254 75 2MB
German Pages [379] Year 2009
BWL für Ingenieure von Prof. Dr. Marion Steven 3., korrigierte und aktualisierte Auflage
Oldenbourg Verlag München
Prof. Dr. Marion Steven hatte von 1992-1996 den Lehrstuhl für Produktion und Logistik an der Universität-GH Essen inne. Seit 1996 forscht und lehrt sie als Inhaberin des Lehrstuhls für Produktionswirtschaft an der Ruhr-Universität Bochum. Marion Steven ist zudem Geschäftsführende Direktorin des Instituts für Unternehmensführung und Mitglied des Vorstands der Erich-Gutenberg-Arbeitsgemeinschaft Köln e.V. Ihre aktuellen Forschungsschwerpunkte sind PPS-Konzepte, Hybride Leistungsbündel, Service Engineering und Supply Chain Controlling.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
© 2008 Oldenbourg Wissenschaftsverlag GmbH Rosenheimer Straße 145, D -81671 München Telefon: (089) 4 50 51- 0 oldenbourg.de Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen. Lektorat: Anton Schmid Herstellung: Anna Grosser Coverentwurf: Kochan & Partner, München Gedruckt auf säure- und chlorfreiem Papier Druck: Grafik + Druck, München Bindung: Thomas Buchbinderei GmbH, Augsburg ISBN 978-3-486-58613-8
Vorwort zur 3. Auflage Produzierende Unternehmen verschiedener Größenordnungen bilden nach wie vor die Basis der Wirtschaftskraft der Bundesrepublik Deutschland. Neben den vorrangig technisch ausgerichteten Aufgaben in der Konstruktion und Fertigung erfordert eine erfolgreiche Unternehmensführung auch kaufmännische Fähigkeiten und betriebswirtschaftlich fundierte Entscheidungen. Ein Grundwissen der Betriebswirtschaftslehre ist daher für jeden in einem Unternehmen tätigen Ingenieur unabdingbar, um derartige Entscheidungen zu treffen, aber auch um sich mit Kaufleuten kompetent verständigen zu können. An einigen Hochschulen – so auch an der Ruhr-Universität Bochum – gehören ökonomische Veranstaltungen, die dieses Grundwissen vermitteln sollen, bereits zum Pflichtprogramm der Ingenieurausbildung. Im Rahmen einer solchen Veranstaltung oder auch eines entsprechenden Lehrbuchs gilt es, das Dilemma zwischen der Notwendigkeit der Vermittlung umfassender Grundlagen auf der einen Seite und den Erfordernissen der Aktualität und des Praxisbezugs der Inhalte sowie des Denkens in Zusammenhängen auf der anderen Seite zu überbrücken. Das Ziel des vorliegenden Lehrbuchs besteht darin, den Lesern das erforderliche Rüstzeug zu vermitteln, um sich bei den im Berufsleben am häufigsten auftretenden ökonomischen Sachverhalten orientieren, vorliegende Lösungsansätze beurteilen und eigene Lösungsvorschläge erarbeiten zu können. Von Interesse sind dabei z.B. folgende Fragen: • Wie funktioniert eigentlich ein Unternehmen? • Wie spielen die verschiedenen Teilbereiche eines Unternehmens zusammen? • Was kostet es, eine bestimmte Menge eines Produkts herzustellen bzw. ein Produktionsverfahren laufen zu lassen? • Von welchen Einflussgrößen hängt der Markterfolg eines Produkts ab? • Wie stellt man fest, ob ein Projekt, ein Auftrag oder eine innerbetriebliche Maßnahme ökonomisch erfolgreich ist? Jede dieser Fragen erfordert vernetztes Wissen aus mehreren Teilgebieten der Betriebswirtschaftslehre. Ein grundlegendes Prinzip des ökonomischen Problemlösens ist das Denken in Austauschraten, das an vielfältigen Beispielen erörtert wird. Weiter soll der Leser ein Gefühl für die Vorteilhaftigkeit von interdependenten Handlungsoptionen entwickeln, die im Zusammenspiel der verschiedenen betrieblichen Teilbereiche beurteilt werden müssen. Das Lehrbuch ist aus meiner langjährigen Lehrtätigkeit in der betriebswirtschaftlichen Vorlesung „Technische Betriebsführung“ für die Diplom-Studiengänge Maschinenbau, Elektrotechnik und Bauingenieurwesen sowie für die Bachelor-Studiengänge Angewandte Informa-
VI
Vorwort
tik, Sales Engineering and Product Management und Umwelttechnik und Ressourcenmanagement an der Ruhr-Universität Bochum hervorgegangen. Es ist so aufgebaut, dass im Anschluss an eine grundlegende Behandlung des Unternehmensbegriffs und der wesentlichen Rahmenbedingungen der betrieblichen Tätigkeiten die für die Zielgruppe wichtigsten betrieblichen Bereiche – die Güterwirtschaft, die Finanzwirtschaft, die Informationswirtschaft und die Unternehmensführung – in Grundzügen behandelt und ihre Interdependenzen aufgezeigt werden. Soweit möglich, werden dabei praktische Beispiele mit Bezug zur Berufswelt des Ingenieurs eingebaut. Selbstverständlich können in einem so kompakten Buch nicht sämtliche Teilbereiche der Betriebswirtschaftslehre ausführlich behandelt werden. So habe ich z.B. auf Ausführungen zur Unternehmensbesteuerung vollständig verzichtet, da dieses Gebiet zum einen laufenden Änderungen unterworfen ist und zum anderen nicht zum Aufgabenbereich eines Ingenieurs gehört, sondern innerhalb des Unternehmens von entsprechenden Experten bearbeitet wird. Ein Glossar betriebswirtschaftlicher Fachbegriffe am Schluss des Buchs hilft nicht nur beim Erlernen der Fachterminologie, sondern erlaubt auch eine zusätzliche Nutzung als Nachschlagewerk. Da Englisch in vielen Unternehmen als tägliche Fachsprache verwendet wird, ist dort auch die englische Übersetzung der einzelnen Fachbegriffe angegeben. Das Literaturverzeichnis gibt keinen umfassenden Überblick über die betriebswirtschaftliche Grundlagenliteratur, sondern beschränkt sich auf wenige grundlegende Werke, die ich zur tieferen Einarbeitung in die angesprochenen Themenbereiche empfehle. Da das Buch als Einführung in die Betriebswirtschaftslehre konzipiert ist, werden keinerlei einschlägige Kenntnisse vorausgesetzt, sondern lediglich ein grundlegendes Interesse an wirtschaftlichen Sachverhalten sowie die Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit einer anderen Fachkultur und deren Begrifflichkeiten. Weiter wird davon ausgegangen, dass Studierende der Ingenieurwissenschaften über mathematische Grundlagen und technisches Verständnis verfügen. Auch der bereits im Berufsleben stehende Praktiker kann sich mithilfe des Buchs besser in ökonomischen Sachverhalten orientieren. Neben Ingenieuren als der ursprünglichen Zielgruppe sind auch Naturwissenschaftler und andere Nicht-Ökonomen als potenzielle Nutzer angesprochen. Ich hoffe, dass es mir gelungen ist, die Gratwanderung einerseits zwischen der Breite und der Tiefe des behandelten Lehrstoffs und andererseits zwischen der Vermittlung von elementaren, oft theoretischen Grundlagen und dem Anspruch, auch aktuelle und praxisrelevante Inhalte zu behandeln, einigermaßen erfolgreich zu bewältigen. Über ein entsprechendes Feedback von meinen Lesern würde ich mich sehr freuen. Hierfür steht die Internet-Adresse [email protected] zur Verfügung. Auch Hinweise auf Fehler, die sich trotz aller Sorgfalt in den Text eingeschlichen haben, oder Anregungen hinsichtlich eventueller Verbesserungsmöglichkeiten können mir auf diesem Weg übermittelt werden. Informationen über bereits aufgefallene Fehler sowie über die jeweils aktuellen Inhalte der regelmäßig stattfindenden Vorlesung „Technische Betriebsführung“ an der Ruhr-Universität Bochum sind über die Web-Seite http://www.prowi.rub.de abzurufen. Besonders freue ich mich sehr über die gute Aufnahme des Buchs, die nur zwei Jahre nach der zweiten Auflage eine dritte Auflage erforderlich macht, und bedanke mich herzlich bei
Vorwort
VII
allen Studierenden, Kollegen und anderen Lesern, die mir wertvolle Hinweise auf mögliche Verbesserungen gegeben haben. Bei der Überarbeitung habe ich mich diesmal auf die Beseitigung der zwischenzeitlich aufgefallenen Fehler und die Aktualisierung des Stoffs, vor allem im Bereich der Informationswirtschaft, beschränkt. Teilweise wurde von den Nutzern auch der Wunsch nach Übungsaufgaben geäußert. Da sich hierdurch der Umfang und damit auch der Preis des Buchs stark erhöht hätten, habe ich auf die Aufnahme von Aufgaben verzichtet und möchte diesbezüglich ebenfalls auf meine Homepage verweisen, auf der Interessenten die jeweils aktuellen Übungsaufgaben sowie – bei intensiver Nutzung des zugehörigen Diskussionsforums durch die Studierenden – auch Lösungshinweise finden können. Musterlösungen zu den Aufgaben werden von Seiten des Lehrstuhls aus didaktischen Gründen nicht bereitgestellt. Mein herzlicher Dank gilt wiederum allen, die mich bei der Erstellung dieser Auflage unterstützt haben: Meine wissenschaftlichen Mitarbeiter haben das Manuskript sorgfältig Korrektur gelesen und mir stets für Diskussionen über die Stoffauswahl und -präsentation zur Verfügung gestanden. Die Bochumer Studierenden haben die „Probeläufe“ des Lehrstoffs in den Vorlesungen über sich ergehen lassen und mit ihren kritischen Anmerkungen an mancher Stelle zur besseren Verständlichkeit beigetragen. Dem Oldenbourg Verlag danke ich für die Bereitschaft, dieses Buch zu verlegen, und für die wertvolle Unterstützung während der Entstehungsphase.
Marion Steven
Inhalt 1 1.1 1.1.1 1.1.2 1.1.3 1.1.4 1.1.5 1.2 1.2.1 1.2.2 1.2.3 1.2.4 1.3 1.3.1 1.3.2 1.3.3 1.4 1.4.1 1.4.2 1.4.3 1.4.4 1.4.5 1.5 1.5.1 1.5.2 1.5.3
Das Unternehmen in seinem Umfeld 1 Der Aufbau eines Unternehmens................................................................................ 1 Begriffsbestimmung ................................................................................................... 1 Typen von Unternehmen ............................................................................................ 3 Ziele von Unternehmen .............................................................................................. 4 Die Struktur eines Unternehmens............................................................................. 10 Die Grenzen eines Unternehmens ............................................................................ 15 Die betrieblichen Funktionen ................................................................................... 17 Güterwirtschaft......................................................................................................... 18 Finanzwirtschaft ....................................................................................................... 20 Informationswirtschaft ............................................................................................. 22 Unternehmensführung .............................................................................................. 24 Die externen Austauschbeziehungen........................................................................ 26 Relevante Märkte ..................................................................................................... 26 Stakeholder............................................................................................................... 28 Transaktionen ........................................................................................................... 30 Rechtsformen ........................................................................................................... 31 Personengesellschaften............................................................................................. 32 Kapitalgesellschaften................................................................................................ 34 Weitere Rechtsformen.............................................................................................. 37 Internationale Rechtsformen .................................................................................... 39 Konzerne .................................................................................................................. 41 Mittelständische Unternehmen................................................................................. 43 Abgrenzung mittelständischer Unternehmen ........................................................... 43 Gesamtwirtschaftliche Bedeutung mittelständischer Unternehmen ......................... 45 Besonderheiten mittelständischer Unternehmen ...................................................... 46
2 2.1 2.1.1 2.1.2 2.1.2.1 2.1.2.2 2.1.2.3
Die Güterwirtschaft 49 Beschaffung.............................................................................................................. 49 Materialwirtschaft .................................................................................................... 49 Prognosemodelle ...................................................................................................... 55 Prognose auf Basis der Mittelwertrechnung............................................................. 57 Prognose auf Basis der Regressionsrechnung .......................................................... 59 Exponentielle Glättung............................................................................................. 61
X
Inhalt
2.1.3 2.1.4 2.2 2.2.1 2.2.1.1 2.2.1.2 2.2.2 2.2.2.1 2.2.2.2 2.2.2.3 2.2.3 2.2.4 2.3 2.3.1 2.3.2 2.3.3 2.3.3.1 2.3.3.2 2.3.3.3 2.3.3.4 2.4 2.4.1 2.4.2 2.5 2.5.1 2.5.2 2.5.3
Materialbedarfsplanung.............................................................................................63 Lagerhaltung und Losgrößenbestimmung.................................................................67 Produktion.................................................................................................................74 Produktionstheorie ....................................................................................................74 Neoklassische Produktionsfunktionen ......................................................................75 Die Gutenberg-Produktionsfunktion.........................................................................78 Produktionsplanung ..................................................................................................86 Produktionsprogrammgestaltung ..............................................................................87 Produktionsprogrammplanung ..................................................................................88 Maschinenbelegungsplanung ....................................................................................92 Fertigungsverfahren ..................................................................................................94 Fertigungsorganisation..............................................................................................96 Absatz .....................................................................................................................100 Marktformen ...........................................................................................................100 Preis-Absatz-Funktionen.........................................................................................102 Marketinginstrumente .............................................................................................107 Produktpolitik..........................................................................................................108 Preis- und Konditionspolitik ...................................................................................108 Distributionspolitik .................................................................................................110 Kommunikationspolitik...........................................................................................111 Entsorgung ..............................................................................................................112 Rückstandsarten ......................................................................................................113 Recycling ................................................................................................................115 Logistik ...................................................................................................................118 Logistikkonzeption..................................................................................................119 Transportsysteme ....................................................................................................124 Supply Chain Management .....................................................................................127
3 3.1 3.1.1 3.1.2 3.1.3 3.1.4 3.1.5 3.2 3.2.1 3.2.2 3.2.3 3.2.4 3.2.5 3.3 3.3.1
Die Finanzwirtschaft 131 Ziele der Finanzwirtschaft.......................................................................................131 Rentabilität ..............................................................................................................131 Liquidität.................................................................................................................133 Sicherheit ................................................................................................................134 Unabhängigkeit .......................................................................................................136 Zielbeziehungen ......................................................................................................136 Investition ...............................................................................................................137 Investitionsarten ......................................................................................................138 Statische Verfahren der Investitionsrechnung.........................................................140 Dynamische Verfahren der Investitionsrechnung ...................................................143 Investitionsprogramme............................................................................................150 Nutzungsdauer ........................................................................................................152 Finanzierung............................................................................................................156 Kreditfinanzierung ..................................................................................................159
Inhalt
XI
3.3.1.1 3.3.1.2 3.3.1.3 3.3.1.4 3.3.2 3.3.3 3.3.3.1 3.3.3.2 3.4 3.4.1 3.4.2
Formen der Kreditfinanzierung .............................................................................. 159 Langfristige Kredite ............................................................................................... 161 Kurzfristige Kredite................................................................................................ 166 Sonderformen der Finanzierung ............................................................................. 169 Beteiligungsfinanzierung........................................................................................ 172 Innenfinanzierung................................................................................................... 176 Selbstfinanzierung.................................................................................................. 177 Innenfinanzierung aus fremden Mitteln ................................................................. 179 Finanzmanagement................................................................................................. 180 Langfristiges Finanzmanagement........................................................................... 181 Kurzfristige Finanzplanung.................................................................................... 183
4 4.1 4.1.1 4.1.2 4.1.3 4.1.4 4.2 4.2.1 4.2.2 4.2.2.1 4.2.2.2 4.2.3 4.2.3.1 4.2.3.2 4.2.3.3 4.2.3.4 4.3 4.3.1 4.3.2 4.3.3 4.3.4 4.3.5 4.3.5.1 4.3.5.2 4.3.5.3 4.3.6 4.3.6.1 4.3.6.2 4.4 4.4.1 4.4.2
Die Informationswirtschaft 187 Buchführung........................................................................................................... 187 Inventur und Inventar ............................................................................................. 188 Bilanzen und Konten .............................................................................................. 189 Buchungen.............................................................................................................. 194 Gewinn- und Verlustrechnung ............................................................................... 196 Bilanzierung ........................................................................................................... 200 Bilanzierungsgrundsätze ........................................................................................ 200 Bilanzpositionen..................................................................................................... 204 Bilanzpositionen auf der Aktivseite ....................................................................... 205 Bilanzpositionen auf der Passivseite ...................................................................... 209 Bilanzanalyse ......................................................................................................... 212 Strukturanalyse....................................................................................................... 212 Liquiditätsanalyse................................................................................................... 215 Erfolgsanalyse ........................................................................................................ 215 Wertschöpfungsanalyse.......................................................................................... 218 Kostenrechnung...................................................................................................... 219 Kostenbegriff.......................................................................................................... 220 Kostenrechnungssysteme ....................................................................................... 226 Kostenartenrechnung.............................................................................................. 229 Kostenstellenrechnung ........................................................................................... 239 Kostenträgerrechnung ............................................................................................ 245 Divisionskalkulation............................................................................................... 246 Äquivalenzziffernkalkulation ................................................................................. 247 Zuschlagskalkulation.............................................................................................. 248 Betriebsergebnisrechnung ...................................................................................... 251 Gesamtkostenverfahren .......................................................................................... 252 Umsatzkostenverfahren .......................................................................................... 252 Controlling ............................................................................................................. 253 Aufgaben des Controlling ...................................................................................... 253 Kennzahlen und Kennzahlensysteme ..................................................................... 254
Inhalt
XII 4.4.3 4.4.4 4.4.5 4.5 4.5.1 4.5.2 4.5.3
Budgetierung...........................................................................................................258 Prozesskostenrechnung ...........................................................................................259 Target Costing.........................................................................................................261 Informationssysteme ...............................................................................................264 Datenbanken und Data Warehouses........................................................................264 Produktionsplanungs- und -steuerungssysteme.......................................................267 e-Business ...............................................................................................................274
5 5.1 5.1.1 5.1.2 5.2 5.2.1 5.2.2 5.2.3 5.3 5.3.1 5.3.2 5.3.3 5.3.4 5.4 5.4.1 5.4.2 5.4.3 5.4.4 5.4.5 5.5 5.5.1 5.5.2 5.5.3
Die Unternehmensführung 279 Strategisches Management......................................................................................279 Konzepte der Unternehmensführung ......................................................................279 Managementinstrumente .........................................................................................284 Technologiemanagement ........................................................................................300 Technologiestrategien .............................................................................................300 Kapazitätsstrategien ................................................................................................303 Standortstrategien....................................................................................................306 Personalmanagement...............................................................................................309 Führungsmethoden..................................................................................................310 Kernfunktionen der Personalwirtschaft...................................................................312 Lohnformen.............................................................................................................314 Arbeitszeitmodelle ..................................................................................................315 Qualitätsmanagement..............................................................................................316 Entwicklung des Qualitätsmanagements.................................................................317 Statistische Prozessregelung ...................................................................................319 FMEA .....................................................................................................................321 Quality Function Deployment.................................................................................323 Qualitätsaudit ..........................................................................................................325 Umwelt- und Risikomanagement............................................................................326 Umweltmanagementsysteme...................................................................................327 Prozessrisiken..........................................................................................................330 Produkthaftung........................................................................................................331
6
Glossar und Index
335
7
Literaturverzeichnis
365
1
Das Unternehmen in seinem Umfeld
Ziel des ersten Kapitels ist es, das Unternehmen als das Erkenntnisobjekt der Betriebswirtschaftslehre zu charakterisieren. Abschnitt 1.1 setzt sich mit dem Unternehmensbegriff und seinen Ausprägungen auseinander. In Abschnitt 1.2 werden wichtige Grundbegriffe eingeführt, die die Orientierung in den nachfolgenden Kapiteln erleichtern sollen. Gegenstand von Abschnitt 1.3 sind die Austauschbeziehungen, in denen ein Unternehmen auf den relevanten Märkten steht. Abschnitt 1.4 gibt einen Überblick über die wichtigsten Rechtsformen, in denen Unternehmen geführt werden können, und Abschnitt 1.5 befasst sich mit den für den Wirtschaftsstandort Deutschland besonders wichtigen mittelständischen Unternehmen.
1.1
Der Aufbau eines Unternehmens
Im Anschluss an die Definition des Unternehmensbegriffs in Abschnitt 1.1.1 werden in Abschnitt 1.1.2 Unternehmen nach verschiedenen Kriterien klassifiziert. Abschnitt 1.1.3 arbeitet die Gewinnorientierung als wesentliche Zielsetzung von Unternehmen heraus. Abschnitt 1.1.4 geht auf die Aufbauorganisation als innere Struktur von Unternehmen ein und Abschnitt 1.1.5 auf die aktuelle Tendenz zur Auflösung der Unternehmensgrenzen durch verschiedene Arten von Kooperationen.
1.1.1
Begriffsbestimmung
Gegenstand der Betriebswirtschaftslehre sind Betriebe bzw. Unternehmen und die in ihnen ablaufenden Handlungen. So vielfältig wie die Erscheinungsformen von Unternehmen in der Realität, so unterschiedlich sind auch die diesbezüglichen Definitionen, die sich in der betriebswirtschaftlichen Literatur finden. So definiert Erich Gutenberg, einer der bedeutendsten Betriebswirte des 20. Jahrhunderts, einen Betrieb als eine Wirtschaftseinheit, in der • Einsatzfaktoren zur Erreichung des Betriebszwecks miteinander kombiniert werden, • das ökonomische Prinzip eines möglichst sparsamen Faktoreinsatzes beachtet wird, • die Zahlungsfähigkeit (Liquidität) als existenzielle Nebenbedingung jederzeit sichergestellt ist.
2
1 Das Unternehmen in seinem Umfeld
Ein Unternehmen ist für ihn der Typ des Betriebs, der sich in der marktwirtschaftlichen Ordnung herausgebildet hat. Es ist über die bereits genannten Kriterien hinaus durch die folgenden Merkmale charakterisiert: • Der Unternehmer trifft autonome Entscheidungen über den Unternehmenszweck, die Produktionspläne und die zu ihrer Umsetzung erforderlichen Maßnahmen. • Es orientiert sich am erwerbswirtschaftlichen Prinzip, d.h. sein Oberziel ist die Maximierung des finanziellen Erfolgs.1 Im Folgenden wird auf derartige Abgrenzungen verzichtet, vielmehr werden die Begriffe Betrieb und Unternehmen weitgehend synonym verwendet: Unter einem Unternehmen wird eine rechtliche und wirtschaftliche Einheit verstanden, die sich mit der Absicht, Gewinne zu erzielen, am Markt betätigt und dabei für ihr Geschäftsfeld charakteristische Transformationsprozesse durchführt. Das Grundschema eines solchen Transformationsprozesses ist in Abb. 1.1 dargestellt. Dabei wird stets eine Transformation von bestimmten Inputgrößen in anders geartete Outputgrößen vorgenommen. Die Inputs muss sich das Unternehmen bzw. der Unternehmensteil, der den jeweiligen Transformationsprozess durchführt (Abteilung, Stelle, Profit Center, ...), aus seiner internen oder externen Umwelt beschaffen, die Outputs werden vom Unternehmen bzw. dem Unternehmensteil am relevanten internen oder externen Markt angeboten.
INPUT
OUTPUT Transformation
Abb. 1.1 Transformationsprozess
Ein einfaches Beispiel für einen solchen Transformationsprozess ist die Produktion, bei der Material unter Zuhilfenahme von Arbeitskraft und Maschinen mittels eines geeigneten technischen Verfahrens in ein bestimmtes Produkt umgewandelt wird. So werden z.B. in einem Sägewerk aus den angelieferten Baumstämmen mithilfe der Facharbeiter und der Sägemaschinen unter Einsatz von Energie Bretter als Zielprodukte hergestellt, die an die Möbelindustrie geliefert werden. Daneben fallen bei der Produktion regelmäßig und unvermeidbar neben den Zielprodukten Reststücke und Sägespäne als unerwünschte Kuppelprodukte an, die zum großen Teil Einsatz in der Papierindustrie finden. Weitere betriebliche Transformationsprozesse werden in Abschnitt 1.2 behandelt.
1
Vgl. Gutenberg (1983), S. 457 ff.
1.1 Der Aufbau eines Unternehmens
1.1.2
3
Typen von Unternehmen
Die Vielfalt der in der Realität anzutreffenden Unternehmen lässt sich – je nach dem im Vordergrund stehenden Interesse – auf unterschiedliche Arten klassifizieren. 1. Branchengliederung Einen guten Überblick über die Unternehmensarten gibt die vom Statistischen Bundesamt entwickelte Branchengliederung, die sich an der Art der im Unternehmen erstellten Produkte orientiert: A
Land- und Forstwirtschaft
B
Fischerei und Fischzucht
C
Bergbau und Gewinnung von Steinen und Erden
D
Verarbeitendes Gewerbe
E
Energie- und Wasserversorgung
F
Baugewerbe
G
Handel; Instandhaltung und Reparatur von Kraftfahrzeugen und Gebrauchsgütern
H
Gastgewerbe
I
Verkehr und Nachrichtenübermittlung
J
Kredit- und Versicherungsgewerbe
K
Grundstücks- und Wohnungswesen, Vermietung beweglicher Sachen, Erbringung von Dienstleistungen überwiegend für Unternehmen
L
Öffentliche Verwaltung, Verteidigung, Sozialversicherung
M
Erziehung und Unterricht
N
Gesundheits-, Veterinär- und Sozialwesen
O
Erbringung von sonstigen öffentlichen und persönlichen Dienstleistungen
P
Private Haushalte
Q
Exterritoriale Organisationen und Körperschaften
Betrachtet man ein einzelnes Unternehmen genauer, so fällt die Zuordnung zu einer dieser Branchen oft schwer. So sind viele Unternehmen auf stark differenzierten Geschäftsfeldern tätig, auf denen sie auf die potenziellen Kunden zugeschnittene Leistungsbündel aus Industriegütern und diese begleitenden industriellen Dienstleistungen, wie Engineering, Schulung, Wartung und Instandhaltung oder auch Kundendienst, anbieten. Weiter kann sich das Hauptgeschäftsfeld eines Unternehmens im Laufe der Jahre verändern, wenn eine Ausrichtung auf neue, lukrative Aktivitäten erfolgt. Ein Beispiel hierfür ist der Wandel des ehemaligen Röhrenherstellers Mannesmann zu einem Telekommunikationsunternehmen in den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts.
4
1 Das Unternehmen in seinem Umfeld
2. Größenklassen Die größenorientierte Einteilung der Unternehmen erfolgt in die groben Klassen kleine, mittelgroße und große Unternehmen, wobei unterschiedliche Kriterien, wie die Anzahl der Arbeitnehmer, der Umsatzerlös, die Bilanzsumme oder der Börsenwert, herangezogen werden können. Eine solche Größeneinteilung ist z.B. für die Mitbestimmung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat, für die im Bilanzrecht relevanten Vorschriften oder auch für Maßnahmen der staatlichen Wirtschaftsförderung von Bedeutung. So ist in Unternehmen mit weniger als 500 Arbeitnehmern keine gesellschaftsrechtliche Mitbestimmung vorgesehen. Kapitalgesellschaften mit mehr als 500, aber weniger als 2.000 Arbeitnehmern unterliegen der einfachen Mitbestimmung nach dem Betriebsverfassungsgesetz, bei der die Arbeitnehmer ein Drittel der Aufsichtsratsmitglieder wählen. Für Kapitalgesellschaften mit mehr als 2.000 Mitarbeitern gilt die paritätische Mitbestimmung nach dem Mitbestimmungsgesetz, wobei die Anzahl der von den Arbeitnehmern in den Aufsichtsrat zu entsendenden Mitglieder wiederum von der Anzahl der Beschäftigten abhängt. Erleichterungen bei der Aufstellung und Veröffentlichung des Jahresabschlusses gelten nach dem deutschen Handelsgesetzbuch (HGB) für kleine und mittelgroße Unternehmen, wenn folgende Kriterien erfüllt sind: Bei einem kleinen Unternehmen müssen die Bilanzsumme kleiner als 3,125 Mio. €, der Umsatzerlös kleiner als 6,25 Mio. € und die durchschnittliche Zahl der Arbeitnehmer kleiner als 50 sein, wobei es ausreicht, wenn zwei dieser drei Kriterien zutreffen. Ein mittelgroßes Unternehmen liegt vor, wenn die Bilanzsumme kleiner als 12,5 Mio. €, der Umsatzerlös kleiner als 25 Mio. € und die Zahl der Arbeitnehmer kleiner als 250 ist. Kleine und mittelgroße Unternehmen werden zusammengefasst auch als mittelständische Unternehmen bezeichnet (vgl. Abschnitt 1.5). Wird mehr als eines dieser Kriterien nicht erfüllt, so handelt es sich um ein Großunternehmen. Bei derartigen pauschalen Einteilungen von Unternehmen in Größenklassen ist jedoch zu berücksichtigen, dass branchenspezifische Faktoren zu einer Verzerrung führen können. So weist der Handel in der Regel hohe Werte beim Umsatz und der Zahl der Beschäftigten auf, während z.B. Banken und Versicherungen tendenziell hohe Bilanzsummen haben. Weitere Klassifikationskriterien, die an der Unternehmensgröße ansetzen, sind die Eigentümer- und Führungsstruktur und der Aktionsraum. Während kleine Unternehmen häufig vom Eigentümer selbst geführt werden und sich eher regional bzw. national betätigen, herrscht bei Großunternehmen die anonyme Finanzierung über den Kapitalmarkt, die Führung durch angestellte Manager und eine globale Betätigung vor.
1.1.3
Ziele von Unternehmen
Ein grundlegendes Denkmodell der Ökonomie, aus dem sich auch das Handeln von Unternehmen weitgehend erklären lässt, ist der homo oeconomicus, d.h. der stets rational handelnde Mensch. Er trifft seine Entscheidungen nach dem ökonomischen Prinzip, das auch als Rationalprinzip oder Wirtschaftlichkeitsprinzip bezeichnet wird. Das ökonomische Prinzip tritt in zwei Ausprägungen auf:
1.1 Der Aufbau eines Unternehmens
5
Maximalprinzip:
Mit einem gegebenen Mitteleinsatz soll ein möglichst großer Erfolg erreicht werden.
Minimalprinzip:
Ein vorgegebener Erfolg soll mit möglichst geringem Mitteleinsatz erreicht werden.
Um das ökonomische Prinzip in einer konkreten Situation zu operationalisieren, muss definiert werden, was man unter Erfolg und unter Mitteleinsatz versteht. So kann man bei der Betrachtung eines Produktionsprozesses das Material als eingesetzte Mittel und die hergestellten Produkte als Erfolg interpretieren. Die Umsetzung des Minimalprinzips bedeutet dann, dass ein vorgegebenes Produktionsprogramm mit möglichst sparsamem Materialeinsatz gefertigt wird. Das Maximalprinzip lässt sich anwenden, wenn kurzfristig keine zusätzlichen Materiallieferungen möglich sind, d.h. das verfügbare Einsatzmaterial fest vorgegeben ist. Das Ziel lautet, aus diesem Materialbestand möglichst viele Produkte herzustellen. Der Grundgedanke des ökonomischen Prinzips besteht also darin, jegliche Verschwendung von Input- oder Outputmengen zu vermeiden. Setzt man dies in ein Entscheidungskriterium zur Auswahl von Produktionsalternativen um, die aus n Inputfaktoren, die in den Mengen ri , i = 1,..., n eingesetzt werden, m Produkte in den Mengen x j , j = 1,..., m herstellen, so erhält man das nachfolgend definierte Effizienzkriterium: Def.: Eine Produktionsalternative a = (r1 , r2 ,K, rn ; x1 , x 2 ,K, xm ) ist genau dann effizient, wenn es keine andere Produktionsalternative a' = (r1 ' , r2 ' ,K, rn ' ; x1 ' , x 2 ' ,K, x m ') gibt, für die gilt: ri ' ≤ ri
für alle i = 1,K, n
x j '≥ x j
für alle j = 1,K, m
und
ri ' < ri
für mindestens ein i
oder
x j'> x j
für mindestens ein j
Das Effizienzkriterium nimmt aus den zur Verfügung stehenden Produktionsalternativen eine Vorauswahl vor, indem es eindeutig dominierte Produktionsalternativen als ineffizient kennzeichnet und ausscheidet. Bei einer ineffizienten Produktionsalternative liegt Verschwendung vor, da zuviel Material eingesetzt wird oder weniger Produkte als möglich hergestellt werden. Ein rational handelnder Unternehmer würde diese Alternativen daher nicht realisieren. Für die endgültige Auswahl der umzusetzenden Produktionsalternative werden in der Regel weitere Kriterien, z.B. Kosten oder Gewinne, herangezogen. Die Anwendung des Effizienzkriteriums lässt sich an einem einfachen Beispiel veranschaulichen: Ein Unternehmen kann auf vier unterschiedlichen Anlagen Getränkedosen herstellen. Die Produktionsplanung soll entscheiden, welche Anlagen am wirtschaftlichsten sind und welche nicht benutzt werden sollten, wenn die Nachfrage hinter der maximalen Kapazität zurückbleibt. Dabei werden der Einsatz an Weißblech, Aluminium, Energie und Arbeitszeit berücksichtigt. In Tab. 1.1 ist angegeben, welche Faktoreinsatzmengen und welche Ausbringungsmengen auftreten, wenn die Anlagen einen Tag lang betrieben werden. Da die Anlagen
6
1 Das Unternehmen in seinem Umfeld
nur mit genau den angegebenen Input- und Outputmengen betrieben werden können, ist keine Umrechnung der Inputmengen auf eine Dose möglich. Tab. 1.1
Beispiel zum Effizienzkriterium Anlage 1
Anlage 2
Anlage 3
Anlage 4
Weißblech [m2]
35
32
44
35
Aluminiumblech [m2]
15
13
13
14
Energie [kWh]
2.000
2.500
2.500
3.000
Arbeitszeit [h]
16
8
12
12
Dosen [Stück]
1.000
900
1.300
800
Um zu überprüfen, welche Anlagen unter diesen Bedingungen effizient und welche ineffizient sind, werden diese einander paarweise gegenübergestellt und hinsichtlich ihrer Einsatzund Ausbringungsmengen verglichen. Vergleicht man Anlage 1 mit Anlage 2, so weist Anlage 2 zwar geringere Einsatzmengen bei Weißblech, Aluminiumblech und der Arbeitszeit auf, erfordert jedoch einen höheren Einsatz an Energie und liefert eine geringere Ausbringungsmenge. Nach dem Effizienzkriterium lässt sich zunächst keine der beiden Anlagen ausscheiden, da keine die andere eindeutig dominiert. Ein ähnliches Ergebnis zeigt sich beim Vergleich von Anlage 1 mit Anlage 3 sowie mit Anlage 4: Anlage 3 verbraucht zwar mehr Weißblech, dafür aber – wohl aufgrund eines günstigeren Schnittmusters – weniger Aluminiumblech als Anlage 1; somit wird keine der beiden Anlagen von der anderen dominiert. Da auch der Vergleich von Anlage 1 mit Anlage 4 keine Dominanzbeziehung ergibt – hier verbraucht Anlage 4 weniger Aluminiumblech, aber mehr Energie – lässt sich feststellen, dass Anlage 1 von keiner der anderen Anlagen dominiert wird und somit effizient ist. Nun wird Anlage 2 mit den Anlagen 3 und 4 verglichen: Auf der Inputseite wird Anlage 3 von Anlage 2 dominiert, da letztere von allen Einsatzfaktoren weniger oder höchstens gleich viel benötigt. Da Anlage 3 jedoch eine größere Ausbringungsmenge liefert, lässt sich auch hier keine Dominanzbeziehung feststellen. Anlage 4 hingegen weist nicht nur bei allen Produktionsfaktoren höhere Einsatzmengen auf, sondern liefert auch eine geringere Ausbringungsmenge als Anlage 2; sie ist damit ineffizient. Ein Vergleich von Anlage 3 mit Anlage 4 erübrigt sich, da letztere bereits als ineffizient erkannt worden ist. Aus dieser Analyse lässt sich die Entscheidung ableiten, dass die ineffiziente Anlage 4 stillgelegt werden sollte, wenn die tägliche Nachfragemenge um mehr als 800 Stück unter der maximal möglichen Menge von 4.000 Dosen liegt. Eine Reihung der Anlagen 1, 2 und 3 ist aufgrund von Effizienzüberlegungen nicht möglich, hierfür müssten z.B. die pro Tag anfallenden Kosten für die Einsatzstoffe als zusätzliches Kriterium berücksichtigt werden. Bei der Definition eines Unternehmens in Abschnitt 1.1.1 wurde bereits herausgearbeitet, dass es das grundsätzliche Ziel verfolgt, seinen finanziellen Erfolg, d.h. seinen Gewinn, zu
1.1 Der Aufbau eines Unternehmens
7
maximieren. Als Gewinn bezeichnet man die Differenz aus den während einer bestimmten Periode erzielten Erlösen und den dabei angefallenen Kosten: Gewinn = Erlös – Kosten Sieht man die Gewinnmaximierung als Oberziel an, so lässt sich hieraus eine Reihe von hierarchisch angeordneten Unterzielen ableiten. Die sich dabei ergebende Zielpyramide ist in Abb. 1.2 dargestellt. Sinnvolle Maßnahmen zur Steigerung des Gewinns sind auf der ersten Ebene die Maximierung des Erlöses bzw. die Minimierung der Kosten. Berücksichtigt man, dass sich der Erlös als Produkt aus der abgesetzten Menge mit den dafür erzielten Preisen berechnen lässt, Erlös = Absatzmenge ⋅ Absatzpreis so ergeben sich als weitere Unterziele der Gewinnmaximierung die Einzelziele Maximierung der Absatzmenge und Maximierung der Absatzpreise. Die Kosten lassen sich als Produkt aus den Einsatzmengen der für die Produktion erforderlichen Produktionsfaktoren mit ihren Faktorpreisen berechnen, Kosten = Faktormenge ⋅ Faktorpreis so dass auch die Minimierung der Faktoreinsatzmengen und die Minimierung der Einstandspreise der Produktionsfaktoren, z.B. durch gezielte Verhandlungen mit den Lieferanten, positiv zum Oberziel der Gewinnmaximierung beitragen.
Gewinn
Erlös
Absatzmenge
Kosten
Absatzpreis
Faktormenge
Faktorpreis
Abb. 1.2 Zielhierarchie
Bei der Herleitung dieser Unterziele aus dem Gewinnziel wurde von der in der Ökonomie häufig verwendeten ceteris-paribus-Annahme ausgegangen. Diese besagt, dass der Einfluss einer bestimmten Größe auf die Zielsetzung isoliert betrachtet wird, d.h. es wird davon ausgegangen, dass alle anderen Größen konstant bleiben. Diese Annahme erleichtert zwar die Analyse komplexer Systeme, ist jedoch häufig nicht gerechtfertigt, da sie die tatsächlich im System bestehenden Interdependenzen vernachlässigt. In unserem Beispiel wird angenom-
8
1 Das Unternehmen in seinem Umfeld
men, dass sich eine Erhöhung des Absatzpreises über die Erhöhung des Erlöses positiv auf den Gewinn auswirkt. Ceteris paribus ist dies aufgrund der oben angegebenen Definitionsgleichungen sicherlich zutreffend. Jedoch wird bei einer solchen Argumentation nicht berücksichtigt, dass eine Preiserhöhung in der Realität regelmäßig einen Rückgang der Absatzmenge bewirkt, da einige Kunden nicht bereit sind, den höheren Preis zu bezahlen (vgl. Abschnitt 2.3.2). Da sich der Erlös multiplikativ aus Absatzmenge und Absatzpreis zusammensetzt, kann bei einer Preiserhöhung durchaus der Fall auftreten, dass die Erlösminderung aufgrund der geringeren Absatzmenge die Erlössteigerung aufgrund des höheren Absatzpreises überkompensiert, so dass insgesamt der Erlös und damit auch der Gewinn sinkt. Die aus dem Gewinnziel resultierenden Entscheidungen hängen weiter davon ab, welchen Zeithorizont man zugrunde legt. So bedeutet eine kurzfristig orientierte Gewinnmaximierung, dass man versucht, das Jahres- oder sogar das Quartalsergebnis zu steigern, ohne die Auswirkungen dieser Maßnahmen auf zukünftige Perioden zu berücksichtigen. Durch Maßnahmen wie die Verwendung preisgünstigerer, aber qualitativ schlechterer Einsatzfaktoren, die Erhöhung der Produktionsgeschwindigkeit ohne Berücksichtigung der Auswirkungen auf die Qualität der Produkte und die Gesundheit der Arbeitnehmer oder die Verschiebung von Wartungsmaßnahmen zwecks Kosteneinsparung lässt sich zwar durchaus der kurzfristige Gewinn erhöhen, jedoch können sie eine vorzeitige Erschöpfung des unternehmerischen Erfolgspotenzials bewirken, so dass der zukünftige Gewinn geringer ausfallen wird. Sinnvoller ist daher die vorherrschende Ausrichtung auf die langfristige Gewinnmaximierung, bei der ein Unternehmen seine Erfolgspotenziale systematisch aufbaut und pflegt. Dabei werden durchaus Maßnahmen ergriffen, die in der aktuellen Periode den Gewinn beeinträchtigen, aber eine Gewinnsteigerung in der Zukunft erwarten lassen. Derartige zukunftsorientierte Maßnahmen sind z.B. die Durchführung von Forschungs- und Entwicklungsmaßnahmen, die Investition in fortschrittliche Technologien und Informationssysteme, die Erschließung neuer Märkte oder die Investition in die Aus- und Weiterbildung der Mitarbeiter. Das Problem bei der langfristigen Gewinnmaximierung besteht jedoch darin, dass sie kaum operationalisierbar ist, da sich der Beitrag einzelner Maßnahmen zu diesem Ziel meist nicht quantifizieren lässt. Für die kurzfristige Steuerung des Unternehmens werden daher Unterbzw. Ersatzziele vorgegeben, z.B. die bereits angesprochene Umsatzmaximierung oder die Maximierung des Marktanteils. Zur Steuerung von Teilbereichen des Unternehmens, z.B. der Produktion in einem Zweigwerk, werden daraus weitere Ziele wie Mengen- oder Zeitziele abgeleitet. Eine weitere Einschränkung der Gewinnmaximierung resultiert aus der sozialen Verantwortung des Unternehmens, die durch unser Wirtschaftssystem der sozialen Marktwirtschaft festgeschrieben ist. Daraus abgeleitete Sozialziele wie Arbeitssicherheit, Kündigungsschutz oder Mitbestimmung beeinträchtigen die Handlungsmöglichkeiten des Unternehmens und können das Gewinnziel negativ beeinflussen. Ähnliches gilt für Umweltziele, die aus der von vielen Unternehmen freiwillig übernommenen Verantwortung für den Schutz der natürlichen Umwelt abgeleitet werden. Die marktorientierte Unternehmensführung konzentriert sich auf die drei Zielgrößen Zeit, Kosten und Qualität, die von den Kunden in erster Linie wahrgenommen werden und die
1.1 Der Aufbau eines Unternehmens
9
entweder direkt oder über die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens zum Gewinnziel beitragen: • Das Zeitziel ist von großer Bedeutung, da auf vielen Märkten eine starke Dynamik herrscht, die vor allem in einer Verkürzung der Produktlebenszyklen, d.h. der Zeit, während der ein Produkt am Markt angeboten wird, zum Ausdruck kommt. Ein Unternehmen kann sich Wettbewerbsvorteile sichern, indem es seine Produktentwicklungszeiten, seine Produktionszeiten und seine Lieferzeiten so weit wie möglich reduziert. • Soweit die Kunden dem Leitbild des homo oeconomicus entsprechen, sind sie bemüht, ein benötigtes Produkt am Markt zu einem möglichst geringen Preis zu erwerben. Das Unternehmen kann das Produkt jedoch nur dann günstig anbieten, wenn seine Herstellungskosten gering sind, andernfalls würde die Gewinnspanne sinken. Die Reduzierung der Produktkosten, aber auch der im Unternehmen insgesamt anfallenden Kosten ist daher ein Ziel, das sowohl die Wettbewerbsfähigkeit als auch den Gewinn positiv beeinflusst. • Qualität ist gemäß DIN EN ISO 8402 die Gesamtheit von Merkmalen einer Einheit – in diesem Falle eines Produkts – bezüglich ihrer Eignung, festgelegte und vorausgesetzte Erfordernisse zu erfüllen. Entscheidend für den Markterfolg eines Produkts ist jedoch nicht die objektiv vorhandene, sondern die von den Kunden wahrgenommene Qualität, die sich unter anderem durch den Einsatz von Marketinginstrumenten beeinflussen lässt (vgl. Abschnitt 2.3.3). Durch die Steigerung der Qualität seiner Produkte erlangt ein Unternehmen somit weitere Wettbewerbsvorteile. Diese drei Ziele stehen grundsätzlich in einer konfliktären Beziehung zueinander, d.h. eine Verbesserung bei einem Ziel kann nur auf Kosten der anderen Ziele erreicht werden (vgl. Abb. 1.3). Die bestehenden Zielkonflikte lassen sich wie folgt charakterisieren:
Zeit
Qualität
Kosten
Abb. 1.3 Unternehmensziele
• Der Konflikt zwischen dem Zeitziel und dem Kostenziel besteht darin, dass eine Beschleunigung von Unternehmensprozessen in der Regel mit höheren Kosten verbunden ist. So lässt sich eine Verkürzung der Lieferzeit durch Überstunden in der Produktion oder durch eine Expressauslieferung erreichen, für die zusätzliche Kosten anfallen.
10
1 Das Unternehmen in seinem Umfeld
• Das Zeitziel wirkt sich insofern negativ auf das Qualitätsziel aus, als durch Maßnahmen zur Beschleunigung von Prozessen die Qualität beeinträchtigt werden kann. So ist die Produktion bei Erhöhung der Produktionsgeschwindigkeit häufig mit einer höheren Ausschussrate verbunden. • Auch zwischen dem Qualitätsziel und dem Kostenziel besteht ein Zielkonflikt, da sich eine höhere Qualität der Produkte in der Regel nur erreichen lässt, indem hochwertigere Einsatzmaterialien gekauft und aufwändigere Produktions- und Kontrollprozesse installiert werden. Durch neuere Managementansätze wie Business Process Reengineering oder Lean Production wird angestrebt, derartige Zielkonflikte zu entkoppeln und bei allen drei Zielen gleichzeitig Verbesserungen zu erzielen. Dies lässt sich jedoch im Grunde nur dann erreichen, wenn sich das Unternehmen in einer ineffizienten Situation bezüglich der Zielerreichung befindet. In einer effizienten Situation ist es definitionsgemäß nicht möglich, bei einem der Ziele eine Verbesserung zu erzielen, ohne die Erreichung der anderen Ziele zu beeinträchtigen. Für eine Entscheidung, die sämtliche Ziele gleichzeitig berücksichtigt, muss eine Gewichtung der einzelnen Ziele vorgenommen werden, so dass der Entscheidungsträger abwägen kann, ob ihm eine bestimmte Verbesserung bei einem der Ziele die gleichzeitig zu erwartende Verschlechterung bei den anderen Zielen wert ist. Eine häufige Vorgehensweise zur Bewältigung eines solchen Zielkonflikts besteht darin, dass bei einem Ziel, z.B. dem Qualitätsziel, die Maximierung angestrebt wird und bezüglich der anderen Ziele Anspruchniveaus in Form von Ober- oder Untergrenzen vorgegeben werden, die mindestens erreicht werden müssen.
1.1.4
Die Struktur eines Unternehmens
In einem kleinen Unternehmen können sämtliche Tätigkeiten vom Unternehmer selbst, der gegebenenfalls durch wenige Mitarbeiter unterstützt wird, durchgeführt werden. Je größer ein Unternehmen wird und je umfangreicher und komplexer seine Aufgaben werden, desto stärker kommt das Prinzip der Arbeitsteilung zum Tragen. Bei der Arbeitsteilung wird die Gesamtaufgabe in Teilaufgaben zerlegt, die jeweils einer Person zur Erledigung zugewiesen werden. Man unterscheidet zwei Grundformen der Arbeitsteilung, die sich im praktischen Einsatz häufig überlagern: • Bei der Mengenteilung wird eine umfangreiche Aufgabe in identische Teilaufgaben aufgeteilt, so dass alle beteiligten Personen dieselbe Tätigkeit durchführen. Ein Beispiel hierfür ist die Versandabteilung eines Versandhandelsunternehmens, in der gleich qualifizierte Mitarbeiter an gleich ausgestatteten Arbeitsplätzen jeweils die gleiche Arbeit des Kommissionierens von Bestellungen verrichten. • Bei der Artteilung wird die Gesamtaufgabe in unterschiedliche Arbeitsschritte aufgeteilt, die verschiedenen, jeweils auf einen Arbeitsschritt spezialisierten Personen übertragen werden. Ein Beispiel ist die Fertigung an einem Fließband, bei der die einzelnen Arbeitsschritte von spezialisierten Mitarbeitern in einem bestimmten Takt an aufeinander fol-
1.1 Der Aufbau eines Unternehmens
11
genden Arbeitsstationen durchgeführt werden, die durch ein automatisiertes Transportsystem miteinander verkettet sind. Aus der Arbeitsteilung ergibt sich die Notwendigkeit einer formellen Aufbauorganisation, in der die Struktur des Unternehmens abgebildet wird. Durch die Organisation werden den verschiedenen Einheiten innerhalb des Unternehmens ihre jeweiligen Aufgaben zugewiesen und die zwischen ihnen bestehenden Beziehungen definiert. Es lassen sich folgende Einheiten unterscheiden: • Das Grundelement der Aufbauorganisation bezeichnet man als Stelle. In einer Stelle werden Aufgaben sinnvoll zusammengefasst und einem Mitarbeiter zur Erledigung übertragen. • In einer Abteilung werden Stellen mit zusammengehörigen Tätigkeiten unter eine einheitliche Leitung gestellt. • Eine Instanz ist eine Stelle, die neben Sachaufgaben auch mit Leitungsaufgaben betraut ist. Die Instanz ist gegenüber den ihr zugeordneten Stellen weisungsbefugt. Ein Beispiel für eine Instanz ist ein Abteilungsleiter. • Ein Stab ist eine Stelle mit beratender Funktion, die einer Instanz zugeordnet ist, ohne über eigene Weisungsbefugnisse zu verfügen. Durch die Bildung von Stellen und Abteilungen und die Festlegung von Weisungsbefugnissen ergibt sich ein hierarchischer Aufbau des Unternehmens, der in einem Organigramm abgebildet werden kann. Die wichtigsten Organisationsformen werden im Folgenden mit ihren Vor- und Nachteilen behandelt: 1. Linienorganisation Die älteste und in der Praxis am häufigsten verwendete Organisationsform ist die in Abb. 1.4 dargestellte Linienorganisation. Der Unternehmensleitung sind die Leiter der verschiedenen betrieblichen Funktionen – hier Beschaffung, Produktion, Absatz, Finanzierung und Rechnungswesen – direkt untergeordnet. Auf den folgenden Hierarchieebenen werden diese Funktionen in Aufgabenbereiche und Teilaufgaben immer weiter aufgespalten, bis schließlich die Ebene der ausführenden Stellen erreicht ist. Ein Kennzeichen der Linienorganisation ist das Einliniensystem. Dieses besagt, dass jede Stelle gegenüber der ihr direkt übergeordneten Stelle für die Durchführung der ihr zugewiesenen Aufgaben verantwortlich ist und auch nur von dieser Anweisungen erhalten darf. Dadurch entstehen eindeutige Anordnungsverhältnisse und Zuständigkeitsbereiche, durch die die täglichen Abläufe geregelt werden; jedoch ist diese Organisationsform aufgrund der langen Kommunikationswege recht schwerfällig. Sie ist heute vor allem bei kleineren Unternehmen anzutreffen.
12
1 Das Unternehmen in seinem Umfeld Unternehmensleitung
Beschaffung
Produktion
Absatz
Finanzierung
Rechnungswesen
Abb. 1.4 Linienorganisation
Unternehmensleitung
F&E
Assistent
EDV
Beschaffung
Produktion
Abb. 1.5 Stab-Linienorganisation
Absatz
Finanzierung
Rechnungswesen
1.1 Der Aufbau eines Unternehmens
13
2. Stab-Linienorganisation Eine Variante der Linienorganisation, die vor allem in größeren Unternehmen Verwendung findet, ist die Stab-Linienorganisation. Hierbei werden einzelnen Führungsinstanzen Stabstellen zugeordnet, die sie bei der Entscheidungsvorbereitung unterstützen sollen, aber keine eigene Weisungsbefugnis haben. In Abb. 1.5 wird die Linienorganisation aus Abb. 1.4 durch Stäbe ergänzt, die der Unternehmensleitung, der Produktion und dem Rechnungswesen zugeordnet sind. 3. Spartenorganisation Eine weitere, vor allem bei Großunternehmen häufig verwendete Organisationsform ist die in Abb. 1.6 dargestellte Spartenorganisation, bei der die Einheiten auf der Ebene unterhalb der Unternehmensleitung nicht aufgrund von Funktionen, sondern objektbezogen anhand von Sparten gebildet werden. Eine Sparte kann insbesondere eine Produktgruppe, eine Kundengruppe oder ein Absatzgebiet sein. Innerhalb jeder Sparte erfolgt eine funktionale Gliederung, d.h. der Spartenleiter ist für die Durchführung der Aufgaben Beschaffung, Produktion, Absatz usw. innerhalb seines Bereichs verantwortlich. Daneben sind der Unternehmensleitung zentrale Funktionen wie Finanzierung, Personal, Rechnungswesen unterstellt, die Serviceleistungen für die Sparten erbringen.
Unternehmensleitung
Produkt A
Produkt B
Produkt C
Beschaffung
Beschaffung
Beschaffung
Produktion
Produktion
Produktion
Absatz
Absatz
Absatz
.....
.....
.....
Abb. 1.6 Spartenorganisation
.....
Zentralabteilungen
14
1 Das Unternehmen in seinem Umfeld
Der Vorteil der Spartenorganisation liegt in ihrer Markt- und Kundennähe und der großen Flexibilität, mit der die Sparten am Markt agieren und auf neue Produktionsanforderungen reagieren können. Innerhalb der Sparten wird die Transparenz der Abläufe erhöht, Zuständigkeiten werden besser abgegrenzt und Entscheidungswege verkürzt. Häufig erhalten sie als Profit Center eine weitgehende Autonomie bis hin zur Ergebnisverantwortung. Teilweise operieren die Sparten wie selbstständige Unternehmen, die Leistungen an andere Sparten zu innerbetrieblichen Verrechnungspreisen abrechnen. Bei einigen Großunternehmen besteht derzeit die Tendenz, erfolgreiche Sparten rechtlich auszugliedern und als selbstständige Konzernunternehmen zu führen. Ein Nachteil der Spartenorganisation besteht darin, dass viele Funktionen mehrfach eingerichtet und besetzt werden müssen. Weiter können durch die autonome Handlungsweise der Sparten Synergiepotenziale verloren gehen und es besteht die Gefahr des Spartenegoismus, d.h. dass die Spartenleiter sich zu Lasten des Gesamtunternehmens vorrangig an ihren Spartenzielen orientieren. 4. Matrixorganisation Während die Linienorganisation die Unternehmensaufgabe nach Funktionen gliedert und sich die Spartenorganisation an Bereichen orientiert, ist die Matrixorganisation eine Mischform dieser beiden Prinzipien. Der Unternehmensleitung sind zum einen Produktmanager untergeordnet, die für alle bei der Produktion und dem Vertrieb einer Produktgruppe erforderlichen Maßnahmen verantwortlich sind, und zum anderen Funktionsmanager, die die in ihrem Funktionsbereich angesiedelten Einzelaufgaben über alle Produktgruppen hinweg wahrnehmen. Wie Abb. 1.7 zeigt, steht jede Stelle in zweifacher Verantwortung gegenüber dem für sie zuständigen Produkt- und dem jeweiligen Funktionsmanager. Durch diese Kompetenzüberschneidung kann es zu Konflikten kommen, die den Unternehmenserfolg beeinträchtigen. Der große Vorteil der Matrixorganisation besteht in der Nutzung von Spezialwissen sowohl bezüglich der Produkte und Märkte als auch hinsichtlich der durchzuführenden Sachaufgaben. Weiter können die betrieblichen Ressourcen mehrfach genutzt werden. Die Matrixorganisation wird häufig im Projektmanagement angewendet, so dass eine intensive und konstruktive Zusammenarbeit der Führungsinstanzen während einer befristeten Projektlaufzeit erfolgen kann.
1.1 Der Aufbau eines Unternehmens
15
Unternehmensleitung
Produkt A
Produkt B
Produkt C
Beschaffung
Produktion
Absatz
Abb. 1.7 Matrixorganisation
1.1.5
Die Grenzen eines Unternehmens
Die Wettbewerbssituation zahlreicher Unternehmen ist durch die folgenden Entwicklungstendenzen gekennzeichnet: • Dynamisierung: In den letzten Jahren findet eine immer stärkere Beschleunigung des technischen Fortschritts sowohl bei den Produkten als auch bei den Produktionsverfahren sowie eine zunehmende Verkürzung von Entwicklungszeiten und Produktlebenszyklen statt. Daraus resultiert für die Unternehmen ein ständig wachsender Anpassungsdruck. • Globalisierung: Sowohl auf der Beschaffungs- als auch auf der Absatzseite ist eine Tendenz zu einer immer weitergehenden internationalen Betätigung festzustellen. • Vernetzung: Durch die ständig verbesserten Potenziale der Informations- und Kommunikationstechnologie eröffnen sich neue Möglichkeiten zur schnellen Reaktion auf Veränderungen des Umfelds und zum verstärkten Informationsaustausch mit anderen Marktpartnern. • Individualisierung: Die Bedürfnisse der Kunden richten sich sowohl bei Konsum- als auch bei Investitionsgütern zunehmend auf individuelle Produkte mit genau spezifizierten Eigenschaften. Da kaum ein Unternehmen in der Lage ist, diese Herausforderungen und die aus ihnen resultierenden Erfolgspotenziale, aber auch Unsicherheiten mit den vorhandenen Organisations-
16
1 Das Unternehmen in seinem Umfeld
Interorganisatorische Auflösung
strukturen aus eigener Kraft zu bewältigen, sind Tendenzen einerseits zur internen Umstrukturierung und andererseits zum Zusammenschluss in Kooperationen verschiedener Art zu beobachten. Diese Auflösung der Unternehmensgrenzen kann in verschiedenen Stoßrichtungen erfolgen (vgl. Abb. 1.8):
Strategisches Netzwerk
Virtuelles Unternehmen
Hierarchische Organisation
Modulare Fabrik
Intraorganisatorische Auflösung Abb. 1.8
Auflösung der Unternehmensgrenzen
Zum einen wird in großen Unternehmen vielfach intraorganisatorisch eine Auflösung der klassischen hierarchischen Organisationsstruktur vorgenommen, indem ein Unternehmen in weitgehend selbstständige, modulare Einheiten mit jeweils breitem Verantwortungsbereich aufgespaltet wird, die über einen unternehmensinternen Markt im Hinblick auf ein gemeinsames Ziel koordiniert werden müssen. Ein Beispiel hierfür ist die modulare Fabrik, die aus dem Konzept der Fertigungssegmentierung hervorgeht. Zum anderen findet interorganisatorisch verstärkt eine langfristig angelegte Zusammenarbeit von selbstständigen Unternehmen in strategischen Netzwerken statt, bei der die Ausgestaltung der Kooperation und Koordination der Partner weit über übliche marktliche Austauschprozesse hinausgeht. In einem virtuellen Unternehmen überlagern sich diese beiden Entwicklungen: Kleine und mittelgroße Unternehmen sowie die durch Auflösung der intraorganisatorischen Unternehmensgrenzen entstandenen Einheiten von Großunternehmen bringen ihre Kernkompetenzen in netzwerkartige Unternehmenskooperationen ein. Ein Beispiel ist das in vielen Industriebereichen betriebene Outsourcing, das vor allem in der Automobilindustrie stark ausgeprägt ist. Dabei werden Teilbereiche der Wertschöpfungskette, die nicht zum Kernbereich des Auftraggebers zählen, auf hochqualifizierte Systemlieferanten ausgelagert, mit denen eine partnerschaftliche Beziehung aufgebaut wird. Die Verknüpfung kann so weit gehen, dass die Fertigung des Lieferanten teilweise in den Räumen des Auftraggebers stattfindet, so dass die Grenzen der beiden Unternehmen nicht mehr eindeutig definiert sind.
1.2 Die betrieblichen Funktionen
17
Es gibt zahlreiche weitere Formen der Unternehmenskooperation, bei denen die Grenzen der beteiligten Unternehmen mehr oder weniger stark ineinander übergehen. Nachstehend sind die wichtigsten Kooperationsformen nach zunehmender Kooperationsintensität angeordnet. • Ein Kartell wird in erster Linie zum Zweck der Wettbewerbsbeschränkung und nicht der Zusammenarbeit aufgebaut. Da die meisten Kartelle nach dem Gesetz über Wettbewerbsbeschränkungen verboten sind, basieren sie lediglich auf mündlichen Absprachen und haben somit einen eher informellen Charakter. • Rahmenverträge werden eingesetzt, um mittelfristig Unternehmen, die in einer Zulieferer/Abnehmer-Beziehung zueinander stehen, aneinander zu binden. Sie sind z.B. unverzichtbar für den Aufbau von Just-in-Time-Lieferbeziehungen. • Das Franchising ist ein Kooperationskonzept, das in erster Linie auf die langfristige Vermarktung einer Geschäftsidee ausgelegt ist. Ein bekanntes Beispiel hierfür ist die Imbisskette McDonald’s. • Ein Konsortium oder eine Arbeitsgemeinschaft ist eine auf einen bestimmten Zweck ausgerichtete, zeitlich befristete Zusammenarbeit von Unternehmen. Ein häufiger Anwendungsbereich ist der Bau von Großprojekten wie Autobahnabschnitten. • Die Verbindung japanischer Unternehmen in einem Keiretsu ist eine auf Dauer angelegte, vertrauensvolle Zusammenarbeit von selbstständigen Unternehmen aus unterschiedlichen Branchen. Dabei sind neben Industrieunternehmen stets auch Banken sowie Handelshäuser beteiligt und es bestehen wechselseitige Kapitalbeteiligungen zwischen den Partnern. • Eine strategische Allianz ist eine längerfristig angelegte Zusammenarbeit überwiegend von großen Unternehmen, die sich auf einzelne Geschäftsfelder bezieht. • Der Hauptzweck eines Joint Venture ist die Begrenzung von Risiken bei Investitionen in innovative Technologien oder neue Märkte. Die Partner gründen in der Regel ein neues, selbstständiges Unternehmen, an dem beide mit unterschiedlichen Kapitalbeträgen beteiligt sind. • Bei einem Konzern (vgl. Abschnitt 1.4.5) erfolgt die Verknüpfung der Unternehmen über finanzielle Beteiligungen. Dadurch sind die Tochterunternehmen rechtlich unselbstständig und wirtschaftlich abhängig vom Mutterunternehmen.
1.2
Die betrieblichen Funktionen
In diesem Abschnitt werden die in den nachfolgenden Kapiteln ausführlich behandelten betrieblichen Teilbereiche Güterwirtschaft (Abschnitt 1.2.1), Finanzwirtschaft (Abschnitt 1.2.2), Informationswirtschaft (Abschnitt 1.2.3) und Unternehmensführung (Abschnitt 1.2.4) kurz erläutert, damit zunächst ein grundlegendes Verständnis für ihre Aufgaben und ihre Bedeutung vorhanden ist. Besonderer Wert wird dabei auf die in den einzelnen Teilbereichen durchgeführten Transformationsprozesse sowie auf das Zusammenspiel der Funktionsbereiche gelegt.
18
1 Das Unternehmen in seinem Umfeld
1.2.1
Güterwirtschaft
Gegenstand der Güterwirtschaft sind reale Transformationsprozesse, d.h. Vorgänge, bei denen materielle Güter beteiligt sind. Diese Vorgänge dienen der Versorgung des Unternehmens mit Gütern, der Erstellung der betrieblichen Leistung, der Verwertung dieser Leistung und der Beseitigung der im Produktionssystem anfallenden Abfälle. Dementsprechend lassen sich die folgenden güterwirtschaftlichen Funktionen unterscheiden: • Die Aufgabe der Beschaffung besteht darin, die für die Leistungserstellung benötigten Einsatzfaktoren in den erforderlichen Mengen zum richtigen Zeitpunkt bereitzustellen. Nach ihrer Beteiligung am Wertschöpfungsprozess ordnet man die Einsatzfaktoren den in Abb. 1.9 dargestellten Produktionsfaktorarten zu.
Produktionsfaktoren
Werkstoffe
Betriebsmittel
Arbeitskraft
Rohstoffe
abnutzbar
objektbezogen
Hilfsstoffe
nicht abnutzbar
dispositiv
Betriebsstoffe Abb. 1.9 Produktionsfaktoren −
Die Beschaffung des Materials bzw. der Werkstoffe, die laufend im Produktionsprozess benötigt werden, ist Aufgabe der Materialwirtschaft (vgl. Abschnitt 2.1.1). Man unterscheidet Rohstoffe, die zum wesentlichen Bestandteil der Produkte werden (z.B. Stahl, Holz, Glas usw.), Hilfsstoffe, die nur einen geringen Beitrag zum Endprodukt leisten (z.B. Schrauben, Lacke, Glasuren usw.), und Betriebsstoffe, die nicht in die Produkte eingehen, sondern zum Betrieb der Anlagen erforderlich sind (z.B. Energie, Schmiermittel, Kühlwasser usw.).
−
Betriebsmittel sind dadurch charakterisiert, dass sie nicht direkt in die Produkte eingehen, sondern ihr Leistungspotenzial über einen längeren Zeitraum abgeben (abnutzbare Betriebsmittel, z.B. Maschinen, Anlagen, Fahrzeuge, Gebäude) bzw. unverändert aus dem Produktionsprozess hervorgehen (nicht abnutzbare Betriebsmittel, z.B. Grundstücke, Katalysatoren). Da die Beschaffung von Betriebsmitteln die appa-
1.2 Die betrieblichen Funktionen
19
rative Ausstattung des Unternehmens für einen längeren Zeitraum festlegt, ist eine Investitionsrechnung erforderlich (vgl. Abschnitt 3.2). −
Menschliche Arbeitsleistungen, die sich in objektbezogene bzw. ausführende und dispositive bzw. leitende Tätigkeiten unterteilen lassen, unterscheiden sich von den anderen Produktionsfaktoren vor allem dadurch, dass das Unternehmen keine Verfügungsgewalt über die Arbeitskräfte erwirbt, sondern sie vertraglich bindet. Die Bereitstellung eines quantitativ und qualitativ angemessenen Arbeitskräftebestands ist Aufgabe des Personalmanagements (vgl. Abschnitt 5.3).
Die Produktionsfaktoren werden von dem jeweils relevanten Beschaffungsmarkt bezogen, d.h. die Beschaffung bildet die Schnittstelle zwischen dem Unternehmen und den Materiallieferanten, den Anlagenherstellern und dem Arbeitsmarkt. Da die jeweiligen Marktpartner für die Bereitstellung der Produktionsfaktoren ein Entgelt verlangen, nimmt die Beschaffung eine Transformation von Geld in Güter vor. • Die Produktion ist der zentrale Transformationsprozess der Güterwirtschaft. Es werden mithilfe bestimmter technischer Verfahren Produktionsfaktoren in die Leistungen des Unternehmens, d.h. Produkte oder auch Dienstleistungen, umgewandelt. In Abschnitt 1.1.1 wurde bereits ein Beispiel für den Produktionsprozess in einem Sägewerk angegeben. Während bei der ingenieurwissenschaftlichen Betrachtung der Produktion typischerweise die technischen Verfahren und die ihnen zugrunde liegenden naturwissenschaftlichen Gesetzmäßigkeiten im Vordergrund stehen, sind für den Ökonomen vor allem die Inputmengen an Produktionsfaktoren und die Outputmengen an Produkten von Interesse, die in Form einer meist stark von der Realität abstrahierenden Produktionsfunktion abgebildet und analysiert werden (vgl. Abschnitt 2.2.1). • Der Absatz hat die Aufgabe, die hergestellten Produkte auf den relevanten Absatzmärkten anzubieten und zu verkaufen. Dabei setzt er eine Reihe von Marketinginstrumenten ein, um die Vorzüge der Produkte herauszustellen und Kontakte zu den Kunden zu knüpfen und zu pflegen (vgl. Abschnitt 2.3.3). Bei den heutigen gesättigten Märkten ist ein aktives Marketing erforderlich, um sich von der Konkurrenz abzuheben und ein Absatzpotenzial für die eigenen Produkte zu schaffen. Die Produktion findet somit nicht autonom statt, sondern wird durch die Absatzmöglichkeiten ausgelöst. Der Absatz stellt die Schnittstelle des Unternehmens zu den Kunden auf den relevanten Märkten dar, es erfolgt eine Transformation von Produkten in Geld. • Bei jedem Produktionsprozess entstehen als unerwünschte Kuppelprodukte Abfälle verschiedener Art, für deren ordnungsgemäße Beseitigung das Unternehmen verantwortlich ist. Dies ist die Aufgabe der Entsorgung. Diese ist eine güterwirtschaftliche Funktion, deren Güterfluss zum großen Teil in entgegengesetzter Richtung zu der bisher betrachteten Kette Beschaffung → Produktion → Absatz verläuft. In Abhängigkeit von der Abfallart gelten unterschiedlich strenge gesetzliche Vorschriften, die jeweils entsprechende Entsorgungsverfahren erfordern (vgl. Abschnitt 2.4). Die Entsorgung bedeutet eine Transformation von Abfällen in einen Zustand, der von der Gesellschaft als tolerabel angesehen wird. Sieht man vom innerbetrieblichen Recycling ab, so werden durch die Entsor-
20
1 Das Unternehmen in seinem Umfeld gung die Abfallstoffe aus dem Unternehmen entfernt und in seine Umwelt eingebracht. Dabei versteht man unter Umwelt neben der natürlichen Umwelt auch andere Unternehmen.
• Die Aufgabe der Logistik besteht in der Planung und Durchführung von raum-zeitlichen Transformationsprozessen, die erforderlich sind, um die zuvor genannten güterwirtschaftlichen Funktionen miteinander zu verknüpfen. Zu den logistischen Prozessen zählen die Lagerung, der Transport, die Bündelung, die Verteilung, die Sortierung und die Verpackung von Gütern (vgl. Abschnitt 2.5). Die Logistik ist sowohl innerbetrieblich zur Aufrechterhaltung des Materialflusses vom Eingangslager zur Produktion, zwischen verschiedenen Produktionsstufen und von der Produktion zur Distribution als auch außerbetrieblich zur Verknüpfung der an einer arbeitsteiligen Wertschöpfungskette beteiligten Partner von großer Bedeutung. Der Zusammenhang zwischen den genannten güterwirtschaftlichen Funktionen wird in Abb. 1.10 veranschaulicht. Die durchgezogenen Pfeile bezeichnen Vorgänge, die innerhalb des Unternehmens stattfinden, die gestrichelten Pfeile bedeuten einen Austausch des Unternehmens mit seiner Umwelt. Die Logistik lässt sich in diesem Zusammenhang nicht explizit abbilden, sie kann sowohl bei den Pfeilen, die in der Regel mit Güterflüssen verbunden sind, als auch innerhalb der einzelnen Funktionen angesiedelt sein.
BESCHAFFUNGSMARKT
Abfälle Werkstoffe Beschaffung
Betriebsmittel Arbeitskraft
Interner Güterfluss
Produkte Produktion
Dienst-
Absatz
leistungen
ABSATZMARKT
Entsorgung
UMWELT
Externer Güterfluss
Abb. 1.10 Güterwirtschaftliche Transformationen
1.2.2
Finanzwirtschaft
Im Rahmen der Finanzwirtschaft werden monetäre Transformationsprozesse abgebildet. Die wichtigste finanzwirtschaftliche Funktion ist die Finanzierung. Ihre Aufgabe ist die Bereitstellung der für den betrieblichen Umsatzprozess erforderlichen Mittel: Die güterwirtschaftlichen Transformationsprozesse sind zeitlich so angeordnet, dass dem Unternehmen zunächst Geld zufließen muss, um die Zahlungen für die Produktionsfaktoren leisten zu können. Erst
1.2 Die betrieblichen Funktionen
21
zu einem späteren Zeitpunkt, beim Verkauf der Produkte, fließt Geld vom Absatzmarkt in das Unternehmen zurück. Die Finanzwirtschaft nimmt also eine Fristentransformation vor, d.h. sie sorgt dafür, dass Beträge, die dem Unternehmen erst in der Zukunft zufließen werden, ihm bereits zu einem früheren Zeitpunkt zur Verfügung stehen. Dabei hat die Finanzwirtschaft für die ständige Aufrechterhaltung des finanziellen Gleichgewichts – die Liquidität – zu sorgen. Ein Unternehmen ist liquide, solange es in der Lage ist, seinen fälligen Zahlungsverpflichtungen nachzukommen. Droht Zahlungsunfähigkeit, so wird das Unternehmen insolvent, falls es ihm nicht gelingt, zusätzliche Liquiditätsreserven zu mobilisieren oder von den Gläubigern Zahlungsaufschub zu erlangen. Daher ist eine ständige Kontrolle der erwarteten Zahlungsein- und -ausgänge erforderlich. Überschüssige Liquidität wird auf dem Finanzmarkt angelegt, bis die Mittel benötigt werden; fehlende Mittel müssen bis zum Zahlungszeitpunkt aufgebracht werden.
Entgelt für Einsatzfaktoren
Finanzierung
Eigenkapital Fremdkapital Subventionen Geldfluss
Umsatzerlöse
ABSATZMARKT
BESCHAFFUNGSMARKT
Außer den Umsatzerlösen fließen dem Unternehmen Mittel aus verschiedenen Quellen zu: Das Eigenkapital wird dem Unternehmen von den Eigentümern (z.B. Gesellschafter, Aktionäre) zeitlich unbefristet zur Verfügung gestellt (vgl. Abschnitt 3.3.2), während das Fremdkapital von verschiedenen Kreditgebern (z.B. Banken, Lieferanten, Auftraggeber) für einen bestimmten Zeitraum überlassen wird (vgl. Abschnitt 3.3.1). Eine Finanzierung ist nicht nur aus Mitteln möglich, die dem Unternehmen von außen zugeführt werden, sondern auch aus dem betrieblichen Umsatzprozess heraus, z.B. in Form von einbehaltenen Gewinnen (vgl. Abschnitt 3.3.3). Eine weitere Quelle von Zahlungseingängen sind Subventionen, mit denen der Staat z.B. die Ansiedlung oder den Erhalt von bestimmten Unternehmen unterstützt.
Gewinnbeteiligungen Zinsen, Tilgung Gebühren, Beiträge, Steuern
FINANZMARKT
Abb. 1.11 Finanzwirtschaftliche Transformationen
Zahlungsausgänge fallen nicht nur für die Bezahlung der in das Unternehmen eingebrachten Produktionsfaktoren an, sondern auch als Gewinnbeteiligungen, die an die Eigenkapitalgeber fließen, als Zinszahlungen, die an die Fremdkapitalgeber fließen, sowie als Zahlungen an die öffentliche Hand in Form von Gebühren, Beiträgen und Steuern.
22
1 Das Unternehmen in seinem Umfeld
Die finanzwirtschaftlichen Beziehungen eines Unternehmens sind in Abb. 1.11 dargestellt. Vergleicht man Abb. 1.10 und Abb. 1.11, so wird die enge Verknüpfung von Güter- und Finanzwirtschaft deutlich: Jedem Güterfluss auf der Beschaffungs- oder Absatzseite ist ein gegenläufiger Geldfluss zugeordnet. Zu den finanzwirtschaftlichen Entscheidungen werden hier auch Investitionsentscheidungen gerechnet. Zwar wurde die Investition in Betriebsmittel in Abschnitt 1.2.1 der Beschaffung zugeordnet, jedoch wird für die zugehörige Entscheidung dasselbe finanzmathematische Instrumentarium wie für Investitionen in Geldanlagen eingesetzt (vgl. Abschnitt 3.2).
1.2.3
Informationswirtschaft
Die Informationswirtschaft ist ein betrieblicher Teilbereich, dessen Bedeutung nach wie vor stark zunimmt. Dies liegt zum einen an der dynamischen Entwicklung der Informations- und Kommunikationstechnologie und den daraus resultierenden Möglichkeiten der Informationsgewinnung, Informationsübermittlung, Informationsverarbeitung und Informationsverwaltung. Zum anderen wird man sich mehr und mehr der großen Bedeutung der Ressource Informationen bewusst: Ein Informationsvorsprung hinsichtlich Marktdaten wie Kundenpräferenzen, zeitlicher und mengenmäßiger Verteilung der Nachfrage oder Konkurrenzaktionen, aber auch hinsichtlich interner Daten wie Stückkosten, Preisuntergrenzen, Amortisationszeitpunkten oder der Erfolgs- und Liquiditätssituation kann zum entscheidenden Faktor im sich immer weiter verschärfenden Wettbewerb werden. Ein Unternehmen verfügt daher in der Regel über ein detailliertes Informationssystem sowie über eine Reihe von individuellen oder standardisierten DV-Anwendungen und -Programmen. Interpretiert man die Informationsverarbeitung als Transformationsprozess, so findet eine Transformation von Informationen bzw. Daten in Entscheidungen bzw. Aktionen statt. Sämtliche in den beiden vorhergehenden Abschnitten behandelten Güter- und Geldflüsse werden durch entsprechende Informationsflüsse begleitet. Diese Informationen können in elektronischer Form oder auch in Papierform auftreten. Sie dienen zum einen der Unterstützung der Unternehmensführung und der verschiedenen betrieblichen Funktionsbereiche, zum anderen der Erfüllung von gesetzlich vorgeschriebenen Dokumentationsanforderungen, z.B. im Rechnungswesen. Das Rechnungswesen ist einer der ältesten Bereiche der Informationswirtschaft. Es gliedert sich in folgende Bereiche: In der Kostenrechnung bzw. dem internen Rechnungswesen (vgl. Abschnitt 4.3) werden die Güterflüsse abgebildet und kontrolliert, z.B. der Materialzugang, der Einsatz von Material in der Fertigung, die Nutzung von Anlagen und Personal, der Produktionsfortschritt und die Auslieferung von Produkten. Die Finanzbuchhaltung bzw. das externe Rechnungswesen hingegen dient der Abbildung und Kontrolle der Geldflüsse mithilfe der Buchhaltung (vgl. Abschnitt 4.1) und der Bilanzierung (vgl. Abschnitt 4.2). Im Controlling (vgl. Abschnitt 4.4) findet eine zentrale, informationsgestützte Steuerung und Überwachung der Geld- und Güterflüsse auf allen Ebenen des Unternehmens sowie eine Koordination der Planungen der Teilbereiche statt. Abb. 1.12 zeigt die Integration des Rechnungs-
1.2 Die betrieblichen Funktionen
23
wesens in den Unternehmenskreislauf, der durch die Verknüpfung der zuvor separat dargestellten güterwirtschaftlichen und finanzwirtschaftlichen Transformationsprozesse entsteht.
Entsorgung
Abfälle
Beschaffung
Werkstoffe Betriebsmittel
Produkte Dienstleistungen
Produktion
Arbeitskraft
Absatz
ABSATZMARKT
BESCHAFFUNGSMARKT
UMWELT
UNTERNEHMEN
Entgelt für Einsatzfaktoren
Informationsfluss Güterfluss Geldfluss
Finanzierung
Eigenkapital Fremdkapital Subventionen
Umsatzerlöse
Gewinnbeteiligungen Zinsen Gebühren, Beiträge, Steuern
FINANZMARKT
Abb. 1.12 Unternehmenskreislauf
Daneben gibt es eine Reihe von teils isoliert betriebenen, teils miteinander verknüpften Informationssystemen, die die einzelnen betrieblichen Funktionen bei ihren Entscheidungen und Tätigkeiten unterstützen. Diese Systeme können ausschließlich betriebsinterne Daten verarbeiten, auf Informationen in extern bereitgestellten Datenbanken zurückgreifen oder über standardisierte Schnittstellen den Informationsaustausch mit den Marktpartnern unterstützen. In Abschnitt 4.5 wird auf einige der im Folgenden genannten Informationssysteme näher eingegangen: • Beschaffung: – Material- und Warenwirtschaftssysteme – Prognosemodelle – Lagerverwaltung
24
1 Das Unternehmen in seinem Umfeld
• Produktion: – Material Requirements Planning – Produktionsplanungs- und -steuerungssysteme – Computer Integrated Manufacturing – Qualitätssicherungssysteme – Arbeitszeiterfassungssystem • Absatz: – Marktforschung – Kundenverwaltung – Absatzstatistiken • Logistik: – Transport- und Tourenplanung – Tracking and Tracing • Entsorgung: – Schadstoffkataster – Emissionskontrolle – Nachweis von Entsorgungswegen • Finanzierung: – Cash Management – Anlagenspiegel – Debitorenbuchhaltung • Unternehmensführung: – Management Information Systems – Data Warehouses – Decision Support Systems
1.2.4
Unternehmensführung
Die Aufgabe der Unternehmensführung ist das Management, d.h. die umfassende Planung, Steuerung und Kontrolle der betrieblichen Vorgänge. Diese Koordinationsaufgabe lässt sich als ein die einzelnen Bereiche integrierender Transformationsprozess interpretieren, der einen Überblick über sämtliche Bereiche und ihr Zusammenspiel erfordert. Die Unternehmensführung trifft Grundsatzentscheidungen vor allem hinsichtlich der organisatorischen Rahmenbedingungen und der Geschäftsfelder des Unternehmens, hinsichtlich der Produktfelder, der zu bearbeitenden Märkte und der einzusetzenden Technologien. Sie entwirft weiter das Unternehmensleitbild und die Unternehmenskultur, aus der sich die Führungsgrundsätze und die Leitlinien für die täglichen Einzelentscheidungen ableiten lassen. Die wichtigs-
1.2 Die betrieblichen Funktionen
25
ten Managementinstrumente, deren sich die Unternehmensführung dabei bedient, werden in Abschnitt 5.1.2 behandelt. Führungsentscheidungen sind dadurch gekennzeichnet, dass sie iterativ und interaktiv in mehreren Phasen ablaufen, die sich wie in Abb. 1.13 in Form eines Regelkreises anordnen lassen.
Zielvorgabe
Kontrolle
Planung Information Kommunikation
Realisation
Entscheidung
Abb. 1.13 Regelkreis der Unternehmensführung
Ausgangspunkt des unternehmerischen Entscheidungsprozesses ist eine Zielvorgabe. Bei der anschließenden Planung wird die Problemstellung strukturiert, indem die realisierbaren Entscheidungsalternativen herausgearbeitet werden. Durch die Entscheidung wird diejenige Alternative ausgewählt, die den höchsten Zielbeitrag verspricht. Sie wird im Rahmen der Realisation in die Realität umgesetzt. Den Abschluss des Entscheidungsprozesses bildet die Kontrolle, bei der überprüft wird, inwieweit die Zielvorgabe erreicht wurde. In Abhängigkeit vom Ausmaß der festgestellten Abweichungen erfolgt eine Rückkopplung in frühere Phasen des Entscheidungsprozesses, der auch bei einer Veränderung von Umweltdaten, bei Vorliegen von neuen Informationen oder bei einer Veränderung der Zielsetzung stets erneut durchlaufen wird. Wichtige Teilbereiche der Unternehmensführung, auf die im fünften Kapitel näher eingegangen wird, sind: • Technologiemanagement: Hier werden Entscheidungen über den Standort des Unternehmens, seine Kapazitäten und die Technologieausstattung getroffen (vgl. Abschnitt 5.2). • Personalmanagement: Seine Aufgaben umfassen die Entwicklung von Grundsätzen zur Personalführung sowie die langfristige Planung des Arbeitskräftepotenzials und der Arbeitszeiten (vgl. Abschnitt 5.3).
26
1 Das Unternehmen in seinem Umfeld
• Qualitätsmanagement: Durch den Einsatz von Instrumenten des Total Quality Management soll die Kundenzufriedenheit mit den Produkten und dem Service des Unternehmens gesteigert werden (vgl. Abschnitt 5.4). • Umwelt- und Risikomanagement: Sein Ziel besteht in der Verringerung von Risiken, die aus der Unternehmenstätigkeit und speziell aus der Inanspruchnahme der natürlichen Umwelt resultieren (vgl. Abschnitt 5.5).
1.3
Die externen Austauschbeziehungen
Während bislang in erster Linie die internen Strukturen und Vorgänge in einem Unternehmen betrachtet wurden, stehen nunmehr die externen Beziehungen zu den relevanten Märkten (Abschnitt 1.3.1) und die verschiedenen Anspruchsgruppen, die ein Interesse an dem Unternehmen haben (Abschnitt 1.3.2), im Vordergrund. Die in Abschnitt 1.3.3 betrachteten Austauschbeziehungen auf Märkten werden als Transaktionen bezeichnet und sind immer dann vorteilhaft, wenn die dabei anfallenden Transaktionskosten geringer sind als die Kosten einer internen Leistungserstellung.
1.3.1
Relevante Märkte
Die verschiedenen Transformationsprozesse in einem Unternehmen werden nicht isoliert durchgeführt, sondern sind eingebettet in ein Netz von Transaktionen, die das Unternehmen mit seiner Umwelt vornimmt. Diese Transaktionen beziehen sich auf verschiedene Märkte, mit denen das Unternehmen über seine Schnittstellen zur relevanten Umwelt in Verbindung steht. In der Wirtschaftstheorie versteht man unter einem Markt einen Ort, an dem Angebot und Nachfrage nach einem Gut zusammentreffen. Wie schon in Abschnitt 1.2.1 herausgearbeitet wurde, findet die Beschaffung der verschiedenen Gruppen von Produktionsfaktoren auf den jeweiligen Beschaffungsmärkten statt, die sich in ihren Strukturen zum Teil stark unterscheiden: • Da Werkstoffe für die Herstellung der Produkte regelmäßig benötigt werden, ist die Materialbeschaffung durch wiederkehrende, häufig langfristig angelegte Beziehungen zu dem bzw. den Lieferanten gekennzeichnet. Soweit es sich um häufig benötigte Normteile handelt, lassen sich die Lieferbeziehungen stark standardisieren, lediglich für sporadisch benötigte Spezialmaterialien ist vor jeder Lieferung ein aufwändiger Beschaffungsprozess mit Ausschreibung, Lieferantenwahl und genauer Überwachung erforderlich. • Die Beschaffung von Betriebsmitteln ist wegen der langen Nutzungsdauer dadurch gekennzeichnet, dass sie in größeren Zeitabständen erfolgt, aber in der Regel einen wesentlich höheren Aufwand erfordert als die Materialbeschaffung. Bei der Investitionsplanung wird nicht nur der Lieferant einer Anlage ausgewählt, sondern es werden auch Entscheidungen über ihre Kapazität, ihr Bearbeitungsspektrum und ihre technische Ausgestaltung
1.3 Die externen Austauschbeziehungen
27
getroffen. Da die Anfertigung und die Installation einer Anlage in der Regel einen längeren Zeitraum in Anspruch nehmen, ist darüber hinaus eine enge Abstimmung mit dem Lieferanten erforderlich. • Zur Beschaffung von Personal steht dem Unternehmen der Arbeitsmarkt zur Verfügung. Vor allem die Arbeitsämter übernehmen hier eine Vermittlerfunktion, um das Angebot an Arbeitskräften verschiedener Qualifikation und die Nachfrage der Unternehmen zusammenzubringen. Die Akquisition von neuen Arbeitskräften kann weiter mithilfe von Stellenanzeigen, über Recruiting-Veranstaltungen oder durch den Einsatz privater Arbeitsvermittler erfolgen. Daneben sind die Absatzmärkte, auf denen das Unternehmen seine Produkte anbietet, von überragender Bedeutung für den Unternehmenserfolg. Diese Märkte sind in der Regel nicht homogen, sondern aufgrund lokaler, kultureller und soziodemografischer Einflussfaktoren mehr oder weniger stark ausdifferenziert. Mithilfe der Marktforschung versucht das Unternehmen, die Bedürfnisse der einzelnen Teilmärkte und Marktnischen zu erkennen, um dort jeweils spezifische Produkte anzubieten, die sich von denen der Konkurrenz deutlich unterscheiden. Durch den Einsatz der in Abschnitt 2.3.3 behandelten Marketing-Instrumente, vor allem der Werbung, lassen sich die Präferenzen der potenziellen Kunden gezielt beeinflussen. Aus der Tendenz zur Globalisierung der Märkte resultieren neue Anforderungen hinsichtlich der Gestaltung sowohl der Produkte selbst als auch ihrer Vermarktung. Für die Beschaffung und die Anlage von finanziellen Mitteln bedient sich das Unternehmen der Finanzmärkte. Man unterscheidet den Geldmarkt, auf dem Mittel mit einer Laufzeit bis zu einem Jahr transferiert werden, und den Kapitalmarkt, der für längerfristige Transaktionen, insbesondere langfristige Kredite und Unternehmensbeteiligungen, in Anspruch genommen wird. Mit Ausnahme weniger Großunternehmen hat ein Unternehmen in der Regel keinen direkten Zugriff auf die Finanzmärkte, sondern ist auf die Vermittlung von Finanzintermediären, d.h. Banken, Versicherungen oder sonstigen Vermittlern, angewiesen. Durch die Tendenz zur Deregulierung und internationalen Integration der Volkswirtschaften stehen den Unternehmen nicht nur die nationalen, sondern auch die internationalen Finanzmärkte zur Verfügung. Auch für den Bereich der Informationswirtschaft gibt es Märkte, auf denen ein Unternehmen die benötigten Informationen erwerben kann. Hierzu zählen z.B. Datenbankdienste, die dem Unternehmen Daten einer speziellen Kategorie, wie Marktdaten, Absatzdaten, Wirtschaftsprognosen oder Anbieterverzeichnisse, gegen Entgelt zur Verfügung stellen. Weiter bieten spezielle Dienstleister Aufgaben im Bereich der Informationsverarbeitung, wie Finanzbuchhaltung, Debitorenbuchhaltung, Inkasso oder Anlagenwirtschaft, an. Auch das Angebot von betrieblicher Anwendungssoftware sowie das Internet mit seinen weitreichenden Informationsmöglichkeiten zählen zu den Märkten für Informationen.
28
1.3.2
1 Das Unternehmen in seinem Umfeld
Stakeholder
Das Unternehmen unterhält Beziehungen verschiedenster Art mit einer Vielzahl von Stakeholdern bzw. Anspruchsgruppen, die jeweils unterschiedliche Interessen und Informationsbedürfnisse haben. Diese muss das Unternehmen in angemessener Weise berücksichtigen, um seine Aktivitäten auch langfristig erfolgreich durchführen zu können. Die wichtigsten Gruppen der Stakeholder und ihre Bedeutung für das Unternehmen sind im Folgenden in der Reihenfolge abnehmender Bindungsintensität genannt (vgl. auch Abb. 1.14):
Anteilseigner
Kreditgeber
Arbeitnehmer
Öffentlichkeit
Interessengruppen
Unternehmen
Staat
Lieferanten Dienstleister
Kunden Anrainer
Konkurrenten
Abb. 1.14 Stakeholder des Unternehmens
• Die Anteilseigner bzw. Shareholder haben sich mit einem Teil ihres Vermögens an dem Unternehmen beteiligt und tragen insofern das unternehmerische Risiko mit. Daher haben sie ein Interesse daran, dass das Unternehmen mit seinen Aktivitäten den Wert ihrer Kapitalanlage nicht gefährdet, sondern vielmehr durch Kursgewinne und regelmäßige Ausschüttungen ihr Vermögen erhöht. Die Maximierung des Shareholder Value wird von vielen Unternehmen als dominierende Zielsetzung verfolgt, da der langfristige Unternehmensbestand von der Zufriedenheit der Anteilseigner mit der Performance ihrer Anlage abhängt. • Kreditgeber stellen dem Unternehmen zeitlich befristet Kapital zur Verfügung und erwarten zum einen die regelmäßige Zahlung der vereinbarten Zinsen, zum anderen die fristgerechte Rückzahlung des Kapitals. Im Gegensatz zu den Anteilseignern ist ihr Risiko auf den Kreditbetrag zuzüglich der aufgelaufenen Zinsen begrenzt. • Die Arbeitnehmer erwarten vom Unternehmen als Gegenleistung für ihre Arbeitsleistungen nicht nur die regelmäßige Zahlung von Löhnen bzw. Gehältern und Sozialleistungen, sondern auch einen langfristig sicheren Arbeitsplatz, ein angenehmes Arbeitsklima, die
1.3 Die externen Austauschbeziehungen
29
Einhaltung von Unfallschutz- und Gesundheitsvorschriften, zum Teil auch Weiterbildungs- und Qualifikationsmöglichkeiten oder Karriereaussichten. • Lieferanten und Dienstleister erbringen Leistungen für das Unternehmen und erwarten, dafür fristgerecht das vereinbarte Entgelt zu erhalten. Im Interesse einer dauerhaften Geschäftsbeziehung sind sie häufig bereit, Preiszugeständnisse zu machen oder zusätzliche Serviceleistungen zu erbringen. • Das Interesse der Kunden an dem Unternehmen besteht darin, die gewünschten Produkte in der erwarteten Qualität und zu akzeptablen Preisen zuverlässig zu erhalten. Häufig ist eine solche Geschäftsbeziehung auf Dauer angelegt, d.h. die Kunden werden die Produkte so lange bei demselben Unternehmen kaufen, wie ihre Erwartungen nicht enttäuscht werden. • Die Konkurrenten stehen lediglich in einer indirekten Beziehung zu dem Unternehmen, indem sie auf den gleichen Märkten um die gleichen Kunden konkurrieren. Ihr vornehmliches Interesse besteht darin, rechtzeitig Informationen über geplante Aktionen des Unternehmens, z.B. neue Produkte, Preissenkungen, Werbekampagnen, zu erhalten, um angemessen darauf reagieren zu können. • Die Anrainer eines Unternehmens sind aufgrund der betrieblichen Tätigkeit häufig erheblichen Belästigungen durch Schadstoffemissionen, Lärm und Straßenverkehr ausgesetzt. Um daraus resultierenden Imageeinbußen oder sogar Sanktionen, die zu Betriebsbeeinträchtigungen führen können, zuvorzukommen, tut das Unternehmen gut daran, über die strikte Einhaltung sämtlicher einschlägigen Vorschriften hinaus gute Kontakte zu seinen Anrainern zu pflegen, eventuell sogar freiwillig Zahlungen zur Kompensation von Unannehmlichkeiten zu leisten. • Der Staat erbringt vielfältige Leistungen für das Unternehmen: Er stellt nicht nur die Rechtsordnung zur Verfügung, innerhalb derer das Unternehmen tätig wird, sowie die für die betriebliche Tätigkeit unerlässliche Infrastruktur, sondern er hilft darüber hinaus auch ausgewählten Branchen oder einzelnen Unternehmen durch Maßnahmen wie Wirtschaftsförderung und Subventionen. Auf der anderen Seite erwartet er vom Unternehmen die Zahlung von Steuern, Gebühren und Beiträgen und schränkt dessen Entscheidungsfeld durch vielfältige Regulierungen und Vorschriften ein. • Bestimmte Interessengruppen haben spezifische Interessen am Unternehmen und seinen Tätigkeiten, z.B. befassen sich Umweltgruppen mit den von ihm ausgehenden Umweltbelastungen. Das Unternehmen sollte gute Kontakte mit solchen Gruppen pflegen, um nicht durch unerwartete Reaktionen auf seine Aktivitäten Imageeinbußen zu erleiden. • Nicht zuletzt ist die Öffentlichkeit, soweit sie nicht bereits in den anderen Gruppen erfasst ist, eine wichtige Anspruchsgruppe für das Unternehmen. Viele Unternehmen legen Wert darauf, z.B. durch Public Relations ein gutes Image in der Öffentlichkeit aufrechtzuerhalten.
30
1 Das Unternehmen in seinem Umfeld
Aus der Sicht eines Stakeholders müssen sich seine Leistungen an das Unternehmen und die dafür erhaltenen Gegenleistungen langfristig im Gleichgewicht befinden, sonst besteht für ihn ein Anreiz, seine Beziehungen zu dem Unternehmen zu beenden und seine Leistungen einem anderen Unternehmen zur Verfügung zu stellen, das ihm eine höhere Gegenleistung bietet.
1.3.3
Transaktionen
Ein Unternehmen steht in vielfältigen Transaktionsbeziehungen mit anderen Marktteilnehmern sowie mit seinen Stakeholdern. Damit eine große Anzahl von Transaktionen effizient abgewickelt werden kann, müssen diese hinreichend standardisiert und in eine Rechtsordnung eingebettet sein, die gegebenenfalls die Durchsetzung von Ansprüchen der Beteiligten erleichtert. Die deutsche Rechtsordnung stellt unter anderem eine Reihe von Vertragstypen zur Verfügung, auf die Unternehmen bei ihren Markttransaktionen zurückgreifen können, und auch im internationalen Raum gibt es entsprechende Vereinbarungen. So ist z.B. geregelt, dass ein Kaufvertrag zustande kommt, wenn das Angebot eines Lieferanten vom Abnehmer angenommen wird. Aus dem Kaufvertrag resultiert für den Lieferanten die Pflicht zur fristgerechten Lieferung der Ware und für den Abnehmer die Pflicht zur Zahlung des vereinbarten Kaufpreises. Alternativ zum Leistungsaustausch auf Märkten besteht bei vielen Transaktionen die Möglichkeit, die Leistung im eigenen Unternehmen zu erbringen, vor allem bei Dienstleistungen wie Wartungsverträgen, Kundendienst, Inkasso, Lohnabrechnung usw. Aber auch in der Produktion benötigte Vorprodukte können entweder selbst erstellt oder über den Markt bezogen werden. Damit stellt sich für das Unternehmen die Frage nach der optimalen Wertschöpfungstiefe bzw. nach dem Grad des Outsourcing, die aufgrund der mit den verschiedenen Ausgestaltungsmöglichkeiten verbundenen Kosten entschieden wird (vgl. auch Abschnitt 2.1.1). Bei der internen Leistungserstellung fallen Kosten für die Koordination der verschiedenen betrieblichen Einheiten an, beim Leistungsbezug über den Markt treten an deren Stelle die mit der Durchführung der Transaktion verbundenen Transaktionskosten. Diese setzen sich zusammen aus: • Suchkosten: Kosten für die Suche nach geeigneten Marktpartnern, z.B. für Anzeigen • Kontraktkosten: Kosten für den Abschluss von Verträgen, z.B. bei notarieller Beurkundung • Kommunikationskosten: Kosten für die laufende Abstimmung mit dem Marktpartner, z.B. Telekommunikationskosten • Kontrollkosten: Kosten für die Überwachung der Transaktion, z.B. Wareneingangskontrolle • Störkosten: Kosten aufgrund von gestörten Transaktionen, z.B. Vertragsstrafen, Gewährleistung
1.4 Rechtsformen
31
Ein Unternehmen wird sich daher auf diejenigen Leistungen konzentrieren, bei denen die interne Leistungserstellung einen Kostenvorteil aufweist, und alle anderen Leistungen, bei denen die Transaktionskosten unter den Koordinationskosten liegen, über den Markt beziehen. Der Leistungsbezug über den Markt beschränkt sich nicht auf isolierte Vertragsbeziehungen zwischen einzelnen Unternehmen, sondern kann auch die in Abschnitt 1.1.5 behandelten Kooperationsformen umfassen. Somit gibt die Transaktionskostentheorie gleichzeitig eine Begründung für marktorientierte Austauschbeziehungen und für das Zustandekommen von komplexen, hierarchisch strukturierten Unternehmen: Prinzipiell könnten sämtliche Leistungen über vertragliche Regelungen zwischen spezialisierten Einzelpersonen erstellt werden. Da dies vielfach jedoch mit hohen Transaktionskosten verbunden ist, erweist sich häufig der Zusammenschluss in einem Unternehmen als organisatorischer Einheit mit arbeitsteilig organisierten, standardisierten Abläufen als vorteilhaft.
1.4
Rechtsformen
Bei der Gründung eines Unternehmens ist eine Entscheidung hinsichtlich der Rechtsform, in der es geführt werden soll, zu treffen. Die Rechtsordnung stellt verschiedene Rechtsformen zur Verfügung, die sich insbesondere hinsichtlich der Bezeichnung, der Gründung, der Haftung, der Organe, der Geschäftsführung und Vertretung, des erforderlichen Mindestkapitals, der Steuerbelastung, der Publizitätspflichten sowie der Regelung der Gewinn- und Verlustbeteiligung unterscheiden. Entspricht die zuvor gewählte Rechtsform nicht mehr den Bedürfnissen des Unternehmens, z.B. weil das Geschäftsvolumen für ein Einzelunternehmen zu groß geworden ist, so ist ein Wechsel in eine andere Rechtsform möglich. Die in Deutschland zulässigen Rechtsformen lassen sich – wie in Abb. 1.15 dargestellt - den beiden Gruppen der Personengesellschaften (Abschnitt 1.4.1) und der Kapitalgesellschaften (Abschnitt 1.4.2) zuordnen, daneben sind als weitere Rechtsformen die Genossenschaft, der Verein, die Stiftung und die gemeinnützige GmbH (gGmbH) möglich (Abschnitt 1.4.3). Für international tätige Unternehmen stehen auch europäische Rechtsformen sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene zur Verfügung, die in Abschnitt 1.4.4 behandelt werden. Abschnitt 1.4.5 gibt einen Überblick über den Aufbau und die Tätigkeiten von Konzernen.
32
1 Das Unternehmen in seinem Umfeld Rechtsformen
Personengesellschaften
Kapitalgesellschaften
Sonstige Rechtsformen
Einzelunternehmen
GmbH
Genossenschaft
Offene HandelsGesellschaft
Aktiengesellschaft
Verein
GmbH & Co. KG
Kommanditgesellschaft
Stiftung
KGaA
gGmbH
Stille Gesellschaft BGB-Gesellschaft Partnerschaft
Abb. 1.15 Rechtsformen
1.4.1
Personengesellschaften
Personengesellschaften sind dadurch gekennzeichnet, dass sie durch eine oder mehrere natürliche Personen geführt werden und keine eigene Rechtspersönlichkeit haben. Die Inhaber sind gleichzeitig die Eigentümer und in der Regel auch die Leiter des Unternehmens, d.h. sie bringen das Eigenkapital auf, treffen die unternehmerischen Entscheidungen und haften für die Verbindlichkeiten des Unternehmens. Regelungen hinsichtlich der Ausgestaltung von Personengesellschaften finden sich im Handelsgesetzbuch (HGB), zum Teil auch im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) und anderen Gesetzen. • Das Einzelunternehmen wird von einer einzigen Person, dem Kaufmann, betrieben. Der Kaufmann bzw. Unternehmer bringt Gegenstände oder Geld aus seinem Privatvermögen in dem von ihm für erforderlich gehaltenen Umfang als Eigenkapital in das Unternehmen ein, er haftet für die Verbindlichkeiten des Unternehmens unbeschränkt mit seinem gesamten Vermögen. Die Höhe des Eigenkapitals kann durch zusätzliche Einlagen oder Entnahmen im Laufe eines Geschäftsjahrs sowie durch die Verrechnung von Gewinnen oder Verlusten beim Jahresabschluss schwanken. Der Firmenname eines Einzelunternehmens muss aus dem Vor- und Zunamen des Inhabers bestehen, Hinweise auf den Geschäftsbereich des Unternehmens sind als Zusatz zulässig. Der Einzelunternehmer trifft alle geschäftlichen Entscheidungen selbst und kann damit schnell und flexibel auf Marktchancen reagieren. Der Nachteil dieser Rechtsform besteht darin, dass zum einen der Unternehmer ein hohes Risiko trägt, zum anderen aufgrund der geringen Haftungsbasis nur
1.4 Rechtsformen
33
beschränkte Möglichkeiten zur Kapitalaufnahme und damit zur Ausweitung der Geschäftstätigkeit bestehen. • Betreiben mehrere Kaufleute gemeinsam ein Unternehmen, so liegt eine offene Handelsgesellschaft vor. Die Gesellschafter haben prinzipiell gleiche Rechte und Pflichten, Abweichungen von dieser gesetzlichen Regelung können im Gesellschaftsvertrag geregelt werden. Der Firmenname muss aus dem Namen mindestens eines Gesellschafters bestehen sowie einem Zusatz, der auf die Gesellschaft hinweist, z.B. OHG oder & Co. Die Gesellschafter bringen gemeinsam das Eigenkapital der Gesellschaft auf. Für die Verbindlichkeiten des Unternehmens haften sie unmittelbar, unbeschränkt und gesamtschuldnerisch, d.h. ein Gläubiger kann den ihm zustehenden Betrag direkt von einem beliebigen Gesellschafter verlangen. Die Führung der Geschäfte und die Vertretung der Gesellschaft können von jedem Gesellschafter einzeln vorgenommen werden, zweckmäßigerweise erfolgt im Innenverhältnis der Gesellschafter eine Aufgabenaufteilung. Bezüglich der Erfolgsverteilung sieht das HGB vor, dass von einem Gewinn zunächst eine Verzinsung von 4% auf die Einlage jedes Gesellschafters gezahlt und der Rest nach Köpfen aufgeteilt wird; ein Verlust wird vollständig nach Köpfen verteilt. Diese Regelung wird üblicherweise im Gesellschaftsvertrag so geändert, dass sie den Bedürfnissen der Beteiligten besser entspricht. Gegenüber einem Einzelunternehmen hat die offene Handelsgesellschaft den Vorteil, dass sie auf eine breitere Kapitalbasis gestellt ist und das unternehmerische Risiko auf mehrere Personen verteilt wird. Dadurch lässt sich das Geschäftsvolumen erhöhen und z.B. in neue Märkte oder Technologien ausweiten. Allerdings ist die Aufnahme von Fremdkapital weiterhin nur beschränkt möglich. Ein weiterer Nachteil dieser Rechtsform zeigt sich, wenn es zu Interessenkonflikten zwischen den Gesellschaftern kommt. • Die Kommanditgesellschaft ähnelt der offenen Handelsgesellschaft sehr stark. Der wesentliche Unterschied besteht darin, dass es zwei Gruppen von Gesellschaftern gibt, die voll haftenden Komplementäre und die nur beschränkt haftenden Kommanditisten. Während die Komplementäre die gleichen Rechte und Pflichten aufweisen wie die Gesellschafter einer offenen Handelsgesellschaft und mit ihrem gesamten Vermögen für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft haften, sind die Kommanditisten von der Geschäftsführung und Vertretung ausgeschlossen. Ihre Haftung ist beschränkt auf die Kommanditeinlage, eine feste Kapitaleinlage, deren Höhe in das öffentlich einsehbare Handelsregister eingetragen wird. Der Firmenname wird aus dem Namen mindestens eines Komplementärs und einem Zusatz für das Gesellschaftsverhältnis gebildet, dieser lautet z.B. KG, & Co. oder & Co. KG. Bei der Gewinnverteilung sieht das HGB eine Verzinsung in Höhe von 4% der Einlagen und eine angemessene Verteilung des Rests vor, ein Verlust wird nach Köpfen verteilt. Im Gesellschaftsvertrag werden daher in der Regel abweichende Regelungen getroffen, die sich an dem Kapitaleinsatz und dem Engagement in der Gesellschaft orientieren. Die Rechtsform der Kommanditgesellschaft wird häufig gewählt, um Familienmitglieder oder andere Personen an einem Unternehmen beteiligen zu können, ohne dass diese nach außen in Erscheinung treten. Durch die Kommanditeinlagen besteht eine feste Eigenkapitalbasis, so dass die Aufnahme von Fremdkapital erleichtert wird. Auch die Aufnahme zusätzlicher Gesellschafter, die sich lediglich an dem Unter-
34
1 Das Unternehmen in seinem Umfeld nehmen beteiligen und nicht in der Geschäftsführung tätig werden wollen, ist in Form von Kommanditisten problemlos möglich.
• Bei einer stillen Gesellschaft handelt es sich um eine Beteiligung an einem Personenunternehmen, die nach außen nicht in Erscheinung tritt. Der Kapitalgeber stellt seine Einlage zur Verfügung und erhält dafür eine angemessene Gewinnbeteiligung. Von der Geschäftsführung und Vertretung ist er ausgeschlossen, er hat lediglich ein Recht auf regelmäßige Informationen über die Geschäfte. Dafür übernimmt der stille Gesellschafter auch keine Haftung für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft, ihm steht bei einer Insolvenz sogar eine Forderung gegen den Hauptgesellschafter zu. Die Einlage des stillen Gesellschafters geht nach außen in das Vermögen des Hauptgesellschafters über, der Firmenname wird nicht geändert. • Eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) bzw. BGB-Gesellschaft ist ein Zusammenschluss von mehreren Personen oder Unternehmen zur Erreichung eines gemeinsamen Zwecks. Häufig wird eine solche Gesellschaft nur vorübergehend zur Abwicklung eines bestimmten Geschäfts gebildet und anschließend wieder aufgelöst, z.B. Arbeitsgemeinschaften im Hoch- und Tiefbau, Emissionskonsortien für Wertpapiere. Zur Gründung ist ein formloser Gesellschaftsvertrag erforderlich, für die Verbindlichkeiten des Unternehmens haften die Gesellschafter unmittelbar, unbeschränkt und gesamtschuldnerisch. Geschäftsführung und Vertretung erfolgen prinzipiell gemeinschaftlich, die Verteilung von Gewinn und Verlust wird nach Köpfen vorgenommen. Diese beiden unflexiblen Regelungen des BGB werden in der Regel durch den Gesellschaftsvertrag abgeändert. • Eine Partnerschaft ist eine Gesellschaft, in der sich Angehörige freier Berufe, z.B. Ärzte, Anwälte, Steuerberater, Unternehmensberater, Ingenieure und Architekten, zur gemeinsamen Ausübung ihrer Tätigkeit zusammenschließen. Erscheinungsformen der Partnerschaft sind z.B. Gemeinschaftspraxen, Ingenieurbüros oder Anwaltssozietäten. Die Partnerschaft muss in das Partnerschaftsregister eingetragen werden. Die einzelnen Vorschriften des Partnerschaftsgesetzes ähneln stark den Bestimmungen des HGB über die offene Handelsgesellschaft.
1.4.2
Kapitalgesellschaften
Im Gegensatz zu Personengesellschaften besteht bei Kapitalgesellschaften keine persönliche Haftung der Gesellschafter für die Verbindlichkeiten des Unternehmens, sondern es haftet lediglich die Gesellschaft mit ihrem Geschäftsvermögen. Eine Kapitalgesellschaft ist mit einem festen Nennkapital ausgestattet, dessen Höhe in das Handelsregister eingetragen wird und das dem Gläubigerschutz dient. Häufig werden in einer Kapitalgesellschaft Einlagen vieler Anteilseigner gesammelt, um ein Geschäftsvolumen zu ermöglichen, das für einen Einzelunternehmer oder eine Personengesellschaft nicht realisierbar wäre. Die Industrialisierung im 18. und 19. Jahrhundert wäre ohne die Gründung von Kapitalgesellschaften nicht denkbar gewesen. Eine Kapitalgesellschaft verfügt als juristische Person über eine eigene Rechtspersönlichkeit, die mit der Eintragung in das Handelsregister entsteht, für ihre Geschäftsführung und Vertretung werden von den Anteilseignern spezielle Organe eingesetzt.
1.4 Rechtsformen
35
Aufgrund der stärkeren Anonymität der Beziehungen zwischen den an einer Kapitalgesellschaft Beteiligten bestehen spezielle, von der Unternehmensgröße abhängige Vorschriften hinsichtlich der Rechnungslegung, der Rechnungsprüfung und der Veröffentlichung der Jahresabschlüsse. Obwohl von den im Folgenden behandelten Rechtsformen nur die GmbH und die Aktiengesellschaft Kapitalgesellschaften im eigentlichen Sinne sind, werden die Mischformen der GmbH & Co. KG und der KGaA hinzugenommen, da sie von ihrer Ausgestaltung und ihrer Funktion her eher bei den Kapitalgesellschaften als bei den Personengesellschaften anzusiedeln sind. • Die Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) kann durch eine oder mehrere Personen gegründet werden. Im notariell beurkundeten Gesellschaftsvertrag sind der Firmenname, der Geschäftszweck und der Sitz des Unternehmens sowie die Höhe des Stammkapitals und seine Aufteilung auf die von den Gesellschaftern übernommenen Stammeinlagen anzugeben. Das Stammkapital muss mindestens 25.000 € betragen, eine Stammeinlage mindestens 100 € und durch 50 teilbar sein. Das erforderliche Mindestkapital soll laut aktuellem Gesetzesentwurf (Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) – „GmbH-Novelle“) demnächst auf 10.000 € herabgesetzt werden. Die Entscheidungen innerhalb einer GmbH werden durch folgende Organe getroffen: Die Gesellschafterversammlung tritt mindestens einmal jährlich zusammen und entscheidet über die Feststellung des Jahresabschlusses, die Gewinnverteilung, die Bestellung oder Abberufung von Geschäftsführern sowie über grundsätzliche Strategien und wichtige Einzelgeschäfte. Ein Gesellschafter hat je 50 € Stammeinlage eine Stimme in der Gesellschafterversammlung. Die Führung der laufenden Geschäfte und die Vertretung der Gesellschaft nach außen erfolgen durch einen oder mehrere Geschäftsführer, diese können gleichzeitig Gesellschafter sein. Ein Aufsichtsrat wird bei einer GmbH nur dann gebildet, wenn es aufgrund der Vorschriften zur Mitbestimmung der Arbeitnehmer erforderlich oder im Gesellschaftsvertrag vorgesehen ist. Die Verteilung des Gewinns erfolgt anhand der Geschäftsanteile. Der Geschäftsführer erhält ein festes Gehalt und vielfach zusätzlich eine gewinnabhängige Prämie. Der große Vorteil der GmbH besteht darin, dass sie mit geringem Startkapital auch von einer Einzelperson unter Ausschluss der persönlichen Haftung gegründet werden kann. Bei zunehmendem Geschäftsvolumen kann das Stammkapital erhöht werden, eine Aufnahme neuer Gesellschafter ist durch die Übertragung von Geschäftsanteilen möglich. Die Möglichkeiten zur Fremdkapitalaufnahme hängen stark von der Höhe des Stammkapitals der Gesellschaft ab, bei einer Ein-Mann-GmbH mit einem Stammkapital an der Untergrenze werden die Kreditgeber in der Regel zusätzlich eine persönliche Bürgschaft des Gesellschafter-Geschäftsführers verlangen. Ein Nachteil der GmbH sind die mit dieser Rechtsform verbundenen Kosten, die durch die notarielle Beurkundung des Gesellschaftsvertrags und seiner Änderungen sowie durch die Handelsregistereintragung entstehen. Da auch die Übertragung eines GmbH-Anteils notariell beurkundet werden muss,
36
1 Das Unternehmen in seinem Umfeld ist diese Rechtsform zur kurzfristigen Kapitalanlage im Gegensatz zur Aktie wenig geeignet.
• Während der Gesellschafterkreis einer GmbH meist überschaubar ist, werden Aktiengesellschaften in erster Linie gegründet, um das Kapital vieler Personen in einem Unternehmen zusammenzuführen und darüber hinaus Zugang zum organisierten Kapitalmarkt zu erhalten. Die Gründung einer Aktiengesellschaft ist aus Gründen des Gläubigerschutzes gesetzlich streng geregelt, auch hier ist eine notarielle Beurkundung vorgeschrieben. Unter anderem ist ein Grundkapital von mindestens 50.000 € erforderlich, das in Aktien eingeteilt wird. Durch Zeichnung oder Erwerb dieser Aktien lässt sich eine Beteiligung an einer Aktiengesellschaft erwerben. Eine Aktie ist ein Wertpapier, in dem das Mitgliedschaftsrecht an der Aktiengesellschaft verbrieft ist. Mit ihr sind Vermögensrechte wie der Anspruch auf Dividende, auf junge Aktien bei einer Kapitalerhöhung und auf einen Anteil am Liquidationserlös bei Auflösung der Gesellschaft, sowie Verwaltungsrechte wie das Teilnahme-, Rede- und Stimmrecht bei der Hauptversammlung verbunden. Aktien großer Gesellschaften werden an inländischen und internationalen Börsen gehandelt, ihr Kauf und Verkauf ist bei marktgängigen Papieren jederzeit problemlos möglich. Bei zusätzlichem Kapitalbedarf wird eine Kapitalerhöhung durchgeführt, bei der neue Aktien über die Börsen emittiert werden. Die Haftung für die Verbindlichkeiten einer Aktiengesellschaft ist auf das Gesellschaftsvermögen beschränkt. Ähnlich wie bei der GmbH werden die Entscheidungen innerhalb einer Aktiengesellschaft durch verschiedene Organe getroffen: Die mindestens einmal jährlich tagende Hauptversammlung entscheidet über die Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat, die Verwendung des Bilanzgewinns, die Bestellung von Aufsichtsratsmitgliedern und Jahresabschlussprüfern und mit einer ¾-Mehrheit über Satzungsänderungen, sie nimmt jedoch keinen direkten Einfluss auf die regelmäßigen Geschäfte. Der Vorstand übernimmt die Geschäftsführung und Vertretung der Aktiengesellschaft, er wird vom Aufsichtsrat für höchstens fünf Jahre bestellt. Vorstandsmitglieder erhalten neben einem festen Gehalt eine gewinnabhängige Tantieme. Der Aufsichtsrat wird von der Hauptversammlung für vier Jahre eingesetzt, er ist ein Kontrollorgan, das die Geschäftsführung des Vorstands überwacht. Da mit einer Aktiengesellschaft erhebliche Kosten der Rechtsform verbunden sind, ist sie für kleine Unternehmen ungeeignet. • Die GmbH & Co. KG ist eine Kommanditgesellschaft, deren Komplementär eine GmbH ist. Die Kommanditisten sind natürliche Personen und häufig gleichzeitig Gesellschafter der GmbH. Obwohl es sich bei der GmbH & Co. KG formell um eine Personengesellschaft handelt, ist durch ihre Konstruktion die persönliche Haftung für alle beteiligten Personen ausgeschlossen. Die Geschäftsführung und Vertretung des Unternehmens wird vom Geschäftsführer der GmbH übernommen. Diese Rechtsform wird aus steuerlichen Gründen häufig von kleineren Unternehmen gewählt. Aufgrund der Haftungsbeschränkung kann die GmbH & Co. KG auf Schwierigkeiten bei der Kreditbeschaffung stoßen. Ein weiterer Nachteil sind die gegenüber der KG ausgeweiteten Vorschriften zur Rechnungslegung.
1.4 Rechtsformen Tab. 1.2
37
Überblick über die wichtigsten Rechtsformen Mindestkapital
Haftung
Organe
Geschäftsführung
Erfolgsbeteiligung
Einzelunternehmen
-
voll
-
Unternehmer
voll
oHG
-
unmittelbar
alle Gesellschafter
gemäß Vertrag
KG
-
Vollhafter Teilhafter
Komplementäre
gemäß Vertrag
GmbH
25.000 €
beschränkt
Geschäftsführer
nach Anteilen
AG
50.000 €
beschränkt
Gesellschafterversammlung Gesellschafterversammlung Gesellschafterversammlung, Geschäftsführer Hauptversammlung, Vorstand, Aufsichtsrat
Vorstand
nach Anteilen
• Eine KGaA (Kommanditgesellschaft auf Aktien) ist eine Kapitalgesellschaft mit eigener Rechtspersönlichkeit, bei der mindestens ein Gesellschafter unbeschränkt persönlich haftet. Die übrigen Gesellschafter sind an dem in Aktien zerlegten Grundkapital der Gesellschaft beteiligt, sie werden als Kommanditaktionäre bezeichnet. Das Aktienkapital kann wie bei einer Aktiengesellschaft an der Börse gehandelt werden. Die Rechte und Pflichten der persönlich haftenden Gesellschafter entsprechen denen der Komplementäre einer Kommanditgesellschaft bzw. des Vorstands einer Aktiengesellschaft, sie umfassen insbesondere die Geschäftsführung und Vertretung. Die Rechte der Kommanditaktionäre entsprechen weitgehend denen der Aktionäre einer Aktiengesellschaft, jedoch darf der von ihnen gewählte Aufsichtsrat nicht den Vorstand bestimmen. Bekannte Beispiele für Unternehmen in der Rechtsform der KGaA sind Henkel, Schwartau und Fresenius Medical Care. In Tab. 1.2 sind für einen besseren Überblick die wesentlichen Merkmale der gebräuchlichsten Rechtsformen noch einmal zusammengestellt.
1.4.3
Weitere Rechtsformen
Auch wenn die Rechtsordnung noch eine Reihe weiterer Rechtsformen bereitstellt, sind lediglich die im Folgenden behandelten Genossenschaften, der wirtschaftliche Verein, die Stiftung sowie die gemeinnützige GmbH von größerer Bedeutung für das Wirtschaftsleben. • Eine Genossenschaft ist eine Gesellschaft mit dem Zwecke der Förderung des Erwerbs oder der Wirtschaft ihrer Mitglieder durch einen gemeinschaftlichen Geschäftsbetrieb. Der Genossenschaftsgedanke geht in das vorletzte Jahrhundert zurück und kommt auch heute noch in Kreditgenossenschaften, landwirtschaftlichen Produktions- und Absatzgenossenschaften, Einkaufsgenossenschaften oder Wohnungsbaugenossenschaften zum Ausdruck. Eine Genossenschaft hat eine eigene Rechtspersönlichkeit, ihr Firmenname
38
1 Das Unternehmen in seinem Umfeld trägt den Zusatz „eingetragene Genossenschaft“ (eG). Zur Gründung einer Genossenschaft sind mindestens sieben Mitglieder (Genossen) erforderlich, die den als Statut bezeichneten Gesellschaftsvertrag feststellen. Die Genossen übernehmen keine persönliche Haftung für die Verbindlichkeiten der Genossenschaft, gegenüber den Gläubigern haftet nur das Genossenschaftsvermögen. Jeder Genosse übernimmt mindestens einen Geschäftsanteil, auf dessen Nennbetrag er eine Einlage von mindestens 10% leisten muss. Dafür hat ein Genosse das Recht, die gemeinschaftlichen Einrichtungen der Genossenschaft zu nutzen und an den Entscheidungen der Genossenschaft in der Generalversammlung, die den Vorstand und den Aufsichtsrat als Organe der Genossenschaft wählt, mitzuwirken. Das gemeinwirtschaftliche Prinzip kommt weiter darin zum Ausdruck, dass alle Genossen unabhängig von der Anzahl ihrer Geschäftsanteile bei den Entscheidungen gleichberechtigt sind.
• Bei einem eingetragenen Verein (e.V.) ist der Vereinszweck in der Regel nicht auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb ausgerichtet. Solange der nicht-wirtschaftliche Zweck im Vordergrund steht, darf sich ein eingetragener Verein auch wirtschaftlich betätigen, z.B. darf ein Sportverein im Vereinslokal einen Restaurationsbetrieb unterhalten. In Einzelfällen wachsen derartige Nebenbetriebe so stark an, dass sie die Grenzen der Organisationsform des eingetragenen Vereins sprengen. Dann besteht die Möglichkeit der Umwandlung in einen wirtschaftlichen Verein, dessen Zweck ausdrücklich ein wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb ist. Vorschriften über die Gründung und Führung von Vereinen finden sich im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB). • Eine Stiftung ist eine Einrichtung, die mithilfe eines Vermögens einen vom Stifter bestimmten Zweck verfolgen soll. Stiftungen können zu jedem legalen Zweck errichtet werden, der das Gemeinwohl nicht gefährdet. Wesentlich für die Stiftung ist, dass der Stifterwille bis zur Beendigung der Stiftung verbindlich bleibt. Die Stiftung muss mit einem Stiftungsvermögen ausgestattet werden, dessen Höhe ausreicht, um den Zweck der Stiftung dauerhaft aus den Erträgen des Vermögens verwirklichen zu können. In der Verwaltungspraxis werden in der Regel 25.000 € als ausreichend angesehen. Während die rechtsfähige Stiftung bzw. Stiftung bürgerlichen Rechts über eine eigene Rechtspersönlichkeit verfügt, wird die nichtrechtsfähige bzw. fiduziarische Stiftung von einem Treuhänder geführt. Die Stiftung entsteht mit der Anerkennung durch die Stiftungsbehörde. Die meisten Stiftungen werden für gemeinnützige Zwecke, z.B. zur Pflege von Kultur oder Wissenschaft, errichtet, aber es sind auch wirtschaftlich tätige Stiftungen möglich. • Die gemeinnützige GmbH (gGmbH) hat in den letzten Jahren stark an Bedeutung gewonnen. Sie hat die Struktur einer Kapitalgesellschaft, verfolgt aber gemeinnützige oder mildtätige Zwecke. Ihr Einsatzbereich sind vor allem Bildungseinrichtungen, Krankenhäuser, Einrichtungen der Wohlfahrtspflege, Theater, Sportvereine oder ähnliche Organisationen. Auch Vereine, die ihre wirtschaftlichen Aktivitäten ausgliedern wollen, wählen dafür häufig die gGmbH. Im Geschäftsverkehr gelten die gleichen Regeln wie bei der GmbH.
1.4 Rechtsformen
1.4.4
39
Internationale Rechtsformen
Auch die Rechtsordnungen anderer Staaten stellen Rechtsformen bereit, in denen die dort ansässigen Unternehmen geführt werden können. Dies ist insbesondere für im Ausland tätige Tochtergesellschaften von deutschen Unternehmen von Bedeutung. Teilweise ähneln die im Ausland gebräuchlichen Rechtsformen den deutschen, zum Teil weichen sie aber auch erheblich davon ab. Im Folgenden werden die wichtigsten Rechtsformen in einigen für deutsche Unternehmen besonders wichtigen Staaten in Grundzügen dargestellt. Die österreichischen Rechtsformen ähneln den deutschen sehr stark. Beim Einzelunternehmer wird zwischen einem nicht protokollierten Einzelunternehmer und einem in das Firmenbuch eingetragenen protokollierten Einzelunternehmer, der einen Mindestumsatz von 360.000 € aufweisen muss, unterschieden. Neben der Offenen Handelsgesellschaft (OHG) und der Kommanditgesellschaft (KG), die für Handelsgesellschaften vorgesehen sind, existieren die Rechtsformen Offene Erwerbsgesellschaft (OEG) und Kommanditerwerbsgesellschaft (KEG) für Gewerbetreibende, die kein Handelsgeschäft ausüben. Für eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GesmbH) ist ein Mindeststammkapital in Höhe von 35.000 € und für eine Aktiengesellschaft von 70.000 € erforderlich, das jeweils zur Hälfte eingezahlt werden muss. Auch die GesmbH & Co. KG ist analog zur deutschen GmbH & Co. KG möglich. Die häufigste Rechtsform in Großbritannien ist die Limited. Dabei unterscheidet man zwischen der Private Limited Company by Shares (Ltd.), die von ihrer Funktion her der deutschen GmbH entspricht, und der Public Limited Company (plc), die der Aktiengesellschaft ähnelt. Die Ltd. wird auch von deutschen Existenzgründern gerne gewählt, da sie sich wesentlich einfacher und schneller gründen lässt als eine GmbH und als Stammkapital lediglich ein britisches Pfund erfordert. Für eine plc ist ein Mindestkapital von 50.000 £ nötig, wovon mindestens 25% eingezahlt werden müssen. Im Gegensatz zur Ltd. können ihre Anteile auch an der Börse gehandelt werden. Einzelunternehmen werden in Großbritannien als Sole Proprietorship bezeichnet, die OHG heißt Partnership und der KG entspricht die Limited Partnership. Ähnliche Bezeichnungen finden sich auch in anderen angelsächsisch geprägten Staaten. In den USA sind die häufigsten Rechtsformen die der deutschen GbR entsprechende Sole Proprietorship, die der KG entsprechende Limited Partnership, die Limited Liability Company (LLC) als Pendant zur GmbH und die Corporation als Pendant zur Aktiengesellschaft. Tab. 1.3 gibt einen Überblick über die bereits angesprochenen sowie weitere Rechtsformen anderer EU-Staaten im Vergleich zu den in Deutschland möglichen. Neben den dort genannten gibt es teilweise noch weitere Rechtsformen, die allerdings keine deutsche Entsprechung haben.
40
1 Das Unternehmen in seinem Umfeld
Tab. 1.3 Internationale Rechtsformen Deutschland
OHG
KG
GmbH
AG
Österreich Großbritannien
OHG Partnership
KG Limited Partnership (Ltd.)
GesmbH Private Company Limited by Shares (Ltd.)
Frankreich
Société en Nom Collectif (SNC)
Société en Commandite Simple
Société privée à Responsabilité Limitée (SARL)
AG Public Company Limited by Shares (plc) Société Anonyme (SA)
Niederlande
Vennootschap onder Firma (VOF) Società in Nome Collettivo (s.n.c.)
Commanditaire Vennootschap (CV)
Besloten Vennootschap
Naamloze Vennootschap (NV)
Società in Acommandità Semplice (s.a.s.) Sociedad Comanditiva Simple (S.C./S.Com.)
Società a Responsabilità Limitata (s.r.l.)
Società per Azioni (s.p.a.)
Sociedad de Responsabilidad Limitada (S.L./S.R.L)
Sociedad Anonima (S.A.)
Spólka Komandytowa (Sp.k.)
Spólka z Ograniczona Odpowiedzialnoscia (Sp.z.o.o.)
Spólka Akcyjna (S.A.)
Italien
Spanien
Sociedad Regular Colectiva (S.R.C.)
Polen
Spólka Jawna (Sp.j.)
Seit Ende des Jahres 2004 können europäische Unternehmen auch die Rechtsform einer Societas Europaea (SE) – landläufig vielfach als „Europa AG“ bezeichnet – wählen. Hierfür ist ein Mindestkapital von 120.000 € erforderlich, das wie bei der Aktiengesellschaft in am Markt handelbare Anteile aufgeteilt wird. Das oberste Entscheidungsorgan ist die Hauptversammlung der Anteilseigner. Die Führung eines solchen Unternehmens kann entweder wie bei der deutschen Aktiengesellschaft auf Vorstand und Aufsichtsrat verteilt werden oder – wie im angelsächsischen Sprachraum üblich – von einem Board of Directors übernommen werden, das mit Central Executive Officers (CEO) für verschiedene Funktionen und einem Chairman Leitungs- und Aufsichtsfunktionen vereint. Die Rechnungslegung und die Handhabung von Insolvenzen erfolgt weiterhin nach nationalem Recht des Sitzstaats, wobei der Sitz der Gesellschaft in einem beliebigen Staat der Europäischen Union liegen kann. Die SE wird als besonders geeignet angesehen, um grenzüberschreitende Tätigkeiten von Unternehmen zu erleichtern. Zum einen können europaweit tätige Unternehmen ihre Aktivitäten in einer Holding als rechtlicher Einheit zusammenfassen, anstatt wie zuvor für jedes Land eine separate Gesellschaft zu gründen, zum anderen werden Fusionen mehrerer europäischer Unternehmen erleichtert. Als erster europäischer Großkonzern hat Ende 2005 die deutsche Allianz AG eine Umwandlung in eine SE vorgenommen, um durch schnellere Entscheidungswege und geringere bürokratische Hürden Wachstumschancen über Ländergrenzen hinweg besser nutzen zu können. Für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit von kleineren Unternehmen steht die Rechtsform der Europäischen Wirtschaftlichen Interessenvereinigung (EWIV) zur Verfügung. Sie kann von natürlichen oder juristischen Personen zur Erbringung von gewerblichen, kaufmännischen, handwerklichen, landwirtschaftlichen oder freiberuflichen Leistungen nach den
1.4 Rechtsformen
41
Regeln des nationalen Rechts eines EU-Mitgliedstaats gegründet werden, ist als juristische Person in das entsprechende Register einzutragen und gilt als Handelsgesellschaft im Sinne des HGB. Zu ihrer Gründung sind mindestens zwei Mitglieder aus verschiedenen EUMitgliedstaaten erforderlich. Die Geschäftsführung erfolgt durch von den Mitgliedern bestellte Geschäftsführer. Ein Mindestkapital ist nicht erforderlich, dafür besteht auch kein Zugang zum Kapitalmarkt. Gewinne der EWIV werden an die Mitglieder verteilt und von diesen nach nationalem Recht versteuert. Die Mitglieder haften unbeschränkt und gesamtschuldnerisch für die Verbindlichkeiten der EWIV. Ein Beispiel für eine EWIV ist der deutsch-französische Fernsehsender ARTE.
1.4.5
Konzerne
Ein Konzern ist ein vertraglicher oder faktischer Zusammenschluss von mehreren rechtlich selbstständigen Unternehmen, die ein gemeinsames wirtschaftliches Ziel verfolgen und unter einer einheitlichen Leitung stehen. Es lassen sich zwei Grundformen des Konzerns unterscheiden: • Ein Gleichordnungskonzern ist ein Zusammenschluss von mindestens zwei Unternehmen, von denen keines einen beherrschenden Einfluss auf das andere ausübt, sondern bei denen vielmehr eine Abstimmung der gemeinsamen Interessen unter gemeinsamer Leitung erfolgt. • Ein Unterordnungskonzern besteht aus einem herrschenden (Mutterunternehmen) und einem oder mehreren abhängigen Unternehmen (Tochterunternehmen). Diese Form des Konzerns ist am häufigsten anzutreffen.
Konzern
Unterordnungskonzern
Vertragskonzern
faktischer Konzern
Gleichordnungskonzern
Eingliederungskonzern
Abb. 1.16 Konzerne
Ein (Unterordnungs-)Konzern entsteht durch den Abschluss eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags zwischen dem Mutter- und den Tochterunternehmen (Vertragskon-
42
1 Das Unternehmen in seinem Umfeld
zern), durch Kapitalverflechtungen, d.h. dass das Mutterunternehmen eine mehrheitliche Beteiligung (> 50%) am Kapital des Tochterunternehmens erwirbt (faktischer Konzern), oder durch Eingliederung des rechtlich selbstständigen, aber wirtschaftlich abhängigen Tochterunternehmens in das Mutterunternehmen (Eingliederungskonzern). Abb. 1.16 gibt einen Überblick über die verschiedenen Konzernarten. Im internationalen Wirtschaftsverkehr schließen sich Unternehmen zu multinationalen Konzernen von häufig erheblicher Größe und Marktmacht zusammen. Konzerne lassen sich weiterhin nach dem Zusammenhang zwischen ihren Betätigungsfeldern unterscheiden: • In einem horizontalen Konzern schließen sich Unternehmen auf der gleichen Wertschöpfungsstufe zusammen. Z.B. sind in einer Handelskette viele Einzelhandelsgeschäfte zusammengefasst, die durch gemeinsamen Einkauf und einheitliche Werbung ihre Wettbewerbsposition verbessern. • Ein vertikaler Konzern besteht aus Unternehmen, die in der gleichen Branche auf verschiedenen Wertschöpfungsstufen tätig sind. Hierbei sollen vor allem Synergieeffekte genutzt werden. Diese Situation liegt z.B. vor, wenn eine Kaffeerösterei sich an der Reederei, die den Rohkaffee transportiert, und an dem Hersteller der Verpackungen als vorgelagerten Produktionsstufen beteiligt sowie ein eigenes Filialnetz für den Vertrieb unterhält. • Bei einem Mischkonzern werden Unternehmen, die in völlig unterschiedlichen Geschäftsfeldern tätig sind, zusammengefasst. Z.B. legen Energieversorgungsunternehmen ihre Rückstellungen für die spätere Stilllegung von Kernkraftwerken häufig in erfolgversprechenden Wachstumsbranchen an. Bei der Konzernbildung können unterschiedliche Ziele verfolgt werden: Durch die gegenseitige Belieferung der Konzernunternehmen können Kostenvorteile entstehen sowie deren Bezugs- bzw. Absatzmöglichkeiten gesichert werden. Durch die Möglichkeit des konzerninternen Finanzausgleichs lässt sich die Liquidität einzelner Konzernunternehmen verbessern. Weiter ist mit der Zusammenfassung unterschiedlicher Unternehmen eine Streuung und Minderung des wirtschaftlichen Risikos im Konzern verbunden. Konzerne unterliegen besonderen Vorschriften hinsichtlich ihrer Rechnungslegung, um zu verhindern, dass die Konzernleitung durch eine willkürliche Bewertung von konzerninternen Geschäften die Bilanzen einzelner Konzernunternehmen unzulässig beeinflusst. Neben den Einzelbilanzen für die Konzernunternehmen muss ein konsolidierter Konzernabschluss erstellt werden, in dem die gegenseitigen Forderungen und Verbindlichkeiten gegeneinander aufgerechnet werden. Die Bildung von Konzernen ist nicht uneingeschränkt zulässig, sondern unterliegt in Deutschland – wie auch die Kartellbildung – dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen. Ein Zusammenschluss von Unternehmen muss beim Bundeskartellamt gemeldet werden, wenn er eines der folgenden Merkmale erfüllt:
1.5 Mittelständische Unternehmen
43
• Die weltweiten Umsatzerlöse übersteigen 500 Mio. €. • Mindestens ein beteiligtes Unternehmen erwirtschaftet im Inland einen Umsatz von mehr als 25 Mio. €. Falls die Gefahr besteht, dass ein Konzern die aus seiner Größe resultierende Marktmacht missbraucht, kann das Bundeskartellamt den Zusammenschluss untersagen. Eine solche Prüfung erfolgt regelmäßig beim Erwerb von Mehrheitsbeteiligungen an oder beim Zusammenschluss von inländischen Großunternehmen, z.B. bei der Fusion von Thyssen und Krupp zur ThyssenKrupp AG im Jahr 1999. Bei grenzüberschreitenden Unternehmenszusammenschlüssen, z.B. der Fusion von Daimler und Chrysler im Jahr 1998, hat die nationale Kartellbehörde geringere Eingriffsmöglichkeiten.
1.5
Mittelständische Unternehmen
Da mittelständische Unternehmen – genauer kleine und mittelgroße Unternehmen (KMU) – einerseits für das Wirtschaftsgeschehen in Deutschland und andererseits als Arbeitgeber und Geschäftspartner für Ingenieure von großer Bedeutung sind, werden sie in den nachfolgenden Abschnitten gesondert behandelt. Dazu wird zunächst in Abschnitt 1.5.1 eine Definition dessen gegeben, was man unter einem mittelständischen Unternehmen versteht. Abschnitt 1.5.2 geht auf die gesamtwirtschaftliche Bedeutung der mittelständischen Unternehmen ein und Abschnitt 1.5.3 befasst sich mit den Unterschieden, die mittelständische Unternehmen im Vergleich zu Großunternehmen aufweisen.
1.5.1
Abgrenzung mittelständischer Unternehmen
Aufgrund der sehr unterschiedlichen realen Erscheinungsformen gibt es keine einheitliche Definition für mittelständische Unternehmen, vor allem ihre Abgrenzung gegenüber Großunternehmen bereitet Schwierigkeiten. In der Literatur gibt es drei verschiedene Ansätze, sich mit dem Mittelstandsphänomen auseinanderzusetzen: • Negativdefinition: Alles, was kein Großunternehmen ist, gehört zum Mittelstand. Da diese Definition einerseits auf Erfassungsprobleme stößt und andererseits zu wenig eindeutig ist, hat sie sich nicht durchgesetzt. • Enumerative Definition: Es erfolgt eine Auflistung von Branchen, die typischerweise mittelständisch geprägt sind. Dazu zählen z.B. verschiedenartige Dienstleistungen, Einzelhändler, Handwerker, Freiberufler sowie Bau- und kleinere Industrieunternehmen. Ihre Leistungen sind häufig durch eine starke Individualität in Abhängigkeit von Kundenaufträgen gekennzeichnet. Auch diese Definition des Mittelstands stößt auf große Probleme, da ihr zum einen die Vollständigkeit und Eindeutigkeit fehlt und sich zum anderen die Branchenstruktur einer Volkswirtschaft im Zeitablauf stark verändern kann.
44
1 Das Unternehmen in seinem Umfeld
• Merkmalsorientierte Definition: Es werden quantitative und qualitative Merkmale herausgearbeitet, die für mittelständische Unternehmen charakteristisch sind. Auf deren Basis lassen sich Klassen bilden, denen die Unternehmen zugeordnet werden können. Typische quantitative Merkmale zur Abgrenzung des Mittelstands sind Größenkriterien wie die Bilanzsumme, der Umsatz, der Jahresüberschuss, die Mitarbeiterzahl usw. In Abschnitt 1.1.2 wurden bereits Größenkriterien genannt, die für den Mitbestimmungstyp bzw. für den Umfang der Rechnungslegungsvorschriften von Bedeutung sind. Zur Einteilung von Unternehmen in Größenklassen sind international die Kriterien Beschäftigtenzahl und Jahresumsatz vorherrschend. Auch das Bonner Institut für Mittelstandsforschung nimmt die in Tab. 1.4 angegebene Größenklasseneinteilung von Unternehmen auf Basis dieser beiden Kriterien vor. Tab. 1.4 Abgrenzung mittelständischer Unternehmen Kleines Unternehmen Beschäftigtenzahl Jahresumsatz
Mittelgroßes Unternehmen
Großunternehmen
< 10
10 – 500
> 500
< 1 Mio. €
1 – 50 Mio. €
> 50 Mio. €
Da kleine und mittelgroße Unternehmen zum Mittelstand zusammengefasst werden, gelten nach dieser Einteilung somit alle Unternehmen mit weniger als 500 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von unter 50 Mio. € als mittelständische Unternehmen. Ergänzend lassen sich zur Beschreibung des Mittelstands qualitative Kriterien heranziehen, die einen Einblick in typische Merkmale mittelständischen Wirtschaftens geben. Diese qualitativen Kriterien zielen in erster Linie auf das Marktverhalten sowie auf die internen Organisationsstrukturen mittelständischer Unternehmen ab. • Das Marktverhalten von KMU ist auf der Beschaffungsseite häufig durch eine starke Zentralisation, d.h. den Bezug von wenigen Kernlieferanten, und auf der Absatzseite durch die Konzentration auf erfolgversprechende Marktnischen gekennzeichnet. • Bei der Organisation fallen insbesondere eine flache Organisationsstruktur, eine eher patriarchalische Unternehmensführung durch den oder die Eigentümer und der meist in zeitlicher und sachlicher Hinsicht sehr flexible Personaleinsatz auf. Weiter sind mittelständische Unternehmen häufig durch eine große Flexibilität beim Eingehen auf individuelle Kundenwünsche gekennzeichnet, wodurch sie sich im Wettbewerb mit Großunternehmen und Konzernen durchaus behaupten können.
1.5 Mittelständische Unternehmen
1.5.2
45
Gesamtwirtschaftliche Bedeutung mittelständischer Unternehmen
Mittelständische Unternehmen stellen die Grundlage einer erfolgreichen Volkswirtschaft dar, da das Wachstum und die Entwicklung der Gesamtwirtschaft in hohem Maße vom Erfolg des Mittelstands abhängen. Dies lässt sich anhand der folgenden statistischen Daten belegen, die in ähnlicher Weise auch in anderen westlichen Volkswirtschaften gelten: Im Jahr 2004 gab es in Deutschland ca. 3.000.000 umsatzsteuerpflichtige Unternehmen, davon waren 99,2% nach den in Abschnitt 1.5.1 angegebenen Kriterien dem Mittelstand zuzurechnen, ca. 80% zählten sogar zu den kleinen Unternehmen. In mittelständischen Unternehmen wurden insgesamt 20 Mio. Arbeitnehmer beschäftigt, dies entspricht einem Anteil von 68% an der Gesamtbeschäftigung. Während Großunternehmen in den letzten Jahren zunehmend Personal abgebaut haben, zeigen mittelständische Unternehmen einen konstanten Saldo aus Neueinstellungen und Entlassungen, in Kleinunternehmen wurden sogar zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen. Tendenziell besteht eine enge persönliche Beziehung zwischen dem Unternehmer und seinen Mitarbeitern, die dazu führt, dass die Arbeitsplatzsicherheit in diesem Bereich besonders hoch ist. Auch in Bezug auf die Berufsausbildung ist der Mittelstand führend, ca. 80% der Auszubildenden finden ihren Ausbildungsplatz in einem mittelständischen Unternehmen. Während in Großunternehmen nur ca. 5% der Mitarbeiter Auszubildende sind, beträgt dieser Anteil in mittelständischen Unternehmen 8,1%. Daraus folgt eine hohe Facharbeiterquote und damit auch ein hohes Qualifikationsniveau in mittelständischen Unternehmen. Geringere Anteile weist der Mittelstand bei den nachfolgenden monetären Kriterien auf: Mittelständische Unternehmen erzielen ca. 50% aller steuerbaren Umsätze, ihr Anteil an der Wertschöpfung liegt bei ca. 46%. Dies liegt unter anderem daran, dass in mittelständischen Unternehmen nur ein kleiner Teil der benötigten Materialien selbst gefertigt, sondern stattdessen auf eine Vielzahl von Vorprodukten zurückgegriffen wird. Weiter ist der Mittelstand häufig durch eine besonders geringe Eigenkapitalausstattung gekennzeichnet, dies spiegelt sich in einem Anteil von nur ca. 41% an den Bruttoinvestitionen wider. Zum deutschen Export tragen mittelständische Unternehmen mit knapp 30% bei. Sie sind tendenziell nachteilig von der fortschreitenden Globalisierung wirtschaftlicher Aktivitäten betroffen, da der Wettbewerb auf ihren Absatzmärkten zunimmt, sie jedoch angesichts ihrer Auftragsbezogenheit und der daraus resultierenden eher geringen Bestellmengen nicht vom Wettbewerb auf den Beschaffungsmärkten profitieren können. Weiter haben mittelständische Unternehmen weniger Freiheitsgrade bei ihrer Standortwahl und müssen sich den Rahmenbedingungen ihrer Region stärker anpassen. Eine häufige Strategie besteht z.B. in der metallverarbeitenden Industrie darin, dass die Unternehmen versuchen, sich mit ihren kundenindividuellen Nischenprodukten auch am internationalen Markt zu positionieren. Bei einer Untersuchung der bevorzugten Rechtsformen lässt sich feststellen, dass Kleinunternehmen besonders häufig als Einzelunternehmen auftreten, während von mittelgroßen Unternehmen mit wachsendem Umsatz eher die Rechtsformen der Offenen Handelsgesell-
46
1 Das Unternehmen in seinem Umfeld
schaft, der Kommanditgesellschaft (einschließlich der GmbH & Co. KG) sowie der GmbH gewählt werden. Diese Entscheidung lässt sich damit begründen, dass bei den genannten Rechtsformen das Prinzip der Einheit von Eigentum und Leitung gilt, das zu der patriarchalischen Führungsstruktur des Mittelstands passt. Aus ordnungspolitischer Sicht liegt ein großer Vorteil des Mittelstands darin, dass er aufgrund der ausgeprägten Konkurrenzsituation zu einer Stärkung des Wettbewerbs beiträgt und Konzentrationstendenzen entgegenwirkt. Weiter findet eine Aufteilung des gesellschaftlichen Vermögens auf eine breite Basis von Eigentümern statt, wodurch gesellschaftliche Ungleichgewichte verringert werden.
1.5.3
Besonderheiten mittelständischer Unternehmen
Wie teilweise bereits in den beiden vorhergehenden Abschnitten angesprochen wurde, weisen mittelständische Unternehmen gegenüber Großunternehmen sowohl Vorteile als auch Nachteile auf. Als wesentliche Erfolgsfaktoren des Mittelstands gelten die Schlagkraft und Flexibilität, die auf der alleinigen Entscheidungsbefugnis des oft recht risikofreudigen Unternehmers beruhen. Über 70% der mittelständischen Unternehmen werden vom Inhaber geführt, der seinen Lebensunterhalt im Wesentlichen aus dem wirtschaftlichen Erfolg seines Unternehmens bezieht. Durch diese enge Bindung ist das Verantwortungsgefühl des Unternehmers für sein Unternehmen weitaus größer als das angestellter Manager in Großunternehmen. Auf der anderen Seite kann der ständige Entscheidungsdruck leicht zu einer Überlastung des Unternehmers führen. Weiter ist festzustellen, dass aufgrund der geringen Unternehmensgröße häufig weder ausgeprägte Organisationsstrukturen vorliegen noch eine systematische strategische Planung erfolgt, wodurch leicht Erfolgspotenziale ungenutzt bleiben können. Auf Seiten des Personals ist das gute Ausbildungsniveau der Mitarbeiter, das in einem hohen Anteil an Facharbeitern zum Ausdruck kommt, ein großer Vorteil mittelständischer Unternehmen. Auch die durch die angenehmen Arbeitsbedingungen und den sicheren Arbeitsplatz erzeugte große Motivation der Mitarbeiter, die es erlaubt, die für den Standort Deutschland so wichtigen qualitativ hochwertigen Produkte herzustellen, trägt zum Markterfolg mittelständischer Unternehmen nicht unwesentlich bei. Andererseits ist festzustellen, dass es aufgrund der dominierenden Stellung des Unternehmers vor allem im Verwaltungsbereich kaum Aufstiegschancen für ehrgeizige Mitarbeiter gibt. Mittelständische Unternehmen haben meist ihre gesamte Produktion im Inland angesiedelt. Dadurch sind sie zwar mit dem relativ hohen inländischen Lohnniveau konfrontiert, dies wird jedoch zu einem großen Teil durch die kürzeren Lieferzeiten und die daraus resultierende größere Flexibilität kompensiert. Aufgrund ihrer geringen Fertigungstiefe weisen mittelständische Unternehmen einen großen Beschaffungsbedarf auf. Daraus ergeben sich besonders enge Beziehungen zu den ebenfalls meist mittelständischen Marktpartnern. Auf der Kundenseite besteht angesichts der flexiblen, auf die Bedürfnisse des einzelnen Kunden zugeschnittenen Leistungen ebenfalls tendenziell ein sehr enger Kontakt.
1.5 Mittelständische Unternehmen
47
Ein grundlegendes Problem vieler mittelständischer Unternehmen besteht in der Überwindung ständiger Liquiditätsengpässe, die aus der geringen Eigenkapitalbasis und den damit einhergehenden Schwierigkeiten bei der Fremdkapitalaufnahme resultieren. Im Gegensatz zu Großunternehmen ist ihnen die Kapitalbeschaffung über den Kapitalmarkt verwehrt, sie sind vielmehr fast ausschließlich auf die Finanzierung über ihre Hausbank angewiesen. Auf der anderen Seite wird die Liquidität dadurch stark beansprucht, dass bei auftragsorientierter Produktion Entwicklungskosten und Material in großer Höhe vorfinanziert werden müssen.
2
Die Güterwirtschaft
Gegenstand der Güterwirtschaft sind mit der Beschaffung (Abschnitt 2.1), der Produktion (Abschnitt 2.2), dem Absatz (Abschnitt 2.3), der Entsorgung (Abschnitt 2.4) und der Logistik (Abschnitt 2.5) diejenigen betrieblichen Funktionen, die sich mit der Bereitstellung, der Verarbeitung, der Verwertung, der Beseitigung und dem Transport materieller Güter befassen.
2.1
Beschaffung
Die Beschaffung dient der Versorgung der Produktion mit dem benötigten Material. Dabei befasst sich die Materialwirtschaft (Abschnitt 2.1.1) mit der Organisation der Materialbeschaffung. Die für die Produktion erforderlichen Materialmengen werden teilweise mithilfe von Prognosetechniken (Abschnitt 2.1.2) bestimmt und teilweise im Rahmen der Materialbedarfsplanung (Abschnitt 2.1.3) aus dem Produktionsprogramm abgeleitet. Die Lagerhaltung dient als Puffer zwischen der Beschaffung und der nachfolgenden Produktion, hier steht die Bestimmung der optimalen Losgröße im Vordergrund (Abschnitt 2.1.4).
2.1.1
Materialwirtschaft
Die Aufgabe der Materialwirtschaft besteht darin, den gesamten Materialfluss im Unternehmen zu steuern und zu kontrollieren. Der Materialfluss beginnt mit der Einlagerung der als Einsatzstoffe bezogenen Rohmaterialien und Zukaufteile, er endet mit der Auslieferung der marktfähigen Produkte. Dabei lassen sich folgende Materialarten unterscheiden: • Rohstoffe sind Materialien auf einer niedrigen Veredlungsstufe, die zum wesentlichen Bestandteil der Produkte werden, z.B. Holz in der Möbelindustrie, Stahl in der Automobilindustrie, Quarz in der Glasindustrie. • Hilfsstoffe gehen ebenfalls direkt in die Produkte ein, leisten jedoch nur einen untergeordneten Beitrag zum Endprodukt, z.B. Schrauben, Lacke, Glasuren. • Betriebsstoffe gehen nicht direkt in die Produkte ein, sondern ihr regelmäßiger Einsatz ist zum Betrieb der Maschinen erforderlich. Dazu zählen z.B. Schmiermittel, Werkzeuge, Schleifpasten, Energieträger.
50
2 Die Güterwirtschaft
• Halbfabrikate bzw. Bauteile stehen im Materialfluss zwischen den Einsatzstoffen und den Endprodukten. Bei ihnen ist ein bestimmter Teil an Bearbeitung bzw. Veredlung bereits erfolgt. Soweit Halbfabrikate getrennt marktfähig sind, können sie von Lieferanten bezogen oder an andere Unternehmen verkauft werden. Teilweise finden sie auch als Ersatzteile Verwendung. • Fertigfabrikate sind die Endprodukte, die das Unternehmen in seinem Fertigungsprogramm anbietet. • Schließlich zählen zum Material auch Abfälle und Rückstände, die als unerwünschte Kuppelprodukte auf den einzelnen Produktionsstufen anfallen und für deren ordnungsgemäße Entsorgung das Unternehmen verantwortlich ist. Die Zielsetzung der Materialwirtschaft lässt sich in eine technische und eine ökonomische Komponente zerlegen: In technischer Sicht geht es um die bedarfsgerechte Versorgung des Produktionsbereichs mit den benötigten Materialien, d.h. im Vordergrund steht die Bereitstellung des Materials • in der richtigen Menge, • in der richtigen Qualität, • am richtigen Ort, • zur richtigen Zeit. Das ökonomische Ziel ist die Minimierung der bei der Materialbereitstellung anfallenden Kosten. Dabei treten Zielkonflikte zwischen technischen und ökonomischen Zielen auf, wenn eine Verbesserung des Lieferservice mit höheren Kosten verbunden ist. Im Zuge der zunehmenden Tendenz zum Outsourcing, d.h. der Verlagerung von Teilen der Wertschöpfung, die nicht zum Kernbereich des Unternehmens zählen, auf externe Lieferanten, stehen viele Unternehmen vor der Frage, ob ein bestimmtes Material selbst gefertigt oder am Markt bezogen werden sollte. Diese Make-or-Buy-Entscheidung ist einerseits unter Kostenaspekten, andererseits unter Berücksichtigung weiterer, meist nicht exakt quantifizierbarer Kriterien zu treffen. Das Entscheidungsproblem hat die Struktur einer Break-Even-Analyse: Typischerweise fallen bei der Eigenfertigung eines Produkts zum einen kurzfristig nicht abbaubare Fixkosten für die Maschinen, die Werkshalle usw. an, zum anderen direkt von der Produktionsmenge abhängige variable Kosten für das benötigte Material, die Arbeitsstunden usw. Beim Fremdbezug hingegen verlangt der Lieferant einen Preis, der alle seine Kosten abdeckt und der daher in der Regel über den variablen Stückkosten bei Eigenfertigung liegt. Es lässt sich also eine kritische Bedarfsmenge ermitteln, bis zu der der Fremdbezug kostengünstiger ist; erst bei Überschreiten dieser Menge reichen die Einsparungen aus der Differenz von Lieferpreis und variablen Stückkosten aus, um den bei der Eigenfertigung zu berücksichtigenden Fixkostenblock zu kompensieren. In Tab. 2.1 ist ein Beispiel für eine Make-or-Buy-Entscheidung bezüglich eines Bauteils angegeben.
2.1 Beschaffung Tab. 2.1
51
Daten zur Make-or-Buy-Entscheidung Fixkosten pro Jahr
Eigenfertigung
variable Stückkosten
150.000 €
20 €
–
30 €
Fremdbezug
Für die angegebenen Daten lassen sich die jährlichen Kosten in Abhängigkeit von der Bedarfsmenge x wie folgt darstellen: Kosten der Eigenfertigung:
K E = 150.000 + 20 x
Kosten des Fremdbezugs:
K F = 30 x
Die kritische Bedarfsmenge x * , bei der beide Alternativen zu den gleichen Kosten führen, ergibt sich als Schnittpunkt dieser beiden Funktionen: 150.000 + 20 x = 30 x
x * = 15.000 In diesem Beispiel ist also für eine Jahresbedarfsmenge unterhalb von 15.000 Stück der Fremdbezug günstiger, ab 15.000 Stück lohnt sich die Eigenfertigung des Bauteils. In Abb. 2.1 ist die Entscheidungssituation nochmals grafisch dargestellt.
€ 600.000
KF
500.000
KE
400.000 300.000 200.000 100.000
x 3.000
Abb. 2.1 Make-or-Buy-Entscheidung
6.000
9.000
12.000
15.000
52
2 Die Güterwirtschaft
Da mit der Eigenfertigung Fixkosten verbunden sind, die kurzfristig nicht abgebaut werden können, handelt es sich beim Aufbau einer Eigenfertigung um eine mittel- bis langfristige Entscheidung, die nur dann getroffen werden sollte, wenn die Bedarfsmenge nachhaltig über der kritischen Menge liegt. Umgekehrt ist für geringe Bedarfsmengen bei bereits vorhandenen Fertigungsanlagen der Fremdbezug nur dann tatsächlich kostengünstiger, wenn es gelingt, bei Stilllegung der Anlage die mit der Fertigung verbundenen Fixkosten abzubauen. Weiter ist zu beachten, dass sich die Lösung in Abhängigkeit von zukünftigen Schwankungen bei den für die Entscheidung zugrunde gelegten Kostensätzen ändern kann. Zur Entscheidungsunterstützung lassen sich in derartigen Fällen Sensitivitätsanalysen heranziehen, die die Auswirkungen der Veränderung von Parametern des Entscheidungsproblems auf die Lösung untersuchen. Über diese Kostenbetrachtung hinaus spielen bei der Make-or-Buy-Entscheidung weitere, nicht-monetäre Kriterien eine Rolle, die sich als Vorteile der Eigenfertigung bzw. des Fremdbezugs darstellen lassen: Zu den Vorteilen der Eigenfertigung zählen die Vermeidung langer Lieferfristen, die Sicherstellung der Versorgung, die Unabhängigkeit von Lieferanten und die Gewährleistung der Einhaltung von unternehmensinternen Qualitätsnormen. Falls die vorhandenen Produktionskapazitäten nicht ausgelastet sind, kann die Eigenfertigung eines Bauteils zur Verbesserung der Kapazitätsauslastung beitragen. Der Fremdbezug hingegen führt zu geringerer Kapitalbindung und ermöglicht aufgrund der kurzen Bindungsdauer eine größere Flexibilität, falls das Material bei einem späteren Produktwechsel nicht mehr benötigt wird. Wenn die eigenen Produktionskapazitäten voll ausgelastet sind, kann der Fremdbezug darüber hinaus zur Überbrückung von Kapazitätsengpässen dienen. Ist die Entscheidung für den Fremdbezug gefallen, so lässt sich die Materialbeschaffung grundsätzlich wie folgt organisieren: • Bei der fallweisen Beschaffung wird das Material jeweils bei Bedarf in den benötigten Mengen bei den Lieferanten bestellt. Dadurch lassen sich zwar Lagerhaltungskosten fast vollständig vermeiden, jedoch besteht die Gefahr, dass es bei Lieferschwierigkeiten zu Produktionsausfällen kommt. Die fallweise Beschaffung wird vor allem bei der Auftragsfertigung für selten benötigte Materialien eingesetzt, z.B. bei speziellen Stahlsorten im Maschinenbau. • Das Ziel der Vorratsbeschaffung ist, die Produktionsbereitschaft dadurch aufrecht zu erhalten, dass von regelmäßig benötigten Materialarten ausreichende Lagerbestände vorgehalten werden, aus denen die Fertigung direkt beliefert werden kann. Die dadurch erreichte Versorgungssicherheit ist allerdings mit zusätzlichen Lagerhaltungskosten verbunden. Mithilfe der Losgrößenplanung (vgl. Abschnitt 2.1.3) wird daher versucht, optimale Bestellmengen zu ermitteln, die das Risiko von Fehlmengen weitgehend reduzieren, ohne dass die Lagerhaltungskosten zu stark ansteigen.
2.1 Beschaffung
53
• Ein Kompromiss zwischen den Zielen der Versorgungssicherheit und geringer Lagerhaltungskosten wird durch die am Just-in-Time-Prinzip ausgerichtete fertigungssynchrone Beschaffung erreicht. Hierbei wird zwischen Abnehmer und Lieferant ein Rahmenvertrag abgeschlossen, in dem die jährliche Abnahmemenge für einen längerfristigen Zeitraum festgelegt ist. Der Lieferant ist verpflichtet, die zuvor periodisch konkretisierten Materialmengen jeweils kurzfristig auf Abruf anzuliefern. Die Lieferabrufe erfolgen so, dass das Material beim Abnehmer direkt in der Fertigung eingesetzt werden kann, so dass eine Zwischenlagerung weitgehend entfällt; allenfalls kleine Sicherheitslager werden an den einzelnen Arbeitsplätzen vorgehalten. Um das Versorgungsrisiko für den Abnehmer gering zu halten, werden in der Regel hohe Konventionalstrafen für den Fall verspäteter Lieferung vereinbart. Häufig wird durch die Just-in-Time-Beschaffung die Lagerhaltung lediglich auf den Lieferanten abgewälzt, der allerdings die damit verbundenen Kosten in seine Kalkulation und damit in seine Preisgestaltung einfließen lässt. Die Just-in-TimeBeschaffung wird vor allem in der Automobilindustrie in großem Umfang eingesetzt. Ein wichtiges Hilfsmittel bei der materialwirtschaftlichen Steuerung ist die ABC-Analyse. Durch sie lassen sich diejenigen Artikel identifizieren, bei denen aufgrund ihres hohen Beitrags zum Unternehmenserfolg eine besonders sorgfältige Disposition erforderlich ist. Die ABC-Analyse geht wie folgt vor: Für jeden Artikel wird ermittelt, welche Menge im letzten Jahr verbraucht wurde, durch Bewertung mit dem Einkaufspreis erhält man den Jahresverbrauchswert des Artikels. Die einzelnen Artikel werden dann in der Reihenfolge ihrer Jahresverbrauchswerte angeordnet. Stellt man den Zusammenhang zwischen kumulierter Artikelanzahl und kumulierten Jahresverbrauchswerten grafisch dar, so ergibt sich der in Abb. 2.2 angegebene Zusammenhang.
Jahresverbrauch 100% 95%
75%
A-Teile
B-Teile
8%
Abb. 2.2 ABC-Analyse
C-Teile
33%
100%
Anzahl Materialien
54
2 Die Güterwirtschaft
Empirische Untersuchungen zeigen, dass sich anhand der bewerteten Jahresverbrauchsmengen drei Gruppen von Teilen identifizieren lassen: • Als A-Teile bezeichnet man diejenigen Artikel, die am meisten zum Jahresverbrauch beitragen und bei denen somit eine besonders sorgfältige Disposition erforderlich ist. Erfahrungsgemäß sind dies ca. 8% der Artikel mit einem Verbrauchsanteil von ca. 75%. In der Automobilindustrie zählen zu den A-Teilen vor allem die verschiedenen Baugruppen, z.B. Sitze, Scheiben, Motorblock, die in exakt den für das Fertigungsprogramm benötigten Mengen beschafft werden. • Die nächsten ca. 25% der Artikel, die weitere ca. 20% des Jahresverbrauchs bewirken, werden als B-Teile bezeichnet. Auch sie weisen relativ hohe Erfolgswirkungen auf und sollten daher zumindest fallweise wie die A-Teile disponiert werden. Teilweise werden sie in größeren Mengen bevorratet, da die Kapitalbindung nicht so hoch wie bei den ATeilen ist. Zu den B-Teilen in der Automobilindustrie gehören z.B. Reifen, Batterien oder Vorprodukte wie Stahlblech. • Schließlich lässt sich beobachten, dass der Großteil der in der Materialwirtschaft geführten Artikel – entweder aufgrund des geringen Werts pro Teil oder aufgrund niedriger Bedarfsmengen – nur einen kleinen Anteil am Jahresverbrauch hat. Daher ist hier der Einsatz einfacher, verbrauchsgesteuerter Dispositionsverfahren vertretbar. Diese als C-Teile bezeichneten Artikel haben lediglich einen Verbrauchsanteil von ca. 5%, obwohl sie ca. 67% der Materialarten umfassen. C-Teile in der Automobilindustrie sind z.B. Kleinteile wie Schrauben, Muttern, Kabel usw. Vielfach wird die ABC-Analyse ergänzt um eine Klassifikation der Teile nach ihrem Verbrauchsmuster (XYZ-Analyse). Dabei lassen sich Teile mit regelmäßiger, schwankender und unregelmäßiger Nachfrage unterscheiden. In der Automobilindustrie zählen zu den XTeilen mit hohem und regelmäßigem Verbrauch z.B. Benzintanks, Kofferraumabdeckungen oder Kopfstützen, die in fast jedes Fahrzeug eingebaut werden. Y-Teile mit schwankendem Verbrauch sind Komponenten, die nur auf Kundenwunsch geliefert werden, z.B. Klimaanlagen, Spoiler oder Freisprecheinrichtungen. Als Z-Teile mit unregelmäßigem Verbrauchsmuster kommen selten nachgefragte Sonderausstattungen, wie Panzerung und kugelsichere Scheiben, in Betracht. Der Sinn einer ABC-Analyse besteht darin, durch die Klassifikation der Teile in die genannten drei Gruppen die Planungsanstrengungen auf die Bereiche zu konzentrieren, in denen ein besonders hohes Erfolgspotenzial zu erwarten ist. So wird die Bedarfsmenge für A-Teile regelmäßig mithilfe der vom Produktionsprogramm ausgehenden Materialbedarfsplanung (Abschnitt 2.1.3) bestimmt, während für B- und C-Teile eher die in Abschnitt 2.1.2 behandelten Prognosetechniken zum Einsatz kommen. Der ABC-Analyse ähnliche Analysen werden z.B. im Absatzbereich vorgenommen, um besonders umsatzstarke Artikel oder besonders wichtige Kundengruppen zu identifizieren.
2.1 Beschaffung
2.1.2
55
Prognosemodelle
Die Prognose der auf den verschiedenen Produktionsstufen zukünftig benötigten Materialmengen ist eine wichtige Aufgabe im Bereich der Beschaffung. Von der Qualität der Bedarfsprognosen hängen die Lagerbestände und damit auch die Lagerhaltungskosten bei Vor-, Zwischen- und Endprodukten, die Lieferfähigkeit und der vom Kunden wahrgenommene Servicegrad sowie die Kapazitätsauslastung ab. Die im Folgenden dargestellten Prognoseverfahren beruhen auf Zeitreihen, d.h. auf Beobachtungen des Bedarfsverlaufs in der Vergangenheit, aus denen sie auf der Basis bestimmter Modellannahmen Aussagen über zukünftige Bedarfsmengen herleiten. Zur Auswahl des für den jeweiligen Bedarfsverlauf adäquaten Prognosemodells ist zunächst eine Voranalyse der Zeitreihe erforderlich. Dabei wird diese zerlegt in eine glatte Komponente g t , die den tendenziellen Verlauf der Zeitreihe angibt, sowie eine Restkomponente bzw. Störgröße st . Diese Störgröße wird üblicherweise als standardnormalverteilt angenommen, so dass sich die Störeffekte im Mittel ausgleichen. Der Schätzwert für den Bedarf dˆt der Periode t wird berechnet, indem die glatte Komponente und die Störgröße entweder additiv oder multiplikativ verknüpft werden. dˆt = g t + st dˆt = g t ⋅ st
Grundsätzlich kann der Verlauf der glatten Komponente einem der drei folgenden, in Abb. 2.3 dargestellten Bedarfsmuster unterliegen:
dt
dt
Konstanter Bedarf
t
dt
Trendmäßiger Bedarf
t
Saisonaler Bedarf
t
Abb. 2.3 Bedarfsmuster
• Bei einem konstanten Bedarfsverlauf ist der Bedarf jeder Periode im Mittel gleich hoch, d.h. die Bedarfswerte schwanken um einen langfristig konstanten Mittelwert. Aufgrund des Einflusses der Störgröße kommt es zu unregelmäßigen Schwankungen des tatsächlichen Bedarfs um diesen Mittelwert, auf die das Unternehmen insbesondere durch das
56
2 Die Güterwirtschaft Vorhalten eines Sicherheitsbestands reagieren kann. Ein solcher Bedarfsverlauf liegt z.B. bei Grundnahrungsmitteln vor. Das zugehörige Prognosemodell lautet: gt = a
mit: a > 0
• Ein trendmäßiger Bedarfsverlauf bedeutet, dass der Bedarf langfristig ansteigt oder fällt. Auch wenn ein solcher Trend prinzipiell linear oder nichtlinear sein kann, geht man vielfach von einem linearen Trend aus, da sich die zugehörige Funktion numerisch leichter schätzen lässt. Ein Beispiel für einen langfristig ansteigenden Bedarfsverlauf ist der Weltenergieverbrauch, langfristig fallender Bedarf liegt bei der derzeitigen Bevölkerungsentwicklung in Deutschland für Produkte des Baby- und Kinderbedarfs vor. Zur Prognose von trendmäßigem Bedarfsverlauf sind zwei Parameter erforderlich, wobei b > 0 zu einem steigenden und b < 0 zu einem fallenden Trend führt: gt = a + b ⋅ t
• Saisonabhängiger Bedarf liegt vor, wenn sich in der Zeitreihe periodisch wiederkehrende Bedarfsspitzen und -täler erkennen lassen. Dabei können – in Abhängigkeit vom jeweiligen Artikel – die Perioden recht unterschiedliche Längen aufweisen. So unterliegen z.B. Sportausrüstungen, die zu bestimmten Jahreszeiten benötigt werden, einem jährlichen Zyklus, die Nachfrage nach Zeitschriften steigt und fällt in Abhängigkeit von ihrem Erscheinungsturnus, der Absatz von Fisch ist typischerweise freitags und in der Fastenzeit am höchsten, bei frischen Brötchen liegt ein täglicher Zyklus mit einer Nachfragespitze am frühen Vormittag vor. Zur Prognose von saisonalem Bedarf ist ein trigonometrischer Ansatz erforderlich, z.B.: g t = a + c ⋅ sin(ω t )
Diese drei Grundmuster des Bedarfsverlaufs können auch kombiniert auftreten, häufig überlagern sich ein trendförmiger und ein saisonaler Verlauf. Weitere Bedarfsverläufe, die sich allerdings einer systematischen Prognose entziehen, sind der erratische bzw. chaotische Bedarf, bei dem keine Regelmäßigkeiten erkennbar sind, und der sporadische Bedarf, der nur in einzelnen Perioden auftritt. Bei der Bedarfsprognose geht man so vor, dass man zunächst versucht, den zugrunde liegenden Bedarfsverlauf anhand einer grafischen oder numerischen Analyse der Zeitreihe zu erkennen, und den dafür geeigneten Modelltyp auswählt. Anschließend werden die jeweils relevanten Parameter des Modells aus der Zeitreihe bestimmt, mit deren Hilfe der im Zeitpunkt t+1 erwartete Bedarf auf der Basis von L Vergangenheitswerten bestimmt werden kann. Für die Qualität der Prognose spielt nicht nur die Spezifikation der Schätzfunktion, sondern auch die Anzahl dieser zu berücksichtigenden Vergangenheitswerte eine große Rolle: Wählt man das L zu groß, so sind die Prognosen zwar sehr stabil, d.h. einzelne Ausreißer in den Daten haben keinen großen Einfluss auf den Prognosewert, aber auch recht inflexibel, denn das Modell ist nicht in der Lage, aktuelle Entwicklungen zu erkennen und zu berücksichtigen. Umgekehrt tritt bei einer weniger umfangreichen Datenbasis das Problem auf, dass die
2.1 Beschaffung
57
Prognose tendenziell kurzsichtig ist und stark durch Ausreißer beeinflusst wird. In der Praxis sind – in Abhängigkeit von bestehenden Saisonalitäten – Prognosen auf der Basis von Werten aus den letzten ein bis zwei Jahren üblich. Kürzere Zeiträume bieten sich an, wenn die Vergangenheit nur als wenig repräsentativ angesehen wird. Im Folgenden werden die gebräuchlichsten Prognoseverfahren behandelt. Einen Überblick über diese Verfahren gibt Abb. 2.4. Während sich die Verfahren auf Basis der Mittelwertrechnung und die exponentielle Glättung 1. Ordnung lediglich für konstante Bedarfsverläufe eignen, kommen die Regressionsrechnungen und die exponentielle Glättung 2. Ordnung auch für den trendmäßigen Bedarfsverlauf in Betracht.
Prognoseverfahren
Mittelwertrechnung arithmetischer Mittelwert gleitender Mittelwert
Regressionsrechnung
exponentielle Glättung
lineare Regression
exponentielle Glättung 1. Ordnung
nichtlineare Regression
exponentielle Glättung 2. Ordnung
gewichteter gleitender Mittelwert Abb. 2.4 Prognoseverfahren
2.1.2.1
Prognose auf Basis der Mittelwertrechnung
Bei der Mittelwertrechnung, die bei konstantem Bedarfsverlauf zum Einsatz kommt, wird für die Prognose des künftigen Bedarfs der Mittelwert der in der Vergangenheit aufgetretenen Bedarfswerte gebildet. Die verschiedenen Varianten der Mittelwertrechnung unterscheiden sich dahingehend, wie viele Vergangenheitswerte berücksichtigt werden und inwiefern eine Gewichtung dieser Werte erfolgt.
58
2 Die Güterwirtschaft
• Die einfachste Form der Mittelwertrechnung ist der arithmetische Mittelwert über sämtliche Vergangenheitswerte. Die Prognose des Bedarfswerts dˆt +1 für die kommende Periode t+1 erfolgt somit nach folgender Schätzfunktion: t
1 dˆt +1 = ∑ d τ t τ=1
Da hierbei die Periodenzahl t im Zeitablauf immer weiter anwächst, hat sich dieses Verfahren als wenig praktikabel erwiesen. • Bei der Prognose mithilfe gleitender Mittelwerte erfolgt die Schätzung des kommenden Bedarfswerts als arithmetisches Mittel der Werte letzten L Perioden. Das bedeutet, dass von Periode zu Periode jeweils der älteste Bedarfswert weggelassen und der zuletzt beobachtete zur Zeitreihe hinzugefügt wird. Die zugehörige Schätzfunktion lautet: t 1 dˆt +1 = dτ ∑ L τ=t − L+1
• Die Prognose auf der Basis von gewichteten gleitenden Mittelwerten greift ebenfalls auf die letzten L Vergangenheitswerte zurück, erlaubt aber zusätzlich eine individuelle Gewichtung der einzelnen Perioden. Dadurch kann der Planer bestimmten, als besonders charakteristisch angesehenen Perioden ein höheres Gewicht geben. Üblicherweise werden den jüngeren Bedarfswerten die höchsten und den älteren Werten die geringsten Gewichte zugewiesen, um dadurch besser auf die aktuelle Bedarfsentwicklung reagieren zu können. Die Schätzung erfolgt nach folgender Schätzfunktion: dˆt +1 =
t
∑
τ=t − L +1
ατ ⋅ dτ
mit:
ατ ≥ 0 t
∑
τ=t − L +1
τ = t − L + 1,..., t ατ = 1
Das Vorgehen der drei auf der Mittelwertrechnung basierenden Prognoseverfahren wird an dem nachfolgenden Beispiel verdeutlicht. Gegeben sind Bedarfswerte für insgesamt acht Perioden, davon liegen die ersten vier Werte von Anfang an vor und die restlichen Werte werden im Laufe der Zeit beobachtet. d1 = 90 d 5 = 97
d 2 = 88 d 6 = 95
d 3 = 93 d 7 = 96
d 4 = 98 d 8 = 92
Für die gleitende Mittelwertbildung sollen jeweils die letzten vier Vergangenheitswerte herangezogen werden, die Gewichte zur Ermittlung der gewichteten gleitenden Mittelwerte betragen: α t − 3 = 0,1
α t −2 = 0,2
α t −1 = 0,3
α t = 0,4
2.1 Beschaffung
59
Tab. 2.2 zeigt, wie sich die Prognosewerte der drei Verfahren für die Perioden 5 bis 8 voneinander unterscheiden. Tab. 2.2 Nachfrageprognosen bei Mittelwertrechnung
Periode
arithmetisches Mittel
gleitendes Mittel
gewichtetes gleitendes Mittel
5 6 7 8 9
92,3 93,2 93,5 93,9 93,6
92,3 94,0 95,8 96,5 95,0
93,7 95,6 96,0 96,1 94,3
Während der arithmetische Mittelwert die geringste Schwankung aufweist, nimmt der gewichtete gleitende Mittelwert jeweils die beste Anpassung an die zuletzt hinzugekommene Bedarfsinformation vor. 2.1.2.2
Prognose auf Basis der Regressionsrechnung
Das Einsatzgebiet der Regressionsrechnung sind trendmäßige Bedarfsverläufe. Während bei der linearen Regression anhand der vorliegenden Bedarfswerte eine Ausgleichsgerade ermittelt wird, kommen bei der nichtlinearen Regression quadratische, hyperbolische, exponentielle oder trigonometrische Schätzverfahren zum Einsatz. Die folgenden Ausführungen beschränken sich auf die Darstellung der linearen Regression. Die Grundidee der linearen Regressionsrechnung besteht darin, dass die in der Zeitreihe zusammengefassten Bedarfswerte durch eine lineare Funktion in Abhängigkeit von der Zeit abgebildet werden können. Zur Ermittlung einer solchen Geradengleichung sind der Absolutwert a und der Steigungsparameter b der Ausgleichsgerade so zu bestimmen, dass die Summe der quadrierten Abweichungen von Bedarfswerten und berechneten Werten minimal wird. L
S (a, b) = ∑ (d t − a − b ⋅ t )2 ⇒ min! t =1
Notwendige Bedingung für ein solches Minimum ist, dass die Ableitungen erster Ordnung nach den gesuchten Werten a und b den Wert Null annehmen: L ! ∂ S ( a , b) = −2 ⋅ ∑ (d t − a − b ⋅ t ) = 0 ∂a t =1 L ! ∂ S ( a, b) = −2 ⋅ ∑ (d t − a − b ⋅ t ) ⋅ t = 0 ∂b t =1
60
2 Die Güterwirtschaft
Durch Umformen und Auflösen erhält man die folgenden Bestimmungsgleichungen für die beiden Parameter der Geradengleichung: L
L
L
L ⋅ ∑ dt ⋅ t − ∑ t ⋅ ∑ dt b=
t =1
t =1
a=
t =1 2
⎛ ⎞ L ⋅ ∑t 2 − ⎜∑t ⎟ ⎜ ⎟ t =1 ⎝ t =1 ⎠ L
L
L ⎞ 1 ⎛⎜ L ⋅ ∑ dt − b ⋅ ∑ t ⎟ ⎟ L ⎜⎝ t =1 t =1 ⎠
Anhand des folgenden Beispiels, bei dem Bedarfswerte für 9 Perioden vorliegen, wird zum einen grafisch, zum anderen numerisch gezeigt, wie sich die Ausgleichsgerade und damit auch der Prognosewert für die zehnte Periode ermitteln lässt. d1 = 15
d 2 = 13
d 3 = 16
d 4 = 18 d 7 = 22
d 5 = 19 d 8 = 20
d 6 = 17 d 9 = 25
In Abb. 2.5 sind die einzelnen Bedarfswerte sowie die mittels linearer Regression ermittelte Ausgleichsgerade grafisch dargestellt.
Nachfrage
25 20 15 10 5 0 1
2
Abb. 2.5 Regressionsgerade
3
4
5
6
7
8
9
Periode
2.1 Beschaffung
61
Da die Bedarfsprognose auf Basis der letzten neun Bedarfswerte erfolgen soll, gilt L = 9 . Weiter lassen sich die zur Ermittlung der Geradenparameter benötigten Zwischenergebnisse wie folgt berechnen: 9
9
∑ t = 45
∑ t 2 = 285
t =1
t =1
9
9
∑ d t = 165
∑ t ⋅ d t = 897
t =1
t =1
Damit ergeben sich durch Einsetzen in die zuvor hergeleiteten Formeln die folgenden Werte für b bzw. a:
b= a=
9 ⋅ 897 − 45 ⋅ 165 9 ⋅ 285 − 45 2
= 1,2
1 ⋅ (165 − 1,2 ⋅ 45) = 12, 3 9
Die Regressionsgerade, mit der sich der Vorhersagewert für den Bedarf in Periode t + 1 bestimmen lässt, lautet somit: dˆt +1 = 12, 3 + 1,2 ⋅ (t + 1)
Daraus ergibt sich als Prognosewert für den Bedarf in der zehnten Periode: dˆ10 = 12, 3 + 1,2 ⋅ 10 = 24, 3
Da die Berechnung von Regressionsgeraden mithilfe von Tabellenkalkulationsprogrammen schnell und einfach erfolgen kann, stellt die lineare Regressionsrechnung ein wertvolles Hilfsmittel dar, das sich in der Praxis großer Beliebtheit erfreut. 2.1.2.3
Exponentielle Glättung
Die Verfahren der exponentiellen Glättung benutzen die Abweichungen zwischen den prognostizierten und den eingetretenen Bedarfswerten zur Verbesserung der künftigen Prognosen. Die exponentielle Glättung 1. Ordnung wird bei konstantem Bedarfsverlauf eingesetzt. Dabei werden – ähnlich wie bei der arithmetischen Mittelwertrechnung – sämtliche bereits realisierten Bedarfswerte bei der Prognose berücksichtigt. Allerdings findet eine Gewichtung mit exponentiell abnehmenden Gewichtungsfaktoren statt, so dass der Einfluss von weiter zurückliegenden Werten sehr schnell abnimmt. Im Gegensatz zur Berechnung gewichteter Mittelwerte, bei der jedes Gewicht separat zu bestimmen ist, wird bei der exponentiellen Glättung lediglich der Glättungsparameter α ∈ [0, 1] als Gewicht des letzten beobachteten
62
2 Die Güterwirtschaft
Bedarfswerts vorgegeben. Die Bedarfsprognose für die Periode t + 1 wird dann wie folgt ermittelt:
(
)
dˆt +1 = dˆt + α ⋅ d t − dˆt = α ⋅ d t + (1 − α ) ⋅ dˆt
Es handelt sich hierbei um eine lineare Differenzengleichung erster Ordnung, die sich durch Rekursion in eine gewichtete Summe sämtlicher Bedarfswerte umformen lässt. Das auf der ersten Bedarfsprognose basierende Restglied konvergiert mit zunehmender Periodenzahl sehr schnell gegen Null. t −1
dˆt +1 = α ⋅ ∑ (1 − α )τ ⋅ d t −1 + (1 − α )t ⋅ dˆ1 τ=1
Ein auf der exponentiellen Glättung beruhendes Prognosesystem berücksichtigt bei der nächsten Prognose jeweils die in der Vergangenheit aufgetretenen Prognosefehler, wobei der Parameter α angibt, wie ernst die Fehler genommen werden. Wählt man ein hohes α, so erfolgt eine recht schnelle Anpassung der Bedarfsprognose an eine veränderte Nachfragestruktur, allerdings haben auch Ausreißerwerte und Zufallseinflüsse einen großen Einfluss auf die Prognose. Bei einem geringen Wert für α reagiert die Prognose eher träge auf Veränderungen der Bedarfssituation, es werden lediglich solche Schwankungen erkannt, die auch langfristig Bestand haben. Eine übliche Empfehlung für die Praxis lautet, im Normalfall mit einem geringen α im Bereich zwischen 0,1 und 0,3 zu arbeiten, diesen Wert jedoch bei offensichtlichem Auftreten eines Strukturbruchs solange zu erhöhen, bis sich die Prognosewerte an das neue Bedarfsniveau angepasst haben. Die exponentielle Glättung 1. Ordnung wird in ca. 80% der Unternehmen zur Prognose von konstantem Bedarf eingesetzt und stellt damit das gebräuchlichste computergestützte Verfahren der Bedarfsprognose dar. Die exponentielle Glättung 2. Ordnung nimmt eine nochmalige Glättung der bereits ermittelten Abweichungen zwischen Bedarfsprognose und tatsächlich aufgetretenem Bedarf vor, sie eignet sich daher – wie die lineare Regressionsrechnung – auch zur Prognose von Bedarfsverläufen mit linearem Trend. Weitere Varianten der exponentiellen Glättung sind die exponentielle Glättung höherer Ordnung, durch die eine noch bessere Anpassung an den tatsächlichen Bedarfsverlauf erfolgt, und die exponentielle Glättung mit Saisonfaktoren, die sich auch für den Einsatz bei saisonalem Bedarfsverlauf eignet. Wenn der tatsächlich realisierte Bedarfswert von der Bedarfsprognose abweicht, liegt ein Prognosefehler vor. Da der tatsächliche Bedarfsverlauf in der Regel stochastisch ist, sind Prognosefehler letztlich auch bei sorgfältigster Datenbereitstellung und anspruchsvollen Prognoseverfahren unvermeidlich. Prognosefehler lassen sich auf unterschiedliche Art messen, die bekanntesten Fehlermaße sind die mittlere quadratische Abweichung σ, die z.B. bei einer Normalverteilung des Bedarfsverlaufs der Standardabweichung entspricht, und die mittlere absolute Abweichung MAD. Sie werden – jeweils für die letzten L Wertepaare – wie folgt berechnet:
2.1 Beschaffung
63
(
t 1 ⋅ ∑ d τ − dˆ τ L τ = t − L +1
σ=
MAD =
)
t 1 ⋅ ∑ d τ − dˆ τ L τ=t − L+1
Wenn die Bevorratung entsprechend der Bedarfsprognose erfolgt, so kommt es aufgrund von Prognosefehlern zu überhöhten Lagerbeständen oder zu Fehlmengen, wobei letztere in der Regel aufgrund von vielfältigen Folgewirkungen in der Produktion sowie bei den Abnehmern die höheren Zusatzkosten bewirken. Als Maßnahme zur Vermeidung von Fehlmengen werden vielfach Sicherheitsbestände gehalten. Diese ermöglichen es, trotz der Unsicherheit hinsichtlich des tatsächlichen Bedarfs die Verfügbarkeit des Materials bzw. die Lieferbereitschaft sicherzustellen und damit einen vorgegebenen Servicegrad einzuhalten.
2.1.3
Materialbedarfsplanung
Die Aufgabe der Materialbedarfsplanung besteht darin, die von jedem Teil benötigte Menge zu ermitteln. Ausgangspunkt der Materialbedarfsplanung ist das Produktionsprogramm für die nächsten Monate, das bei einem Massenfertiger, z.B. in der Lebensmittelindustrie, anhand von Nachfrageprognosen und bei einem Auftragsfertiger, z.B. im Maschinenbau, aufgrund der vorliegenden Fertigungsaufträge ermittelt wird. Die Bedarfsmengen an Produkten und extern nachgefragten Bauteilen bezeichnet man als Primärbedarf.
7 3
3 1
1
2
1
5
6
2
3
2
2
3 1
1 Abb. 2.6 Erzeugnisstruktur
4 2
2
64
2 Die Güterwirtschaft
Dieses Produktionsprogramm wird mithilfe von Stücklisten in seine einzelnen Bestandteile aufgelöst. Unter einer Stückliste versteht man die Zusammenstellung aller zur Herstellung eines Produkts benötigten Materialien, Teile und Baugruppen mit den zur Herstellung einer Einheit erforderlichen Mengen. Abb. 2.6 zeigt ein Beispiel für die Erzeugnisstruktur eines Produkts, das auf drei Produktionsstufen aus sechs verschiedenen Teilearten zusammengebaut wird. Die Erzeugnisstruktur ist die Basis für die Herleitung der Stücklisten. Stücklisten werden vor allem in folgenden Formen eingesetzt: • In einer Mengenstückliste werden die Bestandteile eines Produkts ohne Berücksichtigung von strukturellen Beziehungen lediglich mit ihren Gesamtmengen zusammengestellt. Sie gibt keinen Hinweis auf die strukturelle Zusammensetzung der Produkte. Abb. 2.7 gibt die Mengenstückliste für das Beispiel in Abb. 2.6 an. Teil
7
6
5
4
3
2
1
Menge
1
2
1
6
7
14
7
Abb. 2.7 Mengenstückliste
• In einer Strukturstückliste werden die Bestandteile und Mengen eines Produkts entsprechend seinem Aufbau stufenweise dargestellt. Falls Teile mehrfach in das Produkt eingehen – wie es im Beispiel für die Teile 1, 2 und 3 der Fall ist –, enthält die Strukturstückliste redundante Informationen. Für umfangreiche Erzeugnisstrukturen wird sie schnell unübersichtlich, auch ist der Aufwand bei Änderungen im Produktionsprogramm sehr hoch. Abb. 2.8 zeigt die Strukturstückliste des Beispiels, wobei die unterschiedlichen Fertigungsstufen durch Einrückungen verdeutlicht werden.
Einbaumenge 7
1 6
2 4
3
3
2 2
2
1
1
5
1
3
3 2
2
1
1
Abb. 2.8 Strukturstückliste für Teil 7
2.1 Beschaffung
65
• Bei einer Baukastenstückliste werden für jedes Produkt oder Teil die direkten Bestandteile und deren Mengen angegeben. Falls sich ein Bauteil wiederum aus anderen Teilen zusammensetzt, wird dies durch eine entsprechende Markierung angezeigt. Daraus ergibt sich eine sehr effiziente Darstellung, die leicht änderbar und ergänzbar ist. Baukastenstücklisten lassen sich für zahlreiche Planungsaufgaben einsetzen und werden häufig in Produktionsplanungs- und -steuerungssystemen (vgl. Abschnitt 4.5.2) verwendet. In Abb. 2.9 ist die Baukastenstückliste für das Beispiel angegeben.
Produkt 7
6
3
Teil
Menge
Stückliste
6
2
Ja
5
1
Nein
3
3
Ja
4
3
Nein
3
2
Ja
2
2
Nein
1
1
Nein
Abb. 2.9 Baukastenstückliste
• Sonderformen dieser Stücklisten wie Plus/Minus-Stücklisten, Gleichteilestücklisten oder Variantenstücklisten werden eingesetzt, um den Marktanforderungen nach möglichst individuellen Produkten besser nachkommen zu können. Wenn die Stücklistenauflösung für alle Produkte im Produktionsprogramm vorgenommen ist, liegen die benötigten Mengen sämtlicher Teile vor. Diese Bedarfsmengen bezeichnet man als Sekundärbedarf, da sie aus dem Produktionsprogramm abgeleitet werden. Es handelt sich zunächst noch um Bruttobedarfsmengen, die nicht in jedem Fall den zu produzierenden Mengen – den Nettobedarfsmengen – entsprechen. Die Nettobedarfsmengen erhält man, indem man den Bruttobedarf um den verfügbaren Lagerbestand reduziert. Der verfügbare Lagerbestand ergibt sich aus dem physischen Lagerbestand, indem man den Sicherheitsbestand, der für unvorhersehbare Bedarfsschwankungen am Lager bleiben soll, abzieht. Ist der verfügbare Lagerbestand größer als der Bruttobedarf der ersten Periode, so beträgt der Nettobedarf Null. Nettobedarf = max{0, Bruttobedarf − Lagerbestand + Sicherheitsbestand}
Die Nettobedarfsmengen der einzelnen Teile werden mithilfe eines Losgrößenverfahrens zu Fertigungslosen für selbst erzeugte Teile bzw. zu Bestelllosen für fremdbezogene Teile zusammengefasst. Bei der Losgrößenplanung wird ein Ausgleich zwischen den je Losauflage anfallenden Rüstkosten und den variablen Lagerhaltungskosten vorgenommen (vgl. Abschnitt 2.1.4).
66
2 Die Güterwirtschaft
Bei der anschließenden Vorlaufverschiebung werden die Startzeitpunkte der einzelnen Lose in Abhängigkeit von der Erzeugnisstruktur und der Bearbeitungszeit so festgelegt, dass die Endprodukte termingerecht ausgeliefert werden können. Da bei der Losbildung häufig Bedarfsmengen mehrerer Perioden zu einem Los zusammengefasst werden, ist bei der Vorlaufverschiebung der Startzeitpunkt eines Loses auf der Zeitachse so weit nach vorn zu verschieben, dass der früheste Bedarf abgedeckt werden kann. Bei dem in Abb. 2.6 angegebenen Beispiel geht das Bauteil 3 nicht nur direkt in das Endprodukt 7 ein, sondern auch über das Bauteil 6. Geht man von einer Produktionszeit von einer Woche je Produktionsstufe aus, so muss der Startzeitpunkt des Loses von Bauteil 3 drei Wochen vor dem geplanten Liefertermin des Endprodukts liegen, der Startzeitpunkt der Lose für die Teile 1 und 2, aus denen das Bauteil 3 zusammengesetzt wird, sogar vier Wochen vor diesem Termin. Das Ergebnis der Materialbedarfsplanung sind terminierte Lose für alle Produkte und Teile, die als Produktionsplan in die Fertigung weitergegeben werden. Sollte sich beim anschließenden Kapazitätsabgleich herausstellen, dass der Kapazitätsbedarf dieses Produktionsplans in einzelnen Perioden über dem Kapazitätsangebot liegt, so wird entweder durch Reduktion oder zeitliche Verlagerung der betroffenen Lose der Kapazitätsbedarf reduziert oder durch geeignete Anpassungsmaßnahmen das Kapazitätsangebot erhöht. Abb. 2.10 stellt den Ablauf der Materialbedarfsplanung nochmals zusammenfassend dar.
Produktionsprogramm: Primärbedarf an Endprodukten
Stücklistenauflösung: Sekundärbedarf an Zwischenprodukten
Nettobedarfsermittlung: Abgleich mit Lagerbeständen
Losbildung: Zusammenfassung von Bedarfsmengen
Vorlaufverschiebung: Terminierte Lose Abb. 2.10 Ablauf der Materialbedarfsplanung
2.1 Beschaffung
2.1.4
67
Lagerhaltung und Losgrößenbestimmung
Unter einem Lager versteht man in physischer Sichtweise einen Ort, an dem Material bis zu seiner geplanten Verwendung aufbewahrt wird. Es sind Entscheidungen über die Anzahl und die räumliche Verteilung der Lagerstandorte, über die Organisation und Ausstattung der einzelnen Lager und über ihre verkehrstechnische Verknüpfung zu treffen. Die Aufgabe eines Lagers besteht darin, einen Puffer zwischen aufeinander folgenden betrieblichen Teilbereichen zu bilden, deren Zugangs- und Abgangsraten voneinander abweichen (vgl. Abb. 2.11). • So dient ein Eingangslager dem Ausgleich zwischen der Anlieferung von fremdbezogenem Material und seinem regelmäßigen Einsatz in der Fertigung. • Ein Zwischenlager nimmt bei mehrstufiger Produktion einen Ausgleich zwischen verschiedenen Produktionsgeschwindigkeiten bei aufeinander folgenden Produktionsstufen vor. • Das Ausgangslager nimmt die Endprodukte bis zu ihrer Auslieferung an die Kunden auf. Es dient unter anderem der Aufrechterhaltung einer gleichmäßigen Produktionsrate bei saisonalen Nachfrageschwankungen. Diese Entkopplung von Produktion und Nachfrage bezeichnet man als Emanzipationsprinzip der Fertigung, während eine Produktion, die jeweils die aktuelle Nachfrage erzeugt, dem Synchronisationsprinzip folgt.
Material
Stufe 2
Zwischenlager 1
Zwischenlager 2
Stufe n
Absatz
Stufe 1
Ausgangslager
Eingangslager
Beschaffung
Produktion
Produkte Abb. 2.11 Lagerarten
Die Höhe des Lagerbestands hängt unter anderem von der Losgröße ab. Darunter versteht man die Menge eines Materials, die – bei fremdbezogenen Materialien – in einer Bestellung beschafft wird bzw. die – bei selbst gefertigten Teilen – ohne Unterbrechungen oder Umrüsten der Maschinen hergestellt wird.
68
2 Die Güterwirtschaft
Da mit der Lagerhaltung Kapital im Umlaufvermögen gebunden wird und somit nicht für andere Investitionen zur Verfügung steht, sind die Lagerbestände auf einen wirtschaftlich sinnvollen Umfang zu beschränken. Die Zielsetzung der Lagerhaltung ist die Minimierung der entscheidungsrelevanten Kosten. Folgende Kostenkategorien stehen im Zusammenhang mit der Lagerhaltung: • Fixkosten des Lagers fallen für die Einrichtung und die laufende Unterhaltung des Lagers an. Dazu zählen z.B. Mieten bzw. Abschreibungen für die Lagerräume und auf die Lagereinrichtung, Heiz- und Energiekosten des Lagers oder der feste Lohn des Lagerverwalters. Für die Entscheidung über den Umfang eines einzulagernden Loses sind diese Kosten irrelevant. • Losfixe Kosten, d.h. Bestellkosten bei Fremdbezug bzw. Rüstkosten bei Eigenfertigung, fallen einmal je Los an. Je größer die Lose sind, desto seltener sind bei gegebener Bedarfsmenge Bestellungen bzw. Umrüstungen erforderlich. Daher geht von den losfixen Kosten eine Tendenz zu möglichst großen Losen aus. • Variable Lagerhaltungskosten fallen in Abhängigkeit von der gelagerten Menge und der Dauer der Lagerung an. Hierzu zählen in erster Linie die Zinsen auf das im Lagerbestand gebundene Kapital, aber auch mengenabhängige Versicherungskosten sowie Kosten für Schwund und Verderb. Von den variablen Lagerhaltungskosten geht somit eine Tendenz zu möglichst kleinen Losen aus. • Fehlmengenkosten sind die Kosten, die bei Lieferunfähigkeit angesetzt werden. Neben Konventionalstrafen zählen hierzu der Goodwill-Verlust bei den Kunden sowie die entgangenen Erträge bei Abwanderung von Kunden. Hohe Sicherheitslagerbestände bieten einen Schutz vor Fehlmengen. Für das im Folgenden behandelte klassische Losgrößenmodell sind lediglich die losfixen Kosten und die variablen Lagerhaltungskosten relevant. Das klassische Losgrößenmodell geht auf die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts zurück und erfreut sich bis heute in der Praxis großer Beliebtheit. Es geht von folgenden Annahmen aus: • Es wird ein Produkt in einem Lager betrachtet. • Die Lagerkapazität ist unbeschränkt. • Fehlmengen sind nicht zugelassen. • Der Lagerabgang erfolgt kontinuierlich mit einer konstanten Rate d. • Das Lager wird durch Produktion mit der konstanten Rate x > d aufgefüllt. • Je Los fallen Rüstkosten in Höhe von cR an. • Die variablen Lagerhaltungskosten je Stück und Periode betragen cL. Das Ziel des Modells ist die Bestimmung der optimalen Losgröße q 0 , die die Gesamtkosten pro Zeiteinheit als Summe aus Rüstkosten und variablen Lagerhaltungskosten minimiert. Dieser Zusammenhang ist in Abb. 2.12 dargestellt.
2.1 Beschaffung
69
Kosten
Gesamtkosten Lagerhaltungskosten
Rüstkosten q0
Losgröße
Abb. 2.12 Optimale Losgröße
Da die Nachfragerate als konstant angenommen wird, lässt sich zu jeder Losgröße q ihre Reichweite T angeben, d.h. die Zeitspanne, während der der Lagerbestand wieder abgebaut wird: T=
q d
bzw.
q =T ⋅d
Da die Produktionsrate x größer als die Nachfragerate d ist, wird die Losgröße q in einem Teilintervall T1 < T hergestellt: T1 =
q x
bzw.
q = T1 ⋅ x
Die Kosten eines Loses setzen sich aus den Rüstkosten, die je Los einmal anfallen, und den von der Losgröße abhängigen variablen Lagerhaltungskosten zusammen: K (q ) = c R + c L (q )
Bei der Modellierung der variablen Lagerhaltungskosten ist zu berücksichtigen, dass der Lagerbestand kontinuierlich abnimmt und dadurch in jedem Zeitpunkt verschieden hoch ist; im Durchschnitt wird die Hälfte des maximalen Lagerbestands gelagert. Weiter ist der maximale Lagerbestand L geringer als die Losgröße q, da ein Teil der Nachfrage direkt aus der Produktion befriedigt wird. Es gilt: L = q − T1 ⋅ d = q − q ⋅ L 1 ⎛ d⎞ = ⋅ q ⋅ ⎜1 − ⎟ x⎠ 2 2 ⎝
d ⎛ d⎞ = q ⋅ ⎜1 − ⎟ x⎠ x ⎝
70
2 Die Güterwirtschaft Menge
q L
L/2
T1
T
Zeit
Abb. 2.13 Entwicklung des Lagerbestands
Abb. 2.13 zeigt den Lagerbestandsverlauf beim klassischen Losgrößenmodell. Zunächst wird im Teilintervall bis T1 ein Lagerbestand mit der Rate x – d bis zur Höhe L aufgebaut, anschließend wird die Produktion gestoppt und der Lagerbestand mit der Rate d bis zum Ende des Zyklus bis auf Null abgebaut. Bei unveränderten Daten zeigt der nächste Zyklus genau die gleiche Lagerbestandsentwicklung. Somit lassen sich die Kosten eines Loses darstellen als: K (q, T ) = c R +
1 ⎛ d⎞ ⋅ q ⋅ ⎜1 − ⎟ ⋅ T ⋅ c L 2 x⎠ ⎝
Da in dieser Beziehung sowohl die Losgröße q als auch die Reichweite des Loses T unbekannt sind, geht man zu den Kosten pro Zeiteinheit über und substituiert T durch die zuvor angegebene Beziehung T = q / d : k (q, T ) =
K (q ) c R 1 ⎛ d ⎞ d 1 ⎛ d⎞ = + ⋅ q ⋅ ⎜1 − ⎟ ⋅ c L = c R ⋅ + ⋅ q ⋅ ⎜1 − ⎟ ⋅ c L 2 ⎝ T T x⎠ q 2 x⎠ ⎝
Die notwendige Bedingung für ein Optimum lautet: ! c ⋅d 1 ⎛ d ⎞ d k (q ) =− R + ⋅ ⎜1 − ⎟ ⋅ c L = 0 dq 2 ⎝ x⎠ q2
Durch Auflösen dieser Bedingung erhält man die optimale Losgröße, wobei nur die positive Wurzel eine ökonomisch sinnvolle Lösung ist: q0 =
2 cR ⋅ d ⎛ d⎞ c L ⎜1 − ⎟ x⎠ ⎝
2.1 Beschaffung
71
Das folgende Beispiel soll die Vorgehensweise des klassischen Losgrößenmodells verdeutlichen: Ein Unternehmen stellt Metallflaschen für Feuerlöscher her. Die Nachfrage beträgt zurzeit 150 Flaschen pro Woche, die Maschine ist auf eine Produktionsmenge von 200 Flaschen pro Woche ausgelegt. Die Rüstkosten für das Einrichten der Maschine betragen 75 €, die variablen Lagerhaltungskosten werden mit 1 € je Flasche und Woche angesetzt. Durch Einsetzen dieser Daten in die Lösungsformel des klassischen Losgrößenmodells erhält man: q0 =
2 ⋅ 75 ⋅ 150 = 300 ⎛ 150 ⎞ 1 ⋅ ⎜1 − ⎟ ⎝ 200 ⎠
Das Unternehmen realisiert also die geringsten Kosten, wenn es alle zwei Wochen ein Los im Umfang von 300 Flaschen auflegt. Zur Herstellung dieser Menge werden 1,5 Wochen benötigt, in denen 225 Flaschen direkt aus der Produktion in den Absatz gehen. Danach wird die Maschine angehalten und die restliche Nachfrage in Höhe von 75 Flaschen aus dem bis dahin aufgebauten Lagerbestand befriedigt. Nach Ablauf der zwei Wochen ist der Lagerbestand abgebaut, und es beginnt ein neuer Zyklus. Das klassische Losgrößenmodell lässt sich auch auf den Fall übertragen, dass das Lager nicht durch Produktion aufgefüllt wird, sondern durch Anlieferung der gesamten Losgröße zu Beginn eines Lagerhaltungszyklus (Bestellfall). Da in diesem Fall die Produktionsgeschwindigkeit unendlich groß ist, fällt der Klammerausdruck im Nenner der Lösungsformel weg, so dass gilt: q0 =
2 cR ⋅ d cL
Das klassische Losgrößenmodell wird aus theoretischer Sicht stark kritisiert, da seine Annahmen – insbesondere die als konstant angenommene Nachfragerate – im Grunde nur einen sehr engen Einsatzbereich zulassen. Andererseits haben Sensitivitätsanalysen gezeigt, dass die Lösung des Modells kaum auf Parameterveränderungen reagiert, d.h. auch wenn die Annahmen nicht exakt erfüllt sind, liefert es brauchbare Ergebnisse. Wie in Abb. 2.12 deutlich wird, verläuft die Gesamtkostenfunktion in einer recht großen Umgebung der optimalen Losgröße relativ flach, so dass z.B. betriebsbedingte Abweichungen von der Lösung zu keinem erheblichen Kostenanstieg führen. Diese Robustheit und die leichte Verständlichkeit von Modell und Herleitung sind die Ursache dafür, dass sich das klassische Losgrößenmodell in der Praxis großer Beliebtheit erfreut und in vielen Unternehmen eingesetzt wird. Es findet auch häufig Verwendung in computergestützten PPS-Systemen als Modul zur Losgrößenbestimmung. Durch eine Reihe von Modifikationen lässt sich der Einsatzbereich des klassischen Losgrößenmodells über die engen Prämissen des Grundmodells hinaus erweitern. So gibt es insbesondere Formulierungen für den Fall von • Fehlmengen,
72
2 Die Güterwirtschaft
• Rabatten, • Lieferfristen, • mehreren Produkten, • beschränkten Lagerkapazitäten. Weiter dient das Modell als Ausgangspunkt für die Konstruktion von zahlreichen Heuristiken zur Bestimmung der Losgröße bei diskreter, von Periode zu Periode schwankender Nachfrage. Vielfach wird in der Praxis eine Materialbestellung nicht modellgestützt, sondern mithilfe von einfachen, am Materialverbrauch ausgerichteten Entscheidungsregeln ausgelöst. Derartige verbrauchsgesteuerte Dispositionsverfahren projizieren die in der Vergangenheit beobachteten Bedarfsmengen in die Zukunft und leiten daraus Bestellmengen und Bestelltermine als Parameter für das Bestellverhalten her. Die Verfahren unterscheiden sich dahingehend, welche dieser Größen fest vorgegeben oder variabel sind. Abb. 2.14 gibt einen systematischen Überblick über die verbrauchsgesteuerten Dispositionsverfahren, in Abb. 2.15 sind die zugehörigen Lagerbestandsverläufe dargestellt.
Bestellmenge
Bestelltermin fest
variabel
fest
konstante Bestellpolitik
(s,q)-Politik: BestellpunktLosgrößenVerfahren
variabel
(t,S)-Politik: BestellrhythmusBestellgrenzenVerfahren
(s,S)-Politik: BestellpunktBestellgrenzenVerfahren
Abb. 2.14 Verbrauchsgesteuerte Dispositionsverfahren
• Sind sowohl die Bestellmenge als auch die Bestelltermine fest vorgegeben, so liegt kein Entscheidungsspielraum vor. Es wird vielmehr eine konstante Bestellpolitik angewendet, bei der – unabhängig vom tatsächlichen Bedarfsverlauf – zu festen Terminen jeweils eine bestimmte Menge bestellt wird. • Bei der (t,S)-Politik ist der Bestellrhythmus durch feste Zeitpunkte t vorgegeben, in denen das Lager auf den ebenfalls vorher festgelegten Höchstbestand S aufgefüllt wird. Bei schwankender Nachfrage ergibt sich eine variable Bestellmenge. Ein Beispiel für ein solches Bestellverhalten ist die einmal jährlich erfolgende Auffüllung des Heizölvorrats, bei der jeweils die im Vorjahr verbrauchte Menge ergänzt wird.
2.1 Beschaffung
73
• Umgekehrt liegt bei der (s,q)-Politik die Bestellmenge q fest, sie kann z.B. als optimale Losgröße mithilfe des klassischen Losgrößenmodells bestimmt werden. Eine Bestellung wird ausgelöst, wenn der als kritisch angesehene Lagerbestand bzw. Bestellpunkt s erreicht ist. Dadurch variieren die Termine, zu denen eine Bestellung erfolgt. Eine (s,q)Politik wird z.B. im Handel eingesetzt, wenn die Nachbestellung eines Artikels bedarfsorientiert durchgeführt wird und jeweils bestimmte Gebindegrößen (eine Palette, 100 Stück usw.) geordert werden. • Bei der (s,S)-Politik sind sowohl die Bestellmengen als auch die Bestelltermine variabel. Bei Erreichen des Bestellpunkts s wird eine Bestellung ausgelöst, die das Lager wieder bis zur Bestellgrenze S auffüllt. Ein Beispiel hierfür ist das Bestellverhalten eines Tankstellenpächters: Wenn in einem Tank ein festgelegter Meldebestand erreicht ist, wird eine Nachlieferung angefordert, durch die er wieder bis zur Obergrenze aufgefüllt wird. Die jeweilige Liefermenge schwankt in Abhängigkeit von der Nachfrage während der Lieferfrist, der Abstand zwischen zwei Bestellungen hängt von der Nachfrage im Verbrauchsintervall ab.
y
y
Konstante Bestellpolitik
(s,q)-Politik
q q
q
q
s t y
t y
(t,S)-Politik
(s,S)-Politik
S
S
s t
Abb. 2.15 Lagerbestandsverlauf bei den verbrauchsgesteuerten Dispositionsverfahren
t
74
2 Die Güterwirtschaft
2.2
Produktion
Die Produktion ist der Kernbereich des betrieblichen Leistungsprozesses; sie nimmt die Kombination und Transformation der Einsatzfaktoren Werkstoffe, Betriebsmittel und menschliche Arbeitsleistungen in die vom Unternehmen am Markt angebotenen Produkte und Dienstleistungen vor. Die Produktionstheorie (Abschnitt 2.2.1) beschreibt diesen Transformationsprozess mithilfe von Produktionsfunktionen. Im Mittelpunkt der Produktionsplanung (Abschnitt 2.2.2) stehen die Abläufe bei der Produktion. In Abschnitt 2.2.3 wird ein Überblick über die wichtigsten Fertigungsverfahren gegeben. Die Fertigungsorganisation (Abschnitt 2.2.4) befasst sich schließlich mit den Möglichkeiten der räumlichen Anordnung der Produktionsmittel.
2.2.1
Produktionstheorie
Gegenstand der Produktionstheorie ist die formale Abbildung des güterwirtschaftlichen Transformationsprozesses in Form einer Input/Output-Beziehung, d.h. sie abstrahiert von den technischen Einzelheiten der Produktion und konzentriert sich auf die quantitativen Beziehungen von Faktoreinsatz- und Ausbringungsmengen. Abb. 2.16 veranschaulicht diesen Zusammenhang.
INPUT
OUTPUT
Werkstoffe Betriebsmittel Arbeitsleistung
Produkte Dienstleistungen
Produktion
Abb. 2.16 Produktion als Input/Output-Beziehung
Zur Untersuchung der Input/Output-Beziehung werden Produktionsfunktionen formuliert, die die Realität mit dem gewünschten Abstraktionsgrad abbilden. Eine Produktionsfunktion ist eine Abbildung des n-dimensionalen Faktorraums in den m-dimensionalen Güterraum, die die bei der Produktion auftretenden Inputmengen (r1 , r2 ,..., rn ) und die zugehörigen Outputmengen (x1 , x2 ,..., xm ) effizient miteinander verknüpft. Φ : ℜ +n → ℜ +m Φ(r1 , r2 ,..., rn ; x1 , x2 ,..., x m ) = 0
Im Einproduktfall lässt sich die Produktionsfunktion in expliziter Form darstellen:
2.2 Produktion
75
ϕ : ℜ n+ → ℜ + x = ϕ (r1 , r2 ,..., rn )
Im Folgenden wird auf zwei produktionstheoretische Ansätze eingegangen: Zunächst wird die neoklassische Produktionstheorie in Grundzügen dargestellt, da sie die allgemeine Grundlage der Produktionstheorie ist. Anschließend wird mit der Theorie der Anpassungsformen ein Ansatz vorgestellt, der sich stärker an der betrieblichen Realität orientiert. 2.2.1.1
Neoklassische Produktionsfunktionen
Eine bekannte Klasse von Produktionsfunktionen sind die aus der Volkswirtschaftslehre stammenden ertragsgesetzlichen bzw. neoklassischen Produktionsfunktionen, die die nachfolgend dargestellten Eigenschaften aufweisen. Es wird davon ausgegangen, dass die Produktionsfunktion zweimal stetig differenzierbar ist. 1. Konstante bzw. abnehmende Skalenerträge Bei einer gleichmäßigen Variation sämtlicher Faktoreinsatzmengen, die in der Funktion in Form einer Proportionalitätskonstanten λ zum Ausdruck kommt, ändert sich die erzielbare Produktionsmenge x entweder im gleichen Verhältnis oder nur unterproportional: x(λ ) = ϕ (λ ⋅ r1 , λ ⋅ r2 ,..., λ ⋅ rn ) ≤ λ ⋅ x
für λ ≥ 0
2. Positive und abnehmende Grenzerträge Die Erhöhung der Einsatzmenge eines Produktionsfaktors bei Konstanz aller anderen Faktoreinsatzmengen führt zu einem Anstieg der Produktionsmenge. Die mit einer marginalen Inputeinheit zusätzlich erzielte Produktionsmenge wird als Grenzertrag bezeichnet. Dieser Grenzertrag geht mit zunehmendem Produktionsniveau zurück, d.h. es lassen sich immer geringere Ertragszuwächse erzielen. Ein solcher ertragsgesetzlicher Verlauf einer Produktionsfunktion liegt vor, wenn für alle Einsatzfaktoren i = 1,..., n gilt: ∂x >0 ∂ ri
∂2 x ∂ ri 2
0 ∂ rj
−
∂ 2 ri ∂ rj2
0 ∂ r1
∂2 x ∂ r1
2
= −0,7 ⋅ 0,3 ⋅ 25 r1−1,7 ⋅ r20,6 < 0
Die Produktionsfunktion weist positive, abnehmende Grenzerträge bezüglich des Produktionsfaktors 1 auf. ∂x = 0,6 ⋅ 25 r10,3 ⋅ r2− 0,4 > 0 ∂ r2
∂2 x ∂ r2
2
= −0,4 ⋅ 0,6 ⋅ 25 r10,3 ⋅ r2−1,4 < 0
Die Produktionsfunktion weist bezüglich des Produktionsfaktors 2 ebenfalls positive, abnehmende Grenzerträge auf. 3. Untersuchung der Grenzrate der Substitution
Für die Produktionsmenge x = 25 ergibt sich als Isoquante: r1 = r2 −2
Die Grenzrate der Substitution und ihre Ableitung lauten: s12 = −
∂ r1 = 2 r2− 3 > 0 ∂ r2
−
∂ 2 r1 ∂ r2
2
= −6 r2−4 < 0
Somit gilt das Gesetz von der abnehmenden Grenzrate der Substitution. Da die untersuchte Funktion alle drei Eigenschaften erfüllt, handelt es sich um eine ertragsgesetzliche Produktionsfunktion.
78 2.2.1.2
2 Die Güterwirtschaft Die Gutenberg-Produktionsfunktion
Die oben in Grundzügen dargestellte neoklassische Produktionstheorie ist in der Volkswirtschaftslehre entwickelt worden und behandelt die Produktion auf einer sehr abstrakten Ebene. Im Folgenden wird daher mit der von Erich Gutenberg konzipierten Theorie der Anpassungsformen ein produktionstheoretischer Ansatz behandelt, der die realen betrieblichen Gegebenheiten stärker berücksichtigt. Im Mittelpunkt der Theorie stehen die Möglichkeiten eines Unternehmens, sich kurzfristig – d.h. bei gegebener Maschinenausstattung – an Nachfrageschwankungen anzupassen. Im Unterschied zur neoklassischen Produktionstheorie geht Gutenberg davon aus, dass in der industriellen Produktion kaum Substitutionsmöglichkeiten zwischen den Produktionsfaktoren bestehen, sondern vielmehr feste, limitationale Einsatzmengenverhältnisse, wie sie z.B. in Stücklisten (vgl. Abschnitt 2.1.3) gegeben sind, vorherrschen. Demzufolge kann eine partielle Faktorvariation, d.h. die Erhöhung der Einsatzmenge eines Produktionsfaktors bei festen Einsatzmengen der anderen Faktoren, zu keinem Anstieg der Ausbringungsmenge führen, so dass die Grenzproduktivität jedes Produktionsfaktors Null beträgt. Gutenberg nimmt weiter an, dass der Zusammenhang zwischen Faktoreinsatz- und Ausbringungsmengen kein direkter ist, sondern in spezifischer Weise von der Fahrweise der Maschinen abhängt. Daher stellt er die Betriebsmittel in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen und untersucht die Auswirkungen der drei Anpassungsformen 1. zeitliche Anpassung: Variation der Arbeitszeit (t) 2. quantitative Anpassung: Variation der Anzahl der eingesetzten Maschinen (z) 3. intensitätsmäßige Anpassung: Variation der Produktionsgeschwindigkeit (d) auf die Leistungsabgabe der Maschinen, auf die für die Ausbringung benötigten Faktoreinsatzmengen und auf die mit der Produktion verbundenen Kosten. Die von ihm entwickelte Gutenberg-Produktionsfunktion lautet: x = t ⋅z⋅d
1. Zeitliche Anpassung Bei der zeitlichen Anpassung erfolgt die Produktion mit einer Maschine, die in der regulären Arbeitszeit über eine in Produkteinheiten gemessene Kapazität x verfügt. Die Produktionsgeschwindigkeit ist konstant. Die reguläre Arbeitszeit lässt sich zwischen Null und der Obergrenze T kontinuierlich variieren. Soll die Produktionsmenge über x hinaus erhöht werden, so können Überstunden gefahren werden. Aufgrund der limitationalen Beziehungen zwischen Faktoreinsatzmengen und Produktionsmenge gilt für die Werkstoffe folgende Faktoreinsatzfunktion: ri = ai ⋅ x
i = 1,..., n
2.2 Produktion
79
Der Produktionskoeffizient ai gibt die Menge des Werkstoffs i an, die je Produkteinheit eingesetzt werden muss. Durch Multiplikation mit der gewünschten Produktionsmenge x erhält man die insgesamt erforderliche Einsatzmenge des Werkstoffs i. Die Produktionskosten setzen sich zusammen aus den Fixkosten K F , in denen die festen Löhne der Arbeitnehmer und die Abschreibungen für Gebäude und Maschinen enthalten sind, und den von der Produktionsmenge abhängigen variablen Kosten K v (x) , die für den Werkstoffeinsatz und für variable Lohnbestandteile (z.B. Akkordlohn) anfallen. K ( x) = K F + K v ( x)
Die Kostenfunktion bei zeitlicher Anpassung erhält man somit, indem man die durch die Faktoreinsatzfunktion angegebenen Faktoreinsatzmengen ri mit ihren Preisen ci bewertet und diese variablen Kosten zu den Fixkosten addiert: n
K ( x ) = K F + ∑ a i ⋅ x ⋅ ci
t ≤T
i =1
Da sowohl die Produktionskoeffizienten als auch die Faktorpreise konstante Größen sind, steigt diese Kostenfunktion, wie in Abb. 2.19 dargestellt, linear mit der Produktionsmenge an. Wenn die reguläre Arbeitszeit T durch Überstunden überschritten wird, fallen zusätzliche Überstundenzuschläge an, die zu einer Erhöhung der variablen Kosten je Stück und damit zu einem steileren Anstieg der Kostenfunktion führen.
K
KF
x-
x
Abb. 2.19 Kostenverlauf bei zeitlicher Anpassung
2. Quantitative Anpassung Quantitative Anpassung liegt vor, wenn die Produktionsmenge über eine Variation der Anzahl der eingesetzten Maschinen an die Nachfrage angepasst wird. Dabei handelt es sich nicht um eine Investitionsentscheidung, sondern um die Frage, wie viele der vorhandenen Z
80
2 Die Güterwirtschaft
Maschinen für die Produktion genutzt werden sollen. Die Produktionsgeschwindigkeit ist konstant, als Einsatzzeit der Maschinen wird zunächst die reguläre Arbeitszeit T angesetzt. Geht man davon aus, dass mehrere Maschinen vom gleichen Typ mit gegebener Leistung zur Verfügung stehen, so lässt sich die Produktionsmenge lediglich als ganzzahliges Vielfaches der Kapazität x einer Maschine variieren. x ∈ {0, x , 2 x ,..., Z ⋅ x }
Da dies nur eine ungenaue Anpassung an Nachfrageschwankungen erlaubt, kombiniert man die quantitative mit der zeitlichen Anpassung. Bei steigender Nachfrage wird zunächst zeitlich angepasst, bis die Kapazität der ersten Maschine ausgenutzt ist, anschließend wird die zweite Maschine zugeschaltet, bis auch deren Kapazität ausgenutzt ist, usw. Das Zuschalten einer Maschine verursacht sprungfixe Kosten k F für die Reinigung, das Warmlaufen, Probestücke usw., die bei der Formulierung der Kostenfunktion zu berücksichtigen sind. n
K ( x ) = K F + ∑ a i ⋅ x ⋅ ci + z ⋅ k F i =1
mit:
⎡x⎤ z=⎢ ⎥ ⎣x⎦
Abb. 2.20 zeigt den Kostenverlauf bei kombinierter zeitlich-quantitativer Anpassung.
K
kF kF kF
KF x-
2x-
3x-
x
Abb. 2.20 Kostenverlauf bei zeitlich-quantitativer Anpassung
Da es sich bei den sprungfixen Kosten um sunk costs handelt, tritt bei rückläufiger Nachfrage eine Kostenremanenz auf, d.h. die Kosten gehen nicht im gleichen Maße zurück, wie sie zuvor angestiegen sind, sondern verbleiben auf einem höheren Niveau. Liegt die Produktionsmenge nur wenig über dem ganzzahligen Vielfachen der Kapazität einer Maschine, so ist es zunächst günstiger, die zusätzliche Menge nicht auf einer zusätzlichen Maschine, sondern
2.2 Produktion
81
mit Überstunden zu produzieren, da hierbei keine Fixkosten anfallen. Die kritische Menge, bei der beide Alternativen zu den gleichen Kosten führen, lässt sich mithilfe einer BreakEven-Analyse (vgl. auch Abschnitt 2.1.1) ermitteln. Abb. 2.21 veranschaulicht die Struktur dieses Entscheidungsproblems.
K
Überstunden 2. Maschine kF
KF x-
x*
x
Abb. 2.21 Quantitative Anpassung oder Überstunden
Hierzu ein Beispiel: In einem Betrieb mit zwei identischen Maschinen fallen Fixkosten in Höhe von 5.000 € an. Die Kapazität der Maschinen beträgt jeweils 400 Stück, bei Zuschaltung der zweiten Maschine sind sprungfixe Kosten in Höhe von 800 € zu berücksichtigen. Die variablen Stückkosten während der regulären Arbeitszeit betragen 20 €, der Überstundenzuschlag beläuft sich auf 5 € je Stück. Bei Zuschaltung der zweiten Maschine fallen folgende Kosten an: K1 (x ) = 5.000 + 800 + 20 x
Bei Nutzung von Überstunden betragen die Kosten: K 2 (x ) = 5.000 + 20 x + 5 ⋅ (x − 400 )
Bis zur kritischen Menge von 560 Stück ist die Produktion mit Überstunden kostengünstiger, erst wenn die Nachfrage darüber hinausgeht, lohnt sich die Zuschaltung der zweiten Maschine. 3. Intensitätsmäßige Anpassung Bei der intensitätsmäßigen Anpassung wird die Produktionsgeschwindigkeit d variiert, die als Produktionsmenge bzw. Leistung je Zeiteinheit definiert ist. Grundlage einer Veränderung der Produktionsgeschwindigkeit ist die Variation einer technischen Größe, die sich direkt auf die Leistung je Zeiteinheit auswirkt, z.B. der Drehzahl eines Bohrers, des Vor-
82
2 Die Güterwirtschaft
schubs eines Schneidewerkzeugs, der Drehzahl eines Motors oder der Temperatur bei chemischen Prozessen. Eine solche Variation ist innerhalb von für die jeweilige Anlage geltenden, technisch festgelegten Grenzen dmin und dmax möglich. In Abhängigkeit von der Produktionsgeschwindigkeit ändert sich nicht nur die Produktionsmenge je Zeiteinheit, sondern auch der Faktorbedarf je Produkteinheit. Es gilt: d min ≤ d ≤ d max
⇔
x = d ⋅t ai = ai (d )
d=
x t
i = 1,..., n
Während die Produktionskoeffizienten ai bei der zeitlichen und der quantitativen Anpassung konstant sind, hängen sie nunmehr von der Produktionsgeschwindigkeit ab. Diesen Zusammenhang bezeichnet man als Verbrauchsfunktion. Typischerweise verläuft die Verbrauchsfunktion, wie in Abb. 2.22 dargestellt, u-förmig, d.h. es gibt eine optimale Produktionsgeschwindigkeit d opt , für die der Verbrauch des Einsatzfaktors i je Produkteinheit ein Minimum annimmt. Für Produktionsgeschwindigkeiten unterhalb von d opt läuft die Maschine im unwirtschaftlichen Bereich und verbraucht deshalb zu viel vom Werkstoff i; oberhalb von d opt liegt ein erhöhter Faktorverbrauch wegen der zunehmenden Überbeanspruchung der Maschine vor.
ai(d)
dmin
dopt
dmax
d
Abb. 2.22 Verbrauchsfunktion
Da die Verbrauchsfunktion formal dem Produktionskoeffizienten entspricht, gilt für die Faktoreinsatzfunktion: ri = ai (d ) ⋅ x = ai (d ) ⋅ d ⋅ t
i = 1,..., n
2.2 Produktion
83
Die Faktoreinsatzfunktion zu einer u-förmigen Verbrauchsfunktion verläuft umgekehrt sförmig, d.h. erst konkav und dann konvex (vgl. Abb. 2.23).
ri(x)
xmin
xmax
x
Abb. 2.23 Faktoreinsatzfunktion
Entsprechendes gilt für den Kostenverlauf bei intensitätsmäßiger Anpassung: Die Gesamtkosten ergeben sich als Summe der mit den Faktorpreisen bewerteten Faktoreinsatzfunktionen zuzüglich der Fixkosten; als Summe s-förmiger Funktionen verlaufen sie ebenfalls sförmig. n
K (x ) = K F + ∑ ai (d ) ⋅ x ⋅ ci i =1
Die variablen Stückkosten sind nicht mehr – wie bei den beiden vorherigen Anpassungsformen – konstant, sondern hängen von der Produktionsgeschwindigkeit ab. Sie lassen sich als Summe der mit den Faktorpreisen bewerteten Verbrauchsfunktionen darstellen. Aus uförmigen Verbrauchsfunktionen resultiert eine u-förmige Stückkostenfunktion, die ihr Minimum bei der kostenminimalen Produktionsgeschwindigkeit d opt annimmt. k v (d ) =
n K (x ) − K F = ∑ ai (d ) ⋅ ci x i =1
In Abb. 2.24 ist links der Verlauf der Gesamtkostenfunktion und rechts der Verlauf der Stückkostenfunktion bei intensitätsmäßiger Anpassung dargestellt.
84
2 Die Güterwirtschaft
K(x)
kv(d)
KF xmin
xmax
x
dmin
dopt
dmax
d
Abb. 2.24 Kostenverläufe bei intensitätsmäßiger Anpassung
Wie der rechte Teil von Abb. 2.24 zeigt, erhöhen sich bei rein intensitätsmäßiger Anpassung die Stückkosten, wenn die Produktionsgeschwindigkeit, mit der sich während der zur Verfügung stehenden Arbeitszeit T die gewünschte Produktionsmenge herstellen lässt, nicht mit d opt übereinstimmt. Dies lässt sich im Bereich unterhalb von d opt vermeiden, indem man die intensitätsmäßige Anpassung mit der zeitlichen Anpassung kombiniert: Die Produktionsgeschwindigkeit wird konstant bei d opt gehalten und die Produktionszeit so weit reduziert, dass gerade die gewünschte Produktionsmenge hergestellt wird. Dadurch gelingt es, in diesem Bereich die Stückkosten bei k (d opt ) zu halten und die Gesamtkosten zu linearisieren. Für Produktionsmengen oberhalb dieses Bereichs ist die zeitliche Anpassung ausgeschöpft, daher kommt nur die intensitätsmäßige Anpassung mit ihrem überproportional ansteigenden Kostenverlauf infrage.
K(x)
kv(d)
KF xmin
xmax
x
dmin
Abb. 2.25 Kostenverläufe bei zeitlich-intensitätsmäßiger Anpassung
dopt
dmax
d
2.2 Produktion
85
In Abb. 2.25 sind die aus der Kombination von zeitlicher und intensitätsmäßiger Anpassung resultierenden Kostenverläufe dargestellt, links für die Gesamtkosten und rechts für die Stückkosten. Ein solcher zunächst linearer, dann konvexer Verlauf der Gesamtkostenfunktion ist für weite Bereiche der Industrie typisch. Schließlich ist noch der Fall zu betrachten, dass eine Unterbrechung der Produktion aus technischen Gründen nicht möglich bzw. mit prohibitiv hohen Kosten verbunden ist. Dies ist z.B. beim Hochofenprozess der Fall, bei dem eine zeitliche Anpassung mit zeitweiligem Stillstand zur Folge hätte, dass die Auskleidung erneuert werden muss. Daher lässt sich in einem solchen Fall die Produktionsmenge nur mittels intensitätsmäßiger Anpassung an die Nachfrage anpassen. Dennoch gibt es auch hier eine Möglichkeit, bei geringen Produktionsmengen die Kosten unter die bei rein intensitätsmäßiger Anpassung anfallende Höhe zu senken: Beim Intensitätssplitting werden zwei ausgewählte Produktionsgeschwindigkeiten – und zwar die zur Produktionsmenge xmin führende minimale Intensität d min und die zur Produktionsmenge x1 führende Intensität d 1 , bei der ein Fahrstrahl an die Gesamtkostenkurve zur Tangente wird – so miteinander kombiniert, dass die Maschine während der gesamten Zeit läuft und genau die gewünschte Produktionsmenge erzeugt wird. Die Gesamtkostenfunktion verläuft dadurch im Bereich zwischen xmin und x1 linear, im Bereich zwischen x1 und x max gilt weiterhin der ursprüngliche, konvexe Kostenverlauf bei rein intensitätsmäßiger Anpassung. Die zugehörige Kostenfunktion ist in Abb. 2.26 dargestellt.
K(x)
xmin
x1
xmax
x
Abb. 2.26 Intensitätssplitting
Insgesamt lässt sich feststellen, dass es sich bei der Theorie der Anpassungsformen um eine stark an den technischen Grundlagen der Produktion orientierte Darstellung des güterwirtschaftlichen Transformationsprozesses und der damit verbundenen Kostenverläufe handelt. Die Anpassung der Produktionsmenge an schwankende Nachfrage erfolgt durch gezielte Kombination der zeitlichen, quantitativen und intensitätsmäßigen Anpassung jeweils so, dass die Kosten der Produktion minimiert werden.
86
2 Die Güterwirtschaft
2.2.2
Produktionsplanung
Gegenstand der Produktionsplanung ist die Planung und Steuerung der vielfältigen Abläufe in der Produktion. Aufgrund der Komplexität und des Umfangs der hierbei anstehenden Entscheidungen werden die Aufgaben hierarchisch strukturiert, wobei grundlegende Entscheidungen zuerst getroffen werden und den Rahmen für die Ausgestaltung nachfolgender Teilbereiche sowie für die konkrete Umsetzung der Planung in Handlungen vorgeben. Folgende Planungsebenen lassen sich unterscheiden (vgl. Abb. 2.27):
Produktgestaltung
Potenzialgestaltung
Strategische Planungsebene
Geschäftsfelder, verfügbare Ressourcen
Programmplanung
Taktische Planungsebene
Produktionsanforderungen nach Art, Menge, Termin
Prozessplanung und -steuerung
Operative Planungsebene
Arbeitspläne
Produktionsdurchführung
Physische Ebene
Output
Abb. 2.27 Produktionsplanung
• Die strategische Produktionsplanung ist eingebettet in die strategische Unternehmensplanung, die in Abschnitt 5.1 behandelt wird. Es sind Grundsatzentscheidungen über die langfristigen Unternehmensziele und die zu ihrer Erreichung benötigten Ressourcen zu treffen. Diese beziehen sich insbesondere auf die Geschäftsfelder und die Standorte des Unternehmens, die Produktionstechnologien, die Ausstattung mit Personal- und Anlagenkapazitäten sowie auf die Fertigungstiefe.
2.2 Produktion
87
• Gegenstand der taktischen Produktionsplanung sind mittelfristige Entscheidungen über den effektiven und effizienten Einsatz der Ressourcen, um die auf der strategischen Ebene formulierten Ziele zu erreichen. Wichtige Teilbereiche sind die Produktpolitik, die Layoutplanung und die Produktionsprogrammplanung. Ergebnis der taktischen Produktionsplanung sind die nach Art, Menge und Termin konkretisierten Produktionsanforderungen für einen mittelfristigen Planungshorizont von in der Regel einem Geschäftsjahr. • Bei der operativen Produktionsplanung und -steuerung werden kurzfristige Ablaufentscheidungen hinsichtlich der Produktionsdurchführung getroffen, die an das physische Produktionssystem weitergegeben werden. Hierzu zählen z.B. Reihenfolgeentscheidungen in der Maschinenbelegungsplanung, Losgrößenentscheidungen für die Beschaffung und die Produktion, Entscheidungen über Seriengrößen und Seriensequenzen und materialwirtschaftliche Entscheidungen. Diese Entscheidungen werden vielfach unter Berücksichtigung der zwischen ihnen bestehenden Interdependenzen durch integrierte PPSSysteme getroffen (vgl. Abschnitt 4.5.2). Eine andere Gliederung der Produktionsplanung setzt an den drei Phasen des betrieblichen Transformationsprozesses an (vgl. nochmals Abb. 1.1): • Die Potenzialgestaltung bezieht sich auf die Inputseite des Produktionsprozesses. Sie umfasst die Bereitstellung der Werkstoffe in der Materialwirtschaft, die Bereitstellung der Betriebsmittel mit der Standortplanung, der Layoutplanung und der Anlagenwirtschaft und die Bereitstellung des Personals. • Die Produkt- und Programmgestaltung ist der Outputseite des Transformationsprozesses zugeordnet. Sie reicht von der Festlegung der Geschäftsfelder über die Frage der Fertigungstiefe bis hin zu Problemen der Losgrößenplanung. • Die Prozessgestaltung befasst sich mit dem Transformationsprozess selbst. Hierzu zählen z.B. Fragen der Reihenfolgeplanung und der Produktionssteuerung. Aus den vielfältigen Aufgabenstellungen der Produktionsplanung werden im Folgenden die der strategischen Planungsebene zugeordnete Produktionsprogrammgestaltung, die auf der taktischen Ebene angesiedelte Produktionsprogrammplanung und als operative Aufgabe die Maschinenbelegungsplanung herausgegriffen. 2.2.2.1
Produktionsprogrammgestaltung
Die Produktionsprogrammgestaltung hat die Aufgabe, das Sortiment des Unternehmens und die Eigenschaften der einzelnen Produkte in seinem Produktionsprogramm festzulegen. Dazu zählen die Wahl der Einsatzstoffe, aus denen ein Produkt besteht, die Gestaltung der Produktstruktur, die Bestimmung der technischen Funktionen des Produkts und die Festlegung der äußeren Produktmerkmale wie der Form, der Farbe, der Größe, der Oberfläche, der Verpackung usw. Bei der Produktionsprogrammgestaltung besteht ein grundsätzlicher Zielkonflikt zwischen dem Produktionsbereich und dem Absatz: Während der Absatz ein möglichst breites und
88
2 Die Güterwirtschaft
stark differenziertes Produktionsprogramm wünscht, um unterschiedliche Kundengruppen bedarfsgerecht beliefern zu können, legt die Produktion Wert auf eine geringe Anzahl von Produkten und Varianten, um dadurch die Produktionsraten zu stabilisieren, die Lagerbestände zu verringern und die Produktionskosten zu senken. Die Ziele der Produktion lassen sich vor allem durch die Normung, bei der Größe, Abmessungen, Formen, Farben und Qualität von Bauteilen einheitlich festgelegt werden, und durch die auf der Ebene der Endprodukte ansetzende Typung, bei der die Produkte zu Produktgruppen mit ähnlichen fertigungstechnischen Anforderungen zusammengefasst werden, erreichen. Eine produktgestalterische Konzeption, die den Anforderungen beider Bereiche entgegen kommt, ist das Baukastenprinzip. Dabei werden standardisierte Baugruppen in unterschiedlichen Kombinationen zusammengefügt und bei Bedarf mit zusätzlichen, individuellen Bauteilen ergänzt, so dass sich jeweils eine andere Ausprägung des Endprodukts ergibt. So lassen sich auf der Endproduktebene sogar individuelle Kundenanforderungen befriedigen, ohne dass auf der Bauteileebene die Vorteile einer standardisierten Serien- oder sogar Massenfertigung verloren gehen (mass customization). In der Automobilindustrie findet diese Form der Standardisierung als Platform-Engineering Verwendung. Die für den Endkunden nicht sichtbaren Baugruppen (Bodengruppe, Fahrwerk usw.) werden vereinheitlicht und dienen als Grundlage für unterschiedliche Modelltypen, die sich vor allem durch die Karosserie unterscheiden. Auch andere Branchen, wie die Elektronik- und die Computerindustrie, nutzen die Vorteile standardisierter Komponenten. So werden Steuerchips in Elektrogeräten nach einem einheitlichen Muster in großen Mengen produziert und in verschiedensten Geräten eingesetzt, wobei häufig ein Teil der verfügbaren Funktionen nicht genutzt wird. 2.2.2.2
Produktionsprogrammplanung
Die Produktionsprogrammplanung trifft die Entscheidung, welche Produkte aus dem Sortiment in welchen Mengen hergestellt werden sollen, um den Gewinn des Unternehmens zu maximieren. Dafür sind folgende Informationen erforderlich: Neben Nachfrageprognosen müssen die Preise und die variablen Stückkosten der Produkte bekannt sein, weiter die vorhandenen Kapazitäten und die Produktionskoeffizienten der Produkte, die die Kapazitätsinanspruchnahme je Stück angeben. Die Differenz aus dem Preis und den variablen Kosten eines Produkts bezeichnet man als Stückdeckungsbeitrag, da das Produkt je verkaufter Einheit in dieser Höhe zur Abdeckung der im Unternehmen anfallenden Fixkosten beiträgt. Im einfachsten Fall erfolgt die Produktionsprogrammplanung ohne Berücksichtigung von Kapazitätsengpässen. Diese Situation kann z.B. in Zeiten einer wirtschaftlichen Rezession eintreten, wenn die Nachfrage stark zurückgeht. Die Entscheidung lautet dann, dass alle Produkte mit positivem Deckungsbeitrag in Höhe ihrer Nachfrage produziert werden. Bei dem in Tab. 2.3 angegebenen Beispiel werden die Produkte 2 und 5 aufgrund ihres negativen Deckungsbeitrags nicht produziert, die Produkte 1, 3 und 4 werden in Höhe ihrer Nachfrage hergestellt. Der Verkauf dieser Produkte liefert dem Unternehmen einen Gesamtdeckungsbeitrag in Höhe von:
2.2 Produktion
89
DB = 300 ⋅ 10 + 250 ⋅ 18 + 150 ⋅ 40 = 13.500 € Tab. 2.3 Produktionsprogrammplanung ohne Kapazitätsengpass Produkt Preis 1 2 3 4 5
120,– 108,– 140,– 190,– 110,–
Variable Stückkosten
Nachfrage
Deckungsbeitrag
110,– 115,– 122,– 150,– 130,–
300 350 250 150 400
10,– -7,– 18,– 40,– -20,–
Sind bei der Produktionsprogrammplanung knappe Kapazitäten zu berücksichtigen, so reicht der Deckungsbeitrag als Entscheidungskriterium für die Herstellung eines Produkts nicht mehr aus, sondern es muss zusätzlich berücksichtigt werden, in welchem Umfang die verschiedenen Produkte die Kapazitäten in Anspruch nehmen. Zunächst wird der Fall betrachtet, dass genau eine Kapazität einen Engpass darstellt. Diese Situation tritt z.B. bei einstufiger Fertigung auf. Aufgrund der Engpasssituation können nicht alle Produkte mit positivem Deckungsbeitrag in Höhe ihrer Nachfrage hergestellt werden. Um die Produkte zu bestimmen, deren Herstellung angesichts des Engpasses den Gesamtdeckungsbeitrag maximiert, berechnet man die relativen Deckungsbeiträge der einzelnen Produkte als Quotient aus ihrem absoluten Deckungsbeitrag und ihrem Produktionskoeffizienten, der den Kapazitätsbedarf je Stück angibt: relativer Deckungsbeitrag =
Deckungsbeitrag Produktionskoeffizient
Das Produkt mit dem höchsten relativen Deckungsbeitrag liefert je Kapazitätseinheit den größten Erfolgsbeitrag, daher wird es als erstes in das Produktionsprogramm aufgenommen und in Höhe seiner Nachfrage hergestellt, falls der Engpass dafür ausreicht. Dann werden die anderen Produkte sukzessiv in der Reihenfolge ihrer relativen Deckungsbeiträge produziert, bis der Engpass ausgeschöpft ist. Der verbleibende Teil der Nachfrage kann nicht befriedigt werden. In Tab. 2.4 ist ein Beispiel zur Produktionsprogrammplanung bei einem Engpass angegeben. Vergleicht man die absoluten und die relativen Deckungsbeiträge, so ergibt sich eine völlig unterschiedliche Reihung der Produkte: Produkt 2, das lediglich 10,– € Deckungsbeitrag je Stück liefert, hat aufgrund seines niedrigen Produktionskoeffizienten den höchsten relativen Deckungsbeitrag. Produkt 3 mit dem höchsten absoluten Deckungsbeitrag hingegen weist den zweitniedrigsten relativen Deckungsbeitrag auf.
90
2 Die Güterwirtschaft
Tab. 2.4 Produktionsprogrammplanung bei einem Engpass Produkt Nachfrage 1 2 3 4 5
Deckungsbeitrag
Produktionskoeffizient
relativer Deckungsbeitrag
35,– 10,– 40,– 12,– 15,–
5 1 10 2 5
7,– 10,– 4,– 6,– 3,–
300 150 100 250 200
Beträgt die Kapazität des Engpasses 2.500 Stunden, so wird zunächst Produkt 2 mit einer Produktionsmenge von 150 Stück eingeplant. Dafür werden 150 Stunden der Engpasskapazität benötigt, so dass 2.350 Stunden Restkapazität verbleiben. Den zweithöchsten relativen Deckungsbeitrag weist Produkt 1 auf. Wird es im Umfang von 300 Stück produziert, so reduziert sich die Restkapazität auf 850 Stunden. Auch Produkt 4, das nunmehr den höchsten relativen Deckungsbeitrag unter den noch nicht produzierten Produkten aufweist, kann in Höhe seiner Nachfrage produziert werden, die Restkapazität wird um 500 Stunden auf 350 Stunden reduziert. Als nächstes wird Produkt 3 berücksichtigt. Da es je Stück 10 Stunden der Engpasskapazität benötigt, kann es auf der Restkapazität nur mit 35 Stück hergestellt werden, der Rest der Nachfrage kann – ebenso wie die Nachfrage nach Produkt 5 – nicht befriedigt werden. Der mit diesem Produktionsprogramm erzielte Gesamtdeckungsbeitrag beträgt: DB = 150 ⋅ 10 + 300 ⋅ 35 + 250 ⋅ 12 + 35 ⋅ 40 = 16.400 €
Ist bei der Produktionsprogrammplanung nicht nur ein Engpass relevant, sondern sind mehrere Engpässe zu berücksichtigen, so liefern die relativen Deckungsbeiträge in der Regel keine eindeutige Rangfolge der Produkte. Diese Problemstellung lässt sich als lineares Programm mit der Zielsetzung der Maximierung des Gesamtdeckungsbeitrags abbilden und mit dem Simplex-Verfahren lösen. Es seien: xj
– Produktionsmenge von Produkt j, j = 1,..., m
db j
– Stückdeckungsbeitrag von Produkt j, j = 1,..., m
kapi – Kapazität von Produktionsmittel i, i = 1,..., n aij
– Produktionskoeffizient von Produkt j auf Produktionsmittel i, i = 1,..., n , j = 1,..., m
Das zugehörige Planungsmodell lautet: Zielfunktion:
Z=
m
∑ db j ⋅ x j j =1
⇒ max!
2.2 Produktion
91 m
Restriktionen:
∑ aij ⋅ x j ≤ kapi
i = 1,..., n
xj ≥0
j = 1,..., m
j =1
Für den Fall zweier Produkte lässt sich dieses Problem auch grafisch lösen. Dies wird durch das folgende Beispiel veranschaulicht: Ein Unternehmen stellt zwei Produkte auf drei Maschinen her. Maschine 1 verfügt über eine Kapazität von 200 Stunden, je Einheit von Produkt 1 werden 2 Stunden und je Einheit von Produkt 2 werden 2,5 Stunden benötigt. Maschine 2 wird 4 Stunden je Einheit von Produkt 1 und 3 Stunden je Einheit von Produkt 2 in Anspruch genommen, die Kapazität beträgt 300 Stunden. Maschine 3 schließlich wird bei einer Kapazität von 150 Stunden 1 Stunde je Einheit von Produkt 1 und 2 Stunden je Einheit von Produkt 2 in Anspruch genommen. Der Deckungsbeitrag von Produkt 1 beträgt 10 € je Einheit, der von Produkt 2 beläuft sich auf 15 € je Einheit.
x2 Maschine 2
100 90 80 70
•
60
Maschine 1
50
Zielfunktion
40
Maschine 3
30 20 10
10
20
30
40
50
60
70
80
90 100 110 120 130 140 150
Abb. 2.28 Produktionsprogrammplanung
Das lineare Programm zu diesem Beispiel lautet: Z = 10 x1 + 15 x2 ⇒ max!
x1
92
2 Die Güterwirtschaft
u.d.N.: 2 x1 + 2,5 x2 ≤ 200 4 x1 + 3x2 ≤ 300 x1 + 2 x2 ≤ 150 x1 ≥ 0 x2 ≥ 0
In Abb. 2.28 ist der zulässige Bereich der Kombinationen an Produktionsmengen von Produkt 1 und Produkt 2, die sämtliche Restriktionen erfüllen, hervorgehoben. Das optimale Produktionsprogramm liegt dort, wo die gestrichelt eingezeichnete Zielfunktion den zulässigen Bereich tangiert, d.h. bei 16, 6 Einheiten von Produkt 1 und 66, 6 Einheiten von Produkt 2. Der damit erzielte Deckungsbeitrag beträgt 1.166, 6 €. Die erste und dritte Maschine sind voll ausgelastet, während auf der zweiten Maschine eine Restkapazität von 33, 3 Stunden besteht. 2.2.2.3
Maschinenbelegungsplanung
Die Problemstellung der Maschinenbelegungsplanung tritt immer dann auf, wenn mehrere Produkte oder Aufträge um knappe Maschinenkapazitäten konkurrieren. Die Maschinenbelegungsplanung umfasst die Bestimmung der Reihenfolgen, in der die Aufträge auf jeder einzelnen Maschine eingelastet werden, sowie die Festlegung der Startzeitpunkte der einzelnen Bearbeitungsvorgänge auf den Maschinen. Als Teilaufgabe der operativen Produktionsplanung findet die Maschinenbelegungsplanung unmittelbar vor der Freigabe der Aufträge für die physische Durchführung der Produktion statt. Eine Mindestanforderung an einen Maschinenbelegungsplan ist seine Zulässigkeit. Diese ist gegeben, wenn die technisch vorgegebene Reihenfolge, in der die Aufträge die Maschinen durchlaufen müssen, und die mit den Kunden vereinbarten Liefertermine eingehalten werden und darüber hinaus keine Überlappung von Aufträgen auf einer Maschine bzw. von Bearbeitungen an einem Auftrag vorliegt. Als Zielsetzung werden bei der Maschinenbelegungsplanung Zeitziele wie die Minimierung der Durchlaufzeiten, Wartezeiten, Leerzeiten oder Verspätungen, oder Kostenziele wie die Minimierung von Verzugskosten oder von reihenfolgeabhängigen Umrüstkosten verfolgt. Bei der Durchführung der Maschinenbelegungsplanung werden in der Regel heuristische Verfahren eingesetzt, die in relativ kurzer Zeit eine gute Lösung generieren, jedoch keine Gewähr für die Optimalität der Lösung bieten. Zur grafischen Darstellung von Maschinenbelegungsplänen werden vielfach Gantt-Diagramme in Form von Steckbrettern oder auch im Rahmen von elektronischen Leitständen eingesetzt. Auf der vertikalen Achse des GanttDiagramms werden die Maschinen und auf der horizontalen Achse die Zeit abgetragen. Für jeden an einem Auftrag vorzunehmenden Bearbeitungsvorgang wird eine Steckkarte, deren Breite der Bearbeitungszeit entspricht, so eingeordnet, dass die Maschinenfolgen aller Aufträge eingehalten werden, sich keine Steckkarten in einer Zeile überlappen und keine Steck-
2.2 Produktion
93
karten des gleichen Auftrags übereinander angeordnet sind. In Tab. 2.5 ist ein Beispiel mit vier Aufträgen angegeben, die auf drei Maschinen A, B und C eingelastet werden sollen. Abb. 2.29 zeigt den zugehörigen Maschinenbelegungsplan als Gantt-Diagramm. Tab. 2.5 Auftragsdaten Maschinenfolgen Bearbeitungszeiten
Auftrag 1
A 1
C 2
B 6
2
A 3
B 3
C 6
3
B 2
A 6
C 4
4
B 1
C 1
A 2
A 1 B C
2 3
3
4 1
2
4
1
2
4
3
4
6
8
10
12
2
14
16
18
20 Zeit
Abb. 2.29 Gantt-Diagramm
Soll nicht der gesamte Maschinenbelegungsplan, sondern lediglich die Reihenfolge der vor einer Maschine wartenden Aufträge bestimmt werden, so bietet sich der Einsatz von Prioritätsregeln an. Den Aufträgen wird mithilfe bestimmter Kriterien eine Priorität zugewiesen, anhand derer sie abgearbeitet werden. Häufig eingesetzte Prioritätsregeln sind: • Die KOZ-Regel orientiert sich an der kürzesten Operationszeit. Sie gibt dem Auftrag in der Warteschlange die höchste Priorität, dessen Bearbeitungszeit auf der Maschine am kürzesten ist. Da die Maschine schnell wieder für andere Bearbeitungen zur Verfügung steht, lassen sich mit dieser Regel eine gute Kapazitätsauslastung und kurze Durchlaufzeiten erzielen. Wenn sich die Bearbeitungszeiten der Aufträge allerdings stark unterscheiden, kann es zur wiederholten Zurückstellung von Aufträgen mit langer Bearbeitungszeit kommen, so dass die Einhaltung des Liefertermins gefährdet ist.
94
2 Die Güterwirtschaft
• Bei der KRB-Regel (kürzeste Restbearbeitungszeit) erhält der Auftrag die höchste Priorität, bei dem die Summe der noch ausstehenden Bearbeitungszeiten am geringsten ist. Dadurch werden vor allem bereits weit fortgeschrittene Aufträge beschleunigt. • Nach der Schlupfzeit-Regel erhält der Auftrag mit der geringsten Differenz zwischen der Zeit bis zum Liefertermin und den ausstehenden Bearbeitungszeiten die höchste Priorität. Durch die vorrangige Ausrichtung am Liefertermin erreicht diese Regel eine gute Termineinhaltung, dem stehen jedoch häufig hohe Durchlaufzeiten gegenüber. • Am einfachsten zu handhaben ist die FCFS-Regel (first come first served), da die Prioritäten nicht bei jedem hinzukommenden Auftrag neu berechnet werden müssen, sondern sich ausschließlich an der Reihenfolge ihres Eintreffen an der Maschine orientieren. Je länger ein Auftrag bereits auf Bearbeitung wartet, desto höher ist seine Priorität.
2.2.3
Fertigungsverfahren
Bei der industriellen Fertigung werden Einwirkungen verschiedener Art auf feste Körper oder formlose Stoffe vorgenommen. Zu den formlosen Stoffen zählen Gase, Flüssigkeiten, Pulver, Fasern, Späne, Granulat und ähnliche Stoffe. Eine Klassifikation von Fertigungsverfahren in sechs Hauptgruppen findet sich in der DIN 8580 (vgl. Abb. 2.30). Jede dieser Hauptgruppen wird in Gruppen und Untergruppen eingeteilt, denen die einzelnen Fertigungsverfahren zugeordnet sind.
Fertigungsverfahren
Urformen
Umformen
Trennen
Fügen
Beschichten
Stoffeigenschaft ändern
Abb. 2.30 Fertigungsverfahren nach DIN 8580
• Als Urformen (Hauptgruppe 1) bezeichnet man die Herstellung von geometrisch bestimmten festen Körpern aus einem Material in flüssigem, plastischem, breiigem, körnigem, faserförmigem, dampfförmigem oder ionisiertem Zustand. Zu den Urformverfahren zählen z.B. das Gießen, das Pressen und das Formen.
2.2 Produktion
95
• Beim Umformen (Hauptgruppe 2) wird durch mechanische Bearbeitungsvorgänge wie Druck, Zug, Biegen und Schub die Form eines festen Körpers verändert, wobei seine Masse und sein Zusammenhalt erhalten bleiben. Wichtige Umformverfahren sind das Walzen, das Drücken, das Tiefziehen, das Strahlen, das Längen, das Weiten und das Biegeumformen. • Durch das Trennen (Hauptgruppe 3) wird der Zusammenhalt von festen Körpern teilweise oder im Ganzen aufgehoben oder vermindert. Trennende Bearbeitungen sind z.B. das Schneiden, das Sägen, das Drehen, das Bohren, das Fräsen, das Hobeln, das Schleifen, das Spanen, das Zerlegen und das Reinigen. • Umgekehrt zum Trennen werden beim Fügen (Hauptgruppe 4) auf Dauer angelegte Verbindungen zwischen verschiedenen Werkstücken geschaffen. Zusammenfügende Fertigungsverfahren sind z.B. das Zusammensetzen, das Füllen, das Kleben, das Klammern, das Nageln, das Schrauben, das Löten, das Nieten, das Schweißen. In der industriellen Vor- und Endmontage sind zusammenfügende Verfahren vorherrschend. • Von Beschichten (Hauptgruppe 5) ist die Rede, wenn auf ein Werkstück eine Schicht eines formlosen Stoffs fest aufgebracht wird. Hierzu zählen das Lackieren, das Emaillieren und Glasieren, das Bedrucken und Beschriften, das Spachteln und Verputzen und das galvanische und chemische Beschichten. • Schließlich werden bei den Verfahren der Hauptgruppe 6 die Stoffeigenschaften des Werkstücks in charakteristischer Weise verändert, wobei zusätzlich Formänderungen auftreten können. Zu diesen Verfahren gehören das Verfestigen, die Wärmebehandlung (Glühen, Härten, Vergüten, Tiefkühlen usw.), das Sintern und Brennen, das Magnetisieren, das Bestrahlen und fotochemische Verfahren wie das Belichten. Im Laufe der Zeit hat aufgrund des technischen Fortschritts (vgl. Abschnitt 5.2.1) eine Entwicklung der Fertigungsverfahren stattgefunden. Nach dem Anteil an menschlicher Arbeit bei der Fertigung lassen sich die folgenden Entwicklungsstufen unterscheiden: • Bei manueller Fertigung findet weitgehend Handarbeit statt, die durch einfache Werkzeuge unterstützt wird. Da keine Maschinen verwendet werden, ist Muskelkraft die wesentliche Energiequelle. Es sind keine großen Investitionen erforderlich, jedoch fallen Lohnkosten in erheblichem Umfang an. • Auf der nächsten Stufe steht die Fertigung mit maschinellen Werkzeugen wie Elektrobohrern oder Presslufthämmern, die ebenfalls von Hand bedient werden, aber statt Muskelkraft einen eigenen Antrieb besitzen. Dadurch lässt sich die Produktivität des Fertigungsprozesses erheblich steigern. • Bei der maschinellen Fertigung geht die Rationalisierung, d.h. der Ersatz von menschlicher Arbeit durch Maschinen, nochmals weiter. Fast alle Verrichtungen werden von Maschinen ausgeführt, die von den Arbeitern lediglich bedient werden. • Auf der folgenden Stufe steht die automatisierte Fertigung. Hier werden die Verrichtungen selbsttätig von den Maschinen durchgeführt, die von den Arbeitern lediglich be-
96
2 Die Güterwirtschaft schickt und überwacht werden. Sämtliche Handhabungs- und Transportvorgänge während des Fertigungsprozesses sowie die Werkstückzuführung und -weiterleitung werden auf die Maschine verlagert.
• Bei der computergesteuerten Fertigung sind sämtliche Vorgänge vollständig automatisiert, alle Fertigungs- und Transportaufgaben sind auf Maschinen übertragen, die ihre Abläufe weitgehend selbstständig steuern und überwachen. Manuelle Eingriffe finden nur noch bei Störfällen statt.
2.2.4
Fertigungsorganisation
Von großer Bedeutung für einen reibungslosen Produktionsablauf ist die Fertigungsorganisation, d.h. die Ausgestaltung und die räumliche Anordnung der Fertigungsanlagen. Diese hängt von mehreren Einflussfaktoren ab, unter anderem der Betriebsgröße, dem Fertigungsprogramm und der eingesetzten Technologie. Als grundlegende Fertigungstypen lassen sich in Abhängigkeit von der Auflagengröße unterscheiden: • Die Einzelfertigung erfolgt in der Regel auftragsorientiert. Individuelle Produkte werden nach Kundenwunsch konstruiert und hergestellt. Die Maschinen müssen daher in der Lage sein, sehr unterschiedliche Bearbeitungen vorzunehmen. Reine Einzelfertigung tritt eher selten auf, sie ist z.B. im Prototypen- und Sondermaschinenbau anzutreffen. • Bei der Serienfertigung werden die Produkte mehrfach hergestellt. Die Produktion kann durch Kundenaufträge ausgelöst werden oder aufgrund von Nachfrageprognosen erfolgen. Charakteristisch ist, dass die herzustellenden Stückzahlen zu Losen zusammengefasst und gemeinsam auf Maschinen eingelastet werden, die auch für die Produktion anderer Produkte zur Verfügung stehen. Es besteht somit eine Konkurrenz der Produkte um die Maschinenkapazitäten, die in der Ablaufplanung durch die Festlegung von Seriengrößen und Seriensequenzen aufgelöst wird. Die Seriengröße hängt zum einen von dem in Abschnitt 2.1.4 behandelten Zusammenhang von Rüst- und Lagerhaltungskosten, zum anderen von ablaufbedingten Anforderungen wie Lieferterminen oder Reihenfolgebedingungen ab. Serienfertigung erfolgt in zahlreichen Industriebereichen, z.B. in der Möbelindustrie. • Massenfertigung liegt vor, wenn ein Produkt längerfristig in großen Stückzahlen für einen anonymen Markt hergestellt wird. Die Fertigung erfolgt mit Maschinen, die ausschließlich für dieses Produkt konstruiert sind und benutzt werden. Die Höhe der Gesamtauflage wird nicht im Voraus festgelegt, sondern ist vom Erfolg des Produkts am Markt abhängig. Massenfertigung tritt bei zahlreichen Gütern des täglichen Bedarfs auf, z.B. in der Lebensmittelindustrie. Wird das Produkt in mehreren Varianten produziert, zwischen denen die Anlagen umgerüstet werden müssen, so spricht man auch von Sorten- oder Großserienfertigung. Aus den unterschiedlichen Anforderungen der Produkte an die Fertigungsorganisation lassen sich folgende Grundtypen ableiten:
2.2 Produktion
97
• Der Werkstattfertigung liegt das Verrichtungsprinzip zugrunde. Dieses besagt, dass funktionsgleiche oder -ähnliche Maschinen zu räumlich abgegrenzten Bereichen, den Werkstätten, zusammengefasst werden, an deren Anordnung sich der Materialfluss orientieren muss. Die Werkstücke oder Aufträge durchlaufen die Werkstätten in einer durch ihre jeweiligen technischen Anforderungen festgelegten Reihenfolge. Da bei der Werkstattfertigung ein Wechsel der Produktart leicht möglich ist, findet sie vor allem bei der Einzelund Kleinserienfertigung Verwendung. Abb. 2.31 zeigt ein Beispiel für eine Werkstattfertigung, bei der drei Produkte unterschiedliche Wege durch die Maschinenhalle nehmen.
Drehen
Hobeln Produkt 1 Produkt 2 Produkt 3
Fräsen
Schleifen
Bohren
Maschinenhalle Abb. 2.31
Werkstattfertigung
• Bei der Fließfertigung folgt die Anordnung der Anlagen dem Objektprinzip. Die für eine Produktart benötigten Maschinen werden räumlich zusammengefasst und in der Reihenfolge angeordnet, in der sie benötigt werden. Eine typische Ausprägung der Fließfertigung ist das Fließband. Durch diese Anordnung ist ein kontinuierlicher, reibungsloser Materialfluss möglich. Weiter werden bei der Fließfertigung die Leistungsquerschnitte der Maschinen aufeinander abgestimmt. Die Werkstücke werden durch ein automatisiertes Transportsystem in einem festen Takt an den Maschinen vorbeigeführt. Da ein Wechsel der Produktart jeweils eine Umorganisation des Fließbands erfordert, wird die Fließfertigung vor allem in der Massen- und Großserienfertigung eingesetzt, bei der sich das Produktionsprogramm nur selten ändert. In Abb. 2.32 ist ein Beispiel für die Fließfertigung von drei Produkten dargestellt.
98
2 Die Güterwirtschaft
Drehen
Drehen
Drehen
Drehen
Fräsen
Fräsen
Fräsen
Bohren
Schleifen
Hobeln
Hobeln
Produkt 1 Produkt 2 Produkt 3
Bohren
Maschinenhalle Abb. 2.32 Fließfertigung
Offensichtlich weisen sowohl die Werkstatt- als auch die Fließfertigung jeweils spezifische Stärken und Schwächen auf (vgl. auch Abb. 2.33):
Produktivität Flexibilität Störanfälligkeit
Werkstattfertigung
Fließfertigung
gering
hoch
hoch
gering
gering
hoch
Abb. 2.33 Vor- und Nachteile der Fertigungstypen
• Eine wichtige Kenngröße eines Fertigungssystems ist die als Ausbringungsmenge je Zeiteinheit gemessene Produktivität. Diese ist bei der Werkstattfertigung gering, da die Herstellung unterschiedlicher Produkte jeweils Umrüstungen der Maschinen erfordert und das Durchlaufen der verschiedenen Werkstätten aufgrund von Transport- und Wartezeiten in der Regel zu langen Durchlaufzeiten führt. Bei der Fließfertigung hingegen ist die Produktivität hoch, da die Abläufe stark spezialisiert und auf eine bestimmte Produktart ausgerichtet sind. • Ein weiteres Kriterium, das vor dem Hintergrund steigender Kundenanforderungen immer wichtiger wird, ist die Flexibilität eines Fertigungssystems, d.h. seine Fähigkeit zur Anpassung an wechselnde Anforderungen. Diese ist bei der Werkstattfertigung mit ihren vielfältigen Maschinen, die ein breites Spektrum an Bearbeitungen abdecken können, wesentlich höher als bei der auf eine bestimmte Produktart ausgerichteten Fließfertigung.
2.2 Produktion
99
• Betrachtet man schließlich die Störanfälligkeit, d.h. das Ausmaß, in dem die Arbeitsfähigkeit des Gesamtsystems durch lokale Probleme beeinträchtigt wird, so ist festzustellen, dass diese bei der Fließfertigung mit ihrem strikten Materialfluss wesentlich höher ist als bei der Werkstattfertigung, bei der vielfach auf eine andere Maschine ausgewichen werden kann. Die Gruppenfertigung versucht, die Vorteile der Fließ- und der Werkstattfertigung – d.h. hohe Produktivität und Flexibilität bei geringer Störanfälligkeit – zu kombinieren und die Nachteile zu vermeiden. Sie fasst die für die Komplettbearbeitung einer Produktgruppe oder eines Bauteils benötigten Maschinen objektorientiert zusammen, während die Anordnung der Maschinengruppen verrichtungsorientiert erfolgt. Die Umsetzung der Gruppenfertigung findet sich insbesondere in den verschiedenen Ausprägungen der flexiblen Fertigung, d.h. in flexiblen Fertigungszellen, flexiblen Fertigungslinien und flexiblen Fertigungssystemen. Ein flexibles Fertigungssystem ist ein integriertes System aus Hard- und Software, das im Wesentlichen aus den folgenden drei interdependenten Komponenten besteht: • Das Bearbeitungssystem umfasst zumindest eine, meist mehrere numerisch gesteuerte Maschinen, die jeweils über einen großen Satz verschiedener Werkzeuge verfügen, die in kurzer Zeit automatisch gewechselt werden können. Daher lassen sich innerhalb des Fertigungssystems verschiedene Bearbeitungen an einem Werkstück vornehmen. In der Regel überlappen sich die Bearbeitungsspektren der Maschinen teilweise, so dass diese sich bei Ausfall oder bei Auftreten von Engpässen gegenseitig ersetzen können. • Zum Materialflusssystem zählen sämtliche Einrichtungen, die als Fördermittel oder Förderhilfsmittel zum Lagern, Speichern, Transportieren, Bereitstellen und Handhaben von Werkstücken, Werkzeugen und Hilfsstoffen erforderlich sind, z.B. Lagereinrichtungen, Fahrzeuge, Verkettungseinrichtungen, Paletten, Greifer. Der Materialfluss wird durch die automatisierte, taktungebundene Verkettung der Fertigungseinrichtungen sichergestellt. • Das Informationssystem hat die Aufgabe, sämtliche für den Fertigungsprozess relevanten Daten zu speichern, zu verwalten und zu verarbeiten. Es besteht aus Hardwarekomponenten wie Zentral- und Arbeitsplatzrechnern, Terminals, Leitungen und den benötigten Programmen als Software. Ein wesentliches Kennzeichen flexibler Fertigungssysteme ist die elektronische Steuerung bzw. NC-Programmierung, die sowohl in den einzelnen Systemkomponenten eingesetzt wird als auch ihre Integration unterstützt. Die NC-Programmierung umfasst die Beschreibung sämtlicher Operationen, die an einem Werkstück auf seinem Weg vom Rohteil zum Fertigteil vorgenommen werden müssen. Dabei sind insbesondere die Bearbeitungsarten und ihre Reihenfolgen, die benötigten Maschinen und Werkzeuge und die erforderlichen Positionierund Transportvorgänge zu programmieren. Die Entwicklung der NC-Programmierung erfolgte über folgende Stufen: • Bei der einfachsten Form der elektronischen Steuerung – der NC-Maschine – werden die für die Bearbeitung des Werkstücks erforderlichen geometrischen und technischen Daten als fest programmierte Anweisungen in Form von Lochstreifen oder auf Magnetband be-
100
2 Die Güterwirtschaft
reitgehalten. Eine nachträgliche Änderung des Programms ist nicht möglich, sondern es muss jeweils eine Neuprogrammierung erfolgen. • Auf der nächsten Entwicklungsstufe stehen CNC-Maschinen, die einen leistungsstarken Arbeitsplatzrechner mit den relevanten Steuerungsprogrammen enthalten. So können Werkstückwechsel oder Änderungen in der Arbeitsfolge durch entsprechende Umprogrammierung berücksichtigt werden. • Bei den DNC-Maschinen erfolgt die Steuerung und Kontrolle der einzelnen Maschine durch Online-Übertragung der jeweils benötigten Daten von einem Zentralrechner, der gleichzeitig die Arbeitsvorgänge an mehreren zusammengehörigen Maschinen koordiniert. Dadurch ist jederzeit ein Wechsel des Bearbeitungsprogramms möglich. Parallel zur Entwicklung elektronisch gesteuerter Fertigungsanlagen erfolgt eine Automatisierung der Transportsysteme, um die Maschinen innerhalb eines Fertigungssystems effizient zu verknüpfen. Von besonderer Bedeutung sind neben Fließbändern und Transferstraßen die fahrerlosen Transportsysteme (FTS), bei denen ein weitgehend wahlfreier Materialfluss durch autonome, ebenfalls durch einen Zentralrechner gesteuerte Transporteinheiten, die sich auf Schienen oder Induktionsschleifen zwischen den Maschinen bewegen, gewährleistet wird. Die Koordination von Bearbeitungs- und Transportsystem erfolgt mithilfe von dialogorientierten elektronischen Leitständen, die die Werkstücke in die Fertigung einsteuern, ihren Auftragsfortschritt verfolgen und jederzeit einen Überblick über den Zustand des Fertigungssystems ermöglichen.
2.3
Absatz
Der Absatz als betriebliche Funktion umfasst sämtliche Aktivitäten, die auf die Verwertung der betrieblichen Leistungen ausgerichtet sind. Zunächst werden in Abschnitt 2.3.1 Märkte und Marktformen erläutert, dann wird in Abschnitt 2.3.2 auf Preis-Absatz-Funktionen als theoretische Grundlage des Absatzbereichs eingegangen, in Abschnitt 2.3.3 schließlich werden die Instrumente des Marketing behandelt, die das Zustandekommen von Absatzvorgängen unterstützen.
2.3.1
Marktformen
Die Verwertung der betrieblichen Leistung erfolgt auf Märkten. Unter einem Markt versteht man den ökonomischen Ort, an dem Angebot und Nachfrage zusammentreffen und Leistungen ausgetauscht werden. Märkte können in vielfältigen Erscheinungsformen auftreten, z.B. als Ladengeschäft, als Wochenmarkt, als Versandhandel, als Börse, als Auktion usw. In letzter Zeit gewinnen im Rahmen des e-Business elektronische Märkte immer mehr an Bedeutung. Dabei wird der Verkauf von Leistungen an andere Unternehmen als Business to Business (B2B)-Geschäft bezeichnet, der Verkauf an Endkunden als Business to Consumer (B2C)-Geschäft (vgl. Abschnitt 4.5.3).
2.3 Absatz
101
Die Ökonomie versucht, das Zustandekommen von Transaktionen auf Märkten, d.h. den Abschluss von Geschäften, bei denen eine bestimmte Menge eines Gutes zu einem bestimmten Preis verkauft wird, zu erklären. Dabei wird von der Vielfalt der realen Marktformen zunächst abstrahiert. Das Idealbild ist der vollkommene Markt, bei dem folgende Bedingungen erfüllt sind: • Es herrscht vollständige Markttransparenz, d.h. alle Marktteilnehmer verfügen jederzeit über alle relevanten Informationen. • Die auf dem Markt gehandelten Güter sind homogen, d.h. aus Sicht der Marktteilnehmer gleichartig, so dass außer dem Preis keine anderen Einflussfaktoren ihre Präferenzen beeinflussen. • Sämtliche Marktteilnehmer verhalten sich rational, d.h. nach dem ökonomischen Prinzip (vgl. Abschnitt 1.1.3) kaufen sie das Gut stets zu dem niedrigsten Preis bzw. verkaufen es zu dem höchsten Preis, den sie erzielen können. • Bei der Abwicklung der Geschäfte fallen keine Transaktionskosten, d.h. Kosten der Geschäftsanbahnung, Geschäftsabwicklung und der Überwachung, an (vgl. Abschnitt 1.3.3). • Es gibt keine Marktein- und -austrittsbarrieren und keine regulierenden Eingriffe von außen, die auf das Marktgeschehen einwirken. • Die Reaktionen der Marktteilnehmer erfolgen unendlich schnell, da eine neue Information allen gleichzeitig zugänglich ist. Auf einem vollkommenen Markt gilt zu jedem Zeitpunkt ein einheitlicher Preis, zu dem das Gut gehandelt wird. Dieser Preis sorgt dafür, dass der Markt geräumt wird, d.h. dass zum Marktpreis weder Nachfrage unbefriedigt noch Angebot unverkauft bleibt. Der vollkommene Markt weist daher eine hohe Effizienz bezüglich der Abwicklung der Geschäfte und der Güterversorgung auf. Da jedoch die genannten Bedingungen allenfalls näherungsweise erfüllt sind, liegen in der Realität lediglich unvollkommene Märkte vor. Dem Ideal des vollkommenen Marktes kommen elektronische Börsen am nächsten, auf denen homogene Güter von rationalen Marktteilnehmern mit vollständigem Marktüberblick und sehr kurzen Reaktionszeiten gehandelt werden, jedoch unterliegen sie einer strengen Regulierung bezüglich des Marktzutritts und der Abwicklung der Geschäfte. Die real zu beobachtenden Märkte lassen sich nach der Zahl der Anbieter wie folgt klassifizieren: • Im Monopol gibt es nur einen Anbieter, der seinen Preis als Aktionsparameter so setzen kann, dass sein Gewinn maximiert wird. Da es keine Konkurrenten gibt, muss der Monopolist bei seinem Marktverhalten keine Konkurrenzreaktionen berücksichtigen. In der Vergangenheit bestanden Monopole im Bereich der Gas-, Wasser- und Energieversorgung sowie der Post und Telekommunikation, die jedoch mehr und mehr durch marktwirtschaftliche Strukturen ersetzt werden.
102
2 Die Güterwirtschaft
• Bei einem Oligopol treten wenige Anbieter auf dem Markt auf. Jeder Anbieter muss mit Reaktionen der Konkurrenten auf seine preispolitischen Maßnahmen rechnen und diese in sein Kalkül einbeziehen. Da die Kunden von einem Anbieter zum anderen wechseln können, ist neben den Konkurrenzreaktionen auch das Kundenverhalten zu berücksichtigen. Ein Beispiel für ein Angebotsoligopol ist der Markt der Tankstellen in einer Stadt. Durch die zunehmende Tendenz zum Zusammenschluss von Unternehmen setzen sich in vielen Märkten sowohl regional als auch global oligopolistische Strukturen durch, z.B. in der Fahrzeugindustrie, im Lebensmittelhandel, bei Warenhäusern usw. • Im Polypol verteilt sich die Nachfrage auf so viele Anbieter, dass der Einzelne durch sein Verhalten keine Konkurrenzreaktionen auslöst. Allerdings zieht er bei einer Preissenkung die gesamte Marktnachfrage auf sich, ohne sie befriedigen zu können; bei einer Preiserhöhung verliert er seine gesamte Nachfrage. Daher stellt sich auf einem polypolistischen Markt ein einheitlicher Marktpreis ein, an den sich die Anbieter mit der von ihnen angebotenen Menge so anpassen, dass sie ihren Gewinn maximieren. Polypolistische Strukturen sind am ehesten im Einzelhandel anzutreffen.
2.3.2
Preis-Absatz-Funktionen
Eine Preis-Absatz-Funktion beschreibt, wie die abgesetzte Menge und der verlangte Preis zusammenhängen. Typischerweise geht die Nachfrage nach einem Produkt zurück, wenn sein Preis erhöht wird. Daher verlaufen Preis-Absatz-Funktionen fallend. Die Gestalt einer Preis-Absatz-Funktion wird durch die Art des gehandelten Produkts und durch die Marktform beeinflusst. Der einfachste Fall einer Preis-Absatz-Funktion für einen Monopolisten, der lineare Verlauf, ist in Abb. 2.34 dargestellt. p = a −b⋅ x
p
p
Elastischer Bereich Unelastischer Bereich
x
x
Abb. 2.34 Preis-Absatz-Funktion
Die Schnittpunkte dieser Funktion mit den Achsen lassen sich wie folgt interpretieren: Der Ausschlusspreis p = a ist der Preis, bei dem kein potenzieller Nachfrager mehr bereit ist,
2.3 Absatz
103
das Produkt zu kaufen. Die Sättigungsmenge x = a / b gibt die Absatzmenge an, die selbst bei einem Preis von Null nicht überschritten werden kann. Die Abhängigkeit zwischen Preis und nachgefragter Menge lässt sich mithilfe der Preiselastizität genauer beschreiben. Diese gibt an, wie die Nachfragemenge auf eine Preisänderung reagiert und ist definiert als relative Veränderung der Absatzmenge in Bezug auf eine relative Preisänderung. d x d x p ε =− x =− ⋅ d p d p x p
Die Kenntnis der Preiselastizität ist von großer Bedeutung für die Preispolitik eines Anbieters. Ist die Preiselastizität kleiner als 1, so spricht man von unelastischer Nachfrage, die Nachfrage reagiert unterproportional auf eine Preisänderung. Dieser Fall ist typisch für Güter des täglichen Bedarfs wie Heizenergie oder Grundnahrungsmittel, auf deren Kauf die Nachfrager auch bei einer Preiserhöhung nur in geringem Umfang verzichten können. Im Grenzfall einer starren Nachfrage beträgt die Preiselastizität Null. Bei Preiselastizitäten größer als 1 liegt eine elastische Nachfrage vor, d.h. bei einer Preiserhöhung geht die Nachfrage überproportional zurück. Dieses Verhalten ist z.B. bei Freizeitgütern zu beobachten, deren Kauf bei einer Preiserhöhung häufig stark eingeschränkt oder zurückgestellt wird. Je höher die Preiselastizität ist, desto stärker fällt die Reaktion der Nachfrage auf eine Preisänderung aus. Im Grenzfall einer Preiselastizität von unendlich spricht man von vollkommen elastischer Nachfrage. Bei der linearen Preis-Absatz-Funktion in Abb. 2.34 hängt die Preiselastizität der Nachfrage vom derzeitigen Preis ab: Bei geringen Preisen liegt unelastische Nachfrage vor, bei hohen Preisen hingegen elastische Nachfrage. Die Grenze zwischen dem elastischen und dem unelastischen Bereich liegt bei der Hälfte des Ausschlusspreises, d.h. bei p / 2 . Will der Monopolist seinen Gewinn maximieren, so muss er den Preis wählen, bei dem die Differenz aus Erlösen und Kosten am größten ist. Die notwendige Bedingung für ein Gewinnmaximum lautet daher: G ( x) = E ( x) − K ( x) ⇒ max!
G ' ( x) = E ' ( x) − K ' ( x) = 0 ⇔ E ' ( x) = K ' ( x)
d.h.: Grenzerlös = Grenzkosten Der Grenzerlös entspricht dem zusätzlichen Erlös beim Verkauf einer weiteren Einheit des Produkts, während die Grenzkosten angeben, mit welchen zusätzlichen Kosten diese Einheit hergestellt werden kann. Die gewinnmaximale Angebotsmenge wird somit nicht allein durch
104
2 Die Güterwirtschaft
absatzpolitische Erwägungen, sondern auch durch die vorhandene Produktionstechnologie beeinflusst. Die Erlösfunktion zu der oben angegebenen linearen Preis-Absatz-Funktion lautet: E ( x) = p ( x) ⋅ x = a ⋅ x − b ⋅ x 2
Geht man von einer ebenfalls linearen Kostenfunktion aus, wie sie z.B. bei der zeitlichen Anpassung vorliegt (vgl. Abschnitt 2.2.1), K ( x) = K F + k v ⋅ x
so lässt sich die als Cournot-Punkt bezeichnete Kombination aus gewinnmaximalem Preis und zugehöriger Angebotsmenge wie folgt ermitteln: G ( x) = a ⋅ x − b ⋅ x 2 − ( K F + k v ⋅ x) !
G ' ( x) = a − 2b ⋅ x − k v = 0 x0 =
a − kv 2b
p0 = a − b ⋅ x0 =
a + kv 2
Dieser Zusammenhang wird in Abb. 2.35 grafisch veranschaulicht.
E,K,p
CournotPunkt
a p0
K(x)
• E(x)
KF x0
x
Abb. 2.35 Gewinnmaximierung im Monopol
Zu der linearen Preis-Absatz-Funktion gehört die umgekehrt parabelförmige Erlösfunktion E (x ) , deren Steigung dem Grenzerlös entspricht. Die Steigung der linearen Kostenfunktion K (x) entspricht den Grenzkosten. Verschiebt man nun die Kostenfunktion parallel, bis sie die Erlösfunktion tangiert, so ist die Bedingung „Grenzerlös = Grenzkosten“ grafisch erfüllt.
2.3 Absatz
105
Die gewinnmaximale Angebotsmenge lässt sich unterhalb dieses Tangentialpunkts ablesen, der zugehörige Preis ergibt sich über die Preis-Absatz-Funktion. Wie man sieht, stimmt das Gewinnmaximum nicht mit dem Erlösmaximum überein, sondern wird bereits bei einer geringeren Absatzmenge erreicht. Durch Ausweitung der angebotenen Menge könnte der Monopolist zwar seinen Erlös noch steigern, da die Grenzkosten der zusätzlich hergestellten Einheiten jedoch über dem Grenzerlös liegen, würde sein Gewinn zurückgehen. Auch für das Polypol gibt die Bedingung „Grenzerlös = Grenzkosten“ die Preis-MengenKombination an, die zum maximalen Gewinn führt. Da jedoch aufgrund des einheitlichen Marktpreises der Preis kein Aktionsparameter ist, kann sich der einzelne Anbieter lediglich mit der von ihm auf den Markt gebrachten Menge anpassen. Der Grenzerlös einer zusätzlich verkauften Einheit entspricht dem Marktpreis p . Liegen bei einer linearen Kostenfunktion die konstanten Grenzkosten oberhalb dieses Preises, so wird das Unternehmen die Menge Null anbieten. Sind die Grenzkosten geringer als der Marktpreis, so wird das Unternehmen bis zu seiner Kapazitätsgrenze produzieren und diese Menge am Markt anbieten. Bei einer konvexen Kostenfunktion, wie sie z.B. bei der Kombination von zeitlicher und intensitätsmäßiger Anpassung (vgl. Abschnitt 2.2.1) vorliegt, steigen die Grenzkosten, wie in Abb. 2.36 dargestellt, mit zunehmender Produktionsmenge an. In diesem Fall ist die gewinnmaximale Angebotsmenge x 0 durch den Schnittpunkt von Marktpreis p und Grenzkosten K ' ( x) definiert.
K‘,p
K‘(x)
p
• x x0
Abb. 2.36 Gewinnmaximierung im Polypol
In der Realität sind weder lineare Preis-Absatz-Funktionen noch monopolistische oder polypolistische Angebotsstrukturen vorherrschend. Daher wird im Folgenden die von Erich Gutenberg entwickelte doppelt geknickte Preis-Absatz-Funktion für das Oligopol betrachtet, die den tatsächlichen Marktgegebenheiten wesentlich besser entspricht. In einem oligopolistischen Markt treten wenige Anbieter auf, die nicht nur die Wirkung ihrer Preispolitik auf die
106
2 Die Güterwirtschaft
Nachfrager, sondern auch die Reaktionen ihrer Konkurrenten berücksichtigen müssen. In vielen Märkten lässt sich beobachten, dass derartige Reaktionen nicht immer in gleichem Ausmaß auftreten, sondern nur dann, wenn bestimmte Preisschwellen überschritten werden. Für jeden Anbieter existiert ein monopolistischer Bereich, in dem nur schwache Reaktionen auf Preisänderungen erfolgen. Die in Abb. 2.37 dargestellte Preis-Absatz-Funktion weist drei Bereiche mit unterschiedlichen Preiselastizitäten auf:
p
po Monopolistischer Bereich pu x Abb. 2.37 Gutenberg-Oligopol
• Zwischen den beiden Knickpunkten po und pu reagiert die Nachfrage relativ unelastisch auf Preisänderungen. Solange der Preis in diesem Bereich bleibt, kann sich das Unternehmen wie ein Monopolist verhalten und seinen Cournot-Punkt als Preis-MengenKombination wählen. Dies liegt daran, dass weder die Stammkunden des Unternehmens selbst noch die anderer Unternehmen bei Preisänderungen innerhalb dieses Bereiches einen Anlass sehen, den Anbieter zu wechseln. Die schwache Neigung der Preis-AbsatzFunktion im monopolistischen Bereich ist darauf zurückzuführen, dass bei Preiserhöhungen lediglich Laufkundschaft verloren geht, die Nachfrage der Stammkunden jedoch kaum zurückgeht. • Wird der Preis oberhalb von po angesetzt, so ist damit zu rechnen, dass auch Stammkunden zur Konkurrenz abwandern, da ihnen das Produkt zu teuer geworden ist. Eine Preiserhöhung in diesem Bereich führt aufgrund der hohen Preiselastizität zu einem erheblichen Rückgang der Absatzmenge. • Unterschreitet der Preis den Wert pu , so kann das Unternehmen Stammkunden von der Konkurrenz abziehen. In diesem Bereich besteht ebenfalls eine höhere Preiselastizität als im monopolistischen Bereich, so dass eine geringfügige Preissenkung einen erheblichen Nachfrageanstieg bewirkt. Das Unternehmen muss jedoch mit Preissenkungen seiner Konkurrenten rechnen, durch die diese ihre Stammkunden zurückgewinnen wollen.
2.3 Absatz
107
Je breiter der monopolistische Bereich ist, desto größere Preisspielräume stehen dem Unternehmen zur Verfügung. Daher versuchen die Unternehmen, durch den gezielten Einsatz der in Abschnitt 2.3.3 behandelten Marketinginstrumente die Präferenzen ihrer Zielgruppe positiv zu beeinflussen, so dass sie ihren monopolistischen Bereich und damit ihren preispolitischen Spielraum ausweiten können.
2.3.3
Marketinginstrumente
Als Marketing bezeichnet man die marktorientierte Führung des Unternehmens und die daraus resultierende konsequente Ausrichtung seiner Aktivitäten auf den Markt und auf die Bedürfnisse der Kunden. Die Entwicklung des Marketing wurde in den 1970er Jahren durch den Wandel zahlreicher Märkte von Verkäufermärkten, auf denen sich fast beliebige Produktmengen absetzen ließen, zu Käufermärkten ausgelöst. Gleichzeitig stiegen die Kundenansprüche nicht nur in Bezug auf die Qualität der Produkte, sondern auch im Hinblick auf die Befriedigung ihrer individuellen Bedürfnisse. Durch beschleunigten technischen Fortschritt und verschärften Wettbewerb verkürzen sich die Produktlebenszyklen, so dass ständig neue Produkte auf den Markt gebracht werden müssen.
Produkt
Preis
• Qualität
• Höhe
• Design
• Preisstrategie
• Image
Interdependenzen • Werbebudget • Botschaft • Medien
Kommunikation
• Vertriebssystem • Absatzweg • Außendienst
Distribution
Abb. 2.38 Marketing-Mix
Mit zunehmender Sättigung der Märkte und steigenden Kundenansprüchen wird es immer wichtiger, die eigenen Produkte von denen der Konkurrenz abzuheben und die Präferenzen der Kunden gezielt zu beeinflussen. Hierzu steht den Unternehmen eine Reihe von Marketinginstrumenten zur Verfügung, die in den verschiedenen Bereichen ansetzen, in denen das Unternehmen mit seinen Kunden in Beziehung steht. Dies sind die Produkte selbst, die Pro-
108
2 Die Güterwirtschaft
duktpreise, die Distribution der Produkte und die Kommunikation mit den Kunden. Die wichtigsten Marketinginstrumente innerhalb der einzelnen Bereiche sind in Abb. 2.38 dargestellt. Ihr Einsatz darf nicht isoliert erfolgen, sondern muss im Rahmen einer integrierten Marketing-Mix-Strategie aufeinander abgestimmt werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Einsatz der Marketinginstrumente sich in der Regel nicht direkt, sondern über intervenierende Konstrukte wie die Kundenbindung und die Kundenzufriedenheit auf den ökonomischen Erfolg eines Produkts auswirkt. In den nachfolgenden Abschnitten werden die einzelnen Bereiche des Marketing-Mix in Grundzügen dargestellt. 2.3.3.1
Produktpolitik
Im Mittelpunkt der Produktpolitik stehen die Produkte, die das Unternehmen am Markt anbietet. Im Rahmen der Produktpolitik werden Entscheidungen getroffen hinsichtlich der Entwicklung neuer Produkte, ihrer Gestaltung in Bezug auf Form, Farbe, Verpackung, Qualität, Design usw., der Produktvariation und schließlich der Elimination von Produkten aus dem Sortiment. Ein wichtiges Hilfsmittel der Produktpolitik ist die Marktforschung. Sie hat die Aufgabe, die Präferenzen der Kunden aufzudecken und dadurch einerseits Anhaltspunkte für lohnende Produktfelder zu liefern, andererseits Hilfestellungen bei der Produktgestaltung zu geben. Um sich von der Konkurrenz zu unterscheiden, bieten die Unternehmen nicht nur ihr Kernprodukt an, sondern erweitern es durch eine Reihe von produktbegleitenden Dienstleistungen zu einem Leistungsbündel, durch das die Bedürfnisse der Kunden möglichst umfassend erfüllt werden. So besteht das Leistungsbündel von Automobilherstellern neben den Fahrzeugen als dem Produktkern auch aus begleitenden Dienstleistungen wie Qualitäts- und Mobilitätsgarantien, Wartung, Reparaturen, Finanzierung, Zulassung und der Inzahlungnahme des Altfahrzeugs durch die Verkaufsniederlassung. Noch weiter gehen Servicekonzepte, die darauf abstellen, dass der Kunde im Grunde kein Fahrzeug kaufen, sondern sein Bedürfnis nach Mobilität befriedigen will. Solche Mobilitätsangebote ermöglichen es einem Kunden z.B., bei Dienstreisen am Bedarfsort ein Fahrzeug zu erhalten, im Sommer ein anderes Fahrzeug zu fahren als im Winter oder für den Familienurlaub auf ein geräumigeres Fahrzeug umzusteigen. Häufig ist das Image eines Produkts, d.h. die Vorstellungen und Assoziationen, die die potenziellen Kunden mit dem Produkt verknüpfen, von ebenso großer Bedeutung für den Markterfolg wie das Produkt selbst. Zu einem positiven Produktimage tragen einerseits das Design und der Markenname, andererseits die Positionierung des Produkts im Wahrnehmungsraum der Kunden bei, die durch geeignete Kommunikationsmaßnahmen unterstützt werden muss. 2.3.3.2
Preis- und Konditionspolitik
Die Aufgabe der Preispolitik besteht darin, die Verkaufspreise der Produkte so festzulegen, dass sie von den Kunden akzeptiert werden und gleichzeitig über angemessene Gewinnspannen den ökonomischen Erfolg des Unternehmens sichern. Da die in der Realität anzutreffen-
2.3 Absatz
109
den Märkte wesentlich komplexer sind als die in den Abschnitten 2.3.1 und 2.3.2 idealtypisch behandelten Marktformen, geht die Aufgabenstellung der Preispolitik weit über die schematische Festlegung z.B. eines Cournot-Punkts hinaus. So finden bei der Festlegung des Angebotspreises nicht nur die eigene Kostenstruktur und die Preisbereitschaft des relevanten Markts Berücksichtigung, sondern auch Sortiments- und Konkurrenzaspekte. Im Rahmen der Preisstrukturpolitik werden die Preislagen für die verschiedenen Produkte im Sortiment eines Unternehmens aufeinander abgestimmt und als Bandbreite für die laufenden Preisentscheidungen vorgegeben. Durch Sonderangebote, d.h. zeitlich begrenzte Preisreduzierungen, die teilweise sogar mit negativen Deckungsbeiträgen verbunden sind, lässt sich der Absatz eines Produkts nicht nur kurzfristig erhöhen, sondern über die Gewinnung neuer Kunden häufig auch langfristig steigern. Weiter wird versucht, durch Preisempfehlungen für den nachfolgenden Handel (vertikale Preisbindung) über das Preisniveau positiv auf das Image eines Produkts einzuwirken. Von großer Bedeutung im Rahmen der Preispolitik ist die Preisdifferenzierung. Hierbei wird versucht, die bei verschiedenen Kundensegmenten bestehenden Unterschiede in der Preisbereitschaft für ein Produkt auszunutzen, indem der Gesamtmarkt in entsprechende Teilmärkte aufgespaltet wird, auf denen für gleiche oder nur geringfügig differierende Produkte verschiedene Preise verlangt werden. Die Preisdifferenzierung kann nach folgenden Kriterien vorgenommen werden: • Räumliche Preisdifferenzierung: Das Produkt wird auf geografisch getrennten Märkten zu verschiedenen Preisen verkauft. Zum Beispiel werden Kraftfahrzeuge in den Ländern der EU zu unterschiedlichen Grundpreisen angeboten, um die bestehenden Unterschiede in der Besteuerung des Endkunden auszugleichen. • Zeitliche Preisdifferenzierung: Das Produkt wird zu unterschiedlichen Zeiten zu verschiedenen Preisen angeboten. Beispiele sind nach Tageszeiten gestaffelte Telefontarife, die Preisunterschiede zwischen Tag- und Nachtstrom oder Saisonstaffelungen bei Urlaubsreisen. • Sachliche Preisdifferenzierung: Die Preise differieren in Abhängigkeit vom Verwendungszweck, z.B. ist Heizöl billiger als Dieselkraftstoff und Streu- oder Viehsalz billiger als Speisesalz. • Abnehmerorientierte Preisdifferenzierung: Die unterschiedliche Preisbereitschaft in verschiedenen Kundensegmenten wird ausgenutzt, z.B. durch das Angebot von hochpreisigen Premiummarken. Auch die höheren Preise von First- und Business-Class-Flügen gegenüber der Economy Class sind auf Kurz- und Mittelstrecken nicht allein durch Qualitätsunterschiede zu erklären. Ergänzt wird die Preispolitik durch die sonstigen Konditionen, mit deren Hilfe das Unternehmen versucht, sein Angebot für den Markt attraktiv zu machen. Hier lassen sich z.B. Zugaben, Werbegeschenke, Kundenclubs, großzügige Umtausch- und Rückgaberechte, Garantieversprechen über die gesetzliche Gewährleistung hinaus, Lieferbedingungen oder auch Lieferantenkredite (vgl. Abschnitt 3.3.2) und Teilzahlungsgeschäfte nennen. Eine große
110
2 Die Güterwirtschaft
Rolle im Bereich der Konditionen spielt die Rabattpolitik. Ein Rabatt ist ein prozentualer Nachlass auf den Listenpreis, der dem Kunden in Abhängigkeit von bestimmten Tatbeständen gewährt wird. • Ein Mengenrabatt kommt zur Anwendung, wenn der Kunde eine bestimmte Abnahmemenge überschreitet. • Durch einen Treuerabatt werden langfristige Geschäftsbeziehungen belohnt. • Der Gesamtumsatzrabatt ist ein nachträglicher Bonus, der bei Überschreiten eines bestimmten Geschäftsvolumens gewährt wird. • Ein Listungsrabatt wird dem Handel dafür eingeräumt, dass er die Produkte des Unternehmens in sein Sortiment aufnimmt. • Der Sortimentsrabatt kommt zum Einsatz, falls ein Händler das gesamte Sortiment eines Unternehmens führt. • In Abhängigkeit von der Handelsstufe können Funktionsrabatte eingeräumt werden. • Ein Zeitrabatt findet Anwendung, wenn eine Bestellung besonders frühzeitig aufgegeben wird. • Schließlich können Sonderrabatte zum Tragen kommen, z.B. ein Einführungsrabatt, ein Jubiläumsrabatt usw. • Einen Preisnachlass bei frühzeitiger Zahlung bezeichnet man als Skonto, er wird zu den Finanzierungsinstrumenten gezählt (vgl. Abschnitt 3.3.1). Der Vorteil von Rabatten besteht darin, dass sie eine sehr feine, auf die Kunden abgestimmte Differenzierung der Preise erlauben. Eine stark differenzierte Rabattpolitik kann aber dazu führen, dass die Preisgestaltung des Unternehmens nicht nur für die Kunden, sondern auch für die Außendienstmitarbeiter intransparent wird. 2.3.3.3
Distributionspolitik
Die Distribution hat die Aufgabe, die räumliche Distanz zwischen dem Unternehmen und seinen Abnehmern zu überbrücken und dabei eine sichere Belieferung der Abnehmer zu geringen Kosten sicherzustellen. Der physische Aspekt des Transports der Produkte wird im Zusammenhang mit der Distributionslogistik (vgl. Abschnitt 2.5) behandelt. Im Rahmen der hier im Vordergrund stehenden Distributionspolitik spielen vor allem Entscheidungen über die Ausgestaltung des Vertriebssystems eine Rolle. Weiter sind Entscheidungen über die Anzahl und die Struktur der Absatzmittler, d.h. der in den Vertrieb eingeschalteten Handelsunternehmen, und der Absatzhelfer, d.h. von Hilfsbetrieben wie Speditionen und Lagerhäusern, sowie über den Außendienst und den Kundendienst zu treffen. Das Vertriebssystem kann als direkter oder indirekter Vertrieb organisiert sein. Beim direkten Vertrieb setzt das Unternehmen seine Produkte selbst, d.h. ohne Einschaltung des Han-
2.3 Absatz
111
dels, an seine Kunden ab. Indirekter Vertrieb liegt vor, wenn die Distribution über den Handel erfolgt. Beim einstufigen Vertrieb wird lediglich der Einzelhandel eingeschaltet, beim mehrstufigen Vertrieb treten zwischen das Unternehmen und den Einzelhandel zusätzlich eine oder mehrere Großhandelsstufen. Nach der Intensität der Distribution lassen sich unterscheiden: • Bei intensiver Distribution wird ein flächendeckender Absatz des Produkts angestrebt, indem eine große Zahl von Verkaufspunkten eingerichtet oder beauftragt wird. Diese Form des Vertriebs wird z.B. für Güter des täglichen Bedarfs, wie Lebensmittel oder Presseerzeugnisse, eingesetzt. • Die selektive Distribution beschränkt sich bewusst auf eine bestimmte, nach produktbezogenen Kriterien ausgewählte Zahl von Verkaufspunkten. So werden z.B. hochwertige Porzellanwaren nicht in jedem Haushaltswarengeschäft, sondern nur in speziell eingerichteten Fachgeschäften verkauft. • Bei exklusiver Distribution ist das Produkt nur in wenigen Verkaufspunkten erhältlich. Ein Beispiel ist Designermode, die in ausgesuchten Städten nur in eigenen Läden vertrieben wird. Im Bereich des Außendienstes besteht die Wahl zwischen dem Einsatz von Reisenden und Handelsvertretern. Ein Reisender ist ein Angestellter des Unternehmens, der weisungsgebunden Besuche bei vorgegebenen Kunden vornimmt und dafür ein festes Grundgehalt zuzüglich einer Umsatzprovision bezieht. Ein Handelsvertreter hingegen ist ein selbstständiger Gewerbetreibender, der im Namen des Auftraggebers in einem bestimmten Gebiet auf Provisionsbasis die Produkte des Unternehmens vorstellt und verkauft. Typischerweise ist der Einsatz von Reisenden erst ab einem bestimmten Geschäftsvolumen lohnend, so dass tendenziell bei kleinen Unternehmen und neuen Produkten vor allem Handelsvertreter beauftragt werden. Weitere Entscheidungen hinsichtlich des Außendienstes beziehen sich auf seine Größe, die Besuchszeiten- und Tourenplanung, die Aufteilung der Außendienstaktivitäten auf die verschiedenen Produkte und die Motivation der Außendienstmitarbeiter durch Wettbewerbe oder spezielle Provisionsgestaltungen. Schließlich gehört bei Investitionsgütern sowie bei langlebigen Verbrauchsgütern zur Distribution auch der Kundendienst, der durch Zusatzleistungen über das eigentliche Produkt hinaus den Absatz der Produkte fördern soll. Zu den Aufgaben des Kundendienstes zählen die Annahme von Bestellungen oder auch von Reklamationen, produktbezogene technische Leistungen wie die Installation, Inspektion, Wartung, Reparatur usw. sowie die Beratung der Kunden bei der Produktauswahl und die Schulung des Kundenpersonals im Hinblick auf die Bedienung von neuen Anlagen. 2.3.3.4
Kommunikationspolitik
Die Kommunikationspolitik umfasst alle absatzpolitischen Maßnahmen, mit denen ein Unternehmen die potenziellen Kunden über seine Produkte informieren will. Die Aufgabe der Kommunikationspolitik besteht in der aktiven Gestaltung der auf die Märkte gerichteten
112
2 Die Güterwirtschaft
Informationen. Dabei werden als Instrumente die Werbung, die Verkaufsförderung und die Öffentlichkeitsarbeit eingesetzt. Bei der Werbung tritt das Unternehmen über verschiedene Medien mit den Kunden in Kontakt, um in einer Werbebotschaft verschlüsselte Informationen zu übermitteln und dadurch über die Präferenzen in der Zielgruppe letztlich den Absatz seiner Produkte zu erhöhen. Während Produktwerbung direkt auf ein bestimmtes Produkt bezogen ist, z.B. eine Automobil- oder Zigarettenmarke, wird bei der Firmenwerbung das Unternehmen selbst mit der Gesamtheit seiner Produkte in den Mittelpunkt gestellt, z.B. bei der Werbung für Versicherungen oder für Chemieunternehmen. Weiter unterscheidet man informierende Werbung, bei der den Kunden interessierende Fakten, z.B. technische Daten von Fahrzeugen, übermittelt werden, und suggestive Werbung, die darauf abzielt, bestimmte Assoziationen mit dem Produkt zu verbinden, z.B. Freiheit und Abenteuer in der Zigarettenwerbung. Einzelaufgaben im Bereich der Werbung sind die Auswahl der Werbebotschaft, ihre Ausgestaltung und Realisierung auf den Werbemitteln, die Auswahl der Werbemedien bzw. Werbeträger (Mediaselektion) und die Verteilung des Werbebudgets auf die Werbemedien. Die Verkaufsförderung ergänzt die langfristig angelegten Werbekampagnen durch kurzfristig eingesetzte Maßnahmen, die zusätzliche oder außergewöhnliche Kaufanreize für die Zielgruppe bieten. Dazu zählen z.B. Warenproben, Zugaben, Gutscheine, Preisausschreiben, Sonderangebote und Treueaktionen. Aufgrund der zeitlichen Befristung der Aktionen besteht für die Kunden ein Anreiz, das Produkt vorzeitig oder zusätzlich zu kaufen, so dass sich zumindest kurzfristig der Absatz erhöht. Ein weiteres Kommunikationsinstrument ist die Öffentlichkeitsarbeit (Public Relations). Während Werbung und Verkaufsförderung direkt auf den Absatz der Produkte ausgerichtet sind, ist es das Ziel der Öffentlichkeitsarbeit, durch die besondere Pflege der Beziehungen zu den wichtigsten gesellschaftlichen Einflussgruppen eine positive Haltung der Öffentlichkeit gegenüber dem Unternehmen herzustellen, die sich auf indirekte Weise positiv auf den Absatz auswirken soll. Dazu werden Presseinformationen, besondere PR-Veranstaltungen, Unternehmensinformationen in Form von Broschüren, Filmen, Anzeigen usw., aber auch Betriebsbesichtigungen und öffentliche Vorträge durch Mitarbeiter des Unternehmens eingesetzt.
2.4
Entsorgung
Die ordnungsgemäße Entsorgung der bei der betrieblichen Tätigkeit anfallenden Rückstände ist eine Aufgabe, die am Ende der betrieblichen Wertschöpfungskette angesiedelt ist. Ihre Bedeutung für die Unternehmen nimmt in dem Maße zu, wie die Rechtsnormen im Bereich des Umweltschutzes und der Abfallwirtschaft dichter und strenger werden, der Deponieraum knapper wird und die Entsorgungskosten ansteigen. In Abschnitt 2.4.1 wird zunächst ein Überblick über die im Rahmen der Entsorgung zu berücksichtigenden Rückstandsarten und die zugehörigen Entsorgungswege gegeben. Abschnitt 2.4.2 befasst sich mit dem Recycling
2.4 Entsorgung
113
als einer Entsorgungsstrategie, die den Übergang von einer Durchfluss- zu einer Kreislaufwirtschaft unterstützt.
2.4.1
Rückstandsarten
Rückstände entstehen als unerwünschte Kuppelprodukte der vom Unternehmen hergestellten Zielprodukte aufgrund einer unvollständigen Umsetzung der Ausgangsstoffe. Sie treten auf sämtlichen Stufen der Wertschöpfungskette auf: Bereits die Rohstoffgewinnung verursacht Rückstände, z.B. in Form von Abraum. Auf jeder Produktionsstufe fallen produktbedingte und produktionsbedingte Rückstände und Abfälle an, deren Art und Menge unter anderem von den eingesetzten Rohstoffen, der Organisation der Produktionsabläufe, der Prozessführung oder auch der Qualifikation des Personals abhängen. Beim Absatz entstehen Abfälle in Form von Produktverpackungen, Einwegpaletten, Abdeckplanen, Transportkisten oder Säcken in erster Linie durch logistische Prozesse wie den Transport, den Umschlag und die Lagerung von Produkten. Auch die Zielprodukte werden nach ihrem Gebrauch zu Abfall, der in den Haushalten anfällt. Schließlich verursacht auch die Entsorgung selbst Abfälle in Form von Transportbehältern und nicht weiter umsetzbaren Rückständen aus Verwertungsprozessen. Nach ihrer Form lassen sich Rückstände wie folgt einteilen: • Unter Abluft versteht man durch Gase, Dämpfe, Stäube usw. verunreinigte Luft. Nach den Vorschriften des Bundesimmissionsschutzgesetzes muss Abluft am Ort ihrer Entstehung so gereinigt werden, dass sie bei Eintritt in die Atmosphäre die vorgegebenen Grenzwerte einhält. • Abwasser ist physikalisch, chemisch oder biologisch verunreinigtes Wasser. Das Abwasserabgabengesetz gibt für die einzelnen Schadstoffe vor, in welcher Konzentration sie in die Oberflächengewässer eingeleitet werden dürfen. • Feste Abfälle fallen als Späne, Granulate, Verschnittreste, Ausschuss usw. in Produktionsprozessen oder als Verpackungsabfall an. Nach dem Ort des Abfallanfalls ergibt sich eine Einteilung in Haushaltsabfälle, Sperrabfall, haushaltsähnlichen Gewerbeabfall, produktionsspezifische Abfälle und Sonderabfall. § 3 Abs. 1 Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz definiert Abfall als „... alle beweglichen Sachen, [...] deren sich ihr Besitzer entledigt, entledigen will oder entledigen muss.“ Das Gesetz unterscheidet zwischen einem subjektiven Abfallbegriff, der auf den Entledigungswillen des Abfallbesitzers abstellt, und einem objektiven Abfallbegriff, der auch Gegenstände umfasst, die z.B. eine Gefährdung für die Umwelt darstellen und daher entsorgt werden müssen. Zusätzliche Anforderungen werden an die Entsorgung von überwachungsbedürftigen bzw. besonders überwachungsbedürftigen Abfällen (Sonderabfällen) gestellt, die das Gesetz als „... nach Art, Beschaffenheit oder Menge in besonderem Maße gesundheits-, luftoder wassergefährdend, explosiv oder brennbar [...] oder Erreger übertragbarer Krankheiten enthalten[d] ...“ (§ 41 Abs. 1 KrW/AbfG) bezeichnet.
114
2 Die Güterwirtschaft Energie Rohstoffe
Produktion
Recycling Abfall
Produkte
Thermische Verwertung
Ausschuss Reste
Abfallvermeidung
Deponie
Abfallverwertung
Abfallbeseitigung Abb. 2.39 Entsorgungsstrategien
Um ein weiteres Anwachsen der Abfallmengen zu begrenzen, gibt das Kreislaufwirtschaftsund Abfallgesetz den Unternehmen die folgende Rangfolge von abfallwirtschaftlichen Maßnahmen vor: Die Abfallvermeidung hat Vorrang vor der Abfallverwertung, und diese wiederum hat Vorrang vor der Abfallbeseitigung. Diese Maßnahmen beziehen sich auf verschiedene, in Abb. 2.39 dargestellte, Phasen des Produktionsprozesses: • Abfallvermeidung lässt sich in erster Linie durch am Produktionsprozess selbst ansetzende Maßnahmen erreichen, die den Anfall von prozessbedingten Rückständen oder von Ausschuss reduzieren. • Bei der Abfallverwertung wird die stoffliche Verwertung, d.h. die Aufbereitung und Nutzung der im Abfall enthaltenen Stoffe als Sekundärrohstoffe, über die thermische Verwertung in Müllverbrennungsanlagen, bei der die im Abfall enthaltene Energie genutzt wird, gestellt. Die Abfallverwertung ist eine inputorientierte Maßnahme, da die verwerteten Rückstände zum Input weiterer Produktionsprozesse werden. • Die Abfallbeseitigung setzt am Output eines Produktionsprozesses an. Sie hat so zu erfolgen, dass von den Abfällen keine Gefährdungen der Umwelt ausgehen können. Dies ist in der Regel durch die Verbringung auf eine geeignete Deponie sichergestellt. Das Ziel der betrieblichen Abfallwirtschaft besteht darin, die im Abfallbereich entstehenden Kosten bei Einhaltung der relevanten gesetzlichen Vorschriften so gering wie möglich zu
2.4 Entsorgung
115
halten. Die behördlichen Anforderungen umfassen neben Zertifizierungs- und Mitteilungspflichten auch die Verpflichtung zur regelmäßigen Vorlage eines detaillierten Abfallwirtschaftskonzepts sowie bei Überschreiten bestimmter Abfallmengen die Vorlage von umfassenden Abfallbilanzen mit Angaben über Art, Menge und Verbleib der jeweiligen Stoffe. Die von den Kommunen und Genehmigungsbehörden erlassenen Vorschriften und Gebührenordnungen sind somit die Parameter, an denen ein Unternehmen seine Entsorgungsstrategie ausrichtet: Je unerwünschter und damit je teurer ein Rückstand oder Abfallstoff wird, desto größer werden die Bemühungen, dessen Anfall zu reduzieren.
2.4.2
Recycling
Unter Recycling versteht man die Rückführung von Material und Energie, die bei der Produktion als Rückstand oder beim Konsum als Hausmüll anfallen, als Einsatzstoffe in Produktionsprozesse. Dabei wird aus Sicht des Gesetzgebers das Ziel verfolgt, einerseits natürliche Rohstoffe zu substituieren und dadurch zu schonen, andererseits die entstehenden Rückstands- und Abfallmengen zu verringern, um Umweltbelastungen zu reduzieren und knappen Deponieraum einzusparen. Recycling bringt also positive Umweltwirkungen sowohl auf der Input- als auch auf der Outputseite der Produktion mit sich. Durch Recycling lässt sich eine teilweise Umstellung von der derzeitigen Durchflusswirtschaft zu einer Kreislaufwirtschaft erreichen. Die Kreislaufführung von Stoffen ist ein grundlegendes Prinzip der Ökologie, durch das sich eine maximale Stoffausnutzung erreichen lässt. In einem Wirtschaftssystem lassen sich durch den Aufbau von Wiederverwertungskreisläufen und -kaskaden sowohl der Grad der Stoffausnutzung als auch die Verweildauer der Stoffe erhöhen; damit wird zugleich die Effizienz der Produktion gesteigert. Folgende Formen des Recycling lassen sich unterscheiden: • Nach dem Ort, an dem die zu verwertenden Stoffe entstehen, unterscheidet man das Produktionsabfallrecycling, bei dem Rückstände aus Produktionsprozessen – z.B. Schneidereste, Späne, Ausschuss, aber auch energetische Rückstände wie Abwärme und Prozessenergie – erneut in industriellen Prozessen eingesetzt werden, und das Altproduktrecycling, das nach Ablauf der üblichen Nutzungsdauer eines Produkts die in ihm enthaltenen Wertstoffe einer weiteren Nutzung zuführt. Die Verpflichtung von Unternehmen, ihre gebrauchten Produkte zurückzunehmen und geordnet zu entsorgen, wird in verschiedenen Rücknahmeverordnungen geregelt. • Nach dem Ort des Wiedereinsatzes der Stoffe lässt sich Recycling einteilen in innerbetriebliches Recycling, bei dem im Unternehmen entstehende Reststoffe in den Ursprungsprozess oder einen anderen Produktionsprozess zurückgeführt werden, und das interindustrielle Recycling, bei dem mehrere Unternehmen am Aufbau eines Verwertungskreislaufs beteiligt sind. Hier stellt sich häufig das Problem, geeignete Marktpartner zu finden, die den anfallenden Stoff abnehmen bzw. den benötigten Stoff in der gewünschten Menge anbieten.
116
2 Die Güterwirtschaft
• Eine weitere Einteilung orientiert sich daran, ob der Stoff überarbeitet oder direkt verwendet und ob er im Ursprungsprozess oder in einem anderen Prozess eingesetzt wird. Daraus ergeben sich die in Abb. 2.40 dargestellten Recyclingformen.
Einsatz in Ursprungsprozess (primäres Recycling)
anderen Prozess (sekundäres Recycling)
ohne Überarbeitung (direktes Recycling)
Wiederverwendung
Weiterverwendung
mit Überarbeitung (indirektes Recycling)
Wiederverwertung
Weiterverwertung
Abb. 2.40 Recyclingformen
– Bei der Wiederverwendung wird ein Stoff ohne größere Überarbeitung für den ursprünglichen Zweck wieder benutzt. Ein Beispiel dafür sind Pfandflaschen, die nach einer Reinigung wieder befüllt werden können. – Weiterverwendung liegt vor, wenn Abfallstoffe, die in einem Produktionsprozess anfallen, ohne Überarbeitung in einem anderen Prozess eingesetzt werden, z.B. wird der Gips aus Rauchgasentschwefelungsanlagen im Hoch- und Tiefbau eingesetzt. – Ein Stoff wird wiederverwertet, wenn er nach einer Überarbeitung für seinen ursprünglichen Zweck erneut eingesetzt wird. Dies ist z.B. bei der Papierherstellung aus Altpapier oder bei der Verwendung runderneuerter Autoreifen der Fall. – Bei der Weiterverwertung schließlich wird ein Stoff nach Überarbeitung in einem anderen Prozess oder für einen anderen Zweck eingesetzt, z.B. bei der Herstellung von Parkbänken aus Kunststoffgranulat. Auch die thermische Verwertung von Abfällen zum Zweck der Nutzung der in den Stoffen enthaltenen Energie wird zur Weiterverwertung gezählt. Diese Recyclingarten erfordern in der genannten Reihenfolge einen immer größeren Bearbeitungs-, Transport- und Energieaufwand. Aus ökologischer Sicht ist daher die Wiederverwendung der Weiterverwendung, diese der Wiederverwertung und diese schließlich der Weiterverwertung vorzuziehen, falls für einen bestimmten Stoff mehrere Recyclingmöglichkeiten zur Verfügung stehen. • Die Wirtschaftlichkeit des Recycling hängt wesentlich davon ab, in welchem Umfang vor dem Wiedereinsatz eines Stoffes eine Aufbereitung erforderlich ist. Nach dem Umfang
2.4 Entsorgung
117
der Aufbereitung unterscheidet man das Produkt-, das Komponenten- und das Materialrecycling. – Beim Produktrecycling wird ein Erzeugnis, das der bisherige Besitzer aus technischen, wirtschaftlichen oder modischen Gründen nicht mehr nutzen will, mit oder ohne Überarbeitung im Ganzen einer erneuten Verwendung zugeführt, z.B. Gebrauchtwagen. – Beim Komponentenrecycling werden einem abgenutzten Produkt bestimmte Bauteile entnommen und – in der Regel nach einer Überarbeitung – als Ersatzteile für Geräte gleicher Bauart verwendet, z.B. Austauschmotoren. – Beim Materialrecycling wird das Produkt in seine Bestandteile zerlegt, die möglichst sortenrein erfasst und jeweils getrennt einer stofflichen oder thermischen Verwertung zugeführt werden, z.B. die Trennung der verschiedenen Stofffraktionen beim Shreddern von Automobilen. Die ökologischen und wirtschaftlichen Einsparungspotenziale durch das Recycling sind umso größer, je vollständiger das Produkt erhalten bleibt, denn einerseits ist der Zerlegungsaufwand geringer, andererseits bleibt die im Produkt enthaltene Wertschöpfung erhalten. Daher ist dem Produktrecycling der Vorzug vor dem Komponentenrecycling und diesem wiederum vor dem Materialrecycling zu geben. Auch wenn Recycling sicherlich zur besseren Stoffausnutzung und zu einer Reduktion von Umweltbelastungen beitragen kann, stößt es auf Widerstände und Grenzen verschiedener Art. Jeder der im Folgenden genannten Bereiche kann zum Engpassfaktor werden, der die Möglichkeiten der Kreislaufführung von Stoffen begrenzt. • Eine technische Grenze des Recycling ist dadurch gegeben, dass meist keine vollständige Verwertung der Stoffe möglich ist, sondern nur ein bestimmter, prozessbedingter Anteil von Altstoffen zugegeben werden kann. So sind bei einer Recyclingquote von 50% nach der fünften Aufbereitung nur noch 6,25% des ursprünglichen Materials im Umlauf. Ein weiteres Problem ergibt sich daraus, dass die Qualität der beim Recycling entstehenden Produkte häufig unterhalb der Qualität der ursprünglichen Produkte liegt (Downcycling). Stoffe, die stark vermischt oder verunreinigt sind, eignen sich in der Regel gar nicht für das Recycling. So können z.B. als Lösungsmittel eingesetzte chlorierte Kohlenwasserstoffe wieder aufbereitet und im Kreislauf geführt werden, solange sie sortenrein sind. Ein Lösungsmittelgemisch hingegen kann nur noch verbrannt werden. • Aus ökonomischer Sicht muss sich das Recycling wirtschaftlich lohnen, d.h. die Erlöse der Sekundärrohstoffe, die ersparten Entsorgungskosten und eventuelle Subventionen müssen zumindest die durch den Recyclingvorgang anfallenden Kosten abdecken. Falls somit hohe Transport- und Aufbereitungskosten auftreten, ist – zumindest in einer kurzfristigen Betrachtung – eine weitere Grenze für das Recycling gegeben. Aus einer strategischen Sichtweise heraus sollte auch ein nicht kostendeckendes Recyclingverfahren eingeführt werden, wenn für die nahe Zukunft ein Anstieg der Rohstoffpreise, Abfallgebühren oder Schadstoffabgaben zu erwarten ist.
118
2 Die Güterwirtschaft
• Das ökologische Ziel von Recycling besteht in der Verringerung der negativen Umweltwirkungen von Rückständen, der Reduktion des Energieverbrauchs in der Produktion sowie der Erhaltung von natürlichen Ressourcen. Aus ökologischer Sicht ist Recycling daher abzulehnen, wenn die bei der Erfassung, Sortierung, Aufbereitung oder Umwandlung eingesetzten Stoff- und Energiemengen den Nutzen für die Umwelt übersteigen bzw. wenn die im Recyclingprozess entstehenden Reststoffe und Emissionen die Umwelt stärker belasten als eine direkte Entsorgung des Ausgangsstoffs. Für eine solche ökologische Folgenabschätzung müssten sämtliche durch ein Recyclingverfahren ausgelösten Umweltwirkungen erfasst und durch eine geeignete Bewertung gegeneinander abgewogen werden. Überwiegen bei der stofflichen Nutzung einer Abfallart die negativen ökologischen Wirkungen, so sollte auf die Kreislaufführung verzichtet und die thermische Verwertung oder die Deponierung vorgezogen werden. • Schließlich stößt das Recycling auf eine Reihe von psychologischen Widerständen: Eine umfassende Kreislaufführung von Produktionsrückständen ist nur möglich, wenn sich die Mitarbeiter konsequent an der sortenreinen Sammlung der Stoffe beteiligen. Um beim Altproduktrecycling zufrieden stellende Rücklaufquoten zu erreichen, müssen die Verbraucher z.B. durch Appell an ihr Umweltbewusstsein zur Rückgabe der Produkte motiviert werden. Auf Konsumentenseite wird bei Produkten aus Sekundärrohstoffen häufig eine geringere Qualität vermutet, wodurch es zu Kaufzurückhaltung oder Preisabschlägen kommt. Für die Zukunft ist zu erwarten, dass der Gesetzgeber den Unternehmen verstärkt eine umfassende Verantwortung für ihre Produkte und Rückstände auferlegen wird. Auch der Gedanke einer nachhaltigen Wirtschaftsweise (Sustainability) wird zu einer weiteren Zunahme von Kreislaufwirtschaftskonzepten beitragen.
2.5
Logistik
Angesichts der globalen Vernetzung von Unternehmen und Märkten kommt der Logistik, die sich mit der Gestaltung und Steuerung von raum-zeitlichen Transformationsprozessen in und zwischen Unternehmen befasst, eine immer größere Bedeutung zu. Die Logistik ist eine Querschnittsfunktion, die in sämtlichen Phasen des güterwirtschaftlichen Transformationsprozesses benötigt wird. Abschnitt 2.5.1 gibt einen Überblick über das Logistikkonzept, d.h. die Aufgaben, Teilbereiche und Ziele der Logistik. In Abschnitt 2.5.2 werden Möglichkeiten zur Ausgestaltung von Transportsystemen dargestellt und in Abschnitt 2.5.3 wird auf die Koordination von überbetrieblichen Logistikketten im Supply Chain Management eingegangen.
2.5 Logistik
2.5.1
119
Logistikkonzeption
Objekte der Logistik sind auf der physischen Ebene die materiellen Güter, an denen logistische Prozesse vorzunehmen sind, insbesondere das Fertigungsmaterial, Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe, Zuliefer- und Ersatzteile, Handelswaren, Halbfertig- und Fertigerzeugnisse sowie Retouren, Abfälle und andere Rückstände, für deren ordnungsgemäße Beseitigung oder Rückführung in das Wirtschaftssystem ein Unternehmen verantwortlich ist. Abb. 2.41 zeigt die verschiedenen Formen, in denen Logistikobjekte auftreten können. Da das Handling von Stückgütern besonders leicht fällt, ist es sinnvoll, andere Güter, an denen logistische Transformationen vorgenommen werden sollen, durch Abfüllen, Verpacken usw. in die Form von Stückgütern zu bringen. So können Schüttgüter in Säcke oder Kisten verpackt werden, Flüssigkeiten werden in Flaschen, Kanister oder Tanks abgefüllt und für Gase kommen Druckbehälter zum Einsatz.
Logistikgüter
Feste Güter
Flüssige Güter
Gasförmige Güter
Stückgüter
Unbeständige Flüssigkeiten
Hoch komprimierte Gase
Schüttgüter
Beständige Flüssigkeiten
Niedrig komprimierte Gase
Halbflüssige Massen
Säcke, Kisten
Druckbehälter Flaschen, Kanister, Tanks Abb. 2.41 Logistikobjekte
Durch logistische Prozesse werden Transformationen an den Logistikobjekten bewirkt. Die wichtigsten Logistikprozesse mit den durch sie bewirkten Gütertransformationen sind in Abb. 2.42 dargestellt.
120
2 Die Güterwirtschaft
Prozess Gütertransformation Zeitänderung Ortsveränderung
Lagerung
Transport
Bündelung
Sortierung
Verteilung
Mischung
Verpackung
X X
Mengenänderung Sortenänderung Änderung der Umschlageigenschaften
X X X
Abb. 2.42 Logistikprozesse und Gütertransformationen
• Lagerung: Durch einen Lagerungsprozess wird der Zeitpunkt der Verfügbarkeit eines Logistikobjekts auf der Zeitachse nach hinten verschoben, d.h. es findet eine zeitliche Transformation statt. • Transport: Bei einem Transportvorgang wird eine Ortsveränderung des Logistikobjekts vorgenommen, d.h. seine räumliche Verfügbarkeit wird vom Ausgangspunkt zum Endpunkt des Transports verlagert. • Bündelung bzw. Verteilung: Bei der Bündelung werden meist gleichartige, selten auch verschiedene logistische Einheiten zu einer neuen logistischen Einheit zusammengefasst; bei der Verteilung wird eine logistische Einheit in einzelne Logistikobjekte aufgelöst. Die hierbei erfolgende Transformation ist eine Änderung der Menge der zu handhabenden logistischen Einheiten. • Sortierung bzw. Mischung: Durch die Sortierung findet eine Sortenänderung des Logistikobjekts statt, indem miteinander vermischte Einheiten nach bestimmten Eigenschaften sortiert werden; beim Mischen werden umgekehrt sortenrein vorliegende Einheiten zusammengefügt. • Verpackung: Beim Verpacken wird ein Logistikobjekt, das Packgut, durch das Umhüllen mit Packstoffen so verändert, dass es für die nachfolgenden logistischen Prozesse günstigere Umschlageigenschaften aufweist. Diese logistischen Prozesse werden in Abhängigkeit von der Art der Güter und von ihren logistischen Eigenschaften sehr unterschiedlich ausgestaltet. So erfordern Schüttgüter, Flüssigkeiten oder Gase ein anderes Verpackungssystem als Stückgüter, Einzelanfertigungen werden anders transportiert als Massengüter, im Lebensmittelbereich werden besondere hygienische Anforderungen an die Durchführung der Prozesse gestellt, Frisch- und Tiefkühlware benötigt andere Lager- und Transportsysteme als Trockenware. Bezeichnet man alle logistischen Prozesse, die Transport- und Lagerungsvorgänge miteinander verbinden, als Umschlag, so lassen sich die logistischen Aktivitäten auf die so genannten
2.5 Logistik
121
TUL-Prozesse Transport, Umschlag und Lagerung reduzieren. Gemeinsam ist allen logistischen Tätigkeiten ihr Dienstleistungscharakter, daher werden sie – vor allem im zwischenbetrieblichen Bereich – häufig von auf bestimmte Aufgaben spezialisierten Logistikdienstleistern, z.B. Speditionen, Frachtführern, Lagerhäusern, Umschlagstellen, Güterverkehrszentren, erbracht. Durch die gezielte Zusammenfassung von Lager-, Transport- und Umschlagtätigkeiten mit logistischen Zusatzleistungen wie Versicherungen, Kreditgewährung, Inkasso, Zollabfertigung, Kundendienst oder Informationsversorgung können diese Unternehmen erhebliche Spezialisierungsvorteile erzielen. Logistische Prozesse kommen – wie in Abb. 2.43 dargestellt – entlang der gesamten betrieblichen Wertschöpfungskette zum Einsatz. Man unterscheidet daher als Teilbereiche der Logistik die Beschaffungs-, Fertigungs-, Distributions- und die Entsorgungslogistik, die jeweils spezifische Aufgaben übernehmen.
Materiallogistik
Beschaffungslogistik
Beschaffungsmarkt
Lager
Produktion
Sekundärstoffe
Deponie
Distributionslogistik
Fertigungslogistik
Lager
Absatzmarkt
Recyclinggüter Rückstände
Abfälle
Retouren
Ents orgungs logist ik
Abb. 2.43 Teilbereiche der Logistik
• Auf der Inputseite des Unternehmens ist die Beschaffungslogistik auf die Materialversorgung des Unternehmens ausgerichtet. Zu ihren Aufgaben zählen unter anderem die Gestaltung von Lagersystemen, die Lager- und Fördertechnik, das Lagerhausmanagement, die Pflege der Beziehungen zu den Lieferanten, die Bedarfsprognose, die Losgrößenbestimmung und die Bestellabwicklung. • Die Fertigungs- bzw. Produktionslogistik befasst sich mit der Gestaltung des zwischen Beschaffung und Distribution angesiedelten innerbetrieblichen Materialflusses. Dazu gehören die Gestaltung von Fertigungsstrukturen und Fertigungsverfahren, die LayoutPlanung, die Optimierung des innerbetrieblichen Material- und Informationsflusses, die Qualitätssicherung und die Gestaltung von innerbetrieblichen Verkehrssystemen.
122
2 Die Güterwirtschaft
• Auf der Outputseite sorgt die Distributionslogistik für den Transport der Produkte und ihre Verteilung auf die Abnehmer. Bei der Pflege der Kundenbeziehungen ist der Lieferservice ein entscheidender Wettbewerbsfaktor. In diesem Bereich sind Entscheidungen über die Distributionsstruktur, die Lagerstandorte, das Transportsystem, die Auswahl von Verkehrsmitteln, die Gestaltung der Verpackungen, die Transport- und Tourenplanung, die Sicherstellung der Lieferbereitschaft sowie die Inanspruchnahme logistischer Dienstleistungen zu treffen. • Die Entsorgungslogistik ist am Ende der betrieblichen Wertschöpfungskette angesiedelt. Während sich die drei erstgenannten Teilbereiche der Logistik auf den Versorgungsbereich beziehen, läuft der Güterfluss der Entsorgungslogistik in umgekehrter Richtung. Ihre Aufgaben bestehen in der Gestaltung von Entsorgungssystemen und der Durchführung der entsorgungsspezifischen Transformationsprozesse der Sammlung, der Behandlung, der Verwertung und der Deponierung von Rückständen aus Produktion und Konsum (vgl. Abschnitt 2.4.1). Das oberste Ziel der Logistik ist das Serviceziel, das auf die Sicherstellung der bedarfsgerechten Verfügbarkeit von Objekten zum Zweck der Befriedigung von Kundenbedürfnissen abstellt: Das richtige Gut (in Bezug auf Sorte und Menge) soll im richtigen Zustand, d.h. in der gewünschten Qualität, zur richtigen Zeit und am richtigen Ort bereitgestellt werden (4RKonzept). Weiter sollen die mit der Güterbereitstellung verbundenen Logistikkosten minimiert werden. Das Kostenziel steht typischerweise im Konflikt mit dem Serviceziel. Der Servicegrad gibt an, welcher Anteil der Nachfrage aus dem vorhandenen Lagerbestand sofort befriedigt werden kann. Nicht befriedigte Nachfrage bezeichnet man als Fehlmengen. Sie führen nicht nur zur Verärgerung von Kunden, die eventuell endgültig verloren gehen, sondern können auch bei Nichteinhaltung fester Lieferzusagen mit Konventionalstrafen belegt werden. Da sich die Nachfrage in der Regel nicht exakt prognostizieren lässt, hält ein Unternehmen einen Sicherheitsbestand, der die Lieferfähigkeit auch bei nicht vorhersehbaren Nachfrageschwankungen sicherstellen soll. Je höher der Sicherheitsbestand ist, desto geringer wird die Wahrscheinlichkeit, lieferunfähig zu sein, d.h. desto höher ist der Servicegrad. Bei normalverteilter Nachfrage mit dem Mittelwert x und der Standardabweichung σ gilt der statistische Zusammenhang, dass der Bedarf in 15,9% der Fälle den Wert x + σ übersteigt, in 2,3% der Fälle einen Wert von x + 2σ und nur in 0,1% der Fälle einen Wert von x + 3σ . Geht man beispielsweise von einer Nachfrage mit dem Mittelwert x = 500 und der Standardabweichung σ = 125 aus, so ergibt sich aus den Eigenschaften der Normalverteilung der in Tab. 2.6 dargestellte Zusammenhang von gewünschtem Servicegrad und dafür erforderlichem Lagerbestand. Während für die Steigerung des Servicegrads von 80% auf 85% der Bestand lediglich um 24,3 Stück erhöht werden muss, ist für die Steigerung 90% auf 95% bereits ein zusätzlicher Sicherheitsbestand von 45,4 Stück erforderlich. Um den Servicegrad von 98% auf 99% zu erhöhen, müssen 34,1 Stück zusätzlich gelagert werden.
2.5 Logistik
123
Tab. 2.6 Zusammenhang von Servicegrad und Lagerbestand Servicegrad
Lagerbestand
80% 85% 90% 95% 98% 99% 99,5%
605,2 Stück 629,5 Stück 660,2 Stück 705,6 Stück 756,7 Stück 790,8 Stück 822,0 Stück
Allerdings bedeutet ein höherer Lagerbestand eine höhere Kapitalbindung im Lager und damit auch höhere Zinskosten. Aufgrund der oben erläuterten Zusammenhänge steigen die Lagerhaltungskosten – wie in Abb. 2.44 veranschaulicht – progressiv mit dem Servicegrad an. Somit ist eine Abwägung zwischen diesen beiden Zielen erforderlich. Ein Servicegrad von 100% lässt sich meist nur mit prohibitiv hohen Lagerhaltungskosten erreichen. Daher wird vielfach ein geringerer, als sinnvoll angesehener Servicegrad vorgegeben und versucht, diesen zu möglichst geringen Kosten zu erreichen.
Lagerhaltungskosten
90%
95% 100%
Servicegrad Abb. 2.44 Lagerhaltungskosten in Abhängigkeit vom Servicegrad
124
2 Die Güterwirtschaft
2.5.2
Transportsysteme
Eine wichtige logistische Leistung ist die Überbrückung von räumlichen Distanzen durch Transportprozesse. Dabei lassen sich außerbetriebliche und innerbetriebliche Transporte unterscheiden. Außerbetriebliche Transporte erfolgen von den Lieferanten zum Unternehmen oder vom Unternehmen zu seinen Kunden, innerbetriebliche Transporte bewirken den Materialfluss innerhalb des Unternehmens, z.B. vom Wareneingang zum Lager, aus dem Lager in die Fertigung, von der Endmontage zum Versand. In Abhängigkeit von der zu transportierenden Menge und der zu überbrückenden Entfernung kommen in beiden Bereichen sehr unterschiedliche Transportsysteme und Transportmittel zum Einsatz. Der außerbetriebliche Transport kann als Land-, Luft- oder Wasserverkehr durchgeführt werden. Die jeweils zugehörigen Verkehrssysteme und Verkehrsmittel sind in Abb. 2.45 dargestellt.
Außerbetrieblicher Transport
Landverkehr Straßengüterverkehr - Fernverkehr - Nahverkehr - Werksverkehr Schienengüterverkehr - Wagenladungsverkehr - Stückgutverkehr - Expressgutverkehr - kombinierter Verkehr
Luftverkehr Luftfrachtverkehr
Wasserverkehr Binnenschifffahrt - Motorschifffahrt - Schleppschifffahrt - Schubschifffahrt Seeverkehr - Linienverkehr - Bedarfsverkehr
Rohrleitungsverkehr - Rohölpipelines - Produktpipelines
Abb. 2.45 Verkehrssysteme
• Für den Landverkehr kommen die Transportwege Straße, Schiene und Rohrleitung in Betracht. Der Straßengüterverkehr lässt sich in den Fernverkehr, der die Distanz zwischen Fertigungs- und Bedarfsregion überbrückt, den Nahverkehr, der die Belieferung der Kunden in einem bestimmten Bereich übernimmt, und den Werksverkehr einteilen. Beim Schienengüterverkehr kommen der Transport ganzer Wagenladungen bzw. Container oder die Aufgabe einzelner Packeinheiten im Stückgutverkehr bzw. bei eiligen Gü-
2.5 Logistik
125
tern im Expressgutverkehr zur Anwendung. Der kombinierte Verkehr ist eine Spezialform des Schienengüterverkehrs, bei der der Hauptlauf mit der Bahn und der Vor- und Nachlauf mit LKW bewältigt werden. Rohrleitungen werden in dem speziellen Fall eingesetzt, dass zwischen zwei Werken langfristig und kontinuierlich Flüssigkeiten oder Gase in großen Mengen transportiert werden müssen. • Der Luftverkehr wird als Luftfrachtverkehr mittels Flugzeugen durchgeführt. Die Fracht wird entweder im Transportraum von Passagierflugzeugen mitgeführt oder in speziellen Frachtflugzeugen transportiert. • Beim Wasserverkehr unterscheidet man die Binnenschifffahrt und den Seeverkehr. Die Binnenschifffahrt ist auf das Wasserstraßennetz einer Region beschränkt, sie kann als Motorschifffahrt, als Schleppschifffahrt oder als Schubschifffahrt durchgeführt werden. Beim Seeverkehr besteht die Wahl zwischen dem Linienverkehr, bei dem die Güter einem regelmäßig verkehrenden Schiff mitgegeben werden, und dem Bedarfsverkehr, bei dem Frachtraum gechartert wird. Die genannten Verkehrswege und Transportmittel unterscheiden sich stark hinsichtlich ihrer Kosten, der möglichen Transportvolumina, der Transportdauer und -geschwindigkeit, ihrer Flächenabdeckung und der Anforderungen an die Verpackung. In der Praxis werden die Transportmittel häufig kombiniert eingesetzt. Zum einen sind der Vor- und Nachlauf zu bzw. von Bahnhöfen, Flughäfen oder Häfen mit LKW durchzuführen, es sei denn, ein Unternehmen verfügt über einen eigenen Gleisanschluss, Flughafen oder See- bzw. Binnenhafen. Zum anderen hat sich eine Reihe von Systemen entwickelt, die verschiedene Transportmittel kombinieren. Neben dem kombinierten Verkehr Schiene – Straße, bei dem die Transportgüter umgeladen werden müssen, wird der Huckepackverkehr angeboten, bei dem der gesamte LKW per Bahn befördert wird. Im Containerverkehr lässt sich auch die Schifffahrt mit der Schiene oder der Straße kombinieren. Schließlich werden für interkontinentale Transporte auch Kombinationen von Seeschiff und Flugzeug eingesetzt. Der innerbetriebliche Materialfluss lässt sich wie folgt organisieren (vgl. Abb. 2.46): Flurgebundene Transportsysteme sind an den Boden gebunden und ermöglichen lediglich Transporte in der Fläche, flurfreie Systeme hingegen nutzen auch die vertikale Dimension aus und entlasten dadurch die Verkehrswege am Boden. In beiden Kategorien lassen sich stetige und unstetige Materialflusssysteme unterscheiden. Unstetige Transportsysteme sind jeweils bei Bedarf und sehr flexibel einsetzbar, sie dienen vor allem der Bewältigung von stark schwankenden Transportanforderungen. Stetige Transportsysteme hingegen verfügen über ein kontinuierlich bewegtes Transportmittel, das einen festgelegten Weg in regelmäßigen Zeitabständen abfährt. Sie ermöglichen die kontinuierliche Bewältigung eines großen Transportaufkommens, weisen jedoch nur eine geringe Flexibilität auf. Teilweise lassen sich über Verzweigungen und Weichen auch unterschiedliche Materialflüsse bewältigen.
126
2 Die Güterwirtschaft Innerbetrieblicher Transport
Flurgebundener Transport
Unstetiger Materialfluss
Feste Wege Schienenbahn
Stetiger Materialfluss
Freie Wege Stapler
Flurfreier Transport
Unstetiger Materialfluss
Stetiger Materialfluss
Rollenbahn
Kran
Paternoster
Kettenförderer
Aufzug
Hängebahn
Gurtband
Regalbediengerät
Kreisförderer
Plattenband
Schlepper FTS
Hubwagen Luftkissenförderer
Abb. 2.46 Materialflusssysteme
Die flurgebundenen unstetigen Transportsysteme lassen sich nochmals unterscheiden in solche mit fest vorgegebenen Wegen, wie die Schienenbahn oder die Fahrerlosen Transportsysteme (FTS), die auf optisch oder magnetisch gekennzeichneten Fahrwegen verkehren, und in Systeme, die beliebige Wege zurücklegen können, wie Stapler, Schlepper, Hubwagen und Luftkissenförderer. Feste Wege ermöglichen eine weitgehende Automatisierung des Transports und damit erhebliche Personaleinsparungen, während die Transportmittel mit freier Wegewahl regelmäßig manuell bedient werden müssen. Flurgebundene Transportsysteme mit stetigem Materialfluss sind z.B. Rollenbahnen, Kettenbahnen, Gurtbänder oder Plattenbänder. Sie werden in der Fließ- und Reihenfertigung oder auch bei der automatisierten Kommissionierung eingesetzt. Einen flurfreien Transport mit unstetigem Materialfluss erlauben z.B. Kräne, Aufzüge und Regalbediengeräte. Sie können häufig große Lasten tragen, erlauben jedoch lediglich eine geringe Transportfrequenz. Für den flurfreien Transport mit stetigem Materialfluss werden z.B. Paternoster, Hängebahnen oder Kreisförderer eingesetzt. Während der Paternoster lediglich einen vertikalen Transport erlaubt, können die Wege von Hängebahnen oder Kreisförderern sowohl horizontale als auch vertikale Ortsveränderungen vorsehen.
2.5 Logistik
127
Bei der Auswahl eines innerbetrieblichen Materialflusssystems müssen neben den bereits genannten Aspekten der Flexibilität und des Transportaufkommens auch die mit ihrer Installation und dem Betrieb verbundenen Kosten berücksichtigt werden. Das vielseitigste und kostengünstigste Transportmittel ist der Gabelstapler, der in sehr vielen Unternehmen eingesetzt wird. Er kann jeden Punkt am Boden erreichen, innerhalb und außerhalb der Maschinenhalle eingesetzt werden und alle Lasten bewegen, die sich auf Paletten transportieren lassen. Je höher der Automatisierungsgrad eines Transportsystems ist, desto höher werden tendenziell die Installationskosten. Daher lohnen sich Fließbänder oder Fahrerlose Transportsysteme erst bei einem regelmäßigen und hohen Transportaufkommen.
2.5.3
Supply Chain Management
Unter Supply Chain Management versteht man die integrierte Planung, Steuerung und Kontrolle der einzelnen Stufen der Leistungserstellung sowie der logistischen Prozesse, die in den an einer Wertschöpfungskette beteiligten Unternehmen auftreten. Durch die zunehmende Tendenz zum Outsourcing von Wertschöpfungsaktivitäten, die nicht zu den Kernkompetenzen eines Unternehmens zählen, wird die Abstimmung zwischen den Wertschöpfungspartnern immer wichtiger. Auch wenn der Begriff der Supply Chain einen linearen Aufbau der Wertschöpfungskette nahe legt, herrschen netzwerkartige Strukturen vor, durch die die Beschaffungs-, Produktions- und Absatzaktivitäten eines Unternehmens mit denen auf den vor- und nachgelagerten Wertschöpfungsstufen verknüpft werden. Die Struktur der Supply Chain hängt unter anderem von den Produkten, von den beteiligten Lieferanten und Kunden, von der Machtverteilung zwischen den Unternehmen und von deren strategischen Erwägungen ab. Abb. 2.47 zeigt den vereinfachten Aufbau einer solchen Supply Chain.
Beschaffung
Produktion
Absatz
Beschaffung
Produktion
Absatz
Produktion
Kunde
Lieferant UNTERNEHMEN
Abb. 2.47 Aufbau einer Supply Chain
Beschaffung
Absatz
128
2 Die Güterwirtschaft
Zu beachten ist, dass sich die Begriffe „Lieferant“ und „Kunde“ nicht nur auf externe Partner beziehen, mit denen das betrachtete Unternehmen in marktlichen Austauschprozessen steht, sondern auch andere Einheiten des eigenen Unternehmens bezeichnen können, von denen die betrachtete Einheit Material erhält oder an die sie Material liefert. Auch innerbetriebliche Lieferbeziehungen werden somit als Teil der Supply Chain angesehen und mit ähnlichen Methoden wie die externen Lieferbeziehungen geplant und gesteuert. Das Ziel des Supply Chain Management besteht darin, vor allem über die Senkung von Lagerbeständen die im Gesamtsystem entstehenden Kosten zu reduzieren. Dazu ist es erforderlich, die in den einzelnen Lieferbeziehungen bestehenden Bedarfsunsicherheiten zu reduzieren, indem die Material- und Informationsflüsse sinnvoll abgestimmt und koordiniert werden. Durch die Orientierung aller internen und externen Wertschöpfungsstufen am Just-inTime-Prinzip, das auf die Reduzierung des in unproduktiven Zwischenlagern gehaltenen Materials abstellt, können weiter die Lieferzeiten verkürzt und dadurch ebenfalls die im Gesamtsystem gehaltenen Lagerbestände reduziert werden. Durch die Abstimmung der Bedarfsmengen und Bedarfstermine lässt sich beim Supply Chain Management der in mehrstufigen Lieferketten häufig auftretende Bullwhip-Effekt vermeiden. Mithilfe von Simulationsmodellen lässt sich zeigen, wie sich in einer aus den Stufen Teilefertiger, Produktion, Großhändler, Einzelhändler und Endverbraucher bestehenden Lieferkette Schwankungen des Endverbrauchs und zeitliche Verzögerungen beim Material- und Informationsfluss auf die Bedarfsmuster und damit letztlich auf die Bestell- und Produktionsmengen der Beteiligten auswirken. Bereits geringfügige Schwankungen bei der Nachfrage nach Endprodukten können zu erheblichen und von Stufe zu Stufe zunehmenden Produktionsschwankungen auf den vorgelagerten Stufen der Lieferkette führen. Diesem unerwünschten Effekt wird im Supply Chain Management durch die Reduktion der Verzögerungszeit für den Informationsaustausch zwischen zwei Stufen oder auch durch die Elimination kompletter Stufen entgegengewirkt. So wird die in Abb. 2.48 dargestellte Lieferkette dadurch verkürzt, dass der Produzent unter Auslassung des Großhandels direkt an den Einzelhandel liefert.
Teilefertiger
Produzent
Teilefertiger
Abb. 2.48 Lieferkette
Großhandel
Produzent
Einzelhandel
Einzelhandel
Kunde
Kunde
2.5 Logistik
129
Im Rahmen des e-Business (vgl. Abschnitt 4.5.3) geht auch die Bedeutung des Einzelhandels zurück, da immer mehr Produzenten direkt an den Endverbraucher liefern. Gleichzeitig steigt die Bedeutung der physischen Logistik, um die Belieferung der Kunden auf einem hohen Serviceniveau zu gewährleisten. Durch die Koordination von Lieferanten, Produzenten und Kunden in einer Supply Chain lassen sich Kosten-, Zeit- und auch Qualitätsvorteile erzielen. Dafür bestehen folgende Ansatzpunkte: • Die Verstetigung des Materialflusses entspricht dem logistischen Grundprinzip der Flussorientierung. Hierfür müssen Informationssysteme zum Einsatz kommen, die nicht nur das Verfolgen von Materiallieferungen über Tracking und Tracing ermöglichen, sondern auch ein abgestimmtes Bestandsmanagement ermöglichen. • Durch Lagerbestandssenkungen wird eine Reduktion des Umlaufvermögens angestrebt, die eine kostenreduzierende Wirkung entfaltet. Wie in Abschnitt 2.5.1 herausgearbeitet wurde, ist bei der Bestandsreduktion darauf zu achten, dass das gewünschte Serviceniveau erhalten bleibt. • Ein Ansatzpunkt zur Bestandsoptimierung ist die Verbesserung der Materialdisposition, so dass sie die Interessen der gesamten Lieferkette berücksichtigt. Neben leistungsfähigen Prognosetools sind exakte Kenntnisse über die Materialbestände innerhalb der gesamten Lieferkette hinsichtlich Menge, Ort und frühester Verfügbarkeit erforderlich. • Eine Verkürzung der Auftragsdurchlaufzeit beeinflusst sowohl den Servicegrad als auch die Kosten positiv. Ansatzpunkte zur Durchlaufzeitverkürzung sind die Transportzeiten, die Umschlagzeiten sowie Wartezeiten bei der Zollabfertigung usw. • Die effiziente Auslastung der im Gesamtsystem zur Verfügung stehenden logistischen Kapazitäten wirkt ebenfalls kostenreduzierend, da systemimmanente Bedarfsschwankungen vermieden werden können. Neben geeigneten Informationssystemen ist ein großes Maß an Vertrauen zwischen den Beteiligten erforderlich, um auf die kurzsichtige Optimierung der eigenen Abläufe zugunsten einer Kostensenkung in der gesamten Lieferkette zu verzichten. Durch folgende Maßnahmen lässt sich die Logistikkette im Rahmen des Supply Chain Management gestalten: • Von großer Bedeutung ist die Gestaltung des Materialflusses. Grundsätzlich können die Logistikprozesse zwischen den Wertschöpfungsstufen einstufig oder mehrstufig aufgebaut sein. Ein einstufiger Logistikprozess ermöglicht einen direkten Materialfluss zwischen Liefer- und Empfangspunkt und unterstützt damit die Durchlaufzeitreduktion. Ist hingegen eine Unterbrechung des Materialflusses zur zeitlichen oder räumlichen Konsolidierung erforderlich, so wird die Verbindung der Liefer- und Empfangspunkte indirekt, d.h. durch einen mehrstufigen Materialfluss sichergestellt. Hierbei resultieren Kostenvorteile nicht aus der Verkürzung der Durchlaufzeit, sondern aus Degressionseffekten.
130
2 Die Güterwirtschaft
• Ein weiterer Entscheidungsbereich ist die Struktur der Logistikkette. Die vertikale Struktur bezieht sich auf die Anzahl der Wertschöpfungsstufen, die horizontale Struktur auf die Anzahl der Wertschöpfungspartner auf den einzelnen Stufen. • Häufig ist eine Segmentierung der Logistikkette sinnvoll. Dabei wird diese in voneinander entkoppelte Abschnitte eingeteilt, für die den jeweiligen Anforderungen entsprechende Planungs- und Steuerungskonzepte implementiert werden. Als Grundsegmente bieten sich häufig die marktnahen, dezentral gestalteten Distributionsprozesse und die marktfernen, zentral organisierten Beschaffungs- und Produktionsprozesse an. Die konkrete Gestaltung einer Logistikkette hängt von zahlreichen Faktoren ab, zu denen die Höhe, die Zusammensetzung und der Verlauf der Nachfrage, die geforderten Lieferzeiten, die Produktbeschaffenheit, die zu überbrückenden Entfernungen und die dafür erforderlichen Zeiten zählen.
3
Die Finanzwirtschaft
Gegenstand der Finanzwirtschaft sind die Vorgänge in der finanziellen Sphäre des Unternehmens. Ihre Aufgabe ist die Steuerung der Zu- und Abflüsse an finanziellen Mitteln, d.h. der im Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit erfolgenden Ein- und Auszahlungen, und die Durchführung der dazu erforderlichen Finanzierungsmaßnahmen. In Abschnitt 3.1 werden als Grundlage zunächst die Ziele der Finanzwirtschaft und ihre Beziehungen herausgearbeitet. Abschnitt 3.2 befasst sich mit der Anlage finanzieller Mittel in Investitionsprojekten, Abschnitt 3.3 mit der Beschaffung finanzieller Mittel durch verschiedene Finanzierungsmöglichkeiten. In Abschnitt 3.4 werden die Maßnahmen des kurz- und langfristigen Finanzmanagements dargestellt.
3.1
Ziele der Finanzwirtschaft
Ausgehend vom Unternehmensziel der Gewinnmaximierung lassen sich für den finanzwirtschaftlichen Bereich die in den folgenden Abschnitten behandelten Unterziele Rentabilität, Liquidität, Sicherheit und Unabhängigkeit ableiten. Anschließend werden die zwischen diesen Zielen bestehenden Beziehungen herausgearbeitet.
3.1.1
Rentabilität
Die Rentabilität bzw. Rendite einer Investitions- oder Finanzierungsmaßnahme ist ein Maß für ihren finanzwirtschaftlichen Erfolg. Die Rentabilität wird allgemein berechnet, indem man eine Ergebnisgröße ins Verhältnis zum zugehörigen Kapitaleinsatz setzt. Die sich ergebende relative Größe lässt sich als Verzinsung des Kapitals interpretieren und wird in der Regel als Prozentsatz angegeben. Rentabilitätswerte dienen vielfach als Entscheidungskriterium bei der Auswahl von Investitionsprojekten oder als Kennzahlen zur Beurteilung des Erfolgs von Unternehmen und Unternehmensbereichen. Häufig verwendete Rentabilitätskennziffern sind: • Die Eigenkapitalrentabilität rEK ergibt sich, indem man den Gewinn eines Unternehmens auf sein Eigenkapital bezieht: rEK =
Gewinn ⋅ 100 [%] Eigenkapital
132
3 Die Finanzwirtschaft
• Bei der Berechnung der Gesamtkapitalrentabilität rGK werden im Zähler neben dem Gewinn die gezahlten Kreditzinsen berücksichtigt, da diese die Entlohnung des Fremdkapitals darstellen. Im Nenner wird das Gesamtkapital angegeben, das sich aus dem Eigenkapital und dem Fremdkapital zusammensetzt.
rGK =
Gewinn + Zinsen ⋅ 100 [%] Gesamtkapital
• Die Rentabilität des Betriebskapitals rBK erhält man, indem man das Betriebsergebnis auf das betriebsnotwendige Kapital bezieht (zur Berechnung des Betriebsergebnisses vgl. Abschnitt 4.3.6). rBK =
Betriebsergebnis ⋅ 100 [%] betriebsnotwendiges Kapital
• Für eine einzelne Investition oder ein Projekt lässt sich die auch als Return on Investment (ROI) bezeichnete Rentabilität berechnen, indem man die der Investition zurechenbaren Erträge auf den erforderlichen Kapitaleinsatz bezieht. ROI =
zurechenbare Erträge ⋅ 100 [%] Kapitaleinsatz
Die Berechnung der Rentabilität kann entweder für eine einzelne Periode, z.B. ein Quartal oder ein Geschäftsjahr, oder für einen längeren Zeitraum, z.B. für die Nutzungsdauer einer Anlage oder die Laufzeit eines Projekts, erfolgen. Meist werden Rentabilitätswerte im Nachhinein bestimmt, sie können jedoch auch auf Basis prognostizierter Größen zukunftsbezogen berechnet werden. Problematisch bei der Ausrichtung von Entscheidungen an der Zielsetzung der Rentabilitätsmaximierung ist die Gefahr, dass zu stark auf kurzfristige Erfolge abgestellt wird und Maßnahmen, die den langfristigen Bestand des Unternehmens sichern, vernachlässigt werden (vgl. auch die Zieldiskussion in Abschnitt 1.1.3). Dementsprechend setzen sich bei der Auswahl von Investitionsprojekten tendenziell solche durch, die schnell hohe Renditen bringen, obwohl gerade Projekte mit einer längeren Anlaufphase, in der die Rentabilität gering ist, insgesamt sehr vorteilhaft sein können. Dieses Problem lässt sich an dem folgenden Beispiel verdeutlichen: Eine Anlage mit einem Kaufpreis von 400.000 € und einer Nutzungsdauer von 5 Jahren erwirtschaftet zunächst geringe und erst in den letzten Jahren hohe Erträge. Die in den einzelnen Jahren anfallenden Erträge und die zugehörige Rentabilität sind in Tab. 3.1 angegeben, wobei als Kapitaleinsatz vereinfachend die Hälfte der Anschaffungskosten, die dem durchschnittlich gebundenen Kapital entspricht, zugrunde gelegt wird.
3.1 Ziele der Finanzwirtschaft
133
Tab. 3.1 Beispiel zur Rentabilität Jahr
Ertrag
Rentabilität
1 2 3 4 5
10.000 € 16.000 € 30.000 € 50.000 € 60.000 €
5% 8% 15% 25% 30%
Verlangt das Unternehmen eine jährliche Mindestrendite von 15%, so wird diese erst im dritten Jahr erreicht und später deutlich überschritten, in den ersten beiden Jahren jedoch unterschritten. Es besteht daher bei Orientierung an der kurzfristigen Rentabilitätsmaximierung die Gefahr, dass diese Investition nicht durchgeführt wird, obwohl sie über ihre Laufzeit eine durchschnittliche Rendite von 16,6% erwirtschaftet.
3.1.2
Liquidität
Als Liquidität bezeichnet man die Fähigkeit eines Unternehmens, jederzeit seinen fälligen Zahlungsverpflichtungen nachkommen zu können. Solche Zahlungsverpflichtungen fallen zu bestimmten Terminen z.B. für die Bezahlung von Lieferantenrechnungen, Lohn- und Gehaltszahlungen, Kreditzinsen, Steuerzahlungen usw. an. Ein liquides Unternehmen befindet sich im finanzwirtschaftlichen Gleichgewicht und kann seinen Tätigkeiten in gewohnter Weise nachgehen. Ein illiquides Unternehmen hingegen muss Insolvenz anmelden, wenn es ihm nicht gelingt, durch die Aufnahme weiterer Kredite oder die Verlängerung von Zahlungszielen zusätzliche Liquiditätsreserven zu mobilisieren. Die Aufrechterhaltung des finanzwirtschaftlichen Gleichgewichts ist somit eine existenzielle Rahmenbedingung der unternehmerischen Tätigkeit. Weiter wird die Liquidität bei der Unternehmensbewertung als wichtige Kennzahl herangezogen. Daher ist die regelmäßige Überwachung der Liquidität eine wichtige Aufgabe der Finanzwirtschaft. Zu diesem Zweck werden Liquiditätskennzahlen gebildet, die eine Aussage darüber erlauben, inwieweit die kurzfristigen Verbindlichkeiten des Unternehmens, die in absehbarer Zeit zu Auszahlungen führen werden, durch kurzfristig liquidierbare Vermögensgegenstände abgedeckt sind. Man unterscheidet folgende Liquiditätsgrade: • Die Liquidität 1. Grades wird auch als Barliquidität bezeichnet. Sie wird als Quotient aus dem Zahlungsmittelbestand, d.h. den liquiden Mitteln, und den kurzfristigen Verbindlichkeiten, die innerhalb eines Jahres fällig werden, berechnet. Liquidität 1. Grades =
Zahlungsmittel kurzfristige Verbindlichkeiten
• Bei der Liquidität 2. Grades werden im Zähler zusätzlich die kurzfristigen Forderungen berücksichtigt, d.h. die innerhalb eines Jahres erwarteten Einzahlungen. Diese Kennzahl weist daher einen höheren Wert auf als die Liquidität 1. Grades.
134
3 Die Finanzwirtschaft Liquidität 2. Grades =
Zahlungsmittel + kurzfristige Forderungen kurzfristige Verbindlichkeiten
• Zur Berechnung der Liquidität 3. Grades werden auch die Vorräte an Material sowie fertigen und unfertigen Produkten, die durch Verkauf kurzfristig liquide gemacht werden können, zur Abdeckung der kurzfristigen Verbindlichkeiten herangezogen. Liquidität 3. Grades =
Zahlungsmittel + kurzfristige Forderungen + Vorräte kurzfristige Verbindlichkeiten
Offensichtlich sind die Werte dieser Liquiditätskennzahlen umso höher, je größer der Bestand an liquiden bzw. liquidierbaren Vermögenswerten ist. Als Erfahrungsregel wird gefordert, dass zumindest die Liquidität 3. Grades einen Wert größer als 1 aufweisen sollte. Dennoch ist die Aufrechterhaltung der Liquidität kein Maximierungs-, sondern ein Deckungsproblem. Versucht man nämlich, die Liquidität eines Unternehmens durch die Erhöhung des in der Regel nicht oder nur gering verzinsten Zahlungsmittelbestands zu verbessern, so entzieht man diese Mittel einer höher verzinslichen Anlage mit längerer Laufzeit oder einer rentablen innerbetrieblichen Verwendung z.B. in Form einer Investition. Das Liquiditätsziel befindet sich somit im Konflikt zum Rentabilitätsziel und die Liquiditätssteuerung sollte dafür sorgen, dass weder zu viel noch zu wenig Liquidität gehalten wird. Ein weiteres Problem bei der Beurteilung der Liquidität eines Unternehmens mithilfe von Liquiditätskennzahlen ist, dass diese einerseits lediglich eine Momentaufnahme darstellen und dass andererseits ausschließlich die zum betrachteten Zeitpunkt vorhandenen Bestände an Zahlungsmitteln, Forderungen, Vorräten und Verbindlichkeiten berücksichtigt werden, nicht jedoch die laufenden Ein- und Auszahlungen, z.B. aus zukünftig erwarteten Umsatzerlösen, für Lohnzahlungen, Zinsen, Steuern usw.
3.1.3
Sicherheit
Ein weiteres finanzwirtschaftliches Ziel ist die Absicherung der Erträge aus den Investitionsmaßnahmen und damit letztlich die Sicherstellung der Unternehmensexistenz. Da zukünftige Entwicklungen und damit auch die erwarteten Erträge unsicher sind, weisen finanzwirtschaftliche Maßnahmen regelmäßig ein gewisses Risiko auf. So hängen z.B. die tatsächlichen Rückflüsse aus einer neuen Anlage davon ab, ob diese beim laufenden Betrieb die geplante Produktivität erreicht, wie die damit hergestellten Produkte vom Markt aufgenommen werden und welche Preise sich im Wettbewerb durchsetzen lassen, aber auch von globalen Rahmenbedingungen wie der allgemeinen Wirtschaftsentwicklung oder der Entwicklung von Wechselkursen. Tendenziell gilt, dass eine Maßnahme, die einen höheren Ertrag bringt, auch ein höheres Risiko aufweist. Dieser Zusammenhang ist in Abb. 3.1 grafisch dargestellt. Ausgehend von einer sicheren Verzinsung i , wie sie z.B. bei Staatsanleihen gegeben ist, lässt sich die Rendite nur dadurch steigern, dass ein zunächst geringer, dann immer steilerer Anstieg des Risikos in Kauf genommen wird. Die Maximierung der Sicherheit durch eine Minimierung der
3.1 Ziele der Finanzwirtschaft
135
Risiken bedeutet gleichzeitig den Verzicht auf mögliche Erträge, das Ziel der Sicherheit steht somit im Konflikt zum Rentabilitätsstreben.
Rendite
i Risiko Abb. 3.1 Abhängigkeit von Rendite und Risiko
Die Auswahl der Kombination von Rendite und Risiko hängt ab von der Risikopräferenz des Unternehmens bzw. seiner Entscheidungsträger: • Ein risikoscheuer Investor muss eine Abwägung vornehmen, welches Ausmaß an Risiko er bei einer bestimmten Rendite zu tragen bereit ist. Er wird Projekte mit einem zu hohem Risiko ablehnen. • Ein risikoneutraler Investor wird die Projekte realisieren, die ihm die gewünschte Rendite bringen, das Risiko ist für ihn nicht entscheidungsrelevant. • Ein risikofreudiger Investor sieht bei einer riskanten Investition in erster Linie nicht die Gefahr eines Verlusts, sondern die Chance eines hohen Ertrags. Er wird daher riskante Projekte tendenziell bevorzugen. Unternehmerische Risiken resultieren jedoch nicht nur aus Investitionsentscheidungen, sondern auch aus Finanzierungsmaßnahmen. Je höher der Verschuldungsgrad eines Unternehmens ist, d.h. der Anteil des Fremdkapitals am Gesamtkapital, desto größer ist die Gefahr, dass die festen Zinsansprüche der Kreditgeber aus den unsicheren Einzahlungen, die aus der unternehmerischen Tätigkeit resultieren, nicht befriedigt werden können, d.h. dass das Unternehmen illiquide wird. Umgekehrt lässt sich durch eine hohe Liquidität die Sicherheit der Unternehmensexistenz erhöhen. Somit unterstützen sich das Liquiditätsziel und das Ziel einer hohen Sicherheit gegenseitig.
136
3.1.4
3 Die Finanzwirtschaft
Unabhängigkeit
Unter der Unabhängigkeit eines Unternehmens versteht man die Aufrechterhaltung seiner Dispositionsfreiheit und Flexibilität. Die Unabhängigkeit wird eingeschränkt, wenn einzelnen Anspruchsgruppen (vgl. Abschnitt 1.3.2) Mitspracherechte bei bestimmten Entscheidungen eingeräumt werden müssen. Dies ist unter anderem aufgrund von Finanzierungsmaßnahmen der Fall, wenn sie einen gewissen Umfang übersteigen: • Die Beschaffung zusätzlichen Eigenkapitals bedeutet meist die Aufnahme weiterer Eigentümer in das Unternehmen, die ihren Einfluss auf die Unternehmenspolitik und auf unternehmerische Entscheidungen geltend machen werden. Erhält ein Unternehmen Subventionen von der öffentlichen Hand, so unterliegt es einer gewissen Kontrolle bezüglich der Mittelverwendung. • Auch die Aufnahme von Krediten kann die Unabhängigkeit beeinträchtigen, da das Unternehmen zum einen über die Vermögensgegenstände, die als Kreditsicherheit gestellt werden, nicht mehr beliebig verfügen kann. Zum anderen verlangen große Kreditgeber häufig Mitspracherechte, die ihnen von den Anteilseignern z.B. in Form von Sitzen im Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft eingeräumt werden können. Die Betonung der Unabhängigkeit eines Unternehmens kann daher dazu führen, dass es auf zusätzliche Kapitalaufnahme und damit auf weitere rentable Geschäfte verzichtet. Dieses Problem tritt vor allem bei mittelständischen Unternehmen auf, für die das Ziel der Unabhängigkeit tendenziell einen sehr hohen Stellenwert hat.
3.1.5
Zielbeziehungen
In den vorhergehenden Abschnitten wurde bereits auf einige Beziehungen zwischen den finanzwirtschaftlichen Zielen eingegangen. Diese werden nun nochmals systematisch untersucht. Abb. 3.2 veranschaulicht die bestehenden Zielbeziehungen. Teilweise liegen konfliktäre Zielbeziehungen vor, d.h. eine Verbesserung bei einem Ziel ist nur auf Kosten des Zielerreichungsgrads bei einem anderen Ziel möglich. Andere Ziele stehen in einem harmonischen Verhältnis zueinander, d.h. eine Verbesserung bei einem Ziel beeinflusst das andere Ziel positiv. Zielkonflikte bestehen zwischen dem Rentabilitätsziel und sämtlichen anderen Zielen. Der Konflikt zum Liquiditätsziel besteht darin, dass eine Steigerung der Rentabilität durch die Durchführung zusätzlicher Investitionen die verfügbaren Mittel und damit die Liquidität verringert und umgekehrt eine Erhöhung der Liquidität die möglichen Investitionen und damit die Rentabilität beeinträchtigt. Der Zielkonflikt zwischen der Rentabilität und dem Sicherheitsstreben ergibt sich daraus, dass sich eine höhere Rendite nur erzielen lässt, wenn ein höheres Risiko eingegangen wird. Das Streben nach Unabhängigkeit findet seine Grenzen dort, wo zur Finanzierung zusätzlicher Investitionen Kapital aufgenommen werden muss.
3.2 Investition
137 Liquidität
Rentabilität
Sicherheit
Unabhängigkeit
Konfliktärer Einfluss Harmonischer Einfluss Abb. 3.2 Beziehungen der finanzwirtschaftlichen Ziele
Weiter lassen sich harmonische Beziehungen zwischen den folgenden Zielen feststellen: Eine hohe Liquidität hat zumindest kurzfristig einen positiven Einfluss auf die Unabhängigkeit des Unternehmens, da keine zusätzliche Mittelaufnahme erfolgen muss. Geringe Zahlungsverpflichtungen an Kreditgeber beeinflussen umgekehrt die Liquidität positiv. Ein hohes Maß an Unabhängigkeit wirkt sich positiv auf die Sicherheit aus, da die Unternehmenspolitik keine speziellen Interessen unterschiedlicher Kapitalgeber berücksichtigen muss. Umgekehrt fördert die Sicherheit der Ertragslage die Unabhängigkeit des Unternehmens, da auf Kapitalzufuhr von außen verzichtet werden kann. Schließlich besteht auch zwischen der Sicherheit und der Liquidität Zielharmonie, denn eine hohe Liquidität trägt zur Sicherheit des Unternehmens bei, da das Risiko der Zahlungsunfähigkeit gering ist. Sichere Erträge wirken sich positiv auf die Liquiditätslage aus, da keine plötzlichen Ertragsausfälle aus riskanten Projekten zu befürchten sind.
3.2
Investition
Als Investition bezeichnet man die Anlage von finanziellen Mitteln in einem Vermögensgegenstand mit der Absicht, spätere Einnahmen aus dessen Gebrauch oder Verkauf zu erzielen. Eine Investition lässt sich somit als Zahlungsstrom abbilden, der mit einer Auszahlung beginnt und spätere Einzahlungen erwarten lässt. Da Vermögensgegenstände auf der Aktivseite der Bilanz ausgewiesen werden, bezeichnet man Investitionen auch als Kapitalverwendung bzw. als die Sachform des Kapitals.
138
3 Die Finanzwirtschaft
Im Folgenden werden zunächst die verschiedenen Investitionsarten erläutert (Abschnitt 3.2.1) und anschließend die statischen (Abschnitt 3.2.2) und die dynamischen Verfahren (Abschnitt 3.2.3) der Investitionsrechnung vorgestellt. Abschnitt 3.2.4 befasst sich mit der Ausgestaltung von Investitionsprogrammen und Abschnitt 3.2.5 mit der Bestimmung der optimalen Nutzungsdauer von Sachinvestitionen.
3.2.1
Investitionsarten
Investitionen lassen sich nach der Art des erworbenen Vermögensgegenstands wie folgt klassifizieren: • Investitionen in das Anlagevermögen: Das Anlagevermögen besteht aus den Vermögensgegenständen, die länger als ein Jahr im Unternehmen verbleiben. Anlageinvestitionen erfolgen entweder in Sachanlagen, d.h. Gebäude, Maschinen, Einrichtungen usw., die im güterwirtschaftlichen Umsatzprozess eingesetzt werden, oder in Finanzanlagen, d.h. als Beteiligung an anderen Unternehmen oder als Anlage von verfügbaren Mitteln am Kapitalmarkt. • Investitionen in das Umlaufvermögen: Zum Umlaufvermögen zählen Güter, die im betrieblichen Umsatzprozess kurzfristig verbraucht werden, d.h. Vorräte an Material, Zwischenprodukten und Waren, aber auch liquide Mittel und die Forderungen gegenüber Kunden. • Investitionen in das immaterielle Vermögen: Das immaterielle Vermögen umfasst Positionen wie Patente, Lizenzen, Goodwill bzw. Firmenwert, Unternehmensimage, Innovationsfähigkeit oder Mitarbeiterqualifikation. Investitionen in diese Bereiche dienen nicht direkt der Durchführung des betrieblichen Umsatzprozesses, sondern dem Aufbau von langfristigen Erfolgspotenzialen. Im Folgenden steht die Betrachtung von Sachinvestitionen in das Anlagevermögen im Vordergrund, z.B. die Entscheidung über die Anschaffung einer neuen Maschine. Sachinvestitionen können grundsätzlich aus unterschiedlichen Anlässen durchgeführt werden, die sich jedoch in der Realität häufig nicht voneinander trennen lassen: • Ersatzinvestitionen dienen der Ablösung einer zuvor genutzten Anlage nach Ablauf ihrer wirtschaftlichen oder technischen Nutzungsdauer. Als Ersatz wird in der Regel nicht die gleiche Anlage, sondern ihr technischer Nachfolger angeschafft. • Durch Erweiterungsinvestitionen wird die Kapazität des Unternehmens erhöht, indem zusätzliche Anlagen angeschafft werden. Diese erlauben entweder die Ausweitung der Produktionsmenge in bereits bestehenden Produktfeldern oder die Aufnahme von zusätzlichen Produkten in das Produktionsprogramm. • Rationalisierungsinvestitionen tragen zu einer Erhöhung der Produktivität und damit zu einer wirtschaftlicheren Leistungserstellung bei. Unter Rationalisierung versteht man all-
3.2 Investition
139
gemein den Ersatz des Produktionsfaktors Arbeit durch Kapital, d.h. eine Erhöhung des Automatisierungsgrads der Fertigung. Abb. 3.3 gibt nochmals einen Überblick über die genannten Investitionsarten.
Investitionen
Anlagevermögen
Sachanlagen
Umlaufvermögen
Finanzanlagen
Ersatzinvestitionen Erweiterungsinvestitionen
Beteiligungen
Immaterielles Vermögen
Vorräte
Patente, Lizenzen
Zwischenprodukte
Goodwill, Image
Waren
F&E-Potenzial
Forderungen
Mitarbeiterqualifikation Firmenwert
Kapitalmarktanlagen
Rationalisierungsinvestitionen
Abb. 3.3 Investitionsarten
Die Aufgabe der Investitionsrechnung besteht darin, die Vorteilhaftigkeit von Investitionsmaßnahmen zu beurteilen. Im Einzelnen werden Entscheidungen hinsichtlich der folgenden Probleme getroffen: • Bestimmung der Vorteilhaftigkeit einer einzelnen Investition • Auswahl zwischen konkurrierenden Investitionsalternativen • Ermittlung des optimalen Investitionsumfangs • Bestimmung des optimalen Investitionsprogramms • Bestimmung der optimalen Nutzungsdauer einer Anlage Für diese Entscheidungsprobleme sind eine Reihe von Investitionsrechnungsverfahren entwickelt worden, die sich hinsichtlich der benötigten Daten, des Rechenaufwands und der Erfassung des Zeitablaufs unterscheiden. • Die statischen Verfahren der Investitionsrechnung (vgl. Abschnitt 3.2.2) sind einfache Hilfsverfahren der Praxis, mit denen sich Entscheidungen ohne großen Rechenaufwand
140
3 Die Finanzwirtschaft
treffen lassen. Ihr wesentliches Kennzeichen ist, dass sie in ihrem Kalkül die unterschiedlichen Zeitpunkte, zu denen Zahlungen anfallen, nicht hinreichend berücksichtigen. Daher stellen ihre Ergebnisse häufig lediglich Näherungslösungen dar. • Die dynamischen Verfahren der Investitionsrechnung (vgl. Abschnitt 3.2.3) hingegen erheben den Anspruch, eine theoretisch exakte Lösung der Investitionsprobleme zu liefern, indem sie die zeitliche Verteilung der Zahlungen mithilfe der Diskontierung explizit berücksichtigen.
3.2.2
Statische Verfahren der Investitionsrechnung
Die statischen Verfahren der Investitionsrechnung sind in der Praxis sehr beliebte Näherungsverfahren, die Investitionsentscheidungen mit einfachen Berechnungen ermitteln. Die Bezeichnung „statische Verfahren“ rührt daher, dass sie Geldbeträge gleich stark gewichten, auch wenn sie in verschiedenen Perioden anfallen. Strukturelle Unterschiede beim Anfall von Ein- und Auszahlungen werden beim Vergleich von Investitionsprojekten vernachlässigt. Im Folgenden werden die am häufigsten verwendeten statischen Investitionsrechnungsverfahren vorgestellt und anschließend anhand eines Beispiels verglichen. 1. Kostenvergleichsrechnung Die Kostenvergleichsrechnung basiert auf den Kosten, die die Investitionsalternativen verursachen, die Erlösseite wird vernachlässigt. Die Entscheidung fällt für die Alternative, die die geringsten Kosten verursacht, d.h. es wird unterstellt, dass die verglichenen Alternativen die gleiche Leistung erzeugen und damit die gleichen Erlöse erwirtschaften. Grundsätzlich werden in den Vergleich sämtliche Kosten einbezogen, die die Alternativen während ihrer Nutzungsdauer verursachen, d.h. Abschreibungen, Zinsen, anteilige Personal- und Raumkosten, Kosten für den Einsatz von Material, Energie und Betriebsstoffen bei der Nutzung, Wartungs- und Reparaturkosten usw. Soweit diese Kosten im Entscheidungszeitpunkt nicht exakt bekannt sind, werden Erfahrungs- oder Durchschnittswerte herangezogen. Als für den Vergleich relevante Kostengröße werden entweder die Gesamtkosten, die Kosten je Periode oder die Kosten je Leistungseinheit zugrunde gelegt. Die Kostenvergleichsrechnung ist eine einfache Methode, die schnell und auf Basis von in der Regel vorhandenen Daten ein Ergebnis liefert. Sie ist allerdings keine exakte Wirtschaftlichkeitsrechnung, da sie zahlreiche für die Beurteilung einer Investition relevante Sachverhalte vernachlässigt. Neben der Erlösentwicklung werden auch die Nutzungsdauern der Investitionsalternativen nicht berücksichtigt. Auch zeitliche Unterschiede im Kostenanfall werden durch die Durchschnittsbetrachtung nicht beachtet. Das Verfahren führt zu akzeptablen Ergebnissen, wenn es sich lediglich um kleine Beträge handelt oder wenn sich einem Investitionsobjekt nur schwer Erlöse zurechnen lassen, z.B. bei der Anschaffung von Büromaschinen oder Pkw. Die Beschränkung auf die Kostenseite ist in erster Linie bei Ersatzinvestitionen gerechtfertigt, wenn man davon ausgeht, dass die Erlöse von dem Austausch einer Anlage nicht beeinflusst werden.
3.2 Investition
141
2. Gewinnvergleichsrechnung Bei der Gewinnvergleichsrechnung werden neben den Kosten auch die Erlöse der Investitionsalternativen berücksichtigt, denn der Gewinn ist als Differenz von Erlösen und Kosten definiert. Bei diesem Verfahren wird diejenige Investitionsalternative ausgewählt, die den höchsten Gewinn, der als Gesamtgewinn oder als durchschnittlicher Periodengewinn berechnet wird, erwirtschaftet. Die Gewinnvergleichsrechnung wird vor allem bei Neu- oder Erweiterungsinvestitionen eingesetzt, da diese starke Auswirkungen auf die Erlössituation haben. Voraussetzung für den Einsatz der Gewinnvergleichsrechnung ist, dass sich die erzielten Erlöse den Anlagen hinreichend genau zurechnen lassen. Über die bereits bei der Kostenvergleichsrechnung genannten Kritikpunkte hinaus (Vernachlässigung der Nutzungsdauern und der zeitlichen Verteilung der Zahlungen) ist problematisch, dass die hier verwendete absolute Gewinngröße wenig aussagekräftig ist, wenn die Investitionsalternativen einen unterschiedlichen Kapitaleinsatz erfordern. 3. Renditenvergleichsrechnung Die Renditenvergleichsrechnung nimmt einen Vergleich der als Verzinsung des eingesetzten Kapitals interpretierten Rentabilität der Investitionsalternativen (vgl. Abschnitt 3.1.1) vor. Es wird die Alternative ausgewählt, die die höchste Gesamtrentabilität oder durchschnittliche Periodenrentabilität aufweist. Das Verfahren kann nicht nur zur Auswahl zwischen Investitionsalternativen herangezogen werden, die dem gleichen Zweck dienen, sondern auch zur Entscheidung über eine einzelne Investition oder zum Vergleich von Investitionen in unterschiedlichen Geschäftsfeldern, indem die ermittelte Rentabilität eines Projekts mit der vom Unternehmen vorgegebenen Mindestverzinsung verglichen wird. Die auch als Return on Investment (ROI) bezeichnete Rendite ist ein in der Praxis häufig verwendetes Erfolgsmaß. Auch die Renditenvergleichsrechnung geht – wie die beiden zuvor behandelten Verfahren – von einer Reihe vereinfachender Annahmen aus. Ihr Einsatz ist gerechtfertigt, wenn die Gewinne bei den verglichenen Investitionsalternativen annähernd gleichmäßig anfallen. Das Verfahren stößt jedoch auf Probleme, wenn aufgrund einer unterschiedlichen zeitlichen Verteilung von Erlösen und Kosten die Kapitalbindung bei den Investitionsalternativen stark voneinander abweicht oder wenn sich die Nutzungsdauern oder die Restwerte erheblich unterscheiden. 4. Statische Amortisationsrechnung Entscheidungsgröße bei der Amortisationsrechnung ist der Zeitpunkt, zu dem sich eine Investition amortisiert hat, d.h. zu dem die kumulierten Rückflüsse aus einer Investition die kumulierten Auszahlungen erstmals übersteigen. Dieser Zeitpunkt wird auch als Pay-offPeriode bezeichnet, er gibt die Zeitspanne an, innerhalb derer das eingesetzte Kapital aus dem Umsatzprozess erwirtschaftet wird. Die Entscheidung fällt für die Investitionsalternative, die die früheste Pay-off-Periode aufweist. Diese in der Praxis häufig eingesetzte Entscheidungsregel trägt dazu bei, die mit einer Investition verbundene Unsicherheit zu reduzieren, indem auf einen möglichst frühzeitigen Kapitalrückfluss geachtet wird. Die statische Amortisationsrechnung berücksichtigt zwar die zeitliche Verteilung der Zahlungen insofern,
142
3 Die Finanzwirtschaft
als eine Investitionsalternative mit früher anfallenden Gewinnen bevorzugt wird, kann jedoch bei Investitionsalternativen mit unterschiedlicher Verteilung der Gewinne innerhalb der Payoff-Periode keine Auswahl treffen. Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass die Entwicklung nach der Pay-off-Periode vernachlässigt wird, so dass Projekte, bei denen die Erlöse erst nach einer Anlaufphase anfallen, z.B. Innovationen, systematisch benachteiligt werden. Die mit den statischen Verfahren der Investitionsrechnung verbundenen Probleme werden durch das in Tab. 3.2 angegebene Beispiel verdeutlicht. Es soll eine Auswahl zwischen drei Anlagen erfolgen. Um anhand eines einheitlichen Beispiels alle vier vorgestellten Methoden diskutieren zu können, werden anstelle von Erlösen und Kosten die diesen zugrunde liegenden Einzahlungen und Auszahlungen verwendet. Vor der ersten Periode fallen lediglich die Anschaffungsauszahlungen und noch keine Einzahlungen an, da die Anlagen zunächst installiert werden müssen (Periode Null). Die Nutzungsdauer beträgt bei sämtlichen Anlagen vier Perioden. Wie man sieht, unterscheiden sich die drei Anlagen stark hinsichtlich der zeitlichen Struktur der Zahlungen: Während Anlage A im Zeitablauf steigende Ein- und Auszahlungen aufweist, bleiben bei Anlage B die Ein- und Auszahlungen konstant, bei Anlage C fallen die Einzahlungen und steigen die Auszahlungen. Tab. 3.2 Beispiel zur statischen Investitionsrechnung Anlage A Periode Einzahlung Auszahlung 0 0€ 2.000 € 1 1.100 € 500 € 2 1.200 € 600 € 3 1.350 € 700 € 4 1.500 € 800 €
Einzahlung 0€ 1.000 € 1.000 € 1.000 € 1.000 €
B Auszahlung 2.500 € 250 € 250 € 250 € 250 €
C Einzahlung 0€ 1.200 € 1.100 € 900 € 800 €
Auszahlung 1.500 € 400 € 450 € 550 € 650 €
Über die gesamte Nutzungsdauer der Anlagen entsprechen die Kosten der Summe der Auszahlungen. Daher erweist sich bei der Kostenvergleichsrechnung Anlage B mit Gesamtkosten von 3.500 € als die vorteilhafteste, während Anlage A Kosten von 4.600 € und Anlage C von 3.550 € aufweist. Auch der Gewinn lässt sich über die gesamte Nutzungsdauer als Summe der Einzahlungen abzüglich der Summe der Auszahlungen ermitteln. Er beträgt bei Anlage A 550 €, bei Anlage B 500 € und bei Anlage C 450 €, so dass nach diesem Kriterium Anlage A auszuwählen wäre. Bezieht man jedoch bei der Renditenvergleichsrechnung den Gewinn auf den ursprünglichen Kapitaleinsatz, d.h. auf die Anschaffungsauszahlung in Periode 0, so dominiert Anlage C mit einer Rendite von 30% über Anlage A mit 27,5% und Anlage B mit 20%. Die kürzeste Amortisationsdauer weist Anlage C auf, bei der das investierte Kapital bereits in der dritten Periode zurück fließt, während sich Anlage A und Anlage B erst in der vierten Periode amortisieren. Bereits in diesem einfachen Beispiel kommt das grundsätzliche Problem der statischen Investitionsrechnung deutlich zum Ausdruck. Offensichtlich hängt die Entscheidung stark davon ab, welches Investitionsrechenverfahren eingesetzt wird. Dies liegt daran, dass jedes
3.2 Investition
143
Verfahren auf andere Zielgrößen abstellt, bei denen die drei Anlagen stark unterschiedliche Werte aufweisen, und die jeweils anderen Informationen vernachlässigt. Insgesamt liegen die Vorteile der statischen Verfahren in ihrer großen Anschaulichkeit, dem geringen Informationsbedarf und der Tatsache, dass lediglich einfache, leicht nachvollziehbare Berechnungen durchzuführen sind. Daher stoßen sie auf hohe Akzeptanz in der betrieblichen Praxis. Ihre Nachteile bestehen neben der oben genannten impliziten Orientierung an unterschiedlichen Zielen vor allem in der weitgehenden Vernachlässigung der zeitlichen Struktur der Zahlungen. Daher liefern sie nur unter den restriktiven Bedingungen, die bei den einzelnen Verfahren genannt worden sind, akzeptable Ergebnisse.
3.2.3
Dynamische Verfahren der Investitionsrechnung
Grundlage der dynamischen Verfahren der Investitionsrechnung ist die Zeitpräferenz eines Investors. Die Zeitpräferenz basiert auf der Tatsache, dass ein rational handelnder Anleger bei sonst gleichen Bedingungen eine frühere Einzahlung gegenüber einer später anfallenden Einzahlung bevorzugt. Die Ursachen der Zeitpräferenz liegen auf mehreren Ebenen: Zum einen leistet der Anleger Verzicht auf anderweitige Verwendungen seines investierten Kapitals, z.B. in Form von Konsum, und bevorzugt daher einen möglichst frühzeitigen Rückfluss. Weiter kann er einen früher anfallenden Rückzahlungsbetrag zwischenzeitlich anlegen und zusätzliche Zinserträge erhalten. Auch der Tatsache, dass eine später anfallende Zahlung aufgrund von Inflation einen geringeren realen Wert aufweist, wird durch die Zeitpräferenz Rechnung getragen. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass sich die Unsicherheit einer Investition tendenziell erhöht, je später die Rückflüsse erfolgen. Daher werden bei den dynamischen Verfahren der Investitionsrechnung Zahlungen, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten anfallen, durch Auf- bzw. Abzinsung (Diskontierung) mit einem Kalkulationszinssatz i vergleichbar gemacht. Bei der Aufzinsung wird der Wert einer heutigen Zahlung zu einem späteren Zeitpunkt bestimmt, bei der Abzinsung umgekehrt der Wert einer späteren Zahlung zum jetzigen Zeitpunkt. Dies wird durch das folgende Beispiel verdeutlicht: Aufzinsung: Legt man 100 € zu einem Kalkulationszinssatz von i = 10% an, so werden daraus: in 1 Jahr in 2 Jahren in 3 Jahren in 5 Jahren in 10 Jahren
110,00 € 121,00 € 133,10 € 161,05 € 259,37 €
Der Wert einer Zahlung z zu einem Zeitpunkt t bestimmt sich allgemein bei einem Zinssatz in Höhe von i als:
144
3 Die Finanzwirtschaft zt = z ⋅ (1 + i )t
Abzinsung: Erwartet man einen Betrag von 100 € zum Zeitpunkt t, so beträgt bei einem Kalkulationszinssatz von i = 10% der heutige Wert (Barwert) dieser Zahlung: bei Zahlung in 1 Jahr bei Zahlung in 2 Jahren bei Zahlung in 3 Jahren bei Zahlung in 5 Jahren bei Zahlung in 10 Jahren
90,91 € 82,64 € 75,13 € 62,09 € 38,55 €
Der Barwert einer zum Zeitpunkt t erfolgenden Zahlung z beträgt bei einem Zinssatz in Höhe von i: z 0 = z ⋅ (1 + i )− t =
z
(1 + i )t
Die Diskontierung wirkt sich umso stärker aus, je später die Zahlung anfällt und je höher der verwendete Kalkulationszinssatz ist. In Abb. 3.4 sind die abgezinsten Werte einer Zahlung von 100 € für Zinssätze von 5% bzw. 10% jeweils über 25 Jahre dargestellt.
Wert
100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0
i = 5%
i = 10%
Zeit 1
3
5
7
9
11
13
15
17
19
21
23
25
Abb. 3.4 Wirkung der Abzinsung
Um eine Auf- oder Abzinsung vornehmen zu können, muss somit ein Kalkulationszinssatz vorgegeben werden. Dieser lässt sich nicht allgemein festlegen, sondern ist für jeden Investor
3.2 Investition
145
individuell zu bestimmen. Einen Anhaltspunkt für die Höhe des Kalkulationszinssatzes bietet der Vergleich mit der besten Investitionsalternative, die aufgrund der Entscheidung für das betrachtete Investitionsobjekt nicht realisiert werden konnte. Der entgangene Zinssatz dieser Vergleichsinvestition entspricht den Opportunitätskosten der Investition. In Tab. 3.3 sind einige häufig herangezogene Vergleichsinvestitionen und die zugehörigen Zinssätze zusammengestellt. Tab. 3.3 Vergleichsinvestitionen Vergleichsinvestition
Zinssatz
Anlage in festverzinslichen Wertpapieren Anlage in Gold Rückzahlung eines Kredits Anderweitige Sachinvestition Kassenhaltung
Umlaufrendite erwartete Wertsteigerung Sollzinssatz des Kredits Rentabilität dieser Investition Null
Zur Abbildung des Zeitablaufs bei den dynamischen Verfahren der Investitionsrechnung bestehen zwei grundsätzliche Möglichkeiten: Korrekt wäre eine kontinuierliche Modellierung der Zeit, bei der jede Zahlung exakt zu dem Zeitpunkt, zu dem sie anfällt, erfasst und mithilfe der Integralrechnung auf den Vergleichszeitpunkt auf- oder abgezinst wird. Da jedoch viele Zahlungen regelmäßig zu festen Zeitpunkten, z.B. zum Monats- oder Jahresbeginn, erfolgen, wird der Zeitablauf in der Regel diskret modelliert, d.h. alle innerhalb einer Periode auftretenden Zahlungen werden dem Periodenanfang oder dem Periodenende zugerechnet. Dies bietet den Vorteil, dass anstelle von Integralen Summen verwendet werden können. Ein Investitionsobjekt lässt sich durch seine Zahlungsreihe, d.h. die Folge der mit ihm verbundenen Ein- und Auszahlungen, beschreiben. Bezeichnet man die in der Periode t anfallenden Einzahlungen mit et und die Auszahlungen mit at , so ergibt sich der Einzahlungsüberschuss der Periode t als: zt = et − at
Die im Folgenden dargestellten dynamischen Verfahren der Investitionsrechnung verwenden neben dem Kalkulationszinssatz die mit einer Investition verbundenen Einzahlungsüberschüsse als zentrale Größe. 1. Kapitalwertmethode Der Kapitalwert C0 einer Investition wird berechnet als Summe der mit dem Kalkulationszinssatz i auf den Zeitpunkt der Entscheidung abgezinsten Einzahlungsüberschüsse, die während der Laufzeit T aus der Investition erwartet werden. T
T
t =0
t =0
C0 = ∑ (et − at ) ⋅ (1 + i )−t = ∑ z t ⋅ (1 + i )−t
146
3 Die Finanzwirtschaft
Da die Zahlungsreihe einer Investition mit einer Anschaffungsauszahlung a0 beginnt, der erst in den späteren Perioden Einzahlungsüberschüsse folgen, ist auch die folgende Darstellung des Kapitalwerts üblich: T
T
t =1
t =1
C0 = −a0 + ∑ (et − at ) ⋅ (1 + i )−t = −a0 + ∑ z t ⋅ (1 + i )−t
Bei der Berechnung des Kapitalwerts wird die aus der Investition resultierende Zahlungsreihe einer Vergleichsinvestition mit dem festen Zinssatz i gegenübergestellt. Ist der Kapitalwert positiv, so fällt die Rendite aus der Investition höher aus als dieser Kalkulationszinssatz, und die Investition ist vorteilhaft. Bei einem negativen Kapitalwert lässt sich aus der Vergleichsinvestition eine höhere Rendite erzielen, daher sollte die Investition nicht durchgeführt werden. Beträgt der Kapitalwert Null, so weisen beide Alternativen eine gleich hohe Rendite auf. Für eine eindeutige Entscheidung sind daher weitere Kriterien heranzuziehen, z.B. das mit der Investition verbundene Risiko. Soll mithilfe der Kapitalwertmethode eine Auswahl zwischen mehreren Anlagen getroffen werden, so ist die Anlage mit dem höchsten Kapitalwert am vorteilhaftesten. Die Kapitalwerte für das Beispiel in Tab. 3.2 werden wie folgt berechnet, als Kalkulationszinssatz werden dabei 10% zugrunde gelegt: C0A = −2.000 + 600 ⋅ 1,1−1 + 600 ⋅ 1,1−2 + 650 ⋅ 1,1−3 + 700 ⋅ 1,1−4 = −2.000 + 545,45 + 495,87 + 488,35 + 478,11 = 7,78 € C0B = −2.500 + 750 ⋅ 1,1−1 + 750 ⋅ 1,1−2 + 750 ⋅ 1,1−3 + 750 ⋅ 1,1−4 = −2.500 + 681,82 + 619,83 + 563,49 + 512,26 = −122,60 € C0C = −1.500 + 800 ⋅ 1,1−1 + 650 ⋅ 1,1−2 + 350 ⋅ 1,1−3 + 150 ⋅ 1,1−4 = −1.500 + 727,27 + 537,19 + 262,96 + 102,45 = 129,87 €
Die Kapitalwerte von Anlage A und Anlage C sind positiv, somit liegt die Rendite dieser Investitionen über dem als Mindestverzinsung geforderten Zinssatz von 10%. Der negative Kapitalwert von Anlage B bedeutet hingegen, dass diese weniger als 10% Rendite erwirtschaftet und daher auf keinen Fall realisiert werden sollte. Da Anlage C einen höheren Kapitalwert als Anlage A aufweist, sollte sich das Unternehmen für diese Investitionsalternative entscheiden. Die Kapitalwertmethode ist eine theoretisch korrekte Vorgehensweise zur Beurteilung von Investitionen. Durch die Diskontierung werden die Zeitpunkte, zu denen die Zahlungen anfallen, exakt berücksichtigt. Nicht nur die laufenden Zahlungen während der Laufzeit der Investition, sondern auch die Nutzungsdauer T und ein eventuell vorhandener Restwert, der eine Einzahlung in der letzten Periode darstellt, gehen in die Rechnung ein. Mit dem Kalkulationszinssatz ist ein einheitlicher Maßstab vorhanden, anhand dessen sämtliche Investitionsprojekte in einem Unternehmen beurteilt werden können.
3.2 Investition
147
Diesen offensichtlichen Vorteilen der Kapitalwertmethode stehen als Nachteile der relativ hohe Informationsbedarf und der Rechenaufwand gegenüber, so dass sie in der Praxis teilweise noch heute abgelehnt wird. Während Großunternehmen bereits in großem Umfang Investitionen mithilfe von dynamischen Verfahren beurteilen, greifen mittelständische Unternehmen häufig bevorzugt auf die einfacheren statischen Investitionsrechnungsverfahren zurück. Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass der Kapitalwert als Ergebnisgröße wenig anschaulich ist. Darüber hinaus unterstellt das Verfahren durch die Konzentration auf die Rendite als alleiniges Entscheidungskriterium einen risikoneutralen Investor. 2. Interner Zinsfuß Der interne Zinsfuß einer Zahlungsreihe ist definiert als der Zinssatz i0 , bei dem der Kapitalwert der Zahlungsreihe den Wert Null annimmt. Er lässt sich analytisch als Nullstelle der Kapitalwertfunktion bestimmen und als Rendite der Investitionsalternative interpretieren. C0 (i ) =
T
!
∑ (et − at ) ⋅ (1 + i )− t = 0
t =0
Eine Investition wird als vorteilhaft angesehen, wenn ihr interner Zinsfuß über einer vom Unternehmen vorgegebenen Mindestrendite liegt. Ist eine Auswahl aus mehreren Investitionsalternativen vorzunehmen, so wird derjenigen mit dem höchsten internen Zinsfuß der Vorzug gegeben. Für die Zahlungsreihen des Beispiels aus Tab. 3.2 ist ein Polynom vierten Grades zu lösen. Mithilfe einer numerischen Näherung erhält man die folgenden internen Zinsfüße für die drei zur Auswahl stehenden Anlagen: i0A ≈ 10,17% i0B ≈ 7,71% i0C ≈ 15,13%
Da Anlage C den höchsten internen Zinsfuß aufweist, sollte in diese investiert werden. Weiter zeigen die Ergebnisse, dass der interne Zinsfuß von Anlage B, deren Kapitalwert negativ war, tatsächlich nicht die bei der Kapitalwertrechnung zugrunde gelegte Mindestverzinsung von 10% erreicht, und dass der interne Zinsfuß von Anlage A, deren Kapitalwert kaum über Null lag, nahe an 10% liegt. Die Methode des internen Zinsfußes ist wesentlich anschaulicher als die Kapitalwertmethode, da sie mit der Rendite einer Investition eine Größe liefert, die für jeden Entscheidungsträger verständlich ist und einen einfachen Vergleich mit anderen Investitionsalternativen ermöglicht. Ein weiterer Vorteil ist, dass der Vergleichszinssatz nicht von vornherein vorgegeben werden muss, sondern erst bei Vorliegen des internen Zinsfußes zu entscheiden ist, ob diese Rendite als ausreichend angesehen wird. Die Praxis gibt daher – wenn sie dynamische
148
3 Die Finanzwirtschaft
Investitionsrechenverfahren anwendet – häufig der Methode des internen Zinsfußes den Vorzug gegenüber der Kapitalwertmethode. Allerdings stößt die Methode des internen Zinsfußes auf einige Kritikpunkte: Ein eher formaler Einwand ist, dass die Auflösung derartiger Polynome auf numerische Probleme stößt. Diese lassen sich zwar durch den Einsatz von Näherungsverfahren vermeiden, jedoch sind die erhaltenen Nullstellen oft nicht eindeutig. Lediglich bei einer so genannten Normalinvestition, bei der die Auszahlungen am Anfang der Zahlungsreihe liegen und später nur Einzahlungsüberschüsse auftreten, ist eine eindeutige Lösung garantiert. Gravierender ist der folgende theoretische Einwand: Bei der Bestimmung des internen Zinsfußes wird implizit unterstellt, dass die in den einzelnen Perioden freigesetzten Beträge jeweils bis zum Ende der Nutzungsdauer des Investitionsobjekts zum internen Zinsfuß angelegt werden können (Wiederanlageprämisse). Dies ist jedoch nicht realistisch, wenn der Vergleichszinssatz die beste dem Unternehmen im Entscheidungszeitpunkt verfügbare Investitionsmöglichkeit widerspiegelt, so dass die sich tatsächlich ergebende Rendite unterhalb des internen Zinsfußes liegt. Aus der Wiederanlageprämisse lässt sich ein weiteres Problem ableiten: Die Entscheidung anhand des internen Zinsfußes kann im Widerspruch zum Ergebnis der Kapitalwertmethode stehen. In Abb. 3.5 sind die Kapitalwertkurven, die die Höhe des Kapitalwerts in Abhängigkeit vom Kalkulationszinssatz angeben, für die drei Investitionsprojekte dargestellt. Wie man sieht, liegt die Kurve von Anlage A für geringe Zinssätze oberhalb der Kurve von Anlage C, d.h. Anlage A wird in diesem Bereich als vorteilhaft angesehen, da sie den höheren Kapitalwert aufweist. Bei einem Zinssatz von ungefähr 4% schneiden sich die Kurven und für höhere Zinssätze ist Anlage C vorteilhaft. Der interne Zinsfuß der drei Investitionsalternativen lässt sich in diesem Diagramm als Schnittpunkt mit der Abszisse ablesen.
600 400 200 0
0,02
0,04
0,06
-200 -400 -600 -800 Abb. 3.5 Kapitalwertkurven
0,08
0,1
0,12
0,14
0,16
0,18
0,2
Anlage C Anlage A Anlage B
3.2 Investition
149
Die Methode des internen Zinsfußes ist somit sowohl theoretisch als auch im praktischen Einsatz als unbefriedigend anzusehen. 3. Annuitätenmethode Unter einer Annuität versteht man eine jährlich anfallende, gleich hohe Zahlung. Die Annuität A zur Zahlungsreihe einer Investition erhält man, indem man den Kapitalwert so umformt, dass sich eine konstante, äquidistante Zahlungsreihe ergibt. Dafür wird der Kapitalwert mit dem Wiedergewinnungsfaktor w multipliziert, der sich über die mit der Zahlungsreihe verbundene endliche geometrische Reihe ermitteln lässt: A = C0 ⋅ w = C0 ⋅
(1 + i )T ⋅ i (1 + i )T − 1
Umgekehrt lässt sich der Kapitalwert einer Annuität berechnen, indem man diese mit dem Kehrwert des Wiedergewinnungsfaktors, dem Rentenbarwertfaktor, multipliziert: C0 = A⋅
1 (1 + i )T − 1 = w (1 + i )T ⋅ i
Da die Annuität einer Investition aus ihrem Kapitalwert abgeleitet wird, lautet das Entscheidungskriterium: Bei einer positiven Annuität ist die Investition vorteilhaft, bei einer negativen Annuität wird sie nicht durchgeführt. Für die zuvor angegebenen Beispiele lauten die Annuitäten: A A = 7,78 ⋅
1,14 ⋅ 0,1 1,14 − 1
A B = −122,60 ⋅
AC = 129,87 ⋅
= 2,45 €
1,14 ⋅ 0,1 1,14 − 1
1,14 ⋅ 0,1 1,14 − 1
= −38,68 €
= 40,97 €
Der Kapitalwert von Anlage C in Höhe von 129,87 € entspricht somit einer jährlichen Zahlung von 40,97 € während der vierjährigen Nutzungszeit der Investition. Der große Vorteil der Annuitätenmethode besteht darin, dass eine jährliche Zahlung anschaulicher ist als der Kapitalwert. Im Übrigen lässt sich die bereits bei der Kapitalwertmethode genannte Beurteilung übertragen. 4. Dynamische Amortisationsrechnung Die Vorgehensweise der dynamischen Amortisationsrechnung ähnelt ihrer in Abschnitt 3.2.2 vorgestellten statischen Variante. Es wird der Zeitpunkt bestimmt, zu dem die Anschaffungs-
150
3 Die Finanzwirtschaft
auszahlung einer Investition in Form von – nunmehr diskontierten – Einzahlungsüberschüssen in das Unternehmen zurückgeflossen ist. Dieser entspricht der Periode t , in der ihr Kapitalwert erstmals nicht-negativ wird: t −1
∑ (et − at ) ⋅ (1 + i )− t < 0
t
∑ (et − at ) ⋅ (1 + i )− t ≥ 0
und
t =0
t =0
Im Vergleich mit der statischen Variante liegt der dynamische Amortisationszeitpunkt bei gleicher Zahlungsreihe tendenziell weiter hinten, da durch die Diskontierung die späteren Einzahlungsüberschüsse weniger stark gewichtet werden. In unserem Beispiel amortisiert sich Anlage A erst in der vierten Periode, Anlage B gar nicht, denn der Kapitalwert bleibt bis zum Ende der Nutzungsdauer negativ, und Anlage C in der dritten Periode. Damit sind in diesem Fall die Ergebnisse weitgehend identisch mit den bei der statischen Amortisationsrechnung erzielten. Für Anlage C gilt: 2
∑ (et − at ) ⋅ (1,1)−t = −235,54 €
3
und
t =0
∑ (et − at ) ⋅ (1,1)−t = 27,42 €
t =0
Das beschriebene Vorgehen zur Bestimmung der Amortisationsdauer führt allerdings nur dann zu einem korrekten Ergebnis, wenn es sich um eine Normalinvestition handelt, d.h. wenn auf Auszahlungsüberschüsse in den ersten Perioden ab einem bestimmten Zeitpunkt ausschließlich Einzahlungsüberschüsse folgen. Wie bei der statischen Variante gilt auch hier, dass Projekte, deren Einzahlungen erst nach einer Anlaufphase anfallen, tendenziell schlechter abschneiden als solche, die bereits zu Beginn ihrer Nutzung hohe Einzahlungsüberschüsse aufweisen. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die dynamischen Verfahren der Investitionsrechnung korrekte Lösungen liefern, da sie die zeitliche Verteilung der Zahlungen angemessen berücksichtigen und auch in der Lage sind, sonstige Einflussgrößen auf die Rentabilität eines Investitionsprojekts, wie die Nutzungsdauer oder den Resterlös einer Anlage, zu erfassen. Problematisch ist allerdings, dass sie von sicheren Erwartungen hinsichtlich der Höhe und der Zeitpunkte der Zahlungen ausgehen. Die häufig geäußerten Kritikpunkte, dass ihr Informationsbedarf und der erforderliche Rechenaufwand zu hoch seien, sollten bei der heutigen DV-Ausstattung der Unternehmen nicht mehr ins Gewicht fallen.
3.2.4
Investitionsprogramme
Die in den vorhergehenden Abschnitten behandelten Verfahren der Investitionsrechnung sind lediglich in der Lage, die Vorteilhaftigkeit eines einzelnen Investitionsprojekts zu beurteilen oder eine Auswahl zwischen konkurrierenden Investitionsalternativen zu treffen. Darüber hinaus muss ein Unternehmen sein Investitionsprogramm bestimmen, d.h. eine Aufteilung der üblicherweise begrenzten, ihm zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel auf unterschiedliche Investitionsprojekte vornehmen. Dabei ist zu entscheiden, welche der in einem
3.2 Investition
151
Zeitpunkt durchführbaren Projekte, die bei isolierter Betrachtung jeweils vorteilhaft sind, in welchem Umfang realisiert werden sollen. Diese Entscheidung hängt von den Finanzierungsmöglichkeiten ab, die dem Unternehmen im Entscheidungszeitpunkt zur Verfügung stehen. Normalerweise verfügt ein Unternehmen über mehrere Kapitalquellen, die ihm finanzielle Mittel zu unterschiedlichen Zinssätzen zur Verfügung stellen (vgl. die Möglichkeiten der Kreditfinanzierung in Abschnitt 3.3.1). So wird unter anderem ein langfristiger Betriebsmittelkredit mit einem relativ geringen Zinssatz in Anspruch genommen, für die Kreditlinie auf dem Girokonto ist bereits ein höherer Zinssatz zu zahlen, und für die Überschreitung dieses Kreditrahmens wird zusätzlich eine Überziehungsprovision berechnet. Einem Unternehmen stehen sechs unterschiedliche Finanzierungsmöglichkeiten A bis F mit Zinssätzen zwischen 8% und 36% und unterschiedlichem Mittelvolumen zur Verfügung. Zum Entscheidungszeitpunkt liegen neun unterschiedliche Investitionsprojekte mit unterschiedlichem Mittelbedarf vor, deren Renditen zwischen 4% und 32% liegen. Ordnet man die verfügbaren Finanzierungsmöglichkeiten nach steigendem Zinssatz an und trägt sie entsprechend ihrem Umfang in ein Diagramm ein, so erhält man die in Abb. 3.6 dargestellte Kapitalangebotskurve. Entsprechend werden die realisierbaren Investitionsprojekte nach fallenden Renditen angeordnet und mit ihrem Kapitalbedarf eingetragen, dies ergibt die Kapitalnachfragekurve. Das optimale Investitionsprogramm ergibt sich als Schnittpunkt von Kapitalangebots- und Kapitalnachfragekurve. Gleichzeitig kann man das optimale Investitionsvolumen und den kritischen Zinssatz, den die Investitionsprojekte mindestens aufweisen müssen, um durchgeführt zu werden, ablesen.
Zins Kapitalangebot
40%
F
1 30%
2
3
E 4
20% B
10%
D
5 C
6
7
8 Kapitalnachfrage
A
9
Betrag [T €] 50
100
150 200
250
300 350
400
Abb. 3.6 Kapitalangebot und Kapitalnachfrage
Bei dem Beispiel in Abb. 3.6 werden die Investitionsprojekte 1 bis 5 realisiert und dafür die Kredite A und B vollständig sowie der Kredit C teilweise in Anspruch genommen. Bei den Investitionsprojekten 6 bis 9 reicht ihre Rendite nicht aus, um die Kapitalkosten, die bei den
152
3 Die Finanzwirtschaft
noch nicht ausgeschöpften Krediten C bis F entstehen, zu erwirtschaften. Daher werden sie in dieser Situation nicht durchgeführt. Das optimale Investitionsprogramm weist ein Volumen von 200.000 € auf. Der kritische Zinssatz, bis zu dem die Investitionsprojekte durchgeführt werden, beträgt 18%.
3.2.5
Nutzungsdauer
Eine weitere Entscheidung im Investitionsbereich ist die Bestimmung der optimalen Nutzungsdauer bzw. des optimalen Ersatzzeitpunkts einer Anlage. Bei den zuvor behandelten Verfahren der Investitionsrechnung wurde davon ausgegangen, dass die Nutzungsdauer im Voraus bekannt ist. Vielfach wird für derartige Berechnungen die Abschreibungsdauer oder die erwartete technische Nutzungsdauer zugrunde gelegt. Die tatsächliche Nutzungsdauer wird wesentlich durch wirtschaftliche Erwägungen bestimmt. Auch wenn sich die technische Nutzungsdauer einer Anlage durch Reparaturen fast beliebig verlängern lässt, ist es ab einem bestimmten Zeitpunkt kostengünstiger, die Anlage stillzulegen und durch einen – meist technisch verbesserten – Nachfolger zu ersetzen. Auch andere Einflüsse, z.B. eine Veränderung der Kundenanforderungen oder zusätzliche Umweltschutzvorschriften, können zur Stilllegung einer Anlage vor Ablauf ihrer technischen Nutzungsdauer führen. Im Folgenden wird zur Vereinfachung davon ausgegangen, dass die Ersatzinvestition in eine identische Anlage erfolgt. Tab. 3.4 Beispiel zur optimalen Nutzungsdauer Periode 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
Einzahlung 0€ 50.000 € 48.000 € 46.000 € 44.000 € 41.000 € 38.000 € 35.000 € 31.000 € 26.000 € 20.000 €
Auszahlung 100.000 € 8.000 € 8.000 € 9.000 € 9.000 € 10.000 € 11.000 € 12.000 € 13.000 € 15.000 € 17.000 €
Restwert 100.000 € 90.000 € 80.000 € 70.000 € 60.000 € 50.000 € 40.000 € 30.000 € 20.000 € 10.000 € 0€
Die optimale Nutzungsdauer hängt weiter davon ab, was nach der Stilllegung der Anlage geschieht: Je weiter ihr (auch mehrmaliger) Ersatz in die Zukunft hinein geplant wird, desto kürzer ist die Nutzungsdauer der betrachteten Anlage. Die Bestimmung der optimalen Nutzungsdauer wird zunächst für den Fall einer einmaligen Investition dargestellt, dann für den einmaligen, wiederholten und unendlichen Ersatz. Zur Veranschaulichung wird das in Tab. 3.4 angegebene Beispiel mit einer geschätzten technischen Nutzungsdauer von 10 Jahren herangezogen. Die der Anlage zugerechneten Einzahlungen sind die laufenden Erlöse aus dem Verkauf der hergestellten Produkte, die laufenden Auszahlungen fallen vor allem für
3.2 Investition
153
Wartung und Reparaturen an und steigen tendenziell mit dem Alter der Anlage an. Als Kalkulationszinssatz werden 10% zugrunde gelegt. 1. Ohne Ersatz Wenn kein Ersatz durch eine weitere Anlage geplant wird, ist es sinnvoll, die vorhandene Anlage so lange zu nutzen, wie sie positive Einzahlungsüberschüsse erwirtschaftet. Normalerweise sinken die Einzahlungsüberschüsse im Zeitablauf, da die Betriebs- und Wartungskosten tendenziell ansteigen, während die Erlöse aufgrund einer abnehmenden Leistungsfähigkeit der Anlage und eventuell sinkender Nachfrage nach den auf ihr erzeugten Produkten zurückgehen. Weiter ist zu berücksichtigen, dass sich beim Verkauf der alten Anlage ein Resterlös R erzielen lässt, der umso geringer ausfällt, je älter die Anlage ist. Daher müssen die Erlöse einer Periode nicht nur die laufenden Kosten abdecken, sondern auch die Verringerung des Restwerts und die darauf entfallenden Zinsen berücksichtigen. Der Kapitalwert einer Anlage in Abhängigkeit von ihrer Nutzungsdauer T beträgt: C0 (T ) =
T
∑ (et − at ) ⋅ (1 + i )− t + R(T ) ⋅ (1 + i )−T
(*)
t =0
Die optimale Nutzungsdauer T 0 ist die Periode, in der der Kapitalwert erstmals nicht mehr zunimmt:
(
)
( )
C0 T 0 − 1 < C0 T 0
und
( )
(
)
C0 T 0 ≥ C0 T 0 + 1
Bei dem in Tab. 3.4 angegebenen Beispiel beträgt die wirtschaftlich optimale Nutzungsdauer acht Jahre, da der nach Formel (*) berechnete Kapitalwert von der achten zur neunten Periode erstmals fällt: C0 (1) = 20.000 € C0 (2) = 37.355 € C0 (3) = 51.630 € C0 (4 ) = 63.925 € C0 (5) = 73.238 € C0 (6 ) = 80.012 € C0 (7 ) = 84.631 € C0 (8) = 86.963 € C0 (9) = 86.539 €
154
3 Die Finanzwirtschaft
Zum gleichen Ergebnis kommt man, wenn man die Periode sucht, in der der Einzahlungsüberschuss zum letzten Mal ausreicht, um die Verringerung des Restwerts und die Verzinsung des Restwerts der Vorperiode abzudecken: e
T0
−a
T0
(T
> R
und e
T 0 +1
−a
T 0 +1
0
−1
(T
< R
−R
T0
0
−R
)+ i ⋅ RT
T 0 +1
0
−1
)+ i ⋅ RT
0
Für das achte Jahr gilt: 31.000 − 13.000 = 18.000 > 10.000 + 0,1 ⋅ 30.000 = 13.000
Im neunten Jahr hingegen gilt: 26.000 − 15.000 = 11.000 < 10.000 + 0,1 ⋅ 20.000 = 12.000
2. Einmaliger Ersatz Wenn die Anlage durch einen identischen Nachfolger ersetzt werden soll, lässt sich ihre optimale Nutzungsdauer nicht mehr isoliert bestimmen. Je früher der Ersatz vorgenommen wird, desto eher steigen die Einzahlungsüberschüsse wieder an, da die laufenden Kosten der neuen Anlage geringer sind als die der alten. Andererseits wird durch den vorzeitigen Ersatz der alten Anlage die Gesamtnutzungsdauer beider Anlagen verkürzt. Da für die zweite Anlage kein Ersatz geplant ist, beträgt ihre optimale Nutzungsdauer im Beispiel – wie zuvor bestimmt – acht Jahre und ihr Kapitalwert 86.963 €. Die optimale Nutzungsdauer der ersten Anlage lässt sich nun analog zur vorherigen Argumentation dadurch bestimmen, dass die Periode T10 gesucht wird, in der der Einzahlungsüberschuss der Anlage erstmals nicht mehr ausreicht, um die Verringerung des Restwerts der ersten Anlage, die Verzinsung des Restwerts der ersten Anlage und die Verzinsung des Kapitalwerts der zweiten Anlage abzudecken. Um die Berechnungen konsistent zu halten, wird die als letztes angeschaffte Anlage mit dem Index 1 bezeichnet und die zuvor eingesetzte Anlage mit dem Index 2. e
T20
( )
> ⎛⎜ R 0 − R 0 ⎞⎟ + i ⋅ R 0 + i ⋅ C1 T10 T2 ⎠ T2 −1 ⎝ T2 −1
−a
T20
und e
T20 +1
−a
T20 +1
( )
⎛ ⎞ < ⎜ R 0 − R 0 ⎟ + i ⋅ R 0 + i ⋅ C1 T10 T2 +1 ⎠ T2 ⎝ T2
Für das oben eingeführte Beispiel ist diese Bedingung im siebten Jahr erstmals erfüllt. Im siebten Jahr gilt: 35.000 − 12.000 = 23.000 > 10.000 + 0,1 ⋅ 40.000 + 0,1 ⋅ 86.963 = 22.696
Für das achte Jahr hingegen gilt: 31.000 − 13.000 = 18.000 < 10.000 + 0,1 ⋅ 30.000 + 0,1 ⋅ 86.963 = 21.696
3.2 Investition
155
Der optimale Ersatzzeitpunkt für die erste Anlage liegt somit bereits am Ende des siebten Jahres. Der gesamte Kapitalwert dieser aus zwei Gliedern bestehenden Investitionskette ergibt sich als Summe aus dem Kapitalwert der zuerst genutzten Anlage und dem abgezinsten Kapitalwert der später angeschafften Anlage. Er beträgt: C0 (T2 , T1 ) = C 2 (T2 ) + (1 + i )−T2 ⋅ C1 (T1 ) = 84.631 + 1,1−7 ⋅ 86.963 = 129.257 €
3. Wiederholter Ersatz Diese Ergebnisse lassen sich auf den Fall einer wiederholten identischen Ersatzinvestition verallgemeinern. Ausgehend vom Ersatzpunkt der letzten Anlage werden sukzessiv die jeweiligen Ersatzzeitpunkte ihrer Vorgänger bestimmt. Dabei setzt sich die oben festgestellte Tendenz fort, dass der Ersatzzeitpunkt einer Anlage umso früher liegt, je mehr Nachfolger sie aufweist. Für die optimale Nutzungsdauer Tn0 des n-ten Glieds einer endlichen Investitionskette muss folgende Bedingung erfüllt sein: e
Tn0
−a
Tn0
( )
> ⎛⎜ R 0 − R 0 ⎞⎟ + i ⋅ R 0 + i ⋅ C n −1 Tn0−1 Tn ⎠ Tn −1 ⎝ Tn −1
und e
Tn0+1
−a
Tn0+1
( )
< ⎛⎜ R 0 − R 0 ⎞⎟ + i ⋅ R 0 + i ⋅ C n −1 Tn0−1 Tn +1 ⎠ Tn ⎝ Tn
Betrachtet man für das oben eingeführte Beispiel eine dreigliedrige Investitionskette, so beträgt die optimale Nutzungsdauer der ersten Anlage nunmehr nur noch fünf Jahre. Im fünften Jahr gilt:
41.000 − 10.000 = 31.000 > 10.000 + 0,1 ⋅ 60.000 + 0,1 ⋅ 129.257 = 28.926 Für das sechste Jahr hingegen ergibt sich: 38.000 − 11.000 = 27.000 < 10.000 + 0,1 ⋅ 50.000 + 0,1 ⋅ 129.257 = 27.926
Der Kapitalwert einer endlichen Investitionskette lässt sich rekursiv aus den Kapitalwerten der einzelnen Anlagen berechnen: C0 (Tn , Tn −1 ) = C n (Tn ) + (1 + i )−Tn ⋅ C n −1 (Tn −1 , Tn − 2 )
Der Kapitalwert einer dreigliedrigen Investitionskette zu dem oben eingeführten Beispiel beträgt demnach: C0 (T3 , T2 ) = C3 (T3 ) + (1 + i )−T3 ⋅ C 2 (T2 , T1 )
= 73.238 + 1,1−5 ⋅ 129.257 = 153.496 €
156
3 Die Finanzwirtschaft
4. Unendlicher Ersatz Mit jeder Verlängerung der Investitionskette nimmt der Kapitalwert zu und die optimale Nutzungsdauer der ersten Anlage tendenziell ab. Für den theoretischen Grenzfall einer unendlichen Investitionskette, bei der die Anlage immer wieder durch einen identischen Nachfolger ersetzt wird, konvergiert der Kapitalwert gegen den folgenden Grenzwert, wobei T 0 die optimale Nutzungsdauer der zuerst genutzten Anlage angibt: C
∞
(
0
= C0 T
0
T )⋅ (1 + Ti )0 (1 + i ) − 1
Im vorliegenden Beispiel verkürzt sich die Nutzungsdauer der zuerst eingesetzten Anlage bei einer viergliedrigen Investitionskette auf vier Jahre, bei einer siebengliedrigen Investitionskette sinkt sie auf drei Jahre, bei einer achtgliedrigen Investitionskette beträgt sie nur noch zwei Jahre, und ab einer 16-gliedrigen Investitionskette beträgt sie ein Jahr. Der Kapitalwert konvergiert gegen den folgenden Grenzwert: C ∞ = C1 ⋅
(1 + 0,1)1 = 20.000 ⋅ 1,1 = 220.000 € 0,1 (1 + 0,1)1 − 1
Da in der Realität eine Anlage in der Regel nicht durch einen identischen, sondern durch einen technisch verbesserten Nachfolger ersetzt wird und auch andere Werte, die bei den vorgehenden Betrachtungen als konstant angenommen wurden, sich im Zeitablauf ändern, lassen sich diese Ergebnisse nicht direkt anwenden, sondern zeigen lediglich die Struktur des Ersatzproblems und seine wesentlichen Einflussgrößen auf.
3.3
Finanzierung
Aufgabe der Finanzierung ist die Beschaffung und termingerechte Bereitstellung der für den betrieblichen Umsatzprozess sowie für die Durchführung von Investitionen benötigten finanziellen Mittel. In mancher Hinsicht weist die Finanzierung Parallelen zur Investition auf (vgl. nochmals die Definition am Anfang von Abschnitt 3.2): Während eine Investitionsmaßnahme mit einer Auszahlung beginnt und spätere Einzahlungen aufweist, lässt sich eine Finanzierungsmaßnahme als Zahlungsstrom abbilden, der mit einer Einzahlung beginnt und nachfolgende Auszahlungen aufweist. Die Investition entspricht der Kapitalverwendung bzw. der Sachform des Kapitals und wird auf der Aktivseite der Bilanz ausgewiesen. Die Finanzierungsquellen eines Unternehmens hingegen werden auf der Passivseite der Bilanz ausgewiesen, daher bezeichnet man die Finanzierung auch als Kapitalherkunft bzw. als die Geldform des Kapitals. Abb. 3.7 zeigt den Zusammenhang von Investition und Finanzierung anhand ihrer Abbildung in der Bilanz auf (zur Bilanzdarstellung vgl. Abschnitt 4.2).
3.3 Finanzierung Aktiva
157 Bilanz
Passiva
Anlagevermögen
Eigenkapital
Umlaufvermögen
Fremdkapital
Investition
Finanzierung
Abb. 3.7 Zusammenhang von Investition und Finanzierung
Da eine Bilanz immer ausgeglichen sein muss, entspricht die Summe der Aktiva der Summe der Passiva, d.h. Investitionen in das Anlage- oder Umlaufvermögen sind genau in dem Umfang möglich, in dem dem Unternehmen finanzielle Mittel in Form von Eigen- oder Fremdkapital zur Verfügung gestellt werden. Tendenziell gilt der Grundsatz, dass das Anlagevermögen durch Eigenkapital und langfristiges Fremdkapital finanziert werden soll (Goldene Bilanzregel). Daher ist bei der Finanzierung grundsätzlich auf die Fristenkongruenz zu achten, d.h. dass langfristige Investitionen durch langfristige Kredite finanziert werden, damit das Unternehmen bei Fälligkeit eines kurzfristigen Kredits nicht eine Maschine verkaufen muss oder in Liquiditätsschwierigkeiten gerät. Zur Deckung seines Mittelbedarfs stehen einem Unternehmen unterschiedliche Finanzierungsformen zur Verfügung, aus denen es eine adäquate Auswahl treffen muss. Finanzierungsmaßnahmen lassen sich zum einen nach der Fristigkeit der Kapitalbereitstellung klassifizieren: • Zur kurzfristigen Finanzierung zählen alle Mittel, die dem Unternehmen für weniger als ein Jahr zur Verfügung gestellt werden. • Mittelfristige Finanzierungsmaßnahmen weisen eine Laufzeit zwischen einem Jahr und vier Jahren auf. • Als langfristig werden Kapitaldispositionen bezeichnet, die über einen Zeitraum von mehr als vier Jahren erfolgen. Weiter ist eine Unterscheidung hinsichtlich der Quellen möglich, aus denen das Kapital stammt: • Bei der Außenfinanzierung werden dem Unternehmen finanzielle Mittel von Dritten zugeführt. • Bei der Innenfinanzierung hingegen werden im Unternehmen selbst erwirtschaftete Einzahlungsüberschüsse einbehalten und für Finanzierungszwecke genutzt.
158
3 Die Finanzwirtschaft
Schließlich lassen sich die bereitgestellten Mittel nach der Rechtsstellung des Kapitalgebers unterscheiden: • Fremdkapital sind finanzielle Mittel, die dem Unternehmen von Außenstehenden befristet zur Verfügung gestellt werden. Die Kreditgeber erhalten Zinsen als Entgelt für die Kapitalüberlassung und haben einen Anspruch auf Rückzahlung ihres Kapitals zu den vereinbarten Terminen. • Als Eigenkapital bezeichnet man finanzielle Mittel, die dem Unternehmen von seinen Eigentümern unbefristet zur Verfügung gestellt werden. Diese erhalten kein fest vereinbartes Entgelt, sondern eine vom jeweiligen Erfolg abhängige Beteiligung am Gewinn des Unternehmens. Weiter tragen die Eigenkapitalgeber das volle Risiko der unternehmerischen Betätigung. Diese Finanzierungsformen können wie folgt miteinander kombiniert werden: Wird dem Unternehmen Kapital von außen durch Fremdkapitalgeber zugeführt, so spricht man von einer Kreditfinanzierung. Erfolgt die Kapitalzuführung hingegen durch Eigenkapitalgeber, liegt eine Beteiligungsfinanzierung vor. Die Innenfinanzierung mit Kapital, das externen Gläubigern zusteht, wird in Form der Finanzierung aus Rückstellungen oder aus Abschreibungen durchgeführt. Für eine Innenfinanzierung aus einbehaltenen Gewinnen, die nicht an die Eigentümer des Unternehmens ausgeschüttet werden, wird der Begriff der Selbstfinanzierung verwendet. Abb. 3.8 zeigt den Zusammenhang zwischen den genannten Finanzierungsformen auf.
Kapitalherkunft
Außenfinanzierung
Innenfinanzierung
Kreditfinanzierung
Finanzierung aus fremden Mitteln
Beteiligungsfinanzierung
Selbstfinanzierung
Rechtsstellung Fremdfinanzierung
Eigenfinanzierung
Abb. 3.8 Finanzierungsformen
In den nachfolgenden Abschnitten werden die wichtigsten der den einzelnen Finanzierungsformen zugeordneten Finanzierungsinstrumente näher dargestellt. Zunächst werden in Abschnitt 3.3.1 die unterschiedlichen Formen der Kreditfinanzierung behandelt. Abschnitt 3.3.2 befasst sich mit der Beteiligungsfinanzierung, deren Ausgestaltung stark von der Rechtsform des Unternehmens abhängig ist. Abschnitt 3.3.3 geht auf die Selbstfinanzierung als Innenfi-
3.3 Finanzierung
159
nanzierung mit Eigenkapital und Abschnitt 3.3.4 auf die Innenfinanzierung aus fremden Mitteln ein.
3.3.1
Kreditfinanzierung
3.3.1.1
Formen der Kreditfinanzierung
Bei der Kreditfinanzierung wird dem Unternehmen Fremdkapital von außen zugeführt. Die Grundform der Kreditfinanzierung ist das Darlehen. Das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) definiert ein Darlehen als ein Schuldverhältnis, bei dem ein Gläubiger einem Schuldner einen Geldbetrag für eine bestimmte Dauer überlässt und dafür einen Anspruch auf Zahlung der vereinbarten Zinsen sowie auf Rückzahlung des Darlehensbetrags bei Fälligkeit des Darlehens erhält. Entsprechend den Bedürfnissen der Wirtschaftspraxis sind vielfältige Kreditformen entwickelt worden, die sich insbesondere in Bezug auf die folgenden Kriterien unterscheiden: • Laufzeit – – – –
kurzfristige Kredite mittelfristige Kredite langfristige Kredite unbefristete Kredite
• Kreditgeber – Banken – andere Unternehmen – Kapitalsammelstellen – Kapitalmarkt – Anteilseigner – Lieferanten – Kunden – öffentliche Institutionen • Tilgung – – –
Tilgung in einer Summe am Ende der Laufzeit regelmäßige Tilgung während der Laufzeit variable Tilgung
• Verzinsung – –
fester Zinssatz variabler Zinssatz
160 –
3 Die Finanzwirtschaft unverzinsliche Kredite
Die Höhe des Zinssatzes eines Kredits hängt vor allem von dem damit verbundenen Risiko ab, das sich auf folgende Faktoren zurückführen lässt: • Laufzeit: Grundsätzlich gilt, dass für einen langfristigen Kredit ein höherer Zinssatz zu zahlen ist als für einen kurzfristigen. Dies liegt zum einen daran, dass der Kreditgeber länger auf seine liquiden Mittel verzichtet und das Risiko, dass er sein Geld nicht zurückerhält, mit der Laufzeit ansteigt (vgl. nochmals die Zielkonflikte zwischen den finanzwirtschaftlichen Zielen in Abschnitt 3.1.5). Zum anderen liegt das Zinsniveau auf dem Kapitalmarkt, auf dem das Kreditinstitut sich langfristig refinanzieren kann, in der Regel höher als auf dem Geldmarkt, auf dem kurzfristige Finanztitel gehandelt werden. • Absicherung: Zur Absicherung eines Kredits können vom Schuldner Sicherheiten gestellt werden, aus denen sich der Kreditgeber bei Eintritt der Zahlungsunfähigkeit befriedigen kann. Als Kreditsicherheiten kommen Bürgschaften und Garantien, die Abtretung von Forderungen, die Verpfändung von Wertpapieren, die Sicherungsübereignung von Maschinen, der Eigentumsvorbehalt auf Warenlieferungen sowie Grundpfandrechte in Betracht. Je wertstabiler und je leichter verwertbar eine Sicherheit ist, desto günstiger ist der Kreditzinssatz. Die geringsten Zinssätze werden üblicherweise für Hypothekenkredite verlangt, die höchsten Zinsen fallen für ungesicherte Kredite an. • Bonität des Schuldners: Die Bonität ist ein Maß für die Kreditwürdigkeit eines Unternehmens, von der die Ausfallwahrscheinlichkeit eines Kredits abhängt. Je geringer die Kreditgeber die Chance einschätzen, dass sie ihr Kapital zuzüglich der Zinsen wie vereinbart erhalten werden, desto höher ist der Zinssatz, den das Unternehmen für einen Kredit zahlen muss. Nach den Regelungen der Basler Eigenkapitalvorschriften (Basel IIRichtlinie) müssen Kreditinstitute einen bestimmten Prozentsatz jedes vergebenen Kredits mit Eigenkapital unterlegen. Da dieser Prozentsatz mit abnehmender Bonität eines Kunden steigt, geben die Banken ihre höheren Eigenkapitalkosten über den Kreditzinssatz an die Kunden weiter. Zur Ermittlung der Bonität eines Unternehmens wird ein Rating durchgeführt. Während bei einem internen Rating die Bank selbst eine Risikoeinstufung vornimmt, wird für ein externes Rating die Bewertung durch eine Rating-Agentur (z.B. Standard & Poors oder Moody’s) herangezogen. Als Ergebnis des Ratings wird das Unternehmen in eine Bonitätsklasse eingestuft, wobei AAA (triple A) für die höchste Bonität steht, während eine Einstufung in Klasse C oder D einem Alarmsignal nahe kommt. Neben die Einschätzung des Kreditrisikos tritt eine Beurteilung der operationellen Risiken aus der laufenden Geschäftstätigkeit des Unternehmens. In der Regel wird ein Unternehmen seinen Kreditbedarf nicht aus einer einzigen Finanzierungsquelle decken können, sondern eine seinen Bedürfnissen entsprechende Mischung aus den verschiedenen Kreditarten einsetzen. Dabei ist nicht nur darauf zu achten, dass die Kosten eines Kredits möglichst gering sind, sondern auch auf eine zum Kreditbedarf passende Laufzeit und ein zur Finanzierung der laufenden Geschäfte und der anstehenden Investitionen ausreichendes Kreditvolumen. Im Folgenden wird zunächst auf langfristige Kredite, anschließend auf kurzfristige Formen der Kreditfinanzierung und schließlich auf einige Son-
3.3 Finanzierung
161
derformen der Kreditfinanzierung eingegangen. Abb. 3.9 gibt einen Überblick über die hier behandelten Instrumente der Kreditfinanzierung.
Kreditfinanzierung
Langfristige Kredite
Kurzfristige Kredite
Bankdarlehen Schuldscheindarlehen Schuldverschreibungen Gesellschafterdarlehen
Sonderformen
Kontokorrentkredit
Leasing
Lieferantenkredit
Genussscheine
Factoring
Anzahlungen Wechselkredit
Öffentliche Kredite
Abb. 3.9 Kreditfinanzierung
3.3.1.2
Langfristige Kredite
Langfristige Kredite stehen dem Unternehmen für mehrere Jahre zur Verfügung und sind daher geeignet, dauerhaften Kapitalbedarf, z.B. für Investitionen in Fertigungsanlagen, zu befriedigen. 1. Bankdarlehen Eine typische Form der langfristigen Kreditfinanzierung, die vor allen von mittelständischen Unternehmen in Anspruch genommen wird, ist der Betriebsmittelkredit bei der Hausbank. Ein solches Darlehen wird in der Regel als festverzinslicher Kredit mit einer Laufzeit von bis zu 10 Jahren vereinbart. Während der Kreditlaufzeit leistet das Unternehmen regelmäßige Zins- und meist auch Tilgungszahlungen. Bei Fälligkeit kann das Darlehen verlängert werden, wobei eine Anpassung des Zinssatzes an die aktuelle Marktlage erfolgt. Zur Absicherung ihrer Forderung lässt sich die Bank als Kreditsicherheit häufig eine Grundschuld auf das Betriebsgrundstück eintragen. In Bezug auf die Tilgungsvereinbarungen unterscheidet man folgende Darlehensvarianten:
162
3 Die Finanzwirtschaft
• Bei einem Abzahlungsdarlehen erfolgt eine regelmäßige Tilgung des Kredits in gleich hohen Raten. Da sich durch jede Rückzahlung die Kreditsumme reduziert, fällt im Laufe der Zeit die Zinsbelastung, so dass die Zahlungsbeträge im Zeitablauf immer niedriger werden. • Bei einem Annuitätendarlehen wird ein fester regelmäßiger Zahlungsbetrag vereinbart, der sich aus den Zinsen auf die Restschuld und einem Tilgungsanteil zusammensetzt (zum Begriff der Annuität vgl. Abschnitt 3.2.3). Die aufgrund der teilweisen Tilgung des Kreditbetrags fallende Zinsbelastung führt hier nicht wie beim Abzahlungsdarlehen zu einer Reduktion der Rate, sondern zu einer entsprechend erhöhten Tilgung. Dadurch wird ein Annuitätendarlehen bei sonst gleichen Konditionen schneller getilgt als ein Abzahlungsdarlehen. • Bei einem endfälligen Darlehen werden während der gesamten Laufzeit lediglich die vereinbarten Zinsen gezahlt, die Rückzahlung erfolgt zum Fälligkeitstermin in einer Summe. In Tab. 3.5 sind die Raten, der Verlauf von Zins- und Tilgungszahlungen sowie die Entwicklung der Restschuld für die drei genannten Darlehensformen bei einem Kreditbetrag von 20.000 €, einer Laufzeit von 10 Jahren, einem Zinssatz von 8% und – soweit relevant – einer (anfänglichen) Tilgung von 2% angegeben. Zur Vereinfachung der Darstellung wird in dieser Darstellung von jährlichen Zahlungen ausgegangen; in der Praxis sind monatliche oder quartalsweise Zahlungen üblich. Man sieht deutlich, wie sich der Tilgungsanteil beim Annuitätendarlehen durch die ersparten Zinsen erhöht, nach Ablauf der 10 Jahre hat er bereits die doppelte Höhe erreicht. Würde man das Abzahlungs- und das Annuitätendarlehen weiterhin gleichmäßig bedienen, so wäre das Abzahlungsdarlehen aufgrund der konstanten Tilgung erst nach 50 Jahren getilgt, das Annuitätendarlehen aber bereits nach ca. 30 Jahren. Tab. 3.5 Zahlungspläne für Darlehen Jahr 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
Endfälliges Darlehen Schuld Zinsen Tilgung Rate
Abzahlungsdarlehen Schuld Zinsen Tilgung Rate
Annuitätendarlehen Schuld Zinsen Tilgung Rate
20.000 20.000 20.000 20.000 20.000 20.000 20.000 20.000 20.000 20.000
20.000 19.600 19.200 18.800 18.400 18.000 17.600 17.200 16.800 16.400
20.000 19.600 19.168 18.701 18.197 17.653 17.065 16.430 15.744 15.004
1.600 1.600 1.600 1.600 1.600 1.600 1.600 1.600 1.600 1.600
0 1.600 0 1.600 0 1.600 0 1.600 0 1.600 0 1.600 0 1.600 0 1.600 0 1.600 20.000 21.600
1.600 1.568 1.536 1.504 1.472 1.440 1.408 1.376 1.344 1.312
400 400 400 400 400 400 400 400 400 400
2.000 1.968 1.936 1.904 1.872 1.840 1.808 1.776 1.744 1.712
1.600 1.568 1.533 1.496 1.456 1.412 1.365 1.314 1.260 1.200
400 432 467 504 544 588 635 686 740 800
2.000 2.000 2.000 2.000 2.000 2.000 2.000 2.000 2.000 2.000
Häufig sind mit einem Darlehen neben den Zinsen noch weitere Kosten verbunden, z.B. Schätzkosten, Bearbeitungsgebühren, Kontoführungsgebühren usw. Werden die Raten nicht rechtzeitig gezahlt, so kommen Verzugszinsen hinzu.
3.3 Finanzierung
163
Eine weitere Ausgestaltungsmöglichkeit von Krediten ist die Vereinbarung eines Disagios, durch das sich die laufende Zinsbelastung und damit die zu zahlende Rate verringern lässt. Durch das Disagio reduziert sich die ausgezahlte Kreditsumme; Tilgung und Zinszahlung erfolgen jedoch auf den ursprünglichen Kreditbetrag. Um die tatsächlichen Kosten eines solchen Kredits beurteilen zu können, muss man unter Berücksichtigung aller dieser Einflussfaktoren aus der Zahlungsreihe des Kredits mit finanzmathematischen Methoden (vgl. Abschnitt 3.2.3) seine Effektivverzinsung ermitteln. Näherungsweise lässt sich die Effektivverzinsung wie folgt berechnen:
ieff =
D+B T 100 − D
inom +
Dabei bezeichnen ieff den Effektivzinssatz des Kredits, inom seinen Nominalzinssatz, T die Laufzeit, D das Disagio und B die von der Bank erhobene Bearbeitungsgebühr, die ebenfalls auf die Kreditlaufzeit verteilt werden muss. Der Effektivzins eines Kredits mit 8% Nominalzins, einer Laufzeit von 10 Jahren, 10% Disagio und einer Bearbeitungsgebühr von 2% beträgt somit näherungsweise: 10 + 2 10 ≈ 10,22% ieff = 100 − 10 8+
2. Schuldscheindarlehen Das Schuldscheindarlehen ist eine Sonderform des langfristigen Darlehens, die vor allem von Großunternehmen in Anspruch genommen wird. Darlehensgeber sind keine Kreditinstitute, sondern Kapitalsammelstellen, insbesondere Versicherungsunternehmen, Pensionskassen usw., die die bei ihnen eingehenden und nicht sofort benötigten Beträge langfristig anlegen wollen. Da diese Institutionen gewährleisten müssen, dass sie bei Bedarf ihre Zahlungsverpflichtungen erfüllen können, dürfen sie keine riskanten Geschäfte eingehen und müssen besonders hohe Anforderungen an die Bonität, d.h. die Kreditwürdigkeit, ihrer Kreditnehmer stellen. Schuldscheindarlehen werden in erster Linie an Industrieunternehmen vergeben, die zu den „ersten Adressen“ zählen, aber auch an die öffentliche Hand. Die Bezeichnung dieses Kredits ist darauf zurückzuführen, dass zusätzlich zum Kreditvertrag ein Schuldschein ausgestellt wird. Der Schuldschein ist eine Beweisurkunde, mit der der Darlehensgeber seine Ansprüche auf Zinsen und Tilgung geltend machen kann. Die Kreditsumme beträgt in der Regel mindestens 100.000 €, kann aber auch weit darüber liegen. Die Laufzeit von Schuldscheindarlehen kann 15 bis 20 Jahre betragen. Gegenüber den nachfolgend angesprochenen Schuldverschreibungen bieten Schuldscheindarlehen für den Kreditgeber den Vorteil, dass sie keinen Kursschwankungen unterliegen; für den Kreditnehmer bringen sie in der Regel geringere Kosten, geringere formale Anforderungen und eine einfachere Abwicklung mit sich.
164
3 Die Finanzwirtschaft
3. Schuldverschreibungen Wenn ein Unternehmen sehr große Beträge, die die Finanzierungsmöglichkeiten eines einzelnen Kreditgebers übersteigen, über eine lange Laufzeit benötigt, so kann es diese in Form von Schuldverschreibungen bzw. Industrieobligationen (Corporate Bonds) am Kapitalmarkt aufnehmen. Eine Schuldverschreibung ist ein Wertpapier, in dem der Schuldner dem Inhaber die Zahlung von Zinsen und die Rückzahlung des Kreditbetrags zu einem bestimmten Termin verspricht und das an der Börse gehandelt werden kann. Der Kreditbetrag wird in viele kleine Teilbeträge aufgespalten (Teilschuldverschreibungen), so dass sich der einzelne Gläubiger von seinen Papieren jederzeit durch Verkauf an der Börse trennen kann, ohne dass der Bestand des Kredits dadurch beeinträchtigt wird. Der Kurs, zu dem eine Schuldverschreibung gehandelt wird, hängt von der allgemeinen Entwicklung am Kapitalmarkt ab. Steigt das Zinsniveau, so fallen die Kurse von festverzinslichen Wertpapieren umso stärker, je niedriger ihr Nominalzins und je länger ihre Restlaufzeit ist. Umgekehrt steigen die Kurse bei fallendem Zinsniveau an. Die Effektivverzinsung einer Schuldverschreibung lässt sich näherungsweise mit der bereits bei dem Bankdarlehen angegebenen Formel berechnen, wobei anstelle eines Disagios ein Agio auftritt, wenn der Kurs über 100% liegt. So beträgt die Effektivverzinsung einer Schuldverschreibung mit einer Restlaufzeit von 2,5 Jahren und einem Nominalzins von 4,75%, die zu einem Kurs von 102% erworben wird, unter Berücksichtigung von 0,5% Bankprovision näherungsweise: −2 + 0,5 2,5 ≈ 4,069% 102
4,75 + ieff =
Die Laufzeit von Schuldverschreibungen liegt üblicherweise bei 10 bis 20 Jahren. Der Nominalzinssatz, den das Unternehmen regelmäßig zahlt, orientiert sich an dem zum Emissionszeitpunkt herrschenden Zinsniveau. Er hängt weiter von der Bonität des emittierenden Unternehmens ab: Je unsicherer die mittel- bis langfristige Zahlungsfähigkeit des Unternehmens vom Markt bzw. von auf derartige Beurteilungen spezialisierten Rating-Agenturen eingeschätzt wird, desto höhere Zinsen muss das Unternehmen seinen Gläubigern anbieten. Als sehr sicher eingeschätzte Unternehmen können sich zu ähnlichen Konditionen wie der Staat finanzieren. Die Zinszahlungen erfolgen meist jährlich, aber auch halbjährliche oder quartalsweise Zinstermine treten auf. Eine Sonderform der Schuldverschreibung sind Zero-Bonds, bei denen keine regelmäßigen Zinszahlungen erfolgen, sondern der Emissionsbetrag dem über die Laufzeit abgezinsten Nominalbetrag entspricht. Die Tilgung einer Schuldverschreibung erfolgt entweder in einer Summe am Ende der Laufzeit oder in gleichmäßigen Raten während der Laufzeit, wobei die Papiere, die zu einem bestimmten Zeitpunkt jeweils zurückgezahlt werden sollen, durch Auslosung ermittelt werden müssen. Die Tilgungsmodalitäten müssen bei der Ausgabe der Schuldverschreibung bekannt gegeben werden. Falls das Zinsniveau unter den Ausgabezins sinkt, ist es für das Unternehmen vorteilhaft, seine Schuldverschreibungen selbst über die Börse zurückzukaufen.
3.3 Finanzierung
165
Aufgrund der strengen Formvorschriften bei der Börseneinführung ist die Emission einer Schuldverschreibung für das Unternehmen mit erheblichen Kosten verbunden und bedarf einer umfangreichen Vorbereitung, bei der in der Regel die Hausbank eine führende Rolle übernimmt. Industrieobligationen dürfen nur von börsennotierten Großunternehmen emittiert werden. Das Volumen einer Schuldverschreibung liegt üblicherweise bei mehreren hundert Millionen Euro. Soll die Kapitalaufnahme nicht auf den nationalen Kapitalmarkt beschränkt bleiben, so kann die Schuldverschreibung auch an anderen Börsen eingeführt werden. Weiter besteht die Möglichkeit, die Emission in einer fremden Währung durchzuführen, wobei jedoch zusätzlich das Wechselkursrisiko zu beachten ist. In den letzten Jahren sind am nationalen und internationalen Kapitalmarkt einige Sonderformen von Schuldverschreibungen als Finanzinnovationen entwickelt worden. Dazu zählen z.B.: • Wandel- und Optionsanleihen, bei denen der Schuldner zusätzlich zu oder anstatt der Gläubigerposition die Möglichkeit hat, Aktien des emittierenden Unternehmens zu beziehen und damit auch eine Eigentümerposition einzunehmen • Zinsvariable Anleihen (floating rate notes), deren Zinssatz regelmäßig an einen Referenzzins angepasst wird • Doppelwährungsanleihen (dual currency notes), bei denen Emission, Zinszahlungen und Rückzahlung in verschiedenen Währungen erfolgen • Euronote facilities und euro-commercial papers, die am Euromarkt gehandelt werden • Asset backed securities, bei denen ein Anteil an einem Forderungspool verbrieft wird und somit eine Diversifikation des Risikos der zugrunde liegenden Papiere bzw. Forderungen erfolgt 4. Gesellschafterdarlehen Ein Gesellschafterdarlehen liegt vor, wenn ein Eigentümer einer Personengesellschaft oder ein Anteilseigner einer Kapitalgesellschaft dem Unternehmen zusätzliche Mittel für begrenzte Zeit verzinslich oder unverzinslich zur Verfügung stellt. Im Gegensatz zum Bankdarlehen fällt hierbei keine Bearbeitungsgebühr an und der Zinssatz ist häufig geringer. Verglichen mit der Zuführung zusätzlichen Eigenkapitals (vgl. Abschnitt 3.3.2) bietet ein Gesellschafterdarlehen für den Kapitalgeber den Vorteil, dass sich zum einen die Beteiligungsverhältnisse zwischen den Gesellschaftern nicht verschieben und zum anderen mit diesem Betrag keine Haftung, sondern vielmehr eine Gläubigerposition übernommen wird. Letzteres wird allerdings dadurch eingeschränkt, dass Gesellschafterdarlehen, die zu einem Zeitpunkt gewährt werden, zu dem ein ordentlicher Kaufmann seinem Unternehmen Eigenkapital zugeführt hätte, im Insolvenzfall auch wie Eigenkapital behandelt werden. Bei Kapitalgesellschaften weisen Gesellschafterdarlehen gegenüber der Zuführung von Eigenkapital zusätzlich steuerliche Vorteile auf, da die Zinsen auf das Darlehen als Aufwendungen den Jahresüberschuss des Unternehmens mindern.
166
3 Die Finanzwirtschaft
5. Öffentliche Kredite Darlehen der öffentlichen Hand dienen der Verfolgung wirtschaftspolitischer Zwecke, z.B. der Förderung von Existenzgründern, von Investitionen in zusätzliche Arbeitsplätze oder in Umweltschutzeinrichtungen. Diese Mittel werden über spezielle Kreditinstitute, wie die Industrie-Kreditbank AG, die Lastenausgleichsbank oder die Kreditanstalt für Wiederaufbau, nach bestimmten Kriterien und in der Regel unter Mithilfe der Hausbank vergeben. Die Darlehen weisen oft sehr günstige Zinssätze auf. Weitere Vorteile für den Kreditnehmer sind häufig die Gewährung von tilgungsfreien Jahren zu Beginn der Laufzeit, wenn sich die mit dem Darlehen getätigte Investition noch in der Anlaufphase befindet, und der Verzicht auf die Stellung von Sicherheiten. 3.3.1.3
Kurzfristige Kredite
Die kurzfristige Fremdfinanzierung dient in erster Linie der Abwicklung der laufenden Geschäfte eines Unternehmens, d.h. der Finanzierung des Umlaufvermögens. Die Rückzahlung dieser Kredite erfolgt aus den im betrieblichen Umsatzprozess anfallenden Erlösen. Folgende Formen von kurzfristigen Krediten sind von besonderer Bedeutung für die Unternehmensfinanzierung: 1. Kontokorrentkredit Der Kontokorrentkredit ist die Kreditlinie, die die Hausbank einem Unternehmen auf seinem laufenden Konto einräumt. Das laufende Konto, das auch als Kontokorrentkonto oder Girokonto bezeichnet wird, dient gleichzeitig der Abwicklung des bargeldlosen Zahlungsverkehrs. Dieser Kredit ist dadurch gekennzeichnet, dass die Höhe, in der er in Anspruch genommen wird, beinahe täglich schwankt. Eine Verfügung über den eingeräumten Kreditbetrag ist durch die verschiedenen Instrumente des bargeldlosen Zahlungsverkehrs, z.B. durch Barabhebungen, durch Überweisungen, durch Belastung von Schecks, Wechseln oder Lastschriften, durch Abbuchung von Daueraufträgen usw. möglich. Eine explizite Tilgung des Kontokorrentkredits ist nicht vorgesehen, die Kredithöhe wird vielmehr durch Zahlungseingänge aus dem laufenden Zahlungsverkehr, z.B. durch Einzahlungen der Tageskasse oder von Kunden, durch Einreichung von Schecks und Lastschriften, durch Eingang von Überweisungsgutschriften usw., reduziert. Es ist auch möglich, dass das Konto zwischenzeitlich ein Guthaben aufweist. Bei außergewöhnlich hohem Finanzbedarf lassen die Kreditinstitute in der Regel eine kurzzeitige Überziehung des vereinbarten Kreditrahmens zu. Die Kosten eines Kontokorrentkredits bestehen in erster Linie aus den Sollzinsen, die tagesgenau auf den jeweils in Anspruch genommenen Kreditbetrag zu zahlen sind. Der Zinssatz hängt unter anderem von der Bonität des Unternehmens ab und wird später regelmäßig in Abhängigkeit von der Entwicklung des Zinsniveaus auf dem Geldmarkt angepasst. Bei einer Überschreitung des Kreditlimits wird auf den zusätzlich in Anspruch genommenen Betrag zusätzlich eine Überziehungsprovision erhoben. Neben den Zinsen fallen Kontoführungsgebühren an, die entweder pauschal oder in Abhängigkeit von der Art und der Anzahl der abgewickelten Geschäftsvorfälle berechnet werden. In regelmäßigen Zeitabständen, häufig
3.3 Finanzierung
167
quartalsweise oder monatlich, wird ein Kontoabschluss erstellt, bei dem die in der vorangegangenen Periode angefallenen Zinsen und Gebühren in Rechnung gestellt werden. Für das Unternehmen bietet der Kontokorrentkredit den großen Vorteil, dass er sowohl in Bezug auf die zeitliche als auch auf die betragsmäßige Inanspruchnahme sehr flexibel gehandhabt werden kann. Dadurch spielt er eine wesentliche Rolle bei der Sicherstellung der Zahlungsfähigkeit, eine nicht ausgeschöpfte Kreditlinie stellt eine Liquiditätsreserve dar. Auch wenn der Zinssatz relativ hoch ist, sind die letztlich anfallenden Kosten dadurch, dass Zinsen lediglich auf den tatsächlich in Anspruch genommenen Kreditbetrag berechnet werden, oft recht gering. Stellt sich heraus, dass das Konto regelmäßig einen Sollbestand in einer gewissen Höhe aufweist, so bietet es sich an, diesen Betrag in ein langfristiges Darlehen mit entsprechend niedrigerem Zinssatz umzuwandeln. 2. Lieferantenkredit Ein Lieferantenkredit entsteht dadurch, dass ein Lieferant dem Unternehmen eine bestimmte Frist für die Bezahlung einer Rechnung einräumt. Durch diesen Zahlungsaufschub kann das Unternehmen auf die Inanspruchnahme anderer Kredite, z.B. des Kontokorrentkredits, verzichten und die entsprechenden Zinsen einsparen. In vielen Branchen ist die Einräumung von solchen Zahlungszielen als absatzpolitisches Instrument (vgl. Abschnitt 2.3.3) üblich, um die Geschäftsbeziehungen zu fördern. Die Länge des Zahlungsziels hängt von der relativen Machtposition des Lieferanten und des Kunden ab, häufig liegt es zwischen 30 und 60 Tagen; im Auslandsgeschäft kann es bis zu 180 Tage betragen. Zur Sicherung der Forderung des Lieferanten liegt auf der gelieferten Ware ein Eigentumsvorbehalt, d.h. sie geht erst mit der Zahlung des Rechnungsbetrags in das Eigentum des Käufers über. Auf den ersten Blick fallen durch den Lieferantenkredit keine Kosten für das Unternehmen an. Um seine Kunden zur zügigen Begleichung der Rechnungen zu veranlassen, bietet der Lieferant jedoch häufig gleichzeitig mit der Einräumung des Zahlungsziels an, dass bei frühzeitiger Zahlung der Rechnungsbetrag um einen Nachlass (Skonto) von 2 bis 3% gekürzt werden darf. Da die Inanspruchnahme des Lieferantenkredits somit den Verzicht auf das Skonto bedeutet, entspricht dieser Betrag implizit den Kosten des Kredits. Wie das folgende Beispiel verdeutlicht, ist der auf den ersten Blick kostenlose Lieferantenkredit tatsächlich eine sehr teure Finanzierungsquelle, die nur dann in Anspruch genommen werden sollte, wenn alle anderen Kredite mit geringeren Zinssätzen bereits ausgeschöpft sind. Eine bei Warenlieferungen häufig anzutreffende Zahlungskondition lautet wie folgt: Das Unternehmen hat die Wahl, den Rechnungsbetrag innerhalb eines Zahlungsziels von 30 Tagen in der angegebenen Höhe zu bezahlen oder bei Zahlung innerhalb von 10 Tagen 2% Skonto abzuziehen. Vergleicht man die Auswirkungen einer Zahlung am letzten Tag innerhalb der Skontofrist und am letzten Tag des Zahlungsziels miteinander, so kostet der Lieferantenkredit 2% für 20 Tage. Rechnet man dies in einen Jahreszins um, so entspricht dies einem Zinssatz des Lieferantenkredits in Höhe von 36% p.a. Der Lieferantenkredit ist umso teurer, je höher der Skontoabzug und je kürzer das Zahlungsziel ist, das der Lieferant einräumt.
168
3 Die Finanzwirtschaft
3. Anzahlungen Bei der Finanzierung aus Kundenanzahlungen erhält das Unternehmen von seinen Kunden bereits vor der Lieferung der Waren einen Teil des vereinbarten Kaufpreises. Die Anzahlung dient einerseits dazu, dass der Lieferant den Einkauf der für die Herstellung der Waren benötigten Materialien finanzieren kann, andererseits der Absicherung des Lieferanten gegen einen Rücktritt des Kunden vom Geschäft. Kundenanzahlungen sind vor allem in Branchen mit langen Liefer- bzw. Produktionszeiten sowie bei Spezialanfertigungen üblich, z.B. in der Bauwirtschaft, im Maschinenbau oder in der Möbelindustrie. Eine häufige Vereinbarung im Maschinenbau lautet, dass ein Drittel des Kaufpreises als Anzahlung bei Vertragsabschluss zu leisten ist, ein Drittel bei der Lieferung gezahlt wird und für das letzte Drittel dem Kunden ein Zahlungsziel eingeräumt wird. In Abhängigkeit von der Marktposition der Beteiligten kann die Zahlung von Zinsen für den angezahlten Betrag vereinbart werden. Muss der Lieferant zur Absicherung der Forderung des Kunden diesem eine Bankgarantie stellen, so zählen auch deren Kosten zu den Kreditkosten. 4. Wechselkredit Ein Wechsel ist ein Wertpapier, in dem der Aussteller den als Bezogenen bezeichneten Schuldner anweist, an einem bestimmten Termin eine bestimmte Summe an eine von ihm benannte Person, den Wechselnehmer, zu zahlen. Grundlage für die Ausstellung eines Wechsels ist meist ein Handelsgeschäft, bei dem der Verkäufer dem Unternehmen den Rechnungsbetrag für eine gewisse Zeitspanne stundet und die Absicherung seiner Forderung in Form des Wechsels verlangt. Eine häufige Wechsellaufzeit sind 90 Tage. Der Wechsel unterliegt strengen Formvorschriften bezüglich seiner Ausgestaltung und Abwicklung. Nach der Ausstellung wird er dem Bezogenen vorgelegt, der durch seine Unterschrift die Zahlungsanweisung akzeptiert. Wird der Wechsel bei Fälligkeit nicht eingelöst, so kann der Wechselinhaber seine Rechte mithilfe des Wechselprotests, eines schnellen, exakt geregelten Verfahrens, gerichtlich durchsetzen und einen Titel zur Zwangsvollstreckung in das Vermögen des Bezogenen bewirken.
Warenlieferung
Aussteller
Weitergabe
Abb. 3.10 Wechselkredit
Bezogener
Akzeptierter Wechsel
Wechselnehmer
Vorlage bei Fälligkeit Zahlung
3.3 Finanzierung
169
Die einzelnen Vorgänge bei der Abwicklung eines Wechselgeschäfts sind in Abb. 3.10 dargestellt. Zunächst findet eine Warenlieferung vom Aussteller an den Bezogenen statt. Anstelle einer sofortigen Bezahlung der Rechnung akzeptiert der Bezogene einen Wechsel über den Rechnungsbetrag. Diesen Wechsel kann der Aussteller entweder bis zur Fälligkeit behalten – dann ist er selbst der Wechselnehmer – oder an einen Dritten weitergeben, z.B. an seinen Lieferanten zur Bezahlung einer offenen Rechnung oder an seine Bank, um seinen Kontokorrentkredit zurückzuführen. Die Weitergabe eines Wechsels erfolgt durch ein Indossament, d.h. die vom Wechselnehmer unterschriebene Angabe des neuen Inhabers. Bei Fälligkeit des Wechsels legt der letzte Inhaber ihn dem Bezogenen vor, der daraufhin den Wechselbetrag bezahlt. Mithilfe des Wechsels wird der Wechselbetrag dem Bezogenen für die Wechsellaufzeit kreditiert. Eine Verzinsung des Wechselbetrags ist im Wechsel selbst nicht vorgesehen, kann aber zwischen den Beteiligten zusätzlich vereinbart werden. Reicht der Wechselinhaber den Wechsel bei seiner Bank ein, um sich zu refinanzieren, so schreibt die Bank ihm den Wechselbetrag unter Abzug eines Diskonts gut, d.h. sie zieht anteilige Zinsen für die Zeit von der Einreichung bis zur Fälligkeit des Wechsels ab. Da der Wechsel aufgrund seiner Formstrenge eine hohe Sicherheit bietet, ist der Zinssatz für einen solchen Diskontkredit recht niedrig. Die Bank hat ihrerseits die Möglichkeit, sich durch Weitergabe des Wechsels an die Zentralbank zu refinanzieren. Der Wechsel spielt im Wirtschaftsleben zur Absicherung von kurzfristigen Forderungen nach wie vor eine große Rolle, vor allem im Auslandsgeschäft kommen Wechselkredite vielfach zum Einsatz. 3.3.1.4
Sonderformen der Finanzierung
Neben den zuvor betrachteten Kreditarten kommen bei der Finanzierung von Unternehmen die folgenden Sonderformen zum Einsatz, die ebenfalls der Fremdfinanzierung zugerechnet werden: 1. Leasing Als Leasing bezeichnet man den Sachverhalt, dass ein Unternehmen oder auch eine Privatperson (Leasingnehmer) einen Anlagegegenstand (Leasingobjekt) nicht kauft, sondern vom Hersteller oder von einer speziellen Leasing-Gesellschaft (Leasinggeber) mietet oder pachtet. Da der Leasingnehmer das Leasingobjekt wie eine eigene Anlage nutzt, ist er der wirtschaftliche Eigentümer, der Leasinggeber ist der rechtliche Eigentümer. Der Mietvertrag enthält unter anderem Regelungen über die Rechte und Pflichten beider Vertragsparteien, über die Vertragslaufzeit, über das zu zahlende Nutzungsentgelt und über die am Ende der Laufzeit bestehenden Optionen. Als Leasingobjekte kommen Anlagegegenstände verschiedenster Art – vom Computer über Kraftfahrzeuge und Maschinen bis hin zu Grundstücken und Gebäuden – in Betracht. Die Leasingraten werden so kalkuliert, dass sie neben der Wertminderung des Leasingobjekts während der Vertragslaufzeit und der Verzinsung der Anschaffungskosten auch die beim Leasinggeber anfallenden Verwaltungskosten und seinen Gewinnzuschlag enthalten.
170
3 Die Finanzwirtschaft
Leasingverträge können sehr unterschiedlich ausgestaltet werden: • Beim Finance Leasing wird eine feste Grundmietzeit vereinbart, innerhalb derer der Leasingvertrag weder vom Leasingnehmer noch vom Leasinggeber gekündigt werden kann. Der Leasingnehmer trägt während der Vertragslaufzeit die Kosten für Wartung und Instandhaltung des Leasingobjekts. Die Grundmietzeit ist in der Regel kürzer als die erwartete Nutzungsdauer des Leasingobjekts. Im Anschluss daran kann der Leasingnehmer das Leasingobjekt kaufen oder einen neuen Vertrag über den technischen Nachfolger der Anlage abschließen. • Beim Operate Leasing hingegen ist der Leasingvertrag von beiden Seiten kurzfristig kündbar. Der Leasinggeber übernimmt die Kosten für die Wartung und Instandhaltung des Leasingobjekts sowie das Risiko des vorzeitigen Ausfalls. Weiter trägt er das Investitionsrisiko, das darin besteht, dass sich das Leasingobjekt aufgrund vorher nicht absehbarer Entwicklungen als technisch oder wirtschaftlich veraltet erweist. • Eine spezielle Variante des Leasing ist das Sale-and-lease-back-Verfahren. Dabei verkauft der Leasingnehmer einen Gegenstand seines Anlagevermögens, meist eine Immobilie, an den Leasinggeber und mietet ihn über einen Leasingvertrag langfristig an, so dass er ihn weiterhin nutzen kann. Die Bedeutung des Leasing liegt auf mehreren Ebenen: • Wenn ein Unternehmen einen Anlagegegenstand kauft, wird es diesen in der Regel über einen zusätzlichen Kredit finanzieren und muss ihn in seiner Bilanz ausweisen. Da es beim Leasing nicht zum rechtlichen Eigentümer des Leasingobjekts wird, werden seine Liquidität bzw. die Kreditlinien nicht belastet. Daher wird das Leasing auch als Kreditsubstitut bezeichnet, es kann anstelle der langfristigen Kreditfinanzierung eingesetzt werden. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass das Leasingobjekt nach Vertragsende an den Leasinggeber zurückfällt, während ein gekaufter und mit Kredit finanzierter Gegenstand weitergenutzt werden kann. • Während der Nutzungsdauer eines gekauften Anlagegegenstands fallen Abschreibungen an, durch die die Anschaffungskosten den einzelnen Nutzungsperioden zugerechnet werden, sowie Zinsen für den Kredit usw. Beim Leasing hingegen sind sämtliche Kosten durch die Leasingraten abgegolten. Dadurch lassen sich die für eine Anlage anfallenden Kosten besser im Voraus kalkulieren. In steuerlicher Hinsicht ist vorteilhaft, dass die Leasingraten in voller Höhe als Aufwand verbucht werden können, während die bei einer gekauften Anlage anfallenden Abschreibungen auf einen längeren Zeitraum verteilt werden müssen. Die steuerlichen Vorteile des Leasing kommen jedoch nur zum Tragen, wenn der Leasingvertrag bestimmte, im Leasing-Erlass des Bundesfinanzhofs genannte Voraussetzungen erfüllt. • Weiter kann das Leasing gegenüber dem Kauf Kostenvorteile aufweisen, wenn der Leasinggeber das Leasingobjekt – z.B. aufgrund von Mengenrabatten beim Automobilleasing – zu einem geringeren Preis einkauft, über günstigere Finanzierungsmöglichkeiten
3.3 Finanzierung
171
verfügt oder an einem Standort mit niedrigeren Steuersätzen ansässig ist und wenn er diese Vorteile teilweise an den Leasingnehmer weitergibt. • Nachteilig ist beim Leasing, dass der Leasingnehmer während der Laufzeit des Leasingvertrags an das Leasingobjekt gebunden ist und damit gegenüber einem gekauften Gegenstand, den er jederzeit wieder verkaufen könnte, an wirtschaftlicher Flexibilität einbüßt. 2. Factoring Unter Factoring versteht man den Verkauf von Forderungen, die ein Unternehmen aufgrund von Lieferungen oder Leistungen gegenüber seinen Kunden hat, an ein spezielles Finanzierungsinstitut, den Factor. Dafür ist eine Abtretung (Zession) der Forderungen durch das Unternehmen an den Factor erforderlich. Im Rahmen des Factoring übernimmt der Factor mehrere Funktionen: • Finanzierungsfunktion: Der Factor stellt dem Unternehmen den später fälligen Forderungsbetrag sofort zur Verfügung, er behält allerdings Zinsen für die Zeit ein, die er den Betrag bevorschusst. Das Factoring stellt somit eine Variante der kurzfristigen Kreditfinanzierung dar. • Dienstleistungsfunktion: Der Factor übernimmt die Verwaltung und das Inkasso der angekauften Forderungen sowie die Überwachung des Forderungseingangs und das Mahnwesen. Dies kann so weit gehen, dass er die vollständige Debitorenbuchhaltung für das Unternehmen durchführt. Hierfür stellt er eine vom Geschäftsvolumen abhängige Servicegebühr in Rechnung. • Delkrederefunktion: Indem der Factor die Forderungen ankauft, übernimmt er auch das Risiko des Forderungsausfalls, d.h. dass ein Schuldner seine Rechnung nicht bezahlt. Diese Leistung wird durch eine zusätzliche Risikoprämie abgegolten. Man unterscheidet zwei Varianten des Factoring: Beim offenen Factoring wird die Abtretung der Forderungen gegenüber den Kunden angezeigt und diese dürfen ihre Zahlungen nur noch direkt an den Factor leisten. Dies kann auf der einen Seite dazu führen, dass das Unternehmen den Kontakt zu seinen Kunden verliert, zum anderen wird es häufig als Indiz für eine angespannte Finanzlage interpretiert. Beim stillen Factoring hingegen werden die Kunden nicht informiert, die Zahlungen erfolgen nach wie vor an das Unternehmen, das die Beträge an den Factor weiterleitet. Das Factoring bezieht sich nicht auf den Verkauf einzelner Forderungen, sondern ist eine längerfristig in Anspruch genommene Dienstleistung, bei der sämtliche Forderungen des Unternehmens oder alle Forderungen mit bestimmten Merkmalen, z.B. an eine Kundengruppe oder aus einem Geschäftsbereich, auf den Factor übergehen. Dadurch erreicht der Factor eine gewisse Risikostreuung und kann verhindern, dass das Unternehmen ihm nur die besonders ausfallgefährdeten Forderungen abtritt.
172
3 Die Finanzwirtschaft
3. Genussscheine Genussscheine sind von Aktiengesellschaften ausgegebene Wertpapiere, durch die ähnlich wie bei einer Schuldverschreibung dem Unternehmen finanzielle Mittel für eine bestimmte Laufzeit zur Verfügung gestellt werden. Als Entgelt für die Kapitalüberlassung werden jedoch keine fest vereinbarten Zinsen gezahlt, sondern den Inhabern der Genussscheine wird – wie den Aktionären – ein Recht auf einen Anteil am Gewinn des Unternehmens eingeräumt. Im Gegensatz zu Aktien bringen Genussscheine jedoch keine Mitwirkungsrechte in der Aktiengesellschaft mit sich. Sie sind daher zwischen den Instrumenten der Kreditfinanzierung und der im folgenden Abschnitt behandelten Beteiligungsfinanzierung angesiedelt. Die Höhe der Ausschüttung orientiert sich in der Regel an der den Aktionären gezahlten Dividende. Erwirtschaftet das Unternehmen keinen Gewinn, so erhalten auch die Genussscheininhaber keine Ausschüttung, sie sind also direkt an den Chancen und Risiken der Unternehmenstätigkeit beteiligt. Weitere Finanzierungsinstrumente, die eine Stellung zwischen Eigen- und Fremdkapital einnehmen, sind Wandelschuldverschreibungen, Optionsanleihen und Gewinnschuldverschreibungen.
3.3.2
Beteiligungsfinanzierung
Bei der Beteiligungsfinanzierung wird dem Unternehmen Eigenkapital von außen zugeführt. Ein wesentliches Kennzeichen von Eigenkapital ist, dass es dem Unternehmen unbefristet zur Verfügung gestellt wird. Die Beteiligungsfinanzierung ist mit Vorgängen verbunden, bei denen das Eigenkapital in seiner Höhe oder seiner Zusammensetzung verändert wird. Der Kapitalbedarf sowie die Möglichkeiten und die Abwicklung der Beteiligungsfinanzierung sind in hohem Ausmaß abhängig von der Rechtsform, in der das Unternehmen geführt wird (vgl. Abschnitt 1.4). Die verschiedenen Anlässe der Beteiligungsfinanzierung sind in Abb. 3.11 zusammengestellt.
Beteiligungsfinanzierung
Gründung
Kapitalerhöhung
Sanierung
Abb. 3.11 Anlässe der Beteiligungsfinanzierung
Umwandlung
Fusion
Liquidation
3.3 Finanzierung
173
1. Gründung Bei der Gründung eines Unternehmens leisten die Eigentümer Einlagen in Form von Geld oder Sachmitteln, die in das Eigentum des Unternehmens übergehen. Das Eigenkapital ist eine Rechengröße, die sich ergibt, indem man vom Wert der auf der Aktivseite der Bilanz aufgeführten Vermögensgegenstände die als Fremdkapital aufgenommenen Verbindlichkeiten abzieht (vgl. nochmals Abb. 3.7). Bei einem Einzelunternehmen besteht aus rechtlicher Sicht keine Trennung zwischen dem Privat- und dem Betriebsvermögen, da der Inhaber mit seinem Gesamtvermögen für die Verbindlichkeiten des Unternehmens haftet. Bei der Unternehmensgründung ordnet er einen Teil seines Vermögens dem Unternehmen als Betriebsvermögen zu. Das Eigenkapital als Differenz aus dem Wert der Vermögensgegenstände abzüglich der Schulden des Unternehmens ändert sich im Grunde mit jedem Geschäftsvorfall. Bei der Gründung einer Personengesellschaft gehen die von den einzelnen Gesellschaftern geleisteten Geld- und Sacheinlagen in das Vermögen der Gesellschaft über. Da die Kapitalanteile in der Regel Grundlage für die Gewinnverteilung sind, werden sie im Gesellschaftsvertrag festgehalten. Das Eigenkapital erhöht sich durch Gewinne der Gesellschaft und wird durch Verluste oder Entnahmen reduziert. Während bei den Personengesellschaften die Höhe des Eigenkapitals in Abhängigkeit vom Unternehmenserfolg stark schwanken kann, weisen Kapitalgesellschaften ein festes Nennkapital auf, das grundsätzlich bei der Unternehmensgründung eingezahlt werden muss. Das Eigenkapital einer Kapitalgesellschaft besteht nicht nur aus dem bei der Gründung eingezahlten Nennkapital, sondern umfasst darüber hinaus die vom Unternehmen erwirtschafteten Rücklagen. Wird das Nennkapital bei der Gründung nicht vollständig eingezahlt, so haften die Anteilseigner für die ausstehenden Einlagen persönlich. Die Gründung einer GmbH oder einer Aktiengesellschaft kann als Bargründung oder als Sachgründung erfolgen. Bei der Sachgründung einer Aktiengesellschaft ist durch eine Gründungsprüfung sicherzustellen, dass der Wert der eingebrachten Vermögensgegenstände mindestens dem Grundkapital entspricht. Soll eine Aktiengesellschaft an der Börse notiert werden, ist eine entsprechende Zulassung zu beantragen. Da eine börsennotierte Aktiengesellschaft Zugriff auf den Kapitalmarkt hat, können ihr bei der Gründung weitaus größere Beträge zufließen als den Personengesellschaften oder einer GmbH. 2. Kapitalerhöhung Bei einer Kapitalerhöhung gegen Einlagen wird das Eigenkapital des Unternehmens durch von außen zugeführte Mittel erhöht. Durch den Mittelzufluss verbessert sich die Liquidität des Unternehmens, langfristig dient eine Kapitalerhöhung dem Wachstum des Unternehmens, indem Investitionen zur Ausweitung der Geschäftstätigkeit finanziert werden. Bei Personengesellschaften kann eine Kapitalerhöhung entweder erfolgen, indem die Gesellschafter dem Unternehmen weitere Teile ihres Privatvermögens zuführen, oder durch die Aufnahme zusätzlicher Gesellschafter. Sollen diese nicht an der Geschäftsführung mitwir-
174
3 Die Finanzwirtschaft
ken, so sind sie als Kommanditisten oder als stille Gesellschafter aufzunehmen. Wenn neue Gesellschafter aufgenommen werden oder sich nicht alle Gesellschafter im gleichen Umfang an der Kapitalerhöhung beteiligen, so kommt es zu einer Verschiebung der Beteiligungsverhältnisse. Zur Erhöhung des Stammkapitals einer GmbH ist eine notariell beurkundete Satzungsänderung erforderlich, die von der Gesellschafterversammlung mit einer ¾-Mehrheit beschlossen werden muss. Dabei werden neue Stammeinlagen geschaffen, die von den alten oder neuen Gesellschaftern durch notariell beglaubigte Erklärung übernommen werden. Da die neuen Stammeinlagen anteilig an den zuvor im Unternehmen erwirtschafteten Rücklagen beteiligt sind, werden sie in der Regel mit einem Agio ausgegeben, durch das sich das Eigenkapital der Gesellschaft zusätzlich erhöht. Einer Aktiengesellschaft kann zusätzliches Eigenkapital durch eine Kapitalerhöhung gegen Einlagen zugeführt werden. Diese muss wie bei der GmbH mit einer ¾-Mehrheit auf der Hauptversammlung beschlossen werden. Der Beschluss wird in das Handelsregister eingetragen, die neuen Aktien werden von den neuen Anteilseignern gezeichnet und eingezahlt, erst dann darf die Ausgabe der Aktien erfolgen. Um die Mehrheitsverhältnisse aufrechtzuerhalten, wird den alten Aktionären ein Bezugsrecht auf die jungen Aktien eingeräumt. Da dieses Vorgehen recht umständlich und langwierig ist, wird in der Regel von der im Aktiengesetz vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch gemacht, dass die Hauptversammlung dem Vorstand ein genehmigtes Kapital in Höhe von maximal 50% des Grundkapitals bewilligt, in dessen Rahmen er innerhalb von fünf Jahren Kapitalerhöhungen zu ihm günstig erscheinenden Zeitpunkten durchführen kann. Bei der Abwicklung einer Kapitalerhöhung über die Börse werden in der Regel Kreditinstitute eingeschaltet. Weitere Formen bzw. Anlässe einer Kapitalerhöhung sind die Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln, bei der ein Teil der frei verfügbaren Gewinnrücklage in gezeichnetes Grundkapital umgewandelt und den Aktionären als Gratisaktien zugeteilt wird, und die Ausgabe von Belegschaftsaktien, durch die die Mitarbeiter am Kapital des Unternehmens beteiligt werden. 3. Sanierung Durch eine Sanierung soll ein durch wiederholte Verluste in finanzielle Schwierigkeiten geratenes Unternehmen vor der Insolvenz bewahrt und wieder wirtschaftlich handlungsfähig gemacht werden. Die Sanierung erfolgt bei Aktiengesellschaften durch eine Herabsetzung des Grundkapitals, wodurch die entstandenen Verluste buchmäßig ausgeglichen werden. Diese Kapitalherabsetzung muss wie eine Kapitalerhöhung mit einer ¾-Mehrheit von der Hauptversammlung beschlossen werden. Um die Summe der Nennwerte der Aktien an das reduzierte Grundkapital anzupassen, ist gleichzeitig der Nennwert der Aktien entsprechend herabzusetzen oder die Anzahl der Aktien zu verringern. Anschließend können dem Unternehmen durch eine Kapitalerhöhung wieder zusätzliche Mittel zur Verbesserung seiner Kapitalstruktur und seiner Liquiditätslage zugeführt werden. Voraussetzung für den Erfolg einer solchen Sanierung ist, dass die den Verlusten zugrunde liegenden Probleme des Unternehmens durch eine Umstrukturierung der Geschäftsprozesse beseitigt werden. Ein Beispiel für
3.3 Finanzierung
175
die Sanierung eines Großunternehmens ist die 1982 bei der AEG durchgeführte Sanierungsmaßnahme. 4. Umwandlung Unter einer Umwandlung versteht man den Wechsel der Rechtsform eines Unternehmens. Häufig wird die Umwandlung im Zusammenhang mit der Beschaffung zusätzlichen Eigenkapitals durchgeführt. So stellt z.B. die Aufnahme eines weiteren Gesellschafters in ein Einzelunternehmen eine Umwandlung in eine Personengesellschaft dar. Die Gründung neuer Aktiengesellschaften erfolgt in der Regel nicht als Bargründung, sondern als Sachgründung in Form der Umwandlung einer zuvor bereits bestehenden Personengesellschaft oder GmbH, wenn die Ausdehnung der Geschäftstätigkeit den Wechsel der Rechtsform als vorteilhaft erscheinen lässt. Durch einen solchen Wechsel der Rechtsform lässt sich nicht nur die Eigenkapitalbasis verbreitern, sondern es verbessern sich auch die Möglichkeiten zur Aufnahme von weiterem Fremdkapital. Umwandlungen können in verschiedenen Formen erfolgen: Bei der Umgründung wird das ursprüngliche Unternehmen liquidiert und seine einzelnen Vermögensteile werden auf das neu gegründete Unternehmen übertragen. Bei der formwechselnden Umwandlung ändert das Unternehmen seine Rechtsform, die Rechtspersönlichkeit bleibt jedoch erhalten. Bei der übertragenden Umwandlung wird das Vermögen des ursprünglichen Unternehmens im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf ein neu gegründetes oder ein bereits bestehendes Unternehmen übertragen. 5. Fusion Eine Fusion ist ein Zusammenschluss von mindestens zwei Unternehmen zu einer neuen wirtschaftlichen und rechtlichen Einheit. Im Gegensatz zur Bildung eines Konzerns (vgl. Abschnitt 1.4.5), bei der die Einzelunternehmen rechtlich selbstständig bleiben, führt die Fusion zur Verschmelzung der beteiligten Unternehmen. Auslöser einer Fusion sind ähnliche Überlegungen wie bei der Konzernbildung, d.h. die Sicherung von Beschaffungs- oder Absatzmärkten, die Erweiterung der Kapitalbasis oder die Rationalisierung von Geschäftsabläufen. Im Gegensatz zur Akquisition, bei der ein Unternehmen von einem anderen übernommen wird, handelt es sich bei der Fusion in der Regel um einen freiwilligen Zusammenschluss gleichberechtigter Partner (merger of equals). Ein Beispiel für eine Fusion in der Stahlindustrie ist der Zusammenschluss von Thyssen und Krupp zur ThyssenKrupp AG im Jahr 1999. 6. Liquidation Unter der Liquidation versteht man – im Gegensatz zur Insolvenz – die freiwillige und außergerichtliche Beendung der Geschäftstätigkeit eines Unternehmens. Anlass für eine Liquidation können der Tod des Inhabers, die Erreichung des Zwecks des Unternehmens oder ein entsprechender Gesellschafterbeschluss, der z.B. bei anhaltend schlechter wirtschaftlicher Lage des Unternehmens gefasst wird, sein. Aus Gründen des Gläubigerschutzes bestehen für die Liquidation von Kapitalgesellschaften strenge gesetzliche Vorschriften. So muss der
176
3 Die Finanzwirtschaft
Beschluss zur Liquidation mit einer ¾-Mehrheit auf der Gesellschafterversammlung bzw. der Hauptversammlung gefasst werden. Der Ablauf einer Liquidation ist der Folgende: Zunächst wird die Auflösung des Unternehmens in das Handelsregister eingetragen, anschließend erfolgt die Abwicklung seiner Vermögens- und Kapitalpositionen. Dabei werden die Vermögensgegenstände verkauft und aus dem Erlös zuerst die Ansprüche der Gläubiger befriedigt. Soweit danach noch finanzielle Mittel zur Verfügung stehen, werden diese an die Eigentümer des Unternehmens in dem gesetzlich vorgeschriebenen oder einem bei der Gründung vorgesehenen Verhältnis aufgeteilt. Schließlich wird das Unternehmen aus dem Handelsregister gelöscht.
3.3.3
Innenfinanzierung
Grundsätzlich ist die Innenfinanzierung dadurch gekennzeichnet, dass finanzielle Mittel dem Unternehmen nicht von externen Kapitalgebern zugeführt, sondern aus dem betrieblichen Umsatzprozess erwirtschaftet und für eine bestimmte Zeit oder auch unbefristet im Unternehmen zurückbehalten werden. Als Quelle der Innenfinanzierung dient der Cashflow eines Geschäftsjahrs. Diese Kennzahl ist ein Maß für die Ertragskraft des Unternehmens und wird berechnet, indem man den in der Bilanz ausgewiesenen Gewinn, der durch bilanzpolitische Maßnahmen beeinflusst sein kann, um außerordentliche und nicht zahlungswirksame Geschäftsvorfälle bereinigt (vgl. auch Abschnitt 4.2.3). In einer einfachen Praktikerformel wird der Cashflow indirekt berechnet, indem die Abschreibungen, die Zuführung zu den Rückstellungen und die außerordentlichen Aufwendungen zum Bilanzgewinn addiert und die außerordentlichen Erträge subtrahiert werden: + + + – =
Bilanzgewinn Abschreibungen Zuführung zu Rückstellungen Außerordentliche Aufwendungen Außerordentliche Erträge Cashflow
In Abhängigkeit von dem Personenkreis, dem die zur Innenfinanzierung verwendeten Mittel zuzurechnen sind, unterscheidet man die in Abb. 3.12 angegebenen Formen der Selbstfinanzierung und der Innenfinanzierung aus fremden Mitteln.
3.3 Finanzierung
177 Innenfinanzierung
Selbstfinanzierung
Offene Selbstfinanzierung
Stille Selbstfinanzierung
Finanzierung aus fremden Mitteln
Finanzierung aus Abschreibungen
Finanzierung durch Steueraufschub
Finanzierung aus Rückstellungen Abb. 3.12 Innenfinanzierung
3.3.3.1
Selbstfinanzierung
Die Selbstfinanzierung ist eine Form der Innenfinanzierung, bei der ein Teil des Gewinns nicht an die Eigentümer ausgeschüttet wird, sondern im Unternehmen verbleibt. Sie kann in zwei Ausprägungen erfolgen, als offene oder als stille Selbstfinanzierung: 1. Offene Selbstfinanzierung Bei der offenen Selbstfinanzierung wird der versteuerte Gewinn nur teilweise an die Eigentümer ausgeschüttet, die im Unternehmen verbleibenden Beträge führen zu einer entsprechenden Erhöhung des Eigenkapitals. Bei einer Personengesellschaft wirkt sich diese Kapitalerhöhung als Zufluss zu den Kapitalkonten der Gesellschafter aus, bei Kapitalgesellschaften wird der einbehaltene Gewinn in die Gewinnrücklage eingestellt. Dies kann bei einer Aktiengesellschaft im Umfang von bis zu 50% des Jahresüberschusses durch den Vorstand veranlasst werden, bei darüber hinausgehenden Beträgen ist die Zustimmung der Hauptversammlung erforderlich. Das in der Bilanz ausgewiesene Eigenkapital einer Kapitalgesellschaft setzt sich aus dem festen Nennkapital und den in ihrer Höhe variablen Rücklagen zusammen. Man unterscheidet die Kapitalrücklage, in die das von den Gesellschaftern bei der Ausgabe von Anteilen gezahlte Agio eingestellt wird, und die Gewinnrücklage, die durch die offene Selbstfinanzierung gebildet wird. Aktiengesellschaften müssen eine gesetzliche Rücklage in Höhe von 10% des Grundkapitals bilden, um in einzelnen Geschäftsjahren auftretende Verluste abdecken zu können. Soweit dieser Betrag nicht bereits durch Kapitalrücklagen erreicht ist, müs-
178
3 Die Finanzwirtschaft
sen jährlich 5% des Jahresüberschusses in die Gewinnrücklagen eingestellt werden. Die über die gesetzliche Rücklage hinaus vorhandenen Rücklagen werden als freie Rücklagen bezeichnet und können für beliebige Zwecke verwendet werden. Abb. 3.13 zeigt die Zusammensetzung des Eigenkapitals von Kapitalgesellschaften im Überblick.
Eigenkapital
Nennkapital
Rücklagen
Kapitalrücklage
Gewinnrücklage
Gesetzliche Rücklage
Freie Rücklage
Abb. 3.13 Bestandteile des Eigenkapitals bei Kapitalgesellschaften
Eine mögliche Verwendung der freien Rücklagen ist die Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln (vgl. Abschnitt 3.3.2). Dabei werden Teile der freien Rücklage in Grundkapital umgewandelt, indem den Aktionären entsprechend ihrem Anteil am Grundkapital zusätzliche Aktien (Gratisaktien) zugeteilt werden. Eine Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln wird z.B. durchgeführt, um den Kurs der Aktie zu senken und diese damit für Kleinanleger attraktiver zu machen. 2. Stille Selbstfinanzierung Bei der stillen Selbstfinanzierung werden keine in der Bilanz ausgewiesenen und versteuerten Gewinne zurückbehalten, sondern es handelt sich um nicht ausgewiesene Gewinne, die in stillen Rücklagen verborgen sind. Stille Rücklagen entstehen dadurch, dass beim Jahresabschluss durch einen zu hohen Ausweis von Aufwendungen oder zu geringen Ausweis von Erträgen Vermögensgegenstände (Aktiva) unterbewertet oder Verbindlichkeiten (Passiva) überbewertet werden. Da dies zu einem geringeren Gewinnausweis führt, ist die Bildung stiller Rücklagen durch gesetzliche Vorschriften stark beschränkt. Beispiele für dennoch bestehende Bewertungsspielräume sind:
3.3 Finanzierung
179
• Abschreibungen, die über dem tatsächlichen Wertverzehr einer Anlage liegen • Wertansatz von Halb- und Fertigfabrikaten zu Teilkosten • Bewertung von Vorräten nach dem Niederstwertprinzip • Nichtaktivierung von geringwertigen Wirtschaftsgütern oder des derivativen Firmenwerts • Zu vorsichtiger Ansatz von Rückstellungen • Zu hoher Ansatz von anderen Verbindlichkeiten Der Effekt der stillen Selbstfinanzierung besteht darin, dass sich das Finanzierungsvolumen des Unternehmens in dem Umfang erhöht, in dem die entsprechenden Beträge im Unternehmen verbleiben. Da es sich bei den stillen Rücklagen um nicht ausgewiesene und damit unversteuerte Gewinne handelt, erhöht sich der Finanzierungsbetrag im Vergleich mit der offenen Selbstfinanzierung darüber hinaus um die auf den Gewinn entfallende Steuerschuld. Die Versteuerung findet allerdings zu einem späteren Zeitpunkt statt, wenn die stille Rücklage aufgelöst wird, spätestens bei Liquidation des Unternehmens. Bis dahin wird der Steuerbetrag dem Unternehmen als zinsloser Kredit gestundet, so dass die stille Selbstfinanzierung zusätzlich mit einem Zinsvorteil verbunden ist. 3.3.3.2
Innenfinanzierung aus fremden Mitteln
Erfolgt die Innenfinanzierung nicht aus einbehaltenen Gewinnen, sondern aus im Unternehmen erwirtschafteten Mitteln, die dem Fiskus oder anderen Personen zustehen, so liegt eine Innenfinanzierung aus fremden Mitteln vor. 1. Finanzierung aus Abschreibungen Die planmäßige Verteilung der Anschaffungsausgabe einer Anlage auf ihre Nutzungsdauer wird als Abschreibung bezeichnet. Die Abschreibungen gehen als Kosten in die Preiskalkulation der Produkte ein und fließen über die Umsatzerlöse in das Unternehmen zurück. Geht man vereinfachend davon aus, dass es keine Inflation gibt und dass die Anlage am Ende der Nutzungsdauer durch einen identischen Nachfolger ersetzt werden soll (vgl. Abschnitt 3.2.5), so kann die Ersatzbeschaffung im Prinzip aus den verdienten Abschreibungen vorgenommen werden. Zwischenzeitlich kann das hierbei freigesetzte Kapital für andere Finanzierungszwecke eingesetzt werden (Kapitalfreisetzungseffekt). Unter der Annahme beliebig teilbarer Investitionsobjekte ergibt sich bei einer Nutzungsdauer von n Perioden ein Kapazitätserweiterungseffekt in Höhe von: KFE = 2
n n +1
Aufgrund der unrealistischen Annahmen lässt sich dieser als Lohmann-Ruchti-Effekt bezeichnete Finanzierungsspielraum zwar nicht direkt zur Ersatzbeschaffung einer Anlage einsetzen, man kann jedoch davon ausgehen, dass dem Unternehmen ständig ein Bodensatz
180
3 Die Finanzwirtschaft
von noch nicht reinvestierten Abschreibungsgegenwerten für Finanzierungszwecke zur Verfügung steht. 2. Finanzierung aus Rückstellungen Rückstellungen sind Verbindlichkeiten, die dem Grunde nach durch die Unternehmenstätigkeit verursacht worden sind, bei denen jedoch der Gläubiger, die Höhe oder der Fälligkeitstermin ungewiss sind. Beispiele sind Rückstellungen für Garantieleistungen, für erwartete Nachzahlungen, Prozesskostenrückstellungen oder Pensionsrückstellungen für die betriebliche Altersversorgung der Mitarbeiter. Rückstellungen können während der Zeit, in der sie noch nicht in Anspruch genommen werden, als Finanzierungsmittel eingesetzt werden. Der Finanzierungseffekt ist umso größer, je größer die Rückstellungen sind und je länger sie im Unternehmen verbleiben können. Von besonderer Bedeutung sind in diesem Zusammenhang die Pensionsrückstellungen, da sie für viele Jahre zur Verfügung stehen und oft erhebliche Beträge zusammenkommen. Der den Pensionsrückstellungen in einem Geschäftsjahr zuzuweisende Betrag wird nach versicherungsmathematischen Methoden berechnet. Er gilt als Lohn- bzw. Gehaltsbestandteil und zählt zum Periodenaufwand. Daher verringert er den Periodenerfolg und damit die Steuerlast, ohne dass dem Unternehmen liquide Mittel entzogen werden. Die Rückstellungsgegenwerte stehen dem Unternehmen wie langfristiges Fremdkapital bis zu ihrer Fälligkeit, d.h. bis zur späteren Auszahlung der Pensionen, zur Verfügung. Die Zahlung einer Pension führt zum sukzessiven Abbau der für diesen Mitarbeiter gebildeten Rückstellung und stellt für die betreffende Periode keinen Aufwand mehr dar. Andere, nur kurzfristig im Unternehmen verbleibende Rückstellungen sind für die Finanzierung von entsprechend geringerer Bedeutung. Auch hier kann von einem Bodensatz ausgegangen werden, der ständig für Finanzierungszwecke zur Verfügung steht. 3. Finanzierung durch Steueraufschub Immer dann, wenn es dem Unternehmen gelingt, die Fälligkeit von Steuerzahlungen zeitlich nach hinten zu verlagern, stehen die entsprechenden Mittel als zinsloser Steuerkredit zwischenzeitlich für Finanzierungszwecke zur Verfügung. Dieser Effekt tritt insbesondere dann ein, wenn folgende Möglichkeiten ausgenutzt werden: • Steuerliche Sonderabschreibungen • Rückstellungen im Steuerrecht • Sonderposten mit Rücklageanteil
3.4
Finanzmanagement
Die Aufgabe des Finanzmanagements besteht darin, die durch Finanzierungsmaßnahmen und durch den betrieblichen Umsatzprozess ausgelösten Zahlungsströme so aufeinander abzu-
3.4 Finanzmanagement
181
stimmen, dass nicht nur jederzeit die Liquidität des Unternehmens gesichert ist und keine unnötig hohe Kassenhaltung erfolgt, sondern dem Unternehmen auch der für die geplanten Investitionen erforderliche Finanzierungsspielraum zur Verfügung steht. Die Zielsetzung und die Vorgehensweise des Finanzmanagements hängen davon ab, ob es sich um die Betrachtung eines kurzfristigen oder eines langfristigen Zeitraums handelt. Kurzfristig dominiert die Liquiditätsorientierung, die eine tagesgenaue Disposition von Zahlungen erfordert; langfristig hingegen steht die Rentabilität im Vordergrund, deren Planung auf einer mehrjährigen Vorschau hinsichtlich der erwarteten Zahlungsverpflichtungen und Rückflüsse basiert. Voraussetzung für das Finanzmanagement ist die Kenntnis der jeweils relevanten Ein- und Auszahlungen, die vielfach aus anderen Größen, z.B. Einnahmen und Ausgaben oder Erlösen und Kosten (zur Abgrenzung dieser Begriffe vgl. Abschnitt 4.3.1), abgeleitet werden müssen. Als Informationsquelle steht dem Finanzmanagement neben den Planungen aus anderen betrieblichen Bereichen das Rechnungswesen zur Verfügung. Zu den Einflussgrößen des Kapitalbedarfs zählen unter anderem die Betriebsgröße, die Auslastungssituation des Unternehmens, die Kosten- und Preisentwicklung, die Entwicklung am Absatzmarkt, das Zahlungsverhalten der Kunden usw. Idealerweise sollte das Finanzmanagement in eine unternehmerische Gesamtplanung einbezogen werden, die simultan sämtliche güter- und finanzwirtschaftlichen Entscheidungen trifft. Da eine solche Simultanplanung praktisch nicht möglich ist, erfolgt in der Praxis eine sukzessive Abstimmung der Teilpläne für die verschiedenen Bereiche. Dabei gilt nach dem von Erich Gutenberg formulierten Ausgleichsgesetz der Planung, dass sich die Planung jeweils auf den Bereich konzentrieren sollte, der den Engpass darstellt, da sich dadurch der Gesamterfolg des Unternehmens am stärksten steigern lässt. Sind die finanziellen Mittel zu einem Zeitpunkt knapp, zu dem Investitionen in neue Technologien erforderlich sind, so kann das geplante Investitionsprogramm nicht vollständig realisiert werden. Eine Ausweitung des Finanzierungsspielraums bedeutet in dieser Situation einen unmittelbaren Beitrag zum zukünftigen Erfolgspotenzial des Unternehmens.
3.4.1
Langfristiges Finanzmanagement
Das langfristige Finanzmanagement wird für einen Zeitraum von mehreren Jahren durchgeführt, so dass in erster Linie Zahlungen, die aus Entscheidungen über Kapazitätsauf- und -abbau oder Umstrukturierungen des Unternehmens resultieren, berücksichtigt werden. Der Planungshorizont wird in Perioden eingeteilt, die jeweils ein Quartal, ein Halbjahr oder auch ein Geschäftsjahr umfassen. Die Aufgabe des langfristigen Finanzmanagements ist die strukturelle Abstimmung von Kapitalbedarf und Kapitalbereitstellung. • Der Kapitalbedarf wird in seiner Höhe und seinem zeitlichen Anfall aus dem geplanten Produktions- und Investitionsprogramm und den damit zusammenhängenden Auszahlungen abgeleitet. Generell gilt, dass sich der Kapitalbedarf des Anlagevermögens leichter im Voraus bestimmen lässt als der des Umlaufvermögens. Daneben sind Auszahlungen zu berücksichtigen, deren Verursachung außerhalb des Leistungsbereichs liegt, z.B. Zins-
182
3 Die Finanzwirtschaft
und Tilgungszahlungen, Steuerzahlungen, Lohn- und Gehaltszahlungen, Ausschüttungen an Anteilseigner. • Kapitalzuflüsse resultieren zum großen Teil aus Einzahlungsüberschüssen aufgrund von zuvor getätigten Investitionen, aber auch aus geplanten Finanzierungsmaßnahmen, z.B. einer Kapitalerhöhung oder der Emission einer Anleihe, oder aus dem Verkauf von Anlagegegenständen wie Grundstücken oder auch Beteiligungen. Der aus externen Quellen zu deckende Kapitalbedarf einer Periode reduziert sich somit durch Rückflüsse vor allem aus Umsatzerlösen. Das wichtigste Instrument des langfristigen Finanzmanagements ist die Kapitalflussrechnung, die eine mehrjährige Rahmenplanung der Investitions- und Finanzierungstätigkeit vornimmt. Im Rahmen der Kapitalflussrechnung wird ein Abgleich von Mittelzufluss und Mittelverwendung durchgeführt und es werden die in den einzelnen Perioden geplanten Bewegungen zwischen Geldvermögen und Anlagevermögen aufgezeigt. Die Daten in der Kapitalflussrechnung sind regelmäßig zu aktualisieren und die geplanten Maßnahmen an Änderungen anzupassen. Der prinzipielle Aufbau einer einperiodigen Kapitalflussrechnung ist in Tab. 3.6 anhand eines einfachen Beispiels dargestellt. Tab. 3.6
Kapitalflussrechnung Mittelverwendung
Umsatzbereich Umsatzerlöse Aufwendungen Erhöhung der Vorräte Summe Anlagenbereich Anlagenzugang Anlagenabgang Summe Langfristige Finanzierung Eigenkapitalerhöhung Gewinnausschüttung Aufnahme langfristiger Kredite Rückzahlung langfristiger Kredite Summe Geldbereich Zu-/Abnahme der Zahlungsmittel Zu-/Abnahme der Forderungen Zu-/Abnahme der kurzfristigen Verbindlichkeiten Summe Saldo
Mittelherkunft
Saldo
300.000 180.000 20.000 200.000
300.000
100.000
20.000 20.000
–230.000
250.000 250.000
50.000 30.000 150.000 60.000 90.000
200.000
110.000
10.000 15.000 25.000 15.000
35.000
20.000 0
3.4 Finanzmanagement
183
Den geplanten Investitionen in Produktionsanlagen in Höhe von 250.000 € stehen geplante Rückflüsse aus dem Verkauf alter Anlagen in Höhe von 20.000 € gegenüber, so dass für den Anlagenbereich Mittel in Höhe von 230.000 € aufzubringen sind. Diese werden durch Überschüsse aus dem Umsatzbereich in Höhe von 100.000 €, durch langfristige Finanzierungsmaßnahmen im Umfang von 110.000 € und durch kurzfristige Finanzierungsmaßnahmen im Umfang von 20.000 € abgedeckt. Bei der langfristigen Finanzierung werden eine Kapitalerhöhung von 50.000 € und die zusätzliche Aufnahme langfristiger Kredite von 150.000 € geplant, dem stehen eine Gewinnausschüttung von 30.000 € und vertraglich vereinbarte Kredittilgungen von 60.000 € gegenüber. Im Geldbereich wird damit gerechnet, dass die kurzfristigen Forderungen um 15.000 € und die kurzfristigen Verbindlichkeiten um 25.000 € zunehmen. Weiter wird eine Reduktion des Zahlungsmittelbestands um 10.000 € vorgesehen, so dass in diesem Bereich 20.000 € zur Abdeckung des Finanzierungsbedarfs zur Verfügung stehen. Der Saldo sämtlicher Kapitalbewegungen muss Null sein.
3.4.2
Kurzfristige Finanzplanung
Das übergeordnete langfristige Finanzmanagement setzt die Rahmenbedingungen für die kurzfristige Finanzplanung, die mit einem kürzeren Planungshorizont und einem feineren Periodenraster durchgeführt wird. Seine Aufgabe ist die möglichst zeitpunkt- und betragsgenaue Gegenüberstellung der erwarteten Ein- und Auszahlungen, um daraus den Zahlungsmittelbestand am Ende der Periode abschätzen und gegebenenfalls Maßnahmen zur Liquiditätssicherung einleiten zu können. Die Grundstruktur der kurzfristigen Finanzplanung ist die folgende Bilanzgleichung: Anfangsbestand an Zahlungsmitteln + Einzahlungen in der Periode – Auszahlungen in der Periode = Endbestand an Zahlungsmitteln Der Endbestand an Zahlungsmitteln sollte möglichst exakt der von der Unternehmensleitung festgelegten Liquiditätsreserve entsprechen, die für unvorhergesehene Schwankungen bei den Ein- und Auszahlungen vorgehalten wird. Eine geringere Kassenhaltung würde das Risiko der Illiquidität stark erhöhen, ein höherer Zahlungsmittelbestand hingegen würde zu Zinsverlusten und damit zu einer Beeinträchtigung der Rentabilität führen. Üblich ist es, für die kurzfristige Finanzplanung einen Horizont von sechs Monaten bis einem Jahr anzusetzen und diesen in Perioden unterschiedlicher Länge einzuteilen. In Abhängigkeit von der abnehmenden Qualität der zur Verfügung stehenden Datenprognosen wird z.B. der erste Monat auf Basis von Wochen geplant, der Rest des ersten Quartals auf Monatsbasis und der Rest des Jahres auf Quartalsbasis. Die kurzfristige Finanzplanung wird in der Regel in Form einer rollierenden Planung durchgeführt. Dabei geht man so vor, dass von einem für den gesamten Planungszeitraum ermittelten Plan lediglich die erste Periode unmittelbar umgesetzt wird, die restliche Planung stellt eine Eventualplanung dar. Nach Ablauf der ersten Periode wird die Planung fortgeschrieben, indem der Planungshorizont um eine Perio-
184
3 Die Finanzwirtschaft
de hinausgeschoben wird, die Daten aktualisiert werden und nunmehr die nächste Periode verbindlich geplant wird. Abb. 3.14 zeigt das Prinzip einer rollierenden Planung für vier Perioden.
Zeit Feste Planung
Vorläufige Planung
T
Abb. 3.14 Rollierende Planung
Das Ideal einer zeitpunktgenauen Planung ließe sich durch eine sehr kurzfristige Planung, z.B. auf Tagesbasis, erreichen. Andererseits weisen umfassendere Perioden den Vorteil auf, dass sich zufallsbedingte Schwankungen bei den prognostizierten Werten tendenziell ausgleichen. Während sich zahlreiche Auszahlungen terminlich exakt bestimmen lassen, z.B. die Fälligkeit von Steuerzahlungen, Lohn- und Gehaltszahlungen, Zins- und Tilgungszahlungen, bestehen bezüglich der Einzahlungen größere Unsicherheiten, da diese unter anderem vom Zahlungsverhalten der Kunden abhängen, d.h. von dem Ausmaß, in dem diese die ihnen eingeräumten Zahlungsziele ausnutzen oder sogar überschreiten. Wenn sich die anstehenden Zahlungen vollständig, betragsgenau und zeitpunktgenau prognostizieren ließen, könnte bereits durch den kurzfristigen Finanzplan die Sicherung der Unternehmensliquidität erreicht werden. Da dies in der Praxis nicht der Fall ist, wird die kurzfristige Finanzplanung durch eine laufende Überwachung des Zahlungsmittelbestands ergänzt, die bei Planabweichungen die erforderlichen Anpassungen vornimmt. Diese als Cash Management bezeichnete Aufgabe ist vor allem in Großunternehmen und internationalen Konzernen von großer Bedeutung. Das zentral durchgeführte Cash Management dient der bereichs- bzw. unternehmensübergreifenden Kassendisposition und der Optimierung des Liquiditätsausgleichs. Der Cash Manager bzw. Treasurer benötigt umfassende Informationen über die in den einzelnen Bereichen erwarteten Zahlungen, die Kontenstände und die allgemeine Marktlage. Im Rahmen des Cash Managements sind folgende Einzelaufgaben von Bedeutung: • Pooling: Durch den unternehmensinternen Ausgleich von Konten mit Soll- und Habensalden lassen sich die insgesamt anfallenden Zinskosten senken. • Netting: Durch eine konzerninterne Verrechnung von Forderungen und Verbindlichkeiten zwischen Konzernunternehmen lassen sich andernfalls anfallende Transaktionskosten des Zahlungsverkehrs vermeiden.
3.4 Finanzmanagement
185
• Hedging: Durch Abstimmung der Termine von Währungsforderungen und -verbindlichkeiten im internationalen Konzern lassen sich Währungsrisiken reduzieren. • Eine weitere Aufgabe des Cash Managements ist die zentral durchgeführte Abdeckung des Mittelbedarfs bzw. die Anlage von Mittelüberschüssen zu möglichst günstigen Zinssätzen. Ergänzt wird das Finanzmanagement durch die Finanzkontrolle, die einerseits den Planvollzug überwacht, andererseits anhand von Soll/Ist-Abweichungen frühzeitig Planrevisionen auslösen kann.
4
Die Informationswirtschaft
Gegenstand der Informationswirtschaft ist die Gestaltung und Bewältigung der vielfältigen, in allen Bereichen des Unternehmens auftretenden Informationsflüsse, die zum großen Teil mithilfe der automatisierten Datenverarbeitung abgewickelt werden. Informationen dienen insbesondere der Abbildung von betrieblichen Vorgängen und der von ihnen ausgelösten Geld- und Güterflüsse, der zum Teil gesetzlich vorgeschriebenen Dokumentation von Sachverhalten sowie der Fundierung von Entscheidungen. Neben der Buchführung (Abschnitt 4.1), der Bilanzierung (Abschnitt 4.2), der Kostenrechnung (Abschnitt 4.3) und dem Controlling (Abschnitt 4.4) als den verschiedenen Teilbereichen des Rechnungswesens zählt der in Abschnitt 4.5 behandelte Einsatz von Informationssystemen zu den Aufgaben der Informationswirtschaft.
4.1
Buchführung
Die Buchführung ist der Teil des Rechnungswesens, der die durch die betrieblichen Tätigkeiten ausgelösten Geld- und Güterströme zwischen dem Unternehmen und seiner Umwelt zahlenmäßig erfasst und abbildet. Jedes Unternehmen, das die Kaufmannseigenschaft nach §§ 1ff. des Handelsgesetzbuchs (HGB) besitzt, ist nach § 238 HGB zur Buchführung verpflichtet: „Jeder Kaufmann ist verpflichtet, Bücher zu führen und in diesen seine Handelsgeschäfte und die Lage seines Vermögens nach den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung ersichtlich zu machen.“ Darüber hinaus müssen sämtliche Gewerbetreibenden – auch unabhängig von der Kaufmannseigenschaft – aufgrund von steuerrechtlichen Bestimmungen in der Abgabenordnung (§§ 140, 141 Abgabenordnung) ab einem bestimmten Geschäftsvolumen Bücher führen und Aufzeichnungen über ihre Geschäfte vornehmen. Am Anfang der Buchführung eines Geschäftsjahrs stehen die als Inventur bezeichnete Bestandsaufnahme von Vermögen und Schulden des Unternehmens sowie die darauf aufbauende Erstellung des Inventars (Abschnitt 4.1.1). Aus dem Inventar wird die Eröffnungsbilanz abgeleitet. Diese wird in Konten aufgelöst (Abschnitt 4.1.2), auf denen die während eines Geschäftsjahrs anfallenden Geschäftsvorfälle nach bestimmten Regeln durch Buchungsvorgänge (Abschnitt 4.1.3) festgehalten werden. Am Ende eines Geschäftsjahrs erfolgt der Ab-
188
4 Die Informationswirtschaft
schluss sämtlicher Konten. Neben der Abschlussbilanz wird die Gewinn- und Verlustrechnung (Abschnitt 4.1.4) aufgestellt, die den vom Unternehmen erwirtschafteten Erfolg ausweist.
4.1.1
Inventur und Inventar
Jeder Kaufmann ist weiter dazu verpflichtet, einmalig bei der Aufnahme seiner Geschäftstätigkeit und danach regelmäßig zum Schluss eines Geschäftsjahrs ein als Inventar bezeichnetes Verzeichnis seiner Vermögensgegenstände und Verbindlichkeiten aufzustellen. Das Geschäftsjahr muss nicht mit dem Kalenderjahr identisch sein, es kann auch kürzer als 12 Monate sein und im Prinzip an jedem beliebigen Kalendertag beginnen. Da ein kürzeres Geschäftsjahr dazu führen würde, dass die mit dem Jahresabschluss verbundenen Tätigkeiten häufiger durchgeführt werden müssen, ist das 12-monatige Geschäftsjahr der Regelfall. Bei den meisten Unternehmen endet das Geschäftsjahr am 31.12. jeden Jahres, es gibt jedoch auch eine Reihe von Abweichungen, die zum Teil historisch begründet sind, zum Teil aus Markterfordernissen resultieren. So endet z.B. das Geschäftsjahr der ThyssenKrupp AG am 30.09. jeden Jahres. Den Ausgangspunkt bei der Aufstellung des Inventars bildet die Inventur. Darunter versteht man die genaue, auf einen bestimmten Stichtag bezogene, art- und mengenmäßige Bestandsaufnahme der im Unternehmen vorhandenen Vermögensgegenstände und Schulden. Bei Sachgütern sind ihre Bestandsmengen durch Zählen, Messen und Wiegen zu erfassen, so dass ein Abgleich mit den Buchwerten möglich ist. Bei immateriellen Vermögensgegenständen, Forderungen und Verbindlichkeiten wird ihr buchhalterischer oder kontenmäßiger Bestand festgehalten. Die Grundform der Inventur ist die Stichtagsinventur, die im Prinzip als körperliche Bestandsaufnahme für sämtliche im Unternehmen vorhandenen Güter erfolgen muss. Da die Durchführung dieser Tätigkeiten mit einem erheblichen Arbeitsaufwand verbunden ist, der vielfach einen geregelten Geschäftsbetrieb unmöglich macht, darf bei der ausgeweiteten Stichtagsinventur die Bestandsaufnahme innerhalb einer Zeitspanne von jeweils 10 Tagen vor und nach dem Stichtag erfolgen. Weitere Erleichterungen bieten die permanente Inventur, bei der die Bestandsentwicklung über ein Warenwirtschaftssystem ständig erfasst und der Bestand jeder Position mindestens einmal jährlich mit dem Buchwert abgeglichen wird, und die Stichprobeninventur, bei der anerkannte statistische Stichprobenverfahren eingesetzt werden und nur ein Teil der Bestände körperlich erfasst werden muss. Die in den Inventurlisten zusammengestellten Bestände werden anschließend bewertet und mit ihren Mengen und Werten in einem als Inventar bezeichneten Verzeichnis geordnet aufgelistet. Dabei werden zunächst die Vermögensgegenstände nach steigender Liquidität angegeben und anschließend die Schulden nach Fälligkeit angeordnet. In Abb. 4.1 ist ein Beispiel für den Aufbau eines Inventars angegeben. Zur Erhöhung der Übersichtlichkeit kann das Inventar lediglich die Summen der verschiedenen Positionen enthalten und auf separate Übersichten, z.B. Inventurlisten, verweisen, in denen die einzelnen Posten detailliert aufgeführt sind.
4.1 Buchführung
189
A. Vermögen I. Anlagevermögen 1. Grundstücke 2. Bauten auf eigenen Grundstücken 3. Maschinen 4. Fuhrpark 5. Betriebs- und Geschäftsausstattung II. Umlaufvermögen 1. Rohstoffe 2. Hilfsstoffe 3. Betriebsstoffe 4. Fertigerzeugnisse 5. Unfertige Erzeugnisse 6. Forderungen aus Lieferungen und Leistungen 7. Guthaben bei Banken 8. Kassenbestand B. Schulden 1. Verbindlichkeiten gegenüber Kreditinstituten 2. Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen 3. Verbindlichkeiten aus Wechseln 4. Erhaltene Anzahlungen 5. Sonstige Verbindlichkeiten Abb. 4.1 Inventar
4.1.2
Bilanzen und Konten
Aus dem üblicherweise wie in Abb. 4.1 in Staffelform aufgestellten Inventar wird die Bilanz abgeleitet. Die Bilanz ist eine stichtagsbezogene Gegenüberstellung von Vermögen und Schulden des Unternehmens in Kontenform. Die Vermögenswerte werden auf der als Aktivseite bezeichneten linken Bilanzseite eingetragen, die Schulden bzw. Verbindlichkeiten auf der als Passivseite bezeichneten rechten Bilanzseite. Die Bilanz verdeutlicht somit, inwieweit die Verbindlichkeiten des Unternehmens durch die vorhandenen Vermögensgegenstände abgedeckt sind. Wie bereits in Abschnitt 3.3 erläutert, wird die Mittelherkunft aus verschiedenen Maßnahmen der Eigen- oder Fremdfinanzierung auf der Passivseite der Bilanz und die Mittelverwendung in Form von Investitionen in das Anlage- oder Umlaufvermögen auf der Aktivseite dargestellt. Eine Bilanz muss stets ausgeglichen sein, d.h. es muss die folgende Bilanzgleichung gelten:
∑ Aktiva = ∑ Passiva Da bei einem solventen Unternehmen üblicherweise der Wert der Vermögensgegenstände größer ist als die Summe der Verbindlichkeiten, kann die aus dem Inventar abgeleitete Bilanz zunächst noch nicht ausgeglichen sein. Um die Bilanz zum Ausgleich zu bringen, wird
190
4 Die Informationswirtschaft
daher auf der Passivseite das Eigenkapital des Unternehmens hinzugefügt, das sich rechnerisch als Differenz aus Vermögen und Schulden ergibt. Dieser Zusammenhang ist in Abb. 4.2 dargestellt.
Bilanz
Aktiva
Passiva Eigenkapital
Vermögen Verbindlichkeiten
Abb. 4.2
Bilanz
Abb. 4.3 zeigt die Grundstruktur einer Handelsbilanz, wie sie in § 266 HGB für kleine Kapitalgesellschaften vorgeschrieben ist. Sie beschränkt sich auf die wichtigsten Bilanzpositionen. Bei mittelgroßen und großen Kapitalgesellschaften (zur Definition der Größenklassen vgl. Abschnitt 1.1.2) müssen weitere Bilanzpositionen aufgenommen und die einzelnen Bilanzpositionen zum Teil noch weiter untergliedert werden. Grundsätzlich gilt, dass die Aktivseite der Bilanz nach zunehmender Liquidität und die Passivseite nach abnehmender Nähe zum Eigenkapital gegliedert wird.
Aktiva A. Anlagevermögen I. Immaterielle Vermögensgegenstände II. Sachanlagen III. Finanzanlagen B. Umlaufvermögen I. Vorräte II. Forderungen III. Wertpapiere IV. Zahlungsmittel C. Rechnungsabgrenzungsposten
Passiva A. Eigenkapital I. Gezeichnetes Kapital II. Kapitalrücklage III. Gewinnrücklagen IV. Gewinnvortrag / Verlustvortrag V. Jahresüberschuss / Jahresfehlbetrag B. Rückstellungen C. Verbindlichkeiten D. Rechnungsabgrenzungsposten
Abb. 4.3 Grundstruktur einer Handelsbilanz
Im angelsächsischen Sprachraum ist eine andere Art der Bilanzgliederung üblich, die sich in der US-amerikanischen Praxis herausgebildet hat. Die Bilanz (Balance Sheet) wird hier meist in Staffelform angegeben – d.h. die Aktiv- und Passivseite stehen nicht nebeneinander, sondern untereinander – und ist durchweg nach abnehmender Liquidität gegliedert (vgl. Abb.
4.1 Buchführung
191
4.4). Da sich die Vorschriften für die Rechnungslegung derzeit stark verändern, erstellen international tätige Großunternehmen für ihren Jahresabschluss häufig parallel eine Bilanz nach deutschem Handelsrecht und nach US-GAAP (Generally Accepted Accounting Standards) bzw. nach den International Financial Reporting Standards (IFRS). Seit 2005 sind kapitalmarktorientierte Mutterunternehmen von Konzernen in Deutschland verpflichtet, ihren Konzernabschluss nach IFRS vorzulegen. Neben der Handelsbilanz muss eine Steuerbilanz erstellt werden, die die Grundlage für die Besteuerung des Unternehmens bildet. Für den handelsrechtlichen Jahresabschluss findet dann eine Korrektur um die Sachverhalte statt, die nach Handels- und Steuerrecht unterschiedlich behandelt werden.
Assets Current Assets Cash and cash equivalents Marketable securities Accounts receivable and notes Inventories Deferred income tax asset Prepaid expenses Non-current assets Property, plant and equipment Land and land improvements Buildings Machinery and equipment Intangible assets Long term investments Other assets Liabilities and Stockholders‘ Equity Current Liabilities Short term borrowings Current portion of long-term debt Accounts payable and notes Income taxes Other accrued liabilities Non-current Liabilities Long-term debts (less current portion) Deferred income taxes Postretirement benefits other than pensions Other liabilities Stockholder‘s equity Preferred stock Common stock Additional paid-in capital Retained earnings Abb. 4.4
Balance Sheet
192
4 Die Informationswirtschaft
Um die laufenden Geschäftsvorfälle zu erfassen, wird die Bilanz in Konten aufgelöst. Ein Konto ist ein zweiseitiges Rechenschema, in dem Bestands- oder Stromgrößen in sachlich geordneter Weise aufgeführt werden. Dadurch lässt sich jederzeit der Saldo eines Kontos als Differenz der beiden Kontenseiten ermitteln. Die linke Seite eines Kontos wird als Sollseite und die rechte Seite als Habenseite bezeichnet. Als Beispiel für ein Konto ist in Abb. 4.5 ein Kassenkonto angegeben, auf dem im Laufe eines Quartals mehrere Ein- und Auszahlungen verbucht worden sind. Der aus der Bilanz übernommene Anfangsbestand und die laufenden Einzahlungen sind auf der Sollseite des Kassenkontos in chronologischer Reihenfolge verbucht, die Auszahlungen entsprechend auf der Habenseite, auf der sich auch der Saldo als der Endbestand des Kontos ergibt. Zum 31.03. wird das Konto abgeschlossen, indem der Saldo gebildet wird. Der Saldo ergänzt die betragsmäßig kleinere Kontenseite so, dass das Konto ausgeglichen ist. Da bei dem Konto in Abb. 4.5 die Summe der Einzahlungen während des betrachteten Quartals größer ist als die Summe der Auszahlungen, ist auch der Saldo größer als der Anfangsbestand, d.h. der Kassenbestand hat sich erhöht.
Soll Anfangsbestand Einzahlung 09.01. Einzahlung 17.02. Einzahlung 25.02. Einzahlung 11.03. Einzahlung 19.03. Einzahlung 30.03.
Kasse 5.637,28 750,00 232,55 975,00 1.441,37 23,56 400,00 9.459,76
Auszahlung 05.01. Auszahlung 01.02. Auszahlung 19.02. Auszahlung 22.03. Saldo
Haben 100,00 825,75 352,89 211,40 7.969,72
9.459,76
Abb. 4.5 Konto
Das Kassenkonto zählt zu den Aktivkonten, denn der Kassenbestand wird auf der Aktivseite der Bilanz unter den Zahlungsmitteln ausgewiesen. Bei allen Aktivkonten werden der Anfangsbestand und die Zugänge auf der Sollseite, die Abgänge und der Endbestand auf der Habenseite verbucht. Umgekehrt weisen die Passivkonten, die sich aus der Passivseite der Bilanz ableiten lassen, ihren Anfangsbestand und die Zugänge im Haben und die Abgänge sowie den Saldo im Soll aus. Ein typisches Passivkonto ist ein Darlehenskonto, auf dem der am Periodenanfang noch ausstehende Kreditbetrag und die laufenden Tilgungen verbucht werden. Sein Saldo gibt dann den Kreditbetrag zum Ende der Periode an. Neben den Bestandskonten, die sich direkt aus der Auflösung der Bilanz ergeben und auf denen die während des Geschäftsjahrs erfolgenden Zu- und Abgänge bei den entsprechenden Bilanzpositionen verbucht werden, werden Erfolgskonten eingerichtet, auf denen die laufenden Erträge im Haben und die Aufwendungen im Soll verbucht werden. Ertragskonten wer-
4.1 Buchführung
193
den vor allem für die Erfassung von Umsatzerlösen eingerichtet, Aufwandskonten z.B. für Löhne, Abschreibungen, Materialkosten, Zinsaufwendungen usw. Am Ende eines Geschäftsjahrs werden sämtliche Konten abgeschlossen und die Salden gegengebucht. Während die Salden der Bestandskonten direkt auf das Schlussbilanzkonto gebucht werden, das als Grundlage für die Erstellung der Schlussbilanz dient, werden die Salden der Erfolgskonten zunächst auf ein spezielles, als Gewinn- und Verlustrechnung bezeichnetes Konto gebucht (vgl. Abschnitt 4.1.4). Der Saldo der Gewinn- und Verlustrechnung weist den Erfolg aus, den das Unternehmen im Geschäftsjahr erwirtschaftet hat. Sind die Erträge höher als die Aufwendungen, so liegt positiver Erfolg bzw. ein Gewinn vor, im umgekehrten Fall ein negativer Erfolg, der als Verlust bezeichnet wird. Bei Personengesellschaften wird der Erfolg anteilig zu den bestehenden Beteiligungsverhältnissen direkt auf den Kapitalkonten der Gesellschafter verbucht. Ein Gewinn bedeutet eine Vermehrung des Eigenkapitals und ein Verlust eine Eigenkapitalverminderung. Bei Kapitalgesellschaften hingegen wird der Erfolg als Jahresüberschuss bzw. Jahresfehlbetrag in der Bilanz ausgewiesen (vgl. nochmals die Darstellung in Abb. 4.3). Hinsichtlich der Anzahl und der Bezeichnung der innerhalb der Buchführung einzurichtenden Konten gibt es keine speziellen Vorschriften. Viele Unternehmen orientieren sich beim Aufbau ihrer Buchführung an einem Musterkontenrahmen, aus dem sie ihren eigenen Kontenplan entwickeln. Die bekanntesten Kontenrahmen sind der 1986 überarbeitete Industriekontenrahmen (IKR) und der bereits 1950 entwickelte Gemeinschaftskontenrahmen der Industrie (GKR), daneben gibt es eine Vielzahl von branchenspezifischen Kontenrahmen. Um die DV-technische Abwicklung der Buchführung zu unterstützen, sind die Kontenrahmen dekadisch aufgebaut, indem zehn Kontenklassen hierarchisch mit bis zu vier- oder fünfstelligen Kontennummern unterteilt werden. Die Kontenklassen im Industriekontenrahmen lauten: Klasse 0: Klasse 1: Klasse 2: Klasse 3: Klasse 4: Klasse 5: Klasse 6: Klasse 7: Klasse 8: Klasse 9:
Immaterielle Vermögensgegenstände und Sachanlagen Finanzanlagen Umlaufvermögen und aktive Rechnungsabgrenzung Eigenkapital und Rückstellungen Verbindlichkeiten und passive Rechnungsabgrenzung Erträge Betriebliche Aufwendungen Weitere Aufwendungen Ergebnisrechnungen Kosten- und Leistungsrechnung
Dieser Kontenrahmen ist nach dem Prinzip der Abschlussorientierung aufgebaut, d.h. er erleichtert die Erstellung des Jahresabschlusses. Dies kommt darin zum Ausdruck, dass Aktivkonten (Klassen 0, 1 und 2), Passivkonten (Klassen 3 und 4), Ertragskonten (Klasse 5) und Aufwandskonten (Klassen 6 und 7) streng voneinander getrennt sind. In der Kontenklasse 8
194
4 Die Informationswirtschaft
werden die Abschlussbuchungen durchgeführt, die Kontenklasse 9 dient der Verknüpfung der Buchführung mit der in Abschnitt 4.3 dargestellten Kosten- und Leistungsrechnung.
4.1.3
Buchungen
Durch die betriebliche Tätigkeit werden Geschäftsvorfälle ausgelöst, die aufgrund der Buchführungspflicht des Unternehmens zeitnah, chronologisch und ordnungsgemäß zu erfassen sind. Grundlage jeder Buchung ist ein Beleg, aus dem die wesentlichen Daten des Geschäftsvorfalls – Datum, Betrag, Vorgang, Geschäftspartner usw. – hervorgehen. Zur Dokumentation der Vollständigkeit und zur Verbesserung der Übersichtlichkeit werden die Belege fortlaufend nummeriert. Neben von außen stammenden Belegen, z.B. Rechnungen, Quittungen, Lieferscheinen, Kontoauszügen, kann es sich auch um vom Unternehmen selbst erstellte Belege (Eigenbelege) handeln, z.B. Lohnlisten, Anlagenspiegel, Umbuchungsbelege. Die Buchung wird als Buchungssatz formuliert, wobei zuerst das im Soll berührte Konto und dann das im Haben berührte Konto genannt wird. So wird der Eingang eines Betrags, der zuvor einem Kunden für eine Lieferung in Rechnung gestellt wurde, auf dem Bankkonto wie folgt verbucht: per Bankkonto an Forderungen aus Lieferungen und Leistungen Da das Bankkonto ein Aktivkonto ist, wird der Zugang des Betrags dort im Soll verbucht. Durch die Zahlung der Rechnung erlischt die Forderung an den Kunden, d.h. auf dem ebenfalls der Aktivseite der Bilanz zugehörigen Forderungskonto findet ein Abgang statt, der im Haben verbucht wird. In Abhängigkeit davon, welche Arten von Konten durch eine Buchung verändert werden, lassen sich anhand ihrer Auswirkungen auf die Bilanz vier Grundtypen von Geschäftsvorfällen unterscheiden: 1. Aktivtausch Bei einem Aktivtausch findet eine Vermögensumschichtung zwischen zwei Aktivpositionen statt. Der Bestand eines Aktivkontos wird um einen bestimmten Betrag erhöht und der eines anderen entsprechend vermindert. Dadurch verändert sich die Zusammensetzung der Aktivseite der Bilanz bei gleich bleibender Bilanzsumme. Ein Aktivtausch liegt z.B. bei den folgenden Geschäftsvorfällen vor: • Barverkauf von Waren: Es erfolgt ein Zugang bei dem Kassenkonto und ein Abgang bei dem Warenkonto. Der zugehörige Buchungssatz lautet: per Kasse an Warenvorräte • Einreichung eines Schecks auf das Bankkonto: Es erfolgt ein Zugang bei dem Bankkonto und ein Abgang bei der Position Schecks. Der zugehörige Buchungssatz lautet: per Bankkonto an Schecks
4.1 Buchführung
195
• Abhebung vom Bankkonto: Es erfolgt ein Zugang bei dem Kassenkonto und ein Abgang beim Bankkonto. Der zugehörige Buchungssatz lautet: per Kasse an Bankkonto 2. Passivtausch Ein Passivtausch bedeutet eine Umstrukturierung auf der Passivseite der Bilanz, d.h. einen Wechsel zwischen verschiedenen Finanzierungsarten, z.B. zwischen langfristiger und kurzfristiger Finanzierung. Einem Zugang bei einem Passivkonto steht ein gleich hoher Abgang bei einem anderen Passivkonto gegenüber. Wie beim Aktivtausch bleibt auch hier die Bilanzsumme unverändert. Beispiele für einen Passivtausch sind: • Umbuchung der Gewinnbeteiligung eines Kommanditisten: Es findet ein Zugang auf dem Kapitalkonto des Kommanditisten und ein Abgang bei der Position Bilanzgewinn statt. Der zugehörige Buchungssatz lautet: per Bilanzgewinn an Einlage XY • Umwandlung eines Kontokorrentkredits in ein langfristiges Darlehen: Es erfolgt ein Zugang bei dem Konto Darlehen und ein Abgang bei dem Kontokorrentkonto. Der zugehörige Buchungssatz lautet: per Kontokorrent an Darlehen • Zahlung an einen Lieferanten mittels Wechsel: Es erfolgt ein Zugang bei der Position Wechselverbindlichkeiten und ein Abgang bei der Position Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen. Der zugehörige Buchungssatz lautet: per Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen an Wechselverbindlichkeiten 3. Bilanzverlängerung Bei einer Bilanzverlängerung findet sowohl auf der Aktiv- als auch auf der Passivseite der Bilanz ein Zugang statt. Damit steigt die Bilanzsumme auf beiden Seiten um den gleichen Betrag, die Bilanzgleichung gilt damit weiterhin. Beispiele für eine Bilanzverlängerung sind: • Kauf einer Maschine auf Ziel: Es erfolgt ein Zugang bei der Aktivposition Maschinen und bei der Passivposition Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen. Der zugehörige Buchungssatz lautet: per Maschinen an Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen • Aufnahme eines langfristigen Bankdarlehens: Es erfolgt ein Zugang bei der Aktivposition Bank und bei der Passivposition langfristige Darlehen. Der zugehörige Buchungssatz lautet: per Bank an langfristige Darlehen • Kapitalerhöhung gegen Bareinlagen: Es erfolgt ein Zugang bei der Aktivposition Kasse und bei der Passivposition Eigenkapital. Der zugehörige Buchungssatz lautet: per Kasse an Eigenkapital
196
4 Die Informationswirtschaft
4. Bilanzverkürzung Ein Geschäftsvorfall, der zu einer Bilanzverkürzung führt, bewirkt einen gleich hohen Abgang auf der Aktiv- und der Passivseite der Bilanz und damit eine entsprechende Verminderung der Bilanzsumme. Beispiele für eine Bilanzverkürzung sind: • Zahlung einer Tilgungsrate für ein langfristiges Darlehen über das Bankkonto: Es erfolgt ein Abgang bei der Aktivposition Bank und bei der Passivposition langfristige Darlehen. Der zugehörige Buchungssatz lautet: per langfristige Darlehen an Bank • Bareinlösung eines von einem Lieferanten bei Fälligkeit vorgelegten Wechsels: Es erfolgt ein Abgang bei der Aktivposition Kasse und bei der Passivposition Wechselverbindlichkeiten. Der zugehörige Buchungssatz lautet: per Wechselverbindlichkeiten an Kasse • Ausschüttung von Dividende: Es erfolgt ein Abgang bei der Aktivposition Bank und bei der Passivposition Jahresüberschuss. Der zugehörige Buchungssatz lautet: per Jahresüberschuss an Bank Neben diesen einfachen Buchungssätzen sind auch zusammengesetzte Buchungen möglich, bei denen auf der Soll- und/oder Habenseite mehrere Konten angesprochen werden. Die übliche Bezeichnung der Buchführung als „doppelte Buchführung“ rührt daher, dass die Verbuchung jedes Geschäftsvorfalls mindestens zwei Konten berührt, davon mindestens eins im Soll und mindestens eins im Haben. Die Summe der bei einer Buchung im Soll bzw. im Haben verbuchten Beträge muss stets gleich hoch sein.
4.1.4
Gewinn- und Verlustrechnung
Die Gewinn- und Verlustrechnung dient der Ermittlung des Erfolgs, den das Unternehmen innerhalb des Geschäftsjahrs erwirtschaftet hat. Der Begriff Erfolg wird in diesem Zusammenhang als Oberbegriff für Gewinn und Verlust bzw. für Erträge und Aufwendungen verwendet. • Erträge entstehen in erster Linie durch die Erzeugung der betrieblichen Leistung, sie werden durch den Verkauf von Endprodukten, Zwischenprodukten, Handelswaren oder Dienstleistungen realisiert. Weitere Erträge resultieren aus Zinseinnahmen, Ausschüttungen aus Wertpapieranlagen oder Mieteinnahmen. Als neutralen Ertrag bezeichnet man solche Erträge, die nicht in direktem Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit stehen, z.B. einen Spekulationsgewinn beim Verkauf von Wertpapieren. • Aufwendungen fallen beim Einsatz von Gütern und Dienstleistungen im betrieblichen Umsatzprozess an, z.B. in Form von Materialaufwand, Lohn- und Gehaltszahlungen, Sozialaufwendungen, Abschreibungen, Mieten, Versicherungen oder Steuerzahlungen. Neben diesen betrieblich veranlassten Aufwendungen gibt es die neutralen Aufwendungen, die betriebsfremd, periodenfremd oder außerordentlich sind, z.B. eine Spende, eine
4.1 Buchführung
197
Nachzahlung für Strombezug im letzten Geschäftsjahr oder die Reparatur eines durch Blitzschlag beschädigten Gebäudes. Für jede Ertrags- und Aufwandsart wird ein separates Konto eingerichtet, auf dem während des gesamten Geschäftsjahrs die anfallenden Geschäftsvorfälle verbucht werden. Im Gegensatz zu den aus der Bilanz hervorgegangenen Bestandskonten werden diese Konten als Erfolgskonten bezeichnet, sie werden ohne Anfangsbestand eröffnet. Grundsätzlich werden auf Ertragskonten nur Habenbuchungen und auf Aufwandskonten nur Sollbuchungen vorgenommen, eine Ausnahme bilden Stornobuchungen, durch die eine falsche Buchung korrigiert wird. Beispiele für Erfolgsbuchungen sind: • Die Bank schreibt Zinsen aus einem Festgeld auf dem Bankkonto gut. Der Buchungssatz lautet: per Bank an Zinsertrag • Am Monatsende erfolgt die Überweisung der laufenden Lohn- und Gehaltszahlungen sowie der Sozialversicherungsbeiträge für die Mitarbeiter vom Bankkonto. Dieser zusammengesetzte Buchungssatz lautet: per Löhne Gehälter Sozialaufwand an Bank
Löhne
Soll Januar Februar März April Mai Juni Juli August September Oktober November Dezember
10.500,83 9.275,14 10.500,83 10.150,37 10.500,83 10.150,37 15.226,25 10.500,83 10.150,37 10.500,83 20.300,74 10.500,83 138.258,22
Saldo
Haben 138.258,22
138.258,22
Abb. 4.6 Aufwandskonto
Am Ende des Geschäftsjahrs werden sämtliche Erfolgskonten über ein spezielles Sammelkonto, das Gewinn- und Verlustkonto, abgeschlossen, indem ihre Salden dort gegengebucht werden. Das Gewinn- und Verlustkonto nimmt die Salden der Ertragskonten, die auf dem jeweiligen Konto im Soll stehen, im Haben und dementsprechend die Salden der Aufwands-
198
4 Die Informationswirtschaft
konten im Soll auf. Als Beispiel für den Abschluss eines Aufwandskontos ist in Abb. 4.6 ein Lohnkonto angegeben, auf dem während eines Geschäftsjahrs die monatlichen Lohnzahlungen verbucht worden sind. Der Buchungssatz zum Abschluss dieses Kontos auf das Gewinn- und Verlustkonto (GuV) lautet: per GuV an Löhne Der Saldo des Gewinn- und Verlustkontos gibt den Erfolg des Unternehmens im abgeschlossenen Geschäftsjahr an. Das Gewinn- und Verlustkonto wird bei Personengesellschaften (vgl. Abschnitt 1.4.1) über die Kapitalkonten der Gesellschafter, bei Kapitalgesellschaften (vgl. Abschnitt 1.4.2) über die Bilanzposition Jahresüberschuss/Jahresfehlbetrag abgerechnet. Ein Gewinn führt zu einer Erhöhung des Eigenkapitals des Unternehmens, ein Verlust zu seiner Reduzierung. Zum Jahresabschluss gehört neben der Bilanz eine Gewinn- und Verlustrechnung, die die wesentlichen Erfolgspositionen in verdichteter Form enthält. Die Gewinn- und Verlustrechnung wird in Staffelform angegeben. Für Kapitalgesellschaften ist ihr Aufbau in § 275 HGB vorgeschrieben. Er orientiert sich am Umsatzkostenverfahren, d.h. zunächst werden den erzielten Umsatzerlösen die dafür angefallenen Aufwendungen gegenübergestellt. In Abb. 4.7 sind die Positionen, die eine Gewinn- und Verlustrechnung nach dem deutschen Handelsgesetzbuch enthalten muss, aufgeführt.
1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19.
Umsatzerlöse Herstellungskosten der zur Erzielung der Umsatzerlöse erbrachten Leistungen Bruttoergebnis vom Umsatz Vertriebskosten Allgemeine Verwaltungskosten Sonstige betriebliche Erträge Sonstige betriebliche Aufwendungen Erträge aus Beteiligungen - davon aus verbundenen Unternehmen Erträge aus anderen Wertpapieren und Ausleihungen des Finanzanlagevermögens - davon aus verbundenen Unternehmen Sonstige Zinsen und ähnliche Erträge - davon aus verbundenen Unternehmen Abschreibungen auf Finanzanlagen und auf Wertpapiere des Umlaufvermögens Zinsen und ähnliche Aufwendungen - davon aus verbundenen Unternehmen Ergebnis der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit Außerordentliche Erträge Außerordentliche Aufwendungen Außerordentliches Ergebnis Steuern vom Einkommen und vom Ertrag Sonstige Steuern Jahresüberschuss / Jahresfehlbetrag
Abb. 4.7 Gewinn- und Verlustrechnung nach HGB
4.1 Buchführung
199
Wegen der großen Bedeutung, die der Internationalisierung der Unternehmenstätigkeiten und damit auch der Rechnungslegung zukommt, wird – wie bereits bei der Bilanz – in Abb. 4.8 zum Vergleich der Aufbau des im angelsächsischen Sprachraum vorgeschriebenen Income Statement angegeben. Das in Zeile 5 genannte Ergebnis aus operativer Geschäftstätigkeit wird auch als EBIT (earnings before interest and taxes) bezeichnet und stellt eine wichtige Kennzahl für die Beurteilung und den Vergleich von Unternehmen dar.
1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13.
Net sales Cost of Sales Gross profit Selling, general and administrative expenses Operating income / loss (EBIT) Interest income Interest expense Other income Other expense Income / loss from continuing operations before income taxes Provision for income taxes Income / loss from continuing operations Noncontinuing items - Discontinued operations - Extraordinary items - Cumulative effect of changes in accounting principles 14. Net income / loss Per share data: Income from continuing operations Noncontinuing items - Extraordinary items - Discontinued operations - Cumulative effect of changes in accounting principles Net income
Abb. 4.8
Income Statement
Beim Vergleich der beiden Rechenschemata fällt unter anderem auf, dass der deutsche Gesetzgeber großen Wert auf den separaten Ausweis von im Konzern erwirtschafteten Erfolgen und der außerordentlichen Erfolge legt, während im US-Recht der separate Ausweis der Auswirkungen eines Wechsels des Geschäftsfelds oder der Bilanzierungsmethoden sowie von außergewöhnlichen Ereignissen verlangt wird. Weiter müssen dort zur Erhöhung der Transparenz die auf den einzelnen Anteil bzw. die einzelne Aktie bezogenen Erfolgsdaten explizit angegeben werden.
200
4.2
4 Die Informationswirtschaft
Bilanzierung
Das externe Rechnungswesen dient der Information verschiedener Anspruchsgruppen (vgl. Abschnitt 1.3.2) über die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage des Unternehmens. Der Jahresabschluss bildet den Abschluss der laufenden Buchführung. Er besteht grundsätzlich aus der Bilanz und der Gewinn- und Verlustrechnung, bei Kapitalgesellschaften sind zusätzlich ein Anhang, in dem bestimmte Bilanzpositionen zusätzlich erläutert werden, und ein Lagebericht, in dem der Geschäftsverlauf und die Lage des Unternehmens dargestellt werden, erforderlich. Für einen Konzern gilt nach § 297 HGB, dass im Konzernabschluss die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der in den Abschluss einbezogenen Konzernunternehmen so dargestellt werden muss, als ob es sich insgesamt um ein einziges Unternehmen handeln würde. Ein Konzernabschluss besteht aus der Konzernbilanz, der Konzern-Gewinn- und Verlustrechnung, dem Konzernanhang, der Kapitalflussrechnung und dem Eigenkapitalspiegel. Er kann um eine Segmentberichterstattung erweitert werden. In Abschnitt 4.2.1 werden zunächst die Grundsätze erläutert, nach denen die Bilanzierung vorzunehmen ist; dabei werden neben den deutschen Vorschriften auch die im angelsächsischen Sprachraum üblichen Regelungen behandelt. Abschnitt 4.2.2 geht auf die wichtigsten Bilanzpositionen ein und erläutert die jeweiligen Ansatz- und Bewertungsmöglichkeiten. Abschnitt 4.2.3 zeigt auf, welche Informationen über das Unternehmen mithilfe der Bilanzanalyse aus den im Jahresabschluss veröffentlichten Daten gewonnen werden können.
4.2.1
Bilanzierungsgrundsätze
Nach § 242 HGB ist jeder Kaufmann verpflichtet, zum Schluss eines Geschäftsjahrs innerhalb bestimmter Fristen einen Jahresabschluss aufzustellen. Dabei greift er auf die in der laufenden Buchführung gesammelten Daten und Informationen zurück (vgl. Abschnitt 4.1). Der Jahresabschluss nach dem Handelsgesetzbuch hat im Wesentlichen die folgenden vier Aufgaben: • Dokumentationsfunktion: Durch die Bündelung der Buchführungsdaten im Abschluss werden diese übersichtlich zusammengefasst und gegen nachträgliche Veränderungen geschützt. • Informationsfunktion: Der Jahresabschluss stellt Informationen über die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage des Unternehmens für verschiedene Adressaten, insbesondere für die Eigen- und Fremdkapitalgeber, bereit. • Ausschüttungsbemessungsfunktion: Der im Jahresabschluss ermittelte Bilanzgewinn bildet die Grundlage für die Ausschüttungen an die Unternehmenseigner und für bestimmte Steuerzahlungen. • Gläubigerschutzfunktion: Bei Kapitalgesellschaften dürfen Ausschüttungen an die Anteilseigner lediglich aus Gewinnen erfolgen, nicht jedoch aus dem festen Nennkapital (Stammkapital oder Grundkapital, vgl. Abschnitt 1.4.2). Durch diese Ausschüttungssper-
4.2 Bilanzierung
201
re wird verhindert, dass die Haftungsmasse des Unternehmens gegenüber seinen Gläubigern durch Ausschüttungen unter den Betrag des Nennkapitals sinkt. Neben diesen nach außen gerichteten Funktionen können die Informationen des Jahresabschlusses auch unternehmensintern zur Planung und Kontrolle von betrieblichen Aktivitäten sowie zur Ermittlung der Vermögens- und Schuldenpositionen genutzt werden. Damit der Jahresabschluss seine Funktionen erfüllen kann, schreibt der Gesetzgeber im HGB die Einhaltung bestimmter Vorschriften hinsichtlich seiner Aufstellung, des Aufbaus sowie der anzuwendenden Bewertungsverfahren vor. In Deutschland haben sich im Geschäftsverkehr die Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung (GoB) herausgebildet, die als Grundlage für die Aufstellung des Jahresabschlusses dienen. Teilweise sind diese zusätzlich im Handelsgesetzbuch kodifiziert, teilweise ermöglichen sie als unbestimmter Rechtsbegriff eine ständige Weiterentwicklung und damit eine flexible Anpassung an veränderte Verhältnisse. Man unterscheidet bei den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung formelle Dokumentationsprinzipien und materielle Rechenschaftsprinzipien (vgl. Abb. 4.9).
Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung
Dokumentationsprinzipien
Rechenschaftsprinzipien
Belegprinzip
Nominalwertprinzip
Bilanzklarheit
Periodenabgrenzung
Vollständigkeit
Vorsichtsprinzip
Stetigkeit
Realisationsprinzip
Stichtagsprinzip
Imparitätsprinzip Going Concern Prinzip
Abb. 4.9 Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung
Die Dokumentationsprinzipien gelten bereits für die laufende Buchführung. Sie werden eingehalten, wenn die Buchführung und der Jahresabschluss gemäß den einschlägigen Vorschriften aufgestellt wurden. Dazu zählen folgende Prinzipien: • Nach dem Belegprinzip dürfen nur solche Geschäftsvorfälle in der Buchführung erfasst und in den Jahresabschluss aufgenommen werden, für die ein externer oder interner Beleg vorliegt.
202
4 Die Informationswirtschaft
• Das Prinzip der Bilanzklarheit bedeutet, dass die Bilanz klar und übersichtlich aufgebaut sein muss. Dies lässt sich insbesondere erreichen, indem die in § 266 HGB vorgegebene Gliederung eingehalten wird (vgl. auch Abb. 4.3). • Das Prinzip der Vollständigkeit und Richtigkeit verlangt, dass in der Buchführung sämtliche im Geschäftsjahr aufgetretenen Geschäftsvorfälle zeitnah, lückenlos und vollständig festgehalten werden und dass der Jahresabschluss sämtliche Vermögensgegenstände, Schulden, Erträge und Aufwendungen enthält. Es verbietet insbesondere eine Saldierung von Vermögen und Schulden bzw. von Erträgen und Aufwendungen und verlangt eine Einzelbewertung der Bilanzpositionen. • Das Prinzip der Stetigkeit bzw. der Bilanzverknüpfung stellt eine Beziehung zwischen aufeinander folgenden Bilanzen her, indem die Eröffnungsbilanz eines Geschäftsjahrs mit der Schlussbilanz des Vorjahrs identisch ist. Weiter wird durch die Forderung nach Bilanzkontinuität sichergestellt, dass die Gliederung von Bilanz und Gewinn- und Verlustrechnung sowie die gewählten Bewertungsansätze soweit wie möglich beibehalten werden. • Das Stichtagsprinzip verlangt, dass im Jahresabschluss sämtliche Tatbestände berücksichtigt werden, die bis zum Bilanzstichtag eingetreten sind. Die materiellen Rechenschaftsprinzipien beziehen sich auf die Wertansätze, mit denen die einzelnen Positionen in die Bilanz aufgenommen werden. Sie lauten wie folgt: • Das Nominalwertprinzip verlangt, dass der Jahresabschluss aufgrund tatsächlicher Zahlungen in Euro aufgestellt wird. • Nach dem Prinzip der Periodenabgrenzung sind Aufwendungen und Erträge unabhängig von dem Zeitpunkt, in dem die Zahlung erfolgt, dem Geschäftsjahr zuzurechnen, in dem sie entstanden sind. • Das Vorsichtsprinzip stellt darauf ab, dass ein Kaufmann seine Vermögenslage nicht zu optimistisch beurteilen darf. Daher sollte bei der Bewertung von Aktiva aus mehreren möglichen Wertansätzen stets der niedrigste gewählt werden (Niederstwertprinzip), während die Bewertung von Schulden im Zweifelsfall eher zu hoch als zu niedrig erfolgen sollte. Dieser Grundsatz wird durch die beiden folgenden Prinzipien auf Erfolgsgrößen übertragen. • Nach dem Realisationsprinzip dürfen Erträge erst dann ausgewiesen werden, wenn sie tatsächlich entstanden sind. Das bedeutet insbesondere, dass fremdbezogene Leistungen mit Anschaffungskosten und selbst erstellte Leistungen mit Herstellkosten bewertet werden und nicht mit den Marktpreisen, die sich bei ihrem Verkauf voraussichtlich erzielen lassen. • Das Imparitätsprinzip verlangt, dass Verluste bereits dann ausgewiesen werden, wenn sie abzusehen sind. Dies gilt sogar für Verluste, die im Zeitraum zwischen dem Bilanzstichtag und der Aufstellung der Bilanz erkennbar werden. Sinkt z.B. der Preis für ein am La-
4.2 Bilanzierung
203
ger befindliches Produkt unter seine Herstellkosten, so muss es entsprechend niedriger bewertet werden. • Das Going-Concern-Prinzip besagt, dass bei der Bewertung der einzelnen Bilanzpositionen grundsätzlich davon auszugehen ist, dass das Unternehmen seine Geschäftstätigkeit fortführt. Für Jahresabschlüsse amerikanischer Unternehmen gelten ähnliche Grundsätze, die Generally Accepted Accounting Principles (US-GAAP) und das auf ihrer Grundlage entwickelte Rahmenkonzept des IASB (International Accounting Standards Board). Da in den USA die Eigenfinanzierung der Unternehmen über den Kapitalmarkt eine große Rolle spielt, ist die amerikanische Rechnungslegung stärker auf die Informationsinteressen der Investoren als auf den Gläubigerschutz ausgerichtet. Im Gegensatz zu den GoB sind die US-GAAP und das Rahmenkonzept nicht in Gesetzen kodifiziert, sondern haben sich als allgemeine Leitlinien der Bilanzierung zwischen den Unternehmen, den Wirtschaftsprüfern und der Börsenaufsicht herausgebildet. Für amerikanische Jahresabschlüsse gelten weitaus geringere Formvorschriften als im deutschen Bilanzrecht, vielmehr gilt der Grundsatz „substance over form“. Die Darstellung der Ertrags- und Finanzlage des Unternehmens orientiert sich weniger am Vorsichtsprinzip als an einer „fair presentation“. Der Jahresabschluss besteht aus der Bilanz (vgl. Abb. 4.4), der Gewinn- und Verlustrechnung (vgl. Abb. 4.8), einem Anhang, einer Kapitalflussrechnung (vgl. Tab. 3.6) und einer Darstellung der Eigenkapitalentwicklung. Für deutsche und europäische Unternehmen gewinnen die amerikanischen Rechnungslegungsstandards aufgrund der zunehmenden Internationalisierung der Kapitalmärkte immer mehr an Bedeutung. Weiter wird ein nach diesen Grundsätzen erstellter Jahresabschluss verlangt, wenn ein Unternehmen eine Börsenzulassung in den USA beantragt. Auf verschiedenen Ebenen wird eine Harmonisierung der unterschiedlichen nationalen Rechnungslegungsnormen angestrebt. In der Europäischen Union wurden verschiedene EGRichtlinien verabschiedet, die bis 1992 in nationales Recht umzusetzen waren; in Deutschland erfolgte dies bereits 1985 durch das Bilanzrichtlinien-Gesetz (BiRiLiG). Die letzten Änderungen wurden 2004 durch das Bilanzrechts-Reform-Gesetz (BilReG) vorgenommen. Noch weiter gehen die Bemühungen des 1973 in London gegründeten International Accounting Standards Committee (IASC) um die Erarbeitung von weltweit geltenden, einheitlichen Rechnungslegungsnormen. Das Komitee besteht aus ca. 150 Organisationen von Wirtschaftsprüfern aus mehr als 110 Ländern und legt in einem gemeinsamen Diskussionsprozess sukzessiv Rechnungslegungsnormen in Form von International Accounting Standards (IAS) bzw. International Financial Reporting Standards (IFRS) fest, die teilweise von den beteiligten Ländern in nationales Recht umgesetzt werden, teilweise ihre Bindungswirkung dadurch erreichen, dass sie als Zulassungsvoraussetzung für die Zulassung an den internationalen Börsen verlangt werden. Europäische kapitalmarktorientierte Mutterunternehmen müssen – unabhängig von ihrer Rechtsform – ihren Konzernabschluss seit Anfang 2005 nach IAS aufstellen. Für den Einzelabschluss der Konzernunternehmen gilt nach wie vor nationales Recht.
204
4 Die Informationswirtschaft
Bis Anfang 2005 wurden vom IASC 46 Standards verabschiedet, von denen 38 bereits in Kraft sind. Im Vergleich zu den Vorschriften des deutschen Handelsrechts eröffnen die IAS weniger Bilanzierungs- und Bewertungswahlrechte und verlangen teilweise umfangreichere Angaben im Anhang sowie ausführlichere Erläuterungen. Übereinstimmungen bestehen insbesondere hinsichtlich der Anwendung des Periodenprinzips und des Going-ConcernPrinzips. Die Jahresabschlüsse von großen und mittelgroßen Kapitalgesellschaften können erst festgestellt werden, wenn sie von einem Wirtschaftsprüfer geprüft worden sind und einen Bestätigungsvermerk erhalten haben. Bei der Abschlussprüfung wird geprüft, ob die Buchführung, der Jahresabschluss und der Lagebericht sich im Einklang mit den geltenden Gesetzesvorschriften, den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung und den Bestimmungen der Satzung bzw. des Gesellschaftsvertrags befinden. Werden keine Beanstandungen gefunden, so erteilt der Wirtschaftsprüfer den folgenden formelhaften Bestätigungsvermerk: „Die Buchführung und der Jahresabschluss entsprechen nach meiner pflichtgemäßen Prüfung den gesetzlichen Vorschriften. Der Jahresabschluss vermittelt unter Beachtung der Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der Kapitalgesellschaft. Der Lagebericht steht im Einklang mit dem Jahresabschluss.“ Liegen Beanstandungen vor, so wird der Bestätigungsvermerk mit entsprechenden Einschränkungen erteilt, bei schwerwiegenden Beanstandungen kann er auch versagt werden. Entspricht der Jahresabschluss gleichzeitig den US-GAAP oder den IFRS, so kann der Abschlussprüfer dies in einem separaten Vermerk bestätigen. Bei Konzernen (vgl. Abschnitt 1.4.5) muss – zusätzlich zu den Einzelabschlüssen der Konzernunternehmen – das Mutterunternehmen einen Konzernabschluss aufstellen, der sich durch Konsolidierung der Jahresabschlüsse der in den Konzernabschluss einbezogenen Unternehmen ergibt. Bei der Konsolidierung werden insbesondere gegenseitige Beteiligungen, konzerninterne Forderungen und Verbindlichkeiten sowie Aufwendungen und Erträge gegeneinander aufgerechnet, so dass lediglich die gegenüber Dritten relevanten Beträge in den Konzernabschluss aufgenommen werden. Die Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung bzw. die relevanten internationalen Rechnungslegungsnormen gelten entsprechend, und auch der Konzernabschluss unterliegt einer Abschlussprüfung.
4.2.2
Bilanzpositionen
Nach dem Grundsatz der Vollständigkeit sind im Prinzip sämtliche Vermögensgegenstände, Schulden und Rechnungsabgrenzungsposten in die Bilanz aufzunehmen. Dennoch gibt es Ausnahmen, die in Bilanzierungsgeboten, Bilanzierungsverboten und Bilanzierungswahlrechten zum Ausdruck kommen. Im Folgenden werden die einzelnen Bilanzpositionen der Aktiv- und der Passivseite einer Handelsbilanz gemäß § 266 HGB (vgl. Abb. 4.3) durchgegangen und jeweils die bilanzierungsfähigen Tatbestände sowie die zugehörige Bewertung herausgearbeitet.
4.2 Bilanzierung 4.2.2.1
205
Bilanzpositionen auf der Aktivseite
Die Aktivseite der Bilanz enthält die Vermögensgegenstände des Unternehmens, die nach zunehmender Liquidität angeordnet werden (vgl. Abb. 4.3). Das Anlagevermögen (Aktiva A) umfasst die Vermögensgegenstände, die dazu bestimmt sind, dem Unternehmen längerfristig, d.h. länger als ein Jahr, zu dienen. Dem Umlaufvermögen (Aktiva B) hingegen werden die Vermögensgegenstände zugerechnet, die typischerweise innerhalb eines Jahres das Unternehmen wieder verlassen. Hinzu kommen aktivische Rechnungsabgrenzungsposten, die der eindeutigen Trennung der Aktivitäten verschiedener Geschäftsjahre dienen. Aktiva A.I.: Immaterielle Vermögensgegenstände Immaterielle Vermögensgegenstände sind körperlich nicht fassbare, jedoch selbstständig bewertbare vermögenswerte Vorteile. Dazu zählen z.B. Patente, Lizenzen, Fabrikationsverfahren, Warenzeichen, Gebrauchsmuster, Lieferungsrechte oder auch EDV-Programme. Sie sind aktivierungspflichtig, soweit sie entgeltlich erworben wurden, und müssen über einen bestimmten Zeitraum abgeschrieben werden. Für unentgeltlich erworbene immaterielle Vermögensgegenstände im Anlagevermögen besteht hingegen ein Aktivierungsverbot. Diese Bilanzposition wird untergliedert in: • Konzessionen, gewerbliche Schutzrechte und ähnliche Rechte und Werte sowie Lizenzen an solchen Rechten und Werten • Ein Geschäfts- und Firmenwert darf nur in der Höhe aktiviert werden, in der er beim Erwerb eines Unternehmens gezahlt worden ist, er ist über maximal 15 Jahre planmäßig abzuschreiben. • Geleistete Anzahlungen für aktivierungspflichtige immaterielle Wirtschaftsgüter Aktiva A.II.: Sachanlagen Sachanlagen sind materielle Vermögensgegenstände, die dazu bestimmt sind, dem Unternehmen dauerhaft zu dienen. Sie sind regelmäßig zu aktivieren, soweit ihre Anschaffungsbzw. Herstellkosten eine bestimmte Grenze überschreiten, die bis Ende 2007 bei 410 € lag und ab 01.01.2008 auf 150 € gesenkt wird. Soweit diese Vermögensgegenstände einer Abnutzung unterliegen, wird die dadurch hervorgerufene Wertminderung durch planmäßige Abschreibungen erfasst. Abschreibungen bzw. Absetzungen für Abnutzung (AfA) dienen der Verteilung der Anschaffungs- oder Herstellkosten von Anlagegütern auf ihre voraussichtliche Nutzungsdauer (zu Abschreibungen vgl. Abschnitt 4.3.3). Für die Bilanzierung sind vor allem die lineare Abschreibung mit gleich hohen jährlichen Abschreibungsbeträgen und die geometrisch-degressive Abschreibung mit fallenden Abschreibungsbeträgen von Bedeutung. Die Bilanzposition Sachanlagen wird unterteilt in: • Grundstücke, grundstücksgleiche Rechte und Bauten einschließlich der Bauten auf fremden Grundstücken: Während Gebäude der Abnutzung unterliegen, findet bei Grundstücken in der Regel keine Abschreibung statt. Sie werden zu ihren Anschaffungskosten ein-
206
4 Die Informationswirtschaft
schließlich der Anschaffungsnebenkosten (z.B. Erschließungsbeiträge, Grunderwerbsteuer, Maklergebühren) aktiviert, solange nicht eine dauerhafte Wertminderung eintritt. • Technische Anlagen und Maschinen umfassen alle unmittelbar der Produktion dienenden betrieblichen Einrichtungen, z.B. Produktionsanlagen, Fließbänder, flexible Fertigungssysteme, NC-Maschinen, Öfen, Tanks, Lagerhäuser, Transportanlagen usw. • Andere Anlagen, Betriebs- und Geschäftsausstattung: Dies sind zum einen sämtliche Anlagen, die nicht direkt der Produktion dienen, z.B. Gleisanlagen oder Fahrzeuge, zum anderen die Einrichtung des Verwaltungsbereichs, z.B. Büromöbel, Telefonanlagen, Zeiterfassungsgeräte usw. • Geleistete Anzahlungen werden mit ihrem Nominalbetrag und Anlagen im Bau mit dem Wert der erbrachten Vorleistungen ausgewiesen; Abschreibungen sind nicht zulässig. Aktiva A.III.: Finanzanlagen Zu den Finanzanlagen zählen Wertpapiere, Beteiligungen und Ausleihungen, die auf Dauer angelegt sind. Sie sind aktivierungspflichtig und nach dem Niederstwertprinzip mit dem Anschaffungswert oder einem geringeren Börsen- oder Marktpreis am Bilanzstichtag auszuweisen. Lässt sich kein Börsen- oder Marktpreis feststellen, so wird der nach vernünftiger kaufmännischer Beurteilung beizulegende Wert herangezogen. Eine Wertminderung im Finanzanlagevermögen wird durch Wertberichtigungen erfolgswirksam erfasst. Die Bilanzposition Finanzanlagen ist wie folgt gegliedert: • Anteile an verbundenen Unternehmen sind konzerninterne Beteiligungen. • Der separate Ausweis von Ausleihungen an verbundene Unternehmen dient dazu, die im Konzern bestehenden Finanzverflechtungen offen zu legen. • Beteiligungen sind Anteile an anderen Unternehmen, die einer dauerhaften Geschäftsverbindung dienen. Ab einem Anteil von 20% am Eigenkapitel eines Unternehmens wird eine Beteiligungsabsicht vermutet. • Ausleihungen an Unternehmen, mit denen ein Beteiligungsverhältnis besteht, werden wie Ausleihungen an verbundene Unternehmen separat ausgewiesen. • Wertpapiere des Anlagevermögens sind Finanzanlagen, bei denen keine Beteiligungsabsicht besteht, sondern die Erzielung einer Verzinsung im Vordergrund steht. • Sonstige Ausleihungen sind langfristige Forderungen, die nicht gegenüber Konzern- oder Beteiligungsunternehmen bestehen, z.B. GmbH- oder Genossenschaftsanteile ohne Beteiligungscharakter. Aktiva B.I.: Vorräte Die Vorräte umfassen materielle Güter, die nur zum kurzfristigen Verbleib im Unternehmen bestimmt sind. Sie sind immer aktivierungspflichtig, ihr Wertansatz erfolgt nach dem stren-
4.2 Bilanzierung
207
gen Niederstwertprinzip zu Anschaffungs- oder Herstellkosten, Börsen- oder Marktpreisen oder dem beizulegenden Wert. Teilweise besteht die Möglichkeit, Festwerte oder Durchschnittswerte im Rahmen einer Gruppenbewertung anzusetzen. Vorräte lassen sich wie folgt unterteilen: • Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe sind das Ausgangsmaterial für die industrielle Produktion (vgl. Abschnitt 2.1.1). Hierunter fallen auch Werkzeuge, die zum Austausch an den Maschinen vorgehalten werden. • Unfertige Erzeugnisse und unfertige Leistungen sind Vorräte an noch nicht verkaufsfähigen Produkten, in die durch im abgelaufenen Geschäftsjahr vorgenommene Bearbeitungen bereits Aufwendungen eingegangen sind. Diese Aufwendungen dürfen lediglich bei materiellen Produkten, jedoch nicht bei immateriellen Leistungen in den Wertansatz eingehen. • Fertige Erzeugnisse und Waren sind auslieferungsfähige Produkte, die selbst erstellt bzw. zugekauft worden sind. Während eigene Produkte mit Herstellkosten anzusetzen sind, werden Waren mit Einstandspreisen bewertet. • Bei geleisteten Anzahlungen handelt es sich um Anzahlungen, die vom Unternehmen für bestellte, aber noch nicht gelieferte Vorräte geleistet worden sind. Aktiva B.II.: Forderungen und sonstige Vermögensgegenstände Diese Position umfasst kurzfristige Forderungen an verschiedene Typen von Schuldnern und den Sammelposten der sonstigen Vermögensgegenstände. Forderungen werden mit ihrem Nominalbetrag angesetzt, bei riskanten Forderungen kann eine Wertberichtigung vorgenommen werden. Die Position gliedert sich in: • Forderungen aus Lieferungen und Leistungen resultieren aus Kauf-, Werk- oder Dienstleistungsverträgen, bei denen die Leistung bereits erfolgt und in Rechnung gestellt worden ist, die Zahlung jedoch noch aussteht. Mit der Lieferung eines Produkts bzw. der Erbringung einer Leistung findet der betriebliche Leistungsprozess seinen Abschluss, mit der Rechnungsstellung wird der zugehörige Erfolg realisiert. Auch in Wechseln verbriefte Forderungen werden hier ausgewiesen. • Forderungen gegen verbundene Unternehmen umfassen sowohl Forderungen aus Lieferungen und Leistungen als auch andere kurzfristige Forderungen, z.B. aus kurzfristigen Darlehen. • Forderungen gegen Unternehmen, mit denen ein Beteiligungsverhältnis besteht, sind ebenfalls unabhängig von ihrer Entstehung an dieser Stelle auszuweisen. • Sonstige Vermögensgegenstände sind alle Vermögensgegenstände des Umlaufvermögens, die sich keinem anderen Posten zuordnen lassen, z.B. Vorschüsse an Arbeitnehmer, geleistete Kautionen, Ansprüche auf Steuerrückzahlung, Anzahlungen für Dienstleistungen usw.
208
4 Die Informationswirtschaft
Aktiva B.III.: Wertpapiere Wertpapiere sind Urkunden, die bestimmte Vermögensrechte verbriefen, insbesondere Aktien und Schuldverschreibungen. Ihre Zuordnung zum Anlage- oder Umlaufvermögen hängt davon ab, für welchen Zeitraum sie im Unternehmen gehalten werden. Beteiligungen, d.h. Anteile von mehr als 20%, zählen immer zum Anlagevermögen. Wertpapiere werden grundsätzlich mit ihren Anschaffungskosten bewertet, bei Wertminderungen greift das Niederstwertprinzip. Zu der Position gehören: • Anteile an verbundenen Unternehmen sind Aktien von Unternehmen, die zum selben Konzern gehören. • Eigene Anteile dürfen von Kapitalgesellschaften nur beschränkt erworben werden, damit die Gläubigerschutzfunktion ihres festen Nennkapitals nicht verwässert wird. Sie können am Bilanzstichtag z.B. zur späteren Abfindung von Aktionären oder zwecks Ausgabe von Belegschaftsaktien an die Arbeitnehmer des Unternehmens gehalten werden. • Sonstige Wertpapiere sind z.B. kurzfristige Geldanlagen in Schuldverschreibungen oder zu Finanzzwecken gehaltene Wechsel. Aktiva B.IV.: Zahlungsmittel Diese Position lautet korrekt „Schecks, Kassenbestand, Zentralbank- und Postgiroguthaben, Guthaben bei Kreditinstituten“, womit ihr Inhalt hinreichend beschrieben ist, sie wird nicht weiter untergliedert. Es handelt sich somit um liquide Mittel, die unmittelbar zur Begleichung von Verbindlichkeiten eingesetzt werden können (vgl. Abschnitt 3.1.2). Der Ansatz dieser Vermögensgegenstände erfolgt zu ihrem Nominalwert, ausländische Währungen sind zum Kurs am Bilanzstichtag umzurechnen. Aktiva C.: Rechnungsabgrenzungsposten Rechnungsabgrenzungsposten dienen dem korrekten Ausweis des Periodengewinns. Dazu wird bei Geschäftsvorfällen, die am Bilanzstichtag nicht abgeschlossen sind, der Erfolg angemessen auf die betroffenen Geschäftsjahre aufgeteilt. Bei Rechnungsabgrenzungsposten auf der Aktivseite der Bilanz handelt es sich um transitorische Ausgaben, d.h. Ausgaben, die zum Teil das folgende Geschäftsjahr betreffen. Ein Beispiel ist eine Versicherungsprämie, die im abgelaufenen Geschäftsjahr für ein Jahr im Voraus gezahlt wurde. Bei der Zahlung wird zunächst der gesamte Betrag als Aufwand verbucht. Beim Jahresabschluss wird dann der Anteil für das folgende Geschäftsjahr dem entsprechenden Aufwandskonto gutgeschrieben und als Rechnungsabgrenzungsposten in die Aktivseite der Bilanz eingestellt. Zu Beginn des folgenden Geschäftsjahrs wird der Rechnungsabgrenzungsposten aufgelöst und der Betrag dem entsprechenden Aufwandskonto wieder belastet. Grundsätzlich besteht eine Verpflichtung, in derartigen Fällen eine Rechnungsabgrenzung vorzunehmen, bei kleineren Beträgen kann jedoch davon abgesehen werden.
4.2 Bilanzierung 4.2.2.2
209
Bilanzpositionen auf der Passivseite
Die Passivseite der Bilanz zeigt, wie das Vermögen des Unternehmens finanziert ist. Sie enthält das Eigenkapital (Passiva A) und das Fremdkapital (Passiva B und C), das in Rückstellungen und Verbindlichkeiten untergliedert wird. Hinzu treten auch hier Rechnungsabgrenzungsposten als Passiva D. Das Eigenkapital ergibt sich rechnerisch als Differenz zwischen dem Wert der Vermögensgegenstände und den Schulden eines Unternehmens (vgl. auch Abschnitt 4.1.2). Während sich das Eigenkapital von Personengesellschaften aus den Kapitalkonten der Gesellschafter zusammensetzt, wird das Eigenkapital einer Aktiengesellschaft wie folgt gegliedert: Passiva A.I.: Gezeichnetes Kapital Das gezeichnete Kapital ist das in der Satzung bzw. im Gesellschaftsvertrag festgelegte und im Handelsregister eingetragene feste Nennkapital, das als Haftungsmasse des Unternehmens gegenüber seinen Gläubigern dient und dessen Höhe sich grundsätzlich nicht verändert. Passiva A.II.: Kapitalrücklage In die Kapitalrücklage sind die Beträge, die bei der Ausgabe von Anteilen als Agio über den Nennbetrag hinaus erhoben wurden, einzustellen. Passiva A.III.: Gewinnrücklagen Gewinnrücklagen werden aus im Unternehmen zurückbehaltenen Gewinnen in folgenden Fällen gebildet: • In die gesetzliche Rücklage werden jährlich mindestens 5% des Jahresüberschusses eingestellt, bis diese zusammen mit der Kapitalrücklage mindestens 10% des Nennkapitals erreicht hat. • Eine Rücklage für eigene Anteile ist zu bilden, wenn unter der Aktivposition B.III. eigene Anteile bilanziert werden. Sie darf nur aus freien Gewinnrücklagen, dem Jahresüberschuss oder einem Gewinnvortrag gebildet werden und muss in ihrer Höhe dem korrespondierenden Aktivposten entsprechen. Dies dient dem Gläubigerschutz, da das ausgewiesene Nennkapital nicht durch den Erwerb eigener Anteile reduziert werden soll. • Satzungsmäßige Rücklagen sind aus einbehaltenen Gewinnen in der in der Satzung vorgeschriebenen Höhe zu bilden. • In den Posten andere Gewinnrücklagen werden einbehaltene Gewinne eingestellt, die nicht für die zuvor genannten Zwecke benötigt werden. Es dürfen maximal 50% des Jahresüberschusses eingestellt werden. Diese Rücklagen dienen als freie Gewinnrücklagen insbesondere der Selbstfinanzierung, die durch den Vorstand bzw. die Geschäftsführer veranlasst wird (vgl. Abschnitt 3.3.3).
210
4 Die Informationswirtschaft
Passiva A.IV.: Gewinnvortrag/Verlustvortrag Ein Gewinnvortrag steht in der Bilanz, wenn die Hauptversammlung bzw. Gesellschafterversammlung im Vorjahr beschlossen hat, einen Teil des Bilanzgewinns auf die neue Rechnung vorzutragen. Ein Verlustvortrag wird in Höhe des im Vorjahr erzielten Bilanzverlusts ausgewiesen. Passiva A.V.: Jahresüberschuss/Jahresfehlbetrag Diese Position gibt den im abgelaufenen Geschäftsjahr erzielten Erfolg an. Sie entspricht in ihrer Höhe dem Ergebnis der Gewinn- und Verlustrechnung. Ein Jahresüberschuss kann als Bilanzgewinn zur Ausschüttung an die Gesellschafter verwendet oder im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften der Gewinnrücklage zugeführt werden. Passiva B.: Rückstellungen Rückstellungen werden für ungewisse Verbindlichkeiten angesetzt, bei denen der Grund, der Gläubiger, die Höhe oder der Zahlungszeitpunkt noch nicht feststehen (vgl. auch Abschnitt 3.3.3). Ihr Ansatz erfolgt in Höhe des Betrags, der nach vernünftiger kaufmännischer Beurteilung erforderlich ist. Da es sich um Verbindlichkeiten handelt, zählen sie zum Fremdkapital. Rückstellungen werden entsprechend ihrem Verwendungszweck wie folgt gegliedert: • Rückstellungen für Pensionen und ähnliche Verpflichtungen weisen die für die spätere Zahlung einer betrieblichen Altersversorgung an die Arbeitnehmer benötigten Beträge aus. Sie sind in der Regel der größte Posten bei den Rückstellungen. Ihre Auflösung erfolgt erst viele Jahre später durch die regelmäßigen Zahlungen an die im Ruhestand befindlichen Arbeitnehmer. • Steuerrückstellungen werden für die vom Unternehmen voraussichtlich zu zahlenden Steuern gebildet und aufgelöst, sobald mit dem Steuerbescheid die tatsächliche Höhe der Zahlung feststeht. • Sonstige Rückstellungen werden für alle weiteren ungewissen Zahlungen gebildet, z.B. für die Kosten laufender Prozesse, für Gewährleistung ohne rechtliche Verpflichtung, für drohende Verluste aus laufenden Geschäften, für eine mögliche Inanspruchnahme aus einer Bürgschaft oder für unterlassene Instandhaltungen. Passiva C.: Verbindlichkeiten Als Verbindlichkeiten bezeichnet man die Schulden des Unternehmens, die dem Grund und der Höhe nach eindeutig feststehen. Sie sind mit der Höhe ihres Rückzahlungsbetrags auszuweisen. Verbindlichkeiten mit einer Laufzeit unter einem Jahr bzw. über fünf Jahren sind gesondert auszuweisen. Durch diese zusätzliche Angabe soll die Beurteilung der Liquidität des Unternehmens erleichtert werden (vgl. Abschnitt 3.1.2 sowie Abschnitt 4.2.3). Die Verbindlichkeiten werden wie folgt gegliedert:
4.2 Bilanzierung
211
• Anleihen sind vom Unternehmen am Kapitalmarkt ausgegebene Wertpapiere, die der langfristigen Fremdfinanzierung dienen, insbesondere Schuldverschreibungen (vgl. Abschnitt 3.3.1). • Verbindlichkeiten gegenüber Kreditinstituten sind die bei Banken aufgenommenen Kredite, die unabhängig von ihrer Art oder Laufzeit in diesem Posten zusammengefasst werden. • Auch erhaltene Anzahlungen auf Bestellungen, bei denen die zugehörige Leistung noch nicht bzw. nicht vollständig erbracht wurde, zählen zu den Verbindlichkeiten. • Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen entstehen dadurch, dass das Unternehmen am Bilanzstichtag von einem anderen Unternehmen eine Leistung, z.B. eine Warenlieferung, eine Dienstleistung oder eine Werkleistung, bereits erhalten hat, diese aber noch nicht bezahlt wurde. • Verbindlichkeiten aus der Annahme gezogener Wechsel und der Ausstellung eigener Wechsel umfassen alle Wechselschulden, bei denen das Unternehmen sich zur Zahlung verpflichtet hat. • Verbindlichkeiten gegenüber verbundenen Unternehmen sind analog zu den entsprechenden Forderungspositionen auf der Aktivseite separat auszuweisen, um finanzielle Verflechtungen innerhalb eines Konzerns offen zu legen. • Entsprechendes gilt für Verbindlichkeiten gegenüber Unternehmen, mit denen ein Beteiligungsverhältnis besteht. • Sonstige Verbindlichkeiten sind ein Sammelposten für alle Schulden, die sich keinem der zuvor genannten Posten zuordnen lassen, z.B. gegenüber Mitarbeitern, Sozialversicherungsträgern oder Finanzbehörden. Die Verbindlichkeiten aus Steuern und im Rahmen der sozialen Sicherheit sind separat anzugeben. Passiva D.: Rechnungsabgrenzungsposten Passive Rechnungsabgrenzungsposten werden analog zu den aktivischen Rechnungsabgrenzungsposten für transitorische Einnahmen gebildet. Eine solche liegt vor, wenn im abgelaufenen Geschäftsjahr eine erfolgswirksame Zahlung erfolgt ist, deren Ertrag ganz oder teilweise dem folgenden Geschäftsjahr zuzurechnen ist. Analog zu dem Vorgehen bei aktiven Rechnungsabgrenzungsposten wird die Zahlung zunächst in voller Höhe auf dem entsprechenden Ertragskonto verbucht, beim Jahresabschluss erfolgt eine Gegenbuchung in Höhe des auf das folgende Geschäftsjahr entfallenden Betrags, der als Rechnungsabgrenzungsposten ausgewiesen wird. Im neuen Geschäftsjahr wird der Rechnungsabgrenzungsposten zu Gunsten des Ertragskontos wieder aufgelöst.
212
4.2.3
4 Die Informationswirtschaft
Bilanzanalyse
Die Bilanzanalyse dient der Beurteilung eines Unternehmens mithilfe der Aufbereitung und Strukturierung ausgewählter Daten aus seinem Jahresabschluss. Dadurch befriedigt sie die Informationsinteressen der verschiedenen Anspruchsgruppen, die in Beziehungen zu dem Unternehmen stehen (vgl. Abschnitt 1.3.2). Während Eigenkapitalgeber in erster Linie an Informationen über die erwartete Finanz- und Ertragslage des Unternehmens interessiert sind, benötigen Fremdkapitalgeber für ihre Kreditentscheidungen insbesondere Informationen über die zukünftige Zahlungsfähigkeit. Externe Interessenten können nur auf solche Informationsquellen zugreifen, die das Unternehmen ihnen bzw. der Öffentlichkeit zur Verfügung stellt. Z.B. verlangen Banken bei der Kreditwürdigkeitsprüfung, die der Gewährung eines Betriebsmittelkredits vorausgeht, regelmäßig die Vorlage der letzten Jahresabschlüsse. Für Kapitalgesellschaften sowie für Großunternehmen, die dem Publizitätsgesetz unterliegen, besteht eine Verpflichtung zur Veröffentlichung ihrer Jahresabschlüsse, so dass nicht nur die Anteilseigner, sondern auch die interessierte Öffentlichkeit bei Bedarf Einblick in die Lage des Unternehmens nehmen kann. Die Veröffentlichung erfolgt regelmäßig durch Einreichung des Jahresabschlusses beim öffentlich einsehbaren Handelsregister am Sitz des Unternehmens, bei großen Unternehmen zusätzlich durch Abdruck im Bundesanzeiger sowie gegebenenfalls weiteren Zeitungen. Bei der Bilanzanalyse werden die verfügbaren Daten aus Bilanz, Gewinn- und Verlustrechnung, Anhang und Lagebericht zunächst aufbereitet, d.h. bereinigt, zerlegt, umgruppiert, verdichtet oder saldiert. Anschließend werden durch geeignete Zusammenstellung von ausgewählten Daten Kennzahlen gebildet, die näheren Aufschluss über den jeweils interessierenden Sachverhalt geben. Diese Kennzahlen lassen sich auf mehrfache Weise einsetzen (vgl. zu Kennzahlen auch Abschnitt 4.4.2): • Bei einem Soll/Ist-Vergleich werden die realisierten Werte zuvor ermittelten Sollgrößen gegenübergestellt. • Beim Zeitvergleich werden die Kennzahlen mehrerer aufeinander folgender Geschäftsjahre herangezogen, um die Entwicklung des Unternehmens zu beurteilen. • Bei einem Betriebsvergleich werden die Kennzahlen des analysierten Unternehmens mit den Werten anderer Unternehmen derselben Branche verglichen. Im Rahmen der Bilanzanalyse unterscheidet man die in den folgenden Abschnitten behandelten Struktur-, Liquiditäts- und Erfolgsanalysen sowie die vor allem aus gesamtwirtschaftlicher Sicht relevante Wertschöpfungsanalyse. 4.2.3.1
Strukturanalyse
Bei der Strukturanalyse wird die Zusammensetzung der Aktiv- und der Passivseite der Bilanz des Unternehmens untersucht. Die Kennzahlen der vertikalen Strukturanalyse beziehen
4.2 Bilanzierung
213
sich auf Positionen derselben Bilanzseite, bei der horizontalen Bilanzanalyse werden Posten beider Bilanzseiten zueinander in Beziehung gesetzt. Wichtige Kennzahlen bei der vertikalen Strukturanalyse der Aktivseite sind die Vermögensstruktur, die Investitionsquote, der Anlagenabnutzungsgrad und die Abschreibungsquote. Anlagevermögen Gesamtvermögen
Vermögensstruktur:
Umlaufvermögen Gesamtvermögen
Diese Kennzahlen lassen sich wie folgt interpretieren: Mit zunehmendem Anteil des Umlaufvermögens am Gesamtvermögen nimmt die Flexibilität des Unternehmens zu, gleichzeitig steigt durch den gleichzeitig abnehmenden Anteil des Anlagevermögens der Kapazitätsnutzungsgrad. Andererseits kann ein hoher Anteil des Umlaufvermögens darauf hinweisen, dass das Unternehmen unnötig viel Kapital in Lagerbeständen bindet. Investitionsquote =
Zugang zu Sachanlagen Bestand an Sachanlagen
Die Investitionsquote kann als Anhaltspunkt für das Unternehmenswachstum interpretiert werden. Eine sinkende Investitionsquote deutet darauf hin, dass dem Unternehmen entweder die finanziellen Mittel für weitere Anschaffungen oder der Ansporn zur Besetzung neuer Geschäftsfelder fehlen; eine steigende Investitionsquote lässt auf eine expansive Geschäftspolitik schließen. Anlagenabnutzungsgrad =
kumulierte Abschreibungen auf Sachanlagen Bestand an Sachanlagen
Je größer diese Kennzahl ausfällt, desto älter sind die Produktionsanlagen des Unternehmens. Ein hoher Anlagenabnutzungsgrad lässt auf einen veralteten technischen Stand und einen zukünftigen Nachholbedarf an Investitionen schließen. Abschreibungsquote =
Abschreibungen auf Sachanlagen Bestand an Sachanlagen
Im Gegensatz zum Anlagenabnutzungsgrad, der die kumulierten Abschreibungen heranzieht, lässt das in der Abschreibungsquote berechnete Verhältnis von aktuellen Abschreibungen zu den Sachanlagen Rückschlüsse auf die Abschreibungspolitik des Unternehmens zu. Eine hohe oder im Zeitablauf ansteigende Abschreibungsquote deutet auf die Bildung stiller Reserven durch maximale Ausnutzung von Abschreibungsmöglichkeiten hin. Die vertikale Strukturanalyse der Passivseite gibt Aufschluss über die Kapitalstruktur sowie den Bilanzkurs eines Unternehmens:
214
4 Die Informationswirtschaft Eigenkapitalquote =
Eigenkapital Gesamtkapital
Fremdkapitalquote =
Fremdkapital Gesamtkapital
Verschuldungsgrad =
Fremdkapital Eigenkapital
Ein hoher Verschuldungsgrad bzw. eine hohe Fremdkapitalquote deutet auf ein hohes Unternehmensrisiko hin, das die Kapitalgeber bei ihren Anlage- bzw. Kreditentscheidungen berücksichtigen müssen. Gearing =
Net Debt Eigenkapital
Diese Kennzahl ähnelt dem Verschuldungsgrad. Jedoch bildet der Zähler nicht das gesamte Fremdkapital, sondern lediglich die Netto-Finanzschulden ab, die den verzinslichen Verbindlichkeiten abzüglich der liquiden Mittel entsprechen. Bei sehr guter Liquiditätslage kann das Gearing auch negative Werte annehmen. Bilanzkurs =
bilanzielles Eigenkapital ⋅ Nennwert der Aktie gezeichnetes Kapital
Im Unterschied zu dem täglich schwankenden Börsenkurs gibt der Bilanzkurs den Substanzwert einer Aktie an. Durch Vergleich dieser beiden Werte lässt sich erkennen, in welcher Höhe stille Reserven, der Goodwill oder aktuelle Informationen über das Unternehmen ihren Niederschlag im Börsenkurs gefunden haben. Die bei der horizontalen Strukturanalyse ermittelten Kennzahlen geben Aufschluss darüber, inwieweit die Fristigkeiten von Anlagevermögen und Finanzierungsquellen aufeinander abgestimmt sind. Anlagendeckungsgrad I = Anlagendeckungsgrad II =
Eigenkapital Anlagevermögen Eigenkapital + langfristiges Fremdkapital Anlagevermögen
Der Grundsatz der Fristenkongruenz besagt in seiner strengen Formulierung, dass das Anlagevermögen durch Eigenkapital finanziert werden soll, d.h. der Anlagendeckungsgrad I sollte bei 1 liegen. Die abgeschwächte Formulierung, die im Anlagendeckungsgrad II zum Ausdruck kommt, lässt auch eine Finanzierung des Anlagevermögens durch langfristiges Fremdkapital zu.
4.2 Bilanzierung 4.2.3.2
215
Liquiditätsanalyse
Die Liquiditätsanalyse soll das Risiko abschätzen, dass das Unternehmen illiquide, d.h. zahlungsunfähig, wird. Dieses Risiko ist um so größer, je früher die Verbindlichkeiten fällig werden und je langfristiger die Kapitalbindung in den Vermögensgegenständen auf der Aktivseite ist. Zur Liquiditätsanalyse werden zum einen die bereits in Abschnitt 3.1.2 dargestellten Liquiditätsgrade (Liquidität 1., 2. und 3. Grades) herangezogen. Jedoch kann auch ein Unternehmen, dessen Bilanz eine hervorragende Liquidität ausweist, im Laufe des Geschäftsjahrs illiquide werden, da die Bilanzdaten zum einen vergangenheitsorientiert sind und zum anderen lediglich Forderungen und Verbindlichkeiten zum Bilanzstichtag, jedoch keine laufenden Zahlungsverpflichtungen abbilden. Weitere wichtige Liquiditätskennzahlen sind die working capital ratio und die Effektivverschuldung: working capital ratio =
Umlaufvermögen kurz- und mittelfristiges Fremdkapital
Je größer der Wert dieser Kennzahl ist, die der Liquidität 3. Grades ähnelt, desto besser ist die Liquiditätslage des Unternehmens einzuschätzen. Effektivverschuldung =
langfristiges Fremdkapital + kurz- und mittelfristiges Fremdkapital – Zahlungsmittel – kurzfristige Forderungen
Die Effektivverschuldung gibt an, welcher Teil des Fremdkapitals nicht durch kurzfristig liquidierbare Vermögensgegenstände abgedeckt ist, d.h. welche Schulden dem Unternehmen dauerhaft zuzurechnen sind. 4.2.3.3
Erfolgsanalyse
Ausgangspunkt der Erfolgsanalyse ist die Tatsache, dass der im Jahresabschluss ausgewiesene Jahresüberschuss bzw. Jahresfehlbetrag als Indikator für den Erfolg eines Unternehmens nur bedingt geeignet ist, da er häufig durch die Ausnutzung von steuerlichen Wahlmöglichkeiten sowie Ansatz- und Bewertungswahlrechten im Rahmen der Bilanzpolitik verzerrt ist. Daher werden andere, aussagekräftigere Kennzahlen herangezogen, die eher geeignet sind, eine tragfähige Prognose über die zukünftige Entwicklung des Unternehmenserfolgs vorzunehmen. Diese bauen teilweise auf dem Cashflow (vgl. Abschnitt 3.3.3) oder auf Rentabilitätskennzahlen (vgl. Abschnitt 3.1.1) auf. Cashflow-Umsatzrate =
Cashflow Umsatz
Mithilfe dieser Kennzahl lässt sich abschätzen, wie sich in Zukunft der Cashflow im Verhältnis zum Jahresumsatz entwickeln wird.
216
4 Die Informationswirtschaft dynamischer Verschuldungsgrad =
Effektivverschuldung Cashflow
Der dynamische Verschuldungsgrad gibt an, in wie vielen Jahren das Unternehmen bei gleich bleibender Entwicklung seine langfristigen Schulden aus den erwirtschafteten Mitteln tilgen könnte. Diese Kennzahl erhält ihren dynamischen Charakter dadurch, dass der Cashflow eine zeitraumbezogene Größe ist. Innenfinanzierungsgrad =
Cashflow Zugänge zum Anlagevermögen
Diese Kennzahl gibt an, welcher Anteil der Investitionen des Geschäftsjahrs durch den Cashflow abgedeckt ist. Ein hoher Innenfinanzierungsgrad kann allerdings auch dadurch zustande kommen, dass notwendige Investitionen unterlassen wurden. Eine wichtige Kennzahl im Rahmen der Erfolgsanalyse ist der bereits in Abschnitt 3.1.1 eingeführte Return on Investment (ROI). Dieser bildet den Ausgangspunkt für das DuPontSystem, das wohl bekannteste Kennzahlensystem, das erstmals 1919 von der Firma DuPont eingesetzt wurde. Der ROI wird über mehrere Stufen hinweg in seine Bestandteile zerlegt, so dass man Einblick in die wesentlichen Einflussgrößen des Unternehmenserfolgs erhält. Auf der ersten Stufe ergeben sich durch Erweiterung der Definition des ROI mit dem Umsatz die folgenden Beziehungen:
ROI =
Gewinn Umsatz ⋅ investiertes Kapital Umsatz
=
Gewinn Umsatz ⋅ Umsatz investiertes Kapital
= Umsatzrendite ⋅ Umschlaghäufigkeit des Kapitals
Somit ist der ROI das Produkt aus der Umsatzrendite und der Umschlaghäufigkeit des Kapitals. Diese beiden Größen werden auf den nachfolgenden Stufen auf ihre Bestimmungsgrößen zurückgeführt, bis man zu elementaren Positionen aus der Bilanz und der Gewinn- und Verlustrechnung gelangt. In Abb. 4.10 ist der Aufbau des DuPont-Kennzahlensystems angegeben. Dieses Schema lässt sich auf verschiedene Weise einsetzen: Zum einen kann man analysieren, welche Veränderungen von einzelnen Positionen der Bilanz oder der Gewinn- und Verlustrechnung für eine festgestellte Veränderung des ROI verantwortlich sind. Zum anderen lässt sich abschätzen, wie sich eine bestimmte Veränderung einer Einflussgröße auf die verschiedenen Kennzahlen innerhalb des Schemas sowie auf den ROI als Spitzenkennzahl auswirken wird.
Abb. 4.10 DuPont-Kennzahlensystem
Umsatz
-
-
Variable Kosten
Deckungsbeitrag
Gewinn
Zinsen
Fixkosten
+
:
+
Umsatz
Abschreibungen
Umsatzrentabilität
Sonstige Fixkosten
× Umsatz
Return on Investment
Sachanlagen
+
Finanzanlagen
+
Vorräte + liquide Mittel + Forderungen
Umlaufvermögen
Investiertes Kapital
Anlagevermögen
:
Umschlagshäufigkeit
4.2 Bilanzierung 217
218
4 Die Informationswirtschaft
Im Rahmen einer wertorientierten Unternehmensführung werden vermehrt am Unternehmenswert orientierte Kennzahlen eingesetzt, die die Erfolgsrechnung mit den Methoden der dynamischen Investitionsrechnung verknüpfen. Schlüsselkennzahl ist hier der Economic Value Added (EVA), der sich als Differenz aus dem operativen Ergebnis (NOPAT, Net Operating Profit after Taxes) und den Kapitalkosten ergibt. EVA = NOPAT − (Capital ⋅ Cost of Capital)
Der NOPAT wird aus dem operativen Ergebnis vor Zinsen und Steuern (EBIT, Earnings before Interest and Taxes) berechnet, indem man die Steuerzahlungen abzieht. Als Kapital wird das Nettobetriebsvermögen herangezogen, das mit den durchschnittlichen Kapitalkosten bewertet wird. MVA = Gesamtkapital − investiertes Kapital =
EVA Cost of Capital
Der Market Value Added (MVA) ergibt sich als Differenz aus dem Gesamtkapital und dem investierten Kapital. Er kann als Kapitalwert des Unternehmens aufgrund zukünftiger Gewinnerwartungen interpretiert und alternativ als Quotient des EVA und der Kapitalkosten berechnet werden. 4.2.3.4
Wertschöpfungsanalyse
Bei der Wertschöpfungsanalyse wird der Beitrag ermittelt, den das Unternehmen insgesamt bzw. die einzelnen Produktionsfaktoren zum betrieblichen Ergebnis geleistet haben. Die Wertschöpfung, die das Unternehmen in einem Geschäftsjahr erbracht hat, lässt sich auf zwei Wegen ermitteln: Die direkte Ermittlung ist eine Verwendungsrechnung, sie berechnet die Wertschöpfung als Summe aus Arbeitserträgen, Kapitalerträgen und dem Staat zufließenden Gemeinerträgen. Bei der indirekten Ermittlung ergibt sich die Wertschöpfung als Differenz aus dem Wert der hergestellten Produkte und dem Wert der in die Produktion eingegangenen, von außen bezogenen Vorleistungen. Im Rahmen der Wertschöpfungsanalyse werden Kennzahlen zur Produktivität, zur Verteilung der Wertschöpfung auf die Produktionsfaktoren und zur Wertschöpfungsquote gebildet. Arbeitsproduktivität =
Wertschöpfung Zahl der Arbeitnehmer
Tendenziell steigt die Arbeitsproduktivität an, wenn das Unternehmen Maßnahmen zur Rationalisierung und Automatisierung durchführt, die eine Reduktion des für die Produktion benötigten Arbeitseinsatzes ermögliches. Kapitalproduktivität =
Wertschöpfung Gesamtkapital
4.3 Kostenrechnung
219
Die Kapitalproduktivität bildet eine Obergrenze für die Verzinsung des eingesetzten Kapitals. Lohnquote =
Arbeitserträge Wertschöpfung
Kapitalquote = Steuerquote =
Kapitalerträge Wertschöpfung
direkte Steuern Wertschöpfung
Eine hohe Arbeits- bzw. Kapitalquote ist ein Anzeichen dafür, dass die Arbeitnehmer bzw. die Kapitalgeber einen großen Anteil der Wertschöpfung erhalten. Eine geringe Steuerquote zeigt, dass es dem Unternehmen z.B. durch bilanzpolitische Maßnahmen gelungen ist, seine Steuerbelastung zu reduzieren. Wertschöpfungsquote =
Wertschöpfung Gesamtleistung
Die Wertschöpfungsquote erlaubt eine Aussage über die Leistungsfähigkeit eines Unternehmens innerhalb der Gesamtwirtschaft. Mit ihrer Hilfe lassen sich z.B. auch Erkenntnisse über Konzentrationsvorgänge gewinnen. Die Bedeutung der Bilanzanalyse ist in erster Linie darin zu sehen, dass sie auch Außenstehenden eine Beurteilung eines Unternehmens erlaubt. Sie wird z.B. bei Kreditvergabeentscheidungen in Banken (Rating, vgl. Abschnitt 3.3.1), bei Anlageentscheidungen von Investmentfonds oder anderen Großanlegern, aber auch beim Erwerb von Beteiligungen und im Vorfeld von Unternehmenszusammenschlüssen eingesetzt.
4.3
Kostenrechnung
Die Aufgabe der Kostenrechnung besteht in der quantitativen und wertmäßigen Abbildung der Güterflüsse innerhalb des Unternehmens, durch die seine Wirtschaftlichkeit überwacht werden kann. In Abschnitt 4.3.1 wird zunächst als Grundlage für die weiteren Ausführungen der Kostenbegriff definiert, in Abschnitt 4.3.2 werden die wichtigsten Kostenrechnungssysteme kurz erläutert. In den nachfolgenden Abschnitten wird der Ablauf einer ausgebauten Kostenrechnung systematisch dargestellt: Zunächst werden in der Kostenartenrechnung sämtliche angefallenen Kosten nach sachlichen Kriterien erfasst (Abschnitt 4.3.3), anschließend werden sie in der Kostenstellenrechnung auf die Bereiche verrechnet, in denen sie angefallen sind (Abschnitt 4.3.4), schließlich erfolgt in der Kostenträgerrechnung eine möglichst verursachungsgerechte Zurechnung auf die hergestellten Produkte (Abschnitt 4.3.5). Die hier ermittelten Selbstkosten der Produkte dienen unter anderem als Kalkulationsgrund-
220
4 Die Informationswirtschaft
lage bei der Preisbestimmung und der Abgabe von Angeboten. In der Betriebsergebnisrechnung wird durch Gegenüberstellung von Erlösen und Kosten einer Periode der kurzfristige Erfolg des Unternehmens ermittelt (Abschnitt 4.3.6). Die Kostenrechnung wird auch als das interne Rechnungswesen des Unternehmens bezeichnet, da sie sich im Wesentlichen an interne Interessengruppen wendet (vgl. zu den Anspruchsgruppen nochmals Abschnitt 1.3.2). Während die Bilanzierung lediglich einmal je Geschäftsjahr erfolgt, beträgt der Abrechnungszeitraum der Kostenrechnung ein Quartal oder sogar einen Monat, so dass wesentlich aktuellere Informationen bereitgestellt werden können.
4.3.1
Kostenbegriff
Kosten sind der bewertete Verzehr von Gütern und Dienstleistungen zur Erstellung der betrieblichen Leistung einer Periode. Diese grundlegende Definition des Kostenbegriffs weist vier Bestimmungsmerkmale auf, die zur Verdeutlichung und zur Abgrenzung gegen andere Wertgrößen herangezogen werden können: • Mengengerüst: Kosten fallen dadurch an, dass bestimmte Einsatzmengen an Sachgütern und Dienstleistungen im betrieblichen Wertschöpfungsprozess verbraucht werden. • Wertgerüst: Durch die Bewertung des zunächst mengenmäßig erfassten Produktionsfaktoreinsatzes mit Preisen werden heterogene Mengengrößen in eine einheitliche Wertgröße, das Geld, überführt. • Leistungsbezug: Kosten liegen nur dann vor, wenn der Faktoreinsatz in direktem Zusammenhang mit der Erstellung der betrieblichen Leistungen steht. Dieses Merkmal dient zur Abgrenzung der Kosten von neutralen Aufwendungen. • Periodenbezug: Kosten liegen weiter nur dann vor, wenn der Faktoreinsatz in der jeweiligen Abrechnungsperiode erfolgt. Hierdurch wird eine Abgrenzung der Kosten von periodenfremden Aufwendungen vorgenommen. Bei der Bewertung der Faktoreinsatzmengen stellt sich die Frage, welche Preise herangezogen werden sollen: • Auf den ersten Blick scheint es nahe liegend, die beim Kauf der Produktionsfaktoren gezahlten Einstandspreise als Wertmaßstab heranzuziehen. Jedoch kann z.B. bei Maschinen die Anschaffung bereits weit zurückliegen. Weiter können im Zeitablauf schwankende Einstandspreise dazu führen, dass auch die für ein Produkt ausgewiesenen Kosten schwanken. • Beim Ansatz von Wiederbeschaffungspreisen werden die Produktionsfaktoren unabhängig vom Zeitpunkt des Kaufs mit den jeweils aktuellen Marktpreisen bewertet. Das Problem schwankender Preise und damit Kosten besteht jedoch weiterhin. • Zur Vermeidung derartiger Schwankungen kann auf Durchschnittspreise zurückgegriffen werden, denen es allerdings an Exaktheit bzw. Aktualität mangelt.
4.3 Kostenrechnung
221
• Einsatzgüter, die nicht vom Markt bezogen, sondern im eigenen Unternehmen erstellt werden, z.B. selbst gefertigte Bauteile oder der Strom aus einem eigenen Kraftwerk, werden mit internen Verrechnungspreisen bewertet, die im Rahmen der Kostenrechnung bestimmt werden müssen. • Aus theoretischer Sicht exakt ist die Bewertung mit Opportunitätskosten. Diese entsprechen dem entgangenen Gewinn aus der besten nicht realisierten Verwendung eines Produktionsfaktors. Wird z.B. ein Bauteil, das auch als Ersatzteil verkauft werden könnte, in der Produktion eingesetzt, so ergeben sich Opportunitätskosten in Höhe des Gewinns, der beim Verkauf angefallen wäre. Umgekehrt entsprechen beim Verkauf des Bauteils die Opportunitätskosten dem Gewinn, der beim Einsatz in der Produktion erzielt würde. Offensichtlich bereitet die Bestimmung der Opportunitätskosten oft große Probleme, so dass in der Praxis auf die zuvor genannten Wertmaßstäbe zurückgegriffen wird. Ein Ziel der Kostenrechnung besteht in der Ermittlung des Unternehmenserfolgs. Der Gesamterfolg eines Unternehmens ergibt sich, indem man von der Summe aller Einzahlungen die Summe aller Auszahlungen subtrahiert. Diese Größe lässt sich jedoch erst bei der Auflösung des Unternehmens bestimmen, wenn alle Vorräte und Anlagegüter verkauft, die Forderungen eingetrieben und die Gläubiger und Anteilseigner ausgezahlt werden. Da die Unternehmensführung zur Steuerung der Geschäftstätigkeit zwischenzeitliche Erfolgsgrößen benötigt, muss eine geeignete Periodisierung und Abgrenzung der Zahlungen von anderen Wertgrößen erfolgen. Die für das Rechnungswesen relevanten Wertgrößen lassen sich den folgenden vier Wertebenen zuordnen (vgl. auch Abb. 4.11):
Bestandsgrößen Zahlungsmittel = Bargeld + liquide Mittel Geldvermögen = Zahlungsmittel + Forderungen – Verbindlichkeiten Reinvermögen = Geldvermögen + Sachvermögen Betriebsvermögen = Reinvermögen – nicht betriebsnotwendiges Vermögen
Zuflüsse
Abflüsse
Einzahlungen
Auszahlungen
Einnahmen
Ausgaben
Erträge
Aufwendungen
Betriebserträge
Kosten
Abb. 4.11 Wertebenen
• Der Zahlungsmittelbestand setzt sich aus dem Bargeld und den Beständen an liquiden Mitteln, z.B. auf Bankkonten, zusammen. Zuflüsse bei den Zahlungsmitteln werden als Einzahlungen bezeichnet, Abflüsse als Auszahlungen. Zahlungen werden anhand von Zahlungsbelegen erfasst.
222
4 Die Informationswirtschaft
• Das Geldvermögen besteht aus den Zahlungsmitteln zuzüglich der Forderungen und abzüglich der Verbindlichkeiten. Zuflüsse beim Geldvermögen heißen Einnahmen, Abflüsse sind Ausgaben; ihre Erfassung erfolgt anhand von Rechnungen. • Man erhält das Reinvermögen, indem man zum Geldvermögen das mit Preisen bewertete Sachvermögen addiert. Ein Zufluss beim Sachvermögen ist ein Ertrag, ein Abfluss ein Aufwand. Erträge und Aufwendungen werden in der Finanzbuchhaltung erfasst. • Das Betriebsvermögen ergibt sich, indem man vom Reinvermögen das nicht betriebsnotwendige Vermögen subtrahiert. Zum nicht betriebsnotwendigen Vermögen zählen Vermögensgegenstände, die nicht der betrieblichen Tätigkeit dienen, z.B. Werkswohnungen, brachliegende Grundstücke oder zu Spekulationszwecken gehaltene Wertpapiere. Zuflüsse zum Betriebsvermögen nennt man Betriebserträge, Abflüsse heißen Kosten. Die Bestimmung der Betriebserträge und Kosten erfolgt in der Kostenrechnung. Bei Vorgängen, die sich innerhalb einer Abrechnungsperiode vollständig abwickeln lassen, werden sämtliche vier Wertebenen berührt. Bestellt z.B. ein Kunde ein spezielles Ersatzteil für eine Maschine, das in derselben Periode angefertigt, ausgeliefert und bezahlt wird, so liegen aus Sicht des liefernden Unternehmens eine Einzahlung, eine Einnahme, ein Ertrag und ein Betriebsertrag vor; aus Sicht des Kunden bedeutet dieser Vorgang gleichzeitig eine Auszahlung, eine Ausgabe, einen Aufwand und Kosten. In der Praxis tritt jedoch – gerade angesichts der kurzen Abrechnungsperiode der Kostenrechnung – häufig der Fall auf, dass Vorgänge am Periodenende nicht abgeschlossen sind, z.B. wenn eine Produktion begonnen, aber noch nicht fertig gestellt ist, wenn eine Rechnung eingegangen, aber noch nicht bezahlt ist. Derartige Abweichungen zwischen den Wertebenen lassen sich wie folgt systematisieren (vgl. auch Abb. 4.12):
Auszahlungen 1
Ausgaben 5
2
4 6
Aufwendungen 9
8 10
Kosten
12
Einzahlungen
Einnahmen Erträge
Betriebserträge
3
7 11
Abb. 4.12 Abgrenzung der Wertebenen
• Eine Abweichung zwischen der Zahlungsmittel- und der Geldvermögensebene liegt immer dann vor, wenn Kreditvorgänge auftreten. Dabei lassen sich folgende Fälle unterscheiden: (1) Auszahlung, keine Ausgabe: z.B. Tilgung eines Kredits (2) Ausgabe, keine Auszahlung: z.B. Einkauf auf Ziel
4.3 Kostenrechnung
223
(3) Einzahlung, keine Einnahme: z.B. Eingang einer Forderung (4) Einnahme, keine Einzahlung: z.B. Lieferung auf Ziel • Abweichungen zwischen der Geldvermögens- und der Reinvermögensebene lassen sich insbesondere auf Lagerbestandsveränderungen zurückführen: (5) (6) (7) (8)
Ausgabe, kein Aufwand: z.B. Kauf und Einlagerung von Material Aufwand, keine Ausgabe: z.B. Einsatz von gelagertem Material in der Produktion Einnahme, kein Ertrag: z.B. Verkauf von zuvor gelagerten Erzeugnissen Ertrag, keine Einnahme: z.B. Produktion auf Lager
• Unterschiede zwischen der Reinvermögens- und der Betriebsvermögensebene beruhen darauf, dass einerseits der Erfolg des gesamten Unternehmens und andererseits der Erfolg aus der betrieblichen Tätigkeit ermittelt werden soll. Sie bestehen zum einen in neutralen Erträgen und Aufwendungen, die zwar in der Finanzbuchhaltung, aber nicht in der Kostenrechnung erfasst werden. Neutrale Erträge und Aufwendungen sind Erfolgskomponenten, die einer anderen Abrechnungsperiode zuzurechnen sind (periodenfremd), nicht aus der betrieblichen Tätigkeit hervorgehen (betriebsfremd) oder in ungewöhnlicher Höhe anfallen (außerordentlich). Zum anderen fallen kalkulatorische Kosten an, die in der Kostenrechnung abweichend von der Finanzbuchhaltung (Zusatzkosten) oder in anderer Höhe (Anderskosten) verbucht werden. (9) (10) (11) (12)
Aufwand, keine Kosten: neutrale Aufwendungen Kosten, kein Aufwand: kalkulatorische Kosten Ertrag, kein Betriebsertrag: neutraler Ertrag Betriebsertrag, kein Ertrag: kalkulatorischer Betriebsertrag
Bei einer analytischen Betrachtung der Kosten lassen sich die Kostendefinition und die Kostenfunktion unterscheiden. Die bereits zu Beginn des Abschnitts verbal angeführte Kostendefinition gibt an, wie die Kosten als Summe der mit ihren Preisen ci bewerteten Faktoreinsatzmengen ri berechnet werden: n
K = ∑ ri ⋅ ci i =1
Die Kostenfunktion hingegen beschreibt die Kosten in Abhängigkeit von der Produktionsmenge x: K = K (x)
Der Zusammenhang zwischen der Kostendefinition und der Kostenfunktion wird durch die Produktionsfunktion hergestellt (vgl. Abschnitt 2.2.1), die die Abhängigkeit zwischen der Faktoreinsatzmenge und der Produktionsmenge mathematisch beschreibt. Grundsätzlich lassen sich in einer solchen Kostenfunktion die folgenden Bestandteile unterscheiden (vgl. Abb. 4.13):
224
4 Die Informationswirtschaft Gesamtkosten
Fixkosten
Variable Kosten
Gehälter
Löhne
Versicherungen
Materialkosten
Zinsen
Energieverbrauch
Miete, Pacht
Logistikkosten
Sprungfixe Kosten
Zusätzliche Fixkosten einer neuen Anlage
Abschreibungen
Abb. 4.13 Kostenkategorien
• Fixkosten K F fallen unabhängig von der produzierten Menge für die Aufrechterhaltung der Betriebsbereitschaft an. Dazu zählen z.B. Gehälter, Versicherungen, Zinsen für langfristige Kredite, Miete, Pacht oder Leasingraten sowie Abschreibungen auf die Gebäude und Maschinen. • Variable Kosten KV sind Kosten, die direkt mit der Produktionsmenge x steigen oder fallen, z.B. Lohnkosten, Materialkosten, Energiekosten, aber auch Entsorgungs- und Logistikkosten. • Sprungfixe Kosten verlaufen innerhalb eines bestimmten Bereichs konstant, steigen jedoch bei Überschreiten einer kritischen Produktionsmenge sprunghaft an. Ein Beispiel sind die zusätzlichen Fixkosten, die bei der Anschaffung einer neuen Anlage zur Befriedigung gestiegener Nachfrage auf das Unternehmen zukommen. Lässt man die sprungfixen Kosten außer Acht, so lautet die Kostenfunktion nunmehr: K ( x) = K F + KV ( x)
Da die variablen Kosten direkt von der Produktionsmenge abhängen, ist ihr Verlauf genauer zu untersuchen. In Abhängigkeit von der betrachteten Einsatzfaktorart lassen sich die folgenden drei Grundtypen unterscheiden (vgl. Abb. 4.14): • Der einfachste Fall ist der proportionale bzw. lineare Kostenverlauf, bei dem jedes produzierte Stück immer gleich viel kostet. Der lineare Kostenverlauf ist typisch für den Materialverbrauch, soweit er sich aus Stücklisten (vgl. Abschnitt 2.1.3) ableiten lässt. • Ein degressiver Kostenverlauf liegt vor, wenn bei Ausdehnung der Produktion jedes zusätzlich produzierte Stück weniger kostet, dadurch verläuft die Kostenfunktion immer
4.3 Kostenrechnung
225
flacher. Dieser Kostenverlauf lässt sich z.B. mit Lerneffekten oder Mengenrabatten begründen.
K(x)
Progressive Kosten Degressive Kosten Proportionale Kosten
KF x Abb. 4.14 Verlauf der Kostenfunktion
• Bei einem progressiven Kostenverlauf steigt die Kostenfunktion überproportional an, da die Produktion jedes zusätzlichen Stücks immer teurer wird. Ein solcher Anstieg beruht z.B. auf erhöhtem Energieverbrauch bei Ausdehnung der Produktion durch intensitätsmäßige Anpassung (vgl. Abschnitt 2.2.1) oder auf zunehmendem Ausschuss aufgrund von Ermüdungserscheinungen. Im Rahmen der Kostenrechnung geht man in der Regel aus Gründen der Vereinfachung von einem linearen Kostenverlauf aus. Diese Annahme stellt eine gute Annäherung an den tatsächlichen Kostenverlauf dar, wenn sich progressive und degressive Kosteneinflussgrößen insgesamt ungefähr ausgleichen. Bei der Analyse einer Kostenfunktion sind die folgenden Größen von Bedeutung: • Als Durchschnittskosten bzw. Stückkosten bezeichnet man den bei einer bestimmten Produktionsmenge auf das einzelne Stück entfallenden Betrag, der sich durch Division der Gesamtkosten durch die Produktionsmenge ergibt. Da sich bei steigender Produktionsmenge die Fixkosten auf eine immer größere Stückzahl verteilen, verlaufen die Stückkosten in Abhängigkeit von der Produktionsmenge tendenziell fallend. k ( x) =
K ( x) K F + KV ( x) = x x
• Die variablen Durchschnittskosten ergeben sich, indem man lediglich die variablen Kosten durch die Produktionsmenge dividiert. Sie sind immer geringer als die gesamten Durchschnittskosten. Bei proportionalem Verlauf der variablen Kosten sind die variablen
226
4 Die Informationswirtschaft
Durchschnittskosten konstant, bei degressivem Verlauf sinken und bei progressivem Verlauf steigen sie. k v ( x) =
KV ( x) K ( x) − K F = x x
• Die Grenzkosten geben an, um welchen Betrag die Kosten steigen, wenn ein zusätzliches Stück produziert wird. Sie werden daher auch als Kosten der letzten produzierten Einheit bezeichnet und lassen sich als erste Ableitung der Kostenfunktion berechnen. Ähnlich wie die variablen Durchschnittskosten sind die Grenzkosten bei proportionalem Kostenverlauf konstant, bei degressivem Kostenverlauf sinken und bei progressivem Kostenverlauf steigen sie mit der Produktionsmenge. K ' ( x) =
d K ( x) dx
Kosten lassen sich nach unterschiedlichen Kriterien klassifizieren. Stellt man darauf ab, inwieweit sich die Kosten durch eine betriebliche Entscheidung, z.B. die Entscheidung über die Höhe der Produktionsmenge, beeinflussen lassen, so erhält man die bereits bekannte Einteilung in entscheidungsunabhängige Fixkosten und entscheidungsabhängige variable Kosten. Nach der Art der Weiterverrechnung unterscheidet man Einzelkosten, die sich direkt den Produkten zurechnen lassen, und Gemeinkosten, die nur indirekt von der Produktionsmenge abhängen und daher zunächst anderen Abrechnungseinheiten zugerechnet werden müssen. Beispiele für Einzelkosten sind die Kosten des Materialeinsatzes, der Verpackung und die direkt erfassten Fertigungslöhne. Als Gemeinkosten fallen z.B. Maschinenkosten, Energiekosten, Gehälter, Mieten und Verwaltungskosten an.
4.3.2
Kostenrechnungssysteme
Im Laufe der Zeit sind verschiedene Systeme der Kostenrechnung entwickelt worden, die sich vor allem hinsichtlich ihres Zeitbezugs und des Umfangs der Kostenverrechnung unterscheiden. Nach dem Zeitbezug der Kosten unterscheidet man: • Die Istkostenrechnung ist vergangenheitsorientiert und verrechnet die tatsächlich angefallenen Kosten einer Periode. Istkosten ergeben sich durch Multiplikation von Istverbrauchsmengen mit Istpreisen. • Die Normalkostenrechnung ist ebenfalls vergangenheitsorientiert, arbeitet jedoch mit festen Verrechnungspreisen anstelle von Istpreisen. • Die Plankostenrechnung ist zukunftsorientiert. Plankosten werden auf Basis geplanter Mengengrößen und geplanter Preise berechnet und dienen vor allem der späteren Kostenkontrolle. Nach dem Umfang der verrechneten Kosten unterscheidet man die Vollkostenrechnung, bei der sämtliche in der Abrechnungsperiode angefallenen Kosten auf die Produkte verrechnet
4.3 Kostenrechnung
227
werden, und die Teilkosten- bzw. Deckungsbeitragsrechnung, die lediglich die variablen Kosten auf die Produkte verrechnet und die Fixkosten separat analysiert. Ein grundlegendes Prinzip der Kostenrechnung ist das Verursachungsprinzip, nach dem die Kosten genau dort angelastet werden sollten, wo sie verursacht worden sind. Während der Teilkostenrechnung das Verursachungsprinzip in seiner strengen Fassung zugrunde liegt, stellt die Vollkostenrechnung darauf ab, dass letztlich auch die Fixkosten durch die betriebliche Tätigkeit verursacht werden und daher den Produkten anzulasten sind. Wie das folgende Beispiel zeigt, sind bei der Vollkostenrechnung gravierende Fehlentscheidungen möglich, da sie weniger Einblick in die Kostenstruktur gibt. In einer Süßwarenfabrik werden Schokoladenriegel, Müslikekse und Weingummi hergestellt. Dabei fallen Fixkosten in Höhe von insgesamt 1.200 € an. In Tab. 4.1 sind die relevanten Daten und die Erfolgskalkulation bei einer Vollkostenrechnung dargestellt. Tab. 4.1 Vollkostenkalkulation Produkt
Menge
Preis
Stückkosten
p–k
Erfolg
Schokoriegel Müslikekse Weingummi
4.000 2.000 1.000
0,50 € 1,00 € 1,50 €
0,55 € 0,70 € 1,00 €
–0,05 € 0,30 € 0,50 €
–200 € 600 € 500 €
Offensichtlich verursacht jeder Schokoriegel 0,05 € mehr Kosten, als sein Erlös beträgt, so dass das Unternehmen aus der Produktsparte Schokoriegel einen Verlust von 200 € erwirtschaftet. Für die beiden anderen Produkte ergibt sich ein Gewinn von 600 € (Müslikekse) bzw. 500 € (Weingummi), der Gesamtgewinn beträgt somit 900 €. Als die Unternehmensleitung diese Zahlen sieht, beschließt sie, die Produktion der Schokoriegel aufzugeben und erwartet, dass der Gewinn anschließend auf 1.100 € steigt. Tatsächlich sinkt er jedoch um weitere 200 € auf 700 €. Die Ursache für dieses auf den ersten Blick überraschende Ergebnis liegt in der Verwendung der Vollkostenrechnung, bei der auch die Fixkosten auf die Produkte verrechnet werden, und die in diesem Fall falsche Informationen hinsichtlich der Ertragslage der Produkte liefert. Tab. 4.2 Teilkostenkalkulation Produkt Schokoriegel Müslikekse Weingummi
Menge 4.000 2.000 1.000
Preis 0,50 € 1,00 € 1,50 €
Variable Stückkosten 0,45 € 0,50 € 0,60 €
p – kv 0,05 € 0,50 € 0,90 €
Erfolg 200 € 1.000 € 900 €
Tab. 4.2 zeigt, wie sich im vorliegenden Beispiel derselbe Gewinn in Höhe von 900 € aus Sicht der Teilkostenrechnung zusammensetzt. In der fünften Spalte ist nunmehr nicht der Stückgewinn, sondern der Stückdeckungsbeitrag angegeben, in der sechsten Spalte der Gesamtdeckungsbeitrag der einzelnen Produkte. Der Deckungsbeitrag ist der Betrag, den ein Produkt über seine variablen Kosten hinaus erwirtschaftet und der zur Abdeckung der Fix-
228
4 Die Informationswirtschaft
kosten verwendet werden kann. Im Beispiel betragen die Fixkosten insgesamt 1.200 €, so dass von der Summe der Deckungsbeiträge in Höhe von 2.100 € ein Gewinn in Höhe von 900 €, d.h. in gleicher Höhe wie bei der Vollkostenrechnung, verbleibt. Im Unterschied zur Vollkostenrechnung, bei der die Fixkosten willkürlich – in diesem Fall zu je 1/3 – auf die Produkte verteilt wurden, zeigt die Teilkostenrechnung die Quellen des Erfolgs eindeutig auf: Da alle drei Produkte einen positiven Stückdeckungsbeitrag liefern, sollte keines aus dem Sortiment genommen werden. Die Verschlechterung des Ergebnisses der Vollkostenrechnung nach der Einstellung der Schokoriegelproduktion resultiert daraus, dass die Fixkosten in unveränderter Höhe anfallen, jedoch der Deckungsbeitrag der Schokoriegel in Höhe von 200 € verloren geht. Eine Elimination der Schokoriegel aus dem Sortiment wäre nur dann sinnvoll, wenn sich innerhalb des Fixkostenblocks abbaufähige Fixkosten der Schokoriegelproduktion von mehr als 200 € identifizieren ließen, denn in diesem Fall würde der Gesamtdeckungsbeitrag dieser Produktart nicht ausreichen, um die ihr eindeutig zurechenbaren Fixkosten abzudecken. Der in den folgenden Abschnitten dargestellte Ablauf der Kostenrechnung entspricht einer Istkostenrechnung auf Vollkostenbasis, kann jedoch mit entsprechenden Modifikationen auch auf die übrigen Kostenrechnungssysteme übertragen werden. Abb. 4.15 gibt einen Überblick über die auf den einzelnen Stufen der Kostenrechnung vorgenommenen Verrechnungsschritte. Offensichtlich besteht die Aufgabe der Kostenrechnung darin, die zunächst nach Kostenarten gegliederten Kosten in mehreren Schritten so umzuverteilen, dass sich schließlich eine Gliederung nach Kostenträgern, d.h. Produkten oder Aufträgen, ergibt. Dazu werden zunächst in der Kostenartenrechnung die Kosten nach Kostenarten erfasst und entweder als Einzelkosten der Produkte direkt in die Kostenträgerrechnung weitergeleitet oder als Gemeinkosten in die Kostenstellenrechnung gegeben. Als nächstes erfolgt eine Zurechnung auf Kostenstellen, d.h. organisatorische Einheiten mit Kostenverantwortung. Kostenstelleneinzelkosten, z.B. Abschreibungen auf Maschinen oder Gehälter, lassen sich nach dem Verursachungsprinzip direkt einer Kostenstelle zuordnen, während Kostenstellengemeinkosten, z.B. Raumkosten oder Energiekosten, für mehrere Kostenstellen gemeinsam anfallen und über Schlüsselgrößen verteilt werden müssen. Das Ziel der Kostenstellenrechnung besteht darin, sämtliche Kosten auf den Hauptkostenstellen, die direkt zu der Herstellung der Kostenträger beitragen, zu sammeln. Dazu werden in der innerbetrieblichen Leistungsverrechnung, dem zweiten Schritt der Kostenstellenrechnung, die Kosten der vorgelagerten Hilfskostenstellen entsprechend ihrer Inanspruchnahme auf die Hauptkostenstellen verrechnet. In der Kostenträgerrechnung bzw. Kalkulation werden dann die Hauptkostenstellen auf die Kostenträger abgerechnet und diese anteiligen Gemeinkosten mit den direkt abgerechneten Einzelkosten zu den Produktkosten zusammengeführt.
4.3 Kostenrechnung
229
Gesamtkosten gegliedert nach Kostenarten
Kostenartenrechnung Kostenträgereinzelkosten
Kostenträgergemeinkosten
Kostenstelleneinzelkosten
Kostenstellengemeinkosten
direkt
indirekt
Hilfs- und Hauptkostenstellen
Kostenstellenrechnung
direkt oder indirekt
direkt
Hauptkostenstellen indirekt
Gesamtkosten gegliedert nach Kostenträgern
Kostenträgerrechnung
Abb. 4.15 Ablauf der Kostenrechnung
4.3.3
Kostenartenrechnung
Die Kostenartenrechnung ist die erste Stufe der in Abb. 4.15 dargestellten Kostenrechnung, sie gibt die Antwort auf die Frage: Welche Kosten fallen an? Ihre Aufgabe ist die systematische Erfassung aller in der Abrechnungsperiode angefallenen Kosten in einem Kostenartenplan. Der Kostenartenplan ist eine unternehmensspezifische Zusammenstellung der regelmäßig auftretenden Kostenarten; er ist ein wichtiges Hilfsmittel
230
4 Die Informationswirtschaft
bei der Kontierung und anschließenden Verbuchung der Kostenbelege. Die sorgfältige Aufstellung des Kostenartenplans ist eine wesentliche Voraussetzung für eine aussagekräftige Kostenrechnung. Die Einteilung der Kostenarten muss nach den Grundsätzen der Reinheit und Einheitlichkeit erfolgen, damit eine schnelle und einheitliche Zuordnung der anfallenden Belege sichergestellt ist. Typischerweise orientiert sich die Gliederung der Kostenarten an den eingesetzten Produktionsfaktoren, z.B. unterscheidet der Gemeinschaftskontenrahmen der Industrie folgende Kontengruppen: • Materialeinzelkosten • Materialgemeinkosten • Kosten für Brennstoffe und Energie • Lohn- und Gehaltskosten • Sozialkosten und andere Personalkosten • Instandhaltungskosten und Fremdleistungen • Steuern, Gebühren, Beiträge • Mieten, Verkehrs-, Büro- und Werbekosten • Kalkulatorische Kosten • Sondereinzelkosten Im Folgenden wird auf die Erfassung der wichtigsten Kostenarten eingegangen. 1. Materialkosten Unter der Kostenart Materialkosten werden die für den Einsatz von Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffen, Zukaufteilen sowie Verbrauchsmaterial in der Produktion anfallenden Kosten erfasst. Dabei lassen sich die Kosten des Materialeinsatzes in der Regel als Materialeinzelkosten den Produkten zuordnen, während die Kosten der Beschaffung, der Lagerung und der Bereitstellung des Materials als Materialgemeinkosten anfallen. Bei der Erfassung der Kosten des Materialverbrauchs sind zwei Teilprobleme zu lösen (vgl. Abb. 4.16): Die Ermittlung des Mengengerüsts der Kosten greift auf die in der Materialabrechnung erfassten Verbrauchsdaten zurück, für die Bewertung des Materialverbrauchs werden Daten aus der Finanzbuchhaltung herangezogen. Zur Ermittlung des Materialverbrauchs stehen folgende Verfahren zur Verfügung: • Bei der Inventurmethode werden die laufenden Materialzugänge festgehalten sowie der Materialbestand an bestimmten Stichtagen durch eine körperliche Bestandsaufnahme (Inventur) erfasst. Der Materialverbrauch zwischen zwei Stichtagen lässt sich dann wie folgt ermitteln: Verbrauch = Anfangsbestand + Zugänge – Endbestand Diese Methode verursacht durch die häufigen Inventuren einen hohen Aufwand. Ihr wesentlicher Nachteil ist, dass zum einen im Materialverbrauch auch Unregelmäßigkeiten
4.3 Kostenrechnung
231
wie Schwund, Verderb oder Diebstahl enthalten sind, zum anderen lässt sich der so ermittelte Gesamtverbrauch nicht mehr einzelnen Kostenstellen oder Kostenträgern zurechnen.
Materialkosten
Mengengerüst Inventurmethode Skontrationsmethode Retrograde Methode
Wertgerüst Istpreise: LIFO FIFO HIFO Durchschnittspreise Planpreise
Abb. 4.16 Erfassung der Materialkosten
• Die Skontrationsmethode schreibt die bei der jährlichen Inventur ermittelten Materialbestände fort. Die laufenden Materialzugänge werden durch Lieferscheine erfasst, die Materialabgänge durch Materialentnahmescheine, die eine eindeutige Zuordnung zur verbrauchenden Kostenstelle erlauben. Der Gesamtverbrauch einer Periode ergibt sich als Summe der Entnahmemengen. Bestandsminderungen durch Unregelmäßigkeiten lassen sich durch Vergleich des Buchbestands mit dem nächsten Inventurbestand erkennen. Die Skontrationsmethode liefert detaillierte und exakte Verbrauchsdaten, erfordert allerdings eine aufwändige Informationsverarbeitung. • Die retrograde Methode ermittelt den Materialverbrauch durch Rückrechnung aus dem hergestellten Produktionsprogramm. Anhand der Stücklisten wird ermittelt, in welcher Menge ein Teil in das Produkt eingeht, durch Multiplikation mit der Anzahl der hergestellten Produkte ergibt sich der Materialverbrauch. Da sowohl Stücklisten- als auch Produktionsprogramminformationen in einem Fertigungsunternehmen regelmäßig vorliegen, sind diese Berechnungen schnell und einfach durchführbar, eine eindeutige Zurechnung des Materialverbrauchs zu den verursachenden Kostenstellen und Kostenträgern ist möglich. Ein Nachteil der Methode ist, dass sich Abweichungen vom Sollverbrauch, z.B. durch Ausschuss, sowie Bestandsminderungen aufgrund von Unregelmäßigkeiten erst im Rahmen der jährlichen Inventur erfassen lassen. Die Bewertung des Materialverbrauchs kann mit Istpreisen, d.h. den gezahlten Anschaffungspreisen, oder mit festen Planpreisen, die auf der Basis der Istpreise für einen längeren
232
4 Die Informationswirtschaft
Zeitraum vorgegeben werden, erfolgen. Planpreise bieten den Vorteil, dass sie eine konstante, von Preisschwankungen unabhängige Kalkulationsgrundlage bieten. Bei der Verwendung von Istpreisen tritt häufig das zusätzliche Problem auf, dass das eingesetzte Material nicht direkt aus einer bestimmten Lieferung, sondern aus dem Lager entnommen wird, in dem sich Bestände aus verschiedenen Lieferungen mit unterschiedlichen Preisen vermischen. In diesem Fall muss der Anschaffungspreis einer eingesetzten Materialmenge mithilfe eines der folgenden Verbrauchsfolgeverfahren ermittelt werden, die den tatsächlichen Lagerabgang möglichst gut widerspiegeln sollen: • Bei der FIFO-Methode (First in first out) wird unterstellt, dass die Bestände aus der am längsten zurückliegenden Lieferung zuerst verbraucht werden. Dies ist z.B. bei der Lagerung in Silos oder in von der Rückseite befüllten Regalen der Fall. • Bei der LIFO-Methode (Last in first out) wird hingegen angenommen, dass die zuletzt gelieferten Einheiten zuerst verbraucht werden. Dies tritt z.B. bei der Lagerung in einem Stapel oder in von der Vorderseite befüllten Regalen auf. • Die HIFO-Methode (Highest in first out) geht davon aus, dass der Verbrauch zuerst aus der zum höchsten Preis eingekauften Lieferung erfolgt. Diese Rechnung entspricht keiner realen Verbrauchsfolge, sondern wird allenfalls aus bilanzpolitischen Gründen eingesetzt. Dies ist jedoch nach deutschem Bilanzrecht nicht zulässig. • Falls sich die Bestände aus verschiedenen Lieferungen im Lager vollständig vermischen, wie es z.B. bei Schüttgütern oder Flüssigkeiten der Fall ist, wird die Methode der gleitenden Durchschnitte angewendet. Bei jedem Lagerzugang Lneu wird ein neuer Durchschnittspreis ermittelt, indem man den gewichteten Mittelwert aus dem alten Durchschnittspreis p alt und dem Preis des neuen Lagerzugangs p neu berechnet: p neu =
p alt ⋅ Lalt + p neu ⋅ Lneu Lalt + Lneu
2. Personalkosten Zu den Personalkosten zählen sämtliche Kosten, die unmittelbar oder mittelbar im Zusammenhang mit dem Einsatz von Arbeitskräften anfallen (vgl. Abb. 4.17). Sie setzen sich aus dem Arbeitsentgelt, das in Form von Löhnen, Gehältern, Zuschlägen z.B. für Überstunden und Prämien gezahlt wird, und den Personalnebenkosten zusammen. Personalnebenkosten sind insbesondere die Arbeitgeberanteile zu den verschiedenen Zweigen der Sozialversicherung – der Arbeitslosenversicherung, Krankenversicherung, Rentenversicherung, Pflegeversicherung und der vom Arbeitgeber allein getragenen Unfallversicherung. Weiter zählen dazu freiwillig vom Unternehmen erbrachte Sozialleistungen wie Essenszuschüsse, Gratifikationen, medizinische Dienste oder ein Betriebskindergarten sowie sonstige Personalnebenkosten für Umzüge, Abfindungen usw. Die Personalnebenkosten können eine beträchtliche Höhe erreichen, in einigen Branchen kommen zum Arbeitsentgelt nochmals 70 – 80% an Personalnebenkosten hinzu.
4.3 Kostenrechnung
233
Personalkosten
Arbeitsentgelt
Personalnebenkosten
Löhne
Gesetzliche Sozialabgaben
Gehälter
Freiwillige Sozialkosten
Zuschläge
Umzugskosten
Prämien
Abfindungen .....
Abb. 4.17 Personalkosten
Die Personalkosten werden in der Lohnbuchhaltung mithilfe von Lohnscheinen, Akkordscheinen, Stempelkarten oder Gehaltslisten erfasst. Soweit es sich um Akkordlöhne oder um separat erfasste Zeitlöhne handelt, lassen sie sich den Produkten direkt als Lohneinzelkosten zurechnen; pauschal erfasste Zeitlöhne und Gehälter hingegen sind Fertigungsgemeinkosten, die auf der entsprechenden Kostenstelle verbucht werden. Neben den regelmäßig gezahlten Löhnen und Gehältern, die der Produktion in der Abrechnungsperiode zuzurechnen sind, leistet das Unternehmen unregelmäßige oder einmalige Zahlungen z.B. in Form von Weihnachtsgeld, Lohnzahlungen während des Urlaubs, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, denen in der Periode der Auszahlung keine Leistungen gegenüberstehen. Um auch diese Zahlungen verursachungsgerecht zu verrechnen, ist eine Periodenabgrenzung vorzunehmen. Dabei wird entweder durch eine Zwölftelung der Zahlungen eine gleichmäßige Belastung der einzelnen Monate oder durch eine Verteilung proportional zu den in den einzelnen Monaten gezahlten Fertigungslöhnen eine gleichmäßige Belastung der Produkte erreicht. 3. Dienstleistungskosten Zu den Dienstleistungskosten zählen sämtliche Zahlungen für Leistungen, die von fremden Personen oder Institutionen erbracht werden, z.B.: • Reparatur-, Wartungs- und Instandhaltungskosten • Fracht- und Transportkosten • Versicherungsprämien • Bankgebühren • Gebühren für behördliche Leistungen
234
4 Die Informationswirtschaft
• Beiträge zu Verbänden • Rechts- und Steuerberatungskosten • Kosten für Leistungen von Unternehmensberatungen oder Werbeagenturen • Telekommunikationskosten • Portokosten Dienstleistungskosten lassen sich anhand von Zahlungsbelegen oder der Rechnungen erfassen, mit denen der Dienstleister seine Forderungen geltend macht. Bei jährlich erfolgenden Zahlungen für Leistungen, die über das Jahr hinweg in Anspruch genommen werden, ist eine zeitliche Abgrenzung – analog zu den Sonderzahlungen bei den Personalkosten – erforderlich. Ein großer Teil der Dienstleistungskosten sind Gemeinkosten, eine direkte Zurechnung auf Kostenträger ist lediglich bei den Transportkosten möglich, soweit sie als Sondereinzelkosten des Vertriebs erfasst werden. 4. Steuern und öffentliche Abgaben Steuern und Abgaben an öffentliche Kassen werden in der Kostenrechnung erfasst, wenn sie in direktem Zusammenhang mit der Erstellung der betrieblichen Leistungen oder der Aufrechterhaltung der Betriebsbereitschaft stehen. Typische Kostensteuern sind z.B. die Gewerbesteuer, die Grundsteuer auf Betriebsgrundstücke, die Kraftfahrzeugsteuer und die Versicherungsteuer. Gewinnsteuern wie die Einkommensteuer und die Körperschaftsteuer hingegen sind keine Kostensteuern, da ihre Steuerbemessungsgrundlage an keinen betrieblichen Tatbestand anknüpft. Auch Abgaben für Betriebsgrundstücke, Abwasserabgaben, Anliegerund Erschließungsbeiträge, IHK-Beiträge usw. zählen zu den Kosten. Die Erfassung der Steuern und Abgaben erfolgt anhand der Steuerbescheide bzw. Festsetzungsbescheide, bei jährlichen Zahlungen ist wiederum eine Abgrenzung erforderlich. Typischerweise handelt es sich bei diesen Kosten um Gemeinkosten, die über die Kostenstellenrechnung auf die Produkte verrechnet werden. 5. Kalkulatorische Kosten Kalkulatorische Kosten sind Kosten, denen in der Finanzbuchhaltung ein Aufwand in anderer Höhe gegenübersteht (Anderskosten) oder die dort überhaupt nicht erfasst werden, da sie nicht mit Auszahlungen verbunden sind (Zusatzkosten). Der Ansatz kalkulatorischer Kosten ist in der Finanzbuchhaltung verboten, in der Kostenrechnung jedoch erforderlich, um den für die Leistungserstellung tatsächlich angefallenen Werteverzehr korrekt zu erfassen. Die wichtigsten kalkulatorischen Kostenarten sind kalkulatorische Abschreibungen, kalkulatorische Zinsen und kalkulatorische Wagniskosten. Abschreibungen dienen dazu, die Kosten des Einsatzes von Maschinen und anderen langlebigen Gebrauchsgütern korrekt zu erfassen, indem der durch die Nutzung eintretende Wertverlust verursachungsgerecht auf die Nutzungsperioden verteilt wird. Dieser Wertverlust lässt sich auf folgende Abschreibungsursachen zurückführen, von denen in der Regel mehrere gemeinsam auftreten (vgl. Abb. 4.18):
4.3 Kostenrechnung
235 Abschreibungen
Verbrauchsbedingt Technischer Verschleiß Substanzverringerung Katastrophenverschleiß
Wirtschaftlich bedingt Technische Veralterung
Zeitlich bedingt Ablauf von Nutzungsrechten
Wirtschaftliche Veralterung Fehlinvestitionen Bilanzpolitik
Abb. 4.18 Abschreibungsursachen
• Bei verbrauchsbedingten Abschreibungen nimmt das mit der Anlage verbundene Nutzungspotenzial ab. Technischer Verschleiß ist mit Abnutzung verbunden oder tritt als Verschleiß am ruhenden Aggregat auf. Durch den Abbau z.B. von Bergwerken erfolgt eine Substanzverringerung; Katastrophenverschleiß liegt vor, wenn eine Maschine z.B. aufgrund eines Unfalls nicht mehr nutzbar ist. • Durch wirtschaftlich bedingte Abschreibungen wird die wertmäßige Verringerung des Nutzungspotenzials einer Anlage erfasst. So kann es durch technischen Fortschritt zur technischen Veralterung bzw. durch Nachfrageverschiebungen zur wirtschaftlichen Veralterung einer Maschine kommen, die eine zusätzliche Abschreibung erforderlich macht. Auch Fehlinvestitionen und bilanzpolitische Gründe zählen zu den wirtschaftlichen Abschreibungsursachen. • Zeitlich bedingte Abschreibungen sind erforderlich, wenn der Wertverlust der Anlage durch den Ablauf von Nutzungsrechten eintritt, z.B. beim Ablauf eines Mietvertrags für eine Maschinenhalle vor dem Ende der Nutzungsdauer der dort installierten Maschinen, sowie beim Ablauf von Schutzrechten, Patenten oder Konzessionen. Während bei den Abschreibungen in der Finanzbuchhaltung das Prinzip der nominellen Kapitalerhaltung gilt und daher als Ausgangsbasis für die Berechnung der Abschreibungsbeträge die Anschaffungskosten vorgeschrieben sind, darf in der Kostenrechnung auf der Basis von Wiederbeschaffungskosten abgeschrieben werden, die dem Prinzip der Substanzerhaltung entsprechen. Obwohl sich eine korrekte Erfassung des nutzungsbedingten Werteverzehrs am besten durch nutzungsabhängige Abschreibungen, die sich auf den in der Abrechnungsperiode in Anspruch genommenen Anteil am Gesamtnutzungspotenzial der Anlage beziehen, erreichen lässt, wird in der Regel aus Vereinfachungsgründen eine zeitabhängige
236
4 Die Informationswirtschaft
Abschreibung vorgenommen. Dazu ist eine Abschätzung der voraussichtlichen Nutzungsdauer sowie eine Vorstellung vom Verlauf des Werteverzehrs erforderlich. Die beiden gebräuchlichsten Abschreibungsmethoden sind die lineare Abschreibung und die geometrisch-degressive Abschreibung. Die lineare Abschreibung geht davon aus, dass der Werteverzehr gleichmäßig über die Nutzungsdauer verläuft. Daher wird in jeder Periode ein konstanter Betrag d als Abschreibung verbucht, der sich wie folgt aus dem Anschaffungspreis A0 und einem eventuellen Restwert R zum Ende der Nutzungsdauer T berechnet: A −R d= 0 T
Der Buchwert Bt , mit dem die Anlage zum Zeitpunkt t in den Unterlagen geführt wird, hat damit einen linear fallenden Verlauf: t = 1,..., T
Bt = A0 − t ⋅ d
Bei der geometrisch-degressiven Abschreibung wird angenommen, dass der Wertverlust der Anlage in den ersten Nutzungsperioden am höchsten ist und im Zeitablauf gleichmäßig abnimmt. Die Abschreibungsbeträge d t werden daher als konstanter Prozentsatz q des Buchwerts am Periodenanfang berechnet. Der Buchwert Bt fällt gemäß einer geometrischen Reihe. Für viele Anlagegegenstände, z.B. für Kraftfahrzeuge, ist eine solche Wertentwicklung als realistisch anzusehen. d t = q ⋅ Bt −1
t = 1,..., T
Bt = A0 ⋅ (1 − q )t
t = 1,..., T
In Tab. 4.3 ist die Entwicklung der Abschreibungsbeträge und des Restbuchwerts für das folgende Beispiel angegeben: Der Anschaffungspreis einer Anlage beträgt 20.000 €, die Nutzungsdauer 8 Jahre, ein nennenswerter Restwert wird nicht erwartet. Als Abschreibungssatz für die geometrisch-degressive Abschreibung werden 25% zugrunde gelegt. Tab. 4.3 Abschreibungsmethoden Periode
Lineare Abschreibung
T
dt
Bt
1 2 3 4 5 6 7 8
2.500 € 2.500 € 2.500 € 2.500 € 2.500 € 2.500 € 2.500 € 2.500 €
17.500 € 15.000 € 12.500 € 10.000 € 7.500 € 5.000 € 2.500 € 0€
Geometrisch-degressive Abschreibung dt Bt 5.000,00 € 3.750,00 € 2.812,50 € 2.109,38 € 1.582,03 € 1.186,52 € 889,89 € 667,42 €
15.000,00 € 11.250,00 € 8.437,50 € 6.328,12 € 4.746,09 € 3.559,57 € 2.669,68 € 2.002,26 €
Gemischte Abschreibung dt
Bt
5.000,00 € 3.750,00 € 2.812,50 € 2.109,38 € 1.582,03 € 1.582,03 € 1.582,03 € 1.582,03 €
15.000,00 € 11.250,00 € 8.437,50 € 6.328,12 € 4.746,09 € 3.164,06 € 1.582,03 € 0€
4.3 Kostenrechnung
237
Abb. 4.19 stellt die Entwicklung des Buchwerts bei den beiden Abschreibungsmethoden einander gegenüber.
Bt 20.000
Lineare Abschreibung Geometrisch-degressive Abschreibung
t 1
2
3
4
5
6
7
8
Abb. 4.19 Entwicklung des Buchwerts
Wie dieses Beispiel verdeutlicht, sind die Abschreibungsbeträge bei der geometrischdegressiven Abschreibung zu Beginn der Nutzungsdauer deutlich höher als bei der linearen Abschreibung, fallen dann aber recht schnell ab. Weiter lässt sich das mit der geometrischdegressiven Abschreibung verbundene Problem erkennen, dass der Restwert innerhalb der Nutzungsdauer nicht bis auf Null absinkt. Als Lösung dieses Problems bietet es sich an, nach einigen Perioden zur linearen Abschreibung des Restwerts zu wechseln. Diese als gemischte Abschreibung bezeichnete Vorgehensweise ist in der dritten Spalte von Tab. 4.3 dargestellt, wobei im vorliegenden Beispiel der Wechsel der Abschreibungsmethode nach der vierten Periode erfolgt. Ein solcher Wechsel der Abschreibungsmethode ist nur einmal und nicht von der linearen zur degressiven Abschreibung zulässig. Kalkulatorische Zinsen dienen der verursachungsgerechten Verrechnung von Kapitalkosten, die für die Kapitalbindung im Umlauf- und Anlagevermögen angesetzt werden müssen. Auch wenn das Anlagevermögen tendenziell mit Eigenkapital finanziert werden sollte und einige Kredite in engem Zusammenhang mit bestimmten Investitionsmaßnahmen stehen, dient doch letztlich die Gesamtheit der Finanzierungsmaßnahmen der Bereitstellung des für die Gesamtheit der Investitionen benötigten Kapitals (vgl. Abschnitt 3.2.4). Daher wird für die Berechnung der kalkulatorischen Zinsen ein einheitlicher kalkulatorischer Zinssatz zugrunde gelegt. Dieser kann sich an der im Unternehmen geforderten Mindestrendite, am Kapitalmarktzins oder am durchschnittlich gezahlten Fremdkapitalzins orientieren. Bei einer Marginalbetrachtung würde man den Zinssatz des teuersten in Anspruch genommenen Kredits heranziehen, nach dem Opportunitätskostenprinzip die potenzielle Rendite der besten, nicht mehr realisierten Kapitalanlage.
238
4 Die Informationswirtschaft
Der Gesamtbetrag der kalkulatorischen Zinsen wird berechnet, indem man den kalkulatorischen Zinssatz mit dem betriebsnotwendigen Kapital, das aus dem betriebsnotwendigen Vermögen abgeleitet wird, multipliziert. Die einem einzelnen Vermögensgegenstand zuzurechnenden kalkulatorischen Zinsen ergeben sich durch Multiplikation des kalkulatorischen Zinssatzes mit dem in dem Vermögensgegenstand gebundenen Kapital. Dieses entspricht beim Anlagevermögen der durchschnittlichen Kapitalbindung, die sich als Mittelwert der Buchwerte zum Beginn und zum Ende der Periode ergibt. Beim Umlaufvermögen wird das gebundene Kapital berechnet, indem man den durchschnittlichen Periodenbestand mit dem aktuellen Preis bewertet. Eine weitere kalkulatorische Kostenart sind die kalkulatorischen Wagniskosten. Unter einem Wagnis versteht man ein Risiko, das zu einem sowohl zeitlich als auch in der Höhe unvorhersehbaren Werteverzehr führt. Neben dem allgemeinen Unternehmerwagnis, das durch den Gewinn des Unternehmens abgegolten wird und daher nicht in der Kostenrechnung erfasst werden sollte, sind für das Unternehmen folgende Einzelwagnisse von Bedeutung: • Das Bestandswagnis bezieht sich auf die Gefahr, dass Lagerverluste durch Schwund, Verderb oder Diebstahl auftreten oder dass ein Lagerbestand aufgrund eines Preisverfalls entwertet wird. • Das Gewährleistungswagnis resultiert aus der Tatsache, dass sich die zukünftigen Kosten für Qualitätsmängel oder Konstruktionsfehler nicht exakt prognostizieren lassen. • Ein Anlagenwagnis beruht auf der Gefahr, dass eine Anlage vorzeitig aus dem Betrieb ausscheidet, d.h. die Nutzungsdauer von Maschinen und anderen Anlagen zu lang angesetzt wurde. • Vertriebswagnisse entstehen durch die Möglichkeit von Forderungsausfällen. • Ein Entwicklungswagnis wird durch den möglichen Fehlschlag von Forschungs- und Entwicklungsprojekten begründet. Einige dieser Wagnisse lassen sich durch eine Versicherung abdecken, für die dann aufwandsgleiche Kosten anfallen. Für die nicht versicherbaren oder bewusst nicht versicherten Risiken werden kalkulatorische Wagniskosten angesetzt, um die unregelmäßig auftretenden Aufwendungen für tatsächlich eingetretene Schäden, die in ihrer tatsächlichen Höhe periodengenau in der Finanzbuchhaltung erfasst werden, in der Kostenrechnung gleichmäßig auf die Perioden zu verteilen. Der Ansatz der Wagniskosten erfolgt entweder nach dem Opportunitätskostenprinzip in Höhe der ersparten Versicherungskosten oder aufgrund von statistisch ermittelten Erfahrungswerten. Die in der Kostenartenrechnung erfassten Kosten werden wie folgt verrechnet: Einzelkosten, die sich eindeutig bestimmten Produkten zurechnen lassen, werden direkt auf die entsprechenden Kostenträger verrechnet. Gemeinkosten hingegen, die lediglich in mittelbarer Beziehung zu einzelnen Produkten stehen, werden an die nächste Stufe der Kostenrechnung, die Kostenstellenrechnung, weitergeleitet (vgl. nochmals Abb. 4.15).
4.3 Kostenrechnung
239
Während die Unterscheidung der Kosten in variable Kosten und Fixkosten nach der Abhängigkeit von der Produktionsmenge bzw. anderen Entscheidungen erfolgt (vgl. Abschnitt 4.3.1), wird die Einteilung in Einzel- und Gemeinkosten nach ihrer Zurechenbarkeit vorgenommen. Dabei gilt, dass Einzelkosten immer zugleich variable Kosten sind und Fixkosten immer zu Gemeinkosten führen. Jedoch lässt sich ein Teil der variablen Kosten nicht direkt auf die Produkte verrechnen und muss daher als Gemeinkosten in der Kostenstellenrechnung verteilt werden. Den Zusammenhang zwischen diesen Begriffsebenen zeigt Abb. 4.20.
Kriterium Entscheidungsabhängigkeit Zurechenbarkeit
Abb. 4.20
4.3.4
Einzelkosten
Gemeinkosten
variable Kosten
Fixkosten
Zusammenhang der Kostenbegriffe
Kostenstellenrechnung
Die Kostenstellenrechnung als zweite Stufe der Kostenrechnung hat die Aufgabe, die in einer Abrechnungsperiode angefallenen Gemeinkosten so auf die Kostenstellen zu verteilen, dass sich Verrechnungssätze für innerbetriebliche Leistungen und Kalkulationssätze für nach außen abgegebene Leistungen ermitteln lassen. Sie antwortet auf die Frage: Wo fallen die Kosten an? Unter einer Kostenstelle versteht man einen räumlich oder organisatorisch abgegrenzten betrieblichen Teilbereich, dem die Verantwortung für die dort entstehenden und eindeutig zurechenbaren Kosten übertragen wird. Voraussetzung für die Durchführung einer aussagekräftigen Kostenstellenrechnung ist – ähnlich wie bei der Kostenartenrechnung – die Aufstellung eines auf die betrieblichen Bedürfnisse abgestimmten Kostenstellenplans. Die Einteilung des Unternehmens in Kostenstellen sollte so erfolgen, dass keine Kompetenzüberschneidungen auftreten und sich jeweils Schlüsselgrößen ermitteln lassen, die die Kostenverursachung möglichst genau widerspiegeln. Im Prinzip ist eine beliebig detaillierte Gliederung bis hin zu einzelnen Arbeitsplätzen (Kostenplätzen) möglich, so dass eine sehr genaue Kostenkontrolle erfolgen kann, jedoch bildet die Wirtschaftlichkeit der Kostenrechnung eine Grenze für die Feinheit der Gliederung. Üblicherweise werden in einem funktional gegliederten Industrieunternehmen die Kostenbereiche Material, Fertigung, Vertrieb und Verwaltung unterschieden, die jeweils weiter in einzelne Kostenstellen unterteilt werden. Nach der Art der Weiterverrechnung der einer Kostenstelle zugewiesenen Kosten unterscheidet man:
240
4 Die Informationswirtschaft
• Haupt- bzw. Endkostenstellen erbringen ihre Leistungen zum großen Teil für die am Markt verwertbaren Endprodukte, zum Teil auch in Form von innerbetrieblichen Leistungen; die auf ihnen gesammelten Kosten werden in der Kostenträgerrechnung abgerechnet. • Hilfs- bzw. Vorkostenstellen erbringen ausschließlich innerbetriebliche Leistungen, die von anderen Kostenstellen in Anspruch genommen werden. Diese innerbetrieblichen Leistungen werden im Rahmen der innerbetrieblichen Leistungsverrechnung bewertet und auf die Hauptkostenstellen abgerechnet. Der erste Schritt der Kostenstellenrechnung ist die verursachungsgerechte Verteilung der aus der Kostenartenrechnung übernommenen Kostenträgergemeinkosten, die für von außen bezogene Leistungen anfallen und auch als primäre Gemeinkosten bezeichnet werden, auf die Kostenstellen. Diejenigen primären Gemeinkosten, die sich nach dem Verursachungsprinzip eindeutig bestimmten Kostenstellen zuordnen lassen, werden als Kostenstelleneinzelkosten bezeichnet. Dazu zählen z.B. die in einer Abteilung angefallenen Zeitlöhne und Gehälter, die auf die Maschinen entfallenden kalkulatorischen Abschreibungen und Zinsen, Kosten für Reparaturen und Wartungen an den Maschinen sowie für die dort eingesetzten Werkzeuge und Schmiermittel. Auch solche Kosten, die sich grundsätzlich direkt auf Kostenträger verrechnen ließen, jedoch wegen ihres geringen Umfangs nicht einzeln erfasst werden, z.B. Kosten für Kleinmaterial, werden wie Gemeinkosten behandelt und als unechte Gemeinkosten bezeichnet. Weiter gibt es eine Reihe von primären Kostenarten, die für mehrere Kostenstellen gemeinsam anfallen, z.B. Gebäudekosten, Energiekosten, Verwaltungskosten. Um auch diese als Kostenstellengemeinkosten bezeichneten Kosten auf die Kostenstellen verteilen zu können, ist eine Schlüsselung erforderlich. Als Schlüsselgrößen werden Merkmale herangezogen, die sich gut messen lassen und möglichst in einem proportionalen Zusammenhang zur tatsächlichen Kostenverursachung stehen. Man unterscheidet Zeitschlüssel, z.B. Rüstzeiten oder Maschinenlaufzeiten, Mengenschlüssel, z.B. die Anzahl der Produkte oder der Mitarbeiter, und Wertschlüssel, z.B. der Wert des Lagerbestands oder die Lohnsumme. In der Regel kommen für die Verteilung einer bestimmten Kostenart mehrere Schlüsselgrößen in Betracht, die jeweils zu einer anderen Kostenverteilung führen. So lassen sich z.B. die Energiekosten anhand der den einzelnen Abteilungen zugewiesenen Fläche, aber auch nach der maximalen Leistungsaufnahme der jeweils installierten Maschinen verteilen. Daher muss die Auswahl der verwendeten Schlüsselgrößen im Einvernehmen mit den betroffenen Kostenstellen erfolgen. Tab. 4.4 zeigt an einem Beispiel, wie die Verteilung von primären Gemeinkosten auf die Kostenbereiche Material, Fertigung, Verwaltung und Vertrieb vorgenommen werden kann. Während sich die Lohnkosten, Gehälter und Wartungskosten als Kostenstelleneinzelkosten eindeutig den Kostenbereichen zuordnen lassen, werden die nachfolgenden Kostenarten anhand von verschiedenen Schlüsselgrößen verteilt, die vom Betriebsleiter als charakteristisch ermittelt worden sind.
4.3 Kostenrechnung
241
Tab. 4.4 Verteilung von primären Gemeinkosten Kostenart
Betrag
Verteilungsgrundlage
Zeitlöhne Gehälter Wartungskosten Raumkosten Energiekosten Lagerkosten Transportkosten Summe
100.000 60.000 5.000 20.000 8.000 12.000 15.000 220.000
Lohnliste Gehaltsliste Wartungsvorgänge m2 Installierte Leistung Lagerwert Transportvorgänge
Material
Fertigung
Verwaltung
Vertrieb
20.000 5.000 1.500 3.000 1.000 5.000 3.000 38.500
70.000 5.000 2.000 12.000 6.000 1.000 2.000 98.000
0 30.000 500 1.000 200 0 0 31.700
10.000 20.000 1.000 4.000 800 6.000 10.000 51.800
Durch die Verteilung der primären Gemeinkosten werden die einzelnen Kostenstellen mit den Kosten der von ihnen in Anspruch genommenen, von außen bezogenen Leistungen belastet. Im zweiten Schritt der Kostenstellenrechnung, der innerbetrieblichen Leistungsverrechnung, werden anschließend die als sekundäre Gemeinkosten bezeichneten Kosten der Hilfskostenstellen entsprechend den innerbetrieblichen Lieferbeziehungen auf die Hauptkostenstellen verrechnet (vgl. nochmals Abb. 4.15). Diese Umlage erfolgt mithilfe von innerbetrieblichen Verrechnungspreisen, die im Rahmen der innerbetrieblichen Leistungsverrechnung ermittelt werden. Die innerbetriebliche Leistungsverrechnung ist umso aufwändiger, je komplexer die gegenseitigen Lieferbeziehungen zwischen den Kostenstellen sind. Für die innerbetriebliche Leistungsverrechnung stehen drei Verfahren zur Verfügung, die jeweils anhand des in Tab. 4.5 angegebenen Beispiels veranschaulicht werden. Die bereits im vorhergehenden Beispiel eingeführten Kostenbereiche Material, Fertigung, Verwaltung und Vertrieb nehmen in unterschiedlichem Umfang Leistungen der beiden Hilfskostenstellen Kraftwerk, gemessen in Megawattstunden, und Instandhaltung, gemessen in Arbeitsstunden, in Anspruch; auch zwischen den Hilfskostenstellen bestehen gegenseitige Lieferbeziehungen. Das Ziel der innerbetrieblichen Leistungsverrechnung besteht darin, die primären Gemeinkosten der beiden Hilfskostenstellen entsprechend der Inanspruchnahme auf die Hauptkostenstellen abzurechnen. Tab. 4.5 Beispiel zur innerbetrieblichen Leistungsverrechnung
Primäre Gemeinkosten Kraftwerk Instandhaltung Material Fertigung Verwaltung Vertrieb Summe
49.000 5.000 38.500 98.000 31.700 51.800 274.000
Leistungsabgabe Kraftwerk Instandhaltung [MWh] [h] 0 100 150 650 50 50 1.000
50 0 100 300 20 30 500
242
4 Die Informationswirtschaft
1. Anbauverfahren Das Anbauverfahren geht von der stark vereinfachenden Annahme aus, dass keine innerbetrieblichen Lieferbeziehungen bestehen. Daher werden die primären Gemeinkosten der Hilfskostenstellen direkt auf die Hauptkostenstellen verrechnet, ein – wie im Beispiel – tatsächlich bestehender Leistungsaustausch zwischen den Kostenstellen wird vernachlässigt. Die mit diesem Verfahren ermittelten Verrechnungspreise weichen umso mehr von den tatsächlichen Werten ab, je ausgeprägter die vernachlässigten Lieferbeziehungen sind. Der Verrechnungspreis einer innerbetrieblichen Leistung wird ermittelt, indem man die der Kostenstelle zugeordneten primären Gemeinkosten durch die von ihr an die Hauptkostenstellen abgegebenen Leistungseinheiten dividiert: Verrechnungspreis =
primäre Gemeinkosten Leistung an Hauptkostenstellen
Für das in Tab. 4.5 angegebene Beispiel lautet der Verrechnungspreis des Kraftwerks: qK =
49.000 = 54,44 € / MWh 900
Der Verrechnungspreis für die Instandhaltung beträgt: qI =
5.000 = 11,11 € / h 450
Das Anbauverfahren ist ein recht grobes Näherungsverfahren, das in vielen Fällen nur sehr ungenaue Verrechnungspreise liefert. 2. Stufenleiterverfahren Das Stufenleiterverfahren berechnet die innerbetrieblichen Verrechnungspreise schrittweise, indem zunächst die Kostenstellen abgerechnet werden, die keine oder nur wenige Leistungen von anderen, noch nicht abgerechneten Kostenstellen empfangen. Bei der Ermittlung des Verrechnungspreises einer Kostenstelle werden die Leistungen der bereits abgerechneten Kostenstellen mit ihren innerbetrieblichen Verrechnungspreisen bewertet und zu den primären Gemeinkosten der Kostenstelle hinzugefügt, die von noch nicht abgerechneten Kostenstellen empfangenen Leistungen hingegen werden vernachlässigt. Daher sind die mit dem Stufenleiterverfahren ermittelten Verrechnungspreise umso genauer, je besser es gelingt, die Kostenstellen entsprechend dem Umfang der von ihnen empfangenen innerbetrieblichen Leistungen anzuordnen. Da sich bei dem in Tab. 4.5 angegebenen Beispiel die beiden Hilfskostenstellen gegenseitig beliefern, können die Verrechnungspreise lediglich näherungsweise bestimmt werden. Im vorliegenden Beispiel sind zwei Vorgehensweisen möglich, indem zuerst das Kraftwerk oder zuerst die Instandhaltungsstelle abgerechnet wird. Beginnt man mit dem Kraftwerk, so wird dessen Verrechnungspreis berechnet, indem man die primären Gemeinkosten durch die gesamte an andere Kostenstellen abgegebene Leistung dividiert:
4.3 Kostenrechnung qK =
243
49.000 = 49,00 € / MWh 1.000
Bei der Ermittlung des Verrechnungspreises für die Instandhaltungsstelle ist zu berücksichtigen, dass diese 100 MWh Strom vom Kraftwerk erhält. Die vom Kraftwerk in Anspruch genommenen 50 Reparaturstunden können diesem jedoch nicht mehr angelastet werden, da es bereits abgerechnet ist. Daher werden im Zähler die bewerteten Kraftwerksleistungen zu den primären Gemeinkosten addiert, im Nenner wird die Gesamtleistung um die Leistung an das Kraftwerk reduziert: qI =
5.000 + 49 ⋅ 100 = 22,00 € / h 500 − 50
Rechnet man die Instandhaltungsstelle zuerst ab, so lautet der Verrechnungspreis: qI =
5.000 = 10,00 € / h 500
Der Verrechnungspreis des Kraftwerks ergibt sich als: qK =
49.000 + 10 ⋅ 50 = 55,00 € / MWh 1.000 − 100
Offensichtlich hängen die mit dem Stufenleiterverfahren ermittelten innerbetrieblichen Verrechnungspreise davon ab, in welcher Reihenfolge die Hilfskostenstellen abgerechnet werden. Da man bei komplexen innerbetrieblichen Lieferbeziehungen im Voraus nicht überblickt, in welcher Richtung der Leistungsaustausch den größeren Umfang hat, besteht die Gefahr, mit Verrechnungspreisen zu operieren, die weit von den exakten Werten entfernt sind. 3. Gleichungsverfahren Einen exakten Lösungsweg zur Bestimmung innerbetrieblicher Verrechnungspreise für den allgemeinen Fall, dass ein gegenseitiger Leistungsaustausch zwischen den Hilfskostenstellen vorliegt, bietet das Gleichungsverfahren, das die Preise mithilfe eines linearen Gleichungssystems ermittelt. Für jede abzurechnende Kostenstelle wird eine Gleichung nach dem Prinzip der exakten Kostenüberwälzung aufgestellt:
∑ empfangene Leistungen = ∑ abgegebene Leistungen Die von einer Kostenstelle empfangenen Leistungen sind zum einen die mit den primären Gemeinkosten bewerteten, von außen bezogenen Kostengüter, zum anderen die mit den noch unbekannten Verrechnungspreisen bewerteten innerbetrieblichen Leistungen von anderen Kostenstellen. Bewertet man die an andere Kostenstellen abgegebenen Leistungen mit dem ebenfalls noch unbekannten Verrechnungspreis der Kostenstelle, so muss sich der gleiche Betrag ergeben. Im Beispiel lauten die Gleichungen:
244
4 Die Informationswirtschaft
für das Kraftwerk:
49.000 + 50 q I = 1.000 q K
für die Instandhaltung:
5.000 + 100 q K = 500 q I
Als Lösung dieses Gleichungssystems ergeben sich die Verrechnungspreise: q K = 50 € / KWh q I = 20 € / h
Rechnet man die innerbetrieblichen Leistungen mithilfe dieser Verrechnungspreise ab, so erhält man eine verursachungsgerechte Verteilung der sekundären Gemeinkosten. Auch eine Beurteilung der mit den anderen Verfahren ermittelten Lösungen ist nun möglich: Offensichtlich liefert das Stufenleiterverfahren bei Abrechnung zuerst des Kraftwerks und dann der Reparaturstelle Preise, die recht nahe an den exakten Werten liegen, während die andere Reihenfolge beim Stufenleiterverfahren und das Anbauverfahren für die Instandhaltungsstelle einen um ca. 50% zu niedrigen Verrechnungspreis ermitteln. Als Argument gegen das Gleichungsverfahren wird häufig der im Vergleich zu den anderen Verfahren hohe Rechenaufwand genannt, der jedoch angesichts der heute verfügbaren Rechnerleistungen keine Bedeutung mehr hat. Wie die Umlage der in den Hilfskostenstellen angefallenen Kosten auf die Hauptkostenstellen anhand der mit dem Gleichungsverfahren ermittelten Verrechnungspreise erfolgt, ist in Tab. 4.6 dargestellt. Tab. 4.6 Verrechnung der innerbetrieblichen Leistungen
Kostenart PGK Umlage Kraftwerk Umlage Instandhaltung Summe
Hilfskostenstellen Kraftwerk Instandhaltung
Material
Hauptkostenstellen Fertigung Verwaltung
Summe Vertrieb
49.000
5.000
38.500
98.000
31.700
51.800
274.000
-50.000
5.000
7.500
32.500
2.500
2.500
0
1.000
-10.000
2.000
6.000
400
600
0
0
0
48.000
136.500
34.600
54.900
274.000
Wie man sieht, hat sich die Summe der Gemeinkosten nicht verändert, jedoch sind nunmehr die beiden Hilfskostenstellen entlastet und die vier Hauptkostenstellen gemäß ihrer Inanspruchnahme mit deren Kosten belastet worden. Die in der letzten Zeile gesammelten Kosten werden in der sich anschließenden Kostenträgerrechnung auf die betrieblichen Leistungen abgerechnet. Zur übersichtlichen Darstellung der beiden Schritte der Kostenstellenrechnung – Verteilung der primären Gemeinkosten und innerbetriebliche Leistungsverrechnung – sowie zur Verknüpfung von Kostenstellen- und Kostenträgerrechnung lässt sich der Betriebsabrechnungsbogen einsetzen. Dabei handelt es sich um eine Tabelle, in der zeilenweise die Kostenarten
4.3 Kostenrechnung
245
und spaltenweise die Kostenstellen, sortiert nach Hilfs- und Hauptkostenstellen, aufgeführt sind. Die Bearbeitung dieser Tabelle kann mit den üblichen Tabellenkalkulationsprogrammen erfolgen. Der prinzipielle Aufbau eines Betriebsabrechnungsbogens ist in Abb. 4.21 dargestellt, dabei wird für die innerbetriebliche Leistungsverrechnung aus Gründen der Anschaulichkeit das Stufenleiterverfahren verwendet.
Gemeinkostenarten
Verteilung
Betrag
Hilfskostenstellen 2
3
4
5
1
2
3
4
direkt
Summe Kostenstellengemeinkosten
Verteilung der Kostenarten auf Kostenstellen Verteilung der Kostenarten auf Kostenstellen
indirekt
Summe Summe Kostenarten
→ → → → → → → → → →
Sekundäre Gemeinkosten
Primäre Gemeinkosten
1 Kostenstelleneinzelkosten
Hauptkostenstellen
Summe der Stellenkosten Kalkulationssätze
→ → → → →
→ → → → → х
→ → → → → х
→ → → → → х
→ → → → → х
Innerbetriebliche Leistungsverrechnung
Abb. 4.21 Betriebsabrechnungsbogen
Im oberen Teil des Betriebsabrechnungsbogens werden die primären Gemeinkosten auf die Kostenstellen verteilt, wobei zwischen den direkt zurechenbaren Kostenstelleneinzelkosten und den indirekt, d.h. über eine Schlüsselung zu verteilenden Kostenstellengemeinkosten unterschieden wird. Die anschließend auf den Kostenstellen ausgewiesenen Kosten stellen sekundäre Gemeinkosten dar, die für die Hilfskostenstellen im Rahmen der innerbetrieblichen Leistungsverrechnung entsprechend der Inanspruchnahme auf die Hauptkostenstellen umzulegen sind. Die nunmehr auf den Hauptkostenstellen gesammelten Kosten dienen als Grundlage für die Bildung von Kalkulationssätzen in der Kostenträgerrechnung sowie für die Ermittlung von Unter- bzw. Überdeckungen bei einem kostenstellenbezogenen Soll/IstVergleich.
4.3.5
Kostenträgerrechnung
In der Kostenträgerrechnung als der dritten und letzten Stufe der Kostenrechnung erfolgt die Kalkulation der Herstell- bzw. Selbstkosten der im Unternehmen hergestellten Produkte. Sie antwortet auf die Frage: Wofür fallen die Kosten an?
246
4 Die Informationswirtschaft
In der Kostenträgerrechnung werden die direkt aus der Kostenartenrechnung übernommenen Kostenträgereinzelkosten mit den über die Kostenstellenrechnung verrechneten und verursachungsgerecht auf die Kostenträger abgerechneten Gemeinkosten zusammengeführt. Die hierbei ermittelten Kosteninformationen werden zur Ermittlung von Preisuntergrenzen und zur Bewertung von Lagerbeständen an unfertigen und fertigen Erzeugnissen eingesetzt. Eine Kalkulation kann zu folgenden Zwecken erfolgen: • Die Vorkalkulation dient der Abschätzung der voraussichtlichen Kosten eines Produkts, für das ein Angebot erstellt werden soll. • Mithilfe der Nachkalkulation lässt sich im Nachhinein feststellen, ob ein Produkt einen positiven Deckungsbeitrag erwirtschaftet hat. • Eine Zwischenkalkulation wird in erster Linie zur zwischenzeitlichen Erfolgsermittlung bei sehr langer Fertigungsdauer, z.B. im Maschinen- und Anlagenbau, vorgenommen. Welches der im Folgenden dargestellten Kalkulationsverfahren eingesetzt wird, hängt insbesondere von dem Fertigungstyp ab (vgl. Abschnitt 2.2.3). 4.3.5.1
Divisionskalkulation
Das Prinzip der Divisionskalkulation besteht darin, dass die Gesamtkosten des Unternehmens oder eines Abrechnungsbereichs durch die Anzahl der hergestellten Produkte dividiert werden. Dabei ist keine Differenzierung der Kosten in Einzel- und Gemeinkosten und damit auch keine Kostenstellenrechnung erforderlich. Der Anwendungsbereich dieses Kalkulationsverfahrens ist die Massenfertigung, bei der ein einheitliches Produkt in großen Stückzahlen erzeugt wird. Man unterscheidet die einfache Divisionskalkulation, die für einstufige Produktionsprozesse ohne Lagerbestandsveränderungen eingesetzt wird, und die mehrstufige Divisionskalkulation, die sich auch für mehrstufige Produktionsprozesse mit Lagerbestandsveränderungen auf den einzelnen Stufen eignet. Die Vorgehensweise der einfachen Divisionskalkulation lässt sich an dem folgenden Beispiel veranschaulichen: In einem Kalksandsteinwerk wurden im Monat Mai 6.000 m3 Kalksandsteine hergestellt. Dabei sind Gesamtkosten in Höhe von 120.000 € angefallen. Die Kosten je m3 Kalksandstein betragen: k=
120.000 = 20,00 € / m 3 6.000
Bei diesen Kosten handelt es sich um einen Vollkostensatz, da bei der Berechnung sämtliche Kosten, also auch die Fixkosten, auf die Produktionsmenge umgelegt werden. Aufgrund der restriktiven Voraussetzungen und der beschränkten Informationsverarbeitung findet die Divisionskalkulation allenfalls in sehr kleinen Unternehmen oder für Teilbereiche der Fertigung Anwendung.
4.3 Kostenrechnung 4.3.5.2
247
Äquivalenzziffernkalkulation
Die Äquivalenzziffernkalkulation ist eine Erweiterung der Divisionskalkulation für den Fall, dass ein Unternehmen mehrere, fertigungstechnisch miteinander verwandte Produkte herstellt. Dies ist insbesondere bei der Sortenfertigung der Fall, bei der mehrere Produkte durch Differenzierung innerhalb einer Produktlinie entstehen. Eine Äquivalenzziffer gibt an, in welchem Verhältnis die Kosten einer Produktvariante zu den Kosten eines Standardprodukts stehen. Dem Standardprodukt wird die Äquivalenzziffer 1 zugeordnet. Die Festlegung der Standardsorte und die Bestimmung der Äquivalenzziffern werden nicht in jeder Abrechnungsperiode erneut vorgenommen, sondern erfolgen für einen längeren Zeitraum. Das Verfahren geht wie folgt vor: • Die in der Abrechnungsperiode produzierten Mengen der verschiedenen Produktvarianten werden mit ihren Äquivalenzziffern multipliziert, um eine einheitliche Bemessungsgrundlage für die Kosten zu erhalten. • Die Durchschnittskosten des Standardprodukts werden berechnet, indem man die Gesamtkosten durch die Summe der in das Standardprodukt umgerechneten Produktionsmengen dividiert. • Die Stückkosten der einzelnen Produktvarianten ergeben sich, indem man den Durchschnittskostensatz mit den jeweiligen Äquivalenzziffern multipliziert. Die Vorgehensweise der Äquivalenzziffernkalkulation wird an folgendem Beispiel verdeutlicht: In einem Glaswerk werden in einem technisch identischen Fertigungsprozess Getränkeflaschen in den Farben weiß, grün und braun aus Altglas unter Zugabe von Primärrohstoffen hergestellt. Während für die Herstellung von braunem Glas Altglas in beliebigen Farben eingesetzt werden kann, stellt weißes Glas die höchsten Anforderungen an die Sortenreinheit des Altglases bzw. erfordert den höchsten Anteil an Primärrohstoffeinsatz. Grünes Glas liegt bezüglich seiner Anforderungen zwischen braunem und weißem Glas. Definiert man braunes Glas als Standardsorte mit der Äquivalenzziffer 1, so ergeben sich Äquivalenzziffern von 1,2 für grünes Glas und von 1,5 für weißes Glas. Im Monat August wurden 200 t braunes Glas, 250 t grünes Glas und 100 t weißes Glas hergestellt, die Gesamtkosten betragen 32.500 €. Die in die Standardsorte transformierten Produktionsmengen betragen: Braunes Glas:
200 t ⋅ 1,0 = 200 t
Grünes Glas:
250 t ⋅ 1,2 = 300 t
Weißes Glas:
100 t ⋅ 1,5 = 150 t
Somit ergeben sich die Durchschnittskosten je Tonne der Standardsorte als: 32.500 = 50 € / t 200 + 300 + 150
248
4 Die Informationswirtschaft
Durch Multiplikation dieses Kostensatzes mit den Äquivalenzziffern erhält man die Kosten je Tonne für die verschiedenen Sorten: Braunes Glas:
50 ⋅ 1,0 = 50 € / t
Grünes Glas:
50 ⋅ 1,2 = 60 € / t
Weißes Glas:
50 ⋅ 1,5 = 75 € / t
Ähnlich wie die Divisionskalkulation lässt sich die Äquivalenzziffernkalkulation auch als mehrstufige Rechnung durchführen, wobei auf jeder Produktionsstufe unterschiedliche Äquivalenzziffern verwendet werden können. Auch bei diesem Kalkulationsverfahren handelt es sich um eine Vollkostenrechnung. 4.3.5.3
Zuschlagskalkulation
Die Zuschlagskalkulation ist ein Kalkulationsverfahren für die Einzel- und Serienfertigung. Dieser Fertigungstyp ist durch eine Vielzahl unterschiedlicher Produkte gekennzeichnet, die auf unterschiedlichen Wegen durch die Fertigung laufen, verschiedene Maschinen in unterschiedlichem Umfang in Anspruch nehmen und in verschiedenen Fertigstellungsgraden und wechselnden Mengen auf Lager genommen werden können. Die einzelnen Produkte weisen unterschiedliche Einzelkosten auf, die als Zuschlagsbasis für die Verrechnung der Gemeinkosten dienen. Abb. 4.22 zeigt das Kalkulationsschema der Zuschlagskalkulation. Hierbei werden die Gemeinkosten der vier Bereiche Material, Fertigung, Verwaltung und Vertrieb anhand von wertmäßigen Bezugsgrößen mit einheitlichen Zuschlagssätzen auf die Einzelkosten aufgeschlagen. Den Ausgangspunkt der Zuschlagskalkulation bilden die einem Produkt eindeutig zurechenbaren Materialeinzelkosten und Lohneinzelkosten. Zu den Materialeinzelkosten wird mittels eines einheitlichen Zuschlagssatzes, der als Verhältnis der Materialgemeinkosten zu den gesamten Materialeinzelkosten ermittelt wird, ein Materialgemeinkostenzuschlag addiert, wodurch sich die Materialkosten des Produkts ergeben. Ähnlich wird zu den Lohneinzelkosten ein prozentualer Zuschlag für die Fertigungsgemeinkosten addiert. Berücksichtigt man zusätzlich die eventuell anfallenden Sondereinzelkosten der Fertigung, so erhält man die Fertigungskosten des Produkts. Sondereinzelkosten der Fertigung sind z.B. Kosten für die Anfertigung einer Konstruktion oder von Werkzeugen für einen Auftrag, die sich dem Auftrag insgesamt, aber nicht der einzelnen Produkteinheit zurechnen lassen. Die Summe aus Materialkosten und Fertigungskosten bezeichnet man als Herstellkosten, diese werden z.B. als Wertansatz für Lagerbestände verwendet. Gleichzeitig dienen die Herstellkosten als Zuschlagsbasis für die Verrechnung von Verwaltungs- und Vertriebsgemeinkosten, deren Zuschlagssätze ebenfalls wie oben beschrieben gebildet werden. Die Summe aus Herstellkosten, Verwaltungsgemeinkosten, Vertriebsgemeinkosten und Sondereinzelkosten des Vertriebs, z.B. den für einen Auftrag anfallenden Versandkosten, gibt die Selbstkosten des Produkts an, die häufig als Preisuntergrenze angesehen werden.
4.3 Kostenrechnung
249 Zuschlagsbasis
Materialeinzelkosten + Materialgemeinkosten
Materialeinzelkosten
= Materialkosten Lohneinzelkosten + Fertigungsgemeinkosten + Sondereinzelkosten der Fertigung
Lohneinzelkosten
= Fertigungskosten Materialkosten + Fertigungskosten = Herstellkosten + Verwaltungsgemeinkosten + Vertriebsgemeinkosten + Sondereinzelkosten des Vertriebs
Herstellkosten Herstellkosten
= Selbstkosten
Abb. 4.22 Zuschlagskalkulation
Zur Veranschaulichung der Zuschlagskalkulation wird das Beispiel aus Abschnitt 4.3.4, anhand dessen die innerbetriebliche Leistungsverrechnung dargestellt wurde, fortgesetzt, indem die Zuschlagssätze, die Herstellkosten und die Selbstkosten eines Auftrags berechnet werden. Die dem Materialbereich in der Kostenstellenrechnung zugeordneten Materialgemeinkosten betragen 48.000 € (vgl. Tab. 4.6). Daneben sind den Produkten eindeutig zurechenbare Materialeinzelkosten – d.h. Kosten für Rohstoffe, Hilfsstoffe und Bauteile – in Höhe von insgesamt 192.000 € angefallen. Somit beträgt der Zuschlagssatz für die von jedem Produkt zu tragenden anteiligen Materialgemeinkosten: 48.000 = 25% 192.000
Den Fertigungsgemeinkosten von 136.500 € (vgl. Tab. 4.6) stehen Lohneinzelkosten in Höhe von 682.500 € gegenüber, so dass der Zuschlagssatz für die Fertigungsgemeinkosten lautet: 136.500 = 20% 682.500
Die Herstellkosten eines Auftrags, für den 100 € Materialeinzelkosten und 500 € Lohneinzelkosten angefallen sind, betragen: Materialkosten:
100 € + 25%
= 125 €
Fertigungskosten:
500 € + 20%
= 600 €
Herstellkosten:
125 € + 600 € = 725 €
250
4 Die Informationswirtschaft
Die Zuschlagssätze für die Verwaltungs- und Vertriebsgemeinkosten erhält man, indem man die Verwaltungs- bzw. die Vertriebsgemeinkosten aus Tab. 4.6 durch die Summe der Herstellkosten (Materialeinzel- und -gemeinkosten, Lohneinzel- und Fertigungsgemeinkosten), die in diesem Fall 1.059.000 € beträgt, dividiert. Zuschlagssatz für Verwaltungsgemeinkosten:
34.600 = 3,27% 1.059.000
Zuschlagssatz für Vertriebsgemeinkosten:
54.900 = 5,18% 1.059.000
Anhand dieser Zuschlagssätze lassen sich die auf den Auftrag entfallenden Zuschläge für die Verwaltungs- und Vertriebskosten berechnen: Verwaltungskosten: 3,27% von 725 € ⇒ 23,71 € Vertriebskosten:
5,18% von 725 € ⇒ 37,56 €
Da für den Auftrag keine Sondereinzelkosten anfallen, ergeben sich seine Selbstkosten als Summe aus den Herstellkosten und den anteiligen Verwaltungs- und Vertriebskosten: 725 € + 23,71 € + 37,56 € = 786,27 € Die Selbstkosten je Stück erhält man, indem man diese Kosten durch die bei dem Auftrag hergestellte Produktionsmenge dividiert. Bei der hier vorgestellten Zuschlagskalkulation werden die Gemeinkosten anhand einheitlicher Zuschlagssätze verteilt, d.h. es wird ein proportionaler Zusammenhang zwischen den jeweiligen Einzel- und Gemeinkosten unterstellt. Ist diese Annahme nicht mit hinreichender Näherung erfüllt, so kann die Bezugsgrößenkalkulation verwendet werden. Diese verfeinert die Vorgehensweise der Zuschlagskalkulation, indem sie für jede Kostenstelle separate Zuschlagssätze anhand unterschiedlicher Bezugsgrößen ermittelt. Dadurch soll sich die Verteilung der Gemeinkosten noch stärker am Verursachungsprinzip orientieren. Als Bezugsgrößen kommen nicht nur Wertgrößen wie bei der Zuschlagskalkulation in Betracht, sondern auch Mengen- oder Zeitgrößen. Während die Zuschlagskalkulation notwendigerweise zu einer Vollkostenrechnung führt, lässt sich die Bezugsgrößenkalkulation auch im Rahmen einer Teilkostenrechnung anwenden. Die Kostenträgerrechnung dient bei der Vorkalkulation dazu, anhand der voraussichtlich anfallenden Kosten den Angebotspreis für einen Auftrag festzulegen. Die bei der Nachkalkulation ermittelten Selbstkosten der Produkte werden häufig als Untergrenze für den am Markt zu verlangenden Preis angesehen. Der Listenpreis wird dann ermittelt, indem man auf die Selbstkosten den im Unternehmen üblichen Gewinnzuschlag aufschlägt. Bei einem Gewinnzuschlag von 5% würde der oben kalkulierte Auftrag dem Kunden zu folgendem Preis angeboten: 786,27 € + 5% = 825,58 € Je nach Anwendungsbereich kommen die folgenden Preisuntergrenzen zum Einsatz:
4.3 Kostenrechnung
251
• Die langfristige Preisuntergrenze entspricht dem oben ermittelten Vollkostenpreis. Ihr Ausgangspunkt ist das langfristige Unternehmensziel der Gewinnerzielung (vgl. Abschnitt 1.1.3), das dann erreicht wird, wenn die Summe der Erlöse größer ist als die Summe der Kosten. Überträgt man dieses Prinzip auf die einzelnen Produkte, so muss jedes Produkt Erlöse mindestens in Höhe seiner gesamten Stückkosten erzielen. Wie jedoch in Abschnitt 4.3.2 gezeigt wurde, kann die Orientierung an den Vollkosten zu Fehlentscheidungen führen. So würde sich das Unternehmen durch einen Angebotspreis, der zwar die Vollkosten deckt, jedoch über den Preisen der Konkurrenz liegt, „aus dem Markt herauskalkulieren“ und seine Aufträge verlieren. Es ist daher sinnvoll, die Abdeckung der Vollkosten zwar für das Unternehmen insgesamt anzustreben, jedoch kann bei einzelnen Produkten durchaus darauf verzichtet werden. • Die kurzfristige Preisuntergrenze liegt unterhalb der langfristigen Preisuntergrenze und entspricht den einem Produkt nach dem Verursachungsprinzip zurechenbaren Teilkosten, d.h. seinen variablen Stückkosten bzw. den Grenzkosten (zu den Begriffen vgl. Abschnitt 4.3.1). Sie stellt das maximale Preiszugeständnis dar, das ein Unternehmen seinen Kunden machen kann und kommt z.B. bei der Entscheidung über die Annahme eines Zusatzauftrags bei nicht voll ausgelasteten Kapazitäten zum Tragen. Wird ein Preis in Höhe der variablen Stückkosten verlangt, so erwirtschaftet dieses Produkt keinen Deckungsbeitrag, d.h. die Abdeckung der im Unternehmen anfallenden Fixkosten muss über die anderen Produkte im Sortiment erfolgen. Da es für die langfristige Existenz eines Unternehmens unerlässlich ist, sämtliche Kosten abzudecken, darf man den Preis nur kurzfristig und nicht bei allen Produkten bis auf die variablen Stückkosten senken. • Die strategische Preisuntergrenze wird nicht von kostenrechnerischen, sondern von absatzpolitischen Erwägungen bestimmt und kann sogar unterhalb der variablen Stückkosten liegen. Besonders niedrige Preise, die nicht einmal die variablen Kosten decken, werden z.B. bei zeitlich befristeten Sonderangeboten, bei Einführungspreisen und bei Probeangeboten verlangt, von denen man sich die Gewinnung neuer Kunden erhofft, deren Umsätze langfristig nicht nur die Verluste aus der Anfangsphase ausgleichen, sondern auch positive Deckungsbeiträge erwirtschaften.
4.3.6
Betriebsergebnisrechnung
Die letzte Stufe der Kostenrechnung ist die Betriebsergebnisrechnung. Diese kurzfristige Erfolgsrechnung hat die Aufgabe, den in der Abrechnungsperiode erzielten Betriebserfolg durch Gegenüberstellung der angefallenen Erlöse und Kosten zu ermitteln. Durch eine anschließende Analyse des Betriebserfolgs lassen sich erfolgreiche und weniger lohnende Produkte ermitteln und andere Informationen für kurz- bis mittelfristige Entscheidungen bereitstellen. In Abhängigkeit vom Informationsbedarf und vom eingesetzten Kostenrechnungssystem lässt sich die Betriebsergebnisrechnung nach einem der beiden folgenden Verfahren durchführen:
252
4 Die Informationswirtschaft
4.3.6.1
Gesamtkostenverfahren
Das Gesamtkostenverfahren ist eine Produktionsrechnung, die den gesamten in der Abrechnungsperiode erzielten Erlösen die gesamten Kosten, gegliedert nach Kostenarten, gegenüberstellt (vgl. Abb. 4.23). Sind in der Abrechnungsperiode Veränderungen des Lagerbestands an unfertigen und fertigen Produkten aufgetreten, so werden die Erlöse um die zu Herstellkosten bewerteten Lagerabgänge reduziert und um Lagerzugänge erhöht, damit man die tatsächlich angefallenen Kosten mit dem zugehörigen Umsatz vergleicht.
Summe der Erlöse + Lagerzugänge zu Herstellkosten - Lagerabgänge zu Herstellkosten = Gesamtleistung der Periode -
Materialkosten Personalkosten Dienstleistungskosten kalk. Abschreibungen kalk. Zinsen .....
Gesamtkosten gegliedert nach Kostenarten
= Betriebsergebnis Abb. 4.23 Gesamtkostenverfahren
Das Gesamtkostenverfahren erlaubt die Bildung von Kostenkennzahlen sowie Aussagen über die Kostenstruktur und ihre Veränderung im Zeitablauf. Da jedoch die Kosten nach Kostenarten und die Erlöse nach Kostenträgern gegliedert werden, ist keine Aussage über den mit einzelnen Kostenträgern erzielten Erfolg möglich. Ein weiterer Nachteil besteht darin, dass zur Ermittlung der Bestandsveränderungen eine regelmäßige Inventur erforderlich ist. Daher wird das Gesamtkostenverfahren vor allem in kleineren Betrieben eingesetzt, deren Produktionsstruktur überschaubar und deren Produktionsprogramm nur wenig differenziert ist. 4.3.6.2
Umsatzkostenverfahren
Das Umsatzkostenverfahren geht von dem Grundgedanken aus, dass das Betriebsergebnis im Wesentlichen durch den Absatz der Produkte erzeugt wird, und stellt daher den nach Produkten differenzierten Erlösen die dafür angefallenen Kosten gegenüber. Bestandsveränderungen werden nicht berücksichtigt, da diese lediglich innerbetriebliche Wertumschichtungen darstellen, jedoch zunächst noch keinen Erlös generieren. Diese Vorgehensweise erfordert eine ausgebaute Kostenstellen- und Kostenträgerrechnung sowie eine differenzierte Verteilung der Gemeinkosten, wie sie z.B. in der in Abschnitt 4.3.5.3 dargestellten Zuschlagskalkulation erfolgt. In Abb. 4.24 ist das Rechenschema des Umsatzkostenverfahrens für ein Produkt dargestellt; das Betriebsergebnis ergibt sich als Summe der Produktergebnisse.
4.4 Controlling -
253
Produkterlöse Materialeinzelkosten Materialgemeinkosten Lohneinzelkosten Fertigungsgemeinkosten Sondereinzelkosten der Fertigung
= Herstellkosten - Verwaltungsgemeinkosten - Vertriebsgemeinkosten - Sondereinzelkosten des Vertriebs = Betriebsergebnis Abb. 4.24 Umsatzkostenverfahren
Aufgrund der differenzierten Erfassung der Kosten und Erlöse lässt sich beim Umsatzkostenverfahren der Erfolg für unterschiedliche Abrechnungsobjekte berechnen, z.B. für einzelne Kostenträger, für Produktgruppen oder Kundengruppen, für Absatzgebiete oder für betriebliche Verantwortungsbereiche. Durch diese Aufgliederung des Betriebsergebnisses sind die Quellen des Erfolgs eindeutig feststellbar.
4.4
Controlling
Das Controlling ist eine betriebliche Funktion, deren Einordnung und Aufgaben sowohl in der betriebswirtschaftlichen Literatur als auch in der Praxis nicht eindeutig abgegrenzt sind. Mögliche Konkretisierungen erstrecken sich von einer erweiterten Kostenrechnung bis hin zu umfassenden Managementaufgaben. Aus dem Begriff „to control“ lässt sich ableiten, dass sich das Controlling mit der Planung, Steuerung und Kontrolle der im Unternehmen ablaufenden Prozesse befasst. Im Folgenden werden zunächst in Abschnitt 4.4.1 die wesentlichen Aufgaben des Controllings herausgearbeitet und anschließend einige wichtige Instrumente des operativen Controllings in Grundzügen dargestellt. Abschnitt 4.4.2 befasst sich mit Kennzahlen und Kennzahlensystemen, Abschnitt 4.4.3 mit der Budgetierung, Abschnitt 4.4.4 mit der Prozesskostenrechnung und Abschnitt 4.4.5 mit dem Target Costing.
4.4.1
Aufgaben des Controlling
Das Controlling ist auf der Schnittstelle von Unternehmensplanung, Rechnungswesen, Organisation und Informationsversorgung angesiedelt. Es dient der ergebnisorientierten Unternehmenssteuerung, indem es eine Koordination von betrieblichen Teilplänen und Teilbereichen durchführt und entscheidungsorientierte Informationen bereitstellt. Im Gegensatz zur weitgehend vergangenheitsbasierten Informationsverarbeitung im traditionellen externen und
254
4 Die Informationswirtschaft
internen Rechnungswesen, auf die es zurückgreift, sind Controlling-Informationen im Wesentlichen zukunftsorientiert. Folgende eng miteinander verknüpfte Aufgaben werden durch das Controlling wahrgenommen: • Zur Planungsaufgabe des Controllings gehört die Unterstützung der Aufstellung von Unternehmensplänen in den verschiedenen betrieblichen Teilbereichen unter anderem durch Vorgabe von einheitlichen Planungsrhythmen und die Auswahl geeigneter Planungsverfahren. • Die Koordinationsaufgabe des Controllings bezieht sich zum einen auf die Koordination der betrieblichen Einzelpläne zu einem Gesamtplan sowie auf die Koordination von kurzund langfristiger Planung, zum anderen auf die Rückkopplung zwischen Planung und Kontrolle. • Die Kontrollfunktion des Controllings besteht in dem regelmäßigen Vergleich von Sollvorgaben und realisierten Istwerten sowie den zugehörigen Abweichungsanalysen. Ergebniskontrollen beziehen sich auf die Einhaltung von vorgegebenen Terminen, Mengen, Qualitäten und Wertgrößen, Prozesskontrollen hingegen stellen auf die Einhaltung von Regeln und die Anwendung der vorgesehenen Prozesse ab. • Weiter hat das Controlling die Aufgabe, die Unternehmensführung und die betrieblichen Teilbereiche mit den jeweils relevanten Planungs- und Steuerungsinformationen zu versorgen. Dazu ist ein regelmäßiges sowie ein projektbezogenes Berichtswesen erforderlich, das in das betriebliche Informationssystem eingebettet werden muss. Generell lassen sich zwei Ausprägungen des Controllings unterscheiden: Das strategische Controlling ist als Teilfunktion der Unternehmensführung eher auf die Sicherung der Existenz des Unternehmens in seiner Umwelt mithilfe von Instrumenten der strategischen Planung ausgerichtet, diese werden in Abschnitt 5.1 behandelt. In den folgenden Abschnitten stehen die Instrumente des operativen Controllings im Vordergrund, das sich vorrangig mit der Steuerung und der Kontrolle der Wirtschaftlichkeit der im Unternehmen ablaufenden Prozesse befasst.
4.4.2
Kennzahlen und Kennzahlensysteme
Kennzahlen dienen der kompakten Darstellung von quantitativ erfassbaren Sachverhalten mithilfe von Mengen- oder Wertgrößen. Im Rahmen des Controllings werden Kennzahlen und Kennzahlensysteme zur Steuerung von betrieblichen Prozessen eingesetzt. Weiter dienen sie der Überwachung, ob zuvor formulierte Mengen- oder Wertziele erreicht wurden. Kennzahlen lassen sich wie folgt klassifizieren (vgl. Abb. 4.25): • Zum einen können Kennzahlen in Form von absoluten Zahlen auftreten, die sich als Einzelkennzahlen, als Summen oder als Differenzen von Kennzahlen erheben lassen. Beispiele für absolute Kennzahlen, die im Controlling Verwendung finden, sind der monatliche Umsatz mit einem bestimmten Produkt als Einzelkennzahl, der Jahresumsatz oder der
4.4 Controlling
255
Umsatz einer Produktgruppe als Summenkennzahlen oder der mit einem Produkt erwirtschaftete Deckungsbeitrag als Differenz aus Umsatz und variablen Kosten. • Zum anderen sind Kennzahlen in Form von Verhältniszahlen von großer Bedeutung, bei denen zwei oder mehr absolute Zahlen, die in einem sinnvollen Sachzusammenhang stehen, zueinander ins Verhältnis gesetzt werden. Hierbei lassen sich Gliederungszahlen, Beziehungszahlen und Indexzahlen unterscheiden. Bei einer Gliederungszahl werden gleichartige Größen betrachtet, üblicherweise ist die Größe im Zähler des Quotienten eine Teilgröße des Nenners, die Kennzahl wird typischerweise als Prozentsatz angegeben. Ein Beispiel für eine Gliederungszahl ist der Umsatzanteil eines bestimmten Produkts. Eine Beziehungszahl setzt sich aus verschiedenartigen Größen zusammen, wobei häufig eine Ursache-Wirkungs-Beziehung zwischen der Größe im Zähler und der Größe im Nenner besteht. Ein Beispiel für eine Beziehungszahl ist die Arbeitsproduktivität, die im Rahmen der Wertschöpfungsanalyse verwendet wird (vgl. Abschnitt 4.2.3). Bei einer Indexzahl schließlich wird eine Größe auf die korrespondierende Größe eines Basisjahrs bezogen, so dass sich eine Zeitreihe von relativen Werten ergibt.
Kennzahlen
Absolute Zahlen
Verhältniszahlen
Einzelkennzahlen
Gliederungszahlen
Summen von Kennzahlen
Beziehungszahlen Indexzahlen
Differenzen von Kennzahlen
Abb. 4.25 Kennzahlen
Bereits die isolierte Erhebung bestimmter Kennzahlen kann wichtige Aufschlüsse über die Erfolgswirkungen der betrieblichen Tätigkeit liefern. Ihren Wert als Controllinginstrument erhalten Kennzahlen allerdings erst, wenn man sie einsetzt, um die Zielerreichung von betrieblichen Einheiten zu überprüfen. Ein solcher Kennzahlenvergleich kann entweder mit internen oder mit externen Werten erfolgen und lässt sich als Zeitvergleich, bei dem die gleichen Kennzahlen zu verschiedenen Zeitpunkten erhoben werden, als Soll/Ist-Vergleich, bei dem den aktuellen Kennzahlen Vorgabewerte gegenüber gestellt werden, oder als Betriebsvergleich, bei dem gleichartige Kennzahlen zum gleichen Zeitpunkt für verschiedene Betriebe oder Betriebsteile ermittelt werden, durchführen (vgl. Abb. 4.26).
256
4 Die Informationswirtschaft Zeitvergleich
Soll/Ist-Vergleich
Betriebsvergleich
Interner Vergleich
Interne Zeitreihenanalyse
Abweichungsanalyse
Internes Benchmarking
Externer Vergleich
Externe Zeitreihenanalyse
Legal Compliance
Externes Benchmarking
Abb. 4.26 Formen des Kennzahlenvergleichs
• Der Zeitvergleich erfolgt in Form von Zeitreihenanalysen, wobei entweder nur betriebsinterne oder auch externe Daten zum Vergleich herangezogen werden. Zum Beispiel kann die Entwicklung der eigenen Umsatzrendite sowohl isoliert als auch im Branchenvergleich betrachtet werden. • Der interne Soll/Ist-Vergleich wird als Kontrollinstrument eingesetzt, um Abweichungen von den Vorgabewerten zu identifizieren und zu analysieren. Beim externen Soll/IstVergleich werden als Vorgabewerte z.B. gesetzlich oder behördlich vorgeschriebene Emissionsgrenzwerte herangezogen, so dass sich Aussagen über die Gesetzeskonformität (Legal Compliance) des Unternehmens ergeben. • Der zwischenbetriebliche Kennzahlenvergleich führt zu verschiedenen Formen des Benchmarking (vgl. Abschnitt 5.1.2): Beim Vergleich der Kennzahlenausprägungen mit den Werten anderer Betriebseinheiten im selben Unternehmen liegt internes Benchmarking vor, beim Vergleich mit Werten, die andere Unternehmen erzielt haben, handelt es sich um externes Benchmarking. Die Auswahl der im Controlling zu erhebenden Kennzahlen sollte so erfolgen, dass einerseits die interessierenden Größen der einzelnen betrieblichen Bereiche hinreichend genau abgebildet werden, andererseits nicht durch eine zu große Zahl an Einzelkennzahlen der Blick auf die wesentlichen Zusammenhänge verloren geht. In einem möglichst konsistent aufgebauten Kennzahlensystem erfolgt eine sinnvolle Verknüpfung der Einzelkennzahlen durch folgende Operationen: • Bei der Aufgliederung wird eine Kennzahl in ihre Bestandteile aufgespalten, z.B. lassen sich die Selbstkosten eines Produkts anhand des verwendeten Kalkulationsschemas in ihre einzelnen Komponenten zerlegen (vgl. Abschnitt 4.3.5). • Die Substitution geht so vor, dass sie eine Kennzahl auf Größen zurückführt, durch die diese erklärt wird. So lässt sich z.B. die Entwicklung der Eigenkapitalrentabilität (vgl. Abschnitt 3.1.1) besser untersuchen, wenn man sie in ihre Bestandteile Gewinn und Eigenkapital aufspaltet. • Bei der Erweiterung werden neue, aussagekräftige Kennzahlen dadurch gebildet, dass ausgehend von einer Verhältniszahl der Zähler und der Nenner mit derselben Größe multipliziert werden und der dadurch entstandene Ausdruck in zwei multiplikativ verknüpfte Verhältniszahlen aufgespalten wird. Nimmt man in dem in Abschnitt 4.2.3 behandelten
4.4 Controlling
257
DuPont-Kennzahlensystem als Ausgangspunkt die Definition des Return on Investment als Gewinn bezogen auf das investierte Kapital, so erhält man durch Erweiterung mit dem Umsatz eine Darstellung des ROI als Produkt aus Umsatzrendite und Umschlagshäufigkeit des Kapitals. Ein in jüngerer Zeit entwickeltes Kennzahlensystem ist die Balanced Scorecard. Diese betrachtet nicht nur die traditionellen finanzwirtschaftlichen Kennzahlen, sondern fasst diese zu einer finanzwirtschaftlichen Perspektive zusammen, die durch weitere Perspektiven, eine externe Kundenperspektive, eine interne Geschäftsprozessperspektive und eine mitarbeiterorientierte Lern- und Entwicklungsperspektive, ergänzt wird (vgl. Kaplan/Norton 1996). Für jede dieser Perspektiven werden strategische Ziele vorgegeben, wenige, aussagekräftige Schlüsselkennzahlen definiert und operative Maßnahmen zur Erreichung der Ziele vorgeschlagen. Der Kerngedanke dieses Kennzahlensystems besteht darin, die einzelnen Perspektiven sinnvoll miteinander zu verknüpfen, die Konzentration der einzelnen Entscheidungsträger auf ihre jeweiligen Bereichsziele zu vermeiden und dadurch letztlich ein übergreifendes betriebswirtschaftliches Denken zu fördern. Abb. 4.27 zeigt den grundsätzlichen Aufbau einer Balanced Scorecard. Von ihrer Konzeption her setzt die Balanced Scorecard eher im Bereich des strategischen Controllings an, jedoch müssen die dort vorgegebenen Kennzahlen und Maßnahmen mithilfe der oben vorgestellten Methoden bis auf den operativen Bereich konsistent heruntergebrochen und umgesetzt werden.
Kundenperspektive • Marktanteil • Kundenzufriedenheit • Service
Finanzielle Perspektive • Kapitalrentabilität • Cash-Flow • Unternehmenswert
Unternehmen
Mitarbeiterperspektive • Zufriedenheit • Produktivität • Mitarbeitertreue
Abb. 4.27 Balanced Scorecard
Geschäftsprozesse • Innovationen • betriebliche Prozesse • Kundendienst
258
4 Die Informationswirtschaft
4.4.3
Budgetierung
Unter einem Budget versteht man einen kurz- bis mittelfristigen Plan, der die Allokation von finanziellen Mitteln innerhalb des Unternehmens steuert. Bei der Budgetierung werden perioden- oder projektbezogen die von den einzelnen betrieblichen Teilbereichen zu erbringenden Leistungen und die dafür zulässigen Kosten festgeschrieben. Die Kosten für eine geplante Leistungsmenge werden als Sollkostenvorgaben mithilfe der Daten der Kostenrechnung ermittelt, für ihre Einhaltung ist der Bereichsleiter verantwortlich. Damit ein Budget eine Motivationswirkung hinsichtlich einer kosteneffizienten Leistungserstellung entfaltet, darf es nicht zu leicht erreichbar sein, aber auch nicht zu anspruchsvoll angesetzt werden. Abb. 4.28 gibt einen Überblick über verschiedene Budgetarten.
Budgets
Abhängigkeit von der Bezugsgröße
Umfang der Kostenvorgaben
Entscheidungseinheit
Fixe Budgets
Vollkostenbudgets
Funktionsbudgets
Flexible Budgets
Teilkostenbudgets
Spartenbudgets Projektbudgets
Geltungsdauer
Unterjährige Budgets Jahresbudgets Mehrjahresbudgets
Abb. 4.28 Budgets
• Nach der Abhängigkeit von einer Bezugsgröße unterscheidet man fixe Budgets, bei denen ein fester Betrag unabhängig von der tatsächlichen Leistungsmenge vorgegeben wird, und flexible Budgets, deren Höhe in Abhängigkeit vom Leistungsumfang schwankt. Fixe Budgets eignen sich für Bereiche, deren Leistungen sich nur schwer messen lassen oder in einem bestimmten Umfang erbracht werden müssen, z.B. F&EAbteilungen oder die Verwaltung. Sie dienen in erster Linie einer Kostenbegrenzung, jedoch keiner systematischen Kostenkontrolle. Flexible Budgets hingegen sind ein wirksames Steuerungs- und Kontrollinstrument, durch das sich die Wirtschaftlichkeit der Leistungserstellung beurteilen lässt. • Nach dem Umfang der Kostenvorgaben lassen sich Budgets auf Vollkostenbasis und auf Teilkostenbasis unterscheiden. Während die Vollkostenrechnung sämtliche anfallenden Kosten durch Schlüsselung den Kostenträgern anlastet, werden bei der Teilkostenrech-
4.4 Controlling
259
nung nur die unmittelbar von den Kostenträgern verursachten Kosten auf diese verrechnet und die Fixkosten als Block in die Betriebsergebnisrechnung gegeben (vgl. Abschnitt 4.3.2). Obwohl ein Vollkostenbudget notwendigerweise höher ausfällt als das für die gleiche Leistungsmenge vorgesehene Teilkostenbudget, eröffnet es doch keine größeren Handlungsspielräume, denn definitionsgemäß lassen sich die Fixkosten durch die Verantwortlichen nicht beeinflussen. • In welcher Weise die Budgets den betrieblichen Entscheidungseinheiten zugeordnet werden, hängt stark von der Organisation des Unternehmens ab (vgl. Abschnitt 1.1.4). So werden bei einer funktional gegliederten Linienorganisation Funktionsbudgets für die Bereiche Beschaffung, Produktion, Absatz, Finanzierung usw. aufgestellt, während bei einer objektorientierten Spartenorganisation Budgets für die einzelnen Sparten, d.h. Produktoder Kundengruppen, vorgegeben werden. Bei langfristigen Projekten wird eine separate Budgetierung mit einer Zuordnung der Kosten zu bestimmten Projektabschnitten vorgenommen. • Schließlich lassen sich Budgets nach ihrer Geltungsdauer klassifizieren. Ausgehend von einem aus der Unternehmensgesamtplanung abgeleiteten Jahresbudget werden unterjährige Budgets auf Quartals- oder Monatsbasis für die einzelnen operativen Einheiten entwickelt. Daneben können für langfristige Projekte oder Investitionsmaßnahmen auch Mehrjahresbudgets aufgestellt werden. Im Idealfall wird die Budgetierung als iterativer Koordinationsprozess durchgeführt, durch den die Produktions- und Maßnahmenpläne der verschiedenen Teilbereiche optimal aufeinander abgestimmt werden. In der Praxis werden Budgets allerdings häufig durch Fortschreibung von Werten aus vergangenen Perioden festgelegt. Die Einhaltung der Budgets sowie die Erfüllung der Leistungsziele werden nicht nur am Ende der Budgetierungsperiode überprüft, sondern es wird zusätzlich ein regelmäßiger Soll/Ist-Vergleich vorgenommen, um voraussichtliche Budgetabweichungen rechtzeitig erkennen und ihnen entgegensteuern zu können.
4.4.4
Prozesskostenrechnung
Die Prozesskostenrechnung ist ein neuerer Ansatz der Kostenrechnung, der sowohl zur Vorgabe von Budgets als auch zur Bestimmung der Produktkosten im Rahmen der Nachkalkulation eingesetzt werden kann. Ausgangspunkt der Entwicklung der Prozesskostenrechnung war die veränderte Kostenstruktur in den produzierenden Unternehmen: Durch zunehmende Rationalisierung und Automatisierung ist der Anteil der Gemeinkosten an den Fertigungskosten stark angestiegen, so dass sich in der traditionellen Zuschlagskalkulation (vgl. Abschnitt 4.3.5) vielfach Zuschlagssätze von mehreren hundert bis tausend Prozent ergeben. Dies führt dazu, dass Produkte mit hohen Einzelkosten bei einer Vollkostenrechnung als nicht lohnend erscheinen, d.h. die Kostenrechnung wird ihrer Informationsfunktion nicht mehr gerecht. Insbesondere treten folgende Effekte auf:
260
4 Die Informationswirtschaft
• Der Komplexitätseffekt besteht darin, dass die durch die Komplexität einzelner Produkte verursachten zusätzlichen Kosten, die z.B. in der Konstruktion, der Materialbeschaffung und der Arbeitsvorbereitung anfallen, nicht diesen Produkten direkt zugerechnet, sondern über Zuschlagssätze auf alle Produkte verteilt werden. Dadurch werden die Kosten der komplexen Produkte tendenziell zu niedrig und die der einfachen Produkte zu hoch ausgewiesen. • Der Degressionseffekt ergibt sich dadurch, dass die zusätzlichen Gemeinkosten, die durch die Variantenvielfalt einzelner Produkte hervorgerufen werden, gleichmäßig auf alle Produkte verteilt werden. • Der Allokationseffekt führt dazu, dass bei einer Zuschlagskalkulation maschinenintensive Produkte durch lohnintensive quersubventioniert werden, da letzteren über den Fertigungsgemeinkostenzuschlag ein überhöhter Anteil an Fertigungsgemeinkosten zugerechnet wird. Der Ansatzpunkt der Prozesskostenrechnung besteht darin, die Kosten nicht mehr auf Produkte, sondern auf Prozesse, d.h. betriebliche Aktivitäten, zu verrechnen. Durch weitgehende Vermeidung von Schlüsselungen soll eine verursachungsgerechte Verteilung vor allem der Gemeinkosten in den indirekt an der Leistungserstellung beteiligten Bereichen und damit eine größere Kostentransparenz erreicht werden. Die Prozesskostenrechnung geht wie folgt vor (vgl. Abb. 4.29):
Tätigkeiten erfassen
Verdichten zu Prozessen
Zuordnung von Kosten Leistung 1 Leistung 2 Leistung 3 Leistung 4
Kosten
Abb. 4.29 Prozesskostenrechnung
Zunächst werden elementare Prozesse identifiziert, d.h. repetitive Tätigkeiten mit geringem Entscheidungsspielraum, die in den indirekten Bereichen des Unternehmens auftreten. Beispiele für solche Tätigkeiten sind im Bereich der Materialbeschaffung: • Einholen eines Angebots für ein Standardteil • Bearbeiten des Angebots und Auslösung der Bestellung
4.4 Controlling
261
• Kontrolle des Wareneingangs • Überprüfung der Rechnung und Weiterleitung an die Buchhaltung Diese Teilprozesse werden – gegebenenfalls über mehrere Stufen – kostenstellenübergreifend zu Prozessen und schließlich zu Hauptprozessen zusammengefasst. Die im Beispiel genannten Tätigkeiten lassen sich zu einem Prozess „Beschaffung von Standardteilen“ zusammenfassen. Für jeden Prozess werden dann Kostentreiber bestimmt, d.h. Bezugsgrößen, anhand derer die durch den Prozess verursachten Gemeinkosten verrechnet werden können. Dabei unterscheidet man leistungsmengeninduzierte (lmi-)Prozesse, bei denen ein direkter Zusammenhang zwischen der Höhe der Kosten und der Anzahl der Prozessdurchführungen besteht, und leistungsmengenneutrale (lmn-)Prozesse, denen sich kein solches Mengengerüst zuordnen lässt, da sie nur einen indirekten Bezug zum Leistungsprozess aufweisen, z.B. unterstützende Tätigkeiten. Beispiele für indirekte Tätigkeiten und die zugehörigen Kostentreiber sind: • Bestellabwicklung: Anzahl der Bestellungen • Lagerhaltung: Anzahl der Lagerbewegungen • Arbeitsvorbereitung: Anzahl der Rüstvorgänge • Datenverarbeitung: Anzahl der Jobs einer Klasse • Leitungsaufgaben: leistungsmengenneutral Anschließend werden die Prozesskostensätze bestimmt, indem die Prozesskosten durch die Prozessmengen dividiert werden, und mit deren Hilfe die Kosten entsprechend der Inanspruchnahme der verschiedenen Prozesse auf die Produkte verteilt. Eine Schlüsselung erfolgt lediglich für die lmn-Kosten, diese werden proportional zu den lmi-Kosten auf die Prozesse verrechnet. Dieses Vorgehen gewährleistet eine weitgehend verursachungsgerechte Abrechnung der Gemeinkosten der indirekten Bereiche und damit eine größere Gemeinkostentransparenz als die traditionelle Zuschlagskalkulation. Auch Kostenabweichungen lassen sich besser erkennen und den Verantwortlichen zuordnen. Da es sich bei der Prozesskostenrechnung vom Grundsatz her um eine Vollkostenrechnung handelt, werden den Produkten allerdings auch nicht entscheidungsrelevante Kosten zugerechnet, so dass Fehlentscheidungen hinsichtlich der Wirtschaftlichkeit einzelner Produkte möglich sind.
4.4.5
Target Costing
Ausgangspunkt des Target Costing ist die zunehmende Markt- und Kundenorientierung der Unternehmen, die sich auch auf das Rechnungswesen auswirkt. Das auch als Zielkostenrechnung bezeichnete Target Costing ist in der japanischen Managementlehre entwickelt worden. Es handelt sich um ein Instrument zur Kostenplanung, -steuerung und -kontrolle, das bei der Entwicklung neuer Produkte eingesetzt wird, um durch ein systematisches Kostenmanagement die Produktkosten von vornherein auf einem wettbewerbsfähigen Niveau zu halten. Die
262
4 Die Informationswirtschaft
Zielkosten sind produktbezogene Kostenvorgaben, die sich auf unterschiedliche Weise bestimmen lassen: • Bei der am häufigsten angewendeten Methode „Market into Company“ werden die Zielkosten wie folgt aus dem für das Produkt erzielbaren Marktpreis abgeleitet: Nach Abzug der Umsatzsteuer und der Handelsspanne ergibt sich der Stückerlös, den das Unternehmen erhält. Zieht man von diesem noch die gewünschte Gewinnspanne ab, so erhält man die Zielkosten, die der Fertigung vorgegeben werden. Abb. 4.30 zeigt die Ermittlung der Zielkosten an einem Beispiel.
Erzielbarer Marktpreis - Umsatzsteuer (19%) - Handelsspanne
19,98 € - 3,19 € - 3,40 €
Stückerlös - Gewinnspanne
13,39 € - 2,00 €
Zielkosten
11,39 €
Abb. 4.30
Ermittlung der Zielkosten
• Bei der Methode „Out of Company“ werden die aufgrund der im Unternehmen vorhandenen Fertigungstechnologie als realistisch angesehenen Kosten als Zielkosten vorgegeben und anschließend untersucht, ob sich das Produkt zu diesen Kosten am Markt absetzen lässt. Diese Vorgehensweise eignet sich für Produktinnovationen, bei denen noch keinerlei Markterfahrungen vorliegen. • Die Methode „Into and out of Company“ nimmt eine Kombination der beiden zuvor genannten Verfahren vor. In einer Zielvereinbarungsdiskussion gelangen der Marketingund der Produktionsbereich zu einer Kompromisslösung, die sowohl die Marktanforderungen als auch die Produktionsmöglichkeiten angemessen berücksichtigt. • Bei der Methode „Out of Competitor“ werden die Zielkosten aus den – in der Regel nur näherungsweise bekannten – Kosten der Konkurrenz hergeleitet. Hier steht nicht die Markt-, sondern die Wettbewerbsorientierung im Vordergrund, so dass das Verfahren sich für im Markt etablierte Produkte eignet. • Eine Zielkostenermittlung „Out of Standard Costs“ hingegen wird als Abschlag auf die in der eigenen Kostenrechnung ermittelten Sollkosten vorgenommen. Diese Methode lässt sich nur für bereits hergestellte Produkte einsetzen, jedoch nicht für Neuentwicklungen, für die keine entsprechenden Kosteninformationen vorliegen. Zeigt sich bei der Vorkalkulation, dass das geplante Neuprodukt mit den vorhandenen Fertigungsanlagen nicht zu den Zielkosten produziert werden kann, so bestehen zwei grundsätzliche Ansatzpunkte: Zum einen kann man versuchen, durch Ausnutzung von Rationalisie-
4.4 Controlling
263
rungsmöglichkeiten und Kostensenkungspotenzialen die Fertigungskosten zu reduzieren. Eventuell lässt sich auch anfänglich eine geringere Gewinnspanne hinnehmen, wenn die Absatzprognosen erwarten lassen, dass durch die Ausnutzung des Erfahrungskurveneffekts (vgl. Abschnitt 5.1.2) die Fertigungskosten in absehbarer Zeit bis auf die Zielkosten sinken. Zum anderen lassen sich die Kosten senken, indem man einzelne Produktkomponenten gegen günstigere Varianten austauscht, d.h. die Produktkonstruktion muss nochmals hinterfragt werden. Diese Vorgehensweise ist nicht grundsätzlich neu, sondern wurde im Prinzip bereits in den 1930er Jahren bei der Entwicklung des VW Käfer angewendet, für den ein Marktpreis von 990 Reichsmark nicht überschritten werden sollte. Um dieses Preislimit einzuhalten, wurden verschiedene technische Komponenten daraufhin untersucht, ob sie sich nicht zu geringeren Kosten realisieren ließen, und z.B. hydraulische Bremsen durch Seilzugbremsen ersetzt, da durch diese Maßnahme 25 Reichsmark eingespart werden konnten. Als neu ist hingegen die systematische Vorgehensweise sowie die konsequente Umsetzung im Rahmen des Target Costing anzusehen. Ansatzpunkt für eine Kostensenkung durch Änderungen bei der Produktkonstruktion sind die von den Kunden wahrgenommenen Produktfunktionen. Diese lassen sich einteilen in harte Funktionen, die auf der technischen Spezifikation des Produkts beruhen, und weiche Funktionen, die zur Benutzerfreundlichkeit beitragen und damit den subjektiven Wert des Produkts wesentlich bestimmen. Diese Produktfunktionen sind hinsichtlich ihrer Bedeutung für den Kundennutzen zu gewichten. Zunächst werden die relativen Gewichte der harten und der weichen Funktionen bestimmt und diese jeweils in Gewichte für die einzelnen Teilfunktionen aufgegliedert. Aus den Gewichten der Teilfunktionen lassen sich die für die zugehörigen Produktkomponenten zulässigen Kostenanteile ableiten, d.h. letztlich wird die Zielkostenvorgabe für das Produkt auf seine Komponenten aufgeteilt. Setzt man nun den Nutzenanteil einer Komponente ins Verhältnis zu ihrem Kostenanteil bei der vorläufigen Produktkonstruktion, so erhält man ihren Zielkostenindex. Dieser nimmt im Idealfall den Wert 1 an, d.h. der Kostenanteil entspricht genau dem Nutzenanteil. Ist der Zielkostenindex kleiner als 1, so ist die Ausgestaltung dieser Komponente zu aufwändig. Bei Werten über 1 hingegen ist die Komponente im Verhältnis zu ihrem Kundennutzen zu einfach ausgestaltet und es sollte über eine Funktionsverbesserung nachgedacht werden. Je weiter sich ein Zielkostenindex außerhalb der in Abb. 4.31 dargestellten Zielkostenzone befindet, desto wichtiger ist es, entsprechende Änderungen bei der zugehörigen Komponente vorzunehmen. Die Bedeutung des Target Costing ist vor allem darin zu sehen, dass durch die frühzeitige und konsequente Ausrichtung der aufgrund der Konstruktion erwarteten Produktkosten am erzielbaren Marktpreis die Misserfolgswahrscheinlichkeit eines neuen Produkts erheblich reduziert wird. Zu späteren Zeitpunkten lässt sich das Target Costing immer wieder einsetzen, um auch bei bereits gefertigten Produkten nach weiteren Kostensenkungspotenzialen zu suchen.
264
4 Die Informationswirtschaft
Kostenanteil (%)
• • •
•
Zielkostenzone
• • Gewichtung (%)
Abb. 4.31 Zielkostenzone
4.5
Informationssysteme
Aufgrund der zunehmenden Komplexität und Dynamik der Umwelt sind die Entscheidungsträger auf allen Ebenen des Unternehmens immer mehr auf Unterstützung durch geeignete Informationssysteme angewiesen. Abschnitt 4.5.1 befasst sich mit der diesen Informationssystemen zugrunde liegenden Datenmodellierung in Datenbanken und Data Warehouses. In Abschnitt 4.5.2 wird mit den Produktionsplanungs- und -steuerungssystemen ein für produzierende Unternehmen wichtiger Anwendungsbereich von Informationssystemen dargestellt. Abschnitt 4.5.3 schließlich geht auf die Chancen und Risiken ein, die die erweiterten Geschäftsmöglichkeiten des e-Business mit sich bringen.
4.5.1
Datenbanken und Data Warehouses
Datenbanken dienen der Speicherung der im Unternehmen anfallenden und der Bereitstellung der für betriebliche Entscheidungen benötigten Informationen. Als Daten bezeichnet man in der Wirtschaftsinformatik Informationen, die in standardisierter, maschinenlesbarer Form formatiert sind. Sie beschreiben Objekte des Unternehmens und seiner Umwelt sowie deren Beziehungen. Man unterscheidet folgende Datentypen: • Stammdaten bilden längerfristig bestehende Tatbestände und Strukturen ab, z.B. Stücklisten, das Produktionsprogramm, Konstruktionsdaten oder die Organisationsstruktur des Unternehmens. • Bestandsdaten stellen zu einem bestimmten Zeitpunkt bestehende Zustände dar, z.B. Lagerbestände, Auftragsbestände, den Kassenbestand oder den Personalbestand.
4.5 Informationssysteme
265
• Durch Bewegungsdaten lassen sich betriebliche Vorgänge und die daraus resultierenden Veränderungen der Stamm- und Bestandsdaten erfassen, z.B. Lagerzu- und -abgänge, Auslieferungen von Kundenaufträgen, innerbetriebliche Materialbewegungen, Ein- und Auszahlungen. In vielen Unternehmensbereichen, z.B. im internen und externen Rechnungswesen, in der Auftragsabwicklung, in der Materialwirtschaft oder in der Personalwirtschaft, aber auch zunehmend in der inner- und außerbetrieblichen Logistik, fallen laufend große Datenmengen an, die sich nur noch mithilfe der automatisierten Datenerfassung und Datenverarbeitung bewältigen lassen. Daten mit gleichartigen Datensätzen werden in Dateien zusammengefasst. Um die aus einer verteilten Datenhaltung resultierenden Probleme der Redundanz und Inkonsistenz zu vermeiden, werden Dateien aus verschiedenen Anwendungsbereichen unternehmensweit in einer Datenbank zusammengeführt, auf die sämtliche Entscheidungsträger in dem jeweils benötigten Umfang zugreifen und aus der sie die für ihren Arbeitsbereich erforderlichen Informationen abrufen können. Die Beziehungen innerhalb einer Datenbank werden durch ein Datenmodell strukturiert. Vorherrschend ist das relationale Datenmodell (Entity Relationship Model, ERM), bei dem die Dateien weitgehend redundanzfrei in der so genannten Normalform gehalten und über standardisierte Relationen miteinander verknüpft werden können. Beispiele für unternehmensweite Datenmodelle zur Unterstützung verschiedenartiger Geschäftsprozesse sind das von IDS Scheer entwickelte ARIS-System sowie das im folgenden Abschnitt behandelte R/3®-System der Firma SAP. Wesentlich für den Aufbau von modernen Informationssystemen ist die Trennung der vom Benutzer wahrgenommenen Anwendungsebene von der informationstechnischen Realisierung, die – wie in Abb. 4.32 dargestellt – über mehrere Stufen realisiert wird. Bei dieser Vorgehensweise werden zunächst die in den einzelnen Bereichen auftretenden realen Probleme strukturiert und mittels formaler Beschreibungsmethoden in ein Fachkonzept umgesetzt. Diesem wird dann ein adäquates DV-Konzept zugeordnet, das mithilfe einer geeigneten Programmiersprache in einer Software abgebildet und schließlich auf der Maschinenebene physisch realisiert wird. Als Weiterentwicklung herkömmlicher Datenbanken werden zur Entscheidungsunterstützung vielfach Data Warehouses eingesetzt, die – ähnlich einem Lager im Bereich der Materialwirtschaft – die Fülle an Daten aus den verschiedenen operativen DV-Anwendungen im Unternehmen sowie auch aus externen Datenquellen zusammenführen, aktualisieren, vereinheitlichen und je nach Bedarf aggregieren, um einerseits Dokumentationsaufgaben zu erfüllen und andererseits dem Management Auswertungen über längere Zeiträume oder über mehrere Bereiche hinweg zu ermöglichen. Im Gegensatz zu operativen DV-Anwendungen kann der Nutzer eines Data Warehouse die von ihm angeforderten Daten nicht verändern, sondern erhält lediglich einen lesenden Zugriff.
266
4 Die Informationswirtschaft Reale Probleme
Fachkonzept
DV-Konzept
Implementierung
Physische Realisation
Abb. 4.32 Aufbau eines Informationssystems
Ein weiteres Kennzeichen von Data Warehouses ist, dass hier Bestands- und Bewegungsdaten, die im operativen Bereich durch Aktualisierung regelmäßig überschrieben werden, mit ihren Werten zu verschiedenen Zeitpunkten gespeichert sind und für spätere Zugriffe zur Verfügung stehen. So lassen sich z.B. Bestands- oder Verkaufsübersichten sowohl aggregiert als auch detailliert und nach zeitlichen oder sachlichen Kriterien gegliedert erstellen. Ein derartiger Zugriff von Benutzern, die keine formalen Datenbankabfragesprachen beherrschen, wird durch OLAP (On-line analytical processing) unterstützt, das eine dynamische, mehrdimensionale Sicht auf alle für Führungsentscheidungen relevanten Daten bietet (vgl. Abb. 4.33). In OLAP sind gleichartige Bezugsobjekte, z.B. Artikel, Regionen, Zeitpunkte, in Dimensionen angeordnet, die die Achsen eines multidimensionalen Raums bilden. Damit lässt sich z.B. eine produktbezogene, regionale und zeitlich abgegrenzte Sicht auf die Unternehmensdaten erreichen. OLAP-Abfragen erfolgen als Dimensionsschnitte, bei denen die Elemente bestimmter Dimensionen als konstant betrachtet und die Daten der anderen Dimensionen in den gewünschten Größen dargestellt werden. Innerhalb einer Dimension sind die Bezugsobjekte in der Regel zusätzlich hierarchisch strukturiert. Derartige Datenstrukturen werden als Hyperwürfel bezeichnet, aus denen der Benutzer durch Schnitte (Slicing) die gewünschten Informationen extrahieren kann. Der Zugriff erfolgt interaktiv und mit kurzen Responsezeiten. Durch die vielfältigen möglichen Sichten auf die
4.5 Informationssysteme
267
vorhandenen Informationen sind unterschiedlichste Zugriffe auf die zugrunde liegenden unternehmensinternen und externen Daten möglich. OLAP-Abfragen und Data Warehouses werden insbesondere in Management-Support-Systemen (MSS) eingesetzt und bieten eine äußerst flexible Unterstützung des herkömmlichen Berichtswesens. Zunehmend werden diese Anwendungen auch in Standardsoftware-Paketen wie Oracle und SAP R/3® angeboten und individuell an die Bedürfnisse der Anwender angepasst.
Abb. 4.33 Hyperwürfel-Struktur bei OLAP
4.5.2
Produktionsplanungs- und -steuerungssysteme
Unter einem Produktionsplanungs- und -steuerungssystem (PPS-System) versteht man ein umfassendes, computergestütztes Informations-, Dispositions- und Steuerungssystem, das auf einer zentralen Datenbank aufbaut und die Abstimmung von Entscheidungen im Bereich der mittelfristig-taktischen Produktionsplanung bis hin zur kurzfristig-operativen Produktionssteuerung unterstützt. In Abb. 4.34 ist die Grundstruktur eines marktüblichen PPSSystems dargestellt. Der Produktionsplanung werden üblicherweise die Programmplanung mit der Festlegung des Produktionsprogramms aufgrund von Kundenaufträgen oder Nachfrageprognosen, die Materialwirtschaft mit der Stücklistenauflösung und Losgrößenbestimmung sowie die Zeitwirtschaft mit einer vorläufigen Durchlaufterminierung und dem Kapazitätsabgleich zugeordnet, während die Produktionssteuerung die Ablaufplanung mit der Auftragsfreigabe und der Auf-
268
4 Die Informationswirtschaft
tragsüberwachung sowie die Qualitätskontrolle umfasst. Ein typischer Planungszyklus läuft folgendermaßen ab:
Programmplanung • Prognoserechnung • Grobplanung
Produktionsplanung
Materialwirtschaft • Stücklistenauflösung • Losbildung
GrunddatenVerwaltung • Strukturdaten
Zeitwirtschaft • Terminplanung • Kapazitätsplanung
Produktionssteuerung
• Bestandsdaten • Bewegungsdaten
Ablaufplanung • Auftragsfreigabe • Auftragsüberwachung
Abb. 4.34 Grundstruktur eines PPS-Systems
• In der Programmplanung werden die während eines mittelfristigen Planungshorizonts herzustellenden Endprodukte nach Art, Menge und Termin festgelegt. Bei auftragsorientierter Fertigung dienen die hereingenommenen Kundenaufträge als Ausgangsdaten, bei marktorientierter Fertigung hingegen beruht die Programmplanung auf Absatzprognosen (vgl. Abschnitt 2.1.2). Da in der Praxis Mischtypen vorherrschen, sind in den meisten PPS-Systemen Module sowohl zur Auftragsverwaltung als auch zur Absatzprognose implementiert. Die Produktionsanforderungen werden zunächst mit den verfügbaren Lagerbeständen an Endprodukten abgeglichen. Soweit die Nachfrage aus dem Lager befriedigt werden soll, müssen die entsprechenden Bestände reserviert werden, um eine anderweitige Verwendung zu verhindern. Die verbleibenden Nachfragemengen sowie eine eventuell vorgesehene Vorratsproduktion von Produkten, die für künftigen Bedarf auf Lager genommen werden sollen, ergeben das Produktionsprogramm einer Periode auf Endproduktebene. • Dieses Produktionsprogramm liefert die Ausgangsdaten für die Materialwirtschaft. Hier wird zunächst eine Stücklistenauflösung durchgeführt, um die für das geplante Endproduktprogramm erforderlichen Bruttobedarfsmengen an Rohstoffen, fremdbezogenen Tei-
4.5 Informationssysteme
269
len und Zwischenprodukten zu ermitteln (vgl. Abschnitt 2.1.3). Nach Abgleich mit den verfügbaren Lagerbeständen werden für die einzelnen Materialarten optimale Losgrößen ermittelt und entsprechende Einkaufs- bzw. Fertigungsaufträge für die nicht aus dem Lager zu befriedigenden Nettobedarfsmengen sowie gegebenenfalls zur Aufstockung der Lagerbestände erteilt. • Im Rahmen der Zeitwirtschaft erfolgt zunächst eine vorläufige Einplanung der Fertigungsaufträge auf den beteiligten Produktionsstufen. Um sicherzustellen, dass die auf vorgelagerten Produktionsstufen gefertigten Teile zum Bedarfszeitpunkt zur Verfügung stehen, wird eine Vorlaufverschiebung für diese Zwischenprodukte durchgeführt. Bei der Einlastung der Aufträge auf die Fertigungsanlagen ergibt sich weiter das Problem, dass weder deren Durchlaufzeiten noch die verfügbaren Kapazitäten exakt bekannt sind. Die Durchlaufzeit eines Auftrags setzt sich aus weitgehend feststehenden Rüst-, Bearbeitungs- und Transportzeiten sowie stark schwankenden Warte- und Liegezeiten zusammen, wobei letztere häufig bis zu 90% der gesamten Durchlaufzeit ausmachen. Die effektiv für Bearbeitungsvorgänge verfügbare Kapazität einer Maschine liegt aufgrund von im Planungszeitpunkt noch nicht bekannten, ablaufbedingten Leerzeiten unterhalb ihrer Regelkapazität. Daher ergibt die vorläufige Einlastung der Lose auf einzelnen Maschinen und in einzelnen Perioden in der Regel eine unzulässige Kapazitätsbelastung, die durch einen anschließenden Kapazitätsabgleich zu beseitigen ist. Dabei wird versucht, Belastungsspitzen durch Maßnahmen wie Vorproduktion, Überstunden oder teilweisen Fremdbezug von Bauteilen zeitlich zu verlagern oder abzubauen. Als Ergebnis der Termin- und Kapazitätsplanung werden die Fertigungsaufträge freigegeben und in der anschließenden Ablaufplanung in das Fertigungssystem eingelastet. • In der Ablaufplanung werden die freigegebenen Fertigungsaufträge auf die Maschinen eingesteuert und ihr ordnungsmäßiger Durchlauf überwacht. Die Planung erfolgt kurzfristig, ihr Planungshorizont beträgt ca. eine Woche. Vielfach wird diese Aufgabe unter Berücksichtigung der Vorgaben aus der Termin- und Kapazitätsplanung dezentral auf der Meisterebene oder mithilfe von Leitständen durchgeführt. Die Maschinenbelegungspläne werden als Vorgaben an die Fertigung weitergeleitet und dort umgesetzt. Im Rahmen der Produktionskontrolle wird der Planvollzug an die Ablaufplanung zurückgemeldet und führt dort gegebenenfalls zu Revisionen der Maschinenbelegungsplanung. Auch die Überwachung der Produktqualität ist auf dieser Planungsebene angesiedelt (vgl. Abschnitt 5.4.1). Das dargestellte Planungskonzept ist modular angelegt, d.h. die einzelnen Teilbereiche können unabhängig voneinander mit verschiedenen Methoden geplant werden. Dabei dient jeweils die Lösung eines Teilproblems als Vorgabe für das nachfolgende Modul, das seine Planung unter Berücksichtigung der durch diese Vorgaben gesetzten Rahmenbedingungen ermitteln muss. So legt z.B. die Zeitwirtschaft die Anfangs- und Endtermine der bei der Losgrößenbestimmung gebildeten Fertigungslose fest. Bei dieser Top-Down-Vorgehensweise werden die Planungsbereiche nacheinander mit zunehmendem Detaillierungsgrad und abnehmendem Planungshorizont durchlaufen. Rückkopplungsinformationen hinsichtlich der Umsetzung der Pläne dienen hauptsächlich der Aktualisierung der Daten für den nächsten
270
4 Die Informationswirtschaft
Planungslauf im Rahmen einer rollierenden Planung. Daten und Entscheidungen der einzelnen Teilbereiche werden in einer zentralen Datenbank, die sämtliche Grunddaten verwaltet, gespeichert und den anderen Teilbereichen über geeignete Schnittstellen zugänglich gemacht. Die verschiedenen am Markt angebotenen PPS-Systeme unterscheiden sich stark hinsichtlich der Anzahl und der Differenzierung ihrer Module. Vielfach bieten sie im Rahmen der Modulstruktur alternative Bausteine an, durch deren individuelle Kombination, Erweiterung und Aktualisierung die Abstimmung eines Systems auf die jeweiligen Kundenanforderungen möglich ist. Die Ursprünge derartiger Systeme liegen Anfang der 1960er Jahre, aufbauend auf den ersten DV-Anwendungen im Bereich der Materialwirtschaft. Als eines der ersten PPS-Systeme wurde damals von der Firma IBM das Programm PICS (Production Information and Control System, später COPICS) auf den Markt gebracht. Inzwischen ist der Markt für PPS-Systeme fast unüberschaubar; ständig kommen neue Anbieter und neue Produktnamen hinzu, die ein sehr unterschiedliches Funktionsspektrum abdecken. Die Auswahl des für ein Unternehmen am besten geeigneten PPS-Systems ist eine schwierige Entscheidung, die nur bedingt durch Marktübersichten und -analysen unterstützt wird. Viele Unternehmen setzen das nachfolgend beschriebene R/3®-System der SAP AG in Walldorf ein. Auch Unternehmen wie Microsoft, The Baan Company, PeopleSoft Inc., Oracle, Sage, Infor Global Solutions, JBA International oder JD Edwards zählen zu den bekannten Anbietern von PPS-Software. Mit der Implementierung eines PPS-Systems in einem Unternehmen sind erhebliche Kosten für die Anschaffung und Installation der Software und für die Schulung der Mitarbeiter, oft auch umfangreiche organisatorische Maßnahmen verbunden. Um eine Anpassung ihrer Systeme an veränderte Anforderungen oder an neue Entwicklungen zu ermöglichen, achten die Anbieter standardisierter PPS-Systeme auf weitgehende Aufwärtskompatibilität ihrer Produkte. Dennoch sind laut Umfrageergebnissen sowohl die Produktionsleiter als auch die Manager von Unternehmen, die PPS-Systeme einsetzen, mit deren Arbeitsweise und Ergebnissen häufig unzufrieden. Ausgangspunkt der Entwicklung von PPS-Systemen waren DV-Anwendungen zur Stücklistenauflösung. Durch Integration weiterer materialwirtschaftlicher Aufgaben wie Nettobedarfsermittlung, Losbildung und Vorlaufverschiebung entstanden Programme zum Material Requirements Planning (MRP). Diese wurden durch Einbeziehung der Kapazitätswirtschaft und die Möglichkeit zur Rückkopplung in frühere Planungsschritte bei unzulässigen Planungen zum Manufacturing Resource Planning (MRP II) weiterentwickelt, dessen Konzept noch heute als Basis der meisten PPS-Systeme dient. Noch weiter gehen Enterprise Resource Planning Systeme (ERP-Systeme), die sämtliche Interdependenzen und Ressourcen im gesamten Prozess der Leistungserstellung umfassend berücksichtigen. Das bis 2004 angebotene R/3®-System der Firma SAP ist ein solches ERP-System, dessen Anwendungsbereich als betriebliche Anwendungssoftware weit über die Produktionsplanung und -steuerung hinausgeht. Mit mehr als 100.000 weltweiten Installationen, ca. 12 Mio. Anwendern, einem europäischen Marktanteil von 44% im Jahr 2005 und einem Weltmarktanteil von ca. 30% ist die SAP AG der Weltmarktführer im Bereich der Standard-PPSSysteme. Der Kundenkreis reicht in Deutschland von Großunternehmen wie Siemens und der
4.5 Informationssysteme
271
Deutschen Telekom bis hin zu kleinen und mittelständischen Unternehmen; vielfach wird das System sogar als Industriestandard bezeichnet. Seit 2004 bietet die SAP AG als Nachfolgeprodukt des R/3®-Systems das Produktpaket SAP Business Suite an, dessen Produktkomponenten teilweise über den klassischen ERP-Ansatz hinausgehen. Wegen der nach wie vor weiten Verbreitung des R/3®-Systems in der Industrie wird dieses bei der nachfolgenden Darstellung zugrunde gelegt. Wesentlich für den Aufbau des R/3®Systems ist die Client/Server-Architektur des Informationssystems, bei der die Datenbankebene, die Applikationsebene mit den Anwendungsprogrammen und die Präsentationsebene mit der Benutzeroberfläche auf unterschiedlichen Rechnern mit verschiedenen Betriebssystemen verwaltet werden können. Die Verbindung dieser Ebenen, die auch an unterschiedlichen Standorten angesiedelt sein können, erfolgt durch betriebsinterne Netzwerke (Local Area Networks, LAN) oder auch über das Internet, das zwischen die Anwendungs- und die Präsentationsebene geschaltet werden kann. Das R/3®-System ist wie seine Vorgänger im Bereich der klassischen PPS-Systeme modular aufgebaut. Für die wichtigsten betriebswirtschaftlichen Anwendungsbereiche sind Module implementiert, die gemeinsam oder auch separat arbeitsfähig sind. Abb. 4.35 gibt einen Überblick über die Modulstruktur des R/3®-Systems.
FI Finanzwesen
SD Vertrieb MM Materialwirtschaft
CO Controlling IM Investitionsmanagement
PP Produktionsplanung
SAP R/3®
QM Qualitätsmanagement PM Instandhaltung
HR Personalwirtschaft
Abb. 4.35 Modulstruktur von SAP R/3®
PS Projektsystem WF Workflow IS Branchenlösungen
272
4 Die Informationswirtschaft
Die dargestellten Module lassen sich verschiedenen betriebswirtschaftlichen Bereichen zuordnen: • Logistik: Vertrieb (Sales and Distribution, SD) Materialwirtschaft (Materials Management, MM) Produktionsplanung (Production Planning, PP) Qualitätsmanagement (Quality Management, QM) Instandhaltung (Plant Maintenance, PM) • Rechnungswesen: Finanzwirtschaft (Financial Accounting, FI) Controlling (CO) Investitionsmanagement (Investment Management, IM) • Projektsystem (Project System, PS) • Personalwirtschaft (Human Resources, HR) • Workflow (WF) • Branchenlösungen (IS), z.B. PP-PI für die Produktionsplanung und -steuerung in der prozessorientierten Industrie oder IS-Oil für die Ölindustrie Die Datenverwaltung ist modulübergreifend so organisiert, dass jeder Datensatz nur einmal gespeichert werden muss und Anwendungen aus allen Modulen zur Verfügung steht. Häufig sind die Datensätze so strukturiert, dass Informationen aus verschiedenen Modulen zusammengefasst werden. So besteht ein Lieferantenstammdatensatz aus allgemeinen Daten, z.B. der Adresse des Lieferanten, Daten aus der Materialwirtschaft, z.B. den Lieferbedingungen des Lieferanten, und Daten aus der Finanzbuchhaltung, z.B. der Bankverbindung des Lieferanten oder den mit ihm getroffenen Zahlungsvereinbarungen. Als Reaktion auf die häufig geäußerte Kritik, dass PPS- und auch ERP-Systeme zwar eine sehr aufwändige Datenverwaltung und Informationsverarbeitung realisieren, jedoch kaum optimierende Verfahren zur Lösung der in den einzelnen Modulen auftretenden Planungsprobleme einsetzen, hat die SAP AG ihr R/3®-System um die Komponente APO (Advanced Planner and Optimizer) ergänzt, die nach Unternehmensangaben für zahlreiche Teilaufgaben standardisierte oder auch maßgeschneiderte Algorithmen des Operations Research einsetzt. Auch andere Anbieter von ERP-Systemen sind derzeit bemüht, die Arbeitsweise ihrer Produkte durch die Implementation von optimierenden Lösungsverfahren und Heuristiken in einzelnen Modulen zu verbessern. Eine Weiterentwicklung der klassischen PPS-Systeme, die vor allem auf die Verknüpfung der ingenieurwissenschaftlichen und der betriebswirtschaftlichen Sichtweise der Produktionsplanung und -steuerung abstellt, ist das Computer Integrated Manufacturing (CIM). Im Mittelpunkt des CIM steht die Integration von Datenbeständen des Produktionsbereichs mit technischen Daten, so dass die Abstimmung zwischen verschiedenen Teilbereichen der Planung vereinfacht wird. Das Ziel einer CIM-Einführung besteht in der Abstimmung des Ge-
4.5 Informationssysteme
273
samtplanungsprozesses, der für den Produktionsbereich sämtliche Funktionen von der Programmplanung bis hin zum Versand und der Abrechnung der Aufträge umfasst. Weiter sollen DV-technische Insellösungen im Fertigungsbereich vermieden bzw. bereits vorhandene miteinander verknüpft werden. Durch diese Integration und die Straffung der Abläufe können Kostenvorteile realisiert und die Flexibilität der Fertigung erhöht werden. Abb. 4.36 zeigt die CIM-Definition, die 1985 vom Ausschuss für wirtschaftliche Fertigung (AWF) entwickelt wurde.
CIM CA-Techniken
PPS-Funktionen Programmplanung
CAD
Materialwirtschaft Zeitwirtschaft
CAP
CAQ
CAM
Auftragsfreigabe und -überwachung (Kostenrechnung) (Buchführung)
Abb. 4.36 CIM-Konzept
Ein wesentlicher Bestandteil von CIM sind neben den PPS-Funktionen die in den Ingenieurwissenschaften entwickelten CA-Techniken. Diese umfassen eine Reihe von Planungs-, Steuerungs- und Konstruktionsverfahren, die durch die Möglichkeit der Computerunterstützung eine weite Verbreitung in Fertigungsunternehmen gefunden haben. Hierzu zählen im Einzelnen: • Computer Aided Design (CAD): CAD dient der rechnerunterstützten, interaktiven Konstruktion von Produkten und deren Bauteilen. Aus vordefinierten Grundelementen (Linien, Flächen, Körpern) werden anwendungsbezogene Modelle aufgebaut, mittels geeigneter Operationen bearbeitet und am Bildschirm dreidimensional dargestellt. Die geometrischen Daten der konstruierten Teile können direkt an die Arbeitsplanung weitergegeben werden. • Computer Aided Planning (CAP): CAP umfasst mit der Arbeitsplanung und Arbeitsvorbereitung die Planungsmaßnahmen, die der Koordination von Menschen und Betriebsmitteln zur wirtschaftlichen Durchführung der Produktion dienen. Dazu zählen insbesondere die Montageplanung, die NC-Programmierung und die Prüfplanung. Zur Erfüllung seiner Aufgaben greift das CAP auf die Ergebnisse anderer CA-Bereiche zu, z.B. auf die Konstruktionsdaten aus dem CAD.
274
4 Die Informationswirtschaft
• Computer Aided Manufacturing (CAM): CAM steht in engem Zusammenhang mit der automatisierten, rechnergesteuerten Fertigung und der NC-Programmierung (vgl. Abschnitt 2.2.3). Weiter zählen hierzu automatisierte Transport-, Lager- und Montagesysteme sowie die für ihre Steuerung und Koordination erforderliche Software. • Computer Aided Quality Assurance (CAQ): Die Qualitätssicherung und -kontrolle ist sowohl in Bezug auf die selbst hergestellten Produkten als auch bei zugekauften Teilen und Rohstoffen von besonderer Bedeutung für einen reibungslosen Produktionsablauf und für die Qualität der Endprodukte (vgl. Abschnitt 5.4.1). Der DV-Einsatz ermöglicht eine schnelle, in den Produktionsablauf integrierte und umfassende Durchführung dieser Aufgaben. Dazu wird ein Prüfplan erstellt, der die Prüfungshäufigkeit, die Soll-Werte und die zulässigen Toleranzen für die Prüfmerkmale enthält. Die Prüfung erfolgt durch Soll/Ist-Vergleiche, der Prüfungsablauf und seine Ergebnisse werden in einem Prüfprotokoll festgehalten. Im Rahmen von CIM erfolgt zum einen eine Integration und gegenseitige Unterstützung der einzelnen CA-Techniken, durch die sich ihre Leistungsfähigkeit erheblich steigern lässt. Zum anderen ist die Verknüpfung der CA-Techniken mit den PPS-Funktionen und möglichst auch mit weiteren betriebswirtschaftlichen Funktionen wie der Kostenrechnung und der Buchführung von großer Bedeutung. Durch das Zusammenwachsen von technischer und kaufmännischer Datenverarbeitung ist es möglich, dass kaufmännische Planungs- und Abrechnungsverfahren direkt auf Daten zurückgreifen, die durch den Einsatz der CA-Techniken erstellt wurden, so dass viele Routineberechnungen einfacher, schneller und kostengünstiger vorgenommen werden können. Eine unabdingbare Voraussetzung für die Einführung und den Betrieb von CIM ist ein einheitlicher Aufbau der Hard- und Software für sämtliche einbezogenen Unternehmensbereiche sowie die Realisierung eines betriebsinternen Daten- und Rechnernetzes (Intranet), durch das eine bereichsübergreifende Kommunikation ermöglicht wird. Die Realisierung von CIM verspricht den Unternehmen erhebliche Kosten- und Wettbewerbsvorteile, die durch die Beschleunigung der Prozesse sowie durch schnelle, flexible Reaktionsmöglichkeiten auf den Wandel in der Umwelt erreicht werden sollen.
4.5.3
e-Business
Mit der zunehmenden Verbreitung von DV-Anwendungen in den Unternehmen und der Ausweitung des elektronischen Informationsaustauschs über das Internet (WWW, World Wide Web) sind gegen Ende der 1990er Jahre der elektronische Handel (e-Commerce) und das e-Business aufgekommen. Das e-Business lässt sich definieren als netzbasierter elektronischer Informationsaustausch, verbunden mit der Abwicklung von geschäftlichen Transaktionen mithilfe der Informations- und Kommunikationstechnologie. Die offizielle Definition der Europäischen Kommission und des Bundes der Deutschen Industrie (BDI) lautet: e-commerce = every business in which participants prepare or transact business or conduct their trade electronically
4.5 Informationssysteme
275
Die Vorläufer des e-Business waren standardisierte Übertragungsprotokolle für den Datenaustausch zwischen Unternehmen, die auf speziellen Netzwerken, zum Teil auch auf Standleitungen, eingesetzt und z.B. für kurzfristige Lieferabrufe bei Just-in-Time-Zulieferung genutzt wurden. Bereits in den 1970er Jahren wurde in diesem Zusammenhang für die Industrie das Netzwerk EDI (Electronic Data Interchange) mit dem Dokumentenstandard EDIFACT eingeführt. Als Basis des e-Business dient heute in der Regel das WWW, das jedem Beteiligten nicht nur einen schnellen und kostengünstigen Zugriff auf alle relevanten Informationen ermöglicht, sondern auch über kundenorientierte Homepages und Portale der Bereitstellung von Informationen über ein Unternehmen und seine Produkte dient. In Abhängigkeit von den Beteiligten lässt sich das internetbasierte e-Business einteilen in Anwendungen zwischen verschiedenen Unternehmen (Business to Business, B2B) und zwischen Unternehmen und Endverbrauchern (Business to Customer, B2C). Werden die gleichen Informations- und Kommunikationsinstrumente auch innerbetrieblich eingesetzt, so spricht man von einem Intranet oder von Intra-Business. Da bei der heutigen stark arbeitsteiligen Wertschöpfung in Supply Chains und anderen Netzwerkstrukturen das Liefervolumen zwischen Unternehmen ca. zehnmal so groß ist wie die Verkäufe an Endverbraucher, weist das B2B-Geschäft gegenüber dem B2C ein entsprechend größeres Potenzial auf. Je nachdem, welche betrieblichen Funktionen durch den elektronischen Datenaustausch unterstützt werden, finden auch die Begriffe e-Procurement für die Schnittstelle zu den Beschaffungsmärkten, e-Manufacturing für die elektronische Steuerung der Fertigung, e-Commerce für die Schnittstelle zu den Absatzmärkten und e-Logistics für die netzbasierte Abwicklung der Warentransporte Verwendung (vgl. Abb. 4.37).
Intra-Business
Unternehmen A B2B
Unternehmen B
Endverbraucher
e-Procurement e-Manufacturing e-Commerce e-Logistics
B2C
Abb. 4.37 Formen des e-Business
276
4 Die Informationswirtschaft
Aufgrund der Beschleunigung der Kommunikation zwischen den Beteiligten, der Erhöhung der Transparenz auf den beteiligten Märkten und der Möglichkeit einer gezielten, individuellen Ansprache der Kunden wird erwartet, dass sich die Leistungen der Unternehmen in Zukunft schneller, besser und kostengünstiger erbringen lassen. Beim dem im B2C-Bereich angesiedelten e-Commerce dominieren Internet-Portale und -Shops von einzelnen Unternehmen oder von Anbietern, in denen auf eine bestimmte Kundengruppe ausgerichtete Leistungsangebote zusammengefasst werden. Über Links lassen sich vielfältige Waren und Dienstleistungen auch anderer Anbieter einbinden, so dass die Bedürfnisse der Kunden umfassend abgedeckt werden können. Auch eine gezielte, kundenindividuelle Ansprache beim wiederholten Besuch einer Homepage ist möglich, dies wird als one-to-one-Marketing bezeichnet. Beispiele für Aktivitäten im B2C-Bereich sind der Internet-Buchhändler amazon.de, der neben Print- und Audio-Medien auch Computerspiele, Merchandising-Produkte und weitere verwandte Produktgruppen anbietet, die Internet-Auftritte der großen Elektronik-Fachmärkte, Versand- und Warenhäuser oder einiger Zeitschriftenverlage. Der Abschluss von Geschäften im e-Commerce lässt sich in vier Phasen gliedern: • Wissensphase (inform): Der Kunde navigiert von seinem Internet-Anschluss aus durch das Angebot von Informationen und Waren und sucht bewusst nach Informationen zu den Produkten, die er kaufen will. • Absichtsphase (interact): Wenn der Kunde sich für einen Anbieter entschieden hat, wählt er online mithilfe von Warenkorbfunktionen die von ihm gewünschten Leistungen nach Art und Menge aus. Die Vorgehensweise ähnelt im Grunde der Auswahl aus einem Versandhauskatalog, die Unterschiede bestehen im Wesentlichen in der Breite und Aktualität des Angebots. • Vereinbarungsphase (transact): Der rechtsgültige Kaufvertrag kommt durch die Bestellung über das Internet zustande, und zwar nicht mit dem Bereitsteller des Internet-Portals, sondern mit dem Unternehmen, das die jeweilige Leistung anbietet. • Abwicklungsphase (deliver): Mit Ausnahme von digitalisierten Produkten, z.B. Musiktiteln, die gegen Zahlung eines Entgelts direkt aus dem Internet heruntergeladen werden können, ist zur Erfüllung des im Internet abgeschlossenen Kaufvertrags die physische Auslieferung der Produkte an den Kunden erforderlich. Da die Kundenzufriedenheit wesentlich von der reibungslosen Abwicklung dieser letzten Stufe abhängt, kommen durch das e-Business neue Anforderungen auf die Logistik zu. Im B2B-Bereich besteht ein großes Potenzial darin, dass nicht nur eine individuelle Ansprache der Kunden durch one-to-one-Marketing möglich ist, sondern dass sich mithilfe der elektronischen Kommunikation auch kundenindividuelle Produkte, die in Einzelfertigung hergestellt werden, schnell und kostengünstig konfigurieren und vertreiben lassen. In Abhängigkeit von der Komplexität sowie dem kundenindividuellen Zuschnitt der Produkte lassen sich folgende Prozesstypen unterscheiden:
4.5 Informationssysteme
277
• Pick to order: Einfache Produkte mit wenigen Varianten, z.B. Standard- und Ersatzteile, lassen sich mittels Warenkorbfunktionen auswählen und im Idealfall direkt vom Lager liefern. Da die Produkte vorgefertigt sind, liegt der Schwerpunkt auf der Abwicklung der Lieferung. • Assemble to order: Die Produkte lassen sich durch Nutzung des Baukastenprinzips (vgl. Abschnitt 2.2.2) aus standardisierten, vorgefertigten Komponenten entsprechend der vom Kunden gewünschten Konfiguration fertigen. Man spricht hier auch von kundenindividueller Massenfertigung (mass customization), die z.B. vom Computerhersteller Dell, aber auch in der Automobilindustrie Anwendung findet. • Make to order: Aus einem vorgegebenen Produktsortiment werden die einzelnen Produkte gemäß den Kundenwünschen individuell angefertigt. Dabei kann der Kunde Wünsche hinsichtlich der Ausgestaltung einzelner Parameter äußern, z.B. im Maschinenbau oder bei der Möbelindustrie. Eine Vorfertigung ist bezüglich der Komponenten möglich, die keinen Gestaltungsspielraum aufweisen. • Engineer to order: Das Produkt wird nicht nur kundenindividuell gefertigt, sondern auch gemäß den Kundenanforderungen konstruiert. Hier ist kaum noch Vorfertigung möglich und es liegt Einzelfertigung vor. Die Vorteile des e-Business gegenüber einer konventionellen Geschäftsabwicklung zeigen sich vor allem bei den komplexeren Prozesstypen. Der Kunde wird bei der Produktauswahl und -konfiguration durch einen automatisierten, über das Programm geführten und wissensbasierten Dialog unterstützt, so dass er im Vergleich mit der Auswahl aus traditionellen Katalogen schneller das für seine Bedürfnisse passende Produkt findet. Auch Kunden, die das Sortiment noch nicht kennen, gelangen über eine Beschreibung ihres Anwendungsproblems in einem mehrstufigen Prozess zu der geeigneten Produktkonfiguration. Dies erhöht tendenziell die Kundenzufriedenheit. Für das Unternehmen besteht ein wesentlicher Vorteil darin, dass – obwohl der Kunde ein individuelles Produkt erhält – auf Komponentenebene dennoch ein erheblicher Anteil an Vorfertigung erfolgen kann. Weiter sind die Auftragsdaten direkt im DV-System erfasst und können für die Steuerung und Überwachung des Auftrags durch die Produktion und Distribution sowie für die abrechnungstechnische Abwicklung eingesetzt werden. Auch für die Kooperation von Unternehmen im Rahmen des Supply Chain Management (vgl. Abschnitt 2.5.3) bietet das e-Business zahlreiche Ansatzpunkte zur Verbesserung der Geschäftsprozesse: • Informationstechnische Integration der Wertschöpfungspartner • Beschleunigung von Kommunikationsprozessen • Reduktion von Transaktionskosten • Möglichkeit zur Sendungsverfolgung während der Auslieferung (tracking and tracing)
278
4 Die Informationswirtschaft
Nachdem das e-Business zunächst durch kleine, stark spezialisierte startup-Firmen geprägt wurde, wenden sich inzwischen auch die großen Konzerne diesem Geschäftsfeld zu. Für die Zukunft ist eine noch weitergehende Integration des Internet in sämtliche im Unternehmen ablaufenden Prozesse sowie eine strategische Neuausrichtung der Unternehmensführungen zu erwarten.
5
Die Unternehmensführung
Die Unternehmensführung befasst sich mit der übergeordneten Steuerung des Gesamtunternehmens. Dabei sind Grundsatzentscheidungen von strategischer Reichweite zu treffen sowie die nachgeordneten Planungen der einzelnen Funktionsbereiche des Unternehmens zu koordinieren. Die wesentlichen Teilbereiche der Unternehmensführung, die in den nachfolgenden Abschnitten behandelt werden, sind das strategische Management, das Technologiemanagement, das Personalmanagement, das Qualitätsmanagement sowie das Umwelt- und Risikomanagement.
5.1
Strategisches Management
Unter einer Strategie versteht man im Rahmen der Unternehmensführung eine auf die Schaffung, den Ausbau und die Erhaltung von Erfolgspotenzialen und Wettbewerbsvorteilen ausgerichtete Planung, die zur Erreichung der Unternehmensziele (vgl. Abschnitt 1.1.3) beitragen soll. Abschnitt 5.1.1 befasst sich mit verschiedenen Konzepten der Unternehmensführung und den daraus abgeleiteten Strategien. Das strategische Management hat die Aufgabe, die Unternehmensführung mithilfe der in Abschnitt 5.1.2 dargestellten Planungsinstrumente bei der Erfüllung ihrer Aufgaben zu unterstützen.
5.1.1
Konzepte der Unternehmensführung
Die Unternehmensführung initiiert und steuert einen mehrstufigen Planungsprozess, innerhalb dessen sukzessiv strategische Vorgaben in operative Ausführungsanweisungen heruntergebrochen werden. Folgende hierarchisch angeordnete Managementebenen lassen sich unterscheiden (vgl. Abb. 5.1): • Die strategische Planung ist langfristig, d.h. über einen Planungshorizont von mehreren Jahren angelegt. Es werden Grundsatzentscheidungen getroffen über die Ziele des Unternehmens und die daraus abgeleitete Unternehmensphilosophie und -kultur, über die Geschäftsfelder, auf denen sich das Unternehmen betätigen soll, die Produkte, die es auf den relevanten Märkten anbieten will, über die sachlichen und personellen Ressourcen, die zur Erfüllung dieser Aufgaben erforderlich sind, sowie über die rechtliche und organisatorische Struktur des Unternehmens. Da sich derartige Grundsatzentscheidungen nicht
280
5 Die Unternehmensführung
auf einen Teilbereich beschränken lassen, ist die strategische Planung als umfassende Planung organisiert.
Strategische Planung
Grundsatzentscheidungen • Unternehmensphilosophie • Geschäftsfelder • Unternehmensstruktur
Taktische Planung
Gestaltungsaufgaben • Technologie • Personal • Qualität • Umwelt
Operative Planung
Ausführungsebene • Güterwirtschaft • Finanzwirtschaft • Informationswirtschaft
Feedforward-Informationen Feedback-Informationen
Abb. 5.1 Managementebenen
• Die taktische Planung ist mittelfristig ausgerichtet, ihr Horizont umfasst in der Regel ein Jahr, d.h. er entspricht einem Saisonzyklus der Geschäftstätigkeit. Im Rahmen der Vorgaben aus der strategischen Planung befasst sich die taktische Planung mit der Gestaltung der Abläufe in den einzelnen Unternehmensbereichen sowie mit der Beschaffung und dem effektiven und effizienten Einsatz von Ressourcen. Die Gestaltungsaufgaben umfassen neben den betrieblichen Funktionen insbesondere die Bereiche Technologie, Personal, Qualität und Umwelt. Die taktischen Entscheidungen dienen wiederum als Vorgaben für die anschließende operative Planung. • Gegenstand der operativen Planung sind konkret umsetzbare Ausführungsentscheidungen für das operative Tagesgeschäft. Dabei sind die von der taktischen Planung strukturierten Abläufe und die bereitgestellten Ressourcen zu berücksichtigen. Die operative Planung ist kurzfristig ausgerichtet, ihr Planungshorizont beträgt weniger als ein Jahr. Zwischen den Planungsebenen fließen Informationen in beide Richtungen: Die von oben nach unten gerichteten Feedforward-Informationen stellen die Vorgaben dar, die die strategische und die taktische Planung für die jeweils nachfolgende Planungsebene setzen. In umge-
5.1 Strategisches Management
281
kehrter Richtung übermitteln Rückkopplungen bzw. Feedback-Informationen der jeweils übergeordneten Planungsebene die Ergebnisse, die die nachfolgende Ebene aufgrund der Vorgaben erzielen konnte. Im Rahmen einer rollierenden Planung kann die übergeordnete Ebene aus diesen Rückkopplungen lernen und im Zeitablauf immer bessere Vorgaben generieren. Als Grundlage für die Unternehmensführung lassen sich drei Konzeptionen identifizieren, die sich an den relevanten Märkten und den Kundenbedürfnissen, an den für das Unternehmen verfügbaren Ressourcen bzw. an den betrieblichen Prozessen ausrichten: 1. Marktorientierung Wesentliches Kennzeichen der Marktorientierung ist die Konzentration auf die Herausforderungen in der Umwelt des Unternehmens. Eine marktorientierte Unternehmensführung zielt darauf ab, für die relevanten Märkte geeignete Produkte anzubieten und dabei komparative Wettbewerbsvorteile zu erreichen. Ein komparativer Wettbewerbsvorteil liegt vor, wenn das Unternehmen ein gleichwertiges Produkt zu einem geringeren Preis oder zu einem gegebenen Preis ein qualitativ besseres Produkt anbietet. Ein solcher Wettbewerbsvorteil ist von strategischer Bedeutung, wenn er sich auf eine für die Kunden wichtige Eigenschaft bezieht, von den Kunden tatsächlich wahrgenommen wird und sich dauerhaft gegenüber der Konkurrenz behaupten lässt. In Anlehnung an Porter (1980) lassen sich die folgenden, auf die Schaffung und Erhaltung von strategischen Wettbewerbsvorteilen ausgerichteten Wettbewerbsstrategien unterscheiden: • Bei der Strategie der Kosten- bzw. Preisführerschaft versucht das Unternehmen, seine Stückkosten und damit auch seine Angebotspreise unter die der Wettbewerber zu senken, um dadurch seinen Umsatz und seinen Marktanteil zu steigern. Diese Strategie eignet sich vor allem für Märkte mit homogenen Massenprodukten, bei denen der Wettbewerb im Wesentlichen über den Preis läuft. Maßnahmen zur Erzielung der Kostenführerschaft sind vor allem die Automatisierung und Rationalisierung der Produktionsprozesse, um das Gesetz der Massenproduktion auszunutzen und große Stückzahlen günstig herstellen zu können. • Die Strategie der Differenzierung bzw. Qualitätsführerschaft zielt darauf ab, dass das Unternehmen seine Produkte mithilfe der Marketinginstrumente Produktpolitik, Distribution und Kommunikation (vgl. Abschnitt 2.3.3) von dem Angebot der Konkurrenten abhebt und für sie eine Einzigartigkeitsposition schafft. Aufgrund stärkerer Präferenzen der Kunden für diese Produkte lassen sich höhere Preise durchsetzen, so dass die Kostenseite an Bedeutung verliert. Eine Differenzierungsstrategie eignet sich vor allem für heterogene Produkte in oligopolistischen Märkten. Allerdings besteht die Gefahr, dass die Wettbewerber die differenzierenden Produkteigenschaften imitieren und dadurch der Wettbewerbsvorteil verloren geht.
282
5 Die Unternehmensführung
• Einen grundsätzlich anderen Weg geht die Nischenstrategie, bei der das Unternehmen versucht, durch Verzicht auf den Vertrieb in Massenmärkten und durch Spezialisierung seiner Produkte hinsichtlich der Bedürfnisse jeweils einer bestimmten Kundengruppe Wettbewerbsvorteile gegenüber den breiter angelegten Wettbewerbern zu erzielen. Innerhalb der Nische kann zusätzlich eine Konzentration auf die Kosten- bzw. die Qualitätsführerschaft erfolgen. Diese Strategie eignet sich vor allem bei stark differenzierten Produkten und segmentierten Märkten und wird angesichts der Tendenzen zur stärkeren Individualisierung von Leistungsangeboten (mass customization) in Zukunft noch größere Bedeutung erlangen. Generell gilt, dass sich ein Unternehmen entweder auf die Kosten- oder die Qualitätsführerschaft konzentrieren sollte. Der Versuch, diese beiden Strategien miteinander zu kombinieren, führt dazu, dass beide Ziele nur unzureichend erreicht werden (stuck in the middle). Lediglich in innovativen Märkten ist es den Pionierunternehmen zumindest in der Anfangsphase möglich, im Rahmen einer hybriden Strategie Kostenführerschaft und Differenzierung miteinander zu verbinden. Bietet ein bereits besetzter Markt auf lange Sicht keine Aussicht auf eine zufrieden stellende Rentabilität, so ist eine Rückzugsstrategie angezeigt, die entweder als sofortiger Ausstieg oder als langfristig angelegtes Abschöpfen des noch erzielbaren Cashflow ausgestaltet werden kann. 2. Ressourcenorientierung Die ressourcenorientierte Unternehmensführung stellt mit den Ressourcen unternehmensinterne Faktoren in den Mittelpunkt ihrer Strategien. Wettbewerbsvorteile lassen sich mit der spezifischen Ressourcenausstattung eines Unternehmens begründen. Als Ressourcen werden sämtliche Sachverhalte bezeichnet, die zu den spezifischen Stärken und Schwächen des Unternehmens beitragen, z.B. die Maschinenausstattung, die Fertigungstechnologie, das Knowhow der Mitarbeiter, die Lieferantenbeziehungen, der Zugang zu bestimmten Märkten, der Kundenstamm, die Produkte und deren Markennamen, die Finanzierungsmöglichkeiten usw., d.h. zu den Ressourcen zählen sowohl Sachgüter als auch immaterielle Güter. Ressourcen lassen sich durch folgende Eigenschaften charakterisieren: • Wertgenerierung: Die Nutzung einer Ressource muss einen Beitrag zur Wertschöpfung des Unternehmens leisten, d.h. ihr Ertrag muss die zugehörigen Aufwendungen übersteigen. Bei einer strategischen Ressource muss zudem die Wertgenerierung dauerhaft erfolgen. • Einzigartigkeit: Wettbewerbsvorteile lassen sich in erster Linie durch unternehmensspezifische Ressourcen erzielen, über die die Wettbewerber nicht verfügen und die sich auch nicht problemlos in ein anderes Unternehmen transferieren lassen. • Nicht-Imitierbarkeit: Ressourcen sind weiter nur dann von strategischer Bedeutung, wenn sie sich durch die Wettbewerber in absehbarer Zeit nicht imitieren lassen.
5.1 Strategisches Management
283
Ergänzend zu den Ressourcen werden in diesem Management-Ansatz Kernkompetenzen betrachtet, d.h. unternehmensspezifische Fähigkeiten, die dem Unternehmen die Befriedigung von Marktbedürfnissen erlauben und ebenfalls die Eigenschaften der Einzigartigkeit und Nicht-Imitierbarkeit aufweisen. Wettbewerbsvorteile resultieren aus den Ressourcen und Kernkompetenzen dadurch, dass sie nur von dem einen Unternehmen sinnvoll kombiniert werden können und dass diese Kombination für die Wettbewerber häufig weder erkennbar noch nachvollziehbar ist. Die Aufgabe der Unternehmensführung besteht darin, die vorhandenen Wettbewerbsvorteile sinnvoll zu nutzen und ständig für den Aufbau neuer Ressourcen und Kernkompetenzen zu sorgen, um auch in Zukunft über eine erfolgversprechende Wettbewerbsposition zu verfügen. 3. Prozessorientierung Der prozessorientierte Ansatz der Unternehmensführung baut auf dem marktorientierten und dem ressourcenorientierten Ansatz auf, indem er deren externe und interne Orientierung zusammenführt. Im Mittelpunkt der prozessorientierten Unternehmensführung stehen die im Unternehmen ablaufenden Wertschöpfungsprozesse, in denen die im Unternehmen vorhandenen Ressourcen in spezifischer Weise kombiniert werden, um am Markt verwertbare Leistungen zu erstellen, durch die letztlich der Unternehmenserfolg generiert wird. Unter einem Prozess versteht man eine zielgerichtete Abfolge von Tätigkeiten, die einen bestimmten Input in einen bestimmten Output transformieren. Das Analyseinstrument des prozessorientierten Managementansatzes ist die in Abb. 5.2 dargestellte Wertkette, die sämtliche zur betrieblichen Wertschöpfung beitragenden operativen Leistungserstellungs- und -verwertungsprozesse entlang des Leistungsflusses von den Lieferanten über das Unternehmen bis hin zu den Kunden sowie die zu ihrer Unterstützung erforderlichen Aktivitäten in den hierarchisch übergeordneten Managementebenen umfasst. Die Wertkette erfordert eine an bereichsübergreifenden Prozessen ausgerichtete Ablauforganisation. Weiter müssen die betrieblichen Abläufe in strategisch relevante Tätigkeiten strukturiert werden, um deren Kostenverhalten und ihren Beitrag zur Wertschöpfung besser analysieren zu können. Die Wertkette besteht aus primären und sekundären Aktivitäten. Primäre Aktivitäten sind die operativen Prozesse, die direkt zur Wertschöpfung und damit zum Kundennutzen beitragen. Dies sind die bei der Leistungserbringung sukzessiv durchlaufenen güterwirtschaftlichen Funktionen Beschaffung, Produktion, Absatz und Entsorgung sowie in der außerhalb des Unternehmens angesiedelten Produktverwendungsphase der Service und die Wartung. Sekundäre Aktivitäten sind Managementprozesse, die die primären Aktivitäten unterstützen und damit einen indirekten Beitrag zur Wertschöpfung leisten. Hierzu zählen in erster Linie die in den nachfolgenden Abschnitten behandelten Aktivitäten des Technologie-, Personal-, Qualitäts- sowie Umwelt- und Risikomanagements. Der Unternehmenserfolg resultiert aus dem koordinierten Zusammenspiel sämtlicher primären und sekundären Aktivitäten, die über geeignete Schnittstellen koordiniert werden müssen.
284
5 Die Unternehmensführung
Sekundäre Aktivitäten
Technologiemanagement Personalmanagement Qualitätsmanagement
Entsorgung
Produktverwendung
Absatz
Produktion
Beschaffung
Umwelt- und Risikomanagement
E R F O L G
Primäre Aktivitäten Abb. 5.2 Wertkette
5.1.2
Managementinstrumente
Die langfristige Entwicklung eines Unternehmens hängt nicht nur von seiner Ressourcenausstattung und seiner Fähigkeit zur effektiven und effizienten Gestaltung von Wertschöpfungsprozessen ab, sondern auch von der Lage der Gesamtwirtschaft, der Marktsituation, dem Verhalten der Wettbewerber und anderen Umweltfaktoren. Im Folgenden werden einige Instrumente des strategischen Managements behandelt, die es der Unternehmensführung ermöglichen, die derzeitige Position und die zukünftigen Chancen des Unternehmens auf den relevanten Märkten abzuschätzen und geeignete Maßnahmen zur Sicherung eines dauerhaften Erfolgs zu entwickeln. Die Ausführungen konzentrieren sich auf die bekanntesten klassischen Management-Instrumente, da neue Trends im strategischen Management häufig recht kurzlebig sind. 1. Gap-Analyse Gegenstand der Gap-Analyse ist die Fortschreibung der Entwicklung des Unternehmens, die durch den Umsatz oder eine andere Erfolgsgröße gemessen wird, auf Basis verschiedener Szenarien. Durch den Vergleich dieser Entwicklungspfade sollen zukünftige Chancen und Probleme rechtzeitig erkannt und Maßnahmen zu ihrer Nutzung bzw. Vermeidung ergriffen werden. Zum einen wird die Entwicklung des Basisgeschäfts prognostiziert, die erwartet wird, wenn das Unternehmen keine wesentlichen Veränderungen seiner Strategien vornimmt. Wie Abb. 5.3 zeigt, steigt der Umsatz aus dem Basisgeschäft typischerweise zunächst noch an, fällt jedoch ab einem bestimmten Zeitpunkt in der Zukunft recht stark ab. Eine weitere Prognose erfolgt für das potenzielle Basisgeschäft, das sich erreichen lässt, wenn das Unternehmen operative Maßnahmen wie das Ausschöpfen von Kapazitätsreserven, zusätzliche Qualitätskontrollen oder eine Motivation der Mitarbeiter zu besseren Leistungen ergreift. Diese Kurve
5.1 Strategisches Management
285
liegt zwar über der des Basisgeschäfts, jedoch wird auch hier in Zukunft ein Umsatzrückgang erwartet. Den Abstand zwischen dem Umsatz des potenziellen Basisgeschäfts und dem des Basisgeschäfts bezeichnet man als operative Lücke, da er sich durch operative Maßnahmen schließen lässt.
Umsatz Potenzielles Basisgeschäft
Entwicklungsgrenze Neugeschäft
Basisgeschäft Basisgeschäft
Strategische Lücke Operative Lücke
Zeit
Abb. 5.3 Gap-Analyse
Ein stetiges Wachstum des Umsatzes kann nur erreicht werden, wenn das Unternehmen zusätzlich zum Basisgeschäft geeignete strategische Maßnahmen ergreift, um neue Geschäftsfelder zu erschließen. Die strategische Lücke zwischen dem Volumen des gesamten Basisgeschäfts und des Neugeschäfts lässt sich z.B. durch die Entwicklung neuer Produkte, durch den Eintritt in neue Märkte oder durch die Investition in neue Technologien schließen. Bei der Auswahl der geeigneten Maßnahmen zur Schließung der strategischen Lücke greift die Gap-Analyse auf weitere Instrumente des strategischen Managements, z.B. die AnsoffMatrix oder das Stärken/Schwächen-Profil, zurück. 2. Ansoff-Matrix Die Ansoff-Matrix gliedert die potenziellen Strategien des Unternehmens anhand der beiden Dimensionen Produkt und Markt, die jeweils die Ausprägungen „alt“ und „neu“ annehmen können. Daraus lassen sich vier strategische Alternativen ableiten, deren Umsetzung in der genannten Reihenfolge immer größere Anforderungen an das Unternehmen stellt (vgl. Abb. 5.4): • Bei der Marktdurchdringung bzw. Penetrations-Strategie wird versucht, den Marktanteil der bereits eingeführten Produkte auf den bisherigen Absatzmärkten zu erhöhen. Hierzu lassen sich vor allem absatzpolitische Maßnahmen einsetzen bzw. intensivieren.
286
5 Die Unternehmensführung Produkt alt
Markt
neu
alt
Marktdurchdringung
Produktentwicklung
neu
Marktentwicklung
Diversifikation
Abb. 5.4 Ansoff-Matrix
• Bei der Strategie der Marktentwicklung sollen für die alten Produkte neue Märkte erschlossen werden, indem zusätzliche Käufergruppen angesprochen oder neue regionale Absatzgebiete besetzt werden. Diese Strategie erfordert zusätzliche Kenntnisse über die Bedürfnisse und Strukturen der neuen Märkte sowie die Entwicklung einer geeigneten Absatzstrategie. • Die Strategie der Produktentwicklung nutzt hingegen den bestehenden Vertriebsapparat und die bereits vorhandenen Marktkenntnisse und Kundenkontakte aus, um neu entwickelte Produkte auf den bereits bedienten Märkten einzuführen. Hier liegen die wesentlichen Risiken darin, wie die neuen Produkte auf den bekannten Märkten angenommen werden. • Bei der Diversifikationsstrategie richtet das Unternehmen seine zusätzlichen Aktivitäten vollständig neu aus, es tritt mit neuen Produkten in neue Märkte ein. Diese Strategie bringt die meisten Risiken, aber auch die größten Chancen mit sich, denn im Unternehmen ist weder Know-how für die neuen Märkte vorhanden noch lässt sich auf Erfahrungen aus der vorhandenen Produktion zurückgreifen. Erfolgt die Diversifikation in Produkte derselben Fertigungsstufe, z.B. in neue Konsumgüter, so bezeichnet man dies als horizontale Diversifikation. Nimmt das Unternehmen jedoch Produkte von vor- oder nachgelagerten Fertigungsstufen in sein Produktionsprogramm auf, z.B. indem der Bezug eines Bauteils vom Fremdbezug auf Eigenfertigung umgestellt wird, so liegt eine vertikale Diversifikation vor. Liegt kein erkennbarer Bezug zu dem bisherigen Produktionsprogramm des Unternehmens vor, so spricht man von lateraler Diversifikation. Da der Aufbau neuer Geschäftsfelder und der Erwerb des dafür erforderlichen Wissens viel Zeit beanspruchen, erfolgt eine Diversifikation häufig durch Übernahme von Unternehmen, die bereits über das erforderliche Know-how verfügen. Dadurch entstehen dann horizontale, vertikale oder laterale Konzerne (vgl. Abschnitt 1.4.5). Eine Diversifikationsstrategie kann auch sinnvoll sein, wenn ein Unternehmen über liquide Mittel verfügt, für die es auf den alten Märkten und bei den alten Produkten keine lohnenden Investitionsmöglichkeiten sieht. Weiter lässt sich durch eine Diversifikation das unternehmerische Risiko verringern, da eine Risikostreuung über die unterschiedlichen Bereiche stattfindet.
5.1 Strategisches Management
287
Die in der Ansoff-Matrix zusammengestellten Strategien lassen sich einsetzen, um die in der Gap-Analyse festgestellte strategische Lücke zu schließen. Dabei wird empfohlen, zunächst das Potenzial der beiden Entwicklungsstrategien auszuschöpfen, bei denen auf vorhandene Kenntnisse und Erfahrungen zurückgegriffen werden kann, und sich erst dann der riskanteren Diversifikationsstrategie zuzuwenden. 3. Stärken/Schwächen-Profil Das Stärken/Schwächen-Profil ist ein Analyseinstrument, das die Position des Unternehmens hinsichtlich seiner kritischen Erfolgsfaktoren im Vergleich mit der Konkurrenz aufzeigt. Dabei werden die für eine solche Analyse wichtigsten Unternehmensbereiche anhand geeigneter Kriterien untergliedert und für jedes Kriterium wird die Position des Unternehmens selbst sowie des wichtigsten oder eines typischen Wettbewerbers auf einer Ordinalskala festgehalten. Die Erfassung der Unternehmenssituation erfolgt mithilfe von Checklisten und stellt eine Momentaufnahme dar, aus der sich Ansatzpunkte und Strategien für die zukünftige Unternehmensentwicklung ableiten lassen. Abb. 5.5 zeigt ein Beispiel für ein Stärken/Schwächen-Profil. Die Beurteilungen werden vom Management des Unternehmens hinsichtlich der als relevant angesehenen Bereiche und Kriterien auf einer 9-Punkte-Skala vorgenommen, wobei niedrige Punktzahlen eine schlechte und hohe Punktzahlen eine gute Bewertung bedeuten. Offensichtlich liegen die Stärken des Unternehmens in den Bereichen Produktqualität, Produktionskapazität, Qualifikation und Erfahrung des Personals sowie bei der Kostensituation. Deutliche Schwächen sind in den Bereichen Aktualität des Produktionsprogramms, technischer Stand der Anlagen, Liquidität und beim Führungssystem erkennbar. Im Vergleich zum Wettbewerber werden überwiegend schlechtere Bewertungen erreicht, wobei die Abweichungen bei den soeben genannten Schwächen besonders groß ausfallen. Deutlich bessere Bewertungen als das Vergleichsunternehmen erhält das betrachtete Unternehmen bei den Kriterien Produktivität und Qualifikation des Personals. Die zukünftigen Unternehmensstrategien sollten sich auf den Ausbau der Stärken und die Beseitigung der Schwächen konzentrieren, wobei nicht nur die absoluten Stärken von Bedeutung sind, sondern vor allem die relativen Stärken und Schwächen, d.h. die Kriterien, bei denen der Abstand zum Wettbewerber besonders ausgeprägt ist. Für die so ermittelten Aktionsfelder sind jeweils geeignete Maßnahmen zu formulieren, durch die das Unternehmen langfristig seine Wettbewerbsposition verbessern soll. Ein Problem bei der Durchführung der Stärken/Schwächen-Analyse stellt die Informationsbeschaffung dar. Während die Beurteilung der Ausprägungen der einzelnen Kriterien beim eigenen Unternehmen noch relativ leicht möglich ist, sind die entsprechenden Informationen hinsichtlich des Wettbewerbers zum Teil schwierig oder gar nicht zu beschaffen. In diesem Fall ist das Unternehmen auf Einschätzungen angewiesen, von deren Qualität die Ergebnisse wesentlich abhängen. Eine andere Möglichkeit besteht darin, die Analyse durch einen externen Berater durchführen zu lassen, der einen besseren Einblick in die Situation der Wettbewerber hat.
288
5 Die Unternehmensführung schlecht 1
Erfolgsfaktoren
2
Bewertung 3
4
5
6
gut 7
8
9
Produktionsprogramm - Aktualität - Qualität -F&E Anlagen - Kapazität - technischer Stand Produktionsprozesse - Produktivität - Effektivität Vertriebspotenzial - Marktabdeckung - Servicequalität Einkaufspotenzial - Lieferantenstruktur - Abhängigkeiten Personal - Qualifikation - Motivation - Erfahrung Finanzielles Potenzial - Rentabilität - Liquidität Standort - Kostensituation - Infrastruktur Führungssystem
Unternehmen selbst Wettbewerber Abb. 5.5 Stärken/Schwächen-Profil
Eine solche Stärken/Schwächen-Analyse liefert eine Momentaufnahme der Unternehmenssituation. Daher sollte sie nicht nur einmal durchgeführt, sondern in regelmäßigen Zeitabständen wiederholt werden, um einerseits zu überprüfen, inwiefern die strategischen Maßnahmen zum Erfolg geführt haben, und um andererseits im Zeitablauf neu aufgetretene Aktionsfelder rechtzeitig zu identifizieren.
5.1 Strategisches Management
289
Eine Erweiterung der Stärken/Schwächen-Analyse ist die SWOT-Analyse, bei der neben den Stärken (strengths) und Schwächen (weaknesses) des Unternehmens auch die aus seiner aktuellen Umweltsituation resultierenden Chancen (opportunities) und Risiken (threats) systematisch untersucht werden. 4. Benchmarking Eine Weiterentwicklung der Stärken/Schwächen-Analyse ist das Benchmarking, das ebenfalls aus dem Vergleich des eigenen Unternehmens mit anderen Unternehmen Anhaltspunkte für strategische Maßnahmen zur Verbesserung der Wettbewerbsposition gewinnen will. Der Begriff Benchmark stammt aus dem Vermessungswesen und bedeutet dort Landmarke. Bei der vorliegenden ökonomischen Anwendung ist ein Benchmark ein Vergleichs- bzw. Vorgabewert, anhand dessen das Unternehmen beurteilt wird bzw. an dem es sich ausrichtet. Das Ziel des Benchmarking besteht darin, von besonders erfolgreichen Unternehmen möglichst viel und möglichst schnell zu lernen. Durch das Benchmarking wird ein kontinuierlicher Verbesserungsprozess angestoßen, um in den strategisch wichtigen Bereichen des eigenen Unternehmens nachhaltige Erfolgspotenziale zu entwickeln. Der Ablauf eines Benchmarking-Prozesses ist in Abb. 5.6 dargestellt.
Festlegen der Benchmarking-Bereiche
Gewinnung von Benchmarking-Partnern
Durchführung der Analysen
Erarbeitung von Maßnahmen
Überprüfung des Erfolgs
Abb. 5.6 Ablauf des Benchmarking
Zunächst werden, z.B. mithilfe einer Stärken/Schwächen-Analyse, die Bereiche festgelegt, für die das Benchmarking durchgeführt werden soll. Dies können Produkte, Prozesse oder betriebliche Funktionsbereiche sein, bei denen das Unternehmen absolute oder relative Schwächen aufweist. Gleichzeitig wird bestimmt, bei welchen Kriterien eine Verbesserung erreicht werden soll. Als Zielgrößen kommen z.B. Kosten, Qualität, Zeitgrößen oder die
290
5 Die Unternehmensführung
Kundenzufriedenheit in Betracht. Im Folgenden wird als Beispiel ein Benchmarking zur Verkürzung der Lieferzeit betrachtet. Im zweiten Schritt wird nach geeigneten Benchmarking-Partnern gesucht. Hierbei sollte es sich um Unternehmen handeln, die in den Benchmarking-Bereichen eine Vorreiterstellung einnehmen (best practice), da ein Vergleich mit einem mittelmäßigen Unternehmen auch nur zu mittelmäßigen Verbesserungen führen kann. Ist ein best-practice-Unternehmen bezüglich eines Merkmals führend in seiner Branche, so wird es als „best in class“ bezeichnet; setzt es sogar Weltmaßstäbe, so liegt „business excellence“ vor. Um eine Verkürzung der Lieferzeit zu erreichen, ist das Unternehmen mit der kürzesten Lieferzeit ein geeigneter BenchmarkingPartner. Anschließend wird analysiert, warum der Benchmarking-Partner bezüglich des betrachteten Kriteriums besser abschneidet. Die relevanten Prozesse des Partnerunternehmens werden untersucht, mithilfe von Kennzahlen oder Bewertungsskalen bewertet und mit den entsprechenden Daten des eigenen Unternehmens verglichen. In unserem Beispiel wird der Lieferprozess des Benchmarking-Partners detailliert beschrieben und die Dauern der einzelnen Teilvorgänge werden als Kennzahlen festgehalten. Damit wird offensichtlich, welche Teilprozesse im eigenen Unternehmen überflüssig sind oder zu lange dauern und daher als Ansatzpunkte für Verbesserungsmaßnahmen dienen können. Im vierten Schritt werden – aufbauend auf den Erkenntnissen der Analysephase – Verbesserungsmaßnahmen erarbeitet. Dabei sollten nicht lediglich die Strukturen und Prozesse des Benchmarking-Partners imitiert, sondern auf das eigene Unternehmen zugeschnittene Strategien und Maßnahmen gesucht werden. Damit die Umsetzung der Maßnahmen nachvollziehbar ist, werden sie inhaltlich genau beschrieben, zeitlich terminiert und einem Mitarbeiter zur verantwortlichen Ausführung übertragen. Eine Verkürzung der Lieferzeit lässt sich erreichen, indem in Anlehnung an das Vorgehen des Benchmarking-Partners z.B. auf Umladevorgänge verzichtet wird oder die Liegezeiten zwischen aufeinander folgenden Transportvorgängen systematisch verkürzt werden. Zum Abschluss eines Benchmarking-Durchlaufs wird überprüft, welchen Erfolg die Umsetzung der Maßnahmen gebracht hat. Ist die Zielgröße noch nicht erreicht oder hat sich der Benchmarking-Partner in der Zwischenzeit ebenfalls weiterentwickelt, so kann ein erneuter Durchlauf des Benchmarking-Prozesses angestoßen werden. Stellt das Unternehmen fest, dass durch die eingeleiteten Maßnahmen die Lieferzeit fast bis zu dem vorgegebenen Benchmark reduziert wurde, so kann es dieses Benchmarking-Projekt als erfolgreich abgeschlossen beenden. Hat jedoch der Partner seine Lieferzeit weiter reduziert, sind weitere Anstrengungen erforderlich, um dieses neue Benchmark zu erreichen. Dasselbe gilt, wenn das Benchmark inzwischen von einem dritten Unternehmen gesetzt wird. Nach dem Umfang des Benchmarking lassen sich das interne Benchmarking, das sich auf andere Abteilungen oder Geschäftsbereiche des eigenen Unternehmens beschränkt, und das externe Benchmarking unterscheiden, das andere Unternehmen aus dem direkten oder indirekten Wettbewerbsumfeld, aus vor- und nachgelagerten Branchen oder sogar aus anderen Branchen einbezieht (vgl. Abb. 5.7).
5.1 Strategisches Management
291
Unternehmen aus Unternehmen aus indirekte direkte Internes Benchmarking Abteilungen Geschäftsbereiche Externes Benchmarking
Externes Benchmarking Wettbewerber Wettbewerber vor- und nachgelagerten Branchen anderen Branchen
Abb. 5.7 Umfang des Benchmarking
Generell gilt, dass bei einem eng gefassten Benchmarking die erforderlichen Daten leichter beschafft werden können und die Ausgangsbedingungen der Partner besser vergleichbar sind. Bei einem weit angelegten Benchmarking hingegen lassen sich in der Regel strengere Benchmarks ermitteln, so dass die Effektivität des Benchmarking größer ist. Bei einem branchenübergreifenden Benchmarking unterscheiden sich allerdings die Prozesse häufig so sehr, dass keine vergleichbaren Kennzahlen gewonnen werden können. So ist die Personalintensität in Dienstleistungsunternehmen viel höher als in Industrieunternehmen, während dort der Kapitaleinsatz dominiert. In manchen Fällen stellt die Gewinnung von Benchmarking-Partnern ein Problem dar. Während das suchende Unternehmen direkt von der Durchführung des Benchmarking-Prozesses profitiert, ist der Nutzen für das überlegene Unternehmen nicht unmittelbar erkennbar, vielmehr muss es befürchten, dass es durch die Aufdeckung seiner Geschäftsprozesse Wettbewerbsvorteile einbüßt. Andererseits können dadurch, dass man sich beim Benchmarking intensiv mit Prozessen auseinandersetzt, die bei der Abwicklung des Tagesgeschäfts keine große Beachtung finden, auch beim überlegenen Unternehmen Verbesserungspotenziale aufgedeckt werden, so dass dieses ebenfalls vom Benchmarking profitiert. In den USA wird der Wissenstransfer von überlegenen zu anderen Unternehmen dadurch begünstigt, dass die Gewinner des jährlich vergebenen Malcolm Baldridge National Quality Award verpflichtet sind, ihre Erfahrungen auch im Rahmen des Benchmarking an andere Unternehmen weiterzugeben.
292
5 Die Unternehmensführung
5. Produktlebenszyklus Das Konzept des Produktlebenszyklus geht davon aus, dass der Umsatz und der Gewinn eines Produkts im Zeitablauf einen idealtypischen Verlauf aufweisen. Die Dauer eines Produktlebenszyklus hängt von der Art des Produkts ab, sie reicht von wenigen Monaten bei Modeartikeln oder elektronischem Spielzeug bis zu vielen Jahren bei langlebigen Investitionsgütern. Anhand charakteristischer Punkte der Umsatz- bzw. Gewinnkurve lässt sich der Produktlebenszyklus in mehrere Phasen einteilen (vgl. Abb. 5.8):
Umsatz Gewinn Entwicklung
Einführung
Wachstum
Sättigung
Degeneration
Umsatz Gewinn
Zeit
Abb. 5.8 Produktlebenszyklus
• Vor der Markteinführung des Produkts liegt die Entwicklungsphase, in der noch kein Umsatz und kein Gewinn anfallen, vielmehr entstehen hohe Aufwendungen für die Produktentwicklung und die Vorbereitung der Markteinführung. • Die Einführungsphase beginnt mit der Markteinführung und endet mit dem Erreichen der Gewinnschwelle, d.h. zu dem Zeitpunkt, in dem der Umsatz erstmals die Kosten abdeckt. In dieser Phase ist der Umsatz bereits positiv, der Gewinn jedoch aufgrund von Anlaufverlusten noch negativ. • In der anschließenden Wachstumsphase durchdringt das Produkt den Markt mehr und mehr, sie ist durch ein starkes Wachstum von Umsatz und Gewinn gekennzeichnet. Sie beginnt mit der Gewinnschwelle und endet in dem Zeitpunkt, in dem das Umsatzwachstum sein Maximum bzw. die Umsatzkurve ihren Wendepunkt hat.
5.1 Strategisches Management
293
• Die Sättigungsphase ist durch weiterhin steigende Umsätze gekennzeichnet, jedoch verlangsamt sich das Umsatzwachstum aufgrund zunehmender Marktsättigung. Sie endet mit dem Erreichen des Umsatzmaximums. In der Regel liegt in dieser Phase auch das Gewinnmaximum. • Die Degenerationsphase als letzte Phase des Produktlebenszyklus weist sinkende Umsätze und Gewinne auf, da das Produkt immer weniger gekauft wird. Sie beginnt beim Umsatzmaximum und endet spätestens dann, wenn das Produkt keinen Gewinn mehr erwirtschaftet. In den einzelnen Phasen sind unterschiedliche Entscheidungen zu treffen: Stellt sich in der Einführungsphase heraus, dass das Produkt nicht den erwarteten Erfolg haben wird, da z.B. das Erreichen der Gewinnschwelle länger als geplant dauert, so sollte es frühzeitig wieder vom Markt genommen werden. In der Wachstums- und Reifephase muss sich das Unternehmen auf die Ausweitung des Marktanteils und die Verteidigung der erreichten Wettbewerbsposition konzentrieren. Weiter sollte die Reifephase z.B. durch regelmäßige Aktualisierung des Produkts möglichst lange ausgedehnt werden, um die dort erzielten Gewinne bzw. Cashflows abschöpfen zu können. Innerhalb der Degenerationsphase muss das Unternehmen die Entscheidung treffen, wann es das Produkt vom Markt nehmen will. Eine frühzeitige Produktelimination erfolgt z.B. dann, wenn das Produkt durch ein Nachfolgemodell ersetzt werden soll oder wenn die Produktionskapazitäten für andere, erfolgversprechendere Produkte benötigt werden. Der Produktlebenszyklus für dauerhafte Konsumgüter lässt sich mithilfe von Diffusionsprozessen durch die verschiedenen Käuferschichten begründen: Nach der Markteinführung wird ein neues Produkt z.B. aus der Unterhaltungselektronik zunächst von der Gruppe der Innovatoren gekauft, die über eine große Kaufkraft verfügen und aufgeschlossen für Produktinnovationen sind. In der Wachstumsphase folgt dann die Gruppe der frühen Anwender, die den Lebensstil der Innovatoren nachahmen wollen und daher ebenfalls die von diesen als aktuell angesehenen Produkte kaufen. In der Reifephase verbreitet sich das Produkt aufgrund von sozialen Ansteckungsprozessen immer weiter, bis es die Mehrheit der potenziellen Kunden, die nur ausgereifte Produkte kaufen wollen, erworben hat. Käufe in der Degenerationsphase werden durch die Gruppe der Nachzügler getätigt, die ein Produkt erst dann kaufen, wenn sie es kaum noch umgehen können. Im Rahmen der strategischen Planung wird der Produktlebenszyklus eingesetzt, um die zukünftigen Absatzchancen eines Produkts zu beurteilen. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass in der Realität zum einen der Verlauf der in Abb. 5.8 angegebenen Kurven sich nicht ex ante bestimmen lässt, so dass keine Wendepunkte und Maxima berechnet werden können, und zum anderen auch die Bestimmung der aktuellen Position eines Produkts innerhalb des Produktlebenszyklus große Schwierigkeiten bereitet. Die Grundidee des Produktlebenszyklus, dass die Entwicklung des Absatzvolumens eines Produkts im Zeitablauf charakteristischen Schwankungen unterliegt, lässt sich auch auf Märkte und Technologien übertragen. Der Marktlebenszyklus beschreibt die Entwicklung eines gesamten Markts anhand der Veränderung seiner Wachstumsrate im Zeitablauf, man
294
5 Die Unternehmensführung
unterscheidet hierbei eine Einführungs-, Wachstums-, Stagnations- und Schrumpfungsphase. Die Information, in welcher Phase sich ein Markt befindet, ist von großer Bedeutung für produktbezogene Entscheidungen. So wird ein Unternehmen keine Produktneueinführung mehr vornehmen, wenn sich der Markt bereits in seiner Stagnations- oder Schrumpfungsphase befindet. Gegenstand des Technologielebenszyklus ist die Beschreibung der Ausbreitung einer Technologie im Zeitablauf, die zunächst durch eine stark zunehmende Anzahl an Anwendungen in der Anfangsphase, dann durch eine Reifephase mit konstantem Anwendungsbestand und schließlich durch eine Degenerationsphase mit zurückgehenden Anwendungen gekennzeichnet ist. Dieser Ablauf lässt sich durch die durch zusätzliche Investitionen mögliche Leistungssteigerung bei der Technologie begründen: Zu Beginn des Lebenszyklus lässt sich die Leistungsfähigkeit der Technologie mit relativ geringen Investitionen erheblich steigern. Mit zunehmendem Leistungsstandard gehen die Leistungszuwächse, die aus einer bestimmten Investitionssumme resultieren, jedoch immer mehr zurück, so dass in der Regel ein Wechsel zu einer neuen Technologie vollzogen wird, die sich noch am Anfang ihres Lebenszyklus befindet (vgl. Abb. 5.9).
Leistungsfähigkeit der Technologie
Zeit Abb. 5.9 Technologieentwicklung
6. Erfahrungskurve Die Erfahrungskurve beschreibt die Entwicklung der Kostenstruktur eines Produkts im Zeitablauf. Dabei lässt sich feststellen, dass die Stückkosten aufgrund der bei der Produktion gewonnenen Erfahrungen eine fallende Tendenz aufweisen. Empirische Untersuchungen, die bereits in den 1930er Jahren in der amerikanischen Flugzeugindustrie durchgeführt wurden, haben gezeigt, dass die Stückkosten mit jeder Verdopplung der kumulierten Produktions-
5.1 Strategisches Management
295
menge um 20% bis 30% zurückgehen (vgl. Abb. 5.10). Dieses auch in anderen Branchen feststellbare Kostensenkungspotenzial kann als Basis für strategische Entscheidungen herangezogen werden.
Stückkosten
Kumulierte Menge
Abb. 5.10 Verlauf der Erfahrungskurve
Grundlage der in Abb. 5.10 dargestellten Erfahrungskurve sind Lernvorgänge, die bewirken, dass die Mitarbeiter die einzelnen Verrichtungen bei der Produktion immer schneller und besser durchführen. Aufgrund der sinkenden Ausführungszeiten und einer geringeren Ausschussquote sinken auch die Kosten je produzierter Einheit. Die Erfahrungskurve lässt sich wie folgt formalisieren: Wenn sich eine Ausgangsmenge x 0 mit Stückkosten in Höhe von k 0 produzieren lässt, dann belaufen sich bei einer Lernrate von (1 − α ) % die Stückkosten einer Produktionsmenge x, die das 2 n -fache von x 0 beträgt, auf: x = 2n ⋅ x0
⇒
k (x ) = (1 − α )n ⋅ k 0
Logarithmieren ergibt für x 0 = 1 :
( )
k (n ) = n ⋅ log 2 (1 − α ) + log 2 k 0
Die angegebene Form der Erfahrungskurve basiert somit auf einer linearen Lernhypothese. Auch wenn sich dieser strenge Zusammenhang von Ausbringungsmenge und Stückkosten in der Regel nicht exakt nachweisen lässt, ist die Tendenz zur Verringerung der Stückkosten mit wachsender Ausbringungsmenge vielfach festzustellen. Als Begründung kann man neben den bereits erläuterten Lernvorgängen eine Reihe anderer Effekte heranziehen (vgl. Abb. 5.11):
296
5 Die Unternehmensführung Erfahrungskurve
Lerneffekte
Skaleneffekte
Lernvorgänge Betriebsgrößeneffekt
Degressionseffekt Preiseffekt
Technischer Fortschritt
Abb. 5.11 Ursachen der Erfahrungskurve
• Zu den langfristig angelegten Lerneffekten zählen außer den bereits angesprochenen Lernvorgängen der Betriebsgrößeneffekt und der technische Fortschritt. Der Betriebsgrößeneffekt bedeutet, dass das Unternehmen für die Herstellung höherer Produktionsmengen größere Maschinen mit höherer Produktivität und geringeren Stückkosten anschaffen kann. Durch den technischen Fortschritt (vgl. Abschnitt 5.2.1) erfolgt eine Weiterentwicklung der Technologie im Zeitablauf, die ebenfalls die Produktivität erhöht und damit die Stückkosten senkt. • Im Gegensatz zu den dynamischen Lerneffekten lassen sich die Skaleneffekte auch kurzfristig realisieren. Hierzu zählt zum einen der Stückkostendegressionseffekt. Dieser besagt, dass bei einer größeren Produktionsmenge die anteiligen Fixkosten je Stück und damit auch die Stückkosten fallen, selbst wenn sich die variablen Stückkosten nicht verändern (zu den Kostenbegriffen vgl. Abschnitt 4.3.1). Zum anderen kann bei der Herstellung größerer Produktionsmengen ein Preiseffekt auftreten, indem die Lieferanten der fremdbezogenen Materialien bei einer größeren Bestellmenge einen Rabatt einräumen, durch den sich die Stückkosten reduzieren. Das aufgrund der Erfahrungskurve erwartete Kostensenkungspotenzial lässt sich z.B. bei der strategischen Bestimmung des Einführungspreises für ein neues Produkt einsetzen (vgl. auch Abschnitt 4.3.5). Ein Preis nahe an den oder sogar unterhalb der Selbstkosten kann die Wettbewerber davon abhalten, ebenfalls in den Markt einzutreten. Kommt es aufgrund der Monopolstellung des Unternehmens in seinem Markt zu einem schnellen Anstieg der kumulierten Produktionsmenge, so sinken recht bald auch die Kosten so weit ab, dass das Produkt einen zufrieden stellenden Erfolgsbeitrag liefert. Ein weiterer möglicher Einsatzbereich der Erfahrungskurve liegt bei der Bestimmung der Vorgabezeiten für einzelne Fertigungsvorgänge an die Mitarbeiter. Üblicherweise werden diese Vorgabezeiten vergangenheitsorientiert aus Beobachtungen und Berechnungen abgeleitet (REFA-Methode) und ihre Einhaltung oder Unterschreitung stellt für die Mitarbeiter keine sonderliche Herausforderung dar. Reduziert man jedoch die Vorgabezeiten anhand
5.1 Strategisches Management
297
einer moderat angesetzten Lernrate von z.B. 95% und koppelt deren Einhaltung mit einem Anreizsystem, so ist die Motivationswirkung ungleich höher. Allerdings ist zu beachten, dass die Erfahrungskurve kein allgemeingültiges Gesetz darstellt, aus dem sich automatisch Kostensenkungen ergeben, sondern lediglich Kostensenkungspotenziale anzeigt. Um diese Potenziale vollständig zu erschließen, muss das Unternehmen sämtliche sich bietenden Rationalisierungs- und Innovationsmöglichkeiten ausnutzen und zum Teil auch Reorganisationsmaßnahmen einleiten. 7. Portfolio-Konzepte Unter einem Portfolio versteht man im strategischen Management eine zweidimensionale Matrix, in der der Zusammenhang zwischen einer vom Unternehmen direkt beeinflussbaren Größe (interne Dimension) und einer nicht direkt beeinflussbaren Größe (externe Dimension) dargestellt wird. Durch Einordnung der jeweils relevanten Objekte (Produkte, Anlagen, Standorte, Investitionsprojekte usw.) in die Matrix kann man erkennen, in welchen Feldern das Unternehmen gut positioniert ist, und Strategien hinsichtlich der weiteren Entwicklung ableiten. Eines der bekanntesten Portfolio-Konzepte ist das Marktanteils/Marktwachstums-Portfolio der Boston Consulting Group (BCG), einer großen amerikanischen Unternehmensberatungsgesellschaft. Dieses Konzept greift auf die zuvor behandelten Instrumente des Produktlebenszyklus und der Erfahrungskurve zurück, um die derzeitige Position und die zukünftigen Strategien für die strategischen Geschäftseinheiten des Unternehmens zu bestimmen. Unter einer strategischen Geschäftseinheit versteht man eine Produkt/Markt-Kombination, d.h. eine betriebliche Einheit mit Absatz- und Kostenverantwortung, die ein bestimmtes Produktbündel auf einem bestimmten Markt anbietet. Die beiden Dimensionen der BCG-Matrix sind das Marktwachstum als externe und der relative Marktanteil als interne Dimension, die jeweils die Ausprägungen „hoch“ und „niedrig“ annehmen können. Das Marktwachstum gilt als hoch, wenn es größer als das durchschnittliche Wachstum der Gesamtwirtschaft ist, als langjähriger Mittelwert werden hierfür vielfach 5% angesetzt. Ein hohes Marktwachstum liegt häufig bei neu eingeführten Produkten vor, die sich in der Einführungs- oder Wachstumsphase ihres Produktlebenszyklus befinden, während Märkte für Produkte in der Sättigungs- oder Degenerationsphase eher unterdurchschnittlich wachsen. Der relative Marktanteil ist definiert als Quotient aus dem eigenen Marktanteil und dem Marktanteil des stärksten Konkurrenten: relativer Marktanteil =
eigener Marktanteil Marktanteil des stärksten Konkurrenten
Er wird als hoch angesehen, wenn das Unternehmen mit seinem Produkt auf einem Markt der Marktführer ist, d.h. bei Werten über eins. Der relative Marktanteil nimmt zu, wenn die eigene Absatzmenge stärker steigt als die der Wettbewerber. Ein solcher Anstieg kann insbe-
298
5 Die Unternehmensführung
sondere auf Preissenkungen zurückgehen, die aus Kostensenkungen aufgrund der Erfahrungskurve resultieren.
Marktwachstum
Question Marks
Stars
Dogs
Cash Cows
niedrig
hoch
Durch Kombination der jeweils zwei Ausprägungen der beiden Kriterien Marktwachstum und relativer Marktanteil ergibt sich eine 4-Felder-Matrix. Die verschiedenen strategischen Geschäftseinheiten des Unternehmens werden entsprechend ihren Kriterienausprägungen in die in Abb. 5.12 angegebene Portfolio-Matrix eingetragen, die Größe der Kreise gibt den jeweils erzielten Umsatz an.
niedrig
hoch
Relativer Marktanteil Abb. 5.12 Marktanteils/Marktwachstums-Portfolio
Für die den einzelnen Matrixfeldern zugeordneten strategischen Geschäftseinheiten werden die folgenden Strategien empfohlen: • Question Marks sind typischerweise Produkte in der Einführungsphase, deren Markterfolg noch nicht feststeht. Sie weisen einen niedrigen relativen Marktanteil und ein hohes Marktwachstum auf. Um ihren Marktanteil zu erhöhen und das Produkt zu einem Star werden zu lassen, sind Investitionen in Marketingaktionen und den Ausbau der Produktionskapazitäten erforderlich. Erscheint der Abstand zum Marktführer als zu groß, so sollte das Produkt unter Abschöpfung des erzielbaren Cashflows aus dem Markt genommen werden, es wird zum Dog. • Stars sind Produkte in der Wachstumsphase, bei denen das Unternehmen Marktführer ist. Aufgrund des hohen Marktwachstums kann man die Absatzmenge schnell erhöhen und die Kosten aufgrund des Erfahrungskurveneffekts senken. Um die Star-Position zu verteidigen, müssen die Produktions- und Absatzkapazitäten weiter ausgebaut werden, d.h. auch diese Produkte benötigen erhebliche finanzielle Mittel.
5.1 Strategisches Management
299
• Tritt das Produkt in seine Sättigungsphase ein, ohne dass die Marktführerschaft verloren geht, so wird der Star zur Cash Cow. Aufgrund des nunmehr geringen Marktwachstums reichen die bereits aufgebauten Kapazitäten aus und weitere Investitionen sind nicht erforderlich. Vielmehr können durch diese strategischen Geschäftseinheiten finanzielle Überschüsse generiert werden, die sich für die bei den Question Marks und den Stars erforderlichen Investitionen einsetzen lassen. • Dogs sind Produkte in der Degenerationsphase, die bei stagnierendem Marktwachstum nur über einen geringen relativen Marktanteil verfügen. Solange das Marktvolumen ausreicht, sollte hier der Cashflow abgeschöpft werden, andernfalls sollte sich das Unternehmen aus dem Markt zurückziehen. Das Ziel des Unternehmens besteht darin, jederzeit über ein ausgewogenes Portfolio von strategischen Geschäftseinheiten zu verfügen, bei dem der Cashflow der reifen Produkte ausreicht, um den Finanzbedarf der zukunftsträchtigen Produkte abzudecken. Dazu ist es erforderlich, einerseits ständig neue Produkte zu entwickeln, die das Potenzial haben, sich zu Stars und Cash Cows zu entwickeln, und andererseits die Produkte in der Dog-Position rechtzeitig vom Markt zu nehmen. Das Marktanteils/Marktwachstums-Portfolio lässt sich nicht nur zur Bestandsaufnahme hinsichtlich der Situation des Unternehmens in einem bestimmten Zeitpunkt einsetzen, sondern auch zur Beurteilung der Unternehmensentwicklung im Zeitablauf, indem die geplanten und die tatsächlich realisierten Positionen der einzelnen strategischen Geschäftseinheiten miteinander verglichen werden. Seine wesentliche Bedeutung liegt in der Beschreibung der relativen Wettbewerbssituation eines Unternehmens und der Ableitung von strategischen Maßnahmen. Nach dem Grundprinzip des Marktanteils/Marktwachstums-Portfolios der Boston Consulting Group wurde für das strategische Management eine Reihe anderer Portfolio-Konzepte entwickelt, die sich hinsichtlich der Bezeichnung und Messung der Dimensionen sowie bei der Anzahl der Merkmalsausprägungen voneinander unterscheiden, einige werden in den nachfolgenden Abschnitten vorgestellt. Trotz ihrer weiten Verbreitung stoßen diese PortfolioKonzepte auch auf Kritik. Als problematisch werden vor allem folgende Punkte angesehen: • Die Aggregation der vielfältigen realen Einflussgrößen auf zwei Dimensionen ist zu undifferenziert. • Die Auswahl der Dimensionen wird meist gar nicht oder aber nur unzulänglich begründet. • Durch die schematische Zuordnung bestimmter Strategien zu den in den einzelnen Feldern positionierten Objekten lassen sich die Besonderheiten des jeweiligen Falls nur unzureichend berücksichtigen.
300
5.2
5 Die Unternehmensführung
Technologiemanagement
Entscheidungen hinsichtlich der Entwicklung und des Einsatzes von Technologien sind von großer Bedeutung für die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit von Industrieunternehmen. Abschnitt 5.2.1 befasst sich mit der Begriffsabgrenzung und der Ableitung der grundsätzlichen Technologiestrategie, Abschnitt 5.2.2 geht auf die Bestimmung der Kapazitätsstrategie ein und in Abschnitt 5.2.3 werden strategische Entscheidungen hinsichtlich der Standortwahl eines Unternehmens behandelt.
5.2.1
Technologiestrategien
Unter einer Technologie versteht man ein bestimmtes Know-how bzw. Problemlösungswissen, d.h. die Kenntnis von naturwissenschaftlichen bzw. ingenieurwissenschaftlichen Wirkungszusammenhängen, die als Lösungsprinzipien für Anwenderprobleme dienen können. Neue Technologien können sich als Produkttechnologien auf die Entwicklung von Produkten oder als Prozess- bzw. Produktionstechnologien auf die Entwicklung und Anwendung von Produktionsverfahren beziehen. So erlaubt z.B. die Beherrschung der Brennstoffzellentechnologie die Entwicklung entsprechender Energieversorgungs- und Antriebssysteme sowie der zugehörigen Produktionsverfahren. Als Technik bezeichnet man hingegen die Anwendung einer Technologie, bei der das Problemlösungswissen in wirtschaftlich verwertbare Produkte umgesetzt wird. Das Ergebnis der Entwicklung neuer Technologien bzw. von technischen Anwendungen wird als technischer Fortschritt bei den zugehörigen Produkten und Produktionsverfahren wahrgenommen. So weisen Personal Computer aufeinander folgender Generationen unterschiedliche Prozessortypen auf, die teilweise auf verschiedenen Technologien basieren, teilweise eine Weiterentwicklung der zuvor eingesetzten Technologie darstellen. Neue Technologien können auf verschiedene Weise in das Unternehmen gelangen: Während Großunternehmen häufig eigene Forschungs- und Entwicklungsabteilungen unterhalten, die systematisch sowohl die technischen Grundlagen als auch neue Anwendungen erforschen, ist dieser Weg kleinen und mittelständischen Unternehmen in der Regel aus Kostengründen versperrt. Eine Alternative ist die Kooperation mehrerer Unternehmen bei der Technologieentwicklung, wie sie z.B. in Entwicklungszentren erfolgt. Auch staatliche Forschungseinrichtungen und Hochschulen können z.B. über auftragsbezogene Drittmittelforschung an der Technologieentwicklung für ein Unternehmen beteiligt sein. Weiter kann sich ein Unternehmen die Rechte an einer neuen Technologie sichern, indem es die zugehörigen Patente oder Lizenzen erwirbt. Schließlich besteht die Möglichkeit, eine neue Technologie durch den Erwerb einer Beteiligung an einem anderen Unternehmen, das diese entwickelt oder in Gebrauch hat, zu nutzen. Zur Ableitung einer Technologiestrategie lässt sich die in Abb. 5.13 dargestellte Technologiestrategie-Matrix einsetzen, die analog zur Produkt/Markt-Betrachtung der Ansoff-Matrix
5.2 Technologiemanagement
301
(vgl. Abschnitt 5.1.2) zwischen bekannten und neuen Produkten sowie bekannten und neuen Produktionsprozessen unterscheidet. Produkt bekannt
neu
bekannt
Produkt- bzw. Prozessintensivierung
Produktinnovation
neu
Prozessinnovation
Technologieinnovation
Prozess
Abb. 5.13 Technologiestrategiematrix
• Handelt es sich um die Herstellung bekannter Produkte mit bekannten Produktionsprozessen, so empfiehlt sich eine Strategie der Produkt- bzw. Prozessintensivierung. Dabei wird eine bereits bekannte Technik intensiv genutzt und möglichst effizient bei der Produktion von bereits eingeführten Produkten eingesetzt. Durch eine Standardisierung der Produkte lassen sich die Produktionsprozesse rationalisieren, während man durch Produktvariationen für den zukünftigen Markterfolg der Produkte sorgt. • Die Strategie der Produktinnovation bedeutet, dass neue Produkte entwickelt werden, die mit bekannten Produktionsprozessen zu wettbewerbsfähigen Kosten gefertigt werden können. Hierbei konzentriert sich die Forschung und Entwicklung des Unternehmens auf die Produktseite. Durch die frühzeitige Einführung neuartiger Produkte mit einem überlegenen Preis/Leistungsverhältnis ergeben sich gute Marktchancen gegenüber den Wettbewerbern. • Bei der Strategie der Prozessinnovation liegt der Schwerpunkt auf der Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit des Fertigungssystems, indem Anlagen, die sich auf dem neuesten Stand der technischen Entwicklung befinden, bei der Herstellung des bisherigen Produktionsprogramms eingesetzt werden. Wettbewerbsvorteile können aus geringeren Stückkosten bei erhöhter Produktivität der Anlagen oder aus einer größeren Flexibilität gegenüber Kundenwünschen resultieren. • Am risikoreichsten ist die Strategie der Technologieinnovation, bei der auf keinerlei Erfahrungen aufgebaut werden kann. Es werden gleichzeitig neuartige Produkte und neue Produktionsverfahren eingeführt. Hierfür ist es erforderlich, dass im Unternehmen umfangreiches technologisches Know-how vorhanden ist, das durch Lernprozesse schnell an die Mitarbeiter weitergegeben wird. Es lässt sich beobachten, dass im Laufe der Entwicklung eines Produktionszweigs typischerweise zunächst Produktinnovationen vorherrschen, während später, wenn die Produkte
302
5 Die Unternehmensführung
ausgereift sind, Prozessinnovationen dominieren. Nach einer anschließenden Phase der Produkt- und Prozessintensivierung erfolgt dann über eine Technologieinnovation eine Verlagerung der Wertschöpfung auf einen neuen Produktionszweig. Zur Bestimmung der Technologiestrategie gehört weiterhin die Entscheidung, welche der im Unternehmen vorhandenen oder am Markt verfügbaren Produkt- und Prozesstechnologien in Zukunft ausgebaut oder zurückgefahren werden sollen. Diese Entscheidung lässt sich durch das in Abb. 5.14 dargestellte Technologie-Portfolio unterstützen, das die einzelnen Technologien hinsichtlich ihrer Attraktivität und der jeweiligen Ressourcenstärke des Unternehmens beurteilt.
mittel niedrig
Technologieattraktivität
hoch
Investitionsstrategien
Selektive Strategien
Desinvestitionsstrategien
gering
mittel
hoch
Ressourcenstärke Abb. 5.14 Technologie-Portfolio
Die Technologieattraktivität ist die externe Dimension dieses Portfolios. Sie hängt vom derzeitigen und potenziellen Anwendungsspektrum einer Technologie ab, aus dem sich ihre Relevanz für die zukünftige Wettbewerbsposition des Unternehmens ergibt. Sie wird in die drei Kategorien „hoch“, „mittel“ und „gering“ eingeteilt, die sich wie folgt klassifizieren lassen: Eine Technologie mit hoher Attraktivität weist ein sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht breites Anwendungsspektrum sowie die Möglichkeit zur Anpassung an veränderte Anforderungen auf. Mittlere Technologieattraktivität liegt vor, wenn sich eine Technologie nur noch beschränkt weiterentwickeln lässt und eine neue Substitutionstechnologie bereits absehbar ist. Wenn die Zahl der Anwendungen einer Technologie ständig zurückgeht und keine Möglichkeiten zur Leistungsverbesserung mehr gesehen werden, liegt eine geringe Technologieattraktivität vor.
5.2 Technologiemanagement
303
Die Ressourcenstärke als interne Dimension des Portfolios beschreibt die spezifischen Stärken und Schwächen des Unternehmens in den als besonders wichtig erachteten Bereichen der finanziellen Mittel und des Know-hows. Steht beides in ausreichendem Maße für den derzeitigen und zukünftigen Bedarf zur Verfügung, so liegt eine hohe Ressourcenstärke vor. Ist eine Komponente nur unzureichend vorhanden, lässt sich diese Lücke jedoch in absehbarer Zeit durch Lernprozesse oder zusätzliche Finanzierungsquellen schließen, wird die Ressourcenstärke als „mittel“ beurteilt. Eine geringe Ressourcenstärke liegt vor, wenn eine grundlegende Ressourcenlücke in einem oder beiden Bereichen besteht, die sich auf mittlere Sicht nicht beseitigen lässt. Aus der Position der vorhandenen Technologien innerhalb des Portfolios lassen sich folgende Strategieempfehlungen ableiten: • Bei Technologien, die bezüglich einer Dimension eine hohe Position und bezüglich der anderen Dimension mindestens eine mittlere Position aufweisen, sollten zusätzliche Investitionen in die Produkt- oder Prozesstechnologie vorgenommen werden, um angesichts der attraktiven Marktbedingungen die Ressourcenstärke zu halten oder sogar auszubauen. • Hingegen empfiehlt sich eine Desinvestitionsstrategie für Technologien, die bezüglich einer Dimension eine geringe und bezüglich der anderen Dimension allenfalls eine mittlere Position aufweisen. Hier sind durch zusätzliche Investitionen keine grundlegenden Verbesserungen der betrieblichen Leistungsfähigkeit zu erwarten, während die freigesetzten Mittel in attraktiveren Bereichen bessere Verwendung finden können. • Für Technologien, die in den Feldern auf der Diagonale der Matrix positioniert sind, gibt es keine derart eindeutige Strategieempfehlung, sondern es muss eine gesonderte Beurteilung jeweils angesichts der spezifischen Situation erfolgen. Dies wird als selektive Strategie bezeichnet. Von großer Bedeutung für die Technologieposition eines Unternehmens ist, dass es neue Entwicklungen und Trends rechtzeitig erkennt und aufgreift, um seine zukünftige Wettbewerbsposition zu sichern.
5.2.2
Kapazitätsstrategien
Als Kapazität bezeichnet man allgemein das Leistungsvermögen einer wirtschaftlichen oder technischen Einheit beliebiger Art, Größe und Struktur in einem bestimmten Zeitabschnitt. Dabei stellt man in der Regel auf die maximale Leistungsfähigkeit ab, da diese technisch eindeutig determiniert ist. Die Kapazität einer Anlage ergibt sich als Produkt aus ihrer maximalen Leistungsintensität, ihrem Leistungsquerschnitt und ihrer maximalen Nutzungsdauer. Das Verhältnis der während einer Periode tatsächlich abgegebenen Leistung zur maximal möglichen Leistung einer Anlage bezeichnet man als Kapazitätsnutzungsgrad, dieser ist eine wichtige Kennzahl in der Anlagenwirtschaft.
304
5 Die Unternehmensführung Kapazitätsnutzungsgrad =
tatsächliche Leistung maximale Leistung
Der optimale Kapazitätsnutzungsgrad liegt aufgrund der überproportional ansteigenden Stückkosten bei intensitätsmäßiger Anpassung (vgl. Abschnitt 2.2.1.2) unterhalb der vollständigen Kapazitätsnutzung. Er lässt sich technisch oder ökonomisch dadurch bestimmen, dass die Produktion mit dem wirtschaftlichsten Faktorverbrauch bzw. mit den geringsten Kosten erfolgt. Eine Unterschreitung des optimalen Kapazitätsnutzungsgrads bedeutet Unwirtschaftlichkeit aufgrund einer unzureichenden Auslastung der verfügbaren Anlagen und damit ansteigender Stückkosten, seine Überschreitung führt zu höherem Energieverbrauch, einer erhöhten Abnutzung der Anlagen und häufig auch zu einer höheren Ausschussquote bzw. einer geringeren Produktqualität. Neben der quantitativen Kapazität, die auf die Menge der von einer Anlage abzugebenden Leistungen abstellt, spricht man auch von einer qualitativen Kapazität im Sinne der Vielfalt unterschiedlicher Leistungen, die die Anlage erbringen kann. Während eine hohe quantitative Kapazität die Produktivität des Unternehmens positiv beeinflusst, resultiert aus einer hohen qualitativen Kapazität der Anlagen eine hohe Flexibilität der Produktion und damit die Möglichkeit zur Anpassung an individuelle Kundenanforderungen. Die Kapazitätsstrategie eines Unternehmens zielt darauf ab, angesichts der erwarteten Marktentwicklung seine Kapazitäten quantitativ und qualitativ so zu gestalten, dass es seine Wettbewerbsposition halten oder sogar verbessern kann. Eine zu geringe Kapazität hat zur Folge, dass das Unternehmen potenzielle Nachfrage an die Konkurrenz verliert und die damit verbundenen Erträge einbüßt. Weiter können negative Imagewirkungen auftreten. Bei Überkapazitäten kommt es ebenfalls zu Ertragseinbußen, da entweder aufgrund der unzureichenden Kapazitätsauslastung die Stückkosten steigen oder – wenn das Unternehmen seine gesamte Produktionsmenge am Markt anbietet – die Preise sinken. Bei der Dimensionierung der Kapazitäten sind daher diese beiden gegenläufigen Kosteneffekte angemessen zu berücksichtigen. Weiter ist darauf zu achten, dass die Kapazitäten der verschiedenen Anlagen, die bei einer mehrstufigen Fertigung an der Produktion beteiligt sind, hinreichend aufeinander abgestimmt sind. Generell gilt, dass die Produktionsmenge des Unternehmens durch die Kapazität der Anlage, die den Engpasssektor darstellt, begrenzt wird. Gleichzeitig kommt es zur Unterauslastung und damit zu Leerkosten an den anderen Anlagen. Nach dem Ausgleichsgesetz der Planung muss die Unternehmensführung ihre Planungsanstrengungen auf den jeweiligen Engpassbereich konzentrieren, um durch dessen Lockerung das Leistungsvermögen des gesamten Unternehmens zu steigern. Ausgangspunkt der Kapazitätsgestaltung ist die erwartete Entwicklung der Produktionsanforderungen. Bleiben diese langfristig konstant und schwankt die Nachfrage lediglich kurzbis mittelfristig um ein bestimmtes Niveau, so sollte das Unternehmen mit den von Gutenberg vorgeschlagenen Maßnahmen der zeitlichen, quantitativen oder intensitätsmäßigen Anpassung der Fertigungsanlagen (vgl. Abschnitt 2.2.1.2) bzw. mit der Fremdvergabe von Aufträgen darauf reagieren. Erst wenn eine langfristige Erhöhung oder Verringerung der
5.2 Technologiemanagement
305
Nachfrage erwartet wird, kommen die nachfolgend dargestellten Kapazitätsstrategien zum Einsatz. Zur Beurteilung der langfristigen Kapazitätsstrategien ist es erforderlich, die zugehörigen Auszahlungen und Einzahlungen möglichst exakt zu prognostizieren und mit dynamischen investitionstheoretischen Methoden (vgl. Abschnitt 3.2.3) die Wirtschaftlichkeit der Anlagen ex ante zu beurteilen. Dabei ist eine Abstimmung mit anderen strategischen Entscheidungen, insbesondere der Technologiestrategie (vgl. Abschnitt 5.2.1) und der Standortstrategie (vgl. Abschnitt 5.2.3) erforderlich. Abb. 5.15 gibt einen Überblick über die grundsätzlich zur Verfügung stehenden Kapazitätsstrategien.
Kapazitätsstrategie
Kapazitätserweiterung
Multiple Kapazitätserweiterung
Mutative Kapazitätserweiterung
Kapazitätsabbau
Abbau ohne Belegschaftsverminderung
Abbau mit Belegschaftsverminderung
Abb. 5.15 Kapazitätsstrategien
Ist langfristig mit zunehmender Nachfrage in einem Produktfeld zu rechnen, so empfiehlt sich eine Strategie der Kapazitätserweiterung, d.h. ein Ausbau der Kapazitäten. Dieser kann entweder als multiple bzw. additive Kapazitätserweiterung in Form von Erweiterungsinvestitionen erfolgen, durch die der Kapazitätsquerschnitt durch Hinzufügung zusätzlicher gleichartiger Anlagen vergrößert wird. Alternativ kommt eine mutative Kapazitätserweiterung in Betracht, bei der das Leistungsvermögen des Unternehmens durch Investitionen in Anlagen auf dem neuesten Stand des technischen Fortschritts gleichzeitig in quantitativer und qualitativer Hinsicht erhöht wird. Bei tendenziell rückläufiger Nachfrage hingegen ist eine Strategie des Kapazitätsabbaus angezeigt, die das Leistungsvermögen des Unternehmens an die geringeren Anforderungen anpasst. Ein solcher Kapazitätsabbau kann entweder ohne Belegschaftsabbau erfolgen oder mit einer Verminderung der Belegschaft einhergehen. Durch den Abbau von Kapazitäten entfallen auf der einen Seite die damit verbundenen Fixkosten, andererseits fallen in der Regel Stilllegungskosten an. Eventuell gehen darüber hinaus Deckungsbeiträge verloren und
306
5 Die Unternehmensführung
es können negative Auswirkungen auf die Motivation des Personals und auf das Unternehmensimage entstehen. Ein Kapazitätsabbau ohne Belegschaftsverminderung erfolgt durch die zeitliche oder qualitative Freisetzung von Personal, z.B. in Form von Kurzarbeit, der 4-Tage-Woche, Vorruhestandsregelungen, Umsetzungen auf andere Arbeitsplätze. Dadurch wird ein Teil der Fixkosten abgebaut, dies ist mit entsprechenden Einkommenseinbußen bei den betroffenen Mitarbeitern verbunden. Die maschinellen Kapazitäten und damit auch deren Fixkosten bleiben erhalten, so dass das Unternehmen bei Bedarf kurzfristig wieder zur Normalkapazität zurückkehren kann. Beim Kapazitätsabbau mit Belegschaftsverminderung wird der Personalbestand dauerhaft reduziert. Dies kann sozialverträglich, d.h. ohne Entlassungen, erfolgen, indem die natürliche Fluktuation aufgrund von Pensionierungen oder Kündigungen vonseiten der Mitarbeiter ausgenutzt wird, ein Einstellungsstopp verhängt wird oder materielle Anreize bei Kündigungen geboten werden. Ist z.B. bei der Schließung eines Werks eine rasche Reduktion des Personalbestands erforderlich, so sind Entlassungen unvermeidlich, die nach sozialen Kriterien erfolgen müssen und deren Auswirkungen auf die Beschäftigten durch Sozialpläne abgemildert werden. In den Bereich der Kapazitätsstrategie gehört auch die Bestimmung der Fertigungstiefe, d.h. die Entscheidung, welche Teile der Wertschöpfungskette im eigenen Unternehmen erbracht und welche auf Zulieferer oder nachgelagerte Wertschöpfungsstufen ausgelagert werden sollen. Die grundsätzliche Kostenstruktur einer solchen Make-or-Buy-Entscheidung wurde bereits in Abschnitt 2.1.1 behandelt. Während in einigen Branchen noch die Strategie des Outsourcing von Wertschöpfungsteilen, die nicht zu den eigenen Kernkompetenzen zählen, vorherrscht, ist andererseits bereits wieder eine Tendenz zur Re-Integration derartiger Aktivitäten in das eigene Unternehmen zu beobachten.
5.2.3
Standortstrategien
Zu den wichtigsten strategischen Entscheidungen gehört die Bestimmung des Standorts bzw. die räumliche Verteilung verschiedener Standorte eines Unternehmens. Da mit einem Standort regelmäßig hohe Fixkosten verbunden sind, sollte er grundsätzlich so gewählt werden, dass sich auch auf lange Sicht möglichst günstige Beschaffungs-, Produktions- und Absatzbedingungen bieten. Eine Standortentscheidung wird zunächst bei der Gründung bzw. beim Aufbau des Unternehmens getroffen, muss aber regelmäßig überprüft und gegebenenfalls an die Bedürfnisse oder an veränderte Rahmenbedingungen der Unternehmensumwelt angepasst werden. Weitere Standortentscheidungen sind bei der Erweiterung des Unternehmens erforderlich. Die Standortstrategie steht in engem Zusammenhang mit der Kapazitätsstrategie (vgl. Abschnitt 5.2.2) und mit der aus der Marktposition abgeleiteten Produktstrategie (vgl. Abb. 5.16). Eine Standortstrategie mit Kapazitätsaufbau ist bei Produkten in der Star-Position angezeigt. Der Kapazitätsaufbau kann als Ausbau von Produktionsstätten an bereits vorhandenen
5.2 Technologiemanagement
307
Standorten, als räumliche Verdichtung durch den Aufbau zusätzlicher Produktionsstätten im Gebiet der bisherigen Produktion oder als räumliche Diversifizierung durch Aufbau zusätzlicher Produktionsstätten in anderen Regionen erfolgen.
Standortstrategie
mit Kapazitätsaufbau
mit Kapazitätsabbau
on-site-Expansion
Kontraktionsstrategie
Räumliche Verdichtung
Konzentrationsstrategie
Räumliche Diversifizierung
Abb. 5.16 Standortstrategien
Bei Produkten, deren Marktvolumen stagniert oder schrumpft, dies sind vor allem Produkte in der Dog-Position, ist tendenziell ein Kapazitätsabbau angezeigt, der durch die vollständige oder teilweise Stilllegung von Standorten erfolgen kann. Bei einer Kontraktionsstrategie werden die Kapazitäten der vorhandenen Standorte heruntergefahren, bei einer Konzentrationsstrategie erfolgt eine Neuaufteilung der insgesamt reduzierten Produktionsmenge auf die kostengünstigsten Standorte, die nicht mehr benötigten Standorte werden vollständig geschlossen. Ein Instrument zur systematischen Ableitung von Standortstrategien ist die in Abb. 5.17 dargestellte Standort-Portfolio-Matrix. Die interne Dimension der Standort-Portfolio-Matrix ist das Erfolgspotenzial der Produkte, das durch die Entwicklung des jeweiligen Marktes, ihren Marktanteil, ihr Stückgewinnpotenzial usw. gemessen wird. Die externe Dimension gibt die Attraktivität eines Standorts an, die im Wesentlichen durch die Ausprägungen der nachfolgend behandelten Standortfaktoren bestimmt wird. In Abhängigkeit von den Ausprägungen dieser beiden Dimensionen lassen sich den bereits vorhandenen Produktionseinheiten die zuvor genannten Standortstrategien zuordnen. Bei geringer Standortattraktivität und geringem Erfolgspotenzial der Produkte ist eine Stilllegung des Standorts angezeigt. Werden Produkte mit hohem Erfolgspotenzial an wenig attraktiven Standorten hergestellt, so kommt eine Verlagerung auf attraktivere Standorte im Rahmen einer Konzentrationsstrategie in Betracht. Wenig erfolgreiche Produkte sollten an sehr attraktiven Standorten nicht produziert werden, sondern aus dem Programm oder an
308
5 Die Unternehmensführung
hoch
Expansion
gering
Erfolgspotenzial der Produkte
andere Standorte verlagert werden. Werden sehr erfolgsträchtige Produkte an attraktiven Standorten hergestellt, so sollte eine Expansionsstrategie z.B. in Form der räumlichen Verdichtung verfolgt werden.
Konzentration
Räumliche Verdichtung
Teilstilllegung Stilllegung
Produktionsverlagerung
gering
hoch
Standortattraktivität Abb. 5.17 Standort-Portfolio-Matrix
Eine Konkretisierung der Standortstrategie erfolgt im Rahmen der Standortplanung. Diese hat die Aufgabe, den für einen neuen Betrieb optimalen Standort unter Berücksichtigung der relevanten Standortfaktoren zu bestimmen. Aufgrund der langfristigen Bedeutung der Standortwahl und der erheblichen Investitionen, die damit verbunden sind, handelt es sich um eine wichtige strategische Entscheidung. Die Standortwahl hängt von einer Reihe von kritischen Erfolgsfaktoren, den Standortfaktoren, ab. Man unterscheidet quantitative Standortfaktoren, deren Ausprägungen und Beitrag zur Zielsetzung sich monetär bewerten lassen, und qualitative Standortfaktoren, die sich lediglich verbal beschreiben oder in anderen Einheiten messen lassen und deren Zielbeitrag daher subjektiv geschätzt werden muss. Zu den quantitativen Standortfaktoren zählen insbesondere folgende Kriterien: • Grundstückspreise • Baukosten • Lohnkostenniveau • Kosten der Materialbeschaffung
5.3 Personalmanagement
309
• Transportkosten zu den Absatzmärkten • Standortabhängige Finanzierungskosten • Regionale Förderungsmaßnahmen • Grund- und Gewerbesteuern • Gewinnsteuern Die wichtigsten qualitativen Standortfaktoren lassen sich wie folgt beschreiben: • Grundstücke: Lage, Form, Boden, Bebauungsvorschriften, Erweiterungsmöglichkeiten, Umweltauflagen • Verkehrssituation: Anbindung an Verkehrsnetze (Autobahn, Flughafen, Binnenhafen), Erreichbarkeit mittels ÖPNV, Auslastung der Verkehrswege • Arbeitskräftepotenzial: Bevölkerungsstruktur, Ausbildung, Arbeitskraftreserven, alternative Arbeitgeber • Absatzmöglichkeiten: Kaufkraft in der Region, Konkurrenzsituation • Soziale Infrastruktur: Wohnraumsituation, Bildungs- und Kultureinrichtungen, Landschaft, Umweltverschmutzung, ärztliche Versorgung Bei der Standortplanung sind die Ausprägungen dieser Standortfaktoren an den in Betracht kommenden Standorten zu ermitteln und angemessen zu berücksichtigen. Die bekanntesten Verfahren, die sowohl quantitative als auch qualitative Standortfaktoren einbeziehen können, basieren auf der Nutzwertanalyse.
5.3
Personalmanagement
Die Aufgabe des Personalmanagements bzw. der Personalwirtschaft (Human Resource Management) besteht in der kurz-, mittel- und langfristigen Planung des Personalbedarfs, der Bereitstellung des Personals in dem zur Erfüllung der anstehenden Aufgaben erforderlichen Umfang und mit der adäquaten Qualifikation, dem laufenden Einsatz des Personals in den betrieblichen Funktionsbereichen und der Beeinflussung des Verhaltens der Arbeitnehmer im Sinne der Unternehmensziele. Unter Personal bzw. Arbeitnehmern versteht man in diesem Zusammenhang die in einem Unternehmen als Mitarbeiter beschäftigten Menschen, denen bestimmte, aus dem Sachziel des Unternehmens abgeleitete Aufgaben zur Erfüllung übertragen werden. Aus den vielfältigen Aufgaben des Personalmanagements werden im Folgenden zunächst die Führungsmethoden behandelt, die zur Steuerung des Verhaltens der Arbeitnehmer eingesetzt werden (Abschnitt 5.3.1), anschließend wird kurz auf die wichtigsten Kernfunktionen der Personalwirtschaft eingegangen (Abschnitt 5.3.2). In Abschnitt 5.3.3 werden die verschiede-
310
5 Die Unternehmensführung
nen Entlohnungsformen und in Abschnitt 5.3.4 Möglichkeiten zur Gestaltung der Festlegung der Arbeitszeit anhand von Arbeitszeitmodellen dargestellt.
5.3.1
Führungsmethoden
Die Personalführung dient der Beeinflussung des Arbeitnehmerverhaltens, um durch den koordinierten Einsatz der Mitarbeiter die arbeitsteilig organisierte Erfüllung der Gesamtaufgabe effizient und effektiv zu erreichen. In einer hierarchischen Organisation (vgl. Abschnitt 1.1.4) sind die Führungsaufgaben auf mehrere Ebenen mit unterschiedlichen Entscheidungskompetenzen verteilt. Die Leitlinien für das Führungsverhalten werden zentral von der Unternehmensspitze vorgegeben. Es lassen sich verschiedene Führungsstile unterscheiden, die zwischen den beiden Extremen einer autokratischen Führung mithilfe von Regeln und Anweisungen und einer kooperativen Führung, bei der Entscheidungsspielräume an die Mitarbeiter delegiert werden, angesiedelt sind (vgl. auch Abb. 5.18).
Autokratische Führung
Anweisungen
Kooperative Führung Delegation
Abb. 5.18 Führungsstile
• Kennzeichen der autokratischen Führung ist die durch formale Autorität begründete Anweisungsbefugnis des Vorgesetzten, die durch entsprechende Sanktionsmöglichkeiten gefestigt wird. Diese Form der Führung hat sich bei Routineaufgaben bewährt, bei denen kaum Entscheidungsspielraum besteht. • Der kooperative Führungsstil hingegen ist durch Abstimmungen zwischen den Beteiligten gekennzeichnet. Der Vorgesetzte nutzt das Fachwissen seiner Mitarbeiter, Entscheidungen werden gemeinsam gefällt oder auch an die Mitarbeiter delegiert. Die kooperative Führung erweist sich bei wenig standardisierbaren Aufgaben, die Eigeninitiative und Kreativität erfordern, als vorteilhaft. Zur Unterstützung und Standardisierung der Personalführung sind verschiedene Führungsmethoden entwickelt worden, die das Verhältnis von Vorgesetzten und Mitarbeitern unterschiedlich formalisieren. • Management by exception: Bei der Führung nach dem Ausnahmeprinzip werden alle Entscheidungen, die üblicherweise im Tagesgeschäft zu treffen sind, an die Mitarbeiter
5.3 Personalmanagement
311
delegiert. Eingriffe der Vorgesetzten sind lediglich in Ausnahmesituationen vorgesehen, d.h. wenn sich die Entscheidungssituation unvorhersehbar verändert oder wenn Abweichungen von den angestrebten Zielen auftreten. Der Vorteil dieser Methode ist einerseits die weitgehende Entlastung der Vorgesetzten von Routineentscheidungen, andererseits eine größere Motivation der Mitarbeiter aufgrund eines eigenen Entscheidungsspielraums. • Management by decision rules: Die Führung anhand von Entscheidungsregeln ergänzt die Delegation von Entscheidungen um exakte Anweisungen, wie in bestimmten Situationen zu entscheiden ist. Da sich Entscheidungsregeln nur für im Voraus bekannte Sachverhalte formulieren lassen, ist auch der Einsatz dieser Führungsmethode auf Routineentscheidungen beschränkt. • Management by delegation: Bei der Führung durch Aufgabendelegation werden den Mitarbeitern nicht einzelne Aufgaben vorgegeben, sondern vollständige Aufgabenbereiche, die sich klar abgrenzen lassen, mit den zugehörigen Verantwortungen und Kompetenzen zur eigenverantwortlichen Erledigung übertragen. Die Mitarbeiter sind hinsichtlich der Durchführung ihrer Aufgabe frei, müssen sich jedoch für ihre Ergebnisse verantworten. Wird zur Unterstützung der Mitarbeiter bei ihren Entscheidungen ein computergestütztes Informationssystem eingesetzt (vgl. Abschnitt 4.5), so spricht man auch von Management by systems. • Management by objectives: Die Führung durch Zielvereinbarungen basiert auf der gemeinsamen Absprache der Ziele, die ein Mitarbeiter in seinem Aufgabenbereich während einer bestimmten Zeit erreichen soll. Im Idealfall werden die Ziele so formuliert, dass sie mit den persönlichen Zielen des Mitarbeiters – wie Einkommensverbesserung oder Aufstieg in eine bessere Position – positiv korreliert sind. Auch bei dieser Führungsmethode ist es dem Mitarbeiter freigestellt, wie er seine Aufgabe erledigen will, letztlich dient der von ihm realisierte Zielerreichungsgrad als Grundlage für seine Entlohnung. Da der Mitarbeiter an der Zielformulierung selbst beteiligt ist, weist diese Führungsmethode starke kooperative Elemente auf. • Management by results: Die Führung durch Ergebnisverantwortung basiert ebenfalls auf der Vorgabe von Zielen, die hier jedoch von der Führungsebene unter Berücksichtigung der Fähigkeiten des einzelnen Mitarbeiters vorgegeben werden und sich in erster Linie an den Unternehmenszielen orientieren. Es dominiert also der autokratische Führungsstil. Die Ergebniskontrolle erfolgt durch regelmäßigen Vergleich der Ist-Leistung mit der vorgegebenen Soll-Leistung und führt zu entsprechenden positiven oder negativen Sanktionen der Mitarbeiter. Tendenziell ist der Motivationseffekt auf die Mitarbeiter umso stärker, je mehr Verantwortung und Entscheidungsspielraum ihnen übertragen werden und je attraktiver das Anreizund Entlohnungssystem ausgestaltet ist.
312
5.3.2
5 Die Unternehmensführung
Kernfunktionen der Personalwirtschaft
Die im Folgenden behandelten Kernfunktionen der Personalwirtschaft sind die Personalbedarfsplanung, die Personalbeschaffung bzw. -freisetzung, die Personalentwicklung und die Gestaltung von Anreizsystemen. 1. Personalbedarfsplanung Die Personalbedarfsplanung hat die Aufgabe, den mittelfristigen Personalbedarf des Unternehmens und seiner einzelnen Einheiten in quantitativer und qualitativer Hinsicht zu bestimmen. Als Ausgangspunkt dient einerseits der vorhandene Personalbestand, der um die in den einzelnen Perioden erwarteten Abgänge, z.B. aufgrund von Fluktuation, Versetzungen, Ruhestand oder Erziehungsurlaub, und die absehbaren Zugänge, z.B. aufgrund von Beförderungen, Übernahme von Auszubildenden, Rückkehr nach Wehrdienst oder Erziehungsurlaub, korrigiert wird. Zum anderen wird der Brutto-Personalbedarf in Abhängigkeit von der erwarteten Entwicklung der Beschäftigungslage des Unternehmens ermittelt. Die Differenz aus Brutto-Personalbedarf und geplantem Personalbestand ist der NettoPersonalbedarf, der durch zusätzliche Einstellungen bzw. Entlassungen zu erreichen ist (vgl. Abb. 5.19).
Auftragslage Derzeitiger Personalbestand – erwartete Personalabgänge + erwartete Personalzugänge
Brutto-Personalbedarf – geplanter Personalbestand
= geplanter Personalbestand
= Netto-Personalbedarf
> 0 ⇒ Einstellungen
< 0 ⇒ Entlassungen
Abb. 5.19 Personalbedarf
2. Personalbeschaffung und -freisetzung Wird bei der Personalbedarfsplanung für das Unternehmen insgesamt oder für einzelne Einheiten ein positiver Netto-Personalbedarf ermittelt, so muss das fehlende Personal aus internen oder externen Quellen zusätzlich beschafft werden. Die interne Personalbeschaffung für eine bestimmte Abteilung erfolgt in erster Linie durch Versetzung eines geeigneten Mitarbeiters aus einer anderen Abteilung, durch die allerdings dort ein zusätzlicher Personalbedarf ausgelöst werden kann. Weitere unternehmensinterne Maßnahmen zur Abdeckung des Personalbedarfs sind die Anordnung von Überstunden, die Verfügung von Urlaubssperren oder die Umwandlung von Teilzeitarbeitsplätzen in Vollzeitarbeitsplätze.
5.3 Personalmanagement
313
Bei der externen Personalbeschaffung werden neue Mitarbeiter von außen gewonnen. Dies kann durch eher passive Maßnahmen wie die Auswertung von Stellengesuchen, das Führen einer Bewerberkartei, Zusammenarbeit mit dem Arbeitsamt, Personalberatern oder Zeitarbeitsfirmen oder durch aktive Maßnahmen wie eigene Stellenanzeigen, Werbemaßnahmen in Massenmedien, Kontaktaufnahme zu Schulen und Hochschulen oder Abwerbung von Mitarbeitern aus anderen Unternehmen erfolgen. Die Auswahl des für einen Arbeitsplatz am besten geeigneten Bewerbers erfolgt in der Regel in einem mehrstufigen Verfahren, bei dem die Bewerbungsunterlagen hinsichtlich der Anforderungen ausgewertet und einige als besonders geeignet erscheinende Bewerber eingeladen werden. Um festzustellen, ob diese tatsächlich über die gewünschte Qualifikation verfügen, werden sie einem Vorstellungsgespräch und häufig zusätzlich einem Einstellungstest oder einem Assessment Center unterzogen. Den besten Bewerbern wird ein Arbeitsvertrag angeboten, der in der Regel eine drei- bis sechsmonatige Probezeit vorsieht, innerhalb derer er von beiden Seiten kurzfristig gekündigt werden kann. Bei einem negativen Netto-Personalbedarf weist das Unternehmen personelle Überkapazitäten auf, denen durch verschiedene Maßnahmen der Personalfreisetzung zu begegnen ist. Da die kurzfristige Einstellung und spätere Entlassung von Mitarbeitern in Abhängigkeit von der Auftragslage (hire and fire policy) durch das deutsche Arbeitsrecht stark beschränkt wird und darüber hinaus mit hohen Kosten verbunden ist, wird das Unternehmen zunächst versuchen, durch Kurzarbeit, vorzeitigen Ruhestand, Urlaubsplanung usw. die von den Mitarbeitern geleistete Arbeitszeit an die Auftragslage anzupassen. Erst wenn diese Maßnahmen nicht ausreichen, wird zusätzlich Personal abgebaut, wobei soziale Aspekte und Kündigungsfristen zu berücksichtigen sind. 3. Personalentwicklung Gegenstand der Personalentwicklung ist die systematische Erweiterung der fachlichen und persönlichen Qualifikation der Mitarbeiter, damit diese auch die zukünftigen Anforderungen im Unternehmen, z.B. aufgrund neuer Technologien und Produktionsverfahren, bewältigen können. Aufgrund der dynamischen Entwicklung der Unternehmensumwelt und der in den einzelnen Berufen eingesetzten Arbeitsverfahren sind die meisten Arbeitnehmer darauf angewiesen, lebenslang zu lernen und sich immer weiter zu qualifizieren. Auch für das Unternehmen gehen von einer intensiven Personalentwicklung positive Effekte aus: Es wird nicht nur unternehmensspezifisches Humankapital aufgebaut, sondern auch die Bindung der Mitarbeiter an das Unternehmen vertieft. Maßnahmen der Personalentwicklung sind einerseits die Berufsausbildung und die betriebliche Weiterbildung, durch die den Mitarbeitern die erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten vermittelt werden, andererseits die langfristig angelegte Karriereplanung, die dem Mitarbeiter Versetzungs- und Aufstiegsmöglichkeiten in Abhängigkeit von seinen zukünftigen Leistungen aufzeigt.
314
5.3.3
5 Die Unternehmensführung
Lohnformen
Die Zahlung von Lohn oder Gehalt als Entgelt für die geleistete Arbeit zählt zu den wichtigsten Instrumenten, um die Mitarbeiter zu angemessenen Leistungen zu motivieren. Es haben sich unterschiedliche Lohnformen herausgebildet, die verschiedene Leistungskomponenten in den Vordergrund stellen. • Beim Zeitlohn erfolgt die Entlohnung ausschließlich anhand der abgeleisteten Arbeitszeit, dabei werden weder Menge noch Qualität der geleisteten Arbeit berücksichtigt. Der Lohn ergibt sich als Produkt aus dem vereinbarten Stundenlohn und der Zahl der Arbeitsstunden. Lohn = Stundenlohn ⋅ Arbeitszeit
Der Zeitlohn findet Anwendung, wenn die Arbeitsleistung nicht messbar ist, wenn die Arbeitsgeschwindigkeit durch den Arbeitnehmer nicht beeinflusst werden kann oder wenn eine Beschleunigung der Arbeit aufgrund von Unfallgefahren oder Qualitätsansprüchen unerwünscht ist. Die Motivationswirkung des Zeitlohns ist gering, da die Entlohnung auch bei einer geringeren Leistung nicht sinkt. • Der Akkordlohn oder Leistungslohn wird anhand der in einer Periode erbrachten Arbeitsleistung berechnet. Der Akkordlohn tritt in mehreren Varianten auf. Beim Zeitakkord wird zur Lohnermittlung die Leistungsmenge mit einer zuvor festgelegten Vorgabezeit, in der ein durchschnittlich begabter Arbeitnehmer die Leistung erbringen kann, und mit einem Minutenfaktor, der sich aus dem bei normaler Leistung erzielbaren Stundenlohn ergibt, multipliziert. Lohn = Leistungsmenge ⋅ Vorgabezeit ⋅ Minutenfaktor
Beim Geldakkord hingegen wird der Lohn als Produkt aus der Leistungsmenge und dem Akkordsatz, der die Entlohnung je Stück bei Normalleistung angibt, berechnet. Lohn = Leistungsmenge ⋅ Akkordsatz
Letztlich führen beide Berechnungsweisen zum selben Ergebnis. Der Zeitakkord weist aus abrechnungstechnischer Sicht den Vorteil auf, dass bei Tarifänderungen lediglich der Minutenfaktor aktualisiert werden muss und die oft aufwändig – z.B. mittels REFAAnalysen – ermittelten Vorgabezeiten konstant bleiben können. Eine Sonderform des Akkordlohns ist der Gruppenakkord, bei dem die Entlohnung einer Arbeitsgruppe anhand der gemeinsam erbrachten Leistung erfolgt. Dadurch werden das Verantwortungsgefühl für die von der Gruppe erbrachte Arbeit und das gegenseitige Verantwortungsgefühl gefördert. Die Aufteilung des Lohns auf die einzelnen Arbeitnehmer kann sich z.B. an Äquivalenzziffern orientieren. Der Gruppenakkord findet vor allem dann Anwendung, wenn die Arbeit als Gruppenarbeit organisiert ist, wie es z.B. in der Automobilindustrie vielfach der Fall ist.
5.3 Personalmanagement
315
• Beim Prämienlohn wird zusätzlich zu einem festen Grundlohn eine Prämie gezahlt, wenn der Arbeitnehmer eine Mehrleistung erbringt. In Abhängigkeit von der Art der Mehrleistung unterscheidet man Mengenprämien für die Überschreitung einer Vorgabemenge, Qualitätsprämien für die Einhaltung von Fertigungstoleranzen oder für die Unterschreitung eines vorgegebenen Ausschussanteils, Nutzungsprämien für die Erhöhung der effektiven Produktionszeit bzw. die Reduzierung der Maschinenstillstandszeit und Ersparnisprämien für Einsparungen beim Verbrauch von Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffen. Weiter werden Prämien für Verbesserungsvorschläge im Rahmen des betrieblichen Vorschlagswesens gezahlt. Die genannten Lohnformen lassen sich vielfältig miteinander kombinieren, so dass ein breites Spektrum an Entlohnungsvarianten zur Verfügung steht. So werden in der Praxis vermehrt der Zeit- oder Akkordlohn mit Prämien für besondere Leistungen oder für die Einhaltung der Qualitätsnormen kombiniert. Als weiteres Motivationsinstrument setzen viele Unternehmen zusätzlich Erfolgsbeteiligungen ein, durch die der Beitrag der Arbeitnehmer zum Unternehmenserfolg honoriert werden soll. Neben einem Anreiz zur Mehrleistung bewirken Erfolgsbeteiligungen vor allem eine höhere Zufriedenheit der Arbeitnehmer und eine stärkere Identifikation mit dem Unternehmen. Als Bemessungsgrundlage einer Erfolgsbeteiligung kommen die Unternehmensleistung (Produktionsmenge, Produktivität), der Ertrag (Umsatz, Wertschöpfung) oder der Erfolg (Bilanzgewinn, Jahresüberschuss) in Betracht. Die Aufteilung des verfügbaren Betrags auf die Arbeitnehmer erfolgt meist in Anlehnung an die gezahlten Löhne und Gehälter, bei Führungskräften kann eine Erfolgsbeteiligung auch an die Erreichung zuvor vereinbarter Kennzahlen gekoppelt sein. Neben der Auszahlung der Erfolgsbeteiligung kommt auch eine Umwandlung in Anteile am Unternehmen in Betracht (Kapitalbeteiligung).
5.3.4
Arbeitszeitmodelle
Die Arbeitszeit ist die Zeit, während der ein Arbeitnehmer dem Unternehmen seine Arbeitskraft zur Verfügung stellt. Vor allem in kleinen Unternehmen findet man vielfach noch starre Arbeitszeiten, bei denen Arbeitsbeginn und Arbeitsende für alle Arbeitnehmer einheitlich fixiert sind. Aus der Notwendigkeit heraus, die Betriebszeit, d.h. die Zeit, in der die kapitalintensiven Maschinen produktiv genutzt werden, über die Arbeitszeit eines einzelnen Arbeitnehmers hinaus auszudehnen, sind verschiedene Arbeitszeitmodelle entwickelt worden, die eine Flexibilisierung der Arbeitszeit anstreben. Flexible Arbeitszeiten erlauben darüber hinaus aus betrieblicher Sicht eine Anpassung an saisonal schwankende Leistungsanforderungen sowie aus Arbeitnehmersicht eine Anpassung an die individuellen Freizeitbedürfnisse. Die wichtigsten Formen flexibler Arbeitszeiten sind: • Überstunden und Kurzarbeit: Dies sind die bekanntesten Möglichkeiten zur Anpassung der Arbeitszeit an wechselnde Anforderungen. • Schichtarbeit: Ist die Betriebszeit wesentlich länger als die Arbeitszeit der Arbeitnehmer, so lösen sich diese an den Maschinen ab. Im 3-Schicht-Betrieb wird der Arbeitnehmer
316
5 Die Unternehmensführung
abwechselnd in der Früh-, Spät- und Nachtschicht eingesetzt, wobei die notwendige Erholung durch Freischichten zu gewährleisten ist. • Teilzeitarbeit: Die Arbeitszeit einzelner Arbeitnehmer ist kürzer als die im Unternehmen übliche Arbeitszeit. • Gleitzeit: Der Arbeitnehmer kann den Beginn und das Ende seiner täglichen Arbeitszeit innerhalb bestimmter Spannen selbst bestimmen, eine feste Anwesenheit ist lediglich während der Kernarbeitszeit erforderlich. Kommt es an einzelnen Tagen zu Mehr- oder Minderarbeit, so werden diese Zeiten auf einem Gleitzeitkonto festgehalten und sind innerhalb bestimmter Fristen auszugleichen. • Jahresarbeitszeitverträge: Die im Laufe eines Jahres insgesamt zu leistende Arbeitszeit wird vertraglich festgelegt und variabel auf die einzelnen Monate verteilt. Die Verteilung kann sich insbesondere am Arbeitsanfall orientieren. • KAPOVAZ: Die kapazitätsorientierte variable Arbeitszeit nimmt eine am Arbeitsanfall orientierte kurzfristige Verteilung der individuellen Arbeitszeiten vor. • Job-sharing: Ein oder mehrere Vollzeitarbeitsplätze werden auf mehrere Arbeitnehmer aufgeteilt, wobei die Arbeitnehmer sich untereinander verständigen, wann der Einzelne arbeitet. • Sabbaticals: Die Mitarbeiter können Mehrarbeitszeiten auf Arbeitszeitkonten ansparen, um in bestimmten Zeitabständen einen Langzeiturlaub anzutreten. • Arbeitszeit auf Abruf: Die Lage und Dauer der Arbeitszeit eines Arbeitnehmers wird jeweils kurzfristig in Abhängigkeit von den betrieblichen Notwendigkeiten festgelegt. • Gleitender Ruhestand: Durch eine sukzessive Reduktion der individuellen Arbeitszeit zum Ende des Arbeitslebens wird dem Arbeitnehmer der Übergang in den Ruhestand erleichtert. Zwischen den genannten Formen der Arbeitszeitflexibilisierung sind zahlreiche Kombinationen möglich, so dass das Unternehmen durch eine zielgerichtete Auswahl seine Kostensituation positiv beeinflussen kann.
5.4
Qualitätsmanagement
Die Qualität der von einem Unternehmen angebotenen Produkte und Leistungen wurde bereits in Abschnitt 1.1.3 als eine für die Wettbewerbsfähigkeit wesentliche Zielsetzung herausgearbeitet. Das Qualitätsmanagement befasst sich mit der systematischen Planung und Sicherstellung der Qualität nicht nur der Produkte, sondern auch der Produktionsprozesse. In Abschnitt 5.4.1 werden zunächst die Grundlagen und die Entwicklung des Qualitätsmanagements dargestellt, die anschließenden Abschnitte gehen auf die wichtigsten Instrumente des Qualitätsmanagements ein.
5.4 Qualitätsmanagement
5.4.1
317
Entwicklung des Qualitätsmanagements
Qualität ist die Beschaffenheit eines Produkts bezüglich seiner Eignung, festgelegte oder vorausgesetzte Anforderungen zu erfüllen (vgl. nochmals Abschnitt 1.1.3). In einer strategischen Sichtweise lassen sich die folgenden Dimensionen der Produktqualität unterscheiden, die gleichzeitig als Ansatzpunkte für qualitätsverbessernde Maßnahmen dienen: • Gebrauchsnutzen • Ausstattung • Zuverlässigkeit • Normgerechtigkeit • Haltbarkeit • Kundendienst • Ästhetik • Qualitätsimage Werden die Qualitätsanforderungen an ein Produkt nicht erfüllt, so liegt ein Fehler vor. Fehler lassen sich auf zwei Ursachen zurückführen: • Systematische Fehler entstehen aufgrund von Abweichungen von der optimalen Prozessdurchführung, sie werden z.B. durch falsche Einstellungen an einer Maschine verursacht. Daher lassen sie sich durch eine entsprechende Korrektur des Produktionsprozesses beseitigen. • Zufällige Fehler treten unsystematisch, d.h. ohne konkreten Zusammenhang mit der Prozessdurchführung auf. Sie können auf vielen unterschiedlichen Ursachen beruhen, ihre Beseitigung erfordert häufig eine Umstellung des Produktionsprozesses. Sowohl die Nichterfüllung der Qualitätsanforderungen als auch die Durchführung von qualitätssichernden Maßnahmen sind mit Kosten verbunden, die sich wie in Abb. 5.20 dargestellt systematisieren lassen. Die Kosten, die zur Gewährleistung der gewünschten Qualität anfallen, werden als Übereinstimmungskosten bezeichnet. Hierzu zählt neben den Kosten der Fehlerverhütung, z.B. für Qualitätsschulungen, zur Verbesserung von Prozessen oder von Qualitätsaudits, auch der Teil der bei der Qualitätskontrolle anfallenden Prüfkosten, der sich auf nicht fehlerhafte Teile bezieht. Die Kosten einer unzureichenden Qualität heißen Abweichungskosten, sie setzen sich aus den auf fehlerhafte Teile entfallenden Prüfkosten und den Fehlerkosten zusammen. Fehlerkosten fallen sowohl im Unternehmen selbst an, z.B. für Ausschuss, Nacharbeit und die Bearbeitung von Reklamationen, als auch unternehmensextern, z.B. für Garantieleistungen, Kulanzzahlungen oder die Befriedigung von Ansprüchen aus der Produkthaftung (vgl. Abschnitt 5.5.3). Auch Preisnachlässe für Produkte von minderer Qualität (B-Sortierung)
318
5 Die Unternehmensführung
oder die Opportunitätskosten aus dem Verlust von Kunden und damit von Folgegeschäften zählen zu den externen Fehlerkosten.
Qualitätskosten
Übereinstimmungskosten
Fehlerverhütungskosten
Abweichungskosten
Prüfkosten
Fehlerkosten
Interne Fehlerkosten Abb. 5.20
Externe Fehlerkosten
Qualitätskosten
Im Laufe der Zeit hat sich im Qualitätswesen eine Entwicklung vollzogen, bei der die Abweichungskosten zunehmend an Bedeutung verloren haben und die Übereinstimmungskosten in den Vordergrund getreten sind. Dabei lassen sich die folgenden Entwicklungsstufen identifizieren: • Qualitätskontrolle: Bei der Qualitätskontrolle wird das Ergebnis der Produktion im Anschluss an den Produktionsprozess auf seine Übereinstimmung mit den Qualitätsanforderungen an das Produkt überprüft. Das Hauptziel dieser nachgeschalteten, reaktiven Strategie besteht darin, die Auslieferung fehlerhafter Produkte zu verhindern. Die Qualitätskontrolle ist mit hohen Kosten verbunden, da regelmäßige Prüfvorgänge erforderlich sind, Fehler erst spät erkannt werden und anschließend aufwändig beseitigt werden müssen. • Qualitätssicherung: Da eine vollständige Kontrolle der Endprodukte in der Regel nicht wirtschaftlich und häufig auch gar nicht technisch möglich ist, bedient sich die Qualitätssicherung statistischer Verfahren, um mithilfe von Stichproben auf die Qualität der gesamten Produktion zu schließen und insgesamt ein vorgegebenes Qualitätsniveau zu gewährleisten. Werden hierbei systematische Fehler festgestellt, so lassen sich diese an ihrer Quelle beseitigen, indem der betroffene Produktionsprozess neu eingestellt oder verbessert wird. Im Mittelpunkt steht somit die Einhaltung von technischen Standards und Toleranzgrenzen bei den Produkten durch eine entsprechende Einstellung der Prozesse.
5.4 Qualitätsmanagement
319
Diese Sichtweise wird auch auf vorgelagerte Wertschöpfungsstufen und Lieferanten ausgeweitet. • Qualitätsmanagement: Aufgrund der zunehmenden Bedeutung der Qualität als Wettbewerbsfaktor entwickelte sich das Qualitätsmanagement als eine umfassende Philosophie, die den Mitarbeiter in den Mittelpunkt stellt. Den Mitarbeitern in einer Produktionseinheit wird hierbei die Verantwortung für die Qualität der von ihnen hergestellten Produkte übertragen. In Qualitätszirkeln soll durch kontinuierliche Verbesserungsprozesse letztlich eine Null-Fehler-Qualität erreicht werden. Auch der Qualitätsbegriff selbst wandelte sich von einer technisch orientierten Qualitätsdefinition zu einer kundenorientierten Qualitätswahrnehmung. • Beim Total Quality Management (TQM) schließlich wird das Qualitätsbewusstsein auf allen Wertschöpfungsstufen in die Produktion integriert. Die Prinzipien der Prozessorientierung, Mitarbeiterorientierung und Kundenorientierung werden gleichermaßen verfolgt und sollen durch den gezielten Einsatz der nachfolgend behandelten Instrumente des Qualitätsmanagements erreicht werden.
5.4.2
Statistische Prozessregelung
Die statistische Prozessregelung ist eine auf mathematisch-statistischen Grundlagen beruhende Qualitätstechnik, die vor allem bei Produktionsprozessen in der Massenfertigung Anwendung findet. Voraussetzung für ihren Einsatz ist, dass der Produktionsprozess beherrscht wird. Dies ist der Fall, wenn sich die für die Qualität der Produkte relevanten Kenngrößen nur in engen Grenzen verändern (Prozessfähigkeit) und die Produkte im Mittel die gewünschte Qualität aufweisen (Prozesssicherheit). Abb. 5.21 veranschaulicht die Begriffe der Prozessfähigkeit und Prozesssicherheit anhand eines einfachen Beispiels:
Prozessfähigkeit
gering
hoch
hoch
Prozesssicherheit
gering
gering
hoch
Abb. 5.21 Prozessfähigkeit und Prozesssicherheit
320
5 Die Unternehmensführung
Es werden fünf Schüsse auf eine Zielscheibe abgegeben. Im ersten Fall sind die Einschläge unregelmäßig über die Zielscheibe verteilt, d.h. Prozessfähigkeit und Prozesssicherheit sind gering. Im zweiten Fall liegen die Einschläge zwar dicht beieinander, d.h. die Prozessfähigkeit ist hoch, aber sie befinden sich an der falschen Stelle, so dass die Prozesssicherheit gering ist. Im dritten Fall erfolgen die Einschläge dicht beieinander und in der Mitte der Zielscheibe, so dass Prozessfähigkeit und Prozesssicherheit hoch sind. Als Hilfsmittel der statistischen Prozessregelung kommen Qualitätsregelkarten zum Einsatz, die den Verlauf des Produktionsprozesses über die Zeit anhand von ausgewählten Prüfmerkmalen, die zu bestimmten Zeitpunkten stichprobenartig erhoben werden, darstellen und Informationen über systematische Entwicklungen sowie Hinweise auf erforderliche Eingriffe in den Prozess geben. In Abb. 5.22 ist ein Beispiel für eine Qualitätsregelkarte angegeben. Die gemessenen Ausprägungen des Prüfmerkmals schwanken innerhalb der Eingriffsgrenzen um den Sollwert, wobei sich die Abweichungen nach oben und nach unten ungefähr ausgleichen. Einmal wird die obere Eingriffsgrenze überschritten, d.h. es tritt ein Fehler außerhalb der vorgegebenen Toleranzen auf, der eine Nachjustierung des Produktionsprozesses erfordert.
Prüfmerkmal
Obere Eingriffsgrenze
Fehler
Sollwert Untere Eingriffsgrenze Zeit
Abb. 5.22 Qualitätsregelkarte
Von großer Bedeutung bei der statistischen Prozessregelung ist die Bestimmung der Eingriffsgrenzen. Werden sie zu eng definiert, so werden häufig Fehlereignisse festgestellt und der Prozess muss immer wieder unterbrochen werden; sind sie zu weit definiert, so kann es trotz regelmäßiger Beobachtung des Prozesses zu fehlerhafter Produktqualität kommen. Üblicherweise werden die Eingriffsgrenzen so definiert, dass sie das Dreifache der bei dem Prüfmerkmal auftretenden Standardabweichung betragen. Wenn das Prüfmerkmal einer Normalverteilung unterliegt, beträgt die Wahrscheinlichkeit eines Fehlers außerhalb dieser Grenzen 0,3%.
5.4 Qualitätsmanagement
321
Um fehlerhafte Prozesse rechtzeitig zu erkennen, kann man zusätzlich eine Warngrenze innerhalb der Eingriffsgrenzen einführen. Eine Warngrenze in Höhe des Zweifachen der Standardabweichung wird bei Normalverteilung mit einer Wahrscheinlichkeit von 5% überschritten. Dementsprechend beträgt die Wahrscheinlichkeit, dass zwei aufeinander folgende Werte außerhalb der Warngrenzen liegen, 0,25% ( 0,05 ⋅ 0,05 = 0,0025 ). Da dieses Ereignis ungefähr die gleiche Wahrscheinlichkeit aufweist wie ein Fehler außerhalb der Eingriffsgrenzen, wird es zum Anlass genommen, den Prozess nachzustellen, bevor ein Fehler aufgetreten ist.
Die einfache Prozessregelung, eine Variante der statistischen Prozessregelung, setzt diese Erkenntnisse in eine leicht zu überwachende Ampellogik um: Zwischen den Warngrenzen liegt der grüne Bereich, innerhalb dessen die Produktion unverändert fortgesetzt wird, zwischen den Warn- und den Eingriffsgrenzen befindet sich der gelbe Bereich, und außerhalb der Eingriffsgrenzen ist der rote Bereich. In regelmäßigen Zeitabständen wird aus dem Produktionsprozess eine Stichprobe im Umfang von zwei Teilen entnommen. Liegen die Werte des Prüfmerkmals bei beiden Teilen im grünen Bereich oder einmal im grünen und einmal im gelben Bereich, so kann der Prozess weiterlaufen. Liegen hingegen beide Werte im gelben Bereich oder mindestens ein Wert im roten Bereich, so wird die Maschine angehalten und der Prozess nachjustiert.
5.4.3
FMEA
Die Failure mode and effects analysis (FMEA) ist eine Methode der präventiven Qualitätssicherung. Ihr Ziel ist die frühzeitige und systematische Vermeidung von Fehlern und den daraus resultierenden Qualitätsproblemen durch systematische Offenlegung von potenziellen Fehlerquellen. Dadurch lässt sich nicht nur die vom Kunden wahrgenommene Qualität steigern, sondern auch das Risiko verringern, dass es aufgrund von Produktmängeln zu imageschädigenden Rückrufaktionen kommt. Das Verfahren wird in erster Linie von Automobilherstellern und deren Lieferanten angewendet. Ausgangspunkt der FMEA ist die Erkenntnis, dass die Kosten für die Suche nach einem Fehler und für dessen Beseitigung mit dem Fortschritt der Wertschöpfung stark ansteigen. Tendenziell kostet ein Fehler, der in der Fertigung auftritt, zehnmal mehr als ein Fehler, der bereits bei der Konstruktion bemerkt wird. Ein Fehler, der erst beim Kunden auftritt, kostet wiederum zehnmal mehr als ein Fehler, der beseitigt werden kann, bevor das Produkt das Unternehmen verlässt. Die FMEA bewertet die potenziellen Fehler in den folgenden Kategorien jeweils mit 1 bis 10 Punkten. Dabei erhalten unkritische Fehler niedrige und bedeutende Fehler hohe Bewertungen. • Wahrscheinlichkeit für das Auftreten des Fehlers • Auswirkungen des Fehlers • Wahrscheinlichkeit, dass der Fehler den Kunden erreicht
322
5 Die Unternehmensführung
Die in den drei Kategorien erzielten Punkte werden multiplikativ zu einer Kennziffer, der Risikoprioritätszahl, verknüpft, die somit Werte zwischen 1 und 1000 annehmen kann. Liegt diese Risikoprioritätszahl über 100, so sind Maßnahmen zur Beseitigung des Fehlers erforderlich. In einem weiteren Durchlauf der FMEA wird überprüft, inwieweit die Risikoprioritätszahl durch die ergriffenen Maßnahmen reduziert wurde, gegebenenfalls müssen weitere Maßnahmen eingeleitet werden. Das Vorgehen der FMEA wird durch ein standardisiertes Formblatt unterstützt. Im Einzelnen sind folgende Schritte zu durchlaufen: Voranalyse: 1. Abgrenzung des zu betrachtenden Systems 2. Zusammenstellung möglicher Fehler 3. Beschreibung der möglichen Fehlerfolgen 4. Analyse der möglichen Fehlerursachen 5. Angabe von Maßnahmen zur Aufdeckung der Fehler und zur Beseitigung ihrer Auswirkungen Risikobewertung: 6. Wahrscheinlichkeit des Auftretens eines Fehlers 7. Bedeutung des Fehlers 8. Wahrscheinlichkeit der rechtzeitigen Entdeckung des Fehlers 9. Produkt = Risikoprioritätszahl Abstellmaßnahmen: 10. Erarbeiten von empfohlenen Abstellmaßnahmen 11. Festlegung von Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten 12. Auswahl von Maßnahmen, dabei Vorzug von fehlervermeidenden vor fehlerentdeckenden Maßnahmen 13. – 16. Wiederholung der Schritte 6. bis 9. Die FMEA lässt sich auf verschiedenen Ebenen – als System-FMEA, Konstruktions-FMEA oder Prozess-FMEA – einsetzen, wodurch kritische Schritte und Abläufe bei der Produktentwicklung und in der Fertigung sinnvoll miteinander verknüpft werden können. Ihr konsequenter Einsatz kann erheblich dazu beitragen, Fehler bei der Entwicklung, Fertigung und Nutzung von Produkten zu vermeiden und die daraus resultierenden Kosten zu reduzieren. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass es sich um eine qualitative Methode handelt. Insbesondere der hohe Grad an Subjektivität bei der Vergabe der Bewertungspunkte in den Schritten 6. bis 9. führt dazu, dass die Bedeutung eines Fehlers von verschiedenen Personen unterschiedlich eingeschätzt werden kann.
5.4 Qualitätsmanagement
5.4.4
323
Quality Function Deployment
Beim Quality Function Deployment (QFD) handelt es sich um ein strukturiertes Vorgehen zur expliziten Berücksichtigung von Kundenanforderungen im Produktentstehungsprozess. Das Ziel ist, bereits während der Konstruktion die von den Kunden formulierten subjektiven Qualitätsvorstellungen mit der vor allem durch technische Qualitätsmerkmale gekennzeichneten objektiven Qualität eines Produkts abzustimmen. Durch die konsequente Übersetzung der „voice of the customer“ in die „voice of the engineer“ sollen die Planungs- und Entwicklungszeiten verkürzt, Planungsfehler vermieden, die Kundennähe verbessert und komparative Wettbewerbsvorteile gegenüber den Konkurrenten erzielt werden. Als Hilfsmittel des QFD wird das House of Quality eingesetzt, das die nachfolgenden zehn Schritte visualisiert. Abb. 5.23 zeigt eine schematische Darstellung der Vorgehensweise im House of Quality. Als Ausdruck der starken Kundenorientierung des QFD werden dabei die kundenspezifischen Aspekte zuerst abgearbeitet.
Wechselbeziehungen WIE? Pflichtenheft
WAS? Kundenanforderungen
WAS-WIE Beziehung
Prioritäten der Kunden
WIEVIEL? Technische Daten Vergleichsdaten der Wettbewerber
Abb. 5.23 House of Quality
1. Zunächst werden die Kundenanforderungen mithilfe von Umfragen, Untersuchungen und Händlerhinweisen systematisch erfasst und strukturiert zusammengestellt. Die Anforderungen sollten vollständig, überschneidungsfrei und unverfälscht erfasst werden. Die Kundenanforderungen werden hinsichtlich ihrer Bedeutung gewichtet, z.B. durch paar-
324
5 Die Unternehmensführung
weisen Vergleich oder Rangreihenverfahren, und nach primären, sekundären und tertiären Anforderungen geordnet. 2. Weiter werden auf Basis der Kundenanforderungen die bereits im Markt vorhandenen Konkurrenzprodukte bewertet. Falls es im Unternehmen selbst ein Vorgängerprodukt gibt, wird dies in einem Stärken/Schwächen-Profil (vgl. Abschnitt 5.1.2) mit den Konkurrenzprodukten verglichen. 3. Im nächsten Schritt werden die technischen Produkt- und Qualitätsmerkmale definiert, die zur Erfüllung der Kundenanforderungen erforderlich sind. Auch diese werden in primäre, sekundäre und tertiäre Merkmale eingeteilt. Die technischen Merkmale sollten operational formuliert sein, aber noch keine bestimmte Lösung des Ausgangsproblems implizieren. 4. Anschließend werden im „Dach“ des Hauses die Wechselwirkungen zwischen den technischen Qualitätsmerkmalen untersucht. Dabei erhält man Hinweise auf komplementäre Beziehungen, bei denen die Erfüllung eines Merkmals auch die Erfüllung eines anderen Merkmals unterstützt, sowie auf Zielkonflikte, bei denen ein Kompromiss gesucht werden muss. 5. Für jedes technische Qualitätsmerkmal wird die Optimierungsrichtung festgelegt. Es kann sich dabei um Minimierungsziele, Maximierungsziele oder die Vorgabe von Anspruchsniveaus in Form von Punkt- oder Bereichszielen handeln, die in einem Pflichtenheft festgehalten werden. 6. Im Zentrum des Hauses steht die Beziehungsmatrix, in der die technischen und die kundenbezogenen Anforderungen einander gegenübergestellt werden. Für jedes einzelne „Zimmer“ des Hauses wird überprüft, ob zwischen den zugehörigen Merkmalen eine Beziehung besteht, und die Intensität der Beziehung durch Vergabe von Punkten oder mithilfe von Symbolen beurteilt. 7. Durch Multiplikation der in Schritt 1. vorgenommenen Bewertung mit dem in Schritt 6. ermittelten Punktwert und die spaltenweise Addition dieser Werte wird die absolute und die relative Bedeutung der technischen Qualitätsmerkmale ermittelt. Dieser Schritt liefert Anhaltspunkte dafür, bei welchen Qualitätsmerkmalen aufgrund ihrer Bedeutung vorrangig Veränderungen vorzunehmen sind. 8. Die technischen Merkmale der Konkurrenzprodukte werden – gegebenenfalls wieder im Vergleich mit einem eigenen Vorläuferprodukt – bewertet und den Kundenbeurteilungen aus Schritt 2. gegenübergestellt. 9. Für jedes Qualitätsmerkmal werden die technischen Schwierigkeiten beurteilt, die eine Veränderung in die in Schritt 5. angegebene Optimierungsrichtung mit sich bringt. 10. Abschließend werden für jedes Qualitätsmerkmal endgültige Zielwerte formuliert, in die letztlich die Kundenanforderungen, die Ergebnisse des Wettbewerbsvergleichs und die Einschätzung der technischen Schwierigkeiten eingehen. Damit ist eine endgültige Spezifikation des Produkts möglich.
5.4 Qualitätsmanagement
325
Das House of Quality wird sukzessiv in den verschiedenen Phasen des Produktentwicklungsprozesses eingesetzt, um die Kundenanforderungen konsistent auf allen Ebenen bis hin zur Formulierung von konkreten Verfahrensanweisungen zu berücksichtigen. Zunächst wird ein Produktkonzept entwickelt, dann werden auf dessen Basis die einzelnen Baugruppen und Teile geplant, anschließend die zugehörigen Produktionsprozesse konzipiert und schließlich für die Ausführungsebene detaillierte Arbeits- und Prüfanweisungen formuliert. Das Quality Function Deployment nimmt eine einfache, aber systematische Analyse der Beziehungen zwischen Kundenanforderungen und ihrer technischen Umsetzbarkeit vor. Dadurch lassen sich zahlreiche Qualitätsprobleme bereits im Vorfeld der späteren Serienproduktion vermeiden. Die Vorgehensweise des Verfahrens und seine Ergebnisse sind gut nachvollziehbar und geben wertvolle Hilfestellungen bei der Produktentwicklung. Von großer Bedeutung für den Erfolg der Methode ist die abteilungsübergreifende Zusammenarbeit der betroffenen Mitarbeiter.
5.4.5
Qualitätsaudit
Ein Qualitätsaudit ist nach DIN EN ISO 8402 „... eine systematische und unabhängige Untersuchung, um festzustellen, ob die qualitätsbezogenen Tätigkeiten und die damit zusammenhängenden Ergebnisse den geplanten Anforderungen entsprechen ...“. Ein Qualitätsaudit dient somit der Beurteilung der Wirksamkeit des Qualitätsmanagements. Weiter kann es im Sinne eines kontinuierlichen Verbesserungsprozesses sinnvolle Korrektur- und Verbesserungsmaßnahmen aufzeigen. Nach dem Umfang bzw. der Durchführung des Qualitätsaudit unterscheidet man folgende Auditformen: • Ein Systemaudit bezieht sich auf die Aufbau- und Ablauforganisation des Unternehmens. Ein Verfahrensaudit wird durchgeführt, um die Prozesse im Unternehmen auf ihre Zweckmäßigkeit und die Einhaltung von Normen zu überprüfen. Bei einem Produktaudit werden die Produkte bzw. ihre Bauteile auf Übereinstimmung mit den Qualitätsvorgaben überprüft. • Bei einem internen Qualitätsaudit wird das Qualitätsmanagement durch eigene Mitarbeiter überprüft. • Bei einem externen Audit hingegen erfolgt die Überprüfung durch Außenstehende, entweder durch einen Großkunden (Lieferantenbewertung) oder durch neutrale Auditoren. Mit der Normenreihe DIN ISO 9000:2000 liegt ein bewährtes, universell einsetzbares und produktunabhängiges Modell eines Qualitätsmanagementsystems vor, das – aufbauend auf einer 1987 vorgestellten Ursprungsversion – sich in wenigen Jahren international durchgesetzt hat und zur weltweit meistgenutzten ISO-Norm wurde. Die vier Kernnormen dieser Normenreihe sind: DIN ISO 9000:2000
Qualitätsmanagementsysteme Grundlagen und Begriffe
326
5 Die Unternehmensführung
DIN ISO 9001:2000
Qualitätsmanagementsysteme Forderungen
DIN ISO 9004:2000
Qualitätsmanagementsysteme Leitfaden zur Leistungsverbesserung
DIN ISO 19011:2001
Auditleitfaden für Qualitäts- und Umweltmanagementsysteme
Hat das Unternehmen ein Qualitätsmanagementsystem nach der Normenreihe DIN ISO 9000:2000 eingeführt, so kann im Anschluss an eine erfolgreiche externe Auditierung durch eine autorisierte Stelle, z.B. den TÜV, die DEKRA oder bestimmte Unternehmensberatungen, ein Qualitätszertifikat erteilt werden, das in vielen Branchen bereits Voraussetzung für die Aufnahme einer Lieferantenbeziehung ist. Das Zertifikat hat eine Gültigkeit von drei Jahren, danach ist ein Folgeaudit erforderlich. Im Mittelpunkt der Normenreihe stehen schriftlich fixierte Verfahrensanweisungen zur Sicherstellung der Produkt- und Prozessqualität sowie eine umfangreiche Dokumentation in Form eines Qualitätshandbuchs. Die Verantwortung für die Qualität wird der Unternehmensleitung zugewiesen, die die Richtlinien der Qualitätspolitik formuliert und die Organisation des Qualitätsmanagements vorgibt. Weitere Elemente des Qualitätsmanagementsystems sind die Dokumentation von Qualitätsaufzeichnungen, die eine Rückverfolgung von fehlerhaften Produkten und Bauteilen bis zur Fehlerquelle erlauben, die Anwendung von Methoden der statistischen Qualitätskontrolle (vgl. Abschnitt 5.4.2), die Ergänzung der externen durch interne Audits und die Schulung der Mitarbeiter. Insgesamt stellt die Auditierung und Zertifizierung nach DIN ISO 9000:2000 einen Schritt zu einem höheren Qualitätsniveau und damit einen wichtigen Baustein im Rahmen des Total Quality Management dar, bringt aber auch zusätzliche Aufgaben und Dokumentationspflichten mit sich und ist mit zusätzlichen Kosten verbunden.
5.5
Umwelt- und Risikomanagement
Aufgrund des in den letzten Jahrzehnten gestiegenen Umwelt- und Risikobewusstseins in der Bevölkerung und ständig zunehmender Sicherheitsanforderungen an die Unternehmen vonseiten der Gesetzgebung hat das Umwelt- und Risikomanagement, das sich mit der Reduktion der durch die betriebliche Tätigkeit ausgelösten Umweltbelastungen und Störfälle sowie der Bewältigung der damit verbundenen Risiken befasst, zunehmend an Bedeutung gewonnen. Abschnitt 5.5.1 behandelt die standardisierten Umweltmanagementsysteme EMAS und DIN ISO 14001. Abschnitt 5.5.2 geht auf die Bewältigung der mit der Durchführung von Produktionsprozessen verbundenen Risiken ein und Abschnitt 5.5.3 befasst sich im Rahmen der Produkthaftung mit produktbezogenen Risiken.
5.5 Umwelt- und Risikomanagement
5.5.1
327
Umweltmanagementsysteme
Das Umwelt- und Risikomanagement zielt darauf ab, die mit der betrieblichen Tätigkeit verbundenen Risiken frühzeitig zu erkennen und soweit möglich bereits im Voraus zu vermeiden bzw. zu gestalten, anstatt eingetretene Schäden im Nachhinein zu begrenzen bzw. zu kompensieren. Dadurch lässt sich nicht nur das Image des Unternehmens in der Öffentlichkeit verbessern, sondern es lassen sich letztlich auch die Kosten reduzieren. Als allgemeines Leitbild des Umweltmanagements gilt heute die Nachhaltigkeit der wirtschaftlichen Aktivitäten (Sustainable Development). Ein aktives Umwelt- und Risikomanagement trägt somit zur langfristigen Existenzsicherung des Unternehmens bei. Umwelt- und Risikomanagement ist eine Querschnittsaufgabe, die sich auf sämtliche betrieblichen Funktionsbereiche auswirkt. Es muss auf der obersten Führungsebene, d.h. in der Unternehmensleitung verankert werden, die nicht nur die strategischen Ziele des Unternehmens und die allgemeine Unternehmenspolitik formuliert, sondern auch für die Umweltpolitik zuständig ist. Aus den Leitlinien der Umweltpolitik werden für die nachgeordneten Planungsebenen und Bereiche Richtlinien und Arbeitsanweisungen abgeleitet. Einige Beispiele für die Integration von Umweltaspekten in betriebliche Funktionsbereiche sind im Folgenden angegeben: • In die Organisation des Unternehmens sind Betriebsbeauftragte für Umweltschutz, z.B. für Abfall, Gefahrgüter, Gewässerschutz oder Immissionsschutz, an geeigneter Stelle einzubeziehen. • Das Controlling wird durch ein Umweltcontrolling ergänzt, das die Einhaltung der Umweltziele und die umweltbezogenen Stoff- und Energieströme sowie die damit verbundenen Geldströme überwacht. • Die Produktentwicklung kann sich verstärkt auf die Konzeption von umweltverträglichen Produkten konzentrieren, durch die die umweltbewussten Kundensegmente angesprochen werden. Weiter kann durch die Vermeidung unnötiger Verpackungen und durch die Verlängerung der Lebensdauer von Gebrauchsgütern das vom Unternehmen ausgelöste Abfallaufkommen reduziert werden. • Vorhandene Anlagen werden mit additiven Umweltschutzeinrichtungen wie Filtern und Katalysatoren nachgerüstet, um deren Emissionen zu verringern. Neue Investitionen erfolgen vorrangig in Anlagen mit integriertem Umweltschutz, die die Entstehung von Emissionen vermeiden. • Durch eine Umgestaltung der Produktionsprozesse lässt sich vielfach eine Kreislaufführung von Stoffen und Energie erreichen und damit die Effizienz der gesamtwirtschaftlichen Prozesse erhöhen. • Die Beschaffung berücksichtigt bereits bei der Auswahl von Einsatzstoffen deren Umweltverträglichkeit und versucht, umweltbelastende Materialien durch umweltverträglichere zu ersetzen.
328
5 Die Unternehmensführung
• Die Logistik kann die mit dem Transport von Gütern verbundenen Emissionen durch eine bessere Auslastung der Transportmittel und einen teilweisen Umstieg auf umweltverträgliche Transportmittel reduzieren. • Im Rechnungswesen werden die Kosten des Umweltschutzes und der vom Unternehmen ausgehenden Umweltbelastungen separat erfasst und ausgewiesen. Durch eine regelmäßige Umweltberichterstattung wird die Öffentlichkeit aktiv über die umweltbezogenen Maßnahmen des Unternehmens informiert. • Das Informationssystem des Unternehmens wird um ein Umweltinformationssystem erweitert. In einem Umweltmanagementsystem werden derartige Maßnahmen koordiniert eingesetzt, um ihre Wirksamkeit zu erhöhen. In der betrieblichen Praxis werden derzeit zwei konkurrierende Ausprägungen von Umweltmanagementsystemen diskutiert, die beide mit einer externen Auditierung und der Vergabe eines Umweltzertifikats verbunden sind: • EMAS (Environmental management and audit scheme) beruht auf der 1993 verabschiedeten EG-Ökoaudit-Verordnung, sein Geltungsbereich ist somit auf die Europäische Union beschränkt. Ein Kennzeichen dieses Systems ist die an außenstehende Adressaten gerichtete Umwelterklärung, in der das Unternehmen seine Umweltpolitik, seine Umweltziele und seine betrieblichen Umweltwirkungen darstellt. • Die weltweit geltende Norm DIN ISO 14001 wurde 1996 eingeführt und weist zahlreiche Parallelen zu der in Abschnitt 5.4.5 behandelten Normenreihe DIN ISO 9000 ff. für das Qualitätsmanagement auf. Dieses System wird wegen seines größeren Einsatzbereichs von vielen Unternehmen vorgezogen. Bei der im Jahr 2000 vorgenommenen Novellierung der EMAS-Verordnung erfolgte eine weitgehende Anpassung an die ISO-Norm, um den Unternehmen eine doppelte Zertifizierung zu ermöglichen. Unabhängig von der unterschiedlichen Ausgestaltung dieser beiden Regelwerke lassen sich einige grundlegende Elemente von Umweltmanagementsystemen identifizieren (vgl. Abb. 5.24). Von grundlegender Bedeutung ist die Konzeption als Regelkreis, mit der eine kontinuierliche Verbesserung beabsichtigt wird. • Ausgangspunkt eines Umweltmanagements ist die Umweltpolitik, deren Gegenstand die Festlegung von Umweltzielen in Form von grundlegenden Vorstellungen und Handlungsleitlinien ist. • Durch die Planung wird die Umweltpolitik in ein Umweltprogramm umgesetzt, das konkrete Maßnahmen zur Zielerreichung und die Zuordnung von Verantwortlichkeiten umfasst. Das Umweltprogramm wird in einem Umwelthandbuch dokumentiert. Voraussetzung für eine Planung von Maßnahmen ist die systematische Erfassung der Stoff- und Energieströme des Unternehmens, verbunden mit einer Aufdeckung der bestehenden Schwachstellen.
5.5 Umwelt- und Risikomanagement
329
Kontinuierliche Verbesserung
Umweltpolitik
Bewertung durch Unternehmensleitung
Planung
Kontroll- und Korrekturmaßnahmen
Implementierung Durchführung
Abb. 5.24 Umweltmanagementsystem
• Bei der anschließenden Implementierung und Durchführung des Umweltmanagements erfolgen eine Dokumentation der erforderlichen Abläufe und eine entsprechende Schulung der Mitarbeiter. Auch die erzielten Ergebnisse werden regelmäßig erfasst und dokumentiert. • Kontroll- und Korrekturmaßnahmen sind sowohl für die Überprüfung der alltäglichen Arbeitsabläufe als auch im Rahmen der internen und externen Auditierung erforderlich. Es wird einerseits kontrolliert, ob die relevanten Vorschriften eingehalten werden, andererseits wird die Funktionsfähigkeit des Umweltmanagementsystems insgesamt überwacht. • Die Bewertung des Umweltmanagements durch die Unternehmensleitung erfolgt in Form von regelmäßigen Management Reviews. Falls es sich z.B. aufgrund veränderter Umweltgesetze oder gesellschaftlicher Prozesse als erforderlich erweist, werden in dieser Phase Änderungen des Umweltmanagementsystems angestoßen, die beim anschließenden Durchlauf durch den Regelkreis umgesetzt werden können. Die Einführung eines Umweltmanagementsystems ist nicht nur Voraussetzung für die Erlangung eines Umweltzertifikats, das – ähnlich wie die Zertifizierung des Qualitätsmanagements – beim Aufbau von Lieferantenbeziehungen zunehmend verlangt wird, sondern führt auch über die systematische Kontrolle der Stoff- und Energieflüsse zu einer Verringerung der vom Unternehmen ausgehenden Umweltwirkungen und damit letztlich zu einer Reduktion der Kosten.
330
5.5.2
5 Die Unternehmensführung
Prozessrisiken
Risiken entstehen aus der Ungewissheit hinsichtlich des Ergebnisses betrieblicher Abläufe. Insbesondere mit der Durchführung von Produktionsprozessen sind zahlreiche Schadensund Haftungsrisiken sowohl aus dem Umweltbereich als auch aus anderen Bereichen verbunden. So können z.B. bei einer bestimmten Fahrweise der Prozesse die vorgegebenen Emissionsgrenzwerte aus dem Umweltschutz oder im Bereich der Arbeitssicherheit (MIKbzw. MAK-Werte) überschritten werden. Die Aufgabe des Risikomanagements besteht darin, derartige Risiken aufzuzeigen und so zu gestalten, dass sie die Existenz des Unternehmens nicht gefährden. Generell lässt sich ein Risiko quantifizieren, indem man die erwartete Schadenshöhe mit seiner Eintrittswahrscheinlichkeit multipliziert. Die Gesamtrisikolage des Unternehmens ergibt sich durch Aggregation der bestehenden Einzelrisiken. Diese Definition ist allerdings wenig operational, da in der Regel keine vollständigen Informationen hinsichtlich der benötigten Größen verfügbar sind. Nach ihren Auswirkungen lassen sich zwei Arten von Risiken unterscheiden: • Systematische Prozessrisiken resultieren aus der zeitweisen Überschreitung von Vorgabewerten, die während des regulären Ablaufs der Produktionsprozesse auftritt. Derartige Überschreitungen sind in der Regel geringfügig und daher tolerierbar. Ihre Ursache kann z.B. in unvermeidbaren Schwankungen bei der Prozessdurchführung, in Schwankungen bei der Qualität des Einsatzmaterials oder in Schwankungen bei der Produktionsmenge oder der Auftragszusammensetzung liegen. Prozessrisiken sind grundsätzlich durch eine geringe Schadenshöhe und eine relativ hohe Eintrittswahrscheinlichkeit gekennzeichnet. Sie sollten dennoch soweit wie möglich vermieden werden, um einerseits die natürliche Umwelt nicht unnötig zu belasten und andererseits Sanktionen vonseiten der Kontrollbehörden zu vermeiden. • Katastrophenrisiken beruhen auf unvorhersehbaren Störfällen, wie Explosionen, Bränden, Havarien und anderen Unfällen, oder auf Naturkatastrophen, wie Sturm, Hagel, Blitzschlag, Erdbeben, und führen zu einer erheblichen, aber in der Regel nur kurzzeitigen Gefährdung von Arbeitnehmern, Anlagen und der Umwelt sowie zu materiellen Folgeschäden. Störfälle werden häufig durch technisches oder menschliches Versagen verursacht. Neben dem materiellen Schaden sind sie vielfach mit einem langfristigen Imageschaden für das betroffene Unternehmen verbunden. Während das Ausmaß von Katastrophenschäden erheblich ist, ist ihre Wahrscheinlichkeit sehr gering. Soweit eine Vermeidung von Störfällen nicht möglich ist, gilt es, durch ein sorgfältiges Katastrophenmanagement zumindest ihre negativen Folgen zu begrenzen. Für das Management von Prozessrisiken kommen verschiedene Instrumente zum Einsatz: • Risikovermeidung und -verminderung: Durch technische und organisatorische Maßnahmen im Bereich der Technologiewahl, der Standortwahl oder der Sicherheitstechnik lässt sich sowohl die Eintrittswahrscheinlichkeit als auch die voraussichtliche Höhe eines Schadens reduzieren. So tragen z.B. Unfallverhütungsvorschriften und Sicherheitsklei-
5.5 Umwelt- und Risikomanagement
331
dung zur Vermeidung von Arbeitsunfällen bei, der Einbau von feuerhemmenden Materialien und Sprinkleranlagen reduziert den bei einem Brand entstehenden Schaden, durch Sicherheitslager für Gefahrstoffe lässt sich ihre unkontrollierte Ausbreitung in der natürlichen Umwelt verhindern. • Risikoausgleich: Da es sich bei den mit der Produktion verbundenen Risiken zum großen Teil um Ereignisse handelt, die nicht vollständig miteinander korreliert sind, können sich ungünstige Entwicklungen in einem Bereich und günstige Entwicklungen in einem anderen Bereich gegenseitig kompensieren. Ein solcher interner Risikoausgleich erfolgt z.B. bei der Aufteilung der Produktion auf mehrere Werke an unterschiedlichen Standorten, die nicht gleichzeitig von Katastrophenschäden betroffen werden, oder auch durch eine auf mehrere Stellplätze verteilte Lagerhaltung eines Materials. • Risikoüberwälzung: Durch den Abschluss von Versicherungsverträgen, die exakt definierte Schäden bis zu einer vereinbarten Summe gegen die regelmäßige Zahlung einer Versicherungsprämie absichern, wird das Risiko auf das Versicherungsunternehmen abgewälzt. Das Unternehmen ersetzt also das Risiko einer hohen Zahlung im Schadensfall, die mit geringer Wahrscheinlichkeit anfällt, durch die sichere Zahlung einer relativ geringen Prämie, die neben dem Erwartungswert des Schadens auch die Verwaltungskosten und die Gewinnspanne des Versicherungsunternehmens umfasst. Die Versicherung selbst nimmt dadurch, dass sie sehr viele unterschiedliche Risiken übernimmt, wiederum einen Risikoausgleich vor. Die Wahrnehmung und Beurteilung eines Risikos hängt nicht nur von seiner Höhe ab, sondern auch von der – häufig individuell unterschiedlichen – Risikobereitschaft der potenziell Betroffenen. Da sich die mit modernen Technologien verbundenen Risiken nicht auf Null reduzieren lassen, muss das Risikomanagement auf die gesellschaftlich akzeptierten Restrisiken abstellen.
5.5.3
Produkthaftung
Als Produkthaftung bezeichnet man die Verpflichtung eines Unternehmens zum Eintreten für Mangelfolgeschäden, d.h. Personen-, Sach- oder Vermögensschäden, die aufgrund fehlerhafter Produkte beim Produktbenutzer auftreten. Die allgemeine Regelung zum Schadensersatz in § 823 BGB setzt ein Verschulden des Herstellers voraus (Verschuldenshaftung). Kann der Hersteller nachweisen, dass er hinreichende Maßnahmen zur Gefahrenabwehr ergriffen hat, so liegt kein Verschulden vor. Derartige Maßnahmen sind z.B. die Vermeidung von Konstruktions- und Fabrikationsfehlern durch ein Qualitätsmanagementsystem oder die vorbeugende Berücksichtigung von potenziellen Benutzerfehlern in der Gebrauchsanleitung des Produkts. Unterlässt der Verbraucher eine angemessene Sorgfalt bei der Verwendung des Produkts, liegt ebenfalls kein Verschulden des Herstellers vor. Im Gegensatz zur Verschuldenshaftung des BGB stellt das 1990 konzipierte Produkthaftungsgesetz auf die Gefährdungshaftung ab. Der Hersteller haftet nunmehr auch für alle Schäden, die bei der privaten Nutzung eines Produkts infolge von Produktfehlern entstehen.
332
5 Die Unternehmensführung
Ein Produkt gilt als fehlerhaft, wenn es nicht den jeweils berechtigten Sicherheitserwartungen entspricht. Dies gilt auch für Fehler, die trotz großer Sorgfalt bei der Produktion, der Qualitätskontrolle und dem Vertrieb entstanden sind. Das Leitmotiv für diese Verschärfung der Produkthaftung ist der Verbraucherschutz. Da die aus der Produkthaftung resultierenden Zahlungsrisiken den Bestand eines Unternehmens gefährden können, ist durch vorbeugende Maßnahmen, die in allen Phasen der Wertschöpfung ansetzen können, für eine möglichst weitgehende Reduktion von Produktfehlern zu sorgen: • Bereits bei der Konstruktion von Produkten ist darauf zu achten, dass eine sichere Verwendung gewährleistet ist bzw. absehbare Gefährdungen ausgeschlossen werden. So weisen z.B. Kappen von Schreibstiften Luftschlitze auf, damit Kinder bei versehentlichem Verschlucken nicht ersticken können. • Die Beschaffung kann durch Wareneingangskontrollen darauf achten, dass keine fehlerhaften Materialien in die Produktion gelangen, und dadurch das Risiko fehlerhafter Produkte reduzieren. • In der Fertigung selbst lässt sich die Qualität der Produkte durch den Einsatz von Instrumenten des Qualitätsmanagements wie die statistische Prozessregelung (vgl. Abschnitt 5.4.2) sicherstellen. Weiter können durch eine systematische und nachvollziehbare Dokumentation des Produktionsgeschehens Haftungsansprüche aus der Verschuldenshaftung abgewehrt werden. • Das Marketing sollte den Einsatz der Produkte regelmäßig beobachten und beim Auftreten von Problemen gegebenenfalls rechtzeitig eine Rückrufaktion einleiten. Durch den gezielten Einsatz von kommunikativen Maßnahmen in Form von verständlichen Gebrauchsanleitungen und Warnhinweisen wird die Sicherheit des Produkteinsatzes vorbeugend erhöht. Die Produktgestaltung spielt eine besondere Rolle für die spätere Produktsicherheit. Dabei kommen folgende Prinzipien zum Einsatz: • Nach dem Redundanzprinzip werden Komponenten, die besonders sicherheitsrelevante Funktionen übernehmen, so ausgelegt, dass auch bei teilweisem Ausfall der sichere Gebrauch des Produkts möglich ist. Ein Beispiel ist der Einbau von zwei unabhängigen Bremssystemen in Fahrzeugen. • Das Fail-Safe-Prinzip bedeutet den Einbau von zusätzlichen Sicherheitselementen, die das Produkt bei einem Störfall oder beim Ausfall einer kritischen Komponente automatisch in einen gefahrlosen Zustand überführen. Hierzu zählt z.B. der Einbau von Schutzschaltern in elektrischen Anlagen oder die Kraftstoffabschaltung in Kraftfahrzeugen bei einem Unfall. • Durch eingebaute Produktsicherheit lassen sich Gefahrensituationen vorausschauend vermeiden, z.B. durch Verwendung hitzebeständiger Zuleitungen bei elektrischen Haushaltsgeräten.
5.5 Umwelt- und Risikomanagement
333
• Von großer Bedeutung für die Produktsicherheit ist die Orientierung an eindeutig definierten technischen Standards, die durch die Vergabe von entsprechenden Prüfzeichen (z.B. GS, VDE, CE) nachgewiesen wird. Jedoch steigen die Konstruktions- und Fertigungskosten an, wenn umfangreiche Maßnahmen zur Erhöhung der Produktsicherheit ergriffen werden. Daher gilt es, diese Kosten gegen die vermiedenen Haftungsrisiken und gegebenenfalls auch die negativen Imageaspekte von fehlerhaften Produkten abzuwägen. Ähnliche Überlegungen gelten für die Maßnahme des Produktrückrufs, die zum Einsatz kommt, wenn ein fehlerhaftes Produkt bereits in den Markt gelangt ist. Bei einigen Produkten, z.B. bei Arzneimitteln, ist der Hersteller zum Rückruf verpflichtet, wenn Probleme mit dem Produkt auftreten. Ein freiwilliger Produktrückruf lohnt sich nur dann, wenn die Rückrufkosten geringer sind als die durch den Rückruf vermiedenen Haftungsrisiken. Der Produktrückruf kann offen oder verdeckt erfolgen. Bei einem offenen Produktrückruf werden die Kunden öffentlich aufgefordert, ihre Produkte zurückzugeben oder nachbessern zu lassen. Manche Unternehmen setzen den offenen Produktrückruf bewusst als Marketinginstrument ein, um der Öffentlichkeit ihre umfassende Verantwortung für ihre Produkte zu demonstrieren. Bei einem verdeckten Produktrückruf hingegen wird der Fehler z.B. im Rahmen einer regelmäßigen Wartung beseitigt, so dass der Kunde dies in der Regel nicht bemerkt.
6
Glossar und Index
Das Glossar erfüllt mehrere Funktionen: Es kann wie ein Lexikon benutzt werden, um die Definition eines betriebswirtschaftlichen Fachbegriffs nachzuschlagen und gegebenenfalls den angegebenen Verweisen zu folgen. Weiter dient es als deutsch-englisches Wörterbuch für die enthaltenen Begriffe. Dabei ließ sich allerdings nicht zu jedem Begriff ein passender englischer Terminus finden, da einige Begriffe typisch für die Denkweise in der deutschen Betriebswirtschaftslehre sind. Schließlich hilft das Glossar wie ein Index beim Auffinden der wesentlichen Textstellen, an denen der jeweilige Begriff verwendet wird.
ABC-Analyse
ABC-analysis
Klassifikation von Teilen anhand ihrer Jahresverbrauchswerte
53ff.
Abfall
waste
unerwünschtes → Kuppelprodukt bei der Produktion
18, 112ff.
Abluft
waste air
durch Gase, Dämpfe, Stäube verunreinigte Luft
113
Absatz
sales
Verwertung der betrieblichen Leistung am → Markt
19f., 87f., 100ff.
Abschlussprüfung
annual auditing
von einem → Wirtschaftsprüfer vorgenommene Prüfung des → Jahresabschlusses
204f.
Abschreibungen
depreciation
→ Aufwendungen bzw. → Kosten, die der verursachungsgerechten Verrechnung des Werteverzehrs von Gegenständen des → Anlagevermögens dienen
179, 205, 213, 234ff.
Abteilung
department
Zusammenfassung von → Stellen mit zusammengehörigen Tätigkeiten unter einheitlicher Leitung
10ff.
Abwasser
waste water
physikalisch, chemisch oder biologisch verunreinigtes Wasser
113f.
Abweichungsanalyse
cost variance analysis
Gegenüberstellung von Soll- und Ist-Werten und Erklärung der Abweichungen
254
336
6 Glossar und Index
Abzahlungsdarlehen
installment credit
→ Darlehen, das mit gleich hohen Beträgen getilgt wird
162ff.
Abzinsung
discounting
Berechnung des Barwerts einer später eingehenden Zahlung durch Abziehen der zwischenzeitlich erzielbaren → Zinsen
144ff.
Agio
premium
Aufgeld, das bei der Emission von →Aktien oder →Schuldverschreibungen über den Nennwert hinaus erhoben wird
164, 174, 177, 209
Akkordlohn
piecework rate
Entlohnung anhand der in der Abrechnungspe- 79, 314 riode erbrachten Arbeitsleistungen
Aktiva
assets
Bezeichnung für Vermögensgegenstände auf der linken Seite der → Bilanz
Aktivkonto
asset account
→ Konto, das aus der Aktivseite der → Bilanz 194f. abgeleitet wird
Aktivtausch
accounting exchange on the assets side
Geschäftsvorfall, bei dem durch Vermögensumschichtung der Bestand eines → Aktivkontos zu- und der eines anderen abnimmt
194
Amortisationszeitpunkt
payback period
Zeitpunkt, zu dem die Anschaffungsausgabe bei einer → Investition über laufende Einzahlungsüberschüsse zurückgeflossen ist, → Payoff-Periode
141f., 149f.
Anbauverfahren
expense distribution transfer sheet
Verfahren der → innerbetrieblichen Leistungsverrechnung, bei dem der Leistungsaustausch zwischen den → Kostenstellen völlig vernachlässigt wird
242ff.
Anderskosten
---
→ kalkulatorische Kosten, denen in der → Finanzbuchhaltung ein → Aufwand in anderer Höhe gegenübersteht
223, 234
Anlagevermögen
fixed assets
Vermögensgegenstände, die längerfristig im → Unternehmen verbleiben
138, 157, 205f., 213, 237
Annuität
annuity
jährlich anfallende, gleich hohe Zahlung
149f.
Annuitätendarlehen annuity loan
→ Darlehen, das aufgrund fester Raten und fallender Zinsbelastung mit steigenden Beträgen getilgt wird
162
Ansoff-Matrix
Instrument des strategischen Managements, das Produkt-/Marktkombinationen bestimmte Entwicklungsstrategien zuordnet
285f.
product-marketstrategy
157f., 178, 205ff.
6 Glossar und Index
337
Äquivalenzziffernkalkulation
weighting figure accounting
Variante der → Divisionskalkulation für fertigungstechnisch verwandte Produkte
247f.
Arbeitsteilung
division of labor
Aufteilung einer Gesamtaufgabe in Teilaufgaben, die jeweils spezialisierten Mitarbeitern zugewiesen werden; Ausprägungen: → Artteilung, → Mengenteilung
10
Artteilung
---
Form der → Arbeitsteilung, bei der eine Gesamtaufgabe in unterschiedliche Teilaufgaben aufgeteilt wird
10
Aufbauorganisation
company organiza- hierarchische Struktur des → Unternehmens, tion structure Zuweisung von Aufgaben zu → Stellen
11ff.
Aufwendungen
expenses
bewerteter Einsatz von Gütern und Dienstleistungen, Abfluss beim → Reinvermögen
165, 176f., 202ff., 220f.
Aufzinsung
accumulation
Berechnung des Werts eines verfügbaren Betrags zu einem späteren Zeitpunkt durch Hinzurechnen der zwischenzeitlich anfallenden → Zinsen
143f.
Ausgabe
outflows
Abfluss beim → Geldvermögen
208f., 221f.
Außenfinanzierung debt financing
Bereitstellung finanzieller Mittel von außen
157f.
Auszahlung
payment
Abfluss von → Zahlungsmitteln
137ff., 181ff., 221ff.
B2B-Geschäfte
B2B transactions
Business-to-Business, mit anderen Unternehmen durchgeführte Geschäfte im → eBusiness
275
B2C-Geschäfte
B2C transactions
Business-to-Consumer, mit Endkunden durchgeführte Geschäfte im → e-Business
275
Balanced Scorecard
balanced scorecard
→ Kennzahlensystem, das neben finanzwirtschaftlichen → Kennzahlen auch eine Kunden-, eine Geschäftsprozess- und eine Mitarbeiterperspektive umfasst
257f.
Baukastenprinzip
modular concept of produktgestalterische Konzeption, bei der construction durch verschiedene Kombination standardisierter → Bauteile verschiedene Endprodukte entstehen
88, 277
Bauteil
component
50f., 63f., 88
Halbfabrikat, Zwischenprodukt
338
6 Glossar und Index
Benchmarking
benchmarking
Ableitung strategischer Verbesserungsmaßnahmen aus dem Vergleich des eigenen → Unternehmens mit anderen Unternehmen, die bezüglich bestimmter Zielsetzungen führend sind
256, 289ff.
Beschaffung
procurement
Versorgung der → Produktion mit den benötigten Materialien
18f., 26, 49ff., 121f.
Bestandskonten
real accounts
Oberbegriff für → Aktiv- und → Passivkonten 192ff.
Betrieb
enterprise
Typ des → Unternehmens in einer marktwirtschaftlichen Ordnung
Betriebsabrechnungsbogen
expense distribution sheet
Tabelle zur übersichtlichen Durchführung der 245 → Kostenarten- und → Kostenstellenrechnung
Betriebsergebnisrechnung
operating income statement
kurzfristige Erfolgsrechnung, die die in der Abrechnungsperiode angefallenen → Erlöse und → Kosten einander gegenüberstellt
220, 251ff.
Betriebsmittel
production facilities
→ Produktionsfaktoren, die ihr Leistungspotenzial über einen längeren Zeitraum abgeben
18, 26, 78f.
Betriebsmittelkredit
investment credit
langfristiges → Darlehen bei der Hausbank zur 151, 161, → Finanzierung von Anlagen 212
Betriebsstoffe
operating supplies
→ Produktionsfaktoren, die zum Betrieb der Anlagen erforderlich sind, z.B. Energie, Schmiermittel, Kühlwasser
18, 49, 207
Bezogener
drawee
Zahlungsverpflichteter aus einem → Wechsel
168f.
Bezugsgrößenkalkulation
reference based costing
Variante der → Zuschlagskalkulation, bei der für jede → Kostenstelle separate Zuschlagssätze anhand unterschiedlicher Bezugsgrößen ermittelt werden
250
BGB-Gesellschaft
civil law association
Zusammenschluss von Personen oder → Unternehmen zur Erreichung eines gemeinsamen Zwecks, → Arbeitsgemeinschaft
34f.
BCG-Portfolio
BCG portfolio method
von der Boston Consulting Group entwickelte 297ff. Matrix, die den → strategischen Geschäftseinheiten eines → Unternehmens in Abhängigkeit von ihrem Marktanteil und dem Wachstum ihres → Markts bestimmte Strategien zuordnet
Bilanz
balance sheet
stichtagsbezogene Gegenüberstellung von Vermögen und Schulden eines → Unternehmens
1ff.
42, 137, 156ff., 170ff., 189ff., 199ff.
6 Glossar und Index
339
Bilanzanalyse
balance sheet analysis
Beurteilung eines → Unternehmens durch 200, Aufbereitung und Interpretation von Daten aus 212ff. dem → Jahresabschluss
Bilanzverkürzung
balance sheet contraction
Geschäftsvorfall, bei dem ein Abgang bei einem → Aktiv- und einem → Passivkonto stattfindet
196
Bilanzverlängerung balance sheet extension
Geschäftsvorfall, bei dem ein Zugang bei einem → Aktiv- und einem → Passivkonto stattfindet
195
Bonität
financial standing
Kreditwürdigkeit
163
Buchführung
bookkeeping
Teilbereich des externen Rechnungswesens, geordnete Erfassung von Geschäftsvorfällen
187ff., 201ff.
Budget
budget
kurz- bis mittelfristiger Plan zur Steuerung der 258ff. Mittelallokation innerhalb des → Unternehmens
Budgetierung
budgeting
perioden- oder projektbezogene Vorgabe der von einem Bereich zu erbringenden Leistungen und der zulässigen → Kosten
Bullwhip-Effekt
bullwhip effect
einander verstärkende Prognoseschwankungen 128 in mehrstufigen Lieferketten
Cash Management
cash management
laufende Überwachung des Zahlungsmittelbestands
Cashflow
cash flow
Maß für die Innenfinanzierungskraft eines 176, Unternehmens, Summe aus Bilanzgewinn, → 215f., Abschreibungen, Zuführung zu → Rückstel282, 299 lungen und Differenz aus außerordentlichen → Aufwendungen und → Erträgen
ceteris-paribusAnnahme
ceteris paribus assumption
Annahme der Partialanalyse, bei der alle Einflussgrößen bis auf eine konstant gehalten werden
8
CIM
CIM
Computer Integrated Manufacturing, Weiterentwicklung von → PPS-Systemen, bei der betriebswirtschaftliche und technische Daten und Funktionen verknüpft werden
272f.
Controlling
controlling
Planung, Steuerung und Kontrolle von Unternehmensprozessen
253ff.
Darlehen
loan
zeitlich befristete Überlassung von Geld gegen 159ff., Zahlung von → Zinsen und Rückzahlung des 195f. Darlehensbetrags
258ff.
24, 184f.
340
6 Glossar und Index
Data Warehouse
data warehouse
Weiterentwicklung einer → Datenbank, bei der Daten aus verschiedenen Anwendungsbereichen zu Auswertungszwecken zusammengefasst werden
24, 264ff.
Datenbank
data base
Anwendungsprogramm, das der Speicherung und Bereitstellung von im → Unternehmen anfallenden Daten dient
264ff.
Deckungsbeitrag
contribution margin
Differenz aus Stückerlös und → variablen Stückkosten
88ff., 227ff.
Degressive Abschreibung
declining deprecia- Abschreibungsmethode, bei der die Anschaftion fungskosten mit fallenden Beträgen auf die → Nutzungsdauer verteilt werden
205, 236
Dienstleistungskos- cost of services ten
→ Kosten für Leistungen, die von fremden Personen oder Institutionen erbracht werden
233
Disagio
discount
Abzug bei der Emission eines → Wertpapiers unter dem Nennwert
163
Diskont
discount
Betrag, der bei → Diskontierung eines → Wechsels einbehalten wird
169
Diskontierung
discounting
Vergleich von Zahlungen zu unterschiedlichen 140ff., Zeitpunkten durch → Aufzinsung bzw. → 150, Abzinsung
Distribution
distribution
Überbrückung der Distanz zwischen Produzent 108, und Abnehmer 110ff., 122
Diversifikation
diversification
Ausweitung der Unternehmensaktivitäten in neue Geschäftsbereiche
165, 286
Divisionskalkulation
process costing
Kalkulationsverfahren, bei dem die Gesamtkosten des Unternehmens oder eines Bereichs durch die Anzahl der hergestellten Produkte dividiert werden
246ff.
Dynamische Inves- dynamic methods titionsrechnung of investment analysis
Verfahren, die durch → Diskontierung die zeitliche Verteilung von Zahlungen berücksichtigen
143ff.
e-Business
e-business
Verkauf von Leistungen auf elektronischen → Märkten, → B2B- und → B2C-Geschäfte
100, 129, 274ff.
e-Commerce
e-commerce
elektronischer Handel
274ff.
Effektivverschuldung
actual debt
Teil des → Fremdkapitals, der nicht durch 215 kurzfristig liquidierbare Vermögensgegenstände abgedeckt ist, d.h. dem Unternehmen dauerhaft zuzurechnende Schulden
6 Glossar und Index
341
Effektivzins
effective rate
Rendite eines → Wertpapiers. Der Effektivzins liegt über dem → Nominalzins, wenn das Wertpapier unter seinen Ausgabekurs gefallen ist, er liegt darunter, wenn der Kurs über dem Ausgabekurs liegt.
163f.
Effizienz
efficiency
Vermeidung von Verschwendung
5ff., 101, 115
Eigenkapital
stockholders’ equity
dem → Unternehmen von seinen Eigentümern zeitlich unbefristet zur Verfügung gestellte Finanzmittel, Differenz aus der Summe der → Vermögensgegenstände und der → Verbindlichkeiten
21f., 32f., 43, 131, 157f., 172ff., 190ff., 237
Einnahme
receipt
Zufluss beim → Geldvermögen
137, 211ff.
Einzahlung
cash inflow
Zufluss von → Zahlungsmitteln
135ff., 192ff., 221ff.
Einzahlungsüberschuss
cash surplus
Differenz aus den bei einer → Investition in einer Periode anfallenden → Einzahlungen und → Auszahlungen
145, 153f.
Einzelfertigung
job production
auftragsorientierte Herstellung kundenindividueller Produkte
96, 276
Einzelkosten
direct cost
→ Kosten, die sich direkt einem Produkt zurechnen lassen
226, 228ff, 248f., 259
Einzelunternehmen one-man business
→ Unternehmen, das von einer Einzelperson betrieben wird
32f., 173f.
Elastische Nachfrage
elastic demand
Nachfrage, die überproportional auf eine Preisänderung reagiert, → Preiselastizität
103ff.
EMAS
EMAS
Environmental management and audit scheme, 326ff. Umweltmanagementsystem nach der EGÖkoaudit-Verordnung
Entsorgung
waste disposal
ordnungsgemäße Behandlung oder Beseitigung von → Abfällen und Rückständen
19f., 112ff.
Erfahrungskurve
experience curve
Abbildung der Kostenstruktur eines Produkts im Zeitablauf
294ff.
Erfolg
profit, result
Oberbegriff für → Gewinn und → Verlust bzw. für → Erträge und → Aufwendungen
5, 108f., 131ff., 192f.
342
6 Glossar und Index
Erfolgsanalyse
profit analysis
Bereich der → Bilanzanalyse, der auf eine Prognose des zukünftigen Unternehmenserfolgs abzielt
215f.
Erfolgskonto
operating account
Oberbegriff für Ertrags- und Aufwandskonten
192ff.
Erlös
revenue
= Umsatz, Produkt aus Absatzmenge und Absatzpreis
7f., 103f., 140ff., 251ff.
ERP
ERP
Enterprise Resource Planning, Weiterentwicklung von → PPS-Systemen, bei der die unternehmensweiten Ressourcen und ihre Interdependenzen berücksichtigt werden
270ff.
Ersatzinvestition
replacement investment
Ablösung einer Anlage nach Ablauf ihrer → Nutzungsdauer
138f., 152f.
Ertrag
yield
Gegenwert der betrieblichen Leistungen, Zufluss beim → Reinvermögen
75, 132f., 196f., 222ff.
Erweiterungsinves- expansion investtition ment
Ausweitung der → Kapazität durch Anschaffung zusätzlicher Anlagen
138ff., 305
Factoring
factoring
Verkauf von → Forderungen aus Lieferungen und Leistungen an ein Finanzierungsinstitut
171ff.
Faktoreinsatzfunktion
factor input function
Funktion, die die Abhängigkeit der benötigten Faktoreinsatzmenge von der Ausbringungsmenge angibt
78ff.
FCFS-Regel
first come first served rule
→ Prioritätsregel in der → Maschinenbelegungsplanung, die dem zuerst an einer Maschine eintreffenden Auftrag die höchste Priorität gibt (first come first served)
94
Fehlmengenkosten
stock out cost
→ Kosten der Lieferunfähigkeit
68f.
Fertigungstiefe
range of vertical integration
Umfang des im eigenen Unternehmen erbrach- 46, 86f., ten Anteils an der → Wertschöpfung 306
FIFO-Methode
first-in, first-out method
Verfahren zur Bewertung des Materialverbrauchs, bei dem unterstellt wird, dass die zuerst eingelagerten Einheiten zuerst verbraucht werden (first in first out)
232
Finance Leasing
finance leasing
Leasingvertrag mit fester Grundmietzeit
170
Finanzanlagen
financial assets
auf Dauer angelegte Wertpapierbestände, Beteiligungen und Ausleihungen
138, 190, 206
Finanzbuchhaltung
financial accounting
externes → Rechnungswesen
22, 222ff.
6 Glossar und Index
343
Finanzierung
financing
Bereitstellung von finanziellen Mitteln, Kapitalherkunft
20, 156ff., 189, 237
Fixkosten
constant cost
kurzfristig nicht abbaubare → Kosten, Kosten der Betriebsbereitschaft
50f., 79f., 213ff., 239
Flexibilität
flexibility
Fähigkeit eines Fertigungssystems zur Anpassung an wechselnde Anforderungen
14, 52, 98, 127, 273, 301
Flexible Fertigung
flexible manufacturing
objektorientierte Zusammenfassung von → 99f., 206 NC-Maschinen und automatisierten Transportsystemen zur → Komplettbearbeitung von Produkten
Fließfertigung
process production
automatische Verkettung von Maschinen und Anordnung entsprechend dem Materialfluss (→ Objektprinzip)
97f.
FMEA
FMEA
Failure mode and effects analysis, Methode der präventiven → Qualitätssicherung durch systematische Offenlegung von potenziellen Fehlerquellen
321ff.
Forderung
receivable
Anspruch auf Zahlung eines Geldbetrags
133f., 160f., 188, 207, 221
Franchising
franchising
Vermarktung einer Geschäftsidee über Lizenznehmer
17
Fremdkapital
creditors’ equity
von Kreditgebern befristet überlassene Finanzmittel
157f., 172, 214
Führungsstil
management style
autoritäre oder kooperative Ausgestaltung der → Personalführung
310f.
Fusion
merger
Zusammenschluss von → Unternehmen zu einer neuen wirtschaftlichen und rechtlichen Einheit
40, 175f.
Gantt-Diagramm
Gantt chart
Verfahren zur grafischen Darstellung von → Maschinenbelegungsplänen
93f.
Gap-Analyse
gap analysis
Instrument des strategischen → Managements, 284f. durch das die strategische Lücke zwischen Neu- und Basisgeschäft aufgezeigt wird
Geldmarkt
money market
→ Markt zur Anlage oder Aufnahme von kurzfristigen Mitteln mit einer Laufzeit bis zu einem Jahr
27, 166
344
6 Glossar und Index
Geldvermögen
financial assets
Summe aus → Zahlungsmitteln und → Forderungen, abzüglich der → Verbindlichkeiten
182, 221f.
Gemeinkosten
overhead cost
→ Kosten, die sich nicht direkt den Produkten zurechnen lassen
226ff., 238ff., 260
Genossenschaft
cooperative
am gemeinwirtschaftlichen Prinzip orientiertes 37 → Unternehmen
Genussschein
participation certificate
→ Wertpapier, das ähnlich wie eine → Schuldverschreibung der Beschaffung von langfristigem → Fremdkapital dient, jedoch statt → Zinsen einen Anteil am Unternehmensgewinn einräumt
172f.
Gesamtkostenverfahren
---
→ Betriebsergebnisrechnung, bei der die gesamten → Erlöse den gesamten, nach → Kostenarten gegliederten → Kosten gegenübergestellt werden
252
Gesellschafterdarlehen
shareholders’ loan
Kredit eines Anteilseigners an sein → Unternehmen
165
Gesetzliche Rücklage
legal reserves
→ Rücklage einer → Aktiengesellschaft, die in Höhe von 10% des → Grundkapitals gebildet werden muss
177, 209
Gewinn- und Verlustkonto
profit and loss account
→ Konto, das dem Abschluss der → Erfolgskonten dient
197f.
Gewinn- und Verlustrechnung
income statement
Ermittlung des → Erfolgs, den ein → Unternehmen in einem Geschäftsjahr erwirtschaftet hat
188, 196ff., 202
Gewinn
profit
Differenz aus → Erlösen und → Kosten einer Periode
6f., 101f., 141, 177, 188f., 227, 256,
Gewinnrücklage
revenue reserve
→ Rücklage, die aus einbehaltenen → Gewinnen gebildet wird
177f., 209
Gewinnzuschlag
profit markup
prozentualer Zuschlag auf die → Selbstkosten eines Produkts
169, 250
Gleichungsverfahren
equation method
Verfahren der → innerbetrieblichen Leistungsverrechnung, bei dem der Leistungsaustausch zwischen den → Kostenstellen explizit berücksichtigt wird
243
Goldene Bilanzregel
golden balancesheet rule
Finanzierung des → Anlagevermögens durch → Eigenkapital und des → Umlaufvermögens durch → Fremdkapital
157
6 Glossar und Index
345
Grenzertrag
marginal return
Ausbringungsmenge, die sich mit einer marginalen Inputeinheit zusätzlich erzielen lässt
75f.
Grenzkosten
marginal cost
zusätzliche → Kosten, die durch eine zusätzliche Produkteinheit verursacht werden, Ableitung der → Kostenfunktion
103f., 226
Grenzrate der Substitution
marginal rate of substitution
Austauschverhältnis zwischen → Produktions- 76f. faktoren bei konstanter Produktionsmenge
Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung (GoB)
financial accounting standards
teils im HGB kodifizierte, teils durch kaufmännische Übung entstandene Vorschriften für die → Buchführung und die Aufstellung des → Jahresabschlusses
201f.
Gruppenfertigung
group manufacturing
Komplettbearbeitung von Produkten oder → Bauteilen durch objektorientierte Zusammenfassung von Maschinen, → flexible Fertigung
99
GutenbergProduktionsfunktion
Gutenberg production function
Theorie der Anpassungsformen
78ff.
Habenseite
credit side
rechte Seite eines → Kontos
192ff.
Handelsregister
commercial register
öffentlich einsehbares Verzeichnis, das Auskunft über die Rechtsverhältnisse eines → Unternehmens gibt
33f., 174f., 209
Hauptkostenstelle
direct cost center
→ Kostenstelle, die Leistungen nach außen abgibt
228, 240ff.
Herstellkosten
cost of production
→ Kosten, die für die Herstellung eines Produkts anfallen, Summe aus → Materialkosten und Fertigungskosten
202ff., 248ff.
HIFO-Methode
highest in-first out method
Verfahren zur Bewertung des Materialverbrauchs, bei dem unterstellt wird, dass die am teuersten eingekauften Einheiten zuerst verbraucht werden (highest in first out)
232
Hilfskostenstelle
indirect cost center
→ Kostenstelle, die ausschließlich interne Leistungen erbringt
228, 241f.
Hilfsstoffe
manufacturing supplies
→ Produktionsfaktoren, die nur einen geringen 18, 49, Beitrag zum Endprodukt leisten, z.B. Schrau- 99, 249 ben, Lacke, Glasuren
homo oeconomicus homo oeconomicus rational handelnder Mensch, dessen Entscheidungen durch keine subjektiven Präferenzen beeinflusst werden, → ökonomisches Prinzip House of Quality
house of quality
Hilfsmittel des → QFD, das dessen Vorgehensweise visualisiert
4, 9
323ff.
346
6 Glossar und Index
IFRS
IFRS
International financial reporting standards, weltweit geltende, einheitliche Rechnungslegungsnormen
191, 203ff.
Immaterielle Vermögensgegenstände
intangible assets
körperlich nicht fassbare, jedoch selbstständig bewertbare vermögenswerte Vorteile
193, 205f.
Industriekontenrahmen
uniform classifica- Musterkontenrahmen, aus dem ein Unterneh193 tion of accounts for men seinen eigenen → Kontenplan entwickeln industrial enterkann prises
Innenfinanzierung
internal financing
Bereitstellung von finanziellen Mitteln aus dem betrieblichen Umsatzprozess
157, 176ff., 216
Innerbetriebliche Leistungsverrechnung
internal cost allocation
Verfahren zur Umlage der → Kosten der → Hilfskostenstellen auf die → Hauptkostenstellen
239ff.
Instanz
organizational unit
→ Stelle mit Leitungsaufgaben
11f.
Intensitätsmäßige Anpassung
adjustment of intensity
Variation der Produktionsgeschwindigkeit
81f.
Intensitätssplitting
splitting of intensity
Herstellung einer vorgegebenen Produktionsmenge mit zwei unterschiedlichen Produktionsgeschwindigkeiten
85
Interner Zinsfuß
internal rate of return
Zinssatz, bei dem der → Kapitalwert einer → Zahlungsreihe den Wert Null annimmt
147f.
Inventar
list of assets and liabilities
regelmäßig erstelltes Verzeichnis der bei der → Inventur festgestellten Vermögensgegenstände und Schulden
188ff.
Inventur
physical inventory
stichtagsbezogene Bestandsaufnahme von Vermögensgegenständen und Schulden
188ff.
Investition
investment
Anlage von finanziellen Mitteln, Kapitalverwendung
137ff.
Investitionsrechnung
capital budgeting
Beurteilung der Wirtschaftlichkeit einer Anlage
138ff.
Isoquante
product indifference curve
Kurve aller effizienten Faktoreinsatzmengenkombinationen, die zu einer bestimmten Ausbringungsmenge führen
76f.
Istkostenrechnung
actual cost system
vergangenheitsorientiertes Kostenrechnungssystem, das die in einer Periode tatsächlich angefallenen → Kosten verrechnet
226f.
6 Glossar und Index
347
Jahresabschluss
annual financial statement
Rechenwerk, das aus der → Bilanz, der → Gewinn- und Verlustrechnung, dem Anhang und ggf. einem Lagebericht besteht. Der J. bildet den regelmäßigen Abschluss der laufenden → Buchführung.
Joint Venture
joint venture
Kapitalverflechtung zur Begrenzung der Risi- 17 ken bei → Investitionen in innovative Projekte
Junge Aktien
new share
Aktien, die bei einer → Kapitalerhöhung ausgegeben werden
36
Just-in-time
just in time
→ Produktion bzw. Zulieferung auf Abruf
53, 128, 275
Kalkulation
cost estimating
Ermittlung der → Herstell- bzw. → Selbstkos- 227ff., ten der Produkte 239ff.
Kalkulationssatz
pricing margin
→ Verrechnungspreis, mit dem die Leistungen 239ff. der → Hauptkostenstellen auf die → Kostenträger abgerechnet werden
Kalkulationszins
internal rate of discount
Zinssatz, der bei der → dynamischen Investitionsrechnung zur → Aufzinsung oder → Abzinsung von Zahlungen verwendet wird, vom Investor geforderte Mindestverzinsung
144ff.
Kalkulatorische Kosten
implicit cost
→ Kosten, die in der → Kostenrechnung abweichend von der → Finanzbuchhaltung erfasst werden, → Anderskosten, → Zusatzkosten
223, 230, 234ff.
Kapazität
capacity
Leistungsvermögen einer wirtschaftlichen oder 52, 80f., technischen Einheit je Zeiteinheit 88f., 303ff.
Kapazitätsnutzungsgrad
capacity utilization rate
Verhältnis der tatsächlichen Leistung zur maximalen Leistung
303
Kapazitätsstrategie
capacity policy
wettbewerbsorientierte Gestaltung der → Kapazitäten
303ff.
Kapitalerhöhung
increase of capital stock
Erhöhung des → Eigenkapitals eines → Un36, 173ff. ternehmens durch von außen zugeführte Mittel
Kapitalflussrechnung
flow of funds analysis
mehrjährige Rahmenplanung der Investitionsund Finanzierungstätigkeit
182f.
Kapitalgesellschaft
incorporated firm
→ Unternehmen, bei dem keine natürliche Person für die → Verbindlichkeiten haftet
35ff., 178ff., 190ff.
178ff., 212ff.
348
6 Glossar und Index
Kapitalmarkt
capital market
→ Markt zur Anlage oder Aufnahme von mittel- bis langfristigen Finanztiteln mit einer Laufzeit ab einem Jahr
Kapitalrücklage
capital reserves
→ Rücklage, in die das bei der Aktienemission 177, 209 gezahlte → Agio eingestellt wird
36, 164f., 173, 203
Kapitalsammelstel- institutional inveslen tor
Versicherungen, Pensionskassen usw., die ihre 163f. Deckungsrückstellungen langfristig anlegen müssen
Kapitalwert
present value
Summe der mit dem → Kalkulationszinssatz auf den Entscheidungszeitpunkt abgezinsten → Einzahlungsüberschüsse eines Investitionsobjekts
145ff.
Kartell
cartel
Verabredung gemeinsamer Maßnahmen von → Unternehmen mit dem Ziel der Wettbewerbsbeschränkung
17, 42f.
Keiretsu
keiretsu
auf Dauer angelegte, vertrauensvolle Zusammenarbeit japanischer → Unternehmen
17
Kennzahl
ratio
kompakte Darstellung eines quantitativ erfassbaren Sachverhalts
133f., 212ff., 252ff.
Kennzahlensystem
ratio pyramid
konsistente Verknüpfung von verschiedenen → Kennzahlen
216, 253ff.
KMU
SME
kleine und mittelgroße Unternehmen (small and medium-sized enterprises)
43ff.
Kommanditgesellschaft
limited commercial → Personengesellschaft mit zwei Gruppen von 33ff. partnership Gesellschaftern: → Komplementären und → Kommanditisten
Kommanditist
limited partner
Teilhafter bei einer → Kommanditgesellschaft
33ff.
Kommunikation
communication
Maßnahmen, mit denen ein → Unternehmen die Kunden über seine Produkte informiert
111ff., 274f.
Komplementär
unlimited partner
Vollhafter bei einer → Kommanditgesellschaft 33ff.
Konsortium
consortium
Arbeitsgemeinschaft, auf einen bestimmten Zweck ausgerichtete, befristete Zusammenarbeit von → Unternehmen
17
Kontenplan
chart of accounts
systematische Zusammenstellung der bei der → Buchführung benötigten → Konten
193
Konto
account
zweiseitiges Rechenschema, in dem Bestände und ihre Veränderungen systematisch erfasst werden
166, 192ff.
6 Glossar und Index
349
Kontokorrentkredit credit in current account
Kreditlinie, die die Hausbank einem → Unternehmen auf seinem laufenden → Konto einräumt
Konzern
group of affiliated companies
Zusammenschluss von mehreren rechtlich 17, 41ff., selbstständigen → Unternehmen unter einheit- 184, licher Leitung 203f., 286
Konzernabschluss
consolidated finan- vom Mutterunternehmen aufgestellter → cial statement Jahresabschluss für einen → Konzern
Kosten
cost
bewerteter Verzehr von Gütern und Dienstleis- 6f., tungen zur Erstellung der betrieblichen Leis220ff. tung einer Periode, Produkt aus Faktoreinsatzmengen und Faktorpreisen
Kostenartenplan
chart of cost types
Zusammenstellung der in einem → Unternehmen auftretenden → Kostenarten
Kostenartenrechnung
cost type accounting
erste Stufe der → Kostenrechnung, systemati- 219, sche Erfassung der in der Abrechnungsperiode 228ff. angefallenen → Kosten
Kostenfunktion
cost function
funktionaler Zusammenhang von Produktionsmenge und → Kosten
71, 79f., 104f., 223ff.
Kostenrechnung
cost accounting
internes → Rechnungswesen
22, 219ff.
Kostenstelle
cost center
Ort der Kostenentstehung und Kostenzurechnung
219, 239ff.
Kostenstellenplan
chart of cost centers
Einteilung des → Unternehmens in → Kosten- 239 stellen
Kostenstellenrechnung
cost center accounting
zweite Stufe der → Kostenrechnung, Vertei239ff. lung der in der Abrechnungsperiode angefallenen → Gemeinkosten auf → Kostenstellen
Kostenträger
cost objective
Produkte oder Leistungen, auf die → Kosten abgerechnet werden
228, 245ff.
Kostenträgerrechnung
cost unit accounting
dritte Stufe der → Kostenrechnung, Abrechnung der → Gemeinkosten auf die → Kostenträger und Zusammenführung mit den → Einzelkosten, auch: → Kalkulation
245ff.
KOZ-Regel
SPT rule (shortest processing time)
→ Prioritätsregel in der → Maschinenbele93 gungsplanung, die dem Auftrag mit der kürzesten Bearbeitungszeit auf der Maschine die höchste Priorität gibt (kürzeste Operationszeit)
166
42, 204
230
350
6 Glossar und Index
KRB-Regel
RWK rule (remain- → Prioritätsregel in der → Maschinenbele94 ing work) gungsplanung, die dem Auftrag mit der kürzesten Restbearbeitungszeit die höchste Priorität gibt
Kreditfinanzierung
loan financing
Zuführung von → Fremdkapital von außen
159ff.
Kreditsicherheit
collateral security
zusätzliche Absicherung eines Kredits
136, 161, 169
Kuppelproduktion
joint production
zwangsläufige Entstehung mehrerer Produkte in einem Produktionsprozess
2, 19, 50, 113
Lagerhaltungskosten
holding cost
für den Lagerbestand anfallende → Kosten, vor allem → Zinsen auf das gebundene Kapital
68ff., 123
Lagerung
keeping in storage
Verschiebung der zeitlichen Verfügbarkeit eines Logistikobjekts
20, 68ff., 120ff.
Leasing
leasing
Miete oder Pacht statt Kauf von Anlagegegenständen
169ff.
Leitstand
control center
zentrale Stelle, die die Fertigung steuert, den Auftragsfortschritt verfolgt und bei Störungen eingreift
92, 269
Lieferantenkredit
supplier credit
vom Lieferanten eingeräumtes Zahlungsziel für die Begleichung einer Rechnung
109, 167f.
LIFO-Methode
last in-first out method
Verfahren zur Bewertung des Materialverbrauchs, bei dem unterstellt wird, dass die zuletzt eingelagerten Einheiten zuerst verbraucht werden (last in first out)
232
Limitationalität
fixed technological festes, technisch vorgegebenes Verhältnis der relationship Einsatzfaktoren
78f.
Limited
Limited
britische Rechtsform, die der deutschen → GmbH entspricht
Lineare Abschreibung
straight-line method of depreciation
Abschreibungsmethode, bei der die Anschaf205, fungskosten gleichmäßig auf die → Nutzungs- 236f. dauer verteilt werden
Linienorganisation
line organization
funktional gegliederte Organisationsform mit eindeutigen Anordnungsbefugnissen
11f., 259
Liquidation
liquidation
freiwillige und außergerichtliche Beendung der Geschäftstätigkeit eines → Unternehmens
175, 179
39f.
6 Glossar und Index
351
Liquidität
liquidity
Zahlungsfähigkeit, finanzielles Gleichgewicht. Ein → Unternehmen ist liquide, wenn es jederzeit seinen fälligen Zahlungsverpflichtungen nachkommen kann.
1, 21, 133f., 181ff., 205f.
Liquiditätsanalyse
liquidity analysis
Bereich der → Bilanzanalyse, der das Liquiditätsrisiko des → Unternehmens untersucht
215ff.
lmi-Prozesse
---
Begriff aus der → Prozesskostenrechnung, 261f. leistungsmengeninduzierte Prozesse, bei denen ein direkter Zusammenhang zwischen der Produktionsmenge und der Anzahl der Prozessdurchführungen besteht
lmn-Prozesse
---
Begriff aus der → Prozesskostenrechnung, leistungsmengenneutrale Prozesse, bei denen nur ein indirekter Bezug zur Produktionsmenge besteht
261f.
Logistik
logistics
raum-zeitliche Transformation von Gütern
20, 118ff.
Los
lot
Menge eines Produkts, die gemeinsam beschafft oder ohne Umrüsten einer Maschine produziert wird
67ff.
Make-or-BuyEntscheidung
make or buydecision
Entscheidung über Eigenfertigung oder Fremdbezug eines → Bauteils
50ff., 306
Management
management
→ Unternehmensführung
279ff.
Marketing
marketing
konsequente Ausrichtung der unternehmerischen Aktivitäten auf den → Markt
19, 107ff.
Marketinginstrumente
marketing instruments
Produkt, Preis, → Distribution, → Kommunikation
107ff.
Marketing-Mix
marketing mix
integrierter Einsatz der → Marketinginstrumente zur Beeinflussung der Kundenpräferenzen
107f.
Markt
market
Ort, an dem Angebot und Nachfrage zusammentreffen
2, 26, 96ff.
Marktforschung
market research
Ermittlung der Bedürfnisse auf den verschiedenen Absatzmärkten
24, 108
Maschinenbelegungsplanung
scheduling
Einlastung von Aufträgen auf Maschinen
87, 92ff.
Mass customization
mass customization Herstellung von individualisierten Produkten unter Nutzung der Vorteile der → Massenfertigung
88, 277
352
6 Glossar und Index
Massenfertigung
mass production
Herstellung von Produkten in großen Stückzahlen für den anonymen → Markt
88, 96, 277
Material
materials
→ Werkstoffe
45f., 64f., 122, 226
Materialkosten
cost of materials
→ Kosten für den Einsatz von → Roh-, Hilfsund Betriebsstoffen, Zukaufteilen sowie Verbrauchsmaterial
224ff., 248f.
Materialwirtschaft
materials management and control
Ermittlung der für ein bestimmtes Produktionsprogramm benötigten Mengen an Einsatzmaterial
49ff.
Matrixorganisation
matrix organization Organisationsform, bei der jede → Stelle sowohl einem Produkt- als auch einem Funktionsmanager untersteht
Maximalprinzip
maximum principle Variante des → ökonomischen Prinzips, Errei- 5 chung eines möglichst großen → Erfolgs mit gegebenem Mitteleinsatz
Mengenteilung
---
Minimalprinzip
minimum principle Variante des → ökonomischen Prinzips, Errei- 5 chung eines vorgegebenen → Erfolgs mit minimalem Mitteleinsatz
Monopol
monopoly
→ Markt, auf dem es nur einen Anbieter gibt
101f.
Monopolistischer Bereich
monopolistic area
Preisbereich, in dem ein Anbieter im → Oligopol keine Konkurrenzreaktionen befürchten muss und wie ein Monopolist agieren kann
106
Nachkalkulation
statistical cost accounting
nachträgliche Ermittlung der → Kosten eines Produkts
250f.
NC-Maschinen
NC-machines
Maschinen mit elektronischer Steuerung der 100, 206 an einem Werkstück durchzuführenden Operationen (numerical control)
Neoklassische Produktionsfunktion
neoclassical production function
→ Produktionsfunktion mit den Eigenschaften 75ff. konstanter oder abnehmender → Skalenerträge, positiver und abnehmender → Grenzerträge und einer abnehmenden → Grenzrate der Substitution
Nominalzins
nominal interest rate
Zinssatz, der den regelmäßigen Zinszahlungen zugrunde liegt, → Effektivzins
14f.
Form der → Arbeitsteilung, bei der eine Ge10 samtaufgabe in gleiche Teilaufgaben aufgeteilt wird
163f.
6 Glossar und Index
353
Normalkostenrech- normal costing nung
vergangenheitsorientiertes Kostenrechnungssystem, das die → Kosten anhand von Durchschnittspreisen verrechnet
226
Normung
standardization
Vereinheitlichung von → Bauteilen
88
Nutzungsdauer
operating life
technisch oder wirtschaftlich bestimmte Zeit, in der ein Anlagegegenstand genutzt wird
132, 152ff.
Objektprinzip
flow shop organization
räumliche Zusammenfassung der für ein Pro97 dukt benötigten Maschinen bei der → Fließfertigung und der → flexiblen Fertigung
Offene Handelsgesellschaft
general commercial partnership
→ Personenunternehmen, das von mehreren Kaufleuten betrieben wird
33f.
Ökonomisches Prinzip
efficiency rule
Rationalprinzip, Leitbild des → homo oeconomicus
4f., 101
Oligopol
oligopoly
→ Markt, auf dem wenige Anbieter konkurrie- 102, ren 105f.
Operate Leasing
operate leasing
Leasingvertrag mit jederzeitiger Kündigungsmöglichkeit
170
Opportunitätskosten
opportunity cost
entgangener → Gewinn aus der besten, nicht mehr realisierten Handlungsalternative
145, 221f., 237f.
Outsourcing
outsourcing
Verlagerung von Teilen der → Wertschöpfung, die nicht zu den Kernkompetenzen zählen, auf Zulieferer
16, 30, 50, 127, 306
Partnerschaft
partnership
Rechtsform für Angehörige freier Berufe
34
Passiva
liabilities and shareholders’ equity
Bezeichnung für Schulden und → Eigenkapital in der → Bilanz
157, 178, 209ff.
Passivkonto
liability account
→ Konto, das aus der Passivseite der → Bilanz abgeleitet wird
195f.
Passivtausch
accounting exchange on the liabilities side
Geschäftsvorfall, bei dem der Bestand eines → 195 Passivkontos zu- und der eines anderen abnimmt
Pay-off-Periode
pay-off period
Amortisationszeitpunkt
141f.
Pensionsrückstellungen
pension accruals
→ Rückstellungen, die im Rahmen der betrieblichen Altersvorsorge gebildet werden
180
Permanente Inventur
continuous inventory
laufende Erfassung der Bestandsentwicklung, ergänzt durch jährlichen Bestandsabgleich
188
354
6 Glossar und Index
Personal
employees
in einem Unternehmen beschäftigte Arbeitskräfte
27, 309ff.
Personalentwicklung
human resources development
systematische Erweiterung der fachlichen und persönlichen Qualifikation der Mitarbeiter, verbunden mit einer Karriereplanung
313f.
Personalführung
personnel management
Beeinflussung des Arbeitnehmerverhaltens im Sinne einer effektiven Erfüllung der Gesamtaufgabe
310f.
Personalkosten
employment cost
→ Kosten, die unmittelbar oder mittelbar für den Einsatz von Arbeitskräften anfallen
232,
Personengesellschaft
unincorporated firm
→ Unternehmen, das durch eine oder mehrere natürliche Personen betrieben wird
32ff.
Plankostenrechnung
standard costing
zukunftsorientiertes Kostenrechnungssystem, das → Kosten anhand von geplanten Preisen und Mengen vorgibt
226f.
Polypol
polypoly
→ Markt, auf dem sehr viele Anbieter auftreten
102f.
PPS-System
PPC system (production planning and control)
Produktionsplanungs- und -steuerungssystem, das der Abstimmung von Entscheidungen im Produktionsbereich dient
71, 267ff.
Preis-AbsatzFunktion
price-demand curve
Funktion, die den Zusammenhang von Angebotspreis und Absatzmenge beschreibt
102ff.
Preisdifferenzierung
price discrimination
Aufspaltung des → Markts in Segmente, in denen unterschiedliche Preise verlangt werden
109f.
Preiselastizität
price elasticity
relative Änderung der Absatzmenge in Bezug auf eine relative Preisänderung
103ff.
Preisuntergrenze
bottom price
Erlös, den das → Unternehmen mindestens erzielen muss, um die → Kosten eines Produkts abzudecken. Die langfristige P. entspricht den → Vollkosten, die kurzfristige P. den → Teilkosten des Produkts.
103, 250f., 251
Primärbedarf
primary requirements
für den → Markt produzierte Mengen
63f.
Primäre Gemeinkosten
primary overhead
→ Gemeinkosten, die für von außen bezogene Kostengüter anfallen
240ff.
Prioritätsregeln
priority rules
heuristisches Verfahren der → Maschinenbelegungsplanung
93f.
6 Glossar und Index
355
Produkthaftung
product liability
Verpflichtung eines Unternehmens zum Ein317, treten für Mangelfolgeschäden, d.h. Personen-, 331ff. Sach- oder Vermögensschäden, die aufgrund fehlerhafter Produkte beim Produktbenutzer auftreten
Produktion
production
Transformation von Material in Produkte
74ff.
Produktionsfaktor
inputs, productive factors
Einsatzfaktor in der Produktion, Oberbegriff für → Werkstoffe, → Betriebsmittel und → Arbeitskraft
6f., 18ff., 75ff., 139, 220
Produktionsfunktion
production function
funktionaler Zusammenhang zwischen Faktor- 75ff., einsatzmengen und Ausbringungsmengen
Produktionskoeffizient
production coefficient
Verhältnis von Faktoreinsatzmenge und Ausbringungsmenge
79ff.
Produktivität
productivity
Verhältnis von Ausbringungsmenge und Faktoreinsatzmenge
78, 95f., 134, 218, 296
Produktlebenszyklus
product life cycle
Zeitspanne, während der ein Produkt am → Markt angeboten wird
292ff.
Programmplanung
production program planning
Festlegung des Produktionsprogramms für einen mittelfristigen Zeitraum
88ff., 267
Prozessfähigkeit
process capability
Eigenschaft eines Prozesses, dass die Produktqualität nur in engen Grenzen variiert
319f.
Prozesskostenrech- activity based nung costing
Variante der → Kostenrechnung, bei der die → Kosten nicht auf Produkte, sondern auf betriebliche Aktivitäten (Prozesse) verrechnet werden
259ff.
Prozesssicherheit
process reliability
Eigenschaft eines Prozesses, dass die Produkte 319f. im Mittel die gewünschte → Qualität aufweisen
Public Relations
public relations
Öffentlichkeitsarbeit
QFD
QFD
Quality Function Deployment, strukturiertes 323f. Vorgehen zur expliziten Berücksichtigung von Kundenanforderungen im Produktentstehungsprozess
Qualität
quality
Gesamtheit von Merkmalen einer Einheit bezüglich ihrer Eignung, festgelegte oder vorausgesetzte Erfordernisse zu erfüllen (DIN EN ISO 8402)
Qualitative Kapazi- qualitative capacity Vielfalt unterschiedlicher Leistungen, die eine tät Anlage erbringen kann
29, 112
9, 50, 107, 122, 316ff. 304
356
6 Glossar und Index
Qualitätsaudit
quality audit
systematische Untersuchung, ob die qualitätsbezogenen Tätigkeiten den Anforderungen entsprechen
325ff.
Qualitätskontrolle
quality control
der → Produktion nachgeschaltete Überprüfung, ob das Produkt die relevanten Qualitätsanforderungen erfüllt
268, 318f.
Qualitätskosten
quality cost
→ Kosten der Nichterfüllung von Qualitätsanforderungen sowie Kosten von qualitätssichernden Maßnahmen
318f.
Qualitätsregelkarte
quality control chart
Instrument der → Qualitätssicherung, durch das sich Abweichungen eines Prüfmerkmals von seinem Sollwert erkennen lassen
320f.
Qualitätssicherung
quality assurance
der Produktion vorgeschaltete Maßnahmen, um Qualitätsabweichungen zu vermeiden
274, 318f.
Quantitative Anpassung
adjustment of quantity
Variation der Zahl der eingesetzten Maschinen 78ff.
Quantitative Kapazität
quantitative capacity
Menge der auf einer Anlage maximal produzierbaren Produkteinheiten
304
Rabatt
rebate
prozentualer Nachlass auf den Listenpreis
72, 110f.
Rating
rating
Verfahren zur Beurteilung → Bonität eines Unternehmens
160
Rationalisierung
rationalization
Ersatz des → Produktionsfaktors Arbeit durch Kapital bei der Automatisierung
95, 138, 175, 218, 259, 281
Rechnungsabgrenzungsposten
accrued liabilities
Bilanzposition, die der anteiligen Aufteilung von periodenübergreifenden → Erfolgen dient
204ff.
Rechtsform
legal form of business organization
gesetzlich geregelter Typ eines → Unternehmens
31ff.
Recycling
recycling
Rückführung von Rückständen und → Abfällen in das Wirtschaftssystem
117ff.
Reinvermögen
net assets
Summe aus → Geldvermögen und Sachvermögen
221f.
Relativer Deckungsbeitrag
relative profit contribution
Quotient aus → Deckungsbeitrag und → Produktionskoeffizient. Der relative Deckungsbeitrag gibt den je Kapazitätseinheit erzielbaren Deckungsbeitrag an.
89f.
Rentabilität
rentability
finanzwirtschaftliche → Kennzahl, bei der 131f., eine Ergebnisgröße auf den zugehörigen Kapi- 141, 181, taleinsatz bezogen wird 217
6 Glossar und Index
357
Rentenbarwertfaktor
present value of annuity factor
vom → Kalkulationszins abhängiger Faktor zur Transformation einer → Annuität in einen → Kapitalwert
149
Restwert
residual value
Wert einer gebrauchten Anlage
141, 153ff., 236f.
Risikopräferenz
risk preference
Einstellung eines Entscheidungsträgers zum Risiko eines Projekts: Risikoscheu, Risikoneutralität, Risikofreude
135
Rohstoffe
raw materials
→ Produktionsfaktoren, die zum wesentlichen Bestandteil der Produkte werden, z.B. Stahl, Holz, Glas
49, 113, 247f.
ROI
ROI
Return on Investment, → Kennzahl zur Beurteilung von Investitionen, → Rentabilität
132, 141, 216f., 257
Rücklagen
reserves
variabler Bestandteil des → Eigenkapitals einer → Kapitalgesellschaft
173ff., 209
Rückstellungen
accruals
→ Verbindlichkeiten, die dem Grunde nach durch die Unternehmenstätigkeit verursacht worden sind, bei denen jedoch der Gläubiger, die Höhe oder der Fälligkeitstermin ungewiss sind
42, 158, 176f., 209f.
Rüstkosten
setup cost
Kosten, die bei der Auflage eines → Loses anfallen
65ff., 92
Sachanlagen
tangible fixed assets
materielle Vermögensgegenstände, die dazu 138, 193, bestimmt sind, dem → Unternehmen dauerhaft 205 zu dienen
Saldo
balance of account
Differenz der beiden Seiten eines → Kontos
182, 192f., 198
Sale-and-LeaseBack
sale and lease back
Verkauf eines Anlagegegenstands, der anschließend gemietet wird
170
Sanierung
capital reconstruction
Herabsetzung des → Grundkapitals einer → Aktiengesellschaft
174
SAP R/3®
SAP R/3®
weitverbreitetes → ERP-System
267, 271
Schlupfzeit-Regel
slack time rule
→ Prioritätsregel in der → Maschinenbelegungsplanung, die dem Auftrag mit der geringsten Pufferzeit die höchste Priorität gibt
94
Schlüsselgrößen
cost drivers
Hilfsgrößen zur verursachungsgerechten Verteilung von → Kosten auf → Kostenstellen
228, 240f.
358
6 Glossar und Index
Schuldscheindarlehen
loan against borrowers’ notes
langfristiges → Darlehen, das von → Kapitalsammelstellen an Großunternehmen vergeben wird
163
Schuldverschreibung
bond
börsennotiertes → Wertpapier, in dem der Schuldner dem Inhaber die Zahlung von → Zinsen und die Rückzahlung des Kapitals verspricht
163f., 208f.
Sekundärbedarf
secondary requirements
für das Produktionsprogramm benötigte Mengen an Teilen und Zwischenprodukten
65
Sekundäre Gemeinkosten
secondary overhead
→ Gemeinkosten, die für innerbetriebliche Leistungen anfallen
241ff.
Selbstfinanzierung
internal generation of funds
→ Innenfinanzierung aus einbehaltenen Gewinnen
158, 177ff., 209
Selbstkosten
cost of sales
→ Kosten, die für die Herstellung, die innerbetriebliche Verwaltung und den Vertrieb eines Produkts anfallen, Summe aus → Herstellkosten und anteiligen Verwaltungs- und Vertriebskosten
219, 245ff., 296
Serienfertigung
series-type produc- losweise Fertigung unterschiedlicher Produkte tion auf denselben Anlagen
96f., 248
Servicegrad
service level
Anteil der Nachfrage, der sofort befriedigt werden kann
55f., 123f., 129
Shareholder
shareholder
Anteilseigner des → Unternehmens
28
Sicherheitsbestand
safety stock
Lagerbestand, der die Lieferfähigkeit bei nicht vorhersehbaren Nachfrageschwankungen sicherstellen soll
56, 65, 122
Skalenerträge
returns to scale
Abhängigkeit der Ausbringungsmenge vom Faktoreinsatzniveau
75f.
Skonto
cash discount
Abzug auf den Rechnungsbetrag, der bei frühzeitiger Zahlung gewährt wird
110, 167
Societas Europaea
Societas Europaea
Kapitalgesellschaft mit EU-weitem Betätigungsfeld
40
Sollseite
debit side
linke Seite eines → Kontos
192f.
Sonderangebot
bargain sale
zeitlich begrenzte Preisreduzierung
109f., 112
Spartenorganisation
divisional organization
auf weitgehend autonome Produktbereiche ausgerichtete Organisationsform
13f., 259
6 Glossar und Index
359
Sprungfixe Kosten
step-variable cost
Kostenanstieg bei Zuschaltung einer weiteren Maschine
80f., 224
StabLinienorganisation
line-staff organization structure
Variante der → Linienorganisation, bei der einzelne → Instanzen durch → Stabsstellen unterstützt werden
12
Stabsstelle
staff unit
→ Stelle mit beratender Funktion, ohne eigene 13 Weisungsbefugnisse
Stakeholder
stakeholder
Anspruchsgruppen des → Unternehmens
Standort
location
Ort, an dem ein → Unternehmen sich ansiedelt 306f.
Standortfaktoren
location factors
Erfolgsfaktoren, von denen die Standortwahl abhängt
Standortplanung
locational planning Auswahl des → Standorts eines → Unternehmens unter Berücksichtigung der → Standortfaktoren
Stärken/ Schwächen-Profil
analysis of strengths and weaknesses
Statische Investitionsrechnung
static methods of Hilfsverfahren der Praxis, die die zeitliche investment analysis Verteilung der Zahlungen nicht berücksichtigen
140ff.
Stelle
position
Grundelement der Aufbauorganisation; Zusammenfassung von Aufgaben, die von einem Mitarbeiter erledigt werden sollen
11f.
Stichprobeninventur
sampling-type inventory
→ Inventur unter Einsatz von Stichprobenverfahren, bei der nur ein Teil der Bestände körperlich erfasst wird
188
Stichtagsinventur
periodical inventory
am Bilanzstichtag erfolgende → Inventur
188f.
Stille Gesellschaft
dormant partnership
nach außen verborgene Beteiligung an einer → 34, 174 Personengesellschaft
Stille Rücklagen
undisclosed reserves
→ Rücklagen, die durch Unterbewertung von 178 → Aktiva oder Überbewertung von → Passiva entstehen
Stornobuchung
reversing entry
Korrekturbuchung, durch die eine falsche Buchung berichtigt wird
197
Strategische Allianz
strategic alliance
langfristig angelegte Zusammenarbeit von → Unternehmen auf einzelnen Geschäftsfeldern
17
Analyseinstrument, das die Position des → Unternehmens hinsichtlich der kritischen Erfolgsfaktoren im Vergleich mit der Konkurrenz aufzeigt
28f.
308f. 87, 308
287f., 324
360
6 Glossar und Index
Strukturanalyse
structural analysis
Bereich der → Bilanzanalyse, der die Zusammensetzung der → Aktiv- und → Passivseite der → Bilanz untersucht
Stückkosten
per unit cost
→ Kosten je Einheit, Quotient aus Gesamtkos- 50f., 81f., ten und Produktionsmenge 225f., 301f.
Stückliste
bill of materials
Zusammenstellung aller für die Herstellung eines Produkts benötigten Teile mit den zugehörigen Mengen
Stücklistenauflösung
bill explosion
Ermittlung der für ein gegebenes Produktions- 65, 267f. programm benötigten Mengen an Einsatzmaterial aus den → Stücklisten der Produkte
Stufenleiterverfahren
step ladder method
Verfahren der → innerbetrieblichen Leistungsverrechnung, bei dem der Leistungsaustausch zwischen den → Kostenstellen nur in einer Richtung berücksichtigt wird
242f.
Substitutionalität
substitutionality
(in Grenzen) variable Einsatzmengenverhältnisse bei der → Produktion
76
Supply Chain Management
supply chain management
Koordination von überbetrieblichen Logistikketten
127ff.
Sustainable Development
sustainable development
Leitbild eines nachhaltigen Wirtschaftens
327
Target Costing
target costing
Verfahren zur Kostenplanung, das bei der Entwicklung neuer Produkte eingesetzt wird und die zulässigen → Kosten aus dem am Markt erzielbaren Preis ableitet
261ff.
Technik
technique
Anwendung einer → Technologie, bei der 300f. Problemlösungswissen letztlich in marktfähige Produkte umgesetzt wird
Technologie
technology
Kenntnis von naturwissenschaftlichen Wirkungszusammenhängen, die als Lösungsprinzip für Anwenderprobleme dienen können
294f., 300ff.
Technologielebenszyklus
technology life cycle
Beschreibung der Ausbreitung einer → Technologie im Zeitablauf
294
TechnologiePortfolio
technology portfolio
Instrument zur Ableitung der Technologiestra- 302 tegie
Teilkosten
direct cost
→ Kosten eines Produkts, die lediglich die diesem eindeutig zurechenbaren → variablen Kosten enthalten
212f.
64ff., 224, 231
179, 227f., 251f.
6 Glossar und Index
361
Teilkostenrechnung
direct costing
Kostenrechnungssystem, bei dem lediglich die 227f., → variablen Kosten auf die Produkte umgelegt und die → Fixkosten separat berücksichtigt werden
Transaktion
transaction
über einen → Markt abgewickelte Austauschbeziehung
26, 30f., 101
Transaktionskosten transaction cost
Kosten des Leistungsbezugs über den → Markt
26, 30, 101, 184, 277
Transformation
transformation
Umwandlung von Inputgrößen in Outputgrößen
2, 17ff., 74, 85ff., 118f.
TUL-Prozesse
---
Bezeichnung für die logistischen Aktivitäten Transport, → Umschlag, → Lagerung
121
Umlaufvermögen
current assets
Güter, die im betrieblichen Umsatzprozess kurzfristig verbraucht werden
68, 129, 157, 189, 213, 238
Umsatzkostenverfahren
cost of sales type of short-term results accounting
→ Betriebsergebnisrechnung, bei der die nach 252 Produkten differenzierten Erlöse den dafür angefallenen Kosten gegenübergestellt werden
Umschlag
transshipment
logistischer Prozess, der Transport- und Lagerungsvorgänge miteinander verbindet
113, 121f.
Umwandlung
transformation
Wechsel der → Rechtsform eines → Unternehmens
38, 40, 175
Unechte Gemeinkosten
untrue overhead cost
→ Kosten, die sich als → Einzelkosten verrechnen ließen, jedoch wegen ihres geringen Umfangs als → Gemeinkosten verrechnet werden
240
Unelastische Nach- inelastic demand frage
Nachfrage, die unterproportional auf eine Preisänderung reagiert, → Preiselastizität
103
Unternehmen
business enterprise
Wirtschaftseinheit, die sich mit Gewinnerzielungsabsicht auf → Märkten betätigt und bestimmte → Transaktionen durchführt
1ff.
Unternehmensführung
management
Koordination sämtlicher Unternehmensbereiche
24ff., 279ff.
US-GAAP
US-GAAP
Generally accepted accounting principles, USamerikanisches Gegenstück zu den → Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung
191, 203f.
Variable Kosten
variable cost
→ Kosten, die in Abhängigkeit von einer Entscheidung anfallen
50, 224f.
362
6 Glossar und Index
Verbindlichkeiten
liabilities
Schulden, Verpflichtung zur Zahlung eines Geldbetrags
173ff., 188ff., 210, 221
Verbrauchsfunktion
material consumption function
Funktion, die den → Produktionskoeffizienten in Abhängigkeit von der Produktionsgeschwindigkeit angibt
82f.
Vergleichsinvestition
comparative investment
Investitionsalternative, die bei Durchführung einer Sachinvestition nicht realisiert werden kann. Sie liefert den → Kalkulationszins zur Beurteilung der Sachinvestition
145f.
Verpackung
packaging
Umhüllung eines Packguts mit Packstoffen, so 108, dass es günstigere Umschlagseigenschaften 120ff. aufweist
Verrechnungspreis
transfer price
Kostensatz, zu dem intern erbrachte Leistungen abgerechnet werden
Verrichtungsprinzip
job shop organization
Ausrichtung des Materialflusses an der An97 ordnung der Maschinen, → Werkstattfertigung
221f., 242ff.
Verschuldungsgrad debt-equity ratio
Anteil des → Fremdkapitals am Gesamtkapital 135, 214
Virtuelles Unternehmen
virtual enterprise
befristeter, freiwilliger Zusammenschluss von selbstständigen → Unternehmen, um durch Bündelung ihrer Kernkompetenzen neue Märkte zu erschließen
16
Vollkommener Markt
perfect market
Idealbild eines → Markts
101
Vollkosten
full cost
→ Kosten eines Produkts, die neben den → variablen Kosten auch anteilige → Fixkosten enthalten
226f., 251ff.
Vollkostenrechnung
full costing
Kostenrechnungssystem, bei dem sämtliche → 226f., Kosten auf die Produkte umgelegt werden 250ff.
Vorkalkulation
preliminary costing Abschätzung der voraussichtlichen → Kosten eines Produkts in der Angebotsphase
Vorräte
stocks
materielle Güter, die nur kurzfristig im → Unternehmen verbleiben
134, 190, 206f.
Wagnis
business risk
Risiko, das zu einem zeitlich oder in der Höhe unvorhersehbaren Werteverzehr führt
234, 238f.
Wechsel
bill of exchange
→ Wertpapier, das der → Finanzierung von Handelsgeschäften dient
168f.
Wechselkredit
discount credit
Kredit, dem ein → Wechsel zugrunde liegt
168f.
246f., 262
6 Glossar und Index
363
Werkstattfertigung
job shop production
räumliche Zusammenfassung funktionsgleicher Maschinen, an deren Anordnung sich der Materialfluss orientieren muss (→ Verrichtungsprinzip)
97ff.
Werkstoffe
materials
→ Produktionsfaktoren, die Bestandteil der Produkte werden
26, 78f.
Wertkette
value chain
Darstellung des Leistungsflusses entlang den Stufen der betrieblichen → Wertschöpfung
283
Wertpapier
security
Urkunde, die ein Vermögensrecht verbrieft, insbesondere → Aktien und → Schuldverschreibungen
34, 164f., 206f.
Wertschöpfung
value added
durch die betriebliche Tätigkeit erzielter Mehr- 45, 117, wert 218f., 282f.
Wertschöpfungsanalyse
value added analysis
Bereich der → Bilanzanalyse, der den Beitrag der einzelnen → Produktionsfaktoren zum betrieblichen → Erfolg untersucht
Wiederanlageprämisse
reinvestment assumption
implizite Unterstellung bei der → Methode des 148 internen Zinsfußes, dass freigesetzte Beträge zum → internen Zinsfuß zwischenzeitlich angelegt werden können
Wiedergewinnungsfaktor
capital recovery factor
vom → Kalkulationszins abhängiger Faktor zur Transformation eines → Kapitalwerts in eine → Annuität
149
Wirtschaftlichkeitsrechnung
efficiency calculation
→ Investitionsrechnung
140
Wirtschaftsprüfer
certified public accountant
öffentlich bestellter Prüfer für den → Jahresabschluss von → Kapitalgesellschaften
203f.
Zahlungsmittel
cash
liquide Mittel, die zur Abwicklung von Zahlungen eingesetzt werden können
134, 182, 208, 221
Zahlungsreihe
series of payments
Folge der mit einer Investitions- oder Finanzierungsmaßnahme verbundenen → Einzahlungen und → Auszahlungen
145ff.
Zeitliche Anpassung
adjustment of time
Variation der Arbeitszeit
78, 84
Zeitlohn
timework rate
Entlohnung anhand der abgeleisteten Arbeitszeit
314
Zeitpräferenz
time preference
Tatsache, dass ein Anleger eine frühe Zahlung 143 gegenüber einer späteren bevorzugt. Ursachen: Konsumverzicht, Zinsverlust, Risiko, Inflation
218, 255
364
6 Glossar und Index
Zero-Bonds
zero bonds
→ Schuldverschreibungen, bei denen keine 164 regelmäßigen Zinszahlungen erfolgen, sondern stattdessen ein höherer Betrag zurückgezahlt wird
Zielkonflikt
inconsistency of goals
Ein Zielkonflikt liegt vor, wenn sich eine 9f., 50, Verbesserung bei einem Ziel nur auf Kosten 87, 136 einer Verschlechterung bei einem anderen Ziel erreichen lässt.
Zielkosten
target cost
aus dem am → Markt erzielbaren Preis abgeleitete Kostenvorgabe beim → Target Costing
261f.
Zinsen
interest
Entgelt für die Überlassung von Finanzmitteln
68, 143ff, 237f.,
Zusatzkosten
additional cost
→ kalkulatorische Kosten, denen in der → 223,234 Finanzbuchhaltung kein entsprechender → Aufwand gegenübersteht, da keine → Auszahlungen anfallen
Zuschlagskalkulation
job costing
Kalkulationsverfahren, bei dem die → Ge248f. meinkosten anhand von prozentualen Zuschlägen auf die → Einzelkosten verrechnet werden
Zwischenkalkulati- intermediate coston ing
zwischenzeitliche Erfolgsermittlung bei Produkten mit sehr langer Produktionsdauer
246
7 Literaturverzeichnis
7
365
Literaturverzeichnis
Adam, D.: Philosophie der Kostenrechnung oder Der Erfolg des F. S. Felix, SchäfferPoeschel Verlag, Stuttgart, 1997 Albach, H.: Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, Gabler Verlag, Wiesbaden, 3. Aufl. 2001 Brockhoff, K.: Forschung und Entwicklung, Oldenbourg Verlag, München / Wien, 5. Aufl. 1999 Bühner, R.: Betriebswirtschaftliche Organisationslehre, Oldenbourg Verlag, München / Wien, 10. Aufl. 2004 Busse von Colbe, W., Pellens, B.: Lexikon des Rechnungswesens, Oldenbourg Verlag, München / Wien, 4. Aufl. 1998 Coenenberg, A. G.: Jahresabschluss und Jahresabschlussanalyse, Verlag moderne industrie, Landsberg am Lech, 20. Aufl. 2005 Dichtl, E.: Der Weg zum Käufer, Beck Verlag, München, 2. Aufl. 1991 Engelhardt, W. H., Raffée, H., Wischermann, B.: Grundzüge der doppelten Buchhaltung, Gabler Verlag, Wiesbaden, 6. Aufl. 2004 Freiling, J., Reckenfelderbäumer, M.: Markt und Unternehmung, Gabler Verlag, Wiesbaden, 2. Aufl. 2007 Gluchowski, P., Gabriel, R., Dittmar, C.: Management Support Systeme, Springer-Verlag, Berlin usw., 2008 Gutenberg, E.: Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre, Erster Band: Die Produktion, Springer-Verlag, Berlin usw., 24. Aufl. 1983 Habersack, M.: Europäisches Gesellschaftsrecht, Beck Verlag, München, 3. Aufl. 2006 Hansmann, K.-W.: Industrielles Management, Oldenbourg Verlag, München / Wien, 8. Aufl. 2006 Isermann, H. (Hrsg.): Logistik, Verlag moderne industrie, Landsberg am Lech, 2. Aufl. 1998 Kaplan, R. S., Norton, D. P.: The Balanced Scorecard: Translating Strategy into Action, Harvard Business School Press, Boston, 1996
366
7 Literaturverzeichnis
Keuper, F.: Strategisches Management, Oldenbourg Verlag, München / Wien, 2001 Kistner, K.-P., Steven, M.: Betriebswirtschaftslehre im Grundstudium, Band 1: Produktion, Absatz, Finanzierung, Physica-Verlag, Heidelberg, 4. Aufl. 2002 Kistner, K.-P., Steven, M.: Betriebswirtschaftslehre im Grundstudium, Band 2: Buchführung, Kostenrechnung, Bilanzen, Physica-Verlag, Heidelberg, 1997 Kistner, K.-P., Steven, M.: Produktionsplanung, Physica-Verlag, Heidelberg, 3. Aufl. 2001 Küpper, H.-U.: Controlling, Schäffer-Poeschel Verlag, Stuttgart, 4. Aufl. 2005 Kurbel, K.: Produktionsplanung und -steuerung im Enterprise Resource Planning und Supply Chain Management, Oldenbourg Verlag, München / Wien, 6. Aufl. 2005 Mag, W.: Einführung in die betriebliche Personalplanung, Vahlen Verlag, München, 2. Aufl. 1998 Pellens, B., Fülbier, R. U., Gassen, J.: Internationale Rechnungslegung, Schäffer-Poeschel Verlag, Stuttgart, 6. Aufl. 2006 Perridon, L., Steiner, M.: Finanzwirtschaft der Unternehmung, Vahlen Verlag, München, 14. Aufl. 2007 Plinke, W., Rese, M.: Industrielle Kostenrechnung, Springer-Verlag, Berlin usw., 7. Aufl. 2006 Pfohl, H.-C.: Logistiksysteme, Springer-Verlag, Berlin usw., 7. Aufl. 2003 Porter, M. E.: Competitive Strategy, Free Press, New York, 1980 Scheer, A.-W.: Wirtschaftsinformatik, Springer-Verlag, Berlin usw., 7. Aufl. 1997 Steven, M., Behrens, S.: Übungsbuch zur Produktionswirtschaft, Vahlen Verlag, München, 2001 Steven, M., Kistner, K.-P.: Übungsbuch zur Betriebswirtschaftslehre im Grundstudium, Physica-Verlag, Heidelberg, 2000 Steven, M., Schwarz, E. J., Letmathe, P.: Umweltberichterstattung und Umwelterklärung nach EG-Ökoaudit-Verordnung, Springer-Verlag, Berlin usw., 1997 Steven, M.: Produktionstheorie, Gabler Verlag, Wiesbaden, 1998 Steven, M.: Handbuch Produktion, Kohlhammer Verlag, Stuttgart, 2007 Swoboda, P.: Investition und Finanzierung, Verlag Vandenhoek & Ruprecht, Göttingen, 5. Aufl. 1996 Sydow, J., Möllering, G.: Produktion in Netzwerken, Vahlen Verlag, München, 2004 Thonemann, U.: Operations Management, Pearson Studium, München, 2005
7 Literaturverzeichnis
367
Wagner, G. R.: Betriebswirtschaftliche Umweltökonomie, Verlag Lucius & Lucius, Stuttgart, 2001 Wöhe, G.: Einführung in die Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, Vahlen Verlag, München, 22. Aufl. 2005 Wöhe, G., Bilstein, J.: Grundzüge der Unternehmensfinanzierung, Vahlen Verlag, München, 9. Aufl. 2002