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German Pages 476 Year 1799
C.
M.
WIELANDS
SÀMMTLICHE WERKE
ZWEY UND DREYSSIGSTER BAND.
A G A T H O D À M O N . LEIPZIG BET GEORG JOACHIM COSCHE*.
17P9*
A GAT HODÀMO N IN SIEBEN BÛCHERN
Est Deus in nobis, agitante
calescimus
illo.
VON
C. M. WIELAND. LEIPZIG he t
G eoa g J oa c h Ih
Gûiciiek,
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AGATHODÄMON.
Hegesias von Cydonia an seinen Freund Timagenes.
H i e r , lieber Timagenes, sende ich dir die verlangte Erzählung meines Abenteuers (wenn ich es anders 60 nennen kann) mit dem aufserordentlichen Manne, den ich in einer beynahe unzugangbaren Einöde der w e i f s e n B e r g e kennen lernte. Billig mufste die geheimnifsvolle Art, wie ich dieser Begebenheit bey unsier neulichen Unterredung erwähnte, deine Neugier um «o viel höher spannen, da ich die Auflösung des verwickeIten-Knoten$,der uns damahls beschäft i g t e , in ihr gefunden zu haben versicherte, ohne mich in eine nähere Erklärung einlassen zu wollen. Iu der T b a t schien mir die Sache von solcher Beschaffenheit zu seyn, dafs sie sich besser für eine schriftliche Erzählung, zu welcher ich durch sorgfältige Sammlung meiner Erinnerungen mich, vorbereiten könnte, als für den
irrenden Gang eines Gespräches schickte; und gewifs würdest dn, wenn ich deiner Ungeduld damahls nachgegeben h ä t t e , manchen nicht gleichgültigen Zug an dem Bilde dieses merk« würdigen Menschen verloren haben. Erwarte indessen nicht mehr als ich geben kann. Was du hier empfängst, wird doch weiter nichts als ein leicht gefärbter Uinrifs des lebendigen Bildes seyn, welches Agathodamon selbst mit enkaustischenFarben meinem Herzen einbrannte. Denn wie viel hier verloren gehen mufste, wirst da nur zu gut einsehen, wenn ich dich ein wenig bekannter mit meinem Wun» dermanne gemacht haben werde.
A G A T H O D Ä M O N .
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I. V o r einigen Jahren, als ichauf einer (5er botanischen Wanderungen, die ich alle Frühlinge vorzunehmen gewohnt b i n , einen Theil des Diktäischen Gebirges durchstrich, fügte siebs, dafs ich mich genöthigt sah, meine Nachtherberge bey einigen Ziegenhirten zu nehmen, die sich den Sommer über mit ihren Herden auf diesen Bergen aufzuhalten pflegen. Guthergig theilten sie ihren kleinen Vorrath mit mir; und da ich an der Unterhaltung mit ungebildeten aber dafür auch unverkunstelten Menschen immer ein eigeues Belieben fand, so brachten wir einen Theil der Nacht mit allerley zufälligen Gesprächen hin. Unvermerktgeriethen wir auf die Lieblingsmaterie dieser Art Leute, auf wanderbare
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AGATIIODÄIION.
Geschichten von Ahnungen Erscheinungen, Zaubereyen, Verwandlungen, Berggeistern,und was sonst in dieses Fach gehört. K r e t a , die Wiege des grofsen Z e v s , ist bekanntlich au dieser Art luftiger Waare reich, und es giebt vielleicht kein Volk in der Welt, die Thessalier selbst nicht ausgenommen, das den Kretern in der Neigung, unglaubliche Dinge zu erzählen und zu glauben, den Vorzug streitig machen könnte. Meine Wirthe schienen an solchen Geschichten unerschöpflich zu seyn; und wiewohl sie ehrlich bekannten, sie hätten das wenigste aus e i g n e r Erfahrung, so waren es doch immer A u g e n z e u g e n , denen sie diese Wunderdinge mit einer solchen Lebhaftigkeit und Gewiisheit nacherzählten, dafs ihnen unvermerkt eben so dabey zu Muthe ward, als ob sie das Gehörte selbst gesehen hätten. D a trauest mir hoffentlich so viel Nachsicht gegen die schwache Seite der menschlichen Natur, oder wenigstens so viel Klugheit zu, dafs ich dies^ guten Leute nicht durch entschiednen Unglauben and hartnäckigen Widerspruch gekränkt, und mir selbst dadurch ihre gute Meinung entzogen haben werde. Alles •was ich mir erlaubte, waren Zweifel, ob solche Erzählungen, indem sie aus einem Mund in den andern gingen, nicht unvermerkt ziem-
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liehe Veränderungen erlitten? Ob nicht etwa der erste Erzähler zuweilen ohne seius Schuld sich selbst getäuscht haben, oder von andern getäuscht worden seyu könnte? und dergleichen. W i r sind nur einfältige Leute, 6agte einer von ihnen, und verstehen uns nicht auf die gelehrten Dinge, die du da vorgebracht hast; aber was wirst du sagen, wenn wir dich versichern, dafs seit geraumer Zeitin dieser nehinlichen Gegend eine Art von D ä m o n sich aufhält, den ein jeder von uns, schon mehr als Ernmalil, wiewohl immer nur bey Wacht, gesehen hat, ohne dafs wir begreifen wo er herkommt, oder wo er hingeht, wenn er uns aus den Augen schwindet; denn noch keiner von uns hat den Miith gehabt ihm nachzugehen. Wer es versuchen wollte, de.-n war als ob ihn eine unsichtbare kalt! Hand berühre, und er inufste wie im Boden eingewurzelt 6tehen bleiben. Die Sache hat ihre Richtig-? keit; du kannst es uns ohne Bedenken nachsagen.
Wunderbar genug! rief ich: und unter welcher Gestalt iäfst sich denn dieser Dämon sehen ?
AGATHODÄMOK.
Gewöhnlich, erwiederte einer von den Hirt e n , als ein langer hagerer Greis von einer Ehrfurcht gebietenden Gesichtsbildung, und einem weit kräftigern Aussehen, als man von seinem eisgrauen Bart und den weifsen Locken, die noch ziemlich dicht auf seinem Nacken liegen, erwarten sollte. Er zeigt sich gewöhnlich in einem langen enge gefalteten Kock von weifser Leinewand, mit einem Lorberkrauz um die Stirn, und mit einem schlangengleich gewundnen Stab in der Hand. Einige unsrer Nachbarn, sagte ein andrer, haben ihn kurz vor Sonnen-Aufgang als einen schönen gelblockigen Jüngling, mit einer Lyra im Arm, auf einer Felsenspitze sitzen sehen, wo er mit einer unbeschreiblich süfsen Stimme dem Gott des Tages einen Hymn entgegen sang. Beyni P a n ! sief ein junger Hirt, ich selbst hab' ihn in dieser Gestalt gesehen und singen gehört. Es ging die Rede, setzte ein Alter hinzu, eine von unsern Weibern habe ihn einstmahls in Gestalt einer ungebeuern grofsen Schlange zwischen den Felsen in eine Kluft hinein schlüpfen gesehen: aber wie wir genauer nachfragten, wollte sich keine finden, die es mit
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eignen Augen gesehen hatte. Das gewisseste ist, dafs wir uns seit der Erscheinung dieses Dämons b e s s e r b e f i n d e n . Denn dafs er uns Glück bringt, ist augenscheinlich. Unsre Herden haben sich, seitdem er sich in unsrer Mähe aufhält, dreyfach vermehrt, und es ist Keiner von uns, dein er nicht Gutes gethan hätte. Davon kann ich ein W o r t mitsprechen, fiel ihm einer ein. Ich veymifste nenlich eine meiner besten Ziegen. Nachdem ich sie im ganzen Gebirge vergebens gesucht hatte, und müd'und mifsmüthig nachHause kehren wollte, rief mich jemand bey meinem Nahmen; und wie ich mich nmsah, stand er an einer Cypresse und sagte mir: Lykas, deine Ziege weidet dort zwischen den Felsen neben dem Wasserfäll. Ich erschrak so heftig, dafs er schon wieder Verschwunden war, eh' ich ein Wort heraus bringen konnte; und da ich hinging, fand ich meine Ziege, mit Blumen und Bändern bekränzt, ruhig auf derselben Stelle weiden, die der Genius bezeichnet hatte.
Meinen Vater (sagte ein andrer) hat er blofs dadurch^ dafs er Ihn anrührte und ihm einen Becher Weins, mit dem Saft unbekann-
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A G A T HODÄMOS,
ter Kräuter vermischt, auszutrinken gab, von ein^r langwierigen Krankheit hergestellt. E r weifs alles was uns gebricht, sagte ein dritter, u n d w i r finden es entweder unversehens in unsern Hütten, oder er schickt es uns durch eine junge. Nymfe zu, die ihm dient, oder ihn vielleicht noch näher ange'ht. E i n e N y m f e ! r i e f i c h : w o h e r wifst i h r dafs es eine Nymfe ist ? W a s könnte sie anders s e y n ? a n t w o r t e t e jener mit Verwunderung ü b e r meine F r a g e : sie erscheint,, eben so wie er selbst, n u r bey Wacht; niemand von den unsrigen kennt sie, oder weifs ihren eigentlichen A u f e n t h a l t ; auch ist sie an Gestalt und Kleidung ganz von unsern Mädchen verschieden. Das alles ist sonderbar genug, sagte ich mit einer etwas unglaublichen Miene. Sie versicherten mich, ich k ö n n t e mich von der W a h r h e i t ihrer Aussagen durch mich selbst überzeugen, wenn ich nur etliche Tage in diesen Gegenden des Gebirges verweilen wollte. Es vergebt, sagten sie, selten eine heitre Nacht, ohne dafs der A g a t h o d ä m o n da oder d o r t sichtbar wird. Denn so nennen w i r ihn, weil
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•wir ihm keinen andern Nahmen zu geben wissen. Ihn. zu fragen, wer er sey, und unter welchem Nahmen wir ihn verehren sollen, hat sich noch keiner von uns unterfangen. Einer •und der andere wollten es versuchen : aber sobald sie ihm ins Gesicht sahen, blieb ihnen die Frage im Munde stecken; es war als ob sein Blick sie zu Boden w ü r f e ; sie fielen vor ihm nieder, und er war verschwunden, ehe sie es wagten wieder aufzuschaueu. Ihrseydgarzn schüchtern, meine Freunde, sagte i c h ; was solltet ihr, da er so gut ist, von ihmzn befürchten haben? Ich wenigstens getrauete mir, ihn auf der Stelle aufzusuchen und anzureden, wenn ihr mich an einen Ort bringen wolltet, wo er zu erscheineh pflegt. „Die gemeine Meinung ist, dafs er in einem der Felsen wohne, die sich über jenen Kiefernwald erheben : aber den Eingang zu seiner Wohnung hat noch niemand gefunden." Vermuthlich, fiel ich ein, weil sich noch niemand getraut hat ihn zu suchen. Welcher unter euch hat Lust dieses Vierdrachmenstück zuverdienen, Wenn er mich bis zu den Felsen begleitet ?
ACATIIODAMON.
Nach langem Zögern erbot sich endlich «iner von den jüngsten dazu, aber unter keiner andern Bedingung, als wenn einer seiner Geseilen mitgehen wollte. Ich zog noch einen Stater für den Begleiter meines Führers hervor; und da sich sogleich einer fand der das Abenteuer unter dieser Bedingung wagen wollte, so machten wir uns bey sehr hellem Mondschein, von den guten Wünschen der übrigen begleitet, auf den Weg. Als wir endlich mit vieler Beschwerlichkeit den Wald erstiegen hatten, sahen wir uns t gegen die Zeit der Morgendätnmrung, am F u f s einer hohen Felsenwand, auf der Ostseite init steilen Abgründen und von der entgegen stehenden init über einander gethürmten Felsenstücken und dicht verwachsnen /Gesträuchen umgeben, durch welche es beym ersten Anblick unmöglich schien, sich einen Weg zu machen. Der Tag fing bereits pn zu dämmern, und eine scharfe Morgenluft verdoppelte das Schauerliche dieser furchtbaren Wildnifs. Meine Begleiter bestanden darauf, dafs sie nicht weiter gehen könnten, falls ich kühn genug wäre, durch die unzugangbaren Trümmer noch höher empor dringen zu wollen; und da diels allerdings meine
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Meinting w a r , so empfahlen sie mich dem Schatze des A g a t h o d ä m o n , dem sie, seiner Menschenfreundlichkeit ungeachtet, nicht sonderlich zu trauen schienen, und liefsen mich allein. Die mährchenhafte Erzählung der gnten Leute von diesem vermeinten Genius hatte ein unbezwingbares Verlangen in mir erregt, einen so sonderbaren Einsiedler durch mich selbst kennen zu lernen. Ich beschlofs also das ganze Gebirge so lange zu durchsuchen, bis ich ihn oder seine Wohnung gefunden haben würde. II. Nachdem ich etwa dreyfsig Fufs hoch mit grofser Mühe über die Trümmer empor geklettert w a r , entdeckte ich eine Art von steilem Fufssteig, der mich mit Hülfe der Gesträuche, die zwi&chen den Spalten des Gesteins hervor drangen, durch immer enger zusammen gedrängte Klüfte auf einmahl in eine Pläne brachte, die dem Ansehen nach fünf bis sechs hundert Schritte lang, ungefähr die Hälfte breit, und ringsum von schroffen oder senkrecht empor ragenden Felsen eingeschlossen war. Ich fand sie mit dem frischesten Grase und allerley duftenden Kräutern und Blumen bewachWikland! sämratl. W. XXXII. B. B
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AGATIIODAMON.
sen , deren lebhaftes Grün und üppige Fülle von verschiednen Quellen genährt wurde, die aus den benachbarten Felsen herab ¡rieselten. Ein so anmuthiger Ort, und einige Ziegen, die ich an den Anhöhen herum klettern, und die sparsam hervor spriei'senden Kräuter abfressen s a h , liefsen mich nicht zweifeln, dafs ich hier finden würde was ich suchte. Die aufgehende Sonne vergoldete bereits die Spitzen der Felsen. Ich ging auf einem schmalen Fußpfade bis in die Mitte des kleinen Thaies f o r t , und ward jetzt eines grofsen Platzes gewahr, der von Menschenhänden mit allen Arten von el'sbaren Gewächsen bepflanzt, und mit blähenden Büschen, Feigenbäumen, und vielerley andern fruchtbaren Stauden und Bäumen in anmuthiger Unordnung umgaben war* Der Pfad wurde nach und nach breiter, und wand sich, mit Blumenrändern eingefalst, und von einzelnen oder gruppierten Bäumen beschattet, durch alle Abtheilungen dieses Meinen Paradieses. Ich gestehe d i r , Timagenes, dafs mir das Herz höher zu schlagen anfing; und du kannst dir vorstellen dafs es nicht schwächer pochte, als ich auf einmahl hinter einem Gebüsche von glühenden Essigrosen eine ehrwürdige Gestalt
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langsam «auf mich zu kommen s a h , die mit der Beschreibung der Hirten völlig übereinstimmte. Es ist ein wunderlich Ding um unsre Einbildungskraft , mein Freund. W i e gänzlich i j h auch überzeugt w a r , dafs der vermeinte Dämon ein Mensch sey w i e w i r andern, und w i e gut ich auf seinen Anblick (den einzigen Z w e c k meiner diefsmahligpn Wanderung) gefafst zu seyn glaubte: so fand sich dennoch, dais auch m i r , als ich ihn auf einmahl erscheinen und langsam auf mich zu gehen sah, eben so zu Muthe w a r , w i e jedem andern Menschen, der sich, ohne schon von langem her mit Geistern Umgang gepflogen zu haben, in diesem Augenblick an meiner Stelle befunden hätte. Die treuherzige Erzählung der H i r t e n , die Ermattung von einein sehr beschwerlichen W e g e , das Schauerliche der Gegend und der Morgenluft, und der überraschende Eintritt in dieses stille, von der W e l t so ganz abgeschnittene kleine Elysium, alles trug das seinige dazu b e y ; k u r z , ich fuhr bey Erblickung des Ehrfurcht gebietenden Greises eben so zusammen, als w e n n es wirklich eine Erscheinung aus der unsichtbaren W e l t gewesen wäre.
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Indessen fafste ich mich doch bald genug 'Wieder, um einem so weisen Manne, als sein ganzes Ansehen ihn ankündigte, keinen ungünstigen Eindruck von meinem Verstände z u geben. Ich blieb ruhig stehen , und erwartete ihn m i t der Ehrerbietung, die sein hohes Alter und die Majestät seines ganzen Wesens von einem so viel jüngern und gewöhnlichen Menschen forderte. W a s suchst du h i e r ? fragte er mich ernst und gelassen. Einen W e g a u s diesen F e l s e n , w o r i n ich mich verirret h a b e , stotterte ich. Wenn es auch blofse Neugier w ä r e , w a s dich hierher geführt h a t , versetzte er, indem er mir mit einem durchdringenden Blick in die Augen sah, du bist willkommen, Hegesias. E s scheint unmöglich, (erwiederte ich, sehr betroffen mich bey meinem Nahmen nennen zu hören) einem Auge wie das deinige mich verbergen zu wollen. D u hast meinen Beweg u n g s g r u n d e r r a t h e n , ich suchte dich selbst. „ I c h weifs e s , und darum komm* ich dir entgegen." Wenn d u , v e r s e t z t e i c h , in meiner Seele lesen k a n n s t , so wird es dich nicht gereuen, mich dieser G u n s t w e r t h geachtet z u haben.
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Ich sagte ihm nun wer ich sey, welche Beschäftigung mich in diese Gebirge geführt habe, wie ich unter die Hirten gekommen, was für wunderbare Dinge sie mir von ihm erzählt hätten, und wie ich dem Verlangen nicht widerstehen können, den Mann selbst zu sehen, von welchen* sie mir als einem Wesen höherer Gattung gesprochen; was mich nicht länger wundert, (setzte ich hinzu) da auch ich, nachdem mir dieses Glück zu Theil geworden, mich kaum erwehren kann, dem einfältigen Gefühl dieser kunstlosen Menschen mehr zu glauben als meiner Filosofie. Der Epikurischen vermuthlich, sagte er lächelnd. Ohne von dieser Sekte su seyn, erwiederte i c h , hab' ich mich bisher von dem Daseyn der Wesen, die wir D ä m o n e n nennen, (den Begriff, den man sich gewöhnlich von ihnen macht, voraas gesetzt) niemahls überzeugen können. Du kennst also nichts höheres als d e n M e n s c h e n ? sagte er. Wenn ich dir mit Einem Worte gestehen soll wie ich denke nein!
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JION.
So bist d u , f u h r er f o r t , was die Dämonen betrifft, der Wahrheit sehr nahe. Es hat — f ü r die Menschen wenigstens — nie andere Dämonen gegeben als M e n s c h e n ; und, was noch mehr ist, was s i e waren z u w e r d e n — steht in unsrer Macht. Ich wünschte diefs von dir erklärt zu hören» sagte ich, indem ich ihn mit neuer Aufmerksamkeit betrachtete. Er mufste in seiner Jugend einer der schönsten Männer gewesen seyn, wie er jetzt der ehrwürdigste Greis war, den meine Augen je gesehen hatten ; und das Feuer seiner Angen, der Wohlklang seiner Stimme, die gerade Stellung seines Körpers und sein fester Gang kündigte einen desto außerordentlichem Menschen an, da er, seinen Silberhaaren nach, schon weit über siebzig hinaus seyn mufste. Er hatte mich unter diesen Reden auf eine sanft empor steigende Anhöhe zu einem Sitze g e f ü h r t , der, von einein hohen Lorbergebüsehe beschattet, der einzigen Öffnung gegenüber stand, durch welche die dieses Thal ein* schließenden Felben dem Aug' einen herzerweiternden Blick in eine Ferne verstatteten, wo der Azur der Luft in dem grünlichen Purput des Meeres zu zeifUefsen schien. Indem ich mich einen Augenblick in dieser Aussicht
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verlor, trat ein leicht bekleidetes liebliches Mädchen von zwölf oder dreyzehn Jahren aus dem Gejmsch herzu, und reichte, mit jungfraulichem Anstand, dem Alten und mir jedem einen krystallnen Becher des reinsten Wassers, welches sie so eben aus einer nahe vorbey rieselnden Quelle zu schöpfen gegangen war. Nachdem wir uns gelabet hatten, entfernte sich das Mädchen wieder, und.der Alte setzte unser angefangenes Gespräch folgender Mafsen fort. III. „ Z w e y unverträglich scheinende Eigenheiten unsrer Natur vereinigen sich, die Idee von dem, was man D ä m o n e n oder G ö t t e r nennt, in unsrer Seele zu erzengen: auf der einen Seite ein angeborner instinktmäisiger Drang, uns über diese sichtbare W e l t , den für unsern Geist allzu engen Kreis der S i n n e , Bedürfnisse und Leidenschaften, ins Unendliche empor zu schwingen; auf der andern, die Unmöglichkeit, jemahls (wenigstens in diesem Erdenleben) aus den Schranken heraus zu kommen, die unsrer Vorstellungskraft von innen und aufsen gesetzt sind.
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A & A T H O D Ä M O K .
„Nichts von allem was wir sehen und hören, und keiner von den angenehmsten Eindrücken, womit diese Erscheinungen in unserm Innern verbanden sind, kann jenem wunderbaren Triebe genug thun. Nichts erscheint uns so schön, so grofs, so vortrefflich in seiner Art, dafs wir nicht etwas noch schöneres, gröfseres und vortrefflicheres in dieser Art d e n k e n könnten, oder, oft sogar wider unseru Willen, a h n e n müfsten. Wenn es auch einige Gegenstände und Gefühle giebt, die unsre ganze Seele auszufüllen und zu befriedigen scheinen, so ist es doch in der That nur im unmittelbaren Augenblick des Genusses. Dieser ist kaum vorüber, so dehnt sich die von ihm zusammengedrückte Einbildung mit ihrer ganzen Schnellkraft wieder aus, und was uns unübertrefflich schien, dient ihr jetzt blofs zur Springfeder, uin sich zur Idee einer noch böhern Vollkommenheit zu erheben, wovon sich ein mehr oder weniger täuschendes Bild iu ihrem Zauberspiegel darstellt. „Diese Ungenügsamkeit unsres Geistes mit dem, was uns die Welt der Erscheinungen und Täuschungen, welche man sich irriger Weise als die w i r k l i c h e vorzustellen gew o h n t ist, darbietet, erstreckt sich nicht allein auf alle e i n z e l n e G e g e n s t ä n d e der
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Buen.
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Natur ftlr sieb, oder blofs in ihrem besondern Verhältnifs gegen uns betrachtet: auch der Z u s a m m e n h a n g und die O r d n u n g dieser Dinge, es sey nun dafs wir sie als T b e i l e eines Ganzen, oder als W i r k u n g e n gewisser Ursachen, oder als M i t t e l zu gewissen Zwecken betrachten, vermag uns, aus eben demselben Grunde, nie mehr als eine vorübergehende Befriedigung zu geben. Immer fehlt etwas daran was w i r wünschen; immer finden wir irgend eine Erwartung getäuscht ; alles sollte sich, meinen w i r , besser schicken und in einander fügen, alles leichter und schneller zum Zweck eilen, reiner zusammen klingen, kurz schöner und vollkoimnner seyn, als es nach unserm Mafsstab ist. ,, Daher diese lieblichen Träume der Dichter und Filosofen von einem goldnen Weltalter, von Götter- und Heldenzeiten, von Unschuldswelten, Atlantiden und Platonischen Republiken, womit die Menschen sich von jeher so gern haben einwiegen lassen, und die, so oft man sie im Ernst zur Wirklichkeit bringen wollte, allemahl so viel Unheil angerichtet haben. „ E s ist ein wunderbares Etwas in uns, das immer geneigt ist die Dinge aufser ups
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Agatiiodämos,
als b l o f s e n S t o f f zu behandeln, und sich unaufhörlich beschäftigt, Welten nach seinem eigenen E n t w u r f und zu seinem eigenen Z w e c k darauf hervor z u r u f e n . Aber auch dann, w e n n e s , von der vergeblichen oder verderblichen Arbeit ermüdet, seine Schöpfungskraft ruhen läl'st, und das G ö t t l i c h e in der N a t u r anerkennt, aber nun mit gleicher Vdrmessenheit in i h r G e h e i i n n i f s einzudringen, und die innere Beschaffenheit, die wirkenden Ursachen und den wahren Zusammenhang der Dinge z u erforschen strebt, w i r d es durch eine unwiderstehliche Nothwendigkeit immer -wieder in 6 i c h s e l b s t z u r ü c k g e z o g e n ; w o es sich, nach dem hartnäckigsten Herumtreiben in den Gewinden und Irrgängen der Spek u l a z i o n , immer wieder auf der alten Stelle f i n d e t , unvermögend sich von seinem I c h los zu winden , und wi-ler Willen genöthigt, immer s i c h s e l b s t zum Mafs, Muster und Urbild der W e s e n , die ein undurchdringlicher Schleier ihm verbirgt, z u nehmen. „ Diese N o t w e n d i g k e i t ist es denn , was in jenem jugendlichen A'.ter der Welt, als der mcnsQhliche Geist, aus der Betäubung der Kindheit erwachend, seine ihm selbst noch unbekannten Kräfte z u versuchen und zu entwickeln a n f i n g , den D ä ni o n e n , als unsicht-
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baren Bildnern, Bewegern und Beschützern der sichtbaren D i n g e , im M i k r o k o s m o s s e i n e r I d e e n w e l t das Daseyn gab. Denn da es ihm eben so unmöglich w a r , an einem dummen thieiiscben Anstaunen der Natur sich genügen zu lassen, als sich die Erscheinungen derselbe» aus den Ursachen, die zunächst in die Sinne f a l l e n , ^u erklären: w i e hatte er sich anders helfen k ö n n e n , als den Grund dieser Erscheinungen in dem Willen und der Macht gewisser unsichtbarer Wesen z u finden , die er sich auf eben diese Weise als die Werkmeister derselben vorstellte, wie er sich bewufst w a r , Urheber der Werke seiner eignen Hände z u s e y n ? , , A b e r mit u n s i c h t b a r e n D ä m o n e n können sich die Menschen (wenigstens so lange sie nicht mit Wörtern w i e mit Ziffern reebnen gelernt haben) nicht behelfen. A u c h das Unsichtbare mufs ihnen, wenn es E t w a s f ü r sie seyn s o l l , sichtbar werden k ö n n e n ; mufs eine Gestalt bekommen, ohne welche es weder ihrer Einbildungskraft erscheinen kann, noch ihrem Verstände denkbar ist. W e n n also die Dämonen, die man sich als Beweger der Natur und Beschützer der Mensrhen vorstellte» eine Gestalt haben mufsten, so konnten sie schicklicher Weise unter keiner andern, als
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der e d e l s t e n und v o l l k o m m e n s t e n aller Gestalten, gedacht w e r d e n : und w o in der ganzen Natur hätte der M e n s c h eine schönere, edlere, vollkommnere, als s e i n e e i g e n e gefunden? Auch würden alle Versuche, sich z. B. den Vater der Götter und Menschen unter einer andern als der menschlichen Form vorzustellen , ewig fruchtlos bleiben. Z w a r kann und soll der Dichter und der bildende Künstler, um uns w ü r d i g e Göttergestalten zu zeigen, die Menschen, die er zu Modellen zu nehmen genöthigjt i s t , von allen der Einzelnheit anklebenden Mängeln befreyen ; kann und soll sie in ihrer r e i n s t e n S c h ö n h e i t denken, und sie gröfser, edler und kraftvoller darstellen, als vielleicht jemahls ein wirklicher Mensch gewesen ist. E r kann die Blüthe der Jugend mit. der Reife des vollendeten Alters in ihren Formen vereinigen; kann sie mit Ambrosia nähren , in ätherischen Schimmer kleiden, durch himmlische Wohlgerüche und einen leichtern als menschlichen Gang als W e s e n h ö h e r e r A r t sich ankündigen lassen: aber nichts desto weniger werden seine G ö t t e r , sobald er sie e r s c h e i n e n l ä f s t , zu dem was sie in seiner eigenen Einbildung zu seyn genöthigt sind, z u M e n s c h e n ; — und immer werden sich, unter dem ganzen Menschengeschlecht, sogar einzelne Gestalten f i n d e n , die einem F i d i a s
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f ü r eine P a l l a s A t h e n e , einem L y s i p p f ü r seinen besten M e r k u r oder A p o l l o , einem P r a x i t e l e s für eine K n i d i s c h e V e n u s oder einen T h e s p i s c h e n A m o r , zu Modellen dienen könnten. „ Und eben darum, weil die Dämonen im Grunde nichts als Menschen ßind, die der Volksglaube, vonPriestern.Dichtern und Künstlern unterstützt, zu höhern "Wesen geadelt, h a t , finden w i r , dafs die Vorstellungen von ihnen mit der K u l t u r immer g l e i c h e n S c h r i t t gehalten haben. Die H o m e r i s c h e n G ö t t e r sind noch e b e n s o r o h als seine Menschen, und daher auch eben denselben Bedürfnissen und Leidenschaften unterworfen. Der Wunsch des grofsen Redners der R ö m e r , „ d a f s Homer die Menschen lieber zu den Göttern empor gehoben, als die Götter zu Menschen herabgewürdigt haben m ö c h t e , " war ein frommer Wunsch — einer unmöglichen S a c h e ; denn Homer, wie gewaltig auch seine Dichtungskraft w a r , konnte so wenig über die Schranken der Menschheit als über seine eigenen hinaus gehen. Seine Götter waren alles, wozu sie ein G e i s t , wie der seinige, in einem Z e i t a l t e r , w i e d a s seinige, machen konnte. Fünf hundert Jahre später würde ein Dichter von gleich mächtigem Geist
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uns schwerlich ein majestätischeres Bild des Vaters der Götter auf sein«m Thron haben geben können, als jenes, da» die $V>ele des grofsen F i d i a s mit der IHr» des O l y m pischen Jupiters schwäiigefte: aber gewifs hätte sich ein D i c h t e r aus d e r Z e i t des Fidias nicht einfallen lassen, s e i n e m Jupiter so grol'se Schmähungen und So cyklopenmäfsige Drohungen g ' g ' n die Königin der Götter in den Mund zu l e g f n , wie sich der Homerische im Angesicht d;-s g m z e n Himmels erlaubt. Die Götter Horners schimpfen einander, wenn sie aufgebracht sind, eben so ungezogen als seine Helden; und seine Helden sprechen mit den Unstet blichen in einem T o n , als ob sie recht gut wüfsten, dafs sie mit ihres gleichen s p r ä c h e n . " IV. Während A g a t h o d ä m o n sich über die D ä m o n e n , seine Geschlechtsverwandten, so offenherzig gegen mich heraus liefs, ging etwas in mir vor, dafs ich dir zu gestehen erröthen würde, wenn es nicht eine Schwachheit wäre, die ich vermuthlich mit dein giöfsten Theile der Menschen, w o nicht mit alten, gemein habe. Ich hatte nehmlich über das Kapitel von den Dämönen schon lange ungefähr eben
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B U C H .
go gedacht, wie dieser Einsiedler; und dennoch War es mir unangenehm, mich in der Hoffnung, dafs er meine Meinung vielmehr widerlegen als bekräftigen werde, getäuscht za finden*. Denn wie wenig Ursache wir auch haben zu h o f f e n , dafs wir über Dinge dieser Art jemahls weiter hemmen könnten, als, mit S o k r a t e s , z u w i s s e n dafs wir n i c h t s d a v o n w i s s e n ; so regt sich doch bey jeder Gelegenheit ein leiser instiuktartiger Wunsch in u n s , von Personen, die sich uns als aufserordentliche Menschen ankündigen, etwas befriedigenderes zu erfahren, als jene gelehrte Unwissenheit, womit w i r u n s , ungern g e n u g , behelfen müssen. Ich konnte mich also nicht enthalten, — als Agathodämon (vermuthlich um seine Brust ein wenig ruhen zu lassen) eine Pause machte — in einem beynahe mifsmiithigen Tone die Frage zu t h u n : Sollte denn der Umstand, dafs wir uns die Dämonen nicht wohl anders als unter menschlichen Formen vorstellen können, hinlänglich seyn, i h r D a s e y n a u f s e r u n s r e r V o r s t e l l u n g zweifelhaft zu machen? Wenn du mich bisher verstanden hast, versetzte er lächelnd, so kannst du dir diese Frage mit wenigem Nachdenken selbst beantworten.
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Deine Meinung ist also, erwiederte ich, dafs sie in der That k e i n e andere Existenz haben, als die sie durch die Gesänge der Dichter, den Meifsel der Bildhauer, und den Glauben de6 Volks erhalten? „ W e n n dir das noch zweifelhaft scheint, Hegesias, so lafs do;h sehen, w i e sie sich uns auf eine andere A r t offenbaren könnten. Gesetzt, J u p i t e r oderdie goldne A f r o d i t e , seine T o c h t e r , w o l l t e dich s o , dafs keinem Z w e i f e l Raum übrig bliebe, von ihrem Daseyn überzeugen: so könnten sie es doch w o h l nicht anders, als w i e es deine N^tur 2;uläfst, bewerkstelligen? also auf eben dieselbe Weise, -wie du und ich und alle andre Menschen, vermöge unsrer N a t u r , von dem Daseyn irgend eines Dinges aulser uns gewifs werden ? nehmlich v e r m i t t e l t des äulserlichen Sinnes, durch den unmittelbaren Eindruck, den sie auf eines oder mehrere Organe desselben machen inüfsten. Setze also, Z e v s erschiene dir unter der G e s t a l t eines S t i e r s oder S c h w a n s , so würdest du nicht i h n sondern einen Stier oder Schwan sehen; und w i e könfitest du — oder •wie hätten E u r o p a und L ed a , denen dieses Abenteuer wirklich begegnet 6eyn soll, auf den Einfall kommen können, den Vater der Götter unter dieser Maske z u suchen ? Eben das-
E R S T E S
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B Ü C H .
selbe w ü r d e geschehen, wenn Zevs oder Afrodite sich dir unter m e n s c h l i c h e r Ges t a l t zeigteil: d a würdest Menschen sehen, nicht Götter. Wolltest du sagen, sie könnten ihre Erscheinung durch Umstände «nd Eindrücke auszeichnen, wodurch sie notliwendig als w i r k l i c h e D ä m o n e n erscheinen m ü ß t e n : so w ü r d e ich dich fragen, wie sie das anfangen sollten, wofetn sie nicht dasüniDÖgliche t h u n , und dem Menschen neue bisher a n b e k a n n t e Sinnenwerkzeuge, oder Empfänglichkeit f ü r Erscheinungen, die a u ß e r h a l b des Kreises ihrer Anschauung liegen, geben könn e n ? Gesetzt, Jupiter zeige sich dir in der ganzen Majestät, w o m i t ihn Horner und Fidias umgeben, auf einer Donnerwolk» sitzend, die Rechte mit Blitzen bewaffnet, und den göttlichen Adler zu seinen Fül'sen : was hättest d a da gesehjen, als ein Bild, das dir Dichter und Mahler oft genug vorgeinahlt h a b e n , um es deiner Einbildungskraft einzuprägen ? (nid wie könntest du je gewifs weiden, dafh es n i c h t d i e s e , sondern wirklich der a u f s e r e S i n n eey, der dir eine so ungewöhnliche Erscheinung darstellt? Lais es aber auch seyn, dafs 6ie deinem k ö r p e r l i c h e n A u g e wirklich widerfahren wäre : so würdest du darum nicht mehr noch weniger, als einen mit Blitzen bewaffneten M e n s c h e n , nicht den Gott auf WIELANDS
aämmil.
W.
XXXII. B.
C
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A G A T H O D A
MON.
der Don.nerwolke gesehen haben; und der wirkliche Jupiter hätte i n d i e s e r G e s t a l t keine andre Eindrücke auf dich machen können, als die Schranken, die er seihst seiner Kraftdurch seine scheinbareVermenschlichung gesetzt hätte, zugelassen haben würden; das heifst, weder mehr noch weniger als denselben Eindruck, den eine erhabne Menschengestalt in dem besagten J u p i t e r s - K o s t u m auf die natürlich disponierten Organen eines Manschen machen kann. Meine Behauptung behielt also ihre volle Kraft. Was auch die Dämonen a n s i c h seyn mögen, u n s können sie weiter nichts als i d e a l i s i e r t e M e n s c h e n seyn; eine g ö t t l i c h e r e Gestalt, als die menschliche, gesehen oder erfunden zu h a b e n , hat sich meines Wissens noch kein Sterblicher gerühmt. „ I c h habe bisher nur von der G e s t a l t der Dämonen gesprochen. Sollte sichs etwa mit ihrer i n n e r n F o r m , in so fern sie als geistige, denkende und handelnde Wesen gedacht werden, anders verhalten? Wird nicht auch da die Menschen-Natur der nothwendige T y p u s bleiben müsäen, an welchen wir, wenn wir uns das Göttliche in ihnen vorstellen wollen, schlechterdings gebunden sind ? W i r können ihnen keine andern Erkenntnisvermögen bey-
Erstes
Bitcji.
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legen als die u n s r i g e n , k e i n e andre V e r n u n f t a l s die unsrige, keine sittliche V o l l k o m m e n h e i t u n d G r ö f s e , die nicht a u c h einem Menschen e r r e i c h b a r w ä r e ; denn w i e könnten w i r ihnen e t w a s beylegen, w o v o n w i r keine V o r s t e l l u n g haben ? Nie h a t daher ein G o t t e t w a s g e s a g t , w a s sein P r i e s t e r nicht eben s o w o h l h ä t t e s a g e n k ö n n e n ; nie e t w a s s o edles und g u t e s g e t h a n , w a s ein M e n s c h nicht a u c h t h u n k ö n n t f , oder s c h o n g e t h a n h ä t t e . N u r zu o f t s i n d die G ö t t e r b l o f s e D r a t p a p p e n ihrer Pries t e r ; und d e r Mu-s e n f i i h r e r A p o l l o selbst m a c h t , b e k a n n t e r M a f s e n , s c h 1 e c h t e Verse, w e n n die P y t h i a , die ihm ihren M u n d leih e n , oder der P o e t , der ihr O r a k e l a u f der S t e l l e versifieieren m u f s , keine g u t e n zu machen g e l e r n t h a t . E b e n daher i s t a u c h , w i e ich schon bemerkte, der G r a d von Sittlichkeit, w o z u sich die Menschen a u f den verschiedenen § t u f e n der Hultur nach u n d n a c h erhob e n h a b e n , v o n jeher der M a f s s t a b des sittlichen K a r a k t e r s der G ö t t e r g e w e s e n ; und Wenn w i r j e t z t a n s t ä n d i g e r e B e g r i f f e von den Unsrigen hegen als in den Homerischen Zeiten i n j S c h w a n g e g i n g e n ; wenn j e d e r m a n n , der a u f E r z i e h u n g ^ n ^ p r u c h macht, sich die G ö t ter entweder durch personificierte N a t u r k r ä f t e u n d T u g e n d e n , oder als vergötterte Menschen, d i e w e g e n g r o f s e r Verdienste u m d a s m e n s c h -
A G A T H O D Ä M O N .
liehe Geschlecht nach ihrem Tode zu Schutzgeistern desselben erhohen worden, oder als weise Regenten der menschlichen Dinge nnd gerechte Austheiler der Belohnungen und Straf e n , die der Tugend und dein Verbrechen gebühren, vorstellt; so ist es blofs die Filo6ofie, die über diesen F u n k t die Begriffe der höhern Stände und Klassen veredelt hat. „Das Vermögen Wunderdinge zu thun, ist in der That das einzige, worin die Dämonen etwas voraus zuhaben scheinen könnten, wenn wir ihnen nicht unsere Zaubererund Taschenspieler entgegen zu stellen halten, die das alles durch Kunst zuwege bringen, was man jenen als einVorrecht ihrer höhern Natur zuzuschreiben pflegt. Denn bekannter Mafsen machen unsre Chaldäer und Magier Anspruch darauf, sich unsichtbar machen und in jede beliebige Gestalt verwandeln zu können; sie gebieten den Elementen , erregen Stürme, ziehen den Mond auf die Erde herab, rufen die Todten aus ihren Gräbern hervor, sehen das Zukünftige, können zu gleicher Zeit an mehr als einein Orte seyn, und was dergleichen mehr ist. J a , wenn man ihnen -glaubt, so besitzen sie das Geheinmifs, sich sogar die Dämonen selbst zu unterwerfen: eine Behauptung, wodurch sie meine Meinung von den letzter
Erstes
Buch.
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nicht wenig unterstüzen. Denn gevvifs können die nicht m e h r als Menschen seyn, die einen Menschen f ü r ihren Meister erkennen müssen. „Und nun, setzte der Uubekannte hinzu, glaube ich mich hinlänglich darüber erklärt zu haben, was ich mit meiner Behauptung über die Natur der Wesen, die man anter dem allgemeinen Nahmen d'er Dämonen zu begreifen pflegt, sagen wollte. Oder hast du vielleicht noch etwas zu erinnern ? " Da ich in den grofsen Mysterien zu E l e u s i s eingeweiht bin, versetzte ich, so darf weder diese Behauptung, noch dein Beysatz, dal's es in unsrer Macht stehe zu werden was sie waren, etwas befremdendes für mich haben. Gleichwohl mufs ich dir gestehen, ich kann mich nicht ohne Mühe dazu bequemen, dafs diefs A l l e s seyn soll, was wir von den hoh e m Wesen wissen, deren Daseyn ein geheimnifsvoller Instinkt uns zu glauben nöthigt. Und was könntest du denn itaehr verlangen ? erwiederte jener. In das Geheimnifs.der Natur selbst einzudringen, ist 11ns verwehrt. Der K r e i s d e r M e n s c h h e i t ist nun einmahl unser Antheil, und der Umfang, worin
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A G A T H O D Ä M O K .
alle unsre Ansprüche eingeschlossen sind. So» bald wir uns über ihn versteigen wollen, finden wir uns mit einem undurchdringlichen Dunkel umgeben; oder das Licht selbst, das uns dann entgegen s t r ö m t , ist so blendend, däls es für Augen wie die unfcrigen zur dichtesten Finsternifs wird. Aber o dafs wir die Würde unsrer eignen Natur erkennen möchten ! es ganz durchschauen und immer gegenwärtig haben möchten, dafs der Mensch nichts grofsers k e n n t noch kennen soll als sich selbst; dafs er alles, was er zu seiner Vollständigkeit bedarf, in sich finden kann, und dal's seinem ewigen Wacbsthum an Kraft und Vollkommenheit keine andere Grenze gesetzt i s t , als die wesentliche Form seiner eignen N a t u r , über welche er sich eben so wenig hinaus d e n k e n als hinaus d e h n e n kann, er müfstfe sich denn nur ins unendliche — N i c h t s ausdehnen wollen!
V. Indem Agathodämon diese letzten W o r t e sprach, lief» sich plötzlich eine liebliche Singstimme h ö i e a , deten reine Silbertöne vou dem .schönsteii Kcho vervielfältigt, meine ganze Aufmerksamkeit nach dem Ort, woher sie zu
E R S T E S
BUCH.
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kommen schienen, hinzog. Stelle dir vor, Tiuiagenes, wie betroffen ich war, als ich auf einem der Felben eine ttchöne Jünglingsgestalt erblickte, die sich selbst zu einem O r f i s c h e n H y m n u s auf der Cyther begleitete, und in ihrer Begeisterung nicht zu achten schien dafs sie Zuhörer hatte. Eine Fülle von kunstlos lockigen blonden Iia'aren wallte, halb in der Morgenluft fliegend, um ihre weifsen Schultern. Sowohl ihre Kleidung als ihr schlanker Wuchs und die rundlichen Formen ihrer Arme und Beine liefsen das Auge ungewife, ob man sie für den S o h n d e r M a j a oder f ü r eine der O r e a d e n dieses Gebirges halten sollte. Als sie zu singen aufgehört hatte, warf ich einen staunenden Blick auf A g a t h o d ä i n o n ; und wie ich die Augen nach dem Felsen zurück drehte, war die Erscheinung verschwunden. N u n , Hegesias, sagte der Alte lächelnd, hast du alles gesehen, was mir in den Augen meiner Nachbarn, der Ziegenhirten, den Schein eines übernatürlichen Wesens giebt; und du kannst dir jetzt zum Theil selbst erklären, wie diese guten Leute, in ihrer abergläubischen Einfalt, u n g e w ö h n l i c h e Erscheinungen zu w u n d e r b a r e n zu erheben wissen. Das junge Mädchen, das uns Wasser
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A G A T H O D Ä M O N.
reichte, ist die N y m f e , von welcher sie dir gesprochen haben ; und der A p o 11 o , in der sen Gestalt ich selbst (wie dir einer sagte) zuweilen gesehen und gehört w e r d e , ist ein schönes Weib von dveylsig Jahren, die Mutter der kleinen Nymfe und die Gattin des wackern Mannes, den du dort hinter den Gebüschen mit dem Spaten in der Hand beschäftigt sehen kannst. Denn f ü r dich, Hegesias, Boll hier keine Täuschung seyn. Dieser Mann w a r in meinem väterlichen Hause als Sklave g e b o r e n , und diente m i r , sobald er jemand zu dienen fähig wsjr. Er ist einer der besten Menschen, die ich kenne, und hat mich mit einer seltnen Anhänglichkeit auf einigen der Reisen begleitet, die einen grol'sen Theil meines Lebens wegnahmen. Als ich nach vielen Jähren zurück k a m , um einige Zeit ih meinem Vateiiande zuzubringen, bel o h n t e ich &eine Treue, indem ich seine l^iebe zti einein in unserm Hause gebornen Mädchen begünstigte, welches von meiner Mutter selbst eine feinere Erziehung, und die Ausbildung der Naturgaben, wovon du n u r eben eine Probe hörtest, erhalten hatte. Ich verbeirutiieie si.e mit i h m , und schenkte ihnen die Freiheit, ohne mich sogleich von ihnen zu tiei-nen. Er b< gleitete mich noch auf verschiedenen neuen lieisen; u n d als ich mich
ERSTES
BUCII.
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endlich entschlofs, den Rest meiner Tage gänzlicher Veiborgenheit auszuleben, k ö n n t ' ich i h n nicht v e r h i n d e r n , mir mit seinem Weibe und ihrer Tochter in diese Einsiedeley zu folgen, wo sie sich alle diey beeiferu, f ü r meine ziemlich mäfsigen Bedüyfnissezu t^orgen, und alles mögliche zu t h u n , um mich in die angenehme T ä u s c h u n g zu setzen, als ob ineiji Leben im Elysium schon angegangen sey. Sie hangen an mir wie an einem geliebten Vater, u n d ich lebe mit ihnen yvie unter meinen Kindern. Sie wissen sich so gefällig in muikie Eigenheiten zu schicken, und verstehen mich so gut, dais ich kaum der Sprache nöthig habe, um ihnen meine Wünsche zu erkennen zu geben. Der alte K y m o n , der ( w i e d u siehest) noch ein rüstiger Mann ist, besorgt den Garten, dessen Gemüse und Früchte, nebst der Milch etlicher Ziegen, uns eine leichte und gesunde Wahrung geben. Das Wenige, was uns sonst noch n ö t h i g ist, weifs er au& der liächtten Stadt herbey zu schaffen, ohne dafs jemands Aufmerksamkeit dadurch erregt wird. Die H i l t e n , die, den Sommer ü b e r , diese Beige heweiden, halten ihn f ü r den E i n w o h ner eines benachbarten Dorfes, und sehen ihn zu selten, um sich genauer nach ihm zu erkundigen; indessen er durch seineu' NefFen, der einer aus ihrem Mittel ist, 60 viel von
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ihnen auskundschaftet, als es be'darf, sie in dem Wähne zu erhalten, die Spitze des Gebirges werde von einem guten Dämon bewohnt, dessen Nähe ihnen Segen bringe; eine Täuschung, die ihnen unschädlich ist, und mir vor den Folgen ihres Vorwitzes Sicherheit gewährt. — In allem diesem wirst du viel Grillenhaftes finden, lieber Hegesias; und in der That° inufs man mit meiner ganzen Lebeusgeschichte bekannt seyn, um gelinder davon zu Urtheilen. Das einzige, was ich noch nicht begreife, versetzte ich, i s t , wie du in dieser Einöde die Abwechslungen der Witterung aushalten, und dich gegen die Unfreundlichkeit des Winters verwahren kannst. Dafür, erwiederte er, ist von langem her gesorgt. Der ehemalige Eigenthümer dieses Berges war der vertrauteste meiner Freunde, und es wurde schon vor vielen Jahren unter uns verabredet, dafs ich, sobald ich urtheilen würde jdafs es. Zeit s e y , diese Einöde zum Aufenthalt wählen wollte. Er liefs eine z u diesem Zweck überflüssig bequpme W o h n u n g in einen dieser Felsen hauen, und alles darin so einrichten, dafs es mir an keiner Gemächlichkeitfehlt, die in meinen Jahren'zum Leben
Erstes
Buch.
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unentb«hrli die es von Kindheit an gehört hatte, so innigst d u r c h d r u n g e n , dafs, w e r d e n geringsten Zweifel in die ungereimtesten Er* Z ä h l u n g e n dieser Art setzte, ein Wahnsinniger oder gar ein Gottesläugner in ihren Augen war. Ihren Reden nach wimmelte Thessalien von Zauberern beyderley Geschlechts, die den Mond vom Himmel herab ziehen, die Gei«ter der Verstorbenen aus dem E r e b u s herauf r u f e n , ja die f u r c h t b a r e Hekate seihst zu erscheinen zwingen k o n n t e n ; die mit einem einzigen W o r t e Menschen in Thiere verwan-
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A
0 A 1 lt O D Ä Äl O X.
(leiten, sich u n s i c h t b a r machten, auf dem Wasser oder auf den Wolhcn gingen, bey heiterin Himmel S t ü r m e u n d Ungewitter erregten, W i l d n i s s e und S t e i n h a u f e u im Augenblick zu p r ä c h t i g e n G ä r t e n und Fallästen uinschufen, u n t e r i r d i s c h e Schätze hoben, u n d eine Menge a n d r e r ü b e r n a t ü r l i c h e r Dinge bewerkstelligten ; o b w o h l ein F r e m d e r , dem von diesem allen nichts voraus gesagt w o r d e n w ä r e , z w a n zig J a h r e i n Thessalien h ä t t e leben k ö n n e n , o h n e etwas davon g e w a h r zu w e r d e n , oder auf den mindesten Verdacht zu gerathen, dafs n i c h t alles in diesem Laude eben so n a t ü r lich z u g e h e , als in jedem a n d e r n . In der T h a t schien der G l a u b e an diese Ungereimtheiten sich bey dem Thessalischen Volke blols auf T r a d i z i o n und H ö r e n s a g e n zu g r ü n d e n : denn u n t e r z e h e n , die davon als von allgemein bekannten T h a t s a c h e n sprachen, w a r k a u m E i n e r , der sich auf seine eigne E r f a h r u n g b e r i e f ; und an diesen letztern m u f s t ' es jedem Unbefangenen sogleich in die Augen l e u c h t e n , dafs sie entweder Betrogene oder Betrüger waren. Das beste also, w a s Ich d u r c h den Auftinthalt in diesem Z'iuberlande g e w a n n , w a r die u n g e h e u r e Ü b e r m a c h t vorgefalster Meinungen, u n d einer f r ü h z e i t i g a u ' e r s t a u n l i c h e u n d
Z w E Y T E s
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BUCH.
unbegreifliche Dinge gewöhnten Einbildungsk r a f t über den gemeinen An einem
der
Menschenverstand,
auffallendem
B f y s p i e l e , das
vielleicht der ganze E r d b o d e n darbietet, kennen zn lernen.
Denn
wiewohl mir,
ohne nähere Untersuchung, klar genug dafs" in manchen Fällen
auch war,
vorsetzlicher B e t r u g
der unwissenden E i n f a l t Netze stellte, 4,0 w a ren diese doch v o n so grobem G e w e b e , dafs man es f ü r
unmöglich
hätte
halten sollen,
dafs jemand anders als ein Kind sich darin f a n g e n lassen w ü r d e .
Unter
mehrern
Bey-
spielen dieser Art erinnere ich mich eines einzigen n o c h d e u t l i c h g e n u g , um dir von den Künsten der Thessalischen Z a u b e r e r , und v o n der blinden L e i c h t g l ä u b i g k e i t d e r j e n i g e n , d i e sich von ihnen
täuschen U e l s e n ,
einen
an-
s c h a u l i c h e n B e g r i f f z u geben.
VIII. I c h g e r i e t h z u L a r i s s a in die B e k a n n t s c h a f t einer F r a u , die (nach der V e r s i c h e r u n g meiner alten W i r t h i n ) f ü r eine der gefährlichsten Zaubrerinnen wurde.
Sie
in war
g a n z Thessalien die G a t t i n
eines
gehalten reichen
K a u f m a n n s , den seine G e s c h ä f t e h ä u f i g von Larissa entfernten; und w e n n
Jugend
und
A G A T U O U Ä ¿U O M.
Schönheit» m i t allen A r t e n von Reitz v e r b u n den, f ü r Zaubernlittel gelten k ö n n e n , so inuiste man gestehen, dafs C h r y s a n t h i s ( s o n a n n t e m a n sie) n i c h t m i t U n r e c h t zu dem R u f einer a w e y t e n C i r ' c e gekommen w a r . In der T h a t schien sie mir» beim ersten A n b l i c k , keiner a n d e r n M a g i e , als i h r e r eignen R e i t z u n g e n , z u b e d ü r f e n j u n d wenn sie (wie die Sage ging) einer n i c h t gelingen Anzahl edler Thessaliechen J ü n g l i n g e , gleich i h r e r H o m e r i s c h e n V o r g ä n g e r i n mitgespielt h a t t e , so w a r es o h n e Z w e i f e l ganz n a t ü r l i c h dabey zugegangen. D a f s es i h r an N e i g u n g u n d F e r t i g k e i t , einen solchen G e b r a u c h von dem Z a u b e r i h r e r Augen z u machen, n i c h t fehlte, e r f u h r ich ziemlich bald d u r c h mich s e l b s t : d e n n sie ergriff jede Gelegenheit, oder m a c h t e vielmehr d e r e n so viele als i h r n u r i m m e r m ö g l i c h w a r , u m m i r a u f die u n z w e y d e u tigste A r t zu e n t d e c k e n , dafs ich m i c h n i c h t ü b e r eine G r a u s a m e zu beklagen h a b e n sollte, Wenn ich i h r e n E i n l a d u n g e n G e h ö r geben Würde. L e b e n s a r t u n d Sitten sind b e k a n n t e r M a f i e n i n drif ganzen Hellas n i r g e n d s f r e y e r als in Thessalien« Das ü b e r h a u p t z u s e h r v e r n a c h lässigte w e i b l i c h e Geschlecht w i r d vielleicht n i r g e n d s c h l e c h t e r erzogen ( u n d es i s t d a h e r
ZwfcKTKS
Buen.
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kein Wunder» wenn die Bewohnetinnen dieses schönen Landes kein höheres Glück, als die Befriedigung ihrer sinnlichen Triebe, kennen, und sich ihnen mit der ganzen Lebhaftigkeit des feurigen Temperaments, womit die Natur sie begabt hat, ohne Bedenken überlassen« Chrysauthis mochte wohl bisher zu wenig Schwierigkeiten angetroffen haben, um die Kälte* womit ich ihre Blicke abglitschen liefs, nicht unbegreiflich zu finden. Indessen liefs sie 6ich nicht dadurch abschreckentund nachdem ihT verschiedene andre Versuche tnifsluugen w a t e n , nahm sie endlich (was ihr vermuthlich noch nie begegnet war) ihre Zuflucht zu eiuer berüchtigten alten Zaubreriu, die sich aufserhalb der Stadt in einem kleinen Gartenhause aufhielt, welches sie cum Behuf ihres doppelten Handwerks (denn sie machte lieben» her auch die Kupplerin) ziemlich zweckmäfsig eingerichtet hatte« Die Alte besafs, ihrem Vorgeben nach, unfehlbare Geheimnisse« hartnäckige Verächter der Liebesgöttin kirre zu machen. Chrys a n t h s überliels sich ihr mit blinder Zuversicht, und die Nacht auf den nächsten Vollmond wurde zum Anfang ihrer magischen Arbeiten angesetzt.
« hunds summil. W, XXX». B.
G
S>8
A & a t u o d ä h o n.
Die Zaubrerin wandte (wie es scheint) die Zwischenzeit theils zu den nöthigen Zurüstnngen, theils zu genauem Erkundigungen nach dem Aufenthalt und der Lebensart des jungen Mannes au, den sie ihrer Klientin in die Arme zu liefern versprochen hatte. Glücklicher Weise für ihre Absichten hielt ich inich ebenfalls vor der Stadt auf, und meine Wohnung in der Nähe eines anmuthigen Wald» chens, w o ich gewöhnlich in mondhellen Nächten zu lustwandeln pflegte, w a r nur durch einen schmalen F u i s w e g von dem Gärtchender Alten abgesondert,; ein Umstand, der ihr zur Anlegung ihres Plans sehr z a Statten kam. Sobald die bestimmte Nacht erschienen war, echlic^dieThessalierin sich heimlich aus ihrem Hause in die Hütte tler Zaubrerin, wdrin sie, ungeachtet des ä'ufserlichen armseligen Anseh e n s , ein ziemlich nettes Zimmer zu ihrem Empfang bereit fand» E s war mit einem wohl gepdlsterten Ruhebette versehen, und von einer dicken Lampe mit wohlriechendem Ohl beleuchtet, dessen Dufte die Zaubrerin grofse Kräfte «uschrieb» Neben dem Ruhebette stand ein Tisch von Elfenbein, mit Erfrischungen und goldneu Trinkgefäfsen bnsetzt, and einer von den Bechern war mit einem Lie-
ZwtVTEs
BUCH«
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bestrank angefüllt', der, nach ihrer Versicherung, den Nektar au Süfsigkeit übertreffe» und wovon ein einziger Zug genug sey, um den greisen Tithon selbst in einen Jüngling zu Verwandelm Jetzt blieb nur noch die Schwierigkeit übrig, denjenigen herbey t u schaffin, um dessentwillen alle diese Anstalten gemacht Waren. Die Alte hatte zu diesem Ende ein kleines wächsernes Bild in Bereitschaft, welches meine Person vbrstellte, Und aus verschiedenen magischen Mischungen kuiistgcmäfs verfertigt war. Ihrem Vorgeben nach hatte sie auch sieben meinet längsten Haare in ihre Gewalt bekommen, die zu ihrem Vorhaben unentbehrlich waren. Sie knüpfte sie zu einer Schnur zusammen, wovon sie das eine Ende um den linken Daumen der Chrysanthis, das andre uin die Hüfte der kleinen Wachspuppe befestigte. Hierauf höhlte sie eine Pfanne mit glühenden Kohlen, warf einige Weihrauchkörner darauf, steckte das Bild auf eine mitten aus der Pfanne hervorragende Spitze, und versicherte nun die Schöne, die ihre Vorrichtungen mit klopfendem Herzen zusah, ehe das Bild völlig geschmolzen seyn würde, sollte sie ihren Geliebten herbey eilen sehen. Was du nKsdnnn zu tliun hast, setzte
ȆO
A G A T U O D A J I O S ,
sie hinzu, weifst du besser als ich. Gr müßte kein Mensch w i e andre seyti, wenn er deinem eignen Liebreitz und dem Zaubertrank, den du ihm reichen w i r s t , widerstehen könnte. Auf den Fall aber, dafs er, wider alles Hoffen, seinen Starrsinn so weit treiben sollte, übergebe ich dir meinen Zauberstab. .Tritt alsdann auf diese mit Sand bestreute Stelle, ziehe mit dem Stab einen Kreis um dich her, ßcbltige dreymahl auf den Loden , und.« rufe dreyma'il immer lauter, H e k a t e , H e k a t e , H e k a t e ! — und eine Göttin wird dir zu Hülfe kommen, deren Holser Anblick den Widerspenstigen auf immer in deine Arme hinein schrecken wird. C h r y s a n t h i s (aus deren Mundeich alle diese Umstände erzähle) hatte, zu aller ihrer natürlichen Herzhaftigkeit, noch die ganze Stärke einer durch Widerstand aufs äufserste gebrachten Leidenschaft vonnöthen, um sich zu einem Mittel zu entschließen, vor dessen blol'ser Vorstellung ihr das lilut in den Adern gerann: aber die Alte betheuerte bey alleft Göttern des Himmels und des E r e b u s , dal's sie nicht die geringste Gefahr dabey laufe, steckte ihr zum Überflufs noch einen talismanischen Ring an den Finger, und brachte es durch ihren Zuspruch So weit, dal's die Thes-
Z w Ev T E S
BUCH.
salierin Heldenmuth g e n u g in sich z u f ü h l e n glaubte,
um
den A n b l i c k
der
gräflichsten
U n g e h e u e r des T a r t a r u s a u s z u h e l f e n . I n d e s s e n h a t t e die Alte, w i e g e w i f s sie auch der M a c h t i h r e r Z a u b e r k ü n s t e z u scyn vorgab, sich den* n o c h a u f die W i r k u n g des magischen Wachs« b i l d c h e n s und der sieben Haare n i c h t so gänzlich verlassen,
um
ein natürlicheres
Mittel
f ü r ü b e r f l ü s s i g z u h a l t e n , w o d u r c h 6ie mich unf ehlbar h e r b e y z u schaffen h o f f t e . D i e Schön* h e i t der N a c h t , in w e l c h e r alles diefs v o r g i n g , h a t t e mich seit mehr als einer S t u n d e a u f m e i * nen g e w ö h n l i c h e n
Spaziergang gelockt, und
ich irrte, meinen Betrachtungen nachhängend, z w i s c h e n den Baumen hin u n d her, als plötzl i c h ein M ä d c h e n von eilf oder z w ö l f Jahren m i t ängstlichem Geschrey und ausgebreiteten A r m e n a u f mich z u l i e f , l i c h b e s c h w o r , ihrem
und m i c h
flehent-
alten V a t e r z u
Hülfe
zu eilen, der in einer nahen Hiitte von z w e y bösen Menschen überfallen w o r d e n sey, die ihn
u n f e h l b a r ermorden w ü r d e n ,
w e n n er
n i c h t schleunigen Beystand erhielte. Das Kind spielte seine Rolle so n a t ü r l i c h , dafs ich, voin G e f ü h l des A u g e n b l i c k s fortgerissen, mich von ihm führen liels, ohne eine Hinterlust z u argw o h n e n , od^er z u bedenken, dafs ich u n b e w a f f net w a r .
Bilde dir ein, w i e ich «tutzte, da
ich, anstatt eines unter
Räuberhämlen
sich
10Z
A
G A T II O D Ä I I O N .
s t r ä u b e n d e n A l t e n , die s c h o n e C h r y s a n t h i s f a n d , die, in einem l e i c h t e n A n z u g auf ein w o l l ü s t i g e s K a n a p e e h i n g e g o s s e n , m i t Blicken, G e b e r d e n u n d R e d e n m i c h z u einein viel g e f ä h r l i c h e m K a m p f , als i c h e r w a r t e t h a t t e , heraus forderte. D u v e r l a n g s t von einem G r e i s e i n m e i n e n J a h r e n keine u m s t ä n d l i c h e B e s c h r e i b u n g der W a f f e n , w o m i t die s c h ö n e V e r s u c h e r i n die H a r t näckigkeit meines Widerstandes b e s t ü r m t e ; a b e r n o c h j e t g t ist m i r u n b e g r e i f l i c h , w i e sie v o n i r g e n d e i n e r a n d e r n Magie e r w a r t e n k o n n t e , w a s i h r e n eigenen Reitzen u n m ö g l i c h g e w e s e n w a r . U n d d o c h ergriif sie e n d l i c h in der V e r z w e i f l u n g das einzige M i t t e l , d a s ihr, wie ich glaubte, übrig b l i e b ; denn den L i e b e s t r a n k h a t t e ich d u r c h die B e t h e u r u n g , dafs ich n i c h t s als W a s s e r t r i n k e , u n b r a u c h bar g e m a c h t . Sie s p r a n g m i t der W u t h e i n e r B a c c h a n t i n a u f , u m n a c h dem s c h w a r z e n S t a b e z u g r e i f e n , den i h r d i e Alte z u r ü c k g e l a s s e n ; u n d n o c h in diesem A u g e n b l i c k e sehe ich sie fast e b e n so l e b e n d i g v o r m i r s c h w e b e n , als d a m a h l s , da sie m i t h a l b fliegendem, h a l b i n grofsen Locken bis u n t e r die H ü f t e h e r a b w a l lendem Haar, rollenden Augen, und entblöfst e n Ar™®1» » n d F ü f s e n , n u r von e i n e r K o i s c h e u T u n i k a umflattert, furchtbar und
Z W r. Y T Ii S L u c H.
»o,3
wollustathmend z u g l e i c h , den m ä c h t i g geglaubten Zauberstab gegen mich s c h w a n g ; eine w a h r e M e d e a , die i c h , als o b sie m i r diesr R o l l e a u f dem Schauplatz darstellte, n i c h t ohne eine Beyroischung von Vergnügen betrachtete, m i t ziemlich ruhiger Neugier erwartend, was aus diesem Anfang einer andern Art von Zauberey werden sollte. Die nur mühsam u n t e r d r ü c k t e Angst w a r a u f ihrem erbleichenden Gesicht und langsam sich hebenden Busen s i c h t b a r , da sie, nachdem sie den Kreis gezogen uud dreymahl a u f den Boden geschlagen, den f u r c h t b a r c n N a h m e n I I e k a t e ! so laut als i h r möglich war, ausrief. S i e h a l t e ihn kaum zum dritten Mahl ausgerufen, so erschütterte ein hohles, dumpfes Getöse den Boden unter u n s , das Zimmer verfinsterte sich, ein schwarzer, mit zückenden Flammen vermischter R a u c h w i r b e l t e aus dein krachend sich spaltenden Boden empor, man h ö r t e D o n n e r rollen, Schlangen zischen und Hunde h e u l e n ; das f ü r c h t e r l i c h e Unwesen kain immer näher, und u n t e r Blitzen und Donnern stieg die d r e y k ö p f i g e H . e k a j t e herauf, in der ganzen gräfslichen Ungestalt, •.vie sie von den D i c h t e r n geschildert wird, mit S c h l a n g e n h a a r e n und Drachenfül'sen, in schwarzem G e w a n d , und eine ungeheure
A G A -I Jl U U A M U A»
Schlange in der Hechten schwingend. Zittre, verwegner Sterblicher, schrie sie mich mit hohler krechzender Stimme an, zittre vor der Rache der Götter! Fliehe vor Afrodritens Zorn in die Arme der Liebe, oder stürze in den flammenden Tartarus! — Elende, rief ich, indem ich die unter der gräfslichen Maske versteckte Zaubrcrin , trotz ihren unschädlichen Schlangen, kräftig beym Arm ergriff und zu mir herüber zog, i— bekenne, dals du eine schändliche Betrügerin bist, oder du bist verloren ! Die Zauhrerin, die auf einen solchen Ausgang nicht vorbereitet w a r , verlor auf einmal die Besonnenheit, kroch aus ihrer Verkleidung hervor, und bat fufsfällig um Gnade, Der Verfolg dieser Geschichte gehört zwar nicht mehr in das F a c h , wovon die Rede w a r ; aber er gehört zur Geschichte meines Lebens, upd da wirst mir gern verzeihen, dafs ich mich dessen nicht ohne Vergnügen erinnere. Bestürzung, Scham und Erstaunen schien die arme Chrysanthis einige Augenblicke versteinert zq haben; aber ein nöch mächtigeres Gefühl brachte sie bald wieder zu sich selbst. Eine wunderbare Art von Ehrfurcht überwäl-
Ü W E V i E S
Bucn.
105
tigte, oder veredelte vielmehr, plötzlich ihre vorige Leidenschaft. Wer bist d u , sagte 6ie zu m i r , den weder die heifseste Liehe t u schmelzen, noch die Hölle seihst zu schrecken vermag? Aber, wer du auch bist, verlafs mich nicht in dieser V e r w i r r u n g meiner S i n n e ! Du hast ein inir selbst unbekanntes Gefühl in mir erregt. F ü h r e mich von h i n n e n , und vollende deinen Sieg ü b e r eine Leidenschaft, die deiner u n w ü r d i g war, und mich unter mich selbst erniedrigte. Sev mir w e h r als ein Liebhaber, sey mein F r e u n d ! Verschmähe diese Haud nicht, die ich dir zum Pfände der Gelehrigkeit, w o m i t ich mich deiner F ü h r u n g überlassen will, d a r b i e t e ! Die Reihe zu erstaunen w a r n u n an inir. Ich glaubte die erwachte bessere Seele aus i h r e n Augen strahlen zu sehen, und widerstand dem Gedanken nicht, eine Bekehrung zu vollenden, w e l c h e (wie ich mir schmeichelte) die Ubermacht meines Genius über den ihrigen zu bewirken angefangen hatte. Ich begleitete sie nach ihrer W o h n u n g , und sie wiederhohlte ihre Bitte, dafs ich (nach ihrem Ausdruck) i h r Schutzgeist gegen sie selbst s e y n , und sie nicht eher verlassen möchte, bis sie durch meinen Umgang Kraft genug erhalten haben w ü r d e , sichs zuzutrauen,
io6
A G A T I I O U Ä M O
dafs es n o r h in ihrer Macht stehe, die Verirl u n g e n einer all*uleichtsinnigen J u g e n d durch die Unsträflichkeit ihres künftigen L e b e n s zu VPI guten.
E s würde Unsinn seyn, setzte sie
h i n z u , meine Heilung von einem solchen Mittel zu e r w a r t e n , wenn ich dir nach dem, was ich heute gesehen habe, n i c h t alles, und beyn a h e sogar das U n m ö g l i c h e ,
zutraute.
Ich kann djch n i c h t tadeln, Hegesias, w e u n dir die Verwegenheit des jungen Mannes, der sich eines solchen Abenteuers unterfing, die Strafe eines beschämenden Falles zu verdienen s c h e i n t . Aber eben die S c h w i e r i g k e i t der Unt e r n e h m u n g war* es, was meinen F.nts'cblufs b e s t i m m t e : denn es gehörte znin Plan meines L e b e n s , keiner moralischen G e f a h r aus dem W e g e zu gehen , und keine Gelegenheit versäumen, wo ich
duich mich
a u f s e r s t e erfahren
könnte,
selbst
zu das
was mensch-
liche Kraft vermag, nin über L u s t oder S c h m e r z den Sieg zu ei h a l t e n , wenn j e n e oder diese uns von
A u s ü b u n g irgend
einer edeln und
guten Handlung abzulocken oder abzuschrekken streben. Die s c h ö n e Clnys«nthi$ a u f den AVeg der T u g e n d doch
des
zurück zu b r i n g e n ,
Versuches
werth;
nach
war
meinen
Grundsätzen war* es die schändlichste F e i g h e i t g e w e s e n , wenn ich mich durch die G e f a h r ,
Zweytes
Boen.
107
in welche meine eigene Tugend dabey gerathen konnte, von diesem Versuch hätte abhalten lassen wollen. Wir nahmen also Abrede, wie ich sie während meines Aufenthalts zu Larissa insgeheim besuchen könnte; und da diefs nur bey Nacht anging, so liefs ich mir (wie unschicklich auch diese Zeit in andeni Rücksichten war) gefallen, }edesmahl von ihrer vertrautesten Sklavin durch eine von hohem Gesträuche verdeckte Hinterthür ihres Gartens in einen Sahl, w o sie mich erwartete, geführt zu werden. Chrysanthis schien mir auf diese meihe Herablassung (wie sie es nannte) einen Werth zn legen, der mich abnehmen liels, wie tief sie in ihren eigenen Augen unter mir stehe, und w i e nöthig es sey, ihrem zu sehrgesunkneu Stolze zu Hülfe zu kommen. Meine erste Bemühung war also daranf gerichtet, sie mit sich selbst auszusöhnen, und zu üherzeugen, d a f s d a s , was die Würde unsrer Natur ausmacht, in der S e l b s t b e w e g u n g unseres W i l l e n s bestehe, welche zwar zufälliger Weise gehemmt und gebunden, aber nicht v e r l o r e n werden könne. Cm dem Unterrichte, dessen sie zu bedürfen schien, eine bessere Haltung zu geben, las ich ihr aus Xenofons Cyropädie die Geschichte des A r a s p e s
A
G A T H O D Ä M O N,
vor, dessen F a l l so viele Ä h n l i c h k e i t mit ihrem eigenen hatte, dafs sie sich desto mehr ermuntert f ü h l e n m u f s t e , ihui auch in dem
edel»
S c h w ü n g e , den seine bessere Seele u n t e r den A u g e n des C y r u s nahm, ä h n l i c h z u w e r d e n . Diese z w e y
in a n g e h o m e i n Kriege mit ein-
ander liegenden S e e l e n , durch w e l c h e Araspes das S c h w a n k e n d e seines G e m i i t h s z u s t a n des hich zu erklären suchte, schienen ihr stark e i n z u l e u c h t e n , und
sie nahm alles, w a s i c h
ihr v o n den M i t t e l n , der bessern
Seele den
Sieg über die schlechtere z u verschaffen, sagte, m i t einer G e l e h r i g k e i t a u f , die mich h ä t t e a r g wöhnisch
machen
können,
w ä r e in i h r e m
ganzen Betragen auch nur das geringste z u bemerken g e w e s e n , w a s einen geheimen schlag
und
verdeckte
Absichten
An-
verrathen
hätte. A b e r n i c h t s konnte einfacher und kunstloser seyn, als die A r t , w i e sie sich in allein gegen mich benahm. Ihre K l e i d u n g , o h n e w e d e r nachlässig
oder ü b e r z ü c h t i g
zu
seyn,
war
ein Muster des schicklichsten A n z u g s f ü r eine Matrone von ihren Jahren , die n i c h t s hinterlistig zeigen noch verbergen
will,
und bey
i h r e m P u t z e keine andere A b s i c h t hat als a n ständig
bekleidet z u seyn.
sten S t e l l u n g oder
Lage
In der sittsam-
liefs sie immer so
viel Raum z w i s c h e n uns, dai's die
natürliche
A n z i e h u n g s k r a f t , die z w i s c h e n Personen
von
ZWEY'1'ES
BUCH.
verschiednem Geschlechte gewöhnlich S t a t t f i n d e t , wenn sie sich nahe k o m m e n , keine oder nur sehr s c h w a c h e Wit kung thun k o n n t e ; und überdiefs w a r ihre Vertraute, in eineni Winkel des S a h l s mit stiller Arbeit b e s c h ä f t i g t , immer bey uiksern Zusammenkünften gegenwärtig» Ihr T o n gegen mich w a r mehr gefällig als schmeichelhaft, und mehr aufmerksam als gefällig. E i n e Art von E h t f u r c h t , wie m a n in Gegenwart eines höhern Wesens fühlen w ü r d e , schien ihr von der feurigen L e i d e n s c h a f t , deren Gegenstand ich noch vor wenig Tagen gewesen w a r , nur ein s a u f t sich hingebendes unbegrenztes Vertrauen übrig gelassen z u haben. Wofern wirklich ein geheimer Anschlag unter diesem allen verborgen l a g , s o hätte sie allerdings kein zweckmäßigeres Mittel wählen können, meine Vorsicht unvermerkt einzuschläfern, und meinein Hei^t-n ganz leise immer näher zu kommen. Wir schienen beyde nichts davon g e w a h r zu w e r d e n ; aber schon nach dem fünften oder sechsten Besuch f a n d ich, dafs mir Chrysanthis immer liebenswürdiger v o r k a m , dai's ineine Besuche immer läu* ger d a u e r t e n , und dafs es mir einige Mühe kostete, mich wieder zu entfernen. Auch bemerkte ich e n d l i f h , dafs wir, ohne uns des
HO
A g a T II O U X M O .V.
w a r u m ? b e w u f s t zu seyn, nähet-als Anfangs zusammen rückten , und dal» ich einsinalils, da ich mit ziemlicher Wärine von dem Unterschiede der s i t t l i c h e n V e n u s u n d i h r e r G r a z i e n von den gemeinen V | o l k s i d o l e n dieses Nahmens sprach, unvermerkt eine ihrer Hände in der mehligen hielt« Nach dieser Entdeckung d ä a c h t e es mir hohe Z e i t , meinen Besuchen ein Ende 7.a machen, und diefs um so mehr, da ich mich, der schönen Chrysanthis zu Gefallen, bereits l ä n g e r , als es mein Reiseplan e r l a u b t e , zn Larissa aufgehalten hatte. W a s sollte ich länger da i Meiue Absicht w a r erreicht» Chry santhis schien von ihrer Leidenschaft geheilt und eine aufrichtige Verehrerin der h i m m l i s c h e n V e n u s geworden zu seyn. Ich k o n n t e sie also ruhig sich selbst überlassen, und kündigte ihr meinen Entschlufs beym nächsten Eebuc.ii nicht ohne einige Verlegenheit an« Sie nahm ihn mit ihrer gewohnten E h r f u r c h t u n d Ergebung auf, w i e w o h l ich merken k o n n t e , dal's sie etwas unterdrücke, was wider ihren Willen in ihrem ganzen Wesen sichtbar wurde. Sie sprach w ä r m e r als jeinalils von den Verbindlichkeiten, die ich ihr aufgelegt h ä t t e ; wie ganz sie sich als m e i n G e s c h ö p f b e t r a c h t e , u n d wie 6ehr
Z W E I T E S
B U C H .
in
sie meinen Verlust empfinden würde. Sie hielt wieder inne «— drückte mehr als Ein?» Seufzer zurück, w ä h r e n d die Hülle, die ihren schönen Busen fesselte, nach und nach immer loser w u r d e fing von neuem an mich zu versichern, dafs sie seihst die N o t w e n d i g k e i t misrer T r e n n u n g stärker als jemahls fühle — ergriff, während sie mir diefs versicherte, meine Hand, preiste sie an ihr hochschlagendes Herz, und brach in Thränen aus, die sie an dem meinigen zu veibergen suchte. Kurz, ohne recht zu wissen wie es zugfgangen war, fand sichs, dafs ich sie in meinen Artneu hatte, dafs ihre glühenden Lippen an den mei* nigen h i n g e n , und dals diese Scene keinen Augenblick länger dnueui duifte. Ich raffte mich zusammen, legte die halb ohnmächtige Schöne auf den Sofa, empfahl sie der Sorgfalt ihrer Sklavin, und entfernte mich so schnell als mir möglich war. Diesmahl bist du einer greisen Gefahr entgangen, 6agte ich zu mir selbst, als ich mich wieder iin Freyen befand. Ob Chrysanthis in allem diesem n u r die Ai t ihrer Zauber* kiinste verändert hatte, odi;r ob sie wirklich aufrichtig w a r , und n u r jetzt f bey dem Ge* danken der Trennung» einen unfrevwilligcn Rückfall e r l i t t , bisae ich tuifiitschiedcii.
A G A '1 Ii ü 1> Ä 31 O N.
112
Dainahlsfand meine Eigenliebe ihre Rechnung duhey, das l e t z t e r e z u g l a u b e n , u n d v i e l l e i c h t traf
sie
die Wahrheit.
I c h e n t f e r n t e inich
w i r k l i c h den folgenden Morgen aus Larissa, u n d es f ü g t e
sich,
dafs i c h
u D t e r w e g s mit
e i n e m in dieser S t a d t w o h n h a f t e n f e i n e n M a n u Bekanntschaft machte, dervOn einerGeschäftsr e i s e , die i h n e i n i g e Z e i t z u I i y z a n z a u f g e h a l ten
hatte,
zu
Pferde
nach
seiner H e i m a t h
zurückkehrtet liey der Unterredung, in welche w i r geriethen, während w i r unsre Thiere a u s r u h e n liefsen, e n t d e c k t e s i c h , dafs er der G e u i a h l der
schönen
Chrysanthis
war.
Ei
schien s e h r n a c h dein A u g e n b l i c k des W i e d e r s e h e n s z u v e r l a n g e n , u n d i c h b e n u t z t e diese G e l e g e n h e i t , um I h n , a u f eine A r t ,
wodurch
i h m die A u f f ü h r u n g s e i n e r G a t t i n n i c h t verdächtig werden konnte, zu überzeugen,
dafs
d i e V o r t h e i l e , die er v o n seinen h ä u f i g e n l l e U sen ziehe« n u r eine s c h w a c h e V e r g ü t u n g der h ä u s l i c h e n G l ü c k s e l i g k e i t s e y e n , die er i h n e n aufopfre.
M e i n e V o r s t e l l u n g e n schienen den
e r w a r t e t e n E i n d r u c k a u f den M a n n z u m a c h e n , denn
er s c h i e d
von mir
m i t dem
Vorsatz,
s o l c h e E i n r i c h t u n g e n in seinen G e s c h ä f t e n z n treffen,
d a f s er k ü n f t i g n u r s e l t e n u n d a u f
k u r z e Z e i t in den F a l l k o m m e n k ö n n e ,
sich
v o n seiner g e l i e b t e n C h r y s a n t h i s z u e n t f e r n e n , die
er
m i r als
die s c h ö n s t e , sanfteste und
'L w E r T E s
BUCH.
11 i
z ä r t l i c h s t e aller W e i b e r s c h i l d e r t e . W o f e r n er W o r t h i e l t , so zweifle ich n i c h t , dal's beide .«•ich bey meinem R a t h e w o h l b e f u n d e n » u n d C h r y s a n t h i s , o h n e die L e h r e n i h r e s M e n t o r s gänzlich z u v e r g e s s e n , ü b e r seinen Verlust sich b a l d u n d l e i c h t g e t r ö s t e t h a b e n w e r d e .
IX. Im V e r f o l g m e i n e r R ü c k r e i s e a u s Thessalien kam ich in eine G e g e n d , deren erster A n b l i c k dem Fleifs u n d der W i r t h s c h a f t ilirei A n b a u e r ein schlechtes Z e u g u i f s gab. A u f den F e l d e r n s t a n d das G e t r e i d e d ü n n , m a g e r u n d v o n U n k r a u t erstickt. Die W i e s e n , dem von b e n a c h b a r t e n Bergen a b f l i e f s e n d e n G e w ä s s e r i m F r ü h l i n g u n d Herbst u n b e s c h ü t z t preis g e g e b e n , u n d an vielen Stellen v o n v e r n a c h l ä s s i g t e n B r u n n a d e r n e r s ä u f t , b r a c h t e n nui saueres G r a s h e r v o r , u n d w a r e n z u m T h e i l in s u m p f i g e s M o h r a u s g e a r t e t , w o r i n einige m a g e r e Kühe einzeln h e r u m i r r t e n , u n d t r o t z i h r e s H u n g e r s das schlechte F u t t e r u n t e r i b r e n F ü f s e n v e r s c h m ä h t e n . Auf d e n kahlen Angern w e i d e t e n s c h m u t z i g e , von der R ä u d e angefressene Schafe. W o h n u n g , K l e i d u n g u n d Lebensa r t d e r L a n d l e u t e w a r e n , w i e es b e i m Anb l i c k der elenden Beschaffenheit i h r e r G r u u d WiEi.Asns särtmtl. W. XXXII. B, H
AGATlIODÄMOif. stücke zu erwarten w a r . Kurz, alles h a t t e ein höchst armseliges und trauriges Ansehen, welches desto mehr auffiel, da diese Flur von avveyen Seiten an Ländeteyen g r e n z t e , über welche der Uherflufs sein ganzes F ü l l h o r n ausgegossen zu haben schien, und wo das Auge nicht müde wurde, sich am Anblick der f r u c h t b a r s t e n und lachendsten A u e n , der schönsten Viehherden aller Arten , und einer Menge wohl genährter" eben so fröhlicher als emsiger Jünglinge und Mädchen, zu ergetzen, welche so eben mit Einsammlung der Reich» t h ü m e r beschäftigt w a r e n , w o m i t Ceres und P o m o n a diese reitzenden F l u r e n gesegnet hatten. Der auffallende Abstich so nah an einander grenzender Ländereyen war eine sehr einleuchtende Darstellung des Unterschieds der natür» liehen Folgen einer guten und schlechten Kult u r . Indessen wünschte ich doch die Ursachen zu erfahren, warum die Eigenthüiner der einen so w e i t h i n t e r den andern simick gehlieben w ä r e n , und erkundigte mich daiüber hey einem jungen Manne, der iin Begriff war, die karge Ausbeute eines steinichteii Ackers auf einem Karren nach Hause zu f u h r e n . I t h erhirlt zu meinem Erstaunen den-Bescheid: dafs ein verruchter Z a u b e r e r dei einzige Utheher des elenden Zustanden eey, w o r i n dte Bewohner
ZWEYTES
BUCH.
»15
dieser Gegend 6eit mehr als vierzig Jahrei. schmachteten. E r nennt sich P y t h o k l e s , sagte der junge Bauer; das groise Haus dort nuf der Anhöhet das dem Pallast eines Könige g l e i c h t , isf seine W o h n u n g , und die herrlichen F l u r e n , die sich an dem Uiigel hinauf ziehen, sind n u r ein kleiner Theil seiner He. Sitzungen. Es ist uns unmöglich vor einem so gefährlichen Nachbar aufzukommen. Nicht z u f r i e d e n , seine eignen Ländereyen durch seine Zauberkünste zu einem übernatürlichen E r t r a g zu bringen, bedient er sich ihrer aucli n o c h , sich des unsrigen zu bemächtigen. Denn er versetzt, mit H ü l f e der bösen Dämon e n , die ihm zu Gebote s t e h e n , unser Getreide alle J a h r e von unsern Feldern auf die seinigen; ja er weifs sogar die Milch unsrer K ü h e in die E u t e r der seinigen zu zaubern ; u n d w e n n er seine Markung umgeht, braucht er n u r einen Blick auf die unsrigen zu weifen, so ists als ob nichts gedeihen könne« was er angesehen hat. Ich ergrimmte in mir selbst, diese aruien Menschen durch einen so sinnlosen Aberglaub e n , der zuletzt doch w o h l die Hanptursache ihrer Trägheit w a r , so übel gemifshandelt zu sehen. Aber es w ä r e verlorne Mühe gewesen, Leute, die solchen Unsinn glauben konnten»
AGATIIODÄMON,
durch V e i n u n f t g v ü ' df! eines bessern b e l e h r e n zu wollen.
Ihr
guter
anderes Mittel ein
Genius
gab inir ein
E u e r Zustand ist traurig,
sagte i c h , aber euch kann geholfen werden. F ü h r e mich zu de« Altesten in deinem D o i f e . — Der Bauer sah niich init gTofsen Augen an, b e s a n a sieb eine W e i l e ,
und hiefs mich end-
lich m i t g e h e n , indem er ein mit zusammen geschrumpftem Leder übeizogenes Gerippe von einem P f e r d e , das seinen Kurren z o g ,
hinter
sich nachschleppte. Als w i r ankamen, versammelten sich die Alten
um
Bestätigung
uiich
her,
ihrer
und ich vernahm die
unglaublichen
aus ihrem eigenen Munde.
Meine
Dummheit Freunde,
sprach ich zu i h n e n , euer Zustand jammert mich.
Ich bin ein P r i e s t e r der heiligen K a -
biren
in
Samothrake.
Die
Götter
habei.
uns h o h e Geheimnisse anvertraut, u n d e s g i e b i keine Z a u b e r e y ,
die wir n i c h t durch ihren
Beystand vernichten könnten. Setzt Vertraue» a u f mich.
Ich
Axiochersos
will
das Orakel des grolse»
frugen,
w i e euch zu helfen
sey, und in weniger als zehen Tagen w i l l ich euch seine A n t w o r t bringen. Da i c h , unglücklicher W e i s e , kein W u n d e r bey der Hand h a t t e , um diesen eiuialti-
Z W E Y T E S
BUCH.
117
gen Leuten meine Sendung zu beweiseil, so w a r ich darauf gefal'st, dais ein solches Versprechen von einem Unbekannten keinen groisen Eindruck auf sie machen würde. Indessen schien ihnen doch mein Aul'seiliches und mein zuversichtlicher Ton Vertrauen einz u f l ö ß e n ; ich w i e d e i h ö h l t e meine Zusage, b e s t i e g , während sie leise mit einander sprachen, mein Pferd, und verschwand so schnell aus i h r e n A u g e n , dafs meine Erscheinung unter ihnen in ihrer Vorstellungsart etwas hinlänglich wunderbares haben m u f s t e , um sie, w ä h r e n d meiner A b w e s e n h e i t , init mir und meinem geglaubten oder bezweifelten Wiederkommen bey ihren Zusammenkünften zu beschäftigen. Inzwischen begab ich m i c h , durch einen W a l d von hohen N u ß b ä u m e n , der die angrenzende F l u r gegen Norden beschützte, zu dem Eigenthümer des schönen Landsitzes, u n d w u r d e gastfreundlich von ihm aufgenommen. Ich fand einen Mann von siebzig J a h r e n , der nicht viel über fünfzig zu haben schien , von sechs oder sieben Söhnen seiner Art und etlichen \vohlgebiIdeten Töchtern umgeben, deren b r a u m ö t h l i c h e Sonnenfarbe mir bewies, dafs die Schonung einer zarten Haut sie nicht.-abhielt, bey allen ländlichen Arbeiten, dieihrem Geschlecht« z i e m e n , Hand anzulegen. Die
A
G A T II 0 D
XM
0 N.
weitläufigen Gebäude, die b e y n a h e die ganze obere F l ä c h e des Hügels bedeckten, w i m m e l et), w i e lUenenköthe im F r ü h l i n g , von
be-
-chäftigten Menschen, a u f deren Angesichtern Zufriedenheit m i t ihrem Zustand glänzte. D e r Hausherr f ü h r t e m i c h , a u f mein Ansuchen, i u ¡illenZnbehören s e i n e r L a n d w i r t h s c h a f t h e r u m , und i c h konnte die R e i n l i c h k e i t , Zweckmässigkeit
und Harmonie,
Ordnung, die ü b e r a l l
in die Augen fielen und alle T h e i l e zu einem vollständigen Ganzen verbanden, n i c h t genug bewundern.
Ich
sprach von der S c h ö n h e i t
und dem vortrefflichen Anbau seiner G ü t e r , so viel i c h im V o r b e y g e h e n davon h a t t e , und ihn
zu
einein
Thessalien eine
er gestand m i r ,
gesehen
dafs i h r E r t r a g
der r e i c h s t e n L a n d w i i t h e in
mache,
und in den Stand setze,
f.ehr g r o l l e Anzahl meistens in seinem
Hause geborner Dienstiente so zu halten, dal's sie ihre
Lage um keine andere in der W e l t
vertauschen w ü r d e n , Ich e r w ä h n t e b e y dieser Gelegenheit des armseligen Zustandes des benachbarten Dorfes. Die S c h u l d liegt an ihnen selbst, sagte I ' y t h o k l e s ; sie wollen es n i c h t besser h a b e n , oder wollen wenigstens die Mittel nicht, w o durch ihrem E l e n d abgeholfen werden könnte. E i n grofser T h e i l des G u t e s , dessen Eigen-
Z W E T T I S
B r c
n.
ii9
t h ü m e r ich b i n , w a r vor f ü n f z i g J a h r e n in keinem bessern S t a n d e als die Grundstücke meiner Nachbarn. Alles, w a s du hier ziehest, ist, nächst dem Segen der Götter, die F r u c h t eines unverdrossenen Fleil'ses, einer scharfen A u f m e r k s a m k e i t auf den Gang und die W i n k e der N a t u r , einer d u r c h V e r s u c h e und Fehler nicht w o h l f e i l e r k a u f t e n langen E r f a h r u n g , einer g u t e n E i u t h e i l u n g der A i b e i t e n , und genauen Berechnung der Mittel und Zwecke, V o i t h e i l e und Nachtheile, — k u r z , einer in allen ihren Theilen k l u g und emsig betriebenen Ökonomie. Die N a t u r h a t m i r ein neidloses H e r z g e g e b e n ; ich w ü r d e mich gefreuet h a b e n , w e n n mein W o h l s t a n d auch meinen Nachbarn nützlich g e w o r d e n wäre. Aber die Thoren halfen mich f ü r einen Z a u b e r e i ; sie lassen sich's nicht ausreden, dafs meine Kornböden n u r d a r u m so voll sind, w e i l ich i h r Getreide auf meine Felder z a u b e r e ; und so kann ihnen w e d e r mein Beyspiel noch mein Unterricht nützlich s e y n . — Einem so edeln M a n n e w i e du, versetzte ich, w ü r d e es g e w i f s F r e u d e machen, diese U n g l ü c k l i c h e n von ihrem W a h n geheilt zu sehen. Ich bin auf einen E i n f a l l gekommen, der mir vielleicht g e l i n g t ; w e n i g s t e n s ist es des Versuches w e r t h , ob sich der Aberglaube dieser Leute, der ihnen b i s h e r so schädlich g e w e s e n ist, nicht zu ihrem
ILIO
AGATIIODÄMON.
Vortheil benutzen lasse. Pythokles lobte mein Voihubeu, ohne einige Neugier zu zeigen, durch was für Mittel ich es zu bewerkstelligen gedächte, und wir kamen bald auf andere Gegenstände. Es war so viel merkwürdiges in diesem Hause zu s e h e n , und so viel von seinem Besitzer zu l e r n e n , die ganze Familie war ein so guter Schlag Menschen, und man setzte mir auf eine so freundliche Art z u ,* einige ö Tage bey ihnen zu verweilen, dal's ich nicht daran denken konnte, ihnen etwas abzuschlagen , wozu ich selbst so geneigt war. Nach acht T a g e n , die mir unter diesen Glücklichen, im schönsten Geuuls der Natui, so schnell wie ein einzelner Tag entschlüpften, erinnerte ich mich, dafs es Ze.it sey, ineine Zusage gegen die Thalbewohner zu erfüllen. Meine Einweihung in den S;;mothrakischeu Mysterien gab mir die Rechte eines Piiesteis der Kabiren. Ich erschien also unter ihnen mit der priesterlichen Binde um die Stiinr, und sie empfingen mich wie einen Gott. Ich habe, sprach ich zu ihnen von einer erhöhten Stelle, in einem T o n e , der zugleich Vertrauen einflöl'sle und Ehifnrcht g f b o t , ich bah das Orakel für euch grfra t zu \Voit dem , was ich euch iin Nahmen der gioisen G ö t t e r b e f e h l e ! E u e r Wiesengrund wird von Wyinfen b e w o h n t , •welch"«
ihr versäumt habt die
E h r e zu erweisen.
gebührende
Z u r Strafe dieser Vernach-
lässigung haben sie ihn in einen S u m p f ver'Wandelt,
worin
euer
Vieh
ungesunde Nahrung findet.
nur
k a i g e und
Um den Zorn der
Nyinfeu zu besänftigen, befiehlt euch das Orakel, die sumpfigen Stellen auszutrocknen, das ganze T h a l durch tiefe G i ä h e n und ei h ö h t e Dämme
vor
au s c h ü t z e n , fassen,
und
künftigen
Überschwemmungen
die B r u n n q u e l l e n hingegen zu in kleinen Kanälen durch eure
F l u r e n hin und her zu leiten.
Mit den S t e i -
n e n , wovon ihr euere Acker gereiniget h a b t , sollt
i h r die t i e f t e n Stellen euerer S ü m p f e
ausfüllen, nachdem i h r aus den gröfsten dieser S t e i n e d e n N y m f e n eine kleine Kapelle e r b a u t , und den ganzen Anger um sie her mit einem H 'in 1 von fi achtbaren liäomen bepflanzt habt, deren Erstlinge i b r alle J i h r e ,
testlich ver-
sammelt, den freundlichen Nymfen opfern wer-
ZWEYII'.S
12,'»
BUCH.
det. Endlich soll ich euch aus dein Munde des Orakels, sagen, dal's euer A r g w o h n dem reichen Pyt.hokles Unrecht thut.
Die G ö t t e r haben
sein Herz z u euch g e n e i g t ; und er w i r d euch, wenn
ihr
ihm
einen
bessern
AVillen zeigt,
mit R a t h und Tliat z u Hülfe kommen.
Dtuin
n i c h t böse Zauberkünste, sondern der Segen der G ö t t e r u n d sein von K l u g h e i t geleiteter Fleifs
sind
die Q u e l l e n
seines Beichth'ums,
u n d w e n n ihr seinem Beyspiel f o l g e t , det ihr
ihm
auch
an
Wohlstand
wer-
ähnlich
werden. D i e Bauern h o r c h t e n meinem Orakel mit starrer A u f m e r k s a m k e i t z u , w i e w o h l leicht z u sehen w a r , dafs sie ein w e n i g e r mühsames M i t t e l e r w a r t e t hatten, und über den Schlufs meiner Rede s t u t z i g w u r d e n . I c h fand aber n i c h t f ü r gut, das E n d e des leisen Gemurmels, das j e t z t unter ihnen begann, a b z u w a r t e n . Ich übergab ihrem Altesten eine A b s c h r i f t des O r a k e l s , ermahnte sie nochtnahls den Befehlen der grofsen G ö t t e r z u gehorchen, s c h w a n g mich, nachdem ich eine Hand r o l l Drachmen unter ihre zerlumpten Kinder g e w o i f e n hatte, w i e d e r auf mein Rofs, und v e r s c h w a n d ebeu so schnell als ich gekommen w a r , ohne mich um den E r f o l g dieses A b e n t e u e r s w e i t e r zu bpknmmern.
124
A G A T H O D i M O N.
Ungefähr vor zehen J a h r e n , da ich a u s Italien durch Epirus und Thessalien zurück reiste, erinnerte ich mich dieser alten Begebenheit wieder, und liel's mich von der Neug i e r , zu teilen wa>> sie f ü r Folgen gehabt hätte, zu einem Umweg in die Gegend, wo die Scene deiselben ln i a bist, die ihreReitze z w a n z i g Jahre l a n g in den Hauptstädten Asiens öffentlich feil t r u g , und dafs die Reichthümer, die du h i e r z u r S c h a u ausstellst, die Beute von einigen h u n d e r t U n g l ü c k l i c h e n sind, die du mit einer deines N a h m e n s w ü r d i g e n R a u b g i e r a u f g e z e h r t hast. — J e t z t merkte L a m i a , dafs äufserste Unverschämtheit das einzige sey, w o d u r c h sie sich in diesem gefährlichen A u g e n b l i c k retten könne. Sie w a n d t e sich mit e r z w u n g e n e m Lachen z u den Eingeladenen : Der H e r r scheint ein F i l o s o f — oder w a h n s i n n i g z u seyn, w e n n er nicht beides zugleich ist; in jedem Fall ist er ein eben so lästiger als ungebetener Gast. W i e w e u n w i r ihn ersuchten, sich unverzüglich w i e d e r zu entfernen, und unsre F r e u d e nicht länger d u r c h seine böse L a u n e z u v e r g i f t e n ? — Die G ä s t e W I E L A N D S sämmtl. "W. XXXII. B. L
i*nwand hinzog, brachte uns durch eine unini rklicbe Krümmung bis zur Hinter, seite seiner Wohnung, welche hier eine auf
Fünftes
BÜCH.
247
Dorischen Säulen rahende hohe Vorhalle bildete. Sie war zur Rechten und Linken von blühenden Gebüschen umgeben, und mit bequemen Sitzen versehen, von welchen man, durch eine allmählich sich erweiternde Öffnung in der Felsenwand, eine entzückende Aussicht über die See hatte, die das Vorgeb i r g e , die W i d d e r s t i r n e genannt, anspült. Hier nahmen w i r P l a t z , und mein ehrwürdiger W i r t h liefs mir Z e i t , mich an der hohen Schönheit dieser überraschenden Scene zuergetzen. Eine Weile darauf kam auch die kleine Nymfe aus einer verborgenen T h ü r mit ihrem Frühstück hervor, und bediente uns w i e gestern; und nachdem sie wieder verschwunden w a r , fuhr Apotlonius in seinem Diskurse folgender Maisen fort.
IV. „ W e r sich irgend einen besondern Zweck im Leben zu erreichen vorgesetzt h a t , dem darf es nicht genug seyn, war' er auch der weiseste und beste aller Menschen, immer blols seinem Karakter und Herzen getnäi's zu handeln. Sein besonderer Zweck legt ihm, in Rücksicht auf die Menschen, mit denen er es zu thun h a t , eine Rolle a u f , die in ihrer
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A C A I I I O D A
MO
K.
eigenen Weise gespielt 6eyn will, und die, auch mit den gröfsten Naturgaben und Anlagen , o l i n e K u n s t nicht gut gespielt werden kann. Er hat Schwierigkeiten zu überwinden oder ihnen auszuweichen, Gelegenheiten zu erhaschen, Umstände zu benutzen. Die Meinungen, Leidenschaften und Zwecke der andern Menschen, die seinen Weg beständig durchkreuzen, erlauben ihm beynahe nie, in der geradesten Richtung fortzuschreiten, sondern »öthigen ihn, gern oder ungern, zu Umwegen, die aber eben darum, weil 6ie sicher zum Zweck f ü h r e n , der kürzeste Weg sind. In allem diesem nie z u v i e l noch z u w e n i g zu thun, und (wie ein Morgenländischer Weiser sagte) immer die glatte Geschmeidigkeit der Schlange mit der harmlosen Einfalt der Taube, zu verbinden, ist d i e g r o f s e K u n s t d e s L e b e n s , und vielleicht unter allen Künsten diejenige, w o r i n , wer nach Vollkommenheit strebt, sich selbst am wenigsten genug thun kann. „Sobald es bey mir festgesetzt w a r , was für eine Person auf dem Weltschauplatz vorzustellen 6ich für mich am besten schicke, war der erste Gegenstand meiner Überlegung, welche besondere Art von Spiel diese Holle erfordere. Die Resultate dieser Berathschla*
F Ü N F T E S
BUCH.
gung mit mir selbst sind der Schlüssel zudem, was ich d a s G e h e i m n i f s m e i n e r P e r s o n nennen kann. Ich trage kein Bedenken, Hegesias, dir dieses Geheimnifs aufzuschliefsen, theils weil meine Rolle ausgespielt ist, theils weil es nun gewisser Mafsen eine Last fjir mich selbst i6t, von welcher ich mich zu erleichtern wünsche, indem ich es in die Seele eines verständigen und guten Manne» uiederlege. „Uberhaupt schien es mir zu meinem Zweck nothwendig, eine Art von h e i l i g e m D u n k e l um meine Person und die Klasse von Wesen, zu welcher ich gehörte, zu verbreiten. Glücklicher Weise trafen eine Menge zufälliger Umstände bey mir zusammen, welche diese Wirkung gröfsten Theils von selbst hervoibrachteo. Es wäre überflüssig hierüber ins besondere zu gehen; genug, dafs, indem ich die Rolle eines ungewöhnlichen Menschen spielte, ich im Grunde nichts vorstellte, als was ich wirklich war. Mit der Zeit we.rd es auch bey andern als den Kirten auf dem weifsen Gebirge zweifelhaft, ob ich nicht etwas mehr als ein Sterblicher sey. Die wärmsten Liebhaber des Wunderbaren erklärten mich geradezu für einen Mensch gewordenen D ä m o n ; andere glaubten, O r f e u s ,
05«
A G A T H O D -X M 0
St
der Stifter der ältesten Mysterien, andere, der Kretische P r o f e t E p i i n e n i d e s , nach andere, der g ö t t l i c h e P y t h a g o r a s sey in mir zurück gekommen; die letztern meinten in dt;r sonderbaren Ähnlichkeit, die man zwischen mir und den Bildnissen dieses Weisen sehen wollte, einen triumfierenden Beweis für ihre Meinung zu Anden. Damis glaubt mich sogar zu ehren, da er mich zum P r o t e u s macht, und beruft 6ich auf einen T r a u m , worin dieser Ägyptische Gott in Person meiner Mutter angekündigt h a b e , dafs er sich von ihr gebären lassen werde. Viele, die 6ich zu weise dünkt e n , um einer von diesen Hypothesen beyzutreten , hielten wenigstens für etwas ausgemachtes, dafs ich, es 6ey nun durch unmittelbare Erleuchtung oder auf natürlichen Wegen, zum vollständigen Besitz aller geheimen Wissenschaft der Z o r o a s t e r , H e r m e s und O r f e u s gelangt, und nichts Vergangenes, Gegenwärtiges noch Zukünftiges vor mir verborgen s e y , noch andere, dal's i c h , kraft meiner Einweihung in den Mysterien der theurgischen Magie, in unmittelbarer Gemeinschaft mit den Göttern stehe, Macht über die bösen, Geister h a b e , und Dinge thun könne, die über die Kräfte aller Sterblichen gingen. Zwey oder drey Begebenheiten, die den Schein hatten, als ob sie in diese Klasse gehörten, waren
F Ü K F T E S
BÜCH.
mehr als hinreichend, hundert andere, zum Theil ganz ungereimte Wunder zu. beglaubig e n , die auf meine Rechnung herum getragen wurden. „ E s bedarf, denkeich, keiner ausdrücklichen V e r w a h r u n g b e y d i r , dafs ich an diesen, ungereimten Meinungen und Gerüchten g e r a d e z u keinen andern Antheil h a t t e , als dafs ich sie d u r c h m e i n B e n e h m e n überhaupt eher zu bekräftigen als zu vernichten schien. Es w a r in meinem P l a n , über alles * w a s meine Person b e t r a f , ein g e h e i i n n i f s v o l l e s S c h w e i g e n zu beobachten, oder doch die schüchternen, durch behutsame Umwege sich annähernden Fragen der Vorwitzigen so räthselhaft zu beantworten, dafis e6 nur an den Fragenden l a g , in ihren Vorurtheilen bestärkt zu werden. Von den Göttern sprach ich immer m i t hoher E h r f u r c h t , aber w i e ein vertrauter Diener v o n seinem Herren spricht: iin Ton eines Menschen, der,sie in der Nähe s i e h t , der sich bewufst ist etwas bey ihnen zu vermögen, dem es zukommt in ihrem Nahmen zu sprechen, und der sich darauf Verlassen kann, dafs sie ihn nie beschämen noch fallen lassen werden. Ich gab bey Gelegenheit zu verstehen, ( w a s denn auch die reine Wahrheit w a r ) dafs ich in den ältesten
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A G A T II O D Ä M O V.
und geheimnisreichsten Mysterien eingeweiht s e y ; und so oft sich ein Anlafs zeigte, es sey nun durch unbekannte fysische Mittel, oder durch 6tarke Einwirkung auf die Nerven und die exaltierte Einbildungskraft hypochondrischer und hysterischer Personen, W u n d e r z u t h u n , so blieb sie sicher nicht unbenutzt. „ U n t e r vernünftigem Menschen, als der gröfsteTheil meiner Zeitgenossen w a r , würde ein Mann, der etwas besseres als einen landfahrenden Isispriester hätte vorstellen wollen, sich durch alles diefs verächtlich und lächerlich gemacht haben; aber bey den Leuten, mit denen ichs zu thun h a t t e , wagte ich nichts. A u f die untern Volksklassen wird, ohne ähnliche Behelfe und Täuschungen, kein W e i s e r , der 6ich die Heilung der moralischen Gebrechen der Menschheit zum Ziel gesetzt h a t , in unsern Tagefk den geringsten Eindruck machen. Er kann ihre Aufmerksamkeit nur durch ungewöhnliche Dinge erregen; er müfs ihre Sinne erschüttern, ihre Seelen in Erstaunen setzen, und nur die Meinung, dafs er ein Wesen aus einer höhern Ordnung sey, kann ihm in ihren Augen-das Recht geben, den Sterblichen den Willen der Gottheit anzukündigen. Je verworrener und dunkler die
F Ü N F T E S
BUCH.
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Vorstellung i s t , die sie sich von ihm machen, je Ungewisser seine eigentliche Natur und die Grenzen «einer Macht in ihrer E i n b i l d u n g s i n d , desto mehr G l a u b e n , Z u t r a u e n , Lenk» samkeit und Gehorsam kann er sich von ihpen versprechen. W a s die gebildetem Klassen betrifft, so möchten z w a r die meisten, die sich darunter r e c h n e n , dafür angesehen s e y n , als ob sie in allen solchen Dingen w e i t über d i e blödsinnige S c h w ä c h e des gemeinen Mannes h i n w e g w ä r e n : aber in der T h a t r u h t ihr Unglaube auf keinem festern G r u n d e , als der Aberglaube des P ö b e l s ; und es verhält sich mit ihrer affektierten Freygeisterey überhaupt w i e m i t ihrer vorgeblichen V e r a c h t u n g der Gespenster - und Geistergeschichten , die in allen Ländern beym Volk in so grofsem A n sehen stehen. W e r sich überzeugen w i l l , w i e -wenig sie in diesem Punkte vor Kindern und Kinderwärterinnen voraus h a b e n , darf nur eine solche G e s c h i c h t e , w e n n sie auch noch so unglaublich w ä r e , als Augenzeuge mit lebhafter mimischer Darstellung und anscheinender Selbstüberzeugung in einer, grofsen Gesellschaft erzählen, Und er w i r d die Unwahrheit der V e r s i c h e r u n g , dafs man kein W o r t davon g l a u b e , in den meisten Gesichtern deutlich lesen können. Der Gedauke, es könnte doch vielleicht w a h r seyn, dringt sich ihnen wider
AG
A T U O D Ä M Ö N.
ihren Willen a u f , und w i r d sogar durch einen leisen instinktartigen W u n s c h , dafs es w a h r seyn m ö c h t e , unterstützt. Man wird daher immer finden, dafs ein M a n n , der in dem Rufe s t e h t , dafs er in den Mysterien der hohen Magie eingeweiht sey und aufserordent* liehe Dinge vermöge, w o f e r n er nur durch nicht gemeine persönliche Eigenschaften, durch eine grofse Geistesgegenwart, a n d ein sich selbst immer gleiches festes Betragen, seinen Ruf zu behaupten w e i f s , den Grofsen und den Weltleuten ü b e r h a u p t imponiert, und sogar diejenigen, die ihn f ü r einen bloIsen Gaukler h a l t e n , in Verlegenheit setzen, und in i h r e r Meinung von seiner Person schwankend machen kann. „Ich habe diefs im Lauf meines Lebens ö f t e r s , und besonders auf eine sehr einleuchtende Weise bey meinem letzten Aufenthalt zu Rom e r f a h r e n , da i f l i c h D o m i z i a n gefangen setzen liefs, um mir wegen eines dreyfachen Verbrechens, der Filosofie, der Magie, u n d der Theilnahme an einer Verschwörung gegen seine P e r s o n , den Prozef» zu machen. Die W i r k u n g , die der Anblick eines Greises von neunzig J a h r e n , wie er vermuthlich n o c h keinen gesehen h a t t e , beym ersten Verhör auf den eben so schwachherzigen als ü b e r m ü t h i -
F Ü N F T E S
BUCH.
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gen Tyrannen machte, wurde von allen Anwesenden bemerkt. Er schien seine Verlegenheit durch eine herrische Miene und den rauhen Ton., womit er mich a n f u h r , verber* gen, und mich Selbst dadurch aus meiner Fassung bringen zu wollen. Wer bist du ? donrierte er mich, gegen seine Gewohnheit, an. „ Apollonius von Tyana."— Warum erscheinst du in dieser ungewöhnlichen Kleidung vor m i r ? — „Ich trage seit siebzig Jahren keine andere."— Er schwieg einen Augenblick, als ob er sich besinnen wolle. Du bist schwerer Verbrechen wegen angeklagt, fuhr er f o r t . — „ V o n dem gerechten Richter, den ich zu erwarten befugt b i n , habe ich nichts zu befahren, und einen ungerechten fürchte ich n i c h t . " — Die Ruhe, womit ich diefs sagte, vtarf i h n , wie es 6chien, in eine neue Ungewifsheit, was er aus mir machen und wie er mich behandeln sollte. Er wandte 6ich von mir weg, sprach einige leise Worte zu dem Befehlshaber seiner Leibwache, der etliche Schritte hinter ihm stand, drehte sich dann wieder um, und sagte mir in einem etwas mildern Tone, dafs er meine Sache nächstens selbst untersuchen wollte. Er begleitete die^ sen Bescheid mit einem Blick, der mir die ganze Majestät des Herren der Welt in die Augen blitzen sollte: aber ich liefs ihn ander
A
G A T I I O D Ä M O K»
unerschütterlichen und von angeborner Unerschrockenheit unterstützten Gleichmüthigkeit abprallen , die mir durch die Länge der Zeit so natürlich geworden ist, dafs ich mir beynahe zutrauen darf, sie nicht zu verlieren, wenn die Welt über inir zusammen stürzte. Der furchtbare Autokrator-Blick fiel wie ein stumpfer Pfeil vor mir nieder; Domizian kehrte mir schnell den Rücken zu, und ich wurde sogleich wieder ins Gefängnifs abgeführt. Iin Wegsehen hörte ich ihn zum Obersten seiner Leibwache sagen: Wenn d er kein eingefleischter Dämon ist, so hat es nie einen gegeben. Einer meiner heimlichen Freunde, der bey diesem Verhör zngegen w a r , sagte mir in der Folge: der Kaiser, den seine ungeheuern Ausschweifungen schon im vierzigsten Jahre sehr herab gebracht, habe nichts so unbegreiflich gefunden , als wie ein Mann mit silbergrauem Bart und Haar noch ein so kräftiges Ansehen und einen so festen Ton der Stimme haben könne. Der I'räfekt, der mich vor mehrern Jahren in Ägypten kennen gelernt hatte und mir nicht übel wollte, habe ihm zu verstehen gegeben, er halte mich für einen grofsen Magus. Das wollen wir sehen, habe der Kaiser gesagt. Ob er sich vielleicht einbilden mochte, dafs die Kraft meiner Zauberey in meinen Haaren stecke, weifs ich nicht: aber
F Ü N F T E S
Bucit.
25?
bald nachdem ich in mein Gefängnifs gebracht worden w a r , trat einer von den Sklaven des Pallasts herein, und kündigte mir mit zitternder Stimme a n , er habe Befehl vom Kaiser, mir Haare und Bart abzuscheren. Ich sah dem Menschen scharf ins Gesicht und schwieg. Da er sich aber zusammen raffte, und Hand ans W e r k legen zu wollen schien, trat ich auf ihn z u , und sagte mit einer Stimme« die ihn beyuahe zu Boden warf: Zittre Mensch! Diese Haare sind dem Pythiscben Apollo, und dieser Bart dem Askulapius heilig! Wag' es nicht mir einen Schritt näher zu kommen, oder du bist auf der Stelle des Todes! — Der arme W i c h t , dem sein Leben lieb w a r , liefs die Werkzeuge der Operazion vor Schrecken fallen; lief davon, und machte dem Officier, von dem er den Befehl des Kaisers erhalten h a t t e , eine so grausenhafte Beschreibung von den Blitzen, die aus den Augen des Zauberers heraus gefahren, da er 6ich seines Auftrags habe eiledigen wollen, dafs man, wie der Erfolg zeigte, für das rathsaimte hielt, die Sache aufzugeben. —- Ich habe mich bei diesem Beyspiele der W i r k u n g , welche der allgemein verbreitete Wahnbegriff von meiner Stärke in der Magie, durch einige äufserliche Vorzüge unterstützt, nicht nur auf den Pöbel, sondern sogar auf Personen vom WJEIAMDS sämmtl. W. XXXII. B. R.
25»
A G A T I I O D Ä M O W .
ersten Rang und auf den Autokrator selbst machte, länger verweilt, weil es zugleich zu einer Probe dienen kann, welche Vortheile ich dadurch erhielt, dals ich diesen Wahn durch die Ar,t meines Benehmens vielmehr unterhielt als zerstörte. „Da es zu meinem Zweck dienlicb war, mich von den andern Filosofen, welche die Absicht, das Reich der Weisheit und Tugend unter den Menschen zu fördern, und sich selbst als Vorbilder darzustellen, mit mir gemein zu haben vorgaben, auf alle mögliche Weise zu unterscheiden, so mufste diefs vornehmlich in solchen Dingen geschehen, die dem Volk am stärksten in die Augen fallen. Diesem Grundsatze zu Folge zeichnete ich mich in K o s t ü m und D i ä t von allen andern Römern und Griechen aus. Nichts Animalisches durfte meinen Leib berühren, noch zu meinem Mund eingehen. Ich kleidete mich, nach der Weise der Ägyptischen Priester, in eitlen langen faltenreichen Leibrock von Byssus, und beobachtete die Py thagorische Lebensordnung mit der pünktlichsten Genauigkeit. Es fiel Anfangs a u f ; aber man gewöhnte sich nach und nach, zu glauben, es müsse so seyn; und als, nach einer Reihe von Jahren, mein Huf allenthalben vor mir her ging, so war
F Ü W F T E S
B U C H .
25P
man auch da, wo Ich zum ersten Mahle gesehen wurde, darauf gefafst, ein Wesen zu sehen, das in allein anders wäre als die gewöhnlichen Menschen. Man fand es ganz natürlich, dafc der M a n n , der mit den Göttern in unmittelbarer Gemeinschaft stand, und ihren alten reinen Dienst wieder herzustellen gesandt war, seine Wohnung in Tempeln aufschlug; und da man nichts geringeres als einen Profeten, Wunderthäter und Alleswisser erwartete, so wurde auch alles, was ich vom Vergangenen und Gegenwärtigen sagte, als unfehlbare W a h r h e i t , alles, was ich vom Künftigen verinuthete, als Weissagung, und beynahe alles, was ich that, als etwas Außerordentliches aufgenommen. In allein diesem kommen die Menschen mit ihrer angestammten Leichtgläubigkeit und kindischen Liebe zum Wunderbaren demjenigen, der sich einmahl in den R u f eines T h a u i n a t u r g e n gesetzt h a t , so gutwillig und voreilig entgegen , dafs es zuletzt gar keiner Kunstgriffe mehr bedarf, und dafs nichts leichter ist, als s i e , sogar gegen das Zeugnifs ihrer eignen Sinne, glauben zu machen, sie hätten gesehen was sie n i c h t sahen, und gehört was sie n i c h t hörten. So erinnere ich mich, dafs sich einst ein Gerücht, dafs ich einem Stockblinden durch blofses Anrühren seiner Augen
A G A T H O D Ä M O N .
das G e s i c h t w i e d e r gegeben haben sollte, d u r c h eine ganze P r o v i n z in K l e i n - A s i e n verbreitete und v o n einer Menge vorgeblicher A u g e n z e u * gen b e k r ä f t i g e t w u r d e ; W u n d e r in einer sehr
wiewohl
das g a n z e
einfachen
Ojierazion
b e s t a n d , die ich in meiner Jugend von einem A u g e n a r z t gelernt hatte, der sich das Geheimnifs theuer g e n u g von m i r bezahlen liefs. „ E i n e v o n den M a x i m e n , die m i r z u meinem Unternehmen am meisten z u S t a t t e n kamen, w a r , mich w o h l z u h ü t e n , den Mens c h e n , u n t e r w e l c h e n i c h l e b t e , ein a l l t ä g l i c h e r A n b l i c k z u w e r d e n ; oder i r g e n d eines meiner T a l e n t e b l o f s z u i h r e m V e r g n ü g e n a n z u w e n d e n . Das A a f s e r o r d e n t l i c h e w i r d a l l t ä g l i c h , sobald es o f t gesehen w i r d . Ich zeigte mich sehr selten öffentlich'; anf den Versainnilungsplätzen, w o s i c h , nach Griechischer Sitte, die B e w o h n e r eines Ortes und die Fremden e i n z u f i n d e n , u n d die Z e i t m i t G e sprächen oder a u f andere A r t z u vertreiben pflegen, w u r d e i c h gar nie g e s e h e n ; und Wenn i c h , b e y einer besonderen G e l e g e n h e i t , w i e x. B. als ich die Efeser yon der P e s t b e f r e y t e , z u m V o l k e sprach, liefs ich mich die E i t e l k e i t ja nicht v e r f ü h r e n , nach A r t der R h c t o r n u n d F i l o s o f e n v o n Profession, d u r c h das Bestreben s c h ö n z u reden, um den B e y f a l l meiner ZuhÖ-
Fünftes
Buch.
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rer zu buhlen, und ihre Ohren mit zierlich gedrehten wohl klingenden Perioden zu kitzeln : sondern ich sprach in kurzen Sätzen, stark und geradezu, kein Wort mehr als was die Sache erforderte, und mehr im Ton eines Gesetzgebers, der befiehlt was man thun oder lassen solle, als eines Solisten, der den Zauber der Überreduiigskraft zu Hülfe nehmen iduCs, um die Gemüther in seine Gewalt zu bekommen. Du begreifst, Hegesias, dafs diefs die einzige Art zum Volke zu reden w a r , die sich für den Karakter, den ich zu behaupten hatte, schickte. Auch verfehlte sie ihre Wirkung selten oder nie; und ich könnte verschiedeneBeyspiele anführen, dal'* ich einen Tumult, oder einen Streithandel, der schon in Thätlichkeiten auszubrechen anfing, mit wenig Worten, ja durch meine blofse Dazwischenkunft, beruhigte." Indem ApoIIonius hier wieder eine JPaijse machte, fand ich mich in einer kleinen Verlegenheit, wie ick ihm ein gewisses Gefühl in meinem Innersten verbergen wollte, das sich schlechterdings weigerte, der zweydeatigen Rolle, die er in dem angenommenen Karakter eines T h e u r g e n gespielt hatte, vollen Beyfall zu geben. Nach 6iner kurzen Besinnung glaubte ich mich am besten aus der Sache za
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AGATHODÄMON.
ziehen, w e n n ich ihn mit guter Art aufforderte, sich über diesen P u n k t selbst näher zu erklären; — eine Sorge, die ich mir h ä t t e ersparen k ö n n e n , wenn ich bedacht h ä t t e , dal's er meine Gedanken in diesem Augenblick so g u t e r r i e t h , als ob mein Inneres wie ein aufgeschlagenes Buch vor ihm läge. Ich sagte ihm also: In allem dem, was er mir bisher von dem außerordentlichen Karakter, den er in einem so langen Leben behauptet h a b e , entdecken w o l l e n , fände ich zwey m o r a l i s c h e W u n d e r ohne Vergleichung wundei barer als alle andere, die ihm die öffentliche M e i n u n g zuschreibe. Es scheine mir nehmlich ein wahres W u n d e r der K l u g h e i t zu 6eyn, wie er während des grofseu Zeitraums bis zu d e m , was ihm mit dem Kaiser Doinizian begegnet sey, hube vermeiden könn e n , weder mit den Priestern , noch mit der Römischen Obrigkeit, noch mit den Filosofen von Piofession, in verdriefsliche Lagen zu ger a t h e n ; aber ein noch viel gröfseres W u n d e r der W e i s h e i t sey in meinen A u g e n , wie er so viel Mäfsigung und Gewalt über sich selbst habe besitzen k ö n n e n , sich der kaum zu berechnenden M a c h t , die ihm sein aufserordentlichen Ausehen und ein allep seinen Zeitgenossen so 6ehr überlegener Genius in die
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Hände gegeben, nicht zu einer grofsen Revoluzion iin Staate zu gebrauchen, da er doch durch die unleidliche Tyi anney der Ungeheuer, die nach Augustus die Herrschaft über die W e l t usurpierten , so mächtig dazu aufgefordert worden sey. Apollonias erwiederte mit einem Blick, der mir sagte, dafs er mich errathen habe: „ W a s den ersten Punkt betrifft, so trafen, aufser dem,, was ich dir vorhin von dem nervenlosen, abgestumpften und fanatischen Kärakter meiner Zeitgenossen sagte, mehrere Umstände zusammen, die das, was dir so wunderbar scheint, sehr natürlich machten. Der Verfall des alten Gottesdienstes und der Religion überhaupt hatte auch der P r i e s t e r s c h a f t einen Stöfs gegeben, wovon sie sich, ohne den Beystand der theurgischen Magie, schwerlich wieder erhohlen konnte. Wie eifersüchtig auch manche aus ihnen auf den Mann seyn mochten, der, ohne selbst Priester zu seyn, sich mit dein R u f eines neuen Orfeus und Eumolpus zum Wiederhersteller der alten Religion und ihrer echten Ceremonien und Mysterien aufwarf, so forderte doch ihr eigenes Interesse, seine Sache als die ihrige anzusehen, folglich seinen Kredit beyrn Volke vielmehr zu unterhalten als zu schu chen;
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und wiewohl es in der Folge an Zunder u n d Materie zu Mifshelligkeiten zwischen uiis nicht fehlte, so w a r hingegen auch mein Ansehen daraabls schon zu sehr befestigt, alsdals ihre heimlichen Ränke oder öffentlichen Anfälle mir oder meinen Anhängern einen bedeutenden Schaden h ä t t e n thun können. — Wae die Komischen S t a a t s b e a m t e n betrifft, diese affektierten (wie gesagt) entweder gar nichts zu g l a u b e n , oder glaubten Alles, oder waren (was mir jedoch selten vorgekommen ist) Männer von edler Siunesart, u n d von gebildetem, o d e r , wo diel's der Fall nicht w a r , von groisem natürlichen Verstände. Die ersten nahmen wenig Kenntnifs von mir, die andern waren meine eifrigen A n h ä n g e r , die dritten sogar meine Freunde. Das einzige, w o d u r c h ich mit den öffentlichen Staatsgewalten in einen Zusammenstofs h ä t t e gerathen können, w a r , wenn sie die Entdeckung gemacht hätt e n , dais ich das Haupt einer durch die ganze Welt verbreiteten geheimen Gesellschaft sey, und wenn der eigentliche Zweck dieser Verbindung zu ihrer Wissenschaft gekommen wäre. Aber s o , wie ich meinen Orden organisiert h a t t e , w a r diefs u n m ö g l i c h ; denn der Auserwählten, denen das Geheiipnifs meines Zwecks anvertraut werden durfte, war ich so sicher als meiner selbst. Die übrigen konnten
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nicht verratben was sie nicht wufsten; und auch das Wenige, was sie wufsten, würde die Furcht des Todes selbst schwerlich einem unter ihnen ausgepreist haben. — Mit den F i l o s o f e n vérhifilt es sich ungefähr eben so wie mit den Priestern. Aufser mehrern andern Ursachen, hatte die Mode unter den Grofsen in Roid, einen oder mehrere langbärtige Griechische Hausfilosofen iin Solde zu haben und in ihrem gewöhnlichen Gefolge überall mit sich zu schleppen, diese vormabls so hoch geachtete Profession zu meiner Zeit tief herab gesetzt; besonders trugen die C y n i k e r , von denen es allenthalben wimmelte, durch die Unwissenheit, den Schmutz und die Unverschämtheit, wodurch, als die drey Haupterfordernisse ihres Ordens, sie sich vor allen andern auszeichneten, ihr möglichstes zu der Verachtung bey, die auf dem Nahmen eines Filosofen haftete. Dais Apollonias diesen Nahmen nicht verschmähte, konnte bey vieleji die ganze Zunft wieder in Achtung setzen; da hingegen eine allgemeine Verschwörung aller ihrer Sektpn gegej» ihn seinem Ansehen nicht den geringsten Abbruch gethan hätte. Bs war also überhaupt dem eigenen Interesse der Filosofen gemáfs, in leidlichem Vernehmen mit mir zu stehen. Wahr ista, die Welt begriff unter dieser einst so ehrwürdigen Benennung
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auch zwey oder drey Menschen von hoher Vollkommenheit, wie z. B. E p i k t e t und D e m e t r i u s ; Männer, welche Sokrates selbst für »eines gleichen erkannt haben w ü r d e ; allein sowohl diese beiden, als die W e n i g e n , die sich aus dem übrigen grofsen Haufen durch Talente, Wissenschaft und Karakter aushoben, waren unter meinen vorzüglichen Freunden, einige sogar vertraute Glieder meines Ofdens. W i e du siehst, hatte ich also auch von den Filosofen nichts zu befahren. Der einzige E u f r a t e s machte die Ausnahme: aber ineiu Verhältnifs mit diesem Menschen würde uus zu weit aas unserm Wege f ü h r e n , und du kannst bey Gelegenheit das Nähere davon von Inyinon erfahren. „Überhaupt gebe ich indessen gerne zu, dafs einige Klugheit dazu gehörte, in dem Karakt e r , den ich angenommen h a t t e , unter so xnancherley Völkern, init so vielerley Meuschenvon allen Arten, Klassen und Professionen, 6ich in einein Zeiträume von fünfzig bis sechzig Jahren immer schicklich z u benehmen. Doch mufs auch billig mit in den Anschlag gebracht werden, dafs eine sehr lange Zeit und überhaupt unendlich viel dazu gehört, bis ein einzelner Mensch, und war' er ein dreymahl gi Öls er er Wundermann als der d r e y -
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m a h l g r ö f s t e H e r m e s selbst, in einem 80 ungeheuern Reiche wie das Kölnische einiges Autsehen macht; und dal's, sogar 111 der Gpoke meines grpl'sten llui's und Ansehens unter f ü n f h u n d e r t Menschen kaum Einer war, der den Nahmen Apollonias nennen gehört h a t t e , und vielleicht keiner unter füijf tausend, den es kümmerte, ob Apollonius ein Weiser oder ein F a n t a s t , ein W o h l t h ä t e r der Menschheit oder ein Marktschieyer s e y . " Hey d i r , sagte i c h , aber auch bey dir a l l e i n , da du den gröfsten Theil der bekannten Welt duichwandert h a s t , und binnen dreyen Generaziohen einigen Millionen Menschen bekannt w e i d e n mulstest, möchte w o h l eine ganz andere Berechnung Statt finden. „ W i e dem auch s e y , f u h r er f o r t , ich bin dir noch eine Erklärung über das z w e y t e grof.se W u n d e r , w o r ü b e r du mir dein Erstaunen bezeigt h a s t , schuldig; und es ist nicht nur b i l l i g , sondern zu meiner eigenen Absicht n ö t h i g , dir aus deinem Wunder heraus zu helfen. „ D u findest unbegreiflich, w i e ich mit solchen Mitteln, bey so starken Aufforderungen, mich hätte enthalten können, eine Staatsrevoluzion zu unternehmen, nnd machit darüber, drtfs diefs nicht geschehen s e y , meiner Weis-
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heit ein grofscs Kompliment. Was w i r s t d a also sagen, lieber Hegesias, wenn du hörest, dafs da meiner Weisheit zu viel Ehre erweisest; dafs die Revoluziou, w o z u der Drang der Zeit mich so mächtig aufforderte, wirklich erfolgt i s t , und sogar der letzte Z w e c k und das eigentliche Gehciinnifs meines Ordens war?" Ich gestehe dir, Timagenes, die weit offnen A u g e n , womit ich den M a n n , der mir diefs sagte, anstaunte, machten meiner Scharfsichtigkeit keine sonderliche Ehre. Du scheinst über diese Eröffnung so erstaunt, sagte Apollonius, als ob du eher alles andere erwartet hättest, und begreifst,' w i e es scheint, nichts von einer Revoluzion, wobey es so ruhig z u g i n g , und w o v o n die W e l t so wenig gewahr w u r d e , als vom Anfang eines neuen Sonnenzirkels? —- Wisse also, Hegesias, dafs der Tod des Tyrannen D o m i z i a n , die Versetzung des guten Geistes N e r v a auf den Thron der Cäsarn, und die Adopzion des tapfern und weisen T r a j a n zu seinem Sohn und Nachfolger, das W e r k der geheimen Verbindung w a r , an deren Spitze ich mehr als fünfzig Jahre gestanden habe. Ich schäme mich billig, versetzte ich, dafs ich so kurzsichtig spyn konnte, nicht voraus
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zu sehen, dafs ein Mann wie du eine so grofse Anstalt, ais eine durch die ganze Welt ausgebreitete Verbindung der vorzüglichsten Menschen ist, nicht zu klein fugigen Zwecken errichtet haben werde: und doch mufs ich gestehen, dafs mich die plötzliche Verwandlung eines in seinem Ursprung r e l i g i ö s e n Ordens in seinen p o l i t i s c h e n überrascht hat; wiewohl ich leicht sehe, dafs das Plötzliche dieser Umgestaltung blofs in m i r liegt, die Sache selbst hingegen ohne Zweifel eine lange Vorbereitung erforderte, und, sogar unter dein Einflufs eines Apollonius, nur durch die Zeit zur Reife gebracht werde« konnte. Im Geiste meines Ordens, erwiederte er, sind Religion und Polizey zwey sehr nahe verwandte Institute; beide Mittel zu eben demselben Zweck, und beide nur in so fern gut und ehrwürdig, als sie das Beste der Menschheit befördern. Die Verwandlung, von der du sprichst, wäre dir schwerlich so auffallend vorgekommen, wenn du diefs bedacht hättest. Ich nahm diesen kleinen wohl verdienten Verweis mit erröthendem Schweigen hin, und Apollonius setzte seine Erzählung fort.
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V. „ U m dir begreiflich zu m a c h e n , w i e die vor kurzem erfolgte Glück weissagende Staatsv e r ä n d e r u n g z u R o m das Werk meines geheimen Ordens seyn konnte, werde ich dich vor «lien Dingen mit der innern E i n r i c h t u n g desselben genauer bekannt machen müssen. „ D i e erste Mafsregel, die ich zu nehmen f ü r nothig hielt, als nach meiner Zuriickkunft aus Syrien und Ägypten mein Anhang in KleinAsien sich täglich vergröfserte, w a r , alle, die .sich zu mir hielten, iii zwey Hauptklassen abzutheilen. Unter der ersten wurden diejenigen begriffen, denen erlaubt w a r , den öffentlichen Anreden beyzu wohnen, die ich an allen festlichen Tagen, früh bey T a g e s a n b r u c h und Abends nach S o n n e n u n t e r g a n g , hinter einem dünnen V o r h ä n g e , der mich den Augen der Zuhörer e n t z o g , zu halten pflegte. Diese Anreden wurden gewöhnlich in der Vorhalle eines Tempels gehalten, und durch einert uiit unsichtbaren Instrumenten begleitetenHymnug vorbereitet und beschlossen. Sie dauerten nicht viel über eine Viertelstunde, und bestanden theils in einem kurzen Unterricht über den Ursprung und Zweck des F e s t e s , theils in Aufmunterungen zu einem tugendhaften
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nptträflicTien Leben, auf religiöse Gefülile und hohe Begriffe von der Würde der menschlichen Natur gestützt. Die tiefste Stille und ein eben so ehrfurchtvolles Betragen,, w i e hey Begehung der heiligsten Mysterien erfordert w i r d , w a r die einzige Bedingung, unter welcher det Zutritt einem jed'en erlaubt w a r : aber w e r sich regelrnäfMg bey diesen Versammlungen einfand , wurde zur KItisse der A k u s t e n (Hörer) gezählt, die den e x o t e r is c h e n Theil meiner Anhänger ausmachten. „ D i e zweyte Hauptklasse begriff den e s o t e r i s c h e n Theil, oder alle, die durch eine besondere W e i b e in den Orden aufeenommen wurden. Sie w a r wieder in drey Ordnungen oder G r a d e abgetheilt. Zum untersten gehörten die E p o p t e n (Seher,) so genannt, weil sie das Vorrecht hatten, bey den besagten Versammlungen h i n t e r d e m V o r b a n g e zu stehen. Gewöhnlicher hiefsen sie die H o m i l e t e n , weil sie mit mir reden und umgehen, und sogar Fragen an mich thun durften, die i c h , nach Gutbeiinden, entweder kurz beantwortete, oder, wenn sie die ihrem Grade gesetzten Grenzen überschritten, unbeantwortet liefs. »,Aus diesen Homileten wählte ich, nachdem ich mich von ihrer Tauglichkeit genug-
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sam überzeugt l i a t t e , d i e j e n i g e n , die u n t e r dem N a h m e n der A s k e t e n die W e i h e z u m z w e y t e n G r a d e r h i e l t e n , um e i n i g e Jahre l a n g in demselben z u der h ö c h s t e n S t u f e vorb e r e i t e t z u w e r d e n . Diese w u r d e n nun tägl i c h etliche Stunden s o w o h l in dem theoretischen als praktischen T h e i l e der P y t h a g o r i s c h e n W e i s h e i t unterrichtet, beobachteten, so lange i h r e P r o b e z e i t dauerte, eine sehr strenge Leb e n s o r d n u n g , und mufsten s i c h , als m o r a l i s c h e A t h l e t e n , mancherley b e s c h w e r lichen Ü b u n g e n u n t e r w e r f e n , um alle ihre T r i e b e , N e i g u n g e n und Leidenschaften gänzlich in ihre G e w a l t z u bekommen. Sie w u r den scharf beobachtet, auf alle mögliche Proben der E n t h a l t u n g , der V e r s c h w i e g e n h e i t , der G e i s t e s g e g e n w a r t , der Unerschrockenbeit, und der Apathie gegen körperlichen S c h m e r z s o w o h l , als gegen alle A n r e i t z u n g e n z u m Z o r n , z u r E i f e r s u c h t , z o r W o l l u s t und z u j e d e r andern schnell a u f b r a u s e n d e n L e i d e n schaft gestellt, und, w e n n sie denselben Feh« ler z u m vierten Mahl b e g i n g e n : o b n e alle S c h o n u n g aus der Klasse der E s o t e r i k e r a u s g e s t o f s e n ; w o v o n ich m i c h aber keines Beyspiels erinnern kann. V o n den Geheimnissen des Ordens w u f s t e n sie z w a r n o c h eben so w e n i g als die H o m i l e t e n , und der unbedingteste Gehorsam gegen die Vorgesetz-
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ten wurde beiden zur ersten aller Pflichten gemacht: aber was 6ie vor jenen voraushatten , war die Gewifsheit, wenn sie ihre Probezeit rühmlich bestanden, zum dritten Grade des Ordens erhoben zu werdenj da die Homileten hingegen, wenn sie nicht schon in den ersten Jahren zur zweyten Weihe zugelassen wurden, ziemlich sicher darauf rechnen konnt e n , immer auf der untersten Stufe stehen zu bleiben; welches der Fall des einfältigen Dainis w a r , wiewohl ich finde, dafs er dafür angesehen seyn möchte, als ob er auf dem vertrautesten Ful's mit mir gelebt habe. „ D a der Grad der A s - k e t e n die Pflanzschule war, aus welcher die eigentlichen Glieder meines Orden6, in der digesten Bedeut u n g , gezogen wurden, so liefs ich mir ihre Bildung vorzüglich angelegen seyn, und widmete ihnen einen grofsen Theil meiner Zeit. Ich unterliefs nichts, was mir ihre reinste Liebe und ihr unbeschränktestes Vertrauen erwerben konnte, und war um so gewisser meine Absicht nicht zu verfehlen, da sie durch die Gleichförmigkeit ihrer Bildung mit derjenigen, die ich mir ehemahls selbst gegeben h a t t e , unvermerkt eine so grofse Ähnlichkeit mit mir erhielten, dafs es mir oft selbst vorkam , als ob ich mich in ihnen vervielfältigt W I E L A N D S sämmtl. W. XXXII. B. S
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s ä h e ; eine Ähnlichkeit, die an einigen desto auffallender w a r , weil b e y -der W a h l der Asketen vornehmlich auch a u f ungewöhnliche Naturgaben und ein voitheilhaftes A u f s etliches gesehen wurde. ,,Tm letzten P r o b e j a h r e m a c h t e die Geschichte des menschlichen Geschlechts und der verschiedenen S t u f e n der B a r b a r e y qnd Kultur, der U r s p r u n g der bürgerlichen Gesells c h a f t , ihre verschiedenen F o r m e n , die Bedingungen des Wohlstandes und die Ursachen des Verfalls und Untergangs der S t a a t e n , ' d a s S t u d i u m der Asketen a u s , w o z u sie von L e h rern , die den dritten G r a d des Ordens empfangen hatten, a n g e f ü h r t w u r d e n . Dieser Unterricht zweckte dahin ab, sie, vornehmlich durch die neuere Geschichte der Griechen und R ö mer, mit den nächsten Ursachen des gegenwärtigen Zustandes des Welt, s o weit sie dem Römischen J o c h e unterworfen w a r , bekannt z u m a c h e n , und dadurch ihre Vorbereitung z u m d r i t t e n G r a d e zu vollenden, in welchem sie den Nahmen der K o s m o p o l i t e n (Weltb ü r g e r ) und mit ihm die ersten Aufschlüsse zum Geheimuifs des Ordens erhielten. „ S i e kamen nun wieder in m e i n e n unmittelbaren U n t e r r i c h t , uud du s i e h e s t , w i e leicht es mir jetzt seyn mul'ste, j u n g e Männer
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mit der glücklichsten Anlage zu allem was edel, grofs und schön i s t , nach einer solchen Vorbereitung, von den grofsen Grundsätzen zu überzeugen: „ D a f s das ganze Weltall als e i n e i n z i g e r S t a a t , und das ganze Menschengeschlecht als Eine grofse Familie in dieser S t a d t G o t t e s zu betrachten s e y , welche von dem allgemeinen Geiste nach den ewigen Gesetzen der Natur und Vernuuft regiert werde; dafs a l s o , vermöge dieser auf die Natur der Dinge selbst gegründeten Ordnung, für die Menschheit kein Heil, keine Befreyung von den Ü b e l n , unter deren Last sie zusammen sinke, denkbar sey, bis wenigstens die Hauptzweige, in welche sie sich auf der Erde ausgebreitet, unter eine Verfassung gebracht würden, worin s i e , in möglichster Harmonie mit der allgemeinen Ordnung, nach eben denselben Natur» und Vernunftgesetzen regiert würden, welche das ganze Weltall in ewiger Ordnung erhalten; „ u n d d a f s r wie ungeheuer auch, dem Anschein nach, die K l u f t s e y , die den jetzigen sittlichen Zustand der Mensch-
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heit von demjenigen trennt, 3er das unverrückte Ziel aller ihrer Bestrebungen seyn müsse, gleichwohl alle Kräfte und Mittel, jene Kluft auszufüllen, in unsrer Gewalt seyen, und es also nur darauf ankomme, d i e s e M i t t e l k e n n e n und g e b r a u c h e n zu lernen. ,,Aber eben diefs war der Gordische Knoten, von dessen geschickter Auflösung alles abhing. — W o m i t sollte und mufste diese Kluft a u s g e f ü l l t werden?— Womit anders als mit den T r ü m m e r n des ganzen ungeheuern Gebäudes, worin die lichtscheuen und alles um sich her verfinsternden Oäinonen des Aberglaubens, der Gewalt, die kein Gesetz erkennt, und der gesetzgebenden Ungerechtigkeit, seit Jahrtausenden ihr Wesen getrieben; mit den Trümmern aller Bollwerke, hinter welche sie sich verschanzt, und aller Kerker, worin sie die bethörte, geinil'shandelte und unterdrückte Menschheit so lange gefangen gehalten hatten? — Z e r t r ü m m e r t müssen sie vor allen Dingen werden, diese so lang« bestandenen, so tief gegründeten, so künstlich zusammen gefügten, und mit so starken Pfeilern und Streben unterstützten Werke des Betrugs und dei Ungerechtigkei t ! — Aber w i e ? — Auf einmahl? Durch eine einzige, gewaltsame,
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allgemeine Erschütterung, von welcher die ganze dermahtige Verfassung der Welt zusammen stürzen und wenigstens die Hälfte des menschlichen Geschlechts unter ihren Ruinen zermalmen w ü r d e ? — Könnte ein solcher Gedanke jemahls in die Seele eines Freundes der Menschheit, eines Kosmopoliten, kommen? TMiinmermehr! — Es bleibt also nur Eine Art, die Ausfüllung jener Kluft zu bewerkstelligen, übrig: „Die Zerstörung alles dessen, was zerstört werden mufs, darf nicht anders alsn a c h u n d n a c h , mit B e d a c h t und K l u g h e i t , aber mit G e d u l d und B e h a r r l i c h k e i t unternommen weiden." — Dicfs ist nicht das Werk eines Einzigen oder etlicher Weniger; es kann nur durch die engeste Ver. bindung und die wohl kombinierte Thätigkeit einer beträchtlichen Zahl gleich gesinnter, weiser und guter Menschen, unter der Leitung eines Einzigen , der ihre Bewegungen nachErfordernifs der Umstände aufhält oder beschleunigt, mit Hülfe der Zeit und günstiger Zufälle zu Stande kommen. — Und dicfs war nun die ehrwürdige Verbindung, in welche sie durch die empfangene Weihe des dritten Grades eingetreten waren; diefs war der Zweck aller Vorbereitungen, durch welche sie gegangen, der grofse Zweck unsers ganzen Ordens, das Ziel, welches ihre Augen von nun an
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unter allen andern Verhältnissen, Geschäften und Zerstreuungen des Lehens, unverwandt gerichtet bleiben m a t t e n . „Aber natürlicherweise trat nun eineneue »ciiwierigkeit mit der Frage ein: Wie waren jene reinen und erhabenen Grundsätze des Kosmopolitism auf die gegenwärtige Lage der Dinge anzuwenden? Wie konnten die höhern Pflichten des W e l t b ü r g e r s mit den Pflichten des R ö m i s c h e n B ü r g e r s in Übereinstimmung gebracht werden? u n d , wenn sie in Kollision geriethen, was war zu thun ? — Die Subjekte, aus welchen der Grad der Kosmopoliten bestand, waren gröfsten Theils junge M ä n n e r , die, durch Geburt oder Familien - Verhältnisse zu bürgerlichen oder militärischen Stellen bestimmt, sich den Fallen, wo solche Kollisionen eintraten, n u r all?u oft ausgesetzt sahen. Aber dafür waren sie auch 111 allen den Tugenden g i ü b t , deren sie in diesen Lagen ain meisten bedurften. Sie hatten sich massigen und zurück h a l t e n , dulden und ausharren gelernt, öberdiefs wurde ihnen zur besonder» Pflicht gemacht, sich immer in den Grenzen des Amtes, dem sie vorstanden, zu halten; sich ohne Vorwiscen und Genehmigung der OtdPHSobern in keine besondere, auch noch so scheinbare, Verbindung einzu-
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l a s s e n , n o c h e i g e n m ä c h t i g , z u m Besten des Staats oder der Menschheit überhaupt, irgend e t w a s z u unternehmen , als w a s sie im "Wege der gesetzmäfsigfn O r d n u n g , jrait eigenen Kräften und auf eigene G e f a h r a u s z u f ü h r e n sich getrauten. K l u g h e i t und Vorsichtigkeit w u r den ihnen jetzt als T o g e n d e n e m p f o h l e n , die i h n e n , w e n n sie den grofsen Z w e c k unsrer V e r b i n d u n g init E r f o l g bearbeiten helfen w o l l ten , eben so unentbehrlich w ä r e n als W e i s h e i t u n d RechtschaiTenheit. In dieser R ü c k s i c h t v e r p a c h t e t e sich jeder K o s m o p o l i t , eine A r t v o n D e n k b u c h z u f ü h r e n , w o r i n er sich selbst v o n seinem Benehmen in s c h w i e r i g e n u n d z w e i f e l h a f t e n Fällen täglich R e c h e n s c h a f t geb e n w o l l t e . W o sie sich n i c h t g e w i f s hielten, des Techten W e g e s nicht verfehlen z u könn e n , w a r e n sie a n g e w i e s e n , sich b e y dem Ordensvorsteher ihrer P r o v i n z , o d e r , w e n n i c h in der N ä h e w a r , b e y mir s e l b s t , K ä t h e s z u erhohlen. „ E t w a s , w o d u r c h dieser Orden eich,
wie
ich g l a u b e , von allen andern auszeichnete, und w o r a u f das Vertrauen, w e l c h e s ich auf ihn setzt e , hauptsächlich beruhte, w a r , dafs von dem A u g e n b l i c k e a n , da ein Asket in die Klasse der K o s m o p o l i t e n ,
o d e r , w a s einerley w a r ,
in den eigentlichen g e h e i m e n O r d e n , über-
AßO
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ging, alle seine Verpflichtungen f r e y w i l l i g w a r e n , und keine andere Garantie von ihm gefordert w u r d e , als die uns die Gleichförirtigkeit seiner Gesinnungen mit den unsrigen gab. Man verlangte keinen Eid von i h m ; und., da der Fall, dal's einer die übernommenen Pflichten vorsetzlich verletzen k ö n n t e , als etwas Unmögliches angenommen wurde, so b e d u r f t e es auch weder Drohungen noch Strafen. Jeder hielt sich des andern so gewifs als seiner selbst; Liebe und Zutrauen, beide ohne Grenz e n , w a r e n die einzigen, aber unzerstörbaren Bande, auf welchen das ganze Institut beruhte. Indessen h a t t e f d o c h , als die Anzahl der Kosmopoliten auf mehrere hundert angewachsen w a r , die Erleichterung eines u n u n t e r b r o c h e n Zusammenhangs unter allen Gliedern eine gewisse innere Polizey nothwendig gemacht. In jeder Römischen Provinz war ein Vorsteher, an welchen die übrigen Ordensglieder angewiesen w a t e n , und dem sie zu bestimmten Zeiten über gewisse vorges dessen WoTte die Ruhe einer reinen, die ganze Natur mit Liebe umfassenden Seele andeuteten. E r bestand aus drey fortschreitenden Theilen, welche so gesetzt waren, dafs jeder mit beiden andern, zugleich gehört, die anmuthigste Harmonie hervorbrachte. Der Gesang war dreystimmig, und so wie Melitta, nach Vollendung des ersten Theils, unmittelbar zum zweyten fortging, begann T e r p s i n o e den ersten, und ging in eben demselben Augenblick, da Melitta den dritten anfing, zum zweyten über, indem K y m o n , dessen Stimme für seine Jahre noch ungewöhnlich rein und fest war, eine Oktave tiefer, den ersten begann, und ohne Stillstand zuin zweyten und dritten fortging, während Terpsinoe den dritten und ersten, und Melitta den ersten und zweyten hören liefs. Dieser sich gleichsam um sich selbst herum windende Gesang wurde so oft wiederhohlt, bis die letzte Stimme alle drey Theile zum dritten Mahle vollendet hatte; und der Effekt der letzten WiederhohluDg w a r u m so angenehmer, da diese zauberische Harmon i e , nachdem sie zuvor nach und nach bis zur höchsten Stärke, deren ein reiner Ton fähig ist, gestiegen war, durch langsame Entfernung der Singenden und unmeiklicheScbw ä-
A
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G A T II O D A M O N .
chung der Stimmen, allmählich wieder abnahm, bis sie, gleich den letzten Tönen eines dreyfachen Echo, in kaum hörbare Laute hinzuschinelzen schien. Ich finde keinen Ausdruck, Freund Timagenes, der dir etwas von der Wirkung, w e l che dieser Gesang auf mich machte, mitzutheilen vermöchte. Mein ganzes Wesen schien sich nach und nach in Haimonie aufzulösen, und mir w a r zuletzt, als ob alle diese lieblichen Töne zu lauter ätherischen Geistern würden, die mich in ihre Mitte nähmen, und aufihren weitverbreiteten mächtigen Flügeln in eine andere bessere W e l t empor trügen. 2 ) 2)
D i e Griechen hatten noch so unentwickelte
Begriffe v o n dem, was w i r Harmonie nennen, und w a r e n doch für die Reitze der Musik «o ungemein empfindlich, K a n o n , (denn
dafs die
Wirkung,
die der
erst«
das war' ohne Zweifel dieser
Ge-
l a n g } v o n sehr schönen Stimmen schön gesungen, auf
den empfänglichen Hegesias
machte,
nichts
befremdendes haben k a n n ; es muíste denn nur für jemand seyn, der mit J. J. R o u s s e a u die Melodie allein für Musik
hielte,
und die Harmonie der
N e u e m für eine G o t h i s c h e und b a r b a r i s c h » Erfindung erklärte, auf die w i r nie verfallen wären, w e n n w i r für die wahren Schönheiten o er Kunsc und einer echt natürlichen Musik Sinn hätten.
Sechstes
BUCK.
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Apollonius selbst,-der d i e s e n Gesang ebenfalls zum ersten Mahl hörte, wiewohl ihm die Form desselben nichts neues war, schien sehr angenehm davon gerührt zu seyn; und als ich ihm mit allein Feuer eines M u s o l e p t e u davon sprach, sagte e r : Da wirst also den Nahmen, den wir dieser neuen Art Ton Gesängen geschenkt haben, nicht übel passend finden. Wir nennen sie P ö y c h a g o g i k o n , und wirklich kcnn£ ich jetzt noch keine Musik, die das Gemüth zugleich so stark und so angenehm bewegte wie diese. Gleichwohl zweifle ich nicht, dafs unsre von den Musen begünstigte Terpsinoe die Wunder der Harmonie noch viel höher treiben, und in andern, weniger Zwangauflegenden Arten von M e l o d e m e n , einen noch viel angenehmem und mächtiger auf den innern Menschen wirkenden Gebrauch von dem unerschöpflichen Reicbthum derselben zu machen fähig seyn werde. Ich gestehe dir ohne Bedenken, lieber Hegesias, dafs die Unterhaltung, die mir das Talent dieser guten, mir so herzlich ergebenen Wesen täglich verschafft, ein grofserTheil meines Glücks in diesem V o r e l y s i u m ist, worin ich den Übergang iu das u n s i c h t b a r e ruhig und mit guten Hoffnungen erwarte. Ich ketone nichts, was einer mit zarten Sinnen und erhöhter Einbildungskraft begabten Seele
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A g a t hodämon.
einen anschaulichem Begriff und weniger täuschende Vorgefühle von einer vollkommneren Ordnung der Dinge und einem geistigern Leben geben könnte, als diese Art von Musik, diedu hier gehört hast. Denn was ist die ganze unermefsliche Natur anders, als die ewige Harmonie der unendlich mannigfaltigen, aber unauflöslich in einander geschlungenen, und, ungeachtetso vieler wirklichen und anscheinenden Dis«ouanzen, aufs reinste zusammen klingenden Verhältnisse der Bewegungen und Wirkungen aller Wesen ? Und ist es nicht die Musik, die durchs Ohr unseres Innern Sinn eine viel schärfere, und selbst die Wirkung, die das Licht, die Farben und das Helldunkel auf unser Auge macht, an Deutlichkeit und Energie übertreffende Anschauung von dieser, aus unendlich vielfachenTönen,Stimmen und Akkorden durch den Geist der Ordnung und Liebe zusammen gesetzten S y m f o n i e d e s W e l t a l l s g i e b t ? — Ich weifs nicht, ob du eben dasselbe fühlst: aber i c h bedarf bey einer Musik, wie die heutige, keiner Worte, die inir ihren Sinn erst erklären und sie gleichsam in meine Sprache übersetzen müfsten ; ich bedarf nicht nur der Worte nicht dazu, sondern sie stören mich sogar im reinen Genufs derselben, indem sie den freyenFlug meiner durch sie leichter beflügelten Seele hemmen, und meine Aufmerksamkeit
Sechstes
BUCH«
375
zerstreuen, und von dem, was mir die Musen in ihrer eigenen geistigen Sprache unmittelbar inittheilen, durch Vergleichung der W o r t e mit dem, was sie ausdrücken sollen, abziehen. .Apollonias setzte, während wir, vom halb vollen Monde sanft beleuchtet, nach der W o h nung zurückkehrten, noch verschiedenes über die mögliche Vervollkommnung unsrer Musik hinzu, was mir nicht verständlich genug war, «in es einem andern wiedergeben zu können; und als wir angekommen waren, empfahl er mich, *wie gestern, seinem Freunde Kymon, und entliefs mich mit dem Versprechen, wenn uns der folgende Tag so günstig seyn werde, als die Schönheit der Nacht versprach, sich um die gewohnte Zeit bey der Quelle einzufinden, und die Materie fortzusetzen, womit wir uns diesen Abend unterhalten hatten. Da mir der gute Kymon keine Lust, iu ein Gespräch mit mir einzugehen, zeigte, und sich eben so sehr nach R u h e , wie ich nach Einsamkeit, zu sehnen schien, so nahmj er schon an der Thür meines Schlafgemachs Abschied, um sich, wie gewöhnlich, zu seinem Herrn zu begeben. Aber der wahre Beweggrund, warum er mich heute so früh verliefs, entdeckte sich bald hernach. Die gef ällige kleine Familie bereitete mir in alle Stille die angenehmste Über-
A G A T II O D Ä M O X .
raschung v o r : denn kaum hatte ich mich zur Iluhe niedergelegt, so war mir als ob ich durch ein mit Efeu leicht umlaubtes Fenster, das, dem Lorbeerwäldchen gegenüber, offen stand, den Gesang, der mich eine Stunde zuvor so hoch entzückt hatte, wieder anstimmen hörte; aber so leise, dafs ich nur den sanft verschmolzueu Wiedel hall davon zu höreil glaubte. Durch unmerkliche Grade nahm er immer an Stärke zu, bis das liebliche Tongewebe zuletzt mein ganzes Ohr ausfüllte, u n d , da mir in dieser Entfernung nur die Töne, nicht die W o r t e , rein vernehmlich waren, mich die Wahrheit der von Apollonius gemachten Bemerkung erfahren liefs: dafs eine Musik, wie diese, uns in ihrer eigenen, unsrer Seele gleichsam angebornen Sprache, anrede, und keiner Übersetzung in einewillkührliche kalte Zeichensprache bedürfe, um von ihr verstanden zu werden. Hätte ich nicht zu gewifs gewufst, wer mir diesen hohen Genufs verschaffte, es würde mir unmöglich gewesen seyn, nicht zu glauben, dafs ich Stimmen aus der andern W e l t zu mir herüber schallen höre. Da diese Art von Gesängen so lange fortgesetzt werden kann als man will, und die Familie Kytnon nicht inüde w u i d e , nur mit kleinen Veränderungen der Modulazion und
S r. C 15 S T E S B o e n .
377
ßftererAbwechsIungder Mensur und der Stärke des T o n s , immer wieder von vorn anzufangen , so erfolgte, bey aller Begeisterung worein ich mich gesetzt fühUe, oder vielmehr durch diese Begeisterung selbst, zuletzt, was terinuthlich die Absicht der freundlichen Sänger w a r : eine süfse'Ermattung spannte allmählich meine Nerven ab, ich verlor mich in einem luftigen Gedränge lieblicher Träume, die um mich her zu tanzen schienen, und schlummerte endlich unvermerkt i u — die unsichtbare Welt hinüber.
Z7Ö
A G A T H O D Ä M O N .
SIEBENTES
BUCH.
I. I c h erwachte mit den ersten Strahlen, welche die aufgehende Sonne durch das leicht uuilaubte Fenster in mein kleines Schlafgemach spielen liefs; aber der erste Gedanke, der m i t mir e r w a c h t e , fiel mir so schwer auf die Brust, dafs ich mich nicht erwehren konnte, mich von ihm zu erleichtern, indem ich ihn l a u t werden liel's. Und so ist denn diefs der letzte T a g , rief i c h , der mir u n t e r diesen seltnen Menschen zu leben v e r g ö n n t ist, den unvergefslichste.n, die ich jemahls sehen werde, w e n n ich auch Nestors J a h i e dreyfach erlebte ! — W i e schön geht er über mir a u f ! u n d wie traurig wird er inir u n t e r g e h e n ! — A b e r worüber klage i c h ? Was f ü r ein Recht hätte ich m e h r zu verlangen? W a r es nicht Glücks genug, dafs ein Z u f a l l , dessen ich mich nie
Siebentes
Buch.
379
versehen konnte, mich diesen, allen andern Sterbliche« unzugangbaren, Ort finden liefs ? dafs der merkwürdigste Mann dieses Jahrhunderts mich, einen nahmenlosen unbedeutenden Fremdling, so freundlich aufnahm, mir eo schnell gewogen wurde, sich mir so traulich mittheilte, mich sogar zum Bewahrer der verborgensten Geheimnisse seines ewig denkwürdigen Lebens machte V — Welch einen Schatz trage ich mit mir von hinnen! Was brauche ich f ü r mein ganzes künftiges Leben, als die Erinnerung an diese drey Tage, um meinen Geist heiter und thätig, mein Herz warm, meinen Muth hoch, und mein Vertrauen auf die Natur und mich selbst lebendig zu erhalten! — ,,Die Natur hat mir meine ganze Bestimmung gegeben, da sie mich zum M e n s c h e n machte: was könnt* ich edleres und gröfseres zu seyn verlangen? — Sey so frey und thäti'g, so grol's und gut, als du als Mensch durch dich selbst seyn kannst! " — Sagtest du das nich£, göttlicher Apollonius, du mein wahrer guter Dämon? — Du sollst es mir nicht vergeblich gesagt haben! Unter diesen Selbstgesprächen ging ich ins Freye hervor, und durchwanderte, aufmerksam auf den geringsten Umstand, nochinahls alle mir schon bekannten Gänge, Plätze, Pfl tn-
38o
AGATHODÄMOM.
zungen, Lustwaldchen, Lauben und Grotten dieses stillen und lieblichen, wiewohl enge beschränkten Vorelysiums, wie Apollonias selb.st es nannte; an jedem Platze, wo meine horchende Seele an den Lippen des ehrwürdigen Greises h i n g , setzte ich mich nieder, und l ief alles, w a i er mii ge-agt hatte, in tneiu Gedächtnifs zurück, froh und zufrieden mit m i r . selbst, dafs mir beynah keines seiner W o r t e entfallen war. Als ich bey der Quelle am Lorbeerwäldchen a n k a m , sah ich den Wackern Kvmon mit seinem schönen Weibe und der jungen Melitta nahe bey der W o h nung im Garten beschäftigt. Sie schienen mich nicht gewahr zu werden, und ich widerstand dem Verlangen mich ihnen zu näheru, um alle meine Gedanken auf den Gegenstand zu versammeln, worüber Apollonius mich diesen Morgen ins klare setzen wollte. Wa8 er mir von denCbristianern bereits entdeckt hatte, und die grofsen Dinge, die ein so tief sehender Geist der Welt von ihnen profezeihte, machten inir diese Sekte, die ich vor so kurzer Zeit keiner Aufmerksamkeit Werth schätzte, jetzt wichtig, dal's ich die Stunde unsrer Zusammenkunft mit Ungeduld erwartete. Apollonius erschien um seine gewöhnliche Z e i t ; aber ein mehr als gewöhnlicher Ernst
S I E B E N T E S
BUCH.
3ßI
l a g , wie mich däuchte, auf seiner hohen, sonst immer unbewölkten Stiine. Ein freundlicher Sonnenblick schien sich über sie zu verbreiten, da er mich ihm entgegen eilen sah. E r reichte mir die Hand, und sagte: er wolle mich an einen Platz führen, der mir noch unbekannt sey, und sich am besten zur Scene unsrer bevorstehenden Unterhaltung schicken werde. Ich folgte ihm auf einem schmalen, zwischen den Felsen sich allmählich hinaufwindenden, durch Gesträuch und Buschwerk versteckten F u ß p f a d , auf einei) kleinen ebenen Platz, wo wir von drey Seiten nichts als Meer uud Himmel vor und um uns sahen; eine Aussicht, die durch Vereinigung des höchst Erhabenen mit dem höchst Einfachen ein Gefühl in der Seele erweckt, das mit keinem andern verglichen werden kann. Ein leicht bedeckter Himmel und eine erfrischende Seeluft sicherten uns vorder Sonnenhitze, und eine tief in den Felsen gehauene Blende b o t uns eine dicht bemooste Bank a n , auf der w i r uns niedcrliefsen. Ich habe mich eines doppelten Versprechens gegen dich zu entledigen, Hegesias, sagte Apoll o n i u s : dich mit dem Geist und der iiinern Verfassung der Christianer näher bekannt zu machen, uud dir meina Gedanken und Verrnu-
38»
Agathodämoi*.
thungen über das, was künftig ans ihnen werden roufs, and über die grofse Revoluzion, die der Römischen Welt und der Menschheit überhaupt durch sie bevorsteht, etwas ausführlich mitzutheilen. Aber bevor die Rede von den J ü n g e r n ist, solltest du billig den M e i s t e r kennen; und dieis ist hier um so nöthiger, da der Unterschied zwischen jenen und diesem so grofs zu seyn scheint, dafs man weder von dein Institut auf den Stifter, noch von dem Stifter auf das Institut, ohne Gefahr sich z u täuschen, schliefseil darf. Unglücklicherweise befinden wir uns, was die Geschichte dieses merkwürdigen Mannes betrifft, wiewohl seit seinem Tode noch nicht viel über sechzig Jahre verflossen sind, beynahe in dem nehmliehen Falle, wie mit H e r in e s , Z o r o a s t e r , O r f e u s , M i n o s , F o r o n e u s , und andern der ältesten Gesetzgeber und Religionenstifter: was man uns davon sagt, ist mit zu vielem Wunderbaren und Unglaublichen durchwebt, uin nüchterne Menschen zu befriedigen; und was w i r am liebsten wissen m ö c h t e n , was uns den Schlüssel zu allem andern gäbe, ist gerade das, was man uns vorenthält. Die Verschiedenen Sekten, in welche die Christianer sich bereits getheilt h a b e n , tragen sich
Siebentes
Buch,
385
mit einer grofsen Menge so genannter g u t e r B o t h s c h a f t e n , worin die wundervollen Umstände der Geburt, des Lebens und des Todes ihres Meisters, mit einer beträchtlichen Anzahl seiner Reden undThaten, bald kürzer« bald umständlicher erzählt werden. Die meisten dieser Bücher führen den Nahmen von Verfassern an der Stirne, welche sich für Augenzeugen, aber zugleich für vertraute Freunde und Anhänger, zum Theil für nahe Verwandte desselben geben, und schon dieses Umstands wegen nicht als ganz unbefangen betrachtet werden können. Uberhaupt fehlt diesen Erzählungen, wiewohl ihnen nicht alle Glaubwürdigkeit abzusprechen ist, doch sehr viel von dem, was von einer zuverlässigen Urkunde gefordert wird, und dem Schreiber einer wahren Geschichte das Zutrauen der Leser erwirbt. Sie sind im gemeinsten Mahrchentou erzählt, mit Widersprüchen uud unglaublichen, zum Theil schlechterdings unmöglichen Wunderdingen angefüllt, und verrathen fast auf allen Blättern den gröisten Mangel an Geistesbildung uud an Kenntnissen, die bey uns keinem Menschen von einiger Erziehung fehlen: auch (Inden sich in den Reden, die dem grolsen Profeten in deu Mund gelegt werden, viele ganz unverständliche Dinge« und manches, was e r , dem Karakter seines
384
Agatiiodämon»
Geistes-und Herzens nach, unmöglich gesagt haben kann. Mit Einein W o r t , ich weifs dir von diesen Anekdoten-Sammlungen keinen r i c h t i g e m Begriff zu geben, als wenn ich dich versichre, dafs sie im Sinn u n d Geschmack meines Freundes O a m i s geschrieben s i n d ; drey oder vier ausgenommen, die aus mehrern Rücksichten Aufmerksamkeit verdienen; wiew o h l mir auch an diesen die Merkmahle von Verfälschungen und Ginschiebsein unverkennb a r scheinen. Es ist kein Zweifel, dafs die Christianer, w e n n dereinst E i n e von den vielen Sekten, in welche sie sich seit einiger Zeit gespaltet, alle übrigen verschlungen haben w i r d , eine allgemeine Musterung mit diesen g u t e n B o t h s c h a f t e n vornehmen, und Reines vom Unreinen, Wahres vom Verfälschten oder Eingeschobenen zu unterscheiden suchen •werden. W i e schwer diese Arbeit seyn dürfte, u n d ob sie, in einer Zeit von Einem oder mehrern Jahrhunderten nach dem Tode des Meisters, überall möglich seyn werde, lasse ich an seinen O r t gestellt; aber bis dahin, u n d wahrscheinlich auch dann wie jetzt, w i r d jeder, dein an W a h i h e i t gt-legen ist, am. sichersten gehen, wenn er diese P r ü f u n g und Scheidung s e l b s t vornimmt. Ich wenigstens, nachdem ich die Geduld g e h a b t , mehr als f ü n f z i g dieser sogenannten E v a n g e l i e n z u
Siebentes
B ü C ti.
385
d u r c h l e s e n , f a n d , a m mich an einem der besten S t e r b l i c h e n , die j e gelebt h a b e n , n i c h t eben so s c h w e r als an der W a h r h e i t überh a u p t zu versündigen, kein anderes M i t t e l , ftls alles W u n d e r b a r e , Übernatürliche und U n v e r s t ä n d l i c h e , zugleich mit den W i d e r sprüchen und handgreiflichen Ungereimtheit e n , a u f die S e i t e zu legen, und mich bfols an das rein M e n s c h l i c h e , Verständliche, Kon» setfuente und u n m i t t e l b a r zu meinein Wölirb e i t s s i n n uud Heizen Sprechende zu h a l t e n . Ich.
Müssen w i r diefs doch schon mit
unsern alten F i l o s o f e n t h u n , wenn w i r uns n i c h t von den Anekdotenjägern und Konrfülat o r e n i h r e r Meinungen, Reden die ungereimtesten uns am E n d e
weifs
Mährlein
und
Thaten
aufheften und
machen lassen
wollen,
dafs unsre hellsten Köpfe tliegröfsten K a r r e n , G e c k e n und W i n d b e u t e l der Nazion gewesen Seyen. — D o c h , verzeih dais ich dich unterbreche. —
U n d was fandest d u ,
du. diese Scheidnng vorgenommen
nachdem hattest?
Apollonius. S o l l ich dirs gestehen, Hegesias ? — A u f den ersten Anblick scheint eine so auffallende Ä h n l i c h k e i t zwischen diesem J ü d i s c h e n R e l i g i o n s - und S i t t e n v e r besserer und — dem M a n n e , den du vor dir s i e b e s t , o b z u w a l t e n , dafs ich selbst einige
WICI.H.D, Ȋninul. W. XXXII. B.
Ii b
38 innerer
Polizey,
nen,
(vermöge
und
worin
sie
m i t einander
Christianische von
wodurch der
E i nein
Wesen, Geiste
engen stehen)
als E i n regiert
ihre GemeiVerbindung, das
ganze
Leib,
wird,
der
so
zu
sagen einen besondern S t a a t iin S t a a t e ausma e b e n , der entweder von d i e s e m noch in Zeiten unterdrückt werden m u f s , oder ihn selbst zuletzt verschlingen w i r d . Gemeinen sind in
D i e D i c n e r ihrer
verschiedene Klassen
abge
t h e i l t , und die so genannten A u f s e h e r h a b e n sich,
al9 Stellvertreter
der
Apostel,
bereits
eirte Art von obrigkeitlichem Ansehen zu verschaffen gewufst, welches sich mit dem W a c h s ihufn der Gemeinen natüilieber W e i s e i m m e r weiter
ausdehnen
wird.
Einen
Glaubensge
n o s s e n , o d e r , nach ihrer A l t zu r e d e n , einen Bruder,
vor die ordentliche f i ö m i s r h e oilcr
WiBLANßS aäromtl. W. XXXli.B.
E e
434
A G A X II O D Ä M 0 W.
von Hörnern angeordnete Obrigkeit zu ziehen, ist eines der gröfsten Verbrechen in ihren Augen. Ihre Vorsteher schlichten nicht nur alle anter ihnen über streitige Rechtsfragen, wiewohl selten vorfallende Händel» sondern üben auch ein sehr scharfes Censar-nindStrafamt über ihre Untergebenen aus; und da alle Verbrechen, die etwa in ihrem Mittel begangen werden, am Vermeidung des S k a n d a l s (wie sie es nennen) mit der äufsersten Sorgfalt verheimlicht und dem Auge des gesetzt m'afsigen Richters entzogen werden, so leuchtet die Unschuld und Unsträflichkeit der Christianer, in Vergleichung mit den Anhängern der alten Religion, welche noch die ungleich gröfscre Mehrheit ausmachen, tun so viel stärker hervor, erhält sich immer in ihrem alten R u f , und erwirbt ihnen unter dem bessern Theile des Volks immer neue Anhänger. Was dieser, auf möglichste Unabhängigkeit -vom Staat abzweckenden, obgleich bis jetzt noch unschuldigen Verfassung die Krone aufsetzt, ist die Einrichtung, vermöge deren jede Gemeine, die nicht etwa ihrer Armuth oder zufälliger Umstände wegen selbst Unterstützung bedarf, eine mehr oder weniger reiche G e m e i n - K a s s e besitzt, die mit der gröfstea Gewissenhaftigkeit verwaltet, und zu
Siebentes
Buch.
435
allen Arten von L i e b e s w e r k e n , ( w i e sie es nennen ) zn Unterstützung armer Witwen, Erziehung verlafsnev Waisen, Verpflegung dürftiger Ä M U W.
eeyn Scheint , gleich seinem Stifter wieder erwecken, und in reinerm Glanz als jemahls über die Menschheit, die es zu veredeln und zu beglücken bestimmt ist» aufgeben lassen wird. Aber durch wie viele Veränderungen, Umwandlungen, Verbildungeu und Entweihungen, durch welche Stürme, Gefahren, Erschütterungen und Katastrofen wird es gehen, bis ^s seine g a n z e B e s t i m m u n g erfüllt h a t , wenn es anders in der unendlichen Folge der Zeiten einen solchen Punkt giebt! Von 'Wie vielem Unheil und Jammer, von welchen Verbrechen und Giäueln wird es bald die Veranlassung, bald der Vorwand, bald der Deckmantel seyn! Wie oft wird der Kurzsichtige sein wohlthätiges Liebt von der dicksten Finfcternil's verschlungen sehen! Wie tief wird es oft unter sich selbst herunter gesunken zu seyn, und seinen grofsen Zweck gänzlich verfehlt zu haben scheinen 1 Es war ( w i e du sehr richtig bemerkt hast) unmöglich , dafs der ursprüngliche Geist des Cht'ibtianism, indem er von Christus selbst in seine unmittelbaren Anhänger, von diesen in die ersten Gemeinen, uud so immer weiter vbn den Juden zu den polytheistischen Völkeriii und ven der ersten Generazion r a r
S I f. B E Si T E S B ü C It.
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zweyten dritten überging, nicht unvermerkt von seiner Lauterkeit hätte verlieren Sellen, Das Göttlichste wird menschlich, sobald es sich Menschen mittheilt; und die äuf» richtigste Sinnesänderung kann 6'men v i r d e r b t e u Menschen nicht so gänzlich uuis t h a f f e n , dafs nicht eine Anlage zu neuer Verderbnil's übiig bleibe. Es war leicht, zu einem neubekehrten Syrer, Asiaten, Griechen, Römer, Gallier u, s. w . u n d , unter allen diesen so verschiedenen Völkern, 2u einein Sklaven, Freygelaisnen, oder Freygeboruen von niedrigerm oder h ö h e r m S t a n d e , schlechter oder besser erzogen, mehr oder Weniger gebildet oder verbildet, mit mehr oder weniger natürlicher Anlage zu einer edlen Sinnesart, mit mehr oder minder hartnäckigen Vorurtheilen und bösen Gewohnheiten behaftet, — es w a r ein leichtes, zu allen diesen so ungleichartigen Menschen zu sagen: S e y d g e s i n n t w i e C h r i s t u s g e s i n n t War. Um g e s i n n t zu seyn wie G r , inüi'ste man e r s e l b s t seyit. Wer Os u n t e r n a h m , s e i n e n göttlichen Sinti, s e i n e einfältig erhabene Theosofie, s e i n e n G l a u b e n , s e i n e Liebe, s e i tl e reinen Anspruchslosen Tugenden in s o l c h e Mens c h e n zu verpflanzen, glich einem Gärtner, der die Früchte eines reichen Bodens und eiliir glühenden Sonne unter einem kalten Himmel
444
Agatuouämoii.
in einem undankbaren Boden erziehen will: sie werden gar bald aus der Art schlagen, und, wo es auch ain besten gelingt, doch nie zu der Güte und Vollkommenheit derjenigen gelangen, die in ihrem angebonien Klima reiften; sie werden diesen mehr oder weniger au Gestalt, F a r b e , Geruch und Geschmak ähneln, aber an Geist uud Kraft immer weit unter ihnen bleiben. — Doch dabey wollen wir uns, da es Natur der Sache i s t , nicht länger aufhalten. Die Umgestaltung des primitiven Christenthums zu einer ausscbliefslich herrschenden V o l k s - und Staatsreligion wird noch b e s o n d e r e , zuvor u n b e b a u n t e Übel theils herbey f ü h r e n , theils zur Begleitung haben, die mir für eine Reihe künftiger Jahrhunderte eine traurige Aussicht geben. Das menschliche Geschlecht, zu dessen B ef r e y u n g Christus erschienen war» wird von seinen vorgeblichen Bevollmächtigten in neue Fesseln geschlagen werden. Statt des L i c h t e , das über die Welt aufgehen sollte, wird sich eine fast allgemeine langwierige Finsternifs über sie verbreiten, und statt der H u m a n i t ä t , zu welcher die ausgearteten Mensohen gleichsam wiedergeboren werden sollten, werden *>ie in eine noch grössere Barbarey und Verwilderung zurück fallen, als die, woraus unsre alten Gesetzgeber unsre Voriiltern
Siebentes
Buen,
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gezogen haben. Aber gegen alle diese Übel trägt das Christenthum auch Heilkräfte in seinein S c h o o f s e , die immer, so oft es Zeit seyn w i r d , ihre Wirkung thni», und das r was ich von der wohlthätigen Tendenz und unzerstörbaren Natur desselben gesagt h a b e , rechtfertigen werden. Ich hätte T a g e lang zu reden, wenn ich dir hierüber alles sagen wollte, was mich ei« durch so lange Beobachtung der menschlichen Dinge geschärftes D i v i n a z i o n ¡ » v e r m ö g e » mit einer Art von Gewißheit voraus sehen läfst. E s sey also zur Probe an folgendeia genug. Ich s a g t e , Christus habe keine vollständige Vorschrift dessen, was seine Nachfolger für w a h r anzunehmen hätten, kein eigentliches Glaubensformular hinterlassen. Alles war bey ihm praktisch, nichts Spekulazion: es .kam darauf a n , den Willen des Vaters, den er als bekannt voraussetzte, wirklich z u t h u n ; Gott über alles, die Menschen als sich selbst zu lieben; nicht spitzfindige Untersuchungen über das Wesen Gottes und über den ersten Grund und die äulsersten Grenzen des Rechts nrtd der Pflicht anzustellen. Von diesem-Wege haben die Christianer ziemlich bald angefangen sich zu entfernen, und ich h ö r e , dafs
41\6
Af-AinoDÄuos.
sie sieb wegen Verschiedenheit der Meinungen über Dinge» worüber vernünftige Menschen gar keine Meinung haben, bereits in mehrere Sekten gespaltet haben, die einander wechselswehe für irrgläubig erklären, and mit grofser Bitterkeit verdammen und verfolgen. Einige von ihnen, die s i c h , Weil sie von den übersinnlichen und göttlichen Dingen mehr als andre wissen wollen, G n o s t ik e r nennen, haben bereits die F r a g e n , was Christus eigentlich s e y ? Wie und in wie fern er Gottes Sohn s e y ? Oh nur der erste unter den Erschaffnen, oder wirklicher Gott? u . s . w , auf eine Art aur Sprache gebracht, die leicht voraus sehen l a f s t , dafs die Streitigkeiten und Spaltungen, welche sich über diese und eine Menge ähnlicher F r a g e n , wozu es ihnen an Stoff nicht f e h l t , erheben werden, nicht eher aufhören können, bis eine grofse Staatsreva luaion die hächste Gewalt in die Hände der Christianer gelegt, und eine der streitendeil Parteyen es in ihre Macht bekommen haben w i r d , die übrigen mit Hülfe des weltlichen Arms zu unterdrücken. J e mehr Anhänger das Christenthuin unter den subtilen, von Alters her sofistischen und disputiersücbtigea G r i e c h e n g e w i n n t , desto mehr w i r d dieser vorwitzige Geist der Spekulation über unbestimmbare und unbegreifliche Dinge, die Wuth
S I E B E N T E S
BUCK.
447
Ilecht zu behalten, und die Anmaftung andere zu unsrer Meinung zu nöthigen, anter diesen Leuten überhand nehmen, so dafs die B r u d e r l i e b e nnter dem Gezänk über die G l a u b e n s l e h r e n oft sehr ins Gedränge kommen wird. Denn das schlimmste i s t , dafs sie — ans Verwirrung dessen, was ihr Stifter bey dem Worte G l a u b e n dachte, mit dem Begriff, den s i e damit verbinden — jeden I r r t h n m in G l a u b e n s s a c h e n für v e r d a m m « l i e b , und die Beharrlichkeit bey einer Oberzeugung, die ihnen irrig scheint, für ein s a k r i l e g i s c h e s V e r b r e c h e n erklären, welches sie, sobald sie die Macht dazu haben, aufs, strengste zu bestrafen nicht ermangeln werden. Das Unheil, das durch diese schwerlich jemahls beyzulegenden Fehden zwischen Rechtgläubigkeit undlrrgläubigkeifr dereinst über die Christliche Welt kommen w i r d , ist unübersehbar. Je gröfser die Autorität ihrer A u f s e h e r und L e h r e r alsdann spyn w i r d , desto schrecklicher wird diese bisher nie gekannte Pest wüthen ; und wenn dann noch vollends schwachsinnige oder tyrannische Fürsten auf den unglücklichen Einfall kommen sollteo, sich in diese heillosen Händel zu mischen und Partey zu. nehmen, so würde man nnr zu oft, um einer spitzfindigen D ist i n k z i o n , oder um eines beiden Parteyen
4iö
A g a i h o u Ä ii o s.
unverständlichen W o r t e s willen, Ströme Bluts, fliefsen , und blühende Städte und Provinzen, vou heiligen Bürgerkriegen verheert, Gott and' seinem C h r h t zur Ehren in Einöden verwandelt sehen. Ich. wünsche, dals nieine Fantasie' diese Gräuel der Zukunft um vieles übertrieben haben möge: aber ich sehe nur zn greise Ursache das Gegentheil zn besorgen, wenn ich bedenke, zu welchem Grade von Ansehen, Einflufs und Macht die künftige Priesterschaft der Christianer sich empor zu'schwingen wissen wird. D e n n , glaube m i r , P r i e s t e r werden sie h a b e n , wie sie T e m p e l haben w e r d e n ; wiewohl weder diese noch jene dem Sinn und Zweck ihres Meisters gemäfs sind. Die ganze'Anlage zu einer künftigen H i e r * a r c h i e ist bereits in den verschiedenen Abstufungen der gegenwärtigen Vorsteher und Diener ihrer E k k l e s i e n sichtbar. Schon jetzt ist die Ehrfurcht vor den A u f s e h e r n , ( E p i s k o p e n , ) und der Glaube an die Heiligkeit, Unfehlbarkeit und geistliche Gewalt dieser vermeinten Stellvertreter des H e r r n beynahe grenzenlos. W a s wird erst werden, wenn unter einem zum Christenthum sich bekennenden A u t o k r a t o r die a l l g e m e i n e E k k l e s i a über das R e i c h der D ä m o n e n
Siebentes
Buch.
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( d i e alte Religion und ihre Anhänger) triamfielt haben w i r d ? Sollten sie sich wohl als» d a n n , wenn die Umstände ihnen nur einiger Malseu günstig sind» an den S c h l ü s s e l n d e s H i m m e l r e i c h s * die ihnen (ihrem Vorgeben nach) anvettraut s i n d , genügen lass e n , und sich derselben nicht Vielmehr, zu g r ö f s r e t E h r e G o t t e s , klüglich zu bedienen wissen, Um« so viel möglich, a l l e G e w a l t iin H i m m e l u n d a u f E r d e n an sich Zu ziehen? — Wenn du den P r i e s t e r g e i s t kennst, so denke hiervon — Was d a Itannst: so viel bleibt immer gewifs, dafs, das alte Ägyptische und Jüdische Piiesterthum ausgenommen , leein anderes, zu einem so hohen Ziel zu gelangen, gröfsere Vortheile in Händen gehabt h a t , als das Christliche. Denke dir nun noch» zu allem Uberflufs, einen Kaiser, der die Unterstützung der Christianer gegQn eine noch nicht gauz unterdrückte Gegenpartey liöthig h a t , oder vor Verlangen b r e n n t , ihnen 6elne Dankbarkeit f ü r bereits geleistete treue Dienste zu zeigen, und sie — zu noch gröfern a u f z u m u n t e r n ; oder einen andern Fürsten» der f ü r nöthiz h ä l t , der Macht der Grofsen seines Reichs durch Vergröfserung des Ansehens und der Einkünfte des Priesterthums ein Gegengewicht zu geben: so wirst du um so leichter begreifen, wie es möglich wäre« dafs die
WiELiSDf siramd. \T. XXXII. B.
Pf
AGA
T II O P
Ä
M O N»
künftigen Nachfolger dieser A u f s e h e r , die gegenwärtig noch eine sehr demüthige Rolle .spielen und nur für die D i e n e r der D i e » e r G o t t e s angesehen seyn wollen, dereinst eine sehr vornehme Figur in dieser von den Christianern jetzt so sehr verachteten und init Füi'sen getretenen W e l t machen könnten. Doch sie bedürfen solcher günstigen Zufälle von aufscn nicht einmahl; ihre geistliche Ge w a l t , der goldne Schlüssel des Himmels und der eiserne der Hölle, die in ihren Händen sind, die Macht S ü n d e n z u v e r g e b e n oder v o r z u b e h a l t e n , das Recht zu entscheiden was man glauben soll uiid lehren d a r f , die unumschränkteste Herrschaft über den Ver stand und die Gemüther der Gläubigen, da> Recht die Vernunft schweigen zu heifseu, un.I ihre Entscheidungen dem Gewissen selbst bev Strafe zeitlicher und ewiger Verdamtnnifs auf zudringen, '— w a h r l i c h , wer im Besitz einer solchen Macht steht, — einer Macht, die ihm durch alles was dem Volke heilig ist garau tiert wird, und die ihm der grollte Monarch sogar nicht streitig zu machen w a g t , — der kann was er w i l l , und man ist ihm noch l'reis und Dank schuldig, wenn er sich seiner Übermacht mit einiger Mälsigung bedient? Sollte es wohl in der menschlichen Natur s e y n , wenn man das Ziel so nahe vor sich
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sieht, frey willig stehen zu bleiben? Ich denke, nein* Mein Genius inüfste mich sehr betrügen, oder die Priester der Christianer werden unsern Nachkommen dereinst etwas zeigen, was difcWelt noch nie gesehen h a t : — e i n e n P r i e s t e r » der gleichsam der s i c h t b a r e G o t t auf Erden i s t ; vor dein alle Völker mit ihren Fürsten die Kniee beugen; der sich, k r a f t seines Oberpriesterthuins, der wirklichen Oberherrschaft über den Erdboden und den Ocean ( w a s in gewissem Sinne mehr Sagt, als i in H i m m e l u n d a u f E r d e n ) anmalst* und dem sie, Wenigstens von einem grolsen Theile des menschlichen Geschlechts, zugestanden w i r d ; der Könige einsetzt und absetzt, grofse Reiche nimmt und giebt wem er w i l l ; k u r z , und um alles auf eininahl zu sagen» der sogar über seine geistlichen Brüder und Söhne, die übrigen Aufseher und Priester» eine eben so unumschränkte Gewalt aubübt, als über die gemeinen Meuscheiu Sollte mich meine Einbildungskraft auch hierin über die Grenzen des Möglichen führen ? Das wolle der Himmel! Denn in Wahrh e i t , wenn ich recht diviniere, so stehen der Menschheit von dieser Christlichen T h e o k r a t i e — die gewifs das R e i c h G o t t e s nicht ist — unbeschreibliche Übel aller Art
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bevor. Eine so grenzenlose Macht, eine se übermenschliche W ü r d e kann kein Sterblicher weder ertragen noch behaupten. Welche Verbrechen, welche Graue! würde der Mifsf rauch einer solche» Gewalt, — wie viele Verwirrung iin bürgerlichen Leben , welche auf Tod und Leben kämpfende Fakzionen , welche h e i » l i g e K r i e g e würde die flothwendig von Zeit zu Zeit ausbrechende Ungeduld der Monarchen , ein so unleidliches Joch zu tragen, in der Christlichen Welt nach sich ziehen! Und zu welcher tiefen Sklaverey mül'ste unter der willkührlicben Oberherrschaft eines Priesters, der in dieser und jener Welt verdammen könnte, der menschliche Geist, dessen Element Freyheit ist, nach und nach herunter sinken! Wenn ich mich nun vollends in die Folgen , die das alles f ü r die Moralität der künftigen Christianer haben w i r d , einlassen wollte, welche traurige Gemähide hätte ich dir noch, aufzustellen! welche Verdunklung der klarsten Begriffe des allgemeinen Menschenverstandes! welche Zerrüttung des moralischen Sinnes! welche Vermengung des Heiligen mit dem Profanen! Du würdest Wahrheit als Irrthum und Verbrechen bestraft, verderbliche Gruudirrthüiner zu unzweifelhaften Wahrhei teil erhoben, die Vernunft unter die Füfse des
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blinden Glaubens getreten, Laster zu Tugend, Verbrechen zu verdienstlichen Handlungen, Wahnsinn und Aberwitz zu Gegenständen der öffentlichen Verehrung gestempelt sehen, und deine Augeu mit Ekel und Unwillen von dem häf&lichen Anblick wegwenden. Aber es mag an diesem Wenigen genug »eyn. — I c h . Dieses Wenige ¡6t sehr viel, bester Apollonius, und du hast mir darin einen reichhaltigen Stoff zum Nachdenken auf mein ganzes Leben gegeben. A p o l l o n i u s . Ich werde dir die Sache vielleicht über alle Grenzen der Wahrscheinlichkeit zu treiben scheinen; — aber ich halte es nicht f ü r unmöglich, oder vielmehr ich traue es dem leidenschaftlichen, die Folgen wenig berechnenden Eifer der Christianischen Priesterschaft z u , dafs s i e — k ü n f t i g , wenn ihre Zeit gekommen seyn w i r d , theils aus Gefälligkeit gegen- die Vorurtheile und Gewohnheiten der neubekehrten oder herbeyzulockenden Abgötter, theils um ihrem eigenen Gottesdienst mehr Anziehendes f ü r Sinne und Einbildungskraft zu geben, und es d e n E t b n i k e r n ( w i e sie uns nennen) durch die Menge u u d den P o m p ihrer Feste und feierlichen Aufzüge noch zuvorzuthun, theils um ihr eigenes Auselien und ihre Gewalt über die Gemü-
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ther des Volks noch mehr zu befestigen, — sogar den D ä in o n i s in und M a g » s m — d. i. gerade d a s , w a s Christus zu zerstöreil gekommen w a r — unter einer n e u e n , ihrem Lehrbegriff angepaßten Gestalt und Einkleid u n g , in das Cbristenthum wieder einzuführen fähig seyn könnten. Die abergläubische Verehrung, die sie schon jetzt den Gebeinen ihrer so genannten Märtyrer e r w e i s e n , macht es mir sehr begreiflich, w i e sie stufenweise mit der Zeit endlich so weit gehen könnten, den Monarchen des Himmels mit einem Hofstaat von Heiligen aus ihrem Mittel zu umg e b e n , ihre Tempel mit den Bildern dieser neuen Art von Scbutzgöttern anzufüllen, und u m dem Monarchen selbst nicht mit ihren Bitten und Gelübden beschwerlich zu fallen, sie an seine vermeinten Minister und Höfl i n g e , und zuletzt sogar an ihre B i 1 d e r , als eine A r t m a g i s c h e r , mit den unsichtbaren Urbildern im Himmel korrespondierenden T a l i s m a n e , zu richten, diese Bilder mit Votivtafeln zum Dank der durch sie empfangnen wunderbaren Gnaden zu behängen, u n d , mit einem W o r t , alle die abergläubischen Ungereimtheiten , die den dämouistischen Religionen zum V o r w u i f gereichen, in dep Schoofs der ihrigen zurück zu rufen.
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VI. Angenommen, dafs die Umgestaltung des primitiven Christenthums in eine ausschliefe" lieh herrschende Volks - und Staatsreligion k ü n f t i g , »wenn auch erst nach inehrern Jahrh u n d e r t e n , die l o l g e n haben w e r d e , die ich Voraus sehe, so mufst du mich freylich in einem sehr auffallenden Widerspruche init mir selbst finden, wenn du meine Weissagungen mit meiner Behauptung, der Unzerstörbaren innern Vortrefflichkeit des Christlichen Instit u t s und seiner woblthätigeu Einwirkung auf alle künftige Zeiten, zusammen hältst. Indesseil ist dieser Widerspruch blofs anscheinend, und wird bald verschwinden, wenn w i r uns eine Ubersicht der Sache aus dem einzigen Gesichtspunkte, woraus sie richtig gesehen werden k a n n , verschafft haben werden. Alle die Übel, wovon so eben d i e j l e d e w a r , sind Folgen der Umbildung des ursprünglichen Christenthums zu einer künstlich organisierten V o l k s r e l i g i o n . Aber Volksreligion p n u f s es schlechterdings w e r d e n , wenn e s , als V e r a n s t a l t u n g zur V e r b e s s e rung des sittlichen Z u s t a n d e s der W e l t , einen seiner wichtigsten und n ä c h s t e n Zwecke erfüllen, wenn durch dasselbe die durchaus unkräftig und verächtlich gewor-
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dene polytheistische Staatsreligion ahgetlian, und der herabgewürdigten, entnervten, in der gröbsten Sinnlichkeit versunknen Menschheit ein n e u e r S c h w u n g und neue m o r a l i s c h e L e b e n s k r a f t gegeben werden soft. Das letztere bewirkt es in seiner Mafse schon jetzt, und der gute Einflufs, den die Rechtschaffenheit, Sittenreinheit und hausliche Tugend der Christianer auf die übrige Volkstnasse h a t , wird in seiner immer zunehmen, den Ausbreitung sichtbar w e r d e n : dagegen aber ist es auch Natur der Sache, dais diese Ausbreitung seihst, wiewohl zu jenem grofsen Zweck n o t h w e n d i g , der Sittenreinheit Schaden t h u n , und das Christeuthum überhaupt, sobald es die Gestalt und Verfassung einer öifentlichen Staatsreligion erhalten haben wird, seine erste Lauterkeit in der Mafse verlieren m u f s , wie seine Hekenner — die sich jetzt blofs als F r e m d l i n g e und einem bessern Leben zueilende P i l g e r in der W e l t betrachten — immer tiefer in die mancherley Verhältnisse, Angelegenheiten, Sorgen und Kollisionen des bürgerlichen und politischen Lebens hinein gezogen werden. Wicht zu gedenken, wie viel es nur allein durch den Umstand verlieren m u f s , dafs in der Epoke, die w i r als künftig voraussetzen , eine Menge Menschen aus unlautern Bewegungsgründen
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und Absichten an der herrschenden Partey übergehen, und, indem sie die Zahl der Bekenner des Christenthoms vermehren, einen Sauerteig in dasselbe mischen werden, der die ganze Masse verderben wird. Nächst diesem kommt liier noch