Cicero - Ein Mensch seiner Zeit: Acht Vorträge zu einem geistesgeschichtlichen Phänomen [Reprint 2013 ed.] 9783110839302, 9783110025644


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German Pages 259 [268] Year 1969

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Table of contents :
Zugang zu Cicero
Das Bildnis des Marcus Tullius Cicero
Grundlinien des römischen Zivilprozesses zur Zeit Ciceros
Ciceros Verbindung der Lehre vom Naturrecht mit dem römischen Recht und Gesetz. Ein Beitrag zu der Frage: Philosophische Begründung und politische Wirklichkeit in Ciceros Staatsbild
Ciceros Consulat
Umwelt und Atmosphäre, Gedanken zur Lektüre von Ciceros Reden
Cicero und das Problem des römischen Philosophierens
Das Cicerobild der römischen Kaiserzeit
Cicerostudien in der Romania im 15. und 16. Jahrhundert
Auswahl zu einer Cicero-Bibliographie der letzten Jahre
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Cicero - Ein Mensch seiner Zeit: Acht Vorträge zu einem geistesgeschichtlichen Phänomen [Reprint 2013 ed.]
 9783110839302, 9783110025644

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Cicero ein Mensch seiner Zeit

Acht Vorträge zu einem geistesgescWchtlichen Phänomen herausgegeben von GERHARD RADKE

Waltet de Gtuyter & Co. Betlin 1968

Die acht Vorträge wurden gehalten auf einer Veranstaltung des Senators für Schulwesen von Berlin in Verbindung mit dem Landesverband Berlin des Deutschen Altphilologenverbandes.

Aichiv-Nr.36 87 681

1968 by Walter de Gniytet & Co., T o n m U G. J. Göschen'sche Verlagshandlung — J. Guttcntag, Verlagsbuchhandlung — Georg Reimer — Karl J.Trübner — Veit äc Comp., Berlin 30 Alle Rechte des Nachdrucks, der photomechanischen Wiedergabe, der Übersetzung, der Herstellung TOQ Mikrofilmen und Photokopien, auch auszugsweise, vorbehalten N o t e d in the Netherlands

Inhaltsverzeichnis Berlin: Zugang zu Cicero

GERHARD RADKE,

.

Münster i. W.: Das Bildnis des Marcus TuUius Cicero

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LUDWIG BUDDE,

10

Hamburg: Grundlinien des römischen Zivilprozesses zur Zeit Ciceros

MAX KÄSER,

. .

21

Hamburg: Ciceros Verbindung der Lehre vom Naturrecht mit dem römischen Recht und Gesetz.

ULRICH KNOCHE,

Ein Beitrag zu der Frage: Philosophische Begründung und politische Wirklichkeit in Ciceros Staatsbild CHRISTIAN MEIER,

38

Basel:

Ciceros Consulat

61

Heidelberg: Umwelt und Atmosphäre, Gedanken zur Lektüre von Ciceros Reden 117

EGON RÖMISCH,

Erlangen: Cicero und das Problem des römischen Philosophierens . . . . 136

OTTO SEEL,

Göttingen: Das Cicerobild der römischen Kaiserzeit

"WILL RICHTER,

161

Berlin: Cicerostudien in der Romania im 15. und 16. Jahrhundert . . 198

C . JOACHIM CLASSEN,

Berlin: Auswahl zu einer Cicero-Bibliographie der letzten Jahre

BODO FINGER,

. . . 246

Die Abkürzungen richten sich nach: Der Kleine Pauly.

Zugang zu Cicero von GERHARD RADKE, Berlin

Der Umfang der erhaltenen Werke Ciceros ist größer als der jedes anderen vorchrisdichen Autors lateinischer Sprache. Seine rhetorischen und philosophischen Schriften vermitteln uns die Kenntnis des Ringens einer Zeit und eines Volkes um die Übernahme griechischer Welterfahrung und um die Bewältigung der neuartigen Aufgabe, statt in einer Gemeinde zu leben, eine Welt zu beherrschen; seine Reden spiegeln kleine und große, wirtschafdiche und politische Spannungen dreier Jahrzehnte stadtrömischer Geschichte und seine Briefe sind das Dokument eines an inneren wie äußeren Erschütterungen und Höhepunkten reichen Lebens, in dem keine Stunde ohne Reflexion, ohne Diskussion und ohne Rechtfertigungsversuch verging, das im Für und Wider scheinbar offen vor uns ausgebreitet liegt und doch in der Motivierung gerade durch diese Bereitschaft so viele Fragen aufwirft. Von Ciceros Dichtungen kennen wir im wesendichen nur, was er selbst als Zitat in seine Prosaschriften aufnahm und was seine zeitgenössischen oder postumen Gegner anprangerten, um den Verfasser der Lächerlichkeit preiszugeben, wie jenen in jedem Sinne maßlosen Hexameter: O fortunatam natam me consule Romam. Nach den lastenden Spondeen bis zur Hephthemimeres mit der stotternden Anapher natam verbleibt das deudich abgehobene Reizianum me consule Romam wie eine Werbung in den Ohren. Man könnte die Ichbezogenheit dieser Reihenfolge herausheben, doch wollen wir eher eine Steigerung darin sehen, die von der Person über das Amt zum verehrten Ziel, zu Rom, hinführt.

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Gerhard Radke

Dem negativen Urteil, das die Überlieferung über das dichterische Schaffen Ciceros gefällt hat, steht die Begeisterung für die Prosaschriften einschließlich der Reden und des Briefkorpus gegenüber. An diesen Texten tadelt nur der Böswillige. Was hier verloren ging, wollte der Verfasser selbst nicht erhalten wissen, wie etwa die originale Miloniana, oder wurde von anderen so ausgeschlachtet und umgemünzt - ich denke an die Kirchenväter - , daß man später des Echten entraten zu können wähnte: Hat doch nur ein glücklicher Zufall Teile der Staatsschrift dem Untergang entrissen. Da ja nicht nur Cicero zu seiner Zeit geschrieben und publiziert hat, sondern ausgesprochene Vielschreiber, wie der hochgelehrte Varro, vielgelesene Autoren wie Nigidius Figulus, oft zitierte Juristen wie Sulpicius Rufus und Trebatius und im politischen Leben stehende Priester wie Aurelius Cotta zu seinen Zeitgenossen gehören, hat das Votum der Überlieferung für Cicero eine entscheidende Bedeutung: Es liegt ihm eine Wertung zugrunde, die sich nicht erst in der Neuzeit durchzusetzen brauchte, sondern ihren Anfang bei den Zeitgenossen nahm, denen die Eleganz und Ausdrucksfülle ciceronischer Sprache Gegenstand ehrlicher Bewunderung war. Schon die nachfolgende Generation sah in ihm ohne Einschränkung einen bedeutenden Mann, was nicht besser als durch die berühmten Worte des Augustus veranschaulicht werden kann, die uns Plutarch (Cic. 49) erhalten hat; Xöytos dcvi^p, & Ttal, Xöyto? xal ipiXÖTtaxpts. Cicero war im römischen Senat ein homo novus, was ihn nicht hinderte, seinerseits den Stammbaum seiner Ahnen auf die volskischen Könige des Bergnestes Arpinum zurückzuführen. Freilich vermied er es, oft von seinem Landsmann C. Marius zu sprechen, auf dessen Heimatdorf man von Ciceros Geburtsort hinabblicken konnte. Während der römische Blutsadel - ich erinnere an Männer wie Sergius Catilina, Cornelius Lentulus oder Clodius Pulcher und nicht zuletzt an Caesar - nicht minder als die römische Nobilität - Pompeius Magnus, Licinius Crassus, Caecilius Metellus, Calpurnius Piso u.a. nach neuen und zugkräftigen Wegen politischer Äußerung wie obrigkeidicher Ordnung strebten, trat Cicero, der Arpinate, der homo novus, - wenigstens in der Theorie - für die Bewahrung des Altüberkomme-

Zugang zu Cicero

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nen ein, wenn ihn nicht politische Rücksichtnahme in oft so bedrückende Spannungen stürzte, wie sie die Rede de imperio Cn. Pompei erkennen läßt. Mag Cicero auch solche Spannungen nicht immer richtig beurteilt haben, er ist ihnen jedoch niemals ausgewichen, sondern hat an ihnen eine neue Form politischen wie besonders geistigen Ausdrucks gefunden. Der Dialog führt bei ihm nicht allein zur Aporie, sondern über die Auseinandersetzung zu einer begründeten Meinung; daß es Persönlichkeiten römischen Lebens mit besonderer auctoritas sind, die diese in seinen Schriften vortragen, entspricht der forensischen Praxis wie der Lebensvorstellung des Autors. So ist er Wegbereiter ausgewogener Vertiefung im Inhalt und geschliffenen Geschmacks im Ausdruck, einer Form, die schließlich klassisch wurde. Wieviel die Dichter der augusteischen Zeit Cicero zu verdanken haben, ist längst erkannt. Mein vor zwei Jahrzehnten verstorbener Gymnasialdirektor und Lateinlehrer Paul Hildebrandt ist mir unvergessen als Pädagoge wie als Demokrat und lebt in meiner Erinnerung als echter Repräsentant jener von hohen Idealen getragenen politischen Form, die als Weimarer Republik in die Geschichte eingegangen ist. Es ist kein Zweifel, daß gerade er in glühenden Worten und überzeugenden Sätzen für den Demokraten Cicero eintrat und uns dessen politisches System des Gleichgewichts der Kräfte, der concordia ordinum, als Vorbild darstellte. Paul Hildebrandt hatte bei der Edition der Bobbio-Scholien eingehend die von den Kommentatoren geschilderte Zeitsituation ciceronischer Reden kennengelernt: So waren ihm Menschen und Probleme bekannt, mit denen Cicero umzugehen und zu ringen hatte. Selbst Politiker, besaß Hildebrandt ein Gefühl für Wert und Unwert der einzelnen Aussagen. Damals erschien seinen Schülern der Staatsmann Cicero ebenso wie der Staat von Weimar als Verwirklichung echter menschlicher Haltung und verantwortungsvoller Bewährung im politischen Bereiche. Die Weimarer Republik wie Cicero haben den Belastungen nicht standhalten können, denen sie ausgesetzt waren; beider Zusammenbruch erfolgte gerade durch die Kräfte, denen sie jeweils mit legalen

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Gerhard Radke

Mitteln die Macht ermöglicht hatten. Unter diesem Vergleich, der nur in seiner Grundsätzlichkeit, keineswegs in irgendwelchen Einzelheiten Gültigkeit beansprucht, gewinnt Cicero, seine Persönlichkeit wie sein politisches und literarisches Wirken, eine besondere Bedeutung für das eigene Urteil gegenüber Fragen unserer jüngsten Geschichte. Wir verfügen über ausreichende Mittel, uns einen weitgehend gesicherten Eindruck von dem Menschen Cicero und der Welt verschaffen zu können, in der er lebte. Sein Gesicht lehrt uns ein authentisches Portrait kennen. Der rechtliche Rahmen, innerhalb dessen er seine Anwaltstätigkeit ausübte, läßt sich darstellen. Wie er sich den idealen Staat und den idealen Staatsmann gedacht hat, sagt er uns selbst; wie er in seinem Consulat diese Vorstellungen verwirklicht zu haben glaubt, eröffnet uns das Verständnis menschlicher Unzulänglichkeiten, die jedoch keine Minderung des Wertes bedeuten. Was man vom Redner erwartete, wie man in Rom philosophierte, läßt sich in Ciceros Werken ablesen, wenn man sie richtig zu befragen weiß. Das Urteil der Nachfolgezeit bildet sich nach dem der Zeitgenossen. Daß aber die Renaissance weniger von Piaton und Sophokles als von Cicero und von ihm gerade durch seine Sprache angeregt vmrde, lehrt die ungeheuere Nachwirkung des „Klassischen" seines Ausdrucks. Seine Nachahmung in der romanischen Welt ist lebendige Antike. Will man anderen Menschen Ciceros Werk und Wirken erschließen und das geistige Phänomen Cicero darstellen, muß man es in seiner umfassenden Bedeutung kennengelernt haben. Das gilt in besonderem Maße von der Aufgabe des Lehrers seinen Schülern gegenüber. Vermitteln die nachfolgend abgedruckten Vorträge ein CiceroBild, das dem Verständnis seiner Zeit wie seiner Person dient, so sollen sie ebenso eigene Studien zu dem weitergehenden Unterfangen sein, einen Mann von der Größe Ciceros zu beschreiben, wie Beiträge dazu bieten, auf welchen Wegen der Lehrer die Cicerolektüre seines Unterrichts in Beziehung zu den Kräften der Zeit, der damaligen wie der heutigen, setzen kann, wie er den Hintergrund zu zeichnen hat, vor dem ein Mensch wirkte, der auch heute gelebt haben könnte und heute nicht anders gehandelt hätte.

Zugang zu Cicero

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Allein das ist zu bedenken: Daß wir uns mit ihm beschäftigen, verdankt er bei aller seiner politischen Betätigung und hohen geistigen Kapazität weniger seiner politischen und seiner geistigen als besonders seiner sprachlichen Leistung. Es gilt das Phänomen des mittelmeerischen Menschen, dem sich ein Inhalt dann schneller erschließt, wenn er in die Musik der Sprache, in den Wohlklang des Rhythmus gekleidet ist. Für Cicero ist das ein Problem der Form: Der Eleganz seines Ausdrucks entsprechen die Geschmeidigkeit seines Auftretens, das Bestreben nach Ausgeglichenheit der politischen Umwelt und das Verantwortungsgefühl gegenüber der verpflichtenden Größe Roms.

Das Bildnis des Marcus Tullius Cicero von LUDWIG BUDDE, Münster i.W.

Das Bildnis des Marcus Tullius Cicero ist uns im antiken Denkmälerbestand in mehreren Exemplaren erhalten geblieben^ Eines davon, eine Büste in London, trägt die Namensinschrift Cicero und hat dadurch ermöglicht, auch die übrigen fünf zu identifizieren. Im eigentlichen Sinne zeitgenössische Bildnisse des großen Politikers, Redners und Schriftstellers sind sie alle nicht; es handelt sich vielmehr um kaiserzeitliche Arbeiten, um Kopien verlorener bzw. noch nicht wieder aufgefundener Originale, ja sogar, wie nachfolgend gezeigt werden wird, um Repliken eines einzigen Urbildes, das wahrscheinlich noch zu Lebzeiten des Dargestellten verfertigt worden ist^. Daß es in der Tat schon zu Lebzeiten Ciceros Bildnisse von ihm gegeben hat, ist bekanntlich durch mehrere literarische und epigra-

J. J. Bernoulli, Die Bildnisse berühmter Römer. Römische Ikonographie I, Stuttgart 1882, 132 ff.; H. Brunn u. P. Arndt, Griechische und römische Porträts XXIV, München 1894, 252 ff.; A. Furtwängler, Die antiken Gemmen I, Leipzig-Berlin 1900, T. 47.58; 50.3,5; 65.36; A. Hekler, Die Bildniskunst der Griechen und Römer, Stuttgart 1912, XXXIII, T. 159-161; L. Laurand, REL. 9, 1931, 309 ff.; R. West, Römische Porträt-Plastik I, München 1933, 61 f., 66 ff.; O. Vessberg, Studien zur Kunstgeschichte der römischen Republik, Lund-Leipzig 1941, 216; K. Schefold, Die Bildnisse der antiken Dichter, Redner und Denker, Basel 1943, 41 ff. u. 174; B. Schweitzer, Die Bildniskunst der römischen Republik, Leipzig 1948, 91 ff.; G. A. Mansuelli, Arte Antica e Moderna 1959, 127 ff.; Enciclopedia dell'Arte Antica, Classica e Orientale II 579 ff. (A. Giuliano); J. Fink, Festschrift M. Wegner, Münster 1962, 25 ff. Dieser Standpunkt ist bereits gelegentlich vertreten worden, so durch G. Lippold, RhM. 33, 1918, 2 Anm. 3; zuletzt durch Fink a.O. 26.

Das Bildnis des Marcus Tullius Cicero

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phisch-archäologische Zeugnisse gesichert. In seiner Rede gegen Piso 11 erwähnt Cicero selbst eine goldene Bildnisstatue, die ihm in Capua aufgestellt wurde. Es wird eine vergoldete Bronze gewesen sein, was in der Antike wie im Mittelalter dem Erscheinungswert des Goldes gleichkam. Diese hohe Auszeichnung und Ehrung galt - wie auch alle übrigen - nicht dem Redner und Schriftsteller sondern dem verdienten Staatsmann und Politiker Cicero. Die beiden anderen literarischen Zeugnisse für die Existenz zeitgenössischer Bildnisse Ciceros sind mehr von indirekter Art. Während seines Amtsjahres als Provinzialstatthalter von Kilikien im Jahre 51 v. Chr. hat sich Cicero nach eigener Erklärung alle Ehrungen verbeten, die Geld kosteten: „nullos honores mihi nisi verborum decerni sino, statuas, fcma, xeSptTtira prohiheo ..." schreibt er an Atticus 5, 21. Und in einem Brief an Bruder Quintus 1, 25 erwähnt Cicero, daß die Gemeinden Asiens den beiden Brüdern hätten Tempel errichten wollen - pro meis magnis meritis et pro tuis maximis heneficiis - ganz freiwillig als Dank für bedeutende Verdienste und umfangreiche Wohltaten. Diese Ehrungen hätten sie aber beide zurückgewiesen; doch weist Marcus seinen Bruder daraufhin, daß er derartige Ehrungen, wenn sie wie im Falle des Bruders für wirkliche Verdienste verliehen werden, für gerechtfertigt halte, und welche Anerkennung für seine bisherige Tätigkeit darin liege, daß er in den Städten seines Amtsbereiches seine Tugenden verewigt und zu den Göttern erhoben sähe. Ob und wieweit also nach Aussage dieser Selbstzeugnisse die Ablehnung und die in Hinblick auf die ausgesprochene Ruhmessucht auffallende Zurückhaltung der beiden Ciceronen gegenüber solchen im griechischen Osten üblichen Ehrenbezeugungen verdienter Zeitgenossen wirklich echt gewesen ist, läßt sich wohl nicht mehr entscheiden; man darf aber berechtigte Zweifel hegen, zumal wenn wir feststellen müssen, daß Cicero mit keinem Wort die hohe überaus ehrenvolle Auszeichnung erwähnt, welche die Bewohner von Samos ihm und Bruder Quintus mit ihren Frauen und Söhnen zuteil werden ließen. Schon während der ersten deutschen Ausgrabungen im Heraion in den Jahren 1911-1914 durch Theodor Wiegand vmrde das Ehren-

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Ludwig Budde

monument der Ciceronen, in Form einer Exedra gebildet, freigelegt®, von dem bei späteren Ausgrabungen weitere Bauglieder, darunter zwei weitere Deckplatten mit Dedikationsinschriften geborgen werden konnten. Die am besten erhaltene Dedikationsinschrift des Ehrenmonuments ist die für eine Statue des Marcus Tullius Cicero: o 5r][i.o; Mapxov TuXXtov Mapxou utov Kixepwva. Die beiden später gefundenen Inschriften gehören zu einer Statue der Pomponia, der Frau des Quintus Tullius Cicero, bzw. zu einer Statue des Quintus Tullius Cicero, des Sohnes des gleichnamigen Bruders des Marcus. Die Behandlung des Gesamtbefundes in den Athener Mitteilungen 68, 1953, 63 ff. durch Gottfried Gruben und Friedrich Karl Dörner haben bestätigt, daß auf dieser Exedra der engste Familienkreis der Brüder Marcus und Quintus aufgestellt warS mit Ausnahme von Tullia, der Tochter des Redners; Tullia fehlt hier, weil sie durch ihre Verheiratung bereits aus dem engsten Familienverband ausgeschieden war. Die Anordnung der Bronzefiguren läßt sich aus der Folge der beschrifteten Deckplatten erschließen sowie auch aus den Standspuren und den Dübellöchern für die Verankerung der Figuren: Beginnend mit dem jungen Quintus, dann die breitere Gewandfigur der Pomponia mit einem Fuß auf demselben Block - doch wohl der Figur ihres Mannes Quintus - , anschließend am Beginn der rechten Hälfte die Standspuren der Figur des Marcus, wozu in analoger Anordnung zur linken Hälfte die Frau des Marcus Terentia und der Sohn Marcus dem jungen Quintus gegenüber angenommen werden darf. Auf dem Postament in der Mitte wird mit Recht eine Statue vermutet, vielleicht die Personifikation einer Tugend oder doch wohl am ehesten die der Roma, die das Brüderpaar mit leichter Drehung und Hinwendung zu einander und zu der Mittelfigur einrahmt. In diesem Zusammenhang erinnert man sich sogleich an jene Stelle in dem bereits erwähnten Brief Ciceros an Quintus, wo Cicero den Bruder ermahnt, bei der Verewigung seines Namens in prächtigen 3 M. Schede, MDAI (A) 44, 1919, 33 f , Nr. 19; M. Schede u. A. v. Gerkan, Zweiter vorläufiger Bericht über die Ausgrabungen von Samos, SPrAW ph.-h. Kl. 1929, Nr. 3. < Vgl. MDAI (A). 68, 1953, Abb. 2.

Das Bildnis des Marcus Tullius Cicero

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Denkmälern immer auch an die gesamte Familie zu denken: ea - gemeint ist die memoria - tibi est communicanda mecum, prodenda liheris nostris. Für die wichtige Frage nach der zeitlichen Einordnung des Ehrenmonuments scheidet eine posthume Ehrung neben anderen Erwägungen schon deshalb aus, weil beide Brüder sich in den Wirren des Bürgerkrieges von ihren Frauen scheiden ließen. Zudem sind die Söhne der beiden Brüder nach Ausweis der Einlaßspuren eindeutig noch jugendlich gewesen. Als Zeitpunkt bietet sich, nicht zuletzt wegen des Alters der beiden jungen Ciceronen', am besten das Jahr 51/50 an während bzw. im Anschluß an die Provinzialstatthalterschaft des Marcus in Kilikien, wohin Quintus, der frühere Prokonsul von Asia (61-58), als Legat, Berater und Helfer den Bruder begleitete. Die Errichtung einer großen marmornen Exedra mit ehernen Bildnisstatuen an einer derartig bevorzugten Stelle im Tempelbezirk des Heraions bedeutete zweifellos eine ganz besondere Anerkennung für die Brüder, die sich in mannigfacher Weise um die Bewohner Kleinasiens, die griechischen Gemeinden des Ostens insgesamt, darunter nach eigenen Angaben auch von Samos, so sehr verdient gemacht hatten. Es ist selbstverständlich, daß die ausführenden Künstler diese Bildnisstatuen der Ciceronen nur aus persönlicher Anschauung schaffen konnten; d.h. die Ciceronen müssen mit ihren Frauen und Söhnen den Künstlern gesessen haben. Von daher schon ist eine Kenntnis des Ehrenmonuments und das Einverständnis zu seiner Errichtung durch Marcus und Quintus Cicero zu fordern, wie auch angenommen werden darf, daß bei der feierlichen Enthüllung des Denkmals die Geehrten selbst anwesend waren. Nur die ängstliche Rücksichtnahme auf eventuelle Auswirkungen hinsichtlich ihres Rufes und Ansehens in der Hauptstadt Rom, auf die dort herrschende prekäre politische Situation erklärt, daß Cicero diese samische Ehrung, wohl auch weitere dieser Art, verschwiegen hat. '

Quintus iunior wurde im Jahre 67 oder 66 geboren, war also ein oder zwei Jahre älter als sein Vetter Marcus. Für gesonderte Ehrenstatuen scheidet demnach für beide Söhne das frühe Datum (61-58), das Dörner a.O. 67 annimmt, wohl von vornherein aus.

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Ludwig Budde

Etwa gleichzeitig mit der samischen Bildnisstatue Ciceros dürfte die Bildnisschöpfung sein, die in den sechs Porträtwiederholungen vorliegt, deren Beurteilung und Ausdeutung in der Archäologie freilich ganz unterschiedlich sind. Die bereits oben geäußerte Überzeugung, daß zumindest fünf von ihnen Repliken eines einzigen ehernen Urbildes sind, soll im folgenden kurz begründet werden. Dabei können die beiden Wiederholungen in Turin' und in Mantua' wegen ihrer schlechten Erhaltung und ihrer geringen Qualität beiseite gelassen werden, zumal an ihrer Beurteilung als Wiederholungen eines der drei übrigen Bildnisse nicht gezweifelt wird. Aber auch der Aussagewert der Büste im Apsley House in London® ist entgegen dem übersteigerten Lobpreis durch Bernhard Schweitzer in seinem grundlegenden Werk „Die Bildniskunst der römischen Republik" so gering, daß ihr Verdienst sich eigentlich nur auf die Inschrift beschränkt. Ansonsten sind bei dieser Wiederholung aus dem zweiten Jahrhundert n. Chr. nur geringfügige Partien antik, diese zudem geputzt, überarbeitet und dadurch stark verändert. Angesichts dieser Sachlage läßt sich nicht mit letzter Sicherheit entscheiden, ob dieses Londoner Exemplar ebenfalls eine - wenn auch weitgehender abgewandelte - Variante der übrigen fünf ist, oder vielleicht doch für sich allein steht und auf eine besondere Bildnisschöpfung zurückzuführen ist'. Im letzteren Fall müßte ein allerengster Zusammenhang des zugrundeliegenden Originals mit dem Urbild, das den übrigen fünf Varianten zugrundeliegt, gefordert werden. Für unsere Untersuchungen beschränken wir uns auf die drei am besten erhaltenen und zugleich qualitativ besten Exemplare in den

Museo di Antichitä. BernouUi a.O. 137, Institutsnegativ, Rom, Nr. 7726; Schweitzer a.O. 91. A. Levi, Sculture Greche e Romane del Palazzo Ducale di Mantova, Rom 1931, 55 f, Nr. 102, T. 60; P. Arndt-F. Bruckmann, Griechische und römische Porträts, München 1891 ff., 256; Schweitzer a.O. 92, Abb. 142/ 3/6/7. Schweitzer a.O. 91, Nr. 1, Abb. 135/7/56 (mit älterer Literatur; dazu Laurand a.O. 309 f.). S. hierzu P. H. v. Blanckenhagen, Gn. 22, 1950, 332.

Das Bildnis des Marcus TuUius Cicero

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Uffizien (Abb. 1)'°, im Kapitolinischen Museum" und im Vatikan". Jedes von ihnen stellt, so ist die communis opinio, Cicero in einem anderen Lebensalter dar, obwohl doch von vornherein schon erkennbar ist, daß altersmäßig keine entscheidenden Unterschiede feststellbar sind. Das Florentiner Bildnis, das bedeutendste und m.E. beste der ganzen Reihe, das zugleich von allen Wiederholungen das Urbild am treuesten bewahrt, zeigt den gut fünfzigjährigen Mann um die Mitte des 1. Jahrhunderts v. Chr.; so muß Cicero schon am Beginn des Altems ausgesehen haben, mit sorgfätig verkämmter Stirnglatze; die breite gefurchte Stirn, modelliert von der Arbeit des Gedankens, überschattet die kleinen, schon müden, suchenden Augen mit den zahlreichen nervös bewegten Fältchen darum. Eine lange edle Nase teilt die hageren erschlafften Wangen, die sich mit tiefen Falten absetzen von dem kraftlosen Mund und dem weichen runden Kinn. Insgesamt ein ehrwürdiges Bild eines Menschen, der aus den Wirren der Zeit nach Wahrheit und Erkenntnis strebt, wie Cicero es gewesen ist. Dieses Bildnis ist wirklichkeitsgetreu, die Form knapp und schlicht, das Ganze ausgesprochen realistisch. Als Entstehungszeit für die Kopie darf die zweite Hälfte des ersten Jahrhunderts n. Chr. angenommen werden, als beginnend in der Spätzeit des Claudius der griechisch gestimmte Klassizismus der augusteisch-tiberischen Zeit endgültig durch den flavischen Stil abgelöst wird, der seinerseits die republikanische Tradition des römischen Realismus wieder aufgreift und zum Siege verhilft. Angesichts der Wesensverwantschaft beider Stile, des flavischen aus der 2. H.d. 1. Jh. n. Chr. und des spätrepuplikanischen um die Mitte des 1. Jh. v. Chr., dürfen wir annehmen, daß der flavische Künstler das Urbild mit größter Treue in seiner Kopie wiederzugeben versucht hat.

Schefold a.O. 175; Schweitzer a.O. 92, Nr. 8, Abb. 143, 147. Nach Photo ALINARI N. 1198. Stanza dei Filosofi 1350. W. Heibig, Führer durch die öffentlichen Sammlungen klassischer Altertümer in Rom, hg. von Hermine Speier, 2. Bd., Tübingen 1966, 169 (v. Heintze) mit älterer Lit. Museo Chiaramonti 319. Helbig-Speier I, 247 (v. Heintze) mit Lit.

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Ludwig Budde

Dieser Florentiner Kopf ist jedenfalls der einzige von allen Wiederholungen, der besonders im Profil in der metallisch harten, ziselierten Wiedergabe der Haarlocken deutlich erkennen läßt, daß das zugrunde liegende Original ein Werk aus Metall gewesen sein muß. Den Unterschied in dieser Eigenart läßt der Vergleich mit der entsprechenden Seitenansicht der Kapitolinischen Wiederholung auf den ersten Blick erkennen, als deren Entstehungszeit die augusteische Epoche gelten darf. In diesem Fall ist jede Form dem Marmormaterial angepaßt, werden z.B. die einzelnen Locken stofflich weich und vereinfacht. So verschieden die plastische Struktur in diesen beiden Wiederholungen des Ciceroporträts auch ist, in der bis in Einzelheiten hinein gehenden, geradezu völligen Übereinstimmung des Haares, der gesamten Frisur, erweist sich, daß es sich unzweifelhaft um Kopistenvarianten ein- und desselben Originals handeln muß. Man hat diese nicht wegzuleugnende Tatsache solcher Übereinstimmungen, die genauso für die übrigen Wiederholungen gilt, damit erklären wollen, daß auf diese Weise bei den vorausgesetzten originalen Bildnissen Ciceros eine, wie Schweitzer es ausdrückt, verläßliche Wiedergabe des Dargestellten verbürgt wurde. Wäre das richtig und erwiese sich aus anderen Gründen, daß die drei Hauptwiederholungen des Ciceroporträts auf drei verschiedene selbständige Bildnisschöpfungen zurückgeführt werden müßten, die sich auf etwa drei Lebensjahrzehnte Ciceros verteilen ließen, dann müßte gefordert werden, daß dem jeweiligen Künstler die Bildnisschöpfung des Vorgängers nicht nur bekannt gewesen wäre, sondern ständig vor Augen gestanden haben müßte, was selbstverständlich als eine unhaltbare Hypothese abzulehnen ist. Wenn später römische Kaiserporträts der öfteren an einmal geschaffenen Bildnistypen sorgfältig festhalten, gelegentlich auch im Sinne fortschreitenden Alters des Dargestellten abwandeln, so hängt das mit der besonderen politischen, propagandistischen und stellvertretenden Aufgabe des Herrscherbildnisses seit Augustus zusammen. Durch Musterporträts, gemalte Bildnisse u.a. vmrde der offizielle Herrscherbildnistyp im weiten Imperium verbreitet, nach dem die einzelnen Künstler dann ihre mehr oder weniger treuen Wiederholungen verfertigten.

Das Bildnis des Marcus Tullius Cicero

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Für Cicero und noch für Cäsar existierte eine solche offizielle Bildniskunst nicht. Der Schluß ist unabweislich: es kann sich angesichts der Übereinstimmung allein schon der Haarfrisur - aber auch alles Andere geht in die gleiche Richtung - nur um Kopistenvarianten eines einzigen zugrundeliegenden Originals handeln. Die jeweiligen geringen Abweichungen voneinander sind aus der Freiheit der Kopisten zu verstehen, die Verschiedenheiten im Charakter nicht aus dem verschiedenen Lebensalter oder der wechselnden Reife des Dargestellten, sondern aus dem jeweils herrschenden Zeitstil, in dem die einzelne Kopie verfertigt worden ist, d.h. zugleich auch in der jeweils sich wandelnden Einstellung zum Cicerobild. Der Kopf im Vatikan, ist offensichtlich noch strenger und vereinfachter als die kapitolinische Wiederholung. Dadurch mag der Eindruck aufgekommen sein, als wenn in ihm eine verschiedene Lebensund Alterstufe Ciceros festgehalten sei. In Wahrheit lassen eine nachträgliche Glättung und gewisse Eigenarten des trockenen und harten trajanisch-hadrianischen Klassizismus den Kopf entspannter wirken, als es das Original mit Sicherheit gewesen ist. Ähnliches gilt für die vorzügliche Fassung im Kapitolinischen Museum; ihre Entstehung in mittelaugusteischer Zeit erklärt ohne Schwierigkeiten die etwas einheitlichere größere Differenzierung der physiognomischen Züge aus den Eigenarten und Tendenzen des augusteischen Klassizismus gegenüber denen des härteren hadrianischen Klassizismus. Die plastische Form erscheint durch den Einfluß des Klassizismus wohlgebildet, überall herrscht harmonische Bewegung und eine Gefälligkeit der Linienführung, welche die flavische Kopie in Florenz in diesem Ausmaß nicht kennt. Die stärkere Linearität und die Reduzierung auf Großflächigkeit erhebt die augusteische Fassung im Vatikan mehr ins Überpersönliche. Das Alles aber ist die Leistung und das Werk des augusteischen Klassizismus. Es wäre reizvoll und gewinnbringend, an Parallelfällen den gleichen Vorgang der Verwandlung eines Urbildes in erhaltenen Repliken aufzuzeigen, um die Richtigkeit der hier vertretenen Kopienbewertung zu untermauern. An dieser Stelle müssen wir uns mit dem Hinweis auf das Caesarbildnis begnügen. Ein paar Jahre nur später

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Ludwig Budde

als das originale Cicerobildnis ist das Porträt Caesars aus Tusculum in Turin^' geschaffen, das als das einzige unter den zahlreichen erhaltenen Bildnissen des Diktators gelten darf, das noch zu Lebzeiten von ihm gearbeitet worden ist, vielleicht in diesem Fall sogar das Original selbst ist. Auch das die genaue und eindringliche Wiedergabe eines einmaligen Menschengesichts. Man darf vermuten, daß dieses Bildnis den Mann so gibt, wie ihn seine Zeit sah, und wie er selbst gesehen werden wollte, nicht wie man ihn später sah als erhöhtes Wesen. Gegenüber dem in der Florentiner Wiederholung faßbaren CiceroUrbild ist freilich das dort noch spürbare Pathos des späten Hellenismus aus der 1. Hälfte des 1. Jh. v. Chr. noch weiter abgeklungen, sodaß der Kopf aus Tusculum beruhigter wirkt und klarer, dadurch stärker als das Cicerobildnis auf den augusteischen Klassizismus hinweisend. Den Gegensatz von Lebendigem und Körperhaftem vermochte die römische Kunst um die Mitte des ersten Jahrhunderts v. Chr. noch nicht aufzugeben, selbst nicht bei den Darstellungen Caesars. Erst unter Augustus entstand ein Caesarporträt, das nicht in erster Linie Abbild war, sondern vor allem Vorbild sein sollte, in der vatikanischen Wiederholung" beispielsweise, aus der gleichen Zeit, in der auch die kapitolinische Wiederholung des Ciceroporträts das Urbild im klassizistischen Sinne verwandelte. In diesem Gesicht ist nichts mehr von dem momentanen Affekt des Caesar in Turin, erst recht nichts mehr von dem des Cicero, wie er am reinsten in der Florentiner Wiederholung faßbar wird. Die augusteische Bildniskunst begründete eben in dieser Zeit des ausgehenden ersten Jahrhunderts v. Chr. aus der Vereinigung griechischer und römischer Überlieferung eine neue Epoche. Die griechischen Vorbilder des augusteischen Klassizismus sind bekanntiich die Werke der griechischen Klassik des 5. u. 4. Jahrhunderts v. Chr. Auch schon die Höchstleistungen der republikanisch-römischen Bild"

C. Carducci, II Museo di Antichitä di Torino, Rom 1959, 69; Enciclopedia dell'Arte Antica Classica e Orientale II 521 ff., Abb. 720. (A. Giuliano, mit älterer Lit.); H. Kahler, Rom und seine Welt, München 1958, T. 81. Schefold a.O. 176.

Das Bildnis des Marcus Tullius Cicero

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niskunst um die Mitte des 1. Jh. v. Chr. sind nur verständlich aus einer verwandten fruchtbaren Verbindung des italisch-römischen Realismus mit der griechischen Kunst; freilich im Gegensatz zum nachfolgenden augusteischen Klassizismus lehnen sich damals die republikanischen Künstler nicht an die eigentliche Klassik an sondern an den mehr wesensverwandten frühen Hellenismus. Wenn Plutarch Cicero mit Demosthenes vergleicht, so gilt dieser Vergleich auch darin, daß das künsderische Vorbild des Cicerobildnisses in frühhellenistischen Redner- und Philosophenbildnissen, vor allem in dem des Demosthenes (Abb. 2)" zu suchen ist. Schlichtheit und Einfachheit, strenge Geschlossenheit sind die Wesenszüge des Demosthenesporträts, gesammelte Kraft und energiegeladenes Menschentum findet hier in klaren Formen Ausdruck. Barockes und Pathetisches ist ihm fremd. In solchen frühhellenistischen Bildnissen ist ohne Zweifel die Ahnenreihe des Cicerobildnisses zu finden; durch die Anlehnung an solche griechischen Vorbilder wird im Cicerobildnis der späthellenistisch-römische Barock wie der italisch-römische Realismus gedämpft und gebändigt. Nur insofern sind wir berechtigt, das Cicerobildnis als früheste klassizistische Schöpfung zu bezeichnen. Plutarch sagt beim Vergleich Ciceros mit Demosthenes", daß der Charakter des letzteren durch Herbheit und düstere Strenge ausgezeichnet gewesen sei. Cicero dagegen habe gerne gelacht, sich durch seine Spotdust oftmals zu niedriger Spaßmacherei hinreißen lassen, die emsthaftesten Dinge ins Lächerliche gezogen. Auf dem Anditz des Demosthenes habe stets ein gewisser Ernst gelegen, und nicht leicht seien aus ihm diese Nachdenklichkeit und Versonnenheit gewichen. Dagegen habe Ciceros Gesicht, wie überhaupt anscheinend dem Mann Lachen und Spotten wesensgemäß gewesen seien, meist Lächeln und Heiterkeit gezeigt. Zu dieser Charakterisierung Ciceros paßt das plastische Bildnis des Mannes erst dann ganz, wenn man sich in der flavischen Wiederholung in Florenz die gewdsse Verhärtung fort-

Den gleichen Standpunkt vertritt J. Fink a.O. 29. Unsere Abb. 2 nach Photo Anderson 5320 u. 5318. 1,6.

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Ludwig Budde

denkt, die durch den kaiserzeidichen Kopisten in das ursprüngliche Bild hineingetragen worden ist. Eine Hilfe stellt hierfür das ausgezeichnete Terrakottabildnis der Sammlung Loeb im Münchner Museum antiker Kleinkunst (Abb. 3)" dar, in dem Sieveking ein zeitgenössisches Altersbildnis Ciceros gesehen hat. Als zeitgenössisches Original gibt es jedenfalls den römischen realistischen Stil der Caesarzeit treuer wieder, als Kopien das je vermöchten. Wer aber mit uns von allen Wiederholungen des Ciceroporträts der Florentiner den Vorrang der Treue gibt, der könnte wohl geneigt sein, den Vorschlag Sievekings zu akzeptieren. Eine letzte Entscheidung in dieser Frage ist deshalb nicht zu gewinnen, weil ein wesentliches Hilfsmittel der Bestimmung, die Frisur, fehlt. Dazu kommt, daß es sich schon wegen des Materials und des kleinen Maßstabs um ein mehr privates Bildnis handeln muß, das entsprechend den Dargestellten weniger offiziell schildert. Dieses hervorragende Bildnis könnte Cicero etwa in jenen Jahren darstellen, als er selbst an der Schwelle des Greisenalters nicht lange vor Caesars Tod durch seine Schrift „Cato maior de senectute" mit der Last des Alters fertig zu werden sich bemühte. Wir empfinden an diesem originalen Bildnis wie bei dem sekundären marmornen Cicerobildnis inhaltlich eine gewisse Spannung von Idee und Verwirklichung, künsderisch die Höhe der Leistung der Porträtkunst der Cicerozeit, die aus der Vereinigung griechischer und römischer Überlieferung, aus der Durchdringung des Römischen mit griechischer Formkraft eine neue Epoche begründet. Das wiederum entspricht genau der geistigen Haltung des Römers Cicero, der ganz von griechischer Bildung durchdrungen und durchgeistigt, ohne dabei das Römertum zu verleugnen, die Aufgabe sich stellte und erfüllte, in einer Reihe größerer und kleinerer philosophischer Werke in lateinischer Sprache seinem Volk die Güter griechischer Weisheit zu vermitteln.

Nach Aufnahmen des Museums, die Dieter Ahrens liebenswürdigerweise vermittelte. J. Sieveking, Terrakotten der Sammlung Loeb II, München 1916, 43 ff., T. 104/5; Schefold a.O. 178, 2; Schweitzer a.O. 86, Nr. 7.

Bildtafeln zum Beitrag Ludwig Budde, Das Bildnis des Marcus Tullius Cicero

la.

Bildnis des Cicero.

Florenz, Uffizien. Marmor.

Ib.

Bildnis des Cicero.

Florenz, Uffizien. Marmor.

2a.

Bildnis des Demosthenes. Rom, Vatikan.

2b.

Bildnis des Demosthenes. Rom, Vatikan.

3a.

Terrakottakopf des Cicero.

München, Antikensammlungen.

3b.

Terrakottakopf des Cicero.

München, Antikensammlungen.

Grundlinien des römischen Zivilprozesses zur Zeit Ciceros von MAX KÄSER, Hamburg

I. In einer akademischen Stunde eine einigermaßen anschauliche Übersicht über den römischen Zivilprozeß zur Zeit Ciceros zu geben, und noch dazu vor einem Zuhörerkreis, der nicht oder nur ausnahmsweise juristisch vorgebildet ist, bedeutet eine kaum zu bewältigende Aufgabe. Ich muß mich daher notgedrungen auf einige wesentliche Grundsätze und Erscheinungen dieses Verfahrens beschränken und meine Zuhörer, soweit sie an Einzelheiten interessiert sind, auf die Literatur verweisen. Ich bitte, es mir nicht als Unbescheidenheit auszulegen, wenn ich an dieser Stelle auf mein Handbuch „Das römische Zivilprozeßrecht"' verweise. Aber es ist die letzte einigermaßen auf Vollständigkeit bedachte Darstellung des Gegenstandes, die zugleich das wesentliche Quellenmaterial und eine umfangreiche Spezialliteratur anführt. Ich kann ferner, um der mir gestellten Aufgabe zu genügen, hier nur auf das Prozeßrecht selbst eingehen, nicht auf die Privatrechtsordnung, zu deren Schutz und Verwirklichung der Zivilprozeß dient. Der Inbegriff aller der verschiedenen Ansprüche, die Gegenstand eines Zivilprozesses sein können, ist ein weites, noch viel umfangreicheres Feld, das über den Rahmen dieser Veranstaltung beträchtlich hinausginge. '

C. H. Beck-Verlag, München 1966.

Cicero

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Max Käser

Auch auf die einzelnen konkreten Rechtsfälle, die in den cicero nischen Werken vorkommen, kann ich mich hier nicht einlassen. Von den Prozeßreden Ciceros sind vier in Zivilprozessen gehalten: pro Quinctio, pro Q. Roscio comoedo, pro Tullio, pro Caecina. Ihnen liegen im ganzen recht verwickelte Sachverhalte zugrunde, die in manchen Einzelheiten umstritten sind; ich muß auch dafür auf das spezielle Schrifttum verweisen^. Cicero kommt auf Gegenstände des Zivilprozesses aber auch in seinen sonstigen Reden zu sprechen, die zumeist in Strafprozessen gehalten sind; außerdem in seiner rhetorischen und philosophischen Literatur. Dabei ergeht es uns jedoch leider so, wie in unserer Prozeßrechtsgeschichte häufig: Cicero konnte bei seinen Zuhörern oder Lesern Dinge als bekannt voraussetzen, ohne sie ausdrücklich zu nennen, die uns heute ernstes Kopfzerbrechen machen. Danach begreift es sich, daß gerade die Geschichte des römischen Zivilprozeßrechts an Hypothesen besonders reich ist. Die prekäre Lage der heutigen Forschung über diesen Gegenstand wird dadurch noch verstärkt, daß auch unsere sonstige Quellenunterrichtung lückenhaft, um nicht zu sagen sporadisch ist. Unsere Hauptquelle für das römische Prozeßrecht bis in die Prinzipatszeit hinein ist das 4. Buch der Institutionen des Gaius, einer für den juristischen Elementarunterricht verfaßten Schrift aus der Zeit um 160 n. Chr. Diese Schrift enthält - zum Glück für uns - auch einen knappen Abriß über die älteren Erscheinungen. Aber erstens führt uns Gaius nur das sog. Aktionenrecht vor, mit dem er die vorangehende Darstellung des Privatrechts ergänzt. Er hat es also weniger auf den ^ Zur ersten, zweiten und vierten der genannten Reden s. M. A. von Bethmann-Hollweg, Der römische Civilprozeß, Bd. 2, Bonn 1865, 783 ff.; zur ersten, dritten und vierten F. L. von Keller, Semestria ad M. T. Ciceronem, Zürich 1842 ff.; zu den ersten drei jetzt die mit Anmerkungen versehene Ausgabe 'Marco Tullio Cicerone, Le orazioni per Publio Quinzio, per Sesto Roscio Amerino, per l'attore comico Quinto Roscio, per Marco TuÜio' von V. Arangio-Ruiz, E. Longi, G. Broggini, Mailand 1964. — Aus der Literatur vgl. E. Costa, Cicerone giureconsulto, 2. Aufl., 2 Bde., Bologna 1927; G. Broggini, Aus Ciceros Anwaltstätigkeit, Neue Juristische Wochenschrift 1962, 1649 ff. = Studi in onore di B. Biondi, Mailand 1965, Bd. 2, 681 ff.; F. Wieacker, Cicero als Advokat, Berlin 1965; weiteres bei L. Wenger, Quellen des römischen Rechts, Wien 1953, 243 f.

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eigentlichen Prozeßablauf abgesehen als auf die Varianten, die sich für die verschiedenen privatrechtlichen Ansprüche und Verteidigungsmittel ergeben. Zweitens läßt sein Abriß viele Einzelheiten unberührt, von denen wir nur aus anderen Quellen etwas erfahren; hauptsächlich aus den Werken der klassischen Jurisprudenz in den ersten zweieinhalb Jahrhunderten n. Chr., soweit sie uns namentlich im Corpus iuris überliefert sind. Dazu kommen gelegentliche Äußerungen nichtjuristischer Schriftsteller wie - neben Cicero - hauptsächlich Varro, Cato, Festus, Gellius, Macrobius, Servius u.a., schließlich vereinzelt auch Urkunden aus der Praxis. So müssen wir uns also aus einem stark verstreuten und lückenhaften Material, das uns gleichsam nur mit punktförmigen Informationen ausrüstet, ein vielfach hypothetisches Gesamtbild davon zusammenbauen, wie der römische Prozeß ausgesehen und wie er funktioniert hat.

II. Unter Zivilprozeß versteht man in Rom wie heute alles gerichtliche Verfahren, das zur Feststellung und Verwirklichung streitiger Privatrechte bestimmt ist. Zu diesen Prozeßgegenständen gehören beispielsweise Ansprüche aus der Nichterfüllung von Schulden, etwa von Verbindlichkeiten verschiedenen Inhalts aus Darlehen, Kauf, Miete usf., weiter auf Schadensersatz aus Benachteiligungen verschiedenster Art, ferner Ansprüche auf Herausgabe vorenthaltenen Eigentums oder vorenthaltener Erbschaften usw. Durch die Beschränkung auf privatrechtliche Begehren unterscheidet sich der Zivilprozeß vom (öffentlichen) Strafprozeß. Doch ist festzuhalten, daß der Umkreis der römischen Zivilprozesse auch manche Gegenstände umfaßt hat, die heute in die Strafgerichtsbarkeit gehören. Hat jemand von einem anderen einen Diebstahl (furtum) oder eine Beleidigung (iniuria) erlitten, so ist die Bestrafung des Täters heute Sache des Strafrichters; der Täter erhält eine Freiheitsstrafe oder er muß eine Geldstrafe an die Staatskasse bezahlen. In Rom dagegen hat aus solchen delicta privata der Verletzte einen Anspruch auf Buße (poena), die ihm selbst

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zufällt und die den Zweck hat, die ihm zugefügte Kränkung zu sühnen. Diese zivilen Pönalansprüche lassen sich, wenn auch nicht ganz genau, am ehesten mit unserem Schmerzensgeldanspruch vergleichen. Der eigentliche Strafprozeß zur Verfolgung von crimina publica, mit denen in stärkerem Umfang öffentliche Interessen verletzt werden, hatte daneben ein viel engeres Feld als heutzutage. Um im Zivilprozeß privatrechtliche Ansprüche durchzusetzen, muß das Begehren des Klägers zunächst gerichtlich nachgeprüft und festgestellt werden. Diesem Zweck dient der eigentliche Prozeß, das Streitverfahren vor dem Richter, das in ein Urteil ausmündet. An dieses Erkenntnisverfahren schließt sich, wenn der Beklagte zu einer Leistung verurteilt worden ist, das Verfahren der Zwangsvollstreckung an, mit dem dieses Urteil in die Wirklichkeit umgesetzt, also dem Kläger dasjenige verschafft wird, was er vom unterlegenen Beklagten verlangen kann. Wir betrachten zuerst das Erkenntnisverfahren, dann die Vollstreckung.

III. Eine der auffälligsten Eigentümlichkeiten des römischen Zivilprozeßverfahrens besteht darin, daß es sich nicht wie heute in seinem ganzen Verlauf von der Klage bis zum Urteil vor dem staatlichen Richter abspielt, sondern daß es in zwei Phasen eingeteilt ist. Nur die erste geht vor dem staatlichen Träger der Gerichtsbarkeit, regelmäßig dem Prätor, vonstatten; die zweite dagegen vor einem Urteilsgericht (iudicium), das aus einem oder mehreren Geschworenen besteht. Nehmen wir an, der Kläger verlangt vom Beklagten die Rückzahlung eines Darlehens. Dann wird er den Beklagten vor den Prätor laden {in ius vocare — vor Gericht rufen) und dort sein Begehren vortragen. Der Prätor amtiert auf der Gerichtsstätte, die ius heißt; danach wird diese erste Phase das Verfahren in iure genannt. Der Prätor hört das Begehren des Klägers an, sodann das Vorbringen des Beklagten, er prüft auch gewisse allgemeine Voraussetzungen, ohne die ein gültiges Verfahren nicht stattfinden kann. Findet der Prätor, daß das Ver-

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fahren für den Kläger von vornherein aussichtslos ist, weil es an einer solchen Prozeßvoraussetzung fehlt, oder weil die Unbegründetheit des Begehrens klar zutage liegt, dann weist er den Antrag des Klägers auf Rechtsschutz von vornherein zurück. Wenn umgekehrt der Beklagte das Begehren ohne weiteres als gerechtfertigt anerkennt (confessio in iure), bedarf es ebenfalls keines Prozesses; dann kann der Prätor (unter bestimmten Umständen) sogleich die Vollstreckung zulassen. In aller Regel wird jedoch der Beklagte das Begehren des Klägers bestreiten, der Prätor aber befinden, daß dieses Begehren nicht von vornherein haltlos ist. Der Prätor wird dann den Prozeß zulassen und damit, dem Antrag des Klägers entsprechend, ein Verfahren in Gang setzen, das im Endergebnis auf eine Entscheidung darüber abzielt, ob die Behauptung des Klägers oder die Bestreitung des Beklagten berechtigt ist. Diese Entscheidung kann nur in einem Beweisverfahren gefunden werden, in dem die Beweisgründe, die der Kläger und der Beklagte vorbringen, geprüft und gegeneinander abgewogen werden. Dieses Beweisverfahren führt aber der Prätor nicht selbst durch, sondern überläßt es einem oder mehreren Geschworenen in dem zweiten Verfahrensabschnitt. Für das Vorgehen des Prätors gegenüber dem Vorbringen der Parteien ergibt sich hiemach; Der Prätor prüft noch nicht, ob das Begehren des Klägers wirklich begründet ist, ob er also wirklich die Rückzahlung des Darlehens vom Beklagten zu verlangen berechtigt ist; denn darüber kann erst auf Grund des Beweisverfahrens entschieden werden. Der Prätor unterstellt vielmehr die Behauptungen des Klägers vorläufig als wahr und untersucht, ob für ein Begehren solcher Art, wie es der Kläger vorträgt, ein Rechtsschutz in der Rechtsordnung überhaupt anerkannt ist. Das ist im Fall des Darlehens ohne weiteres offenkundig; denn daß man aus einem hingegebenen Darlehen die Rückzahlung verlangen kann, hat die römische Rechtsordnung bereits seit langem anerkannt. In anderen, komplizierteren Fällen aber bedarf es der Prüfung, ob der Kläger etwas verlangt, was sich im Zivilprozeß durchsetzen läßt; ob also sein Begehren nicht von vornherein deshalb zurückgewiesen werden muß, weil es selbst dann nicht zum Erfolg führen könnte, wenn sich im Beweisverfahren herausstellt, daß die

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tatsächlichen Behauptungen des Klägers zutreffen. Anders ausgedrückt: Der Prätor untersucht, ob der Kläger eine anerkannte actio hat, d.h. ob das vorgetragene Begehren unter die in der Rechtsordnung vorgesehenen actiones fällt. Es gibt für alle anerkannten Ansprüche, aus Darlehen, aus Kauf, aus Diebstahl, aus Beleidigung, aus Eigentum, aus Erbrecht usw., jeweils eine besondere actio mit ihren besonderen Voraussetzungen; und ausnahmsweise darf der Prätor den Umkreis dieser Aktionen auch noch von Fall zu Fall erweitern. Stellt der Prätor fest, daß das Begehren des Klägers einer actio entspricht, dann erteilt er diese actio dem Kläger für den konkreten Prozeß (actionem dare). Diese actio ist ein Grundbegriff der römischen Rechtsordnung. Das Wort bedeutet ursprünglich die „Handlung", nämlich technisch die prozessuale Handlung, mit der der Kläger sein rechdiches Verlangen zum Gegenstand eines Rechtsstreites macht. Man kann sie als „Klage" bezeichnen, sofern man sich nur der vielfältigen Unterschiede von der heutigen Klage bewußt bleibt. Die actio ist für jeden rechtlichen Anspruch je nach seinen unterschiedlichen Tatbestandselementen verschieden gestaltet, wenn auch das Verfahren großenteils einheitlich abläuft. Demgemäß gibt es eine besondere actio empti des Käufers, actio venditi des Verkäufers, actio mandati des Auftraggebers oder des Beauftragten, actio furti des Bestohlenen, actio iniuriarum des Beleidigten usf. Die actio aus Darlehen {actio certae creditae fecuniae) und bestimmten anderen Tatbeständen heißt aus besonderen Gründen condictio, die aus dem Eigentum rei vindicatio, die aus dem Erbrecht hereditatis petitio. Von den verschiedenen Grundlagen, auf denen diese Aktionen beruhen können, wird noch die Rede sein. Erteilt der Prätor die vom Kläger beantragte actio, dann kommt es, wie gesagt, zur Einsetzung eines Urteilsgerichts mit einem oder mehreren Geschworenen (itidices). Man hat sich gefragt, wie diese Zweiteilung des Prozesses zu erklären sei. Man hat dafür das demokratische Prinzip angerufen, wonach das Urteil nicht vom staatlichen Amtsträger, sondern von Männern aus dem Volk gefunden werden sollte. Aber die Zweiteilung geht in eine Zeit zurück, in der Rom von Demokratie noch weit entfernt war. Es zeigt sich vielmehr, daß die Urteilsrichter zu derselben aristokratischen Oberschicht gehörten wie

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die Prätoren. Man hat sich ferner auf das Bedürfnis der Prätors berufen, sich bei der steigenden Zahl von Prozessen, die das Anwachsen des römischen Staatswesens mit sich brachte, zu endasten. Er gibt das Beweisverfahren ab, weil dieses erfahrungsgemäß zumeist der zeitraubendste Teil des Prozesses ist. Aber auch dieses Motiv erklärt nur einen Teil der Fälle, nicht alle. Am glaubwürdigsten erscheint mir die Annahme, daß man schon seit früher Zeit das Verfahren geteilt hat, um den Parteien einen Einfluß auf die Auswahl der Geschworenen einzuräumen und dadurch das Vertrauen der Parteien in die Unparteilichkeit der Rechtspflege zu stärken'. Als Geschworene werden in alter Zeit nur Senatoren zugelassen. Erst später wird der Kreis erweitert; frühestens unter den Gracchen auf Angehörige des Ritterstandes. Besetzt wird das Urteilsgericht für die meisten Zivilprozesse mit einem Einzelrichter (iudex unus). Nur gewisse besonders bedeutsame Prozesse (z.B. solche um große Erbschaften) kommen vor die centumviri (die aber in Kammern tagen, die nur mit einem Bruchteil der Gesamtzahl besetzt sind), femer Freiheitsprozesse vor die decemviri litihus iudicandis, schließlich bestimmte internationale Sachen und solche von gehobenem öffentlichem Interesse vor kleine Richterbänke, die recuperatores. Für alle diese Geschworenengerichte gilt aber, daß ihre Besetzung durch das Los ermittelt wird, wobei die Parteien ein - allerdings ziffernmäßig beschränktes - Ablehnungsrecht haben. Den Einzelrichter können die Parteien außerdem durch Übereinkunft ermitteln; zunächst aus der Richterliste, später aus allen Personen, die bestimmten allgemeinen Erfordernissen genügen. All dies zeigt, daß man den Parteien nur solche Urteilsrichter geben wollte, auf deren Auswahl ihnen ein rechtlich geschützter Einfluß zusteht. Das gleiche Bedürfnis nach Unparteilichkeit der Urteilsrichter hat vielleicht auch ähnliche Erscheinungen eines geteilten Verfahrens im altorientalischen, griechischen und germanischen Prozeß verursacht; doch kann ich mich darauf hier nicht weiter einlassen.

'

Hierzu vgl. M. Käser, Römische Gerichtsbarkeit im Wechsel der Zeiten, Jahrbuch der Göttinger Akademie der Wissenschaften, 1966, 31 ff.

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IV. Bei der Einsetzung dieses Geschworenengerichts tritt ein weiterer eigentümlicher Wesenszug des römischen Zivilprozeßrechts zutage. Das von einem solchen Gericht gefällte Urteil bindet die Parteien nur, wenn sie sich dem urteilsgerichtlichen Verfahren unterworfen haben. Heutzutage bedarf es solcher Unterwerfung nicht mehr: Jedermann ist kraft Gesetzes dem Verfahren von vornherein unterworfen; und wenn er als Beklagter nicht vor Gericht erscheint, muß er damit rechnen, daß durch Versäumnisurteil zugunsten des allein erschienenen Klägers entschieden wird. So galt es auch schon im außerordentlichen Prozeß der römischen Kaiserzeit, aber nicht im ordentlichen, der den traditionellen Grundsätzen folgt: Hier gibt es gegen den widerspenstigen Beklagten, der sich im Verfahren vor dem Prätor der Verfolgung entzieht, kein Versäumnisverfahren. Ein solcher Beklagter sieht sich zwar von anderen sehr wirksamen und harten indirekten Zwangsmitteln für den Fall bedroht, daß er im Verfahren nicht mitspielt; aber ein Urteil in der Sache selbst ist ohne seine Mitwirkung nicht möglich. In diesem Erfordernis der Unterwerfung beider Parteien liegt ein „privatistisches" Element, das an die Schiedsgerichtsbarkeit erinnert. Auch die Sprüche eines Schiedsgerichts sind für die Streitparteien nur verbindlich, wenn sie sich ihm unterworfen haben. Diese Ähnlichkeit hat die Forschung zeitweise zu dem Versuch verleitet, den ganzen römischen Zivilprozeß auf ein urzeitliches Schiedsgericht zurückzuführen; doch wird diese gefährliche Hypothese heute mit guten Gründen wohl allgemein verneint. Die Unterwerfung der Parteien unter das urteilsgerichtliche Verfahren geschieht durch einen Akt, der regelmäßig am Ende des Verfahrens vor dem Prätor steht und als litis contestatio bezeichnet wird. Auf den Namen und die Hypothesen um diesen Akt ist hier nicht einzugehen". Soviel steht jedoch unbestritten fest, daß dieser Akt den Angelpunkt des Verfahrens bezeichnet, mit dem, modern gesprochen, S. zuletzt M. Käser, Zum Formproblem der litis contestatio, ZRG, Romanistische Abt., 84, 1967, 1 ff.

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das „Prozeßrechtsverhältnis" begründet wird, und an den sich auch noch weitere prozessuale und privatrechtliche Wirkungen knüpfen. Inhalt dieses Akts ist die Unterwerfung der Parteien unter das Dekret des Prätors, mit dem er den Streit einsetzt, und zwar nicht nur darüber, daß überhaupt dieser konkrete Rechtsstreit durch ein urteilsgerichtliches Verfahren entschieden werden soll, sondern vor allem auch über das genaue Prozeßprogramm, d.h. über die genau umschriebene Rechtsfrage oder das Bündel von Rechtsfragen, die den rechtlichen Gegenstand dieses Prozesses bilden. Hier wird also festgelegt, über welche actio der Prozeß durchgeführt werden soll, z.B. über die Klage aus einem bestimmten Darlehen des A an B in der und der Höhe, über das Eigentum an diesem bestimmten Grundstück, über den Diebstahl, den X am goldenen Ring des Y begangen hat, usw. Dieses Streitprogramm kann dadurch kompliziert werden, daß das allgemeine Schema der betreffenden actio für den besonderen Fall abgewandelt werden muß, oder daß der Beklagte gewisse Verteidigungsmittel vorbringen kann {praescriptiones, später exceptiones), mit denen er die actio bekämpft.

V. Bei der litis contestatio und bei den Formen, in denen das Streitprogramm niedergelegt wird, tritt uns nun ein grundlegender Gegensatz zwischen zwei Verfahrensarten entgegen, die zur Zeit Ciceros noch nebeneinander bestanden haben, nämlich den Verfahren per legis actiones und per formulas. 1. Die Legisaktionen sind das älteste, also ursprünglich einzige Verfahren, sie gehen mit ihren Wurzeln in die Frühzeit zurück und werden durch Altertümlichkeit und Schwerfälligkeit gekennzeichnet. Ihren Namen haben sie davon, daß sie (zumeist) in den XII Tafeln und späteren Volksgesetzen eingeführt oder geregelt sind; sie sind auch auf solche privatrechtliche Ansprüche beschränkt, die ihre Grundlage in Volksgesetzen haben. Es gibt mehrere Arten von Legisaktionen: Der ältesten, aber noch zur Zeit Ciceros bestehenden legis actio sacra-

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mento ist wesentlich, daß jede der beiden Parteien bei der Streiteinsetzung eine Art Wetteinsatz in Geld zu leisten hat, den die siegreiche Partei zurückbekommt, während der Einsatz der unterlegenen Partei dem Tempelschatz verfällt. Die später eingeführten Legisaktionen verzichten für bestimmte Ansprüche auf das sacramentum: die legis actio per iudicis arhitrive postulationem und die legis actio per condictionem. Allen Legisaktionen ist gemeinsam, daß sie durch bestimmte feierliche Spruchformeln der Parteien und des Prätors eingesetzt werden. Da diese Formeln auch das Streitprogramm enthalten, wird man im Sprechen dieser Formeln (dem lege agere) das litem contestari zu erblicken haben. 2. Die Legisaktionen erweisen sich durch ihren strengen Formalismus und durch ihre Beschränkung auf die gesetzlich geregelten Ansprüche mit der Zeit als unpraktisch. Die Prätoren haben daher aus eigener Macht, d.h. gestützt auf ihre Jurisdiktionsgewalt ohne volksgesetzliche Ermächtigung, daneben eine zweite Verfahrensart geschaffen, den Formularprozeß. Er verzichtet auf die Spruchformeln, bei ihm wird das Streitprogramm in einer schon frühzeitig schriftlich fixierten Formel (formula) niedergelegt. Diese Formel ist viel elastischer gestaltet als die starren Spruchformeln; und auch in vielen sonstigen Einzelheiten erweist sich der Formularprozeß als beweglicher und fortschrittlicher als die Legisaktionen. Die Prätoren haben im Formularprozeß eine ganze Reihe von Ansprüchen einklagbar gemacht, die nicht gesetzlich geregelt waren, sondern nur von ihnen selbst als gerichtlich durchsetzbar anerkannt wurden, also auf ihrer Jurisdiktionsgewalt beruhten. Der Inbegriff dieses vom Prätor geschaffenen Rechts ist das ius honorarium oder ius praetorium im Gegensatz zu dem zumeist auf Gesetzen beruhenden ius civile. Außerdem war der Formularprozeß von vornherein auch im Rechtsstreit mit oder unter Nichtbürgern (peregrini) anwendbar, während die Legisaktionen ganz oder im wesentlichen auf die römischen Bürger beschränkt waren. Die römischen Juristen haben auf die Ausgestaltung der Regeln für die formulae viel Kunstfertigkeit aufgewendet, so daß diese schließlich für alle anerkannten Arten von Ansprüchen brauchbar waren.

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Der Anwendungsbereich des Formularprozesses wird ursprünglich nur solche Fälle betroffen haben, in denen die Legisaktionen nicht zugelassen waren. Um seiner größeren Zweckmäßigkeit willen hat man den Formularprozeß aber allmählich auch auf den Bereich dei Legisaktionen ausgedehnt. Durch Volksgesetze, die lex Aebutia aus dem 2. Jh. v. Chr. und die leges luUae unter Augustus, hat man den Formularprozeß für bestimmte Bereiche mit den gleichen Wirkungen ausgestattet wie die Legisaktionen. Zur Zelt Ciceros ist der Formular prozeß jedenfalls bereits für die meisten Zivilprozesse die allgemeine Regel, obwohl vereinzelt auch noch Legisaktionen vorkommen. Erst die julischen Gesetze haben den Legisaktionenprozeß (bis auf wenige Ausnahmen) beseitigt.

VL In der späten Republik gab es bereits für jede actio (aus Kauf, Miete, Eigentum, Erbrecht, Diebstahl, Beleidigung usw.) eine besondere formula, die von den Juristen entworfen worden war. Insgesamt sind es weit über hundert. Der Prätor verkündete für jeden solchen Typus eine Musterformel in seinem Edikt; und wenn ein Kläger eine actio beantragte, wurde dieses Blankett benutzt, indem man die Namen der konkreten Parteien, den konkreten Prozeßgegenstand usw. einsetzte. Die bewährten Musterformeln haben die Prätoren alljährlich von ihren Vorgängern übernommen. So bildete sich allmählich ein Grundstock solcher Formelblankette aus, die zum festen Bestand des Edikts gehörten. Die Entwicklung des prätorischen Edikts war, was seinen Inhalt angeht, in der ausgehenden Republik im wesentlichen abgeschlossen. Es versteht sich, daß aus Gründen der Rechtssicherheit die Prätoren am Edikt nur selten und aus wohlüberlegten Gründen etwas geändert haben. Doch stand es dem Prätor frei, wenn er in einem einzelnen vom Edikt nicht gedeckten Fall einen Rechtsschutz für angemessen hielt, auch eine nichtediktale Klage, eine sog. actio in factum, zu gewähren. Viele im Lauf der Zeit neu geschaffene Aktionen werden sich aus solchen actiones in factum ent-

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wickelt haben, die dann, weil sie sich bewährt haben, ins Edikt aufgenommen wurden. Der Aufbau der Klagformeln folgt im allgemeinen dem Schema: „si paret ... iudex .... condemnato, si non faxet, ahsolvito", also „Wenn es sich erweist (es folgen dann die einzelnen Anspruchsvoraussetzungen des Privatrechts und Prozeßrechts) , sollst du, Richter, den Beklagten zugunsten des Klägers verurteilen, wenn es sich nicht erweist, sollst du freisprechen". Damit kennzeichnet sich der Formelinhalt als eine Instruktion an das Urteilsgericht: Die Geschworenen sind an das in der Formel enthaltene Prozeßprogramm gebunden, sie müssen die in der Formel genannten Voraussetzungen prüfen und dürfen nur in der Weise urteilen, wie es die Formel vorschreibt. Das Formelschema kann in Einzelfall dadurch abgewandelt werden, daß einzelne Voraussetzungen aus der Musterformel herausgenommen oder andere in sie eingefügt werden (actiones utiles); ferner dadurch, daß eine exceptio aufgenommen wird, also eine Klausel, die der Verteidigung des Beklagten dient. Wie der Name sagt, enthält sie eine „Ausnahme" von den Verurteilungsbedingungen: Der Richter darf nicht verurteilen, wenn er die exceptio, die der heutigen „Einrede" entspricht, begründet findet; z.B. bei der Darlehensklage, wenn der Beklagte die exceptio pacti vorbringt, weil ihm der Kläger die Rückzahlung des^ Darlehens erlassen oder gestundet hat. Schließlich sei noch auf eine besondere Verfahrensart hingewdesen: das interdictum. Das Verfahren ist hier straffer gestaltet als bei den Aktionen; zumeist handelt es sich um Ansprüche von gehobenem öffentlichem oder sakralem Interesse. Das interdictum ist ein Verbot oder Befehl, den der Prätor auf Antrag des Klägers nach summarischer Prüfung an den Beklagten erläßt; z.B. das Verbot, einen bestehenden Besitz des Beklagten zu stören (vim fieri veto), oder den Befehl, eine Sache herauszugeben (restituas). Unterwirft sich der Beklagte freiwillig, wie es häufig geschieht, wenn er sieht, daß es dem Kläger mit seiner Verfolgung ernst ist, so ist das Verfahren bereits zu Ende. Handelt der Beklagte jedoch dem Interdikt zuwider, weil er sich im Recht glaubt, kommt es zu einem Streitverfahren vor einem Urteilsgericht, das im wesentlichen den gleichen Grundsätzen folgt wie im

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Aktionenprozeß und nur in einzelnen Zügen etwas beschleunigt ist.

VII. W i r haben bisher im wesentlichen das Verfahren vor dem Prätor besprochen, in dem es um die Festlegung des Streitprogramms, also um die Bestimmung der zu entscheidenden Rechtsfragen, und weiter um die Einsetzung des Urteilsgerichts geht. An die Stelle des Prätors sind als Gerichtsmagistrate ausnahmsweise die kuruUschen Ädilen berufen, die aber eine Jurisdiktionsgewalt nur für einen sachlich eng begrenzten Kreis von Ansprüchen haben, hauptsächlich aus Käufen von Sklaven und Zugtieren. In den Provinzen lag die Gerichtsbarkeit bei den Statthaltern. Cicero berichtet uns (ad Att. 6, 1, 15) von dem Edikt, das er selbst als Statthalter von Kilikien nach bestimmten Vorbildern aufgestellt hat; außerdem von der sizilischen Statthalterschaft des berüchtigten Verres, der sich bei seiner Gerichtsbarkeit mannigfache Übergriffe hat zuschulden kommen lassen. Die Grundsätze der römischen Jurisdiktion wurden in den Provinzen offenbar schon seit alters laxer gehandhabt als in der Hauptstadt. Die Degeneration, der der Formularprozeß im Lauf der Prinzipatszeit unterlag, wird von solchen provinzialen Abweichungen ihren Ausgang genommen haben.

VIII. Zum Verfahren vor den Urteilsrichtern (Geschworenen) kann ich mich kurz fassen. Dieses Verfahren war nur durch wenige feste Rechtsregeln geordnet, im übrigen aber weithin dem Ermessen des Richters (oder der Richterbank) überlassen. Den Hauptinhalt dieses zweiten Verfahrensabschnitts bildet das Beweisverfahren, in dem die Argumente dargelegt werden, aus denen das Gericht sein Urteil gewinnen soll. Die Vorführung der Beweise, unter denen Zeugenaussagen und Urkundenvorlegung im Vordergrund stehen, ist Sache der Parteien, nicht des Gerichts. Das Verfahren ist beherrscht vom Grundsatz der

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„freien Beweiswürdigung", einer der stolzesten Errungenschaften des römischen Rechtsgeistes: Dem Urteilsgericht steht es frei, wie es die vorgeführten Beweise beurteilen und welche Folgerungen es daraus ziehen will. Soweit sich Beweisregeln und rechtliche Vermutungen herausgebildet haben, werden sie nicht als starr verbindlich angesehen. Vor dem Urteilsgericht geht es nur zum Teil um Rechtsfragen, zum anderen, meist größeren Teil um Tatsachenfragen. Es begreift sich, daß hier zur Entfaltung der forensischen Redekunst Gelegenheit geboten war, um die Meinung der Urteilsrichter zu formen. Auch die Prozeßreden Ciceros wurden vor dem Urteilsgericht gehalten; nicht vor dem Magistrat, vor dem es nur um die nüchterne Frage des Streitprogramms geht. Und gerade Ciceros Reden zeigen, mit welchen juristisch nicht selten bedenklichen Mitteln psychologischer Beeinflussung der Redner gearbeitet hat, um seine Partei ins Recht und den Gegner ins Unrecht zu setzen. Für das Auftreten zugunsten der Parteien vor Gericht ist dreierlei zu unterscheiden. Der eigendiche Prozeßvertreter, der entweder ein cognitor oder ein •procurator sein kann, nimmt die Kläger- oder Beklagtenrolle für die zumeist abwesende Partei wahr. Der advocatus steht der Partei (oder ihrem Vertreter) bei. Er tritt sowohl in iure wie vor dem Urteilsrichter auf und zeichnet sich regelmäßig durch persönliches Ansehen, zumeist auch durch Rechtskenntnisse aus und darf für die Partei vor dem Prätor Anträge stellen. Der orator oder patronus endlich wird, wie gesagt, nur vor den iudices tätig. Für ihn ist die Beherrschung der Rhetorik wichtiger als die der Jurisprudenz, die ihm nur als Mittel zum Zweck dient, und auf die er als bloßes Handwerkszeug mit dem Stolz des populären Künstlers herabzublicken pflegt®. Immerhin hat Cicero aus den Oratoren seiner Zeit noch durch verhältnismäßig genaue Rechtskenntnisse hervorgeragt, die er gelegendich recht schlau zu handhaben wußte. Die eigentlichen Rechtskenner, die iuris consulti, treten im Prozeß nur selten als advocati auf. Gleichwohl haben die großen römischen '

Über das Verhältnis zwischen Jurisprudenz und Rhetorik vgl. etwa Fritz Schulz, Geschichte der römischen Rechtswissenschaft, Weimar 1961, 47 ff.; 62 ff.

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Juristen an der Geschichte des Prozeßrechts wie des gesamten Privatrechts den stärksten gestaltenden Anteil gehabt. Sie sitzen im consilium des Prätors, der ja selbst juristischer Laie ist und in der politischen Laufbahn nur ein Jahr lang die Gerichtsmagistratur wahrnimmt. Er bedarf darum der ständigen Beratung durch die Fachleute, die er sich aus den besten Rechtskennern seiner Zeit in sein freigewähltes Beraterkollegium holt. Es waren daher die Juristen, die als die wahren geistigen Urheber großer Stücke des römischen Privatrechts und Prozeßrechts erkannt werden müssen. Daneben haben aber auch die Urteilsrichter, die gleichfalls juristische Laien waren, sich eines solchen consilium von Fachjuristen bedient. Nimmt man hinzu, daß auch die Parteien für ihre Prozesse vielfach Gutachten (responsa) der Juristen einholten, die sie dann vor Gericht produzierten, so wird es verständlich, daß die schöpferische Kraft der iuris consulti auf alles Prozeßgeschehen entscheidend eingewirkt hat. Die von den Rhetoren mißachteten sachlichen Hervorbringungen der Juristen haben sich auf die Dauer als lebenskräftiger und fruchtbringender erwiesen als das eitle Blendwerk der Rhetorik.

IX. Doch kehren wir zurück zum Verfahren! Nach dem Abschluß der Beweisführungen durch die Parteien fällt das Gericht das Urteil (sententia), dessen Inhalt sich, wie wir sahen, nach der Formel zu richten hat. Es lautet regelmäßig entweder auf eine Verurteilung (condemnatio) des Beklagten oder auf seine Freisprechung (absolutio). Eine Eigentümlichkeit des ordentlichen römischen Zivilprozesses, wonach die Verurteilung immer auf eine bestimmte Geldsumme gerichtet war (condemnatio 'pecuniaria), auch wenn eine andere Leistung, beispielsweise die Herausgabe eines Grundstücks, eingeklagt worden war, kann ich hier nur erwähnen, ohne auf die schwierige Frage nach dem Warum einzugehen. Das Urteil, wenn wirksam zustandegekommen, ist endgültig; eine Berufung (appellatio) an eine weitere Instanz kennt erst die Prinzipatszeit.

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Ist der Beklagte verurteilt worden, kommt es zur Zwangsvollstrekkung. Auch für sie hat es in alter Zeit Legisaktionen gegeben, besonders die legis actio •per manus iniectionem zur Personalvollstreckung. Sie konnte nach den XII Tafeln, wenn der Verurteilte nicht durch Zahlung der Urteilssumme gelöst worden war, sogar zu seiner Tötung oder Versklavung führen. Zur Zeit Ciceros ist diese Härte längst beseitigt. Jetzt stehen eine Personal- und eine Vermögensexekution nebeneinander zur Verfügung. Die Persowaiexekution besteht in einer Art Schuldknechtschaft: Der verurteilte Beklagte wird vom siegreichen Kläger in Haft genommen und muß bei ihm die Schuld abarbeiten. Wirksamer und zielstrebiger ist demgegenüber die VermögeMsvollstreckung. Heutzutage besteht sie gegen den zahlungsfähigen Schuldner regelmäßig darin, daß ihm die Vermögensgegenstände, die dem Gläubiger gebühren, weggenommen werden, oder daß Sachen beim Schuldner gepfändet und sodann versteigert werden, damit der Gläubiger aus dem Erlös befriedigt werde. In Rom dagegen war die ordentliche Vermögensexekution noch zur Zeit Ciceros immer Generalexekution, also das, was wir heute Konkursverfahren nennen. Das gesamte Aktivvermögen des Schuldners wurde beschlagnahmt und — anders als im heutigen Konkurs — en bloc durch Versteigerung verkauft, und zwar an denjenigen Ersteher, der bereits war, den Gläubigern des Gemeinschuldners die höchste Quote ihrer Forderungen zu bezahlen. Es versteht sich, daß dieses harte Verfahren, das den Schuldner nicht nur mit dem Verlust seines Aktivvermögens, sondern außerdem mit Ehrverlust bedroht, in der Praxis dazu geführt hat, daß sich die verurteilten Schuldner alle Mühe gegeben haben, die Urteilssumme aufzubringen und damit das Konkursverfahren abzuwenden.

X. Ich stehe mit meiner sehr knappen Übersicht, bei der ich viele Einzelheiten übergehen mußte, am Ende. Sie sollte Ihnen zeigen, daß die Römer für ihr Prozeßverfahren Wege gewählt haben, die von unseren heutigen Anschauungen vielfach abweichen; besonders da-

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durch, daß sie der Initiative der Parteien einen größeren Spielraum gewährt haben als unsere heutigen, stärker auf der Herrschaft des Gerichts beruhenden Prozeßordnungen. Im ganzen erweist sich aber der römische Zivilprozeß als ein mit höchster Sachgerechtigkeit und Zweckmäßigkeit ausgestatteter Mechanismus, der dem überragenden juristischen Ingenium der Römer alle Ehre macht. Die hohe Kunst, mit der die römischen Juristen ihr Privatrecht zu einem noch in der Gegenwart fruchtbaren Meisterwerk gestaltet haben, findet in der Prozeßordnung, die aus der römischen Sicht mit dem Privatrecht eine ungeschiedene Einheit bildet, ihr kongeniales Seitenstück.

Cicero

Ciceros Verbindung der Lehre vom Naturrecht mit dem römischen Recht und Gesetz Ein Beitrag zu der Frage: Philosophische Begründung und politische Wirklichkeit in Ciceros Staatsbild von ULRICH KNOCHE, Hamburg Meiner lieben Frau Käthe, geb. Wille, zum 18.8.1967

Das Thema „Philosophische Begründung und politische Wirklichkeit in Ciceros Staatsbild" habe ich mir nicht selber gewählt; da ein Verschwimmen ins Allgemeine nahegelegt werden könnte, habe ich es in meiner Weise abgewandelt. Ich halte es nämlich für ergiebiger, einen einzigen, fest abgegrenzten Fragenkomplex ruhig und fest zu betrachten, um ihn schließlich als das organische Glied eines größeren geistigen Ereignisses auszudeuten. Ich gehe dabei von der Tatsache aus, daß es Ciceros eigenes Schicksal gewesen ist, mit Leidenschaft und Ernst sowohl die Wirklichkeit als auch das Ideal immer wieder neu zu erleben, zu erleiden, und für dieses wie für jenes ohne Rast tätig zu werden. Nun, Wirklichkeit und Ideal sind oft genug miteinander nicht zu vereinen. In solchen Fällen reagiert Cicero selber mit Haß und Schmerz, mit Spott und Witz, mit Freude und Begeisterung. In solchen Situationen schafft er aber auch seine staatspolitisch-bildenden Schriften, gar nicht aus Verlegenheit, sondern als Monumente für die Gegenwart und für alle Zukunft. In wohlüberlegter Beschränkung soll hier lediglich die Epoche von seiner Rückkehr aus dem Exil anno

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57 V. Chr. bis zu seiner Abreise nach Cilicien am 1. Mai 51 etwas genauer ins Auge gefaßt werden. Die Epoche ist dadurch gekennzeichnet, daß der Staat in die Gewalt der Mächtigen, der potentissimi, gerät durch die Abmachungen von Ravenna und Lucca Anfang Mai 56, daß der Senat also schon dadurch und obendrein in sich selber uneinig das entscheidende Regiment verliert; daß sich in Rom Demagogie und Terror breit machen, und daß Pompeius, auf den man allgemein schaut, undurchsichtig und gar gewalttätig bleibt. Caesar ist zwar fern, aber durch seine Vertrauensleute in der Hauptstadt stets gegenwärtig und sehr mächtig; und Cicero, der sich als verdienter •princeps civitatis fühlt, gerät in Abhängigkeit von den Verbündeten, was ihm denn auch wieder viel Kummer und manche Demütigung einbringt, so daß er vor dem Milo-Prozeß anno 52 v. Chr. auf einen Nervenzusammenbruch gefaßt sein muß; und immer wieder hört man von ihm in diesen Jahren: Der Staat ist verloren - ita sunt omnia dehilitata et iam frofe exstincta (fam. 2, 5, 2 an C. Curio, anno 53); ein guter Bürger könne gar nicht mehr lachen, oder: Durch eigene Verfehlung, nicht durch die Tyche sind wir dahin gekommen, daß die freie Republik zwar - wörtlich genommen - noch besteht, tatsächlich aber müssen wir ihren Verlust längst beklagen. Der Kontrast zwischen Wirklichkeit und Ideal ist offensichtlich: In Wirklichkeit ist die lihera res publica - jedenfalls vorübergehend ausgelöscht; aber trotz allem bleibt Ciceros Glaube: Sie sei unsterblich, sie werde wiedererstehn, und anders sind Ciceros staatsphilosophischbildende Schriften aus dieser Epoche gar nicht zu begreifen: Die Wirklichkeit ist unwürdig; der Glaube ist unsterblich; die Jugend, die dem Idealen offen ist, ist da: Sie wird es schaffen. Aus dieser Zeitspanne höchster Diskrepanz zwischen der politischen Wirklichkeit und dem Idealischen, wie Cicero es sah, stammen unter anderem seine schönsten staatspolitisch-bildenden Schriften: Die drei Bücher De oratore, die den doctus orator empfehlen, und die sechs Bücher über den Staat, die vom besten Zustande des Staates und vom idealen Bürger - will sagen: prince-ps civitatis - handeln; denn der ideale Zustand des Staates kann eben nur gewährleistet werden, wenn ihn die idealen Männer leiten. Sehe ich das leitende Thema dieser

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Arbeitstagung an: „Cicero im Unterricht", so ist für die Behandlung dieser beiden Werke, De oratore und De re fuhlica, viel Gutes getan; ein Stiefkind ist, wie mir scheint, die Schrift über die Gesetze De legibus, die auch hierher gehört. Darum will ich das besondere Augenmerk ihr zuwenden. Es wird da durch Cicero die Lehre vom Naturrecht mit dem römischen Recht und Gesetz in Verbindung gesetzt, und es ist dies ein ungemein stark historisch bedingtes, zeitlich und durch die Person bestimmtes Werk, zugleich aber ein Werk von einer bedeutenden zeitlosen Tragweite. Besonders will ich den Blick darauf richten, wie Cicero es hier unternimmt, aus der Spannung zwischen verworrener Wirklichkeit und nachdrücklich-bekennender idealischer Gesinnung heraus, wichtige Grundlagen des römischen Lebens, nämlich Recht und Gesetz, mithilfe der griechischen Philosophie neu und eigenartig zu bestimmen, für seine Epoche, für die nächste Generation, auf die er hofft, und maaßgebend für die unendliche Zukunft. Jeder kennt die Vahlensche Textausgabe (2. Aufl. 1883); als handlichen Text darf ich die kleine vortreffliche Edition von Konrat Ziegler voraussetzen, in Kerles Heidelberger Texten 20, 1950; 2. Aufl. 1963. Was ist hier in spannungsreicher Zeit durch Cicero geschaffen? Die Bücher De legibus stellen eine Fülle von grundlegenden Fragen. Die Behandlung des Werkes durch Robert Philippson in der Realencyclopaedie s.v. Tullius erscheint merkwürdig lieblos; mit seltener Gründlichkeit dagegen ist es jetzt in der umfangreichen Freiburger Dissertation von Peter-Lebrecht Schmidt behandelt: Interpretatorische und chronologische Grundfragen zu Ciceros Werk De Legibus, 1959. Ich glaube aber, gerade im Rahmen eines Vortrages läßt sich die Eigenart und Bedeutung dieser besonders eigenwilligen Ciceronischen Schrift vielleicht noch etwas prägnanter charakterisieren. Was haben wir von der Materie vor Augen und in der Hand? Erhalten ist ein Torso von knapp drei Büchern; das Altertum konnte mindestens fünf Bücher lesen (Macr. Sat. 6, 4, 8). Der Verlust ist ohne Zweifel auf mechanische Weise entstanden. Das Werk tritt auf als ein ganz persönlich-bestimmtes Gegenstück zu Piatons „Gesetzen", zugleich als ein unentbehrliches Supplement

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zu Ciceros sechs Büchern über den Staat. Beides betont der Autoi nachdrücklich. War in Ciceros Büchern De re publica neben dem Bilde des besten Staatslenkers das Bild des besten Staatswesens auf der sittlichen und geschichtlichen Grundlage Altroms zur Anschauung gekommen, so sollen in dem Werke De legibus nun ganz konkret die Gesetze fixiert und erläutert werden, die jenem Staate angemessen wären (bes. 1, 20). Wenn ich im Groben sprechen darf, so handelt Buch 2 i.w. von den sakralen Gesetzen, De religione; Buch 3 vornehmlich von den Gesetzen der Behörnorganisation, De magistratihus; Buch 4 hat dann wohl die Gesetze des Gerichtswesens gebracht, den Brennpunkt des positiven Rechts, De judicüs et De potestatum jure (vgl. 3, 48); Buch 5 war offenbar der Erziehung gewidmet. De educatione et disciplina (vgl. 3, 29). Was weiter verloren gegangen ist, wissen wir nicht; vielleicht sollte man mit einem ursprünglichen Umfang von sechs Büchern rechnen. Als Höhepunkt war anscheinend eine Besprechung römischer Satzungen in dem Sinne intendiert, daß diese als tatsächliche Verwirklichungen allgemein-verbindlicher Normen zur Evidenz gebracht wurden. In diesen Büchern tritt Cicero auf als Nomothet, ähnlich, wie die Weisen des alten Hellas, er, der römische Consular, im Rom eines Pompeius, wie ein Vorsokratiker. Im Rahmen des römischen Lebens war das unerhört, wo doch das Gesetz Befehl des Volkes war: Lex est quod populus iubet atque constituit, heißt es. So stellen sich diese Bücher Ciceros betont dar als etwas ganz Unkonventionelles, als eine wohldurchdachte Erneuerung der Zwölf Tafeln durch einen einzelnen Mann, Cicero. Das einführende, grundlegende erste Buch ist rein theoretischer Natur: Auch dies etwas für Rom Unerhörtes; denn eine Rechtstheorie hat es in Rom gegen Ende der fünfziger Jahre ja nicht gegeben; und in diesem Zeitpunkt ist das Werk De legibus gewiß konzipiert und niedergeschrieben worden, mag es Cicero auch selber aus guten Gründen nicht publiziert haben. Erst recht hielt man es in Rom nicht für notwendig oder auch nur wünschenswert, Gesetze durch theoretische Gründe zu empfehlen. So hat denn auch die Forschung gerade an dem einleitenden Buch mancherlei Anstöße genommen, und ich will

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versuchen, gerade in der Konzentration auf dies Teilstück des Ganzen einen kleinen Beitrag zu der Frage zu bringen, wie man dies erste Buch von Ciceros doppeltem Ziel her verstehn sollte, dem Ziel einer Reorganisation des römischen Staatswesens und seiner Gesittung, zugleich aber dem Ziel einer Ideal- und Normensetzung schlechthin, aufgrund sowohl der Philosophie, als auch aufgrund der von Cicero tief-ethisch begriffenen, ins Ideale gehobenen Tradition des Römertums. Solche Sonderbetrachtung des ersten Buches ist einmal durch den Gegenstand gerechtfertigt: Als Quell der rechten Gesetze und des wohlverstandenen positiven Rechtes soll die Natur erkannt werden wiederum ein umwälzender Gedanke für Rom; denn da galt eben die Auffassung: fofulus legem iuhet, und das römische Volk ist ja nicht die Natur. Die Konsequenz des neuen Gedankens wird sich erst allmählich zeigen: Wenn das römische Volk, natürlich auf Antrag des Beamten, das Gesetz befiehlt, und wenn das positive römische Recht auf der Gesamtheit der römischen Gesetze beruht: Dann ist das römische Recht ein Sonderrecht, wie das der Albaner, der Praenestiner, der Athener oder Kreter, es ist ius proprium. Wenn es aber gelingt, den Gesetzesbefehl des römischen Volkes in Kongruenz zu bringen mit dem Gesetzesbefehl der Natur, dann könnte das römische Recht Weltenrecht werden, ius commune. Und dieser Versuch hier ist eine weitere revolutionäre Tat Ciceros. Das wäre ein Ausblick, und man müßte zusehen, ob nicht, so betrachtet, das erste, das theoretische Buch die unentbehrliche, allein sinnvolle Grundlage für die folgenden nomothetischen Bücher darstellen würde. Zur Einführung in die theoretische Grundlegung, die Cicero vornimmt, skizziere ich zunächst den Gedankenaufbau dieses ersten Buches in großen Zügen. Die eigentliche Besprechung der Sache hat Cicero in zwei Rahmenstücke eingefügt. Das vordere (1, 1-17) ist so etwas wie ein Prooemium. Es gibt Exposition und Thema des Gespräches. Die drei Teilnehmer des Dialogs werden vorgestellt, die mit ihrer persönlichen Autorität das Ganze tragen: Es sind M. Cicero, der Consular; sein

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Bruder Quintus und Pomponius Atticus, drei höchst verschiedene Persönlichkeiten: Quintus, der impulsive Optimat; Atticus, der Epikureer voller Selbstironie; Marcus, sowohl der bewährte Politiker als auch der überzeugte, und doch recht selbständige, Platoniker. Es ist ein vertrautes Gespräch. Das wird oft betont. Auch Piatons „Gesetze", Ciceros erklärtes Vorbild (1, 15), stellen ein Gespräch zu dritt dar; aber schon wird man des Unterschiedes inne: Bei Piaton sind es, außer dem Autor selber, der sich hinter der Gestalt des Atheners verbirgt, fingierte Gestalten; bei Cicero sprechen drei angesehene Männer, denen man täglich auf dem Forum begegnen konnte. Intendiert ist auch nicht, wie bei Piaton, die Schaffung einer Richtschnur für ein neu zu gründendes Staatswesen, sondern die Reform eines bestehenden, allerdings mit dem Blick auf die weiteste Zukunft. Rom ist ja der Mittelpunkt der Welt. Das vordere Rahmenstück bringt weiter eine Schilderung des Schauplatzes, die mit sichdicher Liebe geschaffen ist: Es ist Ciceros Landhaus, bei seinem Geburtsort, im Arpinatischen; es ist ein langer Sommertag, es sind Ferien, in denen sich die Freunde dem gebildeten otium hingeben, und die gelöste Atmosphäre wird ganz lebendig, in der das Gespräch stattfindet, voller Ernst und voll vertrauter Neckerei. Dann wird, nach einigen Umwegen, das Thema des ganzen Werkes ausgesprochen (1, 15): Über die Ordnung staadicher Gebilde und die besten Gesetze: De institutis rerum puhlicarum ac de optimis legibus. Dabei ist der Plural von Bedeutung; es geht also nicht allein um Rom, sondern das Ziel ist sehr viel weiter gesteckt. Alsdann folgt im besonderen das Thema des ersten Buches: Es soll zu vorderst von dem Quell der Gesetze und des positiven Rechtes die Rede sein: De fönte legum et iuris (1, 16); mit anderen Worten: Von den Grundlagen der Gesetze und des Rechtes, von den principia iuris (1, 18). Das ist der vordere Rahmen. Das abschließende Rahmenstück stelle eine Peroratio dar (1, 57-63); das Kernstück ist eine Lobrede auf die sapientia; sie wirkt wie ein mitreißender Aufruf, und Atticus bestätigt ihre Wucht und Wahrhaftigkeit (1, 63). Dahinein mündet das grundsätzliche Gespräch des ersten Buches;

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danach tritt ein Wechsel des Schauplatzes ein; es fehlt auch nicht die entsprechende Gebärde: Die Herren lassen sich zur weiteren Erörterung auf der Insel im Fibrenus nieder (2, 1), und es folgt dann die Gesetzgebung selber, ganz konkret, ausgehend von den gültigen römischen Gesetzen, erweiternd, verkürzend, ins Allgemeingültige fortentwickelt durch die Norm der Natur. Die Rahmenstücke umschließen die Behandlung des eigentlichen sachlichen Gegenstandes, der Grundlegung des Rechtes. Dies Thema wird in der Form des Dialogs behandelt, und der Reiz des Gespräches zwischen sachkundigen, tiefgebildeten Freunden in ihrem otium wird immer gewahrt. Cicero behandelt die Sache unter zwei hauptsächlichen Gesichtspunkten: 1. Die besondere Natur des Menschen als Grundlage allen Rechtes, zugleich eine Anlage und eine Forderung (1, 18-34). 2. Die besondere Natur der Gerechtigkeit als Grundlage des positiven Rechtes (1, 36 ff.); sie wdrd 1,48 als Wurzel und entscheidender Richterspruch aller Tugenden bezeichnet: Omnium virtutum causa atque sententia. Cicero will demnach im ersten Buche die Grundlagen des Rechts besprechen. Wie Atticus es 1,17 formuliert: Er will die iuris disdplina entwickeln, und zwar nicht, so sagt er, wie die Heutigen, aus dem Praetorischen Edikt, oder, wie die Früheren, aus den Zwölf Tafeln, sondern ganz und gar aus der Tiefe der Philosophie, penitus ex intima philosophia. Und das ist das entscheidende Programm - ein erstaunliches Unternehmen; aber nur auf diesem Wege, so glaubt Cicero, lasse sich der Grund legen für Gesetze, die niemals abgeschafft werden können — leges quae numquam ahrogentur (2, 14). Das wären also wirklich gerechte Gesetze: Für Rom wieder ein gänzlich neuer Gesichtspunkt; denn Cicero ist sich natürlich der Zeitund Interessengebundenheit sehr vieler römischer Gesetze bewußt. Er hatte das ja am eigenen Leibe erfahren, und nirgendwo steht geschrieben: Lex iusta esto. - 1, 18 geht Cicero aus von dem Axiom: Es gibt eine Weltvernunft. Sie sei die bestimmende Lenkerin der Weltordnung. Weltvemunft sei folglich gleichzusetzen mit dem Naturgesetz, und es ergibt sich die Gleichung: natura — summa lex = ratio summa. Das betrifft die natura rerum, die gesamte Welt.

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In dieser Welt lebt nun aber auch der Mensch; und der Mensch hat seine eigene Natur. Aufgrund seiner spezifischen Naturanlage sei er ein Vernunftwesen; demnach gilt für ihn die entsprechende Gleichung: Die naturgegebene Vernunft, verfestigt und vollendet, ist lex. Sie befiehlt, das Rechte zu tun, sie verbietet das Gegenteil; aber Vernunft und Gesetz sind im Menschen nur angefangen: Man muß den Gedanken der Naturanlage hier also dynamisch begreifen. Dieser Gesetzesbegriff stammt natürlich aus der griechischen Philosophie, nicht aus dem römischen Lebensbereich. Cicero betont die Umprägung auch von vorneherein (1, 18), und er scheidet 1, 19 diesen seinen Gesetzesbegriff von dem volkstümlichen, in Rom geläufigen. Er sagt: Die summa lex, im Menschen als perfecta ratio zur Evidenz und Wirksamkeit gebracht, sei jahrhundertelang vor der Aufzeichnung von Gesetzen, ja, vor jeglicher Staatengründung und staadicher Ordnung überhaupt lebendig und wirksam gewesen (1, 19). Das bedeutet: Der Mensch mit seiner besonderen Vernunftanlage füge sich ein in den Organismus des höchsten allgemeinen Naturgesetzes schlechthin, in den Organismus des obersten Ordnungsprinzips der Welt. Vernunft gehört zur besonderen Natur des Menschen; ihre Vervollkommnung ist ihm damit zugleich aufgegeben: Vernunft ist das Schicksal des Menschen, als Mitgift und als Antrieb. So wird hier unter lex das allgemeine natürliche, spezifisch menschliche, untrügliche Gefühl für Recht und Billigkeit verstanden. Und, so gefaßt, wäre denn lex mit natura und ratio, sowie mit der eigentümlichen Struktur des Menschen allerdings fest verbunden. Auch dies war gewiß kein geringer Affront gegen die in Rom tatsächlich geübte Rechtspraxis. Nun will Cicero aus seinen Praemissen das positive Recht herleiten, das ius (1, 19). Ist dem Menschen durch seine Vernunftanlage das natürliche Gefühl für Recht und sein Gegenteil mitgegeben, und ist ihm die Vervollkommnung seiner Anlage eine natürliche Aufgabe, also die Entwicklung der ratio zur in sich konstanten recta ratio, so muß man das Recht aus der so - ganz unkonventionell - verstandenen lex herleiten, also auch gerade das positive Recht, und vorwegnehmend bemerkt Ciceros Bruder Quintus: Dann müßte sich ja auch

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das Recht auf die Gerechtigkeit gründen lassen (1, 18), scheinbar eine Trivialität, in Wirklichkeit eine höchst erregende, folgenreiche und im damaligen Rom nicht sonderlich beachtete Bestimmung, was Quintus ebenfalls hier eigens betont. Nach einer längeren Ausführung darüber, daß die Vernunftbegabung den Menschen als Verwandten der Gottheit auszeichnet, daß er also mit dem Ewigen, Unsterblichen, Gültigen verwandt ist, geht Cicero 1, 28 unter Bezugnahme auf 1, 18 näher an sein besonderes Thema heran. Da stellt er die folgenden Thesen auf, die er braucht: Wenn es die Natur selber ist (1, 27), d.h. die Gottheit, welche den Menschen mit Vernunft begabt hat, und wenn sie es ist, welche den Menschen von der angelegten Vernunft - der incohata intellegentia (1, 27) - zur vollendeten Vernunft führt und antreibt, zur perfecta ratio: Dann folgt daraus dies, und Cicero schickt das thesenartig voraus: 1. Die Menschen sind insgesamt zur Gerechtigkeit geboren, nos ad iustitiam esse natos (1, 28); und 2. Das positive Recht (ius) beruhe nicht auf Vermutung und Vorstellung, sondern auf der Natur, neque ofinione sed natura constitutum esse ius. Auch dies war in Rom ein überaus revolutionierender Gedanke. Was die erste These betrifft, so ist ja die Gerechtigkeit eine Tugend. Dem entsprechend führt Cicero 1, 28 f. aus: Generell seien alle Menschen einander gleich von Natur. Individuelle Unterschiede erklären sich aus der Entartung der Gewohnheiten {depravatio consuetudinum, 1, 28), auch aus dem verschieden hohen Ausbildungsstand und anderen Accidentien. Aber ein jeder Mensch habe die Vemunftbegabung; alle Menschen hätten obendrein die Fähigkeit, wenn auch in verschiedenen Zungen, das auszusprechen, was sie denken und für richtig erachten, also die Gabe der vernünftigen, sinnvollen Sprache; alle haben auch die Fähigkeit, sich selbst zu vollenden, also die Möglichkeit der virtus (1, 30). Also sind alle Menschen in der positiven Naturanlage einander gleich, in rectis. Erstaunlich ähnlich sind sie einander aber auch in den negativen Anlagen, in pravitatihus (1, 31): Alle, so wird hier mehrfach betont, sind der Lust ausgesetzt, der Todesfurcht und den übrigen Affekten, die den Anschein der Naturgegebenheit bestechend vortäuschen. Also auch in dieser Hinsicht trägt das

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Menschengeschlecht dieselben Züge und Merkmale. Allerdings erfahren allüberall die Positiva eine positive Bewertung, so wird gelehrt, über die Negativa schweigt Cicero zunächst (I, 32); das Urteil ergibt sich ja von selber. Und so stellt sich das Menschengeschlecht, von mehreren Gesichtspunkten her betrachtet, dar als eine große natürliche Gemeinschaft, in der durch die Entscheidung für die richtige Lebensführung a l l e (so richtig ergänzt von Reifferscheidt) gebessert werden (1, 32). Das soll man gewiß so verstehn: Die consuetudo, die gefährlich werden kann und oft genug gefährlich wird, würde dann in Einklang gebracht mit der recht verstandenen Natur des Menschen; dann wäre die recta ratio verwirklicht. Das Ziel ist damit aufgerichtet. Die Tatsache der natürlichen Gemeinschaft der Menschen führt folgerichtig zur Schaffung des Rechtes. Das Recht wäre als Konsequenz der menschlichen Naturanlage erkannt; es beruht nicht auf Verabredung oder Übereinkunft (1, 33 Anfang). Und gleich geht Cicero dann auf den Einwand ein: Wie kommt es dann aber überhaupt zu Unrecht? Durch schlechte Gewohnheit, sagt Cicero, durch die mala consuetudo. Sie ist eigendich eine Macht, die von außen einwirkt; aber alle Menschen sind für sie sehr empfänglich. Durch sie kann die von der Natur begünstigte Anlage des Menschen erstickt werden. Und wie kommt es zur schlechten Gewohnheit? Die Antwort heißt: Durch die Scheidung von Nutzen und Recht (ins und utilitas), und der Gedanke läuft dann offenbar weiter so - der Text ist da etwas lückenhaft: lus und utilitas fallen naturgemäß zusammen; ius aber beruht auf natürlicher Grundlage; wer also ius und utilitas auseinanderreißt, der kann sich lediglich auf eine opinio berufen, und, falls er gar der utilitas den Vorzug gibt, dann begründet er die Lebensordnung nicht auf die Natur, sondern eben auf eine bloße Mutmaßung. Mutmaßungen indessen sind wandelbar, widernatürlich; und es bleibt dabei (1, 34): Ex natura ortum esse ius - wiederum ein Schlag gegen die römische Rechtspraxis, die doch vom Gewohnheitsrecht ausging und vollkommen davon beherrscht war. Abschließend werden 1, 35 die erörterten Gedankenreihen wie Thesen zusammengefaßt; Atticus spricht sie aus: 1. Die Menschen

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haben von den Göttern eine besonders günstige Veranlagung mitbekommen, die Vernunftbegabung. - 2. Alle Menschen sind gleichermaßen zur Gemeinschaft geboren; man könnte ergänzen: Die Verwirklichung ist also allen von der Natur aufgegeben. - 3. Alle Menschen sind von Natur zu gegenseitigem Wohlwollen bestimmt. - 4. Alle Menschen sind durch die so verstandene Rechtsgemeinschaft (societas iuris) miteinander verbunden: Menschliche Gemeinschaft, Recht und Humanität werden so zu einer natürlichen Einheit. Das erinnert an Gedanken, die aus Ciceros Büchern Über den Staat geläufig sind, und die später in den Büchern De officiis noch eindringlicher wiederkehren. Daher stammt ihre weltweite Nachwirkung. Mag Ciceros Werk über die Gesetze in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre v. Chr. konzipiert und eine Reihe von Jahren später allgemeiner bekannt geworden sein, so werden die hier vertretenen Gedanken die römischen Leser doch in rechtes Erstaunen versetzt haben. Cicero ist sich dessen auch bewußt, und er betont das, indem er seine Mitunterredner - doch hochgebildete Römer - Zwischenfragen stellen läßt und Zwischenbemerkungen äußern läßt von der Art: Ich möchte wohl wissen, worauf du hinauswillst (1, 22) oder: Du verfolgst aber die Grundlagen des Rechtes ziemlich weit zurück (1, 28, auch 1, 18), und was der Art mehr ist. Was ist denn hier das Erstaunliche für die Römer der Zeit? Einmal doch wohl die Kompromißlosigkeit, mit der hier das Recht a l l e i n von der Gerechtigkeit und nur von ihr abhängig gemacht wird. Und zum anderen, daß hier Recht als die einzige, und zwar als die natürliche Grundlage der menschlichen Gemeinschaft begriffen wird. Das sah ja in der Realität der fünfziger Jahre in Rom recht anders aus. Cicero betont es oft, daß er sich hier an griechische Gedankengänge anschließt. Das große Vorbild sind natürlich Piatons Gesetze (1, 15; 2, 14); Piaton ist allüberall gegenwärtig. Aber im Grunde hat Cicero Piaton doch für einen reinen Theoretiker gehalten, der sich den idealen Staat mit seinen Gesetzen nur ausgedacht und konstruiert habe. Demgegenüber will Cicero selber ein möglichst konkretes leitendes Bild schaffen, Gesetze aufstellen, die dem besten Staate tatsächlich angemessen sind, so wie ihn Scipio in den Büchern De re puhlica

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bestimmt und beschrieben hatte (1, 20 u.ö.), obendrein eine dazu passende Grundlegung der Gesinnung und Gesittung: Es konnte und solhe das nun wohl ein Weltrecht werden, als Auswirkung des Weltengesetzes. So läßt Cicero das Gespräch im römisch-senatorischen Rahmen seiner eigenen Gegenwart stattfinden und übernimmt selber die Rolle Piatons, des tiefsinnigen Gesetzgebers, er, durchaus kein bloßer Theoretiker, sondern ein römischer Consular, der sich seines verdienten Ansehens nicht allein im geistig-literarischen Bereich, sondern ebenso im öffendichen Leben Roms bewußt ist. Inhaltlich ist schon aus dieser ganz anderen Situation heraus materiell eine nur lockere Berührung mit Piatons Gesetzen gegeben; und doch folgt Cicero in der Lehre vom Naturrecht durchaus griechischen Quellen (1, 18; 19; 24; 28); hin und wieder nimmt er Kürzungen vor; die Aktualität der Lehre wird durch die Gesprächsteilnehmer empfohlen; denn Cicero erstrebt ja eine Reform der römischen Gegenwart oder ihrer nahen Zukunft; aber sein Blick schweift weit über Rom hinaus und in spätere Zeiten. Das wird sich gleich zeigen. Liest man die §§ 1, 18-35, so könnte man den Eindruck gewinnen, als ob Cicero hier in der Materie stoische Gedankengänge in seiner Weise vermittelt habe; aber man wird stutzen, wenn man z.B. 1, 31 liest, die Menschen seien einander auch in ihren negativen Eigenschaften sehr ähnlich, in pravitatihus, indem z.B. alle den Affekten ausgesetzt seien. Das klingt nicht gerade stoisch; denn da wurde ja gelehrt, jeder Affekt sei abhängig von der Zustimmung der Vernunft, und der Affekt wird in der strengen stoischen Doktrin genau vom unwillkürlichen Trieb, von der Reaktion, vom Reflex unterschieden. Hier scheint demnach ein weiterer Begriff von der natura hominis vorausgesetzt zu werden, als der streng dogmatische Begriff der Stoa von seiner reinen und bloßen Vernunftnatur. Schon dies weist auf ein ziemlich junges Stadium der hellenistischen Diskussion über die natura hominis hin, indem altstoische Gedankengänge vom Naturrecht verwandt werden, aber in eigentümlicher Abbiegung. - Auffällig ist es vielleicht weiter, daß der Gerechtigkeit eine bevorzugte Stellung unter den Tugenden zugewiesen wird (1, 28; 48), als ob sie der Erkenntniskraft den Primat geraubt habe! Auch das weist auf eine jüngere Quelle. Dann 1, 33 die

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Polemik gegen die Trennung von Nutzen und Recht, ein außerordentlich weittragender Gedanke: das scheint doch den Kameades und Kleitomachos vorauszusetzen. Kurz gesagt, Ciceros materielle Quelle scheint hier seiner eigenen Zeit nicht allzu fern zu liegen. Ich will mich jetzt dem zweiten großen Gedankengang zuwenden, 1, 36-54. Cicero betont den Einschnitt und vermerkt gleich mit Nachdruck, er wolle sich an die griechischen Autoren halten, qui nunc sunt, d.h. an die Modernen. Es soll jetzt das Recht nicht mehr aus der Natur des Menschen hergeleitet werden, sondern aus der Natur der Gerechtigkeit (iustiiia) - sinnvoll: denn, wenn den Menschen seine Natur zur Gerechtigkeit antreibt, dann ist wohl eine Betrachtung darüber nötig, wie man diese Gerechtigkeit selber verstehn und die Neigung zu ihr bejahen solle. Das Ziel wird 1, 37 erneut eingeprägt: Festigung von Staaten, Sicherung von Städten, Heilung von Völkern: Wieder ist das im Plural gesagt, wieder soll es sich nicht nur um eine Reform des römischen Staatswesens handeln, sondern um noch Größeres. Als Voraussetzungen werden vom Hörer verlangt, gewissermaßen als Axiome der Diskussion: 1. die Überzeugung, alles Richtige und sittlich-Wertvolle sei um seiner selbst willen erstrebenswert; 2. schlechterdings sei nichts ein Gut, das nicht um seiner selbst willen lobenswert sei; oder 3. mit einer höchst bemerkenswerten Einschränkung: Jedenfalls sei nichts für ein großes Gut zu erachten, das man nicht um seiner selbst willen mit Recht loben könne (1, 37). Das entspricht ganz und gar nicht der strengen stoischen Formel, indem hier ohne Zweifel neben dem absoluten Gut noch andre Dinge als Güter, ja, als große Güter anerkannt werden. Es sieht so aus, als ob in diesem Zusammenhang die vita heata durch eine vita heatissima überhöht werden könne. Das sind die gleichsam axiomatischen Voraussetzungen; als Quelle wird man an Antiochos von Askalon denken. Und nun hören wir Cicero selber: Nach einer Überlieferungslücke vor 1, 40 macht Cicero aufgrund des Vorausgeschickten mit großem Nachdruck den Gedanken anschaulich, nicht die Furcht vor Strafe halte den Menschen von der Ungerechtigkeit ab, sondern ihre Schändlichkeit selber (ipsa turpitudo). Mit dem Pathos verbindet er, wie so oft, Spott und Witz.

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- Das Kriterium für rechtes und unrechtes T u n sei das Gewissen (1, 40), ein ziemlich früher Beleg aus dem heidnischen Altertum für diesen Begriff in absoluter Verwendung, und es ist interessant, daß die Erfahrung des bösen Gewissens der des guten Gewissens vorangeht. Cicero spricht natürlich als der vir honus, selber stark beteiligt; und im besonderen verlangt er von einem solchen, daß er sich nicht vom Gedanken an den Nutzen leiten lasse, sondern vom Gedanken an das sittlich-Wertvolle, das absoluten Wert besitze, und das nicht durch die Konvention festgelegt sei. Dadurch wird die iustitia eng mit dem honestum verbunden, und bei dieser Verknüpfung verweilt Cicero zunächst. Er führt den Gedanken in zwei Stufen vor: 1, 42 legt er dar, nicht alle Gesetze seien wirkhch gerecht; ein Gesetz könne ohne weiteres aus Unrecht wirksames Recht machen (1, 44), und die Aequivokation des Wortes lex wird erneut vor Augen gestellt. Cicero will aber auf wirklich gerechte Gesetze hinaus und sucht nach einem Maßstab für die echte iustitia, nach einem absoluten Maßstab. Er findet ihn in der dem Menschen aufgegebenen recta ratio imperandi atque j>rohihendi, und man darf und soll dabei an den ersten Teil des materiellen Beweisganges denken. Richtige Vernunft, recta ratio: Was ist denn da der Maßstab für die Erkenntnis des Richtigen? Es ist (1, 44) die urteilende Erkenntnis des an und für sich sittlich-Wertvollen und des Wertwidrigen, der honesta und turpia, der virtus und der vitia. Denn mit der Erkenntnis verbindet sich das richtige Urteil, die richtige Entscheidung: Auch das gehört zur recta ratio. Und die Entscheidung erfolgt nach allem nicht aufgrund von Mutmaßungen, wie es die Rücksicht auf Nutzen, Zweckmäßigkeit, die Wünsche der Menge und ähnliche Äußerlichkeiten seien, sondern die Entscheidungen seien Resultate der recta ratio, d.h. durch die dem Menschen von Natur mitgegebene und zur Vollkommenheit geführte Vernunft. Richtiges, sich selber treu bleibendes Urteil über Recht und Unrecht wird damit ein Grundpfeiler der sittlichen Ordnung, der Ordnung menschlicher Gemeinschaft, nicht allein der römischen, sondern jeglicher Gemeinschaft, die diesen Namen verdient. Das natürliche Gefühl erfährt hier also seine Ergänzung durch das richtige, bewußte Urteil.

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Das sagt der vir honus den honi. Wenn nun aber das ius durch die Teilhabe an der iustitia ein notwendiger Bestandteil des honestum ist, so muß, wie dieses, auch das Recht als Selbstzweck anerkannt werden (1, 48). Und zwar in besonderem Maße; denn die Gerechtigkeit war ja unter den virtutes an einen bevorzugten Platz gestellt worden (1, 48), als jeglicher Gesittung Grund und Urteilsspruch, omnium virtutum causa atque sententia. Und das mit Recht; denn iustitia ist ja der normgebende Wertgedanke, der die naturgegebene societas hominum atque aequahilitas umgreift: Die Gemeinschaft der Menschen in Gleichheit vor dem Recht (1, 49). Zu ihr gehören als Begleiterinnen modestia, temperantia, continentia, verecundia, pudoT und pudicitia lauter Eigenschaften, mit denen es das Recht auch zu tun hat. Hier 1, 50 spricht Cicero mit einer großen Gefühlsbeteiligung, er argumentiert kaum: Er will Dinge, die seinen Lesern ohnehin einleuchten, nicht durch spitzfindige Syllogismen zerreden. Er kürzt also seine philosophische Vorlage und sagt das auch. Er läßt aber den gewiß einleuchtenden Gedanken aufklingen, das honestum, die virtus übe auf den natürlich empfindenden Menschen auch von sich aus eine Anziehungskraft aus, gleichwie das sinnlich-Schöne: Auch dies ein Anzeichen für seine Naturgegebenheit. Und da spricht er es aus, daß solche Lehre wohl nicht ohne weiteres einem jeden plausibel sein werde: Die Diskussion müßte jetzt weitergehn zu einer Prüfung der Lehren von den höchsten Gütern und Lebensnormen sowie deren Gegenteil, zur Beurteilung der Lehrmeinungen De finihus bonorum et malorum, wie sie von den einzelnen hellenistischen Schulen verfochten worden seien. Er selber bekennt sich hier i.w. zur Lehre des dogmatischen Jungakademikers Antiochos von Askalon. Cicero wahrt dabei durchaus sein eigenes Urteil (1, 54-56). Hier wird das Problem De finihus nicht weiter verfolgt; Cicero wird es wohl auch im weiteren Verlauf der Bücher Über die Gesetze nicht eigens behandelt haben. Mit 1, 57 beginnt widmet. - Nach dem über das höchste Gut Quintus das Gespräch

die feroratio. Sie ist den laudes safientiae geAusblick auf die philosophischen Kontroversen und sein Gegenteil läßt Cicero seinen Bruder energisch auf den eigentlichen Gegenstand zu-

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rückführen (1, 57): Es sollten doch in diesem Gespräch Lebensgesetze und eine Lebensordnung für ganze Völker und für die Einzelnen aufgerichtet werden. Marcus fügt sich dem temperamentvollen Einspruch, gewiß mit einem Lächeln, und verspricht mit Anmut in seiner Weise eine glänzende Ausführung (1, 58): Utinam esset etiam facultatis meae, sagt er, und wendet das bisher Gewonnene auf das besondere Vorhaben an. Jetzt kann man also auf Außerordendiches gefaßt sein: Wenn die lex, sagt er, ihrem wahren Wesen nach emendatrix vitiorum et commendatrix virtutum sein sollte, dann ließe sich von ihr die wahre Lehre von der richtigen Lebensordnung für die Menschen ableiten (vivendi doctrina). Die Eigenschaft aber, die das a l l e i n bewerkstelligen kann, ist die sapientia, d.h. die richtige Vernunft (recta ratio) im vollendeten Zustand und in actu, eine Eigenschaft, wie man im Sinne Ciceros hinzufügen darf, die erst dem Lebensalter des reifen, vollbewährten Menschen zugehört. Als ihren Sinnspruch stellt Cicero jetzt das Delphische Gebot hin, und da entfernt er sich wieder von konventionellen römischen Prädikationen. Das Gebot heißt also hier: Erkenne dich selbst; und Cicero trägt seine Ausdeutung vor. Sie ist fest auf den dargelegten Gedankengängen aufgebaut. Er sagt 1, 59: Der Mensch wird zuerst seine spezifisch-göttliche Anlage empfinden und erleben (sentiet); er wird sich selber dadurch zur Verwirklichung des Guten in der Wirklichkeit aufgerufen fühlen, in Gedanken und Taten; er wird die göttliche Mitgift als persönliche Verpflichtung erleben, und es als seine Aufgabe bejahen, die Weisheit wirklich zu erwerben, sich dadurch als vir honus zu bewähren, und so selber ein vir heatus zu werden. Er wird seine vitia ablegen, seine Aufgaben als Mensch auch durch Taten erfüllen und in die Lage kommen, das Rechte zuverlässig auszuwählen und durchzusetzen, das Unrechte abzulehnen und erfolgreich zu bekämpfen. Solche Selbsterkenntnis wird ihn zu der Einsicht führen, daß er, als Mensch, ein Bürger von Kosmopolis ist (1, 61), ein Weltenbürger. Seine Wertsetzungen werden sich dem entsprechend von denen der Masse grundsätzlich unterscheiden. Er wird seine Zugehörigkeit zur naturgegebenen menschlichen Gemeinschaft gerne bejahen, und er wird seinen Geist nicht in der Disputation der Schulstube erschöpfen, sondern vor allem in der Cicero

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öffentlichen Rede zur Geltung bringen, besonders für seine Mitbürger (1, 62), als sapientia impercmdi prohihendiqtie (2, 8) - aber er denkt weiter: Denn nicht zuletzt wird er seiner sapientia in überzeitlichen Denkmälern einen gültigen Ausdruck geben, sempitemis monumentis; und daß Cicero da an seine eigenen Schriften denkt, ist wohl nicht zweifelhaft: Diese momumenta sollen dastehn für alle Gutwilligen und für alle Zeiten. Damit ist ein oratorischer, höchst persönlich bestimmter Höhepunkt des ersten Buches erreicht. Es ist deutlich, daß Cicero mit seinem Werk über die Gesetze ein solches Monument für die Ewigkeit hat errichten wollen. Der letzte Paragraph des ersten Buches gibt darüber noch etwas genauere Auskunft. Cicero läßt 1, 63 den Atticus fragen: Ja, worauf zielt das denn nun alles? Und Marcus antwortet: Zunächst auf das jetzt Folgende; da wolle er, abweichend von Piaton, ganz er selber sein (2, 17) und einzelne Gesetze formulieren und empfehlen; es sollen die besten Gesetze sein auf der Grundlage der absoluten Gerechtigkeit und der altrömischen, von Cicero idealisierten Lebensordnung (bes. 2, 23); so weit es gehe, sinnvoll entwickelt aus dem mos maiorum, wie Cicero ihn eben begreift, also aus der Tradition des idealen Römertums, d.h. aus der Tradition, wie Cicero sie mithilfe der Philosophie entwickeln will bis zu ihrer Vollkommenheit. Cicero hat hier offenbar im mos maiorum und den darauf beruhenden Gesetzen gleichsam eine naturgegebene incohata sapientia gesehen, die er selber durch seine staatsphilosophischen Schriften zur größtmöglichen Vollkommenheit hat bringen wollen (2, 61-62; dazu 3, 12; 3, 24). Das war allerdings etwas, das in seiner Epoche kein andrer als er hätte leisten können, kein Varro und erst recht kein Brutus. Da es sich nicht um zeitlich gebundene Gesetze handelt, sondern um solche, die auf der Gerechtigkeit an und für sich beruhen, kann Cicero 2, 35 durchaus auch den Anspruch erheben - und dies scheint von der allergrößten Bedeutung - , er wolle hier nicht allein dem römischen Volke Gesetze geben, sondern allen rechtschaffnen, gesunden Völkern, anders gesagt: freien Völkern (3, 4). Und die Absicht, gerade durch dies Werk der Zukunft die rechten Wege zu weisen, insbesondere, aber nicht allein den leitenden Männern Roms, wird

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mehrmals deutlich ausgesprochen - so 3, 29. Demnach ist das Werk De legibus zunächst und direkt als Dienst an der römischen educatio et discipüna gedacht (ebd.); aber Cicero denkt viel weiter. - Seine Zielsetzung hat er verfochten ex re und ex auctoritate; und dadurch wird sein Lobpreis der sapientia zu einem gewichtigen persönlichen Schwurzeugnis. Er läßt sich das durch Atticus mit dem Satz bestätigen, der das erste Buch beschließt. Der sagt: Zu Recht, wahrhaftig, handelst du und so, wie es der Gegenstand verdient, und aus lauterem Verantwortungsgefühl: rede et merito et 'pie, und das war, wie du sagst, in diesem Gespräch zu tun. Soweit der Überblick über das erste Buch der „Gesetze"; er war mir hier das wichtigste; ich darf jetzt vielleicht noch einen kleinen Ausblick hinzufügen, der mancherlei Konsequenzen andeuten mag. Cicero arbeitet in den Büchern De legibus mit Wertbegriffen und Wertmaßstäben, die der römischen Nobilität geläufig, die aber zum guten Teil verschlissen waren: All das sucht er neu zu erfüllen. Boni, optimates: Das waren Schlagwörter politischer Parteien geworden, und Cicero hatte seine Erfahrungen mit den sogenannten Wohlgesonnenen gemacht, den boni qui vocantur. Leges und iura: Die gehörten gewiß zu den Grundvesten der römischen disciplina (vgl. Plaut. Most. 126). Salus publica, das bestimmende Ziel des Handelns; mos maiorum, die Richtschnur; sapientia, verantwortungsvolle Staatsklugheit und Erfahrung; Lenkung der Jugend nach solchen Normen: All dies u.a.m. gehörte zu den geläufigen Gedanken der Lebensordnung eines römischen princeps civitatis. Aber schon im November 57 kann Cicero von den honi schreiben (Att. 4, 3, 2): Es gibt sie anscheinend gar nicht mehr, nescio an nulli sint. Und in der Sestiana vom März 56 sieht er sich genötigt, den ins rein Parteipolitische abgesunkenen Begriff der optimales und der boni sowie der populäres selber neu zu bestimmen (bes. § 96 ff.). Er tut das in den Reden bezeichnenderweise freilich nicht mit philosophischen Beweisgründen, sondern aus der Tradition und der eigenen Erfahrung heraus, z.B. § 100; und vornehmlich wendet er sich mit seinen Mahnungen an die Jugend, an die künftigen principes einer besseren res publica populi Romani, an die er glaubt. Damit meint er die nächstfolgende Generation, keine Knaben, sondern

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die Generation eines Curio oder Caelius, überaus befähigte, aber labile Persönlichkeiten, wie das Otto Seel eindrucksvoll gezeigt hat. In der gleichen Rede Pro Sestio spricht Cicero § 91 über Naturrecht und positives Recht. Er baut darauf eine interessante Kulturentwicklungslehre auf, in deren Zusammenhang schließlich das Recht auf der Grundlage der Gerechtigkeit, verbunden mit der mansuetudo, im Gegensatz zum Gewaltrecht (vis), als die treibende Kraft erscheint, die überhaupt eine Staatsordnung und menschliche Gesittung ermöglicht, sie geschaffen hat und sie erhalten kann. Natürlich ist das zum Rom jener Epoche gesprochen, und Cicero zielt hier im besonderen auf die Integrität der iudicia, quihus omne ius continetur (Sest. § 92), Ganz am Schluß der Rede Pro Sestio, § 147, spricht er auch das Ziel aus, das er selber verfolgt: Erneuerung des Staates durch den Aufruf zur rechten Staatsgesinnung (reficere et renovare rem puhlicam); das erstrebt er durch sein Wort und sein eigenes Vorbild, durch die perfecta cumulataque virtus (§ 87). Damit rechnet Cicero bei der Öffentlichkeit auf Verständnis und weitgehende Billigung. Ciceros Reden und Briefe der Zeit sprechen es immer wieder aus, daß er als Richtmaß des richtigen Handelns vom römischen princeps civitatis die Wahrung der recht verstandenen salus po-puli Romani fordert. Da die äußeren Bedrohungen i.w. als überwunden gelten, soll jetzt die Erhaltung und die Ordnung des Reiches auf einer tragfesten Grundlage verwirklicht werden: Es muß das ein sittlich überzeugendes Fundament sein. Und dadurch tritt jetzt die sapientia vor der fortitudo an den beherrschenden Platz: Das römische Imperium wird mit dem orhis terrarum geradezu gleichgesetzt, und dementsprechend wird das bestimmende Vorbild der defensor, der conservator patriae, der vir sapiens im neu bestimmten Sinne, nicht mehr, wie früher, der Eroberer. Aber all das wird in den entsprechenden Reden und Briefen aus der römischen Tradition abgeleitet; in den spezifisch bildenden Schriften sucht Cicero das durch philosophische Beweisgründe zu verstärken, ex intima philosophia. Und da erscheinen nun Gedanken, die dem gebildeten Römer der Zeit nicht ohne weiteres geläufig oder gar einleuchtend sein konnten. Ihre literarische Festlegung und Darstellung in lateinischer Kunstprosa durch einen angesehenen Consular, wie

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Cicero, erschien manchen, und nicht einmal den Schlechtesten, damals und noch später als unerwünscht, ja, als schockant. Demgegenüber versucht es Cicero hier, mit dem Munde allgemein und flüchtig anerkannte Werte neu und dauerhafter auf wirklich objektive Normen zu gründen. Dies ist der Sinn der Theorie und in Ciceros Augen ihre Notwendigkeit; denn das römische Traditionsbewußtsein war ja nicht mehr instinktsicher und nicht mehr zeitgemäß, jedenfalls in seiner überkommenen Form. Cicero bestimmt nun den honus civis als den vir honus, der aus fester, begründeter Erkenntnis und Entscheidung heraus das Rechte um seiner selbst willen tut. Gewiß war das der römischen Vorstellungswelt nicht unbekannt (Mil. 32; 96 U . S . W . ) , und derartiges wurde allgemein im Munde geführt. Aber Cicero will das objektivieren, es erfüllen und zum Leben erwecken: peregrina doctrina, mente domestica et civili (Balb. 55), und das ist sehr entscheidend. Der vir honus ist hier mehr als der gute römische Staatsbürger; der vir honus muß seiner Prädikation auch würdig sein. Natürlich beruht der Wert des vir honus auf seiner virtus; aber auch die virtus wird neu bestimmt: Sie ist mehr als die verwirklichte römische Staatsgesinnung; diese selbst wird vielmehr als Resultat einer werthaften sittlichen Gesamthaltung begriffen. So mag sie in dieser Neufassung mehr oder minder vollkommen sein: Verlierbar ist sie jetzt nicht mehr. Sie führt auch a l l e i n zur Schaffung von gerechtem Gesetz und Recht (leg. 1, 14). Solche Verwirklichung wird als Ziel aufgestellt, begründet auf die generelle Anlage der Menschen überhaupt. Und das werden keineswegs all die gebildeten, verantwortungsfrohen, traditionsgebundenen Herren in Rom gebilligt haben. Auch von Cicero selber ist der Gedanke wohl zunächst nicht in ganz absoluter Ausschließlichkeit gemeint gewesen: Jedenfalls spricht er anno 60/59 (ad. Q. fr. 1, 1, 27) von den Afrikanern, Spaniern, Galliern als immunes ac harharae nationes: Denen müßte man also erst noch gerechtes Gesetz und Recht geben; die Aufnahmefähigkeit wäre wohl da, aber sie sind einfach noch nicht so weit. Nach Ciceros Auffassung ist es doch offenbar schließlich so: Man sollte ihnen ein geläutertes r ö m i s c h e s Recht geben, geleitet und bestimmt vom sicheren Ur-

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teil über das Gerechte und Ungerechte (leg. 2, 13); dadurch könnten sie der Vollkommenheit zugeführt werden, und das Recht soll man ja anderen mitteilen (leg. 1, 32), das ist eine natürliche Aufgabe. Daß die römische Rechtsordnung und Rechtspraxis seiner Zeit einer Reform dringend bedurfte, hat Cicero oft ausgesprochen; war sie doch aus dem Gewohnheitsrecht entstanden. Im ersten Buch über die Gesetze stellt er als Maßstab für die Entscheidung über Recht und Unrecht etwas ganz anderes hin, als die Gewohnheit, nämlich das Naturgesetz, mit philosophischer Begründung dieses Gedankens. Aber zugleich prägt er ein, daß dies nichts weiter sei, als eine konsequente, sinnvolle Weiterentwicklung der safientia der römischen maiores, wie sie sich in den Zwölf Tafeln anzeige (leg. 2, 23; 49; 3, 37). Diese Auffassung läßt er sich obendrein 2, 62 durch Atticus bestätigen: gaudeo nostra iura ad naturam accommodari maiorumque safientia admodum delector. Auch 2, 40 wird eine idealisierende Gleichsetzung des mos maiorum mit dem optimus mos nahegelegt, und wiederum ist oftimus im absoluten, von der Natur gebotenen Sinne gemeint. Daß aber eine solche Weiterentwicklung der sapientia maiorum durchaus deren Intentionen entspreche, das betont Cicero nicht selten (z.B. leg. 3, 44). Solche Einschmelzung griechischer Theorie in eine sinnvolle römische Ordnung, wie sie sein sollte, nimmt Cicero vor in doppelter Eigenschaft: Als doctrinae studiis et regenda civitate princeps (leg. 3, 14). In dieser Weise will er die gleichsam angefangene Weisheit der Vorfahren durch die philosophische Durchdringung zur vollkommenen Weisheit entwickeln und ausprägen, wie sie vom Gesetzgeber Roms verlangt werden muß. Dadurch erst vmrde eine neue, dauernde Lebenskraft dieser Weisheit gewährleistet, und das führt Cicero in den Büchern De legibus anschaulich und greifbar vor. Durch seine doctrina sowie seine politische Erfahrung und Leistung für die Republik fühlt er sich dazu berechtigt, dies als doctor iuventutis auszusprechen und zu verlangen. Unter Berufung sowohl aufs Naturrecht als auch auf die wohlverstandene römische Tradition kann Cicero nun auch die Verwaltung des ganzes Reiches als eine sittliche Aufgabe postulieren. Wie für den

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Magistrat in Rom das Wohl des Volkes oberstes Gesetz sein soll (leg. 3, 8), so für den Statthalter das Wohl seiner Provinz (ad. Q. fr. 1, 1, 30 vom J. 60/59). Denkt man diesen Gedanken folgerichtig zuende, dann scheint sich dies zu ergeben: Das römische Reich wird gleichgesetzt mit der Kulturwelt, dem orhis terrarum. Es umfaßt die verschiedensten Nationalitäten und Rechtsordnungen. Die Rechtsordnung Roms, baut man sie nur auf absolut gerechten Gesetzen auf, hat demnach die Chance, Weltenrecht im gültigsten Sinne zu werden. Diesen Weg will Cicero hier der Zukunft weisen, und es ist vielleicht erlaubt, dem Prooemium des zweiten Buches De legibus eine gewissermaßen symbolische Bedeutung zuzuweisen. Cicero läßt seinen Dialog De le^hus an seinem Geburtsort stattfinden, und da entwickelt er den Gedanken: Die Menschen haben eigentlich eine zwiefache Heimat, eine patria naturae und eine patria civitatis. Meine natürliche Heimat, sagt er, ist das unscheinbare Land des Arpinatischen, und daran hänge ich mit ganzem Herzen. Meine bürgerliche Heimat dagegen ist Rom; und das ist die maior patria, die bedeutungsvollere: Ihr gebührt der Vorrang. - Analog dazu könnte man sich sein Urteil über das Verhältnis der Nationalitäten zum römischen Reich vorstellen: Die Nationen sollen ruhig mit dem Herzen an ihren eigenen Traditionen hängen; aber die Ordnung der Welt sollte die römische Rechtsordnung verbürgen. Das kann sie, sofern nur iustitia cum humanitate ihr Wesen bestimmt; und die Völker sollen und werden sie dann gern bejahen, zu ihrem eigenen Besten. Diese Ordnung, geschaffen durch das gerechte Gesetz und Recht Roms, steht allen offen, und die Chance einer Umwandlung der Welt zur Kulturwelt ist geradezu unbegrenzt. Kurz gesagt, ist die Konzeption also diese: Es wird eine Weltgesetzgebung empfohlen, gegründet auf Gerechtigkeit und somit aufs Naturrecht. Gerechte Weltgesetzgebung ist angelegt in der römischen Gesetzgebung. Aufgegeben ist deren Entwicklung zur Vollkommenheit durch ihre konsequente Beziehung aufs Naturrecht, und zwar im Ganzen und in allen Einzelheiten. So sieht es Cicero in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre v. Chr. - ein mächtiger Glaube! Aber hat ihm nicht gewissermaßen z.B. der Siegeszug des Corpus Juris schließ-

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lieh doch in einem erstaunlichen Maße Recht gegeben? Mommsen jedenfalls, wie immer, der große Enthusiast, urteilt z.B. im RStrR III 606 so: Es ist dieses tunlichst denationalisierte Privatrecht, welches zum Weltrecht geworden ist und den Untergang des römischen Staates um Jahrtausende überdauert hat.

Ciceros Consulat von CHRISTIAN MEIER, Basel Hermann Langerbeck (1908—1964) zum Andenken

Das Jahr 63 v. Chr.', sein Consulatsjahr, hat im Leben Ciceros eine nicht leicht zu bestimmende, ebenso rühmliche wie schreckliche, jedenfalls aber sehr wesentliche Bedeutung gehabt. Cicero hätte es gewiß nie missen wollen, er ist immer stolz, mit Recht stolz - und stolzer noch, als es recht gewesen wäre — auf seine consularischen Leistungen gewesen. Gemäß den (vom Senat bestimmten) Maßen der Zeit war seine Amtsführung offenbar nicht nur sachgerecht, sondern besonders aufmerksam, tüchtig und verdienstvoll. Nach der Niederschlagung der Catilinarier bedachte ihn Q. Catulus, der angesehenste Senator der Zeit, gar mit dem Prädikat forens patriae^. Der Senat '

Das Vortragskonzept wurde umgearbeitet und wesentlich erweitert, damit die recht schwierige Materie deutlicher herauskäme. Anmerkungen sind nur insoweit angefügt worden, als Hinweise nützlich, Begründungen notwendig erschienen. Für den faktischen Ablauf ist auf M. Geizers Artikel Cicero (RE VII A, demnächst in Neuauflage bei Steiner, Wiesbaden) sowie sein Buch: Caesar, der Politiker und Staatsmann (6. Aufl., Wiesbaden 1960) zu verweisen. Die Rekonstruktion der allgemeinen Zustände sowie der Problematik der späten Republik stützt sich auf mein Buch: Res Publica Amissa, Wiesbaden 1966. Die Ausführungen über das Notstandsrecht, den Zusammenhang zwischen Schwäche und Verantwortung des Senats als Voraussetzung für dessen oft brutale Reaktionen, sowie über die Beziehungen zwischen Gesetzgebungsrecht, Intercessionsrecht und senatus comultum ultimum (S. 72 ff.) führen über die in dieser Hinsicht etwas dürftigen Zeilen des Buches hinaus. Diese Ausführungen stützen sich zum Teil auf Ergebnisse eines Freiburger Seminars, die Materie wird umfassend in einer Dissertation behandelt werden. 2 Cic. Pis. 6. Sest. 121.

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beschloß für seine Erfolge ein Dankfest an die Götter - was bisher nur bei militärischen Siegen geschehen war' und Cicero konnte das als Anerkennung nicht nur seiner Leistung, sondern auch seiner Art auffassen, insofern er nämlich meinte, staatsmännisches Wirken, sein Wirken, sei mindestens ebenso bedeutend und wichtig wie das feldherrliche, hinter dem es in der öffentlichen Schätzung immer hatte z u r ü c k s t e h e n m ü s s e n . Cedant

arma

togae,

concedat

laurea

laudU*

Und doch haben eben diese großen Erfolge zugleich in mehr als einer Hinsicht die Ursache dafür gebildet, daß Ciceros weitere politische Existenz so voll von Enttäuschungen, Gefahren, Erniedrigungen und Leiden war. Das ist nicht ganz einfach zu verstehen. Cicero hatte damals eine ungewöhnlich erfolgreiche Laufbahn hinter sich. Er war seit etwa einer Generation der erste homo novus, genauer": der erste aus einer nichtsenatorischen Familie Stammende, der das Consulat erreichte. Und dies war ihm nicht nur überhaupt und nicht nur, ohne daß er auch nur einmal durchgefallen wäre, sondern auch noch suo anno, im frühest möglichen Zeitpunkt also, gelungen. Dergleichen war - in seinen Worten - seit Menschengedenken nicht mehr vorgekommen'. Wie hoch auch immer man dabei den Verfügungsbereich menschlicher Erinnerung veranschlagen will, es war jedenfalls eine unerhörte Leistung. Es folgte die Bewährung im Consulat, an dessen Ende der Senat und die Republik fraglos so gut dastanden wie seit 20 Jahren nicht mehr, und das nicht zuletzt durch Ciceros Verdienst. Dann jedoch mußte er erleben, daß er zwar hoch geehrt wurde, daß er in der breiten Bürgerschaft als einer der ersten Consulare galt, ' S.u. Anm. 66. * off. 1, 74 ff. ^ Der Begriff ist nicht genau zu definieren. Homo novus war erstens der, der als erster aus einem Geschlecht in den Senat kam. Zweitens sah die Nobilität auch den Angehörigen einer senatorischen Familie als homo novus an, der als erster das Consulat erreichte. Homines novi aus diesen beiden Kategorien waren relativ häufig. Außerordentlich selten war die dritte Kategorie: der Ritterbürtige, dem es gelang, die ganze Ämterlaufbahn bis zum Consulat zurückzulegen, H. Strasburger RE X V I I 1223 ff. Dazu Res Publica Amissa 46, 124. — Zur Wahl: Cic. leg. agr. 2, 4; Mur. 8; Pis. 2 f.; Plut. Cic. 10, 1. « Leg. agr. 2, 3.

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daß es aber um seinen Einfluß und seine Autorität im Senat schlecht bestellt war. Mit den führenden Herren dort stand er bald in recht gespannten Verhältnissen, sie zogen ihn offenbar nicht zu ihren Beratungen zu. Andererseits wurde er außerhalb des Senats wegen der Catilinarier verschiedentlich angegriffen, glaubte Schutz suchen zu müssen bei Pompeius, geriet nicht gleich in dessen Abhängigkeit, mußte jedoch rasch Konzessionen machen. Sein Plan war, zwischen Pompeius und den führenden Senatskreisen zu vermitteln, er hielt das für notwendig und gut, wollte über den Parteien stehen, das Ergebnis war aber, daß er sich zwischen die Stühle setzte. Er war unsicher, ängstlich, verfolgt, hin- und hergetrieben (und dabei lange in der Illusion, er täte das einzig Kluge, was möglich war), mußte endlich in die Verbannung gehen, wurde nach anderthalb Jahren zwar höchst ehrenvoll zurückgeholt, fiel dann aber vollends in Abhängigkeit von denen, deren Politik er nur mit schlechtem Gewissen für gut halten konnte - in einem Wort: er hatte nach seinem Consulat eine höchst unglückliche, unbefriedigende Stellung inne, überhaupt nicht zu vergleichen mit dem ersten Teil der Laufbahn. Das Consulatsjahr erscheint also nicht nur als der Höhe-, sondern auch als der Wendepunkt in Ciceros politischer Laufbahn. U n d so sehr Manches am Unglück der weiteren Laufbahn Ciceros durch die Verhältnisse der folgenden Jahre - insbesondere den Abschluß des Dreibunds und Caesars Consulat - bedingt gewesen sein mag, so bleibt doch auch die Frage nach den Ursachen, die im Consulat selber beschlossen waren, und zwar den Ursachen für das Unglück Ciceros und vielleicht auch für das des Senats und der ganzen Republik, also eben für den Abschluß des Dreibunds und Caesars Consulat. Vieles ist vielleicht eher durch Ciceros Eigenart bedingt, durch spätere Fehler auch. Jedenfalls aber scheint das Jahr 63 für Cicero wie für die römische Republik eine ganz eigentümliche Bedeutung gehabt zu haben. Was ging in diesem Jahre vor ? Doch zunächst: Welches war der Zusammenhang, in den dieses Jahr gehörte, welches die Problematik, um die es damals ging, welches der Zustand des römischen Staates zu dieser Zeit? Leider sind diese Fragen nicht ganz einfach zu beantworten, so daß es notwendig ist, etwas weiter auszuholen.

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Das Jahr 63 ereignete sich 70 Jahre nach dem Tribunal des Ti. Gracchus, nach dem ersten Ausbruch also der großen Krise der späten Repubhk. Das Wesen dieser Krise ist schwer zu beschreiben. Sicher falsch ist es, sie als Revolution aufzufassen. Denn wenn dieser Begriff nicht weit überdehnt (und blind) werden soll, setzt er das Vorhandensein einer breiteren Schicht voraus, die — wenn nicht unbedingt bewußten Willens, so doch jedenfalls: - objektiv bereit sein muß, das alte Regime zu verdrängen und selbst die Herrschaft anzutreten. Mommsen hatte noch damit gerechnet, daß das römische Volk die Senatsherrschaft - die er mit der Herrschaft der Konservativen seiner Zeit verglich - habe stürzen wollen. Er ist insofern ganz konsequent gewesen, wenn er die Vorgänge dieser Zeit als Revolution verstand. Heute wissen wir, daß praktisch kein Mensch damals (mit der möglichen [!] Ausnahme Caesars) eine irgend grundsätzliche Änderung der Verhältnisse angestrebt hat. Im Gegenteil, das Wesen, die Schwere und die Aporie der damaligen Krise lagen offenbar gerade darin begründet, daß es bei allen Unstimmigkeiten, allem Versagen der überkommenen Ordnung eine Alternative zum Bestehenden nicht einmal in Ansätzen gab. Man beobachtet im damaligen Rom eine geradezu unwahrscheinliche Diskrepanz zwischen dem Zuschnitt der Institutionen und der Denkweise einerseits, die gemeindestaatlich-republikanisch waren, und andererseits den vielfältigen, komplizierten Aufgaben, die der über den ganzen Mittelmeerraum sich erstreckende Herrschaftsbereich mit sich brachte. Die außerordentlich geringe Zahl, der jährliche Wechsel der Magistrate, die Gepflogenheit, nicht nur die wichtigsten, sondern eine Unmenge selbst kleiner und kleinster Regierungsgeschäfte in dem zunächst 300-, dann 600-köpfigen Senat zu behandeln, die Auffassung der Provinzen als Landgüter des römischen Volkes - damit ließ sich ein Weltreich nicht befriedigend beherrschen. Die militärischen Probleme überforderten die herkömmlichen Bauernarmeen bei weitem, und die Berufsarmeen, die sich dann bildeten, ließen sich nicht mehr im herkömmlichen Staat integrieren. Die Senatoren waren den Versuchungen ungeheurer Machtfülle in den Provinzen nicht mehr gewachsen. Eine wirksame gerichtliche Kontrolle ihrer Amtsführung ließ

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sich nicht einrichten. Da im bestehenden System alle und keiner verantworthch waren, breitete sich Korruption weithin aus. Die Geschlossenheit und Überzeugungskraft, aber auch das Verantwortungsbewußtsein des Senats gegenüber dem Ganzen wurden geschwächt. Die durch Staatsgeschäfte zumal in den Provinzen mächtig und reich gewordene Großbourgeoisie der Ritter gewann Einfluß auf die Staatsführung, ohne dabei mehr als ihre Bereicherung, als vor allem die Ausbeutung der Untertanen im Sinn zu haben. Daraus wie aus den drückenden sozialen und anderen Mißständen - letztlich lauter Rückwirkungen der Weltreichsbildung - erwuchsen heftige, teilweise blutige innenpolitische Auseinandersetzungen. Zahlreiche außenpolitische Probleme taten sich auf, deren meiste man in früheren Zeiten wohl glatt bewältigt hätte, die jetzt aber dank zahlreicher Versäumnisse und Unzulänglichkeiten so groß wurden, daß blutige, teilweise langwierige Kriege aus ihnen entstanden. In deren Folge kam es zu einem neuen, höchst schwierigen, endlich fatalen Problem'. Denn verschiedene Kriege konnten nur von überragenden Persönlichkeiten erfolgreich zu Ende geführt werden. Das war zwar in der römischen Geschichte schon öfter so gewesen, wenn auch das Versagen der durchschnittlichen Feldherrn wohl nie solch ein Ausmaß und solche Häufigkeit angenommen hatte wie jetzt. Aber es war neu und eigentümlich, daß der Senat mit keinem dieser großen Feldhcrrn und Politiker mehr fertig wurde. Weder war er bereit, ihnen gewisse Konzessionen zu machen, noch waren sie bereit, sich einfach der Senatsgesellschaft einzufügen, noch endlich konnte der Senat sie dazu - oder zum Rückzug aus der Politik zwingen. So bildete sich ein Gegensatz zwischen dem Gros des Senatsadels und den größten Angehörigen des Standes. Es scheint geradezu eine Gesetzmäßigkeit gewesen zu sein, daß man bei der Bewältigung der schwierigsten äußeren Probleme nicht ohne ein besonderes Maß an Unvoreingenommenheit, Wendigkeit, Größe auskam, daß aber die, die dieses Maß erfüllten, schon dadurch und noch mehr dann durch die Leistungen, die sie vollbrachten, in einen Gegen-

Vgl. zum Folgenden die zusammenfassende Darstellung in der Einleitung zu H. Simons Übers, von Caesars Bürgerkrieg, Slg. Dieterich, Bremen 1964.

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satz zur Senatsmehrheit gerieten. Ruhm, Beute und die Anhängerschaft der Veteranen verliehen ihnen besondere Macht. Je mächtiger sie aber wurden, umso dogmatischer und schärfer wurde der senatorische Widerstand gegen sie. Nachdem die Loyahtät der Berufsarmeen im Zweifel mehr dem Feldherrn als dem Senat zu gelten begonnen hatte, konnte Sulla im Namen des Senatsregimes - aber gegen den Willen der Senatsmehrheit - einen Bürgerkrieg eröffnen. Nachdem dann weitere dreißig Jahre ins Land gegangen waren, konnte Caesar seine Truppen um seiner persönlichen Rechte wegen auf Rom führen. In einem Wort: die römische Republik war in ihren letzten Jahrzehnten ihren Aufgaben bei weitem nicht mehr gewachsen, die bisherigen Formen genügten keineswegs mehr. Alle überkommenen Institutionen waren weit überfordert. Die Macht war nicht mehr integriert. Diejenigen, die der Lage gewachsen waren, wurden auf das Heftigste bekämpft, weil sie die - immer engherziger im Sinne der Aristokratie verstandene, doch fast durchweg als verpflichtend empfundene — Freiheit bedrohten. Nicht durch das Auftreten einer Alternative, sondern an sich selbst, genauer an ihrem nicht verkrafteten Herrschaftsbereich ging die römische Republik in jahrzehntelangem Prozeß zu Grunde. Aber wenn nun das ganze Ungenügen, die Probleme und das vielfältige Versagen daraus entsprangen, daß man den Herrschaftsbereich nicht genügend integriert hatte, daß die herkömmlichen Institutionen nach außen wie im Innern den neuen Anforderungen nicht mehr gewachsen waren (so daß auch die Menschen innerhalb dieser Formen weit überfordert waren), weshalb hat man dann keine neuen Institutionen gebildet - oder die alten verändert - , weshalb hat man die weite Diskrepanz zwischen Aufgaben und Mitteln nicht irgendwie auszugleichen gesucht? Eine Antwort auf diese Frage muß man, so scheint es, vor allem im Verhalten, in der Gesinnung, der ganzen Art des Senats suchen. Es ist doch deutlich, daß der Senat am alten Herkommen gehangen hat, ja mit seinen Interessen dem bestehenden System ganz und gar verhaftet gewesen ist; die zentrale Stellung, die umfassende Macht der Senatoren hätte bei wirklich sinnvollen Reformen fraglos mindestens stark eingeschränkt werden müssen. Der Senat mußte also allen Reformen im Wege stehen. Allein, können

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300 und nachher 600 Männer, die zwar mächtig sind, die aber weder Polizei noch Heer besitzen®, deren Beschlüsse durch die Volksversammlung legal durchkreuzt, deren Macht durch die Volksversammlung mindestens stark beschnitten werden kann, sich einer mächtigen, auf Änderung drängenden Macht auf die Dauer wirksam entgegenstemmen? In Wirklichkeit ist die weite Diskrepanz zwischen Mitteln und Aufgaben in Rom in einer Weise entstanden, daß aufs Ganze gesehen je mehr Unzuträglichkeiten auftraten, umso weniger Anderungsmöglichkeiten bestanden. Anders: man behielt die alten gemeindestaatlichen Institutionen, Prozeduren und vor allem auch Anschauungsweisen nicht so sehr trotz wie wegen der weltweiten Expansion bei. Denn diese ging so rasch vonstatten und war so umfassend, daß sie alle Veränderungen, die sie in der römischen Bürgerschaft hervorrief, gleich wieder absorbierte'. Man kann zeigen, wie zunächst alle Forderungen der Bauernschaft, dann alle Energien der sich bildenden Bourgeoisie auf die beherrschten Gebiete abgelenkt wurden, wie die Exi)ansion die Macht des Adels und die ganze Verfassung bestätigte, wie sich die politische und gesellschaftliche Ordnung an der Beherrschung der eroberten Gebiete geradezu verfestigte, wie selbst die plehs urbana notdürftig dank der zuströmenden Reichtümer befriedigt werden konnte. Die römische Gesellschaft lebte materiell und ideell, so wie sie war, von ihrem Herrschaftsbereich. Und die Provinzialen, die die Zeche bezahlten, waren nicht in der Lage, direkt oder indirekt Veränderungen in Rom zu erzwingen. Um es auf eine Formel zu bringen: Aufs Ganze gesehen herrschte Zufriedenheit aller Mächtigen (in weitestem Sinne) und Machtlosigkeit aller Unzufriedenen. Daher konnte sich bei allem offensichtlichen Ungenügen dieser Ordnung, bei allem Versagen, allen Störungen kein grundsätzlicher Zweifel am Überkommenen, geschweige denn irgendein frontaler Angriff dagegen ergeben'". Im Gegenteil: da man die alte Ordnung - weil sie so vielfach bestätigt und gut war - für die einzig mögliche hielt, kam es dazu, 8 S. dazu GGA 216, 1964, 44 ff. ' Vgl. Res Publica Amissa 325, s.v. Expansion. 1» Ebd. 326, s.v. Krise ...

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daß man sich, je weniger sie funktionierte, umso dogmatischer an sie klammerte. Und immer wieder auf die Lösung verfiel, es läge nur an der Art der Menschen, wenn die gute alte Ordnung versage. Die Moral also sei gleichsam die magische Schraube, an der es jetzt fehle, die man also wieder finden und einsetzen müsse, damit alles wieder gut sei. Daß dies, soweit wir sehen, die Ansicht nicht nur einiger altmodischer Männer, sondern wohl mehr oder weniger aller, die nachdachten, war, daß grundsätzliche politische Antworten auf die schwierige Lage des Staates nicht gesucht wurden (mit der möglichen Ausnahme der 90er Jahre), ist vermudich eine der bedeutsamsten Aussagen über die Situation der Zeit. Denn wenn man in solchem Fall keinen anderen Ausweg als moralische Besserung, als Pädagogik weiß, dann ist die Lage in der Tat aussichtslos, dann gibt es im Bestehenden keinen Ansatzpunkt mehr zu gründlicher Reform. Wie kam es denn aber bei der weitgehenden praktischen Zufriedenheit der römischen Gesellschaft zu den zahlreichen schweren, teilweise blutigen inneren Auseinandersetzungen, die das Gesicht der Politik seit den Gracchen bestimmten? Anlaß dazu waren zahlreiche Forderungen, auf Landversorgung von verarmten Bauern und Veteranen, auf Übertragung der Geschworenengerichte an die Ritter, auf Einrichtung großer Kommanden für Pompeius, Getreidegesetze, Änderungen im Abstimmungsmodus der Volksversammlung und anderes mehr. Es ging also jeweils nur um die Verbesserung der Situation einzelner Schichten im Rahmen der herkömmlichen Ordnung, um Eingriffe in die Exekutive, wo die senatorischen Maßnahmen nicht zu genügen schienen, sowie um teilweise Versachlichungen dieser Ordnung. Alle diese Forderungen wären erfüllbar gewesen, ohne daß die soziale und staatliche Verfassung direkt hätte in Mitleidenschaft gezogen werden müssen. Sie sind auch größtenteils erfüllt worden und fast alle rasch wieder zur Ruhe gekommen. Die Auseinandersetzungen entstanden regelmäßig auf Grund des Widerstandes des Senats. Allein, weshalb leistete der Senat gegen solche uns zumeist maßvoll und berechtigt erscheinende Forderungen Widerstand? Die verschiedenen Forderungen hatten ein doppeltes Gesicht. Gemeint waren sie zumeist als nützliche Reformen oder überfällige Ein-

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griffe, ihre Erfüllung konnte sinnvoll oder geradezu segensreich sein. Manche Begehren scheinen auch relativ glatt durchgekommen zu sein. Aber die großen Forderungen, um die dann heftige Kämpfe entbrannten, hatten zugleich durchweg die Folge, daß die bestehende Ordnung indirekt durch sie stärker hätte gestört werden können. Die Ansiedlung der Veteranen zum Beispiel mußte denen, die sie durchsetzten, große Anhängerschaften, d.h. großen Machtgewinn einbringen. Sie schuf außerdem Präzedenzfälle, deren Konsequenzen schwer absehbar waren". Die großen Kommanden des Pompeius mochten militärisch das einzige Mittel gegenüber ernsthaften Gefahren sein, sie brachten es aber außerdem mit sich, daß Pompeius erheblich gestärkt und das Senatsregime durch die zunehmende Macht dieses grossen Einzelnen gefährdet oder mindestens eingeschränkt werden mußte. Für die vier bedeutenden Tribunen, die direkt oder indirekt durch Lynchjustiz umgebracht wurden, kam hinzu, daß der Senat - im letzten Fall freilich nur der Consul Sulla - es als gefährlich empfunden haben muß, daß einzelne Herren sich so weit von seinem Einfluß, aus den Bindungen des Standes und dem Herkommen emanzipierten, daß sie von sich aus ein umfassendes Reformprogramm ins Werk setzen konnten. Die Gracchen hatten zudem die Besitzinteressen der Senatoren und - allerdings auch - der Bundesgenossen bedroht. Soweit könnte es scheinen, daß der Senat sich aus bloßen Machtrücksichten, teilweise aus egoistischen Interessen seiner Mitglieder gegen oft notwendige, zumeist jedenfalls nützliche Reformen gewehrt habe. Man könnte auch fragen, ob die großen Volkstribunen wirklich so gefährlich gewesen seien, daß man ihren Machtgewinn und ihre Selbständigkeit hätte fürchten müssen. Hätte man nicht Vieles zusammen mit ihnen ins Werk setzen können? Sind nicht manche ihrer Pläne erst angesichts der Gefahren entstanden, die ihnen vom Senat drohten? Wie übrigens die Verfassungsbrüche, die sie sich zuschulden kommen ließen, erst eine Funktion des heftigen senatorischen Widerstandes gewesen sind. Diese Fragen sind keineswegs unberechtigt, aber sie berühren nur einen Aspekt des Geschehens. Das Machtinteresse "

E b d . 101 ff.

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des Senats unterschied sich insofern von den Interessen anderer anciens regimes, als dem Senat damals ganz allgemein die führende Stellung in Rom zuerkannt wurde'l Er besaß nach allgemeiner Annahme die Verantwortung, er vertrat am ehesten das Ganze des Staates. (Höchstens an gewissen Stellen, wie etwa sofern er meinte, notfalls Eingriffe in die Freiheitsrechte der Bürger vornehmen zu können, hielt man in einigen nicht näher zu bestimmenden Kreisen eine Einschränkung seiner Kompetenz für notwendig".) Anders hätte der Senat ohne nennenswerte Polizei und Verwaltungsapparat sich überhaupt nicht halten können. Indem man ihm aber die Verantwortung für das Staatswesen allgemein zuerkannte, bestätigte man ihn in seiner Art und seinen Grundsätzen, etwa dem der grundlegenden Gleichheit, die innerhalb seiner führenden Kreise zu herrschen hätte. Dann war er aber auch verpflichtet, darauf zu sehen, daß er die Kontrolle über den Staat behielt, also für die Bewahrung seiner Macht zu sorgen. Er hätte verantwortungslos gehandelt, wenn er gewichen wäre, ohne daß er von einer irgend beachtlichen Kraft angefochten worden wäre". Das Eigentümliche der Krise der späten Republik bestand doch gerade darin, daß von verschiedenen Seiten Forderungen gestellt wurden, die auf ihre Weise sehr berechtigt sein konnten, daß aber den dadurch bewirkten (oder auf Grund davon befürchteten) Veränderungen der Machtverhältnisse kein respektabler Wunsch nach Beteiligung an der politischen Verantwortung entsprach. Die Ritter versagten in dieser Hinsicht vollständig, auch die Bauern; die großen Einzelpersönlichkeiten brachten zwar den besten Willen mit, aber ihre Beteiligung erschien

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"

Ebd. 329, C 1 e. Dies ist (insbesondere gegenüber den in dieser Hinsicht leichtfertigen Aussagen RE Suppl. X 600 f.) sehr zu betonen. Man hat zwar das semtus consultum ultimum vermutlich nicht allzu häufig direkt angegriffen, aber die Provocationsgesetze sind immer wieder stärkstens betont, ihre Verletzung immer wieder scharf gegeißelt worden. Verschiedene Indizien sprechen dafür, daß ein nicht geringer Teil der Bürgerschaft der Meinung war, daß auch im Ausnahmefall die Freiheitsrechte zu gelten hätten. Zum Gesetz des C. Gracchus unten Anm. 56. Vgl. ferner Sali. Jug. 31, 2. 13. 18. VeU. 2, 7, 3. Vermutlich gehört auch die lex maiestatis des Saturninus hierher (Res Publica Amissa 147, 517). Ferner: u. S. 91 f. Vgl. Res Publica Amissa 288 ff.

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dem Senat zu gefährlich, weil sie von der Regel abwichen, Macht monopolisieren wollten und für sich doch nichts aufzuweisen hatten als Erfahrungen, Einsichten und Leistungen, die meist im Widerspruch standen zum Bewährten und andererseits doch nicht im Sinne einer Umwertung der bisherigen Maßstäbe hätten überzeugend sein können. Es fehlte also an einem Stand und schon an einer Gruppe, die das Bestehende so weit negiert oder ihm so kritisch gegenüber gestanden hätte, daß auf sie eine Neugründung hätte aufgebaut werden können. Es fehlte jeder Wille zu durchgreifender Reform. Am Maß der sachlichen Anforderungen, die damals an eine Regierung hätten gestellt werden müssen, hätten der Senat und die ganze alte Ordnung versagt, aber es gab kaum jemand, der dieses Maß anlegte, geschweige denn daß man es allgemein als verpflichtend erkannt hätte. Es gab keine Alternative zum Bestehenden. Dieser Befund der „Krise ohne Alternative" nun hatte für die Politik sehr ernste (und interessante) Konsequenzen. Die allgemeine Zustimmung zur bestehenden Ordnung beruhte darauf, daß weite Kreise meinten, darin auf ihre Kosten zu kommen. Man lebte in der Gesinnung des Gefälligkeitsstaats. Die Stärke, genau gesagt: die Lebensfähigkeit der alten Verfassung war zum guten Teil durch ihre Schwäche (so vielen Forderungen gegenüber) bedingt. Die alte Verfassung konnte überhaupt nur bewahrt werden, weil dank der Vollmacht der Volksversammlung verschiedene drückende Probleme zur Not auch ohne oder gegen den Senat gelöst werden konnten (und weil zugleich Mittel genug vorhanden waren, um dem einen zu geben, ohne dem anderen zu nehmen). Dieses Werkzeug wurde vermudich umso bedenkenloser benutzt, je selbstverständlicher die alte Ordnung war. Man machte sich weiter keine Gedanken über die ferneren Konsequenzen seiner Begehren. Die Formel von der grundsätzlichen Zufriedenheit des weiten Kreises der potentiell Mächtigen und der Machdosigkeit aller Unzufriedenen besagt also keineswegs, daß allgemeine Ruhe herrschte, sie besagt eher das Gegenteil'®. Mindestens erwuchs, so paradox das "

Genau genommen besagt sie nur, daß keine Mißstände derart gtassietten.

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klingen mag, die Heftigkeit und Blutigkeit vieler Auseinandersetzungen der späten Republik ziemlich geradlinig aus jenem Zustand, der insbesondere durch die allgemeine Zufriedenheit bei umfassendem Ungenügen der bestehenden Ordnung charakterisiert war. Wenn dieser Zustand einerseits dadurch bedingt war, daß viele Probleme gegen den Senat durch die Volksversammlung gelöst werden konnten, so setzte er, grob gesagt, die (im Übrigen schon durch die Korruption gegebene) Schwäche des Senats voraus. Wenn er andererseits darin bestand, daß die alte Ordnung ohne Alternative weiter bewahrt wurde, so beruhte er wesentlich auch auf der Verantwortlichkeit des Senats für den Staat. Aus dem tiefen inneren Konflikt zwischen Schwäche, zuweilen gar Ohnmacht, und Verantwortlichkeit des Senats aber kam es zu den uns oft unberechtigt, jedenfalls weit übertrieben anmutenden Reaktionen starren Widerstands und scheinbarer Stärke, die in Wirklichkeit Manifestationen der Schwäche, des Bankrotts waren; kam es zu der Unbeweglichkeit und zuweilen zu der Brutalität der senatorischen Politik. Möglicherweise hat die Panik, aus der heraus man 133 Ti. Gracchus so brutal überfiel, wesentlich dazu beigetragen, den Senat auf einige Zeit im Sinne sturer Verteidigung und forcierter Verständnislosigkeit festzulegen. Das Scheitern des C. Gracchus hat dann auf alle Reformantriebe und -gedanken tief deprimierend gewirkt". Einzig in den 90er Jahren scheint es, daß eine führende Schicht von Senatoren gewillt war, die wichtigsten Probleme der Zeit vom Senat her anzu-

daß ein Stand oder eine Schicht kontinuierlich in einen Gegensatz zu einem anderen geraten wäre. Solche kontinuierlichen Gegensätze können unter vergleichbaren Umständen entweder in einem großen Kampf sich austragen lassen oder irgendwelche Formen finden, in denen sie sich dann relativ friedlich auseinandersetzen können. Man kann wahrscheinlich eine Formel aufstellen, in der man den Umfang dessen, was in einem Staat Gegenstand der Politik ist, in ein Verhältnis setzt zu dem Umfang dessen, was er an ernsthaften —• erkannten oder unerkannten — Problemen hat. Je kleiner die Differenz zwischen beiden, umso mehr ist die Gesellschaft Herr ihrer Dinge. In Rom war sie besonders groß (Vgl. Res Publica Amissa 159 f.). Res Publica Amissa 135.

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packen, aber dieser hoffnungsvolle Versuch mißlang". Davon abgesehen w^ar die vorherrschende Haltung des Senats der Immobilismus, die Furcht, daß alle Dämme reißen könnten. So sehr man aber dies und insbesondere die Ängsdichkeit, die Starrheit, die Mittelmäßigkeit und Borniertheit, die darin zum Ausdruck kamen, kritisieren kann und soll, so bleibt doch bestehen, daß der Senat auf seiner Seite das - wenn auch teilweise mißverstandene - Herkommen und die Zustimmung der Mehrheit der Bürgerschaft wußte, daß er die Verantwortung für das Ganze trug, daß er also gegenüber den Reformern zwar sowohl regierendes Organ wie Partei war, Partei aber eben doch nur bedingt wegen der breiten Zustimmung, die er genoß. Diese Zustimmung verhalf ihm nicht aus seiner Schwäche (zumal sie diese eher voraussetzte), aber sie gab ihm Legitimität noch in seinem Widerstand gegen berechtigte Forderungen. Zu der Schwäche aber, zu dem Dogma, daß nicht ein Einzelner von sich aus umfassende Reformen ins Werk setzen sollte, hat wesentlich ein eigentümliches Moment der römischen Verfassung beigetragen, an dem übrigens das Versagen der römischen Verfassung und die Problematik der damaligen Situation wie zum Teil auch des ciceronischen Consulats besonders deutlich gemacht werden können. Daß man gegen den Willen des Senats als des eigentlich verantwortlichen Organs Forderungen durchsetzen konnte, beruhte auf dem unbeschränkten Recht der Tribunen, Anträge bei den Comitien zu stellen, und auf dem Recht der Comitien, diese zu Gesetzen zu erheben". Diese unbeschränkte Gesetzgebungskompetenz von Tribun und Volksversammlung war unter ganz bestimmten Voraussetzungen Vgl. einstweilen ebd. 211 ff. 318 ff. Die dort vorgetragenen, zumal auf Badian und Strasburger fußenden Beobachtungen müßten im Zusammenhang einer Geschichte des Senats während der späten Republik (die in Res Publica Amissa nicht hätte fehlen sollen) einmal weiter ausgeführt werden. Vgl. zum Folgenden Res Publica Amissa 117 ff. Interessant ist, daß anläßlich der Gleichstellung der plebiscita mit den leges die für die leges bestehenden gleichsam organisatorischen Beschränkungen (durch die Notwendigkeit der auctoritas patrum, vgl. a.O. 116, 324) nicht durch solche materieller Art ersetzt wurden.

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erkämpft und gewährt worden: Man hielt die Geltung der aristokratisch bestimmten Ordnung offenbar für selbstverständlich und war allgemein der Meinung, daß Tribunen und Comitien mit dieser Kompetenz nur die Möglichkeit erhalten sollten, drückende Gravamina, etwa Schulden- und Landnot, abzustellen, ohne auf die Zustimmung des Senats angewiesen zu sein. Die weitesten Teile der bestehenden Ordnung waren gleichsam durch unsichtbare Schranken gegen das plebeische Gesetzgebungsrecht abgeschirmt. Sie standen gar nicht in Frage und man dachte gar nicht daran, daß sie in Frage gestellt werden könnten. Nur an den Rändern des sehr weiten Bereichs des Selbstverständlichen gab es strittige Punkte und nur hier sollten die Tribüne unbeschränkt Anträge stellen dürfen. Davon war man zu Anfang des dritten Jahrhunderts ausgegangen, und diese Voraussetzungen haben fast anderthalb Jahrhunderte lang gegolten. Die formal unbeschränkte Weite des Gesetzgebungsrechts war bemessen auf die Festigkeit und Macht der aristokratisch geprägten, vom Senat bestimmten Staatsordnung. Ein Gesetz stand zwar über einem Senatsbeschluß, das Volk wurde als Herr des Staates angesprochen, aber es kam fast nie vor, daß ein Volksbeschluß einem Senatsbeschluß Konkurrenz machte, die „Herrschaft des Volkes" blieb im Ganzen an die Empfehlungen des Senats gebunden, wie sich das Volk selbst auch mehr oder weniger in Abhängigkeit vom Adel befand. Die unbeschränkte Gesetzgebungskompetenz war unter diesen Umständen nur das Minimum dessen, was ein selbstbewußtes Volk zur Wahrung seiner Freiheiten und seines Anteils am Staat und an militärischen Gewinnen innerhalb eines aristokratisch bestimmten Gemeinwesens beanspruchen kann. Wenn die Comitien aber grundsätzlich über alles Gesetze beschließen, wenn sie also in allen strittigen Fragen als entscheidende Instanz aufgerufen werden konnten, so bestimmte praktisch der Umfang des Strittigen über den Umfang ihrer Kompetenz. Sobald also größere Konflikte entstanden, konnte die verfassungsmäßige Gesetzgebungskompetenz eine neue, in der ursprünglichen Verfassung nicht vorgesehene Bedeutung gewdnnen. Dann konnte sie weit über die Wahrung berechtigter plebeischer Interessen hinaus gebraucht werden, konnte in die Verfassung und in die Exekutive eingreifen, und dazu

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brauchte es nur einen entschlossenen Volkstribunen und eine tatkräftige Minderheit der Bürgerschaft". So konnten in der späten Republik - wenn auch zentrale Punkte der Verfassung direkt selbst dann kaum berührt wurden — zahlreiche wichtige Probleme von den Comitien gegen den Willen des Senats entschieden werden (und zugleich viele Störungen von ihnen ausgehen). Nur ein Gegenmittel gab es, um Mißbrauch im Sinne des Herkommens zu verhüten, das war die Intercession, das Recht des Tribunen, Anträge eines seiner Collegen zu verbieten. Dieses Recht ist erst seit dem frühen zweiten Jahrhundert bezeugt^", kann freilich älter sein, es war aber niemals gegen Anträge gebraucht worden, die schwere Gravamina des Volkes beheben sollten. Solche Anträge hatte es auch lange Zeit gar nicht gegeben, und als man dann kurz vor 133 die geheime Abstimmung in manchen Comitien einführen wollte, ist dagegen nicht intercediert worden^^ Gleichwohl hat man die Intercessionskompetenz der Tribunen offenbar als ebenso umfassend verstanden®^ wie das Antragsrecht, und nur weil es keine schweren Konfliktsstoffe gab, waren die möglichen ungünstigen Auswirkungen der Unausgeglichenheit zwischen den Kompetenzen nicht sichtbar geworden. Als Ti. Gracchus dann sein Ackergesetz einbrachte und einer "

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Vgl. dazu ebd. 112 f.; RE Suppl. X 560. J. Bleicken, Das Volkstribunat der klassischen Republik, Zetemata 13, München 1955, 76; 91 f. Vgl. Res Publica Amissa 158, 554. Unklar ist, wie weit man außer der Intercession die Obnuntiation angewandt hat ( R E Suppl. X 607). Freilich scheint beim zweiten dieser Gesetze ein Volkstribun dies beabsichtigt zu haben. Er wurde dann aber durch Scipio Aemilianus davon abgebracht (Cic. Brut. 97). Die formelle Unbeschränktheit der verhindernden Kompetenzen in Rom entsprach der der anordnenden. Dort, wo genauer institutionalisiert wird, wird bezeichnenderweise auch die Intercessionsmöglichkeit beschnitten oder ausgeschlossen (lex Sempronia de provinciis consularibus: Beschränkung der senatorischen Willkür und entsprechend Ausschluß der Intercession gegen den Beschluß des Hauses, Geizer, Caesar 58, 153. Ferner: lex Cornelia de privilegiis: Beschränkung der WiUkür des Senats. Ausschluß der Intercession gegen den folgenden Volksbeschluß. Ob gegen den Senatsbeschluß intercediert werden konnte, ist unklar. Asconius p. 47 f. Stangl. Vgl. auch Lengle R E VI A 2475). Zu den Bedingungen des Intercessionsrechts m d zum Folgenden s. jetzt auch Mus. Helv. 25, 1968, 92 f.

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seiner Collegen dagegen intercedierte, wurde der Widerspruch offensichtlich: mit Hilfe des Intercessionsrechts konnte der Versuch, die so drückende Not weiter Teile der römischen Bauernschaft zu beheben, lahmgelegt werden. Es konnte sich deshalb durchaus die Frage stellen, ob dieses Recht nicht, wo es gegen eine breite und an sich berechtigte Volksströmung angewandt wurde, mißbräuchlich überbeansprucht würde. Das eine Recht der Tribunen, jeden Antrag vor die Comitien zu bringen, war formal so legitim wie es inhaltlich wohl als illegitim verstanden werden konnte (sobald es zentrale Punkte der Verfassung zu betreffen schien). Und entsprechend stand es mit dem anderen der Intercession. Der Senat konnte der Meinung sein, daß gerade bei großen Forderungen, wesentlichen Interessen der plehs die Intercession berechtigter und notwendiger sei als je. Die fordernden Tribunen konnten meinen, daß ein Tribun, der sich einer mächtigen, aus ungebührlicher Not geborenen Volksströmung in den Weg stellte, seinem Auftrag, für die Interessen des Volkes einzutreten, zuwider handelte. Ti. Gracchus ließ deswegen nach einigem Zögern die Volksversammlung kurzerhand die Absetzung des Intercedenten beschließen. Damit verstieß er freilich gegen eine der zentralsten Regeln der Verfassung, diese Absetzung lief darauf hinaus, nicht nur das Intercessionsrecht gänzlich zu relativieren, sondern die Eigenständigkeit des römischen Magistrats zu erschüttern und überhaupt der Volksversammlung jede Willkür zu ermöglichen. Gegen den daraufhin zu erwartenden Prozeß wollte er sich dadurch sichern, daß er sich von neuem zum Tribunen wählen zu lassen und durch weitere Gesetze neue Anhänger zu gewannen suchte. Die Antwort eines großen Teils der Senatoren bestand darin, daß sie ihn in einem Akt der Lynchjustiz erschlugen. 121 hat man diese Lynchjustiz dann formalisiert: Der Senat stellte sich auf den Standpunkt, die Consuln hätten notfalls die Vollmacht, auch unter Bruch der Freiheitsrechte den Staat zu verteidigen. Den Auftrag dazu verlieh er ihnen durch das senatus consultum ultimum^^^. 22a S. dazu jetzt die anregende Arbeit von R. E. Smith, The Anatomy of Force in Late Republican Politics, in: Ancient Society and Institutions, Festschr. Ehrenberg, Oxford 1966.

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Dieser Beschluß wird heutzutage gern etwas verharmlost. Sein ursprünglicher Sinn ist aber keineswegs, daß mit allen Mitteln und zur Not auch mit Gewalt eine bedrohte Ordnung wiederhergestellt werde, sondern der, daß die Gegner — selbst wenn sie die Ordnung gar nicht bedrohen oder mindestens bereit sind, sich zu ergeben — vernichtet werden. Gewaltsame Beseitigung der Gegner also auf Grund eines Senatsbeschlusses als Verfassungsinstitution, so weit war man nun in Rom gekommen. Zwar war die Ausführung dieses Beschlusses nur möglich im Verein mit breiteren Teilen der guten Gesellschaft, aber dadurch wird er nicht besser. Es war, wenn auch im Sinne breiter Schichten, ein Akt schrecklichster Gouvemementalität, wozu schwache Regimes wohl immer neigen und woran man sie - solange sie (noch dazu mit allgemeiner Zustimmung) existieren - selten hindern kann. Keine Frage nämlich: Diese panischen Reaktionen ergaben sich zwar nicht zwangsläufig, aber hinwiederum auch keineswegs zufällig aus dem Widerspruch zwischen der Wehrlosigkeit des Senats (nach Relativierung des Intercessionsrechts) und seiner Verantwortung für das Ganze des Staates (samt den eigenen Machtinteressen). Zu Grunde liegt das Versagen der alten Verfassung, die auf einen Mißbrauch der Gesetzgebungskompetenz wie überhaupt auf die Bedingungen der späten Republik nicht eingerichtet war, sowie andererseits das Fehlen einer Alternative, durch die sonst eine Neugründung der Verfassung hätte ermöglicht werden können. Das senatus consultum ultimum ist also Teil und grausamster Ausdruck einer tiefen Staatskrise, einer eigentümlichen und geradezu stumpfsinnig anmutenden Wehrlosigkeit, des Stupors einer Gesellschaft angesichts eines für unbegreiflich gehaltenen gründlichen Versagens einer bewährten, als vorbildlich empfundenen Ordnung^'. In vielen Fällen hat man danach teils intercediert, teils keinen Widerstand geleistet, das hing nicht zuletzt von den Machtverhältnissen ab. Die großen Volkstribunen aber hat man auch dann, wenn Das Problem des römischen Notstandsrechts ist also, wenn man so will, genauer: wenn man es in seiner Tiefe faßt, weit eher ein gesellschaftliches als ein politisches: In Verfassung und Politik greift man — von diesem (freilich einseitigen) Standpunkt aus — nur Symptome.

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sie sich keinen Rechtsbruch hatten zu Schulden kommen lassen, zuletzt mit dem senatus consultum ultimum bekämpft - zur Abschreckung. Es sollte sich keiner erkühnen, selbständig, unabhängig vom Senat umfassende Pläne zu konzipieren und zu verwirklichen! Antwortet man dergestalt mit dem Schwert auf Reformversuche, so ist das zweifellos ein Verbrechen. Andererseits ist zu bedenken, daß die römische Verfassung auf der Gültigkeit einer Reihe von sozialen Bindungen beruhte, unter anderem dem Gebot, in jeder ungewöhnlichen Lage, vor jeder ungewöhnlichen Situation sich ausgiebig mit führenden Senatoren, möglichst mit dem Senat zu beraten. Nur dank dieser selbstverständlichen Bindungen waren viele Verfassungsinstitute - die für sich dem Einzelnen weitesten Spielraum boten - sinnvoll und tragbar. Als unmittelbare Voraussetzungen dieser Institute, etwa des unbeschränkten Gesetzgebungsrechts, gehörten sie zu den Grundlagen der Verfassung. Wenn die Senatoren also meinten, der Einzelne dürfe nicht selbständig und unabhängig umfassende Reformen ins Werk setzen, hatten sie auf eine Weise recht. Man kann fragen, ob nicht schon dies als Verfassungsbruch hat angesehen werden können. Freilich nur von einer einseitigen Interpretation des Verfassungsbegriffs her, also unter Absehen von anderen formalen und materiellen Teilen der Verfassung. Hier jedoch gerät man dann in die einstweilen noch ganz unabsehbare Problematik des römischen Verfassungsbegriffs und der Frage, was eigentlich um die Zeit der Gracchen in der römischen Verfassung anders geworden sei. Einen Versuch, die Dinge wieder in ein Lot zu bringen, stellten dann Sullas Reformen dar, durch die den Volkstribunen die freie Gesetzgebungsinitiative genommen wurde. Das dadurch begründete konsequente (gleichsam innerhalb des Verfassungsrechts schlüssige, nicht mehr überall von brüchig gewordenen sozialen „Institutionsgrundlagen" abhängige) Senatsregime war jedoch unhaltbar. Dazu war der Senat, und gerade nach Sulla, zu schwach und die Schicht derer, die unter Umständen auch gegen seinen Willen einmal etwas durchsetzen wollten, zu breit und zu mächtig. Im Jahre 70 stellte Pompeius also die tribunicische Gesetzgebungsinitiative in altem Umfang wieder her.

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Damit ist die unmittelbare Vorgeschichte des Jahres 63 erreicht. Anderthalb Jahrzehnte hatte es keine tribunicische Gesetzgebung gegeben. Dadurch hatte man Abstand gewonnen. Aus dieser Distanz mußte die Aussicht, daß nun alles wieder so werden könne wie vorher, besonders alarmierend wirken. Aber was sollte man tun? Eine Revision der Verfassung im Sinne eines verglichen mit Sulla anderen, aber ebenfalls institutionell geregelten Ausgleichs der Kompetenzen lag offenbar nicht im Bereich des Denkbaren, hätte auch sehr tief ins Bestehende eingreifen müssen^^. So hat man in den führenden Senatskreisen vermutlich energischer als je zuvor jede populäre Tätigkeit verfemt und abgelehnt^'. Nur freilich: die moralische Kraft und der Einfluß dieser Herren reichte nicht aus, um diesem Verdikt genügend Durchschlagskraft zu verleihen. Daher haben sich ihre Überlegungen dann vornehmlich auf das Intercessionsrecht konzentriert. Wenn dieses Recht ungefährdet und voll wirksam in Anspruch genommen werden konnte, war die wiederhergestellte Gesetzgebungsinitiative nicht zu fürchten. Ob man dies freilich erreichen konnte, mußte als fraglich erscheinen. Aber man konnte - vielmehr: mußte - es wohl versuchen. So hat man beim ersten großen Antrag nach 70, der lex Gahinia zur Schaffung eines außerordendichen Kommandos gegen die Seeräuber (i.J. 67), einen Volkstribunen gewonnen, der intercedieren sollte. Der Anlaß war aber denkbar schlecht gewählt, denn Gabinius stützte sich auf eine drängende sachliche Notwendigkeit und auf eine breite mächtige Anhängerschaft. Er hat sich deswegen auch das Veto nicht gefallen lassen, sondern wie einst Ti. Gracchus einen Beschluß über die Absetzung des Intercedenten beantragt. Der Vorgang, durch den der erste große Gesetzesantrag der späten Republik seine Ermöglichung gefunden hatte, wiederholte sich also anläßlich der ersten Wieder^^ Einige Erwägungen dazu: Res Publica Amissa 157 ff. Dies läßt sich nicht belegen. Es spricht jedoch dafür, daß auch nach Abschaffung der sullanischen Bestimmung, nach der ein Tribun für keine weiteren Ämter kandidieren durfte, nur wenige prominente junge Herren sich als Populären hervortraten. Kein Vergleich zur Zeit vor 100! Dabei wird wesentlich mitgewirkt haben, daß es nicht mehr wie damals eine breitere oppositionelle Strömung gab. Man war im Allgemeinen konservativer geworden (vgl. Res Publica Amissa 85 f.; 135 ff.; 141 f.; 318 ff.).

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aufnähme großer Gesetzgebung nach Sulla, nur daß diesmal der Volkstribun, unmittelbar bevor der Absetzungsbeschluß gültig wurde, sein Veto zurückzog. Ein anderer Antragsteller, C. Cornelius, versuchte im gleichen Jahr die Intercession geschickt zu umgehen, wurde jedoch durch das Eingreifen des Consuls daran gehindert. Als 66 C. Manilius ein besonderes Kommando gegen Mithridates beantragte, hat keiner intercediert. Anschließend soll nach Sallust - wegen der Abwesenheit des Pompeius - die Macht der plehs vermindert, die Übermacht der herrschenden Clique vergrößert worden sein: diese hatte alles in der Hand und „schreckte die übrigen durch Anklagen vor Gericht davon ab, daß sie die plehs in ihrem Magistratsjahr allzu freundlich behandelten" (Cat. 39, 1 f.). Gegen die schlimmste Verletzung der Intercession durch Gabinius konnte man offenbar auch nachträglich nichts ausrichten. Aber Cornelius, der immerhin die Intercession nur zu verletzen versucht hatte, verfolgte man mit aller Macht. Cicero hat ihn damals verteidigt, das Gericht ihn freigesprochen, vielleicht nicht zuletzt auch, weil es ihm ungerecht erschien, Cornelius der Rache der mächtigen Senatoren auszuliefern, während Gabinius überhaupt nicht vor Gericht gezogen werden konnte^'. Manilius wurde aus anderen Gründen angeklagt und verurteilt. Damit ist die Situation vom Senat her gekennzeichnet: Man versuchte, die Dinge wieder in die Hand zu bekommen. Dabei ging es nicht um Reformen - die alte Ordnung war ja gut - , sondern um Bewahrung der führenden Stellung, um Behauptung gegen alle Angriffe und Reformversuche (selbst wenn diese gar nicht bedrohlich waren). Man darf allerdings nicht übersehen, daß nur die führenden Kreise und ein Teil der neuen, nachrückenden Generation diese senatorische Politik konsequent und entschieden betrieben. Das Gros war vielleicht nicht geradezu gleichgültig, aber doch wohl von sich aus "

Überliefert ist nur, es habe dem Cornelius genützt, daß der Intercessor ihm beistand und daß er Quaestor des Pompeius gewesen war (Asconius p. 50 Stangl). Zur politischen Bedeutung des Verfahrens vgl. den Aufmarsch prominentester Zeugen, zu dem Asconius (p. 49 Stangl) bemerkt: volehant videri se iudicare eam rem magnopere ad crimen imminutae maiestatis tribuniciae pertinere; etenim prope tollebatur intercessio. .. Vgl. Mus. Helv. a.O. 86 ff.

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weniger festgelegt - wenn es auch die führenden Kreise unter normalen Umstände nie im Stich gelassen hätte.

Während der Abwesenheit des Pompeius nun hatten die entschiedenen Verfechter des Senatsregimes zwar trotz ihrer Niederlagen einerseits gewisse Chancen, andererseits waren alle Ergebnisse ihrer Politik im Hinblick auf die Ungewißheiten, die mit der Rückkehr des Feldherrn verbunden waren, nur vorläufig. Pompeius' Rückkehr war in Kürze zu erwarten, und man wußte nicht, ob er evtl. mit dem Heer kommen würde, um sich in der Innenpolitik besser durchsetzen zu können. Die Folge dieser Ungewißheit war eine gewisse Unwirklichkeit, ein Unernst der Atmosphäre. So ist es wohl nicht ganz zufällig, daß wir in den Jahren 65 bis 63 einer Reihe von etwas leichtfertigen, teilweise abenteuerlichen Plänen begegnen. Charakteristisch dafür ist neben den verschiedenen Staatsstreichplänen, die zu Recht oder Unrecht unter dem Namen des Catilina gehen, zumal ein Gesetzesantrag, der Ende 64 vorgebracht, am 1. Januar 63 allerdings schon zurückgezogen wurde". Danach sollte die Strafe für Wahlbestechung ermäßigt werden, und zwar eiitweder allgemein oder jedenfalls für die beiden im Jahre 66 gewählten Consuln, die auf Grund einer kurz zuvor vorgenommenen Strafverschärfung mit dem Verlust des Consulats, des Senatssitzes und des Rechtes auf Ämterbewerbung bestraft worden waren. Nun sollten sie den Senatssitz und das Bewerbungsrecht zurückerhalten. Man konnte sagen, es sei ungerecht, wie sie behandelt worden waren. Denn es gab kaum einen Magistrat damals, der nicht gegen die geltenden Bestimmungen verstoßen hätte, und es ist nicht ausgemacht, daß die beiden Verurteilten sich um so viel mehr versündigt hatten als alle anderen, die - bei dem notorisch schlechten Funktionieren der Gerichte - unverurteilt geblieben oder gar nicht angeklagt worden waren. Andererseits gehörte die Verschärfung der Strafe zu dem Versuch, die Wahlmißbräuche endlich unter Kontrolle zu bringen, und wenn man die Strafen nun nachträg-

"

Cic. Sull. 65.; Gass. Dio 37, 25, 3 f.

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lieh wieder aufhob, so bedeutete das eine bedenkliche Erschütterung der Rechtspflege, ein Nicht-emst-nehmen des Senats und der Gesetze überhaupt, das schwer geduldet werden konnte. Der gesamte Antrag spekulierte also auf die Schwäche des Senats und implizierte - grob gesagt - , daß sich gleichsam jeder so bequem - und sei es unter Übertretung des bestehenden Gesetze - im Staate einrichten sollte wie möglich. Schlugen die Gerichte dann wirklich einmal zu, so mußte das, der Gerechtigkeit wegen, wo doch so viele Rechtsbrecher ungeschoren herumliefen, korrigiert werden. Wie gesagt, dieser Antrag wurde rasch wieder zurückgezogen, aber daß er überhaupt ernsthaft hatte erwogen und gestellt werden können, deutet wohl auf die eigenartige Atmosphäre dieser Jahre. Kaum ein Jahr der späten Republik war so reich an Initiativen verschiedenster Art und Herkunft wie 63. Kaum eines war so stark von Zufällen der politischen Verknüpfung bestimmt, kannte einen relativ so weiten Spielraum des Consuls. Ciceros Gonsulat ist damit weit über die Person des Consuls hinaus interessant. Mindestens fünf verschiedene Handlungsfäden lassen sich beobachten. Zunächst ist der zu nennen, der von M. Crassus ausging, dem reichsten Mann Roms, der beseelt war von einem brennenden Ehrgeiz, dem es aber an Mut, Tatkraft, Ausdauer, politischer Einsicht und Willen fast gänzlich fehlte. Er war rastlos beschäftigt, knüpfte überall Beziehungen und sammelte Reichtum. Wahrscheinlich glaubte er, durch Anhäufen von Verbindungen und Besitz schließlich hoch genug kommen zu können, um es dem Rivalen Pompeius gleichzutun. Auch er wollte besondere Leistungen vollbringen, besondere Aufträge erfüllen, aber seine Pläne dazu waren wenig realistisch, kühn und abenteuerlich. Zu Anfang des Jahres 63 scheint er hinter dem Ackerantrag des Servilius Rullus gestanden zu haben^®. Dieser unterschied sich von den vorangegangenen vor allem durch zwei Besonderheiten: er sah zunächst ungewöhnlich große Vollmachten für die Kommission vor, u.a. die, innerhalb des gesamten Herrschaftsbereichs durch günstigere Verpachtung oder Verkauf von Staatseigentum Gelder einGeizer, Caesar 38 ff.

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zutreiben. Nach Cicero ging ihre Ermessensfreiheit so weit, daß sie sogar das Königreich Ägypten hätte einziehen können (was einem alten Plan des Crassus entsprochen hätte). Die zweite Eigentümlichkeit war, daß ein besonderer Wahlmodus vorgesehen wurde, der in geradezu skandalöser Weise Manipulationen ermöglichte. Wie weit die Ansiedlungen selbst sozialpolitische Ziele verfolgten, ist nicht genau zu sehen. Auszuschließen ist es nicht, denn daß die Ansiedlungen zumal Gefolgschaften für die beteiligten Politiker schaffen sollten, besagt nichts dagegen; ganz altruistisch sind solche Absichten nie. Aber jedenfalls ist eines wohl unverkennbar: man konnte sich nicht wie die berühmten Vorgänger, die Gracchen und Saturninus, auf sehr mächtige Gruppen von Interessierten stützen, die deren Anträgen in der Volksversammlung so starke Durchschlagskraft verliehen hatten. Insofern war auch dieser Plan relativ sehr kühn. Es fragt sich, ob er vielleicht zum Teil in den Zusammenhang einer politischen Phase gehört, in der man seine Kräfte gegenseitig abtastete: die Möglichkeiten der populären Politik waren für diese Periode noch nicht von neuem genügend ergründet worden. Es könnte sein, daß gerade Caesar, der damals mit Crassus im Bunde stand, seine Erfahrungen auf diesem Feld erst sammeln, jedenfalls komplettieren mußte. Für Crassus kam hinzu, daß er politisch ohnehin nicht rechnen konnte. Er hat im weiteren Verlauf des Jahres zuweilen noch zwielichtige Rollen gespielt, aber das kann hier beiseite bleiben. Ein zweiter Handlungsfaden wurde von Pompeius aus gesponnen. Im April 63 kam sein Schwager und Legat Q. Metellus Nepos nach Rom, um seine Rückkehr in die Innenpolitik vorzubereiten. Nepos wollte sich um das Volkstribunat bewerben und sollte dann - gemäß seiner Verabredung mit Pompeius - ein Gesetz einbringen, das Pompeius die Bewerbung um das Consulat von 61 ermöglicht hätte-®. Bei der Ungewißheit über die Rückkehr des Feldherrn hatte dieser Vgl., auch zum Folgenden, Ath. 40, 1962, 103 ff. Die Ausführungen zu dem erwähnten Antrag (105, 8) sind auf Grund der Ergebnisse von J. Linderski, Mäanges Michalowski, 1966, 523 ff. zu modifizieren: Die professio in ahsenüa war damals noch erlaubt, nur zur Wahl selbst mußte man anwesend sein, von diesem Gebot sollte Pompeius entbunden werden.

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Antrag gewiß gute Aussichten. Als Consul meinte Pompeius wohl in der Lage zu sein, die Forderungen, die sich aus seiner Kriegführung im Osten ergaben, durchzusetzen. Für den Normalfall war damit Vorsorge getroffen. Bei der Schwierigkeit der Nachrichtenübermitdung wird man freilich zugleich alle möglichen Eventualitäten mit bedacht haben. Und da Pompeius bei seiner Rückkehr aus Spanien 71 das Glück gehabt hatte, mitsamt seiner Armee gegen Spartacus nach Italien gerufen zu werden (so daß er die Armee legal vor Rom führen und damit Druck ausüben konnte), hat er ganz gewiß eine Wiederholung dieser Situation als Eventualität einkalkuliert, mit andern Worten: für den Fall der Entstehung größerer Unruhen vorgesehen, man solle beantragen, ihn mit seinem Heer nach Italien zu berufen. Dies führte dann zu einer eigentümlichen Verknüpfung der Vorbereitungen auf Pompeius' Rückkehr mit der Catilinarischen Verschwörung. Diese Verknüpfungen sind deutlich zu beobachten. Nepos und seine Freunde müßten geradezu mit Blindheit geschlagen gewesen sein, wenn sie nicht gemerkt haben sollten, daß die Catilinarische Verschwörung einen erwünschten Anlaß im Sinne des Pompeius hergeben konnte, und sie müßten schlechte Freunde des Pompeius gewesen sein, wenn sie nicht dafür zu sorgen versucht hätten, daß dieser Anlaß sich erhielte oder gar gedeihe, bis sie entsprechende Anträge hätten stellen können. Daher ist schon im November und in den ersten Dezembertagen eine pompeianische Komponente in der Politik zunächst zu vermuten, dann zu beobachten, die einer wirksamen Bekämpfung Catilinas entgegenwirkte. Abgesehen davon bemühten sich vorher schon zwei Volkstribunen, darunter T. Labienus, darum, Pompeius besondere Ehren beschließen zu lassen, doch das scheint schon in den Zusammenhang eines dritten Handlungsfadens zu gehören. Die Pflicht zur Anwesenheit bei der professio ist erst für 60 bezeugt (ich würde vermuten, daß sie erst kurz zuvor im Hinblick auf Caesar eingeführt worden ist: nur der, der triumphieren wollte, wurde durch diese Bestimmung getroffen. Eine umfassende Planung aber, durch den Beschluß des Triumphes und eine solche Bestimmung Caesar von der Bewerbung um das Consulat von 59 abzuhalten, würde genau in die damalige Politik Catos passen, vgl. Res Publica Amissa 273 ff.; 278 f.; 282 f.).

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Diese dritte Gruppe von Handlungen ist in irgendeiner Form auf Caesar und den Volkstribunen Labienus zurückzuführen. Es mag darum gegangen sein, einzelne naheliegende Ziele zu erreichen, aber auch darum, eine populäre Politik längeren Atems zu initiieren, es mag sich um eine Summe von nützlichen Aktionen oder gar kühnen Streichen, aber auch um zusammenhängende Politik gehandelt haben. Doch bevor diese Frage weiter verfolgt werden kann, ist aufzuführen, was im Einzelnen geschah. Zunächst ist der Versuch zu nennen, den Söhnen der von Sulla Proscribierten das passive Wahlrecht wiederzugeben. Er wurde von Caesar unterstützt, wenn nicht initiiert, und lief darauf hinaus, einer Gruppe von tüchtigen, ehrgeizigen Politikern die Ämterlaufbahn zu erschließen, die offenbar feindlich gegenüber den herrschenden Senatskreisen gesonnen war und zu der Caesar die besten Beziehungen unterhielt'". Zweitens setzte Labienus ein Gesetz durch, nach dem die Bestellung der Priester wieder auf das Volk übertragen werden sollte" (Sulla hatte ihm dieses Recht, abgesehen von der Wahl des höchsten Priesters, des pontifex maximus, genommen). Dieser Antrag war gewiß populär. Er vergrößerte die Rolle und Einflußmöglichkeiten des gesamten Volkes und schränkte die Willkür führender Senatoren ein. Caesar wird ihn unterstützt haben, möglicherweise war das ein Teil seiner Kampagne für die Wahl zum höchsten Priester. Dieses Amt war seit alters fast immer nur von wrürdigen, mächtigen Consularen bekleidet worden, 63 errang Caesar es, ohne auch nur Praetor gewesen zu sein. Er hatte die Wähler in weitem Umfang bestochen, aber es wird auch mitgesprochen haben, daß er sich durch mehrere Akte entschiedener Opposition gegen den Senat Popularität gewonnen hatte.

"

Cic. Att. 2, 1, 3; Pis 4. Die Sache ist nicht ganz verständlich; ego adulescentis bonos et fortis, sed usos ea condicione fortume ut, si essent magistratus adepti, rei puhlicae statum convolsuri viderentur Danach wäre es nur darum gegangen, daß der Senat diese Bestimmung verteidigen wollte, um nicht ein letztes Stück der sullanischen Ordnung dranzugehen. Caesars Beteiligung ist auf Grund von VeU. 2, 43, 4 wohl anzunehmen: Geizer a.O. 38, 58. Vgl. ferner: Plut. Caes. 5, 1 ff. (dazu Cic. leg. agr. 3, 7); 6, 1.; Suet. Jul. 5. R. Syme, The Roman Revolution, 2. Aufl., Oxford 1952, 90 f. Cass. Dio 37, 37, 1.

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Insofern könnte auch sein Wahlerfolg als ein besonderer Punkt in dieser Aufzählung populärer Aktionen angeführt werden. Die interessanteste Aktion dieser Kategorie ist endlich der RahiriusProzeß^l C. Rabirius war ein alter Mann, seit langem Senator. Labienus zog ihn vor Gericht, weil er vor 37 Jahren den großen populären Tribunen L. Satuminus erschlagen haben sollte. Die Verteidiger behaupteten, das sei nicht wahr. Sie mögen recht gehabt haben, das können wir nicht entscheiden. Jedenfalls war Rabirius aber im Jahre 100 an der grausamen Niedermetzelung des Saturninus und seiner Anhänger beteiligt. Der Senat hatte gegen Satuminus ein senatus consultum ultimum erlassen. Die Absicht war, den Gegner samt seinen engeren Anhängern zu beseitigen. Der Consul Marius brachte es jedoch dazu, daß Saturninus sich friedlich in seine Hände gab, und setzte ihn und seine Anhänger im Senatsgebäude gefangen. Das scheint von einer Gruppe führender Senatoren als ungenügend, als wider den Sinn des Senatsbeschlusses, wenn nicht als Sabotage aufgefaßt worden zu sein. Sie veranlaßten also eine Truppe junger Ritter, eventuell sogar die, die Marius mit der Bewachung der Curie beauftragt hatte, Saturninus und die Seinen zu erschlagen. Diese Tat nun konnte durch das senatus consultum ultimum nicht gedeckt sein, da sie nicht nur ohne Auftrag, sondern sogar gegen den Willen des bevollmächtigten Consuls geschehen war. Labienus brauchte daher nichts gegen das senatus consultum ultimum zu sagen, konnte sogar dessen wesentlichste Implikation im Unklaren lassen, ob nämlich der Consul notfalls das Recht habe, gegen das Provocationsgesetz Bürger ohne Gerichtsurteil töten zu lassen, sich vielmehr ausschließlich auf diese ganz ungerechtfertigten, ungedeckten Morde beziehen. Dadurch wurde die Anklage erleichtert. Andererseits war es der Vollstreckungsgehilfe des Senats, den sie traf. Und es war - nach den bisherigen Erfahrungen - die eigentlich beabsichtigte Konsequenz des senatus consultum ultimum, die sie zum Gegenstand hatte. Führte sie zum Erfolg, mußte der Senat also eine schwere Niederlage erleiden. Seine

Hauptquellen: Ciceros Rede pro Rabirio perduellionis reo, ferner Gass. Dio 37, 26 f. Zur Rekonstruktion Von der MühU, RE I A 24 ff.

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Helfer bei derartigen Gewalttätigkeiten mußten abgeschreckt, mindestens sehr unsicher gemacht, sein äußerstes Mittel, seine letzte Zuflucht mußte stark entwertet werden. Durch eine neuerliche Bekräftigung des Provocationsrechts wäre nach den bisherigen Erfahrungen nicht viel auszurichten gewesen. Es ging um die praktische Einschärfung, nicht um die theoretische Geltung des Rechts. Um den Schlag umso empfindlicher zu führen, hatte Labienus (oder eher Caesar) ein altertümliches Gerichtsverfahren wieder ausgegraben, dessen Urteil auf die - in Rom für politisch bedingte Verfahren längst außer Gebrauch gekommene - Hinrichtung lautete^^ Dieses Urteil hatte Cicero dann allerdings wieder aufgehoben, weil es den Provocationsgesetzen widersprach. Darauf wiederholte Labienus seine Anklage vor den Comitien, hatte aber auch dort keinen Erfolg (und manches spricht dafür, daß die Mehrheit der Centurien gegen ihn war'^). Wie kamen Labienus und seine Freunde - unter denen sich auch in diesem Fall Caesar befand - dazu, diese Affaire nach 37 Jahren aufzurühren? Daß Labienus' Onkel unter den Opfern von 100 gewesen war, mag eine Anregung, vielleicht auch eins der Motive gebildet haben, damit ist aber nicht viel zu erklären. Es kann sein, daß man hier einen sehr praktischen Anlaß sah, um die Freiheitsrechte der Bürger neuerdings einzuschärfen (was außerdem Popularität einbrachte) oder auch ganz allgemein den Senat zu schwächen. Doch spricht der spezifische Gegenstand der Anklage entscheidend dafür, daß insbesondere das senatus consultum ultimum getroffen werden sollte. Drohte es denn aber, daß der Senat wieder einmal zu diesem Mittel griff (dessen letzte Anwendung im innenpolitischen Kampf 37 Jahre zurücklag)? Und drohte dies so sehr, daß man Grund hatte, dem vorzubeugen? Es mußte jedenfalls sehr naheliegen, daß im Senat erwogen wurde, bei künftiger Gesetzgebung der Intercession notfalls Vgl. dazu die überzeugenden Ausführungen von J. Bleicken, ZRG 76, 1959, 337 ff. Für einen parallelen Fall der Wiederbelebung eines uralten Instituts (in diesem Fall allerdings eines „populären") vgl. M. Fuhrmann, RE 23, 2490. Vgl. Ath. 40, 1962, 114, 41.

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dadurch Nachdruck und Durchschlagskraft zu verleihen, daß man mindestens Miene machte, dieses Mittel einzusetzen. Im Schutze dieser Möglichkeit konnten Intercessor und Senat härter und erfolgreicher operieren. Unter den Überlegungen, wie man sich gegen die Gesetzesinitiative künftig behaupten könne, konnte der Gedanke an dieses Mittel also kaum gefehlt haben, und die bevorstehende Gesetzgebung des Nepos mochte die Frage für beide Seiten akut werden lassen. Insofern kann der Rabirius-Prozeß gut auch als Teil der Vorbereitungen auf Pompeius' Rückkehr verstanden werden. Die angeführten Aktionen Caesars und des Labienus lassen sich also jede für sich recht wohl erklären. Zu fragen ist, ob sie Teile einer weiter angelegten, von Caesar ausgehenden populären Politik gewesen sind. Dazu muß man sich zunächst der Bedingungen dieser Politik, deren Verständnis dem modernen Betrachter so ungemeine Schwierigkeiten bereitet, kurz vergewissem. Das fofulariter agere'®, die populäre Politik, genauer: Methode war vornehmlich ein Mittel, um gewisse Ziele mit Hilfe von Teilen des Volkes, nicht zuletzt vermittels Volksbeschlüssen, gegen den Willen des Senats durchzusetzen. Zumeist ging es dabei um die Befriedigung der Bedürfnisse und Wünsche verschiedener Gruppen oder Individuen, bald dieser, bald jener, bald mächtigerer, bald schwächerer, jedenfalls immer wieder anderer (zumal gerade die Möglichkeit, sich auf diesem Wege gegen den Senat durchzusetzen, es verhinderte, daß größere Gruppen von Unzufriedenen sich zu einer kontinuierlichen antisenatorischen Gruppierung zusammenfanden). Die Volksversammlung, Teile der plehs urhcma und die üblichen populären Parolen bildeten dabei im Ganzen nur Mittel zu Zwecken, die man viel lieber mit Hilfe des Senats erreicht hätte. Der Vorteil für die agierenden Volkstribunen lag in der Dankbarkeit der Begünstigten (die sich etwa in der Unterstützung bei Wahlen äußerte), obendrein in der Erwerbung einiger Popularität, wenn sie denn ihre Sache recht vertreten, etwa im Kampf mit den Gegnern glanzvolle Auftritte gehabt oder die plehs gebührend für sich einzunehmen verstanden hatten. 35

Vgl. dazu RE Suppl. X 549-615.

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Daneben gab es andere Anträge, die ihrem Inhalt nach im Wesentlichen „populär" waren, das heißt dem Grundanspruch populärer Agitation entsprachen: für das Volk, seine Freiheitsrechte, seine Macht im Staat, sein Wohlergehen zu sorgen und mit Hilfe des Volkes eine bessere Staatspraxis zu bewerkstelligen". Dieser allgemeine Anspruch bildete die zentrale Zielsetzung etwa bei den Gesetzen, die die geheime Abstimmung einführten, die Bestellung der Priester auf das Volk übertragen und andererseits denen, die durch genauere Institutionalisierung dem Senat oder den Magistraten die Möglichkeit zu willkürlichen Entscheidungen zu beschneiden suchten. Begünstigt waren hier nicht bestimmte Gruppen, sondern die Gesamtheit als Volksversammlung oder als Gemeinwesen. Diese Anträge werden vielfach aus ehrlichem Reformwillen oder begründetem Ärger entsprungen sein, taktische Erwägungen, wie sie sich bei den einzelnen Aktionen Caesars wahrscheinlich machen lassen, konnten mitsprechen, immer aber bleibt aufs Allgemeine gesehen die Frage, wen man mit solcher Politik ansprechen, wen man dafür und dadurch gewinnen konnte. Gerade die ehrgeizigen, tüchtigen Politiker mußten in Rom darauf sehen, ihre Ämterlaufbahn gut zurückzulegen, da die Stellung des römischen Politikers weitgehend durch seinen „äußeren" Rang bedingt war. Was einer war, mußte sich auch manifestieren, und das tat es eben in seinem Rang. Brachte jemand also Gesetze ein, mit denen er manche mächtigen Interessen verärgerte, mußte der Gewinn im Allgemeinen den möglichen Verlust überwiegen. Die Rechnung mußte nicht immer genau stimmen. Mindestens bis etwa zum Jahr 100 war man in der römischen Senatsgesellschaft bereit, den jungen Adligen die eine oder andere ärgerliche Reaktion nachzusehen, man war nicht gar zu nachtragend, gleichwohl wird das Verständnis für Abweichungen von guten alten Wegen vermutlich größer gewesen sein, wenn dadurch zugleich einiger Vorteil eingeheimst werden konnte, und jedenfalls war zur Durchsetzung solcher populärer Gesetzesanträge eine nicht zu schmale Resonanz erforderlich. Daß die Unterstützung allein durch die -plehs urhana dafür ausreichte ist

5« Ebd. 593 ff.

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durchaus zu bezweifeln. Es gibt auch Anhaltspunkte dafür, daß mindestens in den Jahren vor 100 ein breiterer Kreis auch von Angehörigen der guten Gesellschaft an solcher dem Inhalt nach populären Politik, an Opposition gegen die oft ebenso stolze wie ungenügende Senatspolitik reges Interesse nahm. Entsprechend waren es verschiedene der besten und vornehmsten jungen Herren, die als Volkstribunen populariter agierten". Nach 100 und besonders dann nach 70 änderte sich das Bild aber: populäre Politik wurde entschiedener verfemt, man nahm wesentlich stärker Anstoß an ihr. 67 erwies sich an der Gesetzgebung des Cornelius, daß Pläne zur Versachlichung der Staatspraxis nur mehr wenig Unterstützung fanden. Man gewinnt den Eindruck, daß es im Ganzen nur mehr Teile der plehs urhana waren, die im Normalfall die populäre Politik trugen. Zahlreiche Niederlagen von Anträgen, zuletzt die des Rullus bestätigen das. Fast keine jungen Herren von Gewicht (die dann, indem sie Consuln wurden, zeigten, daß sie zu den Ersten ihrer Generation gehörten) taten sich populariter hervor". Die Ausnahme bildet Caesar, der nicht nur gelegentlich - etwa ein Jahr lang, wie es wohl die Regel war - populariter agierte, sondern seine Laufbahn, nach Cicero, auf der popularis via"" zurücklegte und dabei immer wieder, vermutlich durchaus mehr als nötig, die führenden Senatoren attackierte, populäre Aktionen unterstützte oder gar anregte und eine Weile lang geradezu die wichtigste Triebkraft populärer Politik gewesen zu sein scheint. Er war also länger, entschiedener und einseitiger bei der Sache als seine vornehmen Standesgenossen (sofern sich diese überhaupt auf diesem Felde betätigten). Andererseits gipfelte seine Tätigkeit aber nicht in großer Gesetzgebung (wozu er auch hätte Tribun werden, das heißt vom Patriciat zur plehs überwechseln müssen), sie führte im Gegenteil kaum über Interessenvertretung und senatsfeindliche Agitation hinaus. Was konnte er sich davon erhoffen? Alle Wahrscheinlichkeit spricht dafür, daß Caesar schon damals " "

Res Publica Amissa 135 ff. S. o. Anm. 25 Catil. 4, 9

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den Plan hegte, eine Ausnahmestellung, ähnlich wie Pompeius sie anstrebte, zu gewinnen. Nicht daß er eine Monarchie oder nur eine Dictatur auf längere Zeit im Auge gehabt hätte, aber er wollte vermutlich nach der obligatorischen Zurücklegung seiner Ämterlaufbahn nicht einfach einer unter etwa 30 Consularen sein, sondern etwas Besonderes leisten und darstellen. Den Rahmen des Herkömmlichen brauchte er deswegen nicht gleich zu sprengen unternehmen, doch war es vorauszusehen, daß er die Gelegenheit zu besonderen Leistungen, konkret gesagt: ein großes Kommando nur gegen den starken Widerstand des Senats (und keineswegs unbedingt mit der bereitwilligen Zustimmung des Pompeius) bekommen konnte. Deswegen - aber auch auf Grund eines, übrigens zumal von ihm selbst verschuldeten^", Bruchs mit den repräsentativsten Senatoren - arbeitete er konsequent mit den Gegnern des Senats, Pompeius, Crassus, den Marianem und andern, die im Senat zu kurz kamen, zusammen. Dazu gehörte zugleich die Bekümmerung um die plehs urhana und anderes (womit er sich, nebenbei, auch in breiteren Kreisen des Senats einige Sympathien schuf). Caesars popularis via ist also aus taktischen Gründen sehr wohl zu verstehen. Und da er sich insbesondere für Pompeius interessant oder am besten unentbehrlich machen mußte, ist es auch sehr wohl zu verstehen, wenn er mit einem ganz einzigartigen Eifer sich darum bemühte, einerseits die Werkzeuge der populären Politik geschmeidig zu erhalten und möglichst zu verbessern - das mußte ihm nützen, mußte außerdem Pompeius diese Methode neuerdings empfehlen - und andererseits sich derart eng mit der plehs urhana und der auf sie gestützten Politik zu verbinden, daß man ihn brauchte, wenn man dieses Werkzeug benutzen wollte. Endlich fragt es sich, ob er nicht auch vorgehabt hat, durch populäre Agitation breitere Kreise zu aktivieren. Denn so gut wir ex eventu wissen, daß nach Sulla breitere Kreise selten am eigentlich Populären der populären Politik sich interessierten, so wenig ist es damit doch vermacht, daß damals ein Versuch, sie zu mobilisieren, als aussichtslos erscheinen mußte. Es ist durchaus Geizer, Caesar 22 f. auf Grund von Ergebnissen L. Ross Taylors.

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möglich, daß das Eintreten für Freiheitsrechte, für die Rechte der Volksversammlung, eine Versachlichung der Staatspraxis und gegen senatorische Willkür in breiteren Kreisen mindestens gewisse Sympathien wachrief. Diese Kreise könnte Caesar zu aktivieren versucht haben. Es würde zu seiner Kühnheit, zu seinem je zu beobachtenden Willen passen, alle Möglichkeiten bis an die Grenze auszunutzen, und zwar bis an die wirkliche, nicht die vermeintliche, mit der die Routine zu rechnen pflegt, das Denken in eingefahrenen Gleisen, die Distanzlosigkeit, der blanke Schematismus, die geistige Trägheit, die sich so oft hinter längst mißverstandenen oder ungültig gewordenen oder gar von vornherein nur beschränkten Erfahrungen gegen die Wirklichkeit verschanzt. Möglicherweise hat Caesar zu selbstverständlich angenommen, daß sein Urteil auch das von breiteren Kreisen der wohlhabenden Bürgerschaft war, vermutlich hat er die Möglichkeiten, durch populäre Politik in die Breite zu wirken, überschätzt und nicht so bald gemerkt, daß sich die Verhältnisse der Zeit vor 100 nicht wieder beleben ließen. Der Mißerfolg mancher seiner Aktionen wäre damit zu erklären. Das würde bedeuten, daß er versucht hat, eine breitere populäre Strömung zu bewirken, möglichst viele Energien gegen den Senat zu mobilisieren. Dann stünden die verschiedenen Unternehmungen in einem weiteren Zusammenhang. Hier läßt sich freilich nichts beweisen, doch wären Caesars Aktionen von 63 nicht hinreichend dargestellt, wenn man die Möglichkeit übersähe, daß sie als Teile eines weiteren populären Zusammenhangs gemeint waren. Wie dem aber sei, jedenfalls hat die populäre Weise, Politik zu betreiben, haben die Kreise, die sich gewohnheitsmäßig an populärer Politik beteiligten, durch Caesar im Jahre 63 neuen Schvmng erhalten. Mit Phantasie und Willen, mit neuen Ambitionen, wenn auch mit relativ geringem Erfolg, ist der Senat von dieser Seite her heftig angegriffen worden: So wie von Seiten seiner Führer alles getan wurde, um die Macht des Hauses gerade auch gegen die populären Möglichkeiten zu festigen, fand sich in Caesar ein Mann, der die populären Möglichkeiten vermutlich nicht nur im Dienst unmittelbarer Interessen, sondern aus weiteren Ambitionen, um seiner - ferneren - Ziele und damit fast wie um ihrer selbst willen zu mobilisieren suchte.

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Als vierte Größe im politischen Spiel dieses Jahres ist der Consul Cicero zu nennen. Er vertrat die senatorische Politik und versuchte doch zugleich, dies etwas anders, weniger konventionell zu tun als üblich. Die senatorische Politik dieser Jahre war im Wesentlichen reaktiv. Sie kam kaum über die Erledigung der Routine-Angelegenheiten und der aufdringlichsten „Nah-Aufgaben" hinaus und beschränkte sich dabei jeweils auf die Anwendung hergebrachter Rezepte. Sie blieb ganz in der Defensive. Dabei mochte es mehr oder weniger entschieden zugehen. Bald nach 63 versuchte zum Beispiel Cato eine Wendung vorzunehmen, indem er die senatorischen Positionen gänz besonders konsequent und scharf verteidigte und insbesondere auch durch neue Mittel zu befestigen suchte". Damit war aber nur der Gegenpol zur üblichen Routine bezeichnet: Innerhalb der defensiven Haltung gab es Variationen vom einfachen, trägen (wenngleich mitunter kräftigen) nein-sagenden Sich-Treiben-Lassen bis zur vorausdenkenden Konzeption einer Befestigung durch neue Mittel. Cicero selbst dagegen brachte eine etwas andere, eher offensiv gemeinte Variation in das Spiel: den Versuch, aus dem Schematismus überkommener Gegensätze durch Versöhnlichkeit, durch Harmonisierung herauszukommen. Es war gewiß nicht einfach eine banale verfängliche Redensart, wenn er anläßlich des Ackerantrags vor dem Volk erklärte (leg. agr. 2, 14), entgegen dem Schein bestünde in Wahrheit gar kein Gegensatz zwischen Consulat und Volkstribunat; wenn sie sich bisher bekämpft hätten, so nur wegen animorum disiunctio, weil die Absichten der jeweiligen Personen verschieden waren. Dem Zusammenhang nach will er damit nur sagen, daß sein Amt ihn nicht an wahrhaft volksfreundlicher Politik hindere. Aber dahinter steht die Auffassung, daß die überkommenen Gegensätze von guten Absichten her überwunden werden könnten. Sein eigenes Consulat sollte dafür den Beweis liefern. Führte er es doch, wie er später sagte (Pis. 7), so, daß er „nichts ohne den Rat des Senats, nichts ohne die Zustimmung des Ritterstandes tat", daß er „auf der Rednertribüne des Marktes das Rathaus, im Senat das Volk verteidigte, die Menge

"

Vgl. Res Publica Amissa 273 ff.; 278 ff.; 282 f.

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mit den Ersten des Staates, den Ritterstand mit dem Senat verband". Damit sind die alten Gegensätze fast erschöpfend in ihren verschiedenen Aspekten und Extremen bezeichnet, und eben in der Gesamtheit dieser Äußerungsformen sollten sie überwunden werden"^. Es ist wohl nicht falsch zu sagen, Cicero habe das Programm verfolgt, die Krise des Staates durch eine maßvolle, vermittelnde Politik zu beheben. In dessen Konsequenz hätte das rein defensive, jede Neuerung bekämpfende Verhalten des Senats aufgelöst werden sollen. Der Fehler war nur, daß dieser Ansatz auf utopischen Voraussetzungen beruhte, darauf, daß Cicero wenig Sinn für politische Interessen und Gegensätze hatte - in seiner wesendich unpolitisch-moralischen Betrachtungsweise verschwammen alle politischen Konturen daß er meinte, bei etwas gutem Willen könnten alle zueinander finden. Er stand zum Senat, er wollte - trotz einiger Differenzen - gut mit dessen führenden Kreisen stehen und, indem er zugleich auf Pompeius' Freundschaft großen Wert legte, wollte er den Gegensatz zwischen Pompeius und dem Senat aufheben, mildern, wenigstens aber sich ihm entziehen. Ebenso wie mit dem Senat wollte er sein gutes Verhältnis zu den Rittern bewahren (evtl. auf den Senat übertragen) und außerdem zur flehs urbana, was ebenfalls auf die Quadratur des Zirkels hinauslaufen mußte - wenn er denn sprachlich über allgemeine Redensarten, politisch über eine frei schwebende, bedeutungslose Existenz hinauskommen und sachlich zu irgendwelchen Ergebnissen gelangen wollte. Insofern machte Cicero mit seinen Vorstellungen von senatorischer Politik wohl eine Ausnahme von der Allgemeinheit seiner Standesgenossen, aber das ist - aufs Ganze gesehen - nur für ihn selbst interessant. Eine Alternative, auch nur eine Modifikation der senatorischen Defensivpolitik bedeutete das nicht. W e n n es gleichwohl in Ciceros Consulat eine gewisse Rolle spielte, so lag das daran, daß in diesem Jahr, ganz besondere Umstände herrschten, die für die römische Republik und für die weitere Biographie Ciceros von verhängnisvoller Relevanz gewesen sind. Zunächst jedoch genügt es, darZu vergleichen ist hier auch die Art, in der Cicero als angehender Consul versuchte, mit den Tribunen ins Gespräch zu kommen, gewiß ein Ausdruck neuen Stils (leg. agr. 2, 11 f.).

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auf hinzuweisen, daß diese Umstände eine fast gänzliche Identifikation zwischen dem Consul Cicero und der Senatsmehrheit ermöglichten. Die Verschiedenheit der Ansätze kam praktisch nicht im Sinne einer Differenz, sondern eher im Sinne besten Zusammenwirkens zum Tragen. Cicero hatte sich vorgenommen, ein besonders pflichtgemäßes, tüchtiges Consulat zu führen. Das meinte er sich als homo novus schuldig zu sein^®. Er hatte immer behauptet, daß die Adligen seiner Zeit nur die Erben großer Väter seien, der Neuling aber sich mit den großen Helden vergangener Zeiten zu messen habe. Nur war es nicht das militärische Feld, auf dem er das tun wollte, viel wichtiger schien ihm die Leistung in der Innenpolitik. Um sie möglichst angemessen vollbringen zu können, wollte er ganz und gar unabhängig sein. Deswegen verkündete er am 1. Januar, er wolle auf jeden Vorteil verzichten, um dessentwillen er zu ungebührlicher Rücksichtnahme auf andere genötigt werden könnte, auch auf eine Provinz". Da er die Clique der obersten Senatshäupter früher mehrfach angegriffen hatte, konnte er dann in der Auseinandersetzung um den Ackerantrag mit einer gewissen Glaubwürdigkeit erklären, er sei in Wirklichkeit ein fOfularis, ein Volksfreund. Das Wort war im Grunde längst festgelegt auf die Verfolgung einer antisenatorischen Politik. Cicero bemaß seine Bedeutung jetzt nach seinem Grundgehalt neu, wobei er pax, concordia und otium ak die eigentlich erstrebten Güter des Volkes ansetzte und da aus den Gegensatz zum Senat leugnete". Vermittels dieser Behauptung suchte er die Tribunen mit ihren eigenen Waffen zu schlagen. Und es gelang ihm, den Verfechtern des Ackergesetzes derart zuzusetzen, daß sie ihren Antrag zurückzogen. Das Priesterwahlgesetz dagegen ließ Cicero offenbar durch, jedenfalls verlautet nichts von einer Gegenwehr - dagegen konnte ein « "

"

Vgl. etwa leg. agr. 1, 2, 5; 100. Leg. agr. 1, 25 (zur Bedeutung dieses Vorsatzes vgl. Gass. Dio 37, 50, 4; Cic. Att. 3, 24, 1). In Wirklichkeit hat Cicero den Anspruch auf eine Provinz nicht gleich aufgegeben, sondern als Handelsobjekt benutzt, Geizer, RE VII A 865 (wohl zu früh datiert), 875. Die Formulierung der Rede widerspricht dem nicht. RE Suppl. X 569 f. Dazu leg. agr. 1, 23. Vgl. 2. 9; 102.

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Volksfreund nichts sagen. Dafür griff er im Namen der alten populären Ideale - die auf Milde hinausliefen - wie des Senates mit aller Härte beim Rabiriusprozeß durch. Auch die Initiative wegen der Kinder der Proscribierten ist wesentlich von ihm vereitelt worden. Als es im Theater Kundgebungen wegen der für die Ritter reservierten Reihen gab, hat Cicero das Volk beruhigt. Alles in allem so weit ein bewegtes Jahr und eine eifrige, zuweilen gewiß allzu eifrige, aber erfolgreiche Amtsführung. Insbesondere wäre es wohl nicht vielen Consuln gelungen, den Ackerantrag des Rullus so zu bekämpfen, daß man gar nicht auf die üblichen Mittel der Obstruktion zurückzugreifen brauchte. So weit konnte Cicero also die Republik recht gut über sein Consulatsjahr bringen". Da alle von ihm bekämpften Aktionen gleichsam von dritten Kräften ausgingen, zum T e i l sogar von fragwürdigen, da ihnen gegenüber keine Gegensätze, sondern eher gemeinsame Interessen zwischen Senat, Pompeius und Rittern bestanden, war der nach all diesen Seiten auf Versöhnung und Ausgleich bedachte

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gerade der rechte Consul, nicht zuletzt dadurch, daß er offenbar mit der flehs urhana umzugehen vmßte. E r geriet nicht in Konflikte und konnte sich doch gut bewähren. D a Pompeius' Abgesandter

sein

Tribunat erst am 10. Dezember antrat, konnte er endlich hoffen, daß Auseinandersetzungen um Pompeius - sofern es überhaupt zu ihnen kommen mußte - kaum mehr in seinem Jahr sich abspielten. Gegen Ende des Jahres war dann aber alles verwandelt, die Chance zur Bewährung um ein Vielfaches vergrößert, aber auch das persönliche Risiko stark gewachsen, die Einigkeit zwischen den Kräften, mit denen allen Cicero zusammenarbeiten wollte, teilweise gestärkt, teilweise gestört, in allem noch fast ungetrübtem Glanz der Höhepunkt seiner Laufbahn erreicht, aber zugleich auch deren Peripetie durch das Dazwischentreten der fünften Komponente in der Politik dieses Jahres, der catilinarischen Verschwörung. Die etwas dunkle, wohl korrupte, ja verruchte, aber ebenso sehr

Anzufügen ist noch, daß damals endlich auch LucuUus seinen — drei Jahre lang verhinderten — Triumph feiern konnte: Geizer, RE VII A 874.

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auch liebenswürdige und imponierend kraftvolle Erscheinung Catilinas hat in der Senatsgesellschaft um die Mitte der 60er Jahre eine schwer zu bestimmende Rolle gespielt. Daß er aus einem der ältesten Häuser der Stadt stammte, sprach für ihn, vielleicht auch, daß dieses Haus lange fast in Vergessenheit gelebt hatte und daß Catilina es wieder ins Consulat zurückführen wollte. Es scheint, daß sich in ihm die völlige Selbstverständlichkeit des adligen Anspruchs mit der Robustheit eines self-made-man verbunden habe. Seine Rolle als Scherge Sullas war verbrecherisch, war - fast möchte man sagen: noch schlimmer - ekelhaft gewesen, aber sie hatte ihn einigen der prominentesten Consulare nahe gebracht, die ihn nun nicht nur mit einiger Indolenz freundlich duldeten, sondern in gewissem Umfang wohl auch unterstützten. Das mußte ihn bestärken. Seine rücksichtslose Art, die bei Außenseitern nicht seltene „plebejische" Konsequenz, mit der Catilina relativ offen und hemmungslos so war, in diesem Falle: so korrupt war, wie es die übrige Senatsgesellschaft im Grunde zu sein schien, am Ende aber eben doch nicht war, empfahl ihn vielen der jüngeren Senatoren und mehr oder weniger allen in tiefe Not geratenen, verschuldeten, verzweifelten, „catilinarischen" Existenzen. Für die vielleicht auch verschuldeten, aber gewiß noch nicht verzweifelten Teile der Jeunesse Doree, die mit ihm sympathisierten, mag es gar so geschienen haben, als ob das Gros der Senatsgesellschaft um das Maß, um das es weniger korrupt war als Catilina, eher schlimmer als besser wäre als er, indem es nur Bedenklichkeit, Schwächlichkeit, heuchlerische Scheinheiligkeit war, was sie von ihm zu unterscheiden schien. So übte dieser Mann in seiner Korruptheit, Rücksichtslosigkeit, Vitalität und offenbar faszinierenden persönlichen Art weithin Anziehungskraft aus. Im Jahre 63 war er - wie übrigens schon in den letzt vorangegangenen Jahren - zunächst ein für die einen vielversprechender, für die anderen ungemütlicher oder gar bedrohlicher Consulatsbewerber. Die in diesem Jahr zum ersten Mal bezeugten sozialen Parolen, die offene Ankündigung, er werde sich an die Spitze der Notleidenden stellen, brachten ihm die entschiedene Gegnerschaft des Consuls Cicero, vieler Senatoren und besonders der ritterlichen

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Bourgeoisie ein. Cicero beantragte seinetwegen ein neues amhitusGesetz und insinuierte dann der Wahlversammlung, daß Catilina sich notfalls mit Mord und Totschlag den Sieg erkämpfen wollte: er trug einen Panzer unter der Toga. Die Felge von all dem war, daß Catilina wieder unterlag und nun sich mit Freunden verschwor, sich durch einen Staatsstreich an die Spitze der res fuhlica zu setzen. Geplant war freilich keineswegs eine Revolution, sondern die Gewinnung führender Positionen für einige Verschwörer und ein Schuldenerlaß. Aufruhr, Mord und Brandstiftung wurden als Mittel in Erwägung gezogen. Cicero war durch die Geliebte eines der Verschwörer genau über alles unterrichtet und blieb dauernd auf dem Laufenden. Wie weit das, was Cicero darüber jeweils in der Öffentlichkeit aussagte - und was uns (evtl. darüber hinausgehend"") in seinen Reden entgegentritt - der Wahrheit entspricht, ist schwer zu entscheiden. Sicher ist nur, daß weitgehende Staatsstreichpläne gefaßt und ein Stück weit betrieben wurden. Dies wärd bestätigt durch die Bildung bewaffneter Mannschaften bei Florenz, die sicher bezeugt ist. Sie bedeutete die Sammlung der zahlreichen Unzufriedenen, vielfach verarmter sullanischer Veteranen, die sich damals in Italien herumtrieben. Ob damit die Verschwörung bereits unausweichlich auf der Bahn war, ob es schon von dem Zeitpunkt an, da in Etrurien die Fahne des Aufruhrs aufgepflanzt worden war, für Catilina kein Zurück mehr gegeben hätte, ist wohl nicht eindeutig zu entscheiden. Die Frage ist deswegen interessant, weil wenn man sie emsthaft stellen kann, die Möglichkeit besteht, daß Cicero Catilina erst - in seiner ersten catilinarischen Rede - so weit getrieben hat, daß er nicht mehr anders konnte, als die Pläne bis zum Ziel durchzuhalten. Die einzelnen Vorgänge brauchen hier nicht besprochen zu werden. Cicero glaubte an die Ernsthaftigkeit des Staatsstreichplans. Dafür sprachen seine Informationen. Sein Bemühen, alles recht zu machen, nur keinen Fehler zu begehen — den die hohen Herren dem

Die Reden sind erst nachträglich, i j . 60, herausgegeben und selbstverständlich stark redigiert worden (Cic. Att. 2, 1, 3. Zu Catil. 4 siehe unten).

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homo novus gewiß schadenfroh angekreidet hätten - versetzte ihn in höchste Anspannung. Der Faszination durch Catihnas verkrachtes Genie erlag er nicht, sie wirkte eher ernüchternd, wenn nicht gar erschreckend auf seine bürgerlich ordnungsliebende, biedere Sinnesart. Wenn Caesar ihm bis zum Jahre 60 als enfant terrible, als verbesserlich, nur als Nobilitäts-, nicht auch als Bürgerschreck erschien, so hatte er für Catilina offensichtlich gar kein Verständnis*'. Daß die Senatoren - in ihrer Indolenz, in einigem Mißtrauen gegen die Wichtigtuerei ihres Consuls^'^, vielleicht aber auch in einer nicht ganz unberechtigten Dickfelligkeit, die Pompeianer endlich aus Berechnung Ciceros Informationen vielfach nicht recht ernstnahmen, jedenfalls der ganzen Sache mit großer Unbekümmertheit begegneten, kann ihn nur in seiner Strenge und Unerbittlichkeit gesteigert haben. So war Cicero vermutlich energischer, als die meisten anderen Consuln gewesen wären. Wenn er Catilina überdies erst zu vollem Emst getrieben haben sollte, so wäre das nicht einmal das Schlechteste gewesen, denn es mußte endlich die Möglichkeit geben, daß der Senat gegen eine Reihe der korruptesten seiner Mitglieder vorgehen konnte. Am 21. Oktober wurde - nach vielen Mühen Ciceros - ein senatus consultum ultimum beschlossen. Am 7. November hielt Cicero seine erste Catilinaria, auf Grund deren Catilina dann die Stadt verließ, um offen den Aufstand zu betreiben. Am 3. Dezember gelang es mit Hilfe der Allobrogergesandtschaft endlich, die in der Stadt führenden Catilinarier zu überführen. Nachdem diese am folgenden Tag im Senat ihre Schuld eingestanden hatten, trat der Senat an den Nonen, also am 5. des Dezember, zu der denkwürdigen, folgenreichen, für Cicero schicksalhaften Sitzung zusammen, in der er darüber beschließen wollte, was mit ihnen zu geschehen habe. Cicero hatte unter Führung seines Freundes Atticus ein großes Kontingent aus römischen Rittern aufgeboten, um Capitol und Forum zu sichern. Tagungsort war der Tempel der Concordia, am Fuße des Capitols zum Forum hin. Zu Caesar vgl. etwa Att. 2, 1, 6. Zu Catilina vgl. auch sein frühes Urteil ebd. 1, 2, 1. Eine andere Erklärung der Feindschaft gegen Catilina bei O. Seel, Cicero, 1. Aufl. Stuttgart 1953, 82. "a Vgl. Cic. Catil. 3, 7.

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Cicero hielt es offenbar für richtig, die fünf Catilinarier mit dem Tode zu bestrafen^®. Der erste Antrag lautete auf ultima poena*', alle Consulare schlössen sich an. Unter den designierten Praetoren aber widersprach Caesar, indem er darauf hinwies, daß die Provocationsgesetze es erlaubten, statt der Todesstrafe das Exil zu wählen. Er warnte deswegen und nicht zuletzt im Hinblick auf zu erwartende populäre Angriffe eindringlich davor, die Hinrichtung zu beschließen, und beantragte statt dessen, die fünf Herren mit lebenslänglicher Haft und Einziehung ihres Vermögens zu bestrafen. Keiner dürfe künftig vor Senat oder Volksversammlung noch einmal die Rede auf die Gefangenen bringen. Die nach Caesar zu Wort Gekommenen stimmten fast ausnahmslos für seinen Antrag. Unsicherheit und Verwirrung machten sich breit. Zwischenrufe vmrden laut, man solle die Entscheidung vertagen. Da unterbrach Cicero die Debatte, um zu betonen, man solle auf ihn keine Rücksicht nehmen - denn er hätte die Strafe vollstrecken, also der Zielpunkt der Angriffe und Anklagen wegen des Bruchs der Provocationsgesetze sein müssen und interpretierte nun die Zustimmung zu Caesar als Rücksichtnahme auf sich. Zugleich deutete er an, der Senat sollte die Todesstrafe beschließen. Der Text der Rede ist überliefert, aber so wie er auf uns gekommen ist, ist er nachträglich stark redigiert^". In Wirklichkeit war Cicero selbst durch Caesars Rede zutiefst verängstigt worden, und so gut wohl sein Wille war, so sehr ließen seine Worte oder mindestens sein Tonfall und seine Gebärden diese Angst und Unsicherheit spüren. Seine Freunde wurden sich nicht klar darüber, was er eigentlich wollte, Zwischenrufe und aufgeregtes Getuschel störten ihn und trugen zur allgemeinen Unsicherheit bei. So kam es, daß in der nun wieder von vorn beginnenden Befragung gleich der erste erklärte, er habe mit ultima poena natürlich auch die Zum Ablauf der Sitzung vgl. Ath. 40, 1962, 115 ff. Dort wäre Anm. 47 Cic. Catil. 4, 7 hinzuzufügen: duas adhuc sententias. Die Reihenfolge der Äußerungen ist deswegen wichtig, weil sie erst das ganze Ausmaß der Leistung Catos deutlich macht. Überliefert ist es nur auf griechisch: Plut. Cic. 20, 4; Cato minor 22, 4. Vgl. zuletzt H. Fuchs, Hermes 87, 1959, 463 ff.

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lebenslängliche Haft gemeint. Das Gros der Consulare und Praetorier schloß sich ihm an. Schließlich stellte Ti. Claudius Nero den Antrag, man möge die Entscheidung aufschieben, bis Catilina geschlagen sei, dann solle der Consul unter bewaffnetem Schutz aufs neue berichten. Auch dieser Antrag fand Anhänger. Die Entscheidung brachte schließlich die große Rede des jungen Cato, durch die der Senat noch einmal umgestimmt wurde. Es wurde beschlossen, die fünf Catilinarier hinzurichten. Diese Senatsdebatte - für uns die bekannteste und zweifellos eine der interessantesten unter denen, die uns näher bekannt sind - stand im Schnittpunkt verschiedener politischer Bestrebungen. Vordergründig ging es um die fünf gefangenen Catilinarier. Sie sollten büßen oder - so wohl Caesars Absicht - gerettet werden (die lebenslängliche Haft konnte kaum unwiderruflich sein). Dabei ergaben sich juristische Probleme". Durfte der Senat Bürger, die gerichtlich nicht verurteilt waren, hinrichten lassen? Die Frage zerfällt in zwei Teile: durfte er überhaupt eine Strafe verhängen? und: durfte er die Todesstrafe verhängen? Der Senat war kein Gericht, durfte damals gar nicht als Gericht fungieren®^ Und seine Verhandlung über die fünf Catilinarier war auch kein Gerichtsverfahren''. Freilich hätte ein Gerichtsverfahren nur den Sinn gehabt, die Schuld festzustellen, und das, so konnte man sagen, erübrigte sich hier, da die Angeklagten geständig waren. Wir können nun zwar die Argumentation der verschiedenen Redner nicht Die folgenden Ausführungen ergeben sich aus einer Untersuchung der Quellen und der vorliegenden Literatur. Sie setzen aber in einer nicht mehr zu ergründenden Weise die Kenntnis eines Vortrags voraus, den W. Kunkel am 5. 2. 65 in Freiburg gehalten hat. Dessen Ergebnisse sind noch nicht veröffentlicht (abgesehen von der Notiz ZRG 81, 1964, 362), sie liegen hier mindestens als Frage zu Grunde. Nach einer lex Sempronia (vgl. dazu unten Anm. 56) konnten Capitalverfahren nur vor Gerichten durchgeführt werden, die durch Volksbeschluß eingesetzt waren (Cic. Rab. perd. 12. W. Kunkel, Untersuchungen zur Entwicklung des römischen Kriminalverfahrens in vorsullanischer Zeit, ABAW ph.-h.Kl. 56, 1962, 28, 89). Um eine capitale Strafe aber muß es sich hier gehandelt haben, auch nach Caesars Vorschlag (vgl. M. Fuhrmann, RE XXIII 2491, wonach die publicatio bonorum stets mit capitaler Strafe verknüpft war). Vgl. W. Kunkel ZRG a.O. Cic. fam. 5, 2, 8: indicta causa. Cicero

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g e n a u rekonstruieren, aber es ist deutlich, daß i n irgendeiner W e i s e alle von der Voraussetzung ausgingen, daß es eines Gerichtsverfahrens nicht bedürfe®^. Keiner, soweit wir sehen, hat d e m Senat die Kompetenz abgesprochen, eine Strafe festzusetzen, vermudich sind alle von der Voraussetzung ausgegangen, daß Geständige Verurteilten gleichzuachten seien. D i e eigentliche Streitfrage war - w e n n man von d e m Verschiebungsantrag N e r o s absieht

ob der Senat die Todesstrafe

verhängen'^^® dürfe. Caesar scheint dies nicht völlig ausgeschlossen zu haben'®, m e i n t e nur, daß m a n sich an die Gesetze'" halten solle, die einem verurteilten Bürger (wohl nicht i n jedem, aber in politischen u n d anderen Fällen") gestatteten, statt T o d das Exil zu w ä h l e n . Cato h i n g e g e n meinte, m a n solle more

maiorum,

unter Rückgriff

also auf alte Sitten sowie auf das in d e n früheren Notstandslagen praktizierte Verfahren kurzen Prozeß mit d e n Angeklagten machen'®. So Cic. Catil. 4, 4 f. Sali. Cat. 52, 36 {de confessis, sicuti de manufestis rerum capitdium...). App. d v . 2, 21 (manifesti). Für Caesar ergeben sich entsprechende Voraussetzungen aus seinem Strafantrag. Merkwürdig ist es dann allerdings, daß die Agitation gegen Cicero (und auch der Wortlaut der lex Clodia von 58, soweit er bezeugt ist) sich ganz auf die Tötung von dves indemnati konzentriert (vgl. Gass. Dio 37, 42, 1 f.; 46, 2, 3. Vell. 2, 45, 1. G. Rotondi, Leges Publicae Populi Romani, Mailand 1912, 394 f.) Kann es sein, daß die Quellen den Sachverhalt falsch darstellen, indem sie stereotyp den Hauptvorwurf gegen die früheren Vollstrecker des senatus consultum ultimum wiederholen? Andererseits spricht für den überlieferten Wortlaut der lex Clodia die Tatsache, daß Cicero behauptet, deren Inhalt habe ihn in Wirklichkeit nicht betroffen (Att. 3, 15, 5). 5''a Bzw. sie zu verhängen dem Consul empfehlen dürfe. So wenigstens bei Sallust, Cat. 51, 8 (si digna poena pro faclis eorum reperitur, novom consilium adprobo. Vgl. 19. 27. 41). Sallust spricht von lex Porcia aliaeque leges (51, 40. Vgl. 22). Andererseits erwähnt Cicero (Catil. 4, 10), daß Caesar auf eine lex Sempronia hingewiesen habe. Da damit, nach Caesars Antrag zu urteilen, kaum die oben Anm. 52 zitierte (uns allein aus einem entsprechenden Gesetz des C. Gracchus bekannte) Bestimmung gemeint sein kann, muß man in Erwägung ziehen, daß Gracchus auch andere Bestimmungen früherer „Provocations"-Gesetze — evtl. modifizierend — in seine lex eingefügt hat. " Vgl. W. Kunkel a.O. (Anm. 52) 67, 253. Sali. Cat. 52, 36. Nach Cicero hatte Silanus zur Begründung seines Antrags auf Todesstrafe vorgebracht: hoc genus poenae saepe in improbos civis in hac re publica esse usurpatum (Catil. 4, 7). Nach Sallust begann Cato seine Rede mit den Worten: Longe alia mihi mens est.. . quom res atque pericula

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Eine gewisse Schwierigkeit bereitet Caesars eigener Antrag: die Einziehung der Güter war bei den von Mommsen sogenannten „Staatsverbrechen" neben der Kapitalstrafe hergebracht^'. Aber ob die lebenslängliche Einkerkerung der Devise entspricht, die Caesar den Verfechtern der Todesstrafe entgegenhält: man solle die Strafen anwenden, die durch die Gesetze zur Verfügung gestellt werden"", ist schwer zu sagen. Abgesehen von einem teilweise vergleichbaren Fall, in dem der Senat „ewige Haft" neben Einziehung der Güter verhängte®', ist Haft als Strafe nirgends bezeugt, und ob ein Gesetz solche Strafen vorsah, ist sehr zweifelhaft'^. Der Beschluss hätte aber wohl den Vorteil gehabt, mit keinem Gesetz zu kollidieren. Der juristische Aspekt der Debatte nun war von größter Bedeutung in Hinsicht auf das senatus consultum ultimum. Damals ist, soweit wir sehen, erstmals im Senat offen über die Art des Verfahrens mit

nostra considero, et quom sententias nonnullorum ipse mecum reputo. Uli mihi disseruisse videntur de poena eorum, qui patriae ... bellum paravere; res autem monet cavere ab Ulis magis quam quid in illos statuamus consultare (52, 2 f.). Bei beiden Aussagen wissen wir nicht, ob und wie weit sie zuverlässig sind. Gleichwohl muß der Verstoß gegen die Gesetze, den die Todesstrafe zweifellos bedeutete, seine Begründung in dem Hinweis auf den mos maiorum, eben auf die Ausführung der senatus consulta ultima, und vermutlich auch auf die Sache gehabt haben, die als wichtiger, als drängender erschien als juristische Erwägungen. Ciceros Hinweis, die Catilinarier hätten als hostes ihr Bürgerrecht verwirkt (Catil. 4, 10. Vgl. 1, 28), böte eine andere Rechtfertigung, von der wir aber nicht wissen, ob Cicero sie schon damals vorgebracht hat und wie weit die übrigen Senatoren sie sich zu eigen gemacht haben. Der Senat hat die Fünf jedenfalls nicht zu hostes erklärt, so viel wir wissen (nur Catilina und Manlms, Sali. 36, 2 f.). M. Fuhrmann, RE XXHI 2491. Sali. Cat. 51, 8. Val. Max. 6, 3, 3. T. Mayer-Maly, RE VIII A 2203 f. Mommsen meint, es habe sich um einen „Aufschub der verwirkten Todesstrafe bis weiter, welcher faktisch zur Umwandlung derselben in lebenslängliche Freiheitsstrafe führen kann", gehandelt (Römisches Staatsrecht III, Leipzig 1888, 1250, 1. Vgl. 1069, 3. Strafr. 961). Da aber nach Caesar der zum Tode Verurteilte doch gerade das Exil wählen durfte, kann diese Erklärung nicht richtig sein. Die lebenslängliche Einkerkerung scheint deswegen eher eine eigene, freilich nur ausnahmsweise zu verhängende Strafe gewesen zu sein. Worauf sie sich gründete, ist allerdings wohl unklar. Mommsen meint an anderer Stelle (Strafr. 259,

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Staatsgefährdern debattiert worden, ironischerweise bei einer Gelegenheit, in der die Staatsgefährdung im Unterschied zu allen vorangegangenen Fällen wirklich erwiesen war, in dem es sich nicht unbedingt um cives indemnati handelte. Der Grund war einfach: man war ihrer habhaft geworden, und Cicero scheute sich, ohne Rückendeckung von seiner Vollmacht den herkömmlichen Gebrauch zu machen. Damit war denn aber die Chance gegeben, die unverbrüchliche, ausnahmslose Geltung der Provocationsgesetze innerhalb des Senats zur Anerkennung zu bringen. Cicero bot Caesar gleichsam die Bühne, um das mit dem Rabiriusprozeß Begonnene unter anderen Vorzeichen fortzusetzen, wieder nicht auf direktem Wege, sondern vermittels Schaffung eines Präzedenzfalls, aber so entsprach es einer bedeutsamen Weise römischer Verfassungsbildung, und anders wäre es ohnehin nicht gegangen. Fraglos wollte sich Caesar damit als popularis und Verfechter der Freiheitsrechte des Volkes innerhalb des Senats bewähren. Aber die Form, in der er das ins Werk setzte, war die der wohlmeinenden staatsmännischen Warnung: er identifizierte sich scheinbar voll mit den Interessen des Hauses, wies nur eben deswegen auf die Konsequenzen hin, die eine Hinrichtung nach sich ziehen mußte. Er machte das Risiko klar, wo die anderen nur die Chance gesehen hatten, die Macht des Senats zu befestigen. Und wie so Vieles in diesem Jahr paradox war, so war es auch das, daß Caesar hier wider Willen und vermutlich auch ohne es zu wissen, dem Senat 1), der Consul sei „zu jener administrativen Maßregel" (Einsperrung und Vermögensconfiscation) „ohne Zweifel kompetent" gewesen, weist auf die Analogie der tribunicischen bonorum consecratio hin, schließt dann aber: „Rechtlich anfechtbar mochten beide Maßregeln immerhin sein, aber als Verletzung des . . . (Provocations-) Gesetzes konnten sie nicht bezeichnet werden". Vgl. W. Kunkel a.O. (Anm. 5 2 ) 89, 329 mit einer allerdings wohl einseitigen Interpretation der Quellen (vgl. R E Suppl. X 575, wo man die andere Alternative wohl entschiedener hätte betonen sollen). Ich würde es für das Wahrscheinlichste halten, daß Caesar eine auf gewisse Präzedenzfälle gestützte, durch Gesetze nicht geradezu (für mögliche gesetzliche Einschränkungen des Verhaftungsrechts vgl. allerdings Mommsen Strafr. 49, 2 ) verbotene, sachlich indizierte Art der Strafe vorschlug. Wenn sie rechtlich anfechtbar war, umso besser. Dafür, daß sein Vorschlag nicht ganz aus der Welt lag, spricht wohl zugleich, daß Silanus behaupten konnte, er habe das Gleiche mit ultima poena gemeint.

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den im Sinne der Erhaltung seines Regimes wohl besseren Rat gegeben hat". Wäre sein Antrag durchgekommen, hätte er nicht nur auf weitere Sicht zu einer Entschärfung des senatus consultum ultimum beigetragen, sondern das Hohe Haus auch um eine Gelegenheit gebracht, sich zu bewähren. Denn dies war ein weiterer Gegenstand dieser Sitzung, auch wenn das in den Reden nicht so deutlich geworden sein mag: Wenn der Senat jetzt mit den Catilinariern fertig wurde, so erwies er sich zum ersten Mal seit Jahrzehnten als Herr einer schwierigen Lage. Es bot sich ihm also eine seltene Chance, seine Autorität zu befestigen. Dazu bedurfte es aber aller Wahrscheinlichkeit nach eines entschlossenen, kräftigen Durchgreifens gegen die Gefährder der staadichen Sicherheit. Statuierte man ein Exempel, so mußte Catilinas Armee dadurch entmutigt und geschwächt, die Macht des Senats im Staat wiederhergestellt werden. Der rasche Sieg über Catilina aber war nicht nur für sich, sondern auch im Hinblick auf Pompeius von großer Wichtigkeit. Denn es war wohl nicht zu übersehen, mußte mindestens zu kombinieren sein, daß dessen Freunde daran dachten, ihn mit seiner Armee gegen Catilina nach Italien zu berufen. Dazu durfte aber die Verschwörung nicht zu rasch niedergerungen oder nennenswert dezimiert werden. So ist es denn kein Zufall, daß die beiden Anträge, die darauf hinausliefen, eine starke Reaktion des Senats zu verhindern (Caesar) oder geradezu die Unentschlossenheit des Senats zu demonstrieren (Nero), von Männern vorgebracht vmrden, die nachweislich enge oder gar engste politische Beziehungen zu Pompeius unterhielten®^ Umgekehrt war es wahrscheinlich den Klügsten unter den führenden Senatoren bewußt, daß es nicht nur allgemein um das senatus consultum ultimum und die Wiederherstellung der vollen Senatsautorität, sondern eben auch um die Positionen bei Pompeius' Rückkehr aus dem Osten ging. Nach dem Senatsbeschluß wurden die fünf Catilinarier aus ihrem jeweiligen Gewahrsam in das Gefängnis, am Forum, geführt. Cicero S. u. S. 108 f. Ath. 40, 1962, 117.

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selbst holte den prominentesten vom Palatium herab, wobei er von den vornehmsten Senatoren wie von einer Leibwache umringt wurde, „während das Volk mit Schaudern zusah und den Zug schweigend passieren ließ, vor allem die jungen Leute, denen es war, als wmrden sie mit Furcht und Entsetzen in die Mysterien aristokratischer Machtvollkommenheit eingeweiht". Im Gefängnis übergab Cicero die fünf dem Scharfrichter und ließ sie sofort hinrichten. Dann verkündete er draußen mit lauter Stimme: vixerunt, sie haben gelebt. Als er nach Hause zurückging, war es schon dunkel. Aber überall wurde er von Bürgern umringt, die ihn mit Applaus feierten und „Retter des Vaterlandes" nannten. „Die Gassen waren hell erleuchtet von den Lämpchen und Fackeln, die sie an den Türen anbrachten, und die Frauen leuchteten von den Dächern herab, um den Mann zu ehren und zu sehen, der da im Geleit der Edelsten in Glanz und Würde emporstieg"."' Das war der Höhepunkt in Ciceros Laufbahn. Der Senat beschloß ihm eine singularis supplicatio, zum ersten Mal wurde in ihm ein togatus so geehrt, wie sonst nur Feldhenn. Catulus nannte ihn parens patriae'^*. Senat und Ritter waren sich unter seiner Führung gegen den gemeinsamen Feind einig gewesen. Eine concordia ordinum war entstanden, die nach seiner Illusion auch weiterhin die Sicherheit des Staates und die Autorität des Senats verbürgen konnte". Cicero hatte im Namen, mit Hilfe und unter Anerkennung aller Guten die Bösen besiegt. Das war eine Art der Bewährung, wie er sie sich besser nicht hätte vmnschen können. Freilich, was er dabei gewann, war sowohl Ruhm wie Feindschaft, er nannte es bald darauf: iunctam invidia ac multorum

inimicitiis

eximiam

quandam

atque

immortalem

gloriam

Plut. Cic. 22, 2-6. Die Übersetzung in enger Anlehnung an Ziegler. Cic, Catil. 4, 5; 20 f.; Pis. 6; Phil. 2, 13. Vgl. Gell. 5, 6, 15. u.S. 110. Der Beschluß der supplicatio mutet etwas übertrieben an: war der plötzliche Eindruck der Gefahr, in der man, ohne es zu wissen, geschwebt hatte, so stark, daß man dem Gefühl der Befreiung dann solchen Ausdruck verleihen konnte? Meinte man, Ciceros Eifer etwas Besonderes schuldig zu sein, nachdem man den aufgeregten Beteuerungen und Andeutungen des Consuls so oft den Glauben versagt hatte? Vgl. H. Strasburger, Concordia Ordinum, Diss. Frankfurt 1929.

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(Att. 1, 19, 6). Das Schlimmste dabei war, daß unter den Guten gewiß wider Ciceros Erwarten - einer war, an dem ihm dringend lag und der zunächst doch von seinen Leistungen alles andere als erfreut war, Cn. Pompeius. Nachdem der eigendich politische Gegensatz zwischen den beiden stärksten Mächten der Zeit, der führenden Senatsclique und Pompeius, sich schon in der großen Senatsdebatte neben dem eher „polizeilichen" zwischen Ordnungshütern und -gefährdern unangenehm bemerkbar gemacht hatte, begann er am 10. Dezember in den Mittelpunkt des Geschehens zu rücken. Nepos trat sein Volkstribunat an, stellte seinen Antrag, Pompeius mit dem Heer gegen Catilina zu holen, und begann Ende Dezember eine heftige Agitation gegen Cicero. Dies'® ergab sich wohl einerseits aus den Gesetzmäßigkeiten populärer Politik, man konnte damals kaum populariter agieren, ohne die grobe Verletzung der Freiheitsrechte durch den Senat zum Thema zu machen. Andererseits galt es aber auch, die so eindrucksvoll neu begründete Macht des Senats und seiner stärksten Waffe, des senatus consultum ultimum, zu erschüttern. Der Angriff auf den, der diese Waffe zuletzt so kräftig geführt hatte, war unerläßlich, wenn man nicht gewärtigen wollte, daß ein anderer sie mit gleichem Erfolg gegen Nepos anwandte. Die in langer Tradition gewachsene Ablehnung der Hinrichtung römischer Bürger"', der starke Wert der Freiheitsrechte boten gar die Chance, die große Macht des Senats in eine ebenso große Schwäche zu verwandeln. Nur, da dem so war, tat der Senat, angetrieben insbesondere durch den Sieger vom 5. Dezember, M. Cato, alles, um seine Stellung gegen Nepos zu behaupten. Nepos konnte zwar am letzten Tage noch Cicero daran hindern, die übliche Rede an das Volk zu halten - wer andere hinrichte, ohne ihnen Gelegenheit zu geben, sich in einem Gerichtsverfahren zu verteidigen, dürfe auch selbst nicht zu Worte kommen. Aber Cicero parierte meisterhaft, indem er in seinen Rechenschaftseid die Worte einflocht, er allein habe den Staat gerettet. Das Volk replizierte, wie es das gewohnt war, er habe wahr geschworen. Und An-

«8 Vgl. zum Folgenden Ath. 40, 1962, 119 ff. «8a Abgesehen von gewissen Kriminellen (vgl. o. Anm. 57).

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fang 62 gelang es, die Angriffe gegen Cicero zu unterbinden und Nepos' Antrag zu vereiteln. Unter Drohungen verließ der Volkstribun die Stadt, um sich zu Pompeius zu begeben. Die Vorbereitung der Rückkehr des Pompeius in die Innenpolitik war gescheitert. Als er Anfang 61 nach Entlassung seines Heeres nach Rom zurückkehrte, konnte man die Erfüllung seiner aus der Kriegführung sich ergebenden Forderungen lange vervi^eigern oder verhindern. Pompeius geriet in eine höchst schwierige Situation, aus der erst das Bündnis mit Caesar und dessen - zum Teil durch heftigsten, provozierenden Widerstand bedingtes" - gewaltsames, verfassungswidriges Durchgreifen ihn rettete. Dies aber bedeutete dann auch den Anfang vom Ende der Republik. Vieles spricht dafür, daß erst die Verfilzung mit der Catilinarischen Verschwörung das Scheitern der Mission des Nepos ermöglichte". Mindestens kann man sagen, daß der Sieg über die Catilinarier den Senat in eine sehr gefährliche Situation geraten ließ. Die Bewährung in dieser Situation brachte ihm zwar nur die Macht, die er als das nach allgemeiner Meinung verantwortliche Regierungsorgan beanspruchen durfte. Schon diese Macht aber konnte er sich nicht mehr leisten. Sie erwuchs aus einer ungewöhnlichen Situation: in einem Moment politischer Windstille, in einer durch das Zurücktreten der großen Gegensätze quasi unwirklichen Situation bietet sich dem Senat die Gelegenheit, sich im Einklang und im Zusammenwirken mit weitesten Teilen der Gesellschaft gegen eine kleine, aber gefährliche Gruppe zu bewähren. Sein Ansehen und sein Einfluß befestigen sich, und er gerät dadurch gegenüber Pompeius in eine schwer haltbare Überlegenheit, aus der heraus er endlich die - gewiß nicht unausweichliche, aber doch eher wahrscheinliche als unwahrscheinliche entscheidende Niederlage durch Caesar provoziert. Diese Problematik weckt den einigermaßen erregenden Verdacht, daß Cicero, Catulus, Cato und alle die, die mit ihnen einer Meinung waren, am 5. Dezember das Richtige und das Falsche in Einem taten. «9 Dies wird meist übersehen. Vgl. dagegen Res Publica Amissa 280 ff. Einleitung zu H. Simons Übers, von Caesars Bürgerkrieg, Bremen 1964, XV ff. '» Vgl. Ath. 40, 1962, 124 f.

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Es ist schwierig, in einer Zeit, in der nichts mehr stimmt und alle Standpunkte nicht nur als relativ, sondern in besonderem Maße als fragwürdig erscheinen, ungewöhnliche Situationen und Handlungen zu beurteilen. Bedenkt man aber alles in allem, so kommt man kaum um den Schluß herum, daß eine recht verstandene consularische und senatorische Politik damals kaum anders konnte als energisch und hart durchzugreifen, als die Gelegenheit zu nutzen, die Macht, Entschlossenheit und Fähigkeit des Hohen Hauses durch Statuierung eines Exempels zu beweisen. Die Verfechter der Hinrichtung handelten also wohl pflichtgemäß und konsequent im Sinne bester (noch möglicher) senatorischer Politik: dem Senat blieb oft nichts übrig als die Dinge laufen zu lassen, aber wo es zu weit ging, mußte er zuschlagen. Im Ausnahmefall „funktionierte" (und regenerierte sich) sein Regime, wenn auch oft mörderisch genug. Die Folge dieses pflichtgemäßen Handelns aber war, daß Cicero, Cato und die ihnen Gleichgesinnten den Senat in eine Situation hineinmanövrierten, der er nicht gewachsen war. Sie wußten nicht, daß die Fortdauer des Senatsregimes auf dessen Schwäche beruhte. Hätte Cicero dies gewußt, so hätte er freilich kaum Consul werden können, denn zu seinem Aufstieg, seinem Wesen, seiner Politik gehörte der Glaube an die Güte des Senatsregimes. Es fragt sich, ob Cicero wenigstens gevmßt hat, welche Konsequenzen sein Werk für Pompeius hatte. Daß die Bestrebungen von dessen Anhängern den seinen zuwider liefen, kann er kaum übersehen haben. Er war aber einerseits schon zu stark gegen die Catilinarier festgelegt und wird andererseits gewdß gemeint haben, sie handelten gegen die Absicht des Feldherrn. Dafür spricht einmal sein sofort einsetzendes Bemühen, Pompeius auf seine Seite zu ziehen", andererseits das ihm eigene moralische Denkschema. Er unterschied nämlich in der Politik vornehmlich zwischen Guten und Bösen, die Trennlinie zwischen gut und böse erschien ihm immer wieder als die eigentliche politische Front'^. Ausgesprochen böse waren damals die

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Cic. Plane. 85 mit Schol. Bob. p. 167 Stangl; Sull. 67; fam. 5, 7. Geizer, RE VII A 864 f. u.ö.

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Catilinarier, Pompeius hingegen war für Cicero gut", mindestens im Grunde, also mußte er auch für die rasche Niederwerfung der Catihnarier sein. Genau genommen hatte Cicero damit nicht unrecht. Pompeius war für die rasche Niederwerfung der Verschwörung, nur sollte der Niederwerfende möglichst Pompeius heißen. Und das ist Cicero gewiß nicht klar gewesen. Am Ende seines Consulats stand Cicero also wohl sehr ruhmvoll da. Am 1. Januar 62 wurde er an erster Stelle im Senat aufgerufen, mit einem Schlag, so schien es, war seine Stimme eine der maßgebenden geworden. „Bei weitem der erste und hervorragend zu sein unter allen" - wie hätte er diesem Ziel" näher kommen können? Angesichts dessen wird er die rasch einsetzende Agitation gegen ihn, so störend sie ihm war, zunächst eher für eine Bestätigung seiner Leistung gehalten haben. Denn es stellte sich heraus, daß er die Verkörperung der consularischen und senatorischen Rechte geworden war, in ihm wurde die Sache des Senats und der Republik angegriffen und in ihm wurde sie verteidigt (und in der Verteidigung stieg sein Ruhm weiter, jetzt nannte ihn auch Cato vor dem Volk pater patriae''^, und der Sieg vom 5. Dezember, der vor allem Catos Werk war, erschien seit dieser Zeit wohl mehr und mehr als der seine). Dann aber traten sehr bald Unsicherheit und Versagen, Unglück und Verbannung an die Stelle des Glanzes. Die Gründe dafür lagen zum Teil in der zu Ungunsten des Senats sich verwandelnden politischen Situation. Darauf kann hier nicht mehr eingegangen werden. Zum Teil waren es aber auch Ciceros persönliche Art und sein Ge"

" "

Vgl. die Unterstützung der lex Manilia durch Cicero im J. 66. Cic. Att. 1, 1, 2. Q. Cic. Com. Pet. 5; 14; 51; vor allem aber die Absichten, die sich im Briefwechsel nach 63 andeuten: er will mit Pompeius 2usammenwirken wie einst Scipio und Laelius (fam. 5, 7, 3 — dies bezieht sich gewiß nicht nur auf die berühmte Freundschaft zwischen den beiden, sondern auch auf das damals schon mystifizierte Bild des Aemilianus als der großen Führerpersönlichkeit, die an entscheidender Stelle den Gang der Dinge noch hätte wenden können, vgl. ad Q. fr. 2, 3, 3 (Res Publica Amissa 320). Endlich: Cicero glaubt, Pompeius nachher, als der in Gegensatz zum Senat geraten war, bessern zu können (Att. 1, 19, 7; 20, 2; 2, 1, 6 f.). Ad Q. fr. 3, 5, 4. App. bell. civ. 2, 24 mit Plut. Cic. 23, 6.

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schick, die ihn in viele Mißlichkeiten und unglückliche Lagen hineinbrachten. Er geriet in eine schwer aushaltbare Spannung zwischen Ansprüchen und Realität. Einerseits waren seine Ansprüche höher, als es gerechtfertigt gewesen wäre. Das machte seine Eitelkeit, die schon der Anlage nach groß war, dann aber durch die mannigfachen Kränkungen, denen er als homo novus ausgesetzt war, wie durch seine Erfolge ins Krankhafte gesteigert wurde. Eben mit dieser Eitelkeit, außerdem aber mit einer besonderen unpolitischen Denkweise hing es zugleich zusammen, daß er lauter Dinge wollte, die eigentlich unmöglich waren. Dazu kam andererseits, daß seine Substanz seiner Stellung bei weitem nicht gewachsen war, zumal er eben von politischer Taktik wenig, von politischem Urteil nicht viel mehr verstand. Kraß gesagt war er kein Politiker. Wie konnte es denn aber sein, daß er bis 63 so erfolgreich und auch nach 63 - für andere - politisch höchst wertvoll gewesen ist? Die Laufbahn legte man in Rom auf Grund von Tugenden und Leistungen zurück, die nur zum geringen Teil mit denen identisch waren, die am Ende der Ämterstaffel dem princeps civitatis abverlangt wurden". Es ging vornehmlich darum, durch eine Unzahl von Vermittlungen und Vertretungen (etwa vor Gericht oder Magistraten) unzählig viele Menschen für sich einzunehmen oder durch glanzvolle Spiele Volksgunst zu erwerben. Da politische Gruppierungen dabei keine Rolle spielten, man auch Herren, die untereinander verfeindet waren, gewinnen konnte, empfahl sich zugleich politische Enthaltsamkeit. Der Glanz der Laufbahn stellt also Ciceros eigentlich politischen Fähigkeiten noch kein Zeugnis aus. Er trug vielleicht eher dazu bei, daß Cicero sich daran gewöhnte, Beliebtheit mit Macht, rhetorische Überzeugungskraft vor Gericht mit politischem Einfluß zu verwechseln. Nie hatte er sich im Kreis Gleichgestellter behaupten oder eine eigene Politik durchsetzen müssen, er erfocht zwar vor Gericht und sonst viele Siege, sein großer Wahlerfolg bestand aber nur darin, daß er andere im Wettbewerb übertraf, nicht darin, daß er sich ihnen gegenüber in einem eigentlich politischen Kampf durchsetzte.

Vgl. Res Publica Amissa 7 ff.; 155 f.; 174 ff.

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Seine Laufbahn bewies also nur, daß er ein praktischer tüchtiger Mann und guter Anwalt war, vielleicht noch, daß er als anständiger, leutseliger, unkorrupter, aufgeschlossener Senator einige Sympathien erwerben konnte, mehr aber nicht. Im Consulat hatte er dann das Glück, spektakuläre Erfolge erzielen zu können, ohne eigentlich politisch Stellung nehmen zu müssen. Seine vorwiegend moralische Betrachtungsweise war derart, daß sie nur Minderheiten als böse aussonderte, gegen diese waren ihm die Grenzen dann aber viel deutlicher markiert als für die eher pragmatisch denkenden führenden Senatoren. Das gab ihm Klarheit des Willens und Durchschlagskraft. So kam seine bürgerlich unpolitische Art zu denken seinem Consulat so zu Gute wie seine politische Enthaltsamkeit seiner Laufbahn. Pax, concordia und otium, die er damals als die eigentlichen Ideale des Volkes ansprach, waren zugleich die seinen, und danach hat er gehandelt: allgemeine Harmonie, bürgerliche Ruhe und Ordnung und notfalls harte Maßnahmen'^, wo sie bedroht sind. Was ihm aber in der Laufbahn genützt, im Consulat eine wichtige Bedingung des Erfolges gewesen war, machte ihm die Stellung als einer der principes civitatis schwierig. Bezeichnend für ihn war, daß er meinte, das situationsbedingte Zusammengehen von Senat und Rittern gegen Catilina sei eine concordia ordinum, eine Wiederherstellung der Eintracht und ein Bündnis auf Dauer und für alle Lagen. Das war gewiß dadurch bedingt, daß er die Situation von 63 und seine eigene (die sich insoweit gleich blieb, als er es auf Grund der "

Diese Bereitschaft zu harten Maßnahmen scheint mir ein wichtiger Zug im Bilde Ciceros zu sein. Das erfordert ein kurzes Wort zu Otto Seels schöner Darstellung, nach der Cicero hier wider seine Natur „die Rolle altrömischer gravitas und severitas" gespielt habe (Cicero, 1. Aufl., Stuttgart 1953, 98 f.). GewilS, das harte Durchgreifen kostete ihn Selbstüberwindung (vgl. Mur. 6 ) . Allein, wenn er in seinem Denken und Handeln von den zwei sich wechselseitig tragenden und ergänzenden „Zentralideen, Humanität und Recht" bestimmt ist, so beruht dies auf der Voraussetzung, daß die Menschen im Grunde gut, jedenfalls nicht für die allgemeine Ordnung gefährlich sind. Ist das Gegenteil der Fall, so hat Cicero es wohl immer für angebracht gehalten, daß hart durchgegriffen werde. Die Stellen, in denen er sich gegen die Todesstrafe ausspricht, sind ausnahmslos Advokatenargumente. Seine Urteile über die Gracchen, Saturninus, Catilina, Clodius, Antonius dagegen

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Hinrichtung der Catilinarier mit den Angriffen der populären „Nachfolger" der Catilinarier zu tun hatte) verallgemeinerte. Vor allem aber rechnete er mit der Bewahrung der Ordnung als eigentlichen Themas der Politik und mit der entsprechenden Parteiung zwischen Guten und Bösen^'ä gg begriff er auch nicht recht, daß die beherrschenden Gegensätze innerhalb derer bestanden, die er als Gutgesinnte ansah, zumal zwischen Pompeius und der Senatsmehrheit. Statt auf die Interessen sah er vor allem auf die Gesinnungen, achtete er darauf, ob das Verhalten der Politiker den hergebrachten Normen entsprach, vor allem, ob sie dem Senat den nötigen Respekt zollten. Darin steckte etwas, was der Zeit eigentümlich war. Auch die führenden Senatskreise be-(und ver-)urteilten Politik und Politiker weithin nach diesen Kriterien. Als Cicero 60 Anschluß bei Pompeius sucht, wird ihm zum Beispiel vorgehalten, dieser habe „nichts Großartiges, nichts Hervorragendes, nichts, was nicht niedrig und populär (das heißt mindestens: charakterlos, leichtfertig) sei". Es sei deswegen mit Ciceros dignitas, seiner Ehre und seinem Rang nicht vereinbar, sich mit ihm zu verbinden'®. Ciceros Antwort bewegt sich auf der bezeugen, daß er gar nichts gegen die „Liquidation" gefährlicher Außenseiter hatte. Seine Milde gilt in der Regel, sie setzt geradezu die Härte im Ausnahmefall voraus. Großes Verständnis für alle Seiten in den meisten Fällen korrespondiert absolutem Unverständnis in GrenzfäUen. Toleranz gegenüber einem Nobilitätsschreck wie Caesar hat ihr Komplement in gänzlicher Intoleranz gegen Bürgerschrecks. Hier wird mit starker Beimischung von Humanität und Rechtlichkeit immerhin auf dem Boden der bestehenden Ordnung moralisch gedacht, das heißt mit großer Trennschärfe die Grenze zum Widermoralischen, Anomalen gezogen. Auch Cicero unterscheidet durchaus Freund und Feind, nur nach anderen Kriterien als die eigentlich politisch Denkenden, aus größerer Distanz zum Geschehen, weithin liberaler im Allgemeinen, teilweise aber auch weitaus härter. Vgl. Geizer RE V I I A 864 f. 947 f. sowie Res Publica Amissa 114, 317. Cic. Att. 1, 20, 2. Die Argumente werden von Atticus vorgebracht, spiegeln aber gewiß die Auffassung auch der führenden Kreise des Senats. Man konnte sich ihr offensichtlich entziehen: viele jüngere Senatoren arbeiteten teilweise — um ihrer Laufbahn willen — mit Pompeius zusammen. Aber auch unter den principes finden sich einige, die gelegentlich für ihn Stellung nahmen (etwa um einer Sache willen, die zugleich die seine war) oder auf längere Zeit mit ihm verbündet waren. Diese sahen ihren eigentlichen Vorteil ohne viel Bedenken in dem Bündnis, jene brachten,

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gleichen Ebene, er behauptet nur, er könne Pompeius bessern". Er sucht also den Ausweg aus der Konsequenz der senatorischen Urteilsweise in einer - fast möchte man sagen: pädagogischen - Illusion. Da Pompeius' Niedrigkeit, Charakterlosigkeit etc. aber nur darin bestand, daß er seine eigenen, durchaus nicht unberechtigten Interessen angesichts des Widerstandes des Senats mit Hilfe der Volksversammlung durchsetzen wollte (und sich dabei gewissen Gesetzmäßigkeiten der populären Politik nolens volens fügte), zeigt sich an dieser Stelle einerseits, wie sehr Cicero das Gewicht politischer Interessen unterschätzen konnte. Er hielt für einen Irrtum, was Konsequenz eines handfesten Gegensatzes war. Andererseits wird deutlich, wie sehr er sich von den maßgebenden Senatoren unterschied. Denn für die deckte sich das Politische mit dem Moralischen, und zwar in geradezu erschreckender Weise, Beides traf sich nämlich gleichsam unter dem Zeichen der Sterilität: sie suchten ihre Legitimität im Herkommen, und auf der Bewahrung des Herkömmlichen beruhte die Erhaltung des Senatsregimes. Wer sich der alten Norm gemäß verhielt, wer dem Senat gehorchte, gehorchte zugleich dessen führenden Kreisen, sein Verhalten war also moralisch gut und - für sie - politisch nützlich in Einem. Sie dienten der alten Ordnung so wie ihren eigenen Interessen. Diese Identität hätte indessen insofern leicht zuschanden werden können, als der Senat dabei sachliche Leistung nicht nur weithin schuldig blieb, sondern oft genug bei andern - wenn diese nämlich unkonventionell, also besonders wirksam vorgingen - sogar verdammte. Da jedoch das Herkommen derart allgemein anerkannt war, daß das Maß der sachlichen Leistung dagegen nicht aufzukommen vermochte.

so weit man sehen kann, ein besonderes Maß an Selbständigkeit mit. Beides war bei Cicero nicht gegeben, so daß er dem Anspruch der ihm begegnenden Auffassung besonders stark ausgesetzt war. Att. 2, 1, 6 f.: meliorem reddere, primär auf Caesar, sinngemäß auch auf Pompeius bezogen (vgl. 1, 19, 6 ff.; 20, 2). Nach dem Wortlaut geht es vor allem darum, Pompeius eine öffentliche Billigung der Hinrichtung der Catilinarier abzugewinnen. Aber wenn schon dies ein beachtliches — und auch nicht unbedingt unnützes — Zugeständnis war, so gingen die Illusionen Ciceros doch fraglos weiter (vgl. auch die Weise, in der er sein Eintreten für das pompeianische Ackergesetz beschreibt, Att. 1, 19, 4).

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konnte man um desseptwillen jede Neuerung verneinen und sich im Bestehenden einigeln. In dieser Negation fielen politische und moralische Gesichtspunkte in Eins. Wie immer, wenn politische Argumentation durch moralische ersetzt wird, wenn diese das Ernstnehmen politischer Probleme erspart, war diese Art des Urteilens höchst bedenklich, aber sie stimmte eben unangefochten mit den politischen Zielsetzungen überein. Cicero hingegen wollte die Gegensätze überbrücken, wollte Pompeius und dem Senat zugleich Genüge tun. Da mußte die Anerkennung der senatorischen Norm'" mit der scheinbar politischen, in Wirklichkeit unpolitischen, nämlich utopischen Zielsetzung kollidieren. Es kann keine Frage sein, daß ein solcher so anständiger wie unpolitischer, so edler wie machtunkundiger Mann unter den -principes nie eine bedeutende Rolle hätte spielen können. Wenn er dann aber homo novus ist, große Leistungen vollbracht hat, ununterbrochen davon redet und die Herren, in deren Reihen er aufgehen will, immer wieder verärgert und deren Reaktion dann zum Anlaß nimmt, seinerseits verärgert zu sein; wenn er dann, weil er als Verkörperung entschiedenen Senatsregimes angegriffen wird, bei einem zwar wohlmeinenden, aber durch seine Lage in schärfsten Gegensatz zur Senatsmehrheit gebrachten Mann Schutz sucht, dessen Politik aber auch nicht für richtig hält, nachher sogar heftig dagegen opponiert; wenn er endlich politisch wertvoll erst wird in den Händen der Gegner des Senats, weil die den anständigen, wortgewaltigen Mann, der den Senat und die Republik für viele verkörpert, als Aushängeschild gebrauchen können für Absichten, die den seinen diametral entgegen sind - dann erweist es sich, daß Cicero als Politiker seinen Erfolgen, seinem geistigen und politischen Rang, seinem Schicksal nicht gewachsen war. Dieses Schicksal war allerdings sehr schwer.

Att. 1, 20, 3, eine höchst aufschlußreiche Stelle: Cicero ist für Pompeius, gegen die führenden Senatskreise, aber: in mea prisfina sententia permanebo! Und: a curia autem nulla me res divellet, wie wenn der Senat nicht von seinen führenden Kreisen beherrscht würde, wie wenn er ein reiner Quell rechter Wegweisung wäre (ähnlich Sest. 143: atnetnus patriam, pareamus senatui ...).

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und die Not, in die er geriet, war zum großen Teil die Not der Republik, wie seine Wehrlosigkeit die ihre war. Noch in den dunkelsten Tagen hat er Trost daraus bezogen, daß in ihm das Senatsregime und die res fuhlica sich verkörperten. Nach der Ermordung Caesars hob Brutus seinen blutigen Dolch in die Höhe, rief Ciceros Namen und gratulierte ihm zur Wiederherstellung der Republik. Das hatte seinen tiefen Sinn. Cicero und die römische Republik hängen seit 63 eng zusammen, und da er selbst diese Beziehung dann in seinen Werken aufs Tiefste vergeistigt hat, ist das so geblieben bis in unsere Tage.

Umwelt und Atmosphäre^ Gedanken zur Lektüre von Ciceros Reden

EGON RÖMISCH, Heidelberg

Undique mihi suppeditat, quod pro M. Scauro dicam, quocumque non modo mens, verum etiam oculi inciderunt. Curia illa vos de gravissimo principatu patris fortissimoque testatur, L. ipse Metellus, OPUS huius, scmctissimos deos illo constituisse templo videtur in vestro conspectu, iudices, ut scdutem a vdbis nepotis sui deprecarentur, quod ipsi saepe multis lahorantihus atque implorantihus ope sua suhvenissent. Capitolium illud tempUs trihus illustratum, patemis atque etiam huius amplissimis donis omati aditus lovis optimi maximi, lunonis Reginae, Minervae illius L. Metelli, pontificis maximi, qui, cum templum illud orderet, in medios se iniecit ignis et eripuit fhmma Palladium illud, quod quasi pignus nostrae sälutis atque imperii custodiis Vestae continetur (Scaur. 46.47.48). Hier erinnert die Kurie an den Vater des Angeklagten M. Aemilius Scaurus, der Kastortempel an den Großvater, der die Restaurierung veranlaßte; das Kapitel ist der gens des Angeklagten verpflichtet, am meisten aber der Vestatempel, dessen Palladium der berühmteste Vorfahr des Scaurus bei einem Brand gerettet hat. - Die Szenerie, die sich dem Römer alltäglich auf dem Forum darbietet, hat bei dieser Verteidigungsrede in einem Repetundenprozeß des Jahres 54 v. Chr. ihre eigene Funktion. Die Tempel des Forums und des Kapitols sind nicht nur Kultstätten, wie die Kurie nicht nur Ort politischer Tätigkeit ist. Wer sie anschaut, erinnert sich an die exempla mmorum, die hier lebendig sind. So erhalten die Bauten ihre Bedeutung auch dadcero

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durch, daß sie diese exem-pla dokumentieren. Damit gewinnen sie eine neue Beziehung zu den Menschen. Denn der Erinnerung an die Vorfahren kommt nicht allein der Wert historischen Wissens zu, es werden zugleich Verpflichtungen sichtbar, die die Gegenwart unmittelbar betreffen: die Götter, denen die Tempel geweiht sind, und die staatliche Gemeinschaft, die durch die Kurie repräsentiert wird, schulden der gens Dank. Leistung fordert Gegenleistung. Undique mihi swppeditat, quod -pro M. Scauro dicam, quocumque non modo mens, verum etiam oculi inciderunt. - So gewinnt der Verteidiger Cicero eine Unterstützung für seine Argumentation; denn die logische Beweisführung ist nur eine Seite seines Argumentierens. Der Zuhörer schaut die Umwelt gleichsam mit neuen Augen an, wenn er bemerkt, wie sie zu dem aktuellen Geschehen in Beziehung tritt. Diese Welt, die mit ihren vielfachen Bezügen sich den Augen darbietet, bringt Beweisgründe objektiver Art. Der Befund ist ohne Ciceros Zutun gegeben und hat so eine hohe Beweiskraft. Alle, Richter wde Angeklagte, stehen in Beziehungen, aus denen sie sich nicht lösen können. Sache des Verteidigers ist es, auf diesen Hintergrund hinzuweisen, vor dem die Beteiligten agieren. Damit gewinnen seine Ausführungen ein Höchstmaß an Objektivität, da sie sich auf Argumente stützen können, die im eigendichen Sinn des Wortes „evident" sind. Undique mihi sufpeditat ist also ganz wörtlich zu verstehen. Wir betrachten anschließend einen Passus aus der Rede Pro Milone. Diese Rede, zwei Jahre jünger als die soeben erwähnte, wurde von Cicero überarbeitet und weist all die lumina auf, die zu einem rhetorischen Prunkstück gehörend Cicero hatte die nicht leichte Aufgabe übernommen, Milo nach der Ermordung des Clodius zu verteidigen. Der Sachverhalt spricht eindeutig gegen den Angeklagten, retten kann ihn nur eine positive Deutung seiner Tat. - Wir haben uns hier nicht mit den einzelnen Argumenten zu beschäftigen, die Cicero zu Gunsten des Angeklagten anführt. Vielmehr richten wir unsere Aufmerksamkeit auf eine Stelle, K. Büchner, Cicero. Bestand u. Wandel seiner geistigen Welt, Heidelberg 1964, 248 ff.

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die der oben erörterten verwandt zu sein scheint (§§ 84-86). Wie Cicero in der Rede Pro Scauro Forum und Kapitol in seine Argumentation miteinbezog, so wird hier die Landschaft einbezogen, aber unter ganz anderem Aspekt. Cicero beschwört und ruft zu Zeugen die heilige Landschaft der Albanerberge, diesen von Göttern durchwalteten, von Göttern beschützten sakralen Bezirk. Das Bild von den albanischen Kuppen mit den heiligen Hainen, von den uralten Altären, vom steilen Albanerberg mit dem latinischen Bundesheiligtum, den Seen, den Wäldern und dem zum Tempel gehörenden Gebiet ist jedem Römer vertraut. Cicero selbst schildert in seinem Epos De consulatu suo ( = div. 1,18) den Besuch, den er als Konsul dem Heiligtum während des Latinerfestes abgestattet hat. - In dieser Welt des Religiösen hat sonst keiner zu freveln gewagt. Clodius aber hat in diesem verehrungswürdigen Raum für den Bau seiner Villa die Hügel eingeebnet, die Haine abgeholzt, die Altäre in Substruktionen eingebaut {caesis prostratisque sanctissimis lucis - suhstructionum insanis molihus). An diese albanische Landschaft wendet sich nun Cicero. Die Schilderung geht über in einen Anruf (§ 85), die Erzählung wird zum Appell, zum Gebet (in den Anaphern, dem Parallelismus und der Alliteration klingt alte Sakralsprache an). Heiliges Land ist es, das da angerufen wird - geschändetes Land; aber es ist nicht wehrlos: zwiefach wird die Kraft der religiones und der götdichen Macht zum Ausdruck gebracht - vestrae tum religiones viguerunt, vestra vis valuit. tum lenkt hin zum Augenblick des Strafvollzugs, andeutend nur, aber immerhin soweit, daß die Reaktion der Götter auf den Frevel sichtbar wird. Mit dem beschwörend wiederholten vos vester werden die Augenzeugen geradezu herbeigezwungen (das bewunderte schon Quint.inst. 12, 10, 62). Dann wendet sich die Rede an Jupiter selbst. Jupiter Latiaris, in dem höchsten Heiligtum der Latiner, dem auch Roms Magistrate Verehrung zollen, wird angerufen (tu ex tuo edito monte). Clodius hat sein Gebiet ebenfalls geschändet (locus, nemora, fines). Auch Jupiter ist Augenzeuge (oculos ayeruisti, cf. religiones viderunt, in conspectu vestro). Aber oculos aperuisti enthält mehr: der Blick genügt, um den

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Frevler zu vernichten. Landschaft und Götter gewinnen immer mehr Gestalt, lassen Anteilnahme und W i r k e n erkennen: tumuü,

luci, arae, luppiter

Latiaris

-

sie alle sind nicht nur Betroffene, sondern auch Handelnde. Doch ist das Eingreifen der Götter zwar Reaktion auf die ihnen widerfahrene Kränkung, aber nicht nur das. Es ist zugleich Ausdruck der cura immortalium, der götdichen Fürsorge für das Schicksal Roms. Die Sympathiereaktion der Landschaft und ihrer Götter überträgt Cicero auch auf Bona Dea; er faßt seine Worte ante ipsum Bonae

Deae

bei der Wiederholung noch präziser: ante

ipsam

sacrarium Bonam

Deam. Sie ist selbst gegenwärtig, wird selber tätig. Hierhin, unmittelbar an den Schauplatz der Ermordung tendiert die Schilderung, die ihren Höhepunkt in der Anrufung Jupiters hat. Keine weitere Steigerung, kein weiterer Appell folgt, wohl aber eine Vertiefung der Deutung: vor dem Heiligtum der Bona Dea, deren Fest er einst im Hause Caesars geschändet hatte, wird Clodius zuerst getroffen. Ad

hanc

insignem

foenam

reservatus-

- zu dieser Deutung hat

man bemerkt, Cicero wolle hier einen Akt götdicher Strafjustiz erkennen (d.h. er tue so)'. Wie weit Ciceros eigene Ansicht dabei zum Ausdruck kommt, interessiert in unserem Zusammenhang weniger, als daß er ganz offenbar selbst dem Zauber der Atmosphäre erliegt, die er schafft^. Götter, Menschen und Landschaft wirken zusammen. So verlieren unter dem Gesamteindruck dieses Bildes rationale ÜberHier sucht Cicero den Einwand zu entkräften, daß Clodius immerhin zehn Jahre lang dieser göttlichen Strafe entging (reservatus, aliquando, tum). Das langsame Ingangkommen der Strafe ist in dem schleppenden Tempo und der weiten Sperrung (vohis illae, vobis vestro in conspectu serae, sed iustae tarnen et debitae poenae solutae sunt) abgebildet. Spektakulär (insignis) ist die Strafe, für die Clodius aufgespart wurde (reservatus). Zusammenfassend weist in § 87 zum Einsatz dieses Gedankens in § 83 zurück dura mediusfidius mihi iam fortuna populi Romani et crudelis videbatur, quae tot annos illum in hanc rem publicam insultare pateretur. Vgl. Cicero, Pro Milone hg. von K. Ziegler, Heidelberger Texte 16, Heidelberg 1949, 70, s.v. ,3ona Dea". Doch vgl. Cic. leg. 2, 17, 42. Vgl. Cic. or. 38, 132 nulla me ingenii, sed magna vis animi inflammat, ut me ipse non teneam; nec unquam is qui audiret incenderetur, nisi ardens ad eum perveniret oratio.

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legungen ihr Gewicht. Doch über diesem großartigen Zusammenklang von göttlich durchwalteter Landschaft und Geschehen darf die Gestalt des Gegners nicht übersehen werden. Er ist charakterisiert durch irritare, lacessere, andere: er attackiert, provoziert; impunitas und licentia markieren die Übergriffe; praeceps cmentia ist Kennzeichen, das Verderben und Untergang ankündigt. Sein Werk ist insanun (insanis molihus), Gewalttat (vi ferroque, caesis prostratisque), Schändung (stuprum) und Frevel, immer wieder Frevel (omni scelere, nefario scelere). Hinter dieser Schilderung steht das Bild des Tyrannen, so wie es Cicero in jenen Tagen in De re publica gezeichnet hat: tyrcmnus quo neque taetrius neque foedius nec dis hominihusque invisius animal ullum cogitari potest. qui quamquam figura est hominis, morum tarnen immanitate vastissimas vincit heluas. quis enim hunc hominem rite dixerit, qui sihi cum suis civihus, qui denique cum omnium hominum genere nullam iuris communionem, nullam humanitatis societalem velit (2, 48)». bestia, helua ist Clodius, ohne gesunden Menschenverstand, Feind aller sittlichen Ordnung (furor, amentia, insania), er tobt sich aus gegen alles, was den Römern heilig ist, was durch göttliche Fügung bestimmt wurde, die Rom den Auftrag als Ordnungsmacht erteilt hat. Ihn, den Feind des Rechts und der Ordnung, das Prinzips des Bösen (pernicies) tilgte aus eben jene wirkende Kraft, die sich für Roms Aufstieg so oft hilfreich erwies. Diese göttliche Kraft nennt Cicero fortuna populi Romani, felicitas, di immortales (§ 83). Wo er aber den Nachweis führt, daß sie für jeden evident ist, dem eine gesetzte Ordnung überhaupt Eindruck macht, beginnt er mit imperii nostri magnitudo und evoziert das erhabene Bild, das danach (§ 84) durch incredihiles felicitates atque opes ergänzt wird. Hoch über diesem großen Reich ziehen Sonne und Himmelszeichen ihre Bahn in einem Kosmos, einer göttlich bestimmten Ordnung. Cicero verweist auf Anschauung (in hoc tanto naturae tamque praeclaro motu), auf Intuition und Gefühl

'

Vgl. auch K. Büchner, Der Tyrann und sein Gegenbild in Ciceros Staat, Studien zur röm. Literatur II, Wiesbaden 1962, 116 ff.

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(movent). Er beruft sich jedoch nicht ausdrücklich auf den consensus omnium, sondern auf eine Autorität, die ihm selbst und seinen Zuhörern gewichtig genug ist, um notfalls auch allein seine Auffassung bekräftigen zu können: mcdorum sapientia, id quod maximum est', Maiorum sapientia (§ 83), in der Gedankenfolge von Erhabenheit, zeidoser Dauer, Ordnung und Größe als gleichartig empfunden und mit gleicher Ehrfurcht genannt, leitet über zur Kultübung: die Menschen treten den Offenbarungen der Götter verehrend gegenüber. An der Macht dieser göttlichen Ordnung gemessen ist die menschliche, dem Körper verhaftete Natur schwach, sie kann dem Göttlichen nichts anhaben. Umso vermessener und sinnloser ist das frevelhafte Unternehmen des Clodius (oppresserat, polluerat, macularat - § 85); für ihn ist in dieser Ordnung kein Platz: ea vis ipsa illam perniciem exstinxit ac sustulit (§ 84). Nun lenkt Cicero die Aufmerksamkeit der Richter auf die cura deorum immortalium: non humano consilio (wenn auch Menschenhand die Strafe vollzog) ist Clodius gefallen; mit Nachdruck weist vielmehr Cicero auf religiones ipsae hin. So rundet sich das Bild einer großen Weltordnung. - Als Cicero im Prozeß gegen Verres vom Raub der Ceresstatue in Henna spricht, entwirft er ebenfalls ein Bild von dem geheiligten Bezirk, in dem Landschaft und mythisches Geschehen eng verflochten sind (Verr. 2, 4, 106-110). Das bis ins kleinste ausgearbeitete Gemälde gibt den Hintergrund ab für den brutalen und entweihenden Akt des Verres. Dabei empfindet der Leser den Raub, der im Mythos geschieht, nicht so sehr als Gewalttat, wohl aber den Einbruch des Verres in den geheiligten Bezirk als ungeheuerlichen Frevel'. Durch den Rückgriff auf den Mythos hat Cicero dieser Landschaft, die er auch geographisch genau zeichnet, religiöse Weihe gegeben und hat eine eigene Atmosphäre geschaffen, die schon durch den Kontrast die Tat des Verres verdammenswert erscheinen läßt. Vgl. K. Oehlet, Der consensus omnium als Kriterium der Wahrheit in der antiken Philosophie und der Patristik, Antike und Abendland 10, 1961, 103 ff. Verr. 2, 4, III hic dolor erat tantus, ut Verres alter Orcus venisse Hennam et non Proserpinam asportasse, sed ipsam abripuisse Cererem videretur.

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Wenn die Wirkung dieser beiden Landschaftsbilder die gleiche ist (die Frevler schließen sich aus einer solchen Welt selbst aus), so sind doch die Schilderungen ganz verschieden in ihrer Funktion: in den Verrinen bleibt die Landschaft Stimmungshintergrund, in der Miloniana tritt sie in Aktion. Diesem Vergleich nachgehend könnte man untersuchen, mit welchen sprachlichen Mitteln die beiden Schilderungen gestaltet sind, und fragen, wie weit Regeln der rhetorischen Technik angewandt vmrden, um gewisse Wirkungen zu erzielen. Wir halten es jedoch für wesendicher, über Cicero selbst Aufschluß zu erhalten: sind es Erfahrungen aus seinem eigenen Lebensraum, die er umsetzt, wenn er solche Bilder von atmosphärischem Zauber entwirft? Welche Bedeutung hat sein Gefühl für Raum und Atmosphäre in seinem Leben und Erleben? Wie stellt sich ihm die geordnete Welt dar, wenn er selbst betroffen ist? Ciceros Werke und nicht minder seine Briefe beweisen, daß er, ein Mensch von hoher Sensibilität, ungewöhnlich stark vom Atmosphärischen beeinflußt ist. Was er als Äußerung des Atticus zu Beginn des zweiten Buches von De legibus berichtet (movemur enim nescio quo pacta locis ipsis, in quihus eorum, quos diligimus out admiramur, adsunt vesti^a), spricht Ciceros eigenes Empfinden aus®. Wenn er beschreibt, wie er das Grab des Archimedes in Syrakus aufgesucht hat (Tusc. 5, 64 ff.), oder von seinem Besuch der platonischen Akademie in Athen erzählt (fin. 5, 1 ff.), verrät die gefühlsbetonte Darstellung, wie tief er die Verpflichtung empfindet, die ein solcher Ort der Erinnerungen dem auferlegt, der in der geistigen Nachfolge der großen Vergangenheit steht. Ebenso sind in dem Rahmengespräch von De legibus die vielfältigen wechselseitigen Beziehungen und Bindungen zwischen dem Menschen und seiner Umwelt so wirklichkeitsnah dargestellt, wie nur der es vermag, der sie bewußt erlebt. Das Ethos und Pathos von Ciceros Reden entspringt nicht den Lehrbüchern der Rhetorik, sonVgl. E. Römisch, Mensch und Raum. Gedanken zur Behandlung von Cicero leg. 2, 1-8, „Anregung" 1962, 223 ff.

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dem seiner Umwelterfahrung'. Das ist leicht zu erweisen aus den Äußerungen Ciceros, wenn er davon spricht, wie er die Stadt verlassen mußte, der er nach Wahl und Schicksal zugehört: Rom. Von dem verzehrenden Heimweh legen seine Briefe aus der Verbannung Zeugnis ab, ergreifend, wie wir es nur noch aus den Episteln und Tristien des Ovid kennen. Beschrieben hat Cicero die Gefühle, die ihn im Augenblick der Trennung bewegten, immer wieder, auch in späteren Jahren - so übermächtig war dies Erlebnis, so hat es ihn im Tiefsten getroffen. In der Rede Pro Sestio aus dem Jahre 56 spiegelt ein gewaltig dahinströmender Satz (§ 53) die Erschütterung Ciceros, als er Rom verlassen mußte ein Satz, der gleichsam alle Dämme bricht, der mit seiner Dynamik alles erfaßt: hier ist alles ausgesagt, was Cicero an Entehrendem und Deprimierendem empfand, als die zerstörenden Mächte ihn überwältigten. Nicht zufällig sind für die gewaltsame Lösung von Vaterland und Mitbürgern (cum ego me e complexu patriae conspectuque vestro erifuissem) Worte gewählt, die den engen Kontakt mit Staat und Volk zum Ausdruck bringen (com-plexus, con-spectus). Bei diesem casus horrihilis gravis repentinus ergreift Trauer nicht nur die Menschen, sondern ebenso die Häuser der Stadt und die Tempel". Die zurückbleibenden Bürger wünschen in ihrem Schmerz den gemeinsamen Lebensraum nicht mehr zu sehen: cum nemo vestrum forum, nemo curiam, nemo lucem aspicere vellet. Das Ausmaß des persönlichen Schicksals wird erfahren in der eigenen Empfindung, es wird noch schmerzlicher bewußt durch die Reaktion der anderen. • Dies berücksichtigt F. Wieacker (Cicero als Advokat, Berlin 1965) zu wenig. — J. Graff (Ciceros Selbstauffassung, Heidelberg 1963, 14) weist darauf hin, daß Ciceros Ausspruch, er wünsche nicht auf Äußerungen in seinen Gerichtsreden festgelegt zu werden (Cluent. 138), nicht prinzipiell zu werten ist. " Das Gegenbild: unus ille dies mihi quidem immortalitatis instar fuit quo in patriam redii, cum senatum egressum vidi populumque Romanum Universum, cum mihi ipsa Roma prope convolsa sedibus suis ad complectendum conservatorem suum progredi visa est. Quae me ita accepit ut non modo omnium generum, aetatum, ordinum omnes viri ac mulieres omnis fortunae ac loci, sed etiam moenia ipsa viderentur et tecta urbis ac templa laetari (Pis. 22, 52).

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Das Gefühl der Zugehörigkeit zu diesem Lebensraum bricht hervor nicht nur im Augenblick gewaltsamer Trennung, sondern auch, wenn Cicero sonst längere Zeit von Rom abwesend sein muß. Während seiner Statthalterschaft in Kilikien schreibt er einem Freund: urhem, urhem cole et in ista luce vive; omnis peregrinatio, quod ego ah adulescentia iudicavi, ohscura et sordida est iis, quorum industria Rotme potest illustris esse (fam. 2, 12, 2). Die Bindungen, aus denen sich Cicero lösen mußte, offenbaren sich hier in einem Gefühlsausbruch. Analysiert hat er sie, als er es unternahm, den Catilina aus seiner Umwelt herauszulösen und zu isolieren (Catil. 1, 13 ff.). Da entzieht Cicero dem Staatsfeind den Boden unter den Füßen, so daß er (ohne daß ein Befehl ergeht) recht eigentlich aus der Stadt hinausgedrängt wird, in der ihm nur metus und odium begegnen. Das wahre Wesen Catilinas wird enthüllt: die im privaten Bereich begangenen Verbrechen wirken sich aus auf die Gemeinschaft aller Bürger. Cicero macht klar, wie das Wissen ( . . . . cum scias esse horum neminem, qui nesciat - § 15) Reaktionen der Betroffenen hervorruft. Keine rechtliche, keine soziale Bindung bleibt bestehen, auch die natürlichen Bindungen lösen sich. Jeder wendet sich von Catilina ab, schließlich tritt auch Cicero von ihm zurück und läßt patria selbst sprechen: discede atque hunc mihi timorem eripe. Cicero verdeutlicht dem Catilina, daß er sich letztlich aus aller Gemeinschaft bereits selbst gelöst hat. Wenn er nun am Schluß der patria das Wort gibt, bekräftigt ihre Autorität seine Darlegungen. Diese höhere Instanz urteilt wie Cicero, aber sie spricht mit größerem Nachdruck und mit unbezweifelbarer Berechtigung. Die Argumentation wird auf eine andere Ebene transportiert und gewinnt dadurch an Wirksamkeit und Glaubwürdigkeit. Sie scheint, vom persönlichen Engagement des Redners unabhängig, über jeden Zweifel erhaben zu sein". "

Ausführliche Darstellung vgl. E. Römisch, Cicero (bei H. Krefeld, Interpretationen lateinischer Schulautoren, Frankfurt/M 1968, 50 ff. Dort auch zur 9. Philippica S. 53 f.). Zum Verfahren des Isolierung vgl. auch K. Bayer, Wider die permanente Revolution, „Anregung" 1963, 312 ff.

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Das läßt sich auch an einem anderen Beispiel illustrieren. In der zweiten Rede gegen Catilina beschreibt Cicero die sechs Gruppen der Catilinaanhänger und weist dann nach, über welche Machtmittel der Staat verfügt im Gegensatz zu dieser Zusammenrottung von Verbrechern und Verkommenen (Catil. 2, 17-24). Dann (§ 25) zieht er die Folgerung und bringt den Unterschied der beiden Gegner gleichsam auf eine Formel, die sieben Gegensatzpaare enthält. Ex hac enim parte pudor pugnat, illinc petulantia; hinc pudicitia, illinc stuprum; hinc fides, illinc jraudatio; hinc pietas, illinc scelus; hinc constantia, illinc furor; hinc honestas, illinc turpitudo; hinc continentia, illinc lihido. - Die scharf akzentuierte Antithetik kennzeichnet die Krisensituation. Die Bewegung des ständig wechselnden hinc-illinc ist bereits das Wogen einer Schlacht, einer Vielfalt von Zweikämpfen. Der Kampf, der hier politisch und existentiell ausgetragen wird, bleibt zunächst unentschieden. Nehmen wir für einen Augenblick an, Cicero habe gesagt: hinc pudor, pudicitia, fides, pietas, constantia, honestas, continentia - illinc petulantia, stuprum, fraudatio, scelus, furor, turpitudo, lihido. Dann wäre auf der Seite der res publica Positives statisch und inaktiv zu finden und auf des Feindseite das Negative dynamisch und aktiv, wie Cicero bereits in seiner voranstehenden Schilderungen (§§ 17-24) gezeigt hatte. Die psychologische Wirkung einer solchen Reihung entspräche keineswegs Ciceros Absichten. Um den Zuhörern in der Volksversammlung die Gefahr möglichst deudich vor Augen zu führen und in ihnen Vertrauen zu der Kampfkraft der res publica zu erwecken, läßt er die Reihe der guten Eigenschaften (in einer ununterbrochenen Aufzählung wären sie fast unglaubhaft) sich sofort einzeln im Kampf bewähren. Ihre Gegner entsprechen ihnen übrigens nicht systematisch genau: der fides tritt nicht perfidia, der constantia nicht inconstantia entgegen, und ebenso ist bei den andern der Gegensatz lediglich aus dem vorher kritisierten Verhalten der Catilinarier abgeleitet und assoziativ eingereiht. Aus der empirischen Beobachtung entwickelt sich nun eine weitere Abstrahierung: denique aequitas, temperantia, fortitudo, prudentia, virtutes omnes certant cum iniquitate, luxuria, ignavia, temeritate, cum

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vitiis omnihus. Die verbündete Kampfkraft von vier virtutes^^ wird von allen anderen Tugenden unterstützt, aber auch ihre Gegner (diesmal in genauer Entsprechung) tun sich zusammen und erhalten Beistand: certant - die Auseinandersetzung geht weiter, noch ist nichts entschieden. Aber Cicero hat bereits mit seiner anschaulichen und leicht faßbaren Simplifizierung erreicht, daß die Zuhörer hinter der empirischen Wirklichkeit eine Ideologie, hinter den Aktionen Catilinas das Prinzip des Bösen erkennen. Ohne das Konkrete aus den Augen zu verlieren, setzt Cicero in strikter Vereinfachung an seine Stelle das Typische. Dann treten die Verhaltensweisen zu Lebensbegriffen zusammen, bis schließlich virtutes und vitia dem Grunddualismus Gut und Böse sich einfügen". Cicero rekapituliert mit den Stichtworten copia und egestas den Gesamteindruck, den er im Konkreten unterbaut hatte. In der inzwischen erreichten Abstraktion ist mit co-pia „Haben" und mit egestas „Nicht-Haben" angedeutet (so hat denn der Staatsfeind die ratio verloren, besitzt keine mens mehr und keine spes: postremo copia cum egestate, bona ratio cum perdita, mens sana cum amentia, bona denique spes cum omnium rerum desperatione confligit). Diesem Minus steht für die res publica ein Plus gegenüber - und nun erst, wo confligit zurückrundet zum Beginn (causas ipsas, quae inter se confligunt), äußert Cicero seine sujektive Meinung über den vermutlichen Ausgang des Kampfes: in eius modi certamine ac proelio nonne, si hominum studia deficiant, di ipsi immortales cogant ab his praeclarissimis virtutibus tot et tanta vitia superari? Die inhaltsschweren Worte si hominum studia deficiant (konstrastierend zu di ipsi, virtutes, zuversichtlich auf die ewigen Ordnungen hinweisend) sind hier ohne Beiklang von Resignation. Cicero stand ja erst am Beginn des Kampfes".

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Hieronymus (Commentarius in Zachariam prophetam, 1, 2 p. 792) berichtet, daß Cicero eine besondere Schrift De virtutibus den vier Tugenden prudentia, iustitia, fortitudo, temperantia gewidmet hat. Zur Schwarz-Weü5malerei vgl. O. Seel, Cicero, 2. Aufl. Stuttgart 1961, 81. Uber Ciceros religiöse Gläubigkeit ist hiermit nichts ausgesagt, wie das Material zu erweisen scheint, das K. Latte, R Rel 285 ff. mit Anm. vorlegt.

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In den einzelnen Epochen seines Lebens hat Cicero oft genug gegen den dynamischen Angriff des Bösen gekämpft. Die Angst vor dem Chaos (dessen Prototyp für ihn der Tyrann war), die Furcht vor der Auflösung der bestehenden Ordnung war letztlich der Grund für seine leidenschaftliche Stellungsnahme. Bei der Analyse der politischen Lage bediente er sich der Vereinfachung, die eine klare Frontstellung schuf: der Antithese von Gut und Böse. Diese Simplifikation verlangt eindeutige Entscheidung, verleiht aber auch das Gefühl der Sicherheit. Wenn der Gegner die überkommene Ordnung zu stören drohte, mußte sich der Verteidiger auf festem Grunde fühlen können: Geborgenheit schenkt der Lebensraum, in dem man innerhalb dieser Ordnung leben kann. Unter vielerlei Aspekten gewinnt der Raum für Cicero Bedeutung. Der politische Raum des Forums, der Schicksalsraum einer Landschaft, der durch Tradition geheiligte Bezirk, der Lebensraum eines Grossen alter Zeit, der geschichtliche Raum, der ethische Raum, der Raum, dem die verpflichtenden exempla maiorum zugehören - das ist nicht konstruierte, sondern erlebte Welt, in der geschichtliche Zugehörigkeit, kultische Verpflichtung und ethische Norm gleichermaßen wirksam werden, so daß der Mensch sich geborgen fühlt. Der Raum ist ebenso bewußt erfahren wie gefühlsmäßig empfunden, sein Lebensgesetz ebenso wie seine Atmosphäre. Das gilt vor allem für Rom, kann aber auch für jeden anderen Ort zutreffen. Der Raum vermag (wie in der Scauriana) dem Angeklagten Beistand zu leisten, aber auch in der Abwehr die Ungeheuerlichkeit des Frevels zu erweisen, wie bei Verres und Clodius, und kann durch seine Atmosphäre den, der sie stört, entlarven und isolieren. Wer aus der Geborgenheit ausgestossen wird, fühlt sich vereinsamt und ohnmächtig den zerstörenden Kräften ausgeliefert. Vor deren Einbruch den Lebensraum zu bewahren, ist für Cicero unabdingbare Verpflichtung. So verleihen die Gegner (Verres, Catilina, Clodius, Antonius) der rhetorischen Leistung Ciceros Größe und Bedeutung, wie schon in der Antike bemerkt wurde (Tac. dial. 37, 6). Aber auch die Gegner erhalten ihr Format dadurch, daß Cicero ihre Verbrechen an den Reaktionen des Raumes sich erweisen und dadurch selbst verurteilen läßt. - Er zeigt

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sich dabei als Meister des Wortes und auch als Meister des Bildes. Souverän aus momentaner Ergriffenheit gestaltet, stellt sich dieses Bild uns dar, die großartige Szenerie der Landschaft, des Forums, des politischen Geschehens, fast losgelöst von dem, der es geformt hat, und dadurch von umso größerer Wirksamkeit. Raum schafft nicht nur Nähe, er begründet auch Distanz: seine Reaktion bewirkt Objektivierung und gibt den Argumenten zusätzliche Beweiskraft. In dem politischen Raum hat sich das Alte stets neu zu bewähren, das Neue zu erproben, ob es vor dem Alten bestehen und selbst Dauer gewinnen kann. Beispiel einer solchen Prüfung gibt die neunte Philippica. Unter den zahlreichen Äußerungen, die von Cicero aus den letzten Jahren seines Lebens erhalten sind, findet sich eine Rede, in der er für den Juristen Servius Sulpicius Rufus am 4. Februar 43 im Senat eine besondere Ehrung beantragt hat (Phil. 9). Sulpicius war vom Senat mit der Führung einer Gesandtschaft beauftragt worden, die vor Mutina mit Antonius Verhandlungen aufnehmen sollte. Trotz seiner geschwächten Gesundheit hatte er den Auftrag übernommen, die Reise angetreten, war aber gestorben, ehe ihn Antonius empfing. Auf diesen Vorgang nimmt Cicero Bezug, wenn er sich jetzt für eine besondere Anerkennung einsetzt. - Schon die ersten Worte geben dieser Rede ein eigenes Gepräge: vellem di immortäles fecissent - ein feierlicher Beginn. Das ist nicht die Sprache polemischer Auseinandersetzung des Alltags, es geht um die Ehrung eines Toten, den der Dank der Lebenden nicht mehr erreichen kann. Eine laudatio funebris scheinen wir vor uns zu haben. Sie gilt einem Mann, der so bekannt ist, daß nur mit wenigen Worten auf seine Persönlichkeit hingewiesen werden muß: cum aetate Ulis (den anderen Mitgliedern der Gesandtschaft) anteiret, safientia omnihus. Sein plötzlicher Tod hat die Gesandtschaft verwaist und geschwächt zurückgelassen (orha et debilitata). Wenn Cicero hier die sapientia erwähnt, weiß jeder Hörer, was damit gemeint ist. Cicero muß sich also nicht für die öffentliche Anerkennung des Sulpicius einsetzen. Quod si cuiquam iustus honos häbitus est in morte legato, in nullo iustior quam in Servio Sulpicio reperietur ( § 2 ) . Eine Folgerung wird gezogen, gekennzeichnet durch

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quod si. Der Umkreis wird genau fixiert: cuiq-uam legato; die Sperrung weist nachdrücklich darauf hin, daß in dieser Rede nicht vom Juristen Sulpicius gesprochen wird, sondern vom Gesandten. Nur dieser Auftrag steht zur Diskussion, lustus honos in -motte (in die Sperrung als Mittelstück eingesetzt) bezeichnet das Problem, die dem Sulpicius zustehende Ehrung im Tode. Aber die besondere Art des Todes bedarf einer Erörterung. Die Entschlossenheit des Sulpicius, den Gesandtschaftsauftrag trotz aller Schwierigkeiten durchzuführen, stellt Cicero anschaulich heraus: mit der fünffachen Anapher von non immer wieder neu ansetzend reihen sich die Hindemisse auf. vis hiemis, nives, longitudo itineris, asperitas viarum, morhus ingravescens: die lange mühselige Reise wird in Erinnerung gerufen, die Ungunst der Jahreszeit, die Witterung, die immer schwerer werdende Krankheit-Schwierigkeiten, die aus Pflichtgefühl bestanden werden (vel extremo spiritu). Schließlich der Tod unmittelbar am Ziel - und feierlich beschließt excessit e vita diese Würdigung der Pflichttreue. Wenn wir etwa an den Glanz der Miloniana denken, mag uns diese Rede kunstlos und nüchtern erscheinen. Das entspricht jedoch nicht nur dem Stil einer suasoria (vgl. Quint, inst. 3, 8, 5), sondern auch der Wesensart des Toten. Mirifice enim Servius mcdorum continentiam diligehat (§ 13) ist die Begründung für eine aenea statua pedestris statt einer inaurata statua equestris. Es entspricht vor allem auch Ciceros eigentlicher Absicht. Ein Sachproblem steht zur Diskussion, Cicero hat sich mit dem Einwand des Konsulars Servilius auseinanderzusetzen: die Ehrung durch eine Statue sei auf den zu beschränken, qui ferro in legatione esset interfectus (§ 3). Wieder setzt die Sperrung den Akzent: ferro interfectus. Eine grundsätzliche Frage wird damit zur Entscheidung vorgelegt: ist gewaltsamer Tod Voraussetzung für diese Art von öffentlicher Anerkennung? Sulpicius ist nicht einem gewaltsamen Tod erlegen, sondern einer langwierigen Krankheit. Eine Möglichkeit bietet sich an, um die Frage zu beantworten: die Auffassung derer zu prüfen, die diese Sitte begründet haben - das sind die Vorfahren. Sic interpretor sensisse maiores nostros, ut causam mortis censuerint, non genus

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esse quaerendum. Entscheidend sollte nach Ciceros Ansicht die causa mortis sein, nicht das genus mortis. Zum Erweis dieser These gibt Cicero eine erste Begründung für das Errichten eines monumentum: es hat die Aufgabe, die Menschen zu ermuntern, Gesandtschaften mit größerem Wagemut auf sich zu nehmen. Die Schwierigkeit von Ciceros Position liegt gerade in den exemfla, die von den Vorfahren aufgestellt worden sind. Im Orator (34, 120) hat Cicero die Funktion der exem-pla festgelegt: commemoratio antiquitatis exemplorumque frolatio summa cum delectatione et auctoritatem orationi affert et fidem. Diese auctoritas der exem-pla ist hier problematisch. Da exempla Normen setzen und bei enger Auslegung keinen Spielraum lassen, muß Cicero interpretieren, wie sie hier zu verstehen sind: non igitur exempla maiorum quaerenda, sed consilium est eorum, a quo ipsa exempla nata sunt, explicandum. Ist das exemplum kritiklos zu imitieren? Verlangt es rein formalistische Erfüllung, oder ist es dazu da, die Menschen zu freier Entscheidung aufzurufen? - Alles hängt von der rechten Auslegung ab. Zwei exempla nennt Cicero'®: die Ermordung von vier Gesandten durch den Etruskerkönig Lars Tolumnius im 5. Jahrhundert und den Tod des Cn. Octavius im Jahre 162. Die beiden Beispiele sind ganz verschiedener Art. Die erste Erzählung zeichnet sich aus durch Knappheit: auf Lars Tolumnius, den König von Veji, fällt der Blick (die Namen der vier Gesandten werden erst viel später genannt). Wer in Rom von dieser Tat hört, denkt an Tyrannis und Brutalität. - Das zweite Beispiel lenkt die Aufmerksamkeit zuerst auf den Betroffenen. Er wird mit Attributen ausgestattet (clari viri et magni), die Bedeutung "

Plin. nat. 34, 23 nennt ausser den Statuen der vier in Fidenae Ermordeten und der des Octavius noch zwei Standbilder getöteter Gesandter auf den Rostra. Diese Gesandten hatten 228 in lUyrien auf Befehl der Königin Teuta den Tod gefunden. — Das von Cicero zuerst angeführte Beispiel wird mehrfach, allerdings mit Varianten, erzählt (Liv. 4, 17; Val. Max. 9, 9, 3; Plin. nat. 34, 23). Tolumnius wurde im Zweikampf von Cornelius Cossus erschlagen, der die Rüstung des Königs als spolia opima dem Jupiter Feretrius auf dem Kapitol weihte, wo sie noch Augustus sah (Liv. 4, 19). Dem Fall des homo novus Octavius wendet sich Cicero mit ganz persönlicher Anteilnahme zu. Die Gefährdung der g/ona durch invidia und oblivio ist ihm aus eigener Erfahrung ständig bewusst.

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seines Erfolgs für die Familie wird herausgehoben. Es fällt auf, um wieviel ausführlicher diese Geschichte berichtet wird, wie ganz anders die Akzente gesetzt sind. Der Auftrag ist nicht während eines Krieges erteilt, er dient der Rüstungsbegrenzung: ut classes habere, ele•phantos alere prohiberet. Auch die Ermordung ist genauer geschildert als die der Gesandten in Fidenae: a quodam Leptine est interfectus; Stadt und Tatort werden genannt. Das Ereignis liegt zeitlich näher; deshalb bewahrte die Erinnerung mehr geschichtliche Einzelheiten als bei dem Vorkommnis legendärer Frühzeit. Welche Beweiskraft aber diesem exemplum des Octavius zukommt, lassen erst die folgenden Ausführungen erkennen. Wo Cicero über die Entscheidung des Sulpicius spricht, hebt er besonders auf die Bewußtheit ab, mit der er sich der Gefahr unterzog, auf die constantia, mit der er seinen Auftrag durchführte: multis Uli in urhihus iter qua faciehat reficiendi se et curandi potestas fuit. aderat et hospitum invitatio liberalis pro dignitate summi viri et eorum hortatio, qui una erant missi, ad requiescendum et vitae suae consulendum (§ 6). Wieder ist es der Weg, der erwähnt wird, dabei aber werden die Möglichkeiten genannt, sich zu schonen, und der bewußte Verzicht des Sulpicius auf Schonung. Der at-Satz unterstreicht die constantia, mit der Sulpicius seinem Ziel zustrebt. Das kontrastiert nun deutlich mit dem exemplum des Octavius. Dort war gesagt, daß bei dem Auftrag eine periculi suspicio nicht bestand. Hier legt Cicero alles darauf an nachzuweisen, wie Sulpicius trotz der offensichdichen Gefährlichkeit des Unternehmens seinen Auftrag durchführt. Ausschlaggebend für die Beurteilung ist das Wissen um das Risiko. Fast hat man den Eindruck, die Reise des Sulpicius sei ein Wettlauf mit dem Tod und Helfer im Bestehen dieses Kampfes seien seine virtuies. Jetzt tritt Antonius in Erscheinung (§ 7). Es geschieht im Rahmen eines Satzgefüges, das trotz seiner übersichtlichen Gliederung etwas verklausuliert wirkt. Diese Periode ist nach drei Seiten hin gerichtet auf Antonius, Sulpicius und den Senat. Am Anfang und am Ende steht ein cww-Satz. Der erste bringt zum Ausdruck, wie die Ankunft des Sulpicius auf Antonius gewirkt hat (maxime perturbatus). Dann erfahren wir den Grund dieser Verwirrung: Sulpicius ist Überbringer

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eines Senatsbeschlußes, der auf seine eigene Initiative zurückgeht. Jetzt aber wendet sich der Satz dem Senat selbst zu: wie sehr Antonius diesen Senat hasst, kommt durch sein Verhalten beim Tod des Senatsbeauftragten zum Vorschein. Der zweite cum-SstiZ hat also eine doppelte Funktion: er charakterisiert den Antonius und agitiert zugleich beim Senat. Über Antonius wird an dieser Stelle zum ersten Mal ausführlich gesprochen (in § 1 und 2 begnügt sich Cicero mit der Nennung des Namens bzw. mit einer Umschreibung - eins ad quem erat missus). Hier werden seine Reaktionen geschildert: die Verwirrung bei der Ankunft des Sulpicius und die schamlose Freude bei dessen Tod. laete atque insolenter kennzeichnet das Inhumane, steht im Kontrast zum Empfinden aller anderen (luctus •puhlicus). Es ist eine Reaktion, die sich in Ciceros Bild vom Tyrannen einfügt. Wenn Cicero sich bei dieser Gelegenheit nicht zu der heftigen Invektive gegen die Bestialität des Antonius hinreissen läßt, wie wir es aus anderen Philippischen Reden kennen, so mag das in der Gesamtstimmung dieser Rede" seinen Grund haben. Jetzt erfahren wir einen zweiten Grund für die Errichtung der Statue: erit enim statua ipsa testis hellum tarn grave fuisse, ut legati interitus honoris memoriam consecutus sit (§ 7). Damit hat die Statue einen weiteren Auftrag: sie kennzeichnet die Härte des Krieges, hält ein Geschehen fest, ist Zeitdokument. Als Cicero zum ersten Mal auf "

Zweifellos ist auch im übrigen Teil der Rede über dem Rechtsfall nicht vergessen, was für eine laudatio gefordert wird. Ausser der Erwähnung der Leistungen, der Tugenden, des Ansehens, wird auch auf die Familienverhältnisse und auf persönliche Eigenheiten angespielt. Die Gestalt des Toten steht so deutlich im Mittelpunkt, dass alle anderen-Cicero, die Gattin, der Sohn, die Mitgesandten, die Konsuln und Senatoren-zurücktreten. Ihre Äusserungen werden nur referiert, wie auch die Worte des Toten. Doch werden Akzente gesetzt, die der Stimmung dienen {tanto rei publicae volnere.. . movebatur singulari pietate filius; non multum eins perturbationi meus dolor concedebat... mecum ita locutus est, ut eius oratio omen fati videretur... die Schilderung vom Schmerz des Sohnes . . . der Hinweis auf den einzigen T r o s t . . . in nostra familiaritate, civium dolorem et desiderium). Der feierliche Schluss manebit testificatio sempiterna leitet über zu dem Senatsbeschluss, dessen Formulierungen, gleichsam rekapitulierend, die Persönlichkeit des Toten ins Licht der Öffentlichkeit treten lassen- auch dies eine testificatio sempiterna.

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ihren Sinn zu sprechen kam, sah er sie als Mahnung zur Übernahme von Gesandtschaftsaufträgen. Der folgende Abschnitt der Rede kann in unserem Zusammenhang kürzer behandelt werden. Daß auch dem Senat ein Teil der Schuld am Tod des Sulpicius zufällt, weil er den Auftrag erteilt hat - daß eben deshalb die Errichtung einer Statue einen Akt der Genugtuung bedeute, unterstreicht die moralische Verpflichtung des Senats. Die Wechselwirkung zwischen der politischen Leistung des römischen Bürgers und dem Dank der Gemeinschaft sahen wir bereits in der Rede Pro Scauro. Von größerer Bedeutung sind für uns die Ausführungen Ciceros, die der Persönlichkeit des Sulpicius gelten (§§ 10 und 11). In immer neuen Wendungen schärft Cicero seinen Zuhörern ein, daß in diesem Fall die Errichtung einer Statue nur den Sinn haben könne, die Erinnerung an Sulpicius als Gesandten wachzuhalten. Denn das Lebenswerk des Sulpicius bedarf zusätzlicher Ehrungen nicht, er hat sich bereits durch seine juristische Tätigkeit dauernden Ruhm bei der Nachwelt gesichert. W i r wissen (vor allem aus den Digesten), daß Cicero mit diesen Worten nicht übertreibt. Schon im Jahre 46 hatte er auch selbst in seinem „Brutus" dem Sulpicius ein Denkmal gesetzt (§§ 150-152)". Unmittelbar spiegelt sich die Persönlichkeit des Sulpicius in den Briefen, von denen uns einige im vierten Buch der Epistulae ad familiares erhalten sind. Wenn der Gesandte Sulpicius ein Denkmal erhalten soll, so gilt das nicht nur ihm selbst. - Hier nennt Cicero das dritte Argument: haec enim statua mortis honestae testis erit, illa memoria vitae gloriosae, ut hoc ma^s monumentum grati senatus quam clari viri futurum sit. Als Erinnerungsmal für die Dankbarkeit des Senats erfüllt das Monument eine weitere Aufgabe. Dieser Gedanke wird es dem Senat leich"

Vgl. Cicero, Brutus, erkl. v. O. Jahn-W. KroU-B. Kytzler, Zürich u. Berlin 1964. Verwiesen sei besonders auf die umfassende Bibliographie in dieser Ausgabe (286-305.) — Zu Rhetorik und Einzelbegriffen vgl. Cicero Orator, hg. von O. Seel, Heidelberger Texte 21, Heidelberg 1952, mit Literaturangaben und terminologischer Übersicht sowie E. Burck, Ciceros rhetorische Schriften, Der Altsprachl. Unterricht 9, 1, 1966, 98 ff.

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ter machen, der Ehrung zuzustimmen (wie es in der Tat dann auch geschah, vgl. Pomponius: Dig. 1, 2, 2, 43). Wo aber Cicero zum vierten Mal von dem Sinn dieser Statue spricht, bleibt kein Zweifel mehr an seiner wirklichen Absicht: notetur etiam M. Antoni nefarium hellum gerentis scelerata audacia. his enim honoribus hahitis Servio Sulpicio refudiatae reiectaeque legationis ah Antonio mcmehit testificatio sempitema (§ 15). Mit diesen schwerwiegenden Worten ist alles gesagt: das hellum grave wird jetzt als nefarium bezeichnet, von der scelerata audacia des Antonius her bestimmt. Feierlich ist ausgesprochen, daß im Schicksal des Sulpicius das Verbrechen des Antonius für alle Zeit dokumentiert bleibt. Die Ehrenstatue für den Toten brandmarkt den Gegner. Und Cicero ist fest davon überzeugt, daß dieses Verdammungsurteil dem Antonius die Rückkehr in seine Umwelt unmöglich macht. Die Statue auf dem Forum in Rom erhebt Anklage gegen einen Staatsfeind.

Cicero und das Problem des römischen Philosophierens von OTTO SEEL, Erlangen

Selbst dann, wenn man von römischem Philosophieren gar nichts wüßte, ließe sich eines von vornherein darüber sagen, nämlich daß es, wenn überhaupt, so keinesfalls auf dem Elfenbeinturm abstrakt-esoterischer Denkspiele geschehen könne, daß es nicht denkbar sei als ein sich im Kreise drehender Rundlauf definitorischer Tautologien und inhaltsloser Formalprozesse, sondern daß es ein Philosophieren in der Welt, mit der Welt, vielleicht gegen die Welt und in jedem Falle für die Welt sein müsse, wenn anders das Beiwort „römisch" nicht zur contradictio in adiecto werden solle. Diese Weise des Philosophierens aber hat es immer und überall in der Welt gegeben und sie wird es immer geben, denn ein so sich selbst verstehendes Philosophieren ist überhaupt untrennbar von dem Ursprungssinn jener spezifisch menschlichen Beschäftigung, deren das Tier noch nicht und der Gott nicht mehr bedarf, von der jedoch der Mensch als Gattung und Art nicht lassen kann und nicht lassen darf: eine Beschäftigung, für welche relativ spät erst, und als auf dem im Dunkel der Vorzeit begonnenen Wege schon entscheidende Schritte getan waren, der Name „Philosophie" gefunden wurde, natürlich von den Griechen. Homer kennt das Wort noch nicht, zugegeben, aber daß er, und daß Hesiod und ediche andere der archaischen Zeit darum an der Sache keinen Anteil hätten, wird man nicht sagen wollen. Bei dieser Beschäftigung freilich hat es immer derjenige, der sich darauf einließ, mit seiner Umwelt nicht ganz leicht gehabt, und die Umwelt mit ihm wohl auch nicht. Denn auf der einen Seite droht

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ihm die Gefahr, daß er sich von seiner vor-philosophischen Sozietät entfernt, und je mehr er zu ihr zurückstrebt, umso mehr bei ihr Anstoß erregt und zum Ärgernis wird, oder aber, je weniger er zu ihr zurückstrebt, umso weniger den eigentlichen und schlichten Sinn seines Suchens festzuhaken vermag. Was er im besten Falle erreicht, ist doch immer nur das, was Sokrates die Av^cptOTiivTi cocpia genannt hat, worin nämlich Ziel, Inhalt und Begrenzung des Suchens zu gleichen Teilen mitenthalten sind. In diesen drei möglichen Bedeutungen ist zugleich der schwierige und entsagungsvolle Weg Piatons in seinen Etappen markiert, sagen wir: von seiner sokratischen Werdezeit über etwa den „Sophistes"' bis hin zum „Siebten Brief". Cicero ging es um römische Philosophie, und ihm konnte es unter der Wirkung einer axiomatischen Grundvorstellung von dem, was des Menschen sei, um gar nichts anderes gehen; und das heißt: um eine ganz spezifische Weise jener avöpwTrivT) ffocpia, deren Objekt und Subjekt der Mensch, und zwar der römische Mensch wäre; um ein menschenmögliches Weisesein, das immer Versuch und Suchen bleibt, ein Ahnen nur und Nie-völlig-Finden, herausgetreten aus dem NochNicht des Tieres, ausgeschlossen von dem Nicht-Mehr göttlicher Weisheit, daher auch im Stande schmerzlicher UnVollkommenheit, und in der wachen Redlichkeit des Versagens und Verzichtens ständig der Kritik offene Flanken bietend, sie geradezu herausfordernd; Kritik nämlich von zwei Seiten: einerseits von seiten derjenigen, welche als Dogmatiker und Doktrinäre der einen oder anderen Richtung das erst zu Suchende schon gefunden zu haben meinen und deshalb das Suchen aufgegeben haben, oder der anderen, welche Piaton gemeint hat, als er von den Törichten sprach, deren Torheit eben darin be-

Sokrates über „Menschenweisheit": Plat. Apol. 20 d.; zum „Sophistes": W. Kamiah, Piatons Selbstkritik im Sophistes, Zetemata 33, München 1963. Im übrigen werden Literaturhinweise hier nur sparsam geboten. Immerhin sei mit Nachdruck hingewiesen auf den thematisch nahestehenden Vortrag von H. Fuchs, Ciceros Hingabe an die Philosophie, MH 16, 1959, 1-28. Fuchs ordnet Ciceros Philosophieren weit energischer seiner biographischen Situation zu, als es hier geschieht. Insofern ergänzen sich die beiden Vorträge, ohne sich zu widersprechen, wie es denn überhaupt mehrere, gleich legitime Möglichkeiten gibt, das Thema anzusprechen.

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stehe, daß sie meinen, ihnen fehle nichts, und die deshalb mit dem Suchen erst gar nicht zu beginnen gedenken^ Solche Kritik aber, die keinem in gleicher Lage ganz erspart bleibt, trifft Cicero besonders hart und ungeschützt, weil er erstens selbst sie durch undiplomatische Zugeständnisse provoziert hat, und zweitens weil die Eleganz und Brillanz seiner Sprache und seines fast unmerklichen, aber außerordentlichen didaktischen Naturtalentes über den Ernst seiner Bemühung ebenso wie über das staunenswerte Ausmaß seiner rezeptiven und reproduktiven Leistung nur zu leicht hinwegtäuscht. Denn so gewiß Cicero in manchem Betrachte und vor allem dort, wo es um seine wirklichen oder vermeintlichen Verdienste im Bereich der vita activa ging, von einer naiven, entwaffnenden Eitelkeit sein und dadurch auch Wohlwollende zuweilen in Verlegenheit bringen konnte, so liebte er es doch, in anderem Betrachte, und gerade hinsichdich seines Philosophierens sich in eine eigentümlich untertreibende Mimikry zurückzuziehen, teils weil er um eines prätendierten Modellbildes altrömischer Frugalität auch im Geistigen willen nichts so sehr scheute als den Anschein, mit den spitzfindigen Graeculi seiner Zeit in einen Topf geworfen zu werden, teils aber auch, weil es ihm so ernst war, daß für ichbezogene Eitelkeit in diesem Falle kein Raum mehr blieb. Am meisten aber wird die sachlich gerechte Bewertung und Würdigung erschwert durch seine Sprache, welche durch ihren Glanz, durch ihre scheinbare Schwerelosigkeit auch das Schwierige und erst nach vielem Mühen Erreichte wie etwas Selbstverständliches erscheinen läßt. Worum es sich dabei handelt, das hat einer der französischen „Moralisten", der Marquis von Vauvenargues (1715 bis 1747) treffend und mit großer Prägnanz gesagt. Vauvenargues' Jugend stand ganz in der Strahlung von Plutarch, Seneca und Cicero; in dem, was ich jetzt zitiere, kommt der Name Cicero gar nicht vor, aber es ist ihm wie auf den Leib zugeschnitten': ' '

Plat. symp. 204 a: oöS' a5 ot Ä[iaGeTj iptXooo^oOaiv oö8' diii6u|io0oi ooqpol YeväoBat... oüxouv lictOuiisT 6 (i'Ji o!ö(ievo{ Iväe'fij eTvai... Das Vauvenargues-Zitat ist zusammengefügt aus drei Stellen bei F. Schalk, Die französischen Moralisten, Band 1, SIg. Dieterich Band 22, 1938, 113, 126 und 196.

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„Von Natur beredte Menschen sprechen mitunter mit solcher Klarheit und Knappheit über große Dinge, daß die meisten Menschen sich nicht vorstellen können, sie sprächen auch tief. Schwerfällige Köpfe und Sophisten erkennen die Philosophie nicht an, wenn die Beredsamkeit sie volkstümlich macht, und sie das Wahre in stolzen und schönen Strichen zu malen wagt. Sie betrachten diesen Glanz des Ausdrucks, der den Beweis großer Gedanken in sich schließt, als oberflächlich und leichtfertig. Sie verlangen Definitionen, Paragraphen, Einzelheiten und Beweise . . . . Alle bloß folgerichtigen Geister sind ungerecht, sie sind wohl imstande, aus einer Prämisse Schlüsse zu ziehen, aber sie überschauen nicht alle Prämissen und die Vielseitigkeit einer Erscheinung. So ist ihr Urteil einseitig und sie täuschen sich. Um gerecht zu sein, bedarf es nicht nur eines geraden, sondern auch eines weiten Geistes, aber der großzügige Bhck verbindet sich selten mit der scharfen Deduktion . . . . Wir sind viel eifriger, die oft eingebildeten Widersprüche eines Schriftstellers festzustellen, als aus seinen - wahren oder falschen - Einsichten zu lernen". Mir kommt vor, darin stecke Kern und Keim einer umfassenden, einer jrichtigen und einer würdigen Interpretation des ciceronischen und in gewissem Sinne schlechthin des römischen Philosophierens überhaupt. Aber das sei hier nicht weiter verfolgt. Gut also, vielleicht wird man Cicero als glänzenden Schriftsteller passieren lassen, so wenig das auch hierzulande und heutzutage zu zählen und zu Buche zu schlagen scheint. Aber darin wird man nicht ohne weiteres bereits die spezifische Qualität und dpSTifi eines Philosophen von Rang gelten zu lassen bereit sein. Und in der Tat ist es ja offenbar so, daß dort, wo Cicero uns trifft und unser Herz bewegt, dies mehr durch die blühende und intime Freundlichkeit des literarischen Beiwerkes, von Rahmen, Stimmung, Urbanität und Humanität, geschieht als vermöge des eigentlich philosophischen Gehaltes, welcher sich dann als System abheben und referieren und in eine Folge von form-indifferenten Thesen fassen ließe. Ciceros Philosophica sind tatsächlich und in Wahrheit auf ihren Sprachleib angewiesen, sie verlieren ihren Zauber und Schmelz, wenn man sie auf bloße Denk-

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inhalte reduziert. Freilich könnte dasselbe in gewisser Weise auch von Piatons Dialogen gesagt werden; nur in gewisser Weise zwar, denn auch wenn man von „Kriton" und „Phaidon", von „Phaidros" und „Symposion" jeweils den Rahmen wegnähme und das, was man die „literarische Zubereitung" nennen mag, ignorierte, also die Charis der Form im Schmelztiegel abstrakter Gedanklichheit einschmölze und das noetische Gerippe übrig ließe, dann ginge zwar Unsägliches verloren, aber immerhin behielte man selbst dann noch etliches mehr in der Hand als im gleichen Falle von Cicero. Aber freilich wäre damit auch von Piaton das Nobelste, das Unvergeßliche, das eigentlich Schöne als der Leib der Wahrheit vertan und vergeben. Und eben dies ist es doch offenbar, was Cicero zum Philosophieren gebracht, was ihn so beharrlich dabei festgehalten und zu solch immenser geistiger Anspannung verlockt hat: die Selbstwertigkeit eines Daseins im geistigen Raum; Erlebnis und Bekenntnis zu einer überwirklichen, aber darum keineswegs unwirklichen Welt, die den in der Misere seiner Alltagserfahrung bedrängten und geplagten, geängsteten und gedemütigten Menschen - und all dies war ja Cicero nicht weniger, sondern mehr als es im Durchschnitt dem Menschen je und je zu widerfahren pflegt - über sich selbst hinaushebt nicht in Illusionen, sondern in eine Denkmöglichkeit des Sein-Sollenden. Dabei hatte er es in seiner Zeit und an seinem geschichtlichen Ort gegenüber Piaton vergleichsweise ungemein viel schwerer, aus vielen Gründen, und das folgende ist nur einer davon: Was bei Piaton gerade noch, kraft des besonderen Charismas hellenischer Blütezeit, reine Natur ist, angeborene Anmut des wahrhaft vornehmen großen Sinnes, das ist für Cicero längst umgeschlagen in Sehnsucht, Willen und ganz individuelle Leistung ohne die stützenden und tragenden Kräfte eines vorgefundenen hohen Stiles. Piaton kommt her von der Erfahrung eines ganzen Jahrhunderts unbeschreiblich reinen Gelingens, von den drei Tragikern und von Pindar, von der Grazie des Aristophanes und von dem Glanz der Akropolis. Cicero war aufgewachsen in dem Dorf Arpinum und dann umgepflanzt in die Stadt, die erst nach ihm zur Marmorstadt werden sollte, homo novus mit geringen Chancen, geschreckt und gestachelt von der Turbulenz pausen-

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loser Straßenkämpfe und Bürgerkriege, und alles, was er zu wege gebracht hat, mußte er ganz auf persönliches Risiko und ganz aus Eigenem neuschaffen, ohne vorgeprägten und gefestigten Stil, ohne eingespielte und durch Vorverständigungen beziehungsreich gewordene Terminologie, mit allen Nöten und Skrupeln des Fehl- und Mißgriffs; und nur zu oft fand er sich in der Lage, den eigenen Versuch nicht anders glaubhaft machen zu können als mit der Fiktion des von anderen bereits vorweggenommenen Gelingens, mit dem vorgeblichen Anschluß an gar nicht vorhandene Präzedenzfälle und exempla maiorum. Vieles, wie etwa weite Teile seines Versuches der Darstellung einer vor ihm abgelaufenen geistigen Entwicklung, dem er den Namen „Brutus" gegeben hat, ist in nicht geringem Grade eine solche fiktive Vorwegnahme und Retroprojektion dessen, was er selbst erst zu schaffen sich vorgenommen hatte: wo er denn von dem, was andere vor ihm angeblich bereits erreicht hätten, spricht, indes es in Wahrheit erst ums eigene Erreichen geht. Man mag dagegen sagen, so ganz allein und einzig sei Gicero gar nicht gewesen. Wenn nur, um von anderem zu schweigen, allein die Werke eines Varro und eines Nigidius Figulus erhalten wären, böte sich ein sehr anderes, ein sehr viel reicheres Bild. Sicher trifft das zu, und die beiden Genannten standen Cicero nahe, waren sogar in der etwas unverbindlich-läßlichen Art römischer amidtia mit ihm befreundet. Aber selbst wenn die Werke beider uns komplett erhalten wären, und vielleicht dann erst recht, würde sich an der eigentlichen Besonderheit Giceros kaum sehr Wesentliches ändern; denn so viel läßt sich aus Fragmenten, Briefen und Bezugnahmen ziemlich verläßlich sagen, daß es in dieser Zeit noch zu keiner eigentlich stilbildenden Kulturgesellschaft im Sinne gegenseitigen Sich-Tragens und SichStützens kam: Das geschieht erst in der nächsten Generation, bei den Augusteern, und daß es da geschehen konnte, ist gutenteils der Ertrag von Giceros eigenem, in jedem Betrachte hervorragend propädeutischem Wirken und damit sein nur selten zulänglich gedanktes Verdienst. Was Gicero neben sich und vor sich vorfand und antraf, war mehr ein Registrieren und Verbuchen von Relikten und Reliquien, Katalogisieren von kaum noch Verständlichem oder bereits völlig Un-

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verstandenem, dessen Sammlung zum Selbstzweck wurde: Antiquitates, oder gar, wie bei Nigidius, ein Panoptikum von mantischer Abstrusität, Astrologie und pseudo-pythagoreischem Hokuspokus. W e n n man sich einmal versuchsweise vorstellt, von Ciceros Philosophica wäre gerade so wenig erhalten geblieben wie von den Schriften der beiden anderen, dann würden allein schon die Zitate aus allen dreien bei den Kirchenvätern, vorab bei Laktanz und Augustin, ausreichen^ den bedeutenden Unterschied erkennen zu lassen, nämlich den Vorsprung Ciceros an erlebnishafter Intensität, an Unmittelbarkeit des leidenschaftlichen persönlichen Engagements, an gesundem Sinn für das Verständige und heilsam Assimilierbare, auch an wacher Humanität und Soziabilität, an kultureller Reife und nicht zuletzt an schlichter Größe des menschlichen Formates - eine Größe freilich, die nichts Heroisches und nichts Grimassierendes an sich trägt, sondern die wiederum das Maß des (iv9p(l)7nv0v wahrt, indem sie nämlich gerade auch in den Bedrohtheiten und Anfechtungen eines sehr sensiblen und reizbaren Herzens liegt - wie wenig wissen wir davon bei den anderen, und wie viel bei Cicero! - , eine Größe also, welche in jedem Sinne eine menschenmögliche und menschenwürdige ist. Es sei versucht, an einem Beispiel zu zeigen, was hier mit Vorwegnahme gemeint war. In einem Brief an Cato, geschrieben aus Ciceros kilikischer Statthalterschaft im Januar des Jahres 50, steht folgendes': „Nichts ist mir je in meinem Leben so teuer gewesen wie die Philosophie, und kein größeres Geschenk ist dem Menschengeschlecht von den Göttern gegeben. Diese Gemeinschaft des Strebens und Lernens verbindet uns beide. Ihr haben wir uns von Kind auf ergeben und verpflichtet, und wir beiden sind nahezu die einzigen, die jene altehrwürdige Philosophie, welche etliche für Müßiggang und vertane *

Ein solcher Versuch wird jetzt in der dankenswertesten Weise erleichtert durch die so gelehrten wie gründlichen Bestandsaufnahmen in den beiden meisterhaften Werken von H. Hagendahl: Latin fathers and the classic«, Göteborg 1938, und: Augustine and the latin classics (2 Bde.), Goeteborg 1967 ( = Studia Graeca et Latina Gothoburgensia vol. VI, XX: I und XX:

II). ® Cic. fam 15, 4, 16. Bemerkenswert ist, daß Cicero sich in dieser laus philosophiae eng an Piaton anlehnt: Tim. 47 b ipiXoaocptaj [leTl^ov ÄY^'ß^'' oöx' •^XBev o5xs liSEt itoxi xijS evnixip Y^'^®' 8(i)pii)94v Ix 6effiv.

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Zeit halten, auf das Forum und in die Politik, ja fast sogar mitten in die militärischen Kampflinien eingeführt haben." . . . . philosophiam ...qua nec mihi carior ulla umquam res in vita fuit nec hominum generi mcAus a deis munus ullum est datum: haec igitur, quae mihi tecum communis est, societas studiorum atque artium nostrarum, quihus a pueritia dediti ac devincti soli propemodum nos philosophiam verum illam et antiquam, quae quihusdam otii esse ac desidiae videtur, in forum atque in rem puhlicam atque in ipsam aciem paene deducdmus. Manches wäre darüber zu sagen, etwa daß dem Philosophieren Catos, soweit wir sehen, dieser ciceronische Zug der Inbrunst, der unerfüllten Sehnsucht, vollkommen abgeht. Cato sucht nicht, er hat. Er hat seine Dogmen wie ein Reglement, er weiß genau, was gut und was böse ist, hinter dem Panzer seiner Überzeugtheiten und Unerschütterlichkeiten wird kein schlagendes Herz spürbar, und die starre Disziplin seiner Haltung ist gewiß großartig, aber sie ist dies bis zur Unmenschlichkeit. Eben dies hat Cicero sehr genau gewußt und einmal, in der „Murena"-Rede, auch zwar mit toleranter Grazie und urbaner Höflichkeit, wobei er fast die Schuld auf sich nimmt statt sie dem anderen zuzumuten, aber immerhin deudich ausgesprochen*. Aber auch wenn man davon absieht, wie sehr Cato seiner ganzen Haltung nach sich von Cicero unterschied - der immer Kompromißlose gegen den immer Konniventen, der Entschiedene gegen den Schwankenden, der stoische Rigorist gegen den akademischen Eklektiker - , und wie schmal daher die hier apostrophierte Basis der Gemeinsamkeiten auch immer war, und selbst wenn man auch davon absieht, daß gerade dieser Brief eine ganz bestimmte und etwas verfängliche Zweckrichtung hat - Cicero wollte nämlich damals, ganz im Banne jener vorhin berührten kleinen Eitelkeit, Catos Unterstützung für seine ambitiösen Ehrenwünsche als Anerkennung seiner prokonsularischen Tätigkeit gewinnen - : in dem Satz selbst steckt schon ein feiner Widerspruch: soli propemodum nos, und daneben steht dann dieses perfektische Erreichthaben einer Breitenwirkung, die



Cic. Mur. 60-64 (Auch in meiner „Vox Humana", 2. Aufl., Stuttgart 1963, 244 Nr. 511).

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zweifellos weit mehr im Wunsch als in der Wirklichkeit ihre Entsprechung gehabt hat. Cicero versucht, hier und oft, auf zweierlei Weise den Abstand zwischen seiner philosophischen Existenz und dem ungeistigen Vegetieren der Mehrzahl zu verringern oder zu ignorieren, indem er sich einmal mit ihnen zusammentut und den Ernst seiner Denkarbeit untertreibend camoufliert, ein andermal die anderen zu sich heran- und heraufholt, so als wären auch sie so wie er das, was zu sein ihm als die Krönung menschlicher Art erscheint. Dies etwa ist der Funktionalismus seiner Vorwegnahmen. Hinzu kommt dies: Wir beschönigen durchaus nicht, daß Cicero mit diesem Brief eine nicht ganz selbstlose Absicht verfolgt hat, welche als solche mit Philosophie wahrlich nichts zu tun hatte und die eigentlich ein wenig unter seinem Range lag. Der tiefere Grund dafür wurde eben berührt: Es ist das gar nicht heuchlerische, sondern naiv ernsthafte Heruntergehen auf die Ebene der Civität, welche Ehre gibt und Ehre nimmt, also das Gebundenbleiben in die Gemeinschaft, die ei in Wahrheit geistig längst hinter sich gelassen hatte ohne es selbst zu merken oder wahrhaben zu wollen. Nun, wie es auch sei, es liegt nahe genug, um solcher Zweckbindung willen die Glaubwürdigkeit der Emphasis in Zweifel zu ziehen. Aber man sollte, ganz im Sinne Vauvenargues', in solchen Fällen nicht gar zu übertrieben schlau sein und Cicero nicht allzu eifrig hinter die Schliche kommen wollen. Denn gerade dies gehört zu den Eigentümlichkeiten seines Denkens, Redens und Handelns, mithin zur Grundkonzeption seines Lebensstiles organisch hinzu, daß die verschiedenen und scheinbar unvereinbaren Ziele und Zwecke bei ihm immer wieder in Engführung koordiniert erscheinen, ohne daß die subjektive Aufrichtigkeit nach der einen oder anderen Seite brüchig würde. Das war seine Stärke, es bezeichnet allerdings auch seine Grenze, und es war die Quelle zahlloser Schwierigkeiten und Mißhelligkeiten sowohl in seinem äußeren - öffentlichen wie privaten Leben als auch in seiner inneren Ökonomie, daß er ständig bereit und eifrig bedacht war, das gelebte Leben seinem Philosophieren, und das Philosophieren seinem gelebten Leben, eben einem Römerleben, auszusetzen. Da gab es denn keine getrennte Buchführung, beide Seiten

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müssen sich ineinander verrechnen lassen, wenn nicht die Überzeugung zu Schaden kommen soll, daß beide gleichrangig nebeneinander stehen und gleichermaßen „wirklich" sind; denn das Wahre kann nicht mit sich selber im Widerstreit liegen, der Dualismus von Gedanke und Tat, von Idee und Realität muß zu einem harmonischen Monismus konvergieren, die beiden Hemisphären, aus denen das Leben des philosophierenden Römers oder des auf römische Weise Philosophierenden sich nun einmal zusammensetzt, können nicht miteinander unverträglich und unvereinbar sein, sondern müssen zusammen erst eine einzige, mit innerer Folgerichtigkeit zu postulierende Wirklichkeit ausmachen. Das führt notwendig zu Zerrungen, zu Widersprüchen, zu Kompromissen und Ausklammerungen. Aber zu vermeiden wäre das nur, wenn man systematisch scharfe Schnitte durch die Lebenswirklichkeit zöge und von Fall zu Fall mit einer Art schizoider Selbsttäuschung entweder die eine oder die andere Seite abzublenden bereit wäre. Ciceros philosophische Unzulänglichkeiten - denn unter dem strengen Gesetz systematischer Exaktheit handelt es sich in der Tat um so etwas wie Unzulänglichkeiten - sind direkte Folgen seines beharrlichen Widerstrebens gegen eine solche Art der doppelten Buchführung. Aber das ist ja nicht nur die private Schwierigkeit Ciceros selbst, sondern darin wird durchaus exemplarisch ein Grundproblem aller philosophisch gegründeten Handlungsethik angesprochen: daß der Quotient des Seienden und Seinsollenden niemals reinlich aufgeht, und daß, wer nach der einen oder anderen Seite hin eine glatte und in sich homogene Lösung erzwingen will, damit endet, daß er entweder ein mechanisches Koordinatensystem von fadengraden Rigorismen auf eine Realität projiziert, welche damit selbst nur wenig mehr zu tun hat, oder daß er umgekehrt einem entgeisteten und entseelten pragmatischen Positivismus und Utilitarismus anheimfällt, der ohne Hemmung und ohne Orientierung sich von den amorphen, chaotischen Konstellationen und Situationen des Augenblicks treiben läßt. Gegen beides hat sich Gicero in einem unablässigen inneren Zweifrontenkampf gewehrt, und sein Kampf ist nicht nur der seinige, sondern das ist immer wieder dem Menschen als solchem auferlegt bis

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hin zu dem Gegensatz eines brutalen Machiavellismus und einer in reine Formalprozesse sich einhausenden Philosophie, für welche es als ausgemacht gilt, daß - ein Satz von Ludwig Wittgenstein - „Ethik überhaupt nicht ausgedrückt werden" könne. Beides ist, wie es scheint, in sich schlüssig. Aber beides ist lebensfeindlich, und die wachen Geister haben das auch zu jeder Zeit gespürt; das gilt für Mark Aurel so gut wie für den „Antimachiavell" Friedrichs des Großen, welcher nicht aus Zufall, sondern aus innerer Genötigtheit einen Philosophieprofessor seiner Zeit, Christian Garve, veranlasst hat, Giceros „de officiis" zu übersetzen. Das war im Jahre 1783, drei Jahre vor Friedrichs Tode. Und als eine Art von Adelsbrief oder Qualitätssiegel für Giceros philosophische Haltung insgesamt, bei aller Anfechtbarkeit im Detail, darf es doch vielleicht gelten, daß wie man erst neuerdings beobachtet hat' - Kants Ethik und Vemunftkritik von keinem anderen und von keinem griechischen Philosophen, auch nicht von Piaton, in so hohem Maße und auf so direkte Weise angeregt und auf den Weg gebracht wurde wie von Giceros Schriften. Cicero hat die Gefahr des puristischen Sich-Entscheidens dahin oder dorthin sehr genau gekannt und sehr schmerzhaft verspürt, und er hat aus solcher Einsicht heraus lieber die handgreiflichen Risiken eines ausgehaltenen Kompromisses auf sich genommen als Zuflucht bei einer Zweigleisigkeit gesucht, bei der die Rechte nicht mehr wissen dürfte und nicht mehr sehen wollte, was je und je die Linke tut. Gekannt hat er diese Ausflucht sehr wohl, und er hat denjenigen, der sich zu ihr entschloß, im deutlichen Bewioßtsein seiner eigenen Grenzen nicht einmal getadelt, sondern ihn in seinem relativen Recht und sogar in seiner absoluten Rechthaberei gelten lassen, ja nur mit einer Art von Beschämung und Selbstentschuldigung ist er seinen Weg gegangen, aber er ist ihn gegangen. Das zeigt sich gerade an der vorhin berührten „Murena'-Stelle, es zeigt sich noch schärfer in Auf Kants philosophischen Ciceronianismus hat mich Egert Pöhlmann aufmerksam gemacht mit Hinweis auf die Arbeiten von Klaus Reich, Kant und die Ethik der Griechen, Philosophie und Geschichte 56, Tübingen 1935, 14 ff. und ders., Die Tugend in der Idee, zur Geschichte von Kants Ideenlehre, in: Argumentationen, Festschrift Josef König, Göttingen 1964, 208 ff.

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„ d e natura deorum", w o der P o n t i f e x Aurelius C o t t a sich selber gleichsam spaltet in den Philosophen einerseits, den R ö m e r u n d Priester andererseits, bis hin zu der erstaunlichen Formulierung, v o m Philosophen müsse er eine präzise rationale Argumentation über das Religionsproblem verlangen, den Vorfahren aber müsse er glauben a u c h o h n e jede begründende Rechenschaftsablage®: a te enim rationem ratione

accipere reddita

deheo

religionis,

maiorihus

autem

philosofho

nostris etiam

nulla

credere.

Gewiß, w o es auf Biegen u n d B r e c h e n geht, hat Cicero selbst sich zur Vätersitte u n d gegen die Verlockungen der Spekulation entschieden, u n d der Kirchenvater Laktanz, u m 3 0 0 n. C h r . , hat i h m das mit polemischer Schärfe vorgerückt in einer direkten adlocutio nem,

ad

Cicero-

in der es heißt: „ W i e es mit deinem V e r t r a u e n in die Philosophie

in W a h r h e i t bestellt ist, das lehrt die Anweisung, die du deinem eigen e n Sohn mit auf den W e g gegeben hast. D e n n da ermahnst du ihn, ® Cic. nat. 3, 6. Es ist sehr schwer nachzuvollziehen, wie sich der Römer mit dieser — für griechisches Denken ganz unvorstellbaren — Methode doppelter Buchführung überhaupt zu arrangieren vermochte; daß sie aber ständig praktiziert und beharrlich durchgehalten wurde, bezeugt sich unzweifelhaft an vielen Stellen. Zu gründe liegt wohl der gerade im ersten vorchristlichen Jahrhundert immer aggressiver werdende sublime Antigräzismus des engagierten Römers, wovon auch hochgebildete Köpfe nicht frei waren, nicht einmal Cicero. In großer Schärfe wurde das Problem jetzt formuliert von Carl Schneider, Kulturgeschichte des Hellenismus, 1. Bd., München 1967, 958: „Stand Cato als Vertreter des Griechenhasses am Anfang der Epoche, so stand Vergil an seinem Ende. Mit zunehmender Abkehr von seiner Jugenddichtung wurde sein Haß unheimlicher und bösartiger als der Catos". Es wird nicht genügen, das als überpointiert — wofür ich es allerdings auch halte — einfach wegzuschieben: Man wird sich damit, und mit den dafür gebotenen Gründen, auseinanderzusetzen haben, und ein wahrer Kern wird bleiben. Von hier her am ehesten versteht sich der eigentümliche intellektuelle Unernst, von dem auch Ciceros Philosophieren dort nicht freibleibt, wo die Erfordernisse — echte oder vermeintliche! — der politisch-bürgerlichen Normwirklichkeit damit in Konflikt zu geraten drohten, ebenso wie die hinter aller schülerhaften Dankbarkeit der empfangenden Römer gegenüber den gebenden Griechen immer wieder durchschlagende leise Hoffart und Überheblichkeit. Daß sie sich bei Cicero nicht selten in geradezu naiver Weise zu demaskieren scheint — Tusc. 1, 1 stehe für viele ähnliche Zeugnisse! — , ist nur ein Zeichen dafür, daß seine Sensibilität mit dem Problem weniger glimpflich fertigzuwerden vermochte als es der Robustheit anderer mühelos gelang.

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er solle zwar die Gebote der Philosophie zur Kenntnis nehmen, leben aber müsse er nach Brauch und Ordnung eines römischen Bürgers"': at quam confisus fueris fhiloso'phiae veritate, docent ad filium composita fraecepa, quihus mones philosophiae quidem praecepta noscenda, vivendum autem esse civiliter. Lanktanz spitzt seine Replik ganz scharf syllogistisch zu, nämlich so: „Läßt sich's noch widerspruchsvoller sagen? Wenn man die Gebote der Philosophie zur Kenntnis nehmen soll, so soll man sie auf jeden Fall doch nur deswegen zur Kenntnis nehmen, um mit ihrer Hilfe richtig und weise zu leben; oder aber, wenn man nach Bürgerweise leben soll, dann ist eben nicht die Philosophie die Weisheit, wenn anders es wirklich besser ist, nach Bürgerweise als nach Philosophenweise zu leben. Denn wenn Weisheit das sein soll, was sich Philosophie nennt, dann wird notwendigerweise töricht leben, wer nicht gemäß der Philosophie lebt. Und so ist also nach deinem eigenen Richterspruch die Philosophie selbst der Torheit und Nichtigkeit überführt", lateinisch: quid tarn repugnans dici polest? si noscenda sunt praecepta philosophiae, ideo utique noscenda sunt, ut recte sapienterque vivamus: vel si civiliter vivendum est, non est igitur philosophia sapientia, siquidem melius est civiliter quam philosophe vivere. Nam si sapientia est quae dicitur philosophia, stulte profecto vivet qui non secundum philosophiam vivet; si autem non stulte vivit qui civiliter vivit, sequitur ut stulte vivat qui philosophe vivit. tuo itaque iudicio philosophia stultitiae inanitatisque damnata est. Aus diesem scheinbaren Zirkel eines ständigen latenten Selbstwiderspruchs ist Cicero nie ganz herausgekommen. Zwar hat er selbst die Vorwürfe des Laktanz, Jahrhunderte erst nach seinem Tode, nicht mehr vernommen, aber dafür klangen sie ihm, vielleicht weniger zugeschliffen, aber der Sache nach kaum glimpflicher bereits von den Zeitgenossen, und zwar gerade auch von Seiten seiner eigenen literarisch interessierten und mitproduktiven Freunde gelegentlich in die Ohren. Auch das sei mit einem Beispiel belegt: Berühmt, und um seiner Überschwenglichkeit willen auch ein »

Lact, divinarum institutionum IIb. 3, 14, 17 f. (schließt auch das gleich folgende Laktanz-Zitat ein).

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wenig berüchtigt wurde schon bald nach dem Erscheinen der „Tusculanen" jener Hymnus an die Philosophie, der im Guten oder Unguten immer wieder zitiert zu werden pflegt, ja so oft apostrophiert wurde, daß viele sich einfach damit begnügen, das Stichwort dafür zu geben: O vitae philosophia dux, um dann abzubrechen. Es sollte mich freuen wenn ich auch hier Eulen nach Athen trüge, aber - sicher ist sicher ich führe das Ganze an". Da ist zunächst die Rede von der Autarkie der virtus, welche „alles, was je über den Menschen hereinbrechen kann, damiederhält" - omnia, quae cadere in hominem possunt, suhter se habet - ; „sie schaut aus ihrer Höhe darauf hinab, verachtet die Zufälle des Menschenlebens und, frei von aller Schuld, ist sie der Überzeugung, daß einzig und allein sie selbst und sonst nichts auf der Welt zu ihr in einem Bezug stehe" - eaque despiciens casus contemnit humanos culpaque omni carens praeter se ipsam nihil censet ad se pertinere - . Nun, das sind stoische Klänge, dem Römer waren sie ebenso wohlgefällig wie sie dem modernen Ohr fragwürdig vorkommen, es ist das horazische" si fractus illahatur Orbis, impavidum ferient ruinae, das ja auch heute, wenn überhaupt, so nur nach sorgsamster Vorbereitung einem jungen Menschen zugemutet werden kann, wenn man ihn gewinnen und nicht vor den Kopf stoßen will. Und so geht es denn bei Cicero auch weiter: Für denjenigen, der wahrhaft weise wäre, gäbe es kein Übel, und alles Menschenleid wäre dann nichts als Menschenschuld - womit ein platonischer Gedanke modifiziert erscheint: „Die Schuld ist des Wählenden, der Gott ist unschuldig"" - , und Cicero fährt fort: „Wir jedoch mehren nur alles Widrige, wenn es sich naht, durch Furcht, wenn es aber da ist, durch unsere Traurigkeit; jedoch ist es uns lieber, die Schöpfung zu verdammen als unseren eigenen Irrtum": Nos autem omnia adversa cum venientia metu augentes, tum maerore praesentia rerum naturam quam errorem nostrum damnare malumus. Und daran fügt sich dann, fast unvermittelt, jener hymnische Anruf: „O Philosophie, du Führerin

" "

Cic. Tusc. 5, 5. Hör. c. 3, 3, 7 f. Fiat. rep. 10, 617 e: atxla IXon^vou" es6{ Ävalxios.

Cicero

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des Lebens, du Fährtensucherin alles Tüchtigen und Austreiberin aller Laster. Was hätte denn aus uns, was überhaupt aus dem Menschengeschlecht ohne dich Rechtes werden können? Du hast die Städte werden lassen, du hast die Menschen aus der Zerstreuung in die Gemeinschaft des Lebens berufen, du hast sie miteinander zuerst durch Heim und Herd, dann durch den Ehebund, dann durch die Geselligkeit von Bildung und Gespräch verknüpft, du bist die Finderin der Gesetze, du die Lehrmeisterin der Gesittung und aller Zucht und Ordnung geworden. Bei dir finden wir Zuflucht, bei dir suchen wir Hilfe, dir geben wir uns, wie schon zuvor zum großen Teil, so jetzt ganz und gar in Obhut. Es ist aber ein einziger Tag, wohl zugebracht im Gehorsam gegen deine Unterweisung, mehr wert als eine töricht-sündhafte Unsterblichkeit. Wessen Macht sonst sollten wir uns eher zu nutze machen als die deine, die du uns inneren Frieden im Leben geschenkt und den Schrecken des Todes von uns genommen hast?" Davon ist, wie sich ins einzelne zeigen ließe, fast jeder Satzteil topisch geworden, der Pietismus hat davon gezehrt - wenn in dem bekannten Choral „Wer nur den lieben Gott läßt walten" steht: „Wir machen unser Kreuz und Leid nur größer durch die Traurigkeit", so hat Georg Neumark (1657) damit nur Giceros omnia adversa augentes maerore „übersetzt""; vor allem der deutsche Idealismus hat von daher seine Motive bezogen: Es wäre schön, wenn Sie schon von sich aus gleich die Gedankenbrücke geschlagen hätten zu Schillers Preislied auf die „heiige Ordnung" als auf die Himmelstochter, die das gleiche Frei und leicht und freudig bindet.

In der 6. Strophe des gleichen Liedes ist wiederum ein antikes Modell variiert: „ . . . und ist dem Höchsten alles gleich, Den Reichen arm und klein zu machen, Den Armen aber groß und reich. Gott ist der rechte Wundermann, Der bald erhöhn, bald stürzen kann"; vgl. Hör. c. 1, 34, 12 ff.: . . . valet ima summis mutare et insignem attentuat deus, obscura promens. . . Zur Topik vgl. O. Seel, Eiresione. Ein griechisches Lesebuch. Text und Kommentar, Stuttgart 1957, Kommentar S. 80 (zum Textband S. 120 ff., „Poesie" Nr. 108-119); das ist nur ein typisches Beispiel für den weitreichenden Einfluß antiker philosophischer Moralistik auf die religiöse Dichtung von Barock und Pietismus.

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und so weiter, fast Punkt für Punkt ciceronisch sich fortsetzend - nun, Sie kennen dies, aber bald wird man es nicht mehr kennen, wenigstens wenn es nach dem Willen eines Verlages, der immerhin einen Namen zu verlieren hat, und eines überaus preisgekrönten Poeten unserer Tage geht, welche bekanntlich dieses „Lied von der Glocke" der Aufnahme in eine Neuausgabe von Schillers Werken nicht mehr wert befunden haben". Aber wir sind uns den ciceronischen Urtext noch schuldig, der ist ohnehin wichtiger als unsere Marginalien darüber; also: O vitae philoso'phia dux, o virtutis indagatrix ex'pultrixque vitiorum! quid non modo nos, sed omnino vita hominum sine te esse potuisset? tu urhis peperisti, tu dissipatos homines in societatem vitae convocasti, tu eos inter se primo domiciliis, deinde coniugiis, tum litterarum et vocum communione iunxisti, tu inventrix legum, tu magistra morum et disciplinae fuisti; ad te confugimus, a te opem petimus, tibi nos, ut antea magna ex parte, sie nunc penitus totosque tradimus. est autem unus dies hene et ex praeceptis tuis actus peccanti immortalitati anteponendus. cuius igitur potius opibus utamur quam tuis, quae et vitae tranquillitatem largita ndbis es et terrorem mortis sustulisti? Was wir zuerst wahrnehmen, ist die hymnische Hochstilisierung, welche freilich den modernen Menschen weniger überwältigt als eher argwöhnisch macht. Aber beachten Sie zugleich das Mittel eigenwillig gewagter und unüblicher Kopulierung unüblicher substantivischer Wortbildungen: indagatrix, expultrix, inventrix: Eben daran hängt sich jener befreundete Kritiker an, von dem die Rede sein sollte: Es ist kein anderer als der bekannte Cornelius Nepos, der, gewiß ein sehr viel engerer Kopf, aber von der sachlichen Nüchternheit eines Normalrömers, sich durch so viel gläubigen Überschwang auch schon nicht so sehr erbaut als vielmehr provoziert fühlte und in einem Brief, der ausgerechnet an Cicero selbst gerichtet war, das Folgende schrieb: „Weit gefehlt, daß ich die Philosophie für eine Lehrmeisterin des Lebens hielte oder gar für die Vollenderin eines glückseligen Lebens,

Insel-Verlag, Schillers Werke, 3. Band, Gedichte, ausgewählt von Hans Magnus Enzensberger, Frankfurt/M. 1966.

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sondern ich meine sogar im Gegenteil, kein Mensch hätte einen Lehrmeister des Lebens nötiger als die meisten von denen, die mit spekulativen Erörterungen darüber ihre Zeit vertun, Was ich sehe, ist vielmehr dies, daß ein erheblicher Teil derjenigen, die in schulgerechter Systematik mit äußerstem Scharfsinn über Zucht und Sitte und Selbstkontrolle weise Lehren verkünden, selbst für ihre Person in allen Begierden und Lüsten ihr Leben dahinbringen." Solcher schon zeitgenössischer Kritik hat es zweifellos mancherlei gegeben, ja sie entspricht wohl der durchschnittlichen Haltung des Römers - des einfachen Mannes ohnehin, aber auch des Mannes von Stand und Rang - , auch dieses Fragment kennen wir nur durch einen baren Zufall, nämlich deswegen, weil eben derselbe Kirchenvater, Laktanz, es in dem schon berührten Zusammenhang zitiert"». Da heißt es also: JSIepos quoque Cornelius ad eundem Ciceronem ita scrihit: Tantum ahest, ut ego magistram fuiem esse vitae philosophiam heataeque vitae perfectricem, ut nullis magis existimem opus esse magistros vivendi quam plerisque, qui in ea disputanda versantur. video enim magnam partem eorum, qui in schola de pudore et continentia praecipiant argutissime, eosdem in omnium lihidinum cupiditatihus vivere. Freilich, was bei Nepos einigermaßen trivial und flach erscheint, wird von Laktanz in ungleich viel schärferer Konzentration und Vehemenz aufgenommen; wörtlich: „Deine eigenen Schriften widerlegen dich ja und zeigen, daß nichts von der Philosophie für's Leben gelernt werden kann. Denn das Folgende sind ja deine eigenen Worte: ,Mir jedoch kommt vor, wir seien nicht nur für die Weisheit blind, sondern sogar für das, was an sich wenigstens stückweise gesehen werden kann, blicklos und stumpf ": Das sind also Worte Ciceros selbst, die hier gegen ihn aufgeboten werden. Dabei glaubt freilich der Kirchenvater etwas bewiesen zu haben, was für seine eigene Position eine zwiefach mißliche Konsequenz hat: Einmal gerät er auf diese Weise in einen radikalen Agnostizismus, der das Christentum selbst und die gesamte frühchristliche Theologie und Apologetik ebenso trifft wie die heidnische Philosophie, und zweitens entgeht ihm offenbar durchaus, daß i'a Lact, divinarum institutionum lib. 3, 15, 10.

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die spezielle Zielrichtung seiner Cicerokritik sich ebenso gut gegen das wendet, was ein Jahrhundert nach Cicero ein ganz anderer sagen sollte": „Denn unser Wissen ist Stückwerk und unser Weissagen ist Stückwerk; . . . . Wir sehen jetzt durch einen Spiegel in einem dunklen Wort . . . . Jetzt erkenne ichs stückweise: Ix [Jiepous y^P yiyvt&axoiJiev xal Ix [A^pous npo Plut. Cic. Kap. 5. 8» Kap. 24. " Kap. 8; 9; 36; 52. Kap. 37. Kap. 22 f. Kap. 26 f.; 50. Dahinter steckt vielleicht die Witzsammlung des Tiro. 85 Kap. 29, 3 f.; vgl. 20, 3. 8« Kap. 19; 47. 8' Kap. 51; 53-54.

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im bürgerlichen Sinne. Im ganzen sieht ihn Plutarch mit livianischen Augen": einen Menschen von relativer Größe, dem viel Menschliches vertraut und Humanität und Patriotismus Lebensinhalt war; zudem war er ein homme de lettres®' wie Plutarch selbst. Kein Zweifel, daß Plutarch in diesem Cicero einen Verwandten seiner eigenen Natur gesehen und gezeichnet hat. Es ist nun eigenartig, daß dieses ansprechend gezeichnete Cicerobild offenbar nicht in die beiden großen Darstellungen römischer Geschichte des 2. und 3. Jh, eingegangen zu sein scheint, in Appians TtonalxÄ und Cassius Dios 'Pw|iatxY) bxopia. Beide sind trotz gemeinsamer Themen und vergleichbarer soziologischer Ausgangsposition der Verfasser recht verschiedene Werke. Appian gibt sich nüchtern, im Rhetorischen zurückhaltend, im Urteil unabhängig, in der Darstellung von Einzelheiten selektiv, oft schwankend. Bei genauerem Zusehen entpuppt er sich als ein Mann, der selten Sympathien, oft Antipathien folgt, unter der Maske der Objektivität kleine und große Fälschungen, Umstellungen, Austausch von Personen u.dgl. begeht, seine Quellen so geschickt verbirgt, daß ihre Aufdeckung bis heute nicht gelungen ist", und vortreffliches Material fast fugenlos mit Erfindungen verknüpft, die er selbst oder seine Quelle (nachweislich hat er nur lateinische Quellen benutzt) eingefügt hat, um einer Tendenz zu dienen. Soweit solche Entstellung der Wahrheit im Zusammenhang mit der Rolle Ciceros in der römischen Innenpolitik steht, dient sie - das hat schon vor 70 Jahren Eduard Schwartz ausgesprochen®' - stets der Verunglimpfung des Redners und Politikers. Schon die erste Einführung Ciceros als dvrjp rjSiaxo; etTieiv xal prjTopeOaai, ein Schönschwätzer, der als Neuling in der Nobilität Livianisch ist auch der Gedanke otxitoai xtj < ä v > ävSpa ... (peÖYO'^t'* t^v eävaxov xal änoxpuTtxöjievov Toiig O Ö TCOXÖ npb x i l s qpöoeü); ijxovTaj in' aixdv, vgl. oben S. 176. Kap. 2; 40. Grundlegend noch immer E. Schwartz, R E II 216 ff., für die unseren Gegenstand betreffenden Abschnitte bes. 229 ff.; die Analysen von W. Soltau, Philol. Suppl. VII, 1899, 593 ff., und E. Kornemann, Klio 17, 1920, 33 ff., sind nicht wesentlich darüber hinausgekommen. Schwanz a.O. 229 f.; 234.

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den Spott eines Catilina zu dulden hatte'^ ist eher süffisant als objektiv, umso mehr, als Appian die Rolle Ciceros in seinem Konsulat dann auf ein Minimum reduziert. Dafür malt er hernach die würdelose und schwächliche Haltung Ciceros im Jahre 58 breit aus, als er der Angeklage durch Clodius mit freiwilliger Flucht aus Italien zuvorkam. „Er, der als Konsul den starken Mann gespielt hatte, verfiel jetzt nicht nur dem Mitleid, sondern der Lächerlichkeit, und der in so vielen fremden Prozessen glanzvoll aufgetreten war, stürzte durch einen einzigen eigenen Prozeß in die äußerste Verlegenheit"". Der Antrag auf Amnestie der Caesar-Mörder, den Cicero am 17. März 44 im Senat gestellt hat'S wird bei Appian so mitgeteilt: uoXü Tfii; dciiVYja-ctas lyxfbixiov litdXsyev („er fügte eine große Lobrede über die Amnestie hinzu")"^. In einer chronologisch schwer entwirrbaren Stelle"", die sich im ganzen wohl auf den 1. August 44 bezieht, behauptet Appian, Cicero sei durch anhaltendes Lob des Antonius daran mitschuldig geworden, daß dieser sich ungestraft mit einer Garde umgeben konnte (dies wieder bezieht sich auf Vorgänge im Frühjahr 44, als Cicero gar nicht in Rom war). Immer wieder ist Appian bemüht, den Kontrast zwischen der wahren Lage und Ciceros lächerlicher Verkennung seiner Möglichkeiten herauszuarbeiten''. Auch am Tag seiner Ermordung erscheint er nur hilflos und passiv"; das Entsetzen und die Trauer der Stadtbevölkerung, sonst ein stereotypes Glied der Berichte, wird verschwiegen. Hier diktiert unverhohlene Animosität" die Töne und Untertöne eines geschichtlichen Berichtes; sonderbar genug, da dessen Verfasser civ. 2, 2. »» civ. 2, 55 f. Vgl. Gass. Dio 44, 23 ff.; Geizer, RE VII A 1032. »5 civ. 2, 593; dazu Schwanz a.O. 229. Anders Gass. Dio a.O.; s. unten S. 195. civ. 3, 11. Vgl. F. Miltner, RE XXI 2218. Zum Beisp. civ. 82; 89; 91-94. Eine typische Kleinigkeit: In den üblichen Darstellungen bietet Cicero dem Mörder sein Haupt; bei App. civ. 4, 19 f. zerrt es Laenas aus der Sänfte heraus. »» Der Vorwurf der Fälschung eines Senatsbeschlusses durch Gic. im Jahr 63 (civ. 3, 252) könnte allerdings auf Unkenntnis der protokollarischen Usancen beruhen; vgl. E. Gabba, Studi class. e Orient. 10, 1961, 89 ff.

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mit dem nämlichen Fronto befreundet war, der seinem fürstlichen Zögling das Studium Ciceros nicht warm genug ans Herz legen konnte. Und noch merkwürdiger, daß dieselbe Animosität gegen Cicero noch einmal bei dem letzten großen Gesamtdarsteller der römischen Geschichte, C a s s i u s D i o C o c c e i a n u s , zu begegnen scheint, der in 80 Büchern die Zeit von Aeneas bis 229 n. Chr. erzählte, ohne sich in die Abhängigkeit von Appian zu begeben. Will man ermessen, wie Cassius zur Wahrheit steht, so muß man zunächst bedenken, daß er in erster Linie kunstvolle Erzählung bieten und darin seine Hauptvorbilder Thukydides und Livius übertreffen wollte. Die Mittel dazu sind die altbekannten: Kontrastreiche Schilderungen, frei erfundene Gespräche und Reden"", in denen sich Zusammenhänge andeuten und Urteile unterbringen lassen, die andernfalls die Erzählung durchbrechen würden. Sieht man von den rhetorischen Fiktionen ab, so darf man ihn allerdings als einen im ganzen redlichen Nacherzähler ansehen. Die Herausarbeitung von Charakteren tritt freilich nur in den späteren Partien des Werkes hervor; für die republikanische Zeit wird sie kaum ernstlich versucht"'. Und hier bildet ausgerechnet Cicero die große Ausnahme. Seine Person wird mit ungewöhnlichem Interesse angeleuchtet, und ihr Anditz trägt, so scheint es gelegendich, krass negative Züge. Ich muß mich hier kurz fassen und darf auf das einschlägige Kapitel in dem neuen Cassius-Dio-Buch des Engländers Fergus Millar^"^ verweisen. Vieles, was uns bei Appian begegnet ist, kehrt bei Cassius Dio wieder, jedoch greller beleuchtet, und anderes kommt hinzu. Vor allem sind es zwei besonders bezeichnende, auch für die Arbeitsweise des Geschichtsschreibers charakteristische Partien, die für diesen von Miliar stark unterstrichenen Eindruck verantwort-

'«» Ein Verzeichnis der Reden bei Schwartz, RE III 1718 f.; vgl. auch E. Kyhnitzsch, De contionibus, quas Gass. Dio historiae suae intexuit, cum Thucydide comparatis, Diss. Leipzig 1894. Vgl. Christ-Schmid 2, 2, 798; Schwanz a.O. 1716 (dort auch einige Aus nahmen). '»2 F. Miliar, A Study of Cassius Dio, Oxford 1964, 46 ff. Über die Rolle Ciceros bei Cassius Dio: Miliar, MH 18, 1961, 15 ff. — Vgl. auch ZieliAski a.O. 280 ff.; E. Gabba, Rivista Storica Italiana 69, 1957, 317 ff.

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lieh gemacht werden; ich will sie kurz anführen und an ihnen prüfen, ob er standhält. Die erste Szene ist die mehrtägige Senatsdebatte in den ersten Tagen des Jahres 43, in der Cicero vergebens durchzusetzen versucht, daß Antonius zum hostis erklärt wird"". Cassius Dio ist sich durchaus bewußt, daß hier eine Entscheidung von großer Tragweite fällt, und baut die Szene entsprechend aus. Die beiden großen Reden, auf die es ankommt, jeweils ein halbes Buch füllend, sind Glanzstücke der zweiten Sophistik"^. Bei der Rede Ciceros hatte es der Darsteller leicht: er kompilierte die wesentlichen Topoi der ersten acht philippischen Reden (bes. Nr. 2, 3 und 5) und hatte damit, was er brauchte, ohne die innere Wahrheit zu verfehlen. Aber die Gegenrede des Q. Fufius Calenus? Es gab sie nicht, sie mußte ganz frei aufgebaut werden"', und Cassius tat es mit Hingabe und ausführlich in 28 Kapiteln (17 Druckseiten der Ausgabe von Boissevain). Es ist eine wahrhaft umfassende Vernichtungsrede gegen Cicero geworden, die sich nicht auf die politischen Argumente beschränkt, sondern in Form einer riesigen Scheltkanonade alles und jedes an Ciceros Person, Charakter und Leistung niederreißt, von seiner angeblich proletarischen Herkunft und Erziehung an über seine angeborene Unzuverlässigkeit, Streitsucht, Intriganz, Scheelsucht, Spottlust, Verleumdungswut, Egozentrik, Besserwisserei, seine angebliche Unfähigkeit, auch nur ein paar Sätze öffentlich zu sprechen („Das Vorbereitete vergißt du, aus dem Stegreif bringst du nichts heraus"), sein völliges Versagen in jeder Phase seines Lebens, bis zu einer Einzelaufrechnung der Handlungen '»ä 45, 18-46, 28. — Der Ansatz der Entscheidungsdebatte auf diesen Zeitpunkt stimmt mit app. civ. 3, 52 ff. überein, verschiebt aber die Gewichte der tatsächlichen Ereignisse; vgl. Schwartz a.O. 1718. Tatsächlich wurde ein Rededuell gehalten, und zwar die Rede Cicefos am 1. Januar, die Gegenrede, die zur Ablehnung der Anträge Ciceros führte, am 3. Januar, und zwar nicht von Antonius, der abwesend war, sondern von einem seiner Parteigänger. Bei Appian ist es L. Calpurnius Piso Caesonianus, bei Cassius Dio Q. Fufius Calenus. Wer sie wirklich hielt, ist ungewiß; F. Münzer, RE III 1390, hält eine Rede Pisos für sicher, möchte aber RE VII 206 auch eine Rede des Calenus nicht ausschließen. Daß hierbei die 2. Philippica Motive liefern konnte, liegt nahe; aber dies betrifft nur einen bescheidenen Teil ihres Inhalts. — Eine Interpretation der Rede gibt A. Kurfeß, Mnem. 41, 1913, 148 ff.

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Ciceros, die (gewöhnlich im Vergleich zum Verhalten des Antonius) Stück um Stück als Beweise von Feigheit, Bosheit, Dummheit, Hinterlist usw. gedeutet werden, während alles, was Antonius getan hat, als korrekt, gesetzlich und überdies im Sinne Octavians ausgelegt wird. Dazwischen schieben sich rüde Beschuldigungen bezüglich der privaten Lebensführung, der angeblich höchst anrüchigen FamilienVerhältnisse Ciceros, seines Verhältnisses zu Alkohol und Frauen, usw. - kurz, eine Invektive, deren Charakter mit nichts vergleichbar ist, was bei irgendeinem Historiker steht, wohl aber mit derjenigen in gewissen Gedichten des Catull oder Ovid oder Martial, und vor allem mit jener viel früheren Invektive gegen Cicero selbst, die unter dem Namen Sallusts überliefert ist und jedenfalls noch in die Zeit der Republik gehört, aber ihrer Herkunft nach ein Streitobjekt erster Ordnung ist, so daß ich hier nicht mehr darüber sagen wdll, als ich schon gesagt habe'"'. Im ganzen wird die sog. Sallust-Invektive von der Calenus-Rede beträchtlich übertroffen, denn diese ist umfassender und in ihrem ständigen Wechsel von hämischem Spott und scheinbar sachlichem Ernst viel gekonnter"'. Daneben eine zweite Szene, ernst, intim, von ruhiger Besinnlichkeit: Cicero im Exil. Er ist von tiefer Trauer erfüllt, die ihn nahe an den Selbstmord führt; da stößt zufällig ein Philosoph namens Philiskos zu ihm, macht ihm Vorhaltungen wegen seiner weibischen Haltung, die im Widerspruch zu seiner Bildung stehe, und hält eine 106 ^ i e vertrackt das Problem ist, lehrt vielleicht am eindringlichsten die lange Reihe der Arbeiten von A. Kurfeß von 1913 bis 1958, zuerst gegen, dann für, dann wieder gegen die Echtheit der Schrift. Über den gegenwärtigen Stand der Frage orientiert man sich jetzt am besten anhand der antipodischen Behandlungen neuesten Datums von K. Büchner, Sallust, Heidelberg 1960, 20 ff., und R. Syme, Sallust, Berkeley and Los Angeles 1964, 314 ff. Ich selbst bekenne, zu den Ungläubigen zu neigen. 10' Den Zusammenhang zwischen der Rede und der ps.-sallustischen Invective hat schon Zielinski a.O. 281 richtig beurteilt; dort eine ausführliche Behandlung der Cic.-Karikatur im Altertum (übernommen aus der Festschr. des Philol. Vereins zu München, 1905). Die Annahme, daß sich die Cic.Karikatur im wesentlichen aus Asinius Pollio stütze (ebd. 285 nach dem Vorgang von M. Büdinger, vgl. H. Haupt, Phüol. 43, 1884, 679 ff.), ist weder beweisbar noch sehr wahrscheinlich. Die „zornigen" Urteile PoUios (Sen. contr. 4. praef. 3) waren Stilurteile.

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lange Trostrede"® -reepi cpuyf]^ von der Art, die uns in Senecas 12. Dialog begegnet. Was aber bei Seneca die Form eines Sendschreibens aus der Verbannung hat, der die Einwendungen der Mutter vorwegnehmend einschiebt, das ist hier ein echter Dialog, in dem der Philosoph den aus seiner Welt verstoßenen Politiker, der nun der Stärke des Philosophen bedarf, mit den Argumenten der Weisheit ausstattet, um die seelische Krise zu überwinden. Es gibt für diese Szene keine Andeutung in der gesamten CiceroTradition; auch die Person des Philiskos kennen wir nicht. Der ganze Vorgang ist zweifellos frei erfunden. Er hat aber auch keine Funktion, um irgendeinen historischen Vorgang zu motivieren. So fragt Miliar mit Recht: wozu erfunden? Seine Antwort: zu keinem anderen Zweck, als um Ciceros unphilosophische Schwäche herauszustellen. Beide Szenen sollten sich in der Absicht, Cicero im ungünstigen Licht erscheinen zu lassen, ergänzen. Hinzu kommen noch einige bekannte Tatsachen wie Ciceros Unbeliebtheit bei vielen Leuten"' oder seine Angst bei der Verteidigung des Milo"". Aber es gibt daneben auch Anderes: ein (etwas zurückhaltendes) Lob für die Überwindung des catilinarischen Aufstandes'", das Auftreten Ciceros als Versöhner der Parteien in seiner Rede für die Amnestie"^, die Betonung der Grausamkeit und Unwürdigkeit seines Todes"' durch einen gedungenen Mörder, dessen Wohltäter er gewesen war'". Gewiß, nicht alles an diesem Cicero ist groß, aber auch nicht alles verächtlich, und die Calenus-Rede deckt sich, aufs Ganze gesehen, keineswegs mit dem von Cassius Dio intendierten Bild. Sie ist überhaupt nicht CiceroKritik des Autors, sondern Nachbildung einer bereits bekannten Cicero-Karikatur, der die Absicht böswilliger Verzerrung und Ver38, 18-29. Dazu Miliar a.O. 47 ff. 38, 12, 4 ff. Vgl. Plut. Cic. 5, 6; 24; 27, 1. »» 40, 54, 1 ff. (von Calenus erwähnt: 46, 32, 3 f.); vgl. Plut. Cic. 35. 37, 34, 1. 44, 23-33; Miliar, a.O. 51, erklärt dies mit dem Interesse des Cassius Dio am Problem der concordia partium; es ist aber schwer einzusehen, weshalb sich dadurch eine grundsätzliche Aversion gegen Cicero vorübergehend mildern sollte. 47, 8, 3 ff. 47, 11, 2.

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leumdung im Gesicht geschrieben steht. Cassius kann sie selbst nicht ernst genommen haben und von keinem Leser erwartet haben, daß er sie für bare Münze nehme - im Gegenteil: sie soll den Schmähredner Calenus als solchen zeichnen; das grelle Übermaß gerade rettet Ciceros Bild; Calenus steht beispielhaft für den grenzenlosen Haß der Gegner, die ihn umgaben; seine Rede bereitet auf dramatische Weise das Ende Ciceros vor. Sie ist die Meisterleistung eines Rhetors, der den Kampf der politischen Kräfte im Duell der Reden lebendig werden läßt. Nicht weniger eindrucksvoll präsentiert sich im Philiskos-Gespräch der literarisch bewanderte und dialektisch geschulte Schriftsteller, der, ganz im Sinne einer romanhaft gestalteten Geschichtserzählung, eine typische Situation eines bedeutenden Menschenlebens zum Anlaß für einen Dialog macht, der nicht nur von Cicero so erlebt sein k ö n n t e , sondern zugleich eine für jeden nachdenkenden Leser selbst gültige Erörterung enthält. Wenn man will, kann man die Gestalt des Philiskos als Ciceros alter ego verstehen; es ist sein eigenes philosophisches Gewissen, das mit ihm redet und seiner menschlichen Verzagtheit in scheinbar auswegloser Lage zu Hilfe kommt. Wenn diese Deutung richtig ist, hat Cassius Dio mit diesem Dialog drei Jahrhunderte vor Boethius dessen großen literarischen Wurf auf seine Weise vorweggenommen: das Gespräch zwischen Philosophia und dem schuldlos Eingekerkerten, der seinem Tod entgegenblickt. Er fügt sich damit in einen ehrwürdigen Zusammenhang, der neben Seneca und Boethius durch Namen wie Teles, Musonius, Plutarch und andere gekennzeichnet wird'". Miliar konstatiert, das Cicero-Bild des Cassius Dio sei eine Fehlleistung, vielleicht die größte in seinem Werk. Das wäre erstaunlich bei einem Autor, der sich sonst so weitgehend an seinem Livius 115 Darüber einiges bei F. Klingner, De Boethii consolatione Philosophiae, Berlin 1921, 12 ff.; J. R. Berrigan, 'Consolatio Philsophiae' in Cassius Dio, CI. BuU. 42, 1966, 59 ff.; ferner soeben K. Abel, Bauformen in Senecas Dialogen, Heidelberg 1967, 53, der ebenfalls die Philiskos-Szene hier einreiht (Anm. 18). Noch nicht zugänglich war mir P. Courcelle, La consolation de philosophia dans la tradition litteraire. Antecedents et posterite de Boece (1967).

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orientierte, wie Schwartz es nachgewiesen hat"'. Ich glaube nicht, daß Millars Deutung zu recht besteht. Der Cicero des Cassius Dio ist kein anderer als der des Livius, d.h. der mit gemäßigter Kritik wiedergegebene Cicero des Asinius Pollio, und demjenigen des Plutarch durchaus verwandt. Ein höchst menschliches Bildnis hat sich somit über die Jahrhunderte behauptet; die Aversion, die Appian beherrscht, ist episodisch geblieben; sie hat sich nicht durchgesetzt. Doch scheint gerade die letzte große Darstellung der römischen Revolutionszeit eindringlicher als jede frühere zu bezeugen, in welchem Maße dieser eigentümlich oszillierende Mensch mit seinen Stärken und Schwächen, seinen liebenswerten und beklagenswerten Eigenschaften, seinem Glanz und seiner tiefen Verlassenheit die nachgestaltende Phantasie zu exemplarischer Profilierung des Menschlichen überhaupt — auch des Allzumenschlichen — über das geschichdich Occasionelle hinaus anzuregen vermochte.

Schwartz a.O. 1697 ff.; die Benützung des Livius ist im übrigen eines der wenigen sicheren Resultate der Quellenforschung zu Cassius Dio; vgl. M. Platnauer, Fifty Years of Classical Scholarship, Oxford 1954, 175 f.; Miliar a.O. 34 f. Cicero

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Cicerostudien in der Romania im 1 5 . und 1 6 . Jahrhunderti von C. JOACHIM CLASSEN, Berlin

I. Plutarch

berichtet

bekanntlich

gegen

Ende

seiner

Biographie

Ciceros (49, 5), Augustus habe einmal einen seiner Enkel bei der Lektüre eines verbotenen Buches überrascht, das dieser vergeblich zu verbergen versucht habe. D e r Kaiser habe es hervorgezogen, ein W e r k Ciceros, ein gutes Stück davon im Stehen gelesen u n d es dem Jungen zurückgegeben mit einer anerkennenden

Bemerkung über

Ciceros

Redekunst u n d Vaterlandsliebe. Petrarca berichtet^ sein Vater, ein Ciceroverehrer, habe zunächst '

Auf ausführliche Literaturangaben kann verzichtet werden, da die meisten zusammenfassenden Darstellungen und Monographien ebenso wie die Editionen verzeichnet sind bei E. Garin, Geschichte und Dokumente der abendländischen Pädagogik, 3 Bde., Reinbeck 1964—67 (zu Gesamtdarstellungen der Renaissance und des Renaissanceproblems vgl. H. Hornik, Studies in the Renaissance 7, 1960, 43 ff.). Ergänzend ist hinzuweisen (zum Problem der imitatio) auf R. Sabbadini, Storia del Ciceronianismo, Turin 1885; R. Scott, The Controversy over the Imitation of Cicero as a model for style, Diss. phil. New York 1910; O. Gmelin, Das Prinzip der Imitatio in den romanischen Literaturen der Renaissance, Romanische Forschungen 46, 1932, 83 ff.; (zum Sprachverständnis) auf K. O. Apel, Die Idee der Sprache in der Tradition des Humanismus von Dante bis Vico, Archiv für Begriffsgeschichte 8, 1963; (zum Nachleben Ciceros) auf Th. Zielinski, Cicero im Wandel der Jahrhunderte, 3. Aufl. Leipzig 1912. " Vgl. Epist. rer. senil. 15, 1 {Opera omnia, Basel 1554, Bd. 1, 1046 ff.), dazu G. Voigt, Die Wiederbelebung des classischen Alterthums, 3. Aufl. Berlin 1893, Bd. 1, 26 und W . Rüegg, Cicero und der Humanismus, Zürich 1946, 7 ff.

Cicerostudien in der Rotnania

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seine eigene Cicerobegeisterung gefördert. Eines Tages aber sei es zu einer Auseinandersetzung gekommen, und der Vater habe alle Schriften antiker Autoren ins Feuer geworfen, weil sie den Sohn von seinen juristischen Studien abhielten. Schließlich habe er ihm zwei Bände gelassen: Vergil und von Cicero nur die Rhetorik, jenen zu gelegentlicher Erholung, diese als Hilfe beim Rechtsstudium. Immer wieder sind Ciceros Werke auf Ablehnung gestoßen, besonders seine Reden, auf die ich mich im folgenden weitgehend beschränken muß. Immer wieder haben sie sich trotz allem durchgesetzt; doch ebenso wie sich die Gründe der Ablehnung gewandelt haben, ebenso sind die Formen der Neubelebung des Interesses am Studium der Reden Ciceros verschieden gewesen. Griffen die Attizisten Cicero schon zu Lebzeiten wegen seines vielseitigen, oft allzu lauten stilistischen Instrumentariums an, so ward eine ähnliche Kritik zur Zeit Oktavians durch den Historiker und Dichter Asinius Pollio und seinen Sohn Asinius Gallus geäußert. Dieser Strömung entspricht es, daß die Lektüre Ciceros, dessen Reden, als Vorbild für die Jugend publiziert {Att. 2, 1, 3), rasch im Schulkanon Aufnahme finden', in den ersten Jahren des Prinzipats offiziell mißbilligt wird; nur Livius bleibt dem großen Meister treu. Der Höhepunkt dieser Entwicklung, die von Ciceros stilistischen Idealen fortführt, wird durch Seneca erreicht - eine Generation später schlägt das Pendel zurück: Quintilian schließt sich in Theorie und Praxis wieder eng an Cicero an. Entscheidend für die Rolle, die Cicero über Jahrhunderte hin in der Bildung der Jugend zu spielen - oder nicht zu spielen - vergönnt ist, und für den Einfluß, den seine Werke auszustrahlen vermögen, sind jedoch nicht einzelne Moderichtungen. Es ist die allgemeine Entwicklung der Bildung, gegen Ende der Spätantike der Verfall des Bildungswesens, oder, wie man heute sagen würde, die Schulreformen, d.h. der unaufhaltsame Rückgang der Kenntnisse und Fähigkeiten, das Schwinden des Interesses an formaler Kunst und Schönheit, ja '

Vgl. H. I. Marrou, Geschichte der Erziehung im klassischen Altertum, dt. Übers. Freiburg u. München 1957, 407; M. L. Clarke, Rhetoric at Rome, 2. Aufl., London 1966.

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sogar an Korrektheit der Sprache. Gregor von Tours, bei dem, wie eine zusammenfassende Übersicht kürzlich sagte, „das syntaktische Gefüge des Spätlatein noch weitgehend gewahrt ist"*, bekennt freimütig: „Sum sine Utteris rhetoricis et arte grammatica." Auch solcher Tiefstand wird überwunden, es kommt zu einer, ja mehreren Blütezeiten, die man nicht immer glücklich „Renaissancen" nennt. Bald setzen sie fast unvermittelt ein (wie an der Wende vom achten zum neunten Jahrhundert), bald entfalten sie sich langsamer, wie die Wiederentdeckung der Antike nach 1000, die in der Renaissance des 12. Jahrhunderts ihre Krönung findet. Diesen Wellenbewegungen kann hier im einzelnen nicht nachgegangen werden; doch da man früher geneigt war, vom „dunklen Mittelalter" zu sprechen, diese Zeit einseitig zu betrachten und pauschal geringzuschätzen, verdient zweierlei ausdrücklich betont zu werden; einmal, daß die Vertreter der Stadtstaaten Italiens schon früh die Ideale des republikanischen Rom wiederentdecken, nicht zuletzt das des gebildeten Politikers, wie es Cicero in „De oratore" entwirft'; zweitens daß es „zu allen Zeiten im Mittelalter namhafte Männer gegeben hat, die sich über die Vorurteile der grossen Masse hinwegsetzten und mit den antiken Autoren, den Vertretern einer im wesentlichen überwundenen Weltanschauung, freien Sinnes verkehrten"'. Speziell im Hinblick auf unser Thema heißt das etwa, daß Gerbert von Reims um 980 Ciceros sonst weitgehend vergessene Reden nicht nur sucht und sammelt, sondern auch ihr Studium in seinen eigenen Reden deudich spürbar werden läßt'. Vor allem aber werden Muster*

5 • '

F. Brunhölzl im Lexikon der Alten Welt, Zürich 1965, 1686. Das folgende Zitat stammt aus der Einleitung des „Liber de gloria", Migne PL 71, 829/30; Gregor läßt sich dort anreden als einer „qui nomim discernere nescis; saepius pro tnasculinis feminea, pro femineis neutra, et pro neutris mascuUm commutas, qui ipsas quoque praepositiortes quas nobilium dietatorum observari sanxit auctoritas, loco debito plerumque tton locas. Nam pro ablativis accusativa, et rursum pro accusativis ablativa ponis". R. R. Bolgar, The Classical Heritage and its Beneficiaries, Cambridge 1954, 137 f. E. Norden, Die antike Kunstprosa, 3. Aufl. Leipzig 1915, Bd. 2, 691. Vgl. M. Manitius, Geschichte der lateinischen Literatur des Mittelalters, Bd. 2, München 1923, 729 ff.; Spezialliteratur verzeichnet E. Garin a.O. Bd. 1, 291.

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reden für den rhetorischen Unterricht verfaßt, und zwar teilweise in so engem Anschluß an den Meister, daß man diese Produkte für Nachahmungen der Humanisten halten konnte, bis Handschriftenfunde sie eindeutig ins 12. Jahrhundert datiert haben': eine fünfte Catilinaria und eine Antwort Catilinas. Sie gehören vermutlich in jene faszinierende Pflegestätte antiker Kultur, mit der sich zu beschäftigen nicht Monopol der Mediaevisten sein sollte, auf die ich aber trotzdem nicht eingehen kann: die von Gerberts Schüler Fulbert gegründete Schule von Chartres. Ihr ist auch John of Salisbury eng verbunden, der den Gegnern freier Bildung in seinem „Entheticus" die Worte in den Mund legt: „nam veterum fautor logicus esse nequit" und fortfährt: „Icmdat Aristotelem solum, spemit Ciceronem ... litera sordescit: logica sola placet"'. So werden in Chartres und an anderen Orten bei zahlreichen Autoren Ansätze spürbar, die sich erst zweihundert Jahre später voll entfalten. Warum eine solche Entwicklung nicht schon im 12. Jahrhundert eintritt, warum das Interesse an der Antike im 13. Jahrhundert nur gleichsam im Schatten weiterblüht, soll hier nicht im einzelnen untersucht werden. Es muß genügen, daran zu erinnern, daß man in jener Zeit - wenn überhaupt - die Alten studiert, weil und soweit man faßbaren sachlichen Nutzen erhofft, daß man versucht, die angebotenen Erkenntnisse zu verarbeiten, d.h. durch die scholastische Methode möglichst knapp zusammenzufassen, wodurch sie ihre eigene Gestalt, ihre belebende Kraft verlieren; und weiter, daß gegen die Beschäftigung mit der Antike immer wieder religiöse Einwände erhoben werden, so daß bei aller Leistung, wie sie das „Speculum maius" des Vincent de Beauvais darstellt, Formalismus, Allegorismus und Dogmatismus eine volle Entfaltung verhindern. Hier deuten sich die Faktoren an, um deretwillen dem jungen Petrarca (1304-1374) die Lektüre Ciceros verboten oder nur im Hinblick auf den Nutzen für sein Rechtsstudium erlaubt wird. Damit ist erneut der Name des Mannes genannt, mit dem mir trotz mancher 8 Vgl. A. Wilmart, Analecta Reginensia, Studi e Testi 59, Gitta del Vaticano 1933, 289 ff. » Zitiert nach E. Norden, Kunstprosa, Bd. 2, 714.

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Bedenken eine neue Entwicklung, jedenfalls in Italien, einzusetzen scheint. Gewiß, „the Renaissance way of life was not the result of a reorientation. It was the result of a long and slow development which can be clearly traced in the preceding centuries"". Weiter ist es richtig, daß Petrarca ein Vorläufer ist, ein Einzelgänger in vieler Hinsicht, nicht typisch für seine Zeit; aber es ist auch richtig, daß Petrarca neue Tendenzen mit einer ungewöhnlichen Intensität verfolgt, daß von dem „Einzelgänger" eine vielfältige Wirkung ausgeht, daß die spätere Entwicklung nicht einfach einen natürlichen Fortgang darstellt, sondern durch das Auftreten und Eingreifen Petrarcas geprägt ist. Schauen wir uns noch einmal um nach dem Interesse für Ciceros Reden vor Petrarca, vor 1300, so ist die ebenso interessante wie bezeichnende Gestalt Brünette Latinis (1230-1294)" hervorzuheben, eine Generation jünger als Vincent de Beauvais, in Italien geboren, aber nach Frankreich verschlagen, verbannt. In enzyklopädischen Werken behandelt er die Rhetorik eng im Anschluß an Cicero, zugleich knapp wie die mittelalterlichen artes. Daneben übersetzt er verschiedene Reden Ciceros; die Bedeutung dieses Nebeneinander leicht zu umreißen - wird später erläutert, wenn ähnliche Erscheinungen in anderem Zusammenhang wiederbegegnen werden (vgl. unten S. 226 ff.). Ehe wir auf Petrarca eingehen, muß noch ein Wort der Warnung gesagt werden; es geht hier nicht um die Frage „Was ist Humanismus?", „Was ist Renaissance?", „Worin bestehen sie?" usw., sondern nur um die Beschreibung verschiedener Formen der Wiederbelebung der Antike, des Studiums der Antike und der verschiedenen Wirkungen, die von solchen Studien ausgehen, Untersuchungen, die anzustellen sind, ehe man irgendeinen -ismus gebraucht oder definiert.

R. R. Bolgar a.O. 241 f. Vgl. Th. Sundby, Brunetto Latinos. Levnet og Skrifter, Kopenhagen 1869; seine Schriften: „Li Livres dou Tresor" hg. von F. J. Chatmody, Berkeley 1948; „Rettorica" hg. von F. Maggini, Florenz 1915; „Le orazioni di M. T. Cicerone dette dinanzi a Cesare . .." hg. von Lt M. Rezzi, Mailand 1832, dazu F. Maggini, I primi Volgarizzamenti dei classici latini, Florenz 1952, 16 ff.

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II. Petrarca selbst nun studiert nicht nur die bekannten Reden Ciceros, er bemüht sich mit allen Mitteln, verschollene Werke aufzustöbern. Warum? Petrarcas eigene Worte können am besten die Antwort geben. „Studiorum nostrorum non inanem vulgi gloriam ventose contentionis argutns partam, sed veritatis effectum ac virtutis, honestiorem terminum statuamus" (1, 8, 19). ,^xhortor ac moneo ut non vitam tantum et mores, quod primum virtutis est opus, sed sermonis etiam nostri consuetudinem corrigamus, quod artificiose nohis eloquentie cura prestahit. Nec enim parvus aut index animi sermo est aut sermonis moderator est animus. Alter pendet ex dtero; ceterum ille lotet in pectore, hic exit in puMicum; ille comit egressurum et quälem esse vult fingit, hic egrediens qualis ille sit nuntiat; illius paretur arhitrio, huius testimonio creditur; utrique igitur consulendum est" (1, 9, 1-2). „Quid enim Ciceronis eloquio par herculeum rohur habet? ,Fixerit eripedem cervam licet aut Erymanthi placarit nemora et Lemam tremefecerit arcu,' quantumvis lahores herculei celehrentur, siquidem profundius verum queras, ille corpus exercuit, hic animum; ille lacertis valuit, hic lingua" (18, 13, 2). „O romani eloquii summe parens, nec solus ego sed omnes tibi gratias agimus, quicunque latine lingue florihus omamur; tuis enim prata de fontihus irrigamus, tuo ducatu directos, tuis suffragiis adiutos, tuo nos limine illustratos ingenue profitemur; tuis denique, ut ita dicam, auspiciis ad hanc, quantulacunque est, scrihendi facultatem ac propositum pervenisse" (24, 4, 4)^^ Dank der Begegnung mit Ciceros Werk und in dessen Gefolge gewinnt die sprachliche Form für Petrarca eine eigene Bedeutung; das Ringen um den Stil wird zur Suche nach der besten, am ehesten angemessenen Ausdrucksweise der eigenen Persönlichkeit. Das Erlebnis der Sprache Ciceros befreit und befähigt ihn zu einer neuen Vgl. Le Familiari, 4 Bde., hg. von V. Rossi und U. Bosco, Florenz 1933— 1942, Bd. 1, 43; 48; Bd. 3, 298; Bd. 4, 228; s. ferner epist. 22, 2, 11-13 (Bd. 4, 105 f.), 24, 3 und 4 (Bd. 4, 225 ff.; 227 ff.). Übrigens wird Petrarca von dem päpstlichen Bibliothekar Johannes Tricastrinus und zugleich von Papst Clemens VI. selbst aufgefordert, Werke Ciceros zu kommentieren {Le Familiari 7, 4 [Bd. 2, 105 f . ] ) .

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Wertung des Stils als Ausdruck individuellen Gestaltungswillens und zu einem neuen Verständnis des Menschen. Petrarca wird also nicht etwa Ciceronianer im Sinne einer sorgfältigen imitatio, sondern Jünger und Bewunderer Ciceros, dessen Stil als schöpferische Leistung ihm zum Vorbild wird. Und so hören wir auch von ihm die Forderung, sich an Cicero zu orientieren - Aristoteles zu schließen und Cicero zu öffnen - wie er es selbst tut. Seine Schriften, insbesondere seine Briefe legen davon ein beredtes Zeugnis ab und illustrieren die lebendige, lebenspendende Kraft, die Ciceros Werke auszustrahlen vermögen". Der sachliche Formalismus der Scholastik wird überwunden und macht einem ästhetischen Formalismus Platz, der die äußere Gestaltung nicht um ihrer selbst willen pflegt, sondern in dem Versuch, - dem jeweiligen Gegenstand angemessen - in ihr und durch sie der eigenen Persönlichkeit Ausdruck zu verleihen. So werden Ciceros Anschauungen vom Bildungsideal, wie er sie theoretisch entwickelt und in den Reden lebendig werden läßt, übernommen, verarbeitet und zur Wirkung gebracht. Auch die folgenden Generationen" setzen die Suche nach Ciceros verschollenen, jedenfalls in Italien nicht zugänglichen Werken fort: Coluccio Salutati (1331-1406), Niccolö Niccoli (1363-1437) und besonders Giovanni Francesco Poggio Bracciolini (1380-1459), der verschiedene Reden vor allem in Frankreich aufspürt. Doch wichtiger ist auch für die eben Genannten das Studium der Werke Ciceros nach Form und Inhalt. Der Florentiner Kanzler Coluccio Salutati gewinnt wichtige Impulse für seine politischen Konzeptionen aus dem Wirken Ciceros, wie es sich in seinen Reden spiegelt. Zugleich macht er sich zum Vorkämpfer der studia humanitatis; und er ist der erste, der sich bei der Abfassung seiner amtlichen Reden und Briefe an dem großen Meister der Antike orientiert, von dessen Briefen er einen wichtigen Teil („Ad familiares") selbst wiederentdeckt. So wird ihm der keinesPetrarca gebraucht für Ciceros Wirkung gelegentlich das Bild der Saat und Ernte (De remedüs utriusque fortunae 2, 114: Opera, Basel 1554, Bd. 1, 231, zitiert bei O. Gmelin a.O. 112); 2xir imitatio vgl. z.B. epist. 23, 19 (Bd. 4, 203 ff.). Giovanni Boccaccio (1313-1375) muß leider übergangen werden.

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wegs abschätzig gemeinte Name ,^imia Ciceronis" zuteil". Ein früherer Schützling Salutatis, der sich später, in Mailänder Diensten stehend, gegen den Florentiner Kanzler wendet und zuletzt als päpsdicher Sekretär wirkt, Antonio Loschi ( ~ 1365-1441)", ist der erste, der Reden Ciceros mit einem eingehenden Kommentar versieht. Jede der elf behandelten Reden wird sorgfältig nach rhetorischen Gesichtspunkten analysiert, und die Argumentationen werden ebenso im einzelnen gewürdigt wie die stilistischen Schmuckmittel. Deudich spürt man, daß Loschi mit den antiken Theoretikern vertraut ist. Doch dem Praktiker geht es hier nicht um Einzelheiten der Schulregeln: er gehört wie auch Salutati zu jener Gruppe früher Humanisten, die politische und gelehrte Tätigkeit miteinander zu verbinden wissen, und so bemüht er sich, Cicero für die politische Beredsamkeit der eigenen Zeit unmittelbar fruchtbar zu machen: indem er die Einzelzüge der Reden im Lichte der Theorie erläutert, läßt er den Geist ciceronischer Beredsamkeit, ihre Gebundenheit und zugleich ihre schöpferische Eigenwilligkeit vorbildartig erfaßbar werden. Wie dringend das Bedürfnis nach derartigen Hilfsmitteln ist, wie willkommen ein solcher Zugang zu den Werken des Meisters, zeigt sich darin, daß schon wenige Jahre später ein anderer Staatsmann, Sicco Polentone (1375-1447)", ergänzend einige weitere Reden erläutert, allerdings knapp und elementar. Er bietet nicht nur wenig Hilfe, er versäumt es sogar, in den Geist, in das Wesen der Reden Ciceros einzuführen; dadurch, daß er den technischen Einzelheiten verhaftet bleibt, weist er den Weg zur schulmäßigen Ausbeute der "

T. Villani in der Vita Salutatis im „Liber de civitatis Florentiae famosis civibus", deren beide Redaktionen F. Novati in seiner Ausgabe des „Epistolario di Coluccio Salutati", 4 Bde., Rom 1891-1911 abdruckt (Bd. 4, 487 ff.; das Zitat 490 und 491). G. da Schio, Sulla vita e sugli scritti di Antonio Loschi, Padua 1858; weitete Literatur gibt E. Garin in der Storia di Milane, Bd. 6, Mailand 1955, 550 ff. — Loschis Cicerokommentar wird 1477 in Venedig zusammen mit den Kommentaren von Polentone und Georgios Trapezuntios gedruckt. A. Segarizzi, La Catania, le orazione e le epistole di Sicco Polenton, Bergamo 1899; zu seinem Kommentar s. Anm. 16; „Scriptorum illustrium Latinae linguae libri XVIII" hg. von B. L. Ullman, Rom 1928.

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„Muster'-Reden. Zwanzig Jahre später erscheint dann ein Werk, das eine einzelne Rede rhetorisch erschließen soll: „De artificio Ciceronianae orationis pro Quinta Ligario" (1432). Hier werden ausführliche Erläuterungen gegeben, die sich oft in ganz allgemeine Erwägungen rhetorischer Fragen verlieren und vollends einen Autor anderer Geistesart verraten: es ist ein gebürtiger Grieche, Georgios aus Kreta (1395-1484), der sich als Trapezuntier bezeichnet, ein Mann, der zeitweilig im Dienst der Kurie steht, vor allem aber als Lehrer und Übersetzer wirkt. Er gehört zu den Professoren der Rhetorik, die auf Schulen und Hochschulen die Kunst der Rede lehren; zwar werden hier nicht mehr die dürren Traktate „De inventione" und „Auetor ad Herennium", die spätantiken Handbücher oder gar die mittelalterlichen Rhetoriken zu Grunde gelegt, sondern die erst zu Beginn des Jahrhunderts wieder vollständig entdeckten rhetorischen Schriften Giceros und die gleichzeitig erst wieder ganz zugänglich gewordene „Institutio oratoria" Quintilians, vor denen Georgios Trapezuntios in seinen „Rhetoricorum lihri quinque" (1434, gedruckt 1472) allerdings als Grieche vor allem Aristoteles, Dionys von Halikarnass und Hermogenes bevorzugt. Außerdem aber zieht Georgios ständig die Praxis der Römer, also etwa Giceros Reden, heran und läßt sie zum Sammelbuch historischer Musterfälle werden; nicht nach dem Geist, nach der Regel der Rhetorik wird gefragt. Darin zeigt sich ein grundsätzlicher Unterschied gegenüber Petrarca oder Loschi, zugleich natürlich auch gegenüber den Methoden des mittelalterlichen Unterrichts, der nur die „artes" berücksichtigte, theoretische Regeln und Vorschriften aufstellte und erläuterte: in einer Zeit, in der die Formen des politischen wie des geistigen Lebens nicht Schuldeklamationen oder spitzfindige dialektische Übungen erfordern, sondern echte Reden und echte Briefe (sei es im diplomatischen Verkehr der Städte, sei es im innenpolitischen Kampf der Republiken, sei es auf den Konzilien oder im Streit der Gelehrten), gewinnen die aus der Wirklichkeit, aus der Praxis genommenen Reden größte Bedeutung als Exempla, so wie Gicero in seiner richtungweisenden Schrift „De oratore" durch Antonius und auch durch Grassus die Orientierung an Vorbildern auf dem Forum

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empfiehlt. Entsprechend erörtert Georgios Trapezuntios in seiner fünfbändigen Rhetorik nicht nur antike Beispiele, sondern auch zeitgenössische, etwa eine Rede seines Lehrers Guarino aus Verona 1374-1460), des größten Pädagogen dieses Jahrhunderts, der vor allem in Ferrara tätig ist. Ziel seines Unterrichts ist das ciceronische Bildungsideal, Mittel seiner Erziehung sind die rhetorischen Schriften Ciceros und die Reden, die er sich auch beim Abfassen seiner eigenen Briefe und Reden zur Richtschnur nimmt. Auch Guarino kommentiert eine Cicero-Rede, und zwar die Verteidigung des Roscius aus Ameria: im engen Anschluß an die Theorie der Alten wird hier die rhetorische Bedeutung einzelner Formulierungen wie auch größerer Abschnitte der Rede herausgestellt und der Aufbau des Ganzen mit einer Sorgfalt erörtert, die oft an Pedanterie grenzt und im Gegensatz zur großzügigen Frische der Sekretäre und Diplomaten den Hauch des Hörsaals oder der Schulstube spüren läßt. Neben die im Geiste Ciceros verstandene Nachahmung durch Petrarca und Erläuterung durch Loschi tritt damit eine dogmatische Form der Belehrung in sprachlichen und stilistischen Einzelheiten, die einer engherzigen imitatio den Weg bereitet. Guarino macht sich gleichzeitig als Philologe verdient. Ähnlich wie die oben genannten Entdecker von Handschriften kümmert er sich um die textkritische Arbeit an den Reden Ciceros und beweist die neue Wertschätzung, die dem antiken Autor entgegengebracht wird, wie auch die eigene Sprachkenntnis und das Einfühlungsvermögen in die Sprache des Meisters der Eloquenz. Als natürliches Ergebnis der Bemühungen Petrarcas und seiner Nachfolger wird Cicero immer häufiger als Vorbild empfohlen, gewählt und anerkannt; die imitatio Ciceronis wird zum stilistischen Programm, bald im Geiste, bald dem Buchstaben getreu. Neben den Schriften Ciceros in ihrer Ganzheit wird auch ihre Sprache in allen Einzelheiten studiert, jedenfalls von denen, die meinen, den großen Meister im Detail des Ausdrucks erreichen und die imitatio in dieser Weise bewältigen zu können. Als erstes, eindrucksvollstes und wirkungsreichstes Beispiel ist Gasparino Barzizza (1360-1431) zu nennen, auch er weder Diplomat noch Sekretär sondern, wie er gelegentlich

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treffend gekennzeichnet wird, „grammaticus, •pater ac praeceptor"^^. Er sammelt nicht nur Cicero-Handschriften und erläutert dessen rhetorische Schriften und Reden in seinen Vorlesungen, er bemüht sich auch in einer bisher nicht bekannten Weise, Ciceros Reden als verbindliches Vorbild anzuerkennen und sich - bei aller Eigenart dessen Stil in allen Einzelheiten in Wortwahl und Sprachgebrauch anzuschließen. Trotzdem oder gerade deswegen wird von Barzizza berichtet, er sei zwar ein vorzüglicher Lehrer gewesen, aber als Redner doch dürftig"; denn die strenge Nachahmung legt dem Einzelnen Fesseln an, anstatt seine Kräfte zur Entfaltung der eigenen Möglichkeiten frei zu machen. Während sich die Sekretäre der päpstlichen und fürstlichen Kanzleien von dem Geist ciceronischer Rhetorik erfassen lassen, führt der sorgfältige Unterricht im Gebrauch der Sprache und der rhetorischen Regeln durch den Meister zu einer mechanischen imitatio, die Ciceros eigenen Vorschriften und Idealen widerspricht. Es wäre eigendich erforderlich, hier einen Blick auf die Erziehungsprogramme der Zeit zu werfen und zu prüfen, ob und wie weit sie sich die Empfehlungen und Mahnungen der verschiedenen Schüler und Befürworter Ciceros zu eigen machen, also die Schriften eines Pier Paolo Vergerio (1370-1444), Lionardo Bruni (1370 [?] 1444), Maffeo Vegio (1406-1458) und Enea Silvio Piccolomini (Pius II.: 1405-1464). Das vielschichtige Bild kann nicht in allen Einzelzügen nachgezeichnet werden. Allgemein läßt sich sagen, daß sich die genannten Autoren in steigendem Maße durch Ciceros anspruchsvolles Bildungsideal beeinflussen lassen. Auch eine stilistische imitatio Ciceros wird von ihnen - teilweise im Geiste des Meisters - geübt, gelegendich empfohlen, aber keineswegs theoretisch in den Programmen verankert. Denn die Männer, die hier ihre Konzeptionen entfalten, stehen - bei allen Unterschieden - in der geistigen Nachfolge Salutatis, sie sind Vertreter der praktischen Wirksamkeit in geistlicher und weltlicher Diplomatie und Politik, weitgehend unberührt oder Die Formulierung stammt von Panormita, vgl. Ottanta lettere inedite del Fanormita hg. von R. Sabbadini, Catania 1910, 120. „Ipso orationis genere exilis et tristis" sagt Cortesi, De hominibus doctis dialogus 26 (vgl. Anm. 33).

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jedenfalls unbeeinflußt durch die Pedanterie schulmäßiger Rhetoriklehre. Auch sie beginnt sich in allen Schichten auszubreiten und ihre Früchte zu tragen. Doch wenn der große Cicero-Forscher, päpstliche Sekretär und florentinische Staatskanzler Poggio Bracciolini (13801459), der Ordensgeneral Ambrogio Traversari (1386-1439)^°, der venetianische Staatsmann Francesco Barbaro (1398-1454) oder der Hofdichter und Rhetoriklehrer Francesco Filelfo (1398-1481) wegen ihres Stiles gerühmt werden, so huldigen sie doch keineswegs einer engen stilistischen Cicero-Nachahmung, die sich um einzelne Wörter und Phrasen besorgt. Und Antonio Beccadelli Panormita (1394-1471), wie Filelfo ein Schüler Barzizzas, wendet sich sogar ausdrücklich mit harten Worten gegen alle Formen der imitatio, die dem Äußerlichen verhaftet sind: „Cicerones et Vergilios apparere contendimus, adeo quidem omnia referuntur ad ostentationem, ad veram animi sapientiam nihil. Furata sunt omnia, accersita, temeraria"^^. Das ist ganz im Sinne Ciceros gesprochen. Neben Beccadelli wirkt am Hofe Alfons V. von Aragon in Neapel der später auch in den Diensten der Kurie stehende Sekretär Lorenzo Valla (1407-1457), ein Mann, durch den das Studium der Alten, die Wirkung Ciceros in völlig neue Bahnen gelenkt wird. Bestimmt durch ein Interesse am Inhalt der antiken Schriften, bemüht sich Valla, die Eigenarten der einzelnen Autoren zu erfassen und lernt so, die Entwicklungsstufen der Sprache und ihre verschiedenen Erscheinungsformen in den literarischen Genera zu verstehen und einzeln zu würdigen. Zugleich bestrebt, nicht zuletzt aus nationalen Beweggründen, die Verwilderung des Lateinischen zu beenden, versucht Valla es nach dem Maßstab der „Latinitas"^^ zu reinigen, d.h. nach den der Sprache innewohnenden Gesetzen. Neben die Grammatik („ratio") tritt vor allem die „auctoritas auctorum"^^, wobei für ihn A. Traversari... aliorumque ad ipsum... Latinae epistolae hg. von L. Mehus, Florenz 1759 (mit Vita und reicher Literaturgeschichte von Florenz). 2' Epistolae 3, 33 (Venedig 1553, 66 r; Lucca 1747, 161). ^^ „De linguae Latinae elegantia" 1, 24 (Opera omnia, Basel 1543, 31). " Ebd. 1, 28 (S. 36).

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weniger die „licentia poetarum" als der „usus oratorum" verbindlich ist^^. Seine eigene, unvergleichliche Persönlichkeit läßt er in einem sehr eigenwilligen Stil ihren Ausdruck finden. Dadurch daß Valla auch rhetorische Fragen berührt und die elegantia eines Cicero oder Quintilian empfiehlt^®, dadurch daß er die Sprache historisch versteht, d.h. die Sprachform eines Einzelnen in allen ihren Zügen jeweils als organische Einheit im großen Zusammenhang der Entwicklung erfaßt und durch seine Untersuchungen den Sprachgebrauch Ciceros genauer als je zuvor bestimmt, legt er das Fundament für die Ciceronianer der folgenden Generation - doch nicht nur für sie. Die Mannigfaltigkeit seiner Neigungen und Anregungen spiegelt sich in den vielseitigen, in sehr verschiedene Richtungen weisenden Interessen seiner Schüler, die sich dem Wortgebrauch, der Textkritik, schließlich aber auch antiquarischen Problemen widmen. Stärker als bisher muß eine Auswahl die jeweiligen Strömungen repräsentativ verdeutlichen, wie auch darauf verzichtet werden muß, jene Zeitgenossen Vallas, mit denen er in Streit gerät, im einzelnen zu erörtern. Vallas Bemühen gilt dem Verständnis der Texte, und so wird gerade auch die sachliche Erläuterung von seinen Schülern gepflegt. Zwar war in Italien schon im 13. Jahrhundert mit der zunehmenden Aufgeschlossenheit für die Antike das Interesse an den Institutionen der Römer erwacht, besonders bei den Juristen, doch erst im 15. Jahrhundert setzt mit der Suche nach Handschriften auch eine planmäßige Erforschung der Altertümer ein, etwa der Inschriften durch Poggio; und um die Jahrhundertmitte erscheinen die in nüchtern-sachlichem Stil verfaßten Werke des Flavio Biondo (1392-1463), „Roma instaurata" (1444-46) und „Romae trium'phantis lihri decem" (1459)", für die auch Ciceros Reden sorgfältig ausgeschöpft sind. Andere Namen könnten genannt werden. Eine Generation jünger ist Giulio Pomponio Leto (1428-1497), der in der Vielseitigkeit seiner Interessen seinem Lehrer Valla nicht nachsteht. Er begnügt sich nicht damit, antike Einrichtungen zu studieren und zu beschreiben, er sucht sie sogar neu Ebd. 1, 17 (S. 22). 25 Ebd. 1, 13 (S. 19). Schon vorher verfaßt Leon Battista Alberti seine „Descriptio

urbis

Romas".

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zu beleben; doch als man in den Kreisen der von Leto geleiteten römischen Akademie eine Art catilinarischer Verschwörung gegen die Kurie inszeniert, müssen die Beteiligten die eigenwillige Form, sich von Ciceros Reden beeinflussen zu lassen, in den Verließen der Engelsburg hart büßen. Neben Leto müßte eine Reihe von Männern behandelt werden, die sich aus sachlichem Interesse mit Cicero und seinen Reden beschäftigt und zur Erklärung beigetragen hat: der römische Jurist Alessandro d'Alessandro (1461-1523), ein Schüler Letos, Ludovico Ricchieri (Ludovicus Caelius Rhodiginus: 1469-1525), Pietro Ricci Crinito (1465-1504) und vorgreifend der große Jurist seiner Zeit, Andrea Alciato (1492-1550), der, philologisch und juristisch geschult, bei seiner souveränen Erläuterung des „Corpus Iuris" neue Grundsätze entwickelt, die für die Interpretation jedes Autors wegweisende Bedeutung gewinnen. Seine Methode, die den Text nicht als Gegenstand für eine systematische Erschließung hinnimmt, sondern mit Hilfe sachlicher Erkenntnisse aus anderen Quellen (Schriften und Monumenten) erklärt, wird dadurch besonders wirksam, daß Alciato zeitweise an französischen Universitäten lehrt. Vallas Bemühen gilt dem Verständnis der Autoren, und so wenden sich seine Schüler, wie er selbst, auch der Arbeit an den Texten zu, die seit dem Wiedererwachen des Interesses an der Antike an allen Orten geleistet wird und die sich durch die Erfindung des Buchdrucks als doppelt notwendig erweist. Als 1470 eine erste Ausgabe von den Reden - es sind die philippischen, die die invektivenreiche Zeit besonders liebt - in Rom erscheint, ist sie von Vallas Schüler Giovanni Antonio Campano (1427-1477) redigiert. Es folgen bald (1471) die Edition der übrigen Reden, von Giovanni Andrea di Bussi (14151475) besorgt, und die editio Veneta des Ludovico Carbone (14351482). Außerdem werden ältere Ausgaben jetzt gedruckt, wie die des Guarino (1472) und auch die Kommentare von Loschi, Polentone und Georgios Trapezuntios. Dagegen bleiben neue Kommentare selten: „Adnotationes" zur Rede „Pro Ligario" (1478) von Giorgio Merula 1424-1494) behandeln vorwiegend rhetorische Fragen - voll Polemik gegen den Trapezuntier die „Enarrationes in M.T. Ciceronis Philippicas" (1468) von Francesco Matarazzo (1443-1518) vor allem

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sachliche und antiquarische Probleme. Wie groß das Interesse an Cicero ist, beweisen die zahlreichen Neudrucke der genannten Editionen; wie dringend die Notwendigkeit textkritischer Arbeit ist, zeigt die liederliche Gesamtausgabe des Mailänders Alessandro Minuziano (1498-99). Doch im gleichen Jahr 1499 erscheinen alle Reden Ciceros „recognitae ac diligenter correctae" von Filippo Beroaldo (1453-1505)", der schon während einer vorübergehenden Lehrtätigkeit in Paris die catilinarischen Reden edierte und der 1501 Erläuterungen, auch wieder zu den philippischen Reden, folgen läßt, in denen Sacherklärung und Textkritik im Vordergrund stehen. Das gleiche Bild bieten die „Annotationes in orationem Ciceronis pro Milone" (postum gedruckt 1557) des Gianpaolo Parisio (14701522). Noch stärker auf die Textgestaltung beschränkt sich Marcantonio Coccio (1436-1506), der nur wenige Verbesserungen beisteuert: Ciceros Reden werden nicht mehr allein als stilistisches Vorbild gelesen, sondern auch aus sachlichem Interesse, sie sind Richtschnur für die Redner und Rhetoriklehrer und Gegenstand philologischer Kritik. Dieser Wandel ist neben dem Wirken Vallas vor allem Angelo Poliziano zu verdanken (1454-1494), wie schon Francesco Robortello erkannte^'. Poliziano, Professor in Florenz, will, wie er es in den Einleitungen zu seinen Vorlesungen theoretisch formuliert^' und dann in seinen Vorlesungen selbst in steigendem Maße verwirklicht, vor allem aber in seinen „Miscellaneorum centuriae primae" (1489)'°, „grammaticus" im weitesten Sinne sein, so wie man diesen Terminus in Rom zur Zeit Quintilians®' verstand, also ein Interpret aller Arten von Texten, der sich bemüht, den jeweiligen Wordaut herzustellen, seine genaue Bedeutung durch alle Formen grammatischer, syntaktischer, "

Zu seinem eigenwilligen Stil vgl. R. Sabbadini, Storia del Ciceronianismo 42 ff. 1516-1567. Der Hinweis auf Polizian findet sich in seiner „De arte sive ratione corrigendi veteres auctores disputatio" (1557), abgedruckt bei J. Gruter, Fax . . . , Bd. 2, Frankfurt 1604, 14 ff. (das Zitat 2 7 ) . Vgl. besonders die „Lamia" (Praelectio in Priora Aristotelis Analitica: Opera, Basel 1553, 451 ff.), dazu A. Scaglione, Studies in the Renaissance 8, 1961, 49 ff.; 61 ff. 3» Opera, Basel 1553, 213 ff. (Einleitung); 224 ff. » Inst. 1, 2, 14.

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semasiologischer und sachlicher Erklärung zu ermitteln und dann eine literarische Beurteilung — auch unter moralisch-didaktischem Gesichtspunkt — zu versuchen. Damit tritt zu den älteren rhetorischen, sprachlichen und sachlichen Erklärungsweisen, die den Unterricht immer engstirniger und elementarer werden lassen, eine umfassende Interpretation, die, um höchste Sorgfalt bemüht, sich doch nicht in tötender Pedanterie erschöpft. Ihr geht es nicht darum, Texte im ganzen oder sprachliche Erscheinungen im einzelnen zu klassifizieren, in Schemata einzuordnen und so dem Schüler bereitzustellen, sondern die Autoren einem vertieften Verständnis zu eröffnen, aufzuschließen und zur Wirkung zu bringen. So wird ein neuer Versuch gemacht, die Schätze der antiken Erfahrungen und Kenntnisse für die Bildung der Menschen fruchtbar zu machen. Es ist leicht verständlich, daß die Vertreter der verschiedenen Positionen in Streit geraten; und dieser Streit entzündet sich gerade an einem der Probleme, die im Mittelpunkt unserer Darstellung stehen, an der Frage nach der Verbindlichkeit Ciceros als stilistischem Vorbild. War schon Poggio mit Valla und auch dem jungen Niccolö Perotti (1430-1480)'® um die Formen der imitatio in heftigen Konflikt geraten, so bricht jetzt eine neue, neuartige Auseinandersetzung aus. Durch Valla in das Verständnis der einzelnen Entwicklungsstufen der Sprache eingeführt und zugleich zur Rettung und Reinigung des Lateinischen als nationaler Aufgabe aufgerufen, beginnt man, ähnlich wie im Bereich der Rhetorik und ihrer Regeln, eine buchstabengetreue imitatio Ciceronis zu fordern und zu verwirklichen. Im gleichen Jahr wie Polizians „Miscellanea" erscheint aus der Feder des 10 Jahre jüngeren päpstlichen Schreibers und Sekretärs Paolo Cortesi (14651510) ein als frühes Zeugnis literarkritischer Betrachtung höchst instruktiver „De hominihus doctis dialogus" (1489), der alle oratores seit Dante allein unter dem Gesichtspunkt beurteilt, wieweit sie Cicero Vor allem bekannt ist der Erzbischof von Siponto durch seine „Cornucopiae sive commentariorum linguae Latinae libri" (1489), bei denen es sich eigentlich um einen Martialkommentar handelt; sie stellen eine wertvolle lexikographische Schatzkammer dar. Andere lexikographische Werke sind hier übergangen. Cicero

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erfolgreich (d.h. im Detail) nachahmen'^. Polizian, der die ganze Weite antiker Bildung umspannt und auch Ciceros Forderung nach echter imitatio zu würdigen versteht, muß solchen Strömungen entgegentreten; er schreibt in einem Brief an Cortesi in gut ciceronischen Formulierungen: „ M i r scheinen alle diejenigen, die nur mit Hilfe der Nachahmung ihre Werke verfassen, entweder einem Papagei oder einer Elster zu gleichen, die vorbringen, was sie (selbst) gar nicht verstehen. Es fehlt nämlich dem, was solche Leute schreiben, an eigenen Kräften, an Leben; es fehlt an Aktivität, an Leidenschaft, an angeborenen, natürlichen Gaben; alles liegt nur so da, schläft, schnarcht; denn nichts Echtes ist dabei, nichts Gediegenes, nichts Wirksames. Da sagt einer, ,Du gibst Cicero nicht wieder', - ,3a und? ich bin nämlich auch gar nicht Cicero, mich selbst jedoch - so glaube ich wenigstens - gebe ich w i e d e r ' U n d welchen Rat gibt Polizian dem jüngeren Freund? „Leg dir nicht selbst die Fesseln dieses Aberglaubens so an, daß dich gar nicht mehr freuen kann, was dir offensichtlich gehört, und du den Blick niemals mehr von Cicero abwenden kannst. Doch wenn du Cicero, wenn du andere Vorbilder eingehend und lange gelesen, verarbeitet, auswendig gelernt und verdaut hast, wenn du reiche Kenntnisse von vielen Dingen gesammelt hast und dich nun selbst rüstest, etwas zu schreiben, dann - so ist mein Wunsch - mögest du endlich einmal ohne Schwimmgürtel schwimmen (wie man wohl sagt) und einmal dir selbst Ratgeber sein, mögest jene allzu pedantische und ängstliche Unruhe, ja immer nur Cicero nachzuahmen, ablegen und endlich alle deine Kräfte aufs Spiel setzen . . . Zum Schluß denke daran, zu einem unfruchtbaren Geist allein paßt es, nichts von sich aus hervorzubringen und immer nur nachzuahmen." Cortesi®' wehrt sich natürlich, verteidigt seine Positionen, etwa ää 1489 verfaßt, 1734 in Florenz gedruckt. Daneben ist die Übersicht von Marcantonio Coccio (s.o.S. 2 1 2 ) „De Latime

linguae reparatione"

(Opera,

Basel 1560, Bd. 3, 319 ff.) weniger einseitig. Vgl. Collectio praestantissimorum opusculorum de imitatione oratoria hg. von

F. A. Hallbauer, Jena 1726, 275, das Folgende ebd. 276. Vgl. Collectio hg. von F. A. Hallbauer 276 ff.; Felizians Werke {Opera, Basel 1553, 58 ff.) enthalten auch den Briefwechsel mit Scala; darin findet sich auch Scalas Kritik an Ermolao Barbaro (1453-1493), über den Erasmus richtiger urteilt {Collectio hg. von Hallbauer 89).

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indem er für den Nachahmer das Bild des Sohnes statt des Affen wählt, und differenziert seine Forderung nach imitatio, ohne jedoch von Cicero zu lassen. Polizians Stil greift er allerdings nicht an, während sich andere, z.B. der Florentiner Historiker Bartolomeo Scala (1430-1497), auch ausdrücklich gegen die stilistische Großzügigkeit Polizians wenden, der aus der Fülle schöpfend, sich aller sprachlichen Möglichkeiten bedient, so daß in seinem Stil seine Eigenart ihren angemessenen Ausdruck findet". So stehen sich zwei Forderungen gegenüber, die beide Cicero gerecht werden wollen: hier die sorgfältige imitatio des Meisters in Wort und Satz, dort der individuell geformte Stil als Ausdruck der Einzelpersönlichkeit, entsprechend den theoretischen Darlegungen Ciceros. Zahlreich sind die Namen derer, die in diesen Streit hineingezogen werden, der schließlich auch nach Frankreich und Spanien übergreift; sie können nicht alle genannt werden. Hervorzuheben ist zunächst, daß Cicero durch diese Auseinandersetzung noch stärker in den Mittelpunkt gerückt wird, daß seine Schriften von beiden Seiten noch sorgfältiger studiert werden, mit - wie Polizian betont - teilweise absurden Konsequenzen, wenn die Ciceronianer sich engstirnig auf den Wortgebrauch Ciceros beschränken, diesen aber schlechten Ausgaben entnehmen, in denen sich unmögliche Wortformen oder Wörter finden''. Herauszustellen sind vor allem dann die Folgen, die sich - gleichsam natürlich - aus solcher einseitigen Nachahmung eines Autors, aus einer derartigen Einengung des Gebrauches der lateinischen Sprache ergeben. Als zwanzig Jahre nach Polizian und Cortesi die beiden entgegengesetzten Positionen noch einmal in zwei freundschaftlich gestimmten Streitschriften niedergelegt werden, vertritt gegen Gianfrancesco Pico della Mirandola (1470-1533) den ciceronianischen Standpunkt der spätere Kardinal Pietro Bembo (1470-1547): „Die Nachahmung Ciceros wird für alle, die etwas in Prosa schreiben wollen, vorteilhaft und günstig sein, bei jedem Stoff und Gegenstand, 5» Das gilt auch für Giovanni Gioviano Pontano (1426-1503). Das harte Urteil des Erasmus über ihn (Collectio hg. von F. A. HaUbauer 114 f.) korrigiert Francesco Florido Sabino in seinen „Lectionum succisivarum libri" (3, 6 ) . " Polizian in einem Brief an Scala (Opera, Basel 1553, 59).

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über den man zu schreiben hat. Denn der gleiche Stil kann unzähligen Dingen angepaßt werden"^®. Bembo gelingt es nicht nur selbst, Cicero in seltener Meisterschaft nachzuahmen, sondern auch den Ciceronianismus in Theorie und Praxis zuerst am Hofe Leos X., dann in Padua so eindringlich und überzeugend zu vertreten, daß sich unter den Sekretären und Diplomaten" wie unter den Universitätslehrern" viele zu ihm bekennen, auch Ausländer, die in Italien studieren oder Italien gar bewußt zu ihrer Wahlheimat machen^'. Ciceronachahmung bestimmt das Lateinische zu Beginn des 16. Jahrhunderts in Italien und beginnt auch über die Grenzen Italiens hinaus zu wirken, so daß Erasmus glaubt, sich dieser Entwicklung mit seinem „Dialogus Ciceronianus" (1528) entgegenstellen zu müssen (s. unten S. 230 f.). Doch je stärker der Gebrauch des Lateinischen durch das verbindliche Vorbild auf den Wortschatz Ciceros eingeengt wird - 1535 erscheint die erste Fassung von Mario Nizzolios „Thescmrus Ciceronianus"" - und je stärker die Bewegungsfreiheit im sprachlichen Ausdruck beschränkt wird, so daß nur noch die großen Meister ihn wirklich souverän zu handhaben vermögen, desto eifriger bemüht man sich um die Ausbildung von Alternativen, wie sie in den Volkssprachen gegeben sind. Bezeichnenderweise ist es gerade der Ciceronianer Bembo, der sich um die Jahrhundertwende mit den Problemen der Volkssprache zu beschäftigen beginnt. In seinem 1525 gedruckten Dialog: „Prose della Collectio hg. von F. A. Hallbauer 270: „Ac Ciceronis quidem imitatio Omnibus, qui pedestri oratione scrihere aliquid volent, opportuna esse poterit, quacunque Uli de re atque materia sit scribendum. Idem enitn stilus aptari rebus innumerabilibus potest". ä« Genannt sei Jacopo Sadoleto (1477-1547); zur Literatur, die E. Garin, Geschichte . . . , Bd. 3, 260 anführt, ist R. M. Douglas, Jacopo Sadoleto, Cambridge Mass. 1959 zu ergänzen. Die zahlreichen Autoren, die in dieser Zeit mit Cicero verglichen werden, können hier nicht aufgeführt werden. Erinnert sei an Lazzaro Buonamico (1479-1552), der übrigens auch einen Kommentar zur Maniliana verfaßt haben soll (s. G. Toffanin, II Cinquecento, in der Storia letteraria d'Italia, 4. Aufl. Mailand 1950, 17 mit Anm. 24.), Romolo Amaseo (1481 [89 ?]-1552), Celio Calcagmni (14791541, vgl. u. Anm. 87), alle Gegner des Volgare, das Delminio (s. u. Anm. 87) wie Bembo verteidigt. Christophe de Longueil (vgl. unten S. 235).. Unter dem Titel „Observationum in M. T. Ciceronem pars prima, pars secunda". Mario Nizzolio: 1498-1566 (1576 ?).

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Volgar lingua" fordert er dann für das Toscanische den gleichen Purismus wie als Ciceronianer für das Lateinische. Wenn die verschiedenen Formen der Volkssprache natürlich schon seit Jahrhunderten gebraucht werden, wenn man ihre Eigenart seit Dante unter ausdrücklicher Berufung auf Cicero rechtfertigt^', wenn man ihr im 15. Jahrhundert - teilweise - einen ebenhürtigen Platz neben dem Lateinischen einräumt", wenn man zahlreiche Übersetzungen anfertigt, so ist es in Italien doch die radikale Forderung nach Ciceroimitatio, die den Anstoß zu neuen Reflexionen, zu intensivem Studium und systematischer Entwicklung der Muttersprache gibt, die man teilweise nach dem Vorbild des Lateinischen ausbildet und bereichert". Nach dem politisch-rhetorischen, dem schulmäßig-stilistischen, dem historisch-sprachlichen, dem antiquarischen und dem textkritischen Studium Ciceros beginnt damit die zweite Welle eines engherzigen, sprachlich-stilistischen Studiums der Reden Ciceros, die vor allem dadurch fruchtbar wirkt, daß sie zur Entfaltung der Muttersprache beiträgt. Wir brechen hier den Überblick über den historischen Gang der Entwicklung in Italien ab, um uns einem Lande zuzuwenden, in dem vielfach ähnliche und letzdich doch ganz andere Strömungen und Vorgänge zu beobachten sind, und das doppelte Aufmerksamkeit verdient, weil es allzu gern in Untersuchungen dieser Art übergangen oder unzureichend behandelt wird: Spanien.

Fin. 1, 4, vgl. H. W. Klein, Latein und Volgare in Italien, München 1957, 22; zu Dante „De vulgari eloquentia" (hg. von A. Marigo, 3. Aufl. von P. G. Ricci, Florenz 1957) s. H. W. Klein a.O. 23 ff. und K. O. Apel a.O. 104 ff. Vgl. K. O. Apel a.O. 201 ff. Zugleich treten Gegner des Volgare auf: H. W. Klein a.O. 43 ff.; 50 ff., im sechzehnten Jahrhundert auch unter den Ciceronianern (s. Anm. 40 und 87), aber nicht nur unter ihnen, wie Francesco Florido Sabino zeigt, vgl. allgemein G. Toffanin, II Cinquecento 21 ff. oder H. W. Klein a.O. 67 ff. Die verschiedenen Meinungen faßt Sperone Speroni (1500-1588) in seinem „Dialogo della lingua" (1542) zusammen. S. K. O. Apel a.O. 192 ff.; 205 ff., vgl. auch H. W. Klein a.O. 76 ff.

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III. Auch in Spanien'" erlischt das Interesse an der Antike selbst im sogenannten dunklen Mittelalter nie völlig. Die Berührung mit der arabischen Welt bringt immer neue Auseinandersetzungen, und Anregungen kommen auch aus Frankreich und seit dem vierzehnten Jahrhundert aus Italien. Die stets wachsende Zahl der Übersetzer antiker Schriften kann hier nicht vorgeführt werden. Aber es sei doch hervorgehoben - gegen Erasmus und die seither weitgehend vorherrschende Meinung - daß manches Werk der römischen Literatur früher ins Katalanische oder Kastilische übersetzt ist als in irgendeine andere moderne europäische Sprache. Auch die Vertreter der (frühen) katalanischen und kastilischen Literatur, bei denen sich Einflüsse antiker oder auch italienischer Vorbilder zeigen, sind zu zahlreich, als daß sie alle genannt werden könnten. Gegen Ende des vierzehnten und zu Beginn des fünfzehnten Jahrhunderts gibt es ihrer besonders unter den königlichen Sekretären am Hofe Johanns I. und Martins 1. von Aragon sowie Heinrichs IL und Johanns IL von Kastilien so viele, daß der Dominikaner San Vicente Ferrer (1350-1419) sich in seinen Predigten mehrfach gegen die Wirkung, gegen das Studium der antiken Autoren wenden zu müssen glaubt („Predicate Evangelium; no diu Virgilium ne Ovidium, sed Evangelium, cor les doctrines poeticäls no sahen les änimes")".

"

Die Anmerkungen in diesem Teil sind besonders knapp gehalten, da eine ausführliche Darstellung im Manuskript fast fertig gestellt ist. Hingewiesen sei auf einige wichtige Hilfsmittel: N. Antonio, Bibliotheca Hispana Nova, 2 Bde., Madrid 1783-88; ders. Bibliotheca Hispana Vetus, 2 Bde., Madrid 1788; A. Palau y Dulcet, Manual del Librero Hispano—Americano, 2. Aufl. Barcelona 1948 ff. (im Erscheinen); J. Simon Diaz, Bibliograffa de la literatura Hüspanica, (bisher) 6 Bde., Madrid 1950-61; ferner M. Men^ndez Pelayo, Bibliograffa Hispano-Latina Clasica, 10 Bde., und Biblioteca de Traductores Espanoles, 4 Bde. ('= Obras completas, Bde. 44-53 und 54-57, Santander 1950-53); T. Vindel, El Arte Tipogtäfico en Espana durante el siglo XV, 10 Bde., Madrid 1945-54; D. Rubio, Classical Scholarship in Spain, Washington 1934 (unvollständig und besonders reich an Fehlern). San Vicent Ferrer, Sermons hg. von J. Sanchis Sivera, Bd. 2, Barcelona 1934, 56 ( X X X I aus dem Jahre 1416); ähnliche Äußerungen finden sich auch

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Im fünfzehnten Jahrhundert verstärken sich die Bemühungen um die Antike nicht nur dank der Bestrebungen etwa des Marques de Santillana (1398-1458) am kastilischen Hof, sondern auch durch manche persönliche Beziehungen, die auf den Konzilien zwischen den geistlichen Diplomaten aus Italien und Spanien geknüpft werden, und vor allem durch die Haltung des aragonesischen Königshauses, besonders seit Alfons V. seine Residenz nach Neapel verlegt (1443). Dort bildet sich eines der Zentren des Humanismus in Italien, an dem man Männer wie Filelfo, Silvio Piccolomini, Valla und Beccadelli findet; dort trifft man auch zahlreiche Spanier, die sich gegenüber den neuen Strömungen des geistigen Lebens aufgeschlossen zeigen, und von dort wirken dann mancherlei Einflüsse nach Spanien zurück. So breitet sich das Interesse an der Antike in Spanien im fünfzehnten Jahrhundert mit nachhaltigerer Wirkung und breiterer Streuung aus als zur gleichen Zeit irgendwo nördlich der Alpen. Neben einem vielschichtigen Einfluß auf die muttersprachliche Literatur sind zahlreiche Übersetzungen die eine Frucht, Grammatiken, rhetorische Kompendien, Lexika und Schriften zum Sprachgebrauch die andere; Kommentare dagegen oder gar antiquarische oder historische Untersuchungen zur Antike fehlen. Denn alles Bemühen zielt auf den Erwerb grammatischer Kenntnisse und die Entfaltung der eigenen rhetorischen Fähigkeiten nicht nur im Lateinischen, sondern auch und vor allem in der Muttersprache. Auch im sechzehnten Jahrhundert bietet sich einem das gleiche Bild mit einigen bezeichnenden Ausnahmen, die es zu erklären gilt. Diese allgemeine Zusammenfassung muß durch einige Hinweise im Einzelnen ergänzt und illustriert werden. Zu den ersten, die nach einem Konzilsbesuch und längerem Aufenthalt in Italien das Interesse an der Antike in Spanien fördern, gehört Alonso de Cartagena (t 1456). Als Bischof von Burgos eröffnet er Interessenten die Möglichkeit zum Studium in seiner Bibliothek. Zugleich macht er selbst durch seine Übersetzungen (etwa der „Lihri rhetorici" Ciceros, vielsonst in seinen Predigten, vgl. J. M. de Garganta, V. Forcada, Biografia y Escritos de San Vicente Ferrer, Madrid 1956, 385 f.; auch 645 oder 698 f.

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leicht auch der Rede „Pro Marcello") antike Werke unmittelbar zugänglich und bemüht sich außerdem, durch eigene Schriften die Erkenntnisse und Erfahrungen der Alten für seine Zeitgenossen nutzbar zu machen. So will er günstigere Voraussetzungen dafür schaffen, daß die von ihm auch theoretisch erhobene Forderung erfüllt und das Studium der Alten Grundlage jeder Beschäftigung mit der Heiligen Schrift werden kann. Wenn sein Schützling, Rodrigo Sanchez de Arevalo (1404-1474), gelegentlich für die imitaüo antiker Vorbilder wie Cicero und auch Seneca eintritt, so ist das nicht allein als Ergebnis seines langjährigen Aufenthaltes in Rom und seines vielfältigen Verkehrs mit den dortigen Humanisten zu werten - von denen er übrigens einige nach ihrer angeblichen Verschwörung gegen Papst Paul II. in der Engelsburg in Haft halten muß (s. o. S. 210 f.) — sondern im Zusammenhang mit der Mahnung zu verstehen, die er z.B. in dem berühmten „Speculum vitae humanae" (1467) äußert, nicht allein die rhetorischen Fähigkeiten auszubilden, sondern sie in den Dienst der im Glauben wurzelnden sapientia zu stellen. Noch ein zweiter Schützling Cartagenas sei genannt, da er die andere wichtige, typisch spanische Komponente illustriert, Alonso Femandez de Palencia (1423-1492). Neben mehreren Übersetzungen verfaßt er aufgrund intensiven Studiums der antiken Texte ein „Opus Sinonymorum" und ein „Universal vocahulario en latin y en Romance", das erste spanische Lexikon überhaupt, in mancher Hinsicht den mittelalterlichen Glossaren verwandt und doch zugleich Beweis dafür, daß die neu einsetzenden Bemühungen um das Lateinische auch für das Spanische fruchtbar gemacht werden. Damit stehen wir am Ende des fünfzehnten Jahrhunderts, in dessen letztem Viertel drei Faktoren das fördern, was man wenig präzise den spanischen Humanismus nennen mag. Einerseits sind es einige Italiener, die in Spanien wirken, ähnlich wie in Frankreich und doch anders, weil sie einflußreiche Positionen an der Universität Salamanca (Lucio Marineo: 1444—1533) oder am Hof (Pietro d'Angheria: 1457—1526) einnehmen; zweitens sind es Spanier, die in Italien studieren oder - etwa in geistlichen Ämtern - längere Zeit dort tätig

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sind; drittens ist es der Buchdruck, der auch hier die Verbreitung aller Hilfsmittel des Unterrichts in rascher Form und hoher Auflage ermöglicht. Aber gerade die Druckerzeugnisse zeigen, daß man sich nicht überall den neuen Tendenzen willig und überzeugt öffnet. Es werden nicht nur die neuen Grammatiken eines Dati oder Perotti und deren spanische Bearbeitungen (Andres de Gutierrez de Cerezo, t 1503) - daneben eine Reihe von Textausgaben - gedruckt, sondern auch die alten Hilfsmittel wie das „Doctrinale" und neue, die den alten Methoden folgen, etwa lexikographische Kompilationen, die sich auf Papias, Hugocio, das „Catholicon" usw. stützen. So treten in Si)anien gewichtige konservative Kräfte, die eher die Macht der Tradition als die Furcht vor religiöser Unruhe und Umwälzung bestimmt, den Neuerungen entgegen; und es ist hier, stärker und ausdrücklicher als irgendwo sonst der Leistung eines Einzelnen zu verdanken, daß sich ein neues Interesse an der Antike durchsetzt: Antonio de Lebrija (Aelius Antonius Nebrissensis: 1441-1522) markiert die entscheidende Wende, und von ihm geht ein jahrhundertewährender Einfluß auf das Sprachverständnis und den Sprachunterricht in Spanien, in der ganzen spanischen W d t aus. Auch die Grammatik Melanchthons ist lange Zeit gebraucht und nachgedruckt, einige der italienischen Grammatiken dieser Zeit haben sich bis ins neunzehnte Jahrhundert gerettet: Lebrija liegt auch noch im zwanzigsten Jahrhundert dem Lateinunterricht zugrunde. Nicht nur wegen seiner Wirkung verdient Lebrija unsere Aufmerksamkeit, sondern auch weil er alle wichtigeren Züge der spanischen Tradition in sich vereinigt: das Bemühen um die sprachliche Struktur des Lateinischen und im Anschluß daran um die eigene Sprache, ihre Grammatik und ihren Wortschatz, überhaupt den Versuch, die Erkenntnisse der Antike (etwa im Bereich der Rhetorik) für den eigenen Gebrauch nutzbar zu machen - durch Übersetzungen, Bearbeitungen und auch einige Kommentare. Von nüchterner Kritik an den glühender pädagogischer Neigung eines Valla und Polizian geschult, die Tradition auf, d.h. gegen die

lange geübten Bräuchen und von erfüllt, zugleich durch die Werke nimmt Lebrija den Kampf gegen Kommentatoren und Glossatoren,

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gegen den trockenen Formalismus des Sprachunterrichts - für den unmittelbaren Zugang zu den Texten, ihrer Sprache, ihrem Aufbau usw., für eine methodische Erklärung, für eine systematisch von der Sprache selbst her aufgebaute Grammatik, für eine Rhetorik im Anschluß an die antiken Vorbilder. Es geht ihm dabei nicht um den Versuch, eine vergangene Zeit zu kopieren oder scheinbar neu zu beleben, also nicht um die enge Nachahmungeines einmal (z.B. durch Cicero) überzeugend verwirklichten Stils, sondern einerseits um die Abkehr von der Sprache derer, die das Lateinische ohne Rücksicht auf seine eigenen Gesetze fortbildeten und entstellten, und um die Rückwendung zur Sprache der alten Römer, nicht eines Einzelnen („ludicium meum Semper fuit synceri atque puri sermonis eos tantum fuisse autores qui floruerunt ante ducentos annos qui sunt ah aetate Ciceronis ad Antonium Pium, et ad phrasim eloquentiae faciendam hos tantum esse proponendos imitandosque")*^. Das zweite Ziel ist die Ausbildung der spanischen Sprache im Anschluß an die reichen Möglichkeiten des Lateinischen. Wenn auch Lebrija nie eine Cicerorede kommentiert, wenn er auch in vieler Hinsicht nicht radikal Neues schafft, sondern nur reformiert, teilweise sogar mit ausdrücklichen Konzessionen an die Tradition, darf er hier nicht übergangen werden, denn seine Reformen, die langsam von Ort zu Ort, von Universität zu Universität weitergreifen, schaffen die Voraussetzungen für die Entwicklung der folgenden Jahre, für das ganze sechzehnte Jahrhundert in Spanien. Nicht alle Werke der Schüler Lebrijas, in denen das Wirken des Meisters seinen konkreten Ausdruck findet, können hier angeführt werden. Es soll nur eine bezeichnende Äußerung zitiert werden, die sich bei einem von ihnen, Fernando Manzanares, im Schlußwort zu den „Flores rhetorici" (Salamanca 1488), einem rhetorischen Lehrbuch, findet: „Non legem scriho quasi numquam aliter factum sit aut fieri possit, sed quod frequentissime et imprimis a Cicerone factitatum"; sie ist wörtlich Vallas großem Werk entnommen^'. Wenn Cicero auch

"

Zitiert aus Lebrijas Widmung seiner Ausgabe des Prudentius (Palau239820) an Diego Ramfrez de Villaescusa de Ilaro (nach Revue Hispanique 22, 1910, 475, vielleicht fehlerhaft). 1, 17 (Opera omnia, Basel 1543, 22, auch 259 im ersten Antidotum gegen

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nicht die einzige Richtschnur sein soll, wird er doch als Vorbild von vielen geachtet; und so nennt Erasmus in der Übersicht seines „Ciceronianus" einige spanische Namen®", die sich leicht vermehren ließen, zumal Erasmus keineswegs nur „echte" Ciceronianer anführt, sondern z.B. auch Lebrija, von dem er ausdrücklich betont: „cuius mentionem laturus non sis in catalogo TulUanorum". Außerdem bemerkt Erasmus mit gutem Recht, daß man neben den wenigen, „qui scriptis innotuerunt", noch „doctos et eloquentes viros permultos" in Spanien finde und berücksichtigen solle. Dazu fehlt hier die Möglichkeit. Vielmehr müssen sogar einige der Genannten ausgelassen werden, da Erasmus sie fast alle vornehmlich aus persönlichen Gründen anführt; wir greifen nur Juan Gines de Sepulveda (1490-1573) heraus. Erasmus läßt seinen Bulephorus von ihm sagen, er berechtige zu großen Hoffnungen; und in der Tat zeigen die philosophischen und theologischen Schriften (z.B. „De fato et Uhero arbitrio") einen gepflegten Stil, den er jedoch nicht allein dem Studium in Salamanca, sondern vor allem seinem langen Aufenthalt in Italien verdankt". Solche Vermutung bestätigt sich, wenn wir gleiche, ja höhere stilistische Fähigkeiten bei Jeronimo Osorio (1514-1580), dem „portugiesischen Cicero", finden. Auch er studiert in Italien, z.B. bei Amaseo, und schon dort heißt es: „Ecce ... qui, si velit, Ciceronem e mortuis excitahit"^'. Noch bezeichnender und für unser Thema wichtiger ist Osorios Freund und Studiengenosse Antonio Agustin (1517-1586), einer der wenigen Spanier, dessen Name aus den textkritischen Apparaten jeder Ausgabe der Cicero-Reden geläufig ist. Auch er beginnt sein Studium in Alcalä und Salamanca, setzt es aber dann in Italien als Schüler von Alciato, Amaseo, Buonamico u.a." fort und verbringt Poggio). Zu Manzanares vgl. T. Vindel a.O. Bd. 2, 26 ff. Das Zitat ist nicht als solches gekennzeichnet. Collectio hg. von F. A. Hallbauer 105. Opera, 4 Bde., Madrid 1780; dazu M. Solana, Historia de la Filosofia Espanola, Epoca del Renacimiento, Madrid 1941, Bd. 2, 9 - 4 8 . H. Osorii ... Opera omnia, 2 Bde., Rom 1592; in der Vita, die seinem gleichnamigen Neffen verdankt wird (Opera, Bd. 1, 1 ff.), findet sich das angeführte Zitat (3). ^^ Vgl. Anm. 40 und S. 211, zu den im Folgenden genannten italienischen Humanisten s. unten Anm. 92 ff.

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dort entscheidende Jahrzehnte seines Lebens, mit Männern wie Panthagatho, Faerno, Manuzio, Sigonio und Orsini freundschafdich verbunden. Dort wird Agustin zum Ciceronianer, dort wird er vor allem zum Altertumsforscher und Juristen, zum Philologen und Textkritiker, der sich wie kein zweiter Spanier um den Text der Reden Ciceros kümmert; auch er verfaßt zwar weder einen Kommentar noch eine Ausgabe, doch erscheinen seine Emendationen, die er gern in seinen Briefen erörtert, schon früh in den Editionen der Italiener (Faemo, Manuzio), wodurch sie gleichsam unmittelbar als Produkt der italienischen Tradition erwiesen werden, ebenso wie die sachlichen Bemerkungen, die aus seinen antiquarischen Schriften in die Cicerokommentare dringen. Dasselbe gilt für die textkritischen Beiträge zu den philippischen Reden von Aquiles Estago (1524-1581), der ebenfalls lange in Italien lebt. Nicht nur nach Italien wenden sich die Spanier, um ein Studium im Ausland zu absolvieren; sie gehen auch nach Norden, nach Frankreich und Flandern. Und dort, in Paris und Louvain, ist es, wo Juan Luis Vives (1492-1540) - von Erasmus erst nachträglich in seinem „Ciceronianus" berücksichtigt - seine Anregungen empfängt, die er mit den Lehren Lebrijas verschmilzt. In Paris wendet er sich gegen die Scholastiker, und das heißt nicht zuletzt die Sprache der Scholastiker®^, weiter erklärt er lateinische Autoren, z.B. philosophische und rhetorische Schriften Ciceros, er verfaßt Hilfen für den Sprachunterricht („Exercitatio linguae Latinae"), er benutzt neben Quintilian Cicero für seine eigenen musterartigen „Declamationes" und seine „De ratione dicendi lihri tres". Doch auch er tritt, wo er etwa in seinem großen Werk „De disciplinis" zu stilistischen Problemen Stellung nimmt, mit gleicher Entschiedenheit wie Lebrija gegen eine äußerliche Ciceioimitatio auf. Er lobt zwar den Stil der Reden des großen Meisters („in quihus sunt ornamenta, lumina et virtutes omnes dicendV'Y^, betont aber zugleich: „Vieri yost tot annos non Ciceronianae dictionis aemulos, sed conflatores orationis ex verhis Ciceronis, " "

„In Pseudo - Dialecticos", Louvain 1519 (Opera, Basel [1555], Bd. 1, 272 ff.; Valencia [1782-90], Bd. 3, 37 ff.). „De disciplinis" (Opera, [Basel 1555], Bd. 1) 477.

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et commatis et colis"^'. Vives geht es um einen angemessenen Ausdruck, um die Kenntnis des Lateins der Alten und die Fähigkeit, selbst in ihrer Sprache zu reden und zu schreiben; dadurch soll der Zugang zu den Quellen der Antike gesichert werden, aber auch zu den Menschen anderer Zunge - im Hinblick auf das Ziel, dem alles untergeordnet ist: „Pietas, quo referuntur omnia"". Im Norden, genauer in Frankreich, entsteht auch einer der wenigen Kommentare, die hier zu nennen sind, und zwar zur Rede „In Vatinium" (1542); er ist von einem Portugiesen geschrieben, Antonio de Gouveia (1505-1566); aber der Verfasser kann mit Rücksicht auf die Stätten seiner Ausbildung und Wirksamkeit und seine juristischen Spezialinteressen nur als typischer Vertreter der französischen Tradition verstanden werden®'. Wie steht es aber nun in Spanien selbst? Dank des Einflusses von Lebrija und der Tätigkeit verschiedener Lehrer und Professoren, die in Italien, Frankreich oder Flandern studieren, beginnt bald eine rege, vielseitige Beschäftigung mit der Antike an allen Universitäten, besonders an der neugegründeten in Alcala; und überall ist man bemüht, verborgene Schätze zu heben und den eigenen Stil zu verbessern, wie es uns etwa Alfonse Garcia Matamoros (f 1572) eindrücklich in seiner Schrift „De adserandu His-panorum eruditione sive de viris Hispaniae doctis narratio apologetica" (1553) schildert. Auch er erörtert die imitatio Ciceros und empfiehlt sie so lange, als sie sachgerecht und angemessen ist. Die Werke, die dann in der zweiten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts unter Berücksichtigung oder aufgrund der Reden Ciceros entstehen, können im Folgenden nur noch summarisch behandelt werden; sie lassen sich in vier Gruppen zusammenfassen: I. Rhetorisch ausgerichtete Kommentare und Einführungen (zu den Reden „Divinatio in Caecilium", „De lege Manilia" (2), „Pro Rahirio perduelUonis reo", „Pro Marcello" (2), „Pro rege Deiotaro", " "

Ebd. 404. Ebd. 461. Opera iuridica, philologica, philosophica, Rotterdam 1766, darin eine Vita III ff., der genannte Kommentar 341 ff.

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„Phili'ppica II" und „Philippica VII" (2), außerdem fünf weitere, die ungedruckt bleiben zu den Reden „De lege Manilia", „Pro Räbirio perduellionis reo", „In Catilinam", „Pro Marcello" und „Pro rege Deiotaro". Der eifrigste Kommentator, der Arzt Andres Sempere (t 1571) in Valencia, erhebt in seinen Erläuterungen die Forderung nach rhetorischer Auswertung des Vorbildes, das in Ciceros Reden gegeben ist, und vertritt damit gleichsam einen Ciceronianismus, den man im Gegensatz zum stilistischen den rhetorischen Ciceronianismus nennen könnte (der übrigens ganz Ciceros eigenen Anschauungen und Absichten etwa bei der Veröffentlichung seiner Reden entspricht)". II. Übersetzungen mehrerer Reden: „Actio prima in Verrem", „De lege Manilia (2), „In Catilinam", „Pro Archia", „Pro Milone", „Pro Marcello" (2), „Pro Ligario", „Philippica IX". III. Sammlungen einzelner Wortgruppen oder Formeln, etwa Epitheta, Metaphern u.ä. aus dem Vokabular Ciceros, die für lateinische Kompositionen bereitgestellt werden. IV. Werke der rhetorischen Theorie, die Ciceros Redepraxis berücksichtigen oder auf ihr basieren (u.a. Palmirenos „De vera et facili imitatione Ciceronis" 1560). Derartige rhetorische und ähnlich geartete grammatische Schriften werden gegen Ende des Jahrhunderts in großer Zahl und mit besonderem Eifer von Francisco Sänchez de las Brozas (1523-1600) verfaßt, dessen „Minerva seu de causis linguae Latinae" (1587) versucht, die lateinische Sprache systematisch in ihrer Struktur zu erfassen, und sie dabei in viel zu enge Fesseln schlägt®". Wenn auch diese Schrift mehrfach kommentiert und nachgedruckt wird, wird ihr doch eine geringere Wirkung zuteil als einem etwa gleichzeitigen Werk, das unter ausschließlich praktischer Zielsetzung steht, dem „Thesaurus" des Bartholomeo Bravo (1553-1607). Der Titel erinnert an Nizzolios Att. 2, 1, 3. Zu erinnern ist hier an den ähnlichen Versuch Scaligers. - Zu den Ausgaben von Bravos „Thesaurus" (auch mit anderem Titel) vgl. C. Sommervogel, BibUothfeque de la Compagnie de J^sus, 2. Aufl. Bd. 2, 1891, 96 ff.; A. Palau y Dulcet, Manual, Bd. 2, 1949, 385 f.

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Werk und damit an die Ciceronianer in Italien; aber gerade im Vergleich zu ihnen wird die Eigenart, die andere Zielsetzung Bravos und der Spanier deutlich. Auch Bravo setzt sich ausdrücklich für das sorgfältige Studium der Sprache und der Werke Ciceros im Dienst einer rhetorisch-stilistischen Ausbildung ein, er legt seinem „Thesaurus" auch den Nizzolios zugrunde (in einer späteren Bearbeitung); doch er fügt dem durch spanische Äquivalente adaptierten Werk ein ,J)ictionarium flurimarum vocum quae in Ciceronis scriptis desiderantur" hinzu. Wenn Bravos Werk Nachdrucke bis ins neunzehnte Jahrhundert erlebt, so ergibt sich die Erklärung nicht allein aus der konservativen Haltung der Spanier, sondern auch aus der Tatsache, daß er Jesuit ist und daß die Jesuiten in Spanien wie in anderen Ländern (vgl. unten zu Frankreich S. 240) die rhetorische Ausbildung pflegen und zu ihrer Grundlegung antike Autoren heranziehen. Es darf bemerkt werden, daß in jenen letzten Jahren des sechzehnten Jahrhunderts in Spanien (bzw. Portugal) auch die beiden Werke erscheinen, auf denen der gesamte grammatische und rhetorische Unterricht der Jesuiten in allen Ländern bis ins neunzehnte Jahrhundert beruht hat, die Grammatik des Manuel Alvarez (1526-1582) und die Rhetorik des Cipriano Suarez (1524-1593), die, wie der Titel lehrt („De arte rhetorica libri tres ex Aristotele, Cicerone et Quintiliano defrom'pti"), unmittelbar auf Cicero aufbaut. So ist es nur natürlich, daß in den folgenden Jahrhunderten auch die Erklärung der Beredsamkeit Ciceros gerade von den Jesuiten betrieben wird. Überblickt man die Bemühungen der Spanier um Ciceros Reden im Zusammenhang mit dem Interesse, das sie der Antike im allgemeinen entgegenbringen, so zeigt sich immer wieder das gleiche Ziel: die antiken Werke als rhetorische Kunstwerke zugänglich und verständlich zu machen, die in ihnen beschlossenen Schätze, etwa gelungene Formulierungen, bereitzustellen und zugleich eine umfassende Theorie zu entwickeln, mit deren Hilfe diese Mittel angewendet werden können. Dadurch soll der Einzelne in den Stand gesetzt werden, die lateinische Sprache mit optimaler Wirkung zu gebrauchen, speziell um sich mit seinem Mitchristen zu verständigen oder sich bei einem Nicht-

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Christen Gehör zu verschaffen. Aui3erdem soll das Eindringen in das Lateinische und seine Eigenarten Möglichkeiten erschließen, die eigene Sprache, also das Spanische, besser zu durchschauen und zu bereichern. Nirgendwo wird in Spanien das Studium der Antike um seiner selbst willen betrieben, überall steht es unmittelbar im Dienst der Erziehung: des grammatischen Unterrichts, der sprachlichen Schulung und der rednerischen — und philosophischen — Ausbildung; die Erziehung aber steht im Dienst der Festigung und Ausbreitung des christlichen Glaubens. IV. So oft es im Mittelalter eine lebendige Beschäftigung mit antikem Geistesgut gegeben hat, hat ihr Zentrum in Westeuropa gelegen, zunächst im Frankenreiche, später in Frankreich®'; es braucht nur noch einmal an die Schule von Chartres erinnert zu werden, dann an die Tatsache, daß viele Handschriften des zehnten bis zwölften Jahrhunderts aus Frankreich stammen und daß die italienischen Humanisten aus diesem Grunde zahlreiche Handschriften in französischen Klöstern finden, nicht zuletzt Handschriften der Reden Ciceros. Auch in den folgenden Jahrhunderten bleibt in Frankreich das Interesse an der Antike stets wach, wenn es auch zeitweise nur von Einzelnen gepflegt wird. Sie aufzuzählen oder gar kurz zu charakterisieren fehlt die Möglichkeit®^. Hingewiesen sei auf die Tatsache, daß "

Auch hier ist zunächst hinzuweisen auf einige allgemeine Darstellungen: A. Tilley, The Literature of the French Renaissance, 2 Bde., Cambridge 1904; ders., The Dawn of the French Renaissance, Cambridge 1918; G. Gröber, Geschichte der mittelfranzösischen Literatur, 2. Aufl. von St. Hofer, 2 Bde., Berlin 1932-1937; W. Mönch, Frankreichs Literatur im X V L Jahrhundert, Berlin 1938; J. Calvet, Histoire de la litterature frangaise: Le Moyen Age (R. Bossuat), Paris 1955; La Renaissance (R. Morcay; 2. Aufl. A. Müller) Paris 1960. Eine ausführlichere Darstellung, die ich vorbereite, wird auch diesen Zeitraum berücksichtigen. Neben der Anm. 61 genannten Literatur sei auf F. Simone, II Rinascimento Francese, Turin 1961, verwiesen, der weitere Arbeiten, vor allem die von A. Combes zitiert.

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es auch in Frankreich Sekretäre an den königlichen und herzoglichen Höfen sind, die das Studium der antiken Autoren betreiben und in der Nachfolge Ciceros als Stilisten teilweise beachtliche Leistungen vollbringen. Doch ihre Zahl ist gering: die äußeren Umstände - der über hundertjährige Krieg mit England - sind nicht geeignet, das geistige Leben zu fördern. Im Gegensatz zu Italien fehlt eine vergleichbare Vielzahl rivalisierender fürstlicher Höfe oder blühender Stadtstaaten; und an den Universitäten erhebt sich ein mannigfacher, anhaltender Widerstand gegen die Neuerungen, da man das Gebäude der Theologie nicht durch das Studium der heidnischen Antike gefährden will. Vor allem die Philosophen und Theologen der Sorbonne neigen als Hüter eines alten Erbes dazu, an den vertrauten Überlieferungen festzuhalten (und werden so zu Vorläufern der Gegenreformation). Selbst diejenigen, die sich zu gewissen Reformen bereit finden, wie etwa Jean Standonck 1453-1504) oder Jean Raulin (14431514), verachten doch alles, was nicht Theologie ist, und wenden sich gegen den Kult der heidnischen Wissenschaften. So heißt es in einer Predigt Raulins: „Secundum Guillelmum Parisiensem, caeterae scientiae a sacra scientia sunt anus decrepitae, deformes, terrenorum consideratione curvae, et infructuosa eloquentia tumidae et inflatae"^^. N u r in der Artistenfakultät der Sorbonne, in der noch in der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts die mittelalterlichen Lehrbücher (etwa Alexanders „Doctrinale") den Lehrbetrieb in Grammatik und Rhetorik beherrschen, werden in den letzten Dekaden des Jahrhunderts dank des Wirkens von Guillaume Pichet (1433-1490) und Robert Gaguin (1433-1501) neue Formen des Unterrichts eingeführt; mit Hilfe des Buchdrucks finden einige der italienischen Grammatiken Verbreitung, und Italiener treten auch als Lehrer auf. Besonders hervorzuheben ist Filippo Beroaldo (s. o. S. 212), der die studia hunumitatis, wie er sie selbst in seiner programmatischen Zitiert in dem für diesen Zeitraum grundlegenden Werk von A. Renaudet, Pr&^forme et Humanisme ä Paris pendant les premieres guerres d'Italie 1494-1517, 2. Aufl. Paris 1953, 169 Anm. 2; noch 1506 druckt Josse Bade zur Sicherung der Bibelexegese in traditioneller Form das „Catholicon" und in den nachfolgenden Jahren andere mitttelalterliche Hilfsmittel.

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Einführungsrede nennt", in Paris betreibt, d.h. antike Autoren nach der in Italien entwickelten Methode interpretiert und ihren Gehalt, ihre Sprache und ihre Kunst zu erschließen versucht. Auch Beroaldo macht sich die eben in Paris etablierte Kunst des Buchdrucks zunutze; nachdem 1475 eine erste Textausgabe der Reden Ciceros gegen Catilina erschienen war, besorgt er eine zweite verbesserte, wie denn überhaupt eine Reihe antiker Autoren (nicht zuletzt Cicero) auch in Übersetzungen oder mit den Kommentaren der Italiener in ständig wachsender Zahl gedruckt wird. Es vnirde zu weit führen, die Namen all derer zu nennen, die aus Italien kommend in Paris oder an anderen französischen Universitäten tätig sind und die studia humanitatis pflegen, d.h. den Zugang zu den antiken Werken selbst, zu ihrem Inhalt, ihrem Geist und ihrer Form zu öffnen beginnen. Ebensowenig können alle diejenigen aufgeführt werden, die sich von der neuen Bewegung beeinflussen lassen. Es muß genügen, in knappen Strichen einige der Persönlichkeiten zu skizzieren, deren Wirken die Entwicklung in Frankreich um und nach 1500 geprägt hat. Nach den ersten Bemühungen des Jean Lefevre d'Etaples (14501536) ist es die mannigfache Aktivität des Erasmus, die eine nachhaltige Wirkung auf das französische Geistesleben auszuüben vermag; er darf deswegen hier nicht übergangen werden, obwohl seine Gegner ihn als „Germanus" schelten. Im scheinbar abgelegenen Norden aufgewachsen und ausgebildet, ist Erasmus vor allem durch eigene Studien mit den Werken der Antike und den Errungenschaften der Italiener und ihren „humanistischen" Bestrebungen vertraut, ja er hat sich schon zum Vorkämpfer der Forderungen des von ihm erkorenen Meisters Valla gemacht, als er 1495 nach Paris kommt. Und obwohl er dort nur wenige Jahre - mit manchen Unterbrechungen - lebt, bleibt kaum einer von der vielseitigen Tätigkeit dieses beweglichen Geistes unberührt. Einen in gleicher Weise mit der Philosophie und "

„Oratio de laudibus gymnasii parrhisiorum et poetices ...", Paris 1486 (?, nach dem Gesamtkatalog der Wiegendrucke, Bd. 4, 1930, Nr. 4141 schon 1478), daraus zitiert bei A. Renaudet a.O. 116 Anm. 6. Zu Beroaldo s. z.B. E. Garin, Geschichte . . . , Bd. 2, 309.

Cicerostudien in der Romania

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Literatur, Grammatik und Stilistik bekannten und in den Methoden philologischer Kritik geschulten Kopf gab es in Paris vor ihm nicht. Erasmus entwickelt Ideen, denen es zuzuschreiben ist, daß die antiken Autoren, besonders die stilistisch vorbildlichen Reden und die inhaltlich gewichtigen philosophischen Schriften Ciceros auch im Norden immer häufiger gelesen werden; und er erläutert selbst einige philosophische Schriften Ciceros. Aber schon während seines ersten Aufenthaltes in Italien vermag er kein Verständnis für die dortigen Lehrer heidnischer Wissenschaft, wie er sie später in einem Brief an Melanchthon nennt®', aufzubringen. Und so veröffentlicht er in seinen späten Jahren (1528) den ,J)ialogus Ciceronicmus", das Werk, mit dem er ganz im Geist der französischen Tradition die Vertreter des in alle Länder gedrungenen formalen Humanismus einer unerbittlichen Kritik unterwirft und die vor allem in Italien zahlreichen Anhänger eines (sprachlichen) Cicerokults verhöhnt. Dagegen befürwortet er selbst eine geläuterte Form der Nachahmung, ein der Sache dienendes Studium nicht nur Ciceros, sondern der ganzen Antike: „ceterum illud ante omnia providendum, tninis ipraesügio decepta tuT discipUnae, gamus,

ne simplex

pro Ciceroniana

huc philosophia,

ut Christi

ac rudis aetas Ciceroniani

gloriam

fiat pagana

huc ehquentia,

celehremus.

cogno-

. . . Huc

discun-

ut Christum

intelU-

hic est totius

eruditionis

et

Überall wird das in Basel gedruckte Werk mit größtem Interesse, vielfach mit heißer Begeisterung aufgenommen, nicht nur in Spanien, sondern auch in Paris, und der Streit um die imitatio Ciceronis wird dort mit fast größerer Leidenschaft ausgetragen als in Italien selbst. eloquentiae

scopus"".

Neben Erasmus ist ein Mann zu nennen, der auch zu den größten Geistern der Zeit nicht nur in Frankreich, sondern in Europa zählt: Guillaume Bud6 (1468-1540). Gewiß hat der reiche Pariser Bürgersohn nach seinem Rechtsstudium in Orleans Vorlesungen bei Leffevre gehört, gewiß hat er sich mit den Methoden Polizians (s. o. S. 212 f.) »5 6.9. 1524, epist. 1496: Opus Epistolarum hg. von P. S. und H. M. Allen, Bd. 5, Oxford 1924, 550, 183 f. " CoUectio hg. von F. A. Hallbauer 129. Zur Verbreitung des Werkes vgl. z.B. M. Bataillon, Erasmo y Espana, Mexico 1950.

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C. Joachim Classen

vertraut gemacht - vor allem aber hat er sich selbst durch eine ausführliche Lektüre der antiken Autoren gebildet und sie teilweise - wie etwa Cicero - intensiv studiert. Als er 1508 die monumentalen „Annotationes in quattuor et viginti Pandectarum ühros" bei Josse Bade publiziert, legt er das Ergebnis ganz eigener Leistung vor und zeigt, daß er neue Wege gehen kann und will, indem er die von Valla und Felizian entwickelten und auch von Erasmus, dem Bud6 sich vielfach verpflichtet weiß, übernommenen Methoden auf die Behandlung des „Corpus Iuris" überträgt: er verläßt die Glossatoren und Kommentatoren und stößt zum Text selbst vor, widmet sich dessen Kritik und Erläuterung mit den Hilfsmitteln, die die antiken Autoren und Denkmäler an die Hand geben. Bude hat nie eine Rede Ciceros kommentiert; er hat immerhin die bei Josse Bade 1511 gedruckte Cicero-Ausgabe bearbeitet, vor allem aber hat er durch seine Forschungen zahllose Einzelergebnisse erzielt, die, für das Verständnis Ciceros unentbehrlich, in die Kommentare eingegangen sind; darüberhinaus hat er der Philologie neue Wege erschlossen durch die Befreiung von mittelalterlicher Erklärungsweise (wie Valla) und die Berücksichtigung der Realien (wie Biondo). Zugleich gibt Bude der Philologie einen neuen Inhalt als Zusammenfassung der Einzelwissenschaften, Ciceros Konzeption von der Philosophie vergleichbar, und weist ihr (so verstanden) eine neue Stellung zu als notwendige Ergänzung und Vorstufe theologischer Bildung". Die knappe Erörterung führender Geister, durch deren Wirken nicht mehr nur ein leiser Hauch des Geistes Petrarcas über Frankreich hinweht, sondern die kritische Gesinnung Vallas bedeutsame Veränderungen verursacht, kann hier weder ergänzt werden durch eine auch nur oberflächliche Behandlung all derer, die als Lehrer, Kommentatoren usw. die neuen Bestrebungen im Einzelnen verwirklichen, noch durch eine eingehende Darstellung der Wandlungen im Schulwesen (Lehrpläne) oder des keineswegs immer glücklichen Einflusses "

„De studio Utterarum" ( 1 5 2 7 ) und „De philologia" gedruckt Stuttgart 1964 mit Vorwort von A. Buck.

( 1 5 3 0 ) , beide nach-

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der antiken Vorbilder auf die geistliche und richterliche Beredsamkeit. Aber ein Faktor, ohne den die neuen Tendenzen nie zu einer vergleichbar breiten und intensiven Wirkung gekommen wären, darf nicht übergangen werden: der Buchdruck. Er ist wohl von niemandem mit nachhaltigeren Folgen und größerem Erfolg ausgenutzt worden als von Josse Bade (1462-1535), durch den die neue Bewegung zu den geistigen Voraussetzungen auch die praktischen erhält. Neben zahllosen anderen Werken erscheinen bei Bade auch Ausgaben antiker Autoren, die entweder nur den Text enthalten oder auch einen neuen Typ elementaren Kommentars, z.B. zu den philippischen Reden. Es geht Bade darin um den Untenicht in der lateinischen Sprache in korrekter Form; und so begnügt er sich mit grammatischen Regeln, elementaren sachlichen Erklärungen, moralischen Bemerkungen und Hinweisen zum Text, dessen sorgfältige und richtige Gestaltung ihm besonders am Herzen liegt, wie ein Vergleich etwa seiner drei Ausgaben der Reden Ciceros bestätigt: ein braver Schulkommentar - so wird man urteilen, ähnlich wie alle andern aus Bades Feder", die man deswegen nicht verachten sollte. Denn in einem Lande, in dem man zwar immer eine beschränkte Aufgeschlossenheit für die Alten zeigt, in dem man sich aber in weiten Kreisen der einflußreichen Schichten gegen die von Italien ausgehende Unruhe wehrt und in dem sich zunächst nur wenige überragende Geister, wie gezeigt wurde, um einen neuen Zugang zu der Antike und ihren Autoren bemühen, werden die schlichten Textausgaben und anspruchslosen Kommentare zur notwendigen Voraussetzung, auch weitere Kreise an dieser Erschließung neuer Schätze teilhaben zu lassen. Ähnliche Kommentare werden auch von anderen verfaßt, von denen nur einer genannt sei, Barthelemy Le Masson (Latomus: 14851570). Nicht in Frankreich, sondern in Deutschland geboren und ausgebildet, bemüht er sich um das intensive Verständnis antiker Reden, speziell ihre Analyse, die Erklärung der rhetorischen Figuren und ihrer Funktion sowie die Form der Schlüsse. Seit 1531 läßt er jährlich "

Ph. Renouard, Bibliographie des impressions et des oeuvres de Josse Badius Ascensius, 3 Bde., Paris 1908. Bade verlegt auch die weitverbreiteten Kommentare des Franfois Dubois (Franciscus Sylvius) zu Ciceros Reden.

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mehrere Ausgaben ciceronischer Reden mit Argumentum, P^narrationes, Adnotationes oder Scholia erscheinen, die teilweise aus seinen Vorlesungen stammen. Denn Ciceros Reden nimmt er sich auch zum Gegenstand seiner Lehrtätigkeit, die er als erster Professor der lateinischen Beredsamkeit am College royal mit einer wichtigen Rede „De studiis humanitatis" einleitet". Deren doppelte Aufgabe sieht er darin, zu kritischer Gesinnung und dem Vermögen zu erziehen, klar und nüchtern zu denken und sich verständlich und ansprechend auszudrücken; darüberhinaus will er eine moralische Wirkung auf den Einzelnen und auf das Gemeinschaftsleben ausüben. So tritt neben den „offiziellen" Lateinunterricht an der Universität Paris das humanistisch orientierte Studium bei dem Lecteur royal, der als Grundlage dafür Ciceros Reden wählt. Ergänzend ist hier auf eine Reihe von Erklärem zu verweisen, die sich auf einzelne Reden beschränken. Gerade ihnen werden zwar anspruchsvolle Erläuterungen zu seltener gelesenen Reden mit wichtigen sachlichen - etwa juristischen - Bemerkungen verdankt, doch können sie ebensowenig wie die sehr zahlreichen kritischen Textausgaben etwa der Geschwister Estienne - einzeln aufgeführt werden. Zeigen schon die Texte und Kommentare, daß sich das Interesse an der Sprache in ungeahnter Weise steigert, wie auch kleinere Streitund Mahnschriften beweisen™, so führt der Name der Geschwister Estienne'^ mitten hinein in die Lexikographie. Robert Estienne druckt 1531/32 zum ersten Mal seinen „Latinae linguae Thesaurus", dann überarbeitet 1536 und vor allem 1543 und 1554. Wie der Untertitel zeigt, will das Werk der Belehrung dienen, aber nicht etwa einen Autor allein zum Vorbild machen. Es ist ein Lexikon für die lateinische Sprache, nicht für Cicero. Zwar läßt Erasmus seinen Nosoponus 1528 schon von drei Speziallexika zu Cicero schwärmen; doch in " " "

Latomus, Deux discours inauguraux hg. von L. Bakelants, Brüssel 1951 (mit unzureichenden Erläuterungen). Z.B. Calvins Lehrer: Mathurin Cordier (1478-1564) „De corrupti sermonis apud Gallos et loquendi Latine ratione Ubellus" (1530). A. A. Renouard, Annales de l'Imprimerie des Estiennes, 2 Bde., Paris 1843; E. E. Brandon, Robert Estienne et le dictionnaire franjais au XVIe si&:le, Baltimore 1904.

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Frankreich bleiben derartige Versuche entweder sachlich orientiert'^ oder erfolglos. Als Charles Estienne 1557 einen „Thesaurus Ciceronianus" in Paris druckt, findet er keinen Absatz'". Denn der Ciceronianismus, wie er sich in Italien ausbildet, kann in Frankreich nicht Fuß fassen. Gewiß, Christophe de Longueil (1488-1522) gehört eigentlich nach Frankreich; doch ordnet sich der Schüler Bembos so völlig in die geistige Welt Italiens ein, daß gerade er am ehesten als Beweis dafür dienen kann, daß die enge Nachahmung Ciceros in Frankreich keinen Anklang findet; und wenn Etienne Dolet (1509-1546)'^ in Verteidigung seines Vorbildes Longueil Erasmus' „Dialogus Ciceronianus" angreift, so ist zu bedenken, daß auch er in Italien studiert und dort entscheidend geprägt wird; dasselbe gilt für die anderen französischen „Ciceronianer". Neben sie treten die Italiener, die in Frankreich leben, von denen auch nur einer hervorgehoben sei: Julius Caesar Scaliger. Er empfängt seinen ersten Unterricht in Italien und treibt auch später dort seine Studien, meist privat, bis er sich 1525 in Frankreich niederläßt. Gewiß, seine Angriffe auf Erasmus' „Dialogus Ciceronianus" zeigen auch eine Parteinahme für die Franzosen, d.h. Bud6. Doch die Argumentation erweist Scaliger in mehr als einem Punkt als treuen Sohn seiner Heimat, wenn er die Italiener verteidigt, wenn er Erasmus vorwirft, er verdanke sein Wissen Italien, wenn er für Cicero selbst warm eintritt, wenn er die Frage nach einer Cicero ebenbürtigen Leistung des Erasmus in die Form kleidet: „Welches Rom hast du gerettet?"" Scaligers Bedeutung liegt nicht in seinem Eintreten für Cicero geschweige denn einer Erläuterung seiner Werke - nicht allein in seiner Meisterschaft, in Reden und Briefen dem Vorbild nahe zu

" " "

Sowohl das „Dictionarium Ciceronianum" ( 1 5 3 6 ) von Hubert Sussanneau ( * 1 5 1 2 ) als auch das M. T. Cicerone insignium sententiarum elegans et perutile compendiunt . . . " ( 1 5 4 8 ) des Pierre Lagnier sind sachlich orientiert. A. A. Renouard a.O. Bd. 1, I I I ; Bd. 2, 3 5 8 ff. Vgl. R. C. Christie, Etienne Dolet, 2 Aufl. London 1899. „Oratio pro Af. Tullio Cicerone contra Desideriutn Erasmum" ( 1 5 3 1 ) und „Adversus Desiderii Erasmi Rot. dialogum Ciceronianum oratio secunda" ( 1 5 3 7 ) , dazu V. Hall, Life of J . C. Scaliger, Transactions of thc American PhÜosophical Society, N.S. 4, 2, 1955, 9 9 ff.; das Zitat ebd. 101.

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kommen, die Beweis einer seltenen Vertrautheit mit dessen Sprache sind, sondern in seinem Versuch, die Wesenszüge der lateinischen Sprache rational zu erfassen (1540: „De causis linguae Latinae") und in seiner Poetik (1561), in der Scaliger, die Dichtung als Form der Redekunst verstehend, die Möglichkeiten des sprachlichen Ausdrucks erörtert (3, 27 ff.). Außerdem wirkt er durch seine Vermitderrolle, die er als Sohn italienischer Überlieferung in Frankreich spielt. Der letzte Biograph Scaligers, Vernon Hall, schreibt in seinem im allgemeinen nicht sehr tiefgehenden Abriß: „Scaliger wrote in Latin, yet he influenced generation after generation of poets and dramatists who wrote in French"". Damit stellt sich auch für Frankreich die Frage des Einflusses der Lateinstudien auf die eigene Literatur. Die Einflüsse antiker Literatur auf Inhalt und Sprache der französischen (einschließlich der Übersetzungen) im vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert mußten übergangen werden, ebenso die Bemühungen mancher Autoren des vierzehnten Jahrhunderts um rhetorische und klassische Bildung, ihre Versuche, die antiken Vorbilder nachzuahmen, und die anhaltende Diskussion um den Rosenroman, die weit bis ins fünfzehnte Jahrhundert reicht. In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts ist an die Dichtung Frangois Villons (1431-1465) oder an die Geschichtsschreibung eines Philippe de Commynes (14461511) zu erinnern. In der folgenden Generation zeigen Jean Lemaire des Beiges (1473-1524) und Clement Marot (1496-1544) Einfluß antiker, aber auch italienischer Formen und Vorbilder, da sie in Italien studieren oder mit italienischer Dichtung vertraut sind"; zugleich aber wendet sich Lemaire bewußt gegen den Einfluß des Lateinischen auf die Sprache. Es ist nicht möglich, eine allgemeine Übersicht über den weiteren Einfluß antiker Sprache und Formen auf die französische Literatur zu geben; wenige Hinweise müssen genügen. Als unter Franz 1. wieder zahlreiche Übersetzungen angefertigt und gedruckt werden, beginnt man das Übersetzen selbst als Problem

"

A.O. 140, vgl. auch A. Buck in der Einleitung zum Neudruck der „Poetices libri Septem" (Stuttgart 1964). Einige Beispiele gibt O. Gmelin a.O. 248 ff.; 280 ff.

Cicerostudien in der Romania

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zu erfassen und erörtert zugleich den Wert und die Möglichkeiten der Muttersprache. Während sich Dolet für die Muttersprache einsetzt wie vor ihm andere und vor allem Joachim du Beilay" (1522-1560) in seiner „Deffence et illustration de la langue frangoyse", klagt man andererseits über die egestas patrii sermonis und bevorzugt das Latein oder versucht, die Muttersprache zu bereichern durch Anleihen aus der Volkssprache (Rabelais) oder aus dem Lateinischen (die Pleiade). Entscheidend ist, daß alle sich am Lateinischen orientieren, dem klassischen Latein, ob sie nun das Ungenügen oder die Ebenbürtigkeit der Muttersprache erweisen wollen. Und so werden hohe und höchste Leistungen erreicht sowohl von denen, die auf das Lateinische nicht verzichten wollen, wie auch von denen, die die Muttersprache vorziehen oder jedenfalls als gleichwertig ansehen und sich bemühen, sie zu einem brauchbaren Instrument anspruchsvoller, auch wissenschafdicher Darstellung zu machen (Jean Calvin; Jacques Amyot; Pierre de la Ramfe; die Pleiade: z.B. Pierre de Ronsard; Etienne Pasquier, Henri Estienne und auch Montaigne). Im Zusammenhang der Bemühungen um das Lateinische ist ein Franzose zum echten Nachahmer Ciceros geworden, ein Mann, dem es gelingt, ganz in das Wesen des Lateinischen einzudringen: Marc Antoine Muret, auch er wieder, wenn ich recht sehe, ein Autodidakt. Schon von Montaigne als „le meilleur orateur du temps" bezeichnet (Essais I 25), erwirbt er sich auch bei der Nachwelt stete Achtung durch seine (immer neu abgedruckten) Briefe und Reden, in denen er sich wie kein anderer mit der Sprache Ciceros vertraut zeigt. Ist er also als weitere Ausnahme doch als französischer Ciceronianer anzusehen? Man könnte darauf verweisen, daß auch Muret in Italien seine geistige Heimat findet. Genauere Prüfung lehrt, daß Muret zwar Cicero oft in seinen Vorlesungen interpretiert und auch Kommentare zu CiceroReden verfaßt, daß er sich an Cicero anschließt und sich um imitaüo bemüht - aber in dem von Cicero geforderten Sinn, d.h. ohne sklavische Enge. So berichtet er bekanndich von den Scherzen, die er mit Ciceronianern seines Gastlandes treibt: wie er einzelne Wörter, die in 'S

Vgl. K. O. Apel a.O. 243 ff.

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Nizzolios Sammlung fehlen, verwendet und dadurch bei den engstirnigen Nachahmern Schaudern und Entsetzen, ja physisches Unbehagen erregt, bis er ihnen nachweist, daß es sich um Formulierungen des großen Meisters handelt, woraufhin sie sogleich „lenes", „siutves", „iucundae" erscheinen". Muret kann also als ein echter Ciceronianer angesehen werden, der im Geiste Ciceros eine sinnvolle Nachahmung mit echtem Stilgefühl pflegt. Kehren wir nach Frankreich zurück; denn es gilt, noch einige sehr eigentümliche und sehr einflußreiche Leistungen zu wmrdigen. Die Schulkommentare zu Ciceros Reden waren abgefaßt, und nur hier und da mochte es jemanden reizen, entweder eine Lücke zu füllen, die Sylvius und Latomus gelassen hatten, oder ganz neue Wege zu beschreiten. So erscheinen mancherlei Kommentare, unter denen die „Animadversiones" zu Ciceros Ackergesetzreden von Leger Duchesne (t 1588), Professor der lateinischen Beredsamkeit am College royal, hervorzuheben sind. Sie dienen nicht unmittelbar der Erläuterung, sondern dem Angriff auf den im Untertitel genannten de la Ramfe: „te nihil in his orationihus intellegere ..." heißt es schon im Vorwort, und dann etwa „hic deesse aliquid Rantus futat; ac sane deest ei, qui non intelligit"*". Wer ist es, der so hart gescholten wird? Er ist vielleicht der interessanteste unter den Franzosen, die im sechzehnten Jahrhundert das Werk Ciceros studieren, jedenfalls derjenige, dem die breiteste, wenn auch nicht in jeder Hinsicht segensreichste Wirkung beschieden war: Pierre de la Kamee (1515-1572)". 1543 erregt er großes Aufsehen durch seine Schriften, in denen er Aristoteles und dessen Logik angreift und durch ein eigenes System der Dialektik mit diffizilen Klassifizierungen zu ersetzen sucht. Als ,yariae lectiones" 15, 1 (zitiert in der Vita von J. Thomasius, abgedruckt in den Opera [1789], Bd. 1, VI ff.); ähnliche Schilderungen geben auch Polizian (s.o. Anm. 37) und Erasmus: epist. 326 (Opus Epistolarum, Bd. 2, Oxford 1906, 56). Abgedruckt in Adrien Turnfebes Opera, Straßburg 1600, Bd. 1, 72 ff.; es ist nicht wahrscheinlich, daß die „Animadversiones" tatsächlich von Turnebe stammen. Vgl. W. J. Ong, Ramus. Method and Decay of Dialogue, Cambridge Mass. 1958.

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ihm daraufhin verboten wird, Philosophie zu lehren und seine Bücher zu verbreiten, wendet er sich der Interpretation klassischer Autoren zu - die er nun auch seiner Methode logischer und rhetorischer Erklärung unterwirft. In seinen Kommentaren treten neben elementare sachliche und sprachliche Erläuterungen schematische Dispositionen und Klassifizierungen der Schlüsse und rhetorischen Figuren mit statistischen Zusammenfassungen der rhetorischen und logischen Analysen. Dadurch wird zwar die Struktur der sprachlichen Gebilde erhellt, jedem einzelnen Phänomen sein Platz in einem allgemein gültigen Schema zugewiesen, doch ohne daß die Funktion im Gesamtorganismus der Rede deutlich wöirde. Diese Methode ist in ihrer Ausprägung neu, erinnert aber mit ihren Tafeln und Gruppen unmittelbar an eine Reihe älterer Ciceroerklärer wie Christoph Hegendorf, Philipp Melanchthon, Johannes Sturm, also an die deutschen Interpreten, die diese dürre, schematische Form der Erläuterung entwickeln, welche eher trockener Belehrung als echtem Verständnis dient - eine Form der Kommentierung, an der man übrigens auch später in Deutschland festhält. De la Ramee - darin der französischen Tradition treu, daß er sich nicht den Italienern anschließt - übernimmt seine Form der Interpretation oder auch sein dialektisches System keineswegs ausschließlich von den Deutschen; er entwickelt es im Anschluß an den Meister, auf den auch die Genannten zurückgehen: Rudolf Agricola (1443-1485), dessen Rhetorik seit 1529 mehrfach in Paris gedruckt und dessen Methode durch de la Ramee nicht zuletzt aus Protest gleichsam mit Gewalt in die ganz anders ausgerichtete französische Tradition hineingezwungen wird. Wenn diese Erklärungsform auch der lebendigen Rede nicht voll gerecht zu werden scheint, so ist ihr Nutzen für den Unterricht, für das Erfassen der Sprache in ihren einzelnen Möglichkeiten, die stets im Mittelpunkt der Bemühungen de la Ram6es stehen, offenkundig. Jedenfalls wird de la Ram6e, der selbst nur die Nachahmung der reinen Autoren fordert - nicht allein Ciceros - und einen schlichten Stil schreibt, von seinen Zeitgenossen als der beste Stilist anerkannt, mit dem höchstens Cicero verglichen werden könne - wegen, trotz oder unabhängig von seiner eigenwilligen Erklärungsmethode. Und ebenso unbestritten ist, daß kaum eine Art

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der Erklärung so viele und so begeisterte Nachfolger gefunden hat: Franciscus Fabricius Marcoduranus, Johann Thomas Freige, Johann Piscator, Wolfgang Hegius und Martin Beumler, um nur einige zu nennen. Aber nicht nur im deutschsprachigen Raum findet de la Ramee Anhänger, sondern auch in Frankreich, vor allem aber bei denen, die sich in den folgenden Jahrhunderten am intensivsten mit einem systematischen Unterricht in der Rhetorik befassen, bei den Jesuiten; es sei an Nicolas Abram, Martin du Cygne, Charles de Merouville und Giannangelo Serra Cappucino da Cesena erinnnert. Es ist dabei unerheblich, ob sie durch de la Ramee, einen seiner Nachfolger oder schließlich durch irgendeinen anderen geistigen Schüler Agricolas - etwa Johannes Sturm - beeinflußt sind; die innere Verwandtschaft bleibt. Und selbst wer nicht bereit ist, de la Ramee einen Einfluß auf die Jesuiten zuzubilligen, wird nicht leugnen können, daß er durch seine Verbindung von Philosophie und Rhetorik der erfolgreichste Nachahmer und der eigenwilligste und wirkungsvollste Erklärer Ciceros unter den französischen Humanisten geworden ist. Daneben bleiben andere Kommentare fast bedeutungslos und können übergangen werden. Dagegen wären verschiedene im engeren Sinn philologische Leistungen zu wmrdigen: die textkritischen Beiträge Adrien Turnebes (1512-1565), die Ausgabe Denys Lambins (15201572) und die verschiedenen Arbeiten des Verlegers Henri Estienne (1528-1598), der sich in mehreren Streitschriften ausdrücklich gegen die italienischen Ciceronianer wendet'^. Auch auf sie kann nur hingewiesen werden. Eingegangen sei noch auf den wichtigsten sachlich orientierten Kommentar dieser Jahre zu Ciceros Reden. Er ist dem Bereich gewidmet, dem die Franzosen seit Bude ihre besondere Aufmerksamkeit geschenkt und auf dem sie besondere Leistungen vollbracht haben, der juristischen Erläuterung. Frangois Hotman (15241590)", dem weder die veraltete scholastische Form des juristischen 1577: „Pseudo — Cicero. Dialogus"; 1578: „Nizoliodidascalus sive Monitor Ciceronianorum Nizolianorum". 8' Opera, 3 Bde., Lyon 1599—1600; ein Nachdruck des Pamphlets „Le Tigre" wurde 1875 in Paris von Ch. Read veröffentlicht. Einige Literatur gibt

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Studiums noch die allzu einseitige grammatisch-philologische Ausrichtung behagt, wie sie Bude, Alciato und andere vertreten, und der daher einen gesunden Mittelweg sucht, ist andererseits bemüht, auch die übliche Ciceroerklärung in neue Bahnen zu lenken und die Reden sachlich, und vor allem juristisch eingehend zu behandeln. Er leistet dabei so viel für das Verständnis, daß seine Kommentare seither unentbehrlich geworden sind. Es gelingt Hotman, von der Sache her Konjekturen so wahrscheinlich zu machen, daß sie noch heute als überlieferte Lesarten akzeptiert werden®^. Dabei ist er mit Ciceros Beredsamkeit zu gut vertraut, um die sprachlichen und rhetorischen Aspekte zu vernachlässigen, wie er denn selbst ein politisches Pamphlet „Le Tigre" gegen den Kardinal Charles de Lorraine in Anlehnung an die erste catilinarische Rede verfaßt und damit unmittelbar beweist, daß nicht der zu den wirkungsvollsten Leistungen befähigt ist, der Ciceros Worte und Sätze sklavisch nachahmt, sondern wer sich an ihm schult und in seiner Art, in seinem Geist, dem jeweiligen Gegenstand und der jeweiligen Situation entsprechend schreibt oder redet, ob auf Lateinisch oder - wie hier - in einer modernen Sprache. Vielfältig sind die Bemühungen der Franzosen, und doch lassen sich einige Züge herausstellen, die immer wiederkehren und teilweise den Franzosen eigentümlich sind. In fast ungebrochener Tradition bleibt in Frankreich das Interesse an der Antike, speziell der antiken Rhetorik spürbar, das zeitweilig von einem kleinen Kreis königlicher Sekretäre (neben einigen Dichtern) stärker belebt wird; und bei ihnen, den königlichen Beamten und Diplomaten, den Parlamentariern und Juristen erhält es sich, während die Universitäten abseits stehen, mit Ausnahme der lecteurs royaux. Es fehlt die Kontinuität und Stabilität, die der Universitätsunterricht schafft, es fehlt der Ansporn, der durch den Wettstreit mehrerer Akademien und kleiner Höfe (wie in Italien) garantiert ist; es fehlt auch die weltferne, künsdiche Übertreibung der „Ciceronianer" Italiens. Vielmehr sind die Franzosen oft Einzelgänger, W. Vogel, Franz Hotmann und die Privatrechtswissenschaft seiner Zeit, Diss. jur. Freiburg Breisgau 1960. Z. B. Quinct. 60; den Beweis dafür, daß H o t m a n sich nicht auf eine alte Handschrift stützt, werde ich anderen Orts vorlegen.

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Autodidakten, unmittelbar an der Sache interessiert und ihr hingegeben, daher bemüht, die Texte selbst zu klären in dem Bestreben, deren Gehalt nutzbar zu machen, das juristische Wissen, die rhetorischen Erkenntnisse, die sprachlichen Möglichkeiten - im Hinblick auf die eigene Sprache wie auf das Lateinische. Und ausgenutzt werden diese neugewonnenen Schätze im Bereich der Politik und der forensischen Beredsamkeit, doch - da die Theologen Zurückhaltung üben - nicht wie in Spanien in der Predigt oder richtiger nur in der Predigt der Protestanten.

V. Wir müßten jetzt nach Italien zurückkehren und dort die Entwicklung im zweiten und dritten Drittel des 16. Jahrhunderts verfolgen. In diesem Rahmen muß ein kurzer Hinweis genügen. Wenn auch der Ciceronianismus seinen Anhängern höchste Leistungen abfordert und zugleich gewisse Beschränkungen in der Freiheit des Ausdrucks auferlegt, weswegen er mehrfach stark angegriffen wird®', so findet er doch immer neue Vertreter, die Cicero in ihren eigenen Werken nachahmen®', und Verfechter, die solche Nachahmung theoretisch rechtfertigen®'. Damit eng verbunden sind die Bemühungen, Z. B. von Francesco Florido Sabino (1511-1544) in seiner „Apologia in Marci Actii Plauti aliorutnque poetarum et linguae latinae cdumniatores", Lyon 1537, in seinen „Lectionum succisivarum libri tres", Basel 1539 (abgedruckt bei J. Gruter, Fax . .., Bd. 1, Frankfurt 1602, 996 ff.) und dann im „Adversus Stephani Doleii Aurelii calumnias Uber", Rom 1541. Genannt sei nur Paolo Manuzio, vgl. die Übersichten bei Ortensio Landi a.O. (s. Anm. 87) 140; 177 f. und Bartolomeo Ricci a.O. (s. Anm. 87) 429 ff., ferner G. Toffanin a.O. 34 ff. Celio Calcagnini (1479-1541): „De imitatione commentatio" (1540), Giulio Camillo Delminio (1485-1544): ,^raUato della imitazione", Bartolomeo Ricci (1490-1569): „De imitatione" (1541, abgedruckt in der von G. M. Bruto besorgten Ausgabe der Briefe von Ch. de Longueü, Basel 1580, 383-542), Giulio Poggiani (1522-1568) in einem Brief „De Ciceronis imitandi modo" (1564, abgedruckt in Poggianis Epistolae et orationes, 4 Bde., Rom 1758-62, Bd. 3, 400 ff.). Andere fordern gelegentlich Cicetoimitatio oder greifen Erasmus an, vgl. R. Sabbadini, Storia del Ciceronianismo 67 ff.;

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Ciceros Wortschatz zu erfassen und zu kodifizieren und Ciceros Reden vor allem unter stilistisch-rhetorischen Gesichtspunkten immer eingehender - pedantischer - zu kommentieren®®, auch zu übersetzen'" und Übungsreden in der Art Ciceros zu verfassen". Wichtigste Voraussetzung gerade für die Pedanten ist ein zuverlässiger Text. So entstehen zahlreiche Ausgaben", die sich durch Handschriftenstudien ebenso wie durch teilweise nicht gerade zurückhaltende Konjekturalkritik auszeichnen, die von zuverlässiger Sprachkenntnis ausgeht; daneben finden sich textkritische Erläuterungen°^

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73 ff. und Ch. Lenient, De Ciceroniano hello apud recentiores commentarios, Paris 1855. Die ganze Problematik spiegelt sich in der sehr merkwürdigen, anonym edierten Schrift „Cicero relegatus et Cicero revocatus", die wohl dem Ciceronianer Ortensio Landi (1512-1553) zuzuschreiben ist (abgedruckt in der Collectio hg. von F. A. Hallbauer 131 ff.). Bartolomeo Nunciata (1481-1535) kommentiert die Rede „De domo" (1534, postum gedruckt 1553), Sebastiane Regolo die „Divinatio in Caecilium" (abgedruckt in den „In omnes M. Tullii Ciceronis orationes selecta commentaria", Köln 1621, Bd. 2, 209-271), Robortello (s.o. S. 212 mit Anm. 28) veröffentlicht zusammen mit seiner Schrift „De artificio dicendi" „Tabulae oratoriae in orationem Ciceronis qua gratias agit senatui post reditum. In orationem pro Milone. In orationem pro Cn. Plancio" (Bologna 1567), Federico Ceruti (1532-1611) in Verona Kommentare zu „De lege Manilia" (1584), „Post reditum in senatu" (1585), „Pro Rabirio postumo" (1589), „Pro Archia" (1587), „Pro Marcello" (1589) und „Pro Rabirio perduellionis reo" (1589). Erwähnt sei nur die Übersetzung aller Reden von Fausto Sebastiano da Longiano (* 1502), erschienen 1545; vgl. sonst F. Argelati, Biblioteca degli Volgarizzatori, Mailand 1767, Bd. 1, 214 ff., G. Tiraboschi, Storia della letteratura italiana, Mailand 1805-1813, Bd. 7, 2323 f. und die Cicerobibliographien. B. Ricci erwähnt seine Rede „In Archiam" in einem Brief an Aonio Paleario {Epistolarum jamiliarum libri VIII, Bologna 1560, 106), Aonio Paleario (1503-1570) verfaßt eine Rede „In Murenam" (abgedruckt in seinen Opera, Amsterdam 1696 oder Jena 1728). 1515: Reden in der Gesamtausgabe besorgt von Niccolö degli Angeli (Junta); 1519 (und öfter, mit Verbesserungen: Aldus): Reden in der Gesamtausgabe besorgt von Andrea Navagero (1483-1529); 1534/37 (Junta): Reden in der Gesamtausgabe besorgt von Pietro Vettori (14991584); 1540 (und öfter mit Verbesserungen): Reden in der Gesamtausgabe von Paolo Manuzio. In Lyon erscheinen 1570 die Reden in der Gesamtausgabe, die Giovanni Michaele Bruto (1516-1594) mit einigen Erläuterungen ediert. Girolami Ferrari (1501-1541): „Emendationes in Philippicas Ciceronis"

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C. Joachim Classen

Die verschiedenartigen Editionen zeigen, daß Ciceros Reden nicht allein um ihrer Form willen gelesen werden"; einige Kommentare bemühen sich auch um die sachlichen Probleme"; daneben werden auch weiterhin sachliche Untersuchungen angestellt aus historisch-antiquarischem Interesse, weniger aus juristischem'®. Gleichsam als Spiegel aller dieser Bemühungen kann die kommentierte Ausgabe von Paolo Manuzio ( 1 5 1 2 - 1 5 7 4 ) angesehen werden, übrigens eines vorbildlichen Ciceronianers, die man auch heute noch mit Nutzen zu Rate ziehen kann'». W i r stehen am Ende und wenige Worte des Rückblicks und der Zusammenfassung sind geboten. Meine Absicht war, dreierlei zu erreichen. Einerseits wollte ich den Fachmann an die mannigfache Arbeit erinnern, die zum Verständnis der Reden Ciceros im 15. und 16. Jahrhundert geleistet ist und deren Früchte heute oft unverdient vergessen bleiben. Richard Heinze fordert in einem Hermes-Aufsatz (60, 1925, 193), man solle in den Reden untersuchen, „warum und zu welchem Zweck Cicero im Einzelfalle seine Gedanken so und nicht anders gefaßt und vorgetragen hat". Diese Forderung nach rhetorischer Interpretation ist keineswegs neu; sie begegnet bereits bei Friedrich August W o l f in der Vorrede zur kommentierten Ausgabe der Leptinea"'; erfüllt ist sie aber schon von manchem der Erklärer, die ich vorgeführt habe, deren Arbeit nur eben heute nicht mehr beachtet vwrd. Zweitens wollte ich illustrieren, wie verschiedenartig sich die Be-

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(Venedig 1541); Gabriele Faerno ( t 1561): „Marci Tullii Ciceronis Philippicae. et orationes pro Fonteio. pro Flacco. in Pisonem" (Rom 1563); Fulvio Orsini (1529-1600): „In omnia opera Ciceronis notae" (Antwerpen 1581), vgl. auch Pietro Vettoris „Variae lectiones" (25 Bücher 1553, 13 weitere 1569). Kritik an rein formaler Erläuterung übt Sebastiane Corrado ( t 1556) in der Einleitung zu seinem Brutuskommentar (1552). Vgl. Bernardino Loredanos Kommentar zu den Ackergesetzreden (1558). Man vergleiche etwa die Arbeiten von Carlo Sigonio (1524-1584): Opera omnia, Mailand 1732-1737 mit Vita von L. A. Muratori. „In M. Tullii Ciceronis orationes Paulli Manutii Commentarius", Venedig 1578/79; als Vorläufer waren erschienen die Kommentare zu „Pro Sestio" (1556) und zu den „Philippicae" und „Pro Archia" (beide 1572). Halle 1789, L X X V I (im Hinblick auf Demosthenes).

Cicerostudien in der Romania

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schäftigung mit der Antike in der Romania gestaltet, wie mannigfach die Anregungen, Einflüsse und Maßstäbe sind, die von der Antike kommen, und wie vielfältig die Formen der Rezeption, die es verbieten, die Bedeutung des Lateinstudiums für die Entwicklung der Vulgärsprachen einseitig zu charakterisieren. Es sind Phänomene, die deswegen besondere Beachtung verdienen, weil sie die verschiedenen Möglichkeiten der Begegnung zweier Kulturen ebenso wde die Eigenarten der einzelnen hier behandelten Länder klar zutage treten lassen. Schließlich galt mein Bemühen dem Versuch, die Wirkungen anzudeuten, die das Studium eines hervorragenden Autors der Antike, auch nur eines Teiles seiner Werke, in den verschiedensten Bereichen des geistigen Lebens auf Theorie und Praxis des politischen Lebens, auf das Rechtsdenken, auf alle möglichen Formen der Anwendung der Sprache auszuüben vermocht hat, also die reichen Früchte deudich zu machen, die Generationen ernten konnten, denen es noch lohnend erschien, sich um die Antike zu kümmern.

Cicero

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Auswahl zu einer CicerO'Bibliographie der letzten Jahre Zusammengestellt von BODO FINGER, Berlin

Die folgende Aufzählung, die keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt, beschränkt sich auf die Cicero-Literatur seit 1961. Berücksichtigt sind die Angaben der „Annee philologique" der Jahrgänge 1961-1964. Später erschienene Literatur ist aufgeführt, sofern sie mir in Zeitschriften zugänglich war. Soweit die Quellen nicht ausgeschrieben sind, entsprechen die Abkürzungen denen der „Annee philologique". Abbott, K. M.: O dimidiate Menander, an echo from a Roman schoolroom? (Cic. Brutus 313-314) CJ 57, 1962, 241-251 Abbott, K. M. (und andere): Index verborum in Ciceronis Rhetorica necnon incerti auctoris libros ad Herennium. Univ. of Illinois Press 1964 Adamczyk, S. J.: Political propaganda in Cicero's essays 47-44 B.C. Diss. Fordham Univ. 1961 Adiani, M.: Civis Romanus sum (in Verrem II, 5, 65, 168) Stud. Rom. 12, 1964, 397-406 Agostino, V.: II contrapposto fra l'uomo e gli animali nelle opere di Cicerone; RSC 12, 1964, 150-159 Ahrens, H.: Cicero als Übersetzer epischer und tragischer Dichtung der Griechen; Diss. Hamburg, 1961 Alberti, G. B.: Macrobio e il testo del Somnium Scipionis; SIFC 33, 1961, 163-184 Alexander, W. A.: Cicero on C. Trebatius Testa; CB 38, 1962, 65-69/74-76 Alfonsi, L.: Cicerone filosofo; Stud. Rom. 9, 1961, 127-134 Alfonsi, L.: Su Ciceroni e i poetae novi; Aevum 36, 1962, 319 Alfonsi, L.: Su un passo delle leggi Ciceroniane; PP 18, 1963, 59-61 Alfonsi, L.: Ciceroniana; RSC 12, 1964, 5-7 Alfonsi, L.: SuU'epigramma di Cicerone; Rivista di filologia 94, 1966, 302-303 Anna, G. D.: La polemica antiepicurea nel De finibus di Cicerone; Rom 1962 Badian, E.: Cicero, Pro Cluentio 76; CR 11, 1961, 107-108 Badian, E.: Cicero, Pro Cluentio 76; CR 12, 1962, 202 Baüey, D. R. S.: On Cicero, Ad familiares; PhUologus 105, 1961, 72-89 BaUey, D. R. S.: On Cicero, Ad familiares, Phndogus 105, 1961, 263-272

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