gewaltig. Der König war weit davon entfernt, klein beizugeben und handelte. Wie konnte dieser Mann, der ihm alles verdankte, es wagen, ihn

zu hintergehen. Welche Impertinenz! Er hatte genug: „J’en ai assez!“ Ludwig zog sich in die Berge zurück und gab Kabinettssekretär Düfflipp Anordnungen, wie in der Sache weiter vorzugehen sei: Berg den 30. August [1869] ...Wahrhaft verbrecherisch und schamlos ist das Gebahren von „Wagner“ und dem Theatergesindel; es ist dieß eine offenbare Revolte gegen Meine Befehle, und dieses kann ich nicht dulden. „Richter“ darf keinesfalls mehr dirigieren und ist augenblicklich zu entlassen, es bleibt dabei. Die Theaterleute haben Meinen Be-

fehlen zu gehorchen, und nicht den Launen „Wagners“. In mehreren Blättern ist es so hingestellt, als sei von mir die Vorstellung abgesagt worden, Ich sah dieß kommen. Es ist sehr leicht, die falschen Gerüchte zu zerstreuen, und es ist Mein Wille, daß Sie so-

gleich die wahre Sachlage bekannt geben und Alles aufbieten, um die Vorstellung zu ermöglichen; denn wenn diese abscheulichen

Intriguen „Wagners“ durchginge[n], so würde das ganze Pack immer dreister und unverschämter, und zuletzt gar nicht mehr zu zügeln sein; daher muß das Übel mit der Wurzel ausgerissen werden — „Richter“ muß springen, und „Betz“ und die Anderen

zur Unterwerfung gebracht werden. Eine solche Frechheit ist Mir noch nie vorgekommen. Ich wiederhole es, wie sehr Ich in dieser Angelegenheit mit Ihnen zufrieden bin, und erwarte von Ihnen,

181

daß Sie die widerstrebenden Kräfte zum Gehorsam zurückführen und unterwerfen werden. i Vivat Düfflipp! pereat Theaterpack! Mit bekannten Gesinnungen und Segenswünschen für Sie, aber mit Flüchen für die Coterie der Gemeinheit und Frechheit...

Die Aufführung sollte mit einem neuen Dirigenten und einem neuen Wotan stattfinden, und zwar so bald wie möglich. Am 31. August erhielt Wagner ein Telegramm des Königs, in dem dieser darauf bestand, daß die Aufführung stattzufin-

den habe. Wagner erkannte nun, daß er verloren hatte. Er mußte zurück nach München, zurück in jene Stadt, die er nie wieder zu betreten geschworen hatte, um zu retten, was noch

zu retten war — sei es die Aufführung selbst, sei es die Gunst des Königs. Cosima, die schrieb: „Wir denken an die Möglichkeit eines Bruchs mit dem König“, stimmte zu: Wagner mußte

sofort nach

München,

und

zwar

alleine.

Sie wußte

nicht, wie nahe sie damit der Wahrheit kam. Am selben Tag, um 12.15 Uhr, schickte der König ein Telegramm an Düfflipp: „Wagt Wlagner]. sich neuerdings zu widersetzen, so ist ihm der Gehalt für immer zu entziehen, und nie mehr

ein Werk von ihm auf der Münchener Bühne aufzuführen.‘* Es war jedenfalls schon fünf vor zwölf: Wagner konnte an der Aufführung nichts mehr verbessern, zumal ihm auch eine zusätzliche Probe, um die er bat, verweigert wurde. Schon am nächsten Tag, es war der 2. September, kehrte er nach Trib-

schen zurück — bezwungen, am Boden zerstört. Er gab Cosima einen sehr einseitigen Bericht der Situation. In ihrem Tagebuch heißt es: 2ten Donnerstag... Um 4 Uhr Schreck und Freude, R. meldet seine Zurückkunft für den Abend an. Mit den 4 Kindern und den 2 Hunden abgeholt; Rheingold unmöglich, das Wiedererscheinen Richter’s an das Pult würde das Signal für die alte Jagd auf uns und den König sein; und außerdies ist die Inscenierung des Werkes so abscheulich, daß der Maschinist drei Monate verlangt,

um dies wieder gut zu machen...

Nichts dergleichen geschah. Mit einem neuen Dirigenten (Franz Wüllner) und einem neuen Wotan (August Kinder* Das Telegramm wurde abgesandt, als Ludwigs Ärger am größten war; es ist allerdings zu bezweifeln, daß er jemals diese Drohung wahrgemacht hätte.

182

mann) begannen erneut die Proben. Die szenischen Mängel würden korrigiert werden, das Projekt lief volle Kraft voraus. Cosima litt darunter, hörte, wie Wagner in seinem Zimmer

unruhig

auf und

ab lief und

weinte.

Der

Schöpfer

des

Helden, „der das Fürchten nie erlernt“, weinte! Cosima: „So

ruhig ich all die Nachrichten entgegennehme, ist mir das Herz doch schwer! ... Wie kann ich ihn trösten — nur mit ihm weinen kann ich.“ Er sagte ihr, er sei krank vor Kummer und Gram. Es ist ... „das Benehmen des Königs viel mehr noch als das Preisgeben seines Werkes“. Cosima beurteilte die Lage: Kein Zweifel, er war im Recht. Er hatte sich richtig verhalten. Bestimmt! Aber um seiner großen Ziele und seiner Zukunft willen, riet sie, „daß er nur

zu schweigen hat, daß dem König seine Werke gehören und daß, wenn dieser sein Spielzeug daraus macht, R. ihn nur gewähren lassen kann.“ (3., 6. und 10. September 1869)

Wagner versprach, ihrem Rat zu folgen. Am nächsten Morgen verschreckte er sie jedoch durch seine Mitteilung, daß er den Brief an den bestellten Dirigenten Franz Wüllner abgeschickt habe. Sie kannte den Inhalt dieses Briefes und wußte, was davon zu halten war: es war ein Erguß wütender Beschimpfungen.

„Es wäre mir lieber, er hätte ihn nicht ab-

geschickt, allein er tut ihm wohl, denn das ruhige Ertragen nagt an ihm“. (11. September)* Richter war inzwischen nach Tribschen zurückgekehrt, mit seiner Hilfe bereitete Cosima nun eine schriftliche Darstellung der Sachlage vor, wie Wagner sie von sich aus sah. Er unterschrieb, das Schriftstück wurde abgeschickt und in der „Allgemeinen Zeitung“ abgedruckt. Es hatte nur wenig Überzeugungskraft. Die meisten Leser hielten den Artikel für den verbalen Taschenspielertrick eines einzigartig undankbaren Mannes. Cosima war ebenso aufgebracht wie Wagner, bedauerte seine Niederlage, riet aber zu Geduld, zu Vorsicht und Stillhalten. Sie beschwor ihn, weder mit dem König, noch mit sonst irgend jemandem in München eine Verbindung aufzunehmen. Kommt Zeit, kommt Rat. .... Die „Rheingold“-Premiere fand am 22. September statt, nicht einmal drei Wochen nach dem ursprünglich geplanten Termin. Eine große Schar musikalischer und gesellschaftli* Ein Entwurf dieses Briefes ist noch vorhanden. Newman sagt, daß er in Wagners bestem „Billingsgate-Stil“ [Fischmarkt in London] geschrieben sei. Newman scheint aber nicht sicher zu sein, ob er abgeschickt wurde. Cosimas Tagebuch jedoch beweist das.

183

cher Berühmtheiten strömte nach München, um bei dem Ereignis mit dabei zu sein. Unter anderen waren Liszt, Saint-

Saöns, Joachim, Pasdeloup, Hanslick aus Wien, Chorley aus London und Turgenjew mit Pauline Viardot aus Paris anwesend. Die Aufführung hatte zwar ein paar Schwächen, war aber nicht annähernd so schlecht, wie Wagner es vorausgesagt hatte. Tatsächlich erwies sich der Maschinist Karl Brandt als so fähig, daß Wagner ihn später in Bayreuth unentbehrlich finden sollte. Die szenischen Probleme, wie etwa die schwimmenden Rheintöchter* oder Alberich, der sich in eine

Kröte verwandelt, konnten zwar nicht ganz gelöst werden — aber ist es bis zum heutigen Tage gelungen? Widerstrebend bemerkte Cosima:

„Die A. A. Z. berichtet von einem succes

d’estime.‘“ Wagner spielte immer noch Achilles in seinem Lager vor Troja, mit Cosima als Briseis. Sie besprachen sich bis spät in die Nacht hinein. Abends langes Gespräch mit R., ob er seine Pension, ohne ein Wort zu sagen, nicht mehr beziehen soll? Oder nur an die Vollendung der Nibelungen denken soll und ‚bataille bataille sein lassen‘. Ich sage ihm zu tun, was seinem Innersten wohltut, ganz

unein[ge]ldenk jedweder Folgen. Nagender Kummer für R. - soll er nun alle seine Werke so preisgeben? Tiefe Melancholie; er sagt, wenn

ich nicht da wäre, es wäre zu Ende

mit Ihm!!

- - - Mein

Namenstag war heute, er gab mir Blumen, auch sandte der Vater eine Depesche aus Rom! — Ich kann nur schweigen. [27. September 1869]

Cosima wußte genau, wonach ihm zumute war! Sie sprachen darüber, nach Amerika

auszuwandern.

Das Theater in

seiner Vorstellung, sagte sie, ist ein Tempel, das heutige Theater dagegen eine Jahrmarkts-Bude. Wagner sprach die Sprache eines Priesters: Wie könnte eine Krämerseele — oder ein König - ihn verstehen? Die Residenz hüllte sich in Schweigen. * Das „Bayerische Vaterland“, eine konservative Zeitung, beschrieb die Szene mit den Rheintöchtern als ein „Huren-Aquarium“. Die Unterwasser-Damen seien splitternackt. Nicht einmal ein winziges Unterkleid habe man ihnen erlaubt. — Das war natürlich gelogen. Aber diese Szene hat von jeher Regisseuren Kopfschmerzen gemacht.

184

2 Einen Monat später, am 25. Oktober, kam Wagner mit strahlendem Lächeln und einem Brief des Königs in der Hand zum Frühstück herunter. Ludwig hatte das lange Stillschweigen gebrochen: zu sehr hatte er gelitten, zu einsam war es ihm in seinem Schloß in den Bergen geworden. Nun versuchte er, den Abgrund zu überbrücken, der sich zwischen ihnen aufgetan hatte. Sein Wunsch, „Rheingold“ zu hören, war so

groß, daß es alles andere aufwog, selbst die spezifischen Wünsche des Schöpfers dieses Werkes. Er liebte Wagner trotz alledem noch. Dessen Werke waren es, die ihn von den

so sehr verhaßten Regierungsaufgaben ablenkten, ihm Zerstreuung, Entspannung und eine Wohltat waren, dessen Freundschaft war fast das einzige, was ihm das Leben lebenswert erscheinen läßt. „Ihre Ideale sind die meinen, Ihnen zu

dienen meine Lebensaufgabe; kein Mensch ist imstande, mir wehe zu tun, doch wenn Sie zürnen, trifft es tödlich. Was ist

selbst der blendende Besitz der Krone gegen einen Freundesbrief von Ihnen?“ So schrieb Ludwig Mitte November 1869. Er schickte die üblichen Weihnachtsgeschenke, aber gleichzeitig auch die Zusicherung, daß seine Zuneigung für Cosima nicht erloschen war. Für die Kinder hatte er ebenfalls ein freundliches Wort. „O wıe beneide ich Sie, im herrlich trau-

ten Tribschen so ganz in Ihren idealen Sphären schweben zu können.“ Cosıma lächelte wieder. „Dicker Schnee draußen, viel Hel-

ligkeit innen.“ Sie begann, Richards nächsten Geburtstag zu planen. Aus Mailand ließ sie sich neue Garderobe kommen. „R. hat es überaus gern, wenn ich neue Kleider anhabe“. Die

Kinder hatten schwere Erkältungen, sie pflegte sie, schlief nachts kaum. Wagner zeigte ihr eine riesengroße Flinte. „Er wolle sich mit dieser erschießen, wenn

ich mich nicht pfleg-

te.“ Sie lachten darüber. Jedoch schon bald nach Jahresbeginn kam Ludwig auf ein unangenehmes

Thema

zurück.

Er

wollte

„Die

Walküre“

sehen, und zwar so bald wie möglich. Die Aufführung war schon geplant und Ludwig schrieb: „... entziehen Sie mir nicht die Lebensluft, indem Sie mir die Aufführung Ihrer Werke untersagen, in denen ich schwelge, die mir unerläßlich 185

sind, mitten im entsetzensvoll gräßlichen Berufsleben, das oft

geradezu zur Unerträglichkeit sich steigert...“ Hinter dem demütigen Bitten und Flehen erkannten Cosima und Wagner aber sehr wohl den Befehlston. Was sollten sie tun? Cosima und Wagner stimmten darin überein, „daß R. von den Nibelungen eigentlich lebt, ihnen verdankt er seine Existenz, deshalb müsse man noch Gott

danken, daß ein Wesen wie der König einen so sonderbaren Sparren im Kopf hat und die Dinger durchaus sehen und haben will, freilich ohne jeden großartigen Gedanken damit zu verknüpfen“. Kurz gesagt bedeutete das Nachgeben und Wagners Antwort lautete: Umbringen kann er das Werk nicht, ich kann es allein umbringen, wenn ich mit ihm breche und es nicht vollende. Daß er die Sachen jetzt so verdirbt, wird

den Eindruck

nicht vermindern,

wenn sie einmal in meinem Sinn aufgeführt werden, denn Tannhäuser und Lohengrin ist man mir ja noch immer schuldig. Diese große Darstellung aber erfordert einen allgemeinen Kulturzu- stand, trifft dieser nicht ein, so würden auch die vollkommensten Aufführungen in München nichts nützen. Alles dieses ist SchickSal ır;

Die Korrespondenz mit dem König riß nicht ab, Wagner schrieb immer häufiger, und Cosima las diese Briefe sorgfältig durch. „Ich bitte ihn einiges, das vielleicht kränken möchte zu verändern, was er denn auch tun will.“ Und er tat.

Der Frieden war wiederhergestell, denn im Grunde brauchte Wagner den König noch mehr, als der König Wagner brauchte — Cosima war die Friedensstifterin. Es gelang ihr, diesen Frieden sogar aufrechtzuerhalten, als Wagner die Bedingungen für seine Mitarbeit an der „Walküre“ stellte, die nicht nur unverschämt, sondern im Grunde

auch undurchführbar waren. So verlangte er, daß alle künstlerischen Entscheidungen nur von ihm getroffen werden sollten. Perfall, der Intendant des Opernhauses, sollte beurlaubt,

das Opernhaus für sechs Wochen geschlossen werden, allein vier Wochen davon Probenzeit. Alle Mitarbeiter würde Wagner persönlich aussuchen, und so weiter, und so weiter.

Alles diente einem einzigen Ziel: Zeit zu gewinnen, die Produktion so lange hinauszuzögern, bis er Cosima heiraten und mit ihr gemeinsam nach München kommen konnte. Die Scheidung war formell eingeleitet, aber „die Mühlen des Ge-

186

setzes mahlten langsam“. Als Cosima erklärte, unter den ge-

genwärtigen Umständen könne sie es nicht ertragen, mit ihm nach München zu gehen, selbst wenn es sich um ein so wich-

tiges Ereignis handle wie die Uraufführung der ‚„Walküre“, da antwortete er: „Dann um keinen Preis!“. (10. Januar 1870) Und er versuchte weiter, mit dem König zu verhandeln,

schrieb ihm sogar ein beschwörendes Gedicht, das er zunächst einfach mit „An den König“* betitelte. Aber auch hier mußte er eine Niederlage einstecken. Die Vorbereitungen für die Aufführung gingen zügig voran, und zwar ohne ihn. Die Verantwortlichen des Münchener Opernhauses sahen sich nach einem Dirigenten um, der mehr zu bieten hatte als Wüllner. Sie wandten sich daher an Hermann Levi, der in Karlsruhe bereits beachtliche Erfolge erzielt hatte. Dieser wiederum bat Wagner um Rat und Hilfe. (Cosima

schreibt, Wagner

achte ihn, „weil er sich wirklich

Levi wie ın der Bibel und nicht Löwe, Lewy etc. nennt“.) Wagner antwortete sofort, der Stil des Briefes läßt jedoch vermuten, daß Cosima ihn geschrieben hat, wie sie es jetzt überhaupt mit den meisten seiner Briefe tat: Luzern, 27. April 1870 Ihre sehr ehrenwerte Anfrage verdient eine ebenso aufrichtige Beantwortung. Daß man sich von München aus an Sie gewendet hat, geschah in der Annahme, endlich einen Dirigenten zu finden, der keinen Skrupel dagegen empfinden würde, mein Werk auch ohne meine persönliche Mithilfe zur Aufführung zu bringen. Dies war bisher nicht gelungen, und zuvor weigerten sich dessen die mir befreundeten tüchtigsten Dirigenten. Hat man sich nun auch in Ihrem Betreff bei jener Annahme getäuscht, so wird wohl weiter gesucht werden müssen. Da mir das Verhalten der Münchener Hoftheaterintendanz seit den im Verlaufe zweier Jahre an ihr von mir gemachten Erfahrungen irgend eine Berührung mit ihr unmöglich gemacht hat, ist meinerseits natürlich auch an kein Befassen mit einer Aufführung eines Werkes zu denken, für welche sie anderseits bereits alle diejenigen Dispositionen getroffen hat, welche einzig von mir auszugehen gehabt hätten, wenn meine Mitwirkung einen Sinn haben sollte. Trotz dieses Übelstandes besteht mein erhabener Gönner der König von Bayern auf der Erfüllung seines mir sonst so sehr schmeichelhaften Wun* Im „Braunen Buch“ setzte er den vielsagenden Zusatz „dernier effort“ hinzu. Es war also ein letzter Versuch, Ludwig umzustimmen. Das Gedicht hieß in seinem Brief an den König schließlich „Beim Herannahen des dritten Mai“.

187

sches, alsbald auch die Walküre sich vorgeführt zu sehen. Ich habe auch hierin nur ein Zeichen seiner huldvollen Gesinnung für meine Arbeiten zu verehren, und bin mir jeden Augenblick eingedenk, daß ich ohne die von der Gnade dieser königlichen Huld mir erwiesenen unermeßlichen Wohlthaten vielleicht bereits gänzlich verschollen wäre, und von niemand mehr beachtet sein würde, am allerwenigsten vom deutschen Volke und von

seinen Theaterdirektionen. Demnach habe ich mich auch zu der Erklärung bewogen gefunden, falls der Wille S. M. hierauf verharre, nichts gegen eine Aufführung meines Werkes - unter allen Umständen - einwenden zu wollen, wenngleich ich, da diese Auf-

führung zu meinem großen Bedauern öffentlich stattfinden soll, weiß, daß ich hiedurch eines meiner schwierigsten und problematischsten Werke den allergrößten Widerwärtigkeiten in Bezug auf unverständige Beurtheilung und gänzlich unklare Wirkung aussetze. Diesen Widerwärtigkeiten durch das einzige Mittel meiner allerpersönlichsten Mitwirkung in jedem Betreff der Darstellung und Aufführung zu begegnen, ist mir, wie ich am rechten Orte dies zu erklären keineswegs versäumt habe, unmöglich gemacht worden: Anstatt nun diese Unmöglichkeit, durch Beseitigung ihrer Gründe hinwegzuräumen, ist die Intendanz auf die Auskunftsmittel verfallen, welche auch Sie mit einer Einladung nach München betroffen haben. Somit tut es mir leid, auch Ihnen das erklären zu müssen, was ich nach München erklärt habe: Ich habe nichts dawider, wenn Sie

mein Werk dirigieren, vorausgesetzt, daß die Übereinkunft in diesem Bezug einzig zwischen Ihnen und der Münchner Intendanz vorgeht, ich selbst aber in keiner erdenklichen Weise dabei in Anspruch genommen werde. Ich ergreife diese Gelegenheit gerne, um Ihnen meine Freude darüber auszudrücken, daß ich nur Rühmliches über Ihre Direk-

tion meiner Meistersinger in Karlsruhe vernommen, und namentlich sehr zu Ihren Gunsten vergleichende Beurtheilungen der Dresdener Aufführung mit der Ihrigen erfahren habe. Wie wohlthuend es für mich ist, einen Mann von wahrem Talent als Dirigenten eines deutschen Operntheaters begrüßen zu können, brauche ich Ihnen nicht erst zu versichern! — Mit größer Hochachtung empfiehlt sich Ihnen Ihr ergebenster Richard Wagner. P.S. Ich eröffne diesen Brief noch einmal, um Ihnen zu sagen, daß ich Ihnen, falls auch Sie hierin einen Weg zur Aufklärung der betreffenden Angelegenheit erkennen würden, die Veröffentlichung meines Schreibens gern gestatte.

183

Levi schrieb auf den Brief: „Was ich vorläufig zu unterlas-

sen gedenke, zumindest so lange ich lebe. L.“ Er lehnte den Auftrag zu dirigieren ab. Aber der König zeigte sich unnachgiebig: Die Aufführung hatte stattzufinden. Also sandte Düfflipp einen beschwörenden Brief an Bülow: Bitte kommen dienen, der Kunst zu

Sie, helfen Sie uns, dem König zu dienen. Bülow lehnte ebenfalls ab.

Schließlich nahmen sie doch Wüllner. Wagner versank in Schwermut. Es war nicht nur verletzte Eitelkeit, die seine düstere Stimmung verursachte. Und wie sich später erweisen sollte, hatte er eigentlich nichts dagegen, wenn die Teile der Tetralogie auch einzeln aufgeführt wurden. Sein jetziger Einwand war nur noch ein Vorwand. In Wirklichkeit ging es ihm nur um eines: Cosima zu schützen. Cosima versuchte mit allen Mitteln, Wagner aufzuheitern, der ihr sagte: „Wenn nicht das Kunstfeuer und Liebeswärme mich erhielten, ich lebte nicht mehr“. Abends nahm sie die Theaterstücke, die er besonders gern mochte, zu Hilfe: Aristophanes’ „Die Frösche“, Kleists „Käthchen von Heilbronn“, Goethes „Faust“, Shakespeares „Wie es Euch gefällt“ und den „Kaufmann von Venedig“. — In der Stille von

Tribschen

deklamierte

Wagner

die jeweiligen Hauptrollen

der Stücke. Auch die Kinder sollten ihn ablenken, was ihnen

zuweilen auch gelang. Er tollte mit den Mädchen herum und ließ Fidi auf „Grane“ reiten, einem zahmen

Pferdchen, das

der König als Geburtstagsgeschenk gesandt hatte. Sie fuhren nach

Luzern,

um

eine wahre

Schokoladen-Orgie

zu veran-

stalten. Er lehrte Blandine und Daniela ein paar Melodien auf dem Klavier, bis Cosima es übernahm, ihnen etwas syste-

matischeren Unterricht zu geben. Er schnitt den Kindern die Zehennägel, erzählte ihnen die Nibelungen-Sage in vereinfachter Form

und las ihnen

„Robinson

Crusoe“

vor. Aber

bald danach dachte er wieder an München und den König und zog sich grollend in sein Arbeitszimmer zurück. Je näher

der Tag der Premiere

rückte,

um

so nervöser

wurde Wagner. Deshalb ordnete Cosima schließlich an, daß alle Briefe mit dem Münchner Poststempel zuerst zu ihr gebracht werden sollten, und sie unterschlug ihm die Berichte

über die Proben (es waren fünfundzwanzig) ebenso wie einen Artikel in der „A. A. Z.“ über die Generalprobe. (Sie riß die

entsprechende Seite aus der Zeitung.) Die Premiere fand am 26. Juni 1870 statt. Es war ein großartiger, ein geradezu spek189

takulärer Erfolg, der Wagners Überzeugung zunichte machte, das Publikum würde die „Problematik“ der „Walküre“ nicht

verstehen. Das Publikum verstand sehr wohl und war überwältigt von

der Größe

dieses Werkes.

„Wir erwähnten

mit

keinem Worte gestern der Aufführung“, schrieb Cosima am 27. Juni in ihr Tagebuch. Das Telegramm eines unbekannten Verehrers mit dem merkwürdigen Namen Napoleon Komolatsch, das über den unendlichen Jubel nach dem ersten Akt berichtete, amüsierte allerdings beide. Während Nietzsche aus Freundschaft zu Wagner nicht zur Uraufführung gegangen war, fuhr Liszt mit einem „Troß von Bekannten“ nach München. „Wie verschieden“, so Cosima, „dieses Leben von

dem unsrigen, wie nach außen gekehrt, zerstreuungsbedürftig, wie groß die Kluft zwischen uns!“ Wagner verhielt sich, trotz allen Ärgers, den er Liszt, Wüllner oder Ludwig gegenüber empfand, ruhig. Und stillschweigend arbeitete er an der „Götterdämmerung“ weiter. Daß er dazu in der Lage war, war Cosimas Verdienst. Auch ihr gelang es, sich mit der Situation abzufinden. ‚Gestern wollte ich durchaus an Herrn

Wüllner schreiben, um ihm seine ganze Untat darzustellen. Heute finde ich es vernünftiger und würdiger zu schweigen.“ (30. Juni 1870) Siebzehn Tage später, am 17. Juli, erklärte das durch Bismarck provozierte Frankreich Preußen den Krieg. Die Kriegserklärung wurde von Ollivier, Cosimas Schwager, geschrieben. Wagners französischen Freunde, die durch Deutschland gereist waren, versammelten sich in Tribschen,

bevor sie nach Hause zurückkehrten: Judith

Gautier,

de L’Isle-Adam,

Catulle Mendes

Saint-Saöns,

Duparc.

und Die

politischen Diskussionen waren zuweilen sehr spannungsgeladen, aber dank Cosimas Geschicklichkeit als Gastgeberin wechselte man auf ein Gespräch über Kunst, und SaintSaens begleitete Wagner auf dem Klavier zu Auszügen aus dem „Ring“. Schweren Herzens mußte sich Ludwig von seiner liebsten Beschäftigung, der Realisierung von Wagners Werken auf der Bühne, abwenden. Schwerere Probleme standen an. Mußte Bayern, das vertraglich an Preußen gebunden war, seiner Verpflichtung nachkommen und gegen Frankreich in den Krieg ziehen? Das bayerische Parlament war in zwei Lager gespalten. Eine Seite empfahl „bewaffnete Neutralität“, die andere rief „Zu den Waffen!“. Ludwig, der sich vor

190

Menschenmengen wie vor einem Waldbrand fürchtete, faßte den Entschluß, sich zu zeigen, um die „Stimmung“ seines Volkes zu „erkennen“. Am 17. Juli zeigte er sich auf dem

Balkon der Residenz und wurde mit enthusiastischer Begeisterung begrüßt. Gerührt und erfreut, kam er immer wieder hervor und winkte der Menge fröhlich zu. Seine Berater erklärten ihm, falls Bayern neutral bliebe, wäre es wohl in der

Lage, einen Sieg der Franzosen zu überstehen, nicht aber den der Preußen. Wie sehr er diesen Krieg haßte, wie er seit jeher

alle Kriege gehaßt hatte! Von elf Uhr nachts bis drei Uhr morgens beriet sich Ludwig mit dem Ministerpräsidenten und stellte ihm immer wieder die Frage, ob es irgendeinen Weg gäbe, diesen Krieg zu verhindern. Um fünf Uhr morgens traf er die Entscheidung. Er sprach die Kriegserklärung aus, und zwar in der Sprache des Landes, mit dem er sich schlagen würde. „J’ordonne la mobilisation, informez-en le Ministre de la Guerre.“

Am selben Tag schrieb Cosima in ihr Tagebuch: „Wie hassenswürdig erscheint die französische Nation!“

191

8. KAPITEL

Cosima verändert sich

Zwischen den Uraufführungen von „Rheingold“ und „Wal-

küre“ hatte Wagner einen Entschluß gefaßt, den er vor dem König geheimhielt. Es versteht sich von selbst, daß Cosima davon

wußte.

Sobald

er die „Götterdämmerung“

beendet

hatte, wollte er den gesamten „Ring“ als Einheit aufführen. Er selbst würde die musikalische und szenische Einstudierung beaufsichtigen und sich die besten Sänger, Musiker, Bühnentechniker und Bühnenbildner suchen und einarbeiten. Das Ganze sollte eine Art nationaler Festspiele werden. Nach dem ‚„Fehlschlag“ von München war er überzeugt, daß

er anderweitig nach einem Theater suchen mußte, um seine hochfliegenden, ehrgeizigen Pläne verwirklichen zu können. Es war ihm völlig klar, daß er damit dem König die Treue brechen

würde.

Was

sollte

aus

jenen

„Medici“-Plänen

werden, die Ludwig und er zusammen gehegt hatten? Was aus. jenem Projekt, wonach aus München ein modernes Florenz werden sollte, eine Keimzelle und hohe Schule der Künste, besonders der Musik und des Theaters? Was war mit jenem edlen Bestreben, durch das beide, Ludwig und

Wagner, die stumpfen, schwerfälligen Deutschen zum Firmament ihres Kunsthimmels erheben würden? All das spielte keine Rolle mehr, solange Wagner erreichen konnte, was sein

Kopf und Herz ersehnten: Tetralogie,

bei der den

Die Realisierung der gesamten

musikalischen,

dramatischen,

bild-

technischen und philosophischen Aspekten gleichviel Aufmerksamkeit gewidmet wurde, wobei letzteres für Wagner ebenso wichtig war wie ersteres. Um diesem Anspruch ge193

rechtwerden

zu können,

brauchte

er einen Ort, ein Theater

und eine Organisation, die ausschließlich unter seiner Aufsicht standen. Was den Ort anging, so sprachen er und Cosima am 5. März 1870 zum x-tenmal über den idealen Platz für jene „Ring“-Aufführung. Er hatte gerade einige Auszüge aus der „Walküre“ gespielt und Cosima schlug vor, „er solle doch im

Conversationslexikon

nachschauen,

Artikel Baireuth

[sic!];

diesen Ort hatte R. genannt als den, den er wählen wollte, zu

unserer Freude lesen wir unter den Gebäuden ein prachtvolles altes Opernhaus darin aufgeführt!“ Daraufhin bat Cosima einen Luzerner Buchhändler, ihr Bücher über Bayreuth zu besorgen, im Oktober wurden sie angeliefert. Beide, Cosima und Richard, waren

sich darüber

im klaren, daß in ihrem

Leben bald eine große Veränderung eintreten würde, daß sie Tribschen, jenes Refugium, das sie so sehr liebten, verlassen mußten. „Wie seltsam ist doch mein Schicksal“, schrieb Cosima, „das mich ewig unter einer drohenden Wolke sein

läßt.“ Und Wagner fragte: „Wie glaubst Du, daß es mit dem König und mir endet.“ (21. März 1870). Tags darauf erhielt Cosima einen Brief von Düfflipp, in dem er verschiedene Vorschläge für die Aufführung

machte. Was für „ein Jammer“!

der „Walküre“

in München

Wagner wollte dem König

offen und sofort antworten, entwarf einen Brief, den er dann

aber doch nicht abschickte.* Cosima schrieb schließlich selbst an den König, daß sie ihre Meinung zum Thema München weder ändern könnten noch würden. Keiner gestand dem anderen, wie nervös er war. Aber trotz ihrer Beklommenheit und Angst gab es für beide glückliche Augenblicke in jener Zeit - zum Beispiel, als Fidi zum erstenmal „Papa“ sagte, als Wagner die Schwur-Szene im zweiten Akt der „Götterdämmerung“ beendet und sie für gut befand, als Nietzsche zu Besuch kam, als Deutschland siegreich aus

den Kämpfen hervorging. Am 28. Januar 1871, etwa sechs Monate nach Kriegsbeginn, kapitulierte Paris. Cosima war außer sich vor Freude, als sie die Nachricht erhielt. ‚„Elektri-

siert springe ich auf und frage, ob es denn wahr sei? Wirklich ist es wahr, Jakob [ein Diener] hat die Nachricht aus der * Der Brief ist nicht erhalten; der dieser Tagebuchseite beigelegte Entwurf sammelt Argumente gegen München, enthält sich jedoch ganz des sonst gebräuchlichen Wagnerschen Briefstils der Korrespondenz mit dem König. Vielleicht hatte Cosima ihn aufgesetzt.

194

Stadt gebracht, ganz gemächlich nach Schweizer Art.“ (28.

Januar'1871) Wilhelm I. wurde in Versailles zum deutschen Kaiser erklärt. Wagner hoffte, „daß mit dem Kaiserthron

auch ganz

andere Verhältnisse entstehen werden“. Aber die Lobgesänge auf den Sieg konnten trotz allem nicht ihre und Wagners Unruhe und Unsicherheit beseitigen: Wie würde Ludwig auf die Bayreuther Pläne reagieren? Sie waren sich keinen Augenblick über die Tragweite dieser Entscheidung im unklaren. Sie wußten, daß sie „um des Werkes

willen“ auf ihre Ruhe würden verzichten müssen. Cosima bekräftigte Wagner, daß er nicht nachgeben sollte. Aber es sollte Monate dauern, bevor er den Mut fand, dem

König seinen Plan, und auch dann nur in wenig präzisen Formulierungen, zu offenbaren. Am 1. März 1871 schließlich, mehr als neun Monate nach der Uraufführung der „Walküre“, schrieb er an Ludwig über die Absicht, den Plan

eigener Bühnenfestspiele öffentlich darzulegen: ‚Mein Zweck ist, hierdurch — im günstigsten Falle — ein deutsches National-Unternehmen hervorzurufen, dessen Leitung natürlich mir gänzlich allein nur in die Hände gelegt werden darf.“ Ludwig schrieb darauf am 19. April an Düfflipp: „Der Wagner’sche Plan mißfällt mir sehr.“ Drei Tage später fuhren Cosima und Wagner ab, um Bayreuth zu inspizieren. Als Cosima Bayreuth um fünf Uhr nachmittags zum ersten Mal

sah, fand

sie den

Ort

bezaubernd,

aber

des Nachts

bekam sie einen großen Schrecken: Richard hatte Fieber und Schüttelfrost. War das ein Wink des Schicksals, fragte sie sich. Sie ließ sofort einen Arzt holen und folgender Dialog entspann sich mitten in der Nacht: Arzt: Was einem doch alles passieren kann! Wer mir gesagt hätte, daß ich noch diese Nacht R. Wagner’s Bekanntschaft machen würde. Sie sind doch der Richard Wagner, ich meine den gewissen R. Wagner? Wagner: Sie meinen den, der die hübschen Sachen geschrieben hat? Ja, der bin ich.

Alle drei lachten, und der Arzt verordnete Wagner Bettruhe. Schon am nächsten Tag war er wieder wohlauf, und so gingen sie sich das im 18. Jahrhundert erbaute Markgräfliche Opernhaus ansehen. Obwohl es mit seinen vergoldeten Verzierungen, Schnörkeln und Muscheln für reizend befunden 195

wurde, war es doch völlig ungeeignet für Wagners Zwecke. Cosima: „Also bauen, und um so besser.“ Wo würden sie wohnen? Sie fuhren durch die ganze Stadt. „Nichts konve-

niert ganz, also auch für uns bauen.“ Die Wahl Wagners war auf Bayreuth gefallen. Warum? Zum ersten lag es im Herzen Deutschlands, im mittelalterlichen Frankenland, wo alte Burgen und Schlösser standen, wo

die Minnesänger ihre Lieder gesungen hatten, die den Beginn deutscher Iyrischer Dichtung markierten. Zum zweiten gehörte Bayreuth zu Bayern, lag in Ludwigs Herrschaftsbereich, so daß eine Zustimmung des Königs zu diesem Vorhaben zumindest nicht aussichtslos war. Zum dritten war Bayreuth schwierig zu erreichen; es erforderte besondere Anstrengung, dorthin zu gelangen, und Wagner wollte ja, daß sein Publikum auf „Pilgerfahrt‘“ ginge. Zum vierten war es kein Kurort

oder eine moderne

weltstädtische

Zivilisation,

sondern eine kleine Stadt im Hinterland, die vielleicht sogar dankbar für einen Aufschwung war. Cosima gefiel Bayreuth aus einem fünften Grund: Es war umgeben von Wäldern und Feldern, ein Paradies für Kinder. Außerdem war die Fränkische Schweiz als geeignetes Ausflugsziel für Picknicks und Wanderungen in der Nähe. In Bayreuth sollte Wagner bald begeisterte Unterstützung finden: an erster Stelle und vor allem im Bankier Friedrich Feustel, der sich als ein Muster an Nützlichkeit erwies und

ein lebenslanger Freund bleiben sollte, an zweiter Stelle im “Bürgermeister der Stadt, Theodor Muncker. Angefeuert durch diese beiden bemerkenswert idealistischen Männer und in der Erwartung, daß bald das Geld in Strömen in die Stadt fließen würde, beschlossen die Verantwortlichen der Stadt, Wagner das Grundstück, auf welchem das „Nationaltheater“ gebaut werden sollte, zu schenken. Beide, Muncker

und Feustel, mochten Cosima sehr gern und umgekehrt war es das gleiche. Sie fungierte als Vertreterin ihres Mannes und tat dies, wie Muncker sagte, „mit ebenso liebenswürdigen wie klugen Zureden.“ Am 8. Januar 1872 tauchten Feustel und Muncker unerwartet in. Tribschen auf. Sie mußten Wagner mitteilen, daß der Besitzer eines Teils des am Stuckberg gelegenen Grundstückes sich weigerte zu verkaufen. Wagner bekam einen Wutanfall, schwor, er werde Bayreuth aufgeben, und verbot seinen beiden Besuchern, die gekommen waren, um ihm ein

196

anderes Grundstück vorzuschlagen, das Projekt überhaupt noch zu erwähnen. Damit waren die beiden Männer wieder entlassen.

Aber bevor sie Luzern

verließen, beschlossen

sie

umzukehren, und zweifellos war ihre Entscheidung von Cosima beeinflußt. Nun fand eine erneute Besprechung statt, und Cosima überzeugte Wagner schließlich davon, daß der zweite Bauplatz eigentlich besser war als der erste. Dem war auch so. Die zahlreichen Bewunderer von Wagners Musik brachen postwendend in lebhafte Begeisterungsstürme aus. Ein Festspielhaus für das neue Deutsche

Reich, dazu bestimmt, die

Werke des größten lebenden Komponisten aufzuführen - es war eine grandiose Idee! Aber sehr bald lernten Wagner und Cosima wieder einmal den Unterschied zwischen großen Worten und barer Münze kennen. Trotz der schönen Reden,

trotz solcher Bekundungen, daß Bayreuth beweisen werde, daß man von nun an auch mit der offiziellen Kunst der Deutschen wird rechnen müssen, oder daß das Theater die politische Stärke der Nation untermauern werde, trotz der Bemü-

hungen des Verwaltungsrates und des neu gebildeten „Richard-Wagner-Vereins“ kam nicht annähernd genügend Geld in die Kasse, um den Plan zu finanzieren. Was für Philister waren doch „seine“ Deutschen! „Von den Deutschen, und namentlich von seinen ‚engeren‘ Landsleuten, muß man

sich nun einmal nicht viel erwarten: wenn es einer LokalSpielerei gilt, ist das etwas anderes, aber — ein großer schwungvoller Gedanke, wenn der nicht von oben her kommandiert wird... Ach! Herr Je! Wir kennen das, und ich

weiß auch, was ich von der glorreichen deutschen Nation zu halten habe.“ Aber Cosima machte ihm Mut: Er mußte und er würde Erfolg haben. Vom ersten Augenblick an setzte sie sich für das Projekt ein, ohne jemals wankelmütig zu werden. Im Frühjahr beschloß er, eine Konzerttournee zu unternehmen - zwar ungern, aber um Gelder aufzubringen, war es

notwendig. Anfang Mai 1871 führte ihn diese Konzertreise nach Berlin, wo zu seinen Ehren auch ein Bankett gegeben wurde.

Die

führenden

Wissenschaftler,

Staatsmänner

und

Schriftsteller waren dazu eingeladen. Wagner unterhielt sich mit Gastgeber

Bismarck,

dem

Erbauer

des neuen

Reiches,

der ihn reichlich mit Komplimenten bedachte, ihm jedoch erklärte, er könne kein Interesse für irgendwelche Kunstpläne aufbringen, weil er schon Sorgen genug habe. Abgesehen 197

davon: warum sollte Preußen sich mit etwas befassen, was doch offensichtlich eine Angelegenheit Bayerns war. Das Konzert in Berlin, in dem Wagner unter anderem den „Kai-

sermarsch“ und Auszüge aus eigenen Werken dirigierte, wurde auch von Kaiser Wilhelm und seiner Gemahlin Augusta besucht. Wagner, der müde und abgespannt war, konnte die gesellschaftlichen Verpflichtungen guten Gewissens Cosima überlassen. Sie unterhielt sich mit König Georg von Hannover, der Gräfin Liechtenstein oder Baronin Pourtales,

und überzeugender als je zuvor sprach sie von „wir“: „Wir werden die deutsche Kunst retten, wir bauen für die Nation,

aber Sie müssen dazu beisteuern.“ Cosima identifizierte sich so sehr mit Wagners Plänen, daß sie zuweilen den Eindruck des Mit-Initiators erweckte. Einzig ihm gegenüber blieb sie bescheiden. Als „Wanderpredigerin Cosima“ machte sie sich

ebenso viele Feinde wie Freunde — viele wandten sich von ihr ab, viele zog sie an. Das Phänomen Bayreuth veränderte sie. Sie betrachtete sich selbst nun nicht mehr ausschließlich als die Gefährtin eines Genies, sondern vielmehr als Teil einer nationalen Institution. Mehr noch: sie begann, sich selbst als unsterblich zu sehen, als ‚„‚vates sacra“ einer neuen Kunst.

Die kalte Dusche kam in Form eines Briefs von Düfflipp, der eine unangenehme Nachricht vom König enthielt. Ludwig hatte sich nicht einmal herabgelassen, Wagner selbst zu schreiben. Der König läßt nun erklären, daß er erstens in Erfahrung gebracht habe, daß die Theater-Unternehmung viel höher als 900 000 Th. kommen würde, auch würden die vielen Feste den Bayreuthern viel Unkosten machen, zweitens, daß Bayreuther

Blätter von dem Luxus unseres Hauses redeten, was dem König sehr unangenehm sei, 3.s daß der König Siegfried fordere, da er ihn durch Kauf erworben habe. [Tagebuch, 26. März 1872]

Die Nachricht regte Cosima so sehr auf, daß die diesem Eintrag folgenden Worte nicht mehr entziffert werden konnten. Sie bat Richard, dem König das Grundstück zurückzugeben, auf dem ihr Haus gebaut werden sollte und das Ludwig ihm

geschenkt

hatte.

Und

„Siegfried“

betreffend,

solle er

dem König mitteilen, daß die Partitur noch nicht vollendet sei. (Das war eine pure Lüge. Die Partitur war schon seit Februar 1871, also seit einem Jahr, fertig.) 198

So sind wir denn dem alten Elend preisgegeben; lange Beratung mit R., er wird von den Bayreuthern eine Erklärung fordern; fällt diese kleinlaut aus, so geben wir unser ganzes Projekt auf, denn wir können nicht bestehen, wenn der König selbst gegen uns auftritt. Auch würde R. wahrscheinlich sein Gehalt aufgeben müssen, und wir sehen, wie wir auskommen.

Die Antworten von Feustel und dem Bürgermeister waren keineswegs lauwarm, sondern vielmehr enthusiastisch und er-

mutigend. Sie drängten Wagner, unter allen Umständen wei-. terzumachen. Also unternahm er in den ersten Monaten des Jahres 1872 mehrere Reisen, um mit Architekten, Bauleuten,

Anwälten und Geldgebern zu sprechen. Wo immer er auch war, er fühlte, „wenn ich zu Hause war, war ich an einem besseren Ort“. Er sehnte sich nach Cosima, und er erklärte

ihr seine Liebe in jedem Brief: ‘ Schlaf”, wohl Du Herrliche, Einzige! Immer bin ich, und ewig

bleibe ich bei Dir! [Berlin, 26. Januar 1872] „Ich habe mein ‚niederschlagendes‘ Tränkchen vor mir, und hoffe

auf eine tief friedliche Nacht. -— Wem verdanke ich sie? Alles Gute, Göttliche nur Dir, meinem hehren Weibe!“

[Berlin, 27. Januar] „Ich liebe Dich über alles Denken u. Fühlen hinaus, meine Herr-

liche! — Schlaf süss!“ [Bayreuth. 1. Februar] „Ach! Nun küsse die Kinder, und habe mich liebe, lieb, lieb! — Ich athme in Dir und ahne großes Heil in Dir, mit Dir! Zaubern will ich und kann es, aber nur für Dich!“ [Bayreuth, 24. April] Cosıma dachte schweren Herzens daran, daß sie nun Trib-

schen aufgeben und dem stillen See und den Bergen Lebewohl sagen mußten, daß sie jenen friedlichen Ort verlassen sollten, wo sich ihre Liebe erfüllt hatte! Nietzsche war bei ihr

in jenem April 1872. Er saß zwischen Kisten und Kasten, während

Cosima,

in Aufbruchstimmung,

hastig versuchte,

die wichtigste Korrespondenz zu erledigen und etwas Ordnung in die Berge von Briefen und Notizen zu bringen, die sich in der Bibliothek angehäuft hatten. „Wohin ziehen wir, was steht uns bevor, wo unsere Heimat?“, sorgte sie sich. „Herrlicher Sonnenuntergang; Bergleuchten, Baumesblüte,

der Kuckuck ruft, die Kühe läuten, eine Amsel schlägt, wehmütiger Abschied! Wundervoller Mondschein über dem 199

Wasser, strahlende Stille um mich herum — wie anders wird

es werden!“ Aber es mußte sein. Er wollte es so. Mit oder ohne König - Cosima war überzeugt, daß es Wagner gelingen würde, eine ausreichende Anzahl idealistischer Landsleute zu finden, um sein Projekt zu verwirklichen. Am 29. April verließ Cosima in einem Platzregen mit den fünf Kindern, zwei Hausangestellten und dem Hund Russ endgültig Tribschen. Lulu hustete und Loldi fiel in eine Pfütze, und während ihr Dampfer den Züricher See überquerte, tobte ein Unwetter. Die Riesenmengen an Handgepäck, die an der Grenze kontrolliert werden mußten, erschie-

nen ihr endlos, erst am Nachmittag des nächsten Tages um halb fünf Uhr kamen sie schließlich in Bayreuth an. Wagner erwartete sie am Bahnhof. Glücklich und strahlend nannte er sie „seine Lebenskraft“.

Sie fuhren zum

Hotel „Fantaisie“,

das etwas außerhalb, westlich von Bayreuth lag. Wagner hatte alle Räume, die sie bewohnten, mit Blumen geschmückt. Am 22. Mai, an Wagners Geburtstag, fand die Grundstein-

legung des Bayreuther Festspielhauses statt. Wieder regnete es in Strömen. Trotzdem waren Hunderte von Männern und Frauen gekommen, die respektvoll auf dem leeren Bauplatz standen. Auch der König hatte ein Gratulationstelegramm, eine reine Höflichkeitsgeste, geschickt, das mit in der Kapsel verschlossen wurde. Die Schuhe der Gäste staken im Schlamm, die Feierlichkeit mußte abgekürzt werden. Aber Wagner nahm sich die Zeit für drei Hammerschläge und sagte: „Sei gesegnet mein Stein, stehe lang und halte fest!“ Dann wandte er sich ab, um seine Tränen zu verbergen.

Auch Nietzsche war anwesend. „Als an jenem Maitage des Jahres

Jahre später schrieb er: 1872 der Grundstein

auf

der Anhöhe von Bayreuth gelegt worden war, bei strömendem Regen und verfinstertem Himmel, fuhr Wagner mit einigen von uns zur Stadt zurück; er schwieg und sah dabei mit einem Blick lange in sich hinein, der mit einem Worte nicht zu bezeichnen wäre. Er begann an diesem Tage sein sechzigstes Lebensjahr: alles Bisherige war die Vorbereitung auf diesen Moment.“ Cosima bekam an diesem Tag einen Vorgeschmack auf ihr zukünftiges Leben. Nachdem sie mit ihren Kindern auf der Bühne des Markgräflichen Opernhauses sitzend, ihrem Mann zugesehen hatte, während er Beethovens „Neunte

200

Symphonie“ dirigierte*, präsidierte sie einem Festbankett, das sich durch die üblichen langen Reden endlos hinzog. Am nächsten Tag war sie Gastgeberin für einen Strom von Besuchern, freundlich und geduldig mit jedem einzelnen, denn wer weiß?- es konnte sich um zukünftige Geldgeber handeln. Am darauffolgenden Morgen nahm sie an der Besprechung mit Karl Brandt teil, dem außergewöhnlich begabten Schöpfer wahrer Wunderwerke der Bühnentechnik. Danach bereitete sie sich auf die vielen Besucher vor, darunter „ein englischer Zeitungsschreiber, welcher sehr enttäuscht vom Düsseldorfer Musikfest und ganz entzückt und erfüllt von unsrer Feier spricht.“ All diese Verpflichtungen übernahm sie mit der größten Selbstverständlichkeit, zusätzlich zu ihren Aufgaben als Sekretärin und rechte Hand ihres Mannes und ihrer Mitarbeit an der Planung des künftigen Wohnhauses. Die Schwierigkeiten dieser verschiedenen Arbeiten sowie die Erkenntnis, daß noch größere Probleme auf sie zukommen würden, machten die harte Seite ihrer Persönlichkeit noch

härter. Die Probleme vervielfachten sich, der Druck und die An-

spannung wurden immer größer. Gerade zu diesem Zeitpunkt trat die Mißstimmung zwischen ihrem Mann und ihrem Vater deutlicher hervor. Cosima glaubte, die Entfremdung durch einen Besuch in Weimar aus dem Weg räumen zu können, nachdem sich Liszt trotz Wagners dringlicher Einladung geweigert hatte, zur Grundsteinlegung zu kommen. Zuerst sträubte sich Wagner, aber nach einer Weile meinte er: „Ja, man muß diplomatisieren“, und er schrieb einen „diplomatischen“ Brief an Liszt, in dem er anfragte. ob

ihr Besuch willkommen fuhren hin.

wäre. Er war willkommen

Liszt freute sich über das Wiedersehen,

und sie

vermied jedoch

jedes vertrauliche Gespräch mit seiner Tochter, indem er sich ständig mit Leuten umgab, ob zum Mittagessen, zum Abendessen oder danach.

Cosima betrübte es, ihn nicht nur unter

dem Einfluß von Carolyne Wittgenstein (die in Rom war) zu sehen,

sondern

auch

dem

seiner

neuesten

Freundin,

der

jungen Baroneß Olga Meyendorff (sie spielte in der Gesellschaft Weimars eine Rolle), die nun mit Entschiedenheit die, Zügel seines Lebens in die Hand genommen

hatte. „Ich bin

* Bülow schrieb ihr und stellte sie zur Rede: Die Kinder auf der Bühne sitzen zu lassen!

201

durch die Seelenmüdigkeit des Vaters furchtbar ergriffen; am Abend, wie er kaum sprach und ich alles mögliche erzählte,

... Ich mußte nachts viel weinen... die Vision des Lebens Tragik des Vaters ging mir auf... .“, so schrieb sie in ihr Tagebuch. (3. September 1872) Liszt spielte für sie auf dem Klavier, Präludien von Chopin, das Andante aus Beethovens G-Dur-Konzert und unglücklicherweise auch seinen eigenen „Mephisto-Walzer“.

Wagner verabscheute letzteren, und als

sie Tage später nach Hause abfuhren, brach er in einen wütenden Eifersuchtsanfall aus. Im November unternahmen Wagner und Cosima zusammen eine Informationsfahrt in sechzehn deutsche Städte. Sie wollten herausfinden, welche Sänger man als vielversprechend und für die Festspiele geeignet ansehen konnte. Die Reise war entmutigend. Wagner wurde zwar mit Fackelzügen, Serenaden, Lorbeerkränzen und Banketten geehrt, aber die dargebotenen Aufführungen waren von erbärmlich niedriger Qualität. Die Sänger präsentierten sich fast immer nach dem gleichen Muster: Sie schritten im Rampenlicht bis an den Bühnenrand und schmetterten und stemmten die hohen Noten mit aller Gewalt ins Publikum, während die Dirigenten sich zu schüchternen Begleitern degradieren ließen. Wagner verließ oft schon nach dem ersten Akt fluchtartig das jeweilige Opernhaus. In Bremen hörten sie „Die Meistersinger“. Als Wagner und Cosıima das Theater betraten, wurden

sie mit einem Tusch

des Orchesters und heftigem Applaus vom Publikum empfangen. Cosima schrieb: Wirklich

hat der Konzertmeister

mit seinem

sehr kleinen,

aber

aus tüchtigen Musikern bestehenden Orchester alles Mögliche geleistet. Die Regie aber wiederum sehr erbärmlich, und das ärgste, Herr Schott hat für gut gefunden, die Mannheimer Stimmen hierher zu schicken, diejenigen, die Herr Lachner

[der Münchener

Dirigent], welcher selbst im „Freischütz“ streicht, hergerichtet hat, der ganze dritte Akt dadurch unkenntlich und langweilig... R. erinnert mich mit Tränen in den Augen an die Zeit, in welcher er dies geschrieben. Wenn künftige Generationen sich an dem einzigen

Werke

laben,

möchten

sie gedenken,

unter

welchen

Tränen dieses Lächeln erblühte! ...[8. Dezember 1872]

Cosima genoß zwar derlei Beifall, aber sie sehnte sich inzwischen doch sehr nach den Kindern und konnte es kaum

202

erwarten, sie wiederzusehen. Als sie schließlich zu Hause ankamen, war sie bekümmert, weil Boni und Eva sehr spitz und

Fidi blaß und leidend aussah. Andere Sorgen kamen dazu: Zum einen war sie bestürzt über die ständig steigenden Kosten für den Bau ihres künftigen Heimes, zum anderen mußte sie erfahren, daß der König für niemanden zu sprechen war. Ludwig gab seinen Ministern Anweisungen und Befehle nurmehr über seinen Diener, angeblich gab er ein Vermögen dafür aus, seine Jagdhütten in verschwenderischem Louis XTV.-Stil auszustatten, und schließlich hieß es,

er verfluchte Preußen und das jetzige Deutschland. Das war kein gutes Omen! Und schlimmer noch: drei Tage nach ihrer Rückkunft, am 18. Dezember 1872, fühlte Wagner Schmerzen in der Brust. Sie ließ den Arzt rufen, der ihm Ruhe ver-

ordnete. Cosima wußte, daß die Sorge um Bayreuth und diese ungeheure Aufgabe, die er sich selbst gestellt hatte, an seiner Gesundheit zehrten und sein Herz angriffen. Aber konnte man den fahrenden Zug jetzt noch anhalten?

2 Wagner mußte weitermachen.

Seine Geldgeber hielten ihre

Versprechungen nicht ein, es fehlte an Geld, um die Poliere,

Maurer und Arbeiter zu bezahlen. Es war überhaupt nicht mehr abzusehen, ob die Festspiele jemals Realität werden sollten. Traurigen Herzens machte Cosima den letzten Eintrag des Jahres: R. sehr unwohl, geht früh zu Bett; ich sehe auch die Hausbücher

durch, beklage die großen Ausgaben! Kinderkleidungen bereitet und ausgesucht. R. steht wieder auf — Klagen! Der Kummer mache ihn krank. Ach ich glaube es; was liegt vor ihm, und wie wird er dazu ermutigt?... Es ist nun bald zwölf, indem ich dieses schreibe; schwer endet dieses Jahr, schwer liegt es vor uns; R. ist lebensmüde,

und ich

kann ihm nur folgen, mit ihm leiden, nicht helfen! Nur Glauben habe ich, Hoffnung aber kaum — die Welt ist nicht unser, sie gehört anderen Mächten. Gern aber will ich leiden bis an mein Lebensende, und ich bin lieber traurig als froh — könnte ich es nur

203

für mich allein sein. Wir haben aber nichts zu wählen und sollten

nichts wünschen, nur hinnehmen was kommt... [31. Dezember 1872]

Wegen der finanziellen Probleme machte sie sich mehr Sorgen als er. Es machte sie wahnsinnig, daß Wagner Verpflichtungen übernahm,

bevor er wußte, woher er das Geld

bekommen würde. Sie sagte nichts dazu, denn sie wollte nicht, daß ihre Zweifel seinen angegriffenen Gesundheitszustand, den er seinerseits vor ihr zu verbergen

suchte, noch

verschlechterten. Und unablässig nahm sie auch weiterhin jeden seiner Aussprüche gierig in sich auf, ob es sich nun um Beethovens siebte Symphonie, über Beaumarchais oder Carlyle handelte. Getreulich notierte sie diese „Perlen der Weisheit“, wie etwa: „Wäre es nicht denkbar, daß wenn die

Nordländer sich werden im Süden ausgebreitet und endlich eine Nation gebildet, das Deutsche gleichsam die Stelle des Sanskrit in Indien einnehmen würde, die Kultursprache sein, und das Englische das Prakrit, die Volkssprache.“ (15. März 1873) Sie waren kaum einen Monat zurück in Bayreuth, als Feu-

stel Wagner nehmen, um ben Gewicht zu geben. So verschiedene

beschwor, abermals eine Konzertreise zu unterdurch sein persönliches Auftreten dem Vorhaund dem sehr zähen Geldfluß ein neues Gefälle machten sie sich widerstrebend also wieder auf. Städte zu besuchen, schluckten die gönnerhaf-

ten Reden der diversen Grafen, Prinzen, Barone und Berühmtheiten, sowie das schlechte Essen bei langweiligen Ban-

ketten. Wagner arbeitete, probte und schwang erneut den Taktstock. Aber trotz alledem kam nicht genügend Geld in die Kasse.

Als er „Wotans

Abschied“

in Berlin

dirigierte,

blickte er sich um und sah Cosima in der Loge sitzen. So sehr bewegte ihn die plötzliche Erkenntnis, daß sie hier war, ihn

zu lieben und ihn zu ermutigen, daß er völlig aus dem Takt kam. Und Cosima sagte ihm später, er sähe so jung aus wie sein Sohn, und er könne

es sich leisten, auf den Triumph

seiner Angelegenheit zu warten. Zu seinem sechzigsten Geburtstag plante sie besonders großartige Überraschungen. Sie bat einige der Bayreuther Freunde um ihre Mitwirkung. Natürlich brachten die Bayreuther Zeitungen Berichte über das kommende Ereignis, aber Cosima arrangierte, daß spezielle Ausgaben angefertigt 204

wurden, in denen alles, was sich auf Wagner bezog, ausgelassen war. Er las nur diese „Sonderausgaben“

und hatte somit

nicht die geringste Ahnung, was alles geplant wurde. Am 22. Mai, gegen dreiviertel acht Uhr, wurde Wagner mit dem

„Wach

auf“-Chor

aus den

„Meistersingern“

geweckt.

Chor und Musikanten, die Cosima eigens aus Würzburg hatte kommen lassen, waren im gegenüberliegenden Garten des Nachbarn versteckt. Dann erschienen die Kinder in ihren besten Sonntagskleidern, sagten Gedichte auf und übergaben ein Geschenk; bei Fidi war es ein Pudel. Abends erklärte ihm

Cosima, ein paar Freunde hätten eine kleine Feier im Opernhaus arrangiert, und sie müßten unbedingt hingehen, um die Gratulanten nicht zu enttäuschen. Es würde keinesfalls länger als eine halbe Stunde dauern. Als er eintrat, fand er das Theater voller Menschen, alle in festlicher Kleidung. Ein Orchester begann eine Ouvertüre zu spielen. Wer hatte das komponiert? Er fragte Cosima, die ihm keine Antwort gab, und stutzte. Es war nicht von Beethoven, auch nicht von Bellini, vielleicht konnte es von Hermann Zumpe, einem ihm be-

kannten zeitgenössischen Komponisten, sein. Plötzlich fiel es ihm wie Schuppen von den Augen: Es war ein Stück von ihm. Er hatte diese Konzertouvertüre in C-Dur 1831, also vor zweiundvierzig Jahren, komponiert — und Cosima hatte

dieses von ihm völlig vergessene Stück wiedergefunden. Der Ouvertüre folgten verschiedene andere Einlagen. Der letzte Beitrag war ein kunstvolles Gedicht, vorgetragen von Franziıska Ritter, musikalisch begleitet von Peter Cornelius. Danach traf sich die Geburtstagsgesellschaft ım Hotel „Anker“, dem besten Platz am Ort.

Die Feierlichkeiten ließen sie ihre Sorgen allerdings nur für einen Tag vergessen. Wagner sandte dem König einen blumig-optimistischen Bericht: Das großartige Theater wachse allmählich empor, Cosima und er hofften, bald ins eigene Haus einzuziehen, das ihnen dank des Königs Groß-

zügigkeit ermöglicht worden war, die Einwohner von Bayreuth seien enthusiastisch, die gesamte künstlerische Welt be-

trachtete ihr Projekt sehr wohlwollend, und so weiter, und so fort. Bei nüchterner Betrachtungsweise jedoch zeigte sich, daß von den erforderlichen rund 400 000 Talern bisher nur ungefähr 130 000, also weniger als ein Drittel, aufgebracht worden waren. Im August unterrichtete er Ludwig vom wahren Stand der Dinge und schrieb dem König, daß der 205

reiche Adel Deutschlands keinen deutschen Geist im Herzen trage und es vorzöge,

das Geld

in „jüdischen

oder jesuiti-

schen Projekten“ anzulegen. Die einzig mögliche Rettung des großen Planes könne nurmehr vom König kommen - in Form einer Bürgschaft für die notwendig gewordene Anleihe bei einer Bank. Diese Bürgschaft sei natürlich eine reine Formalität: Wagner war fest überzeugt davon, daß die Aufführungen mehr als genug einbringen würden, um alles zurückzubezahlen. Cosima hingegen hegte nicht viel Hoffnung. Immer wieder hörte sie von den seltsamen Geschichten, die man sich über

Ludwig erzählte. Unlängst hatte er ein Diner für zwölf Personen bestellt, habe den Saal betreten,

die leeren

Stühle

be-

grüßt und sich dann zu Tisch gesetzt, um ganz alleine zu speisen. Außerdem würde Ludwig angeblich niemals die Türen benutzen, sondern

sich durch die Fenster hinein- oder hin-

ausbegeben. Er beschäftigte sich mit phantastischen Bauplänen. Neuschwanstein, das 1869 begonnen worden war, sollte eine künstliche, der „Tannhäuser“-Venus gewidmete Grotte erhalten, mit Wasserfall sowie einem elektrisch beleuchteten Mond. Linderhof, Baubeginn 1870, sollte in Marmor, Malachit, Porzellan und Gold schwelgen, mit einem „Tischlein deck dich“, das, wie im Märchen, über dem Boden „schweben“ konnte und ebenso wieder verschwand. „Was können wir erwarten — und wie bald?“, schrieb Cosima und überlegte, ob sie möglicherweise ihre Eltern um Geld, das heißt, um

ihr zukünftiges Erbteil, bitten könnte. Wenn die Kinder nicht wären, wie gerne würde sie es tun! Wagner war einfach zu sehr mit Bittschriften und Besprechungen beschäftigt, als daß er seine eigentliche Arbeit erledigen konnte. Seit Wochen hatte er sich nicht mehr mit der Partitur der „Götterdämmerung“ befaßt, und als er sich dann endlich hinsetzte, um daran zu arbeiten, zerbrach der goldene Federhalter, den er so sehr geschätzt hatte. Ein schlechtes Omen, dachte Cosima

und kämpfte weiter mit dem Architekten, den Maurern und den

Bauarbeitern,

die

„ständig

betrunken‘

waren.

Hinzu

kam die bedrückende Sorge: Wann und wie würde der König antworten? Wagner ging es keineswegs gut. Sein Bein schmerzte stark, er mußte die Spaziergänge aufgeben, die ihm immer soviel Vergnügen bereitet hatten. Er glaubte nun, daß er noch vor den ersten Festspielen sterben würde. Was konnte er dagegen 206

tun? Er zitierte Karl des V. Heilmittel

gegen

Gicht:

„Viel

Geduld und ein wenig Geschrei“, und wandte es auf die gegenwärtige Situation an. Wenn er trotz „aller Geduld“ in eine düstere Stimmung versank, dann brachte Cosima es immer noch fertig, selbst munter und fröhlich zu erscheinen. Ihre Angste vertraute sie nur ihrem Tagebuch an. Nun war der Zeitpunkt gekommen, wo Wagner nicht mehr umhinkonnte, den Geldgebern zu sagen, daß die Festspiele verschoben werden mußten, zumindest bis 1875. Inzwischen war die

Antwort des Königs gekommen - ein klares Nein. Ludwig machte ihm „unmißverständlich“ klar, daß er in Zukunft weder mit moralischem, noch finanziellem Beistand rechnen

konnte. Am 31. Oktober 1873 versammelten sich die Mitglieder des Patronats und die Delegierten der Wagner-Vereine, um die Situation

zu

besprechen.

Ein

„Mahnruf

an

die deutsche

Nation“, von Nietzsche geschrieben und von Cosima redigiert, wurde den wenigen, die zu dem Bankett erschienen waren, vorgelesen, während draußen der Regen wolkenbruchartig niederprasselte. Man beschloß, den „Mahnruf“ wegen seiner „kühnen Sprache“ nicht zu veröffentlichen. Strafverschärfend kam hinzu, daß die wirtschaftliche Lage

allgemein nicht rosig war. Eine finanzielle Krise, die im Mai in Wien begonnen hatte, breitete sich bald auch in anderen Städten Europas aus. Die Zeiten waren schlecht. Feustel jedoch ließ sich nicht entmutigen. Seiner Ansicht nach mußte der König nur noch eindringlicher gebeten werden, und er schlug vor, daß er selbst mit Wagner nach München fahren sollte, um persönlich beim König vorzusprechen. Wagner stimmte zu - allerdings ohne einen Funken Hoffnung. „Leere und Öde zu Haus“, notiert Cosima. Und noch am selben Tag

(20. November

1873) schreibt sie zwei Briefe an Wagner,

einen mittags, einen abends. Wagner kehrt zurück, ohne den

König überhaupt gesehen zu haben. Per Post erhielt Cosima ein anonymes Schriftstück, das offensichtlich für sie bestimmt war. Es trug den Titel: „Was ist

Schwindel?“

Ein anderes

Mal

brachte

der Briefträger ein

Traktat über „Tollheit“. „Ich weiß nicht“, bemerkte sie dazu traurig, „woher die Leute nur eine solche Wut ankommen

kann“. Sie und Wagner gingen regelmäßig zu ihrem, noch im Bau befindlichen, künftigen Wohnhaus, das sie jetzt „Ärgersheim“ nannten, da „beständig irgend etwas Verfehltes oder 207

Vergessenes“ darin entdeckt wird. Indes verlor sie keinen Augenblick lang das große Ziel aus den Augen. Am ersten Weihnachtsfeiertag bat sie Wagner, sie in das zukünftige Theater zu führen. Und ‚trotz Samt und Atlas-Pracht“ kletterte sie über die Planken in die Bühnenhalle. „Grandioser Eindruck, wie ein assyrischer Bau erhebt sich das Ganze un-

beschränkt, wie Sphinxe reihen sich unten die Pfeiler aneinander, wie geheimnisvolle Gänge breiten sich die Seitenflügel aus.a." Aber kurz danach überkam sie eine undefinierbare Angst: Solange das Festspielhaus nur auf dem Papier existiert hatte, war es für sie einfach ein Gebäude gewesen. Aber jetzt, beim Anblick der gigantischen Gerüste, erschien es ihr wie ein Mausoleum. Noch immer war nicht genügend Geld vorhanden, um den Bau zu beenden. Der König dekorierte Wagner zwar mit einer hohen Auszeichnung, dem „Maximilians-Orden“,

aber

Geld schickte er nicht. Wagners Reaktion über die „unangenehme, nichtssagende“ Auszeichnung verwandelte sich in Wut, als er hörte, daß Brahms,

„diesem dummen

Jungen“,

dieselbe Ehre zuteil geworden war. Er wollte den Orden postwendend zurückschicken, beruhigte sich aber dann schließlich.

3 Anfang 1874 schienen die Festspiele zum endgültigen Scheitern verurteilt. Wagner konnte keine Nacht mehr schlafen und um vier Uhr morgens besprach er mit Cosima, was man weiter tun sollte: Sie beschlossen, Düfflipp zu telegraphieren und um ein endgültiges Ja oder Nein des Königs zu bitten. Das „Nein“ kam innerhalb von zwei Stunden. Daraufhin un-

ternahmen sie einen letzten Vorstoß bei dem Großherzog von Baden und dem preußischen Minister Martin Delbrück, Bismarcks

rechter

Hand.

All das geschah,

„um

nichts verab-

säumt zu haben“, aber sowohl Wagner als auch Cosima erkannten, daß alle Appelle vergeblich sein würden. Cosima sagte, „wie schön ist es doch, von allen verlassen zu sein!“ —

208

wobei sie die eifrigen Anhänger vergaß, die sich dem gemeinsamen Plan gewidmet hatten —- und Wagner antwortete: „Oh,

es ist der einzig würdige Zustand“. Wie ein Student, der durch sein Examen fällt, lehnte er jegliche Verantwortung dafür ab. Von nun an wolle er nichts mehr mit der Außenwelt zu tun haben, er — ein Märtyrer des deutschen Materialismus — würde sich darauf konzentrieren, Philosophie und schöngeistige Abhandlungen zu schreiben. Sein Märtyrertum würde

er in dem

neu erbauten

Haus

auf sich nehmen,

das

fast fertig war und für das er umgehend teure Satin-Vorhänge und Teppiche bestellt hatte — alles auf Kredit natürlich. Cosima brachte es nicht fertig, ihn daran zu hindern. Luxus in der Not — das war seine spezielle Art, sich weiter aufrechtzuhalten, während Cosima sich mit der Überzeugung tröstete, daß früher oder später Hilfe kommen würde und daß der „Idealismus im deutschen Volk“ nicht erloschen war.

Besser als sonst irgend jemand wußte sie, daß Wagners „Einsiedlerphilosophie‘“ nur eine Pose war, und daß er schon bei dem Gedanken an die Möglichkeit — augenblicklich war es wohl eher wahrscheinlich —, daß sein Theater ein „Fragment,

eine Ruine“ bleiben könnte, in Wehklagen ausbrach. Wie sonst auch fanden sie in der Lektüre Ablenkung von ihren betrüblichen Gedanken. Cosimas Augen schmerzten, deshalb las ihr Wagner vor: „Richard III.“, Auszüge aus den „Upanishaden“

und, um sie zum

Lachen zu bringen, „Lysi-

strate“. Letzteres allerdings brach er dann ab: Es erschien ihm zu unanständig für ihre Ohren. Wie schade! Ihr hatte es Spaß gemacht. Am frühen Morgen des 27. Januar 1874 war Cosima wieder zum zukünftigen Haus gegangen, um mit den Bauleuten zu sprechen. Als sie zurückkam, erwartete sie Wagner an der Türe und gab ihr einen Brief des Königs. Er mochte ihn selbst nicht lesen und bat Cosima,

dies für ihn zu tun und

ihm den Inhalt mitzuteilen. Cosima öffnete ihn und bemerkte sofort, „daß er sehr freundlich ist“. Der König hatte zwei Tage zuvor geschrieben: „Nein! Nein und wieder nein! So

soll es nicht enden; es muß da geholfen werden! Es darf Unser Plan nicht scheitern!“ Er habe nur gezögert, die Bürgschaft zu leisten, weil der Zustand seiner eigenen Finanzen äußerst prekär sei, und zwar so weitgehend, daß er seine persönlichen Baupläne hatte einstellen müssen. Aber jetzt habe er beschlossen, wie auch immer die Konsequenzen sein 209

mochten, die Bürgschaft zu unterschreiben. „Meine Begeiste-

rung für Ihre himmlischen, unvergleichlichen Werke wurzelt so tief in meiner Seele, daß es Wahnsinn wäre, an die Abnahme meiner feurigen Gesinnungen für Sie und Ihr großes Unternehmen zu glauben.“ Sie konnten die für sie so glückliche Veränderung kaum fassen, aber bald stand ohne Zweifel fest, daß Ludwig sein

Versprechen auch halten würde. Wieder einmal hatte er sich umstimmen lassen. Aber nicht Schwäche war es, die ihn dazu

bewogen hatte, sondern seine Bewunderung für den Künstler und die Erkenntnis, welchen Segen dieses Vorhaben für die Nachwelt bedeuten würde. Angesichts solcher Erwartungen konnte er sogar Lügen vergeben. Am darauffolgenden Abend blieb Cosima bis spät in die Nacht alleine sitzen, dankbar, voller Glück und Hoffnung. Sie sah den Wintermond und „konnte“ sich „gar nicht von

dem sanften Strahlen trennen und von der großen Stille“. Bald würde dieser Mond über dem Theater auf dem Hügel scheinen. Aber Cosimas Glück konnte nicht so ungetrübt bleiben wie der friedliche Schein des Mondes.

Am

nächsten Abend,

als

sie Daniela und Blandine zu Bett brachte, machte sie irgendeine scherzende Bemerkung. Als sie Daniela etwas murmeln hörte, fragte sie Blandine danach, und die Kleine wiederhol-

te, was ihre Schwester gesagt hatte: „Wie fade!“ Da war es wieder — ihre Schuld,

ihre versteckte

„Sünde“,

die an die

Oberfläche drängte. Ihr „Vergehen“ war schuld daran, daß Bülows Kinder mißraten waren. Aus der Fliege wurde ein Elefant, aus kindlicher Dummheit wurde ein Berg an Kummer

und

Sorgen.

„...

ich

Stillschweigen,

der

Seele

Ruhe gebietend, aus dieser Ruhe das Gebet der Ergebenheit stammelnd“, schrieb sie. „Hier habe ich einzig hinzunehmen ... Entschluß, die Heiterkeit, welche R. so nottut, nicht verkümmern zu lassen; Zurückhalten der Tränen, Andacht!“

(29. Januar 1874) Cosimas Mangel an Leichtigkeit, Milde und Heiterkeit, die im Umgang mit Kindern so überaus wichtig sind, sowie ihre demonstrative

Art,

Fidi

zu

bevorzugen,

verstärkten

die

Schwierigkeiten mit den zwei ältesten Kindern. Beide, sowohl Daniela als auch Blandine, rebellierten gegen sie, waren trot-

zig, herausfordernd und zankten sich mit den anderen drei Geschwistern. Doch wen sollte das wundern? Man hatte sie 210

behandelt, als seien sie unempfindlich gegenüber dem Chaos, das sie umgeben hatte, der Spannung, der sie ausgesetzt waren. Besonders in jenem Alter — Daniela war damals vierzehn, Blandine elf — hatten die Mädchen wahrscheinlich starke Ressentiments ihrer Mutter gegenüber, und vielleicht haßten sie Cosima sogar. Darüber hinaus hatten beide von ihrem Vater jene nervöse Überempfindlichkeit, jene defensive Grobbheit, geerbt. Wie. konnte Cosima mit diesem Problem fertigwerden? Nach langem Zögern und kummervollem Kopfzerbrechen beschloß sie, die Mädchen besser in ein Internat zu schicken. Sie hatte mit drei oder vier ihrer Freundinnen darüber gesprochen, und man hatte ihr das „Luisenstift‘“ nahe Dresden

empfohlen. So fuhr sie dorthin, um sich die Schule anzusehen. Vorkehrungen zur morgigen Abreise. R. jammert darüber und macht mir das Schwere noch schwerer! Ich kann es nicht aufgeben und schließe nun dieses Buch mit dem Anbieten der Erfüllung einer mütterlichen Pflicht. Vom 16ten September 1873 bis zum

l6ten Oktober 1874, was begab sich da für Not, Leiden, wie

wenig des Erfreulichen von außen, dafür aber im Inneren des Heimes immer tiefere Seelenruhe, Segen über Richard, Segen über die Kinder, Vergebung für mich erflehe ich mir hier... [16. Oktober 1874]

Die Schule gefiel ihr, und obwohl es ihr wehtat, sich von ihren beiden ältesten Kindern zu trennen — auch Wagner sah es ungern, daß sie das Haus verließen — beschloß sie, Daniela

und Blandine dorthin zu schicken. Nachdem sie diesen Entschluß gefaßt hatte, kehrte sie innerhalb einer Wochenfrist nach Bayreuth zurück. Wagner hatte ihr jeden Tag geschrieben und sich geweigert, während sie nicht im Haus war, irgend jemanden zu empfangen. Das Luisenstift jedoch konnte den Mädchen nicht das geben, was sie brauchten. Besonders Daniela blieb verstockt. Sie war die Älteste, kannte ihren Vater kaum, war als Kind

von einem Zuhause zum anderen geschoben worden. Von ihrer Mutter ersehnte sie sich vor allem Sicherheit und Geborgenheit, auch wenn sie oft noch so ungehorsam und aufsässig war. Sie brauchte Duldsamkeit und Verständnis, doch nichts dergleichen bekam sie. Was sie erhielt, waren Predigten über Predigten — salbungsvoll wie die folgenden: 211

Mein Kind, denke daran, unablässig für Deinen Vater [Bülow] zu Gott zu beten. Opfere dem Herrn Deine schlechten Gedanken, Deine niedrigen Instinkte ... Deine erste Pflicht ist es, Deinen Vater mehr als alles andere auf der Welt zu lieben; bereite Dich darauf vor, ihm bei allen Mühseligkeiten des Lebens beizustehen. Um diese Pflicht erfüllen und dadurch wahrhaftes Glück erlangen zu können, mußt Du aller Gemeinheit, aller Eitelkeit entraten... [19. Mai 1876. Aus einem in französischer Sprache geschriebenen Brief] Was meine Strenge und meine Härte, wie Du es nennst Härte angeht, so kennst Du, mein Kind, ihren Grund sehr wohl. Die Angst vor Deinem Benehmen hat mich zu dieser Strenge verpflichtet ... [Juni 1876] Dein Benehmen hier hat von vielem guten Willen gezeugt und hat mich recht gefreut. Es bleibt Dir nur jetzt einzusehen oder kennen zu lernen, daß Du ordentlich und fleißig — Dir selbst behülflich — zu sein hast; Du scheinst hierüber in großen Irrthum,

und das betrübt mich für Dich. Der Luxus in unserem Hause kommt nicht von mir und wird verschwinden mit Deines Vaters Richard Leben; ich möchte Euch den schönen Stolz sehen, den zum Beispiel meine Schwester und ich wir gehabt, nichts sich aus den äußerlichen Dingen zu machen, und vornehm in Ton, Gesin-

nung, Sprache, mit vollständiger Gleichgültigkeit gegen das, was uns nicht gegeben ist. Ich habe nie als junges Mädchen Bedienung gehabt, habe mein Bett und meine Stube selbst gemacht, meine feine Wäsche mir gewaschen, mein Haar mir gerichtet (auch für Bälle), dabei wurden wir in die beste Gesellschaft eingeführt. Wie ich Deinen Vater heirathete, hatte ich ein Mädchen für

Alles und hatte vornehme und reiche Leute zu empfangen. Präge Dir das ein, mein Kind, und sei fleißig, ordentlich und spar-

sam ....[11. September, 1876. Der Brief wurde in deutscher Sprache geschrieben. ]

4 Von Feustel erfuhr Wagner Ende Januar 1874, daß der König höchst ungnädig gegen ihn gesinnt sei. Vier Tage später aber schrieb Düfflipp an Cosima, „daß die Luft von

Hohenschwangau her in bezug auf unser Unternehmen besser wehe als vor einiger Zeit“. Zwei Tage lang besprachen sich die beiden, was Wagner Ludwig schreiben solle. Am 212

3. Februar wurde der Brief abgeschickt mit vielen hochtrabenden Worten des Dankes: „O, mein huldvoller König! Blicken Sie nur auf alle deutschen Fürsten, so erkennen Sie, daß nur Sie es sind, auf welchen der deutsche Geist noch hof-

fend

blickt.“

Cosima

schrieb

ebenfalls

dem

König

und

schickte, wie man das bei einem wohlwollenden Onkel zu tun

pflegt, Photographien der Kinder mit, die speziell zu diesem Zweck aufgenommen worden waren. Bayreuth, 21. Februar 1874 ... Mußte mir in vergangenen prüfungsreichen Jahren das Schweigen als einzig mir geziemend und zukommend erscheinen, so bricht heute wie mit Naturgewalt die Sprache hervor, und wie die Hervorquillende kein Hemmniß duldet und den Dank laut anschwellen lassen will, so finde ich jetzt keine Kraft um sie zu fesseln. Darf ich nun wohl hoffen, daß der Königliche Herr es gütig begreifen wird wollen, warum ich einstens schwieg und nun spreche? Darf ich auf dieselbe gnädige Anhörung meiner armen Worte — das Einzige das ich darzubringen vermag — bauen? Die gütige Forderung der Bilder ermuthigte mich zu Hoffen und Glauben - hier erhabener Beschützer, sind die Abbilder Derjenigen, die Sie unermüdlich beschirmt haben, die Sie unwandelbar

lieben! Wer könnte es aussprechen, was Ihre Gnade, gütiger

Herr, uns gewesen ist? Dieser Brief war von Anfang bis Ende ein mühsam ausformuliertes Elaborat. Aber wie dem auch sei: Die Festspiele schienen gerettet. Doch schon wenige Tage später sah Cosima eine neue Gefahr am Horizont aufziehen. Sie las eine Anzeige, worin ein Autographenhändler neunzehn „höchst interessante“ Briefe von Wagner

daß

darin

und Minna

anbot, und sie befürchtete,

die Malvina-Schnorr-Affäre

zur

Sprache

kam.

Cosima zweifelte nicht daran, daß diese Briefe, falls man sie veröffentlichte, einen Skandal verursachen könnten, „einen

Schlag auf die Gewährung sich also mit einem

des Credits.“ Wagner besprach

Rechtsanwalt,

der erklärte, die einzige

Möglichkeit sei, die Briefe aufzukaufen. Der Händler forderte hundert Taler — eine beträchtliche Summe angesichts der Tatsache, daß sie zu eben jenem Zeitpunkt schwerlich soviel Geld erübrigen konnten. Aber sie kauften die Briefe und stellten,

zu

Cosimas

Leidwesen,

fest, daß

sie vollkommen

harmlos waren. 213

Am 18. April war das neue Haus fertig. So zogen sie im Verlauf von zehn Tagen endgültig mit Sack und Pack ein, und mit Bergen von Büchern. Großspurig, wie er nun einmal war, nannte Wagner das neue Haus „Wahnfried“. Über dem

Portal ließ er eingravieren: Hier wo mein Wähnen Frieden fand —

Wahnfried sei dieses Haus von mir benannt!

Den er- und gewähnten Frieden jedoch sollte er nicht finden. Im ersten Jahr allerdings fand seine rastlose Seele ein bißchen

Glück

und

Zufriedenheit,

dank

Cosimas

unermüdli-

chem Einsatz. Schon am eigentlichen Einzugstag formierten sich die Kinder zu einer Art Abordnung, deren Sprecherin Eva war: Sie dankten dafür, daß sie jetzt so schön eingerichtet waren. Fidi hatte sein eigenes kleines Zimmer und kam sich deshalb sehr wichtig vor. Ein paar Tage später spielten sie mit Cosima Charaden. Zum Nachmittagskaffee trugen sie dann vor, was Wagner für Cosima komponiert hatten: „Kos ım Mai“, und Beethovens „Hymne an die Freude“, die sie

übrigens oft sangen: unter dem Klavier sitzend, während Wagner begleitete. Cosima arbeitete, um das Haus in Ordnung zu bringen, so viel, daß sie einschlief, während Wagner ihr vorlas. Es war zunächst auch bitter kalt, das Dach war undicht, die Wasser-

leitungen schadhaft,

und erst nach fünf Tagen

im neuen

Heim konnten die Kinder zum ersten Mal ein Bad nehmen,

was sie dann mit großer Planscherei und viel Gelächter nachholten. Unberührt von Haushaltsproblemen konnte Wagner am zweiten Akt der „Götterdämmerung“ weiterarbeiten, und

Ende Juni war die Partitur beendet. Daß Wahnfried ein grandioser Wohnsitz sein würde, war zu erwarten gewesen: Wahrhaftig, es mangelte nicht an Pomp, Glanz und Gloria! Die zu ebener Erde gelegene, als Musiksaal gedachte „Halle“ erstreckte sich über zwei Stock-

werke, umrundet von einer Galerie. Im unteren Teil der Galerie war ein Fries mit Figuren und Szenen aus dem „Ring“

eingelassen. Die Wände waren in pompejanischem Rot gehalten. Sechs Marmorstatuetten, ein Geschenk Ludwigs, repräsentierten Figuren aus Wagners Werken vom „Fliegen214

den Holländer“ bis zu „Siegfried“. Zwei Türen rechts und links führten in das Eßzimmer und in Cosimas „lila Salon“.

Die mittlere Tür, rechts und links mit Büsten Wagners und Cosimas flankiert, öffnete sich zum „großen“ Saal, der unge-

fähr vierzehn Meter lang und sieben Meter breit war. Das war der zentrale Raum des Hauses, und Wagner sagte, er ent-

hielte alles, was er besaß. Das Wichtigste darin war die Bibliothek mit fast allen Werken der europäischen Literatur. Die ausgesucht schön gebundenen Bücher füllten etwa zwölf große Schränke. Auf kleinen Tischen lagen die gebundenen Partituren, Drucke und lose Blätter. Gegenüber Wagners Schreibtisch hing ein Porträt Schopenhauers. Der Flügel stand ungefähr in der Mitte des Raumes. Die schweren Vorhänge, die Fülle von Teppichen und Decken gaben dem „Saal“ eine nahöstliche Aura. Kein Luftzug störte den Kom-

ponisten jenes Sturmes, der um Brünnhildes Felsenspitze jagt, denn über der Tür zum Musikzimmer hing ein schwerer Vorhang aus gelbem Damast. Cosima hatte ihn Wagner in Neapel zum Geburtstag geschenkt, und er nannte ihn ‚lIsoldes Segel“. Der „Saal“ hatte eine Kassettendecke,

die — auf Cosimas

Anregung hin — mit den Wappen der Städte umrahmt war, in denen Wagner-Vereine bestanden. Die Wände waren mit Porträts geradezu überladen: Ludwig, Wagners Mutter, sein Stiefvater Geyer, sein Onkel Adolf, Schiller, Goethe, Beethoven, Liszt, Marie d’Agoult — nur Shakespeare fehlte. Dazu

kamen später Wagners und Cosimas Porträts von Lenbach.* Und da Wagner das Haus von außen zu kahl erschien, bestellte Cosima ein Sgraffitogemälde, das fast die ganze Breitseite der Mittelfront des Hauses ausfüllte. Wagner beschrieb es in einem Brief an den König: Die Mitte nimmt der germanische Mythos ein; da wir charakteristische Physiognomien haben wollten, bestimmten wir hierzu den Kopf des verstorbenen Ludwig Schnorr,; ihm fliegen von beiden Seiten die Raben Wotan’s zu, und er kündet nun die empfangene Märe zweien Frauengestalten, von denen die eine die antike Tragödie, mit der Porträtähnlichkeit der Schroeder-Devrient, die andere aber die Musik, mit dem Kopfe und der Gestalt Cosima’s,

darstellt; ein kleiner Knabe, als Siegfried gewappnet, mit dem * Der „Saal“ und seine angrenzenden Räume wurden

am 5. April 1945 durch eine

Bombe zerstört, die Frontseite des Hauses wurde davon nicht betroffen.

235

Kopfe meines Sohnes, blickt an ihrer Hand mit muthiger Lust zur Mutter Musik auf. [1. Oktober 1874] Dieses Kunstwerk, wenn

man

es so nennen kann, war ty-

pisch für das ganze Haus: überladenes, protziges und zweitklassiges 19. Jahrhundert! Cosima und Wagner fanden es wundervoll. Und ebenso die meisten ihrer Besucher. Über das Leben in Wahnfried zu jener Zeit existiert eine Beschreibung — dank einer gewissen Susanne Weinert, die Cosima im Juli 1875 als Gouvernante eingestellt hatte und die bis April 1876 im Haus blieb. Danach wurde sie entlassen, weil Cosima, wie sie sagte, eine englische Erzieherin für

die Kinder wünschte. Susanne führte während ihrer Zeit in Wahnfried ein Tagebuch, das, obwohl seine Schreiberin nicht

gerade großen Geistes war, doch einige aufschlußreiche Beobachtungen enthält:* Ich trat in ein kleines Vestibül ein an deren Wand ein großer Spiegel hing und daneben ein Fauteuil stand. Nachdem ich eine breite, mit einem Teppich belegte Treppe erstiegen, betrat ich ein weites, helles Gemach, welches, wie ich nachher erfuhr, der „Kindersalon“ war. — Es herrschte eine feierliche Ruhe im Hause;

denn auch das Echo der Fußtritte verlor sich in den weichen Teppichen, welche allenthalben zu erblicken waren. Die Zimmer, welche unmittelbar an oben genanntes Zimmer angrenzen, ist das Boudoir der gnädigen Frau und das andere das sogenannte „Denkzimmer“. Die Ausstattung des ersteren ist wunderschön, mit zwei Ausgängen versehen, welche von schweren, seidenen Portieren umwallt sind. Das Gemach ist mit dem Comfort und den Zieraten ausgestattet, welche sowohl durch ihr Arrangement als ihren Wert den Geschmack der hochgeistig gebildeten Frau erkennen lassen.

Am 5. August 1875 fand in der Villa Wahnfried ein Empfang statt. Gäste aus der besten Bayreuther Gesellschaft waren anwesend, ebenso Liszt und Wagners Mitarbeiter. Susanne Weinert bewunderte die extravagant gekleideten Damen und betrachtete mit Vergnügen das elegante Treiben: * Mrs. Willoughby Burrell bekam dieses Tagebuch in die Hände und bemerkte dazu: „Lächerliches Tagebuch einer unschuldigen törichten Gouvernante in Wahnfried, Bayreuth, die unwissentlich [sic!] die Bewohner lebensgetreu schildert - den Pomp, die Arroganz und den Geldmangel.“ Mrs. Burrell, die Wagner und Cosima haßte, ging etwas zu weit: Susanne war keine „Idiotin“. Die berühmte Burrell-Sammlung wurde von John

Burk 1950 in seinem Buch „Letters of Richard Wagner“ zusammengefaßt und kommentiert.

216

In bunter Reihe saßen und standen die Herrschaften beisammen und geschmückte Damen in reizender Toilette, sowie Herren in glänzender Uniform oder feinen Civil erregten meine Aufmerksamkeit. Besonders Frau Minister von Schleinitz, in einer schwe-

ren maigrünen Atlasrobe, gefiel mir außerordentlich gut... Die Damen waren en grande parure und bedienten sich mit Grazie ihrer Fächer. Meine Zöglinge, besonders die kleine Eva, erlaubten sich hier und da eine naseweise Bemerkung, welche ich nicht ohne leisen Tadel anhören durfte: „Sehen Sie nur, die Dame thut so affektiert“ und „nein, wie dies Kleid aussieht, ich möchte es

nicht anziehen“ und dabei kicherte sie und lenkt Isolden’s Aufmerksamkeit dahin. Ich werde wohl mit dem Kinde manchmal einen Strauß auszufechten haben; doch ich hoffe viel von der Gutmütigkeit es ist ein kleines, eingebildetes Mädchen, da sie wegen ihrer Lieblichkeit von allen mit Liebkosungen verwöhnt wird.

Was das Verhältnis von Richard und Cosima zueinander und zu ihren Kindern betraf, beobachtete sie folgendes: Die Gatten behandeln sich gegenseitig mit der zartesten Aufmerksamkeit und wer das Glück gehabt, sich in unmittelbarer Nähe der hohen Persönlichkeiten zu befinden und sie zu beobachten, wird mir beistimmen müssen... Mit welch zarter Galanterie bietet Herr Wagner seiner Gattin den Arm, um sie zu Tisch zu führen und wie leuchtet sein Auge, wenn

er sie „meine liebe

Cosima“ nennt. Sie kann so herzlich lachen und Herr Wagner veranlaßt sie durch heitere Worte und humoristische Einfälle oft dazu. Die Kinder sind glücklich, wenn ihre Eltern sich mit ihnen beschäftigen; wie schmeicheln dann die Mädchen um sie herum und Siegfried kollert sich auf den Teppichen vor Lust umher und schlägt Purzelbäume,

die ihm

aber gewöhnlich

noch mißraten.

Oft kommt dann der Papa herzu, faßt den Jungen an den Füßen und unter den Neckereien der Mädchen und seiner Lehrerin läßt er ihm ein Rad schlagen „comme il faut“.

Es ist ein gar schönes, inniges Verhältnis zwischen Vater und Kindern. Letztere hegen gegen ihren 2. Vater eine große Liebe und Verehrung und mehrere Male unterwegs hörte ich von den Töchtern die Worte sagen: „Ja, unser Vater Richard ist einzig, wir haben ihn so lieb!“ Herr Wagner weiß sich aber auch die Liebe seiner Kinder zu erwerben durch sein mildes, gütiges Verhalten wenn sie fleißig und artig, als auch durch ernste Ermahnungen, wenn deren nötig sind. Er hat beinahe stets ein Scherzwort zur Hand, wenn wir in sein Arbeitszimmer treten, um uns zu versammeln, ehe wir zu Tische gingen und wenn der große Meister nicht

217

mehr arbeitet, so plaudert er mit den Kindern, lacht und scherzt und zeigt sich als ein glücklicher Familienvater im wahrsten Sinne des Wortes. Der kleine Siegfried weiß diese Pausen wohl zu benutzen: er klettert dann wohl auf seines Vaters Stuhl, produciert Turnkünste, läßt sich von ihm in die Luft heben und treibt

allerlei Kurzweil mit ihm... Tritt dann Frau Wagner in das Zimmer, so läuft er zu dieser, klettert auf ihren Schoß und giebt ihr einen herzhaften Kuß.

Zu Silvester wurde in Wahnfried Weinert berichtet auch darüber:

Blei gegossen. Susanne

Wir haben heute Abend Blei gegossen und infolge dessen wurde viel gescherzt und geplaudert. Außer Herrn Jos. Rubinstein waren wir entre nous. Die nötigen Gerätschaften zu dem wichtigen Geschäfte des Bleigießens, waren bald vom Diener herbeigetragen und um einen Tisch in der Halle versammelt, sollte sich jeder sein Prognostikon stellen. Erwartungsvoll sahen wir zu, als Herr W. das geschmolzene Blei in das Gefäß mit Wasser gleiten ließ. Er nahm es heraus und ein „Ah“ ertönte von allen Seiten denn siehe — es war ein deutlich geformter Schmetterling. „Nun seht einmal an, Kinder, das Bild der Unsterblichkeit,

das ist ja

sehr schön“, sagte Herr R. Wagner, ordentlich feierlichen Tones. Frau W. goß lauter kleine Küchelchen, was Geld bedeuten soll und worüber erstere fröhlich lachte und ausrief: Das ist nicht übel, reich zu sein. Darnach gingen wir in den Salon und jeder sollte hier seinen Schuh über sich werfen, um zu sehen, ob die Spitze nach innen oder außen zeigt. Da wir mit leichten Salonschuhen bekleidet waren, ging dies leicht zu bewerkstelligen. Frau W. zog ihren himmelblauen Atlasschuh aus, warf ihn über den Kopf und die Spitze zeigte nach innen; sie blieb also im Hause.

Herr W.

der auch

heute, wie stets beinahe,

wenn

nur

Hausfreunde zugegen, in mittelalterlicher deutscher Tracht, in sein Meistersinger-Kostüm gekleidet war, zog den Halbschuh a. schwarzen Sammet aus und die Spitze zeigte gleichfalls nach innen. Und natürlich befaßte sie sich auch ausführlich mit Cosimas Garderobe: Auch die Kleidung der gnädigen Frau zeigt stets von einem edlen Geschmack. Die Straßen und Reisetoilette ist beinahe stets schwarz; dagegen trägt sie im Salon, besonders wenn Gäste zugegen, herrliche Seidenroben, in denen sie wunderschön aussieht... Gleich einer Fee schritt Frau W. am gestrigen Abend [2. April], im weißen Atlas-Morgenrock, durch die Räume. Sie gefiel mir sehr darin und ich mußte ihr immer wieder nachsehen. 218

Dieses Kleid war ein früheres Ballkleid und ist mit einem schwarzen, echten

Sammetstreifen,

durch

welchen

sich die herrlichste

Plattstich-Stickerei in bunter Seide hindurchzieht, garnirt. Der Effekt des abstechenden Besatzes war brillant. Herr und Frau Banquier Feustel tranken den Thee im Salon und die Kinder neckten sich mit den hochgeschätzten Hausfreunden herum. Herr R. Wagner ging dann an das Clavier und forderte die Kinder auf, zu singen. Sie nahmen ihre Lieblings-Situation ein, indem sie lachend unter den Flügel krochen und von da hervorsangen: „Freude, schöner Götterfunken, Tochter aus Elisium“.

Dies erregt stets von neuem die Lachlust der Anwesenden. Darnach schlug Herr R. W. noch die Melodie des Brautliedes aus seinem „Lohengrin“ an: Treulich geführt etc. Dies Lied ist wohl eines der Lieblingslieder des großen Meisters, denn ich höre es oft, oft von ihm leise singen und noch öfter spielen.

5 Das Festspielhaus

selbst, seine technische

Ausrüstung,

die

Bühnenausstattung, die Kostüme, die Reisekosten der Künstler nach Bayreuth, das Orchester sowie der Lebensunterhalt

für fast zweihundert Menschen - all das war für das Budget ebenso vernichtend wie die biblische Heuschreckenplage für die Felder Ägyptens. Zu diesen „offiziellen“ Kosten kamen noch unvorhergesehene private Ausgaben für die Villa Wahnfried. Cosima schreibt: Lauter Unannehmlichkeiten. Die Wirtschaftsräume durch den Architekten gänzlich verfehlt, Klagen der Leute, dazu TapeziererUngeschicklichkeiten, und immer größere Kosten! [11. Juni 1874] Manche Rechnung läuft ein, ich bemerke zu R., wie seltsam dies sei, daß ich, welche eigentlich keine Geldnöte gekannt, beständig

in Sorge sei, und daß er, welcher so darunter gelitten, niemals von Angst befallen sei. [16. Juni 1874] Meine kleinen Ersparnisse sind verwendet worden und genügen nicht, auch ist das Leben sehr kostspielig zu bestreiten. [23. September 1874]

Aber dank Wagners neu erwachsener Energie und Cosimas hervorragendem Organisationstalent machten sowohl die pri219

vaten

als auch die offiziellen Arbeiten

heißt, Wagner

rung“.*

Eine

vollendete

kleine

die Partitur

Gruppe

Fortschritte — das der „Götterdämme-

ergebener

Helfer

fertigte in

Wahnfried, genannt die „Nibelungen-Kanzlei“, die Kopien an, korrigierte Abzüge usw., während auf dem „Hügel“ die

Bühne wurden.

und

der

verdeckte

Orchestergraben

Die „Kanzlei“ war international:

fertiggestellt

Hermann

Zumpe

war Deutscher, Anton Seidl — später ein berühmter Dirigent — Ungar, Demetrius Lallas Grieche und Joseph Rubinstein Russe. Wagner legte seinen Fremdenhaß ab, wenn es seinen Zwecken diente. Cosima allerdings konnte es sich damals und auch später nicht verkneifen, manche herabsetzende Be-

merkung über den jungen Rubinstein zu machen; eigentlich akzeptierte sie ihn erst in Wagners letztem Lebensjahr. Ohne Cosima wäre Wagner ins Bodenlose gefallen: Was für eine schwere Aufgabe! Zunächst die beschwerliche Suche nach Sängern und Interpreten, die bereit waren, ihre lebenslangen Gewohnheiten aufzugeben, und die — obwohl sie sich als „Stars“

betrachteten

— bereit waren,

wie

Anfänger

lernen, Worte und Ton ihrem Sinngehalt entsprechend zutragen und zu akzentuieren. Er mußte Richter und Orchester seine Vorstellung von melodischer Kontinuität hauchen. Außerdem hatten sowohl er als auch Cosima mit tausend

anderen

„weltlichen“

Dingen

zu

vordem einsich

zu befassen, wie

etwa mit den komplizierten Probenplänen, dem Problem der Unterkunft und Verpflegung der Mitwirkenden und Zuschauer, den Korrekturen, die noch am Theaterbau und nach

den ersten Erfahrungen an der neuen Bühnen-Technik vorzunehmen waren (nicht zu vergessen die Schwierigkeiten, die Brünnhildes Pferd verursachen mußte!), und dazu das komplizierteste Problem: Ludwig. Der König wollte sich weder mit den anderen gekrönten Häuptern zusammensetzen, noch würde er eine öffentliche Aufführung besuchen. Er hatte um drei private Vorstellungen des vollständigen ‚Ring‘ gebeten, und zwar in Abständen und zu Zeitpunkten, die er selbst bestimmen würde, so daß er sich ungesehen und ungestört versenken konnte in jenen Kunstgenuß, dem er mit heißem Verlangen entgegensah, und auf den er nun schon so manches trostlose Jahr hatte warten müssen. * Auf der letzten Partiturseite schrieb Wagner: „Vollendet in Wahnfried, ich sage nichts weiter!! R.W.“

220

Zu Cosimas Aufgabenbereich gehörte auch die Überwachung der Arbeiten an Kostümen und Bühnenbild. (Es kam in beiden Fällen zu Unstimmigkeiten.) Wagner vertraute Cosimas Geschmack vollkommen, und sie beschäftigte sich mit jedem Detail, von Wotans

Hut bis zu Waltrautes

Schuhen.

Sie nahm darüber hinaus die Vorbestellungen der Eintrittskarten entgegen —- und schon damals gab es mehr Interessierte, als das Festspielhaus fassen konnte! -, sie kümmerte sich um

Sänger,

Musiker,

Techniker,

Ballettmeister,

Freunde,

Gönner, Zeitungsverleger und die Honoratioren von Bayreuth. Sie war vom Morgengrauen bis Mitternacht unermüdlich auf den Beinen. Zu ihrem Geburtstag schenkte Wagner ihr ein prächtiges Perlenkollier. Der Juwelier mußte allerdings lange auf sein Geld warten. Sechsundzwanzig Jahre hatte es gedauert, bis die Tetralogie vollendet war, und es war immer noch nicht abzusehen, ob und wie sie aufgeführt werden konnte. Vor allem die Finanzierung stand auf wackligen Beinen. Wagner fühlte, daß es sinnlos war, zum gegenwärtigen Zeitpunkt Ludwig um weitere Geldmittel zu bitten, und so wurde eine erneute Kon-

zertreise beschlossen. Cosima bat Nietzsches Schweser Elisabeth, sie zu Hause zu vertreten, während sie ihren Mann be-

gleitete. Anfang Februar 1875 kam Elisabeth in Wahnfried an und bemerkte, wie erschöpft Wagner aussah und wie angegriffen seine Nerven waren. Er schimpfte auf die Dummheit der Tenöre, das eingebildete Stolzieren der Sopranistinnen, die Gleichgültigkeit seiner Landsleute und manchmal, wenn auch selten, ließ er seine Erschöpfung und Launen auch an Cosima aus, die ihm leise nachschlich und ihm keine Antwort gab, wenn er sagte: „Ich möchte, all der Unsinn wäre vorbei

und ich könnte kommentierte,

mich an den Parsifal machen.“

Elisabeth

daß es schwer sei, die Frau eines Genies zu

sein. Die Aufgabenbereiche des Jahres 1875 zerfielen in drei Abschnitte, und in jedem wirkte Cosima mit: Erstens die. Konzertreise im Frühling (März bis Mai), zweitens die ersten vollständigen Proben für das Orchester und die Sänger in Bayreuth (1. Juli bis 13. August) und drittens die Aufführungen von Neuinszenierungen des „Tannhäuser“

und „Lohen-

grin‘“ in Wien unter der Leitung von Wagner (l. November bis 13. Dezember). 221

Das erste Ziel der Konzertreise war Wien. Richter hatte von Budapest kommend noch vor Wagners Ankunft mit dem Wiener Orchester proben sollen, aber er hatte geheiratet und befand sich auf einer kurzen Hochzeitsreise. Da ihm seine Post aus Ungarn nicht nachgeschickt wurde, verpaßte er den Termin in Wien. Cosima erwähnt seine „unglaubliche Nachlässigkeit“. Für die erste Probe waren die Tubaspieler nicht benachrichtigt worden und kamen folglich nicht, und außerdem stellte sich heraus, daß auch vergessen worden war, die Harfenstimmen abschreiben zu lassen. Trotz aller zusätzlichen Schwierigkeiten gelang es Wagner aber, ausgezeichnete Konzerte mit Auszügen aus seinen Werken zu geben. Die Begeisterung des zum großen Teil prominenten Publikums war groß. Cosima

schreibt:

„Unvergleichliche

Aufnahme,

nicht en-

denwollendes Begrüßen R’s. Lorbeerhaufen mit schönen Inschriften: ‚Dem Retter der deutschen Kunst‘, ‚dem Meister des Humors‘,

‚Dem Kenner

und Erneuerer der alten Sage‘,

‚Dem Reformator““ usw. Zwei Tage später gab Wiens Idol, der Maler Makart, in seinem Atelier (Cosima bezeichnete es

als „sublime Rumpelkammer“!) zu Ehren von Wagner ein Kostümfest. Liszt war anwesend und ebenso viele Musiker und die Creme

der Wiener Aristokratie, bis hin zu den An-

drassys, Prinz Liechtenstein und Metternichs Sohn. Cosima war gegenüber den Komplimenten dieser adeligen Gönner keineswegs unempfindlich. Sie bestärkten sie nur in ihrer Überzeugung, daß sie zur Aristokratie zählte - wenn nicht durch Geburt, so doch durch ihre Verbindungen. Ihr hochmütiges, stolzes Lächeln jedenfalls sprach dafür. Das nächste Konzert fand in Budapest statt, wo Richter eine stark verkürzte Version des „Fliegenden Holländers‘“ di-

rigierte — eine unbefriedigende Aufführung. Dennoch hielt Cosima ihn für einen „Wagnerianer par excellence“! Liszt spielte das Es-Dur-Konzert von Beethoven. „Der Vater spielt das Konzert von Beethoven zu unserem völligen Erstarren; unerhörter

Eindruck!

Unvergleichlicher

Zauber,

kein

Spie-

len, ein Ertönen.“ (9. März 1875) Die Reise führte sie in weitere fünf Städte, und bis Mai

konnte Wagner etwa vierzigtausend Gulden für Bayreuth verbuchen. Er hatte mit unglaublicher Energie gearbeitet, aber die Möglichkeit eines Fehlschlages saß ihm immer noch wie ein Alpdruck im Nacken. Sicher ist: ohne die moralische 222,

Unterstützung Cosimas und die praktische Hilfe Feustels wäre er wahrscheinlich unter dieser Last zusammengebrochen. Er war zumindest nahe daran. Als im Juli 1875 tatsächlich erste Vorproben für den „Ring“ begannen, schöpfte er neuen Mut. Es war im großen und ganzen eine von ihrer Aufgabe begeisterte Gruppe von Künstlern, die Wagner in jenem verlassenen Fleckchen Erde

versammelt hatte. Jeder einzelne war sich bewußt, daß er oder sie an einem Ereignis teilhaben würde, das, wie Levi seinem Vater schrieb, „eine radikale Umwälzung in unserem

Kunstleben hervorbringen wird.“ Wagner fühlte sich glücklich in ihrer Mitte.

Albert Niemann,

Nur

der Tenor,

machte

der launische,

ihm Ärger. Niemann

nervöse

betrachtete

sich als den führenden Tenor Deutschlands, und er kam nicht

darüber hinweg, daß Wagner ihm nicht die Rolle des Siegfried sondern nur die Partie des Siegmund angetragen hatte. Während einer Probe hatte er Probleme mit der Intonation ‘und Wagner mußte ihn mehrmals unterbrechen. Niemann wußte, daß es sein Fehler war, aber wutschnaubend mußte er

seinen Groll an jemand anderem auslassen. Plötzlich hörte er auf zu singen, ging zum Klavier, wo ihn Rubinstein bewundernswert und tadellos begleitet hatte, packte den schmächtigen Mann bei den Schultern und schüttelte ihn heftig. Wagner erbleichte, beugte sich über das Notenblatt und schwieg. Es erschien wie eine Ewigkeit, bis er schließlich sagte:

„Ich

bitte,

weiter.“

Nach

dieser

Probe

waren

die

Künstler zu einem zwanglosen Abendessen in Wahnfried eingeladen. Wagner hatte inzwischen seinen Gleichmut wiedererlangt, nicht jedoch Niemann. Die Fröhlichkeit der ganzen Gesellschaft zehrte an seinen Nerven. Er wies die angebotenen Erfrischungen gekränkt zurück. Louise Jaide (Erda) spießte ein Stückchen vom Braten auf ihre Gabel und hielt es ihm neckisch vor die Nase. Niemann nahm es, aß es und holte sich dann seinerseits ein weiteres Stück von ihrem Teller. Schließlich stand er vom Tisch auf. Cosima beobachtete diese Spielchen. Auch sie war überreizt und müde. (Sie hatte in letzter Zeit einen nicht endenden Strom von Gästen im Haus gehabt — und nicht alle waren es ihrer Meinung nach wert gewesen, in die geheiligten Hallen Wahnfrieds eingelassen zu werden. Außerdem mochte sie Niemann nicht. Sie nannte ihn einen „Störenfried, geckenhaft anspruchsvoll, leistungsbar; gesellt sich Richter zu, um Wirtshäuser zu besu-

223

chen“.) Cosima stand also ebenfalls auf, ging ins Haus und schickte Wagners Faktotum, einen Barbier mit dem unglaublichen Namen Schnappauf, vor, um Frau Jaide zu ihr zu bitten. Ein paar Minuten danach erschien die wütende Erda wieder und verkündete allen Gästen mit hochrotem Gesicht: „Ich gehe. Was ich gerade mitgemacht habe, werde ich euch bei ‚Angermann‘ [berühmtes Bayreuther Lokal] erzählen.“ Cosima, die Sittenrichterin, hatte ihr Benehmen

kritisiert,

und Louise Jaide hatte nicht die Absicht, sich das gefallen zu lassen. Sie würde ihre Rolle zurückgeben, ebenso wie Niemann. Auch andere Künstler protestierten jetzt gegen die strikte Maßregelung in Bayreuth. „Wir waren zu glücklich“, war Wagners

trauriger Kommentar,

als er versuchte, „seine

Kinder“ zu beschwichtigen — Cosima sagte er nichts davon. Er setzte allen ihm zur Verfügung stehenden Charme ein, und er konnte unwiderstehlich sein, wenn er wollte. Nach einer Weile gelang es ihm, die Palast-Revolte zu ersticken, nur der Tenor war abgereist: „Niemann ist der einzige“, so

Wagner, „der den Ernst unserer Lage nicht begriffen hat.“ (Nichtsdestotrotz sang Niemann bei den ersten Festspielen.) Am 13. August beendete Wagner die ersten Proben und gab für alle Musiker ein Sommerfest im mit Lampions und bunten Fähnchen ausgeschmückten Garten Wahnfrieds. Diesmal gelang es Cosima, ihre Rolle der „hohen Frau“ zu

unterdrücken. Aber der Ärger sollte nicht aufhören. Und diesmal kam er unerwartet von Richter. Schon in Wien hatte der junge Mann ein etwas nachlassendes Interesse gezeigt und jetzt, elf Tage nach Beendigung der Proben, schrieb er Wagner einen Brief, den Cosıma als „so töricht und roh“ bezeichnete, „daß man

sich frägt, wie dies nur möglich sei“. Möglicherweise enthielt der Brief Richters Vorschlag, die Zusammenarbeit zu beenden, da Cosima ihn beleidigt habe. (Dabei handelt es sich jedoch nur um eine Vermutung, denn der Brief ist verlorengegangen.) Was Richter dagegen zweifelsohne anstrebte, war, sich aus der Rolle des bloßen Handlangers zurückzuziehen und seine davon unabhängige eigene Karriere als Dirigent zu verfolgen. Aber Wagner brauchte ihn dringend. Wer sonst wäre ın der Lage, die musikalische Leitung der Festspiele zu übernehmen? Richters Brief kam am 24. August an. Zunächst zeigte Wagner ihn Cosima nicht einmal; statt dessen stand er mitten

224

in der Nacht

auf, um

ihn zu beantworten.

Cosima

sourgI9p

U9JZI2] SOJOUOA

BUISO) A J9USe

euısoy Mm Jo9use Funuyaraz UoA xe IF0AOIS '6]

IsnanYy 8761

Cosima Wagner im Garten des Hauses Wahnfried mit Daniela Thode, Siegfried Wagner und Winifred Wagner mit Klein-Wieland Cosima Wagner im Kreise ihrer Familie und einer Freundin des Hauses, Frau von Groß (v. 1. Henry Thode, Isolde, Cosima Wagner, Daniela, Frau von Groß, Eva und Siegfried) =

|

1918 Wieland Enkelso m

ihr mit ima Cos

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I 1e

Siegfr Sohn mit Cosima

Sinfoni IX. e

Sauter Louisvon Zeichnung BeethovensBayreuth, Opernhaus, Markgr im äflichdirigie en rt Wagner Richard 1872 Mai 22. am Festsp desielhauses Grundsteinlegung

fragte nach dem Inhalt des Briefes und Wagner sagte es ihr schließlich. Früh am nächsten Morgen verfaßte sie, ohne ihrem Mann ein Wort davon zu sagen, einen langen und bemerkenswerten Brief an Richter. Bayreuth, 25. August 1875 Mein lieber Freund,

Trotz allem, was ich dunkel vernehme, beharre ich bei dieser Benennung welche Sie sich in ernster, bedeutender Stunde erwarben, und eingedenk dieser Stunde will ich es versuchen ob es mir gelingt einen Vernunftstrahl in alldem Wirrsal zu lenken. Ich habe weder Zeitungsnotitzen noch meines Mannes ersten Brief an Sie, weder Ihre Erwiderung noch des Meisters letzte Worte gelesen, ja selbst Ihr Benehmen unserem Hause gegenüber ist mir nicht aufgefallen, denn von je her scherzten wir ja darüber, daß Sie sich besser wo anders als bei uns, und lieber mit den Kindern als mit uns selbst unterhielten. Ich habe es einzig durch meinen Mann erfahren daß, äußerst aufgebracht über üble Reden gegen mich, er Sie dafür bis zu einem gewissen Grade verantwortlich gemacht, Sie aufgefordert habe sich anders seinem Hause gegenüber zu verhalten, und Ihr Unrecht einzusehen; daß Sie darauf

erklärt hätten: Nun sei das Verderben über Sie eingestürzt, welches Ihnen mein langgenährter Hass geschworen; und hierauf sei Ihnen erklärt worden: wir kämen in Folge solcher Thorheiten nicht nach Wien... Diese ganze Nacht welche mein Mann in Ärger und Gram zubrachte, habe ich nun gesonnen, ob es mir nicht möglich sein würde dem Unheil einen Halt zu bieten, ich versuche es, mit

Zagen, gestehe ich es, und wenn es sich nicht um Sie handelte, mein lieber Freund, Sie können versichert sein, daß ich schweigen

würde. Hören Sie und vernehmen Sie nun ruhigen Sinnes, was ich aus der Treue meiner Gefühle für Sie zu Ihnen sage: Gedenken Sie dabei der Zeiten in Triebschen, wo Sie als ein Kind in unserem

Haus lebten und werden Sie diesen Zeiten, welche Sie oftmals die glücklichsten Ihres Lebens nannten, nicht untreu! Sie entsinnen sich wohl, mein lieber Freund, daß seit Ihrer An-

stellung in Pest beständige Berichte über übles Verhalten gegen meinen Vater bei uns einliefen, entsinnen Sie sich nun auch wohl,

daß ich für Sie einstand und den verschiedenen Bekannten erklärte: Ich wüßte nicht was vorgefallen, eines aber wisse ich sicher: Ihre Rechtschaffenheit und Ihre Treue — und Ihnen sagte ich dann in kurzen Worten, daß ich mir wohl denken konnte, aus

welcher reinen Quelle so manches Wort Ihnen entschlüpfte. Dieses nur zur Feststellung meiner Gesinnung gegen Sie.

225

Im vorigen Jahre nun, als Sie uns besuchten war mein Mann ernstlich ergrimmt über Ihre Vernachlässigung des Studiums der Götterdämmerung, und hat seiner Umgebung keinen Hehl daraus gemacht. Dieses Jahr nun kamen seine Concerte in Wien, einzig auf eine Mitwirkung aufgebaut, welche Sie ihm versagen mussten. Die wie ihm dünkte, große Vernachlässigung seiner Aufträge empörte ihn dermassen daß er nicht nach Pest wollte, und daß er sich einzig auf meine Bitten, und um meinen Vater nicht zu kränken, zu der Reise entschloß.... Bei der Auführung des Holländer’s als in der Ouvertüre und im zweiten Akt die Beckenschläge kamen, rief er ziemlich laut aus: „oho! Richter hilft meiner Instrumentierung auf“, und wie die

Vorstellung mit ihren Schwächen ihrem Ende nahte, drückte er unumwunden seine Verwunderung darüber aus, daß wenn Sie ein Mal seine Werke so geben müßten, Sie ihn dazu einladen, anstatt sich zu entschuldigen und ihn bitten der mißlichen Lage, in welcher Sie sich befänden, Rechnung zu tragen und sich nichts anhören. Erschrocken über die immer grösser werdende Verstimmung meines Mannes, schrieb ich in Wien an Ihre Frau... und wendete mich an sie um Sie lieber Richter immer auf der Bahn des Edlen zu erhalten; ich konnte dies mit um so mehr Zuversicht

auf meine Theilnahme für Sie, als gerade in diesem Augenblick die Verhandlungen wegen Ihrer Anstellung in Wien vor sich gingen. Ich möchte, Sie frügen bei den dabei Betheiligten an, ob eine Silbe über die jüngsten Eindrücke verlautet hat, welche allerdings seitens meines Mannes gegen die nächste Umgebung sich stark aussprachen ... Ich riet meinem Manne, daß was er gegen andere ausgelassen Ihnen zu erklären, er sagte bei passender Gelegenheit würde er es Ihnen sagen, wie wir fortfuhren frug er mich ob ich bemerkt hätte, wie Sie ihm stets ausgewichen seien... Sokam es dass, un-

richtig wie das Geschwätz stets ist, es plötzlich hieß: Sie würden die Festspiele nicht dirigieren — was auf Ihre Anfrage mein Mann Ihnen erwiderte wissen Sie, und so trafen Sie denn wir immer

gern gesehen und freundlich empfangen diesen Juli bei uns ein. Ihre Abwesenheit bei manchen der Proben hat mein Mann des öfteren herb bemerkt... . Ich blieb dabei, zu bedauern, daß Sie nicht bei uns abgestiegen, Sie einzuladen und immer im alten Triebschner Verhältnisse Ihnen Winke zu geben, wenn ich sah,

daß mein Mann welcher so manche künstlerische Bemerkung Ihnen zu machen hatte, ärgerlich wurde, daß Sie nicht erschienen.

Haben Sie mich nicht verstanden? ... Hatten Sie schon Gerede Ihr Ohr geliehen? Warum dann aber kamen Sie nicht und verlangten eine rung? So viel hätte wohl eine Beziehung von acht Jahren in welcher man sich stets noch mit Tränen in den Augen

226

dem Erkläverdient, trennte

und wiedersah? So viel’auch hätten Sie in der Zeit bemerken können, daß ich keine persönlichen Neigungen noch Abneigungen habe, sondern die liebe, welche mein Mann liebt, und von denjenigen mich trenne von denen er sich scheidet. Nun aber kam der traurige Lohn welchen mein Mann für alles Herrliche, das er uns geschenkt und geschaffen erntete! Mein Name wird in den Zeitungen gezerrt, und in seiner Empörung über diesen schmählichen Dank, schreibt er an Sie und fordert

von Ihnen gleichsam die Gewähr, daß Ihr Verhalten gegen unser Haus zu solchen Erbärmlichkeiten nicht mehr Veranlassung (oder einen Vorwand) gebe. Lieber Freund, und hätten Sie von mir geglaubt, und über mich gedacht was Sie wollten, Sie hätten ihm Alles zusagen sollen, hierin hätte sich Ihre Treue bewährt, da Sie

schon einmal den Thorheiten welche zwischen vielen aufgeregten Menschen stets in der Luft schweben, Ihr Gehör geschenkt hatten. Nun bitte ich Sie, inständigst, und bei Anrufung der alten Triebschner Stunden, in welchen Sie so bestimmt und genau wußten was wir Ihnen waren und Sie uns, holen Sie das Versäumte nach, telegraphieren Sie meinem Manne sofort nach Empfang seines in dieser Nacht geschriebenen Briefes: Sie bereuten herzlich all das thörichte Geschwätz angehört zu haben und versprächen zu uns zu kommen und zu sein der alte Richter... Von ganzem Herzen vergebe ich Ihnen alles was Sie im Herzen gegen mich mögen gehabt haben; mir wird es nicht leicht Jemanden für Schlecht zu halten, den ich ein Mal für Gut erkannt habe,

und ich werde stets die Schuld Ihrer Verwirrung in meinem Betreff auf die leicht beeinflußbare Erregbarkeit Ihres Temperaments werfen. Und, so gewährt es Ihnen eine Befriedigung Übles von mir zu denken, so sollen Sie selbst diese haben, ja selbst übles

zu sprechen, so sie dies vermögen, nur meinem Manne lassen Sie davon nichts merken, denn dann vermag selbst ich nichts mehr bei ihm für Sie. Doch ich baue fest darauf, Sie werden mich verstehen, meine Sprache kann Ihnen nicht so fremd geworden sein,

die Zeiten des Idyll’s können Ihnen nicht so entschwunden sein, und Sie werden dem nun in Gram und Kränkung leidenden Meister, den Beweis höchster Liebe nicht versagen .... Habe ich Sie je gekränkt persönlich, so bereue ich es herzlich. Doch wann wäre dies gewesen?... Nun seien Sie unserer Vergangenheit wert, kehren Sie uns wieder frei, froh und offen wie früher, und seien Sie im Gedenken alles Guten, im Vergessen alles Üblen, in der Erwartung eines tiefen und sicheren Verständnisses, herzlich gegrüßt!

227

Cosimas Brief hatte den gewünschten Effekt. Sofort, nachdem

Richter

ihn erhalten

hatte, telegraphierte

er, bat um

Vergebung und beteuerte seine lebenslange Ergebenheit. Im November desselben Jahres dirigierte er dann „Lohengrin“ und „Tannhäuser“ in Wien, die Wagner dort vorbereitet und

inszeniert hatte. Im nächsten Jahr sollte er Dirigent der ersten Festspiele sein. Cosimas Gedanken konzentrierten sich ganz und gar auf dieses Ereignis, das seit so langer Zeit geplant, für das so hart gekämpft worden war und das nun endlich Wirklichkeit werden sollte. Als ihre Mutter am 5. März 1876, im Jahr der ersten Festspiele, starb, heuchelte sie keine Trauer, die sie nicht emp-

fand. Ihr Herz gehörte der Festspielidee — Marie d’Agoult war nur eine Erinnerung.

6 „Ich habe nicht geglaubt, daß Sie es zustandebringen würden“, sagte Kaiser Wilhelm zu Wagner, als er am 12. August 1876, einen Tag vor dem Beginn der Festspiele, seinem Zug entstieg. König Ludwig war schon vor ihm angekommen. Die Bayreuther wußten von der Ankunft ihres Königs, die Stadt war beflaggt und festlich illuminiert, die Häuser und das Festspielhaus in vollem Blumenschmuck. Aber der König hatte sich von vorneherein folgendes ausbedungen: „Die mehr oder weniger verhaßten Fürstlichkeiten in Bayreuth... persönlich zu empfangen und ihr Geschwätz anzuhören, ihnen dort die honneurs zu machen, statt mich in Ihr hehres Götterwerk zu vertiefen, dazu könnte ich mich nie

und nimmer entschließen.“ In der Nacht des 6. August um ein Uhr hielt Ludwigs Zug auf offener Strecke bei der Rollwenzelei, etwas außerhalb von Bayreuth. Dort erwartete ihn Wagner. Der König streckte ihm schweigend die Hand entgegen, Wagner verbeugte sich vor ihm. Der König sah Wagner an, Wagner sah den König an. Sie hatten sich seit acht Jahren nicht mehr gesehen. Beide waren älter geworden — aber vor allem am König waren die Jahre nicht spurlos vorüberge228

gangen. Seine Gestalt war dick und schlaff geworden, der neue Bart konnte seine hängenden Backen nur zum Teil verdecken, seine Augen waren müde und glanzlos. Mit nur einunddreißig Jahren sah er bereits aus wie ein Mann ‚in mitt-

leren Jahren“. Bei der Generalprobe von „Rheingold“ (es war nur dem Namen nach eine „Probe“) war das Festspielhaus so gut wie leer. Wagner begleitete Ludwig zur königlichen Loge. Der König fragte nach Cosima, denn sie sei es gewesen, „die nie daran zweifelte, daß ich treu bleiben würde“. Am folgenden

Abend war, der Akustik wegen, das Haus voll besetzt. Umgehend entwickelte sich ein Schwarzmarkt für die Eintrittskarten und jeder Platz für „Die Walküre‘“

(7. August),

„Sieg-

fried“ (8. August) und „Götterdämmerung“ (9. August) war belegt. Ludwig hielt sich versteckt, und nachdem der Vorhang am 9. August gefallen war, kehrte er nach Hohenschwangau zurück. Cosima schreibt: „Der König verbietet alle Ovationen

und

doch

scheint

er verwundert,

wenn

sie

nicht stattfinden.“ Die Festspiele begannen am 13. August, und von diesem Zeitpunkt an bis zum Ende der dritten Serie von „Ring“-Vorstellungen am 30. August befand sich Cosima im Mittelpunkt eines nicht enden wollenden gesellschaftlichen Ansturms. Kein Wunder, daß ihr Tagebuch während dieser Zeit nur ganz kurze Notizen und Stichworte enthält. Sie war viel zu sehr mit all den großen Empfängen für die ebenso „großen“ Gäste beschäftigt, und mit dem noch schwierigeren Problem,

die großen und kleinen Monarchen im Festspielhaus so zu plazieren, daß niemand gekränkt war. Wer war wichtiger? Der Großherzog von Schwerin oder die Großherzogin von Baden? Wo sollte Gräfin Andrässy sitzen, wenn man sie in Relation zu Robert von

Keudell,

dem

Botschafter in Rom,

setzte? Wie konnte man die bayerischen von den preußischen Würdenträgern getrennt halten, die französischen von den österreichischen? Dreimal wöchentlich fanden in Wahnfried Empfänge für eine Anzahl handverlesener Gäste statt. Einer der auserwähltesten war Seine Majestät Dom Pedro II. von Brasilien, der, als er sich im Hotel einschrieb, seinen „Beruf“ mit „Kaiser“

angab. Im Neuen Schloß wohnten 59 königliche Herrschaften, nicht gerechnet Kaiser Wilhelms Gefolgschaft von 38 Personen. Der Großherzog von Weimar fragte Cosima, ob 223

Professor Helmholtz — der berühmte Physiker, der sich mit Elektrodynamik befaßte — das Orchester dirigierte. Aber es kamen auch besser unterrichtete Besucher, um Zeuge des Wunders zu sein: Einige waren, wie Camille Saint-Sa&ns und Anton

Bruckner

voller

Bewunderung,

einige,

wie

Tschai-

kowski und Hanslick brachten Vorbehalte zum Ausdruck und andere wieder, wie Grieg und Gounod waren sowohl beeindruckt als auch verwirrt. Wagner war nunmehr von solchem Interesse, daß zahlreiche Journalisten aus aller Welt in eine Stadt gereist waren, deren Namen sie vorher nicht einmal buchstabieren konnten. Aus ihren Berichten gewinnt man den Eindruck, daß sie sich mehr darum sorgten, wo man essen oder übernachten konnte,

als um

das

Verstehen

der ‚„Zukunftsmusik“.

Der

Preis für ein Hotelzimmer betrug normalerweise eine Mark — jetzt stieg er auf fünf. Familien, die ein kleines Zimmer übrig hatten, versuchten, denselben Preis für eine Übernachtung zu

verlangen. Wenn der Obdachsuchende nach diesem Angebot wütend das Haus verließ, rannte ihm meistens ein Familien-

mitglied nach und bot das Zimmer zum halben Preis an. Barbiere hatten den Preis fürs Rasieren verdoppelt, die Portiers veränderten die Wechselkurse nach Gutdünken, man konnte

keine Taxis bekommen - es gab derer nur sieben in Bayreuth — und wenn es regnete, vervierfachte sich der Tarif, sofern man überhaupt eines erwischte. Cosima beschwor Feustel: Diese Zustände seien schändlich, eine Entweihung der Festspiele — konnte denn gar nichts dagegen getan werden? Nichts dergleichen! Jeder Bayreuther, der einem Mitglied des Orchesters in seinem Haus Quartier gab, erhielt eine Freikarte für einen der hintersten Sitze. Die meisten dieser Karten wurden auf dem Schwarzmarkt heftig gehandelt. Cosima protestierte öffentlich und nachdrücklich dagegen, natürlich vergeblich. Ein junges

Mädchen

aus

Boston,

Grace

M.

Tilton,

die

später den Musikverleger Gustave Schirmer heiratete, beschrieb ihre Eindrücke von der großen Hausherrin in Bayreuth: Mme Wagner ist überaus gütig und liebenswürdig. Sie ist eine fantastisch aussehende Frau, die perfekte Königin (manche nennen sie Despotin). Sie kleidete sich sehr elegant, immer mit reichlich kostbarer weißer Spitze, und niemals sieht man sie zweimal im selben Kleid. Vormittags empfängt sie zwischen elf und

230

zwölf und einmal wöchentlich gibt sie einen Empfang für die Mitglieder des Patronatsvereins. Diese Empfänge sind ein gesellschaftliches Muß und alles, was Rang und Namen hat, ist dort zu finden. Sie sieht in letzter Zeit sehr erschöpft aus, ein Zeichen der Sorgen und Probleme, die sie haben muß. Wenn sie ihn nicht unterstützt und ermutigt hätte, sagt Wagner, hätte er diese Aufgabe nicht meistern können.

Aber es gab auch einen anderen Grund für Cosimas erschöpftes und besorgtes Aussehen, das selbst Fremden auffiel. Judith Gautier war in Bayreuth. Frisch geschieden und in ihrer neuen Freiheit erschien sie Wagner schöner und begehrenswerter als je zuvor. Ideen zur „Parsifal“-Musik stürmten selbst zu jener Zeit, inmitten all der anderen Probleme, auf ihn ein, wirbelten durch seine Gedanken — und wie

immer brauchte er jemanden, eine Frau, um diesen schöpferischen Prozeß zu beschleunigen, um sein inneres Feuer höher brennen zu lassen. So war es mit Mathilde und ‚„Tri-

stan“ gewesen, nun geschah es wieder mit Judith und ‚„Parsifal“. Und wiederum, wie schon zuvor, verstieg er sich in die

Illusion, daß seine Verliebtheit olympische Bedeutung hätte. Er schrieb Judith 1877: „An das Erlebnis Ihrer Umarmungen denke ich als an den berückendsten Rausch, an den höchsten Stolz meines Daseins. Es ist ein letztes Geschenk der Götter,

die mich nicht unter dem Gram des falschen Ruhms der Nibelungen-Aufführungen wollten erliegen lassen... Sie sind mein

Reichtum,

mein

berauschender

Überfluß!“

Und

es

scheint fast wie eine Wiederholung des oft geäußerten Bedauerns, daß er Cosima nicht schon fünfzehn Jahre früher getroffen hatte, wenn

er nun

Judith

schreibt:

„Ich träume

noch davon, wie ich als Flüchtling durch die schmutzigen Straßen von Paris gehe, von aller Welt verlassen! Plötzlich treffe ich Sie, ja Ihnen begegne ich, Judith! .... O Zeit und Raum! Ihr Feinde! Damals hätt’ ich Sie finden sollen.“ Nachdem Judith nach Paris zurückgekehrt war, bat er sie, für ihn Samt, Seide und starke Parfüms zu bestellen und an

Schnappauf

zu

senden:

„Denken

Sie

im

übrigen

schlecht von mir!“ schrieb er. „Ich bin alt genug, um

nicht mich

wieder mit Kindereien befassen zu dürfen! Ich habe die drei Jahre Parsifal vor mir und nichts darf mich dem süßen Frieden schöpferischer Einsiedelei entreißen!“ - Cosima wußte Bescheid. Aber sie war klug genug, es ihn 231

nicht merken zu lassen. Sie zeigte ihm auch nicht, wie verletzt sie sich fühlte. Kein Wort sagte sie dazu, schrieb auch nichts in ihr Tagebuch. Erst, als die Angelegenheit eigentlich vorüber war,

schrieb

sie darüber,

aber

auch

dann

nur,

ohne

Namen zu nennen: Das Leid, vor welchem mir bangte, blieb nicht aus; von außen brach es herein! Gott helfe mir! .... Schmerz, du mein alter Ge-

selle, kehre nun wieder ein und wohne bei mir; wir kennen uns beide, wie lange willst du jetzt bei mir ausharren, treuester, einzig sicherer Freund? [12. Februar 1878] Der Schlag, den Judith Cosima versetzte, war um So erTstaunlicher, als die beiden gute Freundinnen waren, oder

besser gesagt: gewesen waren. Judith hatte die Generalprobe von „Rheingold“ im Jahre 1869 in München besucht. Damals hatte sie gesagt, sie glaube, vor Wut umkommen zu müssen,

und

das entsprach

genau

dem,

was

Cosima

und

Wagner hören wollten. Damals hatte sie sich auch mit Liszt unterhalten. Als ein Mädchen, das es verstand, seine Schön-

heit seinen Absichten entsprechend einzusetzen, und für das es keinen Mann

gab, von

dem

sie sich hätte einschüchtern

lassen, brachte sie Liszt gegenüber unverblümt das eheliche Dilemma seiner Tochter zur Sprache. Judith beschwor Liszt, er solle doch keinesfalls Cosimas Scheidung einen Stein in den Weg legen. Liszt stimmte ihr zu, worauf Judith umgehend an Cosima schrieb. „Wenn ich heute Nacht Schlaf finde“, antwortete Cosima, „habe ich Dir dafür zu danken.

Ich umarme Dich von Herzen.“ Die Affäre mit Judith dauerte ein knappes Jahr. Sie war nur ein zeitweiliger Trost gewesen, eine vorübergehende Hilfe, ein letztes sexuelles Aufflackern jenes Mannes, der die

Kundry schuf. Cosima verzieh, Judith ging, Cosima blieb. Zum dritten und letzten Zyklus der Aufführungen im ersten Festspieljiahr war Ludwig erneut anwesend, und wieder versteckte er sich vor den Menschen. Am 30. August jedoch, nach der Aufführung der „Götterdämmerung“, über-

redete Wagner ihn dazu, an den Rand seiner Loge zu treten. Ludwig, dem das Publikum zujubelte, applaudierte Wagner, der vor dem Vorhang erschien. Wagner sprach mit bewegter Stimme und dankte Ludwig und den mitwirkenden Künstlern. Ob man die Bühnenfestspiele wiederholen werde, wisse 232

er noch nicht. (Schon nach der ersten „Götterdämmerung“

hatte er gesagt: „Sie haben jetzt gesehen, was wir können; nun

ist es an

Ihnen

zu wollen.

Und

wenn

Sie wollen,

so

haben wir eine Kunst!“) Daraufhin begleitete er Ludwig zum Zug. König und Komponist sprachen nur verhalten miteinander. Dann gab Ludwig das Zeichen, und der Zug setzte sich in Bewegung. Sie winkten sich Lebewohl zu. Keiner von beiden

wußte, wie lange es dauern

mochte,

bevor sie sich

wiedersehen würden. Einer,

dessen

Abwesenheit

Cosima

sehr bedauerte,

war

Nietzsche. Im Februar 1876 hatte er Wagner und Cosima den zweiten Essay aus seiner Sammlung „Unzeitgemäße Betrachtungen“ geschickt („Schopenhauer als Erzieher“). Wagner war enttäuscht, wahrscheinlich weil es sich um Schopenhauer drehte und nicht um Wagner. Er zeigte nur lauwarmes Interesse für das Werk, während Cosima in schulmeisterlichem Ton Nietzsches Stil kritisierte. Nietzsche schrieb später einmal, falls Cosima als Ausländerin den Wunsch habe, den Stil deutscher Schriftsteller zu korrigieren, so solle sie damit

zunächst einmal bei ihrem Mann

beginnen. In der vierten

Schrift aus dieser Reihe, „Richard Wagner in Bayreuth“, fei-

erte er Wagner als den ersten Künstler, dem es gelungen sei, _ alle Künste in einer großen Synthese zu verschmelzen, und alle Deutschen wurden aufgerufen, die Bedeutung der Festspiele anzuerkennen. Der Essay traf im Juli 1876 in Wahnfried ein, und Cosima verbrachte trotz allem, was sie sonst zu tun hatte, die halbe Nacht damit, ihn zu lesen. Am nächsten

Tag sandte sie Nietzsche ein Telegramm, in dem sie ihm für die geistige Auffrischung dankte, die er ihr vermittelt hatte. Nietzsche kam daraufhin zu den Proben und zu den ersten Aufführungen nach Bayreuth. Aber lange bevor sie alle vorüber waren, überragte eine aufkommende Ernüchterung und Enttäuschung sein Vergnügen. Die Festspiele erschienen ihm nur mehr als ein weiterer Zeitvertreib der reichen „Bildungs-Kretins“, nicht anders als

die Kurpromenade in Marienbad oder das Pferderennen in Baden-Baden: ein Festrummel, umgeben von Tabak und schalem Bier. Er hatte das Gefühl, daß Wagner seiner . eigenen Überzeugung untreu geworden war. Jene großen theatralischen

Effekte,

was

waren

sie schon

anderes

als

„Oper“, zusammengekleistert durch den Schleim einer Pseudo-Philosophie? Er konnte — oder wollte — nicht jene we233

nigen anerkennen

(und zweifellos

waren

es wenige),

die

hörten, verstanden und sich wie im siebten Himmel fühlten. Und so floh er: vor Wagner, vor Cosima und in gewissem Sinne vor der Musik. Natürlich verzieh ihm Cosima seine

Abtrünnigkeit niemals. Aber sie vermißte ihn. Ein weiterer Freund, der verloren war.

Am letzten Tag des August war alles vorüber. Geblieben war „nur“ die Bezahlung der Kosten. Cosima schrieb: Viele Abschiede, nichtsdestoweniger aber unser Empfangs-Abend sehr überfüllt; viele Engländer, unter anderem ein Reverend, der

sehr jesuitisch, nichtsdestoweniger sich entzückt erklärt. [31. August 1876]

Für Cosima und ebenso für ungezählt viele andere, ob sie nun in Bayreuth dabeigewesen waren oder nicht, bedeuteten diese ersten Festspiele den größten Triumph, den ein Künstler erleben konnte. Für Wagner war dem nicht so. Über die Mängel der Aufführungen konnte er vielleicht noch hinwegsehen; was er jedoch nicht verzeihen konnte, war die Unvoll-

kommenheit des Publikums. Die Unzulänglichkeiten der Bühneneffekte — der wenig überzeugende Eindruck, den die schwimmenden Rheintöchter machten, der unbefriedigende, weil nicht komplette Drachen im „Siegfried“, der fehlerhafte Szenenwechsel, durch den das Publikum zwischendurch die

hemdsärmeligen Bühnenarbeiter zu sehen bekam, Richters Unsicherheit bei den Temponahmen, das großspurige Auftreten des Baritons, der den Wotan

sang — das alles konnte

bis zu den nächsten Festspielen korrigiert werden, und wenn nicht bis dahin, dann ‚wenn ich einmal die Walküre im Himmel zur Rechten Gottes aufführe und, der Alte und ich,

wir zusehen.“ Aber Wagner wußte besser als alle anderen, daß es ihm selbst nicht gelungen war, sein Publikum zu Höherem zu motivieren, daß er nicht in der Lage gewesen war, es durch die Erhabenheit der Kunst, natürlich seiner Kunst,

von der Mittelmäßigkeit zu erlösen. Deutschland hatte ihn im 234

Stich gelassen, es war dekadent, dem Tode geweiht: Zurückblickend klagte er Cosima gegenüber: Nicht eine Illusion habe ich mehr! ... Ich frug an, ob sich 1000 Menschen in Deutschland fänden, welche 300 Mark für eine solche Unternehmung hätten; wie elend ist mir geantwortet, ich kam in die elendste Zeit, welche Deutschland je erlebt, mit diesem Sauhetzer an der Spitze. Nun habe ich es doch zu Stande gebracht, kein Mensch in der Kunstgeschichte hat das vollbracht, das große Theater zu bauen, die ersten Künstler, die wir haben,

durch die Macht meiner Persönlichkeit zu berufen und eine derartige Aufführung zu Stande zu bringen. Was war der Erfolg davon?

Bä Bä! Ich dachte, sie würden

einfach

das Defizit mir

zahlen - ja, sie kamen, die Frauen mit ihren Schwänzchen angewackelt, die Männer mit ihren Schnurrbärten, haben sich amüsiert, und da Kaiser und König dabei waren, so frägt man sich: Mein Gott, was will denn Wagner mehr? Will er noch mehr? — Ich glaube, vor 25 Jahren hätte ich meine Sache besser zu Stande gebracht. [18. März 1880]

Die Festspiele endeten mit einem Defizit. Wagner, müde und des Ganzen überdrüssig, hätte sich darüber nicht weiter aufgeregt, aber die Gläubiger regten sich auf und begannen, den „Hügel“ in ganz anderer Hinsicht hinaufzupilgern: nämlich um dort Krach zu schlagen. Cosima — und nur sie — hatte den Mut, den Tatsachen ins Gesicht zu sehen. Feustel wußte

das und deshalb schrieb er ihr: Bayreuth, 15. Januar 1878 Verehrteste Frau! Die Verhältnisse zwingen mich leider, die unerledigte Deficit-Angelegenheit zur Sprache zu bringen, und erlaube ich mir Ihre Aufmerksamkeit hierauf zu lenken, da ich Ihren Herrn Gemahl inmitten seines künstlerischen Schaffens gerne mit solchen Angelegenheiten verschonen möchte. Wie Sie wissen, war das Deficit M 147.851.82. Hievon wurden bezahlt* M 49.823.25, mithin sind noch 98.028.57 zu zahlen, welche

Summe sich um einige Verzugszinsen vergrößert. Alle Schritte, die seither geschehen sind, um eine solche Summe

zu beschaffen, waren vergebens. Ich verschone Sie mit deren Aufzählung. Es wurde nichts unversucht gelassen. Ich werde aber nun um Geld gedrängt und wenn ich gerichtliche * Cosima steuerte 32 000 Mark aus ihrem Erbe bei.

235

Schritte auch noch einige Zeit hintanhalten kann, so hat das doch seine Grenze. — Ich sehe nur noch eine Möglichkeit, um eine Catastrophe zu vermeiden. — Dieselbe besteht darin, daß Ihrem Herrn Gemahl vom kgl. Hoftheater in München auf etwa 10 Jahre eine Tantieme für seine Werke gewährt werde, im Betrag von jährlich 10.000 Mark. Es würde sich damit ein Kapital schaffen lassen, mit dem man unter Zuziehung des Erlöses aus dem Verkaufe der größeren Restauration, Alles bereinigen könnte. — Ich bin bereit alle darauf

Bezug habenden Papiere vorzulegen; es wird sich dann ergeben, daß ich sehr knapp gerechnet habe. — Zu dieser Darlegung und diesem Vorschlag habe ich mich nur nach reiflichster Erwägung aller Verhältnisse entschlossen. — Ich hoffe, mich über das Weitere in den nächsten Tagen mündlich mit Ihnen benehmen zu können, und bin für heute in

treuester Ergebenheit Ihr Friedrich Feustel

Am nächsten Tag schickte Cosima Feustels Brief ohne Wagners Wissen an Ludwig und fügte ein Begleitschreiben bei, das beispielhaft für ihre Art zu schreiben ist. Bayreuth, 16. Januar 1878 Allerdurchlauchtigster großmächtigster König! Allergnädigster König und Herr! Euere Mayestät werden es gnädig vergeben wollen, wenn ich in der Noth des Herzens auf nichts zu bauen weiß als auf die Huld des gnadenreichen Schirmherrn, der seit Jahren das geliebteste Haupt beschützt. Mir fehlt der Muth, meinem Mann jetzt, inmitten von „Amfortas“-klage, jene Klage zu Gehör zu bringen, welche gar mißstimmend und niederdrückend die Erste verstummen lassen müßte! Wird es der allergnädigste Herr, übel mir anrechnen wollen, daß ich, muthlos für das eine, dennoch den Muth behielt diese Zeilen, die ich soeben erhielt, Ihm, dem Huldvollen zu Füßen zu legen?

Auch dieser Muth hätte mir gefehlt, wenn ich nicht von der Hoffnung beseelt wäre, er würde gnädig beurtheilt werden, ja mit dem tiefdringenden Strahl des königlichen Mit-Leidens, welcher das Leben des Dichters des „Parsifal“ durchglüht, gebilligt werden!

Ich bitte Euere königliche Majestät unterthänigst, von den Zeilen, die ich mir erlaube dem allergnädigsten Herrn ehrfurchtsvoll zu unterbreiten, Kenntnis nehmen zu wollen und, wenn diese die allergnädigste Zustimmung von Euerer Majestät zu gewinnen so glücklich sind, den Befehl ertheilen zu wollen, welcher die Dek-

kung des Defizits ermöglicht.

236

Möchte ich die Ungnade meines allergnädigsten Herrn nicht durch einen Schritt auf mich ziehen, den ich in den ehrerbietigsten dankbarsten Gefühlen wagte, in welchen ich für immer ersterbe als Eurer Majestät unterthänigste Dienerin Cosima Wagner-Liszt

Ludwig, überaus großzügig, erhörte ihre Bitte und antwortete unverzüglich. In Anbetracht des Umfanges der Schwierigkeiten des Unternehmens war das Defizit eigentlich gar nicht so groß (es betrug weniger als die Hälfte von Sarah Bernhardts jährlichem Einkommen). Später wurden alle Schulden, den Vorschlägen

Feustels folgend, zurückgezahlt,

aber es dauerte länger als vorhergesehen. Erst im Juni 1906 war bis auf Heller und Pfennig alles an die Kasse des Königlichen Hoftheaters München zurückerstattet.

8 Cosimas Einfluß war in den letzten Lebensjahren Wagners am stärksten, in jener Zeit der Vollendung des „Parsifal“ er-

füllte sie ihre vornehmste Aufgabe. Ihre Gegenwart und ihre Liebe gaben Wagner die Kraft, sein — wie er glaubte — schwierigstes künstlerisches Werk zu schaffen. Wenn er sich beklagte,

er sei zu alt, um

zu vollenden,

was

er anstrebte,

dann antwortete ihm Cosima, daß sie ihm die notwendige Jugend, wenn auch schon etwas verblaßt, gäbe. Wenn er in einer optimistischen Phase und davon überzeugt war, nicht nur „Parsifal‘“ zu beenden, sondern danach auch noch Symphonien zu komponieren, dann summte er: „Ca ira, ga ira,

jaimerai toujours ma Cosima“ [Ich werd’s schon hinkriegen - und Cosima immer lieben]. Man sollte die autobiographischen Erklärungen eines Genies zwar nie zu wörtlich nehmen, aber man kann Wagner glauben, wenn er versichert, ohne Cosima hätte er keine weitere Note geschrieben: Sie hat ihm die Kraft gegeben, den Tempel von Monsalvat zu bauen. Dieser Mann, der als Mensch ein bemerkenswertes Beispiel 231

für die Diskrepanz zwischen Talent und Charakter darstellt, hatte das große Glück und die Zielstrebigkeit, eine Frau zu finden, die für ihn genau richtig war, eine Frau, die zwar einige seiner weniger schmeichelhaften Charakterzüge teilte, ihn jedoch an Anpassungsfähigkeit, Grazie und Eleganz bei weitem übertraf. Das Zusammentreffen dieser zwei widersprüchlichen Wesen verhalf dazu, jene positiven Ergebnisse zu

erzielen:

die Vollendung

der „Götterdämmerung“,

die

Komposition des „Siegfried-Idyll“, die Bayreuther Festspiele, die Schöpfung des ‚„Parsifal“, seines „Weltabschiedswerkes“. „Du weißt zu helfen“, sagte er ihr und sie schrieb es stolz in

ihr Tagebuch. Vielen Besuchern in Wahnfried erschien Cosima verändert. Ihr Vorurteile traten immer stärker hervor. Ihr Fremdenhaß

ging inzwischen

so weit, daß sie Moliere

„abstrakt

und ohne Leben“ fand. Noch öfter als zuvor machte sie häßliche Bemerkungen über Juden. Plötzlich stellte sie auch bei Rubinstein „die traurigsten Merkmale seiner Rasse“ fest. Die

Synagoge ın Nürnberg befand sie ärgerlich als beleidigenden Anblick. Ludwig Schemann, ein leidenschaftlicher Anhänger Wagners, der sie zu jener Zeit gut kannte, schrieb, daß sich

ganz vernünftige Leute über die Etikette, die Salon-Atmosphäre ihres Hauses

herrschte,

und das „Frauen-Regiment“,

beschwerten.*

Aber

Wagner

das dort

gegenüber

blieb

Cosima, abseits ihrer Tränen und ihrer Selbstüberschätzung,

wie sie stets war — voller Liebe, voller Hingabe. Und trotz aller Fehler und fehlender Finanzkraft: das Festspielhaus war Wirklichkeit geworden. Jeder Stein dieses Gebäudes, sagte er zu ihr, sei rot von ihrer beider Blut. * Ludwig Schemann: „Lebensfahrten eines Deutschen“, Leipzig, 1925.

238

9. KAPITEL

Das „Weltabschiedswerk“

Ein

richtiger

Deutscher,

der Erholung,

Sonnenschein

und

Fröhlichkeit sucht, reist nach Italien und vorzugsweise nach Venedig. Cosima und Wagner konnten es kaum erwarten, daß die Türen des Festspielhauses sich schlossen und die Bedienungen der dazugehörigen Restauration sich verabschiedeten, um andere Stellungen anzunehmen. Besonders Cosima legte größten Wert darauf, nicht noch einen weiteren naßkalten Herbst in Bayreuth mit seinen obligatorischen Erkältungen für die Kinder zu verbringen. Zwei Wochen nach der letzten „Götterdämmerung“ war die ganze Familie mitsamt dem Personal unterwegs in Richtung Italien. Nach Verona machten sie Station in Venedig, wo ihnen die Nach-

richt über die erste konkrete Festspiel-Abrechnung einen kleinen Schock verpaßte. Die Reise ging über Bologna und Neapel nach Sorrent weiter, wo sie über einen Monat blieben, und schließlich, für ebenfalls einen Monat nach Rom. In Rom trafen sie auf Graf Arthur Gobineau, mit dem sich

daraufhin eine enge Freundschaft entwickeln sollte. Als Diplomat hatte er Frankreich in drei Erdteilen gedient, als Autor veröffentlichte er unter anderem Bücher über die Religionsphilosophien Zentral-Asiens. Der Geist dieses sicher belesenen und gelehrten Mannes nahm jedoch eine Wendung ins Dünkelhafte: er ritt das hohe Roß ethnologischer Arroganz. Gobineau glaubte an die angeborene Überlegenheit der „nordischen Rasse“, allen voran der Deutschen.

Er

untermauerte diesen Glauben mit seinem vierbändigen Werk 239

„Versuch über die Ungleichheit der menschlichen Rassen“. Wie wir schon ahnten, war das Buch in Frankreich ein Reinfall, in Deutschland aber ein voller Erfolg. Aber selbst hier

wäre es schnell wieder in Vergessenheit geraten, hätte nicht Wagner erneut Aufmerksamkeit darauf gelenkt. Cosima fand den

Autor

„unbedingt

bedeutend

und

interessant“

und

genoß es, sich mit ihm französisch zu unterhalten. Langsam

nahm

„Parsifal“

Gestalt

an.

Mit

Cosima

be-

sprach Wagner alle Details. Er erklärte ihr, daß er dieses Werk völlig und ausschließlich für sie schaffe. Die Welt, in der sie lebten, könne und würde

„Parsifal‘“ nicht begreifen,

sondern es als Unsinn abtun. Sie aber — Cosima — würde es verstehen. Nietzsche, zum Beispiel, sprach von dem angeblichen „Kniefall vorm Kreuz“.

In Kundry, sicherlich die provokanteste Figur, die Wagner schuf, erkennt man einige Züge Cosimas wieder. Sie ist ein immer gegenwärtiges Beispiel menschlichen Widerspruchs, aber kein pures Porträt — ebensowenig wie Prousts Albertine oder Tschechows

Irina Arkadina

Porträts sind, auch wenn,

wie ın anderen Fällen, deren Schöpfer biographische Züge einbezogen haben. In Kundry ist viel von Cosima; nicht nur in der Kundry des ersten und dritten Aktes, wo es ihre Rolle ist zu dienen, sondern auch in der des zweiten Aktes. Ebenso

wie Cosima ist Kundry ein Wesen in Ekstase, der Ekstase des Dienens, der Ekstase des Schuldgefühls, der Ekstase Büßens. Wagner war sich dieser Ähnlichkeit bewußt,

seine liebevoll scherzenden Cosima gegenüber machte.

Bemerkungen

zeigen,

die

des wie

er

In jenen Jahren — als Wagner die Hoffnung auf den „deutschen Geist“ verlor, als ihm klar wurde, daß eine Wiederholung der Aufführung des „Nibelungenwerkes“, wie sie für die

folgende Saison geplant war, unmöglich sein würde (es tat ihm so weh, daß er sagte: „Wenn ich nur die Silbe Ni jetzt höre, reiße ich aus.“), als er die Last des Defizits mit sich

schleppte, wohin er auch ging, und als sich auch Nietzsche von ihm zurückzog -, in jenen Jahren kam er Cosima näher als je zuvor. Ihre gegenseitige Bewunderung und Liebe hatte sich so sehr vertieft, daß er nicht einen halben Tag ohne sie sein konnte, und ebensowenig sie ohne ihn.

240

R. sagt zu mir: „Du machst mir mein Leben zu einer völligen Wohltat.

-— -— Wann

wandern

wir in das

Grab?“

„Wann

Du

willst“... sagte ich! [7. Januar 1878] R. besucht mich, wie er vom Spaziergang heimkommt, und sagt mir: „Du bist ein himmlisches Geschenk. Deinetwegen glaube ich an Gott! -—-[30. Januar 1878]

Im Oktober 1876 in Sorrent unterhielten sich Wagner und Nietzsche zum letztenmal miteinander. Schon damals war offensichtlich, daß die beiden, die vieles gemeinsam

hatten, in

ihrem „künstlerischen Bestreben“, wie Nietzsche es später formulierte, inzwischen ganz verschiedene Wege gingen. Cosima wußte, wie sehr Wagner darunter litt, daß das ehe-

mals so große Einverständnis sich verflüchtigt hatte, auch wenn er ärgerlich sagte, daß es keine große Ehre sei, daß dieser Mann ihn gelobt habe. Sie versuchte weiterhin, das . zerrissene Band ihrer Beziehung zu flicken und schrieb an Nietzsche: Sıe kennen meine naive Empfänglichkeit der Kunst gegenüber; den zweiten Theil des Faustes, ja selbst die Divina Comedia habe

ich ohne Commentar gelesen, einzig der gestaltenden Gewalt des Dichters mich hingebend, und so habe ich in der Jugend den Ring des Nibelungen kennen und lieben gelernt, ohne auch nur eine Ahnung von der deutschen Mythologie zu haben.

Würde er sich dem „Parsifal“-Gedicht hingeben können? Nietzsche antwortete ziemlich unverbindlich: Parsifal verspräche Trost zu bieten, für wen immer solcher Trost notwendig sei. Seine wahre Meinung war weniger freundlich: „Der Parsifal Wagners war zu allererst und anfänglichst eine Geschmackskondeszenz Wagners zu den katholischen Instinkten seines Weibes, der Tochter Liszts.“ Ende April 1878 sandte Nietzsche ihnen sein „Menschliches, Allzumenschliches“, mit den darin enthaltenen Seiten-

hieben auf beide. Nachdem sie einen Blick darauf geworfen hatte,

schrieb

sie:

„Fester

Entschluß,

Freund

Nietzsche’s

Buch nicht zu lesen, dessen Seltsamkeit gar pervers beim ersten Blick erscheint.‘ Aber sie las es schließlich doch und schrieb Elisabeth Nietzsche, daß ihr Bruder offensichtlich in

das „Feindeslager übergegangen“ sei. Damit gab sie weitere - Bemühungen um diese Freundschaft traurigen Herzens auf. 241

Wagner las Cosima den fertigen „Parsifal“-Text am, 20. April 1877 vor. Es war ein trüber Tag: Sie hatte gerade Isolde zur Krankenbehandlung in Altenburg bringen müssen, weil sich bei ihr eine Rückgratverkrümmung entwickelt hatte und weil man hoffte, daß gymnastische Übungen helfen würden. Außerdem war hinsichtlich Bayreuth nichts geklärt. Mit fiebernder Erregung nahm sie dennoch jene Dichtung in sich auf, welche ihr „als höchster Trost in der Not des Daseins“

erschien. Um Wagners Gesundheit stand es nicht gut. Das hatte sowohl physische als auch psychische Gründe; wenn er nicht mit „Parsifal“ beschäftigt war, fiel er in Depressionen. ‘ Cosima wurde von Vorahnungen gejagt: Wie ein Grauen faßt mich der Gedanke an ein Leben, eine Welt,

in welchen er nicht wäre, mir nicht den Weg wiese, das Heil mir brächte — ja unser bloßes „Gute Nacht“, Trennung eines Augenblickes, bringt dieses Bild mit Schaudern mir vor!

[28. Januar 1878]

Aber stets verbarg sie ihre Angst und bestätigte ihn in jenem Glauben, den er selbst hätte: nämlich, nichts an kreati-

ver Kraft eingebüßt zu haben. Wenn sie ihn wieder bei der Arbeit hörte, schien es ıhr, als öffne sich ein Himmel

voller

einzigartiger Töne. Als dann ein Tiefpunkt kam, als er erklärte, daß er mit der gesamten, bisher komponierten „Parsifal“-

Musik unzufrieden sei und daß er alles bisher Geschriebene zerreißen würde, sagte Cosima: „Chäteau demoli est a moitie

reconstruit‘ (sinngemäß: Die Ruinen einer geschleiften Festung machen schon die halbe neue Burg aus)*. Unverzüglich begann er mit dem „Wiederaufbau“. Alles, was er damals wollte, war nur „von der Welt vergessen zu werden“ und von

Kundry und Amfortas zu träumen. Als er jedoch aus London ein, wie es schien, vielversprechendes Angebot erhielt, raffte Wagner sich erneut auf. Er sollte zwanzig Konzerte in der Albert Hall geben, seine Einnahmen wurden auf 500 Pfund pro Konzert geschätzt, denn Wagners Anziehungskraft war mittlerweile so groß, daß man davon ausging, er würde mit Leichtigkeit eine Halle mit einigen zehntausend Plätzen füllen. Schon vor Abschluß eines * Anmerkung des Lektors: Cosima bezieht sich dabei offenbar auf eine historische Begebenheit: Als Karl der Kahle 864 kapitulierte und die Zerstörung zahlreicher Festungen anordnete, traf letztlich das Gegenteil ein; noch mehr Burgen entstanden.

242

Kontraktes war das außergewöhnliche Angebot aber auf acht Konzerte zusammengeschrumpft, Wagner sollte eine Gesamtgage von 1500 Pfund erhalten. Obwohl Cosima nicht sehr glücklich darüber war, daß Wagner sich einer derartigen Anstrengung aussetzen würde, und obwohl sie, ebenso wie viele ihrer Freunde, den Londoner Agenten mißtraute, nahm

Wagner das Angebot an. Er wollte durch das Honorar einen kleinen Teil der Bayreuther Schulden abtragen. Am 30. April 1877 verließen Cosima und Wagner Bayreuth. Für London engagierte er Richter als seinen Co-Dirigenten, Seidl und Fischer als Assistenten, sowie acht Solisten. Er setzte hohe Honorare fest, denn mit seinen Künstlern war er immer

großzügig. Natürlich mußte alles in großem Stil ablaufen. In London waren er und Cosima die Gäste Edward Dannreuthers,

eines wohlhabenden

Musikers,

der sich schon

in

Bayreuth als hilfreich erwiesen hatte und der in einem hübschen Haus in Bayswater lebte. Dannreuther fungierte auch - als Dolmetscher zwischen Wagner und dem Orchester. Cosima fiel ın London, wie sollte es anders sein, zuallererst der Nebel auf, der „hier allem etwas Geisterhaftes gibt, und

mir tritt, gerade in dieser tätigsten Welt, die Idealität der Dinge und der Traum des Lebens sehr nahe“. Die Vitalität der Stadt und das Gefühl der Freiheit, das sie vermittelte, beeindruckten sie. „Hätte ich eine große Stadt zu wählen, es

würde London sein.“ Doch sehr bald erhielten sie die schlechten Nachrichten: Das Gastspiel war schlecht organisiert worden, die Agenten standen vor dem

Bankrott.

„Das

letzte Konzert brachte 600 Pfund ein — an selbst nur eine Deckung der Kosten ist unter solchen Umständen nicht zu denken!“

„Ganz Israel wirkt wiederum

gegen uns“, schrieb

Cosima einige Tage zuvor. Wie erklärte sie allerdings nicht. Der Tenor Unger wurde heiser, das Programm mußte geändert werden. „Das durch die Presse und die Herren Joachim*

& Konsorten so scheu gemachte Publikum wird sicherlich noch scheuer.“ In Wirklichkeit war Wagner aufgrund seines schlechten Gesundheitszustandes nicht so kraftvoll und überzeugend wie sonst. Die Albert Hall war zwar nicht ausverkauft, aber das Publikum, das erschienen war, zeigte sich enthusiastisch.

Gesellschaftlich

gesehen, verbrachte

Cosima

in London

* Ein großer Geigenvirtuose und Freund von Brahms.

243

eine durchaus

angenehme

die Schriftstellerin

George

und angenehmen

Eindruck

und anregende Eliot kennen,

macht“.

Zeit. Sie lernte die „einen

Cosima

edlen

hatte sowohl

„Silas Marner“ als auch „The Mill on the Floss“ gelesen und war voll der Bewunderung. Eliot sagte zu ihr, daß ihr Mann Jude sei.* Was Cosima antwortete, ist nicht überliefert, aber sie besuchte mit Eliot zusammen die Konzerte, wo Eliot während der Szene der Todesverkündung aus dem 2. Akt „Wal-

küre“ weinte. (Der Komponist Hubert Parry notierte das in seinem Tagebuch.) Cosima traf auch Robert Browning und Heinrich Schliemann, wobei sie letzteren „wenig bedeutend“ fand, sowie den Wissenschaftler Wilhelm Siemens.

Neben der obligatorischen Stadtbesichtigung — Tower, Kristall-Palast, Zoologischer Garten Palast, Westminster Abbey und

und Parks, Kensington Greenwich, wo sie und

Wagner Fisch aßen — besuchte Cosima unermüdlich Museen und Galerien. „Ich besuche National Gallery, lerne Reynolds

mit Vergnügen kennen, werde etwas gerechter gegen Hogarth und empfange wieder durch die Italiener Licht und Wärme.“ An freien Abenden gingen sie zusammen ins Theater. Sie sahen ein neues Stück. Cosima schrieb:

„...

vollendete Lei-

stung eines amerikanischen Schauspielers Mr. Jefferson.“ Sie lernte Edward

Burne-Jones

kennen, der ihr Gesicht interes-

sant fand und beschloß, sie zu zeichnen.** Sie saß ein paar Mal für ihn. Am 17. Mai wurden Wagners von Königin Victoria empfangen. Die Königin schrieb in ihr Tagebuch: Nach dem Lunch brachte Mr. Cusins Wagner, den großen Komponisten, den die Leute in Deutschland geradezu anhimmeln. Ich hatte ihn erstmals anno 1855 mit meinem geliebten Albert gesehen, als er bei der Old Philharmonic Society dirigierte. Er ist alt und gedrungen geworden, hat einen klugen, aber nicht sehr gefälligen Gesichtsausdruck. Er bedankte sich überschwenglich, und * Es handelte sich um George Henry Lewes, einen bedeutenden Philosophen, dessen Goethe-Biographie weltweiten Erfolg gehabt und in Deutschland große Anerkennung gefunden hatte. Sie war nicht mit ihm verheiratet; vielmehr lebten sie in einer freien und glücklichen Verbindung zusammen, bis Lewes 1878 starb, ein Jahr, nachdem Eliot

und Cosima sich kennengelernt hatten. ** Auf Anfrage gab die Tate-Gallery folgende Information: „Burne-Jones fertigte eine Zeichnung von Cosima Wagner an, wie aus der Biographie seiner Frau hervorgeht, aber es ist nicht bekannt, wo diese Zeichnung sich befindet. Lady Burne-Jones schrieb, Wagner selbst sei zu beschäftigt gewesen, um für ein Porträt zu sitzen, auch seien er und Burne-Jones sich nicht begegnet. - Weiß irgend jemand, was mit dieser Zeichnung geschah?

244

ich drückte ihm mein Bedauern aus, daß es mir nicht möglich gewesen war, eines seiner Konzerte zu besuchen.

Für all seine Arbeit und den damit verbundenen Ärger erhielt Wagner schließlich knapp siebenhundert Pfund, die er in das Loch der Bayreuther Kasse steckte. Feustel gegenüber gab er zu, daß es eine Dummheit gewesen war, nach London zu gehen, aber er wollte seinen Anhängern in Deutschland zeigen, daß ihn weder Faulheit noch Bequemlichkeit davon abhalten würden, sein Bestes zu versuchen, um Bayreuth zu retten. Sollten die Festspiele kein Dauerzustand werden, dann würde er sich aus seinem so sehr geliebten Land zurückziehen

und

nach

Amerika

auswandern.

Ob

ein „Neu-

Bayreuth“ in Minnesota möglich wäre? Cosima war zu allem bereit. Aber der König war „außer sich“, als er davon hörte.

2 „R. arbeitet!

In diesem

Wort

liegt für mich

alle Freude“,

schrieb Cosima am 29. August 1877. Zurück in Wahnfried — nachdem Wagner sich geduldig einer Kur in Bad Ems unterzogen hatte, nachdem er seine Zähne von einem amerikanischen Zahnarzt namens

Jenkins, der sich weigerte, von ihm

Geld anzunehmen, in Ordnung bringen ließ — war es naheliegend, daß beide die gähnend leere Albert Hall in London schnell vergaßen. Jetzt begann Wagner, das Mysterium „Parsifal“ in Musik umzusetzen. Dieses Mysterium konnte sich nur durch einen neuen Stil ausdrücken, einen Stil, dessen Vorfahren Palestrina und Bach waren. „Im ersten Akt bin ich

sehr sparsam gewesen mit sensitiveren Intervallen, jetzt aber [Blumenmädchenszene] greife ich wieder zu meinem alten Farbtopf.“ Jene Tage im Frühjahr könnte man als den typischen Beginn der glücklichsten Periode eines schöpferisch tätigen Menschen bezeichnen: jener Periode des ersten Entwurfes, der zwar wieder ausradiert oder geändert werden kann, der aber dennoch

schon unzweideutig ist, weil er das

Wesentliche beinhaltet. Während vieler Monate und trotz mancher schwarzer Gedanken schien damals die Sonne in 245

ihrem Leben. Cosima fühlte, daß sie genauso glücklich wie seinerzeit in Tribschen waren. Am 26. September 1877 und wiederholt auch an den folgenden Tagen spielte er Cosima das Vorspiel aus der Orchesterskizze vor. Begeistert und bestärkt unterhielten sie sich stundenlang darüber. Wagner sagte: „Für Mademoiselle Condrie [Kundry] habe ich einige Akzente auch schon, z. B. das Lachen habe ich schon.“ „Parsifal‘ sollte sein bedeutend-

stes Werk werden, und dafür mußte er ohne Trick und doppelten Boden arbeiten, durfte sich nicht aller möglichen „polyphonischen

Spielereien“

bedienen.

Beim

„Karfreitagszau-

ber“ (den Anstoß dazu bekam Wagner nicht etwa am Karfreitag oder einem anderen kirchlichen Feiertag, sondern einfach an einem schönen Tag!) würde er zurückkehren zur Einfachheit des „Siegfried-Idylis“. Zusammen mit Cosima ging er seine verschiedenen Werke kritisch durch. Der dritte Akt „Tristan“ überstieg seiner Ansicht nach das, was im Theater erlaubt sei, und abgesehen davon stellte er fest, daß kaum ein Tenor in der Lage war, diese Partie durchzustehen. Und was den „Holländer“ betrifft, so wollte er ihn nochmals bearbeiten: „R. spricht beim Abend-Tee über den Fl. Holländer und

sagt mir, es habe ihn traurig gemacht,

so vieles darin zu

finden, Geräuschvolles, Wiederholungen, kurz so vieles, was

dem Werk schade.“ (8. September

1881). Schon zuvor am

6. November 1877: „Abends der erste Akt von Tannhäuser...R. sagt, er nähme sich vor, die erste neue Szene bedeutend zu kürzen, sie drücke auf das übrige, es sei da ein

Mangel in den Verhältnissen, diese Szene ging über den Stil des Tannhäuser hinaus. — Ich verteidige sie, indem ich sage,

daß sie [über] den Zuhörer den Zauber wirft, welchem Tannhäuser

erliegt, und

so den 2ten Akt verständlicher

macht;

auch sei es der unterirdischen Zauberwelt ganz angemessen, anders zu sein als die obere schlichte. ‚Das hatte ich mir gesagt‘, meint R., ‚es ist aber nicht richtig.“

Jeden Abend spielte Wagner Cosima vor, was er tagsüber komponiert hatte. Ende Januar

1878 erklärte er: „Ich werde

nun bald meine Monsieurs mit dem Radetzky-Marsch ablatschen lassen“, womit er die Komposition zur Prozession der Gralsritter meint. Im Februar beendete er den ersten Akt „mit ihrer Hilfe“, und sie überraschte ihn mit einem Geschenk, einer mit Rosen dekorierten Bettdecke. Die Arbeit

ging weiter, eine Aufgabe, mit der er mehr als drei Jahre lang 246

beschäftigt sein würde. Ruhe kehrte ein. „Nichts kann uns anfechten, wenn wir nur unser sind“, schrieb Cosima im

März, „selbst nicht der ewig graue Himmel“. Aber wegen seiner Gesundheit machte sie sich nach wie vor Sorgen. Er trank mehr

Cognac

als bisher, und

sie bat ihn, es sein zu

lassen. Zudem schlief er schlecht, wenn er spät nachts noch ein Glas Bier getrunken hatte. Er bat sie, sich nicht zu grämen — er sei stark und er habe immer noch ein paar Ideen übrig, obwohl sie, Cosima, seine beste Idee gewesen sei. Nach

„Parsifal“ würde

er neun

Symphonien

komponieren.

Die

neunte, mit Chor, sollte eine Ode nicht an die Freude, son-

dern an den Schmerz werden.* Angelo Neumann brachte währenddessen Wagners Werke in vielen deutschen Städten zur Aufführung; Cosima stellte fest, daß „Lohengrin“ die meisten Tantiemen einbrachte. Der gesamte „Ring“ wurde im November 1878 (ohne jeden Protest seitens Wagner) in München, im Januar 1879 in Leipzig, ‚und im Mai in Wien aufgeführt. Selbst eine kleine Bühne wie in Triest gab den „Tannhäuser“. Während, kurz gesagt, die Wagner-Begeisterung überall wuchs, verfiel sein eigenes Theater. Aber nur dort, und sonst nirgendwo, würde er den „Parsifal“ inszenieren, und er begann, mit Cosima bereits die Einzelheiten zu besprechen. Wie, so fragte sie, würde man

die Schlußszene Nicht zu unrecht:

des zweiten Aktes verwirklichen

können?

es ist zwar möglich, sich vorzustellen, wie

Klingsor den Speer gegen Parsifal abzielt und wie der Speer über Parsifals Kopf schwebend stehenbleibt, aber es ist etwas anderes, das im voll ausgeleuchteten Bühnenbild des Zaubergartens glaubhaft darzustellen. Und wie, fragte Wagner sie, sollten die Blumenmädchen gekleidet sein? Vor allem aber, wo in der gesamten Opernwelt würde er einen Tenor finden, der die Stimme, die Jugend und das schauspielerische Feingefühl besaß, um seiner Hauptfigur gerecht zu werden? Der tägliche Austausch von Gedanken und Plänen riß nicht ab. Als es Frühling wurde, ging die ganze Familie spazieren: Feier der Blumenmädchen, die grüne Wiese prangt, die Kinder jubeln, im dunklen Tann grünen zart die jungen Birken, die Sonne lacht durch Dunkel und Hell, die Hunde

rasen, „Brange-

* Er schrieb — zum Scherz - die erste Zeile davon nieder: „Schmerz, schöner Höllenfun-

ken - Püffe gabst du uns und Stöße, einen Feind beschmiert mit Kot.“

247

Kundry leidenschaftlich unheimlich“, verläuft sich, kehrt wieder,

zu immer neuem Jauchzen, die Vögelchen wollen uns wieder in den Wald locken, wie wir den Saum entlang uns zum Heimgang entschließen, bleib hier, bleib hier, sagt mir der eine; doch auf dem Feld, in das Blau verloren, schwirrt die Lerche, das Herz berauschend, „es ist wie Veilchenduft“, sagt R., der mir das Blümchen

pflückt. Beglückt kehren wir heim, ich muß ihm danken für all das Licht, die Luft, den Ton, für diesen Gruß von Himmel und Erde: „Wir werden noch viele solche Tage erleben“, sagt R., „mit

einem guten Werke hinter uns! ....“ [28. April 1878]

uns,

einem

schönen

Werke

vor

Zwischen die Seiten dieses Tagebucheintrags preßte sie das Veilchen, das Wagner für sie gepflückt hatte. Fidi war für sie beide die reinste Freude. Der Junge war musikalisch, zeichnete gut, war wissensdurstig und himmelte

seinen Vater an, der seinen Entwurf der Kundry-KlingsorSzene unterbrach, um mit ihm Indianer zu spielen. Cosima kaufte ihm ein Telefon, denn Fidi war an allen neuen Erfin-

dungen interessiert. Sie besprachen seine Erziehung und seine Zukunft: Vielleicht sollte er Arzt werden und den Armen von Bayreuth helfen — natürlich umsonst. Es würde genügend Geld da sein, er müßte sich seinen Lebensunterhalt bestimmt nicht verdienen. Cosima hatte sich dagegen entschieden, daß er eine öffentliche

Schule besuchte, wo

man

ihm das Image seines Vaters besudeln würde. Er sollte deshalb Privatunterricht erhalten. Sie machte sich auf die lange und schwierige Suche, bis sie schließlich im Oktober 1879 — Fidi war schon zehn - den Mann fand, den sie für den richtigen hielt: Heinrich von Stein, selbst erst einundzwanzig, war

jung genug, um einen Buben zu verstehen. Er war „schlank und blond, wie ein Schiller’scher deutscher Jüngling“, schrieb

Wagner dem König. Er war kultiviert, gutmütig, sensibel und, wie es sich zeigte, frei vom Gift der Wagnerschen Vorurteile, so daß es ihm in den ungefähr zwei Jahren, die er in Bayreuth blieb, gelang, in Siegfried Verständnis und Toleranz zu wecken.* Wagner, ein Hurrapatriot während des Französisch-PreuBischen Krieges und Verfasser eines Gedichtes, in welchem er die Deutschen „zu den Waffen“ rief, schimpfte nun, wäh* Später lehrte Stein als Professor an den Universitäten Halle und Berlin; er starb jung im Alter von dreißig Jahren.

248

rend Fidi heranwuchs,

über den Militarismus.

„Das Wetter

verspottend sagt R.: Es sei sehr notwendig, 1.200.000 Mann auf den Beinen zu haben, damit die Franzosen uns ja nicht dieses Land nähmen. Wenn es nach ihm ging, verkaufte man es an die Franzosen und wanderte nach Taormina mit dem Gelde aus!“ Der Gedanke, für einen Krieg, sei es mit Rußland, sei es mit Frankreich, seinen Sohn zu stellen, ist ihm schauderhaft. „Man

hat Frevel getrieben mit den Gefühlen des Volkes; während der arme sterbende Soldat seinem Hauptmann sagt, ich sterbe für Deutschland, trinkt man Champagner in Versailles, freut sich, daß man Bayern herumgekriegt hat; der Teufel führt an, und der Gott hinkt hintennach.“ [10. Februar 1880] Auch Cosima, früher vom Patriotismus beseelt, sprach sich

jetzt gegen die Stupidität von Uniformen aus. An ihren Mädchen hing Cosima wie eh und je; Daniela war gefügiger geworden, Boni war reizend, auch wenn ihre schulischen Leistungen etwas zu wünschen übrig ließen. Eva war perfekt, nur Isolde blieb ein Sorgenkind. Sie kränkelte oft, litt unter Depressionen und zeigte sich nicht sehr mitteilsam. Bülow hielt an der Fiktion fest, daß Isolde seine Tochter

war. Er schrieb stets von ‚nos trois filles en commun“ (unsere drei gemeinsamen Töchter) und hatte auch dementsprechend für

alle drei

Mädchen“

Geldsummen

bereitgestellt,

alle gleich bedachte. Wenn

wobei

er zum

er

„seine

Beispiel ein

Geschenk an Isolde schickte, so war es an „Fräulein Isolde von Bülow“ adressiert. Von Zeit zu Zeit schrieb ihm Cosima,

was sie Danielas und Blandines Erziehung betreffend unternehmen würde, worauf er distanziert und formell zu antworten pflegte, er bewundere, was sie alles für ihre gemeinsamen

Kinder täte und sei voll und ganz mit ihren Maßnahmen einverstanden, aber viele Jahre lang wollte er die Kinder nicht sehen.

249

3 Anfang des Jahres 1879 beschäftigte Wagner sich vor allem mit der „Karfreitag-Szene“. Zu Cosima sagte er: „Ich dachte

heute früh, was ich niemand[em] in der Welt sagen kann, daß in einer solchen Scene Gedicht und Musik so viel konzentriert ist wie ungefähr in einem solchen [Rosen]Extrakt - um ein frivoles Gleichnis zu gebrauchen -; ich könnte über alle Gegenstände

sprechen,

Dinge,

die nur

ich sagen

könnte,

solch eine Fülle ist da konzentriert... Wenn Parsifal in Ohnmacht fällt, da beginnt es (die Au wird nicht eine Geschichte für sich), es wird das Schönste - ich habe schon vieles in Skiz-

zen“ (9. und 11. Januar). Trotzdem sollte noch einige Zeit vergehen, bevor die Szene ihre endgültige Form erhielt. Cosima, noch bewegter und aufgeregter als sonst, überlegte, was sie wohl tun konnte, um ihm eine Freude zu machen, und sie beschloß, sich von Lenbach malen zu lassen. Es sollte

ein Geburtstagsgeschenk werden. Zu diesem Zweck mußte sie nach München fahren. Wagner wollte unbedingt mitkommen, aber sie bat ihn, es nicht zu tun: Er sei ohnehin schon

überanstrengt und solle sich diese Reise ersparen. (Es war damals gar nicht so einfach, von Bayreuth nach München zu

gelangen, besonders im Winter.) Gleichzeitig wollte sie einen Facharzt konsultieren — sie hatte in letzter Zeit mit den Ohren Schwierigkeiten gehabt — und außerdem ihren Zahnarzt aufsuchen. Während Cosimas dreitägiger Abwesenheit benahmen sich Wagner und sie, als handle es sich um eine Trennung von drei Monaten: Nicht weniger als fünfzehn Telegramme gingen zwischen ihr und Wahnfried hin und her, fünf allein während der Fahrt nach München. Das erste gibt Cosima bereits in Bamberg auf: „Meine Seele zum Gruß bin

wohl bis hier angelangt bin bei dem Mahl und überol* zugegen.“ Das zweite in Treuchtlingen:

„Noch einen Gruß heute

in unaussprechlicher Vereinigung.“ Und früher als geplant kam sie zurück, nachdem sie die ganze Nacht aufrecht sitzend im Zug gefahren war. „R. lacht und sagt... die Musik war mit mir ganz von ihm geschwunden, jetzt habe er den Kopf wieder voller Themen!“ (26. Februar 1878) Am 22. Mai * Anmerkung des Lektors: Offenbar ist das dem „Bareitherisch‘“ des Postbeamten zuzuschreiben.

250

präsentierte sie ihm auf ihre spezielle Weise das von Lenbach gemalte

Porträt:

Fidi, als Maler

verkleidet,

stand

vor

der

Staffelei, den Pinsel in der Hand, als malte er gerade die letzten Striche. 1879 hatte Wagner das ganze Jahr über an „Parsifal“ gearbeitet und außerdem einige theoretische Schriften verfaßt. Ende

des arbeitsreichen

Jahres

waren

er, Cosima

und

der

Arzt der Meinung, eine längere Abwesenheit von Bayreuth sei nicht nur wünschenswert, sondern dringend erforderlich. Seine Augen bereiteten ihm Schwierigkeiten, und von Zeit zu Zeit und aus keinem ersichtlichen Grund hatte er Krämpfe in der Brust; außerdem tauchte sein altes Leiden, die Gesichtsrose, wieder auf.

Am 31. Dezember begab Reise. Wagner hatte sich ab reserviert, in der prächtigen Neapel mieteten sie sich für - alle Hände voll zu tun: Der

sich also die ganze Familie auf München einen „Salon-Wagen“ Villa Angri in Posilippo nahe sechs Monate ein. Cosima hatte Haushalt war auf elf Personen

angewachsen, zwei Gouvernanten, eine englische und eine italienische, eingeschlossen. Wagner schrieb dem König, mit

dem er und Cosima inzwischen wieder eine lebhafte Korrespondenz unterhielten und dessen Liebe zu Wagner neu erblüht war, daß der Salonwagen seinen Geldbeutel über die Gebühr in Anspruch genommen hätte. Ludwig verstand, was damit gemeint war und gewährte ihm ein zusätzliches „Taschengeld“

von

5.200

Lire, „um

dem

Meister

Richard

Wagner den seiner Gesundheit nützlichen Aufenthalt zu verlängern.“

Der

neue

Hofsekretär,

Ludwig

von

Bürkel,

der

Wagner gegenüber freundlich gesinnt war (oder es für klug hielt, zumindest den Eindruck zu erwecken), wurde beauftragt, Cosima mitzuteilen, daß „... durchaus keine Pression

zur Rückkehr des Meisters und seiner Familie in’s frostige Deutschland ausgeübt werden solle“. Sie blieben insgesamt etwa elf Monate in Italien, fuhren nach Ravello, wo Wagner,

als sie im wundervollen

Garten

des Palazzo Rufolo spazierengingen, ausrief: „Klingsor’s Zaubergarten ist gefunden!“. Danach reisten sie nach Siena, wo

ihnen

die Kathedrale

als der ideale

„Gralstempel“

er-

schien, und anschließend wiederum nach Venedig. Als sie am 30. Oktober 1880 nach München zurückkehrten, hatte Wagners Gesundheit sich nicht gebessert. Um Wagner eine Freude zu machen, hatte der König Aufführungen vom 253

„Fliegenden Holländer“, von „Tristan“ und „Lohengrin“ ar-

rangiert: Er wollte, daß Cosima und die Kinder diese Werke hören und sehen sollten. Während der privaten „Lohengrin“Aufführung am 10. November saß Wagner mit dem König zusammen in dessen Loge. Es sollte ihre letzte direkte Zusammenkunft sein. Wagner besprach sich mit Hermann Levi, der jetzt Leiter des Hoftheaters in München war, und Cosima unterhielt sich mit einem Maler namens Seitz über die „Parsifal“-Kostüme. (Böcklin, den sie eigentlich wollte, hatte es abgelehnt, auch

die Kostüme zu entwerfen.) Wagner war übermüdet und zeigte sich nicht von seiner besten Seite. Während der Proben klappte mit dem Orchester einfach alles, aber zu Wagners Ärger verspätete sich der König. Als Ludwig schließlich kam, bat er darum, das Vorspiel zu wiederholen. Wagner hatte keine andere Wahl, als dem Wunsch zu folgen. Als der König dann auch noch das „Lohengrin“-Vorspiel hören wollte, kam es zum Eklat. Wagner, in seiner „Parsifal“-Stimmung, war

nicht in der Lage, auf das frühere Werk überzugehen und bat Levi weiterzudirigieren. Er ging in seine Garderobe und zum

Hotel zurück-

kehrten. Dort suchten sie ein paar Freunde

rief nach Cosima, worauf sie zusammen

auf, darunter

auch Lenbach. „Da unglücklicherweise“, so notiert Cosima, „Lenbach von Bismarck spricht, bricht R. in Wut aus gegen

das Bulldogg-Gesicht, welches immer wieder gemalt würde.“ Cosima fühlte, daß sein Ärger sich in Wirklichkeit gegen Ludwig richtete. Lenbach aber war zutiefst verletzt und verabschiedete sich sofort. Spät nachts ging Wagner noch spazieren. Es war Cosima gelungen, ihn etwas zu beruhigen, aber er schlief sehr schlecht. Vier Tage später besuchten sie Lenbach in seinem Atelier. Sie hatten erfahren, daß Lenbach

förmlich krank gewesen wäre aus Kummer über den Vorfall, und Wagner entschuldigte sich bei ihm. Zweifellos geschah das auf Cosimas Anregung hin. Zurück in Bayreuth litt Wagner

immer

noch unter miserabler

Laune.

„Ich bin der

Plenipotentarius des Unterganges“, sagte er. Cosima verstand ihn. Sie wußte, was ihn bedrückte, lag tiefer als sein Ärger

über den König, Lenbach oder Bismarck. Es handelte sich um eine Gefühlsaufwallung, die jeder Künstler kennt: „Er ist beunruhigt durch Parsifal“, bemerkt

sie, „möchte

ihn ganz

neu komponieren“. Sie schliefen beide unruhig, und am nächsten Morgen sagte er zu ihr, gestern habe er erneut die 252

Trostlosigkeit des Lebens verspürt: „Gestern ist mir die Tragik des Lebens an einem Beispiele recht aufgegangen; es ist nicht neu, aber es trat mir deutlich nahe, nämlich daß die

Spötter des Idealisten, des Helden, recht behalten wie Mephisto, Sancho

Panza.‘“

In der

Musik

blieb

er dennoch

ein

Idealist, und nach einigen Tagen setzte er sich wieder an die Arbeit.

4 Ein Problem hatte Cosima immer und immer wieder vor sich hergeschoben; sich mit Bülow über Danielas und Blandines Zukunft zu besprechen. Sie und Wagner wollten die beiden -Mädchen adoptieren. Wenn auch nicht vor dem Gesetz, so waren sie doch in Wirklichkeit Wagners Kinder, denn sie hatten, seit sie denken konnten, in seinem Haushalt gelebt und betrachteten ihn als ihren Vater, während ihr wirklicher

Vater nur ein Name für sie war. 1881 war Daniela eine junge Frau von einundzwanzig Jahren; über kurz oder lang würde sie heiraten. Auch die achtzehnjährige Blandine war an ihren männlichen Zeitgenossen nicht uninteressiert, obwohl Cosima sie zuweilen neckte, sie sei zu unnahbar.

Der Status

beider Mädchen mußte geklärt werden. Cosima trug Bülow das Problem in einem Brief vor und schickte weitere Briefe hinterher. Aber Bülow weigerte sich, darauf einzugehen. Geschah es aus Rache, oder war es jene perverse Halsstarrigkeit, die ihn so oft zu einem „Nein“ veranlaßte, wenn man ihn drängte, ja zu sagen, oder war es einfach so, daß er sich nicht entscheiden konnte? Was auch

immer die Gründe sein mochten, er zeigte sich verstockt wie ein preußischer Gendarm unter seiner Pickelhaube. Im April 1881 besuchte Daniela Marie von Schleinitz in Berlin.

Liszt war

kommen.

ebenfalls

dort, Bülow

sollte

nach

Berlin

Cosima schlug Daniela vor, ihren Vater zu besu-

chen; Liszt begleitete sie. Es war zwölf Jahre her, seit Bülow

seine älteste Tochter

zum

letzten

Mal

gesehen

sahen sich an, fielen sich in die Arme, stammelten

hatte. Sie ein paar

‚Worte — und er war hingerissen von ihr. Diese eine Begeg253

nung veranlaßte ihn dazu, den seit Jahren liebenswürdigsten Brief an Cosima zu schreiben. Das „anbetungswürdige Kind“ (sie war längst kein Kind mehr) berührte ihn als Vater, einen Vater allerdings, der es lediglich ‚in absentia‘“ gewesen war.

Am nächsten Tag schickte er Cosima diesen Brief: Berlin, 28. April 1881 Noch einmal, Madame, danke ich Ihnen auf Knieen. Welches an-

betungswürdige Kind! Welche Seele haben Sie gebildet! Ich kann nur weinen, wenn ich an sie denke und ich denke ohne Unterlaß an sie. Dieser 27. April hat mir eine Erhebung gebracht. Ich danke der Vorsehung, daß sie mir diese unsagbare Freude vorbehalten hat, dieses Glück, dessen Süße so groß ist, daß alles Unglück, alles Bedauern, alle Vorwürfe, welche sich darein mischen, es nicht zu trüben vermögen. Sagen Sie mir, Große, Großmütige,

edle Frau, welche Pflichten könnten mir zur Erfüllung zufallen gegenüber diesem geliebten Wesen, welches meine Seele vollständig in einem Augenblick gewonnen hat? Ich möchte eine Kapelle bauen an dem Platze, wo Ihr Vater sie mir zugeführt hat. Ich verstehe den Vater Goriot. Verzeihen Sie, ich schweife ab, weil das, was da Raserei ist, für Daniela nur äußerstes Recht, göttlicher

Fanatismus sein könnte. Dank, Dank, Dank! Ich habe Ihnen ein Glück ohne gleichen zu danken, so vollständig traurig es auch sein mag.

Auch Daniela war zutiefst bewegt, und sie telegraphierte an ihre Mutter: „Durch heute erfolgtes Wiedersehen unsagbar erschüttert bitte ich um Eure Gedanken... . Lulu.“ Als Cosima und Wagner im Sommer die Frage der Adoption erörterten, meinte er, daß es vielleicht Daniela gelingen

würde, Bülow umzustimmen.

Sie war zu jener Zeit gerade

mit Liszt in Weimar und beabsichtigte, ihren Großvater nach

Rom zu begleiten. Cosima bat sie, Bülow vor ihrer Abreise nach Italien aufzusuchen und mit ihm über die Angelegenheit zu sprechen. Und da sie wußte, wie sehr sich das Mädchen zwischen den beiden „Vätern“ hin- und hergerissen

fühlte, schrieb sie ihr am 2. Juli einen langen Brief, um sie auf die Begegnung entsprechend vorzubereiten. Der Kern dieses Briefes war: Ja, natürlich hast Du einen leiblichen Vater, den Du dafür entschädigen solltest, daß ihm das

Schicksal übel mitgespielt hat, der auch ein Recht hat auf Deine hingebungsvolle Liebe, aber... zitierte sie zunächst ihre eigenen Gedanken: 254

Hier [in Bayreuth] hat sie [Daniela] einen väterlichen Schutz, dem sie in vollster Dankbarkeit sich zu neigen hat, denn er hat mir meine Mutterpflicht ermöglicht. ... Bis jetzt hast Du Deinem Pflegevater gegenüber noch nicht die edle offene Sprache gefunden, die diesem Verhältnis geziemt, Du wirst sie jetzt finden, ich weiß es... So sicher wie ich weiß, daß wir Alle zueinander gehören, trotz der Scheidungen, welche

das Leben hervorgebracht, so sicher bin ich auch indem ich zu Dir schreibe wie ich es eben thue. Sieh’ mein Kind, ich glaube,

ich hoffe, ich wäre Euch eine gute Mutter stäts gewesen, aber sicher eine ernste, strenge, vielleicht harte; die Freudigkeit und

dadurch die geduldige Milde zu meinem Berufe, ich verdanke sie Deinem Pflegevater. Im wahrsten Sinne des Wortes hat er Euch durch mich, die er gestärkt, getröstet, ermuthigt hat, erzogen ...

Danielas Unterredung mit Bülow hatte zwei Ergebnisse: Zum einen lehnte er die Adoption ab, falls Wagner sie weiter betreiben würde, zum anderen war er aber bereit, sich darüber nochmals mit Cosima auseinanderzusetzen, und zwar

mit Cosima alleine. Würde sie kommen? Cosima

war

alles recht, schließlich

setzten

sie als Treff-

punkt Nürnberg fest, „weil ich in einem Tag hin und zurück kann.“ Am

10. Juli 1881 wurde sie, trotz ihrer Zahnschmer-

zen, von Wagner und Fidi zum Frühzug gebracht. Um Uhr kam sie in Nürnberg an. Daniela holte sie ab.

ein

Von 4 bis halb sieben Hans bei mir. Versuch, die heftigen Wallungen seinerseits niederzukämpfen und seine Ungerechtigkeit gegen Daniela zu besiegen. Unlösbare Aufgabe! Er ersucht mich, noch den morgenden Vormittag dazubleiben, da er mir nicht, wie

er es gewünscht habe, das vorgetragen, was er wolle. Ich gebe es zu.

An Wagner telegraphierte sie: Gute Stimmung, wenn auch wenig bis jetzt gefördert, morgen vormittag abermalige Unterredung verabredet unter Bedingung Deiner Genehmigung. Würde dann ein Uhr Zug nehmen. Auch Zahnarzt vielleicht. Mein ganzes Sein geht als Gruß zu Dir.

Am nächsten Morgen telegraphierte Wagner zurück: Was ist hier zu genehmigen, was nicht schon im voraus genehmigt ist, da die Beherrschung der Lage dem andren zugestanden

255

worden? Das Telegramm mich. Das Gute siege!

gelangte gestern halb zehn Uhr

an

In Cosimas Tagebuch: Zweite

Unterredung;

er

wisse

nicht,

ob

weiß

weiß,

schwarz

schwarz sei, sagt mir Hans, er habe gar keinen Leitstern mehr.

' Ein nervöses Zucken überfällt ihn, wir nehmen Abschied! Ich hole Daniela ab, möchte ihn gern noch einmal sprechen, aber er wünscht es nicht. Heimfahrt unter Tränen mit Daniela. Ankunft im Hafen; R. glücklich, uns wiederzuhaben.

Er erzählt, er habe

gestern ein Whist anberaumt, sei schändlich schlechter Laune gewesen. Alles ist traurig, was ich zu berichten habe, und dennoch

kommt das heimische Gefühl über uns, und wir können es ohne Krämpfe besprechen ... Als ob ein neues Leben für mich begänne, trete ich nach dieser Begegnung wieder in dieses Haus ein, ohne Trost und doch mit Frieden... [11. Juli 1881]

Nichts konnte geregelt werden — bis zu Bülows Tod. Und dann spielte es keine Rolle mehr.

5 Ende April 1881 hatte Wagner zwar erst die Partiturarbeiten am „Parsifal‘“ beendet, aber er war inzwischen zuversichtlich,

daß er das Werk rechtzeitig zur Bayreuther Aufführung im Sommer des folgenden Jahres vollendet haben würde. Er begann erneut, die dazu nötige Gruppe eifriger Verehrer sowie Neubekehrter um sich zu sammeln — und alle waren bereit, ihr Bestes zu geben. In Italien hatte er die Bekanntschaft eines russischen Malers namens Paul Joukowsky gemacht, der einst als vielversprechendes Talent gegolten hatte (auch Henry James schätzte ihn hoch ein), dann jedoch, als wohlhabender und etwas willensschwacher junger Mann, diese Begabung nicht weiterentwickelt hatte. (James nannte ihn später enttäuscht einen „einfühlsamen Dilettanten“, und

für Turgenjew war er ein „naiver Epikureer“.) Joukowsky war von Wagner völlig in den Bann geschlagen, und dieser hielt ihn für den richtigen Mann für das Bühnenbild des „Parsifal“. Cosima war dessen nicht so sicher. 256

Engelbert Humperdinck lebte seit Januar in Bayreuth und fertigte die Kopie der Partitur an. Karl Brandt kam im Juni, um sich über die bühnentechnischen Probleme den Kopf zu zerbrechen: die Verwandlungsszenen, das Versinken des „Zaubergartens“, das Erglühen des Grals usw. Auch Joseph Rubinstein zählte noch zu diesem Kreis. Aus irgendeinem Grund mochte er Joukowsky nicht und war oft grob und unverschämt zu ihm. „Malvolio Rubinstein“ nannte ihn Cosima daraufhin. Stein teilte mit Fidi zusammen ein Zimmer, denn

auch letzteren galt es bei Laune zu halten. Verschiedene Besucher, wie zum Beispiel Julius Kniese, ein äußerst begabter Chordirigent, gingen in Wahnfried ein und aus. In diesem kleinen Universum mußte Cosima dafür sorgen, daß die einzelnen Planeten nicht kollidierten. Der wichtigste unter den neuen Wahnfried-Bewohnern war der Dirigent Hermann Levi. Er war ein hervorragender Konzertmeister und außerdem ein intellektueller und selbstkritischer Mann, ein Mensch also, mit dem Wagner sich nor-

malerweise

sehr gut hätte

schrieb Wagner

verstehen

müssen.

Zudem,

so

an Ludwig, sei Levi ein „glühender Vereh-

rer“ von ihm. Trotz alledem gab es einen dunklen Punkt: Levi war Jude. Wagner zog deshalb zunächst andere Dirigenten für „Parsifal“ in Betracht; dann versuchte er Levi, den Sohn eines Rabbi, zur Taufe zu überreden, „obwohl nicht

ganz klar ist, inwiefern diese Prozedur seine Fähigkeiten als Dirigent hätte verbessern sollen‘ (Ernest Newman). Levi nahm diesen Vorschlag nicht gerade erfreut auf: Man gab Wagner nunmehr unmißverständlich zu verstehen, daß er das Münchner Orchester nicht ohne dessen offiziellen musikalischen Leiter Levi haben konnte. So entschloß sich Wagner schließlich für Levi, und als er diesen Entschluß in hochtrabenden

Worten

dem

König

verkündete,

antwortete

ihm dieser: Hoffentlich werden die Münchner

Kräfte, deren Mitwirkung Sie

wünschen, ihrem Rufe Ehre machen! Daß Sie, geliebter Freund, keinen Unterschied zwischen Christen und Juden bei der Aufführung Ihres großen, heiligen Werkes machen, ist sehr gut; nichts ist widerlicher,

unerquicklicher,

als solche Streitigkeiten;

die Men-

schen sind ja im Grunde doch alle Brüder, trotz der confessionellen Unterschiede. [11. Okt. 1881]

2912

Wahrscheinlich mußten Wagner und Cosima ziemlich schlucken, als sie diese Mitteilung von höchster Stelle bekamen. Wagner antwortete daraufhin, der König könne nur deshalb dieser Meinung sein, weil „diese Leute nie seine kö-

nigliche Sphäre streifen: sie bleiben dann ein Begriff, während sie für uns eine Erfahrung* sind.‘ Auf dieses „Bonmot“

gab Ludwig keine Antwort. Cosima entschuldigte den König damit, daß Monarchen eben gezwungen wären, einen solchen Standpunkt einzunehmen. Levi jedenfalls war ein Muß und nachdem diese Entscheidung gefallen war, arbeitete Wagner in aller Harmonie mit ihm zusammen. An seinen Vater schrieb Levi aus Bayreuth: Ich habe drei herrliche Tage hier verbracht. Der Meister war sehr guter Laune, wir haben vielerlei besprochen für nächstes Jahr — Alles geht zum Besten!!... Daß ich das Werk leite, ist nun kein Geheimnis mehr. [14. April 1881] Ende Juni kam Levi erneut nach Bayreuth, diesmal, um in

der Villa Wahnfried zu wohnen. Er war kaum zwei Tage im Haus, als Wagner einen anonymen Brief erhielt. Er solle sein

Werk „rein erhalten und es nicht von einem Juden dirigieren lassen“, hieß es darin, Außerdem

wurde

bezichtigt, mit Cosima ein Verhältnis brachte Cosima den Brief:

Levi in dem

zu haben.

Brief

Wagner

Er: ... hier ein hübscher Brief! Sie: Etwas Schlechtes? Er: O Du wirst sehen... Ich lese, staune zuerst, stimme dann in R.’s erregte Heiterkeit ein; wie aber der Brief dem armen Kapellmeister gezeigt wird, kann er sich nicht fassen, ihm scheinen solche Unwürdigkeiten neu... .! [29. Juni 1881]

Es wäre wahrscheinlich taktvoller gewesen, wenn Wagner Levi den Brief nicht gezeigt hätte. Levi jedenfalls schäumte vor Wut, packte seinen Koffer und verließ Wahnfried. Er bat * Diese „Erfahrung“ schloß einige von Wagners ergebensten Freunden ein: Tausig, Levi, Angelo Neumann (von dem Wagner selbst sagte: „der Director Angelo Neumann hält sich für berufen, meine Anerkennung durch die ganze Welt durchzusetzen“) und der schwierige, aber treue Rubinstein; ganz zu schweigen von jenen Musikliebhabern, die schon von Anfang an zu seinen Bewunderern zählten. Als man ihn darauf aufmerksam machte, antwortete er (wie aus Cosimas Tagebuch hervorgeht), sie seien wie Fliegen: Je mehr man nach ihnen schlägt - um so mehr schwirren sie um einen herum.

258

Wagner, ihn aus seinem Vertrag als Dirigent des „Parsifal“ zu

entlassen.

Wagner

schrieb

ihm:

„Um

Gottes

Willen

kehren Sie sogleich um und lernen Sie uns endlich ordentlich kennen! Verlieren Sie nichts von Ihrem Glauben, aber gewinnen Sie auch einen starken Mut dazu! Vielleicht — gibt’s eine große Wendung für Ihr Leben - für alle Fälle aber sind Sie mein Parsifal-Dirigent!“ Er schickte noch ein Telegramm hinterher. Am nächsten Tag um ein Uhr war Levi wieder zurück. Sie nahmen gemeinsam das Mittagessen ein. Cosima schrieb:

„Unbefangenste, ja selbst sehr heitre Stim-

mung bei Tisch. R. fordert hebräischen Wein!“ Ein Jahr später schrieb der Mann, der so verletzt worden war, an seinen Vater: 13. April 1882 Er [Wagner] ist der beste und edelste Mensch. Daß ihn die Mitwelt mißversteht und verleumdet, ist natürlich; es pflegt die Welt das Strahlende zu schwärzen; Goethe ist es auch nicht besser er-

gangen. Aber die Nachwelt wird einst erkennen, daß W. ein ebenso grosser Mensch als Künstler war, wie dies jetzt schon die ihm Nahestehenden wissen. Auch sein Kampf gegen das, was er Judentum in der Musik und in der modernen Literatur nennt, entspringt den edelsten Motiven, und daß er kein kleinliches Risches hegt, wie etwa ein Landjunker oder ein protestantischer Muncker, beweist sein Verhalten zu mir, zu Joseph Rubinstein und seine frühere intime Beziehung zu Tausig, den er zärtlich geliebt hat.

Wagner und Cosima puncto

Judentum

hatten ihre „edle Denkungsart“

einige

Monate

zuvor,

anläßlich

in der

schrecklichen Brandkatastrophe im Wiener Ringtheater, bewiesen. Dort hatten am 8. Dezember 1881 Hunderte von Menschen ihr Leben verloren. Cosima schrieb in ihr Tagebuch: „Daß 416 Israeliten bei dem Brand umkamen, steigert

R.’s Teilnahme für das Unglück nicht.“ (17. Dezember 1881) Kein Wort des Widerspruchs von ihr. Selbst ihre Tochter Blandine warnte sie in ihren Briefen vor den Juden: Hüte Dich vor ihnen, halte dich fern von

ihnen!

Aber

dennoch

empfand sie große Hochachtung für Levi als Künstler, und mit der Zeit entwickelte sich bei ihr eine Zuneigung zu Levi als Menschen, der sie beinahe ebenso verehrte wie Wagner. Ende September 1881 überraschte sie unerwarteter Besuch: Judith Gautier. Cosima war nervös. Was empfand er 259

dabei? „Ich weiß noch nicht, ob [ihr Besuch] R. angenehm oder nur peinlich, wie er sagt.“ Mit der schönen Judith gerät der Abend „seltsam“, und ebenso war Cosima zumute. Aber der Betörungszauber war vorüber, und als Wagner versuchte, mit Cosima die „peinliche“ Situation zu besprechen, lenkte

sie immer ab und sprach über die Kinder. Wagner zeigte sich traurig und sagte, „wenn zwischen uns etwas wäre, dann ist für mich alles aus.“ Ihrem Tagebuch vertraute sie an: „Ich

suche in ihrer ganzen Milde die Empfindung verständlich zu machen, die mich die Fremde im Hause so stark fühlen läßt,

daß ich mich gestern Abend auf einen Augenblick entfernte.“ Aber kurz darauf reiste Judith wieder ab, und Wagner war froh darüber. „Ma chere enthousiaste, prenez pitie de moi“,

[Meine liebe Schwärmerin, haben Sie doch Mitleid!], hatte er zum Abschied zu ihr gesagt. In Wahnfried war die Welt wieder in Ordnung.

6 Italien war erneut das Ziel ihrer Sehnsüchte,

nicht nur aus

Gesundheitsgründen, sondern auch, um von Deutschland wegzukommen, das Wagner als einen bis zu den Zähnen bewaffneten Bettler bezeichnete. Im Oktober schrieb er dem König: Leider vergeht mir kein Tag, an welchem ein seit fünf Jahren mir

bekannt gewordenes, nun immer häufiger wiederkehrendes, und jetzt- nach diesem abermals in diesem widerspenstigen Klima zugebrachten Jahre - fast unablässig mich quälendes Leiden mich zu tiefster Verstimmung belästigt. Es ist nervöser Art, äussert sich als chronischer Brustkrampf, wird durch Unterleibsstörungen genährt, und gereicht durch die Berührung mit der ewig rauhen und unfreundlichen Luft zu seiner Blüthe. [19. September 1881]

Die Familie Wagner, diesmal begleitet vom

stets nützli-

chen Schnappauf, zog also in Palermos „Hotel des Palmes“ ein, einem luxuriösen Haus mit luxuriösen Preisen. Cosima

war glücklich, für eine Weile von allen Verpflichtungen, die Wahnfried mit sich brachte, befreit zu sein, aber kaum hatte

260

sie erleichtert aufgeatmet, als Fidi eine ernste Infektionskrankheit bekam und mit hohem Fieber zu Bett lag. Tag und Nacht kümmerte sich Cosima, die außer sich war vor Angst, um ihren Jungen, bis er sich nach mehr als drei Wochen

erholt hatte. Aber auch als Fidi wieder lachte, sich mit sizilianischen

Buben anfreundete und aufgrund einer neu entdeckten Leidenschaft für Architektur Palermos Häuser skizzierte, hörten

Cosimas Sorgen nicht auf. Wagners Krämpfe wurden immer häufiger und er hatte heftige Unterleibsschmerzen. Sie konsultierten

einen

Spezialisten,

der

ihnen

jedoch

erklärte,

Wagner sei vollkommen gesund. Er brauche nur eine strenge Diät sowie viel frische Luft und Sonne. Sonne gab es „und Wärme; alles bedeckt mit Gärten und Wäldern von fruchtbe-

ladenen Orangenbäumen!“ Wenn Wagner keine Schmerzen hatte, zwang er sich zur Arbeit. Am 8. November, nur drei Tage nach der Ankunft in Palermo, begann er die Partitur für

den dritten Akt. Cosima und er erwogen nun, Wahnfried zu verkaufen und sich an diesem gesegneten Fleckchen Erde niederzulassen — trotz der Mückenplage. Aber Cosima glaubte nicht ernsthaft daran: sie wußte — indem sie ihren Mann Tag für Tag beobachtete, indem sie jeden Morgen aufschrieb, wie er nachts geschlafen hatte, indem sie sah, wie er seine Hand auf die Brust preßte — daß er krank war. Sie sprach aber mit niemandem darüber, und nicht einmal sich selbst oder ihrem Tagebuch gegenüber wollte sie es zugeben. Auch Daniela, der sie in jenem November 1881 alle drei Tage einen Brief schickte, verschwieg sie die Wahrheit, sondern schrieb nur: „Papa ist gar nicht wohl,

er hat auf der Promenade seine Brustkrämpfe bekommen und war gar sehr matt!... Ich hoffe dass ein kleiner DiätFehler die Ursache war.“ Wagner hatte gehofft, die „Parsifal“-Partitur bis zu Cosimas Geburtstag beendet zu haben. Aber erneute Unterleibsschmerzen hielten ihn mehrere Tage von der Arbeit ab. Da er es nicht ertragen konnte, Cosima zu enttäuschen, bediente er

sich eines liebevollen kleinen Betrugs: Er schrieb die letzte Seite und ließ die noch nicht vollendeten Seiten davor frei. Mit einer Widmung übergab er ihr das Werk am 25. Dezember 1881. Auf der letzten Seite stand: „Für Dich“. Es war sein

kombiniertes Weihnachts-Geburtstagsgeschenk Gott! - kein armseliges.

und — weiß 261

AIG ER ae dr

10. KAPITEL

„Die Hohepriesterin“

Am 13. Januar 1882 wurde in Palermo Joukowskys Geburts‚tag gefeiert. Er war praktisch Mitglied der Familie geworden, beliebt bei jung und alt. Abends wurde ihm zu Ehren musiziert. Plötzlich entschuldigte sich Wagner und verließ die Festrunde. Besorgt stand auch Cosima auf, um nach ihm zu sehen: „... er macht die Partitur fertig.“ Cosima ging beruhigt zu den anderen zurück. Nach einer Weile kam auch Wagner, mit einem schweren Manuskript, das er Cosima überreichte. Es war die „Parsifal“-Partitur — „Es ist vollbracht!“ „Es ließ mir keine Ruhe“, sagte er. Alle, die dabei waren, Kinder, Freunde und Joukowsky, ließen den ‚„Parsi-

fal“ hochleben. Zu den Klängen des „Tannhäuser“-Marsches überreichte

Cosima

ihm

eine

Monreale-Schale,

die sie im

voraus für eben diese Gelegenheit besorgt hatte. Später in dieser Nacht, nachdem die Freunde gegangen waren, schwelgten sie in Erinnerungen. Die Vergangenheit wachzurufen, war zu ihrem bevorzugten Zeitvertreib geworden. Wagner sagte ihr, wie oft ihn die Vorstellung gequält hatte, daß er nicht lang genug leben würde, um „Parsifal“ zu vollenden. Cosima war jetzt vierundvierzig Jahre alt, aber für ihn war sie noch dasselbe junge Mädchen, das er erstmals einst in Zürich sah. Wagner war neunundsechzig, sein Haar grau, sein Gesicht von tiefen Linien gezeichnet, doch ihr war es ein Kopf, „so jung wie Fidis“. Es war vollbracht, jenes Werk, das Thomas Mann das „extremste seiner Werke“ nannte, „von einer seelisch-stylisti-

263

schen Anpassungsfähigkeit, die selbst das bei Wagner gewohnte Maß zum Schlusse noch überbietet.....‘“ Wagner war sich bewußt, daß er keine Musik-Dramen mehr schreiben würde, und Cosima war klar, daß „Parsifal‘“ entstanden war,

obwohl

Wagner nicht mehr über seinen Körper verfügen

konnte, wie er wollte. Sie erkannte beides — die Mühsal und

die Freude des Schöpfungsprozesses. Und sie wußte: wenn nicht für sie, dann wäre dieses Werk nicht vollendet worden. Wie sie Marie von Schleinitz schrieb, war es ihre Aufgabe,

wie Aaron den Arm des Moses zum Gebet während des Kampfes zu stützen (2. Mose 17,12): Cosima, die Hohepriesterin. Nun mußte das Werk nur noch auf der Bühne zum Leben erweckt werden, und das konnte nur in einem einzigen Theater geschehen. Der Gedanke jedoch, die Zitronen- und Orangenhaine verlassen zu müssen, war ihnen verhaßt. Aber sie mußten nach Bayreuth zurück: Wagner hatte die Aufgabe vor sıch, seine Ideen und Vorstellungen, die mystischer und „extremer“ waren als je zuvor, auf die Opernsänger zu übertragen, mußte seine Phantasie auf das vorgegebene Maß von Holz und Leinwand beschränken. Sie blieben so lange sie nur konnten im Süden, zogen aus dem Hotel in Palermo in eine Villa um, später dann nach Arcireale, und schließlich wiederum

nach Venedig, wo Cosima

und er sich den stattlichen Palazzo Vendramin ansahen. Er gefiel ihnen so gut, daß sie sich vornahmen, im kommenden Winter die gesamte mittlere Etage zu mieten, sobald der „Parsifal‘“ uraufgeführt war. Sie konnten es sich mittlerweile

leisten: Schott, Wagners Verleger, zahlte ihm 100 000 Mark für den „Parsifal“.

Im Frühling 1882 wurde Cosima eine große Freude zuteil: Blandine hatte in Palermo Graf Biagio Gravina, den jüngeren Sohn des sizilianischen Fürsten von Ramacca, kennenge-

lernt und sich in ihn verliebt. Er war ein gutaussehender, fröhlicher junger Mann, den Cosima gut leiden konnte, obwohl er sich nicht sehr viel aus Musik machte und obwohl ihre unverzüglich eingeholten Erkundigungen ergaben, daß die finanzielle Situation der Familie nicht gerade rosig war. Das spielte keine Rolle: Cosima sah, daß die beiden sehr ver-

liebt waren, und Biagio war klug genug, sich Wagner gegenüber respektvoll zu zeigen. So gab sie ihre Zustimmung zu dieser Verbindung, wobei sie nur die Bedingung stellte, daß 264

Biagio eine angemessene Beschäftigung finden sollte.* Die Hochzeit fand in Wahnfried statt, am 25. August zunächst standesamtlich und tags darauf in der katholischen Kirche. Das bräutliche Kind sehr ergriffen und rührend. Um

11 Uhr die

Trauung in der Kirche, der Pfarrer, wie es scheint, nicht sehr gün-

stig gestimmt, hat kaum die nötigen Vorkehrungen des persönlichen Anstandes getroffen, und seine mit allen Sakristei-Blüten und allen Unziemlichkeiten der Indiskretion versehene Rede wirkt peinlich. Vortrefflich ist die Haltung Biagio’s, und wie er feierlich mit einem ernsten Blick auf Blandine den Ring ihr ansteckt, empfinden wir es, daß hierin der Weiheakt bestand!

... R. wird so unwillig gegen alle und alles, daß er noch lange, nachdem die Gäste sich entfernt haben, die üble Stimmung nicht bewältigen kann. [26. August 1882]

Wagners Ausbrüche waren mit zunehmendem _ Alter schlimmer geworden, und gerade zu jener Zeit, als er die letzten Seiten des „Parsifal“ schrieb, verfolgten ihn „düstere De-

pressionen“.

Wenn

sich seine Stimmung

wieder aufgehellt

hatte, sah er seine Fehler ein und erzählte Cosima, wie Tal-

leyrand nach einem heftigen Wortwechsel mit Napoleon gesagt habe: „Quel dommage qu’un si grand homme soit si mal Eleve!“ (Wie schade, daß ein so großer Mann so schlecht erzogen ist!) Genau das treffe leider auch auf ihn zu. Cosima hatte das Gefühl, daß sein Ärger letztlich eine Vorahnung des Todes war, eines Todes, den er, wie er sagte, herbeisehnte, den er aber in Wirklichkeit fürchtete. Am Tag der Hoch-

zeit schrieb sie: Am Nachmittag, wie er am Schreibtisch saß, trat ich zu ihm, ihn

befragend, da sagte er mir, er wünsche sich den Tod. Am späten Abend nun, wie er in der Speise-Stube sich etwas Speise geben läßt, sitze ich allein in den entleerten Räumen und sinne und sinne, bis die erregten Gedanken eingeschlummert sind, und ich weiß, wie ungefähr es dereinst sein wird! [ 26. August 1882]

Dennoch gab es auch gute Nachrichten. Wie ihre Schwester verliebte sich nun auch Daniela. Sie verlobte sich mit Fritz Brandt, dem begabten Sohn des begabten Karl. Cosima war zumindest zunächst begeistert, doch das sollte sich bald *... was wahrscheinlich nie geschah. Er starb 1897 Jahren.

im Alter von nur vierunddreißig

265

ändern. Fritz schien ein Unruhestifter zu sein, und als er nach Bayreuth kam, tat er was er konnte, um durch Klatsch und

Anspielungen die Feindschaft zwischen Kniese und Levi zu vertiefen und sich selbst, Wagner gegenüber, in ein besseres Licht zu rücken und sich unentbehrlich zu machen. Fritz sah gut aus, und er verdrehte Daniela den Kopf, aber nach eini-

ger Zeit wurde der junge Hallodri ihrer überdrüssig und die Romanze endete abrupt. Daniela war verwirrt, fühlte sich verunsichert und unglücklich. Würde sie jemals in der Lage sein, einen Mann zu fesseln? Cosima schrieb ihr einen langen liebevollen Brief, diesmal ohne die sonst üblichen Moralpredigten, und es gelang ihr, Danielas seelisches Gleichgewicht wiederherzustellen:

„Und

begegne mit heitrer Energie den kleinen Wechselfällen; ich bitte Dich darum, weil es mir sonst ist, als hätte ich Euch ver-

wöhnt und ihr Nichts ertragen vermöchtet. Es muss uns wirklich im Leben Alles recht sein, das ist die Zauberformel, die

dann alles ebnet.“ Auf neuen Bahnen bewegte sich Bülows Leben. Er hatte eine Frau kennengelernt, in deren Gegenwart er sich wohl fühlte, eine Frau, die den einsamen Mann verstand und liebte. Noch im selben Jahr heiratete er Marie Schanzer, eine

Schauspielerin am Hoftheater in Meiningen. „Wie freundlich vom Geschick, dass wir ein Glück in Deines schimmern sehen dürfen!“, schrieb Cosima

Vaters Leben daraufhin an

Tochter Daniela. Wagner und Cosima reisten am 29. April 1882 um ein Uhr aus Venedig ab. Die Sonne schien, die Stimmen

der beiden

Gondolieri, die während der ganzen Fahrt zum Bahnhof sangen, mischten sich unter das rauschende Vorwärtsgleiten der großen Gondel. Auf den Brücken hatten sich ein paar Neugierige versammelt, die sich fragten, wer wohl diese Leute sein mochten,

die dieses Paradies verließen, während

andere gerade ihr Mittagessen genossen. Am nächsten Tag kamen sie in München an, und Cosima ging mit den Kindern ins Theater, wo sie „In achtzig Tagen um die Welt“ sahen: „Schlechtes Stück, schlecht gespielt.“ Am

1. Mai trafen sie in

Bayreuth ein. Am Bahnhof wurden sie von einer großen Delegation empfangen. Levi folgte vier Tage später, die Proben konnten beginnen. Karl Brandt war im Dezember 1881 gestorben - ein großer Verlust. Aber der ständig auf Freiersfüßen wandelnde Fritz erwies sich als beinahe ebenso energisch 266

und erfinderisch. Daniela und Wort miteinander. Cosima war nun von Anfang dabei, sie machte Vorschläge, besten postiert werden konnte, tritte der Gralsritter,

usw.

er sprachen kaum noch ein an während der Proben mit wo der Sänger Titurels am kümmerte sich um die Auf-

„Mir

ist es gar träumerisch

zu

Mute, und ich kann es nicht begreifen, wie ich zu dem Glück kam, ihm da beistehen zu dürfen und dabei [zu] sein!“ Um sicherzugehen, engagierte Wagner drei Tenöre für den Parsifal, „einer besser wie der andere, wenigstens zwei besser

wie der eine“. Die Verwandlungsszene dauerte zu lang, um im Einklang mit der Musik abzulaufen. Brandt bat deshalb Wagner, noch ein paar zusätzliche Takte zu komponieren, und dieser murrte:

„Was, nun soll ich wohl gar meterweise

komponieren?“ Humperdinck schrieb ein paar Takte und legte sie schüchtern Wagner vor, der sie zu jedermanns (einschließlich Cosimas) Erstaunen mit den Worten: „Na, warum

denn nicht? so gehts ja!“ akzeptierte.* Alle Künstler hatten versprochen, pünktlich zur ersten Probe zu erscheinen — außer Amalie Materna, die ihre Mutter besuchen wollte. Wagner schickte ihr ein Telegramm: ‚Wer nicht bei den

ersten Proben zugegen war, kann billigerweise in den ersten Aufführungen nicht singen.“ Mehr war nicht nötig. Während einer Probe „bittet R. die Herrschaften, seine Rhythmen

zu

beachten: Das, glaube ich, habe ich getroffen; ich habe schlecht komponiert, aber mein Rhythmus ist gut.“ (3. Juli 1882). Er ist ausgezeichneter Laune. Jeder der Beteiligten arbeitet voller Enthusiasmus mit, und je länger geprobt wird, um so reibungsloser läuft alles. Cosima, die natürlich jede Note, jedes Wort auswendig kannte, war

bei allen Proben

anwesend,

und die Künstler,

von Wagners Regie inspiriert, akzeptierten auch sie. Nach einem langen Probentag - eine Probe dauerte von halb neun Uhr morgens bis halb drei nachmittags, die zweite, eine Or-

chesterprobe, von fünf Uhr nachmittags bis in die Nacht hinein — war Wagner immer noch frisch und munter. Spät nachts

sprachen

Cosima

und

er

noch

über

„Parsifal“.

„... wie überwältigend ergreifend alles, jede Bewegung, jeder Ton, die kleinste Aktion wirke... und er sagt zu mır: ‚Wir haben doch viel zusammen gemacht.‘ * Später ging der Szenenumbau dincks Beitrag verzichten.

schneller vonstatten, und man

konnte auf Humper-

267

Einen Tag nach der Generalprobe, am 25. Juli, war für die Mitwirkenden ein Bankett im Festspiel-Restaurant arrangiert. Die Gäste saßen aufgereiht an einer langen Tafel, Wagner in der Mitte, Cosima mit ihrem Vater ihm gegenüber. Neben Wagner saß Judith Gautier, die er zuvor mit der

Entschuldigung, er fühle sich müde und erschöpft, nicht empfangen hatte. Jetzt waren sie in eine übermütige Konversation

verwickelt;

sie

sprach

französisch,

er

französisch-

deutsch. Während alle anderen Damen in Abendkleidern erschienen waren, trug Judith eine einfache Matrosenbluse, mit

einer flammend roten Krawatte. Nach den üblichen Reden beendete Wagner die Veranstaltung: „Kinderchen! Kinderchen, morgen kann’s endlich losgehen! Morgen ist der Teufel los! Und darum trachtet alle, Ihr, die Ihr mitwirkt, daß der Teufel in Euch hineinfährt, und Ihr als Zuhörer dabei seid,

daß Ihr ihn richtig empfangt!“ Die erste und zweite Vorstellung war für die Patronatsmitglieder reserviert. Danach folgten vierzehn weitere Vorstellungen, fast alle waren ausverkauft. Während der Uraufführung brach das Publikum nach dem ersten Akt in stürmischen Applaus aus. Nicht enden wollender Beifall folgte nach dem zweiten Akt. Wagner trat an die Brüstung seiner Loge und bat, auf einen Hervorruf der Sänger nicht weiter bestehen zu wollen. Einige mißverstanden ihn und glaubten, er wünsche überhaupt keine Beifallsbezeigung. Dies war dann der Ursprung jenes traditionellen Schweigens nach dem ersten Akt, während nach dem zweiten Akt und am Ende geklatscht wird. Am nächsten Abend war ganz Wahnfried für einen großen Empfang festlich gerüstet: „Schnappauf meint 300, ich glaube 200 Menschen.“ Trotz dieses Massenandran-

ges: Cosima hatte als Gastgeberin alles so gut im Griff, daß Wagner an diesem ereignisreichen Tag noch die Zeit und die Konzentration fand, in Humes „Geschichte von England“ zu

lesen. Während der zweiten Vorstellung herrschte wiederum Verwirrung über die Frage, wann

zu applaudieren

sei, und

am Ende der Vorstellung hielt Wagner eine kleine Rede, in welcher er seinen Künstlern

dankte.

Cosima

schreibt:

„Die

Stimmung ist eine weit friedlichere als beim ersten Male; wir haben noch ein ruhig-freundliches Zusammensein mit meinem Vater.“ Aber der Friede währte nicht lange; Wagner wurde aschfahl, als Liszt sich verabschiedete. Seiner Meinung nach

268

hätte

er

zu

allen

„Parsifal“-Vorstellungen

in

Bay-

reuth bleiben sollen. Liszt kam erst zur letzten Aufführung wieder. Am nächsten Tag erschien der Besitzer des Festspiel-Restaurants bei Cosima, beschwerte sich über das schlechte Ge-

schäft und drohte damit, die Bewirtschaftung aufzugeben. Er war kaum gegangen, als sich einige Abgesandte der Wagner' Vereine bei ihr mit verschiedenen Sorgen meldeten. Zum Mittagessen hatte sie dann alle Sänger zu Gast. Neben Liszt waren viele andere Berühmtheiten gekommen, die Cosimas Gastfreundschaft in Anspruch nahmen, unter anderem Bruckner, Leo Delibes und Camille SaintSans, Lou Andreas-Salome, der junge Gustav Mahler,

Hanslick — der ehemalige Feind, nun ein großer Bewunderer — und Angelo Neumann. Ludwig war nicht erschienen. So sehr er sich auch danach sehnte, ‚„Parsifal“ zu hören und zu

sehen: er konnte die ihn anstarrenden Menschenmengen nicht mehr ertragen. Wie er Cosima versicherte, war er zu krank, um nach Bayreuth zu kommen. Während der Festspiele erlitt Wagner einen seiner schlimmsten Herzanfälle. Er war mit Emil Scaria, dem Gurnemanz, allein in einem Zimmer, als er plötzlich auf die

Couch sank. Sein Gesicht färbte sich purpurn, die Adern auf der Stirn traten hervor, er rang nach Luft und machte hilflose

Bewegungen mit den Händen, als kämpfe er schon mit dem Tod. Nach ein oder zwei Minuten war der Anfall vorüber und Wagner bat Scaria, Cosima nichts davon zu berichten. Das Tagebuch bestätigt eine von zwei berühmten Anekdoten: Während der Vorstellung am 11. August sangen die Blumenmädchen so wunderschön, daß Wagner von seiner Loge aus laut „Bravo!“ rief und prompt vom Publikum ausgezischt wurde. Über einen anderen Vorfall während der letzten Aufführung berichtet Cosima anders als Wagners offizielle Biographen und Newman, die behaupten, Levi habe sich nicht wohl gefühlt, daher sei Wagner, ohne daß das Publikum

es

bemerken konnte, an seinen Platz getreten und habe von der Verwandlungsmusik des dritten Aktes bis zum Ende dirigiert. Cosima schreibt nichts von Levis Unpäßlichkeit. Es scheint vielmehr, daß Wagner vielleicht getrieben war von einer Vorahnung, zum

letzten Mal in diesem Theater zu sein, dessen

Mauern kraft seiner Vorstellung, Phantasie und Schöpfergabe errichtet worden waren. Vielleicht wollte er sich zum letzten Male mit seinem Orchester und seinen Sängern als 269

Einheit empfinden. Levi stand neben ihm und fühlte sich offensichtlich ganz wohl, denn zwei Tage später schrieb er an seinen Vater: Ich blieb neben ihm stehen, weil ich in Sorge war, er könne sich einmal versehen, aber diese Sorge war ganz unnütz - er dirigierte mit einer Sicherheit, als ob er sein ganzes Leben immer nur Kapellmeister gewesen wäre... Am Schlusse des Werkes brach im Publikum Jubel los, der jeder Beschreibung spottet. Aber der Meister zeigte sich nicht, blieb immer unter uns Musikanten sitzen, machte schlechte Witze, und als nach 10 Minuten der Lärm im Publikum noch immer nicht aufhören wollte, schrie ich

aus Leibeskräften: Ruhe! Ruhe! Das wurde oben gehört, man beruhigte sich wirklich, und nun fing der Meister (immer vom Pulte aus) an, zu reden, erst zu mir und dem Orchester, dann wurde der

Vorhang aufgezogen, und das ganze Sänger- und technische Personal war oben versammelt, der Meister sprach mit einer Herzlichkeit, daß alles zu weinen anfing — es war ein unvergeßlicher Moment!

Cosima schrieb am 29. August 1882: Unsere

Heimfahrt

ist

still-feierlich,

ich

meine,

wir

können

danken, wenn auch gewiß das Erreichte schwer erkauft ward und beinahe das ganze Lebensbehagen dem geopfert wird. Gewiß auch ist R. diese Wirksamkeit ein Bedürfnis und bei allem Kummervollen doch die einzige ihm entsprechende Tätigkeit. — Abends haben wir noch ein Gespräch mit den Kindern über das soeben Erlebte; es wird bemerkt, wie anders das Orchester unter

seiner Leitung gespielt habe, wie unvergleichlich anders H. Reichmann [Amfortas] das: „Sterben, einzige Gnade“ gesungen.

Und tags darauf: Und so waren sie dann abgeschlossen, diese sechzehn Aufführungen, und hat sich der Geist des Eifers, der Hingebung, bei den Künstlern allen nicht ein Mal verleugnet. Und auch die Zuschauer haben das Gefühl des Außergewohnten, selbst im größten Sinne gehabt. Ich glaube, man darf damit zufrieden sein.

270

2 Cosima konnte sich die volle Wahrheit über den Gesundheitszustand ihres Mannes nicht eingestehen. Sie unterdrückte, was

sie fühlte, aber sie beobachtete

um

so wachsamer

jedes Stirnrunzeln, jeden Atemzug. Erstaunlicherweise schien sich sein physischer und psychischer Zustand erheblich zu bessern, sobald sie am 16. September 1882 im Palazzo Vendramin in Venedig angekommen waren. Er war wissensdurstig wie immer, interessierte sich neuerdings wieder für Buddhismus,

studierte die Geschichte

Persiens und las eine

Analyse von Balzacs Werken, obwohl er sich schon vor langer Zeit geschworen hatte, nie wieder ein französisches Buch in die Hand zu nehmen. Immer noch feilte er an Aufsätzen und diversen Schriften, immer noch gab er unverblümt seine Ansichten und Urteile ab. So erklärte er zum ‚Beispiel, daß man absolut nichts vom Grammophon erwarten könne, das Edison gerade in New York vorgeführt hatte, und daß die Impressionisten „Nocturnes in zehn Minuten“ malten, daß Rußland einen starken Mann ohne Grundsätze

wie Bismarck brauche usw. Cosima schrieb alles getreulich nieder. Sie selbst begann, russische Literatur zu lieben. Tur-

genjews „Väter und Söhne“ gefiel ihr sehr, und sie war hingerıssen von „Krieg und Frieden“. Prompt schnappte es Wagner sich und war gefesselt von den Szenen mit Kutusom. 2% Das leichtlebige, lichte Venedig liebten sie mehr als je zuvor. Cosima genoß es vor allem, mit ihm zusammen in den kleinen verwinkelten Straßen und Gassen spazierenzugehen, vorbei

an

stillen,

dunklen

Kanälen,

um

schließlich

zum

prachtvollen Markusplatz zu gelangen, wo sie ihren Kaffee bei „Florian“ tranken. Wenn der Wirt sie sah, pflegte die Stadtkapelle zuweilen Stücke aus „Lohengrin“ oder „Tann-

häuser“ zum besten oder, besser gesagt: zum schlechten zu geben. Die Musiker spielten abscheulich, aber das störte Wagner nicht. An warmen Tagen gingen sie mit Fidi zum Lido und sahen ihm dabei zu, wie er auf dem Rücken schwamm und dazu Bruchstücke aus der Musik seines Vaters vor sich hin pfiff. Oder sie besuchten San Rocco, wo sie Tintorettos „Kreuzigung“, eines von Cosimas liebsten „großen Werken“, betrachteten. Sie kehrte gerne nach ihren Spazier271

gängen in das kleine Boudoir zurück, das sie sich in dem Seitenflügel des riesigen Palazzo eingerichtet hatte. Dort fühlte sie sich „wie das Hündchen

im Löwenzwinger.“

Schritte waren langsamer geworden. von der Piazzetta zum

Wagners

Und als er unterwegs

Rialto eine kurze Herzattacke

hatte,

tat Cosima so, als bemerke sie nichts davon. Anno 1858, als Wagner das Asyl verlassen und nach Venedig gefahren war, in jenem ersten „Tristan“-Jahr, hatte ein Komet den Himmel erleuchtet. Jetzt, im Jahre 1882, dem

Jahr des „Parsifal“, erstrahlte wiederum ein Komet mit glühendem Schweif über der Lagune. Cosima und Wagner erblickten ihn in einer klaren Vollmondnacht und fragten sich,

ob er ein schlechtes Omen sei. Bald darauf erhielten sie die Nachricht von Gobineaus Tod. Sie trauerten um den Freund,

und

auf

Nachruf

Wagners

Anregung

für die „Bayreuther

hin

schrieb

Blätter“,

Cosima

einen

eine Zeitschrift,

die

Wagner gegründet hatte. Dem König schrieb er: ‚So vieles ist um mich her zertrümmert, der allgewaltige Tod hat fast alles hinweggerafft, was einst beziehungsvoll in mein Leben trat: nur ein etwas bleibt in mir jugendlich lebensvoll wie am ersten Tage, da mir ein prophetischer Überblick meines Lebens aufging.“ Zu Cosima sagte er, er hoffe, noch genügend Kraft zu haben, um den „Ring“ noch einmal aufzuführen, und sie versicherte ihm, er sei der jüngste von allen. Cosıma war darauf bedacht, daß wenigstens immer ein Gast im Hause weilte, den Wagner gern mochte und dem gegenüber er seine Theorien entwickeln konnte. Familie Schleinitz,

Heinrich

von

Stein,

Humperdinck,

Rubinstein,

Jou-

kowsky und Levi kamen und gingen. Wenn sie gingen, nannte er sie „selbstsüchtig“. Ein junger Kunsthistoriker erschien immer häufiger: Heinrich Thode hatte sich in Daniela verliebt und war bemüht, sich bei Wagner als angenehmer Mensch zu zeigen, indem er sich mit ihm über Aischylos aus-

einandersetzte. Daniela war begeistert, zu Hause zu sein und half Cosima als Gastgeberin. Blandine war verheiratet und lebte in Palermo. Wagner und Cosima vermißten sie. Einen großen Teil des Herbstes und Winters verbrachte Liszt mit ihnen zusammen in Venedig. Wie stets waren sich die beiden einander nicht immer grün. Liszts Art, von einem Palast, von

einem Empfang zum anderen zu hecheln, ging Wagner mehr denn je auf die Nerven. Es kam wechselweise zum Streit mit Cosima deswegen, die einerseits ihren Vater verteidigte und 272

der es haben. [Liszt keiner

andererseits leid tat, ihrem Mann widersprochen zu Joukowsky schrieb in seinen Erinnerungen: Wenn sie und Wagner] sich miteinander unterhielten, hörte zu, was der andere sagte: Sie sprachen beide zur glei-

chen Zeit und das führte oft zu den merkwürdigsten

„quid

pro quos“. Am

18. Dezember

1882 erfuhr Cosima, daß Bülow, der seit

einiger Zeit krank gewesen war, in der Badewanne ausgerutscht sei und sich am Kopf verletzt habe. Sie glaubte, er habe einen Schlaganfall erlitten, und all ihr latent vorhandenes Schuldgefühl brach wieder in ihr durch. Sie quälte sich mit

Selbstanklagen

und

der

„schrecklichen

Vision“

eines

kranken Mannes, der seine Arme nicht mehr bewegen kann: Ich sehe Hans vor mir, einsam in jener Anstalt, und möchte schreien, schreien, daß ein Gott mir hülfe! ... Ich glaube nicht,

daß mir ein froher Augenblick mehr beschieden ist, beschieden sein darf.

Wagner, selbst gesundheitlich sehr angegriffen, tröstete sie. In ihr Tagebuch schrieb sie: „Aus tiefster Seele umarme ich R. und denke, Gott wird Erbarmen haben, er wird es!“ Das

Unglück erwies sich schließlich als nicht so schwerwiegend, wie es im ersten Augenblick schien. Bülow hatte nur einen sehr leichten Schlaganfall erlitten und gepflegt von seiner neuen Frau, erholte’er sich schnell.

Zum Jahresende hin ging Wagner mehrmals alleine aus. Cosima gab er dafür die verschiedensten Gründe an, aber sie glaubte ihm kein Wort. Was sie vermutete, war richüg: Er bereitete eine Geburtstagsüberraschung für sie vor. Eine Symphonie, die er mit neunzehn Jahren komponiert hatte und die

schon vor langer Zeit verlorengegangen war, hatte sich nun in Dresden wiedergefunden, und er beabsichtigte, sie für Cosima aufführen zu lassen. Seidl sollte dirigieren. Er hatte das Teatro La Fenice für den Abend des 24. Dezember gemietet, und die Studenten des Konservatoriums von Venedig, des „Liceo Benedetto Marcello“, sollten spielen. Seidl war jedoch verhindert, und so mußte er die Proben selbst übernehmen. Cosima: „Beim Abendbrot teilt er mit, daß er seine

Krämpfe dort [Liceo] gehabt; wie er aber meldet, er müsse morgen wieder hin, sie hätten keinen Dirigenten; auf mein leises Staunen hierüber, bricht es bei ihm heraus, daß er zu

273

meinem Geburtstag mir seine Symphonie aufführen wolle Cosima konnte ihre Neugier nicht bezwingen und schlich

pe

sich heimlich in eine der letzten Proben:

„Ich sitze fern von

ihm heimlich da und denke gerührt, daß vor 50 [Jahren] er für seine Mutter und nun für mich dieses Werk aufführt.“ Den Musikern hatte Wagner gesagt: Es sei ein altes Stück, vor fünfzig Jahren geschrieben, sie würden nichts Neues darin finden, wenn sie Neues haben wollten, müßten sie eine

Symphonie von Beethoven oder Haydn nehmen. Das Wetter am Weihnachtsabend war klar und schön. Cosima und die Kinder, Liszt, Joukowsky und Humperdinck fuhren mit drei Gondeln

zum

Theater.

Im Fenice, das hell

beleuchtet war, fanden sich noch ein paar andere Gäste ein: der Direktor des Konservatoriums und einige Freunde von Liszt, die dieser im letzten Augenblick eingeladen hatte. Wagner ging lebhaften Schrittes zum Dirigentenpult und erhob den Taktstock. Die Aufführung war natürlich ein großer Erfolg, Cosima dankte den jungen Musikern, die einen Toast auf sie brachten. Dann flüsterte Wagner Liszt ins Ohr:

„Hast du deine Tochter lieb? Dann

setze dich an das

Klavier und spiele!“ Liszt folgte diesem Wunsch sofort „zur jubelnden

Freude

aller“. „Gegen

elf Uhr fahren wir heim,

Venedig wie in blauer Verklärung! Die Kinder entzückt von dem Abend, R. sehr befriedigt!“

3 Der erste Monat des neuen Jahres brachte Wagner gute und schlechte Tage. Liszt reiste ab, Humperdinck

reiste ab, und

Wagner sagte ihnen widerwillig Lebewohl. Levikam dann im Januar für eine Woche, und sie besprachen die Pläne für die

Bayreuther

Festspiele

im

kommenden

Sommer.

Wagner

schlug eine „Tannhäuser“-Aufführung vor, und als Levi sich

verabschiedete, umarmte und küßte Wagner ihn sehr bewegt. Bald aber beklagte er sich bei Cosima über seine Untätigkeit. „Ich bin wie Othello, mein Tagwerk ist vorbei.‘ Der bittere

Kern ım Grunde seiner Seele hatte sich nicht aufgelöst. Er hatte nicht die Kraft, ein neues Werk zu beginnen, und er 274

haßte sich selbst, weil er in Levis Gegenwart erneut seine An-

sichten über die Juden zum besten gegeben, und Levi deswegen schwere Depressionen bekommen hatte. Nichts klappte mehr so richtig, und er bezichtigte sich Cosima gegenüber als „schlimmen Charakter“. Es regnete und es war kalt in Vene-

dig. Wagner sehnte sich nach Wärme:

Im Tagebuch-Nach-

trag schrieb Daniela, daß er sagte, das Beste, was einem wi-

derfahren könne, sei ein Exil nach Ceylon... „ich bin der unglücklichste Mensch, daß ich mein schönes Haus mit solch einem S.-Klima gebaut habe...“ Es schien ihm, als ob er in

ewigem Winter lebte, und selbst die Festspiele erschienen absurd. Am nächsten Tag jedoch, am 11. Februar 1883, begann er ein Essay zu schreiben, eine „stark gepfefferte“ Angelegenheit. Er las Cosima die erste Seite davon vor. Seine Laune hatte sich gebessert, weil er wieder arbeitete. Am Abend des 12. Februar, Levi war gerade abgereist, las Wagner Cosima und der Familie „Undine‘“ von Fouque vor. - Joukowsky war ebenfalls anwesend. Cosima gab ihm ihren Notizblock, und er fertigte eine kleine Skizze an: „R.lesend“.

Dann ging Wagner zum Klavier und spielte das „Porazzi“Thema und ein paar Takte eines Scherzos, das ihm eingefallen war. Cosima zog sich zurück. Sie war schon im Bett, als sie ihn in seinem Zimmer „viel und laut“ sprechen hörte. Sie

stand auf und ging zu ihm. Er sagte: „Ich sprach mit dir“. Sie umarmten sich lange und zärtlich. Er sagte: ‚Alle 5000 Jahre glückt es!“ Dann setzte er sich noch einmal an das Klavier, und an Wesen wie Undine denkend, die sich nach einer

menschlichen Seele sehnen, spielte er die Klage der Rheintöchter aus dem Ende des „Rheingold“:

„Ich bin ihnen gut,

diesen untergeordneten Wesen der Tiefe, diese[n] sehnsüchtien? ; Das waren die letzten Worte, die Cosima in ihr Tagebuch schrieb. Am nächsten Tag, dem 13. Februar 1883, sagte Wagner, als er aufstand: „Heute muß ich mich in acht nehmen“. Er blieb in seinem Zimmer, arbeitete an seinem Essay „Über das

Weibliche im Menschlichen“. Als Joukowsky wie gewöhnlich zum Mittagessen kam, ließ Wagner ausrichten, er sei nicht ganz wohl, sie sollten ruhig anfangen zu essen. Aber kein Grund zur Sorge! Trotzdem bat Cosima das Hausmädchen Betty Bürkel, im angrenzenden Zimmer zu bleiben. Sie hörte ihn als erste nach Luft ringen und stöhnen. Plötzlich zog er 218

heftig an der Glocke: „Meine Frau — und der Doktor!“ Cosima sprang auf, flog die Treppe hinauf ohne zu sehen, stieß mit solcher Kraft an die halboffene Tür, daß diese bei-

nahe zerbarst und bettete ihren Mann in ihre Arme. Er war zusammengebrochen,

und seine Uhr, ein Geschenk Cosimas,

fiel aus der Westentasche „Meine Uhr“. Das waren

auf den Boden. seine letzten Worte.

Er murmelte: Als der Arzt

kam, legte er Wagner auf das Sofa und versuchte eine Herzmassage. Der Puls war nicht mehr zu spüren. Es war zu spät. Wagner war tot. Cosima kniete zu seinen Füßen, hielt seine Knie umklammert. Er war um 15.30 Uhr gestorben. Stumm und fast bewegungslos saß sie an der Seite des toten Mannes und winkte mit einer Handbewegung alle fort, die sich zu nähern versuchten. Sie weigerte sich, etwas zu essen. Sie saß einfach nur da. Ab und zu nahm sie den toten Körper in ihre Arme, flüsterte nutzlose Worte, ab und zu fiel

sie trotz allem in einen leichten Schlummer. Fünfundzwanzig Stunden lang bewegte sie sich nicht von der Stelle. Erst danach konnte Wagners Totenmaske genommen werden, und auch dann nur heimlich, ohne Cosimas Wissen. Schließlich, am Abend des nächsten Tages, ließ sie sich schweigend von Daniela aus dem Zimmer führen. Liszt telegraphierte aus Budapest, ließ fragen, ob Cosima seine Anwesenheit wünsche. Durch Daniela lehnte sie sein Angebot ab. Er war froh darüber. Der Sarg wurde gebracht. Cosima schnitt sich ihre Haare ab, jenen Schmuck, den Wagner so sehr geliebt hatte,

und legte sie in den Sarg. Man hatte Bülow, der sich gerade langsam von seiner Krankheit erholte, Wagners Tod nicht mitgeteilt. Schließlich, am Abend des vierzehnten, glaubte seine Frau, es ihm nicht

länger verschweigen zu können, und brachte ihm die Kunde in Gegenwart

des Arztes. An ihre Mutter schrieb sie: „Der

Eindruck war zermalmend. Bülows Leben ist mit dem Namen so eng verwebt, daß ihm, nach seinen eigenen mühsam

hervorgebrachten Worten, ist, als sei sein Geist mit

diesem Feuergeist nun auch gestorben, nur ein Fragment seines Körpers wandere noch umher.“ Einige Tage später erfuhr Bülow, daß Cosimas Lebensgeister im Erlöschen seien, daß sie sich weigere, zu essen, daß sie sterben wolle, und er telegraphierte ihr: ,„Soeur il faut vivre“.

[Schwester, Du mußt weiterleben!] Nietzsche

276

schrieb:

„Sie haben

es sich früher

nicht ver-

‚wehrt, in ernsten Lagen auch meine Stimme zu hören: und eben jetzt, wo mich die erste Nachricht erreicht, daß Sie das

Ernsteste erlebt haben, weiß ich mein Gefühl nicht anders auszuschütten, als indem ich ganz an Sie und nur an Sie es richte...

So sehe ich heute auf Sie, und so sah ich, wenn-

gleich aus großer Ferne, immer auf Sie, als auf die bestverehrte Frau, die es in meinem Herzen gibt.“ Als Ludwig die Nachricht überbracht wurde, rief er: „Entsetzlich, fürchterlich!“ und bat darum, alleine gelassen zu werden. An Cosima schrieb er: „O möge der Allmächtige

Ihnen die Kraft verleihen, die entsetzliche Prüfung zu ertragen.“ Und nach den Trauerfeierlichkeiten sprach er das stolze Wort: „Den Künstler, um welchen jetzt die ganze Welt trauert, habe ich zuerst erkannt, habe ich der Welt gerettet.“

Den Künstler... von Wagner als Menschen sagte er nichts. Nur drei Jahre sollten vergehen, bevor er selbst starb, ent-

thront und für wahnsinnig erklärt. Das Geheimnis seines ‘Todes wurde nie ganz aufgeklärt. Auch Venedig trauerte um Wagner, obwohl nur wenige Venezianer

ihn gekannt

strahlenden

Stern erinnern, der hinter dem

Horizont versunken

hatten.

„Wir

werden

uns

an

den

musikalischen

ist“, schrieb die „Gazzetta di Venezia“

am 14. Februar. Drei Tage darauf wurde das Liceo geschlossen und die Stadtkapelle spielte nicht wie sonst auf dem Markusplatz. Die Gazzetta berichtete auch, daß Cosima „gestern

etwas Nahrung zu sich nahm“. Daniela hatte Feustel telegraphiert und darum gebeten, daß sein Schwiegersohn Adolf Gross und dessen Frau auf dem schnellsten Weg nach Venedig kommen sollten. Gross übernahm

es, Journalisten,

offizielle Abgeordnete

und

Be-

kannte vom Palazzo Vendramin fern zu halten sowie alles für die Überführung nach Bayreuth zu arrangieren. Am Morgen des 16. Februar bewegte sich eine Gruppe schwarz drapierter Gondeln - in einer davon saß Cosima allein, tief verschleiert

— langsam

zur

Bahnstation.

Gross

war

es gelungen,

den

Bahnhof für die Öffentlichkeit schließen zu lassen, bis der Zug abgefahren war. Cosima saß in dem Abiteil, in dem sich

der Sarg befand. Die Vorhänge vor den Fenstern waren zugezogen. Da saß sie und da blieb sie während der langen Reise, immer noch bewegungslos, stumm und taub gegenüber allem, was um sie herum vor sich ging. Richter, der sofort aus Wien nach Venedig gekommen war, 211

nahm sich der Kinder an. Wo immer der Zug anhielt, hatten sich Menschen angesammelt, um ihr Mitgefühl auszudrükken. Aber Cosima sah und hörte niemanden. Am 17. Februar um drei Uhr nachmittags, ungefähr vierundzwanzig Stunden nach der Abfahrt in Venedig, fuhr der Zug in München ein. Die riesige Bahnhofshalle war gefüllt mit Menschen, die Fakkeln trugen und Blumen brachten. Erst gegen Mitternacht erreichte der Zug Bayreuth. Dort wartete eine große Menschenmenge auf die Rückkehr dieses ihres einstmals prominentesten Einwohners. Cosima wünschte, daß der Sarg sofort nach Wahnfried gebracht würde. Das erwies sich jedoch als unmöglich, und so verblieb der Sarg mit einer Totenwache während der Nacht auf dem Bahnhof. Als Cosima in Wahnfried ankam, vermißte sie plötzlich ihre Eheringe. Joukowsky fuhr zurück zum Bahnhof, um sie zu suchen, konnte sie aber

nicht finden. Später fand man sie in Cosimas Zimmer: Sie waren ihr vom Finger geglitten, ohne daß sie es gemerkt hatte. Am Nachmittag darauf, es war ein Sonntag, formierte sich

der letzte Trauerzug auf dem Bahnhof. Muncker und Feustel sprachen von dem Mann, der das unbekannte, kleine Bayreuth zum Erstaunen der ganzen Welt berühmt gemacht hatte. Eine Regimentskapelle spielte die „Trauermusik“ aus der „Götterdämmerung“. Ein Gesandter des Königs legte einen Kranz auf den Sarg, aber Ludwig selbst war nicht zu den Trauerfeierlichkeiten seines Freundes erschienen. Der Leichenwagen, von vier schwarzen Pferden gezogen, fuhr in der Mitte des Trauerzuges, der sich langsam durch die Straßen auf Wahnfried zu bewegte. Alle Häuser waren schwarz beflaggt, es war bitter kalt. Als in Wahnfrieds Garten der Sarg zu der Gruft getragen wurde, die Wagner selbst einige ‚Jahre zuvor als solche bestimmt hatte, begann es leise zu schneien. Zwölf Männer trugen den Sarg, unter ihnen Muncker,

Feustel,

Gross,

Seidl,

Joukowsky,

Richter

und

Levi. Cosima war bei den Trauerfeierlichkeiten nicht dabei, aber als die Freunde sich zerstreuten und es dunkel wurde, kam

sie, auf Gross gestützt, aus dem Haus. Und in ihrer Gegenwart wurde der Sarg in die Erde hinuntergelassen.

278

11. KAPITEL

Stille und erneutes Klingen

„Meine Tochter Cosima tut alles mögliche, um Wagner nicht zu überleben“, schrieb Liszt im Dezember 1883, mehr als

neun Monate nach Wagners Tod. Während der ersten zwei Monate nach jenem 13. Februar hüllte Cosima sich in Schweigen. Die meiste Zeit schloß sie sich in ihr Zimmer ein, las die Schriften ihres Mannes immer wieder, betrachtete mit geröteten Augen sein Porträt, und -

ob gewollt oder nicht gewollt : immer wieder tauchten in der Erinnerung Bilder aus der Vergangenheit auf. Weshalb sollte sie noch etwas niederschreiben? Sie las weder Shakespeare noch die Zeitung, sie empfing keine Besucher und weigerte sich, Kondolenzbriefe

anzusehen.

Weil ihr Arzt darauf be-

stand, daß sie täglich einen Spaziergang machte, fügte sie sich, aber sie versteckte

sich unter einem

großen Hut, und

wenn andere sie grüßten, senkte sie wortlos ihr Haupt, ohne die Grüße der Vorübergehenden zu erwidern. Nach wenigen Minuten im hellen Tageslicht des Frühlings kehrte sie in die Dunkelheit ihres Zimmers zurück. Warum wurde ihr Wunsch, mit ihm zu sterben, nicht erfüllt?

Selbst mit den Kindern zu sprechen, war ihr eine Qual. Sie konnte die tröstenden Worte nicht ertragen. Sie verkehrte mit ihnen fast nur noch durch schriftliche Mitteilungen, und als es Frühling geworden war, nahm sie all ihre Kraft zusammen und schrieb einen langen Brief an Daniela (die im Zimmer nebenan wohnte). Dieser Brief enthielt Ermahnungen und Verfügungen, die nach ihrem Tod zu befolgen seien — jenem Tod, den sie noch immer sehnlichst erhoffte und erwartete:

279

... Lebt nun für Siegfried, meine Kinderchen! Alle Eure Gedanken seien hierauf gerichtet; es ist eine schwere, aber eine herrliche Aufgabe, und Ihr werdet, sie ständig erfüllend, mich stets bei Euch fühlen. Hoffentlich ist es mir in der Zeit, die ich unter Euch zu leben hatte, geglückt, Euch zu zeigen, wie unaussprechlich ich Euch liebe, mich Eurer freue, Euch segne, Euer Wohl und Gedeihen genieße. Wenn ich von dannen zu ziehen hätte, so würdet Ihr es also nicht als ein liebloses Verlassen betrachten, oder als ob

meiner Seele nicht wohl unter Euch gewesen wäre — nicht eine Stunde habe ich das Glück Eures Besitzes verkannt! -, sondern

der Schlag, der mich traf, überstieg dann meine Kräfte. Wohl hätte ich es vermocht, noch Jahre hindurch das Leben uns allen tragen [zu] helfen, wenn ich auch wohl gar oft mich erschöpft fühlte - aber wie ich -— doch das wird Gott bestimmen. Seinem Willen habe ich mich mit ganzer Seele ergeben, wie er es lenkt, wie er es leitet, es wird gut sein, das denkt und fühlt mit mir. Sorgt für Siegfried, dies mein erstes und letztes; Euer erstes Erwachen am Tage sei für ihn, Euere erste Tätigkeit, Euere schönste Sorge. Kinderchen, sollte ich Euch zu verlassen haben, ich denke, Ihr werdet freundlich zu unserer Ruhestätte blicken und Euch sagen: sie sind, wir sind vereint, ja wir sind es, bleiben es in alle

Ewigkeit!

...[10. April 1883]

Mehr als vier Monate waren seit Wagners Tod vergangen, als es Daniela schließlich gelang, ihre Mutter, zumindest vorübergehend, aus ihrer tränenreichen Isolation herauszulösen,

indem sie an ihre Verantwortung der Familie gegenüber appellierte. Die Kinder brauchten sie in diesem Wahnfried, wo jeder nur noch auf Zehenspitzen herumschlich. Es gab keine Gemeinschaft

mehr,

keine

Gespräche,

keine

Musik

— und

nur sehr wenige Besucher. Daniela beschrieb diesen Zustand in einem Brief an Joukowsky, der sie hatte wissen lassen, daß

er nicht nach Bayreuth kommen konnte — oder wollte. Wie es schien, wollte überhaupt niemand mehr nach Bayreuth kommen. ...Ich begreife aber das Gefühl, was Sie abhält von Bayreuth, denn folgte ich meinem innersten Instinkt, ich wäre lieber in Indien als hier, unterhielte mich lieber mit Elephanten, als mit den besten Freunden... Die Tage fliegen uns dahin — wir nennen uns die Mütter von Mama, denn sie ist wie ein Kind mit uns, wir

pflegen, nähren und hüten sie; die thätige Sorge um sie hilft über die schwersten Stunden unseres verdunkelten Lebens hinüber — und Gott sei Lob ist sie doch nicht krank. Sie spricht sogar manchmal mit uns über Papa’s Leiden oder über diesen letzten

280

13. Februar. Noch vor einigen Wochen hätte sie’s nicht gekonnt. Wir lesen viel mit ihr aus seinen Schriften, ich nehme einiges von Schopenhauer mit ihr durch, sie giebt den Schwestern und Fidi manche Stunden und arbeitet für Boni und den kleinen Manfred. Keine Sekunde ist sie unbeschäftigt, aber freilich dem Leben hat sie sich abgewendet. — Sie will Grosspapa [Liszt] nicht mehr sehen — auch er kommt in diesem Sommer nicht. Der Arme, er hat sich

überlebt — wie entsetzlich einsam steht er da, wie hängt er mit keiner Faser zusammen mit der Welt und muss noch leben in ihr! Auch Glasenapps bringen’s nicht über’s Herz, den Sommer zu kommen - das thut uns leid, so sehr ich sie verstehe. Warum

legen sie uns solche Entbehrungen auf? ...

Im August war Cosimas Zustand noch immer besorgniserregend. Siegfried war zur Erholung ans Meer geschickt worden, vor allem deshalb, um ihn für einige Zeit von Wahnfried fernzuhalten. Cosima schrieb ihm einen Brief, der für

den vıerzehnjährigen Jungen eigentlich eher peinlich gewe‚sen sein muß: Mein gesegnetes Kind! Habe Dank und immer wieder Dank! Mit Engelsstimmen möchte ich es Dir, mein Teuerstes, sagen. Sei jeder Deiner Schritte gesegnet! Jedes Wort, jeder Atemzug! Du teure Freude, Du mein

Segen! Ach mein Siegfried. Friede meines Herzens — Sieg der Liebe. Wie möchte ich Dich anrufen, um meinem Herzen zu genügen, um es mir selber zu sagen, was Du mir bist! ... Schlaf süß ...[5. August 1883]

i

In jenem Sommer wurden zwölf „Parsifal“-Aufführungen unter Levis Leitung und mit derselben Besetzung wie im Vorjahr gegeben. Cosima besuchte keine einzige. Als jedoch die Festspielzeit vorbei war, erhielt sie ein vierzig Seiten umfassendes Memorandum,

das ein offensichtlich kenntnisreicher

Beobachter für sie zusammengestellt hatte und darin die Aufführungen von 1883 mit jenen unter Wagners Leitung verglich. Die Quintessenz dieser Analyse war, daß schon die Nebenrollen wie Gralsritter, Knappen und Blumenmädchen unnötig aufgebauscht wurden, mit dem Ergebnis, daß die Hauptdarsteller ihre Rollen ebenfalls, in einem Rückfall in den klischeehaften Operngestus, schrecklich übertrieben. Bestimmte Bewegungen wiederholten sich ständig, Effekthascherei

und

„Schmierenkomödiantentum“

machten

die

Glaubwürdigkeit der Aufführung zunichte. 281

Als Cosima, noch halb in der „Trance des Schmerzes“, dieses Protokoll las, begann sie zu erkennen, daß ihr Leben doch noch einen Sinn hatte. Isolde, Eva und auch Fidi

würden bald alt genug sein, um ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen, auf sie wartete jetzt eine andere, weiterreichende

Aufgabe. Wie in der Vergangenheit, so würde sie auch in Zukunft ihre Mission haben. Sie bestand darin, Wagners Werke in seinem Theater in seinem Sinne aufzuführen. Es ging darum, sein Erbe zu bewahren, auf seine Interpretationen zu-

rückzugreifen. Man mußte Schluß machen mit den sich hin und her bewegenden Köpfen und den ausgestreckten Armen, mußte

darauf achten, daß die Blumenmädchen

nur Parsifal

und nicht das Publikum zu betören versuchten. In der Zwischenzeit war in Bayreuth ein erstaunlicher Vorschlag unterbreitet worden: Unter dem Vorwand, daß Cosima zu sehr in ihren Grundfesten erschüttert sei, um selbst wieder aktiv werden zu können, sollte die „Last“ der

Festspielleitung von ihr genommen werden. Die Festspiele sollten von einem Konsortium mit Bülow und Liszt an der Spitze und einem für die organisatorischen Belange Verantwortlichen geleitet werden. Schon damals war man sich darüber im klaren, daß Bayreuth ein „Geschäft“ werden würde;

Cosima wollte man mit einem Ehrentitel abspeisen. Von Levi, dessen Loyalität Cosima gegenüber unerschütterlich war, würde man sich trennen. Merkwürdigerweise befürwortete auch Daniela diesen Plan, was natürlich zu einer vor-

übergehenden Unstimmigkeit zwischen Mutter und Tochter führte.

Der

Drahtzieher

dieses

Planes

war

Julius

Kniese,

dessen zuweilen wenig angenehmen Charakterzüge seine hervorragenden Fähigkeiten als Chordirektor wieder aufwogen. Er haßte Levi und glaubte, seine eigene Macht vergrößern zu können, wenn es ihm gelang, Cosima auszuschalten. Liszts und Bülows Namen sollten dazu das nötige Prestige liefern, da sein eigener Name so gut wie unbekannt war. Ein Kampf dieser Art war ganz nach Cosimas Geschmack. Genau das brauchte sie, um aus ihrer bisherigen Verzagtheit zu erwachen, ihre Lähmung

zu lösen. Jemand

wagte es, das

Erbe ihres Mannes anzutasten — was für eine unglaubliche Anmaßung! Ein Jahr nach seinem Tod in Venedig raffte sie sich auf und beriet sich zunächst mit Adolf von Gross, den sie

als ihren treuesten Berater und Verbündeten betrachtete. Cosima setzte drei Schwerpunkte. Erstens war es ohne jeden 282

Zweifel, auch wenn kein Testament vorlag, Wagners Wunsch und Wille, daß „Bayreuth“ ihr „Erbe“ sein sollte; sie könne das beweisen. Zweitens, erklärte sie, hätten Liszt und Bülow

ihre eigenen Karrieren und könnten sich nicht auch noch dieser Aufgabe widmen, die, weiß Gott, jemanden verlange, der sich ihr voll und ganz widmete.

Sie, und nur sie, hätte

sowohl die Zeit als auch die notwendige Hingabebereitschaft.

Drittens habe sie die feste Absicht, die Leitung der Festspiele selbst in die Hand zu nehmen. Sie war die Hausherrin, und

sie beabsichtigte es auch zu bleiben. Kannte sie nicht jeden Gedanken, jede Regung des Meisters, hatte sie nicht jede Geste, jedes Stirnrunzeln des Schöpfers dieser Werke miter-

lebt und verinnerlicht? Mit eisiger Höflichkeit bat sie Kniese,

Bayreuth zu verlassen. „Parsifal“ stand auch

1834 wieder auf dem

Festspielpro-

gramm. Cosima ließ sich seitlich auf der Bühne einen kleinen Verschlag bauen. Von diesem Beobachtungsstand aus verfolgte sie, für das Publikum unsichtbar, alle zehn Vorstellun-

gen. Während jeder Aufführung machte sie Notizen, die man später als „Regiezettel“ bezeichnete. Ein typisches Beispiel dafür sind ihre Bemerkungen

zu den „Parsifal”-Proben

des

Jahres 1884: Im Vorspiel (Seite 5 von Takt 12 an) noch etwas zarter, damit die Saiteninstrumente nicht dagegen abfallen und die Stetigkeit der Steigerung unterbrochen werde. Das erste Gespräch zwischen Gurnemanz und den beiden Rittern etwas zu gedehnt. Die Figur von Kundrys Eintritt noch etwas schärfer und das Crescendo eindringlicher. Bei „ohn’ Urlaub“ war das Orchester etwas zu stark.

Cosima beschränkte sich dabei nicht auf beckmesserische Anmerkungen, sondern empfand diese ihre Aufgabe als Postulat: Die Aufführungen sollten nicht nur von jeglichen Einflüssen anderer frei sein, es galt vielmehr auch, der Nachwelt

die gesamte künstlerische Philosophie Wagners lebendig zu erhalten. Sein Einfluß auf die Entwicklung der Musik würde außerordentlich groß sein. Sie zweifelte keinen Augenblick daran, und viele andere teilten inzwischen ihre Meinung. Daß Wagner ebenso die Literatur beeinflussen würde, konnte sie zwar nur prophezeien, aber sie sollte recht bekommen. Wagners geistiges Erbe inspirierte viele zu Vielem; verführte d’Annunzios Giorgio zum Mord und Selbstmord, 283

regte Thomas Mann dazu an, deutsche Dekadenz durch das Beispiel des Zwillings-Inzests zu illustrieren, weckte jene sexuellen Sehnsüchte in George Moores Evelyn Innes, stand hinter Virginia Woolfs

Mr.

Dalloway,

die beim

„Parsifal“,

überwältigt von Schönheit und Schwüle, ohnmächtig umsank. Wagner lieferte Shaw das Material für seinen Leitfaden zur Revolution, bewegte T.S. Eliot dazu, Wagnersche Charaktere in „The Waste Land“ einzubauen und inspirierte nicht zuletzt Proust, dessen Saint Loup sich mitten im Krieg an das Zwitschern des Waldvogels erinnert. Cosima schlug also vor, daß Bayreuth nicht nur „Modell“Charakter bewahren, sondern daß es auch ein Zentrum, ein Mekka, werden sollte, von dem aus man Wagners Credo in

die ganze Welt hinauspredigen würde. Ein solches Unterfangen erforderte Geld, viel Geld; Cosima war der Ansicht, ebenso wie früher Wagner, daß es die Aufgabe Deutschlands — nein! Eigentlich der ganzen Welt sei —, Bayreuth finanziell zu unterstützen.

brauchte

ich, um

Sie schrieb Glasenapp:

den Deutschen

„40 Millionen,

das

die Festspiele zu geben,

vielleicht schenkt sie mir einmal eine gute Seele; ein Jude,

der das Unheil seines Stammes sühnen will.“ Als Cosima

sich wieder dem

Leben

zuwandte,

als sie er-

kannte, daß eine große Aufgabe auf sie wartete, prägten sich sowohl die praktischen als auch die mystagogischen Seiten ihrer Persönlichkeit noch stärker aus. Während manche Bayreuth totsagten und für eine Verlegung der Festspiele nach Wien plädierten, war sie damit beschäftigt, einen sorgfältigen Plan für die Aufführungen der nächsten fünf Jahre zu entwickeln. Ihre Wahl für die musikalische Leitung von „Parsifal“ und „Ring“ fiel auf Levi und Richter, Hans von Bülow

aber sollten alle anderen Werke vorbehalten sein. Für 1885 plante sie eine eigene „Tristan“-Inszenierung (sie wurde tatsächlich ein Jahr später realisiert), als Isolde sah sie die bewährte Amalie Materna oder Therese Malten vor, die diese Rolle noch nie gesungen hatte. „Fräulein Malten ersuchen,

die Partie der Isolde mit Frau Schnorr [Frau Schnorr, ihre Feindin!] durchzunehmen“,

notierte sie. Cosima

übernahm

die Regie. Sie versuchte, die großen Leidenschaften zu dämpfen, Maß und Ordnung in die Werke zu bringen, ließ nicht zu, daß ein unnötiges Hin und Her entstand. „Bitte! Nur

keine Spaziergänge“, war ihre stete Mahnung. Sie verlangte eine

284

klare

und

deutliche

Aussprache,

ein

Stil, den

man

später, als er übertrieben wurde, „Konsonantenspuckerei“ nannte. Sie bestand auf „Ruhe“, auf ruhigem Agieren, das

zwar nicht entsprechend, aber wenigstens unschädlich war, das „Banal-Konventionelle und Realistische“ sollte ein neuer Stil ersetzen. Sie stellte Forderungen

an „denkende“ Künst-

ler. Auch der Chor durfte nicht in bedeutungslosem Herum-

stehen schwelgen, die „sogenannte Lebendigkeit und Natürlichkeit des Chores, das stereotype Sich-Ansehen, Zeichen-

Geben“ usw., hielt sie für ein Übel. Oft sprang sie auf die Bühne und spielte verschiedene Rollen vor. Und wie Siegfried schrieb, war sie eine so gute Schauspielerin, daß er sie nur mit jenem Schauspieler vergleichen konnte, der ihn am meisten

beeindruckt

hatte,

nämlich

Salvini

in „Othello“.

(Ohne Zweifel war dieses Urteil nicht ganz unvoreingenommen.) Wenn sie nicht im Festspielhaus arbeitete, versenkte sie sich in verschwommene religiöse Gedanken. An Daniela schrieb sie: Nicht unter Gräbern, unter Geistern wandeln wir - ein erhabenes Wandeln. Es liegt uns ob, die Erlösung zu vollziehen, und zwar

hienieden. Für unsere Schuld gibt es den für uns blutenden Erlöser, wir sind ihrer frei durch den Glauben. Für unser Leiden

durch den Tod gibt es die Unsterblichkeit, die wir zu verwirklichen haben. Wir sind es den großen Tröstern schuldig, welche die Weltseele, das Gute, der Gott, — wie im Wirbel der Bewegung Sterne Sterne schaffen - von sich ablöst, ihrem Wirken, ihrem

Säen die Ernte entgegen zu bringen; sie dürfen nicht vergeblich für sich gelitten, für uns sich gefreut haben, ihr Trost muß in uns

leben, in unserem Herzen ist das Paradies, das sie schufen, wir haben es vor Unkraut und vor der Schlange zu hüten... [24. Februar 1885] In einem Postscriptum fügt sie ein andermal hinzu: „Sieh, wenn ich recht, von tiefstem Grunde der Seele aus, mir unerträglich bin, sehe ich mich in Euch, in Eurer Liebe zu mir, und bin verklärt!“

Ludwig

erkundigte

sich voller Mitgefühl

nach

ihr und

sandte zusätzliches Geld. Cosima wußte, daß die beste Art, ihm zu danken, war, ihm alles Mögliche zu schicken, das in

ihm

Wagner

lebendig

halten

konnte.

Sie bereitete

einen

neuen Band mit Erinnerungen und Briefen vor, die sie erwor-

ben hatte. Darunter befanden sich auch Wagners Briefe an Theodor

Uhlig, einem

Musikschriftsteller

und Geiger, dem

285

Wagner sein Herz während der ersten Jahre seiner Verbannung ausgeschüttet hatte. Die Briefe spiegeln Wagners Hitzköpfigkeit während jener revolutionären Zeit im Jahre 1848 wider. Wagner hatte damals Uhligs Tochter Elsa gebeten, ihm Kopien dieser Briefe anzufertigen, was auch geschehen war. Als Cosima

sie nun um

diese Briefe bat, schickte Elsa

die Originale ordnungsgemäß zurück, und Cosima fügte sie der für Ludwig bestimmten Sammlung bei, allerdings nicht ohne vorher kompromittierende Passagen unleserlich zu machen.* Mrs. Burrell kaufte die Briefe und John N. Burk verglich (in seinen „Richard Wagner-Briefe“) die „gesäuberte“ Version mit den Originalen: „Wir können Cosima quasi über die

Schulter sehen... wie sie gewisse Absätze Seite für Seite ausstreicht und alles unleserlich

macht, Namen,

Schimpfworte

oder ganze Briefe. Von 93 Briefen sind nur 23 unangetastet geblieben.“ Ihr redaktionelles Vorgehen oder — wenn man es härter ausdrücken will — ihre redaktionellen Fälschungen erscheinen nicht so ganz anklagenswert, wenn man die Originale liest. Man

versteht, warum

sie sich des Rotstifts

bediente:

Wagner hatte sich in seinem damaligen beunruhigten und verwirrten Zustand hemmungslos geäußert, teils aus tief wurzelnden Ressentiments, teils aus einer augenblicklichen Ver-

ärgerung

heraus,

und zwar

Leute, die ihm geholfen

auch gegenüber

hatten.

einigen jener

Die meisten

davon

lebten

noch; zum Beispiel die Ritters. Die in diesen Briefen enthaltenen Anspielungen, zum Beispiel auf Karl Ritters homosexuelle Neigungen, auf Liszts Geisteshaltungen und Geisteszustand und so weiter, machten

es Cosima

fast unmöglich,

eine unzensierte Veröffentlichung vorzunehmen. Schwerwiegender war, daß sie sich eher einer Unterdrückung der Wahrheit schuldig machte, indem sie auch Wagners revolutionäre Kommentare austilgte. Sie versuchte den Eindruck zu erwekken, daß seine Beteiligung am Dresdener Aufstand im Jahre 1849 nur minimal war. * Beide, sowohl Cosima, als auch ihre Tochter Eva, versuchten, Elsa Uhlig dazu zu be-

wegen, ihre eigenen Kopien zu vernichten. Durch Vernichtung würden Indiskretionen vermieden, schrieb sie und erneut wiederholte sie ihren Rat, die Briefe zu vernichten. Man

drohte

auch

mit gerichtlichen

Folgen

von

Wahnfried

aus, falls die Briefe ver-

öffentlicht würden. Da jedoch keine gerichtliche Grundlage für ein solches Verbot gegeben war, wurden die Briefe 1888, allerdings in einer zensierten Version, veröffentlicht.

286

Cosima stellte also diese Briefe mit anderen Notizen, Gedichten, etc. für den König zusammen. Dazu schrieb sie ihm

am 27. September 1885 einen Brief, in dem sie ihm ihr Leben und ihre Arbeit schilderte:

{

Allerdurchlauchtigster Großmächtigster König! Allergnädigster König und Herr! Euerer Majestät den Ausdruck meines Dankes in Worten zu Füßen zu legen — dazu fühle ich mich ohnmächtig! Wollen Euere Majestät es mir huldvoll gestatten, diesen Ausdruck einzig durch das Buch zu finden, welches ich untertänigst heute darbringe! Der allergnädigste Herr wird manches Blatt darin wiederfinden, das ich vor nun zwanzig Jahren das Glück hatte - Ihn dreifach dabei segnend! - für den König abzuschreiben! Indem ich sie — diese Gedanken - dem treuesten Wahrer derselben zustelle, weiß

ich gut, daß ich ihrem eigentlichsten Eigner sie zurückgebe. Denn — wie hätte dieser Strom seinen Lauf bis zur unendlichen Mündung nehmen können, wenn nicht, allem Widerwärtigen zum Trutz, der Schutz sich aufgetan hätte, den als Wunder zu preisen und anzubeten das Herz, auch im Ersterben, nie aufhören kann?

Meinem schweigenden Drange füge ich einige Worte der Erklärungen bei, indem ich hoffe, die huldvolle Ermutigung dazu, welche ich in den so unendlich gütigen königlichen Zeilen finde, nicht irrig aufgefaßt zu haben.“ Sie berichtet, daß sie „Tristan“ ausgewählt habe als das Werk, das, neben „Parsifal“, in der kommenden Festspielzeit aufgeführt werden soll. Ein Grund dafür sei der „geheime

Zusammenhang“, der zwischen diesen beiden Werken bestehe. „Parsifal“ sei in gewissem Sinne die Antwort auf die Frage des „Tristan“, „welche der Liebestod — versöhnend —

einzig für die Liebenden, nicht aber für die Welt zu seligem Schweigen bringt.“ Dann schreibt sie weiter: Ein äußerlicher Grund bestand darin, daß der szenische Aufwand

ein verhältnismäßig geringer ist. Die Decorationen werden im wesentlichen denen des Hoftheaters Euerer Majestät ähneln; nur im dritten Akte erlaubte ich mir, das Burgtor etwas vorrücken zu lassen, damit der Kampf an Deutlichkeit gewinne. Darf ich nun das Zweite, mein Leben Ausfüllende, welches Euere

Majestät huldreich erwähnen, berühren? Darf ich mich durch die Königliche Gnade ermächtigt betrachten und dadurch aufgefordert fühlen, von meinen —- durch die allerhöchsten Grüße beglückten — Kindern zu sprechen?...

287

Nach schwerer, lebensgefährlicher Krankheit hat sich Siegfried — Dank Gott - so weit erholt, daß er das Gymnasium wieder besuchen kann. Nicht leichten Herzens ließ ich ihn die Schule überhaupt betreten, in welcher so wenig Lebendiges angetroffen wird und in welcher der Sinn für das Große eher — will mich dünken — abgestumpft als gekräftigt wird. Doch war mir der Umgang mit gleichaltrigen Knaben von Wichtigkeit, und für seine Jugend suchte ich ein Gegengewicht zu dem Ernste Wahnfrieds. Auch behagt er sich wohl dabei und lernt willig, muß aber freilich für’s erste seiner Hauptneigung (zur Architektur), welche sich durch sehr sorgfältig und fleißig ausgeführte Zeichnungen von eigens ausgedachten Plänen zu Kirchen und Kapellen auffallend kundgibt, entsagen. Ich befrage mich wohl immer und immer, was das Bessere sei, das Gymnasium ihn ganz absolvieren zu lassen oder,

zur Ausbildung seiner besonderen Anlage, ihn in einem Jahre in ein Polytechnikum zu geben... In Isoldens und Evas Los hat keine Veränderung stattgefunden, sie bleiben bei mir und stehen mir durch ihre Liebe und ihr reines lauteres Wesen in allem bei. Mein ältestes Kind dagegen hatte manche Prüfung zu überstehen. Ihre Verlobung des vorigen Jahres war mir selbst als ein Zeichen des Himmels erschienen,

daß sie unserer Bayreuther Sache zu dienen berufen sei. Ich schätzte sie darum glücklich und glaubte, eine Kraft gefunden zu haben, welcher ich vertrauensvoll die Leitung der Spiele übergeben könne, bis Siegfried dieselbe antrete; alles erwies sich anders,

und nach trüben Erfahrungen glaubte ich mein Kind - so jung noch und lebenskräftig — der Ergebung und Resignation geweiht. Auch dies kam anders, und nun ist sie einem Manne versprochen,

welcher alle Eigenschaften des Herzens und des Geistes mir zu haben dünkt, welche einer Frau es ermöglichen, mit freiem und freundlichem Sinne die Ehe heiligzuhalten und edel durchzuführen. Dr. Heinrich Thode gibt - als Kunstgelehrter — ein Buch jetzt heraus — „Franz von Assisi“ —, von welchem es mich innig rühren und wundern mußte, daß sein Hauptgedanke ein völliger Beitrag zu unserer Weltanschauung bildet. Inmitten des tiefsten Respektes vor allem, was heute mit dem Worte „historischen“ bezeichnet

wird, unterstützt mit allem Gelehrten-Apparat, erhebt sich folgender mit Historie und Wissenschaft gar weniges gemeinsam habender Gedanke: „Die Renaissance-Kunst verdankt sich nicht den Ausgrabungen noch dem Einflusse der Antike, sondern dem Eindrucke von einem großen - heiligen — Wesen, in welchem das Leben, Leiden und Sterben unseres Heilandes lebte, litt und starb.‘“* - Dem Manne, der aus sich heraus also blicken und emp* Das ist kompletter Unsinn. Thode war ein besserer Historiker, als man es nach diesem Zitat vermuten würde. Er wurde als Professor an der Universität von Heidelberg, wo er Kunstgeschichte lehrte, sehr wohl bekannt und geschätzt. Thode starb 1920.

288

„Die Walküre“, 1. Aufzug, Hundings Hütte Bühnenbildentwurf: Max und Gotthold Brückner zur Aufführung 1896 „Götterdämmerung“, 2. Aufzug, Ufer vor der Halle der Gibichungen Bühnenbildentwurf: Max und Gotthold Brückner zur Aufführung 1896

Albert Niemann als Siegmund, Bayreuth 1876

„Die schwimmenden Rheintöchter“

Technik seit 1896 (Berlin)

„Parsifal“, Gralstempel, Bayreuth 1882 — 1933, Szenenfoto

Bühnenbildentwurf: Max Brückner, Paul v. Joukowsky „Parsifal“, 3. Akt, Blumenaue, Bayreuth 1882 — 1933, Szenenfoto

Bühnenbildentwurf: Max Brückner, Paul v. Joukowsky

Hermann Winkelmann als Parsifal, Amalie Materna als Kundry. Bayreuth 1882

Hermann Winkelmann als Parsifal mit Blumenmädchen. Bayreuth 1882

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Im März 1920 erlitt Cosima einen zweiten Schlaganfall, der schwerer war als jener im Jahr 1906. Sie mußte wochenlang das Bett hüten, und Dr. Schweninger klärte die Familie auf,

daß man sich auf das Ende gefaßt machen müsse. Dennoch pulsierte noch immer eine erstaunliche Lebenskraft in Cosimas dreiundachtzigjährigem Körper. Sie konnte nicht sterben, während Bayreuth brach lag. Daniela schrieb an Hohenlohe: ... Mama hatte vor drei Wochen einen schweren Anfall erlitten und eine anschließende heftige Bronchitis — quälender Husten — brachte fortgesetzte schlaflose Nächte mit sich... Nun wird es für lange Zeit hinaus wieder Schonung heißen unter vielen Entbehrungen, und leider steht uns das Climatische Bayreuths mit seinen rauhen Winden so gar nicht bei! — Es bleibt einzig, wie in allen Dingen und Lagen, die Zuflucht in’s Geistige. Ihr Geist ist regsam, klar und tief geblieben wie noch je... Viel spricht sie von ihrer Jugend, von Vater und Mutter, den großen Persönlichkeiten jener Epoche, Balzac, Lamennais, Lamartine, George Sand,

Chopin, usw. — viel beschäftigt sie sich mit meinem Vater, die nächststehenden Freunde unseres Hauses und unserer Sache tauchen auf, Mimi Wolkenstein vor allem, dann unsere Künstler, die

unvergleichlichen Aufführungen der Werke unter ihrer und Siegfried’s stiller Leitung — von den Werken selbst ist es immer wieder der 1. Akt „Walküre“ und der 2. Akt „Meistersinger“, der ihr

Sinnen einnimmt. Täglich lese ich ihr aus Mozarts Briefen vor, die sie wahrhaft entzückten — dabei frägt sie mich immer wieder, ob ich glaubte, daß dies Buch Ihnen, verehrter Fürst, Freude

machen würde. Gott gebe, daß wir noch einmal der drohenden Gefahr entronnen sind... [Wahnfried, 1. April 1920]

Warum lebte Daniela eigentlich in Wahnfried und war darauf gefaßt, ihre Mutter für lange Zeit pflegen zu müssen? Sie war zurückgekehrt, weil ihre Ehe mit Thode sich als Fehlschlag erwiesen hatte. Sie selbst war ein „Fehlschlag‘“. Cosimas Erstgeborene, in die ihre Mutter so große Hoffnungen investiert, von der sie so viel verlangt und erwartet hatte, war nun, mit sechzig Jahren, eine Frau ohne ein eigenes Leben, ohne Unabhängigkeit, eine Frau, die in der „Tradition“ ihre

Lebensstütze

sah. Nachdem

ihre Ehe zerbrochen

und ge-

schieden war, nach ihrer Rückkehr nach Bayreuth, lenkte sie

ihre Haßgefühle 360

auf Chamberlain, was natürlich zu Span-

' nungen mit Eva führte, bald haßte sie auch Winifred als den Eindringling. In „Nacht über Bayreuth“ beschreibt Friedelind, Siegfrieds und Winifreds Tochter, ihre Tante Daniela: Daniela haßte oder liebte immer jemanden mit großer Heftigkeit und konnte es nicht ertragen, ihre Mitmenschen glücklich zu sehen. Hätte sie in einer anderen Umgebung oder in einer anderen Zeit gelebt und einen Beruf ergreifen können, wäre ihr bestimmt großer Erfolg beschieden worden, denn sie besaß hohe Intelligenz und große Tatkraft, doch da sie von Cosima in den damals für ein Mädchen der deutschen Gesellschaft enggezogenen Schranken erzogen war (sie war eine „von Bülow“ und, trotz

Cosimas Scheidung, bei Hof vorgestellt worden), war sie voll ungenutzter Energien, die sich oft in Wutanfällen Luft machten, die

sie danach stets bitterlich bereute.

Beide Schwestern wetteiferten um Siegfrieds Zuneigung. Nur die gemeinsame Abneigung gegen seine Frau vereinte sie. Letztere hatte keinen Zweifel daran gelassen, daß nach Cosimas Tod sie selbst und Siegfried Bayreuth regieren würden, und zwar ohne die Mithilfe der Schwägerinnen. Es war

nicht gerade Frieden,

den man

in Wahnfried

wähnen

durfte. Jene Frau im oberen Stockwerk mochte wohl einiges ahnen von dem, was unten vor sich ging, sie lebte jedoch in einer Dämmerung, in der ihre Erinnerungen mehr und mehr zu

ihren

Gefährten

und

immer

mehr

zur

„Wirklichkeit“

wurden. Bilder aus der Vergangenheit, Menschen, die schon vor langer Zeit von ihr gegangen waren, umstanden klar umrissen ihr Bett, während die Gegenwart — ihr Sohn, ihre Töchter, Siegfrieds Kinder — wie durch einen Schleier von ihr

getrennt schien. Deutschlands innenpolitische Zwistigkeiten, die Vorgänge in der Weimarer Republik, oder selbst die Frage, ob, wann

und wie Bayreuth wieder eröffnet werden

würde (obwohl sie dieser Frage ihren letzten konkreten Gedanken zuwandte), das alles erschien ihr weiter entfernt als die Nacht ihrer Ankunft in Tribschen oder der Tag, an dem sie König Ludwig jenen Brief wegen Bülow geschrieben hatte. Als Siegfried sie über die finanzielle Lage informierte, als er mit ihr über die im Festspielhaus notwendigen Reparaturen sprach, hörte sie zwar zu, aber die Tatsachen drangen

nicht wirklich zu ihr durch. Sie lebte nicht mehr in einer Welt der Tatsachen,

sondern

in einer Welt der Gefühle.

„Einzig

was wir fühlen, existiert für uns und wir projizieren es in die 361

Vergangenheit und in die Zukunft, ohne uns durch die fiktiven Grenzen des Todes daran hindern zu lassen,‘ schrieb Proust. Cosimas Gefühle, ob positiver Art, wie die Erinnerung an ihren Mann, der seit vierzig Jahren tot war, ihre

Liebe für Goethe oder Schopenhauer, oder die eher negativen, wie ihr Groll gegenüber Nietzsche, waren jenseits der Grenzen von Leben und Tod. Von jenen, die sie jetzt umgaben, hatte sie im Geiste schon Abschied genommen. Wenn sie „einen guten Tag“ hatte, wurden Siegfrieds Kinder nach-

mittags um fünf Uhr zu einem kurzen Besuch gebracht. Friedelind erinnert sich daran, wie zart und zerbrechlich Cosima

aussah, so als könne sie jeden Augenblick auseinanderfallen. Ihr weißes Haar war immer noch voll und schön. Diese Besuche waren für die Kinder unangenehm. Großmama wußte nicht, was sie sagen sollte -— und die Kinder ebensowenig. Sie küßten sie gehemmt und schüchtern auf die Wange, um sich. so schnell wie möglich wieder zu verabschieden. Der Dirigent Fritz Busch durfte Cosima eines Tages, als sie schon hoch in den Achtzigern war, besuchen. Man stellte ihn ihr als den gegenwärtigen Dirigenten der ‚„Meistersinger“ vor. Das erste, was sie ihn fragte, war, was er von Hans Rich-

ter hielt. Dann wollte sie seine Meinung über Sänger wie Brandt, Scaria und andere frühere Mitwirkende hören - alle

waren schon lange tot.* Wann konnte Bayreuth wiedereröffnet werden? Um das möglich zu machen, war neues Kapital nötig. 1921 wurde unter dem Namen „Deutsche Festspielstiftung“ eine Kommission ins Leben gerufen, die einen Aufruf an die Nation veröffentlichte: „Wer Deutschland liebt, und für seine Gesundung, seine Zukunft als Kulturvolk etwas tun will, der

muß Bayreuth zu Hilfe kommen.“ natsscheine

für 1000

Mark

Die Stiftung gab Patro-

das Stück

aus,

ebenso,

wie

es

damals zu Wagners Lebzeiten geschehen war. Dieses Unterfangen erwies sich als erfolgreich. Ende 1922 hatte man etwa 5400 Patronatsscheine verkauft. Siegfried war der Meinung, daß man auch das Ausland, namentlich die Vereinigten Staaten, um Unterstützung bitten sollte. Anfang des Jahres 1924 unternahm er eine Konzertreise durch die Staaten, die Tour-

nee war aber nicht sehr erfolgreich, teils weil der Krieg noch zu frisch in Erinnerung war, teils weil die Presse darauf auf* Fritz Busch, „Aus dem Leben eines Musikers“

362

merksam gemacht hatte, daß „zwischen Wahnfried und dem

Faschistenführer Hitler seit 1923 ein enges freundschaftliches Bündnis bestand.“ Siegfried hatte schließlich 8000 Dollar eingenommen, keine sehr große Summe, aber alles in allem war genug Geld in die Kasse geflossen, um 1924 bedachtsam arrangierte Sommerfestspiele wagen zu können.* Siegfried hatte über ein Jahr an der Zusammenstellung der mitwirkenden Künstler gearbeitet. Man benutzte die Kostüme, die Daniela vor langer Zeit einmal entworfen hatte, sowie die Bühnendekorationen

aus

der Vorkriegszeit.

Die’ sieben

„Parsi-

fal“-Aufführungen wurden von Willibald Kachler (vormals musikalischer Assistent und Solorepetitor) und Karl Muck dirigiert; die zwei Aufführungen des „Ring“ dirigierte Michael Balling und die fünf Aufführungen der „Meistersinger“ Fritz Busch. Obwohl die Festspiele nun unter Siegfrieds Agide präsentiert wurden, war es doch Cosimas Geist, der . noch über allen Aufführungen schwebte. Niemandem war es bis jetzt gelungen, diesen Bann zu brechen. Busch, ein intellektueller Musiker, analysierte die Stärken und Schwächen jener Aufführungen: „Es gab Augenblicke, in denen der Geist Richard Wagners fühlbar unter uns weilte... Mit um so tieferem Schmerz mußte ich nachher immer aufs neue erfahren, wie die nahe, schon fast greifbare Vollendung durch

eigensinniges Beharren in einem falschen Begriff der Treue verscherzt wurde... Das Ärgerliche, ja Tragische war, daß man in dieser Beziehung im Hause Wahnfried taube Ohren fand. Die Treue wurde zum Schaden der Kunst übertrieben. Man liebte es — wie sehr im Gegensatz zu den Forderungen des ewigen Revolutionärs, dem Bayreuth sein Entstehen verdankt -, sich auf einen bestimmten Stab von Sängern festzulegen und alles zu billigen, was

‚unser‘ oder ‚unsere herrli-

che...‘ darboten. Zu meinen immer wieder eigensinnig wiederholten kritischen Bemerkungen und Verbesserungsvorschlägen lächelte man nur...“ Die Wiedereröffnung der Bayreuther Festspiele war ein Ereignis, das Journalisten aus vielen Ländern anzog. Aus irgendeinem unerklärlichen Grund erklärte sich Cosima bereit,

einen amerikanischen Reporter aus dem Mittleren Westen zu empfangen. Er hatte Glück, denn er kam just an einem von Cosimas „guten Tagen“. Die beiden spazierten im Garten * Zahlenmaterial: M. Karbaum in „Studien zur Geschichte der Bayreuther Festspiele“

363

von Wahnfried, und er nannte sie „Mother“. Sie hatten sich

kaum etwas zu sagen. Plötzlich rief Cosima mit einem kleinen Triller einen Vogel herbei, den sie gezähmt hatte. Der Vogel setzte sich auf ihre Hand und zwitscherte ein paar Noten

aus „Siegfried“, die Cosima

ihn gelehrt hatte. Dann

flog er wieder fort, dem Sonnenuntergang entgegen. Cosima sah ihm nach, wandte sich um und ging mit langsamen Schritten zum Haus zurück.* Die Tore des Festspielhauses hatten sich wieder geöffnet, und die kleine Stadt war aus ihrem zehnjährigen Schlaf erwacht. Die Besucher in ihren Abendkleidern pilgerten wieder am

hellichten

Nachmittag

den Hügel hinauf, während

die

Bayreuther vom Straßenrand aus zuschauten und tuschelten. Die Hotelbesitzer konnten es sich wieder erlauben, völlig überhöhte Preise zu verlangen, was manche Fremde darauf brachte, sich privat einzuquartieren und die entsprechenden Wünsche in gebrochenem Deutsch vorzubringen. Der Spielplan des Jahres 1924 wurde 1925 wiederholt. Darauf folgte ein Jahr Pause;

1927 und

1928 kam dann ‚Tristan‘ mit ins

Repertoire — alles in den „traditionellen“ Erst

1929,

als wiederum

keine

Inszenierungen.

Aufführungen

stattfanden,

dachte Siegfried daran, daß nun die Zeit für eine Veränderung gekommen sei. Es gelang ihm, Toscanini für die musikalische Leitung einer Neu-Inszenierung

des „Tannhäuser“

1930 nach Bayreuth zu holen. Und Toscanini verstand es, dieser alten romantischen Oper neues Leben einzuhauchen. Er übernahm auch den „Tristan“ und dirigierte drei Auffüh-

rungen mit Lauritz Melchior und Nanny Larsen-Todsen, die zu wahren Sternstunden wurden. In Cosimas letzten Lebensjahren wurde die Verbindung zu Eva, die nun auch verwitwet war, noch enger. Die beiden Witwen saßen zusammen und besprachen, was mit den einzelnen Dokumenten, die in Wahnfrieds „Eisernem Schrank“ verschlossen lagen, geschehen sollte, was veröffentlicht

werden könnte und was nicht. Cosima übertrug ihrer Tochter die Aufgabe als Archivarin und Herausgeberin von Wagners Lebensgeschichte. Cosimas Geist verdunkelte sich zuweilen, aber ab und zu erhellte er sich zu klaren Erkenntnissen. Eva, ein Notizbuch in der Hand, schrieb sofort auf, was ihre

Mutter sagte: * Diese Anekdote wurde von Paul Rosenfeld in „Discoveries of a Music Critic“ erzählt.

364

Grüße Houston, wir stehen uns sehr nahe - ich denke, wir sind

uns schon auf einem anderen Stern begegnet... Man verliert eine solche Beziehung nicht, aber man entbehrt sie. [Chamberlain war zwei Jahre vorher gestorben.]

Es gibt eine Freude, die höher steht als das Glück. Ich möchte sie eine verklärte Freude nennen. Wissen, daß man eine Bestimmung hat, und fühlen, daß das eine Gnade ist.

„Se tenir tranquille et Etre bon chretien“ [Ruhig und ein guter Christ zu sein... .], das ist, was einzig einer Frau geziemt. Ich weiß nicht, warum Violine spielen.

ich es nicht gerne habe, wenn

Frauen

Es gibt nichts Geringes in der Kunst, alles ist wichtig, und es muß wie ein Glaube sein. „Das Leben ein Traum“ — man hat diejenigen nicht verloren, die

einen verließen. [Titel eines Theaterstücks von Calderon] Das Beste, was ich geleistet habe, ist, daß ich Dich [Eva] mein Engel, zur Welt gebracht habe. [Über ihr Tagebuch]: Findest Du nicht, daß das eine Familiensache ist? Es ist nichts für die Publizität. Wenn aber Wolzogen und Houston Einblicke nehmen wollen, ist es mir sehr recht. Cosima zu Blandine: Wo ist Loldi? Blandine: In Davos (längere Pause) Cosima: Loldi ist ja gestorben. Blandine: Ja Mama, sie ist schon lange erlöst. Cosima: Wo ist sie begraben? Blandine: In München, wo sie zuletzt lebte.

Cosima: Das weiß ich: in München (lange Pause darauf). Ich hatte das Gefühl, wenn ich auf die Bühne trat, als sei ich da eigentlich zu Hause. [Auf dem Balkon, an einem Tag im Juli 1929, sehr wohlig in Betrachtungen]: Ich kann Dir nicht sagen, wie mir zu Mute ist. Es vollzieht sich eine Mystik; Dinge, die man nicht in Worten sagen kann, strömen zu einem und bringen Trost... Hab Dank für diese Stunde des Glücks - es ist, als ob es keine Prüfung gäbe. Niemandem als Dir aber kann ich so etwas sagen. Man geht versöhnt aus dem Tag... Nichts ist schöner als eine Überzeugung, die uns verbindet.

365

Nichts dem Zufall überlassen — mit dem Zufall tritt für mich die

Langeweile ein. Luther hatte eine Sendung. Gott, was muß er gelitten haben. Das ist auch eine der seltensten Erscheinungen, so wie Papa; zu diesen

gehört er. Ich liebe das Leben - das ist ganz einfach meine Empfindung. So gerne ich gelebt habe, ich möchte lieber nicht wiedergeboren werden.

Wo ist mein Vater eigentlich begraben? Ach, das ist schön, daß er hier ist, darin liegt Bestimmung. Ich wollte Dich fragen, hörst Du die Stille? Das Genie [Wagners] war ja groß, die Güte überwog aber womöglich noch dasselbe. Man sollte jeden Tag ein Gedicht von Goethe lesen, das würde einen von selbst bilden. Eure Erziehung hat mich viel beschäftigt, aber gar keine Mühe gemacht; Ihr wart zu begabt alle. Zum Weihnachtsfest im Jahre 1929 stand Cosima auf. Eva

kleidete ihre Mutter in das bevorzugte schwarze Kleid. Cosima legte ihre Perlenkette an und saß am oberen Ende des Tisches. Sie sagte, man sollte Gelegenheiten wie Weihnachten feiern, denn diese Tage dienten dazu, die Menschen

zu vereinen. Sie fragte Siegfried, was im nächsten Sommer aufgeführt würde, und als sie hörte, daß „Parsifal“ gegeben werden sollte, „Tristan“, „Tannhäuser“ und der „Ring“, da sagte sie: „Die Einfachheit macht die Erhabenheit des ‚Parsifal““. Aber sie wollte Muck, der den „Parsifal“ dirigieren sollte, nicht sehen.

Cosima lebte bis 1930 — jenem Jahr, in dem es in Deutschland viereinhalb Millionen Arbeitslose gab und Hitler vor dem Reichstag schwor, daß er die Gesetze des Landes aner-

kennen würde; jenem Jahr, als Frankreich die Maginot-Linie schuf und die Bevölkerung ins Kino strömte, um Marlene Dietrich im „Blauen Engel“ zu sehen. Mitte Februar wurde Cosima schwächer. Sie redete nun des öfteren nicht mehr

ganz klar und versank häufig in einen halb bewußtlosen Zustand. Wieder erwacht, sagte sie dann zu Eva: „Ich möchte dir schildern können, wie ich mich fühle. Es ist mir, als sei

366

ich nicht mehr hienieden und nicht mehr erreichbar. Ich bin so dankbar dafür. Nur die Sterne möchte ich noch sehen. Wir sind in Wahnfried?“ Cosima war völlig blind. Und sie begann von Bülow zu sprechen, stellte sich vor, daß sie noch mit ihm verheiratet war: „Was für ein brillanter Mann er doch ist. Hast du gehört, wie wundervoll er die ‚Eroica‘ dirigierte?“ Sie war schläfrig und sie murmelte: | „Verzeih!“ Am 31. März, als Eva ihr gute Nacht wünschte, antwortete sie: „Wie Gott will. Herrlich!“ Und sie schlief ein. Als Eva

früh am nächsten Morgen ihr Zimmer betrat, war Cosima tot. Es war der 1. April 1930. Sie hatte länger als zweiundneunzig Jahre gelebt. Sie, die sich gewünscht hatte, mit Wagner zu sterben, hatte ihn um siebenundvierzig Jahre überlebt - eine gigantische Lebensspanne, die begann, als Queen Victoria den englischen Thron bestieg, und Dickens „Die Pickwik- kier“ vollendete, und die endete, als Mahatma Gandhi den

bürgerlichen Ungehorsam proklamierte und Freud „Das Unbehagen in der Kultur“ veröffentlichte. In einer Urne wurde Cosimas Asche — die Einäscherung hatte in Coburg stattgefunden — neben Richard Wagner im Garten von Wahnfried beigesetzt.

2 Siegfried starb im August desselben Jahres, im Alter von einundsechzig Jahren. Winifred übernahm die Leitung der Festspiele. Die ohnehin vergiftete Atmosphäre innerhalb der Familie führte nun zu offenen Zusammenstößen. Winifreds Verblendung bezüglich Hitler erboste Friedelind und Wieland. Die Bewohner Wahnfrieds schrien sich gegenseitig an. Nichtsdestotrotz liefen die Festspiele unter Winifred bis zum Jahr 1944. Nach Ende des 2. Weltkrieges ließen die alliierten Besatzungsmächte eine Wiedereröffnung der Festspiele 1951 nur unter der Bedingung zu, daß Winifred damit nichts mehr zu tun hatte. Wieland übernahm, wie sich zeigte, erfolgreich die Leitung der Festspiele und erwies sich als brillanter Neuerer. Er starb 1966, sein Bruder Wolfgang wurde sein Nachfolger. Sowohl Wieland als auch Wolfgang hatten ein gebrochenes Verhältnis zu ihrer Mutter. Wolfgang sperrte sie aus den Vorstellungen des Jahres 1975 aus. Winifred starb 367

am 5. März 1980 im Alter von 82 Jahren. Die Familie war sich jedoch in einem Bestreben immer einig: Die Erinnerung

an Cosima und Wagner nur in bestem Licht erscheinen zu lassen, selbst wenn dies (wie schon erwähnt) bedeutete, daß Briefe verbrannt, „kompromittierende‘“ Passagen ausradiert

oder ganze Seiten zusammen- und übereinandergeklebt werden mußten. Schon vor Cosimas Tod hatten offizielle Biographen damit begonnen, sie auf ein geheimnisvolles Podest zu setzen, eingehüllt in den Dunst und Nebel, der aus

dem Heizkeller des Festspielhauses kam. Du Moulin Eckart begann seine zweibändige Biographie mit den Worten: „Es war eine Ehrenpflicht, der größten Frau des Jahrhunderts ein Denkmal zu setzen“ — Marie Curie, Eli-

zabeth Browning, George Sand und andere blieben bei dieser Formulierung außen vor. Millenkovich-Morold erklärte in seiner Biographie, daß Cosima unsterblich sei. Als endlich ihre Tagebücher veröffentlicht wurden, schrieb der Historiker Peter Gay: Cosima Wagner beansprucht in großem Maße die Fähigkeit des Historikers zu Abstand und Unvoreingenommenheit. Fanatische Wagnerianer werden selbstverständlich anderer Meinung sein, aber mir scheint, daß das hautnahe Miterleben ihrer Überzeugungen und Verhaltensweisen zwangsläufig in einem solchen Maße zu Verärgerung, ja sogar Ablehnung führt, daß man sich alle Mühe geben muß, eine Zusammenfassung ihrer Schriften nicht zu einer Öffentlichen Verurteilung werden zu lassen... Diese Aufzeichnungen jedoch verschärfen die Vorbehalte gegen diese Frau nicht, noch nehmen sie ihr ihre Liebenswürdigkeit: Sie machen sie nur interessanter. Er schreibt einschränkend weiter: Cosima, die man so lange als kluge Manipulatorin gesehen hatte, als rechte Hand in Wagners verlogener und unterwürfiger Korrespondenz mit Ludwig II., als unerbittliche Ideologin, die Wagner, den reuigen Radikalen zum reaktionären Chauvinisten und Antisemiten machte, als die kühle Taktikerin

und Diplomatin,

halb

Machiavelli, halb Mephistopheles ... jene Cosima zeigt sich nun plötzlich weitgehend als Trugbild. Diese Tagebuchseiten enthüllen eine ängstliche Mutter, die über ihrer Stickerei sitzt, ihre Un-

zulänglichkeiten beweint, über ihren ersten Ehemann grübelt und in stummer Anbetung lauscht, wenn Richard Wagner Richard Wagner spielt...

368

Nach der Lektüre ihrer Tagebücher schrieb der Kritiker G. Steiner, daß Cosima nicht aufhöre, „ihn abzustoßen und

zu faszinieren“. Sie sei beides: „schrecklich und großartig“. Schrecklich und großartig — dies war die ihr eigene sonderbare Dualität. Am 16. September des Jahres 1870 - der Deutsch-Französische Krieg war in vollem Gange, und Cosima hatte am selben Tag einen Brief ihrer Mutter erhalten, in dem diese sich verletzt über Cosimas freimütiges Urteil über Frankreich äußerte — an jenem Tage also saßen Wagner und Richter zusammen in Wagners Arbeitszimmer und unterhielten sich. Cosima arbeitete im Salon. Immer wieder tauchte einer der beiden

Ich erfuhr dann, daß fünf Fledermäuse

alles weil mich habe

im Salon auf, um

Männer

gleich danach wieder zu verschwinden. denn los wäre.

Cosima fragte, was in R.’s Stube gewesen,

hatte sich gefürchtet, und R. wollte mir davon nichts sagen, er weiß, daß ich in diesem Bezug abergläubisch bin. Es hat erschrocken, wie ich es erfahren habe, dann, mich fassend, ich gebetet, daß, was auch für ein Unheil mir drohen

möchte, ich meine Aufgabe als Christin, als Weib, als Mutter er-

füllen möchte.

Diese hochgebildete

und welterfahrene

Frau nahm

Zu-

flucht im Gebet, um Schutz vor den Fledermäusen im Nebenzimmer zu erbitten! Sie betete um die eine Kraft, die ihre

Seele bewegte und ihrem Leben Erfüllung schenkte: liebevolle Hingabe. Wagner schrieb seine Partituren oft nur mit dem Bleistift. Cosima zeichnete sorgfältig jede einzelne Linie, jeden Punkt, jedes Wort in Tinte nach. Diese Arbeit zusammen mit all ihren anderen Aufgaben ist symptomatisch für eine Liebe,

die Bernard

Levin

„eine der intensivsten

und

schönsten in der Geschichte‘ genannt hat. Durch diese Tätigkeit gewann sie ein besonderes Verständnis für seine Musik. Und sie verstand mehr als nur seine Musik. Besser als König Ludwig, als Liszt, Levi oder sonst irgend jemand verstand sie seine weiteren Ziele: Er hoffte auf eine Wiedergeburt der Tragödie,

so, wie er sie bei den alten Griechen

praktiziert

glaubte. Er wollte die „Orestie‘“ mit der Nibelungen-Sage verbinden, die Furien mit den Nornen, Oedipus mit Siegfried, Antigone mit Isolde, wollte die Legende als das Podium benutzen, von dem aus er von Verbrechen, Weisheit und

- Liebe sprechen konnte. Daß es ihm nicht ganz gelungen ist, lag an seiner eigenen Mythologie, die er sich zurechtgehäm369

mert hatte, die unklar und oft ohne Zusammenhang war. Wagners Symbolismus ist ausgebrannt, seine Musik jedoch ist geblieben. Die Idee Bayreuths war, trotz aller Anmaßung, hochfliegend und weitsichtig zugleich: Das Gesamtkunstwerk sollte als ein Volks-Festspiel dargeboten werden. Cosima sah das ganz klar. Und es war nicht ihre Schuld, daß Bayreuth später zum gesellschaftlichen Treffpunkt wurde. Selbst in hohem Alter dachte sie noch an die Kontinuität von Bayreuth: Sie besprach sich mit einem Architekten über die Modernisierung des Bühnenraums, suchte nach neuen Künstlern, wobei sie Hans Breuer entdeckte, der ein unver-

gleichlicher Mime (von 1896 bis 1914) und ein ausgezeichneter David war. Sie entdeckte auch Ernest van Dyck, einen Tenor, der nur italienische Rollen singen wollte, und den sie

davon überzeugte, zum Lohengrin und Parsifal zu werden. Was immer sie tat, sie tat es mit dem Einsatz aller Kräfte,

mit aller Leidenschaftlichkeit. Dies ist der Schlüssel zu ihrem Wesen. Nichts an ihr war halbherzig. Ihre Liebe war leidenschaftlich und hemmungslos und ebenso ihre Vorurteile und Fehler. Als Daniela ihre unglückliche Liebesaffäre hatte, schrieb Cosima ihr, sie verstünde die Qual, die ihre Tochter durchmache.

„Wie Du jetzt die Pein trägst, das ist das Ent-

scheidende, wird für Dein Leben endgültig bestimmend sein. Verstehst Du milde den Anderen, hilfst ihm sich selbst verste-

hen, so hast Du das Spiel des Lebens gewonnen.

Bist Du

heftig, unverständig, dann Kind, werden für Dich die sterilen Erfahrungen nie aufhören.“ Sie, Cosima, hatte ein ähnliches Schicksal durchgemacht, als sie elf Jahre nach ihrer Heirat

mit Bülow nach Tribschen ging, zutiefst unglücklich,

aber

ihrer Liebe gehorchend, ohne Gedanken an die Zukunft. Sie hatte ein Recht, davon zu Daniela zu sprechen, als eine Frau, die „bestimmt Liebe und Leidenschaft kannte“. Der Mann, den sie liebte, mußte ein Genie sein: Das war

eine Notwendigkeit ihres Wesens. Sie hatte es mit Bülow versucht, aber der Versuch war fehlgeschlagen. Vielleicht war es auch der Grund für das Gelingen des zweiten Versuchs. Sie war mehr als nur die steife Königin von Wahnfried. Cosima war ein schillerndes Wesen, das eine entscheidende Rolle gespielt hatte im Leben jenes auf- und anregenden Genies Richard Wagner. Und noch einmal sei es gesagt: Ohne sie gäbe es kein „Siegfried-Idyll“, keine Bayreuther Festspiele und keinen „Parsifal“.

370

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372

1927.

ZEITTAFEL

1833 Marie d’Agoult und der 22jährige Franz Liszt lernen sich kennen und lieben. 1835 Blandine wird als erstes Kind aus dieser Verbindung am 18. Dezember in Genf geboren. 1837 An Weihnachten kommt Cosima als zweite Tochter der beiden in Como zur Welt. 1839 Als drittes und letztes Kind wird am 9. Mai Daniel in Rom geboren. Im Spätherbst werden Blandine und Cosima unter die Obhut ihrer Großmutter Anna Liszt in Paris gestellt. 1844 Liszt trennt sich endgültig von Marie d’Agoult. Noch jahrelang streiten sie sich wegen der Kinder. ri 1847 Liszt lernt Carolyne von Sayn-Wittgenstein kennen, die bald nicht nur Einfluß auf sein Leben, sondern auch auf das seiner Kinder nimmt.

1850 Gegen den Widerstand von Marie d’Agoult und zunächst auch Anna Liszt übernimmt Carolynes ehemalige Gouvernante, die über 70jährige Patersi de Fossombroni die Erziehung der Mädchen. 1853 Am 10. Oktober sehen die Kinder nach acht Jahren erstmals ihren Vater in Paris wieder und lernen Carolyne und Richard Wagner kennen. Wagner stellt bei der fast 16jährigen Cosima „anhaltende Schüchternheit“ fest.

1855 Im Frühherbst übernimmt in Berlin Franziska von Bülow die Aufsicht über Blandine und Cosima. Hans von Bülow, ein Jünger Liszts und Wagners, fungiert als Musik- und Klavierlehrer. Am 19. Oktober macht Bülow Cosima einen Antrag. 1856 Am 20. April hält Bülow bei Liszt offiziell um die Hand seiner Tochter an. Liszt ist zunächst gegen die Verbindung. 1857 Am 18. August heiraten Cosima und Bülow in Berlin. Die Hochzeitsreise geht zu Wagner nach Zürich, der sich auf dem Besitz von Otto und Mathilde Wesendonck im Haus Asyl eingerichtet hat. 1858 Im Sommer besuchen Bülow und Cosima erneut Wagner. Angesichts ihrer wenig glücklichen Ehe will Cosima zusammen mit Karl Ritter Selbstmord begehen, wovon beide jedoch wieder abkommen. Blandine heiratet den französischen

Anwalt und späteren Politiker Emile Ollivier. 1859 Konzertreisen führen die Bülows nach Prag und Paris, wo sie Hector Berlioz kennenlernen. Der im August zu Besuch nach Berlin gekommene Bruder Daniel stirbt am 13. Dezember im Hause der Bülows an Schwindsucht. 1860 Am 12. Oktober wird Cosimas und Bülows erstes Kind Daniela in Berlin geboren. Bülow hilft Wagner bei der Vorbereitung einiger Konzerte. 1861 „Tannhäuser“-Skandal in Paris, während sich die erkrankte Cosima in Bad Reichenhall zur Kur aufhält. Im August wird sie dort von Blandine, ihrem Schwager und Wagner besucht. Beim Abschied bemerkt er an ihr einen „fast scheu fragen-

den Blick“. 1862 Anfang Juli besuchen Bülow und Cosima in Biebrich Wagner und begeistern sich für die „Meistersinger“. Cosimas Scheu Wagner gegenüber scheint sich verloren zu haben. Am 11. September stirbt Blandine in Italien. Am 1. November sehen Bülow und Cosima Wagner sich bei einem Konzert in Leipzig wieder. In „Mein Leben“ berichtet Wagner über erste Verliebtheit. 1863 Am 20. März wird Cosimas und Bülows zweite Tochter Blandine in Berlin geboren. Am 28. November kommt Wagner zu einem Kurzbesuch nach Berlin. Bei

313

einer Spazierfahrt mit Cosima geht den „Schweigenden der Scherz aus“. Cosima und Wagner werden in dieser Nacht in Bülows Haus ein Liebespaar: „Unter Tränen und Schluchzen besiegelten wir das Bekenntnis, uns einzig anzugehören“. 1864 König Ludwig II. tritt im wahrsten Sinn des Wortes als Märchenkönig in Wagners Leben. Cosima zieht mit ihren Töchtern Daniela und Blandine zu Wagner ins Haus Pellet am Starnberger See, Bülow folgt nach. Der Bund zwischen Cosima und Wagner wird endgültig besiegelt. Nach Wagner lassen sich auch Bülows in München nieder. Bülow wird zum „Königlichen Vorspieler“ und wenig später zum Dirigenten berufen. 1865 Am 10. April wird Cosimas und Wagners erstes Kind Isolde geboren, am gleichen Tag leitet Bülow die erste Orchesterprobe zu „Tristan“, der am 10. Juni uraufgeführt wird. Die versteckten und öffentlichen Angriffe gegen Wagner nehmen zu. Auf des Königs Jagdhütte am Hochkopf beginnt Wagner für Cosima seine Eintragungen ins „Braune Buch“, Ende Juli beginnt Wagner, Cosima die Autobiographie „Mein Leben“ zu diktieren. Am 18. Oktober holt Cosima für Wagner bei der Königlichen Finanzkasse 40 000 Gulden, zum Teil in Münzgeld, also sackweise ab. Am 10. Dezember muß Wagner, auf „ein halbes Jahr“ aus Bayern verbannt, München verlassen.

1866 Am 25. Januar stirbt Wagners erste Frau Minna in Dresden, erneute Angriffe gegen

Cosima;

der „Volksbote“

nennt

sie, auf eine Bordellmutter

anspielend,

„Madame Hans“. Am 30. März entscheiden sich Cosima und Wagner auf der Suche für ein gemeinsames Heim für das idyllisch gelegene Haus in Tribschen, am 12. Mai zieht Cosima mit den Bülow-Töchtern Daniela und Blandine sowie Wagners Kind Isolde nach Tribschen. Aus Angst vor der Ungnade des Königs und vor weiteren Angriffen versucht sie noch zwei Jahre lang, ihre Liaison mit Wagner zu vertuschen, reist also ständig zwischen München und Tribschen hin und her. Cosima wird Wagners unentbehrliche rechte Hand und Sekretärin und wird Autor vieler seiner Briefe, namentlich wenn es darum geht, dem König Sand in die Augen zu streuen, auch als gegen Jahresende die exzentrisch gewordene Malvina Schnorr Cosima denunziert. 1867 Am 17. Februar wird Eva, Cosimas und Wagners zweites Kind, in Tribschen geboren. Bülow reist zu Cosima und verzeiht ihr. Bülow, der nach München zurückgekehrt ist, wird im April Hofkapellmeister und zum Leiter der künftigen Königlichen Musikschule bestimmt. Die Verstimmung zwischen Ludwig und Wagner wegen des neueinstudierten „Lohengrin“ legt sich, weil Ludwig nachgibt: „Ich küsse die Hand, die mich geschlagen!“ Im Oktober besucht Liszt Wagner, um sich

mit ihm über Cosima lich",

auszusprechen:

„Liszts Besuch:

gefürchtet, doch erfreu-

1868 Der „Meistersinger“ wegen lebt Cosima wieder in München bei Bülow, die Uraufführung am 21. Juni unter Bülow wird ein großer Erfolg. Mitte September reisen Cosima und Wagner nach Italien. Die Todesgefahr bei einem schweren Unwetter bestärkt Cosima, eine endgültige Entscheidung herbeizuführen. Am 14. Oktober fährt sie mit ihren vier Töchtern nach München, um mit Bülow über die

Scheidung zu reden, der jedoch ablehnt. Während Cosima eine Einigung sucht, lernt Wagner in Leipzig Friedrich Nietzsche kennen. Am 16. November zieht Cosima mit Wagners Töchtern Isolde und Eva endgültig nach Tribschen, eine Entscheidung, die sie lebenslang belasten wird.

1869 Zum Jahresanfang beginnt Cosima mit ihren Tagebuchaufzeichnungen. Insgesamt sind es 21 Hefte, die sie bis Wagners Tod führt, parallel dazu diktiert Wagner weiter die Autobiographie. Am 6. Juni wird Sohn Siegfried in Tribschen geboren, am 15. Juni bittet Cosima Bülow brieflich erneut, in die Scheidung einzuwilligen und ihr die gemeinsamen Töchter Daniela und Blandine zu überlassen. Bülow willigt zwei Tage später ein. Gegen den Willen Wagners wird am 22. September „Das Rheingold“ in München uraufgeführt. 1870 Wiederum gegen Wagners Willen wird am 26. Juni „Die Walküre“ in München uraufgeführt. Am 18. Juli wird Cosima von Bülow geschieden, Cosima erfährt

374

davon am 27. Juli: „Kein Glück gibt es auf Erden, meine Kinder, denn bei dieser Nachricht hatte ich nur Tränen“. Am 25. August werden Cosima und Wagner in der protestantischen Kirche von Luzern getraut. „Möge ich würdig sein, R.’s Namen zu tragen! Meine Andacht hat sich auf zwei Punkte gesammelt, R.’s Wohl, daß ich es stets befördern konnte; Hansen’s Glück, daß es ihm fern von mir

beschieden sei, ein heitres Leben zu führen.“ Trauzeugen sind Malwida von Meysenbug und Hans Richter. Wagner schenkt Cosima zum Geburtstag das „Siegfried-IdylI“, das bei späteren Finanznöten dann doch veräußert wird. 1871 Ende April reisen Cosima und Wagner nach Bayreuth. Zwar erscheint ihnen das Opernhaus ungeeignet, aber sie beschließen, sich hier niederzulassen und sowohl ihr eigenes Theater als auch ihr Haus zu bauen. Während einer Konzertreise im Mai kündigt Wagner in Leipzig die ersten Bayreuther Festspiele für 1873 an. Im November wird der Bayreuther Gemeinderat ermächtigt, Wagner für das Festspielhaus ein entsprechendes Grundstück zur Verfügung zu stellen. Erste Wagner- und Patronatsvereine werden gegründet. 1872 Cosima und Wagner nehmen zu Jahresbeginn Nietzsches „Geburt der Tragödie“ begeistert auf. Friedrich Feustel und Theodor Muncker müssen Wagner einen anderen Bauplatz anbieten, durch Cosimas Vermittlung willigt er in das Grundstück an der Bürgerreuth ein. Am 1. Februar erwirbt Wagner das Grundstück für das Haus Wahnfried, gleichzeitig wird der Verwaltungsrat der Festspiele gegründet. Am 27. April bezieht Wagner das Hotel „Fantaisie“ bei Bayreuth, Cosima kommt mit den Kindern drei Tage darauf nach. Am 22. Mai, Wagners 59. Geburtstag, wird der Grundstein für das Festspielhaus gelegt. Ende September bezieht die Familie das Haus Dammallee 7. Am 31. Oktober tritt Cosima in der Bayreuther Stadtkirche zum Protestantismus über. Im November erste gemeinsame Rundreise auf der Suche nach geeigneten Künstlern. Am Jahresende erste deutliche Anzeichen von Wagners Herzkrankheit. 1873 Zum 60. Geburtstag Wagners arrangiert Cosima ein Konzert im Markgräflichen Opernhaus, bei dem seine verloren geglaubte Konzertouvertüre in C-Dur aus dem Jahre 1831 wieder aufgeführt wird. Nach weiteren Konzertreisen wird am 2. August in Gegenwart von Liszt das Richtfest des Festspielhauses gefeiert. Nietzsche und Cosima erstellen einen Aufruf für die Patronatsvereine, der wegen seiner zu kühnen Sprache abgelehnt wird. Wagner schreibt zum Lobe Cosimas den „Kinderkatechismus“

für vier Mädchenstimmen

und Klavier, der zu ihrem

Geburtstag erstmals aufgeführt wird. 1874 Das Festspielunternehmen

steht vor dem

Ruin.

Retter in der Not ist wieder

“ Ludwig: „Es darf unser Plan nicht scheitern!“ Am 28. April wird die Villa Wahn-

fried bezogen. Im Sommer erste Proben für die Festspiele. Am 21. November, nach einem Zeitraum von 26 Jahren, vollendet Wagner die Partitur des „Ring der

Nibelungen“. Cosima, durch einen Ausbruch Wagners verletzt, feiert dieses Ereignis „in Schmerzen“. An ihrem Geburtstag präsentiert Wagner die instrumentierte Fassung des „Kinderkatechismus“.

1875 Nach weiteren Konzertreisen zur Finanzierung der Festspiele und der Proben beginnen am 1. August unter Hans Richter die ersten Orchester- und Gesamtproben. Cosima, allzu sehr „hohe Frau“, brüskiert einige Künstler. Als Richter von

Bayreuth Abstand nehmen will, gewinnt sie ihn mit einem Brief zurück. In Wien besorgt Wagner Neuinszenierungen von „Lohengrin“ und „Tannhäuser“. 1876 Marie d’Agoult stirbt am 5. März. Cosima heuchelt keine Trauer, die Festspiele sind ihr wichtiger. Nietzsches „Unzeitgemäße Betrachtungen“ begeistern Cosima und Wagner, Nietzsche selbst beginnt sich von Wagner abzuwenden und verläßt Bayreuth noch während der Generalproben, denen auch Ludwig beiwohnt. Am 13. August beginnen die ersten Festspiele, Kaiser Wilhelm

II. zu Wagner:

„Ich

habe nicht geglaubt, daß Sie es zustande bringen“. Cosima wird durch Wagners Romanze mit Judith Gautier schwer geprüft. Erst später schreibt sie in ihrem Tagebuch, wie sehr sie dadurch verletzt wurde. Cosima und Wagner reisen nach Italien. In Sorrent letztes Zusammentreffen mit Nietzsche.

375

1877 Neben dem „Parsifal“ beschäftigt sich Wagner auch weiter mit Konzertreisen, um das Bayreuther Defizit abzudecken. Die Konzerte in der Londoner Albert Hall bringen nicht den erhofften Gewinn. Am 2. August hört Cosima aus Wagners Arbeitszimmer die ersten Töne zum „Parsifal“.

1878

Im Februar endet Wagners Affäre mit Judith Gautier, Cosima übernimmt fortan die Korrespondenz mit Paris. Nietzsche sendet Anfang Mai sein „Menschliches, Allzumenschliches“ mit seinen unzweideutigen Anspielungen. Wagner revanchiert sich mit einem Artikel in den „Bayreuther Blättern“. Im November beginnt mit dem „Rheingold“ die erste Aufführung des gesamten „Ring“ in München.

1879 Auf Initiative von Angelo Neumann wird die Tetralogie auch in Leipzig und Wien uraufgeführt. Wagners Gesundheitszustand verschlechtert sich. Heinrich von Stein wird Siegfrieds Hauslehrer. Zum Jahresende erneuter Aufbruch nach Italien. 1880 Wagner lernt in Italien den Maler und späteren Bühnenbildner Paul von Joukowsky kennen. In Ravello findet er das Vorbild für Klingsors Zaubergarten, in der Kathedrale von Siena sieht er den Gralstempel. Ludwig gibt sein Einverständnis, daß der „Parsifal“ nur in Bayreuth gegeben werden darf. 1881 Wagner will Daniela und Blandine von Bülow adoptieren, Cosimas Versuche, Bülows Einverständnis zu erreichen, mißlingen. Wagner bestimmt Hermann Levi zu seinem „Parsifal“-Dirigenten. Wegen eines anonymen

Briefes, in dem ihm ein

Verhältnis mit Cosima nachgesagt wird, reist Levi überstürzt ab. Auf Wagners Bitten kommt er nach Wahnfried zurück. Im Herbst erneute Italien-Reise. Wagners häufige Brustkrämpfe werden nicht als Herzkrankheit erkannt. Zu Cosimas Geburtstag widmet Wagner ihr die noch nicht ganz vollendete „Parsifal“-Partitur. 1882 Am 13. Januar wird diese Partitur vollendet. Am 26. Juli werden die’ zweiten Festspiele mit der „Parsifal“-Uraufführung eröffnet, fünfzehn weitere Aufführungen

folgen. Unbemerkt von den Zuschauern dirigiert Wagner selbst den Schluß der letzten Vorstellung, somit zum letzten Mal im Festspielhaus. Am 25. August heiratet Blandine von Bülow Graf Biagio Gravina. Nach weiteren Herzanfällen Wagners fährt die Familie nach Venedig. Am 24. Dezember führt Wagner mit einem Schülerorchester die vor einem halben Jahrhundert entstandene Symphonie in C-Dur für Cosima auf. Hans von Bülow heiratet Marie Schanzer. 1883 Am Vorabend seines Todes umarmt Wagner Cosima und sagt zu ihr: „Alle 5000 Jahre glückt es!“ Am 13. Februar erleidet Wagner einen Herzanfall und stirbt gegen 15.30 Uhr im Alter von 69 Jahren in Cosimas Armen. Am 18. Februar wird er in Wahnfried beigesetzt. Cosima will zunächst sterben, doch sie wird ihren Mann um 47 Jahre überleben. Hermann Levi und Franz Fischer dirigieren die Festspielaufführungen des „Parsifal“. Cosima entwirft im Herbst einen Festspielplan für die kommenden fünf Jahre. Am 14. Juni wird Cosimas erster Enkel, Manfred Graf Gravina, in Palermo geboren. 1884 Cosima „korrigiert“ die Proben und Aufführungen des „Parsifal“ von einem eigens gebauten Verschlag auf der Bühne aus. Adolf von Gross wird ihr unentbehrlicher Berater. 1885 Cosima bereitet eine Neuinszenierung des „Tristan“ vor. Für Ludwig stellt sie eine Sammlung von Wagners Schriften und Briefen zusammen, aus denen sie alle kompromittierenden Stellen herausstreicht. 1886 Cosima inszeniert die Bayreuther Erstaufführung von „Tristan“ unter Felix Mottl (8 Aufführungen); außerdem steht der „Parsifal“ unter Hermann Levi neunmal auf dem Programm. Am 13. Juni ertrinkt Ludwig im Starnberger See. Daniela von Bülow heiratet am 3. Juli Heinrich Thode. Am 3]. Juli stirbt Franz Liszt in Bayreuth. Am 19. September wird Cosimas erste Enkelin, Marie Gräfin Gravina geboren. 1888 Bayreuther Erstaufführung der „Meistersinger“ unter Hans Richter; dazu: „Parsifal“ und „Tristan“.

1889 „Parsifal“, „Meistersinger“ und „Tristan“ unter Levi, Mottl und Richter.

376

1890 Gilberto Graf Gravina wird als dritter Enkel Cosimas geboren. 1891 Cosima inszeniert die Bayreuther Erstaufführung des „Tannhäuser“ unter Felix Mottl; dazu: „Parsifal“ (Levi) und „Tristan“ (Mottl). Friedrich Feustel stirbt am

13. Oktober in Bayreuth. 1892 „Parsifal“, „Tannhäuser“, „Meistersinger“, und „Tristan“. Am 10. November wird die Stilbildungsschule in Bayreuth eröffnet. 1894 Bayreuther Erstaufführung des „Lohengrin“ unter Mottl; dazu: „Tannhäuser“ (Richard Strauss) und „Parsifal“ (Levi). Am 12. Februar stirbt Hans von Bülow in Kairo. 1896 Cosima besorgt die zweite Bayreuther Inszenierung des „Ring“, den zweiten Zyklus dirigiert erstmals Siegfried Wagner, die vier weiteren Aufführungen leiten Mottl und Richter. Guido Graf Gravina, Cosimas vierter Enkel, wird geboren.

1897 „Ring“ (Richter, S. Wagner), „Parsifal“ (Mottl, Anton Seidl). Schwiegersohn Biagio Graf Gravina stirbt am 14. September in Palermo. 1899 „Ring“ (S. Wagner), „Parsifal“ (Fischer), „Meistersinger“ (Richter). „Der Bärenhäuter“, Siegfried Wagners erste und erfolgreichste Oper, wird am 22. Januar in München uraufgeführt. 1900 Theodor Muncker stirbt am 14. Februar in Bayreuth, Hermann Levi am 13. Mai in München und Nietzsche am 25. August in Weimar. Isolde von Bülow, Wagners erste Tochter, heiratet am 20. Dezember den Dirigenten Franz Beidler. . 1901 Bayreuther Erstaufführung des „Fliegenden Holländer“ (Mottl); dazu: „Ring“ (S. Wagner, Richter) und „Parsifal“ (Karl Muck). Cosimas fünfter Enkel, Wilhelm Franz Beidler, wird am 16. Oktober in Bayreuth geboren. Der Deutsche Reichstag lehnt eine Verlängerung der Schutzfrist der Aufführungsrechte auf 50 Jahre ab. 1902 „Holländer“ (Mottl), „Ring“ (S. Wagner, Richter) und „Parsifal“ (Muck). Mathilde Wesendonck stirbt am 31. August. 1903 Malwida von Meysenbug stirbt am 26. wird gegen den Widerstand Bayreuths gegen den Widerstand Bayreuths wird erstmals komplett außerhalb Bayreuths

April in Rom. Das erste Wagner-Denkmal am 3. Oktober in Berlin enthüllt. Ebenso „Parsifal“ am 24. Dezember in New York aufgeführt.

1904 „Tannhäuser“ (S. Wagner) mit neuer Choreographie von Isadora „Ring“ (Beidler, Richter) und „Parsifal“ (Muck, Michael Balling).

Duncan,

1906 Wiederaufnahme von „Tristan“ (Balling, Mottl), „Parsifal“ (Beidler, Balling, Muck) und „Ring“ (S. Wagner, Richter). Kurz vor ihrem 69. Geburtstag erkrankt Cosima auf Schloß Langenburg so schwer, daß sie die Leitung der Festspiele abgeben muß. Unter ihrer Agide fanden in Bayreuth 251 Festspielaufführungen statt.

1907 Siegfried Wagner übernimmt die Leitung der Festspiele. 1908 Eva Wagner und Houston Stewart Chamberlain heiraten am 26. Dezember. 1510 Cosima erhält von der Universität Berlin die Ehrendoktorwürde. 1911 Gustav Mahler stirbt am 18. Mai in Wien, Felix Mottl am 2. Juli in München. 1913 Der Beidler-Prozeß beginnt; Cosima verleugnet Wagners Vaterschaft für Isolde. Die 30jährige Schutzfrist für „Parsifal“ endet.

1914 Der Beginn des 1. Weltkrieges zwingt zum Abbruch der Festspiele. Daniela wird von Heinrich Thode geschieden. 1915 Hausbiograph Karl Friedrich Glasenapp stirbt am 14. April in Riga. Am 22. September heiraten Siegfried Wagner und Winifred Williams in Bayreuth. 1916 Hans Richter stirbt am 5. Dezember in Bayreuth. 1917 Am 5. Januar wird Siegfrieds und Winifreds erstes Kind, Wieland Wagner, geboren. 1918 Am 29. März kommt Friedelind Wagner zur Welt.

377

1919 Isolde Beidler stirbt am 7. Februar in München. Am 30. August wird Wolfgang Wagner geboren. 1920 Am 2. Dezember kommt Siegfrieds und Winifreds letztes Kind, Verena Wagner, zur Welt. 1923 Am 30. September kommt erstmals Adolf Hitler nach Bayreuth. 1924 Wiederbeginn der Festspiele. 1925 Michael Balling stirbt am 1. September in Darmstadt. 1927 Schwiegersohn Houston Krankheit in Bayreuth.

Stewart Chamberlain

stirbt am 9. Januar nach langer

1930 Franz Beidler stirbt am 15. Januar in München . Im Alter von 92 Jahren stirbt Cosima am 1. April, am 4. August folgt ihr der 61jährige Sohn Siegfried.

378

REGISTER

Agoult, Marie d’ 14ff., 24ff., 30 ff., 36 ff., 45, 53 f., 58 f., 66, 81, 149, 154, 215, 228, 348, 360 alias Daniel Stern 21f£.,53 £. Briefe an Blandine, Cosima 38f., an

Liszt

14, 19,22,25£.

Ahna, Pauline de 299 Aischylos 81, 144, 272, 370

Bismarck, Otto von 81, 109, 121£., 132, 178, 190, 197, 252, 271, 323, 325, 347

Aldrich, Richard 335 . „Allgemeine Augsburger Zeitung“, „A.A.Z“ 184, 189

Bissing, Henriette von Bizet, Georges 309

301

Andrässy, Gräfin 222, 229 Andreas-Salome&, Lou 269 Annunzio, Gabriele d’ 283

Appia, Adolphe

Bonfantini (Buchdrucker) Brahm, Otto 305 Brahms, Johannes

309

Ariosto, Ludovico

112 164, 245

Balling, Michael

Anna

siehe

Milden-

323

363

Balzac, Honore de Baudelaire, Charles

19, 150, 271, 360 58, 61, 159, 340

„Bayerisches Vaterland“ Beaumarchais, 204

208

342

burg, Anna von Balfour, Arthur James

184

Pierre August

Caron

de

Becker, Paul 9 Beecham, Thomas 307 f. Beethoven, Ludwig van 42,48 f., 86, 89,

158, 164, 200, 202, 204 f., 214f., 222, 274, 314, 318 Beidler, Franz

Brandt, Karl

184, 201, 257, 266

Breuer, Hans

370

Browning, Robert

Baden, Großherzog Friedrich I. von Bahr-Mildenburg,

36, 42, 144, 156, 208,

Brandt, Friedrich 331, 362 Brandt, Fritz 265 ff.

Aristophanes 189, 209 Asyl 46 ff., 50 ff., 58, 71 „Augsburger Postzeitung“

Bahr, Hermann

98

313

150

Bach, Johann Sebastian

73 f., 103

Boccacio 150 Bode, Wilhelm 299 Böcklin, Arnold 252 „Börsen Courier“ 300

„Allgemeine Musik-Zeitung“ 307 „Allgemeine Zeitung“ 90, 179, 183

Alvary, Max

Beidler, Wilhelm 318 Bellini, Vincenzo 205 Berlioz, Hector 31 f., 42, 59, 67, 178 Bernard, Laure 28 Bernhardt, Sarah 237, 323 Betz, Franz 181,234

297, 318

Beidler Isolde (geb. von Bülow, Tochter Wagners) 91, 113, 124, 138, 141, 147, 159, 163, 217, 242, 249, 281 f., 288, 297, 315 ff., 323, 348, 353, 365

244

Bruckner, Anton 230, 269, 341 f. Bülow, Blandine von siehe Gravina, Blandine Bülow, Daniela von siehe Thode, Daniela Bülow, Franziska von 36, 44 ff., 49, 58, 136, 142 Bülow, Hans von 36f., 4lff., 48 ff., SSH, 38... 0218,72. 18.8541, -91 1 IH ZIP HSIATE REN DT 131713316, 14175 145 6, 148 52152 88., 157£,171€, 177, 179., 189, 201,249, 253 ff., 266, 273, 276, 282 f., 284, 290, 297, 30473188,332,.353,361,307 370 f.

Briefe

an

„Augsburger

Postzeitung“

112; an „Allgemeine Zeitung“ 90; an Charnac&, Claire Gräfinde 94f., 152; an Cosima 153ff., 254; an. Liszt 44; an Richard Pohl 53f., an Joachim

Raff 60 f. Bülow, Isolde von siehe Beidler, Isoide

379

Bülow, Marie von (geb. Schanzer) 276 Bürckel, Ludwig von 251 Bürckel, Betty 275 Bursgstaller, Alois 332 Burk, John N.

266,

Eger, Manfred

216, 286

Elisabeth, Kaiserin von Österreich Ellis, Ashton W. 69 „English Illustrated Magazine“

15, 23, 150, 325

Chamberlain, Eva (geb. Wagner) 56, 72 f., 97 f., 102, 119, 124, 134, 138, 141, 147 £., 159, 163, 168, 173, 214, 217, 249, 282, 286, 288, 315, 317f., 320, 348 f£., 352 f., 355, 360, 364 ff. Stewart

9, 72,

294, 311, 341, 346, 349 ff., 360, 365 94, 141, 353

Chelius, Richard von

310

Chopin, Frederic 202, 346, 360 Conried, Heinrich 332 f., 335 Coquelin, Benoit Constant 345 Corneille, Pierre Cornelius, Peter,

29 91ff.,

110 f.,

17 327f£.,

Damrosch, Leopold 331, 333 Damrosch, Walter 333 Dannreuther, Edward 243 Dante Alighieri 16, 23, 166, 241

208 Delibes, Leo

Friedrich

Rudolf

Dom Pedro II Downes, Olin

366

129%.,.181 1.189,

Dürer, Albrecht 168 Du Moulin, Eckart Richard Graf,

33, 36, 68 f., 75, 161, 368 Duncan, Isadora

310

Gay, Peter Glasenapp,

10, 368 Carl Friedrich

9, 69, 281,

284 Gluck, Christoph Willibald 314 Georg V, König von Hannover 198 Gobineau, Joseph Arthur Graf 239, 272 Göllerich, August 315 Johann

Wolfgang

von

16, 23,

Gravina, Blandine (geb. von Bülow) 80, 87, 113, 124, 141 f., 148, 156 f., 168 f., 189, 200, 203, 210f., 249, 259, 264 f., 272, 288, 303, 315, 317, 348, 355, 365 Gravina, Guido

229 14

Düfflipp, Lorenz von 194 f., 198, 208, 212

380

von

35, 367

Dietrich, Marlene

367

Gautier, Judith siehe Mende£s-Gautier, Judith Gautier, Theophile 159

Gounod, Charles 59, 230 Gravina, Biagio Graf 264 f., 324

269

Dickens, Charles

367

59, 65, 150, 189, 215, 241, 253, 259, 311, 324, 347 ff., 362, 366

167

Martin

Flaubert, Gustave 58, 324 „Fliegende Blätter“ 151

Goethe,

300

Debussy, Claude 164, 340 Defoe, Daniel 189 Delbrück,

125

Finck, Henry T. 9 Fischer, Franz 243

Gandhi, Mahatma

Crailsheim, Christoph Krafft von Curie, Marie von 368

Delacroix, Eugene

Fichte, Johann Gottlieb

Freud, Sigmund

94, 104,

114, 121, 136, 205 Correggio, Antonio Allegrida Craig, Gordon 305, 309

Davidsohn, George

Fay, Amy 41 Feustel, Friedrich 196 f., 199, 204, 207, 212, 219,223, 230: .2354., 249227734 313%.

Fouque Friedrich Heinrich Karl, Freiherr de la Motte-Fonqu& 275 Franz Joseph I, Kaiser von Österreich 109

Charnace, Claire Gräfin de

(geb. d’Agoult)

306

150, 365

Carlyle, Thomas 150, 175, 204 Caruso, Enrico 332 Cervantes, Miguel de 59, 151, 253

Houston

67,

290, 323

Calderön de la Barca, Pedro

Chamberlain,

11, 170

Eliot, George (i. e. Mary Ann Evans) 244 Eliot, Thomas Stearns 284

Burne-Jones, Edward Sir 244 Burrell, Mary 98, 216, 286 Browning, Elizabeth 368 Byron, George

Duparc, Henri 190 Dyck, Ernest van 370

923:

68, 163, 253, 320,

349

Gravina, Manfred 281, 303 Grieg, Edvard 230 Gross, Adolf von 277f., 282, 294, 310, 325,327£. Gutman, Robert W.

Hanslick, Eduard

11,62

42, 135, 184, 230, 269

Hauptmann, Gerhart

305, 332

Haydn, Joseph

274

Helmholtz, Hermann von Henderson W.J. 331 Hertz, Alfred

230, 316

332

Herwegh, Georg

49

Hiller, Ferdinand

41

Levi,

19, 23, 43, 97

Engelbert

257, 267, 272,

274, 314, 335 f. Huneker, James 326 . Ibsen, Henrik 305 Ingres, Jean-Auguste Dominique Jahn, Otto 324 Jaide, Louise 223. James, Henry 256

167

Janin, Jules 31 Jefferson, Joseph 244 Jenkins Dr. 245 Joachim, Joseph 184, 243 Joukowsky, Paul von 256 f., 263, 272 ff.,

280 Kaehler, Willibald 363 Kant, Immanuel 350 Kapp, Julius 9,91 Karbaum, Michael

363

Kekule von Stradonitz, Reinhard Keudell, Robert von 229 Kindermann, August 182 „Kladderadatsch“ 151 Kleist, Heinrich von 189, 322 Klindworth, Karl 53, 171

Knappertsbusch, Hans

293

Knesebeck, Bodo von

300 f.

Kniese, Julius Koch, Max 9 Kolodin, Irving

257, 266, 282 f., 299

Komolatsch, Napoleon

316

Hermann

190

Krafft, Adam 65 Kraus, Felix von 347 Kunert, Fritz 329 Lachner, Franz 53, 89, 202 La Fontaine, Jean de 29

“ Lallas, Demetrius 220 Lamartine, Alphonse 19, 360

187,

150 f.

189,

223,

252,

23115, 206,8 269.1%.2722, 2741302.185 281 f., 284, 292 ff., 353, 369 Levin, Bernard 369 Levin, Rahel

49

Lewes, George Henry 244 Liechtenstein, Fürst Rudolph 222 Liechtenstein, Fürstin 198 Liszt, Anna 19f., 23, 26 ff., 37, 59, 66 Liszt, Blandine siehe Ollivier, Blandine Liszt, Daniel 17,24, 33, 59 f., 348 Liszt, Cosima siehe Wagner, Cosima Liszt, Franz 14ff., 24 ff., 30 ff., 36 ff.,

alff., 5Yff., 64, 66f., 80, 92£., 97, 100 ff., 103, 137, 142, 148 £., 154, 170 ff., 184, 190, 201 £., 215 f., 222, 232, 253 £., 268 f., 272 ff., 276, 279, 281 f., 286, 304, 312, 315, 317, 346, 348, 359 f., 369 Briefe an Blandine/Cosima 35, 39 f.; an Marie d’Agoult 14, 17, 19f£., 25, 34f.;, an Anna Liszt 27f., 66; an

Joseph Massart Low, Seth

24f.

334

Ludwig I, König von Bayern 98, 132 Ludwig II, König von Bayern 83 ff., ILSt., 9685, 105,112. HE, 121 ff., 127ff., 142, 144 ff., 149, 156, 171, 2171716, 18518, 19358, 2205475, 212 f., 2208.,228 £., 232 1,-2361.,.245, 248, 251 f., 257 f., 260, 269, 272, 277 £., 285, 287 ff., 323, 327 f., 348, 361, 368 f., Briefe an Düfflipp 130, 181f.,; an Cosima Wagner 105; an Richard

Wagner 85,185 f. Luitpold von Bayern 327f. Luther, Martin 325, 366 Lutz, Johann Freiherr von

110

Mack, Dietrich 11 Mackworth-Turner, Robin

11

Mahler, Gustav

334

215, 250, 252, 348

Lessing, Gotthold Ephraim Lessmann, Otto 307

Hohenlohe-Langenburg, Ernst zu 311, 313, 321 ff., 329, 334, 336 f., 341, 346 ff., 355 f., 360 Hohenlohe-Schillingsfürst, Fürst Constantin 122, 132 Homer 150, 324 Hume, David 268 Humperdinck,

360

Larsen-Todsen, Nanny 364 Lassalle, Ferdinand 49 Lehmann, Lilli 306 f., 331 Lenau, Nikolaus 345 Lenbach, Franz von

Hindenburg, Paul von 355 Hitler, Adolf 321, 363, 366 f. Hoffmann E.T.A. 150 Hogarth, William 244 Hugo, Victor

Lamennais, Felicite-Robert

269, 297 f., 341 f.

Maier, Mathilde 99 Makart, Hans 167, 222

Mallarme Stephane Malten, Theresa Mann, Thomas Maria Theresia

Mascagni, Pietro Massart, Joseph Materna, Amalie

324

284 13 f., 50, 263, 284 325

325 24 267, 284, 331

381

Maximilian II, König von Bayern Mayer, Hans 10 Mecklenburg, Herzogin von 316 Meissner, Alfred 63. Melchior, Lauritz Mendes, Catulle

83

Pfordten, Ludwig 131. Platon 150f. Pleasants, Henry Plutarch 150

364 159, 190

von

der

Poe, Edgar Allan

58

Pohl, Ferdinand

Metternich, Fürst von

222

Meyendorff, Olga von

201

Pourtales, Guy de 9 Proust, Marcel 240, 284, 362 Pusinelli, Anton 55,85, 111

Meyer, Friederike 63, 65, 103 Meyerbeer, Giacomo 298, 312

Meysenbug, Malwida von 311f. Mildenburg, Anna von 342 Moliere, Jean-Baptiste Pocquelin Millenkovich-Morold,

Max

10,

238 72£.,

9

45, 53

Possart, Ernst Ritter von

Pourtales, Baronin

Racine, Jean

336

198

29

Raff, Joachim 60 Reichmann, Theodor

Renoir, Auguste

270

309

368 Montez, Lola 89, 109 Moore, George 284, 325 f. Mottl, Felix 291 ff., 297, 299, 347, 353

Reszke, Eduard de 323, 331 Reszke, Jean de 323, 331 Reutter, Isidore von 127 ff., 310

Mozart, Wolfgang Amadeus

Richardson, Henry Handel

23, 89, 164,

122,

11

Mendes-Gautier, Judith 159, 190, 231 f., 268, 332 147, 164 Mendelssohn-Bartholdy, Felix Merimee, Prosper 323

Pohl, Richard

110,

Reynolds, Joshua

244 14, 324

314, 324 Muck, Karl 293, 297, 263, 366 „Münchner Volksbote“ 108, 117£.

Richter, Hans 163 f., 167, 174 f., 180 £., 183, 220, 222 ff., 234, 243, 277£., 284, 293, 296 f., 298, 313, 343, 353, 362

Muncker, Theodor

Ricordi, Giulia 340 Ritter, Alexander 75 Ritter, Franziska 47, 76 f., 205, 286

196 f., 199, 259, 278

Napoleon I 265, 355 Napoleon III 61 „Neueste Nachrichten“ 110 Neumann, Angelo 247, 258, 269 Newman, Ernest 9, 69, 87, 93, 108, 183,

257, 269, 299 „New York Times“ 14, 335 Niemann, Albert 50, 223 f., 331 Nietzsche, Elisabeth 179, 221, 241 Nietzsche, Friedrich 13, 97, 160 ff., 166,

174, 179, 190, 194, 199 f., 207, 233 £., 240 £., 276 f., 311 f., 321, 332, 345, 362 Nordica, Lilian

331

Ollivier, Blandine (geb. Liszt) 16 ff., 24, 34, 40, 45, 62,65 f., 148, 317, 348 Ollivier, Emile 45, 62, 65 £., 190 Otto, König von Bayern 327f. Ovid 150

Ritter, Julie Ritter, Karl

31 31,45, 47, 54 f., 286

Rolland, Romain 320 f. Rooy, Anton van 325,331 f., 336 Rosenfeld, Paul 364 Rossini, Giacomo 35, 164, 178 Rostand, Edmond 345 Rubens, Peter Paul 168 Rubinstein, Joseph 218, 220, 223, 238,

AST... 202, Sainte-Beuve, Carles Augustin

Salvini, Tommaso 285 Sayn-Wittgenstein, Carolyne von 26 ff., 45, 54, 60, 62, 80, 92, 144, 172, 201 Sayn-Wittgenstein, Marie von

Scaria, Emil

Parry, Sir Hubert 244 Palestrina, Giovanni 245 Pascal, Blaise 324

Pasdeloup, Jules Etienne

26, 31, 71

269, 331, 362

Schanzer, Marie siehe von Bülow, Marie Schemann, Ludwig 238, 303, 312

184

Patersi de Fossombroni, Frau von

59, 168 Pellet (Haus) 85, 87, 92 £. Perfall, Karl Freiherr von 186 Perron, Carl 304 Pfistermeister, Franz von 83f., 90

382

19

Saint-Mars, Madame de 27f£. Saint-Saens, Camille 184, 190, 230, 269 Sand, George 15,23, 43, 360, 368

Schiaparelli, Giovanni 27 ff.,

49

Schiller, Friedrich von 150, 215, 322 Schirmer, Gustave 230 Schleinitz, Marie Freifrau von 163, 171,

217, 253, 264, 272, 353 Schliemann, Heinrich

244

Schnappauf (Barbier)

224, 231, 260, 268

_ Schnorr von Carolsfeld, Ludwig

215, 310, 331 Schnorr, Malvina 310.

96, 128,

\ 96, 127ff., 213, 284,

364

Schönberg, Arnold

340 f.

Tribschen

Schopenhauer, Arthur 81, 150, 215, 233, 281, 311, 337, 362 Schott, B., Söhne 69, 202, 264, 330, 333 Schröder-Devrient, Wilhelmine 153.215 Schumann, Robert 60, 144 Schumann-Heinck, Ernestine 331 Schweitzer, Albert 309 Schweninger, Ernst 347 £., 360

Schwerin, Herzogin von Scott, Walter

Seidl, Anton

230 240, 305

Troll (Justizrat) 319 Turgenjew, Iwan Sergejewitsch 256, 271

58, 184,

11

Uhlig, Elsa 286 Uhlig, Theodor 285 f. Unger, Georg 243

220, 243, 273, 278, 331 29, 64, 144, 149ff.,

164, 284, 305 ff.

Sutherlands, Douglas

10

16, 167 332

IP’Isle-Adam,

Auguste

159,

64

Vogl, Heinrich Voltaire 150

145

Wagner, Cosima (geb. Liszt) Auszüge aus den Tagebüchern: 68, 80f., 138, 146 ff., 141-175, 185 ff., 194 ff., 203 ff., 208 ff., 232, 22347, 2A088, 2 245, 263 ff., 271 ff., 369

21, 30, 182 ff., 219 ff., 225818,

325; an Erbprinz Ernst von Hohenlohe. 311, 313,322 1f., 334,336 1.,34L., 265

346 f., 349, 355 £.; an Engelbert Humperdinck 314, 336; an Bodo von Kne-

60f., 148, 203, 272; 315,

sebeck

53, 104, 258 f.

Thoma, Therese 145 Tichatschek, Joseph 50, 144 f. Tilton, GraceM. 230 Tintoretto 271 Ternina, Milka

244, 323,

Briefe an Hans von Bülow 77ff.,, an Franz Beidler 298; an Isolde Beidler 315f£,;. an. Eva Chamberlain 56 f.; an Houston Stewart Chamberlain 294, 311, 346, 351; an Walter Damrosch 333f.; an George Davidsohn 300; an Adolf von Gross 310,

332

Thode, Daniela (geb. von Bülow) 80, 87, 105, 108, 113, 124, 141f., 156, 158, 163, 168f. 189, 200, 210f.,.249° 25316. 261%.265:416., 275 ff., 279£., 282, 285, 290, 292, 320, 348, 353, 360 ff., 370 Thode, Heinrich 272, 288, 290, 360

de

Vischer, Peter

305

Taine, Hyppolite 150 Talleyrand, Fürst Charles-Maurice Tausig, Karl

49

190

Stanislawski, Konstantin 305 Stanton, Edward C. 336 Stein, Heinrich von 248, 257, 272, 312 Steiner, George 369 Stern, Daniel siehe Agoult, Marie de Stern Lawrence 322, 324 Strauss, Franz 342f. Strauss, Richard 297, 299, 325, 341 ff.

Sucher, Rosa 291£. Sudermann, Hermann Sue, Eugene 19

Viardot, Pauline 58, 148, 184 Victoria, Königin von England Villiers

150

393 Strindberg, August

Varnhagen von Ense, Karl August Vega Carpio, Felix Lope de 150 Verdi, Giuseppe 67, 164, 340

.367

Siemens, Wilhelm 244 Sokoloff, Alice Hunt 10

Tizian

Tschechow, Anton

Turner, Rigbie

229

174, 189, 209, 279 Shaw, George Bernard Shelley, Percy 166 Shirley, WayneD. 11

Sophokles

113-199

Tschaikowski, Peter

150, 324

Seitz, Franzvon 252 Shakespeare, William



Thurn und Taxis, Prinz Paul 105,.117F. Tolstoi, Leo 271, 305 Toscanini, Arturo 72, 291, 293, 297, 321,

300f.;

König Ludwig

II von

Bayern 1207. 123, 126.2 1397213; 236 f., 287 ff.; an Fritz Kunert 329 £.; an Hermann Levi 294ff.; an Anna Liszt 21; an Franz Liszt 24, 28, 33, 64f.; an Alfred Meissner 63f.; an

Malwida

von

Meysenbug

311f.;

an

Friedrich Nietzsche 162; an Franziska Ritter 76f.;, an Hans Richter 225ff., 313; an Ludwig Schemann 303, 312f.,;, an Malvina Schnorr 130f.;, an Richard Strauss 342 ff.; an Rosa Sucher 292; an Da-

383

niela Thode

212, 255, 261, 280, 285;

an Richard Wagner 255; an Siegfried Wagner 281; an Mathilde Wesendonck 330 Wagner, Eva siehe Chamberlain Eva Wagner, Friedelind 11,361 £., 367

Wagner, Minna (geb. Planer) 46, 50 ff., 55 ff., 63, 71, 98, 104, 111 £., 149, 213 Wagner,

Siegfried

152, 155, 159, 168 f.,

173, 177, 189, 194, 203, 205, 210, 214, 217,4. 2A8Hf.,. 235.7257, 26052635271, 181f., 285, 288, 297, 308, 314, 316, 318 ff., 321, 326, 348, 355, 357, 359 ff., „Bärenhäuter“

341,

„Bruder

stig“ 342, „Kobold“ Wagner, Richard Briefe

an

Hans

von

Lu-

342

Bülow

46, 48, 72,

85f.;, an Judith Gautier 231; an König Ludwig II von Bayern 84, IST 2 TIL 251,0260 272 an Hermann Levi 187f.; an Cosima Wagner 112, 114, 169 f., 199, 255; an Minna Wagner 104; an Mathilde Wesendonck S0f.;

Werkverzeichnis

soweit

erwähnt:

„An

den König“ 187; „Bayreuther Blätter 272; „Braunes Buch“ 97ff., 104, 125£., 187; „Erinnerungen an

Ludwig

Schnorr

133; „Der

von

Fliegende

Carolsfeld“

Holländer“

33,

43, 60, 99, 105, 215, 222, 226, 246, 251, 354;

„Die

Götterdämmerung“

31,

114, 172, 190, 193 f., 206, 214, 220, 226, 229,

232£.,

Werke“

238f.,

278;

„Gesammelte

348; „Das Judentum

in der

Musik“ 147f£.; „Kaisermarsch“ 198; „Eine Kapitulation“ 165; Konzertouvertüre in C-Dur 205; „Kos im Mai“ 214; „Lohengrin“ 31, 33, 43,

„Rienzi“ 31; „Der Ring der Nibelungen“ 46, 137, 148, 150, 164, 174, 177, 190, 193 f., 214, 220, 223, 229, 241, 247, 272, 284, 296, 298, 307, 309, 320, 326, 328, 339, 343 f., 354, 363, 366; „Siegfried“ 46, 99, 114, 147f., 150, 198, 215, 229, 364; „Siegfried-Idyli!“ 114, 175, 238, 246, 359, 371; „Tannhäuser‘* :31, 33743-4.,.61, 67,72, 833533599 146, 186, 221, 228, 246 f., 263, 271, 274, 292, 297 ff., 310, 342, 364, 366; „Tristan und Isolde“ 47f., 50ff., 54, 56f., 62 £., 67, 74, 85, 87, 91, 94 ff., 99, 105, 147, 231, 246, 251, 272, 284, 287, 290 ff£., 298, 304, 320, 330 f., 342, 346 f., 356,

364, 366; „Über Staat und Religion“ 10; „Über das Weibliche im Menschen“ 275; „Die Walküre“ 10, 53, 146, 178, 185 ff., 229, 234, 244, 348, 360; „Was ist deutsch?“ sendonck-Lieder 51 Wagner, Wieland 359, 367

Wagner, Winifred Wagner, Wolfgang

72,359, 361, 367 ff. 367 £.

Watteau, Jean-Antoine 167 Weber, Carl Maria von 23, 164, 202 Wedekind, Frank 305 Weimar, Großherzog von 229 Weinert, Susanne 216 ff. Weingartner, Felix 167, 293, 308 Weißheimer, Wendelin 67,84 Wesendonck, Mathilde 44, 46 ff. 55 ff.,

63, 69, 71, 73, 97, 103, 106, 231, 330 Wesendonck, Otto 46 ff., 69, 99 Westernhagen, Curt von 91 Wilde, Oscar 305

Wilhelm I, König von Preußen 198 Wilhelm I, Kaiser

Wilhelm IH, Kaiser 3335335

Leben“ 67, 97f., 147; „Die Meistersinger von Nürnberg“ 62ff., 67, 85,

Williams-Klindworth,

125, 329, 339, 350, Winifred

Wagner, Winifred Wolf, Hugo 340 Woolf, Virginia

284

Wolzogen, Hans von Wüllner, Franz

Xenophon

365

182 f., 187, 189 £.

150

340 f., 354, 363, 366, 371; „Das Rhein-

gold“ 53, 99, 146, 177ff., 180, 183, 185, 193, 229, 232, 275, 322, 339, 344;

384

121, 195,

195

58, 61, 76, 83, 85, 99, 144 f., 158, 186, 221, 228, 247, 251£., 271, 325; „Mein

93, 113£., 118£., 126, 133 ff., 137, 160, 163, 202, 205, 296 f., 304, 307, 342 £., 360, 362f.; „Parsifal“ 72, 104, 161, 167,0221,.231, 23646, 23978, 245 EE., 250 ff., 256 ff., 263 ff., 272 ff., 281, 283, 287,. 295, 297,:305H., 327:f£., 332 ff.,

10, 106; We-

Zelter, Karl Friedrich Zumpe, Hermann

324

205, 220

siehe

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auf dem »Grünen Hügel« in Bayreuth. Nach Wagners Tod in Venedig - sie durfte ihren Mann um 47 Jahre überleben - wurde sie die einzige Erbin seiner Autorität und seines Willens. Mit unbeugsamer Härte verhalf sie seinem Werk zum internationalen Durchbruch.

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George R. Marek wurde in Österreich geboren. 1972 gab er seinen einflußreichen Managerposten bei der Schallplattenfirma RCA auf, blieb jedoch dem Unternehmen und dem Readers Digest Schallplattenclub als Berater verbunden. Seine musikwissenschaftlichen Aufsätze werden international gedruckt; berühmt wurde er durch seine bedeutenden Biographien über Ludwig van Beethoven, Felix Mendelssohn-Bartholdy und Frederic Chopin. George R. Marek hat für diese Biographie nicht nur teils bisher unbekannte - Zeitberichte und die Tagebücher Cosima Wagners ausgewertet. Denn die Tagebücher enden mit Richard Wagners Tod. Der Autor bezog erstmals auch die ausführliche Korrespondenz, die Cosima führte, in seine Recherchen mit ein. Entstanden ist somit die erste gültige Biographie einer einzigartigen Frau. Umschlagabbildung: Nationalarchiv der Richard-Wagner-Stiftung/ Richard-Wagner-Gedenkstätte, Bayreuth

Das romanhaft anmutende - und sich in diesem Werk auch so lesende Portrait einer faszinierenden, sich aufopfernden, voreingenommenen,

intrigierenden, hingebungsvollen und bewundernswerten großen Frau, die sich diktatorisch in einer

Welt von Männern bewegte, von denen nur einer ihr ebenbürtig war: IN IEIG AN

George R. Marek hat für diese Biographie nicht nur (teils bisher unbekannte) Zeitberichte und die Tagebücher Cosima Wagners ausgewertet.

Der Autor bezog erstmals

auch die ausführliche Korrespondenz, die Cosima führte, in seine Recherchen mit ein. Entstanden ist somit

die erste gültige Biographie dieser einzigartigen Frau.

ISBN 3-7014-0245-0