Constitutions of the World from the late 18th Century to the Middle of the 19th Century: Part II Bavaria – Bremen 9783598440564, 9783598356865


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German Pages 425 [432] Year 2006

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Inhalt – Contents
Verfassung von Bayern (1808)
Verfassung von Bayern (1818)
Verfassung von Berg (1812) / Constitution de Berg (1812)
Verfassung von Braunschweig (1820)
Verfassungsentwurf für Braunschweig (1831)
Verfassung von Braunschweig (1832)
Verfassungsentwurf für Bremen (1814)
Verfassungsentwurf für Bremen (1837)
Bekanntmachung der Feststellung der Verfassung von Bremen (1848)
Verfassung von Bremen (1849)
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Constitutions of the World from the late 18th Century to the Middle of the 19th Century: Part II Bavaria – Bremen
 9783598440564, 9783598356865

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Constitutions of the World from the late 18th Century to the Middle of the 19th Century Verfassungen der Welt vom späten 18. Jahrhundert bis Mitte des 19. Jahrhunderts

Constitutions of the World from the late 18th Century to the Middle of the 19th Century Sources on the Rise of Modern Constitutionalism Editor in Chief Horst Dippel Europe: Volume 3

Verfassungen der Welt vom späten 18. Jahrhundert bis Mitte des 19. Jahrhunderts Quellen zur Herausbildung des modernen Konstitutionalismus Herausgegeben von Horst Dippel Europa: Band 3

K·G ·Saur 2007

Deutsche Verfassungsdokumente 1806–1849 Teil II: Bayern – Bremen Herausgegeben von Werner Heun

German Constitutional Documents 1806–1849 Part II: Bavaria – Bremen Edited by Werner Heun

K·G ·Saur 2007

Bibliographic information published by the Deutsche Nationalibliothek The Deutsche Nationalibliothek lists this publication in the Deutsche Nationalbibliografie; detailed bibliographic data are available in the internet at http://dnb.d-nb.de.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

U Printed on acid-free paper / Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier © 2007 by K . G. Saur Verlag, München Ein Imprint der Walter de Gruyter GmbH & Co. KG Printed in Germany All Rights Strictly Reserved / Alle Rechte vorbehalten. Technical Partner / Technischer Partner: Mathias Wündisch, Leipzig Printed and Bound / Druck und Bindung: Strauss GmbH, Mörlenbach ISBN-13: 978-3-598-35686-5 ISBN-10: 3 - 598 -35686-2

Inhalt – Contents Verfassung von Bayern (1808) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verfassung von Bayern (1818) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Edict über das Indigenat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Edict über die äußern Rechts-Verhältnisse der Einwohner des Königreichs Baiern, in Beziehung auf Religion und kirchliche Gesellschaften . . Edict über die innern Kirchlichen Angelegenheiten der Protestantischen Gesammt-Gemeinde in dem Königreiche . . . . . . . . . . . . . . Edict über die Freyheit der Presse und des Buchhandels . . . . . . . . . . . Edict die staatsrechtlichen Verhältnisse der vormals Reichsständischen Fürsten, Grafen und Herren betreffend . . . . . . . . . . . . . . . . . . Edict über den Adel im Königreiche Baiern . . . . . . . . . . . . . . . . . Edict über die gutsherrlichen Rechte und die gutsherrliche Gerichtsbarkeit . Edict über die Familien-Fideicommisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Edict über die Siegelmäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Edict über die Verhältnisse der Staatsdiener, vorzüglich in Beziehung auf ihren Stand und Gehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Edict über die Stände-Versammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Revision von 1825 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erste Revision von 1828 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zweite Revision von 1828 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dritte Revision von 1828 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erste Revision von 1831 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zweite Revision von 1831 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erste Revision von 1834 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zweite Revision von 1834 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dritte Revision von 1834 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vierte Revision von 1834 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Revision von 1837 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Revision von 1840 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erste Revision von 1843 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zweite Revision von 1843 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Revision von 1846 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erste Revision von 1848 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zweite Revision von 1848 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dritte Revision von 1848 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vierte Revision von 1848 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fünfte Revision von 1848 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sechste Revision von 1848 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Siebte Revision von 1848 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Achte Revision von 1848 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Verfassung von Berg (1812) / Constitution de Berg (1812) . . . . . . . . . . . . 177

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I NHALT – C ONTENTS Verfassung von Braunschweig (1820) . . . . Verfassungsentwurf für Braunschweig (1831) Verfassung von Braunschweig (1832) . . . . Revision von 1848 . . . . . . . . . . .

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Verfassungsentwurf für Bremen (1814) . . . . . . . . . . . . . . . . . Verfassungsentwurf für Bremen (1837) . . . . . . . . . . . . . . . . . Bekanntmachung der Feststellung der Verfassung von Bremen (1848) Verfassung von Bremen (1849) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Index . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 411

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Verfassung von Bayern (1808) Konstitution für das Königreich Baiern1

Wir Maximilian Joseph, von Gottes Gnaden König von Baiern. Von der Ueberzeugung geleitet, daß der Staat, so lange er ein bloßes Aggregat verschiedenartiger Bestandtheile bleibt, weder zur Erreichung der vollen Gesamtkraft, die in seinen Mitteln liegt, gelangen, noch den einzelnen Gliedern desselben alle Vortheile der bürgerlichen Vereinigung, in dem Maaße, wie es diese bezwecket, gewähren kann, haben Wir bereits durch mehrere Verordnungen die Verschiedenheit der Verwaltungsformen in Unserm Reiche, so weit es vor der Hand möglich war, zu heben, für die direkten Auflagen sowohl, als für die indirekten ein gleichförmigeres Sistem zu gründen, und die wichtigsten öffentlichen Anstalten dem Gemeinsamen ihrer Bestimmung durch Einrichtungen, die zugleich ihre besondern sichern, entsprechender zu machen gesucht. Ferner haben Wir, um Unsern gesamten Staaten den Vortheil angemessener gleicher bürgerlicher und peinlicher Geseze zu verschaffen, auch die hiezu nöthigen Vorarbeiten angeordnet, die zum Theil schon wirklich vollendet sind. Da aber diese einzelnen Ausbildungen besonderer Theile der Staats-Einrichtung nur unvollkommen zum Zwecke führen, und Lücken zurück lassen, deren Ausfüllung ein wesentliches Bedürfniß der nothwendigen Einheit des Ganzen ist; so haben Wir beschlossen, sämtlichen Bestandtheilen der Gesezgebung und Verwaltung Unsers Reichs, mit Rücksicht auf die äussern und innern Verhältnisse desselben, durch organische Geseze einen vollständigen Zusammenhang zu geben, und

hiezu den Grund durch gegenwärtige Konstitutions-Urkunde zu legen, die zur Absicht hat, durch entsprechende Anordnungen und Bestimmungen den gerechten, im allgemeinen Staatszwecke gegründeten Foderungen des Staats an seine einzelnen Glieder, so wie der einzelnen Glieder an den Staat, die Gewährleistung ihrer Erfüllung, dem Ganzen feste Haltung und Verbindung, und jedem Theile der Staatsgewalt die ihm angemessene Wirkungskraft nach den Bedürfnissen des Gesamt-Wohls zu verschaffen. Wir bestimmen und verordnen demnach, wie folgt:

ERSTER TITEL Hauptbestimmungen § I. Das Königreich Baiern bildet einen Theil der rheinischen Föderation. § II. Alle besondern Verfassungen, Privilegien, Erbämter und Landschaftliche Korporationen der einzelnen Provinzen sind aufgehoben. Das ganze Königreich wird durch eine Nationalrepräsentation vertreten, nach gleichen Gesezen gerichtet und nach gleichen Grundsäzen verwaltet; dem zu Folge soll ein und dasselbe Steuersistem für das ganze Königreich seyn. Die Grundsteuer kann den fünften Theil der Einkünfte nicht übersteigen. § III. Die Leibeigenschaft wird da, wo sie noch besteht, aufgehoben.

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BAYERN § IV. Ohne Rücksicht auf die bis daher bestandene Eintheilung in Provinzen, wird das ganze Königreich in möglichst gleiche Kreise, und, so viel thunlich, nach natürlichen Gränzen getheilt. § V. Der Adel behält seine Titel und, wie jeder Guts-Eigenthümer, seine gutsherrlichen Rechte nach den gesezlichen Bestimmungen; übrigens aber wird er in Rücksicht auf die Staatslasten, wie sie dermal bestehen oder noch eingeführt werden mögen, den übrigen Staatsbürgern ganz gleich behandelt. Er bildet auch keinen besondern Theil der Nationalrepräsentation, sondern nimmt mit den übrigen ganz freien Landeigenthümern einen verhältnißmässigen Antheil daran. Eben so wenig wird ihm ein ausschließliches Recht auf Staatsämter, Staatswürden, Staatspfründen zugestanden. Die gesamten Statuten der noch bestehenden Korporationen müssen nach diesen Grundsäzen abgeändert, oder seiner Zeit eingerichtet werden.

vom 13. Junius 1803, und den wegen der politischen Zeitschriften am 6. September 1799 und 17. Februar 1806 erlassenen Verordnungen. Nur Eingeborne, oder im Staate Begüterte, können Staatsämter bekleiden. Das Indigenat kann nur durch eine königliche Erklärung, oder ein Gesez, ertheilt werden. § VIII. Ein jeder Staatsbürger, der das ein- und zwanzigste Jahr zurückgelegt hat, ist schuldig, vor der Verwaltung seines Kreises einen Eid abzulegen, daß er der Konstitution und den Gesezen gehorchen – dem Könige treu seyn wolle. Niemand kann ohne ausdrückliche Erlaubniß des Monarchen auswandern, in das Ausland reisen oder in fremde Dienste übergehen, noch von einer auswärtigen Macht Gehälter oder Ehrenzeichen annehmen, bei Verlust aller bürgerlichen Rechte. Alle jene, welche ausser den durch Herkommen oder Verträge bestimmten Fällen, eine fremde Gerichtsbarkeit über sich erkennen, verfallen in dieselbe Strafe, und können nach Umständen mit einer noch schärfern belegt werden.

§ VI. Dieselben Bestimmungen treten auch bei der Geistlichkeit ein. Uebrigens wird allen Religionstheilen, ohne Ausnahme, der ausschließliche und vollkommene Besiz der Pfarr-, Schul- und Kirchen-Güter, wie sie nach der Verordnung vom ersten October 1807 unter die drei Rubriken: des Kultus, des Unterrichts und der Wohlthätigkeit in einer Administration vereinigt sind, bestätigt. Diese Besizungen können weder unter irgend einem Vorwande eingezogen, noch zu einem fremden Zwecke veräussert werden. Dasselbe gilt auch von den Gütern, welche seiner Zeit den zu errichtenden Bißthümern und Kapiteln zur Dotation angewiesen werden sollen.

§ II. Die Prinzessinnen sind auf immer von der Regierung ausgeschlossen, und bleiben es von der Erbfolge in so lange, als noch ein männlicher Sprosse des regierenden Hauses vorhanden ist.

§ VII. Der Staat gewährt allen StaatsBürgern Sicherheit der Personen und des Eigenthums – vollkommene Gewissensfreiheit – Preßfreiheit nach dem Zensur-Edikt

§ III. Nach gänzlicher Erlöschung des Manns-Stammes fällt die Erbschaft auf die Töchter und ihre männliche Nachkommenschaft.

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ZWEITER TITEL Von dem königlichen Hause § I. Die Krone ist erblich in dem MannsStamme des regierenden Hauses, nach dem Rechte der Erstgeburt und der agnatischlinealischen Erbfolge.

V ERFASSUNG VON BAYERN (1808) § IV. Ein besonderes Familiengesez wird die Art, wie diese Erbfolge eintreten soll, bestimmen; jedoch mit Vorbehalt der im §. 34. der rheinischen Föderationsakte erwähnten erblichen Ansprüche, in so weit sie anerkannt und bestimmt sind. Der Leztlebende vom königlichen Hause wird durch zweckmässige Maaßregeln die Ruhe und Selbstständigkeit des Reichs zu erhalten suchen.

Justizstellen, können während der Regentschaft nur provisorisch vergeben werden. Der Reichsverweser kann weder Kron-Güter veräussern, noch neue Aemter schaffen. In Ermanglung eines volljährigen Agnaten verwaltet der erste Kronbeamte das Reich. Einer verwittweten Königin kann die Erziehung ihrer Kinder unter Aufsicht des Reichsverwesers, nie aber die Verwaltung des Reichs übertragen werden.

§ V. Die nachgebornen Prinzen erhalten keine liegende Güter, sondern eine jährliche Appanagial-Rente von höchstens Einmal Hundert Tausend Gulden aus der königlichen Schazkammer in monatlichen Raten ausbezahlt, die nach Abgang ihrer männlichen Erben dahin zurück fällt.

§ X. Es sollen vier Kron-Aemter des Reichs errichtet werden. Ein Kron-OberstHofmeister – ein Kron-Oberst-Kämmerer – ein Kron-Oberst-Marschall – ein KronOberst-Postmeister, die den Sizungen des geheimen Raths beiwohnen. Alle wirklich dirigirenden geheimen Staats-Minister genießen alle mit der Kronämter-Würde verbundenen Ehren und Vorzüge.

§ VI. Zweimal Hundert Tausend Gulden jährliche Einkünfte, nebst einer anständigen Residenz, sind als Maximum für das Witthum der regierenden Königin bestimmt; das Heurathgut einer Prinzessin ist auf Einmal Hundert Tausend Gulden festgesezt. § VII. Alle Glieder des königlichen Hauses stehen unter der Gerichtsbarkeit des Monarchen, und können bei Verlust ihres Erbfolge-Rechts nur mit dessen Einwilligung zur Ehe schreiten. § VIII. Die Volljährigkeit der königlichen Prinzen tritt mit dem zurückgelegten achtzehnten Jahre ein. § IX. Einem jeden Monarchen steht es frei, unter den volljährigen Prinzen des Hauses den Reichsverweser während der Minderjährigkeit seines Nachfolgers zu wählen. In Ermanglung einer solchen Bestimmung gebührt sie dem nächsten volljährigen Agnaten. Der weiter Entfernte, welcher wegen Unmündigkeit eines nähern die Verwaltung übernommen hat, sezt sie bis zur Volljährigkeit des Monarchen fort. Die Regierung wird im Namen des Minderjährigen geführt; alle Aemter, mit Ausnahme der

§ XI. Die am 20. Oktober 1804 wegen Unveräusserlichkeit der Staatsgüter erlassene Pragmatik wird bestätigt; jedoch soll es dem König frei stehen, zur Belohnung grosser und bestimmter, dem Staate geleisteter Dienste, vorzüglich die künftig heimfallenden Lehen oder neu erworbene Staats-Domainen dazu zu verwenden, die sodann die Eigenschaft von Mann-Lehen der Krone annehmen, und worüber keine Anwartschaft ertheilt werden kann.

DRITTER TITEL Von der Verwaltung des Reichs § I. Das Ministerium theilt sich in fünf Departements: jenes der auswärtigen Verhältnisse, der Justiz, der Finanzen, des Innern und des Kriegs-Wesens. Die GeschäftsSphäre eines jeden ist und bleibt durch die Verordnungen vom 26. Mai 1801, 29. October 1806, und 9. März 1804 bestimmt.

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BAYERN Mehrere Ministerien können in Einer Person vereinigt werden. Das Staats-Sekretariat wird von einem jeden Minister für sein Departement versehen; daher müssen alle königliche Dekrete von demselben unterzeichnet werden, und nur mit dieser Formalität werden sie als rechts-kräftig angesehen. Die Minister sind für die genaue Vollziehung der königlichen Befehle sowohl, als für jede Verlezung der Konstitution, welche auf ihre Veranlassung oder ihre Mitwirkung Statt findet, dem König verantwortlich. Sie erstatten jährlich dem Monarchen einen ausführlichen Bericht über den Zustand ihres Departements. § II. Zur Berathschlagung über die wichtigsten inneren Angelegenheiten des Reichs wird ein geheimer Rath angeordnet, der neben den Ministern aus zwölf oder höchstens sechszehen Gliedern besteht. Die geheimen Räthe werden von dem König anfänglich auf Ein Jahr ernannt, und nicht eher, als nach sechsjährigem Dienste als permanent angesehen. Der König und der Kron-Erbe wohnen den Sizungen des geheimen Raths bei; in beider Abwesenheit präsidirt der älteste der anwesenden Staats-Minister. Der geheime Rath entwirft und diskutirt alle Geseze und Haupt-Verordnungen nach den Grundzügen, welche ihm von dem König durch die einschlägigen Ministerien zugetheilt werden, besonders das Gesez über die Auflagen, oder das Finanz-Gesez. Er entscheidet alle Competenz-Streitigkeiten der Gerichtsstellen und Verwaltungen, wie auch die Frage: ob ein Verwaltungs-Beamter vor Gericht gestellt werden könne oder solle? Zur Führung der Geschäfte wird der geheime Rath in drei Sektionen getheilt: jene der bürgerlichen und peinlichen Gesezgebung, der Finanzen und der innern Verwaltung. Eine jede Sektion besteht wenigstens aus drei Mitgliedern, und bereitet die Geschäfte zum Vortrage im versammelten Rathe vor.

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§ III. Der geheime Rath hat in Ausübung seiner Attributen nur eine berathende Stimme. § IV. An der Spize eines jeden Kreises steht ein königlicher General-Kommissär, dem wenigstens drei, höchstens fünf, Kreis Räthe untergeordnet sind; ferner besteht in einem jeden Kreise a) eine allgemeine Versammlung, und b) eine Deputation. Erstere wählt die National-Repräsentanten; leztere wird vom König aus der Mitte der Kreis-Versammlung gewählt, und bringt 1) Die zur Bestreitung der Lokal-Ausgaben nöthigen Auflagen in Vorschlag, welche gesondert in den jährlichen Finanz-Etat aufgenommen, von den Rent- und SteuerBeamten mit den Auflagen des Reichs erhoben, und ausschließlich zu dem Zwecke, wozu sie bestimmt sind, verwendet werden müssen. 2) Läßt sie die, die Verbesserung des Zustandes des Kreises betreffenden Vorschläge und Wünsche, durch das Ministerium des Innern an den König gelangen. Die Stellen bei der allgemeinen Versammlung werden von dem König auf Lebenszeit vergeben: sie werden aus denjenigen vierhundert Land-Eigenthümern, Kaufleuten oder Fabrikanten des Bezirks, welche die höchste Grundsteuer bezahlen, nach dem Verhältniß von 1 zu 1000 Einwohnern gewählt, und versammeln sich, so oft die Wahl eines Repräsentanten vorfällt, oder es der Monarch befiehlt. Ihre Versammlungen dauern höchstens acht Tage. Der König ernennt den Präsidenten und die übrigen Offizianten auf eine oder mehrere Sessionen: erstere Stelle kann auch dem General-Kommissär des Kreises übertragen werden. Die Kreis-Deputation wird jährlich zu dem dritten Theile erneuert. Der König ernennt die Glieder derselben aus den Deputirten der allgemeinen Versammlung. Der

V ERFASSUNG VON BAYERN (1808) Name der austretenden wird durch das Loos bestimmt. Die Deputation versammelt sich jährlich auf höchstens drei Wochen. Zeit und Ort des Zusammentrittes werden von dem Monarchen bestimmt. Mit dem Vorstande und den Sekretärs wird es so, wie bei der General-Versammlung gehalten. § V. Die Landgerichte üben die LokalPolizei unter der Aufsicht der GeneralKommissariate aus, und erhalten zu diesem Behufe einen oder mehrere Polizei-Aktuarien. Für eine jede Städtische- und RuralGemeinde wird eine Lokal-Verwaltung angeordnet werden. § VI. Die Gefälle, Steuern und Auflagen des Reichs werden, so wie die LokalNebenbeischläge, durch die Rentämter und die übrigen zur Einnahme der Auflagen bestimmten Beamten erhohen. § VII. Alle Verwaltungs-Beamte, von dem wirklichen Rathe an, unterliegen den Bestimmungen der Haupt-Verordnungen vom 1. Jäner 1805, und 8. Junius 1807; jedoch werden alle künftig Anzustellende nur dann als wirkliche Staats-Beamte angesehen, wenn sie ein Amt, welches dieses Recht mit sich bringt, sechs Jahre lang ununterbrochen verwaltet haben. Wegen der Unterstüzungs-Beiträge der übrigen königlichen Diener und ihrer Wittwen wird eine eigene zweckmässige Verordnung erlassen werden.

VIERTER TITEL Von der National-Repräsentation § I. In einem jeden Kreise werden aus denjenigen zwei hundert Land-Eigenthümern, Kaufleuten oder Fabrikanten, welche die höchste Grundsteuer bezahlen, von den Wahlmännern sieben Mitglieder gewählt, welche zusammen die Reichs-Versammlung bilden.

§ II. Der König ernennt einen Präsidenten, und vier Sekretärs aus den Mitgliedern der Versammlung auf eine oder mehrere Sizungen. § III. Die Dauer der Funktionen der Deputirten wird auf sechs Jahre bestimmt; jedoch sind sie nach Verlauf dieser sechs Jahre erwählbar. § IV. Die National-Repräsentation versammelt sich wenigstens einmal im Jahre auf die vom König erhaltene Zusammenberufung, welcher die Versammlung eröffnet und schließt. Er kann sie auch vertagen oder auflösen; jedoch muß im lezten Falle wenigstens innerhalb zwei Monaten eine neue zusammenberufen werden. § V. So oft die Wahl eines Deputirten oder auch der ganzen Reichs-Repräsentation vorzunehmen ist, werden entweder alle oder die betheiligte Kreis-Versammlung durch königliche offene Briefe, welche der Minister des Innern expedirt, hiezu aufgefordert. § VI. Die Versammlung wählt unter sich Kommissionen von drei, höchstens vier Mitgliedern, jene der Finanzen, der bürgerlichen und peinlichen Gesezgebung, der innern Verwaltung und der Tilgung der StaatsSchulden. Diese versammeln sich und korrespondiren mit den einschlägigen Sektionen des geheimen Raths über die Entwürfe der Geseze und Haupt-Reglements sowohl, als den jährlichen Finanz-Etat, so oft es die Regierung von ihnen verlangt. § VII. Die auf solche Art vorbereiteten Geseze werden an die Repräsentation durch zwei, höchstens drei Mitglieder des geheimen Raths gebracht; die Versammlung stimmt darüber durch den Weg des geheimen Scrutiniums nach der absoluten Mehrheit der Stimmen. Niemand ist befugt, das Wort zu führen, als die königlichen Kommissärs aus dem geheimen Rathe und

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BAYERN die Glieder der einschlägigen Kommission der Repräsentation.

FÜNFTER TITEL Von der Justiz § I. Die Justiz wird durch die, in geeigneter Zahl bestimmten Ober- und Unter-Gerichte verwaltet. Für das ganze Reich besteht eine einzige oberste Justiz-Stelle. § II. Alle Gerichs-Stellen sind verbunden, bei End-Urtheilen die Entscheidungsgründe anzuführen. § III. Die Glieder der Justiz-Kollegien werden von dem König auf Lebenszeit ernannt, und können nur durch einen förmlichen Spruch ihre Stellen verlieren. § IV. Der König kann in Kriminal-Sachen Gnade ertheilen, die Strafe erlassen oder mildern; aber in keinem Falle irgend eine anhängige Streit-Sache oder angefangene Untersuchung hemmen, vielweniger eine Parthei ihrem gesezlichen Richter entziehen. § V. Der königliche Fiskus wird in allen streitigen Privat-Rechts-Verhältnissen bei den königlichen Gerichts-Höfen Recht nehmen. § VI. Die Güter-Konfiskation hat in keinem Falle, den der Desertion ausgenommen, Statt; wohl aber können die Einkünfte während der Lebenszeit des Verbrechers sequestrirt und die Gerichtskosten damit bestritten werden. § VII. Es soll für das ganze Reich ein eigenes bürgerliches und peinliches Gesezbuch eingeführt werden.

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SECHSTER TITEL Von dem Militär-Stande § I. Zur Vertheidigung des Staats, und zur Erfüllung der durch die rheinische Bundes-Akte eingegangenen Verbindlichkeiten, wird eine stehende Armee unterhalten. § II. Die Truppen werden durch den Weg der allgemeinen Militär-Konskription ergänzt. § III. Die Armee handelt nur gegen äussere Feinde; im Innern aber nur dann, wenn es der Monarch in einem besondern Falle ausdrücklich befiehlt, oder die MilitärMacht von der Zivil-Behörde förmlich dazu aufgefodert wird. § IV. Die Militär-Personen stehen nur in Kriminal- und Dienst-Sachen unter der Militär-Gerichtsbarkeit; in allen übrigen aber sind sie, wie jeder Staatsbürger, den einschlägigen Zivil-Gerichten unterworfen. § V. Die Bürger-Miliz wird bestättigt. Zur Erhaltung der Ruhe in Kriegs-Zeiten wird eine National-Garde, und zur Handhabung der Polizei eine Gensd’armerie errichtet werden. Dieß sind die Grundlagen der künftigen Verfassung Unsers Reichs. Ihre Einführung wird hiemit festgesezt auf den ersten Oktober dieses Jahres. In der Zwischenzeit werden die hienach zu entwerfenden Gesez-Bücher, so wie die einzelnen organischen Geseze, welche obigen Bestimmungen theils zur nähern Erläuterung dienen, theils die Art und Weise ihres Vollzugs vorzeichnen, nachfolgen. Völker Unsers Reichs! Die Befestigung eurer gemeinschaftlichen Wohlfahrt ist Unser Ziel. Je wichtiger euch dasselbe erscheint, und je durchdrungener ihr von der Erkenntniß seyd, daß kein besonderes Wohl sich anders, als in der engsten Verbindung mit dem allgemeinen dauerhaft erhalten

V ERFASSUNG VON BAYERN (1808) kann, desto sicherer wird dieses Ziel erreicht, und Unsere Regenten-Sorge belohnt werden. So gegeben in Unserer Haupt- und Residenz-Stadt München, am ersten Tage des Monats Mai, im Ein Tausend Acht Hundert und Achten Jahre, Unsers Reiches im Dritten. Max Joseph. Frhr. v. Montgelas. Gr. Morawitzky. Frhr. v. Hompesch.

1 Ediert nach Königlich-Baierisches Regierungsblatt, 1. Band, Jahrgang 1808, XXII. Stück, Sp. 985–1000. Die Konstitution wurde am 1. Mai 1808 beschlossen und unterzeichnet und am 25. Mai 1808 im Regierungsblatt verkündet. Sie trat jedoch erst am 1. Oktober 1808 in Kraft (vgl. Verfassungstext am Ende). Am 26. Mai 1818 wurde die Konstitution durch die Verfassungsurkunde des Königreichs Baiern abgelöst (Gesetzblatt für das Königreich Baiern, Jahrgang 1818,

VII. Stück, Sp. 101–140, VIII.-XVII. Stück, Sp. 141– 396). Siehe unter „Verfassung von Bayern (1818)“. Bei der Konstitution handelt es sich um eine oktroyierte Verfassung, die nicht in das Staatsleben eintrat bzw. unausgeführt blieb (vgl. Huber, Verfassungsgeschichte I, S. 321). Für weiterführende Angaben siehe Huber, Verfassungsgeschichte I, S. 319–321; Karl Möckl, Der moderne bayerische Staat, Eine Verfassungsgeschichte vom aufgeklärten Absolutismus bis zum Ende der Reformepoche, München 1979; Carola Schulze, Frühkonstitutionalismus in Deutschland, Baden-Baden 2002, S. 45–46; Eberhard Weis, Die bayerische Konstitution von 1808, in: ders. (Hrsg.), Reformen im rheinbündischen Deutschland, München 1984, S. 151–166; ders., Kontinuität und Diskontinuität zwischen den Ständen des 18. Jahrhunderts und den frühkonstitutionellen Parlamenten von 1818/1819 in Bayern und Württemberg, in: ders. Deutschland und Frankreich um 1800, München 1990, S. 218–242; Alfons Wenzel, Bayerische Verfassungsurkunden: Dokumentation zur bayerischen Verfassungsgeschichte, 2. Aufl., München 1995; Fritz Zimmermann, Bayerische Verfassungsgeschichte vom Ausgang der Landschaft bis zur Verfassungsurkunde von 1818: Ein Beitrag zur Auseinandersetzung Deutschlands mit den Ideen der Französischen Revolution und Restauration, Aalen 1973 (Neudruck der Ausgabe von 1940), insbes. S. 133ff.

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Verfassung von Bayern (1818) Verfassungs-Urkunde des Königreichs Baiern1

Maximilian Joseph, von Gottes Gnaden König von Baiern. Von den hohen Regenten-Pflichten durchdrungen und geleitet – haben Wir Unsere bisherige Regierung mit solchen Einrichtungen bezeichnet, welche Unser fortgesetztes Bestreben, das Gesammt-Wohl Unserer Unterthanen zu befördern, beurkunden. – Zur festern Begründung desselben gaben Wir schon im Jahre 1808 Unserem Reiche eine seinen damaligen äußern und innern Verhältnißen angemessene Verfassung, in welche Wir schon die Einführung einer ständischen Versammlung, als eines wesentlichen Bestandtheiles, aufgenommen haben. – Kaum hatten die großen seit jener Zeit eingetretenen Weltbegebenheiten, von welchen kein deutscher Staat unberührt geblieben ist, und während welcher das Volk von Baiern gleich groß im erlittenen Drucke wie im bestandenen Kampfe sich gezeigt hat, in der Acte des Wiener-Congresses ihr Ziel gefunden, als Wir sogleich das nur durch die Ereignisse der Zeit unterbrochene Werk, mit unverrücktem Blicke auf die allgemeinen und besondern Forderungen des Staatszweckes zu vollenden suchten; – die im Jahre 1814 dafür angeordneten Vorarbeiten und das Decret vom 2. Februar 1817 bestätigen Unsern hierüber schon früher gefaßten festen Entschluß. – Die gegenwärtige Acte ist, nach vorgegangener reifer und vielseitiger Berathung, und nach Vernehmung Unseres Staats-Rathes – das Werk Unseres ebenso freyen als festen Willens. – Unser Volk wird in dem Inhalte desselben die kräftigste Gewährleistung Unserer landesväterlichen Ge-

sinnungen finden. Freyheit der Gewissen, und gewissenhafte Scheidung und Schützung dessen, was des Staates und der Kirche ist; Freyheit der Meinungen, mit gesetzlichen Beschränkungen gegen den Mißbrauch; Gleiches Recht der Eingebornen zu allen Graden des Staatsdienstes und zu allen Bezeichnungen des Verdienstes; Gleiche Berufung zur Pflicht und zur Ehre der Waffen; Gleichheit der Gesetze und vor dem Gesetze; Unpartheylichkeit und Unaufhaltbarkeit der Rechtspflege; Gleichheit der Belegung und der Pflichtigkeit ihrer Leistung; Ordnung durch alle Theile des StaatsHaushaltes, rechtlicher Schutz des StaatsCredits, und gesicherte Verwendung der dafür bestimmten Mittel; Wiederbelebung der Gemeinde-Körper durch die Wiedergabe der Verwaltung der ihr Wohl zunächst berührenden Angelegenheiten; Eine Standschaft – hervorgehend aus allen Klassen der im Staate ansäßigen Staatsbürger, – mit den Rechten des Beyrathes, der Zustimmung, der Willigung, der Wünsche und der Beschwerdeführung wegen verletzter verfassungsmäßiger Rechte, – berufen, um in öffentlichen Versammlungen die Weisheit der Berathung zu verstärken, ohne die Kraft der Regierung zu schwächen; Endlich eine Gewähr der Verfassung, si-

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BAYERN chernd gegen willkührlichen Wechsel, aber nicht hindernd das Fortschreiten zum Bessern nach geprüften Erfahrungen. Baiern! – Dies sind die Grundzüge der aus Unserm freyen Entschluße euch gegebenen Verfassung, sehet darin die Grundsätze eines Königs, welcher das Glück seines Herzens und den Ruhm seines Thrones nur von dem Glücke des Vaterlandes und von der Liebe seines Volkes empfangen will! – Wir erklären hiernach folgende Bestimmungen als Verfassung des Königreiches Baiern:

TITEL I Allgemeine Bestimmungen § 1. Das Königreich Baiern in der Gesammt-Vereinigung aller ältern und neuern Gebietstheile ist ein souverainer monarchischer Staat nach den Bestimmungen der gegenwärtigen Verfassungs-Urkunde. § 2. Für das ganze Königreich besteht eine allgemeine in zwey Kammern abgetheilte Stände-Versammlung.

TITEL II Von dem Könige und der Thronfolge, dann der Reichs-Verwesung § 1. Der König ist das Oberhaupt des Staats, vereiniget in sich alle Rechte der Staats-Gewalt, und übt sie unter den von Ihm gegebenen in der gegenwärtigen Verfassungs-Urkunde festgesetzten Bestimmungen aus. Seine Person ist heilig und unverletzlich. § 2. Die Krone ist erblich in dem Mannsstamme des Königlichen Hauses nach dem Rechte der Erstgeburt, und der agnatischlinealischen Erbfolge. § 3. Zur Successions-Fähigkeit wird eine rechtmäßige Geburt aus einer ebenbürtigen

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– mit Bewilligung des Königs geschlossenen Ehe erfordert. § 4. Der Mannsstamm hat vor den weiblichen Nachkommen den Vorzug, und die Prinzessinnen sind von der Regierungs-Folge in so lange ausgeschlossen, als in dem Königlichen Hause noch ein successionsfähiger männlicher Sproße oder ein durch Erbverbrüderung zur Thronfolge berechtigter Prinz vorhanden ist. § 5. Nach gänzlicher Erlöschung des Mannsstammes und in Ermanglung einer mit einem andern fürstlichen Hause aus dem deutschen Bunde für diesen Fall geschlossenen Erbverbrüderung geht die Thronfolge auf die weibliche Nachkommenschaft nach eben der Erbfolge-Ordnung, die für den Mannsstamm festgesetzt ist, über, so, daß die zur Zeit des Ablebens des letzt regierenden Königs lebenden Baierischen Prinzessinnen oder Abkömmlinge von denselben, ohne Unterschied des Geschlechtes eben so, als wären sie Prinzen des ursprünglichen Mannsstammes des Baierischen Hauses, nach dem Erstgeburts-Rechte und der Lineal-Erbfolge-Ordnung zur Thronfolge berufen werden. Wenn in dem regierenden neuen Königlichen Hause wieder Abkömmlinge des ersten Grades von beyderley Geschlecht geboren werden, tritt alsdann der Vorzug des männlichen Geschlechts vor dem weiblichen wieder ein. § 6. Sollte die Baierische Krone nach Erlöschung des Mannsstammes an den Regenten einer größern Monarchie gelangen, welcher seine Residenz im Königreiche Baiern nicht nehmen könnte oder würde, so soll dieselbe an den zweytgebornen Prinzen dieses Hauses übergehen, und in dessen Linie sodann dieselbe Erbfolge eintreten, wie sie oben vorgezeichnet ist. Kömmt aber die Krone an die Gemahlin eines auswärtigen größern Monarchen,

V ERFASSUNG VON BAYERN (1818) so wird sie zwar Königin, sie muß jedoch einen Vice-König, der seine Residenz in der Hauptstadt des Königreichs zu nehmen hat, ernennen, und die Krone geht nach ihrem Ableben an ihren zweytgebornen Prinzen über. § 7. Die Volljährigkeit der Prinzen und Prinzessinnen des Königlichen Hauses tritt mit dem zurückgelegten Achtzehnten Jahre ein. § 8. Die übrigen Verhältnisse der Mitglieder des Königlichen Hauses richten sich nach den Bestimmungen des pragmatischen Familien-Gesetzes.2 § 9. Die Reichs-Verwesung tritt ein: a) während der Minderjährigkeit des Monarchen; b) wenn derselbe an der Ausübung der Regierung auf längere Zeit verhindert ist, und für die Verwaltung des Reichs nicht selbst Vorsorge getroffen hat, oder treffen kann. § 10. Dem Monarchen steht es frey, unter den volljährigen Prinzen des Hauses, den Reichs-Verweser für die Zeit der Minderjährigkeit seines Nachfolgers zu wählen. In Ermanglung einer solchen Bestimmung gebührt die Reichs-Verwesung demjenigen volljährigen Agnaten, welcher nach der festgesetzten Erbfolge-Ordnung der Nächste ist. Wäre der Prinz, welchem dieselbe nach obiger Bestimmung gebührt, selbst noch minderjährig, oder durch ein sonstiges Hinderniß abgehalten, die Regentschaft zu übernehmen, so fällt sie auf denjenigen Agnaten, welcher nach ihm der Nächste ist. § 11. Sollte der Monarch durch irgend eine Ursache, die in ihrer Wirkung länger als ein Jahr dauert, an der Ausübung der Regierung gehindert werden, und für diesen Fall nicht selbst Vorsehung getroffen

haben, oder treffen können, so findet mit Zustimmung der Stände, welchen die Verhinderungs-Ursachen anzuzeigen sind, gleichfalls die für den Fall der Minderjährigkeit bestimmte gesetzliche Regentschaft statt. § 12. Wenn der König nach §. 10. den Reichs-Verweser für den Fall der Minderjährigkeit ernennt, so wird die darüber ausgefertigte Urkunde durch denjenigen Minister, welchem die Verrichtungen eines Ministers des Königlichen Hauses übertragen sind, im Haus-Archiv bis zum Ableben des Monarchen aufbewahrt, und dann dem Gesammt-Staats-Ministerium zur Einsicht und öffentlichen Bekanntmachung vorgelegt. Dem Reichs-Verweser wird die über seine Ernennung ausgefertigte Urkunde zugleich mitgetheilt. § 13. Wenn kein zur Reichs-Verwesung geeigneter Agnat vorhanden ist, der Monarch jedoch eine verwittibte Königin hinterläßt, so gebührt dieser die Reichs-Verwesung. In Ermanglung derselben aber übernimmt sie jener Kron-Beamte, welchen der letzte Monarch hiezu ernennt, und wenn von demselben keine solche Bestimmung getroffen ist, so geht sie an den ersten KronBeamten über, welchem kein gesetzliches Hinderniß entgegen steht. § 14. In jedem Falle gebührt einer verwittibten Königin unter der Aufsicht des Reichs-Verwesers die Erziehung ihrer Kinder nach den in dem Familien-Gesetze hierüber enthaltenen nähern Bestimmungen. § 15. In den im §. 9. a und b bezeichneten Fällen wird die Regierung im Nahmen des minderjährigen, oder in der Ausübung der Regierung gehinderten Monarchen geführt. Alle Ausfertigungen werden in seinem Nahmen und unter dem gewöhnlichen Königlichen Siegel erlassen; alle Münzen mit

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BAYERN seinem Brustbilde, Wappen und Titel geprägt. Der Regent unterzeichnet als: „des Königreichs Baiern Verweser.“ § 16. Der Prinz des Hauses, die verwittibte Königin oder derjenige Kron-Beamte, welchem die Reichs-Verwesung übertragen wird, muß gleich nach dem Antritte der Regentschaft die Stände versammeln, und in ihrer Mitte und in Gegenwart der StaatsMinister, so wie der Mitglieder des StaatsRathes nachstehenden Eid ablegen: „Ich schwöre, den Staat in Gemäßheit der Verfassung und der Gesetze des Reichs zu verwalten, die Integrität des Königreiches und die Rechte der Krone zu erhalten, und dem Könige die Gewalt, deren Ausübung mir anvertraut ist, getreu zu übergeben, so wahr mir Gott helfe und sein heiliges Evangelium;“ worüber eine besondere Urkunde aufgenommen wird.

Kosten des Staates unterhalten; auch werden ihm nebstdem zu seiner eigenen Verfügung jährlich zweymal hundert tausend Gulden in monatlichen Raten auf die StaatsKasse angewiesen.3 § 21. Die Regentschaft dauert in den im §. 9. bemerkten zwey Fällen – im ersten bis zur Großjährigkeit des Königs, und im zweyten – bis das eingetretene Hinderniß aufhört. § 22. Nachdem die Regentschaft beendiget ist, und der in die Regierung eintretende neue König den feyerlichen Eid (Tit. X. §. 1.) abgelegt hat, werden alle Verhandlungen der Regentschaft geschlossen, und der Regierungs-Antritt des Königs wird in der Residenz und im ganzen Königreiche feyerlich kund gemacht.

TITEL III Von dem Staatsgute

§ 17. Der Regent übt während seiner Reichs-Verwesung alle Regierungs-Rechte aus, welche durch die Verfassung nicht besonders ausgenommen sind. § 18. Alle erledigten Aemter, mit Ausnahme der Justiz-Stellen, können während der Reichs-Verwesung nur provisorisch besetzt werden. Der Reichs-Verweser kann weder Krongüter veräußern, oder heimgefallene Lehen verleihen, noch neue Aemter einführen. § 19. Das Gesammt-Staats-Ministerium bildet den Regentschafts-Rath, und der Reichs-Verweser ist verbunden, in allen wichtigen Angelegenheiten das Gutachten desselben zu erholen. § 20. Der Reichs-Verweser hat während der Dauer der Regentschaft seine Wohnung in der Königlichen Residenz, und wird auf

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§ 1. Der ganze Umfang des Königreichs Baiern bildet eine einzige untheilbare unveräußerliche Gesammt-Masse aus sämmtlichen Bestandtheilen an Landen, Leuten, Herrschaften, Gütern, Regalien und Renten mit allem Zugehör. Auch alle neuen Erwerbungen aus PrivatTiteln an unbeweglichen Gütern, sie mögen in der Haupt- oder Neben-Linie geschehen, wenn der erste Erwerber während seines Lebens nicht darüber verfügt hat, kommen in den Erbgang des Mannsstammes, und werden als der Gesammt-Masse einverleibt angesehen. § 2. Zu dem unveräußerlichen Staatsgute, welches im Falle einer Sonderung des Staats-Vermögens von der Privat-Verlassenschaft in das Inventar der letztern nicht gebracht werden darf, gehören: 1) Alle Archive und Registraturen;

V ERFASSUNG VON BAYERN (1818) 2) Alle öffentlichen Anstalten und Gebäude mit ihrem Zugehör; 3) Alles Geschütz, Munition, alle Militaire-Magazine und was zur Landeswehr nöthig ist; 4) Alle Einrichtungen der Hof-Capellen und Hof-Aemter mit allen Mobilien, welche der Aufsicht der Hof-Stäbe und Hof-Intendanzen anvertraut, und zum Bedarf oder zum Glanze des Hofes bestimmt sind; 5) Alles, was zur Einrichtung oder zur Zierde der Residenzen und Lustschlößer dienet; 6) Der Hausschatz und was von dem Erblasser mit demselben bereits vereiniget worden ist; 7) Alle Sammlungen für Künste und Wissenschaften, als: Bibliotheken, physicalische, Naturalien- und Münz-Cabinette, Antiquitäten, Statüen, Sternwarten mit ihren Instrumenten, Gemählde- und Kupferstich-Sammlungen und sonstige Gegenstände, die zum öffentlichen Gebrauche oder zur Beförderung der Künste und Wissenschaften bestimmt sind;4 8) Alle vorhandenen Vorräthe an baarem Gelde und Capitalien in den Staats-Kassen oder an Naturalien bey den Aemtern, samt allen Ausständen an Staatsgefällen; 9) Alles, was aus Mitteln des Staats erworben wurde. § 3. Sämmtliche Bestandtheile des Staatsguts sind, wie bereits in der Pragmatik vom 20. October 1804 bestimmt war, aus welcher die nach den veränderten Verhältnissen hierüber noch geltenden Bestimmungen in gegenwärtige Verfassungs-Urkunde übertragen sind, auf ewig unveräußerlich, vorbehaltlich der unten folgenden Modificationen. Vorzüglich sollen, ohne Ausnahme, alle Rechte der Souverainetät bey der Primogenitur ungetheilt und unveräußert erhalten werden. § 4. Als Veräußerung des Staatsguts ist

anzusehen, nicht nur jeder wirkliche Verkauf, sondern auch eine Schenkung unter den Lebenden, oder eine Vergebung durch eine lezte Willens-Verordnung, Verleihung neuer Lehen, oder Beschwerung mit einer ewigen Last, oder Verpfändung oder Hingabe durch einen Vergleich gegen Annahme einer Summe Geldes. Auch kann keinem Staatsbürger eine Befreyung von den öffentlichen Lasten bewilliget werden. § 5. Die bisher zu Belohnung vorzüglicher dem Staate geleisteter Dienste verliehenen Lehen, Staats-Domainen und Renten sind von obigem Verbote ausgenommen. Auch steht dem Könige die Wiederverleihung heimfallender Lehen jederzeit frey. Zu Belohnung großer und bestimmter dem Staate geleisteter Dienste können auch andere Staats-Domainen oder Renten, jedoch mit Zustimmung der Stände, in der Eigenschaft als Mannlehen der Krone verliehen werden. Anwartschaften auf künftige der Krone heimfallende Güter, Renten und Rechte, können eben so wenig als auf Aemter oder Würden ertheilt werden. § 6. Unter dem Veräußerungs-Verbote sind ferner nicht begriffen: 1) alle Staats-Handlungen des Monarchen, welche innerhalb der Grenzen des Ihm zustehenden Regierungs-Rechts nach dem Zwecke und zur Wohlfahrt des Staats mit Auswärtigen oder mit Unterthanen im Lande über Stamm- und Staatsgüter vorgenommen werden; insbesondere was 2) an einzelnen Gütern und Gefällen zur Beendigung eines anhängigen Rechtsstreits gegen Erhaltung oder Erlangung anderer Güter, Renten oder Rechte, oder zur Grenzberichtigung mit benachbarten Staaten, gegen andern angemessenen Ersatz abgetreten wird; 3) Was gegen andere Realitäten und Rechte von gleichem Werthe vertauscht

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BAYERN wird; 4) Alle einzelnen Veräußerungen oder Veränderungen, welche bey den Staatsgütern dem Staatszwecke gemäß, und in Folge der bereits erlassenen Vorschriften nach richtigen Grundsätzen der fortschreitenden Staatswirthschaft, zur Beförderung der Landes-Cultur oder sonst zur Wohlfahrt des Landes, oder zum Besten des Staats-Aerars, und zur Aufhebung einer nachtheiligen Selbstverwaltung für gut gefunden werden.

b) die Ansäßigkeit im Königreiche, entweder durch den Besitz besteuerter Gründe, Renten oder Rechte, oder durch die Ausübung besteuerter Gewerbe, oder durch den Eintritt in ein öffentliches Amt.

§ 7. In allen diesen Fällen (§. 6.) dürfen jedoch die Staats-Einkünfte nicht geschmälert, sondern es soll als Ersatz entweder eine Dominicial-Rente – wo möglich in Getreide, dafür bedungen, oder der Kaufschilling zu neuen Erwerbungen oder zur zeitlichen Aushülfe des Schuldentilgungs-Fonds, oder zu andern das Wohl des Landes bezielenden Absichten verwendet werden. Mit dem unter dem Staatsgute begriffenen beweglichen Vermögen (§. 2.) kann der Monarch nach Zeit und Umständen zweckmäßige Veränderungen und Verbesserungen vornehmen.

§ 5. Jeder Baier ohne Unterschied kann zu allen Civil-Militaire- und Kirchen-Aemtern oder Pfründen gelangen.

TITEL IV Von allgemeinen Rechten und Pflichten § 1. Zum vollen Genuße aller bürgerlichen, öffentlichen und Privatrechte in Baiern, wird das Indigenat erfordert, welches entweder durch die Geburt oder durch die Naturalisirung nach den nähern Bestimmungen des Edictes über das Indigenat erworben wird.5 § 2. Das Baierische Staats-Bürgerrecht wird durch das Indigenat bedingt, und geht mit demselben verloren. § 3. Nebst diesem wird zu dessen Ausübung noch erfordert: a) die gesetzliche Volljährigkeit;

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§ 4. Kron-Aemter, oberste Hof-Aemter, Civil-Staatsdienste und oberste MilitaireStellen, wie auch Kirchen-Aemter oder Pfründen können nur Eingebornen oder verfassungsmäßig Naturalisirten ertheilt werden.

§ 6. In dem Umfange des Reichs kann keine Leibeigenschaft bestehen, nach den nähern Bestimmungen des Edictes vom 3. August 1808.6 § 7. Alle ungemessenen Frohnen sollen in Gemessene umgeändert werden, und auch diese ablösbar seyn. § 8. Der Staat gewährt jedem Einwohner Sicherheit seiner Person, seines Eigenthums und seiner Rechte. Niemand darf seinem ordentlichen Richter entzogen werden. Niemand darf verfolgt oder verhaftet werden, als in den durch die Gesetze bestimmten Fällen, und in der gesetzlichen Form. Niemand darf gezwungen werden, sein Privat-Eigenthum, selbst für öffentliche Zwecke abzutreten, als nach einer förmlichen Entscheidung des versammelten Staatsraths, und nach vorgängiger Entschädigung, wie solches in der Verordnung vom 14. August 18157 bestimmt ist.8 § 9. Jedem Einwohner des Reichs wird vollkommene Gewissens-Freyheit gesichert; die einfache Haus-Andacht darf daher Niemanden, zu welcher Religion er sich bekennen mag, untersagt werden. Die in dem Königreiche bestehenden drey christlichen Kirchen-Gesellschaften

V ERFASSUNG VON BAYERN (1818) genießen gleiche bürgerliche und politische Rechte.9 Die nicht christlichen Glaubens-Genossen haben zwar vollkommene GewissensFreyheit; sie erhalten aber an den Staatsbürgerlichen Rechten nur in dem Maaße einen Antheil, wie ihnen derselbe in den organischen Edicten über ihre Aufnahme in die Staats-Gesellschaft zugesichert ist. Allen Religionstheilen, ohne Ausnahme, ist das Eigenthum der Stiftungen und der Genuß ihrer Renten nach den ursprünglichen Stiftungs-Urkunden und dem rechtmäßigen Besitze, sie seyen für den Cultus, den Unterricht oder die Wohlthätigkeit bestimmt, vollständig gesichert. Die geistliche Gewalt darf in ihrem eigentlichen Wirkungs-Kreise nie gehemmt werden, und die weltliche Regierung darf in rein geistlichen Gegenständen der Religions-Lehre und des Gewissens sich nicht einmischen, als in soweit das Obersthoheitliche Schutz- und Aufsichts-Recht eintritt, wonach keine Verordnungen und Gesetze der Kirchen-Gewalt ohne vorgängige Einsicht und das Placet des Königs verkündet und vollzogen werden dürfen. Die Kirchen und Geistlichen sind in ihren bürgerlichen Handlungen und Beziehungen – wie auch in Ansehung des ihnen zustehenden Vermögens den Gesetzen des Staates und den weltlichen Gerichten untergeben; auch können sie von öffentlichen Staatslasten keine Befreyung ansprechen. Die übrigen nähern Bestimmungen über die äußern Rechts-Verhältnisse der Bewohner des Königreichs, in Beziehung auf Religion und kirchliche Gesellschaften, sind in dem der gegenwärtigen Verfassungs-Urkunde beygefügten besondern Edicte enthalten.10 § 10. Das gesammte Stiftungs-Vermögen nach den drey Zwecken des Cultus, des Unterrichts und der Wohlthätigkeit, wird gleichfalls unter den besondern Schutz des

Staates gestellt; es darf unter keinem Vorwande zu dem Finanz-Vermögen eingezogen, und in der Substanz für andere, als die drey genannten Zwecke ohne Zustimmung der Betheiligten, und bey allgemeinen Stiftungen ohne Zustimmung der Stände des Reiches veräußert, oder verwendet werden. § 11. Die Freyheit der Presse und des Buchhandels ist nach den Bestimmungen des hierüber erlassenen besondern Edictes gesichert.11 § 12. Alle Baiern haben gleiche Pflichtigkeit zu dem Kriegsdienste und zur Landwehr nach den dießfalls bestehenden Gesetzen. § 13. Die Theilnahme an den Staats-Lasten ist für alle Einwohner des Reichs allgemein, ohne Ausnahme irgend eines Standes, und ohne Rücksicht auf vormals bestandene besondere Befreyungen. § 14. Es ist den Baiern gestattet, in einen andern Bundesstaat, welcher erweislich sie zu Unterthanen annehmen will, auszuwandern, auch in Civil- und Militaire-Dienste desselben zu treten, wenn sie den gesetzlichen Verbindlichkeiten gegen ihr bisheriges Vaterland Genüge geleistet haben. Sie dürfen, solange sie im UnterthansVerbande bleiben, ohne ausdrückliche Erlaubniß des Monarchen von einer auswärtigen Macht weder Gehalte noch Ehrenzeichen annehmen.

TITEL V Von besondern Rechten und Vorzügen12 § 1. Die Kron-Aemter werden als oberste Würden des Reichs, entweder auf die Lebenszeit der Würdeträger oder auf deren männliche Erben, nach dem Rechte der Erstgeburt und der agnatisch-linealischen Erbfolge als Thron-Lehen verliehen.

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BAYERN Die Kron-Beamten sind durch ihre Reichswürden Mitglieder der ersten Kammer in der Stände-Versammlung.

die Rechte der Siegelmäßigkeit und die obige Auszeichnung bey der Militaire-Conscription.

§ 2. Den vormals Reichsständischen Fürsten und Grafen werden alle jene Vorzüge und Rechte zugesichert, welche in dem ihre Verhältnisse bestimmenden besondern Edicte ausgesprochen sind.13

§ 6. Die Dienstes-Verhältnisse und Pensions-Ansprüche der Staatsdiener und öffentlichen Beamten richten sich nach den Bestimmungen der Dienstes-Pragmatik.18

§ 3. Die der Baierischen Hoheit untergebenen ehemaligen unmittelbaren Reichsadelichen genießen diejenigen Rechte, welche in Gemäßheit der Königlichen Declaration durch die constitutionellen Edicte ihnen zugesichert werden.

TITEL VI

§ 4. Der gesammte übrige Adel des Reichs behält, wie jeder Guts-Eigenthümer, seine gutsherrlichen Rechte nach den gesetzlichen Bestimmungen.14 Uebrigens hat derselbe folgende Vorzüge zu genießen: 1) ausschließend das Recht, eine gutsherrliche Gerichtsbarkeit ausüben zu können;15 2) Familien-Fidei-Commisse auf Grundvermögen zu errichten;16 3) einen von dem landgerichtlichen befreyten Gerichtsstand in bürgerlichen und strafrechtlichen Fällen; 4) die Rechte der Siegelmäßigkeit unter den Beschränkungen der Gesetze über das Hypothekenwesen;17 endlich 5) bey der Militaire-Conscription die Auszeichnung, daß die Söhne der Adelichen als Cadetten eintreten. § 5. Einige dieser Vorzüge theilen für ihre Personen die geistlichen und die wirklichen Collegial-Räthe, und die mit diesen in gleicher Categorie stehenden höhern Beamten. Die Geistlichen genießen denselben befreyten Gerichtsstand in bürgerlichen und strafrechtlichen Fällen; – die Collegial-Räthe und höhern Beamten außer diesem auch

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Von der Stände-Versammlung19 § 1. Die zwey Kammern der allgemeinen Versammlung der Stände des Reichs sind: a) die Reichs-Räthe, b) die Abgeordneten. § 2. Die Kammer der Reichs-Räthe ist zusammengesetzt aus 1) den volljährigen Prinzen des Königlichen Hauses; 2) den Kron-Beamten des Reichs; 3) den beyden Erz-Bischöfen; 4) den Häuptern der ehemals Reichsständischen – fürstlichen und gräflichen Familien, als erblichen Reichs-Räthen, so lange sie im Besitze ihrer vormaligen Reichsständischen im Königreiche gelegenen Herrschaften bleiben;20 5) einem vom Könige ernannten Bischofe und dem jedesmaligen Präsidenten des protestantischen General-Consistoriums; 6) aus denjenigen Personen, welche der König entweder wegen ausgezeichneter dem Staate geleisteter Dienste, oder wegen ihrer Geburt, oder ihres Vermögens zu Mitgliedern dieser Kammer entweder erblich oder lebenslänglich besonders ernennt.21 § 3. Das Recht der Vererbung wird der König nur adelichen Gutsbesitzern verleihen, welche im Königreiche das volle Staatsbürgerrecht, und ein mit dem Lehenoder Fidei-Commissarischen Verbande belegtes Grund-Vermögen besitzen, von welchem sie an Grund- und Dominical-Steuern

V ERFASSUNG VON BAYERN (1818) in simplo Dreyhundert Gulden entrichten, und wobey eine agnatisch-linealische Erbfolge nach dem Rechte der Erstgeburt eingeführt ist. Die Würde eines erblichen Reichs-Raths geht jedesmal mit den Gütern, worauf das Fidei-Commiß gegründet ist, nur auf den nach dieser Erbfolge eintretenden Besitzer über.22 § 4. Die Zahl der lebenslänglichen Reichs-Räthe kann den dritten Theil der erblichen nicht übersteigen.23 § 5. Die Reichs-Räthe haben Zutritt in die erste Kammer nach erreichter Volljährigkeit; eine entscheidende Stimme aber kömmt den Prinzen des Königlichen Hauses erst mit dem Einundzwanzigsten, den übrigen Reichs-Räthen mit dem Fünfundzwanzigsten Lebensjahre zu. § 6. Die Kammer der Reichs-Räthe kann nur dann eröffnet werden, wenn wenigstens die Hälfte der sämmtlichen Mitglieder anwesend ist. § 7. Die zweyte Kammer der Stände-Versammlung bildet sich a) aus den Grundbesitzern, welche eine gutsherrliche Gerichtsbarkeit ausüben, und nicht Sitz und Stimme in der ersten Kammer haben; b) aus Abgeordneten der Universitäten; c) aus Geistlichen der katholischen und protestantischen Kirche; d) aus Abgeordneten der Städte und Märkte; e) aus den nicht zu a) gehörigen Landeigenthümern.24 § 8. Die Zahl der Mitglieder richtet sich im Ganzen nach der Zahl der Familien im Königreiche, in dem Verhältniße, daß auf 7 000 Familien ein Abgeordneter gerechnet wird.25 § 9. Von der auf solche Art bestimmten Zahl stellt:

a) die Klasse der adelichen Gutsbesitzer ein Achttheil; b) die Klasse der Geistlichen der katholischen und protestantischen Kirche ein Achttheil; c) die Klasse der Städte und Märkte ein Viertheil; – und d) die Klasse der übrigen Landeigenthümer, welche keine gutsherrliche Gerichtsbarkeit ausüben, zwey Viertheile der Abgeordneten; e) jede der drey Universitäten ein Mitglied.26 § 10. Die jede einzelne Klasse treffende Zahl von Abgeordneten wird nach den Bestimmungen des über die Stände-Versammlung hier beygefügten besondern Edictes auf die einzelnen Regierungs-Bezirke vertheilt.27 § 11. Jede Klasse wählt in jedem Regierungs-Bezirke die sie daselbst treffende Zahl von Abgeordneten nach der in dem angeführten Edicte vorgeschriebenen Wahlordnung für die sechsjährige Dauer der Versammlung. Die während derselben erledigten Stellen werden aus denjenigen ersetzt, welche den Gewählten in der Stimmenzahl zunächst kommen.28 § 12. Jedes Mitglied der Kammer der Abgeordneten muß ohne Rücksicht auf Standes- oder Dienst-Verhältniße ein selbstständiger Staatsbürger seyn, welcher das dreißigste Lebensjahr zurückgelegt hat, und den freyen Genuß eines solchen im betreffenden Bezirke oder Orte gelegenen Vermögens besitzt, welches seinen unabhängigen Unterhalt sichert, und durch die im Edicte29 festgesetzte Größe der jährlichen Versteuerung bestimmt wird. Er muß sich zu einer der drey christlichen Religionen bekennen, und darf niemals einer Special-Untersuchung, wegen Verbrechen oder Vergehen unterlegen haben, wo-

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BAYERN von er nicht gänzlich freygesprochen worden ist.30 § 13. Alle sechs Jahre wird eine neue Wahl der Abgeordneten vorgenommen, und sonst nur in dem Falle, wenn die Kammer von dem Könige aufgelöset wird. Die austretenden Mitglieder sind wieder wählbar.31 § 14. Der Austritt eines bereits ernannten Mitgliedes erfolgt während der Dauer der Versammlung 1) Wenn dasselbe die Realität, das Gericht, Gewerbe oder die geistliche Pfründe, welche seine Wahl für den betreffenden Regierungs-Bezirk, oder die Klasse besonders begründeten, aus was immer für Veranlassungen zu besitzen aufhört, ohne einen gleichen Ersatz in demselben Bezirke, Orte, oder in derselben Klasse zu erwerben; 2) wenn das Mitglied unter der Zeit eine der oben (§. 12.) zur passiven Wahlfähigkeit wesentlich erforderlichen Eigenschaften verliert. In diesen Fällen hat die Kammer der Abgeordneten auf die geschehene Anzeige und nach Vernehmung des Betheiligten zu entscheiden.32 § 15. Zur gültigen Constituirung der Kammer der Abgeordneten wird die Anwesenheit von wenigstens zwey Drittheilen der gewählten Mitglieder erfordert. § 16. Die Kammer der Reichs-Räthe wird gleichzeitig mit jener der Abgeordneten zusammenberufen, eröffnet und geschloßen. § 17. Kein Mitglied der ersten oder zweyten Kammer darf sich in der Sitzung durch einen Bevollmächtigten vertreten lassen. § 18. Die Anträge über die Staats-Auflagen geschehen zuerst in der Kammer der Abgeordneten, und werden dann durch diese an die Kammer der Reichs-Räthe gebracht.

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Alle übrigen Gegenstände können nach der Bestimmung des Königs der einen oder der andern Kammer zuerst vorgelegt werden. § 19. Kein Gegenstand des den Ständen des Reichs angewiesenen gemeinschaftlichen Wirkungskreises kann von einer Kammer allein in Berathung gezogen werden, und die Wirkung einer gültigen Einwilligung der Stände erlangen.

TITEL VII Von dem Wirkungskreise der StändeVersammlung33 § 1. Die beyden Kammern können nur über jene Gegenstände in Berathung treten, die in ihren Wirkungskreis gehören, welcher in den §§. 2 bis 19. näher bezeichnet ist. § 2. Ohne den Beyrath und die Zustimmung der Stände des Königreichs kann kein allgemeines neues Gesetz, welches die Freyheit der Person oder das Eigenthum der Staats-Angehörigen betrifft, erlassen, noch ein schon bestehendes abgeändert, authentisch erläutert oder aufgehoben werden. § 3. Der König erholt die Zustimmung der Stände zur Erhebung aller directen Steuern, so wie zur Erhebung neuer indirecten Auflagen, oder zur der Erhöhung oder Veränderung der bestehenden. § 4. Den Ständen wird daher nach ihrer Eröffnung die genaue Uebersicht des Staatsbedürfnisses, so wie der gesammten Staats-Einnahmen (Budget) vorgelegt werden, welche dieselbe durch einen Ausschuß prüfen, und sodann über die zu erhebenden Steuern in Berathung treten. § 5. Die zur Deckung der ordentlichen beständigen und bestimmt vorherzusehenden Staats-Ausgaben, mit Einschluß des

V ERFASSUNG VON BAYERN (1818) nothwendigen Reserve-Fonds, erforderlichen directen Steuern werden jedesmal auf sechs Jahre bewilligt. Um jedoch jede Stockung in der Staatshaushaltung zu vermeiden, werden in dem Etats-Jahre, in welchem die erste StändeVersammlung einberufen wird, die in dem vorigen Etats-Jahre erhobenen Staats-Auflagen fortentrichtet. § 6. Ein Jahr vor dem Ablaufe des Termins, für welchen die fixen Ausgaben festgesetzt sind, somit nach Verlauf von sechs Jahren, läßt der König für die sechs Jahre, welche diesem Termine folgen, den Ständen ein neues Budget vorlegen.34 § 7. In dem Falle, wo der König durch ausserordentliche äußere Verhältniße verhindert ist, in diesem letzten Jahre der ordentlichen Steuer-Bewilligung die Stände zu versammeln, kömmt Ihm die Befugniß einer Forterhebung der letztbewilligten Steuer auf ein halbes Jahr zu. § 8. In Fällen eines außerordentlichen und unvorhergesehenen Bedürfnisses und der Unzulänglichkeit der bestehenden Staats-Einkünfte zu dessen Deckung, wird dieses den Ständen zur Bewilligung der erforderlichen außerordentlichen Auflagen vorgelegt werden. § 9. Die Stände können die Bewilligung der Steuern mit keiner Bedingung verbinden. § 10. Den Ständen des Reichs wird bey einer jeden Versammlung eine genaue Nachweisung über die Verwendung der Staats-Einnahmen vorgelegt werden. § 11. Die gesammte Staatsschuld wird unter die Gewährleistung der Stände gestellt. Zu jeder neuen Staatsschuld, wodurch die zur Zeit bestehende Schulden-Masse im

Capitals-Betrage oder der jährlichen Verzinsung vergrößert wird, ist die Zustimmung der Stände des Reichs erforderlich. § 12. Eine solche Vermehrung der Staatsschulden hat nur für jene dringenden und außerordentlichen Staatsbedürfnisse statt, welche weder durch die ordentlichen noch durch außerordentliche Beyträge der Unterthanen, ohne deren zu große Belastung bestritten werden können, und die zum wahren Nutzen des Landes gereichen. § 13. Den Ständen wird der Schuldentilgungs-Plan vorgelegt, und ohne ihre Zustimmung kann an dem von ihnen angenommenen Plane keine Abänderung getroffen, noch ein zur Schuldentilgung bestimmtes Gefäll zu irgend einem andern Zwecke verwendet werden. § 14. Jede der beyden Kammern hat aus ihrer Mitte einen Commissaire zu ernennen, welche gemeinschaftlich bey der Schuldentilgungs-Commission von allen ihren Verhandlungen genaue Kenntniß zu nehmen, und auf die Einhaltung der festgesetzten Normen zu wachen haben. § 15. In außerordentlichen Fällen, wo drohende äußere Gefahren die Aufnahme von Capitalien dringend erfordern, und die Einberufung der Stände durch äußere Verhältniße unmöglich gemacht wird, soll diesen Commissaire’s die Befugniß zustehen, zu diesen Anleihen im Nahmen der Stände vorläufig ihre Zustimmung zu ertheilen. Sobald die Einberufung der Stände möglich wird, ist ihnen die ganze Verhandlung über diese Capitals-Aufnahme vorzulegen, um in das Staatsschulden-Verzeichniß eingetragen zu werden. § 16. Den Ständen wird bey jeder Versammlung die genaue Nachweisung des Standes der Staatsschulden-Tilgungs-Kasse vorgelegt werden.

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BAYERN § 17. Die Stände haben das Recht der Zustimmung zur Veräußerung oder Verwendung allgemeiner Stiftungen in ihrer Substanz für andere als ihre ursprünglichen Zwecke. § 18. Eben so ist ihre Zustimmung zur Verleihung von Staats-Domainen oder Staats-Renten zu Belohnung großer und bestimmter dem Staate geleisteter Dienste erforderlich. § 19. Die Stände haben das Recht, in Beziehung auf alle zu ihrem Wirkungskreise gehörigen Gegenstände dem Könige ihre gemeinsamen Wünsche und Anträge in der geeigneten Form vorzubringen. § 20. Jeder einzelne Abgeordnete hat das Recht, in dieser Beziehung seine Wünsche und Anträge in seiner Kammer vorzubringen, welche darüber: ob dieselben in nähere Ueberlegung gezogen werden sollen, durch Mehrheit der Stimmen erkennt, und sie im bejahenden Falle an den betreffenden Ausschuß zur Prüfung und Würdigung bringt. Die von einer Kammer über solche Anträge gefaßten Beschlüße müssen der andern Kammer mitgetheilt, und können erst nach deren erfolgten Beystimmung dem Könige vorgelegt werden. § 21. Jeder einzelne Staatsbürger, so wie jede Gemeinde kann Beschwerden über Verletzung der constitutionellen Rechte an die Stände-Versammlung, und zwar an jede der beyden Kammern bringen, welche sie durch den hierüber bestehenden Ausschuß prüft, und findet dieser sie dazu geeignet, in Berathung nimmt. Erkennt die Kammer durch Stimmenmehrheit die Beschwerde für gegründet, so theilt sie ihren diesfalls an den König zu erstattenden Antrag der andern Kammer mit, welcher, wenn diese demselben beystimmt, in einer gemeinsamen Vorstellung dem Könige übergeben wird.

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§ 22. Der König wird wenigstens alle drey Jahre die Stände zusammenberufen. Der König eröffnet und schließt die Versammlung entweder in eigener Person oder durch einen besonders hiezu Bevollmächtigten. Die Sitzungen einer solchen Versammlung dürfen in der Regel nicht länger als zwey Monate dauern, und die Stände sind verbunden, in ihren Sitzungen die von dem Könige an sie gebrachten Gegenstände vor allen übrigen in Berathung zu nehmen. § 23. Dem Könige steht jederzeit das Recht zu, die Sitzungen der Stände zu verlängern, sie zu vertagen, oder die ganze Versammlung aufzulösen. In dem letzten Falle muß wenigstens binnen drey Monaten eine neue Wahl der Kammer der Abgeordneten vorgenommen werden. § 24. Die Staats-Minister können den Sitzungen der beyden Kammern beywohnen, wenn sie auch nicht Mitglieder derselben sind. § 25. Jedes Mitglied der Stände-Versammlung hat folgenden Eid zu leisten: „Ich schwöre Treue dem Könige, Gehorsam dem Gesetze, Beobachtung und Aufrechthaltung der Staats-Verfassung und in der Stände-Versammlung nur des ganzen Landes allgemeines Wohl und Beste ohne Rücksicht auf besondere Stände oder Klassen nach meiner innern Ueberzeugung zu berathen; – So wahr mir Gott helfe und sein heiliges Evangelium.“ § 26. Kein Mitglied der Stände-Versammlung kann während der Dauer der Sitzungen ohne Einwilligung der betreffenden Kammer zu Verhaft gebracht werden, den Fall der Ergreifung auf frischer That bey begangenem Verbrechen ausgenommen. § 27. Kein Mitglied der Stände-Versammlung kann für die Stimme, welche es

V ERFASSUNG VON BAYERN (1818) in seiner Kammer geführt hat, anders als in Folge der Geschäfts-Ordnung durch die Versammlung selbst zur Rede gestellt werden. § 28. Ein Gegenstand, über welchen die beyden Kammern sich nicht vereinigen, kann in derselben Sitzung nicht wieder zur Berathung gebracht werden. § 29. Die Königliche Entschließung auf die Anträge der Reichsstände erfolgt nicht einzeln, sondern auf alle verhandelten Gegenstände zugleich bey dem Schluße der Versammlung. § 30. Der König allein sanctionirt die Gesetze und erläßt dieselben mit seiner Unterschrift und Anführung der Vernehmung des Staats-Raths und des erfolgten Beyraths und der Zustimmung der Lieben und Getreuen, der Stände des Reichs.

§ 4. Der König kann in strafrechtlichen Sachen Gnade ertheilen, die Strafe mildern oder erlassen; – aber in keinem Falle irgend eine anhängige Streitsache, oder angefangene Untersuchung hemmen. § 5. Der Königliche Fiscus wird in allen streitigen Privatrechts-Verhältnissen bey den Königlichen Gerichtshöfen Recht nehmen. § 6. Die Vermögens-Confiscation hat in keinem Falle, den der Desertion ausgenommen, statt. § 7. Es soll für das ganze Königreich ein und dasselbe bürgerliche und Straf-Gesetzbuch bestehen.36

TITEL IX Von der Militaire-Verfassung

§ 31. Wenn die Versammlung der Reichsstände vertagt, förmlich geschlossen oder aufgelößt worden ist, können die Kammern nicht mehr gültig berathschlagen, und jede fernere Verhandlug ist ungesetzlich.

§ 1. Jeder Baier ist verpflichtet, zur Vertheidigung seines Vaterlandes, nach den hierüber bestehenden Gesetzen mitzuwirken. Von der Pflicht, die Waffen zu tragen, ist der geistliche Stand ausgenommen.

TITEL VIII

§ 2. Der Staat hat zu seiner Vertheidigung eine stehende Armee, welche durch die allgemeine Militaire-Conscription ergänzt, und auch im Frieden gehörig unterhalten wird.

Von der

Rechtspflege35

§ 1. Die Gerichtsbarkeit geht vom Könige aus. – Sie wird unter Seiner Oberaufsicht durch eine geeignete Zahl von Aemtern und Obergerichten in einer gesetzlich bestimmten Instanzen-Ordnung verwaltet. § 2. Alle Gerichtsstellen sind verbunden, ihren Urtheilen Entscheidungsgründe beyzufügen. § 3. Die Gerichte sind innerhalb der Grenzen ihrer amtlichen Befugniß unabhängig, und die Richter können nur durch einen Rechtsspruch von ihren Stellen mit Verlust des damit verbundenen Gehaltes entlassen – oder derselben entsetzt werden.

§ 3. Neben dieser Armee bestehen noch Reserve-Bataillons und die Landwehr. § 4. Die Reserve-Bataillons sind zur Verstärkung des stehenden Heeres bestimmt, und theilen im Falle des Aufgebots alle Verpflichtungen, Ehren und Vorzüge mit demselben. Im Frieden bleibt sämmtliche in den Reserve-Bataillons eingereihte Mannschaft, die zu den Waffenübungen erforderliche Zeit ausgenommen, in ihrer Heimath, frey von allem militairischen Zwange, bloß der

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BAYERN bürgerlichen Gerichtsbarkeit und den bürgerlichen Gesetzen unterworfen, ohne an der Veränderung des Wohnsitzes, der Ansäßigmachung oder Verehelichung gehindert zu sein. § 5. Die Landwehr kann in Kriegszeiten zur Unterstützung der schon durch die Reserve-Bataillons verstärkten Armee auf besondern Königlichen Aufruf, jedoch nur innerhalb der Grenzen des Reichs, in militairische Thätigkeit treten. Zur zweckmäßigen Benützung dieser Masse wird dieselbe in zwey Abtheilungen ausgeschieden, deren zweyte die zur Mobilisirung weniger geeigneten Individuen begreift, und in keinem Falle außer ihrem Bezirke verwendet werden soll. In Friedenszeiten wirkt die Landwehr zur Erhaltung der innern Sicherheit mit, in so ferne es erforderlich ist, und die dazu bestimmten Truppen nicht hinreichen. § 6. Die Armee handelt gegen den äußern Feind und im Innern nur dann, wenn die Militaire-Macht von der competenten Civil-Behörde förmlich dazu aufgefordert wird. § 7. Die Militaire-Personen stehen in Dienstsachen, dann wegen Verbrechen oder Vergehen unter der Militaire-Gerichtsbarkeit, in Real- und gemischten Rechtssachen aber unter den bürgerlichen Gerichten.

TITEL X Von der Gewähr der Verfassung § 1. Bey dem Regierungs-Antritte schwört der König in einer feyerlichen Versammlung der Staats-Minister, der Mitglieder des Staats-Raths, und einer Deputation der Stände, wenn sie zu der Zeit versammelt sind, folgenden Eid: „Ich schwöre nach der Verfassung und den Gesetzen des Reichs zu regieren, so

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wahr mir Gott helfe, und sein heiliges Evangelium.“ Ueber diesen Act wird eine Urkunde verfaßt, in das Reichs-Archiv hinterlegt, und beglaubigte Abschrift davon der StändeVersammlung mitgetheilt. § 2. Der Reichs-Verweser leistet in Beziehung auf die Erhaltung der Verfassung den Titel II § 16. vorgeschriebenen Eid. Sämmtliche Prinzen des Königlichen Hauses leisten nach erlangter Volljährigkeit ebenfalls einen Eid auf die genaue Beobachtung der Verfassung. § 3. Alle Staatsbürger sind bey der Ansäßigmachung und bey der allgemeinen Landes-Huldigung, so wie alle Staatsdiener bey ihrer Anstellung verbunden, folgenden Eid abzulegen: „Ich schwöre Treue dem Könige, Gehorsam dem Gesetze und Beobachtung der Staats-Verfassung; so wahr mit Gott helfe, und sein heiliges Evangelium!“ § 4. Die Königlichen Staats-Minister und sämmtliche Staatsdiener sind für die genaue Befolgung der Verfassung verantwortlich. § 5. Die Stände haben das Recht, Beschwerden über die durch die Königlichen Staats-Ministerien oder andere Staatsbehörden geschehene Verletzung der Verfassung in einem gemeinsamen Antrag an den König zu bringen, welcher denselben auf der Stelle abhelfen, oder, wenn ein Zweifel dabey obwalten sollte, sie näher nach der Natur des Gegenstandes durch den Staatsrath oder die oberste Justiz Stelle untersuchen, und darüber entscheiden lassen wird. § 6. Finden die Stände sich durch ihre Pflichten aufgefordert, gegen einen höhern Staats-Beamten wegen vorsetzlicher Verletzung der Staats-Verfassung eine förmliche Anklage zu stellen, so sind die Anklags-

V ERFASSUNG VON BAYERN (1818) Puncte bestimmt zu bezeichnen, und in jeder Kammer durch einen besondern Ausschuß zu prüfen. Vereinigen sich beyde Kammern hierauf in ihren Beschlüßen über die Anklage; so bringen sie dieselbe mit ihren Belegen in vorgeschriebener Form an den König. Dieser wird sie sodann der obersten Justiz Stelle – in welcher im Falle der nothwendigen oder freywilligen Berufung auch die zweyte Instanz durch Anordnung eines andern Senats gebildet wird, – zur Entscheidung übergeben, und die Stände von dem gefällten Urtheile in Kenntniß setzen.37 § 7. Abänderungen in den Bestimmungen der Verfassungs-Urkunde, oder Zusätze zu derselben können ohne Zustimmung der Stände nicht geschehen. Die Vorschläge hiezu gehen allein vom Könige aus, und nur wenn Derselbe sie an die Stände gebracht hat, dürfen diese darüber berathschlagen.38 Zu einem gültigen Beschlusse in dieser höchst wichtigen Angelegenheit wird wenigstens die Gegenwart von drey Viertheilen der bey der Versammlung anwesenden Mitglieder in jeder Kammer, und eine Mehrheit von zwey Drittheilen der Stimmen erfordert. Indem Wir dieses Staats-Grundgesetz zur allgemeinen Befolgung und genauen Beobachtung in seinem ganzen Inhalte, einschlüßig der dasselbe ergänzenden und in der Haupt-Urkunde als Beylagen bezeichneten Edicte, hierdurch kundmachen, so verordnen Wir zugleich, daß die darin angeordnete Versammlung der Stände zur Ausübung der zu ihrem Wirkungskreise gehörigen Rechte am l. Januar 1819 einberufen, und inzwischen die hiezu erforderliche Einleitung veranstaltet werde. Gegeben in Unserer Haupt- und Residenzstadt München, am sechs und zwanzigsten Tage des Monats May im Eintau-

send acht hundert und achtzehnten Jahre, Unseres Reiches im dreyzehnten. Maximilian Joseph. L.S Graf v. Reigersberg. Fürst v. Wrede. Graf v. Triva. Graf v. Rechberg. Graf v. Thürheim. Freyherr v. Lerchenfeld. Graf v. Törring. Nach dem Befehle Seiner Majestät des Königs: Egid von Kobell, Königl. Staatsrath und General-Secretaire.

Edict über das Indigenat39 Erste Beylage zu der VerfassungsUrkunde des Königreichs Baiern Tit. IV. §. 1. § 1. Zum vollen Genusse aller bürgerlichen öffentlichen und Privatrechte in Baiern wird das Indigenat erfordert, welches entweder durch die Geburt, oder durch die Naturalisation erworben wird. § 2. Vermöge der Geburt steht Jedem das Baierische Indigenat zu, dessen Vater oder Mutter zur Zeit seiner Geburt die Rechte dieses Indigenats besessen haben. § 3. Durch Naturalisation wird das Indigenat erlangt: a) wenn eine Ausländerin einen Baier heirathet; b) wenn Fremde in das Königreich einwandern, sich darin ansäßig machen, und die Entlassung aus dem fremden persönlichen Unterthans-Verbande beygebracht haben; c) durch ein besonderes nach erfolgter Vernehmung des Staatsrathes ausgefertigtes Königl. Decret.

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BAYERN § 4. Durch den bloßen Besitz oder eine zeitliche Benützung liegender Gründe, durch Anlegung eines Handels, einer Fabrik, oder durch die Theilnahme an einem von beyden, ohne förmliche Niederlassung und Ansässigmachung, werden die Indigenats-Rechte nicht erworben. § 5. Auf gleiche Weise können die Fremden, welche in Baiern sich aufhalten, um ihre wissenschaftliche, Kunst oder industrielle Bildung zu erlangen, oder sich in Geschäften zu üben, oder welche sich in Privat-Diensten befinden, ohne sich förmlich ansässig gemacht, oder eine Anstellung erlangt zu haben; oder solche Individuen, welche mit ihrem Domicil den an andere Souverains übergegangenen Landestheilen angehören, vorbehaltlich der vertragsgemäßen Rückwanderung, auf die Rechte eines Einheimischen keine Ansprüche machen.40 § 6. Das erworbene Indigenat geht verloren: 1) durch Erwerbung oder Beybehaltung eines fremden Indigenats ohne besondere Königl. Bewilligung: 2) durch Auswanderung; 3) durch Verheirathung einer Baierin mit einem Ausländer. § 7. Das Indigenat ist die wesentliche Bedingung, ohne welche man zu Kron-Oberhof-Aemtern, zu Civil-Staatsdiensten, zu obersten Militaire Stellen, und zu KirchenAemtern oder Pfründen nicht gelangen, und ohne welche man das Baierische Staats-Bürgerrecht nicht ausüben kann. § 8. Nebst dem Indigenat wird zu letzterem erfordert: a) die gesetzliche Volljährigkeit; b) die Ansässigkeit im Königreiche entweder durch den Besitz besteuerter Gründe, Renten oder Rechte, oder durch Ausübung besteuerter Gewerbe, oder durch den Eintritt in ein öffentliches Amt;

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c) bey den Neueinwandernden ein Zeitverlauf von sechs Jahren, vorbehaltlich der zur Ausübung gewisser vorzüglicher staatsbürgerlicher Rechte in constitutionellen Gesetzen enthaltenen besondern Bestimmungen. § 9. Nur derjenige Baier, welcher den oben bemerkten Bedingungen Genüge geleistet hat, erhält den politischen Stand eines Staatsbürgers im Königreiche, und die verfassungsmäßige Theilnahme an der Stände-Versammlung. § 10. Das Staatsbürgerrecht geht verloren: 1) Mit dem Indigenate; 2) durch die ohne Königl. ausdrückliche Erlaubniß geschehene Annahme von Diensten, oder Gehalten oder Pensionen, oder Ehrenzeichen einer auswärtigen Macht, vorbehaltlich der verwirkten besondern Strafen; 3) durch den bürgerlichen Tod. § 11. diejenigen Baierischen Unterthanen, welche mit ausdrücklicher Königlicher Erlaubniß in fremde Dienste getreten sind, bleiben verpflichtet: a) in ihr Vaterland zurückzukehren, sobald sie entweder durch einen an sie gerichteten directen Befehl, oder durch eine General-Verordnung zurückberufen werden; b) der fremden Macht, in deren Dienst sie übergehen wollen, den Dienstes-Eid nur unter dem Vorbehalte zu leisten, nie gegen ihr Vaterland zu dienen; c) auch ohne besondere Zurückberufung den fremden Dienst zu verlassen, sobald diese Macht in Kriegsstand gegen Baiern tritt. § 12. Baierische Unterthanen können Besitzungen in einem andern Staate haben und erwerben, auch an Handels-Etablissements und Fabriken Theil nehmen, wenn keine bleibende persönliche Ansäßigkeit in dem fremden Staate damit verbunden ist, und es

V ERFASSUNG VON BAYERN (1818) unbeschadet ihrer Unterthanspflichten gegen das Königreich geschehen kann. § 13. Auswärtige Unterthanen können in dem Königreiche Baiern Grundeigenthum gleich den Königlichen Unterthanen besitzen. Sie unterliegen hierbey den Pflichten der Forensen. § 14. Den Standesherren, welche sich ihren Aufenthalt in den zum deutschen Bunde gehörenden, oder mit demselben in Frieden lebenden Staaten wählen, bleiben alle durch die Königliche Declaration zugestandenen Rechte vorbehalten. § 15. Sie sind dagegen wie jeder andere Forensis gehalten. a) alle nach den Gesetzen des Königreichs auf ihren Gütern haftenden Staatslasten und Verbindlichkeiten genau zu erfüllen; b) in Hinsicht auf diese Verbindlichkeit eine Stellvertretung, und in Ansehung der Lehengüter einen Lehenträger aus Baierischen Unterthanen anzuordnen; c) sie können sowohl von dem Fiscus als von den Königlichen Unterthanen nicht nur in Real- sondern auch in Personal-Klagsachen, in so weit die in Baiern gelegenen Güter einen zureichenden Executions-Gegenstand darbieten, oder dafür angenommen werden wollen, vor den geeigneten Königlichen Gerichten belangt werden. In den übrigen Verhältnissen sind die Forensen als Fremde zu behandeln.

den Vortheilen gewisser Privatrechte ausgeschlossen, welche nach den allda geltenden Gesetzen den Einheimischen zu stehen, so ist gegen die Unterthanen eines solchen Staats derselbe Grundsatz anzuwenden. § 18. Zur Ausübung eines solchen Retorsions-Rechts muß allezeit die besondere Königliche Genehmigung erholt werden. § 19. Fremde, welche mit Königlicher Erlaubniß in dem Königreiche sich aufhalten, genießen alle bürgerlichen Privatrechte, so lange sie allda zu wohnen fortfahren, und jene Erlaubniß nicht zurückgenommen ist. München, den 26. May 1818. (L. S). Zur Beglaubigung: Egid von Kobell, Königl. Staatsrath und General-Secretaire.

Edict über die äußern RechtsVerhältnisse der Einwohner des Königreichs Baiern, in Beziehung auf Religion und kirchliche Gesellschaften41 Zweyte Beylage zur VerfassungsUrkunde des Reichs. Tit. IV. §. 9.

I. ABSCHNITT

§ 16. Den Fremden wird in dem Königreiche die Ausübung derjenigen bürgerlichen Privatrechte zugestanden, die der Staat, zu welchem ein solcher Fremder gehört, den Königlichen Unterthanen zugestehet.

Allgemeine Bestimmungen über Religions-Verhältniße

§ 17. Werden in einem auswärtigen Staate durch Gesetze oder besondere Verfügungen entweder Fremde im Allgemeinen oder Baierische Unterthanen insbesondere von

§ 1. Jedem Einwohner des Reiches ist durch den 9. §. des IV. Titels der Verfassungs-Urkunde eine vollkommene Gewissens-Freyheit gesichert.

Erstes Capitel Religions- und Gewissens-Freyheit

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BAYERN § 2. Er darf demnach in Gegenständen des Glaubens und Gewissens keinem Zwange unterworfen, auch darf Niemanden, zu welcher Religion er sich bekennen mag, die einfache Haus-Andacht untersagt werden.

§ 10. Der Uebergang von einer Kirche zu einer andern muß allezeit bey dem einschlägigen Pfarrer oder geistlichen Vorstande sowohl der neu gewählten, als der verlassenen Kirche persönlich erklärt werden.

§ 3. Sobald aber mehrere Familien zur Ausübung ihrer Religion sich verbinden wollen, so wird jederzeit hiezu die Königliche ausdrückliche Genehmigung nach den im II. Abschnitte folgenden nähern Bestimmungen erfordert.

§ 11. Durch die Religions-Aenderung gehen alle kirchlichen Gesellschaftsrechte der verlassenen Kirche verloren; dieselbe hat aber keinen Einfluß auf die allgemeinen staatsbürgerlichen Rechte, Ehren und Würden; ausgenommen, es geschehe der Uebertritt zu einer Religions-Parthey, welcher nur eine beschränkte Theilnahme an dem Staatsbürger-Rechte gestattet ist.

§ 4. Alle heimlichen Zusammenkünfte unter dem Vorwande des häuslichen Gottesdienstes sind verboten.

Drittes Capitel Zweytes Capitel Wahl des Glaubens-Bekenntnißes § 5. Die Wahl des Glaubens-Bekenntnißes ist jedem Staats-Einwohner nach seiner eigenen freyen Ueberzeugung überlassen. § 6. Derselbe muß jedoch das hiezu erforderliche Unterscheidungs-Alter, welches für beyde Geschlechter auf die gesetzliche Volljährigkeit bestimmt wird, erreicht haben. § 7. Da diese Wahl eine eigene freye Ueberzeugung voraussetzt, so kann sie nur solchen Individuen zustehen, welche in keinem Geistes- oder Gemüths-Zustande sich befinden, der sie derselben unfähig macht. § 8. Keine Parthey darf die Mitglieder der andern durch Zwang oder List zum Uebergang verleiten. § 9. Wenn von denjenigen, welche die Religions-Erziehung zu leiten haben, eine solche Wahl aus einem der obigen Gründe angefochten wird, so hat die betreffende Regierungs-Behörde den Fall zu untersuchen, und an das Königliche Staats-Ministerium des Innern zu berichten.

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Religions-Verhältniße der Kinder aus gemischten Ehen § 12. Wenn in einem gültigen Ehevertrage zwischen Eltern, die verschiedenen Glaubens-Bekenntnißen zugethan sind, bestimmt worden ist, in welcher Religion die Kinder erzogen werden sollen, so hat es hiebey sein Bewenden. § 13. Die Gültigkeit solcher Eheverträge ist sowohl in Rücksicht ihrer Form, als der Zeit der Errichtung lediglich nach den bürgerlichen Gesetzen zu beurtheilen. § 14. Sind keine Ehepacten oder sonstige Verträge hierüber errichtet, oder ist in jenen über die religiöse Erziehung der Kinder nichts verordnet worden, so folgen die Söhne der Religion des Vaters; die Töchter werden in dem Glaubens-Bekenntniße der Mutter erzogen. § 15. Uebrigens benimmt die Verschiedenheit des kirchlichen Glaubens-Bekenntnißes keinem der Eltern die ihm sonst wegen der Erziehung zustehenden Rechte. § 16. Der Tod der Eltern ändert nichts in den Bestimmungen der §§. 12. und 14. über die religiöse Erziehung der Kinder.

V ERFASSUNG VON BAYERN (1818) § 17. Die Ehescheidungen, oder alle sonstigen rechtsgültigen Auflösungen der Ehe können auf die Religion der Kinder keinen Einfluß haben. § 18. Wenn ein das Religions-Verhältniß der Kinder bestimmender Ehevertrag vorhanden ist, so bewirkt der Uebergang der Eltern zu einem andern Glaubensbekenntniß darin in so lange keine Veränderung, als die Ehe noch gemischt bleibt; geht aber ein Ehegatte zur Religion des andern über, und die Ehe hört dadurch auf, gemischt zu seyn, so folgen die Kinder der nun gleichen Religion ihrer Eltern, ausgenommen sie waren – dem bestehenden Ehevertrag gemäß – durch die Confirmation oder Communion bereits in die Kirche einer andern Confession aufgenommen, in welchem Falle sie bis zum erlangten Unterscheidungs-Jahre darin zu belassen sind. § 19. Pflegkinder werden nach jenem Glaubens-Bekenntniße erzogen, welchem sie in ihrem vorigen Stande zu folgen hatten. § 20. Durch Heirath legitimirte natürliche Kinder werden in Beziehung auf den Religions-Unterricht ehelichen Kindern gleich geachtet. § 21. Die übrigen natürlichen Kinder, wenn sie von einem Vater anerkannt sind, werden in Ansehung der Religions-Erziehung gleichfalls wie die ehelichen behandelt, sind sie aber von dem Vater nicht anerkannt, so werden sie nach dem GlaubensBekenntniße der Mutter erzogen. § 22. Findlinge und natürliche Kinder, deren Mutter unbekannt ist, folgen der Religion desjenigen, welcher das Kind aufgenommen hat, soferne er einer der öffentlich eingeführten Kirchen angehört, oder der Religions-Parthey des Findlings-Instituts, worin sie erzogen werden. Außer diesen Fällen richtet sich ihre Religion nach

jener der Mehrheit der Einwohner des Findungs-Orts. § 23. Die geistlichen Obern, die nächsten Verwandten, die Vormünder und Pathen haben das Recht, darüber zu wachen, das vorstehende Anordnungen befolgt werden. Sie können zu diesem Behufe die Einsicht der betreffenden Bestimmungen der Eheverträge und der übrigen auf die ReligionsErziehung sich beziehenden Urkunden fordern.

II. ABSCHNITT Von Religions- und KirchenGesellschaften

Erstes Capitel Ihre Aufnahme und Bestätigung § 24. Die in dem Königreiche bestehenden drey christlichen Glaubens-Confessionen sind als öffentliche Kirchen-Gesellschaften mit gleichen bürgerlichen und politischen Rechten, nach den unten folgenden nähern Bestimmungen anerkannt. § 25. Den nicht christlichen GlaubensGenossen ist zwar nach §§. 1. und 2. eine vollkommene Religions- und Gewissens-Freyheit gestattet; als Religions-Gesellschaften und in Beziehung auf Staatsbürger-Recht aber sind sie nach den über ihre bürgerlichen Verhältnisse bestehenden besondern Gesetzen und Verordnungen zu behandeln. § 26. Religions- oder Kirchen-Gesellschaften, die nicht zu den bereits gesetzlich aufgenommenen gehören, dürfen ohne ausdrückliche Königliche Genehmigung nicht eingeführt werden. § 27. Sie müssen vor der Aufnahme ihre Glaubens-Formeln und innere kirchliche Verfassung zur Einsicht und Prüfung dem Staats-Ministerium des Innern vorlegen.

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BAYERN

Zweytes Capitel Rechte und Befugniße der aufgenommenen und bestätigten Religions- und Kirchen-Gesellschaften § 28. Die mit ausdrücklicher Königlicher Genehmigung aufgenommenen Kirchen-Gesellschaften genießen der Rechte öffentlicher Corporationen. § 29. Die zur Ausübung ihres Gottesdienstes gewidmeten Gebäude sollen, wie andere öffentliche Gebäude, geschützt werden. § 30. Die zur Feyer ihres Gottesdienstes und zum Religions-Unterrichte bestellten Personen genießen die Rechte und Achtung öffentlicher Beamten. § 31. Ihr Eigenthum steht unter dem besondern Schutze des Staats. § 32. Eine Religions-Gesellschaft, welche die Rechte öffentlich aufgenommener Kirchen-Gesellschaften bey ihrer Genehmigung nicht erhalten hat, wird nicht als eine öffentliche Corporation, sondern als eine Privat-Gesellschaft geachtet. § 33. Es ist derselben die freye Ausübung ihres Privat-Gottesdienstes gestattet. § 34. Zu dieser gehört die Anstellung gottesdienstlicher Zusammenkünfte in gewissen dazu bestimmten Gebäuden, und die Ausübung der ihren Religions-Grundsätzen gemäßen Gebräuche sowohl in diesen Zusammenkünften, als in den Privat-Wohnungen der Mitglieder. § 35. Den Privat-Kirchen-Gesellschaften ist aber nicht gestattet, sich der Glocken oder sonstiger Auszeichnungen zu bedienen, welche Gesetze oder Gewohnheit den öffentlichen Kirchen angeeignet haben.

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§ 36. Die von ihnen zur Feyer ihrer Religions-Handlungen bestellten Personen genießen als solche keiner besondern Vorzüge. § 37. Die ihnen zustehenden weitern Rechte müssen nach dem Inhalte ihrer Aufnahms-Urkunde bemessen werden. § 38. Jeder genehmigten Privat- oder öffentlichen Kirchen-Gesellschaft, kömmt unter der obersten Staats-Aufsicht nach den im III. Abschnitte enthaltenen Bestimmungen die Befugniß zu, nach der Formel und der von der Staatsgewalt anerkannten Verfassung ihrer Kirche, alle innern KirchenAngelegenheiten anzuordnen. Dahin gehören die Gegenstände: a) der Glaubenslehre, b) der Form und Feyer des Gottesdienstes, c) der geistlichen Amtsführung, d) des religiösen Volks-Unterrichts, e) der Kirchen-Disciplin f) der Approbation und Ordination der Kirchendiener, g) der Einweihung der zum Gottesdienste gewidmeten Gebäude und der Kirchhöfe h) der Ausübung der Gerichtsbarkeit in rein geistlichen Sachen; nämlich des Gewissens oder der Erfüllung der Religionsund Kirchen-Pflichten einer Kirche, nach ihren Dogmen, symbolischen Büchern und darauf gegründeten Verfassung. § 39. Die kirchlichen Obern, Vorstehern oder ihren Repräsentanten kömmt demnach das allgemeine Recht der Aufsicht mit den daraus hervorgehenden Wirkungen zu, damit die Kirchen-Gesetze befolgt, der Cultus diesen gemäß aufrecht erhalten, der reine Geist der Religion und Sittlichkeit bewahret, und dessen Ausbreitung befördert werde. Der Antheil, welcher jedem Einzelnen an dieser Aufsicht zukömmt, wird durch seine Amtsvollmacht bestimmt.

V ERFASSUNG VON BAYERN (1818) § 40. Die Kirchengewalt übt das rein geistliche Corrections-Recht nach geeigneten Stufen aus. § 41. Jedes Mitglied einer Kirchengesellschaft ist schuldig, der darin eingeführten Kirchenzucht sich zu unterwerfen. § 42. Keine Kirchengewalt ist aber befugt, Glaubensgesetze gegen ihre Mitglieder mit äußerem Zwange geltend zu machen. § 43. Wenn einzelne Mitglieder durch öffentliche Handlungen eine Verachtung des Gottesdienstes und der Religionsbräuche zu erkennen geben, oder andere in ihrer Andacht stören, so ist die Kirchengesellschaft befugt, dergleichen unwürdigen Mitgliedern den Zutritt in ihre Versammlungen zu versagen. § 44. Die in dem Königreiche als öffentliche Corporationen aufgenommenen Kirchen sind berechtiget, Eigenthum zu besitzen, und nach den hierüber bestehenden Gesetzen auch künftig zu erwerben. § 45. Die Eigenthumsfähigkeit der nicht öffentlichen Kirchengesellschaft wird nach ihrer Aufnahms-Urkunde, oder wenn in dieser darüber nichts festgesetzt ist, nach den Rechten der Privatgesellschaften bestimmt. § 46. Allen Religionstheilen ohne Ausnahme ist dasjenige, was sie an Eigenthum gesetzmäßig besitzen, es sey für den Cultus oder für den Unterricht bestimmt, es bestehe in liegenden Gütern, Rechten, Capitalien, baarem Gelde, Prätiosen, oder sonstigen beweglichen Sachen durch den §. 9. im IV.

Titel der Verfassungs-Urkunde des Reichs garantirt. § 47. Das Kirchenvermögen darf unter keinem Vorwande zum Staatsvermögen eingezogen und in der Substanz zum Besten eines andern als des bestimmten Stiftungszweckes ohne Zustimmung der Betheiligten, und soferne es allgemeine Stiftungen betrifft, ohne Zustimmung der Stände nicht veräußert oder verwendet werden. § 48. Wenn bey demselben in einzelnen Gemeinden, nach hinlänglicher Deckung der Local-Kirchen-Bedürfniße, Ueberschüße sich ergeben, so sollen diese zum Besten des nämlichen Religions-Theiles nach folgenden Bestimmungen verwendet werden: a) zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Kirchen, und geistlichen Gebäude in andern Gemeinden, die dafür kein hinreichendes eigenes Vermögen besitzen; b) zur Ergänzung des Unterhalts einzelner Kirchen-Diener, oder c) zur Fundation neuer nothwendiger Pfarr-Stellen; d) zur Unterstützung geistlicher Bildungs-Anstalten; e) zu Unterhalts-Beyträgen der durch Alter oder Krankheit zum Kirchen-Dienst unfähig gewordenen geistlichen Personen. § 49. In so fern für diese Zwecke vom Kirchen-Vermögen nach einer vollständigen Erwägung etwas entbehrt werden kann, wird dieser Ueberschuß im Einverständniße mit der betreffenden geistlichen Oberbehörde vorzüglich zur Ergänzung von Schul-Anstalten, dann der Armen-Stiftungen (wohin auch jene der Krankenpflege zu rechnen sind) verwendet werden.

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BAYERN

III. ABSCHNITT Verhältniße der im Staate aufgenommenen KirchenGesellschaften zur Staats-Gewalt

Erstes Capitel In Religions- und Kirchen-Sachen § 50. Seine Majestät der König haben in mehreren Verordnungen Ihren ernstlichen Willen ausgesprochen, daß die geistliche Gewalt in ihrem eigentlichen WirkungsKreise nie gehemmt werden, und die Königl. weltliche Regierung in rein geistliche Gegenstände des Gewissens und der Religions-Lehre sich nicht einmischen sollte, als in so weit das Königliche oberste Schutzoder Aufsichts-Recht dabey eintritt. Die Königlichen Landes-Stellen werden wiederholt zur genauen Befolgung derselben angewiesen. § 51. So lange demnach die Kirchen-Gewalt die Grenzen ihres eigentlichen Wirkungs-Kreises nicht überschreitet, kann dieselbe gegen jede Verletzung ihrer Rechte und Gesetze den Schutz der Staats-Gewalt anrufen, der ihr von den Königlichen einschlägigen Landes-Stellen nicht versagt werden darf. § 52. Es steht aber auch den Genoßen einer Kirchen-Gesellschaft, welche durch Handlungen der geistlichen Gewalt gegen die festgesetzte Ordnung beschwert werden, die Befugniß zu, dagegen den Königlichen Landesfürstlichen Schutz anzurufen. § 53. Ein solcher Recurs gegen einen Mißbrauch der geistlichen Gewalt kann entweder bey der einschlägigen RegierungsBehörde, welche darüber alsbald Bericht an das Königliche Staats-Ministerium des Innern zu erstatten hat, oder bey Seiner Majestät dem Könige unmittelbar angebracht werden.

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§ 54. Die angebrachten Beschwerden wird das Königliche-Staats-Ministerium des Innern untersuchen lassen, und, eilige Fälle ausgenommen, nur nach Vernehmung der betreffenden geistlichen Behörde, das Geeignete darauf verfügen. § 55. Der Regent kann bey feyerlichen Anlässen in den verschiedenen Kirchen Seines Staates durch die geistlichen Behörden öffentliche Gebete und Dankfeste anordnen. § 56. Auch ist Derselbe befugt, wenn Er wahrnimmt, daß bey einer Kirchen-Gesellschaft Spaltungen, Unordnungen oder Mißbräuche eingerissen sind, zur Wiederherstellung der Einigkeit und kirchlichen Ordnung unter Seinem Schutze Kirchen-Versammlungen zu veranlassen, ohne jedoch in Gegenstände der Religionslehre Sich selbst einzumischen. § 57. Da die hoheitliche Oberaufsicht über alle innerhalb der Grenzen des Staats vorfallenden Handlungen, Ereignisse und Verhältniße sich erstreckt, so ist die Staatsgewalt berechtigt, von demjenigen, was in den Versammlungen der Kirchen-Gesellschaften gelehrt und verhandelt wird, Kenntniß einzuziehen. § 58. Hiernach dürfen keine Gesetze, Verordnungen oder sonstige Anordnungen der Kirchen-Gewalt nach den hierüber in den Königlichen Landen schon längst bestehenden General-Mandaten ohne allerhöchste Einsicht und Genehmigung publicirt und vollzogen werden. Die geistlichen Obrigkeiten sind gehalten, nachdem sie die Königliche Genehmigung zur Publication (Placet) erhalten haben, im Eingange der Ausschreibungen ihrer Verordnungen von derselben jederzeit ausdrücklich Erwähnung zu thun. § 59. Ausschreiben der geistlichen Behörden, die sich blos auf die ihnen untergeordnete Geistlichkeit beziehen, und aus ge-

V ERFASSUNG VON BAYERN (1818) nehmigten allgemeinen Verordnungen hervorgehen, bedürfen keiner neuen Genehmigung. § 60. Die Ausübung der geistlichen Gerichtsbarkeit kömmt zwar nach §. 38. lit. h. der Kirchen-Gewalt zu; die dafür angeordneten Gerichte, so wie ihre Verfassung müßen aber von ihrer Einführung von dem Könige bestätiget werden. Auch sollen die einschlägigen Königlichen Landesstellen aufmerksam seyn, damit die Königlichen Unterthanen von den geistlichen Stellen nicht mit gesetzwidrigen Gebühren beschwert, oder in ihren Angelegenheiten auf eine für sie lästige Art aufgehalten werden. § 61. Die vorgeschriebenen Genehmigungen können nur von dem Könige selbst, mittelst des Königlichen Staats-Ministeriums des Innern ertheilt werden, an welches die zu publicirenden kirchlichen Gesetze und Verordnungen eingesendet, und sonstige Anordnungen ausführlich angezeigt werden müssen.

Zweytes Capitel In ihren bürgerlichen Handlungen und Beziehungen § 62. Die Religions- und Kirchen-Gesellschaften müssen sich in Angelegenheiten, die sie mit andern bürgerlichen Gesellschaften gemein haben, nach den Gesetzen des Staats richten. § 63. Diesen Gesetzen sind in ihren bürgerlichen Beziehungen sowohl die Obern der Kirche als einzelne Mitglieder derselben auf gleiche Art unterworfen. § 64. Zur Beseitigung aller künftigen Anstände werden nach solchen Beziehungen als weltliche Gegenstände erklärt: a) alle Verträge und letztwillige Dispositionen der Geistlichen; b) alle Bestimmungen über liegende Güter etc. fahrende Habe, Nutzung, Renten,

Rechte der Kirchen und kirchlichen Personen: c) Verordnungen und Erkenntnisse über Verbrechen und Strafen der Geistlichen, welche auf ihre bürgerlichen Rechte einen Einfluß haben; d) Ehe-Gesetze, in so ferne sie den bürgerlichen Vertrag und dessen Wirkungen betreffen; e) Privilegien, Dispensationen, Immunitäten, Exemtionen, zum Besten ganzer Kirchen-Gesellschaften, einzelner Gemeinden oder Gesellschafts-Genossen, oder der dem Religions-Dienste gewidmeten Orte und Güter, in so ferne sie politische oder bürgerliche Verhältnisse berühren; f) allgemeine Normen über die Verbindlichkeit zur Erbauung und Erhaltung der Kirchen und geistlichen Gebäude; g) Bestimmungen über die Zulassung zu Kirchen-Pfründen; h) Vorschriften über die Einrichtung der Kirchen-Listen als Quellen der Bevölkerungs Verzeichnisse, als Register des CivilStandes und über die Legalität der pfarrlichen Documente. § 65. In allen diesen Gegenständen kömmt der Staatsgewalt allein die Gesetzgebung und Gerichtsbarkeit zu. § 66. Hiernach sind alle Geistlichen in bürgerlichen Personal-Klagsachen, in allen aus bürgerlichen Contracten hervorgehenden Streitsachen, in den Verhandlungen über ihre Verlassenschaften etc. einzig den weltlichen Gerichten untergeben. § 67. Sie genießen nach Titel V. §. 5. der Verfassungs-Urkunde in bürgerlichen und strafrechtlichen Fällen den befreyten Gerichtsstand. § 68. Bey Sterbfällen der Geistlichen soll darauf Rücksicht genommen werden, daß die geistlichen Verrichtungen, wenn der Verstorbene dergleichen versehen hat, nicht gehemmt werden; alles, was darauf Bezug

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BAYERN hat, und zum Gottesdienste gehört, als heilige Gefäße etc. soll von der Sperre ausgenommen, und mittelst Verzeichnißes entweder dem Nachfolger im Beneficium sogleich verabfolgt oder andern sichern Händen einstweilen übergeben werden, wenn nicht zu ihrer Uebernahme ein Abgeordneter der geistlichen Behörde sich einfindet, welche zu diesem Ende von dem weltlichen Richter bey jedem Sterbfalle eines im Beneficium stehenden Geistlichen davon in Kenntniß zu setzen ist. § 69. Die Criminal-Gerichtsbarkeit auch über Geistliche kömmt nur den einschlägigen Königlichen weltlichen Gerichten zu. § 70. Diese sollen aber die einschlägige geistliche Behörde jederzeit von dem Erfolge der Untersuchung in Kenntniß setzen, um auch von ihrer Seite gegen die Person des Verbrechers in Beziehung auf seine geistlichen Verhältnisse das Geeignete darnach verfügen zu können. § 71. Keinem kirchlichen Zwangs-Mittel wird irgend ein Einfluß auf das gesellschaftliche Leben und die bürgerlichen Verhältnisse, ohne Einwilligung der Staats-Gewalt im Staate gestattet. § 72. Das Verfahren der weltlichen Gerichte in Gegenständen, welche nach den obigen Bestimmungen zu ihrer Gerichtsbarkeit gehören, darf durch die Einschreitungen geistlicher Stellen weder unterbrochen noch aufgehoben werden. § 73. Die Kirchen und Geistlichen können in Ansehung des ihnen zustehenden Vermögens weder von Landes-Unterthänigkeit, weder von Gerichtsbarkeit, noch von öffentlichen Staats-Lasten, irgend eine Befreyung ansprechen. § 74. Alle älteren Befreyungen, die hierüber mögen verliehen worden seyn, werden als nichtig erklärt.

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§ 75. Die Verwaltung des Kirchen-Vermögens stehet nach den hierüber gegebenen Gesetzen unter dem Königlichen obersten Schutze und Königlicher oberster Aufsicht.

Drittes Capitel Bey Gegenständen gemischter Natur § 76. Unter Gegenständen gemischter Natur werden diejenigen verstanden, welche zwar geistlich sind, aber die Religion nicht wesentlich betreffen, und zugleich irgend eine Beziehung auf den Staat und das weltliche Wohl der Einwohner desselben haben. Dahin gehören: a) alle Anordnungen über den äußern Gottesdienst, dessen Ort, Zeit, Zahl etc. b) Beschränkung oder Aufhebung der nicht zu den wesentlichen Theilen des Cultus gehörigen Feyerlichkeiten, Processionen, Neben-Andachten, Ceremonien, Kreutzgänge und Bruderschaften; c) Errichtung geistlicher Gesellschaften und sonstiger Institute und Bestimmung ihrer Gelübde; d) organische Bestimmungen über geistliche Bildungs-, Verpflegung- und Straf-Anstalten; e) Eintheilung der Diöcesen, Decanatsund Pfarr-Sprengel, f) alle Gegenstände der Gesundheits-Policey, in soweit diese Kirchliche Anstalten mit berühren. § 77. Bey diesen Gegenständen dürfen von der Kirchen-Gewalt ohne Mitwirkung der weltlichen Obrigkeit keine einseitigen Anordnungen geschehen. § 78. Der Staats-Gewalt steht die Befugniß zu, nicht nur von allen Anordnungen über diese Gegenstände Einsicht zu nehmen, sondern auch durch eigne Verordnungen dabey alles dasjenige zu hindern, was dem öffentlichen Wohle nachtheilig seyn könnte.

V ERFASSUNG VON BAYERN (1818) § 79. Zu außerordentlichen kirchlichen Feyerlichkeiten, besonders wenn dieselben an Werktagen gehalten werden wollen, muß allezeit die specielle Königliche Bewilligung erhohlt werden.

IV. ABSCHNITT Von dem Verhältniße verschiedener Religions-Gesellschaften gegeneinander

Erstes Capitel Allgemeine Staats-Pflichten der Kirchen gegeneinander § 80. Die im Staate bestehenden Religions-Gesellschaften sind sich wechselseitige gleiche Achtung schuldig; gegen deren Versagung kann der obrigkeitliche Schutz aufgerufen werden, der nicht verweigert werden darf; dagegen ist aber auch keiner eine Selbsthülfe erlaubt. § 81. Jede Kirche kann für ihre Religions-Handlungen von den Gliedern aller übrigen Religions-Partheyen vollkommene Sicherheit gegen Störungen aller Art verlangen. § 82. Keine Kirchen-Gesellschaft kann verbindlich gemacht werden, an dem äußern Gottes-Dienste der andern Antheil zu nehmen. Kein Religions-Theil ist demnach schuldig, die besondern Feyertage des andern zu feyern, sondern es soll ihm frey stehen, an solchen Tagen sein Gewerbe und seine Handthierung auszuüben, jedoch ohne Störung des Gottes-Dienstes des andern Theiles und ohne daß die Achtung dabey verletzt werde, welche nach §. 80. jede Religions-Gesellschaft der andern bey Ausübung ihrer religiösen Handlungen und Gebräuche schuldig ist. § 83. Der weltlichen Staats-Policey kömmt es zu, in so weit, als die Erhaltung

der öffentlichen Ruhe und Ordnung zwischen verschiedenen Religions-Partheyen es erfordert, Vorschriften für äußere Handlungen, die nur zufälligen Bezug zum kirchlichen Zwecke haben, zu geben. § 84. Religions-Verwandte einer öffentlich aufgenommenen Kirche, welche keine eigene Gemeinde bilden, können sich zu einer entfernten Gemeinde ihres Glaubens innerhalb der Grenzen des Reichs halten. § 85. Auch ist ihnen freygestellt, von dem Pfarrer oder Prediger einer andern Confession an ihrem Wohnorte jene Dienste und Amts-Functionen nachzusuchen, welche sie mit ihren eigenen Religions-Grundsätzen vereinbarlich glauben, und jene nach ihren Religions-Grundsätzen leisten können. § 86. In dergleichen Fällen sollen dem Pfarrer oder Geistlichen der fremden Confession für die geleisteten Dienste die festgesetzten Stolgebühren entrichtet werden. § 87. Diesen auf solche Art der Orts-Pfarren einverleibten fremden Religions-Verwandten darf jedoch nichts aufgelegt werden, was ihrem Gewissen oder der jedem Staats-Einwohner garantirten Hausandacht entgegen ist. § 88. Den Mitgliedern der öffentlich aufgenommenen Kirchen-Gesellschaften steht die Bildung einer eigenen Gemeinde aller Orten frey, wenn sie das erforderliche Vermögen zum Unterhalt der Kirchendiener, zu den Ausgaben für den Gottesdienst, dann zur Errichtung und Erhaltung der nöthigen Gebäude besitzen, oder wenn sie die Mittel hiezu auf gesetzlich gestattetem Wege aufzubringen vermögen. § 89. Das Verhältniß der Staats-Einwohner, welche einer Religion angehören, deren Mitgliedern nur eine Hausandacht oder nur ein Privat-Gottesdienst gestattet ist, muß aus dem Inhalte der Concessions-Urkunde

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BAYERN beurtheilt werden. Sie dürfen von den Dienern der Kirchen-Gewalt des Ortes, wo sie wohnen, gegen den Sinn und Zweck der Concession weder beschränkt noch beeinträchtiget werden. Da sie mit der Ortskirche in keiner Verbindung stehen, so können von derselben keine pfarrlichen Rechte gegen sie ausgeübt werden; dagegen haben sie aber auch keinen Antheil an den Rechten und dem Eigenthume der Kirche.

Zweites Capitel Vom Simultan-Gebrauche der Kirchen § 90. Wenn zwey Gemeinden verschiedener Religions-Partheyen zu einer Kirche berechtiget sind, so müssen die Rechte einer jeden hauptsächlich nach den vorhandenen besondern Gesetzen oder Verträgen beurtheilt werden. § 91. Mangelt es an solchen Bestimmungen, so wird vermuthet, daß eine jede dieser Gemeinden mit der andern gleiche Rechte habe. § 92. Die Entscheidung der über Ausübung dieser Rechte entstehenden Streitigkeiten, wenn die Betheiligten sie durch gemeinschaftliches Einverständniß nicht beyzulegen vermögen, gehört an das StaatsMinisterium des Innern, welches die Sache nach Verhältniß der Umstände vor den Staatsrath bringen wird. § 93. Wird aber darüber gestritten, ob eine oder die andere Gemeinde zu der Kirche wirklich berechtiget sey, so gehört die Entscheidung vor den ordentlichen Richter. § 94. Wenn nicht erhellet, daß beyde Gemeinden zu der Kirche wirklich berechtiget sind, so wird angenommen, daß diejenige, welche zu dem gegenwärtigen Mitgebrauche am spätesten gelangt ist, denselben als eine widerrufliche Gefälligkeit erhalten habe.

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§ 95. Selbst ein vieljähriger Mitgebrauch kann für sich allein die Erwerbung eines wirklichen Rechtes durch Verjährung künftig nicht begründen. § 96. Wenn jedoch außer diesem Mitgebrauche auch die Unterhaltung der Kirche von beyden Gemeinden bestritten worden, so begründet dieß die Vermuthung, daß auch der später zum Mitgebrauch gekommenen Gemeinde ein wirkliches Recht darauf zustehe. § 97. So lange eine Gemeinde den Mitgebrauch nur bittweise hat, muß sie bey jedesmaliger Ausübung einer bisher nicht gewöhnlichen gottesdienstlichen Handlung die Erlaubniß der Vorsteher dazu nachsuchen. § 98. Den im Mitgebrauche einer Kirche begriffenen Gemeinden steht es jederzeit frey, durch freywilige Uebereinkunft denselben aufzuheben, und das gemeinschaftliche Kirchen-Vermögen unter Königlicher Genehmigung, welche durch das StaatsMinisterium des Innern eingehohlt werden muß, abzutheilen, und für jede eine gesonderte gottesdienstliche Anstalt zu bilden. § 99. Auch kann eine solche Abtheilung von der Staats-Gewalt aus policeylichen oder administrativen Erwägungen, oder auf Ansuchen der Betheiligten verfügt werden. § 100. Wenn ein Religionstheil keinen eigenen Kirchhof besitzt, oder nicht bey der Theilung des gemeinschaftlichen KirchenVermögens einen solchen für sich anlegt, so ist der im Orte befindliche als ein gemeinschaftlicher Begräbnißplatz für sämmtliche Einwohner des Orts zu betrachten, zu dessen Anlage und Unterhaltung aber auch sämmtliche Religionsverwandte verhältnißmäßig beytragen müssen. § 101. Kein Geistlicher kann gezwungen werden, das Begräbniß eines fremden Reli-

V ERFASSUNG VON BAYERN (1818) gionsverwandten nach den Feyerlichkeiten seiner Kirche zu verrichten. § 102. Wird derselbe darum ersucht, und er findet keinen Anstand, dem Begräbnisse beyzuwohnen, so müssen ihm auch die dafür hergebrachten Gebühren entrichtet werden. § 103. Der Glocken auf den Kirchhöfen kann jede öffentlich aufgenommene Kirchen-Gemeinde bey ihren Leichen-Feyerlichkeiten gegen Bezahlung der Gebühr sich bedienen. Dieses allgemeine Staats-Grundgesetz bestimmt, in Ansehung der Religions-Verhältnisse der verschiedenen Kirchen-Gesellschaften, ihre Rechte und Verbindlichkeiten gegen den Staat, die unveräußerlichen Majestätsrechte des Regenten, und die jedem Unterthan zugesicherte Gewissensfreyheit und Religions-Ausübung. In Ansehung der übrigen innern KirchenAngelegenheiten sind die weitern Bestimmungen, in Beziehung auf die katholische Kirche, in dem mit dem päbstlichen Stuhle abgeschlossenen Concordat vom 5. Junius 1817.42 und in Beziehung auf die protestantische Kirche in dem hierüber unterm heutigen Tage erlassenen eigenen Edicte43 enthalten. München den 26. May 1818. (L. S.) Zur Beglaubigung: Egid von Kobell, Königlicher Staatsrath und General-Secretaire.

Edict über die innern Kirchlichen Angelegenheiten der Protestantischen GesammtGemeinde in dem Königreiche44 Anhang zu den 103ten §. des Edictes über die äußern Rechts-Verhältnisse der Einwohner des Königreichs Baiern in Beziehung auf Religion und Kirchliche Gesellschaften in der Beylage II. zu Titel IV. §. 9. der Verfassungs-Urkunde des Königreichs

I Verfassung des Protestantischen Kirchen-Regiments § 1. Das oberste Episcopat und die daraus hervorgehende Leitung der Protestantischen innern Kirchen-Angelegenheiten soll künftig durch ein selbstständiges Ober-Consistorium ausgeübt werden, welches dem Staats-Ministerium des Innern unmittelbar untergeordnet ist. § 2. Dasselbe besteht: aus einem Präsidenten des Protestantischen Glaubens-Bekenntnisses; aus vier geistlichen Ober-Consistorialräthen, unter welchen Einer der reformirten Religion ist; aus einem weltlichen Rathe; aus dem nothwendigen Unter-Personal, mit Einschluß eines Rechnungsverständigen zur Super-Revision der Pfarr-Faßionen und der Rechnungen über die PfarrUnterstützungs- und Witwen-Cassen. § 3. Die Ober-Consistorialräthe haben den Rang der Centralräthe; die Gehalte und respective Functions-Zulagen des Gesammt-Personals werden auf die StaatsCasse übernommen.

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BAYERN § 4. Statt der bisherigen General-Decanate sollen drey Consistorien, in Ansbach, Baireuth und für den Rheinkreis, zu Speyer45 , errichtet werden. Diese sollen künftig bestehen: a) aus einem Vorstande der Protestantischen Confession; diese Function soll dem Regierungs-Director, oder dem ältesten Regierungsrathe derselben Confession, übertragen werden; b) aus zwey geistlichen und einem weltlichen Protestantischen Rathe, dann c) aus dem nothwendigen Unter-Personal.

Anstellungs-Prüfungen in den jährlich auszuschreibenden Concurs-Terminen übertragen. Es soll dabey rücksichtlich der Fragen und Aufgaben der Censur und Classification ein analoges Verfahren, wie bey den Prüfungen der Candidaten für den Staatsdienst, nach der Verordnung vom 9ten December 1817 beobachtet und eingehalten werden. Im Uebrigen verbleibt es bey der Instruktion über die Prüfung der Protestantischen Pfarramts-Candidaten und deren Beförderung vom 23. Jänner 1809, und deren Modification vom 8. November 1813.

§ 5. Die Consistorial-Räthe haben den Rang der vormaligen Kreis-Kirchenräthe. Die Besoldungen und respective FunctionsZulagen des Consistorial-Personals werden gleichfalls auf die Staats-Casse übernommen.

§ 9. Die allgemeine UnterstützungsAnstalt für Protestantische Geistliche des Obermain-Rezat-Ober- und UnterdonauIsar- und Regen-Kreises, dann die Versorgungs-Anstalt für Pfarrers-Witwen dieser Kreise, bleibt mit ihrer Administration in Nürnberg, unter der Leitung des Consistoriums zu Ansbach und der Oberaufsicht des Ober-Consistoriums, nach der bisherigen Verfassung dieser beyden Institute.

§ 6. Die bisherige Verfassung der Districts-Decanate und Districts-Schul-Inspectionen, so wie der übrigen Mittelorgane wird beybehalten. § 7. Zur Handhabung der Kirchen-Verfassung soll in jedem Decanate eine jährliche Visitation, und am Decanats-Sitze jährlich eine Diöcesan-Synode, dann alle vier Jahre eine allgemeine Synode am Sitze des Consistoriums, unter Leitung eines Mitgliedes des Ober-Consistoriums, zur Berathung über innere Kirchenangelegenheiten, in Gegenwart eines Königlichen Commissaire’s, welcher jedoch an den Berathungen selbst keine Antheil zu nehmen hat, gehalten werden.46 § 8. Die theologische Prüfungs-Commission für die Aufnahms-Prüfung der Protestantischen Pfarramts-Candidaten bleibt in Ansbach mit dem Consistorium daselbst, so wie in Speyer mit dem dortigen Consistorium für die Candidaten aus dem Rheinkreise, verbunden. Derselben sind auch die

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II Wirkungskreis des OberConsistoriums und der diesem untergeordneten Consistorien § 10. Alle Gegenstände, welche die Aufrechterhaltung der Religions-Edicte und der Verordnungen über die öffentlichen und bürgerlichen Verhältnisse der religiösen Gemeinden und Körperschaften; die Handhabung der gesetzlichen Gränzen zwischen weltlicher und geistlicher Gewalt; die Bewahrung und Vertretung der landesfürstlichen Rechte und Interessen in Bezug auf die Kirchen aller Confessionen und deren Anstalten und Güter; die Handhabung der gesammten Religions- und Kirchen-Policey in allen Beziehungen, und besonders in Rücksicht auf alle äußeren Handlungen

V ERFASSUNG VON BAYERN (1818) der Kirchen-Gemeinden und ihrer Angehörigen betreffen, gehören zur Competenz der Kreis-Regierungen und des Staatsministeriums des Innern, nach den nähern Bestimmungen der hierüber erlassenen besondern Verordnungen über die Formation und den Wirkungskreis der obersten VerwaltungsStellen in den Kreisen vom 27. März 1817, dann über den Geschäftskreis der StaatsMinisterien vom 15. April 1817. § 11. Der Wirkungskreis des Ober-Consistoriums so wie der ihm untergeordneten Consistorien in den Kreisen ist demnach beschränkt auf die Gegenstände der innern Kirchen-Policey, auf die Ausübung des mit der Staats-Gewalt verbundenen Episcopats und die Leitung der innern Kirchenangegelegenheiten; es steht ihnen hiernach zu: die Aufsicht über Kirchen-Verfassung, KirchenOrdnung, Disciplin, Lehrvorträge, Amtsführung und Betragen der Geistlichen, Prüfung, Ordination, Anstellung und Beförderung der Candidaten, Ertheilung des ReligionsUnterrichts in den Schulen, Cultus, Liturgie und Ritual, Purificationen und Dismembrationen der Pfarreyen, Erledigung und Wiederbesetzung der Pfarrstellen und anderer Kirchendienste, Investitur der Geistlichen, Synodial- und Diöcesan-Verhältnisse, Dispensationen, Pfarr-Witwen- und Pfarr-Pensions-Anstalten, Fatirung und Veränderung der Pfarr-Einkünfte. In Ansehung des Geschäftskreises des Ober-Consistoriums und der untern Consistorien wird es im Allgemeinen bey den Bestimmungen belassen, welche hierüber in den frühern Edicten, nämlich in der Anordnung einer Section in Kirchen-Gegenständen vom 8. September 1808, insbesondere im §. VI.; in den Instructionen für das General-Consistorium und für die General-Kreis-Commissariate, in Beziehung auf das Kirchen-

wesen der Protestantischen Gesammt-Gemeinde des Köngreiches Baiern vom 8. September 1809; in dem Edicte über die Bildung der Mittelstellen für die Protestantischen KirchenAngelegenheiten vom 17. März 1809 enthalten sind. § 12. In Ansehung der Verwaltung des Stiftungs-Vermögens und der Oberaufsicht über die Erhaltung und zweckmäßige Verwendung des Vermögens der Protestantischen Kirche und Kirchen-Stiftungen verbleibt es bey den bisherigen gesetzlichen Bestimmungen. § 13. Dem Ober-Consistorium ist die Aufsicht über das Protestantisch-theologische Studium auf der Universität Erlangen in Ansehung der Lehren übertragen, auch wird bey Besetzung der theologischen Lehrstellen dasselbe mit seinem Gutachten vernommen. § 14. Demselben, so wie den untern Consistorien in ihren Bezirken, verbleibt, wie schon in den frühern Edicten verordnet war, die Aufsicht über den Protestantischen Religions-Unterricht in den Schulen. Die Aufsicht und die Anordnungen über den übrigen Unterricht, sowohl in den Volksschulen als Studien-Anstalten, gehören als ein Staats-Policey-Gegenstand lediglich zur Competenz der Regierungen und des StaatsMinisteriums des Innern, nach den darüber bestehenden gesetzlichen Einrichtungen. In den Kreisen, in welchen die größere Mehrheit der Einwohner Protestantischer Confession ist, soll jedoch das Referat in den Schul-Angelegenheiten einem Rathe von dieser Confession übertragen, auch soll unter den Ober-Studienräthen jederzeit Einer von der Protestantischen Religion angestellt werden.

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BAYERN

III Verhältnisse des Ober-Consistoriums zu den untern Consistorien, und dieser zu den Regierungen und andern weltlichen Behörden § 15. Die Consistorien behalten in allen Beziehungen gegen das Ober-Consistorium dasselbe Verhältniß, in welchem die zeitherigen General-Decanate zu den GeneralConsistorien gestellt waren. § 16. Die Consistorien sind ihrem Wirkungskreise gegen die Regierungen als coordinirte Stellen zu betrachten, wonach sie sich wechselseitig gegen einander zu benehmen haben; in Staats-, Policey- und andern nach dem Edicte über die äußern Rechts-Verhältnisse zur weltlichen Regierung gehörigen Gegenständen aber sind sie den Regierungen untergeben, diese haben jedoch in ihren Ausfertigungen an dieselben sich jederzeit einer geziemenden Schreibart zu bedienen. § 17. Den Consistorien sind in Gegenständen ihres Wirkungskreises die DistrictsDecanate und Pfarrer untergeordnet; Verfügungen an weltliche Behörden können sie nur durch die Regierung bewirken, welche ihnen zur Unterstützung in der Ausübung ihrer Amtsbefugnisse nicht verweigert werden dürfen, so lange sie in den gesetzlichen Schranken ihres Wirkungskreises verbleiben; auch werden die Landgerichte und übrigen Policey-Stellen hierdurch angewiesen, denselben hiezu jederzeit den erforderlichen Beystand zu leisten.

VI Verhältniße des Ober-Consistoriums zu dem Staats-Ministerium des Innern § 18. Das Ober-Consistorium ist ein dem Staats-Ministerium des Innern unmittelbar

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untergeordnetes Collegium; es empfängt hiernach von demselben Aufträge und Befehle durch Rescripte und erstattet an dasselbe Bericht. § 19. Dasselbe hat hiernach an genanntes Staats-Ministerium gutachtliche Berichte zu erstatten und durch dieses die Allerhöchste Entschließung zu erhohlen: a) In allen Gegenständen neuer organischer kirchlicher Einrichtungen und allgemeiner Verordnungen; b) bey Anordnungen allgemeiner öffentlicher Gebete und außerordentlicher Kirchenfeste, oder Abschaffung bestehender Feste und Feyertage; c) in Fällen, wo es auf Bestimmung der Verhältniße zwischen Katholischen und Protestantischen Pfarreyen und einzelner Einwohner verschiedener Glaubens-Bekenntniße ankömmt, nach §§. 47. u. 48. der Consistorial-Ordnung, wohin insbesondere die Purificationen gemischer Pfarreyen gehören; d) bey Dispensations-Gesuchen wegen verbotener Verwandtschaft-Grade; e) über alle Anstellungen und Beförderungen in geistlichen Amtstellen, Versetzungen, Degradationen, Suspensionen vom Amte, Pensionirungen, Entsetzungen Oder Ausschließung vom geistlichen Amte; f) bey Ertheilung der Pfarrsprengel und Errichtung neuer Pfarreyen, oder Vereinigung mehrerer Gemeinden in einer Pfarrey; g) bey Anordnungen außerordentlicher Synodal-Versammlungen; h) über die Resultate gehaltener allgemeiner Synodal-Versammlungen; i) über die Annahme neuer Stiftungen zu kirchlichen Zwecken, mit Vorbehalt der Competenz der Kreis-Regierungen in Ansehung der administrativen Beziehungen; k) in Fällen, wo ein Benehmen mit andern Staats-Ministerien erforderlich ist. Nebstdem hat dasselbe am Schluße eines

V ERFASSUNG VON BAYERN (1818) jeden Jahres eine allgemeine Uebersicht des kirchlichen Zustandes der Protestantischen Gesammt-Gemeinden mit den im Laufe des Jahres darin vorgegangenen wichtigen Veränderungen mit gutachtlichen Bemerkungen vorzulegen.

V Geschäftsgang § 20. Die Leitung der Geschäfte liegt bey dem Ober-Consistorium dem Präsidenten, und bey den untern Consistorien dem Vorstande, und in Abwesenheit oder Verhinderung desselben dem ersten Rathe ob. § 21. Aller Einlauf wird von dem Vorstande geöffnet und präsentirt. Derselbe hat zu sorgen, daß alsbald die Eintragung in das mit dem Geschäfts-Protocolle verbundene besondere Einlaufs-Journal bewirkt, und die Producte mit den Vor-Acten an diejenigen Referenten vertheilt werden, welche er entweder durch eine allgemeine Repartitions-Vorschrift, oder in einzelnen Fällen besonders benannt hat. § 22. Sämmtliche Gegenstände werden mittelst gemeinschaftlicher Berathung in förmlichen Sitzungen behandelt; in jeder Woche soll eine Sitzung nach der Bestimmung des Vorstandes gehalten werden. § 23. Der Vorstand hält, wie in andern Collegien, die Umfrage, spricht die Beschlüße nach der Einheit oder Mehrheit der Stimmen aus, und läßt dieselben in das Sitzungs-Protokoll eintragen. Bey sich ergebender Stimmen-Gleichheit ist die Stimme des Vorstandes entscheidend. § 24. Sämmtliche Entwürfe werden von dem Proponenten unterzeichnet, und von dem Vorstande mit dem Expediatur versehen; der Secretaire bemerkt auf demselben den Tag der Sitzung mit Hinweisung auf

die Nummer des Sitzungs-Protocolls, und sorgt sodann für die Reinschrift. § 25. Die Eingaben geschehen unter der Aufschrift: an „das Königl. Baier. Protestantische OberConsistorium“ oder in den Kreisen an „das Königl. Baier. Protestantische Consistorium zu N.“ Die Berichte des Ober-Consistoriums an das Staats-Ministerium werden in der allgemein vorgeschriebenen Form abgefaßt, und mit der Unterschrift des Vorstandes, des Referenten und Secretaire’s bezeichnet; die Berichte der unteren Consistorien an das Ober-Consistorium erhalten die ebenbemerkte Aufschrift, unter Beobachtung der Unterordnung; ein gleiches geschieht von den Districts-Decanaten und Pfarrämtern an die Consistorien. Die Anrede ist: „Königliches Ober-Consistorium“ oder „Königliches Consistorium.“ Die Unterschrift an das Ober-Consistorinm: gehorsamstes N. an die Consistorien: gehorsamstes N. § 26. Die Form der Ausfertigungen ist folgende: jene an die untergeordneten Stellen geschehen mit der Ueberschrift: „Im Namen Sr. Majestät des Königs.“ Die Schreibart ist befehlend, und die Unterschrift: „Königlich Protestantisches Ober-Consistorium.“ Die Schreiben an coordinirte Stellen fangen mit der Bezeichnung der Behörde an, von welcher und an welche geschrieben wird: das Königliche Consistorium zu N.

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BAYERN an etc. etc. etc. Die Schreibart ist gesinnend, der Inhalt wird in der dritten Person gefaßt, den Schluß bildet die Unterschrift des Vorstandes; der Secretaire contrasignirt. § 27. Die Consistorien bedienen sich bey ihren Ausfertigungen eigener Siegel mit der Umschrift: Königl. Baier. Protestantisches OberConsistorium, oder Königl. Baier. Protestantisches Consistorium zu N. § 28. Der Secretaire hat die Führung des Journals und der Protocolle, so wie die Expedition zu besorgen. Die Aufsicht über die Canzley- und Registraturs-Geschäfte führt der Vorstand; sie kann auch einem Rathe aufgetragen werden. § 29. Der Präsident des Ober-Consistoriums darf ohne Anzeige und Genehmigung des Staats-Ministeriums des Innern von den Geschäften sich niemals entfernen; der Vorstand der untern Consistorien muß davon die Anzeige bey dem Ober-Consistorium machen, und dessen Genehmigung erhohlen. Der Vorstand ist befugt, den Räthen und dem übrigen Personal, mit vorsorglicher Rücksicht auf den Dienst, einen Urlaub auf 14 Tage zu bewilligen; bey UrlaubsGesuchen in das Ausland, in die Residenz, oder auf längere Zeit als 14 Tage, sind die bestehenden Vorschriften zu beobachten. München, den 26. May 1818. (L. S.) Zur Beglaubigung: Egid von Kobell, Königl. Staatsrath und General-Secretaire.

Edict über die Freyheit der Presse und des Buchhandels47 Dritte Beylage zu der VerfassungsUrkunde des Königreichs Baiern Tit. IV. §. 11. § 1. Den offenen Buchhandlungen, und denjenigen, welche zu diesem Gewerbe obrigkeitlich berechtiget sind, ist in Ansehung der bereits gedruckten Schriften freyer Verkehr, so wie den Verfassern, Verlegern und berechtigten Buchdruckern im Königreiche in Ansehung der Bücher und Schriften, welche sie in Druck geben wollen, vollkommene Preßfreyheit gestattet. Sie sind hiernach nicht verbunden, solche Schriften einer Censur oder besondern obrigkeitlichen Genehmigung zu unterwerfen, wenn sie nicht allenfalls bey kostbaren Werken, zur Sicherung ihrer bedeutenden Auslagen, selbst darum nachsuchen wollen. § 2. Ausgenommen von dieser Freyheit sind alle politischen Zeitungen und periodischen Schriften politischen oder statistischen Inhalts. Dieselben unterliegen der dafür angeordneten Censur. § 3. Auch dürfen Staatsdiener ihre Vorträge und sonstigen Arbeiten über Gegenstände, die ihnen in ihrem Geschäftskreise übertragen sind; ferner statistische Notizen, Verhandlungen, Urkunden und andere Nachrichten, zu deren Kenntniß sie nur durch ihre Dienstverhältniße kommen konnten, ohne besondere Königliche Erlaubniß nie dem Drucke übergeben. Eben so bleibt ihnen untersagt, Nachrichten politischen oder statistischen Inhalts über die Königlichen Staaten, in ausländische Zeitschriften einzurücken, oder an dergleichen Aufsätzen Theil zu nehmen, wenn sie nicht zuvor dem einschlägigen Staats-Ministerium vorgelegt waren. § 4. Damit die Freyheit der Presse und des Buchhandels (§. 1.) nicht mißbraucht

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V ERFASSUNG VON BAYERN (1818) werde, wird den Polizey-Obrigkeiten jeden Orts über die allda befindlichen Buchhandlungen, Antiquarien, Leihbibliotheken, Lese-Institute, Buchdruckereyen und lithographische Anstalten eine allgemeine Aufsicht übertragen, so wie die gesetzliche Bestrafung der durch Schriften begangenen Verbrechen und Vergehen den ordentlichen Gerichten vorbehalten bleibt. § 5. Dem zufolge sind alle Buchhandlungen, Antiquarien, Leihbibliothek-Inhaber, die Vorsteher der Lese-Institute und lithographischen Anstalten, die Kupferstiche, Bilder- und Karten-Händler verpflichtet, unter einer Strafe von hundert Thalern, ihre Cataloge der Polizey-Obrigkeit zu übergeben. § 6. Wenn die Polizey in den ihr übergebenen Catalogen, Schriften, Gemälde, oder andere sinnliche Darstellungen wahrnimmt, oder wenn die Verbreitung von Schriften oder sinnlichen Darstellungen bey ihr angezeigt wird, wodurch ein im Königreiche bestehendes Strafgesetz übertreten wurde, sey es als Verbrechen, Vergehen, oder Polizey-Uebertretung, so hat sie alsbald dem einschlagenden Untersuchungsgerichte davon die amtliche Anzeige zu machen, und nach Unterschied selbst der Bestrafung wegen geeignet zu verfahren. § 7. Betreffen jene Gesetz-Uebertretungen den Monarchen, den Staat und dessen Verfassung, oder die im Königreiche bestehenden Kirchen- und religiösen Gesellschaften, oder sind Schriften oder sinnliche Darstellungen der öffentlichen Ruhe und Ordnung durch Aufmunterung zum Aufruhr oder der Sittlichkeit durch Reitz und Verführung zu Wollust und Laster gefährlich; so soll die Polizey die Verbreitung einer solchen Schrift oder sinnlichen Darstellung hemmen, und ein Exemplar derselben an die ihr vorgesetzte obere Polizey-Behörde ohne Vorzug einsenden, welche längs-

tens in acht Tagen in einer collegialen Berathung die Charaktere der Gesetzwidrigkeit oder Gefährlichkeit sorgfältig zu untersuchen, und nach Befinden den Beschlag aufzuheben oder fortzusetzen hat. § 8. Im letzten Falle, wenn nämlich die obere Polizey-Behörde den Beschlag fortzusetzen beschließt, soll sie die Schrift oder bildliche Darstellung mit dem Collegial-Beschluß an das Staats-Ministerium des Innern auf der Stelle einschicken, und dieses erkennt ohne Aufenthalt über die Aufhebung oder Bestätigung des Beschlags. Mit der Bestätigung wird die Schrift öffentlich verboten, und nach Umständen confiscirt. § 9. Wer sich durch die Verfügung des Staats-Ministeriums des Innern beschwert findet, dem ist dagegen die Berufung an den Königlichen Staats-Rath gestattet, welcher darüber, und zwar immer in einer PlenarVersammlung zu erkennen hat. § 10. Privat-Personen, gegen welche in Schriften oder sinnlichen Darstellungen ein rechtswidriger Angriff gemacht worden, bleibt es überlassen, den Verfasser, und wenn dieser nicht genannt oder falsch angegeben ist, den Verleger, und aushülfsweise den Drucker oder jeden Verbreiter, wegen der ihnen geschehenen Unbilde vor der zuständigen Gerichts-Behörde zu verfolgen. Dieselben können aber zu ihrer Sicherheit von der Polizey verlangen, daß sie die Schrift, wegen welcher sie klagen wollen, in Beschlag nehme; jedoch sind sie verbunden, in acht Tagen die Bescheinigung beyzubringen, daß die Klage wirklich beym Richter angebracht worden, widrigen Falls der Beschlag nach Ablauf dieser Zeit wieder aufgehoben werden soll. § 11. Staatsdiener, welche sich im Falle des §. 10. befinden, und im Dienste außer dem Königreiche abwesend sind, sollen durch die Polizey von dem Daseyn einer solchen Schrift etc. benachrichtiget werden;

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BAYERN auch ist die provisorische Beschlagnahme der Schrift bis zur einlangenden Erklärung von Amtswegen zu verfügen. § 12. Für eine Schrift oder sinnliche Darstellung haftet jederzeit zunächst der Verfasser, und wenn dieser nicht bekannt ist, der Verleger, und subsidiarisch der Drucker und jeder Verbreiter. München den 26. May 1818. (L. S.) Zur Beglaubigung: Egid von Kobell, Königlicher Staatsrath und General-Secretaire.

Edict die staatsrechtlichen Verhältnisse der vormals Reichsständischen Fürsten, Grafen und Herren betreffend48 Vierte Beylage zu der VerfassungsUrkunde des Königreichs Baiern. Tit. V. §. 2.

I Von den persönlichen Vorzügen, allgemeinen Rechten und Verbindlichkeiten der vormaligen Reichsständischen Fürsten, Grafen und Herren § 1. Die mittelbar gewordenen ehemals Reichständischen fürstlichen und gräflichen Häuser behalten die Ebenbürtigkeit in dem bisher-damit verbundenen Begriffe, und gehören zum hohen Adel. § 2. Sie behalten den Titel, den sie früher geführt haben, jedoch mit Weglassung aller auf ihre vormaligen Reichsständischen Verhältniße sich beziehenden Beysätze und

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Würden. Sie benennen sich demnach von ihren ursprünglichen Stammgütern und Herrschaften. Der Erstgebohrne, welcher im Besitze derselben sich befindet, nennt sich zur Unterscheidung von den Nachgebohrnen in öffentlichen Schriften und Handlungen, die nicht an den Souverain oder an die Königlichen Behörden gerichtet werden, Fürst und Herr, auch Graf und Herr, mit dem Prädicate „Wir“, wogegen sich die Nachgebohrnen nur des Titels eines Fürsten oder eines Grafen zu bedienen haben. § 3. Denselben wird ein ihrer Ebenbürtigkeit angemessenes Canzley-Ceremoniel ertheilt. In den Ausfertigungen der Königlichen Stellen wird im Contexte den Fürsten das Prädicat „der durchlauchtig hochgebohrne Herr Fürst;“ und den Grafen „der hochgebohrne Herr Graf“ gegeben werden. In ihren Schriften, die entweder an den Souverain, an den Königlichen Staats-Ministerien, oder an die übrigen höhern Landesstellen gerichtet sind, müssen sie nach dem bis jetzt bestehenden Kanzley-Ceremoniel sich achten. § 4. In allen Städten, Märkten und Dörfern, welche den standesherrlichen Häusern gehören, soll das Kirchengebet nach dem Souverain, auch für das Haupt des Hauses und für dessen Familie verrichtet werden. Auf gleiche Weise wird hinsichtlich der Trauerfeyerlichkeiten gestattet, daß das Trauer-Geläute für den Herrn, seine Gemahlin, und für seinen nächsten Nachfolger drey Wochen, für einen Nachgebohrnen aber vierzehn Tage lang von dem Leichenbegängnisse an beobachtet werde; daß die standesherrlichen Stellen und Beamten eine Trauer von sechs Wochen anlegen, und daß alle öffentlichen Lustbarkeiten in den standesherrlichen Gebieten bis nach Beendigung der Exequien eingestellt werden. § 5. Den Standesherren steht für ihre

V ERFASSUNG VON BAYERN (1818) Personen und für ihre Familien die unbeschränkte Freyheit zu, in einem jeden zum deutschen Bunde gehörigen, oder mit demselben im Friedensstande befindlichen Staate ihren Aufenthalt zu wählen, und eben so in die Dienste desselben zu treten. Diejenigen, welche sich entweder in Königlichen Diensten befinden, oder aus Königlichen Staats-Cassen eine Pension beziehen, haben sich nach den desfallsigen Verordnungen zu verhalten. § 6. In allen sie betreffenden Real- und Personal-Klagen haben sie einen privilegirten Gerichtsstand in erster Instanz bey dem einschlägigen Appellations-Gerichte, in zweyter und letzter Instanz bey dem Königlichen Ober-Appellations-Gerichte. Sollten bey einem der standesherrlichen Häuser durch Familien Verträge besondere Austrägal-Gerichte eingeführt seyn, so wird der Souverain dieselben näher untersuchen lassen, und wegen ihrer Bestätigung besondere Entschließung ertheilen. § 7. Verlassenschafts-Verhandlungen, welche Mitglieder der Familie betreffen, kann das Haupt des Hauses durch seine Canzley vornehmen und erledigen lassen, so lange kein Rechtsstreit darüber entsteht, in welchem Falle sie an das einschlägige Appellations-Gericht zum geeigneten rechtlichen Verfahren abgeliefert werden müssen. § 8. In peinlichen Fällen, mit Ausnahme der Militaire- und der im Königlichen CivilStaats-Dienste begangenen Verbrechen, genießen die Standesherren das Recht, durch ein Gericht von Ebenbürtigen oder durch Richter ihres Standes gerichtet zu werden. Die Untersuchung führt das einschlägige Appellations-Gericht durch Commissarien, unter der Leitung eines Vorstandes nach den Vorschriften des Straf-Gesetzbuches. Diese Commission hat daher alle Zuständigkeiten eines Untersuchungs-Gerichtes,

und erkennt auch in kürzester Zeit über die Statthaftigkeit einer provisorischen Verhaftung, welche Unterbehörden mittelst Bewachung des Angeschuldeten an einem anständigen Orte vorzunehmen sich gesetzlich veranlaßt finden. Das Standes-Gericht wird vom Könige in der Residenzstadt angeordnet, und nach den Bestimmungen des Straf-Gesetzbuches aus sechs oder acht Richtern gleichen Standes mit dem Angeschuldigten zusammen gesetzt. In Ermangelung der erforderlichen Anzahl von Ebenbürtigen wird das Gericht aus den Reichsräthen ergänzt. Den Vorsitz und die Leitung hat in erster Instanz ein Präsident des-Ober-Appellatios-Gerichts, und in der zweyten der Staats-Minister der Justiz, in seiner Eigenschaft als Großrichter. Zwey Ober-Appellations-Gerichtsräthe werden in beyden Instanzen zu Re- und Correferenten enannt, welche jedoch nur eine berathene Stimme haben. Der erste geheime Secretaire des Staats-Ministeriums der Justiz führt das Protocoll. Die Untersuchungs Commission schickt die Acten sowohl nach geschlossener General-Untersuchung, als nach vollständig mit Beobachtung des Vertheidigungs-Verfahrens beendigter Special-Inquisition, wenn darauf erkannt worden, an den König, welcher dann das Gericht zusammen beruft. Das von den Gerichts-Besitzern geschöpfte Erkenntniß wird dem Könige mit dem Gutachten über die vielleicht vorhandenen Begnadigungs-Gründe, wesfalls die Anträge der Referenten zu vernehmen sind, vorgelegt. – Erfolgt keine Begnadigung, so wird das Urtheil in gesetzlicher Art durch das damit beauftragte Appellations-Gericht zum Vollzug gebracht. Die Güter des Verurtheilten dürfen in keinem Falle confiscirt, sondern können nur während seiner Lebenszeit sequestrirt werden. Dieses privilegirte außerordentliche Gericht kömmt allein den Häuptern der stan-

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BAYERN desherrlichen Häuser zu. Die übrigen Mitglieder dieser Familien sind in peinlichen Sachen dem gewöhnlichen privilegirten Gerichtsstande unterworfen. In Civil-Strafrechtssachen ist das treffende Appellations-Gericht die untersuchende und zugleich erkennende Behörde erster Instanz; für Berufungen aber das Ober-Appellations-Gericht die zweyte Instanz. § 9. Ihre nach den Grundsätzen der frühern deutschen Verfassung noch bestehenden Familien-Verträge bleiben aufrecht erhalten, und sie haben die Befugniß über ihre Güter und Familien Verhältniße verbindliche Verfügungen zu treffen, welche dem Souverain vorgelegt werden müssen, worauf sie, so weit sie nichts gegen die Verfassung enthalten, durch die obersten Landesstellen zur allgemeinen Kenntniß und Nachachtung gebracht werden. § 10. Die Vormundschaften der standesherrlichen Familien-Glieder können von dem Haupte des Hauses bestellt werden. Ist dasselbe dabey betheiligt, und ein Vormund oder Curator von Obrigkeitswegen aufzustellen, so geschieht dieses durch das Appellations-Gericht des einschlägigen Regierungs-Bezirkes mit Vorbehalt des Recurses an das Ober-Appellations-Gericht. Die Ober-Aufsicht über standesherrliche Vormundschafts-Sachen wird dem Königlichen Staats-Ministerium der Justiz vorbehalten, welches zu diesem Ende von der getroffenen Anordnung einer Vormundschaft in Kenntniß zu setzen ist. § 11. Die Standesherren genießen für sich und ihre Familien die Befreyung von aller Militaire-Pflichtigkeit. § 12. In den Schlößern, welche sie bewohnen, sollen sie, außer dem Nothfalle, von der Einquartierung der Königlichen Truppen befreyt seyn.

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§ 13. Ihnen ist gestattet, eine Ehrenwache aus Eingebohrnen, welche dem Souverain den Huldigungs-Eid geleistet haben, und nicht in den Jahren der Militaire-Pflichtigkeit sind, in den Schlößern ihres Wohnsitzes zu halten. § 14. Die Standesherren sind berechtigt, von ihren Beamten einen Dienstes-Eid sich leisten zu lassen, auch die in ihrem Gebiete ansäßigen Unterthanen auf Gehorsam und Erfüllung der denselben gegen ihren Standesherrn obliegenden Verbindlichkeiten zu verpflichten, vorbehaltlich der UnterthansTreue und des Gehorsams gegen den König und die Gesetze des Reichs. § 15. Die Standesherren sind befugt, jene Angelegenheiten an die Regierungen auswärtiger Staaten zu bringen, welche sie mit denselben rücksichtlich ihrer darin befindlichen Besitzungen und allenfallsigen Lehenund Dienstes-Verhältnisse zu verhandeln haben. Sie dürfen jedoch nicht Agenten mit diplomatischem Character abordnen. § 16. Sie können besondere Anordnungen und Verfügungen über Gegenstände erlassen, welche die Verwaltung ihrer standesherrlichen und Eigenthums-Rechte betreffen. Diese dürfen aber den allgemeinen Gesetzen nicht entgegen seyn; auch sollen die Formen der öffentlichen Verwaltung und der öffentlichen Anstalten mit den in den übrigen Theilen der Monarchie eingeführten in Uebereinstimmung gebracht werden. § 17. Ihnen ist gestattet, außer dem im ganzen Königreiche nach der bestehenden Verordnung zu haltenden Königlichen Gesetz- und Allgemeinen Intelligenz Blatt auch besondere Wochen-Blätter für ihre Gebiete einzuführen.

V ERFASSUNG VON BAYERN (1818)

II Rechtspflege § 18. In den standesherrlichen GerichtsBezirken wird nach den bestehenden Gesetzen Recht gesprochen. § 19. Die Verwaltung der Civil-Gerichtsbarkeit, der willkührlichen, so wie der streitigen in erster Instanz, geschieht durch Behörden, welche mit den Königlichen Stadtund Landgerichten gleiche Zuständigkeit haben, und Stadt- und Herrschafts Gerichte heißen sollen. In strafrechtlichen Fällen stehet denselben mehr nicht als die Untersuchung zu. Die geschloßenen Acten werden an das einschlägige Strafgericht zur Schöpfung des Urtheils eingesendet. § 20. Die hergebrachte mittlere und Straf-Gerichtsbarkeit der Standesherren kann nur durch ein förmlich constituirtes, aus gesetzmäßig befähigten und verordnungsmäßig besoldeten Mitgliedern, in vorgeschriebener Anzahl zusammengesetztes Collegium unter dem Nahmen Justiz-Canzley verwaltet werden. Die Berufung in letzter Instanz geht hievon in Civil-StrafrechtsSachen an das Appellations-Gericht des einschlägigen Regierungs-Bezirkes; bey Criminal-Fällen hingegen, so wie in Civil-Sachen an das Königliche Ober-AppellationsGericht. § 21. Die für die Justiz-Verwaltung in der mittlern Instanz angestellten Individuen, müssen nach Berichtigung des Qualifications-Punktes bey dem Königlichen OberAppellations Gerichte durch den Weg des Staats-Ministeriums der Justiz die Genehmigung erhalten. § 22. Die Subalternen in den Canzleyen und die Justiz-Beamten werden von den Standesherren ohne besondere Bestätigung ernannt. Jedoch hat

§ 23. die Justiz-Canzley, oder in deren Ermangelung das einschlägige Appellations-Gericht bey der Verpflichtung und Einweisung solcher Subjekte die Beweise über die zu ihren Stellen erforderliche Qualification zu den Acten zu bringen, und nicht nur jährlich dem Ober-Appellations-Gerichte eine Liste darüber vorzulegen, sondern auch so viel diese Justiz-Beamten betrifft, jedesmal deren Ernennung mit den Qualifications Beweisen eben diesem obersten Gerichtshofe anzuzeigen. § 24. Die standesherrlichen Justiz-Stellen sind der Oberaufsicht des Ober-Appellations-Gerichts unterworfen, dem es zusteht, von den Acten derselben Einsicht zu nehmen, und mit Genehmigung des Staats-Ministeriums der Justiz auf vorgängig dahin erstatteten Bericht, Visitationen anzuordnen, insbesondere den Zustand des Pupillen- so wie des Hypotheken- und Depositen-Wesens untersuchen zu lassen. § 25. Den Standesherren ist zwar gestattet, von der Verwaltung der Justiz im Allgemeinen, insbesondere von dem Zustande des Vormundschafts-Depositen- und Hypotheken-Wesens Einsicht zu nehmen, um die Abstellung der befundenen Mängel veranlassen zu können; jedoch dürfen sich dieselben in die Rechts-Entscheidungen ihrer Gerichtsstellen keineswegs einmischen. Das Begnadigungs-Recht steht allein dem Souverain zu.

III Policey-Verwaltung § 26. Den Standesherren kömmt in ihren Gebieten die untere Policey zu, welche sie durch ihre einschlägige Beamte nach den Gesetzen des Königreichs ausüben. Zu ihrem unmittelbaren Wirkungs-Kreise gehören hiernach: die Gegenstände der

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BAYERN Kirchen-Policey, der Bildung und des Unterrichts, der öffentlichen Sicherheit, der Gesundheits-Policey; die Aufsicht über die Verwaltung des Gemeinde-Gutes, die Bestätigung der Gemeinde-Vorsteher und Communal-Beamten, die Aufsicht und die Vollziehung der Anordnungen über StraßenBrücken- und Wasser-Bau, die unmittelbare Aufsicht und Vollziehung der Gesetze und Verordnungen, die Landes-Cultur, den Handel und das Zunftwesen betreffend; die Verleihung der Gewerbs-Gerechtigkeiten, mit Ausnahme der Fabriken, Bräuereyen, Buchdruckereyen und Buchhandlungen; die Forst- und Jagd-Policey- so wie die ForstGerichtsbarkeit, sowohl in den standesherrlichen Waldungen, als auch in dem ganzen Umfange ihres Gebietes; das Conscriptionsund Marschwesen, so wie andere MilitaireAngelegenheiten, so weit diese zum Geschäftskreise der untern Policey-Behörden gehören: überhaupt die Local- und DistrictsPolicey über ihre Mediat-Unterthanen. § 27. Sie haben nebstdem die Aufnahme neuer Unterthanen Christlicher GlaubensConfessionen, und Juden, jedoch müssen sie hiebey nach den Gesetzen sich richten. § 28. Sie können zur Handhabung der Sicherheit und Policey in ihren Gebieten eigene Policey-Wachen anordnen, jedoch mit Berücksichtigung der für das ganze Königreich eingeführten allgemeinen SicherheitsAnstalten und unter Beobachtung der darüber bestehenden Verordnungen. § 29. Dem unmittelbaren WirkungsKreise der Königlichen Regierung des Bezirkes, in welchem die standesherrlichen Gebiete gelegen sind, bleiben vorbehalten: 1. die Aufsicht auf die Landes-Grenzen, und Bewahrung der Landesherrlichen Gerechtsame gegen benachbarte Staaten; 2. alle Gegenstände, welche das Verhältniß des Königreichs zu benachbarten Staaten betreffen;

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3. die Bewahrung und Handhabung der Landes-Verfassung und der SouverainetätsRechte; 4. die Bewahrung und Vertretung der Majestäts-Rechte in Beziehung auf die Kirchen aller Confessionen, so wie die Aufrechthaltung des hierüber erlassenen ReligionsEdicts; 5. die Leitung aller Gegenstände, welche die Militaire Conscription, die Landes-Bewaffnung und die Landwehr betreffen, so wie die Bescheidung der Reclamationen in Conscriptions-Sachen; 6. die Leitung der Marsch-, Vorspannsund Einquartierungs-Angelegenheiten, dann die Einleitung zur Vertheilung und Ausgleichung der Kriegs-Lasten, so wie die Bescheidung der Beschwerden über die Repartition der Lasten und der Entschädigungs-Forderungen; 7. die Bezirks Concurrenz-Sachen; 8. die Anlegung und Erhaltung der Heerstraßen, Brücken und Fluß-Bauten; 9. Auswanderungen der Unterthanen; 10. die Sicherheits-Policey, in so weit sie sich auf allgemeine Anstalten bezieht; 11. Gegenstände der Brand-Assecuranz; 12. alle öffentlichen Anstalten des Kreises, an welchen die Mediat-Gebiete Antheil nehmen; 13. die Concurs-Prüfungen für den Staatsdienst, einschließlich der Aerzte, Wundärzte und Hebammen, und die Bescheinigung ihrer Befähigung zur Ausübung ihres Amtes; 14. die Bewilligung von Getreide- und Jahr-Märkten. § 30. In den oben bezeichneten, so wie in allen analogen Gegenständen, ist die einschlägige Königliche Bezirks-Regierung die unmittelbare oberste Behörde des Mediat-Gebietes, und erläßt in Beziehung auf dieselbe unmittelbare Weisungen an die standesherrlichen Behörden. § 31. Die Standesherren üben die nach

V ERFASSUNG VON BAYERN (1818) §§. 26. 27. und 28. ihnen zustehenden Rechte durch ihre Policey-Behörden und respective Herrschafts-Gerichte aus; sie sind befugt, ihre Beamten mit Bericht zu vernehmen und Entschließungen darauf zu ertheilen, welche jedoch nach den Vorschriften und in dem Geiste der allgemeinen LandesGesetze verfaßt seyn müßen. In die Entscheidung der contentiosen Gegenstände, welche zur Competenz ihrer Gerichte gehören, dürfen sie sich nicht einmischen. § 32. Ihre Gerichte stehen in Beziehung auf ihren policeylichen Wirkungskreis in einem gleichen Verhältniße mit den Königlichen Landgerichten. § 33. Diejenigen Standesherren, welche ein geschloßenes Gebiet von 14 bis 20 tausend Seelen besitzen, können – so wie für die Gegenstände der Justiz – auch für die Gegenstände der Policey eine zweyte Instanz in einem für Beyde vereinigten Collegium bilden, welches den Nahmen: „Regierungs- und Justiz-Canzley“ führt. § 34. Diese Regierungs-Canzley verwaltet in dem standesherrlichen Gebiete die Policey in allen Gegenständen, welche zum Wirkungskreise der Königlichen Regierung gehören, und Dieser nicht nach §. 29. besonders vorbehalten sind. § 35. Dieselbe ertheilt den standesherrlichen Unter-Behörden Weisungen, empfängt von ihnen in der Eigenschaft einer unmittelbar vorgesezten Stelle ausschließend Bericht. – Sie führt die Aufsicht auf das untergeordnete Policey-Personal, übt alle Befugniße der Disciplin aus, und verfügt die nöthigen Amts-Untersuchungen. Sie entscheidet als zweyte Instanz in streitigen administrativen Gegenständen, mit Vorbehalt des Recurses an die Königliche StaatsrathsCommission.

§ 36. Der Standesherr kann sich von dieser Canzley in Beziehung auf Policey-Gegenstände Bericht und Antrag erstatten lassen. § 37. In den standesherrlichen Gebieten, in welchen für die Policey ein auf die bemerkte Art angeordnetes Collegium als zweyte Instanz besteht, erläßt die Königliche Regierung ihre Befehle und Weisungen unmittelbar an diese Behörde, welche dieselben sodann durch ihre Unterbehörden vollziehen zu lassen verbunden ist. Die Königliche Regierung darf keine unmittelbaren Befehle den Mediat-Unterbehörden ertheilen, sondern muß diese allezeit an die Mediat-Canzley richten, welche hiernach das Geeignete an die Local-Beamten erläßt, die in der Regel auch nur an die Mediat-Canzley ihre Berichte zu erstatten haben. § 38. In Gegenständen, welche nicht dem unmittelbaren Wirkungs-Kreise der Königlichen Bezirks-Regierung (§. 29.) vorbehalten sind, steht dieser die Aufsicht auf die Policey-Verwaltung der standesherrlichen Regierungs-Kanzley, nicht aber eine unmittelbare Einwirkung zu. In Gemäßheit dieser aufsehenden Gewalt wachet dieselbe über die genaue Beobachtung der Königlichen Gesetze und Verordnungen; der Präsident kann deßhalb von Zeit zu Zeit Visitationen vornehmen. Die wahrgenommenen Gebrechen sind dem Staats-Ministerium des Innern sogleich anzuzeigen; auch ist die Regierung ermächtiget, bey Ueberschreitungen der Königlichen Gesetze in eilenden Fällen Instand zu verfügen, und, wenn sie es nothwendig findet, die den eingetretenen Verhältnissen angemessenen Anordnungen provisorisch zu treffen. § 39. Wenn in einem standesherrlichen Gebiete für die Verwaltung der Policey kein besonderes Collegium als zweyte Instanz

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BAYERN angeordnet ist, so sind die Mediat-Unterbehörden, vorbehaltlich der den Mediat-Herren über dieselben nach §. 31. zustehenden Befugnisse, der Königlichen Regierung unmittelbar untergeben. § 40. Die standesherrlichen Mediat-Collegien berichten an die Königliche Regierung in der vorgeschriebenen Form mit der Unterschrift: „gehorsamste Regierungs- (Justiz-) Canzley“. Die Königliche Regierung erläßt zwar ihre Ausfertigungen in der gegen die untergeordneten Behörden vorgeschriebenen Form in einer befehlenden Schreibart, jedoch soll dabey an die Regierungs-Canzleyen die nach ihrer Stellung denselben gebührende Achtung und Rücksicht gehörig beobachtet werden. § 41. Von allen Ernennungen zu den Policey-Stellen haben die Standesherren der Königlichen Oberpolicey-Behörde des Regierungs-Bezirkes die Anzeige zu machen, damit zugleich die Nachweisung der erstandenen Prüfung und der übrigen erforderlichen Befähigung zu verbinden, und jährlich an dieselbe Ober-Policey-Behörde eine Liste der für die Policey angestellten Beamten und Räthe, mit Bemerkung ihrer Qualification, einzusenden. § 42. Die von den Standesherren ernannten Räthe, Beamten und Subalternen in den Canzleyen werden von den Vorständen dieser Letztern selbst in ihr Amt eingewiesen und verpflichtet.

IV Kirchliche Angelegenheiten § 43. Die in den standesherrlichen Gebieten befindlichen weltlichen und geistlichen Obrigkeiten müssen die in Kirchen-Policey-

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Sachen erlassenen Verordnungen des Souverains vollziehen, und für ihre Beobachtung wachen. § 44. Wo eigene protestantische Consistorien bestehen, oder wo vormals solche bestanden haben, und die Standesherren dieselben wieder herstellen wollen, haben sie die Consistorial-Sachen wie die in den Bezirken angeordneten unmittelbaren Consistorien nach den bestehenden Verordnungen zu verhandeln, und sind, wie diese dem Königlichen General-Consistorium untergeordnet. § 45. Wo keine eigenen Consistorien bestehen, ist für die Consistorial-Sachen das Königliche einschlägige Consistorium die geeignete Behörde. § 46. Die streitigen Consistorial- und Ehegerichts-Sachen werden bey der standesherrlichen Justiz-Canzley verhandelt und entschieden, von welcher die Berufung an das Königliche Ober-Appellations-Gericht gehet. § 47. Die Verwaltung des Kirchen-, Schulen- und milden Stiftungs-Vermögens, bleibt unter der unmittelbaren Leitung und Aufsicht der Mediat-Behörde, jedoch unter genauer Beobachtung der hierüber bestehenden Verordnungen. § 48. Jedem Standesherrn stehet in seinem Gebiete abgesondert von den Episcopal-Rechten, die Ausübung der Patronats-Rechte, wo sie hergebracht sind, zu; über die Qualifikation der Subjecte müssen die Königlichen Gesetze beobachtet werden. Die Installation der Pfarrer geschieht nach erfolgtem Königlichen Posseß-Befehle durch die standesherrliche-Mediat-Behörde.

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V Grundherrliche Rechte und Besteuerung der Standesherren § 49. Den Standesherren verbleiben alle aus ihrem Eigenthums-Rechte herrührenden Einkünfte, Nutzungen und Befugniße, nahmentlich ihre Berg- und Hüttenwerke, Forsten, Flößereyen, Zehenten, Jagden, Fischereyen und Waidgerechtigkeiten; ferner alle aus der Gutsherrlichkeit entspringenden Renten und Nutzungen, als: Zinse, Dienst- und andere Reichniße jeder Art, mit Ausnahme der aus persönlicher Leibeigenschaft herrührenden und gesetzlich aufgehobenem Gefälle. § 50. Es verbleiben ihnen ferner alle Einkünfte und Nutzungen des ihnen Kraft des gegenwärtigen Edicts zukommenden Antheils an der Justiz- und Policey-Verwaltung in ihren Besitzungen, dergestalt jedoch, daß jene Einkünfte und Nutzungen, eben so wie die Ausübung der Gewalt, von welcher sie herrühren, allezeit den Bestimmungen der allgemeinen hierüber Maaß gebenden Gesetze unterworfen bleiben. § 51. Die Standesherren behalten den Bezug der Nachsteuer gegen diejenigen nicht im deutschen Bunde begriffenen Staaten, mit welchen keine Freyzügigkeits-Verträge geschlossen sind. § 52. In Ansehung der sämmtlichen landesherrlichen Gefälle bleibt es bey den Bestimmungen der Declaration vom Jahre 1807, nach den bisher beobachteten Entschädigungs-Normen. Jedoch wird § 53. den Standesherren als Ehren-Vorzug die bisher nur den Mitgliedern des Königlichen Hauses zugestandene Freyheit von allen Personal-Steuern für sie selbst und ihre Familie, wie auch die Befreyung der Schloß-Gebäude, welche sie bewohnen, von der Haussteuer bewilliget. Ihre übrigen Besitzungen insgesammt bleiben zwar

in Folge der bereits im Jahre 1807 vollzogenen Aufhebung aller Steuer-Freyheiten im Königreiche, den sämmtlichen StaatsAuflagen ohne Unterschied und Ausnahme unterworfen; – da jedoch die deutsche Bundes-Acte Art. 14. die Standesherren für die privilegirteste Klasse insbesondere in Ansehung der Besteuerung erklärt hat, so soll ihnen zur Entschädigung für das ihnen hierin zugedachte Vorrecht entweder eine beständige Rente, welche dem dritten Theile des Betrages der ordentlichen Grund-Steuer, Haus-Steuer und Dominical-Steuer von ihren vormals reichsständischen Besitzungen gleichkömmt, bey einem Königlichen Rentamte angewiesen, oder es soll von den Schulden, welche ihnen bey der Abtheilung zugewiesen sind, ein dem mit 20 erhöhten Capital-Stock einer solchen Rente gleichkommender Antheil auf die Staats-Kasse übernommen werden. § 54. Zu allen außerordentlichen Umlagen sowohl auf das ganze Königreich, als auf den Bezirk, in welchem ihre Besitzungen liegen, haben die Standesherren gleichmäßig nach dem allgemeinen Steuerfuße beyzutragen. § 55. Von Gemeinde-Umlagen sind sie rücksichtlich ihrer dermaligen Besitzungen befreyt, woferne sie nicht Vortheile aus dem Gemeinde-Verbande ziehen. § 56. Die in der Königlichen Declaration vom Jahre 1807 den Standesherren eingeräumte Freyheit von Zoll und Weggeld wird bestätiget. Auch ist ihnen gestattet, ihre Natural Producte und Gefälle aus ihren im Auslande gelegenen und an ihre dießseitigen Herrschaften angränzenden Besitzungen mauthfrey einzuführen. § 57. Die Activ-Lehen werden ihnen ferner belassen; jedoch geht in allen streitigen Lehen-Sachen die Appellation von den Justiz-Canzleyen an das Königliche Ober-Appellations-Gericht. Die Ritterdienste kön-

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BAYERN nen nur für den Souverain gefordert werden, alle übrigen Lehengefälle bleiben dem Mediat-Herrn. § 58. Die Standesherren sind befugt, neben einem Collegium für die Justiz und Policey, (§. 33.) auch neben andern Verwaltungs-Beamten ein eigenes Collegium für die Verwaltung ihrer gutsherrlichen Einkünfte, unter dem Nahmen DominicalCanzley anzuordnen. § 59. Alle Mediat-Behörden haben in ihren Ausfertigungen die Vorschriften der Königlichen Stempel-Ordnung zu beobachten.

VI Ausscheidung der Schulden § 60. Die verfassungsmäßig contrahirten Schulden, welche auf den mediatisirten Fürstenthümern, Grafschaften und Herrschaften haften, werden, so fern es noch nicht geschehen ist, zwischen dem Souverain, und den mediatisirten Herren nach Verhältniß der Einkünfte getheilt, welche jener erhält, und diesen verbleiben. Hiernach. a) muß der Stand solcher Schulden vor Allem hergestellt, dann eine genaue Bilance zwischen den Einkünften des einen und andern Theiles gezogen, und nach dem Verhältnisse der reinen Einkünfte die Vertheilung gemacht werden; b) sind alle Gemeinde-Schulden davon zu sondern, und den Gemeinden, welche sie treffen, zuzuweisen; c) auch bleiben dem Standesherrn seine persönliche Schulden zur Last.

VII Verhältnisse der standesherrlichen Diener § 61. Den Standesherren wird gestattet,

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ihren bey den Mediat-Canzleyen angestellten Räthen und Beysitzern die geeigneten Titel, als: Vorstand, Director, Räthe, zu geben. Wenn dieselben ihren Dienern zur Belohnung lange geleisteter Dienste einen höhern Titel verleihen wollen, muß hiezu die Königliche Bewilligung nachgesucht werden. § 62. Die Verpflichtung der Mediat-Beamten soll mit dem Dienst-Eide für den Standesherrn auch die Huldigung gegen den Souverain verbinden, und das Protocoll darüber muß an das einschlägige Staats-Ministerium eingesendet werden. § 63. In allen administrativen Angelegenheiten, rücksichtlich welcher dem Standesherrn ein Einfluß auf die Verwaltung eingeräumt ist, hat derselbe das Recht, seine Räthe und Gerichts-Beamten zur Befolgung seiner Aufträge, für welche er zu haften hat, und zwar nöthigen Falls auch durch Geld-Strafen anzuhalten, und er ist für den aus den Amts-Handlungen seiner Beamten entstehenden Schaden in eben dem Maaße verbindlich, wie der Königliche Fiscus in Ansehung der Amts-Handlungen der unmittelbaren Beamten. § 64. Die standesherrlichen Justiz- und Policey-Räthe und Beamten stehen mit den Königlichen Staatsdienern in nämlichen Dienst-Verhältnissen; sie haben demnach mit denselben gleichen Gerichts Stand, und zwar im standesherrlichen Gerichts Bezirke, wenn daselbst eine für die Privilegirten geeignete Gerichts-Stelle besteht; auch unterliegen sie gleichen Gesetzen in Beziehung auf Entlassung und Entsetzung; – ihre Heiraths-Bewilligungen hängen von dem Standesherrn ab, welcher auch die ReiseBewilligungen ertheilet, mit Beobachtung der erforderlichen provisorischen Amts-Bestellung.

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VIII Allgemeine Bestimmungen § 65. In allen durch gegenwärtige Verordnung nicht abgeänderten Bestimmungen bleibt es bey der Königlichen Declaration vom 19. März 1807. München den 26. May 1818. (L. S.) Zur Beglaubigung: Egid von Kobell, Königl. Staatsrath und General-Secretaire.

Edict über den Adel im Königreiche Baiern49 Fünfte Beylage zu der VerfassungsUrkunde des Reichs Tit. V. §. 4.

TITEL I Von Erlangung des Adels § 1. Der Adel wird durch eheliche Abstammung von einem adelichen Vater ererbt, oder durch Königliche Verleihung erworben. § 2. Die durch nachfolgende Ehe Legitimirten werden den ehelich Gebohrnen gleich geachtet. Durch Legitimation mittelst Königlichen Rescripts, durch Adoption, oder irgend einen andern Privat-Act kann der Adel nur mit ausdrücklicher Königlicher Bewilligung übertragen werden, welche dann für eine neue Verleihung gilt. Soll der Legitimirte, der Adoptirte, den Besitz der adelichen Titel und Wappen der Familie desjenigen, von welchem er sein Recht ableitet, erlangen, so ist überdieß die Einwilligung der Agnaten erforderlich.

§ 3. Die Verleihung geschieht durch Adelsbriefe. Die Gesuche um einen Adelsbrief müssen mit den Angaben und Bescheinigungen der Personal-Verhältnisse, der Verdienste des Bittstellers und seiner Familie um den Staat und eines zum standesmäßigen Auskommen hinlänglichen Vermögens versehen seyn. Sie werden bey dem StaatsMinisterium des Königlichen Hauses eingereicht, und durch dasselbe dem Könige vorgelegt. Erfolgt die Königliche Genehmigung, so wird der Adelsbrief mit Beschreibung des bewilligten Titels und Wappens in vorgeschriebener Form und gegen die verordnungsmäßige Taxe ausgefertigt, und die Verleihung des Adels durch das Allgemeine Intelligenz-Blatt des Reichs bekannt gemacht. § 4. Dasselbe gilt von Erhebungen auf eine höhere Adelsstufe. § 5. Die Ertheilung des Militaire- oder Civil-Verdienst-Ordens an Inländer schließt die Verleihung des Adels in sich. Dieser Adel beschränkt sich für die Zukunft nur auf die Person des Begnadigten. Ein Ordens-Mitglied, dessen Vater und Großvater sich ebenfalls diese Auszeichnung des Verdienstes erworben hatten, hat Anspruch auf taxfreye Verleihung des erblichen Adels. § 6. Der Baierische Adel hat fünf Grade: 1) Fürsten, 2) Grafen, 3) Freyherren, 4) Ritter, 5) Adeliche mit dem Prädicate: „von.“ Zu der Ritter-Classe gehören alle mit einem Verdienst-Orden begnadigten Inländer, welche nicht vorher schon einer höhern Adels-Classe einverleibt waren. Um zu einer höhern Adelsstufe zu gelangen, wird der vorherige Besitz der untern erfordert. Ausnahmen können jedoch aus besonderer Gnade des Königs statt finden.

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BAYERN § 7. Die über den Adelsstand vorkommenden Rechtsstreite werden bey den Appellations-Gerichten, unter welchen der Adels-Prätendent steht, verhandelt, und mit Vorbehalt der Berufung an das Königliche Ober-Appellations-Gericht entschieden.

TITEL II Von den Auszeichnungen und Rechten des Adels § 8. Ein Baierischer Unterthan kann nur dann, wann dessen Adels-Titel in der angeordneten Adels-Matrikel eingetragen ist, die dem Adel im Königreiche Baiern zustehenden Rechte ausüben. Beglaubigte Auszüge aus der Adels-Matrikel geben vollkommenen Beweis für den Adelsstand einer immatriculirten Familie. § 9. Alle nach §§. 1 – 5. berechtigten Mitglieder einer immatriculirten adelichen Familie haben die Befugniß, sich der in den eingetragenen Diplomen bezeichneten Titel und Wappen zu bedienen. Anmaßungen nicht gebührender Titel und Wappen können sowohl von den bestellten Kron-Fiscalen, als den Mitgliedern der betheiligten Familie, entweder zur unmittelbaren Abstellung dem Staats-Ministerium des Königlichen Hauses angezeigt, oder nach Umständen gerichtlich verfolgt werden. § 10. Die Adelichen haben das Recht der Siegelmäßigkeit nach den nähern Bestimmungen des hierüber erlassenen Edicts. § 11. Die Adelichen genießen einen von der Gerichtsbarkeit der Landgerichte befreyten Gerichtsstand in bürgerlichen und peinlichen Fällen, und zwar die erblichen Reichsräthe vor den Appellations-Gerichten desjeniges Kreises, in welchem sie ihren Wohnort haben, oder wo ihre Besitzungen liegen, in erster – und vor dem Königli-

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chen Ober-Appellations-Gerichte in zweyter und letzter Instanz; die übrigen Adelichen aber vor den Kreis- und Stadt-Gerichten des Kreises, in welchem sie wohnen oder begütert sind, in erster Instanz, mit Vorbehalt der übrigen ordentlichen Instanzen. Eine besondere Verordnung wird den Gerichts-Sprengel jedes Kreis- und Stadt-Gerichts in dieser Hinsicht, da, wo mehrere sich in einem Kreise befinden, festsetzen. Der befreyte Gerichtsstand der Adelichen beschränkt sich für dingliche Klagen auf solche Grundstücke, welche zu einem Guts-Complexe gehören, worauf ihnen nach dem Edicte über die gutsherrliche Gerichtsbarkeit, eine solche zustehet. § 12. Die Adelichen, außer den in der deutschen Bundes-Acte enthaltenen Ausnahmen, unterliegen zwar der allgemeinen Militaire-Pflichtigkeit nach den bestehenden Conscriptions-Gesetzen; jedoch sollen die Söhne des Adels, welche das Los zur Einreihung trifft, als Cadetten eintreten. § 13. Nur zum Besten adelicher Personen und Familien können Familien-FideiCommisse nach den Vorschriften des Edictes über die Familien-Fidei-Commisse errichtet werden. § 14. Den Adelichen kömmt ausschließend das Recht zu, eine gutsherrliche Gerichtsbarkeit ausüben zu können. In wie fern, und unter welchen Beschränkungen eine solche Gerichtsbarkeit von denselben besessen werden kann, verordnet das Edict über die gutsherrliche Gerichtsbarkeit. § 15. Den Antheil der adelichen Grundbesitzer an der Reichsstandschaft bestimmt die Verfassungs-Urkunde. § 16. Ueber die grundherrlichen Rechte des Adels enthalten die einschlagenden Edicte die nähern Bestimmungen.

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TITEL III Von dem Verluste des Adels § 17. Mit jeder Verurtheilung in eine Criminal-Strafe ist der Verlust des Adels verbunden. Eine Strafe wegen solcher Vergehen, welche das Straf-Gesetzbuch als unverträglich mit der Adels-Würde benennt, hat die nämliche, in dem Erkenntniß jedesmal auszudrückende Folge. Dieselbe trifft nur die Person des Verurtheilten, und ist selbst für dessen Kinder unnachtheilig. § 18. Auf den Adel kann freywillig verzichtet werden. Von einem solchen ausdrücklichen Verzichte muß jedoch dem Könige durch das Staats-Ministerium des Königlichen Hauses die förmliche Anzeige geschehen. Der Verzicht ist ohne Nachtheil für die bereits gebohrnen Kinder des Verzichtenden, und noch mehr für andere Mitgieder der Familie. § 19. Durch bloßen Nichtgebrauch erlischt das Recht auf einen immatriculirten Adels-Titel nicht, weder für den Nichtgebrauchenden, noch für die Nachkommenschaft. § 20. Ein durch wenigstens zwey Generationen fortdauernder Nichtgebrauch verbindet jedoch die nachfolgenden Abkömmlinge einer immatriculirten adelichen Familie, um Erneuerung des Adels, unter Vorlegung der Beweise ihrer Abstammung in der oben §. 3. bey Nachsuchung eines neuen Adels vorgeschriebenen Art einzukommen. Die Erneuerung, welche unter dieser Voraussetzung nicht verweigert werden kann, wird sodann in der Adels-Matrikel bey der bereits immatriculirten Familie vorgemerkt,

und im Falle, das der frühere Adelsbrief verloren gegangen, ein neuer, sonst nur ein Zeugniß über die geschehene Erneuerung ausgefertigt. § 21. Suspendirt wird der Gebrauch des Adels-Titels durch die Uebernahme niederer, bloß in Handarbeit bestehender Lohndienste, durch die Ausübung eines Gewerbes bey offenem Kram und Laden, oder eines eigentlichen Handwerkes. Diese Verfügung dehnt sich jedoch nicht über die Dauer jener Suspensions-Gründe, noch auf die Kinder aus, welche sich nicht in gleichem Falle befinden. § 22. Der Verlust oder die Suspension des Adels hat die Einziehung der gutsherrlichen Gerichtsbarkeit, so lange der Verlustigte lebt, oder die Suspension dauert, zur rechtlichen Folge. München den 26. May 1818. (L.S.) Zur Beglaubigung: Egid von Kobell, Königlicher Staatsrath und General-Secretaire.

Edict über die gutsherrlichen Rechte und die gutsherrliche Gerichtsbarkeit50 Sechste Beylage zu der VerfassungsUrkunde des Königreichs Baiern Tit. V. §. 4. Nr. 1. § 1. Jedem Guts-Eigenthümer sind durch die Verfassungs-Urkunde des Reichs, Titel V. §. 4. seine gutsherrlichen Rechte, nach den gesetzlichen Bestimmungen gesichert.

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ERSTER ABSCHNITT Von den gutsherrlichen Rechten

Titel I Von den Rechten der Gutsherren, welche sich auf das Eigenthum beziehen

A Volles Eigenthum § 2. Die Gutsherren haben sich in denjenigen Fällen und Geschäften, welche das Eigenthum ihrer Güter, und dessen Erhaltung, Benützung, Verbesserung, Veräußerung, oder Verschreibung an Dritte betreffen, nach den bürgerlichen Gesetzen zu achten. § 3. Bey der Ausübung ihrer EigenthumsRechte, und insbesondere der Fischerey, des Jagd-, Forst- und Berg-Rechtes sind sie verbunden, die hierüber bestehenden Verordnungen und Polizey-Gesetze zu beobachten, und den Bestimmungen der etwa erforderlichen landesherrlichen Concessionen nachzukommen.

B Getheiltes Eigenthum § 4. Die Colonar- oder ähnliche grundherrliche Verträge, welche von den Gutsherren über die Anbauung und Benutzung ihrer eigenthümlichen Gründe, in einer von den bürgerlichen Gesetzen anerkannten Form geschlossen worden sind, verbleiben in ihrer Wirksamkeit. § 5. Diese Verträge, sie mögen noch in der Form ihrer ersten Errichtung bestehen, bereits einige Abänderungen erhalten haben, oder künftig erst errichtet werden, unterliegen folgenden Bestimmungen. § 6. Alle in grundherrlichen Verträgen constituirten ständigen, und nicht ständigen

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Renten und Lasten sind nach dem Einverständniß der Betheiligten ablösbar. § 7. Diese Ablösbarkeit erstreckt sich in gleicher Art auch auf die Bodenzinse und das Zehentrecht, welches den Zehentberechtigten nach den an jedem Orte üblichen Gesetzen und Gewohnheiten, oder nach den bestehenden Verträgen bis zur Ablösung verbleibt. § 8. Die ungemessene Scharwerk (Frohne) soll durchgehends in gemessene oder bestimmte Dienste verwandelt werden, ohne daß auf die Verwandlung ein Entschädigungs-Gesuch begründet werden kann, und ohne die in der Verfassungs-Urkunde Titel IV. §. 7. festgesetzte Ablösbarkeit aufzuheben. § 9. Für die abgelösten Renten, Rechte oder Lasten muß bey Fideicommissen ein Surrogat nach den Vorschriften des Edicts über die Familien-Fideicommisse hergestellt werden. § 10. In keinem Veränderungsfalle, derselbe betreffe viele oder weniger Theilnehmer, kann mehr als ein doppeltes Handlohn (Laudemium) berechnet, oder mehr als ein doppelter Leib angesetzt werden. Das Quantum richtet sich nach den Saal- und LagerBüchern, und nach den Local-Statuten. § 11. Vieh und Fahrniß (fahrende Habe) so wie baares Geld dürfen bey der Schätzung zur Behandlung des Handlohns oder des Leibfalles nicht angeschlagen; auch darf das Handlohn vom Werthe der Häuser, wo es herkömmlich ist, nicht erhöht, wo es aber nicht hergebracht war, darf es gar nicht angesetzt werden. § 12. Von dem Austrage, Alttheil, Gutsabtrage, oder von Abfindungen in Geld ein Handlohn oder einen Leibfall besonders anzusetzen, ist nicht gestattet.

V ERFASSUNG VON BAYERN (1818) § 13. Die Kosten der Schätzung bey Laudemial- und Leibfällen bezahlt derjenige, der sie fordert. § 14. Rückstands-Zinsen, oder die Forderung eines höhern Betrages wegen Rückstandes gutsherrlicher Gaben, finden in keinem Falle statt; und eben so wenig ist es zuläßig, rückständige Leistungen in ein verzinsliches Capital zu verwandeln, und dafür Schuld-Urkunden zu errichten. § 15. Grundherrliche Forderungen an Stiften und Gilten, oder an andern jährlichen Leistungen richten sich nach den allgemeinen Gesetzen über die Verjährung jährlicher Renten. § 16. Die Gutsheimfälligkeit aus Strafe (Caducität) bleibt aufgehoben. § 17. Bey dem Abzuge vom Gute muß dem Grundholden der Gutswerth, nach Abrechung der darauf haftenden Forderungen, und nach öffentlicher Versteigerung an den Meistbietenden, vergütet werden. § 18. In Fällen, wo sonst die Caducität statt gehabt hat, kann der Gutsherr, wenn er durch die hierzu veranlassenden Handlungen beschädigt worden ist, auf SchadensErsatz klagen. § 19. Das grundherrliche EinstandsRecht bleibt abgeschafft. § 20. Klagen gutsherrlicher Hintersassen gegen ihre Gutsherrn wegen unbefugter oder übermäßiger gutsherrlicher Forderungen, werden bey dem Gerichtsstande des Gutsherrn angebracht.

Titel II Von einigen besondern Rechten der Gutsherren § 21. Die Errichtung neuer Schulen steht den Gutsherren, in soferne das Bedürfniß

hierzu aus dem allgemeinen Schul-Organismus hervorgeht, mit Bewilligung der OberSchulbehörde zu. Schon bestehende gutsherrliche Schulen können ohne eben diese Bewilligung weder unterdrückt noch versetzt werden. Den Gutsherren bleibt die Anstellung der Schullehrer, wo sie dieselbe hergebracht haben, vorbehalten, mit der Beschränkung, daß der ernannte Candidat der betreffenden Behörde präsentirt werden muß, welche untersucht: ob derselbe die in der SchulOrdnung vorgeschriebenen Eigenschaften besitze? und nach dem Erfolg dieser Untersuchung entweder die Bestätigung ertheilt, oder dem Gutsherrn aufträgt, einen tauglichen Bewerber zu stellen. § 22. Eben so verbleiben den Gutsherren die Patronats-Rechte, in deren Besitz sie sich befinden, mit Beobachtung der hierüber, und insbesondere über die Prüfung und Würdigkeit der geistlichen Candidaten bestehenden Verordnungen. § 23. Das Installations-Recht kann von denjenigen Gutsbesitzern, welchen es bisher zuständig gewesen ist, nur im Nahmen des Königs, auf den hierzu erhaltenen Possessions-Befehl ausgeübt werden. § 24. Gutsbesitzer, welche als KirchenPatrone gewisse Ehren-Rechte hergebracht haben, werden hierin bestätigt.

ZWEYTER ABSCHNITT Von der gutsherrlichen Gerichtsbarkeit

Titel I Von den Vorbedingungen zur Ausübung der gutsherrlichen Gerichtsbarkeit § 25. Die gutsherrliche Gerichtsbarkeit kann nur von der Quelle aller Gerichtsbarkeit im Reiche, dem Souverain, ausgehen,

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BAYERN und wird nur aus dessen besonderer Ermächtigung, unter der Oberaufsicht Seiner Stellen ausgeübt. § 26. Nach der Verfassungs-Urkunde des Reichs, Titel V. §. 4. Nro. 1., und nach dem Edict über den Adel §. 14. kömmt den Adelichen ausschließend das Recht zu, eine gutsherrliche Gerichtsbarkeit ausüben zu können. § 27. Auf keinem Gutsbezirke kann das Recht der gutsherrlichen Gerichtsbarkeit Platz greifen, wo dasselbe nicht schon in dem Jahre 1806 hierauf begründet, und eine Patrimonial-Gerichtsbarkeit daselbst hergebracht war. § 28. Allenthalben ist die gutsherrliche Gerichtsbarkeit auf die eigenen Grundholden des Gutsherrn beschränkt, und darf in der Regel auf Grundholden des Königs oder anderer Grundherren, so wie auf die Besitzer freyeigener Güter nicht ausgedehnt seyn, noch jemals ausgedehnt werden. Ausnahmsweise kann sie sich jedoch auch auf jene Grundholden der Kirchen und Stiftungen, so wie anderer Privat-Personen und auf jene Besitzer freyeigener Güter erstrecken, worüber der Gutsherr schon im Jahre 1806 die Gerichtsbarkeit mit einem dinglichen Rechte in Besitz gehabt hat. Indessen kann ein Gutsherr zur Wiederherstellung einer seit dem Jahre 1806 aufgelösten Patrimonial-Gerichtsbarkeit, mit vorgängig einzuhohlender besonderen Königlichen Bewilligung, die Gerichtsbarkeit über Grundholden anderer adelicher Gutsbesitzer, aber nur dann erwerben, wenn zugleich die grundherrlichen Rechte wechselseitig übergehen, mithin Grundholden gegen Grundholden getauscht werden, und jeder der beyden tauschenden Theile die Gerichtsbarkeit über die vertauschten Gutsunterthanen in dem Jahre 1806 bereits ausgeübt hatte.

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Sollte in der Folge der Zeit wegen eines entschiedenen Vortheils für die Staats-Verwaltung ein Austausch von Grundholden zwischen dem Staate und einem adelichen Gutsbesitzer statt finden, so kann zwar die Gerichtsbarkeit über die eingetauschten Königlichen Grundholden auf den adelichen Gutsbesitzer übergehen; jedoch wird der König in solchen außerordentlichen Fällen zuvor auch die betheiligten landgerichtlichen Hintersassen mit ihren allenfallsigen Erinnerungen vernehmen lassen, und dieselben gehörig würdigen. § 29. Uebrigens ist außer dem Falle des §. 32. nicht erforderlich, daß die Besitzungen, über welche ein Gutsherr in Gemäßheit der Bestimmungen §§. 25 – 28. eine Gerichtsbarkeit ausüben will, zusammenhängend und geschlossen seyen; die Gerichtsbarkeit darf jedoch über keine Grundholden ausgeübt werden, welche weiter als 4 Stunden von dem Sitze des Gerichts entfernt sind. § 30. Die Gerichte, durch welche die Ausübung der gutsherrlichen Gerichtsbarkeit geschehen soll, müssen überall und zu jeder Zeit auf die in den §§. 42 – 50. bezeichnete Weise bestellt seyn, und insbesondere müssen unausweichlich, und ohne alle Ausnahme diejenigen Vorschriften beobachtet werden, welche sich auf die Stand- und Dienst-Verhältnisse der Herrschafts- und Patrimonial-Richter (§. 54.) beziehen. Wenn der Gutsbesitzer ein ihm zuständiges Gericht, bey eingetretener Erledigung, mit einem gutsherrlichen Beamten zu besetzen längere Zeit unterläßt, und der von der obern Kreisbehörde erlassenen Aufforderung zur Besetzung binnen einem Termin von drey Monaten nicht Folge leistet, ohne dafür hinlängliche Entschuldigungs-Gründe anführen zu können, so wird der abgängige Beamte für diesen Fall von der KreisRegierung aufgestellt.

V ERFASSUNG VON BAYERN (1818)

Titel II Von den verschiedenen Arten der gutsherrlichen Gerichte § 31. Die gutsherrliche Gerichtsbarkeit wird ausgeübt, entweder durch HerrschaftsGerichte, oder durch Patrimonial-Gerichte, welche letztere sich in zwey Classen theilen, je nachdem dieselben entweder mit der streitigen und freywilligen Gerichtsbarkeit zugleich, oder nur mit der freywilligen Gerichtsbarkeit allein bekleidet sind. § 32. Ueber die Herrschafts-Gerichte der vormals reichsständischen Fürsten, Grafen und Herren ist der künftige Rechtszustand bereits in dem dießfalls erlassenen besondern Edicte festgesetzt. Herrschafts-Gerichte anderer Gutsbesitzer, welche unter dieser Bezeichnung schon in dem Jahre 1806 bestanden, bestehen auch künftig fort, oder können in den vorigen Stand wieder hergestellt werden, jedoch in jedem Falle ohne Blutbann, und nur dann, wenn sie ein geschlossenes Gebiet in dem Sinne bilden, daß darin früher keine fremde Gerichtsbarkeit ausgeübt worden, und wenn sie zugleich eine Zahl von wenigstens 300 Familien in sich fassen. § 33. Die nach den neuern Vorschriften des Edicts über die gutsherrliche Gerichtsbarkeit vom 16. August 1812 gebildeten, und bereits bestätigten und ausgeschriebenen Herrschafts-Gerichte können, in sofern sie sich auf ein schon in dem Jahre 1806 im Bezirk derselben bestandenes Patrimonial-Gericht gründen, nach den Bedingungen des §. 32. zwar fortdauern, jedoch mit Einziehung der ihnen zu deren Erweiterung zu Lehen verliehenen Gerichtsbarkeit über Königliche Gerichts-Unterthanen. Diejenigen Gerichte dieser Gattung, welchen ursprünglich keine Patrimonial-Gerichtsbarkeit zum Grunde liegt, sondern welche sich bloß durch Infeudation oder sonst erworbene Gerichtsbarkeit über Königliche Ge-

richts-Unterthanen gebildet haben, können ferner nicht mehr bestehen; vorbehaltlich der Entschädigung, mit Rücksicht auf das verordnungsmäßig zum ordentlichen Dienst aufgestellte Personal, und auf andere erweisliche Kosten, wenn in Folge der gegenwärtigen Anordnung, ein seit 1812 errichtetes Herrschafts-Gericht als solches nicht mehr bestehen kann. § 34. Herrschafts-Gerichte, welche mittelst Anweisung eines ganzen Güter-Complexes, unmittelbar aus einer Königlichen Dotation oder in Folge abgeschlossener Staats-Verträge mit Ueberlassung der Gerichtsbarkeit, und der grundherrlichen Gefälle entstanden sind, bestehen nach der über die Dotation ursprünglich ertheilten Urkunde, und respective nach dem Inhalte des Staats-Vertrages, fort. § 35. Patrimonial-Gerichte bilden sich: a) aus denjenigen Herrschafts-Gerichten, welche diese ihre Eigenschaft nach den Bestimmungen der §§. 32. und 33. verlieren, in deren Bezirken jedoch im Jahre 1806 die Patrimonial Gerichtsbarkeit ausgeübt worden ist, die von dem Inhaber wieder hergestellt werden kann; b) aus den bereits bestätigten und ausgeschriebenen Ortsgerichten, in sofern deren Bildung sich gleichfalls auf ein früher daselbst bestandenes Patrimonial-Gericht gründet; c) aus den übrigen schon in dem Jahre 1806 bestandenen Patrimonial Gerichten, wenn sie auch bisher noch nicht in Orts- oder Herrschafts-Gerichte umgebildet wurden, in so ferne dieselben nach den Bestimmungen des gegenwärtigen Edictes wieder als Patrimonial-Gerichte hergestellt werden. Die Besitzer der vorbenannten Gerichte erlangen über ihre Gerichtssassen neben der freywilligen auch die niedere streitige Gerichtsbarkeit, wenn und wie sie dieselbe früher gehabt haben; stets nach Inhalt des

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BAYERN §. 28. und unter der Voraussetzung, daß alle hierzu sonst noch erforderlichen Bedingungen erfüllt seyen. Ueber die bemerkten Gerichtssassen bleibt ihnen die freywillige Gerichtsbarkeit auch für den Fall, wenn sie die vorgeschriebenen Bedingungen zu Ausübung der streitigen Gerichtsbarkeit nicht erfüllen können oder wollen. § 36. Wenn zur Errichtung der nach §§. 32–35. fortbestehenden Herrschaftsund Patrimonial-Gerichte ein Austausch Königlicher Unterthanen in der Art geschehen ist, daß mit demselben zugleich der Austausch der grundherrlichen Rechte verbunden wurde, so verbleiben beyde dem Guts- und Grundherrn in seinem Gerichtsbezirke, so fern nicht über wechselseitige Zurückgabe und Zurücknahme ein freywilliges Uebereinkommen getroffen werden will. § 37. Wenn aber ein Austausch solcher Königlicher Unterthanen geschehen ist, welche nicht zugleich Grundholden des Guts- und Gerichtsherrn geworden sind, dieser folglich blos die Gerichtsbarkeit über dieselben ohne die grundherrlichen Rechte erworben hat; so kann er diese Gerichtsbarkeit nicht behalten, sondern sie fällt an die Königlichen Gerichte zurück. Dagegen fallen auch an den Gutsherrn die Unterthanen zurück, welche er seiner Seits in den Tausch gegeben hat, mit allen Rechten, welche er nach dem gegenwärtigen Edicte ausüben kann. § 38. Eben so fällt die Gerichtsbarkeit über fremde Grundholden, welche ein adelicher Gutsbesitzer durch Tausch oder Kauf erworben hat, in der Art zurück, daß a) bey einem Tausche, wenn derselbe auch durch verschiedene Personen gegangen, die Gerichtsbarkeit an den Gutsherrn, welcher dieselbe schon im Jahre 1806 besessen, ohne weitere Entschädigung zurück

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geht; b) bey dem Kaufe der ursprüngliche Kaufschilling von dem ersten Besitzer dem dermaligen Inhaber vergütet werden muß, welcher jedoch, so fern er erweislich mehr dafür ausgelegt hat, die weitere Entschädigung vom Staate erhält. c) Dieselbe Auflösung und Rückkehr der Gerichtsbarkeit an den ursprünglichen Guts- respective Gerichts-Herrn findet auch in dem Falle statt, wo die Gerichtsbarkeit theils mittelst Tausches und theils mittelst Kaufes durch mehrere Zwischen-Personen an einen dritten Inhaber gekommen ist. § 39. Wenn bey dem Aufhören der erkauften Gerichtsbarkeit der ursprüngliche Inhaber derselben sie nicht mehr ausüben, daher auch nicht wieder einlösen will, so ersetzt der Staat dem gegenwärtigen Inhaber die erweisliche Kaufs-Summe nebst den auf die Errichtung des aufgelösten Gerichts erlaufenen Kosten, und übernimmt dagegen die Gerichtsbarkeit. § 40. Alle Gutsherren sind gehalten, längstens bis zum 1. Januar 1820 ihre Angelegenheiten in Bezug auf die gutsherrliche Gerichtsbarkeit dergestalt zu berichtigen, daß sie bis dahin die Erklärung abgeben: ob – wo – und wie sie, den Gesetzen gemäß, ihre gutsherrlichen Gerichte behalten, oder wieder herstellen wollen? Diese Erklärung ist bey den Kreis-Regierungen, und zwar, wenn wirklich Herrschafts- oder Patrimonial-Gerichte gebildet und besessen werden wollen, mit Beyfügung der Plane und Beschreibungen, so wie der nöthigen Nachweisungen und Belege der gesetzlichen Erfordernisse, zu überreichen, wo sodann die Prüfung erfolgt, und die Königliche Genehmigung erhohlt wird. § 41. Nach Vollendung dieser Vorarbeiten werden die gutsherrlichen Gerichte jeder Art in das amtliche Verzeichniß sämmt-

V ERFASSUNG VON BAYERN (1818) licher Gerichts-Bezirke des Reichs aufgenommen, und öffentlich bekannt gemacht.

Titel III Von der Bestellung der gutsherrlichen Gerichte § 42. Die Herrschafts-Gerichte werden mit einem Herrschafts-Richter und einem Actuar, die Patrimonial-Gerichte aber mit einem Patrimonial-Gerichtshalter besetzt. Bey den Patrimonial-Gerichten kann die Stelle des Actuars durch einen mittelst Handgelübdes verpflichteten Schreiber ersetzt werden.

Gerichte aushülfsweise einem Land- oder Herrschafts-Gerichte gegen volle Ueberlassung der Taxen und Sporteln übertragen. Eine solche Uebertragung kann aber nur nach Genehmigung der Kreis-Regierung und des Appellations-Gerichts erfolgen, und in keinem Falle über zwey Jahre währen. § 46. Die persönliche Qualification der Beamten bey den Herrschafts- und Patrimonial-Gerichten wird durch die Regierung und das Appellations-Gericht des Kreises gemeinschaftlich untersucht, und beyde Stellen ertheilen entweder die Bestätigung, oder fordern den Gutsherrn zur Ernennung eines andern tauglichen Beamten auf.

§ 43. Die Beamten der Herrschafts-Gerichte können nur bey Einem Gerichte angestellt seyn, und bey andern gutsherrlichen Gerichten die Functionen eines abgängigen Beamten nur in dringenden Fällen provisorisch übernehmen. Diese provisorische Uebernahme muß aber bey den Kreis-Regierungen und Appellations-Gerichten angezeigt werden, mit deren Genehmigung jene gutsherrlichen Beamten für die obigen Fälle auch vorläufig substituirt werden können.

§ 47. Um bey den Herrschafts- oder bey den mit der streitigen Gerichtsbarkeit bekleideten Patrimonial-Gerichten Iter Classe angestellt werden zu können, müssen die ernannten Individuen alle Eigenschaften nachweisen, welche in gleicher Art zur Anstellung bey den unmittelbaren Königlichen Landgerichten erfordert werden. Bey der Auswahl ist jedoch der Gutsherr an die Classen-Reihe der für den Staatsdienst geprüften Rechts-Candidaten nicht gebunden.

§ 44. Eine solche Substitution ist auch bey den Patrimonial-Gerichten zuläßig; jedoch darf ein und der nämliche PatrimonialGerichtshalter bey mehreren PatrimonialGerichten aufgestellt werden; er darf aber nicht über 4 Stunden von den entlegensten Gerichts-Hintersassen entfernt wohnen; auch soll der Sitz des Amts an einem ein für allemal bestimmten Orte seyn.

§ 48. Die Bewerber um Anstellung bey Patrimonial-Gerichten IIter Classe, welchen nämlich blos die freywillige, nicht aber zugleich die streitige Gerichtsbarkeit zusteht, müssen wenigstens die Gymnasial-Studien und eine gerichtliche Praxis von drey Jahren nachweisen, und in der Prüfung über ihre Kenntnisse das Zeugniß einer hinlänglichen Fähigkeit erlangen.

§ 45. Die Verwaltung eines HerrschaftsGerichts kann einem Königlichen Landgerichte nicht übertragen werden. Bey Patrimonial-Gerichten wird jedoch den Gutsherren gestattet, daß, wenn der aufzustellende Gerichtshalter durch Krankheit oder andere Verhinderungs-Ursachen die Gerichtsbarkeit zu verwalten außer Stand seyn sollte, sie die Verwaltung ihrer Patrimonial-

§ 49. Advocaten können nicht zugleich Herrschafts-Richter oder Patrimonial-Gerichtshalter seyn, sondern müssen bey der Annahme eines solchen Amtes ihre Anwaltschaft niederlegen. § 50. Der Gutsherr kann zwar bey dem Herrschafts- oder Patrimonial Gerichte an seinem Wohnorte das Richteramt selbst

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BAYERN übernehmen; jedoch muß er sich der Nachweisung und Prüfung seiner Kenntnisse, gleich andern Bewerbern, unterwerfen, und eine Ausnahme findet nur dann statt, wenn etwa seine Tauglichkeit durch seine vorherigen Dienste im Staate außer Zweifel gesetzt ist.

Titel IV Von den Dienstverhältnissen der gutsherrlichen Beamten § 51. Die Herrschafts-Richter und diejenigen Patrimonial-Richter, welche zugleich die streitige Gerichtsbarkeit auszuüben haben, so wie diejenigen Gutsherren, welche die gutsherrliche Gerichtsbarkeit persönlich verwalten (§. 50.), werden von der vorgesetzten Kreis-Regierung unmittelbar, solche Patrimonial-Gerichtshalter aber, welche blos auf die freywillige Gerichtsbarkeit beschränkt sind, aus Auftrag der Kreis-Regierung von dem betreffenden Landgerichte verpflichtet. § 52. Alle gutsherrlichen Gerichts-Beamten leisten bey ihrer Anstellung und Verpflichtung auch den für die unmittelbaren Königlichen Beamten vorgeschriebenen Eid nach Maaßgabe der Verfassungs Urkunde Titel X. §. 3. – Der Gutsherr kann sich von seinen Beamten einen besonderen Eid darüber leisten lassen, daß dieselben alle diejenigen Verpflichtungen beobachten werden, welche ihnen das gegenwärtige Edict und die Gesetze des Reichs gegen ihre Gutsherrn auflegen. § 53. In Beziehung auf den Gerichtsstand sind die Herrschafts-Richter, und diejenigen Patrimonial Gerichtshalter, welche mit den Functionen der streitigen Gerichtsbarkeit bekleidet sind, den Landrichtern gleichgestellt. Die Actuare und diejenigen Patrimonial-Beamten aber, welche blos die freiwillige Gerichtsbarkeit ausüben, haben ihren Gerichtsstand bey den Landgerichten;

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ist aber ihr Wohnsitz nicht in dem nämlichen Landgerichte, in welchem das von ihnen verwaltete Patrimonial-Gericht liegt, so sind sie dem ordentlichen Gerichte des Wohnorts unterworfen. § 54. Die Bestimmungen des Edicts über die Verhältniße der Staatsdiener vorzüglich in Beziehung auf ihren Stand und Gehalt, sind auch bey demjenigen Personal der Herrschafts-Gerichte, so wie der Patrimonial-Gerichte erster Classe anwendbar, welches mit den Functionen des Richteramtes bekleidet ist. Dasselbe muß daher rücksichtlich der Besoldung, der definitiven Anstellung, der Entsetzung oder Entlassung, und der Versetzung in den Ruhestand, so wie der Pension für Wittwen und Kinder, welche der Gutsherr zu übernehmen hat, ganz nach dem Inhalte jenes Edicts behandelt werden. Die Bestallungen der Beamten sind jedesmal mit dem Gesuche um die Bestätigung vorzulegen. Den Herrschafts-Richtern soll ein fixer Geldgehalt von wenigstens 800 fl. jährlich, und den Patrimonial-Gerichtshaltern, welche die streitige Gerichtsbarkeit ausüben, ein solcher Gehalt von wenigstens 600 fl. ausgeworfen werden. § 55. Den Patrimonial-Gerichtsherren ist gestattet, mit der Stelle eines PatrimonialRichters zugleich jene eines Verwalters zu vereinigen, und beyde Stellen einem und dem nämlichen Individuum zu übertragen, jedoch muß dasselbe die zur Bekleidung eines Richteramtes gesetzlich vorgeschriebenen Eigenschaften besitzen, und demselben müssen als Richter, wenn ihm die Geschäfte eines Verwalters wieder entzogen werden, alle auf das Verhältniß eines öffentlichen Staatsdieners gegründeten, in dem §. 54. ausgedrückten Rechte, richterlicher Gehalt und Vorzüge ungeschmälert vorbehalten bleiben. § 56. Sollte der Gutsherr sein Patrimonial-Gericht in der bemerkten Art bis zum

V ERFASSUNG VON BAYERN (1818) 1. Januar 1820 (§. 40.) nicht bestellen wollen, so bleibt er auf die freiwillige Gerichtsbarkeit über seine vormaligen Gerichts-Hintersassen beschränkt. Der hiefür aufgestellte Patrimonial-Beamte, so wie die Actuare der gutsherrlichen Gerichte haben auf die besonderen Rechte eines Staatsdieners, und daher auch auf Stabilität keinen Anspruch. Die Bestimmung der dießfallsigen Verhältniße und insbesondere des Gehaltes bleibt der freyen Uebereinkunft zwischen dem Gutsherrn und dem Beamten anheim gestellt.

§ 61. Will der Gutsherr den HerrschaftsBeamten nach den Bestimmungen des §. 54. quiesciren, so muß er von jeder verfügten Quiescirung eines solchen Beamten eben so, wie von jeder verfügten Entlassung, welche ihm in Ansehung seiner mit der streitigen Gerichtsbarkeit nicht bekleideten Patrimonial-Gerichtshalter und der Actuare zusteht, bey der Kreis-Regierung und dem Appellations-Gerichte die Anzeige machen. Die Renten-Verwaltung kann der Gutsherr seinen Beamten in jedem Falle nach Gutdünken abnehmen.

§ 57. Die Heiraths-Bewilligungen haben die Herrschafts- und Patrimonial-GerichtsBeamten bey dem Gutsherrn nachzusuchen. Die Reise-Bewilligungen werden diesen Beamten von der Kreis-Regierung benehmlich mit dem Appellations Gerichte ertheilt, auf vorläufig nachgewiesene Genehmigung des Gutsherrn.

§ 62. Dem Gutsherrn kömmt in Justizsachen, außer der bloßen Einsichtnahme, keine Concurrenz mit seinem Gerichte zu, und er hat sich aller Einmischung hierin zu enthalten, bey Vermeidung der Richtigkeit und des Schaden-Ersatzes, nebst weiterer angemessener Bestrafung. Den PatrimonialGerichten, auch wenn sie mit der streitigen Gerichtsbarkeit bekleidet sind, kömmt niemals eine Verhandlung und Entscheidung in solchen streitigen Rechtssachen zu, bey welchen die Patrimonial-GerichtsInhaber selbst beteiligt sind, sondern dergleichen Streitgegenstände eignen sich ausschließend zu den Königlichen Landgerichten.

§ 58. Die Patrimonial-Beamten können nach Beschaffenheit ihrer Qualification auch in dem Staatsdienste Anstellung und Beförderung erhalten. § 59. Der Gutsherr haftet für den aus den Amtshandlungen seiner Beamten entstehenden Schaden in dem nämlichen Maaße, wie der Königliche Fiscus für die unmittelbaren Beamten. Wenn der Gutsherr die Gerichtsbarkeit selbst zum Nachtheil der Unterthanen ausübt, so wird er von der betreffenden Oberbehörde durch Strafbefehle zur Ernennung eines tauglichen Beamten angehalten, und bey fernerem Verzuge auf seine Kosten die Bestellung verfügt. § 60. Wenn der Gutsherr bey seinen Beamten Dienstgebrechen wahrnimmt, so hat er davon die Regierung, oder, wenn die Sache in die Justizpflege einschlägt, das Appellations-Gericht des Kreises in Kenntniß zu setzen, damit die erforderliche Untersuchung, und hiernach die weitere gesetzliche Einschreitung veranlaßt werde.

§ 63. In administrativen Gegenständen, wo dem Guts- und dem Gerichtsherrn ein Einschluß in die Verwaltung gestattet ist, hat er das Recht, seine Gerichts-Beamten, allenfalls durch Geldstrafen, zur Befolgung seiner, aus gesetzlichen Anordnungen hervorgehenden Aufträge, wofür er haftet, anzuhalten. Beharrlicher Ungehorsam wird auf erstattete Anzeige, nach Beschaffenheit der Umstände, von der Kreis Regierung oder dem Appellations-Gerichte bestraft. § 64. Den Herrschafts-Richtern, Patrimonial-Gerichtshaltern und Actuaren ist eben so, wie den unmittelbaren Königlichen Justiz- und Polizey-Beamten, untersagt, in

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BAYERN ihrem Amtsbezirke eine Guts-Realität zu erwerben. § 65. Die Herrschafts- und PatrimonialGerichte führen zu ihren amtlichen Ausfertigungen ein Siegel mit dem Wappen des Gutsherrn und der Umschrift: „Fürstlich-Gräflich- oder Freyherrlich- etc. N. Nes Herrschafts- (Patrimonial-) Gericht N. N.“

Titel V Von dem Wirkungskreise der gutsherrlichen Gerichte und von den Rechten und Verbindlichkeiten der Gutsherren in Beziehung auf die verschiedenen Zweige der öffentlichen Verwaltung § 66. Die Ausübung der in dem gegenwärtigen Titel begriffenen Rechte kömmt nur denjenigen Gutsherren zu, welche die Gerichtsbarkeit, und ein nach den Vorschriften der vorhergehenden Titel III. und IV. gebildetes und bestelltes Gericht besitzen; jedoch unbeschadet der Ausnahmen, welche bey einzelnen Paragraphen der folgenden Capitel besonders und ausdrücklich vorbehalten sind.

Capitel I Allgemeine Bestimmungen § 67. Die Herrschafts-Gerichte der Gutsherren sind in Justizsachen den Appellations-Gerichten, und in Staatsverwaltungs Angelegenheiten den Kreis-Regierungen unmittelbar untergeben, und daher von den Königlichen Landgerichten exemt, mit Ausnahme der Fälle, in welchen die letztern aus besonderm Auftrage und im Nahmen der benannten höhern Stellen handeln. Die Patrimonial-Gerichte erster Classe mit streitiger Gerichtsbarkeit, stehen, was die Justizpflege betrifft, unter den Appellations Gerichten, in allen Gegenständen der Policey und öffentlichen Verwaltung aber unter den Landgerichten.

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§ 68. Alle Patrimonial-Gerichte zweyter Classe, welche auf die freywillige Gerichtsbarkeit beschränkt sind, sind den Landgerichten, in deren Sprengeln sie liegen, untergeordnet, welchen sie die über ihre Justizund Polizey Verwaltung abgesondert geführten Protocolle alle drey Monate übergeben. Von diesen Behörden werden dieselben mit den nöthigen Bemerkungen an die vorgesetzten Kreisstellen gesendet, welche die geeigneten Bescheide und Zurechtweisungen erlassen. § 69. Wenn Anzeigen gemacht werden, daß von den Patrimonial-Gerichten zweyter Classe die Amtspflichten versäumt worden, so kömmt den Landgerichten die Befugniß und Obliegenheit der Erinnerung zu, und sie haben, wenn diese Erinnerung ohne Erfolg bleiben sollte, unverzüglich die Anzeige an die betreffende Oberbehörde des Kreises zu erstatten. Das Nämliche haben die Landgerichte auch gegen die Patrimonial-Gerichte erster Classe zu beobachten, wenn die angezeigten Gebrechen auf die Polizey und andere administrative Geschäftszweige Bezug haben. § 70. Die Königlichen Verordnungen, das Gesetz- und Allgemeine IntelligenzBlatt, so wie die allgemeinen Verfügungen der obern Stellen werden den HerrschaftsGerichten eben so, wie den Landgerichten, unmittelbar, den Patrimonial-Gerichten aber durch die Königlichen Landgerichte mitgetheilt, und die in bestimmten Fällen eintretende besondere Bekanntmachung der Gesetze wird von den Patrimonial-Gerichten in ihren Bezirken verfügt.

Capitel II Von der Rechtspflege § 71. In der Ausübung der Justiz-Pflege haben sich die Gutsherren nach den über die Justiz-Verfassung des Reichs im Allgemeinen, und durch das gegenwärtige Edict über

V ERFASSUNG VON BAYERN (1818) die gutsherrlichen Gerichte insbesondere festgesetzten Bestimmungen zu achten. § 72. Die Herrschafts-Gerichte und die Patrimonial-Gerichte erster Classe haben, in Beziehung auf die Rechtspflege, mit den unmittelbaren Königlichen Landgerichten gleiche Befugniße und Obliegenheiten, die strafrechtliche Gerichtsbarkeit bey Verbrechen und Vergehen ausgenommen, wo ihnen nur die Ergreifung und vorläufige Verwahrung der Angeschuldigten gebührt, mit der Verpflichtung, dieselben, ohne alles weitere Verfahren, spätestens binnen 48 Stunden an den Sitz des einschlägigen Königlichen Untersuchungs-Gerichts auszuliefern. § 73. Patrimonial-Gerichten zweyter Classe steht eine Einmischung in strafrechtliche oder in streitige Civil-Gegenstände niemals zu, sondern lediglich die Ausübung bestimmter gerichtlicher Handlungen, welche im gegenwärtigen Edict bezeichnet werden (§§. 74–79.). Sobald ein solches Patrimonial-Gericht von begangenen Verbrechen oder Vergehen Kenntniß erhält, hat dasselbe dem vorgesetzten Landgerichte die Anzeige zu machen, und bis zur Verfügung der untersuchenden Behörde Sorge zu tragen, daß an den Merkmalen des Thatbestandes nichts verändert werde, und der Thäter nicht entkomme.

Abnahme promissorischer Eide, die gerichtliche Uebernahme oder Errichtung der Testamente, die Verkündung derselben, die gerichtliche Versiegelung und Beschreibung der Verlassenschaften, desgleichen die Vertheilung der Erbschaften, wenn darüber kein Streit besteht, und die Ertheilung beglaubigter Urkunden über die zum Ressort dieser Amtsbehörden geeigneten Gegenstände. § 76. Wenn in Folge gerichtlicher Subhastationen und Adjudicationen Verkaufs-Urkunden auszufertigen sind, so eröffnet das Landgericht dem untergeordneten Patrimonial-Gerichte, in dessen Bezirk die Sache einschlägt, die ergangenen Erkenntniße, damit das letztere die Urkunden errichte, und davon beglaubigte Abschrift zu den Judicial-Acten einsende.

§ 74. In dem Wirkungskreise eines Patrimonial-Gerichts zweyter Classe liegen außerdem diejenigen Handlungen der Gerichtsbarkeit, welche nicht streitiger Natur sind, nicht in einer vorläufigen Instruction zum Behuf einer richterlichen Verfügung, oder nicht in dem nachfolgenden richterlichen Decret selbst bestehen, sondern wobey es größtentheils blos auf die gerichtliche Beurkundung ankömmt.

§ 77. Die genannten Patrimonial-Gerichte besitzen die Befugniß, über PrivatRechtssachen, auch wenn darüber ein Streit gerichtlich anhängig ist, gültige Vereinigungen oder Vergleiche der Theile, mit den nämlichen Wirkungen, welche die Gesetze den gerichtlich aufgenommenen Vergleichen überhaupt beylegen, zu Protocoll zu nehmen, und die Vergleichs-Urkunden darüber auszufertigen; wobey jedoch folgende wesentliche Bedingungen vorausgesetzt werden: a) wenigstens Einer der sich vergleichenden Theile muß seinen Wohnsitz in dem Bezirke des Patrimonial-Gerichts haben; b) beyde Theile müssen sich freywillig und ohne Zwang zu diesem Zwecke bey jenem Gerichte einfinden; c) alle in den Gesetzen zur Gültigkeit eines Vergleichs vorgeschriebenen Vorbedingungen, Normen und Förmlichkeiten müssen genau beobachtet werden.

§ 75. Hiernach ist diesen PatrimonialGerichten zweyter Classe zugewiesen: die Errichtung der Urkunden über Verträge, die

§ 78. Die nämlichen Patrimonial Gerichte sind verbunden, wenn Vergleiche über bereits gerichtlich anhängige Streitsachen

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BAYERN bey ihnen aufgenommen werden, von Amtswegen eine beglaubigte Abschrift des geschlossenen Vergleiches dem Gerichte, bey welchem der Streit anhängig ist, zur Wissenschaft zuzusenden. § 79. Ihnen steht in ihren Bezirken die Führung der Hypotheken-Bücher zu; auch besorgen sie das Vormundschaftswesen, so weit es die Bestellung der Vormünder und Curatoren über Unmündige und Minderjährige, wenn hierüber kein Streit besteht, wie auch die Stellung der Rechnungen betrifft. § 80. Diese in den §§. 74 – 79. benannten Handlungen der willkührlichen Gerichtsbarkeit können auf Seite des Patrimonial-Gerichts weder über die Person, noch über die Güter des Gutsherrn ausgeübt werden, und insbesondere darf derselbe bey den Gegenständen, worüber das Patrimonial-Gericht Vergleiche aufnimmt, keineswegs betheiligt seyn. § 81. Jedes Patrimonial-Gericht zweyter Classe ist verpflichtet, wenn die bey demselben begonnenen Jurisdictions-Handlungen eine richterliche Untersuchung und Entscheidung nöthig machen, nicht nur die Theile vor das competente Gericht zu weisen, sondern auch die bereits gesammelten Acten-Stücke alsobald mit der Anzeige des Streit-Gegenstandes dahin zu übergeben. § 82. Landgerichtliche Vorladungen an die gutsherrlichen Hintersassen sollen auch in den Fällen, wo sie den Landgerichten unmittelbar untergeordnet sind, durch die Patrimonial-Gerichte insinuirt, und auf gleiche Weise können die landgerichtlichen Urtheile gegen erwähnte Hintersassen von eben jenen Patrimonial-Gerichten auf die von den Landgerichten vorgeschriebene Weise vollstreckt werden. § 83. Uebrigens ist den Gutsherren gestattet, von der Verwaltung der Justiz im Allgemeinen bey ihren Herrschafts- und

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Patrimonial-Gerichten, und insbesondere von dem Zustande des Vormundschafts-, Depositen- und Hypotheken-Wesens Einsicht zu nehmen, um die Abstellung der befundenen Mängel veranlassen zu können.

Capitel III Von der Policey-Verwaltung § 84. Den Gutsherrn steht in den Bezirken und Orten, wo sie die Gerichtsbarkeit ausschließend besitzen, auch die Policey zn. § 85. In Orten, wo Grund-Unterthanen verschiedener Gutsherren wohnen, gebührt die Orts-Polizey demjenigen Gerichtsherrn, welchem die Gerichtsbarkeit über die Mehrzahl der Grund- und Gewerbsteuerbaren Unterthanen zusteht. Dasselbe findet auch in dem Falle statt, wenn die Gerichtsbarkeit der Gutsherren mit der Gerichtsbarkeit der unmittelbaren Königlichen Behörden zusammentrifft. § 86. Die Gutsherren üben die ihnen zugestandenen policeylichen Gerechtsame (§. 84.) durch die nämlichen Beamten aus, welchen die gutsherrliche Gerichtsbarkeit übertragen ist. Dieselben sind gehalten, in Polizey-Sachen sich genau nach den Königlichen Verordnungen und den Weisungen der vorgesetzten Stellen zu richten, Anzeigen an den Gutsherrn zu machen, und wenn er am Sitze des Gerichtes anwesend ist, seine Aufträge hierüber zu erhohlen. § 87. Die Herrschafts-Gerichte üben die Bezirks- und Orts-Policey in demselben Umfange und unter denselben Beschränkungen aus, wie die Königlichen Landgerichte. Sie sind in contentios-administrativen Gegenständen die erste Instanz, wobey der Gutsherr sich nicht einmischen darf. Ist derselbe bey solchen Gegenständen persönlich betheiligt, so wird die Untersuchung und Entscheidung von der vorgesetzten Kreis-Regierung, auf dießfalls zu erstat-

V ERFASSUNG VON BAYERN (1818) tende Anzeige, an ein anderes Herrschaftsoder an ein Land-Gericht verwiesen. § 88. Alle Patrimonial-Gerichte sind in ihren Bezirken auf die niedere örtliche Policey beschränkt, und stehen auch in dieser Beziehung unter der Aufsicht und Leitung des vorgesetzten Landgerichts. § 89. Wenn gegen einen Uebertreter der Orts-Policey eine Geldstrafe von mehr als 10 fl. oder ein Policey-Arrest von mehr als 3 Tagen verhängt werden soll, so muß das Patrimonial Gericht vor der Bekanntmachung die Bestätigung des Landgerichts erhohlen. Aus dem Wirkungskreise der Patrimonial-Gerichte sind ausgeschieden, und zur Behandlung der Landgerichte vorbehalten: alle Policey-Uebertretungen, wobey die Thatsache der Uebertretung gegen die Abläugnung des Beschuldigten erst durch vorläufige Beweiseführung hergestellt werden muß. Desgleichen alle streitigen Policey-Gegenstände, nahmentlich auch jene, welche auf Cultur oder Gewerbs-Beeinträchtigungen, auf Gemeinde-Recht, ConcurrenzPflichtigkeit und Maaßstab und dergleichen Bezug haben, wenn über Angelegenheiten dieser Art kein Vergleich zu Stande kömmt, ferner die Privat-Genugthuung, wenn darüber vom Richter erkannt werden soll. § 90. Weiter stehen den Patrimonial-Gerichten nicht zu, und sind ebenfalls den Landgerichten vorbehalten: a) Alle allgemeinen Verfügungen in Bezug auf die öffentliche Ruhe und Sicherheit im ganzen Bezirke, mit Vorbehalt der Vollziehung durch Patrimonial-Gerichte, der schleunigen Anzeige derselben an die vorgesetzten Landgerichte in den sich dießfalls ergebenden Fällen, und der nothwendigen augenblicklichen Einschreitung; b) die Ertheilung der Reise-Pässe an die gutsherrlichen Hintersassen; die Untersuchung und Bestrafung Fremder, deren Päs-

se unregelmäßig befunden worden, und die gesetzliche Behandlung der gemeinen und gefährlichen Landstreicher; c) die Leitung der Armenpflege, in soweit dafür ein gemeinsamer Verband des ganzen Landgerichts-Sprengels oder mehrerer Bezirke besteht; d) die Ausstellung der Dienstboten-Bücher in sofern solche auch außerhalb dem Patrimonial-Gerichts-Bezirke gültig seyn sollen; e) die gesetzliche Einschreitung und Verfügung wegen Mißbrauchs der Preß-Freyheit, und entdeckter Winkel-Pressen; f) die Annahme von Handwerkern, und alle Gewerbs-Verleihungen ohne Unterschied, rücksichtlich welcher die Patrimonial-Gerichte die angebrachten Gesuche blos zu instruiren haben; g) die untere Aufsicht auf die öffentlichen Flüße, Brücken, Straßen und VicinalWege, wobey die Patrimonial-Gerichte nach erhaltener Anweisung der Landgerichte zu verfahren haben; dann die Uebertretungen der Verordnungen in Gegenständen des öffentlichen Straßen-Brücken- und WassersBaues, wobey jedoch die Patrimonial-Gerichte gegen übertretende Reisende und fremde Fuhrleute im Nahmen der Landgerichte einzuschreiten haben; h) die Herstellung und Leitung der Feuer-Lösch Ordnung für den ganzen Bezirk; die Untersuchung aller Feuer- und anderer Elementar-Schäden und alle Geschäfte der Brandversicherungs-Anstalt; i) die Forst- und Jagd-Policey, und die Forst- und Jagd Gerichtsbarkeit in allen Waldungen, welchen nicht den Guts- und Gerichtsherren selbst, oder den unter ihrer Gerichtsbarkeit stehenden Gemeinden zugehören; k) die Medicinal-Policey, unbeschadet augenblicklicher Vorkehrung in dringenden Fällen; l) die Gegenstände der Militaire-Conscription und des Marschwesens, worin sich

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BAYERN lediglich nach den Aufträgen der Landgerichte zu achten ist; und – die Angelegenheiten in Bezug auf die Landwehr und die Gendarmerie, eilende Fälle ausgenommen, in welche allein die Patrimonial-Gerichte sich an den zunächst befindlichen Commandanten zu wenden berechtigt sind; m) alle Geschäfte rücksichtlich der Bezirks-Concurrenzen. § 91. Inhabern von Herrschafts Gerichten ist die Annahme von Policey-Wachen gestattet; jedoch nur in einer mit den Gesetzen über die Gendarmerie vereinbarlichen Art. § 92. Neben den gutsherrlichen Beamten in ihrer Eigenschaft als Policey-Beamten können die Gutsherren in ihren GerichtsBezirken auch ein ärztliches Dienst-Personal aufstellen, dessen Bestätigung, je nach der höhern oder subalternen Eigenschaft desselben, entweder bey dem Ministerium des Innern oder bey der Kreis-Regierung nachgesucht werden muß. Dieses Personal steht sodann zu den gutsherrlichen Gerichten im analogen Verhältniße, wie dieses nach der Einrichtung des Medicinal-Wesens zwischen den Königlichen Landgerichten und dem mit denselben in Beziehung stehenden ärztlichen Personal der Fall ist.

Capitel IV Von den Schul- und KirchenAngelegenheiten § 93. Die Rechte der Gutsherren in Ansehung der Schulen sind im §. 21. bezeichnet worden. In Beziehung auf diesen Zweig der Verwaltung haben die Herrschafts-Gerichte die nämlichen Befugnisse und Obliegenheiten, wie die Landgerichte. Die Patrimonial-Gerichte nehmen an der Local-Schul-Inspection Antheil, handhaben die örtliche Schul-

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Policey, und vollziehen dießfalls die Aufträge der Gutsherren; in allen Fällen unter Aufsicht der Landgerichte. § 94. In Ansehung der in den §§. 22 – 24 bezeichneten Patronats- und damit verknüpften Ehren-Rechte, haben die gutsherrlichen Beamten die Aufträge ihrer Gutsherren zu befolgen; und im Uebrigen die niedere Kirchen-Policey in ihren Gerichts-Bezirken oder Orten nach den Verordnungen zu vollziehen. § 95. Rücksichtlich des InstallationsRechts insbesondere ist im §. 23. das Geeignete enthalten. Bey geistlichen Verlassenschaften steht den Herrschafts- und Patrimonial-Gerichten das Recht der provisorischen Versiegelung zu.

Capitel V Von den Stiftungs- und GemeindeAngelegenheiten § 96. Wo über gewisse bestimmte Stiftungen den Gutsherren aus einem besondern Privat-Rechtstitel die niedere Curatel und Verwaltung zusteht, verbleibt ihnen dieselbe, und sie haben solche nach den bestehenden Verordnungen und allgemeinen Verwaltungs-Vorschriften, mit Vorbehalt der Unterordnung unter die obere Curatel, selbst, oder durch ihre Beamten auszuüben. Sie haften aber alsdann für das verwaltete Vermögen persönlich, sind zur vollständigen Inventarisation, so wie zur Nachweisung über die Erhaltung und sorgfältige Bewirthschaftung der Fonds verpflichtet, und bleiben insbesondere verantwortlich, daß dieselben nicht mit fremdartigem Vermögen vermischt, noch zu fremdartigen Zwecken verwendet werden. § 97. Bey allen übrigen Stiftungen treten die Gemeinden, welchen dieselben angehören oder deren Bestem sie gewidmet sind,

V ERFASSUNG VON BAYERN (1818) in die Verwaltung ein, nach Maaßgabe der Verordnung vom 17. May dieses Jahres. In Beziehung auf diese Stiftungen haben die gutsherrlichen Behörden blos über die zweckmäßige Verwaltung zu wachen; die Herrschafts-Gerichte leiten diese Verwaltung in der nämlichen Art, wie die Landgerichte; die Partrimonial-Gerichte aber führen diese Leitung lediglich nach Anweisung und unter der obern Aufsicht der Landgerichte. § 98. Ganz dieselben Bestimmungen gelten auch von der Verwaltung des GemeindeVermögens. § 99. In Bezug auf die Verwaltung der Stiftungen sowohl, als des Gemeinde-Vermögens, steht nach §. 105. der Verordnung über das Gemeindewesen den Herrschaftsund Patrimonial-Gerichten die Revision der Rechnungen zu. Die vorschriftmäßige jährliche Uebersicht der zur Revision eingekommenen, und wirklich revidirten Rechnungen dieser Art wird von den HerrschaftsGerichten unmittelbar, von den Patrimonial-Gerichten aber mittelbar durch die vorgesetzten Landgerichte, welchen dießfalls die etwa erforderliche nähere Prüfung und Cognition zusteht, an die Kreis-Regierung eingesendet. Die Gemeinde- und Stiftungs-Rechnungen der mit einem Magistrat besetzten Städte und Märkte, welche einem gutsherrlichen Gerichte untergeben sind, sollen vor der Einsendung an die Kreis-Regierung den Gutsherren oder ihren Gerichten zur Einsicht und Beyfügung ihrer allenfallsigen Erinnerungen vorgelegt werden. § 100. Wegen der Verpachtung von Stiftungs-Realitäten an die mit der Curatel beauftragten Gutsherren, ihre Beamten, und die Verwandten Beyder, so wie wegen der Anlehen von Stiftungs-Capitalien an eben diese Personen, wird das im §. 128. der

oben angeführten Verordnung ausgesprochene Verbot wiederhohlt. § 101. In den eigentlichen GemeindeAngelegenheiten steht den Herrschafts- und Patrimonial-Gerichten zu: Die Leitung der Wahl der Gemeinde-Behörden, der Gemeinde-Vorsteher und der Pfleger, so wie der besondern Bevollmächtigten; die Bestätigung der Wahlen in den Rural-Gemeinden, und die Einweisung und Verpflichtung der Bestätigten. Bey den Magistraten der grundherrlichen Städte und Märkte leiten die Gutsherren durch einen eigenen Commissaire oder durch ihre Gerichts-Beamten die Wahl, erstatten an die Kreis-Regierung den Wahlbericht, und nehmen nach erfolgter Bestätigung die Verpflichtung und Einweisung der Bürgermeister vor. § 102. Bey denjenigen Gemeinde-Verhandlungen, wozu die Genehmigung der vorgesetzten Gerichte verordnungsmäßig erforderlich ist, kann diese Genehmigung nur von den Herrschafts Gerichten ertheilt werden. Die Patrimonial-Gerichte hingegen sind auf das Recht der Erinnerung beschränkt, und müssen die fragliche Genehmigung von denjenigen Landgerichten erhohlen, welchen sie untergeben sind. § 103. In den Gemeinde-Angelegenheiten der Rural Gemeinden bleibt zwar, nach §. 100. der oft gedachten Verordnung vom 17. May d. J., der Gemeinde-Vorsteher das Haupt-Organ des Gemeinde-Ausschußes; er leitet demnach und versammelt die Gemeinde, erhohlt ihre Beschlüsse, und verkündet die ihm von dem gutsherrlichen Gerichte mitgetheilten Königlichen Befehle und Verordnungen. Wo jedoch der gutsherrliche Gerichtshalter in der Gemeinde selbst seinen Wohnsitz hat, kann derselbe die Verkündung der Königlichen Verordnungen selbst vornehmen, so wie auch die im obengedachten §. 100.

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BAYERN dem Gemeinde-Vorsteher übertragene Führung und Bewahrung des Gemeinde-Buchs, des Inventariums, der Concurrenz-Rolle für die Anlagen und des Lagerbuchs, dann des Duplicats der Tauf-Trau- und Sterb-Register selbst besorgen, wobey er aber den Gemeinde-Vorsteher als seinen Gehülfen beyzuziehen verbunden ist. In den übrigen von dem Sitze des gutsherrlichen Gerichtshalters entfernten Gemeinden verbleiben diese Obliegenheiten dem Gemeinde-Vorsteher unter der Aufsicht und Leitung des Erstern. § 104. Was die in dem §. 101. der nämlichen Verordnung bezeichneten Befugnisse und Obliegenheiten des Ausschusses in den Rural-Gemeinden anbelangt, so werden diese demselben ausdrücklich vorbehalten, jedoch ebenfalls unter der Aufsicht der gutsherrlichen Gerichte. § 105. In Folge dessen haben die Herrschafts- und Patrimonial-Gerichte sowohl in Rural-Gemeinden, als in gutsherrlichen Städten und Märkten, wo ein Magistrat gebildet ist, und den gutsherrlichen Gerichten die Aufnahme der GemeindeGlieder, der Bürger und Schutzverwandten, dann die Gewerbs-Verleihungen zukommen, über diese Gegenstände die Erinnerung und Einwilligung des Gemeinde Ausschusses, oder des Magistrats zu erhohlen. In dem Falle, daß die Einwilligung ohne hinreichende Gründe verweigert werden sollte, hat über die Verweigerung des Magistrats die Kreis-Regierung, über die Verweigerung des Gemeinde-Ausschusses aber haben die Landgerichte, als unmittelbar vorgesetzte höhere Policey-Behörden zu entscheiden. § 106. Rücksichtlich der Policey-Sachen stehen in gutsherrlichen Bezirken und Orten die Gemeinde-Behörden, und insbesondere die Gemeinde-Vorsteher eben so unter den Herrschafts-Gerichten, wie die Gemeinde-

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Behörden und Vorsteher in den unmittelbar Königlichen Bezirken und Orten unter den Landgerichten. Den Patrimonial-Gerichten sind die Gemeinde-Vorsteher in den gutsherrlichen Bezirken ebenfalls nach allen policeylichen Beziehungen untergeordnet. Die gutsherrlichen Gerichtshalter besorgen aber die gesammte Dorfs- und FeldPolicey in den Orten ihres Amtssitzes, mit Beyziehung und Beyhülfe der GemeindeVorsteher. In den Gemeinden, welche außerhalb des Sitzes der gutsherrlichen Gerichte liegen, wird die besagte Dorfs- und Feld-Policey von den Gemeinde-Vorstehern versehen, unter Aufsicht und Leitung der gutsherrlichen Beamten, nach Inhalt der §§. 108 – 116. der mehrmal angeführten Verordnung. § 107. Den Gemeinde-Ausschüssen bleibt ausschließend das VermittelungsAmt, und nebst dem unter der Aufsicht des betreffenden gutsherrlichen Gerichts die Ausübung des den Aussschlüssen verordnungsmäßig zustehenden Straf-Rechts. § 108. In Städten und Märkten, welche einem gutsherrlichen Gerichte untergeordnet sind, gebührt dem Gutsherrn und dessen Gerichts-Verwalter die Leitung aller in gegenwärtigem Edicte ihm übertragenen Policey-Befugnisse, wovon derselbe die Verhandlung der Straf-Fälle, und der contentiösen Gegenstände nach den gegebenen Bestimmungen (§§. 89 – 90.) selbst zu besorgen hat; wogegen die übrigen Orts-Policey von dem Magistrat unter der Aufsicht und Leitung des gutsherrlichen Gerichtes ausgeübt wird. § 109. Uebrigens sind, was die Unterordnung der Gemeinden unter die Gerichts-Behörden – das den Letztern zustehende Recht der Erinnerung über die Amtsführung in Gemeinde-Sachen – das damit verbundene Recht der provisorischen Verfügung – die

V ERFASSUNG VON BAYERN (1818) Ertheilung der geeigneten Anweisungen an die Gemeinde-Ausschüsse – die Unterstützung der Gemeinde-Vorsteher – die Wachsamkeit auf den Mißbrauch der den Gemeinde-Ausschüssen und Vorstehern übertragenen Befugnisse – und die dießfallsigen Einschreitungen, so wie die zu erstattenden vierteljährigen Anzeigen betrifft, die Bestimmungen der §§. 127, 129, 133 und 134 der obengenannten Verordnung über die Gemeinde-Verfassung auch in den gutsherrlichen Orten und Gerichten zu beobachten. § 110. Die bisher in dem gegenwärtigen Capitel aufgezählten Rechte der Gutsherren und ihrer Gerichte in Bezug auf das Gemeinde- und Stiftungs-Wesen, können nur in einem solchen gutsherrlichen Gerichte ausgeübt werden, in welchem dem Gutsherrn nach den Bestimmungen der obigen §§. 84 und 85. die Ausübung der Policey selbst zusteht.

Capitel V Von den gerichtsherrlichen Gefällen und den besondern dießfallsigen Rechten § 111. Alle Abgaben, welche zu den Domanial- und Privat-Gefällen gehören, insbesondere diejenigen, welche aus Bergwerken, Jagden, Forsten, Fischereyen u.s.w. fließen, verbleiben den Gutsherren auch ohne Gerichtsbarkeit allenthalben, wo sie dieselben hergebracht haben. § 112. Die Früchte der Grund- und Policey-Gerichtsbarkeit, und insbesondere die Geldstrafen gebühren den Gerichtsherren; jedoch sind dieselben an die Bestimmungen der darüber bestehenden Gesetze gebunden; auch sind diejenigen Strafen ausgenommen, welche von den vorgesetzten Landgerichten nicht bloß bestätigt, sondern von diesen in eigenem Nahmen auferlegt, und von den Patrimonial-Gerichten nur in der Eigenschaft

executiver Behörden beygetrieben worden sind. § 113. Desgleichen gebührt den Gerichtsherrn der Bezug von Tax-Geldern in Justiz- und Policey-Gegenständen, welche zur Competenz der gutsherrlichen Gerichte gehören. Den Gutsherren überhaupt verbleiben ferner, auch abgesehen von der Gerichtsbarkeit, die Taxen für solche Ausfertigungen, welche bey Ausübung der ihnen im gegenwärtigen Edict zugestandenen gutsherrlichen Rechte (§§. 4 – 24.) anfallen. In beyden Fällen ist sich jedoch nach den bestehenden Tax-Ordnungen zu achten. § 114. Der Vogthaber, wo er Herkommens ist, gehört gleichfalls zu den gutsherrlichen Gefällen, und die Gutsherren behalten denselben, wenn auch die Gerichtsbarkeit an die Königlichen Behörden übergeht. § 115. Wo sich die Gerichtsherren im Besitz des Nachsteuer-Rechtes befinden, behalten sie dasselbe gegen diejenigen nicht im deutschen Bunde begriffenen Staaten, mit welchen keine Freyzügigkeits-Verträge geschlossen sind; im Innern des Reichs hingegen, gegen die Staaten des deutschen Bundes, und gegen andere Staaten, mit welchen Freyzügigkeits-Verträge bestehen, findet es nicht statt. § 116. Weg- und Brücken-Gelder, dann Zölle stehen dem Gutsherrn nicht zu. Desgleichen darf er weder die aus der persönlichen Leibeigenschaft herrührenden durch das Edict vom 31. August 1808 aufgehobenen Gefälle beziehen, noch hat er Anspruch auf das Heimfalls-Recht, die Confiscation der Güter, und das erblos gewordene Privat-Eigenthum. Die sich hierauf beziehenden Verhandlungen werden von den Königlichen Gerichtsstellen vorgenommen. Die Stempel-Ordnung muß von den gutsherrlichen Behörden genau beobachtet werden, und dieselben stehen rücksichtlich der

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BAYERN Stempel-Taxen mit den Kreis-Siegel-Aemtern, wohin insbesondere der Betrag dieser Taxen von den errrichteten Urkunden vierteljährig einzusenden ist, in den vorschriftsmäßigen unmittelbaren Verhältnissen. § 117. Die Herrschafts-Gerichte und Patrimonial-Gerichte erster Classe sind befugt, von ihren Gerichts-Hintersassen, die zugleich ihre Grundholden sind, die liquiden Gerichts- und Grundgefälle, dann andere unbestrittene gutsherrliche Leistungen in ihrem Bezirke, keineswegs aber die aus Darlehen oder andern dergleichen Titeln entspringenden Forderungen des Gutsherrn auf Verlangen desselben im Wege der gesetzlichen Execution beyzutreiben. Die nämliche Verfügung steht ihnen bey den liquiden Dominical-Renten der übrigen Gutsherren zu, welche in ihrem Gerichtsbezirke grundherrliche Gefälle besitzen, vorbehaltlich der Befugniße der Königlichen Rentämter nach Inhalt der Verordnung vom 12. September 1809. § 118. Außerdem wird, auch abgesehen von der Gerichtsbarkeit, das PfändungsRecht allen Gutsherren über ihre Grundholden, sie mögen unter landgerichtlicher oder unter der Gerichtsbarkeit eines andern Grundherrn stehen, wieder zugestanden, wenn sie es vorher rechtmäßig hergebracht hatten. Dasselbe darf aber in jedem Falle erst nach Verfluß der bedungenen oder gewöhnlichen Verfallzeit ausgeübt werden. § 119. Die eigentliche Auspfändung in Natur beschränkt sich unter allen Umständen auf durchaus liquide Natural Reichnisse, welche nicht bereits durch wechselseitige Uebereinkunft in eine zeitliche oder beständige Geld-Abgabe verwandelt worden sind; z. B. Getreid-Gilten, Heu-StrohKüchen- und Kleindienst, bey welch’ letztern niemals die besten, sondern nur die mittlern Stücke ausgepfändet werden dürfen.

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§ 120. Nicht liquide Forderungen, welche weder hergebracht, noch erwiesen sind, und von den Grundholden widersprochen und verweigert werden, sind im ordentlichen Rechts Wege zu verhandeln. In diesem Falle kann der Inhaber eines HerrschaftsGerichts bey diesem Gerichte selbst seine Klage stellen, der Inhaber eines bloßen Patrimonial-Gerichts aber muß solche bey dem Königlichen Landgerichte anbringen. § 121. Als durchaus liquid sind nur solche Reichnisse anzusehen, welche in den Urbarien, Grund-, Saal- und Lager-Büchern, Hebe-Registern und Grundgerechtigkeits-Briefen, oder wenigstens in den ordentlich zu haltenden Einschreibbüchlein der Hintersassen in quanto et quali vorgetragen, und von den Grundholden in keiner Beziehung widersprochen sind. § 122. Rücksichtlich der in oben bezeichneter Art liquiden grundherrlichen Geldstiften, Pfenniggilten, Scharwerkgelder, der unbestrittenen Briefgebühren, dann der bereits in eine Geldabgabe verwandelten NaturalReichnisse, mag sich der Gutsherr, wenn er es gut findet und nicht unmittelbar die gerichtliche Execution nachsuchen will, der Pfändung zwar bedienen, jedoch nur mit der ausdrücklichen Bedingniß, daß das den Grundholden abgenommene Pfand unverzüglich an das einschlägige unmittelbare Königliche Gericht zur Abschätzung und Versteigerung gebraucht, und der nach Abzug der schuldigen Summe etwa noch übrig bleibende Rest, dem Ausgepfändeten zugestellt werde. § 123. Das dem Landmann nöthige Acker-Geräthe und unentbehrliche Vieh, oder die sonst gesetzlich ausgenommene Fahrniß darf niemals als Pfand abgenommen werden. § 124. Auf eingelegte Gatter- und andere Gilten, die nicht aus dem grundherrlichen Vertrage entspringen, auf Laudemien,

V ERFASSUNG VON BAYERN (1818) auf Bodenzinse, auf Saamen- und SpeiseGetreid- dann andere Vorlehen, so wie überhaupt auf die persönlichen Forderungen jeder Art, ist die Selbstpfändung in keinem Falle anwendbar. § 125. Durch die Auspfändung in Natur darf, wenn der Unterthan nicht notorisch außer den landesherrlichen Abgaben noch zu höhern Leistungen vermögend ist, niemals mehr als eine alte und eine neue rückständige Getreidgilt in einem Jahre beygetrieben werden. § 126. Wenn die für die Auspfändung gegebenen Vorschriften überschritten werden, oder die Sache so beschaffen ist, daß nach dem Gesetze die Pflicht des Nachlasses geltend wird, oder daß dem Richter Zahlungsfristen zu ertheilen erlaubt ist; so kann sich der Gerichts-Hintersasse mit seiner Beschwerde an das einschlägige Königliche Kreis- und Stadtgericht wenden, welches auf vorgängige Untersuchung nach den Gesetzen erkennt, und das in der Execution eingetretene Ubermaaß aufhebt. Dahin gehören auch die Fälle, wenn ein Hintersasse durch die Untergeordneten des Gutsherrn an seiner Person mißhandelt, oder an seinen Gütern auf unerlaubte Weise beschädigt wird. § 127. Nebstdem werden diejenigen Gutsherren, welche einer wirklichen Ueberschreitung des ihnen bewilligten Auspfändungs-Rechtes legal überwiesen sind, dieses Vorrechtes für die Zukunft, und zwar das erstemal auf fünf Jahre, das zweytemal aber auf ihre ganze Lebenszeit verlustig erklärt, und die Kreis- und Stadtgerichte haben nach hinlänglicher Cognition diese durch die That selbst bewirkte Strafe sogleich auszusprechen, jedoch vorbehaltlich der Appellation an die höhern Gerichtsstellen. § 128. In Ansehung der grundherrlichen Natural-Frohnen wird den erwähnten Guts-

herren ein eignes Executions-Recht nicht zugestanden, jedoch sind dieselben befugt, diese Frohnen auf Kosten der säumigen Frohnpflichtigen leisten zu lassen, und die betreffenden Gerichte sind schuldig, den benachtheiligten Gutsherren durch alle zuläßigen Mittel zu ihrer Forderung zu verhelfen, vorausgesetzt, daß die Schuldigkeit der versäumten Frohnen liquid, und in der Berechnung der für die Ersetzung derselben aufgewandten Kosten, mit Rücksicht auf die üblichen Taglohne und die obwaltenden Umstände, kein offenbares Uebermaaß ersichtlich ist.

Titel VI Von dem Uebergang der gutsherrlichen Gerichtsbarkeit an andere Besitzer, von der Suspension, und von dem Aufhören derselben § 129. Wenn die gutsherrliche Gerichtsbarkeit durch den Tod des Inhabers an dessen Erben übergeht; so setzen sie dieselbe mit den übrigen gutsherrlichen Rechten, in soferne sie dazu fähig sind, fort, und haben sogleich nach dem Antritt der Erbschaft die Anzeige davon bey der Regierung des Kreises zu machen, auch, wenn der Erben mehrere sind, ein Individuum aus ihrer Mitte zu bestimmen, welches die persönlichen Verhältnisse des Gutsherrn gegen sein Gericht vertritt. § 130. Eben so muß bey Veräußerung des Gutes, worauf die Gerichtsbarkeit haftet, der neue Erwerber der vorgesetzten Kreis Regierung alsbald angezeigt werden, damit er in das Verzeichniß der gutsherrlichen Gerichte eingetragen werde. Dasselbe ist zu beobachten, wenn ein Gut mit der Gerichtsbarkeit an einen andern Besitzer in Folge eines gerechtlichen Erkenntnisses übergeht. § 131. Suspendirt ist die Gerichtsbarkeit, wenn mehrere unabgetheilte Erben eines

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BAYERN mit der Gerichtsbarkeit bekleideten Gutes den Auftrag zur Ernennung eines Stellvertreters nicht erfüllen, und diese Suspension dauert so lange, bis der angeführte Abgang gehoben seyn wird. § 132. Ingleichen tritt eine Suspension der Gerichtsbarkeit ein, wenn der Gutsherr durch den Ausspruch der Gerichte, wegen schweren Mißbrauchs, der Gerichtsbarkeit auf seine Lebenszeit verlustig erklärt wird, unbeschadet der Rechte seiner Erben und anderer Rechts-Nachfolger. § 133. Ferner ruht die Gerichtsbarkeit, wenn das Gut, worauf sie haftet, an einen Unadelichen übergeht, und sie lebt wieder auf, sobald dassselbe wieder in die Hände eines Adelichen kömmt. § 134. Rücksichtlich des Gutes selbst geht die Gerichtsbarkeit verlohren: a) bey Majorats-Herrschafts-Gerichten, wenn das Majorat selbst nicht mehr fortbesteht, und auch in anderer Art die gutsherrliche Gerichtsbarkeit überhaupt, in Folge des gegenwärtigen Edicts, nicht mehr ausgeübt werden kann; b) bey ältern lehenbaren Gerichten, wenn der Lehen-Verband aufhört; c) bey den übrigen gutsherrlichen Gerichten, wenn an dem Gute selbst eine solche Veränderung vorgeht, daß die gesetzlichen Vorbedingungen zur Ausübung der Gerichtsbarkeit und zum Bestand eines gutsherrlichen Gerichts nicht mehr vorhanden sind; d) wenn das mit der Gerichtsbarkeit bekleidete Gut aus irgend einem Titel an den Staat fällt; e) wenn ein rechtsbeständiger Verzicht auf die gutsherrliche Gerichtsbarkeit ausdrücklich oder stillschweigend geleistet

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wird. Einer Verzichtleistung wird es gleichgeachtet, wenn der Gutsherr binnen dem im §. 40. bestimmten Termine die Vorschriften zur Bildung des gutsherrlichen Gerichts nicht beobachtet, und seine dießfallsige Erklärung bis dahin nicht übergiebt. § 135. Uebrigens ist den mit der Gerichtsbarkeit und mit dem Pfändungs-Rechte nicht versehenen Gutsherren in Beybringung ihrer gutsherrlichen Forderungen, auf Anrufen, schleunige Amtshülfe zu leisten.

Besondere Bestimmung § 136. Nach dem gegenwärtigen fortan allein gültigen Edict über die gutsherrlichen Rechte und die gutsherrliche Gerichtsbarkeit, sind auch die gutsherrlichen Rechtsund Gerichts-Verhältnisse des vormals unmittelbaren Reichs-Adels und der vormals Reichsständischen Fürsten, Grafen und Herren im Allgemeinen, jedoch in soweit zu beurtheilen und zu behandeln, als rücksichtlich der Erstern, in der Declaration vom 31. December 1806, und rücksichtlich der Letztern in dem Edict vom heutigen Tage keine anderweitigen Bestimmungen getroffen sind, und vorbehaltlich der denselben in jener Declaration und in dem besagten Edict zugestandenen besondern und höhern, mit der Verfassungs-Urkunde des Reichs vereinbarlichen Rechte. München den 26. May 1818. (L.S.) Zur Beglaubigung: Egid v. Kobell, Königlicher Staatsrath und General-Secretaire.

V ERFASSUNG VON BAYERN (1818)

Edict über die FamilienFideicommisse51 Siebente Beylage zu der VerfassungsUrkunde des Königreichs Baiern Tit. V.

I. TITEL Von Familien-Fideicommissen überhaupt § 1. Familien-Fideicommisse, Kraft welcher ein Vermögen für alle, oder doch für mehrere Geschlechtsfolger als unveräußerliches Gut der Familie bestimmt wird, können künftig nur zum Vortheil adelicher Personen und Familien errichtet werden. § 2. Zur Errichtung eines Familien-Fideicommisses wird ein Grundvermögen erfordert, von welchem an Grund- und Dominical Steuer in simplo wenigstens fünf und zwanzig Gulden zu entrichten sind. § 3. Unter dieses Grund-Vermögen sind zu rechnen: 1) Alles im Königreiche gelegene LandEigenthum sammt den mit demselben in natürlicher Verbindung stehenden landwirthschaftlichen Industrial Anstalten, insbesondere den Brauereyen; 2) Die Früchte des Obereigenthums, als Gilten, Stiften, Grundzinsen, Laudemien, Scharwerke; 3) Jurisdictions-Erträgniße und fruchtbringende Real-Rechte auf fremdem Eigenthum, insonderheit Zehenten, unablösliche Geld-Renten, das Jagd- und Fischrecht in fremden Waldungen oder öffentlichen Flüßen und Seen, wenn sich diese Rechte mit einem zum Fideicommiß bestimmten Gute im Zusammenhange befinden. § 4. Ein Grundvermögen, welches als Lehen-Erbzins- oder erbrechtsbares Gut im

Lehen- oder Grundbarkeits-Verbande stehet, kann nur mit Einwilligung des Lehenoder Grundherrn zum Fideicommisse verwendet werden, jedoch muß bey dem Lehen dieselbe Erbfolge-Ordnung, wie bey dem zu errichtenden Fideicommisse statt finden. § 5. Das Grundvermögen, welches dem §. 2. gemäß zur Errichtung eines Fideicommisses erfordert wird, muß frey von Schulden und Lasten seyn. Haften darauf unablösbare Lasten, oder soll das Fideicommiß durch besondere Dispositionen des Stifters, oder mit Schulden belastet werden, so wird außer jenem Grundvermögen noch ein Fond erfordert, aus dessen Rente jene Bürden und Lasten bestritten werden können. § 6. Ein auf Grundvermögen (§. 3.) constituirtes Fideicommiß kann sowohl bey der Errichtung, als in der Folge durch jede Art von beweglichem oder unbeweglichem Vermögen vermehrt werden. Insbesondere ist gestattet, Häuser und Gärten, Geld und Capitalien, Kleinodien, Sammlungen von Gemälden, Kunstsachen, Büchern u. dgl. und die Hauseinrichtung zu diesem Fideicommiß-Ueberschuße mit gleicher fideicommissarischen Eigenschaft zu bestimmen. § 7. Das Vermögen, welches zu diesem Ueberschuße verwendet wird, muß, wenn es mit Schulden belastet ist, aus dessen Früchten in 20 Jahren schuldenfrey gemacht werden. (§. 69.) § 8. Außer den auf besondern Dispositionen (§. 6.) beruhenden Zugehörungen eines Fideicommisses sind Kraft des Gesetzes als Zugehörungen desselben anzusehen: 1) bey Oeconomien das Vieh, und die sogenannte Fahrniß; 2) bey Brauereyen das Braugeschirr jeder Gattung; 3) bey andern Industrial-Anstalten die hierzu gehörigen Maschinen und Werkzeuge aller Art.

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BAYERN Diese sollen, wie die mit dem Fideicommisse bey dessen Errichtung verbundenen Mobilien (§. 6.) gehörig verzeichnet, abgeschätzt, und dem Fideicommiß-Nachfolger in dem Umfange, welchen jenes Verzeichniß ausspricht, in vollkommen brauchbarem Stande hinterlassen, oder in eben derselben Qualität ersetzt werden. § 9. Besteht das Familien-Fideicommiß in einem Guts Complexe, so sind ferner Pertinenzstücke desselben mit gleicher Eigenschaft; 1) bey Oeconomien der nöthige Saamen und das bis zur nächsten Erndte hinreichende Speise-Getreide; dann 2) bey Brauereyen ein, nach dem zur Zeit der Fedeicommiß-Folge sich bezeigenden Betrieb des Braugeschäftes, nothwendiger halbjähriger Vorrath. § 10. Kann ein Fideicommiß auf das dazu bestimmte Vermögen nicht sogleich gegründet werden, so ist die Disposition gültig, wenn dasselbe aus dem Vermögen entweder für sich selbst, oder mittelst der inzwischen anfallenden und als Capital anzulegenden Früchte und Zinsen längstens in 20 Jahren hergestellt werden kann. Bis zur Erfüllung dieser Bedingung soll ein solches Vermögen gleich dem Vermögen der Minderjährigen unter Aufsicht des zuständigen Gerichtes verwaltet, das baare Geld gegen hypothecarische Sicherheit verzinslich angelegt, und von dem Appellations-Gerichte, bey welchem diese Disposition in die Fideicommiß-Matrikel einzutragen ist, dafür gesorgt werden, daß innerhalb der vorbemerkten 20 Jahre das Fideicommiß durch Ankauf eines dazu geeigneten Vermögens, oder durch dessen Freymachung von Lasten und Schulden, vollkommen gegründet werden. § 11. In einer Familie können neben dem Fideicommisse für die erstgebohrne Linie

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noch mehrere Fideicommisse für die nachgebohrnen Linien errichtet werden. § 12. Mit einem Fideicommisse können besondere Dispositionen zum Vortheil einzelner Mitglieder des Geschlechts, z. B. für den Geschlechts-Aeltesten, für die nachgebohrnen Söhne, für Ausstattung der Töchter, für den Unterhalt der Wittwen und dergleichen, verbunden werden. Diese Anordnungen sind als Lasten des Fideicommisses zu betrachten, für welche nach §. 5. ein besonderer Fond ausgeworfen werden muß. § 13. Die Rechte und Verbindlichkeiten des Fideicommiß-Besitzers und der Mitglieder der Familie in Ansehung des Fideicommisses sind hauptsächlich nach dem erklärten Willen des Stifters, so weit dessen Anordnungen dem gegenwärtigen Edicte nicht zuwider laufen, zu beurtheilen. Eine Abänderung dieser Dispositionen findet nur unter den Voraussetzungen und aus den Gründen statt, unter welchen die Auflösung des Fideicommisses (§. 97.) gestattet ist. § 14. Alle Handlungen, welche sich auf die Bestätigung des Fideicommisses beziehen, oder sonst die Genehmigung des Gerichts erfordern, so wie die Führung der Fideicommiß-Matrikel, sind dem Appellations-Gerichte zugewiesen, in dessen Bezirke das Fideicommiß-Vermögen gelegen ist. Liegen die Güter unter verschiedenen Appellations-Gerichten, so ist dasjenige zuständig, in dessen Bezirke sich das Hauptobject des Fideicommisses befindet. In Fideicommiß-Sachen sollen die Appellations-Gerichte durch Vorrufung der Betheiligten in Person oder durch Special-Bevollmächtigte in commissionellen Zusammentritten alle weitläufige Verhandlungen abzuschneiden suchen. Gegen die Entschließungen der Appellations-Gerichte in Fideicommiß-Sachen fin-

V ERFASSUNG VON BAYERN (1818) den Rechtsmittel wie in streitigen Rechtssachen statt. § 15. Andere Rechtsstreitigkeiten, welche über ein Familien-Fideicommiß, oder über die dazu gehörenden Güter entstehen, bleiben den sonst zuständigen Gerichten überlassen. § 16. Bey jedem Appellations-Gerichte wird eine eigene Matrikel geführt, welche die in dessen Bezirke befindlichen FamilienFideicommisse, mit einer vollständigen Anzeige des dazu gehörenden Grund- als andern Vermögens, dessen Ab- und Zugänge, die darauf haftenden Lasten und Schulden, die zur Tilgung der Schulden und Ergänzung oder Vermehrung der Substanz festgesetzten Fristen, dann alle an dem Fideicommisse mit Genehmigung des Gerichts vorgegangenen Veränderungen enthält. Jeder Betheiligte kann die Einsicht dieser Matrikel verlangen. Das Staats-Ministerium der Justiz hat für die Anlegung und Fortsetzung derselben besondere Obsorge zu tragen.

II. TITEL Von Errichtung der FamilienFideicommisse § 17. Familien-Fideicommisse können nur durch eine ausdrückliche Erklärung entstehen. § 18. Von Seite des Constituenten wird zu dieser Erklärung bey einer Handlung unter den Lebenden das freye DispositionsRecht über sein Vermögen, und bey einer letztwilligen Verfügung die Fähigkeit zu testiren erfordert. § 19. Wer ein Familien-Fideicommiß gründet oder vermehrt, darf den Pflichtteil derjenigen, welche darauf nach den Gesetzen ein Recht haben, nicht verletzen.

§ 20. Der Pflichttheil wird erst bey dem Tode des Constituenten bestimmt, wie sich in diesem Zeitpunkte dessen Kinderzahl und dessen Vermögen, mit Einschluß des zum Fideicommisse gewidmeten Vermögens, verhält. § 21. Den zum Pflichttheil Berechtigten kann dasjenige, was ihnen durch das Fideicommiß zugewiesen wird, in den Pflichttheil angerechnet, und selbst der ganze Pflichttheil des ersten Instituirten mit der Fideicommiß-Eigenschaft belegt werden, wenn dieses so geschieht, daß er die Wahl hat, ob er das Fideicommiß mit Belastung des Pflichttheils, oder den Pflichttheil allein ohne Belastung, aber auch ohne die Fideicommiß-Folge annehmen will. § 22. Ein Familien-Fideicommiß wird erst 1) durch gerichtliche Bestätigung und 2) durch die Eintragung in die Fideicommiß-Matrikel wirksam. § 23. Die Bestätigung wird in einer bey dem betreffenden Appellations-Gerichte von dem Betheiligten, oder im Fall eines durch letzten Willen bestimmten Fideicommisses von denjenigen, welchen dessen Vollzug obliegt, zu übergebenden Vorstellung nachgesucht. § 24. Mit dieser Vorstellung ist 1) die Urkunde, welche die fideicommissarische Disposition enthält, entweder in Urschrift, oder in einer gerichtlich beglaubigten Abschrift, und eine umständliche Anzeige aller Bestandtheile des Fideicommisses vorzulegen, dabey 2) gerichtlich zu beurkunden, daß der Fideicommiß-Stifter bisher der unbestrittene Eigenthümer des zum Fideicommisse bestimmten Grundvermögens war; ferner 3) nachzuweisen, daß das zum Fideicommisse bestimmte Vermögen schon dermal oder wenigstens in der Zukunft zur Gründung eines Familien-Fideicommisses (§§. 2

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BAYERN bis 7.) geeignet sey, worüber in Ansehung des Grundvermögens beglaubigte Auszüge aus den Steuer-Registern beyzulegen sind; 4) bey den durch letzwillige Verfügung errichteten Fideicommissen ist zu beweisen, daß diese Verfügung von den Betheiligten als rechtsgültig anerkannt und kein Notherbe an seinem Pflichttheil verletzt sey; endlich sind 5) die erfoderlichen Beweise der persönlichen Fähigkeit derjenigen, zu deren Vortheil das Fideicommiß errichtet wurde, beyzulegen. § 25. Zeigen sich bey der vorläufigen Prüfung dieses Gesuches Anstände und Mängel, so sollen sie den Betheiligten eröffnet, und diese zur Hebung der Anstände und Ergänzung des Mangelnden innerhalb eines bestimmten, jedoch auf Ansuchen zu verlängernden Termins, aufgefordert werden. § 26. Das Appellations-Gericht hat von den Gerichten und Hypotheken-Aemtern, in deren Bezirke die zum Fideicommiß bestimmten Güter liegen, Zeugnisse abzuverlangen, ob und mit welchen Hypotheken sie belastet seyen, auch denjenigen, welche hinsichtlich des zum Fideicommisse bestimmten Vermögens persönliche oder hypothecarische Forderungen zu machen haben, und zwar den unbekannten Gläubigern durch Edictal-Ladung, zu deren Angabe einen präclusiven Termin von sechs Monaten unter dem Rechtsnachtheile vorzusetzen, daß nach Verstreichung desselben das obgedachte Vermögen als ein Familien-Fideicommiß würde immatriculirt werden, folglich dieselben wegen der nicht angezeigten Forderungen sich nicht mehr an die Substanz des Fideicommiß-Vermögens, sondern nur an das Allodial-Vermögen des Schuldners oder in dessen Ermanglung an die Früchte des Fideicommisses zu halten, berechtigt seyn sollten, und selbst hier nur

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unter der Beschränkung, daß sie denjenigen Gläubigern nachgehen, welche sich innerhalb des gedachten Termins gemeldet haben. Die Edictal Ladung soll dreymal in zweymonatlichen Zwischenräumen in öffentliche Blätter eingerückt werden. § 27. Werden nach erfolgter gerichtlicher Bekanntmachung Forderungen vorgebracht, für welche das zum Fideicommiß bestimmte Vermögen haftet, so soll das Gericht den Gläubigern den Zustand dieses Vermögens eröffnen, und sich bestreben, zwischen ihnen und den Fideicommiß Folgern eine Uebereinkunft zu Stande zu bringen. Die Forderungen, welche ein Gläubiger auf dem Fideicommisse stehen läßt, können die Eigenschaft einer FideicommißSchuld erster Classe erhalten; jedoch muß nicht nur das im §. 2. bestimmte Grundvermögen unbeschwert bleiben, sondern auch für diese Schulden ein Tilgungsplan (§. 69.) entworfen, und nach erfolgter gerichtlichen Bestätigung der Fideicommiß-Matrikel einverleibt werden. § 28. Wenn sich entweder gleich bey der Errichtung oder bey den nur bedingt bestätigten Fideicommissen (§. 29.) in der Folge ein Mangel an dem, zur Gründung eines Familien-Fideicommisses nothwendigen Vermögen bezeigt; so können diejenigen, welche zum Fideicommisse berufen sind, das Mangelnde entweder aus eigenem Vermögen oder durch Verwendung der Früchte zur Vermehrung der Substanz nach der im §. 10 enthaltenen Bestimmung ergänzen, und hierdurch die fideicommissarische Disposition aufrecht erhalten. Kann die Disposition als Familien-Fideicommiß nicht bestehen, so bleibt sie als eine fideicommissarische Substitution (§. 109) gültig. § 29. Nach geendigter Instruction ist die Errichtung des Fideicommisses in wiederholte und nähere Prüfung zu nehmen, und

V ERFASSUNG VON BAYERN (1818) von dem Appellations-Gerichte die Bestätigung, wenn es an einem wesentlichen Erfordernisse mangelt, abzuschlagen, oder wenn es daran nicht mangelt, zu ertheilen. Diese Bestätigung wird im Falle der §§. 10. und 28 unter der Bedingung, daß innerhalb des bestimmten Zeitraumes das zur Errichtung eines Fideicommisses erforderliche Grundvermögen hergestellt werde, im Falle des §. 20. aber mit Vorbehalt der Rechte der Notherben auf den Pflichttheil, ertheilt.

ein Familien-Fideicommiß oder ein diesem gleichgeachtetes Stammgut bestanden hat, und daran seit jener Abänderung der Gesetze nach den eingetretenen Veränderungen neue Rechtsverhältniße zwischen den Familiengliedern, oder mit Gläubigern, oder mit andern Dritten durch Erbtheilungen, Vergleiche, richterliche rechtskräftige Urtheile, oder andere rechtsgültige Handlungen festgesetzt worden, so sollen dieselben ihre Rechtsgültigkeit unwiderruflich behalten.

§ 30. Im Falle der nach §. 29. zu ertheilenden Bestätigung wird darüber eine Urkunde ausgefertiget, welche sämmtliche Bestandtheile und Bedingungen des Fideicommisses enthalten muß; diese wird sodann in die Fideicommiß-Matrikel eingetragen, durch das Allgemeine Intelligenz-Blatt bekannt gemacht, und deren Vormerkung in den Hypotheken Büchern des Orts, wo ein zum Fideicommiß gehöriges Gut gelegen ist, von dem Appellations-Gerichte veranlaßt.

§ 33. Soweit diese Rechte nicht verletzt werden, und das vormalige FideicommißVermögen, oder die Stammgüter bey der Familie noch in der Substanz erhalten worden, können die gegenwärtigen Besitzer solcher Güter aus denselben nach ihrem Gutfinden neue Fideicommissse unter folgenden Bedingungen bilden.

§ 31. Bey den durch Königliche Dotation gegründeten oder vermehrten Fideicommissen wird das Ertheilungs-Decret nebst dem Verzeichniß der das Fideicommiß constituirenden Güter dem Staats-Ministerium der Justiz zugefertiget. Diesem liegt sodann ob, hiernach die Fideicommiß Urkunde auszufertigen, und sowohl wegen öffentlicher Bekanntmachung, als wegen der Immatriculation das Geeignete zu verfügen.

III. TITEL Von Bildung neuer FamilienFideicommisse aus den vorigen Fideicommissen und Stammgütern § 32. Wenn in einem Gebietstheile, worin die vormals gültigen Familien-Fideicommisse durch die inzwischen eingetretenen Gesetze oder Verordnungen aufgehoben wurden, bey einer adelichen Familie

§ 34. In Ansehung der zur Errichtung eines Fideicommisses nothwendigen Vermögens kommen die Vorschriften des ersten Titels zur Anwendung. § 35. Bey der Bildung eines solchen Fideicommisses ist der Constituent aus dem vormaligen Fideicommiß-Vermögen, soweit er daran die fideicommissarische Eigenschaft erneuert, seinen Notherben zwar keinen Pflichttheil schuldig; ihnen gebührt jedoch in Ermanglung eines andern Vermögens aus dem Fideicommisse nicht nur eine verhältnißmäßige Alimentation, sondern auch dessen Töchtern bey der Verehelichung eine bnständige, den vormaligen Fideicommiß-Rechten angemessene Aussteuer. § 36. Dagegen dürfen zum Schaden des Pflichtheiles, welcher den Notherben aus dem übrigen Vermögen des Constituenten gebührt, die Schulden desselben nicht auf das Allodial-Vermögen allein hingewiesen, sondern sie sollen, was die Ausmessung des Pflichttheiles angehet, zwischen dem Vermögen, an welchem der Fideicommiß-

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BAYERN Verband erneuert wird, und zwischen dem übrigen Vermögen in folgender Art vertheilt werden: 1) die alten Fideicommiß-Schulden, und die nach gegenwärtigem Edict als Fideicommiß-Schulden Ir Classe anzusehenden, dürfen von dem Allodial-Vermögen nicht abgezogen werden; 2) Von den übrigen Schulden des Constituenten aber wird nach dem Verhältniße, in welchem das Allodial-Vermögen, und das zum neuen Fideicommisse verwendete vormalige Fideicommiß-Vermögen gegen einander stehet, ausgeschlagen, wie viel davon auf das Fideicommiß- oder auf das Allodial-Vermögen fällt, und hiernach wird das Pflichttheil berechnet. § 37. Die Erneuerung vormaliger Fideicommisse findet, bloß für die Descendenten der dermaligen Constituenten statt, auch tritt unter diesen Descendenten die bey dem vorigen Fideicommisse bestandene Successions-Ordnung wieder ein, soferne nicht die Betheiligten sich zu einer andern Successions-Ordnung verstehen. Wenn jedoch mehrere Linien einer Familie vormals verschiedene Fideicommisse unter einem gemeinschaftlichen fideicommissarischen Verbande besessen haben, und diesen Verband unter sich wieder herstellen, oder die vormaligen verschiedenen Fideicommisse in ein Familien-Fideicommiß vereinigen wollen, so kann die Erneuerung des Fideicommisses auch darauf erstreckt werden. § 38. Alle andern Substitutionen und Regredient-Ansprüche, welche durch die frühern Gesetze mit Aufhebung der FamilienFideicommisse für erloschen erklärt wurden, bleiben erloschen, wenn auch aus dem vormaligen Fideicommisse dem gegenwärtigen Edicte gemäß ein neues Fideicommiß gebildet wird. § 39. Die Gläubiger des Constituenten

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können sich bey dieser Erneuerung an das neu gebildete Fideicommiß in der Art halten, daß 1) jene Forderungen, welche entweder nach den vormaligen Fideicommiß-Rechten, oder nach dem gegenwärtigen Edicte auf der Substanz des Fideicommisses haften, desgleichen jene Schulden, welche nach der gesetzlichen Aufhebung der Familien-Fideicommisse unter ausdrücklicher Verpfändung eines vormaligen Fideicommiß-Gutes contrahirt wurden, als Fideicommiß-Schulden erster Classe; 2) alle übrigen Schulden aber als Fideicommiß-Schulden zweyter Classe angesehen werden. § 40. Bey Bildung dieser neuen Fideicommisse tritt die im Titel II. §§. 23 – 30. vorgeschriebene gerichtliche Instruction und Bestätigung ein. Mit dem Gesuche um die Bestätigung ist der Beweis zu verbinden, daß das zum neuen Fideicommiß bestimmte Vermögen vor Auflösung der Fideicommisse die Eigenschaft eines Fideicommiß- oder Stamm-Gutes an sich getragen habe, und die Erbfolge anzuzeigen, welche dabey vormals statt gefunden hat, oder künftig statt finden soll. § 41. Die im gegenwärtigen Titel enthaltene Begünstigung der Fideicommiß-Errichtung aus dem vormaligen Stamm- oder Fideicommiß-Vermögen ist auf die Dauer von zwey Jahren, von Bekanntmachung des gegenwärtigen Edictes an gerechnet, dergestalt beschränkt, daß nur diejenigen Fideicommisse hiernach beurtheilt werden, bey welchen der Besitzer innerhalb dieses Zeitraumes entweder bey Gericht durch das Gesuch um Bestätigung (§. 24.) erklärt hat, daß er aus dem vormaligen FideicommißVermögen ein neues Fideicommiß bilden wolle, oder für welche der Besitzer, wenn er während der zwey Jahre stirbt, die bestimmte schriftliche Erklärung hinterläßt,

V ERFASSUNG VON BAYERN (1818) daß aus dem vormaligen Fideicommiß-Vermögen ein neues Fideicommiß gebildet werden soll.

IV. TITEL Von den Rechten und Verbindlichkeiten, welche aus dem Fideicommiß-Verbande entspringen § 42. Das Eigenthum des FideicommißVermögens steht nicht dem jedesmaligen Besitzer desselben allein, sondern auch den übrigen zur Nachfolge Berechtigten (Anwärtern) zu. § 43. Vermöge des Miteigenthums sind die Anwärter berechtiget: 1) zu verlangen, daß alle zum Fideicommiß gehörigen Sachen in ein ordentliches Verzeichniß gebracht, und darin die beweglichen nach ihrer Beschaffenheit, Zahl, Größe, Gewicht oder Werth genau beschrieben werden. Dieses Verzeichniß dient bey jeder Besitz-Veränderung und bey Absonderung des Fideicommisses vom Allodium zur Richtschnur: 2) zu verlangen, daß die Schuldbriefe über die zum Fideicommiß gehörigen Capitalien auf den Nahmen des Fideicommisses als Gläubiger gestellt, und bey Gericht zur Verwahrung hinterlegt werden; 3) eine üble Verwaltung der Fideicommiß-Güter dem Gerichte anzuzeigen; 4) überhaupt sowohl für Erhaltung der Substanz, als für Erfüllung der fideicommissarischen Anordnungen zu wachen, und darüber in den geeigneten Fällen die gerichtliche Hülfe nachzusuchen; § 44. Der Fideicommiß-Besitzer hat alle Rechte und Verbindlichkeiten eines Nutzungs-Eigenthümers; ihm gebührt also die Verwaltung und der Genuß des Fideicommisses; er trägt dagegen auch alle Lasten, und ist verbunden, die Fideicommiß-Güter in gutem Stande zu erhalten, und hierauf

den Fleiß eines guten Hausvaters zu verwenden. § 45. Durch Willens-Erklärung des Constituenten kann dem Besitzer des Fideicommisses der Genuß gänzlich auf nicht länger als zwanzig Jahre entzogen, und nach diesem Zeitraume vom Constituenten nicht weiter beschränkt oder belastet werden, als so, daß dem Besitzer der volle Genuß des zur Gründung eines Fideicommisses erforderlichen Vermögens (§. 2.) unbeschwert bleibe. § 46. Wenn der Constituent keine besondere Verfügung zum Vortheil der FamilienGlieder (§. 12.) gemacht hat, so ist der Fideicommiß-Besitzer verbunden, seinen Geschwistern und der Wittwe seines Vorfahrers, im Mangel eines andern Vermögens oder Einkommens, die nöthige, und nach den Umständen zu bestimmende Alimentation, auch seinen Töchtern und Schwestern, unter eben diesen Voraussetzungen, bey ihrer Verehelichung eine anständige Aussteuer zu geben. § 47. Ist dem Besitzer des Fideicommisses der Genuß durch Willens-Erklärung des Constituenten entzogen, so fällt auch für diesen Zeitraum jeder Anspruch der Wittwen und andern Familienglieder auf einen Bezug aus dem Fideicommisse hinweg. § 48. Der Fideicommiß-Besitzer kann eigenmächtig das Fideicommiß mit einer ueuen bleibenden Bürde oder Dienstbarkeit nicht belegen, eben so wenig die zum Fideicommisse gehörigen Güter durch Tausch, Verkauf, Vergleich, oder auf andere Weise veräußern. Verpachtungen, die auf mehr als neun Jahre abgeschlossen sind, verbinden den Nachfolger nicht. § 49. Zu allen Veräußerungen, desgleichen zu allen Veränderungen an der Substanz des Fideicommisses, z. B. durch Ankauf eines Gutes aus den vorhandenen

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BAYERN Fideicommiß-Capitalien, durch Ablösung fruchtbringender Real-Rechte, wird nach Vernehmung der Anwärter die Genehmigung des Gerichts erfordert. § 50. Sind mit einem Fideicommisse lehen-, erbzins- oder erbrechtsbare Güter verbunden, so muß auch noch die Einwilligung des Lehen- oder Grundherrn, und hinsichtlich der durch Königl. Dotation gegründeten Fideicommisse die Königl. Einwilligung vother erhohlt werden. § 51. Das Gericht muß alle bekannten Anwärter, und wenn sie minderjährig oder abwesend sind, ihre Curatoren, dann den Vertreter des Fideicommisses, wenn einer bestellt ist, darüber vernehmen, alle Verhältnisse genau prüfen, und nach reifer Erwägung der Gründe die Genehmigung ertheilen oder abschlagen. § 52. Jede Veräußerung oder Belastung der Substanz des Fideicommisses ohne Genehmigung des Gerichts ist nichtig, und kann nicht nur von jedem Fideicommiß-Folger, sondern auch von jedem Anwärter, so wie von dem Vertreter des Fideicommisses, wenn einer bestellt ist, selbst von jenen Anwärtern, welche in die Veräußerung oder Belastung eingewilliget haben, und von ihren Nachkommen angefochten, und das Veräußerte, wenn es in unbeweglichen Gütern bestehet, von jedem dritten Inhaber zurückgefordert werden. In wie ferne die Vindication beweglicher Sachen gegen den dritten Inhaber statt finde, oder der Schuldner eines zum Fideicommisse gehörigen Capitals durch Zahlung an den Fideicommiß-Besitzer von der Schuld befreyt werde, ist nach den Civil-Gesetzen zu beurtheilen. Die vindicirten Bestandtheile des Fideicommisses sollen wieder mit demselben vereinigt werden. § 53. Fie die Allodial-Schulden des Fideicommiß-Besitzers haftet die Substanz

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des Fideicommisses nicht, und selbst dessen Früchte können dafür nicht weiter in Anspruch genommen werden, als sie dem schuldenden Besitzer nach Abzug der Fideicommiß-Lasten zukommen, und mit Vorbehalt der Competenz. Die Fideicommiß-Folger können daher um die Allodial-Schulden des Vorgängers nur in so ferne belangt werden, als sie entweder zugleich dessen Allodial-Erben sind, oder sich für eine Schuld besonders verbürgt haben. § 54. Die Fideicommiß-Schulden haften entweder auf der Substanz und den Früchten des ganzen Fideicommisses zugleich, oder nur auf den Früchten allein, und werden hiernach in Fideicommiß-Schulden erster oder zweyter Classe abgetheilt. § 55. Die Fideicommiß-Schulden erster Classe gehen den Schulden zweyter Classe vor; die Schulden jeder Classe unter sich haben den Vorzug nach der Zeit ihrer Eintragung in die Fideicommiß-Matrikel. § 56. Unter die Fideicommiß-Schulden erster Classe werden diejenigen gerechnet, welche zum Nutzen des Fideicommisses selbst contrahirt und verwendet wurden. Hierher gehören. 1) Diejenigen, welche bey der Errichtung des Fideicommisses auf dasselbe mit ausdrücklicher Bestimmung dieses Vorzugs angewiesen wurden, insbesondere die Pflichttheile der Notherben des ersten Constituenten, so ferne sie nach Uebereinkunft der Interessenten als ein Capital auf dem Fideicommisse liegen bleiben; 2) diejenigen, welche zum Ankauf eines dem Fideicommisse einverleibten Gutes verwendet, oder mit demselben übernommen wurden; 3) die auf nothwendige Proceß-Kosten in Streitigkeiten, welche die Substanz des Fideicommisses betreffen, und zur Erzielung gerichtlicher Vergleiche, zu deren Beendigung, oder

V ERFASSUNG VON BAYERN (1818) 4) zur Abführung der in Rücksicht des Fideicommisses erlegten feindlichen Contributionen, desgleichen 5) auf Herstellung notwendiger und nützlicher Gebäude, endlich 6) zur Abführung einer von den vorbenannten Schulden verwendet wurden. § 57. Diese Schulden sollen vom Gerichte erst nach vorläufiger Untersuchung, ob sie überhaupt und in dem verlangten Maaße sich zu einer solchen Fideicommiß-Schuld eignen, und in zweifelhaften Fällen nach Vernehmung der Anwärter in die Fideicommiß-Matrikel eingetragen werden. § 58. Zu den Fideicommiß-Schulden zweyter Classe werden außer den im §. 39. Nr. 2. bemerkten Schulden diejenigen gerechnet, welche das Gericht den folgenden Bestimmungen gemäß nach Vernehmung der Anwärter genehmiget hat. § 59. Ein bestehendes Fideicommiß kann mit einer Fideicommiß-Schuld zweyter Classe nur dann beschwert werden, wenn der Fideicommiß-Inhaber zur Bestreitung nothwendiger und unvermeidlicher, die Substanz des Fideicommisses selbst nicht betreffender Ausgaben (§. 56.) in Ermanglung hinreichenden Allodial Vermögens einer Capitals-Aufnahme bedarf, und wenn bey dem Fideicommisse außer dem erforderlichen Betrage des Grundvermögens (§. 2.) noch ein weiteres fruchtbringendes Vermögen (§§. 5. 6.) vorhanden ist, dieser Ueberschuß auch nach Abzug aller darauf bereits haftenden Lasten und Schulden durch die neue Schuld nicht über ein Drittheil beschwert wird, vorbehaltlich dessen, was der Constituent besonders verfügt hat. Dabey ist in Ansehung der unbeweglichen Güter nicht der Schätzungs-Preiß, sondern das Steuer-Capital zur Richtschnur zu nehmen. § 60. In die zur Aufnahme einer Fideicommiß-Schuld zweyter Classe sich eig-

nenden Ausgaben gehören die erweislich durch Krankheit, höhere Auslagen für Erziehung oder Versorgung mehrerer Kinder, Ausstattung der Töchter, Antritt eines Civiloder Militaire-Dienstes, eintretende Verehelichung, Unglücksfälle in der Oeconomie, oder schwere Kriegslasten verursachten außerordentlichen Kosten, welche weder aus den Früchten des Fideicommisses, noch aus dem Allodial-Vermögen bestritten werden können. § 61. Das Gericht hat bey jedem Gesuche um Bewilligung einer Fideicommiß-Schuld zweyter Classe hierüber den nächsten Fideicommiß-Nachfolger, die Anwärter, und den Vertreter des Fideicommisses, wenn einer bestellt ist, nach §. 51. zu vernehmen, und wenn sie in die Schuld einwilligen, ohne erhebliche Gründe die Genehmigung nicht zu versagen, dagegen aber auch diese im Falle eines von demselben erfolgten Widerspruches ohne hinreichende Gründe nicht zu ertheilen, und dabey besonders auf die Veranlassung der Schuld, auf den Betrag des noch unbeschwerten Vermögens, und die dadurch gegründete Erwartung ihrer frühern Tilgung, auf die im Zahlungs Plan bestimmten kürzern oder längern Fristen und auf die Beschaffenheit des Widerspruchs ihr Augenmerk zu richten. § 62. Für Fideicommiß-Schulden, sie seyen erster oder zweyter Classe, haftet das Allodial-Vermögen des Besitzers, außer den ihm zukommenden Früchten nicht, sondern sie gehen mit dem Fideicommisse auf jeden Nachfolger über, dem jedoch der Regreß gegen das Allodium des Vorgängers vorbehalten bleibt, wenn dieser entweder mit den im Tilgungsplane bestimmten Fristen im Rückstande geblieben ist, oder bey Fideicommiß-Schulden zweyter Classe zum Ersatz aus seinem Allodial-Vermögen sich ausdrücklich verpflichtet hat. § 63. In Ansehung der mit einem Fidei-

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BAYERN commisse verbundenen Lehen kommen die Bestimmungen des Lehen-Edicts über Lehen-Schulden zur Anwendung. § 64. Die vorhandenen Fideicommiß-Capitalien können für solche Auslagen, welche unter die Fideicommiß-Schulden erster Classe gehören, mit Genehmigung des Gerichts nach Vernehmung der Anwärter, desgleichen in den §. 61. bestimmten Fällen unter den dortselbst enthaltenen Beschränkungen und Voraussetzungen, vorbehaltlich der im §. 69. bestimmten Rückzahlung, eingezogen und verwendet werden. § 65. Die Veräußerung der zu einem Fideicommisse gehörenden Grundstücke und Real-Rechte kann nur mit Einwilligung des Gerichtes in dem Falle statt finden wenn die Gläubiger wegen Fideicommiß-Schulden erster Classe auf die Zahlung dringen, und nach Vernehmung der Anwärter sich bezeigt, daß sie auf andere Weise nicht befriediget werden können. Insbesondere darf das Grundvermögen, worauf das Fideicommiß ruhet, nicht veräußert werden, so lange noch unter dem Fideicommiß-Vermögen andere zur Zahlung dieser Schulden hinreichende Objecte sich befinden. § 66. Außer diesem Falle können solche Immobilien und Real-Rechte nicht anders als mit Einwilligung aller bekannten Anwärter und des Fideicommiß-Vertreters, wenn einer bestellt ist, sodann mit Genehmigung des Gerichts veräußert, und diese Genehmigung kann nur alsdann ertheilt werden, wenn die Veräußerung dem Fideicommmisse einen beträchtlichen und bleibenden Nutzen gewährt. § 67. Die zum Fideicommisse gehörigen grundherrlichen Rechte können zwar durch gemeinsames Einverständniß des Grundherrn und des Grundholden abgelöset, sie sollen aber wo möglich in eine beständige Rente an Getreide verwandelt werden.

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§ 68. Im Falle des §. 66. so wie, wenn im Falle des §. 67. ein Ablösungs-Capital bedungen worden, muß der Kaufpreis oder das Ablösungs-Capital zum Besten des Fideicommisses, besonders zum Ankauf fruchtbringender Realitäten verwendet, und, bis es geschehen kann, gegen hypothecarische Sicherheit verzinslich angelegt werden. Insbesondere darf sich weder der Fideicommiß-Besitzer noch ein Anwärter dabey einen Privat-Vortheil bedingen. § 69. Mit jeder Fideicommiß-Schuld und mit jeder die Substanz des Fideicommisses vermindernden Handlung ist ein Plan zu verbinden, wie aus den Früchten des Fideicommisses die darauf gelegten Schulden getilgt, oder die an der Substanz desselben geschehenen Verminderungen durch bestimmte und von dem dermaligen Besitzer sowohl, als von den Nachfolgern zu entrichtenden Fristen ergänzt werden sollen. Dieser Tilgungs- und Ergänzungs-Plan ist mit Rücksicht auf den Betrag und die Lasten des Fideicommisses so einzurichten, daß in jährlichen Fristen, so bald als es geschehen kann, insbesondere für die zur Aussteuer der Töchter verwendeten Summen in solchen Raten, welche dem vorigen Unterhalts-Bezuge gleich sind, die Schulden getilgt, und die an der Substanz geschehenen Verminderungen ergänzt werden. Niemals dürfen die jährlichen Fristen weniger, als fünf vom Hundert am Capital betragen; der Fideicommiß-Besitzer muß sich aber höhere Summen gefallen lassen, so lange ihm der Ertrag des normalmäßigen Grundvermögens übrig bleibt. Das Gericht kann die einmal bestimmten Fristen nur aus besonders erheblichen Ursachen verlängern. § 70. In allen Fällen, wo die fristenweise Rückzahlung einer Fideicommiß-Schuld oder die Wiederherstellung eines eingezogenen Fideicommiß-Capitals, oder der

V ERFASSUNG VON BAYERN (1818) sonst verminderten Substanz vorgeschrieben, oder eine Mehrung derselben durch fristenweise Zahlungen des FideicommißBesitzers von dem Constituenten angeordnet ist, können nicht nur die Anwärter von dem Besitzer den Beweis der geleisteten Frist-Zahlung verlangen, sondern auch die Gerichte denselben anhalten, daß er sich wegen geleisteter Rückzahlung ausweise, oder für die wiederherzustellende oder zu vermehrende Substanz entweder das baare Geld, oder hypothecarische Schuldbriefe bey Gericht hinterlege. § 71. Zeigt sich bey einem FideicommißBesitzer eine dem Fideicommisse verderbliche Wirthschaft, so kann und soll das Fideicommiß auf Anrufen der Interessenten oder des benannten Fideicommiß-Vertreters vom Gerichte in Administration gesetzt werden. Läßt sich aus der erwiesenen übeln Wirthschaft des Besitzers nur eine Gefahr für die in dessen Händen befindlichen beweglichen Zugehörungen des Fideicomisses befürchten, so können ihm auf Anrufen der Interessenten diese abgenommen, und einem Familiengliede zu Verwahrung übergeben, oder nach Umständen selbst in gerichtliche Verwahrung genommen werden. § 72. Die vorbemerkte Administration des Fideicommisses kann auch alsdann eintreten, wenn der Besitzer hinsichtlich der schuldigen Leistungen an die Familienglieder, oder für Tilgung der FideicommißSchulden, oder für Wiederherstellung der geminderten Substanz, oder für deren Mehrung seine Obliegenheiten nicht erfüllt. Die Administration des Fideicommisses soll in allen Fällen, wo es geschehen kann, einem Familiengliede übertragen werden. § 73. Jeder Fideicommiß-Besitzer ist verbunden, seinem Nachfolger das Fideicommiß sammt Zugehörungen ohne irgend eine aus seinem Verschulden herrührende Schmälerung zu hinterlassen.

Dem Nachfolger haftet demnach die Allodial-Masse seines Vorgängers für jede auf das Fideicommiß sich beziehende Pflichtversäumniß seines Vorgängers, und für jede hieraus entstandene Deterioration oder Verminderung der Substanz. § 74. Hinsichtlich des Zuwachses, so wie der Theilung der hängenden und ausständigen Früchte zwischen den Allodial-Erben und dem Fideicommiß-Folger treten, in so ferne nicht hierüber besondere Dispositionen vorhanden sind, die Bestimmungen der bürgerlichen Rechte über die gegenseitigen Verhältnisse des Eigenthümers und Nutznießers ein. § 75. Eben dieses gilt hinsichtlich der Verbesserungen der Substanz, jedoch mit der Beschränkung, daß der FideicommißFolger hievon jene Raten abziehen kann, welche der Vorgänger, dem §. 69. zu Folge, noch während seines Genusses als Rückzahlungs-Fristen hätte entrichten müssen, wenn er wegen dieser Meliorationen eine Fideicommiß-Schuld contrahirt hätte. § 76. Den Allodial-Erben steht für den Antheil bey der Früchte-Theilung und für den Ersatz der Meliorationen das Retentions-Recht an dem Fideicommisse nicht zu.

V. TITEL Von der Erbfolge in FamilienFideicommisse § 77. Das Recht zur Erbfolge in Familien-Fideicommisse gründet sich in der Anordnung des Constituenten, und geht von ihm oder von demjenigen, zu dessen Vortheil er das Fideicommiß errichtet hat, auf die ehelichen Nachkommen über. – Die durch nachfolgende Ehe Legitimirten werden den ehelich Gebohrnen gleich geachtet. § 78. Nur adeliche Nachkommen sind fähig, das Fideicommiß zu erlangen. – Mit

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BAYERN dem Verluste des Adels erlischt demnach zugleich das Erbfolge-Recht in die Familien-Fideicommisse. – Wer als adelich zu betrachten sey, und wie der Adel verlohren werde, ist in dem Edicte über den Adel bestimmt. § 79. Tritt bey dem zur Nachfolge Berufenen der Verlust dieser Fähigkeit noch vor Eröffnung der Nachfolge ein, so hat er kein Recht zum Antritt derselben. Ereignet sich der Verlust nach erfolgtem Antritte des Fideicommisses, so löset sich das Genußrecht des bisherigen Besitzers auf, und dem nächsten Nachfolger wird die Erbfolge in das Fideicommiß eröffnet, welcher jedoch subsidiarisch verbunden ist, dem vorigen Besitzer die Competenz zu geben. § 80. Familien-Fideicommisse werden in den Pflichttheil nicht eingerechnet, auch können die Notherben des Besitzers daraus einen Pflichtheil nicht verlangen, vorbehaltlich dessen, was in Ansehung der Noth-Erben des ersten Constituenten im §. 19. und §. 21. bestimmt ist. § 81. Der Besitzer eines Familien-Fideicommisses kann, so lange der fideicommissarische Verband dauert, darübet nicht durch letzten Willen verfügen. § 82. Der Fideicommiß-Folger ist die Allodial-Erbschaft seines Vorgängers, selbst wenn dieser sein Vater war, auszuschlagen berechtigt. § 83. Ein Mitglied der zur Erbfolge in das Fideicommiß berufenen Familie kann zwar für sich, jedoch keineswegs für seine, wenn gleich noch nicht gebohrne Nachkommenschaft auf das Recht zur Nachfolge Verzicht leisten. § 84. Ein Fideicommiß kann nicht nur zum Vortheil einer Familie, sondern auch nach Abgang der ersten Familie, oder des Manns-Stammes derselben, zum Vortheil

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einer andern Familie errichtet werden. In diesem Falle hat die letzte Familie, so lange die erste noch nicht erloschen ist, zwar alle aus dem Miteigenthume (§. 43.) fließenden, die Erhaltung der Substanz bezielenden Rechte, aber die übrigen Rechte ruhen, bis an sie die Nachfolge gefallen ist. § 83. Mit einem Familien-Fideicommisse kann auf den Fall, daß die Familie, oder in derselben der Manns-Stamm erlischt, eine Substitution verbunden werden. Bey dem Substituirten geht nach dem Anfall das Familien-Fideicommiß in Allodium über; die aus solchen fideicommissarischen Substitutionen entspringenden Rechte sind nach den Civil-Gesetzen zu beurtheilen. § 86. Sind in einer Familie, nebst dem Fideicommisse für die erstgebohrne Linie, noch eines oder mehrere für die nachgebohrnen Linien errichtet, so gelangt der Besitzer des ersten Fideicommisses und dessen Nachkommenschaft erst dann zum Besitze eines andern Fideicommisses, wenn in den übrigen Linien keine zu dem Fideicommisse berufenen Nachkommen vorhanden sind. Solche Fideicommisse bleiben nur so lange in einer Person vereiniget, bis wieder zwey oder mehrere Linien entstehen, so ferne von dem ersten Constituenten nicht eine andere Disposition getroffen worden. § 87. Bey Familien-Fideicommissen, welche neu errichtet werden, kann keine andere Successions-Ordnung, als die Erstgeburts-Folge eintreten, vermöge deren die weibliche Nachkommenschaft, so lange noch männliche Nachkommen vorhanden sind, von der Succession ausgeschlossen bleibt, und immer der Erstgebohrne in der ältern Linie zum Fideicommiß gelangt, so daß der Bruder des letzten Besitzers dessen Söhnen, Enkeln und weitern männlichen Descendenten weichen muß; vorbehaltlich dessen, was wegen der mit

V ERFASSUNG VON BAYERN (1818) einem Fideicommisse verbundenen Anordnungen zum Vortheil einzelner Familienglieder im §. 12, dann wegen der aus vormaligen Fideicommiß- oder Stamm-Gütern gebildeten Fideicommisse im §. 37. verordnet ist. § 88. Die übrigen Successions-Ordnungen, so weit sie bey Fideicommissen, dem gegenwärtigen Edicte gemäß, noch statt finden können, richten sich nach den vorigen Gesetzen. § 89. Hat der Stifter des Fideicommisses nur erklärt, daß das Fideicommiß nach Erlöschung des Manns-Stammes an die weibliche Nachkommenschaft fallen soll, so ist diese Disposition als eine fideicommissarische Substitution gültig, und hat die Wirkung, daß das Fideicommiß vom letzten Besitzer mit Allodial-Eigenschaft an die weiblichen Nachkommen nach der Erbfolge-Ordnung übergeht, welche in den CivilGesetzen bestimmt ist. § 90. Hat aber der Stifter die weibliche Descendenz nach Abgang des Manns-Stammes zum Fideicommisse mit fortdauerndem fideicommissarischen Verbande berufen, so bleibt es auch unter den weiblichen Abkömmlingen bey der Lineal- und Erstgeburts-Folge mit Vorzug ihrer männlichen Nachkommen, dergestalt, daß bey Abgang des Manns-Stammes das Fideicommiß an die älteste Tochter des letzten Besitzers und deren Descendenz fällt, und die Succession immer nach den Regeln der Erstgeburt auch unter ihren weiblichen Descendenten, in so lange fortgeht, bis sich unter jenen Descendenten, an welche die Succession gelangt ist, ein männlicher Abkömmling befindet, welcher alsdann alle seine Schwestern, selbst die ältern, von der Succession ausschließt. Stirbt die älteste Tochter, ohne Nachkommen zu hinterlassen, oder sind von ihr weder weibliche noch männliche Descenden-

ten vorhanden, so geht die Fideicomiß-Folge nach eben diesen Regeln an die zweitr Tochter des letzten Besitzers und deren Nachkommenschaft. Nach gleichen Grundsätzen richtet sich die Fideicommiß-Folge der dritten und übrigen folgenden Töchter des letzten Besitzers und ihrer Descendenten. § 91. Ist einmal, den vorstehenden Regeln zu Folge, ein vom letzten Besitzer durch weibliche Nachkommen abstammender männlicher Descendent zum Besitze des Fideicommisses gelangt; so tritt mit ihm unter seiner Nachkommenschaft der Vorzug des Mannsstammes nach den Bestimmungen des §. 87. wieder ein.

VI. TITEL Von der Auflösung der Fideicommisse und den rechtlichen Folgen derselben § 82. Der Fideicommissarische Verband wird in Ansehung einzelner Theile des Fideicommisses aufgelößt: 1) Wenn sie unter den im Titel IV. vorgeschriebenen Bedingungen rechtmäßig veräußert worden sind, oder von dem dritten Besitzer nicht vindicirt werden können; 2) wenn sie durch einen Dritten als sein Eigenthum vindicirt worden; 3) durch den gänzlichen Untergang des Objects; – 4) In Ansehung der mit einem Fideicommisse verbundenen Lehen hört die Fideicommissarische Eigenschaft auf, und das Lehen muß von dem übrigen FideicommißVermögen gesondert werden, wenn entweder die zur Lehenfolge berechtigte Nachkommenschaft ausstirbt, oder nicht mehr eine und dieselbe Person Fideicommiß- und Lehensfolger ist. 5) Durch Abgang des Manns-Stammes, wenn das Fideicommiß aus einer Königl. Dotation entstanden ist. –

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BAYERN § 93. Das Fideicommiß im Ganzen wird aufgelößt; 1) durch Untergang des ganzen Fideicommiß-Vermögens; 2) durch Widerruf des Constituenten: (§. 94.) 3) durch Verminderung unter die zur Errichtung eines Fideicommisses erforderliche Summe des Grundvermögens (§§. 95. 96.); 4) durch gemeinsames Einverständniß der Betheiligten mit gerichtlicher Einwilligung (§. 97.); 5) durch den Abgang der zur Succession berufenen Nachkommenschaft. (§. 99.) § 94. Der Stifter eines Fideicommisses kann dasselbe auch nach erlangter gerichtlicher Bestätigung widerrufen oder abändern, so lange noch Niemand durch die Uebergabe oder durch Vertrag daran ein Recht erworben hat. – § 95. Wird ein schon bestandenes Fideicommiß durch den Untergang einzelner Bestandtheile, durch deren Veräußerung wegen Fideicommiß-Schulden erster Classe, durch Vindication dritter Eigenthümer, durch andere Unfälle oder durch die §. 92. Nro. 4. und 5. bemerkte Absonderung so tief in seiner Substanz gemindert, daß der noch übrige Theil nicht so viel beträgt, als zur Gründung eines Fideicommisses erfordert wird; so können der Fideicommiß-Besitzer und die Anwärter vereint, oder einer derselben das Fideicommiß durch Ergänzung des Mangelnden aufrecht erhalten. – Hiezu ist demjenigen, der sich das Mangelnde zu ergänzen verbindet, auf Verlangen die Frist eines Jahres zu gestatten. – Erfolgt die Ergänzung nicht, so ist das Fideicommiß erloschen und dasjenige, was vom Fideicommisse, nach Tilgung aller Fideicommiß Schulden übrig ist, bleibt als Allodium in den Händen des letzten Besitzers, jedoch muß derselbe die auf dem erloschenen Fideicommisse, rücksichtlich der

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Nachgebohrnen und Wittwen bereits haftenden Lasten, noch ferner entrichten, soweit sie hievon nach Abzug der dem Besitzer alsdann gebührenden Competenz bestritten werden können. § 96. Ist aber die Abminderung des Fideicommiß-Vermögens aus eigenem Verschulden des Besitzers entstanden, so können die Anwärter verlangen, daß dasselbe in Administration gesetzt, und der NormalWerth des Fideicommisses während der Administration wieder hergestellt werde, jedoch müssen die den Fideicommiß Gläubigern zu leistenden Zahlungen, desgleichen die auf dem Fideicommiß bereits liegenden Alimente und Witthum, soferne diese nicht wegen eines Uebermaaßes eine Minderung leiden, während der Administration verabreicht werden. § 97. Durch gemeinsames Einverständniß aller Familienglieder mit gerichtlicher Genehmigung kann ein Familien-Fideicommiß nur alsdann aufgelößt werden, wenn der Familie durch die Auflösung ein ausgezeichneter und fortdauernder Nutzen zugeht, oder wenn solche gebietende Umstände eintreten, welche bey einer Familie die Auflösung des Fideicommisses nothwendig machen. Dabey muß 1) das Vorhaben, den bestehenden Fideicommiß Verband aufzulösen, mit den Gründen, aus welchen die Auflösung gesucht wird, und mit dem Auflösungs-Plane dem einschlägigen Appellations-Gerichte vorgelegt, und von demselben nach vollständiger Instruction der Sache geprüft werden; 2) das Appellations-Gericht hat sämmtliche Betheiligte, und statt der Abwesenden oder Minderjährigen deren schon bestellte oder für diesen Gegenstand besonders zu bestellende Curatoren, auch den von Amtswegen für diesen Fall besonders aufzustellenden Vertreter des Fideicommisses und der Nachkommenschaft, vorzuladen, denselben die Gründe und den Plan der Auf-

V ERFASSUNG VON BAYERN (1818) lösung umständlich zu eröffnen, und ihre Erklärung darüber aufzunehmen. Unter den Betheiligten sind nicht nur alle zur Fideicommiß-Folge Berechtigte, sondern auch die Substituirten begriffen. 3) Wenn einer der Betheiligten seine Einwilligung in die Auflösung des Fideicommisses verweigert, so kann das Fideicommiß nicht aufgelößt werden. Der Widerspruch des Fideicommiß-Vertreters hindert jedoch die Auflösung nicht weiter, als dessen Gründe für überwiegend erachtet werden. 4) Das Appellations-Gericht prüft die Sache, erwägt die für oder gegen die Auflösung vorgebrachten Gründe, berücksichtiget die dabey etwa verflochtenen, und ungekränkt zu belassenden Rechte Dritter, und faßt wegen Versagung oder Ertheilung der Genehmigung die geeignete Entschließung. § 98. Bey dieser Auflösung des Fideicommisses werden die rechtlichen Folgen derselben durch die hierbey festgesetzten Bedingungen bestimmt; dasjenige, worüber nichts festgesetzt wurde, bleibt dem letzten Besitzer. § 99. Wenn der letzte Besitzer keine zur Fideicommiß-Folge berufene und fähige Nachkommenschaft hinterläßt, auch für diesen Fall Niemand in das Fideicommiß substituirt ist, so genießt derselbe das Recht, darüber von Todeswegen frey zu disponiren, und es tritt, wenn er hievon keinen Gebrauch macht, nach seinem Absterben die gemeine Intestat-Erbfolge ein. § 100. Bey jeder Auflösung eines Fideicommisses fällt das aus einer Königlichen Dotation herrührende Vermögen an den Staat zurück, und die mit demselben verbundenen Lehen sind nach dem LehenEdicte zu beurtheilen. § 101. Jede Auflösung eines FamilienFideicommissses soll öffentlich bekannt gemacht, und die Löschung in der Matrikel,

wie in den Hypotheken-Büchern, veranlaßt werden.

VII. TITEL Besondere Bestimmungen § 102. Die Verhältnisse der vormals unmittelbaren Fürsten, Grafen und Herren in Beziehung auf ihre Familien-Fideicommisse und Stammgüter sind in einem besondern Edicte bestimmt. § 103. Der Constituent eines nach Aufhebung der Familien-Fideicommisse errichteten Majorats kann dasselbe nach den in der Majorats-Urkunde bestimmten Rechten fortbestehen lassen, oder in ein FamilienFideicommiß nach den Bestimmungen des gegenwärtigen Edictes innerhalb zwey Jahren verwandeln. § 104. Bei den Fideicommissen der Familien des vormaligen unmittelbaren Reichs-Adels, welche noch in ihrem alten Complexe bestehen, und nicht inzwischen an andere Besitzer übergegangen sind, treten die Bestimmungen ein, welche in Ansehung derselben in der Bundes-Acte gegeben worden, nach welcher in diesem Falle die bestehenden Familien-Verhältnisse aufrecht erhalten werden. § 105. Bey neuen Dispositionen zur Errichtung oder Vermehrung eines Fideicommisses sind die Mitglieder des vormals unmittelbaren Reichs-Adels an die im gegenwärtigen Edicte enthaltenen Bestimmungen gebunden. § 106. Die noch bestehenden Fideicommisse anderer adelichen Familien in jenen Provinzen des Reiches, worin durch die Gesetze und Verordnungen an den Fideicommissen nichts verändert wurde, bleiben auch forthin gültig, jedoch müssen sie mit den hierauf sich beziehenden Dispositionen und Familien-Verträgen den Appellations-

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BAYERN Gerichten vorgelegt werden, welche sodann nach Vorschrift des §. 30. zu verfahren haben. § 107. Die in Gemäßheit der §§. 104 und 106. noch bestehenden oder wieder auflebenden Familien-Fideicommisse sind in Ansehung der hieraus entspringenden Rechts-Verhältnisse in so weit, als die Dispositionen der Constituenten und die Familien-Verträge nicht ausdrücklich etwas anderes festsetzen, nach dem gegenwärtigen Edicte zu beurtheilen.

Im Uebrigen sind diese fideicommissarischen Substitutionen nach den Civil-Gesetzen zu beurtheilen. München den 26. May 1818. (L. S.) Zur Beglaubigung: Egid von Kobell, Königl. Staatsrath und General-Secretaire.

Edict über die Siegelmäßigkeit52 § 108. Zur Vorlage dieser noch bestehenden Fideicommisse und Familien-Verträge (§§. 104. 106.) wird ein Zeitraum von zwey Jahren festgesetzt. Diese Vorlage kann nicht nur von dem dermaligen Besitzer, sondern auch von jedem Anwärter oder Betheiligten gemacht, auch von diesen der Besitzer zur Vorlage angehalten werden. Sollten nach Ablauf des Zeitraums von zwey Jahren, von Bekanntmachung gegenwärtigen Edictes an gerechnet, noch Fideicommisse entdeckt werden, welche nicht zur Anzeige gebracht worden, so verliert der Inhaber dieser Fideicommisse, für seine noch übrige Lebenszeit, den dritten Theil der jährlichen Fideicommiß-Nutzung, und solcher geht an den nächsten FideicommißNachfolger über. § 109. Jeder Baierische Unterthan kann durch rechtsgültige Handlungen unter Lebenden oder von Todeswegen über sein Vermögen so verfügen, daß derjenige, welcher es erhält, verpflichtet ist, dasselbe nach seinem Tode oder in andern bestimmten Fällen dem ernannten Nachfolger zu überlassen. Eine solche fideicommissarische Substitution erstreckt sich nicht weiter, als auf einen Substituten, und hört mit demselben Kraft des Gesetzes auf, wenn auch die Disposition das Gegentheil enthalten sollte.

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Achte Beylage zu der VerfassungsUrkunde des Reichs Titel V. §. 4. Nro. 4. § 1. Die Verfassungs-Urkunde hat im Titel V. §§. 4. 5. dem Adel, den CollegialRäthen und höhern Beamten die Siegelmäßigkeit ertheilt. Welche Angestellte zu den höhern Beamten gehören, wird durch eine besondere Bekanntmachung festgesetzt werden. Die Siegelmäßigkeit begreift folgende Rechte in sich: § 2. Siegelmäßige Personen können über jene unstreitigen Rechts-Geschäfte, wozu bey den unsiegelmäßigen Personen die obrigkeitliche Protocollirung und Verbriefung nothwendig ist, z.B. Eheverträge, Vollmachten, Vergleiche u. dgl. ihre Urkunden durch Unterschrift und Siegel selbst und mit gleicher Kraft fertigen. § 3. Eine siegelmäßige Person weiblichen Geschlechts, welche für Jemand Bürgschaft leistet, oder sich als Selbstzahler verschreibt, kann ohne Mitwirkung der Obrigkeit auf ihre weiblichen Rechtswohlthaten, nachdem sie darüber durch einen besondern und hinreichend verständigen Anweiser in Anwesenheit eines Zeugen belehrt worden, in einer von ihr, dem Anweiser

V ERFASSUNG VON BAYERN (1818) und dem Zeugen unterschriebenen Urkunde, Verzicht leisten. § 4. Wird ein zweyseitiger auf gegenseitigen Vortheil gerichteter Vertrag zwischen einer siegelmäßigen und einer unsiegelmäßigen Person eingegangen, so muß die Urkunde der letztern vor Gericht errichtet werden. § 5. Die Verträge der Siegelmäßigen, über unbewegliche Güter, und über die denselben gleich geachteten Real-Rechte sind gegen dritte Personen erst von der Zeit an wirksam, wo sie der zuständigen Obrigkeit zur Eintragung in die öffentlichen Bücher angezeigt worden. § 6. Hypothecar-Verschreibungen siegelmäßiger Personen erlangen nicht eher die Kraft einer wirklichen Hypothek, als bis sie nach den Bestimmungen des Gesetzes in die öffentlichen Hypothecar-Bücher eingetragen sind. Wo diese noch nicht bestehen, müssen sie bey Gericht zu Protocoll genommen werden. § 7. Siegelmäßige Grundherren können, wenn sie auch die grundherrliche Gerichtsbarkeit nicht haben, die aus dem GrundVerbande hervorgehenden Urkunden ohne Mitwirkung der Obrigkeit errichten und fertigen. § 8. Bey Absterben eines Siegelmäßigen steht das Recht der Versiegelung dessen männlichen Blutsverwandten von väterlicher oder mütterlicher Seite zu, wenn sie ebenfalls siegelmäßig und bey der Erbschaft nicht betheiligt sind. Sie können dieses Recht nur in eigener Person und in Beyseyn nicht betheiligter Zeugen ausüben. Befinden sie sich nicht gleich an Ort und Stelle, so soll zwar die Sperre von der ordentlichen Obrigkeit angelegt, aber auf Anmelden der gedachten Verwandten sofort wieder abgenommen werden. Diesen Verwandten stehet auch das Recht

der Beschreibung und gänzlichen Behandlung der Verlassenschaft zu, so lange diese als ein unstreitiges Rechts-Geschäft zu betrachten ist. § 9. Hat eine siegelmäßige Person einen gleichfalls siegelmäßigen Executor ihres letzten Willens ernannt, so kommt diesem die Errichtung des Inventars zu. § 10. Die siegelmäßigen nächsten Verwandten eines verstorbenen Siegelmäßigen haben das Recht, für dessen Kinder Vormünder aus ihrer Mitte zu wählen, welche jedoch der Obrigkeit anzuzeigen sind. Im übrigen sollen während der Minderjährigkeit, sowohl wegen der obrigkeitlichen Aufsicht als wegen der Vormundschafts-Rechnung, die allgemeinen gesetzlichen Vorschriften eingehalten werden. § 11. Der Siegelmäßge, welchem eine Vormundschaft übertragen wird, reicht die Vormundschaftspflicht bey der Obrigkeit schriftlich ein. § 12. Die Auszeigung und Nutznießung des Mutterguts richtet sich nach den bestehenden Gesetzen. § 13. Wenn eine siegelmäßige Person in einer Civilsache als Zeuge gerichtlich zu vernehmen ist, so wird derselben die in das Vernehmungs-Protocoll wörtlich einzutragende Eidesformel vom Commissaire vorgelesen, und zur eigenhändigen Unterschrift vorgelegt, welche der körperlichen Eidesleistung gleich gilt. § 14. Siegelmäßige können ihre ProceßSchriften in eigenem Nahmen unterzeichnen, und ohne Mitunterschrift eines Advocaten einreichen. § 15. Die Gattin eines Siegelmäßigen wird für ihre Person der Rechte der Siegelmäßigkeit theilhaftig, und bleibt als Wittwe im Genuß derselben so lange sie den Wittwenstand nicht verändert.

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BAYERN § 16. Auf die Kinder eines Siegelmäßigen gehet die Siegelmäßigkeit nicht über, wenn sie ihnen nicht vermöge ihres eigenen Standes zukömmt. § 17. Die Siegelmäßigkeit erlischt mit dem Verluste des Standes, welchem sie beygelegt ist. § 18. Diejenigen Personen, welchen die Siegelmäßigkeit von nun an nicht mehr zusteht, können dieselbe künftig auch nicht mehr ausüben, unbeschadet der aus ihren frühern Handlungen in Folge der Siegelmäßigkeit bereits entstandenen Rechte. München den 26. May 1818. (L. S.) Zur Beglaubigung:

Verabreichung des ganzen damit verbundenen Gehaltes, und nicht länger als auf drey Jahre, mit deren Ende sie definitiv eintreten. Leisten dieselben nach dem Urtheile der Vorgesetzten in dieser Zeit den Forderungen des Dienstes kein Genüge, so können sie in ihre vorigen Stellen zurückversetzt werden, aber ohne Verkürzung an Rang und Gehalt, und ohne Nachtheil rücksichtlich anderweitiger Beförderung. § 4. Ausgenommen von diesen Anordnungen (§§. 2. 3.) sind alle, Richteramts-Functionen versehenden Staatsdiener sämmtlicher Ober- und Untergerichte ohne Unterschied. Ihre erste Anstellung und jede Beförderung derselben ist sogleich definitiv.

Egid von Kobell, Königlicher Staatsrath und General-Secretaire.

§ 5. Die Besoldungen des activen Dienstes zerfallen in zwey Bestandtheile, in den Gehalt des Standes, und in den Gehalt des Dienstes.

Edict über die Verhältnisse der Staatsdiener, vorzüglich in Beziehung auf ihren Stand und Gehalt53

§ 6. Ist die Ausscheidung dieser Bestandtheile in dem Anstellungs-Rescripte oder in allgemeinen organischen Einrichtungen ausgedrückt, so entscheidet diese Bestimmung. In Ermangelung einer solchen Bestimmung wird die Ausscheidung auf folgende Weise bemessen.

Neunte Beylage zu Titel V. §. 6. der Verfassungs-Urkunde des Reichs § 1. Der Stand eines Staatsdieners wird durch das Anstellungs-Rescript, es sey mit einem besondern Ernennungs-Decrete verbunden oder nicht, erworben. § 2. Die erste Anstellung im Staatsdienste ist drey Jahre hindurch provisorisch, gewährt während dieser Zeit die nachstehenden Vortheile nicht, und wird erst mit deren Ablauf definitiv. § 3. Bey Beförderungen können definitiv Angestellte vorläufig zu Verwesern der neuen Stelle ernannt werden, jedoch gegen

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§ 7. Besteht der Gehalt bloß in einem Haupt-Geldbezuge, ohne irgend einen Nebenbezug, so sind a) im ersten Jahrzehent des Dienstes sieben Zehenttheile; b) im zweyten Jahrzehent des Dienstes acht Zehenttheile: und c) nach dem Eintritte in das dritte Jahrzehent des Dienstes für die ganze Folgezeit, neun Zehenttheile des Gesammtgehaltes als Gehalt des Standes erklärt, und der übrige Theil einer jeden Periode ist zu drey Zehenttheil, zwey Zehenttheil und ein Zehenttheil als Gehalt des Dienstes anzusehen.

V ERFASSUNG VON BAYERN (1818) § 8. Ist neben dem Haupt-Geldbezuge noch ein Nebenbezug an Geld, Natural-Genuß, oder an beyden verliehen, so besteht der Standesgehalt mit gänzlicher Wegrechnung der Nebenbezüge a) im ersten Jahrzehent des Dienstes in acht Zehenttheilen; b) nach dem Eintritte in das zweyte Jahrzehent des Dienstes für die ganze Folgezeit desselben, in neun Zehenttheilen des Haupt-Geldbezuges: und die übrigen zwey Zehenttheile und ein Zehenttheil bilden den Dienstes-Gehalt. § 9. Die Dienst-Entsetzung, (Cassation) und die Dienst-Entlassung mit dem Verlust des Dienst-Ranges und Gesammtgehaltes (Dimission) können nur nach vorhergegangener richterlicher Untersuchung durch Erkenntniß der competenten Gerichts-Behörde erfolgen, und die erste tritt noch als gesetzliche Folge der wegen eines gemeinen Verbrechens erkannten Criminal-Strafe ein. § 10. Ein Staats-Beamter und öffentlicher Diener kann auch wegen Verletzung der Amtspflicht durch Handlungen und Unterlassungen vermittelst rechtlichen Erkenntnisses degradirt oder entlassen werden, welche einzeln mit dieser Strafe vom Gesetze nicht bedrohet sind, wenn nach Inhalt des Straf-Gesetzbuches eine dreymalige Disciplinar-Strafe fruchtlos geblieben ist. § 11. Um Disciplinar-Strafen mit der schweren Folge der Stellung vor Gericht in Wiederholungs-Fällen verhängen zu können, wird erfordert, daß (gröbere, doch durch das Gesetz als Verbrechen oder Vergehen nahmentlich nicht bezeichnete Fehler ausgenommen) Fahrläßigkeit, Unfleiß, Leichtsinn oder Unsittlichkeit, ungeachtet von Vorständen oder höhern Behörden angewandter Ermahnungen, Drohungen, selbst Verweise und Arrest, fortgesetzt werden, also nach der dritten Strafe den Character

der Gewohnheit oder Unverbesserlichkeit annehmen lassen. Jedoch zieht nicht jeder einzelne neue Fehler sogleich die zweyte oder dritte solche Disciplinar-Strafe nach sich, außer in dem vom Gesetze ausdrücklich vorgesehenen Falle. § 12. Diese Strafen können bestehen in Verweisen, Geldbußen, Haus- und Civil-Arrest. Sie sind verschiedener Grade fähig. Die Geldstrafe kann aber nicht unter fünf, und nicht über fünfzig Gulden, und der Arrest nur zwischen vier und zwanzig Stunden und acht Tagen zugemessen werden. Dabey kömmt es nicht auf den Grad, sondern auf die Zahl der Strafen an, und damit der Character solcher Strafen mit ihrer Wirkung erkannt werde, ist jeder derselben beyzufügen, daß es die erste, zweyte, oder dritte sey, welche zur Vorgerichtstellung führet. § 13. Die Befugniß, Staatsdiener mit Disciplinar-Strafen dieser Art zu belegen, kömmt nach den Bestimmungen des folgenden Paragraphen beym subalternen Personal dem Vorstande jeder Stelle, und zwar, wo derselbe aus mehreren Personen bestehet, dem gesammten Directorium, gegen das höhere Personal aber lediglich der vorgesetzten Amtsbehörde zu. § 14. Die erste Strafe findet ohne alle Förmlichkeit statt. Die zweyte und dritte erfordern vorherige schriftliche Vernehmung des Fehlenden, und collegiale Berathung auf schriftlichen Vortrag. Wenn eine collegiale Berathung nicht angestellt werden kann, so sind die Acten mit der Vernehmung an die vorgesetzte Amtsbehörde einzuschicken, welche die Strafe zu verfügen hat. Die dritte kann überdieß nur von dem einschlagenden Staats-Ministerium verhängt werden. – Ueber jede derselben ist eine schriftliche Ausfertigung mit beygefügter Ursache dem Straffälligen zuzustellen, und die Empfangs-Bescheinigung zu den Acten zu bringen.

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BAYERN § 15. Gegen jede dieser drey nach §. 12. verfügten Disciplinar-Strafen ist ein in drey Tagen bey der strafenden oder insinuirenden Behörde anzuzeigender, und in acht bis vierzehn Tagen bey der unmittelbar höheren Amtsbehörde, gegen von den Königlichen Staats-Ministerien ausgegangene Strafverfügungen bey dem Königlichen Staatsrathe einzureichender Recurs gestattet. § 16. In Untersuchungen wegen DienstVerbrechen oder Vergehen gegen wirkliche Collegial-Vorstände, und alle, diesen gleich oder höher stehenden Staats-Beamte entscheidet der Königliche Staatsrath, ob der Angeschuldigte vor Gericht gestellt werden soll. § 17. Die Folgen der erkannten SpecialUntersuchung sind im Straf-Gesetzbuche ausgesprochen. § 18. Außer dem Falle eines richterlichen Urtheils hat der definitiv verliehene Dienerstand und Standes-Gehalt (§§. 2 3. 4.) die unverletzliche Natur der Dauer auf Lebenszeit. § 19. Die Dienstleistung des Dieners und der Dienstesgehalt sind widerruflicher Natur. Sie können, ohne gerichtliche Klage zu begründen, in Folge einer administrativen Erwägung oder einer organischen Verfügung mit Belassung des Standes-Gehaltes und des Titels entweder für immer mittelst Dimission, oder für eine gewisse Zeit mittelst Quiescirung benommen werden. Der also Entlassene darf sich der äußern Zeichen seiner Standes-Classe (der Amtskleidung) ferner nicht mehr bedienen. Der quiescirte Diener behält sie bis zum Wiedereintritte in eine Amts-Verrichtung, und die mit derselben verbundenen Zeichen. § 20. Versetzung eines Staatsdieners kann aus administrativen Rücksichten oder

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in Folge organischer Einrichtungen verfügt werden, wenn damit keine Zurücksetzung in Beziehung auf die Dienstes-Classe, oder auf den ständigen Gehalt verbunden ist. Ueber Vergütung der Umzugs-Kosten giebt die Verordnung vom 16. August 1817 die zu beobachtenden Normen. § 21. Der in Amtsthätigkeit stehende Staatsdiener bleibt von der Ausübung der streng bürgerlichen Gewerbe, von der Führung einer Bank oder ähnlichen Anstalt, und von dem ausschließenden persönlichen Betriebe einer Fabrik ausgeschlossen. Dem äußern Justiz-, Polizey- und FinanzBeamten ist außerdem noch untersagt, in seinem Amtsbezirke eine Guts-Realität zu erwerben. Alle übrigen zuläßigen Privat-Verhältnisse müssen aber auch in jeder Collision mit den Verhältnissen der Amtsverrichtung weichen, und können in Fällen einer Versetzung keinen Grund zu einer Reclamation darbieten. § 22. Der Staatsdiener hat die Befugniß, aus dem Staatsdienste zu treten, und seine Quiescenz zu verlangen nach folgenden Bestimmungen: A. Der Staatsdiener kann zu jeder Zeit ohne alle Motivirung seine Entlassung aus dem Staatsdienste nehmen. Er verliert in diesem Falle den Standesund Dienstes-Gehalt mit dem Titel und den Functions-Zeichen. B. Der Staatsdiener kann wegen Dienstes-Alters in die Quiescenz treten. Hiezu werden durch alle Dienstes-Classen volle vierzig Dienstes-Jahre erfordert. Zur Ergänzung des Dienstes-Alters dürfen alle, unter den vorigen Regierungen aller Gebiets-Theile des Königreiches, und in verschiedenen Dienstes-Classen zurückgelegten Jahre, nicht aber die Jahre der Vorbereitungs-Stellen gezählt werden. Der nach vollendetem Dienstes-Alter in die Quiescenz tretende Staatsdiener behält

V ERFASSUNG VON BAYERN (1818) den Standes-Gehalt mit dem Titel und den Functions-Zeichen und verliert den Dienstes-Gehalt. C. Der Staatsdiener kann wegen LebensAlters in die Quiescenz treten. Hiezu werden in allen Dienstes-Classen siebenzig volle Lebensjahre erfordert. Der nach vollendeten siebenzig LebensJahren in die Quiescenz tretende Staatsdiener behält den Gesammt-Geldgehalt, den Titel und das Functions-Zeichen. D. Der Staatsdiener kann vor Erfüllung des festgesetzten Dienstes- und LebensAlters durch physische Gebrechlichkeit, als Folge eines äußern, in oder außer der Function erlittenen Unglückes, oder der innern Anstrengung functionsunfähig, und dadurch zur Quiescenz geeigenschaftet werden. Ein solcher Fall muß durch die strengsten Beweise des Factums und durch die bestimmtesten Zeugniße amtlicher Aerzte, und competenter Geschäftsmänner hergestellt seyn. Von der Natur des hergestellten einzelnen Falles hängt jedesmal die besondere Erkenntniß ab: ob der Staatsdiener für immer, oder nur auf eine gewiße Zeit zu quiesciren sey? § 23. Die Vorstände und Räthe der Justiz-Collegien, mit Einschluß der Kreis- und Stadtgerichte verbleiben in ihrer Eigenschaft als Richter in allen Quiescenz-Fällen im Bezuge des verliehenen Gesammt-Gehaltes. Landrichter, Landgerichts-Assessoren und Actuare behalten ihren fixen GeldGehalt. § 24. Der Staatsdiener, welcher die Befugniß zur Dimission und Quiescenz ausübt, darf, in Beziehung auf seinen Dienst, sich in keinem Rückstande, weder an anvertrautem Staatsgute, noch an übertragener Hauptarbeit befinden. § 25. Der in Folge einer administrativen

Erwägung oder organischen Verfügung in die Quiescenz gesetzte Staatsdiener bleibt verbunden, der Berufung in eine seiner vormaligen Dienstes-Categorie angemessene Activität, welche ihm entweder provisorisch oder definitiv übertragen werden kann, zu folgen. § 26. Im Falle der Berufung eines Quiescenten zur provisorischen Activität erhält derselbe für die Zeit dieser provisorischen Function den Gesammt-Geldgehalt seiner vorigen Stelle. § 27. Im Falle der Wiedereinsetzung eines Quiescenten in eine difinitive Activität tritt derselbe in den Standes- und DienstesGehalt der neuen Stelle ein, wenn der Gesammt Gehalt dieser neuen Stelle ohnehin eben so groß oder größer als dessen voriger Gesammt-Geldgehalt ist. Ist der fixe Geld-Gehalt der neuen Stelle geringer, als der in seiner vorigen DienstesCategorie bezogene war, so wird sowohl bey der Pension der Wittwe und Kinder, als bey seiner allenfalls wieder eintretenden Quiescenz sein vormaliger ActivitätsGehalt zum Grunde gelegt. § 28. Der Staat übernimmt es, ein Pensions-System für die hinterlassenen Wittwen und Waisen seiner Staatsdiener zu begründen, wobey nach der Verordnung vom 8. Juny 1807 alle aus der Dienst-Pragmatik vom 1. Jänner 1805 erworbenen Rechte unverletzt erhalten werden sollen. Bey einer etwa veränderten Einrichtung werden die durch jenes Gesetz bestimmten PensionsBezüge aus den Staats-Einkünften mit verhältnismäßigen Beyträgen der Staatsdiener für die Zukunft vom Staate garantirt. § 29. Alle dem Inhalte dieses constitutionellen Edictes zuwiderlaufenden Verfügungen der Administrativ-Stellen begründen als Civil-Rechts-Verletzungen eine Klage vor dem competenten Richter. Nur muß vorher die Beschwerde bey den einschlagenden

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BAYERN obern Administrativ-Behörden vorgetragen, und entweder die Entschließung verzögert, oder die Abhülfe verweigert worden seyn, ehe das Gericht die Klage annehmen darf. München den 26. May 1818. (L. S.) Zur Beglaubigung: Egid v. Kobell, Königlicher Staatsrath und General-Secretaire.

Edict über die StändeVersammlung54 Zehnte Beylage zu der VerfassungsUrkunde des Königreichs Baiern Tit. VI. §. 10.

I. TITEL

§ 3. A. Grundbesitzer mit gutsherrlicher Gerichtsbarkeit. Der Antheil an dem für diese Classe bestimmten achten Theile wird für jeden Regierungs-Bezirk nach der Zahl der gutsherrlichen Gerichts-Bezirke desselben Regierungs-Bezirkes bestimmt. § 4. B. Universitäten. Ihre Theilnahme ist bereits in der Urkunde §. 9. festgesetzt. § 5. C. Classe der Geistlichen. Der achte Theil für diese Classe wird vor Allem zwischen den Individuen der Catholischen und Protestantischen Kirche nach der Zahl ihrer Pfarreyen getheilt, und nach diesem Maßstäbe den erstern zwey Drittheile, den letztern ein Drittheil der Stellen in der Kammer der Abgeordneten zugewiesen. Die Vertheilung derselben auf die einzelnen Regierungs-Bezirke geschieht bey jenen nach der Zahl der Pfarreyen, und bey letztern nach der Größe der General-Decanate.

Bildung der Stände-Versammlung55

I. Abschnitt Zusammensetzung der beyden Kammern und Eigenschaften ihrer Mitglieder56 § 1. Die allgemeine Versammlung der Stände des Reichs besteht nach Titel VI. §. 1. der Verfassungs-Urkunde aus zwey Kammern, nämlich: der Kammer der Reichsräthe, und der Kammer der Abgeordneten. § 2. Die Bildung der ersten Kammer (der Reichsräthe) ist in §§. 2 – 5. festgestellt; die zweyte Kammer (der Abgeordneten) bildet sich nach den Bestimmungen §. 7. – 13. Die für dieselbe berechnete Gesammtzahl wird in Folge §§. 9. und 10., und nach den bestehenden Verhältnissen auf die einzelnen Regierungs-Bezirke, und für jede einzelne Classe in folgender Art vertheilt.

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§ 6. D. An der Wahl der Abgeordneten aus den Städten und Märkten, für welche ein Viertheil bestimmt ist, nehmen nur jene Theil, welche eine Bevölkerung von wenigstens 500 Familien besitzen, die in den Königlichen Ausschreiben besonders benannt seyn werden; die übrigen wählen mit den Landgemeinden, und sind in dieser Classe wahlfähig. Bey den Städten wird den bedeutendern derselben, sowohl in Ansehung ihrer besondern Verhältniße, als ihrer Bevölkerung die Wahl von eigenen Abgeordneten, und zwar der Stadt München von zwey, jeder der Städte Nürnberg und Augsburg von Einem Abgeordneten gestattet; alle übrigen wahlfähigen Städte und Märkte, welche über 500 Familien zählen, wählen in jedem einzelnen Regierungs-Bezirke die für denselben noch zu stellenden Abgeordneten dieser Classe.

V ERFASSUNG VON BAYERN (1818) § 7. E. Die für die übrigen Land-Eigenthümer, welche keine gutsherrliche Gerichtsbarkeit haben, bestimmte Hälfte der Gesammtzahl der Abgeordneten wird wieder für jeden einzelnen Regierungs-Bezirk nach der Bevölkerung oder Familienzahl (jedoch nach Abzug der Familien von den im Regierungs-Bezirke befindlichen, und als solche wahlfähigen Städten und Märkten) verhältnißmäßig ausgeschieden. § 8. Neben den allgemeinen Eigenschaften, welche zur passiven Wahlfähigkeit eines Abgeordneten für die zweyte Kammer nach §. 12. der Urkunde vorgezeichnet sind, wird noch insbesondere erfordert, daß a) der Abgeordnete aus der Classe der Grundbesitzer mit grundherrlicher Gerichtsbarkeit in dem nämlichen Regierungs-Bezirke, von welchem er in die Kammer gewählt wird, begütert sey; daß b) die Abgeordneten der Universitäten nur aus ordentlichen decretirten Lehrern, und c) jene von der Classe der Geistlichen nur aus wirklichen selbstständigen Pfarrern, welche ihre Pfarrey selbst versehen, gewählt werden können; daß ferner d) die Abgeordneten der Städte und Märkte in jenen Städten und Märkten, von welchen sie entweder als solche oder als Wahlmänner ernannt werden, mit einem freyeigenen Grundvermögen, oder einem bürgerlichen Gewerbe ansäßig seyen, und solches wenigstens schon drey Jahre im Besitze haben, wovon sie an Häuser- und Rustical-Steuer ein Simplum von zehn Gulden oder an Gewerb-Steuer einen für die dritte Haupt-Classe festgesetzten Betrag von dreyßig bis vierzig Gulden, oder in Verbindung dieser Steuern mit einander eine solche Gesammt-Summe entrichten, welche dem so eben bestimmten Betrage der dritten HauptClasse der Gewerbe-Steuer entspricht; daß endlich c) auf gleiche Art die Abgeordneten aus

der Classe der Landeigenthümer ein freyeigenes oder erblich nutzbares Eigenthum in ihrem respectiven Regierungs-Bezirke seit vollen drey Jahren besitzen, wovon sie als Simplum der Steuer wenigstens zehn Gulden bezahlen. § 9. In das Steuer-Simplum bey dieser Classe wird nur die Rustical-Häuser- und Gewerb-Steuer mit Ausschluß der Personalund indirecten Auflagen, jedoch nicht bloß von den in einem einzelnen Landgerichte, sondern von sämmtlichen in einem Regierungs-Bezirke befindlichen Besitzungen des zu wählenden Individuums eingerechnet. In jenen Regierungs-Bezirken, in welchen die dermalige Steuer-Verfassung der ältern Regierungs Bezirke nicht besteht, wird ein dieser festgesetzten Steuerquote nach der jährlichen Gesammt-Summe gleichkommender Betrag zur Grundlage genommen. § 10. Ein Unterthan, welcher in verschiedenen Regierungs-Bezirken, oder in mehreren Classen des einen Regierungs Bezirkes wahlfähig ist, kann zwar in jeder derselben gewählt werden, doch nur in Einer Eigenschaft als Abgeordneter eintreten, und zwar in jener, in welcher ihn die größere Mehrheit der Stimmen berufen hat.

II. Abschnitt Wahl der Abgeordneten zur zweyten Kammer57 § 11. So oft nach den Bestimmungen der Verfassungs-Urkunde §. 13 eine neue Wahl der Abgeordneten erforderlich ist, wird jedesmahl die Zahl der zu Wählenden nach den schon im Allgemeinen bestimmten Verhältnissen für jeden einzelnen RegierungsBezirk und für jede Classe öffentlich bekannt gemacht, und die Vornahme der Wahl von der Königlichen Regierung des Bezirkes angeordnet werden.

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BAYERN § 12. Jeder Wähler der Abgeordneten hat vor der Wahl den in der Verfassungs-Urkunde Titel X. §. 3. vorgeschriebenen Eid, wenn er ihn nicht schon früher geschworen hat, und nebstdem noch nachstehenden Wählereid abzulegen: „Ich schwöre, daß ich meine Wahlstimme nach freyer innerer Uebzeugung, wie ich solches zum allgemeinen Besten des Landes für dienlich erachte, ohne fremde Einwirkung abgebe, und dießfalls von Niemand, unter was immer für einem Vorwand, weder mittel- noch unmittelbar irgend eine Gabe oder Geschenk angenommen habe, noch annehmen werde;“ „Ich schwöre, daß ich ebenfalls, um zum Abgeordneten der zweyten Kammer erwählt zu werden, Niemand weder mittelnoch unmittelbar eine Gabe oder Geschenk versprochen oder gegeben habe, noch geben oder versprechen werde.“ „So wahr etc. etc.“ Die Wähler der Abgeordneten für die ersten drey Classen übergeben diesen Eid schriftlich mit ihrer Wahlstimme, jene der vierten und fünften Classe schwören ihn vor der Vornahme der letzten Wahl in Gegenwart der Königlichen Wahl-Commission. § 13. Die Wahlstimme kann nicht durch Bevollmächtigte, sondern nur persönlich durch die aus der Classe hierzu berufenen Mitglieder, welche wenigstens 25 Jahre, und im Falle, wenn sie als Wahlmänner zu den letzten Wahl-Momenten aufzutreten haben, wenigstens 30 Jahre alt sind, geführt werden. § 14. A. Wahl der Grundbesitzer mit gutsherrlicher Gerichtsbarkeit. Nach Erhaltung der Königlichen Ausschreibung erläßt jede Regierung an die in ihrem Bezirke befindlichen wohlfähigen Mitglieder dieser Classe mit Ausschluß derjenigen, welche bereits Sitz und Stimme in der ersten Kammer haben, einen besondern

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Aufruf zur Abgabe der Wahlstimme mit Bestimmung einer zerstörlichen Zeitfrist, setzt sie von der Zahl der für gedachte Classe aus dem Regierungs-Bezirke zu wählenden Abgeordneten in Kenntniß, und theilt ihnen zugleich ein nahmentliches Verzeichniß aller im nämlichen Bezirke befindlichen wahlfähigen Mitglieder der Classe mit. Jedes wählende Mitglied übergiebt sodann in der bestimmten Zeitfrist mit Beyfügung der oben §. 12. geforderten Eide seine schriftliche Wahlstimme mit eigener Unterschrift und Fertigung, und sendet sie mit einem besondern beliebigen Wahlspruche unmittelbar an den Königlichen Regierungs-Präsidenten ein. § 15. Der Präsident der Regierung des Bezirks bestimmt den Tag zur Eröffnung der Wahlstimmen, und beruft hierzu die nächstgelegenen fünf Mitglieder dieser Classe, in deren Gegenwart er mit Beyziehung der beyden Directoren der Regierung und eines Secretaire’s als Actuar, jede einzelne Wahlstimme eröffnet, und sie mit Erwähnung des Wahlspruchs, jedoch mit Verschweigung des Nahmens des Wählers, öffentlich bekannt macht. – Die Wahlstimme wird in das Wahl-Protocoll aufgenommen, und am Ende das Resultat der Wahl nach der Stimmen-Mehrheit berechnet und ausgeprochen, das Protocoll aber von sämmtlichen Anwesenden mit Ausnahme der allenfalls erwählten Abgeordneten unterschrieben. Bey allenfallsiger Stimmen-Gleichheit haben die gegenwärtigen Mitglieder der Classe sogleich durch schwarze und weiße Kugeln zu entscheiden, und zwar nicht bloß für die Wahl der wirklichen Abgeordneten, sondern auch für die Ersatzmänner. § 16. Eine Abschrift des Protocolls und der hierin bey jedem Wahlspruche eingetragenen Stimme ist mit Beseitigung des Nahmens des Wählers jedem Mitgliede der

V ERFASSUNG VON BAYERN (1818) Classe zur Kenntniß und zu seiner Ueberzeugung über die richtige Aufnahme seiner Stimme mitzutheilen. § 17. Wahlstimmen, welche nicht in der vorgeschriebenen Form zur bestimmten Zeitfrist übergeben sind, werden nicht eingerechnet; auch hat ein Mitglied, welches allenfalls mehrere Grundbesitzungen mit gutsherrlicher Gerichtsbarkeit im Regierungs Bezirke hat, nur Eine Stimme abzugeben. § 18. B. Wahl der Abgeordneten der Universitäten. Die Wahl der Abgeordneten von den Universitäten geschieht in einer vollständigen Versammlung aller ordentlichen und außerordentlichen Lehrer, welche ihre schriftliche Wahlstimme unter einem beliebigen Wahlspruche mit ebenmäßiger Beyfügung des Constitutions- und des Wahleides übergeben. Der Vorstand öffnet sie in der Versammlung und läßt sie dem Protocoll einverleiben, spricht den Erfolg der StimmenMehrheit aus, und sendet das Protocoll, welches von sämmtlichen Anwesenden, mit Ausschluß des Erwählten, unterzeichnet werden muß, an den Präsidenten der Regierung des Bezirks ein. Bey Stimmen-Gleichheit entscheidet wie oben §. 15. die Wahl durch Kugeln. § 19. C. Wahl der Abgeordneten von der Classe der Geistlichen. Zur Wahl der Abgeordneten aus dieser Classe sind zwey Wahlhandlungen erforderlich; die erste zur Auswahl des Wahlmannes geschieht am Sitze eines jeden Decanats, wozu nach vorläufiger Aufforderung des Land- oder Herrschafts-Gerichtes alle nach §. 8. wahlfähigen Pfarrer desselben einberufen werden, sie mögen zu dem nämlichen Regierungs-Bezirke gehören oder nicht. Der Dechant sammelt die schriftlichen Stimmen, trägt sie in ein Protocoll

ein, welches von allen Anwesenden unterschrieben wird, und sendet solches durch das Land- oder Herrschafts-Gericht an die Bezirks-Regierung. Pfarreyen, welche keinem Decanate zugetheilt sind, stimmen für diesen Fall bey dem nächstgelegenen Decanate mit, und sind auch in demselben wahlfähig. § 20. Bey der zweyten Wahlhandlung stimmen nur die ernannten Wahlmänner der Decanate, und wählen bloß unter sich (mit Ausschluß aller übrigen) die für den Regierungs-Bezirk bestimmten Abgeordneten mittelst Einsendung einer schriftlichen Wahlstimme, welcher sie gleichfalls die vorgeschriebenen Eide und einen besonderen Wahlspruch beyzufügen haben. Zu diesem Ende theilt der Präsident der Regierung einem jeden der ihm bekannt gemachten Wahlmänner der Decanate die vollständige Liste derselben unter den §. 14. angeordneten Bestimmungen mit, und erhohlt von denselben die Wahlstimme, welche er auf gleiche Art nach den §. 15. gegebenen Bestimmungen in Gegenwart der hierzu einberufenen, nächstgelegenen 5 Wahlmänner dieser Classe eröffnet, und weiter auf die hierin angezeigte Art verfährt. § 21. D. Wahl der Abgeordneten aus den Städten und Märkten. Bey jenen Städten, welchen eigene Stellen zugewiesen sind, tritt nur Eine Wahlhandlung ein, die von dem verfassungsmäßig erwählten Magistrate und den Gemeinde-Bevollmächtigten unter dem Vorsitze eines eigends hierzu ernannten Königlichen Commissaire’s nach vorher abgelegtem Wählereide vorgenommen wird. Die Wahl geschieht durch schriftliche Wahlzettel, welche besonders hierzu vorbereitet, mit fortlaufenden Nummern bezeichnet, und nachdem sie untereinander gemengt worden sind, unter die Wahlmänner ausgetheilt werden. Jeder Wahlmann hat in derselben den

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BAYERN oder die gewählten Abgeordneten mit Taufund Zunahmen, ihrem Gewerbe oder Character einzutragen, ihn mit seiner Unterschrift zu bezeichnen und dem Königlichen Commissaire, welcher die Einsammlung besorgt, zu übergeben.

sind zwey Wahlhandlungen erforderlich. Die erste hat den Zweck, die erforderlichen Wahlmänner für die Wahlversammlung des Regierungs-Bezirks zu ernennen, und wird auf die oben in den §§. 21. 22. und 23. bezeichnete Art vorgenommen.

§ 22. Nachdem alle Wahlzettel übergeben sind, liest der Commissaire jede einzelne Wahlstimme in Gegenwart sämmtlicher Wähler mit Beyfügung der Ziffer des Wahlzettels, jedoch mit Verschweigung der Unterschrift öffentlich ab, damit jeder Wahlmann beym Ablesen seiner Ziffer sich überzeugen könne, ob seine Stimme unverfälscht aufgenommen und in die Berechnung eingestellt worden sey. Wird gegen die Wahl keine weitere Erinnerung gemacht, so ist das Resultat der Stimmen mit Beyziehung der zwey ältesten Mitglieder des Magistrats und der Gemeinde-Bevollmächtigten festzusetzen, und auf gleiche Art der Wahlversammlung zu eröffnen, das WahlProtocoll aber von obigen zwey Mitgliedern des Magistrats und der Gemeinde-Bevollmächtigten, welche sich nicht unter den erwählten Abgeordneten befinden, zu unterzeichnen, und mit sämmtlichen Wahlzetteln dem Königlichen Regierungs-Präsidenten einzusenden.

§ 25. Jede wahlfähige Stadt so wie jeder wahlfähige Markt hat für 500 Familien der Bevölkerung einen Wahlmann zu stellen, welcher aber bereits alle für die Abgeordneten in die Kammer erforderlichen Eigenschaften besitzen muß, indem die letzte Auswahl nur aus diesen Wahlmännern statt hat.

§ 23. Um die Gültigkeit der Stimmen nicht durch den Vorschlag passiv-wahlunfähiger Individuen zu vereiteln, ist noch vor der Wahl von dem Rentamte ein alphabetisches Verzeichniß sämmtlicher angesessenen und begüterten Gemeindeglieder, welche sowohl hinsichtlich ihrer dreyjährigen Ansäßigkeit als ihrer Steuerzahlung zur Wahl gezogen werden können, herzustellen, und solches nicht allein den Wählern einen Tag vor der Wahl schriftlich mitzutheilen, sondern auch in dem Wahlzimmer zur allgemeinen Einsicht anzuheften. § 24. Für die Städte, welche gemeinschaftliche Abgeordnete zu wählen haben,

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§ 26. Die zweyte Wahlhandlung, oder die eigentliche Wahl der Abgeordneten dieser Classe wird am Sitze der Königlichen Bezirks-Regierung vorgenommen, wozu die ernannten Wahlmänner mittelst besonderer Befehle einberufen, und vor allem nach §. 12. beeidigt werden. Die Wahl selbst wird in der nämlichen Weise, wie sie §§. 21. 22. und 23. vorgezeichnet ist, von dem Königlichen Regierungs-Präsidenten mit Beyziehung der beyden Directoren geleitet, und da dieselbe sich bloß auf die ernannten Wahlmänner beschränkt, so ist einem jeden derselben den Tag vor der Wahl das Verzeichniß der sämmtlichen Wahlmänner mitzutheilen. Zur Gültigkeit der Wahl wird die Anwesenheit von drey Viertheilen der Wahlmänner, oder im gesetzlichen Verhinderungsfalle deren Ersatzmänner erfordert. § 27. E. Wahl der Grundeigenthümer ohne gutsherrliche Gerichtsbarkeit. Die Auswahl der Abgeordneten dieser Classe zerfällt in drey Momente, nämlich: a) in die Urwahl, b) in die Erneuerung der Wahlmänner, und c) in die eigentliche Wahl der Abgeordneten für die Kammer.

V ERFASSUNG VON BAYERN (1818) Die ersten zwey Wahlhandlungen werden von den betreffenden Land- und Herrschafts-Gerichten geleitet, welchen zugleich die Zahl der zu stellenden Wahlmänner von der Regierung des Bezirks eröffnet werden soll. § 28. Die Urwahl wird in jeder Gemeinde nach erhaltenem Auftrage von dem Landoder Herrschafts-Gerichte durch den bestehenden Gemeinde-Ausschuß zu dem Zwecke vorgenommen, daß ein Bevollmächtigter und in Verhinderungs- oder Erkrankungsfalle ein Ersatzmann aus ihrer Gemeinde zum zweyten Wahl-Momente ernannt werde, worüber der Gemeinde-Vorstand unter seiner und zweyer Mitglieder Unterschrift die schriftliche Anzeige dem Land- respective Herrschafts-Gerichte zu übergeben hat. § 29. Dieser Bevollmächtigte muß in der Gemeinde ansäßig, wenigstens 25 Jahre alt seyn, und so viel Grundvermögen besitzen, daß sein Steuersimplum die Summe von drey Gulden erreicht. § 30. Jede Gemeinde hat wenigstens Einen Bevollmächtigten zu stellen. Gemeinden mit einer Bevölkerung von 200 oder mehrern Familien haben von jedem 100 Familien Einen zu ernennen. § 31. Nach Ernennung sämtlicher Bevollmächtigten schreitet das Land- oder Herrschafts-Gericht zur zweyten Wahlhandlung, oder zur Ernennung der Wahlmänner für die Wahlversammlung des Regierungs-Bezirks, wozu jedes Land- und HerrschaftsGericht von 1000 Familien seines Bezirkes mit Ausschluß der Bevölkerung der hierin befindlichen Städte und Märkte, welche zu den Abgeordneten ihrer Classe concurriren, einen Wahlmann zu stellen, und die Anzeige hierüber von der Regierung zu erwarten hat.

§ 32. Herrschafts-Gerichte, welche nicht 1000 Familien zählen, stellen ihre Gemeinde-Bevollmächtigten zu der Wahlhandlung des betreffenden Landgerichts. § 33. Der zu ernennende Wahlmann muß alle §. 8. erwähnten Eigenschaften zur passiven Wahlfähigkeit eines Abgeordneten in die Kammer besitzen, und kann nur aus den Grundbesitzern des Landgerichtes gewählt werden, zu welchem Ende ein alphabetisches Verzeichniß aller im Landgerichte begüterten und hierzu wahlfähigen Grundeigenthümer hergestellt, und in dem Wahlzimmer zur öffentlichen Einsicht angeheftet werden soll. § 34. Zur Vornahme dieser Wahlhandlung hat das Landgericht sämmtliche Bevollmächtigte auf einen bestimmten Tag einzuberufen, sie vor Allem mit dem Zwecke und den formellen und wesentlichen Bedingungen der Wahl bekannt zu machen, sodann vor der wirklichen Abnahme der Wahlstimmen durch das Loos vier Beysitzer aus den anwesenden Bevollmächtigten bestimmen zu lassen, welche nebst den Landgerichts-Assessoren und dem Actuar der Wahlhandlung beyzuwohnen, und das Protocoll zu unterzeichnen haben; zugleich hat jeder der anwesenden Bevollmächtigten eine Nummer zu ziehen, die bey seiner Stimme zu bemerken ist, damit er bey der folgenden Eröffnung von der richtigen Aufnahme derselben sich überzeugen könne. § 35. Jeder Bevollmächtigte wird sodann nach der Ordnung der Gemeinden einzeln vorgerufen, und sein Vorschlag der Wahlmänner in Gegenwart der in vorstehendem §. erwähnten Wahl-Commission zum Protocoll genommen. Nach beendigter Aufnahme der sämmtlichen Stimmen sind solche der ganzen Versammlung nicht nach der Ordnung des Eintrages, sondern nach jener der Nummern zu eröffnen, und wenn gegen ihre Richtigkeit keine Erinnerung gemacht

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BAYERN wird, das Resultat der Stimmen-Mehrheit zu ziehen, und ebenfalls bekannt zu machen. § 36. Bey Gleichheit der Stimmen, wenn hiedurch die Zahl der Wahlmänner überschritten werden sollte, ist die Ausscheidung durch eine neue Umfrage zu veranlassen, wobey jedoch nur die in Frage stehenden Individuen in die Wahl aufzunehmen sind, die aber in dem gegebenen Falle auch nicht durch freywilligen Verzicht eines oder des andern der Gewählten nachgesehen werden darf. Das Wahl-Protocoll ist sogleich an die Regierung einzusenden. § 37. Die letzte Wahlhandlung, oder die Auswahl der Abgeordneten in die Kammer, die nur aus den Wahlmännern selbst genommen werden können, wird bey der Königlichen Regierung des Bezirks unter der Leitung des Königlichen Regierungs-Präsidenten vorgenommen, und hierbey ganz das nämliche Verfahren beobachtet, welches oben §. 26. für die Wahl der Abgeordneten der Städte vorgeschrieben worden ist. § 38. Zur gültigen Wahl bey dieser Versammlung wird die Anwesenheit von drey Vertheilen der Wahlmänner in der Art erfordert, daß von jedem einzelnen Land- und Herrschafts-Gerichte mehr als die Hälfte anwesend seyn soll. Wenn aus Mangel der Zahl die Wahl an dem bestimmten Tage nicht vor sich gehen kann, so haben die ohne hinreichende Ursache ausbleibenden Wahlmänner die Kosten der neuen Einberufung zu tragen. § 39. Im Falle, daß unabwendbare Verhältnisse die Erscheinung der Wahlmänner irgend eines Districtes ganz hindern sollten, hat der Regierungs-Präsident die Befugniß, wenn die erforderliche Anzahl der übrigen Wahlmänner vorhanden ist, und wenigstens zwey Drittheile derselben für die Vornahme

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der Wahl stimmen, sie auch ohne weitern Anstand zu vollenden. § 40. Wenn sämmtliche Wahlen vollzogen, und die Protocolle dem Präsidenten der Königlichen Regierung vorgelegt, solche auch nach ihren formellen und wesentlichen Erfordernissen geprüft sind, werden sie mit allen Beylagen an das Königliche Staats-Ministerium eingesendet. § 41. Alle Wahlhandlungen müssen von den Königlichen Land- und Herrschafts Gerichten oder den besondern Königlichen Commissarien, so wie von dem Präsidenten der Regierung, mit pflichtsmäßiger und rücksichtsloser Unbefangenheit geleitet werden. Jede Beschränkung der Freyheit der Wahlstimmen (in so ferne sie nur für wirklich wahlfähige Individuen gegeben werden), jede Benützung eines obrigkeitlichen Einflußes auf die Wähler soll strenge geahndet, und selbst nach Umständen mit der Dienstes-Entlassung bestraft werden. § 42. Auf gleiche Art soll die Bestechung der Wähler die Ungültigkeit der Wahl und den Verlust der activen und passiven Wahlfähigkeit für den Bestecher und den Bestochenen als Strafe zur Folge haben, mit Vorbehalt der fernern sowohl auf den Meineid als sonst in den Gesetzen angeordneten Strafen. § 43. Die Wahlhandlungen selbst beschränken sich einzig auf den Gegenstand der Wahlen und jede Einmengung von andern Gegenständen, von besondern Anträgen, Beschwerden oder Instructionen, auf was immer für eine Art, sind von der WahlCommission ohne weiters zurückzuweisen. § 44. Die Wahl zur Kammer der Abgeordneten kann nur abgelehnt werden: a) wegen Krankheit, welche das Individuum auf längere Zeit zu allen Geschäften

V ERFASSUNG VON BAYERN (1818) unfähig macht, und durch ärztliche Zeugnisse belegt wird; b) wegen solcher häuslichen Familienoder Dienstes-Verhältniße, welche die persönliche und beständige Anwesenheit nach den Zeugnissen der Gerichtsstellen, oder Vorgesetzten wesentlich erfordern; c) Staatsdiener oder Staats-Pensionisten so wie alle für den öffentlichen Dienst verpflichteten Individuen können zwar als Wahlmänner der Wahlhandlung beywohnen, müssen jedoch, wenn sie zu Abgeordneten erwählt werden, die Bewilligung des Königs nachsuchen, ohne welche sie in die Kammer nicht eintreten können. Die Beamten der Gutsherren müssen die Zustimmung derselben der dem Präsidenten der Regierung zu machenden Anzeige beylegen.58

§ 48. Die durch dergleichen freywillige oder durch die nach den Bestimmungen der Urkunde §. 14. veranlaßten Austritte, so wie durch den Tod der Abgeordenten während der sechsjährigen Dauer der Versammlung erledigten Stellen werden aus dem gemäß der Stimmen-Mehrheit nächstfolgenden Ersatzmännern aus der nämlichen Classe und den nämlichen Regierungs-Bezirken ergänzt, weßhalb in den Wahl-Protocollen die Reihe der Gewählten auch in Hinsicht der Ersatzmänner genau zu bemerken, und jede Stimmen-Gleichheit bey letztern ebenfalls sogleich zu entscheiden kömmt. Auf gleiche Weise tritt zu dem §. 44. Lit. c. bemerkten Falle, wenn die Königliche Bewilligung nicht ertheilt wird, der nächste Ersatzmann ein.

§ 45. Die Erklärung über die Ablehnung der Wahl muß von dem Gewählten sogleich, wie ihm die Ernennung zu einem Wahlmanne für die Versammlung des RegierungsBezirks bey der dritten, vierten und fünften Classe, oder zur wirklichen Auswahl in die Kammer bey der ersten und zweyten Classe eröffnet wird, in den ersten Fällen bey dem Wahlbezirke jedes Decanats des treffenden Landgerichts oder der Stadt, in letzterem Falle aber bey der Königlichen Regierung des Bezirks übergeben werden.

§ 49. Den Mitgliedern der Kammer der Abgeordneten, welche nicht am Orte der Versammlung selbst wohnen, wird auf die Dauer der Versammlung eine bemessene Entschädigung der Reise- und ZehrungsKosten in der Art gegeben, daß ihnen a) von dem zur Erscheinung bestimmten Tage bis zum Schlusse der Versammlung jedoch mit Einschluß des vorhergehenden und nachfolgenden Tages eine Tagsgebühr von 5 fl. b) für die Reisekosten von einer Entfernung von 1 – 6 Stunden und so weiter von jeden 6 Stunden eine Gebühr von 8 fl. verabfolgt werden soll.

§ 46. Die Wahlmänner des einschlägigen Landgerichts, der betreffenden Stadt oder Classe haben über die angebrachten Gründe durch Stimmen-Mehrheit zu entscheiden. Im Falle der wirklichen Entlassung tritt das in der Reihe der Stimmenzahl nächstfolgende Individuum in dessen Stelle ein. § 47. Nach der wirklichen Wahl hat keine Entschuldigung mehr statt, ausgenommen, es ergeben sich die erforderlichen und oben §. 42. angeführten Hindernisse erst in der Folge während der Dauer der sechsjährigen Function, in welchem Falle die Kammer zu entscheiden hat.

III. Abschnitt Versammlung und Einberufung der Stände § 50. Zu den in der Verfassungs-Urkunde bestimmten oder vom Könige angeordneten Versammlungen werden die Reichsräthe durch Königliche Rescripte, die Abgeordneten der zweyten Kammer durch öffentliche Ausschreibung einberufen, und hierin der Ort, und die Zeit der Versammlung bestimmt werden.

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BAYERN Die letztern erhalten eine Abschrift dieser Ausschreibung mittelst besonderer Mittheilung der Königlichen Regierung des Bezirks, welche ihnen bey der Erscheiuung zur Vollmacht dient. § 51. Beyde Kammern können nur gleichzeitig zusammenberufen, eröffnet und geschlossen werden, sohin ihre Sitzungen nur in gleichem Zeitraume halten. § 52. Jedes zur Versammlung einberufene Mitglied hat sich am Tage seiner Ankunft an dem bestimmten Ort der Versammlung bey den geeigneten Behörden persönlich zu melden. § 53. Die Reichsräthe machen diese Meldung bey dem ersten Präsidenten, welchen der König für die Dauer der Versammlung ernennt; die Abgeordneten bey der besonderen Einweisungs-Commission. Der Präsident und die Ein weisungs-Commission werden in dem Einberufungs-Decrete bekannt gemacht werden. § 54. Die Reichsräthe haben wenigstens drey Tage vor der in dem EinberufungsRescripte bestimmten Versammlungs-Zeit an den Präsidenten die schriftliche Erklärung über ihr Erscheinen zu übergeben, und derselben den in der Verfassungs-Urkunde vorgeschriebenen Eid unter ihrer Fertigung beyzufügen. Im Falle obwaltender besonderer Hindernisse haben sie solche ebenfalls dem Präsidenten in obigem Zeitraume anzuzeigen. § 55. Jedem Mitgliede der beyden Kammern ist bey seinem Eintritte ein Abdruck der Verfassungs-Urkunde mit sämmtlichen Beylagen zuzustellen. § 56. Wenn die Hälfte der Reichsräthe anwesend ist, so zeigt der Präsident mittelst Deputation dem Könige an, daß die Kammer sich constituiren könne, und die Eröffnung der Sitzung erwarte.

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§ 57. Sie wählt sich zwey Secretaire, und schlägt drey Mitglieder zur Auswahl des zweyten Präsidenten vor, aus welchen der König denselben ernennt. § 58. Die Kammer der Reichsräthe ist durch die Königliche Eröffnung derselben rechtmäßig constituirt. § 59. Die Reichsräthe sitzen nach der in der Verfassungs-Urkunde bestimmten Reihe, unter sich aber nach ihrem Eintritte in die Kammer. § 60. Zur gültigen Constituirung der Kammer der Abgeordneten wird die Anwesenheit von zwey Drittheilen der gewählten Mitglieder erfordert. § 61. Die Einweisungs-Commission besteht für den ersten Fall der Zusammenberufung einer neugewählten Kammer aus einer eigends ernannten Königlichen Commission; ausser diesem Fall aber aus dem Präsidenten und Secretaire der letzten Versammlung. § 62. Sie hat vor Allem die Beglaubigung der Abgeordneten, ihre Wahlen und erforderlichen Eigenschaften mit Beyziehung von sechs durch das Loos zu wählenden Mitgliedern der Kammer zu prüfen, zu welchem Ende ihr sämmtliche Wahl-Protocolle mitgetheilt werden, sonach ferner die Wahl des ersten und zweyten Präsidenten, so wie der zwey Secretaire’s zu leiten. § 63. Die Mitglieder der Kammer wählen für die Stelle des Präsidenten sechs Mitglieder, aus welchen der König den ersten und einen zweyten Präsidenten, der im Verhinderungsfalle oder in Abwesenheit des erstern dessen Geschäftsführung übernimmt, für die Dauer der Sitzung ernennt. § 64. Sie wählen ferner aus ihrer Mitte zwey Secretaire’s.

V ERFASSUNG VON BAYERN (1818) § 65. Beyde Wahlen geschehen auf die nämliche Art, wie solche bey der Wahl-Versammlung des Regierungs-Bezirkes angeordnet ist, mittelst schriftlicher Wahlzettel aus der Gesammtzahl der Abgeordneten, ohne Unterschied der Regierungs-Bezirke, Classen oder Stände. Die Gewählten müssen absolute Stimmenmehrheit für sich haben. Bey Stimmengleichheit entscheidet die Wahl durch Kugeln. Zu Eröffnung der Wahlzettel werden fünf Mitglieder durch das Loos ernannt, und als Beysitzer der Commission beygegeben. § 66. Die Commission übergiebt das Wahl-Protocoll für den Vorschlag der Präsidenten dem Königl. Staats-Ministerium des Innern, und macht sonach die Königl. Ernennung bekannt, worauf sie ihre Function schließt, und die Kammer der Abgeordneten sich constituirt. § 67. Die Ordnung der Plätze, welche die Abgeordneten in den Versammlungen einzunehmen und beyzubehalten haben, werden durch Loose bestimmt. § 68. Wenn die Kammer der Abgeordneten sich constituirt hat, so hat sie dem Könige durch eine Abordnung, und der Kammer der Reichsräthe auf die später vorgeschriebene Weise anzuzeigen, daß sie versammelt und constituirt sey. Zugleich untersucht sie die Entschuldigungen der nicht erschienenen Mitglieder, und hat diejenigen, deren Ursachen nicht gegründet befunden werden, ohne weiters einzuberufen. § 69. Der König wird nach Constituirung der beyden Kammern den Tag zur Eröffnung der ständischen Versammlung bestimmen, und sich hiebey von sämmtlichen Mitgliedern den im Titel VII. §. 25. vorgeschriebenen Eid in Seine Hände ablegen lassen. § 70. Die später eintretenden Mitglieder

leisten diesen Eid in den Kammern in die Hände des Präsidenten.

WIRKUNGSKREIS UND GESCHÄFTSGANG DER STÄNDE-VERSAMMLUNG Der Wirkungskreis der ständischen Versammlung ist in der Verfassungs-Urkunde Titel. VII. bestimmt ausgewiesen. Der Geschäftsgang wird auf nachstehende Art festgesetzt.

I. Abschnitt Vorstände und untergeordnetes Personal der Kammern § 1. Den Präsidenten der Kammern kommen in der Regel alle Vorzüge und Obliegenheiten zu, die den Vorständen der Collegien gebühren. Sie eröffnen alle Eingaben, und weisen solche theils unmittelbar in Folge nachstehender Bestimmungen, theils, nachdem sie zuvor der Kammer vorgelegt worden sind, in Folge eines Beschlusses derselben an die betreffenden Ausschlüsse zur Bearbeitung hin; sie sorgen für die Aufrechthaltung der Ordnung und des Reglements, bestimmen die Sitzungstage, ordnen die Vorträge, leiten die Berathungen, Abstimmung u. dgl. § 2. Die Secretaire’s führen das SitzungsProtocoll bey den allgemeinen Versammlungen, wachen für die Ordnung der Canzley, bemerken die Meldungen zum Vortrage und der Tages-Ordnung, entwerfen die Berichte und Beschlüsse, wenn nicht besondere Referenten aufgestellt sind; leisten die Zahlungen, wozu sie von der CentralStaats-Casse die erforderlichen Vorschüsse erhalten, und nach geendigter Versammlung hierüber Rechnung stellen u. s. w.

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BAYERN § 3. Zur Aufbewahrung der Acten und Ordnung der Registratur in dem der ständischen Versammlung zugewiesenen Versammlungs-Gebäude haben die Kammern einen gemeinschaftlichen ständigen Archivar zu benennen, welcher aus der StaatsCasse besoldet wird. § 4. Die nöthigen Individuen für die Canzley werden von dem Directorium, welches aus den Präsidenten und dem Secretaire’s für jede Kammer besteht, auf die Zeit der Dauer der Versammlung aufgenommen, von denselben verpflichtet, und aus den Exigenzgeldern bezahlt. § 5. Die für die Dauer der Versammlung erforderlichen Boten und Diener wird der König bestimmen. § 6. Während der Dauer der Versammlung gebührt die Polizey den Kammern in ihrem Sitzungs-Gebäude, sie wird von dem Präsidenten ausgeübt, welcher hiezu die nöthigen Befehle ertheilt. § 7. Keinem Fremden ist erlaubt, während der Sitzung in den Sitzungs-Saal einzutreten, sondern nur bey den öffentlichen Sitzungen der zweyten Kammer wird einer angemessenen Zahl von Zuhörern der Zutritt zu den Gallerien gestattet. § 8. Sie müssen auf jedesmaligen Befehl des Präsidenten, wenn sich die Sitzung in einem geheimen Ausschuß bildet, sich entfernen. § 9. Jedes Zeichen von Beyfall oder Mißbilligung wird strenge untersagt. Die Zuwiderhandelnden werden durch den Diener der Kammer sogleich fortgewiesen. Sollte sich Jemand beygehen lassen, die Ruhe der Sitzungen auf was immer für eine auffallende Art zu stören, oder die Berathungen zu unterbrechen, so ist derselbe durch die Militaire-Wache in Arrest zu führen, und der Policey oder nach Befinden dem Gerichte zur Bestrafung zu übergeben.

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II. Abschnitt Allgemeine Sitzungen § 10. Die ersten Präsidenten der Kammern bestimmen die Zahl und die Zeit ihrer Sitzungen nach Maaß der Menge und der Dringlichkeit der Geschäfte. Sie eröffnen und schließen jede Sitzung, wobey sie zugleich den Tag der folgenden anzeigen. Die in derselben vorkommende Tages-Ordnung wird in dem Sitzungs-Saale öffentlich angeheftet. § 11. Jedes anwesende Mitglied ist zur Erscheinung bey den allgemeinen Sitzungen verbunden; sollte jedoch ein gegründetes Hinderniß obwalten, so ist solches dem Präsidenten anzuzeigen. § 12. Während der Dauer der Versammlung ist es keinem Mitgliede erlaubt, sich ohne Urlaub der Kammer zu entfernen; doch kann der Präsident in besonders dringenden Fällen diesen Urlaub allein ertheilen, wovon er aber in der folgenden Sitzung die Kammer in Kenntniß zu setzen hat. § 13. Am Anfang der Sitzung ließt der Secretaire das Protocoll der letzten Sitzung ab, welches von dem Präsidenten, dem Secretaire und noch drey Mitgliedern nach dem Turnus zu unterzeichnen ist.59 § 14. Nach Verlesung des Protocolls und Bekanntmachung der seit der letzten Sitzung vorgekommenen Eingaben wird zur Tages-Ordnung geschritten, die in dem Sitzungs-Saale angeheftet ist.60 § 15. Die allgemeinen Sitzungen der Kammer der Abgeordneten sind mit Ausschluß der später bezeichneten Fälle öffentlich; sie können jedoch auf Verlangen von fünf Mitgliedern in einen geheimen Ausschuß verwandelt werden. § 16. Der König läßt die den Kammern vorzulegenden Berathungs-Gegenstände durch seine Minister oder besondern

V ERFASSUNG VON BAYERN (1818) Commissarien an sie gelangen. Dieselben werden nicht blos mündlich vortragen, sondern ihre Anträge auch schriftlich übergeben, und überhaupt auch in der Folge die erforderlichen Erläuterungen ertheilen. Sie haben in den Versammlungen einen besondern Platz einzunehmen. § 17. Wenn auf solche Art die Minister oder Königl. Commissarien erscheinen, um im Nahmen des Königs Vorträge zu machen, so bleiben alle in der Tages-Ordnung stehenden Berathungen ausgesetzt, und es wird erst nach Beendigung des Vortrages der Königl. Commissarien, wenn dieser nicht eine andere Einleitung nothwendig machen sollte, zur Tages-Ordnung geschritten. § 18. Die Berathung über die von den besondern Ausschüssen erstatteten Vorträge, welche jedesmal unter die sämmtlichen Mitglieder zu vertheilen sind, kann nur nach drey Tagen vorgenommen werden, und die Mitglieder, welche hiebey über den Antrag zu sprechen wünschen, haben sich am Tage vor der Sitzung bey dem Secretariate mit dem Bemerken, ob sie für und wider den Antrag sprechen, zu melden, und ihren Wunsch vormerken lassen.61 § 19. Die Redner werden sodann nach der Reihe ihrer Sitze und mit der Eintheilung aufgerufen, daß sie abwechslungsweise für und wider sprechen.62 § 20. Keiner kann sprechen, ohne zuvor von dem Präsidenten der Kammer die Erlaubniß hiezu erhalten zu haben und aufgerufen zu seyn; er hat sodann, wenn seine Rede den ganzen Gegenstand oder den größern Theil desselben umfaßt, auf dem besondern Rednerstuhle zu sprechen, wenn sie aber nur einzelne Bemerkungen betrifft, diese an seinem Platze vorzutragen.63 § 21. Sie haben sich hiebey aller Persönlichkeiten, aller unanständigen und belei-

digenden Ausdrücke, so wie aller Abweichungen von dem vorliegenden BerathungsGegenstande zu enthalten, widrigenfalls der Präsident sie zur Ordnung zu verweisen, und im Weigerungsfalle selbst die fernere Wortführung zu untersagen das Recht hat. Sollten sie sich selbst persönliche Ausfälle gegen den Regenten, die Königliche Familie oder die einzelnen Mitglieder der Kammern erlauben, oder Anträge gegen die allgemeine Staatsverfassung zu stellen unternehmen, und ungeachtet der von dem Präsidenten gemachten Erinnerung hiemit fortfahren, so ist derselbe berechtigt und verpflichtet, die Sitzung für diesen Tag auf der Stelle zu schließen, und in der folgenden Sitzung über die Bestrafung des fehlenden Mitgliedes der Kammer vorzutragen, welche entscheiden wird, ob dasselbe zum bloßen Widerruf, oder zum zeitlichen oder gänzlichen Ausschluß aus der Kammer zu verurtheilen sey. § 22. Wenn sämmtliche Mitglieder, welche sich zur Rede gemeldet, gesprochen haben, steht es jedem Mitgliede frey, nach der Reihe der Plätze noch seine allenfallsigen kurzen Bemerkungen vorzutragen, so wie es dem Referenten des Ausschusses und den Königl. Commissarien vorbehalten ist, noch einmal das Wort zu nehmen, wonach jede weitere Discussion geschlossen, die Abstimmung aber, nachdem die Fragen vorgelegt seyn werden, auf 3 Tage vertagt werden soll.64 § 23. Kein Redner soll während seiner Rede unterbrochen werden, doch steht es dem Minister und den Königl. Commissarien frey, im Falle durch dergleichen Vorträge zu einigen Erläuterungen und Aufschlüssen Veranlassung gegeben worden ist, diese sogleich zu ertheilen. § 24. Die Königl. Staats-Minister, die Königl. Commissarien und die Berichtserstatter der Ausschüsse haben allein das

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BAYERN Recht, ihre niedergeschriebenen Reden abzulesen.

III. Abschnitt Besondere Ausschüsse der Kammern § 25. Jeder der beyden Kammern erwählt gleich nach ihrer Constituirung aus ihrer Mitte fünf besondere Ausschüsse, und zwar 1) für die Gegenstände der Gesetzgebung; 2) für die Steuern; 3) für die übrigen an die Kammer gelangenden Gegenstände der innern ReichsVerwaltung; 4) für die Staats-Schuldentilgung; 5) für die Untersuchung der vorkommenden Beschwerden über die Verletzung der Staatsverfassung. Von jedem dieser fünf Ausschüsse ist ein Mitglied zu der im folgenden §. 36. angeordneten vorläufigen Prüfung der von den einzelnen Mitgliedern der Kammer zu stellenden Anträge durch die Wahl der Ausschüsse selbst unter sich zu bestimmen, und dem Präsidenten bekannt zu machen. § 26. Die Auswahl der Ausschüsse geschieht aus der Gesammtzahl der Mitglieder ohne Unterschied der Regierungs-Bezirke oder Classen durch absolute Stimmenmehrheit. § 27. Diese Ausschüsse bestehen in der Kammer der Reichsräthe aus fünf, in der Kammer der Deputirten aus sieben, höchstens neun Mitgliedern. § 28. Bey den Auschüssen führt das in Jahren älteste Mitglied den Vorsitz. Der Referent und Secretaire wird von ihnen selbst gewählt. § 29. Um die an sie verwiesenen Gegenstände gehörig zu bearbeiten, haben die Ausschüsse alle hiezu erforderlichen Erläuterungen zu sammeln, und sich hierüber mit

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den betreffenden Staats-Ministerien in Benehmen zu setzen, die Gründe für und wider genau zu entwickeln, und hienach den Vortrag mit allen Meinungen der Mitglieder des Ausschusses umständlich zu entwerfen. § 30. Den Präsidenten der Kammern steht es frey, jeder Sitzung dieser Ausschüsse beyzuwohnen, die übrigen Mitglieder hingegen haben zu derselben keinen Zutritt. § 31. Die Präsidenten bestimmen nach vollendeter Arbeit den Tag zum Vortrag in den Kammern. § 32. Die Kammern können den Gegenstand, wenn sie den Vortrag nicht erschöpfend finden, zur weiteren Ausarbeitung an den Ausschuß zurückweisen, in welchem Falle derselbe noch mit zwey Mitgliedern verstärkt werden kann. § 33. Die Beschwerden, welche nach Bestimmung der Verfassungs-Urkunde Tit. VII. §. 21. an die Kammern gelangen können, werden von dem Präsidenten unmittelbar zum Ausschusse verwiesen, um ihren Bestand und ihre Gründlichkeit sowohl in formellen als wesentlichen Verhältnissen vorläufig zu prüfen, ehe sie den Kammern vorgelegt werden. Sie müssen mit den erforderlichen Beweisen belegt, und zugleich bescheinigt seyn, daß sie bereits bey den obersten Behörden, resp. den betreffenden Staats-Ministerien, früher vorgebracht worden, und hierauf entweder noch gar keine, oder eine den Bestimmungen der Staatsverfassung zuwiderlaufende Entscheidung erfolgt sey. § 34. Im Falle sie demnach als unbescheinigt, oder als gänzlich grundlos, oder als ungeeignet befunden werden, sind sie ohne weiteres als beruhend zu den Acten zu legen, oder an die betreffenden StaatsMinisterien zu geben, und in der folgenden Sitzung der Kammern hievon Nachricht zu ertheilen; im entgegengesetzten Falle ist

V ERFASSUNG VON BAYERN (1818) die Beschwerde den Kammern mittelst umständlichen Vortrages vorzulegen.

Kammer bereits geschehen, so hat dieselbe über die Zurücknahme zu entscheiden.

§ 35. Dem Ausschusse, so wie den Kammern, kömmt es zwar nicht zu, hierüber weitere Instructionen zu veranlassen, oder von Königlichen Stellen Berichte zu verlangen; doch können sie von den einschlägigen Staats-Ministerien durch den Präsidenten die erforderlichen Aufschlüsse erhohlen, um jede Vorlage grundloser Beschwerden zu beseitigen; wenn sie dieselben aber als gegründeter erachten, sind sie nach gemeinschaftlichem Beschluß beyder Kammern dem Könige vorzulegen, welche nach den Bestimmungen der Verfassungs-Urkunde Tit. X. §. 5. verfahren wird.

§ 38. Der für die Staatsschulden-Tilgung angeordnete Ausschuß hat den TilgungsPlan, welcher den Kammern vorgelegt werden wird, zu prüfen, so wie bey jeder nächstfolgenden Versammlung die seitherige Ausführung und Befolgung desselben zu untersuchen, und das Resultat den Kammern vorzulegen.

§ 36. Die Wünsche und Anträge der einzelnen Mitglieder können nur solche Gegenstände betreffen, welche in den verfassungsmäßigen Wirkungskreis der Stände sich eignen; sie werden jedesmal schriftlich dem Präsidenten übergeben, und vor Allem durch den nach §. 25. zu bildenden Ausschuß in Gegenwart des Präsidenten geprüft, ob sie nach der oben gegebenen Bestimmung zur Annahme geeignet sind oder nicht. Im letztern Falle werden sie ohne weiters nach absoluter Stimmenmehrheit der Ausschußglieder als ungeeignet zurückgewiesen, im erstern Falle aber gemäß Titl. VII. §. 20. der Urkunde der Kammer zur Vorlage gebracht, und von derselben erst entschieden, ob sie zu näherer Würdigung an den Ausschuß gewiesen werden sollen; entscheidet diese verneinend, so beruht der Antrag, und kann in dieser Versammlung nicht mehr zur Sprache kommen; im bejahenden Falle aber wird derselbe durch den betreffenden Ausschuß zur künftigen allgemeinen Berathung gebracht. § 37. Jedem Mitgliede steht es frey, seine Anträge, so lange sie noch nicht der Kammer zur Vorlage gebracht sind, zurückzunehmen, ist jedoch die erste Vorlage an die

§ 39. Damit der in der ständischen Versammlung genehmigte Tilgungs-Plan genau eingehalten werde, ist derselben Tit. VII. §. 14. das Recht eingeräumt, zwey Mitglieder zu ernennen, welche auch nach Beendigung ihrer Sitzungen fortwährend von allen Verhandlungen der angeordneten Schuldentilgungs-Commission genaue Kenntniß zu nehmen, und für die Befolgung der in der letzten Versammlung getroffenen Bestimmungen zu wachen haben. Diesen Mitgliedern sollen daher alle zehn Tage die sämmtlichen Verhandlungen der Commission, die Journale und Hauptbücher zur Einsicht vorgelegt werden, und sie sind befugt, im Falle die Commission ihren gegründeten Bemerkungen gegen allenfallsige Ueberschreitungen der Befugnisse, oder Nichtbefolgung des genehmigten TilgungsPlanes unbeachtet lassen würde, dem Könige die gebührende Vorstellung zu übergeben, und bey der künftigen ständischen Versammlung ihre pflichtmäßige Anzeige zu machen.

IV. Abschnitt Beschlüsse und wechselseitige Mittheilungen der Kammern § 40. Wenn der Gegenstand nach §. 22. zur Abstimmung vorbereitet ist, so entwirft der Präsident bis zur nächstfolgenden Sitzung die zur Entscheidung vorzulegenden Fragen in der Art, daß hierdurch der ganze

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BAYERN Gegenstand erschöpft wird, und die Abstimmung nur mit Ja und Nein erfolgen kann. Die Fragen werden zwey Tage vor der Abstimmung öffentlich bekannt gemacht, und in dem Sitzung-Saale angeheftet.65

§ 47. In übrigen minder wichtigen Vorkommnissen, welche nicht Hauptgegenstände des Wirkungskreises betreffen, wird durch das Aufstehen oder Sitzen der Mitglieder gestimmt.72

§ 41. Jedem Mitgliede steht es frey, über die entworfenen Fragen seine Erinnerungen vorzulegen, und dieselben sind erforderlichen Falls noch vor der Abstimmung durch einen Beschluß der Kammer zu berichtigen.66

§ 48. Zur gültigen Abstimmung wird die Gegenwart von zwey Drittheilen der im Orte anwesenden Mitglieder; zu gültigen Beschlüssen die absolute Stimmen-Mehrheit erfordert, mit Ausnahme der besonders angeführten einzelnen Fälle.

§ 42. Wenn gegen die vorgezeichneten Fragen keine Erinnerung gemacht wird, oder diese berichtigt ist, so wird zur Abstimmung selbst über jede einzelne Frage an dem festgesetzten Tage nach ihrer gegebenen Ordnung und Reihe geschritten.67

§ 49. Die Beschlüsse der Kammer, welche auf Vorträge der besondern Ausschüsse gefaßt worden, werden Letztern mitgetheilt, damit die nöthigen Aufsätze in Folge dieser Beschlüsse entworfen, und der Kammer zur Genehmigung vorgelegt werden können, welche jedoch in wichtigern Fällen in zwey nach einander folgenden Sitzungen abgelesen werden sollen, um in der ersten die allenfallsigen Erinnerungen gegen die Fassung des Beschlusses zu vernehmen; in letzterer aber die endliche Genehmigung der Fassung zu erhohlen. Die übrigen Beschlüsse werden von den Secretaire’s ausgefertiget.

§ 43. Hierbey haben die Staats-Minister und Königlichen Commissarien, sowie alle Zuhörer abzutreten, und die Abstimmung geschieht in geheimer Sitzung.68 § 44. Jedes Mitglied wird nach der Reihe seines Sitzes aufgerufen, der dirigirende Präsident spricht seine Stimme zuletzt aus, und hat bey Stimmen-Gleichheit noch eine weitere und entscheidende Stimme; der zweyte Präsident, wenn er nicht dirigirt, spricht und stimmt in der Reihe am ersten, die Secretaire’s stimmen unmittelbar vor dem Präsidenten.69 § 45. Die Stimme wird ohne weitere Motivirung oder Erläuterung in nachstehender einfacher Form abgegeben: „Einverstanden“ oder „Nicht einverstanden.“70 § 46. Die Secretaire’s bemerken jede Stimme, und der Präsident spricht am Ende die Stimmen-Mehrheit und hiernach den Beschluß der Kammer aus.71

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§ 50. Die beyden Kammern communiciren unter sich durch Schreiben, welche von dem Präsidenten und dem Secretaire unterzeichnet werden. § 51. Jene Kammer, welcher die Instruction eines Gegenstandes übertragen ist, theilt ihre Meinung zuerst der andern mit; findet dieser Antrag die Beystimmung der letztern nicht, so hat diese ihre Ansichten oder vorzuschlagenden Modificationen der erstern vorzulegen, um eine neue Berathung zu veranlassen, bis von beyden Kammern entweder das einhellige Einverständniß erzielt ist, oder die bestimmte Erklärung der nicht zu vereinigenden Meinungen erfolgt.73

V ERFASSUNG VON BAYERN (1818) § 52. Die Form der Communication ist folgende: a) Im Falle der Zustimmung: „die Kammer der etc, übergiebt der Kammer etc. den anliegenden Vorschlag Sr. Majestät des Königs; sie glaubt, daß er (unbedingt oder unter den beygefügten Modificationen) anzunehmen sey.“ b) Im Falle der Verwerfung: „die Kammer der etc. übergiebt etc.; sie hat demselben ihre Zustimmung nicht geben zu können geglaubt.“ c) Im Falle eines eigenen Antrages: „die Kammer etc. übergiebt etc. den anliegenden von ihr genehmigten Antrag mit dem Ersuchen, denselben der gleichfallsigen Berathung zu unterstellen.“ d) Im Falle der Uebergabe einer Beschwerde: „die etc. übergiebt etc. die bey ihr eingereichte Beschwerde des etc. in Betreff des etc., welche sie zur Vorlage an Se. Majestät den König geeignet findet, zur gleichfallsigen Würdigung.“ Die Antwort der andern Kammer besteht: 1) Im Falle der Zustimmung: „die Kammer etc. hat dem ihr mitgetheilten Vorschlage (oder Antrage) in Betreff etc. ihre Zustimmung ertheilt.“ 2) Im Falle der Verwerfung: „die Kammer hat dem etc. ihre Zustimmung nicht ertheilen zu können geglaubt.“ 3) Im Falle einer Modification: „Die Kammer hat dem etc. ihre Zustimmung nur unter den beygefügten Modificationen geben zu können erachtet, worüber sie die weitere jenseitige Ansicht erwartet.“ § 53. Die gemeinschaftlich gefaßten Beschlüsse der Reichsstände I. über die ihnen zugekommenen Gegenstände werden dem Könige in nachstehender einfacher Form vorgelegt: a) Im Falle der gemeinschaftlichen Zustimmung:

„die allerunterthänigst treugehorsamsten Stände haben dem an sie gebrachten Antrage zugestimmt.“ b) Im Falle der gemeinschaftlichen Verwerfung: „die etc. etc. haben dem an sie gebrachten Antrage ihre Zustimmung nicht geben zu können geglaubt.“ c) Im Falle einer verschiedenen Meynung: „die etc. etc. haben sich über die gemeinschaftliche Zustimmung zu dem an sie gebrachten Antrage nicht vereinen können.“ d) Im Falle einer abzuschlagenden Modification: „die etc. etc. haben dem an sie gebrachten Antrage nur unter folgenden ehrfurchtsvollest vorzuschlagenden Abänderungen ihre Zustimmung geben zu können geglaubt.“ II. Ueber die eigenen Wünsche und Anträge: „die etc. etc. übergeben Sr. Majestät dem Könige den beygefügten Vorschlag, welchen sie für den Staat vortheilhaft und nützlich halten, mit der ehrfurchtsvollsten Bitte, demselben die Königliche Genehmigung zu ertheilen.“ III. Ueber die vorzulegenden Beschwerden: „die etc. etc. übergeben Sr. Majestät dem Könige die beyliegende Beschwerde des etc. in Betreff etc. mit der ehrerbietigsten Bitte, derselben die Allerhöchste Abhülfe zu gewähren.“ § 54. Die gemeinschaftlichen Vorlagen der Beschlüsse werden von dem Präsidenten und dem Secretaire einer jeden Kammer unterzeichnet, und durch eine gemeinschaftliche Abordnung, welche aus den nämlichen Individuen mit Zuziehung von zwey Mitgliedern einer jeden Kammer bestehen soll, dem Könige überreicht. § 55. Die Reichsstände haben außer den Königlichen Staats-Ministerien mit keiner

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BAYERN andern Königlichen Behörde in Benehmen zu treten, noch weniger Addressen an das Volk zu erlassen. § 56. Eben so haben die einzelnen Mitglieder, welche in der Versammlung keinen besondern Regierungs-Bezirk, keinen ausgeschiedenen Stand oder Classe, sondern alle Unterthanen des Reiches ohne Unterschied zu vertreten haben, keine Instruction von ihren Wahlbezirken oder Classen zu übernehmen, keine Rücksprache mit denselben zu pflegen, sondern des ganzen Landes Wohl und Beste unbefangen und ohne Beschränkung nach ihrer eigenen innern Ueberzeugung und ihren geschwornen Pflichten zu berathen. § 57. Die jährliche Schließung der Sitzungen wird der König, so wie die Eröffnung verfügen; nach dem Schluße haben die Präsidenten das Canzley-Personal zu entlassen, und die Landtags-Acten dem ernannten Archivar zur Aufbewahrung zu übergeben. München den 26. May 1818. (L. S.) Zur Beglaubigung: Egid von Kobell, Königlicher Staatsrath und General-Secretaire. 1

Ediert nach Gesetzblatt für das Königreich Baiern, Jahrgang 1818, VII. Stück, Sp. 101–140, VIII.-XVII. Stück, Sp. 141–396. Die Verfassung wurde am 26. Mai 1818 beschlossen, unterzeichnet und verkündet (im Regierungsblatt erst am 6. Juni 1818) und trat an diesem Tag auch in Kraft. Sie löste die Konstitution vom 1. Mai 1808 ab (Königlich-Baierisches Regierungsblatt, 1. Band, Jahrgang 1808, XXII. Stück, Sp. 985–1000; siehe „Verfassung von Bayern (1808)“) und wurde ihrerseits vom Staatsgrundgesetz der Republik Bayern vom 4. Januar 1919 abgelöst (siehe dazu Horst Dippel (Hrsg.), Verfassungen der Welt, 1850 bis zur Gegenwart, Teil 1: Europa, München, K.G. Saur 2002–2005, MikroficheNr. 271, 1ff.). Zusammen mit der Verfassung wurden 10 verfassungsergänzende Edikte ausgefertigt und verkündet:

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I. Edikt über das Indigenat; II. Religionsedikt; III. Edikt über die Freiheit der Presse und des Buchhandels; IV. Edikt, die staatsrechtlichen Verhältnisse der vormals reichsständischen Fürsten, Grafen und Herren betr.; V. Edikt über den Adel im Königreich Baiern; VI. Edikt über die gutsherrlichen Rechte und die gutsherrliche Gerichtsbarkeit; VII. Edikt über die Familienfideikommisse; VIII. Edikt über die Siegelmäßigkeit; IX. Edikt über die Verhältnisse der Staatsdiener (abgelöst durch das Beamtengesetz vom 16. August 1908); X. Edikt über die Ständeversammlung. Am 30. Mai 1818 wurde das Staatsgrundgesetz durch Kronprinz Ludwig anerkannt (Gesetzblatt für das Königreich Baiern, Jahrgang 1818, Sp. 451–452): “Wir Ludwig, Kronprinz von Baiern etc. etc. Urkunden und fügen hiemit zu wissen: Nachdem des Königs Unsers Herrn und vielgeliebtesten Herrn Vaters Majestät dem Königreiche eine seinen äußern und innern Verhältnißen angemessene Verfassung mit ständischer Einrichtung unterm 26. dieses Monats zu geben geruhet haben, und die desfallsige Urkunde Uns vollständig mitgetheilt worden ist, und nachdem Wir nach genommener Einsicht über den Inhalt derselben nicht die mindeste Erinnerung zu machen gefunden haben, so erklären Wir hierdurch, daß Wir diese Urkunde als ein bindendes Staats-Grundgesetz in allen seinen Theilen vollkommen anerkennen, und haben zu Bekräftigung dieser Unserer Erklärung gegenwärtige Urkunde eigenhändig unterzeichnet und besiegelt. So geschehen München den 30. May 1818. (L. S.) Ludwig, Kronprinz.” Im Hinblick auf die 63 folgenden Änderungen in den Jahren 1852–1912 vgl. Horst Dippel (Hrsg.), Verfassungen der Welt, 1850 bis zur Gegenwart, Teil 1: Europa, München, K.G. Saur 2002–2005, MikroficheNr. 258, 20 – 270, 10. Für weiterführende Angaben siehe Huber, Dokumente I, S. 155–171; Huber, Verfassungsgeschichte I, S. 321–322; Ernst von Moy (u.a.), Das Staatsrecht des Königreichs Bayern: mit Benützung der Protokolle der zur Revision der Verfassung vom Jahre 1808 und zur Berathung der Verfassungsurkunde vom 26. Mai 1818 in den Jahren 1814, 1815 und 1818 abgehaltenen Ministerialkonferenzen, Regensburg 1840– 46; Oda Müller, Die Verfassungsbeschwerde nach der Bayerischen Verfassung von 1818 (1818–1848): Ein Beitrag zur Geschichte der Verfassungs- und Verwaltungsgerichtsbarkeit in Deutschland, Frankfurt am Main 2000; Fritz Zimmermann, Bayerische Verfassungsgeschichte vom Ausgang der Landschaft bis zur Verfassungsurkunde von 1818: Ein Beitrag zur Auseinandersetzung Deutschlands mit den Ideen der Französischen Revolution und Restauration, Aalen 1973 (Neudruck der Ausgabe von 1940). 2 Siehe dazu das „Königliche Familien-Statut“ vom 5. August 1819, abgedruckt bei Joseph von Pözl,

V ERFASSUNG VON BAYERN (1818) Sammlung der bayerischen Verfassungs-Gesetze, 2. Aufl., München 1869, S. 7–18. 3 Ergänzt durch Art. VIII., „Gesetz, die Festsetzung einer permanenten Civilliste betr.“ vom 1. Juli 1834 (Gesetzblatt für das Königreich Bayern, Jahrgang 1834, Nro. 2, München, Sp. 25–32). Siehe unten „Erste Revision von 1834“. 4 Ergänzt und erläutert durch das „Gesetz, die Bestimmung des §. 2. Ziff. 7. des Tit. III. der VerfassungsUrkunde, das Staatsgut betr.“ vom 9. März 1828 (Gesetzblatt für das Königreich Bayern, Jahrgang 1828, I. Stück, München, Sp. 5–8). Siehe unten „Erste Revision von 1828“. 5 „Edict über das Indigenat, Erste Beylage zu der Verfassungs-Urkunde des Königreichs Baiern“, Gesetzblatt für das Königreich Baiern, Jahrgang 1818, VIII. Stück, München, Sp. 141–148. 6 Ergänzt durch das „Edikt über die Freiheit der Presse und des Buchhandels“ vom 4. Juni 1848 (Gesetz-Blatt für das Königreich Bayern, Jahrgang 1848, Nro. 12, München, Sp. 89–96). Siehe unten „Fünfte Revision von 1848“. 7 „Die Umwandlung der Privat- und Afterlehen betreffend“, abgedruckt in Königlich-Baierisches Regierungsblatt, Jahrgang 1815, XXXIV. Stück, München, Sp. 721–724. 8 Geändert durch das „Gesetz, die Zwangsabtretung von Grund-Eigenthum für öffentliche Zwecke betr.“ vom 17. November 1837, die Zwangsabtretung von Grundeigentum für öffentliche Zwecke betreffend (Gesetzblatt für das Königreich Bayern, Jahrgang 1837, Nr. 4, München, Sp. 109–128). Siehe unten „Revision von 1837“. 9 Ergänzt durch das „Gesetz, die bürgerlichen und politischen Rechte der griechischen Glaubensgenossen betreffend“ vom 1. Juli 1834 (Gesetzblatt für das Königreich Bayern, Jahrgang 1834, No. 5, München, Sp. 41–44). Siehe unten „Vierte Revision von 1834“. 10 „Edict über die äußern Rechts-Verhältnisse der Einwohner des Königreichs Baiern, in Beziehung auf Religion und kirchliche Gesellschaften, Zweyte Beylage zu der Verfassungs-Urkunde des Königreichs Baiern“, Gesetzblatt für das Königreich Baiern, Jahrgang 1818, IX. Stück, München, Sp. 149–180. 11 „Edict über die Freyheit der Presse und des Buchhandels, Dritte Beylage zu der Verfassungs-Urkunde des Königreichs Baiern“, Gesetzblatt für das Königreich Baiern, Jahrgang 1818, X. Stück, München, Sp. 181–188. Dieses Edikt wurde durch das „Edikt über die Freiheit der Presse und des Buchhandels“ vom 4. Juni 1848 aufgehoben und ersetzt (siehe §. 10.), Gesetzblatt für das Königreich Bayern, Jahrgang 1848, Nro. 12, München, Sp. 89–96. 12 In diesem Abschnitt ergeben sich aus dem „Gesetz, die Grundlagen der Gesetzgebung über die GerichtsOrganisation, über das Verfahren in Civil- und Strafsachen und über das Strafrecht betreffend“ vom 4. Juni

1848 einige Änderungen (Gesetz-Blatt für das Königreich Bayern, Jahrgang 1848, Nro. 16, München, Sp. 137–146). Siehe unten „Siebte Revision von 1848“. 13 „Edict die staatsrechtlichen Verhältnisse der vormals Reichsständischen Fürsten, Grafen und Herren betreffend, Vierte Beylage zu der Verfassungs-Urkunde des Königreichs Baiern“, Gesetzblatt für das Königreich Baiern, Jahrgang 1818, XI. Stück, München, Sp. 189–212. 14 „Edict über den Adel im Königreiche Baiern, Fünfte Beylage zu der Verfassungs-Urkunde des Königreichs Baiern“, Gesetzblatt für das Königreich Baiern, Jahrgang 1818, XII. Stück, München, Sp. 213–220. 15 „Edict über die gutsherrlichen Rechte und die gutsherrliche Gerichtsbarkeit, Sechste Beylage zu der Verfassungs-Urkunde des Königreichs Baiern“, Gesetzblatt für das Königreich Baiern, Jahrgang 1818, XIII. Stück, München, Sp. 221–276. Siehe dazu das „Gesetz, die Vindikation der Gerichtsbarkeiten betr.“ vom 1. Juli 1834 (Gesetzblatt für das Königreich Bayern, Jahrgang 1834, Nro. 4, München, Sp. 37–40). Siehe unten „Dritte Revision von 1834“. Die gutsherrliche Gerichtsbarkeit wurde durch das „Gesetz über die Aufhebung der standes- und gutsherrlichen Gerichtsbarkeit, dann die Aufhebung, Fixirung und Ablösung von Grundlasten“ vom 4. Juni 1848 aufgehoben (GesetzBlatt für das Königreich Bayern, Jahrgang 1848, Nro. 13, München, Sp. 97–118). Siehe unten „Sechste Revision von 1848“. 16 „Edict über den Familien-Fideicommisse, Siebente Beylage zu der Verfassungs-Urkunde des Königreichs Baiern“, Gesetzblatt für das Königreich Baiern, Jahrgang 1818, XIV. Stück, München, Sp. 277–324. Siehe dazu die Bestimmungen zur Interpretation des Edikts in dem „Gesetz, die Anwendung und Vollziehung einiger Bestimmungen des Edicts über die FamilienFidei-Commisse betr.“ vom 11. September (Gesetzblatt für das Königreich Baiern, Jahrgang 1825, III. Stück, München, Sp. 31–38). Siehe unten „Revision von 1825“. 17 „Edict über die Siegelmäßigkeit, Achte Beylage zu der Verfassungs-Urkunde des Königreichs Baiern“, Gesetzblatt für das Königreich Baiern, Jahrgang 1818, XV. Stück, München, Sp. 325–332. 18 „Edict über die Verhältnisse der Staatsdiener, vorzüglich in Beziehung auf ihren Stand und Gehalt, Neunte Beylage zu der Verfassungs-Urkunde des Königreichs Baiern“, Gesetzblatt für das Königreich Baiern, Jahrgang 1818, XVI. Stück, München, Sp. 333– 348. 19 Ergänzt durch das „Gesetz, die ständische Initiative betreffend“ vom 4. Juni 1848 (Gesetz-Blatt für das Königreich Bayern, Jahrgang 1848, Nro. 9, München, Sp. 61–66). Siehe unten „Zweite Revision von 1848“. Sowie ergänzt und geändert durch das „Gesetz, die Wahl der Landtags-Abgeordneten betr.“ vom 4. Juni 1848 (Gesetz-Blatt für das Königreich Bayern, Jahr-

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BAYERN gang 1848, Nro. 11, München, Sp. 77–88). Siehe unten „Vierte Revision von 1848“. 20 Erläutert und ergänzt durch das „Gesetz, die Bildung der Kammer der Reichsräthe betr.“ vom 9. März 1828 (Gesetzblatt für das Königreich Bayern, Jahrgang 1828, II. Stück, München, Sp. 9–14). Siehe unten „Zweite Revision von 1828“. 21 Erläutert und ergänzt durch das „Gesetz, die Bildung der Kammer der Reichsräthe betr.“ vom 9. März 1828 (Gesetzblatt für das Königreich Bayern, Jahrgang 1828, II. Stück, München, Sp. 9–14). Siehe unten „Zweite Revision von 1828“. 22 Erläutert und ergänzt durch das „Gesetz, die Bildung der Kammer der Reichsräthe betr.“ vom 9. März 1828 (Gesetzblatt für das Königreich Bayern, Jahrgang 1828, II. Stück, München, Sp. 9–14). Siehe unten „Zweite Revision von 1828“. 23 Erläutert und ergänzt durch das „Gesetz, die Bildung der Kammer der Reichsräthe betr.“ vom 9. März 1828 (Gesetzblatt für das Königreich Bayern, Jahrgang 1828, II. Stück, München, Sp. 9–14). Siehe unten „Zweite Revision von 1828“. 24 Aufgehoben durch das „Gesetz, die Wahl der Landtags-Abgeordneten betr.“ vom 4. Juni 1848 (GesetzBlatt für das Königreich Bayern, Jahrgang 1848, Nro. 11, München, Sp. 77–88). Siehe unten „Vierte Revision von 1848“. 25 Aufgehoben durch das „Gesetz, die Wahl der Landtags-Abgeordneten betr.“ vom 4. Juni 1848 (GesetzBlatt für das Königreich Bayern, Jahrgang 1848, Nro. 11, München, Sp. 77–88). Siehe unten „Vierte Revision von 1848“. 26 Ergänzt mit lit. f) durch das „Gesetz, die Zahl der Abgeordneten zur Stände-Versammlung aus der Pfalz betr.“ vom 15. April 1848 (Gesetz-Blatt für das Königreich Bayern, Jahrgang 1848, Nro. 2, München, Sp. 9–12). Siehe unten „Erste Revision von 1848“. Der gesamte Paragraph wurde durch das „Gesetz, die Wahl der Landtags-Abgeordneten betr.“ vom 4. Juni 1848 wieder aufgehoben (Gesetz-Blatt für das Königreich Bayern, Jahrgang 1848, Nro. 11, München, Sp. 77–88). Siehe unten „Vierte Revision von 1848“. 27 „Edict über die Stände-Versammlung, Zehnte Beylage zu der Verfassungs-Urkunde des Königreichs Baiern“, Gesetzblatt für das Königreich Baiern, Jahrgang 1818, XVII. Stück, München, Sp. 349–396. Der Paragraph wurde durch das „Gesetz, die Wahl der Landtags-Abgeordneten betr.“ vom 4. Juni 1848 wieder aufgehoben (Gesetz-Blatt für das Königreich Bayern, Jahrgang 1848, Nro. 11, München, Sp. 77–88). Siehe unten „Vierte Revision von 1848“. 28 Aufgehoben durch das „Gesetz, die Wahl der Landtags-Abgeordneten betr.“ vom 4. Juni 1848 (GesetzBlatt für das Königreich Bayern, Jahrgang 1848, Nro. 11, München, Sp. 77–88). Siehe unten „Vierte Revision von 1848“. 29 „Edict über die Stände-Versammlung, Zehnte

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Beylage zu der Verfassungs-Urkunde des Königreichs Baiern“, Gesetzblatt für das Königreich Baiern, Jahrgang 1818, XVII. Stück, München, Sp. 349–396. 30 Aufgehoben durch das „Gesetz, die Wahl der Landtags-Abgeordneten betr.“ vom 4. Juni 1848 (GesetzBlatt für das Königreich Bayern, Jahrgang 1848, Nro. 11, München, Sp. 77–88). Siehe unten „Vierte Revision von 1848“. 31 Geändert durch das „Gesetz, die Zwischenwahlen von Abgeordneten zur zweiten Kammer der Stände-Versammlung betr.“ vom 18. Januar 1843 (GesetzBlatt für das Königreich Bayern, Jahrgang 1843, Nro. 1, München, Sp. 5–10). Siehe unten „Erste Revision von 1843“. Diese Änderung wurde durch das „Gesetz, die Wahl der Landtags-Abgeordneten betr.“ vom 4. Juni 1848 wieder aufgehoben (Gesetz-Blatt für das Königreich Bayern, Jahrgang 1848, Nro. 11, München, Sp. 77–88). Siehe unten „Vierte Revision von 1848“. 32 Aufgehoben durch das „Gesetz, die Wahl der Landtags-Abgeordneten betr.“ vom 4. Juni 1848 (GesetzBlatt für das Königreich Bayern, Jahrgang 1848, Nro. 11, München, Sp. 77–88). Siehe unten „Vierte Revision von 1848“. 33 Zum ständischen Initiativrecht das „Gesetz, die ständische Initiative betreffend“ vom 4. Juni 1848 (Gesetz-Blatt für das Königreich Bayern, Jahrgang 1848, Nro. 9, München, Sp. 61–66). Siehe unten „Zweite Revision von 1848“. Siehe zu Tit. VII. der Verfassung auch das Verfassungsverständnis vom 14. Juni 1843, abgedruckt bei Heinrich Albert Zachariä (Hrsg.), Die deutschen Verfassungsgesetze der Gegenwart, einschließlich der Grundgesetze des deutschen Bundes und der das Verfassungsrecht der Einzelstaaten direct betreffenden Bundesbeschlüsse, Göttingen 1855, S. 130–133. 34 Geändert durch das „Gesetz, die Abänderung des §. 6. Tit. VII. der Verfassungsurkunde betreffend“ vom 15. April 1840 (Gesetzblatt für das Königreich Bayern, Jahrgang 1840, No. 2, München, Sp. 25–28). Siehe unten „Revision von 1840“. 35 Vgl. hierzu das „Gesetz, die Grundlagen der Gesetzgebung über die Gerichts-Organisation, über das Verfahren in Civil- und Strafsachen und über das Strafrecht betreffend“ vom 4. Juni 1848 (Gesetz-Blatt für das Königreich Bayern, Jahrgang 1848, Nro. 16, München, Sp. 137–146). Siehe unten „Siebte Revision von 1848“. 36 Ergänzung zur Erleichterung der Vollziehung dieser Bestimmung durch das „Gesetz, die Behandlung neuer oder revidirter Gesetzbücher betreffend“ vom 9. August 1831 (Gesetzblatt für das Königreich Bayern, Jahrgang 1831, Nro. 1, München, Sp. 5–16). Siehe unten „Erste Revision von 1831“. Dieses Änderungsgesetz wurde seinerseits durch das „Gesetz, die fernere Behandlung neuer oder revidirter Gesetzbücher betreffend“ vom 1. Juli 1834 ergänzt und geändert (Gesetzblatt für das Königreich Bayern, Jahrgang 1834, No. 3,

V ERFASSUNG VON BAYERN (1818) München, Sp. 33–36). Siehe unten „Zweite Revision von 1834“. 37 Ergänzt durch das „Gesetz, die Verantwortlichkeit der Minister betr.“ vom 4. Juni 1848 (Gesetz-Blatt für das Königreich Bayern, Jahrgang 1848, Nro. 10, München, Sp. 69–76). Siehe unten „Dritte Revision von 1848“. 38 Erweitert durch das „Gesetz, die ständische Initiative betreffend“ vom 4. Juni 1848 (Gesetz-Blatt für das Königreich Bayern, Jahrgang 1848, Nro. 9, München, Sp. 61–66). Siehe unten „Zweite Revision von 1848“. 39 Ediert nach Gesetzblatt für das Königreich Baiern, Jahrgang 1818, VIII. Stück, München, Sp. 141–148. 40 Siehe hierzu die Erläuterung durch das „Gesetz, die Bestimmungen des §. 5. der I. Beylage zur Verfassungs-Urkunde betreffend“ vom 15. August 1828 (Gesetzblatt für das Königreich Baiern, Jahrgang 1828, IV. Stück, München, Sp. 37–40). Siehe unten „Dritte Revision von 1828“. 41 Ediert nach Gesetzblatt für das Königreich Baiern, Jahrgang 1818, IX. Stück, München, Sp. 149–180. 42 Das Konkordat ist ein Staatsvertrag und konnte daher nicht integraler Bestandteil der Verfassung werden, da eine Abänderung nur mit Zustimmung der katholischen Kirche, dem Vertragspartner, und nicht alleine durch den verfassungsändernden Gesetzgeber vorgenommen werden konnte. Deswegen wird das Konkordat hier nicht aufgenommen. Es ist abgedruckt in der amtlichen Sammlung als Anhang Nro. I zur Beylage II, Gesetzblatt für das Königreich Baiern, Jahrgang 1818, XVIII. Stück, Nro. I., München, Sp. 397–436. 43 Gesetzblatt für das Königreich Baiern, Jahrgang 1818, XVIII. Stück, Nro. II, München, Sp. 437–450. 44 Ediert nach Gesetzblatt für das Königreich Baiern, Jahrgang 1818, XVIII. Stück, Nro. II, München, Sp. 437–450. 45 Das „Gesetz, die protestantischen General-Synoden und den Consistorialbezirk Speyer betreffend“ vom 4. Juni 1848 sieht die Möglichkeit der Änderung des Status des Consistorialbezirks Speyer vor (GesetzBlatt für das Königreich Bayern, Jahrgang 1848, Nro. 17, München, Sp. 149–152). Siehe unten „Achte Revision von 1848“. 46 Durch das „Gesetz, die protestantischen GeneralSynoden und den Consistorialbezirk Speyer betreffend“ vom 4. Juni 1848 um einen zweiten Absatz ergänzt (Gesetz-Blatt für das Königreich Bayern, Jahrgang 1848, Nro. 17, München, Sp. 149–152). Durch dieses Gesetz wurde ebenfalls der Wortlaut von Abs. 1 geändert. Siehe unten „Achte Revision von 1848“. 47 Ediert nach Gesetzblatt für das Königreich Baiern, Jahrgang 1818, X. Stück, München, Sp. 181–188. Aufgehoben und ersetzt durch das „Edikt über die Freiheit der Presse und des Buchhandels“ vom 4. Juni 1848 (siehe §. 10.), (Gesetz-Blatt für das Königreich Bayern, Jahrgang 1848, Nro. 12, München, Sp. 89–96). Siehe unten „Fünfte Revision von 1848“.

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Ediert nach Gesetzblatt für das Königreich Baiern, Jahrgang 1818, XI. Stück, München, Sp. 189–212. 49 Ediert nach Gesetzblatt für das Königreich Baiern, Jahrgang 1818, XII. Stück, München, Sp. 213–220. 50 Ediert nach Gesetzblatt für das Königreich Baiern, Jahrgang 1818, XIII. Stück, München, Sp. 221–276. Siehe dazu das „Gesetz, die Vindikation der Gerichtsbarkeiten betr.“ vom 1. Juli 1834 (Gesetzblatt für das Königreich Bayern, Jahrgang 1834, Nro. 4, München, Sp. 37–40). Siehe unten „Dritte Revision von 1834“. Die standes- und gutsherrliche Gerichtsbarkeit wurde durch „Gesetz über die Aufhebung der standesund gutsherrlichen Gerichtsbarkeit, dann die Aufhebung, Fixirung und Ablösung von Grundlasten“ vom 4. Juni 1848 aufgehoben und ging mit Wirkung vom 1. Oktober 1848 auf den Staat über (Gesetz-Blatt für das Königreich Bayern, Jahrgang 1848, Nro. 13, München, Sp. 97–118). Siehe unten „Sechste Revision von 1848“. 51 Ediert nach Gesetzblatt für das Königreich Baiern, Jahrgang 1818, XIV. Stück, München, Sp. 277– 324. Siehe dazu die Bestimmungen zur Interpretation des Edikts in dem „Gesetz, die Anwendung und Vollziehung einiger Bestimmungen des Edicts über die Familien-Fidei-Commisse betr.“ vom 11. September 1825 (Gesetzblatt für das Königreich Baiern, Jahrgang 1825, III. Stück, München, Sp. 31–38). Siehe unten „Revision von 1825“. 52 Ediert nach Gesetzblatt für das Königreich Baiern, Jahrgang 1818, XV. Stück, München, Sp. 325–332. 53 Ediert nach Gesetzblatt für das Königreich Baiern, Jahrgang 1818, XVI. Stück, München, Sp. 333–348. 54 Ediert nach Gesetzblatt für das Königreich Baiern, Jahrgang 1818, XVII. Stück, München, Sp. 349–396. 55 Siehe dazu auch den Verweis in dem „Gesetz, die Zwischenwahlen von Abgeordneten zur zweiten Kammer der Stände-Versammlung betr.“ vom 18. Januar 1843 (Gesetz-Blatt für das Königreich Bayern, Jahrgang 1843, Nro. 1, München, Sp. 5–10). Siehe unten „Erste Revision von 1843“. Dieses Gesetz wurde durch das „Gesetz, die Wahl der Landtags-Abgeordneten betr.“ vom 4. Juni 1848 aufgehoben (Gesetzblatt für das Königreich Bayern, Jahrgang 1848, Nro. 11, München, Sp. 77–88). Siehe unten „Vierte Revision von 1848“. 56 Abschnitt I des Titels I der Beylage X wurde durch Gesetz vom 4. Juni 1848 aufgehoben; an die Stelle der Bestimmungen tritt das „Gesetz, die Wahl der Landtags-Abgeordneten betr.“ (Gesetz-Blatt für das Königreich Bayern, Jahrgang 1848, Nro. 11, München, Sp. 77–88). Siehe unten „Vierte Revision von 1848“. 57 Siehe dazu das „Gesetz, die Zwischenwahlen von Abgeordneten zur zweiten Kammer der Stände-Versammlung betr.“ vom 18. Januar 1843 (Gesetzblatt für das Königreich Bayern, Jahrgang 1843, Nro. 1, München, Sp. 5–10). Siehe unten „Erste Revision von 1843“. Dieses Gesetz sowie Abschnitt II des Titels I der Beylage X wurden aufgehoben und durch das „Ge-

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BAYERN setz, die Wahl der Landtags-Abgeordneten betr.“ vom 4. Juni 1848 ersetzt (Gesetz-Blatt für das Königreich Bayern, Jahrgang 1848, Nro. 11, München, Sp. 77–88). Siehe unten „Vierte Revision von 1848“. 58 Zur näheren Bestimmung des Umfangs von lit. c. des §. 44. wurde das „Gesetz, den §. 44. lit. c. im I. Titel der X. Beilage zur Verfassungs-Urkunde betr.“ vom 23. Mai 1846 erlassen (Gesetz-Blatt für das Königreich Bayern, Jahrgang 1846, No. 2, München, Sp. 37–44). Siehe unten „Revision von 1846“. Dieses Gesetz wurde durch „Gesetz, die Wahl der LandtagsAbgeordneten betr.“ vom 4. Juni 1848 aufgehoben (Gesetzblatt für das Königreich Bayern, Jahrgang 1848, Nro. 11, München, Sp. 77–88). Siehe unten „Vierte Revision von 1848“. 59 Aufgehoben und ersetzt durch das „Gesetz, den Geschäftsgang der beyden Kammern der Stände-Versammlung betreffend“ vom 2. September 1831 (Gesetzblatt für das Königreich Bayern, Jahrgang 1831, Nro. 3, München, Sp. 25–36). Siehe unten „Zweite Revision von 1831“. 60 Aufgehoben und ersetzt durch das „Gesetz, den Geschäftsgang der beyden Kammern der Stände-Versammlung betreffend“ vom 2. September 1831 (Gesetzblatt für das Königreich Bayern, Jahrgang 1831, Nro. 3, München, Sp. 25–36). Siehe unten „Zweite Revision von 1831“. 61 Aufgehoben und ersetzt durch das „Gesetz, den Geschäftsgang der beyden Kammern der Stände-Versammlung betreffend“ vom 2. September 1831 (Gesetzblatt für das Königreich Bayern, Jahrgang 1831, Nro. 3, München, Sp. 25–36). Siehe unten „Zweite Revision von 1831“. 62 Aufgehoben und ersetzt durch das „Gesetz, den Geschäftsgang der beyden Kammern der Stände-Versammlung betreffend“ vom 2. September 1831 (Gesetzblatt für das Königreich Bayern, Jahrgang 1831, Nro. 3, München, Sp. 25–36). Siehe unten „Zweite Revision von 1831“. 63 Aufgehoben und ersetzt durch das „Gesetz, den Geschäftsgang der beyden Kammern der Stände-Versammlung betreffend“ vom 2. September 1831 (Gesetzblatt für das Königreich Bayern, Jahrgang 1831, Nro. 3, München, Sp. 25–36). Siehe unten „Zweite Revision von 1831“. 64 Aufgehoben und ersetzt durch das „Gesetz, den Geschäftsgang der beyden Kammern der Stände-Versammlung betreffend“ vom 2. September 1831 (Gesetzblatt für das Königreich Bayern, Jahrgang 1831, Nro. 3, München, Sp. 25–36). Siehe unten „Zweite Revision von 1831“. 65 Aufgehoben und ersetzt durch das „Gesetz, den

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Geschäftsgang der beyden Kammern der Stände-Versammlung betreffend“ vom 2. September 1831 (Gesetzblatt für das Königreich Bayern, Jahrgang 1831, Nro. 3, München, Sp. 25–36). Siehe unten „Zweite Revision von 1831“. 66 Aufgehoben und ersetzt durch das „Gesetz, den Geschäftsgang der beyden Kammern der Stände-Versammlung betreffend“ vom 2. September 1831 (Gesetzblatt für das Königreich Bayern, Jahrgang 1831, Nro. 3, München, Sp. 25–36). Siehe unten „Zweite Revision von 1831“. 67 Aufgehoben und ersetzt durch das „Gesetz, den Geschäftsgang der beyden Kammern der Stände-Versammlung betreffend“ vom 2. September 1831 (Gesetzblatt für das Königreich Bayern, Jahrgang 1831, Nro. 3, München, Sp. 25–36). Siehe unten „Zweite Revision von 1831“. 68 Aufgehoben und ersetzt durch das „Gesetz, den Geschäftsgang der beyden Kammern der Stände-Versammlung betreffend“ vom 2. September 1831 (Gesetzblatt für das Königreich Bayern, Jahrgang 1831, Nro. 3, München, Sp. 25–36). Siehe unten „Zweite Revision von 1831“. 69 Aufgehoben und ersetzt durch das „Gesetz, den Geschäftsgang der beyden Kammern der Stände-Versammlung betreffend“ vom 2. September 1831 (Gesetzblatt für das Königreich Bayern, Jahrgang 1831, Nro. 3, München, Sp. 25–36). Siehe unten „Zweite Revision von 1831“. 70 Aufgehoben und ersetzt durch das „Gesetz, den Geschäftsgang der beyden Kammern der Stände-Versammlung betreffend“ vom 2. September 1831 (Gesetzblatt für das Königreich Bayern, Jahrgang 1831, Nro. 3, München, Sp. 25–36). Siehe unten „Zweite Revision von 1831“. 71 Aufgehoben und ersetzt durch das „Gesetz, den Geschäftsgang der beyden Kammern der Stände-Versammlung betreffend“ vom 2. September 1831 (Gesetzblatt für das Königreich Bayern, Jahrgang 1831, Nro. 3, München, Sp. 25–36). Siehe unten „Zweite Revision von 1831“. 72 Aufgehoben und ersetzt durch das „Gesetz, den Geschäftsgang der beyden Kammern der Stände-Versammlung betreffend“ vom 2. September 1831 (Gesetzblatt für das Königreich Bayern, Jahrgang 1831, Nro. 3, München, Sp. 25–36). Siehe unten „Zweite Revision von 1831“. 73 Siehe dazu das „Gesetz, den Geschäftsgang der beyden Kammern der Stände-Versammlung betreffend“ vom 2. September 1831 (Gesetzblatt für das Königreich Bayern, Jahrgang 1831, Nro. 3, München, Sp. 25–36). Siehe unten „Zweite Revision von 1831“.

Revision von 1825 Gesetz, die Anwendung und Vollziehung einiger Bestimmungen des Edicts über die Familien-Fidei-Commisse betr.1

Maximilian Joseph, von Gottes Gnaden König von Baiern. Nachdem die Gerichtshöfe bey der Anwendung und Vollziehung des Fidei-Commiß-Edicts vom 26. May 1818 (Beylage VII. zur Verfassungs-Urkunde) mehreren Bestimmungen desselben eine solche Auslegung gegeben haben, durch welche die Bildung der Familien-Fidei-Commisse gegen den wahren Sinn und die Absicht des erwähnten Edicts in vielfacher Beziehung erschwert, und zum Theil unmöglich gemacht wird, so haben Wir in Folge der Uns darüber zugekommenen Beschwerden und erstatteten Berichte beschlossen, den richtigen Sinn jener Bestimmungen durch eine authentische Interpretation festzusetzen, und deshalb nach Vernehmung Unseres StaatsRaths, mit Beyrath und Zustimmung Unserer Lieben und Getreuen, der Stände des Reichs, zu verordnen, wie folgt: § 1. Die Constituenten oder Stifter eines Fidei-Commisses sind nach §. 5. und 24. Nr. 3. nur nachzuweisen verbunden, daß die auf dem Fidei-Commisse haftenden Schulden aus dem Ueberschuße bezahlt werden können. Die im §. 7. ausgedrückte Verbindlichkeit der wirklichen Tilgung und Vorlage eines Tilgungs-Planes bezieht sich, dem darin angeführten §. 69. gemäß, blos auf den Fidei-Commißfolger. § 2. Bey jenen Fidei-Commissen, mit welchen in Folge Königlicher Verleihung

das Recht der Vererbung der Reichsrathswürde verbunden ist, muß das hiezu nothwendige und unter allen Umständen unveräusserliche Grund-Vermögen in Ansehung seines Betrags nach Titel VI. §. 3. der Verfassungs-Urkunde, in Ansehung seiner Beschaffenheit und übrigen Rechts-Verhältnisse hingegen, nach dem Fidei-CommißEdicte beurtheilt werden. Daher können zu diesem Grund-Vermögen nur die im §. 3. des Fidei-CommißEdictes benannten Gegenstände gerechnet werden, davon aber muß, dem §. 2. und 5. dieses Edicts gemäß, nur der Betrag von 25 fl. Steuer-Simplum frey von Schulden und Lasten seyn, und das Uebrige ist als Fidei-Commiß-Ueberschuß nach §. 6. und 7. des Edicts zu betrachten, welcher zwar in Grund-Vermögen bestehen muß, und niemals veräussert oder vermindert werden darf, übrigens nach den Bestimmungen des Edicts mit Schulden belastet seyn, oder werden kann. Auch kommt in Ansehung der Constituenten oder Stifter solcher Fidei-Commisse alles dasjenige zur Anwendung, was in dem Fidei-Commiß-Edicte und im vorhergehenden §. 1. bestimmt ist. § 3. Der Constituent oder Stifter eines Fidei-Commisses ist nach §. 13. anzuordnen befugt, daß ein bestimmter oder unbestimmter Theil des Fidei-Commiß-Ueberschusses zur Tilgung der auf demselben bey dessen Constituirung haftenden Schulden von dem

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BAYERN Fidei-Commiß-Besitzer veräussert werden könne oder solle. § 4. Die Bestimmung des §. 8., daß die zum Fidei-Commisse gehörigen Mobilien verzeichnet und abgeschätzt werden sollen, findet auf den Stifter des Fidei-Commisses keine Anwendung. § 5. Die Disposition des §. 40. in Betreff des Beweises, daß das zum neuen FideiCommisse bestimmte Vermögen vor Auflösung der Fidei-Commisse die Eigenschaft eines Fidei-Commisses oder Stammgutes an sich getragen habe, schließt nicht aus, daß auch Vermuthungen als Beweismittel genügen. § 6. Die Bestimmung des §. 26., wonach die persönlichen und hypothekarischen Gläubiger unter dem Rechts-Nachtheile, daß sie sich nicht mehr an die Substanz des Fidei-Commiß-Vermögens zu halten berechtigt seyen, vorgeladen werden sollen, ist auf die von den Gerichten und Hypotheken-Aemtern angezeigten Gläubiger, so wie auf die von dem Stifter des Fidei-Commisses benannten Fidei-CommißGläubiger nicht anwendbar, sondern es sind dieselben, erforderlichen Falls, unter dem Rechts-Nachtheile vorzuladen, daß ihre Forderungen dergestalt, wie sie angezeigt sind, auf das Fidei-Commiß eingetragen werden sollen. § 7. Die Kinder des Constituenten oder die ihnen zu bestellenden Curatoren dürfen,

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wenn er selbst die Instruction zur Eintragung des Fidei-Commisses in die Matrikel veranlaßt, nur in dem Falle speciell hiezu vorgeladen werden, wenn dieses nach §. 26. auch bey andern Personen zuläßig ist, und bedarf es insbesondere wegen des PflichtTheils, gemäß des §. 20., keiner Vorladung der Kinder. Nach diesen gesetzlichen Erläuterungen haben sich die Gerichte bey der Instruction aller Gesuche der Fidei-Commiß-Stifter wegen Eintragung der von ihnen errichteten Fidei-Commisse in die Fidei-CommißMatrikel, ohne Rücksicht auf die dagegen ergangenen Entschließungen oder Erkenntnisse zu achten. Gegeben Tegernsee, den eilften September im Jahre eintausend achthundert fünf und zwanzig. Maximilian Joseph. Graf v. Reigersberg. Fürst v. Wrede. Graf v. Rechberg. Graf v. Thürheim. Frhr. v. Lerchenfeld. Graf v. Törring. Frhr. v. Zentner. v. Maillot. Nach dem Befehle Sr. Majestät des Königs: Egid v. Kobell, Königlicher Staatsrath und General-Sekretär. 1

Ediert nach Gesetzblatt für das Königreich Baiern, Jahrgang 1825, III. Stück, München, Sp. 31–38.

Erste Revision von 1828 Gesetz, die Bestimmung des §. 2. Ziff. 7. des Tit. III. der Verfassungs-Urkunde, das Staatsgut betr.1

Ludwig, von Gottes Gnaden König von Bayern, etc. etc. Wir haben Uns von der Nothwendigkeit überzeugt, die Bestimmung des §. 2. Ziffer 7. des III. Titels der Verfassungs-Urkunde, das Staatsgut betreffend, zu mehrerer Deutlichkeit und Genauigkeit derselben zu erweitern, und verordnen deßhalb, nach Vernehmung Unseres Staatsrathes und mit Beyrath und Zustimmung Unserer Lieben und Getreuen, der Stände des Reiches, unter genauer Beobachtung der im §. 7. Titel X. der Verfassungs-Urkunde vorgeschriebenen Formen, wie folgt: A RT. I. Gegenstände, welche sich in den, im § 2. Ziff. 7. des III. Titels der Verfassungs-Urkunde gedachten Sammlungen befinden, aber weder aus Staatsmitteln noch durch Staatsverträge, noch in fideicommissarischer Eigenschaft, sondern aus den dem Monarchen zur Privatdisposition gestellten Einnahmen oder aus sonstigen Privattiteln erworben, und dem Vermögen des Staates und der Krone nicht förmlich einverleibt wurden, sohin zu der Privatverlassenschaft des Monarchen gehören, und als dessen Privateigenthum unter der Fertigung derjenigen Staatsbeamten, welchen die Aufsicht über die treffenden Sammlungen anvertraut ist, in den Verzeichnissen vorgemerkt sind, gehen in das Privateigen-

thum der Erben über, und verbleiben auch dann in solchem, wenn dieselben sie ferner, jedoch mit der geeigneten Bemerkung in den Verzeichnissen, bey diesen Sammlungen belassen. A RT. II. Gegenwärtiges Gesetz soll als ein Grundgesetz des Reiches angesehen werden; es hat vom heutigen Tage anfangend, die Kraft, als stände es wörtlich in der Verfassungs-Urkunde selbst, und kann nur in der durch den §. 7. Tit. X. der Verfassungs-Urkunde vorgeschriebenen Art verändert werden. Gegeben in Unserer Haupt- und Residenzstadt München den neunten März im Jahre eintausend achthundert und acht- und zwanzig. Ludwig. Fürst v. Wrede. Graf v. Thürheim. Freyherr v. Zentner. v. Maillot. Gr. v. Armansperg. Nach dem Befehle Sr. Majestät des Königs: Egid von Kobell, Königlicher Staatsrath und General-Sekretär.

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Ediert nach Gesetzblatt für das Königreich Bayern, Jahrgang 1828, I. Stück, München, Sp. 5–8.

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Zweite Revision von 1828 Gesetz, die Bildung der Kammer der Reichsräthe betr.1 Ludwig, von Gottes Gnaden König von Bayern, etc. etc. Wir haben Uns von der Nothwendigkeit überzeugt, die in dem Titel VI. §. 2. Ziff. 6., dann §. 4. der Verfassungs-Urkunde enthaltenen Bestimmungen über die Bildung der Kammer der Reichsräthe zu erläutern, und durch Zusätze zu ergänzen, und verordnen dem zufolge nach Vernehmung Unseres Staatsrathes mit Beyrath und Zustimmung Unserer Lieben und Getreuen, der Stände des Reichs, unter Beobachtung der in dem Titel X. §. 7. der Verfassungs-Urkunde vorgeschriebenen Formen, wie folgt: A RT. I. Bey der Bemessung des in dem Titel VI. §. 4. der Verfassungs-Urkunde festgesetzten Zahlen-Verhältnisses zwischen den erblichen und lebenslänglichen Reichsräthen, sind bey den ersteren außer den Häuptern der ehemals reichsständischen fürstlichen und gräflichen Familien und den vom Könige mit Verleihung des VererbungsRechtes ernannten Reichsräthen (Verfassungs-Urkunde Titel VI. §. 2. Ziff. 4. und 6., dann §. 3.) auch noch zu zählen: die beyden Erzbischöfe; der von dem Könige aus der Zahl der Bischöfe ernannte Reichsrath, und der jedesmalige Präsident des protestantischen OberConsistoriums. Dagegen sind die volljährigen Prinzen des Königlichen Hauses und die Kronbeamten, welche nicht zugleich wegen ihrer Besitzungen Reichs-Räthe sind, – weder zu den erblichen noch zu den lebenslänglichen Reichsräthen zu rechnen. 124

A RT. II. Der König wird die von ihm zu ernennenden erblichen und lebenslänglichen Reichsräthe aus jenen Personen auswählen, die entweder dem Staate ausgezeichnete Dienste geleistet haben, oder von adelicher Geburt sind, oder Vermögen besitzen. Hinsichtlich der Verleihung des Vererbungs-Rechtes hat es außerdem bey den Bestimmungen des Titels VI. §. 3. der Verfassungs-Urkunde zu verbleiben. A RT. III. Gegenwärtiges Gesetz soll als ein Grund-Gesetz des Reiches und als ein ergänzender Bestandtheil der VerfassungsUrkunde angesehen werden. Dasselbe tritt mit dem Tage der Bekanntmachung durch das Gesetzblatt in Wirksamkeit, und kann nur in der durch den Titel X. §. 7. der Verfassungs-Urkunde vorgeschriebenen Weise wieder abgeändert werden. Gegeben in Unserer Haupt- und Residenzstadt München den neunten März im Jahre eintausend achthundert acht und zwanzig. Ludwig. Fürst v. Wrede. Graf v. Thürheim. Freyherr v. Zentner. v. Maillot. Gr. v. Armansperg. Nach dem Befehle Sr. Majestät des Königs: Egid von Kobell, Königlicher Staatsrath und General-Sekretär.

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Ediert nach Gesetzblatt für das Königreich Bayern, Jahrgang 1828, II. Stück, München, Sp. 9–14.

Dritte Revision von 1828 Gesetz, die Bestimmungen des §. 5. der I. Beylage zur Verfassungs-Urkunde betreffend1

Ludwig, von Gottes Gnaden König von Bayern, etc. etc. Wir haben Uns von der Nothwendigkeit überzeugt, die Bestimmungen des §. 5. der I. Beylage zur Verfassungs-Urkunde, das Indigenat betr., authentisch zu erläutern, und verordnen deßhalb nach Vernehmung Unseres Staatsrathes und mit Beyrath und Zustimmung Unserer Lieben und Getreuen, der Stände des Reiches, unter genauer Beobachtung der im §. 7. Tit. X. der Verfassungs-Urkunde vorgeschriebenen Formen, wie folgt: A RT. I. Unter der Anstellung, ohne welche nach § 5. der I. Beylage zur Verfassungs-Urkunde Fremde, die sich in Bayern in Privatdiensten befinden, auf die Rechte eines Einheimischen keine Ansprüche machen können, ist nur eine ständige Anstellung zu verstehen. A RT. II. Gegenwärtiges Gesetz soll als

ein Grundgesetz des Reiches angesehen werden. Es hat vom heutigen Tage anfangend, die Kraft, als stünde es wörtlich in der Verfassungs-Urkunde selbst, und kann nur in der durch den §. 7. Tit. X. der Verfassungs-Urkunde vorgeschriebenen Art verändert werden. Gegeben Bad Brückenau den 15. August 1828. Ludwig. Fürst v. Wrede. Graf v. Thürheim. Freyherr v. Zentner. v. Maillot. Gr. v. Armansperg. Nach dem Befehle Sr. Majestät des Königs: Egid von Kobell, Königlicher Staatsrath und General-Sekretär. 1

Ediert nach Gesetzblatt für das Königreich Bayern, Jahrgang 1828, IV. Stück, München, Sp. 37–40.

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Erste Revision von 1831 Gesetz, die Behandlung neuer oder revidirter Gesetzbücher betreffend1

Ludwig, von Gottes Gnaden König von Bayern etc. etc. Wir haben in der Absicht, die Vollziehung des §. 7. im Tit. VIII. der VerfassungsUrkunde zu erleichtern, nach Vernehmung Unseres Staatsraths und mit Beirath und Zustimmung Unserer Lieben und Getreuen, der Stände des Reichs, unter Beobachtung der Vorschriften im §. 7. Tit. X. der gedachten Urkunde beschlossen und verordnen: A RT. I. Wenn die Staatsregierung den Ständen Entwürfe neuer oder revidirter Gesetzbücher vorlegt, so soll, wenn es nicht ohnehin schon geschehen ist, zu dem Ausschuße der Kammer der Reichsräthe für Gegenstände der Gesetzgebung, auf den Fall der Verhinderung einzelner AusschußMitglieder, vorsorglich ein erster und zweiter Ersatzmann gewählt, der Ausschuß der Kammer der Abgeordneten für Gegenstände der Gesetzgebung aber bis auf neun Mitglieder verstärkt werden. Wenn in Folge dieses Gesetzes die Fortdauer des jetzt bestehenden Ausschusses für Gegenstände der Gesetzgebung verfügt wird, so soll die Wahl seiner Mitglieder erneuert werden. Ausser der im ersten Absatze dieses Artikels festgesetzten Anzahl von Mitgliedern des Ausschusses sind zu diesem Behufe noch drei Ersatzmänner aus der Kammer der Abgeordneten zu wählen. In den Ausschüssen für Gegenstände der Gesetzgebung hat nicht das in Jahren älteste Mitglied den Vorsitz zu führen, sondern der Vorstand jedes solchen Ausschußes wird von den Mitgliedern desselben gewählt. 126

Der Entwurf eines Gesetzbuches, welches den Ständen vorgelegt wird, ist alsbald nach der Vorlage dem Drucke und der Oeffentlichkeit zu übergeben; auch den Justizund Verwaltungs-Stellen mitzutheilen. A RT. II. Zur gültigen Berathung und Beschlußfassung dieser Ausschüße für Gegenstände der Gesetzgebung ist in der ersten Kammer die Anwesenheit von wenigstens fünf, in der zweiten Kammer die Anwesenheit von wenigstens sieben Mitgliedern erforderlich. A RT. III. Der König kann spätestens acht Tage vor der Schließung oder Vertagung der Sitzung der Stände verfügen, daß die Ausschüsse der Kammern für Gegenstände der Gesetzgebung auch nach der Schließung oder Vertagung versammelt und in Thätigkeit bleiben sollen, um hinsichtlich der im Entwurfe vorgelegten Gesetzbücher die Vorarbeiten zu beginnen und fortzusetzen, wie sie im Tit. II. §. 29. der Beilage X. zur Verfassungs-Urkunde angeordnet sind. Dem Neugewählten steht unbedingt die Befugniß zu, unmittelbar nach dem Scrutinium die Wahl abzulehnen, in so ferne seine Familien- oder sonstigen Verhältnisse ihm nicht gestatten, sich länger seinem häuslichen Berufe zu entziehen, ohne daß die Kammer darüber zu entscheiden hat. Die gesetzliche Wirksamkeit eines auf die in diesem Artikel bezeichnete Weise versammelt bleibenden Ausschusses hat sich lediglich auf die Prüfung der vorgelegten Gesetzbücher und Erstattung seines Gutachtens an die Kammer zu beschränken und

E RSTE R EVISION VON 1831 jede andere Verhandlung desselben ist ohne Gültigkeit und Erfolg. A RT. IV. Jeder der genannten Ausschüsse verhandelt für sich allein diejenigen Entwürfe, welche von der Staatsregierung zuerst an seine Kammer gebracht und ihm von dieser zugewiesen sind; jedoch können beide Ausschüsse zur Erzielung der Einheit der Gesetzbücher in wechselseitiges Benehmen treten. A RT. V. Die Wirksamkeit dieser Ausschüsse für Gegenstände der Gesetzgebung erlöscht oder ruht, wenn der König die Sitzungen derselben aufhebt, oder, mit Vorbehalt der Wiedereinberufung der Mitglieder, einstweilen einstellt. A RT. VI. Ausserdem schließen die Ausschüsse für Gegenstände der Gesetzgebung ihre Sitzungen, sobald die vorschriftsmäßigen Vorarbeiten in Ansehung der zugewiesenen Entwürfe der Gesetzbücher vollendet sind, und die Staatsregierung auf Anzeige hievon keine weiteren Berathungen – durch neue Modifikationen oder Zusätze veranlaßt, – mehr nothwendig findet. A RT. VII. In diesem Falle sind die Akten der Ausschüsse für Gegenstände der Gesetzgebung einstweilen in dem ständischen Archive zu hinterlegen, ihre Hauptund Schluß-Vorträge sogleich zum Drucke zu befördern, und jedem Mitgliede der beiden Kammern ist ein Abdruck mitzutheilen. Die Haupt- und Schluß-Vorträge der Ausschüsse sind, sobald sie gedruckt sind, der Oeffentlichkeit zu übergeben, und den Justiz- und Verwaltungsstellen, sowie den Facultäten der Landes-Universitäten mitzutheilen. A RT. VIII. Diese Haupt- und SchlußVorträge werden, jeder in der betreffenden Kammer, bey wieder versammelten Ständen nach vorgängiger Königlicher

Aufforderung förmlich zur Vorlage gebracht, und die Entwürfe der Gesetzbücher werden der allgemeinen Berathung unterworfen; ein neuerliches Vorverfahren durch die Ausschüsse hat nur in so weit statt, als es etwa die Staats-Regierung ausdrücklich verlangt, vorbehaltlich jedoch der Bestimmung des §. 32. Tit. II. Edikts X. zur Verfassungs-Urkunde. [A RT.] IX. Bis die allgemeine Berathung über die eingebrachten Gesetzbücher vollendet ist, bilden die nämlichen Reichs-Räthe und Abgeordneten, welche an den Vorarbeiten hiezu Theil genommen und nicht indessen aufgehört haben, Mitglieder ihrer Kammer zu seyn, fortwährend den Ausschuß für Gegenstände der Gesetzgebung, für die im Tit. VI. §. 13. der Verfassungs-Urkunde bestimmte Dauer der zweiten Kammer der Stände-Versammlung, und nur die allenfallsigen Abgänge werden durch Wahl ersetzt. Die Wirksamkeit des Ausschusses für Gegenstände der Gesetzgebung endet, wenn die Berathung und Schlußfassung über die ihm zur Prüfung übergebenen Gesetzbücher vollendet ist. A RT. X. Vorstehende Vorschriften sollen als Gesetz auf die im Tit. VI. §. 13. der Verfassungs-Urkunde festgestellte Dauer der gegenwärtigen Stände-Versammlung gelten. Gegeben München am 9. August 1831. Ludwig. Fürst von Wrede, Frhr. v. Zentner, Graf v. Armansperg, v. Weinrich, v. Stürmer. Nach Königlich allerhöchstem Befehl: der Staatsrath und General-Sekretär: Egid v. Kobell, 1

Ediert nach Gesetzblatt für das Königreich Bayern, Jahrgang 1831, Nro. 1, München, Sp. 5–16.

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Zweite Revision von 1831 Gesetz, den Geschäftsgang der beyden Kammern der StändeVersammlung betreffend1

Ludwig, von Gottes Gnaden König von Bayern etc. etc. Wir haben beschlossen, unter Aufhebung der §§. 13, 14, 18, 19, 20, 22, 40, 41, 42, 43, 44, 45, 46 und 47 Tit. II. der X. Beylage zur Verfassungs-Urkunde, in den Bestimmungen derselben über den Geschäftsgang in den beyden Kammern der Stände-Versammlung Abänderungen eintreten zu lassen, und verordnen demzufolge unter Beobachtung der im §. 7. Tit. X. der Verfassungs-Urkunde vorgeschriebenen Formen, nach Vernehmung Unseres Staatsraths und mit Beyrath und Zustimmung Unserer Lieben und Getreuen, der Stände des Reiches, wie folgt: § 1. Das verlesene und als richtig anerkannte Protokoll ist sogleich nach gefertigter Reinschrift von dem Präsidenten, einem Sekretär und noch drey Mitgliedern nach dem Turnus zu unterzeichnen. § 2. Unter mehreren von den Ausschüssen vollendeten und der Kammer zu erstattenden Vorträgen sollen diejenigen, welche einen von der Staatsregierung an die Kammer gebrachten Gegenstand betreffen, vor allen andern in Berathung genommen werden. Es soll in jeder Woche ein Tag der Berathung und Erledigung der Anträge der Kammer-Mitglieder und der Beschwerden gewidmet werden. Der Kammer bleibt jedoch unbenommen, diese Berathung und Erledigung zu verta-

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gen, und eine bereits begonnene Discussion fortzusetzen und zu beendigen. § 3. Die von den Ausschüssen bearbeiteten Vorträge sind auch den Königlichen Staatsministern und Commissarien mitzutheilen, und zwar schon an jenem Tage, an welchem sie an die Kammer-Mitglieder vertheilt worden sind. § 4. Ist ein von der Staats-Regierung mitgetheilter Gesetz-Entwurf oder Antrag aus mehreren Paragraphen oder Artikeln zusammengesetzt, so soll die Discussion über das Ganze des Gesetzes oder Antrages und über dessen allgemeine Grundlagen von jener über die einzelnen Paragraphen oder Artikel getrennt werden, und die allgemeine Discussion der besonderen vorangehen. Bestehet aber der Gesetz-Entwurf oder Antrag nur aus einem einzigen Artikel, so fällt die allgemeine Discussion mit der besonderen zusammen. § 5. Ist die allgemeine Discussion geschlossen, so geht die Kammer sofort zu der besonderen über jeden einzelnen Paragraphen oder Artikel über. § 6. Nachdem am Schlusse der Debatte der Referent noch einmal das Wort genommen hat, steht den Königlichen Staatsministern und Commissarien die Abgabe einer Schluß-Aeußerung zu, so ferne sie solche für nöthig erachten. Sollten bey diesen Aeußerungen bisher nicht vorgekommene Thatsachen vorgebracht werden, so kann jedes Mitglied über

Z WEITE R EVISION VON 1831 diese Thatsachen das Wort verlangen, vorbehaltlich des Rechts der Betheiligten, hierüber das letzte Wort zu nehmen. § 7. Unmittelbar nach dem Schluße der Discussion über die einzelnen Artikel erfolgt die Abstimmung über dieselben, in der Regel durch Aufstehen und Sitzenbleiben, und es hat der Präsident nach dem Ergebnisse die vorläufige Annahme oder Verwerfung des Artikels, über welchen abgestimmt worden, auszusprechen. Bey Gesetz-Entwürfen, welche aus mehreren Abtheilungen bestehen, kann die Kammer auf dieselbe Weise die vorläufige Abstimmung über jede einzelne Abtheilung beschließen. § 8. In allen Fällen kann die Kammer die Abstimmung durch Namens-Aufruf beschließen. In Fällen, wo das Ergebniß der Abstimmung durch Aufstehen und Sitzenbleiben zweifelhaft ist, muß die Abstimmung durch Namens-Aufruf geschehen. § 9. Nach beendigter Abstimmung über alle Artikel erfolgt die definitive Abstimmung bey allen Gegenständen, welche öffentlich berathen werden, ebenfalls öffentlich über die Frage: Ob der Gesetz-Entwurf oder Antrag in der ihm durch die vorläufige Abstimmung über die einzelnen Artikel gegebenen Gestaltung angenommen oder verworfen werde? Die Kammer kann jedoch, wenn über ein Gesetz-Buch oder über einen aus mehr als fünfzig Artikeln bestehenden Antrag abgestimmt wird, die definitive Abstimmung vertagen, jedoch nicht länger als zweymal vier und zwanzig Stunden. § 10. In der nämlichen Weise ist die definitve Abstimmung über die Annahme oder Verwerfung derjenigen Gesetz-Entwürfe und Anträge vorzunehmen, welche nur aus einem einzigen Artikel bestehen.

§ 11. Bey der definitiven Abstimmung wird jedes Mitglied nach der Reihe der Sitze namentlich aufgerufen, und es hat hiebey der zweite Präsident zuerst abzustimmen. Der dirigirende Präsident stimmt zuletzt, und zwar unmittelbar nach den beyden Sekretären; wenn durch dessen Abstimmung Gleichheit entsteht, so kommt demselben noch eine weitere, entscheidende Stimme zu. § 12. Die Stimme wird ohne weitere Motivirung oder Erläuterung durch das Aussprechen eines „Ja“ oder „Nein“ abgegeben. Der Präsident spricht am Ende die Stimmen-Mehrheit und hiernach den Beschluß der Kammer aus. § 13. Findet über einen von der Staatsregierung mitgetheilten Gesetz-Entwurf in dem durch den §. 51. Tit. II. der X. Beylage zur Verfassungs-Urkunde vorgesehenen Falle eine wiederholte Berathung statt, so soll die Abstimmung unmittelbar auf die Discussion folgen, und zwar in der Regel durch Aufstehen und Sitzenbleiben, und ohne daß die Königlichen Staatsminister und Commissarien und die Zuhörer abtreten müssen. § 14. Jedes anwesende Mitglied der Kammer ist verpflichtet, an der Abstimmung Theil zu nehmen. § 15. Jedes Mitglied der Kammer, so wie jeder Königliche Staatsminister und Commissär ist berechtigt, sowohl zu jedem einzelnen Artikel eines Gesetz-Entwurfes, als auch bey allen Berathungs-Gegenständen, welche nicht von der Staats-Regierung an die Kammer gebracht worden sind, Abänderungen (Modifikationen) oder Unter-Abänderungen vor und während der allgemeinen und besonderen Discussion vorzuschlagen. Die Königlichen Staatsminister und Commissarien haben jedoch hierzu nur am Schlusse einer jeden Rede eines Mitgliedes der Kammer das Wort zu nehmen.

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BAYERN Denselben steht ferner das Recht zu, nach Beendigung sowohl der allgemeinen als der besonderen Discussion und nachdem der Referent des Ausschusses seine SchlußAeußerung abgegeben hat, an letzter Stelle das Wort auch in dem Falle noch zu verlangen, wenn die Kammer die Beendigung der Debatte beschlossen hat. § 16. Betrifft ein Berathungs-Gegenstand, welcher nicht von der Staats-Regierung herrührt, die Gesetzgebung, so ist die Schluß-Abstimmung über das Ganze des Antrags nach den Bestimmungen der §§. 9. 11. und 12. zu vollziehen, vorbehaltlich jedoch der Bestimmung des §. 13., wenn in dem dort bezeichneten Falle eine wiederholte Berathung statt findet. § 17. Jede Abstimmung über eine von der Kammer nach Tit. VII. §. 21. und Tit. X. §§. 5. und 6. der Verfassungs-Urkunde debattirte Beschwerde oder Anklage erfolgt nach den für die Abstimmung bey GesetzEntwürfen gegebenen Vorschriften. § 18. Jede Kammer ist befugt, für die Leitung ihrer inneren Angelegenheiten und die Ordnung ihrer Geschäfte eigene reglementäre Vorschriften, jedoch nur unter der Bedingung festzusetzen, daß solche nichts enthalten, wodurch eine Bestimmung der Verfassungs-Urkunde, ihrer Beylagen und des gegenwärtigen Gesetzes abgeändert oder authentisch erläutert würden. Diese sonach verfaßten Reglements sind jedesmal der Staatsregierung vorzulegen, damit diese sich überzeugen kann, daß gedachter Bedingung gehörig nachgekommen worden ist. Gleiche Vorlage soll statt finden bey jeder

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vorzunehmenden Abänderung dieser Reglements, wozu die Kammern sich bewogen finden. Das Reglement, das sich eine Kammer giebt, gilt so lange, bis es auf dem vorschriftsmäßigen Wege von derselben oder einer folgenden Kammer wieder aufgehoben seyn wird. § 19. Vorstehende Bestimmungen sollen als ein Grundgesetz des Reiches und als ein ergänzender Bestandtheil des Tit. II. der X. Beylage zur Verfassungs-Urkunde angesehen werden. Dasselbe tritt mit dem Tage der Bekanntmachung durch das Gesetzblatt in Wirksamkeit, und es erlöscht die verbindende Kraft der §§. 13. 14. 18. 19. 20. 22. 40. 41. 42. 43. 44. 45. 46. und 47. Tit. II. der X. Beylage zur Verfassungs-Urkunde hinsichtlich aller hier abgeänderten Punkte mit der erwähnten Bekanntmachung – rücksichtlich des übrigen hier nicht abgeänderten Inhalts aber, für jede Kammer von dem Tage an, wo selbe über die an die Stelle zu setzenden Reglements-Bestimmungen gültige Beschlüsse gefaßt und der Krone vorgelegt haben wird. Gegeben, Berchtesgaden den 2. Sept. 1831. Ludwig. Fürst von Wrede, Frhr. v. Zentner, Graf v. Armansperg, v. Weinrich, v. Stürmer. Nach Königlich allerhöchstem Befehl, der Staatsrath und General-Sekretär: Egid v. Kobell.

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Ediert nach Gesetzblatt für das Königreich Bayern, Jahrgang 1831, Nro. 3, München, Sp. 25–36.

Erste Revision von 1834 Gesetz, die Festsetzung einer permanenten Civilliste betr.1

Ludwig von Gottes Gnaden König von Bayern etc. etc. Wir haben in Betreff der königl. Civilliste nach Vernehmung Unseres Staatsraths, unter dem Beirathe und der Zustimmung Unserer Lieben und Getreuen, der Stände des Reichs, dann unter Beobachtung der im Tit. X. §. 7. der Verf. Urkunde vorgeschriebenen Formen beschlossen und verordnen, wie folgt: A RT. I. Die Civilliste des Königs, so wie sie durch das Finanz-Gesetz vom 28. Dezember 1831 festgesetzt wurde,2 soll für alle Zukunft als unveränderliche Civilliste eines jeden Königs von Bayern festgesetzt bleiben. – A RT. II. Sie ist auf die Summe von zwei Millionen dreimalhundert fünfzigtausend fünfhundert und achtzig Gulden – bestimmt, wird hiemit ausdrücklich auf die gesammten Staatsdomänen radicirt, und in monatlichen Raten aus der CentralStaats-Kasse entrichtet. –

der regierenden Königin, den Unterhalt der minderjährigen Kinder des Monarchen, den Aufwand für den ganzen Hofstaat, die Ausgaben bei sämmtlichen Hofstäben und Intendanzen – einschließlich der Haus-Ritter-Orden, die seit dem 1. Oktober 1831 angefallenen und ferner anfallenden Pensionen und Quiescenz-Gehalte der Hofdienerschaft mit Rücksicht auf die eigene errichtete Hofpensions-Kassa, – als sämmtliche Hofbauten betrifft – sie mögen Neubauten oder blosse Reparaturen an den zum Gebrauche des Hofes bestimmten Gebäuden seyn. – Von den aus dem Hofhaushalte entspringenden Ausgaben soll zu keiner Zeit ohne Bewilligung der Stände etwas auf die Staatskassa überwiesen werden können. –

A RT. III. Diese Summe kann zu keiner Zeit ohne die Zustimmung der Stände erhöhet, noch ohne Bewilligung des Königs gemindert werden.

A RT. V. Das Verzeichniß der sämmtlichen auf die Civilliste übergehenden Gebäude ist in der BeilageI enthalten. – Wenn der König vorübergehend irgend ein Hofgebäude zu einem andern Staatszwecke überläßt, so steht es ihm frei, auf die Dauer dieser Benützung auch die Unterhaltungs-Kosten desselben im gleichen Maaße auf die Staatskassa zu überweisen. –

A RT. IV. Aus der Civilliste werden die, in dem Eingangs erwähnten Finanzgesetze §§. 6. und 7.3 bestimmten Ausgaben bestritten, sowohl was die sämmtlichen Bedürfnisse der Hof- und Haushaltung des Königs, die Dotation der Kabinetskassa, den Bedarf

A RT. VI. Alle Einrichtungen der Residenzen und Hofgebäude, Hofkapellen und Hofämter mit allen Mobilien, welche der Aufsicht der Hofstäbe und Hofintendanzen anvertraut, und zum Bedarfe oder zum Glanze des Hofes bestimmt sind, so wie

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Vid. Beylage zum Gesetzblatte Nro. 2.

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BAYERN alles, was zur Einrichtung oder zur Zierde der Residenzen und Lustschlösser dient, werden von dem Könige aus der Civilliste erhalten, und alle erforderlichen neuen Nachschaffungen aus derselben besorgt. – Die Inventarien hierüber sollen mit Zugrundlegung des Inventars, wie solches bei Unserer Thronbesteigung bestanden, mit genauer Bemerkung der Eigenschaft der neuen Inventarsstücke, nach den Bestimmungen, welche der König in Folge des Familien-Statuts vom 5. Aug. 1819 Tit. VIII. §. 1. getroffen hat, und mit Angabe der Ab- und Zugänge an Mobiliar- und fungiblen Gegenständen stets in Evidenz gehalten, und den Ständen des Reiches, wenn sie es verlangen, deren Einsicht gestattet werden. – Der Hausschatz, so wie dasjenige, was allenfalls von dem Monarchen noch für denselben in der Folge bestimmt wird, soll stets ohne Verminderung seines Werthes fortbestehen.

keinem Falle den im Jahre 1819 hiefür bestimmt gewesenen Betrag überschreiten. A RT. VIII. Sollte sich der Fall der Minderjährigkeit des Königs in der Folge der Zeiten ergeben, so wird der gesammte, dem Reichsverweser nach §. 20. des Titels II. der Verf.Urkunde gebührende Unterhalt während der Dauer der Regentschaft aus der permanenten Civilliste bestritten. – A RT. IX. Gegenwärtiges Gesetz soll als ein Grundgesetz des Reiches betrachtet werden, und dieselbe Wirksamkeit haben, als wenn alle Bestimmungen desselben in der Verfassungs-Urkunde enthalten wären. Ludwig. Fürst v. Wrede. Frhr. v. Lerchenfeld. v. Weinrich. Frhr. v. Gise. Fürst v. OettingenWallerstein. Frhr. v. Schrenk. Nach Königlich Allerhöchstem Befehl: der Staatsrath und General-Sekretär etc.

A RT. VII. Die Appanagen, Wittwen-Gehalte und der Unterhalt Königlicher Prinzessinnen, sowohl die gegenwärtig bestehenden, als jene, welche auf den Grund des Familien-Statuts vom 5. August 1819 von dem Könige bestimmt werden, die von demselben nach dem besagten Familien-Statute festzusetzende Summe für den Unterhalt des Kronprinzen, und der volljährigen noch nicht etablirten Königlichen Prinzen, die Aussteuer, Ausstattung und Vermählung der Prinzessinnen aus der Königlichen Hauptlinie, die herkömmlichen Geschenke bei der Entbindung der Königin und der Kronprinzessin, die Kosten der Etablissements der Königlichen Prinzen, welche jedoch in keinem Falle den einjährigen Betrag der denselben gebührenden Appanage resp. Unterhaltsbetrag überschreiten dürfen, werden wie bisher von der Central-Staats-Kassa besonders bestritten. – Der Unterhalt des Kronprinzen kann in

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Egid v. Kobell.

BEYLAGE ZUM GESETZBLATTE NR. 2 VOM 9. JULY 1834 Verzeichniß der für den Dienst des Königlichen Hofes bestimmten Gebäude

A. Hofgebäude etc. In und um München: Zu München: Residenz und Nebengebäude. Herzog Maxburg. Theatiner Hofkirche. Hofstall- und Reitschulgebäude. Hofpfistergebäude.

E RSTE R EVISION VON 1834 Hofmang- und Leibwaschgebäude. Hofhühnerhaus. Hofsicheren zu Giesing. Hofeiskeller. Hofhammerschmiede. Hofsäggebäude. Hofbaustadel. Hofsteinmetzwerkstätte und Schlosserey. Hofbaumagazinsgebäude. Hofkalkofen. Hofgypsmühle. Kirchenvorrichtungen. Zu Nymphenburg. Hauptschloß- und Nebengebäude. Amalienburg. Badenburg. Pagodenburg. Klause. Hofstallgebäude. Menagerie und Biberbau. Innere Kanäle und Brücken. Zu Schleißheim. Neues Schloßgebäude. Altes Schloß. Lustheim. Zu Fürstenried. Schloß. Hofstall. Zu Berg und Starnberg. Schloß und Oekonomiegebäude zu Berg. Brücke, Durchlässe und Beschlächt zu Percha. Hofstall zu Starnberg. Schiffhütte daselbst und SchiffmeisterGebäude. Hofgartengebäude: Residenz-, großer Hof- und Palaisgarten. Pageriegarten. Hofküchengarten.

Englischer Garten. Hofgarten zu Nymphenburg. Hofgarten zu Schleißheim mit Plantage. Hofgarten zu Fürstenried mit Küchengarten. Hofgarten zu Berg. Hofgarten zu Dachau. Hofjagdgebäude: Zwirchgewölbe und Zwirchmeisterswohnung. Jagdzeugstadel. Heidenjägerhaus am Sendlingerberg. Jägerhaus zu Nymphenburg im Zirkel. Hirschgarten. Jägerhaus zu Neuhausen. Fasanerie zu Hartmanshofen. Fasanerie zu Mosach. Fasanerie zu Schleißheim. Jägerhaus zu Schleißheim. „ „ Gern. „ „ Germering. „ „ Forstenried. „ „ im Park daselbst. Schweinschütt im Park daselbst. Jägerhaus zu Pframering. „ „ Biberg. „ „ Kultursheim. „ „ im Grünwalder Park. Schweinschütt im Grünwalder Park. Jägerhaus zu Oberwarngau. Kanäle: Von Nymphenburg bis Biederstein. „ Schleißheim bis Dachau. Schanz- und Werkzeuge: Hofbrunnenwesen: a) Hofbrunnenwerke, Maschinen und Wasserleitungen: Residenzbrunnenwerke. Herzogmaxbrunnenwerke. Karlsthorbrunnenwerke. Hofgartenbrunnenwerke. Jungfernthurmbrunnenwerke.

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BAYERN Lilienbergbrunnenwerke. Brunnthal. Freyfluß (am Abrecher). Hofbrunnenbaustadel dahier. Hofbrunnenwerke und Maschinen zu Nymphenburg. Hofbrunnenbaustadl daselbst. Hofbrunnenwerk zu Schleißheim. Hofbrunnenwerk, altes, zu Hessellohe. Hofbrunnenwerk, neues, im Park daselbst. Feuerlöschrequisiten. b) Hofbrunnenhäuser: Residenzbrunnenhaus. Herzogmaxbrunnenhaus. Karlsthorbrunnenhaus. Hofgartenbrunnenhaus. Jungfernthurmbrunnenhaus. Lilienbergbrunnenhaus. Brunnthalbrunnenhaus. Freyflußbrunnenhaus. Neue Brücke über den Deichengraben in Hessellohe. Hofbrunnenbaustadel in München. Brunnengebäude zu Nymphenburg. Brunnengebäude zu Schleißheim. Brunnengebäude zu Hessellohe (altes und neues). Bassin und Brunnen zu Berg und Starnberg. Feuerlöschrequisitengebäude.

Sogenanntes Barbier- und Rehbachstöcklein daselbst. Stallgebäude und Wagenremise daselbst. Königl. Jagschloß St. Bartholomä. Jägerhaus St. Bartholomä. Schiffhütte und Jagdzeugbehältniß St. Bartholomä. Mayerhof (Oekonomiegebäude, Schloßwerk). Futterstadel in Oberrain. Anstalten auf der Insel Christlingen und am Kessel zu Königssee. Schiffshütte am Eingange nach dem See. Fischerhütte (Schiffbauhütte) Pferdestallung. Jagdschloß zu Windbachthal. Pferdestallung dortselbst. Futterstallung sammt Heustadel dortselbst. Futterstall sammt Heubehältniß zu Schoppach. Königl. Residenzschloß zu Landshut. Hofstallungsgebäude daselbst. Königl. Residenzgebäude in Freysing. Galleriegebäude in Freysing. Ehemalige Rath Braun’sche Wohnung. Königl. Schloßpflegerswohnung. „ Leibkutscherswohnung. „ Wagenhaus. „ Hofschmiede.

Im Unterdonaukreise: –––

B. Reservirte Schlösser in den Kreisen Im Isarkreise: Königl. Jagschloß Berchtesgaden. Sogenannter Priesterstein, Wohnstock daselbst. Sogenanntes Domestikenstöcklein daselbst.

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Im Regenkreise: Fürstengruft zu Sulzbach. Domprobsteygebäude zu Regensburg.   lit. E. Nr. 58 zu Canonikalhof Regensb.  lit. E. „ 59 „ Schloßgebäude zu Barbing. Gärtnerswohnung dortselbst.

E RSTE R EVISION VON 1834 Im Oberdonaukreise: Residenzhauptgebäude zu Augsburg. Residenzgehöfte. Schloßdienerswohnung zu Augsburg. Gardistenbau dortselbst. Wagenremisenbau. Pferdestallung. Hofgarten. Wasserleitungen. Schloßgebäude zu Dillingen. Brunnenthurm und Wasserleitung. Wohnung des Brunnenmeisters. Blauhäuschen. Hofpfisterey. Hennenfütterey. Hofschreinerey. Zimmerwartswohnung Hofgarten und Zugehör. Feuerlöschgeräthschaften. Schloßgebäude zu Kempten. Königl. Residenz zu Neuburg. Hofgärtnerswohnung Groß-Balley Marstall zu Neuburg. Miethwohnung. Jagdschloß Grünau. Wasserleitung. Im Rezatkreise: Schloß in Ansbach. Komödienhaus daselbst. Hofwaschgebäude daselbst. Orangeriegebäude daselbst. Treibhaus daselbst. Langhaus daselbst. Kleines Treibhaus. Graue Hütte. Hofgärtnerswohnung. Hofgarten daselbst. Hofgarteninspektorswohnung daselbst. Schloßwasserleitung. Schloßgebäude zu Triesdorf. Falkenhaus. Eisgrube. Blitzableiter.

Im Obermaynkreise: Das neue Schloß zu Bayreuth. Küchengebäude daselbst. Wagen- und Holzremisenbau. Stallgebäude. Hofgartengebäude. Säulentempel im Hofgarten. Waschhaus. Schloßgartengebäude auf der Eremitage. Sonnentempel mit dem Flügelgebäude. Stall- und Nebengebäude. Gußhaus. Die beyden Pavillons. Das japanische Haus. Die beyden Wasserthürme. Gärtnerswohnung im Waldhäuschen. Sogenanntes Spanhäuschen. Waschhaus und Portierswohnung. Schupfengebäude. Wasserleitung und Kunstwasser. Lustschloß mit Zubehör zu Seehof: Schloßgebäude. Schloßverwalterswohnung. Waschhaus. Glashaus und Orangeriegebäude. Frankenstein. Gartenhaus. Stallgebäude. Wasserleitung. Die zwey Gartensaletten. Eiskeller. Residenzgebäude zu Bamberg. Alte Hofstallung daselbst Sechs Gebäude Lustschloß. Sanspareil. Im Untermaynkreise: Residenzschloß Würzburg. Hofgarten daselbst. Gesandtenbau. Wohnung des Hofgärtners und Büttners. Hofstallungsgebäude, Hofreitschule. Chaisen- und Remisengebäude. Schloßgebäulichkeiten zu Veitshöheim, Hofgarten daselbst. Schloß Werneck.

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BAYERN Hofgarten mit Fasanerie. Fürstenbau zu Brückenau. Alter Stallbau daselbst. Gebäude, der Schwann genannt. Remise im Hof des alten Stallbaues. Der Löwenbau. Residenzschloß Aschaffenburg. Umgebung des Schlosses, inclus. Wassserleitung in Aschaffenburg. Wagenremise. Umgebung des Marstalls. Umgebung der Waschküche und Remise im Bauhof. Umgebung der Halle auf dem Schloßplatze. Stiegenbau nächst dem Dallbergischen Hofe. Geschlossene Halle für die Kohlenniederlage. Gebäude und Gärten zu Schönthal. Gebäude zu Schönbusch. Fischhaus am Mayn. Im Rheinkreise: Schloß zu Zweybrücken (königl. Absteigequartier.)

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Ediert nach Gesetzblatt für das Königreich Bayern, Jahrgang 1834, Nro. 2, München, Sp. 25–32 sowie dazugehörige Beylage Sp. 1–10. Dieses Gesetz wurde ergänzt durch das Gesetz, die Erbauung eines der Civil-Liste einzuverleibenden Palastes in München betr. vom 11. April 1843, Gesetzblatt für das Königreich Bayern, Jahrgang 1843, Nro. 4, München, Sp. 21–24. s. unter „Zweite Revision von 1843“. 2 Gesetzblatt für das Königreich Bayern, Jahrgang 1831, Nro. 9, München, Sp. 125–214 (126–128, 153– 154). 3 Gesetzblatt für das Königreich Bayern, Jahrgang

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1831, Nro. 9, München, Sp. 125–214 (126–128, 153– 154): § 6. Die Civilliste des Königs begreift nicht blos die Dotation der Kabinettskasse, sondern auch jene zum Behufe der Bestreitung des ganzen Hofstaates und Haushaltes des Königs, zur Deckung des Bedarfes der regierenden Königin und des Unterhaltes der minderjährigen, so wie der Dispositionsgelder und Reisekosten der volljährigen nicht etablirten Kinder des Königs. § 7. Ausser jenen Kategorien von Ausgaben, welche bisher von der Kabinettskasse, den Hofstäben und Intendanzen, einschließlich der Hausritterorden, für Rechnung des Hof-Etats bestritten wurden, übernimmt die Civilliste in Zukunft auch: a) das Hof-Eleemosinariat; b) alle nach dem 30. September 1831 anfallenden Pensionen und Quiescenzgehalte der Hofdienerschaft, so wie die nach diesem Termine sich ergebenden Pensionen der Wittwen und Waisen derselben, und diejenigen Hof-Pensionen vor dem 30. September 1831, welche den Maximalbetrag von 80,000 fl. übersteigen; c) endlich sämmtliche Hofbauten, sie mögen Neubauten, oder blos Reparaturen an den zum Gebrauche des Hofes bestimmten Gebäuden seyn. Wenn der König vorübergehend irgend ein Hofgebäude zu einem andern Staatszwecke überläßt, so steht es Ihm frey, auf die Dauer dieser Benützung auch die Unterhaltungskosten eines solchen Gebäudes in gleichem Maaße auf die Staatskasse zu überweisen. Der Etat der sämmtlichen auf die Civilliste übergehenden Gebäude ist dem gegenwärtigen Finanzgesetze unter lit. C. beygefügt. Uebrigens soll von den aus dem Hofhaushalte entspringenden Ausgaben zu keiner Zeit etwas auf die Staatskasse überwiesen werden können. Dagegen sollen die Mehr- und Minderungen am Staatsgute, welches den Hofstäben anvertraut ist, alljährlich Rechnungsförmlich nachgewiesen, und diese Nachweise den Ständen des Reiches bey jeder Versammlung vorgelegt werden. § 8. Abs. 2. Die für die dritte Finanzperiode anerkannten Appanagen und Wittwengehalte werden aus der Civilliste bestritten, und deren Heimfall wird der Staatskasse und nicht der Civilliste zu gute gerechnet. Beylage lit. A. II. Auf die Civilliste Sr. Majestät des Königs, 337,000 fl. mit Einschluß der Appanagen von . . . . . . . . 312,240 fl. und Wittwengehalte von . . . . . . . . . . . . . . . 3,000,000 fl.

Zweite Revision von 1834 Gesetz, die fernere Behandlung neuer oder revidirter Gesetzbücher betreffend1

Ludwig, von Gottes Gnaden König von Bayern etc. etc. Wir haben in der Absicht, die Wohlthat einer auf allgemein gleichen gesetzlichen Bestimmungen ruhenden Rechtspflege auf Unsere getreuen Unterthanen im thunlich abgekürzesten Zeitraume zu übertragen, nach Vernehmung Unseres Staatsraths und Zustimmung Unserer Lieben und Getreuen, der Stände des Reiches unter Beobachtung der Vorschriften im §. 7. Tit. 10. der Verfassungs-Urkunde nachträglich zu dem Gesetz vom 9. Aug. 1831. die Behandlung neuer oder revidirter Gesetzbücher betreffend, beschlossen und verordnen: A RT. I. Die nach Art. 1. und 3. des Gesetzes vom 9. Aug. 1831 gebildeten und gehörig zu ergänzenden Ausschüsse beyder Kammern für Gegenstände der Gesetzgebung sind für den Fall der königlichen Einberufung gehalten, in der Zwischenzeit des gegenwärtigen und des nächsten Landtages auch über solche Entwürfe von Gesetzbüchern zu berathen, welche von der Staatsregierung unmittelbar, und ohne vorerst den Ständen vorgelegt zu seyn, an sie gelangen.

A RT. II. Die auf solche Weise an die Ausschüsse gebrachten Entwürfe werden nach Art. I. des erwähnten Gesetzes gleichzeitig auch der Oeffentlichkeit übergeben werden. A RT. III. Das Gesetz vom 9. Aug. 1831 bleibt in allen übrigen Bestimmungen in Wirksamkeit. A RT. IV. Die vorstehenden Vorschriften sollen, wie das Gesetz vom 9. Aug. 1831 selbst auf die im Tit. VI. §. 13. der Verfassungs-Urkunde festgestellte Dauer der gegenwärtigen Ständeversammlung gelten. – Gegeben München am 1. July 1834. Ludwig. Fürst v. Wrede, Frhr. v. Lerchenfeld, v. Weinrich, Frhr. v. Gise, Fürst v. OettingenWallerstein, Frhr. v. Schrenk. Nach Königlich allerhöchstem Befehl: der Staatsrath und General-Sekretär Egid v. Kobell. 1

Ediert nach Gesetzblatt für das Königreich Bayern, Jahrgang 1834, No. 3, München, Sp. 33–36.

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Dritte Revision von 1834 Gesetz, die Vindikation der Gerichtsbarkeiten betr.1

Ludwig von Gottes Gnaden König von Bayern etc. etc. Wir haben nach Vernehmung Unsers Staatsraths und mit Beirath und Zustimmung Unserer Lieben und Getreuen – der Stände des Reiches, unter genauer Anwendung des Tit. X. §. 7. der VerfassungsUrkunde beschlossen und verordnen, was folgt: A RT. I. In allen jenen Fällen, in welchen die Berechtigung zur Ausübung der gutsherrlichen Gerichtsbarkeit nach dem 26. Mai 1818 in Gemäßheit der VI. Beylage zur Verfassungs-Urkunde von der Staatsregierung bereits geprüft, und durch ein von Uns, oder Unseres Herrn Vaters, des höchstseligen Königs Majestät unterzeichnetes, und von dem Staatsminister des Innern contrasignirtes Genehmigungs-Rescript ausdrücklich anerkannt worden ist, soll eine Vindikation derselben nur bezüglich der Grundholden des Staates, dann der über vier Stunden von dem Gerichtssitze entfernten GerichtsAngehörigen statt haben können, und jeder aus einem andern Rechtsgrunde anhängige Prozeß kraft des Gesetzes niedergeschlagen seyn. A RT. II. Der im §. 11 des Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der auf die Gerichtsbarkeit freiwillig verzichtenden Standesund Gutsherren festgestellte Vorbehalt der Standschaftsrechte ist auch auf alle jene adelichen Gutscomplexe ausgedehnt, worauf im Jahre 1806 eine gutsherrliche Gerichtsbarkeit ausgeübt wurde, und deren Besitzer die Anerkennung der Berechtigung zur Gerichtsbarkeit nach dem 26. Mai 1818

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durch ein königliches von dem Staatsminister des Innern contrasignirtes Genehmigungs-Rescript erhalten, vor dem Erscheinen des eben erwähnten Gesetzes aber auf die Gesammtgerichtsbarkeit und Polizeirechte ohne ausdrücklichen oder stillschweigenden Vorbehalt der Theilnahme an den mit dem Verzichte etwa später zu verbindenden Rechten und Vorzügen verzichtet haben. A RT. III. Gegenwärtiges Gesetz tritt mit dem Tage der Bekanntmachung durch das Gesetzblatt in Wirksamkeit. Dasselbe soll als ein Grundgesetz des Reiches angesehen werden und die nämliche Kraft erlangen, als stünde es wörtlich in der Verfassungs-Urkunde; – solches kann nur in der durch den §. 7 Tit. X der Verfassungs-Urkunde vorgeschriebenen Art wieder verändert werden. A RT. IV. Unsere Staatsminister der Justiz, des Innern und der Finanzen sind mit dem Vollzuge des gegenwärtigen Gesetzes beauftragt. Gegeben München am 1. July 1834. Ludwig. Fürst v. Wrede. Frhr. v. Lerchenfeld. v. Weinrich. Frhr. v. Gise. Fürst v. OettingenWallerstein. Frhr. v. Schrenk. Nach Königlich Allerhöchstem Befehl: der Staatsrath und General-Sekretär Egid v. Kobell. 1

Ediert nach Gesetzblatt für das Königreich Bayern, Jahrgang 1834, Nro. 4, München, Sp. 37–40.

Vierte Revision von 1834 Gesetz, die bürgerlichen und politischen Rechte der griechischen Glaubensgenossen betreffend1

Ludwig, von Gottes Gnaden König von Bayern etc. etc. Wir haben nach Vernehmung Unsers Staatsraths, und mit Beyrath und Zustimmung Unserer Lieben und Getreuen der Stände des Reiches, unter genauer Beobachtung der im §. 7. Tit. X. der Verfassungs-Urkunde vorgeschriebenen Formen beschlossen und verordnen, was folgt:

werden; es hat von dem Tage der Bekanntmachung anfangend dieselbe Kraft, als stünde es wörtlich in der Verfassungs-Urkunde, und kann nur in der durch §. 7. des Tit. X. der Verfassungs-Urkunde vorgeschriebenen Art wieder abgeändert werden. Gegeben, München am 1. July 1834. Ludwig.

A RT. I. Die Bekenner der unirten sowohl, als der nicht unirten griechischen Kirche genießen mit den Bekennern der in dem Königreiche bereits verfassungsmäßig bestehenden drey christlichen Kirchen-Gesellschaften gleiche bürgerliche und politische Rechte.

Fürst v. Wrede, Frhr. v. Lerchenfeld, v. Weinrich, Frhr. v. Gise, Fürst v. OettingenWallerstein, Frhr. v. Schrenk.

A RT. II. Gegenwärtiges Gesetz soll als ein Grundgesetz des Reiches angesehen

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Nach Königlich allerhöchstem Befehl: der Staatsrath und General-Sekretär: Egid v. Kobell. Ediert nach Gesetzblatt für das Königreich Bayern, Jahrgang 1834, No. 5, München, Sp. 41–44.

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Revision von 1837 Gesetz, die Zwangsabtretung von Grund-Eigenthum für öffentliche Zwecke betr.1

Ludwig von Gottes Gnaden König von Bayern Pfalzgraf bey Rhein, Herzog von Bayern, Franken und in Schwaben etc. etc. Wir haben nach Vernehmung Unseres Staatsrathes mit Beirath und Zustimmung Unserer Lieben und Getreuen der Stände des Reiches in Abänderung des vierten Absatzes des §. 8. im Tit. IV. der VerfasssungsUrkunde und mit Beobachung der in dem Tit. X. §. 7. derselben Urkunde vorgeschriebenen Formen beschlossen, und verordnen, was folgt:

I. TITEL Allgemeine Bestimmungen A RT. I. Eigenthümer können angehalten werden, unbewegliches Eigenthum für öffentliche, nothwendige und gemeinnützige Zwecke abzutreten, oder mit einer Dienstbarkeit beschweren zu lassen, letzteres jedoch nur in so ferne, als der Eigenthümer nicht vorzieht, auf Abtretung des zum Zwecke der Dienstbarkeit in Anspruch genommenen Theiles seines Grundeigenthumes zu bestehen. Diese Abtretung kann übrigens nur eintreten A. zu folgenden Unternehmungen: 1.) Erbauung von Festungen oder sonstigen Vorkehrungen zu LandesDenfensions- und Fortifikations-Zwecken, insbesondere auch Militär-Etablissements; 2.) Erbauung oder Erweiterung von Kirchen, öffentlichen Schulhäusern, Spitälern, Kranken- und Irrenhäusern;

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3.) Herstellung neuer oder Erweiterung schon bestehender Gottes-Aecker; 4.) Regelung des Laufes und Schiffbarmachung von Strömen und Flüssen; 5.) Anlegung neuer und Erweiterung, Abkürzung oder Ebenung schon bestehender Staats- Kreis- und Bezirks-Strassen; 6.) Herstellung öffentlicher Wasserleitungen; 7.) Austrocknung schädlicher Sümpfe in der Nähe von Ortschaften; 8.) Beschützung einer Gegend vor Ueberschwemmungen; 9.) Erbauung von öffentlichen Kanälen, Schleußen und Brücken; 10.) Erbauung öffentlicher Häfen oder Vergrößerung schon vorhandener; 11.) Errichtung von Eisenbahnen zur Beförderung des innern oder äussern Handels und Verkehrs; 12.) Aufstellung von Telegraphen zum Dienste des Staates; 13.) Vorkehrung zu wesentlich nothwendigen, sanitäts- oder sicherheitspolizeilichen Zwecken, insbesondere 14.) Schirmung der Kunstschätze und wissenschaftlichen Sammlungen des Staates vor Feuers- oder anderer Gefahr; allein auch in allen diesen Fällen immer nur: a.) nach vorgängiger rechtskräftiger administrativ-richterlicher Entscheidung der betreffenden Kreis-Regierung Kammer des Innern, in erster, und des versammelten Staats-Rathes – im Falle der Berufung, in zweiter und letzter Instanz, wenn von

R EVISION VON 1837 den betheiligten Eigenthümern oder einem derselben bestritten wird, entweder, daß das Unternehmen zu den unter Ziff. 1–14 aufgeführten gehöre, und vom gemeinen Nutzen erfordert werde, oder daß die Abtretung oder Belastung des angesprochenen Eigenthumes zur zweckmäßigsten Verwirklichung desselben nothwendig sey, und b.) gegen vorgängige volle Entschädigung; B. in Fällen öffentlichen Nothstandes, nämlich bei Feuers- und Wassergefahr, Erdbeben und Erdfällen, sowie in Kriegs- und anderer dringender Noth, ohne vorgängiges förmliches Verfahren und ohne Aufhalt, jedoch gegen nachträgliche volle Entschädigung. Die Lehens-Fideicommiß oder Stammguts-Eigenschaft steht der Zwangs-Abtretung nicht entgegen. A RT. II. In Beziehung auf unkörperliche Rechte findet eine Zwangs-Entäusserung nur in soferne statt, als diese Rechte dem für das Unternehmen zu verwendenden GrundEigenthume ankleben, und es muß in solchem Falle der Entwehrungs-Berechtigte 1.) nutzbare Rechte auf anderen unbeweglichen Sachen, welche aktiv mit dem Entwehrungs-Gegenstande verbunden sind, auf Verlangen des Eigenthümers gegen volle Entschädigung des letzteren übernehmen; 2.) nutzbare Rechte, welche passiv auf dem Entwehrungs-Gegenstande ruhen, durch volle Entschädigung ihrer Besitzer ablösen, wenn diese darauf dringen, oder die Ausübung jener Rechte mit der neuen Bestimmung des Gegenstandes nicht mehr vereinbarlich ist. A RT. III. Bei Gegenständen, deren Theilung nachtheilig auf die Benützbarkeit des Gesammt-Gegenstandes zurückwirkt, kann nicht wider Willen des Eigenthümers auf theilweise Abtretung erkannt werden. – Insbesondere darf die Theilung eines Gebäude-

Complexes, oder die Trennung der zu dem Umfange desselben gehörigen Gärten und Hofraithen oder eines Theiles derselben von dem Gesammt-Complexe nur mit Einwilligung des Eigenthümers stattfinden. A RT. IV. Die Entwehrung kann unter den Voraussetzungen des Art. I. in Anspruch genommen werden: 1.) von öffentlichen Stellen und Behörden, 2.) von Gemeinden und von denjenigen Gesellschaften und Privaten, denen von der Regierung unter Bedingungen, welche die Erreichung des Zweckes und seiner Gemeinnützigkeit sichern, die Ausführung einzelner im Art. I. aufgezählten Unternehmungen eingeräumt wird.

II. TITEL Von der Entschädigung und dem Maaßstabe derselben A RT. V. Die Entschädigung für jede zwangsweise Abtretung von Grundeigenthum muß enthalten: 1.) den gemeinen Werth des abzutretenden Gegenstandes; 2.) Vergütung für die dem Eigenthümer durch die Abtretung zugehenden sonstigen Nachtheile, namentlich: a.) Ersatz des Mehrwerthes, den der abzutretende Gegenstand durch seinen Zusammenhang mit anderen Eigenthums-Theilen, oder durch seine bisherige Benützungsweise für den Eigenthümer behauptet; b.) Ersatz der Werthsminderung, welche durch die Abtretung dem übrigen Grundbesitze desselben Eigenthümers zugeht; c.) Ersatz des unvermeidlichen Verlustes welcher dem Eigenthümer durch die Abtretung vorübergehend, oder bleibend in sei-

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BAYERN nem Erwerbe erwächst; jedoch darf die hiedurch sich ergebende Mehrung der Entschädigung 30 Prozent des Schätzungs-Werthes nicht übersteigen; d.) Ersatz für die Früchte, deren Erndte durch die Zwangsabtretung gehindert wird; 3.) den Betrag derjenigen Entschädigung, welche dem Pächter oder sonstigen Nutzungs-Berechtigten nach Gesetz oder Vertrag zu leisten ist. A RT. VI. Für die mit dem Entwehrungsgegenstande verbundenen im Art. II. bezeichneten Rechte ist die Entschädigung nach folgenden Normen zu leisten. 1.) Gewähren diese Rechte ständige Renten, so hat die Entschädigung in dem 30fachen Betrage des jährlichen Rein-Ertrages zu bestehen; 2.) bey unständigen Renten ist der jährliche Reinertrag nach einer DurchschnittsBerechnung aus der jüngst verflossenen, durch gütliche Uebereinkunft oder richterliches Ermessen mit Rücksicht auf die Natur des Reichnisses zu bestimmenden Periode festzusetzen, und mit dem 25fachen Betrage zu Kapital zu erheben. 3.) Sonstige Standes- guts- und gerichtsherrliche, dann alle Nutzungs- und Servituts-Rechte unterliegen besonderer Schätzung, wenn sich die Partheien nicht über die dafür zu leistende Entschädigung verständigen. Die Entschädigung muß besonders für den Eigenthümer, und besonders für den Inhaber solcher Rechte ermittelt und eben so Jedem besonders verabreicht werden. Zu dem Zwecke sind den Taxatoren, bevor sie zur Schätzung des Eigenthums schreiten, die sämmtlichen auf demselben lastenden nutzbaren Rechte anzuzeigen. Bei der Schätzung des Eigenthums ist dann zunächst der Ertrag, welcher nach Abzug der Lasten noch übrig bleibt, in Anschlag zu bringen, außerdem aber auch alle die im Art. V. Nro. 2. bezeichneten, dem Eigenthü-

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mer zugehenden Nachtheile. A RT. VII. Nach vorstehenden Normen ist die Entschädigung auch in den Art. I lit. B. bezeichneten Nothfällen nachträglich, jedoch möglichst bald zu ermitteln und zu leisten. A RT. VIII. Bei zwangsweiser Beschwerung des Grundeigenthums mit einer Dienstbarkeit für öffentliche Zwecke ist die Entschädigung nach der Natur und dem Umfange der Dienstbarkeit durch gütliche Uebereinkunft der Betheiligten, oder durch richterliches Ermessen zu bestimmen. A RT. IX. Werths-Erhöhungen, welche dem ganz oder theilweise abzutretenden Gegenstande erst in Folge des die Abtretung veranlassenden Unternehmens zuwachsen oder zuwachsen können, kommen bei der Entschädigungs-Ermittlung nicht in Anschlag. A RT. X. In Fällen, wo dem Empfänger der Entschädigungs-Summe das Recht der freien Verfügung darüber entweder gar nicht oder nicht allein zusteht, ist nach den bestehenden Gesetzen zu verfahren. A RT. XI. Die auf dem Abtretungs-Gegenstande ruhenden Hypotheken, und die in Beziehung auf denselben im Hypothekenbuche etwa eingetragenen Verfügungs-Beschränkungen erlöschen durch dessen Entwehrung; die Forderungen, für welche sie bestellt waren, gehen jedoch auf die Entschädigungs-Summe über, und es muß diese Summe, welche, so weit sie reicht, und wenn sie die hypothezirten Forderungen übersteigt, bis zum Betrage jener Hypotheken und deren Zinsen bei Gericht zu hinterlegen ist, an den Gläubiger ausbezahlt, oder nach gesetzlicher Ordnung, oder nach Uebereinkunft der Betheiligten, an diese vertheilt werden. Handelt es sich nur von Beschwerung mit einer Dienstbarkeit, so tritt Gleiches in

R EVISION VON 1837 Bezug auf den Uebergang der hypothekarischen Forderung und eingetragenen Verfügungs-Beschränkungen auf die Entwehrungs-Summe und auf die Verwendung derselben ein, jedoch bestehen die hypothekarischen Forderungen und Verfügungs-Beschränkungen, in so weit sie aus der Entschädigungs-Summe nicht befriediget oder beseitiget werden könnten, auf dem nunmehr mit der Dienstbarkeit beschwerten Grundeigenthume fort. A RT. XII. Nach rechtsförmlich vollzogener Zustellung der Ladung (Art. XV.) darf der Eigenthümer des zur Entwehrung angesprochenen Gegenstandes nur noch unverschiebliche Ausbesserungen, so wie alle, die regelmässige Bewirthschaftung bedingenden Handlungen und Unternehmungen, jedoch keine einseitige Veränderung in der Wesenheit desselben mehr vornehmen. Aus solchen einseitig vorgenommenen Veränderungen können nicht nur keine Entschädigungen abgeleitet werden, sondern dieselben begründen auch bei erfolgender Abtretung ausser dem auf Verlangen auszusprechenden Nichtbestande der Rechtshandlung auch die Verbindlichkeit zur Wiederherstellung des Gegenstandes in den vorigen Stand, so ferne die getroffene Veränderung erweislich nachtheilig für den neuen Erwerber ist, oder zur Vergütung des durch die Veränderung bewirkten Minderwerthes desselben. Sollte die Eigenthums-Abtretung aus irgend einem Grunde nicht zu Stande kommen, so ist der Entwehrungsberechtigte verpflichtet, allen Schaden und jeden Nachtheil zu ersetzen, welche aus dieser DispositionsBeschränkung dem Eigenthümer erweislich zugegangen sind. Sollte aber nach erfolgter Abtretung das Unternehmen selbst rückgängig werden, so ist der entwehrte Eigenthümer befugt, gegen Rückgabe des empfangenen Preises sein Eigenthum zurück zu verlangen.

III. TITEL Von dem Verfahren bei der ZwangsAbtretung A RT. XIII. Die Verhandlungen über Zwangsentäusserungen in den Art. I. lit. A. bezeichneten Fällen sind protokollarisch mündlich unter Zulassung von Anwälten und mit Ausschluß jedes Schriftwechsels zu führen; für die Kosten der ersten Verhandlung hat der anrufende Theil angemessenen Vorschuß zu leisten. Die Stellen und Behörden sind zur möglichsten Beschleunigung des Verfahrens verpflichtet. A RT. XIV. Jeder Antrag auf Zwangs-Abtretung ist mit sämmtlichen auf das Unternehmen bezüglichen Urkunden, Rissen und Kostenvoranschlägen von den Antrag stellenden Behörden, Gemeinden, Gesellschaften oder Privaten der betreffenden Kreis-Regierung vorzulegen, welche alsdann nach Einvernahme der einschlägigen DistriktsPolizei-Behörden, wo solche noch erforderlich, ohne Verzug die Weisung des Staatsministeriums des Innern zur wirklichen Einleitung des Zwangs-Entäusserungs-Verfahrens erholt. A RT. XV. Im Falle bejahender Weisung hat die einschlägige Distrikts-Polizeibehörde sämmtliche Betheiligte im Benehmen mit den betreffenden Rent- und Hypotheken-Aemtern sorgfältig zu ermitteln. Sie bestimmt sofort eine Tagsfahrt zur Verhandlung der Sache, erläßt die Ladung hiezu unter genauer Bezeichnung der Zeit und des Ortes der Tagsfahrt, und bringt dieselbe 14 Tage vor dem anberaumten Termine durch Anschlagung an dem Gerichtssitze, und in sämmtlichen betheiligten Gemeinden, dann durch schriftliche Mittheilung an jeden einzelnen Betheiligten und an die Antragsteller, oder deren Vertreter mit dem Bemerken zur allgemeinen Kenntniß, daß die Pläne bei Amte zur Einsicht bereit liegen. Die in dem Ladungsdekrete gleichfalls ausdrücklich zu

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BAYERN erwähnende rechtliche Folge des Nichterscheinens ist: 1.) für die Anrufenden Wiederaufnahme der Tagsfahrt auf ihre Kosten und Schadloshaltung der erschienenen Betheiligten in Bezug auf Auslagen und Versäumnisse mit Androhung des Rechtsnachtheiles, daß bei abermaligem Ausbleiben die Verzichtleistung auf die angesprochene Zwangsabtretung werde angenommen werden; 2.) für die Angerufenen, in der Voraussetzung des Erschienenseyns der Anrufenden, Wiederaufnahme der Tagsfahrt auf ihre Kosten und Schadloshaltung der erschienenen Anrufenden mit Androhung des Rechtsnachtheiles, daß bei wiederholtem Ausbleiben derselben die Einwilligung in die angesprochene Abtretung würde angenommen werden. A RT. XVI. Der Nachweis richtig vollzogener Zustellung ist dem betreffenden Hypothekenamte ungesäumt mitzutheilen und bezüglich der in Anspruch genommenen Gegenstände die Vormerkung der durch Art. XII. ausgesprochenen Dispositions- Beschränkung im Hypothekenbuche zu veranlassen. A RT. XVII. Bei der Tagsfahrt hat die Distrikts-Polizei-Behörde vor Allem eine gütliche Vereinigung der Betheiligten über die Abtretungsfrage und über die zu leistende Entschädigung zu versuchen, und im Falle Gelingens für den alsbaldigen rechtsförmlichen Abschluß des Vergleiches zu sorgen. Kommt eine Uebereinkunft nicht zu Stande, so wird unter allseitigen Betheiligten nach Art. XIII. protokollarisch verhandelt, und es werden sodann nach allenfallsiger Einvernahme der betreffenden Gemeinde und vollzogenem Augenscheine die geschlossenen Akten mit Bericht der zuständigen Kreisregierung Kammer des Innern, vorgelegt. A RT. XVIII. Die Kreisregierung Kam-

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mer des Innern entscheidet über die Abtretungsfrage gemäß Art. I., II. und III. in erster und der versammelte Staatsrath in zweiter und letzter Instanz. Hinsichtlich des Verfahrens bleibt es bei den bestehenden Bestimmungen über das Verfahren in administrativ-contentiösen Sachen, jedoch ist jedes Erkenntniß mit Entscheidungs-Gründen zu versehen und auf eine BerufungsSumme keine Rücksicht zu nehmen. A RT. XIX. Wird die Abtretung des angesprochenen Grundeigenthums nicht verweigert, oder es ist über die Verweigerung der Abtretung von der competenten Administrativ-Justizstelle ein rechtskräftiges Erkenntniß erlassen worden, und nur noch die Frage über die Art und den Betrag der hiefür zu leistenden Entschädigung streitig, so hat die einschlägige Justiz-Unterbehörde auf den Antrag eines Betheiligten vor Allem eine gütliche Vereinigung unter den Partheien zu versuchen, wenn aber diese nicht zu Stande kömmt, die Sache summarisch zu verhandeln, insbesondere eine gerichtliche Werthschätzung des angesprochenen Eigenthums, den bestehenden allgemeinen und den im gegenwärtigen Gesetze ertheilten besonderen Vorschriften gemäß zu veranstalten, den wahren Werth desselben und des ganzen hiebei obwaltenden Interesses zu ermitteln und darüber nach den Gesetzen zu entscheiden. – Diese Entschädigungs-Prozesse sind vor allen andern Civil-Streitigkeiten zu beschleunigen; die Gerichts-Vorstände sind hiefür persönlich verantwortlich. A RT. XX. Gegen diese gerichtliche Feststellung der Entschädigung steht sämmtlichen Betheiligten die Berufung binnen 30 Tagen frei, und zwar an das Obergericht in jedem Falle, an den obersten Gerichtshof aber nur unter Voraussetzung der Berufungssumme. Wird keine Berufung eingelegt, so ist die Abtretung oder Belastung sogleich nach Ablauf der Berufungsfrist,

R EVISION VON 1837 nach vorgängiger baarer Zahlung der festgestellten Entschädigungs-Summe und des Kosten-Ersatzes an den Abtretungspflichtigen, zu vollziehen. Ist hingegen Berufung eingelegt, so muß zwar die Abtretung auch in gleicher Frist, unter gleicher Bedingung vorgängiger Bezahlung vollzogen werden; es ist aber in diesem Falle sowohl der Abtretungspflichtige, als der Abtretungsberechtigte befugt, die Bestellung von Sicherheiten zu fordern; Ersterer dafür, daß ihm dasjenige, was ihm in der folgenden Instanz mehr zuerkannt werden möge, mit landesüblichen Zinsen, von dem Tage der Abtretung an, nachgezahlt; Letzterer dafür, daß ihm das, was ihm die folgende Instanz weniger auferlegen möge, mit den landesüblichen Zinsen, von dem Tage seiner Leistung an, zurückgezahlt werde. Die Bestimmung dieser Sicherheiten geschieht durch einen Bescheid des erkennenden Untergerichtes, und im Falle der Berufung durch einen von dem Obergerichte binnen 30 Tagen zu erlassenden Verbescheid. Ist der Abtretungs-Berechtigte der Staat selbst, so genügt statt der Bestellung einer solchen Sicherheit von seiner Seite die von der betreffenden Kreis-Regierung zu ertheilende Zusicherung der Nachzahlung, wenn darauf erkannt würde, nebst landesüblichen Zinsen von dem Tage der Abtretung an.

IV. TITEL Schluß-Bestimmungen A RT. XXI. Die Kosten des übrigens tax- und stempelfreien Administrativ-Verfahrens und des gerichtlichen Verfahrens in erster Instanz, so wie die Vergütung der den Betheiligten hiedurch verursachten nothwendigen Auslagen fallen dem Anrufenden zur Last.

A RT. XXII. Gegenwärtiges Gesetz, welches als ein Grundgesetz des Reiches betrachtet werden, und eben dieselbe Wirkung haben soll, als wären die Bestimmungen desselben in der Verfassungs-Urkunde enthalten, tritt mit dem Tage der Bekanntmachung für die sieben Kreise dießseits des Rheins in Wirksamkeit; desgleichen auch für den Rheinkreis unter Aufhebung des Gesetzes vom 8. März 1810 und zwar unter folgenden Bestimmungen: 1) die Competenz, welche das gegenwärtige Gesetz den Distrikts-Polizei-Behörden zugewiesen hat, steht den königlichen LandCommissariaten zu. 2) Zusatz zu Art. XI. Gleiches gilt von den Privilegien und Resolutions-Rechten. Leztere begründen ein privilegirtes Recht auf den Preis, insoferne sie von der Auszahlung an den Entwehrten, oder vor der gütlichen oder gerichtlichen Vertheilung durch Opposition angemeldet worden sind. Die Hinterlegung des Preises richtet sich nach den im Rheinkreise geltenden gesetzlichen Bestimmungen. Die Zwangs-Enteignungs-Procedur vertritt die Stelle der gewöhnlichen Purgationen. 3) Zu Art. XII. Unter Ladung ist blos eine Mittheilung zu verstehen, wie sie im Art. XV. dieses Gesetzes vorgeschrieben ist. 4) Zu Art. XV. Im Rheinkreise müssen die Besitzer hauptsächlich aus den Sections-Registern ermittelt werden. 5) Zu Art. XX. Die competente Stelle ist das Bezirksgericht, welches auf Ansuchen des fleissigsten Theiles ohne vorgängigen VermittlungsVersuch zu entscheiden hat. 6) Zu Art. XXI. Das Verfahren richtet sich nach dem im Rheinkreise gesetzlichen Instanzenzuge.

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BAYERN A RT. XXIII. Uebrigens bleiben alle bei Erscheinen des gegenwärtigen Gesetzes in den Gebietstheilen sowohl dießseits als jenseits des Rheins geltenden Gesetze, Verordnungen, Localstatuten und Local-Observanzen über Eigenthums-Beschränkungen in dem Rayon bestehender oder im Baue begriffener Festungen und festen Plätze ihrem vollen Umfange nach aufrecht erhalten. – Unsere Staatsministerien der Justiz und des Innern sind mit der Bekanntmachung und dem Vollzuge des gegenwärtigen Gesetzes beauftragt.

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Gegeben München am 17. November 1837. Ludwig. Fürst v. Wrede. Frhr. v. Gise. Frhr. v. Schrenk. v. Wirschinger. Frhr. v. Hertling. Staatsrath v. Abel. Nach Königlich Allerhöchstem Befehl Geheimer Rath v. Kreutzer. 1

Ediert nach Gesetzblatt für das Königreich Bayern, Jahrgang 1837, Nr. 4, München, Sp. 109–128.

Revision von 1840 Gesetz, die Abänderung des §. 6. Tit. VII. der Verfassungsurkunde betreffend1

Ludwig, von Gottes Gnaden König von Bayern, Pfalzgraf bey Rhein, Herzog von Bayern, Franken und in Schwaben etc. etc. Nachdem die Nothwendigkeit einer Abänderung des in dem Titel VII. §. 6. der Verfassungsurkunde für die Vorlage eines jeden neuen Budgets festgesetzten Termines durch die Erfahrung dargethan worden ist, so haben Wir nach Vernehmung Unseres Staatsraths, mit Beirath und Zustimmung Unserer Lieben und Getreuen, der Stände des Reiches, dann unter Beobachtung der im Tit. X. §. 7. der Verfassungsurkunde vorgeschriebenen Formen beschlossen, und verordnen wie folgt: A RT. I. Spätestens neun Monate vor dem Ablaufe des sechsjährigen Termins, für welchen die fixen Ausgaben festgesetzt sind, läßt der König für die sechs Jahre, welche diesem Termine folgen, den Ständen ein neues Budget vorlegen.

A RT. II. Der vorstehende Art. I. soll an die Stelle des hiemit aufgehobenen §. 6. Tit. VII. der Verfassungsurkunde treten und demzufolge mit der Wirksamkeit eines Grundgesetzes des Reiches bekleidet werden. Gegeben, München am 15. April im Jahre eintausend achthundert und vierzig. Ludwig. Frhr. von Gise. Frhr. von Schrenk. von Abel. Frhr. von Gumppenberg. Nach Königlichem Allerhöchsten Befehl: der expedirende geheime Secretär P. Hexamer. 1

Ediert nach Gesetzblatt für das Königreich Bayern, Jahrgang 1840, No. 2, München, Sp. 25–28.

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Erste Revision von 1843 Gesetz, die Zwischenwahlen von Abgeordneten zur zweiten Kammer der Stände-Versammlung betr.1

Ludwig, von Gottes Gnaden, König von Bayern, Pfalzgraf bey Rhein, Herzog von Bayern, Franken und in Schwaben etc. etc. Wir haben nach Vernehmung Unseres Staatsraths, mit Beirath und Zustimmung Unserer Lieben und Getreuen, der Stände des Reiches, und unter Beobachtung der in dem Titel X. §. 7. der Verfassungs-Urkunde vorgeschriebenen Formen beschlossen, und verordnen, was folgt: A RT. I. Wenn ein Abgeordneter zur zweiten Kammer der Stände-Versammlung in der Zwischenzeit von der einen zu der anderen allgemeinen Wahl der Abgeordneten verstorben, oder gemäß der Bestimmungen der Verfassungs-Gesetze aus der Kammer getreten, und bei erfolgender Versammlung der Stände des Reiches kein – aus der jüngsten Wahl hervorgegangener und gültig gewählter Ersatzmann mehr vorhanden ist, der an die Stelle des Verstorbenen oder Ausgetretenen in die Kammer einberufen werden kann, so hat eine Zwischenwahl zur Ernennung eines neuen Abgeordneten an die Stelle des Abgegangenen Statt zu finden. A RT. II. Jede solche Zwischenwahl ist auf die Klasse und auf den Regierungs-Bezirk, welchem der ausgetretene Abgeordnete angehört hatte, so wie auf die eröffnete Stelle zu beschränken, und der neue Abgeordnete dabei nur für jenen Zeitraum zu wählen, welcher bis zu dem Eintritte der nächsten allgemeinen Wahlen noch abzulaufen hat. Bis zu diesem Zeitpunkte ha-

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ben diejenigen, welche bei der Zwischenwahl dem Gewählten in der Stimmenzahl zunächst kommen, für die Classe und den Regierungsbezirk die Ersatzmänner zu bilden. A RT. III. Die Zwischenwahl wird bei den Klassen der Grundbesitzer mit gutsherrlicher Gerichtsbarkeit, und der Universitäten, von den zur Zeit dieser Wahl wahlberechtigten Mitgliedern der Klassen, in jenen Städten, welche durch eigene Abgeordnete vertreten sind, von den eben in verfassungsmäßiger Wirksamkeit stehenden Magistraten und Gemeinde-Bevollmächtigten, und bei den übrigen Classen von den aus der letzten Wahl der Abgeordneten zur StändeVersammlung hervorgegangenen Wahlmännern vorgenommen. Haben sich in der Zwischenzeit Abgänge unter diesen Wahlmännern durch Todesfall, oder durch den Verlust der zur Wahlfähigkeit verfassungsmäßig erforderlichen Eigenschaften ergeben, so sind solche Abgänge vorerst durch besondere Wahlen in dem oder den betreffenden Wahlbezirken der betheiligten Klasse zu ersetzen. A RT. IV. Bei der Zwischenwahl der Abgeordneten, so wie der Wahlmänner, finden die in dem Titel I. der zehenten VerfassungsBeilage für die Wahlen gegebenen allgemeinen und besonderen Vorschriften volle Anwendung. A RT. V. Gegenwärtiges Gesetz tritt mit dem Tage der Bekanntmachung durch das

E RSTE R EVISION VON 1843 Gesetzblatt in Wirksamkeit, und soll als ein ergänzender Bestandtheil der VerfassungsUrkunde, und als ein Grundgesetz des Reiches angesehen werden, welches nur in der durch Titel X. §. 7. der Verfassungs-Urkunde vorgeschriebenen Weise wieder abgeändert werden kann. Gegeben, München den 18. Jänner 1843. Ludwig.

Frhr. v. Gise. Frhr. v. Schrenk. v. Abel. Frhr. v. Gumppenberg. Graf v. Seinsheim. Nach dem Befehl Seiner Majestät des Königs Der expedirende geheime Secretär P. Hexamer. 1

Ediert nach Gesetz-Blatt für das Königreich Bayern, Jahrgang 1843, Nro. 1, München, Sp. 5–10.

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Zweite Revision von 1843 Gesetz, die Erbauung eines der Civil-Liste einzuverleibenden Palastes in München betr.1

Ludwig, von Gottes Gnaden, König von Bayern, Pfalzgraf bey Rhein, Herzog von Bayern, Franken und in Schwaben etc. etc. Wir haben, nach Vernehmung Unseres Staatsrathes, mit Beirath und Zustimmung Unserer Lieben und Getreuen, der Stände des Reichs, und unter Beobachung der im Titel X. §. 7. der Verfasssungs-Urkunde vorgeschriebenen Formen, beschlossen und verordnen, wie folgt:

de des königlichen Hauses zur Wohnung anzuweisen. A RT. III. Gegenwärtiges Gesetz soll als ein ergänzender Bestandtheil des StaatsGrund-Gesetzes vom 1. Juli 1834, die Feststellung einer permanenten Civil-Liste betreffend, betrachtet werden, und mit demselben gleiche Wirksamkeit haben. Gegeben, München den 11. April 1843. Ludwig.

A RT. I. Es soll ein, der Civil-Liste des Königs einzuverleibender Palast in der Haupt- und Residenz-Stadt München erbaut und zur Bestreitung der Bau- und Einrichtungs-Kosten ein für allemal eine AversalSumme von einer Million Gulden aus den Erübrigungen der Vorjahre bestimmt werden. A RT. II. Dem Könige steht zu, diesen Palast nach Seinem Ermessen einem Mitglie-

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Frhr. v. Gise. Frhr. v. Schrenk. v. Abel. Frhr. v. Gumppenberg. Graf v. Seinsheim. Nach dem Befehle Seiner Majestät des Königs: der expedirende geheime Secretär P. Hexamer. 1

Ediert nach Gesetz-Blatt für das Königreich Bayern, Jahrgang 1843, Nro. 4, München, Sp. 21–24.

Revision von 1846 Gesetz, den §. 44. lit. c. im I. Titel der X. Beilage zur Verfassungs-Urkunde betr.1

Ludwig, von Gottes Gnaden König von Bayern, Pfalzgraf bey Rhein, Herzog von Bayern, Franken und in Schwaben etc. etc. Wir haben zur näheren Bestimmung des Umfanges des durch den §. 44. lit. c. des I. Titels der X. Beilage zur Verfassungs-Urkunde dem Könige vorbehaltenen Rechtes nach Vernehmung Unseres Staatsraths, und mit Beirath und Zustimmung Unserer Lieben und Getreuen der Stände des Reiches, unter Beobachtung der in dem Titel X. §. 7. der Verfassungs-Urkunde vorgeschriebenen Formen, beschlossen, und verordnen, wie folgt: A RT. I. Die Bewilligung des Königs zum Eintritt in die Kammer der Abgeordneten ist in dem durch den §. 44. lit. c. Tit. I. der X. Beilage zur Verfassungs-Urkunde bezeichneten Falle nachzusuchen: 1) von allen besoldeten Hofdienern; 2) von allen unmittelbaren besoldeten Staatsdienern im Sinne der IX. VerfassungsBeilage; 3) von den rechtskundigen Bürgermeistern in den Städten erster Classe, welche die für solche in §. 47. des revidirten Gemeinde-Edikts bezeichnete Magistrats-Formation besitzen; 4) von allen Officieren und im OfficiersRange stehenden Militär-Beamten, welche sich im Bezuge einer Gage befinden; 5) von den Advocaten; 6) von allen unter den Categorien Ziff. 1) 2) und 4) begriffenen Individuen nach der Versetzung in den Ruhe- oder Pensions-

stand, sowie von allen übrigen Individuen, welche eine Pension aus Hof- oder Staatskassen beziehen, so lange sie in dem Genusse des Ruhegehaltes oder der Pension sich befinden. Kein Individuum, welches unter irgend einer der vorbemerkten Categorien begriffen ist, kann ohne Bewilligung des Königs in die Kammer treten. A RT. II. Professoren, welche von den Universitäten nach Tit. VI. §. 9. lit. e. der Verfassungs-Urkunde zur Kammer der Abgeordneten gewählt werden, sind von der in dem Art. I. dieses Gesetzes bezeichneten Verbindlichkeit ausgenommen, auch wenn sie zugleich in einem der in diesem Artikel I. bezeichneten Verhältnisse stehen. A RT. III. Die Bestimmung des §. 44. lit. c. Tit. I. der X. Beilage zur Verfassungs-Urkunde soll auf andere, als die in dem Art. I. bezeichneten Individuen nicht angewendet werden. Standes- oder gutsherrliche Beamte haben nur die Bewilligung der Standesoder Gutsherren einzuholen, in deren Diensten sie stehen. A RT. IV. Jedem, der nach den Bestimmungen des Art. I. dieses Gesetzes die Bewilligung des Königs zum Eintritt in die Kammer der Abgeordneten nachzusuchen verbunden ist, bleibt im Falle der Verweigerung derselben das durch die Wahl verliehene Recht vorbehalten, wenn er binnen vierzehn Tagen – von der Zustellung des die Bewilligung versagenden Rescriptes an

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BAYERN gerechnet – bei der Regierung des Kreises, durch welche ihm die Eröffnung gemacht worden, seinen Austritt aus dem Hof-, Staats-, Militär- oder Gemeinde-Dienst, die Niederlegung der Advocatie oder die Verzichtung auf den Fortbezug des Ruhegehaltes oder der Pension erklärt, und in den beiden ersten Fällen gleichzeitig bei der vorgesetzten Dienststelle die Entlassung nimmt. Den Empfang der Verzichts-Erklärung und des Entlassungs-Gesuches haben die genannten Stellen sofort zu bescheinigen. A RT. V. Wenn derjenige, dem die Königliche Bewilligung zum Eintritt in die Kammer verweigert worden ist, im Auslande sich befindet, so hat die Einreichung der in dem Art. IV. erwähnten Erklärung und des Entlassungs-Gesuches von dem Tage an, wo ihm das die Bewilligung versagende Rescript zugestellt worden ist, binnen sechs Wochen zu geschehen. A RT. VI. Sind die besagten Fristen eingehalten worden, so tritt der Betheiligte nach erhaltener Entlassung aus dem, die Verpflichtung zur Einholung der Königlichen Bewilligung begründenden Verhältnisse, in die Kammer ein. Diese Entlassung muß ohne Aufschub ertheilt werden, wenn der Betheiligte sich nicht in einem Rückstande an anvertrautem Staatsgute oder an übertragener Hauptarbeit befindet. Befindet sich derselbe in einem solchen Rückstande, so ist dessen Beseitigung, wie immer möglich, von Seite der Regierung zu beschleunigen. A RT. VII. Ist von dem Betheiligten innerhalb der in den Artikeln IV. und V. be-

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zeichneten Fristen weder die vorgeschriebene Erklärung abgegeben, noch das Entlassungs-Gesuch eingereicht worden, so ist der nächstfolgende Ersatzmann in die Kammer einzuberufen, vorbehaltlich der Bestimmungen des gegenwärtigen Gesetzes, wenn der Ersatzmann in einem von den durch Art. I. und III. vorgesehenen Verhältnisse sich befindet. A RT. VIII. Die Art. IV., V., VI. und VII. gelten in gleicher Art auch für die standesund gutsherrlichen Beamten, welchen von den Standes- oder Gutsherren die Bewilligung zum Eintritt in die Kammer der Abgeordneten versagt wird. A RT. IX. Vorstehende Bestimmungen sollen als ein Grundgesetz des Reiches und als ein ergänzender Bestandtheil der Verfassungs-Urkunde angesehen werden. Dieselben treten mit dem Tage der Bekanntmachung durch das Gesetzblatt in Wirksamkeit und können nur in der durch den Titel X. §. 7. der Verfassungs-Urkunde vorgeschriebenen Weise abgeändert werden. Gegeben, München den 23. Mai 1846. Ludwig. Frhr. v. Gise. Frhr. v. Schrenk. v. Abel. Frhr. v. Gumppenberg. Graf v. Seinsheim. Nach dem Befehle Seiner Majestät des Königs der expedirende geheime Secretär P. Hexamer. 1

Ediert nach Gesetz-Blatt für das Königreich Bayern, Jahrgang 1846, No. 2, München, Sp. 37–44.

Erste Revision von 1848 Gesetz, die Zahl der Abgeordneten zur Stände-Versammlung aus der Pfalz betr.1

Maximilian II. von Gottes Gnaden König von Bayern, Pfalzgraf bey Rhein, Herzog von Bayern, Franken und in Schwaben etc. etc. Wir haben nach Vernehmung Unseres Staatsraths und mit Beirath und Zustimmung Unserer Lieben und Getreuen, der Stände des Reiches, unter Beobachtung der, im Titel X. §. 7. der Verfassungs-Urkunde vorgeschriebenen Form beschlossen, und verordnen, was folgt: A RT. I. Die Pfalz erhält als Ersatz für den Entgang der Abgeordneten aus der Klasse der adelichen Gutsbesitzer mit Gerichtsbarkeit weiters drey Abgeordnete, einen aus der Klasse der Städte und Märkte, und zwei aus der Klasse der Landeigenthümer, welche der Gesammtzahl der Abgeordneten des ganzen Königreichs gesondert zugerechnet werden. A RT. II. Vorstehende Bestimmung soll bis zur Revision des Wahlgesetzes als Bestandtheil der Verfassungs-Urkunde, insbesondere als Zusatz zum Titel VI. §. 9. mit der Reihenfolge lit. F. angesehen werden.

Dieselbe tritt mit dem Tage der Verkündung und zwar schon für die gegenwärtige Stände-Versammlung in Wirksamkeit und kann nur in der, durch den Titel X. §. 7. der Verfassungs-Urkunde vorgeschriebenen Form abgeändert werden. A RT. III. Unser Staatsminister des Innern ist mit dem Vollzuge des gegenwärtigen, in das Gesetzblatt und in das Amtsblatt der Pfalz einzurückenden Gesetzes beauftragt und hat sogleich drey Abgeordnete aus der Zahl der Ersatzmänner einzuberufen. Gegeben München, den 15. April 1848. Max. v. Beisler. v. Thon-Dittmer. Heintz. Lerchenfeld. Weishaupt. Graf Waldkirch. Nach dem Befehle Seiner Majestät des Königs: der geheime Secretär des Staatsraths, Rath Seb. v. Kobell. 1

Ediert nach Gesetz-Blatt für das Königreich Bayern, Jahrgang 1848, Nro. 2, München, Sp. 9–12.

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Zweite Revision von 1848 Gesetz, die ständische Initiative betreffend1

Maximilian II. von Gottes Gnaden König von Bayern, Pfalzgraf bei Rhein, Herzog von Bayern, Franken und in Schwaben etc. etc. Wir haben nach Vernehmung Unseres Staatsrathes und mit Beirath und Zustimmung der Lieben und Getreuen, der Stände des Reichs, unter Beobachtung der im §. 7. Tit. X. der Verfassungs-Urkunde vorgeschriebenen Formen, beschlossen und verordnen, was folgt: A RT. I. Das Recht der Initiative für Gesetze, die keine Verfassungs-Gesetze sind, steht jeder der beiden Kammern zu. A RT. II. Das nach Tit. X. §. 7. der Verfassungs-Urkunde dem König ausschließend zustehende Recht, Abänderungen in den Bestimmungen der Verfassungs-Urkunde, oder Zusätze zu derselben in Vorschlag zu bringen (Recht der Initiative), wird in Ansehung der in den Titeln IV. VII. VIII. und X. §. 1. – 6. der Verfassungs-Urkunde enthaltenen Bestimmungen, und der hierauf Bezug nehmenden Verfassungs-Beilagen und Gesetze auch den Ständen des Reichs eingeräumt. A RT. III. Das Recht, die Kammern in der von der Verfassung festgesetzten Zeit zusammenzuberufen, dieselben zu eröffnen und zu schließen, dieselben zu verlängern, zu vertagen, oder die ganze Versammlung aufzulösen, bleibt jedoch der Krone nach den bisherigen Bestimmungen vorbehalten. A RT. IV. Bezüglich der im Tit. VI. der Verfassungs-Urkunde enthaltenen Bestim-

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mungen, steht, soweit sie die Kammer der Reichsräthe betreffen, dieser, soweit sie die Kammer der Abgeordneten betreffen, der letztern das im Art. II. bezeichnete Recht der Initiative ebenfalls zu. A RT. V. Anträge zur Abänderung der im Art. II. und IV. bezeichneten VerfassungsGesetze sind sofort nach ihrer Einbringung einer vorläufigen Verhandlung zu unterwerfen; wenn dieselben hienach nicht von der Hälfte der anwesenden Mitglieder der betreffenden Kammer unterstützt werden, so können sie zu keiner weiteren Berathung gelangen. Im Falle der Unterstützung werden die Ausschüsse auf die doppelte Zahl ihrer Mitglieder verstärkt. A RT. VI. Bei allen von den Kammern vorgeschlagenen Abänderungen der Verfassungs-Urkunde oder Zusätzen zu derselben, den Beilagen und Verfassungs-Gesetzen, ist in Zwischenräumen von wenigstens acht Tagen eine dreimalige Berathung und Beschlußfassung in Gegenwart von drei Viertheilen der bei der Versammlung anwesenden Mitglieder in jeder Kammer und eine Mehrheit von zwei Drittheilen der Stimmen erforderlich. A RT. VII. Dem König bleibt das Recht vorbehalten, Seine definitive Entschließung über die also gefaßten Gesammtbeschlüsse auf ein Jahr zu vertagen, um inzwischen die noch nothwendig erscheinenden Erhebungen und Vernehmungen pflegen zu lassen. A RT. VIII. In Bezug auf ein in Folge

Z WEITE R EVISION VON 1848 gegenwärtiger gesetzlicher Bestimmungen erlassenes Verfassungs-Gesetz darf die ständische Initiative vor Ablauf von 12 Jahren nicht wieder geübt werden. A RT. IX. Gegenwärtiges Gesetz tritt mit dem heutigen Tage in Wirksamkeit, und wird zum Staats-Grundgesetze erhoben.

Maximilian. v. Thon-Dittmer. Heintz. Lerchenfeld. Weishaupt. Graf v. Bray. v. Strauß, Staatsrath. Nach dem Befehle Seiner Majestät des Königs: der geheime Sekretär des Staatsrathes,

Unser Staatsminister des Innern ist mit dem Vollzuge beauftragt.

Rath Seb. von Kobell. 1

Gegeben München, den 4. Juni 1848.

Ediert nach Gesetz-Blatt für das Königreich Bayern, Jahrgang 1848, Nro. 9, München, Sp. 61–66.

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Dritte Revision von 1848 Gesetz, die Verantwortlichkeit der Minister betr.1

Maximilian II. von Gottes Gnaden König von Bayern, Pfalzgraf bei Rhein, Herzog von Bayern, Franken und in Schwaben etc. etc. Wir haben nach Vernehmung Unseres Staatsraths, mit Beirath und Zustimmung Unserer Lieben und Getreuen, der Stände des Reiches, und unter Beobachtung der im Titel X. §. 7. der Verfassungs-Urkunde vorgeschriebenen Formen beschlossen und verordnen, was folgt: A RT. I. Die Führung eines Ministeriums kann nur einem Staatsrathe im ordentlichen Dienste übertragen werden, welcher hiedurch einen sofort unentziehbaren Standesgehalt von 3000 fl. erhält, soferne ihm nicht aus früheren Dienstes-Verhältnissen ein höherer zukommt. Niemand ist zur Annahme eines Staatsministeriums verpflichtet. A RT. II. Die vorübergehende Leitung der Geschäfte eines Staatsministeriums durch einen vom Könige zu bestimmenden Staatsrath oder Vorstand eines anderen Ministeriums darf nur stattfinden: 1) wenn der wirkliche Staatsminister an der Ausübung seines Amtes verhindert ist; 2) in so lange die sofort einzuleitende Wiederbesetzung eines erledigten Staatsministeriums zu keinem Resultate geführt hat. A RT. III. Ein Staatsminister kann zu jeder Zeit um Enthebung von seiner Stelle bitten. Dieselbe darf ohne Rücksicht auf §. 24. der IX. Verfassungs-Beilage nicht verweigert werden, wenn sie aus dem Grunde erbeten wurde, weil der König in wichtigen

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Regierungs-Angelegenheiten die Rathschläge Seines Ministers nicht annehmen zu können glaubt. Dem auf diese Weise in Folge seiner Bitte, sowie dem aus eigenem Antriebe des Monarchen enthobenen Staatsminister verbleibt der Standesgehalt ungeschmälert. A RT. IV. Der König wird Seine Regierungs-Anordnungen jedesmal von den Ministern oder von den zeitlichen Stellvertretern gegenzeichnen lassen, in deren Geschäftskreis die Sache einschlägt. Ohne solche Gegenzeichnung sind die besagten Anordnungen nicht vollziehbar. A RT. V. Derjenige Staatsbeamte, welcher den Vollzug einer ohne ministerielle Gegenzeichnung ergangenen Regierungsanordnung des Königs auf sich nimmt, macht sich des Mißbrauchs der Amtsgewalt schuldig. A RT. VI. Jeder Staatsminister, und Jeder, welcher vorübergehend mit der Leitung eines Staatsministeriums betraut ist, übernimmt durch die Gegenzeichnung königlicher Entschließungen, sowie durch die Unterzeichnung der in eigener Competenz getroffenen Ministerial-Verfügungen, die volle Verantwortlichkeit für deren Inhalt. A RT. VII. Hält der Vorstand eines Staatsministeriums eine ihm angesonnene Amtshandlung für gesetzwidrig, oder dem Landeswohl nachtheilig, so ist er verpflichtet, dieselbe abzulehnen, beziehungsweise seine Gegenzeichnung unter schriftlicher Angabe der Gründe zu verweigern. Er ist be-

D RITTE R EVISION VON 1848 rechtigt, seine Gründe dem Ministerrath darzulegen, dessen Protokoll dem Könige vorzulegen ist. A RT. VIII. Jedem wirklichen oder abgetretenen Staatsminister oder Verweser eines Staatsministeriums dürfen die amtlichen Behelfe zur Rechenschaftsablage über seine Amts-Verwaltung nicht vorenthalten werden, wenn er derselben zu seiner Rechtfertigung vor dem Könige oder den Ständen des Reichs bedarf. A RT. IX. Ein Staatsminister oder dessen Stellvertreter, der durch Handlungen oder Unterlassungen die Staatsgesetze verletzt, ist den Ständen des Reichs verantwortlich, und kann auf deren Anklage mit Rücksicht auf den Grad des Verschuldens und auf den Erfolg der Pflichtverletzung 1) mit einfacher Entfernung vom Dienste unter Belassung des ihm nach §. 19. der Verfassungs-Beilage IX. gebührenden Ruhegehaltes, 2) mit Dienstes-Entlassung ohne Ruhegehalt, oder 3) mit Dienstes-Entsetzung – Cassation – bestraft werden. A RT. X. Erachten die Stände des Reiches die Voraussetzungen des Art. IX. für gegeben, und demnach durch ihre Pflicht sich aufgefordert, gegen einen Minister oder Minister-Stellvertreter förmliche Anklage zu erheben, so wird der König, nachdem das durch Tit. X. §. 6. Absatz I. und II. der Verfassungs-Urkunde vorgeschriebene Verfahren stattgefunden hat, den Angeklagten vorläufig suspendiren, und die erhobene Anklage durch einen hiezu besonders zusammenzuberufenden Staatsgerichtshof unverzüglich zur Entscheidung bringen lassen. Die Bestimmungen des §. 16. der IX. Verfassungs-Beilage bleiben hiebei außer Anwendung. A RT. XI. Die Verhandlungen des Staatsgerichtshofes sind mündlich und öffentlich.

Die Einreichung und Vertretung der Anklage geschieht durch Bevollmächtigte der Stände des Reichs, welche jede Kammer durch absolute Stimmen-Mehrheit zu wählen hat. Ueber die Thatfrage der Anklage haben Geschworne, über die Rechtsfrage rechtskundige Richter zu entscheiden. Im Uebrigen richtet sich die Zusammensetzung und das Verfahren des Staats-Gerichtshofes nach den einschlägigen besondern gesetzlichen Bestimmungen. A RT. XII. Bezüglich der im Art. IX. vorgesehenen Strafen wird der König von dem Rechte der Begnadigung keinen Gebrauch machen. Die Rehabilitirung des Verurtheilten kann nur mit Zustimmung der Stände des Reichs erfolgen. A RT. XIII. Durch das Verfahren vor dem Staats-Gerichtshofe wird 1) die zuständige Wirksamkeit der ordentlichen Strafgerichte bezüglich der etwa concurrirenden gemeinen oder Amtsverbrechen oder Vergehen, sowie 2) die Verfolgung der EntschädigungsAnsprüche vor den bürgerlichen Gerichten nicht ausgeschlossen. A RT. XIV. Gegenwärtiges Gesetz tritt mit dem Tage der Bekanntmachung durch das Gesetzblatt in Wirksamkeit, und soll als ein ergänzender Bestandtheil der Verfassungs-Urkunde und als ein Grundgesetz des Reiches angesehen werden, welches nur in der Tit. X. §. 7. der Verfassungs-Urkunde vorgeschriebenen Weise wieder abgeändert werden kann. Gegeben München, den 4. Juni 1848. Maximilian. v. Thon-Dittmer. Heintz. Lerchenfeld. Weishaupt. Graf v. Bray. v. Strauß, Staatsrath.

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BAYERN Nach dem Befehle Seiner Majestät des Königs: der geheime Secretär des Staatsrathes,

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Rath Seb. von Kobell. 1

Ediert nach Gesetz-Blatt für das Königreich Bayern, Jahrgang 1848, Nro. 10, München, Sp. 69–76.

Vierte Revision von 1848 Gesetz, die Wahl der Landtags-Abgeordneten betr.1

Maximilian II. von Gottes Gnaden König von Bayern, Pfalzgraf bei Rhein, Herzog von Bayern, Franken und in Schwaben etc. etc. Wir haben nach Vernehmung Unseres Staatsrathes und mit Beirath und Zustimmung Unserer Lieben und Getreuen, der Stände des Reichs, unter Beobachtung der im Tit. X. §. 7. der Verfassungs-Urkunde vorgeschriebenen Form, beschlossen und verordnen, wie folgt: A RT. 1. Die Wahl der Landtags-Abgeordneten geschieht im Verhältnisse von je Einem Abgeordneten auf 31,500 Seelen der Gesammt-Bevölkerung des Königreichs. A RT. 2. Die hiernach sich ergebende Zahl von Abgeordneten wird nach obigem Verhältnisse durch die Regierung auf die einzelnen Kreise vertheilt. A RT. 3. Die Wahl findet in zwei gesonderten Handlungen statt: a) mittelst Wahl der Wahlmänner (Urwahl), b) mittelst Wahl der Abgeordneten durch die Wahlmänner. A RT. 4. Zu jeder gültigen Wahl ist die persönliche Anwesenheit des Wählenden erforderlich. Stellvertretung findet nicht Statt. Nur derjenige wird zur Wahl zugelassen, welcher erweislich den Verfassungseid abgeleistet hat. – Die Wahlmänner haben außerdem bei der Wahlhandlung den im Art. 17. vorgeschriebenen Wählereid zu schwören.

Der Eid nach Tit. VII. §. 25. und Tit. X. §. 3. der Verfassungs-Urkunde kann bei Angehörigen nicht christlicher Confessionen mit Hinweglassung des Beisatzes: „und sein heiliges Evangelium“ geleistet werden. A RT. 5. Aktiv wahlfähig ist jeder Staatsbürger (§. 3.Tit. IV. der Verf.-Urk.) und jeder volljährige Staats-Angehörige, welcher dem Staate eine direkte Steuer entrichtet, insofern er nicht wegen Verbrechen, oder des Vergehens der Fälschung, des Betrugs, des Diebstahls oder der Unterschlagung verurtheilt worden ist. A RT. 6. Als Wahlmann kann jeder bayerische Staatsbürger (§. 3.Tit. IV. der Verf. Urk.) gewählt werden, soferne er das 25. Lebensjahr zurückgelegt und die übrigen Eigenschaften des Art. 5 für sich hat. A RT. 7. Als Abgeordneter ist Jeder wählbar, welcher das 30. Lebensjahr zurückgelegt hat, und die übrigen im Art. 5. angegebenen Eigenschaften besitzt. A RT. 8. Weder die aktive noch die passive Wahlfähigkeit ist an ein bestimmtes Glaubensbekenntniß gebunden. A RT. 9. Für jede der beiden Wahlhandlungen werden besondere Wahlbezirke gebildet. A RT. 10. In der ersten Wahlhandlung wird auf je 500 Seelen ein Wahlmann gewählt. Sämmtliche Wahlmänner eines Bezirkes wählen die gemäß Art. 12. und Art. 13. zu bestimmende Zahl der Abgeordneten

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BAYERN und einen Ersatzmann für jeden derselben in gesonderten Wahlhandlungen. A RT. 11. Die Bildung der Urwahlbezirke geschieht durch die Distrikts-Polizeibehörden, und in der Pfalz durch die Landkommissariate in der Art: 1) daß jeder solche Bezirk in der Regel 2000 Seelen umfaßt, jedoch mit möglichster Beachtung der Grenzen der politischen Gemeinden und der bestehenden DistriktsEintheilung in den Städten; 2) daß kleinere Gemeinden zu diesem Ende zu einem Wahlbezirke vereinigt, oder einer benachbarten größeren Gemeinde zugewiesen werden. A RT. 12. Die Zahl der zu wählenden Abgeordneten für jeden einzelnen Regierungsbezirk wird vor jeder Wahl öffentlich bekannt gemacht. A RT. 13. Zur Vornahme der Abgeordneten-Wahlen werden von dem Staatsministerium des Innern 4 – 6 Wahlbezirke in jedem Regierungsbezirke bestimmt. A RT. 14. Aktiv wahlberechtigt ist Jeder nach seiner vor der Wahl abzugebenden Erklärung in dem Bezirke, wo er sein Domizil hat, oder mit Grundbesitz ansässig ist. Als Wahlmann kann Jeder in dem Urwahl- oder Gemeindebezirke seines Wohnsitzes oder wo er mit Grundbesitz ansässig ist, gewählt werden. Die Wahl der Abgeordneten ist an keinen Wahlbezirk gebunden. A RT. 15. Die Wahl erfolgt an den von der Regierung zu bestimmenden Tagen. A RT. 16. Die Wahlkommissäre werden von der Regierung bestimmt. A RT. 17. Zur gültigen Wahl der Abgeordneten ist die Anwesenheit von zwei Drittheilen der Wahlmänner nöthig. Wenn aus Mangel der Zahl die Wahl an dem bestimmten Tage nicht vor sich gehen

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kann, so haben die ohne hinreichende Ursache ausbleibenden Wahlmänner die Kosten der vereitelten Wahl zu tragen. Für diesen Fall ist der Wahlkommissär ermächtigt, den neuen Wahltag festzusetzen. A RT. 18. Die Wähler und Wahlmänner ernennen für ihre Wahlhandlungen einen Ausschuß von 7 Mitgliedern aus ihrer Mitte. A RT. 19. Jeder Wahlmann hat vor der Wahlhandlung folgenden Eid abzulegen: „Ich schwöre, daß ich meine Wahlstimme nach freier innerer Ueberzeugung, wie ich solches zum allgemeinen Besten des Landes für dienlich erachte, ohne Berücksichtigung einer Drohung, eines Versprechens oder eines Befehls, abgeben werde, und dießfalls von Niemand unter was immer für einem Namen, weder mittel- noch unmittelbar, irgend eine Gabe oder Geschenk angenommen habe, noch annehmen werde.“ A RT. 20. Die Wahlen geschehen durch vom Wähler unterzeichnete Wahlzettel. Die Gewählten müssen absolute Stimmenmehrheit für sich haben. Unvollständige oder unförmliche Wahlzettel, wenn der Wahl-Ausschuß sie dafür erkennt, werden nicht beachtet. A RT. 21. Der zum Abgeordneten Gewählte ist verpflichtet, spätestens acht Tage nach Empfang der Anzeige der ihn getroffenen Wahl die Ablehnung oder Annahme zu erklären. A RT. 22. Im Falle einer Doppelwahl steht dem Gewählten das Recht zu, sich für die Annahme der einen oder anderen Wahl innerhalb der im vorigen Artikel bezeichneten Frist zu entscheiden. Im Falle der Ablehnung der Wahl, oder der Erklärung des Gewählten für einen andern Wahlbezirk, tritt der Ersatzmann an dessen Stelle.

V IERTE R EVISION VON 1848 A RT. 23. Die Wahl-Ausschüsse bescheiden alle Wahl-Reklamationen auf der Stelle durch Stimmen-Mehrheit. Eine Berufung gegen diesen Ausspruch ist unzulässig. A RT. 24. Der Urlaub darf den gewählten Staats-Beamten und öffentlichen Dienern nicht verweigert werden; ebensowenig den Offizieren und Militär-Beamten, soferne nicht außerordentliche Verhältnisse ihrer Entfernung vom Dienste entgegenstehen. A RT. 25. Die Wahlhandlungen müssen von den Commissarien mit pflichtmäßiger und rücksichtsloser Unbefangenheit geleitet werden. Jede Beschränkung der Freiheit der Wahl und jede Benützung eines obrigkeitlichen Einflusses auf die Wähler wird strenge geahndet, und nach Umständen mit der Dienstes-Entlassung bestraft. A RT. 26. Die Bestechung der Wähler soll die Ungültigkeit der Wahl und den Verlust der activen und passiven Wahlfähigkeit für den Bestecher und den Bestochenen als Strafe zur Folge haben, mit Vorbehalt der ferneren, sowohl auf den Meineid, als sonst in den Gesetzen angeordneten Strafen. A RT. 27. Die Wahl-Verhandlungen selbst beschränken sich einzig auf den Gegenstand der Wahlen und jede Einmengung von anderen Gegenständen, von besonderen Anträgen, Beschwerden oder Instruktionen, auf was immer für eine Art, sind von der Wahl-Commission ohne weiteres zurückzuweisen. A RT. 28. Ueber jedes Wahlgeschäft ist eine schriftliche Verhandlung aufzunehmen, und von dem Wahl-Ausschusse sowohl, als von dem Wahl-Commissär, zu unterschreiben. A RT. 29. Jeder Abgeordnete kann mit Zustimmung der Kammer aus derselben treten. Wer ein Staatsamt, eine Beförderung

oder eine Hofcharge annimmt, muß sich einer neuen Wahl unterziehen. Die außerdem während der Dauer der Wahlperiode in Erledigung kommenden Stellen von Abgeordneten werden aus den treffenden Ersatzmännern und nöthigenfalls durch Zwischenwahlen ergänzt, zu welchen die noch vorhandenen Wahlmänner des Bezirkes einzuberufen sind. A RT. 30. Den Mitgliedern der Kammer der Abgeordneten, welche nicht am Orte der Versammlung selbst wohnen, wird auf die Dauer der Versammlung eine Entschädigung in der Art gegeben, daß ihnen a) von dem zur Erscheinung bestimmten Tage bis zum Schlusse der Versammlung, jedoch mit Einschluß des vorhergehenden und nachfolgenden Tages, eine Tagesgebühr von 5 Gulden, b) für die Reisekosten eine Gebühr von 1 fl. für die Wegstunden verabfolgt werden solle. A RT. 31. Vorstehende Bestimmungen sollen als Bestandtheil der Verfassungs-Urkunde angesehen werden, dieselben treten mit der nächsten Wahl in Wirksamkeit, und können nur in der durch den Titl. X. §. 7. der Verfassungs-Urkunde vorgeschriebenen Form abgeändert werden. Die §§. 7, 8, 9, 10, 11, 12 und 14. des Tit. VI. der Verfassungs-Urkunde, dann der Abschnitt I. und II. des Tit. I. der Beilage X. zur Verfassungs-Urkunde werden hiedurch aufgehoben; ebenso 1) Gesetz vom 18. Jänner 1843, „die Zwischen-Wahlen von Abgeordneten zur zweiten Kammer der Stände-Versammlung betreffend“; 2) Gesetz vom 23. Mai 1846, den §. 44. lit. c. Tit. I. der X. Beilage betreffend; 3) Gesetz vom 15. April l. Js., die Zahl der Abgeordneten zur Stände-Versammlung aus der Pfalz betreffend.

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BAYERN Unser Staatsminister des Innern ist mit dem Vollzuge beauftragt.

Nach dem Befehle Seiner Majestät des Königs:

Gegeben München, den 4. Juni 1848.

der geheime Secretär des Staatsraths,

Maximilian.

Rath Seb. v. Kobell.

v. Thon-Dittmer. Heintz. Lerchenfeld. Weishaupt. Graf v. Bray. v. Strauß., Staatsrath.

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Ediert nach Gesetz-Blatt für das Königreich Bayern, Jahrgang 1848, Nro. 11, München, Sp. 77–88.

Fünfte Revision von 1848 Edikt über die Freiheit der Presse und des Buchhandels1

Maximilian II. von Gottes Gnaden König von Bayern, Pfalzgraf bei Rhein, Herzog von Bayern, Franken und in Schwaben etc. etc. Wir haben das Edikt über die Freiheit der Presse und des Buchhandels vom 26. Mai 1818 einer Revision unterwerfen lassen, und nach Vernehmung Unseres Staatsrathes und mit Beirath und Zustimmung Unserer Lieben und Getreuen, der Stände des Reichs, unter Beobachtung der in der Verfassungs-Urkunde Tit. X. §. 7. vorgeschriebenen Formen, beschlossen und verordnen, was folgt: § 1. Die in der Verfassungs-Urkunde Tit. IV. §. 11. ausgesprochene Freiheit der Presse und des Buchhandels gewährt jedem Verfasser, oder wer dessen Rechte erworben hat, für seine Schriften den freien Gebrauch der Presse, die freie Herausgabe und den freien Verlag, jedem gewerbsberechtigten Inhaber einer Schriftdruckerei oder lithographischen oder wie sonst zur Vervielfältigung von Schriften dienlichen Anstalt den freien Druck der zur Presse übergebenen Schriften, jedem gewerbsberechtigten Buchhändler den freien Verkehr mit den aus den Pressen des In- oder Auslandes hervorgegangenen Schriften. § 2. Bei keiner Art von Erzeugnissen der Presse ist das Erscheinen derselben von obrigkeitlicher Prüfung und Genehmigung des Inhalts oder überhaupt von irgend einer obrigkeitlichen Erlaubniß abhängig. Dieß gilt auch von politischen Zeitungen, sowie von allen andern periodischen Schriften.

§ 3. Die in Ansehung der Schriften erworbenen Eigenthums- und Nutzungsrechte sollen unter dem Vorwande der Freiheit der Presse und des Buchhandels nicht gestört, vielmehr sollen die gesetzlichen Verfügungen zum Schutze solcher Rechte gehandhabt werden. § 4. Staatsdiener sind rücksichtlich der Bekanntmachung amtlicher Arbeiten, sowie jeder Thatsache oder Urkunde, deren Wissenschaft nur durch das Dienstverhältniß erlangt werden konnte, an die DienstesVorschriften und an die Gesetze über die Amts-Verschwiegenheit gebunden. § 5. Andere Beschränkungen, als in den Gesetzen enthalten sind, finden bei Ausübung der Freiheit der Presse und des Buchhandels nicht statt, und können im Verwaltungswege nicht eingeführt werden. Keine Schrift darf verfolgt, Niemand darf einer Schrift wegen zur Verantwortung gezogen werden, außer in den Fällen, welche als Polizei-Uebertretungen, Vergehen oder Verbrechen gesetzlich mit Strafe bedroht sind. § 6. Ueber Anklagen wegen Verbrechen oder Vergehen, begangen durch die Presse, haben nach öffentlichem und mündlichen Verfahren Schwurgerichte zu erkennen. Wiefern Ausnahmen von der Oeffentlichkeit des Verfahrens zulässig sind, bestimmen die Gesetze über das Straf-Verfahren. § 7. Bei Polizei-Uebertretungen, welche durch die Presse begangen werden, sowie bei Uebertretungen gesetzlicher Vorschriften über Presse und Buchhandel steht die

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BAYERN Strafgerichtsbarkeit nicht den Polizeibehörden, sondern den Gerichten zu. § 8. Die polizeiliche Beschlagnahme von Erzeugnissen der Presse kann nur wegen Uebertretung eines in der Verfügung anzuführenden Strafgesetzes geschehen, und muß die Einleitung des in den Gesetzen bestimmten strafgerichtlichen Verfahrens längstens binnen 8 Tagen nach sich ziehen. § 9. Was von Erzeugnissen der Presse verordnet ist, gilt auch von Gemälden, Bildern, Zeichnungen, Kupferstichen, Erzeugnissen der Lithographie, Holzschnitten und überhaupt von jeder Art und Form sinnlicher Darstellungen und Mittheilungen an das Publikum.

§ 11. Der §. 6. des gegenwärtigen Gesetzes tritt erst mit dem Erscheinen des neuen Gesetzes über das Strafverfahren in Wirksamkeit; bis dahin bleiben die bisherigen Gesetze hierüber in Geltung. So lange in dem zu erlassenden allgemeinen Polizei-Strafgesetzbuche nichts anderes hierüber bestimmt ist, erfolgt die Untersuchung und Aburtheilung der im §. 7. erwähnten Uebertretungen in den Kreisen diesseits des Rheins nach den für Behandlung von Polizei-Strafsachen bestehenden Bestimmungen durch die unmittelbar königlichen oder standesherrlichen Gerichte, in deren Bezirk die Uebertretung verübt wurde, mit Zulassung der Berufung innerhalb 14 Tagen an das einschlägige AppellationsGericht. Gegeben München, den 4. Juni 1848.

§ 10. Vorstehende Bestimmungen sollen als ein Grundgesetz des Reichs, als ein ergänzender Bestandtheil der VerfassungsUrkunde, angesehen, – und können nur auf die durch den Tit. X. §. 7. dieser Urkunde vorgeschriebene Weise abgeändert werden; dieselben treten mit dem Tage der Bekanntmachung durch das Gesetzblatt, beziehungsweise durch das Amtsblatt der Pfalz, in Wirksamkeit, und von eben diesem Tage an ist das Edikt über die Freiheit der Presse und des Buchhandels vom 26. Mai 1818 aufgehoben.

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Maximilian. v. Thon-Dittmer. Heintz. Lerchenfeld. Weishaupt. Graf v. Bray. v. Strauß, Staatsrath. Nach dem Befehle Seiner Majestät des Königs: der geheime Secretär des Staatsrathes, Rath Sebastian v. Kobell. 1

Ediert nach Gesetz-Blatt für das Königreich Bayern, Jahrgang 1848, Nro. 12, München, Sp. 89–96.

Sechste Revision von 1848 Gesetz über die Aufhebung der standes- und gutsherrlichen Gerichtsbarkeit, dann die Aufhebung, Fixirung und Ablösung von Grundlasten1

Maximilian II. von Gottes Gnaden König von Bayern, Pfalzgraf bei Rhein, Herzog von Bayern, Franken und in Schwaben etc. etc.

nach den am selben Tage bestehenden Normen vom Staate übernommen werden.

Wir haben nach Vernehmung Unseres Staatsraths, mit Beirath und Zustimmung Unserer Lieben und Getreuen, der Stände des Reichs, und unter Beobachtung der im Tit. X. §. 7. der Verfassungs-Urkunde vorgeschriebenen Formen, beschlossen und verordnen, wie folgt:

Aufhebung und Regulirung der persönlichen und der auf dem Boden haftenden Lasten und Abgaben

I. ABSCHNITT Aufhebung der standes- und gutsherrlichen Gerichtsbarkeit A RT. 1. Die standes- und gutsherrliche Gerichtsbarkeit und Polizeigewalt geht mit dem 1. Oktober 1848 an den Staat über. Diejenigen Gutsbesitzer, welche deren Abtretung an den Staat bis zum 18. April laufenden Jahres inclusive erklärt haben, werden nach dem Gesetze vom 28. Dezember 1831 entschädigt, diejenigen Besitzer, welche diesen Verzicht bis dahin nicht geleistet haben, erhalten ihre Entschädigung dadurch, daß die standes- und gutsherrlichen Gerichts- und Polizeibeamten und Diener unter den Anstellungs-Bedingungen und Pensionsnormen, die am 12. April 1848 bestanden, so wie die Pensionen aus pragmatischen Anstellungen solcher Bediensteten

II. ABSCHNITT

A RT. 2. Alle Natural-Frohndienste, gemessene, wie ungemessene, mit Ausnahme jener gemessenen Dienste, für welche nach Ausweis der Bezugs-Register und der gepflogenen Liquidationen unter alternativem Vorbehalte der Naturalleistung ein bestimmter Geldbetrag erhoben werden konnte, werden vom 1. Jänner 1849 an ohne Entschädigung der Berechtigten aufgehoben. Damit cessiren auch alle Gegenreichnisse. Wenn Oekonomie-Güter mit den für dieselben zu leistenden Frohnen verpachtet sind, so können beide Theile für das nächste Pachtziel den Pacht aufkünden, wenn keine Vereinbarung über angemessene Minderung des Pachtschillings zu Stande kömmt. A RT. 3. Die Erhebung des Mortuariums (Besthaupt) cessirt ohne Entschädigung. A RT. 4. Der Blutzehent und der noch nicht zur Erhebung gekommene Neubruchzehent, sowie der Kleinzehent da, wo er nicht bereits seit 30 Jahren hergebracht, oder durch Vertrag, Vergleich oder richterliches Erkenntniß anerkannt ist, hören für die Zukunft ohne Entschädigung auf.

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BAYERN A RT. 5. Die Weide auf Aeckern während ihrer Fructifikation und auf Wiesen während der Hegezeit wird ohne Unterschied, ob sie auf Herkommen, Verjährung und darauf gegründeten Titeln, oder auf ausdrücklichen besonderen Concessionen und Verträgen mit den Eigenthümern beruhe, ohne Entschädigung aufgehoben. Die Ablösung der Weide-Rechte auf Gemeinde-Markungen oder Weide-Distrikten muß auf Verlangen der Mehrheit der Verpflichteten stattfinden, wenn sie für den ganzen Complex des Berechtigten gefordert wird. Die Entschädigung wird durch Schätzung nach Ziff. 4. des Art. 11. von den Culturs-Behörden ermittelt und festgesetzt. A RT. 6. Alle rein persönlichen, nicht auf Grund und Boden haftenden Abgaben hören ohne Entschädigung auf. A RT. 7. Die im Eigenthum der Privaten, der Stiftungen und Communen befindlichen durch gegenwärtiges Gesetz nicht aufgehobenen Grundgefälle gehen auf Verlangen der Berechtigten unter den nachfolgenden Bestimmungen, welche bezüglich der Fixirung sogleich in Vollzug zu setzen sind, an die zu gründende Ablösungs-Kassa des Staates über. Hinsichtlich der Stiftungen und Communen wird die Curatelgenehmigung als gegeben erachtet, wenn die gesetzlich bestehenden Verwaltungen derselben sich für das Eine oder das Andere erklären.

III. ABSCHNITT Fixirung unständiger Grundlasten A RT. 8. Alle nicht durch Abschnitt II. dieses Gesetzes aufgehobenen unständigen Gefälle und Zehenten, dann alle Besitzänderungs-Abgaben sind sofort zu fixiren, das

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heißt, in eine jährliche unveränderliche Abgabe von den pflichtigen Grundstücken umzuwandeln. Alle bereits rechtsgültig bestehenden, oder vor der amtlichen Behandlung zu Stande kommenden Fixationen oder Umwandlungen von Frohnen und Grundgefällen bleiben in Kraft. A RT. 9. Das Zehentfixum ist eine, dem gegenwärtigen reinen Durchschnitt-Ertrag des Zehents gleichkommende unveränderliche Abgabe, die bei Getreid-Zehenten in den Getreidarten, in denen der Zehent bisher vorherrschend bestand, bei allen andern Zehenten in Geld ausgedrückt wird. A RT. 10. Zur Ermittlung des durchschnittlichen Zehent-Ertrags wird der wirkliche Ertrag des Zehents, wie er sich durch Sammlung oder Verpachtung rechnungsmäßig ergeben hat, aus den 18 Jahren von 1828 bis 1845 erhoben. Von diesem rohen Zehent-Ertrag sind alle nach Gesetz, Vertrag oder Herkommen bisher dem Zehentberechtigten obgelegenen Lasten und Arbeiten bei der eigenen Einbringung, so auch die Ausgaben bei der Verpachtung bis zur Herstellung, beziehungsweise dem Empfang der verkäuflichen Früchte, nach genauer – nöthigenfalls durch Sachverständige vorzunehmender – Ermittlung und Schätzung abzuziehen. Der jährliche Durchschnitt aus den in solcher Weise hergestellten reinen Erträgnissen des Zehents während der angedeuteten Jahre ist die an die Stelle des Zehents tretende fixe Jahresabgabe. A RT. 11. Hierbei werden folgende besondere Bestimmungen getroffen: 1) Der nach Art. 10. festzusetzende Durchschnitt des reinen Erträgnisses soll wo möglich für ganze Zehent- oder Gemeindefluren, oder auch für ganze Zehentdistrikte ermittelt, sodann dieses Gesammt- Zehentfixum entweder durch Schätzung oder

S ECHSTE R EVISION VON 1848 nach Maßgabe des definitiven Steuerkatasters, wo letzeres bereits besteht, auf den Besitzstand der Zehentpflichtigen subrepartirt werden; 2) Läßt sich der Zehent-Ertrag nicht aus den Art. 10. bezeichneten 18 Jahren rechnungsmäßig nachweisen, so genügt eine geringere Anzahl Jahre, doch nicht weniger als die sechs letzten bis 1845 einschließlich; 3) Fehlt diese rechnungsmäßige Nachweisung, oder erhebt der Pflichtige gegen die Richtigkeit der vorliegenden Rechnungen Einwendungen, welche die Gerichte gegründet finden, so wird der Rohertrag der Grundstücke an zehentbaren Früchten durch Schätzung (unter Berücksichtigung des Grundsteuer-Definitivums, wo es bereits besteht, sodann der Zehentrechnungen benachbarter Gutsbesitzer) ermittelt, und nach ihm der Zehent berechnet; diese, nach Abzug der im Art. 10. Absatz 2. bezeichneten Lasten, ist das Zehentfixum; 4) Diese, wie alle übrigen in gegenwärtigem Gesetze vorgeschriebenen Schätzungen, wird durch fünf Sachverständige vorgenommen, von denen der Berechtigte und der Pflichtige Jeder zwei, das Gericht den fünften ernennt. Unter ihnen entscheidet Stimmen-Mehrheit. Sind die Schätzer der Partheien verschiedener Ansicht, so entscheidet der Ausspruch des amtlich aufgestellten Schätzers; er muß sich aber inner den von den Schätzern der Partheien angenommenen Größen halten. Die Schätzer haben über ihre Verrichtung ein Protokoll aufzunehmen, welches die Gründe ihrer Schätzung ausführlich enthält. Gegen die Entscheidung der Schätzer ist eine Berufung an das Appellations-Gericht binnen 14 Tagen gestattet. A RT. 12. Bei Weinzehent ist bei Ermittlung des 18 jährigen Durchschnittsertrages von 1828 bis 1845 zugleich der Ertrag ähnli-

cher Lagen im Rentamtsbezirke zu berücksichtigen. A RT. 13. Zehent-Pachtverträge lösen sich mit der Zehentfixirung ohne Entschädigung des Pächters auf. A RT. 14. Die fixirte Zehentabgabe nimmt die rechtliche Natur eines Bodenzinses mit den in §. 12. Ziff. 3 und 4. des Hypothekengesetzes und §. 12. Ziff. 7. der Prioritätsordnung vom 1. Juni 1822 festgesetzten Vorzügen an. Dieselbe ist an dem vertragsmäßig oder herkömmlich bestimmten Tage, in Ermanglung eines solchen am 15. Dezember jedes Jahres, zu entrichten. A RT. 15. Laudemium. Das Aequivalent für das Obereigenthum und das Recht der Erhebung einer Besitzänderungs-Abgabe ist bei Erbrecht und Freistift der ein- und ein halbfache Betrag des ganzen Laudemiums, bei Leibrecht und Neustift, der doppelte Betrag des ganzen Leibgeldes. Die Heimfälligkeit der Güter, auf welchen Leibgerechtigkeiten verliehen sind, wird mit der Publikation des Gesetzes ohne Entschädigung aufgehoben. Obiges Aequivalent ist mit der nächsten Besitzänderung nach Erlaß des gegenwärtigen Gesetzes fällig. Die Art der Festsetzung der Besitzänderungs-Reichnisse (Handlohn, Leibgeld u. dgl.) richtet sich nach den Bestimmungen der Verordnung vom 19. Juni 1832, die Fixirung und Ablösung des Handlohns und anderer unständiger Besitzänderungs-Gefälle des Staates betreffend, und den darauf bezüglichen ErläuterungsRescripten mit Rücksicht auf Artikel 3. des Gesetzes. Die in der Finanz-Ministerial-Entschließung vom 29. Dezember 1834 festgesetzten Durchschnittsjahre sollen vom Jahre 1840 an zurückgezahlt werden. Von dem für das Obereigenthum hier festgesetzten Aequivalente ist bei der nächsten

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BAYERN Besitzänderung ein ganzer Handlohns-Betrag baar zu entrichten; der Rest kann als ein zu 4 Prozent verzinsliches BodenzinsCapital auf dem pflichtigen Grundstücke liegen bleiben. A RT. 16. Mit dieser Fixirung der Besitzänderungs-Abgaben consolidirt sich das Eigenthum in der Person des Grundholden, und derselbe übernimmt die der bisherigen Dominikal-Steuer entsprechende Grundsteuer vom Handlohn. A RT. 17. Vom Erscheinen dieses Gesetzes an darf keine Verleihung unter Vorbehalt des Obereigenthums (Leibrecht, Neustift, Freistift, Erbrecht) mehr stattfinden. A RT. 18. Die Holz- und Streurechte, sowie die Weiderechte in den Waldungen und Gebirgen wird das Forstpolizei-Gesetz normiren, wobei auf die Gegenreichnisse einschließlich der Leistungen von Holzfrohnen, welche bis dahin fortzubestehen haben, Rücksicht genommen werden soll. Die ungemessenen Forstrechte sollen durch ein besonderes Gesetz geordnet werden. A RT. 19. Verfahren. Die Fixirung der Grundlasten wird von den Distrikts-Polizeibehörden in Gemeinschaft mit den königlichen Rentämtern von Amtswegen in summarischem Verfahren vollzogen. Die Berufung gegen deren Beschlüsse geht an die königlichen Kreis-Regierungen, Kammern des Innern, gegen deren Beschlüsse eine weitere Berufung nicht stattfindet. Der Berufungs-Termin ist auf 30 Tage bestimmt. Die Oberaufsicht des hiezu berufenen Ministeriums ist vorbehalten. Die durch die Fixirung veranlaßten amtlichen Verhandlungen sind tax- und stempelfrei; die Schätzungskosten tragen die Partheien gleichheitlich. Die Regierung wird ermächtiget, den Distrikts-Polizei-Behörden besondere Commissäre auf Staats-Rechnung beizugeben.

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Das Nähere des Verfahrens wird eine Instruktion normiren. A RT. 20. Ist das Recht oder der Umfang der zu fixirenden Reichnisse bestritten, so bleibt der Rechtsweg vorbehalten.

IV. ABSCHNITT Ablösung aller Grundlasten A RT. 21. Alle fixen Grundgefälle des Staates, der Privaten, der Stiftungen und Communen sind unter den nachstehenden Bestimmungen ablösbar. A RT. 22. Alle Bodenzinse, für welche ein bestimmtes Capital rechtsgiltig festgesetzt ist, sind durch Baarerlag dieses Capitals ablösbar. Dieselben werden jedoch von der Ablösungs-Cassa nicht übernommen. A RT. 23. Alle übrigen, bereits ihrer Natur nach ständigen, oder nach den Bestimmungen des gegenwärtigen Gesetzes fixirten jährlichen Grundabgaben kann der Pflichtige ganz oder theilweise durch baare Erlegung des Achtzehnfachen ihres jährlichen Betrags jederzeit ablösen. Mit dieser Zahlung hört jeder weitere Anspruch des Berechtigten auf; der Pflichtige übernimmt zugleich die Grundsteuer von der abgelösten Dominikal-Rente. A RT. 24. Natural-Abgaben werden behufs dieser Ablösung nach den Sätzen zu Geld angeschlagen, welche die Verordnung vom 13. Februar 1826, die Ablösung ständiger Dominikal-Gefälle des Staats betreffend, enthält, mit der besondern Bestimmung, daß bei Wein die durchschnittlichen Ortspreise der 18 Jahre von 1828 bis 1845 zu nehmen sind. A RT. 25. Die Staatskasse vergütet für alle fixen jährlichen Grund-Abgaben, die sie nach Artikel 7. übernimmt, den zwanzigfachen Betrag der fixen Rente in 4prozentigen

S ECHSTE R EVISION VON 1848 Ablösungs-Schuldbriefen des Staates nach dem Nennwerthe der letzteren. Die Staatskasse wird den Stiftungen der Wohlthätigkeit, des Unterrichtes und des Cultus, wenn sie auch nicht ihre Renten und Ablösungs-Kapitalien in das Eigenthum der Ablösungskasse übergehen lassen, die Entschädigung bis zum zwanzigfachen Betrage der Ablösung gewähren. Die Verzinsung des Staates beginnt von dem Tage der Ueberweisung der Renten, welche die Berechtigten zwei Monate vorher der vorgesetzten Kreis-Regierung anzuzeigen haben. A RT. 26. Ist nach dem Erscheinen des Gesetzes und noch vor der Ueberweisung der Grund-Renten einzelner Grundherren an den Staat eine Besitz-Veränderung eingetreten, so wird auf deren Anrufen die Regulirung des fälligen Handlohns und des nach Artikel 15. festzusetzenden Aequivalents durch die Distrikts-Polizei-Behörde vorgenommen. In solchen Fällen ist das von dem Grundholden eingezahlte Handlohn nebst der Ablösungs-Summe baar an den Grundherrn hinauszuvergüten, oder für letztere nach Artikel 15. der Bodenzins festzusetzen. Die Feststellung des Aequivalents für alle übrigen Fälle des laufenden Besitzes erfolgt mit der Ueberweisung der Gutsrenten. Diese festgesetzten Aequivalente werden sofort vom Aerar gegen Bezahlung von 78 Prozent des Betrages in 4prozentigen Ablösungs-Schuldbriefen nach dem Nennwerthe übernommen. A RT. 27. Für den Zweck der Ablösung werden unter voller Gewährleistung des Staates besondere mit 4 Prozent verzinsliche Ablösungs-Schuldbriefe in runden Summen auf 1000 fl., 500 fl., 100 fl. und 25fl. auf Namen oder Inhaber ausgestellt, welchen die damit erworbenen Grundrenten zum Unterpfande dienen.

A RT. 28. Wer dem Staate oder der Ablösungs-Kasse in Folge dieser Uebernahme von Privat-Grundrenten oder ursprünglich dem Staate eine jährliche fixe Grund-Abgabe schuldet, hat forthin statt derselben nur den 4prozentigen Zins des für dieselbe normirten Ablösungs-Kapitals, also statt 100 fl. Grund-Abgabe blos 72 fl. Zins aus dem jenen 100 fl. entsprechenden AblösungsKapitale bis zur Abtragung des Kapitals selbst zu entrichten. Mit dieser Umwandlung und Reduktion übernimmt der Pflichtige die Steuer von der bisherigen GrundAbgabe, und alle Ansprüche desselben auf Nachlaß cessiren. A RT. 29. Wer einem Berechtigten, dessen Renten an die Ablösungskasse nicht abgetreten worden sind, eine jährliche fixe Rente schuldet, ist berechtigt, statt der Fortentrichtung derselben ein zu 4 Prozent verzinsliches, von seiner Seite kündbares Bodenzins-Kapital auf das Achtzehnfache ihres jährlichen Betrages zu bestellen, von welchem Zeitpunkte an er nur mehr die 4prozentigen Zinsen des Bodenzins-Kapitals zu entrichten hat. Solche Bodenzins-Kapitalien genießen dieselben Vorrechte des Hypotheken-Gesetzes und der Prioritäts-Ordnung, welche die Grund-Renten, an deren Stelle sie treten, bisher genossen haben. – Mit dieser Umwandlung und Reduktion übernimmt der Pflichtige zugleich die Steuer der bisherigen Grund-Abgabe, und verzichtet auf jeden Anspruch auf Nachlaß. A RT. 30. Will der Pflichtige das Ablösungs-Kapital mittelst Annuitäten abtragen, so bezahlt er entweder sein bisheriges ganzes Geldreichniß oder die in Geld umgewandelte Naturalabgabe ohne Rücksicht auf die im Art. 28. normirte Reduktion 34 Jahre lang, oder neun Zehntel derselben 43 Jahre lang; nach Ablauf dieser Fristen ist er dann jeder weiteren Verpflichtung enthoben und die Ablösungs-Summe getilgt.

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BAYERN Solche Annuitäten genießen dieselben Vorrechte des Hypothekengesetzes und der Prioritäts-Ordnung, welche die Gefälle, an deren Stelle sie treten, bisher genossen haben. Diejenigen Pflichtigen, welche an diesen Annuitäten Ausstände erwachsen lassen, müssen die Annuität so viele Jahre länger entrichten, als die Zeit ihres Ausstandes beträgt. A RT. 31. Dem Pflichtigen ist gestattet, während dieser Zeit die bereits eingezahlten Tilgungsraten sammt Zinses-Zinsen zu 4 pCt. durch Erlegung des Restes seines Ablösungskapitals zu ergänzen, und so die vollständige Tilgung des letzteren vor Ablauf der im Art. 30. festgesetzten Termine zu bewirken. A RT. 32. Die ganzen Ablösungskapitale, die jährlichen Tilgungsraten und die im Art. 31. gestatteten Restzahlungen können in Ablösungs-Schuldbriefen nach dem Nennwerthe an die Ablösungskasse entrichtet werden. A RT. 33. An den für Uebernahme der Privat-Grundzinse von der Ablösungskasse ausgegebenen Schuldbriefen wird alljährlich durch baare Abzahlung nach dem Nennwerthe getilgt: 1) die in Annuitäten eingehende Summe, 2) die in Baarzahlungen von dem Pflichtigen eingehenden Tilgungskapitale und Restzahlungen, 3) der Belauf der Zinsen sämmtlicher mittelst Annuitäten und ihrer Restzahlungen bereits rückgekauften AblösungsSchuldbriefe. Waren unter 1. und 2. statt baarer Zahlung bereits Ablösungs-Schuldbriefe eingegangen, so geht deren Betrag von der zu tilgenden Summe dieses Jahres ab. Die wirklich jedes Jahr nach dem Nennwerth zur Einlösung gelangenden Ablö-

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sungs-Schuldbriefe werden durch das Loos bestimmt. A RT. 34. Dauernde Lasten, welche auf den Grundrenten ruhen, werden zu Kapital angeschlagen (bestehen sie in Jahresraten, im zwanzigfachen Betrage derselben), und sind durch Erlegung des Kapitalwerthes in Baarem oder in Ablösungs-Schuldbriefen der zu errichtenden Ablösungskasse ablösbar. Die Rechte derjenigen, zu deren Gunsten solche Lasten aufgelegt sind, desgleichen die Rechte der Mitbetheiligten oder Hypothekgläubiger gehen auf die Ablösungs-Kapitalien über. Die Berechtigten können zu ihrer Sicherheit verlangen, daß diese eingehenden Einlösungs-Summen oder Ablösungs-SchuldBriefe in so weit in gerichtliche Verwahrung genommen werden, als es durch den Inhalt ihrer Berechtigung gerechtfertigt ist. Fideicommißbesitzer genügen durch diese Hinterlegung den staats- und privatrechtlichen Bestimmungen der Verfassungs-Urkunde. A RT. 35. Die über das Ablösungsgeschäft sich ergebenden Verhandlungen sowie die auszustellenden Fixations- und Ablösungs-Urkunden sind tax- und stempelfrei zu behandeln. A RT. 36. Es wird eine eigene Ablösungskasse bei der StaatsschuldentilgungsAnstalt errichtet, welche unter Mitaufsicht ständischer Commissäre das ganze Ablösungsgeschäft nach den im gegenwärtigen Gesetze enthaltenen Bestimmungen, jedoch gänzlich getrennt von der Verwaltung der Staatsschuld und ihrer Fonds, zu besorgen hat. A RT. 37. Diese Kasse hat die weitere Bestimmung, auch den Grund- und Zehentholden jener Gemeinden, Stiftungen und Privaten, welche ihre Grundrenten nicht an sie

S ECHSTE R EVISION VON 1848 überwiesen haben, die Tilgung ihrer Grundlasten und der nach Art. 15. und 30. constituirten Bodenzinse durch Annuitäten möglich zu machen. Ein Pflichtiger welcher 28/100tel seiner ursprünglichen jährlichen Grundabgabe 34 Jahre lang, oder 18/100tel dieser Grundabgabe 43 Jahre lang an sie bezahlt, wird nach Ablauf dieser Periode von seiner Last befreit, indem die Ablösungskasse in diesem Falle das Ablösungskapital baar an den Berechtigten hinauszahlen muß. Ergänzt der Pflichtige während des Laufes der Tilgungs-Periode die bereits eingezahlten Tilgungsraten sammt Zinses-Zinsen zu 4% durch Erlegung des Restes seines Ablösungs-Kapitals, so muß die AblösungsKasse ihn sofort durch Befriedigung des Berechtigten befreien. Die Ablösungs-Kasse ist berechtigt und verpflichtet, mittelst der bei ihr in dieser Weise eingezahlten Annuitäten, Ablösungskapitale jener Rentenpflichtigen, die solche Annuitäten einzahlen, nach dem Nennwerthe abzulösen und an sich zu kaufen, und auch die 4%tigen Zinsen dieser Kapitale in gleicher Weise zu verwenden. A RT. 38. Die Verwendung der Ablösungs-Summen nach den Vorschriften des III. Titels der Verfassungs-Urkunde wird in dem Finanz-Gesetze jeder Periode festgesetzt, und jederzeit darin die genaue Einhaltung und Sicherstellung der Kapitals-Beträge der Annuitäten nachgewiesen, die in keinem Falle zu einem anderen Zwecke verwendet werden dürfen.

A RT. 39. Die Staats-Schulden-TilgungsCommission ist mit dem Vollzuge dieser Anordnung in Artikel 25. 27. 30. 32. 33. 36. und 37. beauftragt. Die näheren Bestimmungen über deren Durchführung wird eine Instruktion enthalten. A RT. 40. Die Bestimmung des Artikel 23. bezüglich der Ablösung nach dem 18fachen Betrage gilt auch von den Grundrenten in der Pfalz, auf welchen Regierungsbezirk die übrigen Normen dieses Gesetzes keine Anwendbarkeit haben. A RT. 41. Vorstehendes Gesetz ist in allen den Theilen, wo es Bestimmungen der Verfassungs-Urkunde abändert, ganz so zu betrachten, als ob es der Verfassungs-Urkunde selbst einverleibt wäre. Dasselbe ist durch das Gesetzblatt bekannt zu machen, und Unsere Staatsminister des Innern und der Finanzen sind mit dessen Vollzuge beauftragt. Gegeben München, den 4. Juni 1848. Maximilian. v. Thon-Dittmer. Heintz. Lerchenfeld. Weishaupt. Graf v. Bray. v. Strauß, Staatsrath. Nach dem Befehle Seiner Majestät des Königs: der geheime Secretär des Staatsraths, Rath Seb. v. Kobell. 1

Ediert nach Gesetz-Blatt für das Königreich Bayern, Jahrgang 1848, Nro. 13, München, Sp. 97–118.

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Siebte Revision von 1848 Gesetz, die Grundlagen der Gesetzgebung über die GerichtsOrganisation, über das Verfahren in Civil- und Strafsachen und über das Strafrecht betreffend1

Maximilian II. von Gottes Gnaden König von Bayern, Pfalzgraf bei Rhein, Herzog von Bayern, Franken und in Schwaben etc. etc. Wir haben nach Vernehmung Unseres Staatsrathes, mit Beirath und Zustimmung Unserer Lieben und Getreuen, der Stände des Reiches, unter Beobachtung der in Tit. X. §. 7. der Verfassungs-Urkunde vorgeschriebenen Formen, beschlossen und verordnen: A RT. 1. Die Rechtspflege soll von der Verwaltung, selbst in den untersten Behörden, gänzlich getrennt werden. A RT. 2. Der privilegirte Gerichtsstand der Standesherren, der erblichen Reichsräthe, der Adeligen, der Geistlichen, der höheren Staatsbeamten und des Fiskus soll aufhören. A RT. 3. Bei der Anordnung der Gerichte und der Festsetzung ihrer Zuständigkeit soll von folgenden Grundlagen ausgegangen werden. A RT. 4. Den untersten Gerichten werden zweckmäßige, mit den bisherigen im Allgemeinen übereinstimmende Sprengel angewiesen werden. A RT. 5. Sie urtheilen in Civilsachen als Einzelnrichter über diejenigen Streitigkeiten, welche hierzu durch die Geringfügigkeit des Streitsgegenstandes, oder durch die

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Einfachheit des Sach- und Rechts-Verhältnisses, oder durch die Nothwendigkeit einer schleunigen Entscheidung wegen Bedrohung der öffentlichen Ordnung, oder wegen Gefahr auf dem Verzuge, – geeignet sind. A RT. 6. Bei der Festsetzung dieser Zuständigkeit soll die in dem Prozeß-Gesetze vom 17. November 1837 §. 1. gegebene Aufstellung der zum beschleunigten Verfahren im mündlichen Verhör verwiesenen Streitigkeiten zum Anhaltspunkte dienen, vorbehaltlich zweckmäßiger Revision der dort aufgestellten Kategorien. A RT. 7. Diesen untersten Gerichten soll das Vormundschafts- und Hypothekenwesen belassen werden. Für die Notariats-Geschäfte sollen besondere Beamte aufgestellt werden. Mit dem Notariats- und Prozeß-Gesetze hat auch die Siegelmäßigkeit als Vorrecht aufzuhören. A RT. 8. Im Strafrecht sollen die untersten Gerichte ebenfalls als Einzelnrichter über die geringsten Strafsachen urtheilen; außerdem steht ihnen in Betreff der Untersuchung über Vergehen und Verbrechen der erste Zugriff und die Aufnahme der Anzeigen zu, sowie die Vollziehung der ihnen von dem Untersuchungs-Richter ertheilten Aufträge. A RT. 9. Die Bezirksgerichte sollen in

S IEBTE R EVISION VON 1848 Civilsachen in der Regel die erste Instanz bilden. Ausnahmen bilden die den Handels-Gerichten und die den Einzelnrichtern zugewiesenen Streitigkeiten. Sie sind die Berufungs-Instanz für die von den Einzelnrichtern abgeurtheilten Sachen, und überwachen dieselben in den übrigen ihnen zugewiesenen Funktionen. A RT. 10. Im Strafrechte haben sie: 1) die Leitung der von besonders bezeichneten Mitgliedern des Gerichts (Untersuchungs-Richtern) zu führenden Voruntersuchung über Verbrechen und Vergehen; 2) sie erkennen in zweiter Instanz über die von den Einzelnrichtern abgeurtheilten geringen Strafsachen, 3) in erster Instanz über die Vergehen; 4) sie erkennen unter Zuziehung von Geschwornen zur Entscheidung über die Schuld, über Verbrechen und jene Vergehen, welche ihnen gesetzlich zugewiesen werden, unter dem Vorsitze eines hiezu abgeordneten Rathes des Appellationsgerichts. Die Geschwornen dürfen nicht ursprünglich von der Regierung ernannt werden, sondern müssen aus Volkswahl hervorgegangen seyn.

lung von besonderen Staats-Anwälten bei den sämmtlichen Collegialgerichten bilden, zur Vermittlung der Aufsicht der Regierung auf die gesammte Rechtspflege, insbesondere zur Einwirkung auf die Beschleunigung, die Vollständigkeit und den gesetzlichen Gang der Untersuchungen, zur Durchführung der Anklagen, zur Aufrechthaltung der Disciplin und der Dienstes-Ordnung. Die Stellung und Wirksamkeit dieser Staatsbehörde ist in solcher Art anzuordnen, daß durch dieselbe die Unabhängigkeit der Gerichte auf keine Weise gefährdet, die richterliche Thätigkeit vielmehr um so vollständiger und reiner auf ihrem Standpunkte befestiget wird. A RT. 14. Das Verfahren in Civilsachen soll die unmittelbare mündliche öffentliche Verhandlung vor dem urtheilenden Gerichte zur wesentlichen Grundlage erhalten. Dieser Hauptverhandlung soll bei den Collegialgerichten eine nach dem Bedürfniß bemessene schriftliche Einleitung vorangehen, welche die Bestimmung hat, die streitigen Punkte zwischen den Partheien festzusetzen, und dem mündlichen Vortrage eine gründliche Unterlage zu verleihen.

A RT. 12. Der oberste Gerichtshof hat als Cassationshof die Bestimmung, daß derselbe durch Vernichtung der Civil- und Straf- Urtheile, welche eine Verletzung oder falsche Auslegung oder unrichtige Anwendung der Gesetze enthalten, die Einheit der Rechtssprechung im ganzen Reiche vermittelt.

A RT. 15. Bei der Ausführung dieses Systems soll hauptsächlich von den auf dem deutschen linken Rhein-Ufer bestehenden Einrichtungen, so weit sie sich durch die Erfahrung erprobt haben, ausgegangen werden. Was das bestehende Prozeß-Recht und die neueren Prozeß-Gesetze an brauchbarem Material darbieten, soll hiebei sorgfältig benützt und auf die Beibehaltung des Bestehenden so viel als möglich Bedacht genommen werden, jedoch unbeschadet der consequenten Durchführung der Grundprinzipien, welche jenem System zu Grunde liegen.

A RT. 13. Einen wesentlichen Bestandtheil der neuen Einrichtung soll die Aufstel-

A RT. 16. Das strafrechtliche Verfahren soll ebenfalls im Wesentlichen nach dem

A RT. 11. In jedem Kreise soll ein Appellationsgericht bestehen als BerufungsInstanz für die Urtheile der Bezirksgerichte in Civilsachen und über Vergehen. Bei Verbrechen soll die Anklage von dem Appellationsgerichte erkannt werden.

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BAYERN Vorbilde der auf dem linken Rhein-Ufer bestehenden Gesetzgebung geordnet werden. Insbesondere soll hiebei von folgenden Grundsätzen ausgegangen werden. A RT. 17. Niemand kann wegen Verbrechens oder Vergehens zu einer Strafe verurtheilt werden, außer vermöge eines nach vorgängiger Anklage gefällten Erkenntnisses. A RT. 18. Kein Straf-Erkenntniß kann anders, als nach einer vor den urtheilenden Richtern abgehaltenen mündlichen, die ganze Beweis-Aufnahme umfassenden Verhandlung gefällt werden. A RT. 19. Die Verhandlung über die erhobene Anklage ist bei Strafe der Richtigkeit öffentlich mit einziger Ausnahme derjenigen Fälle, in welchen das Gericht dafürhält, daß durch die Verhandlung Aergerniß oder Verletzung des Schamgefühles entstehen werde. A RT. 20. Der Ausspruch der Geschwornen über Schuld oder Nichtschuld der Angeklagten ist in Bezug auf die Artikel 10. Ziffer 4. erwähnten Fälle ein wesentlicher Bestandtheil des Straf-Verfahrens.

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A RT. 21. Das neue Polizey-StrafgesetzBuch soll sich auf jene geringeren Rechtsverletzungen erstrecken, deren Aburtheilung bisher den Polizei-Behörden zugewiesen war, und nach Artikel 7. nun auf die untersten Gerichte übertragen wird. A RT. 22. Die Richter aller Abstufungen sind inamovibel. – Sie können wider ihren Willen nur kraft rechtskräftigen Richter-Ausspruches ihrer Stellen enthoben oder versetzt werden. Unsere Staatsminister der Justiz und des Innern sind mit dem Vollzuge des gegenwärtigen Gesetzes beauftragt. Gegeben München, den 4. Juni 1848. Maximilian. v. Thon-Dittmer. Heintz. Lerchenfeld. Weishaupt. Graf v. Bray. v. Strauß, Staatsrath. Nach dem Befehle Seiner Majestät des Königs: der geheime Secretär des Staatsrathes, Rath Seb. von Kobell. 1

Ediert nach Gesetz-Blatt für das Königreich Bayern, Jahrgang 1848, Nro. 16, München, Sp. 137–146.

Achte Revision von 1848 Gesetz, die protestantischen General-Synoden und den Consistorialbezirk Speyer betreffend1

Maximilian II. von Gottes Gnaden König von Bayern, Pfalzgraf bei Rhein, Herzog von Bayern, Franken und in Schwaben etc. etc. Wir haben nach Vernehmung Unseres Staatsrathes und mit Beirath und Zustimmung Unserer Lieben und Getreuen, der Stände des Reiches, unter Beobachtung der im §. 7. Tit. X. der Verfassungs-Urkunde vorgeschriebenen Formen, beschlossen und verordnen wie folgt: A RT. I. Dem §. 7. des Ediktes über die innern kirchlichen Angelegenheiten der protestantischen Kirche in dem Königreiche vom 26. Mai 1818. ist der Zusatz beizufügen: „Die allgemeinen Synoden der Consistorial-Bezirke Ansbach und Bayreuth können auf Antrag des Oberconsistoriums mit königlicher Genehmigung in eine ungetrennte, an einem geeigneten Orte in einem dieser Bezirke abzuhaltende Versammlung vereinigt werden.“

sistoriums von dem Wirkungskreise desselben auszunehmen, und dem mit den Kirchenangelegenheiten beauftragten Staatsministerium unmittelbar unterzuordnen, wenn die General-Synode des genannten Consistorialbezirkes einen hierauf gerichteten Antrag stellen sollte. In diesem Falle wird das protestantische Consistorium in Speyer mit einem selbstständigen Vorstande versehen, und, so weit nöthig, mit geistlichen Mitgliedern verstärkt. A RT. IV. Gegenwärtiges Gesetz tritt bezüglich der Artikel I. und II. mit dem heutigen Tage, in Ansehung des Artikels III. nach Eintritt der darin bemerkten Voraussetzung in Wirksamkeit, und wird zum StaatsGrundgesetze erhoben. Unser Staatsminister des Innern für Kirchen- und Schul-Angelegenheiten ist mit dem Vollzuge beauftragt. Gegeben München, den 4. Juni 1848. Maximilian.

A RT. II. In demselben §. 7. sind die Worte: „zur Berathung über innere Kirchenangelegenheiten“ durch die Worte: „zur Berathung über Angelegenheiten der protestantischen Kirche des Königreichs Bayern“ zu ersetzen. A RT. III. Die Staatsregierung ist ermächtiget, den Consistorialbezirk Speyer nach Vernehmung des protestantischen Obercon-

v. Thon-Dittmer. Heintz. Lerchenfeld. Weishaupt. Graf v. Bray. v. Strauß, Staatsrath. Nach dem Befehle Seiner Majestät des Königs: der geheime Secretär des Staatsrathes, Rath Sebastian v. Kobell. 1

Ediert nach Gesetz-Blatt für das Königreich Bayern, Jahrgang 1848, Nro. 17, München, Sp. 149–152.

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Verfassung von Berg (1812)

Constitution de Berg (1812)

Kaiserliches Decret, welches die Organisation des Staatsraths und des Collegiums betrifft1

Décret impérial portant organisation du Conseil d’état et du Collége1

Napoleon, Kaiser der Franzosen, König von Italien, Beschützer des Rheinbundes, Vermittler des Schweizerbundes, etc.;

NAPOLÉON , E MPEREUR DES F RAN ÇAIS , ROI D ’I TALIE , P ROTECTEUR DE LA C ONFÉDÉRATION DU R HIN , M ÉDIATEUR DE LA C ONFÉDÉRATION SUISSE , ETC . ;

Auf den Bericht unseres Ministers und Staatssecretairs des Großherzogthums Berg, Haben Wir verordnet und verordnen wie folgt:

Sur le rapport de notre Ministre et Secrétaire d’état du grand-duché de Berg, N OUS AVONS DÉCRÉTÉ ET DÉCRÉTONS ce qui suit:

A RT. 1. In dem Großherzogthum Berg soll ein Staatsrath bestehen von vierzehn Mitgliedern und acht Auditeurs; imgleichen ein Collegium des Großherzogthums, welches aus fünf und achtzig Mitgliedern zusammengesetzt seyn wird.

A RT. 1. Il y aura dans le grand-duché de Berg un conseil d’état composé de quatorze membres et de huit auditeurs, et un collége du Grand-Duché, composé de quatre-vingtcinq membres.

ERSTER ABSCHNITT

SECTION I

Vom Staatsrath

Du conseil d’état

[A RT. 2.] Die Geschäfte des Staatsraths beginnen mit dem ersten May und bestehen darin:

A RT. 2. Les fonctions du conseil d’état seront, à compter du 1.er Mai,

1) Ueber die Entwürfe der Decrete zu berathen, welche ihm auf unseren Befehl zur

1.° De discuter les projets de décrets qui seront renvoyés par notre ordre à son exa-

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B ERG Prüfung zugesandt werden, und Uns darüber ein Gutachten abzugeben;

men, et de nous en donner son avis ;

2) Ueber die Irrungen zu entscheiden, welche sich zwischen den Verwaltungs- und gerichtlichen Behörden erheben, wenn unser Commissair ihn dazu auffordert, so wie auch über die Frage, ob öffentliche Beamten vor Gericht gezogen werden sollen.

2.° De prononcer, lorsque notre Commissaire en fera la proposition, sur les conflits qui s’élèveront entre l’administration et les tribunaux, et sur la mise en jugement des fonctionnaires publics.

Auch kann die Entscheidung des Staatsraths auf den bloßen Antrag der Parteyen wegen eines Conflicts zwischen den Verwaltungs- und gerichtlichen Behörden erfolgen, insofern von einer Forderung oder Streitigkeit über Arbeiten, Dienste, Anschaffungen und jeder Art Lieferungs-Contracte die Rede ist, welche mit dem Gouvernement entweder für den Staat oder für den Fürsten geschlossen worden sind.

Il pourra être saisi par simple requête des parties, en matière de conflits entre l’administration et les tribunaux, en cas de demandes ou contestations pour travaux, services, fournitures et tous marchés faits avec le Gouvernement, soit pour l’état ou pour le prince ;

3) Ueber die streitigen Gegenstände in der Verwaltung zu beschließen;

3.° De statuer sur le contentieux de l’administration ;

4) Die allgemeinen und besondern Rechnungen über die öffentlichen Gelder in Einnahme und Ausgabe zu prüfen.

4.° De juger les comptes généraux et particuliers des deniers publics en recette et dépense.

A RT. 3. Der Staatsrath zerfällt in zwey Abtheilungen, wovon die eine die streitigen, die andere aber die Rechnungs-Angelegenheiten behandelt. Beyde vereinigen sich aber in ein Ganzes, wenn über Entwürfe von Decreten, die auf unseren Befehl dahin gesandt werden, verhandelt und über Irrungen, welche sich zwischen den Verwaltungs- und gerichtlichen Behörden erhoben haben, so wie über die Frage, ob öffentliche Beamten vor Gericht gezogen werden sollen, berathschlagt wird, wenn unser Commissair ihn dazu aufgefordert haben wird.

A RT. 3. Le conseil d’état sera divisé en deux sections, celle du contentieux et celle de la comptabilité. Il se réunira en entier pour la discussion des projets de décrets qui lui seront renvoyés par notre ordre, et pour délibérer sur les conflits élevés entre l’administration et les tribunaux, ainsi que sur la mise en accusation des fonctionnaires publics, lorsque les propositions en seront faites par notre Commissaire.

A RT. 4. Bey dem Staatsrath führt der Minister der Justiz das Präsidium.

A RT. 4. Le conseil d’état sera présidé par le Ministre de la justice.

Jede Abtheilung erhält einen Präsideten aus ihren Mitgliedern, welcher durch einen Patentbrief dazu ausersehen wird, und einen Secretair-Greffier.

Chaque section aura un président qui sera désigné par lettres patentes entre ses membres, et un secrétaire-greffier.

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C ONSTITUTION DE B ERG (1812) A RT. 5. Ein Mitglied der Abtheilung für Rechnungs-Angelegenheiten wird in derselben Art dazu ausersehen, bey derselben das Amt eines General-Procureurs wahrzunehmen. Die Auditeurs sind zum Dienst bey dieser Rechnungsabtheilung bestimmt, und verrichten daselbst die Geschäfte der Referendarien.

A RT. 5. Un membre de la section de comptabilité sera désigné de la même manière pour remplir près d’elle les fonctions de procureur général. Les auditeurs seront attachés au service de la section de comptabilité, et y rempliront l’office de référendaires.

A RT. 6. Der Secretair der Abtheilung für streitige Angelegenheiten versieht das Amt eines General-Secretairs des Staatsraths.

A RT. 6. Le secrétaire de la section du contentieux fera l’office de secrétaire-général du conseil.

ZWEYTER ABSCHNITT

SECTION II

Von dem Collegium des Großherzogthum

Du collége du Grand-Duché

§1

§1

Verrichtungen des Collegiums

Fonctions du collége

A RT. 7. Das Collegium wird alle Jahr auf den Grund von Uns zu erlassender Berufungsschreiben versammlet; dasselbe wird auf den Vorschlag des Finanzministers, die Vertheilung der directen Steuern auf die Departements, Arrondissements und Commünen machen. Die Generalberechnungen über die Staatseinnahmen und Ausgaben sollen demselben vorgelegt werden. Es gibt über diese Rechnungen sowohl, als über die Einnahmen und Ausgaben, welche den Gegenstand derselben ausmachen, sein Gutachten; es äußert seine Wünsche in Absicht der bereits bestehenden und noch zu erlassenden Gesetze, nicht weniger in Absicht der in allen Theilen der Verwaltung zu treffenden Verbesserungen, und ist berufen, uns seine Bemerkungen und Wünsche durch eine Deputation von fünf Mitgliedern vorzutragen.

[A RT. 7.] Le collége sera réuni tous les ans, en vertu de lettres de convocation émanées de nous. Il fera la répartition de la contribution directe entre les départemens, les arrondissemens et les communes, sur la proposition du Ministre chargé des finances. Les comptes généraux des recettes et dépenses de l’état lui seront remis. Il exprimera son opinion sur ces comptes, ainsi que sur les recettes et dépenses qui en sont l’objet. Il exprimera son vœu sur les lois faites et à faire, sur les améliorations à entreprendre dans toutes les parties de l’administration ; il est admis à nous présenter ses observations et son vœu par une députation de cinq membres.

A RT. 8. Die General-Departementalräthe, die Arrondissementsräthe, und die Präfec-

A RT. 8. Les conseils généraux de département, les conseils d’arrondissement et les

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B ERG turräthe sind aufgehoben.

conseils de préfecture sont supprimés.

A RT. 9. Die Verrichtungen der bisherigen Präfecturräthe werden den Tribunälen der ersten Instanz an dem Hauptorte der Präfectur beygelegt, und von diesen nach der Verwaltungsform versehen. Die Appellation wider die dort erlassenen Verfügungen gehet an den Staatsrath. Wenn die Tribunäle erster Instanz diese Verrichtungen üben, so bilden dieselben eine Verwaltungs-Deputation, wobey der Präfect den Vorsitz führt.

A RT. 9. Les fonctions départies aux conseils de préfecture seront réunies à celles des tribunaux de première instance des chefs-lieux de préfecture, pour être exercées suivant les formes administratives et à charge d’appel au conseil d’état. Lorsque les tribunaux de première instance rempliront ces fonctions, ils se formeront en comité d’administration et seront présidés par le préfet.

§2 Bildung und Zusammensetzung des Collegiums

§2 Formation et composition du collége

A RT. 10. Das Collegium des Großherzogthums wird bestehen:

A RT. 10. Le collége du Grand-Duché sera composé :

1) Aus zehn durch Patentbriefe dazu berufenen Mitgliedern, welche sich vortheilhaft, sey es in Civil- oder Militairdiensten ausgezeichnet haben;

1.° De dix membres désignés, par lettrespatentes, entre les hommes distingués par leurs services civils ou militaires ;

2) Aus fünf und siebenzig Mitgliedern, welche durch die Versammlungen der Notablen des Cantons auf einer Liste von sechs hundert der zu höchst besteuerten des Großherzogthums unmittelbar ernannt werden.

2.° De soixante-quinze membres qui seront nommés immédiatement par des assemblées de notables de canton, sur une liste des six cents plus imposés du Grand-Duché.

Der Präsident der Versammlung wird entweder in unserem ZusammenberufungsSchreiben ausersehen, oder von der Versammlung durch die Stimmenmehrheit gewählt, wenn solches nicht durch vorerwähntes Schreiben geschehen seyn mögte.

Le président du collége sera désigné par nos lettres de convocation, ou nommé par l’assemblée à la majorité des suffrages, s’il ne l’est par lesdites lettres.

A RT. 11. Jeder Canton ernennt die Anzahl Mitglieder, welche in dem, diesem Decret sub N.o 1 beygefügten Verzeichnisse bestimmt ist.

A RT. 11. Chaque canton nommera le nombre de membres déterminé par le tableau N.o 1, annexé au présent décret.

A RT. 12. Die Mitglieder der Versammlung bleiben solches so lange sie leben.

A RT. 12. Les membres du collége sont à vie.

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V ERFASSUNG VON B ERG (1812) A RT. 13. Die Liste der sechshundert zu höchst besteuerten wird von dem Finanzminister angefertigt, und Uns zur Genehmigung vorgelegt. Die zwey zu allerhöchst besteuerten eines jeden Cantons müssen nothwendig darin aufgenommen werden. Diese Liste wird alle fünf Jahre berichtiget und ergänzt, und Uns zur Genehmigung vorgelegt. Die Einschreibung in diese Liste gilt ebenfalls für die ganze Lebenszeit.

A RT. 13. La liste des six cents plus imposés sera formée par le Ministre des finances et soumise à notre approbation. Les deux plus imposés de chaque canton y entreront nécessairement. Elle sera vérifiée et complétée tous les cinq ans et soumise à notre approbation.

L’inscription sur cette liste est à vie.

A RT. 14. Die Ernennungen geschehen auf den Grund einer geheimen Stimmensammlung nach der absoluten Stimmenmehrheit.

A RT. 14. Les nominations se feront au scrutin à la majorité absolue.

A RT. 15. Wenn ein und dasselbe Individuum von mehrern Cantons ernannt ist, so hat dasselbe die Wahl unter diesen, und diejenigen Cantons, deren Ernennung es nicht angenommen hat, erwählen alsdann eine andere Person an dessen Stelle.

A RT. 15. Si un individu est nommé par plusieurs cantons, il optera : et les cantons dont il n’aura point accepté la nomination éliront une autre personne à sa place.

A RT. 16. Die Qualität eines Mitgliedes dieser Versammlung und die Einschreibung in die Liste der sechshundert zu höchst besteuerten gehet verloren:

A RT. 16. La qualité de membre du collége et l’inscription sur la liste des six cents plus imposés se perdent :

1) Durch die in einem fremden Lande erlangte Naturalisirung;

1.° Par la naturalisation en pays étranger ;

2) Durch die Annahme von Aemtern und Pensionen, welche von einem fremden Gouvernement angeboten werden;

2.° Par l’acceptation de fonctions ou pensions offertes par un gouvernement étranger ;

3) Durch die Verurtheilung in Leibesoder entehrende Strafen.

3.° Par la condamnation à des peines afflictives ou infamantes.

Eben so wird die Qualität und die Einschreibung suspendirt:

Elles sont suspendues :

1) Wenn jemand fallirt hat oder unmittelbarer Erbe und titulo gratuito Inhaber der ganzen Nachlassenschaft eines Fallirten oder eines Theils derselben geworden ist;

1.° Par l’état de débiteur failli ou d’héritier immédiat détenteur à titre gratuit de la succession totale ou partielle d’un failli ;

2) Wenn Jemand gerichtlich interdicirt, eines Verbrechens angeklagt oder in contu-

2.° Par l’état d’interdiction judiciaire, d’accusation ou de contumace.

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B ERG maciam wider ihn verfahren wird. A RT. 17. Alle fünf Jahre werden die erledigten Stellen im Collegium des Großherzogthums durch die Cantons-Wahlen ersetzt. Die Notablen sollen des Endes von unserm Commissair im Großherzogthum zusammen berufen werden.

A RT. 17. Tous les cinq ans, les places vacantes dans le collége du Grand-Duché seront remplies par des élections cantonales. Les assemblées des notables seront convoquées pour cet effet par notre Commissaire dans le Grand-Duché.

§3

§3

Versammlungen der Notabeln der Cantons

Des assemblées des notables de canton

A RT. 18. Die Cantonsversammlungen der Notabeln bestehen aus einer Anzahl von Notabeln, welche für jeden Canton in dem sub N.o 2 anliegenden Verzeichnisse bestimmt ist.

A RT. 18. Les assemblées cantonales de notables sont composées du nombre de notables déterminé pour chaque canton dans le tableau annexé sous N.° 2.

A RT. 19. Die Notablen werden aus einer Liste der, zu höchst besteuerten eines jeden Cantons gewählt.

A RT. 19. Les notables seront choisis sur une liste des plus imposés de chaque canton.

A RT. 20. Die Liste der zu höchst besteuerten eines jeden Cantons besteht aus einer Anzahl von Personen, welche das, sub N.o 3 anliegende Verzeichniß bestimmt.

A RT. 20. La liste des plus imposés de chaque canton sera composée du nombre de personnes déterminé dans le tableau annexé sous le N.° 3.

A RT. 21. Bey diesen Cantons-Versammlungen führt ein erster Notabler den Vorsitz, welcher aus den zu höchst besteuerten gewählt wird. Im Fall der Abwesenheit des ersten Notabeln wird der Präsident durch geheime Stimmensammlung gewählt.

A RT. 21. Les assemblées cantonales sont présidées par un premier notable choisi entre les plus imposés. En cas d’absence du premier notable, elles élisent leur président au scrutin.

A RT. 22. Die Qualität des ersten Notablen, so wie die des Notablen, imgleichen die Einschreibung in die Liste der zu höchst besteuerten des Cantons dauert auf Lebenszeit.

A RT. 22. La qualité de premier notable, celle de notable, l’inscription sur la liste des plus imposés du canton, sont à vie.

A RT. 23. Den Verlust oder die Suspension derselben begründen die nämlichen Ursachen, welche oben im Artikel 16 vorgekommen sind.

A RT. 23. Elles se perdent ou sont suspendues pour les causes énoncées en l’article 16.

182

C ONSTITUTION DE B ERG (1812) A RT. 24. Die Liste von den, in jedem Canton zu höchst besteuerten wird von dem Finanzminister angefertigt, und alle fünf Jahre ergänzt.

A RT. 24. La liste cantonale des plus imposés sera formée par le Ministre des finances. Il la complétera tous les cinq ans.

A RT. 25. Die erste Cantonliste der Notablen besteht aus denjenigen Personen, welche durch Patentbriefe dazu werden ausersehen werden. Sie wird alle fünf Jahre durch geheime Stimmensammlung nach der Mehrheit der Stimmen aus den, auf der Liste der zu höchst besteuerten stehenden Personen, von der Versammlung der Notablen selbst ergänzt, welche zu solchem Behuf von unserem Commissair zusammen berufen wird.

A RT. 25. La première liste cantonale des notables sera composée des personnes qui seront désignées par lettres-patentes. Elle sera complétée tous les cinq ans à la majorité et au scrutin, sur la liste des plus imposés, par l’assemblée des notables euxmêmes, qui sera convoquée à cet effet par notre Commissaire.

Die solchergestalt ausersehenen Personen wenden sich an den Minister der Justiz, um vor dem Antritt, ihrer Amtsverrichtungen unsere Patentbriefe zu erhalten.

Les personnes ainsi désignées s’adresseront au Ministre de la justice pour obtenir nos lettres-patentes avant d’entrer en fonctions.

A RT. 26. Der erste Notable eines jeden Cantons wird durch Patentbriefe unter den zehn zu höchst besteuerten des Cantons ausersehen. Zur Wiederbesetzung einer etwa erledigt werdenden Stelle, sollen die ersten Notablen aus einer Liste von drey Notablen ausersehen werden, welche aus den zehn zu höchst besteuerten von der Canton-Versammlung bey ihrer ersten Zusammenkunft gewählt worden sind.

A RT. 26. Le premier notable de chaque canton sera désigné par lettres-patentes entre les dix plus imposés du canton. Pour les remplacemens en cas de vacance, les premiers notables seront désignés sur une liste de trois notables choisis, entre les dix plus imposés, par l’assemblée cantonale, à sa première réunion.

A RT. 27. Unser Minister und Staatssecretair des Großherzogthums Berg ist mit der Ausübung des gegenwärtigen Decrets beauftragt.

A RT. 27. Notre Ministre et Secrétaire d’état du grand-duché de Berg est chargé de l’exécution du présent décret.

Unterschrieben Napoleon

Signé NAPOLÉON.

Auf Befehl des Kaisers: der Minister und Staatssecretair des Großherzogthums Berg, unterschr. Graf Röderer

Par l’Empereur : Le Ministre et Secrétaire d’état du grand-duché de Berg, signé LE COMTE RŒDERER.

Für gleichlautende Ausfertigung: Der Minister des Innern und der Justiz, unterschr. Graf Nesselrode

Pour ampliation : Le Ministre de l’Intérieur et de Justice ; signé LE COMTE DE NESSELRODE.

(Folgen die Verzeichnisse).

(Suivent les tableaux.)

183

B ERG

Verzeichniß der Cantons, und der für jeden Canton zu ernennenden Anzahl Deputirten

Tableau des Cantons et du nombre de députés à nommer pour chaque canton

Cantons

Düsseldorf . . . . . . . . . . . . . Ratingen . . . . . . . . . . . . . . . Velbert . . . . . . . . . . . . . . . . . Mettmann . . . . . . . . . . . . . . Richrath . . . . . . . . . . . . . . . . Opladen . . . . . . . . . . . . . . . . Mülheim . . . . . . . . . . . . . . . Bensberg . . . . . . . . . . . . . . . Lindlar . . . . . . . . . . . . . . . . . Siegburg . . . . . . . . . . . . . . . Königswinter . . . . . . . . . . . Hennef . . . . . . . . . . . . . . . . . Elberfeld . . . . . . . . . . . . . . . Barmen . . . . . . . . . . . . . . . . Ronsdorf . . . . . . . . . . . . . . . Lennep . . . . . . . . . . . . . . . . . Wipperfürth . . . . . . . . . . . . Wermelskirchen . . . . . . . . . Solingen . . . . . . . . . . . . . . . Essen . . . . . . . . . . . . . . . . . . Werden . . . . . . . . . . . . . . . . Duisburg . . . . . . . . . . . . . . . Dinslacken . . . . . . . . . . . . . Recklinghausen . . . . . . . . . Dorsten . . . . . . . . . . . . . . . . 184

Cantons

4 1 1 1 1 1 2 1 1 1 1 1 3 2 1 2 1 1 2 1 1 2 1 1 1

Dusseldorf . . . . . . . . . . . . . Ratingen . . . . . . . . . . . . . . . Velbert . . . . . . . . . . . . . . . . . Mettmann . . . . . . . . . . . . . . Richrath . . . . . . . . . . . . . . . . Opladen . . . . . . . . . . . . . . . . Mulheim . . . . . . . . . . . . . . . Bensberg . . . . . . . . . . . . . . . Lindlar . . . . . . . . . . . . . . . . . Siegbourg . . . . . . . . . . . . . . Kœnigswinter . . . . . . . . . . . Hennef . . . . . . . . . . . . . . . . . Elberfeld . . . . . . . . . . . . . . . Barmen . . . . . . . . . . . . . . . . Ronsdorf . . . . . . . . . . . . . . . Lennep . . . . . . . . . . . . . . . . . Wipperfurth . . . . . . . . . . . . Wermelskirchen . . . . . . . . . Solingen . . . . . . . . . . . . . . . Essen . . . . . . . . . . . . . . . . . . Werden . . . . . . . . . . . . . . . . Duisbourg . . . . . . . . . . . . . . Dinslacken . . . . . . . . . . . . . Recklinghausen . . . . . . . . . Dorsten . . . . . . . . . . . . . . . .

Nombre de députés à nommer pour chaque canton.

N.° 1

Anzahl der für jeden Canton zu ernennden Deputirt.

(N.° 1)

4 1 1 1 1 1 2 1 1 1 1 1 3 2 1 2 1 1 2 1 1 2 1 1 1

Dortmund . . . . . . . . . . . . . . Bochum . . . . . . . . . . . . . . . . Hoerde . . . . . . . . . . . . . . . . . Unna. . . . . . . . . . . . . . . . . . . Werne . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lüdinghausen . . . . . . . . . . . Sendenhorst . . . . . . . . . . . . Hamm . . . . . . . . . . . . . . . . . Soest. . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beckum . . . . . . . . . . . . . . . . Oelde . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lippstadt . . . . . . . . . . . . . . . Rheda . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sassenberg . . . . . . . . . . . . . Wahrendorf . . . . . . . . . . . . . Hagen . . . . . . . . . . . . . . . . . Schwelm . . . . . . . . . . . . . . . Hattingen . . . . . . . . . . . . . . Limburg . . . . . . . . . . . . . . . . Iserlohn . . . . . . . . . . . . . . . . Neuenrade . . . . . . . . . . . . . . Lüdenscheid . . . . . . . . . . . . Dillenburg . . . . . . . . . . . . . . Herborn . . . . . . . . . . . . . . . . Driedorf . . . . . . . . . . . . . . . . Rennerod . . . . . . . . . . . . . . . Hadamar . . . . . . . . . . . . . . . Siegen . . . . . . . . . . . . . . . . . Netphen . . . . . . . . . . . . . . . . Eitorf . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Cantons

2 1 1 2 1 1 1 2 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 2 1 1 1 2 2 1 1

Dortmund . . . . . . . . . . . . . . Bochum . . . . . . . . . . . . . . . . Hœrde . . . . . . . . . . . . . . . . . Unna. . . . . . . . . . . . . . . . . . . Werne . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ludinghausen . . . . . . . . . . . Sendenhorst . . . . . . . . . . . . Hamm . . . . . . . . . . . . . . . . . Soest. . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beckum . . . . . . . . . . . . . . . . Oelde . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lippstadt . . . . . . . . . . . . . . . Rhéda . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sassenberg . . . . . . . . . . . . . Wahrendorf . . . . . . . . . . . . . Hagen . . . . . . . . . . . . . . . . . Schwelm . . . . . . . . . . . . . . . Hattingen . . . . . . . . . . . . . . Limbourg . . . . . . . . . . . . . . Iserlohn . . . . . . . . . . . . . . . . Neuenrade . . . . . . . . . . . . . . Ludenscheid . . . . . . . . . . . . Dillenbourg . . . . . . . . . . . . Herborn . . . . . . . . . . . . . . . . Driedorf . . . . . . . . . . . . . . . . Rennerod . . . . . . . . . . . . . . . Hadamar . . . . . . . . . . . . . . . Siegen . . . . . . . . . . . . . . . . . Netphen . . . . . . . . . . . . . . . . Eitorf . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Nombre de députés à nommer pour chaque canton.

Cantons

Anzahl der für jeden Canton zu ernennden Deputirt.

V ERFASSUNG VON B ERG (1812)

2 1 1 2 1 1 1 2 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 2 1 1 1 2 2 1 1

185

Waldbroel . . . . . . . . . . . . . . Homburg . . . . . . . . . . . . . . . Gummersbach . . . . . . . . . .

1 1 1 75

Cantons

Waldbrœl. . . . . . . . . . . . . . . Hombourg . . . . . . . . . . . . . . Gummersbach . . . . . . . . . .

Nombre de députés à nommer pour chaque canton.

Cantons

Anzahl der für jeden Canton zu ernennden Deputirt.

B ERG

1 1 1 75

Verzeichniß der Cantons, und der Anzahl der Notablen woraus die Cantons-Versammlung besteht

Tableau des cantons et du nombre de notables qui formeront l’assemblée de canton

Cantons

Düsseldorf . . . . . . . . . . . . . Ratingen . . . . . . . . . . . . . . . Velbert . . . . . . . . . . . . . . . . . Mettmann . . . . . . . . . . . . . . Richrath . . . . . . . . . . . . . . . . Opladen . . . . . . . . . . . . . . . . Mülheim . . . . . . . . . . . . . . . Bensberg . . . . . . . . . . . . . . . Lindlar . . . . . . . . . . . . . . . . . Siegburg . . . . . . . . . . . . . . . Königswinter . . . . . . . . . . . Hennef . . . . . . . . . . . . . . . . . Elberfeld . . . . . . . . . . . . . . . Barmen . . . . . . . . . . . . . . . .

186

100 50 50 50 50 50 60 40 40 50 50 50 100 60

Cantons

Dusseldorf . . . . . . . . . . . . . Ratingen . . . . . . . . . . . . . . . Velbert . . . . . . . . . . . . . . . . . Mettmann . . . . . . . . . . . . . . Richrath . . . . . . . . . . . . . . . . Opladen . . . . . . . . . . . . . . . . Mulheim . . . . . . . . . . . . . . . Bensberg . . . . . . . . . . . . . . . Lindlar . . . . . . . . . . . . . . . . . Siegbourg . . . . . . . . . . . . . . Kœnigswinter . . . . . . . . . . . Hennef . . . . . . . . . . . . . . . . . Elberfeld . . . . . . . . . . . . . . . Barmen . . . . . . . . . . . . . . . .

Nombre des notables qui formeront l’assemblée de canton.

N.° 2

Anzahl der Notablen, woraus die Cantonsversammlung besteht.

(N.° 2)

100 50 50 50 50 50 60 40 40 50 50 50 100 60

Ronsdorf . . . . . . . . . . . . . . . Lennep . . . . . . . . . . . . . . . . . Wipperfürth . . . . . . . . . . . . Wermelskirchen . . . . . . . . . Solingen . . . . . . . . . . . . . . . Essen . . . . . . . . . . . . . . . . . . Werden . . . . . . . . . . . . . . . . Duisburg . . . . . . . . . . . . . . . Dinslacken . . . . . . . . . . . . . Recklinghausen . . . . . . . . . Dorsten . . . . . . . . . . . . . . . . Dortmund . . . . . . . . . . . . . . Bochum . . . . . . . . . . . . . . . . Hoerde . . . . . . . . . . . . . . . . . Unna. . . . . . . . . . . . . . . . . . . Werne . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lüdinghausen . . . . . . . . . . . Sendenhorst . . . . . . . . . . . . Hamm . . . . . . . . . . . . . . . . . Soest. . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beckum . . . . . . . . . . . . . . . . Oelde . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lippstadt . . . . . . . . . . . . . . . Rheda . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sassenberg . . . . . . . . . . . . . Wahrendorf . . . . . . . . . . . . . Hagen . . . . . . . . . . . . . . . . . Schwelm . . . . . . . . . . . . . . . Hattingen . . . . . . . . . . . . . . Limburg . . . . . . . . . . . . . . . .

50 60 50 40 60 50 30 60 50 50 50 50 50 40 60 40 30 30 60 50 40 40 50 30 40 30 40 50 50 40 30

Cantons

Ronsdorf . . . . . . . . . . . . . . . Lennep . . . . . . . . . . . . . . . . . Wipperfurth . . . . . . . . . . . . Wermelskirchen . . . . . . . . . Solingen . . . . . . . . . . . . . . . Essen . . . . . . . . . . . . . . . . . . Werden . . . . . . . . . . . . . . . . Duisbourg . . . . . . . . . . . . . . Dinslacken . . . . . . . . . . . . . Recklinghausen . . . . . . . . . Dorsten . . . . . . . . . . . . . . . . Dortmund . . . . . . . . . . . . . . Bochum . . . . . . . . . . . . . . . . Hœrde . . . . . . . . . . . . . . . . . Unna. . . . . . . . . . . . . . . . . . . Werne . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ludinghausen . . . . . . . . . . . Sendenhorst . . . . . . . . . . . . Hamm . . . . . . . . . . . . . . . . . Soest. . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beckum . . . . . . . . . . . . . . . . Oelde . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lippstadt . . . . . . . . . . . . . . . Rheda . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sassenberg . . . . . . . . . . . . . Wahrendorf . . . . . . . . . . . . . Hagen . . . . . . . . . . . . . . . . . Schwelm . . . . . . . . . . . . . . . Hattingen . . . . . . . . . . . . . . Limbourg . . . . . . . . . . . . . .

Nombre des notables qui formeront l’assemblée de canton.

Cantons

Anzahl der Notablen, woraus die Cantonsversammlung besteht.

C ONSTITUTION DE B ERG (1812)

50 60 50 40 60 50 30 60 50 50 50 50 50 40 60 40 30 30 60 50 40 40 50 30 40 30 40 50 50 40 30

187

Iserlohn . . . . . . . . . . . . . . . . Neuenrade . . . . . . . . . . . . . . Lüdenscheid . . . . . . . . . . . . Dillenburg . . . . . . . . . . . . . . Herborn . . . . . . . . . . . . . . . . Driedorf . . . . . . . . . . . . . . . . Rennerod . . . . . . . . . . . . . . . Hadamar . . . . . . . . . . . . . . . Siegen . . . . . . . . . . . . . . . . . Netphen . . . . . . . . . . . . . . . . Eitorf . . . . . . . . . . . . . . . . . . Waldbroel . . . . . . . . . . . . . . Homburg . . . . . . . . . . . . . . . Gummersbach . . . . . . . . . .

40 40 50 60 30 30 50 60 60 50 50 50 40 50 2,860

Cantons

Iserlohn . . . . . . . . . . . . . . . . Neuenrade . . . . . . . . . . . . . . Ludenscheid . . . . . . . . . . . . Dillenbourg . . . . . . . . . . . . Herborn . . . . . . . . . . . . . . . . Driedorf . . . . . . . . . . . . . . . . Rennerod . . . . . . . . . . . . . . . Hadamar . . . . . . . . . . . . . . . Siegen . . . . . . . . . . . . . . . . . Netphen . . . . . . . . . . . . . . . . Eitorf . . . . . . . . . . . . . . . . . . Waldbrœl. . . . . . . . . . . . . . . Hombourg . . . . . . . . . . . . . . Gummersbach . . . . . . . . . .

Nombre des notables qui formeront l’assemblée de canton.

Cantons

Anzahl der Notablen, woraus die Cantonsversammlung besteht.

B ERG

40 40 50 60 30 30 50 60 60 50 50 50 40 50 2,860

Verzeichniß der Cantons und der Anzahl der Personen, welche auf die Liste der, zu höchst besteuerten, gebracht werden sollen

Tableau des Cantons et du nombre de personnes à porter sur la liste des plus imposés

Cantons

Düsseldorf . . . . . . . . . . . . . Ratingen . . . . . . . . . . . . . . .

188

200 160

Cantons

Dusseldorf . . . . . . . . . . . . . Ratingen . . . . . . . . . . . . . . .

Nombre de personnes à porter sur la liste des plus imposés.

N.° 3

Anzahl der Personen, welche auf die Listen gebracht werden sollen.

(N.° 3)

200 160

Velbert . . . . . . . . . . . . . . . . . Mettmann . . . . . . . . . . . . . . Richrath . . . . . . . . . . . . . . . . Opladen . . . . . . . . . . . . . . . . Mülheim . . . . . . . . . . . . . . . Bensberg . . . . . . . . . . . . . . . Lindlar . . . . . . . . . . . . . . . . . Siegburg . . . . . . . . . . . . . . . Königswinter . . . . . . . . . . . Hennef . . . . . . . . . . . . . . . . . Elberfeld . . . . . . . . . . . . . . . Barmen . . . . . . . . . . . . . . . . Ronsdorf . . . . . . . . . . . . . . . Lennep . . . . . . . . . . . . . . . . . Wipperfürth . . . . . . . . . . . . Wermelskirchen . . . . . . . . . Solingen . . . . . . . . . . . . . . . Essen . . . . . . . . . . . . . . . . . . Werden . . . . . . . . . . . . . . . . Duisburg . . . . . . . . . . . . . . . Dinslacken . . . . . . . . . . . . . Recklinghausen . . . . . . . . . Dorsten . . . . . . . . . . . . . . . . Dortmund . . . . . . . . . . . . . . Bochum . . . . . . . . . . . . . . . . Hoerde . . . . . . . . . . . . . . . . . Unna. . . . . . . . . . . . . . . . . . . Werne . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lüdinghausen . . . . . . . . . . . Sendenhorst . . . . . . . . . . . . Hamm . . . . . . . . . . . . . . . . .

140 130 120 140 140 110 110 140 120 150 200 160 140 180 120 100 130 130 80 200 120 150 160 140 140 110 180 110 90 80 140

Cantons

Velbert . . . . . . . . . . . . . . . . . Mettmann . . . . . . . . . . . . . . Richrath . . . . . . . . . . . . . . . . Opladen . . . . . . . . . . . . . . . . Mulheim . . . . . . . . . . . . . . . Bensberg . . . . . . . . . . . . . . . Lindlar . . . . . . . . . . . . . . . . . Siegbourg . . . . . . . . . . . . . . Kœnigswinter . . . . . . . . . . . Hennef . . . . . . . . . . . . . . . . . Elberfeld . . . . . . . . . . . . . . . Barmen . . . . . . . . . . . . . . . . Ronsdorf . . . . . . . . . . . . . . . Lennep . . . . . . . . . . . . . . . . . Wipperfurth . . . . . . . . . . . . Wermelskirchen . . . . . . . . . Solingen . . . . . . . . . . . . . . . Essen . . . . . . . . . . . . . . . . . . Werden . . . . . . . . . . . . . . . . Duisbourg . . . . . . . . . . . . . . Dinslacken . . . . . . . . . . . . . Recklinghausen . . . . . . . . . Dorsten . . . . . . . . . . . . . . . . Dortmund . . . . . . . . . . . . . . Bochum . . . . . . . . . . . . . . . . Hœrde . . . . . . . . . . . . . . . . . Unna. . . . . . . . . . . . . . . . . . . Werne . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ludinghausen . . . . . . . . . . . Sendenhorst . . . . . . . . . . . . Hamm . . . . . . . . . . . . . . . . .

Nombre de personnes à porter sur la liste des plus imposés.

Cantons

Anzahl der Personen, welche auf die Listen gebracht werden sollen.

V ERFASSUNG VON B ERG (1812)

140 130 120 140 140 110 110 140 120 150 200 160 140 180 120 100 130 130 80 200 120 150 160 140 140 110 180 110 90 80 140

189

Soest. . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beckum . . . . . . . . . . . . . . . . Oelde . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lippstadt . . . . . . . . . . . . . . . Rheda . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sassenberg . . . . . . . . . . . . . Wahrendorf . . . . . . . . . . . . . Hagen . . . . . . . . . . . . . . . . . Schwelm . . . . . . . . . . . . . . . Hattingen . . . . . . . . . . . . . . Limburg . . . . . . . . . . . . . . . . Iserlohn . . . . . . . . . . . . . . . . Neuenrad . . . . . . . . . . . . . . . Lüdenscheid . . . . . . . . . . . . Dillenburg . . . . . . . . . . . . . . Herborn . . . . . . . . . . . . . . . . Driedorf . . . . . . . . . . . . . . . . Rennerod . . . . . . . . . . . . . . . Hadamar . . . . . . . . . . . . . . . Siegen . . . . . . . . . . . . . . . . . Netphen . . . . . . . . . . . . . . . . Eitorf . . . . . . . . . . . . . . . . . . Waldbroel . . . . . . . . . . . . . . Homburg . . . . . . . . . . . . . . . Gummersbach . . . . . . . . . .

1

160 80 100 120 50 110 70 90 140 140 110 60 90 100 160 120 80 90 150 160 160 120 130 150 90 130 7,540

Ediert nach Gesetz-Bulletin des Großherzogthums Berg – Bulletin des Lois du Grand-Duché de Berg, Vierter Jahrgang (1812), Nro. 34–38, Düsseldorf, S. 34–52.

190

Cantons

Sœst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beckum . . . . . . . . . . . . . . . . Oelde . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lippstadt . . . . . . . . . . . . . . . Rheda . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sassenberg . . . . . . . . . . . . . Wahrendorf . . . . . . . . . . . . . Hagen . . . . . . . . . . . . . . . . . Schwelm . . . . . . . . . . . . . . . Hattingen . . . . . . . . . . . . . . Limbourg . . . . . . . . . . . . . . Iserlohn . . . . . . . . . . . . . . . . Neuenrade . . . . . . . . . . . . . . Ludenscheid . . . . . . . . . . . . Dillenbourg . . . . . . . . . . . . Herborn . . . . . . . . . . . . . . . . Driedorf . . . . . . . . . . . . . . . . Rennerod . . . . . . . . . . . . . . . Hadamar . . . . . . . . . . . . . . . Siegen . . . . . . . . . . . . . . . . . Netphen . . . . . . . . . . . . . . . . Eitorf . . . . . . . . . . . . . . . . . . Waldbrœl. . . . . . . . . . . . . . . Hombourg . . . . . . . . . . . . . . Gummersbach . . . . . . . . . .

1

Nombre de personnes à porter sur la liste des plus imposés.

Cantons

Anzahl der Personen, welche auf die Listen gebracht werden sollen.

B ERG

160 80 100 120 50 110 70 90 140 140 110 60 90 100 160 120 80 90 150 160 160 120 130 150 90 130 7,540

Ediert nach Gesetz-Bulletin des Großherzogthums Berg – Bulletin des Lois du Grand-Duché de Berg, Vierter Jahrgang (1812), Nro. 34–38, Düsseldorf, S. 35–53.

C ONSTITUTION DE B ERG (1812) Das Dekret wurde am 15. März 1812 erlassen. Bei diesem Organisationsdekret handelt es sich um die erste formelle Verfassung des Großherzogthums. Bis zu diesem Zeitpunkt existierten lediglich punktuelle Regelungen in verschiedenen Dekreten. Da bereits 1815 die Auflösung des Großherzogthums Berg durch die im Rahmen des Wiener Kongresses beschlossene preußische Besitzergreifung erfolgte (vgl. die entsprechende Passage in der Wiener Kongreßakte, abgedruckt bei Philipp Anton Guido Meyer (Hrsg.) / Heinrich Zöpfl (Fortführer), Corpus Iuris Confoederationis Germanicae oder Staatsakten für Geschichte und öffentliches Recht des Deutschen Bundes, Teil 1: Staatsverträge, Neudruck der 3. Aufl. von 1858, Aalen 1978, S. 254 (259) sowie das ausführende Patent, abgedruckt bei Johann Ludwig Klüber (Hrsg.), Acten des Wiener Congresses in den Jahren 1814–1815, Siebenter Band, Osnabrück 1966 (Neudruck der Ausgabe von 1817), S. 286–288), gibt es keine nachfolgende Verfassung. Für weiterführende Angaben siehe Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften (Hrsg.), Quellen zu den Reformen der Rheinbundstaaten, Band 1: Regierungsakten des Großherzogtums Berg 1806–1813, bearb. von Klaus Rob, München 1992; Meent W. Francksen, Staatsrat und Gesetzgebung im Großherzogtum Berg (1806–1813), Frankfurt am Main u.a. 1982, insbes. S. 173ff.; Michael Hecker, Napoleonischer Konstitutionalismus in Deutschland, Berlin 2005, insbes. S. 58–62; Huber, Verfassungsgeschichte I, S. 90; Charles Schmidt, Das Großherzogtum Berg 1806–1813, Eine Studie zur französischen Vorherrschaft in Deutschland unter Napoleon I., hrsg. v. Burkhard Dietz und Jörg Engelbrecht, Neustadt/Aisch 1999.

Hierbei handelt es sich um die identische französische Fassung des kaiserlichen Organisationsdekretes für das Großherzogthum Berg. Für weitere Angaben vgl. die dortigen Hinweise.

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Verfassung von Braunschweig (1820) Verordnung, die erneuerte Landschafts-Ordnung betreffend. D.D. Carlton House, den 25sten April 18201

Wir GEORG der Vierte, von Gottes Gnaden König des vereinigten Reichs Großbritannien und Irland, auch König von Hannover, Herzog zu Braunschweig und Lüneburg etc. In vormundschaftlicher Regierung Unsers vielgeliebten Vetters, Herrn Carl, Herzogs zu Braunschweig und Lüneburg. etc. fügen hiemit zu wissen: Demnach wir den, in Gefolg Unserer Verordnung vom 6ten September voriges Jahres, zu Braunschweig versammelten Ständen des Herzogthums BraunschweigWolfenbüttel und des Fürstenthums Blankenburg vor allen andern Propositionen zuvörderst den Entwurf einer revidirten Landschafts-Ordnung für beide Länder vorlegen lassen, und derselbe, nach den darüber gepflogenen Unterhandlungen und erfolgter Vereinbarung, folgendermaßen wörtlich abgefaßt und von den Ständen angenommen und vollzogen worden:

TITEL I Von dem Wesen und den Bestandtheilen der Landschaft, den Eigenschaften und Wahlen ihrer Mitglieder § 1. Die vereinten Stände des Herzogthums Braunschweig-Wolfenbüttel und des Fürstenthums Blankenburg repräsentiren die Gesammtheit der Einwohner beider Länder ohne besondere Beziehung auf die verschiedenen Classen, denen sie angehören, und haben dieselben auf den Landtagen und

bei allen ständischen Versammlungen und Berathschlagungen zu vertreten, deren Interesse und Rechte verfassungsmäßig wahrzunehmen und die letztern insonderheit auf die, in der gegenwärtigen Landschafts-Ordnung vorgeschriebene Art und Weise in Ausübung zu bringen. § 2. Die gesammte Landschaft bildet ein, aus zwei einander an Rechten und Ansehen völlig gleichen Sectionen bestehendes, ungetrenntes Ganzes. Die erste derselben begreift die Hälfte der bisherigen PrälatenCurie und die Besitzer der bisher landtagsfähigen Güter, die zweite die andere Hälfte der bisherigen Prälaten-Curie, die Deputirten der Städte und die Abgeordneten der Besitzer ländlicher freier Güter, welche bislang nicht landtagsfähig waren. § 3. Zu der Ritterschaft gehören alle Eigenthümer der bisher mit Sitz und Stimme auf den Landtagen berechtigten und im Besitz der Landstandschaft befindlichen adlichen Güter, jedoch die Güter, welche die Landesherrschaft erworben hat, ausgeschlossen, namentlich die Besitzer der Rittergüter zu 1) Allrode, 2) Altena, 3) Ampleben, 4) Astfeld, 5) Bahrum, 6) Buchhagen, 7) Benzingerode, Oberhof, 8) Benzingerode, Unterhof, 9) Bisperode,

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B RAUNSCHWEIG 10) Bodenburg, 11) Braunschweig, Küchenhof, 12) Brunkensen, 13) Brunsrode, 14) Burgdorf, 15) Büstedt, 16) Cattenstedt, 17) Deensen, 18) Kl. Denkte, 19) Destedt, Oberburg, 20) Destedt, Unterburg, 21) Dettum, 22) Düsterthal, 23) Duttenstedt, 24) Engerode, 25) Esbeck, 26) Gittelde, 27) Glentorf, 28) Halchter, 29) Hedwigsburg, 30) Hehlen, 31) Herrhausen, 32) Hilprechtshausen, 33) Ildehausen, 34) Kirchberg, 35) Kirchbraak, Oberhof, 36) Kirchbraak, Unterhof, 37) Königslutter, Oberhof, 38) Königslutter, Unterhof, 39) Küblingen, 40) Lauingen, 41) Lesse, 42) Linden, 43) Linden, 44) Lutter am Barenberge und Rhode, 45) Meinbrexen, 46) Neindorf, 47) Nienhagen, 48) Niedern-Sickte, 49) Nordsteimke, 50) Oelber, Oberhof, 51) Oelber, Unterhof, 52) Remmlingen, 53) Riddagshausen, 54) Rimmerode, 55) Rottorf,

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56) Sambleben, 57) Scheppau, 58) Groß Sisbeck, 59) Schliestedt, 60) Schöningen, Canzlerhof, 61) Schöningen, Schulhof, 62) Seesen, 63) Stadtoldendorf, 64) Süpplingenburg, 65) Thiede, 66) Thune, 67) Timmenrode, 68) Groß Twülpstedt, 69) Groß Vahlberg, 70) Klein Vahlberg, 71) Veltheim an der Ohe, 72) Volkersheim, Oberhof, 73) Volkersheim, Niederhof, 74) Watzum, 75) Wendessen, 76) Westerbraak, 77) Windhausen und 78) Wolperode. Die Virilstimme auf den Landtagen haftet auf dem jetzigen ganzen Umfange der in die Rittermatrikel eingetragenen Zubehörungen der Güter, und soll eine Zerstückelung derselben, oder die Veräußerung solcher inmatrikulirter Parcelen den Verlust des Stimm-Rechts zur Folge haben, wofern der Besitzer des Guts davon nicht vorher bei dem permanenten Ausschusse der Landschaft Anzeige gemacht und auf dessen Bericht an den Landesherrn die höchste Genehmigung seines Vorhabens erlangt hat. § 4. Aus der bisher bestandenen Curie der Prälaten erscheinen als Mitglieder der ersten Section die Aebte der Stifter und Klöster Königsluttter, Amelunxborn, Riddagshausen, die Decane oder Deputirte der Stifter St. Blasii und St. Cyriaci und der Probst des Stiftes Steterburg, und als Mitglieder der zweiten Section die Aebte oder Pröbste der Stifter und Klöster Marienthal,

V ERFASSUNG VON B RAUNSCHWEIG (1820) Michaelstein, Marienberg, Lorenz, Frankenberg, Clus und Brunshausen. § 5.Von Seiten der Städte des Landes wohnen deren Abgeordnete der zweiten Section bei, und zwar für die Hauptstadt Braunschweig sechs Deputirte, für Wolfenbüttel und Helmstedt zwei; und jede der übrigen Städte, namentlich Blankenburg, Gandersheim, Hasselfelde, Holzminden, Königslutter, Schöningen, Schöppenstedt, Seesen und Stadtoldendorf sendet ein Mitglied zu der Versammlung. § 6. Für den Stand der nicht zu der Ritterschaft gehörigen Grundbesitzer auf dem Lande wird in jedem Kreisgerichte aus der Zahl der sowohl auf dem platten Lande, als in den Städten und Flecken ansässigen Schrift- und Freisassen ein Deputirter ausersehen und der zweiten Section zugeordnet. Die Güter und Höfe derselben dürfen in ihren Hauptbestandtheilen keiner Dienstoder Meier-Verpflichtung unterworfen seyn, und sollen von dem darüber aufgenommenen Verzeichnisse die betreffenden Auszüge den verschiedenen Kreisgerichten zugefertigt werden, um sich derselben bei den einzuleitenden Wahlen zu bedienen. Das Stimm-Recht und die Wahlfähigkeit der Besitzer solcher Güter und Höfe haftet auf dem jetzigen Umfange derselben und geht eben so, wie bei den Rittergütern §. 3 festgesetzt worden, durch Trennung und Veräußerung der Theile derselben verloren. § 7. Es kann die solchergestalt zusammengesetzte Landschaft mit keinem neuen Mitgliede vermehrt und insonderheit die Landstandschaft keinem Gute anders beigelegt werden, als mit Bewilligung des Landesherrn und Zustimmung der ständischen Section, in welche ein neues Mitglied aufgenommen werden soll. § 8. Um auf dem Landtage erscheinen zu können, wird erfordert, daß derjenige, welcher dabei Sitz und Stimme führen

will, volljährig, der christlichen Religion zugethan, nicht wegen Verbrechen in Untersuchung sey, oder zu einer härtern, als Geld- oder simpeln Gefängnißstrafe verurtheilt worden. § 9. Wenn Jemand mehr, als ein Rittergut besitzt, so ist er doch nur zu einer Stimme berechtigt; auch haben mehrere, welchen ein solches gemeinschaftlich zugehört, davon nur eine Stimme zu führen, und hängt es von ihnen ab, wem sie unter sich dieselbe übertragen wollen. Niemand kann auf einem und demselben Landtage persönlich in den beiden Sectionen zugleich auftreten, wohl aber in der, wo er nicht selbst erscheint, einen Bevollmächtigten stellen. Wer vermöge seines Amtes in eine der beiden Sectionen eintritt, muß da persönlich anwesend seyn, wo ihm das Amt den Platz anweiset. Wer als Besitzer eines Ritterguts zu einer Virilstimme berechtigt, zugleich aber, wegen eines ihm zugehörigen Freisassenguts, zum Deputirten der Freisassen erwählt ist, muß persönlich in der zweiten Section sich einfinden. § 10. Frauenzimmer können nicht in Person auf dem Landtage erscheinen. Für Verheirathete wird das auf ihren Gütern ruhende Stimm-Recht von ihren Ehemännern ausgeübt; Unverheirathete können es von einem Bevollmächtigten ausüben lassen, jedoch muß der letztere selbst Rittergutsbesitzer seyn. Für Minderjährige geschieht solches durch ihre Vormünder. Den Haussohn vertritt der Vater, wenn wegen seines Gutes keine besondere Vormundschaft angeordnet ist. Ueberhaupt kann jeder Rittergutsbesitzer, so wie jedes, vermöge seines Amtes, eintretende Mitglied der Landschaft, wenn es verhindert wird, in Person auf dem Landtage zu erscheinen, zur Führung seiner Stimme einen Mitstand oder ein Rittergutsbesitzer einen seiner volljährigen Söhne, bei Fideicommissen den Substituirten, schriftlich bevollmächtigen, jedoch muß das Hin-

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B RAUNSCHWEIG derniß jedes Mal bescheiniget werden, und mehr als zwei solcher Vollmachten darf kein Landstand übernehmen. Für in Concurs gerathene Rittergüter ruht das StimmRecht so lange, als der Concurs dauert. § 11. Die Städte werden durch den Vorsteher der die Güter der Stadt verwaltenden Behörde (Bürgermeister oder wie der erste Stadtbeamte nach der bestehenden oder künftig einzurichtenden Verwaltungs-Ordnung heißen möge) vertreten, daher auch in den Städten Braunschweig, Wolfenbüttel und Helmstedt der Stadt-Director, erste Stadtrath oder Bürgermeister, vermöge seines Amts, einer der von diesen Städten abzuordnenden Deputirten ist. Die übrigen fünf Abgeordneten der Stadt Braunschweig müssen aus der Bürgerschaft gewählt werden, und zwar dergestalt, daß zwei derselben aus den Großhändlern, Banquiers und Fabrikherren, die drei Andern aber aus der übrigen Kaufmannschaft, den kleinern Fabrikanten, Rentirern, Künstlern oder Handwerkern und anderen bürgerliche Nahrung treibenden Personen zu nehmen; auch müssen diese Deputirte sämmtlich mit Grundstücken angesessen seyn. Ein Gleiches gilt von den zu wählenden Deputirten der Städte Wolfenbüttel und Helmstedt, welche ebenfalls zu den Classen der bürgerliche Gewerbe treibenden Einwohner gehören müssen. Diese Abgeordneten der erwähnten Städte werden für jeden Landtag von den StadtDeputirten durch die Mehrheit der Stimmen gewählt und geschieht diese Wahl unter Leitung der Justiz-Behörde, welche den Gewählten davon benachrichtigt und darüber eine Urkunde zur Legitimation desselben ausfertigt, sich jedoch alles Einflusses auf die Wahl selbst zu enthalten hat. Findet sich bei mehreren gewählten Personen eine Gleichheit der Stimmen, so entscheidet das Loos unter ihnen. § 12. Die Deputirten der zur zweiten Section gehörigen Besitzer freier, bisher nicht

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landtagsfähiger, Güter werden durch freie Wahl von den Besitzern selbiger Güter ernannt, und zwar dergestalt, daß dieselben, so viel ihrer im Umfange des Kreisgerichts sich befinden, auf Veranlassung und unter Leitung des Kreisgerichts zusammentreten und ihren Deputirten durch Mehrheit der Stimmen aus ihrer Mitte erwählen. Es können jedoch unter den Besitzern der Freisassen-Güter nur solche zu Deputirten erwählt werden, welche den Ackerbau als ihr Hauptgewerbe betreiben, nicht aber diejenigen, bei welchen andere bürgerliche Verhältnisse vorherrschend sind. Wenn in einem Kreisgerichte weniger, als drei solcher freier Gutsbesitzer vorhanden seyn sollten, so kann unter diesen eine solche Wahl nicht Statt finden, sondern selbige müssen, auf Veranlassung ihres Kreisgerichts, mit den Deputirten eines benachbarten Kreisgerichts zur Wahl zusammentreten, durch welche sodann auf dieselbe Weise, wie vorsteht, die Deputirten für beide Kreisgerichte durch Stimmenmehrheit ernannt werden. Das Kreisgericht, mit dessen Deputirten solchergestalt zur Wahl zusammenzutreten ist, ist dasselbe, vor welchem die Beamten des betreffenden Kreisgerichts in persönlichen Sachen, nach Anleitung der Verordnung vom 24sten Februar 1814, Recht zu nehmen haben, nur mit der Ausnahme, daß, eintretenden Falls, die Kreisgerichte Wolfenbüttel und Riddagshausen nicht mit den Städten Wolfenbüttel und Braunschweig, sondern unter sich gegenseitig zusammentreten sollen. Von dem betreffenden Kreisgerichte wird dem vorstehendermaßen erwählten Abgeordneten zu seiner Legitimation eine gerichtliche Ausfertigung darüber gegeben, auch von der getroffenen Wahl an die Landesherrschaft berichtet. Die bisherigen Abgeordneten, sowohl der Städte als der ländlichen Grundbesitzer, können bei einer neuen Zusammenkunft der Landstände in gleicher Eigenschaft wieder

V ERFASSUNG VON B RAUNSCHWEIG (1820) gewählt werden und erscheinen. § 13. Sollten ganz besondere und wichtige Gründe eintreten, warum Jemand dem in ihn gesetzten Vertrauen nicht entsprechen und das ihm durch die Wahl übertragene Amt eines Deputirten einer Stadt oder eines Kreisgerichtsbezirks nicht annehmen kann, so muß er solches, nach erhaltener Benachrichtigung, der betreffenden Behörde sofort anzeigen, damit von derselben wegen einer neuen Wahl das Nöthige zeitig verfügt werde.

TITEL II Von den Pflichten und Rechten der Landstände § 14. Die erste und heiligste Pflicht der Landstände besteht darin, daß sie die Wohlfahrt und das Beste des Vaterlandes und ihrer Mitbürger in dem ihnen angewiesenen Würkungskreise, ohne alle Nebenabsichten und Rücksichten auf einzelne Personen und Verhältnisse, nach ihrer besten Einsicht mit Gewissenhaftigkeit zu befördern suchen und bei allen Angelegenheiten und Vorfällen, wo ihre Einwilligung und Mitwürkung und ihr Rath erfordert wird, hauptsächlich vor Augen haben. Hiernächst haben dieselben bei Ausübung der ständischen Rechte und Befugnisse und bei allen Verhandlungen der Landschaft die bestehende Verfassung und festgesetzte Ordnung genau zu beobachten. § 15. Da, der bisherigen Verfassung nach, nur die Reichs-, Kreis- und Prinzessinnen-Steuern, so wie überhaupt die zur nothwendigen Vertheidigung des Vaterlandes erforderlichen Auflagen, ohne vorherige Verwilligung der Stände, aufgebracht werden mußten, so erhält dieser Grundsatz im Wesentlichen bei der allgemeinen Besteuerung des Landes auch ferner seine Anwendung.

Nur versteht es sich bei den inzwischen in Deutschland eingetretenen Veränderungen der Staatsverhältnisse, und da vermöge derselben die Verfügungen und Beschlüsse der Bundesversammlung für sämmtliche Deutsche Staaten verbindlich sind, daß die danach und zur Erfüllung der Bundesverpflichtungen des Landes erforderlichen Steuern und Lasten von den Unterthanen getragen und statt der vormaligen Reichsund Kreisanlagen auch ferner nach Bedürfniß aufgebracht werden müssen. Wenn aber zu anderen Staatszwecken und Einrichtungen neue Abgaben den Einwohnern des Landes auferlegt und von ihnen entrichtet werden sollen, so kann solches nicht anders, als mit Einwilligung der Stände geschehen. Ein Gleiches gilt von neuen Leistungen, welche den Unterthanen auferlegt werden sollen und nicht unter der ihnen obliegenden Landfolge, als Kriegsfuhren und dergleichen, hergebrachten Lasten begriffen sind. Es darf solchemnach in Hinsicht der bestehenden Auflagen und Leistungen keine Veränderung ohne Concurrenz der Landstände getroffen werden. § 16. Es macht hiebei keinen Unterschied, welche Gegenstände solche allgemeine Landesauflagen und Leistungen betreffen, ob sie auf Grundstücke, Vermögen, Personen, Gewerbe, oder auf den Verbrauch von Lebensmitteln und Consumtibilien gelegt werden sollen; hingegen ist diese erforderliche Bewilligung der Stände nicht auf solche Abgaben und Leistungen zu ziehen, welche vermöge der höchsten Polizeigewalt zur Leitung des Handels und der Gewerbe oder zur Ausführung nöthig befundener polizeilicher Einrichtungen und Maßregeln anzuordnen sind, als wohin namentlich Zölle und Weggelder und Packhaus-Entrichtungen zu rechnen sind. Indessen sollen, hinsichtlich der zu entrichtenden Chausseegelder, künftige Abänderungen des bestehenden Tarifs nicht ohne Zustimmung der

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B RAUNSCHWEIG Stände vorgenommen werden. Eben so wenig bedarf es der ständischen Concurrenz und Zustimmung in Hinsicht der Aufbringung und Repartition der, ihrer Natur und Beschaffenheit nach, einzelnen Gemeinden, Städten, Ortschaften und Districten obliegenden Lasten, Ausgaben und Kosten, welche nach den Bestimmungen der Regierung durch die betreffenden Behörden zu reguliren sind. Es versteht sich jedoch von selbst, daß hierunter nur die Ausgaben für die Bedürfnisse jedes Orts gemeint sind, und daß allgemeine Landesanlagen oder Einrichtungen nicht unter der Benennung von Gemeindelasten eingeführt oder erhoben, oder den Gemeinden auferlegt werden sollen. § 17. Das ständische Steuerverwilligungs-Recht erstreckt sich übrigens bei seiner Ausübung nicht blos auf die Art und den Betrag der öffentlichen Abgaben und Leistungen, sondern auch auf die Grundsätze und Verhältnisse, nach welchen selbige auf Gegenstände oder Personen zu legen und zu vertheilen sind, so wie auf die Dauer, Erhebungsweise und Verwendung der aufzulegenden Steuer. Nachdem über alles dieses zwischen der Landesherrschaft und den versammelten Ständen die nöthigen Unterhandlungen und Berathungen gepflogen und eine gemeinsame Uebereinkunft getroffen worden, wird in deren Gemäßheit die verwilligte Auflage durch eine auf die gewöhnliche Weise, und mit Bezug auf die gepflogene Unterhandlung mit der Landschaft, zu publicirende landesherrliche Verordnung ausgeschrieben und ihre Erhebung verfügt. § 18. Die Bestimmung, daß ohne vorgängige Bewilligung der gesammten Stände keine allgemeine Steuer oder Leistung ausgeschrieben werden kann, leidet nur die einzige Ausnahme, wenn in sehr dringenden Fällen das Bedürfniß und Beste des Landes es nicht erlaubt, mit der Ausschreibung der nöthigen Steuer oder Leistung bis zur

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Versammlung der gesammten Landschaft Anstand zu nehmen. Wäre ein solcher dringender Fall eingetreten, so wird die Landesherrschaft darüber mit den von den Ständen ernannten Mitgliedern des §. 19 erwähnten Steuer-Collegii, als beständigen Deputirten der Stände, zum Behuf der einstweilen zu treffenden Maßregeln communiciren, und diese haben alsdann, insofern die Eile der Sache solches erlauben sollte, mit dem zu bildenden größeren Ausschusse der Landschaft zusammen zu treten und sich zu vereinigen. Die hienach vorläufig getroffenen Verfügungen und Anordnungen müssen jedoch auf dem nächsten Landtage den gesammten Ständen eröffnet, ihnen die vorgewalteten Umstände, welche die Aufbringung einer außerordentlichen Steuer oder die Auferlegung einer neuen Leistung nothwendig gemacht, dargelegt und, nachdem auf ihre Zustimmung angetragen worden und darüber Berathung geschehen, die weitern Verfügungen mit ihnen gemeinschaftlich beschlossen und zur Ausführung gebracht werden. § 19. Die verwilligten und ausgeschriebenen Steuern aller Art sollen unter der Aufsicht und Leitung eines von dem Landesherrn und den Ständen gemeinschaftlich besetzten und abhängigen Landessteuer-Collegii erhoben, verwaltet und berechnet werden. Dieses Collegium ist in Hinsicht seiner Amtsführung sowohl dem Landesherrn, als den Ständen dahin verpflichtet und verantwortlich, daß in Absicht der Erhebung und Verwaltung der Steuern überall den bestehenden Landesgesetzen gemäß verfahren werde. Würden in besondern Fällen specielle Instructionen für dasselbe erforderlich, so sollen selbige von der Landesherrschaft mit den Ständen concertirt werden. Es wird aus acht Mitgliedern oder Räthen bestehen, von welchen die eine Hälfte von

V ERFASSUNG VON B RAUNSCHWEIG (1820) dem Landesherrn und die andere von den Ständen ernannt wird. Dem Landesherrn ist es überlassen, die Beeidigung und Einführung der Mitglieder des Steuer-Collegii zu verfügen und zu bestimmen, wer unter ihnen den Vorsitz darin zu führen habe, so wie Höchstdemselben auch die Ernennung des dabei anzustellenden Secretairs und der subalternen Officianten zusteht. § 20. Das Landessteuer-Collegium hat, als zu seinem Wirkungskreise gehörig, folgende ihm obliegende Geschäfte zu besorgen: 1) die bei dem Steuer-Departement und dessen verschiedenen Zweigen nöthigen Beamten und Officianten zur landesherrlichen Anstellung vorzuschlagen und hiernächst zu verpflichten, zu bestallen und zu instruiren; 2) nach den getroffenen Bestimmungen über die Erhebung und Verwendung der bestehenden und verwilligten Steuern, die jährlichen Etats über die Einnahme und Ausgabe der Steuer-Cassen zu entwerfen und zur landesherrlichen Genehmigung einzusenden; 3) in Gemäßheit der genehmigten Etats die Erhebung der Steuern anzuordnen und exsequiren zu lassen, auch wegen der nachgesuchten, oder in Antrag kommenden Remissionen Vorschläge zu thun; 4) auf gleiche Weise die Verwilligungen, Zahlungsbefehle und Anweisungen an die Steuer-Erheber und Verwalter zu erlassen und dahin zu sehen, daß solchem gemäß die eingehobenen Gelder wirklich verwandt, und insonderheit die zu den Local-Bedürfnissen nicht angewiesenen Gelder in die allgemeine unter der Aufsicht und Verwaltung des Collegii stehende Steuer-Casse richtig abgeliefert werden; 5) die allgemeine und genaue Aufsicht über die Local-Steuer-Cassen und deren Verwaltung zu führen;

6) die Steuer-Erheber und Verwalter zu einer ordnungsmäßigen und übersichtlichen Führung ihrer Rechnungen, so wie zu gehöriger und prompter Ablegung derselben anzuweisen und anzuhalten, auch zur Controlirung der Rechnungsführer zweckmäßige Einrichtungen zu treffen; 7) die eingereichten Rechnungen über die verschiedenen Steuer-Erhebungen sorgfältig moniren und revidiren zu lassen, auch abzunehmen, hiernächst aber die abgenommenen und darauf Bezug habenden besonderen Rechnungen, nebst den Monitis, deren Beantwortung und darauf abgegebenen Resolutis an das Fürstl. Geheime-RathsCollegium einzusenden, worauf besagtes Collegium eine nochmalige Revision und wegen Liberation der Rechnungsführer das Erforderliche verfügen wird; 8) die Verwaltung der allgemeinen Steuer-Casse, welche dem Collegio, abgesondert von den landesherrlichen Cassen, untergeordnet wird und die Disposition über die darin befindlichen Gelder zu den im voraus angewiesenen Zwecken. So wenig aber die Landesherrschaft über die Steuer-Casse einseitig verfügen wird, eben so wenig darf dies von Seiten des Steuer-Collegii zu anderen, als den bestimmt vorgeschriebenen Zwecken geschehen. Würden daher Ueberschüsse in der Steuer-Casse entstehen, über deren Verwendung im voraus noch nicht bestimmt wäre, so hat das Steuer-Collegium darüber, wie solche zum Besten des Landes am Besten zu verwenden, gutachtlichen Bericht an die Landesherrschaft zu erstatten und erst nach erfolgter deren Zustimmung oder anderweiter gemeinschaftlicher Uebereinkunft darüber demgemäß zu verfügen. Die jährliche Rechnung über die allgemeine Steuer-Casse wird der Landesherrschaft abgelegt, welche selbige revidiren und die etwanigen Bemerkungen erledigen, auch bei jedesmaligem Landtage den versammelten Landständen vorlegen läßt.

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B RAUNSCHWEIG 9) Hat das Landes-Steuer-Collegium die Direction der allgemeinen Brandversicherungs-Anstalt zu übernehmen und 10) die von der Landesregierung verlangten oder sonst durch die Geschäftsführung veranlaßten Berichte, Gutachten und Vorschläge in Steuersachen auszuarbeiten und einzureichen. Ob die Besorgung der das Landes-Schuldenwesen betreffenden und dahin einschlagenden Angelegenheiten dem Steuer-Collegio, oder einer eigenen gemeinschaftlichen Commission zu übertragen, und welche Grundsätze und nähere Bestimmungen über diesen wichtigen Gegenstand anzunehmen und festzusetzen, am zweckmäßigsten seyn werde, wird einer besondern Berathung und Uebereinkunft zwischen der Landesherrschaft und den Ständen vorbehalten. § 21. Die Geschäfte dieser gemeinschaftlichen Steuerbehörde werden ganz collegialisch behandelt. Zeigen sich daher bei den Verhandlungen getheilte Meinungen, so entscheidet, ohne Unterschied des vorliegenden Gegenstandes, jederzeit die Mehrheit der Stimmen; bei einer sich ergebenden Gleichheit derselben giebt aber die Stimme des vorsitzenden Mitgliedes den Ausschlag. § 22. Ueber die Art und Weise, wie die Geschäfte des Steuer-Collegii zu betreiben, so wie wegen der zu haltenden Sitzungen und deren Anzahl, wird das Nähere, besonders mit Benutzung der erst zu sammelnden Erfahrung, gemeinschaftlich bestimmt, und in einer zu erlassenden Geschäfts-Ordnung vorgeschrieben werden. § 23. In Hinsicht der, sowohl den Mitgliedern, als den Subalternen des Steuer-Collegii auszusetzenden angemessenen Besoldungen und deren Anweisung wird gleichfalls sofort unterhandelt und ein besonderes Uebereinkommen getroffen werden.

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§ 24. Den versammelten Ständen sollen die Etats und Rechnungen über die Einnahme und Ausgabe der allgemeinen Steuer-Casse, auch eine Nachweisung über die Verwendung der, durch die ausgeschriebenen Steuern eingegangenen Summen, von einem Landtage zum andern vorgelegt werden, und können dieselben, wenn sie es für angemessen und zuträglich erachten, schriftliche Bemerkungen darüber bei der Landesherrschaft einreichen und Anträge darauf gründen, welche alsdann, nach Beschaffenheit der Sache, weitere Erörterungen, Unterhandlungen und gemeinsame Verfügungen herbeiführen können. Die Etats über neu anzulegende Steuern werden stets von dem Landesherrn und den Ständen gemeinschaftlich regulirt. § 25. So wie bei Auflegung neuer Steuern, eben so erforderlich ist die Einwilligung der Stände, wenn auf den Credit des Landes Anlehne contrahirt, und Staats-, Cammer-, Stifts- und Klöster-Güter oder Einkünfte verpfändet oder veräußert werden sollen. Die oberste Verwaltungsbehörde der obengedachten Güter ist dafür verantwortlich, daß in Ansehung derselben nicht anders verfahren werde. Ueber den Betrag, die Bedingungen und die Rückzahlung solcher Staats-Anlehne muß auf gleiche Weise vorher mit den Ständen communicirt und eine Vereinbarung getroffen werden. Auch ist überhaupt wegen des Landes-Schuldenwesens mit ihnen Berathung zu pflegen und solches nach gemeinsamen Beschlüssen und Bestimmungen zu reguliren. § 26. Verordnungen, welche eine Abänderung in den bestehenden allgemeinen Civil- und Criminal-Gesetzen bezwecken, werden, so oft es die Umstände gestatten, den Ständen vorgelegt und dieselben darüber mit ihren Bemerkungen, Gutachten und Rath gehört werden. § 27. Ein neues Civil- und Criminalge-

V ERFASSUNG VON B RAUNSCHWEIG (1820) setzbuch, eine neue Proceß- und allgemeine Polizei-Ordnung können nicht ohne Berathung mit den Ständen eingeführt werden. § 28. Ist von wesentlichen Veränderungen die Rede, welche die Landesverfassung, Landes-Collegien, Gerichts- und allgemeine Verwaltungsbehörden, deren Wirkungskreis und Verhältnisse betreffen; soll von Bestimmungen, welche zwischen dem Landesfürsten und der Landschaft vertragsweise getroffen sind, abgewichen; sollen allgemeine gesetzliche Veränderungen in Ansehung der Zehnten, Dienste, Meier- und sonstigen gutsherrlichen Verhältnisse und Gefälle verfügt, oder endlich allgemeine Gesetze über die Theilung der Gemeinheiten gegeben werden: so ist hiezu alle Zeit eine Verhandlung und Uebereinkunft mit den Ständen nöthig. § 29. Wenn die Stände auf dem Landtage versammelt sind, steht ihnen frei, dem Landesfürsten Vorschläge zu allgemeinen Landesgesetzen, Verfügungen und Anstalten zu thun, und werden solche von der Regierung stets mit aller Aufmerksamkeit aufgenommen, sorgfältig geprüft und thunlichst berücksichtigt werden. § 30. Nicht weniger sind die Landstände befugt, wegen bemerkter Mängel oder Mißbräuche bei der Gesetzgebung, Rechtspflege und Verwaltung der öffentlichen Angelegenheiten angemessene Vorträge an den Landesfürsten zu richten, und sich über deren Abstellung gutachtlich zu äußern. § 31. Auch ist den Ständen unbenommen, falls sie dazu hinlängliche Gründe zu haben glauben, dem Landesherrn Beschwerden und Klagen über die höheren Landesbehörden und Staatsdiener, wegen pflichtwidriger Verwaltung ihrer Amtsgeschäfte, vorzutragen, besonders wenn dieselben sich dadurch vorschrifts- und ordnungswidrige Willkühr und Eingriffe in die bürgerlichen

Rechte der Unterthanen, oder in die Verfassung des Landes erlaubt haben sollten, und werden auf solche beschwerende Vorstellungen jeder Zeit genaue Untersuchungen angestellt, und, wenn sie begründet erscheinen, die Angeschuldigten zur gebührenden Verantwortung und Strafe gezogen, auch sonst darauf alle angemessene abhelfliche Verfügungen getroffen werden. In Ansehung untergeordneter Beamten und einzelner Mitglieder der Landes-Collegien können indessen dergleichen Anklagen nicht anders angebracht werden, als wenn selbige schon vorher bei der vorgesetzten Behörde ordnungsmäßig vorgetragen und von derselben unbeachtet und ohne gehörige Remedur gelassen waren. § 32. Um den verfassungs- und ordnungsmäßigen Gang der Staatsgeschäfte und die öffentlichen Beamten wegen ihrer Verantwortlichkeit zu sichern, werden die, unter der höchsten Unterschrift des Landesherrn erlassenen Rescripte und Verfügungen jedes Mal auch mit der Contrasignatur eines Ministers oder Mitgliedes des Geheimen-Raths versehen, wodurch diejenigen Collegia und Staatsdiener, an welche selbige gerichtet sind, und alle, die es angeht, sich vergewissern können, daß die betreffende Angelegenheit durch die rechte Behörde verfassungsmäßig an den Landesherrn gelangt, und Höchstdesselben Entschluß darüber, nach geschehenem Vortrage und vernommener Meinung des Geheimen-RathsCollegii, gefaßt worden sey. Es kann daher eine mit der erforderlichen Contrasignatur nicht bezeichnete Verfügung des Regenten in Landesangelegenheiten nur als erschlichen angesehen werden. § 33. Damit der nach den Bundesverpflichtungen zu haltende Militair-Etat um desto besser auf eine, mit den Kräften des Landes übereinstimmende Weise ausgeführt und unterhalten werde, sollen solcherhalb die Gesetze über die Militairpflichtig-

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B RAUNSCHWEIG keit und die Aushebung der Mannschaft mit den Ständen definitiv concertirt und erlassen werden. § 34. Das im §. 19 erwähnte Recht der Stände, vier Mitglieder zu dem gemeinschaftlichen Landes-Steuer-Collegio zu ernennen, wird von denselben dergestalt ausgeübt, daß jede Section aus ihrer Mitte zwei Mitglieder durch relative Stimmenmehrheit dazu erwählt, welche dem Landesherrn zur höchsten Bestätigung zu präsentiren und in Hinsicht ihrer Ansetzung und Entlassung anderen Staatsdienern völlig gleichgestellt sind. Diese Wahl geschieht unter der Leitung des Präsidenten, mittelst verschlossener Zettel, auf welche die Namen der Gewählten zu schreiben sind, und die nach Abgebung der Stimmen sofort eröffnet werden. Wer nach der auf ihn gefallenen Wahl zum Steuerrathe einen herrschaftlichen Dienst annimmt, oder den bis dahin bekleideten mit einem andern vertauscht, verzichtet dadurch stillschweigend auf jenes Amt, kann jedoch bei einer neuen Wahl wieder dazu ausersehen werden. Die von der zweiten Section etwa zu Steuerräthen gewählten Stadt-Deputirten, außer dem Bürgermeister, oder die dazu erwählten Freisassen behalten die Eigenschaft als Deputirte für die Zeit ihrer Amtsführung im Steuer-Collegio. Sollte die Stelle eines ständischen Steuerrathes durch den Tod oder auf andere Weise sieben Monate, oder noch früher, vor dem bestimmten Landtage erledigt werden, so haben die bleibenden landschaftlichen Steuerräthe sämmtliche Mitglieder der Section, von welcher der Abgegangene gewählt war, binnen Monatsfrist nach Braunschweig zu berufen, um durch ihre Wahl ein neues Mitglied des Steuer-Collegii zu bestimmen. Zu der Gültigkeit einer solchen Wahl ist es hinlänglich, wenn neun Mitglieder der betreffenden Section daran Theil nehmen.

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§ 35. Die von Seiten der Landschaft dem Steuer-Collegio zugeordneten Mitglieder bilden zugleich einen bleibenden Ausschuß derselben für die zwischen den Landtagen nöthig oder rathsam befundenen Mittheilungen. Von diesem beständigen Ausschusse kann die Landesherrschaft, so oft es ihr gut dünkt, Nachrichten, Berichte und Gutachten einziehen, es ist demselben auch unbenommen, seiner Seits unaufgefordert, besonders bei ungewöhnlichen und dringenden Vorfallenheiten oder Veranlassungen, Vorstellungen und Anträge in landschaftlichen Angelegenheiten bei dem Landesherrn zu machen und seine gutachtliche Meinung darüber pflichtmäßig zu äußern. § 36. Außer dem ebengedachten permanenten Ausschusse der Landschaft besteht noch ein größerer aus neun Mitgliedern beider Sectionen, welchen der erstere in allen zwischen den Landtagen etwa vorfallenden landschaftlichen Angelegenheiten von Wichtigkeit zuzuziehen und demselben bei der Berufung die Gegenstände der zu haltenden Berathschlagung wo möglich sofort mitzutheilen hat, und dessen Mitglieder bei den gemeinschaftlichen Berathungen, den Mitgliedern des engern Ausschusses, in Ansehung des Stimm-Rechts und sonst, völlig gleich sind. Die Wahl des größern Auschusses wird alle Zeit von den, auf den ordentlichen Landtagen versammelten, Ständen vorgenommen, und zwar dergestalt, daß zum ersten Male die erste Section fünf und die zweite Section vier Mitglieder, zum zweiten Male aber die letztere fünf und die erstere vier Mitglieder, und so ferner abwechselnd, aus ihrer Mitte durch Mehrheit der Stimmen ernennt. § 37. Hiernächst kommt der Landschaft die fernere Führung eines eigenen Siegels zu, welches mit der Umschrift: „Siegel der vereinten Braunschweig-Wolfenbüttelschen und Blankenburgschen Landschaft 1820.“

V ERFASSUNG VON B RAUNSCHWEIG (1820) zu versehen ist. Auch hat dieselbe die Freiheit von Gerichtssporteln, Stempeln und Porto, wie vorhin, ferner zu genießen. § 38. Endlich ist die Landschaft befugt, einen Land-Syndicum anzunehmen und zu bestellen, und zwar in der Art, daß zum ersten Male die erste Section drei Candidaten erwählt, von welchen die zweite Section einen ausersieht und benennt, im zweiten Falle aber umgekehrt die zweite Section die Wahl der drei Candidaten und die erste die Ernennung vornimmt, und daß in der Folge mit gleicher Abwechselung verfahren werde. Die Anstellung des Land-Syndici ist lebenswierig und der anderer Staatsdiener gleich, jedoch damit die Verwaltung eines herrschaftlichen Dienstes nicht vereinbar. Von der geschehenen Bestellung des LandSyndici wird der Landesherrschaft Anzeige gemacht, und von dieser darauf, wenn sie gegen die Person nichts zu erinnern findet, dessen Confirmation und die Abnahme des von ihm zu leistenden Erbhuldigungseides verfügt. Der Land-Syndicus hat, als beständiger Consulent der Landschaft, derselben über alle vorkommende Gegenstände, und, so oft es verlangt wird, die nöthigen Nachrichten und Gutachten, besonders über Rechtsverhältnisse, mündlich und schriftlich mitzutheilen, auch das Amt des ersten Secretairs und Chefs des Canzleiwesens, sowohl bei dem Steuer-Collegio, als bei dem bleibenden Ausschusse der Stände, zu verrichten, und das landschaftliche Archiv, so wie die Registratur des Steuer-Collegii, unter gehöriger Aufsicht und auf die Ordnung dabei zu halten. Er führt auch ein votum consultativum und das Protocoll, sowohl in beiden Sectionen der Landschaft, als bei dem Steuer-Collegio und den Versammlungen der landschaftlichen Ausschüsse. Wird die Stelle des Land-Syndici in der Zeit, da kein Landtag versammelt ist, durch den Tod oder auf andere Weise erledigt,

so werden von den landschaftlichen Steuerräthen drei Candidaten zu deren Wiederbesetzung ausersehen, und dem größern Ausschusse in Vorschlag gebracht, welcher in Verbindung mit dem engern Ausschusse einen derselben durch Stimmenmehrheit erwählt.

TITEL III Von der Versammlung der Stände auf dem Landtage und der Behandlung der Geschäfte derselben § 39. Nur auf den von dem Landesherrn ausgeschriebenen Landtagen können die Stände die Vertretung des Landes ausüben, und die Angelegenheiten desselben mit dem Fürsten verhandeln. Es hängt jedoch von der Landesherrschaft ab, bei besonderen Veranlassungen einzelne Mitglieder der Stände zusammen zu berufen, um über die ihnen vorgelegten Landesangelegenheiten sich zu berathen und ihre Meinung zu vernehmen. Dergleichen Zusammentretungen können auch von den Mitgliedern der Landschaft selbst eingeleitet werden, wenn sie eine besondere Veranlassung zu haben glauben, über Gegenstände von gemeinsamen Interesse sich zu berathschlagen; jedoch muß vor der wirklichen Versammlung selbst davon und von dem Zwecke der Versammlung zeitig der Landesherrschaft gehörige Anzeige gemacht werden. § 40. Alle drei Jahre wird regelmäßig ein Landtag gehalten, außerordentlicher Weise aber auch dann, wenn der Landesherr besondere Veranlassung dazu findet. § 41. Vor Zusammenberufung des Landtags wird von dem Landesherrn, wegen der vorzunehmenden Wahlen der wählbaren Abgeordneten der Städte Braunschweig,

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B RAUNSCHWEIG Wolfenbüttel und Helmstedt und der Grundbesitzer des Landes, das Nöthige an die betreffenden Gerichtsbehörden verfügt, und hiernächst werden von Höchstdemselben mit Bestimmung des Orts und der Zeit der ständischen Versammlung die BerufungsRescripte an die Mitglieder der Landschaft erlassen. § 42. Die zum Landtage berufenen und eingetroffenen Mitglieder der Stände haben ihre Ankunft bei dem Fürstlichen Geheimen-Raths-Collegio schriftlich anzuzeigen und die gewählten Deputirten der vorgenannten drei Städte und der freien Grundbesitzer des Landes zugleich das über ihre Wahl aufgenommene Document, so wie die Bevollmächtigten ihre Vollmachten mit einzureichen; worauf ein Verzeichniß der anwesenden und sich legitimirten Mitglieder von gedachtem Collegio angefertigt und demnächst an jede Section der versammelten Landschaft übersandt wird. § 43. Wer auf diese Weise sich in seiner Qualität als Landstand oder Bevollmächtigter angemeldet und ausgewiesen hat, ist für seine Person berechtigt, in die Versammlung der Section, welcher er angehört, zu treten und seine Meinung und Stimme über die vorkommenden Gegenstände bei den desfallsigen Verhandlungen abzugeben, kann diese Befugniß aber keinem andern Mitstande übertragen. § 44. Die Eröffnung des Landtags geschieht mittelst Berufung beider Sectionen an dem festgesetzten Tage und Orte von dem Landesherrn selbst, oder dem dazu von Höchstdemselben beauftragten Commissario, unter den jedesmal Höchsten Orts zu bestimmenden Feierlichkeiten und religiösen Handlungen. Jedes Mitglied schwört bei der Eröffnung der ersten Stände-Versammlung, daß es dem regierenden Landesherrn und

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Höchstdessen Nachfolgern aus dem Hause Braunschweig mit Treue ergeben, und den bestehenden Gesetzen gehorsam seyn, auch insonderheit die ihm, vermöge der Landschafts-Ordnung, obliegenden Pflichten nach bester Einsicht gewissenhaft erfüllen wolle. Dieser Eid wird bei den folgenden Landtagen nur von den neuen Mitgliedern derselben abgeleistet. § 45. Jede Section bildet für sich eine besondere Versammlung, in welcher und bei deren Berathschlagungen keine Abtheilung noch Unterschied der Mitglieder und eben so wenig eine gewisse Ordnung, in Ansehung des einzunehmenden Sitzes und der Abstimmungen, Statt findet, sondern über alle zur Ueberlegung und Entscheidung kommenden Angelegenheiten nach absoluter Mehrheit der Stimmen ein Beschluß gefaßt wird. § 46. Bei ihren Abstimmungen haben die Mitglieder der Landschaft ganz allein ihrer auf sorgfältige Prüfung der vorliegenden Gegenstände gegründeten eigenen Ueberzeugung und ihrem Gewissen zu folgen, keinesweges aber Instructionen und Eingebungen von Andern anzunehmen und zu beachten. § 47. Die Sitzungen der beiden Sectionen der Landschaft werden nicht zu gleicher Zeit gehalten, damit der Land-Syndicus in beiden Sectionen anwesend seyn könne. Das erste Geschäft jeder Section der ständischen Versammlung besteht in der, aus ihrer Mitte zu treffenden Wahl ihrer Vorsteher und Beamten, nämlich eines Präsidenten, eines Vice-Präsidenten und eines Secretairs, welcher letztere im Falle der Behinderung des Land-Syndici dessen Geschäfte versieht. § 48. Diese Wahl geschieht vermittelst verschlossener Zettel, auf welche jeder anwesende Landstand den Namen desjenigen

V ERFASSUNG VON B RAUNSCHWEIG (1820) schreibt, welchen er zu der fraglichen Stelle ausersehen hat, und wird durch die Mehrheit entschieden, dergestalt, daß zu den Stellen des Präsidenten und Vice-Präsidenten diejenigen drei Mitglieder der Section, auf welche die meisten Stimmen gefallen sind, dem Landesherrn präsentirt werden, um daraus einen zu bestätigen, der sodann, nach erhaltener Höchster Bestätigung, sein Amt gleich antritt. Die Uebertragung des Amts des Secretairs hängt blos von der Stimmenmehrheit ab, und bedarf keiner landesherrlichen Confirmation. § 49. Bei dem ebengedachten Wahlgeschäfte versieht das an Jahren älteste Mitglied jeder Section die Stelle des Präsidenten und von dem Land-Syndico wird darüber ein Protocoll geführt. § 50. Das Amt und die Verrichtungen des Präsidenten jeder Section bestehen hauptsächlich und im Allgemeinen in der Leitung der Geschäfte der Versammlung und in der Aufrechthaltung der Ordnung bei den Verhandlungen derselben. Der Präsident hat daher insonderheit 1) die Sitzungen der Sectionen zu bestimmen, zu eröffnen und zu schließen; 2) über die Beobachtung der Vorschriften und der Ordnung bei den Berathschlagungen und Abstimmungen zu halten; 3) bei den Verhandlungen alles, was dem Zwecke und dem Anstande zuwider ist, so wie alle prsönliche Anzüglichkeiten zu entfernen und zu rügen; 4) die von der Versammlung zu entscheidenden Fragen aufzustellen und vorzutragen, und 5) die Stimmen darüber sammeln und nach der Mehrheit derselben die Beschlüsse fassen zu lassen und auszusprechen. § 51. Der Vice-Präsident kann alle oder einen Theil der Functionen des Präsidenten

versehen, wenn sie ihm von Letzterm übertragen werden, in dessen Abwesenheit aber stehen sie ihm, vermöge seines Amtes, zu. § 52. Der Land-Syndicus, oder in dessen Abwesenheit der Secretair, hat in den Sitzungen das Protocoll zu führen, die abgegebenen Stimmen zu zählen und nach der Mehrheit derselben die Beschlüsse zu fassen und niederzuschreiben; ferner alle, Namens der versammelten Section, abzufassende Aufsätze und Erlasse zu entwerfen und auszufertigen. § 53. Für die Schreiberei und Registratur werden bei jeder Section von dem Präsidenten die für die Zeit der ständischen Versammlung nöthigen Officianten angenommen und zur Verschwiegenheit und gehörigen Verrichtung ihrer Dienstgeschäfte eidlich verpflichtet und angewiesen, auch wegen deren Remuneration von demselben bei dem Steuer-Collegio angemessene Anträge gemacht, worauf dasselbe wegen Verwilligung der dazu erforderlichen Geldsummen das Nöthige zu veranlassen und zu besorgen hat. § 54. Die Sitzungen der ständischen Sectionen werden zu der von den Präsidenten bestimmten Zeit eröffnet, und wird über die jedesmalige Vorfrage, ob ein Antrag in Berathung zu nehmen sey, gestimmt, so wie mit den berathenden Verhandlungen der Anfang gemacht, sobald ein Drittheil der die Section bildenden Mitglieder sich dazu eingefunden hat, zu den Abstimmungen wegen der zu fassenden Beschlüsse kann aber nicht eher geschritten werden, als bis die Hälfte derselben versammelt ist. Unter den Anwesenden nehmen nur der Präsident und der Land-Syndicus oder Secretair in der Mitte der Versammlung einen besondern Platz ein. § 55. Die von Seiten der Landesherrschaft an die Stände zu machenden Propositionen und Mittheilungen werden den

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B RAUNSCHWEIG gesammten Ständen eröffnet, und, wenn selbige eingegangen sind, vor allen andern Gegenständen der landschaftlichen Verhandlungen von dem Präsidenten der Section in der nächsten Sitzung nochmals zur Kenntniß der Mitglieder derselben, und ohne daß über die, im folgenden §. erwähnte Vorfrage gestimmt wird, in den folgenden Zusammenkünften nach und nach zur Berathschlagung der Section gebracht. § 56. Nicht allein der Präsident, sondern auch jedes Mitglied der Versammlung, ist befugt, über Gegenstände, welche der Landesherrschaft zur Berücksichtigung zu empfehlen, Anträge zu machen; jedoch muß jeder gethane Antrag zuvörderst durch die Stimmenmehrheit der anwesenden Mitglieder, als zur Berathung geeignet, erklärt, auch zugleich bestimmt werden, ob die Angelegenheit einer Commission zur vorgängigen Prüfung und Berichtserstattung zu übergeben sey, und, wenn solches geschehen, kann derjenige, von welchem der Antrag herrührt, einen Tag zur Deliberation und Abstimmung darüber vorschlagen, an welchem die Sache alsdann mit Genehmigung des Präsidenten verhandelt wird. § 57. Wer den Antrag zu einem an die Regierung zu gelangenden Beschlusse machen will, muß selbigen schriftlich abfassen und zur Einrückung in das Protocoll vorlegen, worauf er denselben vor der Berathschlagung darüber näher zu entwickeln und mit Gründen zu unterstützen hat. § 58. Diejenigen, welche für oder wider einen gemachten Antrag zu reden wünschen, haben sich, indem sie von ihren Sitzen aufstehen, deshalb an den Präsidenten zu wenden, der ihnen in der Ordnung, wie er ihre Anrede vernommen, das Wort zu geben hat. Es steht auch jedem anwesenden Landstande frei, über geschehene Anträge Veränderungen vorzuschlagen, über welche

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eben so, wie über die Anträge selbst, gestimmt wird. § 59. Bei jedem zur Berathung gelangten Antrage muß erstere der Abstimmung vorangehen, und hängt es von der Bestimmung der Versammlung ab, ob nach Beschaffenheit der Sache darüber sogleich, oder in einer andern Sitzung, gestimmt werden soll. § 60. Bei den Berathschlagungen kann jedes anwesende Mitglied der Stände seine Meinung vortragen und entwickeln, darf jedoch in derselben Sitzung nur einmal über die zur Entscheidung stehende Frage reden, es sey denn, daß eine unrichtig verstandene Aeußerung desselben einer kurzen Erläuterung bedürfte. Auch dürfen diese Vorträge bloß mündlich gehalten werden, und nur die landesherrlichen Commissarien und die, Namens der ständischen Commissionen auftretenden Referenten die ihrigen in schriftliche Aufsätze bringen und ablesen. Nach beendigter Berathung fordert der Präsident die gegenwärtigen Mitglieder nach der Reihe, wie sie zufällig sitzen, auf, ihre Stimme abzugeben. § 61. Um aber die vorliegenden Anträge zur Entscheidung zu bringen, kleidet der Präsident die Gegenstände derselben in deutlich bestimmte Fragen ein, worüber mit Ja, oder Nein, laut gestimmt wird. Sollten über die aufgestellten Fragen Erinnerungen gemacht werden, so wird über die vorgeschlagenen Abänderungen gestimmt und entscheidet die ganze Versammlung über die Abfassung der Fragen. § 62. Die abgegebenen Stimmen werden von dem Land-Syndicus oder Secretair namentlich bemerkt, und der auf geschehene Zählung nach ihrer Mehrheit gefaßte Beschluß wird hierauf der Versammlung sofort eröffnet.

V ERFASSUNG VON B RAUNSCHWEIG (1820) § 63. Ergiebt sich aus der vorgenommenen Sammlung der Stimmen eine Gleichheit derselben, so wird die Sache in einer folgenden Sitzung nochmals in Umfrage gebracht, und bleiben sich die Abstimmungen auch alsdann gleich, so wird diejenige Meinung, welcher der Präsident beigetreten ist, als der Beschluß der versammelten Section angesehen. § 64. Von dem festgestellten Grundsatze, daß zur Fassung eines Beschlusses über die verhandelten Gegenstände nur die absolute Stimmenmehrheit der anwesenden Mitglieder erfordert werde, tritt allein eine Abweichung ein, wenn ständischer Seits ein Antrag an den Landesherrn gemacht werden soll, welcher eine wesentliche Abänderung der bisherigen Landes- oder SteuerVerfassung enthält. In einem solchen Falle müssen wenigstens zwei Drittheile der Versammlung dem vorgeschlagenen Antrage beistimmen, um als gültig beschlossen betrachtet werden zu können. § 65. Sowohl in dem eben gedachten Falle, als wenn die Stimmenmehrheit entschieden hat, kann und darf die Würkung und Beförderung eines gefaßten Beschlusses weder durch Verwahrungen, noch Berufung auf die höchste Entscheidung, noch auf andere Weise aufgehalten oder gehindert werden, sondern jedes ständische Mitglied muß sich das Resultat der Abstimmung schlechterdings gefallen lassen und dabei beruhigen, obwohl demselben unbenommen bleibt, seine besondere Meinung schriftlich auszuführen und zu den Acten zu bringen. § 66. Die über verhandelte Gegenstände von einer Section beschlossenen Anträge werden sofort der andern Section mitgetheilt, in welcher die vorliegende Sache alsdann einer Commission zur vorläufigen Prüfung übergeben und nach von derselben

darüber abgestatteten Berichte, die Berathung und Abstimmung baldthunlichst erfolgen und nach dem Resultate der letztern ein Beschluß gefaßt werden muß. Es können auch Verbesserungen oder Veränderungen von der einen Section der andern vorgeschlagen werden, und erst, wenn beide Sectionen über einen Antrag völlig einverstanden sind, wird derselbe von Seiten der Landschaft mit einem, von den Präsidenten zu unterzeichnenden Berichte an den Landesfürsten überreicht; worauf die höchste Resolution darüber vermittelst Rescripts ertheilt wird. § 67. Sollten beide Sectionen sich über einen vorliegenden Gegenstand nicht vereinigen, so findet eine Zusammentretung von aus jeder Section in gleicher Anzahl zu ernennenden Commissarien und, wenn die Sectionen es auch nur einseitig wünschen und darauf antragen, die Zuordnung landesherrlicher Commissarien Statt, und wird von dieser gemischten Commission der Versuch gemacht, ob durch annähernde Vorschläge und Modificationen eine Vereinbarung der Sectionen zu erreichen stehe. Unter gleichen Umständen kann auch ein Zusammentreten der Mitglieder beider Sectionen Statt finden. § 68. Wenn von Seiten des Landesherrn ein Erlaß oder Antrag an die Stände gelangt ist, und beide Sectionen können sich über ihre darauf abzugebende Erlärung nicht vereinigen, so ist darüber Namens gesammter Landschaft Bericht an die Landesherrschaft zu erstatten, in welchen das Resultat der Verhandlungen jeder Section, mithin das gutachtliche Dafürhalten jeder derselben, besonders aufzunehmen ist. § 69. Ueber einen Gegenstand, in Ansehung dessen eine Vereinbarung beider Sectionen nicht zu Stande gebracht worden, ist ein neuer Antrag und eine weitere Delibe-

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B RAUNSCHWEIG ration während desselben Landtages nicht mehr zulässig. § 70. Da die zu beobachtende gute Ordnung bei den Berathschlagungen es mit sich bringt, daß nicht allein alle unziemliche Aeußerungen und Persönlichkeiten, sondern auch unnütze Weitläuftigkeiten und Abschweifungen vermieden werden, und daß Niemand im Reden unterbrochen werde, so liegt es dem Präsidenten jeder Section ob, darauf genau zu halten; sollte sich gleichwohl Jemand durch die erhaltene Zurechtweisung beeinträchtigt finden, so kann er darüber die Entscheidung der Versammlung verlangen, bei welcher er sich alsdann aber beruhigen muß. § 71. Der Landesherr kann, seinem Gutfinden nach, Geheime-Räthe oder andere Staatsbeamte als Commissarien zu einzelnen Sitzungen der Sectionen abordnen, um die an die Landschaft erlassenen Anträge mit ihren Gründen näher zu entwickeln und auseinander zu setzen. Die ständische Versammlung wird von der Abordnung solcher landesfürstlicher Commissarien und der Zeit ihrer Ankunft vorher benachrichtigt, dieselben bleiben jedoch bei ihren Berathschlagungen und Abstimmungen nicht gegenwärtig. § 72. Würden mündliche Mittheilungen, Erörterungen und Berathungen zur Beförderung einer Angelegenheit oder eines Geschäfts zwischen Landesherrn und Ständen für zuträglich gehalten, so wird von Seiten der Landesherrschaft eine Zusammentretung des Fürstlichen Geheimen-Raths-Collegii oder anderer Fürstlicher Commissarien mit einer ständischen Deputation von 3 bis 6 Mitgliedern veranlaßt. Auch die ständischen Sectionen können ihrer Seits in dazu geeigneten Fällen darauf antragen, daß einer Deputation aus ihrer Mitte mündliche Aufklärung oder nähere Erläuterungen

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über landesherrliche Erlasse durch Fürstliche Commisarien ertheilt werden mögen. Die Bestimmung der Personen und Zahl der Mitglieder einer solchen Deputation geschieht von jeder Section selbst. § 73. Nicht nur alle von dem Landesherrn und von einer Section an die andere erlassene Anträge, sondern auch alle sonst in Erwägung kommende umfassende Gegenstände müssen vor ihrer Verhandlung in der ständischen Versammlung der vorläufigen Prüfung und Bearbeitung einer zu wählenden Commission von 3, 5 oder 7 Mitgliedern übergeben werden. Der ernannten Commission muß der Vorwurf der vorzubearbeitenden Sache genau bestimmt werden, es mag nun solcher in einer vorzunehmenden Untersuchung, oder in einem abzustattenden Gutachten, oder in Abfassung eines schriftlichen Aufsatzes bestehen. § 74. Jede solchergestalt niedergesetzte Commission wählt zuerst unter sich ein Mitglied, welches den Vorsitz, und ein anderes, welches das Protocoll zu führen hat, betreibt ihre Geschäfte collegialisch und macht hiernächst nach Beendigung ihrer Arbeit von dem Resultate derselben durch eines ihrer Mitglieder Vortrag an die versammelte Section, worüber sodann von der letzten, so wie über jeden andern Antrag, berathschlagt und gestimmt wird. § 75. Jede Section kann, unter hinreichende Veranlassung dazu gebenden Umständen, ihre Sitzungen auf gewisse kurze Zeit aussetzen. Aber nur von dem Landesherrn kann die Vertagung des Landtags verfügt werden. Während der Vertagung der Sitzungen der Landschaft steht den zu niedergesetzten Commissionen nicht gehörigen Mitgliedern derselben frei, sich aus dem Orte zu entfernen. So lange die Sitzungen dauern, darf kein Mitglied der Landschaft ohne Urlaub seiner Section abreisen.

V ERFASSUNG VON B RAUNSCHWEIG (1820) § 76. Die Verhandlungen der Landschaft müssen so lange geheim gehalten werden, bis die Resultate derselben gefaßt und zur Publikation gelangt sind. Es ist auch nicht erlaubt, die Meinungen und Vota einzelner Mitglieder bekannt zu machen. § 77. Vor dem, von der Bestimmung des Landesherrn abhängenden Schlusse des Landtags werden die verschiedenen Gegenstände und Punkte, worüber Höchstderselbe und die Stände im Gefolge der während desselben gepflogenen Unterhandlungen sich vereinigt haben, in einen Landtagsabschied oder Receß zusammen getragen und ist solcher nicht nur von dem Landesherrn und von Seiten der Stände von den Präsidenten und dem Land-Syndico zu unterzeichnen und zu besiegeln, sondern demnächst auch durch den Druck zur öffentlichen Kunde zu bringen, worauf die allgemeine Landesversammlung auf ähnliche Art und Weise, als bei der Eröffnung geschah, feierlich geschlossen wird.

TITEL IV Allgemeine Bestimmungen § 78. Alle durch die Zusammenberufung und Versammlung der Stände veranlaßten allgemeinen Kosten werden aus der Steuerkasse bestritten, es erhalten aber daraus die Mitglieder der Landschaft keine Vergütung für die Kosten ihrer Reisen und ihres Aufenthaltes bei dem Landtage, sondern ein jedes Mitglied, daß nicht aus eigenem Rechte erscheint, muß von denjenigen, für welche es erscheint, entschädiget werden: und bleibt es besonders den freien Grundbesitzern unbenommen, sich mit ihren Deputirten über solche Entschädigung zu vereinbaren. Sowohl den Prälaten, als den zu der zweiten Section abgeordneten auswärtigen Mitgliedern wird deshalb eine billige Entschä-

digung zugestanden und das Nähere darüber durch ein zu treffendes Uebereinkommen bestimmt werden. Die, zu den Commissionen deputirten Mitglieder erhalten sämmtlich, wie auch die versammelten Mitglieder des größern Ausschusses, Diäten nach den demnächst zu bestimmenden Sätzen. Während der Vertagung des Landtags bekommen nur diejenigen Mitglieder der Landschaft Diäten, welche bei der niedergesetzten Commission zurückgeblieben sind. § 79. Der jedesmalige Landesherr kann nach dem Antritte Seiner Regierung die gewöhnliche Erbhuldigung von den Unterthanen nicht eher verlangen und sich leisten lassen, als bis von Höchstdemselben die gegenwärtige Landschafts-Ordnung förmlich und bündig angenommen und bestätigt, auch die hergebrachte Versicherung wegen Aufrechthaltung der über die Primogenitur in dem Fürstlichen Hause BraunschweigWolfenbüttel bestehenden Verträge und des Pacti Henrico Wilhelmiani schriftlich ausgestellt worden ist. Im Fall der Minderjährigkeit des Landes-Fürsten ertheilt der, die Landesregierung führende Vormund diese Bestätigung und Versicherung für die Zeit seiner Verwaltung. § 80. Die Wirksamkeit der Bestimmungen der Landschafts-Ordnung fängt nach deren öffentlicher Bekanntmachung von eben der Zeit an, als solches bei andern Gesetzen geschieht. Vorstehender Entwurf ist dato von den Landschaften des Herzogthums Braunschweig und Fürstenthums Blankenburg angenommen, und im Auftrage gesammter Stände von deren Deputirten durch Unterschrift und Siegel vollzogen. Braunschweig, den 19ten Januar 1820. (L. S.) August Christ. Bartels, Abt zu Riddagshausen.

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B RAUNSCHWEIG (L. S.) Georg Conrad Heinrich Mahner, Namens der Stifter St. Blasii und Cyriaci. (L. S.) Johann Wilhelm Heinrich Ziegenbein, Abt zu Michaelstein. (L. S.) Gottfried Philipp von Bülow, Probst zu St. Laurentii. (L. S.) Just Gebhard von Bötticher, wegen Ampleben. (L. S.) Hans Georg Gottfried von Plessen, wegen Büstedt. (L. S.) Christian Friedrich Adolph von Cramm, wegen Lesse. (L. S.) Heinrich Georg Christian Friedrich von Bülow, genannt von Wendhausen, wegen Küblingen. (L. S.) Friedrich Wilhelm Carl Franciscus Anton Christian von Campe, wegen Deensen.

Ordnung, ihrem ganzen Inhalte nach und in allen Puncten von Uns genehmigt worden: so ratificiren Wir hiedurch und Kraft dieses die solchergestalt mit den Ständen des Herzogthums Braunschweig-Wolfenbüttel und des Fürstenthums Blankenburg getroffene Uebereinkunft, und verordnen zugleich, daß darüber von Jedermann, den es betrifft, und überall auf das Genaueste gehalten werden solle, haben auch das Fürstliche Geheimeraths-Collegium zu Braunschweig befehligt und autorisirt, in Unserm Namen nach den Bestimungen der vorstehenden Landschafts-Ordnung die gesammten Stände so bald als thunlich wieder zusammen zu berufen und ihnen die ferner zu berathenden Propositionen mitzutheilen, so wie die gegenseitigen Anträge und Wünsche derselben entgegen zu nehmen und darüber das Weitere zu verhandeln und bis zu Unserer Ratification zu concertiren.

(L. S.) Hilmar Ludewig Wilhelm Ernst Graf von Oberg, wegen Duttenstedt.

Urkundlich Unserer eigenhändigen Unterschrift und beigedruckten Fürstlichen Geheime-Canzlei-Siegels.

(L. S.) Johann Philipp von Häckel, tutorio nomine, wegen Hehlen.

Carlton House, den 25sten April 1820. L. S. George. R.

(L. S.) Röttger Graf von Veltheim, wegen des Küchenhofes. (L. S.) Friedrich Carl von Strombeck, auf Groß Sisbeck. (L. S.) Dodo Friedrich Walter. (L. S.) Friedrich Carl Culemann, wegen des Gerichts Braunlage und wegen der Rittergüter Benzingerode und Cattenstedt. (L. S.) Johann Heinrich Wilmerding, wegen der Stadt Braunschweig. (L. S.) Heinrich Peter Beynroht, wegen der Stadt Helmstedt. (L. S.) August Georg Küchendahl, wegen der Stadt Blankenburg. Und dann diese revidirte Landschafts-

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E. Graf von Münster. 1

Ediert nach Verordnungs-Sammlung für die herzoglich-braunschweigischen Lande, Jahrgang 1820, Nro. 6, Braunschweig 1820, S. 17–55. Die „Verordnung über die erneuerte Landschaftsordnung“ wurde am 19. Januar 1820 beschlossen, am 25. April 1820 unterzeichnet und am 19. Juni 1820 verkündet. Gem. § 80. der Verordnung tritt diese am Tage der Verkündung auch in Kraft. Vorausgehende Verfassung war die Landschaftsordnung „Gesammter Landschaft Privilegia und Befugnisse“ vom 9. April 1770, abgedr. in Pölitz, Verfassungen, I, S. 910–914, allerdings galt während der Einverleibung in das Königreich Westphalen dessen Verfassung vom 15. November 1807 (Westfahlen ist nach der Völkerschlacht bei Leipzig erloschen). Nachfolgende Verfassung war die „Neue Landschaftsordnung“ vom 12. Oktober 1832. Siehe unter „Verfassung von Braunschweig (1832)“. Mit dem Patent vom 10. Mai 1827 erklärte Herzog Karl, daß er alle während seiner Minderjährigkeit er-

V ERFASSUNG VON B RAUNSCHWEIG (1820) lassenen Regierungsbeschlüsse und Verordnungen, die seine Regenten- und Eigentumsrechte betreffen, nicht anerkenne, worin eine verhüllte Nichtanerkennungserklärung im Hinblick auf die Verfassung gesehen werden kann. Am 9. April 1829 stellte er schließlich beim Bundestag den Antrag, die Landschaftsordnung für unverbindlich zu erklären. Die Reklamationskommission des Bundestages sprach sich jedoch am 19. August 1830 für die Rechtswirksamkeit der Verfassung aus und beantragte eine dahingehende Feststellung durch

einen Bundesbeschluß der Bundesversammlung, der auch am 4. November 1830 erging (Verordnungssammlung für die herzoglich-braunschweigischen Lande, Jahrgang 1827, Nr. 5, S. 15ff., vgl. dazu auch Huber, Verfassungsgeschichte II, S. 48, 52, 57). Weiterführende Angaben finden sich bei Huber, Verfassungsgeschichte II, S. 46–60; vgl. auch Gottfried Philipp von Bülow, Zur Erläuterung der Landschaftsordnung des Herzogthums Braunschweig von 1820, Braunschweig 1831.

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Verfassungsentwurf für Braunschweig (1831)

Entwurf einer revidirten Landschaftsordnung vom 30. Sept. 18311

TITEL I Von dem Wesen der Landstände, von der Zusammensetzung der Ständeversammlung und des ständischen Ausschusses, so wie von dem Wahlrechte und von den Wahlen der Landtagsabgeordneten.

Erster Abschnitt Von dem Wesen der Landschaft § 1. Die vereinten Stände des Herzogthums Braunschweig-Wolfenbüttel und des Fürstenthums Blankenburg sind berechtigt und verpflichtet, die Gesammtheit der Einwohner beider Länder in dem grundgesetzlichen Verhältnisse zu der Landesregierung zu vertreten, deren Interessen und Rechte verfassungsmäßig wahrzunehmen, und zwar auf die in der gegenwärtigen Landschaftsordnung vorgeschriebene Weise. § 2. Die gesammte Landschaft bildet ein ungetrenntes Ganzes. § 3. Sie übt ihre verfassungsmäßige Wirksamkeit entweder in voller Versammlung auf dem Landtage durch die Ständeversammlung, oder zwischen den Landtagen durch das Organ des ständischen Ausschusses.

Zweiter Abschnitt Zusammensetzung der Ständeversammlung

A Allgemeine Bestimmungen

1. Zahl der Abgeordneten und deren Vertheilung auf die verschiedenen Standesklassen § 4. Die Ständeversammlung besteht aus 45 frei gewählten Abgeordneten des Landes und zwar aus 6 Abgeordneten der Prälaten, aus 13 Abgeordneten der Rittergutsbesitzer, aus 13 Abgeordneten der Städte, aus 13 Abgeordneten der Freisassen und Bauern. 2. Nähere Bestimmungen über die Zahl der eigenthümlichen Abgeordneten jeder Standesklasse § 5. Von den sechs Abgeordneten der Prälaten wird die eine Hälfte aus der bisher zur ersten, und die zweite Hälfte aus der bisher zur zweiten Section der Stände gehörigen Prälaten genommen. 10 Abgeordnete der Ritterschaft müssen Eigenthümer eines in dem Wahlbezirke, für welchen sie gewählt worden, belegenen Ritterguts seyn. 10 Abgeordnete der Städte müssen Handel- oder Gewerbtreibende oder stimmführende Mitglieder des Magistrates, und in dem Wahlkreise, welcher sie sendet, wohnhaft seyn. 10 Abgeordnete der Freisassen und Bauern müssen Eigenthümer eines in dem Wahlkreise, für welchen sie gewählt werden, liegenden Freisassenhofes oder eines Bauerngutes seyn, d. h. eines solchen Gutes,

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B RAUNSCHWEIG welches nach Bauernrechte vererbt wird. Die übrigen drei Abgeordneten der Ritterschaft, der Städte, der Freisassen und Bauern können unter den wissenschaftlich gebildeten Männern des Herzogthums gewählt werden, welche überhaupt wählbar sind. 3. Von den allgemeinen Wahlen § 6. Vor jedem dritten ordentlichen Landtage und nach jeder Auflösung der Ständeversammlung werden die Abgeordneten allgemein neu gewählt, und mit Beendigung dieser neuen Wahlen erlischt das Recht der früher gewählten. Die austretenden Mitglieder können wieder gewählt werden.

Eine provisorische Bekleidung mit einer dieser Prälaturen ist unzulässig. 2. Von der Ritterschaft a. Wahlbezirke § 11. Die landtagsfähigen Rittergüter des Herzogthums werden in vier Wahlbezirke getheilt. Erster Bezirk: die Rittergüter des Wolfenbüttelschen und Blankenburgschen Districts. Zweiter Bezirk: die Rittergüter des Schöningschen Districts. Dritter Bezirk: die Rittergüter des WeserDistricts. Vierter Bezirk: die Rittergüter des HarzDistricts.

4. Stellvertreter der Abgeordneten § 7. Für jeden Abgeordneten wird zugleich ein Stellvertreter gewählt, der dieselben Eigenschaften wie dieser haben muß, und einberufen wird, wenn der Abgeordnete den bereits übernommenen Auftrag niedergelegt, oder nicht fort besorgen kann. 5. Neue Wahlen in einzelnen Fällen § 8. Wenn sowohl der Abgeordnete, als auch der Stellvertreter ihren Auftrag niederlegen, oder zu dessen Ausrichtung unfähig werden, erläßt die Landesregierung für den betreffenden Wahlbezirk neue Wahlausschreiben.

B Specielle Bestimmungen für die einzelnen Standesklassen 1. Von den Prälaten § 9. Die jetzt bestehenden 12 landtagsfähigen Prälaten werden beibehalten. § 10. Sämmtliche Prälaten werden zu ihren Aemtern durch den Landesherrn auf Lebenszeit ernannt.

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b. Vertheilung der Abgeordneten der Ritterschaft auf die Wahlbezirke § 12. Für den ersten Wahlbezirk werden sieben, für die drei übrigen für jeden zwei Abgeordnete gewählt. Von den drei Abgeordneten, welche Gutseigenthümer nicht zu seyn brauchen, wählen das erste Mal die drei ersten Wahlbezirke jeder Einen, das zweite Mal der vierte Wahlbezirk Einen und der erste Wahlbezirk zwei u. s. ferner. 3. Von den Städten a. Wahlbezirke § 13. Die Städte des Herzogthums bilden sechs Wahlbezirke. Erster Bezirk: die Stadt Braunschweig. Zweiter bezirk: Wolfenbüttel und Schöppenstedt. Dritter Bezirk: Helmstedt, Schöningen und Königslutter. Vierter Bezirk: Seesen und Gandersheim. Fünfter Bezirk: Holzminden und Stadtoldendorf. Sechster Bezirk: Blankenburg und Hasselfelde.

V ERFASSUNGSENTWURF FÜR B RAUNSCHWEIG (1831) b. Vertheilung der Abgeordneten auf die Wahlbezirke § 14. Von den 13 Abgeordneten der Städte wählt der erste Bezirk sechs, der zweite und dritte jeder zwei, der vierte, fünfte und sechste jeder einen Abgeordneten. Die drei unter diesen Abgeordneten, welche weder Gewerbtreibende noch Magistratspersonen zu seyn brauchen, werden dergestalt vertheilt, daß Einen die Stadt Braunschweig, Einen der zweite und dritte Wahlbezirk abwechselnd, und Einen der vierte, fünfte und sechste Wahlbezirk der Reihe nach senden. 4. Freisassen und Bauern

Einen. Die drei unter diesen Abgeordneten, welche Grundeigenthümer nicht zu seyn brauchen, werden bei der ersten Wahl von dem ersten, dritten und fünften, bei der zweiten Wahl von dem zweiten, vierten und sechsten Wahlbezirke gesendet.

Dritter Abschnitt Zusammensetzung des ständischen Ausschusses 1. Zahl der seiner Mitglieder § 17. Der ständische Ausschuß soll aus fünf Abgeordneten des Landes bestehen.

a. Wahlbezirke 2. Wahl derselben § 15. Das Herzogthum wird in Beziehung auf die Wahl der Abgeordneten der Freisassen und Bauern in sieben Bezirke getheilt. Erster Bezirk: die Kreisämter Vechelde und Riddagshausen. Zweiter Bezirk: die Kreisämter Wolfenbüttel, sammt Rotenhof, Calder und Schöppenstedt. Dritter Bezirk: die Kreisämter Helmstedt, Schöningen, Königslutter, Vorsfeld und Calvörde. Vierter Bezirk: die Kreisämter Gandersheim, Seesen, Lutter am Barenberge. Fünfter Bezirk: die Kreisämter Holzminden, Eschershausen, Stadtoldendorf, Greene und Ottenstein. Sechster Bezirk: die Kreisämter Blankenburg, Hasselfelde, Walkenried und Harzburg. Siebenter Bezirk: das Kreisamt Thedinghausen. b. Vertheilung der Abgeordneten auf die Wahlbezirke § 16. Jeder der sechs ersten Wahlbezirke wählt zwei Abgeordnete, der siebente

§ 18. Diese werden von der Ständeversammlung durch absolute Stimmenmehrheit, aus den Abgeordneten, nach der für die Wahl dieser vorgeschriebenen Weise erwählt. 3. Zeit der Ernennung desselben § 19. Der landständische Ausschuß wird ernannt, wenn der Landtag verabschiedet oder aufgelöset wird, vor dessen Auseinandergehen. 4. Erneuerung der Mitglieder des Ausschusses § 20. Nach jeder neuen allgemeinen Wahl der Abgeordneten erlischt das Recht des ständischen Ausschusses, und zwar an dem Tage, an welchem die Ständeversammlung eröffnet wird. § 21. Entsteht eine Vacanz in dem Ausschusse; so ist solche sofort wieder zu besetzen.

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B RAUNSCHWEIG

Vierter Abschnitt Von der Wahlberechtigung

A Allgemeine Bestimmungen 1. Allgemeine Erfordernisse der Wähler, Wahlmänner und Wahlberechtigten in allen Standesklassen Gesetzlicher Sprachgebrauch § 22. Wähler heißen diejenigen, welche in den Fällen, wo nicht eine unmittelbare Wahl der Abgeordneten Statt findet, verfassungsmäßig berufen sind, die Personen zu ernennen, welche bei der Wahl der Abgeordneten stimmen. Diese letzteren heißen Wahlmänner. Wahlberechtigte sind diejenigen, welche bei der Wahl der Abgeordneten, vermöge ihres Grundbesitzes oder ihres Amtes, ein Stimmrecht haben. a. Persönliche Erfordernisse § 23. Um das Wahlrecht als Wähler, Wahlmann, oder Wahlberechtigter ausüben zu können, muß man 1) das 25ste Jahr zurückgelegt haben, 2) sich zur christlichen Religion bekennen, 3) Seit drei Jahren seinen Wohnsitz im Herzogthume wirklich gehabt, oder doch das Wohnortsrecht seit so langer Zeit erworben haben. b. Gründe der Unzulässigkeit § 24. Unzulässig sind alle: 1) welche wegen eines Verbrechens zu Zwangsarbeit oder zu einer härteren, als einer dreimonatlichen Gefängnißstrafe, oder überhaupt wegen Meineids, Diebstahls, Hehlerei, Betruges oder Bankerotts durch ein rechtskräftiges Erkenntniß im In- oder Auslande verurtheilt, oder von der advocatorischen Praxis removirt sind;

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2) welche überwiesen sind, es versucht zu haben, durch Geschenke, Versprechungen oder sonst auf unerlaubte Weise auf die Wahlen der Wahlmänner oder Abgeordneten einzuwirken, oder sich solchen Einwirkungen hingegeben haben; 3) welche wegen eines der unter 1. und 2. erwähnten Verbrechen in Untersuchung gerathen und nicht völlig freigesprochen sind; 4) welche wegen eines solchen Verbrechens noch in Untersuchung sind; 5) welche unter Curatel stehen; 6) deren hier im Lande befindliches stimmberechtigtes Grundvermögen im Concurse ist; 7) welche Rückstände an öffentlichen oder Communalabgaben haben, und an deren Bezahlung vergeblich gemahnt sind. c. Weiber und Minderjährige § 25. Weiber und Minderjährige können ihr Wahlrecht nicht selbst ausüben, wohl aber, wenn sie dasselbe vermöge eines Grundbesitzes haben, durch Andere ausüben lassen, und zwar Weiber durch ihre Ehemänner Wittwen und Geschiedene durch ihre Söhne, Minderjährige durch ihre Vormünder; insofern sich bei diesen Personen die gesetzlichen Erfordernisse finden. d. Mehrere Miteigenthümer § 26. Mehrere Miteigenthümer vereinigen sich darüber, wer von ihnen das Stimmrecht ausüben solle, und bei entstehender Uebereinkunft entscheidet das Loos. e. In Streit befangene Eigenthümer § 27. Während eines Rechtsstreites über das Eigenthum oder die lebenslängliche Nutznießung des stimmberechtigten Guts, ruhet das Stimmrecht.

V ERFASSUNGSENTWURF FÜR B RAUNSCHWEIG (1831) f. Mehrfaches Stimmrecht § 28. Niemand kann in derselben Standesklasse, weder in demselben, noch in verschiedenen Wahlkreisen ein mehrfaches Stimmrecht ausüben, mag ihm dieses nun als Inhaber mehrerer stimmberechtigten Grundstücke, oder als Grundbesitzer und vermöge seines Amts, oder auf andere Weise zustehen. Wer dagegen in verschiedenen Standesklassen stimmberechtigt ist, kann sein Recht in jeder Klasse ausüben. Den in derselben Standesklasse in verschiedenen Wahlbezirken Berechtigten steht die freie Wahl zu, in welchen dieser Bezirke sie ihr Recht in Ausübung bringen wollen. g. Grundeigenthum der Landesregierung § 29. Das Stimmrecht der in dem Besitze der Landesregierung befindlichen Grundstücke schläft, wird aber wieder wirksam, wenn diese in die Hände von Privatpersonen übergehen.

terguts, und jeder zu der bisherigen ersten Section der Landschaft gehörige Prälat, und zwar dieser in dem Wahlkreise, in welchem er sein Domicil hat, ist bei der Wahl der Abgeordneten für die Ritterschaft wahlberechtigt.

b. Bedingung des Stimmrechts durch den jetzigen Gutsbestand

§ 32. Das Wahlrecht haftet auf dem jetzigen ganzen Umfange der in die Rittermatrikel eingetragenen Zubehörungen der Güter, und geht durch Zerstückelung oder durch Veräußerung einzelner Theile desselben verloren, ausgenommen, wenn eine Veräußerung einzelner Gutszubehörungen dem ständischen Ausschusse angezeigt, von diesem mittelst Berichts an den Landesherrn für unbedenklich erklärt und von Höchstdemselben genehmigt wird.

c. Aufnahme neuer Güter in die Rittermatrikel

B Bestimmungen darüber, wem in jeder Standesklasse das Wahlrecht zusteht A. Bei den Prälaten § 30. Die Abgeordneten der Prälaten wählt die Landesregierung. Sie erläßt bei der Convocation des Landtags Berufungsrescripte an die, welche sie als Abgeordnete wählt, und benachrichtigt zugleich den ständischen Ausschuß von der getroffenen Wahl. B. Bei der Ritterschaft a. Wahlberechtigte § 31. Jeder Eigenthümer oder lebenslängliche Nutznießer eines landtagsfähigen Rit-

§ 33. Mit Zustimmung der Ritterschaft und des Landesherrn können nicht landtagsfähige Güter in die Rittermatrikel aufgenommen werden. Die Zustimmung der Ritterschaft muß der des Landesherrn vorausgehen, und ist als ertheilt anzusehen, wenn mindestens zwei Drittel der sämmtlichen Rittergutsbesitzer gestimmt haben, und die Mehrheit für den Antrag ist. Gesuche um Aufnahme in die Rittermatrikel werden während des Landtags an die Ständeversammlung, außerdem an den ständischen Ausschuß gerichtet, die Ritterschaft wird convocirt oder zur schriftlichen Abstimmung aufgefordert, und, nach Maaßgabe des Erfolges der Abstimmung, das Weitere erlassen.

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B RAUNSCHWEIG d. Beschränkung der Vorschriften des § 33 § 34. Eine solche Zustimmung zur Aufnahme in die Rittermatrikel ist nicht erforderlich, wenn Güter, welche früher in derselben gestanden haben und jetzt Eigenthum der Landesregierung sind, in die Hände von Privatpersonen übergehen, vielmehr haben diese Güter das Recht, in die Matrikel aufgenommen zu werden. (Vergl. §. 29.) C. Bei den Städten 1. Städtische Wähler a. Einleitung § 35. Die städtischen Abgeordneten werden durch die Wahlberechtigten und Wahlmänner gewählt. Die letztern erhalten ihren Auftrag durch die Wähler. b. Eigenschaften der Wähler § 36. In den Städten ist jeder Wähler, wer entweder das Bürgerrecht gewonnen hat, oder Eigenthümer eines Hauses in dem Stadtbezirke ist, und Communalsteuer zahlt. Handel- oder Gewerbtreibende, die nicht Bürger oder Hauseigenthümer sind, können nur Wähler seyn, wenn sie mindestens nach den, Behuf der Entrichtung der Communalsteuer aufgenommenen oder noch aufzunehmenden, Abschätzungen in Braunschweig 500 Rthlr., in den übrigen Städten des Landes 300 Rthlr. jährliches ständiges Einkommen haben. Als ständiges Einkommen werden Gehalte und Pensionen, die vom Staate bezogen werden, nicht angesehen. 2. Die Wahlmänner a. Deren Anzahl § 37. In jeder Stadt werden so viel Wahlmänner ernannt, als die Zahl 25 in der Zahl

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der Häuser aufgeht. Wenn die bei dieser Division übrig bleibende Haüserzahl mehr als 15 beträgt, wird für sie noch ein Wahlmann ernannt. Die Vorstädte, so wie die in dem Stadtbezirke gelegenen Häuser, sind dabei mit in Rechnung zu bringen. b. Deren Eigenschaften § 38. Nur derjenige, welcher die Eigenschaften eines städtischen Wählers hat, kann Wahlmann seyn, und es wird außerdem erfordert: 1) bei den Bürgern oder Hausbesitzern, daß sie ein abgeschätztes, jährliches, ständiges Einkommen, in Braunschweig von 500 Rthlr., in den übrigen Städten von 300 Rthlr. haben; 2) bei den nicht ansässigen Gewerbetreibenden, welche das Bürgerrecht nicht gewonnen haben, daß sie ein abgeschätztes, jährliches, ständiges Einkommen, in Braunschweig von 800 Rthlr., in den übrigen Städten von 500 Rthlr. haben. Dabei müssen sie in der Stadt, für welche sie gewählt worden, wirklich ihren Wohnsitz haben. 3. Die städtischen Wahlberechtigten § 39. Wahlberechtigte in den Städten sind: 1) die stimmführenden Mitglieder des Magistrats; 2) die Stadtverordneten, welche dreimal als solche gewählt sind; 3) die Prälaten der bisherigen zweiten Section der Stände in der Stadt, in welcher sie ihren Wohnsitz haben. D. Bei den Freisassen und Bauern Einleitung § 40. Die Abgeordneten der Freisassen und Bauern werden ebenfalls durch Wahlmänner erwählt, und diese letztere durch die Wähler ernannt.

V ERFASSUNGSENTWURF FÜR B RAUNSCHWEIG (1831) 1. Wähler der Freisassen und Bauern § 41. Das Recht, die Wahlmänner der Freisassen und Bauern zu ernennen, hat jeder Eigenthümer oder Nutznießer eines Reihehofes, so wie jeder, der Stimmrecht bei den Beschlüssen der Gemeinde hat und Contribution und Proviantgeld bezahlt. 2. Wahlmänner der Freisassen und Bauern a. Deren Zahl § 42. Für jede Gemeinde wird ein Wahlmann ernannt. Diese Regel leidet jedoch eine Ausnahme in Ansehung der Flecken, welche über 100 Häuser haben; diese bestellen zwei Wahlmänner.

4) sich eines unbescholtenen Rufes erfreuen.

2. Unzulässigkeitsgründe § 45. Mitglieder der herzoglichen Staatsministeriums können nicht Abgeordnete seyn. Eben so wenig diejenigen, welche wirkliche Hof-, Militair- oder Civilbeamten eines auswärtigen Staates sind.

B Besondere Bestimmungen für die einzelnen Standesklassen

1. Für die Prälaten

b. Deren Eigenschaften § 43. Wahlmann für die Flecken und Dörfer kann nur derjenige seyn, welcher die Eigenschaften eines ländlichen Wählers besitzt, und außerdem in der Gemeinde seinen wirklichen Wohnsitz hat.

§ 46. Als Abgeordnete der Prälaten kann jeder gewählt werden, dem auf die gehörige Weise von dem Landesherrn eine landtagsfähige Prälatur verliehen ist.

2. Für die Ritterschaft

Fünfter Abschnitt Von der Wählbarkeit

A Allgemeine Bestimmungen für alle Standesklassen 1. Persönliche Eigenschaften § 44. Wählbar als Abgeordnete sind alle, welche die allgemeinen Erfordernisse der Wähler besitzen (§. 25. und 26.), und außerdem 1) das 30ste Jahr zurückgelegt haben; 2) ehelich geboren und von teutscher Geburt sind, d. h. von einem teutschen Vater abstammen; 3) fünf Jahre im Herzogthume ihren gesetzlichen Wohnsitz gehabt haben;

§ 47. Als Abgeordneter der Ritterschaft ist jeder wählbar, der ein landtagsfähiges Rittergut eigenthümlich, oder als lebenslänglicher Nutznießer besitzt.

3. Für die Städte § 48. In den Städten sind wählbar: 1) die stimmführenden Mitglieder des Magistrates; 2) ansässige Handel- oder Gewerbtreibende, die, nach den Behuf der Communalsteuer entworfenen Abschätzungen, ein jährliches Einkommen, in Braunschweig von mindestens 800 Rthlr., in den übrigen Städten des Landes von mindestens 500 Rthlr. haben.

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B RAUNSCHWEIG 4. Für die Freisassen und Bauern § 49. Als Abgeordnete der Freisassen und Bauern sind zulässig alle, welche Eigenthümer oder Nutznießer eines Bauerngutes sind und zu den Höchstbesteuerten des Wahlbezirkes gehören. Die Höchstbesteuerten sind diejenigen, welche in dem Bezirke die 30 höchsten Steuersätze an Contribution und Proviantgelde bezahlen. Diese 30 höchsten Steuersätze sind dergestalt zu berechnen, daß nur ein voller Thaler einen andern Satz begründet, und die überschießenden Gutegroschen und Pfennige nicht beachtet werden. 5. Besondere Bedingungen der Wählbarkeit bei den nicht eigenthümlichen Abgeordneten der Ritterschaft, der Städte, der Freisassen und Bauern § 50. Jeder wissenschaftlich Gebildete ist wählbar, der entweder in der fünften Klasse der Personalsteuer steht, oder nach den Communalsteuer-Abschätzungen ein jährliches ständiges Einkommen von 1000 Rthlr. und darüber hat.

Sechster Abschnitt Von den Wahlen

A

3. Pflicht zu stimmen § 53. Jeder hat dem wichtigen und ehrenvollen Rufe, als Wähler, Wahlmann oder Wahlberechtigter zu stimmen, die schuldige Folge zu leisten. Nur ärztlich bescheinigte Krankheit oder unverschiebliche Abwesenheit entschuldigt. 4. Pflichten bei der Abstimmung § 54. Die Wählenden sind verpflichtet, lediglich ihrer freien und gewissenhaften Ueberzeugung zu folgen. Aufträge der Wähler oder Gemeinden and die Wahlmänner, für wen sie stimmen sollen, sind ungültig. 5. Angelöbniß § 55. Damit man desto gewisser sey, daß die Wählenden ihren Obliegenheiten gehörig nachkommen, sollen dieselben vor Abgabe ihrer Stimmen an Eidesstatt mittelst Handschlages angeloben: daß sie ohne allen Einfluß und Nebenrücksichten nur nach ihrer besten Ueberzeugung, so wie sie es vor Gott und ihrem Gewissen verantworten zu können denken, stimmen wollen.

Allgemeine Grundsätze 1. Wahlausschreiben § 51. Weder die Wahl von Wahlmännern, noch die von Abgeordneten darf ohne landesherrliche Verfügung vorgenommen werden. 2. Strafbarkeit eigenmächtiger Versammlungen § 52. Eigenmächtige Versammlungen der Wähler, Wahlmänner und Wahlberechtigten sind strafbar und ziehen mindestens den Verlust des Wahlrechts nach sich.

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6. Abstimmung in Person § 56. Die Wähler, Wahlmänner und Wahlberechtigten müssen bei den Wahlen in Person erscheinen. Durch Bevollmächtigte seine Stimme abgeben zu lassen, ist unstatthaft. Den Mitgliedern der Ritterschaft ist es indeß gestattet, dem Präsidenten desWahlcollegiums ihre Abstimmung versiegelt mit einem Schreiben zuzuschicken. Dieses Schreiben muß zugleich die §. 55. vorgeschriebene Versicherung enthalten.

V ERFASSUNGSENTWURF FÜR B RAUNSCHWEIG (1831) 7. Gesetzlich erforderliche Anzahl der Stimmenden § 57. Es kann keine Wahl gültig vorgenommen werden, wenn nicht zwei Drittel der Wähler oder der Mitglieder des Wahlcollegiums erschienen sind. Das Ausbleiben einer geringern Anzahl macht das Geschäft nicht unzulässig. Ist nicht die gesetzliche Wahl erschienen; so wird ein neuer Wahltag angesetzt, und zwar auf Kosten der nicht gesetzlich entschuldigten Ausgebliebenen.

8. Mehrheit der Stimmen entscheidet § 58. Wer die meisten Stimmen für sich hat, ist als Wahlmann oder Abgeordneter gewählt. Indeß müssen die für ihn abgegebenen Stimmen die absolute Mehrheit bilden, d. h. bei ungleicher Zahl der Stimmenden mindestens die größere Hälfte ausmachen oder bei gleicher Zahl der Stimmenden die Hälfte derselben wenigstens um Eins übersteigen.

Fortsetzung § 59. Hat bei der ersten Abstimmung keiner die vorgeschriebene Stimmzahl; so sind die drei Personen, welche die meisten Stimmen für sich haben, auf eine engere Wahl zu bringen, und es ist unter ihnen zu wählen. Hat auch diese zweite Abstimmung kein Resultat; so ist zwischen den beiden Personen, welche bei dieser Abstimmung die meisten Stimmen hatten, eine dritte Wahl zu veranstalten. Sind bei dieser dritten, oder auch schon bei der zweiten Abstimmung, die Stimmen gleich getheilt; so entscheidet das Loos. – Die Art, wie gelooset werden soll, bestimmt der die Wahl Leitende.

9. Abstimmungen Unbefugter § 60. Haben Unbefugte mitgestimmt; so ist die Wahl nur alsdann ungültig, wenn, nach Abrechnung der von diesen für den Gewählten abgegebenen Stimmen, dieser die gesetzlich erforderliche Stimmenmehrheit nicht hat, und es muß zu einer neuen Wahl geschritten werden. 10. Fehler bei der Ladung § 61. Sind in die gesetzlich vorgeschriebenen Listen der Wähler oder Wahlmänner und Wahlberechtigten aufgenommene Personen zu dem Wahltage gar nicht oder nicht ordnungsmäßig vorgeladen; so ist die Wahl ungültig, wenn, bei Hinzurechnung der Zahl der nicht Vorgeladenen zu der der Erschienenen, die auf den Gewählten gefallene Stimmenzahl nicht dennoch die absolute Majorität bildet. Es ist alsdann ein neuer Wahltag anzusetzen. 11. Entscheidungen in Wahlsachen a. Bei den Wahlen der Wahlmänner und über die Rechte der Wählenden § 62. Ueber Streitigkeiten, Beschwerden und Reclamationen, welche die Rechte der Wähler, Wahlberechtigten und Wahlmänner, die Gültigkeit der Wahlen der Letztern, so wie das dabei beobachtete Verfahren betreffen, entscheiden bei der Ritterschaft die Oberhauptleute, in den Städten die Magistrate, bei den Freisassen und Bauern die Kreisämter. Gegen die Entscheidungen dieser Behörden findet ein Recurs an die höheren administrativen Behörden Statt, und in letzter Instanz entscheidet das Staatsministerium. Den Betheiligten ist es gestattet, wenn sie durch diese letzte Entscheidung sich beschwert halten, sich an die Ständeversammlung zu wenden, welche, wenn sie

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B RAUNSCHWEIG die Sache dazu geeignet findet, solche zu nochmaliger Erörterung dem Staatsministerium anempfehlen kann. b. Bei der Wahl der Abgeordneten § 63. Entstehen Zweifel, Beschwerden und Reclamationen über die Wahl eines Abgeordneten, mögen sie nun die Zulässigkeit desselben, die Gültigkeit der Wahl, oder das dabei beobachtete Verfahren betreffen; so entscheidet darüber die Ständeversammlung in erster und letzter Instanz.

Listen angefertigt, von welchen die eine alle Wähler, die andere alle als Wahlmänner Wählbare enthält. Diese Listen entwirft in den Städten der Magistrat, in den Flecken und Dörfern das Kreisamt mit Zuziehung des Ortsvorstehers. b. Deren Bekanntmachung § 67. Diese Listen werden 14 Tage vor dem Wahltage öffentlich angeschlagen, oder zur Einsicht ausgelegt, wie dieses an jedem Orte herkömmlich ist. c. Reclamationen gegen die Listen

12. Allgemeine Bestimmung wegen der Stellvertreter der Abgeordneten § 64. Alle in dieser Landschaftsordnung über die Eigenschaften und Wahlen der Abgeordneten vorkommenden Bestimmungen leiden gleiche Anwendung auf deren Stellvertreter. Ueber die Einberufung derselben entscheidet die Ständeversammlung.

B Von dem Verfahren bei den Wahlen I. Bei der Ernennung der Wahlmänner 1. Leitende Behörden § 65. Die Ernennung der Wahlmänner wird in den Städten von den Magistraten, in den Flecken und Dörfern von den Kreisämtern und Ortsvorstehern geleitet. Diese Behörden dürfen auf die Wahl selbst nicht einwirken, sie haben nur auf die Befolgung der gesetzlichen Vorschriften zu achten. 2. Listen der Wähler und als Wahlmänner Wählbaren a. Deren Aufstellung § 66. Sobald ein Wahlausschreiben ergangen ist, werden für jede Gemeinde zwei

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§ 68. Reclamationen gegen diese Listen sind zulässig; sie müssen aber binnen den ersten acht Tagen nach deren Bekanntmachung, in den Städten bei dem Magistrate, von den Freisassen und Bauern bei den Kreisämtern angebracht werden. Später eingehende Reclamationen werden für die bevorstehende Wahl nicht beachtet und können nur die Wirkung haben, daß sie bei künftigen Wahlen berücksichtigt werden. d. Abänderung dieser Listen § 69. Wer einmal in diese Listen aufgenommen ist, kann aus denselben nicht gestrichen werden, ohne daß ihm der Grund hievon von der betreffenden Behörde durch eine schriftliche Resolution mitgetheilt ist. e. Verfügungen auf Reclamationen § 70. Die Verfügungen auf eingehende Reclamationen sind möglichst schnell, spätestens binnen drei Tagen abzugeben; und wenn dieselben begründet gefunden werden, sind die Listen sofort zu berichtigen. f. Wahltag § 71. Die Ortsbehörde setzt darauf den Wahltag, jedoch also an, daß er 14 Tage nach Bekanntmachung der Wählerlisten fällt, und ladet dazu jeden in dieselben

V ERFASSUNGSENTWURF FÜR B RAUNSCHWEIG (1831) Verzeichneten durch eine, nach dem unter A. anliegenden Formulare verfaßte, Ladung vor. Die Behändigung dieser Ladung muß spätestens drei Tage vor dem angesetzten Wahltage geschehen. g. Wahldistricte in den Städten § 72. In den größeren Städten sind, nach Ermessen des Magistrates, mehrere Wahldistricte zu bilden Behuf der Ernennung der Wahlmänner, und der Magistrat ernennt für jeden dieser Districte einen Wahlvorsteher aus seinem Mittel, welcher die §. 71. vorgeschriebenen Ladungen besorgen läßt. Eine Aenderung der einmal angenommenen Districte hat nur mit landesherrlicher Genehmigung Statt. h. Wahlhandlung

Gewählten die Zahl der auf ihn gefallenen Stimmen, durch Verzeichnung der laufenden Nummern der Wahlzettel bei demselben, zu Protocoll genommen. In den Flecken und Dörfern vernimmt der die Wahl Leitende die Wähler zu Protocoll und läßt die Abstimmung eines Jeden von ihm unterzeichnen. Uebrigens treten die §. 60. enthaltenen Bestimmungen ein. 3. Bekanntmachung des Gewählten und dessen Legitimation § 75. Der Gewählte wird der Versammlung bekannt gemacht, und erhält von dem Wahlvorsteher eine nach dem Formulare Anlage B. ausgestellte Urkunde zu seiner Legitimation. 4. Anzeige der Wahl bei der betreffenden Behörde

1. Einleitung des Geschäfts § 73. Die Wahlhandlung beginnt damit, daß der Wahlvorsteher die Erschienenen nach der Wählerliste aufruft, und dieselben sich durch ihre behändigten Ladungen legitimiren läßt, alle Unbefugte entfernt, und nachzählt, ob zwei Drittel der in die Liste Verzeichneten erschienen sind. Ist dieses der Fall; so wird den Anwesenden der Zweck ihrer Versammlung, so wie der Inhalt der Liste der Wählbaren nochmals bekannt gemacht; sie leisten die §. 55. vorgeschriebene Versicherung, und schreiten alsdann zu der Abstimmung. 2. Abstimmung § 74. In den Städten geschieht die Abstimmung durch verschlossene Zettel, und wenn mehrere Wahlmänner zu ernennen sind, hat jeder Wähler und zwar auf demselben Zettel so viele Personen zu verzeichnen, als Wahlmänner zu ernennen sind. Diese Wahlzettel werden von dem Wahlvorsteher in einer Urne gesammelt, mit laufenden Nummern versehen, und bei jedem der

§ 76. Zugleich zeigen die Wahlvorsteher der städtischen Districte den Magistraten, die Ortsvorsteher der Flecken und Dörfer dem Kreisamte die erfolgte Wahl an, und diese Behörden fertigen eine Liste aller ernannten Wahlmänner und Wahlberechtigten ihres Stadt- oder Amtsbezirkes an, welche sie an die Oberhauptleute einsenden, und zwar hat der Magistrat der Stadt Wolfenbüttel diese Liste der Oberhauptmannschaft des wolfenbüttelschen Districts mitzutheilen. Für die Stadt Braunschweig ist eine solche Mittheilung an die Oberhauptmannschaft nicht erforderlich. 5. Erlöschen des Wahlrechts der Wahlmänner § 77. Sobald die Wahlmänner die Abgeordneten und Stellvertreter auf eine gültige Art gewählt haben, erlischt ihre Wahlberechtigung, und zu jeder neuen Wahl müssen neue Wahlmänner ernannt werden. Ausgenommen sind die Fälle, wo eine gültige Wahl keine Folgen hat (§. 88.); in

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B RAUNSCHWEIG diesen sind dieselben Wahlmänner zu der Wahl berufen. II. Verfahren bei der Wahl der Abgeordneten

welche ohne Rücksicht auf die gedachten Eigenschaften wählbar sind. Es versteht sich, daß diejenigen, bei welchen sich die erforderlichen Eigenschaften finden, in beiden Abtheilungen aufgenommen werden.

1. Wahlcollegien § 78. Die Wahlberechtigten jedes ritterschaftlichen Wahlbezirkes, die Wahlberechtigten und Wahlmänner jedes städtischen oder ländlichen Wahlbezirkes bilden das Wahlcollegium. 2. Deren Präsidenten § 79. Das Verfahren bei den Wahlcollegien wird durch Präsidenten geleitet. Es ist ihnen untersagt, auf die Wahl selbst irgend einen Einfluß zu üben; sie haben nur auf Beobachtung der gesetzlichen Vorschriften zu sehen. Sie werden von der Landesregierung ernannt. Die der ritterschaftlichen Wahlcollegien sind aus deren Mitgliedern zu nehmen. 3. Listen § 80. Vor der Wahl der Abgeordneten werden, abgesondert, für jeden ritterschaftlichen, für jeden städtischen, für jeden ländlichen Wahlbezirk zwei Listen angefertigt. Die erste enthält alle Wahlberechtigte, oder alle Wahlberechtigte und Wahlmänner. Die zweite alle als Abgeordnete Wählbare des Bezirkes. Diese zweite Liste zerfällt in zwei Abtheilungen, in deren erster diejenigen verzeichnet werden, welche bei der Ritterschaft in ihrer Eigenschaft als Gutsbesitzer, in den Städten als Gewerbtreibende und Magistratsmitglieder, bei den Freisassen und Bauern als Hofsbesitzer wählbar sind. In der zweiten Abtheilung werden diejenigen Bewohner des Bezirks verzeichnet,

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Fortsetzung § 81. Diese Listen fertigen die Oberhauptleute an, und zwar die des ersten ritterschaftlichen Wahlbezirkes der Oberhauptmann des wolfenbüttelschen Districts, welchem der Oberhauptmann des blankenburgischen Districts die erforderlichen Mittheilungen zu machen hat. Nur in der Stadt Braunschweig steht dem Magistrate die Aufstellung dieser Listen zu.

4. Bekanntmachung dieser Listen § 82. Die betreffenden Behörden machen diese Listen spätestens 14 Tage vor der Versammlung des Wahlcollegiums durch die braunschweigischen Anzeigen bekannt, und fordern zugleich alle diejenigen auf, welche Reclamationen gegen dieselbe zu haben glauben, solche binnen 14 Tagen geltend zu machen, und es gelten, hinsichtlich dieser Listen und Reclamationen, die §. 69. und 70. festgesetzten Bestimmungen.

5. Wahltag § 83. Sobald diese Listen publicirt sind, setzt der Präsident des Wahlcollegiums den Wahltag an, bestimmt zugleich den Ort der Versammlung, und ladet die Wahlberechtigten und Wahlmänner durch eine schriftliche Ladung vor. Diese Ladung muß denselben spätestens 6 Tage vor dem Wahltage behändigt werden.

V ERFASSUNGSENTWURF FÜR B RAUNSCHWEIG (1831) Fortsetzung § 84. Für die städtischen und ländlichen Wahlcollegien ist der Wahltag auf einen Sonntag anzusetzen. Das Collegium wohnt zuvörderst dem Gottesdienst bei, in welchem eine der Feierlichkeit der Handlung angemessene Predigt gehalten wird. Zu diesem Ende hat der Präsident des Wahlcollegiums dem herzoglichen Consistorium Anzeige von dem angesetzten Wahltage zu machen, und dieses dem betreffenden Prediger die erforderliche Instruction zu ertheilen.

6. Wahlhandlung § 85. In den städtischen und ländlichen Wahlbezirken ernennt der Präsident sich aus der Versammlung drei oder mehrere Beisitzer, welche ihn unterstützen, auf die Befolgung der gesetzlichen Vorschriften mit achten, und das Protocoll mit unterschreiben. Darauf wird das Geschäft damit eröffnet, daß der Präsident die Mitglieder des Collegiums nach der Liste aufruft, dieselben sich legitimiren läßt durch Vorzeigung der Insinuationsdocumente, und die Wahlmänner zugleich durch die diesen ausgestellten Legitimationsurkunden, die Unbefugten entfernt und nachzählt: ob zwei Drittel der Mitglieder des Collegiums erschienen sind. Sind diese anwesend; so wird ihnen der Zweck der Versammlung, so wie die Abtheilung der Liste, aus denen der oder die Abgeordneten zu wählen sind, bekannt gemacht, wobei indeß, wenn ein Abgeordneter aus der Abtheilung II. der Liste der Wählbaren genommen werden kann, den Wählenden zu eröffnen ist, daß sie nicht auf diese Personen beschränkt sind, sondern aus allen denen, welche in die Abtheilung II. irgend einer Liste der Wählbaren des Landes aufgenommen sind, die Wahl haben.

Sodann leisten die Anwesenden den §. 55. vorgeschriebenen Handschlag, und es wird bei der Abstimmung eben so verfahren, wie dieses für die städtischen Wahlmänner vorgeschrieben ist. 7. Legitimationsurkunden und Berichte über die Wahl § 86. Der Gewählte wird der Versammlung bekannt gemacht, der Präsident stellt ihm eine Urkunde nach Formulare unter C. zu seiner Legitimation aus, und macht von der Wahl sowohl der Landesregierung, als auch dem ständischen Ausschusse Anzeige, sendet letzterm auch die aufgenommenen Protocolle ein. 8. Wahl der Stellvertreter Nachdem die Wahl der Abgeordneten vorgenommen ist, erfolgt die der Stellvertreter auf ganz gleiche Weise.

C Fälle, wo eine gültige Wahl keine Folge hat § 88. Einer gültigen Wahl kann keine Folge gegeben werden 1) wenn Vater und Sohn oder mehrere Brüder als Abgeordnete gewählt sind. Wenn diese sich darüber, wer zurücktreten soll, nicht vereinigen können, geht der Aeltere vor. 2) Niemand kann Abgeordneter für zwei oder mehrere Wahlkreise seyn, und ist daher in mehreren Bezirken die Wahl auf ihn gefallen; so hat er sich darüber zu erklären, welchen Auftrag er annehmen wolle. Diese Erklärung ist binnen drei Tagen, nachdem der Gewählte die doppelte Wahl erfährt, bei dem Staatsministerium und dem ständischen Ausschusse abzugeben, und wenn sie in dieser Frist nicht erfolgt, bestimmt das Staatsministerium, für welchen Bezirk die Wahl als angenommen anzusehen ist.

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B RAUNSCHWEIG 3) Wenn der Gewählte den Auftrag als Abgeordneter nicht annimmt. Es steht nämlich einem Jeden frei, die Sendung als Abgeordneter auszuschlagen, da nicht angenommen werden darf, daß Jemand ohne die wichtigsten Gründe dem ehrenvollen Vertrauen seiner Mitbürger nicht entsprechen werde. Wer die Wahl nicht annimmt, hat davon sofort in der Versammlung dem Wahlcollegium, welches sodann sogleich zu einer neuen Wahl schreitet, oder binnen drei Tagen dem Staatsministerium und dem engern Ausschusse Anzeige zu machen. 4) Wenn Staatsbeamte, active Militairs, Geistliche oder Schuldiener als Abgeordnete gewählt werden, und die Landesregierung ihnen die Erlaubniß, die Wahl anzunehmen, versagt. Es können nämlich diese Personen, wenn sie dazu geeignet sind, allerdings als Abgeordnete gewählt werden; sie müssen aber, bevor sie die Wahl annehmen, dazu die Erlaubniß der Regierung erhalten, welche indeß nicht versagt werden wird, wenn nicht das Beste des Dienstes dieses nothwendig macht.

E Von den Kosten der Wahlen § 90. Die Wähler, Wahlberechtigten und Wahlmänner haben keinen Anspruch auf Entschädigung wegen der ihnen durch die Wahl etwa veranlaßten Kosten, mit Ausnahme des §. 57. bemerkten Falles. Die Kosten, welche durch die Thätigkeit der administrativen Behörden bei den Wahlen veranlaßt werden, trägt die Landessteuerkasse.

TITEL II Von den Rechten und Pflichten der Landschaft

Erster Abschnitt Allgemeine Grundsätze § 91. Die erste und heiligste Pflicht der Landstände besteht darin, daß sie die Wohlfahrt und das Beste des Vaterlandes und ihrer Mitbürger, ohne alle Nebenabsichten und Rücksichten auf einzelne Personen und Verhältnisse, nach ihrer besten Einsicht, mit Gewissenhaftigkeit zu befördern suchen.

Fortsetzung D Erlöschen des Auftrages der Abgeordneten

§ 89. Der Auftrag der Abgeordneten erlischt: 1) durch Verlust einer der Eigenschaften, welche erforderlich sind, um wählbar zu seyn; 2) durch den Ablauf der Zeit, für welche der Abgeordnete gewählt war; 3) durch Auflösung der Ständeversammlung; 4) durch Annahme eines Staatsamtes, welches der Erwälte zur Zeit der Wahl noch nicht bekleidete.

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§ 92. Sie sind schuldig, bei Ausübung der ständischen Rechte und Befugnisse die Verfassung und die festgesetzte Ordnung genau zu beobachten.

Zweiter Abschnitt Einzelne Rechte und Pflichten der Ständeversammlung 1. Bei der Verwilligung, Veranlagung, Erhebung und Verwendung der Steuern und andern allgemeinen Landeslasten Regel § 93. Die Stände haben das Recht, die

V ERFASSUNGSENTWURF FÜR B RAUNSCHWEIG (1831) zur Erhaltung der Staatszwecke erforderlichen Mittel zu bewilligen. Ausnahme § 94. Ausnahmsweise können, ohne vorherige Bewilligung der Stände, in folgenden Fällen von dem Landesherrn allein Steuern auferlegt und erhoben werden: 1) zur nothwendigen Vertheidigung des Vaterlandes, 2) zur Erfüllung der Bundesverpflichtungen, 3) die Prinzessinsteuer nach den herkömmlichen Summen. Communal- und Locallasten § 95. Eben so wenig bedarf es der ständischen Concurrenz und Zustimmung in Hinsicht der Aufbringung und Repartition der, ihrer Natur und Beschaffenheit nach, einzelnen Gemeinden, Städten, Ortschaften und Districten obliegenden Lasten, Ausgaben und Kosten, welche nach den Bestimmungen der Gesetze und der Regierung durch die betreffenden Behörden zu regulieren sind. Nähere Bestimmung der Regel § 96. Mit diesen Ausnahmen kann keine Steuer oder allgemeine Landeslast ausgeschrieben oder erhoben werden, als mit ständischer Bewilligung. Es macht hiebei keinen Unterschied, welche Gegenstände solche allgemeine Landesauflagen und Leistungen betreffen: ob sie auf Grundstücke, Vermögen, Personen, Gewerbe, oder auf den Verbrauch von Lebensmitteln und Consumtibilien gelegt werden sollen. Es bezieht sich dieses Bewilligungsrecht auch auf solche Abgaben und Leistungen, welche die Leitung des Handels und der Gewerbe betreffen, oder welche zur Ausführung polizeilicher Einrichtungen und

Maaßregeln erforderlich sind, namentlich auf Weggelder, Zölle, Packhaus-Entrichtungen und Gerichtssporteln. Diese Bestimmungen haben keine rückwirkende Kraft, und die indeß beendigten oder bereits begonnenen Verhandlungen über Handelsverträge mit andern Staaten bedürfen daher, in Beziehung auf Zölle und Packhaus-Entrichtungen, der ständischen Zustimmung nicht. Umfang des Steuerverwilligungsrechts § 97. Das ständische Bewilligungsrecht erstreckt sich übrigens bei seiner Ausübung nicht blos auf die Art und den Betrag der öffentlichen Abgaben und Leistungen, sondern auch auf die Grundsätze und Verhältnisse, nach welchen selbige auf Gegenstände oder Personen zu legen und zu vertheilen sind, so wie auf die Dauer, Erhebungsweise und Verwendung der aufzulegenden Steuer. Art der Steuerausschreiben § 98. Nachdem über dieses Alles zwischen der Landesherrschaft und den Ständen eine Uebereinkunft getroffen worden, wird in deren Gemäßheit die verwilligte Auflage durch ein, auf die gewöhnliche Weise und „mit Bezug auf die gepflogene Unterhandlung mit der Landschaft“ zu publicirendes landesherrliches Gesetz ausgeschrieben und ihre Erhebung verfügt. a. Dauer der Bewilligung § 99. Die bewilligten oder bestehenden Auflagen werden bis zu einer neuen Uebereinkunft fort erhoben. Nur wenn die Steuern gleich anfänglich für einen bestimmten Zeitraum bewilligt waren, hört deren Forterhebung mit dessen Ablaufe auf.

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B RAUNSCHWEIG b. Pflicht der Verwilligung § 100. Neben dem Rechte der Steuerverwilligung haben die Stände zugleich die Verpflichtung, diejenigen Summen auszusetzen, welche zur Erreichung des Staatszweckes erforderlich sind, insofern und in soweit dieselben nicht aus den Einkünften der Domainen und Regalien bestritten werden. Fortsetzung § 101. Um das Beitragsverhältniß von den Domainen und Regalien zu den Ausgaben des eigentlichen Staatshaushalts fest zu bestimmen, soll eine Trennung des fürstlichen und Domanialhaushaltes von dem eigentlichen Staatshaushalte Statt finden. c. Trennung des fürstlichen und Domanialhaushaltes von dem Staatshaushalte § 102. Durch eine Uebereinkunft zwischen dem Landesherrn und den Ständen soll die Summe festgesetzt werden, welche jährlich von den Kammereinkünften, nach Absatz der Kosten des fürstlichen und Domanialhaushaltes, auf andere Staatszwecke verwendet werden kann. Diese Aversionalsumme soll durch Besteuerung der Domainen, durch Ueberweisung anderer Kammereinkünfte aufgebracht und an die Landessteuerkasse gezahlt werden. Folgen dieser Trennung § 103. Nachdem diese Uebereinkunft getroffen ist, werden alle Lasten des Staatshaushalts, so wie jeder zur Erreichung des Staatszwecks erforderliche Aufwand, und alle dahin gehörige Ausgaben, welche bisher von den Einkünften der Domainen und Regalien gezahlt sind, aus der Landes-

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steuerkasse bestritten. Diese Uebereinkunft kann nach vorhergehender einjähriger Kündigung bei dem Ablaufe einer Finanzperiode von der Landesherrschaft wieder aufgehoben werden. Fortsetzung § 104. Die Stände sind nicht befugt, die Vorlegung, weder des Etats, noch der Rechnungen über die dem Landesherrn reservirten Einkünfte zu verlangen. Es sollen ihnen indeß auch von diesen Einkünften die allgemeinen Etats der Einnahme und der Ausgabe jedes Jahrs auf dem Landtage mitgetheilt werden. d. Feststellung der Finanzetats § 105. Den Ständen steht dagegen das Recht zu, gemeinschaftlich mit der Landesregierung die Einnahme- und Ausgabeetats des gesammten eigentlichen Staatshaushaltes festzustellen. Diese Etats werden im Voraus für eine Finanzperiode von 6 Jahren bestimmt, und nur auf dem nächsten Landtage auf 7 Jahre, damit in der Folge die Zeit zur Erörterung dieser Angelegenheit, bei sich verzögernden Landtagsverhandlungen, nicht fehle. e. Beaufsichtigungsrecht bei den Finanzen § 106. Den Ständen steht zugleich das Beaufsichtigungsrecht hinsichtlich des Landessteuer- und Finanzwesens zu, und es sollen denselben daher die Rechnungen der abgelaufenen Finanzperioden zur Einsicht, und um darüber ihre Bemerkungen zu machen, vorgelegt werden. f. Landessteuer- und Finanzcollegium 1. Geschäftskreis desselben § 107. Die Verwaltung der Steuern, so wie der für den Staatshaushalt bestimmten

V ERFASSUNGSENTWURF FÜR B RAUNSCHWEIG (1831) Kammereinkünfte, soll einer von dem Landesherrn und den Ständen gemeinschaftlich besetzten und abhängigen Behörde, dem Landessteuer- und Finanzcollegium, übertragen werden. Der Wirkungskreis dieser Behörde soll durch eine Uebereinkunft näher bestimmt werden. 2. Verantwortlichkeit dieser Behörde § 108. Diese Behörde ist insbesondere dafür verantwortlich, daß keine Einnahme erhoben und keine Ausgabe geleistet wird, welche nicht in die von den Ständen genehmigten Etats aufgenommen ist.

Zustimmung der Stände veräußert oder verpfändet werden. Die oberste Verwaltung dieser Güter ist dafür verantwortlich, daß in Ansehung derselben nicht anders verfahren werde. Veräußerungen ohne ständische Zustimmung sind nichtig; der Käufer hat weder gegen den Landesherrn noch gegen eine öffentliche Behörde ein Klagerecht auf Rückzahlung des gezahlten Kaufgeldes, sondern er kann sich nur an die Personen halten, mit denen er contrahirt hat. Selbst in dem Falle, daß in einer öffentlichen Kasse die von ihm gezahlten Münzstücke noch vorhanden wären, kann er solche nicht vindiciren.

3. Besetzung derselben § 109. Die Hälfte der Räthe dieses Collegiums wird von der Landschaft, auf die für die Wahl des Ausschusses vorgeschriebene Weise, erwählt, und dem Landesherrn zur Bestätigung präsentirt; es steht indeß der Ständeversammlung frei, auch nicht als Abgeordnete gewählte, qualificirte Personen zu präsentiren. Es ist zulässig, daß diese landschaftlichen Räthe Mitglieder des ständischen Ausschusses sind, in sofern und so lange sie Landtagsabgeordnete sind. 2. Bei Contrahirung von Staatanleihen und dem Landesschuldenwesen § 110. Staatsanleihen können nicht ohne Einwilligung der Stände contrahirt werden; über deren Betrag, die Bedingungen und Rückzahlungen derselben, ist mit den Ständen eine Vereinbarung zu treffen. Das Landesschuldenwesen wird gleichfalls nach gemeinsamen Beschlüssen regulirt. 3. Veräußerungen des Staatsgutes § 111. Staats-, Kammer-, Stifts- und Klostergüter oder Einkünfte können nicht ohne

4. Verwaltung der Klostergüter § 112. Die Verwaltung der Klostergüter soll zwar ferner bei der Kammer verbleiben, jedoch nicht nur über das Klostervermögen eine eigene Rechnung in Einnahme und Ausgabe geführt, sondern diese Etats künftig mit Zustimmung der Stände, wie die Staatshaushaltsetats, entworfen werden, wobei indeß vorbehalten bleibt, daß die jetzt auf den Klosterfond bereits angewiesenen Ausgaben davon ferner bestritten werden. 5. Bei der Gesetzgebung a. Fälle, wo die Zustimmung der Stände erforderlich ist § 113. Die ständische Zustimmung ist erforderlich, wenn Gesetze gegeben, aufgehoben, abgeändert oder authentisch erklärt werden sollen, welche die Landes- oder Steuerverfassung, oder die Landescollegien, Gerichts- und allgemeinen Verwaltungsbehörden, deren Wirkungskreis und ihre Verhältnisse betreffen, oder endlich, welche sich auf Bestimmungen beziehen, die zwischen dem Landesherrn und den Ständen vertragsweise getroffen sind.

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B RAUNSCHWEIG b. Fälle, wo das Gutachten der Stände erfordert wird § 114. Bei allen übrigen gesetzlichen Bestimmungen müssen die Stände zuvor mit ihrem Gutachten und Rath gehört werden. c. Erwähnung der ständischen Mitwirkung § 115. Die Gesetze sollen im Eingange der erfolgten ständischen Zustimmung, oder des vorher erforderten Gutachtens und Raths der Stände ausdrücklich Erwähnung thun. d. Verordnungen § 116. Verordnungen, d. h. solche Verfügungen, welche nur die Ausführung und Handhabung der Gesetze betreffen, erläßt die Landesregierung allein. e. Bundesbeschlüsse § 117. Beschlüsse des teutschen Bundes erhalten dadurch gesetzliche Kraft, daß sie von dem Landesherrn, und zwar ohne Mitwirkung der Stände, publicirt werden. 6. Ablösbarkeit der gutsherrlichen und Feudalrechte a. Der gutsherrlichen und sonstigen Realrechte § 118. Alle privatrechtliche Reallasten an Zehnten-, Hand- und Spanndiensten, Geld-, Getreide- und sonstigen Naturalabgaben und Leistungen, womit das Eigenthum oder das erbliche Besitzrecht an einem Grundstücke beschwert ist, oder in Zukunft beschwert werden könnte, sind, ohne Rücksicht auf den Rechtsgrund ihrer Entstehung, der Ablösung unterworfen, d. h. die Aufhebung kann gegen eine Entschädigung verlangt werden. – Die Grundsätze, wonach

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diese Entschädigung zu leisten, sollen baldigst, mit Zustimmung der Stände, festgesetzt werden.

b. Der Feudalrechte

§ 119. Alle in dem Umfange des Herzogthums belegenen Lehne jeder Art und Gattung, es mögen solche von der durchlauchtigsten Landesherrschaft, von öffentlichen Anstalten und Corporationen, oder von den Privatpersonen releviren, unmittelbare oder Afterlehne seyn, sind der Allodification unterworfen. – Die näheren Bestimmungen hierüber sollen unverzüglich mit den Ständen verabredet werden. 7. Bei dem Militairwesen § 120. Ein größeres, als das durch die Bundesgesetzgebung vorgeschriebene, Truppencorps darf ohne Zustimmung der Stände nicht aufgestellt werden. Ohne deren Bewilligung kann weder das Truppencorps, noch eine Abtheilung desselben, in den Dienst eines auswärtigen Staates gegeben werden. Gleichfalls ist deren Bewilligung erforderlich, wenn durch Werbung, besonders von Ausländern, Truppen gebildet werden sollen. Die Grundsätze über Militairpflichtigkeit und über die Aushebung der Mannschaften, können nur mit Zustimmung der Stände festgestellt werden. 8. Bei der Rechtspflege

a. Unabhängigkeit der Gerichte

§ 121. Der Weg Rechtens kann in Justizsachen Niemand versagt werden. Die Stän-

V ERFASSUNGSENTWURF FÜR B RAUNSCHWEIG (1831) de haben das Recht, auf die, durch die Landes- und Bundesgesetzgebung festgestellte, Unabhängigkeit der Gerichte in den Grenzen ihrer Zuständigkeit zu halten. Insbesondere wird es den Parteien gestattet, welche sich durch landesherrliche Verfügungen in ihren Rechten, oder in ihrer verfassungsmäßigen Wirksamkeit für beeinträchtigt halten, sich an die Ständeversammlung zu wenden, und diese ist befugt, auf die Abhülfe der von ihr begründet erachteten Beschwerden bei der Landesregierung anzutragen. b. Fortsetzung § 122. Der Ständeversammlung steht ferner das Recht zu, darüber zu wachen, daß Niemand ohne gesetzlichen Grund und ohne eine ordnungsmäßige Verfügung der competenten Polizei- oder Gerichtsbehörde verfolgt, verhaftet, bestraft, oder in seinen persönlichen oder Eigenthumsrechten gekränkt werde, und sie ist verpflichtet, in diesen Beziehungen, vorkommenden Falls, die ihr erforderlich scheinenden Anträge bei der Landesregierung zu machen. c. Unabsetzbarkeit der Richter § 123. Damit die Vorschriften der §§. 121. und 122. desto wirksamer seyen, wird hiedurch der zwar angenommene, aber durch die Landesgesetze nicht ausdrücklich ausgesprochene Grundsatz zum Gesetze erhoben, daß ein Richter seines Amts nicht anders entsetzt, oder wider seinen Willen entlassen werden könne, als auf den Grund eines rechtskräftigen Erkenntnisses des zuständigen Gerichts. d. Präsentationsrecht zu zwei Rathsstellen im Landesgerichte § 124. Die Ständeversammlung hat das Recht, zu zwei Rathsstellen im herzoglichen Landesgerichte Candidaten zu präsentiren.

Sie wählt diese durch Stimmenmehrheit und ihre Wahl kann auf jeden fallen, der die vorschriftsmäßige Prüfung, zur Erlangung des Richteramts, bestanden, und ein Richteramt 5 Jahre bekleidet, oder 10 Jahre hindurch mit Auszeichnung die advocatorische Praxis betrieben hat, und einen unbescholtenen Ruf genießt. 9. Das Recht, Vorschläge zu machen § 125. Die Ständeversammlung ist berechtigt, dem Landesfürsten Vorschläge zu Gesetzen, allgemeinen Verfügungen, und zur Errichtung öffentlicher Anstalten zu machen; diese Vorschläge werden genau geprüft werden, und es sollen stets landesherrliche Entschließungen darauf erfolgen. 10. Recht der Mitaufsicht auf die Landesangelegenheiten § 126. Die Ständeversammlung ist ferner befugt, wegen bemerkter Mängel oder Mißbräuche bei der Gesetzgebung, Rechtspflege und Verwaltung der öffentlichen Angelegenheiten, Vorträge an den Landesherrn zu richten, und sich über deren Abstellung gutachtlich zu äußern. 11. Verantwortlichkeit der Beamten und Abgeordneten, wegen Aufrechthaltung der Verfassung a. Verantwortlichkeit der Staatsbeamten und der Mitglieder der Ständeversammlung § 127. Jeder Staatsbeamte und jedes Mitglied der Ständeversammlung ist innerhalb des ihm angewiesenen Wirkungskreises für die Beobachtung der Verfassung verantwortlich. Insbesondere trifft diese Verantwortlichkeit die stimmführenden Mitglieder des Staatsministeriums, hinsichtlich der von ihnen unterzeichneten oder contrasignirten

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B RAUNSCHWEIG Verfügungen. Um diese Bestimmung desto wirksamer zu machen, sollen künftig auch alle Staatsbeamten in dem Diensteide mit auf die Beobachtung der Verfassung vereidet werden. Die jetzt bereits Angestellten werden in dieser Beziehung auf den geleisteten Diensteid hiemit verwiesen. b. Strafe der verletzten Verfassung § 128. Jede Verletzung der Verfassung soll, in sofern sie nicht den bestehenden Criminalgesetzen zufolge eine härtere Strafe nach sich zieht: a) bei Beamten mindestens Dienstentlassung zur Folge haben, welche den Entlassenen zur Wiederanstellung im Staatsdienste unfähig macht; b) bei Abgeordneten mindestens dadurch geahndet werden, daß sie ihres Auftrages, so wie der Wählbarkeit auf immer für verlustig erklärt werden. c. Contrasignatur § 129. Um den verfassungsmäßigen Gang der Staatsgeschäfte und die Staatsbeamten wegen ihrer Verantwortlichkeit zu sichern, sind die unter der höchsten Unterschrift des Landesherrn erlassenen Rescripte und Verfügungen nur alsdann vollziehbar, wenn sie mit der Contrasignatur eines stimmführenden Mitgliedes des Staatsministeriums versehen sind. Diejenigen höchsten Verfügungen, welche der Landesherr in seiner Eigenschaft als oberster Befehlshaber der Truppen erläßt, bedürfen der Contrasignatur nicht. Zu diesen Verfügungen sind indeß diejenigen nicht zu rechnen, welche der Landesherr in Beziehung auf Militairangelegenheiten nur als solcher erlassen kann, insbesondere also nicht: 1) die Ernennung von Officieren, 2) alle die Militairverwaltung, so wie die

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Aushebungen und Recrutirungen betreffenden Anordnungen, 3) die Bestätigung oder Verwerfung kriegsgerichtlicher Urtheile. d. Antrag auf Bestrafung § 130. Die Landesregierung kann auf Bestrafung der Abgeordneten, und die Ständeversammlung auf Bestrafung der Mitglieder des Staatsministeriums wegen verletzter Verfassung antragen. Ein solcher Antrag muß spätestens binnen 3 Jahren nach eingetretener Verletzung gemacht werden. In Ansehung untergeordneter Beamten sind dergleichen Anträge von der Ständeversammlung nur dann statthaft, wenn dieselben bei den vorgesetzten Behörden und zuletzt bei dem Staatsministerium angebracht und 8 Wochen lang unbeachtet geblieben sind. In diesem Falle wird der Antrag auf Bestrafung bei dem Landesgerichte gemacht, welches die Untersuchung durch zwei seiner Mitglieder zu führen und das erste Erkenntniß abzugeben hat, gegen welches die ordentlichen Rechtsmittel zulässig sind. e. Bildung eines gemeinschaftlichen Gerichtshofes § 131. Soll aber ein Antrag auf Bestrafung eines Mitgliedes des Staatsministeriums oder der Ständeversammlung wegen verletzter Verfassung gemacht werden; so wird zuvörderst ein eigener Gerichtshof gebildet, welcher aus sieben Mitgliedern der höheren Justizcollegien bestehen soll. Den Präsidenten und drei Mitglieder dieses Gerichtshofes ernennt die Landesregierung, die übrigen drei die Ständeversammlung; auch werden demselben von der Landesregierung die erforderlichen Secretarien beigeordnet. – Dieser Gerichtshof prüft zuvörderst: ob Grund zu einer Untersuchung vorhanden sey? nachdem ihm der umständlich

V ERFASSUNGSENTWURF FÜR B RAUNSCHWEIG (1831) zu entwickelnde, und erforderlichen Falls mit den gehörigen Documenten versehene, Antrag auf Bestrafung übergeben ist. Er leitet bei vorhandenem Grunde die Untersuchung ein, führt dieselbe nach den bestehenden gesetzlichen Vorschriften, und fällt das Erkenntniß in erster und letzter Instanz. Fassen die Stände den Beschluß, auf eine Untersuchung und Bestrafung anzutragen; so wählen sie zugleich die drei Mitglieder des Staatsgerichtshofes und machen von diesem Beschlusse und dessen Gründen, so wie von der getroffenen Wahl bei der Regierung Anzeige, mit dem Ersuchen, daß diese gleichfalls die erforderlichen Wahlen treffe und den gemeinschaftlichen Gerichtshof constituire. Geht der Antrag von der Landesregierung aus; so nimmt diese die erforderlichen Ernennungen vor, und benachrichtigt von dem gefaßten Beschlusse und dessen Gründen, so wie von den erfolgten Ernennungen, die Ständeversammlung oder den Ausschuß, und veranlaßt erstere, die nothwendigen Ernennungen gleichfalls vorzunehmen.

des vereidet. Der Landsyndicus hat als beständiger Consulent der Landschaft derselben über alle vorkommenden Gegenstände und so oft es verlangt wird, die nöthigen Nachrichten und Gutachten, besonders über Rechtsverhältnisse mündlich und schriftlich mitzutheilen, auch das Amt des ersten Secretairs und Chefs des Canzleiwesens, sowohl bei dem Landessteuer- und Finanzcollegium, als bei dem ständischen Ausschusse und der Ständeversammlung zu verrichten, auch das landschaftliche Archiv, so wie die Registratur des Landessteuer- und Finanzcollegiums unter gehöriger Aufsicht und auf die Ordnung dabei zu halten. Er hat eine berathende Stimme in der Ständeversammlung, dem ständischen Ausschusse und dem Landessteuer- und Finanzcollegium.

f. Abolition solcher Untersuchungen

14. Siegel der Landschaft

§ 132. Die Abolition einer Untersuchung wegen verletzter Verfassung ist unzulässig. 12. Ernennung des Landsyndicus und dessen Geschäftskreis § 133. Der Ständeversammlung steht das Recht zu, einen Landsyndicus zu bestellen, und zwar wird derselbe durch absolute Stimmenmehrheit erwählt. Seine Anstellung ist lebenslänglich und der anderer Staatsdiener gleich, jedoch damit die Verwaltung eines andern Staatsamtes unvereinbar. Von der Erwählung wird der Landesherrschaft Anzeige gemacht, und der Erwählte von der Ständeversammlung oder dem ständischen Ausschusse auf sein Amt zugleich mit Ablegung des Erbhuldigungsei-

13. Gerichtssporteln-, Stempel- und Portofreiheit § 134. Die Landschaft hat die Freiheit von Gerichtssporteln, Stempeln und Porto ferner zu genießen.

§ 135. Sie führt ein eigenes Siegel.

Dritter Abschnitt Rechte und Pflichten des ständischen Ausschusses

a. Allgemeiner Grundsatz § 136. Der ständische Ausschuss hat das Recht und die Pflicht, zwischen den Landtagen auf die Vollziehung der zwischen dem Landesherrn und den Ständen getroffenen Vereinbarungen zu sehen, so wie die ihm in dieser Hinsicht erforderlich scheinenden Anträge bei der Landesregierung zu machen.

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B RAUNSCHWEIG b. Besondere Befugnisse 1. Hinsichtlich der Steuern, Anleihen und Veräußerungen § 137. Es kann daher in der Regel die Zustimmung des Ausschusses die der Ständeversammlung nicht ersetzen. Ausnahmsweise findet dieses aber in folgenden Fällen Statt. Wenn außerordentliche Ereignisse die zeitige Versammlung des Landtages unthunlich machen, oder wenn Gefahr mit dem Verzuge verbunden ist, und die ordentlichen Bewilligungen und Geldmittel zur Erreichung des Staatszweckes und zur Erhaltung des Staatswohls unzureichend sind, können mit Bewilligung des ständischen Ausschusses 1) die Steuern erhöhet oder neue Steuern aufgelegt werden, jedoch nicht länger als auf 6 Monate; 2) Staatsanleihen geschlossen, und 3) Staatsgüter veräußert und verpfändet werden. Alle auf den Grund einer solchen Uebereinkunft mit dem ständischen Ausschusse getroffene Maaßregeln sind indeß so bald als thunlich der Ständeversammlung vorzulegen und bei ihr zu rechtfertigen. Steuerverwilligungen dieser Art hören in dem Augenblicke auf, Kraft zu haben, wo die Ständeversammlung ihnen ihre Zustimmung versagt. Staatsanleihen und Veräußerungen von Staatsgütern sind dagegen gültig. Darüber: ob die Versammlung der Stände unthunlich, oder ob Gefahr im Verzuge sey? – entscheidet die Landesregierung. 2. Bei der Gesetzgebung § 138. Unter den im vorhergehenden Paragraphen aufgeführten Voraussetzungen genügt bei den Gesetzen, welche sonst nur

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mit Zustimmung der Ständeversammlung erlassen werden können, die Zustimmung des ständischen Ausschusses. – Solche Gesetze sind indeß baldigst der Ständeversammlung zur Genehmigung vorzulegen. – Alle Gesetze, bei welchen nur das Gutachten und der Rath der Ständeversämmlung gehört zu werden braucht, können zwischen den Landtagen mit dem Gutachten und Rathe des Ausschusses erlassen werden. 3. Verbindlichkeit, der Landesregierung Berichte und Gutachten zu erstatten § 139. Die Landesherrschaft kann von dem ständischen Ausschusse, so oft es ihr gut dünkt, Nachrichten, Berichte und Gutachten einziehen. Insbesondere kann sie Gesetzentwürfe, welche sie demnächst an die Ständeversammlung zu bringen denkt, dem Ausschusse zuvor zur Begutachtung vorlegen. 4. Recht, die Ständeversammlung zu berufen § 140. Der Ausschuß ist im Allgemeinen nicht befugt, diejenigen Anträge, welche von der Ständeversammlung ausgehen können, bei der Landesregierung zu machen. Es steht ihm aber zu, in folgenden Fällen den Landtag zusammen zu berufen: 1) wenn er dafür hält, daß die Verfassung verletzt werde und Anträge auf Bestrafung höherer Staatsbeamten oder zum Schutze der Verfassung Beschwerden bei der Bundesversammlung zu machen seyen; 2) wenn ein Mitglied des ständischen Ausschusses ausscheidet; 3) wenn bei dem Landessteuer- und Finanzcollegium oder bei dem Landesgerichte von der Landschaft zu besetzende Vacanzen zwischen den Landtagen und zwar 4 Monate vor Eröffnung des nächsten Landtags, entstanden sind;

V ERFASSUNGSENTWURF FÜR B RAUNSCHWEIG (1831) 4) wenn die Stelle des Landsyndicus erledigt ist, um in allen diesen Fällen die erforderlichen Beschlüsse und Wahlen zu veranlassen. Von einer solchen Berufung, so wie von deren Zwecke, ist sogleich bei der Erlassung der Convocationsschreiben der Landesregierung Anzeige zu machen, und es darf in einer solchen Versammlung nichts vorgenommen werden, als der Gegenstand, welcher sie veranlaßt hat. 5. Besondere Aufträge § 141. Außerdem kann die Ständeversammlung dem Ausschusse durch specielle Vollmacht für einzelne bestimmte Geschäfte alle die Rechte übertragen, welche sie selbst hat, vorbehaltlich indeß der Zustimmung der Landesregierung.

TITEL III Von den Landtagen, der Behandlung der Geschäfte auf denselben, sowie von den Verhandlungen des ständdischen Ausschusses

Erster Abschnitt Von den Landtagen 1. Ordentliche und außerordentliche Landtage § 142. Die Ständeversammlung muß alle drei Jahre zu einem ordentlichen Landtage von der Landesregierung berufen werden. Die ordentlichen Landtage sollen in der Regel in dem Monate November seyn. Außerdem steht es dem Landesherrn frei, jederzeit, wenn Er es für nothwendig hält, die Ständeversammlung zu einem außerordentlichen Landtage zu convociren.

2. Ungesetzliche Versammlungen § 143. Mit Ausnahme der in dem §. 140. aufgeführten Fälle dürfen die Abgeordneten sich nicht versammeln, ohne von dem Landesherrn berufen zu seyn. Solche landesherrlich nicht berufene Versammlungen sind strafbar und deren Beschlüsse ungültig. 3. Berufung der Ständeversammlung § 144. Der Landesherr beruft die Abgeordneten durch eine Verordnung, in welcher er zugleich die Zeit und den Ort der Versammlung bestimmt. Die bisher üblich gewesenen Berufungsrescripte an die einzelnen Abgeordneten fallen weg. 4. Legitimation der Abgeordneten § 145. Spätestens 24 Stunden vor der Eröffnung des Landtags zeigen die eingetroffenen Abgeordneten ihre Ankunft dem ständischen Ausschusse an, legitimiren sich durch die ihnen von dem Präsidenten des Wahlcollegiums ausgestellte Urkunde; der Ausschuß vergleicht diese mit den ihm eingesandten Wahlacten, nimmt den Abgeordneten, falls gegen dessen Wahl nichts zu erinnern ist, in das Verzeichniß der Abgeordneten auf, und übergiebt dasselbe zugleich dem Landesherrn. Alle in dieses Verzeichniß Aufgenommene haben das Recht, auf dem Landtage zu stimmen, vorbehaltlich der Entscheidung der Ständeversammlung, wenn dieses Recht aus irgend einem Grunde bestritten wird. 5. Eröffnung des Landtages § 146. Der Landtag wird von dem Landesherrn in Person oder durch einen landesherrlichen Bevollmächtigten eröffnet.

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B RAUNSCHWEIG 6. Eid der Abgeordneten § 147. Bei der Eröffnung des Landtags schwört jeder Abgeordnete folgenden Eid: Ich schwöre Treue dem regierenden Landesherrn und Höchstdessen Nachfolgern aus dem Hause Braunschweig, Gehorsam den Gesetzen, und gewissenhafte Ausübung und Erfüllung der, mir als Abgeordnetem des Landes zustehenden, Rechte und Pflichten. Dieser Eid wird bei folgenden Landtagen nur von denen geleistet, welche zum ersten Male als Abgeordnete gewählt sind. 7. Unzulässigkeit von Instructionen § 148. Die Abgeordneten haben bei ihren Abstimmungen ganz allein ihrer, auf sorgfältige Prüfung der vorliegenden Gegenstände gegründeten, eigenen Ueberzeugung und ihrem Gewissen zu folgen, keineswegs aber Instructionen von Andern anzunehmen und zu beachten. 8. Sitzordnung § 149. In dem Versammlungssaale werden den Abgeordneten der Ritterschaft und zwei bisher zur ersten Section der Stände gehörigen Prälaten die Plätze zur Rechten, den Abgeordneten der Städte und zweien Prälaten von der ersten und zweiten Section in der Mitte, und den Abgeordneten der Freisassen und Bauern nebst den zwei übrigen Prälaten zur Linken die Plätze angewiesen. Welche Abgeordnete der Prälaten denen der Ritterschaft, der Städte und Bauern beizuordnen seyn, bestimmt die Landesregierung. 9. Von der Beschlußnahme A. Erforderliche Zahl der Mitglieder § 150. Die Ständeversammlung kann keinen Beschluß fassen, wenn nicht mindes-

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tens zwei Drittheile der gesetzlichen Zahl ihrer Mitglieder anwesend sind. B. Regel § 151. Sie faßt über die zur Berathung und Entscheidung kommenden Angelegenheiten den Beschluß nach absoluter Mehrheit der Stimmen. C. Erste Ausnahme a. Abstimmung nach Ständen § 152. Ausnahmsweise kann alsdann, wenn die Entscheidung eigenthümliche privatrechtliche Verhältnisse der Ritterschaft, der Städte, der Bauern, oder eigenthümliche staatsbürgerliche Interessen einer dieser drei Standesklassen betrifft, von der betheiligten Standesklasse eine Abstimmung nach Ständen verlangt werden. Bei einer solchen Abstimmung stimmen die Prälaten mit dem Stande, in welchem sie nach der Sitzordnung ihren Platz angewiesen erhalten haben. b. Antrag auf eine solche Abstimmung § 153. Jeder Stand, der seine eigenthümlichen Interessen oder Rechte bei einem Vorschlage für betheiligt hält, kann auf Abstimmung nach Ständen antragen, und es muß diesem Antrage Folge gegeben werden, wenn für denselben mindestens zwei Drittheile der Stimmen des antragenden Standes sind. Gleichfalls steht der Regierung das Recht zu, in den Fällen, welche sie nach §. 152. hiezu für geeignet hält, die Abstimmung nach Ständen zu veranlassen. Ein jeder solcher Antrag kann nicht eher, als nach dem Schlusse der Berathung über den Vorschlag, und nicht später, als vor dem Anfange der Abstimmungen gemacht werden.

V ERFASSUNGSENTWURF FÜR B RAUNSCHWEIG (1831) c. Art der Beschlußnahme § 154. Bei einer Abstimmung nach Ständen hat jeder Stand nur eine Stimme, und ein Vorschlag ist nur bei Stimmeneinhelligkeit aller drei Stände als angenommen anzusehen. Innerhalb jedes Standes entscheidet darüber: „wie die Stimme abzugeben sey?“ absolute Stimmenmehrheit. d. Wiederholung eines verworfenen Vorschlags § 155. Wird ein Vorschlag, welcher bei der Abstimmung nach Ständen nur die Stimme des Standes gegen sich hatte, auf dem nächsten Landtage wieder vorgebracht; hat derselbe alsdann wiederum die Stimmen zweier Stände für sich, und bilden zugleich sämmtliche für denselben abgegebene Stimmen die absolute Mehrheit der Stimmenzahl der ganzen Ständeversammlung; so ist dieser Vorschlag angenommen. D. Zweite Ausnahme § 156. Soll ständischer Seits ein Antrag an den Landesherrn gemacht werden, welcher eine Abänderung der Landes- oder Steuerverfassung enthält; so müssen wenigstens zwei Drittheile der Versammlung dem vorgeschlagenen Antrage beistimmen, um demselben Folge zu geben. 10. Wirkung der Beschlüsse § 157. Die Wirkung und Beförderung eines gefaßten Beschlusses darf weder durch Verwahrungen, noch durch Berufung auf die höchste Entscheidung, noch auf andere Weise aufgehalten oder gehindert werden, sondern jedes ständische Mitglied muß sich das Resultat der Abstimmung schlechterdings gefallen lassen.

11. Landesherrliche Entschließung auf die Beschlüsse § 158. Kein Beschluß der Ständeversammlung, mit Ausnahme der §. 140. aufgeführten Fälle, erhält eher gesetzliche Gültigkeit und Vollziehbarkeit, als bis er die landesherrliche Zustimmung erhalten hat, und als Gesetz publicirt ist. Ob der Landesherr diese Zustimmung ertheilen wolle? hängt von dessen freier Entschließung ab. 12. Dauer des Landtags § 159. Die Landtagsverhandlungen sollen binnen 3 Monaten vollendet werden. Nur mit besonderer landesherrlicher Bewilligung kann der Landtag über 3 Monate dauern. 13. Vertagung, Verabschiedung und Auflösung der Ständeversammlung § 160. Der Landesherr hat das Recht, die Ständeversammlung zu vertagen, zu verabschieden und aufzulösen. Eine Vertagung über 3 Monate hinaus ist unzulässig. 14. Beurlaubungen der Mitglieder der Ständeversammlung § 161. Kein Mitglied der Ständeversammlung darf sich während des Landtags von dem Orte der Versammlung ohne Urlaub entfernen. Diesen ertheilt die Ständeversammlung, und ausnahmsweise, wenn Gefahr im Verzuge ist, der Präsident, welcher jedoch der Ständeversammlung hievon Anzeige zu machen hat. 15. Bekanntmachung der ständischen Verhandlungen § 162. Die landständischen Verhandlungen werden ohne Verzug durch den Druck

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B RAUNSCHWEIG bekannt gemacht. Die Besorgung desselben liegt dem Landsyndicus unter Mitwirkung einer besondern Commission ob. Zum Drucke bestimmt sind: 1) die Eröffnungsrede und die darauf erfolgte Antwort; 2) die landesherrlichen Propositionen und die zur Erwägung gezogenen selbstständigen Anträge einzelner Mitglieder der Stände, nebst den dabei schriftlich gegebenen Beweggründen; 3) die Sitzungsprotocolle; und 4) die Berichte, Actenstücke oder Reden, deren vollständigen oder auszugsweisen Abdruck die Versammlung beschließt. Es kann indeß nicht nur die Ständeversammlung die Geheimhaltung in einzelnen Fällen verfügen, sondern diese muß auch stets eintreten, wo solche von der Regierung begehrt wird.

Zweiter Abschnitt Geschäftsordnung für die Ständeversammlung 1. Von den Beamten der Ständeversammlung a. Wahl des Präsidenten und des Secretairs § 163. Das erste Geschäft der Ständeversammlung besteht in der Wahl ihrer Beamten aus ihrer Mitte, nämlich eines Präsidenten, eines Vice-Präsidenten und eines Secretairs, welcher neben dem Landsyndicus dessen Geschäft mit versieht. Diese Wahl geschieht vermittelst verschlossener Zettel durch absolute Stimmenmehrheit, und wird von dem an Jahren ältesten Mitgliede der Versammlung geleitet. Zu der Stelle des Präsidenten und VicePräsidenten werden für jede Stelle drei Candidaten dem Landesherrn präsentirt, von denen der Landesherr Einen bestätigt, der alsdann sein Amt sofort antritt.

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Die Wahl des Secretairs bedarf der landesherrlichen Bestätigung nicht. b. Amt des Präsidenten § 164. Die Verrichtungen des Präsidenten bestehen im Allgemeinen in der Leitung der Geschäfte der Versammlung und in der Aufrechthaltung der Ordnung bei den Versammlungen. Insbesondere hat er 1) die Sitzungen zu bestimmen, zu eröffnen und zu schließen; 2) über die Beoabachtung der Vorschriften und der Ordnung bei den Berathschlagungen und Abstimmungen zu halten, auch die Tagesordnung festzusetzen und solche in dem Sitzungssaale anschlagen zu lassen; 3) bei den Verhandlungen Alles, was dem Zwecke und dem Anstande zuwider ist, so wie alle persönliche Anzüglichkeiten zu entfernen und zu rügen, und erforderlichen Falles die Ordnung durch Schließung der Sitzung aufrecht zu erhalten; 4) die von der Versammlung zu entscheidenden Fragen aufzustellen und vorzutragen; 5) die Stimmen sammeln und nach der Mehrheit die Beschlüsse fassen zu lassen und auszusprechen. c. Amt des Vice-Präsidenten § 165. Der Vice-Präsident kann alle oder einen Theil der Functionen des Präsidenten versehen, wenn sie ihm von letzterm übertragen werden; in dessen Abwesenheit aber stehen sie ihm, vermöge seines Amtes, zu. d. Amt des Landsyndicus und Secretairs § 166. Der Landsyndicus, oder in dessen Abwesenheit der Secretair, hat in den Sitzungen das Protocoll zu führen, die abgegebenen Stimmen zu zählen und nach der Mehrheit derselben die Beschlüsse zu

V ERFASSUNGSENTWURF FÜR B RAUNSCHWEIG (1831) fassen und niederzuschreiben; ferner alle, Namens der versammelten Section, abzufassende Aufsätze und Erlasse zu entwerfen und auszufertigen. e. Gehülfspersonal § 167. Für die Schreiberei und Registratur werden von dem Präsidenten die für die Zeit der ständischen Versammlung nöthigen Officianten angenommen und zur Verschwiegenheit und gehörigen Verrichtung ihrer Dienstgeschäfte eidlich verpflichtet und angewiesen, auch wegen deren Remuneration von demselben bei dem SteuerCollegio angemessene Anträge gemacht, worauf dasselbe wegen Verwilligung der dazu erforderlichen Geldsummen das Nöthige zu veranlassen und zu besorgen hat. § 168. Der Präsident und der Secretair oder Landsyndicus nehmen einen besondern erhöheten Platz in der Mitte der Versammlung ein. 2. Von den landesherrlichen Commissarien § 169. Der Landesherr kann, seinem Gutfinden nach, Geheime-Räthe oder andere Staatsbeamte als Commissarien zu einzelnen Sitzungen abordnen, um die an die Landschaft erlassenen Anträge mit ihren Gründen näher zu entwickeln und auseinander zu setzen. Die ständische Versammlung wird von der Abordnung solcher landesfürstlichen Commissarien und der Zeit ihrer Ankunft vorher benachrichtigt; dieselben bleiben jedoch bei den Berathschlagungen und Abstimmungen nicht gegenwärtig.

Fortsetzung § 170. Würden mündliche Mittheilungen, Erörterungen und Berathungen zur Beförderung einer Angelegenheit oder eines Geschäfts zwischen Landesherrn und Ständen für zuträglich gehalten; so wird von Seiten

der Landesherrschaft eine Zusammentretung des herzoglichen Staatsministeriums oder anderer herzoglicher Commissarien mit einer ständischen Deputation von 3 bis 6 Mitgliedern veranlaßt. Auch die Ständeversammlung kann ihrer Seits in dazu geeigneten Fällen darauf antragen, daß einer Deputation aus ihrer Mitte mündliche Aufklärung oder nähere Erläuterungen über landesherrliche Erlasse durch herzogliche Commissarien ertheilt werden mögen. Die Bestimmung der Personen und Zahl der Mitglieder einer solchen Deputation geschieht von der Ständeversammlung selbst. 3. Von den ständischen Commissionen § 171. Nicht nur alle von dem Landesherrn erlassene Anträge, sondern auch alle sonst in Erwägung kommende umfassende Gegenstände müssen, vor ihrer Verhandlung in der ständischen Versammlung, der vorläufigen Prüfung und Bearbeitung einer zu wählenden Commission von 3, 5 oder 7 Mitgliedern übergeben werden. Der ernannten Commission muß der Vorwurf der vorzubearbeitenden Sache genau bestimmt werden; es mag nun solcher in einer vorzunehmenden Untersuchung, oder in einem abzustattenden Gutachten, oder in Abfassung eines schriftlichen Aufsatzes bestehen.

Fortsetzung § 172. Jede solchergestalt niedergesetzte Commission wählt zuerst unter sich ein Mitglied, welches den Vorsitz, und ein anderes, welches das Protocoll zu führen hat, betreibt ihre Geschäfte collegialisch, und macht hiernächst, nach Beendigung ihrer Arbeit, von dem Resultate derselben, durch eines ihrer Mitglieder, Vortrag an die versammelte Ständeversammlung, worüber sodann von der letzten, so wie über jeden andern Antrag berathschlagt und gestimmt wird.

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B RAUNSCHWEIG 4. Von den landesherrlichen Propositionen § 173. Die von Seiten der Landesherrschaft an die Stände zu machenden Propositionen und Mittheilungen werden den gesammten Ständen eröffnet, und, wenn selbige eingegangen sind, vor allen andern Gegenständen der landschaftlichen Verhandlungen von dem Präsidenten in der nächsten Sitzung nochmals zur Kenntniß der Mitglieder derselben, und, ohne daß über die Vorfrage gestimmt wird, in den folgenden Zusammenkünften nach und nach zur Berathschlagung gebracht. § 174. Wenn die Commission, welche mit der Begutachtung eines von dem Landesherrn mitgetheilten Entwurfes beauftragt ist, auf wesentliche Aenderungen in demselben antragen will; so soll sie jedenfalls vor dem Schlusse ihrer Arbeit mit dem landesherrlichen Commissair, welcher die Proposition übergeben hat, zusammentreten und die vorgeschlagenen Aenderungen mit demselben erörtern. Ein gleiches Verfahren soll statt finden, wenn von einem ständischen Mitgliede eine wesentliche Aenderung einer landesherrlichen Proposition in Antrag gebracht, zu deren Prüfung eine Commission niedergesetzt und von dieser der Beschluß gefaßt wird, für den Antrag zu berichten. 5. Anträge, welche von den Ständen ausgehen § 175. Nicht allein der Präsident, sondern auch jedes Mitglied der Versammlung ist befugt, über Gegenstände, welche der Landesherrschaft zur Berücksichtigung zu empfehlen, Anträge zu machen; jedoch muß jeder gethane Antrag zuvörderst durch die Stimmenmehrheit der anwesenden Mitglieder, als zur Berathung geeignet, erklärt, auch zugleich bestimmt werden, ob die Angelegenheit einer Commission zur vorgängigen Prüfung und Berichtserstattung zu

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übergeben sey, und, wenn solches geschehen, kann derjenige, von welchem der Antrag herrührt, einen Tag zur Deliberation und Abstimmung darüber vorschlagen, an welchem die Sache alsdann mit Genehmigung des Präsidenten verhandelt wird. § 176. Wer den Antrag zu einem an die Regierung zu gelangenden Beschlusse machen will, muß selbigen schriftlich abfassen und zur Einrückung in das Protocoll vorlegen, worauf er denselben vor der Berathschlagung darüber näher zu entwickeln und mit Gründen zu unterstützen hat. § 177. Es steht auch jedem anwesenden Landstande frei, über geschehene Anträge Veränderungen vorzuschlagen, über welche eben so, wie über die Anträge selbst, gestimmt wird. 6. Verfahren bei den Berathungen und Abstimmungen § 178. Bei den Berathschlagungen kann jedes anwesende Mitglied der Stände seine Meinung vortragen und entwickeln, darf jedoch in derselben Sitzung nur einmal über die zur Entscheidung stehende Frage reden; es sey denn, daß eine unrichtig verstandene Aeußerung desselben einer kurzen Erläuterung bedürfte. Auch dürfen diese Vorträge blos mündlich gehalten werden, und nur die landesherrlichen Commissarien und die Namens der ständischen Commissionen auftretenden Referenten die ihrigen in schriftliche Aufsätze bringen und ablesen. § 179. Da die zu beobachtende gute Ordnung bei den Berathschlagungen es mit sich bringt, daß nicht allein alle unziemliche Aeußerungen und Persönlichkeiten, sondern auch unnütze Weitläuftigkeiten und Abschweifungen vermieden werden, und daß Niemand im Reden unterbrochen werde; so liegt es dem Präsidenten ob, darauf

V ERFASSUNGSENTWURF FÜR B RAUNSCHWEIG (1831) genau zu halten. Sollte sich gleichwohl Jemand durch die erhaltene Zurechtweisung beeinträchtigt finden; so kann er darüber die Entscheidung der Versammlung verlangen, bei welcher er sich alsdann aber beruhigen muß. § 180. Diejenigen, welche für oder wider einen gemachten Antrag zu reden wünschen, haben sich, indem sie von ihren Sitzen aufstehen, deshalb an den Präsidenten zu wenden, der ihnen in der Ordnung, wie er ihre Anrede vernommen, das Wort zu geben hat. § 181. Bei jedem zur Berathung gelangten Antrage muß erstere der Abstimmung vorangehen, und hängt es von der Versammlung ab, ob nach Beschaffenheit der Sache darüber sogleich, oder in einer andern Sitzung, gestimmt werden soll. § 182. Nach beendigter Berathung fordert der Präsident die gegenwärtigen Mitglieder nach der Reihe, wie sie zufällig sitzen, auf, ihre Stimme abzugeben. Um aber die vorliegenden Anträge zur Entscheidung zu bringen, kleidet der Präsident die Gegenstände derselben in deutlich bestimmte Fragen ein, worüber mit Ja oder Nein laut gestimmt wird. Sollten über die aufgestellten Fragen Erinnerungen gemacht werden; so wird über die vorgeschlagenen Abänderungen gestimmt, und entscheidet die ganze Versammlung über die Abfassung der Fragen. § 183. Die abgegebenen Stimmen werden von dem Landsyndicus oder Secretair namentlich bemerkt, und der auf geschehene Zählung nach ihrer Mehrheit gefaßte Beschluß wird hierauf der Versammlung sofort eröffnet. § 184. Ergiebt sich aus der vorgenommenen Sammlung der Stimmen eine Gleichheit derselben; so wird die Sache in einer folgenden Sitzung nochmals in Umfrage gebracht,

und bleiben sich die Abstimmungen auch alsdann gleich; so wird diejenige Meinung, welcher der Präsident beigetreten ist, als der Beschluß der Ständeversammlung angesehen. § 185. Ist ein Beschluß gefaßt; so wird derselbe von Seiten der Landschaft, mit einem von dem Präsidenten zu unterzeichnenden Berichte, dem Landesfürsten überreicht, worauf die höchste Resolution darüber, vermittelst Rescripts, ertheilt wird. § 186. Ein Gegenstand, über welchen bereits ein Beschluß gefaßt ist, kann während desselben Landtages nicht nochmals in Antrag und zur Berathung gebracht werden. 7. Schluß des Landtages § 187. Vor dem von der Bestimmung des Landesherrn abhängenden Schlusse des Landtags werden die verschiedenen Gegenstände und Puncte, worüber Höchstderselbe und die Stände im Gefolge der während desselben gepflogenen Unterhandlungen sich vereinigt haben, in einem Landtagsabschied oder Receß zusammen getragen, und ist solcher nicht nur von dem Landesherrn und von Seiten der Stände von dem Präsidenten und dem Landsyndico zu unterzeichnen und zu besiegeln, sondern demnächst auch durch den Druck zur öffentlichen Kunde zu bringen, worauf die allgemeine Landesversammlung auf ähnliche Art und Weise, als bei der Eröffnung geschah, feierlich geschlossen wird.

Dritter Abschnitt Von den Verhandlungen des ständischen Ausschusses

1. Wahl des Präsidenten § 188. Der ständische Ausschuß wählt sich einen Präsidenten aus seiner Mitte, nach Stimmenmehrheit.

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B RAUNSCHWEIG 2. Geschäft des Präsidenten

TITEL IV Allgemeine Bestimmungen

§ 189. Der Präsident des Ausschusses bestimmt die Sitzungen, leitet den ganzen Geschäftsgang, und ernennt insbesondere die Referenten. 3. Art der Geschäftsführung und Beschlußnahme § 190. Der Ausschuß betreibt die Geschäfte collegialisch, faßt seine Beschlüsse nach Stimmenmehrheit, ist aber zu einer Beschlußnahme nur befugt, wenn dessen sämmtliche Mitglieder anwesend sind. 4. Art der einstweiligen Ersetzung fehlender Mitglieder § 191. Wenn Mitglieder des Auschusses auf längere Zeit abwesend oder sonst an den Geschäften Theil zu nehmen behindert sind, können die übrigen Mitglieder des Ausschusses durch Stimmenmehrheit einstweilen einen oder mehrere Abgeordnete erwählen, die in den Ausschuß eintreten. – Bei diesen Wahlen ist bei gleichen Stimmen die des Präsidenten entscheidend. 5. Vortrag der vorgenommenen Geschäfte bei der Ständeversammlung § 192. Der Präsident des Ausschusses hat von den, zwischen den Landtagen vorgekommenen, Geschäften auf dem nächsten Landtage der Ständeversammlung ausführlichen Vortrag zu erstatten. 6. Beurlaubungen der Mitglieder des Ausschusses § 193. Kein Mitglied des Ausschusses darf sich auf eine längere Zeit als 8 Tage von seinem Wohnsitze entfernen, ohne von dem Präsidenten Urlaub erhalten zu haben.

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§ 194. Der jedesmalige Landesherr kann, nach dem Antritte Seiner Regierung, die gewöhnliche Erbhuldigung von den Unterthanen nicht eher verlangen und sich leisten lassen, als bis von Höchstdemselben die gegenwärtige Landschaftsordnung förmlich und bündig angenommen und bestätigt, auch die hergebrachte Versicherung wegen Aufrechthaltung der über die Primogenitur in dem fürstlichen Hause BraunschweigWolfenbüttel bestehenden Verträge und des Pacti Henrico Wilhelmiani schriftlich ausgestellt worden ist. Im Fall der Minderjährigkeit des Landesfürsten ertheilt der, die Landesregierung führende, Vormund diese Bestätigung und Versicherung für die Zeit seiner Verwaltung. § 195. Die früheren Landtagsabschiede, Reversalen und sonstige, mit den Ständen getroffene, Verabredungen bleiben bestehen, insofern und insoweit sie nicht durch die gegenwärtige Landschaftsordnung aufgehoben sind. § 196. Wenn die Landesherrschaft und die Stände eine verschiedene Ansicht über die Auslegung einzelner Bestimmungen dieser Landschaftsordnung oder anderer Landesgrundgesetze haben sollten; so wird zuvörderst das herzogliche Staatsministerium mit einer Deputation der Stände zusammentreten, um eine Ausgleichung zu versuchen. Sollte aber dieser Versuch fruchtlos bleiben; so ist sowohl der Regierung als den Ständen unbenommen, die entstandene Differenz im Wege Rechtens entscheiden zu lassen. Diese Entscheidung soll in erster Instanz durch ein Compromißgericht abgegeben werden, welches auf eben die Weise zusammengesetzt wird, wie der gemeinschaftliche Gerichtshof, welcher gebildet wird, wenn auf Bestrafung wegen einer Verletzung der

V ERFASSUNGSENTWURF FÜR B RAUNSCHWEIG (1831) Verfassung angetragen ist. In zweiter und letzter Instanz soll ein Oberappellationsgericht eines der teutschen Bundesstaaten entscheiden.

ten anwesenden Mitgliedern Tagegelder gezahlt.

1

§ 197. Die Abgeordneten erhalten während des Landtags Diäten, und zwar die an dem Orte der Versammlung Wohnhaften 2 Rthlr., die Auswärtigen 4 Rthlr. Während einer Vertagung werden nur den zu den ständischen Commissionen gewähl-

Ediert nach Karl Heinrich Ludwig Pölitz, Die europäischen Verfassungen seit dem Jahre 1789 bis auf die neueste Zeit, 1. Band, 2. Aufl., Leipzig 1832, S. 927–951. Das Originaldokument konnte trotz intensiver Suche auch in den Archiven von Wolfenbüttel, Braunschweig und Hannover nicht gefunden werden. Der Entwurf wurde am 30. September 1831 beschlossen. Zu den Motiven für den Entwurf siehe ebd., S. 951–963.

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Verfassung von Braunschweig (1832) Neue Landschaftsordnung für das Herzogthum Braunschweig. D. D. Braunschweig, den 12. October 18321

Von Gottes Gnaden, Wir, Wilhelm, Herzog zu Braunschweig und Lüneburg etc. Eingedenk Unsers hohen Berufes, das Glück Unserer getreuen Unterthanen nach Kräften zu befördern und die Rechte Aller zu sichern, haben Wir eine Revision der Landschaftsordnung von 1820 nothwendig erachtet, und nach beendigter Berathung und getroffener Uebereinkunft mit getreuer Landschaft erlassen Wir, mit Zustimmung Unserer getreuen Stände, die gegenwärtige neue Landschaftsordnung, als das Grundgesetz des Landes; jedoch hinsichtlich der im §. 109 und 110 enthaltenen, sich auf das gemeinschaftliche Oberappellationsgericht beziehenden Bestimmungen, unter ausdrücklichem Vorbehalt der dieserhalb mit den Fürstlichen Häusern Waldeck und Pyrmont, Lippe und Schaumburg-Lippe, zu treffenden Verabredungen:

ERSTES CAPITEL Von dem Herzogthume, der Regierungsform und dem Landesfürsten § 1. 1. Untheilbarkeit und Unveräußerlichkeit des Landes. Die sämmtlichen Herzogl. Lande bilden einen, durch dasselbe Grundgesetz verbundenen, untheilbaren Staat, und kein Bestandtheil des Herzogthums kann ohne Zustimmung der Stände, Gränzberichtigungen ausgenommen, veräußert werden.

§ 2. 2. Regierungsform. Die Regierungsform des Herzogthums ist die erblich monarchische. § 3. 3. Staatsoberhaupt. Der souveraine Landesfürst, als Oberhaupt des Staates, vereinigt in sich die gesammte, ungetheilte Staatsgewalt, und übt sie auf verfassungsmäßige Weise aus. Seine Person ist heilig und unverletztlich. § 4. 4. Reversalen. Der Landesfürst wird in dem Patente, durch welches er seinen Regierungsantritt verkündigt und die allgemeine Huldigung anordnet, zugleich bei seinem Fürstlichen Worte versichern, daß er die Landes-Verfassung, in allen ihren Bestimmungen, beobachten, aufrecht erhalten und beschützen wolle. Die Urschrift dieses Patents, unter des Landesfürsten Hand und Siegel, wird dem ständischen Ausschusse zur Aufbewahrung in dem ständischen Archive zugestellt. § 5. 5. Innere Verwaltung. Die gesammte Staatsverwaltung geht vom Landesfürsten aus. Sie wird nur vermöge der von ihm verliehenen Gewalt unmittelbar oder mittelbar in seinem Namen ausgeübt, und steht unter seiner Oberaufsicht. Kein Landesgesetz und keine Verordnung tritt in Kraft, bevor sie von der Landesregierung verkündigt sind. § 6. Fortsetzung. Der Landesfürst kann in einzelnen Fällen

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B RAUNSCHWEIG Dispensationen von den gesetzlichen Vorschriften ertheilen, jedoch, in sofern dritte Personen wegen ihrer Rechte betheiligt sind, nur mit deren Zustimmung. § 7. 6. Auswärtige Verhältnisse. Der Landesfürst vertritt den Staat in allen Verhältnissen zu dem Deutschen Bunde und zu anderen Staaten. Er ordnet die Gesandschaften und Missionen an, schließt Staats-Verträge und erwirbt dadurch Rechte für das Herzogthum, so wie er dasselbe zur Erfüllung der vertragsmäßigen Verbindlichkeiten verpflichtet. § 8. Forsetzung. Die Ständeversammlung wird, sobald es die Umstände zulassen, von solchen Verträgen in Kenntniß gesetzt. Die zur Ausführung derselben erforderlichen Mittel bedürfen der ständischen Bewilligung, und, sollen in deren Folge neue Landesgesetze erlassen oder die bestehenden aufgehoben oder abgeändert werden, so ist hiezu die verfassungsmäßige ständische Mitwirkung erforderlich. § 9. 7. Militairhoheit. Dem Landesfürsten steht die Verfügung über die bewaffnete Macht, deren Formation, Organisation, Ausbildung und Disciplin ausschließend zu. Ohne seine Erlaubniß darf sich in dem Herzogthume keine bewaffnete Macht bilden oder aufstellen. § 10. 8. Verleihung von Titeln, Würden u.s.w. Der Landesfürst hat allein das Recht, Titel, Rang, Würden, gesetzlich zulässige Privilegien, Standeserhöhung und Ehrenzeichen zu verleihen. Titel, Rang, Würden, Privilegien, Standes-Erhöhungen und Ehrenzeichen, welche Landeseinwohnern von auswärtigen Regierungen verliehen worden, dürfen nur mit

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Zustimmung des Landesfürsten angenommen werden. § 11. 9. Verhältniß des Herzogs zu dem Deutschen Bunde. Der Landesfürst theilt als Mitglied des Deutschen Bundes alle aus diesem herfließenden Rechte und Verpflichtungen. § 12. Forsetzung. Allgemeine Anordnungen und Beschlüsse des Deutschen Bundes erhalten dadurch Gesetzeskraft für das Herzogthum, daß sie von dem Landesfürsten verkündigt werden. § 13. 10. Sitz der Regierung. Der Sitz der Regierung kann, dringende Nothfälle ausgenommen, nicht außer Landes verlegt werden. § 14. 11. Regierungserbfolge. Die Regierung wird vererbt in dem Fürstl. Gesammt-Hause Braunschweig-Lüneburg nach der Linealerbfolge und dem Rechte der Erstgeburt, und zwar zunächst in dem Mannsstamme aus rechtmäßiger, ebenbürtiger und hausgesetzlicher Ehe. Erlischt der Mannsstamm des Fürstlichen Gesammt-Hauses, so geht die Regierung auf die weibliche Linie nach gleichen Grundsätzen über. § 15. 12. Volljährigkeit des Landesfürsten. Der Landesfürst wird mit vollendetem 18. Jahre volljährig. § 16. 13. Regierungsvormundschaft. Eine Vormundschaft tritt ein, wenn der Landesfürst wegen Minderjährigkeit zur eigenen Ausübung der Regierung nicht fähig ist. § 17. a. Anordnung derselben für den minderjährigen Regierungsnachfolger. Der Landesfürst kann für seinen minderjährigen Nachfolger den Vormund bestellen.

V ERFASSUNG VON B RAUNSCHWEIG (1832) Er wird diesen aber aus den regierungsfähigen Agnaten des Hauses wählen, oder, falls besondere Gründe, hiervon abzugehen, vorhanden sein sollten, seiner Gemahlin oder seiner Mutter die Vormundschaft übertragen, und nur wenn keine dieser Personen vorhanden ist, steht es ihm zu, einen nicht regierenden volljährigen Prinzen aus den zum Deutschen Bunde gehörenden Fürstenhäusern zum Regenten zu ernennen. § 18. Fortsetzung. Hat der Landesfürst keine Anordnung über die Vormundschaft getroffen, so gebührt dieselbe dem, nach der Erbfolgeordnung, zunächst stehenden volljährigen, regierungsfähigen Agnaten, und falls dieser die Regentschaft ausschlüge, dem nachfolgenden, sodann der Mutter des minderjährigen Landesfürsten, und endlich dessen Großmutter von väterlicher Seite, sofern diese im Wittwenstande verblieben sind. § 19. Fortsetzung. Wäre keine der Personen, welche das Gesetz zur Vormundschaft beruft, vorhanden, oder schlügen dieselben die Vormundschaft aus, so wählt die Ständeversammlung, auf den Vorschlag des Staatsministeriums, den Vormund aus den volljährigen, nicht regierenden Prinzen der zum Deutschen Bunde gehörenden Fürstenhäuser. § 20. b. Reversalen des Vormundes. Der Vormund verkündigt durch ein Patent den Eintritt der vormundschaftlichen Regierung und stellt die Reversalen nach den §. 4 enthaltenen Bestimmungen für die Dauer der Vormundschaft aus. § 21. c. Erlöschen der Vormundschaft. Die Vormundschaft erlischt, sobald der Landesfürst volljährig geworden ist, und seinen Regierungsantritt auf die verfassungsmäßige Weise verkündigt hat. (§. 4.) § 22. 14. Erziehung des Regierungsnachfolgers.

Wenn der vorhergehende Landesfürst über die Erziehung des minderjährigen Landesfürsten keine Bestimmung getroffen hat, so gebührt die Leitung der Erziehung des minderjährigen Landesfürsten dem Vormunde unter Beirath des Staats-Ministeriums. Die Mutter des minderjährigen Landesfürsten und nach dieser dessen Großmutter von väterlicher Seite sind indeß berechtigt, hiebei mit ihrem Gutachten und Rathe gehört zu werden. § 23. 15. Hausgesetze. Die inneren Verhältnisse des Herzogl. Hauses werden von dem Landesfürsten, als dem Oberhaupte der Familie, durch Hausgesetze geordnet. Diese bedürfen der ständischen Zustimmung nicht; es können indeß durch dieselben keine in diesem Landesgrundgesetze enthaltenen Bestimmungen abgeändert werden.

ZWEITES CAPITEL Von den allgemeinen Rechten und Pflichten der Unterthanen 1. Landeseinwohnerrecht. § 24. a. Dessen Erwerbung. Wer auf gesetzliche Weise das Recht des Wohnsitzes innerhalb der Gränzen des Staatsgebietes erworben hat, ist Landeseinwohner. § 25. b. Dessen Folgen. Alle Landeseinwohner sind dem Landesfürsten Treue, Ehrfucht und Gehorsam schuldig und verpflichtet, den Gesetzen und den dieselben vollziehenden Behörden zu gehorchen. Sie genießen sämmtliche durch Verfassung und Gesetz zugesicherten Rechte, vorbehältlich der in Bezug auf die Ausübung einzelner Rechte geltenden Beschränkungen.

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B RAUNSCHWEIG § 26. c. Bedingungen der Ausübung politischer Rechte. Erbhuldigungseid. Nur Landeseinwohner sind zur Ausübung politischer Rechte im Herzogthume befugt. Alle männlichen Landeseinwohner sind nach zurückgelegtem ein und zwanzigsten Lebensjahre verpflichtet, den Erbhuldigungseid zu leisten. Dieser soll also lauten: „Ich schwöre Treue und Gehorsam dem Durchlauchtigsten Landesfürsten und dessen Nachfolgern an der Landesregierung aus dem Durchlauchtigsten Hause Braunschweig, so wie Gehorsam den Gesetzen.“ § 27. d. Dessen Erlöschen. Das Landes-Einwohnerrecht geht durch Auswanderung verloren. Einzelne darin begriffene Befugnisse erlöschen durch den Verlust der dieselben bedingenden Eigenschaften oder in Folge der Uebertretung bestimmter Gesetze. § 28. 2. Fremde. Fremde während ihres Aufenhalts im Staatsgebiete genießen den Schutz der Gesetze und sind zu deren Beobachtung verpflichtet. Die Verwaltungs-Behörden entscheiden, ob und wie lange ihnen der Aufenthalt zu gestatten sei. § 29. 3. Einzelne Rechte. a. Religionsfreiheit. Jedem Einwohner wird vollkommene Freiheit des Gewissens und des religiösen Glaubens, auch das öffentliche Bekenntniß desselben in einer der im Staate jetzt gestatteten kirchlichen Gesellschaften, gewährt; Niemand darf jedoch seine Religion vorschützen, um sich einer gesetzlichen Verpflichtung zu entziehen. Aeußere Religionsübung ist der Oberaufsicht des Staats unterworfen. § 30. b. Freiheit der Meinungen. Niemand darf wegen geäußerter Meinun-

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gen zur Verantwortung gezogen werden, es sei denn, daß durch deren Aeußerung eine gesetzliche Vorschrift übertreten oder daß zu gesetzwidrigen Handlungen angereizt wäre. § 31. c. Freiheit der Presse und des Buchhandels. Die Freiheit der Presse und des Buchhandels soll bestehen unter Beobachtung der Beschlüsse des Deutschen Bundes und der gegen den Mißbrauch dieser Freiheit zu erlassenden Gesetze. § 32. d. Sicherheit der Person und des Eigenthums. Der Staat gewährt jedem Einwohner und jeder rechtlich bestehenden Corporation Sicherheit der Person, des Eigenthums und der übrigen Rechte, und unterwirft sie keinen andern Beschränkungen, als denen, welche auf Recht und Gesetzen beruhen. § 33. Fortsetzung. Privateigenthum und Privatgerechtsame können für wesentliche Zwecke des Staats oder einer Gemeinde nur in den gesetzlich bestimmten oder durch dringende Nothwendigkeit gebotenen Fällen, gegen vorgängige volle Entschädigung, auf Verfügung der competenten Verwaltungsbehörden, in Anspruch genommen werden. War es unmöglich, die Entschädigung vorgängig zu ermitteln, so muß dieselbe nachträglich ohne Anstand festgestellt und geleistet werden. Ein Streit über den Betrag der Entschädigung ist im ordentlichen Rechtswege zu erledigen. § 34. e. Freie Wahl des Berufs und Rechtsgleichheit zum Staatsdienst. Die Wahl des Berufs und Gewerbes, so wie der vorbereitenden Bildungsanstalten des In- und Auslandes, ist frei. Die Verschiedenheit des Standes und der Geburt soll bei der Besetzung von Civil-Aemtern und Militairgraden keinen Vorzug begründen.

V ERFASSUNG VON B RAUNSCHWEIG (1832) § 35. f. Auswanderung. Jeder Landeseinwohner hat das Recht der Auswanderung ohne Erlegung einer Abzugssteuer, jedoch unter den durch die Verpflichtung zum Kriegsdienste oder sonstige Verbindlichkeiten gegen den Staat und Privatpersonen eintretenden Beschränkungen. § 36. g. Ablösbarkeit der gutsherrlichen und sonstigen Realrechte. Alle privatrechtlichen Reallasten an Zehnten, Hand- und Spanndiensten, Geld-, Getraide- und sonstigen Natural-Abgaben und Leistungen, womit das Eigenthum oder das erbliche Besitzrecht an einem Grundstücke beschwert ist, oder in Zukunft beschwert werden könnte, so wie auch alle bloß persönlichen, d.h. gewissen Personen ohne den Besitz eines Grundstücks obliegenden Dienste und Leistungen sind, ohne Rücksicht auf den Rechtsgrund ihrer Entstehung, der Ablösung dergestalt unterworfen, daß ihre Aufhebung gegen eine Entschädigung, welche das Gesetz bestimmen wird, verlangt werden darf. § 37. h. Aufhebung der Feudalrechte. Alle im Umfange des Herzogthums belegenen Lehne jeder Art, es mögen solche von dem Landesfürsten, von öffentlichen Anstalten, Corporationen oder von Privatpersonen releviren, unmittelbare oder Afterlehne sein, sind der Aufhebung des lehnsherrlichen und agnatischen Lehnsverbandes in den noch gesetzlich zu bestimmenden Verhältnissen unterworfen. § 38. i. Recht der Beschwerde. Jedermann darf in seiner Angelegenheit schriftliche Bitten an den Landesfürsten und die Landesbehörden in vorschriftsmäßiger Weise und mit Beobachtung der vorgeschriebenen Ordnung richten, und Beschwerden über gesetz- oder ordnungswidriges Verfahren der Behörden bis zur obersten Staatsbehörde, welche ihn unmittelbar bescheiden wird, schriftlich verfolgen.

4. Einzelne Pflichten. § 39. a. Staatslasten. Die Theilnahme an den Staatslasten trifft Alle, welche im Staatsgebiete wohnen oder Grundeigenthum besitzen, allgemein und nach gleichmäßigen Grundsätzen. Nur Erlasse, jedesmal höchstens für die Dauer einer Finanzperiode, keine Befreiungen von denselben können bewilligt werden. Die Fürstl. Schlösser, Palläste, Gebäude und Gärten und das Grundeigenthum und Einkommen der Kirchen und übrigen frommen Stiftungen, soweit dasselbe jetzt von den ordentlichen Steuern befreiet ist, sind frei von Staatslasten. § 40. b. Waffendienst. Alle Landeseinwohner sind in dem gesetzlichen Verhältnisse zur Vertheidigung des Vaterlandes im Kriegsdienste, und zum Waffendienste behuf des Gemeindeschutzes verpflichtet.

DRITTES CAPITEL Von den Gemeinden

A Allgemeine Bestimmungen § 41. a. Gemeinde-Bezirke. Jedes Grundstück im Lande muß einem bestimmten Gemeindebezirke angehören. Die Landesregierung wird diese Gemeindebezirke, soweit sie noch zweifelhaft sind, durch Verordnungen bestimmen. § 42. b. Gemeinde-Genossen. Jeder Landeseinwohner muß einer bestimmten Gemeinde angehören, und zwar derjenigen, in welcher er den gesetzlichen Bestimungen zufolge seinen Wohnsitz hat. § 43. c. Markgenossen. Grundbesitzer, welche das Recht des Wohnsitzes in der Gemeinde nicht erlangt haben, genießen wegen ihres Besitzthums

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B RAUNSCHWEIG denselben Schutz, welcher den Einwohnern gewährt wird, sie sind aber auch, wie diese, zu den auf den Grundstücken haftenden Lasten verpflichtet. § 44. d. Bildung neuer Gemeinden. Keine Gemeinde kann sich bilden ohne Genehmigung der Landesregierung, und ohne diese darf eine Gemeinde weder ihren Gemeindeverband durch Aufnahme anderer Gemeinden erweitern, noch durch Bildung neuer und besonderer Gemeinden verändern, noch ihre rechtlich bestehende Gemeindeverfassung eigenmächtig umgestalten. § 45. e. Vermögensverhältnisse. 1) In Beziehung zum Staate. Das Vermögen und Einkommen der Gemeinden und ihrer Anstalten darf nie mit dem Staatsvermögen oder den Staatseinnahmen vereinigt werden. § 46. Fortsetzung. Die Gemeinden haben ihr Vermögen durch ihre Behörden selbstständig zu verwalten. Die Oberaufsicht der Regierungsbehörden erstreckt sich nur darauf, daß die Verwaltung überhaupt den bestehenden Gesetzen gemäß geschehe, daß insbesondere das Gemeinde-Vermögen erhalten, das Einkommen davon zu Gemeindezwecken verwandt, und daß bei der Vertheilung der Gemeinde-Abgaben nach gleichmäßigen Grundsätzen verfahren werde. Der Regierungsbehörde steht die Entscheidung auf die Beschwerden zu, welche gegen die Gemeinde-Verwaltung erhoben werden. § 47. 2) Mehrerer Gemeinden. In den Ortschaften, welche aus verschiedenen Gemeinden zusammengesetzt sind, bleibt die Verwaltung des einer jeden derselben besonders zustehenden Vermögens und der Gerechtsame getrennt, es sei denn, daß

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das Gegentheil durch ordnungsmäßig gefasste Beschlüsse der betheiligten Gemeinden festgestellt würde. § 48. 3) Einzelner Gemeindemitglieder. Durch die mit dem Wohnsitzrechte verbundene Aufnahme in die Gemeinde allein werden keine Anrechte an den Gemeindegütern gewonnen, deren Mitbenutzung an den Besitz gewisser Grundstücke in der Gemeinde geknüpft ist, auch nicht an den Gütern, welche gewissen Genossenschaften gehören. f. Gemeindelasten. § 49. 1) Allgemeine Pflicht dazu. Von den verfassungsmäßig der Gemeinde oder mehreren im Verbande stehenden Gemeinden aufgelegten Gemeindelasten und Leistungen kann kein Mitglied der Gemeinde oder des Verbandes, so wie auch kein in derselben belegenes Grundstück anders, als aus gesetzlichen Gründen befreiet werden. § 50. 2) Deren rechtliche Begründung. Keine Gemeinde kann mit Leistungen und Ausgaben beschwert werden, wozu sie nicht nach allgemeinen Gesetzen oder besonderen Rechtsverhältnissen verbunden ist. Dasselbe findet auch auf mehrere im Verbande stehende Gemeinden Anwendung. § 51. 3) Entschädigung wegen allgemeiner Lasten. Alle Lasten, welche nicht durch die örtlichen Bedürfnisse oder Gemeinden oder eines Verbandes von Gemeinden, sondern durch die Erfüllung allgemeiner Verbindlichkeiten des Landes oder einzelner Theile desselben herbeigeführt werden, z.B. Einquartirungen und Kriegsfuhren, müssen, insoweit nicht besondere Rechtsverhältnisse eine Ausnahme begründen, von dem gesammten Lande oder dem betreffenden Landestheile in dem Maaße getragen werden,

V ERFASSUNG VON B RAUNSCHWEIG (1832) daß diejenigen, welchen die Last wirklich aufgelegt ist, Entschädigung erhalten. g. Gemeindebeamten. § 52. Sämmtliche Vorstände, so wie die übrigen Beamten der Gemeinden, sind auf Festhaltung der Landesverfassung und Wahrnehmung der dadurch begründeten Rechte der Gemeinden zu verpflichten.

B Besondere Bestimmungen 1) Für die städtischen Gemeinden. § 53. a. Allgemeine Rechte. Die Bürgerschaft in den Städten und denjenigen Flecken, welchen eine städtische Verwaltung zugestanden ist, soll berechtigt sein: 1) durch eine doppelte Wahlhandlung ihre Vertreter zu wählen; 2) durch diese Vertreter und die stimmführenden Mitglieder des Magistrats die Beamten der Stadtverwaltung frei zu wählen, und zwar in dem Maße, dass nur die stimmführenden Mitglieder des Magistrats der Landesfürstlichen Bestätiguag bedürfen; 3) durch diese Vertreter bei der Verwaltung aller Gemeindeangelegenheiten, insbesondere bei allen denen, welche das Vermögen, die Rechte und Verbindlichkeiten, so wie die Bewilligung der von der Gemeinde zu tragenden Lasten und Leistungen zum Gegenstand haben, mitzuwirken. § 54. b. Städteordnungen. Auf den Grund der Bestimmungen dieses Capitels sollen die Rechtsverhältnisse der städtischen Gemeinden und deren Beamten durch die allgemeine Städteordnung und die jeder einzelnen städtischen Gemeinde durch ein besonderes Statut näher und ausführlicher festgesetzt werden.

2) Für die Landgemeinden. § 55. a. Ortsvorsteher und Ortsgeschworne. Den Landgemeinden steht das Recht zu, ihre Ortsvorsteher, unter Vorbehalt der Bestätigung von Seiten der Regierungsbehörde, zu wählen. Gleichfalls haben sie das Recht, ihre Ortsgeschworenen selbst zu wählen, und durch diese alle Gemeindeangelegenheiten mit zu berathen, insofern nicht bei wichtigen Gegenständen den Rath der versammelten Gemeinde zu vernehmen erforderlich erachtet würde. Diesen Grundsätzen gemäß sollen die Verhältnisse der Landgemeinden durch eine Gemeindeordnung festgestellt, und in dieser über die Wahl des Ortsvorstehers und der Ortsgeschwornen das Nähere bestimmt werden. § 56. b. Neue Anbauer. Neue Anbauer sollen nicht ohne vorgängige Vernehmung der Landgemeinde, und im Falle eines Widerspruchs, nicht ohne vorgängige Entscheidung der Verwaltungsbehörden über die vorgebrachten Gründe, zugelassen werden.

VIERTES CAPITEL Von den Landständen

Erster Titel Von dem Wesen und Zwecke der Landstände und von der Zusammensetzung der StändeVersammlung und des ständischen Ausschusses

Erster Abschnitt Wesen und Zweck der Stände § 57. Die Stände des Herzogthums vertreten in dem grundgesetzlichen Verhältnisse zu der Landesregierung die Gesammtheit

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B RAUNSCHWEIG der Landeseinwohner und sind daher berechtigt und verpflichtet, deren verfassungsmäßige Rechte und allgemeine Interessen wahrzunehmen, und auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise geltend zu machen. § 58. Die gesammte Landschaft bildet ein ungetrenntes Ganzes. § 59. Sie übt ihre verfassungsmäßige Wirksamkeit entweder in voller Versammlung auf Land- und Convocationstagen durch die Ständeversammlung, oder, zwischen den Landtagen und während deren Vertagung, durch das Organ des ständischen Ausschusses.

Zweiter Abschnitt Zusammensetzung der Ständeversammlung I. Zahl der Abgeordneten, deren Vertheilung auf die Standes-Klassen und Art ihrer Erwählung A. Im Allgemeinen § 60. Die Ständeversammlung besteht aus 48 Abgeordneten des Landes und zwar aus 10 Abgeordneten der Ritterschaft, 12 Abgeordneten der Städte, 10 Abgeordneten der Fleckenbewohner, Freisassen und Bauern, und 16 Abgeordneten, welche gemeinschaftlich von diesen drei Standesclassen gewählt werden. B. In den einzelnen Klassen 1. Bei der Ritterschaft § 61. a. Wahlbezirk. Die in die Rittermatrikel eingetragenen landtagsfähigen Güter des Herzogthums bilden einen Wahlbezirk bei der Wahl der ritterschaftlichen Abgeordneten. § 62. b. Wahlart. Die Ritterschaft wählt ihre Abgeordneten durch eine einfache Wahlhandlung.

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2. Bei den Städten

§ 63. a. Wahlbezirke. Die Städte des Herzogthums bilden folgende sieben Wahlbezirke.

Erster Bezirk . . . . Braunschweig, Zweiter „ . . . . Wolfenbüttel, Dritter „ . . . . Helmstädt, Vierter „ . . . . Königslutter, Schöningen und Schöppenstädt, Fünfter „ . . . . Gandersheim und Seesen, Sechster „ . . . . Holzminden und Stadtoldendorf, Siebenter „ . . . . Blankenburg und Hasselfelde. § 64. b. Vertheilung der Abgeordneten auf die Bezirke. Der Erste dieser Bezirke sendet sechs Abgeordnete, jeder der übrigen einen Abgeordneten.

§ 65. c. Wahlart. Die Abgeordneten der Städte werden durch eine doppelte Wahlhandlung gewählt, indem die Stimmberechtigten Wahlmänner ernennen, und diese, sammt den stimmführenden Mitgliedern des Magistrats, die Abgeordneten wählen. 3. Bei den Fleckenbewohnern, Freisassen und Bauern

§ 66. a. Wahlbezirke. Das Herzogthum wird in Beziehung auf die Wahl der Abgeordneten der Fleckenbewohner, Freisassen und Bauern in folgende

V ERFASSUNG VON B RAUNSCHWEIG (1832) zehn Wahlbezirke getheilt. Erster Bezirk . . . . die Aemter Vechelde und Riddagshausen, Zweiter „ . . . . die Aemter Wolfenbüttel und Salder, Dritter „ . . . . die Aemter Helmstädt, Schöningen und Schöppenstedt, Vierter „ . . . . die Aemter Königslutter, Vorsfelde und Calvörde, Fünfter „ . . . . die Aemter Harzburg, Seesen und Lutter a. B. Sechster „ . . . . die Aemter Gandersheim und Greene, Siebenter „ . . . . die Aemter Holzminden und Stadtoldendorf, Achter „ . . . . die Aemter Eschershausen und Ottenstein, Neunter „ . . . . das Amt Thedinghausen Zehnter „ . . . . die Aemter Blankenburg, Hasselfelde u. Walkenried. § 67. b. Vertheilung der Abgeordneten. Von den 10 Abgeordneten dieser Standesclasse wählt jeder Bezirk Einen. § 68. c. Wahlart. Diese Abgeordneten werden durch eine doppelte Wahlhandlung gewählt, indem die Stimmberechtigten Wahlmänner ernennen und diese die Abgeordneten wählen. 4. Bei den übrigen Abgeordneten

§ 69. Die übrigen 16 Abgeordneten werden gemeinschaftlich von allen Standesclassen und zwar von der Ritterschaft durch eine doppelte, von den Uebrigen durch eine dreifache Wahlhandlung gewählt. Es wird zu diesem Ende für das ganze Land ein Wahlcollegium gebildet, zu welchem das ritterschaftliche und jedes städtische und ländliche Wahlcollegium so viel Wahlmänner sendet, als dasselbe Abgeordnete zu wählen hat. C. Wahlgesetz § 70. Die näheren Bestimmungen über das Stimmrecht bei den Wahlen der Wahlmänner und Abgeordneten, so wie über das Verfahren bei deren Wahlen, enthält das Wahlgesetz, welches zwar keinen Theil der Landschafts-Ordnung bildet, aber ohne ständische Zustimmung nicht abgeändert werden kann. II. Gesetzlich erforderliche Eigenschaften der Abgeordneten 1. Allgemeine Erfordernisse für alle Abgeordnete § 71. Um als Abgeordneter wählbar zu sein, muß man 1) das 30ste Jahr zurückgelegt und 2) seit fünf Jahren im Herzogthume seinen Wohnsitz gehabt haben, 3) sich eines unbescholtenen Rufes erfreuen, 4) weder für seine Person, noch wegen seines Vermögens unter Curatel stehen, 5) keine Rückstände an öffentlichen oder Communal-Abgaben haben, wegen welcher die Execution bereits verfügt ist. § 72. Fortsetzung. Mitglieder des Herzogl. Staats-Ministeriums können nicht Abgeordnete sein. Eben so wenig diejenigen, welche wirkliche Hof-,

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B RAUNSCHWEIG Militair- und Civil-Beamte eines auswärtigen Staats sind. Es findet jedoch eine Ausnahme hinsichtlich derjenigen, welche in Königl. Hannoverischen Diensten stehen, Statt, so lange im Königreiche Hannover ein Gleiches beobachtet wird. Diejenigen Mitglieder des gemeinschaftlichen Oberappellationsgerichts zu Wolfenbüttel, welche von den mit Braunschweig zu Haltung dieses Gerichtshofes verbundenen Fürsten ernannt sind, werden als auswärtige Staatsdiener nicht betrachtet. § 73. Fortsetzung. Alle übrigen im hiesigen Dienste stehenden Civilbeamten, active Militairpersonen, Geistliche oder Schullehrer sind wählbar. Sie müssen aber, bevor sie die Wahl annehmen, dazu die Erlaubniß der Regierung erhalten haben, welche nicht versagt werden wird, wenn nicht das Beste des Dienstes dieses nothwendig macht. § 74. Fortsetzung. Vater und Sohn können nicht zugleich Abgeordnete sein, und wenn sie sich darüber, wer zurücktreten soll, nicht vereinigen können, geht der Vater vor. § 75. Fortsetzung. Niemand kann die Wahl zum Abgeordneten von mehreren Wahl-Collegien annehmen. 2. Besondere Erfordernisse für die einzelnen Klassen der Abgeordneten § 76. a. Bei der Ritterschaft. Wählbar als Abgeordnete der Ritterschaft sind nur Eigenthümer und lebenslängliche Nutznießer eines landtagsfähigen, in die Rittermatrikel eingetragenen, Gutes. § 77. b. Bei den städtischen Abgeordneten. Wählbar als Abgeordnete der Städte sind

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die stimmführenden Mitglieder des Magistrats, und alle diejenigen Bürger, welche entweder Handel, oder Gewerbe oder Ackerbau treiben, Grundeigenthum im Bezirke der Stadt besitzen, und daselbst ihren wirklichen Wohnsitz haben, auch nach den zusammen zu rechnenden Ansätzen der Rollen sämmtlicher directen und Communalsteuern, zu den Höchstbesteuerten ihrer Stadt gehören. Die Anzahl der Höchstbesteuerten soll in jeder Stadt aus so. viel Personen bestehen, als die Zahl 10 in der Zahl der vorhandenen Wohnhäuser aufgeht, zu welchen Höchstbesteuerten jedoch, falls mehrere den geringsten dieser höchsten Steuersätze zahlen, diese alle noch hinzu zu rechnen sind. Sofern unter den Höchstbesteuerten sich nicht mindestens die sechs höchstbesteuerten Handel- oder Gewerbe-Treibenden des Wahlbezirks befinden sollten, sind diese jedenfalls unter die Zahl der Wählbaren aufzunehmen.

§ 78. c. Bei den ländlichen Abgeordneten. Als Abgeordnete dieser Standesclasse sind nur diejenigen wählbar, welche Eigenthümer oder lebenslängliche Nutznießer eines Freisassenhofes oder einer Reihestelle sind, in dem ländlichen Wahlbezirke wohnen, Landwirthschaft als Erwerbzweig treiben und nach dem Contributions-Cataster zu den Höchstbesteuerten ihres Amtes gehören. Die Anzahl der Höchstbesteuerten soll in jedem Amte aus so viel Personen bestehen, als die Zahl 4 in der Zahl der in dem Amte belegenen Reihestellen, bei welcher Landwirthschaft betrieben wird, aufgeht, zu welchen indeß, falls mehrere den geringsten dieser höchsten Contributionssätze zahlen, diese alle hinzu zu rechnen sind. Aus den Gemeinden, in welchen nach diesen Bestimmungen sich nicht mindestens drei Wählbare befinden, sollen jeden-

V ERFASSUNG VON B RAUNSCHWEIG (1832) falls die drei Höchstbesteuerten unter die Wählbaren aufgenommen werden. § 79. d. Bei den übrigen Abgeordneten. Die übrigen 16 Abgeordneten werden, ohne Rücksicht auf Standesclassen, jedoch nach den Bestimmungen des Wahlgesetzes, unter den Männern von höherer Geistesbildung gewählt, welche überhaupt wählbar sind. (§. 71.) Zwei derselben sollen der höheren Geistlichkeit bis zum Superintendenten einschließlich angehören. III. Stellvertreter der Abgeordneten § 80. Für jeden Abgeordneten wird zugleich ein Stellvertreter gewählt, der dieselben Eigenschaften haben muß, wie dieser, und einberufen wird, wenn der Abgeordnete den übernommenen Auftrag niederlegt, oder nicht fort besorgen kann. Für die 10 Abgeordneten der Ritterschaft sollen indeß nur 5 Stellvertreter ernannt, nach dem Lebensalter einberufen, und bei jeder Abgeordneten-Wahl neu gewählt werden. § 81. Fortsetzung. Ueber die Einberufung der Stellvertreter entscheidet die Ständeversammlung oder der Ausschuß. IV. Ablehnung des AbgeordnetenAuftrages § 82. Jeder ist verpflichtet, die auf ihn gefallene Wahl als Abgeordneter oder Stellvertreter anzunehmen, er könnte denn nachweisen, 1) daß er das 65ste Lebensjahr überschritten habe; oder 2) daß er durch Krankheit oder Körperschwäche auf längere Zeit für die Geschäfte der Ständeversammlung untüchtig gemacht sei; oder

3) daß er in häuslichen oder GeschäftsVerhältnissen stehe, welche seine persönliche und dauernde Anwesenheit wesentlich erfordern. V. Erneuung der Stände-Versammlung durch neue Wahlen § 83. 1. Regelmäßige neue Wahlen. Vor dem Beginnen jedes ordentlichen Landtages, also alle drei Jahre, tritt die Hälfte der Abgeordneten jeder Classe aus und wird neu gewählt. Um dieses Austreten für die Folge zu ordnen, werden beim Schlusse des ersten ordentlichen Landtages die Abgeordneten jeder Classe, und, falls in einer Classe ein Wahlbezirk mehrere Abgeordnete sendet, diese unter sich, diejenigen durch das Loos bestimmen, welche austreten. Vor dem dritten ordentlichen Landtage treten die Zurückgebliebenen aus, und bei dieser Reihefolge hat es sein Bewenden. § 84. 2. Nach einer Auflösung der Ständeversammlung. Nach einer vom Landesfürsten verfügten Auflösung der Ständeversammlung werden die Abgeordneten allgemein neu gewählt, und es findet am Schlusse des Landtages eine neue Loosung statt, um die vor dem nächsten ordentlichen Landtage austretenden Mitglieder zu bestimmen. Sowohl in diesem, als in dem, in dem vorhergehenden §. erwähnten Falle können die Austretenden wieder gewählt werden. § 85. 3. In einzelnen Fällen. Wenn sowohl der Abgeordnete, als dessen Stellvertreter vor Ablauf der Zeit, für welche sie gewählt waren, ihren Auftrag niederlegen oder zu dessen Ausrichtung unfähig werden, erlässt die Landesregierung für den betreffenden Wahlbezirk neue Wahlausschreiben.

255

B RAUNSCHWEIG VI. Erlöschen des Auftrages der Abgeordneten

Landtag vertagt, verabschiedet oder aufgelöset wird, vor dessen Auseinandergehen.

§ 86. Der Auftrag der Abgeordneten erlischt: 1) durch Ablauf der Zeit, für welche sie gewählt sind; 2) durch Auflösung der Ständeversammlung, und zwar in beiden Fällen mit Beendigung der neuen Wahl des betreffenden Wahlcollegiums; 3) durch Verlust einer der Eigenschaften, welche erforderlich sind, um als Abgeordneter wählbar zu sein; 4) durch Annahme eines Staatsamtes, welches der Abgeordnete zur Zeit seiner Wahl noch nicht bekleidete; jedoch kann der Austretende wieder gewählt werden; 5) durch die Niederlegung des Auftrages, welche nur aus den §. 82 unter 2 und 3 aufgeführten Gründen zulässig ist; 6) zur Strafe, wenn die Stände-Versammlung die Ausschließung eines Mitgliedes auf den Grund der Geschäftsordnung verfügt.

§ 90. 4. Stellvertreter der AusschußMitglieder. Bei der Wahl des Ausschusses wird zugleich für jedes Mitglied desselben ein Stellvertreter auf gleiche Weise gewählt. Dieser tritt in den Ausschuß ein, wenn das Mitglied, für welches er gewählt worden, behindert ist; sollte auch der Stellvertreter selbst behindert, oder bereits einberufen sein, so rückt statt seiner der an Jahren Aelteste der übrigen Stellvertreter ein. Ueber die Einberufung der Stellvertreter entscheidet der Ausschuß.

Dritter Abschnitt Zusammensetzung des ständischen Ausschusses § 87. 1. Zahl und Eigenschaften seiner Mitglieder. Der ständische Ausschuß soll aus 7 Abgeordneten des Landes bestehen. Ein Mitglied desselben muß aus den ritterschaftlichen, eines aus den städtischen und eines aus den ländlichen Abgeordneten genommen werden. § 88. 2. Wahl desselben. Die Ständeversammlung wählt den Ausschuß aus ihrer Mitte durch absolute Stimmenmehrheit, auf die für die Wahl der Abgeordneten vorgeschriebene Weise. § 89. 3. Zeit der Ernennung desselben. Der Ausschuß wird ernannt, wenn der

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§ 91. 5. Erneuung des Ausschusses. Die Mitglieder des Ausschusses werden, wie die Abgeordneten, alle drei Jahre zur Hälfte ausscheiden und durch neue Wahl ersetzt. Am Schlusse des ersten ordentlichen Landtages sollen daher 3 Mitglieder des Ausschusses und deren Stellvertreter, aus den Abgeordneten, welche dem Loose nach vor dem zweiten ordentlichen Landtage ausscheiden, und vier Mitglieder und deren Stellvertreter aus denen, welche alsdann zurückbleiben, gewählt werden, und bei den folgendeu Landtagen ist immer die abgehende Zahl der Ausschußmitglieder durch neue Wahl aus den zurückbleibenden Abgeordneten zu ersetzen. Nach einer Auflösung der Ständeversammlung findet eine allgemeine neue Wahl des Ausschusses Statt, bei welcher ebenso verfahren wird, wie am Schlusse des ersten ordentlichen Landtages. § 92. Fortsetzung. Sind sowohl von den Mitgliedern des Ausschusses, als von deren Stellvertretern vor Ablauf der Zeit, für welche sie gewählt waren, so viele abgegangen, daß die Uebrigbleibenden nicht wenigstens noch die Zahl von sieben ausmachen, so ist zu einer Ergän-

V ERFASSUNG VON B RAUNSCHWEIG (1832) zung des Ausschusses durch neue Wahlen zu schreiten. § 93. 6. Erlöschen des Auftrages der Ausschuß-Mitglieder. Der Auftrag der Mitglieder des Ausschusses erlischt mit dem AbgeordnetenAuftrage, jedoch in den §. 86 unter 1 und 2 aufgeführten Fällen erst am Tage der Eröffnung der neuen Ständeversammlung.

Zweiter Titel Von den Rechten und Pflichten der Landschaft

Erster Abschnitt Allgemeine Grundsätze § 94. Die Landstände haben die heilige Pflicht, in ihrem Wirkungskreise, der Verfassung gemäß, die Wohlfahrt des Vaterlandes, frei von anderen Rücksichten, gewissenhaft zu befördern. § 95. Sie sind schuldig, bei Ausübung ihrer ständischen Rechte und Befugnisse die Verfassung genau zu beobachten, und dürfen sich nur mit den Gegenständen beschäftigen, welche Bestimmungen der Verfassung ihrem Wirkungskreise überwiesen haben. § 96. Alle Abgeordneten sind in ihren landschaftlichen Rechten und Plichten einander gleich. Keiner ist als der besondere Vertreter seiner Standesclasse zu betrachten.

Zweiter Abschnitt Einzelne Rechte und Pflichten der Ständeversammlung I. Mitwirkung im Finanzwesen § 97. Die Bestimmungen über die Mitwirkung der Ständeversammlung im Finanzwesen sind im sechsten Capitel enthalten.

II. Mitwirkung bei der Gesetzgebung § 98. a. Fälle, wo die Zustimmung der Stände erforderlich ist. Die ständische Zustimmung ist erforderlich: 1) wenn dieses Landesgrundgesetz, oder die mit demselben erlassenen Gesetze ergänzt, erläutert oder abgeändert, 2) wenn neue organische Staatseinrichtungen getroffen oder die bestehenden verändert, 3) wenn Landesgesetze gegeben, aufgehoben, abgeändert oder authentisch erklärt werden, die das Landes-Finanz- und Steuerwesen, die Militairpflichtigkeit und die Aushebung der Mannschaften, das bürgerliche oder Straf-Recht, den bürgerlichen oder Straf-Proceß betreffen. § 99. b. Fälle, wo das Gutachten der Stände erfordert wird. Bei allen übrigen, namentlich den das Landespolizeiwesen betreffenden gesetzlichen Bestimmungen, müssen die Stände zuvor mit ihrem Gutachten und Rath gehört, und es können in solchen Gesetzen Polizeistrafen bis zu einmonatigem einfachen Gefängniß oder diesem entsprechenden Geldstrafen angedrohet werden. § 100. c. Form der Gesetze. Die Gesetze sollen im Eingange der erfolgten Zustimmung, oder des vorher angehörten Gutachtens und Raths der Ständeversammlung oder des ständischen Ausschusses ausdrücklich Erwähnung thun. Alle in dieser verfassungsmäßigen Form von dem Landesfürsten verkündigten Gesetze müssen von allen Landeseinwohnern, Behörden und Gerichten befolgt werden. § 101. d. Verordnungen. Verordnungen, d.h. solche Verfügungen, welche aus dem allgemeinen Verwaltungsoder Oberaufsichts-Rechte der Regierung hervorgehen, oder welche die Ausführung

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B RAUNSCHWEIG und Handhabung der bestehenden Gesetze betreffen, erlässt die Landesregierung ohne Mitwirkung der Stände. III. Mitwirkung beim Militairwesen § 102. Ein größeres, als das durch die Bundesgesetzgebung vorgeschriebene Truppencorps wird ohne Zustimmung der Stände nicht aufgestellt werden. Ohne deren Bewilligung kann weder das Truppencorps, noch eine Abtheilung desselben in den Dienst eines auswärtigen Staates gegeben werden. Gleichfalls ist deren Bewilligung erforderlich, wenn durch Werbung, besonders von Ausländern, Truppen gebildet werden sollen. IV. Rechte in Beziehung auf Rechtspflege § 103. a. Unabhängigkeit der Gerichte. Die Stände haben das Recht, auf die durch die Landes- und Bundesgesetzgebung festgestellte Unabhängigkeit der Gerichte in den Gränzen ihrer Zuständigkeit zu halten. Insbesondere wird es den Parteien, welche sich durch landesfürstliche Verfügungen in der gerichtlichen Verfolgung ihrer Rechte für beeinträchtigt halten, gestattet, sich an die Ständeversammlung zu wenden, und diese ist befugt, auf die Abhülfe der von ihr begründet erachteten Beschwerden bei der Landesregierung anzutragen. § 104. b. Präsentationsrecht zu zwei Rathsstellen im Landesgerichte. Die Ständeversammlung hat das Recht, zu zwei Rathsstellen im Herzogl. Landesgerichte Candidaten zu präsentiren. Sie wählt diese durch absolute Stimmenmehrheit, und ihre Wahl kann auf Jeden fallen, der ein Richteramt oder ein öffentliches juristisches Lehramt 5 Jahre bekleidet, oder

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10 Jahre hindurch mit Auszeichnung die advocatorische Praxis betrieben und in den beiden letzten Fällen die vorschriftsmäßige Prüfung zur Erlangung des Richteramtes bestanden hat. V. Recht der Vorschläge § 105. Die Ständeversammlung ist berechtigt, dem Landesfürsten Vorschläge zu Gesetzen, Verordnungen, allgemeinen Verfügungen und zur Errichtung öffentlicher Anstalten zu machen; diese Vorschläge werden genau geprüft werden, und es sollen stets landesfürstliche Entschließungen, und zwar im Ablehnungsfalle mit Anführung der Gründe, darauf erfolgen. VI. Recht der Mitaufsicht auf die übrigen Landesangelegenheiten § 106. Die Ständeversammlung ist befugt, wegen bemerkter Mängel oder Mißbräuche bei der Gesetzgebung, Rechtspflege und Verwaltung der öffentlichen Angelegenheiten, Vorträge an die Landesregierung zu richten, und sich über deren Abstellung gutachtlich zu äußern. § 107. Sie hat das Recht, darüber zu wachen, daß Niemand in seinen verfassungsmäßigen Rechten verletzt, insonderheit ohne gesetzlichen Grund und ohne eine ordnungsmäßige Verfügung der competenten Polizei- oder Gerichtsbehörde verfolgt, verhaftet, bestraft oder sonst an Freiheit oder Eigenthum gekränkt werde, und sie kann in einem solchen Falle auf Abstellung der Beschwerde und auf Bestrafung der Schuldigen bei der Landesregierung antragen. VII. Recht der Anklage § 108. 1. Antrag auf Bestrafung. Die Ständeversammlung kann auf Bestrafung der Mitglieder des Staatsministeriums und des ständischen Ausschusses antragen,

V ERFASSUNG VON B RAUNSCHWEIG (1832) welche einer Verletzung der, auf den vorliegenden Fall unzweifelhaft anwendbaren Bestimmungen dieses Landesgrundgesetzes sich schuldig gemacht haben. Ein solcher Antrag muß spätestens binnen sechs Jahren nach eingetretener Verletzung gemacht werden. In Ansehung der dem Staatsministerium untergeordneten Beamten sind dergleichen Anträge von der Ständeversammlung nur dann statthaft, wenn diese Beamten da, wo sie in den Gränzen eigener Verantwortlichkeit handeln, die Verfassung verletzt zu haben beschuldigt werden, und der Antrag auf Bestrafung bei den vorgesetzten Behörden und zuletzt bei dem Staatsministerium angebracht und 8 Wochen lang unbeachtet geblieben ist. In diesem Falle wird der Antrag auf Bestrafung bei dem Landesgerichte gemacht, welches die Untersuchung durch zwei seiner Mitglieder zu führen und das erste Erkenntniß abzugeben hat, gegen welches die ordentlichen Rechtsmittel zulässig sind.

§ 109. 2. Bildung eines gemeinschaftlichen Gerichtshofes. Soll aber ein Antrag auf Bestrafung eines Mitgliedes des Staatsministeriums oder des ständischen Ausschusses wegen verletzter Verfassung gemacht werden, so wird zuvörderst ein eigener Gerichtshof gebildet, welcher aus sieben Mitgliedern der höheren Justizcollegien bestehen soll. Drei Mitglieder desselben werden durch das Loos aus den Mitgliedern des gemeinschaftlichen Oberappellationsgerichts, auf den Antrag des Ausschusses oder der Ständeversammlung, die übrigen vier aus den Mitgliedern des Landesgerichts, und zwar zwei von der Landesregierung und zwei von der Ständeversammlung, erwählt. Das Präsidium übernimmt das älteste der Mitglieder aus dem Oberappellationsgerichte. Die erforderlichen Secretarien werden dem Gerich-

te durch das Oberappellationsgericht beigeordnet. § 110. 3. Verfahren und Erkenntniß. Fassen die Stände den Beschluß, auf eine Untersuchung und Bestrafung anzutragen, so wählen sie zugleich die zwei Mitglieder des Gerichtshofes und machen von diesem Beschlusse und dessen Gründen, so wie von der getroffenen Wahl bei der Regierung Anzeige, mit dem Ersuchen, daß diese gleichfalls die erforderlichen Wahlen treffe. Zugleich benachrichtigen sie hievon das gemeinschaftliche Oberappellationsgericht, welches verpflichtet ist, den gemeinschaftlichen Gerichtshof zu constituiren, und daher im Falle, daß die erforderliche Zahl der Mitglieder des Landesgerichts nicht binnen 4 Wochen erwählt sein sollte, die fehlenden durch das Loos bestimmen lässt. Dieser Gerichtshof prüft zuvörderst: ob Grund zu einer Untersuchung vorhanden sei? nachdem ihm der umständlich zu entwickelnde und erforderlichen Falls mit den gehörigen Dokumenten versehene Antrag auf Bestrafung übergeben ist. Er leitet bei vorhandenem Grunde die Untersuchung ein, führt dieselbe nach den Regeln des Untersuchungsprocesses und fällt das Erkenntniß in erster und letzter Instanz. Dieses Erkenntniß beschränkt sich auf die Beantwortung der Frage: ob der Angeklagte sich der Verletzung einer, auf den vorliegenden Fall unzweifelhaft anwendbaren Bestimmung dieses Landesgrundgesetzes schuldig gemacht habe oder nicht? und überlässt die Beurtheilung des in der Verletzung des Grundgesetzes etwa liegenden gemeinen Vergehens, so wie die aus derselben entspringenden Entschädigungsansprüche den ordentlichen Gerichten. – Wird der Angeklagte schuldig erkannt, so ist davon bei dem Beamten Dienstentlassung, und bei den Mitgliedern des Ausschusses Verlust der AbgeordnetenEigenschaft und der Wählbarkeit die unmittelbare Folge.

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B RAUNSCHWEIG Gegen das Erkenntniß findet kein anderes Rechtsmittel Statt, als die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, wegen neuaufgefundener Thatsachen oder Beweisgründe. Die Verhandlungen und das Erkenntniß sollen auf Kosten des Gerichtsfiscus durch den Druck öffentlich bekannt gemacht werden. § 111. 4. Abolition solcher Untersuchung. Die Abolition einer Untersuchung wegen verletzter Verfassung ist unzulässig, und der Verurtheilte kann im Staatsdienste nicht wieder angestellt werden. § 112. 5. Ausschließliche Competenz der Ständeversammlung. Nur die Ständeversammlung entscheidet darüber, ob ein Verfahren wegen verletzter Verfassung einzuleiten sei. Hat sie durch einen ordnungsmäßigen Beschluß das Verfahren der Mitglieder des Staatsministeriums oder des Ausschusses gebilligt, so findet eine ständische Anklage nicht weiter Statt. Die ordentlichen Gerichte dürfen daher wegen verletzter Verfassung gegen die Mitglieder des Staatsministeriums und des ständischen Ausschusses von Amtswegen nicht verfahren. VIII. Recht der Convocationstage § 113. Kraft althergebrachten Rechts darf sich die Ständeversammlung in den durch das Gesetz ausdrücklich bestimmten Fällen, aber auch nur in diesen, auch ohne landesfürstliche Berufung versammeln, berathen und Beschlüsse fassen. Dieses Convocationsrecht soll statt finden: 1) auf Veranlassung einer plötzlichen allgemeinen Landesgefahr; 2) wenn dieses Landesgrundgesetz verletzt wird und Anträge zu dessen Schutze zu

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machen sind, insbesondere, wenn der Landtag nicht binnen 3 Jahren berufen wird; 3) wenn der ständische Ausschluß zu ergänzen ist; 4) wenn bei dem Landesgerichte von der Landschaft zu besetzende Vacanzen zwischen den Landtagen, und zwar 4 Monat vor der Versammlung des nächsten Landtages, entstanden sind; 5) wenn die Stelle des Landsyndicus erledigt ist. In einer solchen Versammlung darf nichts vorgenommen werden, als der Gegenstand, der sie veranlasst hat. Nach einer von dem Landesfürsten verfügten Auflösung der Ständeversammlung kann das Convocationsrecht vor Eröffnung des Landtags nicht ausgeübt werden, ausgenommen in dem unter 1. aufgeführten Falle. IX. Recht, Bittschriften anzunehmen § 114. Die Ständeversammlung kann von einzelnen und Corporationen in den §. 103. u. 107. erwähnten Fällen Bittschriften annehmen, wenn die Bittsteller nachweisen, daß sie bei der Landesregierung um Abhülfe ihrer Beschwerde vergeblich nachgesucht haben. Bittschriften oder Eingaben anderen Inhalts, von Einzelnen oder Corporationen, anzunehmen, ist die Ständeversammlung nicht befugt.2 X. Ernennung des Landsyndicus und dessen Substituten § 115. Der Ständeversammlung steht das Recht zu, einen Landsyndicus zu bestellen, und zwar wird derselbe durch absolute Stimmenmehrheit, auf die für die Wahl der Abgeordneten vorgeschriebene Weise, erwählt. Seine Anstellung ist lebenslänglich, jedoch damit die Verwaltung eines andern Staatsamts unvereinbar. Die Bestimmungen des Gesetzes über

V ERFASSUNG VON B RAUNSCHWEIG (1832) den Civil-Staatsdienst finden auf ihn nur insofern Anwendung, als dieses in der Bestallung erklärt ist. Auch wird die Ständeversammlung für die Dauer jeder Landtagsversammlung dem Landsyndicus einen Substituten bestellen, und diesen gleichfalls nach absoluter Stimmenmehrheit erwählen. Von ber Erwählung des Landsyndicus und des Substituten wird der Landesregierung Anzeige gemacht, und der Erwählte von der Ständeversammlung oder dem ständischen Ausschusse auf sein Amt, zugleich mit Ablegung des Erbhuldigungseides, vereidet. XI. Gerichtssporteln-, Stempel- und Porto-Freiheit § 116. Die Landschaft hat die Freiheit von Gerichtssporteln, Stempeln und Porto ferner zu genießen.

B. Besondere Befugnisse 1. Im Finanzwesen. § 119. Die Mitwirkung des ständischen Ausschusses im Finanzwesen ist in dem sechsten Capitel bestimmt. § 120. 2. Bei der Gesetzgebung. Gebietet das Staatswohl dringende Eile oder würde der vorübergehende Zweck des Gesetzes durch Verzögerung vereitelt, so können zwischen den Landtagen die das Landes-, Finanz- und Steuerwesen, so wie die Militairpflicht und die Aushebung der Mannschaften betreffenden Gesetze mit Zustimmung des Ausschusses erlassen werden. Die Landesregierung entscheidet unter Verantwortlichkeit sämmtlicher stimmführenden Mitglieder des Staatsministeriums darüber: ob jene Voraussetzungen eingetreten seien? Gesetze dieser Art sind der Ständeversammlung baldigst zur Genehmigung vorzulegen und treten außer Wirksamkeit, wenn diese versagt wird.

XII. Siegel § 117. Die Landschaft führt ein eigenes Siegel.

Dritter Abschnitt Rechte und Pflichten des ständischen Ausschusses A. Allgemeiner Grundsatz § 118. Der ständische Ausschuß hat das Recht und die Pflicht: 1) zwischen den Landtagen auf die Vollziehung der zwischen dem Landesfürsten und den Ständen getroffenen Vereinbarungen zu sehen, so wie die ihm in dieser Hinsicht erforderlich scheinenden Anträge bei der Landesregierung zu machen; 2) diejenigen besonderen Befugnisse auszuüben, welche ihm das Gesetz anweiset.

§ 121. Forsetzung. Einzelne, das bürgerliche und Strafrecht, den bürgerlichen und Straf-Proceß betreffende Gesetze (nicht aber ganze Gesetzbücher, einer Hypotheken-Ablösungs- und Gemeinheits-Theilungsordnung) können zwischen den Landtagen mit Zustimmung des Ausschusses erlassen werden. § 122. Fortsetzung. Durch die mit Zustimmung des Ausschusses erlassenen Gesetze kann indeß nie dieses Landesgrundgesetz oder ein mit demselben publicirtes Gesetz ergänzt, erläutert oder abgeändert, oder eine organische Einrichtung getroffen oder verändert werden. § 123. Fortsetzung. Alle Gesetze, bei welchen das Gutachten und der Rath der Stände gehört werden muß, können zwischen den Landtagen mit dem Gutachten und Rath des Ausschusses

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B RAUNSCHWEIG erlassen werden, mit Ausnahme einer allgemeinen Polizeiordnung. § 124. 3. Verbindlichkeit, der Landesregierung Berichte und Gutachten zu erstatten. Die Landesregierung kann von dem ständischen Ausschusse, so oft es ihr gut dünkt, Nachrichten, Berichte und Gutachten einziehen. Insbesondere kann sie Gesetzentwürfe, welche sie demnächst an die Ständeversammlung zu bringen denkt, dem Ausschusse zuvor zur Begutachtung vorlegen. § 125. 4. Recht, die Ständeversammlung zu berufen. Der Ausschuß ist befugt, in den §. 113. aufgeführten Fällen die Ständeversammlung zusammen zu berufen, um die erforderlichen Beschlüsse und Wahlen zu veranlassen. Von einer solchen Berufung, so wie von deren Zwecke, ist sogleich bei der Erlassung der Convocationsschreiben der Landesregierung Anzeige zu machen. § 126. 5. Besondere Aufträge. Die Ständeversammlung kann, mit Zustimmung der Landesregierung, dem Ausschusse durch specielle Vollmacht für einzelne bestimmte Geschäfte alle die Rechte übertragen, welche sie selbst hat. § 127. 6. Sonstige Befugnisse. Außerdem hat der ständische Ausschuß die Oberaufsicht über das landschaftliche Archiv, die Führung der Rittermatrikel, die Ertheilung der Landschaftlichen Stipendien, die Leitung der Verwaltung der Sammlungen, Capitalien und Grundstücke der Landschaft, so wie die ihm durch die Geschäftsordnung übertragenen Functionen, zu besorgen.

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Dritter Titel Von den Landtagen, der Behandlung der Geschäfte auf denselben, so wie von den Verhandlungen des ständischen Ausschusses

Erster Abschnitt Von den Landtagen § 128. 1. Ordentliche und außerordentliche Landtage. Die Ständeversammlung muß alle 3 Jahre zu einem ordentlichen Landtage von der Landesregierung berufen werden. Die ordentlichen Landtage sollen in der Regel in dem Monate November beginnen. Außerdem steht es dem Landesfürsten frei, jederzeit, wenn er es für nothwendig hält, die Ständeversammlung zu einem außerordentlichen Landtage zu convociren. § 129. 2. Ungesetzliche Versammlungen. Mit Ausnahme der in dem §. 113. aufgeführten Fälle, dürfen die Abgeordneten sich nicht versammeln, ohne von dem Landesfürsten berufen zu sein. Solche landesfürstlich nicht berufene Versammlungen sind strafbar und deren Beschlüsse ungültig. § 130. 3. Berufung der Ständeversammlung. Der Landesfürst beruft die Abgeordneten durch eine Verordnung, in welcher er zugleich die Zeit und den Ort der Versammlung bestimmt, und in der Regel die den Ständen vorzulegenden Propositionen, insofern sie Gesetzentwürfe betreffen, im Allgemeinen bezeichnet. § 131. 4. Eröffnung des Landtags. Der Landtag wird von dem Landesfürsten in Person oder durch einen landesfürstlichen Bevollmächtigten unter den von Höchstdemselben zu bestimmenden Feierlichkeiten eröffnet.

V ERFASSUNG VON B RAUNSCHWEIG (1832) § 132. 5. Eid der Abgeordneten. Bei der Eröffnung des Landtags schwört jeder Abgeordnete folgenden Eid: „Ich schwöre Treue dem regierenden Landesfürsten und Höchstdessen Nachfolgern aus dem Hause Braunschweig, Gehorsam den Gesetzen, und gewissenhafte Ausübung und Erfüllung der Rechte und Pflichten eines Abgeordneten.“ Dieser Eid wird bei folgenden Landtagen nur von denen geleistet, welche zum ersten Male als Abgeordnete gewählt sind. Mitglieder, die bei Eröffnung eines Landtages nicht beeidigt sind, leisten den Eid bei ihrem Eintritte in die Ständeversammlung vor dieser. § 133. 6. Unzulässigkeit von Instructionen und Mandaten. Die Abgeordneten haben bei ihren Abstimmungen ganz allein ihrer, auf sorgfältige Prüfung der vorliegenden Gegenstände gegründeten, eigenen Ueberzeugung und ihrem Gewissen zu folgen, keineswegs aber Instructionen von Andern anzunehmen und zu beachten. Sie können ihre ständischen Befugnisse nur bei persönlichem Erscheinen in der Ständeversammlung ausüben. § 134. 7. Recht der freien Aeußerung. Die Mitglieder der Landschaft haben bei ihren Berathungen das Recht, ihre Meinung frei zu äußern, und können wegen Verletzungen der Geschäftsordnung, welche weder ein besonderes Verbrechen, noch eine persönliche Beleidigung enthalten, nur von der Ständeversammlung selbst zur Verantwortung gezogen werden. § 135. 8. Persönliche Unverletztlichkeit der Mitglieder der Ständeversammlung. Kein Mitglied der Ständeversammlung kann während der Landtagsversammlung verhaftet werden, als entweder im Wege des Wechselverfahrens, oder wenn dasselbe auf frischer verbrecherischer That ergriffen

wird, oder mit Zustimmung der Ständeversammlung. In den beiden ersten Fällen hat die verhaftende Behörde dem Staatsministerium und dieses der Ständeversammlung sofort Anzeige von der Verhaftung zu machen. § 136. 9. Von den Beamten der Ständeversammlung. Die Ständeversammlung wählt ihre Beamten aus ihrer Mitte, nämlich einen Präsidenten und einen Vicepräsidenten. Diese Wahl wird von dem an Jahren ältesten Mitgliede der Versammlung geleitet und geschieht vermittelst verschlossener Zettel durch absolute Stimmenmehrheit, wobei nach den für die Wahl der Abgeordneten vorgeschriebenen Grundsätzen verfahren wird. Zu der Stelle des Präsidenten und Vicepräsidenten werden für jede Stelle drei Candidaten dem Landesfürsten präsentirt, von denen derselbe Einen bestätigt, der alsdann sein Amt sofort antritt. Das Amt des Präsidenten und Vicepräsidenten erlischt mit ihrer Eigenschaft als Abgeordnete. § 137. 10. Gehülfspersonal. Für die Schreiberei und Registratur werden von dem Präsidenten die für die Zeit der ständischen Versammlungen nöthigen Offizianten angenommen, und zur Verschwiegenheit und gehörigen Verrichtung ihrer Dienstgeschäfte eidlich verpflichtet und angewiesen. § 138. 11. Gegenstände der ständischen Berathung. Die Landesfürstlichen Propositionen, die Anträge der Abgeordneten und die eingegangenen verfassungsmäßig zulässigen Bittschriften bilden die Gegenstände der Verhandlungen. Von allen zur Berathung stehenden Gegenständen kommen die Landesfürstlichen Propositionen zuerst zum Vortrage und zur Berathung, und müssen,

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B RAUNSCHWEIG insofern nicht zwischen der Landesregierung und den Ständen ein anderes vereinbart wird, in der Ordnung, in welcher sie vorgelegt sind, erledigt werden. § 139. 12. Von der Beschlußnahme. A. Erforderliche Zahl der Mitglieder. Die Ständeversammlung kann auf Landund Convocationstagen keinen Beschluß fassen, wenn nicht mindestens zwei Drittheile der gesetzlichen Zahl ihrer Mitglieder anwesend sind. § 140. B. Regel. Sie fasst über die zur Berathung und Entscheidung kommenden Angelegenheiten den Beschluß nach absoluter Mehrheit der Stimmen. § 141. C. Erste Ausnahme. Wenn ein Antrag auf Abänderung dieses Landesgrundgesetzes gemacht wird, so müssen wenigstens zwei Drittheile der ganzen Landschaft demselben beistimmen, um ihm Folge zu geben. § 142. D. Zweite Ausnahme. Wenn eine Abänderung in der Vertretung einer der drei Standes-Classen vorgenommen werden soll, so muß die Mehrzahl der Abgeordneten des betheiligten Standes der für die Aenderung stimmenden erforderlichen Mehrheit beigetreten sein. § 143. Wiederholung eines solchen abgelehnten Vorschlags. Wird ein solcher Vorschlag abgelehnt und auf dem nächsten Landtage wieder vorgebracht, hat derselbe alsdann wiederum die Mehrheit der Stimmen des betheiligten Standes gegen sich, bilden aber zugleich sämmtliche für denselben abgegebene Stimmen die erforderliche Mehrheit der Stimmenzahl der ganzen Ständeversammlung, so ist der Vorschlag angenommen. § 144. 13. Wirkung der Beschlüsse. Die Wirkung und Beförderung eines gefassten Beschlusses darf weder durch Ver-

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wahrungen, noch durch Berufung auf die höchste Entscheidung, noch auf andere Weise aufgehalten oder gehindert werden, sondern jedes ständische Mitglied muß sich das Resultat der Abstimmung schlechterdings gefallen lassen. Gleichwohl steht es einzelnen oder mehreren Abgeordneten frei, ihre besondere Meinung schriftlich auszuführen und zu verlangen, daß ihre Ausführung mit dem Beschlusse der Landschaft der Landesregierung mitgetheilt werde. § 145. 14. Landesfürstliche Entschließung darauf. Ein Beschluß der Ständeversammlung erhält nicht eher gesetzliche Gültigkeit, als bis ihm die Landesfürstliche Zustimmung ertheilt und er als Gesetz publicirt ist. Ob der Landesfürst ständischen Beschlüssen u. Anträgen seine Zustimmung ertheilen wolle? – hängt von dessen freier Entschließung ab. Wird die Zustimmung versagt, so werden die Gründe der Versagung den Ständen mitgetheilt werden. § 146. 15. Dauer des Landtags. Die Landtagsverhandlungen sollen binnen drei Monaten vollendet werden. – Nur mit besonderer Landesfürstlicher Bewilligung kann der Landtag über drei Monate dauern. § 147. 16. Vertagung, Verabschiedung und Auflösung der Ständeversammlung. Der Landesfürst hat das Recht, die vor ihm berufenen Ständeversammlungen zu vertagen, zu verabschieden und aufzulösen. Eine Vertagung über drei Monate hinaus ist unzulässig. In der Verordnung, durch welche die Ständeversammlung aufgelöset wird, sind zugleich die Wahlen neuer Abgeordneten zu verfügen, und es ist der Tag der Eröffnung der neugewählten Ständeversammlung, und zwar innerhalb eines Zeitraums von sechs Monaten, zu bestimmen.

V ERFASSUNG VON B RAUNSCHWEIG (1832) § 148. 17. Schluß des Landtags. Vor dem Schlusse des Landtags werden die verschiedenen Gegenstände, worüber die Landesregierung und die Stände sich vereinigt haben, in einen Landtagsabschied kurz zusammengetragen, und dieser ist von dem Landesfürsten und, von Seiten der Stände, von dem Präsidenten und dem Landsyndicus in doppelter Ausfertigung zu unterzeichnen, zu besiegeln und durch den Druck zur öffentlichen Kunde zu bringen.

Zweiter Abschnitt Verhandlungen des Ausschusses § 149. 1. Wahl des Präsidenten. Der ständische Ausschuß wählt sich einen Präsidenten aus seiner Mitte nach Stimmenmehrheit. § 150. 2. Art der Geschäftsführung und Beschlußnahme. Der Ausschuß betreibt die Geschäfte collegialisch, fasst seine Beschlüsse nach Stimmenmehrheit, ist aber zu einer Beschlußnahme nur befugt, wenn vier Mitglieder desselben anwesend sind. § 151. 3. Vortrag der vorgenommenen Geschäfte bei der Ständeversammlung. Ein Mitglied des Ausschusses hat von den zwischen den Landtagen vorgekommenden Geschäften auf dem nächsten Landtage der Ständeversammlung ausführlichen Vortrag zu erstatten.

Dritter Abschnitt § 152. Geschäftsordnung. Die näheren Bestimmungen über die Verhandlungen und die Form der Berathungen und Abstimmungen in der Ständeversammlung und dem Ausschusse sind in der landschaftlichen Geschäftsordnung enthalten, welche zwar keinen Bestandtheil der Verfassung bildet, aber nur durch Uebereinkuft zwischen dem Landesfürsten und den Ständen abgeändert werden kann.

FÜNFTES CAPITEL Von den obersten Landesbehörden und dem Civil-Staatsdienste 1. Staatsdienst § 153. a. Verantwortlichkeit. Alle Civil-Staatsdiener sind in dem ihnen angewiesenen Wirkungskreise für die Beobachtung der Gesetze und der Landesverfassung verantwortlich. § 154. b. Eid der Civil-Staatsdiener. Dieselben sollen bei Ablegung des Diensteides mit auf die Erfüllung dieser Pflicht vereidet werden. § 155. c. Contrasignatur. Um den verfassungsmäßigen Gang der Staatsverwaltung und die dem Staatsministerium untergeordneten Staatsbeamten wegen ihrer Verantwortlichkeit zu sichern, sind die unter der Höchsten Unterschrift des Landesfürsten erlassenen Verfügungen in Landesangelegenheiten nur alsdann vollziehbar, wenn sie mit der Contrasignatur eines stimmführenden Mitgliedes des Staatsministeriums versehen sind. § 156. d. Verantwortlichkeit der Mitglieder des Staatsministeriums. Die stimmführenden Mitglieder des Staatsministeriums sind insbesondere für die Verfassungs- und Gesetzmäßigkeit der von ihnen contrasignirten oder unterzeichneten Verfügungen verantwortlich. Diese Verantwortlichkeit trifft denjenigen höchsten Staatsbeamten, welcher contrasignirt oder unterzeichnet hat, persönlich, und ohne Zulassung der Berufung auf eine vorher mündlich oder schriftlich erklärte abweichende Meinung. § 157. e. Gesetz über den Staatsdienst. Die übrigen Rechtsverhältnisse der Staatsbeamten sind durch das hieneben erlassene Staatsdienstgesetz bestimmt.

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B RAUNSCHWEIG 2. Staatsministerium

SECHSTES CAPITEL Von den Finanzen

§ 158. Die unmittelbar unter dem Landesfürsten mit der obersten collegialischen Leitung der Landesverwaltung ausschließlich beauftragte Behörde ist das Staatsministerium. Für die einzelnen Verwaltungszweige bestehen Ministerial-Departements. Dasselbe wird stets mindestens mit drei stimmführenden Mitgliedern besetzt sein, welche der Landesfürst nach eigener Wahl ernennt und nach Gefallen verabschiedet. 3. Ministerial-Commission § 159. Zur Berathung der Gesetzentwürfe und anderer wichtigen Landesangelegenheiten und zur Entscheidung der zwischen den Verwaltungsbehörden und Gerichten eintretenden Competenzstreitgkeiten soll eine Commission bestehen. Dieselbe soll zusammengesetzt sein aus den stimmführenden Mitgliedern des Staatsministeriums und den von dem Landesfürsten berufenen Beisitzern. Mit der Entscheidung der CompetenzConflicte soll eine eigene Section dieser Commission beauftragt werden, welche aus höheren Justizbeamten und aus höheren rechtskundigen Verwaltungsbeamten besteht, und in welcher das mit dem Departement der Justiz beauftragte Mitglied des Staatsministeriums den Vorsitz führt. Das Nähere über die Organisation dieser Behörde bestimmt ein Gesetz. 4. Kreis-Directionen § 160. Die Landes-Verwaltung und Polizei soll unmittelbar unter dem Staatsministerium durch Kreis-Directionen geleitet werden, deren Organisation und Geschäftskreis durch ein Gesetz bestimmt ist.

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§ 161. 1. Sonderung des Fürstl. Haushalts von dem Staatshaushalte. Zur Beförderung einer geregelten Finanzverwaltung soll der Fürstl. Haushalt von dem Staatshaushalte getrennt, das gesammte, zur Bestreitung der Staatshaushaltsbedürfnisse bestimmte, Einkommen aus den Ueberschüssen des Cammerguts und der Steuerverwaltung aber vereinigt werden. § 162. 2. Cammergut. Die sämmtlichen Herzogl. Domainen, Forsten, Jagden und Fischereien, die damit verbundenen Gefälle und Gerechtsame, so wie die heimfallenden Lehne, ferner die Berg- und Hüttenwerke, die Salinen, Glas- und Ziegelhütten, Steinbrüche, Kalkund Gypsbrennereien, Braunkohlengruben und Torfstiche, die Porzellan-Fabrik und die Münze sollen das Cammergut bilden. § 163. 3. Stifter St. Blasii et Cyriaci. Die Güter und Gerechtsame der auf den Grund des Reichsdeputationshauptschlusses vom 25. Febr. 1803 aufgehobenen Stifter St. Blasii et Cyriaci werden, vorbehältlich der den Präbendarien ausgesetzten Pensionen, dem Cammergute einverleibt, wie solches in Ansehung der Abtei Gandersheim und des Klosters St. Ludgeri vor Helmstedt früher schon geschehen ist. § 164. 4. Rechtsverhältnisse des Cammerguts. Die bisherigen Rechtsverhältnisse des Cammerguts und namentlich die Bestimmungen des Edicts vom 1. Mai 1794 bleiben unverändert. Dasselbe ist daher fortwährend in seinem ganzen Bestande zu erhalten, und auf eine das nachhaltige Einkommen sichernde Weise zu benutzen. Die dazu gehörigen Grundstücke, Gerechtsame und Einkünfte können

V ERFASSUNG VON B RAUNSCHWEIG (1832) ohne Zustimmung der Stände nicht veräußert, also auch nicht verpfändet werden. Veräußerungen ohne ständische Zustimmung sind nichtig; der Käufer hat weder gegen den Landesfürsten, noch gegen eine öffentliche Behörde ein Klagerecht auf Rückzahlung des gezahlten Kaufgeldes, sondern er kann sich nur an die Personen halten, mit denen er contrahirt hat. Selbst in dem Falle, daß die von ihm gezahlten Münzstücke in einer öffentlichen Casse noch vorhanden wären, kann er solche nicht vindiciren. § 165. Fortsetzung. Durch die nothwendige Erhaltung des Cammerguts in seinem Bestande sind jedoch diejenigen, unter Zustimmung der Stände, zu treffenden Veränderungen nicht ausgeschlossen, welche bei einzelnen Besitzungen zur Beförderung der Landescultur oder sonst zur Wohlfahrt des Staats und Entfernung wahrgenommener Nachtheile durch Verkauf, Austausch oder Vererbleihung nothwendig oder gut befunden werden sollten. Wird eine Ablösung der zum Cammergute gehörenden Dienste, Zehnten und Gefälle gegen Geld eintreten, oder eine Veräußerung einzelner Theile des Cammerguts im gesetzlichen Wege beschlossen, so ist gleichzeitig verfassungsmäßig über die nützliche Verwendung der eingehenden Gelder Vorsorge zu treffen. § 166. 5. Verwaltung des Cammerguts. Das Cammergut wird, unter unmittelbarer Leitung des Herzogl. Staats-Ministerii, von der Herzoglichen Cammer in drei abgesonderten Directionen für die Domainen, Forsten und Bergwerke verwaltet. Das Nähere hierüber ist durch das hierneben erlassene Gesetz bestimmt. § 167. 6. Verwendung des Cammerguts. Die Aufkünfte des gesammten Cammerguts sollen, nach Absatz der Administrations- und Erhaltungskosten und der auf die

Amortisation und Verzinsung der Cammerschuld zu leistenden Zahlungen, wie bisher zur Bestreitung der Bedürfnisse des Fürsten und des Landes verwendet werden. Die successive Tilgung der Cammerschuld wird durch eine besondere Vereinbarung mit den Ständen bestimmt werden. § 168. 7. Cammer-Etat und Rechnungen. Der über die Verwaltung des Cammerguts vor dem Anfange und auf die Dauer einer dreijährigen Finanzperiode aufgestellte Cammer-Etat wird den Ständen zur Erläuterung des, in dem Staatshaushalts-Etat (§. 184) aufzuführenden, Einnahmepostens von den Ueberschüssen des Cammergutes mitgetheilt, auch werden dieselben mit ihren gutachtlichen Anträgen und Bemerkungen darüber gehört. Gleichergestalt werden den Ständen auf deren Verlangen die CammerRechnungen von der abgelaufenen Finanzperiode zur Ausübung ihrer verfassungsmäßigen Rechte vorgelegt. § 169. 8. Bedarf des Landesfürsten. Der Bedarf des Landesfürsten und Seines Hauses haftet zunächst und zuvörderst auf dem Reinertrage des Cammerguts. Die zur Bestreitung dieses Bedarfs erforderliche, von dem Landesfürsten vorbehaltene, Summe ist in der mit den Ständen getroffenen besondern Uebereinkunft näher bestimmt. Außerdem bleiben für den Bedarf der Hofhaltung vorbehalten: die Herzogl. Schlösser, sämmtliche Hofgebäude, Gärten, Anlagen und Inventarien, so wie die bisher bei dem Oberhofmarschall-Amte und bei dem OberstallmeisterAmte unmittelbar erhobenen Gefälle und herkömmlichen Naturallieferungen. Die zur Hofhaltung gehörigen Immobilien sind von dem Lande untrennbar, und können ohne ständische Zustimmung nicht veräußert werden.

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B RAUNSCHWEIG § 170. Fortsetzung. Unter dem Bedarfe des Landesfürsten und des Fürstl. Hauses sind mitbegriffen: die Kosten des Hofstaats, die Besoldungen und Pensionen der Hofdienerschaft, die Kosten des Marstalls, des Gestüts zu Harzburg, des Theaters und der Capelle, die Unterhaltung der Schlösser und der für die Hofhaltung bestimmten Gebäude, Gärten, Anlagen und Inventarien. Ueber die Verwendung der zur Bestreitung dieses Bedarfs vorbehaltenen Summe, so wie über die Benutzung der im §. 169 erwähnten Gegenstände steht den Ständen eine Controle nicht zu. § 171. 9. Apanagen, Witthümer und Schlossbaukosten. Von der vorerwähnten Summe werden jedoch nicht bestritten: 1) die für die Prinzen und Prinzessinnen, Söhne und Töchter des regierenden Herzogs, bei selbstständiger Einrichtung, so wie bei deren Vermählung auszusetzenden Apanagen, Einrichtungs- und Ausstattungskosten; 2) das der Wittwe des Landesfürsten zu bewilligende standesmäßige Auskommen. Diese unter Nro. 1 und 2 erwähnten Ausgaben werden, insofern höhere, als die durch Observanz feststehenden, Summen erfordert werd-n, oder eine solche Observanz nicht bestehen sollte, von dem Landesfürsten nach vorgängiger Uebereinkunft mit den Ständen festgestellt. 3) die Kosten der Erbauung und der ersten Einrichtung eines Residenzschlosses in der Hauptstadt, welche von den Ständen besonders bewilligt und auf den Credit des Cammerguts aufgenommen werden. § 172. 10. Bedarf des Landes. Die Ueberschüsse aus der Cammer-Verwaltung nebst den bei der Cammer-Casse vorhin erhobenen sonstigen Einkünften, namentlich den Lehnsgefällen, den Zöllen,

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Meß- und Packhofs-Einnahmen, der Lotteriepacht, den Gerichtssporteln, Chaussee-, Wege-, Pflaster- und Brückengeldern, auch Postintraden, fließen in die Haupt-FinanzCasse, und werden nebst den zur Deckung des Bedarfs bewilligten, bei derselben Casse zu vereinnahmenden Steuern, zur Bestreitung der Bedürfnisse des Landes verwendet.

§ 173. 11. Steuer-Verwilligung. a. Recht und Pflicht der Verwilligung. Die Stände haben das Recht, daneben aber zugleich die Pflicht, die zur Erreichung der Staatszwecke erforderlichen Mittel zu bewilligen, insoweit dieselben aus den Ueberschüssen des Cammerguts und dem übrigen Staatsvermögen nicht bestritten werden können. Insbesondere dürfen sie nie die Deckung derjenigen Ausgaben verweigern, welche auf den Grund verfassungsmäßig entstandener Verbindlichkeiten aus den Staats-Cassen gefordert werden können.

§ 174. Fortsetzung. Keine allgemeine Steuer oder Landeslast kann ausgeschrieben, erhoben oder verändert werden, ohne ständische Bewilligung. Es macht hiebei keinen Unterschied, welche Gegenstände solche allgemeine Landesauflagen und Leistungen betreffen: ob sie auf Grundstücke, Vermögen, Personen, Gewerbe oder auf den Verbrauch von Lebensmitteln und Consumtibilien gelegt werden sollen, auch bezieht sich dieses Bewilligungsrecht auf solche Abgaben und Leistungen, welche die Leitung des Handels und der Gewerbe betreffen, oder welche zur Ausführung polizeilicher Einrichtungen und Maßregeln erforderlich sind, namentlich auf Weggelder, Zölle, Packhausentrichtungen, imgleichen auf Gerichtssporteln.

V ERFASSUNG VON B RAUNSCHWEIG (1832) § 175. b. Umfang des Steuerverwilligungsrechts. Das ständische Bewilligungsrecht erstreckt sich bei seiner Ausübung nicht allein auf die Art und den Betrag der öffentlichen Abgaben und Leistungen, sondern auch auf die Grundsätze und Verhältnisse, nach welchen selbige auf Gegenstände oder Personen zu legen und zu vertheilen sind, so wie auf die Dauer, Erhebungsweise und Verwendung der aufzulegenden Steuer. § 176. c. Art der Steuerausschreiben. Nachdem über dieses Alles zwischen der Landesregierung und den Ständen eine Uebereinkunft getroffen worden, wird in deren Gemäßheit die verwilligte Auflage durch ein, auf die gewöhnliche Weise und „mit Bezug auf die Zustimmung der Landschaft“ zu publicirendes Gesetz ausgeschrieben und ihre Erhebung verfügt. § 177. d. Dauer der Verwilligung. Alle Abgaben werden längstens auf die Dauer einer regelmäßigen Finanzperiode von drei Jahren bewilligt, und können nach dem Ablaufe derselben höchstens noch für ein Jahr, welches in die neue Finanzperiode einzurechen ist, erhoben werden. Die für einen kürzeren Zeitraum verwilligten Abgaben hören jedoch mit Ablauf der Verwilligungszeit, und die für einen vorübergehenden Zweck ausgeschriebenen Steuern, mit der Erreichung desselben auf. § 178. Fortsetzung. Die Steuer-Verfassung erlischt jedoch nicht und die neu bewilligten Steuern werden in der folgenden Finanzperiode auf den Grund der bestehenden Steuerverfassung so lange ausgeschrieben, bis über die Abänderung derselben, so wie über die Einführung eines neuen Steuersystems auf verfassungsmäßigem Wege, eine anderweite Bestimmung getroffen worden ist. § 179. Fortsetzung. Die im §. 177 bestimmte Dauer der Steu-

er-Erhebung kann bei den indirecten Steuern und bei den auf den Handel gelegten Abgaben, mit Zustimmung der Stände verlängert werden, auch sollen diejenigen Abgaben dieser Art, welche nach der bisherigen Verfassung von der Landesregierung ohne Mitwirkung der Stände bestimmt wurden und deren unveränderliche Beibehaltung von Seiten der Landesregierung durch die bestehenden Handels-Verträge zugesichert ist, für die Dauer dieser Verträge fortbestehen. § 180. e. Ausnahmen von dem ständischen Bewilligungsrechte. Ausnahmsweise müssen ohne Bewilligung der Stände diejenigen außerordentlichen allgemeinen Lasten und Leistungen von dem Lande aufgebracht und getragen werden, welche erforderlich sind: 1) außerordentlicher Weise zur Abwendung einer plötzlichen allgemeinen Landesgefahr, 2) zur Erfüllung der Bundesverpflichtungen, wobei jedoch dem ständischen Ausschusse die Gründe der desfallsigen Ausschreiben stets vorgelegt werden sollen. Hinsichtlich der Art und Weise der Aufbringung der zu diesen Zwecken erforderlichen Mittel ist indeß die verfassungsmäßige ständische Mitwirkung erforderlich. § 181. Fortsetzung. Communal- und Locallasten. Eben so wenig bedarf es der ständischen Bewilligung und Zustimmung in Hinsicht der Aufbringung und Repartition der, ihrer Natur und Beschaffenheit nach, einzelnen Gemeinden, Städten, Ortschaften und Bezirken obliegenden Lasten, Ausgaben und Kosten, welche nach den Bestimmungen der Gesetze und des Herkommens und in Ermangelung derselben von der Regierung, durch die betreffenden Behörden, zu reguliren sind.

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B RAUNSCHWEIG § 182. 12. Steuerdirection. Die Verwaltung der Steuern und aller dahin gehörenden Landesabgaben ist der Steuerdirection übertragen, deren Organisation und Geschäftsführung durch das hieneben erlassene Gesetz bestimmt worden ist. § 183. 13. Finanz-Collegium. Die obere Leitung des gesammten Finanzwesens, die Aufsicht über das Rechnungs- und Cassenwesen, so wie die Führung der allgemeinen Finanz-Controlle ist dem Finanz-Collegio, über dessen Organisation und Geschäfts-Verwaltung das hieneben erlassene Gesetz das Nähere enthält, übertragen worden. Die Haupt-FinanzCasse, in welche alle zur Bestreitung der Bedürfnisse des Landes bestimmte Einnahmen fließen, ist demselben untergeordnet und allein nach dessen Anweisungen zu verfahren verpflichtet. § 184. 14. Staatshaushalts-Etat. Die Grundlage der dem Finanz-Collegio übertragenen allgemeinen Finanz-Verwaltung bildet der Staatshaushalts-Etat, welcher vor dem Anfange der dreijährigen Finanz-Periode und für die Dauer derselben aus den Special-Einnahme- und AusgabeEtats aller einzelnen Verwaltungszweige zusammengestellt wird. § 185. Fortsetzung. Den Ständen steht das Recht zu, gemeinschaftlich mit der Landesregierung den Staatshaushalts-Etat nach den einzelnen Abtheilungen festzustellen. Die Verwendung und Vertheilung der für jede einzelne Abtheilung im Ganzen bewilligten Summen bleibt jedoch der Bestimmung der Landesregierung überlassen, und es kann, wenn die Verwendung nur für diese Abtheilung und ohne Ueberschreitung der festehenden Special-Etats statt findet, gegen eine von den einzelnen Positionen derselben eingetretene Abweichung an sich, eine Erinnerung von Seiten der Stände nicht gemacht, wohl aber

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eine Nachweisung der Zweckmäßigkeit dieser Abweichung verlangt werden. § 186. 15. Leihhaus-Anstalt. Die unter Landesfürstlicher Oberaufsicht als ein selbstständiges Institut bisher bestandene Leihhausanstalt wird nebst deren Forderungen und Schulden vom Staate übernommen, und unter dessen Gewähr fortbestehen; dieselbe soll zu dem Ende dem Finanz-Collegio unmittelbar untergeordnet werden, und neben deren unsprünglichem Zwecke, welcher auch ferner in Gemäßheit der Leihhaus-Ordnung zu erfüllen ist, eine Hülfs-Credit-Anstalt für den Staat bilden und in ihren Operationen nach Anweisung des Finanz-Collegii verfahren. Der von den Operationen der Anstalt zu erwartende Gewinn soll zu den Staatseinkünften gezogen werden. § 187. 16. Staats-Anleihen. Staatsanleihen können nicht ohne Einwilligung der Stände contrahirt werden. Über den Betrag, die Bedingungen und die Rückzahlung ist mit den Ständen eine Vereinbarung zu treffen. Das Landesschuldenwesen wird gleichfalls nach gemeinsamen Beschlüssen regulirt. § 188. 17. Beaufsichtigung des Finanzwesens. Den Ständen steht das Recht der Aufsicht über das Finanzwesen zu, und es werden ihnen daher die Staatshaushalts-Rechnungen der abgelaufenen Finanzperioden zur Ausübung ihrer verfassungsmäßigen Rechte vorgelegt werden. § 189. 18. Befugnisse des ständischen Ausschusses im Finanzwesen. a. regelmäßige Dem Ausschusse ist die Ausübung der ständischen Mitaufsicht über die Finanzverwaltung in dem Maaße übertragen, daß ihm die Voranschläge des Staatshaushalts-Etats des zweiten und des dritten Jahres jeder

V ERFASSUNG VON B RAUNSCHWEIG (1832) Finanzperiode zur Berathung, so wie die Rechnungen der einzelnen abgelaufenen Finanzjahre zur Einsicht von der Landesregierung mitgetheilt werden. Auch kann derselbe, falls besondere Umstände die Veräußerung eines Staatsgutes nöthig oder rathsam machen, die ständische Zustimmung ertheilen, wenn das zu Veräußernde einen Werth von 10000 Thalern nicht übersteigt. Es ist jedoch zugleich über die Verwendung des eingehenden Preises eine Übereinkunft zu treffen. § 190. b. außerordentliche. Wenn außerordentliche Ereignisse die zeitige Versammlung des Landtags unthunlich machen, oder wenn Gefahr mit dem Verzuge verbunden ist und die ordentlichen Bewilligungen und mit Geldmittel zur Erreichung des Staatszwecks und zur Erhaltung des Staatswohles unzureichend sind, können mit Bewilligung des ständischen Ausschusses 1) die Steuern erhöhet und neue Steuern aufgelegt werden, jedoch nicht länger als auf 6 Monate, und 2) Staatsanleihen bis zu dem Betrage von 100000 Thalern geschlossen werden. Alle in Folge einer solchen Übereinkunft von der Landesregierung getroffene Maßregeln und deren Gründe sind indeß sobald als thunlich der Ständeversammlung von der Landesregierung vorzulegen. Steuerverwilligungen dieser Art hören in dem Augenblicke auf, Kraft zu haben, wo die Ständeversammlung ihnen ihre Zustimmung versagt. Staats-Anleihen dieser Art sind gültig, jedoch kann, wenn eine Bewilligung bis zu dem angegebenen Betrage erfolgt ist, ein neues Anlehn, bevor die Ständeversammlung zusammen berufen worden, nicht gemacht werden. Darüber: ob die Versammlung der Stände unthunlich, oder ob Gefahr im Verzuge sei? – entscheidet die Landesregierung, jedoch unter Verantwortlichkeit sämmtlicher

stimmführenden Mitglieder des Staatsministeriums, von welchen allen daher die zu erlassenden Verfügungen zu contrasigniren sind.

SIEBENTES CAPITEL Von der Rechtspflege § 191. 1. Gerichtsbarkeit. Alle Gerichtsbarkeit geht vom Landesfürsten aus. Die Patrimonial-Gerichtsbarkeit bleibt aufgehoben. § 192. 2. Trennung der Rechtspflege von der Verwaltung. Die bürgerliche und Straf-Rechtspflege soll, mit Ausnahme der durch das Gesetz den Einzelrichtern überwiesenen Gegenstände, ferner der Handlungen der freiwilligen Gerichtsbarkeit, wie bisher, getrennt von der Landes-Verwaltung, durch collegialisch gebildete Gerichte, in gesetzlicher Instanzen-Ordnung, ausgeübt werden. Jeder richterlichen Entscheidung sind die Gründe derselben beizufügen. § 193. 3. Unabhängigkeit der Gerichte. Die Gerichte sind in ihrer Amtsführung der landesfürstlichen Oberaufsicht unterworfen, jedoch bei der Beurtheilung von Rechtssachen, innerhalb der Grenzen ihrer Competenz, unabhängig. Sie entscheiden daher in allen Instanzen mit voller Freiheit der Meinungen, und werden in der Ausübung ihres Amtes nöthigenfalls durch den Beistand der Civil- und Militairbehörden geschützt. Die Strafurtheile der Gerichtshöfe bedürfen keiner Bestätigung des Landesfürsten, doch soll die Vollziehung der durch das Gesetz bezeichneten schweren peinlichen Strafen nur nach landesfürstlicher Genehmigung erfolgen.

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B RAUNSCHWEIG § 194. 4. Mitwirkung der Polizei-Gewalt. Die Polizeigewalt, selbstständig in ihrem Wirkungskreise, leistet zugleich der richterlichen Beistand, bei der Sicherung der Rechte der Landeseinwohner und der Vollziehung der Rechtssprüche. Bei Vergehungen verfolgt auch sie den Thäter und wirkt mit zur Ermittlung des Thatbestandes. Sie richtet nie über die That. § 195. 5. Verwaltungshandlungen. Die Verfügungen aller nicht gerichtlichen, d. h. der Verwaltungs-Behörden und Beamten innerhalb des denselben angewiesenen, von der Rechtspflege getrennten Wirkungskreises, gehören nicht zur Competenz der Gerichte, und können in ihrer Ausführung von denselben nicht gehemmt werden. § 196. 6. Competenz-Conflicte. Die Beurtheilung, ob eine Sache zum gerichtlichen Verfahren geeignet, gebührt zunächst dem Richter. Erklärt das Gericht sich competent, während eine Verwaltungs-Behörde dessen Zuständigkeit in Zweifel zieht, so darf letzte durch einen dem Gerichte zu eröffnenden, die Gründe anführenden Einspruch, die weitere gerichtliche Verhandlung hemmen. Das Nähere über das in solchen Fällen eintretende Verfahren soll durch ein Gesetz bestimmt werden. § 197. 7. Entschädigungsklage gegen den Staat. Die Frage, welche Entschädigung vom Staate demjenigen gebühre, welcher durch Handlungen der Regierungs- und Verwaltungsbehörden in seinen wohlerworbenen Rechten verletzt ist, fällt ohne Zulassung eines Competenz-Conflicts lediglich der Entscheidung der Gerichte anheim. Die verfassungsmäßige Erlassung gesetzlicher Vorschriften kann zu keiner anderen, als der im Gesetze bestimmten, Entschädigung berechtigen.

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§ 198. 8. Rechtssachen des Fiscus. Der Fiscus, als der Vertreter aller das Vermögen und die Einkünfte des Staats betreffenden Rechte und Verbindlichkeiten, ist in streitigen Rechtssachen den ordentlichen Gerichten unterworfen. Die Vollziehung des gerichtlichen Erkenntnisses wird gegen die in demselben bezeichnete Behörde und Casse verfügt. § 199. 9. Beschränkung der Privilegien des Fiscus. Die bisherigen Vorrechte des Fiscus, in Beziehung auf gerichtliche Verfolgung seiner Ansprüche, Privatpersonen gegenüber, werden hierdurch aufgehoben. Ein Vorzugs- oder stillschweigendes Pfandrecht behält derselbe nur wegen öffentlicher Abgaben. § 200. 10. Gleichheit vor dem Richter. Alle Landeseinwohner sind vor dem Richter gleich. Der privilegirte Gerichtsstand ist und bleibt abgeschafft. § 201. 11. Rechtsschutz. Niemand darf seinem gesetzlichen Richter, es sei in bürgerlichen oder strafrechtlichen Fällen, entzogen, noch sonst an der Betretung und Verfolgung des Rechtsweges vor den Gerichten gehindert werden. Die Justiz-Collegien dürfen jedoch zu Verhandlungen und Untersuchungen, welche dem Urtheilsspruche vorhergehen, einzelnen Gerichtsmitgliedern oder einem ihnen untergeordneten Gerichte Aufträge ertheilen; auch kann die Landesregierung in außerordentlichen und dringenden Fällen, wenn die Zahl der gewöhnlichen Mitglieder des zuständigen Gerichtes nicht ausreicht, dieses durch Mitglieder anderer Gerichte verstärken. § 202. 12. Gesetzliche Verfolgung. Jeder Verhaftete muß binnen 24 Stunden nach seiner Verhaftung verhört, von deren gesetzlicher Ursache in Kenntniß gesetzt und im Falle der Fortdauer dieser Ursache

V ERFASSUNG VON B RAUNSCHWEIG (1832) ohne Verzug seinem zuständigen Richter überliefert werden. Dieser wird dem Antrage des Verhafteten auf Entlassung gegen genügende Caution Statt geben, dafern nicht dringende Anzeigen eines schweren peinlichen Verbrechens wider ihn vorliegen. § 203. 13. Rechte der Angeschuldigten. Keinem Angeschuldigten darf das Recht der Beschwerdeführung während der Untersuchung, das Recht der Vertheidigung oder der verlangte Richterspruch versagt werden. § 204. 14. Schutz gegen Verlängerung der Haft. Die Gerichts- und Polizeibehörden des Landes, welchen der verfassungsmäßige Schutz der bürgerlichen Freiheit zunächst anvertrauet ist, sind in den Untersuchungen gegen verhaftete Angeschuldigte dafür verantwortlich, daß deren Haft nicht länger dauere, als die Erforschung der Verbrechen und die zu sichernde Anwendung der Strafe erfordert. Besonders wird den Obergerichten die Pflicht auferlegt, über die Befolgung dieser Vorschrift strenge zu wachen und Uebertretungen derselben zu ahnden. § 205. 15. Vergehen im Auslande. Landes-Einwohner, welche im Auslande strafbare Handlungen begangen haben, können im hiesigen Staatsgebiete nicht anders zur Untersuchung und Strafe gezogen werden, als insofern jene Handlungen nach gemeinem Deutschen Criminalrechte mit Strafen bedrohet sind. Gegen Fremde, welche im Auslande Vergehen begangen haben, können die hiesigen Gerichte nur verfahren, wenn ein Verbrechen gegen den hiesigen Staat oder gegen Landes-Einwohner begangen ist, oder zufolge einer von der Landesregierung erhaltenen Ermächtigung.

§ 206. 16. Auslieferung der Verbrecher. Die Auslieferung von Landes-Einwohnern an fremde Regierungen findet nicht Statt. Die Auslieferung von Fremden an auswärtige Regierungen darf nicht ohne Genehmigung der Landesregierung geschehen. Diese wird nicht versagt werden, wenn die Auslieferung von einer Regierung der Staaten des Deutschen Bundes verlangt wird, gegen den Auszuliefernden von der zuständigen Behörde ein Verhaftsbefehl erlassen, und derselbe entweder Unterthan des requirirenden Staats, oder eines in dessen Gebiete begangenen, nach gemeinem Deutschen Criminalrechte mit Strafe bedroheten, Vergehens beschuldigt ist; und endlich, wenn die requirirende Regierung gleiche Grundsätze gegen den hiesigen Staat befolgt. Alle diese Bestimmungen gelten jedoch nur unbeschadet der Vollziehung der über die Auslieferung der Verbrecher bereits bestehenden oder künftig, und zwar, insofern sie die Rechte der Landes-Einwohner betreffen, mit Zustimmung der Stände abzuschließenden Staats-Verträge. § 207. 17. Confiscation. Die Confiscation kann nur auf Gegenstände oder Werkzeuge einer Vergehung angewendet werden. Eine allgemeine Vermögens-Confiscation tritt in keinem Falle ein. Die gesetzlichen Bestimmungen über die Beschlagnahme des Vermögens der Deserteure und ausgetretenen Militairpflichtigen sind hierdurch nicht aufgehoben. § 208. 18. Begnadigungsrecht. Der Landesfürst kann in strafrechtlichen Sachen begnadigen, die Strafe mildern oder erlassen, aber in keinem Falle schärfen, und eine angefangene Untersuchung nur, nachdem das Ober-Appellationsgericht sich gutachtlich darüber geäußert hat, niederschlagen.

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B RAUNSCHWEIG § 209. 19. Moratorien. Moratorien werden von der Landesregierung nie ertheilt; die Gerichte dürfen in den gesetzlich bestimmten Fällen darauf erkennen. § 210. 20. Rechtshülfe in bürgerlichen Streitsachen. In bürgerlichen Streitsachen wird den Gerichten auswärtiger Staaten jede gesetzliche Rechtshülfe geleistet, so lange dieselbe nicht in jenen Staaten den hiesigen Gerichten verweigert wird. Insbesondere sind die rechtskräftigen Erkenntnisse ausländischer Gerichte, wenn die Zuständigkeit der letzten in dem einzelnen Falle außer Zweifel ist, unter obiger Voraussetzung von den einheimischen Gerichten zu vollstrecken.

ACHTES CAPITEL Von den christlichen Kirchen, den öffentlichen Unterrichts-Anstalten und milden Stiftungen, von dem Kloster-und Studienfonds § 211. 1. Rechtsgleichheit der anerkannten christlichen Confessionen. Allen im Herzogthume anerkannten, oder durch ein Gesetz aufgenommenen christlichen Kirchen wird freie öffentliche Religionsausübung zugesichert; sie genießen gleichen Schutz des Staates und ihre Angehörigen gleiche bürgerliche Rechte. § 212. 2. Oberaufsicht des Staats. Alle Kirchen stehen unter der auf der höchsten Staatsgewalt beruhenden Oberaufsicht der Landesregierung. Die Anordnung der rein geistlichen Angelegenheiten bleibt, unter dieser Oberaufsicht, der in der Verfassung jeder dieser Kirchen begründeten Kirchengewalt überlassen. Im Zweifel entscheidet darüber: ob eine Angelegenheit rein geistlich sei? – die Landesregierung.

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§ 213. 3. Kirchengewalt in der evangelisch-lutherischen Kirche. In der evangelisch-lutherischen Kirche steht die Kirchengewalt dem Landesfürsten zu, welcher sie unter Mitwirkung und Beirath des mit evangelischen Geistlichen und Laien besetzten Consistoriums ausübt. Die Ausübung der in Bezug auf das Kirchenwesen den einzelnen evangelischen Gemeinden zustehenden Rechte soll einem die Kirchengemeinde vertretenden Vorstande übertragen werden, über dessen Zusammensetzung und Wirkungskreis ein Gesetz das Nähere bestimmen wird. § 214. Fortsetzung. Sollte der Landesfürst sich zu einer andern, als der evangelisch-lutherischen Religion bekennen, so wird die alsdann eintretende Beschränkung in der persönlichen Ausübung der Kirchengewalt ohne Aufschub mit Zustimmung der Landstände festgestellt werden. § 215. 4. Kirchengewalt in den andern christlichen Kirchen. Die Landesregierung wird darüber halten, daß diejenigen, welchen, nach der Verfassung der andern christlichen Kirchen, die Kirchengewalt zusteht, solche weder missbrauchen noch überschreiten. Allgemeine Anordnungen, welche vermöge der Kirchengewalt getroffen, und Verfügungen, welche von auswärtigen geistlichen Obern erlassen sind, dürfen, welcher Art sie auch sein mögen, ohne vorgängige Genehmigung der Landesregierung, weder bekannt gemacht, noch vollzogen werden. § 216. 5. Sicherung des Vermögens der Kirchen, Schulen und Stiftungen. Allen Stiftungen ohne Ausnahme, sie mögen für kirchliche Zwecke, für den Unterricht oder die Wohlthätigkeit bestimmt sein, wird der volle Besitz und Genuß ihres Vermögens und Einkommens zugesichert. Dasselbe steht unter der besondern Obhut des

V ERFASSUNG VON B RAUNSCHWEIG (1832) Staats, und darf nicht zum Staatsvermögen gezogen werden. § 217. Fortsetzung. Das Vermögen der Kirchen, Schulen und Stiftungen darf nie seiner ursprünglichen Bestimmung entzogen werden; soll dasselbe zu einem andern als dem bestimmten, bei der Stiftungsurkunde ausgedrückten Zwecke verwendet werden, so muß dieser ein ähnlicher sein, und die Verwendung kann nur mit Zustimmung der betheiligten Privatpersonen und Gemeinden, und sofern Anstalten, welche das ganze Land angehen, in Betracht kommen, mit Zustimmung der Landstände geschehen. § 218. 6. Verwaltung dieses Vermögens. Ueber die bei der Verwaltung des Vermögens der Kirchen, Schulen und milden Stiftungen anzuordnende Mitwirkung des Vorstandes der Kirchengemeinden soll eine besondere gesetzliche Vorschrift erfolgen. § 219. 7. Von dem Kloster- und dem Studienfonds. a. Vereinigung dieser Fonds. Der Klosterfonds soll mit dem, von der vormaligen Universität Helmstädt herrührenden Studienfonds vereinigt und behuf Vereinfachung der Administration und thunlicher Kostenersparung, bei der Herzogl. Cammer zugleich mit dem Cammergute verwaltet, auch zu den Verwaltungskosten ein angemessener Beitrag geleistet werden. § 220. b. Verwaltung. Ueber die Verwaltung der vereinigten Kloster- und Studienfonds soll ein besonderer Etat, in der bei dem Cammergute angeordneten Form, aufgestellt, und eine abgesonderte Cassen- und Rechnungsführung angeordnet werden. § 221. c. Verwendung des Reinertrages. Der Reinertrag dieses vereinigten Fonds

soll, dessen Bestimmung gemäß, für Kirchen, Bildungsanstalten und wohlthätige Zwecke verwendet werden. Das Geschäft der Verwendung wird dem Finanz-Collegio übertragen werden, welches dabei nach Maßgabe der aufgestellten Etats und der Vorschriften des Staatsministeriums zu verfahren, und über die sämmtlichen, in die Haupt-Finanz-Casse fließenden Ueberschüsse aus der Administration besondere Rechnung zu führen hat. § 222. Fortsetzung. Die aus dem Kloster- und Studienfonds für das Museum zu Braunschweig und die Bibliothek zu Wolfenbüttel bisher gezahlten Ausgaben sollen ferner aus diesem Fonds gezahlt werden, wogegen diese Sammlungen, welche unveräußerlich sind, der Beförderung der Wissenschaft und Kunst gewidmet bleiben. § 223. d. Mitwirkung der Stände. Die Etats sowohl über die Verwaltung des vereinigten Kloster- und Studienfonds, als auch über die Verwendung des Reinertrages werden von der Landesregierung gemeinschaftlich mit den Ständen festgestellt. Auch steht den Ständen, behuf etwa zu machender Erinnerungen, die Einsicht der Rechnungen über die Verwaltung und Verwendung des vereinigten Fonds nach Ablauf des Rechnungjahrs zu. § 224. e. Veräußerungen. Die Güter und Gerechtsame der vereinigten Fonds können weder im Ganzen noch in einzelnen Theilen ohne ständische Einwilligung veräußert werden, und es kommen dabei dieselben Bestimmungen und Modificationen zur Anwendung, welche im §. 164 und 165 bei dem Cammergute vorgeschrieben sind. § 225. f. Vorbehalt. Sowohl der Landesregierung als den

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B RAUNSCHWEIG Ständen bleibt es vorbehalten, die Verwaltung und Verwendung des Kloster-und Studienfonds durch eine besondere Behörde, falls solches für zweckmäßig erachtet werden sollte, zu veranlassen. § 226. 8. Von den Kirchen- und Schuldienern. a. Deren Bestellung und Bestätigung. Die Kirchen- und Schuldiener aller christlichen Confessionen im Lande, sofern sie nicht unmittelbar von der Landesregierung bestellt werden, bedürfen, bevor sie die Amtsgeschäfte antreten oder die Amtseinkünfte sich aneignen, der landesfürstlichen Bestätigung; alle sind vor dem Amtsantritte auf die Beobachtung der Gesetze und der Landes-Verfassung zu beeidigen. Die Patronate und Wahlrechte, so wie die gesetzlichen Befugnisse der Kirchengemeinden wegen der aus erheblichen Gründen zu verweigendern Annahme eines ihnen bestimmten Pfarrers, bleiben vorbehalten. § 227. b. Deren Schutz. Den verfassungsmäßig ernannten oder bestätigten Kirchen- und Schuldienern gewährt der Staat den zur Erfüllung ihrer Berufspflichten erforderlichen gesetzlichen Schutz. § 228. c. Deren vorgesetzte Behörden. In Allem, was das Amt und dessen Verwaltung betrifft, stehen die Kirchen- und Schuldiener zunächst unter der ihnen vorgesetzten verfassungsmäßigen Behörde; in Allem, was auf ihre bürgerlichen Verhältnisse und Handlungen Bezug hat, imgleichen bei Straffällen, welche nicht bloß disciplinarischer Beschaffenheit sind, bleiben Kirchenund Schuldiener der weltlichen Obrigkeit unterworfen. Ein besonderer Gerichtsstand für die Rechtssachen der Kirchen, Schulen und Stiftungen und der Diener derselben findet

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nicht statt, vielmehr haben darüber – wie auch in Ehesachen – die ordentlichen Gerichte, wie bisher, zu entscheiden. § 229. d. Deren Suspension, Entlassung und Absetzung. Die Suspension der Kirchen- und Schuldiener vom Amte und den Einkünften desselben kann im Disciplinarverfahren nur von den kirchlichen Behörden geschehen und bedarf jedes Mal der Bestätigung der Landesregierung. Die Entlassung oder Absetzung kann nur durch rechtskräftiges Erkenntniß des competenten Gerichtes, und zwar in Straffällen, welche nur die kirchliche Lehre betreffen, auf vorgängiges Gutachten der geistlichen Oberbehörde, verfügt werden. § 230. 9. Sorge für den öffentlichen Unterricht. Die Erhaltung, Verbesserung und Vervollkommnung der öffentlichen UnterrichtsAnstalten bleibt ein vorzüglicher, jederzeit mit allen deshalb zu Gebote stehenden Mitteln zu befördernder Gegenstand der Fürsorge der Landesregierung.

SCHLUSSBESTIMMUNGEN § 231. Wenn die Landesregierung und die Stände eine verschiedene Ansicht über die Auslegung einzelner Bestimmungen des Landesgrundgesetzes haben sollten, so wird zuvörderst das Herzogliche Staatsministerium mit einer Deputation der Stände zusammentreten, um eine Ausgleichung zu versuchen. Sollte aber dieser Versuch fruchtlos bleiben, so ist sowohl der Regierung als den Ständen unbenommen, die entstandene Differenz im Wege Rechtens entscheiden zu lassen. Diese Entscheidung soll in erster und letzter Instanz durch ein CompromißGericht abgegeben werden, welches auf eben die Weise zusammengesetzt wird, wie

V ERFASSUNG VON B RAUNSCHWEIG (1832) der gemeinschaftliche Gerichtshof, welcher gebildet wird, wenn auf Bestrafung wegen einer Verletzung der Verfassung angetragen ist. § 232. Alle Verordnungen, Landtagsabschiede, Reversalen und sonstige mit den Ständen getroffene Verabredungen werden, insoweit sie diesem Landesgrundgesetze entgegen stehen, hiedurch aufgehoben. Es ist Unser landesfürstlicher Wille, daß dieses Landesgrundgesetz, welches Wir beobachten, aufrechterhalten und beschützen wollen, in allen seinen Bestimmungen von Jedermann, den es betrifft, und überall auf das Genaueste gehalten werde. Urkundlich Unserer eigenhändigen Unterschrift und beigedruckten Herzoglichen Staats-Canzlei-Siegels. Gegeben Braunschweig, den 12ten October 1832. Wilhelm, Herzog. (L S) Graf von Veltheim. v. Schleinitz. Schulz. 1

Ediert nach Gesetz- und Verordnungs-Sammlung für die herzoglich-braunschweigischen Lande, Jahrgang 1832, No. 18, Braunschweig 1832, S. 191–261. Die Landschaftsordnung wurde am 10. Oktober 1832 beschlossen und unterzeichnet und trat an diesem

Tag auch in Kraft. Sie wurde am 23. Oktober 1832 verkündet und löste die Erneuerte Landschaftsordnung vom 19. Juni 1820 ab (Verordnungs-Sammlung für die herzoglich-braunschweigischen Lande, Jahrgang 1820, Nro. 6, S. 17–55) siehe „Verfassung von Braunschweig (1820)“. Auf die Neue Landschaftsordnung folgte die vorläufige Verfassung vom 27. Februar 1919 (siehe dazu Horst Dippel (Hrsg.), Verfassungen der Welt, 1850 bis zur Gegenwart, Teil 1: Europa, München, K.G. Saur 2002–2005, Mikrofiche-Nr. 309, 1ff.) und schließlich die Verfassung für den Freistaat Braunschweig vom 6. Januar 1922 (siehe dazu Horst Dippel (Hrsg.), Verfassungen der Welt, 1850 bis zur Gegenwart, Teil 1: Europa, München, K.G. Saur 2002–2005, MikroficheNr. 310, 1ff.). Ihr gingen zwei Entwürfe voraus, der Entwurf einer revidierten Landschaftsordnung vom 30. September 1831 mit Motiven abgedr. in Pölitz, Verfassungen, I, S. 927–963 siehe „Verfassungsentwurf für Braunschweig (1831)“, sowie Entwurf einer neuen Landschaftsordnung nebst eines Wahlgesetzes vom 27. August 1832 abgedr. ebd., S. 963–1008, dem die Verfassung 1832 weitgehend entspricht. Für die Änderungen der Neuen Landschaftsordnung, die nach 1849 erfolgt sind, sowie die geänderte Fassung der Landschaftsordnung aus dem Jahre 1855 siehe Horst Dippel (Hrsg.), Verfassungen der Welt, 1850 bis zur Gegenwart, Teil 1: Europa, München, K.G. Saur, Mikrofiche-Nr. 307, 1 – 309, 10. Für weiterführende Angaben siehe Huber, Verfassungsgeschichte II, S. 60–62, 539–540; Klaus Erich Pollmann, Die Braunschweigische Verfassung von 1832, Braunschweig 1982; Werner Pöls u.a. (Hrsg.), Moderne Braunschweigische Geschichte, Hildesheim u.a. 1982, insbes. S. 6ff., 31ff. 2 § 114 erhielt durch die Änderung vom 20. April 1848, veröffentlicht am 25. April 1848, eine neue Fassung (Gesetz- und Verordnungs-Sammlung für die herzoglich-braunschweigischen Lande, Jahrgang 1848, No. 16, S. 37–38). Siehe unter „Revision von 1848“.

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Revision von 1848 Bekanntmachung, das Gesetz, über Aufhebung des §. 114 des Landesgrundgesetzes etc. betreffend. d. d. Braunschweig, den 20. April 18481

Von Gottes Gnaden, Wir, Wilhelm, Herzog zu Braunschweig und Lüneburg etc. etc. Wir erlassen mit Zustimmung Unserer getreuen Stände die nachfolgenden gesetzlichen Bestimmungen: § 1. Der §. 114 des Landesgrundgesetzes wird aufgehoben und in dessen Stelle treten folgende Bestimmungen: Die Ständeversammlung kann von Einzelnen und Corporationen Bittschriften und Beschwerden über die Landesbehörden annehmen, letztere jedoch nur, wenn die Beschwerdeführer nachweisen, daß sie bei der Landesregierung um Abhülfe ihrer Beschwerde vergeblich nachgesucht haben. § 2. Die §§. 46 und 47 der Geschäftsordnung vom 12. October 1832 werden aufgehoben und durch folgende Bestimmungen ersetzt: Der Präsident überweiset Bittschriften und Beschwerden sofort der zu deren Begutachtung niedergesetzten permanenten Commission. Diese hat von dem Inhalte aller solcher Eingaben Vortrag zu machen und die Ständeversammlung hat nach vorhergegangener Berathung auf dieselben zu beschließen. Bei Beschwerden ist zu prüfen, ob nachgewiesen ist, daß die Beschwerde bei der Landesregierung vorgebracht und unberück-

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sichtigt geblieben ist. Ist dieses nicht der Fall, so ist der Beschwerdeführer zurückzuweisen. Ist dieser Nachweis geführt, so beschließt die Ständeversammlung darüber: ob die Beschwerde für begründet oder unbegründet zu halten und im ersteren Falle: ob sie dem Landesfürsten zur Berücksichtigung zu empfehlen oder auf Bestrafung von Beamten anzutragen sei? Bei Bittschriften ist darüber zu beschließen, ob sie der Landesregierung zur Berücksichtigung zu überweisen oder unberücksichtigt zu lassen seien. Den Beschwerdeführern und Bittstellern ist zu ihrer Bescheidung ein Extract aus den Protocollen über die ständischen Verhandlungen zugehen zu lassen. Urkundlich Unserer Unterschrift und beigedruckten Herzoglichen Geheime-CanzleiSiegels. Braunschweig, den 20. April 1848. (L.S.) Auf höchsten Special-Befehl. von Schleinitz. F. Schulz. von Geyso

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Ediert nach Gesetz- und Verordnungs-Sammlung für die herzoglich-braunschweigischen Lande, Jahrgang 1848, No. 16, Braunschweig, S. 37–38.

Verfassungsentwurf für Bremen (1814)

Vorschläge des Senats im Convente vom 16ten December 1814 über die Trennung der Regierungs- und JustizGeschäfte und die Abstellung des Wechsels der Mitglieder der Gerichte der freyen Hansestadt Bremen1

1. Der Senat besteht nach wie vor aus 4 Bürgermeistern, 2 oder mehreren Syndicis und 24 Senatoren. 2. Der ganze Senat außer den Syndicis bleibt in 4 Quartieren, jedes von einem Bürgermeister und 6 Senatoren getheilt. 3. Der Senat verwaltet nach wie vor constitutionsmäßig die Regierungs- Justiz Polizey- und Finanz-Geschäfte der Stadt und ihres Gebiets, und genießt aller durch Gesetze und Herkommen ihm zustehenden Vorrechte, so weit darin durch Rath- und Bürgerschluß keine Abänderung wird beliebt werden. 4. Der ganze Senat nimmt Theil an der Regierung, sofern die Geschäfte derselben in seinen Sitzungen (der Wittheit) zum Vortrag kommen. 5. Das Präsidium in der Wittheit wechselt auf die bisherige Weise unter den 4 Bürgermeistern halbjährig. 6. Vor die Wittheit gehören die Regierungs-Geschäfte im engern Sinne, die auswärtigen Angelegenheiten, die Finanz-Sachen und die Polizey. 7. Die specielle Verwaltung dieser Geschäfte geschieht von der Hälfte sämmtlicher Mitglieder der Wittheit. 8. Jedes derselben verwaltet die ihm besonders aufgetragenen Aemter und Geschäfte in der Regel Zeitlebens, sofern er nicht in der Folge zum Bürgermeister er-

wählt wird oder in eins der Gerichte übertritt. 9. Die andere Hälfte der Wittheit verwaltet die Justiz in allen ihren Zweigen, und zwar unter Vorsitz zweyer Bürgermeister beym Obergericht. 10. In Wittheits-Geschäften außer den Sessionen, somit auch an Verwaltungen, haben die Senatoren, welche die Justiz verwalten, keinen Theil, jedoch mit Ausnahme der jetzigen Senatoren, wovon sie die von ihnen bisher verwalteten Geschäfte im Administrationswesen fortzusetzen wünschen. 11. Die Justiz wird (außer dem Gericht Vegesack) durch drey besondere, durch Mitglieder des Senats besetzte Gerichte, verwaltet, nämlich das Obergericht, das Untergericht, für Stadt und Land, und das UnterCriminal-Gericht. 12. Das Obergericht bilden zwey Herren Bürgermeister, 6 Rechtsgelehrte und 2 kaufmännische Senatoren. 13. Den Vorsitz am Obergerichte führen die vier Bürgermeister wechselsweise, nämlich der, welcher den Vorsitz in der Wittheit niedergelegt hat, wird für das folgende halbe Jahre Präsident beym Obergericht. Sein Beysitzer ist der Präsident in der Wittheit. 14. Die Beysitzer der Gerichte verwalten der Regel nach, ihr Amt Zeitlebens, wenn sie nicht zum Bürgermeister erkohren werden, oder einen Uebertritt bey einer Vacanz

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B REMEN zu den Regierungs-Geschäften wünschen. 15. Das Untergericht für Stadt und Land hat einen Director unter dem Titel: Stadtund Land-Richter und drey Rechtsgelehrte Assessoren, das Unter-Criminal-Gericht Einen Director, und außer demselben die Beysitzer des Untergerichts. 16. Die Vorsitzer beym Unter-Civil- und beym Criminal-Gerichte sind befugt aus erheblichen Ursachen ihre Entlassung von dem Vorsitze zu verlangen, und sind dann Beysitzer des Obergerichts ihrer Anciennität nach, und wird dann ein anderer Director aus den Mitgliedern des Obergerichts ernannt.

A Plan enthaltend Vorschläge zu Verbesserungen verschiedener Mängel unserer Verfassung und nähere Bestimmungen dieser

Allgemeine Grundsätze der Constitution A Von der persönlichen Freyheit § 1. Es giebt im Bremischen Staate weder Sclaverey noch Leibeigenschaft. Ein Fremder, der einen Sclaven oder Leibeigenen mit nach Bremen bringt, kann die Staatsgewalt nicht in Anspruch nehmen, um Verhältnisse, die sich auf Sclaverey oder Leibeigenschaft beziehen, geltend zu machen. § 2. Der Sclavenhandel ist ein, Bremischen Bürgern und Einwohnern, verbotenes Gewerbe. Kein Bremisches Schiff darf dazu benutzt werden. Es ist sogar allen hiesigen Bürgern und Einwohnern untersagt, um, sey es durch Actien oder auf sonstige Weise an desfalsigen Unternehmungen Fremder, Antheil zu nehmen.

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§ 3. Der Leibzoll der Juden bleibt nach wie vor hieselbst aufgehoben. § 4. Einem jeden, sowohl hiesigen als fremden, der wegen Verbrechen oder Vergehungen in Bremen oder dem Bremischen Gebiet verhaftet wird, ist die Ursache seiner Verhaftung spätestens innerhalb 24 Stunden anzuzeigen, und es soll derselbe spätestens innerhalb drey Tagen nach der Verhaftung ordentlich zum Protocoll verhört werden.

B Von der Freyheit des Eigenthums § 5. Das Eigehtum eines jeden Bürgers und Einwohners des Bremischen Staats ist unverletzlich. § 6. Sollte der Fall eintreten, daß der Staat zur Errichtung einer allgemeinen nützlichen Anstalt wie z. B. Straßen, Wege, Canäle, des unbeweglichen Eigenthums einer Privatperson bedürfte, und sich mit solcher nicht auf dem, zuerst zu versuchenden, gütlichen Wege vereinbaren könnte, so soll solche nur durch den vereinten Willen von Rath und Bürgerschaft zur Abtretung eines solchen Eigenthums genöthigt werden können. § 7. Diese Abtretung darf indessen nicht eher statt finden, bis dem Eigenthümer eine gerechte und hinreichende Entschädigung dafür wirklich ausgezahlt worden, mit deren Ausmittelung folgendergestalt zu verfahren ist. § 8. Der Eigenthümer wird zuerst aufgefordert, sowohl den activen Werth seines Eigenthums als den etwanigen Kaufpreis und alle Umstände, welche diesen Werth für ihn besonders erhöhen möchten, sorgfältig anzugeben. § 9. Es werden sodann drey Sachverständige ernannt, wovon einen der Senat, den zweyten der Betheiligte, und beyde

V ERFASSUNGSENTWURF FÜR B REMEN (1814) Ernannte den dritten wählen. Diese haben zuförderst den abzutretenden Gegenstand genau zu verzeichnen und aufzugeben, mit dem Eigenthümer darüber zu consultiren, sodann über den activen und relativen Werth und alle sonst noch in Frage kommenden Umstände, ein Gutachten aufzusetzen und dasselbe mit dem Taxato zu begleiten. § 10. Sodann werden 9 Schiedsrichter gewählt, von denen der Senat 3, der Betheiligte 3, und diese 6, sodann die übrigen 3 ernennen. Es wird ihnen das Taxat und Gutachten der Sachverständigen vorgelegt, und sie setzen nach Erwägung aller Umstände das Entschädigungs-Quantum fest. § 11. Wenn dem Staat diese Summe zu hoch scheint, so steht es ihm frey innerhalb drey Wochen nach Entscheidung der Schiedsrichter und vor Auszahlung der Entschädigungs-Summe zurückzutreten. § 12. Nach erfolgter Auszahlung jenes Entschädigungs-Quanti aber hat der Eigenthümer den in Frage stehenden Gegenstand zwar sofort an den Staat abzuliefern. § 13. Glaubt er indeß noch nicht hinlänglich entschädigt zu seyn, so bleibt es ihm frey, innerhalb drey Monaten nach Auszahlung solcher Entschädigung auf dem Wege Rechtens eine Vergrößerung dieser Entschädigungs-Summe nachzusuchen und zu betreiben.

C Von der Freyheit religiöser Meinungen und der Freyheit des Cultus § 14. Niemand soll seiner religiösen Meinungen und Ansichten halber beunruhigt werden, so lange die Aeußerung derselben die öffentliche Ruhe nicht stöhrt. § 15. Alle christliche Confessionen und Secten dürfen ihren Cultus in Bremen frey exerciren, so lange sie die Gesetze des

Staats beobachten und nichts vornehmen, wodurch die Ruhe desselben gestört werden kann. § 16. Die religiösen Gesellschaften haben für den Unterhalt ihres Cultus keine Ansprüche an den Staat zu machen, sondern müssen die Kosten desselben selbst aufbringen.

D Von der Preßfreyheit § 17. Die Beschlüsse über die Preßfreyheit sind ausgesetzt, bis sich ergeben haben wird, ob in dieser Hinsicht allgemeine Reichsbeschlüsse statt finden werden.

Von der Hoheit § 18. Die Hoheit ist der Inbegriff der dem Staate als Staat zuständigen Rechte. § 19. Es giebt zwey Gewalten im Staate, der Senat, und die auf dem Convente versammelte Bürgerschaft. Diese beyde stellen mit einander den Staat vor, und bey ihnen ist daher die Hoheit gemeinschaftlich. § 20. Die Ausübung der einzelnen Zweige der Hoheit geschieht entweder vom Senat allein, oder vom Senat und der Bürgerschaft gemeinschaftlich, oder von Staatsbeamten in Folge der von Rath und Bürgerschaft, oder vom Rath allein ertheilten Instructionen und Delegationen.

I Von dem Senat

A Organisation § 21. Die Verwaltung der Regierung und der Justiz sind in ihrer Ausübung in der Maa-

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B REMEN ße zu trennen, daß der eine Theil des Senats den Regierungs-Senat und der andere den Justiz-Senat bildet. So wie der erstere sich nur mit Regierungs-Sachen beschäftigt, so verwaltet der letztere ausschließlich die Justiz, auch können die Mitglieder des JustizSenats zu Commissionen in Regierungs-Sachen nicht zugezogen werden.

§ 22. Die Ausnahmen dieser Regel oder die Gegenstände gemeinschaftlicher Geschäfte sind folgende: a) Die Berathung hinsichtlich der der Bürgerschaft zu machenden, und vom Regierungs-Senat den Mitgliedern des Justiz-Senats vorzulegenden Anträge, so wie die Antwort auf die Erklärungen der Bürgerschaft in den Conventen, wesends auch beyde Collegien auf den Conventen ein Corps bilden. Und als Folge davon, b) daß auch Mitglieder des Justiz-Senats bey gemeinschaftlichen von Rath und Bürgerschaft zu ernennenden Deputationen, welche Gegenstände der Verfassung und Gesetzgebung betreffen, angestellt werden können. c) Die Ernennung der Beamten, welche sowohl Regierungs- als Justizfunctionen verrichten, wohin zu rechnen (§. 59.) der Beamte zu Vegesack und dessen Schreiber. Ferner würden im Fall eine Concurenz der Stadt zu Ernennung von Mitgliedern höherer Reichsinstitute, oder zu einem für dieselbe in Gemeinschaft mit andern Staaten zu etablirenden Oberappellationsgerichte Statt finden sollte, auch die desfalsigen Ernennungen von beyden Senaten gemeinschaftlich geschehen, vorbehältlich jedoch anderer Bestimmungen in Gemäßheit etwaniger desfalsiger sonstiger Reichsbeschlüsse.

§ 23. Das gesammte Personal des Regierungs-Senats ist einschließlich der beyden

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jetzigen Herren Syndiker, welche mit decisiver Stimme als Mitglieder in denselben eintreten, auf vierzehn Personen bestimmt. § 24. In Ansehung des Verhältnisses der Studirten zu den Nichtstudirten im Regierungs-Senat ist festgesetzt, daß die Zahl der letztern nicht über sechs und nicht unter fünf seyn soll. § 25. Der Justiz-Senat besteht aus 15 Mitgliedern gelehrten Standes, von welchen 7 bey dem Obergerichte, 3 den Director mit gerechnet, bey dem Untercriminal- und Policey-Gericht, 5 endlich einschließlich des Directors bey dem Unter- Civil- und Landgericht angestellt werden. § 26. Die Vertheilung des gegenwärtigen Personals des Senats unter den beyden Collegien soll (unpräjuducirlich für die Zukunft) so gemacht werden, wie es die Umstände am besten fügen. § 27. Der Regierungs-Senat sowohl als der Justiz-Senat erhalten jeder aus seiner Mitte einen Präsidenten und einen VicePräsidenten, welche unter sich, jeder bey seinem Collegium abwechselnd präsidiren, und am Isten Januar jedes Jahrs wechseln; so, daß der Präsident dem Vice-Präsidenten seines Collegiums das Präsidium für das nächste Jahr überträgt. – Der Präsident und Vice-Präsident des Justiz-Senats sind zugleich Mitglieder des Obergerichts, welches von dem ersteren präsidirt wird. § 28. In den Versammlungen des ganzen Senats hat der dem Regierungs-Senat präsidirende Bürgermeister den Vorsitz und die Leitung der Geschäfte, welcher auch dazu einladen läßt. § 29. So lange die jetzigen 4 Herren Bürgermeister Mitglieder des Senats bleiben, bekleiden diese die Stellen der respectiven Präsidenten und Vice-Präsidenten, nach der Vertheilung, die sie unter sich machen.

V ERFASSUNGSENTWURF FÜR B REMEN (1814) § 30. Sobald einer derselben abgeht und jederzeit künftig, wählen sämmtliche Mitglieder des respectiven Jusitz- und Regierungs-Senats, nach vorab geleistetem Eide, durch geheime Stimmengebung und nach absoluter Mehrheit einen aus ihre Mitte, welcher die erledigte Präsidenten- oder VicePräsidenten-Stelle des Collegii, in welchem die Vacanz zutrifft, einnimmt. Bey dem Justiz-Senat geschieht solche Wahl aus den Mitgliedern des Obergerichts und aus den Directoren der Untergerichte, jedoch so, daß die gegenwärtigen Mitglieder des Senats eine Ausnahme machen und sämmtlich wahlfähig sind, wenn sie zwar Mitglieder des Justiz-Senats, nicht aber des Obergerichts sind, auch keine DirectorenStellen bekleiden. Bey dem Regierungs-Senat hingegen geschieht die Wahl des Präsidenten oder VicePräsidenten jederzeit aus dem ganzen Regierungs-Collegium mit Einschluß der Herren Syndiker. § 31. Die Directoren der Untergerichte werden aus dem gesammten Justiz-Senat, jedoch mit Ausschluß des abwechselnd bey dem Obergerichte den Vorsitz führenden Präsidenten und Vice-Präsidenten des Collegii, und zwar das erstemal, nachdem vorab ausgemacht ist, welche der jetzigen Senatoren zum Justiz-Personal gehören sollen, von dem ganzen Senat, künftig aber von dem Justiz-Senat per Scrutinium nach absoluter Mehrheit gewählt. § 32. Bey künftig sich ereignenden Vacanz-Fall, sowohl im Regierungs- als JustizCollegio, soll ein Mitglied des andern Collegii, vorausgesetzt, daß seiner Wahlfähigkeit nichts im Wege steht, mit andern zur Wahl qualificirten concurriren können, jedoch nur dann, wenn er seinen desfalsigen Wunsch zu erkennen gegeben hat, maaßen niemand zum Uebertritt gezwungen werden kann. Wer aber bereits einmal von einem Collegio in das andere übergetreten ist, dem

steht ein weiteres Uebertreten oder Zurücktreten nicht zu. § 33. Bey Vacanzen im Regierungs-Collegium wird im Fall daß nur fünf Unstudirte im Collegium sich befinden, vorab zu einer Ueberlegung und Beschluß geschritten, ob es rathsam sey, einen Studirten oder Nichtstudirten zu wählen, und darnach verfahren. § 34. Diese Vorfrage abgerechnet, wird bey dem Regierungs- und Justiz-Collegio auf gleiche Weise gewählt und zwar so, daß fünf Wahlherren durch das Loos bestimmt werden, welche drey Candidaten vorschlagen, aus welchen das ganze Collegium Einen durch geheimes Stimmengeben und nach absoluter Mehrheit wählt. Haben zwey Candidaten die meisten und gleiche Stimmen, und ein nochmaliges geheimes Stimmensammeln giebt unter diesen kein anderes Resultat, so entscheidet zwischen den beyden das Loos. Sind gleiche Stimmen auf alle drey Candidaten gefallen und ein nochmaliges Scrutinium giebt das nemliche Resultat, so entscheidet das Loos, welcher von den drey Candidaten ausfallen solle, und über die beyden überbleibenden wird noch einmal gestimmt. § 35. Diese Wahlacte müssen in einer ununterbrochenen Folge und zu der in den Statuten vorgeschriebenen Zeit geschehen. § 36. Vor der Wahl a) eines Präsidenten, Vice-Präsidenten oder Directors, b) eines neuen Rathmanns, schwört das ganze Collegium wo die Vacanz zutrifft einen Eid, welchen der VicePräsident dem Präsidenten und dieser dem Collegio abnimmt. Die Formel in den ersten unter a. bemerkten Fällen ist die: Ich schwöre und gelobe zu Gott, daß ich bey der jetzt erforderlichen Wiederbesetzung der erledigten Stelle

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B REMEN

eines

  Präsidenten Vice-Präsidenten,



Directors, demjenigen meine Stimme geben will, welchen ich meiner Ueberzeugung nach, als den aus diesem Collegio dazu am besten geeignet erachte. So wahr helfe mir Gott! Im zweyten unter b. bemerkten Fall aber die: Ich schwöre und gelobe zu Gott, daß ich zu der erledigten Rathmannsstelle unter den vorzuschlagenden Candidaten nach meiner Ueberzeugung dem Würdigsten meine Stimme geben will, auch daß wenn mich das Loos treffen sollte, die zum Rathmann vorzuschlagenden Candidaten mit zu ernennen, ich meinerseits dafür streben will, daß die tüchtigsten und besten zur Rathmannsstelle vorgeschlagen werden. So wahr helfe mir Gott! § 37. Bey Vacanzen im Justiz-Collegium findet ein Aufrücken der Mitglieder Statt, und zwar vom Unter- Civil- und Land-Gericht zum Untercriminal- und Polizey-Gericht, von diesem zum Obergericht. Die Directoren der Untergerichte aber behalten diese Stellen so lange sie es wünschen, können indessen wenn sie wenigstens 5 Jahre als Directoren fungirt haben, falls ein Platz im Obergericht offen kömmt, vor allen andern in dieses treten, und denjenigen Platz einnehmen, der ihnen nach ihrer Dienst-Anciennität zukömmt. Alle künftig ins Justiz-Collegium zu wählende erhalten zuerst den untersten Platz im Unter- Civil- und Landgerichte angewiesen. § 38. Wer 55 Jahr alt ist kann die auf ihn gefallene Wahl ohne weiteres ablehnen. Uebrigens ist ein jeder verpflichtet, die auf ihn gefallene Wahl anzunehmen, es sey dann er schwöre, daß seine Gesundheit oder sein Vermögen ihm nicht erlauben das ihm übertragene Amt anzunehmen, in so fern der

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größte Theil des Collegii, in welches er gewählt ist, diesen Eid von ihm fordert. Weigert er sich den von ihm geforderten Eid zu schwören, und die Stelle anzunehmen, so soll er zehn Procent seines Vermögens der Stadt entrichten, seines Bürgerrechts verlustig erklärt und die Stadt zu verlassen angehalten werden. § 39. Wer seine Entlassung aus einem der beyden Collegien verlangt, hat wenn das Collegium es verlangt zu beschwören, daß ihm seine Gesundheits- oder seine Vermögensumstände nicht erlauben, seine Amtsverwaltung fortzusetzen. Hat er aber das sechzigste Jahr zurückgelegt, so kann dieser Eid nicht von ihm gefordert werden, und er ohne dessen Abstattung seine Entlassung begehren. § 40. Man muß um in das RegierungsCollegium gewählt werden zu können 30 Jahr, um in das Justiz-Collegium 25 Jahr alt seyn. Nach vollendetem sechzigsten Jahr kann niemand in eines der beyden Collegien gewählt werden. § 41. Der in den Senat zu Wählende muß in Ansehung des Regierungs-Collegii seit fünf Jahren, und in Ansehung des JustizCollegii seit zwey Jahren hieselbst zugeschworner und wohnhafter Bürger gewesen seyn. Man kann indeß in das Justiz-Collegium alsdann gewählt werden, wenn man nur 2 Jahre hindurch als zugeschworner Bürger hier gewohnt, und bey der Entfernung sein Bürgerrecht sich hat conserviren lassen. § 42. Ein in den Senat gewählter darf keinen fremden Fürsten oder Herrn weder durch Titel, Eid, Dienst oder Pflichten verwandt bleiben, sofern er zur Zeit der Wahl es war. § 43. Vater und Sohn, zwey Brüder oder Halbbrüder, leiblicher Onkel und Neffe, können nicht zu gleicher Zeit in einem beyder Collegien sitzen, noch darin gewählt

V ERFASSUNGSENTWURF FÜR B REMEN (1814) werden. Auch kann niemand zu Rathe gewählt werden, dessen Schwiegervater oder Schwiegersohn, Stiefvater oder Stiefsohn, bereits Mitglied des Collegii ist. Die Verwandtschaft, sie sey so nahe sie wolle, schließt aber nicht aus, daß nicht der eine in dem einem, der andre in dem anderen Collegio sitzen, oder darin gewählt werden können. Endlich beziehen sich alle diese Bestimmungen, in Ansehung der Verwandtschaft, keinesweges auf das gegenwärtige Personal des Senats. § 44. Zu dem Vorrechte und Ehrenstand des Senats gehört: a) Der erste Rang bey Processionen und andern feyerlichen Gelegenheiten und zwar bey Processionen so, daß zuerst die beyden Herren Präsidenten, dann die Vice-Präsidenten, dann paarweise einer aus dem Justiz-Collegio nach ihrem Dienstalter folgen; b) das Recht der Mitglieder des Senats die Thore nach der Sperrzeit aufzubestellen, bleibt; die Immunität der Sperrfreyheit aber hört für die Mitglieder des Senats wie für alle andere auf; c) ein besonderer Stuhl in den Kirchen der Stadt, der Vorstadt und des Gebiets; d) der Einschluß im Kirchengebet;

e) eine ausgezeichnete Amtskleidung, welche kein anderes Corps im Staate mit demselben theilen darf. § 45. Es sind sämmtliche bisherige Prärogative des Senats, in so fern sie nicht durch die gegenwärtige Vereinbarung zwischen Rath und Bürgerschaft modificirt worden, auch künftig auf den Senat übertragen und bleiben demselben vorbehalten. § 46. Die Mitglieder des Regierungs- sowohl als des Justiz-Collegii erhalten Fixa, wogegen der Regel nach alle Sporteln und Gefälle wegfallen, und nur als Ausnahme beybehalten werden, die bey Versiegelungen von Testamenten und Brautbriefen, welche in dem Hause dessen, der die Versiegelung begehrt, geschehen, so wie die bey Abhörung von Zeugen in aedibus. Der Senat wird aufgeben, welche Intraden seine Mitglieder bisher genossen haben, um solche zum Besten des Staats benutzen zu können. Baare Auslagen z.B. Porto in öffentlichen Geschäften, Reisekosten in Angelegenheiten der Stadt und Fuhren auf das Land in Amtsgeschäften, sofern solche nicht von den Partheyen oder sonst erstattet werden, sind aus der Central-Casse zu vergüten. § 47. Die Größe der Honorare ist nachfolgend bestimmt:

α . Für jetzt ist die Summe von 61,800 Rthlr. jährlich, angenommen, welche nachstehend zu vertheilen ist: 4 Präsidenten und Vice-Präsidenten a 3,000

Rthlr

............

Rthlr.

12,000,

sodann Syndici und Senatoren nach der Dienst-Anciennität: 4 Aelteste

a 2,500

Rthlr

............



10,000,

4 folgende

a 2,300



............



9,200,

4 folgende

a 2,100



............



8,400,

4 folgende

a 1,900



............



7,600,

285

B REMEN 4 folgende

a 1,700



............



6,800,

5 jüngste

a 1,500



............



7,500,

............



300.

29 zwey Gerichts-Directoren extra jeder 150

Rthlr

Summa Rthlr. 61,800.

β . Für die Zukunft die Summe von 58,200 Rthlr. nämlich: die 4 Ältesten aus dem ganzen Senat a 2,500

Rthlr.

Rthlr.

10,000,

die 4 nächstfolgenden

a 2,300





9,200,

die 4 nächstfolgenden

a 2,100





8,400,

die 4 nächstfolgenden

a 1,900





7,600,

die 4 nächstfolgenden

s 1,700





6,800,

die 4 nächstfolgenden

a 1,600





6,400,

die 5 jüngsten

a 1,500





7,500,



2,000,



300.

29 Die 4 Präsidenten und Vice-Präsidenten, jedem überher a 500

Rthlr.

die beyden Gerichts-Directoren, jedem überher a 150

Rthlr.

Summa Rthlr. 58,200. Diese Honorarien sollen was die für jetzt bestimmten betrifft, sogleich nach der Annahme der desfallsigen Vorschläge durch Rath und Bürgerschaft, in Ansehung der für die Zukunft festgesetzten aber für alle, welche nach diesem Zeitpunct gewählt werden, so wie auch für die jetzigen Mitglieder der Wittheit, welch nach demselben zu Präsidenten oder Vice-Präsidenten gewählt werden, eintreten. § 48. In Betreff der Sicherstellung der Auszahlung der Honorare ist festzusetzen. 1. Es werden auf den Ertrag gewisser ununterbrochen eingehender Staatseinkünfte gewisse Quoten der für das ganze Jahr erforderlichen Summen angewiesen.

286

2. Diese Einkünfte sind: a. die Consumtions-Abgabe, b. die Accise nebst Convoye, TonnenGeld, Schlachte-Geld etc. 3. Die Einnehmer dieser beyden Staatseinkünfte, sondern ein jeder die auf 2500 Rthlr. zu bestimmende Summe, somit in allen 5000 Rthlr. aus den ersten eingehenden Geldern bey ihren monatlichen Ablieferungen an die General-Casse ab; schicken diese an den mit der Auszahlung der Honorare beauftragten Herren des Raths, und empfangen dagegen eine Quitung. 4. Die Quitungen werden von den Einnehmern bey ihrer nächsten Ablieferung an die General-Casse als baares Geld, und als die

V ERFASSUNGSENTWURF FÜR B REMEN (1814) für die Quitung hingegebene Quote repräsentirend, abgegeben, von dem GeneralEinnehmer auf das Conto der Einnahme für diese Steuern eingetragen, und sofort wieder als Ausgabe auf das Conto des Budgets, – für Honorare des Senats – gesetzt. 5. Am Ende jedes Jahres werden für das nächste Jahr 12 Mandate auf die GeneralCasse, für jeden Monat eines, nämlich eilf auf 5000 Rthlr. jedes, und eines aus dem unter 6 anzuführenden Gründen, in Blanco, auf die für das Jahr für die Honorare auf dem Budget angewiesene Summe ausgefertigt, und dem Herren, welcher die Honorare erhebt und vertheilt, behändigt; dieser empfängt dann bey der Erhebung und Quitirung jedes Mandats die einzelnen an die Einnehmer ausgestellten Quitungen zurück. 6. Der jährliche Betrag der Honorare in den ersten Zeiten noch jedes Jahr variiren wird, so wird gegen das Ende des Jahres in das zwölfte Mandat die Summe, welche zur Ausgleichung der Rechnung für das Jahr erforderlich ist, von der Finanz-Deputation eingefüllt, und dem mit der Erhebung beauftragten Mitgliede des Senats zur Benutzung zurückgegeben. 7. Dafern es sich trifft, daß der Einnehmer der Consumtion oder der Accise etc. in irgend einem Monate nicht im Stande seyn sollte, die für die Honorare bestimmte Quote zum vollen abzuliefern, so ist für solchen Fall der General Einnehmer angewiesen, und beauftragt, das daran fehlende zu ungesäumter Einlösung des fälligen Mandats aus den ersten und bereitesten Geldern der Central-Casse vor allen sonstigen Ausgaben auszuzahlen, damit hinsichtlich der Auszahlung durchaus kein Anstand für die Mitglieder der Senats entstehe. 8. Es soll das dem Senat zu bezahlende Honorar eine dergestalt privilegirte Forderung seyn und bleiben, daß sie allen und jeden sonstigen Zahlungen vorgeht, die Auszahlung derselben aber durch kein Staats-

bedürfniß hingehalten oder verzögert, somit auch keinerley Vorenthaltung oder Privat-Arrestationen derselben je Statt finden kann, noch soll. § 49. Der Genuß des Honorars jedes Rathmanns fängt an mit dem Ersten des Monats, der seiner Wahl folgt, und hört auf mit dem letzten Tage des Monats, in welchem er aus dem Collegio tritt. – Auf ähnliche Art wird es gehalten mit dem Uebertritt von einer Classe zur andern. Für den Fall, da ein Präsident, ein Vicepräsident oder ein anderes Mitglied des Senats stirbt oder seine Entlassung erhält, ist wegen des laufenden und des Nachjahrs das Folgende zu bestimmen: 1. Die Wittwe oder Leibeserben des verstorbenen Präsidenten oder Vicepräsidenten, und im Fall der Resignation er selbst, erhält im laufenden Jahre, ohne Unterschied in welchem Theile des Jahres der Tod oder die Resignation eintritt, 1000 Rthlr. und im nächsten oder Nachjahr ebenmäßig 1000 Rthlr. 2. Um dieses Geld aufzubringen, entbehrt, und erforderlichen Falles zahlt, der neuerwählte Präsident oder Vice-Präsident in jedem der gedachten Jahre die eine, der neuerwählte Senator aber die andere Hälfte. 3. Die Wittwe oder Erben eines verstorbenen sonstigen Mitgliedes des Senats, und im Fall der Resignation er selbst, erhält im laufenden Jahre 500 Rthlr. und im Nachjahr ebenfalls 500 Rthlr. 4. Das eben erwähnte Geld wird von dem neugewählten Mitgliede in seiner Rathmanns-Einnahme gemißt, oder von ihm baar erlegt, 5. Wenn von den jetzigen Kaufleuten e Senatu, welche nicht in der Regierung, sondern einstweilig als kaufmännische Assessoren mit Beybehaltung ihres SenatoriatRanges und Gehalts bey dem Obergericht angestellt werden (§. 56 g.) einer stirbt oder

287

B REMEN resignirt, so muß der erste der jetzt in die vacanten Stellen des Senats zu wählenden Senatoren, ihm und respective seiner Wittwe und Leibeserben, eintretenden Falls im laufenden Jahr 500 Rthlr. und im Nachjahr eben so viel auszahlen. 6. Für den Fall, daß von den jetzt lebenden sieben kaufmännischen Senatoren nur fünf in die Regierung kommen, somit zween derselben Beysitzer des Obergerichts werden, so muß, wenn der zweyte derselben mit Tode abgeht oder resignirt, um deswillen weil alsdann kein neuer Senator gewählt wird, alsdann ihm selbst eventualiter seiner Wittwe oder Leibeserben der Staat die mehr erwähnten 500 Rthlr., sowohl im laufenden als im Nachjahr auszahlen. Diese durch die Umstände dem Staat aufgewälzte neue Last wird dadurch gehoben, daß 7. wenn ein verstorbener Präsident, VicePräsident oder Senator keine Wittwe auch keine Leibeserben hinterläßt, die an deren Stelle künftig zu wählenden Präsidenten, Vice-Präsidenten und Senatoren, das Vorbemerkte zwar entbehren oder zahlen, welches aber alsdann der Central-Casse zu Gute kommt. § 50. Jeder neu gewählte Rathmann leistet vor seinem Antritt einen feyerlichen Eid, nach folgender Formel: „Ich will ein rechter Rathmann seyn, und will recht richten, den Reichen als den Armen, den Armen als den Reichen, nicht nach Freundschaft oder Verwandtschaft, noch nach Gunst, Geschenk oder Gabe, sondern nach Recht, nach allem meinen Vermögen, Verstand und Wissenschaft, nach dem Inhalt dieses Buchs in so fern es noch im Gebrauch, und nach den bestehenden Gesetzen.“ Alles ohne Gefährde. - So wahr helfe mir Gott! „Unsere Verfassung will ich befolgen und aufrecht erhalten, das Wohl des Staats stets vor Augen haben, dem gemeinen Gute treu-

288

lich vorstehen, in Geschäften die gebührliche Verschwiegenheit beobachten, und insbesonders was mir in Hale zu halten geboten wird, in Hale halten.“

B Attributionen des Senats § 51. Dem Senat, als solchen, gebührt die Ausübung verschiedener Zweige der Landeshoheit ausschließlich, und zwar 1) als Regierungs-Collegium, 2) als Justiz-Collegium, 3) beyde Collegien vereint. § 52. Dem Regierungs-Collegio gebührt: a. Die Wahl der das Regierungs-Collegium ausmachenden Mitglieder in Vacanzfällen, so wie des Präsidenten und Vice-Präsidenten. b. Die Ernennung der Staatsbeamten hier und auswärts, in so fern solche nicht, wie weiter unten vorkommen wird, vom JustizCollegio oder gemeinschaftlich mit demselben ernannt werden, c. Die Sorge für die Beförderung des Staatswohls im Innern und Aeußern. d. Die Oberaufsicht über die Erhaltung aller Staatseinrichtungen, so lange deren Existenz verfassungsmäßig besteht. e. Die Oberaufsicht über die vom Staate authorisirten und im Staate geduldeten Gesellschaften, Vereine und Institute. f. Die Repräsentation des Staats gegen Auswärtige, jedoch mit Vorbehalt dessen, was bey Gelegenheit der Attributionen von Rath und Bürgerschaft gemeinschaftlich (154 k.) gesagt ist. g. Die Handhabung der vollziehenden Gewalt, mit Ausschluß der zur Competenz der Justiz gehörenden Gegenstände. h. Das Recht, Privilegien und Concessionen zu ertheilen, in allen Sachen, wo nicht die Staatsgewalt erklärt hat oder noch künftig erklären wird, daß es wegen solcher keiner Privilegien oder Concessionen bedürfe. i. Die Censur des Buchhandels und der

V ERFASSUNGSENTWURF FÜR B REMEN (1814) Buchdruckereyen, und zwar also, daß das Regierungs-Collegium sie einer Behörde aus seiner Mitte überträgt, und dem, durch solche Censur sich beschwert erachtenden, der Recurs an das ganze Regierungs-Collegium frey steht. k. Die administrative Polizey und das Recht in Polizey-Sachen Verordnungen zu erlassen, welche so lange bestehen, bis der Rath, auf den Antrag der auf dem Convent versammelten Bürgerschaft, solche zurück zu nehmen oder zu modificiren sich veranlaßt findet. l. Die Begnadigungen und Milderungen in Criminal-Straffällen, jedoch nur, wenn das Justiz-Collegium oder das Obercriminalgericht solche, unter Anführung seiner Gründe, anheimstellt oder empfiehlt, und zwar entweder sofort in Straferkenntniß, oder wenn der Verbrecher, nachdem er einen Theil der Strafzeit erlitten, um Erlassung des übrigen oder eines Theils der noch bleibenden Strafzeit bey dem Justizcollegium nachsucht, welches ihm jedoch nur einmal frey steht. m. Die Ausübung des protestantischen Ständen zukommenden sogenannten Juris circa Sacra, oder Episcopalrechte, in der Maasse, wie solches bisher gewesen. n. Die Ertheilung von Dispensationen in Ehesachen. o. Die Rechnungs-Abnahme aller Administrationen des Staatsguts und der öffentlichen frommen Stiftungen. p. Die Aufnahme neuer Bürger und die Beeidigung derselben und der Bürgersöhne. q. Die Ansetzung der Zusammenkünfte mit der Bürgerschaft oder deren Repräsentanten, so oft solche für erforderlich erachtet werden, und das Recht, daselbst Anträge zu Berathungen oder Vereinbarungen zu machen, letzteres unabbrüchig des auch der auf den Conventen versammelten Bürgerschaft §. 155 reservirten desfalsigen Rechts. r. Die Disposition über 10,000 Rthlr. jähr-

lich der Staatseinkünfte, mit der Verpflichtung, die Verwendung derselben am Ende des Jahres der Bürgerschaft mitzutheilen. (§. 176.) s. Die Untersuchung, Entscheidung und Bestrafung in Sachen, welche zu der Societäts- oder Amts-Verfassung, auch inneren Polizey gehören, so wie in den Fällen, wo ein Amt oder Societät sich über Eingriffe dritter Personen in ihre Amts-Gerechtsame beschwert, unabbrüchig der in der Gerichtsordnung §. 46 nachgelassenen Berufung an die Justizbehörde. t. Das Recht, um überhaupt alles dasjenige zu verrichten, was bisher in Regierungssachen dem ganzen Senat zu vollführen gebühret hat. § 53. Dem Justiz-Colegio gebührt: a. Die Wahl der Mitglieder des Collegii, der Präsidenten, Vice-Präsidenten und Directoren der Untergerichte. b. Die Besetzung der zur Handhabung der Justiz gehörenden Stellen, z.B. Secretaire der Gerichte, Gerichtsdiener. c. Die Entscheidung über das Mein und Dein und deren Vollstreckung, so wie die der Criminal-Justiz-Pflege in den einzelnen Gerichten, welche zusammen das JustizCollegium ausmachen, nach Anleitung der Gerichtsordnung, jedoch mit Ausnahme der oben (§. 52. 5.) angeregten Aemtersachen. d. Die Vollziehung alles dessen was die hiesige neue Gerichtsordnung den Gerichtsbehörden zuweiset. e. Die Oberaufsicht über das Vormundschafts-Notariats- und Hypotheken-Wesen. f. Die Bildung eines Pupillencollegii aus seiner Mitte. g. Die Erlassung der auf den Proceßgang Bezug habenden etwa erforderlichen, sogenannten Gemeinen Bescheide. h. Die Ausführung auswärtiger Requisitionen in Justizsachen. § 54. Dem Regierungs- und Justizcolle-

289

B REMEN gio gemeinschaftlich gebührt: a. Die Ernennung derjenigen Beamten, welche sowohl dem Regierungs- als Justizcollegio in ihren Amtsverrichtungen behülflich sind, wohin zu rechnen der Beamte zu Vegesack (§. 59.) und dessen Schreiber. Ferner sollen im Fall eine Concurrenz der Stadt zu Ernennung von Mitgliedern höherer Reichsinstitute oder zu einem für dieselbe in Gemeinschaft mit andern Staaten zu etablirenden Oberappellationsgericht statt finden sollte, auch die desfalsigen Ernennungen von beyden Senaten geschehen, vorbehältlich jedoch anderer Bestimmungen in Gemäßheit desfalsiger etwaniger sonstiger Reichsbeschlüsse. b. Die Berathung über die vom Regierungs-Collegio zu entwerfenden Anträge an die Bürgerschaft, so wie die der Antwort des ganzen Senats auf die Erklärungen der Bürgerschaft in den Conventen. c. Das Recht um Vorschläge zu neuen Gesetzen und zu Veränderungen der bestehenden zu machen, und sodann darüber, ob solche zu Anträgen an die Bürgerschaft vereignet sind, sich zu berathen.

C Nebenbehörden I. Von den Gerichtsbehörden in bürgerlichen und Strafsachen § 55. Zu der Verwaltung der Gerichtsbarkeit in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten und in Strafsachen in der Stadt und dem dazu gehörigen Gebiete, sind folgende Behörden angeordnet: 1. Ein Ober-Civil- und Ober-Criminal-Gericht für die Stadt und deren Gebiet; 2. ein Unter-Criminal-Gericht für die Stadt und für das Stadtgebiet mit Ausnahme des Fleckens Vegesack; 3. ein Unter-Civil-Gericht für die Stadt und deren Gebiet, letzteres mit Ausschluß des Fleckens Vegesack;

290

4. ein im Flecken Vegesack errichtetes Gericht für alle zur Unter-Criminal- und Polizey- auch Unter-Civil-Gerichtsbarkeit daselbst sich ereignenden Fälle. § 56. Die Competenz und der Wirkungskreis dieser Gerichte sind so wie sie in der vor Kurzen verfaßten und zum Druck beförderten neuen Gerichtsordnung §. 10. und folgenden, ausführlich entwickelt sind. § 57. Auch für diejenigen, welche durch Erkenntnisse des hiesigen Ober-Gerichts sich beschwert erachten, ist einstweilen und bis dahin, daß eine eigene Appellations-Instanz ausgemittelt seyn wird, mittelst der gedachten Gerichtsordnung §. 502. und folgenden, gesorgt.

II. Beysitzer aus dem Handelsstande bey dem Obergerichte § 58. Um bey der obergerichtlichen Entscheidung der Streitigkeiten in HandlungsAngelegenheiten des Beyraths kundiger Männer sich bedienen, und ein eigenes besonders Handelsgericht umgehen zu können, ist festzusetzen: a. Es werden 4 Kaufleute außer dem Senat als Beysitzer des Obergerichts gewählt, welche den Sitzungen desselben, in welchen die Civil- und Mercantil-Rechtsstreitigkeiten promiscue vorkommen können, beywohnen. b. Diese Beysitzer haben Sitz und entscheidende Stimme in den Sessionen des Obergerichts, sie können auch dazu um kaufmännische Debit-Commissionen allein oder gemeinschaftlich mit andern zu leiten, so wie dazu um im Pupillen-Collegio zu fungiren, angestellt werden und haben überhaupt alle Vorschriften des Chefs des Justizcollegii, so wie im Fall Sections-Abtheilungen Statt finden sollten, des Directors der Section, zu welcher sie gehören, in

V ERFASSUNGSENTWURF FÜR B REMEN (1814) Dienstangelegenheiten zu befolgen. c. Der Justiz-Senat wählt jeden Assessor auf jedesmaligen Vorschlag einer Anzahl von sechs Candidaten, welcher durch das Collegium der Aeltermänner (§. 90.e.) geschieht, durch geheime Stimmengebung und nach absoluter Mehrheit. d. Vorgeschlagen und gewählt können nur Personen werden, die nicht unter 30 und nicht über 50 Jahr alt sind, seit wenigstens 5 Jahren einer eigenen Handlung vorgestanden haben, oder Gesellschafter einer Handlung gewesen sind, und weder mit den Mitgliedern des Justiz-Senats noch mit den übrigen kaufmännischen Assessoren in den §. 43. bestimmten verwandschaftlichen Verhältnissen stehen. e. Jeder Beysitzer wird vor dem Antritt auf die rechte und unpartheyische JustizPflege vor dem Justiz-Senat beeidigt, und erhält übrigens ein jährliches Honorar von 250 Rthlr. aus der Central-Casse. f. Von diesen kaufmännischen Beysitzern des Obergerichts tritt künftig alle Jahre am 1sten Januar einer aus, und zwar der, welcher am längsten Assessor gewesen. Ein abgehender Assessor kann erst nach Verlauf eines Jahres wieder gewählt werden, hat aber alsdann die Befugniß die Wahl abzulehnen. g. Transitorisch ist bestimmt: α . Daß diejenigen Kaufleute aus dem jetzigen Personal des Senats, welche in der Regierungs-Section keinen Platz erhalten, unter den vier obgedachten Assessoren, jedoch mit Beybehaltung des senatorischen Ranges und Gehalts, und ferner so, daß sie nicht dem Wechsel unterworfen, bey der ersten Bildung des Obergerichts aufzunehmen sind. β . Daß von den überher zur Completirung der Zahl von vier Beysitzern gleich anfangs zu wählenden Nichtsenatoren der älteste an Jahren zuerst und zwar am 1sten Januar 1817 austritt, darnach der zweyte u.s.w.

III. Jusitz- und Regierungsfach zu Vegesack § 59. Da die Entlegenheit des zum Stadtgebiet gehörigen Fleckens Vegesack es räthlich macht, deshalb besondere Vorkehrungen in judiciairer und regiminal Hinsicht eintreten zu lassen, so ist zu bestimmen: a. Es ist ein nicht zum Senat gehörender Rechtsgelehrter mit dem Titel als Amtmann oder Gerichtsverwalter anzustellen, welcher in Vegesack seinen beständigen Wohnsitz nimmt. b. Ein Wirkungskreis würde bestehen: α . In Handhabung der Unter-Civil- und Unter-Criminal- auch Polizey-Gerichtsbarkeit in der Maaße, wie die neue Gerichtsordnung, solche den desfalsigen Gerichten in der Stadt beylegt. β . In Verwaltung der administrativen Polizey, Ausführung der Regierungsbeschlüsse, und Führung der Civilstandsregister. Vielleicht auch γ . in Erhebung der directen und indirecten Steuern, was inzwischen noch Bedenklichkeiten unterworfen scheint. δ . Darin, um in seinen verschiedenen Qualitäten, respective dem Justiz- und Regierungs-Collegio, welchem er untergeordnet ist, zu berichten, und die daher ihm zu Theil werdenden Instructionen zu befolgen. c. Ihm wird ein zur Führung des Protocolls geschickter Schreiber beygegeben. d. Nach wie vor wird ein vielleicht auch zwey Sauvegarden oder Policey-Diener daselbst gehalten zur Handhabung der Polizey, die auch zugleich das Amt der Gerichtsboten bekleiden. e. In Betreff der Besoldung ist festgesetzt: α . Der Beamte erhält ein festes jährliches Gehalt von 750 Rthlr. und der Schreiber eines von 150 Rthlr. beyde ohne alle Sporteln. β . Um diese 900 Rthlr. herbeyzuschaffen müssen die zum Flecken Vegesack ge-

291

B REMEN hörigen Bewohner, da diese einen Beamten an Ort und Stelle und ein stabiles Gericht wünschen, davon auch zunächst die Vortheile genießen, etwa 450 Rthlr. jährlich bezahlen, die durch eine mäßige Zulage ihrer Grund- und Personalsteuer beyzutreiben ist; das übrige muß dagegen die Stadtkasse tragen, in welche alle und jede sorgfältig und gewissenhaft zu berechnende gerichtliche und polizeyliche Sporteln fließen sollen. γ . Für den oder die Sauvegarden werden die bisher von der Stadt für diese bestimmten Emolumente künftig von der Stadt bestritten.

dies der Regierung jederzeit unbenommen. Für diesen Fall aber dürfte nach dem Abgang des gegenwärtigen Herrn Archivars, das Archivariat als besonderes Amt eingehen und die desfalsige Geschäftsführung mit dem einen der beyden Regierungs-Secretariate vereinigt werden.

IV. Secretaire

§ 62. Vor der Hand und bis dahin, daß eine gewisse Remise oder Procente von den Erhebungen die durch ihre Hände gehen, stipulirt worden, erhalten dieselben einen jährlichen festen Gehalt aus der CentralCasse in vierteljährigen ratis, nachstehend:

§ 60. Bey dem Regierungs-Senat wird ein Secretair angestellt. Sollte aber über kurz oder lang die Menge der Geschäfte es erheischen einen zweyten anzustellen, so bleibt

§ 61. Bey den Bremischen Gerichten werden an Secretairen angestellt: bey dem Obergerichte zwey; bey dem Untercivil- und Landgericht einer, welchem ein auf das Protocoll zu beeidigender Gehülfs-Secretair beyzugeben ist; Bey dem Unter-Criminal-Gericht einer.

der erste Regierungs-Secretair . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1500

Rthlr.

der zweyte Regierungs-Secretair dafern ein solcher angestellt wird. . .

1200



der erste Obergerichts-Secretair . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1500



der zweyte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1400



der Nieder- und Landgerichts-Secretair . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1300



dessen Gehülfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

600



der Unter-Criminal- und Policey-Gerichts-Secretair . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1200



§ 63. Da die jetzt lebenden bereits früherhin an der hiesigen Canzeley angestellt gewesene Secretaire sich zum Theil vormals höher gestanden haben, so ist dem ersten vormaligen auch jetzigen Obergerichts-Se-

292

cretair eine jährliche Zulage von 500 Rthlr., jedem der übrigen jetzt wieder eine Secretariat-Stelle erhaltenden vormaligen CanzleySecretairen eine jährliche Zulage von 300 Rthlr. ad dies officii zu bewilligen.

V ERFASSUNGSENTWURF FÜR B REMEN (1814)

II Von Rath und Bürgerschaft gemeinschaftlich

A Von den Principien wegen der Aufnahme neuer Bürger und Schutzverwandte § 64. Es ist zur Aufnahme neuer Bürger nach folgenden Grundsätzen zu schreiten: a. Söhne deren Väter Bürger sind, oder es bis zu ihrem Tode waren, können die Aufnahme zu Bürgern begehren. b. Fremde die zur christlichen Kirche sich bekennen, ein und zwanzig Jahr alt sind, ihren Geburtsschein und Zeugnisse ihrer bisherigen Orts-Obrigkeit, die ihren bisherigen guten Lebenswandel sowohl, als daß sie den Militairpflichten genügt haben, beurkunden, beybringen, einen bestimmten

anständigen und erlaubten, sie nähren könnenden Erwerb, oder ein hinlängliches Vermögen nachweisen, eine hinreichende Caution, binnen den nächsten 10 Jahren den hiesigen Armenanstalten nicht zur Last fallen zu wollen, beybringen, auch bey den arbeitenden Classen körperliche Gesundheit besitzen, sind fähig die Aufnahme als Bürger nachzusuchen. Es hängt übrigens von dem RegierungsSenat ab, das Bürgerrecht auf desfallsiges Ansuchen zu ertheilen oder abzuschlagen. Desgleichen hat derselbe die Befugniß bey der Aufnahme in Betreff einzelner der vorgedachten Qualificationen zu dispensiren. Das bey der Aufnahme neuer Bürger von diesen zu zahlende Bürgergeld ist von Neujahr 1815 an, nachfolgend zu bestimmen:

für das große Bürgerrecht mit der Handlungsfreyheit für eine Mannsperson .

400

Rthlr.

für das Altstädtische und Neustädtische Bürgerrecht desgleichen . . . . . . . . . .

50



für das Vorstädtische Bürgerrecht desgleichen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

40



Frauenzimmer die einzeln das Bürgerrecht nachsuchen, oder welche um einen Bürger zu heyrathen dasselbe begehren, bezahlen zwey Drittel dessen was eine Mannsperson bezahlt. Ein bereits verheyratheter Fremder der mit seiner Familie das Bürgerrecht erwerben will, bezahlt für seine Frau nur die Hälfte dessen, was er bezahlt, und wenn er Kinder hat für diese, und zwar für Söhne unter 15 Jahren und für Töchter unter 12 Jahren nichts, von da bis zur Majorennität ein Drittel dessen, was der Vater bezahlt, wenn sie zur Zeit des Einwanderns majorenn sind, aber, bezahlen sie wie Erwachsene. Im übrigen wird bey Erwerbungen eines höhern Bürgerrechts das nämliche zu zahlen seyn, was vor der letzten Herabsetzung im Jahre 1814 bezahlt worden, mit Rücksicht jedoch auf die vorstehende Herabsetzung der Handelsfreyheit und des altstädti-

schen Bürgerrechts. Die gute alte Gewohnheit, nach welcher eine Magd, die 10 Jahre in dem Hause eines und desselben Bürgers treu und redlich gedient, das kleine altstädtische Bürgerrecht, auf ein desfalsiges Zeugniß ihres Brodherrn, vom Senate unentgeldlich erhielt, ist beybehalten und solches auch auf männliche Domestiquen, wenn sie 15 Jahre auf die nämliche Weise einem und demselben Bürger gedient haben, auszudehnen. § 65. Es bleibt dem Regierungs-Senat frey, bei jedem aufzunehmenden Bürger eine besondere Bürgschaft auch dahin bestellen zu lassen, daß der aufzunehmende niemands eigen, und, so viel der Bürger wisse, zum Aufruhr nicht geneigt sey. § 66. Bremische Eheleute müssen das nämliche Bürgerrecht besitzen. Wenn bey angehenden Eheleuten der Bräutigam ein

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B REMEN geringeres Bürgerrecht besitzt, als die Braut, so muß sie entweder auf ihr höheres Bürgerrecht verzichten, oder er die Differenz nachzahlen. Hat die Braut ein geringeres Bürgerrecht, so hat der Bräutigam vor Vollziehung der Ehe indeß nur die Hälfte desjenigen für die Braut nachzuzahlen, was sie würde bezahlen müssen, um nach Abzug ihres Bürgerrechts das höhere des Bräutigams zu erwerben. Etwanige Kinder aus der ersten Ehe einer solchen Frau bleiben in der Classe des Bürgerrechts ihres Vaters bis dahin, daß sie es gerathen finden, sich ein größeres zu erwerben. – Heyrathet ein Bürger aber eine Nichtbürgerinn, so ist er verbunden, das Bürgerrecht der Classe, in welcher er steht, mittelst Zahlung von Zweydrittel des für Mannspersonen bestimmten Preises für sie zu erwerben. § 67. Der Regierungs-Senat kann in besondern Fällen ausgezeichneten Fremden, die sich um den Staat verdient gemacht, oder als Ehrenbezeugung, das Bürgerrecht unentgeldlich ertheilen. § 68. Auch bleibt dem Senat es frey, um Fremden, selbst wenn sie zur Erlangung des Bürgerrechts sich qualificiren, den hiesigen Aufenthalt auf kürzere oder längere Zeit als Schutzverwandten zu verstatten. § 69. Mitglieder jüdischer Nation werden weder als Bürger, noch als Schutzverwandte auf Lebenszeit aufgenommen. Der Regierungs-Senat kann ihnen indeß den Aufenthalt hieselbst auf eine beschränkte Zeit, jedoch nur unter der Bedingung gestatten, daß sie keine Nahrungszweige treiben dürfen, die wohlerworbenen Rechten anderer schaden. Sollten früher oder später allgemeine Verfügungen im Deutschen Reiche statt finden, welche die Frage über eine Aufnahme der Juden auf Lebenszeit oder zu eigentlichen Bürgern aufs Neue zur Sprache bringen dürfte, so würde ein desfalsiger

294

Beschluß nur von Rath und Bürgerschaft gemeinschaftlich zu fassen seyn.

B Organisation der Repräsentanten der Bürgerschaft

α . Bestandtheile I. Vom Collegio der Aeltermänner § 70. Das Collegium der Aeltermänner behält sein Bestehen unter den folgenden Modificationen und Erweiterungen seines Wirkungskreises. § 71. Das Collegium besteht künftig aus 20 Aeltermännern und einem oder zwey Syndiker der Aeltermänner. § 72. Wenigstens die Hälfte der 20 Aeltermänner muß aus Bremischen conventsfähigen Bürgern bestehen, die aufs wenigste 5 Jahre in Bremen Handel en gros getrieben haben. Die andere Hälfte kann auch aus sonstigen conventsfähigen Bürgern, welche die nachher nahmhaft zu machenden allgemeinen Requisite besitzen, gewählt werden, doch ist die Zahl der in das Collegium überhaupt aufzunehmenden Gelehrten, einschließlich der Syndiker, auf 4 Personen beschränkt. § 73. Das Collegium wird durch einen Aeltermann präsidirt, der Praeses Collegii heißt. § 74. Der Praeses wird in den letzten Monaten jedes Jahres von den dazu besonders convocirten Aeltermännern aus ihrer Mitte durch Scrutinium und absolute Stimmenmehrheit für das folgende Jahr erwählt, und tritt seinen Vorsitz mit dem ersten Januar an. § 75. Nur nach einem dreyjährigen Zwischenraum kann dasselbe Mitglied wieder zum Praeses erwählt werden; es ist indeß, so lange es noch 4 Mitglieder giebt, die

V ERFASSUNGSENTWURF FÜR B REMEN (1814) nicht Praeses gewesen sind, solche zweyte Wahl abzulehnen befugt. § 76. In der auf das Begräbniß eines Aeltermanns oder auf das Eintreten einer sonstigen Vacanz folgenden Woche, wird an die Stelle des abgegangenen Aeltermanns ein anderer vom Collegio erwählt. – Die Wahl geschieht auf die nämliche Weise wie die Wahlen des Senats. § 77. Um wahlfähig zu einem Aeltermann zu seyn, bedarf es folgender Requisite: a. Conventsfähigkeit; b. keinem fremden Staat durch Titel, Eid oder Pflichten verwandt zu seyn; c. nicht unter 38 und nicht über 65 Jahr alt zu seyn; d. wenigstens 5 Jahre zugeschworner Bürger gewesen zu seyn; e. mit Ausnahme des hier compatibel befundenen Verwandtschaftsgrades zwischen Onkel und Neffen mit keinem Aeltermann oder Syndicus des Collegii in dem Grade verwandt zu seyn, welcher bey Wahlen von Mitgliedern einer Abtheilung des Senats als ausschließend angenommen wird. § 78. Unter den 20 Aeltermännern müssen in der Regel in jedem Quartier der Stadt 3 wohnhaft seyn. Ist diese Regel durch Tod, sonstigen Abgang oder Umziehen unterbrochen, so wird die Wahlfähigkeit bey der nächsten Wahl in dieser Hinsicht auch durch die Wohnung der zu Erwählenden modificirt. Nicht minder wird die Wahlfähigkeit in Beziehung auf die §. 72, geschilderten Erfordernisse der Qualität einer gewissen Anzahl von Aeltermännern, den eintretenden Umständen gemäß, näher beschränkt. § 79. Wenn ein Aeltermann eine der Eigenschaften, die zur Conventfähigkeit gehören, verliert, so hört er auf Aeltermann zu seyn. Sollte ein Aeltermann durch unverschuldete Unglücksfälle ein Fallissement erlitten,

und somit seinen Platz im Collegio verloren haben, späterhin aber seine sämmtlichen Gläubiger an Capital und Zinsforderungen zum Vollen befriedigen, so wird er für rehabilitirt geachtet, und nimmt bey der nächsten Vacanz seinen alten Platz im Collegio wieder ein, in so fern nicht inzwischen Umstände eingetreten sind, und vorwalten, die in Betreff der §. 72. und 77. geschilderten Requisite solches gesetzlich verhindern. § 80. Den Aeltermännern sind zwey Gelehrte als Syndici zugeordnet, von denen der erste Worthalter, der zweyte Archivar der Bürgerschaft heißt. Jedoch bleibt es dem Collegio frey, solche Functionen auch in der Person eines Syndicus zu vereinigen, und den zweyten Syndicus nur dann zu wählen, wenn es gehäufter Geschäfte halber solches erforderlich achtet; wenn und so lange sich außer dem ersten Syndicus indeß schon drey Gelehrte im Collegio befinden, unterbleibt solche Wahl eines zweyten Syndicus. § 81. An die Stelle eines mit Tode oder auf sonstige Weise abgegangenen Syndicus der Aeltermänner, muß von diesen, insofern der abgegangene Syndicus der einzige ist, spätestens in der Woche vor dem nächsten Quartal-Convente ein anderer erwählt werden. Diese Wahl geschieht dergestalt, daß zu solchem Zwecke eine Liste formirt wird, für welche jeder Aeltermann eine qualificirte Person nahmhaft machen darf. Aus solchen Candidaten werden zuerst drey durch Scrutinium und absolute Mehrheit nach einander ausgemittelt, und denn unter diesen einer durch Scrutinium und absolute Mehrheit ernannt. § 82. Bey dem nächsten Bürgerconvent wird ein dergestalt gewählter Syndicus nach der weiter unter §. 96. vorkommenden Formel vor dem Senat in Gegenwart der ver-

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B REMEN sammelten Bürgerschaft durch den Präsidenten des Regierungs-Senats beeidigt.

den Aeltermännern verbotenen Grade verwandt zu seyn.

§ 83. Um wahlfähig zu einem Syndicus der Aeltermänner zu seyn, wird erfordert: a. Conventsfähigkeit; b. keinem fremden Staate durch Titel, Eid oder Pflichten verwandt zu sein; c. ein Alter von wenigstens 30 Jahren; d. wenigstens 2 Jahre auf einer Academie studirt zu haben; e. seit 5 Jahren zugeschworner Bürger zu seyn; f. den Bürgerconvent wenigstens 3 Jahre besucht zu haben; g. mit einem Aeltermann oder dem etwanigen andern Syndicus in keinem der bey

§ 84. Der oder die Syndiker des Collegii werden bey allen Zusammenkünften der Aeltermänner zugezogen, haben indeß nur ein votum consultativum. § 85. An Unterbeamten sind dem Collegio der Aeltermänner anzustellen gestattet: a. ein Schreiber und Schüttingshüter; b. ein Aufwärter und Bote. Auch können diese in einer Person vereinigt werden. § 86. Aus der Staatscasse genießt künftig in vierteljährigen ratis, jährlich:

Der Praeses des Collegii . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

300

Rthlr.

jeder Aeltermann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

200



der Worthalter der Bürgerschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

800



besondere Person besetzt wird . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

500



der Schreiber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

300



200



der Archivar der Bürgerschaft, wenn diese Stelle durch eine

der Aufwärter und Bote, wenn dieser in einer besondern Person statt findet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

§ 87. Noch werden Schreibmaterialien, Feurung und Licht, Baureparaturen und sonstige kleine Kosten vergütet. § 88. Die Aeltermänner und deren Syndici tragen bey feyerlichen Gelegenheiten eine ausgezeichnete, jedoch von der des Senats verschiedene Amtskleidung. Sie haben einen eigenen Kirchenstuhl. Sie haben den Civil-Rang künftig nach dem Senat, dem Venerando Ministerio und den Dompredigern, unbeschadet der Rechte derjenigen Individuen, welche ihnen gegenwärtig vorzutreten befugt sind, für deren Lebenszeit. Bey Processionen folgen sie dergestalt

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als ein geschlossenes Corps. In dem Collegio hat der Praeses den Vorrang, dann folgen die beyden der Wahl nach ältesten Aeltermänner, dann der Syndicus, auch, dafern deren zwey seyn sollten, beyde, und hierauf die übrigen Mitglieder des Collegii nach der Anciennität. § 89. Die Aeltermänner können nicht kaufmännische Assessoren des Obergerichts seyn; das Diaconat und der bürgerliche Militair-Dienst kann von ihnen abgelehnt und bey der Wahl ins Collegium aufgegeben werden. § 90. Die Aeltermänner haben als Col-

V ERFASSUNGSENTWURF FÜR B REMEN (1814) legium folgende Rechte, Befugnisse und Verpflichtungen:

α . Als ein bürgerliches Corps a. Zu dem Zweck, um auf die Erhaltung der Constitution von Seiten der Bürgerschaft zu achten, das Recht und die Befugniß, bey etwanigen notorischen Eingriffen in die Constitution von Seiten des Senats demselben desfalsige schriftliche bescheidene Vorstellungen zu machen, und wenn auf diese keine Beseitigung erfolgt, deshalb auf dem nächsten Convente, nach geschehener Discussion in der Vorbereitungs-Deputation, eine schriftliche Beschwerde in jedem Quartier der Bürgerschaft auf dem Convente zur Berathung bringen zu dürfen, auch wenn es sodann durch einen, wenigstens durch Einstimmung dreyer Kirchspiele erfolgten Bürgerschluß, dazu authorisirt werden sollte, bey den wahrscheinlich zu errichtenden Reichs-Instituten, Namens der Bürgerschaft, über den Senat Beschwerde führen zu mögen. Es versteht sich hiebey indeß von selbst, daß es dem Collegio unbenommen bleibt, bey etwanigen dasselbe speciel und in seinen besondern Verhältnissen treffenden Beeinträchtigungen, sein Recht als eine moralische Person im Staate auch ohne solche Autorisation bey der Behörde geltend zu machen. b. Die Befugniß, das Recht der Concipirung und des Vortrags des votum commune der Bürgerschaft auf den Bürgerconventen, durch einen seiner in Gegenwart der Bürgerschaft beeidigten Syndiker oder im Ermangelungsfalle, durch eines seiner Mitglieder ausüben zu lassen. c. Das Recht und die Verpflichtung die Acten der Verhandlungen zwischen Rath und Bürgerschaft in seinem Archive aufzubewahren, wobey es indessen gehalten ist, sowohl der versammelten Bürgerschaft als einzelnen Deputationen bey concerniren-

den Verhandlungen von demselben begehrte Actenstücke in vidimirten Abschriften vorzulegen. d. Das Recht in jeder von der Bürgerschaft zu ernennenden Deputation, worin sich 12 oder mehrere bürgerliche Deputirte befinden, 4 von den verschiedenen Quartieren zu ernennende Mitglieder aus seiner Mitte zu haben, und so verhältnismäßig bey Deputationen von 8 Bürgern 2 und von 4 Bürgern einen Deputirten aus seiner Mitte. Damit in den beyden letzten Fällen kein Streit darüber entstehe, von welchem Quartier ein Aeltermann gewählt werden solle, oder nicht, so gilt die Regel, daß in solchen Fällen die Quartiere ihre Wahl nach einander vornehmen, wobey sie die Befugniß haben, die geschehenen Wahlen einander anzeigen zu lassen. In dem Jahre 1815 wählt Unser Lieben Frauen Quartier zuerst, im Jahre 1816 St. Martini, im Jahre 1817 St. Ansgarii, im Jahre 1818 St. Stephani, und so weiter in dieser Ordnung und zufolge dieses Cyclus von 4 Jahren. Die zuletzt wählenden Quartiere haben immer auf die bereits geschehenen Wahlen Rücksicht zu nehmen, und werden dadurch genöthigt, entweder einen Aeltermann zu wählen oder nicht zu wählen. e. Das Recht über diejenigen bürgerlichen Angelegenheiten, welche einen Gegenstand der Bürgerconvents oder Deputations-Verhandlungen ausmachen, collegialisch berathen, und sich zu solchem Zweck von seinen Mitgliedern in den verschiedenen Deputationen von Zeit zu Zeit über die Verhandlungen derselben berichten lassen zu mögen, jedoch mit der ausdrücklichen Verpflichtung die Freyheit des Votirens jedes seiner Mitglieder sowohl als anderer Bürger, so wenig auf Bürgerconventen als in Deputationen, auf irgend eine Weise, sey es unmittelbar, oder mittelbar, zu beschränken. f. Die Befugniß in Gemäßheit solcher Berichte in dringenden dahin einschlagenden

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B REMEN bürgerlichen Angelegenheiten den Senat um die Ansetzung eines außerordentlichen Bürgerconvents ersuchen zu dürfen, wobey es indessen dem Senat überlassen bleibt, solcher Aufforderung zu willfahren und die empfohlnen Gegenstände auf einem außerordentlichen Bürgerconvente zum Vortrag zu bringen, oder auch solches zu unterlassen.

β . Als Aeltermänner der Kaufmannschaft oder CommerzCollegium § 91. a. Das Recht sich collegialisch über die Mittel der Beförderung des Flors des Handels und der Schifffahrt, über die dazu erforderlichen Hülfsanstalten, so wie über die besten Mittel etwanige diesem Flor entgegenstehende Hindernisse hinweg zu räumen, berathen zu dürfen. b. Die Befugniß über den Handel und die Schiffahrt betreffende Gegenstände vorab den Beyrath anderer einsichtsvoller Kaufleute einhohlen, und zu solchem Zwecke, Kaufmannconvente anstellen zu dürfen. c. Die Verpflichtung wesentlich erachtete Beförderungsmittel des Flors des Bremischen Handels und der Bremischen Schifffahrt, so wie gefährlich befundene Hindernisse derselben und deren Ursachen mittelst schriftlich einzureichender Promemorien dem Regierungs-Senate mitzutheilen, auch auf dessen Aufforderung über Handels- und Schifffahrts-Gegenstände ihr Gutachten abzugeben. d. Die Befugniß den Senat in dringenden Handlungs- und Schifffahrts-Angelegenheiten zur Ansetzung eines außerordentlichen Bürgerconvents ersuchen zu dürfen, wobey es indeß dem Ermessen des Senats überlassen bleibt, ob er solcher Aufforderung willfahren und die empfohlnen Gegenstände der Bürgerschaft in einem außerordentlichen Convente vorgetragen wolle oder nicht.

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e. Das Recht dem Justiz-Senate bey erforderlicher Wahl kaufmännischer Assessoren bey dem Obergerichte sechs einsichtsvolle und ausgezeichnete, mit den gehörigen Qualificationen (§. 58. d.) versehene Kaufleute der Börse zur Auswahl proponiren zu dürfen. § 92. Das bisherige Privilegium des Collegii der Aeltermänner die Verwaltung des Tonnen- und Bakenwesens betreffend, fällt weg, und wird solches künftig durch eine aus Rath und Bürgerschaft niederzusetzende gemeinschaftliche Deputation administrirt werden. § 93. Sämmtliche sonstige bisherige Prärogative des Collegii Seniorum werden in so fern sie nicht durch die gegenwärtigen Vereinbarungen zwischen Rath und Bürgerschaft modificirt werden, auf dies dergestalt erweiterte Collegium übertragen, und bleiben demselben vorbehalten. § 94. Namentlich behält das Collegium wie bisher so auch künftig den Gebrauch des Schüttings und dessen bisherige Bibliothek und Archiv, in welchen nach wie vor die sämmtlichen Verhandlungen zwischen Rath und Bürgerschaft aufzubewahren, und an welche auch einige Exemplare jeder vom Senat zu erlassenden Verordnung abzugeben sind. § 95. Jeder neugewählte Aeltermann leistet bey seinem Eintritt in das Collegium den nachstehenden Eid: Ich schwöre und gelobe zu Gott, daß ich des Hauses Schüttings getreulich wahrnehmen, dessen Sachen und Angelegenheiten auch competirende bürgerliche jura privilegia und Befugnisse, den im Jahre 1814 vereinbarten Abänderungen der Verfassung gemäß, in guter Verwahrung und Observanz, auch allewege in gebührlicher Verschwiegenheit halten, und der Commerzien Bestes, imgleichen alles dasjenige, was einem

V ERFASSUNGSENTWURF FÜR B REMEN (1814) redlichen aufrichtigen und getreuen Aeltermann von Gewohnheits- und Rechtswegen obliegt und geziemet, bey einem Hochweisen Rath mit gehörigem Respect befördern will. – Bey Wählung neuer Aelterleute meine Affecten bey Seite setzen und allemal nach meinem besten Verstande den nutzesten und geschicklichsten wählen, auch sonsten dem löblichen Herkommen des Hauses Schüttings in allewege gemäß leben. Im Fall, daß mir auf Bürgerconventen aufgetragen wird, das Geschäft des Bürgerworthalters zu übernehmen, will ich dabey genau und unpartheyisch verfahren, auch mich weder durch Vorliebe noch durch Abneigung leiten lassen, und sodann überhaupt die Pflichten des Bürgerworthalters genau erfüllen. – Alles dem einem Hochweisen Rathe und dieser Stadt geleisteten Bürgereide unabbrüchig, getreulich und ohne Gefährde. So wahr helfe mir Gott! § 96. Ein neuerwählter Syndicus der Aeltermänner hat einen Eid folgenden Inhalts zu leisten, welcher, da er zugleich Worthalter der Bürgerschaft ist, bey Gelegenheit des Bürgerconvents abzustatten ist: Ich schwöre und gelobe zu Gott! daß ich bey Abfassung der gemeinschaftlichen Abstimmung der Bürgerschaft genau und unpartheyisch verfahren, und mich dabey weder durch Vorliebe noch durch Abneigung leiten lassen will. Ich will auch die Bestimmungen, welche wegen des Geschäftsganges auf Bürgerconventen im Jahr 1814 festgesetzt sind, genau beobachten. Auch will ich das Archiv des Collegii der Aeltermänner in bürgerlichen Angelegenheiten so weit es mir aufgetragen ist, in Ordnung halten und die darin aufbewahrten Actenstücke der Convents-Verhandlungen und obrigkeitlichen Verordnungen der versammelten Bürgerschaft oder einzelnen Deputationen, wenn solche von dem Prae-

ses Collegii begehrt werden, pflichtmäßig in durch mich vidimirter Abschrift ohne Verzug verabfolgen. So wahr helfe mir Gott! Von Kaufmanns-Conventen § 97. Wenn das Collegium der Aeltermänner in seiner Eigenschaft als CommerzCollegium es erforderlich findet, sey es um in Handlugns- oder Schifffahrts-Angelegenheiten dem Senate gewisse Gegenstände zu empfehlen, dessen Aufmerksamkeit auf dieselben zu leiten, zweckmäßige Vorstellungen an denselben zu richten, oder ein Gutachten über dergleichen abzugeben, so hat es die Befugniß, darüber vorab die Meynung von einer Anzahl Bremischer Kaufleute der Börse zu vernehmen und den Beyrath derselben einhohlen zu dürfen. Diese Befugniß hat es auch, wenn es in kaufmännischen Angelegenheiten mit Sachkündigen sich zu berathen, oder diesen Mittheilungen zu machen wünscht. § 98. Es ist diese Anzahl auf 48 Personen bestimmt. § 99. Dieselben werden auf den MärzConventen eines jeden Jahres von ungerader Zahl von der daselbst versammelten Bürgerschaft auf 2 Jahre aus conventsmäßigen Mitgliedern der Kaufmannschaft erwählt, und zwar dergestalt, daß jedes Quartier derselben 12 durch Scrutinium ernennt, ohne dabey seine Wahl auf Mitglieder des nämlichen Quartiers beschränken zu dürfen. Zu diesem Zweck wählt zuerst U.L. Frauen Quartier, und sendet die Namen der von ihm gewählten 12 an St. Martini Quartier, dieses wählt noch 12 hinzu und schickt die Listen der 24 Gewählten an St. Ansgarii Quartier u.s.w. § 100. Nach Ablauf zweyer Jahre wird eine solche Wahl wiederholt, und steht es dabey der Bürgerschaft frey, dieselben Perso-

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B REMEN nen, wenn sie sich übrigens durch fortwährende Conventsfähigkeit noch dazu qualificiren, oder andere zu wählen. § 101. Die Namen der Gewählten werden dem Senate in einer Beylage zu dem Voto der Bürgerschaft in dem Convente, wo die Wahl geschehen, angezeigt, ohne daß es einer weitern Bestätigung derselben von Seiten des Senats, als mittelst der Erklärung: er finde diese Wahl constitutionsmäßig vollzogen, bedarf. § 102. Außer den gedachten 48 Kaufleuten hat das Collegium der Aeltermänner die Befugniß, in dem Falle, wo auf einem solchen Convente Angelegenheiten, die besonders die Schifffahrt betreffen, vorkommen sollten, noch 6 einsichtsvolle Bremische Seeschiffer nach seiner Auswahl mit auf den Kaufmanns-Convent laden zu dürfen. § 103. Eine gleiche Befugniß hat das Collegium, noch 6 Bürger, die unter obigen 48 Deputirten nicht begriffen sind, zu einem Kaufmanns-Convente einzuladen, wenn es solche wegen vorstehender Berathungen über einen gewissen Zweig der Handlung, worüber es detaillirtere Auskunft von Erfahrenen und Sachverständigen wünscht, rathsam erachten sollte. § 104. Auf den, auf dem Schütting zu haltenden Kaufmanns-Conventen theilt das Collegium den einige Tage vorher dazu eingeladenen Deputirten der Kaufmannschaft seinen Antrag oder Anfrage mündlich und schriftlich mit. Die Deputirten der Kaufmannschaft berathen sich darüber in einem besondern Zimmer, und überbringen sodann dem Collegio ihre Antwort oder ihr Gutachten mittelst Verlesung eines dem Collegio schriftlich zu hinterlassenden Aufsatzes. § 105. Zur Berathung gewisser Gegenstände kann auch temporär eine Deputati-

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on von Aeltermännern und Deputirten der Kaufmannschaft niedergesetzt werden, die aber in jedem Fall bey der nächsten Ernennung der Deputirten der Kaufmannschaft auf dem Convente aufgelößt wird. § 106. Bürgerliche Angelegenheiten dürfen auf den Kaufmanns-Conventen durchaus nicht verhandelt, auch die Freyheit des Votums der auf einem Kaufmanns-Convent Anwesenden auf keine Weise im Voraus beschränkt werden, falls die dort verhandelten Gegenstände vielleicht späterhin Gegenstände der Verhandlungen zwischen Rath und Bürgerschaft werden sollten.

II. Uebrige Bürger aus dem Gelehrtenstande, der Kaufmannschaft, den Aemtern und sonst § 107. Conventsfähig sind, und zwar so, daß sie auch dann wenn sie im Fall der besondren Einladung aus Versehen übergangen seyn sollten, sich einfinden dürfen, der Regel nach alle hiesige zugeschworne, in der Alt- Neu- oder Vorstadt wohnende Bürger, welche zu einer der folgenden Cathegorien gehören und in die Liste der conventsfähigen Personen eingetragen sind: a. Die graduirten Gelehrten weltlichen Standes, mit Ausnahme der Schullehrer; b. die sämmtlichen Mitglieder des Collegii der Aeltermänner; c. die weltlichen fungirenden Diaconen und abgegangenen Diaconen aller Confessionen, so wie die bürgerlichen Bauherren; d. der Chef, die Bataillons- und Compagnie-Chefs der Bürgergarde; e. alle diejenigen, welche entweder 3000 Rthlr. im Vermögen haben und daneben das große Bürgerrecht besitzen, oder ohne das letztere wenigstens 6000 Rthlr. im Vermögen haben, und den einen oder andern Vermögensstand auf Erfordern eidlich zu bestärken im Stande sind.

V ERFASSUNGSENTWURF FÜR B REMEN (1814) § 108. Um durch die vorstehende Verfügung die Zunftgenossen von den Verhandlungen auf dem Convent nicht auszuschließen, soll, wenn es sich findet, daß auf den Listen der conventsfähigen Personen in einem Quartiere nicht zehn Conventsfähige aus den Aemtern und Societäten (das Kramer-Amt ungerechnet) befindlich sind, der Regierungs-Senat die Befugniß haben, die an jener Zahl von zehn fehlenden nach seiner Auswahl aus den Amts- und SocietätsMitgliedern dieses Quartiers hinzu zu laden.

§ 109. Nicht conventsfähig sind, auch wenn sie zu der einen oder andern der in den beyden vorhergehenden §§. bemerkten Personen gehören: a. Alle die nicht 25 Jahre vollendet haben; b. nicht geborne Bremer binnen den nächsten drey, und geborne Bremer binnen dem nächsten Jahre nachdem sie den Bürgereid geleistet haben; c. alle vom Staate angestellte und besoldete Beamten, auch die Prediger und die Lehrer an den öffentlichen Schulen; d. alle über deren Vermögen der Concurs ausgebrochen, oder bey geschehener Anzeige der Insolvenz ein Accordsverfahren gerichtlich oder außergerichtlich eingeleitet ist, mithin auch diejenigen, welche ihre Insolvenz außergerichtlich ihren Gläubigern angezeigt oder unter der Hand accordirt haben, so lange sie nicht darthun, ihre Gläubiger zum vollen befriedigt zu haben; e. alle welche eines Verbrechens halber zur Untersuchung und Bestrafung gezogen sind; f. alle welche, weil sie nicht im Stande sich befinden, ihr Vermögen selbst zu verwalten, unter Curatel stehen. Desends, damit kein Verstoß gegen die drey letzten Puncte gemacht werde, theilt das Justiz-Collegium dem Regierungs-Collegio halbjährig eine Liste der unter einer

jeden jener Cathegorien befindlichen Personen mit. § 110. Rath und Bürgerschaft können nach vorgängiger Untersuchung, durch einen gemeinschaftlichen Beschluß, jeden Bürger, aus ihrer Beurtheilung unterliegenden triftigen Gründen, oder wegen bewiesenen ungebührlichen Benehmens, auf längere oder kürzere Zeit für unfähig erklären, den Bürger-Conventen beyzuwohnen und ihn von selbigen ausschließen. § 111. Bey der Regierung wird eine Liste sämmtlicher Bürger-Convents fähiger Personen eröffnet. Jeder der die Befugniß zu haben glaubt, nach den oben angeführten Grundsätzen zu den Bürger-Conventen eingeladen zu werden muß unter Vorzeigung seines Bürgerzettels seinen Namen auf dieser Liste bey der Regierung eintragen lassen. Die Liste wird von der Vorbereitungs-Deputation (§. 135.) revidirt.

β . Form der Berathungen a. Bürger-Convents-Ordnung § 112. Alle Gegenstände, welche zu den gemeinschaftlichen Attributionen von Rath und Bürgerschaft (§. 154. seq.) gehören und einer gemeinschaftlichen Berathung bedürfen, müssen von dem Senat auf den BürgerConvent gebracht werden, jedoch vorbehältlich der Rechte der Bürgerschaft und jedes einzelnen Bürgers, Anträge auf den Conventen zu machen, wie solches im Abschnitt von der Vorbereitungs-Deputation (§. 135. seq.) näher bestimmt ist. § 113. Die Einladung geschieht Namens des Regierungs-Senats der Regel nach durch eine öffentliche Bekanntmachung, in eiligen und unvorhergesehenen Fällen aber durch den Präsidenten des Regierungs-Senats an die conventsfähigen Personen.

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B REMEN § 114. Jedes Mitglied der Bürgerschaft hat sich in anständiger schwarzer Kleidung einzufinden. § 115. Auf dem Convent vertheilen sich nach angehörter Proposition des Senats die erschienenen Bürger je nach ihrem Wohnort in den 4 Stadtquartieren der Altstadt. Die Neustädter schließen sich vor der Hand zur Hälfte, die nemlich östlich der Allee wohnenden, an St. Martini, zur andern Hälfte, somit die westlich der Allee wohnenden, aber an St. Stephani Quartier an. Von den erscheinenden qualificirten vorstädtischen Bürgern gehören die östlich des Heerdenthors-Steinweges wohnenden zu Unserer Lieben Frauen, die westlich desselben wohnenden zu St. Ansgarii Quartier. § 116. Alsdann wird in jedem Quartier von den Anwesenden einer derselben zum Concipienten des gemeinschaftlichen Voti durch Mehrheit der Stimmen gewählt. § 117. Der erwählte Concipient präsidirt das Quartier, sammelt die Stimmen und hält auf Ordnung. § 118. Bey der Berathung wird mit den Anträgen des Senats der Anfang gemacht, und solche zuerst verlesen zur Umfrage gebracht und die desfalsigen Beschlüsse gefaßt und protocollirt. Erst nachdem dieses geschehen, werden die von Seiten der Bürgerschaft zur Proposition gebrachten Anträge discutirt. § 119. Das Votiren auf den Bürger-Conventen geschieht von den persönlich Erscheinenden nach dem jetzt oder künftig ihnen gebührenden Civil-Rang. § 120. Die jetzigen Doctores Juris nicht aber Doctores Philosophiae, Licentiaten und Baccalaureen, welche als solche legitimirt sind, oder sich bis zur Annahme dieser Vorschläge durch Rath und Bürgerschaft, bey dem Senat als solche legitimiren werden, haben so wie auch die Physici auf den

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Bürger-Conventen den Vorsitz und das erste Votum in ihren Kirchspielen, wie ihnen denn auch das Vorrecht die Diaconie falls sie dazu gewählt werden sollten, abzulehnen gebührt. § 121. Künftige Doctoren der Rechte und künftige Physici erhalten auf den Conventen erst nach dem Collegio der Aeltermänner Sitz und Stimme. Uebrigens können jene Doctoren der Rechte nur wenn sie über 30 Jahre alt sind, das Diaconie-Amt ablehnen, die Physici aber wie alle jetzige und künftige Doctores medicinae sind nach wie vor davon befreyt. § 122. An den Berathungen kann keiner theilnehmen, der nicht bey der Verlesung der Proposition gegenwärtig gewesen. Auch darf sich niemand ohne specielle Erlaubniß des Präsidenten des RegierungsSenats entfernen. § 123. Die Berathungen in den einzelnen Quartieren und die Concipirung der Beschlüsse derselben geschehen abgesondert von den übrigen Quartieren und Concipienten. § 124. Jedes nach erfolgter Verlesung genehmigte Votum des Quartiers wird durch den Concipienten und ein zweytes Mitglied des Quartiers unterschrieben, und dem bürgerlichen Worthalter gebracht, welcher aus allen ein gemeinschaftliches Votum verfaßt. § 125. Der älteste Syndicus des Collegii der Aeltermänner ist Worthalter der Bürgerschaft, in welchem Geschäft er in Krankheits- oder Abwesenheitsfällen durch seinen etwanigen Collegen vertreten wird, und wenn auch dieser fehlet, durch den Praeses oder durch ein anderes Mitglied des Collegii der Aeltermänner. § 126. Wenn der Worthalter der Bürgerschaft mit dem gemeinschaftlichen Voto fertig ist, so stellen sich die 4 Concipienten der Quartiere neben ihn, jeder von ihnen

V ERFASSUNGSENTWURF FÜR B REMEN (1814) verlieset nach der Reihe vor der ganzen versammelten Bürgerschaft das Votum seines Quartiers, der Worthalter lieset dann das von ihm verfaßte allgemeine Votum vor, ändert solches, sofern er sich geirrt haben sollte, und trägt nach erfolgter Genehmigung es dem Senate, vor welchem er mit der Bürgerschaft erscheint, im Namen derselben, vor. § 127. Wenn über einen Gegenstand, den der Senat in seiner Proposition dreymal zur Discussion gebracht, einander gegenüber stehende Vota paria statt finden, ernennt jedes Quartier 2 Personen aus seiner Mitte, welche sämmtlich besonders unter sich zusammentreten das Für und Wider unter sich discutiren, die verschiedenen Meynungen der Quartiere, das ist die Streitfrage und Streitsätze, von denen nur einer würde angenommen werden können, festsetzen, worauf denn über die verschiedenen Ansichten von ihnen und zwar von jeden 2 Deputirten in dem resp. Quartier berichtet wird. Hier wird dann nochmals darüber gestimmt, und wenn auch dann wieder Parität der Quartiere Statt findet, so daß kein Bürgerschluß zu Stande kommt, werden in jedem Quartier die einzelnen Stimmen notirt und das desfalsige Protocoll an den BürgerWorthalter gebracht, der dann unter Zuziehung der vier Concipienten die Majorität nach der Zahl der einzelnen Stimmen ausmittelt und das Resultat als Bürgerschluß proclamirt. Bey mehr wie zwey verschiedenen Meynungen aber ist eine nochmalige Abstimmung zur Erlangung einer absoluten Mehrheit für die eine beyder Meynungen, welche die meisten Stimmen für sich gehabt haben, zu veranlassen. § 128. Neu von Seiten der Bürgerschaft vorgebrachte, in der Proposition des Senats nicht befaßte Gegenstände, können in Gemäßheit eines desfalsigen QuartierBeschlusses durch zwey Deputirte solches

Quartiers den andern Quartieren zur Deliberation empfohlen werden. Sonstige Communicationen unter den Quartieren dürfen nicht Statt finden, nur bey Verlesung des Votum commune treten solche wie oben bemerkt zusammen. § 129. Alle Wahlen bürgerlicher Deputirte auf den Bürger-Conventen geschehen per scrutinium, sobald wenigstens ein Drittheil der anwesenden Mitglieder eines Quartiers solches begehrt, in welcher Hinsicht deshalb vor jeder Wahl durch den Concipienten jedes Quartiers eine ausdrückliche Anfrage geschehen muß. § 130. Nach angehörter Antwort der Bürgerschaft deliberirt der Senat über deren Inhalt und läßt den Umständen nach die Bürgerschaft entweder aufs neue in den Quartieren zusammentreten, oder entläßt solche. Mittelst solcher Entlassung geht die Bürgerschaft auseinander und der Bürger-Convent ist beendigt. § 131. Die Anträge des Senats werden Namens desselben, die der Bürgerschaft vom Worthalter unterschrieben. § 132. Es sollen jährlich vier feste BürgerConvente gehalten werden, um auch der Bürgerschaft wenigstens viermal im Jahre Gelegenheit zu geben, die Iniative in der Gesetzgebung ergreifen, und dergestalt das öffentliche Wohl betreffende Gegenstände zur Sprache bringen zu können. § 133. Der Senat ist verpflichtet, diese Convente jährlich zwischen dem 15ten und 31sten März, zwischen dem 15ten und 30sten Junius, zwischen dem 15ten und 30sten September und zwischen dem 15ten und 31sten December inclusive anzusetzen. § 134. Ausserdem kann der Senat Bürger-Convente zusamenrufen, so oft er es wichtiger Angelegenheiten halber für nöthig

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B REMEN findet. Auch auf diesen außerordentlichen Conventen können einzelne Bürger auf die verfassungsmäßige Weise Anträge machen. b. Von der vorbereitenden Deputation § 135. Diese Deputation hat den Zweck durch eine Vorbereitung der auf den BürgerConventen vorkommenden Gegenstände den Geschäfts-Gang der Convente zu vereinfachen und zu erleichtern. § 136. Es ist dieselbe constitutionell und permanent. § 137. Sie besteht aus 2 Mitgliedern des Regierungs-Senats und aus 20 Mitgliedern der Bürgerschaft, zusamen also aus 22 Personen. § 138. Der Regierungs-Senat ernennt seine Mitglieder. § 139. Die Mitglieder der Bürgerschaft bestehen aus vier Aeltermännern und sechszehn sonstigen Bürgern. § 140. Jedes der vier Quartiere ernennt deren 5 wovon 3 und unter diesen ein Aeltermann aus dem Quartiere selbst seyn müssen, die übrigen zwey aber von dem Quartier beliebigst aus seiner Mitte oder aus sonstigen Convents-Bürgern gewählt werden können. § 141. Jährlich bey dem März-Convente gehen vier Deputirte der Bürgerschaft, und zwar von den, von jedem Quartier gewählten, einer ab, welches, bis die Anciennität durch eine Reihefolge von 5 Jahren sich von selbst ergeben hat, mit dem an Jahren ältesten von einem jeden Quartier gewählten Mitgliede der Fall ist. An die Stelle desselben wird sofort von dem Quartier, welches den abgegangenen gewählt hatte, ein anderer ernannt. Dasselbe ist der Fall, wenn jemand durch Tod oder auf sonstige Weise austreten sollte, und zwar immer in dem nächsten auf solchen Abgang folgenden Convente.

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Der in letzterem Fall Neugewählte tritt in die Anciennität des Abgegangenen und geht daher ab, wenn dieser der gewöhnlichen Ordnung nach hätte abgehen müssen. Bey den Wahlen wird darauf Rücksicht genommen, die durch Umziehen und sonstigen Abgang etwa unterbrochene Ordnung, nach welcher in jedem Quartier drey Mitglieder der Deputation und unter diesen ein Aeltermann wohnhaft seyn müssen, wieder herzustellen. § 142. Ein abgegangener Deputirter kann erst nach einem Jahre wieder erwählt werden. § 143. Der Senat sowohl als auch jeder conventsfähiger Bürger der einen Gegenstand auf einen der constitutuionsmäßigen Quartal-Convente zur Proposition zu bringen wünscht, welches auch letztern der Verfassung gemäß unbenommen bleibt, ist jedoch verpflichtet den wesentlichen Inhalt solchen Vortrags dem Chef der Deputation vor dem 10ten solchen Convents-Monats schriftlich in duplo einzureichen, wovon dieser ein Exemplar dem ältesten Mitgliede des Collegii Seniorum in der Deputation zusendet. § 144. Der gedachte Chef der Deputation ist verpflichtet, dieselbe spätestens am 11ten des gedachten Convents-Monats, und wenn solcher Tag auf einen Sonntag trift, am folgenden Tage zu versammeln, und ihr sowohl alle ihm von conventsfähigen Bürgern gewordene Eingaben, als auch das, was der Senat auf den nächsten Convent zu proponiren willens ist, mitzutheilen. § 145. Ueber jeden vorgetragenen Gegenstand hat jedes Mitglied der Deputation das Recht in einer zwiefachen Abstimmung seine Meynung zu äußern. § 146. Sollte die erste Versammlung nicht ausreichen, um dergestalt alle auf dem Convente zu berührende Gegenstände zu erwä-

V ERFASSUNGSENTWURF FÜR B REMEN (1814) gen, und die verschiedenen desfalsigen Ansichten auszutauschen, so wird an den folgenden Tagen damit fortgefahren, oder die Einladung auf den Convent durchs Wochenblatt oder mittelst Herumschickens erfolgt erst wenn die Deliberationen geendigt sind, auf jeden Fall indeß so, daß der Convent vor Ablauf des Monats gehalten werden kann. § 147. Bey außerordentlichen Conventen werden die von dem Senate auf denselben vorzutragenden Gegenstände ebenfalls vor der Vorbereitungs-Deputation vorab discutirt, und nicht minder werden derselben alle seit dem letzten Quartal-Conventen eingegangenen Propositionen einzelner conventsfähigen Mitglieder der Bürgerschaft vorgelegt, um auch von diesen soviel discutiren zu können, als die Zeit es irgend erlaubt. Der Tag der Discussion wird auch hier so früh wie möglich angesetzt, und die Mittheilung dessen was der Senat proponiren will, geschieht an den ältesten Aeltermann der Deputation, wo irgend möglich, spätestens am Tage vor der Discussion. § 148. In der Versammlung der Vorbereitungs-Deputation werden keine Beschlüsse gefaßt. Es wird zwar ein von beyden Seiten zu unterzeichnendes Protocoll geführt, welches jedoch nichts mehr als ein Verzeichnis der in Berathung gezogenen Gegenstände enthält. Es soll jedem Mitgliede durch die Discussion nur ein Mittel gegeben werden, sich auf die Convents-Verhandlungen vorzubereiten, seine Ansichten durch die Ansichten anderer zu berichtigen und behält ein jeder seiner Aeußerungen in der Deputation unbeschadet, volle Freyheit sein Votum auf dem Bürger-Convente nach seiner Ueberzeugung abzugeben. Von dem Verzeichniß der discutirten Gegenstände wird dem ältesten Aeltermann der Deputation eine Abschrift mitgetheit. § 149. Sollte jemand an einen bereits von der Vorbereitungs-Deputation discutirten

Vorschlags-Projecte noch etwas unwesentliches abzuändern, oder solches ganz zurückzunehmen wünschen, so hat er solches dem vorsitzenden Mitgliede der Deputation spätestens am Vormittage des dem BürgerConvente vorhergehenden Tages schriftlich und eventualiter unter schriftlicher Angabe seiner Abänderung in duplo einzugeben, wovon dem ältesten Aeltermann der Deputation sofort ein Exemplar zugesandt wird. § 150. Am Abend dieses Tages wird die Deputation solchenfalls noch einmal versammelt, um diesen Angaben gemäß das Verzeichniß der auf den Conventen zu verhandelnden Gegenstände zu revidiren, und sich dieselben bey dieser Gelegenheit ins Gedächtniß zurückzurufen; die Mittheilung der Abschrift dieses revidirten Verzeichnisses an den ältesten Aeltermann der Deputation erfolgt sofort nach Beendigung der Zusammenkunft. § 151. Auf den Bürger-Conventen werden die in jedem Quartier anwesenden Mitglieder der Vorbereitungs-Deputation von dem Concipienten bey Eröffnung der Discussion über einen Gegenstand, sey es, daß derselbe in der Proposition des Senats befaßt sey, oder von einem Bürger dem Quartiere vorgetragen werde, blos befragt, ob ihnen dieser Gegenstand in der VorbereitungsDeputation zur Discussion mitgetheilt worden. Wird dieses bejahet, so wird derselbe als deliberationsfähig betrachtet und zur Discussion gebracht, wobey die Mitglieder der Deputation nur in ihrer Ordnung votiren. Blos auf ausdrückliches Begehren des Quartiers ist es ihnen, und zwar jedem von ihnen einzeln verstattet, ihre Ansicht über denselben vor Eröffnung der ordnungsmäßigen Discussion zu äußern, wobey es ihnen jedoch ausdrücklich untersagt ist, sich darüber zu erklären, für welche Ansicht sich der größere Theil der Mitglieder der Deputation zu bestimmen geschienen habe.

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B REMEN § 152. Kommt auf einem Bürger-Convente, sey es von Seiten des Senats oder von Seiten der Bürgerschaft, ein Gegenstand zum Vortrage, von dem es sich ergiebt, daß er noch nicht von der Vorbereitungs-Deputation discutirt worden, so darf die ordnungsmäßige Discussion darüber erst auf dem nächsten Bürger-Convente nach zuvor statt gefundener Discussion desselben in der Vorbereitungs-Deputation geschehen. § 153. Die von der Regierung aufzunehmende Liste der bürgerconventsfähigen Personen (§. 135.) wird von der Vorbereitungs-Deputation revidirt.

C Attributionen

α . Von Rath und Bürgerschaft gemeinschaftlich § 154. Die Hoheit wird von Rath und Bürgerschaft gemeinschaftlich in Hinsicht folgender Gegenstände ausgeübt: a. Die Civil- und Criminal-Gesetzgebung; b. die Bestimmung und Festsetzung der Staats-Ausgaben; c. die Deckung derselben durch öffentliche Abgaben und die Bestimmung der Art, der Größe, der Dauer, der Vertheilung und der Erhebungsweise derselben, so wie Bewilligung des Erlasses oder der Moderation in bestimmten Fällen. Zu letzteren Zwecken wird eine Reclamations-Deputation niedergesetzt, welche aus 4 Mitgliedern des Senats und aus 4 Mitgliedern der Bürgerschaft besteht. Letztere werden auf den Conventen und zwar aus jedem Quartier einer erwählt, und auf die gewissenhafte Erfüllung ihrer Pflicht beeidigt. Von den Mitgliedern der Deputation geht jährlich einer aus dem Senat und einer aus der Bürgerschaft ab, deren Stelle sofort wieder durch ein anderes Mitglied ersetzt wird.

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Reclamationen wegen Erlaß oder Moderation von Steuern und Abgaben werden vor diese Deputation gebracht, welche definitif darüber entscheidet. Sie ist befugt von denjenigen Deputationen und Behörden, welche die Taxation wegen Entrichtung einzelner Abgaben vorgenommen, Bericht zu begehren, und dieselben vorkommenden Umständen nach aufzufordern, durch einzelne Mitglieder ihren Sitzungen beyzuwohnen. d. Die Verwaltung der Central-Casse und der Commünal-Güter. In diese Central-Casse fließen alle öffentliche Abgaben und der Ertrag aller Commünal-Güter, unbeschadet der für einzelne Gegenstände festgesetzten besondern Rechnungsführung und Verwendung. e. Die Güter öffentlicher frommer Stiftungen gehören zwar nicht zu den CommünalGütern, sind aber nichts desto weniger der gemeinschaftlichen Verwaltung von Rath und Bürgerschaft unterworfen. f. Die Zuziehung der bey einer gemeinschaftlichen Deputation angestellten bürgerlichen Deputirten bey der RechnungsAblage über die Verwaltungsgegenstände solcher Deputation. g. Die Veräußerungen von Staatsgütern. h. Die Bestimmung der Anzahl der wehrund streitfähig zu erhaltenden bewaffneten Macht, so wie der Gebrauch derselben gegen Auswärtige, in so fern desfalsige Reichsgesetze nicht schon etwas entscheiden. i. Die Aufnahme auswärtiger Truppen in andern als in den, durch die Reichsgesetze zu bestimmenden Fällen. k. Die Ratification von Tractaten mit Auswärtigen, in so fern einzugehende Verbindlichkeiten, Aufgebung bisheriger Rechte des Staats oder Theiles des Staatsguts, oder Gegenstände, welche auf die innere Verfassung Einfluß haben, dabey in Frage kommen. l. Die Festsetzung der Grundsätze, die

V ERFASSUNGSENTWURF FÜR B REMEN (1814) bey der Aufnahme Fremder zu Bürgern zu beobachten sind. m. Die Festsetzung der Grundsätze, wonach Monopole und Privilegien vom Senat zu ertheilen sind. n. Die Revision und Verbesserung einzelner Theile der Verfassung.

β . Rechte und Befugnisse der im Convente versammelten Bürgerschaft § 155. Die Befugniß auf die in der Constitution vorgeschriebene Weise über alle zu den gemeinschaftlichen Attributionen von Rath und Bürgerschaft gehörigen Gegenstände berathen und Anträge an den Senat, so wie Beantwortungen der Anträge desselben beschliessen zu dürfen. § 156. Das Recht um Behuf der Berathung, Ausführung und Verwaltung von Angelegenheiten, welche der Verfassung gemäß einen Gegenstand solcher gemeinschaftlichen Verhandlungen ausmachen, und in Ansehung derer nicht eine besondere Verfahrungsweise vorschriftsmäßig statt findet, neben den deshalb von dem Senat zu ernennden Commissarien aus ihrer Mitte eine Anzahl von Deputirten ernennen und bey deren etwanigen Abgange ergänzen zu dürfen, welche Zahl indeß die von 20 Personen nicht überschreiten darf. § 157. Das Recht die Deputirten zu den Kaufmanns-Conventen (§. 97. seq.) auf die §. 99. 100. vorgeschriebene Weise alle 2 Jahre ernennen zu dürfen. § 158. Das Recht das Collegium der Aeltermänner in Gemäßheit der Verfassung zu einer Beschwerde über den Senat bey den wahrscheinlich zu etablirenden desfalsigen Reichsbehörden autorisiren zu dürfen. § 159. Die Befugniß Anträge auf Zurücknahme oder Modification von dem Senat erlassener Polizey-Verordnungen machen zu können.

γ . Rang-Ordnung § 160. Bey Processionen und sonstigen feyerlichen Gelegenheiten ist die Rangordnung von nun an, nachfolgend bestimmt: a. Der Senat; b. die bey der Annahme dieser Vorschläge vorhandenen Doctores juris und Physici, so wie die mit selbigen gleichen Rang habenden Personen; c. das Ministerium und die Dompastoren; d. die beyden jetzigen Obergerichts-Secretaire so lange sie dieses Amt bekleiden; e. das Collegium der Aeltermänner; f. die künftigen Doctoren und Gelehrte, Classenweise, nemlich: 1. Doctores Theologiae die nicht im Ministerio auch keine Dompastoren sind; 2. Doctores juris und künftige Physici; 3. Doctores Medicinae; 4. Doctores Philosophiae, Rectores, Professores und übrige Gelehrte; 5. Secretarii falls sie keine Doctoren sind, und zwar: α . der oder die Regierungs-Secretaire, β . die Obergerichts-Secretaire, γ . der Untercivil-Gerichts-Secretair, δ . der Untercriminal-Gerichts-Secretair, ε . der Gehülfs-Secretair, g. die übrige Bürgerschaft. § 161. Bey solchen Gelegenheiten und überhaupt bey Amts-Verrichtungen tragen die Mitglieder des Senats eine ausgezeichnete Amtskleidung, welche kein anderes Corps im Staate mit ihnen theilen darf. Eine andere ausgezeichnete Kleidung ist zu bestimmen: für die Mitglieder des Collegii Seniorum und deren Syndiker; für den Archivar und den Amtmann zu Vegesack; für die Secretaire des Regierungs- und Justiz-Senats.

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B REMEN D Allgemeine Rechte und Verpflichtungen aller Bürger § 162. Es ist ein jeder Bürger, sofern er sonst die erforderlichen Qualificationen besitzt, zu allen Aemtern im Staate fähig. § 163. Jeder Bürger ist dem bürgerlichen Militairdienst unterworfen, sofern nicht, mittelst der bestehenden Anordnungen, eine Befreyung in Hinsicht seiner eintritt. § 164. Angehörige dieser Stadt können so wenig durch fremde Aufträge, als durch fremde Titel oder durch den Adel irgend einige Befreyungen oder Vorzüge vor Andern, welcher Art dieselben auch seyn mögen, reell oder personell erlangen können. Die Annahme solcher Aufträge, Chargen, Aemter oder Würden können so wenig als sonstige Verhältnisse, worin Angehörige der Stadt gegen fremde Regierungen treten, ihre eidlich bekräftigte Verpflichtung, das Wohl unsers Staats zu befördern und allen Nachtheil desselben abzuwenden, verändern oder beschränken; es ist ihnen daher auch nicht erlaubt, um, sey es durch Weigerung, Anmaaßung, Aufforderung fremder Regierungen, oder wie es sonst offenbar oder heimlich geschehen möchte, zu veranlassen, daß die letzteren für sie einige Vorrechte begehren. Eben daher sollen auch in allen von Staatswegen veranstalteten Druck- und andern Schriften den hiesigen Bürgern oder Angehörigen nie einige Prädicate, die sich auf Adel, fremde Titel, Würden, Aemter und Bedienungen beziehen, gegeben werden, sofern nicht von einer, lediglich ein solches fremdes Amt oder Bedienung betreffenden Angelegenheit die Rede ist. § 165. Jeder conventsfähige Bürger ist unter folgenden Modificationen gehalten, die ihn etwa treffende Wahl zum Mitgliede von Deputationen anzunehmen:

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a. Wer schon bey drey Deputationen angestellt ist und zu einer vierten gewählt wird, hat die Befugniß, deshalb bey dem Regierungs-Senat zu reclamiren, welchem nach zugelegter Untersuchung das Recht zusteht, den Reclamanten von solcher vierten Deputation dispensiren zu können. b. Wer 5 Jahre bey einer und derselben Deputation gewesen ist, kann seine Entlassung von derselben begehren, darf indeß die Wahl zu einer andern Deputation, wenn er nicht schon bey einer für hinreichend erkannten Anzahl von Deputationen außerdem angestellt ist, nicht ablehnen. c. Wer über 60 Jahr alt ist, kann die Wahl zu Deputationen ablehnen. § 166. Von jedem Bürger ist bey der Aufnahme der Bürgereid abzuleisten. Dieser ist in Beziehung auf die gegenwärtige Modification der Verfassung nachstehend revidirt: Ich will dem Rath gehorsam seyn, und nimmer gegen den Rath thun, auch in allen Nöthen und Gefahren, so dieser guten Stadt nun oder künftig bevorstehn und begegnen möchten, dem Rath, auch gemeiner Stadt und Bürgerschaft treu und hold seyn. Ich will zu keinem Aufruhre Ursache geben, noch mich dazu gesellen, sondern wo ich Aufruhr oder heimliche Anschläge gegen diese gute Stadt erfahre, will ich es dem Rathe treulich melden. Ich will halten Tafel und Buch mit der neuen aufgerichteten Eintracht, wie sie der Rath und die ganze Gemeinheit beschworen haben, sofern sie nicht durch den Rathund Bürgerschluß über die Verbesserung der Verfassung im Jahre 1814 abgeändert sind, so wie auch alles, was hierin vereinbart worden. Accise, Schoß und Consumtion, wie alle übrige jetzt und künftig bestehende Auflagen, will ich gewissenhaft entrichten. Meine Dienstpflichten als Wehrmann will ich getreu erfüllen, und Wehr- und Waffen

V ERFASSUNGSENTWURF FÜR B REMEN (1814) gut bewahren und erhalten, bis ich vom Waffendienste frey werde. Des Raths und unseres Freystaats Bestes will ich zu befördern und Schaden und Nachtheil von ihnen zu wehren suchen. So wahr helfe mir Gott!

III

che Eigenthum geschieht durch Rath und Bürgerschaft gemeinschaftlich. § 169. Alle Einnahmen des Staats, keine ausgeschlossen, als die unter §. 170. bezeichneten, fliessen in eine gemeinschaftliche Kasse; alle Ausgaben des Staats werden daraus bestritten.

Von der Repräsentation des Gebiets § 167. Den Bewohnern des Gebiets der Stadt Bremen ist ein constitutioneller Antheil an den auch sie mit betreffenden Gesetzgebungs- und Besteurungswesen des Bremischen Staats in dem Maaße zuzustehen, daß vor der Hand und bis dahin, daß dieselben einen noch directeren Antheil an den Staats-Verhandlungen zu nehmen, hinreichend cultivirt erachtet werden sollten, so oft von jenen Bürger und Landleute gemeinschaftlich betreffenden Gegenständen die Rede ist, einige von dem Senate auszumittelnde Deputirte der Bewohner des Gebiets, worunter die Hälfte aus den jedesmaligen Landgeschwornen zu wählen, von Commissarien des Senats über die auch das Gebiet betreffenden Gesetze, Steueranlegungen und Vertheilungen der auf das Gebiet fallenden Quoten, gehört werden sollen, worauf der Senat die etwanigen Erinnerungen und Bemerkungen der Landleute mit seiner Ansicht begleitet auf den Convent bringt. Nicht minder soll den Bewohnern des Gebiets eine jährlich wiederhohlte ausdrückliche Veranlassung dargeboten werden, einer solchen Commission des Senats ihre Wünsche, Anträge und Beschwerden in Betreff der öffentlichen Angelegenheiten vorzubringen.

IV Von der Finanz-Verwaltung

A Des Staats-Vermögens a. Allgemeine Grundsätze § 168. Die Disposition über das öffentli-

§ 170. Die Einnahmen der Kirchen, der Schulen und der milden Stiftungen sind hiervon ausgenommen. § 171. Am Ende jeden Jahres wird ein Budget über die Einnahmen und Ausgaben des folgenden Jahres verfertigt und von Rath und Bürgerschaft genehmigt. § 172. Eine gemeinschaftliche Deputation führt die Aufsicht über die öffentlichen Einnahmen, die Generalcasse und die Verfertigung und Ausführung des Budgets. Sie heißt die Finanz-Deputation. b. Von der Disposition über das StaatsVermögen § 173. Das Budget bestimmt die Verwendung der ordentlichen und vorherzusehenden Einnahmen des Staats zu den ordentlichen und vorherzusehenden Ausgaben desselben. § 174. Ueber den für jeden Zweig der Ausgabe angewiesenen Fond disponirt die Verwaltungs-Behörde, welcher solche anvertraut ist. Jedoch darf sie den angewiesenen Fond nicht überschreiten und muß sich auch nach den dem Budget beygefügten Kosten-Anschlägen und besonderen Vorschriften richten. § 175. Die Finanz-Deputation disponirt über den im Budget enthaltenen Fond für unvorhergesehene Ausgaben, sofern eine solche Ausgabe nicht 500 Rthlr. übersteigt. Größere unvorhergesehene Ausgaben müssen von Rath und Bürgerschaft besonders

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B REMEN genehmigt und wenn der Fond für unvorhergesehene Ausgaben dazu nicht hinreicht, durch eigene Hülfsmittel gedeckt werden. § 176. Der Senat disponirt über einen besondern Fond des Budgets, ohne Communication mit der Finanz-Deputation, und theilt die Verwendung desselben am Ende des Jahrs der Bürgerschaft mit. § 177. Die Vermehrung oder Verminderung bestehender Auflagen, so wie die Festsetzung neuer, kann nur durch Rath und Bürgerschaft geschehen. § 178. Der Erlaß rückständiger directer Steuern, wegen Unvermögens oder unrichtigen Ansatzes, geschieht durch eine eigene Reclamations-Deputation (§. 154. c.) § 179. Veräußerungen des Staats-Eigenthums durch Verkauf, Verschenkung, Einräumung des Nießbrauchs, Verpfändung u.s.w., müssen von Rath und Bürgerschaft genehmigt werden und sind ohne solche ungültig. c. Von der General-Casse § 180. Die General-Casse wird von einem Einnehmer verwaltet. § 181. Dieser wird vom Regierungs-Senat aus drey ihm von der Finanz-Deputation vorgeschlagenen Personen gewählt und beeidigt. § 182. Er erhält eine Besoldung und Verwaltungskosten, welche vom RegierungsSenat und der Finanz-Deputation gemeinschaftlich bestimmt und auf das Budget gesetzt werden. § 183. Er muß eine Bürgschaft auf 10,000 Rt., entweder durch Deposition von baarem Gelde gegen Verzinsung zu 3 Procent, oder durch Documente, oder durch Bestellung von Hypotheken, oder durch drey oder mehr sichere vom Regierungs-Senat und

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der Finanz-Deputation zu genehmigende Bürgen bestellen. § 184. Die Erheber aller öffentlichen Einnahmen (die §. 170 bezeichneten ausgenommen) müssen zu den ihnen durch ihre Reglements vorgeschriebenen Zeiten die erhobenen Gelder an den General-Einnehmer gegen Scheine abliefern. Am Ersten jedes Monats müssen die Einnahmen des verfloßenen Monats sämmtlich in der General-Casse vereinigt seyn. § 185. Die ständigen Einnahmen, als Miethen, Pachten, Stätegelder, Meyerzinsen, Zehnten u.s.w., erhebt der General-Einnehmer nach Hebungs-Registern, welche jährlich im November verfertigt und von der Finanz-Deputation bestätigt werden. § 186. Zur Erhebung außerordentlicher Einnahmen bedarf er einer besondern Autorisation der Finanz-Deputation. § 187. Er darf keine Zahlung machen, ohne ein Mandat der Finanz-Deputation. In Betreff der Honorare des Senats muß er sich nach dem richten, was §. 48 vorgeschrieben ist. § 188. Im übrigen ist der General-Einnehmer verpflichtet, sich nach der ihm vorzuschreibenden Instruction zu richten. d. Von der Finanz-Deputation § 189. Die Finanz-Deputation besteht aus einigen Mitgliedern des Regierungs-Senats und 16 Deputirten der Bürgerschaft. § 190. Die Deputirten der Bürgerschaft werden, vier von jedem Quartier aus den Aeltermännern und übrigen conventsfähigen Bürgern des Quartiers durch geheimes Stimmengeben gewählt. § 191. Am Ende jedes Jahres geht ein Deputirter der Bürgerschaft nach dem Dienstalter ab, und an dessen Stelle wählt

V ERFASSUNGSENTWURF FÜR B REMEN (1814) das Quartier, zu welchem er gehörte, einen andern wieder. Der Abgehende ist, wenn er es sich nicht verbittet, sofort wieder wahlfähig. Von den zuerst erwählten würde jährlich der älteste an Jahren abgehn. § 192. Die Deputation ist verpflichtet, auf die ganze Finanz-Verwaltung des Staats zu achten, auf die regelmäßige Erhebung der Einnahmen zu wachen und für die häushälterische Verwendung der Ausgaben Sorge zu tragen. § 193. In den Versammlungen der Deputation steht es jedem Mitgliede frey, Bemerkungen über die Erhebung der Einnahmen, über Mängel in der Oeconomie und Vorschläge zur Verbesserung beyder zu machen. § 194. Die Finanz-Deputation hält wenigstens alle 14 Tage regelmäßige Sitzungen, in welchen ein Protrocoll geführt und solches am Ende der Sitzung von zwey Mitgliedern unterzeichnet wird. § 195. Die Deputation theilt sich in 4 Hauptabtheilungen, deren jede aus einer dem Umfang der Geschäfte angemessene Anzahl Mitgliedern besteht. Dieselbe Person kann Mitglied mehrerer Abtheilungen seyn. § 196. Die Mitglieder jeder Abtheilung vertheilen unter sich die specielle Aufsicht über die einzelnen Gegenstände, nach Maaßgabe der damit verbundenen Beschäftigungen. § 197. Jede Abtheilung hält für sich besondere Zusammenkünfte, in welchen die mit speciellen Aufsichten beauftragten Mitglieder über die ihnen anvertrauten Gegenstände berichten. In den allgemeinen Sitzungen berichtet jede Abtheilung über das, was einer gemeinschaftlichen Berathung oder Genehmigung

bedarf, und um die Finanz-Deputation in beständiger Kenntniß der gesammten FinanzVerwaltung zu erhalten. § 198. Die Eintheilung der Gegenstände unter die Abtheilungen ist folgendergestalt bestimmt: 1ste Abtheilung: Inspection der General-Casse – Verfassung des Budgets – Untersuchung der Rechnung des General-Einnehmers – Visitation der Casse desselben – Prüfung der in der Finanz-Deputation gemachten Vorschläge und Bemerkungen und Abgebung von Gutachten darüber in der nächsten Versammlung – Vorschläge zur Deckung der die gewöhnlichen Einnahmen übersteigenden Ausgaben. 2te Abtheilung: Directe Steuern mit Zuziehung des Controlleurs – Indirecte Steuern, als Consumtion, Accise und andere Handels-Abgaben – Stempel, Equipagen-Steuer etc. – Sperre, Wegegeld etc. 3te Abtheilung: Verwaltung der dem Staate gehörigen Grundstücke und ständigen Einkünfte, Weinkeller – vermiethete und verpachtete Häuser und Ländereyen – belegte Capitalien – Jagden und Fischereyen – Meyerzinsen – Stätegelder – Zehnten etc., Marktplatz, Freymarktstände – Verfertigung eines Grundbuchs über alle dem Staate gehörigen Ländereyen und Grundstücke – Prüfung der Hebungsregister – Bemeyerungen. 4te Abtheilung: Schuldenwesen – Regulirung desselben, Verfertigung eines Hauptschuldbuchs. Zinszahlung – Vorschläge zur Verminderung der Schuld und zur Bildung eines sinkenden Fonds. e. Vom Budget § 199. Jährlich im November wird das Budget des nächsten Jahres von der Fi-

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B REMEN nanz-Deputationen mit Zuziehung des General-Einnehmers formirt. § 200. Der General-Einnehmer liefert die nöthigen Angaben, um die Einnahme des nächsten Jahres ungefähr anschlagen zu können. § 201. Die verschiedenen Verwaltungsbehörden der Ausgaben liefern jede die Aufgaben der Bedürfnisse für das nächste Jahr. Diese sind möglichst zu detailliren und mit den Specificationen und Kostenanschlägen zu begleiten, welche die Finanz-Deputation zur genauen Uebersicht und Beurtheilung durch Rath und Bürgerschaft für erforderlich hält. § 202. In dem Budget muß die Summe der bevorstehenden vorherzusehenden Ausgaben durch die ordentlichen vorherzusehenden Einnahmen gedeckt seyn, bis dieser Zweck erreicht ist, müssen die Ausgaben beschränkt oder durch neue Einnahmen die bisherigen vermehrt werden. § 203. Wenn das Budget verfertigt ist, so wird solches durch den Regierungs-Senat der Vorbereitungs-Deputation mitgetheilt und sodann auf den Bürger-Convent gebracht, und auf diesem oder wenn die Zeit nicht hinreicht auf einem andern in den nächsten Tagen zu haltenden, von Rath und Bürgerschaft genehmigt. § 204. Von dem solchergestalt sanctionirten Budget werden vier gleichlautende Abschriften gemacht, eins für den RegierungsSenat, eins für das Archiv des Collegii Seniorum, eines für die Finanz-Deputation und eins für den General-Einnehmer. § 205. Etwanige Abänderungen und nähere Bestimmungen in Betreff des CassenSaldo und der rückständigen Einnahme, welche durch den später als die Genehmigung des Budgets erfolgenden Abschluß der Jahresrechnung erforderlich werden, ist die Finanz-Deputation zu machen befugt,

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muß aber solche im März-Convent zur Genehmigung von Rath und Bürgerschaft vorlegen. § 206. Die Summe der für jeden Gegenstand durch das Budget begränzten Ausgabe darf weder von den Verwaltungsbehörden noch von der Finanz-Deputation überschritten werden. Wenn solche für einen oder andern Gegenstand nicht hinreicht, so hat die Finanz-Deputation auf dem BürgerConvent auf Vergrößerung des Fonds anzutragen, über die Ursachen der Unzulänglichkeit zu berichten und Vorschläge über die Deckung der vermehrten Ausgaben zu machen. f. Von den Verwaltungs-Deputationen § 207. Zur Verwaltung derjenigen Gegenstände, welche öffentliche Ausgaben aus der General-Casse erfordern, werden besondere Deputationen aus Rath und Bürgerschaft auf die Weise wie §. 129. bestimmt worden ernannt. Die Zahl der Mitglieder richtet sich nach dem Umfang der mit der Verwaltung verbundenen Geschäfte. § 208. Für jetzt werden nachbenannte Deputationen ernannt. Sollten in der Folge neue Gegenstände der Verwaltung entstehen, so werden solche entweder an bereits bestehende Deputationen verwiesen und diese nöthigenfals vergrößert, oder besondere Deputationen ernannt. 1. Deputation für das Bauwesen, welche sich in verschiedene Sectionen theilt. 2. Deputation für die unter Aufsicht der Polizey stehenden Anstalten, als Gassenreinigung, Gassenbeleuchtung, Nachtwache, öffentliche Brunnen, Werkhaus und Gefängnisse. 3. Deputation für die hanseatische Legion. 4. Die Löschanstalten. 5. Deputation für die Bürger-Viehweide.

V ERFASSUNGSENTWURF FÜR B REMEN (1814) 6. Deputation für die Lotterie. 7. Deputation für das Kornhaus.

Bürgerschaft, künftig weg, und kommen dem Staate zu Gute.

§ 209. Jede Deputation entwirft, wie oben §. 201. gesagt ist, im Monat October eine Uebersicht der im Laufe des nächsten Jahres wahrscheinlich vorkommenden Ausgaben und des Betrages derselben. Wo es nöthig ist und die Finanz-Deputation es verlangt, müssen diese Ausgaben mit Rissen, Kosten-Anschlägen und Gutachten von Kunstverständigen versehen seyn.

§ 215. Zur Wahrnehmung des allgemeinen Interesse’s des Staats in Finanzsachen wird ein Rechtsgelehrter als Advocatus fisci angestellt.

§ 210. Bey der Bildung des Budgets beräth die Finanz-Deputation mit einigen Mitgliedern jeder Verwaltungs-Deputation ihre Uebersicht, um die als erforderlich angegebene Summe mit den disponiblen Fonds des Staats in Uebereinstimmung zu bringen.

§ 217. Gegen ihn werden alle gerichtliche Anforderungen an den Staat überhaupt und an die Staatscasse gerichtet.

§ 211. Wenn das Budget genehmigt ist, so erhält jede Verwaltungs-Deputation einen Auszug desselben, so weit es den für sie bestimmten Fond betrift, nebst den von ihr eingelieferten Kosten-Anschlägen, Rissen und Gutachten. § 212. Jede Verwaltungs-Deputation ist verpflichtet, die Gegenstände ihrer Ausgaben soviel es irgend thunlich ist, öffentlich an den Mindestfordernden zu verdingen oder Contracte zu schließen. § 213. Jede Deputation wählt ein Mitglied und einen Substituten unter sich, welche die vorkommenden Rechnungen als richtig unterzeichnen und solche zur Ausfertigung eines Mandats an den General-Einnehmer schicken. Die Unterzeichnung der Rechnungen muß die Wiederholung der zu zahlenden Summe in Buchstaben enthalten. Die Namen der unterzeichnenden Mitglieder sind der Finanz-Deputation anzuzeigen. § 214. Alle und jede bey dergleichen Verwaltungs-Deputationen bisher benutzte Gefälle fallen sowohl für die dabey angestellten Mitglieder des Senats, als für die der

g. Vom Advocatus fisci

§ 216. Er betreibt alle die Finanzen betreffenden Rechts-Angelegenheiten der FinanzDeputation.

§ 218. Durch ihn und in seinem Namen werden alle gerichtliche Anforderungen der verschiedenen Verwaltungen und der Staatscasse gegen Privatpersonen betrieben. § 219. Die Finanz-Deputation hat aber vorab zu verfügen, in welchen Sachen gerichtlich verfahren werden soll. § 220. Besonders gehören zu seinen Obliegenheiten: 1. Die gerichtliche Beytreibung der öffentlichen Einnahmen an den ordentlichen Gerichten. 2. Die Abfassung der Pacht- Mieth- und anderer Contracte, welche ihm die FinanzDeputation aufträgt. 3. Die Beytreibung der rückständigen Steuern, in Gemäßheit des dieserhalb vorgeschriebenen Verfahrens. 4. Die Verfolgung der Contraventionen in Steuersachen vor den Criminal-Gerichten. § 221. Der Advocatus fisci wird vom Regierungs-Senat ernannt. § 222. Er erhält anstatt der Gebühren eine feststehende Besoldung.

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B REMEN h. Von dem Verfahren bey Eintreibung der Steuern und Abgaben

α . Directe Steuern § 223. Jeder Steuerpflichtige hat das Recht während der drey ersten Monate des Jahrs zu reclamiren, und darf dann bis zu entschiedener Reclamation die Steuer nicht von ihm zwangsweise beygetrieben werden. § 224. Eine spätere Reclamation ist zwar im Laufe des Jahres verstattet, befreyet indessen nicht, die vor und bis zur Entscheidung fälligen Terminen zu bezahlen. § 225. Nach Ablauf der ersten drey Monate können die Steuereinnehmer die Rückstände durch Zwang beytreiben. Sie müssen zu dem Ende den Steuerpflichtigen eine Aufforderung bey Strafe des Zwangs den Rückstand in acht Tagen zu entrichten, einsenden. § 226. Nach Verlauf dieser acht Tage fertigen sie einen Auszug aus der Steuerrolle, worunter sie bescheinigen, daß die gehörige Mahnung vorabgegangen sey, aus. Die Reclamations-Deputation bescheinigt darunter, daß keine Reclamation eingegangen, auch keine Herabsetzung bewilligt sey. Der Herr Director des Niedergerichts oder in Vegesack der dortige Beamte, und resp. bey Steuerrückständen, welche 300 Rthlr. übersteigen, der Herr Präsident des Obergerichts, erlassen sodann unter demselben einen Pfändungsbefehl an einen bestimmten Gerichtsboten. § 227. Der Gerichtsbote ist hierauf schuldig, innerhalb drey Tage, bey Vermeidung einer angemessenen Strafe, die Execution zu vollziehen, und über den Vollzug dem Advocato fisci zu berichten, der das weitere zu betreiben schuldig ist. Notarius distractionum und Ausmiener, sind angewiesen, auf des Advocatus fisci erste Aufforderung den

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Verkauf zu besorgen und den Betrag an ihn abzuliefern. Einer gerichtlichen Adjudication des Erlöses soll es nicht bedürfen, sondern seine Abrechnung, wenn sie mit dem Zahlbefehl und dem Distractions-Protocoll übereinstimmt, vollen Glauben haben. § 228. Der Steuerpflichtige, welcher glaubt, daß ihm unrichtig etwas abgefordert wird, kann auf die unter §. 234. seq. angegebene Weise dagegen gerichtlich einkommen.

β . Indirecte Steuern § 229. Jeder der indirecte Steuern schuldig ist, ist solche innerhalb drey Tagen nach der ersten Mahnung zu entrichten schuldig. Diese Mahnung kann erst nach Ablauf der gesetzlich festgesetzten Zahlfrist erfolgen. § 230. Wenn eine Aufgabe der zu entrichtenden oder abzuliefernden Steuern von Seiten des Steuerpflichtigen oder des zur Ablieferung Verpflichteten vorab gehen muß, so soll diese, wenn sie auf die erste Mahnung innerhalb 3 Tagen nicht erfolgt, durch Strafbefehle, welche von dem Herrn Director des Unter-Civil-Gerichts und in Vegesack von den Beamten daselbst auf Ansuchen des Advocatus fisci zu erlassen sind, beygetrieben werden. § 231. Wenn auf die erlassene Mahnung die Zahlung nicht geschieht, so soll der mit der Einnahme der Steuer beauftragte Beamte oder Bürger eine specifique Aufgabe der rückständigen Steuer ausfertigen, und die Richtigkeit darunter attestiren. Die mit der Oberaufsicht über diese Steuereinnahme beaufragte Deputation läßt die Ausfertigung durch eines ihrer dazu besonders erwählten Mitglieder visiren, worauf der Herr Präsident und resp. der Herr Director des Niedergerichts einen Pfändungsbefehl darunter erläßt. Im übrigen ganz wie oben §. 227.

V ERFASSUNGSENTWURF FÜR B REMEN (1814) § 232. Wenn auf die Nichtentrichtung von Abgaben vom Gesetze eine gewisse feststehende Strafe verordnet ist, so soll es mit deren Betreibung eben so g halten werden. § 233. Jeder, gegen den ein solcher Executiv-Befehl erlassen, kann sich dagegen an die ordentlichen Gerichte wenden, jedoch unter folgenden näheren Bestimmungen: § 234. Der Recurs an die ordentlichen Gerichte soll nur innerhalb 14 Tage nach geleisteter oder durch Pfändung erwirkter Zahlung statt finden können. Nach deren Ablauf ist die Klage erloschen. § 235. Die Klage muß auf Zurückzahlung des Bezahlten gerichtet werden, und muß sofort eine ausführliche Darstellung der Gründe weshalb er nicht schuldig gewesen zu seyn meint, alles oder so viel zu bezahlen, enthalten. Es muß ihr die Quitung der geschehenen Zahlung beygefügt werden, alles bey Strafe, daß sonst das Gehör verweigert werden soll. § 236. Die Klage soll nicht gegen die verschiedenen Deputationen sondern gegen den Advocatus fisci gerichtet werden. § 237. Gegen alle Entscheidungen in Steuersachen findet da wo die Gerichtsordnung es gestattet eine Berufung an die höhere Instanz statt. Der Advocatus fisci soll aber bey ihm nachtheiligen Entscheidungen nicht anders die Berufung wählen können, als bis er dazu von der einschlagenden Deputation, bey welcher er desends anzufragen hat, ermächtigt worden ist. § 238. Wenn die Zurückgabe vom Gerichte erkannt ist, so soll dieselbe sobald vom Secretair des Gerichts bescheinigt ist, daß dagegen kein Rechtsmittel eingelegt

worden (welche Bescheinigung ohne Gebühr zu ertheilen ist), sammt den Kosten, die vom Advocato fisci als richtig zu agnosciren sind, ohne allen Aufenthalt vom General-Einnehmer auf gewöhnliche ordnungsmäßige Anweisung bezahlt werden. i. Pecuniaire Benutzung einiger Stellen zum Besten des Staats § 239. Hinsichtlich einiger Bedienungen die nicht gerade vorzügliche Fähigkeiten erheischen, und es abwerfen können, ist festzusetzen, daß die dabey künftig anzustellenden eine nicht übermäßige, sie nicht drückende terminliche Abgabe dem Staate entrichten. An besoldeten Officianten würden dahin gehören; der Kellerhauptmann; der Kornschreiber; der Schlachtvogt; der Barsemeister; der Acciseschreiber; die Constumtionsschreiber; alle Einnehmer öffentlicher Gelder; von welchen jedem neu Angestellten drey Jahr lang, jährlich der vierte Theil seiner Besoldung eines und zwar des ersten Jahres inne zu behalten seyn dürfte. Verschiedene unbesoldete Officianten würden eine feste Summe in 3 Terminen, von Jahr zu Jahr, in die Generalcasse erlegen, so jedoch, daß wenn der Angestellte innerhalb der drey ersten Jahre, nach seiner Ernennung, die Stelle durch Tod, Resignation oder Absetzung wieder verliehren sollte, die, nach solchergestalt wieder erledigten Stelle fällige Termine nicht erlegt zu werden brauchten, solchemnach würden überhaupt zu erlegen haben.

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B REMEN Schiffs-Geld- auch Assecuranz-Mäckler. . .

1500

Rthlr.

Distractions-Notar und Waarenmäckler. . . .

1200



Ausmiener und Güterbestäter . . . . . . . . . . . . .

800



Schout- und Schlachtschreiber . . . . . . . . . . .

500



§ 240. Die Stelle des Hafenmeisters und die damit verbundene Benutzung des Hafenhauses zum Vegesack und eben so der Krahn und die Wuppe würde fernerhin öffentlich zu verpachten seyn.

B Des Vermögens der milden Stiftungen § 241. Die seit 1811 unter einer Administration vereinigt gewesenen milden Stiftungen werden auch für die Zukunft der Verwaltung einer besondern Commission anvertraut. Diese Stiftungen sind: das Waisenhaus; das Armen- und Mannhaus; das Krankenhaus; das St. Johanniskloster; das St. Remberti Hospital; das Beguinenhaus; das St. Ilsabeen Gasthaus; das St. Nicolai Wittwenhaus; das Wittwenhaus auf der Tiefer; das St. Petri Wittwenhaus. § 242. Die Verwaltungs-Commission besteht aus acht Mitgliedern, aus jedem der vier Stadtquartiere zwey. § 243. Halbjährlich geht eins dieser Mitglieder ab, und zwar dasjenige, welches am längsten bey der Verwaltung gewesen. Unter den gegenwärtigen Mitgliedern wird diese Reihefolge durch das Alter bestimmt. Der Abgehende ist, wenn er es sich nicht verbittet, sofort wieder wahlfähig. § 244. Die erledigten Stellen werden von dem Quartier, zu welchem der Abgegangene gehörte, auf dem nächsten Bürger-Con-

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vente durch Wahl mittelst geheimen Stimmengebens aus dreyen, aus den dermahlen fungirenden Diaconen, ohne Rücksicht auf Kirchspiel dem Quartiere von der Commission vorgeschlagenen Personen wiederbesetzt und die geschehene Wahl dem Senat angezeigt. § 245. Aus wichtigen Gründen kann auch ein Mitglied auf sein Ansuchen außer der ihm treffenden Reihe von dem Quartier erlassen werden. Doch zieht das Abgeben als fungirender Diacon nicht die Entlassung aus der Commission nach sich. § 246. Der Regierungs-Senat ernennt eines oder mehrere seiner Mitglieder zur Direction dieser Commission. § 247. Alle Einnahmen der obenbenannten Stiftungen fließen in eine gemeinschaftliche Casse, aus welcher auch alle Ausgaben für dieselben bestritten werden. § 248. Diese Casse wird von einem Einnehmer verwaltet. Er wird vom RegierungsSenat aus drey ihm von der Commission vorgeschlagenen Personen ernannt, erhält eine jährliche Besoldung von 500 Thalern aus der Casse der milden Stiftungen und muß eine Bürgschaft von wenigstens 2000 Thalern bestellen. § 249. Der Einnehmer darf keine Zahlung ohne schriftliche Anweisung des damit beauftragten Mitgliedes der Commission leisten. § 250. Die Commission besoldet ferner einen Buchhalter zur Nachtragung der

V ERFASSUNGSENTWURF FÜR B REMEN (1814) Hauptbücher, nach Maaßgabe seiner Beschäftigung, und einen Boten, welcher jährlich 100 Rthlr. erhält.

dazu nicht hinreichen, so ist das Fehlende auf die Stiftungen nach Verhältniß ihrer Einnahmen zu repartiren.

§ 251. Der Einnehmer führt über die Einnahmen und Ausgaben jeder Stiftung besondere Rechnungen. Wenn es sich am Ende des Jahres findet, daß für eine Stiftung mehr aus der gemeinschaftlichen Casse verwendet ist, als ihre Einnahme betragen hat, so ist die Commission verpflichtet, den Ueberschuß der Ausgabe über die Einnahme, im nächsten Jahre aus den Einnahmen dieser Stiftung der gemeinschaftlichen Casse wieder ersetzen zu lassen.

§ 256. Die Mitglieder der Commision vertheilen unter sich die Aufsicht über die einzelnen Stiftungen. Die Aufsicht über das Waisenhaus, so lange solches vereinigt bleibt, muß von Mitgliedern beyder Confessionen geführt werden.

§ 252. Zu diesem Zweck muß die Commission am Ende jedes Jahres eine Uebersicht der vermuthlichen Einnahmen und Ausgaben jeder Stiftung für das nächste Jahr entwerfen und diese und die Verwaltung der Stiftungen so einrichten, daß jede mit ihrem Einkommen ausreicht.

§ 257. Ein Mitglied führt die Aufsicht über die Casse. Diesem senden die Administratoren der einzelnen Stiftungen die Aufgaben und Rechnungen über zu machende Ausgaben zu, er versieht solche mit einer Anweisung an die Casse und schickt selbige zur Auszahlung an den Einnehmer. Ueber alle von ihm gemachte Anweisungen führt er ein nach den Stiftungen abgetheiltes Register.

§ 254. Der Ueberschuß, welcher sich am Ende des Jahres für eine Stiftung ergiebt, muß, sobald solches thunlich ist, zum Besten derselben durch sichere Belegung oder sonst nutzbar gemacht werden.

§ 258. Die Administratoren der Stiftungen sind verpflichtet, über alle Ausgaben, welche nicht die gewöhnliche Haushaltung, sondern z.B. Bauten, Belegung von Kapitalien und Ankauf von Grundstücken, Bemeyerungen, Vermehrung des an der Stiftung Antheil nehmenden Personals, Erhöhung der Besoldung der Officianten etc., so wie über die Aufnahmen in den Stiftungen, einen Vortrag in der Sitzung der Commission zu machen, und einen Beschluß derselben zu veranlassen. Das die Aufsicht über die Casse führende Mitglied der Commission hat darauf zu achten, daß er keine Anweisung auf Ausgaben ertheile, welche der Genehmigung der versammelten Commission bedürfen.

§ 255. Diejenigen Kapitale und fortwährenden Einnahmen, welche während der gemeinschaftichen Administration der Stiftungen entstanden sind und keiner namentlich angehören, bilden eine besondere allen gemeinschaftliche Casse, aus welcher die gemeinschaftlichen Ausgaben, als Besoldung des Einnehmers, Buchhalters, Boten etc. bestritten werden. Sollten diese Einnahmen

§ 259. Jährlich, vor dem 15. Februar, hat der Einnehmer seine Rechnung, mit den erforderlichen Belegen versehen, der Comission vorzulegen, welche solche revidirt, mit dem Rechnungsbuche des Cassen-Inspectors vergleicht, und demnächst mit ihren Bemerkungen der mit Nachsehung der Staats-Rechnungen beauftragten Behörde zur Erledigung und Quitirung zustellt.

§ 253. Sollte diese Gleichstellung der Einnahme und Ausgabe ohne Abänderung der bisherigen Einrichtung der Stiftung nicht zu erreichen seyn, so hat die Commission ihre Vorschläge darüber dem Regierung-Senat vorzulegen, welcher solche, den Umständen nach, der versammelten Bürgerschaft mittheilt.

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B REMEN § 260. Halbjährig, vor dem 15 July und 15 Januar, muß der Einnehmer der Commission ein specificirtes Verzeichniß der rückständigen Einnahmen mit Anführung der Ursachen der Verzögerung vorlegen. Auch seiner jährlichen Rechnungsablegung hat er ein Verzeichniß sämmtlicher Rückstände beyzufügen, aus welchem kein Artikel wegzulassen, ehe er nicht durch einen Beschluß der Commission, daß solcher nicht beyzutreiben sey, dazu ermächtigt ist.

§ 261. Diese neue Einrichtung der Verwaltungs-Commission fängt mit dem 1sten Januar 1815 an, wenn bis dahin Rath und Bürgerschaft sich über die vorgeschlagene Fortdauer derselben vereinigt haben.

§ 262. Die Verwaltungs-Commission der milden Stiftungen wird die Frage: ob dem gemeinen Besten zuträglicher sey, die Vereinigung der drey Waisenhäuser ganz oder zum Theil fortdauern zu lassen, oder solche wieder zu trennen, sorgfältig untersuchen, und darüber Rath und Bürgerschaft sobald es thunlich ist, ein Gutachten vorlegen, um demnächst einen Beschluß über diesen Gegenstand fassen zu können.

§ 263. Alles dasjenige was an unserer bestehenden Verfassung und an dem was damit in Verbindung steht, durch das vorstehende nicht abgeändert ist, wird nach jener beurtheilt. Zeit und Erfahrungen, und unter andern die vielleicht bevorstehende umzuändernde Gestaltung des Deutschen Staatscörpers können Abänderungen Modificationen und nähere Erläuterungen nothwendig machen, die dann auf die in der Constitution gegründete Weise zu treffen und resp. zu erlassen sind.

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B Project einer SupplementarConstitutions-Acte

Von der Hoheit ART. I. Als Grundlage der Verfassung ist anerkannt, daß die Hoheit, der Inbegriff der dem Staate als Staat zuständigen Rechte, sich bey Rath und Bürgerschaft gemeinschaftlich befindet. ART. II. Die Hoheit wird von Beyden in Vereinigung durch Rath- und Bürgerschlüsse bey folgenden Gegenständen ausgeübt: 1. Revision und Verbesserung einzelner Theile der Verfassung, deren Grundlage jedoch nicht verrückt werden darf. 2. Civil- und Criminal-Gesetzgebung. 3. Bestimmung der Ausgaben des Staats. 4. Bestimmung der Auflagen jeder Art, deren Vertheilung und Erhebung. 5. Verwaltung und Verwendung des gesammten öffentlichen Guts, sofern nicht ein Theil desselben zur Disposition des Senats gestellt ist. 6. Veräußerung von Staatsgütern. 7. Bestimmung der Anzahl der wehrund streitfähig zu erhaltenden bewaffneten Macht, so wie der Gebrauch derselben gegen Auswärtige und 8. Aufnahme auswärtiger Truppen. – Beydes in so fern nicht die allgemeinen Gesetze für Deutschland hierüber entscheiden werden. – 9. Festsetzung der Grundsätze bey Ertheilung a. des Bürgerrechts an Fremde, b. der Monopole und Privilegien. 10. Ratification von Tractaten mit Auswärtigen, so oft einzugehende Verbindlichkeiten, Aufgebung bisheriger Rechte des Staats oder Theile des Staatsguts, oder Gegenstände, welche auf die innere Verfas-

V ERFASSUNGSENTWURF FÜR B REMEN (1814) sung Einfluß haben, dabey in Frage kommen.

gesammten Rath in dessen Amtsverrichtungen behülflich sind.

Allgemeine Grundsätze

ART. VI. Für andere Gegenstände theilt sich der Rath in zwey Abtheilungen, den Regierungs-Senat und den Justiz-Senat. – Jede dieser Abtheilungen wird durch zwey Bürgermeister präsidirt, welche jährlich am 1sten Jänner im Präsidio wechseln.

ART. III. Der Staat erkennt an: 1. Die Heiligkeit der persönlichen Freyheit. Es giebt demnach a. hier keine Sclaverey noch Leibeigenschaft; b. der Sclavenhandel ist ein, Bremischen Bürgern und Einwohnern, verbotenes Gewerbe; c. der Leibzoll der Juden ist hier aufgehoben; d. jeder Verhaftete muß binnen 24 Stunden mit der Ursache der Verhaftung bekannt gemacht, und binnen den nächsten drey Tagen verhört werden. 2. Die Freyheit des Eigenthums, dahin, daß solches unverletztlich sey, und daß selbst bey erforderlicher Abtretung zum Besten des Staats, solche nur nach vorgängiger, gehörig ausgemittelter gerechter Bestimmung und Auszahlung der Entschädigung Statt findet. 3. Die Freyheit religiöser Meinungen und des Cultus aller christlichen Confessionen. Diese Sätze sollen als constitutionelle Grundsätze von der Gesetzgebung nicht verändert werden dürfen.

Vom Senat ART. IV. Alle, nicht dem vereinten Willen von Rath und Bürgerschaft vorbehaltene, hoheitliche Rechte werden von dem Senat allein ausgeübt. ART. V. Der gesammte Rath besteht aus 4 Bürgermeistern und 25 Senatoren. Es rathschlagt derselbe über sämmtliche Gegenstände, welche zur Verhandlung mit der Bürgerschaft zu bringen sind. Ihm gebührt auch die Ernennung der Beamten, welche dem

ART. VII. Der Regierungs-Senat besteht aus 2 Bürgermeistern und 12 Senatoren, unter welchen wenigstens 6 und höchstens 7 gelehrten Standes seyn müssen, und ihm gebührt: 1. Der Regel nach die Ernennung aller Staatsbeamten. 2. Sorge für die Beförderung des Staatswohls. 3. Oberaufsicht über die Erhaltung der Staatseinrichtungen, so wie über Gesellschaften, Vereine und Institut. 4. Handhabung der vollziehenden Gewalt. 5. Administrative Polizey und Erlassung von Polizey-Verordnungen. 6. Recht, Privilegien zu ertheilen. 7. Censur des Buchhandels und der Buchdruckereyen. 8. Begnadigungen und Milderungen in Straffällen. 9. Ausübung des Juris circa sacra. 10. Dispensation in Ehesachen. 11. Rechnungs-Abnahme aller Verwaltungen des Staatsguts und öffentlicher frommer Stiftungen. 12. Aufnahme und Beeidigung der Bürger. 13. Ansetzung der Bürger-Convente und Propositionen auf solchen. 14. Disposition über eine gewisse Summe der öffentlichen Einkünfte. 15. Untersuchung und Entscheidung in Aemtersachen. 16. Repräsentation des Staats gegen Auswärtige. Endlich

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B REMEN 17. alle und jede Regierungssachen, die bisher vor den ganzen Senat gehörten. ART. VIII. Der Justiz-Senat besteht aus 2 Bürgermeistern und 13 Senatoren gelehrten Standes. Ihm gebührt: 1. Verwaltung und Vollstreckung der Civilund Criminal-Justiz, so wie die Vollziehung alles dessen, was den Gerichts-Behörden durch die Gerichts-Ordnung zugewiesen ist. 2. Oberaufsicht auf das Notariat- und Hypotheken-Wesen. 3. Oberaufsicht auf das VormunschaftsWesen und Leitung desselben durch ein, aus den Mitgliedern des Obergerichts zu bildendes Pupillen-Collegium. 4. Erlassung der auf den Proceßgang Bezug habenden, sogenannten gemeinen Bescheide. 5. Ausführung auswärtiger Requisitionen in Justiz-Sachen. 6. Ernennung seiner Officianten. ART. IX. Die Gerichte in Bremen bestehen: a. in einem Obergericht, b. in einem Unter-Criminal-Gericht, c. in einem Unter- Civil- und Landgericht. Durch den Justiz-Senat wird das erste mit 7, das zweyte mit 3, das letzte endlich mit 5 seiner Mitglieder, einschließlich der präsidirenden Bürgermeister und respective Gerichts-Directoren besetzt. ART. X. Dem Obergericht werden desends, um bey Entscheidungen der Streitigkeiten in kaufmännischen Angelegenheiten des Beyraths kundiger Männer sich bedienen zu können, vier nicht zum Senat gehörige Kaufleute als Beysitzer mit entscheidender Stimme beygesellt. ART. XI. Für die Verwaltung der Justizund Regierungs-Geschäfte im Flecken Vegesack wird ein nicht zum Senat gehöriger, diesem untergeordneter Rechtsgelehrter als Beamter angestellt.

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ART. XII. Die Abtheilung des Senats, in welcher eine Vacanz sich ereignet, wählt zu der, in den Statuten vorgeschriebenen Zeit, nach vorgängigem Wahleid unter sich, dergestalt, daß 5 durch das Loos bestimmte Wahlherren 3 Candidaten vorschlagen, von welchen jene Abtheilung Einen, durch geheimes Stimmengeben und nach absoluter Mehrheit wählt; alles in einer ununterbrochenen Folge. ART. XIII. Der zu wählende darf im Regierungs-Senat nicht unter 30, im Justiz-Senat nicht unter 25 Jahr, in beyden aber nicht über 60 Jahr alt seyn, und muß im ersteren 5, im letztern 2 Jahr hieselbst zugeschworner und wohnhafter Bürger gewesen seyn. Vater und Sohn, zwey Brüder oder Halbbrüder, leiblicher Onkel und Neffe, können nicht zu gleicher Zeit in einer und der nämlichen der beyden Abtheilungen des Senats sitzen noch darin gewählt werden. Auch darf niemand, dessen Schwiegervater oder Schwiegersohn, Stiefvater oder Stiefsohn bereits Mitglied der Abtheilung des Senats, in welcher die Vacanz eintritt, ist, in solche gewählt werden. ART. XIV. Kein Mitglied des Senats darf einem fremden Fürsten oder Herrn durch Titel, Eid, Dienst oder Pflichten verwandt seyn. ART. XV. Jeder, den die Wahl trift, ist, sofern er noch unter 55 Jahr alt ist, schuldig, sie anzunehmen, bey Verlust des Bürgerrechts und des Aufenthalts in der Stadt, auch einer Abgabe des zehnten Theils seines Vermögens an den Staat, dafern er nicht auf Verlangen der Abtheilung des Senats, welche ihn wählte, schwört, daß seine Gesundheit oder sein Vermögen ihm nicht gestatten, das Amt anzunehmen. Eben so kann niemand, der unter 60 Jahr alt ist, seine Entlassung verlangen, als wenn er auf Verlangen der Abtheilung, deren Mitglied er ist, jenen Eid dahin: „daß seine

V ERFASSUNGSENTWURF FÜR B REMEN (1814) Gesundheits- oder Vermögens-Umstände ihm nicht erlauben, seine Amtsverwaltung fortzusetzen“, abstattet. ART. XVI. Bey sich ereignenden Abgang eines Bürgermeisters wählt die Abtheilung, in welcher die Erledigung zutrift, nach vorab geleistetem Wahleide, Einen zur Wiederbesetzung der erledigten Stelle durch geheime Stimmengebung und absoluter Mehrheit, und zwar im Regierungs-Senat aus sämmtlichen Mitgliedern, im Justiz-Senat aber aus den Mitgliedern des Obergerichts und den Directoren der Untergerichte. ART. XVII. Alle Mitglieder des Senats leisten vor dem Antritt ihres Amts einen feyerlichen Eid ab. ART. XVIII. Sie erhalten statt der bisherigen, in die Staats-Casse fließenden Sporteln, aus dieser feststehende Honorare.

und das Geld für die Aufnahme der Classe, in welcher sie zu treten wünschen, zu zahlen bereit sind. – Der Regierungs-Senat kann sodann das Gesuch bewilligen oder abschlagen, auch von einzelnen Qualificationen ganz oder zum Theil dispensiren. ART. XXI. Es ist jeder Bürger, sofern er sonst die erforderlichen Qualificationen besitzt, zu allen Aemtern im Staate fähig. ART. XXII. Jeder Bürger ist dem bürgerlichen Militair-Dienst der Regel nach unterworfen. Jeder conventsfähige Bürger ist überdies noch zur Annahme der ihn treffenden Deputationen der Regel nach verpflichtet. ART. XXIII. So wenig der Adel, als fremde Titel, Aemter oder Würden, befreyen den Bürger Bremens von seinen bürgerlichen Verpflichtungen, gewähren auch dem, der dergleichen besitzt, durchaus keine Vorzüge oder Befreyungen vor andern.

Von der Bürgerschaft ART. XIX. Ein jeder, der Bürger wird, verpflichtet sich dem Staat durch Ableistung des Bürgereides. ART. XX. Söhne, deren Väter hiesige Bürger sind, oder es bis zu ihrem Tode waren, sind berechtigt, die Aufnahme als Bürger zu begehren. Fremde sind nur dann zur Aufnahme fähig, wenn sie zur christlichen Kirche sich bekennen, 21 Jahr alt sind, ihren Geburtsschein und Zeugnisse ihrer Orts-Obrigkeit, die ihren bisherigen guten Wandel sowohl, als daß sie den Militair-Pflichten genügt haben, beurkunden, beybringen; einen bestimmten anständigen, sie ernähren könnenden Erwerb, oder ein hinlängliches Vermögen nachweisen; eine hinreichende Caution, um binnen 10 Jahren den hiesigen Armen-Anstalten nicht zur Last zu fallen, stellen; sofern sie zu den arbeitenden Classen gehören, körperliche Gesundheit besitzen,

Repräsentation der Bürgerschaft auf den Conventen ART. XXIV. Repräsentanten der Bürgerschaft sind die auf dem Convent versammelten Bürger, welche conventsfähig, auch nicht aus besondern Gründen von den bürgerschaftlichen Berathungen auf dem Convente ausgeschlossen sind. ART. XXV. Conventsfähig sind der Regel nach alle hiesige zugeschworene, in der AltNeu- oder Vorstadt wohnende Bürger, welche zu einer der folgenden Categorien gehören, und in die Listen der conventsfähigen Personen eingetragen sind: 1. Die sämmtlichen Mitglieder des Collegii der Aeltermänner; 2. die graduirten Gelehrten weltlichen Standes, mit Ausnahme der Schullehrer; 3. die bürgerlichen Bauherren, auch die weltlichen fungirenden und abgegangenen Diaconen;

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B REMEN 4. der Chef, die Bataillons- und Comgagnie-Chefs der Bürgergarde; 5. alle, welche entweder 3000 Rthlr. im Vermögen haben und daneben das große Bürgerrecht besitzen, oder ohne das letztere mindestens 6000 Rthlr. im Vermögen haben, und auf Erfordern den einen oder andern Vermögensstand eidlich bestärken. Es bleibt indessen dem Regierungs-Senat frey, um, dafern in einem Quartier nicht wenigstens zehn conventsfähige Personen aus den Societäten und Aemtern, das Kramer-Amt ungerechnet, auf den Listen eingetragen seyn sollten, diese Zahl durch Hinzuladen anderer Amts- oder Societäts-Mitglieder aus solchem Quartier zu ergänzen. ART. XXVI. Nicht conventsfähig sind, selbst wenn sie zu den vorstehend bemerkten Personen gehören: 1. Alle die nicht das 25ste Jahr ihres Alters vollendet haben; 2. nicht geborne Bremer, binnen den nächsten drey, und geborne Bremer binnen dem nächsten Jahre nach geleistetem Bürgereide; 3. alle vom Staat angestellte und besoldete Beamte, auch die Prediger und die Lehrer an den öffentlichen Schulen; 4. alle, über deren Vermögen der Concurs ausgebrochen, oder ein Accordsverfahren gerichtlich oder außergerichtlich eingeleitet oder zu Stande gebracht ist, so lange sie nicht darthun, ihre Gläubiger zum Vollen befriedigt zu haben; 5. alle, welche eines Verbrechens halber zur Untersuchung und Bestrafung gezogen sind; 6. alle, welche, weil sie nicht im Stande sind, ihr Vemögen selbst zu verwalten, unter Curatel gesetzt sind; 7. alle, welche durch Rath- und Bürgerbeschluß auf längere oder kürzere Zeit des Besuchs der Convente für unfähig erklärt sind. ART. XXVII. Alle Gegenstände, welche zu

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den gemeinschaftlichen Attributionen von Rath und Bürgerschaft gehören (Art. II.) und einer gemeinschaftlichen Berathung bedürfen, müssen von dem Senat auf den BürgerConvent gebracht werden, woselbst auch einzelne Bürger, so wie die Bürgerschaft, Anträge, die das öffentliche Wohl bezwecken, machen können. Der letztern gebührt daselbst überdies: Die Ernenung von Deputirten zu gemeinschaftlichen Deputationen; die Wahl der Deputirten zu den Kaufmanns-Conventen; der Antrag auf Zurücknahme oder Modificationen von Polizey-Verordnungen; die Authorisation des Collegii der Aeltermänner zu einer Beschwerde über den Senat. ART. XXVIII. Auf den Conventen vertheilen sich die erscheinenden Bürger je nach ihrem Wohnort in die vier Stadt-Quartiere der Altstadt, woselbst die Berathungen über die Anträge des Senats, jedoch nur von den bey der Anhörung dieser gegewärtig gewesenen, angestellt werden. ART. XXIX. Das Abstimmen auf den Conventen, sey es über die Anträge des Senats oder über neue Anträge der Bürgerschaft, geschieht nach dem Civilrange und abgesondert von den übrigen Quartieren. ART. XXX. Die Concipirung der Beschlüsse jedes einzelnen Quartiers, durch ein jedesmal dazu zu wählendes Mitglied, geschieht ebenmäßig abgesondert von den übrigen Concipienten und Quartieren. ART. XXXI. Eine Communication der Quartiere unter sich hat nur Statt, in Hinsicht neuer bürgerschaftlicher Anträge und der Anhörung des von dem Bürger-Worthalter aus den einzelnen Quartierbeschlüssen abgefaßten votum commune. ART. XXXII. Bürger-Worthalter ist ein Syndicus des Collegiums der Aeltermänner (Art.

V ERFASSUNGSENTWURF FÜR B REMEN (1814) XXXVI), welcher das erstemal, daß er als solcher auf dem Convent erscheint, daselbst auf eine genaue und unpartheyische Geschäftsführung von dem Senat beeidigt wird. ART. XXXIII. Es sollen regelmäßig vierteljährig von dem Senate Convente angestellt werden, welcher außerdem, so oft als er wichtiger Angelegenheiten halber es nöthig erachtet, die Repräsentanten der Bürgerschaft zusammen ruft. ART. XXXIV. Desends, um alle auf den Bürger-Conventen vorkommende Gegenstände vorzubereiten, und den Geschäftsgang auf den Conventen zu vereinfachen und zu erleichtern, ist eine aus Mitgliedern des Senats und der Bürgerschaft bestehende vorbereitende Deputation angeordnet. ART. XXXV. Diese Deputation darf aber keine Beschlüsse fassen, darf auch nicht die Freyheit des Votirens ihrer Mitglieder auf den Conventen irgend beschränken.

Collegium der Aeltermänner ART. XXXVI. Das Collegium der Aeltermänner besteht aus 20 conventsfähigen Bürgern, hat einen jährlich aus seiner Mitte zu wählenden Präses und nebenher einen oder zwey vom Collegio zu wählende Syndiker. – Wenigstens die Hälfte der Mitglieder muß 5 Jahre hindurch hier den Großhandel getrieben haben; die Zahl der gelehrten Aeltermänner aber ist einschließlich der Syndiker auf vier beschränkt. ART. XXXVII. Außer den so eben angeführten Requisiten gehört zur Wahlfähigkeit: nicht unter 38 und nicht über 65 Jahr alt, wenigstens 5 Jahr zugeschworner Bürger gewesen, keinem fremden Staat durch Titel, Eid oder Pflichten zugethan, mit keinem Aeltermann oder Syndicus des Collegii als Vater oder Sohn, Bruder oder Halbbruder,

Schwiegervater oder Schwiegersohn, Stiefvater oder Stiefsohn verwandt zu seyn. ART. XXXVIII. Die Wahlen der Aeltermänner geschehen bey eintretenden VacanzFällen auf eben die Art, wie die des Senats. (Art. XII.) ART. XXXIX. Die Aeltermänner werden vor dem Antritt ihres Amts beeidigt. Sie sowohl als ihre Syndiker und andere Bedienstete erhalten feste Honorare und Besoldungen. ART. XL. Das Collegium der Aeltermänner ist theils als ein bürgerliches Corps, theils als Handels-Collegium zu betrachten, und hat in der einen und andern Eigenschaft verschiedene Rechte, Befugnisse und Pflichten. ART. XLI. Als bürgerliches Corps gebührt demselben: Die Achtsamkeit auf die Erhaltung der Verfassung, und die Befugnis, bey etwanigen offenbaren Eingriffen des Senats in die Verfassung, einen Antrag an die auf dem Convent versammelten Bürger zu machen, um zu einer Beschwerde wider den Senat autorisirt zu werden. Die Concipirung und der Vortrag des gemeinschaftlichen Votum auf den Conventen in Fällen, wo der eigentlich bestellte Bürger-Worthalter an der Wahrnehmung seines Amts behindert ist. Ein Archiv für die Verhandlungen zwischen Rath und Bürgerschaft. Die Theilnahme an allen gemeinschaftlich anzuordnenden Deputationen nach einem gewissen Verhältniß. Eine Berathung über Convents- und Deputations-Verhandlungen unter gewissen Modificationen. Das Ansuchen bey dem Senat um Ansetzung eines außerordentlichen Convents in dringenden Fällen. ART. XLII. Als Commerz-Collegium steht demselben zu:

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B REMEN Berathungen über Handels- und Schiffahrts-Angelegenheiten unter sich und mit sachkundigen Männern. Vorstellungen und Gutachten in dergleichen Angelegenheiten. Präsentation der Candidaten zu kaufmännischen Beysitzern des Obergerichts.

Repräsentation der Bewohner des Gebiets. ART. XLIII. Den Bewohnern des Gebiets steht ein Antheil an den auch sie betreffenden öffentlichen Angelegenheiten in der Maaße zu, daß: a. sofern von Gegenständen der Gesetzgebung und der Besteuerung, die auch das Land treffen, die Rede ist, die Landbewohner, bis dahin, daß ihnen ein noch directerer Antheil an den Staatsverhandlungen eingeräumt werden wird, durch Deputirte des Senats gehört, und ihre Bemerkungen erwogen werden sollen. b. Ihnen jährlich in anzuordnenden Zusammenkünften die Veranlassung gegeben werden soll, dem Senat durch dessen Deputirte ihre Wünsche, Anträge oder Beschwerden in Betreff der öffentlichen Angelegenheiten vorzutragen.

Finanz-Wesen ART. XLIV. Alle Einnahmen des Staats fliessen in eine gemeinschaftliche Casse, aus welcher auch alle Ausgaben des Staats bestritten werden. Das jährlich zu entwerfende Budget bestimmt die Verwendung der ordentlichen und vorher zu sehenden Einnahmen des Staats zu den ordentlichen und vorher zu sehenden Ausgaben desselben, und es darf keine durch das Budget nicht genehmigte Ausgabe, ohne Beschluß von Rath und Bürgerschaft, gemacht werden. ART. XLV. Die Central-Casse des Staats steht unter der beständigen Aufsicht einer

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aus Mitgliedern des Raths und der Bürgerschaft gebildeten Finanz-Deputation, welcher die Leitung der Einnahmen und Ausgaben in Gemäßheit des Budget anvertraut ist. ART. XLVL. Diese Deputation ist überdies befugt und verpflichtet, auf die ganze Finanz-Verwaltung zu achten, auf die regelmässige Erhebung der Einnahmen zu wachen, für die haushälterische Verwendung der Ausgaben zu sorgen, Bemerkungen und Verbesserungs-Vorschläge in Rücksicht der Erhebung der Einnahmen, so wie etwaniger Mängel in der Oeconomie zu machen, und ferner auch Vorschläge zur Deckung der, die gewöhnlichen Einnahmen übersteigenden Ausgaben zu verfügen. ART. XLVII. Zur Wahrnehmung des allgemeinen Interesse des Staats in Finanzsachen wird von dem Regierungs-Senat ein, statt der Gebühren eine feste Besoldung erhaltender Rechtsgelehrter als Advocatus Fisci angestellt. Dieser betreibt alle die Finanzen betreffende Rechtsangelegenheiten der Staatscasse, so wie der dieser untergeordneten besondern Verwaltungen, gegen Privatpersonen, und gegen ihn werden alle gerichtliche Anforderungen an den Staat und an die Staatscasse gerichtet. ART. XLVIII. Um jedem Bürger Gelegenheit zu geben, mit den ihn treffenden Beschwerden gegen Steueranlegungen gehört zu werden, ist eine aus Mitgliedern des Raths und der Bürgerschaft bestehende Deputation angeordnet, vor welche alle Reclamationen wegen Erlaß oder Ermässigung von Steuern und Abgaben zu bringen sind, die alsdann definitiv darüber entscheidet. ART. XLIX. Die Verwaltung der milden Stiftungen ist einer besondern, aus Mitgliedern der Bürgerschaft bestehenden Commissionen, bey welcher einige Mitglieder des Senats die Direction führen, anvertrauet. Alle Einnahmen jener Stiftungen fließen zwar in

V ERFASSUNGSENTWURF FÜR B REMEN (1814) eine gemeinschaftliche Casse, aus welcher auch alle Ausgaben für dieselben bestritten werden, jedoch so, daß über die Einnahmen und Ausgaben jeder einzelnen Stiftung besondere Rechnungen geführt und das Vermögen und die Einnahmen jeder derselben abgesondert erhalten werden.

Schluß ART. L. Alles dasjenige, was an der bestehenden Verfassung und an dem, was damit

in Verbindung steht, nicht abgeändert ist, wird künftig nach jener beurtheilt. 1

Ediert nach Hauptbericht der am 5ten April 1814 ernannten gemeinschaftlichen Deputation enthaltend Vorschläge zu Verbesserungen und näheren Bestimmungen in der Verfassung der freyen Hansestadt Bremen, Bremen 1814. Der Vorschlag wurde am 16. Dezember 1814 beschlossen. Für weiterführende Angaben siehe Hans G. Jansen, Der Kampf um die bremische Verfassung: Verfassungsrecht und Verfassungswirklichkeit in der Hansestadt in den Jahren 1813 bis 1820, Hamburg 1975; Huber, Verfassungsgeschichte II, S. 546–547.

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Verfassungsentwurf für Bremen (1837)

Motivirte Darstellung der übergebenen Vorschläge1

Unter Beziehung auf das in der ersten Abtheilung des gegenwärtigen Berichts deshalb Bevorwortete, wiederholen die Berichterstatter die übergebenen Vorschläge grundgesetzlicher Bestimmungen und dem Inhalte derselben entsprechender Gesetze, zur Anführung der vorzüglichsten Beweggründe, welche bei ihren diesen Gegenständen gewidmeten Berathungen zur Sprache gekommen. Indem sie bei jedem Abschnitte zuförderst der allgemeinen Motive gedenken, aus welchen ihnen der Gegenstand desselben überhaupt zur Festsetzung grundgesetzlicher Bestimmungen für unsern Freistaat geeignet erschienen, fügen sie über das Detail ihres Lösungsversuchs einer solchen Aufgabe noch einzelne specielle Motive, Erläuterungen und Bemerkungen, besonders in den Fällen hinzu, wo zur Berichtigung und Ergänzung des Bestehenden und vermöge der Consequenz eines eingetretenen veränderten Zustandes in unserm socialen Verhältnissen, Vorschläge zur Feststellung neuer Bestimmungen und Anordnungen erfolgt sind.

der Dinge konnte bei der gegenwärtigen Feststellung grundgesetzlicher Bestimmungen nicht ignorirt werden, und so schwierig es auch gefunden werden mußte, die wesentlichsten Züge desselben überhaupt, und zumal in Verbindung mit den in Vorschlag zu bringenden neuen Modificationen, deren Lebendigkeit sich erst practisch ergeben kann, zu einem Gesammtbilde zu vereinigen, so ist es doch erforderlich geachtet, in der nachfolgend versuchten Aufstellung eines solchen von desfalsiger Bemühung Zeugniß zu geben.

ART. 1. Die freie Hansestadt Bremen mit Einschluss des zu derselben gehörenden Landgebiets bildet den Bremischen Freistaat. Alle Rechte und Verpflichtungen desselben sind dieser Gesammtheit zuständig und liegen derselben ob. Besondere Motive und Bemerkungen.

I. ABSCHNITT Von dem bremischen Freistaate und der Verfassung desselben überhaupt Allgemeine Motive. Die Verfassung eines Staats ist das gemeinsame Resultat factisch begründeter Verhältnisse, wie der Sitten und Gesetze seiner Genossen. Alles dies hat sich für Bremen im Laufe der seit den Vereinbarungen über die grundgesetzlichen Bestimmungen von 1433 und 1534 verflossenen Jahrhunderte so mannigfach anders gestaltet, daß das Bild, in welchem der Spiegel jener Zeiten die bremische Verfassung erscheinen ließ, für die gegenwärtige kein Ebenbild mehr darbietet. Bei Feststellung jener älteren Grundgesetze gehörte Bremen dem deutschen Reiche an, und dieses Verhältniß wurde dabei als bestehend und fortdauernd vorausgesetzt. Der Reichsverband ist aber im Jahre 1806 aufgehoben und im Jahre 1815 hat Bremen als selbstständiger Staat die neue Verbindung mit abgeschlossen, welche seitdem die unabhängigen Staaten Deutschlands unter der Benennung des deutschen Bundes vereinigt. Andere wesentliche Veränderungen sind in seinem Innern erfolgt. Mit der Ausbreitung seiner socialen Verhältnisse haben sich auch die Organe für Ordnung, Erhaltung und Fortbildung derselben vervielfältigen müssen; temporaire sind zu bleibenden erwachsen und neue Wechselwirkungen sind daraus hervorgegangen. Dieser veränderte Zustand

Zu Art. 1. Bremen nannte sich früher eine freie Reichs- und Hansestadt. Bei der Aufhebung des deutschen Reichsverbandes mußte die erste Bezeichnung wegfallen, es blieb also nur die einer >>freien Hansestadt