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German Pages 177 Year 1982
Mimael Kloepfer . Chemikalien gesetz
Schriften zum Umweltrech t Band 2
Chemikalien gesetz Gesetz zum Schutz vor gefährlichen Stoffen
Von
Dr. iur. Michael Kloepfer o. Professor an der Universität Trier
DUNCKER & HUMBLOT I
BERLIN
Alle Rechte vorbehalten 1982 Duncker & Humblot, Berl!n 41 Gedruckt 1982 bei Buchdruckerei A. Sayffaerth - E. L. Krohn, Berl!n 61 Prlnted in Germany
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ISBN S 428 05023 1
Vorwort Die möglichen schädlichen Wirkungen von Chemikalien für die menschliche Gesundheit und die Umwelt werden seit geraumer Zeit öffentlich diskutiert. Hierdurch ist die vorbeugende Chemikalienkontrolle als normatives Regelungsproblem deutlich geworden, bei dem ein vernünftiger und gerechter Ausgleich zwischen den Zielen präventiver Gesundheits- und Umweltsicherung und den wirtschaftlichen Interessen der chemischen Industrie im nationalen und internationalen Rahmen gefunden werden muß. Mit dem Chemikaliengesetz unternimmt der deutsche Gesetzgeber - im Vollzug europäischen Gemeinschaftsrechts - erstmalig den Versuch einer die einzelnen Umweltmedien übergreifenden Gesamtregelung des Gefahrstoffrecllts. Wenngleich bislang noch keine Rechtsverordnung zum dringend konkretisierungsbedürftigen Chemikaliengesetz vorliegt, erscheint schon jetzt die Vorlage einer Gesamtdarstellung geboten, weil das Gesetz am 1. Januar 1982 für die Betroffenen verbindlich wird. Das Chemikaliengesetz ist in besonderer Weise ein Gesetz von Spezialisten für Spezialisten mit geringer Transparenz (etwa bei den zahlreichen Ausnahmen-Ausnahmen) und mangelnder Eingängigkeit geworden. Die vorliegende systematische Schrift legt deshalb besonderen Wert auf die Erläuterung des häufig schwer erkennbaren Zusammenspiels der verschiedenen Normen des Chemikaliengesetzes. Die Schrift kann freilich nur ein Wegweiser durch die komplizierten Wege des Gesetzes sein, die Wege aber selbst nicht begradigen. :!.\ieinen wissenschaftlichen Mitarbeitern, Herrn Jürgen Höser, Frau Dr. Christel Offermann-Clas und Frau Iris Schüller sowie den Herren Dimitris Nikas, Herrn Jürgen pföhler und Herrn Patrick: Reinert danke ich sehr für ihre Mitarbeit, insbesondere bei der Aufbereitung des umfangreichen Materials des Gesetzgebungsverfahrens und des EG-Rechts sowie bei den Korrektur- und Registerarbeiten. Ein besonderer Dank gilt meiner Sekretärin, Frau Marianne Hoffmann, für das Schreiben des Manuskripts. Trier, im Juli 1981
Michael Kloepfer
Inhaltsverzeichnis A. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
15
I. Zur allgemeinen Bedeutung der Gefahrstoffkontrolle . . . . . . . .
15
11. Zum ausländischen Umweltchemikalienrecht ................
16
In. Zum Umweltchemikalienrecht der EG ......... . ............
17
1. Allgemeine Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
17
2. Die sechste EG-Änderungsrichtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Inhalt .......................................... . ... b) Umsetzung in nationales Recht ......................
21 21 23
IV. Normative Umgebung des Chemikaliengesetzes .............
24
1. Andere Gefahrstoffregelungen ..........................
24
2. Chemikaliengesetz und Störfallverordnung . . . . . . . . . . . . . .
25
V. Werdegang des Gesetzes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
26
1. Entstehung und Gesetzgebungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Vorparlamentarische Phase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Parlamentarische Phase. . . . . . . . . . .. . . . . . . . . .. . . . . . . .
26 26 27
2. Inhaltliche Tendenzen im Gesetzgebungsverfahren ...... a) Gesetzesterminologie und Bestimmtheit .............. b) Anwendungsbereich ................................ c) Probleme bei der Umsetzung von EG-Recht .......... aal Allgemeines .................................... bb) Bundesratskompetenzen ........................ cc) Tierversuche.................................... dd) Verfahren, Sonstiges ............................ d) Einschränkungen des Regierungsentwurfs . . . . . . . .. . . . aal Organisationsregelungen ........................ bb) Krebsregister, Maßnahmenplan .................. cc) Anlage . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . .
30 30 31 32 32 33 33 34 35 35 36 36
VI. Gesamtwürdigung ..........................................
37
1. Gesetzgebungsstil ......................................
37
2. Rechtsetzungsmacht der Exekutive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
37
3. Kompetenzverluste der Länder .........................
38
Inhal tsverzeichnis
8
4. Bürokratiewachstum
38
5. Kosten, Wettbewerbswirkungen ........................
39
6. Kontrolleffektivität ....................................
41
7. Alte Stoffe .... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
41
8. Haftung
42
9. Verfassungsmäßigkeit
43
10. EG-Rechtskonformität
44
11. Gesamturteil
..........................................
44
B. Zeitlicher und räumlicher Geltungsbereich (§§ 30, 31) ..............
45
1. Inkrafttreten (§ 31) ........................................
45
II. Räumlicher Geltungsbereich (insbesondere § 30)
C. Gesetzeszweck, Regelungsbereiche und Rechtsgüter (insbesondere § 1)
45
47
1. Gesetzeszweck (§ 1) ........................................
47
II. Regelungsbereiche (§ 1) .....................................
47
III. Rechtsgüter
D. Begriffe (§ 3) ... .. ..... .. ........................................ 1. Allgemeines
48 50 50
1. Funktion und Struktur .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
50
2. Fehlende Definitionen ............. . ....................
50
11. Definitionen des Chemikaliengesetzes (§ 3) ..................
51
1. Stoff (§ 3 Nr. 1) ........................................
51
2. Zubereitung (§ 3 Nr. 2), Erzeugnis ......................
52
3. Gefährlicher Stoff, gefährliche Zubereitung (§ 3 Nr. 3) ... a) Allgemeine Problematik ............................. aal Gesetzgebungstechnik ............ . . . ..... . . . . . . bb) Gefährlichkeitsverdacht .......... . . . ........... ce) Gefährlichkeit und Gefahr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Einzelne Gefährlichkeitsmerkmale ................... aal Merkmale nach § 3 Nr. 3 lit. abis m ....... . . . . . . . bb) Chronisch gefährlich, umweltgefährlich (§ 3 Nr. 3 lit. n) ..................................
53 53 53 54 54 55 55
-l. Einstufung (§ 3 Nr. 4) ...................................
56
56
Inhaltsverzeichnis
9
5. Hersteller (§ 3 Nr. 5) ....................................
56
6. Einführer (§ 3 Nr. 6) ....................... . ............
57
7. Inverkehrbringen (§ 3 Nr.7) ............... . ...... . .....
58
8. Verwenden (§ 3 Nr. 8) ..................................
58
9. Toxikokinetische, biotransformatorische Eigenschaften (§ 3 Nr. 9, 10) ...........................................
58
E. Sachlicher Anwendungsbereich (§ 2) ..............................
60
I. Chemikaliengesetz und Spezialgesetze (§ 2 I, VII, VIII) ......
60
11. Arbeitschutzrechtliche Gehalte (§ 2 lI-VI)
62
F. Instrumentarien (Überblick) ......................................
63
G. Prüfung und Anmeldung (§§ 4 ff.)
64
I. Allgemeines
11. Anmeldepflichtige neue Stoffe (§§ 4 1-111, 6-9, 11 I Nr.2, 16 I, 1I)
64 65
1. Anmeldepflicht (§ 4 I, 11, 111) ................ . ..........
65
2. Anmeldungsinhalt (§ 6) ............ . . . .................
66
3. Prüfnachweise (§ 7) ........................... . ........ a) Prüfungspflicht (§ 7 I) .............................. . b) Prüfungsumfang (§ 7 I) .............................. c) Prüfungsbefreiung (§ 7 11) .......................... d) Prüfnachweise des Nachanmelders (§ 7 111) ..........
67 67 67 68 69
4. Bestätigung, "Mängelrüge" (§ 8) ........................ a) Bestätigung (§ 8 I) .................................. b) "Mängelrüge" (§ 8 11) ................... . ............
70 70 71
5. Prüfungserweiterungen (insbesondere § 9) ............... a) Allgemeine Prüfungserweiterungen (§ 9 I) ... . ........ b) Prüfungserweiterungen in Sonderfällen (§§ 9 11, 11 I Nr.2) ....................... . ..........
72 72
6. Mitteilungspflichten (§ 16 I, 11) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
75
111. Nicht anmeldepflichtige neue Stoffe (§§ 5, 11 I Nr. 1, 3, 16 I1I-V) ................................
76
74
1. Gesetzgebungstechnik ............................. . ....
76
2. Fälle der Anmeldebefreiung (§ 5 I, 11) .................. a) Kleinbestandteils- und Kleinmengenprivileg (§ 5 I S. 1 Nr. 1, 3) .................... ;..............
76 76
10
Inhaltsverzeichnis b) Forschungs- und Erprobungsprivileg (§ 5 I S.I Nr.2) c) Zeitablaufprivileg (§ 5 II) ............................
3. Durchbrechungen der Anmeldefreiheit (§§ 11 I Nr. 1, 3, 16 III-V) .............................. a) Weitere Befugnisse der Anmeldestelle (§§ 11 I Nr. 1, 3) ..................................... b) Mitteilungspflichten (§ 16 III-V) ....................
77 77 78 78 79
IV. Alte Stoffe (§§ 4 IV-VII, 28) ...............................
80
1. Anmeldefreiheit (§ 4 IV, V) ............................
80
2. EG-Regelung ......................... . ...... . .........
81
3. übergangsregelung (§ 28) ............................... a) Einzelnachweise (§ 28 Ij .............................. b) Vorläufiges Altstoffverzeichnis (§ 28 II) .............. c) Gesamtüberblick ...................................
82 82 83 84
4. Anmeldepflichtige Altstoffe (§ 4 VI, VII) ................ a) § 4 VI .............................................. b) § 4 VII...... . ...... .................................
85 85 86
V. Anmeldestelle, Geheimnisschutz, Bewertung (§ 12) ..........
86
1. Anmeldestelle (§ 12 I) ..................................
a) Innerstaatliche Information (§ 12 I S. 2 Nr. 1, 2) ...... b) Grenzüberschreitende Information (§ 12 I S. 2 Nr.3) ..
86 87 87
2. Geheimnisschutz (insbesondere § 12 III, IV) ............
88
3. Bewertung (§ 12 II) ....................................
91
VI. Aufbewahrung (§ 20) ................................ . .....
92
VII. Anmeldeverfahren als Verwaltungsverfahren (§ 22) .........
92
1. Allgemeines ...........................................
92
2. Bedeutung für Bundesstellen ...........................
93
3. Bedeutung für Landesstellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
93
4. Verwaltungsverfahren als Fiktion? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
94
5. Konsequenzen .........................................
94
VIII. Verordnungsermächtigung (§ 10) ............................
95
1. Anmeldeunterlagen und Prüfnachweise (§ 10 I, II) .......
95
2. Tierversuche (§ 10 III) ..................................
96
H. Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung (§§ 13-15) . . . .. . . . . . . .
97
I. Allgemeines, Pflichtumfang (§ 13 I) ................. . .......
97
Inhaltsverzeichnis
11
II. Einstufungsverordnung (§ 13 III) ...........................
98
III. Eigeneinstufung (§§ 13 I S.2, 14 II S. 1 Nr.3) ... . . . . . . . . . . . . .
98
1. Umfang der Eigeneinstufungspflicht ....................
98
2. Inhalt der Eigeneinstufungspflicht ......................
99
IV. Zubereitungen (§ 13 II) ........................ . . . . . . . . . . . . .
100
V. Verpackung und Kennzeichnung (§ 14) .....................
101
VI. Erneutes Inverkehrbringen (§ 15) I. Verbote und Beschränkungen (§ 17)
I. Allgemeines 11. Ermächtigungen nach § 17 I S. 1 Nr. 1 und 2
102 104 104 105
1. Inhalt .................................................
105
2. Vorläufige Rechtsverordnungen (§ 17 II) ................
106
III. Ermächtigungen nach § 17 I S. 1 Nr.3-5 ....................
107
1. Ermächtigung nach § 17 I S. 1 Nr.3 .....................
107
2. Ermächtigung nach § 17 I S. 1 Nr.4
108
3. Ermächtigung nach § 17 I S. 1 Nr. 5 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
109
K. Giftige Tiere und Pflanzen (§ 18) .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
110
1. Giftrecht im Chemikaliengesetz . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . .. . . .. .
110
11. Verordnungsermächtigung (§ 18) 1. Allgemeines
110 110
2. Giftige Tiere. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
111
3. Giftige Pflanzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
112
L. Arbeitsschutz vor gefährlichen stoffen (§ 19) ......................
113
1. Allgemeines
113
1. Position im Chemikaliengesetz ... . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . .. .
113
2. Ermächtigungszweck und -umfang (§ 19 I, V) ............
114
II. Ermächtigungsinhalt (§ 19 II, III) ..........................
115
1. Ermächtigungen nach § 19 II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) § 19 II Nr. 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) § 19 II Nr. 2 .... . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . .
115 115 116
12
Inhaltsverzeichnis c) d) e) f) g) h) i)
§ § § § § § § j) § k) § 1) § na)§
19 19 19 19 19 19 19 19 19 19 19
II II II II II II II II II II 11
Nr. 3 Nr. 4 Nr. 5 Nr. 6 Nr. 7 Nr. 8 Nr. 9 Nr. 10 Nr. 11 Nr. 12 Nr.13
116 117 117 117 118 118 118 119 119 120 120
2. Verweisungsernaächtigung (§ 19 III) ... . ................
122
M. Administrative Kompetenzen (§§ 21, 23, 24) ........................
123
I. Gesanatüberblick
..... . .... . ......................... . .....
123
II. Überwachung (§ 21) ........................................
123
1. Allgenaeines (§ 21 I) ....................................
123
2. Auskunftserlangungsbefugnis (§ 21 II, V) ................
124
3. Betriebskontrollbefugnisse (§ 21 III) ....................
125
4. Kostenregelungen (§ 21 IV, VI) ......... . . . . . . . . . . . . . . . . . a) § 21 IV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) § 21 VI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
126 126 127
UI. Einzelanordnungsbefugnisse (insbesondere § 23) .............
128
1. Allgenaeine Bedeutung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
128
2. Zur Befugnis nach § 23 I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
128
3. Vorläufige Anordnungen (§ 23 Ir) .......................
129
4. Verhältnis zu anderen Vorschriften. . .. . . . . . . . . . . . . . . . . .
130
IV. Befugnisse ina Bundeswehrbereich (§ 24) ....................
131
1. Zuständigkeitsnaonopol des Bundesverteidigungsnainisters (§ 24 I) .................................................
131
2. Dispensbefugnis (§ 24 II) ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
132
N. Bußgeld- und Strafvorschriften (§§ 26, 27) .........................
133
I. Allgenaeines ............................................ . ..
133
II. Bußgeldvorschriften (§ 26) ............................. . ....
134
1. Einzeltatbestände (§ 26 I) ............................... a) § 26 I Nr. 1 ......................... . . . • . .. . . . . . . .
135 135
13
Inhal tsverzeichnis b) § c) § d) § e) § f) § g) § h) § i) § j) §
26 26 26 26 26 26 26 26 26
I I I I I I I I I
Nr. 2 Nr. 3 Nr. 4 Nr. 5 Nr. 6 Nr. 7 Nr. 8 Nr. 9 Nr. 10
135 136 136 137 137 137 138 138 139
2. Sanktionen (§ 26 II) ...................... . .............
139
III. Strafvorschriften (§ 27) .....................................
140
1. Allgemeines ..................... . ............. . .... . ..
140
2. Einzeltatbestände (§ 27 I) ............................... a) § 27 I Nr. 1 .......................................... b) § 27 I Nr.2 ..........................................
140 140 140
3. Sanktionen (§ 27 IV) ....................................
141
4. Qualifikationstatbestand (§ 27 II) ........................
141
o. Rechtsverordnungsermächtigungen (u. a. § 25)
......................
1. Allgemeines
142 142
II. Angleichungsermächtigung (§ 25) ............................
142
Schrifttum (Auswahl) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
145
Abkürzungsverzeichnis
147
Gesetzesregister
149
Sarhregister .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
159
A. Al1gemeines I. Zur allgemeinen Bedeutung der Gefahrstoffkontrolle Umweltfreundliche wie umweltfeindliche, gesundheits- und lebensschützende wie -gefährdende Chemikalien sind aus der industriellen Entwicklung und dem modernen Leben nicht mehr fortzudenken!. Sie drängen in immer stärkerem und vielfach kaum noch abseh- und überschaubarem Umfang auf den deutschen, den EG-, den sonstigen europäischen und außereuropäischen Markt. Bereits auf dem Markt dürften sich im EG-Bereich über 45 000 chemische Stoffe in mehr als einer Million Zubereitungen befinden2 • Jährlich muß mit etwa 3000 neuen Stoffen und über 50 000 neuen Zubereitungen gerechnet werden. Einzelne Stoffe erreichen weltweit jährliche Produktionsmengen von mehr als einer Million t und die Weltproduktion synthetischer und organischer Stoffe wird auf über 20 Millionen ~, die organischer Stoffe wird auf ein Vielfaches hiervon geschätzt4 • Gerade für die Bundesrepublik Deutschland ist die Produktion und der Export von Chemikalien ein überaus bedeutsamer Wirtschaftsfaktor. Etwa 15 0/0 ihres Exports entfallen auf Produkte der chemischen Industrie5 • Angesichts der hohen wirtschaftlichen Bedeutung der chemischen Produktion für die deutsche Volkswirtschaft wäre jedenfalls eine krasse und abrupte umweltschutzindizierte Produktionseinschränkung nicht ohne erhebliche Risiken für das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht, insbesondere für den Beschäftigungsstand möglich. Der überaus starken quantitativen Ausbreitung der Stoffe steht nicht selten eine weitgehende Unkenntnis ihrer Wirkungen auf den Menschen und seine Umwelt gegenüber. Umweltchemikalien beherrschen heute in vielfältigster Verwendung die Entfaltung des menschlichen Lebens von seiner Zeugung bis zu seinem Tod. Sie beeinflussen seine Gesundheit, die ihn umgebende Umwelt einschließlich der Ökosysteme, hier insbe! Zur Umweltproblematik der Umweltchemikalien siehe die Darstellung bei
Schmidt-BZeek, Umweltchemikalien, S. 11 ff. 2 EChemG, BT-Dr. 8/3319, Begr. S. 16. 3 Nach Kippels / Töpner, S. 28, gibt es mehrere 100 Millionen t synthetisch-
organischer Stoffe und Zubereitungen. 4 EChemG, BT-Dr. 8/3319, Begr. S. 16. S
Kippels / Töpner, S. 38.
16
A. Allgemeines
sondere Wasser und Luft, teilweise in außerordentlich intensiver Form. Chemikalien können das menschliche Dasein sowohl in seinen physischen wie aber auch seinen psychisch-moralischen Bezügen in einem bislang wohl noch nicht voll erkannten Ausmaß verändern. Ernste Anzeichen sind die - nicht selten Generationen überdauernde - Langlebigkeit (Persistenz) mancher Stoffe, ihre teilweise gesundheits- und lebensbedrohende Toxizität sowie ihre sich fortsetzende Weitergabe in der Nahrungskette, ihre damit ungewöhnliche und häufig unerwartete Bioakkumulation mit u. U. starker Schadstoffkonzentration. Insbesondere die vielfältigen chronischen Wirkungen von Chemikalien auf Mensch und Umwelt und ihre späte Erkennbarkeit machen eine vorbeugende Kontrolle unverzichtbar. Bei einer nicht geringen und nicht abschließend feststellbaren Zahl von Stoffen läßt sich der Verdacht von Spätfolgen nicht ausschließen und wird nicht selten erst nach vielen Jahren bestätigt. Dies gilt etwa für die Eigenschaft von Stoffen, Veränderungen an Keimzellen hervorzurufen (Mutagenität) oder für die Fähigkeit eines Stoffes, Mißbildungen des Kindes während der Schwangerschaft (Teratogenität) oder auch seine Eigenschaft, Krebs zu erzeugen (Kanzerogenität). Bereits eingetretene Spätfolgen durch Quecksilber- und Kadmiumvergiftungen als "Minamata"- und "Itai-Itai"Krankheiten mit teilweise tödlichem Ausgang in Japan diagnostiziert~, verdeutlichen, daß es sich nicht nur um ein ungewisses, fernes GefahrenpotentiaF handelt, dessen Behebung Aufschub verträgt. Die Langzeitwirkungen z. B. des in Benzin enthaltenen Bleis, des DDT, der polychlorierten Biphenyle (PCB) und der polychlorierten Terphenyle (PCT) sowie der Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKW) sind zunehmend erkannt worden B und haben zu vielfältigen Kontroll- und Abwehrmaßnahmen geführt (s. u.). Insgesamt kann die prinzipielle Notwendigkeit einer vorbeugenden effektiven Schadstoffkontrolle bereits im Produktionsbereich nicht mehr bestritten werden. Dabei muß freilich stets bedacht werden, daß die Wirtschaftskraft und die Innovationsfähigkeit der chemischen Industrie nicht mehr als unbedingt erforderlich beeinträchtigt wird9 •
11. Zum ausländischen Umweltchemikalienrecht Auch im Ausland ist die Bedeutung der Kontrolle von Umweltchemikalien seit geraumer Zeit erkannt worden. Bereits vor dem deutschen Chemikaliengesetz lagen eine Reihe wichtiger Gefahrstoffregelungen Siehe dazu Kippels I Töpner, S. 39. Weitere Beispiele bei HalZerbach, DuR 1981, S. 30 f.; Kippels I Töpner, S. 39 ff. S Zu den Wettbewerbswirkungen siehe unten A VI 5. 9 Siehe dazu auch Schmidt-Bleek, Umweltchemikalien, S. 13 ff. G 7
III. Zum Umweltchemikalienrecht der EG
17
vorlO • Umweltchemikaliengesetze insbesondere in Japan ll , den USA I2 , Frankreich13 , aber auch in Schweden 14 und der Schweiz!5 stellen unterschiedliche Modelle für die Beherrschbarkeit dieser gefährlichen Stoffe dar. Besondere Bedeutung hat dabei die US-amerikanische Gesetzgebung - Toxic Substances Control Act (TOSCA) - , die neue Stoffe sowie die neue Verwendung alter Stoffe einer selektiven Testverpflichtung unterwirft und weite Gestaltungsräume der amerikanischen Umweltbehörde (EPA)I~ vorsieht. Im Rahmen der OECD wird zunehmend eine Harmonisierung des Chemikalienrechts der westlichen Welt versucht, um nichttariäre Handelsschranken durch das Gefahrstoffrecht zu vermeiden17.
111. Zum Umweltchemikalienrecht der EG 1. Allgemeine Entwicklung
Die Europäischen Gemeinschaften haben - teilweise in engerem Kontakt mit den USA - bereits seit den 70er Jahren den Problemen der Umweltchemikalien besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Der Begriff der Umweltchemikalie als eigenständige Kategorie des EG-Umweltschutzrechts findet in dem Aktionsprogramm 1973 und dem für die Jahre 1977-1981 fortgeschriebenen Programm keinen ausdrücklichen Niederschlag, etwa als eine bestimmte Sammelfunktionen ausübende Kategorie für bestimmte gefährliche Güter. Ansätze in Richtung einer Entwicklung hin zur spezifischen Kategorie der Umweltchemikalie las10 Zur näheren Darstellung vgL Rehbinder, Das Recht der Umweltchemikalien, 1978; Kippels I Töpner, S. 16 ff.; Irwin, RabelsZ 40 (1976), S. 474 ff. Im Jahre 1979 erließen auch Dänemark und Neuseeland gesetzliche Regelungen über Chemikalien. 11 Gesetz über die Prüfung chemischer Stoffe Gesetz Nr. 117 vom 16. 10. 1973; kennzeichnend ist hier eine Aufnahme der Stoffe in verschiedene Listen, siehe dazu Kippels / Töpner, S. 19 ff.; Schmidt-Bleek, S. 51 f. 12 Toxie Substances Control Act (TOS CA) vom 11. 10. 1976, Public Law 94469, 15 U.S.C. § 2610 (1976); siehe dazu Anm. 16. 13 Loi Nr. 77-771 du 12 juillet 1977 sur le contröle des produits chimiques (J. O. v. 13. 7. 1977). 14 Gesetz über gesundheits- und umweltgefährende Waren vom 27. 4. 1973, Svensk förtnattningssamling 1973: 329; siehe dazu Kippels / Töpner, S. 23 f. !5 Bundesgesetz über den Verkehr mit Giften vom 21. 3. 1969, SR 814.80; in Kraft seit 1. 4. 1972. Kennzeichnend ist ein überaus weiter "Gift"-Begriff und fehlender Umweltbezug; Kippels / Töpner, S. 17 f. 18 Siehe dazu insbesondere Rack, RIW/AWD 1979, S. 13 ff., sowie Kippels I Töpner, S. 25; Schmidt-Bleek, Umweltchemikalien, S. 51. 17 Siehe dazu z. B. Schmidt-Bleek, Umweltchemikalien, S. 90 ff.; Heigl, GewArch 1981, S. 75; kritisch Hallerbach, DuR 1981, S. 17. Auf die Notwendigkeit einer Harmonisierung auch mit dem Recht des Ostblocks weist Schmidt-Heck, DB 1980, S. 1831, hin. 2 Kloepfer
18
A. Allgemeines
sen sich bei einzelnen Richtlinien in der Beschränkung der Vermarktung und Verwendung bestimmter gefährlicher Substanzen und Präparate erkennen, z. B. beim Bleigehalt des Benzins und in Keramikwaren, den Schwefelanteilen der Treib- und Brennstoffe und schließlich den gefährlichen Substanzen in Farben und Lacken auffinden18 • Bereits bei der Verabschiedung des Aktionsprogramms 1973 19 betonte der Rat die Bedeutung einer Verstärkung des Kontrollmechanismus für neue Chemikalien. Vorgesehen wurden Maßnahmen, die zur Harmonisierung und Stärkung der öffentlichen Kontrolle über bestimmte Substanzen führen sollten. Hervorzuheben sind hier insbesondere die Verbesserung und Harmonisierung quantitativer Analyseverfahren, Untersuchungen der langfristigen Toxizität dieser Substanzen und die Standardisierung dieser Toxizitätsversuche sowie schließlich die Pflicht zur Vorlage von Proben mit einer Beschreibung der Methoden der quantitativen Analyse. Seit diesem Zeitpunkt hat die Kommission die regelnden Tätigkeiten auf diesem Gebiet der OECD sowie insbesondere in Schweden, Norwegen, Japan, Kanada, der Schweiz und den USA eingehend verfolgt 20 • Ferner wurde die Kommission gemäß der Informationsvereinbarung vom 5. 3. 1973 von dem EG-Mitgliedstaat Frankreich am 9.6. 1975 davon in Kenntnis gesetzt, daß die Absicht bestehe, die Umweltchemikalien einer gesetzlichen Kontrolle 21 zu unterwerfen; Sinn dieser Kontrolle sei die vor der Vermarktung durchzuführende Prüfung umweltbezogener Auswirkungen. Unter Berücksichtigung der weitreichenden Konsequenzen für die Umwelt, aber auch in einem weiteren Sinn für das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes entschloß sich der Rat auf Vorschlag der Kommission, die umweltmäßigen Auswirkungen von Chemikalien stärker als bisher zu berücksichtigen22 • Die französische Regelung war der Anstoß für Überlegungen zur Einführung einer Präventiv-Kontrolle für Chemikalien in der EG 23 • Am 5. 1. 1976 legte die EG-Kommission einen Vorschlag zur 6. Änderung der Richtlinie des Rates vom 27. 6. 1967 (67/548/EWG) zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung gefährlicher Stoffe 18 Vgl. Stand der Umweltschutzarbeiten, Erster Bericht, 1979, BrüsselLuxemburg 1979, S. 155 ff. (156). 19 EG-ABl. C 112/1973. J!O Vgl. Stand der Umweltschutzarbeiten, Erster Bericht, 1977, BrüsselLuxemburg 1977, S. 158 und Stand der Umweltschutzarbeiten, Zweiter Bericht 1979, Brüssel-Luxemburg 1979, S. 65. 21 Verabschiedung des Gesetzes am 12. Dezember 1977. 22 Stand der Umweltschutz arbeiten, Erster Bericht 1977, Brüssel-Luxemburg 1977, S. 65; Elfter Gesamtbericht über die Tätigkeit der Europäischen Gemeinschaften, Brüssel-Luxemburg 1977, S. 166, Rdn. 286. 23 Heigl, GewArch 1981, S. 75; Kippels / Töpner, S. 25.
III. Zum Umweltchemikalienrecht der EG
19
vor24 . Dies führte zu einer intensiven Beratung innerhalb der EG und hatte vorwirkend erheblichen Einfluß auf die einschlägige Gesetzgebung in den Mitgliedstaaten. Dies gilt besonders für die Bundesrepublik Deutschland, wo die Vorarbeiten für das Chemikaliengesetz von diesem Richtlinienentwurf ausgingen und ihn aber auch selbst weitergestalteten. Am 30. 5. 1978 hat der Rat die Kommission ermächtigt, mit den zuständigen Behörden der USA über die Anwendung des amerikanischen Gesetzes über die Kontrolle giftiger chemischer Stoffe - Toxic Substances Control Act (TOSCA) - auf chemische Produkte aus der Gemeinschaft, vor allem auch im Hinblick auf die Genehmigung der Produktions- und Vermarktungsnormen für chemische Stoffe innerhalb der Gemeinschaft durch den Rat zu verhandeln25 • Die einschlägigen Chemikalienregelungen der EG sind heute bereits recht zahlreich. Hinsichtlich der Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung gefährlicher Stoffe sind vor allem folgende Vorschriften zu nennen: -
die Richtlinie zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung gefährlicher Stoffe vom 27. 6. 1967 (67/548/EWG)26,
-
die Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie des Rates vom 27. Juni 1967 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung gefährlicher Stoffe vom 13. 3. 1969 (69/811EWG)27,
-
die Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie vom 27. Juni 1967 und vom 13. März 1969 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung gefährlicher Stoffe vom 6. 3. 1970 (70/189/EWG)28,
-
die Richtlinie des Rates zur Verlängerung der in Art. 10 der Richtlinie des Rates vom 27. Juni 1967 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung gefährlicher Stoffe vorgesehenen Frist vom 22. 3. 1971 (71/144/EWG)29, 24
EG-ABl. C 260/1976, S. 4. Zur 6. EG-Änderungsrichtlinie siehe unten
A III 2.
25 Zwölfter Gesamtbericht, S. 167, Rdn. 167; vgl. über die Fortsetzung der Gespräche 13. Gesamtbericht, S. 162 Rdn. 278 und die dortigen Nachweise. 26 EG-ABl. L 196/1967, S. 1. 27 EG-ABl. L 68/1969, S. 1. 28 EG-ABl. L 59/1970, S.33. 29 EG-ABl. L 74/1971, S. 15. 2·
A. Allgemeines
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-
die Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie des Rates vom 27. Juni 1967 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung gefährlicher Stoffe vom 21. 5. 1973 (73/146/EWG)30,
-
die Richtlinie des Rates zur fünften Änderung der Richtlinie 67/548/ EWG zur AngleicllUng der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung gefährlicher Stoffe vom 24. 6. 1975 (75/409/EWG)3t,
-
die Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten für Beschränkungen des Inverkehrbringens und der Verwendung gewisser gefährlicher Stoffe und Zubereitungen vom 27. 7. 1976 (761769/EWG)32,
-
die Richtlinie des Rates zur Ergänzung des Anhangs der Richtlinie 761769/EWG zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten für Beschränkungen des Inverkehrbringens und der Verwendung gewisser gefährlicher Stoffe und Zubereitungen vom 24. 7. 1979 (79/663/EWG)33,
-
die Richtlinie des Rates zur sechsten Änderung der Richtlinie 67/548/ EWG zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung gefährlicher Stoffe vom 18. 9. 1979 (79/831/EWG)34.
In die Kategorie der Umweltchemikalien gehören ferner die Bestimmungen über die Lösemittel, hier insbesondere -
die Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten für die Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung von Zubereitungen gefährlicher Stoffe (Lösemittel) vom 4. 6. 1973 (73/173/EWG)35 und
-
die Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 73/173/EWG zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten für die Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung von Zubereitungen gefährlicher Stoffe (Lösemittel) vom 22. Juli 1980 (8017811EWG)36
sowie folgende weitere Richtlinien -
die Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten für die Einstufung, Verpak30 EG-ABl. L 167/1973, S. 1.
EG-ABl. L EG-ABl. L 33 EG-ABl. L 34 EG-ABl. L 35 EG-ABl. L 36 EG-ABl. L 31
32
183/1975, 262/1976, 197/1979, 259/1979, 189/1973, 229/1980,
S.22. S.201. S. 37. S. 10. S. 7. S.57.
IH. Zum Umweltchernikalienrecht der EG
21
kung und Kennzeichnung von Anstrichmitteln, Lacken, Druckfarben, Klebstoffen und dergleichen vom 7. 9.1977 (77/728/EWG)31, -
die Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten für die Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung gefährlicher Zubereitungen (Schädlingsbekämpfungsmittel) vom 26. 6. 1978 (78/6311EWG)38 sowie
-
die Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Schutz der Gesundheit von Arbeitnehmern, die Vinylchloridmonomer ausgesetzt sind, vom 29. 6. 1978 (78/610/EWG)39.
Die Europäische Gemeinschaft hat ferner durch Kommissionsbeschluß vom 28. 6. 1979 einen Beratenden Wissenschaftlichen Ausschuß für die Prüfung der Toxizität und Ökotoxizität chemischer Verbindungen eingesetzt, der sich insbesondere mit der Einstufung toxischer Stoffe nach Maßgabe ihrer letalen Dosis 50 (LD 50) befaßt. Die Kommission versucht überdies, Wege für eine Vereinbarung über die Anwendung des amerikanischen Toxie Substanees Control Aet (TOSCA) auf aus der EG stammende Erzeugnisse und der einschlägigen gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften auf aus den USA kommende Erzeugnisse zu finden. 2. Die sechste EG-Änderungsrichtlinie
Am 18. 9. 1979'0 wurde die Richtlinie des Rates zur sechsten Änderung der Richtlinie 67/548/EWG41 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung gefährlicher Stoffe (79/831/EWG) verabschiedet. Wenngleich der Gesetzgeber beim Erlaß des Chemikalien gesetzes auch andere EG-Richtlinien umzusetzen und zu beachten hatte, stand indessen diese 6. EG-Änderungsrichtlinie eindeutig im Vordergrund. Ihr 1976 vorgelegter Entwurf hat vorwirkend die Schaffung des Chemikalien gesetzes maßgeblich beeinftußt. Nur so konnte das Chemikaliengesetz praktisch zusammen mit der 6. Änderungsrichtlinie entstehen.
a) Inhalt Ziel der 6. EG-Änderungsrichtlinie ist die Harmonisierung der EGmitgliedstaatlichen Vorschriften über die Anmeldung chemischer Stoffe 37
EG-ABl. L 303/1977, S. 23.
38 EG-ABI. L 206/1978, S. 13.
39
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41
EG-ABI. L 197/1978, 5.12. EG-ABI. L 259/1979, S. 10. BuH. EG 1-1980, Ziff. 2.2.39.
A. Allgemeines
22
sowie die Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung von gefährlichen Stoffen, die in den Verkehr gebracht werden42 • Nach Art. 1 II sind von der Geltung dieser Richtlinie ausgenommen: Arzneimittel, radioaktive Stoffe, die Beförderung gefährlicher Stoffe, Lebensmittel, Futtermittel und Abfälle sowie Stoffe im Transitverkehr. Die verbleibenden chemischen Stoffe unterliegen einer Abschätzung bzw. Feststellung der Gefahren für die Umwelt - auch in potentieller Form - (Art. 3 II). Die Prüfung der anzumeldenden Stoffe wird in den Anhängen VII und VIII der Richtlinie näher bestimmt und aufgrund international anerkannter Parameter durchgeführt, soweit solche schon bestehen. Die chemischen Stoffe unterliegen einem Anmeldeverfahren gem. Art. 5 ff. dieser Richtlinie. Sie müssen normgemäß verpackt und gekennzeichnet sein. Neue Stoffe sind vom Hersteller oder Importeur bei der zuständigen einzelstaatlichen Behörde des Mitgliedstaats, in dem der Stoff hergestellt wird, spätestens 45 Tage vor dem Inverkehrbringen anzumelden. Für die Anmeldung sind vor allem eine technische Beschreibung (Basisbeschreibung) beizubringen, welche die Beurteilung der vorhersehbaren sofortigen oder späteren Gefahren ermöglicht, die dieser Stoff für den Menschen und die Umwelt verursachen kann. Ferner werden eine Erklärung über die ungünstigen Wirkungen des Stoffes bei den verschiedenen vorhergesehenen Verwendungsarten sowie der Vorschlag für die Einstufung und Kennzeichnung dieser Stoffe entsprechend den Voraussetzungen der Richtlinie und schließlich Vorschläge für Empfehlungen betreffend die Verwendungssicherheit gefordert. Bei bereits angemeldeten Stoffen kann die zuständige nationale Behörde hinsichtlich der technischen Beschreibung zulassen, daß der (Zweit-)Anmelder auf die Ergebnisse der Untersuchungen, die von einem oder mehreren früheren Anmeldern durchgeführt worden sind, mit dessen oder deren schriftlicher Zustimmung gem. Art. 6 II Bezug nimmt. Bei Stoffen, die seit mindestens 10 Jahren angemeldet sind, braucht der Anmelder gern. Art. 6 III die technische Beschreibung nicht mehr vorzulegen. Aber auch im Falle bereits angemeldeter Stoffe obliegt es dem Anmelder, insbesondere gem. Art. 6 IV Änderungen der in Verkehr gebrachten Jahresmenge, neue Erkenntnisse über Wirkungen des Stoffes auf Mensch und/oder Umwelt, neue Verwendungszwecke sowie bestimmte Eigenschaftsänderungen des Stoffes der Behörde mitzuteilen. Die von den EG-Mitgliedstaaten benannten zuständigen Behörden nehmen gem. Art. 7 die Anmeldungsunterlagen entgegen. Sie prüfen diese auf ihre Übereinstimmung mit der Richtlinie insbesondere 42
Zum Inhalt: KippeZs / Töpner, S. 28 ff.
III. Zum Umweltchemikalienrecht der EG
23
auf die vom Anmelder vorgeschlagenen Schlußfolgerungen hinsichtlich der vorhersehbaren Gefahren, die Einstufung und Kennzeichnung durch den Anmelder und dessen Vorschläge für Empfehlungen betreffend die Verwendungssicherheit. Sie können zur Beurteilung der Gefährlichkeit des Stoffes zusätzliche Auskünfte verlangen und die zu Kontrollzwecken erforderlichen Proben entnehmen. Nach Erhalt der Anmeldeunterlagen hat der einzelne EG-Mitgliedstaat gem. Art. 9 der Kommission hiervon unverzüglich eine Abschrift oder eine Zusammenfassung dieser Unterlagen (gegebenenfalls zusammen mit seinen Bemerktmgen und u. U. mit zusätzlichen Auskünften) zu übermitteln. Die Kommission übersendet diese Anmeldeunterlagen evtl. mit weiteren zweckdienlichen Informationen an die anderen Mitgliedstaaten. Der Grundsatz der Vertraulichkeit ist im Prinzip zu wahren. Nicht unter das Betriebs- und Geschäftsgeheimnis fallen nach Art. 11 I u. a. die Handelsbezeichnung des Stoffes, physikalisch-chemische Angaben, Möglichkeiten zur Unschädlichmachung von Stoffen, die Auswertung toxikologischer und ökotoxikologischer Versuche, der Name der für diese Versuche verantwortlichen Stelle sowie bestimmte Vorsichts- und Sicherheitsmaßnahmen. Die Bezeichnung des Stoffes kann in diesen Fällen verschlüsselt angegeben werden. Der Stoff darf jedoch nicht länger als drei Jahre verschlüsselt geführt werden. Nach Art. 13 I der Richtlinie stellt die Kommission anhand der mitgliedstaatlichen Auskünfte ein Verzeichnis der am 18. 9. 1981 auf dem Markt der Gemeinschaft vorhandenen Altstoffe auf. Sie führt gem. Art. 13 II eine Liste aller gemäß dieser Richtlinie angemeldeten Stoffe. Gefährliche Stoffe dürfen nach den Art. 15 ff. nur in den Verkehr gebracht werden, wenn ihre Verpackung als solche und in bezug auf die Kennzeichnung den Richtlinienvoraussetzungen entspricht. Anpassungen der Richtlinienanhänge an den technischen Fortschritt erfolgen gem. Art. 19 ff. durch einen eigenen Anpassungsausschuß und ein in der Richtlinie im Detail festgelegtes Anpassungsverfahren. Entsprechen Stoffe den Vorschriften dieser Richtlinie und ihren Anhängen, so dürfen die einzelnen EG-Mitgliedstaaten nach Art. 22 das Inverkehrbringen solcher Stoffe wegen deren Anmeldung, Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung i. S. dieser Richtlinie weder verbieten noch beschränken oder verhindern. Abweichungen - selbst bei Einhaltung der Richt~ linienvorschriften - sind zulässig bei Gefahren für den Menschen oder die Umwelt. b) Umsetzung in nationales Recht
Die Richtlinie ist gem. Art. 5 der Rahmenbestimmungen zeitlich gestuft bis zum 18. 9. 1981 bzw. bis zum 18. 9. 1983 in nationales Recht umzusetzen. Spätestens bis zu .diesem Zeitpunkt müssen die einzelnen
A. Allgemeines
24
EG-Mitgliedstaaten die erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften erlassen haben, wn eine vollständige Umsetzung sicherzustellen. In den einzelnen EG-Mitgliedstaaten liegen bislang nur in der Bundes republik Deutschland gesetzliche Regelungen vor. Das französische Umweltchemikaliengesetz, Loi Nr. 77-771 du 12 juillet 1977 sur le contröle des produits chimiques 43 , das bereits vor Erlaß der Richtlinie des Rates zur sechsten Änderung der Richtlinie 67/548/EWG zur Angleichung der Rechts- und Verwal tungsvorschriften für die Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung gefährlicher Stoffe vom 18. 9. 1979 bestand, ist an die RichtIinienvoraussetzungen anzupassen. Dabei enthält das französische Umweltchemikalien gesetz keine arbeitsschutzrechtlichen Bestimmungen. Diese sind in Frankreich in einem eigenen Gesetz geregelt. Die Bundesrepublik Deutschland hat als erster EG-Mitgliedstaat die Umsetzung der EG-RichtIinie durch den Erlaß des Chemikalien gesetzes vorgenommen 44 • Für die Niederlande und Großbritannien liegen Entwürfe zu umgesetzten nationalen Umweltchemikaliengesetzen vor.
IV. Normative Umgebung des Chemikaliengesetzes 1. Andere Gefahrstoffregelungen
Trotz seines prinzipiell neuen Ansatzes als vorsorgende Gefahrstoffregelung ist das Chemikaliengesetz keineswegs die erste Gefahrstoffregelung in der Bundesrepublik Deutschland. Neben den herkömmlichen giftrechtIichen Vorschriften der Länder sind vor allem die überkommenen lebensmittel rechtlichen Regelungen (speziell über Zusatzstoffe) und die pflanzenschutzrechtlichen, düngemittelrechtlichen, arzneimittelrechtlichen und sprengstoffrechtlichen Vorschriften zu nennen. Hinzu kommt das Arbeitsstoffrecht, das für das Chemikaliengesetz (insbesondere für dessen § 19) eine PiIotfunktion übernommen hat. Das moderne Umweltschutzrecht kennt einschlägige Regelungen z. B. auch im Bundes-Immissionsschutzgesetz (§§ 34, 35), im Abfallbeseitigungsgesetz, im Waschmittelgesetz und im Benzinbleigesetz, im Atomgesetz und im Altölgesetz~. Die durch diese Vielheit entstandene Unübersichtlichkeit ist durch das Chemikaliengesetz wegen dessen eingeschränkten Geltungsbereichs nur unvollkommen beseitigt worden. Immerhin ermöglicht der allgemeine, J. O. du 13 juillet 1977. Zur RichtIinienkonformität siehe unten A VI 10. 45 Zu den dadurch entstehenden Konkurrenzproblemen zum Chemikaliengesetz vgl. unten EI. 43
44
IV. Normative Umgebung des Chemikaliengesetzes
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nicht stoffspezifische Ansatz des Chemikaliengesetzes im Rahmen seiner Anwendbarkeit eine weitreichende, möglichst lückenlose Kontrolle der erfaßten Chemikalien, wenn die hierzu erforderlichen Rechtsverordnungen erst einmal ergangen sein werden. So wichtig der Neuansatz des Chemikaliengesetzes auch ist, so kann es dabei nicht sein Bewenden haben. Neben einer auch auf chronische Stoffgefahren zugeschnittenen Modernisierung der Teile des besonderen Gefahrstoffrechts - etwa des Pflanzenschutzrechts" - werden verstärkt eine Zusammenführung der verstreuten gefahrstoffrechtlichen Teilregelungen in einem einheitlichen Gefahrstoffgesetz zu überprüfen und die Möglichkeiten zur verstärkten internationalen Harmonisierung zu erw·ägen sein. 2. ChemikaIiengesetz und Störfallverordnung
Neben die allgemeinen produktbezogenen Regelungen zur Schadstoffkontrolle muß auch eine Kontrolle der Anlagensicherheit chemischer Produktions- und Bearbeitungsanlagen treten. Die maßgeblich auf das Bundes-Immissionsschutzgesetz gestützte Zwölfte Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Störfall-Verordnung) - 12. BImSchV - vom 27. 6. 1980 (BGBl. I S. 772) enthält eine solche Regelung, durch welche die bestehenden allgemeinen Regelungen zur Anlagensicherheit im Hinblick auf Stör fälle der chemischen Industrie durch spezifische Regelungen ergänzt werden. Im Gegensatz zum Chemikaliengesetz wirkt sich die Störfall-Verordnung nur auf die in einer Anlage aufgelisteten Stoffe aus, die eine Gemeingefahr hervorrufen können, weil nur in ihrem Zusammenhang von einem Störfall gesprochen wird (§ 2 I StörfallVO). Dazu zählen insbesondere (aktuell oder potentiell) hochgiftige, krebserregende, feuergefährliche und explosive Stoffe. Dabei erfaßt die enumerativ vorgehende Störfall-Verordnung mittelbar auch Stoffe, die nach § 2 vom Anwendungsbereich des Chemikaliengesetzes ausgenommen sind. Unterschiedlich ist vor allem der Ansatz: Das Chemikaliengesetz bemüht sich um die Gefahrenabwehr durch die Stoffe selbst, und zwar gerade bei ihrer planmäßigen Herstellung und Bearbeitung sowie bei ihrer bestimmungsgemäßen Verwendung; der Störfall-Verordnung geht es um die Anlagensicherheit, d. h. vor allem die Vermeidung, Bekämpfung und Beherrschung von - gerade nicht bestimmungsgemäßen Störungen und damit nur um einen präventiven, mittelbaren Schutz vor gefährlichen Stoffen: Stoff-Schutz nicht durch Stoff-Kontrolle, sondern durch Anlagensicherheit. Die Störfallvorsorge und Störfallabwehr er" Vgl. dazu BT-Dr. 8/3713 zu Frage 8 II Nr. 3.
A. Allgemeines
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folgt vor allem durch spezifische Sicherheitspflichten (Vorkehrungen an der Anlage, Unfallvorsorge etc.) , Pflichten zur Anfertigung von Sicherheitsanalysen und zur Meldung von Störfällen. überschneidungen der Störfall-Verordnung mit dem Chemikalien gesetz können sich vor allem dort ergeben, wo dieses materielle Regelungen über das Herstellen, Beund Verarbeiten sowie Verwenden, vor allem aber über Herstellungsund Verwendungsverfahren (§ 17 I S. 1 Nr.2) und Vorschriften über die betriebliche Sicherheit (§ 19) enthält oder den Erlaß entsprechender Normen ermöglicht. Im Hinblick auf die arbeitsschutzrechtlichen Komponenten ist aber zu berücksichtigen, daß die Störfall-Verordnung dem Arbeitsschutz nur mittelbar dient, weil sie die Gemeingefahr und gerade nicht (speziell) die Gefahr für das Leben und die Gesundheit des Bedienungspersonals betrifft (arg. § 2 II Nr. 1 StörfallVO). Grundsätzlich werden die Störfallverordnung und das Chemikaliengesetz (mit seinen Verordnungen) - mit partiellen überschneidungen - nebeneinander anwendbar sein.
v.
Werdegang des Gesetzes
1. Entstehung und Gesetzgebungsverfahren a) Vorparlamentarische Phase
Nachdem die Koalitionsvereinbarungen von 1976 und der Umweltbericht der Bundesregierung 1976 eine vorbeugende Kontrolle von Umweltchemikalien gefordert und vor allem der EG-Kommission einen Vorschlag zur 6. Änderung der Richtlinie 67/548/EWG vorgelegt47 und die OECD 1977 Leitlinien für die Harmonisierung der Chemikaliengesetzgebung ihrer Mitglieder formuliert hatten, stellte sich in besonders intensivem Maße die Aufgabe, in der Bundesrepublik Deutschland ein umfassendes Chemikaliengesetz zu schaffen. Gerade die Arbeiten auf EG-Ebene haben das Werden des Chemikaliengesetzes stark beeinflußt, wie auch umgekehrt dieses Gesetz auf die endgültige Formulierung der EG-Richtlinie zurückgewirkt hat. Der Arbeit am Chemikalien gesetz standen nicht nur erhebliche Schwierigkeiten im Kompetenzbereich zwischen Bund und Ländern, sondern vor allem ein beträchtliches, bis heute noch nicht voll ausgestandenes Kompetenzgerangel der beteiligten Bundesressorts, insbesondere zwischen dem Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit (vom Giftrecht, Zusatzstoffrecht, Arzneimittelrecht her), und dem Innenministerium (vom allgemeinen Umweltschutz her) sowie schließlich dem Ministerium für Arbeit und Sozialordnung (vom Ar47
EG-ABl. C 260/1976.
V. Werdegang des Gesetzes
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beisstoffrecht her), entgegen. Durch die verschiedene parteipolitische Besetzung des Innenministeriums einerseits und der übrigen Ressorts andererseits bekam dieser Streit noch eine zusätzliche Würze und entzog sich so faktisch weitgehend einer Entscheidung durch das Bundeskabinett bzw. den Bundeskanzler. Dem politischen Patt entsprach eine Vereinbarung der beteiligten Ressorts für eine gemeinsame Federführung unter wechselnder geschäftsführender Leitung zwischen Innenund Gesundheitsminister mit dem sinnigen Kompromiß, daß im internationalen Bereich auf OECD-Ebene die Bundesrepublik Deutschland durch den Innenminister, auf der EG-Ebene dagegen durch den Gesundheitsminister vertreten werden sollte 48 • Diese Ressortsauseinandersetzung findet nicht nur ihre Widerspiegelung in der Vielzahl der einbezogenen Bundestagsausschüsse (insbesondere Ausschüsse für Jugend, Familie und Gesundheit - federführend - sowie Innenausschuß) und in der zunächst erfolgten Ausklammerung der Entscheidung für eine Anmeldestelle, sondern ist ein (wenn nicht der maßgebliche) Grund für die eher unsystematische Einfügung der gift- und arbeitsstoffrechtlichen Gehalte in das Chemikaliengesetz. Dem Ressortkonftikt entsprach es, daß 1978 das Innenministerium einen Entwurf eines "Gesetzes zum Schutz vor umweltgefährlichen Chemikalien" und das Gesundheitsministerium einen Entwurf eines "Bundesgiftgesetzes" vorlegte. Auf Referentenebene wurden durch diese beiden Ressorts wie durch die Arbeits-, Wirtschafts- und Landwirtschaftsministerien die am 23. 6. 1978 beginnenden Beratungen aufgenommen. Ein im Februar 1979 vorgelegter Referentenentwurf traf auf eine kritische Stellungnahme des Rates von Sachverständigen für Umweltfragen 49 • Nachdem am 19. 6. 1979 eine Einigung über die 6. EG-Änderungsrichtlinie in Luxemburg erzielt worden war, verabschiedete das Bundeskabinett am 20. 6. 1979 die Regierungsvorlage. b) Parlamentarische Phase
Der von den Bundesministern des Innern, für Wirtschaft, für Arbeit und Sozial ordnung, für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten und für Jugend, Familie und Gesundheit gemeinsam erstellte und sodann von der Bundesregierung beschlossene Regierungsentwurf eines Gesetzes zum Schutz vor gefährlichen Stoffen (Chemikaliengesetz) - EChemG wurde im sog. Ersten Durchgang nach Art. 76 Ir S. 1 GG am 17.8.1979 an den Bundesrat zwecks Stellungnahme i. S. d. Art. 76 Ir S. 2 GG weitergeleitet (BR-Dr. 330/79). Diese gab der Bundesrat in seiner 477. Sitzung am 28.9.1979 durch Beschluß50 auf der Grundlage von Empfehlungen 48 49
50
Kippels I Töpner, S. 3.
Siehe Umweltbrief 19, 1979, S. 23 ff. Dazu lagen eine Reihe von Länderanträgen vor.
28
A. Allgemeines
seines federführenden Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit, des Ausschusses für Innere Angelegenheiten sowie des Rechts- und des Wirtschafts ausschusses ab (BR-Dr. 330J79 [Beschluß]). Neben einer grundsätzlichen Zustimmung schlug der Bundesrat eine Fülle von Änderungen inhaltlicher, systematischer und redaktioneller Art vor. Sodann erfolgte nach entsprechender Weiterleitung die Gegenäußerung der Bundesregierung zu dieser Stellungnahme, bei der sich die Bundesregierung vielen Bundesrats-Vorschlägen anschloß. Der Gesetzesentwurf wurde dann mit der Begründung, Stellungnahme des Bundesrates und Gegenäußerung der Bundesregierung am 6. 11. 1979 im Deutschen Bundestag eingebracht (BT-Dr. 8/3319). In der 186. Sitzung des Deutschen Bundestages wurde der Regierungsentwurf am 15. 11. 1979 in der Ersten Lesung nach Aussprache an den federführenden Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit, den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung, für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, den Innen- und den Wirtschaftsausschuß sowie den Haushaltsausschuß mitberatend überwiesen. Am 14. 11. 1979 setzte der federführende Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit im Hinblick auf die Kompliziertheit der zu regelnden Materie zur Vorbereitung des Gesetzentwurfs einen 20köpfigen Unterausschuß "Chemikaliengesetz" unter Vorsitz des Abgeordneten Hasinger (CDU/CSU) ein. Dieser aus Mitgliedern sämtlicher mitberatender Ausschüsse zusammengesetzte Unterausschuß hat seine in 12 Sitzungen - davon eine öffentliche Anhörung am 3. und 4. 3. 1980 und eine nichtöffentliche Anhörung erarbeitete Empfehlung bei einer Stimmenthaltung einstimmig verabschiedet. Diese wurde dann in einer abschließenden Sitzung am 13. 6. 1980 vom federführenden Ausschuß gebilligt und als Beschlußempfehlung vom 18. 6. 1980 und Bericht vom 24. 6. 1980 des federführenden Ausschusses als Bundestagsdrucksache (BT-Dr. 8/4295) verteilt. Dabei wurden die im EChemG vorgesehenen Vorschriften zum Krebsregister und zur Erstellung eines länderübergreifenden Maßnahmenplans für Giftkatastrophen nicht übernommen, dafür aber eine Ausweitung giftrechtlicher Kompetenzen eingeführt. Die Abgabe des Berichts des Haushaltsausschusses erfolgte am 18. 6. 1980. Der Deutsche Bundestag hat dann aufgrund der Beschlußempfehlung und des Berichts des federführenden Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit in der 225. Sitzung am 25. 6. 1980 nach der zweiten und dritten Lesung den Entwurf des Chemikaliengesetzes (BT-Dr. 8/3319, 8/4243) in der endgültigen Fassung bei einer Enthaltung und einer Gegenstimme angenommen. Dabei hat er einen umfassenden Entschließungsantrag (BT-Dr. 8/4243) verabschiedet und politische Aufträge an die Bundesregierung vergeben. Wichtige Punkte sind dabei die AltStoff-Problematik, die auf internationaler Ebene geregelt werden soll,
v. Werdegang des Gesetzes
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die "Anpassung" der EG-Richtlinie an das deutsche Recht, die Reduzierung von Tierversuchen, die Intensivierung der Einrichtung von Landeskrebsregistern und die umfassende Regelung der Zweitanmelderfrage. Wichtig ist weiter die Pflicht der Bundesregierung zur Berichterstattung über die Anwendung und Auswirkung des Gesetzes und vor allem über die Einschaltung des Präsidenten des Bundesrechnungshofs als Bundesbeauftragter bei Regelungen der Anmeldestelle und der Bewertung sowie über die vorherige Einschaltung des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit bei Erlaß von Rechtsverordnungen. Die Bundesregierung hat ihre Zustimmung nach Art. 113 GG erteilt. Der Bundesrat stimmte in seiner 491. Sitzung vom 18. 7. 1980 dem vom Bundestag beschlossenen, nach Art. 84 I GG zustimmungsbedürftigen Gesetz zu und forderte in seiner gleichzeitig angenommenen Entschließung (BR-Dr. 376/80) einen umgehenden Erlaß einer Bundesgift-Verordnung. So gibt es jetzt zum Chemikaliengesetz sowuhl eine Bundestags- wie eine Bundesratsentschließung. Insgesamt standen die Beratungen in der Regierung, im Bundestag wie im Bundesrat unter einem erheblichen Zeitdruck51 , weil einerseits nach Art. 5 I, II der 6. EG-Änderungsrichtlinie bis zum 18. 9. 1981 die nationalen Rechtsvorschriften zu erlassen waren, andererseits die Bundestagswahlen für den 9. Bundestag im Oktober 1980 vor der Türe standen, wobei jedenfalls bei einem Regierungswechsel eine fristgerechte Verabschiedung bis zum 18. 9. 1981 unwahrscheinlich gewesen wäre; mindestens hätte das Chemikalien gesetz erneut eingebracht werden müssen. Immerhin hat der Zeitdruck konsensfördernd, allerdings auch problemausklammernd gewirkt. So ist gerade die angenommene Bundestagsentschließung eine Quasi-Merkliste für ausgeklammerte, nicht endgültig gelöste Probleme. Aus dem Zeitdruck hat insbesondere der Bundesrat Nutzen gezogen und sich angesichts der Zustimmungsbedürftigkeit des Chemikaliengesetzes in sehr vielen Fragen durchgesetzt, weil bei etwaig drohender Zustimmungsverweigerung durch den Bundesrat eine Anrufung des Vermittlungsausschusses nach Art. 77 II S.4 GG schon aus Zeitgründen nicht mehr möglich gewesen war. Das Chemikaliengesetz wurde nach seiner Ausfertigung am 16.9. 1980 am 25. 9. 1980 im Bundesgesetzblatt verkündet>2, wobei einige redaktionelle Berichtigungen vorgenommen wurden53 • 51 KippeZs / Töpner, S. 5; Unterausschuß BT-Dr. 8/4295, S. 6. 52 BGBl. I S. 1717. 53 Gegenüber dem beschlossenen Gesetz wurden in dem verkündeten Gesetz folgende Ergänzungen bzw. Änderungen vorgenommen bei: - § 2 I Nr.4: ,,288), geändert durch Artikel 13 des Gesetzes vom 28. März 1980" - § 2 I Nr. 5: "zuletzt ... vom 20. August 1980 (BGBl. I S. 1556)"
A. Allgemeines
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2. Inhaltliche Tendenzen beim Gesetzgebungsverfahren
Im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens sind insbesondere folgende Änderungen erfolgtS4 :
a) Gesetzesterminologie und Bestimmtheit Bestand noch zwischen den Gesetzgebungskörperschaften hinsichtlich des in § 1 als Zweck des Gesetzes normierten Zieles, nämlich "Schutz des Menschen und der Umwelt" vor gefährlichen Schadstoffeinwirkungen (vgl. auch Begr. EChemG BT-Dr. 8/3319, S. 16) Einigkeit, wirkte der Bundesrat in seinen Stellungnahmen (BT-Dr. 8/3319 zu § 4 III S. 1 und S. 2, S. 30; zu § 11 S. 33; zu § 14 I S. 1, S. 35; zu § 17 I S. 1, S. 36; zu § 25 II S. 1, S. 40) auf eine Angleichung der in den §§ 4 VI S. 1, 11 I, 14 III S. 1, 17 I und 23 II S. 1 vorgenommenen Terminologie "Gefahr bzw. Schutz für Leben oder Gesundheit des Menschen oder die Umwelt" an die Diktion des § 1 hin. Dem hat sich die Bundesregierung entsprechend ihrem Regierungsentwurf erfolgreich widersetzt, da § 1 zwar spiegelbildlich zur Gesamtregelung, aber dennoch nur sehr grobrasterartig den wesentlichen Inhalt des Chemikaliengesetzes wiedergibt und demgemäß im Hinblick auf den Bestimmtheitsgrundsatz geringeren Anforderungen genügen muß als die dem § 1 nachfolgenden und ihn konkretisierenden Regelungen (vgl. Gegenäußerung der BReg. BT-Dr. 8/3319, S. 44). Diese sich am Bestimmtheitsgrundsatz orientierende terminologische Differenzierung im einzelnen führt jedoch in bezug auf die Gesamtregelung wiederum zur Rechtsunklarheit bzw. -unsicherheit. Das zeigt sich ebenfalls exemplarisch an der Fülle unterschiedlicher Gefahrenbegriffe und -intensitäten (s. §§ 17 I S. 2; 23 II S. 1 und S. 2; 4 VI; 19 II Nr. 8; 3 Nr. 3 lit. n; 13 III S.l; 21 III S. 2; 19 II Nr.13; 17 II S.l). Demgemäß ist das Chemikalien gesetz insgesamt von einer erheblichen begrifflichen Unstimmigkeit geprägt (Tendenz terminologischer Disharmonie). Dem entspricht es, daß erst recht nur an ganz wenigen Stellen im Gesetzgebungsverfahren ein terminologischer Bezug zu anderen Umweltgesetzen zwecks Harmonisierung eines einheitlichen Umweltrechts ausdrücklich vorgenommen wurde; vgl. Bundesrat in BT-Dr. 8/3319 zu § 8 I (Nr.35), S. 33; zu § 23 vor I (Nr. 83), S. 39; zu § 23 II S. 1 (Nr.87), S.39; zu § 23 III (Nr. 88); Begr. des Gesetzentwurfs zu § 27 (BT-Dr. 8/3319, S. 26). -
§ 2 I Nr. 6: ,,3007" § 3 Nr. 3: "sind" § 11 I Nr. 1: statt ,,§§ 7 oder 9" nun ,,§ 7 oder § 9" § 29: "Artikel 247 des". 54
Vgl. dazu auch den Bericht des Unterausschusses (BT-Dr. 8/4295, S. 6 ff.).
V. Werdegang des Gesetzes
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Quasi als Gegensteuerung hierzu hat sich der Bundesrat mit seinen vielfältigen und umfangreichen Bemühungen um Rechtsklarheit und -sicherheit als rechtsstaatswahrendes Kontrollorgan erwiesen. In auffallender Weise und mit beträchtlichem Erfolg hat der Bundesrat die Unbestimmtheit bzw. zur Rechtsunsicherheit führende Rechtsunklarheit der im Regierungsentwurf vorgesehenen Bestimmungen - mit Ausnahme der für das Gesetz wesentlichen Begriffsbestimmungen gem. § 3 - gerügt und sich um eine terminologische Verbesserung des Chemikaliengesetzes in diesem Sinne bemüht; vgl. Stellungnahme des Bundesrates BT-Dr. 8/3319 zu den Vorschriften des EChemG: Zur überschrift (Nr. 1) S. 28; zu § 1 (Nr.2) S. 28; zu § 2 (Nr.10, 11) S. 29; zu § 3 (Nr.14, 15) S. 29 und 30; zu § 4 I (Nr. 19) S. 30; zu § 4 III S. 1 und S. 2 (Nr. 22), S. 30; zu § 5 I Nr. 1 und 2 (Nr. 23), S. 31; zu § 7 I Nr. 1 (Nr.31), S. 32; zu § 7 II S. 1 und 2 (Nr. 33), S. 32; zu § 8 I (Nr. 35), S. 32 und S. 33; zu § 11 I (Nr. 41, 42), S. 33; zu § 12 I S. 3 (Nr. 47), S. 34; zu den §§ 13-15 (Nr.51), S. 35; zu § 14 I S. 1 (Nr. 52), S. 35; zu § 16 VI (Nr. 59), S. 36; zu § 17 I S.l (Nr. 60), S. 36; zu § 18 insgesamt (Nr. 66,67,69), S. 37; zu § 21 I (Nr. 72), S. 37; zu § 21 I und II (Nr. 73), S. 37 f.; zu § 21 II Nr. 12 (Nr.79), S. 38; zu § 23 (Nr. 83, 84, 86, 87, 89), S. 39; zu § 25 II S. 1 (Nr. 93), S. 40; zu § 28 I Nr.3 (Nr.96), S.40; zu § 28 I Nr.10 (Nr.98), S. 41; zu § 29 IV (Nr. 100), S. 41. Es handelt sich hier um eine terminologische Präzisierungstendenz zugunsten des Bestimmtheitsgrundsatzes. b) Anwendungsbereich
In sachlicher Hinsicht ist das Gesetzgebungsverfahren zum einen geprägt von dem Ringen um den Anwendungsbereich des Chemikaliengesetzes (§ 2) und damit von dem Bemühen, seiner Geltungskraft unterschiedliche Tragweite zu verschaffen. Der ursprünglich nach dem Regierungsentwurf wesentlich weitere Anwendungsbereich des Chemikaliengesetzes ist aufgrund der Stellungnahmen des Bundesrates, die von dem Bemühen einer klaren Abgrenzung von spezielleren Rechtsvorschriften zwecks Vermeidung von Doppelarbeiten und Rechtsunsicherheiten gekennzeichnet sind (vgl. BT-Dr. 8/3319 zu § 2 I [Nr. 11], S. 29), enger gefaßt worden. So sind von den - bis auf den Arbeitsschutz - wesentlichen Vorschriften des Chemikaliengesetzes (§§4-16, 17 I S. 1 Nr.4, 23) gem. § 2 I entgegen dem ursprünglichen Regierungsentwurf Stoffe oder Zubereitungen, die ausschließlich zur Herstellung von zulassungs- und registrierungspflichtigen Arzneimitteln dienen, Abwasser i. S. des Abwasserabgabengesetzes (Bundesrat zu § 2 I [Nr. 4], S. 28 in BT-Dr. 8/ 3319) und radioaktive Abfälle i. S. des Atomgesetzes ausgenommen. Sehr umstritten war der Umfang der Herausnahme des Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetzes aus dem wesentlichen Anwendungsbereich des Chemikaliengesetzes. Während der Regierungsentwurf nur eine auf
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A. Allgemeines
Lebensmittel i. S. des Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetzes beschränkte Herausnahme gern. § 2 I Nr. 1 (mit Ausnahme der Zusatzstoffe) vorsah, sollte nach den Vorstellungen des Bundesrates der Gesamtbereich des Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetzes von der überwiegenden Anwendung des Chemikaliengesetzes ausgenommen sein (vgl. BT-Dr. 8/3319 zu § 2 I Nr. 1 [Nr. 3], S. 28), was die Bundesregierung in ihrer Gegenäußerung unter Hinweis auf den nicht-deckungsgleichen Schutzzweck bei der Gesetzgebung zurückwies (Gegenäußerung der BReg in BT-Dr. 8/3319, S.43). Durchgesetzt hat sich eine Kompromißregelung, die gern. § 2 I Nr. 1 Lebensmittel, Tabakerzeugnisse und kosmetische Mittel i. S. des Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetzes von dem Anwendungsbereich des Chemikaliengesetzes ausnimmt, nicht aber Bedarfsgegenstände und Zusatzstoffe. Letztlich sollten die gesamten arbeitsschutzrechtlichen Vorschriften der §§ 17,21,23 und 25 des Regierungsentwurfs nach den Vorstellungen des Bundesrates (BT-Dr. 8/3319 [Nr. 9], S. 29) keine Anwendung für die unter Bergaufsicht stehenden Betriebe finden, da der hierfür vorgesehene Arbeitsschutz in speziellen Länder-Berggesetzen bzw. den darauf gestützten Bergverordnungen geregelt sei, dem auch bundesrechtliche Ausnahmeregelungen Rechnung trügen. Nach der Gegenäußerung der Bundesregierung (BT-Dr. 8/3319 zu Nr. 9, S. 43) erwies sich der Vorschlag des Bundesrates als nicht durchsetzbar, da in der Entwurfsfassung des künftigen Bundesberggesetzes vorgesehen war, die Verordnung über gefährliche Arbeitsstoffe auf Tagesanlagen und Baue des Bergwesens auszudehnen. Somit hat der trotz überschrift und Zweckbestimmung in § 1 angedeutete umfassende Geltungsanspruch des Chemikaliengesetzes durch das Gesetzgebungsverfahren weitere Einschränkungen erfahren (Begrenzungs- und Einschränkungstendenz im Legislativverfahren). c) Probleme bei der Umsetzung von EG-Recht
aa) Allgemeines Des weiteren ist die Entstehung des Chemikaliengesetzes durch die tatsächlichen oder vermeintlichen Sachnotwendigkeiten gekennzeichnet, die sich aus der Transformation von EG-Recht in nationales Recht ergaben. Das Chemikalien gesetz dient - wie erwähnt - maßgeblich der Umsetzung der 6. EG-Änderungsrichtlinie (vgl. Begr. des Gesetzentwurfs BT-Dr. 8/3319, S. 16)55. Auf die insgesamt gemeinschafts rechts65 Dies gilt insbesondere für den Zeitpunkt des Inkrafttretens des Chemikaliengesetzes gern. § 31 (entspricht Art. 5 I und II der Richtlinie), die Begriffsbestimmungen i. S. des § 3 (vgl. Art. 2 der Richtlinie und Begründung des Gesetzentwurfs in BT-Dr. 8/3319, S. 19), die gesamte Regelung des Anmelde-
V. Werdegang des Gesetzes
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freundliche Tendenz des Regierungsentwurfs wirkte der Bundesrat in verschiedenen Bereichen begrenzend und einschränkend ein. bb) Bundesratskompetenzen Einmal weitete sich die Diskussion um die Transformation des EGRechts durch das Chemikaliengesetz im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens immer wieder zu einer Auseinandersetzung zwischen Bund und Ländern über ihre Kompetenzen aus. überall, wo der Regierungsentwurf im wesentlichen unter Hinweis auf den Transformationscharakter von EG-Recht, Rechtsverordnungsermächtigungen ohne Zustimmung des Bundesrates vorsah5~, hat der Bundesrat unter Verweis auf den Grundsatz des Art. 80 II GG und die Ermessensspielräume seitens der Bundesregierung bei der Umsetzung von EG-Recht in nationales Recht die Zustimmungsbedürftigkeit der Rechtsverordnungen i. S. der §§ 4 V, 10 III, 19 IV und 25 durchgesetzt57 (bundesratsfreundliche Tendenz). cc) Tierversuche Ein weiterer Zielkonflikt war insoweit vorgegeben, als der Regierungsentwurf in entsprechender Transformation der 6. EG-Änderungsrichtlinie in § 7 I Nr. 2-6 i. V. m. der Anlage I und II bzw. § 9 umfangreiche Tierversuche, insbesondere den heftig umstrittenen LD 50-Test (s. Anlage II Nr. 1), bei dem mindestens die Hälfte der Versuchstiere getötet wurde, ausdrücklich angeordnet hatte. Verstärkt wurde dies durch die sog. Zweitanmelderproblematik (vgl. Bundesrat zu den §§ 5 und 12 [Nr. 26], S. 31 und Gegenäußerung der Regierung dazu auf S. 45 der BT-Dr. 8/3319), d. h. die in § 4 VII vorgesehene Möglichkeit, daß spätere Anmelder zwecks Vermeidung von zu hohen Kosten und unnötiger Tierversuche mit einem Stoff auf die Untersuchungen des Erstanstatt eines Zulassungsverfahrens (vgl. Art. 5-13 der Richtlinie und Begründung des Gesetzentwurfs zu § 4 BT-Dr. 8/3319, S. 19, und die Gegenäußerung der Bundesregierung zu Nr. 20, S. 44), der Ausnahmen der Anmeldepflicht gern. § 5 (vgl. Art. 8, 6 II und Gegenäußerung der Bundesregierung zu Nr. 23 a, S. 44, zu Nr. 25, 26, S. 45), für § 6 (vgl. Art. 6 I in Verb. mit Anhang VII und Gegenäußerung der Regierung, S. 45 [Nr. 27 a und b, 29]), für § 9 (vgl. Begr. des Gesetzentwurfs, S. 20), für § 12 (vgl. Art. 9-12 und Gegenäußerung der Regierung zu Nr. 45 und 46, S. 46 und S. 47), für § 13 (vgl. Art. 5 und Gegenäußerung der Regierung zu Nr. 50, S. 47), für § 14 (vgl. Begr. des Gesetzentwurfs, S. 21), für § 17 (vgl. Begr. des Gesetzentwurfs, S. 22), für § 25 (vgl. Begr. des Gesetzentwurfs zu § 27, S. 26). 56 Vgl. § 4 II des Regierungsentwurfs und Gegenäußerung der Regierung zu Nr. 20, S. 44; § 10 III des Regierungsentwurfs und Gegenäußerung der Regierung zu Nr. 40, S. 46; 21 IV des Entwurfs und Gegenäußerung der Regierung zu Nr. 81 b, S. 50; § 27 II des Entwurfs und Gegenäußerung der Regierung zu Nr. 94, S. 50. 67 Vgl. Stellungnahmen des Bundesrates in BT-Dr. 8/3319 zu § 4 II (Nr.20), S. 30, zu § 10 III (Nr.40), S.33, zu § 21 IV (Nr. 81 b), S. 39, zu § 27 II (Nr. 94), S.40. 3 Kloepfer
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A. Allgemeines
anmelders Bezug nehmen können; eine Regelung, die jedoch in anderer Hinsicht höchst umstritten ist. Dies traf nicht nur auf die Sensibilität der einzelnen Abgeordneten 58, sondern geriet auch in den direkten Konflikt mit dem tierschutzgesetzgeberischen Grundsatz der Minimierung von Tierversuchen, dessen Vollzug den Ländern obliegt. Durch Initiative der Ausschüsse und des Bundesrates im Gesetzgebungsverfahren59 gelang es, eine sich noch im Rahmen der durch EG-Recht vorgegebenen Möglichkeiten bewegende und den Belangen des Tierschutzes Rechnung tragende Regelung zu finden: Es wurden alle Bestimmungen (einschließlich der Anlage) gestrichen, die Tierversuche anordneten. Die Bundesregierung wurde insoweit auf den Verordnungsweg gem. § 10 I verwiesen mit dem Ziel, daß auf die Durchführung überflüssiger Tierversuche verzichtet werden kann. Zudem wurde die Bundesregierung durch § 10 III ermächtigt, die durch die europäische Richtlinie vorgeschriebenen Tierversuche durch andere Prüfverfahren zu ersetzen, sobald dies nach wissenschaftlichen Erkenntnissen vertretbar erscheint. Hierzu soll die - ursprünglich nicht vorgesehene - Einbeziehung von Sachverständigen Anstöße geben (tierversuchsbeschränkende Tendenz). dd) Verfahren, Sonstiges Ein weiterer im Zusammenhang mit der Transformation von EGRecht durch das Chemikalien ge setz stehender Problembereich war der Schutz der nationalen Industrie. Hier erfuhr der Regierungsentwurf im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens im Interesse der Wettbewerbsfähigkeit und der Innovationsfähigkeit der deutschen Industrie in zwei Bereichen wesentliche Verbesserungen: Soweit Anmeldungen von Stoffen im EG-Ausland mit inländischen gleichgestellt werden, genügt nicht die Anmeldung im EG-Ausland in einem dem Chemikaliengesetz nur formal entsprechenden Anmeldeverfahren. Vielmehr muß dieses rechtlich und faktisch gleichwertig (nicht aber identisch) sein (§§ 4 I S. 2 und II S. 2, 5 II, 12 I S. 2 Nr.2 i. V. m. Nr.3 S.3), da anderenfalls die Gefahr von Wettbewerbsverzerrungen besteht60 • Des weiteren wurde auf Anregung des Bundesrates61 der Schutz der Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse in der jetzt gültigen Form gem. Vgl. z. B. Hasinger in 225. Sitzung des BT, BT-Prot. S. 1817/C. Vgl. Bundesrat in BT-Dr. 8/3319 zu §§ 5-12 (Nr. 26), S. 31, zu §§ 7 II und 9 I (Nr. 34 a), S. 32, zu § 10 III (Nr. 40), S. 33; Bericht des 13. Ausschusses vom 24. 6. 1980, S. 7 Nr. 3. 60 Vgl. Bundesrat in BT-Dr. 8/3319 zu § 4 I (Nr. 19), S. 30, zu § 5 II (Nr. 24), S. 31, zu § 12 I S. 3 (Nr. 47), S. 34. 61 Vgl. Bundesrat in BT-Dr. 8/3319 zu § 6 nach II (Nr. 29), S. 31, zu § 12 I S. 2 (Nr. 45), S. 34, zu § 12 I S. 3 (Nr. 48), S. 34. 58 59
V. Werdegang des Gesetzes
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§ 12 I S. 2 Nr.2 und Nr. 3, III, und 22 i. V. m. § 30 VwVfG etwas wirksamer verankert. Letzterem hat die Bundesregierung insbesondere im Hinblick auf die damit zugleich gegebene Angleichungsmöglichkeit an die Art. 9-12 der Richtlinie zugestimmt 62 (wettbewerbsschützende Tendenz). In bezug auf die gründliche Umsetzung bindenden EG-Rechts durch den Regierungsentwurf wirkte der Bundesrat insoweit nur noch vereinzelt und ergänzend ein63 • d) Einschränkungen des Regiemngsentwurfs
Hat der Regierungsentwurf somit insgesamt in tragenden Teilen wesentliche Zustimmung durch die gesetzgebenden Körperschaften erfahren, so hatte er auch einige einschneidende Veränderungen hinzunehmen. Dazu gehören vor allem: aa) Organisationsregelungen Eine der am heftigsten diskutierten und gegenüber dem Regierungsentwurf am stärksten abgeänderten Regelungen waren die über die Organisation für die Anmeldung und Prüfung gern. § 12. Hintergrund der Streitigkeit war die Furcht vor einer übermäßigen Bürokratisierung. Nach Auffassung der CDU/CSU-Opposition, des Bundesrates und verschiedener Haushaltspolitiker bestand die Gefahr, daß durch die Organisation der Anmelde- und Bewertungsstellen ein übermäßiger Verwaltungsaufwand mit unverhältnismäßig hohen Kosten und ungewissem Verwaltungs erfolg betrieben werdeM. Schon die gern. § 12 I des Entwurfs vorgesehene Bestimmung der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Unfallforschung als Anmeldestelle war umstritten und sollte nach Vorstellungen des Bundesrates vom Umweltbundesamt bzw. Bundesgesundheitsamt übernommen werden, da diese verwaltungsmäßig schon auf die zu bewältigenden Aufgaben vorbereitet und ihre Einschaltung demgemäß kostengünstiger seien"". Vgl. Gegenäußerung der Regierung zu Nr. 29, S. 45 und zu Nr. 46, S. 47. Vgl. Stellungnahmen des Bundesrates in BT-Dr. 8/3319 zu § 2 III (Nr. 6), S. 28, zu § 16 (Nr. 57, 58), zu S. 36. 64 Vgl. allgemein 225. Sitzung des BT; Abgeordneter Hasinger, 18177 D und 18178 A, Abgeordneter Spitzmüller, 18182 B, Abgeordneter Kraus, 18189 A -; Haushaltsausschußbericht BT-Dr. 8/4295, S. 3 c; Unterausschuß Bericht BTDr. 8/4295, S. 8 (Nr. 11). 65 Vgl. Bundesrat in BT-Dr. 8/3319 (Nr. 44) zu § 12 I, S. 34. Durchgesetzt hat sich letztlich der federführende Ausschuß (s. Beschlußempfehlung BT-Dr. 8/ 4243 zu Bericht BT-Dr. 8/4295), wonach die Anmeldestelle durch zustimmungsbedürftige Rechtsverordnungen der Bundesregierung bestimmt wird. ti2
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A. Allgemeines
Gänzlich weggefallen sind die im Regierungsentwurf in § 12 II ursprünglich vorgesehenen fünf Bewertungsstellen, obwohl sich der Bundesrat in seiner Stellungnahme sogar noch dergestalt für eine Erweiterung des Kreises der Bewertungsstellen eingesetzt hat, daß in Form einer Rechtsverordnungsermächtigung der Bundesregierung die Möglichkeit eingeräumt wird, weitere Bewertungsstellen zu bestimmen83 • Dies ist jedoch am entschiedenen Widerstand der Ausschüsse im Hinblick auf eine nicht mehr zu verantwortende Kostenverursachung gescheitert67 • Die im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens in diesem Zusammenhang zutage getretenen Kostenverursachungsprobleme wurden von den Ausschüssen sogar als so bedeutend angesehen, daß sie in ihrer Beschlußempfehlung einen Entschließungsantrag einbrachten (BT-Dr. 8/ 4243, S. 3 Ziff. 3 lit. f), wonach bei der Gestaltung der Regelung von § 12 I und II der Präsident des Bundesrechnungshofs als Bundesbeauftragter für Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung nach § 88 II BHO zu beteiligen ist. Dieser Antrag wurde - wie erwähnt - in der 3. Lesung einstimmig vom Bundestag angenommen (bürokratie-limitierende Tendenz). bb) Krebsregister, Maßnahmenplan Die ursprünglich im Regierungsentwurf vorgesehene Einführung eines sog. Krebsregisters68 (§ 19 EChemG) hat sich gleichfalls auf Empfehlung des Bundesrates und seiner Ausschüsse nicht durchsetzen können 69 • Der Regierungsentwurf war insoweit wohl noch zu unausgereift, um mehrheits- bzw. konsensfähig zu sein. Nicht zuletzt ging es dabei um den Schutz von bisherigen Aufgabenbereichen der Länder (landeskompetenzschützende Tendenz). Politisch werden die Länder künftig diesen Aufgabenbereich freilich nur wahren können, wenn sie die entsprechenden Aufgaben in ihrem Bereich - und durch Länderkoordination auch bundesweit - effektiv wahrnehmen. cc) Anlage Die letzte im Gesetzgebungsverfahren vorgenommene Streichung einer Regierungsentwurfsregelung bezieht sich auf die Anlage zum Regierungsentwurf, die insgesamt weggefallen ist. Dies geschah im Zusammenhang mit der Streichung der Regelungen, die Tierversuche ausdrücklich angeordnet haben.
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Vgl. Bundesrat in BT-Dr. 8/3319 zu § 12 II (Nr. 49), S. 34. Vgl. Bericht des 13. Ausschusses, BT-Dr. 8/4295, S. 3 c und S. 8 (Nr. 11). Siehe dazu KippeZs / Töpner, S. 72. Vgl. Bundesrat in BT-Dr. 8/3319 zu § 19 (Nr. 70) und zu § 20 (Nr. 71), S. 37.
VI. Gesamtwürdigung
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VI. Gesamtwürdigung 1. Gesetzgebungsstil
Eine abschließende Würdigung des Chemikaliengesetzes ist derzeit noch nicht möglich; vielmehr müssen die Rechtsverordnungen, Verwaltungsrichtlinien und die Vollzugspraxis abgewartet werden. Ohne die Rechtsverordnungen ist das Chemikaliengesetz praktisch wertlos: ein Fundament, das als solches noch keinen Schutz gewährt, freilich für das schützende Gebäude der Rechtsverordnungen unentbehrlich ist. Aus diesem bloßen Fundament-Charakter des Chemikaliengesetzes ist auch seine teilweise außerordentlich schwierige Verständlichkeit und Vagheit zu erklären, das - etwa in § 17 - den Bürger bisweilen im Unklaren läßt, was auf ihn an Eingriffen zukommen mag. Das - vielfach ohnehin nur von der 6. EG-Änderungsrichtlinie her verständliche - Chemikaliengesetz ist ganz im Hinblick auf noch zu erarbeitende Konkretisierungen vor allem durch die künftigen Rechtsverordnungen konzipiert worden. Das Ergebnis ist ein Gesetz von Spezialisten für Spezialisten, das nur schwer für den Außenstehenden - d. h. immerhin für den Gesetzesadressaten! - durchschaubar ist; die Technik der Ausnahmen von Ausnahmen (u. U. von weiteren Ausnahmen) bei nicht anmeldepflichtigen neuen Stoffen, aber auch die wenig transparente Regelung des Anwendungsbereichs sind Musterbeispiele für eine derartige materielle Arkannormierung. Hier ist der Verordnungsgeber aufgerufen, Klarheit für den Bürger zu schaffen. U. a. aus diesem hohen Zeitdruck beim Gesetzgebungsverfahren sind wohl auch eine Reihe terminologischer Unstimmigkeiten und vor allem die fehlende terminologische Selbstzucht (etwa die schillernde Gefahrenterminologie) zu erklären. Das Chemikaliengesetz enthält eine Reihe systematischer Schwächen - insbesondere durch die Hereinnahme der gift- und arbeitsschutzrechtlichen Regelungen -. Kompetenzgerangel innerhalb der Bundesexekutive, zwischen Bund und Ländern, sowie Kompromisse in letzter Stunde sind Ursachen für diese gesetzgebungstechnischen Schwächen. 2. Rechtsetzungsmacht der Exekutive
Freilich ist unübersehbar, daß der exekutive Verordnungsgeber im Chemikalien ge setz nicht nur eine konkretisierende und ausfüllende Funktion erhält. Er hat in vielen Fällen das Mandat zur eigenständigen politischen Konfliktlösung und Zielvorgabe erhalten, zu der der Gesetzgeber in Auseinandersetzung mit der Opposition und im zunehmenden Zeitdruck nicht in der Lage war. Praktisch wird durch die fast durch-
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A. Allgemeines
gängige Abhängigkeit der Rechtsverordnungen von der Zustimmung des Bundesrats der nicht voll ausgetragene Disput zwischen Regierungsund Oppositionsfraktion als Konflikt zwischen Bundesregierung und (vor allem) "oppositionellen" Landesregierungen perpetuiert. Angesichts der hohen Technizität und der Eilbedürftigkeit vieler Regelungen ist freilich die intensive Nutzung des Instrumentariums der Rechtsverordnungen unverzichtbar. Dies entbindet nicht von der Frage, ob das Chemikaliengesetz das Instrument der Verordnungsermächtigungen partiell nicht exzessiv und teilweise auch nicht mehr sachlich gerechtfertigt nutzt. Die (nur) in der Entschließung vorgesehene Berichtspflicht der Regierung gegenüber dem Parlament kann die hier sichtbaren Kompetenzverluste der Legislative nicht ausgleichen70 • 3. Kompetenzverluste der Länder
Schmerzlich sind die durch das Chemikaliengesetz verursachten Kompetenzverluste der Länder (vor allem im Giftrecht). Dies wird auch nicht dadurch erträglicher, daß der Bundesrat selbst diesen Vorgang noch beschleunigt hat. Auch das fast durchgängige Erfordernis der Bundesratszustimmung beim Erlaß von Rechtsverordnungen aufgrund des Chemikaliengesetzes vermag die Einbrüche in die Länderkompetenzen keineswegs zu kompensieren. Das Chemikaliengesetz steht somit auf der langen Verlustliste von Landeskompetenzen seit dem Bestehen der Bundesrepublik. Der stetige Erosionsprozeß der Kompetenzaushöhlung zu Lasten der Länder ist aber dem Gesetzgeber des Chemikalien gesetzes selbst nicht vorzuwerfen, zum al eine gewisse Vereinheitlichung gerade hier aus sachlichen Erwägungen und wegen des einschlägigen EG-Rechts nicht als willkürlich erscheint, obwohl auch hier das Instrument der vereinheitlichenden Selbstkoordination der Länder zur Verfügung gestanden hätte. Im Bereich der recht unübersichtlich geregelten Verwaltungskompetenzen ist durch die Einrichtung der Anmeldestelle als Behörde des Bundes (und mögliche entsprechende Regelungen für die Bewertungsstellen) auch ein Einbruch in die Verwaltungszuständigkeiten der Länder erfolgt. über ihre verbleibenden Verwaltungszuständigkeiten sollten die Länder mit Nachdruck wachen. 4. Bürokratiewachstum
Ob das Chemikaliengesetz und die hierauf gestützten Rechtsverordnungen nicht zu einem übermäßigen Anwachsen von bürokratischen Einheiten und von Verwaltungskosten (insbesondere bei den Anmelde70 Siehe allgemein zu den Rechtsverordnungen im Chemikaliengesetz auch unten O.
VI. Gesamtwürdigung
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und Bewertungsstellen, aber auch im Bereich der Durchführung und Überwachung) führen werden, läßt sich derzeit noch nicht abschätzen. Die Gefahr besteht jedenfalls. Die ersten Anforderungen der Bundesregierung beliefen sich auf mehr als 550 neue Planstellen. In Anbetracht dieser Anforderung ist es begrüßenswert, daß der Bundestag in seiner Entschließung bezüglich der Ausgestaltung der Anmeldestellen und der Bewertung eine Einschaltung des Präsidenten des Bundesrechnungshofs als Bundesbeauftragten für die Wirtschaftlichkeit der Verwaltung gefordert hat71 • 5. Kosten, Wettbewerbswirkungen
Die durch die gesetzlich vorgeschriebene Anmeldung und Prüfung verursachten Kosten für die chemische Industrie lassen sich derzeit noch nicht sicher abschätzen. Abhängig sind diese insbesondere davon, welche Prüfungsstufe(n) zu durchlaufen sind. Man rechnet etwa mW 2 : Grundstufe 0 (§ 7 I) 65000 bis knapp 100000 DM, Stufe 1 (§ 9 I Nr. 1) 250000 bis 400 000 DM, Stufe 2 (§ 9 I Nr. 2) 1 bis 2 Millionen DM; insgesamt also für einen Stoff bei Durchlauf aller Stufen: 1,3 bis 2,5 Millionen DM. Auf die chemische Industrie sollen insgesamt ca. 50 Millionen DM Kosten jährlich zukommen73 • Die Auferlegung dieser Kosten ist einmal im Hinblick auf die Steigerung der Preise chemischer Produkte zu bewerten. Sie kann vor allem aber auch (neben den Verzögerungswirkungen des Prüfungs- und Anmeldeverfahrens 74) wegen ihres wettbewerbsverzerrenden Effekts bedenklich werden. Solche Wettbewerbsverzerrungen sind im internationalen Bereich wahrscheinlich, wenn in anderen Ländern vergleichbare Prüfungsanforderungen etc. nicht bestehen und folgerichtig deshalb dort kostengünstiger zu produzieren ist. Im Abbau derartiger nichttarifärer Verzerrungen des internationalen Wettbewerbs liegt eine, wenn nicht sogar die Legitimation der internationalen Harmonisierung des Chemikalienrechts, wobei nur formale Harmonisierungen freilich nicht ausreichen, sondern auch eine materielle Gleichwertigkeit der Kontrollen, insbesondere der Vollzugspraxis75 , gesichert sein muß. Im EG-Bereich ist dies jedenfalls theoretisch weitgehend erreichbar. Unter diesem BT-Dr. 8/4243 lit. f. Kippels / Töpner, S. 95. 73 Kippels / Töpner, S. 97. " Nach Kippels / Töpner, S. 96, soll die Grundprüfung selbst durchschnitt71
72
lich ein halbes Jahr dauern. 75 Für den EG-Bereich trägt das Chemikaliengesetz diesem Gedanken materieller Gleichwertigkeit anderer Kontrollverfahren Rechnung, wenn es in § 4 I S. 2, 11 S. 2 ein "gleichwertiges" Verfahren fordert.
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A.
Allgemeines
Aspekt ist es jedoch bedenklich, daß das Chemikaliengesetz partiell entgegen der EG-Richtlinie - eine Kontrolle von Altstoffen ermöglicht, woraus sich eine Wettbewerbsbenachteiligung der deutschen Wirtschaft gegenüber EG-Mitbewerbern ergeben kann. Neben diese internationalen Wettbewerbsverzerrungen, die durch nationale Gesetze allein schwerlich bekämpft werden können, treten binnenwirtschaftliche Wettbewerbsverzerrungen. Diese sind insbesondere bei bestehendem Substitutionswettbewerb als intersektorale Wettbewerbsverzerrungen erkennbar, wenn also durch die erhöhten Prüfkosten auf andere, etwa natürliche Produkte ausgewichen wird. Während diese Wirkungen dem Umweltschutzrecht immanent sind, erweisen sich die intrasektoralen Wettbewerbsverzerrungen innerhalb der chemischen Industrie als bedenklicher. Diese entstehen dadurch, daß typischerweise bei gleichen Prüfungsanforderungen mit steigender Betriebsgröße eine Kostendegression eintritt, m. a. W. daß trotz normativ gleicher Anforderungen die kleinen Unternehmen ökonomisch stärker belastet werden als große Unternehmen. Dieser regelmäßig konzentrationsfördernden Tendenz des standardvorgebenden, prüfungsfordernden etc. Umweltrechts hat sich auch das Chemikaliengesetz nicht ganz entziehen können. Individualisierend mag hier im Rahmen des einzelfallbezogenen Gesetzesvollzugs, hilfsweise auch durch eine konzentrationswehrende Subventionierung für mittelständische Unternehmen gegengesteuert werden. Immerhin mag auch durch die Möglichkeit der Bezugnahme auf fremde Prüfungsunterlagen (§§ 4 VII, 7 III) bei einer entsprechenden Einsicht des Erstanmelders ein gewisser Ausgleich zu schaffen sein. Insgesamt ist damit eine erste wichtige Regelung der Nachanmelderproblematik erfolgt, die aber noch eine Reihe von Fragen offenläßt. Insbesondere ist ungeklärt, ob trotz der EG-Richtlinie der Erstanmelder etwa zur Vermeidung überflüssiger Doppelprüfungen - verpflichtet werden könnte, seine Zustimmung zur Bezugnahme zu erteilen. Durch seine Entschließung76 hat der Bundestag die Bundesregierung aufgefordert, die Zweitanmelderfrage in allen in Betracht kommenden Bereichen zu regeln (etwa auch im Arzneimittel- und Pflanzenschutzrecht). Die bislang im Chemikaliengesetz getroffene Regelung verhindert zwar ungerechtfertigte Vorteile des N achanmelders, wird aber seinen Interessen bei schikanösem Verhalten des Erstanmelders nicht gerecht. Möglichen Wettbewerbsgefährdungen und -verzerrungen durch einen unvollkommenen Schutz der Geschäftsgeheimnisse im Anmelde- und Prüfverfahren versucht das Chemikaliengesetz durch Vorschriften zum Schutz des Betriebsgeheimnisses bei Weitergabe von Unterlagen an die 78
BT-Dr. 8/4243 lit. c.
VI. Gesamtwürdigung
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EG-Kommission oder an Stellen des EG-Auslands entgegenzuwirken und fordert dort dabei wiederum - zutreffend auf die Vollzugspraxis gemünzt - prinzipiell einen gleichwertigen Schutz77 • Die nationale Ausbildung des Geheimnisschutzes beschränkt sich auf eine Verweisung auf § 30 VwVfG. Ob der Geheimnisschutz im Chemikaliengesetz insgesamt ausreicht, kann erst der Vollzug erweisen, erscheint aber schon jetzt zweifelhaft. 6. Kontrollefl'ektivität
Inwieweit das - dem Präventionsprinzip dienende - Chemikaliengesetz einen effektiven Schutz vor gefährlichen Stoffen ermöglichen kann, ist derzeit - ohne die einschlägigen Rechtsverordnungen - noch nicht absehbar. Das Ansetzen der Anmelde- und Prüfpflicht bereits an den Grundstoffen läßt eine frühzeitige Kontrolle zu. Zwar würde ein (im Chemikaliengesetz - anders als im Arzneimittelgesetz - prinzipiell nicht enthaltenes) Zulassungsverfahren eine erheblich strengere Kontrolle gegenüber einem Anmelde- und Prüfverfahren ermöglichen. Es ist aber zu begrüßen, daß der Gesetzgeber sich - auch im Sinne des verfassungsstarken Erforderlichkeitsprinzips - zunächst für ein Anmeldeverfahren mit Eigenprüfung durch den Anmelder entschieden hat, um die Kosten für die Wirtschaft in Grenzen zu halten und ihre Innovationsfähigkeit nicht zu stark zu beeinträchtigen. Deshalb hat der Verordnungsgeber auch der Versuchung zu widerstehen, über § 17 (insbesondere I Nr.4 lit. b) ein breitflächiges Zulassungsverfahren einzuführen. Erst wenn das Anmeldeverfahren sich als unzulänglich zur effektiven Bekämpfung von Stoffgefahren erweisen sollte, könnte der Gesetzgeber umfassende Zulassungsverfahren erwägen. Dabei kann freilich nicht das Grundproblem verkannt werden, daß vielfach ausreichende naturwissenschaftliche Erkenntnisse noch gar nicht vorlagen bzw. -liegen, um detaillierte Regelungen zu ermöglichen78 • Ob das relativ starre System gestufter und intensivierter Prüfungen sich als zweckmäßig erweisen wird, kann erst die Zukunft zeigen. Immerhin ermöglicht die Ausnahmeregelung des § 7 I! eine gewisse Flexibilität. Ob und inwieweit Tierversuche reduziert werden können, hat der Verordnungsgeber nach § 10 II! zu überprüfen. 7. Alte Stoffe
Unbefriedigend ist die im Chemikaliengesetz enthaltene Regelung für die alten Stoffe79 • Ihre grundsätzliche Herausnahme aus der Prüfungs77
78
§ 12 I Nr. 3 S. 3; siehe dazu unten GV 1 b). Treffend Kippels / Töpner, S. 45: "Warten auf die Wissenschaft".
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A. Allgemeines
pflicht - in übereinstimmung mit der 6. EG-Änderungs-Richtlinie ist zwar aus Kostenerwägungen und wegen der geringen vorhandenen Prüfungskapazitäten80 sowie wegen ihrer typischerweise besser bekannten Eigenschaften verständlich, aber aus Gründen der spezifischen Gefahrenbekämpfung nicht unbedenklich. Von daher erscheint der Ansatz des Chemikaliengesetzes an sich sachadäquat, einzelne Altstoffe doch einer Priifungspflicht zu unterwerfen, wenngleich auch hier eine sehr intransparente Regelung geschaffen wurde. Aus Wettbewerbsgründen wird insbesondere darauf zu achten sein, daß die Bundesrepublik Deutschland nicht als einziger EG-Mitgliedstaat Priifungspflichten für Altstoffe einführt. Gerade bei Altstoffen wird der Austausch von Priifungsergebnissen aus anderen Ländern wichtig werden, um Doppelprüfungen zu vermeiden. Insgesamt wird künftig eine vorsichtige und kontinuierliche Erweiterung der Prüfung von Altstoffen anzustreben sein. 8. Haftung
Trotz aller Prüfungen und präventiven Kontrollen wird bei Chemikalien regelmäßig von einem Restrisiko (i. S. v. hinnehmbarem Risiko) auszugehen sein. Daß das Chemikaliengesetz keine Regelung über eine Gefährdungshaftung wie etwa die §§ 84 ff. ArznG enthält, ist angesichts der Vielgestaltigkeit der in Betracht kommenden Stoffe verständlich. Aus dem Fehlen einer derartigen Regelung läßt sich künftig auch nur die Nicht-Existenz einer ausdrücklichen gesetzlichen Gefährdungshaftung entnehmen; eine analoge Anwendung der §§ 84 ff. ArznG scheidet grundsätzlich aus. Nach der derzeitigen Rechtslage kommt (für Schäden durch Stoffe des Chemikaliengesetzes) - neben arbeitsrechtlichen Ersatzansprüchen in den Fällen des § 19 - die allgemeine zivilrechtliche Deliktshaftung sowie u. U. die von der Rechtsprechung erarbeitete Produzentenhaftung in Betracht. Umfassende künftige Haftungsregelungen wären freilich ohne entsprechende versicherungsrechtliche Auffangregelungen unrealistisch. Wesentliche Vorschriften des Chemikaliengesetzes sind Vorschriften eines Schutzgesetzes i. S. d. § 823 II BGB81. Das Chemikalien gesetz läßt die Produktverantwortlichkeit des Herstellers grundsätzlich bestehen und ersetzt diese nicht durch eine Produktverantwortlichkeit des kontrollierenden Staates. Soweit das Gesetz freilich administrative Zuständigkeiten begründet, können hierin auch 79 Zur Kritik (insbesondere auch bei der öffentlichen Anhörung zum Chemikaliengesetz) Kippels / Töpner, S. 103; insgesamt positiv dagegen Heigl, GewArch 1981, S. 77. 80 Die Blockierung der knappen Prufkapazitäten für Altstoffe bedeutet eine Gefährdung der Prüfung von neuen Stoffen; vgl. auch Heigl, GewArch 1981, S.77. 81 So für § 4 auch Schiwy, zu § 2, S. 8.
VI. Gesamtwürdigung
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Dritten gegenüber obliegende Amtspflichten i. S. d. § 839 I S. 1 BGB begründet sein, so daß bei deren schuldhafter Verletzung Amtshaftungsansprüche nach Art. 34 GG i. V. m. § 839 BGB möglich sind. In Weiterentwicklung dieses gedanklichen Ansatzes kann u. U. ein Anspruch auf behördliches Einschreiten nach dem Chemikaliengesetz gegeben sein. 9. Verfassungsmäßigkeit
Die Verfassungsmäßigkeit des Chemikaliengesetzes ist bislang noch nicht geklärt. Die Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes für das Chemikaliengesetz insbesondere im Bereich der aus dem allgemeinen Sicherheits recht der Länder stammenden giftrechtlichen Regelungen erscheint verfassungsrechtlich nicht ganz unproblematisch, soweit keine Regelung des "Verkehrs mit ... Giften" (Art. 74 Nr. 19 GG) vorliegt z. B. hinsichtlich des Haltungs- und Anpflanzungsverbots in § 18 I S. 1 Nr.1 lit. a und 2 lit. a -, das aber wohl teilweise auf Art. 74 Nr.17, 20 GG stützbar ist. Die vom Gesetzgeber.82 bemühte Vorschrift des Art. 74 Nr.11 GG gestattet keineswegs eine beliebige, primär umweltund gesundheitsschützend motivierte Gesetzgebung zur Gefahrenabwehr und ermöglicht schon gar nicht die vom Gesetzgeber83 angekündigte (völlige) Ablösung des Giftrechts der Länder. Die arbeitsschutzrechtlichen Bestimmungen stützen sich auf Art. 74 Nr. 12 GG. Die inhaltliche Unbestimmtheit und Vagheit vieler politischer Entscheidungen und Normierungen im Chemikaliengesetz lassen Fragen hinsichtlich der unzureichenden verfassungsgebotenen Bestimmtheit und Vorhersehbarkeit vieler Normen des Chemikaliengesetzes aufkommen. Insbesondere bezüglich der normativen Erlaubnis- und Verbotskompetenzen - vor allem in § 17 - ist diese Unbestimmtheit besonders bedenklich, weil für den Betroffenen Art und Umfang möglicher Eingriffe nicht hinreichend vorhersehbar sind. Hinzu kommt die notwendige, aber nicht gerade die Rechtsklarheit fördernde Verwendung vieler unbestimmter Rechtsbegriffe. Dies führt zugleich zur Frage, ob das intensivierte Bestimmtheitsgebot nach Art. 80 I S. 2 GG immer eingehalten ist. Dieses Bestimmtheitserfordernis bei Verordnungsermächtigungen hat der Gesetzgeber des Chemikalien ge setz es ohnehin nicht sonderlich ernst genommen - vor allem etwa bei § 24 II (Ausnahmevorschrift für die Bundeswehr). Rechtsstaatlich zu unbestimmt ist auch die Bewertungsregelung in § 12 II. Besonders fraglich ist, ob das Chemikaliengesetz bei Einräumung administrativer Eingriffsbefugnisse - z. B. bei den §§ 19 II Nr. 13, 23 I und speziell II - den hierfür zu fordernden gesteigerten Bestimmtheitserfordernissen Rechnung trägt. Gerade hier 82 83
Begr. EChemG, BT-Dr. 8/3319, S. 18. Begr. EChemG, BT-Dr. 8/3319, S. 17.
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A. Allgemeines
stellt sich - wie auch bei den Strafvorschriften - besonders drängend die Frage, ob das verfassungsstarke Verhältnismäßigkeitsprinzip durchweg eingehalten ist. 10. EG-Rechtskonformität
Auch die Vereinbarkeit des Chemikalien gesetzes mit europäischem Gemeinschaftsrecht ist an einigen Stellen zweifelhaft54• Fragen tauchen vor allem bezüglich der Verbots- und Erlaubnisermächtigungen in § 17 (besonders in § 17 I Nr.4), vor allem aber bezüglich der potentiellen Prüfung alter Stoffe (§ 4 VI)85 und bezüglich der Prüfungsanforderungen und Nachanmelderregelungen auf. 11. Gesamturteil
Insgesamt ist das Chemikaliengesetz trotz mancher Mängel ein begrüßenswerter Schritt zur umfassenderen GefahrstoffregelungBi und Kontrolle bei hinreichender Berücksichtigung der Belange der chemischen Wirtschaft. Es stellt freilich nur einen ersten Schritt dar, auf den weitere folgen müssen, um ein sowohl umfassendes und abgewogenes als auch effektives Gefahrstoffrecht zu schaffen. Wichtig ist das Chemikaliengesetz auch über das Gefahrstoffrecht hinaus, weil es einen von den Umwelt-Medien unabhängigen Ansatz gewählt hat und insoweit eine prinzipielle Fortentwicklung gegenüber den wichtigen neuen Umweltgesetzen darstellt 81 •
54 Siehe dazu: Rehbinder, Das neue Chemikaliengesetz, in: Gesellschaft für Umweltrecht, Dokumentation zur 4. wissenschaftlichen Fachtagung der Gesellschaft für Umweltrecht e. V., Berlin 1980, S. 114-128; siehe auch lit. ader Bundestags-Entschließung (BT-Dr. 8/4243), wo davon gesprochen wird, daß das Chemikaliengesetz weitergehende Regelungen als die jetzige Richtlinie enthält. 85 Von der fehlenden EG-Rechtskonformität dieser Regelung geht wohl Schmidt-Heck, DB 1980, S. 1830, aus. se Die Bewertung des Chemikaliengesetzes durch Schmidt-Heck, DB 1980, S. 1829, als "Grundgesetz für chemische Stoffe" ist zu euphorisch. Umgekehrt ist das überaus negative Urteil über das Chemikaliengesetz vonJ. HaUerbach, DuR 1981, S. 3 ff., unzutreffend und wohl nur aus einer ideologisch fixierten Chemiekritik als exemplarische Kapitalismuskritik zu erklären. 81 So jedenfalls der Anspruch der Regierung; vgl. auch Heigl, GewArch 1981, S.76, und demgegenüber die (überaus kritische) Darstellung bei Hallerbach, DuR 1981, S. 3 f.
B. Zeitlicher und räumlicher Geltungsbereich (§§ 30, 31) I. Inkrafttreten (§ 31) Das Chemikaliengesetz ist am 16. 9. 1980 ausgefertigt und am 25. 9. 1980 im Bundesgesetzblatt verkündet worden. Damit sind nach der Regelung des Inkrafttretens des Chemikaliengesetzes in § 31 die zum Erlaß von Rechtsverordnungen ermächtigenden Vorschriften - §§ 3 Nr.3 letzter Halbs.; 4 V, VI; 10 I, II, III; 12 I S. 1, S. 2 Nr. 3, S. 5; 13 III; 14 II; 17 I, II; 18; 19 I und IV; 28 II - am 26. 9. 1980 in Kraft getreten. Die übrigen Vorschriften - einschließlich der Aufhebungsvorschrift des § 29 1 - treten dagegen erst am 1. 1. 1982 in Kraft. Bis zu diesem Zeitpunkt soll der Verordnungsgeber von seinen Kompetenzen Gebrauch machen und die Verordnungen schaffen und in Kraft setzen, die erforderlich sind, damit das Chemikaliengesetz zum 1. 1. 1982 als inhaltliche Einheit volle Wirksamkeit erlangen kann. Ob die Bundesregierung in der Lage sein wird, bis zu diesem Zeitpunkt wirklich alle Rechtsverordnungen vorzulegen, ist allerdings zweifelhaft, zumal diese praktisch durchgängig - bis auf den Fall des § 17 II - einer Zustimmung des Bundesrates bedürfen und somit jeweils auch evtl. zeitraubende Zustimmungsverfahren erforderlich sind. Jedenfalls ist das Chemikaliengesetz ohne Ausfüllung durch Rechtsverordnungen unmittelbar kaum anwendbar. Ohne Konkretisierung durch die exekutive Rechtsetzung gleicht es in etwa einem Wegweiser ohne Weg. Aus dem inhaltlichen Zusammenhang mit den sonstigen Vorschriften des Chemikaliengesetzes und mit dem Inkrafttreten der Sanktionsvorschrift am 1. 1. 1982 folgt rechtlich, daß die Verordnungen - jedenfalls soweit unmittelbar einschlägige Verhaltenspflichten begründend - nicht davor in Kraft treten dürfen2 •
11. Räumlicher GeItungsbereich (insbesondere § 30) Das Chemikaliengesetz gilt in der Bundesrepublik Deutschland sowie - mit Ausnahme der bundeswehrspezifischen Vorschriften (§ 24 III) in Berlin (West). § 30 enthält die übliche Berlin-Klausel. Die dort vorSiehe dazu unten L I 1, Anm. 4. Nach Art. 5 I, II der 6. EG-Änderungsrichtlinie sind allerdings wesentliche gefahrstoffrechtliche Vorschriften der Mitgliedstaaten bis zum 18. 9. 1981 in Kraft zu setzen. 1
2
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B. Zeitlicher und räumlicher Geltungsbereich (§§ 30, 31)
gesehene übernahme des Chemikaliengesetzes aufgrund von § 13 I des Dritten überleitungsgesetzes ist durch das am 18. 10. 1980 verkündete Gesetz zur übernahme von Gesetzen vom 8. 10. 1980 erfolgt 3 • Die auf das Chemikaliengesetz gestützten Rechtsverordnungen können nach § 14 des Dritten überleitungsgesetzes in Berlin (West) durch Veröffentlichung im Gesetz- und Verordnungsblatt von Berlin übernommen werden, soweit die Rechtsverordnungen nach dem Willen der Verordnungsgeber - Berlin-Klausel in den Rechtsverordnungen - auch dort gelten sollen4 • Obwohl Anmeldungen im Inland auch EG-Auslandswirkungen bzw. Anmeldungen im EG-Ausland auch Inlandswirkungen haben (§§ 4 I S.2, II S. 2; 5 II) und nicht-deutschen Stellen Informationsrechte eingeräumt werden (§§ 12 I Nr. 3 S. 1, 2), ist das Chemikaliengesetz nur ein Gesetz (auch) mit Auslandswirkung, nicht aber mit Geltung im Ausland.
3 Nach Art. 111 ist das übernahmegesetz selbst zwar am 19. 10. 1980 in Kraft getreten; das Gesetz bestimmt aber in seinem Art. 111, daß das Chemikaliengesetz zu dem in diesem Gesetz bezeichneten Zeitpunkt seines Inkrafttretens auch in Berlin wirksam wird. 4 Auch Verwaltungsvorschriften zum Chemikaliengesetz können nach Berlin durch Veröffentlichung im Amtsblatt für BerUn übernommen werden.
C. Gesetzeszweck, Regelungsbereiche und Rechtsgüter (insbesondere § 1) I. Gesetzeszweck (§ 1) Einer beliebten Mode der Gesetzgebungstechnik in der Gegenwart folgend, enthält § 1 eine Bestimmung des "Zweck(s) des Gesetzes". Soweit derartige Vorschriften überhaupt eine normative (und nicht nur politisch-deklaratorische) Substanz haben, liegen sie in deren auslegungs- und ermessensleitenden Funktionen1 • Die Besonderheiten der Gesetzeszweck-Bestimmung in § 1 liegt darin, daß dort in nur wenig geglückter Form neben dem eigentlichen Zweck (Schutz des Menschen und der Umwelt vor schädlichen Einwirkungen gefährlicher Stoffe)2 noch die Instrumente der Zweckverwirklichung (Verpflichtung zur Prüfung und Anmeldung, Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung, gift- und arbeitsschutzrechtliche Regelungen) angegeben werden. Damit gewinnt § 1 eher die Funktion der Kurzinhaltsangabe des Gesetzes als die einer Zweckbeschreibung. Das in der Beratung so in den Vordergrund gestellte Vorsorgeprinzip 3 ist jedenfalls unmittelbar in § 1 nicht eingegangen, wenngleich nicht bestreitbar ist, daß das Chemikaliengesetz vor allem mit seinen Anmelde- und Prüfpflichten dem vorsorgenden Schutz (des Menschen und) der Umwelt dient. 11. Regelungsbereiche (§ 1) Das Chemikaliengesetz führt - wie sich auch aus seinem § 1 ergibt drei untereinander verwandte Regelung5bereiche zusammen: -
den allgemeinen Schutz vor gefährlichen Stoffen und Zubereitungen 4 durch Verpflichtung zur Prüfung und Anmeldung (§§ 4-12, 16) sowie zur Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung (§§ 13-15) und
1 Begr. EChemG BT-Dr. 8/3319, S. 18; kritisch dazu mit weiteren Einzelheiten - Schiwy, zu § 1, S. 1 ff. 2 Siehe auch die Präambel der 6. EG-Änderungsrichtlinie. 3 Begr. EChemG BT-Dr. 8/3319, S. 16. 4 Erzeugnisse faUen regelmäßig nicht unter das Gesetz; Sonderregelungen gelten für Fertigerzeugnisse, die diese gefährlichen Stoffe oder Zubereitungen enthalten (§§ 2 II, III, V, VI; 17 I S.1 Nr.3 und S. 3, 23 II) oder bei deren Verwendung gefährliche Stoffe oder Zubereitungen entstehen (§ 19 V).
C. Gesetzeszweck, Regelungsbereiche, Rechtsgüter (insb. § 1)
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durch Verbote und Beschränkungen (insbesondere §§ 11 I Nr. 3; 17; 23; ferner 19 II Nr. 13)5; giftrechtliche Regelungen (besonders §§ 16 V; 17 I S. 1 Nr. 3; 18 und 13 III S.2 sowie die Vorschriften zu besonders gefährlichen Stoffen etc. in §§ 4 VI; 17 I S.l Nr. 4 und 5); arbeitsschutzrechtliche Regelungen (besonders §§ 196 sowie 2 II, III, V, VI; 17 I S.l Nr.1; 21 III S.l Nr.3, 4, VIf. Insbesondere durch § 18 (mit den Regelungen über giftige Tiere und Pflanzen)8 verläßt das Chemikaliengesetz die Rolle des reinen Stoffgesetzes.
111. Rechtsgüter Die Zusammenführung der gift- und arbeitsrechtlichen Normen mit den Vorschriften zur Kontrolle von Umweltchemikalien führt zu einer nicht ganz randscharf abgegrenzten breiten Palette der vom Chemikaliengesetz geschützten Rechtsgüter. Als derartige Rechtsgüter werden einmal Menscll und/oder Umwelt (§§ 1; 7 I; ferner 16 I Nr. 3) bzw. Leben oder Gesundheit des Menschen und/oder Umwelt (§§ 4 VI; 11 I; 13 III S.l; 14 I S.l; 17 I S.l und 2; 23 II S.l) bezeichnet9• Wichtig ist, daß der Schutz der Umwelt gegenüber dem Schutz des Menschen rechtlich verselbständigt ist. Ob damit aber dem anthropozentrischen Umweltschutz wirklich eine Absage erteilt wird, ist zweifelhaft. Auch wenn rechtlich die Umwelt als solche einen eigenständigen rechtlichen Schutz genießt, ist dies kein Schutz der Umwelt um ihrer selbst willen. Auch insoweit bleibt der Mensch (und seine Bedürfnisse - u. a. nach heiler Umwelt) das Maß aller Dinge. Die juristische Bedeutung des vom Schutz des Menschen verselbständigten Umweltschutzes besteht vor allem darin, daß die Lebens- oder Gesundheitsgefährdung einer Umweltschädigung nicht erkennbar vorhanden bzw. nachgewiesen sein muß. Damit ist die typische Funktion des Umweltschutzes auch als Gesundheitsvoraussetzungsschutz jedoch nicllt aufgehoben. Die Rechtsgutserwähnungen der spezifischen gift- und arbeitsschutzrechtlichen Vorschriften der §§ 18 und 19 erwähnen neben dem Leben oder der Gesundheit des Menschen die Umwelt als solche nicht, wobei Teilweise ähnlich Art. 1 I lit. a, b der 6. EG-Änderungsrichtlinie. Siehe dazu unten L. 7 Natürlich können sich auch die allgemeinen nicht arbeitsschutzspezifischen Vorschriften des ChemG schützend für den Arbeitnehmer auswirken; z. B. § 17 I S. 1 Nr.2 bezüglich der Herstellungsverfahren. 8 Siehe dazu unten K. 9 In diesem Zusammenhang spricht § 14 II S.2 ausdrücklich von einem "Schutzzweck" des § 14 I S. 1. 5
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IH. Rechtsgüter
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§ 18 I S. 1 bezüglich der Regelung über giftige Tiere und Pflanzen allerdings die "Berücksichtigung der Belange des Natur- und Tierschutzes"10 fordert. Diese Lösung vom Umweltschutz wird in § 18 I noch dadurch verstärkt, daß dort neben der Lebens- und Gesundheitssicherung auch der "Schutz der Arbeitskraft und der menschengerechten Gestaltung der Arbeit" angestrebt wird. Insoweit fügen sich die gift- und arbeitsschutzrechtlichen Vorschriften nur unvollkommen in die umweltschutzrechtliche Zielsetzung ein, auch wenn vor allem die inhaltlichen und historischen Verbindungen zwischen Umweltschutz und Arbeitsschutz bzw. zwischen Umwelt recht und Polizeirecht berücksichtigt werden. Insbesondere Rechtsverordnungen nach § 19 dürfen sich nicht allein auf allgemeine Umweltschutzerwägungen stützen. Die Erwähnung des Sachgüterschutzes in § 27 II ist unsystematisch (die schwere Umweltgefährdung fehlt überdies) und nur aus herkömmlichen Formulierungstechniken strafrechtlicher Qualifizierungsvorschriften zu erklären. Bei dieser Mannigfaltigkeit der Rechtsgüter wird deutlich, wie unscharf insgesamt die Zweckbestimmung in § 1 ist.
10 Tierschutz-Erwägungen liegen auch § 10 IH (Reduzierung von Tierversuchen) zugrunde. 4 Kloepfer
D. Begriffe (§ 3) I. Allgemeines 1. Funktion und Struktur
Die in § 3 enthaltenen teilweise ineinander verzahnten Begriffsbestimmungen dienen der Gewährleistung der Rechtsklarheit sowie der Umreißung der Geltungsweite derjenigen Vorschriften, in denen diese Begriffe verwandt werden. Dabei müssen die Legaldefinitionen i. S. d. § 3 Nr. 1, 2 und 4 bis 10 von der in § 3 Nr.3 enthaltenen offenen Begriffsbestimmung des gefährlichen Stoffes oder der gefährlichen Zubereitung mit den vierzehn Gefährlichkeitsmerkmalen unterschieden werden, die im einzelnen erst durch eine Rechtsverordnung zu konkretisieren und zu bestimmen sind (§ 3 Nr. 3 letzter Halbsatz). 2. Fehlende Definitionen
Wesentliche im Chemikaliengesetz verwandte unbestimmte Rechtsbegriffe sind nicht definiert worden. So hat der Gesetzgeber sich etwa nicht entschlossen, - anders als die 6. EG-Änderungsrichtlinie (Art. 2 I lit. c, d) - die häufig verwandten Begriffe der UmweW oder der Anmeldung2 zu definieren. Zwar wird insoweit auslegungsleitend auf die EG-Richtlinie zurückgegriffen werden können, die dort verwandten Begriffe sind aber relativ substanzlos, so daß dies für die Lösung konkreter rechtlicher Streitfragen wenig bringen wird. Die verständliche Zurückhaltung des deutschen Gesetzgebers ist u. a. wohl auch damit zu erklären, daß er eine Definition nicht für erforderlich oder sinnvoll hielt, wo keine spezifisch gefahrstoffrechtlichen Begriffe verwendet werden. Dies gilt etwa bezüglich des Begriffes der "Gesundheit", der Wendung "gewerbsmäßig oder im Rahmen sonstiger wirtschaftlicher Unternehmen"3 oder des Terminus "Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisses", wo der Gesetzgeber in § 12 IV nur eine - partielle - Negativdefinition vorlegt. Vgl. z. B. §§ I, 4 VI, 7 I, 11 I, 13 III S. I, 14 I S. I, 16 I Nr. 3, 17 I S. 1 und 2. Vgl. z. B. §§ 4 ff. 3 Siehe etwa §§ 4 I S. I, II S. I, III, 13 I S. I, 15, 17 I S. 1 Nr. 1 und Nr.5. 1
2
11. Definitionen des Chemikaliengesetzes (§ 3)
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Auch wichtige Schlüsselbegriffe für das Chemikaliengesetz wie z. B. "Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse"" "Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis"; oder "gesicherte wissenschaftliche Erkenntnis"e sind nicht definiert (und im übrigen auch nicht leicht abgrenzbar). Es handelt sich hier - wie bei vielen anderen Begriffen des Chemikaliengesetzes - um rechtliche Verbindungsbegriffe zur Erschließung der einschlägigen naturwissenschaftlichen Erkenntnisse, ohne die das Chemikaliengesetz häufig weder interpretiert noch angewandt werden kann. Manche der durch das Chemikaliengesetz selbst nicht definierten Rechtsbegriffe mit naturwissenschaftlichem Einschlag werden freilich noch durch den Verordnungsgeber definiert werden können (oder müssen), z. B. subchronische bzw. chronische Toxizität, verhaltensstörend, fruchtbarkeitsbeeinträchtigend, fruchtbarkeitsverändernd 7, explosionsfähig8• Bezüglich der mannigfaltigen Gefahrstufungen kann teilweise auch auf die allgemeine polizei- und ordnungsrechtliche Terminologie zurückgegriffen werden 9 • Soweit die im Chemikalien gesetz verwandten Begriffe nicht (auch nicht mittelbar) definiert werden, können als vorrangige Interpretationshilfsmittel die Entstehungsgeschichte, die EG-Richtlinien, andere Schadstoffgesetze, weitere Umweltgesetze sowie sonstige sicherheitsrechtliche und allgemeine Gesetze herangezogen werden, wobei freilich die Eigenständigkeit des Chemikalien gesetzes nicht vernachlässigt werden darf.
11. Definitionen des Chemikaliengesetzes (§ 3) 1. Stoff (§ 3 Nr.l)
Als Stoff - ein Zentralbegriff des Chemikaliengesetzes - bezeichnet § 3 Nr. 1 ein chemisches Element oder eine chemische Verbindung (nicht: ein nur mechanisches Gemisch oder Gemenge: arg. § 3 Nr.2), die nicht weiter be- oder verarbeitet sind (dann liegen regelmäßig Erzeugnisse, nicht Stoffe vor); allerdings - und hier unterscheidet sich der naturwissenschaftliche vom juristischen Stoffbegriff - einschließlich der für die Vermarktung erforderlichen Hilfsstoffe 'o • Verunreinigungen und Hilfsstoffe haben gegenüber dem "Stoff" eine sekundäre bzw. dienende § 7 11. §§ 10 III, 17 I S.2; ob wirklich ein Unterschied zur Verwendung des Plurals in § 7 II gemeint ist, scheint zweifelhaft. e § 13 I S.2, 11 S. 2; vgl. ferner § 19 11 Nr. 13 "sonstige arbeitswissenschaft4 5
liche Erkenntnisse". 7 § 9 I S. 1 Nr. 1 lit. a, b, Nr. 2 lit. b, e, f (mit Verordnungsermächtigung in § 10 I S. 1). 8 § 19 I S.1 Nr. 1 lit. a, b (mit Verordnungsermächtigung daselbst). U Zu den verschiedenen Gefahrenbegriffen siehe unten D II 3 a) ce) . • 0
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D. Begriffe (§ 3)
Funktion, können ihn mengenmäßig aber durchaus überwiegen; Verunreinigungen sind regelmäßig zwar technisch vom Stoff trennbar, aber bei kommerzieller Herstellung nur unter ökonomisch nicht vernünftigen Kosten beseitigbar. Die Stoff definition nach § 3 I Nr. 1 entspricht wörtlich § 1 Nr.2 Arbeitsstoffverordnung und weitgehend auch - bis auf den Verunreinigungsaspekt - Art. 2 I lit. ader EG-Gefahrstoffrichtlinie i. d. F. der 6. EG-Änderungsrichtlinie. Der Begriff der Umweltchemikalie11 ist im Chemikalien gesetz weder definiert noch unmittelbar enthalten. 2. Zubereitung (§ 3 Nr. 2), Erzeugnis
Der in § 3 Nr. 2 umrissene Begriff der Zubereitung baut auf der Stoffdefinition von § 3 Nr. 1 auf. Die Zubereitung ist eine regelmäßig willentlich (nicht von der Natur) herbeigeführte - oder doch belassene mechanische (nicht chemische: weil dadurch eine neue Verbindung entstünde) Zusammenfügung von nicht weiter be- oder verarbeiteten chemischen Elementen oder Verbindungen. Dadurch entstehen Gemische, Gemenge oder Lösungen, die ihrerseits nicht weiter be- oder verarbeitet sein dürfen, weil sonst ein Erzeugnis vorläge. Wie beim Stoffbegriff umfaßt die juristische Zubereitungs-Definition auch die Verunreinigungen und die vermarktungsnotwendigen Hilfsstoffe. Der Zubereitungs-Begriff von § 3 Nr.2 entspricht wörtlich der entsprechenden Definition in § 1 Nr.2 Arbeitsstoffverordnung. Die Definition der Zubereitung in Art. 2 I lit. b der 6. EG-Änderungsrichtlinie ist weniger differenziert, läuft aber im wesentlichen auch auf den Begriff des Chemikaliengesetzes hinaus. Der Begriff des Erzeugnisses wird vom Chemikaliengesetz vorausgesetzt, nicht aber definiert. Das Gesetz erfaßt in mehreren Regelungen Erzeugnisse, die gefährliche Stoffe oder Zubereitungen enthalten (§§ 2 II, III, V, VI; 17 I S. 1 Nr. 1 und S. 3; 23 II S. 1), oder bei deren Verwendung gefährlicher Stoffe oder Zubereitungen anfallen (§ 19 V). Auszugehen ist davon, daß ein Erzeugnis nicht gleichzusetzen ist mit Stoffen oder Zubereitungen, sondern diese lediglich enthält. Weiter bearbeitete oder verarbeitete Stoffe oder Zubereitungen sind Erzeugnisse. Das Erzeugnis kann, muß jedoch nicht ein Konsumerzeugnis bzw. Enderzeugnis sein. 10 Nach Begr. EChemG BT-Dr. 8/3319, S. 19 werden vom Stoffbegriff auch Bestandteile und Stoffwechselprodukte von Mikroorganismen, nicht aber die Mikroorganismen einschließlich der Viren selbst (anders § 3 ArznG) erfaßt. 11 Siehe dazu Schmidt-BZeek, Umweltchemikalien, S. 10 f., insbesondere mit der Definition aus dem Umweltprogramm 1971; auch die Definition von Kippels / Töpner, S. 74: chemische Substanzen, "die durch menschliche Tätigkeit - beabsichtigt oder unbeabsichtigt" in die Umwelt gelangen oder als Folge menschlicher Tätigkeit in der Umwelt entstehen.
11. Definitionen des Chemikaliengesetzes (§ 3)
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3. Gefährlicher Stoff, gefährliche Zubereitung (§ 3 Nr. 3)
a) Allgemeine Problematik
aa) Gesetzgebungstechnik § 3 Nr. 3 definiert "gefährliche" Stoffe und Zubereitungen1! und damit einen entscheidenden Schlüsselbegriff des Chemikaliengesetzes. In Wahrheit liegt auch keine Definition vor, weil die vierzehn Eigenschaften des § 3 Nr. 3 vom Verordnungsgeber (§ 3 Nr. 3 letzter Halbsatz) erst noch zU bestimmen sind. Insoweit enthält § 3 Nr.3 also eher einen Definitionsrahmen als eine Legaldefinition. Solange und soweit der Verordnungsgeber die vierzehn Gefährlichkeitsmerkmale des § 3 Nr. 3 nicht festgelegt hat, sind diese regelmäßig nach der ursprünglich im EChemG enthaltenen Anlage 13 und unter Berücksichtigung von Art. 2 II der 6. EG-Änderungsrichtlinie - die als Vorbild gedient hat - auszulegen. Trotz der Auslegungsbedürftigkeit und -fähigkeit der einzelnen Gefährlichkeitsmerkmale hat § 3 Nr.3 schon jetzt eine abschließende Bedeutung im Sinne der Bezeichnung des Definitionsrahmens. Andere als die dort genannten vierzehn Eigenschaften vermögen die Qualifikation eines Stoffes oder einer Zubereitung als gefährlich nicht zu begründen, wobei zudem die durch ionisierende Strahlen hervorgebrachten Eigenschaften außer Betracht bleiben (§ 3 Nr.3)14. Erst wenn eine ode re mehrere der dort enumerativ aufgeführten Gefährlichkeitsmerkmale vorhanden sind, liegen ein gefährlicher Stoff oder eine gefährliche Zubereitung vor. Dieses Enumerationsprinzip wird freilich dadurch der Sache nach durchbrochen, daß § 3 Nr. 3 lit. n eine globale Erweiterung durch ein generalklauselartiges Gefährlichkeitsmerkmal enthält. Hier ist der Verordnungsgeber gefordert, eine berechenbare Einschränkung vorzunehmen. Trotz des Wortlauts "gefährlicher Stoff" etc. führt die Technik von § 3 Nr. 3 dazu, daß die Gefährlichkeit als solche im Sinne einer Prognose der Wahrscheinlichkeit und des Ausmaßes etwaiger Schäden grundsätzlich unterbleibt. Es erfolgt - bis auf den Fall des § 3 Nr. 3 lit. n - kein herkömmliches Gefährlichkeitsurteil über einen Stoff oder eine Zubereitung, sondern nur die Feststellung einer der in § 3 Nr.3 genannten Eigenschaften. Liegen eine oder mehrere dieser Eigenschaften vor, sind 12 Der Wechsel vom Singular zum Plural im Gesetz ist ein - unschädlicherFehler. Auch wird nicht "gefährlicher Stoff" oder "gefährliche Zubereitung" definiert, sondern nur "gefährlich". 13 Siehe oben A V 2 d, ee. 14 Z. B. sind die durch ionisierende Strahlen hervorgerufenen Schäden für § 3 Nr. 3 auch dann unbeachtlich, wenn sie krebserzeugend, fruchtschädigend oder erbgutverändernd (§ 3 Nr. 3 lit. k, 1, m) sind. Dies hängt mit der Herausnahme radioaktiver Gefahren aus dem Chemikaliengesetz (vgl. z. B. die§§ 2 I Nr. 5, 19 I S. 2 Nr. 1) zusammen.
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D. Begriffe (§ 3)
der Stoff bzw. die Zubereitung aufgrund der gesetzgeberischen Bewertung "gefährlich". Eine konkrete Gefahrenbeurteilung durch die Verwaltung oder Rechtsprechung entfällt bis auf die Feststellung von § 3 Nr.3 lit. n. Allerdings haben trotz der gesetzgeberischen Technik der Eigenschaftsbestimmung als Gefährlichkeitsbeschreibung viele der in § 3 Nr.3 genannten Eigenschaften schadensprognostische Gehalte, die den rechtsanwendenden Gewalten die Erkundung bestimmter konkreter Gefährdungslagen aufgeben. Dies wird schon vom Wortlaut bei dem Merkmal "explosionsgefährlich" deutlich; aber auch die übrigen Merkmale von § 3 Nr.3 enthalten Elemente der konkreten Prognose eines bestimmten Schadens. Dennoch kann eine gesonderte auf die Schutzgüter von § 1 gezielte Gefahrenfeststellung (außer bei § 3 Nr.3 lit. n) unterbleiben. bb) Gefährlichkeitsverdacht In einzelnen Fällen verlangt das Chemikaliengesetz nicht das Vorliegen einer der in § 3 Nr.3 genannten Eigenschaften, sondern begnügt sich mit tatsächlichen Anhaltspunkten für das Vorliegen derartiger Eigenschaften (§§ 17 I S. 3, 23 II S. 2, 4 VI S. 1). Bei solchen nur vermutbaren Gefährlichkeitsmerkmalen kann man von einem Gefährlichkeitsverdachtsprechen. cc) Gefährlichkeit und Gefahr Die in § 3 Nr.3 gesetzgebungstechnisch unternommene Gefährlichkeitsbeschreibung durch Eigenschaftsbestimmung hindert den Gesetzgeber nicht, einschränkend eine zusätzliche konkrete - allgemeinere Gefahrenbeurteilung zu fordern, die sich dann nicht auf die Gefahrenmerkmale des § 3 Nr. 3 bezieht. So sind etwa vorläufige Vermarktungsund Verwendungsverbote durch behördliche Anordnungen nach § 23 II für gefährliche (oder vermutet gefährliche - § 23 II S. 2) Stoffe etc. nur zulässig, wenn von ihnen eine (vermutbare) Gefahr für Leben, Gesundheit oder Umwelt ausgeht. Der Feststellung eines tatsächlich vorhandenen oder vermuteten Gefährlichkeitsmerkmals nach § 3 Nr.3 hat also noch eine gesonderte Gefahrenfeststellung zu folgen. Dieser Technik bedient sich der Gesetzgeber noch an mehreren anderen Stellen l5 • Diese nicht eben durchsichtige Gefahrenkonzeption wird noch dadurch verunklart, daß der Gesetzgeber auch die vermutete Gefahr für bestimmte Aktivitäten ausreichen läßt (z. B. § 23 II S. 1), d. h. einen bloßen Gefahrenverdacht, wobei in § 23 II S. 2 sogar die Zusammenkoppelung eines Gefährlichkeitsverdachts mit einem Gefahrenverdacht vorgenommen wird. Die erhebliche Wahrscheinlichkeit einer Gefahr fordert § 11 1. 15
Vgl. z. B. §§ 17 11, 19 11 Nr. 13.
11. Definitionen des Chemikaliengesetzes (§ 3)
55
Vollends verdunkelt sich das Bild, wenn man die Fülle von Gefahrenintensitäten und -arten bedenkt, die das Chemikaliengesetz ziemlich unsystematisch zusammenhäuft. Das Chemikaliengesetz kennt die "besondere Gefahr" (§§ 14 I S. 2 Nr. 2, 19 II Nr. 8), die "erhebliche Gefahr" (oder den erheblichen Nachteil) "für die Allgemeinheit" (§ 3 Nr.3 lit. n), die "erhebliche Gefahr für Leben oder Gesundheit des Menschen oder die Umwelt" (§§ 13 III S.l, 23 II S. 1), "dringende Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung" (§ 21 III S. 2) sowie schließlich die "Gefahr im Verzug" (§§ 19 II Nr. 13, 17 II S. 1). Die Eigenschaft "umweltgefährlich" wird mehrfach erwähnt (§§ 7 I Nr. 6, 9 I Nr. 1 lit. c, Nr. 2 lit. g)I~. b) Einzelne Getährlichkeitsmerkmale 17
aa) Merkmale nach § 3 Nr. 3 lit. abis m § 3 Nr.3 lit. a, b, c regelt giftige Eigenschaften verschiedener Intensität. Zum Merkmal "sehr giftig" siehe Nr. 1 der Anlage EChemG (sowie Art. 2 II lit. f der 6. EG-Änderungsrichtlinie), zum Merkmal "giftig" Nr.2 der Anlage EChemG (sowie Art. 2 II lit. g der 6. EG-Änderungsrichtlinie), zum Merkmal "mindergiftig" Nr. 3 Anlage EChemG. Ätzend (§ 3 Nr. 3 lit. d) ist in Nr. 4 der Anlage EChemG sowie in Art. 2 II lit. i der 6. EG-Änderungsrichtlinie definiert, reizend (§ 3 Nr. 3 lit. e) in Nr. 5 Anlage EChemG, Art. 2 II lit. j der 6. EG-Änderungsrichtlinie, explosionsgefährlich (§ 3 Nr.3 lit. f)18 in Nr. 6 Anlage EChemG, Art. 2 II Ht. ader 6. EG-Änderungsrichtlinie, brandfördernd (§ 3 Nr. 3 lit. j) in Nr.7 Anlage EChemG, Art. 2 II lit. b der 6. EG-Änderungsrichtlinie, hochentzündlich (§ 3 Nr.3 lit. h) in Art. 2 II lit. c der 6. EG-Änderungsrichtlinie, leichtentzündlich (§ 3 Nr. 3 lit. i) in Nr. 8 Anlage EChemG, Art. 2 II lit. d der 6. EG-Änderungsrichtlinie, entzündlich (§ 3 Nr. 3 lit. j) in Nr. 9 Anlage EChemG, Art. 2 II lit. e der 6. EG-Änderungsrichtlinie I9 , krebserzeugend20 (§ 3 Nr.3 lit. k) in Art. 2 II lit. 1 der 6. EG-Änderungsrichtlinie. Die Merkmale fruchtschädigend (§ 3 Nr. 3 lit.l) und erbgutverändernd (§ 3 Nr.3 Ht. m) werden weder in der Anlage des EChemG noch in der 6. EG-Änderungsrichtlinie definiert!l. 1~ Vgl. auch Art.2 11 lit. k der 6. EG-Änderungsrichtlinie; auch § 3 Nr.3 Ht. n läuft in etwa auf die Eigenschaft "umweltgefährlich" hinaus. 17 Zu den teilweise dazugehörigen Gefahrensymbolen siehe Kippels / Töp-
ner, S. 107.
Das ist mehr als explosionsfähig (§ 19 I S. 1 Nr. 1 Ut. a). Buchstaben i, j von § 3 Nr. 3 hätten entsprechend ihrer Intensität umgekehrt geordnet werden müssen. 20 Siehe dazu Kippels I Töpner, S. 80. 21 Vgl. aber Art. 2 11 Ht. m, n der 6. EG-Anderungsrichtlinie, ohne nähere Definition. 18
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D. Begriffe (§ 3) bb) Chronisch gefährlich, umweltgefährlich (§ 3 Nr. 3 lit. n)
Das problematischste Merkmal stellt § 3 Nr.3 lit. n 22 wegen seiner generalklauselartigen Weite dar, die das Enumerationsprinzip von § 3 Nr.3 lit. abis m gefährdet. § 3 Nr.3 lit. n unterscheidet zwei Alternativen: -
chronisch schädigende Eigenschaften (für das Leben oder die Gesundheit des Menschen) umweltgefährdende Eigenschaften 23 ; die Stoffe, ihre Verunreinigungen oder ihre Zersetzungsprodukte müssen hiernach geeignet sein, die natürliche Beschaffenheit von Wasser, Boden oder Luft von Pflanzen, Tieren oder Mikroorganismen sowie des Naturhaushalts zu verändern. Dies allein reicht jedoch noch nicht aus. Die stoff- bzw. zubereitungsverursachten Veränderungen müssen erhebliche Gefahren oder erhebliche Nachteile für die Allgemeinheit herbeiführen24 •
Eigenschaften i. S. d. § 3 Nr. 3 lit. n können keine Eigenschaften i. S. d. § 3 Nr.3 lit. abis m sein. Die dort angesprochenen Gefährlichkeitsaspekte können bei der Ausfüllung von § 3 Nr.3 lit. n grundsätzlich nicht berücksichtigt werden; sie sind gewissermaßen "verbraucht". Desgleichen scheiden die Wirkungen ionisierender Strahlen für eine Qualifikation nach § 3 Nr.3 lit. n aus. Berücksichtigt werden können aber Eigenschaften nach § 925 • 4. Einstufung (§ 3 Nr.4)
Die - für § 13 - wichtige Definition der Einstufung in § 3 Nr. 4 stellt klar, daß es nur eine Einstufung gefährlicher Stoffe oder gefährlicher Zubereitungen geben kann und zwar nur für die vierzehn Stufen i. S. d. § 3 Nr. 3. Die Einstufung bedeutet die Zuordnung, d. h. genauer die Benennung einer oder mehrerer der in § 3 Nr.3 genannten Eigenschaften eines Stoffes oder einer Zubereitung. 5. Hersteller (§ 3 Nr.5)
Der Hersteller-Definition in § 3 Nr. 5 geht es zunächst - wie der Herstellens-Definition in § 1 Nr.7 Arbeitsstoffverordnung - um die Klar22 Vgl. auch die teilweise anderen Formulierungen bei § 3 Nr.3 lit. m EChemG, Art. 2 II lit. k der 6. EG-Änderungsrichtlinie. 23 Siehe auch "umweltgefährlich" in §§ 7 I Nr. 6, 9 I Nr. l1it. c, Nr.2 lit. g. 24 Siehe Kippels / Töpner, S. 73 ff., S. 75. 25 Z. B. verhaltensstörend, fruchtbarkeitsbeeinträchtigend und -verändernd. Aus § 19 I S.1 Nr.l lit. a, b ergibt sich ("sowie" bzw. "oder"), daß explosionsfähige Stoffe oder Zubereitungen keine gefährlichen Stoffe i. S. d. Chemikaliengeset4e:s sind.
11. Definitionen des Chemikaliengesetzes (§ 3)
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stellung, daß nicht nur die künstlich-technische Produktion (z. B. durch willentlich herbeigeführte Reaktionen) von Stoffen hierzu zählt, sondern auch das "Gewinnen" natürlich vorkommender Substanzen. Die Reduzierung auf rechtsfähige (also natürliche und juristische) Personen - wie bei der Einführer-Definition in § 3 Nr.6 - entbindet z. B. die OHG und KG als solche (nicht die Gesellschafter) von einer Anmeldeverpflichtung etc., obwohl sie von der Rechtsordnung teilweise wie juristische Personen behandelt werden. Auch Herstellergemeinschaften etwa i. S. von BGB-Gesellschaften sind keine Hersteller i. S. d. § 3 Nr.5. Die Herstellereigenschaft ist unabhängig davon, ob der Hersteller seinen Wohnsitz oder seinen Firmensitz im In- oder Ausland hat. Der Herstellerbegriff nach § 3 Nr.5 bezieht sich direkt nur auf das Herstellen von Stoffen oder Zubereitungen. Soweit das Chemikaliengesetz seine Regelungen ausnahmsweise auf Erzeugnisse erstreckt, ist der Hersteller-Begriff analog anzuwenden auf die Hersteller von Erzeugnissen. Die Hersteller-Definition in § 3 Nr.5 kann im Hinblick auf arbeitsteilige Produktionsprozesse problematisch werden (Auftraggeber oder ausführender Auftragnehmer als Hersteller?). Im Zweifel werden alle an arbeitsteiligen Produktionsprozessen selbständig Teilnehmenden als Hersteller i. S. d. § 3 Nr. 5 anzusehen sein. 6. Einführer (§ 3 Nr. 6)
Der Einführer-Begriff in § 3 Nr.6 enthält - ähnlich wie der Hersteller-Begriff in § 3 Nr. 5 - der Sache nach nicht nur die Beschreibung des jeweils Handelnden (Einführer), sondern unmittelbar auch des Einfuhr-Vorganges selbst. Einführer ist jede natürliche oder juristische Person, die (einen Stoff oder eine Zubereitung) einführt. Keine Einführer können damit die OHG, KG und nichtrechtsfähige Personengemeinschaften sein. Auch natürliche oder juristische Personen mit Wohnsitz oder Firmensitz im Ausland können Einführer sein. Da nach § 4 III ein nicht im EG-Bereich Niedergelassener nicht einführen darf, können (legale) Einführer nur solche Personen sein, die im Inland oder im EG-Ausland ihren Wohn- oder Firmensitz haben. Einfuhr ist das räumliche Verbringen eines Stoffes bzw. einer Zubereitung (analog: auch eines Erzeugnisses) in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland einschließlich - gern. § 30 - Berlin (West). Der Transitverkehr unter zollamtlicher Überwachung innerhalb des Geltungsbereichs des Chemikaliengesetzes gilt auch entsprechend allgemeiner zollrechtlicher Grundsätze nicht als Einfuhr, soweit dabei im Geltungsbereich des Gesetzes keine Be- oder Verarbeitung erfolgt.
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D. Begriffe (§ 3) 7. Inverkehrbringen (§ 3 Nr. 7)
Das Inverkehrbringen (§ 3 Nr. 7) ist maßgeblich die kommerzielle wie die nicht kommerzielle Abgabe (von Stoffen, Zubereitungen, Erzeugnissen) an andere (natürliche oder juristische Personen). § 3 Nr. 7 erfaßt aber auch Vorbereitungshandlungen der Abgabe, insbesondere das Vorrätighalten (Bereithalten) zum Verkauf oder zu sonstigen Abgabeformen, das Feilhalten (unmittelbar zum Verkauf etc.) und das Feilbieten (Anbieten). Die Definition von § 3 Nr.7 entspricht wörtlich der entsprechenden Vorschrift in § 4 XVIII ArznG und fast wörtlich § 7 I LMBG (dort nur statt Feilbieten: Anbieten). Im Gegensatz zu Art. 2 I lit. e S. 2 der 6. EG-Änderungsrichtlinie ist das Einführen selbst noch kein Inverkehrbringen i. S. d. § 3 Nr.7. Ferner ist die Abgabe an Dritte zu Versuchs- und Forschungszwecken (wie das Bereithalten hierzu) ein Inverkehrbringen. Eine Privilegierung erfolgt nicht durch Begriffsausschluß, sondern durch die Befreiungsvorschrift von § 5 I Nr. 2. 8. Verwenden (§ 3 Nr.8)
Als Verwenden bezeichnet der Gesetzgeber - in wörtlicher übereinstimmung mit § 8 Arbeitsstoffverordnung - das kommerzielle wie das nicht kommerzielle substanzerhaltende Gebrauchen und substanzmindernde Verbrauchen, das Lagern, Aufbewahren (einschließlich Vorrätighalten, Feilhalten), Be- und Verarbeiten, das insbesondere im Hinblick auf § 15 wichtige Abfüllen und Umfüllen, das Mischen (auch das Herstellen eines Gemischs), das Vernichten und das innerbetriebliche Befördern, das nach § 2 VIII dem Chemikaliengesetz unterfäIIt. Das Verwenden kann somit u. U. zugleich auch ein Herstellen und ein Inverkehrbringen sein. 9. Toxikokinetische, biotransformatorische Eigenschaften (§ 3 Nr.9, 10)
Die Eigenschaftsdefinitionen von § 3 Nr.9, 10 beziehen sich auf toxikokinetische und biotransformatorische Eigenschaften in menschlichen und tierischen Organismen. Damit werden ohne einleuchtenden Grund bestimmte Eigenschaften, die zu zusätzlichen Prufungsanforderungen nach § 9 (hier: I S. 1 Nr. Ilit. a) führen, vom Gesetzgeber selbst definiert, während andere (z. B. akute, subakute, chronische und subchronische Toxizität) erst durch den Verordnungsgeber konkretisiert werden müssen. Weder die toxikokinetische noch die biotransformatorische Eigenschaft sind gefährliche Eigenschaften i. S. d. § 3 Nr. 3 (auch nicht von § 3 Nr.3 lit. n). Während aber eine toxikokinetische (konzentrationsverändernde) Eigenschaft im - lebenden (oder toten) Organismus - nur
11. Definitionen des Chemikaliengesetzes (§ 3)
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bei gefährlichen Stoffen i. S. d. § 3 auftreten kann, sind biotransformatorische Eigenschaften nach § 3 Nr. 10 (Abbau- und Umwandlungsfähigkeit) im lebenden Organismus bei allen Stoffen möglich, auch wenn sie keine gefährlichen Stoffe i. S. d. § 3 Nr. 3 sind.
E. Sachlicher Anwendungsbereich (§ 2) I. Chemikaliengesetz und Spezialgesetze (§ 2 I, VII, VIII) Trotz des in seiner überschrift wie in seiner Zweckbestimmung nach § 1 angedeuteten umfassenden Geltungsanspruchs ist das Chemikaliengesetz keine kodifizierende umfassende Kontrollnorm 1 der für Mensch und/oder Umwelt gefährlichen Stoffe2 • Eine derartige Kodifikation des als homogenes Rechtsgebiet erst entstehenden Gefahrstoffrechts müßte vielfältige schon bestehende spezialgesetzliche - und evtl. schärfere - Regelungen ablösen und wegen der Verschiedenartigkeit möglicher Gefahrstoffe und ihrer Gefahren letztlich doch wieder Sonderregelungen für einzelne Stoffgruppen vorsehen. Deshalb ist es verständlich, wenn das Chemikaliengesetz mit seinen ohnehin nur begrenzten Kontrollverfahren die teilweise erheblich weitergehenden, mit strengeren Prüfungen und nicht selten mit Zulassungsverfahren arbeitenden Spezialgesetze3 größtenteils4 unberührt läßt5 , was sicherlich auch ein taktisches Mittel der politischen Durchsetzung des Chemikaliengesetzes war. Hieraus ergibt sich der vor allem6 in § 2 näher, allerdings nicht sehr transparent geregelte inhaltliche Anwendungsbereich des Chemikaliengesetzes (der das Recht der - nicht innerbetrieblichen7 - Beförderung 1
Zum sachlichen Anwendungsbereich des Chemikaliengesetzes siehe auch
Schiwy, zu § 2, S. 3 ff. 2 Kritisch auch Schiwy, zu § 2, S. 3. 3 Zu ihrem Vorrang siehe Kippels / Töpner, S. 9.
4 Da das Chemikaliengesetz die u. a. im Benzinbleigesetz, Bundes-Immissionsschutzgesetz, Düngemittelgesetz und Waschmittelgesetz geregelten Stoffe nicht aus seinem Geltungsbereich ausnimmt, kann es hier zu Gesetzeskonkurrenzen kommen. Die Sondergesetze gelten grundsätzlich neben dem Chemikaliengesetz, das allerdings im Kollisionsfall als späteres Gesetz vorgeht, soweit nicht die Spezialgesetze kraft ihrer Spezialität Vorrang haben (so wohl Begr. EChemG, BT-Dr. 8/3319, S. 16). 5 Begr. EChemG BT-Dr. 8/3319, S. 16. B Auch die Herausnahme ionisierender Stoffe aus dem Gefährlichkeitsmerkmal in § 3 Nr.3 zählt dazu, ebenso die Vorschrift des § 19 I S. 2. 7 Der tiefere Grund für die Anwendung des Chemikaliengesetzes auf die innerbetriebliche Beförderung liegt darin, daß das Recht der Beförderung gefährlicher Güter die innerbetriebliche Beförderung nicht erfaßt (vgl. § 1 I S. 2 Nr. 1 Gesetz über die Beförderung gefährlicher Güter). Das ChemG sieht im innerbetrieblichen Befördern ein Verwenden (§ 3 Nr. 8).
1. Chemikaliengesetz und Spezialgesetze (§ 2 I, VII, VIII)
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gefährlicher Güter VOn vornherein ausklammert - § 2 VIII). § 2 enthält drei Regelungsgruppen für verschiedene Stoffe: Die Abs. I bis III gelten für eine Reihe spezialgesetzlich normierter Stoffe des Abs. I; die Abs. IV bis VI für Pflanzenbehandlungsstoffe und Abs. VII für Sprengstoffe. Nach § 2 I gelten die im Chemikaliengesetz vorgesehenen Prüf-, Anmelde- und Meldepflichten8, die Einstufungs-, Verpackungs- und Kennzeichnungs pflichten sowie die potentiellen Anzeige- und Erlaubnispflichten für das Herstellen von Giften etc. und die behördlichen Anordnungsbefugnisse nicht für: LebensmitteP, Tabakerzeugnisse und kosmetische Mittel, Futtermittel und Futtermittelzusatzstoffe, zulassungsoder registrierungspflichtige Arzneimittel, normale und radioaktive Abfälle sowie für Abwässer und Altöle. Die Verbotsermächtigung nach § 17 I S. 1 Nr.2 für Herstellungs- und Verwendungsverfahren bleibt bestehen, für Futtermittel aber nur zu Arbeitsschutzzwecken (§ 2 III). Ein nicht ganz so weitgehend eingeschränkter Anwendungsbereich ergibt sich nach § 2 IV für zulassungspflichtige Stoffe nach dem Pflanzenschutzgesetz, d. h. PflanzenbehandlungsmittePO, auf die freilich die Einstufungs- und Kennzeichnungspflichten des Chemikaliengesetzes anwendbar sind, während hier die Ermächtigungsvorschrift des § 17 I S. 1 Nr.3 über Zuverlässigkeits-, Gesundheits- und Sachkundeanforderungen des Herstellers, Vermarkters oder Verwenders von Giften von vornherein nicht gilt. Bei Stoffen i. S. d. Sprengstoffgesetzesl1 und bei Druckgasbehältern12 nach § 2 VII sind gerade die Regelungen über die Einstufungs- und Kennzeichnungspflichten des Chemikaliengesetzes nicht anwendbar, wohl aber alle übrigen.
8 Mit der in § 2 I vorgesehenen Nichtanwendbarkeit der §§ 4-12, 16 auf die Stoffe nach 2 I entfällt für diese auch eine Geltungsgrundlage für die §§ 20, 22,28. 9 Auf Bedarfsgegenstände i. S. d. § 5 LMBG bleibt das Chemikaliengesetz voll anwendbar. Das gleiche gilt für lebensmittelrechtliche Zusatzstoffe (a. A. Schmidt-Heck, DB 1980, S. 1829), weil sie in 2 I Nr. 1 (anders als FuttermittelZusatzstoffe in § 2 I Nr. 2) nicht genannt werden. 10 § 2 Nr. 3 Pflanzenschutzgesetz; also Pflanzenschutzmittel und Wachstumsregler i. S. d. § 2 Nr.4, 5 Pflanzenschutzgesetz; vgl. ferner die Sondervorschrift in § 19 I S. 2 Nr.2 ChemG. 11 Es bestehen insoweit ausführliche spezialgesetzliche Regelungen (insbesondere §§ 14 ff. der Ersten Verordnung zum Sprengstoffgesetz); einen Vorrang sprengstoffrechtlicher Regelungen im arbeitsschutzbezogenen Schadstoffrecht sieht § 19 I S. 2 Nr. 1 ChemG vor. 12 Mit Ausnahme der Aerosolbehälter; die Einbeziehung der Behältnisregelung in § 2 VII dient der Umsetzung des Art. 1 III ader 6. EG-Änderungsrichtlinie.
62
E. Sachlicher Anwendungsbereich
(§ 2)
11. Arbeitsschutzrechtliche Gehalte (§ 2 lI-VI) Neben der Vorschrift über giftige Tiere und Pflanzen nach § 18 - wo faktisch kaum Konkurrenzprobleme auftauchen - ist deshalb lediglich die umfassende arbeitsschutzrechtliche Ermächtigung nach § 19 (bis auf die Sonderfälle des § 19 I S. 2) uneingeschränkt anwendbar, weil das Chemikaliengesetz das Gesetz über gesundheitsschädliche und feuergefährliche Arbeitsstoffe aufhebt (§ 29) und somit auf keine arbeitsstoffrechtliche Sondervorschrift mehr Rücksicht nehmen muß. Insoweit erweist sich gerade die arbeitsschutzrechtliche Komponente im Chemikaliengesetz als außerordentlich stark und geht teilweise über die umweltschutzrechtlichen Effekte deutlich hinaus. Dem entspricht es, wenn § 2 II, III, V, VI "zum Schutz des Menschen am Arbeitsplatz"13 einige Verbotsund Beschränkungsermächtigungen des § 17 teilweise auch auf die vom Chemikaliengesetz weitgehend nicht erfaßten Stoffe des § 2 I und IV ausdehnt. Rechtstechnisch erfolgt eine Zweckreduzierung der Ermächtigungen des § 17 auf Zwecke des Arbeitsschutzes. Im Ergebnis sind auf die Stoffe nach § 2 I zu Arbeitsschutzzwecken die Beschränkungsermächtigungen nach § 17 I S. 1 Nr. 1,3 und 5 (Herstellungs- und Verwendungsbeschränkungen, giftrechtliche Gesundheits- und Sachkundeanforderungen und Abgabebeschränkungen) anwendbar, für - zulassungsbedürftige - Pflanzenbehandlungsmittel gilt entsprechendes für die Ermächtigungen nach § 17 I S. 1 Nr. 1 und 2. Hinsichtlich der arbeitsschutzrechtlichen Komponente stellt das Chemikaliengesetz also eine weitestgehend erschöpfende Regelung dar. Eine ähnliche Entwicklung scheint für das Giftrecht angestrebt zu werden14• Im übrigen bleibt es aber insbesondere nach Maßgabe von § 2 bei einem Vorrang bestehender gefahrstoffrechtlicher Spezialgesetze gegenüber dem Chemikaliengesetz. Spätere verdrängende Spezialregelungen können erst recht dem Chemikaliengesetz vorgehen.
13 Dazu zählen nicht nur die Arbeitnehmer, sondern auch die Besucher und Nachbarn. l' Begr. EChemG BT-Dr. 8/3319, S. 17.
F. Instrumentarien (Überblick) Entsprechend der 6. EG-Änderungsrichtlinie führt das Chemikaliengesetz - anders etwa als das Arzneimittelrecht - kein Zulassungsverfahren für Stoffe oder Zubereitungen ein, u. a. um die Innovationsfähigkeit der chemischen Industrie nicht zu stark zu beeinträchtigen und um übermäßige Verwaltungskosten zu vermeiden l • Es begnügt sich - wie sein § 1 zeigt - im wesentlichen mit Prüfungs- und Anmeldungspflichten2 (§§ 4-10, 11 I S. 1 Nr.1 und 2), mit Einstufungs- und Kennzeichnungspflichten3 (§§ 13-15, 19 II Nr. 2 lit. a) sowie mit - teilweise allerdings recht weitgehenden - Verboten und Beschränkungen'. Neben Verboten und Erlaubnispflichten (z. B. §§ 17 I S. 1 Nr. 1, 2, 4 lit. b; 18 I S. 1 Nr. 1, S. 2 Nr. 2 lit. b; 19 II Nr. 8) einschließlich Zuverlässigkeits- und Sachkundeanforderungen (§§ 17 I S. 1 Nr. 4 lit. b, 18 III), Auflagen und Bedingungen (§§ 11 I Nr. 3, 18 I S. 2) und sonstigen Zusatzbestimmungen (z. B Bereithaltung von Gegenmitteln - § 18 I S. 1 Nr. 1 lit. b; Hinweisgeboten - § 18 I S.1 Nr.2 lit. b; betriebliche Maßnahmen des Arbeitsschutzes - § 19 II Nr. 1-7, 9-11) sowie Anzeigepflichten (§§ 17 I S. 1 Nr. 4 lit. a, 18 I S. 1 Nr. 1 lit. c), zählen umfassende administrative Befugnisse S (Untersagungs-, Überwachungs- und Einzelanordnungsbefugnisse) zur Durchsetzung des Gefahrstoffrechts hierzu (§§ 11 II, 19 II Nr. 13, 21, 23), die entweder direkt durch das Chemikaliengesetz (§§ 11 II, 21, 23) oder durch hierauf gestützte Rechtsverordnungen begründet werden (§ 19 II Nr. 13). Hinzu kommen in den §§ 26, 27 die spezifischen ordnungswidrigkeitsrechtlichen und strafrechtlichen Durchsetzungsmechanismen6 des Chemikaliengesetzes.
1
2 3 4 6
6
Begr. EChemG BT-Dr. 8/3319, S. 17. Siehe unten G. Siehe unten H. Siehe unten 1. Siehe unten M. Siehe unten N.
G. Prüfung und Anmeldung (§§ 4 ff.) I. Allgemeines Wie schon § 1 zeigt, sollen der Mensch und die Umwelt durch die Verpflichtung zur Prüfung und Anmeldung vor den schädlichen Einwirkungen gefährlicher Stoffe geschützt werden. Durch die Prüfungs- und Anmeldungspflicht soll verhindert werden, daß künftig (neue) Stoffe auf den Markt gelangen, bevor geprüft worden ist, ob und auf welche Weise sie für den Menschen oder die Umwelt gefährlich werden können. Umgekehrt sollen wegen der entstehenden Kosten und der begrenzten Prüfkapazitäten nicht erforderliche Prüfungsintensivierungen vermieden werden. Der Gesetzgeber hat sich in den §§ 4 ff. für ein "Anmeldeverfahren" und gegen ein sog. "Zulassungsverfahren" entschieden und damit nicht die Verantwortlichkeit von den Herstellern und den Einführern auf den Staat übertragen. Die personenbezogene Erlaubnispflicht nach § 17 I S. 1 Nr. 4 lit. b entstammt giftrechtlichen Erwägungen und darf nicht als Quasi-Zulassungsverfahren ausgebaut werden. Die Entscheidung des Gesetzgebers für ein Anmeldeverfahren mit überwachten Eigenprüfungen des Anmelders (sowie für kontrollierte Einstufungs-, Kennzeichnungs- und Verpackungspflichten und für exekutive Verbots-, Untersagungs- und Anordnungsermächtigungen) entspricht der 6. EG-Änderungsrichtlinie und trägt der Eigenverantwortlichkeit des Herstellers und Einführers Rechnung. Hinsichtlich der in den §§ 4 ff. geregelten Pflichten zur Anmeldung und Prüfung von Stoffen (§ 3 Nr. 1) als solchen oder als Bestandteile von Zubereitungen (§ 3 Nr. 2) - Zubereitungen selbst sind nicht anmeldepflichtig - unterscheidet das Chemikaliengesetz (in Vollzug von Art. 1 IV der 6. EG-Änderungsrichtlinie) zwischen alten und neuen Stoffen, je nachdem ob sie vor dem 18. 9. 1981 oder danach erstmalig in einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften in den Verkehr gebracht (§ 3 Nr.7) worden sind. Die für die neuen Stoffe geltenden Anmeldepflichten gelten nicht (bzw. nur ganz eingeschränkt) für alte Stoffe. Die neuen Stoffe sind anmeldepflichtig bis auf die Sonderfälle der nicht anmeldepflichtigen Stoffel, für die allerdings mehrere Vorschriften entsprechend gelten. I
Siehe unten G In, IV.
II. Anmeldepflichtige Neustoffe (§§ 4 I-III, 6-9, 11 I Nr. 2,16 I, II)
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11. Anmeldepflichtige neue Stoffe (§§ 4 1-111, 6-9, 11 I Nr. 2, 16 I, 11) 1. Anmeldepflicht (§ 4 I, 11, 111)2
In seiner Regelung der Anmeldepflicht geht das Chemikaliengesetz grundsätzlich von (anmeldepflichtigen) neuen Stoffen aus. Neue Stoffe sind solche, die vor dem 18. 9. 1981 in keinem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften in den Verkehr gebracht worden waren. Gemäß § 4 V S. 1 gelten diejenigen Stoffe als neu, die in der dortigen Rechtsverordnung nicht aufgelistet sind. Die Trennung der Anmeldeverpflichtung für den Hersteller in Abs. I und für den Einführer in Abs. II dient der besseren Verständlichkeit der Norm. Ungeachtet dessen, ob die neuen Stoffe i., S. d. § 3 Nr. 3 gefährlich sind oder nicht, müssen sie als solche oder als Bestandteile von Zubereitungen nach § 4 I S. 1, Ir S. 1 regelmäßig mindestens 45 Tage vor ihrem erstmaligen gewerbsmäßigen, wirtschaftlichen 3 (also nicht privaten, unentgeltlichen) Inverkehrbringen (§ 3 Nr. 7) bzw. Einführen 4 im bzw. in das EG-Gebiet bei der Anmeldestelle (§ 12) angemeldet werden". Etwas anderes gilt, wenn der anmeldepflichtige Hersteller (§ 3 Nr. 5) oder Einführer (§ 3 Nr.6) diesen Stoff in einem anderen EG-Staat bereits hergestellt oder eingeführt und in einem gleichwertigen (und nicht nur formal entsprechenden) Verfahren selbst angemeldet hat (§ 4 I S. 2 bzw. II S.2). Der gewerbsmäßige Einführer muß seinen Sitz im EG-Bereich haben (§ 4 III). Der 45-Tage-Frist in § 4 I und II entspricht die in § 8 I verankerte Pflicht der Anmeldestelle, den Eingang der Anmeldung innerhalb von 45 Tagen zu bestätigen, so daß im Grundsatz nur bestätigte anmeldepflichtige neue Stoffe in den Verkehr kommen sollen. Neue Stoffe in Fertigprodukten unterliegen nicht der Anmeldepflicht des § 4 I, II6 ; sie sind nicht Bestandteil einer Zubereitung. Die Erfassung auch von Fertigprodukten würde zu einem derzeit nicht darstellbaren Verwaltungsaufwand führen und ist auch durch die 6. EG-Änderungsrichtlinie nicht erfolgt. Die Ausklammerung neuer Stoffe in Fertigprodukten von der Anmelde- und Prüfungspflicht - als bewußte Gesetzeslücke 7 - ist auch deshalb hinnehmbar, weil neue Stoffe vor ihrer Verarbeitung in Fertigprodukten regelmäßig als solche bzw. als BestandSiehe auch Schiwy, zu § 2, S. 2 ff. Nach Begr. EChemG BT-Dr. 8/3319, S. 19, entspricht dies der Abstützung des ChemG auf Art. 74 Nr. 11 GG. 4 Die Herstellung ist nicht anmeldepflichtig. 5 Die Verletzung dieser Pflicht ist eine Ordnungswidrigkeit (§ 26 I Nr. 1). e Begr. EChemG BT-Dr. 8/3319, S. 19. 2
3
5 Kloepfer
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G. Prüfung und Anmeldung (§§ 4 ff.)
teile von Zubereitungen in den Verkehr gebracht werden und dann anmeldungs- und prüfungspflichtig sind. 2. Anmeldungsinhalt (§ 6)
Entsprechend Art. 6 I der 6. EG-Änderungsrichtlinie (mit Anhang VII) muß nach § 6 die schriftliche Anmeldung gegenüber der nach § 12 zu bestimmenden Anmeldestelle neben dem Namen und der Anschrift des Anmeldepflichtigen bezüglich des anzumeldenden Stoffes zum Zwecke seiner Beurteilung sämtliche folgenden Angaben enthalten: -
Identitätsmerkmale - § 6 I Nr.1 - (Handelsbezeichnung - siehe auch § 12 IV Nr.1 - bzw. genauer Name oder chemische Bezeichnung bzw. Formel)8
-
Hinweise zur Verwendung (§ 3 Nr. 8) - § 6 I Nr. 2 - (Angaben über Benutzungsart und darüber, in welchen Bereichen des täglichen Lebens der Stoff eingesetzt werden soll, was nach § 12 IV Nr. 4 kein Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis ist)
-
Schädliche Verwendungswirkungen - § 6 I Nr.3 - (Angabe über möglicherweise zu erwartende Schäden bei der Verwendung i. S. d. §§ 3 Nr.8, 6 I Nr. 2, wobei die durch das Prüfungsverfahren gewonnenen Kenntnisse zu berücksichtigen sind).
-
beabsichtigte9 Vermarktungs- und Einfuhrmengen -
§ 6 I Nr. 4 -
-
Beseitigungs- und Wiederverwendungsverfahren -
§ 6 I Nr. 5 _10
Nach § 6 II sind bei gefährlichen Stoffen i. S. d. § 3 Nr.3 außerdem anzugeben: -
Vorsichts- und Unfallempfehlungenl1 -
§ 6 II-
die vorgesehene Einstufung aufgrund der Rechtsverordnung (§ 3 § 6 II -
Nr. 3) -
die Verpackung und Kennzeichnung (§§ 13-15) - § 6 II-
7 Die Bundesregierung hat deren Schließung bereits angekündigt, falls dies erforderlich sein sollte. 8 Diese Angaben sind wichtig für die Eintragung in ein Stoffregister; vgl. auch Schiwy, zu § 6, S. 3. 9 Ein gewisser Wirklichkeitsbezug der Mengenangabe ist dabei unabdingbar. Änderungen der der Mengeneinschätzung zugrundeliegenden Tatsachen sind bei etwaiger Relevanz nach § 9 I, I! und gern. § 16 I Nr. 2 anzugeben. Bei tatsächlicher überschreitung der Mengenschwellen von § 9 können zusätzliche Prüfungen angefordert werden. 10 Diese Verfahren gelten nach § 12 IV Nr.3 nicht als Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse i. S. d. § 12 II!. Zu der in § 6 I Nr. 5 vorgesehenen Vorlagepflicht der Prüfnachweise siehe sogleich unten mehr. 11 Wichtig ist dies auch im Hinblick auf die eventuell mitzuliefernden Vorsichts- und Unfall empfehlungen (§ 14 I! Nr. 2) und mittelbar auch für die Sicherheitsratschläge i. S. d. § 14 I S. 2 Nr.2.
II. Anmeldepflichtige Neustoffe (§§ 4 I-III, 6-9, 11 I Nr. 2, 16 I, II)
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Nach § 6 III bedarf es der Angabe der schädlichen Verwendungswirkungen und der vorgesehenen Einstufung nicht, wenn der Verordnungsgeber den Stoff nach § 13 III eingeordnet hat. Erst wenn alle nach § 6 I erforderlichen Angaben vorliegen, läuft die in § 4 I S. 1, II S. 2 vorgesehene 45-Tage-Frist (vgl. auch § 8 II S. 2). Inhalt und Form der Anmeldeunterlagen nach § 6 sind durch eine Rechtsverordnung nach § 10 I S.1 festzulegen. Die Anmeldeunterlagen sind gemäß § 20 aufzubewahren und u. U. nach § 21 III Nr.2 vorzulegen. Neben den in § 6 I genannten Unterlagen ist mit der Anmeldung auch eine Kurzfassung i. S. d. § 12 I S. 2 Nr. 1, 3 vorzulegen. 3. Prüfnachweise (§ 7)
a) PTÜfungspflicht (§ 71)
Vor allem sind mit der Anmeldung der Anmeldestelle (§ 12) die Prüfnachweise nach § 7 vorzulegen (§ 6 I Nr. 5), deren Art und Umfang noch durch Rechtsverordnung nach § 10 I 1 bestimmt werden können. Damit spricht das Chemikaliengesetz in der etwas merkwürdigen Form der Beschreibung des Anmeldeinhalts nach § 6 die materielle Prüfungspflicht des Herstellers oder Einführers über schädliche Wirkungen eines anzumeldenden Stoffes an. Dieser gesetzgeberischen Technik entspricht es, wenn der Inhalt der Prüfungspflicht in § 7 nur mittelbar durch die Anforderungen an die Prüfnachweise geregelt ist. Da die Prüfungspflicht an die Anmeldungspflicht anknüpft, sind nur anmeldepflichtige neue Stoffe prüfungspflichtig, nicht aber die Stoffe nach § 5. b) PTÜfungsumfang (§ 7 I)
Im Rahmen der in § 7 vorgesehenen "Grundprüfung"12 (Stufe 0)13 müssen für alle anmeldepflichtigen Stoffe die Prüfnachweise14 die Beurteilung - eine Bewertung i. S. von § 12 II - erlauben, ob der Stoff schädliche Einwirkungen auf den Menschen oder die Umwelt hat, insbesondere ob er gefährlich i. S. d. § 3 Nr.3 ist. Hierfür ist über die Verfahren und Ergebnisse der Prüfungen der Beschaffenheit, d. h. der physikalischen, chemischen und physikalisch-chemischen Eigenschaften, der Hilfsstoffe, Verunreinigungen1• und Zersetzungsprodukte 16 - § 7 I Nr. 1 12 Begr. EChemG BT-Dr. 8/3319, S. 20. 13 "base set", weitergehend: § 9 I Nr.1 (Stufe 1), § 9 I Nr.2 (Stufe 2); zu diesem Stufenplan Kippels / Töpner, S. 84. 14 Dies sind Nachweise über die Methode und die Ergebnisse durchgeführter Prüfungen, nicht aber die Prüfungsunterlagen selbst. 15 Während die Hauptverunreinigungen immer, d. h. unabhängig von der subjektiven Kenntnis des Anmeldepflichtigen zu nennen sind, müssen die Nebenverunreinigungen nur dann angegeben werden, wenn sie dem Anmeldepflichtigen positiv bekannt sind.
s'
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G. Prüfung und Anmeldung (§§ 4 ff.)
- , der akuten (24 Stunden-Test)17 und subakuten Toxizität (28 TageTest)18 - § 7 I Nr. 2, 5 -, der reizenden, ätzenden (§ 3 Nr. 3 lit. e, d) und überempfindlichkeitsreaktionen 19 auslösenden Eigenschaften - § 7 I Nr.4 - und über Anhaltspunkte 20 krebserzeugender und erbgutverändernder (§ 3 Nr. 3lit. k, m) - § 7 I Nr. 3 - oder umweltgefährlicher1 Eigenschaften - § 7 I Nr. 6 - des Stoffes Aufschluß zu geben (§ 7 I). Mit der Grundprüfung nach § 7 I werden also u. a. keine Nachweise über die subchronische und chronische Toxizität, über fruchtbarkeitsbeeinträchtigende, fruchtschädigende, biotransformatorische, toxikokinetische und verhaltensstörende Eigenschaften verlangt, die erst mit den Prüfungsintensivierungen nach § 9 I, II zu untersuchen sind. Weder nach § 7 I noch nach § 9 I, II werden Nachweise über die gefährlichen Eigenschaften nach § 3 Nr.3 lit. f, g, h, i, j (explosionsgefährlich, brandfördernd, [hoch-, leicht-] entzündlich) gefordert. c) PTÜfungsbefreiung (§ 7 II)
Die hiermit in § 7 I mittelbar ausgesprochene Pflicht zur (nicht unbedingt eigenen 22) Durchführung von verschiedenen Einzelprüfungen (und daran anknüpfend die Pflicht zur Vorlage von Prüfnachweisen) besteht nach § 7 II S. 1 nicht, soweit - was vom Anmeldepflichtigen zu begründen ist (§ 7 II S. 1) - die Prüfung "technisch nicht möglich"23 oder (alternativ) - um überflüssige Untersuchungen zu vermeiden - "nach dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse 24 nicht erforderlich" ist. Die wirtschaftliche Unvertretbarkeit 25 einer Prüfung reicht nach dem inso16 Dieser Begriff deckt sich weitgehend mit dem gebräuchlichen Begriff des Abbauprodukts, ist aber von dem atomrechtlichen terminus des "Zerfallprodukts" zu unterscheiden. 17 Vgl. noch § 3 Nr. 9 EChemG; siehe auch Kippels I Töpner, S. 77. 18 Vgl. noch § 3 Nr. 10 EChemG. 19 Durch Empftndlichkeiten des Körpers gegen bestimmte Antigene. 20 Anhaltspunkte sind Verdachtsmomente (§ 4 VI). Die Grundprüfung beschränkt sich dabei darauf, ob derartige Verdachtsmomente vorhanden sind. Ob die Verdächte zu recht bestehen (d. h. ob entsprechende Gefährlichkeitsmerkmale wirklich vorliegen), wird u. U. nach § 9 Nr. 1 lit. c, cl, Nr.2 lit. c, g geprüft. 21 Z. B. geringere Abbaubarkeit oder allgemeine ökologische Mehrbelastung. Das Gesetz differenziert zwischen alleiniger oder kombinierter Umwel tgefährlichkeit. 22 Vgl. §§ 7 111, 4 VII sowie Begr. EChemG BT-Dr. 8/3319, S. 20. 23 Dies ist nicht bereits der Fall, wenn die Prüfung nicht dem "Stand der Technik" entspricht. 24 Der Begriff wird auch in den §§ 10 111, 17 I S.2 verwandt und ist weniger als die gesicherte wissenschaftliche Erkenntnis i. S. d. § 13 I S. 1, 11 S. 2. Zum Begriff "Stand von Wissenschaft und Technik" vgl. jetzt BVerfGE 49, 89 (135 ff.). 25 Zur wirtschaftlichen Vertretbarkeit nach dem BlmSchG vgl. etwa Hoppe, Wirtschaftliche Vertretbarkeit im Rahmen des Bundes-Immissionsschutzge-
11. Anmeldepflichtige Neustoffe (§§ 4 1-111, 6-9, 11 I Nr. 2, 16 I, 11)
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weit ökologisch rigorosen Chemikaliengesetz nicht aus. Die fehlende Erforderlichkeit nach dem Stande der wissenschaftlichen Erkenntnisse ist nur gegeben, wenn hinreichende und bereits allgemein bekannte Forschungsergebnisse vorliegen, nicht aber, wenn der gleiche Stoff in dem vertraulichen Anmeldeverfahren (§ 22 ChemG i. V. m. § 30 VwVfG) vorher angemeldet und geprüft wurde. Im übrigen befreit § 7 II nur von der Prüfungs- und Prüfungsnachweispflicht, nicht aber von der Anmeldepflicht. Die Vorlage der Angaben nach § 6 I Nr.1-5 (erster Halbsatz) bleibt also erforderlich. Das gleiche gilt für diejenigen einzelnen Nachweise (§ 6 I Nr. 5, zweiter Halbsatz), bei denen die Hinderungsgründe nach § 7 II S. 1 vorliegen; diese Vorschrift befreit also nicht pauschal von der Prüfungs- und Prüfungsnachweispflicht ("soweit").
d) Prüfnachweise des Nachanmelders (§ 7 HI) Nach einem grundlegenden Prinzip des Chemikaliengesetzes befreit die frühere (mit Prüfnachweisen versehene) Anmeldung des gleichen Stoffes durch einen anderen Anmelder - anders als bei der Anmeldung (im EG-Ausland) durch den Anmeldepflichtigen selbst, § 4 I S. 2, II S. 2 - den Einführer oder Hersteller als sog. Nachanmelder (bzw. Zweitanmelder) nicht von seiner eigenen Anmelde- und Prüfnachweispflicht (soweit die Fremdanmeldung nicht mehr als zehn Jahre zurückliegt, § 5 II). Zweck dieses Grundsatzes der notwendigen Eigenanmeldung mit Prüfnachweisen auch bei vorheriger Fremdanmeldung (mit Prüfnachweisen) ist es, die Ausnutzung fremder Entwicklungs- und Prüfungsleistungen in der Form der einfachen Bezugnahme hierauf zu verhindern und so die Innovationsfreudigkeit der Industrie durch Erhaltung von Wettbewerbs- und Zeitvorsprüngen des Erstanmelders zu erhalten. Letztlich geht es dabei auch um den Schutz der Funktion des Wettbewerbs als Instrument der Sicherung des technischen Fortschritts. Der volkswirtschaftliche Preis hierfür ist der, daß es trotz gesamtwirtschaftlich knapper Prüfungsressourcen28 zu parallelen Prüfungen über den gleichen Stoff hintereinander kommt und so z. B. - entgegen der Tendenz von § 10 III - mehrfache Tierversuche nacheinander mit den gleichen Stoffen stattfinden. Einen Ausweg aus diesem Dilemma bietet § 7 III - ähnlich wie § 4 VII 27 - dadurch an, daß - entsprechend Art. 6 II der 6. EG-Änderungssetzes, 1977; Soell, Der Grundsatz der wirtschaftlichen Vertretbarkeit im Bundesimmissionsschutzgesetz, 1980. !6 Kippels I Töpner, S. 56 f. 27 Der typische (nicht notwendige) Unterschied zwischen § 4 VII und § 7 111 dürfte vor allem zeitlicher Natur sein. Während bei § 7 111 der Erstanmelder vor der behördlichen Zulassung der Bezugnahme "bereits" seine Prüfnachweise vorgelegt haben muß, kann bei § 4 VII bezüglich der anmelde- und
70
G. Prüfung und Anmeldung (§§ 4 ff.)
richtlinie - bei bereits anderweit erfolgter Anmeldung des Stoffes (oder der Zubereitung) die Anmeldestelle dem Nachanmelder die Möglichkeit einräumt, auf die Ergebnisse der Untersuchungen früherer Anmelder Bezug zu nehmen, falls diese dem - etwa gegen teilweise übernahme der Früfkosten durch die Nachanmelder - zustimmen. Die frühere Anmeldung (mit Früfnachweisen) kann in der Bundesrepublik Deutschland vorgenommen worden sein; es reicht aber auch aus, daß sie in einem gleichwertigen Verfahren (i. S. d. § 4 I S.2, II S.2) in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften vorgenommen wurde (was zugleich auch den Umfang des Informationsanspruchs nach § 12 I Nr.2 erklärt). Es bleibt der Anmeldestelle - im Rahmen sachlichen Ermessens - unbenommen, eine Bezugnahme auf die im Ausland vorgelegten Früfnachweise nicht zuzulassen. Der Anmeldestelle ist bei der Zulassung der Bezugnahme Ermessen eingeräumt, weshalb der Anmeldepflichtige regelmäßig keinen Anspruch hierauf (wohl aber auf fehlerfreie, insbesondere gleichheitsgemäße Ermessensausübung) hat. Die Anmeldestelle darf die Bezugnahme nur zulassen, soweit der Erstanmelder seine schriftliche Zustimmung erteilt hat; eine behördliche Befugnis zur Ersetzung dieser Zustimmung besteht nicht, wohl aber wird die Behörde dann ihr Wissen aus den früheren Verfahren intern berücksichtigen. Gerade auch zur Information des Anmelders über einen etwaigen Erstanmelder gibt § 12 I Nr.2 dem Hersteller oder Einführer gegenüber der Anmeldestelle einen entsprechenden Auskunftsanspruch. 4. Bestätigung, "Mängelrüge" (§ 8)
a) Bestätigung (§ 8 1)
Gemäß § 8 I hat die Anmeldestelle den Eingang einer vollständigen und fehlerfreien - arg. § 8 II - Anmeldung innerhalb von 45 Tagen (nach Zugang) zu bestätigen. Die in schriftlicher Form erfolgende Bestätigung ist keine normale, Quittungs-ähnliche Eingangsbestätigung, sondern gewissermaßen eine Unbedenklichkeitsbescheinigung über die Vollständigkeit und Richtigkeit der Anmeldung. Sie hat daher Regelungscharakter und ist ein (feststellender) Verwaltungsakt nach § 35 S. 1 VwVfG. Auf ihre Erteilung besteht bei ordnungsgemäßer Anmeldung ein Anspruch, der mit der verwaltungsgerichtlichen Verpflichtungsklage durchgesetzt werden kann. Aus dem Wesen der Bestätigung folgt, daß die Anmeldestelle die Vollständigkeit und Richtigkeit der Anmeldungsunterlagen zu kontrollieren prüfungspflichtigen alten Stoffe eine Bezugnahme noch vor der Vorlage von Prüfungsnachweisen erlaubt werden.
II. Anmeldepflichtige Neustoffe (§§ 4 I-III, 6-9, 11 I Nr. 2,16 I, II)
71
hat. Deshalb hat sie das Recht (und die Pflicht), innerhalb der Frist von 45 Tagen zu prüfen, ob die Anmeldeunterlagen nach § 6 und die Prüfnachweise nach § 7 eine ausreichende Beurteilung des Stoffes bzw. der Zubereitungen wegen deren offensichtlicher Unvollständigkeit und Fehlerhaftigkeit nicht zulassen (§ 8 II S. 1), wobei die Anmeldestelle u. a. eventuell auch die Voraussetzungen der Prüfungsbefreiungen nach § 7 II zu kontrollieren hat. Sie muß also das Vorliegen der Voraussetzungen für die Beurteilung nach § 7 I prüfen, nicht aber selbst vornehmen, da die Durchführung der Bewertung nach § 12 II erst noch den von der Bundesregierung zu bestimmenden Bewertungsstellen zusteht, wobei eine Behörde allerdings zugleich Anmelde- wie Bewertungsstelle sein kann28 • b) "Mängelrüge" (§ 8 II)
Kommt die Anmeldestelle zu dem Ergebnis nicht ausreichender Beurteilungsfähigkeit eines Stoffes oder einer Zubereitung wegen offensichtlicher Unvollständigkeit oder Fehlerhaftigkeit der Anmeldeunterlagen oder Prüfnachweise, so teilt sie dies innerhalb der Anmeldebestätigungsfrist dem Anmeldepflichtigen - gewissermaßen in Form einer "Mängelrüge" - unter Angabe der erforderlichen Berichtigungen und Ergänzungen - also der notwendigen Quasi-"Nachbesserungen" - mit. Diese Mitteilung ist ein Verwaltungsakt, gegen den Rechtsbehelfe zum Zwecke schneller Gefahrenbekämpfung - keine aufschiebende Wirkung haben (§ 8 II S. 1)29. Sie führt dazu, daß der Stoff erst 45 Tage nach Eingang der in der Mitteilung angeforderten - evtl. außerordentlich zeitraubenden - Berichtigungen und Ergänzungen in den Verkehr gebracht werden darf (§ 8 II S. 2)30, weshalb die Mitteilung u. U. stark verzögernd wirkt. Innerhalb dieser Frist von 45 Tagen nach Eingang der Berichtigungen und Ergänzungen hat die Anmeldestelle zu prüfen, ob der Mitteilung wirklich durch Einreichung der geforderten Ergänzungen und Berichtigungen genügt worden ist 31 • Ist dies der Fall, erfolgt eine Bestätigung des Eingangs der Berichtigungen und Ergänzungen innerhalb von 45 Tagen nach deren Eingang. Diese Bestätigung ist wiederum 28 Wie dies jetzt für die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Unfallforschung vorgesehen ist; siehe unten G Anm. 97. 29 Ein Fall von § 80 11 Nr.3 VwGO; eine Möglichkeit zur Anordnung einer aufschiebenden Wirkung ergibt sich aus § 80 V VwGO. Ähnlich wie in § 8 11 S. 1 ist in § 11 111 keine aufschiebende Wirkung vorgesehen. 30 Das Inverkehrbringen vor Ablauf dieser Frist ist eine Ordnungswidrigkeit (§ 26 I Nr. 2). 31 Eine erneute Prüfung der ursprünglich eingereichten Anme1deunterlagen und Prüfnachweise auf Vollständigkeit und Richtigkeit ist nicht zulässig. Die Anmeldestelle muß also innerhalb von 45 Tagen nach Eingang der Anmeldung sämtliche Mängel rügen. Insofern wird die Rüge weiterer Mängel nach Ablauf dieser 45 Tage ausgeschlossen.
72
G. Prüfun::; und Anmeldung
(§§
4 ff.)
ein Verwaltungsakt, der die Ordnungsgemäßheit der Berichtigungen und Ergänzungen und insgesamt dann der Anmeldung bestätigt. Entsprechen die Berichtigungen und Ergänzungen nicht der Mitteilung nach § 8 II S. 1, erfolgt keine derartige (Berichtigungs-)Bestätigung mit der Folge, daß der Stoff nicht in den Verkehr gebracht, wohl aber hergestellt oder eingeführt werden darf. Obwohl dies nicht geregelt ist, wird die Anmeldestelle in diesem Fall dem Anmeldepflichtigen mitteilen, was zu tun ist, um die etwaig noch vorhandenen Lücken und Fehler der "Nachbesserung" zu beseitigen. Erst wenn danach die Ergänzungen und Berichtigungen schließlich ordnungsgemäß sind, ist innerhalb von 45 Tagen nach Eingang eine Berichtigungs-Bestätigung zu erteilen. 5. Prüfungserweiterungen (insbesondere § 9)
a) Allgemeine Prüfungserweiterungen (§ 9 I) Von den in § 8 II vorgesehenen "nachbessernden" Ergänzungen und Berichtigungen, welche die erforderliche Grundprüfung (Grundstufe) nach § 7 I nicht ausdehnen, sondern sichern, sind die in § 9 geregelten zusätzlichen Prüfungsintensivierungen und -erweiterungen32 auf Verlangen der Anmeldestelle (innerhalb einer von ihr gesetzten - angemessenen - Frist) bei Überschreitung bestimmter (unverzüglich mitte ilungspflichtiger: § 16 II) Mengenschwellen der (Jahres- oder Gesamt-) Verbreitung eines Stoffes in den EG-Staaten 33 zu unterscheiden. Sie gehen auf Art. 7 I S. 2 (mit Anlage VIII) der 6. EG-Änderungsrichtlinie zurück, die insbesondere zur interpretativen Konkretisierung von § 9 heranzuziehen ist3~. Bei höheren Verkaufsmengen sind weitere und intensivere Prüfungen zumutbar und wegen der rein quantitativ erhöhten Gefährdung auch erforderlich35 • Bei einer Vermarktungsmenge in dem Gebiet der Europäischen Gemeinschaften von mindestens 100 t jährlich bzw. 500 tinsgesamt - seit Herstellungs-, Produktions- oder Einfuhrbeginn - werden nach § 9 I S.l Nr.1 (Stufe 1)38 gegenüber der Grundprüfung neue Prüfungen im Hinblick auf die subchronische Toxizität (90-Tage-Test)31 - § 9 I S. 1 32 Die Nachweise dieser zusätzlichen Prüfungen sind nach § 20 fünf Jahre nach dem letztmaligen Inverkehrbringen aufzubewahren. 33 Entscheidend ist das EG-"Gebiet" bei überschreiten der jeweiligen Mengenschwellen. üb bei Beginn der Produktion oder der Einfuhr die entsprechenden Gebiete bereits EG-Territorium waren, ist irrelevant. 34 Vgl. Begr. EChemG BT-Dr. 8/3319, S. 20. Zu den Stufungen Grundstufe, Stufe 1, Stufe 2 - siehe Kippe~s / Töpner, S. 84. 35 Begr. EChemG BT-Dr.8/3319, S.20. M I. S. d. Anhangs VIII der 6. EG-Änderungsrichtlinie. 37 § 3 Nr. 10 EChemG BT-Dr. 8/3319.
11. Anmeldepflichtige Neustoffe (§§ 4 1-111, 6-9, 11 I Nr. 2,16 I, 11)
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Nr.l lit. a - , auf fruchtbarkeitsbeeinträchtigende und fruchtschädigende - § 3 NI'. 3 lit. I - Eigenschaften - § 9 I S. 1 Nr. 1 lit. b, d - gefordert. Außerdem sind Prüfungsintensivierungen im Hinblick auf krebs erzeugende - § 3 Nr.3 lit. k - und erbgutverändernde - § 3 Nr.3 lit. m - Eigenschaften - § 9 I S. 1 Nr.l lit. d - sowie auf allein oder kombiniert bestehende umweltgefährliche Eigenschaften - § 9 S. 1 Nr. 1 lit. c - vorgeschrieben, weil diese hier selbst und nicht nur - wie bei der "Grundprüfung" nach § 7 I Nr.3, 6 - einschlägige Verdachtsmomente, die auf sie hinweisen, zu überprüfen sind. Bei einer Menge von mindestens 1000 t jährlich oder 5000 tinsgesamt (seit Herstellung oder Einfuhr) sieht § 9 I S. 2 (Stufe 2)38 darüber noch hinausgehend zusätzliche Prüfungserweiterungen vor und zwar auf: biotransformatorische (§ 3 Nr.9) und toxikokinetische (§ 3 Nr. 10) § 9 I S. 1 Nr.2 lit. c - sowie verhaltensstärende Eigenschaften - § 9 I S. 1 Nr. 2 lit. e - und auf chronische Toxizität (6-Monats-Test)39 - § 9 I S.l Nr.2 lit. b - sowie Prüfungsintensivierungen hinsichtlich - weiterer - umweltgefährlicher und krebserzeugender Eigenschaften 40 - § 9 I S.l NI'. 2 lit. c, g - und - soweit konkret (aufgrund der Prüfungen nach § 9 I S. 1 Nr. 1 bzw. nach I Nr. 2 lit. a) erforderlich - bezüglich der akuten und subakuten Toxizität - § 9 I S. 1 NI'. 2 lit. d - sowie fruchtbarkeitsverändernder und fruchtschädigender Eigenschaften - § 9 I S. 1 Nr. 2 lit. f -. Auf die Pflichten zu den zusätzlichen Prüfungen (bzw. Prüfnachweisen) nach § 9 I S. 1 (Nr. 1 und 2) sind die Prüfpflichtbefreiungen - § 7 II - und die Bezugnahmemöglichkeiten des N achanmelders - § 7 III entsprechend anwendbar - § 9 I S. 2 -. Inhalt und Umfang der zusätzlichen Prüfnachweise des § 9 I sind gemäß § 10 I S. 1 durch Rechtsverordnung näher zu bestimmen, wobei dann auch die weder im Chemikaliengesetz noch in der 6. EG-Änderungsrichtlinie definierten Begriffe "fruchtbarkeitsverändernd", "fruchtbarkeitsbeeinträchtigend" und" verhaltensstörend" erläutert werden sollten. 38 I. S. d. Anhangs VIII der 6. EG-Änderungsrichtlinie; bei Stufe 2 steht der Gedanke des Synergismus im Vordergrund. Nach HaHerbach, DuR 1981, S. 8, ist damit zu rechnen, daß nur ca. 2% der neuen Chemikalien nach der Stufe 2 geprüft werden. 39 § 3 Nr. 10 EChemG, BT-Dr. 8/3319. 40 Die Schwierigkeit bei § 9 I Nr. 2 lit. c, g, besteht darin, daß nicht nur gegenüber der Grundpriifung (§ 7 I Nr. 3, 6) eine Prüfungsintensivierung erfolgt (Prüfung nicht nur der Existenz, sondern auch der Berechtigung einschlägiger Verdachtsmomente). Vielmehr wird auch eine Intensivierung von der Stufe 1 (Prüfung nach § 9 I Nr. 1 lit. c, d) hin zur Stufe 2 (in § 9 I Nr. 2 lit. c, g) gefordert. Solche Intensivierungen sind quantitativ (§ 9 I Nr.2 lit. g: "weitere") möglich, aber auch stufend qualitativ intensivierend (so wohl die Richtung von § 9 I Nr. 2 lit. d, f).
G. Prüfung und Anmeldung (§§ 4 ff.)
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b) Prüfungserweiterungen in Sonderfällen (§§ 9 H, 11 I Nr. 2)
Erweist sich dies konkret unter Berücksichtigung bisheriger Kenntnisse über den Stoff, seiner Verwendungszwecke oder der Ergebnisse der Grundprüfung als erforderlich4 1, kann die Anmeldestelle nach § 9 II die Prüfungserweiterungen und -intensivierungen nach § 9 I S. 1 Nr.l und 2 innerhalb einer von ihr gesetzten Frist auch bereits bei einer Menge von 10 t jährlich oder 50 t insgesamt seit der Herstellung und Einfuhr fordern 42 • Da die auf § 9 II gestützte Anforderung der zusätzlichen Prüfnachweise nach § 9 I S. 1 Nr. 1, 2 gleichermaßen in das (sachliche) Ermessen der Anmeldestelle gestellt ist, wird der nach § 10 I S. 3 hierzu ermächtigte Verordnungsgeber mit besonderer Sorgfalt eingrenzende, an besonders starke oder gefährliche Gefahrenverdächte anknüpfende Voraussetzungen formulieren müssen, um die Gleichbehandlung der mengenmäßig so unterschiedlichen Sachverhalte (§ 9 I S. 1 Nr. 1 und vor allem Nr. 2 einerseits und § 9 II andererseits) zu legitimieren. Auch im Falle von § 9 11 sind § 7 11, III (analog § 9 I S. 2) anwendbar. Schließlich kann bei einer aus tatsächlichen Anhaltspunkten abgeleiteten erheblichen Wahrscheinlichkeit einer Gefährdung für das Leben und die Gesundheit des Menschen oder für die Umwelt durch einen Stoff die Anmeldestelle nach § 11 I Nr. 2,n - innerhalb einer bestimmten Frist (arg. 11 11) - die Beibringung nur (verdachtsbezogener) Prüfnachweise nach § 9 I bereits vor Erreichen der dort genannten Mengenschwellen anordnen". Wird einem Verlangen der Anmeldestelle nach § 9 oder nach § 11 I Nr.2 nicht fristgerecht entsprochen, so kann die Anmeldestelle das Inverkehrbringen (nicht aber die Herstellung oder die Einfuhr) des betreffenden Stoffes bzw. einer ihn enthaltenden Zubereitung untersagen (§ 11 11)45. Aus Gründen einer schnellen und effektiven Gefahrenbekämpfung haben Rechtsbehelfe gegen Maßnahmen nach § 11 I Nr. 2, 11 keine aufschiebende Wirkung4e. Gemäß § 9 111 gelten die Vorschriften über zusätzliche Prüfungen nach § 9 I und 11 entsprechend für den Hersteller oder Einführer eines Ob dies rechtsstaatlich genügend bestimmt ist, erscheint sehr zweifelhaft. Die Voraussetzungen von § 9 II müssen also kumulativ gegeben sein. 43 Zu den Kompetenzen nach § 11 I Nr. 1, 3 siehe unten G III 3 a). U Damit können letztlich sogar die Mengenschwellen von § 9 II Nr. 1 umgangen werden, allerdings nur für eine beschränkte Prüfung auf Verdachtsmomente. '-5 Ein Inverkehrbringen trotz vollziehbarer Untersagung ist eine Ordnungswidrigkeit: § 26 I Nr.2. 48 Ein Fall von § 80 II Nr.3 VwGO; eine Möglichkeit zur Anordnung der aufschiebenden Wirkung besteht in dem Verfahren nach § 80 V VwGO. 41
42
11. Anmeldepflichtige Neustoffe (§§ 4 1-111,6-9,11 I Nr. 2,16 I, II)
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Stoffes nach § 5 II, also eines Stoffes, der wegen mehr als 10 Jahre zurückliegender anderweitiger Erstanmeldung an sich anmeldefrei ist und deshalb auch keiner Grundprüfung nach § 7 I mehr unterliegt. Der Sinn von § 9 III liegt darin, auch den Fall zu erfassen, daß die Produktion oder Einfuhrmenge eines Stoffes erstmals nach Ablauf des 10-JahresZeitraumes eine der Mengenschwellen von § 9 I S.1 Nr.1, 2, II Nr.1 überschreiten47 • 6. Mitteilungspftichten (§ 16 I, 11)
Um die Anmeldestelle über den angemeldeten Stoff auf dem laufenden zu halten, verpflichtet § 1648 den Anmeldepflichtigen zur unverzüglichen (nach Kenntniserlangung nicht schuldhaft verzögerten) schriftlichen Mitteilung einzelner nach der Anmeldung eingetretener Tatsachenveränderungen 49 • Diese umfassend bußgeldbewehrten (§ 26 I Nr.6) Mitteilungspflichten sind insoweit - jedenfalls partielle - zeitliche Weiterzeichnungen der Anmeldepflicht. Nach § 16 I sind folgende dem Anmeldepflichtigen nach der Anmeldung bekanntgewordene Tatsachen mitzuteilen: -
eine Änderung der den ursprünglichen Verwendungshinweisen (§ 6 I Nr. 2) zugrundeliegenden Tatsachen (I Nr. 1);
-
eine Änderung der den ursprünglichen Angaben über angestrebte Vermarktungs- und Einfuhrmengen (§ 6 I Nr.4) zugrundeliegenden Tatsachen, insbesondere beabsichtigte und sicher vorhersehbare Änderungen der angegebenen Mengen 50 , soweit die Mengen von § 9 I S. 1 Nr.1 und 2, II Nr.1 gegenüber der ursprünglichen Mengenangabe über- oder unterschritten wurden (I Nr. 2);
-
neue Erkenntnisse über Wirkungen des Stoffes auf Mensch oder Umwelt, insbesondere die Wirkungen i. S. d. §§ 6 I Nr.3, 7 I Nr.2-6 (I Nr. 3);
-
Änderungen der Stoffeigenschaften i. S. d. § 7 I Nr. 1 (I Nr. 4);
-
Einstellung der Herstellung oder Einfuhr, nicht aber des Inverkehrbringens (I Nr. 5).
Begr. EChemG BT-Dr. 8/3319, S. 20. § 16 (insb€sondere I, 11) lehnt sich an die Regelung von Art. 6 IV der 6. EG-Änderungsrichtlinie an. 49 Entgegen Begr. EChemG BT-Dr. 8/3319, S. 22 ist es für die Mitteilungspflicht nicht erforderlich, daß die ursprünglichen Angaben "unrichtig" geworden sind. 50 Tatsächliche überschreitungen der ursprünglich angegebenen Mengen werden von § 16 11 erfaßt. § 16 I Nr.2 ist insoweit nur bei tatsächlichen Unterschreitungen relevant; wichtig ist diese Vorschrüt aber vor allem deshalb, weil so bereits beabsichtigte überschreitungen mitgeteilt werden müssen. 47
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G. Prüfung und Anmeldung (§§ 4 ff.)
Durch § 16 II wird der Anmeldepflichtige zur unverzüglichen schriftlichen Mitteilung an die Anmeldestelle verpflichtet, wenn die Mengenschwellen von § 9 I S. 1 Nr. 1 oder 2, II Nr. 1 tatsächlich überschritten werden. Dadurch soll die Anmeldestelle in die Lage versetzt werden, von ihrem ihr in § 9 I, II eingeräumten Ermessen Gebrauch zu machen, ob sie die zusätzlichen Prüfnachweise anfordern will. Die Regelung von § 16 III-V sieht Sonderregelungen für die nicht anmeldepflichtigen neuen Stoffe vorll. Die Angaben nach § 16 sind gemäß § 20 aufzubewahren und evtl. nach § 21 IU S. 1 Nr.2 vorzulegen.
111. Nicht anmeldepflichtige neue Stoffe (§§ 5, 11 I Nr.l, 3, 16 III-V) 1. Gesetzgebungstechnik
Besonders kompliziert ist die Regelung des Chemikaliengesetzes über die nicht anmeldepflichtigen neuen Stoffe (§§ 5; 11 I Nr. 1, 3; 13 I S. 3; 16 lU-V) aufgrund ihrer Zerrissenheit und durch die problematische Gesetzgebungstechnik der Ausnahmen von Ausnahmen 52 • Durch diese intransparente Normierungs-Technik der Negations-Negation werden die grundsätzlichen Ausnahmen von § 5 ständig durchbrochen, was im Ergebnis dann doch zu einer punktuellen und unterschiedlichen Geltung der §§ 6, 7 bis 9, 16 für die anmelde freien "neuen Stoffe" nach § 5 führt, die sich so eher im Ergebnis als vermindert anmeldepflichtig erweisen. Die Ausnahmen nach § 5 befreien von der Pflicht zur Anmeldung, nicht aber von der Pflicht zur ordnungsgemäßen Verpackung und Kennzeichnung. Die hierzu erforderlichen Kenntnisse muß sich der Hersteller oder Einführer selbst (z. B. durch Prüfung) beschaffen. 2. Fälle der Anmeldebefreiung
(§
5 I,
II)SS
a) Kleinbestandteils- und Kleinmengenprivileg (§ 5 I S.l Nr.l, 3) Von der Anmeldepflicht sind nach § 5 I grundsätzlich neue Stoffe ausgenommen, soweit sie - im Sinne eines Kleinbestandteilprivilegs - nicht mehr als 2 Prozent der Gesamtmasse in einem Molekulargefüge aus Altstoffen ausmachen (§ 5 I S. 1 Nr. 1), d. h. also altstoffähnliche Molekulargefüge54 oder soweit sie - im Sinne eines Kleinmengenprivilegs - (vom 51 52
53
Siehe unten G III 3 b). Siehe dazu schon Kloepfer, NJW 1981, S. 19; folgend Schiwy, zu § 5, S. 2. Siehe dazu Schiwy, zu § 5, S. 2 ff.
111. Nicht anmeldepflichtige Neustoffe (§§ 5, 11, 16)
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jeweiligen Hersteller oder Einführer, nicht aber auf den gesamten Markt) in Mengen von weniger als einer Tonne jährlich55 (§ 5 I S.1 Nr.3) gleich zu welchem Zweck - in den Verkehr gebracht werden 56• Dadurch sollen die gesetzlichen Anmeldepflichten reduziert werden, wenn sie (insbesondere bezüglich der durch sie verursachten Kosten) wegen geringer Risiken übermäßig erscheinen.
b) Forschungs- und Erprobungsprivileg (§ 5 I S.l Nr.2) Eine Anmeldepflicht besteht nach § 5 I S. 1 Nr.2 auch dann nicht, wenn der Hersteller oder Einführer an (kraft Ausbildung und Berufserfahrung) sachkundige Personen für höchstens ein Jahr Stoffe - in beliebiger Menge - zur Erforschung oder Erprobung bzw. Weiterentwicklung in den Verkehr bringt57 • Durch dieses Forschungs- und Erprobungsprivileg wird versucht, die Innovationen der Industrie nicht unnötig zu behindern58• Vor allem soll aber die Erforschung der Gefährlichkeit des Stoffes (§ 3 Nr.3) im Ergebnis nicht behindert werden, weil sonst letztlich ein überzogener Schutz vor Gefahrstoffen die Erreichung des Zwecks des Chemikaliengesetzes gefährden würde. Deshalb gilt nach § 5 I S. 2 die Jahresbegrenzung von § 5 I S.1 Nr.2 nicht, wenn die Gefährlichkeit eines Stoffes i. S. d. § 3 Nr. 3 erprobt werden soll. Nach der Erprobung lebt die Anmeldepflicht aber auf. c) Zeitablaufprivileg (§ 5 II)
Außerdem sind nach § 5 II Anmeldungen eines neuen Stoffes dann nicht erforderlich (wohl aber Mitteilungen nach § 16 IV), wenn ein Stoff vor mehr als zehn Jahren nach dem Chemikaliengesetz im Inland oder in einem gleichwertigen Verfahren im EG-Ausland von einem anderen Hersteller oder Einführer 9 angemeldet wurde w. Damit wird der erwähnte Grundsatz der notwendigen Eigenanmeldung bei vorliegender Fremdanmeldung - mit der Folge wiederholter Prüfungen - zeitlich limitiert {wobei freilich die Schutzdauer gewerblicher Rechte davon Zu den Einzelheiten siehe Kippels / Töpner, S. 86 ff. Zunächst ist dabei - entsprechend § 6 I Nr.4 - von der beabsichtigten Menge auszugehen. Wird die beabsichtigte Menge von einer Tonne jährlich später tatsächlich überschritten, wird eine Anmeldung und Prüfung nach Inverkehrbringen erforderlich. 56 Siehe auch Art. 8 I S. 1 der 6. EG-Änderungsrichtlinie. 57 Siehe auch Art. 8 I S.2 der 6. EG-Änderungsrichtlinie. 58 Begr. EChemG BT-Dr. 8/3319, S. 19. 59 Bei früheren Anmeldungen durch den Hersteller oder Einführer selbst entfällt nach § 4 I S. 2, 11 S. 2 für diesen ohnehin eine Anmeldepflicht. 60 Siehe auch Art. 6 der 6. EG-Änderungsrichtlinie. 54
55
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G. Prüfung und Anmeldung
(§§
4 ff.)
unberührt bleibt), um endlose Anmeldungen zu verhindern61 • Somit verwandeln sich nach Ablauf der zehn Jahre "neue" Stoffe quasi zu "alten"62. Die früheren Anmelder müssen also versuchen, die Kosten des Anmelde- und Prüfverfahrens innerhalb der ihnen noch verbleibenden Zeit der 10-Jahres-Frist hereinzuholen. Nachanmelder, die geraume Zeit nach der Erstanmeldung eine Anmeldung beabsichtigen, werden zu erwägen haben, ob sie die 10-Jahres-Frist abwarten wollen, um so die Prüfungskosten zu sparen, jedenfalls soweit sie die nach § 7 III erforderliche Zustimmung der früheren Anmelder zur Bezugnahme auf die von ihnen durchgeführten Prüfungen nicht erhalten. Die 10-Jahres-Frist ist für die Befugnis der Anmeldestelle zur Anforderung zusätzlicher Prüfnachweise nach § 9 bei überschreitung der dortigen Mengenschwellen unbeachtlich (§ 9 III). 3. Durchbrechungen der Anmeldefreiheit (§§ 11 I Nr. 1, 3, 16 lU-V)
Wie erwähnt, werden die in § 5 enthaltenen Ausnahmen von der Anmeldepflicht vielfältig durchb rochen , und zwar durch § 11 I Nr. 1, 3 sowie durch § 16 III-V.
a) Weitere Befugnisse der Anmeldestelle (§§ 11 I Nr.1, 3) Die sog. weiteren Befugnisse der Anmeldestelle in § 11 schaffen neben den nach § 17 zu erlassenden Rechtsverordnungen über Ermächtigungen zu Verboten und Beschränkungen sowie der Ermächtigung in § 23 zu behördlichen Anordnungen spezifische Eingriffsmöglichkeiten im Anmeldeverfahren. Neben der Regelung über zusätzliche Prüfungen noch vor Erreichen der in § 9 I enthaltenen Mengenschwellen (§ 11 I Nr.2)63 geht es dabei um die Erlangung von Prüfnachweisen (§ 11 I Nr. 1) oder die administrative Regelung des Inverkehrbringens (§ 11 I Nr.3) von Stoffen nach § 5 I Nr.2 und 3. Von diesen weiteren Befugnissen darf die Anmeldestelle nur "soweit" Gebrauch machen, wie tatsächliche Anhaltspunkte die erhebliche Wahrscheinlichkeit einer Gefahr für Leben oder Gesundheit des Menschen oder die Umwelt ergeben. Die Maßnahmen nach § 11 sind lediglich zulässig, wenn geringer eingreifende Maßnahmen zur Abwehr der beschriebenen Gefahr nicht ausreichen. Diese Gesetzgebungs-Technik der Ausnahme-Ausnahme ähnelt in gewisser Hinsicht der in § 4 VI vorgesehenen Anmeldepflicht von Altstoffen. § 11 I kennt als eine einschränkende Voraussetzung allerdings EChemG BT-Dr. 8/3319, S. 19. Kippels / Töpner, S. 12. Siehe oben G II 5 b).
el Begr. 62 83
III. Nicht anmeldepflichtige Neustoffe (§§ 5, 11,
16)
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die "erhebliche Wahrscheinlichkeit" einer Gefahr, im Ergebnis also etwa ein erheblicher bis dringender Verdacht einer Gefahr. Soweit entsprechende Anhaltspunkte bestehen, können - innerhalb einer bestimmten Frist (arg. 11 II) - einzelne oder alle Prüfnachweise nach den §§ 7 und 9 verlangt werden, wobei die Nachweise nach § 9 ausschließlich auf die jeweiligen Verdachtsmomente zu beschränken sind. Die Befugnis zur Beifügung von Bedingungen (§ 36 II Nr. 2 VwVfG) und Auflagen (§ 36 II Nr.4 VwVfG) - einschließlich der Auflagenvorbehalte (§ 36 II Nr.5 VwVfG) - hat keine unmittelbare Parallele bei normal anmeldepflichtigen Stoffen gern. § 4, für die aber möglicherweise der Weg über die §§ 17 und 23 ähnliche Ergebnisse ermöglicht. Wird einem Verlangen nach § 11 I Nr. 1 (oder 2) nicht fristgerecht entsprochen, kann die Anmeldestelle das Inverkehrbringen eines Stoffes oder einer ihn enthaltenden Zubereitung (nicht die Herstellung oder Einfuhr) untersagen (§ 11 II)64. Eine entsprechende Regelung war für § 11 I Nr.3 nicht erforderlich, weil die Nichterfüllung einer Bedingung die mit ihr verbundene Erlaubnis des Inverkehr-Bringens ungültig macht (bzw. ihre Gültigkeit nicht begründet) und eine Auflage im Zuge der Verwaltungsvollstreckung durchgesetzt werden kann65 • Wegen der konkreten Gefährdungssituation haben Rechtsbehelfe gegen die Anordnungen der Anmeldestelle nach § 11 I, II keine aufschiebende Wirkung (§ 11 III)66. b) Mitteilungspflichten (§ 16 IlI-V) Im übrigen sieht § 16 III-V in differenzierter Form umfangreiche Meldepflichten der nach § 5 von der Anmeldepflicht freigestellten Stoffe vor67 • Mit den aufgrund von § 5 I freigestellten Stoffen befassen sich § 16 V sowie § 16 III (dort aber nur für die Stoffe nach § 5 I S. 1 Nr.2, 3); die nach § 5 II (Zeitablaufprivileg) freigestellten Stoffe werden von § 16 IV geregelt. Die Vorschriften sollen der Anmeldestelle einen Überblick über die im Verkehr befindlichen Stoffe und ihre Abnehmer erleichtern sowie ihr zugleich die Möglichkeit geben, die Voraussetzungen der Anmeldebefreiungen zu überprüfen. § 16 III befaßt sich mit den aufgrund des Forschungs- oder Kleinmengenprivilegs (§ 5 I S.l Nr.2, 3) anmeldefreien neuen Stoffen. Der &