Bulgarien im Bild: Die Erfindung von Nationen auf dem Balkan in der Kunst des 19. Jahrhunderts. Dissertationsschrift 9783412206871, 3412206873

Die populärsten Nationalbilder der Länder auf dem Balkan wurden im 19. Jahrhundert durch ausländische Künstler geschaffe

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German Pages 294 [297] Year 2012

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Bulgarien im Bild: Die Erfindung von Nationen auf dem Balkan in der Kunst des 19. Jahrhunderts. Dissertationsschrift
 9783412206871, 3412206873

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Bulgarien im Bild

Visuelle Geschichtskultur He­raus­ge­ge­ben von Stefan Troebst In Verbindung mit Anders Åman (†), Steven A. Mansbach und László Kontler

Band 6

Martina Baleva

Bulgarien im Bild Die Erfindung von Nationen auf dem Balkan in der Kunst des 19. Jahrhunderts

2012 BÖHL­AU VER­LAG KÖLN WEI­MAR WIEN

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung des Geisteswissenschaftlichen Zentrums Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas an der Universität Leipzig (GWZO) und der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit. Diese Arbeit wurde 2011 mit dem Förderpreis der Fritz und Helga Exner-Stiftung ausgezeichnet.

Zugleich Dissertation Kunst und Nationalismus auf dem Balkan im 19. Jahrhundert am Beispiel Bulgariens, Universität Erlangen-Nürnberg, 2009 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

Umschlagabbildung: Konstantin E. Makovsky: Bulgarische Märtyrer, 1877

© 2012 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Wien Köln Weimar Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Gesamtherstellung: WBD Wissenschaftlicher Bücherdienst, Köln Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-412-20687-1

Für Georgi und Margarita

In h al t

Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Begriff Balkan. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Balkannationen und die bulgarische Nationsbildung . . . . . . . . . . . . . Die bulgarische Kunsthistoriografie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

9 13 16 19

I.

Die Erfindung des Balkans in der illustrierten Presse . . . . . . . . . . Die illustrierte Presse im Europa des 19. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . Funktion und Stellung der Presseillustration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Begriff Presseillustration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

23 25 32 35

II.

Die Herstellung der Presseillustration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Spezialartist. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Spezialartist als talentierter Held . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Spezialartist als Augenzeuge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Spezialartist als Lohnempfänger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das ‚richtige‘ und ‚gute‘ Bild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das optimierte Bild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mehrwegbilder und das Problem der Aktualität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

39 41 43 47 52 59 63 68

III. Die visuelle Klassifikation des Balkans . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Krimkrieg und die ‚Entdeckung‘ des Balkans . . . . . . . . . . . . . . . . . . Helden, Opfer, Gräueltäter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beruf „Nationalheld“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die „schönsten Züge patriotischer Opferfreudigkeit des kleinen Serbenvolkes!“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Baschibozuks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unübliche Illustrationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

75 76 80 85

IV. Die schicksalhaften Begegnungen der Balkanvölker . . . . . . . . . . . Alte und neue Turcica . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die balkanische Völkerfibel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die balkanische Genreillustration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Massaker als Ort balkanischer Schicksalsbegegnungen . . . . . . . . . . Rückblick und Ausblick. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

103 107 110 114 119 131

90 93 97

8

V.

Inhalt

Fremde Künstler – eigene Bilder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Anfänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Konvertierbarkeit der Bildmotive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Konvertierbarkeit der Ikonografie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Ikonografie der Demarkation und ihre Spielarten. . . . . . . . . . . . . . . . Die asymmetrische Ikonografie der Demarkation . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

135 137 144 151 155 156

VI. Antoni Piotrowski und das Massaker von Batak . . . . . . . . . . . . . . . Antoni Piotrowski und Bulgarien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Gemälde „Das Massaker von Batak“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bildgenese und Mythenbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bilder der bulgarischen Nation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Geburt eines Geschichtsmythos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Datierung der Fotografien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gebeininszenierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

163 166 171 175 178 183 186 188

Ausblick oder die Konvertierbarkeit der Bildbotschaft . . . . . . . . . . . . . 193 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 Bildnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211

Vorbemerkunge n

Dieses Buch ist das Ergebnis von Überlegungen zum Zusammenhang von bildender Kunst und der Ausbildung nationaler Identitäten auf dem Balkan. Die Idee dafür geht auf mein Studium der Ost- und Südosteuropäischen Geschichte am OsteuropaInstitut der Freien Universität Berlin und besonders auf die Vorlesungen von Holm Sundhaussen zur Geschichte des Nationalismus in Südosteuropa zurück, die mich als Angehörige eines Balkanstaates mit einer für mich damals vollkommen fremden, bisweilen häretisch anmutenden Auffassung von Nation konfrontierten. Die Theorie, dass die Nation kein natürlicher, mithin überzeitlicher Zustand menschlicher Gesellschaftsordnung, sondern ein gerade einmal zweihundert Jahre altes Ideenkonstrukt einer bürgerlichen Gesellschaft sei, das auf deren kapitalistischer Wirtschaftsweise und einem liberalen politischen Verständnis beruht und im wesentlichen durch Institutionen und reproduzierende Medien in breite soziale Schichten getragen wird, um einem imaginierten Zusammengehörigkeitsgefühl zur Durchsetzung zu verhelfen, forderte mich heraus, nach der medialen Rolle der Kunst für den Prozess der Nationalisierung der bulgarischen Nation zu fragen. Die Frage stellte sich umso dringlicher, als ich als Kunsthistorikerin nicht nur Seminare, sondern auch einschlägige Literatur zum Thema vergeblich suchte. Bestätigung für die Berechtigung meiner Auseinandersetzungen mit der Problematik fand ich schließlich durch die von Monika Flacke kuratierte Ausstellung „Mythen der Nationen“, die 1998 im Deutschen Historischen Museum Berlin gezeigt wurde.1 Richtungweisend für meine Überlegungen war dabei nicht nur das Ausstellungskonzept, das nach der künstlerischen Verarbeitung der wichtigsten Geschichtsmythen von achtzehn Nationen fragte. Vor allem der inzwischen bereits fast kanonisch gewordene Aufsatz von Stefan Germer2 im Katalog zur Ausstellung über die augenfällige Verwandtschaft zwischen der Beschaffenheit nationaler Geschichtsmythen und den Bildmedien des 19. Jahrhunderts lenkte meine Aufmerksamkeit auf die umgekehrte Verbindung von Nationalmythos und Bild, nämlich ob, in welchem Maße und auf welche Weise Bilder zur Ausbildung nationaler Identifikationsgrößen wie geschichtlicher Ereignisse, Personen oder Erinnerungsorte beigetragen haben. Wenn auch nur in Ansätzen bot der Aufsatz von Germer eine bis dahin fehlende theoretische Grundlage für die vorliegende empirische Untersuchung des konkreten bulgarischen Falls sowie die Bestätigung der Auffassung, dass Bilder „das entscheidende Mittel zur Schaffung nationaler Gemeinschaften“3 waren und immer noch sind.

1 Mythen der Nationen. Ein europäisches Panorama, hrsg. v. Monika Flacke, Ausstellung, Berlin, Deutsches Historisches Museum, 1998. 2 Stefan Germer: Retrovision. Die rückblickende Erfindung der Nationen durch die Kunst, in: Flacke 1998, S. 33–52. 3 Ebenda, S. 41.

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Vorbemerkungen

Schon die ersten Recherchen der Literatur und des Bildmaterials führten zur Einsicht, dass das Beispiel Bulgarien auffallende Übereinstimmungen mit den Nachbarnationen, namentlich mit Griechenland und den westlichen Balkanstaaten aufweist, so dass es als exemplarisch für die gesamte Region angesehen werden kann. Von zentraler Bedeutung für die Nationalisierung der Kunst auf dem Balkan und damit als konstitutiv für die meisten, wenn nicht gar alle Nationen in der Region, erwies sich nämlich nicht wie erwartet die einheimische als vielmehr die Bildproduktion der west- und (ost-)mitteleuropäischen Malerei sowie der illustrierten Presse. Dies hatte zur Konsequenz, dass die Untersuchung nicht die bildgeschichtlichen Prozesse auf dem Balkan, sondern in West- und Mittel- bzw. Ostmitteleuropa in den Blick nimmt und sich dabei hauptsächlich auf die beiden für die Ausbildung der Nationen auf dem Balkan wichtigsten Bildmedien des 19. Jahrhunderts – die tagespolitische illustrierte Presse sowie die Ereignismalerei – konzentriert. Die Untersuchung versteht sich mithin als ein bildgeschichtlicher Beitrag zur Nationenforschung. Dabei wird das Bild jedoch weniger aus einer traditionell kunsthistorischen Sicht, also als ästhetisches Produkt, sondern vielmehr als historische Quelle eigenen Rangs betrachtet, die nach ihren ureigenen strukturellen Merkmalen und semantischen Ebenen befragt wird, um hieraus Rückschlüsse auf die Funktion von visuellen Medien im Nationalisierungsprozess auf dem Balkan zu ziehen und sie schließlich in ihrer historischen Bedeutung einordnen zu können. Die Auswahl des hier ausgewerteten Bildmaterials erfolgte hauptsächlich nach den Kriterien der Thematik und des Verbreitungsgrades bzw. Popularität des jeweiligen Bildes, wobei für die thematische Eingrenzung des Materials die Verbildlichung einer Balkannation und besonders der bulgarischen Nation entscheidend war, während das Kriterium der Popularität die Häufigkeit und damit den Bekanntheitsgrad der Reproduktion eines Bildes in Zeitschriften, Büchern und Schulbüchern berücksichtigte. Allerdings hatte gerade die Bearbeitung von Presseillustrationen sowie einiger Fotografien und Postkarten, auf die im letzten Teil des Buchs eingegangen wird, stets die als zuweilen unüberwindbar erscheinenden Hürden der Provenienzforschung zu nehmen, denn obschon diese äußerst häufig und in den verschiedensten Zusammenhängen reproduziert worden sind, fehlten oft jegliche Herkunfts-, Autoren- oder Datierungsnachweise. Die Provenienz einer Reihe von populären Bildern im Kontext Bulgariens erbracht oder berichtigt zu haben, ist ebenfalls ein Beitrag dieses Buchs. Die Studie beginnt mit einer eingehenden Analyse von Illustrationen der bedeutendsten Blätter der west- und mitteleuropäischen illustrierten Presse des 19. Jahrhunderts, deren spezifische Bildstrategien sowie Bildtypen bzw. Darstellungsstereotypen in Bezug auf den Balkan und seine Bevölkerung genauer in den Blick genommen werden. Parallel dazu wird das bisweilen kaum überschaubare Bildmaterial unter chronologisch-thematischen Gesichtspunkten systematisch geordnet, um hieraus die in der zeitgenössischen Presse konstruierten Vorstellungen von der jeweiligen Balkannation in ihrer Genese genauer bestimmen zu können. Von der illustrierten Presse nicht zu trennen ist die im darauffolgenden Teil des Buchs betrachtete Ereignismalerei, namentlich Werke der französischen Romantiker



Vorbemerkungen

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sowie der mitteleuropäischen sentimentalen Genremalerei, deren Ikonografien und visuelle Strategien nicht nur eine auffällige Verwandtschaft mit den Presseillustrationen aufweisen, sondern zugleich ausschlaggebend für die Ausbildung nationaler Ikonografien auf dem Balkan gewesen sind. Diese aus methodologischer Sicht resultierende Unterscheidung zwischen trivialem Massenbild und künstlerischem Werk ist jedoch mitnichten wertend, sie dient vielmehr dem besseren Überblick und der systematischen Behandlung beider medialer Kontexte. Abschließend wird an einem exemplarischen Beispiel konkret aufgezeigt, auf welche Weise das künstlerische Werk eines mitteleuropäischen Künstlers, des polnischen Malers Antoni Piotrowski, in Wechselwirkung mit anderen visuellen Medien zur Ausformung eines der zentralen Erinnerungsorte der Bulgaren und deren kollektiver Erinnerung beigetragen hat. Die Ergebnisse dieser scheinbar harmlosen Überlegungen sind unter besonders schwierigen Bedingungen und daher zeitlich mit vielfacher Verzögerung niedergeschrieben worden. Die Verarbeitung des letzten Teils der Studie zum Zeitungsartikel und dessen Publikation in einer bulgarischen Kulturzeitung4 sowie ein daraus resultierendes Ausstellungskonzept, das für ein bulgarisches Museum konzipiert war, löste in meinem Heimatland eine bis dahin ungekannte Welle nationaler Empörung aus, die zuweilen lebensbedrohliche Züge angenommen hat. Mediale Diffamierung, meine öffentliche Anprangerung durch den bulgarischen Staatspräsidenten Georgi Părvanov sowie der Aufruf zu meiner Ermordung durch die rechtsradikale Partei Ataka mitsamt einem von ihr ausgeschriebenen Kopfgeld5 rissen mich immer wieder aus der Arbeit heraus, machten mich jedoch zugleich umso zuversichtlicher, dass meine Forschung nicht nur wissenschaftlich relevant ist, sondern auch eine dezidiert gesellschaftliche 4 Martina Baleva: Koj (po)kaza istinata za Batak (Wer zeigte/sagte die Wahrheit über Batak), in: Kultura 17, 5. Mai 2006, S. 10–11. 5 Zu den Folgen des von mir konzipierten und von Ulf Brunnbauer geleiteten Projekts „Feindbild Islam – Geschichte und Gegenwart antiislamischer Stereotype in Bulgarien am Beispiel des Mythos vom Massaker von Batak“, das von der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ und der Robert-Bosch-Stiftung im Jahr 2007 gefördert wurde, siehe Martina Baleva: Nationalmythos Batak. Die Dekonstruktion eines Bildes und die Folgen, in: Kritische Berichte 36, H. 2, 2008, S. 21–30. Die Reaktionen auf das Projekt sind inzwischen in einer Reihe von Aufsätzen aus verschiedenen Perspektiven erörtert worden, darunter von Grażyna Szwat-Gyłybowa: Batak – Erinnerungsort im bulgarischen kollektiven Bewusstsein, in: Südosteuropa-Mitteilungen 1, 2011, S. 36–49; Gregor Mayer und Bernhard Odehnal: Aufmarsch. Die rechte Gefahr aus Osteuropa, Salzburg 2010, Kapitel „Bulgarische Mythen – Die Affäre ‚Batak‘ “; Alexander Vezenkov: Das Projekt und der Skandal „Batak“, in: Südosteuropa 2, 2010, S. 250–272; Doroteja Dobreva: Historisches Gedächtnis und Identitätskonstruktionen im bulgarischen Europäisierungsdiskurs. Das Fallbeispiel „Batak“, in: Zeitschrift für Balkanologie 46, 2010, S. 1–26; Petja Kabakčieva: Za upotrebite na istorijata – na kakvo be simptom skandalăt s edin proekt? (Über die Verwendung von Geschichte – wofür war der Skandal um ein Projekt symptomatisch?), in: Kritika i humanizăm 29, 2009; Klaus Roth: „... Wenn unvorsichtige Hände unsere Heiligtümer anfassen“ – Vom Umgang mit historischen Mythen in Bulgarien, in: Südosteuropa-Mitteilungen 6, 2009, S. 16–30; Stefan Troebst: „Budapest“ oder „Batak“? Varietäten südosteuropäischer Erinnerungskulturen. Eine Einführung, in: Zwischen Amnesie und Nostalgie. Die Erinnerung an den Kommunismus in Südosteuropa, hrsg. v. Ulf Brunnbauer und Stefan Troebst, Köln u. a. 2007, S. 15–26.

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Vorbemerkungen

Berechtigung zu haben scheint. Die Auszeichung meiner Dissertation mit dem Nachwuchspreis der Fritz und Helga Exner-Stiftung ist sicherlich ein Zeugnis dafür. Mein Dank geht an die Kolleginnen, Kollegen und Freunde, die mich in dieser turbulenten Zeit nicht nur gefördert und unterstützt, sondern die durch die Fertigstellung des Buchs gefährdete Menschenexistenz am Leben erhalten haben. Meinem Doktorvater, der mir sowohl fachlich als auch menschlich stets zur Seite stand und trotz der potenziellen Gefahr die Arbeit bis zuletzt betreute, danke ich besonders. Stefan Troebst danke ich für die Übernahme des Zweitgutachtens und seine couragierte Standhaftigkeit. Ohne die Unterstützung von Monika Flacke, die mich durch ihre unermüdliche Hilfe in all den schweren Momenten immer wieder aufgerichtet hat, wäre dieses Buch wohl kaum jemals zu Ende gebracht worden. Ihr bin ich zu tiefstem Dank verpflichtet. Ulf Brunnbauer, ebenfalls zum Ziel nationalistischer Angriffe geworden, bin ich für seinen engagierten und stets entschlossenen Beistand dankbar. Die Förderung durch die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit mit Mitteln des Auswärtigen Amtes ermöglichte mir nicht nur den für eine konzentrierte Forschungsarbeit von existenziellen Zwängen befreiten Lebensraum, sondern stärkte mir auch in den schwersten Zeiten den Rücken. Mein Dank gilt namentlich Mohammad Shaphari, meinen beiden Vertrauensdozenten, Michael Hartmann und Dorothee Willert, sowie dem Referenten der Begabtenförderung Michael Gold (†). Gedankt sei auch der Alfred Töpfer Stiftung F. V. S., Hamburg, sowie der Fritz und Helga Exner-Stiftung und der Südosteuropa-Gesellschaft, München, durch deren Förderung erste Recherchen zum Thema und erste Forschungsergebnisse beim internationalen Doktorandenkolloquium des Warburg-Kollegs in Hamburg 2006 präsentiert werden konnten. Für die fruchtbaren Diskussionen und hilfreichen Ratschläge danke ich Horst Bredekamp, Ulf Brunnbauer, Stefan Dečev, Dimităr G. Dimitrov †, Uwe Fleckner, Georg Hiller von Gaertringen, Matthias Krüger, Mila Mančeva und Alexander Vezenkov. Institutionelle Unterstützung erfuhr ich in Person durch Dimităr Balčev (Staatsarchiv Plovdiv), Volja Stojčeva (Nationalgalerie für Ausländische Kunst, Sofia) und Ekaterina Pejčinova (Historisches Museum Batak). Mein Dank gilt ebenso den Journalistinnen und Journalisten, die durch ihre Beiträge den schützenden Schild der Öffentlichkeit vor mich gehalten haben, besonders den couragierten Redaktionen der bulgarischen Zeitungen Kultura, Dnevnik, Kapital, Glasove, Sega und der Zeitschrift Altera sowie Ljuboslava Russeva (Dnevnik), Ivajlo Dičev (TAZ), Regina Mönch (FAZ), Marinela Lipčeva-Weiss (Deutsche Welle – Bulgarien), Norbert Mappes-Niediek (Frankfurter Rundschau), Sonja Zekri (Süddeutsche Zeitung), Marion Kraske und Eva Schmitter (Der Spiegel), Barbara Hein (art. Das Kunstmagazin) sowie Clemens und Katja Riha (Kulturzeit 3SAT). Einen ganz besonderen Dank möchte ich noch folgenden Menschen aussprechen, die mir immer wieder Mut machten, nicht aufzugeben und mir große Hilfe waren – Christiane Liermann (Villa-Vigoni, Como), Ulrike Poppe (ehemals Evangelische Akademie Berlin), Éva Kovács (Central European University, Budapest), Gabi DolffBonekämper (Technische Universität Berlin), Christian Voss (Humboldt-Universität zu Berlin), Antje Mansbrügge (Alfred Töpfer Stiftung F. V. S., Hamburg), Anne



Der Begriff Balkan

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Schultze-Berndt, Tatjana Groddeck, Steffen Lehn, Martin Bethke, Tatjana Holzapfel und Stephanie Haerdle. Danken möchte ich ebenfalls Gisela Kallenbach, ehemals Europaabgeordnete in der Fraktion Die Grünen/EFA, Werner Langen, Vorsitzender der CDU/CSU-Gruppe im Europäischen Parlament, sowie Manfred Weber, rechtspolitischer Sprecher der EVP-ED-Fraktion, die sich als einzige Politiker für meine Rechte als Wissenschaftlerin und Mensch öffentlich einsetzten. Für den kritischen Blick auf die Arbeit und die Korrekturen des Manuskripts habe ich Merle Ziegler, Martin Bethke, Georg Hiller von Gaertringen und dem Lektor des Böhlau Verlags, Rainer Borsdorf, zu danken. Für die professionelle Bildbearbeitung danke ich Thomas Fichtner. Dem Böhlau Verlag danke ich für die gute Zusammenarbeit und die Betreuung des Manuskripts, das von Harald Liehr und Sandra Hartmann mit viel Geduld und Nachsicht auf seinem Weg zum Buch begleitet wurde. Meiner Familie gebührt mein innigster Dank für das ungebrochene Vertrauen, für die unermüdliche Unterstützung und die stoische Tapferkeit, die sie dem bis heute nicht enden wollenden nationalistischen Terror entgegensetzt. Meinem Lebensgefährten, der mich mit seinem unversiegbaren Optimismus begleitete, danke ich für die unendliche Geduld und die tag- und nächtefüllenden Gespräche. Meine Großeltern Margarita und Georgi haben die Entwicklung der Arbeit stets mit großer Neugier von der Ferne verfolgt, konnten jedoch ihre Fertigstellung nicht mehr erleben. Ihnen ist sie gewidmet.

Der Begriff Balkan Der heutige Begriff Balkan beruht auf der geografisch irrtümlichen Herleitung des Berliner Geografen August Zeune, der ihn erstmals 1808 gebrauchte.6 Zeune ging von der Annahme aus, dass das Balkangebirge, welches das heutige Bulgarien von Ost nach West mit einer Breite von durchschnittlich 40 km durchzieht, maßgeblich die Geografie der gesamten Halbinsel präge. Demzufolge erstrecke sich der Gebirgszug vom Schwarzen Meer bis zu den slowenischen Alpen, womit ihm eine ähnlich prägende Bedeutung für den Gesamtraum wie dem Apennin für die italienische Halbinsel zukomme.7 Für Zeune, der in seiner Annahme den antiken Geografen folgt, bildete der Gebirgszug die nördliche Grenze des Gebiets, von dem er in Analogie zum Apen-

6 August J. Zeune: Gea. Versuch einer wissenschaftlichen Erdbeschreibung, Berlin 1808. Die folgenden Ausführungen folgen – sofern nicht anders angegeben – der Studie von Maria Todorova: Balkani – Balkanizăm (Balkan – Balkanismus), zweite überarbeitete und erweiterte Ausgabe (= Universitetska biblioteka 428), Sofia 2004 (das englische Original erschien unter dem Titel: Imagining the Balkans, Oxford 1997), sowie Holm Sundhaussen: Osteuropa, Südosteuropa, Balkan: Überlegungen zur Konstruktion historischer Raumbegriffe, in: Was ist Osteuropa?, hrsg. v. Holm Sundhaussen, Berlin 1998, S. 4–22. 7 Sundhaussen 1998, S. 12 ff.

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Vorbemerkungen

nin oder den Pyrenäen8 den Begriff Balkanhalbeiland ableitete. In den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts widerlegte der französische Geologe und Geograf Ami Boué diese bereits weitverbreitete Vorstellung und beschrieb das Gebirge in seinen tatsächlichen Ausmaßen als verhältnismäßig unbedeutend.9 Die mit dem türkischen Wort für Gebirge, Balkan, bezeichnete Bergkette, auch unter der antiken Bezeichnung Hämus bekannt, welche heute den bulgarischen Namen Stara Planina (Altes Gebirge) trägt, erstreckt sich über eine Länge von lediglich 420 km, ohne mit den übrigen Gebirgszügen der Region ein zusammenhängendes geomorphologisches System zu bilden.10 Trotz des erkannten Fehlers konnte sich der Begriff neben anderen Bezeichnungen der Halbinsel im 19. Jahrhundert zunehmend durchsetzen und diese im 20. Jahrhundert sogar weithin verdrängen. Bis dahin waren die Bezeichnungen der Region im Wesentlichen von der Anwesenheit der Osmanen auf der Halbinsel abgeleitet – Europäische Türkei, Türkei in Europa, Europäisches Osmanisches Imperium, Europäische Levante oder Orientalische Halbinsel.11 In der Region selbst war der Name bis ins 20. Jahrhundert ebenfalls kaum verbreitet. Die Osmanen selbst sprachen von Rumelien oder Rum-eli, was buchstäblich „das Land der Römer“ bzw. der „Griechen“ bedeutet; auch Rumeli-i şâhâne (imperiales Rumelien) oder Avrupa-i Osmâni (osmanisches Europa) waren gängige Selbstbezeichnungen.12 Da jedoch der Irrtum von Zeune auf Kritik gestoßen war, sollte sich im Verlauf des 19. Jahrhundert allmählich ein weiterer Begriff für die Region etablieren. 1861 schlug der österreichische Konsul Johann Georg von Hahn erstmals den Begriff Südosthalbinsel vor.13 In Anlehnung an Hahn prägte der Geograf Theodor Fischer Ende des 19. Jahrhunderts den Begriff Südosteuropäische Halbinsel, deren Nordgrenze er nun weiter nördlich an die Save-Donau-Linie verlegte.14 Während über die geografischen Grenzen der Halbinsel im Westen, Süden und Osten durch die fünf Meere Adria, Ionisches Meer, Ägäis, Marmarameer und Schwarzes Meer auch heute weitgehender Konsens besteht, war die Nordgrenze stets heftig umstritten.15 Dies hängt vor allem mit der im ausgehenden 19. Jahrhundert zunehmenden politischen Konnotation des Begriffs zusammen. Spätestens nach den beiden Balkankriegen 1912–1913 und dem Attentat in Sarajevo von 1914 stieß der Begriff nunmehr auch infolge seiner pejorativen Besetzung – man denke an die vielbeschworene „Balkanisierung“ – auf Kritik. Aus diesem Grund wurde gerade in der deutschsprachigen Forschung für einen wertneutraleren Begriff wie Südosteuropa plädiert. In den 1930er und 1940er Jahren wird jedoch die Bezeichnung in ihrem deutschen

8 Todorova 2004, S. 51. 9 Ami Boué: La Turquie d’Europe, 4 Bde., Paris 1840. 10 Sundhaussen 1998, S. 12. 11 Todorova 2004, S. 53. 12 Ebenda. 13 Sundhaussen 1998, S. 12. 14 Ebenda, S. 12–13. 15 Todorova 2004, S. 56.



Der Begriff Balkan

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Gebrauch diskreditiert, da Südosteuropa zu einem wichtigen Begriff im Zusammenhang mit den geopolitischen Bestrebungen der Nationalsozialisten geworden war, in deren Weltordnungskonzept die Region als Wirtschaftsraum Großdeutschland Südost eine „natürlich vorgegebene ökonomische und politische Ergänzung“ des Deutschen Reichs im Südosten Europas darstellen sollte.16 Offenbar wegen seiner nationalsozialistischen Vereinnahmung wurde der Begriff Südosteuropa unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg außerhalb Deutschlands kaum verwendet. Im übrigen Europa und den USA werden jedoch Südosteuropa und Balkan in der Regel synonym benutzt, wobei letzterer Begriff deutlich bevorzugt wird.17 Anders in Deutschland, wo nach wie vor zwischen einem weiter gefassten Südosteuropa-Begriff und einem enger gefassten Balkan-Begriff unterschieden wird.18 Diese Differenzierung liegt vor allem in den unterschiedlichen Bestimmungskriterien begründet, welche in der deutschen Wissenschaft angewendet werden, wobei das verbreiteteste das geografische Kriterium zu sein scheint.19 Gerade aufgrund der geografischen Argumentation konzentrierte sich die Diskussion stets auf die nord- und nordwestliche Grenze der Halbinsel und damit auf die Frage nach den dazugehörenden Staaten. Nach Karl Kaser wird die Nordgrenze Südosteuropas von den Karpaten markiert, demzufolge die Slowakei (jedoch nicht Tschechien), Ungarn, Rumänien, Ex-Jugoslawien, Albanien, Bulgarien, Griechenland und die europäische Türkei zur Region gehören.20 Nach diesem Verständnis bildet der Balkan lediglich eine Subregion des Großraums Südosteuropa.21 Aus historischer Perspektive indes, wie sie von Mathias Bernath vertreten wird, gehören Tschechien und auch die Slowakei wiederum nicht zu Südosteuropa.22 Für Maria Todorova ist das Kriterium des historischen, namentlich des osmanischen Erbes entscheidend, wonach zum Balkan außer Albanien, Bulgarien, Griechenland, Rumänien und den ehemaligen jugoslawischen Republiken auch die Territorien des ehemaligen Stadtstaates Dubrovnik sowie der europäische Teil der Türkei als einstige europäische Regionen des Osmanischen Reiches gehören.23 Auch wenn neben den geografischen und historischen Kriterien auch andere wie politische, kulturelle, anthropologische, konfessionelle und ökonomische oder auch oft Kombinationen aus diesen Kriterien zur Begriffsbestimmung der Region herangezogen wurden,24 so wird der Begriff Balkan hier im Sinne der Argumentation Maria 16 17 18 19 20 21 22 23 24

Ebenda, S. 54. Ebenda, S. 55. Sundhaussen 1998, S. 12. Todorova 2004, S. 55. Karl Kaser: Südosteuropäsche Geschichte und Geschichtswissenschaft. Eine Einführung, Wien u. a. 1990. Todorova 2004, S. 55. Mathias Bernath: Südosteuropäsche Geschichte als gesonderte Disziplin, in: Forschungen zur osteuropäischen Geschichte 20, 1973, S. 135–144. Todorova 2004. Ebenda, S. 56.

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Vorbemerkungen

Todorovas verwendet, wonach die Region als das Kernland des europäischen Teils des Osmanischen Reiches bzw. als deckungsgleich mit dem historischen Begriff osmanisches Europa verstanden wird und entsprechend die Gebiete der heutigen Nationalstaaten Albanien, Bulgarien, Griechenland, Rumänien, die ehemaligen Republiken von Jugoslawien sowie den europäischen Teil der Türkei umfasst.

Die Balkannationen und die bulgarische Nationsbildung Die ersten Nationalstaaten auf dem Balkan25 bildeten sich – folgt man den gängigen Nationsbildungsmodellen – verhältnismäßig spät heraus.26 Nach dem theoretischen Modell Theodor Schieders, der chronologisch drei aufeinander folgende Typen von Nationenbildungen unterscheidet, gehören die Balkannationen zum dritten und letzten, dem sogenannten Sezessionstyp osteuropäischer Prägung.27 Dieser zeichne sich durch das Bestreben einzelner ethnischer Gruppen aus, sich aus einem multinationalen Staatenverband abzuspalten und einen eigenen Staat unter nationalem Vorzeichen zu gründen. Als Beispiele dafür führt Schieder das Habsburger- und das Osmanische Reich28 an, von letzterem lösten sich im 19. Jahrhundert die hier hauptsächlich behandelten Nationen der Griechen, Serben und Bulgaren ab.29 Darüber hinaus zählt man die Nationen des Balkans zu den ethnisch-kulturell begründeten Nationalstaaten, de-

25 Zur Geschichte der Herausbildung der Balkannationen sowie zur nach Meinung Maria Todorovas konstruierten historischen Sonderentwicklung des Nationalismus in Südosteuropa siehe etwa Edgar Hösch: Die Entstehung des Nationalstaats in Südosteuropa, in: Südosteuropa 10, 1993, S. 551–563; Gale Stokes: Nationalism in the Balkans. An Annotated Bibliography, New York u. a. 1984; Nationalbewegungen auf dem Balkan, hrsg. v. Norbert Reiter, Berlin 1983. Zur Kritik von Maria Todorova: Die Kategorie Zeit in der Geschichtsschreibung über das östliche Europa (= Oskar-Halecki-Vorlesung 2003), Leipzig 2003. 26 Wie wenig die Kategorie der „verspäteten“ Nationsbildung, zu der im Übrigen auch Deutschland gezählt wird, für das historische Verständnis des Phänomens Nation taugt, zeigte Maria Todorova mit ihrer Argumentation aus der Perspektive einer longue durée, nach der die chronologische Typologisierung von Nationen einer relativen Synchronität unterliegt und hierdurch zugleich aufgehoben wird. Siehe dazu Todorova 2003. 27 Theodor Schieder: Typologie und Erscheinungsformen des Nationalstaats in Europa, in: Historische Zeitschrift 202, H. 1, 1966, S. 58–81. Die ersten zwei Typen sind nach Schieder die revolutionär demokratische (Frankreich und England) sowie die einende (Deutschland und Italien) Nationalstaatsbildung. 28 Eine komparative Studie zu den historischen Spezifika der Nationenbildungsprozesse im Habsburger- und Osmanischen Reich verfasste Miroslav Hroch: Die nationalen Formierungsprozesse in Mittel- und Südosteuropa. Ein Vergleich, in: Berliner Jahrbuch für osteuropäische Geschichte 2, 1995, S. 7–16. 29 Einen guten Einstieg in die Geschichte der griechischen und serbischen Nationalbewegungen bietet nach wie vor der Band von Charles und Barbara Jelavich: The Establishment of the Balkan National States, 1804–1920 (= A History of East Central Europe VIII), Seattle u. a. 1993. Zu Griechenland siehe ebenda Kapitel 3, S. 38 ff., zu Serbien siehe Kapitel 4, S. 53 ff. Aus sprachlich-kultureller Perspektive wurden die Nationalbewegungen der Griechen, Serben, Bulgaren und Rumänen im Sammelband: Reiter 1983, erörtert.



Die Balkannationen und die bulgarische Nationsbildung

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ren kollektive Identitäten sich im Unterschied zur politischen Nation – auch unter dem Begriff Staats- bzw. Willensnation bekannt – wie etwa Frankreich und England, über die gemeinsame Abstammung, Tradition, Kultur und Sprache definieren würden.30 Von den im 19. Jahrhundert gegründeten Nationalstaaten auf dem Balkan erlangten die Bulgaren als letzte ihre autonome Eigenstaatlichkeit.31 Nicht zuletzt lag der Grund hierfür in der geografischen Lage der hauptsächlich von Bulgaren bzw. vom bulgarmillet besiedelten Territorien des Osmanischen Reichs in der Nähe der Hauptstadt Istanbul, die somit leichter kontrollierbar waren. Ähnlich wie die Griechen, Serben und anderen Ethnien im europäischen Teil des Osmanischen Reiches bestand auch die Mehrheit der Bulgaren aus ländlicher Bevölkerung, die eine weitgehende Selbstverwaltung genoss und ihren eigenen Notabeln, den sogenannten čorbadžii, unterstand. Wie der höhere Klerus der christlich-orthodoxen Kirche, so waren auch die christlichen Dorfvorsteher ein wichtiger Teil des osmanischen bürokratischen Systems, an dessen Bestehen sie trotz ihrer Bemühungen für die eigenen nationalen Belange stets festhielten. In diesem Zusammenhang stellt Claudia Weber fest: „Zwar hatte die Krise des ‚kranken Mannes am Bosporus‘ [...] Reformansätze einer politischen und ökonomischen Selbstverwaltung [...] und einen wirtschaftlichen Aufschwung bewirkt, der auf das nationale Engagement der Bulgaren durchaus positiv ausstrahlte. Die politische Loslösung vom Osmanischen Reich aber wurde [...] zurückhaltend diskutiert.“32 Für die nationalgesinnten Akteure „stellte sich die Frage eines eigenständigen Nationalstaates nicht“, vielmehr schwebte ihnen ein Ausgleich nach österreichisch-ungarischem Vorbild vor, das im Sultan den „König der Bulgaren“ sah.33 Die nationalen Bemühungen der Bulgaren sollten sich deshalb nicht wie bei den Griechen, Serben und Herzegowinern zu bewaffneten Revolten gegen die zentrale osmanische Regierung potenzieren,34 sondern äußerten sich zunächst in der Gründung säkularer bulgarischer Schulen sowie in der Bewegung für eine eigenständige bulgarische Kirche,35 waren doch das ökumenische Patriarchat in Konstantinopel sowie die

30 Kritik an diesem binären Modell äußerte wiederum Maria Todorova, die aufzeigen konnte, dass jeder Nationalismus einen linguistischen Kern hat, so dass gerade das Merkmal Sprache nicht zur Differenzierung von Nationstypen beitragen kann. Siehe dazu Todorova 2003. 31 Zur Herausbildung der bulgarischen Nation als Erinnerungsgemeinschaft siehe Claudia Weber: Auf der Suche nach der Nation. Erinnerungskultur in Bulgarien von 1878–1944 (= Studien zur Geschichte, Kultur und Gesellschaft Südosteuropas 2), Berlin 2006. 32 Ebenda, S. 43. 33 Ebenda. 34 Wie problematisch die von der bulgarischen Historiografie postulierte bulgarische Nationalrevolution mit ihrem vermeintlichen Höhepunkt im Jahr 1876 im Vergleich zu den griechischen, serbischen und herzegowinischen Aufständen des 19. Jahrhunderts ist, zeigte in seiner Analyse Harald Heppner: Theorie und Realität der „nationalen Revolution“ in Bulgarien in den Siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts, in: Nationalrevolutionäre Bewegungen in Südosteuropa im 19. Jahrhundert, hrsg. v. Christo Choliolčev, Karlheinz Mack und Arnold Supan (= Schriftenreihe des österreichischen Ost- und Südosteuropa-Instituts 20), Wien u. a. 1992, S. 60–67. 35 Zur Entwicklung des bulgarischen Schulwesens, der Literatur und der Bewegung für kirchliche Autonomie siehe Radina Springborn: Die bulgarische Nationalbewegung, in: Reiter 1983, S. 281–352, so-

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Vorbemerkungen

christlichen Bildungseinrichtungen fast ausnahmslos von Griechen, den sogenannten Phanarioten, dominiert. Die Emanzipation von der kulturellen und religiösen Dominanz der Griechen bildete mithin den ersten Schritt zur nationalen Eigenstaatlichkeit der Bulgaren, die ihren Höhepunkt Anfang der 1870er Jahre mit der Errichtung des bulgarischen Exarchats 1872 erreichen sollte. Im Unterschied zu den Nationalbewegungen der Griechen und Serben, die ihre politische Eigenständigkeit vor der kirchlichen Unabhängigkeit von Konstantinopel erlangt hatten, erfolgte die Errichtung des bulgarischen Nationalstaats erst nach der Abspaltung vom orthodoxen Patriarchat. Die Gemeinsamkeit der im 19. Jahrhundert auf dem Balkan gegründeten Nationalstaaten der Serben, Griechen, Rumänen und Bulgaren liegt indes darin, dass sie alle das Ergebnis Russisch-Osmanischer Kriege sind. Der bulgarische Nationalstaat wurde im Anschluss an den Russisch-Osmanischen Krieg von 1877–1878 gegründet. Damit endete – folgt man der in der bulgarischen Historiografie kodifizierten Periodisierung bulgarischer Nationalgeschichte – jener Zeitabschnitt der nationalen Entwicklung der Bulgaren, der unter dem Begriff „nationale Wiedergeburt“ (văzraždane, in Anlehnung an das italienische Risorgimento) bekannt ist und dem offiziellen historischen Narrativ zufolge Mitte des 18. Jahrhunderts mit dem Verfassen des ersten bulgarischen Geschichtswerks Slaveno-bulgarische Geschichte vom Athos-Mönch Paisij 1762 einsetzte.36 Zieht man das Drei-Phasen-Modell von Miroslav Hroch heran,37 welches ungeachtet der Unterscheidungen etwa zwischen politischem und ethnisch-kulturellem, westlichem und östlichem, frühem und spätem oder des aus der Perspektive der relativen Synchronität betrachteten Nationalismus auf jede Nationalbewegung angewendet werden kann, so erweist sich die Epoche der bulgarischen „Wiedergeburt“ jedoch mitnichten als die Zeit der vollständigen Ausbildung der bulgarischen Nation. Vielmehr fällt diese mit der ersten Phase des Hrochschen Modells zusammen, in der eine kleine Gruppe von Gelehrten sich für die hauptsächlich ethnografischen Besonderheiten einer Volksgruppe interessiert, ohne dieser anzugehören oder zumindest sich angehörig zu fühlen. Erst am Ende der Wiedergeburtsepoche, soweit sie denn als solche eine historische Realität ist,38 mithin in den 1870er Jahren setzt die nach Hroch als „nationale Agitation“ bezeichnete zweite Phase der bulgarischen Nationsbildung ein. Diese wie Nadja Danova: Nacionalnijat văpros v grăckite političeski programi prez XIX vek (Die nationale Frage in den politischen Programmen der Griechen im 19. Jahrhundert), Sofia 1980. 36 Zur Genese dieses Diskurses siehe Ivan Šišmanov: Ot Paisija do Rakovski: statii po bălgarskoto văzraždane (Von Paisij bis Rakovski. Aufsätze zur bulgarischen Wiedergeburt), hrsg. v. Mihail Arnaudov, Sofia 1943, besonders die Kapitel „Uvod v istorijata na bălgarskoto văzraždane“ (Einführung in die bulgarische Wiedergeburt) sowie „Paisij i negovata epoha“ (Paisij und seine Epoche). Zu Paisijs Einordnung in den nationalen Geschichtsdiskurs siehe Weber 2006, S. 40 ff. 37 Miroslav Hroch: Die Vorkämpfer der nationalen Bewegung bei den kleinen Völkern Europas, Prag 1968, besonders S. 118 ff. 38 Eine kritische Analyse der Epoche der Wiedergeburt sowie den mehr als einsichtigen Vorschlag, diese der historischen Realität entsprechend mit dem Begriff des Tanzimat bzw. der Reformzeit im Osmanischen Reich zu ersetzen, lieferte in seinem Aufsatz Aleksandăr Vezenkov: Očevidno samo na prăv pogled. Bălgarskoto văzraždane kato otdelna epoha (Offensichtlich nur auf den ersten Blick. Die



Die bulgarische Kunsthistoriografie

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Phase zieht sich noch bis weit in die Zeit nach der Gründung des bulgarischen Fürstentums 1878 hinein, so dass von einem vollständig ausgebildeten Nationalbewusstsein der Bulgaren erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Rede sein kann.39

Die bulgarische Kunsthistoriografie Das Hrochsche Modell scheint für die Geschichte der Nationalisierung der Kunst auf dem Balkan überaus brauchbar zu sein, weist doch die hier zu untersuchende Zeitspanne der Anfänge der Ausbildung einer nationalen Kunst im 19. Jahrhundert vielfache Kongruenzen mit der ersten Phase im Modell von Hroch auf, insofern sich ausschließlich nicht einer balkanischen bzw. der bulgarischen Volksgruppe zugehörige Künstler für die Besonderheiten der Ethnien auf dem Balkan interessiert haben. Wie die „südosteuropäischen Nationalbewegungen“, so entstand auch die Nationalkunst auf dem Balkan „außerhalb des späteren Staatsgebietes und entfernt von ihren ‚Zielgruppen‘ “40. Doch wurde die Frage nach der Herausbildung balkanischer Nationalkunst und insbesondere einer bulgarischen Nationalikonografie in der bildenden Kunst des späten 19. Jahrhundert sowie nach den dabei wirksamen künstlerischen Strategien vor der Folie der Konstruktion nationaler Identitäten von der Forschung nicht gestellt. Zwar gibt es eine kaum zu überblickende Forschungsliteratur zur bulgarischen Nationalkunst der Zeit,41 doch wird darin die Nation stets als a priori, mithin als schon immer existent verhandelt. Die Mehrheit der bulgarischen Kunsthistoriker orientierte sich dabei an dem bis heute noch weitgehend gültigen Geschichtsverständnis, wonach die Anfänge der bulgarischen Nation und damit auch der nationalen Kunst bzw. Ikonografie bis in das frühe Mittelalter zurückreichen.42 In dieses Geschichtsbild gehört auch die Vorstellung von der Wiedergeburt des bulgarischen Nationalbewusstseins, das nach fünf Jahrhunderten des „Schlafs“ unter „türkischem Joch“ in der sogenannten Epoche der Wiedergeburt, das heißt im 19. Jahrhundert wiedererwacht sei.43 Der bulgarische Wiedergeburt als einzelne Epoche), in: Balkanskijat XIX vek. Drugi pročeti (Das balkanische 19. Jahrhundert. Andere Lesearten), Sofia 2006, S. 82–127. 39 Zu ähnlichen Schlussfolgerungen kommt auch Weber 2006. 40 Ebenda, S. 37. 41 Aus der Fülle an einschlägiger Literatur seien nur einige beispielhafte Studien genannt: Atanas Božkov: Bălgarsko izobrazitelno izkustvo (Bildende Kunst in Bulgarien), Sofia 1988; Aleksandăr Obretenov: Bălgarsko văzroždensko izobrazitelno izkustvo. Njakoj aspekti i problemi (Bulgarische bildende Kunst der Wiedergeburt. Einige Aspekte und Probleme), Sofia 1985; Nikola Mavrodinov: Izkustvo na bălgarskoto văzraždane (Die Kunst der bulgarischen Wiedergeburt), Sofia 1957; Asen Vasiliev: Văzroždenski hudožnici (Maler der Wiedergeburt), Sofia 1955. 42 Anlässlich der 1300-jährigen Existenz der bulgarischen Nation, die 1981 als Nationsjubiläum begangen wurde, erschienen reich bebilderte Luxuseditionen zur Monumental- und bildenden Kunst, so etwa: 1300 godini bălgarsko izobrazitelno izkustvo (1300 Jahre bulgarische bildende Kunst), hrsg. v. Bulgarischen Akademie der Wissenschaften, Sofia 1984. 43 Harald Heppner: Aspekte bulgarischer Öffentlichkeit in spätosmanischer Zeit, in: Öffentlichkeit ohne Tradition. Bulgariens Aufbruch in die Moderne, hrsg. v. Harald Heppner und Roumiana Preshlenova,

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Vorbemerkungen

Prozess der nationalen Konsolidierung der Bulgaren sei mit ihrer „Befreiung“ von den „Türken“ durch die russische Armee und der Errichtung des bulgarischen Fürstentums 1878 endgültig abgeschlossen worden. Dieses Paradigma spiegelt sich nicht nur in den Titeln kunsthistorischer Überblicksdarstellungen wider, wie der selbstredende Titel des Standardwerks bulgarischer Kunstgeschichte Denationalisierung und Wiedergeburt der bulgarischen Kunst unter dem türkischen Joch von Andrej Protič etwa zeigt,44 sondern ebenfalls in der davon abgeleiteten kunsthistorischen Periodisierung der bulgarischen Nationalkunst. So unterscheidet man immer noch zwischen Künstlern der Wiedergeburt vor 1878 und der nachfolgenden Generation hauptsächlich im Ausland ausgebildeter bulgarischer, aber auch ausländischer Künstler. Das Wirken der Ersteren in diesem Prozess, bei denen es sich hauptsächlich um Kirchen- und Ikonenmaler handelt, wurde stets als außerordentlich und als Manifestation des wiedererwachten Nationalbewusstseins trotz den vermeintlich schweren Lebens- und Arbeitsbedingungen unter osmanischer Herrschaft verhandelt und so als wegbereitend für die „europäisierte“ Nachfolgekunst stilisiert. Als wichtigste Vertreter dieser sich vom „Joch“ emanzipierenden bulgarischen Kunst werden die beiden Ikonen- und Kirchenmaler Zaharij Zograf (1810–1853) und Stanislav Dospevski (1823–1878) sowie der erste im wirklichen Sinne weltliche Maler bulgarischer Herkunft Nikolaj Pavlovič (1835–1894) genannt, obgleich diese kaum eine ernstzunehmende Rolle in der Ausbildung der nationalen Kunst in Bulgarien gespielt haben. Schon der gräzisierte Name des von der bulgarischen Kunstgeschichte zum ersten bulgarischen Nationalmaler auserkorenen Zaharij Hristovič Zograf45 macht skeptisch gegenüber seiner bulgarischen Gesinnung. Dessen ungeachtet wird Zaharij Zograf bis heute als der Urvater der bulgarischen Malerzunft angesehen. Hierfür werden vor allem jene weltlichen Elemente wie Stifterporträts, zeitgenössische Kleidung und selbst Motive aus der „bulgarischen Wiedergeburtsarchitektur“46 Frankfurt a. M. u. a. 2003, S. 9–23, hier S. 9. 44 Andrej Protič: Denacionalizirane i văzraždane na bălgarskoto izkustvo prez turskoto robstvo ot 1393 do 1879 god. (Denationalisierung und Wiedergeburt der bulgarischen Kunst unter dem türkischen Joch von 1393 bis 1879), Sofia 1929. 45 Zograf ist eine Ableitung aus der griechischen Bezeichnung für Ikonen- und Kirchenmaler zographos. Zu Leben und Wirken von Zaharij Zograf wurde in geradezu jeder Überblicksdarstellung zur Geschichte der bulgarischen Kunst geschrieben, deren Aufzählung den Rahmen einer Anmerkung bei weitem sprengen würde. Genannt seien hier lediglich zwei wichtige Monografien von Pavel Spasov: Zaharij Zograf, Sofia 1966, und Vasil Zahariev: Zaharij Hristovič Zograf, Sofia 1957, sowie die empirische Studie von Asen Vasiliev: Stenopisi v svetogorskija manastir „Lavra“ ot Zaharij Zograf (Fresken im athonischen Kloster „Lavra“ von Zaharij Zograf), in: Izvestija na instituta za izobrazitelno izkustvo 1, 1956 S. 33–94. 46 Eine kritische Diskursanalyse sogenannter bulgarischer Wiedergeburtsarchitektur am Beispiel des „bulgarischen Wiedergeburtshauses“ bei Čavdar Marinov: Čija e tazi kăšta? Izmisljaneto na bălgarskata văzroždenska arhitektura (Wessen Haus ist das? Die Erfindung der bulgarischen Wiedergeburtsarchitektur), in: V tărseneto na bălgarskoto. Mreži na nacionalna intimnost (XIX–XXI v.) (Auf der Suche nach dem Bulgarischen. Netzwerke der nationalen Intimität 19.–21. Jh.), hrsg. v. Stefan Dečev, Sofia 2010, S. 325–404.



Die bulgarische Kunsthistoriografie

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in Anschlag gebracht, die Zograf in die kirchliche Wandmalerei eingeführt habe, wiewohl solche der jeweiligen Entstehungszeit entstammenden Elemente schon seit dem Mittelalter zum obligatorischen Repertoire orthodoxer Kirchenmalerei gehörten. Einzig die weltlichen Porträts von Zaharij Zograf, darunter das wohl berühmteste der bulgarischen Kunstgeschichte, das um 1840 datierte Selbstporträt des Künstlers, die unter dem starken Einfluss von Heiligendarstellungen in der Ikonenmalerei stehen, können allenfalls als Ausdruck einer Verweltlichungstendenz, jedoch mitnichten als Nationalisierungsbestrebungen der bulgarischen (Ikonen-)Malerei betrachtet werden. Der Beitrag Zaharij Zografs für die spätosmanische Kirchenmalerei des 19. Jahrhunderts auf dem Balkan ist indes von großer Bedeutung, er malte die Kirchen der bedeutendsten Klöster wie die des Rila-, Trojan-, des genuin griechischen Bačkovo-, und des Preobraženski-Klosters mit Fresken von unschätzbarem Wert aus.47 Der heute unter seinem aus dem Russischen entlehnten Pseudonym Stanislav Dospevski bekannte Zafir Zograf gehörte wie sein Großonkel Zaharij Zograf zur sogenannten Samokov-Schule48 bzw. -Gilde und war der erste bulgarische Ikonenmaler mit einer akademischen Ausbildung, die er in den Kunstakademien von Moskau und St. Petersburg erwarb. Er gilt als Wegbereiter des weltlichen Porträts in Bulgarien, beschäftigte sich jedoch wie Zaharij Zograf zeitlebens mit Ikonen- und Kirchenmalerei.49 Nikolaj Hristakiev Pavlovič begann seine Künstlerkarriere ebenfalls als Ikonenund Kirchenmaler, war jedoch auf vielen Gebieten – vom Illustrator und Historienmaler bis hin zum Schulinspektor – tätig. Er studierte ab 1852 in Wien Litografie und in München Historienmalerei bei Wilhelm von Kaulbach und Carl von Piloty, unter deren Einfluss er später mehrere kleinformatige, bisweilen durch ihren naivistischen Duktus auffallende Ölgemälde zur mittelalterlichen bulgarischen Geschichte anfertigte. Ihre literarische Quelle war die von seinem Vater, dem Lehrer Hristaki Pavlovič, überarbeitete und herausgegebene Fassung der Istorija Slavjanobǎlgarska (Slavenobulgarische Geschichte, 1765) des Mönchs Paisij.50 Pavlovič fertigte auch eine Serie 47 Zum griechischen Ursprung des Bačkovo-Klosters siehe Machiel Kiel: Art and Society of Bulgaria in the Turkish Period. A Sketch of the Economic, Juridical and Artistic Preconditions of Bulgarian PostByzantine Art in ist Place in the Development of the Art of the Christian Balkans, 1360/70–1700. A New Interpretation, Assen u. a. 1985. 48 Der Samokov-Schule wurde in Analogie zur Nationalisierung des ihr angehörenden Zaharij Zograf ebenfalls eine exponierte Rolle in der Nationalisierung bulgarischer Malerei zugewiesen. Die Literatur dazu ist kaum zu überschauen und jede kunsthistorische Überblicksdarstellung bietet eine Fülle an Informationen zum Geburtsort der bulgarischen Malerei, der bis weit in das 18. Jahrhundert hinein überwiegend von Serben bewohnt war, die in einem allmählichen Prozess von den Bulgaren assimiliert wurden. Siehe dazu Kiel 1985, S. 121 ff. 49 Aus der Fülle an Literatur seien hier erwähnt Vasil Zahariev: Stanislav Dospevski. Văzroždenski živopisec. 1823–1877 (sic!) (Stanislav Dospevski. Wiedergeburtsmaler. 1823–1877), Sofia 1977; Canko Lavrenov: Stanislav Dospevski. Sbornik văzroždenski hudožnici (Stanislav Dospevski. Sammlung Maler der Wiedergeburt), Sofia 1956. 50 Hristaki Pavlovič: Carstvenik ili istorija bolgarskaja (Buch der Könige oder Geschichte der Bulgaren), Budim (Ofen) 1844.

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Vorbemerkungen

von kolorierten Lithografien über die Leiden der Hl. Genoveva an und illustrierte zwei wissenschaftliche Werke von einem der ersten bulgarischen Universalgelehrten, seinem langjährigen Gönner Petǎr Beron,51 der auch das erste bulgarische Lehrbuch, den sogenannten Riben bukvar (Fischfibel, Braşov 1824) verfasst hatte. Zu seinen Werken mit nachweisbar nationalem Bezug gehören die Illustrationen des historischen Essays von einem der prominentesten politischen Unternehmer der bulgarischen Nationalbewegung, Georgi Sava Rakovski, Njakolko reči o Asenju părvomo (Einige Reden über Asen I., Belgrad 1860), der dem mittelalterlichen bulgarischen Herrscher Asen I. gewidmet ist und auf das Geschichtswerk von Paisij rekurriert. Zu den wichtigsten historischen, unter patriotischem Vorzeichen stehenden Gemälden von Pavlovič zählt „Die Überquerung der Donau durch die Bulgaren und ihren Zaren Asparuh“ (1867–1869), heute in der Nationalgalerie Sofia. Es bildet die visuelle Entsprechung zu eben jener im 19. Jahrhundert unter bulgarischen Patrioten vorherrschenden Loyalitätsbekundung gegenüber der osmanischen Gesellschaftsordnung und ihrem Sultan als legitimem Nachfolger der Herrscher des mittelalterlichen Bulgarien. Eine nennenswerte Rezeption und, noch weniger eine breite Resonanz in der bulgarischsprachigen Bevölkerung erfuhr Pavlovič jedoch nicht. Bemerkenswerterweise verstarb er einsam und vergessen, um erst in den 1930er Jahren durch die nationale Kunsthistoriografie wieder entdeckt und vor allem von der sozialistischen Kunstgeschichtsschreibung in Dienst genommen und zum Pionier der Historienmalerei in Bulgarien ausgezeichnet zu werden.52 Dagegen gelten die Werke der in Bulgarien tätigen ausländischen Künstler, den tschechischen Maler und größten ‚Widersacher‘ von Pavlovič, Ivan Mrkvička, ausgenommen, nach wie vor als lediglich „realistische“ Abbilder bulgarischer Lebensverhältnisse im gerade gegründeten Nationalstaat, sodass deren künstlerische Bedeutung zuweilen auf das rein ethnografische Interesse ihrer Urheber reduziert wird. Damit marginalisierte die bulgarische Kunsthistoriografie die zentrale Rolle nicht-bulgarischer Künstler für den Entwurf einer frühen nationalen Ikonografie und ihrer nachhaltigen Folgen nicht nur für die Selbstwahrnehmung, sondern auch für die Konstruktion zentraler nationaler Mythen der Bulgaren. Den historischen Ort dieser Künstler im Prozess der Nationalisierung der bulgarischen Kunst zu bestimmen, ist Aufgabe dieses Buchs.

51 Pierre (Petăr) Beron: Originé des sciences physiques et naturelles et des sciences métaphysiques et morales, Paris 1858. 52 Monografien verfassten Vera Dinova-Ruseva: Nikolaj Pavlovič, Sofia 1966; Nikolaj D. Pavlovič: Nikolaj Pavlovič, Sofia 1954; Nikolaj Rajnov: Nikolaj Pavlovič, Sofia 1955. Zu den wichtigsten ‚Wiederentdeckern‘ des Künstlers zählen Nikolaj Rajnov: Grafikata na Nikolaj Pavlovič (Die Grafik Nikolaj Pavlovič’), in: Godišnik na narodnata biblioteka v Plovdiv 1922, Sofia 1924, sowie Lala Barsova: Der Historienmaler Nicolai Pawlowitsch. Ein Beitrag zur bulgarischen Kunstgeschichte, Diss. Bayerische Julius-Maximilians-Universität, Würzburg 1923/24 (Maschinenschrift).

I . D i e Erf i n d u n g d es B a lk a ns in de r i l l u st ri ert en P re sse

„Jede Zeitung ist von der ersten bis zur letzten Zeile ein einziges Gewebe von Greueln [...], ein Rausch von allgemeiner Grässlichkeit“, so Charles Baudelaire über die illustrierte Presse seiner Zeit, die im Fokus dieses Kapitels steht.1 Der Balkan trat stets zu Kriegs- und Krisenzeiten ins Licht der europäischen Öffentlichkeit, im Zusammenhang mit jener Art von Ereignissen also, über die sich das moderne Pressewesen schon seit seiner Entstehung maßgeblich definiert. Es verwundert daher kaum, dass Bevölkerung und Landschaft des Balkan zu den bevorzugten Darstellungsgegenständen des 19. Jahrhunderts gehörten, mangelte es doch dort in dieser Zeit keineswegs an Anlässen für einen Auftritt auf den Seiten illustrierter Blätter. Namentlich die immer wieder aufs neue aufflammende sogenannte Orientalische Krise2 wurde seit Mitte des Jahrhunderts in unzähligen Pressebildern dokumentiert. Diese stellen den wohl reichsten visuellen Fundus für die Selbstfindung der Nationen auf dem Balkan und ihre fortwährende Vergewisserung in die eigene, meist Leidensgeschichte, lange bevor die jeweilige eigenständige nationale Kunst diese Aufgabe übernahm und ein nationales Bewusstsein überhaupt ausgebildet war. Spätestens seit dem Krimkrieg (1853–1856) war keine europäische Region so oft Gegenstand visueller Pressedarstellungen wie die heutigen Gebiete Serbiens, Bosniens und der Herzegowina, Montenegros und Bulgariens, in denen eine Vielzahl an regionalen und zuweilen blutigen Konflikten schwelten und so für rege Aufmerksamkeit in Europa sorgten. Und obschon die Griechen ihre nationale „Befreiung“ von den Osmanen bereits in Bildern ausgetragen hatten,3 wie auch die bekanntlich weniger ‚spektakulären‘ Walachen, die Vorfahren der heutigen Rumänen, zu diesem Zeitpunkt gerade von den visuellen Medien „entdeckt“ worden waren, fanden auch sie regelmäßig Platz neben ihren Nachbarn in den Illustrierten.4 Sieht man in die führenden illustrierten Wochen1 „Tout journal, de la première ligne à la dernière, n‘est qu‘un tissu d‘horreurs. Guerres, crimes, vols, impudicité, tortures, crimes de prince, crimes des nations, crimes des particuliers, une ivresse d‘atrocité universelle“, in: Charles Baudelaire: Mon cœur mis à nu (Mein entblößtes Herz), übersetzt und eingeleitet von Friedhelm Kemp, München 1946, S. 73–74. 2 Historisch bezeichnet der Begriff die machtpolitischen Interessen der europäischen Großmächte in Bezug auf die europäischen Territorien unter osmanischer Herrschaft. 3 Speziell zur griechischen Unabhängigkeitsbewegung als Thema europäischer Populärgrafik und bildender Kunst siehe Nina Athanssoglou-Kallmyer: French Images from the Greek War of Independence. 1821–1830. Art and Politics under the Restoration, New Haven u. a. 1989. 4 Zwar war die Balkanbevölkerung schon seit dem 16. Jahrhundert beliebtes Thema populärer Druckgrafik, doch handelt es sich dabei zumeist um die pittoreske Bebilderung von Reiseberichten, die das Osmanische Reich als ein buntes Panoptikum exotischer Völker und Religionen vorstellen, ohne diese nach nationaler Zugehörigkeit zu unterscheiden. Aus der Vielzahl illustrierter Reiseliteratur sei stellvertretend genannt Salomon Schweigger: Eine newe Reiss Beschreibung auss Teutschland nach Constantinopel und Jerusalem, Nürnberg 1608.

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Die Erfindung des Balkans in der illustrierten Presse

zeitungen der Zeit, so entsteht unweigerlich der Eindruck, im Osmanischen Reich habe nur Raub und Entführung, Misshandlung und Mord geherrscht, in dramatischen Bildern festgehalten, in denen die exotische Neugier der Illustratoren für Ethnografisches fortdauernd mitschwingt, wenn es nicht eigens zum Bildthema wird. In die Zeit des Krimkriegs fallen die Anfänge dieser Bildtradition, ihren vorläufigen Höhepunkt erreichte sie im Russisch-Osmanischen Krieg (1877–1878). Beide Kriege stecken den hier untersuchten zeitlichen und geografischen Rahmen ab, wenn auch die Betonung auf letztgenannten fällt, als auch die Bulgarinnen, seltener die Bulgaren, die Bühne der illustrierten Zeitgeschichte betraten. Die Bildpresse des 19. Jahrhunderts erweist sich daher nicht allein als ein illustriertes Kompendium der Selbstwahrnehmung der großen europäischen Nationen und ihrer Großmachtpolitik. Sie ist zugleich eine – wiewohl kaum beachtete – Geschichtsquelle für die Außenwahrnehmung des Balkans und dessen durch die visuelle Kodifizierung gewaltsamer Ereignisse vorweggenommene, und mitnichten nur optische Klassifizierung in nationalen Regionen. Damit hat das Medium nicht minder als die gewaltsamen Konflikte selbst zur Auflösung des Osmanischen Reichs in Nationen und Nationalstaaten beigetragen, indem es die nationale Separierung durch die ununterbrochene Wiederholung stereotyper Bilder visuell antizipierte.5 Diesem Sachverhalt soll nun Rechnung getragen werden, indem erstmals der Versuch unternommen wird, dem Prozess der visuellen Vorwegnahme der bulgarischen Nation in den großen illustrierten Zeitungen Europas nachzuspüren und das umfangreiche Bildmaterial zumindest ansatzweise zu systematisieren.6 Auf welche Weise ein Bulgarentum in der illustrierten Presse visuell ‚erfunden‘ wurde, aus welchen Anlässen die Bulgaren in Presseillustrationen dargestellt wurden und welche ikonografische Ausdifferenzierung und damit einhergehende semantische Stereotypisierung ihre Darstellung erfuhr, um als Ausgangspunkt und zugleich Reibungsfläche für die entstehende Nation zu dienen, soll vergleichend zu anderen Balkanvölkern, insbesondere zu zeitgleichen Darstellungen von Herzegowinern, Serben und Montenegrinern erörtert werden. Betont wird hierbei vornehmlich das Problem der mimetischen Art der Verbildlichung oder, um es mit Stefan Germer zu formulieren, „die Fallen des Realistischen“7, die der Presseillustration den Status des Dokumentarischen, mithin ‚Wahren‘ und Unbestreitbaren verliehen hat. Denn gerade die im 19. Jahrhun-

5 Die Mechanismen der visuellen Vorwegnahme der Nation am Beispiel Italiens untersuchte Michael Zimmermann: Industrialisierung der Phantasie. Der Aufbau des modernen Italien und das Mediensystem der Künste. 1875–1900, München 2006. Nach Zimmermann richtete sich die illustrierte Presse nicht an ein bereits homogenes Publikum, sondern nahm dieses vorweg. 6 Die illustrierte Presse ist eine bislang kaum beachtete Quelle für die Mentalitäts- und Kulturgeschichte des 19. Jahrhunderts überhaupt, deren Auswertung jedoch – wie Zimmermann 2006, S. 11, anmerkt – allein schon aufgrund des sehr säurehaltigen Papiers umso dringender vorangetrieben werden muss. 7 Stefan Germer: Taken on the Spot. Zur Inszenierung des Zeitgenössischen in der Malerei des 19. Jahrhunderts, in: Bilder der Macht. Macht der Bilder. Zeitgeschichte in Darstellungen des 19. Jahrhunderts, hrsg. v. Stefan Germer und Michael Zimmermann, München u. a. 1997, S. 17–36, hier S. 28. Von der „mimetischen Verdopplung der Gesellschaft“ spricht indes Zimmermann 2006, S. 12.



Die illustrierte Presse im Europa des 19. Jahrhunderts

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dert für eine industrielle Bildproduktion entwickelten Bildstrategien „informativer Unmittelbarkeit“8 erlaubten der nationalen Geschichts- und Kunstgeschichtsschreibung, eine – freilich bewusst gewählte – Auswahl der hier behandelten Bilder als unanfechtbare Nachweise für die neuere Geschichte der Bulgaren auszuweisen. Erstaunlich blind waren Historiker dabei jedoch gegenüber der Tatsache, dass Bilder, seien sie auch Presseillustrationen, in keinem bloßen Illustrationsverhältnis zur historischen Wirklichkeit stehen und schon gar nicht diese rekonstruieren. Denn die Illustration – hat Michael Zimmermann zugespitzt formuliert – illustriert letztlich nichts.9 Mithin ist die Presseillustration nicht lediglich als unmittelbare Aufzeichnung von Ereignissen zu behandeln, sondern als „eine Realität eigenen Ranges“10, die nach bestimmten, dem Medium immanenten Prinzipien konstruiert wird, um sich bisweilen dauerhaft in das historische Kollektivbewusstsein einzuschreiben. Die Konstruktion des zeitgenössischen Bulgarienbildes soll deshalb durch das Aufdecken der Mechanismen visueller Stereotypisierung in der illustrierten Presse des 19. Jahrhunderts nachvollzogen werden. Dem ist ein kurzer historischer Überblick der hier behandelten Art von illustrierten Zeitschriften vorangestellt. Sodann wenden wir uns dem Wesen der illustrierten Presse und ihrem Bildungs- und Wahrheitsanspruch zu, dessen Umsetzung in die Praxis eingehend betrachtet werden soll. Hierzu wird die industrielle Produktionstechnik von Presseillustrationen genauer in den Blick genommen, um die potenziellen Möglichkeiten und Grenzen einer als dokumentarisch geltenden Verbildlichung aufzuspüren. Eine detaillierte ikonografische und strukturelle Analyse einer repräsentativen Auswahl von insgesamt mehr als dreihundert ausgewerteten Presseillustrationen aus der englischen, deutschen, französischen, russischen und tschechischen Presse, im Zeitraum zwischen 1855 und 1878 erschienen, bildet den Kern der Analyse. Die aus der analytischen Arbeit gewonnenen Erkenntnisse sollen abschließend in den Versuch einer Typologisierung der Darstellungen des Balkans und insbesondere der Bulgaren einfließen.

Die illustrierte Presse im Europa des 19. Jahrhunderts Auf einen allgemeinen geschichtlichen Überblick der illustrierten Presse des 19. Jahrhunderts kann hier verzichtet werden, dies ist an anderer Stelle ausführlich getan worden.11 Vielmehr sei hier auf Eckpfeiler ihrer Entwicklung sowie deren ökonomische 8 Zimmermann 2006, S. 10. 9 Ebenda, S. 16, 17. 10 Bernd Roeck: Das historische Auge. Kunstwerke als Zeugen ihrer Zeit von der Renaissance zur Revolution, Göttingen 2004, S. 41. 11 Verwiesen sei auf einige einschlägige Arbeiten wie das Pionierwerk zur englischen illustrierten Presse von Mason Jackson; vergleichend zu England, Frankreich, Deutschland und Kanada siehe Michèle Martin; zu Deutschland siehe Karl Schottenloher und zu Italien Michael Zimmermann; aus kunstsoziologischer Sicht siehe Eva-Maria Hanebutt-Benz; zur Problematik aktueller Nachrichtenbilder allgemein siehe die nach wie vor gültigen Überlegungen von Willy Stiewe; zu einzelnen Themen wie

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Grundlagen verwiesen, die für die Wahl der das Medium bestimmenden Themen und Inhalte eine wesentliche Rolle gespielt haben. Die Massenproduktion und Massenverbreitung populärer Druckgrafik, zu der die Gattung der Presseillustration zweifelsohne zu zählen ist, fand in Europa schon im ausgehenden 18. Jahrhundert rege Entfaltung und wurde von den im 19. Jahrhundert aufkommenden illustrierten Massenmedien forciert vorangetrieben. Die beschleunigte Produktion von Massenbildern in dieser Zeit wurde als Bilderrevolution12 und als Ort der Transformation der Wahrnehmung angesehen, die die Strategien heutiger visueller Nachrichtenmedien antizipierte.13 Die erste kommerzielle Wochenzeitung mit politischem Inhalt, in der Bilder zum zentralen Bestandteil aktueller Berichterstattung erhoben wurden, wurde 1842 in London mit dem Titel The Illustrated London News gegründet.14 Ein Jahr darauf fanden sich Nachahmer in Frankreich mit der L’Illustration und in Deutschland mit der Illustrirten Zeitung, wegen des Verlagssitzes auch als Leipziger illustrirte Zeitung bekannt. Ihren europa- und bald auch weltweiten Siegeszug trat die illustrierte Wochenpresse ab Mitte der 1850er Jahre an.15 Der schier unaufhaltsame Erfolg war möglich geworden durch die technischen Neuerungen, namentlich den Schnellpressedruck und den Holzstich, jene Drucktechnik, die der illustrierten Presse bis Ende des Jahrhunderts hinein ihren spezifischen Charakter verleihen sollte.16 Das bis dahin sehr kostspielige Verfahren des simultanen Drucks von Bild und Text wurde durch die Perfektionierung der Technik des Holzstichs nicht nur preiswert, sondern bot den Bildproduzenten zudem die Möglichkeit, hochqualitative Bilder mit akribischer Präzision und attraktivem Detailreichtum in hohen Auflagen herzustellen.

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Landschaftsdarstellungen in der illustrierten Presse siehe Bruno Weber. Bibliografische Angaben sind an gegebener Stelle bzw. im Literaturverzeichnis genannt. Hartwig Gebhardt: Auf der Suche nach nationaler Identität. Publizistische Strategien in der Leipziger „Illustrirten Zeitung“ zwischen Revolution und Reichsgründung, in: Germer/Zimmermann 1997, S. 310–323, hier S. 310. Zimmermann 2006, S. 10. Zwar wurden schon in den 1830er Jahren mit preiswerten Blättern wie etwa dem englischen Penny Magazine, dem französischen Magazin pittoresque und dem deutschen Pfennig Magazin die ersten Massenauflagen illustrierter Zeitungen erreicht, doch beschränkte sich deren Anspruch lediglich auf die Vermittlung nützlichen Wissens, ohne eine politische Berichterstattung anzustreben. Jean-Pierre Bacot: La presse illustrée au XIXe siècle. Une histoire oubliée, Limoges 2005, S. 17 ff., zählt diese Art von illustrierter Presse zur sogenannten ersten Generation kommerzieller Bildzeitungen. Siehe dazu auch Michèle Martin: Images at War. Illustrated Periodicals and Constructed Nations, Toronto u. a. 2006, S. 12 ff. Speziell zu den frühen illustrierten Blättern in England siehe Patricia Anderson: The Printed Image and the Transformation of Popular Culture 1790–1860, Oxford 1991. Eine Liste weiterer europäischer illustrierter Blätter findet sich bei Mason Jackson: The Pictorial Press. Its Origin and Progress, London 1885, Anhang, sowie bei Bacot 2005, S. 213 ff. Grundlegend zum Herstellungsprozess illustrierter Druckerzeugnisse im 19. Jahrhundert ist nach wie vor die Studie von Eva-Maria Hanebutt-Benz: Studien zum deutschen Holzstich im 19. Jahrhundert, Frankfurt a. M. 1984, besonders Sp. 687 ff. Der dampfgetriebene Schnellpressedruck wirkte sich unmittelbar auf die Wahl des Illustrationsverfahrens aus, das bis zur Einführung der lithografischen Schnellpresse 1863, zumal im illustrierten Zeitungswesen bis Anfang des 20. Jahrhunderts der Xylografie vorbehalten blieb.



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Die Besitzer von illustrierten Wochenzeitungen gehörten den mittleren und oberen Bürgerschichten an, so dass das neue Massenmedium fast ausschließlich vom privaten Kapital des aufstrebenden und national gesinnten Bildungs- und Wirtschaftsbürgertums finanziert wurde. Die seit den 1850er Jahren einsetzende Gründung zahlreicher illustrierter Blätter wurde gerade in Deutschland durch die günstige Verzinsung des in der Produktion der Bildpresse investierten Kapitals angeregt.17 Zu den Hauptzielen der Eigentümer gehörten mithin nicht nur die explizit formulierte Information und Bildung einer breiten Leserschaft, worüber noch ausführlich zu sprechen sein wird, sondern ebenso – durch die der massenhaften Verbreitung implizite Erschließung immer größerer Konsumentenkreise – das Erzielen von Profit.18 Andererseits hing die „zunehmende Kapitalisierung der Medienlandschaft“ aufs Engste mit dem seit Mitte des Jahrhunderts einsetzenden „Visualisierungsschub“ zusammen.19 Schon in den 1850er Jahren begann eine rapide Kommerzialisierung der illustrierten Presse, die in den führenden Industrienationen England und Frankreich viel offensichtlicher zu Tage trat als etwa in Deutschland, wo sie weitgehend von politischer Seite kontrolliert wurde,20 oder in Italien, wo unter den Bedingungen einer überwiegend agrarischen Gesellschaft ein Markt für eine illustrierte Presse nur zögernd ausgebildet werden konnte.21 Der englische Vorreiter Illustrated London News bekam 1855 mit der Illustrated Times und 1869 mit dem anspruchsvolleren The Graphic seine ersten Konkurrenten. In Frankreich wurden bis in die 1860er Jahre gleich vier neue illustrierte Blätter gegründet, darunter die sehr populäre Le Monde Illustré (1857).22 Mit der Gartenlaube, 1853 in Leipzig, und Ueber Land und Meer, 1858 in Stuttgart gegründet, kamen zwei weitere wichtige illustrierte Blätter auf den deutschen Markt.23 Mit dem Aufkommen dieser Konkurrenzverhältnisse transformierte sich die illustrierte Presse in ein profitorientiertes Unternehmen, dessen journalistische Praxis nicht allein von der politischen und/oder ideologischen Einstellung des jeweiligen Besitzers bzw. Herausgebers, sondern zunehmend auch von den Gesetzen des Marktes determiniert war. Sowohl die textlichen als auch die visuellen Diskurse wurden an die neuen 17 Gebhardt 1997, S. 310. 18 Vgl. hierzu Martin 2006, S. 16 f. 19 Ute Daniel: Einleitung, in: Augenzeugen. Kriegsberichterstattung vom 18. zum 21. Jahrhundert, hrsg. v. Ute Daniel, Göttingen 2006, S. 7–22, hier S. 15. Vgl. hierzu auch Anderson 1991, S. 2, sowie Martin 2006, S. 18 f. und S. 43, wonach die Transformation der Presse in einen Konsumprodukt seit Mitte des 19. Jahrhunderts im wesentlichen von Illustrationen und vom Wettbewerb auf dem Markt befördert wurde. 20 Martin 2006, S. 17. 21 Ausführlich zur Entwicklung in Italien siehe Zimmermann 2006. 22 Zu den unterschiedlichen Inhalten sowie Adressaten der einzelnen französischen Zeitungen siehe Martin 2006, S. 162 ff. 23 Eine Chronologie der Gründung illustrierter deutscher Zeitungen findet sich bei Bruno Weber: Landschaft als Ereignis. Zur Ikonographie von Bildreportagen über historisches Gelände, Naturwunder, Naturkatastrophen in der Illustrirten Zeitung, in: Buchillustration im 19. Jahrhundert, hrsg. v. Regine Timm, Wiesbaden 1988 (= Wolfenbütteler Schriften zur Geschichte des Buchwesens), S. 149–183, hier S. 153, Anm. 7.

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Regeln der Erschließung eines soweit wie möglich breiteren Publikums adaptiert. Text- und Bildnachrichten waren somit nicht mehr nur Instrumente der Wissensvermittlung, sondern auch der Konkurrenz. Die sich zunehmend zu den wichtigsten Sprach- bzw. Bildorganen der jeweiligen Nationen entwickelnden Zeitungen unterschieden sich kaum voneinander. Sie erschienen mit einem Umfang von anfänglich acht, später sechzehn oder vierundzwanzig Seiten im Folioformat, wobei sie auch in der inhaltlichen und formalen Gestaltung sehr ähnlich waren. Jeden Sonnabend wurde den Lesern eine Mischung aus aktuellen Nachrichten, Wochenbericht, politischen Artikeln, Berichten über Kunst, Literatur und Wissenschaft, Erzählungen und Biografien geboten. Zum wichtigsten Überlebensprinzip in einem sich verschärfenden Konkurrenzverhältnis gehörten jedoch Nachrichten und Bilder von Katastrophen jeglicher Art. Neben Illustrationen wichtiger Ereignisse des politischen und gesellschaftlichen Lebens, Porträts prominenter Persönlichkeiten aus Politik, Wissenschaft und Kunst und den meist zur Weihnachtszeit sich häufenden belehrenden Genrebildern aus dem bürgerlichen, seltener aus dem bäuerlichen Familienleben, wurde der visuelle Inhalt der Zeitungen im wesentlichen von Sensationsbildern dominiert.24 So drückte es die französische L’Illustration bereits in ihrer ersten Ausgabe unmissverständlich aus, „das Auge überraschen“25 zu wollen, und die amerikanische Cincinnati Times sollte etwas später spöttisch anmerken, die in den Illustrierten publizierten Schlachtszenen aus dem Amerikanischen Bürgerkrieg (1861– 1865) seien „little better than a sensational farce“26. Der sich nach der Mitte des Jahrhunderts geradezu explosionsartig entwickelnde Markt für illustrierte Zeitungen hatte das unstillbare Bedürfnis der Konsumenten nach Bildern des Schreckens erkannt, was zu einem vermehrten Angebot an illustrierten Sensationen führte, das seitens des Publikums wiederum mit einer entsprechend steigenden Nachfrage entlohnt wurde.27 Indes wurden gewöhnliche Themen wie etwa der beständige Alltag fast gänzlich ausgeblendet. Dieses ungleichmäßige Verhältnis, das als Phänomen der „Gluts“ und „Gaps“ beschrieben wurde,28 stand jedoch im diametralen Gegensatz zu der eigentlichen Intention der Verleger, ein allumfassendes Wissen über das aktuelle Geschehen durch dessen Verbildlichung zu vermitteln, war doch dieses Wissen im wesentlichen durch das Weglassen von Themen geprägt.29 Während es an bestimmten Themen bzw. Bildgegenständen einen Überschuss (Gluts) gab, wie24 Martin 2006, S. 42, zufolge zielten sensationelle Bilder vor allem darauf, den Kauf der Zeitung zu erhöhen. 25 Zit. n. Handbuch der Zeitungswissenschaft, hrsg. v. Walther Heide, 2 Bde., Leipzig 1940, Bd. 2, Stichwort „Illustrierte“, Sp. 1781. 26 Pat Hodgson: The War Illustrators, London 1977, S. 17. 27 Rainer Fabian: Die Fotografie als Dokument und Fälschung, München 1976, S. 22. Vgl. auch Phillip Knightley: The First Casualty. The War Correspondent as Hero and Myth-Maker from the Crimea to Iraq, London 2004, S. 44. 28 Hilary und Mary Evans: Sources of Illustration. 1500–1900, London 1971, S. 3. 29 Willy Stiewe: Das Bild als Nachricht. Nachrichtenwert und -technik des Bildes. Ein Beitrag zur Zeitungskunde (= Zeitung und Zeit 5), Berlin 1933, S. 8.



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sen andere wie etwa die gewöhnlichen Alltagsereignisse nicht zu übersehende Lücken (Gaps) auf. Umso mehr gilt diese Feststellung für die Illustrationen, für welche die bebilderten Blätter so beliebt beim Publikum waren. Darstellungen von Bränden und Überschwemmungen, Eisenbahnunfällen und Schiffbrüchen, Verbrechen und Mord und vor allem von Kriegsschlachten und blutigen Auseinandersetzungen garantierten dem Medium einen dauernden Erfolg beim Publikum und damit auf dem Markt.30 Davon zeugen nicht nur die Verkaufszahlen, etwa der Illustrated London News, die während des Revolutionsjahres 1848 ihre Auflage verdoppeln und im Kulminationsjahr des Krimkriegs 1856 sogar mehr als verdreifachen konnte.31 Die Tradition, Supplementausgaben anlässlich von aufständischen Bewegungen oder Kriegen neben dem regulären Produktionsbetrieb herauszugeben, zeugt ebenfalls von der ausgesprochenen Marktwirksamkeit solcher Bilder. So brachte die französische L’Illustration 1849 die mit 600 Holzstichen bebilderte Chronik des Revolutionsjahres 1848 Journées illustrées de Révolution de 1848 auf den Markt.32 In Großbritannien fanden Bildbände zum Krimkrieg, darunter die beiden von den Verlegern Colnaghi herausgegebenen opulenten Foliobände mit Farblithografien The Seat of the War in the East nach Zeichnungen von William Simpson sowie dessen lithografische Serie Life in Camp before Sebastopol reißenden Absatz.33 Die russische Zeitung Vsemirnaja illustracija gab während des nicht einmal zwei Jahre dauernden Russisch-Osmanischen Kriegs (1877–1878) 105 Hefte als Extra-Ausgabe mit dem Titel Illjustrirovannaja chronika vojny (Illustrierte Kriegschronik) heraus,34 ähnlich wie die illustrierten Kriegschroniken der Illustrirten Zeitung von 1864, 1866 und 1870– 1871.35

30 Hodgson 1977, S. 13: „Disasters, murders and wars always make popular reading […]“. Auch Nancy L. Gustke: The Special Artist in American Culture. A Biography of Frank Hamilton Taylor (1846– 1927) (= American University Studies, Series XX Fine Arts, 21), New York u. a. 1995, S. 31, stellt diesen Zusammenhang fest: „Dramatic events and persuasive visuals were the stock in trade of illustrated newspapers.“ 31 Vgl. hierzu Hodgson 1977, S. 13; Daniel 2006a, S. 15; Dies.: Der Krimkrieg 1853–1856 und die Entstehungskontexte medialer Kriegsberichterstattung, in: Daniel 2006, S. 40–67, hier S. 51, sowie die Homepage der Illustrated London News: http://www.ilnpictures.co.uk/showpage. asp?showdocumentid=192 (zuletzt besucht 11. Januar 2008), wonach 1856 die durchschnittliche Jahresauflage von etwa 60.000 auf 200.000 verkaufte Exemplare anstieg. Zur selben Zeit belief sich die Auflage etwa der Times auf 70.000 Exemplare. 32 Journées illustrées de la Révolution de 1848, Paris 1849. 33 William Simpson: The Seat of War in the East, 2 Bde., London 1855/1856. 34 Der serbische Nachahmer erschien unter dem gleichnamigen Titel Ilustrovana ratna kronika in Novi Sad von 1877 bis 1878 ebenfalls wöchentlich. 35 Hierzu zählen nicht die unabhängig vom Pressemarkt herausgegebenen illustrierten Kriegschroniken, die jedoch mehrheitlich mit Bildern aus der Presse illustriert sind. In Bezug auf den Balkan erreichte die Publikation der zumeist mehrbändigen Bildbände ihren Höhepunkt in den Kriegsjahren 1877 und 1878, darunter von Edmund Ollier: Cassell’s Illustrated History of the Russo-Turkish War, 2 Bde., London 1878; Alexander Jacob Schem: The War in the East. An Illustrated History of the Conflict between Russia and Turkey, with a Review of the Eastern Question, New York 1878; La guerra d’Oriente in Europa e in Asia, 1877–78: cronaca illustrata dalla Conferenza di Constantinopoli fino al trattato di

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Der enge Zusammenhang zwischen Krieg und dem kommerziellen Erfolg illustrierter Blätter wird auch an den zahlreichen Zeitungsgründungen deutlich, die mit sich ankündigenden oder bereits stattfindenden Kriegen einhergingen, so etwa der ersten amerikanischen illustrierten Zeitung Frank Leslie’s Illustrated Newspaper mitten im Krimkrieg 1855 oder des englischen The Graphic, dessen Gründung pünktlich zu Beginn des Deutsch-Französischen Kriegs 1869 erfolgte. Insbesondere der Aufstieg der illustrierten Presse in England war unmittelbar mit den Kriegen des Empires verbunden, „which provided escapist adventure stories for the stay-at-home public for the last fifty years of the nineteenth century.“36 Nicht nur die zunehmende technische Perfektionierung also bedingte den Aufschwung der illustrierten Presse; dieser wurde gleichermaßen durch den Krieg als massentaugliches Thema par exellence vorangetrieben, wobei dem Krimkrieg als erstem ‚Pressekrieg‘ eine entscheidende Rolle beim unaufhaltsamen Siegeszug des modernen illustrierten Pressewesens zufallen sollte.37 Hier knüpften illustrierte Wochenzeitungen an die Tradition der Flugblätter des 18. Jahrhunderts an, die all das zum Thema machten, „was außerhalb des täglichen Lebensflusses steht und diesen unterbricht“, um so die Welt als „tägliches Drama von Zufälligkeiten und Unbeständigkeiten“38 zusammenzufassen. Schon damals gehörten Exekutionen, Gewalttaten und Katastrophen zum obligatorischen Repertoire der Verleger. Mithin wurden die darzustellenden Begebenheiten allein nach ihrem Skandal- bzw. Sensationswert ausgewählt. Nicht minder verkaufsfördernd waren ethnografische Schilderungen exotischer bzw. andersartiger Kulturen, was an der regelmäßigen Publikation von Illustrationen verschiedenster außereuropäischer Völker sowie ihrer europäischen Pendants auf dem Balkan abzulesen ist. Umso mehr boten Kriegshandlungen an pittoresken Orten und mit exotischer Personenstaffage eine geradezu unerschöpfliche Quelle markttauglicher Sujets. Die Strategie der „Gluts“ und „Gaps“ betonte folglich nur bestimmte, meistens die dramatischsten bzw. die exotischsten Aspekte eines Themas, die allein konstitutiv für die Konstruktion der (Presse-)Wirklichkeit waren, während dem ausgelassenen Gewöhnlichen keine Bedeutung zukam.39 Das durch Anschauung vermittelte allumfassende Wissen war somit auf ein überschaubares Minimum an Bildsensationen reduziert, deren ständige, wenngleich in den Motiven variierende Wiederholung ein entstelltes Wirklichkeitsbild vermittelte, das im wesentlichen auf den Prinzipien der Fragmentierung und Sensation beruhte. Beide Merkmale gehörten zugleich zu den wichtigsten Machtinstrumenten der illus-

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Berlino, Mailand 1878; Franz Lubojatzky: Illustrirte Kriegs-Chronik des Russisch-Türkischen Feldzuges 1877, 3 Bde., Dresden 1877. Hodgson 1977, S. 12. Auch Frank Becker befindet, dass im Verlauf des 19. Jahrhunderts die Zeitung zum maßgeblichen Medium der Kriegsberichterstattung reüssierte: Frank Becker: Bilder von Krieg und Nation. Die Einigungskriege in der bürgerlichen Öffentlichkeit Deutschlands 1864–1913, München 2001, S. 9. Robert Simon: Géricault und die Faits Divers, in: Germer/Zimmermann 1997, S. 192–207, hier S. 193. Martin 2006, S. 49.



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trierten Presse, deren Periodizität es ihr wie keinem anderen visuellen Medium der Zeit erlaubte, Bilder nachrichtenpolitisch einzusetzen und sie gleichzeitig zu normieren.40 Gerade Kriegs- und Katastrophenbilder sorgten neben der permanenten Aufrechterhaltung eines Masseninteresses zur Regulierung des Wahrnehmungshorizontes der Konsumenten und damit zur Reproduktion ihres Gemeinschaftsgefühls. So hat Hartwig Gebhardt in seiner Untersuchung über den Zusammenhang zwischen der sich herausbildenden deutschen Nationalidentität und den publizistischen Strategien der Illustrirten Zeitung festgestellt, dass obschon die nationale Frage in variierenden Bildgenres thematisiert wurde, Kriegsdarstellungen zweifellos den quantitativen Höhepunkt der Bildberichterstattung ausmachten.41 Zu einem ähnlichen Schluss kommt auch Stephan M. Norris in seiner Untersuchung zur russischen Visualkultur und Wirkung von Trivialbildern, den sogenannten lubki, für die Verbreitung und Propagierung der nationalen Idee, wonach in der Gattung dieser traditionsreichen Volksillustrationen das Verhältnis zwischen Kommerz, Kriegspropaganda und Nationalidentität mehr als offenkundig wird.42 Zugespitzt formuliert führte das regelmäßige Erscheinen und die ständige Verfügbarkeit des Mediums zu einer Industrialisierung der kollektiven Fantasie,43 die der industriellen Warenproduktion in nichts nachstand: „Die kontinuierliche Produktion ikonografischer Erzeugnisse und deren massenhafter Konsum über Jahre und Jahrzehnte hinweg förderten die Entstehung und Verfestigung von Bildmustern sowohl bei den Herstellern als auch bei den Verbrauchern.“44 Gerade als Produzenten kultureller Konsumgüter trugen illustrierte Zeitungen erheblich zur Konstruktion einer imaginierten Gemeinschaft bei und prägten maßgeblich die Gleichschaltung der Imagination einer an sich heterogenen Leserschaft. Die Periodizität und die in die Höhe schnellenden Auflagen des Mediums setzten andererseits die Industrialisierung der Herstellung von Bildern voraus, die mit der strukturellen und rhetorischen Standardisierung der publizistischen Botschaften einherging.45 Wenden wir uns daher den Mechanismen des Produktions- und damit des Standardisierungsprozesses zu und vergleichen zunächst den verlegerischen Anspruch mit dessen Einlösung in der Praxis.

40 Ausführlich zur nachrichtenpolitischen Handhabung von Bildern in der illustrierten Presse überhaupt siehe Stiewe 1933. Gebhardt 1997, S. 323, sieht in der Periodizität die Voraussetzung für die Verdichtung von ikonografischen Elementen zu standardisierten Bildmustern. 41 Ebenda, S. 312. 42 Stephen M. Norris: A War of Images. Russian Popular Prints, Wartime Culture, and National Identity, 1812–1945, Illinois 2006. 43 Der von Stefan Germer und Michael Zimmermann herausgegebene Band: Germer/Zimmermann 1997, thematisiert die Industrialisierung der bildlichen Fantasie aus den verschiedensten Perspektiven der Bildproduktion des 19. Jahrhunderts. Die Industrialisierung der Fantasie machte später Zimmermann 2006, zum Titel seiner Untersuchung der Wechselwirkung der Medien am Beispiel Italiens im Hinblick auf die Konstituierung des italienischen Nationalbewusstseins. 44 Man beachte die metaphorischen Anspielungen von Gebhardt 1997, S. 311, auf die Produktions- und Marktverhältnisse der industriellen Gesellschaft. 45 Ebenda.

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Funktion und Stellung der Presseillustration Die zum Anfang oder Ende eines jeden Jahres sowie in Jubiläumsausgaben publizierten Ansprachen der Herausgeber an ihre Leser entwickelten sich zu einer Werbeplattform für das neue Produkt, auf der zugleich die Resultate der Vergangenheit gelobt und die Ziele für die Zukunft abgesteckt wurden. Keine illustrierte Zeitung verzichtete auf dieses sich selbstakklamierende Genre, in dem sich die Verleger zu objektiven Chronisten ihrer Zeit ausriefen. Das darin formulierte Selbstverständnis erlaubt es mithin, die historische Rolle illustrierter Zeitungen zu befragen sowie die Stellung und Funktion der Presseillustration innerhalb des zeitgenössischen medialen Systems zu verorten, das als Ausgangspunkt der Betrachtung des Herstellungsprozesses von Illustrationen dienen wird. Die Analyse solcher Texte macht deutlich, dass diese vor allem das Ziel verfolgten, die illustrierte Zeitung als zeitgeschichtliche Chronik und damit als unverzichtbaren Ort der Akkumulation kollektiver Erinnerung auszuweisen.46 So heißt es im Vorwort zur letzten Ausgabe der Illustrated London News im Jahr 1842 unmissverständlich: „The life of the times […] what must be all these but treasures of truth that would have lain hid in Time’s tomb, or perished amid the sand of his hour-glass but for the enduring and resuscitating powers of art – the eternal register of the pencil giving life and vigour and palpability to the confirming details of the pen. […] [The pictorial press] will teach truth about those who have gone before him, as it were, with the Pictorial Alphabet of Art!“47 Abgesehen von dem belehrenden Duktus der zitierten Stelle, die zugleich als Lobeshymne an das Bild verstanden werden will, erklärte man die Illustrated London News bereits von Anfang an zur objektiven Chronik des zeithistorischen Geschehens. Die im Vergleich zum Text hervorgehobene Stellung der Illustration wurde mit der ihr als genuin zugeschriebenen Objektivität begründet. Die Wahrheit ist dieser Auffassung zufolge allein im Bild aufgehoben, während dem Text nur eine sekundierende Rolle bei der Objektivierung von Ereignissen zugewiesen wurde. Nur über das Visuelle sei demnach Historie wahrheitsgemäß zu vermitteln. Der in der ersten Ausgabe der deutschen Illustrirten Zeitung formulierte Prolog mit dem programmatischen Titel Was wir wollen, der sich wiederum an dem entsprechenden Text in der französischen L’Illustration orientierte,48 sah die Aufgabe der Illustration ebenfalls darin, durch bildliche Erläuterungen der „Tagesgeschichte [...] eine Anschaulichkeit der Gegenwart hervorzurufen, von der wir hoffen, daß sie [...] die Rückerinnerung um vieles reicher und angenehmer machen wird.“49 Demzufolge 46 Stiewe 1933, S. 43, sieht hierin „eine kluge und psychologisch vorzügliche Anpreisung des Bildes in der Publizistik“. Es ist überlegenswert, inwiefern sich Herausgeber illustrierter Zeitungen als moderne Nachfolger höfischer Chronisten verstanden, die das Leben der bürgerlichen Gemeinschaft dokumentierten. 47 Zit. n. Jackson 1885, S. 296 f. 48 Weber 1988, S. 150. 49 „Was wir Wollen“, in: Illustrirte Zeitung 1, Nr. 1, 1. Juli 1843, S. 1.



Funktion und Stellung der Presseillustration

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sollte die Presseillustration das aktuelle Zeitgeschehen simultan dokumentieren und zugleich als historischer Erinnerungsfundus fungieren. Der einzige Unterschied zum selbstbewussteren Auftritt des englischen Vorbilds bestand in der unterschiedlichen Bildauffassung, welche die Vorzüge der Illustration zunächst nicht in deren Objektivität, sondern in deren Unterhaltungswert und Bereicherung des historischen Wissens sah. Erst im englischen The Graphic wurde die unterhaltende und objektivierende Funktion des illustrierten Pressewesens gleichermaßen hervorgehoben,50 wie aus dem Vorwort zum zweiten Band (1869/1870) deutlich wird, wo es vergleichsweise nüchtern heißt: „Our aim has been to produce a Weekly paper which should not be merely of temporary interest, but should be worthy of being preserved as a constant source of entertainment, and as a faithful Literary and Pictorial Chronicle of the time.“51 Die Bedeutung der illustrierten Zeitung sollte sowohl an ihrer Aktualität als auch an ihrer historischen Tragweite gemessen werden. Über die primäre Funktion der Dokumentation aktueller Ereignisse und der beständigen Unterhaltung hinaus sahen illustrierte Blätter ihre vorrangige Rolle darin, als Aufbewahrungsort der ‚wahren‘ Geschichte zu fungieren. Dass Verleger ihre Stellung als erste Instanz objektiver Geschichtsschreibung einzig und allein durch das Bild beglaubigt sahen, lässt sich an einem Beispiel aus dem Jubiläumsheft anlässlich des 25-jährigen Bestehens der Illustrirten Zeitung von 1868 ablesen: „Die eingehenden Schilderungen werden nur halb verstanden, ohne das Bild [...] vor Augen zu haben. Nur wenn man [...] die beschriebenen Gegenstände in treuem Bilde vor sich sieht, wird die Kenntnis der Dinge klar und haftet fest in der Vorstellung und in der Erinnerung.“52 Die vage Formulierung der ersten Ausgabe war nunmehr dem instruierenden Ton gewichen, der das erstarkte Selbstbewusstsein des Leipziger Verlegers als wahrheitstreuem Chronisten seiner Zeit deutlich zum Ausdruck bringt. Die Betonung wurde dabei erneut auf die dokumentierende und memorierende Funktion der Illustration gelegt, ohne welche die Vorstellung und Erinnerung der in Texten geschilderten Dinge unvollkommen bliebe. Dabei beschränkte sich die Illustrirte Zeitung nicht nur auf das „treue“ Erfassen des Zeitgeschehens in Bildern, sondern sah sich wie die Illustrated London News zunehmend als Vorstellungs- und Gedächtnisbildner auf breiter Front. So gestaltete die Redaktion anlässlich der tausendsten Ausgabe die Titelseite mit einer Illustration, die die Leserschaft der Zeitung zum Haupthelden des Blatts werden lässt (Abb. 1). Vor dem das Bild beherrschende Gebäude der Zeitungsredaktion sind Menschen unter50 Joseph Pennell: Die moderne Illustration, Leipzig 1901, S. 28, bescheinigt der Illustration einen Vergnügungscharakter, den sie erst im Zuge des 19. Jahrhundert erhalten habe. Zuvor sei sie ausschließlich zur Belehrung des Volkes bestimmt. Zum moralisierenden Charakter von Illustrationen vor dem 19. Jahrhundert siehe auch Stichwort „Bild in der Presse“, in: Handbuch der Zeitungswissenschaft, Sp. 593 ff. 51 Zit. n. Martin 2006, S. 23. 52 „An der Schwelle des 50. Bandes unserer Zeitung“, in: Illustrirte Zeitung 50, Nr. 1279, 4. Januar 1868, Titelseite [S. 5]–6.

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schiedlichen Alters, Geschlechts und unterschiedlicher sozialer Zugehörigkeit dargestellt – alle in die Lektüre der aktuellen Ausgabe vertieft. Auch der Auslieferer mit seinem Karren fehlt nicht, prominent steht auf einem Ballen gebundener Zeitungen „Nr. 1000 der Illustrirten Zeitung 1862“. Der denkwürdige Tag wird in einem Bild festgehalten, dass schon davor entstanden ist, mithin das Ereignis vorwegnimmt, ohne eine tatsächliche Begebenheit, sondern symbolisch eine Kollektivhandlung zu besiegeln und die Leserschaft als lesende Gemeinschaft zu konstruieren. Nicht minder ruhmredig lautete denn auch der Grundsatz des Verlegers 1868, durch Bilder „die Cultur in weitere Kreise zu tragen und die Bekanntschaft [...] mit allen bemerkenswerthen Vorgängen deutlicher und fruchtbringender zu machen.“53 Dass diese Absicht in zunehmendem Maße als gelungen angesehen wurde, wird am folgenden Zitat aus der Jubiläumsansprache deutlich: „Die Illustrirte Zeitung [hat] einen wichtigen Impuls zur geistigen Erweckung in die bis dahin theilnahmslos gebliebenen Kreise gegeben. Die Anschaulichkeit, mit welcher die Dinge gegeben wurden, rückte dieselben dem Verständnis näher und regte die Lust allgemeiner an, sich darüber zu unterrichten.“54 Anders formuliert, wurde gerade durch die Illustration ein über den Text nicht zu erreichendes Publikum angesprochen, dessen Wahrnehmung an bürgerliche Werte und Normen herangeführt werden sollte. Michèle Martin weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass Presseillustrationen die sozialen Unterschiede nivellierten, indem sie die kulturellen Gemeinsamkeiten über die soziale Differenz hinaus betonten,55 um mithin die gesellschaftliche Vorrangstellung und historische Vorreiterrolle des Bürgertums zu besiegeln. Im Zuge des wachsenden Ansehens illustrierter Periodika avancierte die Presseillustration zu einer der bedeutendsten historischen Referenzen. Die illustrierte Presse begriff sich als erste Instanz der aktuellen Geschichtsschreibung und als Bildungsinstitution für breite Bevölkerungsschichten. Erreicht wurde dieses Publikum durch eine unterhaltende Veranschaulichung von Ereignissen, deren Wahrhaftigkeit durch die objektivierenden Qualitäten des Bildes garantiert wurde. Die hervorgehobene Stellung der Illustration gegenüber dem Text wurde durch ihre Eigenschaft begründet, Ereignisse ‚authentisch‘ erfassen und aufbewahren zu können, wobei sie vor allem als Vehikel für die Ausformung einer homogenen Wahrnehmung und Erinnerung fungierte.56 Bevor wir uns der praktischen Verwirklichung dieser verlegerischen Intentionen widmen, sollen vorab einige Fragen im Hinblick auf die Presseillustration als autonome Bildkategorie erörtert werden. 53 Ebenda. 54 Ebenda, S. 6. 55 Martin 2006, S. 50. 56 Die illustrierte Presse knüpfte damit an die auf das 17. Jahrhundert zurückgehende Tradition der Bildpädagogik an, für die Geschichte den Kernbereich darstellte. Mit Hilfe von Bildern, namentlich Holzstichillustrationen, sollte sowohl das Erlernen von Geschichte unterhaltsam gemacht als auch das Gedächtnis geschult werden. Siehe dazu Ségolène Le Men: Zwischen Dokument und Erinnerung. Die Illustration zeitgenössischer Geschichte im Buch der Romantik (1820–1850), in: Germer/Zimmermann 1997, S. 470–498, hier S. 480 f.



Der Begriff Presseillustration

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Der Begriff Presseillustration Ein fester Begriff für die Illustration in der Wochenpresse des 19. Jahrhunderts hat sich – zumindest in der Kunstgeschichtsschreibung – noch nicht durchgesetzt, obschon er in seiner modernen Bedeutung gerade von der illustrierten Presse in der ersten Hälfte des Jahrhunderts geprägt wurde.57 Dies hängt zweifelsohne mit dem aus der Sicht des Faches transitorischen Charakter berichterstattender Bilder zusammen, deren periphere Stellung in der Kunstgeschichte Bruno Weber als „Randgebiet zwischen dem älteren Ereignisbild und der heutigen Augenblicksphotographie des Bildjournalismus, spärlich durchgepflügtes Niemandsland zwischen Kunstwissenschaft und Publizistik“ beschreibt.58 Ursprünglich bezog sich der vom lateinischen illustris (erleuchtet, anschaulich, berühmt) abstammende Begriff hauptsächlich auf „illustre“, das heißt berühmte Persönlichkeiten,59 während er heute dem Bereich der Buchillustration vorbehalten ist und im Sinne der Veranschaulichung von Texten verwendet wird. Ein hinreichendes Merkmal, das ein Bild zu einer Illustration macht, ist deshalb dessen Publikation zusammen mit dem veranschaulichten Text.60 Diese von Hans Holländer angeführte Definition für die Buchillustration trifft auch für die Presseillustration zu – sie erscheint ebenfalls fast ausnahmslos in Verbindung mit einem Text, obgleich sie nicht zwangsläufig den Text illustrieren muss, sondern ebenso oft, wenn nicht sogar in der Regel der Illustration ein kommentierender Text beigegeben wird. Während der Illustrator des 17. und 18. Jahrhunderts Texte lediglich „veranschaulichte“ und Bilder somit im Dienste der Texterläuterung standen, vollzog sich mit der Herausbildung der illustrierten Massenpresse im 19. Jahrhundert jene Kehrtwende hin zum Bild als primärem Medium (iconic turn), hinter das der Text zurücktrat. Weitere wesentliche Merkmale der Illustration sind deren Kommunikations- und Reproduktionsfähigkeit. So beschreiben Hilary und Mary Evans die Illustration als „[…] picture with purpose: it has to communicate information of some kind. To achieve that purpose, it must generally be made available in quantity.“61 Neben diesen allgemeinen Definitionen zur Illustration als vervielfältigtes Bild, das sich auf einen bestimmten Text bezieht und durch ihn ausgelöst62 oder zumindest in Verbindung mit einem Text hervorgebracht wurde,63 finden sich in der Literatur auch enger gefasste Begriffe wie publizistische oder journalistische Illustration, Zeitschriftenillustration, Reportagebild, Reportagezeichnung, Nachrichtenbild, Bild-

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Ebenda, S. 470. Weber 1988, S. 151. Le Men 1997, S. 493, Anm. 2 und 3. Hans Holländer: Der modus illustrandi in der deutschen Malerei des 19. Jahrhunderts, in: Timm 1988, S. 13–45, hier S. 13. 61 Evans 1971, S. 5. 62 Holländer 1988, S. 13; Evans 1971, S. 1. 63 Le Men 1997, S. 470. Vgl. auch Holländer 1988, S. 13.

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Die Erfindung des Balkans in der illustrierten Presse

bericht oder Augenzeugenbild. Nicht selten verweisen Begriffe auf die technische Beschaffenheit des Pressebildes im 19. Jahrhundert wie Reportageholzstich oder xylografisches Reportagebild, da für die Zwecke der illustrierten Presse die Xylografie bzw. der Holzstich bis zur Einführung der Autotypie in den 1880er Jahren als einzige Drucktechnik für den Schnellpressedruck in Frage kam. Bruno Weber definiert den von ihm verwendeten Begriff des Reportageholzstichs daher folgendermaßen: „Er illustriert die Berichterstattung des Zeitgeschehens mit möglichst geringem Zeitabstand am Ereignisort oder am Aufenthaltsort des Zeichners mit publizistischer Aufbereitung am Publikationsort.“64 Die Präzisierung, die Weber trifft, dass sich die Presseillustration einem Transformationsprozess verdankt, ist für die folgenden Überlegungen entscheidend, da sie auf die bedeutungsgenerierende Rolle gerade der technischen Beschaffenheit des Bildtypus hinweist. Abgesehen von diesem technischen Aspekt jedoch, worauf anschließend ausführlich einzugehen sein wird, führen die in der Literatur anzutreffenden Begriffe auffallend oft zwei Aspekte ein – den des Unmittelbaren und den des Aktuellen. So definiert Paul Hogarth den von ihm geprägten Begriff der Künstler-Reportage als „das Reagieren von Künstlern auf Ereignisse, deren Augenzeugen sie waren.“65 Dies impliziert die Anfertigung des Pressebildes während eines Ereignisses oder zeitlich unmittelbar danach durch einen zeichnenden Beobachter. Auch Joseph Pennells Definition hebt als wichtigstes Kriterium das vom Künstler Gesehene hervor, „welches er anderen mitteilen und deutlich machen – illustrieren will“66. Nach Willy Stiewe werden Bilder erst dann zu „Bildnachrichten, wenn zu der zeichnerischen [...] Darstellung des aktuellen [...] Ereignisses die rasche Uebermittlung und die Bildunterschrift tritt.“67 Damit werden die Merkmale der journalistischen Reportage im Sinne des geschriebenen Augenzeugenberichts ohne weiteres und als selbstverständlich auch für die Presseillustration angenommen. Wir können festhalten, dass eine Presseillustration sich von einer wie auch immer gearteten anderen Illustration vor allem durch ihre gegenüber dem Text primäre mediale Funktion, die unmittelbare Wirklichkeitsaufzeichnung und ihr rechtzeitiges Erscheinen unterscheidet. Doch lässt sich die Presseillustration anhand dieser Merkmale etwa von der nichtzeitgebundenen und künstlerischen Buchillustration abgrenzen, mithin als eigenständige Bildkategorie objektiver Visualisierung definieren? Es soll nun überprüft werden, ob eine Presseillustration tatsächlich die Kriterien von Aktualität und Unmittelbarkeit erfüllt, und inwiefern der hiermit zusammenhängende und von Verlegern formulierte Anspruch, Zeitereignisse simultan und objektiv wiederzugeben, auch tatsächlich eingelöst wurde. Im Unterschied zum dekonstruktivistischen Ansatz etwa Bruno Webers, der die Frage nach dem Wirklichkeitsgehalt 64 Weber 1988, S. 151. 65 Paul Hogarth: Der Künstler als Reporter (aus dem Englischen übersetzt von Fritz Gay), in: Buchkunst. Internationale Beiträge zur Buchgestaltung 4, 1963, S. 135–172, hier S. 135. 66 Pennell 1901, S. 27. 67 Stiewe 1933, S. 8.



Der Begriff Presseillustration

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der Presseillustration mit ihrem Anspruch auf Richtigkeit anhand einer strukturellen Bildanalyse eindrücklich zu beantworten suchte,68 oder zu dem von Frank Becker vorgeschlagenen begriffsgeschichtlichen Zugang69 soll hier ein bislang nicht begangener methodischer Weg eingeschlagen werden. Er setzt zunächst auf den Nachvollzug der technischen Herstellung von Presseillustrationen. Dieser Weg hat den Vorteil, dass neben der Erörterung der eigentlichen Fragestellung auch die Bildindustrialisierung in ihren Grundzügen beschrieben werden kann. Letzteres wird einerseits helfen, die in der Literatur häufig getroffenen verallgemeinernden Urteile zur Presseillustration überhaupt und zu deren Urhebern im Besonderen kritisch zu überprüfen. Eine differenzierte Betrachtung der Bildproduktion wird andererseits sowohl das industrialisierte Bild als auch die an seiner Entstehung beteiligten Künstler in ihrem mediengeschichtlichen Kontext präziser verorten helfen. Dabei wird auf drei Aspekte näher eingegangen: Erstens widmen wir uns dem Beruf des zeichnenden Berichterstatters, um die Frage nach der Aktualität und Unmittelbarkeit von Presseillustrationen zu beantworten. Zweitens wird uns der industrielle Aspekt der Bildherstellung beschäftigen, wobei hier im wesentlichen die Frage interessiert, wie die am Ort des Geschehens entstandene Reportagezeichnung in die Zeitung kommt und welchen Transformationsprozess sie dabei erfährt. Diese Frage zielt vor allem darauf ab, zu ergründen, welches Verhältnis zwischen intendierter Objektivität und deren Verbildlichung besteht. In einem dritten Schritt richten wir den Blick auf die zeitgenössischen Visualisierungsstrategien der illustrierten Presse und widmen uns der strukturellen Bildanalyse repräsentativer Illustrationsbeispiele.

68 Weber 1988, S. 153, richtet seinen Blick auf Landschaftsdarstellungen in der zeitgeschichtlichen Wochenbildpresse im deutschsprachigen Raum. 69 So Frank Becker: Deutschland im Krieg von 1870/71 oder die mediale Inszenierung der nationalen Einheit, in: Daniel 2006, S. 68–86, hier S. 73 und Anm. 37, der die Frage nach dem Verhältnis von „Wirklichkeit“ und ihrer visuellen Repräsentation, von „realistisch“ und „unrealistisch“ als „naiv“ ansieht und stattdessen einen begriffsgeschichtlichen Zugang vorschlägt.

I I . D i e Herst el l u n g d er Pre sse illustra tion

Begleiten wir nun den Herstellungsprozess von Presseillustrationen von Anfang an – also vom Schauplatz des Geschehens – bis zur Drucklegung in der Zeitung. Auskunft darüber liefern Text- und Bildbeiträge aus der illustrierten Presse selbst sowie zeitgenössische Darstellungen berichterstattender Zeichner oder Mitarbeiter illustrierter Periodika. In der tausendsten Ausgabe der Illustrirten Zeitung vom 30. August 1862 findet sich eine Beschreibung der Herstellung von Presseillustrationen, anhand welcher kurz in die Materie eingeführt werden soll, bevor jede einzelne Arbeitsstufe detaillierter betrachtet wird.1 Der Herstellungsprozess der Zeitung wird auf vier Seiten erläutert. Zwei davon sind mit acht Illustrationen von hervorragender Qualität bebildert.2 Wie sehr die Betonung des Artikels auf der Bebilderung der Zeitung liegt, zeigt die Anzahl der Illustrationen, die deren Herstellung zum Thema haben. Dem Zeichner und dem Holzstecher sind je eine Darstellung gewidmet, jeweils eine Illustration gilt dem Zeichneratelier und der xylografischen Werkstatt. In Form einer imaginären Führung durch die einzelnen Produktionsstufen wird der Leser eingeladen, „im Geist in die Räume [der Zeitungsproduktion] zu folgen“ und zu erfahren, „wie aus Gedanken und künstlerischen Anschauungen [...] allwöchentlich die umfangreichen Bogen sich entwickeln, die ihnen [den Lesern] die Zeitgeschichte in Wort und Bild vor Augen führen.“3 Der Rundgang beginnt im Zimmer des Herausgebers, der mit dem Ministerpräsidenten eines Staates verglichen wird und seine „Gesandten“, „Konsuln“, „Räte“ und „Sekretäre“, die für die verschiedenen Ressorts zuständig sind, von hier aus koordiniert. Der anschließend beschriebene, mithin hiernach bedeutendste Raum ist das Atelier der Zeichner, in dem die Originalzeichnungen auf Holz übertragen werden. Die „Originale“ wurden der Redaktion von „artistischen Mitarbeitern“ zur Verfügung gestellt und bestanden zum Teil aus Originalholzzeichnungen, zum Teil aus Fotografien, welche zumeist für die Reproduktion von Porträts und Architekturdarstellungen verwendet wurden, sowie aus Skizzen und ausgeführten Zeichnungen oder Aquarellen nach der Natur, die an Ort und Stelle aufgenommen wurden. Die Originalzeichnung wurde in das zu druckende Format von Zeichnern übersetzt, die jeweils auf verschiedene Darstellungsgegenstände wie Architektur, Landschaft oder Figürliches spezialisiert waren. Von der formatierten Zeichnung fertigte man sodann eine Pause an, die seitenverkehrt auf eine zumeist weißgrundierte Buchsbaumplatte oder Platte aus anderem harten Holz übertragen wurde, um beim Druck seitenrichtig zu erscheinen. Da bei der Übertragung auf dem Holzstock nur die Bildkonturen erschienen, war anschließend der Holzzeichner gefragt, der für „die ganze Ausführung der Zeichnung 1 „Nummer Tausend“, in: Illustrirte Zeitung 39, Nr. 1000, 30. August 1862, S. 146, 163–165. 2 Ebenda, S. 164–165. 3 Ebenda, S. 146.

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Die Herstellung der Presseillustration

innerhalb ihrer Umrisse“4 zuständig war. Der Text erläutert, dass während alle bisherigen Arbeitsschritte rein mechanische Tätigkeiten seien, mit dem Holzzeichner der eigentliche „künstlerische Prozess“ eingesetzt habe. Die beiden wichtigsten Aufgaben des Holzzeichners bestünden darin, das Bild in der „vollen malerischen Wirkung widerzugeben“ und es für den Holzschnitt „praktisch zu machen“, mithin die einzelnen Bildelemente so zu zeichnen, dass sie für den Holzstecher auch technisch ausführbar waren. Die Führung durch die Produktionsstätten der Zeitung wird in der xylografischen Werkstatt fortgesetzt, wo etwa fünfzig Holzstecher beschäftigt waren, welche die „verschiedenen Richtungen der Xylographie“5 vertraten, also ebenfalls wie die Zeichner auf die verschiedenen Bildgegenstände Architektur, Landschaft, Figuren etc. spezialisiert waren. Die Tätigkeit des Holzstechers bestand darin, die weiß gebliebenen Stellen der Zeichnung mit dem Grabstichel vertieft auszuarbeiten, so dass nur die eigentliche Zeichnung, die schwarzen Stellen erhaben blieben. Für besonders feine Arbeiten benutzte man die Lupe. Dem Text zufolge müsse auch der Xylograf eine künstlerische Begabung besitzen, damit die Zeichnung nicht ihres künstlerischen Wertes entkleidet werde und auf das Niveau des bloßen Handwerks herabsinke. Um die rasche Produktion der Holzstiche und damit ein möglichst aktuelles Erscheinen gewährleisten zu können, arbeiteten mehrere Holzstecher gleichzeitig an einer Illustration. Dies erklärt auch die große Anzahl an beschäftigten Holzstechern. Die simultane Erarbeitung einer Illustration wurde ermöglicht durch die Zerlegung der Holzplatte in gleichgroße Rechtecke, die nach ihrer Fertigstellung erneut zu einem Bildganzen zusammengefügt wurden. Der Artikel beschreibt auch die Maßnahmen, die im Falle des Misslingens oder Abbröckelns einer gestochenen Partie getroffen wurden. Die entsprechende Stelle wurde ausgebohrt und durch ein neues Stück Holz ersetzt. Da jedoch beim Schneiden die Vorzeichnung notwendigerweise verloren ging, lag es im eigenen Ermessen des Stechers bzw. dessen Interpretation, wie er die nicht mehr zeichnerisch vorhandenen Partien neu schuf.6 Auch wenn der referierte Artikel nur einen ersten Eindruck vom Herstellungsprozess der Presseillustrationen vermittelt, wird gleichwohl deutlich, dass dieser mehrere Produktionsstufen durchlief, bis die endgültige Form des zu publizierenden Bildes erreicht wurde. An der Herstellung waren mehrere Künstler sowie Handwerker beteiligt – vom zeichnenden Berichterstatter, dem so genannten Spezialartisten, über den Entwurfs-, Übertragungs- und Holzzeichner bis hin zu den vielen Holzstechern –, deren unterschiedliche Aufgabenfelder und Kompetenzen im Folgenden als Bestandteile des zu beschreibenden technischen Verfahrens hinsichtlich der Industrialisierung des

4 Ebenda. 5 Ebenda. 6 Ebenda. Einen ähnlichen, wenngleich aufwendiger bebilderten Artikel über die Herstellung einer illustrierten Zeitung hat Michael Zimmermann beschrieben, der zunächst in I’llustrazione Italiana 1884, ein Jahr später in der L’Illustrazione popolare abgedruckt wurde. Siehe Zimmermann 2006, S. 36 ff. sowie Abb. 11, 12, 13, 14.



Der Spezialartist

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Bildes, des Transformationsprozesses seiner Botschaften sowie der Bedeutungsgenerierung genauer betrachtet werden.

Der Spezialartist „‚I think, you know,‘ said the editor, ‚if you were to add two or three more figures in the foreground it would improve the composition and help to detach the principal group from this windmill‘. ‚Well, the fact is,‘ replied the artist, ‚what you call a windmill I intended for man on horseback, but if you think it will come better as a windmill I’ll alter it with pleasure.‘ “7 Dieses vom langjährigen Mitarbeiter und Bildredakteur der Illustrated London News, Mason Jackson, überlieferte Gespräch mit einem Zeichner der englischen Illustrierten umreißt in nuce die Problematik, auf die hier fokussiert wird. Die Leitfrage könnte zugespitzt formuliert lauten: Wie ‚objektiv‘ ist ein Pressebild, wenn die Darstellung eines Reiters darauf zu einer Windmühle umgestaltet werden kann? Die Augenzeugenschaft des Bildberichterstatters und damit jene in der Literatur postulierte immediate Funktion des Pressebildes wurde bislang nur in Ansätzen befragt. Der genauere Blick auf den Beruf, zum einen aus Sicht der Selbstdarstellung von Künstlern und Auftrag- bzw. Arbeitgebern und zum anderen aus der historischen Perspektive der Praxis und der künstlerischen Funktion, führt jedoch zu etwas anderen Schlüssen. Der Bildberichterstatter einer illustrierten Zeitung vom Ort des Geschehens war im 19. Jahrhundert als „Spezialartist“ bekannt. Der Anspruch illustrierter Zeitungen, stets aktuelle Berichte in Form von Augenzeugenbildern zu liefern, erforderte den Aufbau eines Systems von Spezialartisten, die als Korrespondenten vor Ort Ereignisse aus ihrem Umkreis zeichnerisch festhielten und an die Zeitschriften weiterleiteten.8 Gewinnbringende illustrierte Zeitungen entsandten seit den 1850er Jahren auch Zeichner ins Ausland. Es gab Spezialartisten für unterschiedliche Ereignisse bzw. Aufgaben, so beispielsweise für Naturkatastrophen, Landschaften, Seestücke, Porträts, Tier- oder Architekturdarstellungen9 usw. Mit Ausbruch des Krimkriegs kam auch der zeichnende Kriegsberichterstatter hinzu, der im Zusammenhang mit dem hier behandelten Kontext besondere Aufmerksamkeit verdient.10 Der deutsche Begriff, auch noch als 7 Jackson 1885, S. 354. 8 Hanebutt-Benz 1984, Sp. 871. 9 Pennell 1901, S. 286, zählt neben einer Reihe von Zeichnern von Tagesereignissen auch die Namen von Architekturzeichnern auf, die für die englische illustrierte Presse tätig waren. 10 Speziell zur britischen und französischen Bildberichterstattung während des Krimkriegs vgl. Ulrich Keller: Schlachtenbilder, Bilderschlachten. Zur visuellen Kultur des Krimkriegs, in: Der Krimkrieg als erster europäischer Medienkrieg (= Kultur und Technik 14), hrsg. v. Georg Maag, Wolfram Pyta und Martin Windisch, Berlin 2010, S. 16–62; Ders.: Kriegsbilder, Bilderkriege. Die Erfindung der Bildreportage im Krimkrieg, Düsseldorf 2007 (= http://www.meltonpriorinstitut.org/content/aktuell/ Keller-dt.html, zuletzt besucht 23. Juni 2009); Ders.: The Ultimate Spectacle: A Visual History of the

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Die Herstellung der Presseillustration

Zeichner-Korrespondent, Spezialzeichner oder Zeichner-Reporter bekannt,11 scheint die wörtliche Übersetzung der in der englischen Illustrated London News eingeführten Bezeichnung „special artist“ gewesen zu sein12 – jenes sozialen Typus’, der nach Rainer Fabian zu den wichtigsten Figuren der visuellen Vermittlung des aktuellen Geschehens, mithin zu den wirkungsvollsten, zugleich aber auch zu den unbeobachtetsten Berufsgruppen des 19. Jahrhunderts gehört.13 Und in der Tat gibt es bislang kaum kritische Untersuchungen zum Prototyp des modernen Bildberichterstatters im Unterschied zu dessen Gegenpart, dem schreibenden Korrespondenten, der den Gegenstand einer langen literarischen Tradition bildet und in neuerer Zeit auch im Fokus wissenschaftlicher Studien steht.14 Einige Überlegungen für die noch ausstehende Diskussion zu diesem Künstlertypus lohnen sich selbst dann, wenn weniger kunstsoziologische Aspekte als vielmehr schlicht die Rekonstruktion der praktischen Tätigkeit und der künstlerischen Strategien des Spezialartisten sowie dessen Stellung innerhalb des hierarchischen Gefüges des illustrierten Pressewesens unternommen werden. Anhaltspunkte finden sich in zeitgenössischen Artikeln und Bildern der illustrierten Presse sowie in Aufsätzen und Büchern, die von Spezialartisten selbst verfasst wurden, darunter das immer wieder zitierte Pionierwerk über die Geschichte der Illustrated London News von Mason Jackson,15 sowie die wenigen, zumeist populärwissenschaftlichen Studien, welche allerdings kaum differenzierte Einblicke in das Berufsfeld bieten. Im vorwiegenden Teil der Literatur wird ein klischeebeladenes Bild vom Spezialartisten entworfen, dessen Schaffen als das eines besonderen Künstlertypus vorgestellt wird, der – wie Rainer Fabian nicht ohne kritische Ironie ausführt – „mit Malerranzen und Skizzenblock an die Tatorte reist oder zu Hause an der Staf-

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Crimean War, Amsterdam 2001. Die ersten zeichnenden Kriegskorrespondenten in der Geschichte der aktuellen Bildberichterstattung britischerseits waren William Simpson, Constantin Guys und Joseph Archer Crowe. Hanebutt-Benz 1984, Sp. 871. Pennell 1901, S. 286, vermag nicht zu beurteilen, ob „der Gedanke, einen Spezialzeichner an Ort und Stelle zu verwenden, englischen Ursprungs“ sei, obschon die Verwendung des Begriffs in den ersten Nummern der weltweit ersten illustrierten Wochenzeitung sicherlich ein Beleg dafür ist. Der französische Begriff „envoyé spécial“ ist wohl ebenfalls der englischen Berufsbezeichnung entlehnt wie die seltener benutzten, jedoch ebenfalls vorkommenden Ableitungen davon „envoyé spécialement“ und „correspondant spéciaux“. Dagegen benennt das in der italienischen illustrierten Presse für gewöhnlich verwendete „dal vero“ nicht den Beruf des Bildurhebers, sondern dessen Aufgabe. Fabian 1976, S. 55. Diesem Forschungsdesiderat versuchte der Band: Augenzeugen. Kriegsberichterstattung vom 18. zum 21. Jahrhundert, hrsg. v. Ute Daniel, Göttingen 2006, abzuhelfen. Daniel 2006a, S. 8, zufolge fehlen „neben dem mangelnden faktischen Wissen über die Modalitäten der Kriegsberichterstattung […] wissenschaftliche Studien, die dieses Thema historisch ausdifferenzieren und in die jeweiligen zeitgenössischen Kontexte einordnen“. Aus der Fülle an Literatur seien hier nur einige Titel stellvertretend genannt. Archibald Forbes: Memories and Studies of War and Peace, 2 Bde., Leipzig 1895; Knightley 2004. Die neuerliche Hinwendung zum Thema führt Ute Daniel auf die mediale Kriegsberichterstattung seit dem Golfkrieg von 1991 zurück: Daniel 2006a, S. 8. Jackson 1885.



Der Spezialartist als talentierter Held

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felei sitzt und die Weltereignisse aquarelliert.“16 Auch die neuere Forschung hat sich noch nicht von der verklärenden Tradition des 19. Jahrhunderts distanzieren können, so etwa die 1995 über den amerikanischen Spezialartisten Frank Hamilton Taylor erschienene Biografie, deren Autorin der Vorstellung von der vielseitig begabten Person, die nicht nur künstlerisch und journalistisch befähigt, sondern zugleich ein mutiger und moralischer Held zu sein hatte, gefolgt ist.17 Sowohl visuelle als auch schriftliche Zeugnisse heben die drei vorbildlichen Eigenschaften des Spezialartisten besonders hervor – die Fähigkeit des schnellen Zeichnens,18 den Sinn für das Wesentliche sowie den Heldenmut. So hatte dieser nach Paul Hogarth „to be capable of making rapid descriptive drawings on location, to have the intuition of journalist for knowing what to draw; and also know by instinct or design when to be where and to get there in time for it happen; and once there, to get thus drawings done under any circumstances.“19

Der Spezialartist als talentierter Held Diesem Idealtypus begegnen wir bereits in den illustrierten Zeitungen, namentlich in Illustrationen, die den Lesern/Betrachtern die Allgegenwärtigkeit und stete Einsatzbereitschaft des Spezialartisten als Garant der visuellen Authentizität vermitteln sollen. Solche Darstellungen hatten darüber hinaus die Aufgabe, die „neue journalistische Spezies“20 als talentierten Helden zu popularisieren. Zwar erfahren wir in den seltensten Fällen seinen Namen,21 doch ist der Spezialartist immer und überall dabei – bei wichtigen gesellschaftlichen Ereignissen, wissenschaftlichen Entdeckungen oder auf dem Schlachtfeld. So schildert die illustrierte Persiflage mit dem Titel Leiden und Freuden eines artistischen Berichterstatters der Illustrirten Zeitung22 die mehr leid- als freudvollen Abenteuer des „artistischen Berichterstatters“ H. Scherenberg, der auf einer ganzseitigen Illustration in allen nur erdenklichen Situationen dargestellt ist – mal sitzt er hoch über den Dächern der Stadt, mal fällt er eine Treppe herunter; bei Wind und Wetter, Sonne und Schnee verharrt er in Erwartung eines Ereignisses; die Sicht darauf 16 17 18 19 20 21

Fabian 1976, S. 23. Gustke 1995. Vgl. auch Jackson 1885, S. 317. Paul Hogarth: The Artist as Reporter, London 1967, Zit. n. Gustke 1995, S. 23 (Herv. d. Verf.). Daniel 2006, S. 52. In der hier untersuchten Zeitspanne und zumindest in der englischen und deutschen Presse sowie in der französischen L’Illustration werden die Namen der Spezialartisten in der Regel nicht genannt. Man findet sie vereinzelt in den Begleittexten zu den Illustrationen. In der französischen Le Monde Illustré indes wird der Name des „envoyé spécial“ spätestens seit Anfang der 1870er Jahre stets unterhalb des Bildes aufgeführt, ähnlich wie in der italienischen L’Illustrazione Italiana. Soweit die Namen der Spezialartisten der Illustrationen eruiert werden konnten, werden sie in den Bildunterschriften in eckigen Klammern angegeben. 22 H. Scherenberg: Leiden und Freuden eines artistischen Berichterstatters der Illustrirten Zeitung. Stoßseufzer eines weißen Sklaven, in: Illustrirte Zeitung 36, Nr. 927, 6. April 1861, S. 243–246.

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Die Herstellung der Presseillustration

wird ihm in der Oper vom Publikum, auf der Straße vom gaffenden Volk versperrt; selbst im zivilen Leben wird er von zwei berittenen Soldaten bedroht (Abb. 2). Zu den im Text geschilderten zahllosen Schwierigkeiten und Hindernissen, welche die unmittelbare Beobachtung der Ereignisse erschweren, gesellt sich stets der Zeitdruck. Die Illustration zeigt den Spezialartisten seinen Mantel hastig anziehend, denn ein Ereignis bahnt sich an, das es festzuhalten gilt. Die in der Mitte des Bildes angebrachte Wanduhr, die über den Arbeitsplatz des Zeichners hängt, unterstreicht gleichsam den Aspekt der Aktualität, indem sie die kompositorische Verbindung zwischen Zeichneratelier und den darüber liegenden Ausgaben des Leipziger Blattes bildet. Auch Harry Barnett, Spezialartist und Verfasser eines Artikels über den Beruf, der 1883 in The Magazine of Art erschienen ist, hebt immer wieder die Hindernisse hinsichtlich der drängenden Zeit hervor. Das Verfassen eines Berichts – so Barnett – sei mit der Anfertigung einer Skizze von einem Ereignis, dass nur für wenige Minuten existierte, kaum vergleichbar: „It is much less difficult to write a column [...] of fairly accurate and picturesque description than to make a comprehensible sketch of a scene which may only have existed for few minutes.“23 Neben der Schnelligkeit im Erfassen der faktischen Details und der Darstellung einer interessanten Ansicht müsse ein guter Spezialartist, wie Barnett ferner ausführt, dazu fähig sein, die wichtigsten Fakten mit künstlerischem Charme aufzuzeichnen und ein Gespür für die Interessen und Gefühle der Leser besitzen.24 Was es wert war, gezeichnet zu werden, beschreibt William Simpson sehr eindrücklich, nachdem seine Hoffnung auf interessante Ereignisse nicht enttäuscht worden war: „I had hopes of interesting ‚incidents’. This hope was not disappointed, for we have just entered the village when a shell arrived. It went through a garret window, and burst inside. [...] The door was burst open, and at first we could see nothing for the smoke and dust. When it cleared a little we found a man with his wife and child in a frightened condition, but fortunately unhurt. This was an ‚incident‘ quite after the editor’s heart, and it will be found in the Illustrated London News [...] honoured with a position on the front page.“25 Zudem solle der Spezialartist über Imagination verfügen, denn auch wenn er keine Zeit gehabt habe, erstklassige Bilder anzufertigen, so sollte er zumindest in der Lage sein, solche in seinem Inneren zu sehen und das Essentielle davon zu Papier zu bringen, mithin „to transfer to his sketch the idea that is present in every incident, in every pegeant, in everything worth pictorial record.“26 Ähnliches erfahren wir von Scherenbergs Beschreibungen. Vom Spezialartisten verlange man „ein beschreibungsvolles Bild [...] in flüchtigen Zügen“, das „die Dinge in greifbarer Anschaulichkeit“ wiedergibt, und wenn auch ein solches Bild kein Kunstwerk sei, so sei es gleichwohl ein Kunststück.27 23 24 25 26 27

Zit. n. Gustke 1995, S. 3. Vgl. dazu auch Jackson 1885, S. 353. Gustke 1995, S. 23. Simpson 1855/1856, S. 253. Zit. n. Gustke 1995, S. 23. Scherenberg 1861, S. 243.



Der Spezialartist als talentierter Held

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Der Spezialartist wurde aber vor allem als Gentleman und Held verklärt. Häufig begegnen wir ihm auf der Titelseite, so etwa in der Illustrated London News bei den Ausgrabungsarbeiten in Mykene, umgeben von einheimischen Griechen, die ihm beim Zeichnen neugierig über die Schulter blicken (Abb. 3). Der gut gekleidete junge Mann mit gepflegtem Äußeren hat seinen sachkundig konzentrierten Blick vom Skizzenblock abgewandt, auf dem er gerade die Kulisse seines prominenten Auftritts, das Löwentor am Eingang zur Akropolis festhält. Die adrette Erscheinung, den sachlichen Gesichtsausdruck und die gelassene Haltung bewahrt der Spezialartist jedoch nicht nur in der idyllischen Abgeschiedenheit pittoresker Landschaften, sondern ebenso am Rande oder inmitten des Schlachtfeldes. Umgeben von den berüchtigten russischen Kosaken während des Russisch-Osmanischen Kriegs lässt er sich ein ganzes Arsenal von Waffen vorführen, die er mit kompetentem Blick prüft, als sei er unter Seinesgleichen (Abb. 4). Während des herzegowinischen Aufstandes begleitet der Spezialartist den wegen seiner zuweilen grausamen Härte gefürchteten Anführer der Aufständischen Peco Pavlović in unwegsamem Gelände (Abb. 5). Selbst knapp dem Tod entkommen, beobachtet der mutige Melton Prior genauso unbeirrt wie sein Kollege die just eingeschlagene Bombe vor ihrem Pferdewagen, wenngleich das panische Treiben sich schon unter die Staffage der erschrockenen Menschenmenge ausgebreitet hat (Abb. 6). Nur selten werden diese heldenhaften Selbstdarstellungen, zumal in gefährlichen Situationen, mit natürlichen Reaktionen ausgestattet, wie etwa während des pittoresken Ereignisses eines Pferdetränkens. Von den primitiven Brunnenvorrichtungen am Rande eines bulgarischen Dorfs aufgeschreckt, erhebt der Spezialartist den Ellenbogen als Geste des Schutzes und der Furcht vor der exotischen, jedoch ziemlich harmlosen Gefahr (Abb. 7). Ansonsten beweist er Tapferkeit und weiß sich stets zu helfen, so in einer nächtlichen Szene, die den Spezialartisten der Illustrated London News, Irving Montagu (1843–?)28, und den Korrespondenten der Times bewaffnet vor ihren Zelten zeigt, die gerade von einem Wolfsrudel überfallen werden (Abb. 8). Ein Ausschnitt dieser Presseillustration findet sich bezeichnenderweise im Buch von Mason Jackson als visuelles Dokument der Heldentaten von Zeitungskorrespondenten,29 über welche Kriegsberichterstatter in ihren Erinnerungen ebenfalls reichlich berichten, so etwa Irving Montagu, dessen Buch, einem exotischen Abenteuerroman gleich, das schriftliche Pendant zu den visuellen Heldendarstellungen des Spezialartisten bildet.30 Dem muterprobten Montagu zufolge ließen sich Unternehmungsgeist und Eifer des Spezialartisten nicht so leicht niederdrücken.31 Nicht einmal vor Gräueltaten schreckt einer seiner französischen Kollegen zurück, sondern zeichnet mit beharrlicher Konzentration

28 Sofern die Lebensdaten der Spezialartisten eruiert werden konnten, sind sie in Klammern hinter dem Namen angegeben. 29 Vgl. Jackson 1885, S. 347. 30 Irving Montagu: In West und Ost. Lose Blätter aus der Mappe eines Kriegsberichterstatters, Hannover o. J. [1891]. 31 Montagu 1891, S. 474.

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Die Herstellung der Presseillustration

die aufgepfählten Köpfe an einem Zaun inmitten von Schutt und Asche, Tierkadavern und Menschenleichen im niedergebrannten serbischen Dorf Buimir (Abb. 9) oder nutzt die Zeit, „unter der unterhaltenden Begleitung platzender Granaten und der entfernten Musik knatternden Gewehrfeuers einen frischen Stoß Zeichnungen fertigzustellen.“32 Das Zeichnen inmitten des Schlachtgetümmels gehört zu den beliebtesten Topoi in den Schilderungen von Spezialartisten. Die Tradition geht auf einen der ersten Kriegskorrespondenten der Pressegeschichte, Joseph Archer Crowe (1825–1896), zurück, der für die Illustrated London News aus dem Krimkrieg berichtete: „Now and then a shell from the Russian field-pieces came bowling along. One of them burst under my horse’s belly, and took him off his legs. I manfully held on, with my sketch-book in one hand, my reins in the other, no harm done.“33 Einen Monat später, nach der Schlacht von Inkerman, schrieb Crowe: „I watched the shot as they came, and stopped or jumped to dodge them [...]. Lord Reglan, who did not know me, asked sternly what I was doing in that place. I said, ‚I am an artist’, and showed him my sketch-book [...].“34 Folgerichtig bot die Illustrated London News ihren Lesern das Schlachtfeld von Inkerman in einer Illustration nach der Skizze Constantin Guys‘ (1802–1892), der mit seinem Schimmel das von Leichen übersäte Gelände beschreitet und gleichsam das wahre Grauen des Kriegs besiegelt.35 Auffallend ähnlich beschrieb Frank Vizetelly (1830–1883) sein Arbeitsumfeld im Sizilien der Garibaldischen Revolution 1860–1861: „I sat amongst a pile of dead for two hours or more [...] sketching the horrors there [...].“36 Und der weltweit prominenteste unter den „Specials“, Melton Prior (1845–1910), fügte sich geradezu lückenlos in diese Tradition beruflicher Selbstüberhöhung, als er über seine Arbeit während des Russisch-Osmanischen Kriegs 1877 emphatisch berichtete, umgeben von Toten und stöhnenden Verwundeten gezeichnet zu haben.37 Auch wegen dieses hingebungsvollen Verdienstes sollte ihn die Zeitungsredaktion zwei Jahre später mit den Worten loben: „Our Artist is an old campaigner [...], and his previous experience in Bulgaria and Bosnia [...] had made him tolerably indifferent to the danger of being under an enemy’s fire“.38 Unzählige Beispiele dieser Art haben über Jahrzehnte hinweg den Myhtos vom heldenhaften und abenteuerlustigen Künstler genährt, der ferner über eine beachtliche

32 Montagu 1891, S. 358. Zahlreiche weitere Beispiele heldenumrankter Darstellungen von Spezialartisten aus der englischen und französischen illustrierten Presse finden sich auf der Internetseite des Melton Prior Instituts für Reportagezeichnung: www.meltonpriorinstitut.org (zuletzt besucht 23. Juni 2009). 33 Zit. n. Hodgson 1977, S. 34. 34 Zit. n. ebenda, S. 35. 35 „Our Artist on the Battle-Field of Inkerman“, in: The Illustrated London News 26, Nr. 726, 3. Februar 1855, S. 116. Die Illustration ist bei Hodgson 1977, S. 35, fälschlicherweise Joseph Crowe zugeschrieben. 36 Zit. n. Hodgson 1977, S. 60. 37 Zit. bei ebenda, S. 112. Vgl. weitere ähnliche, ebenfalls von Prior überlieferte Abenteuer ebenda, S. 21. 38 Zit. n. ebenda, S. 113, erschienen in: The Illustrated London News, 18. Oktober 1879.



Der Spezialartist als Augenzeuge

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Portion Schlauheit und Erfindungsgabe verfügt haben soll. Gerade das Betreten des Kriegspfades soll mit allen Arten von Gefahren verknüpft gewesen sein,39 von denen die wohl häufigste der Verdacht auf Spionage war. So berichtet Irving Montagu in seinen Erinnerungen vom Russisch-Osmanischen Krieg, dass wegen des Spionageverdachts die Russen sämtlichen Berichterstattern verboten hatten, von der vordersten Front zu berichten bzw. sich dort aufzuhalten.40 Um das Verbot zu umgehen, sollen sich Montagu und sein Begleiter, der Korrespondent der Times, als Nichtkombattanten ausgegeben haben, die Lebensmittel an der Front verkauften anstatt wie üblich, die halbmilitärische Uniform anzulegen und sichtbar eine Binde mit dem Wort „Korrespondent“ zu tragen. Dennoch sollte sich diese Strategie als wenig erfolgreich erweisen, denn die Tarnung flog auf und beide wurden auf Befehl des russischen Großfürsten wenig später von der Front verwiesen,41 ähnlich, wie es Joseph Bell, ebenfalls Spezialartist der Illustrated London News, und seinem Kollegen ergangen ist. Auf der Titelseite vom 9. März 1878 sehen wir beide von den Russen gefangenen Korrespondenten, wie sie an der Spitze einer Gefangenenkolonne osmanischer Soldaten im tiefen Schnee erhobenen Hauptes und mutigen Blickes voranschreiten (Abb. 10), um von den Lesern daheim nicht nur als Künstler, sondern auch als tapfere Kriegshelden gefeiert zu werden.42

Der Spezialartist als Augenzeuge Über den vielseitigen Einfallsreichtum von Spezialartisten weiß Mason Jackson besonders bewegend zu berichten und schildert dabei ausführlich die Arbeitsweise der mutigen Künstler. Nicht selten sollen sie aus Angst, als Spione gefangen genommen zu werden,43 ihre Zeichnungen vernichtet haben, beispielsweise indem sie diese her39 40 41 42

Montagu 1891, S. 458. Ebenda, S. 462. Ebenda, S. 481, 482. Zum festen Topos der Berichterstattung scheint sich das Sujet der Korrespondenten-Gefangenschaft schon Anfang der 1870er etabliert zu haben, als während des Deutsch-Französischen Kriegs das sogenannte „Spionagefieber“ ausgebrochen war. Vgl. u. a. Simpson 1855/1856, S. 241 ff., sowie Jackson 1885, S. 332 ff. Eine der ersten Illustrationen mit diesem Sujet erschien nach der Vorlage von William Simpson mit dem Titel „Arrest of English correspondents at Metz“, in: The Illustrated London News, 20. August 1870, S. 192, zeitgleich mit der Illustration nach der Skizze von Sydney P. Hall „Arrest of Our Artist in Nancy“, in: The Graphic, 1870. Diese und andere Beispiele finden sich auf der Internetseite des Melton Prior Instituts: www.meltonpriorinstitut.org (zuletzt besucht 23. Juni 2009). Schon eine rudimentäre Durchsicht des Materials macht deutlich, dass bei diesem Darstellungstypus sich eine feste Ikonogafie etabliert hat, der in künftigen Studien nachzugehen aufschlussreich wäre. 43 Die Angst scheint berechtigt gewesen zu sein, denn neben ihrer hauptberuflichen Tätigkeit waren Kriegskorrespondenten in der Tat als Auskundschafter engagiert. Siehe die Beispiele bei Knightley 2004, S. 64, 65. Umgekehrt waren Offiziere als Spezialartisten tätig, so schon der Bildkorrespondent der französischen L’Illustration aus dem Krimkrieg Henri Durand-Brager, der als Marineoffizier hauptamtlich mit Feindaufklärung befasst gewesen war. Vgl. dazu Keller 2007, ohne Pagina. Die Offiziere Henry Hope Crealock und James Gambier lieferten Skizzen für die Illustrated London News, der

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unterschluckten: „The danger of being seen sketshing or found with sketshes in their possession was so great that on one occasion a special artist actually swallowed his sketsh to avoid being taken up as a spy.“44 Andere hätten vorsorglich auf Zigarettenpapier gezeichnet, das im Notfall als Zigarette aufgeraucht wurde.45 Wohl deshalb bewundert Joseph Pennell die „äusserst interessant[e]“ Arbeitsweise der Spezialzeichner, die „unter den gefährlichsten, ermüdendsten und schwierigsten Verhältnissen zu skizzieren [übten]“.46 Wie die Anfertigung von Reportagebildern unter diesen schwierigen Bedingungen ausgesehen hat, geht aus dem Brief eines anonym gebliebenen Spezialartisten an Mason Jackson hervor. Die eingehende Beschreibung ist von besonderem Wert, da sie eine äußerst detaillierte, wenngleich auch mehr als verklärende Auskunft über die Tätigkeit des Spezialartisten vor Ort gibt. Demzufolge hat der Zeichner wichtige Ereignisse zunächst auf kleinen Stücken von Papiertaschentüchern festgehalten, die er „memoranda“ nennt.47 Man kann sich diese „memoranda“ als kleinformatige, schnell ausgeführte Skizzen vorstellen wie die bei Mason Jackson reproduzierte Skizze für die Illustrated London News vom Schauplatz des Deutsch-Französischen Kriegs (Abb. 13). Um nicht aufzufallen, soll der Zeichner jedoch nicht etwa vor Ort und beobachtend das Geschehen skizziert haben, sondern „in a café, or while appearing to look at the water from the top of a bridge, or on the side of an apple, with a big knife in my hand pretending to peel it.“48 Die auf diese zuweilen abenteuerliche Weise entstandenen „memoranda“ rollte der „Special“ dann zu kleinen „Pillen“, die in der Jacke leicht versteckt und, falls notwendig, verschluckt werden konnten. In der Öffentlichkeit dagegen notierte der Spezialartist lediglich belanglose Dinge wie die Preise von Waren oder Ankunftszeiten von Zügen. Erst zu Hause begann er mit der eigentlichen Arbeit. Die kleinen „Pillen“ wurden ausgerollt und auf einem weißen Blatt aus dünnem Papier zu einer Gesamtzeichnung zusammengefügt. Die Zeichnung wurde abschließend zusammengeklappt, verklebt, die Ränder des Papiers wurden begradigt. Das Papierstück sah nun wie ein unbenutztes weißes Blatt aus, das, nur gegen das Licht gehalten, seinen Inhalt offenbaren konnte. Auf das unbeschrieben erscheinende Blatt übertrug nun der Zeichner die Notizen wie Abfahrzeiten von Zügen, Warenpreisen u. ä., die er zuvor notiert hatte. Bei Bedarf konnte er auf die beschriebenen Papierblätter zurückgreifen, die er befeuchtete, um die darin enthaltenen Skizzen heraus-

Habsburger Tscheche, Leutnant Marschall Salomon Emanuel Friedberg-Mírohorský, zeichnete für die tschechischsprachigen Květy und Světozor. 44 Jackson 1885, S. 332. 45 Ebenda. Die Geschichte stammt von William Simpson, der Spezialartist der Illustrated London News während des Deutsch-Französischen Krieges war. Siehe Simpson 1855/1856, S. 242. 46 Pennell 1901, S. 295. 47 Jackson 1885, S. 332. 48 Ebenda.



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zulösen. Davon fertigte der Zeichner nun jene Zeichnungen an, die er an die Zeitung weiterleitete.49 Nicht so sehr wegen des ausgeklügelten Verfahrens wurde diese Stelle hier etwas ausführlicher referiert, da davon auszugehen ist, dass eine solche aufwendige Praxis nicht die Regel war. Doch enthält sie wichtige Anhaltspunkte für die Beantwortung der Frage nach der Unmittelbarkeit und Wirklichkeitstreue von Presseillustrationen. Aus der zitierten Stelle geht hervor, dass es sich bei den vor Ort angefertigten Skizzen um Blätter sehr kleinen Formats gehandelt haben muss, auf denen die gezeichneten Gegenstände lediglich skizzenhaft angedeutet waren. Aus diesem Grund finden sich auf Korrespondenten-Skizzen, wie an unserem Beispiel zu sehen ist, zahlreiche handschriftliche Notizen, die das Dargestellte bezeichnen, konkretisieren oder gar durch die Schrift ersetzen. Im unteren rechten Teil des Skizze hat der Spezialartist beispielsweise die Worte „Eau“ und unmittelbar darunter „La Morte“ vermerkt, um die hastig dahingeworfenen Striche und die etwas formlosen, unterschiedlich großen schwarzen Flecken als im Wassergraben schwimmende Leichen auszuweisen (Abb. 13). Über die Praxis der Beschriftung von Skizzen werden wir von Mason Jackson ebenfalls ausführlich unterrichtet: „When there is not time to sketch a complete cow, it is good to write underneath the sketch, ‚This is a cow’“.50 Joseph Pennell behauptet sogar, Spezialartisten hätten „mehr kurze Notizen als eigentliche Skizzen“ gemacht.51 Ferner ist festzuhalten, dass gerade Kriegskorrespondenten wegen der SpionageGefahr hauptsächlich nach Erinnerungen gezeichnet haben müssen. Angesichts der von den Arbeitgebern gepriesenen Authentizität der Pressebilder ist es mehr als verständlich, dass sie nur ungern darüber Auskunft geben, doch finden sich in den Memoiren gelegentlich Hinweise auf diese Praxis. So hielt William Simpson ein Ereignis oft erst am darauffolgenden Tag fest,52 denn die Gefahr sei so groß gewesen, dass er aufgehört habe, ein Skizzenbuch bei sich zu führen. Stattdessen habe er nur das Erinnerte gezeichnet und erläutert diese Vorgehensweise wie folgt: „I never produced a sketch-book, but used my eyes. One day I saw a small gunboat [...]. I looked at it, took a stroll, and in my head drew the lines. Then I returned to get more details, strolled again, filling them in, and did this till I felt certain I could draw every detail from memory. The actual sketch I drew when I got back to the hotel.“53 Die Manipulationen des Zusammen- und Ausrollens der „Pillen“, des Verklebens und des anschließenden Aufweichens der Zeichnungen mit Wasser sollen hier unkom49 Ebenda. 50 Ebenda, S. 353. 51 Pennell 1901, S. 295. Vgl. die von Ulrich Keller besprochenen drei Korrespondentenskizzen von Constantin Guys, Spezialartist der Illustrated London News während des Krimkriegs, die – obwohl sehr detailliert ausgearbeitet – im unteren Teil des Blattes dicht beschriftet sind: Keller 2007, ohne Pagina, Abb. 12, 13, 14. Weitere gute Beispiele beschrifteter Skizzen von Henri Lovie sind bei Hodgson 1977, S. 90–91, 92, 93, abgedruckt. 52 Simpson 1855/1856, S. 248, S. 254. 53 Ebenda, S. 244.

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mentiert bleiben, da man sich den Schaden an einer Zeichnung durch ein derartiges Bearbeiten ohne weiteres vorstellen kann. Doch schon dieser erste Einblick in die Tätigkeit des Spezialartisten, mithin in die erste Phase der Entstehung einer Presseillustration zeigt, wie problematisch ihre Betrachtung als immediates Medium ist. Nicht nur die zuweilen gefährlichen Arbeitsbedingungen, auch die daraus resultierenden Arbeitsweisen von Spezialartisten deuten auf die Uneinlösbarkeit der Intention eines unmittelbaren Bildes hin. Aber auch angebliche Augenzeugenskizzen scheinen selten dem tatsächlich Beobachteten entsprochen zu haben, wofür Spezialartisten auffallend oft die Zensurbehörden vor Ort verantwortlich machen.54 Der wiederum von Mason Jackson wiedergegebene Bericht Melton Priors über die Praxis der Zensoren ist um so mehr von Interesse, als es sich um die Beschreibung einer Begebenheit aus dem Russisch-Osmanischen Krieg handelt, die wertvolle Informationen darüber enthält, welche Art von Ereignissen Spezialzeichner mit ihrem Sinn für das Essentielle als wesentlich ansahen und wie diese bildnerisch umgesetzt wurden, um zu einem wichtigen Bestandteil der europäischen Bildberichterstattung vom Balkan zu werden. Die Stelle sei hier deshalb in voller Länge wiedergegeben: „The Turkish censor stopped no fewer than six weeks of my sketches. Things were getting desperate. Our people were telegraphing out to know whether I was alive or dead; and, finding that something must be done, I determined to see the thing through or leave the camp. It so happened that I had been the witness of some peculiarly atrocious deeds perpetrated by Turks upon Bulgarians, so I set to work and drew half-a-dozen faithful representations of the sufferings which I had witnessed. Armed with these I went up to the censor’s office and asked that they might be stamped for transmission home. The censor looked at the first and said it was ridiculous. Couldn’t pass that; no such atrocities had ever been committed; and so forth. The second was condemned in the same way, and so on until the last was reached. When he had rejected that also I said to him very deliberately, ‘You are going to pass every one of these sketches!‘ ‘On the contrary,‘ said he, ‘I am going to tear them up.‘ ‘If you do,‘ said I, ‘I shall draw not only six but twelve pictures worse than these, and send them home by my own messenger.‘ ‘I will have him arrested then,‘ said the censor. ‘Very well, then, in that case I shall leave the camp at once, and in London I will draw twenty pictures all worse then these, and they will all be published, so that people may see the real truth about how you are behaving here.‘ “55

54 Offiziell wurde die Zensur der Frontberichterstattung erstmals 1879 mit Ausbruch des Afghanistankriegs eingeführt, doch die Einschränkung der journalistischen Unabhängigkeit wurde wegen der Erfahrungen aus dem Krimkrieg bereits vorher beklagt. Allgemein zum Thema siehe Daniel 2006a, S. 18 ff. mit weiterführender Literatur. Speziell zu den Folgen der Berichterstattung aus dem Krimkrieg vgl. Daniel 2006b, S. 49 f. Über die frühe Pressekontrolle etwa während des Deutsch-Französischen Kriegs (1870–1871) siehe Knightley 2004, S. 47 ff., sowie Becker 2006, S. 70 f. 55 Jackson 1885, S. 346 f.



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Es ist unwahrscheinlich, dass eine derart erpresserische Strategie, wie sie Melton Prior beschrieben hat, zur alltäglichen Berufspraxis von zeichnenden Kriegskorrespondenten gehörte. Gewiss ist jedoch, dass Ereignisse wie „some peculiarly atrocious deeds perpetrated by Turks upon Bulgarians“ in den Hochphasen der Orientalischen Krise es wert waren, in mehreren Dutzend Skizzen festgehalten zu werden, um publiziert werden zu können. Entscheidend dabei war sowohl die Quantität als auch die Qualität der Darstellungen, die – je mehr in der Zahl und je grausamer in der Repräsentation – als Beweise für die ‚wahren‘ Verhältnisse auf dem Balkan geltend gemacht werden konnten. Doch der immer wiederkehrende Topos von den Zensurbehörden als „geborene Feinde der Kriegsberichterstatter [...] blendet die vielfach unkomplizierten, nicht selten auch herzlichen Beziehungen“56 zwischen Journalisten und Militärführung aus, wie eine Skizze, ausgerechnet von Melton Priors Hand, mit dem unmissverständlichen Titel „Riza Bey Watching the Circassian Raid across the Danube through Our Artist’s Telescope“ (Abb. 11) deutlich macht. Umgeben von osmanischen Militärs, die die optischen Geräte des Spezialartisten bestaunen, sehen wir den Kommandanten Riza Bey durch das geliehene Fernglas auf die Donau blicken, während sein stolzer Besitzer gelassen im Hintergrund weilt. Nicht anders William Simpson, der nach eigenem Bekunden im Krimkrieg alle Zeichnungen so gestaltet habe, dass die höheren Offiziere darin in gutem Licht erschienen. Im Gegenzug wurden sie vom Oberkommandierenden Lord Raglan zur Publikation freigegeben.57 Der traditionell enge Kontakt zwischen Spezialartisten und Militär zeigt sich ferner an der Praxis der obligatorischen Referenzschreiben, die Spezialartisten bei ihrer Ankunft am Schauplatz der Kriegshandlung vorzuweisen hatten. Die guten Beziehungen wurden zudem in Form von Illustrationen besiegelt, wie etwa die eben erwähnte oder die auf der Titelseite der Illustrated London News vom 5. Januar 1878 (Abb. 12), die den Betrachter an der intimen Atmosphäre, vermittelt durch die Rückenfigur des Spezialartisten, im Zelt des osmanischen Befehlshabers Mehmed Ali teilhaben lässt. Es scheint sich also eher um eine ambivalente Beziehung zwischen beiden Seiten gehandelt zu haben, die je nach Interessenlage und stets von Neuem austariert werden musste, um weder die Geheimhaltung des Militärs noch das Prinzip der Sensationsenthüllung der Medien zu beeinträchtigen.58 Zweifelsohne jedoch trug dieses Verhältnis nicht nur zur Stilisierung „militärischer Heldengestalten in der Medienberichtserstattung“59 bei, sondern auch zur Stilisierung der mythischen Heldengestalt vom berichterstattenden Künstler.

56 Daniel 2006a, S. 16. 57 In London wurden die Zeichnungen zudem vom Kriegsminister, dem Duke of Newcastle, und von der Queen selbst inspiziert, bevor sie in den Druck gingen. Siehe Simpson 1855/1856, S. 35. 58 Prinzipiell zum Verhältnis zwischen Berichterstatter und Militär siehe Daniel 2006a, S. 18. 59 Ebenda, S. 16.

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Der Spezialartist als Lohnempfänger Das in seinen Grundzügen beschriebene Selbstbild des Spezialartisten und dessen werbewirksame Beschreibung durch die Zeitschriften hatten jedoch kaum etwas mit der Realität zu tun. Vielmehr stilisierte die illustrierte Presse im Zusammenspiel mit der zumeist retrospektiven und aus der Feder von Spezialartisten hervorgegangenen Literatur den Typus des zeichnenden Berichterstatters, des Kriegskorrespondenten zumal, zu einer Legende, die Ute Daniel folgendermaßen charakterisiert hat: „Der journalistische Augenzeuge verleiht dem Kriegsgeschehen Sichtbarkeit, indem er es durch seine Anwesenheit beglaubigt, in seinen Texten und Bildern übermittelt und durch die Darstellung zu einem verstehbaren Ganzen gestaltet. Gleichzeitig erhebt er [...] sich als Person vor dem Geschehen, stellt sich selbst ins Bild [...], verleiht dem Krieg menschliche Dimensionen und lässt all das verschwinden, was hinter dieser Person verborgen bleibt.“60 Wir wollen versuchen, einen Blick hinter diese sorgsam gepflegte Fassade des über alle Gefahren und Gräuel des Krieges erhabenen Künstlertypus zu werfen, um anschließend die Gründe für dessen Stilisierung zu diskutieren, die im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Wesen der illustrierten Presse und der von ihr hervorgebrachten Bilder stehen. Spezialzeichner arbeiteten in der Regel als Lohnempfänger im Angestelltenverhältnis,61 wobei Kriegskorrespondenten nur gelegentlich, das heißt in Hochphasen von Kriegen angestellt wurden und stets auf Aufträge, also vor allem auf bewaffnete Konflikte angewiesen waren, um von ihrer Arbeit überhaupt leben zu können. Als etwa nach dem Krimkrieg keine weiteren kriegerischen Auseinandersetzungen zu erwarten waren, wurde Joseph Crowe von der Illustrated London News entlassen, da – wie er selbst berichtet – „die Zeit ereignißlos wäre, und er [der Herausgeber Herbert Ingram] aus diesem Grunde nichts für mich zu thun habe.“62 In den seltensten Fällen und nur bei entsprechender Eignung wurden Kriegszeichner bei anderweitigen Anlässen beschäftigt, wie die Ausnahme von William Simpson zeigt, der wohl wegen seiner äußerst detaillierten und stimmungsgeladenen Aquarellstudien von Architektur mit der Berichterstattung von den Schliemannschen Ausgrabungsarbeiten in Mykene 1877 beauftragt worden war. Auf dem Schlachtfeld arbeiteten Kriegskorrespondenten – abgesehen von einer verschwindenden Minderheit – allerdings nur selten. Von mehr als einem Krieg haben lediglich fünf von insgesamt fünfzehn englischen „Specials“ berichtet: An vier Kriegen nahmen Melton Prior und Johann Nepomuk Schönberg (1844–?) teil, gefolgt von Frederic Villiers (1852–1922), Irving Montagu und William Simpson, die von jeweils drei Kriegen berichtet hatten. Paradoxerweise hat der prominenteste englische „War-

60 Ebenda, S. 12 f. 61 Fabian 1976, S. 23. Vgl. auch etwa die von Gustke 1995 verfasste Biografie Frank Hamilton Taylors, ein Autodidakt, der als festangestellter Lohnempfänger beschäftigt war. 62 Crowe 1897, S. 193 (Herv. d. Verf.).



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Special“ Richard Caton Woodville (1856–1927) nie ein Schlachtfeld betreten, obwohl er Captain der Royal North Devon Hussars gewesen war. Und selbst vor Ort gelang es Spezialartisten selten, Ereignisse mit eigenen Augen zu beobachten. Nicht nur aus Gründen der militärischen Geheimhaltung, sondern auch angesichts der unzulänglichen Verkehrsverbindungen63 gestaltete sich das rechtzeitige Eintreffen am Ort des Geschehens schwierig. Selbst die legendäre Geschichte des extravaganten Frederic Villiers, der sich auf dem Schlachtfeld mit Fahrrad fortbewegt haben soll,64 vermag über die mobilen Unzulänglichkeiten nicht hinwegzutäuschen. In den meisten Fällen verschaffte sich der Spezialartist nämlich erst nachträglich einen Eindruck vom Schauplatz und rekonstruierte das Ereignis bestenfalls anhand von Augenzeugenberichten.65 Dies lässt sich an etlichen Beispielen demonstrieren wie etwa an den von Melton Prior angefertigten Skizzen von den Ereignissen am Majuba Hill während des Burenkrieges (1880–1881), die er nach dem Augenzeugenbericht seines Kollegen John Cameron vom Standard für die Illustrated London News angefertigt hat,66 oder an den Skizzen von William Simpson von den zwei bedeutendsten Schlachten auf der Krim bei Balaklava und Inkerman, die er ebenfalls nach Augenzeugenaussagen rekonstruiert und lediglich das Terrain der jeweiligen Schlacht vor Ort aufgenommen hat.67 Der für die Illustrirte Zeitung tätige Carl Emil Doepler berichtet in seinen Erinnerungen, wie er sich „die Situation der gestrigen Schlacht von einem preussischen Militär, der den Tag mitgemacht, ausführlich schildern“ ließ, so dass es ihm „ein leichtes [war] eine Skizze hier an Ort und Stelle zu entwerfen.“68 Wie problematisch jedoch diese Vorgehensweise selbst für Kriegskorrespondenten gewesen sein muss, vor allem vor dem Hintergrund der für die Zeitungen programmatischen Objektivität ihrer Bilder, zeigen nicht nur etwa die von William Simpson festgestellten Differenzen in den Erinnerungen der Augenzeugen, anhand derer er die erwähnten Schlachten rekonstruiert hat69 und daraus schließen musste: „[...] there must always be some slight uncertainty in details of important historical events, even when we have the accounts of them from eye-witnesses.“70 Der geradezu notorische Verweis auf die Anwesenheit von Kollegen oder Militärs, die als Bürgen der Authentizität 63 Hanebutt-Benz 1984, Sp. 872. 64 Knightley 2004, S. 46. 65 Stiewe 1933, analysiert ein solches Bild eines berichterstattenden Zeichners, der die Örtlichkeit einer zuvor stattgefundenen Polizeifestnahme einer Bande studieren sollte, um nicht nur den Schauplatz zu zeichnen, wie er sich beim Eintreffen bot, sondern dann den ganzen Vorgang im Bild wiedererstehen zu lassen. Stiewe stellt fest, dass die Darstellung des Vorgangs offenbar von der kriminalistischen Fantasie aus Detektivromanen genährt war, jedoch kaum der Wirklichkeit entsprach. 66 Siehe Abb. auf S. 114 bei Hodgson 1977, sowie Zit. von Melton Prior ebenda, S. 115: „Dear old Cameron was not much of an artist, but he gave me a lot of notes and rough sketches of the fight, which I was able to work up under his guidance and forward to England.“ 67 Simpson 1855/1856, S. 33. 68 Zit. n. Hanebutt-Benz 1984, Sp. 872, Anm. 336. 69 Simpson 1855/1856, S. 33. 70 Ebenda, S. 34.

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fungierten, sollte eben dieses Problem verdecken. Charakteristisches Beispiel ist die von Irving Montagu überlieferte Anekdote von einer solchen gegenseitigen Augenzeugenbekundung. Als Beweis für den Aufenthalt an vorderster Front zeichnete Montagu seinen Kollegen Coningsby von der Times im Vordergrund seiner Zeichnung, während Coningsby in seinem Bericht wiederum über die Anwesenheit des Spezialartisten schrieb. „Nicht lange darauf“ – fährt Montagu fort – „prangte in London das Bild, welches die Berichterstatter der ‚Times‘ und der ‚Illustrated London News‘ darstellte, wie sie heldenmütig die Interessen ihrer Blätter bis in die Grivitza-Redoute hinein wahrzunehmen wussten.“71 Die Zeitungsredaktionen suchten ihrerseits durch die in Bildunterschriften stets vorkommenden Vermerke wie „Nach einer Skizze unseres Spezialartisten“, „Nach der Skizze eines Augenzeugen“ oder „Nach einer Originalzeichnung“ bzw. „From a Sketch by Our Special Artist“ oder „d’après les croquis“ die offensichtlich immer wieder hinterfragte Authentizität des publizierten Materials zu garantieren. Die Tätigkeit der Spezialartisten vor Ort – wenn sie denn nicht ganz und gar vorgetäuscht war72 – beschränkte sich indessen hauptsächlich auf den ungefährlichen Bereich der Kriegscamps, wo man auf Nachrichten über entscheidende Kriegsschlachten oder ungewöhnliche Ereignisse wartete. Da Spezialartisten im ‚ereignislosen‘ Zeitraum kaum beschäftigt gewesen sein dürften, verbrachten sie ihre Zeit mit dem zeichnerischen Studium von militärischen Uniformen, Waffen, Pferden und anderem kriegsspezifischem Gerät oder ethnografischem Material. Im Camp waren sie zudem mit der detaillierten Ausarbeitung oder Neuanfertigung von Skizzen oder mit dem Zeichnen der umgebenden Landschaft beschäftigt. Nach Bedarf konnten sie dann auf diese Studien zurückgreifen oder sie an die Zeitungsredaktion schicken, deren Zeichner und Stecher sie als motivische Referenzen benutzten.73 Letzteres ist auch der Grund für die keineswegs mit der drängenden Zeit zu erklärenden zahlreichen Notizen auf den Skizzen; diese dienten nachweislich als Anweisungen für den Bildredakteur und den Zeichner am Publikationsort und sind in den seltensten Fällen auf Zeitnot zurückzuführen. Bestätigt wird dies unter anderem von der angeführten Persiflage, in welcher der Spezialartist H. Scherenberg fragt, wie man ohne die Notizen „aus jenen Hieroglyphen sich das Bild construieren soll[te], welches [...] die Zeitung wenige Tage nachher brachte“74. So war denn auch das vermeintlich unentbehrliche Talent zum schnellen Zeichnen kaum gefragt, arbeiteten doch Korrespondenten nicht prinzipiell schneller als ihre Kollegen im Atelier oder im Pleinair. Die postulierte Schnelligkeit erfüllte vielmehr die Aufgabe, die zeitgleiche visuelle Erfassung der Ereignisse zu suggerieren. Indes bestand die Tätigkeit der Kriegszeichner hauptsächlich in der zusätzlichen Ausarbeitung der vor Ort entstandenen oder der Anfertigung von neuen Skizzen im 71 72 73 74

Montagu 1891, S. 462 (Herv. d. Verf.). Beispiele vorgetäuschter Aufenthalte auf dem Kriegsschauplatz nennt Becker 2001, S. 385. Vgl. Hodgson 1977, S. 19. Scherenberg 1861, S. 243.



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heimischen Atelier, die dann als Zeichnungen, Aquarelle oder Gemälde verkauft wurden.75 Davon zehrte man zuweilen noch Jahre nach dem Ereignis, wobei sich diese Praxis bis in das 20. Jahrhundert hinein bewähren sollte.76 Edwin Forbes, der für das erste amerikanische illustrierte Blatt Leslie’s Illustrated Newspaper arbeitete, lebte Zeit seines Lebens von den Zeichnungen, die er während des Amerikanischen Bürgerkriegs (1861–1865) gemacht hatte und später in Gemälde, Stiche oder Buchillustrationen umsetzte.77 Aus diesem Grund ergänzte William Simpson seinen Vertrag mit der Illustrated London News durch die Klausel, seine Skizzen nach deren Publikation zurückzubekommen, um sie ausstellen78 und wohl auch verkaufen zu können. Auch zahlreiche Kriegskorrespondenten auf dem Balkan waren weniger Bildberichterstatter als Historien- bzw. Ereignismaler oder Buchillustratoren.79 Der polnische Genre- und später auch Ereignismaler Antoni Piotrowski, der als Bildberichterstatter vom Serbisch-Bulgarischen Krieg (1885–1886) unter anderem für die L’Illustration und The Graphic tätig war, malte nach seinen Korrespondentenskizzen eine Serie von Schlachtengemälden, die er wenig später an die bulgarische Regierung verkaufen konnte.80 Der vornehmlich als Ethnologe und Geograf bekannte Österreicher Felix Kanitz (1829–1904) stellte viele der während seiner Balkanreisen entstandenen Skizzen der Illustrirten Zeitung zur Verfügung, die als aktuelle Bilder von den Ereignissen in der Region publiziert wurden, obwohl sie als Illustrationen zu den Büchern des Gelehrten konzipiert und schon Jahre zuvor veröffentlicht worden waren.81 Der für die tschechische Illustrierte Světozor tätige Ungar Ferdo Quiquerez-Beaujeu (Kikerec) (1845–1893) und sein bei der Illustrirten Zeitung beschäftigter tschechischer Kollege Franz (František) Zverina (1835–1908) publizierten ihre eigentlich als Gemälde konzipierten Entwürfe als Augenzeugenbilder aktueller Ereignisse in Montenegro oder der Herzegowina. Wie fließend die Grenzen zwischen Augenzeugenbild und Fantasiedarstellungen waren, zeigt sich ferner an der gängigen Praxis der Publikation von Gemälden oder imaginativen Künstlerzeichnungen in Fällen, in denen man entweder keinen Spezialartisten vor Ort hatte oder dessen Skizzen nicht rechtzeitig in die Redaktion eintrafen. Der Auftrag an Gustav Doré für einen Holzstichentwurf vom Fall Sevastopols

75 Die doppelte Nutzung von vor Ort angefertigten Zeichnungen, namentlich von Kriegsschauplätzen, bespricht, wenn auch etwas knapp, Becker 2006, S. 72 sowie Anm. 32. 76 Hodgson 1977, S. 15, zitiert einen Zeitungsbericht des Sphere vom 4. August 1900, wonach die aus dem Burenkrieg (1899–1902) zurückkehrenden Spezialartisten eine große Anzahl an Skizzen mit sich brachten, die dann in Form von Ölgemälden in den Galerien verkauft worden seien. 77 Ebenda, S. 17. 78 Siehe Simpson 1855/1856, S. 270, der von seiner Ausstellung in einer Galerie am Piccadilly mit dem Titel „All Round the World“ berichtet. 79 Beispiele deutscher Kriegskorrespondenten, die gleichzeitig als Militärmaler tätig waren, finden sich bei Becker 2001, S. 411 ff. 80 Ausführlich zu Piotrowski siehe Kapitel Antoni Piotrowski und Bulgarien. 81 Vgl. etwa Felix Kanitz: Donau-Bulgarien und der Balkan. Historisch-geographisch-ethnographische Reisestudien aus den Jahren 1860–1875, 3 Bde., Leipzig 1875, 1877, 1879.

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(8/9. September 1855), der in der Illustrated London News auf zwei Seiten publiziert wurde, ist nur eines der prominentesten Beispiele dieser Art.82 Die Arbeitsweise der Spezialzeichner unterschied sich also nicht grundsätzlich etwa von jener der Buchillustratoren oder Ereignismaler, da die am Ort des Geschehens entstandene oder das Ereignis rekonstruierende Zeichnung wie jede andere Visualisierung einer Begebenheit vor allem subjektive Gestaltung nach bestimmten Regeln bedeutete.83 Darüber hinaus wurde aus den bisherigen Ausführungen deutlich, dass selbst jene auf Augenzeugenschaft beruhenden Zeichnungen fast ausschließlich nach der Erinnerung entstanden sind. Die Abgrenzung zwischen Pressebild und Kunstwerk erfolgte also auf einer lediglich rhetorischen Ebene, die vor allem darauf abzielte, die – zumindest den in die Produktion illustrierter Zeitung involvierten Akteuren durchaus bewusste – offensichtliche Übereinstimmung von künstlerischer und berichterstattender Praxis zu kaschieren. „Im Ergebnis waren Kriegsgrafik und die Kriegsmalerei [...] in ihrer Motivwahl eng miteinander verknüpft. Manchmal entschied der Erfolg einer Grafik beim Publikum darüber, ob sie zu einem späteren Zeitpunkt noch zu einem repräsentativen Gemälde ausgearbeitet wurde.“84 Die wohlbedachte Pflege der den Kriegszeichner umrankenden Legenden erklärt sich jedoch nicht allein aus dem beharrlichen Bestreben, die Exklusivität des Berufs in Abgrenzung zur klassischen Kunstausübung zu etablieren. Die beständige Aufrechterhaltung des Mythos vom heldenhaften Spezialartisten sorgte für ein profitables Geschäft vor allem außerhalb des regulären Zeitungsbetriebs. Während die auf den vermeintlichen Augenzeugen-Skizzen beruhenden Illustrationen die regelmäßige Zeitungsausgabe sicherten, sollten sich Verkaufsveranstaltungen von ‚originalen‘ Kriegszeichnungen als Publikumsmagneten erweisen, so etwa die von der Illustrated London News und The Graphic gemeinsam ausgerichtete Ausstellung nebst Katalog von Zeichnungen aus dem Deutsch-Französischen Krieg im Londoner Crystal Palace im Oktober 1870. Panoptiken des Krieges gleich sollten solche Ausstellungen den Besuchern optische Äquivalente der pulverdurchtränkten Luft vom Schauplatz des Kriegs vor Augen führen.85 Vorgemacht hatten es bereits die in 82 The Illustrated London News 27, Nr. 762, 22. September 1855, S. 352–353. Hodgson 1977, S. 120, erwähnt die von Richard Caton Woodville frei angefertigte Illustration der Schlacht von Abou Klea im Januar 1885, da die Zeichnungen von Melton Prior nicht rechtzeitig in London angekommen waren. Weitere Beispiele werden an gegebener Stelle angeführt. 83 Vgl. hierzu auch Stiewe 1933, S. 8. 84 Becker 2006, S. 72. Unter Anm. 33 siehe auch zahlreiche Beispiele aus der deutschen illustrierten Presse. 85 Diese Art von Ausstellungen stehen in einem offensichtlichen Zusammenhang mit den Panoramen, insbesondere den Schlachtenpanoramen des 19. Jahrhunderts, die das Publikum in die Nähe des Kriegsgeschehens versetzen sollten. Während das Medium des Panoramas ausführlich behandelt worden ist, stellen die funktionsähnlichen Ausstellungen von Kriegszeichnungen allerdings noch ein Forschungsdesiderat dar. Zum Panorama siehe etwa den Ausstellungskatalog: Sehnsucht. Das Panorama als Massenunterhaltung des 19. Jahrhunderts, hrsg. v. Marie-Louise von Plessen, Ausstellung, Bonn, Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, 1993, sowie Stephan Oettermann: Das Panorama. Die Geschichte eines Massenmediums, Frankfurt a. M. 1980.



Der Spezialartist als Lohnempfänger

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London ansässigen Verlegerbrüder Colnaghi nach dem Krimkrieg, als sie die für die lithografischen Prachtbände The Seat of War in the East benutzten Zeichnungsvorlagen von William Simpson in eigens für deren Verkauf ausgerichteten Ausstellungen zeigten. Der Gewinn Colnaghis belief sich auf beachtliche 12.000 Pfund Sterling, während Simpson lediglich 20 Pfund pro lithografierter Zeichnung, das heißt nicht mehr als 800 Pfund bekam und zudem alle Unterhaltskosten auf der Krim allein zu tragen hatte. Diesbezüglich schrieb Simpson: „The publishers afterwards sold my drawings, and no doubt received as much as they gave me for them [...].“86 Nicht anders war es Joseph Crowe ergangen, der für die Berichterstattung auf der Krim zwar die beträchtliche Summe von 10 Pfund Sterling die Woche und Ersatz sämtlicher Auslagen bekommen hatte,87 aber dennoch allein von seiner Korrespondententätigkeit nicht leben konnte. Eine weitere Einkommensquelle für Spezialartisten waren deshalb öffentliche Vorträge über Kriegsereignisse, deren Augenzeugen sie gewesen waren. Wiederum dienten die von heldenhafter Hand angefertigten Zeichnungen in Form von vergrößerten Diapositiven zur Veranschaulichung, wobei die Auftraggeber auch dies für sich zu nutzen wussten, indem sie nicht nur als Veranstalter auftraten, sondern selbst die Vorträge über den Krieg zu wichtigen Themen der Berichterstattung machten. Die „Specials“ verliehen den begehrten Veranstaltungen, zu denen nicht selten Vertreter des Adels und der politischen Elite erschienen, die Aura des authentischen Kriegserlebnisses. Von einem solchen Vortrag Melton Priors über die Schlacht bei Tel-el-Kebir während des Aufstandes in Ägypten (1882) berichtete die Illustrated London News in einem umfangreichen Artikel nebst Illustration und versicherte ihren Lesern, die vom „Special“ verwendeten Diapositive seien vergrößerte Aufnahmen der unter Feuer entstanden Skizzen, welche das Publikum in die Wirklichkeit des Krieges versetzen würden: „These were clearly thrown on the screen and each tableau was so bold and effective as to lend force to the illustration that Mr. Prior was describing the stirring events as they happened before the spectators.“88 Eine weitere Voraussetzung für den ins Heldenhafte überhöhten Mythos vom Spezialzeichner lag in der sozialen Herkunft der meisten Berufsvertreter, die Ute Daniel zufolge von erheblicher Bedeutung für die „Ausgestaltung ihrer Imago“ gewesen sei.89 Laut Daniel stammten die britischen Kriegsberichterstatter zumeist aus der Oberschicht oder oberen Mittelschicht und verkehrten entsprechend in Kreisen gleichgestellter sozialer Gruppen wie der Offiziere, mit denen sie gemeinsame „Männlichkeitsvorstellungen und Ehrenkodizes“90 teilten. Ein ähnliches soziales

86 Simpson 1855/1856, S. 81. 87 Sir Joseph Crowe: Lebenserinnerungen eines Journalisten, Staatsmannes und Kunstforschers. 1825– 1860, Berlin 1897, S. 92. 88 Zit. n. Hodgson 1977, S. 117. Siehe ebenda die dazugehörige Illustration, die am 3. März 1883 publiziert wurde. 89 Daniel 2006a, S. 13. 90 Ebenda, S. 17.

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Umfeld darf auch für ihre ausländischen Kollegen vorausgesetzt werden, zumal es auch Offiziere gab, die sich gleichzeitig als Spezialartisten betätigten. Die soziale und berufliche Nähe bzw. gelegentliche Überlappung von Militärs und Berichterstatter – so Daniel weiter – führte zu einer ausgesprochen affirmativen Haltung Letzterer gegenüber dem Krieg, der in der Öffentlichkeit des 19. Jahrhunderts auch deshalb keineswegs kritisch betrachtet wurde.91 Vielmehr kolportierten Bildberichterstatter das kollektive Kriegsbild der Zeit, dem sie durch ihre Anwesenheit auf dem Schlachtfeld die Aura des Dabeigewesenseins verliehen und das schmutzige Geschäft des Krieges gleichsam adelten. Die aus sozialgeschichtlicher Sicht nachvollziehbare Argumentation Daniels unterscheidet allerdings nicht zwischen schreibenden und zeichnenden Korrespondenten, deren gesellschaftliche Herkunft durchaus eine gewichtige Rolle für die Ausgestaltung des Berufsmythos gespielt haben mag. Gerade für Bildberichterstatter scheint die soziale Zugehörigkeit jedoch nicht allein die entscheidende gewesen zu sein. Der Grund für die Selbststilisierung zum Helden lag darüber hinaus in der unzureichenden künstlerischen Befähigung der meisten Spezialartisten, die – auch wenn nicht immer Autodidakten wie etwa Frank Hamilton Taylor oder William Simpson92 – lediglich über durchschnittliche künstlerische Qualitäten verfügten. Dieses wurde auch gar nicht von ihnen erwartet, denn selbst die wenigen hervorragenden Zeichner unter ihnen konnten aufgrund der Vorgaben der illustrierten Presse kaum durch künstlerische Eigenart oder schöpferische Ideen Popularität erlangen. Dem traditionellen Typus des vermeintlich realitätsfernen und eigennützigen Künstlergenies wurde folglich ein neuartiger Künstlertypus gegenübergestellt, der sich an der Wirklichkeit orientierte und sich für die Allgemeinheit aufopferte. Die eigenen schöpferischen Unzulänglichkeiten oder die von den Arbeitgebern vorgegebenen und auf Routine und Einheitlichkeit beruhenden Regeln wurden durch die von einer breiten Öffentlichkeit ebenfalls, wenn nicht gar besser angesehenen Eigenschaft des männlichen Mutes kompensiert. Über die künstlerische Mittelmäßigkeit der Mehrheit ihrer Angestellten scheinen sich die Arbeitgeber nicht nur bewusst gewesen zu sein, sondern sie versuchten sogar diese ins Positive zu wenden. So findet sich im Katalog zur oben erwähnten Ausstellung von Kriegszeichnungen für deren bescheidende Qualität folgende Erklärung: „A survey of these sketches convinces us that a newspaper with [...] inferior artists will turn out better and more faithful pictures than one whose artists are exellent [...].“93 Wieder einmal musste die im Pressebild angeblich aufgehobene Wahrheit als Argument für die Existenzberechtigung des Künstlerheros herhalten, den man gegen die Vertreter der negativ gesehenen „hohen“ Kunst auszuspielen suchte: „[…] our art has

91 Ebenda, S. 13. 92 Von den insgesamt fünfzehn bekanntesten Kriegskorrespondenten der englischen illustrierten Presse hatten lediglich drei eine akademische Künstlerausbildung: Sydney Prior Hall (1842–1922, The Graphic), Johann Nepomuk Schönberg (Le Monde Illustré, Illustrated London News), Frederic Villiers (The Graphic). 93 Zit. n. Hodgson 1977, S. 16.



Das ,richtige‘ und ,gute‘ Bild

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not been tinctured by the old fashioned classicality which indulged in many fanciful flights, departed from truth wherever such a step was deemed convenient, and shrunk from accuracy wherever a feature presented itself of a character that might be thought too homely or uncomely“.94 Gemeint war hier die akademische Historienmalerei, von der man das Ereignisbild der bürgerlichen Presse zu emanzipieren suchte, auch wenn die Scheidelinie zwischen der bisweilen „schlichten“ und „unschönen“ Wahrheit des Pressebildes und den Fantasieausflügen der Historienmaler nur eine Konstruktion für die Zwecke der illustrierten Zeitungsindustrie gewesen war. Im Dienste eben dieser Trennlinie standen die Spezialzeichner, deren Rolle lediglich darauf beschränkt blieb, sie stets von neuem zu legitimieren. Die exponierte Stellung des Spezialartisten erscheint vor diesem Hintergrund umso paradoxer, als der Beruf eine geradezu marginale Bedeutung sowohl für die eigentliche Bildherstellungspraxis als auch innerhalb der hierarchischen Struktur der illustrierten Presse hatte, welche bestenfalls auf die rhetorische Beglaubigung der ‚Wahrheit‘ des publizierten Bildes beschränkt blieb.

Das ‚richtige‘ und ‚gute‘ Bild Die eigentlichen Autoren von Presseillustrationen waren die Zeichner bzw. Entwurfszeichner am Redaktionsort sowie die Holzzeichner. Dafür sprechen zum einen die Bildsignaturen, die nur selten den Namen des Spezialzeichners nennen, sondern hauptsächlich den Zeichner in der Redaktion oder das Holzstecheratelier.95 Die Urheberrolle des Entwurfs- und Holzzeichners wird zum anderen vor allem an deren Aufgabe deutlich, die Originalskizze des Spezialartisten – wenn eine solche überhaupt vorhanden war – für die Übertragung auf den Druckstock umzuzeichnen bzw. für die Ausführung vom Holzstecher oder von mehreren Holzstechern praktikabel zu gestalten, und, darüber hinaus, die Presseillustration selbstständig zu entwerfen.96 Die Illustrirte Zeitung erläutert dazu: „Ist die Originalzeichnung aber mangelhaft oder als bloße Skizze zu unveränderter Uebertragung auf Holz“ nicht geeignet, so wurde sie „auf Papier zu einem richtigen und guten Bilde umgezeichnet“97. Ähnlich argumentiert Mason Jackson: „Sometimes the sketch to be dealt with is [...] so hastily or indifferently 94 Zit. n. ebenda, S. 18, erschienen in: The Graphic, 18. Februar 1871. 95 Die französische Le Monde Illustré macht hierin eine Ausnahme, dort finden sich in den Bildunterschriften stets die Namen aller an der Bildentstehung beteiligten Künstler oder zumindest des Spezial- und Entwurfszeichners. In der russischen illustrierten Presse werden in der Bildunterschrift zwar ebenfalls gelegentlich die Namen aller beteiligten Künstler genannt, doch sind die Namen der Spezialzeichner auch hier nur sporadisch zu finden. Die Holzstiche selbst enthalten indes lediglich die Signaturen der Entwurfszeichner oder Holzstecher. Zu den Signaturen der deutschen Holzstecherwerkstätten siehe Hanebutt-Benz 1984, Sp. 874 f. 96 So beschäftigte etwa The Graphic den Zeichner Sydney P. Hall für die Berichterstattung aus dem Deutsch-Französischen Krieg, der die Stiche am Redaktionsort entwarf. Siehe dazu Hodgson 1977, S. 16. 97 „Nummer Tausend“, S. 146 (Herv. d. Verf.).

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done that it has to be remodelled or rearranged in drawing it on the wood.“98 Aus den angeführten Stellen, denen sich viele ähnliche hinzufügen ließen, wird deutlich, dass die für die eigentliche Bildgestaltung Verantwortlichen die Zeichner am Redaktionsort waren. Was aber bedeutete das Umzeichnen zu einem „richtigen“ und „guten“ Bild, zudem von einem oder mehreren weiteren Künstlern, und welche Auswirkungen hatte dies auf das Pressebild? Diese Frage soll am Beispiel der Korrespondenten-Skizze von Sedan beantwortet werden, um parallel dazu die geringfügige Bedeutung des Spezialartisten, mithin des Augenzeugen für das publizierte Endprodukt gegenüber der des Entwurfs- oder Holzzeichners zu demonstrieren sowie auf das Kernproblem der Transformation und Standardisierung sowohl der Bildform als auch ihrer Botschaft überzuleiten. Nach der Schlacht von Sedan, die für den Verlauf des Deutsch-Französischen Krieges entscheidend war, zog sich die französische Armee am 1. September 1870 nach erbitterten Kämpfen in die alte Festung der Stadt zurück und kapitulierte kurz darauf. Unter dem Eindruck der Ereignisse an eben diesem 1. September ist die hier behandelte Skizze entstanden (Abb. 13). Der größte Teil des Blattes wird vom Himmel und einem Wassergraben eingenommen, die je durch unterschiedlich gestaltete Schraffuren angedeutet sind, wobei der Wassergraben zusätzlich durch eine Notiz in der rechten unteren Bildecke mit dem französischen „Eau“ ausgewiesen und unmittelbar darunter als „La Meuse“ für den Canal de la Meuse (Maas-Kanal) konkretisiert wird, während der Himmel durch zahlreiche handschriftliche Informationen überlagert wird. Zwischen Himmel und Wasser erstreckt sich ein Schutzwall, der ebenfalls durch eine erläuternde Notiz als „fortifications“ gekennzeichnet ist. Die Befestigung wird am linken Bildrand durch das Stadttor von Sedan begrenzt, das zugleich als die Komposition abschließendes Motiv fungiert und somit eine sekundäre Bedeutung für die Bildaussage erhält, ebenso wie die beiden auf dem Architrav des Tores positionierten Figuren zweier Militärs, die jeweils eine Fahne schwingen und eine Trompete blasen. Was den Spezialartisten hier vordergründig interessierte, war das unter Beschuss stehende Gelände, welches fast das gesamte Bild einnimmt und so als Hauptsujet lesbar ist. Hierfür sprechen auch die zahlreichen, leicht gebogenen Striche, die vor allem im oberen Bereich des Blattes zu sehen sind und die die Richtung sowie die Heftigkeit des Beschusses wiedergeben sowie die zahlreichen Einschusslöcher, die durch kleinere und größere schwarze Flecken mit unregelmäßiger Form angedeutet sind. Wie Mason Jackson versichert, der die Skizze erstmals publiziert hat, soll es sich hierbei um eine Arbeit handeln, die während des Beschusses von Sedan entstanden sei.99 Und tatsächlich gelang es dem Autor, höchstwahrscheinlich Jules Pelcoq100,

98 Jackson 1885, S. 317 (Herv. d. Verf.). 99 Ebenda, S. 320. 100 Von den insgesamt drei aus Frankreich berichtenden Kriegskorrespondenten der Illustrated London News kommt Jules Pelcoq als der wahrscheinlichste Autor der Skizze in Frage, da William Simpson sich bis zum 4. September in Paris befand und erst am 5. September in Sedan eintraf. Siehe Simpson



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diesen Eindruck zu vermitteln, auch wenn man aufgrund des bisher Gesagten zu Recht bezweifeln darf, dass die Zeichnung inmitten der Kriegshandlungen angefertigt worden ist. Vielmehr lässt sich der Spezialartist als Augenzeuge aus sicherer Distanz identifizieren, der erst im nachhinein zwei aufeinanderfolgende Schlüsselereignisse – den heftigen Beschuss des Geländes und die daraufhin folgende Hissung der weißen Fahne – nebeneinander in einem Bild festgehalten hat. Etwas mehr als zwei Wochen nach ihrer Anfertigung fand die Skizze Verwendung in der Illustrated London News und diente als Vorlage für das Titelbild der Ausgabe vom 17. September 1870 (Abb. 14). Diese zeigt laut Textkommentar den eine Fahne haltenden französischen General Lauriston, begleitet von einem Trompeter, „who sounds a note of parley“ um halb fünf am Nachmittag.101 Trotz der Niederlage demonstriert der die weiße Fahne schwenkende General seine stolze Haltung durch den ernsten Blick und die würdevolle Körperhaltung. Die forcierte Untersicht auf die Figuren und der von Rauchwolken und Flammen beherrschte Hintergrund dienen der Steigerung der Dramatik, die in der Trompete ihre suggestiv akustische Entsprechung findet. Doch was ist von der Originalzeichnung bzw. ihrem ‚Wahrheitsgehalt‘ im publizierten Bild übrig geblieben und welche Transformation hat das Bild und damit auch seine Aussage dabei erfahren? Der Vergleich zwischen Vorlage und dem daraus entstandenen „richtigen“ und „guten“ Bild macht deutlich, dass die für den Spezialartisten primäre Information des unter heftigem Beschuss stehenden Geländes vor den Toren der Stadt in der publizierten Endfassung zugunsten der sekundären Information des Hissens der weißen Fahne aufgegeben worden ist. Während die Aufmerksamkeit des Spezialartisten der eigentlichen Kampfhandlung galt, sparte der Zeichner der publizierten Fassung diese gänzlich aus, um die freilich respektvolle Niederlage der Franzosen aus ihrer Abseitsposition in der Skizze ins Zentrum des gedruckten Pressebildes zu rücken. Diese motivische Rochade erforderte jedoch zugleich eine Reihe von Ergänzungen, die zum einen Erfindungsgabe, zum anderen Referenzmaterial vonnöten machten, insofern die lediglich mit wenigen Strichen angedeutete Figurengruppe auf der Skizze nun für den Stich so nah herangezoomt wurde, dass sie mit einer Reihe von 1855/1856, S. 241 ff. Zudem arbeitete Simpson fast ausschließlich in Aquarell, eine Arbeitstechnik, die er noch vom Lithografiebetrieb seiner Vorzeitungszeit bevorzugte, so dass die mit expressiven Linien ausgeführte Federzeichnung kaum von ihm sein könnte. Wie üblich erwähnt der die später publizierte Illustration begleitende Text zwar nicht die Namen der Kriegskorrespondenten, aber doch deren Anzahl, nämlich drei, darunter auch einen Franzosen, der das Geschehen beobachtet haben soll: „Illustrations of the War“, in: The Illustrated London News 37, Nr. 1613, 17. September 1870, S. 307–308, hier S. 307. Auch die in der Zeichnung verwendete französische Sprache spricht für einen französischen Künstler, obschon Simpson nachweislich des Französischen mächtig war, doch als Special einer englischen Zeitung hätte er Englisch schreiben müssen. Dennoch, entscheidend für die Zuschreibung der Skizze ist die Handschrift – Simpsons Zeichnungen, aber auch ein Faksimile seines Biografie-Manuskriptes zeugen von seiner nach links geneigten Schrift. Siehe die beiden Abb. nach S. 140 bei Simpson 1855/1856, während auf unserer Zeichnung die Schrift eine deutliche Rechtsneigung aufweist. 101 „Illustrations of the War“ 1870, S. 308.

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Details wie Gesichtszügen, Uniformen, Waffen und Instrumenten nach dem Ermessen des Zeichners ausgestattet werden musste. Die gewissermaßen sachliche Schilderung zweier aufeinander folgender Ereignisse der Skizze wurde in eine pathetisch anmutende Allegorie der würdevollen Niederlage des Stichs überführt. Diese Inkongruenz zwischen ‚authentischer‘ Skizze und ‚richtigem‘ Bild ist vermehrt seit den 1860er Jahren zu beobachten und entsprach seitdem der Regel in der Praxis der Bildherstellung in der illustrierten Presse.102 Zuvor, namentlich in der Zeit des Krimkriegs, ist noch eine weitgehende Übereinstimmung von Originalvorlage und gedruckter Illustration zu beobachten. Dies ist zum einen auf die verhältnismäßig geringe Anzahl an Illustrationen zurückzuführen, aufgrund dessen genügend Zeit für die genaue Übersetzung von Zeichnungen in das zu druckende Medium zur Verfügung stand. Zum anderen haben die für die Bildredakteure und Zeichner noch weitgehend unbekannten Regionen wie etwa die Krim mit ihrer Landschaft, Architektur und Bevölkerung für eine konsequentere Befolgung der visuellen Originalinformationen gesorgt, um den Objektivitätsanspruch der Herausgeber so weit wie möglich einlösen zu können. Vor allem detailliert ausgearbeitete Zeichnungen, etwa in Form von Aquarellen, wurden mehr oder minder unverändert in Holzstiche überführt. Dies zeigt der Vergleich von Joseph Archer Crowes und William Simpsons erhaltenen Aquarellen als Vorlagen mit den danach in der Illustrated London News publizierten Illustrationen. Skizzen dagegen unterlagen schon in den Anfängen der illustrierten Presse offenbar einer bedeutenden Umarbeitung und Interpretation seitens des Bildredakteurs bzw. des Holzzeichners. Erst mit der voranschreitenden Erschließung von bis dahin noch weitgehend unbekannten (Kriegs-)Regionen und Völkern und der damit einhergehenden Anhäufung von visuellem Informations- bzw. Referenzmaterial in den Redaktionsarchiven konnten nun allmählich auch nie am Ereignisort gewesene Zeichner in das Bildmaterial nicht nur redaktionell eingreifen,103 sondern es zuweilen nach eigenem Gutdünken gestalten oder sogar ohne das Vorhandensein einer Originalskizze entwerfen. Inwiefern diese grundlegenden Eingriffe in das sogenannte Original oder die eigenständigen Bildfindungen von den Zeitgenossen, zumal von den an der Produktion beteiligten Akteuren thematisiert bzw. kritisch gesehen wurden, lässt sich nicht eindeutig bestimmen, da die Quellen ein widersprüchliches Bild liefern, das von der jeweiligen Berufsperspektive geprägt ist. Während der Spezialartist H. Scherenberg äußerst enttäuscht vom Endprodukt seiner Arbeit ist, wenn „sein Auge sieht, was er gewollt und was der Holzschneider daraus gemacht hat“ und den Holzzeichner so-

102 Vgl. etwa die vom prominenten Spezialzeichner Frank Vizetelly stammenden Reportageskizzen aus dem Zeitraum zwischen 1861–1865, die in ihrer publizierten Variante in der Regel vom Original abwichen: Repository: Houghton Library, Harvard College Library, Harvard University, Location: pf; Call No.: MS Am 1585; Frank Vizetelly, 1830–1883; Drawings, 1861–1865 and undated. 103 Laut Hodgson 1977, S. 19, haben die in der Redaktion beschäftigen Zeichner oder Künstler Vorlagenbücher, Drucke oder Fotos benutzt, die ihnen halfen, die vom Spezialartisten in den meisten Fällen ausgelassenen Details „richtig“ auszuführen.



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gar als Feind des Spezialzeichners bezeichnet,104 erläutert der Bildredakteur Mason Jackson im Hinblick auf die hier verglichenen Vorlage und Pressebild: „The cream or heart of the sketch, representing an officer waving a white flag over the gate of Sedan attended by a trumpeter, was taken for the subject, while the comparatively unimportant part of the sketch was left out.“105 Und weiter: „[This] will show the reader the way in which hurried sketches are sometimes adapted to the purposes of a newspaper without at all impairing their original truth.“106 Unterschiedlicher könnten die Urteile über das „gute“ und „richtige“ Bild kaum ausfallen. Doch verdeutlicht gerade die Differenz in den angeführten Aussagen von Spezialartist und Bildredakteur, dass die Frage nach der Unmittelbarkeit und Objektivität des Pressebildes für die Zeitgenossen ebenfalls von Relevanz gewesen, also keinesfalls ahistorisch ist, wie Frank Becker vermutet hat,107 zumal an der Bildentstehung noch weitere Künstler bzw. Handwerker in bildbestimmendem Maße beteiligt und vor allem für das abschließende technische Prozedere verantwortlich waren.

Das optimierte Bild Konstitutiv für die Bildform bzw. Bildstruktur und damit auch für die Botschaft der publikationsreifen Illustration war der bisweilen langwierige, in unterschiedlichen Umarbeitungsphasen fragmentierte technische Herstellungsprozess zwischen Augenzeugenskizze und publiziertem Bild. Obschon das technische Verfahren der Xylografie immer wieder eingehend behandelt wurde, scheint noch keine der einschlägigen Studien auf diesen Zusammenhang aufmerksam geworden zu sein. Deshalb soll nun neben der Beschreibung des Herstellungsprozesses detaillierter auf die bisweilen dialektische Beziehung zwischen technischem Verfahren und ästhetischer Struktur des Pressebildes eingegangen werden, die ganz wesentlich den Charakter der illustrierten Presse des 19. Jahrhunderts bestimmt hat. Nicht nur die Spezialartisten, auch die Zeichner am Publikationsort waren auf die jeweiligen Darstellungsgegenstände wie Architektur, Landschaft, Figürliches usw. spezialisiert.108 Für letztere Berufsgruppe finden sich verschiedene Bezeichnungen wie Zeichner oder, etwas spezifischer, Entwurfszeichner sowie Holzzeichner, deren Aufgabe darin bestand, vorhandene Originalzeichnungen umzuzeichnen, sie auf den Holzstock zu übertragen oder auch eigene Zeichnungen anzufertigen. Für die Übertragung der vom Verleger oder Bildredakteur für den Druck freigegebenen Zeichnung

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Scherenberg 1861, S. 246. Jackson 1885, S. 320 (Herv. d. Verf.). Ebenda (Herv. d. Verf.). Becker 2006, S. 73 und Anm. 37. Vgl. etwa „Nummer Tausend“, S. 146, sowie Hanebutt-Benz 1984, Sp. 869 f., wo die Namen der für die Illustrirte Zeitung tätigen spezialisierten Zeichner genannt werden. Der Autorin zufolge hat diese Einteilung in den 1850er Jahren eingesetzt.

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auf den Druckstock wurde das Format der Skizze in das zu stechende bzw. zu druckende Format der Illustration überführt bzw. je nach Bedarf vergrößert oder verkleinert. Der so veränderte Entwurf wurde sodann mit Bleistift gepaust, die Pause wurde seitenverkehrt auf eine zumeist weißgrundierte Buchsbaumplatte109 oder Platte aus anderem hartem Holz übertragen, damit die Zeichnung beim Druck seitenrichtig erschien. Zu diesem Arbeitsschritt findet sich in der Illustrirten Zeitung die Erläuterung, dass beim Übertragen auf den Druckstock nur die Konturen der Zeichnung gepaust wurden, weshalb hiernach der Holzzeichner notwendig gewesen sei.110 Es bleibt allerdings unklar, ob es sich beim Entwurfs-, Übertragungs- und Holzzeichner um dieselbe Person bzw. denselben Beruf gehandelt hat oder, ob es unterschiedliche Tätigkeiten waren, die separat voneinander zu behandeln wären. So unterscheidet Eva-Maria Hanebutt-Benz zwischen dem Illustrator, identisch mit dem Entwurfszeichner, und dem Holzzeichner.111 Unverkennbar ist jedoch, dass während beim Entwurfszeichnen eine verhältnismäßig kreative Formgestaltung möglich gewesen war, die Übertragung des Entwurfs auf den Druckstock eine eher handwerklich routinierte Genauigkeit erfordert hat. Nach dem Pausen lag die ganze Ausführung der Zeichnung innerhalb der Umrisse – so der Bericht der Illustrirten Zeitung weiter – in der Hand des Holzzeichners, wobei seine beiden Hauptaufgaben darin bestanden, das Bild in der „vollen malerischen Wirkung widerzugeben“, es aber zugleich für den Holzschnitt „praktisch zu machen“, also die einzelnen Elemente wie etwa Licht und Schatten so auszuführen, dass sie auch schneidbar waren.112 Nicht anders erklärt Mason Jackson die Aufgaben des Holzzeichners, um zugleich auf dessen gewichtige Rolle als Bildgestalter – wenn auch nur beiläufig – zu verweisen: „Faulty or objectionable portions have to be left out or subdued, and perhaps a point in the sketch that is quite subordinate, is brought forward and made to form a prominent part of the picture. All this has to be done without doing violence to the general truth of the representation, and with due consideration for the particular conditions of the moment, such as the amount of finish and distribution of light and shade suitable for rapid engraving and printing.“113 Zudem erfahren wir aus dem Bericht der Illustrirten Zeitung, dass während alle bisherigen Arbeitsschritte rein „mechanische“ Tätigkeiten gewesen seien, womit wohl kaum das 109 Genauere Informationen über das industrialisierte Anbauen von Buchsbaum, den Handel damit sowie die Herstellung der Platten, jener aus den wachsenden Bedürfnissen der illustrierten Presse hervorgebrachte Wirtschaftszweig, finden sich bei Jackson 1885, S. 315 f. Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist, dass die weltweit größten Anbaugebiete von Buchsbaum sich auf dem Territorium des Osmanischen Reichs befanden. 110 „Nummer Tausend“, S. 146. 111 Der Illustrator hat außerhalb des xylografischen Ateliers, wohl auf freiberuflicher Basis gearbeitet, während der Holzzeichner zum festangestellten Personal eines Ateliers gehörte, so Hanebutt-Benz 1984, Sp. 870. Der für den englischen The Graphic tätige Zeichner Sydney P. Hall war indes festangestellt bei der Zeitungsredaktion, so Hodgson 1977, S. 16. 112 „Nummer Tausend“, S. 146. 113 Jackson 1885, S. 317–318.



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Entwurfszeichnen, eher das Pausen gemeint sein dürfte, mit dem Holzzeichner der eigentliche künstlerische Prozess eingesetzt habe.114 Ganz anders jedoch dürfte die Praxis ausgesehen haben, wie Eva-Maria HanebuttBenz in ihrer Untersuchung des deutschen Beispiels aufzeigen konnte. Gerade der Mangel an künstlerischer Begabung habe den Holzzeichner zu seinem Beruf überhaupt erst befähigt: „Voraussetzung für die Eignung von Graphikern für die Zeitschriftenillustration war die Fähigkeit zu möglichst naturgetreuer Wiedergabe bei gleichzeitigem Mangel einer ausgeprägten persönlichen Handschrift. Zwar hatten viele der Zeichner renommierter Zeitschriften, zu denen die Illustrirte Zeitung zweifelsohne gehört, einen ausgezeichneten Ruf. Als Graphiker von wirklicher künstlerischer Bedeutung, mit einem unverwechselbaren eigenen Stil wären sie jedoch in der Presseillustration fehl am Platz gewesen.“115 Dennoch spielten die Holzstecher innerhalb der Bildherstellung eine Schlüsselrolle: „A survey of these sketches convinces us that a newspaper with good engravers and inferior artists will turn out better and more faithful pictures than one whose artists are exellent, but whose engravers can only copy what is before them. The engraver who works from field drawings must complete them as he goes.“116 Bis auf die – im Übrigen sehr selten gedruckten – kleinsten Formate, die zwischen sechs und zehn Zentimeter je Breite bzw. Höhe variieren, wurden alle anderen Formate, namentlich viertel, halbe, ganze und doppelte Seiten nach ihrer Übertragung auf den Holzstock in gleichgroße Teile zersägt,117 um von mehreren Xylografen gleichzeitig gestochen zu werden.118 Die gleichzeitige Ausarbeitung der einzelnen Teile hatte zum einen den Vorteil, dass der Druckstock verhältnismäßig schnell für den Druck eingesetzt und damit auch der Anspruch auf Aktualität mehr oder weniger erfüllt werden konnte. Zum anderen lag der Grund für die separate Ausarbeitung der einzelnen Platten in der Spezialisierung der Holzschneider auf bestimmte Darstellungen, die genauso wie die Spezialzeichner und Holzzeichner ebenfalls auf die handwerkliche Ausführung bestimmter Gegenstände spezialisiert waren. So gab es Holzstecher, die mit der Ausarbeitung menschlicher Figuren betraut waren, während andere mit der Ausarbeitung etwa von Architektur, Pflanzen, Wasser oder Himmel beschäftigt waren.119 Allein für die Illustrirte Zeitung arbeiteten um 1860 etwa fünfzig Holzstecher, welche die „verschiedenen Richtungen der Xylographie“ vertraten,120 das heißt auf die xylografische Ausarbeitung verschiedener Gegenstände spezialisiert waren.

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„Nummer Tausend“, S. 146. Hanebutt-Benz 1984, Sp. 870. Zit. n. Hodgson 1977, S. 16. Je nach Größe der zu reproduzierenden Zeichnung wurde ein Holzstock in vier Einzelplatten für eine viertel Seite bis zu vierundzwanzig Einzelplatten für eine Doppelseite zerlegt. 118 „Nummer Tausend“, S. 146; Jackson 1885, S. 320 f. 119 Siehe ebenda. 120 „Nummer Tausend“, S. 146.

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Somit erfuhr die Darstellung schon allein handwerklich eine Normierung, da bestimmte Ereignisse vom Spezialartisten, Entwurfs- und Holzzeichner und bestimmte Gegenstände vom Holzstecher stets nach einem routinierten Formen- bzw. Stilkanon ausgeführt wurden. Näheres über diese fließbandartig organisierte Bildherstellung geht aus den Erläuterungen bei Mason Jackson zum technischen Vorgang hervor. Zwar erklärt Jackson die Arbeitsteilung allein mit der drängenden Zeit, doch wird deutlich, dass eine beispielsweise aus Landschaft und Figuren bestehende Bildkomposition zwangsläufig von verschiedenen, auf die jeweiligen Gegenstände spezialisierten Xylografen ausgeführt werden musste: „[...] the figure-draughtsman sets to work on his division of the block, while another draughtsman is busied with the landscape or the architecture [...].“121 Gerade diese Arbeitsteilung führte jedoch unabwendbar zu bisweilen uneinheitlichen, ja patchworkartigen Ergebnissen. So beteuert Mason Jackson, dass trotz der gesparten Zeit, das Resultat nicht immer in ein erstklassiges Bild mündete. Zwei Beispiele seien hier aus seinem Buch stellvertretend zitiert: „For, supposing the subject to be a landscape with a good stretch of trees, the two or three engravers who have the trees to engrave have, perhaps, each a different method of rendering foliage; and when the whole is completed, and the different pieces are put together, the trees perhaps appear like a piece of patchwork, with a distinct edge to each man’s work. […] Or the block to be engraved may be a marine subject, with a stormy sea. In this case, like the landscape, two or three engravers may be employed upon the water, each of them having a different way of representing that element. Here it is even more difficult than in the landscape to blend the conflicting pieces of work […].“122 Um die erforderliche Einheitlichkeit, oder, wie es bei Jackson heißt, Harmonie der Darstellung zu gewährleisten, wurden deshalb noch vor der Zerlegung des Druckstocks an den Verbindungsstellen zwischen den einzelnen Platten Linien mit bestimmter Tiefe und Textur gestochen, die später als Orientierung für die einzelnen Stecher dienten.123 Nach der anschließenden Zusammenfügung der einzelnen Teile zu einem Druckstock wurde eine zweite, ‚harmonisierende‘ Retusche von einem leitenden Handwerker bzw. einem „superintending artist“124 vorgenommen, die das abgleichende Überblenden der unterschiedlichen Handschriften der Stecher gerade an den Anschlussnähten gewährleisten sollte. Eine Vorstellung von einem solchen zusammengefügten Druckstock vermittelt die bei Mason Jackson reproduzierte technische Zeichnung des Rückens eines sechsteiligen Druckstocks, der einer halbseitigen Abbildung in der Illustrated London News entspricht (Abb. 15). Trotz der beiden Retuschevorgänge jeweils im Vorfeld und im Anschluss der xylografischen Arbeiten blieben die Stoßkanten der einzeln gestochenen Partien in den meisten Fällen jedoch sichtbar. Ein Beispiel dafür liefert die ganz121 Jackson 1885, S. 320. 122 Ebenda, S. 321–322. 123 Ebenda, S. 321. 124 Ebenda.



Das optimierte Bild

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seitige Illustration einer irregulären osmanischen Einheit in der Illustrirten Zeitung nach der Originalskizze des Orientreisenden Felix Kanitz, auf die später noch ausführlicher einzugehen sein wird (Abb. 16). Der Druckstock mit den Maßen 31,5 × 24 cm ist in sechs einzelnen, jeweils 14,5 × 8,3 cm / 14,5 × 7,8 cm / 14,5 × 7,9 cm großen Platten gearbeitet, wobei die für ein Hochformat etwas ungewöhnliche, horizontal verlaufende Mittelachse des Druckstocks vor allem an der deutlichen Verschiebung bei der Zusammensetzung der einzelnen Teile zu erkennen ist (Abb. 17). Diese Verschiebung suchte man etwa durch Schatten suggerierende Schraffuren entlang der gesamten Stoßlinie zu kaschieren, am deutlichsten sichtbar in der Detailansicht des Kopfes der knienden Männerfigur rechts. Die gitterförmige Schraffur oberhalb und die parallelartige Schraffur unterhalb der Stoßkante im Zwischenraum zwischen dem Profil des mit Turban bedeckten Kopfs und des Gewandes der vor ihm stehenden Rückenfigur veranschaulichen die von Mason Jackson beschriebene Differenz in den Arbeitsweisen der verschiedenen Xylografen. Die ‚homogenisierende‘ Retusche ist im Bereich des Gesichts sowie des Ohrs der knienden Figur nicht zu übersehen. Doch auch bei besonders sorgfältig gearbeiteten Holzstichen wie der Titelillustration der französischen Niederlage bei Sedan ist der exakte quadratische Raster des für Titelbilder der Illustrated London News typischen neunteiligen Druckstocks deutlich zu erkennen (Abb. 18). Diese Beobachtungen zielen jedoch nicht auf eine Abwertung der ästhetischen Qualitäten des Pressebildes. Vielmehr sei auf die daraus unmittelbar resultierende und für die Bildfindung entscheidende Tatsache hingewiesen, dass die Position der einzelnen Bildgegenstände bisweilen exakt diesem technisch bedingten Raster folgt. So fallen im Titelbild die beiden unteren linken Platten des Holzstocks mit der Architektur zusammen, während beide Figuren innerhalb der zwei oberen mittleren und der linken mittleren Platten positioniert sind. Auf den restlichen Platten sind Himmel, Feuer und Rauch dargestellt. Diese offensichtliche Übereinstimmung von Bildeinteilung und Druckstockraster hatte zum Zweck, die Arbeitsteilung zu optimieren und damit die gleichzeitige Ausarbeitung der Teile zu gewährleisten. So müssen bei der Anfertigung dieser Illustration mindestens drei Handwerker am Werk gewesen sein: ein auf figürliche Darstellungen spezialisierter Xylograf für die beiden Personen, ein zweiter für die Architektur und ein dritter für den Hintergrund aus Wolken, Rauch und Flammen. Die Bildkomposition unterlag also im wesentlichen der Einteilung des Holzstockrasters und der technisch optimierte Herstellungsprozess bestimmte somit zweifelsohne die Bildstruktur. Der rein praktische Grund einer engspezialisierten und schnellen Fertigstellung der Illustration erweist sich als bestimmend für ihre strukturelle und damit ästhetische Anlage. Das Ergebnis ist ein für die industriellen Bedürfnisse der Massenpresse optimiertes Bild, welches den Eindruck von Unmittelbarkeit und Objektivität lediglich mittels der spezifischen Darstellungsweise suggeriert, jedoch durch diese Merkmale mitnichten als eigenständige Bildkategorie zu definieren ist. Mehr noch, der hier beschriebene technische Prozess des xylografischen Verfahrens lässt es berechtigt erscheinen, vom konstruierten Bild bzw. von der konstruierten Bildwirk-

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lichkeit nicht aus der abstrakten Perspektive eines konstruktivistischen Paradigmas, sondern aus einer ganz konkret praxisbezogenen Sicht zu sprechen.

Mehrwegbilder und das Problem der Aktualität „The first casualty when war comes, is truth.“ Senator Hiram Johnson, 1917125

Das Problem der Aktualität von Presseillustrationen des 19. Jahrhunderts wird in der Forschung kaum diskutiert. Dies ist wohl auf die Überzeugung zurückzuführen, dass dem historischen und dem heutigen Begriff von Aktualität jeweils unterschiedliche, dem technischen Fortschritt, der erhöhten Mobilität und den modernen Medien zu verdankende Zeitwahrnehmungen zu Grunde liegen, welche die Frage nach dem Aktualitätsgrad des historischen Pressebildes erübrigen würden. Geht man jedoch nicht von eventuell differierenden Zeitauffassungen, sondern von den Bildquellen selbst aus, so lohnt es sich, die Frage nach der Aktualität von Pressebildern aus dem 19. Jahrhundert zu stellen. Aus Sicht der Bilder liegt das Problem nicht in der Temporalität der visuellen Information, sondern in der gerade nicht zeitgebundenen Wiederverwendung von Illustrationen. Gemeint ist damit die gängige Praxis der mehrfachen Publikation desselben Bildes zu verschiedenen Zeiten und in unterschiedlichen Kontexten. Instruktive Beispiele hierfür finden sich zuhauf, zur Verdeutlichung der Problematik seien hier nur einige mit Balkanthematik vorgestellt. Am 6. Dezember 1862 berichtete die Illustrirte Zeitung unter dem Titel Der Bulgarenaufstand im Balkan über Unruhen im Osmanischen Reich. Zeitlich nicht näher bestimmt, heißt es im knappen Artikel, dass sich in diesem Jahr neben den serbischen und herzegowinischen Erhebungen auch Bulgaren erhoben hätten. Eine Schar junger Leute aus Tărnovo (heute Veliko Tărnovo in Bulgarien) habe unter dem Eindruck der Nachrichten über die Juni-Ereignisse in Belgrad die christlichen Dörfer an den Straßen über Gabrovo nach Kazanlăk zu „insurgieren“ versucht. Man vertrieb die irregulären Besatzungen der Wachposten und besetzte einige Engpässe. Da aber keine einheitliche Führung bestanden habe und niemand sich von den nördlichen Gebieten des Landes der Schar anschloss, hätten sich die Aufständischen zerstreut.126 Der Artikel wird mit zwei ganzseitigen Illustrationen bebildert – die eine, uns schon bekannte, zeigt einen der erwähnten Wachposten, die gegenüberliegende – eine Gruppe bulgarischer Aufständischer (Abb. 16). Beide Illustrationen sind laut Bildunterschrift nach Zeichnungen von Felix Kanitz entstanden und schon allein wegen ihres gleichen Formats, aber auch aufgrund der aufeinander bezogenen Kompositionen offensichtlich 125 Zit. n. Knightley 2004, S. XI. 126 „Der Bulgarenaufstand im Balkan“, in: Illustrirte Zeitung 39, Nr. 1014, 6. Dezember 1862, S. 407– 409.



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als Pendants speziell für die betreffende Ausgabe der Illustrirten Zeitung hergestellt. Als zwei gleichwertige und in sich abgeschlossene, jedoch zugleich aufeinander etwa durch Gesten und Richtung der Waffenläufe verweisende Figurengruppen konzipiert, sind die Kompositionen jeweils links auf eine horizontale, rechts auf eine vertikale Bildachse ausgerichtet, wodurch die Doppelseite ästhetisch ausbalanciert wirkt, ohne in elementare Symmetrie zu erstarren. Während im rechten Bild die Figurensilhouette um die vertikale Mittelachse wie aufgetürmt erscheint, sind die Figuren im linken Bild parallel zur horizontalen Achse registerartig angeordnet, so dass eine subtile Dynamik von der links ansetzenden Horizontale zur rechts stabilisierend wirkenden Vertikale den visuellen Gesamteindruck der Doppelseite bestimmt. Anhand dieser ästhetischen Merkmale lässt sich mit großer Wahrscheinlichkeit bestimmen, ob eine Illustration speziell für eine Ausgabe bzw. für einen Nachrichtenzusammenhang angefertigt worden ist, das betreffende Bild also als verhältnismäßig aktuell betrachtet werden kann. Um eine Wiederverwendung von Illustrationen zu verfolgen und deren Aktualität überprüfen zu können, bedarf es indes einer mitunter zeitaufwendig peniblen Durchsicht Dutzender Jahrgänge der einschlägigen Periodika, die aber auch nicht immer das gewünschte Resultat bringt, da anderweitige Verwendungen von Bildern nicht zwangsläufig in der Nachrichtenpresse, sondern auch in illustrierten Büchern erfolgen konnten und teilweise bis heute erfolgen. Dies ist auch bei den beiden Illustrationen der Fall, die dreizehn Jahre nach ihrer ersten Publikation in der Illustrirten Zeitung den ersten Band der Abhandlung von Felix Kanitz über Donau-Bulgarien und der Balkan127 illustrieren sollten (Abb. 19 und 21). Obwohl es sich bei der Illustrierung des Kanitzschen Buchs – wie bei ethnografischen Buchillustrationen üblich – weniger um aktuelle Bildinformationen als um visuelle Wissensvermittlung handelte, wird gerade an diesem Beispiel deutlich, dass Illustrationen nicht nur zeitlich, sondern auch kontextuell unterschiedlich verwendet werden konnten. Während in der ersten Publikation von 1862 die linke Illustration albanische Baschibozuks darzustellen vorgab (Abb. 16),128 wurde die gleiche Illustration im Buch von Kanitz von 1875 als „Türkische Karaul-Zapties“ betitelt (Abb. 19). Nicht nur die ethnische Zuordnung – einmal albanisch, einmal türkisch – variierte hier also, sondern auch die Bezeichnung der Tätigkeiten: im ersteren Fall handele es sich um ir127 Kanitz 1875, Taf. 1 und 4. Kanitz belieferte die Illustrirte Zeitung regelmäßig mit Artikeln und Zeichnungen, die während seiner Reisen auf dem Balkan entstanden sind, verwertete sie jedoch ebenfalls als Illustrationsmaterial für seine wissenschaftlichen Publikationen. 128 Der ursprüngliche Zusammenhang der Illustration wird aus dem dazugehörigen Kommentar von 1862 deutlich, der die Dargestellten als Albaner beschreibt, die einer der wildesten Stämme der Türkei seien und zu deren charakteristischen Eigenschaften die Lust an der Ungebundenheit, dem Krieg und der Beute gehört hätten. Man finde den albanischen Nachwuchs – so der Text weiter – vor allem in den irregulären Diensten der Baschibozuks in der ganzen Türkei zerstreut, aber vornehmlich in Bulgarien. Als solche hätten sie die Besatzungen der zahllosen Blockhäuser an den Straßen, Engpässen und Grenzen gebildet, um die Bevölkerung im Zaum zu halten und die oft unmenschlichen Forderungen der armenischen Steuerpächter zu unterstützen. Es gäbe wohl keinen pittoreskeren Anblick als den der auf ihren Pferden reitenden Albaner mit ihren reich verzierten Kleidern und Waffen: „Der Bulgarenaufstand im Balkan“, S. 407.

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reguläre Wachposten, während im letzteren die Dargestellten reguläre Ordnungskräfte seien. Das gleiche Bild erschien ebenfalls in der französischen L’Illustration unter dem verallgemeinernden Titel „Types de Bachi-Bouzoucks“ und bebilderte wiederum einen Artikel über den Serbisch-Osmanischen Krieg (1876). In diesem Fall fehlen jedoch jegliche Angaben zur Bildherkunft, zu den Bildautoren oder dessen Xylografen. Lediglich die Abbreviaturen innerhalb der Stichs lassen auf das Atelier von Smeeton Tilly schließen, das des öfteren für das französische Blatt tätig war.129 Diese Praxis der unterschiedlichen Zeit- und Kontextzuschreibung ein- und derselben Illustration blieb allerdings nicht auf das 19. Jahrhundert beschränkt, sondern setzt sich bis heute, bisweilen sogar augenfälliger fort. So wurde die Illustration der albanischen Wache bzw. der türkischen Soldaten 1988 in der wissenschaftlichen Biografie des Kriegsberichterstatters Januarius MacGahan als Darstellung eines anonymen Künstlers von jenen irregulären Banden der sogenannten Baschibozuks ausgewiesen, die 1876 ein Massaker an der Zivilbevölkerung des kleinen bulgarischen Dorfs Batak130 verübt haben sollen, über das MacGahan einen erschütternden Bericht hinterlassen hat (Abb. 20).131 So fand ein- und dieselbe Illustration mindestens drei unterschiedliche zeitliche und kontextuelle Verwendungen: Zunächst 1862 als aktuelle Presseillustration eines misslungenen Aufstands einiger Bulgaren im selben Jahr, dann 1875 als nicht zeitgebundene ethnografische Illustration einer wissenschaftlichen Abhandlung über die bulgarischen Provinzen des Osmanischen Reichs und schließlich 1988 als historischer Bildbeleg für die Täter des Massakers von Batak von 1876.132 Ein ähnliches Beispiel liefert das Pendant der Wachposten-Illustration mit dem ursprünglichen Titel „Hinterhalt aufständischer Bulgaren in einem Balkanpasse“ (Abb. 16), das den referierten Bericht von 1862 illustrierte. Wie schon erwähnt, diente auch dieses Bild 1875 als Illustration für das Kanitzsche Buch, allerdings nicht als ethnografische Abbildung wie ihr Pendant, sondern als historisches Bild von nicht konkret genannten Bauernaufständen in den bulgarischen Gebieten in den 1830er und

129 In: L’Illustration 34, Nr. 1742, 15. Juli 1876, S. 36. 130 Ausführlich zu den Ereignissen in Batak und deren visuelle Darstellung siehe Kapitel Fremde Künstler – Eigene Bilder. 131 Die Abbildung soll nach Dale L. Walker: Januarius MacGahan. The Life and Campaigns of an American War Correspondent, Athens, Ohio 1988, S. 173, aus dem um die Jahrhundertwende sehr populären illustrierten siebenbändigen Werk der prominentesten englischen Kriegsberichterstatter Archibald Forbes und George Alfred Henty: Battles of the Nineteenth Century, London 1896–1901, stammen, was sich nach eigenen Recherchen allerdings als Irrtum erwies. Walker muss das Bild der Cassellschen illustrierten Geschichte entnommen haben, wo sie unter dem gleichnamigen Titel „Group of Bashi-Bazonks“ publiziert wurde: Ollier 1878, Bd. 1, S. 30. 132 Das Bild wurde auch 1875 in der Illustrirten Zeitung abgedruckt im Zusammenhang mit der Besprechung des Kanitzschen Buchs von Richard Andree: Donau-Bulgarien und der Balkan, in: Illustrirte Zeitung 65, Nr. 1671, 10. Juli 1875, S. 28–30, Abb. auf S. 29. Offenbar wurde derselbe Holzstock sowohl für den Buch- als auch für den Zeitungsdruck benutzt, da beide Illustrationen nicht nur den gleichen Titel, sondern auch das gleiche Format von 12,8 × 19,8 cm aufweisen, weshalb keine kompositorischen Abweichungen zu beobachten sind.



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1840er Jahren, denen der Autor zwar nicht beigewohnt hatte, die er jedoch stilsicher als Aufständischenszene zu entwerfen wusste (Abb. 21). Denn tatsächlich erfüllte die Illustration im Buch keine illustrative, sondern vielmehr eine argumentative Funktion, insofern sie kontextuell ausgerechnet gegenüber jener Textstelle platziert wurde, die über ein wohl weit verbreitetes Vorurteil über die bulgarische Feigheit aufzuklären versucht – die „abfällige Beurtheilung des bulgarischen Volkscharakters [...] namentlich den Vorwurf grosser Feigheit“133. Dass dem nicht so war, sollte offensichtlich durch die Illustration glaubhaft gemacht werden. Ein Jahr später diente das Bild noch einmal als Illustration aktueller Ereignisse, diesmal im Jahr 1876 im bulgarischen Teil des Osmanischen Reichs in der Stuttgarter Illustrierten Ueber Land und Meer mit dem Titel „Aufständische Bulgaren im Balkan“ mit der sonst seltenen Provenienzangabe und Nennung des Autors (Abb. 22), da die aktuelle Meldung in eine Besprechung des Kanitzschen Buchs über Donau-Bulgarien integriert war.134 Zugleich stand die Illustration aber auch für ein historisches Ereignis, worauf zwar nicht in der Bildunterschrift, dafür aber im Text hingewiesen wird – ein bulgarischer Aufstand in Niš im Jahr 1841. Aus dem Text wird zudem deutlich, dass die abgedruckte Illustration dem Buch entnommen worden ist, was sowohl von den gleichen Maßen als auch von fehlenden formalen Abweichungen bestätigt wird.135 Doch konnten dabei nicht nur die zeitlichen Zuschreibungen erheblich variieren, auch bildlich erfuhren die Illustrationen mal kleinere, mal größere Umgestaltungen. Wie der Vergleich zwischen den drei Varianten der Wachposten-Illustration wesentliche motivische und kompositorische Unterschiede erkennen lässt, so zeigt auch der Vergleich zwischen den Aufständischen-Illustrationen eine Reihe von Abweichungen, so beispielsweise in der unterschiedlichen Interpretation der Naturkulisse oder der Figuren wie etwa der linken, die einmal stehend, einmal kniend dargestellt ist. Wie problematisch die Auffassung der Presseillustration als aktuelles Ereignisbild ist, lässt sich an einer zweiten Art von Mehrwegbildern aufzeigen – die Verwendung von Werken der bildenden Kunst wie Gemälden oder Kunstgrafiken, die als Holzstiche reproduziert wurden, sodann jedoch nicht als Reproduktionen künstlerischer Werke, sondern als Bilder der aktuellen Berichterstattung ausgegeben wurden.136

133 Kanitz 1875, S. 26. 134 „Donau-Bulgarien und der Balkan“, in: Ueber Land und Meer 35, Nr. 20, 1876, S. 394–395. 135 Ebenda, S. 394. Das Format der Buchillustration (19,6 × 12,8 cm) ist geringfügig größer als das Format der Presseillustration (19,1 × 12,7 cm), was auf die Verwendung desselben Druckstocks hinweist, der wohl lediglich etwas beschnitten worden ist. Das gleiche Verfahren darf auch für die ein Jahr zuvor publizierte Illustration der Wachposten in der Illustrirten Zeitung vorausgesetzt werden. Vgl. Anm. 132. Das Bild von Kanitz diente 1878 ein weiteres Mal als Illustration des Aufstandes von 1876 unter dem Titel „Scene During the Bulgarian Insurrection“, in: Ollier 1878, Bd. 2, S. 526. 136 Eine weitere Art von Wiederverwendung von Illustrationen wird hier nicht näher behandelt, nämlich der zeit- und kontextgleiche Abdruck desselben Bildes in verschiedenen Medien. Gerade große Produzenten von Presseillustrationen wie die Illustrated London News oder die Illustrirte Zeitung betrieben einen regen Handel mit Druckstöcken, was an ihrer anderweitigen Verwendung bspw. in der russischen Vsemirnaja illustracija deutlich ablesbar ist.

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Die Herstellung der Presseillustration

Besonders eindrücklich sind die Beispiele aus dem Werk des tschechischen Malers Jaroslav Čermák, dessen Gemälde regelmäßig als angeblich aktuelle Bilder Eingang in den Illustrierten fanden. So publizierte die Illustrated London News 1874 im Zusammenhang mit einer kurzen Reportage über Unruhen in den serbischen und dalmatischen Provinzen des Osmanischen Reichs, die mit Verschleppungen von Frauen einhergegangen sein sollen, das 1868 entstandene Gemälde des Malers „Die Kriegsbeute“ (Taf. I), welches wiederum von einem Ereignis aus dem Jahr 1862 in der Herzegowina inspiriert gewesen war, als vermeintlich aktuelles Bild vom Schauplatz der Unruhen (Abb. 23). Zwar wurde im gleichnamigen Bericht The Captives137 in einem kurzen Satz beiläufig erwähnt, bei der Illustration handele es sich um ein kürzlich auf dem Pariser Salon zu sehendes Bild („picture“), doch wurde weder auf das für eine aktuelle Presseillustration ziemlich weit zurückliegende Entstehungsjahr 1868 noch auf die ursprüngliche Bestimmung bzw. das Medium des Bildes als künstlerisches Ölgemälde verwiesen. Betont wurde stattdessen die Herkunft des Künstlers als Einheimischer, obschon Čermák ein habsburgischer Tscheche war, um damit dessen angebliche Nähe zu den Ereignissen und somit seine angebliche Augenzeugenschaft als Garantie für die Objektivität der Illustration zu suggerieren. Dem Leser wurde zudem versichert, der Künstler habe sich für sein Bild von den aktuellen Ereignissen inspirieren lassen: „[...] the Turkish commanders have often punished a town or village by making slaves of a number of its young women. An incident of this distressing kind has employed the pencil of a native artist, M. Jaroslav Cermak, in his picture, ‚Le Butin de Guerre‘, lately exhibited at the Salon of Paris.“138 Es folgt schließlich eine emphatische Bildbeschreibung, die dem Dargestellten allerdings kaum entspricht und sich nur mit viel Mühe mit dem Bild in Einklang bringen lässt. Während die Illustration mit ihrer melancholischen Süßlichkeit einer romantisierenden Idylle gleicht, durch die keusche Demutshaltung der beiden gefesselten Frauen in der Bildmitte und die geradezu gutmütigen Blicke der sie flankierenden Männer evoziert, sucht der erläuternde Text, die im Grunde beschauliche Szene einerseits durch exotische Details, andererseits durch schreckenerregende Elemente sensationsfähig zu machen: „Here is a party of Christian girls, who have been taken captive in a war for the liberation of their country, now on their way to Adrianople, where they will be sold to the degrading servitude of their sex in some Turkish Pasha’s household. Two Albanian soldiers, appointed to guard this human booty of the ferocious campaign, indulge themselves with a whiff of tobacco at the halting place […]. The villanous looks of these two military ruffians, and the sorrowful attitude of their womanly prey, give much dramatic interest to the scene.“139 Aus einem ursprünglich als Gemälde mit historischer Thematik aus der jüngsten Geschichte der Herzegowina – konkret im Jahr

137 „The Captives“, in: The Illustrated London News 65, Nr. 1832, 17. Oktober 1874, S. 362. 138 Ebenda. 139 Ebenda.



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1862 – konzipierten Werk wurde sechs Jahre nach seiner Entstehung ein aktuelles Pressebild von den Unruhen in den serbischen Provinzen.140 Ein ähnliches Beispiel liefert die tschechische Illustrierte Světozor, die besonders oft Gemälde als Vorlagen für Illustrationen benutzte, so auch am 30. Juli 1875 im Zusammenhang mit einem aktuellen Bericht über den Aufstand in der Herzegowina, der in jenem Jahr im Mittelpunkt der Berichterstattung der gesamten europäischen illustrierten Presse stand. Auch hier beruht die Illustration auf einem Gemälde Jaroslav Čermáks, das vierzehn Jahre zuvor entstandenen ist und ursprünglich wohl den Titel „Entführung einer Herzegowinerin“ (Taf. V) getragen zu haben scheint und dessen Reproduktion zumindest Hinweise auf seinen Autor und die sonst unübliche Reproduktionstechnik der Fotoxylografie in der Bildunterschrift enthält. Laut Bildkommentar jedoch soll die Illustration eine historische Episode aus der „rauen Zeit der Verfolgung der Christen in Syrien 1860“ zeigen, welche wiederum den allegorisch anmutenden, mithin zeitlosen Titel „Türken töten das Christentum“ trägt (Abb. 24).141 Die abschließende Bildbeschreibung des der Illustration beigegebenen Textes, in dem ein weiter historischer Bogen von der byzantinischen Zeit über die osmanische Eroberung und die politische Lage der Christen in Nordafrika in den 1860er Jahren bis hin zu den aktuellen Ereignissen in der Herzegowina gespannt wird, versucht allerdings dem Leser/Betrachter keine rhetorische Aktualisierung oder – wie für die Illustrated London News beobachtet – Dramatisierung der Szene zu vermitteln, sondern entspricht geradezu wörtlich der Absicht, hier ein visuelles Exemplum allgegenwärtiger muslimischer Grausamkeit zu präsentieren: „Auf unserem Bild sehen wir wilde Türken, die ihre blutige Tat [...] bereits vollendet haben und in ihrem maßlosen Fanatismus eine gefesselte junge christliche Frau in die Gefangenschaft verschleppen, die [...] sich ihrem schlimmen Schicksal der abscheulichen Versklavung in einem muslimischen Harem hingeben wird.“142 Auch hier wird ein ursprünglich als ethnografi140 Čermáks Gemälde wurde zudem unter dem Titel „Le Butin de Guerre en Hérzegovine“ jeweils 1875 in der L’Univers Illustré sowie 1880 in der Le Monde Illustré veröffentlicht. 141 „Turci vrahové krěstanstva“, in: Světozor 9, Nr. 30, 30. Juli 1875, S. 367. Obgleich der im Artikel hergestellte Bezug zwischen dem Čermákschen Gemälde und dem Massaker von Damaskus 1860, bei dem mehrere Tausend maronitische Christen von Anhängern der islamischen Sekte der Drusen umgebracht worden sein sollen, nicht nachvollziehbar formuliert worden ist, so hat er doch die spätere Werkrezeption geprägt. Anders lässt sich der Titel „Episode of the Massacre in Syria“, den Edward Strahan dem sich bereits im amerikanischen Besitz befindenden Gemälde 1880 verliehen hat, nicht erklären. Siehe dazu: The Art Treasures of America; Being the Choicest Works of Art in the Public and Private Collections of North America, hrsg. v. Edward Strahan, Philadelphia 1880. Der Hinweis auf Strahans Werk bei İrvin Cemil Schick: Christian Maidens, Turkish Ravishers: The Sexualization of National Conflict in the Late Ottoman Period, in: Women in the Ottoman Balkans. Gender, Culture and History, hrsg. v. Amila Buturović und İrvin Cemil Schick, London u. a. 2007, S. 273–305, hier S. 299, Anm. 36. Näheres zur Problematik um die Betitelung des Gemäldes in Kapitel Die Konvertierbarkeit der Bildmotive. 142 Ebenda: „Na našem obraze vidíme turčínské divochy, kdy již dokonavše krvavé dílo bezuzdného fanatismu, poutají a do zajetí vlekou mladou ženu křestanskou, která jedině proto přežila záhubu celé rodiny, aby ještě horšímu osudu propadla v hnusném otroctví moslemínského haremu.“

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Die Herstellung der Presseillustration

sches Genrebild aus der Herzegowina konzipiertes Gemälde zur Illustration der tagespolitischen Presse umgenutzt, und wenngleich mit allegorischer Funktion bekommt es eine neue und ganz konkrete zeitliche und kontextuelle Zuschreibung – die Ereignisse in Syrien im Jahr 1860. Die angeführten Beispiele verdeutlichen, wie problematisch die von der illustrierten Presse beanspruchte Aktualität von Presseillustrationen ist. Zugleich legen sie die Mechanismen offen, welche offenbar mit viel Bedacht angewendet worden sind, um die Exklusivität des aktuellen Bildes beständig aufrecht erhalten zu können. Dabei handelte es sich im wesentlichen um das Vorenthalten von Angaben wie Entstehungsjahr und -anlass sowie Medium oder Provenienz. Stattdessen wurden durch die elementare Operation der Titel- oder Datierungsänderung die Darstellungen an das Darzustellende je nach Bedarf angepasst. Zwar gehörte die Praxis der mehrfach verwendeten und vom Kontext abgelösten Bilder nicht immer zur Regel, jedoch auch nicht zur Ausnahme, so dass die nicht nur von den Zeitgenossen postulierte, sondern auch von der Forschung a priori angenommene Aktualität von Pressebildern ebenso wie ihre Unmittelbarkeit kaum als konstitutive Merkmale der Bildgattung geltend gemacht werden können. Vielmehr gilt es, Pressebilder als eigenständige bildnerische Werke zu betrachten und stets unter der Berücksichtigung ihres jeweiligen individuellen Entstehungs- und Publikationskontextes zu analysieren. Die Unmittelbarkeit und die Aktualität von Pressbildern erweisen sich mithin als lediglich angestrebte, jedoch als kaum eingelöste Qualitäten des Pressebildes, welche erst im 20. Jahrhundert mit der zunehmenden Publikation von fotografischen Pressebildern – und auch hier unter großen Vorbehalten – überhaupt reklamiert werden konnten. Ihre hier untersuchten Vorläufer indes sollten bis in das erste Viertel des 20. Jahrhunderts hindurch immer noch an der Schwelle zwischen imaginierter und objektivierbarer Bildlichkeit verharren.

I I I . D i e vi su el l e Kl assi f i kation de s B a lk a ns

Neben der herstellungstechnisch bedingten Konstruktion des xylografischen Pressebildes war es die nicht weniger bedeutende und wohl deshalb in der kunsthistorischen Forschung hauptsächlich behandelte ästhetische Ebene der Konstruiertheit visualisierter historischer Wirklichkeit in der illustrierten Presse.1 Seit Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelte die visuelle Berichterstattung vom Balkan spezifische visuelle Strategien, die charakteristische Darstellungstypen und Ikonografien hervorbrachte. Historisch vollzog sich dieser Prozess im wesentlichen in drei Etappen, die an den ausgewerteten mehreren hundert Presseillustrationen mit Balkanthematik deutlich abzulesen sind. Berücksichtigt wurden Darstellungen der im europäischen Teil des Osmanischen Reichs lebenden Bevölkerung im untersuchten Zeitraum, ohne jedoch Illustrationen zur Hauptstadt Istanbul mit einzuschließen, die wegen ihrer Fülle den hier behandelten Rahmen sprengen würden, mithin als eigenständiges Genre zu betrachten wären. Die ausgewerteten Illustrationen sind im Zeitraum zwischen 1853 – dem Beginn des Krimkriegs – und 1878 – dem Ende des letzten Russisch-Osmanischen Kriegs – in der einschlägigen englischen, deutschen, französischen, russischen und tschechischen illustrierten Presse erschienen.2 Der Schwerpunkt liegt auf Bulgariendarstellungen der 1870er Jahre, als die Bildberichterstattung von der Region ihre vorläufige Kulmination erreichte. Von den handwerklichen und stilistischen Unterschieden einmal abgesehen lassen sich je nach nachrichtenpolitischem und ideologischem Interesse des jeweiligen Verlegers bzw. Landes gewisse ikonografische Differenzen in der Darstellung der Balkanvölker sowie in den thematischen Schwerpunkten in der Berichterstattung beobachten. Doch hat die illustrierte Presse bestimmte Darstellungstypen hervorgebracht, die als spezifische Bildfindungen der behandelten Zeitspanne betrachtet werden können, so dass weniger die Unterschiede als vielmehr die Gemeinsamkeiten der Illustrationen vom Balkan in der europäischen illustrierten Presse in den Mittelpunkt rücken. Mithin geht es um die Beschreibung und Analyse eines länder- und ideologieübergreifenden Bildtypus‘ – des Balkan- bzw. Bulgarienbildes der illustrierten Presse des 19. Jahrhunderts – und dessen spezifischer ästhetischer Merkmale. 1 Vgl. etwa die ikonografische Studie von Weber 1988 zu Katastrophenbildern in der Illustrirten Zeitung, die Analyse der Bildstrategien der italienischen illustrierten Presse von Zimmermann 2006 oder die Überlegungen zur russischen illustrierten Presse und besonders zu den russischen Volksbildern, den lubki, von Norris 2006. 2 Da die gesamten Jahrgänge des jeweiligen illustrierten Periodikums nicht durchgehend zugänglich sind, kann hier kein Anspruch auf absolute Vollständigkeit erhoben werden, wenngleich die Ergebnisse der Analyse als repräsentativ betrachtet werden können, da es sich um unwesentliche Bestandslücken handelt, die nicht berücksichtigt werden konnten. Ausgewertet wurden The Illustrated London News, The Graphic, Illustrirte Zeitung, Ueber Land und Meer, Le Monde Illustré, L’Illustration, Vsemirnaja illustracija und Světozor.

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Die visuelle Klassifikation des Balkans

Der Krimkrieg und die ‚Entdeckung‘ des Balkans „The military operations directed against the little state of Montenegro by the Turks have invested this obscure and rugged tract of country with a sudden interest in the eyes of all European[s].“ The Illustrated London News, 18533

Die europäischen Medien berichteten vom Balkan hauptsächlich im Zusammenhang mit konfliktreichen Ereignissen wie bewaffneten Auseinandersetzungen oder Kriegshandlungen, die ganz wesentlich die Ausbildung eines stereotypen Bilddiskurses bestimmten. Dessen Grundlagen wurden bereits in den ersten systematischen Bildberichten vom Balkan gelegt. Bezeichnenderweise stammen die ersten Illustrationen aus der Zeit des Krimkriegs, dem erstmals eine ausführliche Presseberichterstattung zuteil wurde, als sich die Kriegshandlungen zwischen Russland und den Osmanen – letztere ab März 1854 im Bündnis mit den Briten und Franzosen und später mit Österreich und Sardinien – unter anderem an der unteren Donau, namentlich auf dem Gebiet der beiden Fürstentümer Walachei und Moldau sowie der Dobrudža abspielten.4 So finden sich in der Illustrated London News im Zusammenhang mit dem sich anbahnenden Krieg schon im Sommer 1853 ethnografische Darstellungen von walachischen und moldawischen Bauern, die dem englischen Leser eine möglichst wirklichkeitsnahe Vorstellung von den Einwohnern des unbekannten Kriegsschauplatzes vermitteln sollten. Für diesen Zweck hielt man Darstellungen der ländlichen Bevölkerung offenbar für geeigneter als solche von Stadtbewohnern etwa, welche man wohl wegen ihrer äußeren Ähnlichkeit mit ihren westeuropäischen Pendants in Presseillustrationen vom Balkan vergeblich suchen wird. So setzen sich Bauerndarstellungen schon in der Geburtsstunde der Balkanberichterstattung als beliebtes Sujet der illustrierten Presse durch. Noch handelt es sich dabei um Darstellungen rein ethnografischen Charakters, die ein friedvolles Bild von einem verloren geglaubten und urwüchsigen Leben vermeintlicher Urvölker zeichnen, deren angebliche Rückständigkeit besonders von den Texten zu den Illustrationen betont wird. So heißt es im Text zu einer der ersten Darstellungen einer balkanischen Ethnie in der Geschichte der illustrierten Presse, erschienen auf einer der Titelseiten der Illustrated London News mit dem Titel „Wallachian Peasantry and Troops“ (Abb. 25), unmissverständlich: „Modern travellers are struck by resemblance of the Wallachians of the present day to the traits of the Dacian captives sculptured in marble on Trajan’s Column at Rome.“5

3 „Montenegro; Its Vladika and People“, in: The Illustrated London News 22, Nr. 604, 22. Januar 1853, S. 51–52, hier S. 51. 4 Vgl. hierzu den Band über den Krimkrieg als ersten Medienkrieg: Maag/Pyta/Windisch 2010. 5 „The Moldavians and the Wallachians“, in: The Illustrated London News 23, Nr. 636, 6. August 1853, S. 70. (Herv. d. Verf.).



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Ein ähnlicher Kommentar zu einer einige Wochen später, ebenfalls in der Illustrated London News publizierten idyllischen Dorfszene, die Moldo-Walachische Bauern darstellen soll (Abb. 26), führt den Gedanken der scheinbaren Naturbelassenheit beider Ethnien noch etwas weiter aus: „The accompanying Illustration portrays the costumes of the Moldo-Wallachian peasantry [...]. The Moldavians are robust, temperate, hard-working, and inured to the most opposite extremes of temperature. Their features differ from those of the Wallachian people: their countenances are less open; and the habit they have preserved, of wearing their beards and hair long, gives an almost savage expression to their physiognomy, to such a degree, that at a distance they might be taken for those primitive statues of the Sarmatians to be seen in museums of antiquity, mementos of the triumphs of Rome over the barbarians.“6 Die Botschaft der Illustrationen sowie der zitierten Berichte ist eindeutig: Typisch für diesen Teil des Balkans ist eine unverfälschte ländliche Bevölkerung, die visuell über ihre festliche, exotisch anmutende Bauernkleidung, textuell indes über spezifische äußerliche, zumal physiognomische Züge definiert und in Folge dessen als ursprünglich, archaisch, ja wild klassifiziert wird. Suggeriert werden soll hierdurch nicht zuletzt die angeblich unüberwindbare Verortung beider Ethnien in der vergangenen Zeit. Dabei ist die in der Region anscheinend stehengebliebene Zeit keine beliebige, sondern bezeichnenderweise eine diffus gefasste Antike, die hier als kriegslegitimierendes Argument hervorgebracht wurde mit dem Ziel, die historische Herkunft dieser ‚rückständigen‘ Völker zu nobilitieren, wurden sie doch aus westeuropäischer, zumal aus englischer Sicht als unter dem Joch mal der unzivilisierten Russen, mal der barbarischen Osmanen stehende Menschen bemitleidet. Gerade ihre vermeintlich edle, da antike Abstammung sollte deren Befreiung seitens der zivilisierten, mithin zeitlich fortgeschrittenen Welt durch den Krimkrieg rechtfertigen. Sowohl der visuellen als auch der textuellen Rhetorik dieser Berichterstattung zufolge sind die Völker des Balkans allerdings nicht aktiv in das Kriegsgeschehen involviert; sie sind lediglich ein unterhaltendes, zwischen den unzähligen, sich fortwährend wiederholenden, monotonen Kampfszenen und qualmenden Landschaftsansichten eingestreutes pittoreskes Beiwerk. So finden sich während der frühen Berichterstattung vom Krimkrieg ohne erkennbaren Zusammenhang mit den eigentlichen Kriegshandlungen immer wieder Illustrationen zu den Ethnien des Balkans, deren Lebensweise durch beschauliche Darstellungen primitiver Dorfarchitekturen, Interieurs bäuerlicher Hütten oder festlicher Trachten visualisiert wird.7 Nichts an diesen Darstellungen verrät etwas über den in unmittelbarer Nähe wütenden Krieg, geschweige denn über die Zerstörungen und das Leid der zivilen Bevölkerung. Ganz im Gegenteil vermitteln die im Grunde rein ethnografischen Bildstudien den Ein-

6 „Moldo-Wallachian Peasantry“, in: The Illustrated London News 23, Nr. 639, 20. August 1853, S. 140 (Herv. d. Verf.). 7 Vgl. etwa mehrere kleinere Illustrationen zum Alltag serbischer Bauern in: The Illustrated London News 24, Nr. 663, 14. Januar 1854, S. 34–35, oder die in der gleichen Illustrierten im Jahrgang 1854 hin und wieder publizierten Illustrationen zu Griechenland.

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druck, als seien die Objekte ihres Interesses gänzlich von den Kriegshandlungen abgeschirmt und in die sichere Welt süßlicher Bukolik aufgehoben. Diesem reduktionistischen Narrativ zufolge fallen Zivilisten dem Krieg nicht zum Opfer, sondern genießen gerade durch ihn den Schutz ihrer angeblich altehrwürdigen Spezies und ihres idyllischen Lebens. Militärs kommen in dieser heilen Welt dementsprechend nicht vor, und wenn sich beide Welten irgendwie doch begegnen, dann lediglich um die Gegenüberstellung zwischen Zivilisation und Urleben zu veranschaulichen. Eine das friedliche Leben in der osmanischen Festungsstadt Varna illustrierende Genredarstellung auf der Titelseite der Illustrated London News folgt geradezu buchstäblich diesem Narrativ (Abb. 27). Während sich das balkanische Treiben der Einheimischen innerhalb eines umfriedeten Hofs um einen öffentlichen Brunnen abspielt, findet jenseits der Hofmauer das andere, militärische und bezeichnenderweise schematisch dargestellte Leben statt. Dabei ist die Mauer nicht nur eine kompositorische Einfassung oder ethnografisches Architekturmotiv, sondern zugleich rhetorische Figur, die beide Welten der besseren Lesbarkeit halber von einander säuberlich trennt. Sogar die als vermittelndes Solitär komponierten britischen Dragoons im Vordergrund dienen diesem Narrativ und sind weniger Mittler zwischen beide Welten als vielmehr Repoussoirfiguren, die den Vergleichsmaßstab zwischen Fortschritt und Rückstand, Zivilisation und Primitivität, Kultur und Exotik symbolisieren sollen: in der eleganten Kontraposthaltung des Soldaten links und seiner belehrenden Geste soll nicht nur formal, sondern auch sinnbildlich die Überlegenheit westlicher Kultur gegenüber der auf der nackten Erde gelagerten Männergruppe von orientalischen ‚Eingeborenen‘ deutlich gemacht werden. Im dazugehörigen Bericht finden wir diese Dichotomie an konkreten Beispielen erläutert: „Although it is only a few weeks since the Allied forces arrived in Varna, the appearance of the principal streets has been completely changed by the restless activity and energy of the French. [...] the streets, once so dull and silent, re-echo the laughter and rattle of dominoes in the newly-established cafés. [...] The natives have followed the example of an old Turkish khan, which, but a few days before, was the abode of nothing but unseemly insects.“8 Doch nicht nur haben die alliierten Franzosen innerhalb kürzester Zeit die sonst so düstere Stadt wiederbelebt, sondern auch deren Gesicht ‚europäisiert‘, indem an jeder Straße Namensschilder angebracht wurden, die die Orientierung in der sonst so orientierungslosen türkischen Stadt erleichtert hätten.9 Diese Art von weltparalleler Kriegsberichterstattung zielte mithin nicht allein auf Wissensvermittlung und Unterhaltung, sondern erfüllte zugleich die Funktion, das durch den Krieg zu ‚befreiende‘ Land bzw. dessen Einwohner als vor militärischen Handlungen sicher und geschützt, ja als davon geradezu profitierend zu präsentieren. 8 „The War: The Allied Troops at Varna“, in: The Illustrated London News 25, Nr. 690, 1. Juli 1854, S. 612–613, hier S. 612. 9 Ebenda.



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Sie unterschlug bewusst jene Sicht auf die Realität, die aus der Perspektive der in Wirklichkeit stark vom Krieg betroffenen Bevölkerung überliefert ist. Die von den einheimischen Zeitgenossen etwa auf Bulgarisch hinterlassenen schriftlichen Zeugnisse oder Chroniken berichten nicht nur über zahlreiche zivile Opfer, enorme Naturalienabgaben für die alliierten Truppen, ständig wachsende Steuerlasten und Lebensmittelpreise, Hunger, Elend und die Cholera, sondern auch über die Stationierung von Truppen in unmittelbarer Nähe der Städte und Dörfer, welche die Bevölkerung in Angst und Schrecken versetzt haben sollen.10 Man denke nur an den von alliierten Truppen gelegten Brand ausgerechnet in Varna – ein Ereignis, das im schroffen Gegensatz zu der friedvollen Schilderung des geselligen Alltags in derselben Stadt aus der gezeigten englischen Perspektive steht.11 Ansonsten verhalten sich die balkanischen Völker vollkommen passiv gegenüber dem Krieg und bleiben ausschließlich unter sich. Dem entspricht die Form ihrer Darstellung, die im Grunde eine ethnografische Spielart des Genrebildes ist und schon in den 1850er Jahren, namentlich in der englischen illustrierten Presse festgelegt wird. Sie wird sich in den nächsten Jahrzehnten kaum ändern. Die Bildkompositionen stehen dabei ganz in der Tradition der bukolischen Kunst und folgen stets dem gleichen Muster – zwei- oder mehrfigurige Bauernszenen, zumeist vor dörflicher Kulisse, in denen die Protagonisten als Mannequins festlicher Bauerntrachten zur Schau gestellt werden, wegen der besseren Übersicht frontal oder im zum Betrachter hin geöffneten Halbkreis angeordnet. Nicht selten wird innerhalb dieser geradezu obligatorischen Frontalordnung – wie an den beiden Darstellungen moldawischer und walachischer Bauern sichtbar – eine Untergliederung nach weiblichen und männlichen, gelegentlich auch kindlichen Trachten, mithin nach geschlechts- bzw. altersspezifischer Personage vorgenommen. Rücken- oder Profilfiguren dienen entweder der kompositorischen Auflockerung oder der Visualisierung charakteristischer Frisuren, Kopfbedeckungen 10 Vgl. etwa die in Venceslav Načev, Nikola Fermandžiev: Pisahme da se znae. Pripiski i letopisi (Wir schrieben, damit man es weiß. Manuskripte und Chroniken), Sofia 1984, publizierten Quellen, darunter: Letopis na pop Jovčo ot Trjavna, sina mu pop Nikola [...] (Chronik des Popen Jovčo, seines Sohnes Nikola [...]), S. 288–299, besonders S. 298 f; Letopis na Žendo Vičov ot Kotel (Chronik des Žendo Vičov aus Kotel), S. 307–318, und die anonymen Notizen auf S. 167–168. 11 Über den wohl von den Franzosen verursachten verheerenden Brand in Varna berichtet: Letopis na Žendo Vičov ot Kotel (Chronik des Žendo Vičov aus Kotel), in: ebenda, S. 315: „Na tazi carska kavga bjaha došli frencite i ingilizite na sultana na pomošt i sedjaha nego ljato okolo Varna, Devnja, Provadija [...]. I togaz zapaliha frencite Varna, ta izgorja vsičkata čaršija, i ne puskaha nikogo, ili da iznese, ili da izgasi, ami tăj izgorja vsičko na gorkite tărgovci i mnogo izpatiha.“ (Zu diesem königlichen Krieg waren die Franzosen und Engländer gekommen, um dem Sultan Hilfe zu leisten und blieben jenen Sommer bei Varna, Devnja und Provadija [...]. Und dann setzten die Franzosen Varna in Brand und es verbrannte der ganze Markt, und sie ließen niemanden, etwas daraus zu retten oder zu löschen, so dass den armen Händlern alles verbrannte und sie sehr gelitten haben). Der Brand ereignete sich am 29. Juli 1854, also knapp drei Wochen nach der Publikation der Illustration, doch findet sich darüber kein Bericht bzw. Bild in der einschlägigen Presse. Von den heute geschätzten 500.000 im Krieg gestorbenen Soldaten, sind nur ca. 200.000 durch Kampfhandlungen, mehr als die Hälfte aber durch Hunger, Kälte und die Cholera umgekommen. Auch davon berichtet die illustrierte Presse nicht. Für diesen Hinweis danke ich Martin Bethke.

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oder Kleidungsteile wie etwa aufwendiger Stickereien, die dem Illustrationsautor bei der männlichen Kleidung der Walachen in unserem Beispiel besonders darstellungswürdig erschienen sein müssen (Abb. 25). Durch die Verlagerung der Kriegshandlungen ab Oktober 1854 in Richtung der Halbinsel Krim verschob sich auch der Schwerpunkt der Berichterstattung über den Krieg, so dass der Balkan von nun an bis Kriegsende aus dem Fokus des Interesses geriet. Erst mit Beginn der Unruhen in Montenegro und den lokalen Erhebungen in der Herzegowina in den 1860er Jahren wird die Region erneut zum bedeutenden Thema visueller Berichterstattung.

Helden, Opfer, Gräueltäter „Die feindselige Haltung, welche die Montenegriner [...] gegen die Türken angenommen haben und der von ihnen mittelbar wie unmittelbar unterstützte Aufstand in der Herzegowina, welcher immer größere Dimensionen anzunehmen scheint, haben die Augen Europas von neuem auf das kleine Bergland gezogen, dessen Bewohner sich schon so oft durch blutige Thaten einen Namen erworben haben.“ Illustrirte Zeitung, 186112

Besonders auffallend in der Anfangsphase der Klassifikation der Balkanvölker ist deren – im Unterschied zur angeblich eindeutigen sozialen Zugehörigkeit – nicht immer eindeutige ethnische Zuordnung, die an den zuweilen doppeldeutigen Bezeichnungen ethnografischer Illustrationen abzulesen ist. Bezeichnend in diesem Sinne ist die Illustration der sogenannten Moldo-Walachen (Abb. 26) – ein nicht seltenes Kompilat der Zeit, das die Problematik des Versuchs einer handfesten Identitätsbestimmung der Ethnien auf dem Balkan verdeutlicht. Zwar entstammen sie vermeintlich alle ausnahmslos einem bäuerlichen Milieu, doch darüber hinausgehende Identitätsmerkmale werden erst ab den 1860er Jahren allmählich in augenfälliger Übereinstimmung mit Darstellungen der jeweiligen Ethnie treten; bis dahin griff man immer wieder auf Behelfsbegriffe wie etwa „Bulgaro-Zinzaren“ oder „Christen-Bulgaren“ zurück, an denen die Grenzen des Klassifikationsdrangs der illustrierten Presse deutlich abzulesen sind.13

12 „Nikolaus I. Petrovitsch Njegosch, Fürst von Montenegro, und Mirko Petrovitsch, Grosswojewode“, in: Illustrirte Zeitung 36, Nr. 961, 30. November 1861, S. 382. 13 Siehe „Die Wlachen Thraziens“, in: Illustrirte Zeitung 40, Nr. 1040, 6. Juni 1863, S. 385–386, sowie die dazugehörige Illustration, wohl nach dem Entwurf von Felix Kanitz mit dem Titel „Bulgarischzinzarische Familie“ auf S. 385; siehe auch Felix Kanitz: Der Hat-Humayum und die Rajah in der Türkei, in: Illustrirte Zeitung 34, Nr. 886, 23. Juni 1860, S. 442, und das den Bericht illustrierende Bild auf der Titelseite „Christlich-bulgarische Auswanderer auf dem Wege nach Serbien“.



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Um diese Unzulänglichkeit zu kompensieren, aber auch dem Wunsch nach optisch unmissverständlicher Erkennbarkeit verpflichtet, erfolgte die Klassifikation der Balkanvölker ab den 1860er Jahren nach einem weiteren Prinzip, nämlich nach der vermeintlich kollektiven Charaktereigenschaft einer ethnischen oder religiösen Gruppe. Zur Disposition standen dabei klar umrissene Eigenschaften wie Mut und Heroismus, Grausamkeit oder Friedlichkeit, Müßigkeit oder Fleiß, die sich allmählich zu wiedererkennbaren Markenzeichen einer Ethnie entwickelten und noch heute die Selbstwahrnehmung der meisten Balkannationen ganz wesentlich bestimmen. Die von der illustrierten Presse forciert betriebene Stereotypisierung erforderte mithin den Entwurf von der jeweiligen Charaktereigenschaft entsprechenden Bildtypen, die nicht selten eine Anpassung überlieferter ikonografischer Muster der abendländischen Kunst an die Erfordernisse der visuellen Massenmedien darstellten. So sollte sich das ethnografische Studien- oder Genrebild passiver Zurschaustellung als besonders geeignet für die Darstellung der friedlichen unter den balkanischen Ethnien erweisen, mutige Ethnien indes hatten dieser Eigenschaft entsprechend in Aktion zu treten. Die seit Beginn der 1860er Jahre immer wieder aufflammenden Konflikte im westlichen Teil des Balkans sollten das Interesse der illustrierten Presse, namentlich der deutschen, erneut auf die Region lenken. Aus der Berichterstattung dieser Zeit sollten vor allem die Herzegowiner und Montenegriner als mutige und kampfeslustige Völker hervorgehen, welche ihre Auseinandersetzungen, zumeist gegen „Türken“, mit der Waffe in der Hand lösten. So wurden die Montenegriner bereits in den ersten knappen Berichten – wenngleich etwas euphemistisch – als zumindest „unruhig“ beschrieben. In einem Bericht aus dem Jahr 1861 heißt es entsprechend: „Seitdem ist mehrmals von Raub- und Plünderungszügen dieses unruhigen Völkchens berichtet worden [...], bei welchem mehrere türkische Dörfer am See von Skutari verbrannt wurden [...].“14 Folglich unterscheidet sich die Illustration der Illustrirten Zeitung, die dem zitierten Text beigegeben wurde, deutlich von den bisher publizierten Bildern einer balkanischen Ethnie: Sie zeigt die bäuerlich kostümierten Akteure nicht mehr in den gewohnten Posen lockerer Passivität, sondern als aktiv Handelnde – als bewaffnete Männer, die in Booten über ein Gewässer übersetzen.15 Zwar ist von Plünderung und Brand der türkischen Dörfer und dem Massaker an deren Bevölkerung – worüber der dazugehörende Bericht informiert – im Bild nicht die geringste Spur enthalten, doch wird sich dies – und zwar in der Umkehrung – bald ändern. Zuvor jedoch werden die Montenegriner stets ihre Tapferkeit beweisen wie im Jahr 1862, als sie wieder einmal gegen die Türken kämpfen, zudem auch im Bild. In der wiederum in der Illustrirten Zeitung publizierten Illustration „Kampf zwischen Türken und Montenegrinern bei Krstac, am 16. April“ rekrutieren sich die Hauptprotagonisten einer Aktionsszene, einer Kampfszene zumal, wohl erstmals in der Ge14 „Die Einfälle der Montenegriner in die Türkei“, in: Illustrirte Zeitung 37, Nr. 963, 14. Dezember 1861, S. 424 (Herv. d. Verf.). 15 „Montenegriner besetzen nach dem Niederbrennen eines türkischen Dorfes eine Insel im See von Skutari. Nach einer Originalskizze“, in: ebenda.

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schichte der illustrierten Presse aus einer balkanischen Ethnie. Die Illustration zeigt eine dicht von schnurrbärtigen und in Pluderhosen gekleideten Männern bevölkerte Hügellandschaft, vor der eine auf den Vordergrund konzentrierte Ansammlung von Kämpfenden, Verletzten und Toten zu sehen ist. Dazu heißt es im Text wie gewohnt, dass „das wilde Völkchen der schwarzen Berge seine Raub- und Plünderungszüge in alter Zügellosigkeit fort[setzt]“.16 Bald jedoch sollten die montenegrinischen Eigenschaften Unruhe, Wildheit und Zügellosigkeit in jenen montenegrinischen Heroismus kulminieren, der von nun an den Diskurs der illustrierten Presse, aber auch die auf dem Balkan vorherrschende Vorstellung von den Einwohnern Montenegros über jegliche sprachlichen und ideologischen Grenzen hinweg beherrschen wird. Dieser balkanischen Spielart des Heldenmutes begegnet man sogar in Berichten über bittere Niederlagen der heldenhaften Ethnie, wie aus dem gleichnamigen Bericht über den Montenegrinischen Heroismus der Illustrirten Zeitung hervorgeht: „Montenegro ist gefallen! Und wenn das Volk der schwarzen Berge, welches das Räuberhandwerk einer geordneten Thätigkeit vorzog, bei seiner Rohheit und Grausamkeit den gesitteten Nationen des Abendlandes eine nur sehr bedingte Theilnahme einflößen konnte, so hat doch der Heldenmut seiner letzten verzweifelten Anstrengungen günstig auf die öffentliche Meinung eingewirkt. [...] Zum Schutz des eigenen Herdes hatten selbst Frauen, Kinder und Greise sich bewaffnet, und mit einem Heroismus wurde gestritten, der in späteren Tagen in Heldenliedern gefeiert werden wird.“17 Um dieses kollektive, weder Geschlecht noch Alter unterscheidendes Heldentum der montenegrinischen Ethnie zu visualisieren, griff die Bildredaktion nicht etwa auf eine Darstellung einer Kampfhandlung, sondern auf die historisch erprobte Bildgattung der Allegorie zurück, die in vortrefflichem Pathos und wieder einmal mit rhetorischem Rückgriff auf die Antike beschrieben wurde: „Kaum erreicht eine Spartanerin jene montenegrinische Mutter, die, als ihr ältester Sohn, der das Banner der schwarzen Berge in dem Gefecht bei Bielopavlovic trug, gefallen war, den zweiten einstellte, und als dieser erlag, die Fahne dem jüngsten in die Hand gab. Gegen Abend traf auch ihn die feindliche Kugel. Die Mutter drückte ihm das erlöschende Auge zu, schloß ihm die Lippen mit Küssen voll schmerzlicher Zärtlichkeit und nahm dann die Fahne aus seiner sterbenden Hand. Damit stürzte sie in das Kampfgewühl und rief: ‚Vorwärts Kinder! Ich will Euch die Fahne vorantragen, bis ich sie einem meiner Enkel übergeben kann!‘“18 Und obschon diese Zeilen wohl eher den Versen eines jener unzähligen balkanischen Volkslieder entlehnt worden sind, suggeriert sowohl die Erwähnung des im Text konkret genannten Ortes der Kampfhandlung wie auch der Bildtitel „Der

16 „Der Kampf bei Krstac zwischen Montenegrinern und Türken“, in: Illustrirte Zeitung 38, Nr. 985, 17. Mai 1862, S. 324 (Herv. d. Verf.). Die Illustration ebenda. 17 „Montenegrinischer Heroismus“, in: Illustrirte Zeitung 39, Nr. 1002, 13. September 1862, S. 188– 189, hier S. 188. Gemeint ist der Krieg zwischen Osmanen und Montenegrinern, unterstützt von Herzegowinern und Serben, der sich vom Beginn des Jahres 1861 über anderthalb Jahre hinzog. 18 Ebenda, S. 188 f.



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Kampf in Montenegro: Scene aus dem Gefechte bei Bielopaolovic“ die Darstellung eines konkreten und unmittelbar beobachteten Vorganges (Abb. 28). Dass sich dieser jedoch kaum so ereignet haben kann, wie uns der Illustrator glauben machen möchte, ist vor allem an der für eine allegorische Darstellung typischen übertriebenen Gestik und Theatralik der Bildhelden ablesbar: Während der sterbende Sohn eher eine komplizierte gymnastik-ähnliche Übung von manieristischer Schönheit zu verrichten scheint, um den körperlichen Schmerz des Sterbens förmlich nachvollziehbar werden zu lassen, greift die hinter ihm geschwungene Körpersilhouette der kampfesmutig ausschreitenden Heldenmutter die serpentinartige Torsion der gefallenen Figur ästhetisch auf, um sie bis in die schwingende Kontur der Fahne fortzuführen.19 Und auch die Herzegowiner, später auch die Herzegowinerinnen, sollten im Zuge der Balkanberichterstattung zu den mutigsten Helden des Balkans avancieren, in den 1870er Jahren sollten sie darin sogar ihre montenegrinischen Nachbarn weit übertreffen. Zuvor jedoch wurden sie noch in einem Zuge mit anderen kriegerischen Stämmen der Region genannt, wie aus ihrer Beschreibung in dem Bericht über Herzegowinische Insurgentenführer in der Illustrirten Zeitung deutlich wird: „Die kriegerischen Christenstämme der Balkanhalbinsel haben die Waffen gegen die Türken erhoben und führen den Kampf gegen die Uebermacht ihrer Unterdrücker mit einer Entschlossenheit, einer Tapferkeit, Hingebung und Opferfreudigkeit, welche ganz geeignet erscheinen, diesem Kampfe die Sympathien aller freisinnigen Völker zu gewinnen [...]. Wir dürfen also hoffen, auch mit unserer Darstellung aus jenem interessanten Kriegsschauplatze den Lesern eine willkommene Gabe zu bringen.“20 Doch die visuelle „Gabe“ bot nicht etwa eine Kampfdarstellung, sondern ein dem Bericht über den „interessanten Kriegsschauplatz“ nicht unbedingt entsprechendes, dafür aber repräsentatives Gruppenbild balkanischer Freischärler, wie wir ihnen ab den 1860er Jahren immer wieder auf den Seiten der illustrierten Presse begegnen werden. Schon aus dem Bildtitel geht hervor, dass es sich um die Darstellung von real existierenden Personen handelt, die, folgt man den angegebenen Namen der Porträtierten unterhalb des Bildes, größtenteils miteinander verwandt sind. Es handelt sich dabei um die für den Balkan typischen Familienklans, in diesem Falle der Familie der Vukalovićs, welche, wie der Text zu berichten weiß, ganze Regionen, Flussgebiete 19 Auch diese Illustration wurde mehrfach verwendet, so als Darstellung einer „Montenegrinerin“, in: Beogradske ilustrovane novine 18, 1866, S. 69, wiewohl der ursprüngliche Zusammenhang beibehalten und selbst der sie kommentierende Text wörtlich übernommen, während nur der Titel verändert wurde. Als Autor der Illustration identifiziert Makuljević 2006, S. 119, einen der bedeutendsten Historienmaler Serbiens im 19. Jahrhundert, Đura Jakšić (1832–1878), der seinem wohl nur als Illustration überlieferten Bild ursprünglich den Titel „Heldentod“ gegeben haben soll. Zu Leben und vielfältigem Werk von Jakšić, der auch bedeutender Dichter war, siehe etwa Sabrana dela Đure Jakšića (Gesammelte Werke von Đura Jakšic), hrsg. v. Dušan Ivanić, Belgrad 1978, sowie Nikola Kusovac und Miodrag Jovanović: Đura Jakšić, Belgrad 1878. 20 F. W.: Herzegowinische Insurgentenführer, in: Illustrirte Zeitung 39, Nr. 994, 19. Juli 1862, S. 44. Illustration auf S. 45. In der unterhalb des Berichts angebrachten Signatur „F.W.“ wurde fälschlicherweise „W“ anstatt „K“ abgedruckt, da es sich beim Korrespondenten um keinen anderen als Felix Kanitz handeln kann.

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oder Hochebenen besaßen und zugleich eine unerschöpfliche Quelle herzegowinischen Heldentums darstellten. „Aus ihren befestigten Häusern“ – heißt es im Bericht – „steigen dann die kühnen Männer dieser Stämme, die Helden (Junaks), hinab auf das Schlachtfeld.“ Eine beratschlagende Versammlung solcher Helden, von denen einer sogar die Todeswunde erst erhalten, nachdem er 40 Türken „erlegt“ habe, zeige die Illustration (Abb. 29), die „sowohl hinsichtlich der Porträts der einzelnen Insurgentenführer, wie auch in Bezug auf die Oertlichkeit treu nach Natur aufgefaßt und besser als viel Worte geeignet [ist], Land und Leute jener Gegend zu charakterisiren.“21 Nach der Natur bedeutete jedoch nicht etwa, dass die Freischärler dem Spezialartisten Modell gestanden hätten, geschweige denn vor Ort, sondern dass ihre Darstellungen nach Fotografien gestochen worden sind. Dies wird zum einen an den Bildtiteln deutlich, die bei der xylografischen Reproduktion von Porträts häufig auf ein fotografisches Urbild hinweisen, wie schon ein frühes Beispiel eines solchen Porträts eines der berühmtesten herzegowinischen22 Insurgentenführer, Luka Vukalović, zeigt (Abb. 30), der ebenfalls im Mittelpunkt des Gruppenporträts des Freischärlerklans steht.23 Zum anderen lässt sich die Verwendung von Fotografien als Vorlagen für xylografierte Porträtdarstellungen in der illustrierten Presse mit Hilfe des Vergleichs von gestochenen Porträts mit fotografischen Porträts, sofern sie in irgendeiner Form erhalten sind, nachweisen, wobei vor allem die Art und Weise relevant ist, auf die eine Fotografie zu einer Presseillustration wurde.

Beruf „Nationalheld“ Die Frage nach der Rolle von Porträtfotografien für die Zwecke der illustrierten Presse verdient wegen ihrer Komplexität gesonderte Aufmerksamkeit und entspre21 Ebenda. 22 Zur Person und den von ihm angeführten Aufständen siehe Vladimir Ćorović: Luka Vukalović i hercegovački ustanci od 1852–1862 godine (Luka Vukalović und die herzegowinischen Aufstände von 1852 bis 1862), Belgrad 1923 (= Posebna Izdanja 17, 1923), sowie die minutiöse Studie der spätosmanischen herzegowinischen Geschichte und Gesellschaft von Hannes Grandits: Herrschaft und Loyalität in der spätosmanischen Gesellschaft. Das Beispiel der multikonfessionellen Herzegowina (= Zur Kunde Südosteuropas II/37), Köln u. a. 2008, besonders Kapitel VI „Revoltierende Gesellschaft: Gewalt und Gefolgschaft“, S. 568 ff. 23 Ob in diesem Falle aber beide Darstellungen des Luka Vukalović auf Fotografien zurückgehen, kann nicht mit Sicherheit festgestellt werden, da Fotos von ihm nicht überliefert zu sein scheinen. Trotz der gewissen Unterschiede in der Wiedergabe des Aufständischen in beiden Illustrationen spricht sowohl das nach links gewandte Dreiviertelprofil der Figur wie auch die identischen Kleidung und Bewaffnung dafür, dass die Vorlage der Illustrirten Zeitung ein Holzstich gewesen ist, der wohl das Urporträt von Vukalović darstellt und erstmals publiziert wurde von Matija Ban: Osnovi ratni (Grundlagen des Krieges), Belgrad 1848. Bans Vorlage geht wiederum zurück auf eine Lithografie eines anonymen herzegowinischen Freischärlers im Visitkarten-Format von Anastas Jovanović (1817–1899) aus den Jahren 1840er Jahren, enthalten in Anastas Jovanović: Porträtalbum, o. O. 1860, ohne Pagina, digitalisiert unter: http://scc.digital.nb.rs/collection/anastas-album (zuletzt besucht 12. Juni 2011).



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chend mehr Raum, als ihr im hier untersuchten Kontext gewährt werden kann. Deshalb wird sie an dieser Stelle nur ansatzweise und anhand einiger weniger Beispiele behandelt. Zwei Vorbemerkungen sind dabei vonnöten. Erstens wurden die fotografischen Vorlagen nur selten unverändert in Holz gestochen und zweitens handelt es sich bei den meisten von ihnen um mal mehr, mal weniger aufwendig inszenierte Aufnahmen oder vielmehr fotografisch festgehaltene Kostümierungen im Fotoatelier, die eher dem repräsentativen Andenken dienten, als die ‚wahre‘ Berufung des Fotografierten festzuhalten. Dabei besaßen die hier interessierenden fotografierten Personen in der Regel weder die aufwendig gearbeitete Kleidung noch die vielen kostbaren Waffen, mit denen sie auf den Fotos zu sehen sind. Diese gehörten vielmehr zur obligatorischen Ausstattung eines jeden gutbetuchten Fotoateliers im 19. Jahrhundert und wurden vom zumeist männlichen Kunden lediglich für die Fotositzung beim Fotografen ausgeliehen. Über die Mode unter bulgarischen Männern, zumeist Arbeitsmigranten, sich etwa in rumänischen Fotoateliers als Freischärler oder Militärs verkleidet fotografieren zu lassen, schreibt der bulgarische Historiker Hristo Jonkov mit verklärend patriotischer Nostalgie, dass die Ateliers über „spezielle Garderobe aus Hajduken- und Aufständischenuniformen [...] und einem ganzen Arsenal aus Landwehrwaffen, Gewehren, Pistolen, Säbeln“ verfügten, um „den patriotischen Gefühlen ihrer bulgarischen Kunden“ gerecht zu werden. „Unsere Großväter“ – so Jonkov – „verkleideten sich und posierten in heldenhaften Posen und mit kühnem Ausdruck vor der Kamera mit größter Ernsthaftigkeit, bewegt von den reinsten patriotischen Gefühlen und der Selbstopferbereitschaft für eine Revolution.“24 Die geradezu notorische Leidenschaft bulgarischer Arbeitsmigranten für die „heldenhafte“ Kostümierung vor der Kamera, die an den unzählig erhaltenen Kabinettfotos aus der Zeit abzulesen ist, wird von Hristo Jonkov an anderer Stelle sogar zu einem natürlichen patriotischen Trieb erklärt, der aus der „wahren, ehrlichen, heißen Heimatliebe, Aufopferung und Bereitschaft, für die Freiheit des Vaterlandes zu sterben“25, resultiere. Mehr noch, die in rumänischen und serbischen Fotoateliers aufgenommenen „Apostel der bulgarischen Freiheit“ in „heldenhaften Posen, gekleidet in den ungewöhnlichsten ‚aufständischen‘ Uniformen des theatralischen Requisits der Ateliers [...], und angetan mit einem Sammelsurium aus Waffen“ verdienten laut Jonkov aus heutiger Sicht unsere tiefe Verehrung, da die meisten von ihnen „ohne Bedenken ihre Häupter für die Befreiung Bulgariens“26 hergegeben haben sollen. Einiges jedoch spricht dafür, dass sich die viel besungene Befreiungsrevolution der Bulgaren im wesentlichen in den Dunkelkammern der Belgrader und Bukarester Fotoateliers abgespielt hat, was schon allein an der zahlenmäßigen Diskrepanz zwi24 Hristo Jonkov: Kăde se e snimal bălgarinăt prez Văzraždaneto (Wo ließ sich der Bulgare während der Wiedergeburt fotografieren), in: Bălgarsko foto 5, 1978, S. 7–11, hier S. 8. 25 Hristo Jonkov: Fotografski portreti na aprilci (Die fotografischen Porträts der April-Aufständischen), in: Bălgarsko foto 2, 1976, S. 6–8, hier S. 6. 26 Ebenda.

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schen den endlosen fotografischen Ahnengalerien bulgarischen Heldenmuts und den einigen Hundert am Aufstand beteiligten Personen27 im Frühjahr 1876 zeigt. Selbst die unangezweifelten nationalen Verschwörer und Emigranten in Rumänien, Ljuben Karavelov und Vasil Levski, die sich bekanntermaßen gern in ‚europäischen‘ Herrenanzügen und nicht als balkanische Freischärler verkleidet fotografieren ließen, posierten schon mal in jenen martialisch anmutenden, bisweilen fantasievoll zusammengesetzten Kostümen des „Nationalhelden“ vor der Kamera. So ließ sich der Initiator des Bukarester Bulgarischen Revolutionären Zentralkomitees (Bălgarski revoljucionen centralen komitet – BRZK) Ljuben Karavelov28 mit einer nicht näher identifizierbaren Kluft aus Kaftan, Stiefeln und hohem weißen Fez in Belgrad vom serbischen Hoffotografen bulgarischer Herkunft Anastas Karastojanov aufnehmen.29 Der in der Rangordnung erste Nationalheld der Bulgaren, Vasil Levski30, verkleidete sich indes in der Uniform der in Belgrad beheimateten bulgarischen Legionäre, in der er sich jedoch – merkwürdig genug und bezeichnend zugleich – nicht etwa in Belgrad, sondern im Bukarester Fotoatelier des seinerzeit berühmtesten rumänischen Fotografen und Malers ungarischer Herkunft Carol Szathmari (1812–1887) leihweise fotografieren ließ.31

27 Es war ausgerechnet Hristo Jonkov, der insgesamt 2.351 Personen ermitteln sollte, die am Aufstand teilgenommen haben sollen. Allerdings nimmt er sowohl die unmittelbar als auch mittelbar am Aufstand Beteiligten in diese Zahl auf, so dass sie nur mit Vorsicht zu benutzen ist. Hristo Jonkov: Čislen, socialen i klassov săstav na revoljucionerite v Aprilskoto văstanie 1876 (Zahlenmäßige, soziale und ständische Zusamemnsetzung der Revolutionäre des April-Aufstandes 1876), Sofia 1993. 28 Ljuben Karavelov (um 1835–1879) gehörte zu den exponiertesten Figuren der bulgarischsprachigen intellektuellen Elite des 19. Jahrhunderts und zu den nationalgesinnten politischen Unternehmern seit den 1870er Jahren. Er war einer der Begründer und Vorsitzender des Bulgarischen Revolutionären Zentralkomitees (Bălgarski revoljucionen centralen komitet – BRZK) mit Sitz in Bukarest. Aus der Fülle an Literatur siehe Ljuben Karavelov. Sbornik po slučaj 150 godini ot roždenieto mu (Ljuben Karavelov. Anlässlich seines 150. Geburtstages), hrsg. v. Cveta Undžieva und Dočo Lekov, Sofia 1990. 29 Näheres zu diesem Porträt findet sich bei Hristo Jonkov: Fotografskite portreti i snimki na Ljuben Karavelov (Die fotografischen Porträts und Fotografien von Ljuben Karavelov), in: Bălgarsko foto 4, 1980, S. 30–32, Forts. S. 38, hier S. 38, die Fotografie auf S. 32, Fig. 5. In der serbischen Fotogeschichte ist der in Samokov (heute Bulgarien) geborene Fotograf unter dem Namen Anastas Stojanović (1822–1880) bekannt. 1863 wurde er Hoffotograf des serbischen Fürsten Mihailo Obrenović III., 1878 ließ er sich in Sofia nieder, wo er eines der führenden Fotoateliers Bulgariens eröffnete und damit die sogenannte Fotografendynastie der Karastojanovs begründete. 30 In der jüngst erschienenen Studie von Maria Todorova: Bones of Contention. The Living Archive of Vasil Levski and the Making of Bulgaria’s National Hero, Budapest 2009, wird der unumstrittene Heldenstatus von Levski (1837–1873) als die führende nationale Figur Bulgariens einer minutiösen diskursiven Analyse unterworfen, die sowohl die gesamte Fülle an schriftlichen, literarischen und visuellen Quellenmaterial als auch die ausufernde Fachliteratur zu Levski auswertet. 31 Petăr Boev: 100 godini ot Osvoboditelnata vojna. Učastie na rumănskite fotografi (100 Jahre seit dem Befreiungskrieg [Russisch-Osmanischen Krieg 1877–1878]. Die Teilnahme der rumänischen Fotografen), in: Bălgarsko foto 10, 1977, S. 6–8, hier S. 8.



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Szathmari hatte sich schon im Krimkrieg einen Namen als Fotograf pittoresker Szenen und Typen der an der unteren Donau beheimateten Bevölkerung gemacht,32 wie wir sie aus den Illustrationen walachischer Bauern schon kennen (Abb. 25 und 26). Nach seinen Fotos gestochene Illustrationen erschienen etwa in der Le Monde Illustré, die sie „als Vorbilder aller Typen und Trachten“ lobte, welche „die verschiedenen in den türkischen Provinzen eingebürgerten Rassen unterscheiden.“33 Bei der gelobten und sich während, vor allem aber wegen des Krimkriegs herausbildenden Gattung des „rassisch“ typologisierenden Fotoporträts handelte es sich hauptsächlich um Aufnahmen von Berufstypen, die auf dem Balkan nicht selten mit der ethnischen Herkunft deckungsgleich waren, so z. B. die Walachen, die sich größtenteils als nomadisierende Wanderhirten betätigten. Als weitere solcher Beispiele nennt Adrian-Silvan Ionescu den makedonischen Boza-Verkäufer34 oder den „bulgarischen Nationalhelden“35. Wenngleich offen bleibt, ob der Beruf der bulgarischen Ethnie mit der Inflation von als Freischärler fotografierten Bulgaren zu erklären ist, legen die zahlreichen Fotografien selbst dieses Argument nahe. Es genügt, einen Blick auf die von Hristo Jonkov zusammengestellten fünf Kabinettporträts „namhafter nationaler Helden“36 zu werfen, die alle in der gleichen Uniform im Bukarester Fotoatelier „Theodorowitsch & Hitrow“37 aufgenommen worden sind, um einen Eindruck vom revolutionären Geschmack der bulgarischen Migranten der Zeit zu bekommen. Den Kommentar dazu liefert Jonkov selbst: „Die hier aufgezählten April-Revolutionäre haben sich in einer und derselben Uniform fotografiert, die je nach Körpergröße jedem unterschiedlich steht.“ Und weiter: „Von allen Fotografierten hält nur T[odor] Kirkov [...] richtig die Waffe.“38 32 Adrian-Silvan Ionescu: Fotografie und Folklore. Zur Ethnografie in Rumänien des 19. Jahrhunderts, in: Fotogeschichte. Beiträge zur Geschichte und Ästhetik der Fotografie 27, H. 103, 2007, S. 47–60, hier S. 48. 33 Zit. ebenda, erschienen in: Le Monde Illustré 2, Nr. 29, 31. Oktober 1857, S. 14–15. 34 Boza ist ein vergorenes Getränk aus Gerste, das traditionell von Straßenhändlern zum Verkauf angeboten wurde. 35 Ionescu 2007, S. 47. 36 Jonkov 1978, S. 7. 37 Jonkov 1976, S. 6, bezeichnet selbst Toma Hitrow, der bulgarischer Emigrant in Rumänien war und sein Geld als Fotograf verdiente, aber auch andere bulgarische Fotografen in Rumänien, als „Fotografen-Revolutionäre“, da sie Insurgenten-Fotos angefertigt hätten. Laut Petăr Boev: Nikola Hitrow – văzroždenski svetlopisec (Nikola Hitrow – Fotograf der Wiedergeburt), in: Bălgarsko foto 3, 1977, S. 11–12, hier S. 11, sei der bekanntere Fotograf von beiden Brüdern Hitrow sogar „Revolutionär und Vojvode (Freischärleranführer)“ gewesen. Toma Hitrow gründete sein Atelier in den frühen 1860er Jahren in Bukarest, wo er seinen Bruder, Nikola, beschäftigte. Letzterer muss ein Wanderfotograf gewesen sein, weil er oft den Aufenthaltsort wechselte, im Jahr der Gründung des Fürstentums Bulgarien 1878 nach Svištov ging, wo er eine einfache Klientel fotografierte. 38 Jonkov 1976, S. 7. Von den mehr als acht von Jonkov identifizierten Personen in gleicher Kleidung soll es sich allesamt um Mitstreiter des Freischärlers und Nationalpoeten Hristo Botev handeln, von denen lediglich zwei während des Aufstandes im Frühjahr 1876 gestorben sind, wobei der gewisse Georgi Minčev „nach [?] dem Tod Botevs“ und Sider Grănčarov „auf der Suche nach Botev [?]“

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Spätestens die Feststellung, dass nur einer von den als Freischärlern fotografierten Personen in der Lage gewesen sei, seine Waffe richtig zu halten, dürfte selbst beim patriotischsten Fotohistoriker berechtigte Zweifel hinsichtlich der wahren Bestimmung dieser Fotos wecken. Ihre kleinen Formate und die zumeist auf der Rückseite sorgfältigen Beschriftungen mit der Tintenfeder sprechen dafür, dass sie vielmehr dem Andenken dienten und von den Emigranten als bildliche Beglaubigung des im Ausland angeblich erreichten gesellschaftlichen Status‘ nach Hause geschickt wurden. Die hier en passant benannte historische Verschiebung zwischen der ursprünglichen Funktion dieser fiktionalen Selbstentwürfe im fotografischen Medium und deren zweckentfremdete Wahrnehmung in der Gegenwart umreißt nur in Ansätzen die Problematik des historischen Prozesses der Zweckentfremdung visueller Quellen im Dienste der Nation. Während die Fotografien nachweislich und ausschließlich private Bedürfnisse befriedigten und somit sehr heterogene Kontexte aufweisen, wurden sie vor allem von der historischen Forschung nachträglich einem homogenen Kollektivbild zugeführt, das den Anschein einer geschlossen auftretenden Freischärler- bzw. Militäreinheit für die nationale Befreiung erwecken soll. Diese Umwidmung und Rebzw. Neupositionierung der historischen Akteure im fotografischen Bild nahm ihren Anfang gerade durch ihre Veröffentlichung in der illustrierten Presse, die das private Anliegen zu einem öffentlichen machte. Um die nach solchen Fotos in Holz gestochenen Porträts in jene typische Umgebung des balkanischen Insurgentenlebens zu versetzen, tauschten die Illustrationszeichner allerdings die „falschen“ Fotokulissen, zumeist bestehend aus Balustraden oder Paravents, gemaltem Hintergrund und reich ornamentierten Teppichen, durch die den geografischen Gegebenheiten des Balkans entsprechend „naturgetreue“ Wiedergabe landschaftlicher Motive wie etwa bergiger Fantasielandschaften.39 Eines von vielen Beispielen solcherart umgezeichneter Fotoporträts zeigt die Illustrirte Zeitung im Zusammenhang mit einem Bericht über Unruhen im Osmanischen Reich und dem Krieg gegen Serbien im Sommer 1876.40 Auf der Titelseite wurde ein Gruppenporträt gefallen sein sollen. Alle anderen fotografierten Insurgenten lebten bis weit in das 20. Jahrhundert hinein. Die fünf Fotografien finden sich auf S. 6 und 7, Fig. 1–5. Die Fotografie von Todor Kirkov ist nicht darunter, eine Reproduktion findet sich jedoch in: Aprilskoto văstanie 1876–1966. Jubilejno izdanie (Der April-Aufstand 1876–1966. Jubiläumsausgabe), Sofia 1966, ohne Pagina. 39 Das Gebirge als ein zentraler Topos gehört seit dem 19. Jahrhundert fest zum Repertoire der nationalen Diskurse der Balkannationen, wonach die Gebirgsbewohner freiheitsliebender, kampfesmutiger und ethnisch reiner als ihre städtischen Mitbürger seien, da sie in der Abgeschiedenheit der Berge keinen fremden, vor allem türkischen Einflüssen unterworfen, zugleich von den harten Lebensbedingungen über Generationen hinweg besonders abgehärtet worden seien. Vgl. dazu Ulf Brunnbauer, Robert Pichler: Mountains as ‘lieux de mémoire’. Highland values and nation-building in the Balkans, in: Balkanologie 1–2, 2002, S. 77–100, sowie speziell zum bulgarischen Diskurs Ulf Brunnbauer: Ethnische Landschaften: Batak als Ort des Erinnerns und Vergessens, in: Baleva/Brunnbauer 2007, S. 90–105. 40 „Panajot Hitov und die jungbulgarischen Aufstandsversuche“, in: Illustrirte Zeitung 67, Nr. 1727, 5. August 1876, S. 112.



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dreier bulgarischer Insurgenten publiziert (Abb. 31), das auf einer neun Jahre zuvor aufgenommenen Fotografie beruht, die im Belgrader Fotoatelier von Anastas Karastojanov 1867 gemacht worden ist (Abb. 32).41 Die drei reich bewaffneten Männer auf dem Foto sind nahezu unverändert in die Presseillustration aufgenommen worden, lediglich die den Raum des großstädtischen Fotoateliers verratenden Accessoires wie die Balustrade und der Vorhang im Hintergrund sowie der markant ornamentierte Teppich wurden durch eine Gebirgskulisse ersetzt. Nach dem gleichen Prinzip wurde die 1865 in Belgrad aufgenommene Fotografie von Ilija Markov, dem berüchtigten und je nach nationaler Perspektive bulgarischen oder makedonischen Freischärler und späteren Nationalhelden von Bulgaren und Makedonen, Iljo Vojvoda42 (Abb. 33) knapp zehn Jahre später in der Presse veröffentlicht. Damit setzte der bildgeschichtliche Prozess der historischen Umdeutung der lückenlos überlieferten kriminellen Laufbahn von Markov ein, dessen Überfälle und Ermordungen osmanischer Beamten heute als patriotische Heldentaten gefeiert werden.43 Die Illustrirte Zeitung übertrug die Fotografie des in Kleftentracht gekleideten und reichlich mit Waffen gerüsteten Freischärlers vor karger Kulisse in einen Holzstich anlässlich eines Berichts von Felix Kanitz über den bulgarischen Aufstand (Abb.

41 Die Fotografie soll sich im Besitz von Felix Kanitz befunden haben, der sie der Zeitungsredaktion zur Verfügung gestellt haben muss. Laut Petăr Boev: Pătuvašti fotografi (Wanderfotografen), in: Bălgarsko foto 9, 1982, S. 31–33, hier S. 33, habe Felix Kanitz den Fotografen Anastas Karastojanov sehr gut gekannt, aber auch selbst fotografiert und besaß eine große Fotosammlung, darunter von balkanischen Trachten und Stadtansichten. Heute gehört die Fotografie zu den populärsten Bildern der bulgarischen Nationalgeschichte, die – wie viele ihrer Art – unzählige Male reproduziert worden ist, der Abwechslung halber auch gelegentlich als eher schlecht denn recht retuschiertes ganzfiguriges Einzelporträt von Panajot Hitov (in: Aprilskoto văstanie 1966, ohne Pagina) oder als Porträtbüste (ebenda). Sehr aufschlussreich über die heutige Verwendung des Fotos ist dessen Bildunterschrift im Jubiläumsband zum 100. Jahrestag des April-Aufstandes von Dojno Dojnov, Hristo Jonkov: Aprilskoto văstanie 1876 (Der April-Aufstand 1876), Sofia 1976, Abb. 10, wonach die Aufnahme nach dem Abstieg Panajot Hitovs vom Balkangebirge aufgenommen worden sei: „Der Vojvode Panajot Hitov nach der Wanderung in Stara Planina und den Übergang nach Serbien 1867“. 42 Zu Iljo Vojvoda aus bulgarischer Sicht siehe etwa Maria Petrinska: Iljo Vojvoda žitie-bitie (Iljo Vojvoda. Biografie), Sofia 1988; zur makedonischen Herkunft des Vojvoden siehe Vojvodata Dedo Iljo Maleševski i negovoto vreme (Der Vojvode Dedo Iljo Maleševski und seine Zeit), Berovo 2000, S. 128–129. 43 Über die fließenden Grenzen zwischen den Berufen des balkanischen Hirten und Banditen siehe die Studie von Karl Kaser: Hirten, Kämpfer, Stammeshelden. Ursprünge und Gegenwart des balkanischen Patriarchats, Wien u. a. 1992, besonders S. 343 ff. Zur nationalen Idealisierung gewalttätiger Kriminalität auf dem Balkan in der spätosmanischen Zeit siehe Fikret Adanır: Heiduckentum und osmanische Herrschaft. Sozialgeschichtliche Aspekte der Diskussion um das frühneuzeitliche Räuberwesen in Südosteuropa, in: Südost-Forschungen 41, 1982, S. 43–116. Zu den genuin südosteuropäischen Wurzeln „separatistischer Gewalttaktik“ als nationale Befreiungsbewegung und deren ungebrochene Karriere auf dem Balkan siehe Stefan Troebst: Von den Fanarioten zur UÇK. Nationalrevolutionäre Bewegungen auf dem Balkan und die „Ressource Weltöffentlichkeit“, in: Europäische Öffentlichkeit. Transnationale Kommunikation seit dem 18. Jahrhundert, hrsg. v. Jörg Requate und Martin Schulze Wessel, Frankfurt a. M. u. a. 2002, S. 231–249.

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34).44 Zwar hatte sich Iljo Vojvoda nicht an dem Aufstand beteiligt, da er sich zur selben Zeit mit seiner Bande als irregulärer Söldner an der Seite der Serben im Krieg gegen die Osmanen geschlagen haben soll, doch spielte diese Tatsache für die Bildberichterstattung solange keine Rolle, bis die fast schon pedantische xylografische Nachbildung des fotografischen Urbildes allen Kriterien der „authentischen“ Freischärlerdarstellung genügte. Kein Teppichmuster und kein achtlos in die fotografische Aufnahme geratener Vorhang im Hintergrund wenden die Aufmerksamkeit länger von der „Wahrheit“ des Bildes ab, an ihre Statt ist eine „richtige“ Naturkulisse getreten. Nicht anders dürfte das Gruppenporträt herzegowinischer Insurgenten entstanden sein. Bei der Vorlage für diese Illustration scheint es sich allerdings um kein Gruppenfoto gehandelt zu haben, dass eins zu eins in einen Holzstich überführt wurde, sondern eher um die Addition mehrerer Einzelporträts zur obligatorischen frontalansichtigen Gruppenanordnung in der überschaubaren Halbkreisform. Die ernsten, zum Teil gar finsteren Gesichtszüge der Porträtierten scheinen jedoch weniger den Fotografien zu folgen, als vielmehr vom Zeichner hinzugefügt worden zu sein, um den Dargestellten die Entschlossenheit und Härte zu verleihen, die sich für die heldenhaften Freiheitskämpfer aus der Herzegowina gehören.

Die „schönsten Züge patriotischer Opferfreudigkeit des kleinen Serbenvolkes!“ Serben und Bulgaren, aber auch Griechen, Walachen und andere, ausschließlich christliche Balkanethnien waren der westeuropäischen Medienklassifikation zufolge friedfertig, fleißig und wohl deshalb auch besonders opferfähig. Die Eignung zum Opferdasein reüssierte vor allem für Serben und Bulgaren zum zentralen Identitätsmerkmal. Zunächst allerdings sollte zur Darstellung ihres friedliebenden Kollektivcharakters der schon während der Berichterstattung vom Krimkrieg entwickelte Typus des ethnografischen Genrebildes genügen. Durch diese Darstellungsform sollte etwa diplomatischer Sinn und Verhandlungswille bei der Lösung von Konflikten – wie immer mit Türken – suggeriert werden, wie im Bericht zu einer Illustration von Felix Kanitz über Bulgarische Verhältnisse der Illustrirten Zeitung zu lesen ist (Abb. 35): „Unsere Illustration“ – so die Beschreibung – „zeigt eine Gruppe bulgarischer Dorfältesten und Bauern, die mit ihren des Schreibens kundigen Popen (nur wenige derselben vermögen dies) in einer Bittschrift ihre oft wiederholten Klagen niedergelegt.“45 Dem Bericht zufolge wurde vor allem die von griechischen Priestern und lokalen Paschas betriebene Ausbeutung der christlichen Untertanen des Sultans beklagt, was die Männer zu einer beratenden Versammlung veranlasst habe. Diese sind im gewohnten Halbkreis für die Zurschaustellung ihrer bäuerlichen Trachten wiedergegeben, wobei 44 Felix Kanitz: Der Aufstand in Bulgarien, in: Illustrirte Zeitung 67, Nr. 1723, 8. Juli 1876, Titelseite–24. 45 Felix Kanitz: Bulgarische Verhältnisse, in: Illustrirte Zeitung 36, Nr. 918, 2. Februar 1861, S. 67.



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die eigentliche Handlung des Beratens bzw. Aufsetzens der Bittschrift durch Gesten wie das Fingerzeigen auf das Schriftstück und die darauf gerichteten Blicke der Männer nahegelegt wird. Eine ähnliche Funktion der gleichzeitigen Veranschaulichung von ethnientypischer Handlung und exotischer Folklore erfüllten Darstellungen von bäuerlichen Bräuchen, Arbeitsverrichtungen oder Tänzen.46 Die in der Illustrirten Zeitung publizierte Titelillustration „Weihnachtsfeier in Serbien“ ist ein gutes Beispiel für diese doppelte Funktion von Presseillustrationen friedlicher Balkanbewohner, in denen gutmütige Frömmigkeit und exotisches Brauchtum Hand in Hand gehen (Abb. 36). Das bescheidene Interieur einer Bauernhütte mit einer Ikone im Hintergrund, die als Hinweis auf die christliche Zugehörigkeit der Dargestellten fungiert, dient als Kulisse für den friedlichen serbischen Auftritt. Dieser wird in Form einer Großfamilie geschildert, die um das Oval des Tisches gruppiert ist. Die übliche Halbkreisordnung gewährt dem Betrachter somit eine gute Sicht auf die im Text sehr ausführlich beschriebenen Speisen auf der weihnachtlichen Tafel und damit einen intimen Einblick in das serbische Brauchtum. Die serbische Friedfertigkeit wird hier vor allem durch Frömmigkeitsklischees wie Kerzen in den Händen, demütig gesenkte Häupter und andachtsvolle Blicke suggeriert. So viel Friede kann eben nur zu Weihnachten, mithin unter den friedlichen Christen des Balkans herrschen.47 Ein weiterer Typus dieser religiös konnotierten Ikonografie balkanisch-christlicher Frömmigkeit, die sehr bald in ein Opfertum umschlagen und die sich schon von Beginn an als feste Darstellungsform durchsetzen sollte, war das Flüchtlingsbild, das am klassischen Darstellungstypus der biblischen Flucht nach Ägypten anknüpft. Erste Beispiele finden sich bereits in den 1860er Jahren, darunter eine der wohl frühesten Darstellungen balkanischer Flüchtlinge in der Illustrirten Zeitung. Schon der Illustrationstitel „Serbische Familien auf der Flucht von Belgrad nach Semlin“48 weist auf die semantischen Wurzeln des Bildes hin, das eine ihren Weg dahin ziehende Karawane aus Menschen, Vieh und Ochsenkarren zeigt. Die Geschichte Jesu zitierend wird der Flüchtlingszug von einer Frau mit einem nackten Kind auf dem Arm sowie einem weißbärtigen, neben seiner Familie schreitenden Mann angeführt. Solcherart ikonografische Anleihen erleichterten dem Leser/Betrachter besonders das Verständnis, handelte es sich doch um einen Darstellungstypus, der sich tief in das kulturelle Gedächtnis der Menschen – namentlich in der westlichen Hemisphäre – eingeprägt hatte und gemeinhin mit Leid und Opfer der Dargestellten assoziierbar war. Als zen46 Vgl. etwa frühe Beispiele wie die Illustrationen „Aus der Bukovina: Wlachen und Huzulen. Nach einer Zeichnung von Baron A. Malchus“, in: Illustrirte Zeitung 50, Nr. 1291, 28. März 1868, S. 221; „Die Romaika, griechischer Nationaltanz. Nach einer Skizze gezeichnet von C. Huth“, in: Illustrirte Zeitung 50, Nr. 1300, 30. Mai 1868, S. 380, oder „Eine bosnische Geleitwache. Nach einer Zeichnung von Eugen Adam“, in: Illustrirte Zeitung 50, Nr. 1303, 20. Juni 1868, S. 432. 47 Diese Art von Presseillustrationen gehören darüber hinaus zum Genre des belehrenden Bildes, die besonders häufig zur Weihnachtszeit publiziert wurden. 48 „Serbische Familien auf der Flucht von Belgrad nach Semlin. Nach einer Originalzeichnung“, in: Illustrirte Zeitung 39, Nr. 993, 12. Juli 1862, S. 29.

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trale Formel der visuellen Kultur war diese Art von Bildern hervorragend geeignet, solidarisches Empfinden für eine unbekannte Welt und ihre Bewohner zu wecken. Es ist kain Zufall, dass um die Jahrhundertwende das Flüchtlingsmotiv ausgerechnet in der serbischen Historienmalerei nicht nur eine Hochkonjunktur erleben, sondern sich zunehmend zu einem eigenständigen Genre entwickeln wird.49 Die bis heute zu den wichtigsten Nationalbildern der Serben zählenden Historiengemälde wie die „Bosnisch-Herzegowinischen Flüchtlinge“ (1889) von Uroš Predić oder der zur Ikone gewordene Exodus der Serben von Paja Jovanović mit dem Tiel „Wanderung der Serben“ von 1886 gehen allesamt auf dieses populäre Motiv der illustrierten Presse zurück. Ikonografische Spielarten dieser biblischen Geschichte wie die Rast auf der Flucht nach Ägypten dienten ebenfalls der leicht verständlichen Versinnbildlichung von Entbehrungen und Leid, sorgten jedoch zugleich für einige Abwechslung innerhalb der sonst monotonen Abfolgen von Flüchtlingszügen der balkanischen Völker. Auf die Region wurde dieses biblische Motiv aus der westeuropäischen Kunst vermutlich erstmals in einer ganzseitigen Illustration der Illustrirten Zeitung angewandt, die laut Titel „Flüchtige Serbenfamilien in der großen Salpeterhöhle bei Belgrad“ zeigt (Abb. 37). Die nach einer zeichnerischen Vorlage von Felix Kanitz gestochene Salpeterhöhle wurde wohl des besseren Mise en scène der Flüchtlinge wegen extra für die Rastszene von unbequemen Unebenheiten ‚bereinigt‘. Dies zeigt der Vergleich der Illustration mit einer nach derselben Vorlage, jedoch 14 Jahre später gestochenen und wiederum in der Illustrirten Zeitung publizierten Illustration der „Salpeterhöhle zu Belgrad“, die den Arbeitsprozess der Gewinnung des Rohstoffes zum Thema hat (Abb. 38). Die vor der erhabenen Naturkulisse der Felswand auf dem nunmehr eingeebneten Boden regelmäßig verteilten Flüchtlingsgruppen bestehen hauptsächlich aus Frauen und Kindern, die das Mitleid des Betrachters erwecken sollen.50 So folgt die Beschreibung der Illustration, aber auch der gesamte Bericht dem rhetorischen Modus des Mitleids: „Unsere Illustration zeigt einige geflüchtete serbische Familien, welche in der großen, Belgrad nahe gelegenen Salpeterhöhle Schutz vor den türkischen Geschossen gefunden haben [...]. Es sind großentheils Frauen und hülflose Kinder, die sich unseren

49 Nenad Makuljević: Umetnost i nacionalna ideja u XIX veku. Sistem evropske i srpske vizuelne kulture u službi nacije (Kunst und nationale Idee im 19. Jahrhundert. Das System der europäischen und serbischen visuellen Kultur im Dienste der Nation), Belgrad 2006, S. 134, führt die Ausbildung des Themas der „serbischen Flüchtlinge“ (srpske izbeglice) auf die leidvolle soziale und politische Lage der Serben während der militärischen Auseinandersetzungen der 1870er Jahre zurück, ohne jedoch auf die zentrale Vermittlerrolle illustrierter Periodika für die Verbreitung dieses und anderer Bildmotive einzugehen. 50 Die stereotype Bildformel flüchtender Frauen und Kinder, stets im Vordergrund platziert, wird sich später in sämtlichen Werken der serbischen Historienmalerei finden. Siehe dazu Makuljević 2006, S. 333, der als Beispiele die beiden Versionen „Bosnisch-Herzegowinischer Flüchtlinge“ von Predić und die 1879 von Đorđe Krstić gemalte „Ertunkene“ bosnische Mutter mit Kind, die auf ihrer Flucht ertrinkt, nennt.



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Blicken zeigen“.51 Geflüchtet seien sie nach „drei Monate[n] voll der schönsten Züge patriotischer Opferfreudigkeit des kleinen Serbenvolkes“, „als die plötzlich einhersausenden Bomben und Projectile die christliche friedliche Bevölkerung aus ihren Wohnungen vertrieben“.52 Entsprechend christlich konnotiert ist die rechts ins Bild eintretende Figurengruppe, die alle Merkmale der bald Rast findenden heiligen Familie trägt: anstatt auf des Esels Rücken sitzt jedoch die serbische Mutter mit ihrem Kind auf dem bepackten Ochsenkarren, der vom Vater geführt wird. „So vielfache Opfer“ – schließt der Text resigniert – „hätten einen glücklicheren Erfolg verdient“.53

Die Baschibozuks „Sie waren entsetzlich anzuschauen, bis an die Zähne bewaffnet“ Illustrirte Zeitung, 185554

„So vielfache Opfer“55 mussten jemandem überantwortet werden, und dieser jemand war der Baschibozuk, den es ebenfalls als eindeutig identifizierbare Größe visuell zu entwerfen galt. Der aus dem Osmanischen stammende Begriff ist zwar etymologisch nach wie vor nicht eindeutig geklärt, doch laut weitgehendem Konsens soll er „kranker Kopf“ bedeuten und jene irregulären Söldner der osmanischen Armee zumeist muslimischen Glaubensbekenntnisses bezeichnen,56 die je nach politischer bzw. verlegerischer Intention zunächst als pittoreske Personenstaffage dargestellt wurden, um zunehmend zu den mal mehr, mal weniger blutrünstigen Menschenbestien des Balkans stigmatisiert zu werden. Diese anfängliche diametral unterschiedliche Beurteilung der sogenannten Baschibozuks hat sich jedoch kaum in variierenden Darstellungstypen niedergeschlagen. Ganz im Gegenteil bildete sich nach dem gleichen Prinzip der visuellen Konstruktion der Ethnien des Balkans ein weitgehend konstanter Bildtypus heraus, der die in Wirklichkeit gar keine Homogenität aufweisenden Söldner erst in der westeuropäischen Berichterstattung zu einer optisch unterscheidbaren Gruppe der Baschibozuks zusammenfassen sollte. Ihre Darstellung eignete sich vorzüglich für die Zwecke der illustrierten Presse, insofern die Gestalt des Baschibozuk zur Projektions51 Felix Kanitz: Serbische Flüchtlinge in der Salpeterhöhle bei Belgrad, in: Illustrirte Zeitung 39, Nr. 1006, 11. Oktober 1862, S. 270–271, hier S. 271 (Herv. d. Verf.). 52 Ebenda, S. 270 (Herv. d. Verf.). 53 Ebenda, S. 271 (Herv. d. Verf.). 54 „Die Baschi-Bozuks“, in: Illustrirte Zeitung 25, Nr. 648, 1. Dezember 1855, S. 363–364. 55 Kanitz 1862, S. 271. 56 In der westlichen Literatur wurde der Begriff Baschibozuk wohl erstmals von Jean Henry A. Ubicini: Lettres sur la Turquie, 2. Bde., Paris 1853, 1854, Bd. 2, S. 420, im Sinne irregulärer Hilfstruppen verwendet. Eine erste ausführliche Abhandlung über diese Truppen in Form eines Reiseberichts stammt vom englischen Kommandanten einer Baschibozuk-Einheit und Leutnant der Osmanischen Armee Edward Money: Twelve Months with the Bashi-Bazouks, London 1857. Darin finden sich auch drei ganzseitige kolorierte Lithografien, die einen Offizier der Baschibozuks, wohl Money selbst, einen arabischen und einen albanischen Baschibozuk darstellen.

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fläche sowohl des skandalisierend Bestialischen als auch des exotisierend Fremden gleichzeitig dienen konnte, mithin die kollektive Fantasie des heimischen Publikums vom Balkan besonders vielfältig genährt haben dürfte. Diese ambivalenten Konnotationen gehörten schon von Beginn an zu den festen Attributen der Baschibozuks. Eine der ersten Illustrationen von 1853 zeigt vier von ihnen während einer Rekrutierungsaktion mit den obligatorischen Turbanen und – woran man ab jetzt immer wieder Baschibozuks erkennen wird – bis an die Zähne bewaffnet: „The subject of our present Engraving is one of the recruiting parties [...]. The recruiting officers are armed to the teeth – carrying pistols, dagger, and a formidable yatagan swung across his breast, in the folds of his shawl.“57 Noch handelte es sich um lediglich deskriptive Informationen über die osmanischen Hilfstruppen, denen man in den 1850er Jahren – zumindest aus englischer Sicht – nicht nur anscheinend wohlgesonnen war, sondern die man zuweilen sogar als positiv besetzte Identifikationsobjekte wahrnahm. Der geradezu freundschaftliche Intimität suggerierende Texttitel „Our Bashi-Bozouk“ zu einer frühen Illustration der Illustrated London News, die den ‚unsrigen‘ Baschibozuk namens Deli Mustafa darstellen soll, zeigt zwar einen reichlich bewaffneten Mann in ausfallendem Schritt und triumphierender Pose, der mit seinem Säbel soeben einem Soldaten wohl der russischen Armee das Leben genommen hat (Abb. 39), doch wird er im Text dennoch ganz besonders gelobt. Romantisch verklärend werden darin die kriegerischen Fähigkeiten des Baschibozuk als vorzüglicher Reiter und geschickter Nahkämpfer beschrieben, für die der gewisse Deli Mustafa beispielhaft stehe: „The accompanying Engraving of Deli Mustapha, a Bashi-bozouk, is given by our Artist as a favourable specimen of this class of wild troopers.“58 Doch dasselbe Bild konnte auch ideologische Kratzer bekommen, die nicht zuletzt den seit dem Krimkrieg sich ausbreitenden antiislamischen Ressentiments in Europa geschuldet waren. Besonders instruktiv in diesem Zusammenhang ist wiederum „unser“ Baschibozuk, der nur eine Woche später in der Illustrirten Zeitung abgedruckt werden sollte, nun jedoch unter den sich über die Grenzen des Britischen Empires hinweg wandelnden politischen Vorzeichen (Abb. 40). Auch stellte der von der Leipziger Zeitung eins zu eins übernommene Druckstock nicht mehr einen konkreten Vertreter der ‚wilden Spezies‘ dar, sondern den Sammelbegriff der „[...] später so berüchtigt gewordenen Baschi-Bozuks (Führerlosen), die sich durch Wildheit, Grausamkeit und Insubordination“ auszeichneten. „Sie waren entsetzlich anzuschauen“ – fährt der Text fort – „bis an die Zähne bewaffnet – Freiwillige, die, nachdem sie ihre Hütte oder Feld, das sie nährte, verkauft hatten, um Pferd und Waffen zu kaufen, ihre Dörfer verlassen hatten und von ihren Familien gegangen waren, um zur Vertheidigung des Vaterlandes und der Religion zu eilen.“59 Zwar nennt der 57 „Recruits in Turkey“, in: The Illustrated London News 23, Nr. 651, 29. Oktober 1853, S. 365 (Herv. d. Verf.). 58 „Our Bashi-Bozouk“, in: The Illustrated London News 27, Nr. 771, 24. November 1855, S. 614. 59 „Die Baschi-Bozuks“, S. 364.



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Text nicht explizit die zu verteidigende Religion, doch der somit hergestellte kausale Zusammenhang zwischen Patriotismus und Religion auf der einen Seite und „entsetzliches“ Aussehen und „Grausamkeit“ auf der anderen Seite sollte dem Leser jene scheinbar charakteristische Eigenschaft der Baschibozuks suggerieren, die sie von den Heroen und Opfern des Balkans unterscheiden sollte, nämlich ihren angeblichen religiösen Fanatismus. Was nicht nur der zitierte Text, sondern auch der gesamte mediale Diskurs über die Baschibozuks – ob wissentlich oder nicht – jedoch unterschlug, ist, dass sich die marodierenden und gelegentlich mordenden Banden des Balkans im Wesentlichen aus Angehörige verarmter Bevölkerungsschichten – im Übrigen nicht nur Muslimen – zusammensetzten, die ihren ‚Beruf‘ weniger aus frommem Übereifer, sondern hauptsächlich aus der existenziellen Not ergriffen hatten.60 Doch gerade solche reduktionistischen Erklärungen sollten dem Klischee vom Baschibozuk als religiösem Fanatiker zu einer äußerst erfolgreichen Karriere verhelfen und die Vorstellung von der aus diesem Fanatismus angeblich resultierenden Bestialität ganz wesentlich beeinflussen. Es ist wiederum die Zeit des Krimkriegs, in der die Fundamente der Vorstellung vom Islam als besonders grausamer Religion gelegt werden, wobei der ihn beispielhaft vertretende Baschibozuk ganz wie seine Opfer noch in weitgehender Passivität verharrt, die bisweilen in apathischen Müßiggang umschlägt. So zeigt ihn eine der ersten prominenten Illustrationen auf der Titelseite der Illustrated London News als geradezu lethargisches Wesen, das in protzender Pose seine Waffen zur Schau stellt und seinen Tschibuk raucht, allerdings nicht auf dem Schlachtfeld, sondern vor dem Kaffeehaus (Abb. 41). Letzteres sollte seine Faulheit und vollkommene Apathie zum Ausdruck bringen, die von der vulgär breitbeinigen Pose, den nackten Füßen und den halbgeschlossenen Augenlidern noch verstärkt wird. Denn wenn der Baschibozuk als „Evidenz der orientalischen Barbarei“61 nicht gerade dabei war – wie uns der Text zur Illustration informiert –, jeden nur denkbaren Akt des Raubens und Mordens unschuldiger Menschen zu verüben,62 dann verharrte er in unnützer Muße. Müßiggang wird von nun an ebenfalls zur konstituierenden Eigenschaft des Baschibozuk, dem wir in stereotypen Darstellungen seiner Faulenzerei über Jahrzehnte hinweg auf den Seiten der Illustrierten begegnen werden wie etwa 1875 in der Illustrirten Zeitung, die laut Titel zwei auf dem Boden lagernde Baschibozuks in einem Kaffeehaus in der osma-

60 Die tief in der Geschichte der osmanischen Gesellschaftsstruktur wurzelnden Ursachen des im gesamten Imperium verbreiteten Bandenwesens, das mit den sozialen und militärischen Reformen seit den 1830er Jahren zusammenhing, behandelt die hervorragende und quellenreiche Studie von James J. Reid: Crisis of the Ottoman Empire. Prelude to Collapse 1839–1878 (= Quellen und Studien zur Geschichte des östlichen Europas 57), Stuttgart 2000, besonders die Kapitel zu den irregulären Truppen, S. 105–174. 61 „The Bashi-Bozouks“, in: The Illustrated London News 26, Nr. 686, 3. Juni 1854, S. 517–518, hier S. 518: „evidence of Oriental barbarism“. 62 Ebenda, S. 517: „[...] every act of brigandage and atrocity upon their unfortunate, unarmed fellowsubjects“.

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nischen Stadt Trebinje zeigt (Abb. 42). Turban, Tschibuk, Flinte und aus dem Gürtel hervorlugende Pistolengriffe, dazu der orientalische Schneidersitz waren alles Attribute, die die dargestellten Personen als herumlungernde Muslime, die nur zur Übeltat fähig sind, klassifizieren sollten.63 Was jedoch gerade die Illustrationen nicht verbergen konnten, war die kaum zu übersehende äußerliche Ähnlichkeit von muslimischen Baschibozuks und christlichen Nationalhelden, die sich zuweilen zum Verwechseln ähnelten. Diese galt es nicht nur durch die erläuternden Texte, sondern vor allem durch die Darstellung der ethnischen Charakteristika zu kaschieren. Denn weder die angeblich typische Kleidung und Bewaffnung noch die berüchtigte Grausamkeit der Baschibozuks waren ihnen allein vorbehalten. Diese trafen gleichermaßen für ihre christlichen Pendants zu. Einige Beispiele mögen genügen, um dies zu verdeutlichen. In seinem Äußeren unterscheidet sich der Baschibozuk Deli Mustapha (Abb. 39) kaum von dem herzegowinischen Insurgentenführer Luka Vukalović (Abb. 30), dem bulgarischen bzw. makedonischen Freischärler Iljo Vojvoda (Abb. 34) oder von jenem anonym gebliebenen montengrinischen Insurgenten, der nach dem Gemälde von Carl Haag als idealisierte Figur eines Freischärleranführers aus Montenegro in der Illustrated London News reproduziert wurde (Abb. 43).64 Nichts deutet auf jene laut der medialen Klassifikation sich voneinander diametral unterscheidenden äußerlichen Eigenschaften der balkanischen Ethnien hin. Freilich ließen sich auch divergierende Details benennen wie die unterschiedlichen Kopfbedeckungen etwa, doch handelt es sich im Grunde um eine identische Art von Kleidung und Bewaffnung eines jeden Freibeuters des Balkans, die trotz der von der illustrierten Presse postulierten Grenzen religiöser und ethnischer Gemeinschaften nicht zu übersehen ist.65 Selbst Darstellungen von Kampfhandlungen der scheinbar so unterschiedlichen muslimischen Baschibozuks und christlichen Helden sind sich zum Verwechseln ähnlich und geradezu austauschbar. Vergleicht man zwei beispielhafte Illustrationen, die in einem Abstand von einem Jahr jeweils in der Illustrated London News und im The Graphic publiziert worden sind, so fallen nicht nur die identischen Illustrationstitel

63 Darstellungen von Muslimen wurden prinzipiell mit Müßiggang oder Faulheit in Zusammenhang gebracht. Abgesehen von zahlreichen Beispielen dieser Art wie etwa Genredarstellungen muslimischen Lebens in Istanbul finden sich solche Beispiele vom Balkan vor allem in der deutschsprachigen Presse, so etwa zwei Illustrationen nach Zeichnungen von Felix Kanitz: „Dolce far niente bosnischer Begs (Gutsherren)“, in: Illustrirte Zeitung 66, Nr. 1698, 15. Januar 1876, Titelseite, sowie „Aus der Herzegowina: Käff (beschauliches Sichversenken) im Bazar zu Trebinje“, in: ebenda, S. 48. Genährt wurde diese Berichterstattung wiederum von der Genremalerei der Orientalisten, namentlich der Werke von Jean-Léone Gérôme. 64 Bei dieser Illustration handelt es sich um einen als Gemäldereproduktion ausgewiesenen Holzstich. Laut erläuternder Notiz zeigt sie eine charakteristische Figur eines Freischärleranführers aus Montenegro, der von Carl Haag gemalt und auf der Winterausstellung der Society of Painters in Water Colours ausgestellt worden war: „A Montenegrin“, in: The Illustrated London News 70, Nr. 1972, 28. April 1877, S. 391. Zwei Jahre später wurde der Druckstock für die gleichnamige Illustration in der serbischen Illustrierten Srpska zora 3, Mai 1878, S. 97, wiederverwendet. 65 Siehe Anm. 43.

Farbtafeln

Tafel I Jaroslav Čermák: Die Kriegsbeute, 1868, Öl auf Leinwand, 240 × 394 cm, Brüssel, Musées Royaux des Beaux-Arts de Belgique, © Royal Museums of Fine Arts of Belgium, Brussels (dig. photo: J. Geleyns/ www.roscan.be)

Tafel II Jaroslav Čermák: Gefangene, 1870, Öl auf Leinwand, 162 × 116 cm, Prag, Nationalgalerie, Photograph © National Gallery in Prague 2010

Tafel III Jaroslav Čermák: Im Harem (Montenegrinerin im Harem), 1877, Öl auf Holz, 45 × 75 cm, Prag, Nationalgalerie, Photograph © National Gallery in Prague 2010

Tafel IV Jaroslav Čermák: Herzegowiner finden auf der Rückkehr in ihr von Baschibozuks geplündertes Dorf den Friedhof verwüstet und die Kirche zerstört vor, 1877, Öl auf Leinwand, 149 × 200 cm, Prag, Bildgalerie der Prager Burg

Tafel V Jarosalv Čermák: Entführung einer Herzegowinerin, 1861, Öl auf Leinwand, 250 × 190 cm, New York, Dahesh Museum of Art, © Dahesh Museum of Art, New York, USA/The Bridgeman Art Library

Tafel VI Jaroslav Čermák: Entführung einer Montenegrinerin, 1865, [Öl auf Holz?], 68 × 52,5 cm, Prag, Nationalgalerie, Photograph © National Gallery in Prague 2010

Tafel VII Uroš Predić: Das Mädchen vom Amselfeld, 1919, Öl auf Leinwand, 88 × 115 cm, Belgrad, Stadtmuseum

Tafel VIII Uroš Predić: Urkunde des Serbischen Volksfonds für Kriegsversehrte, Entwurf, 1914, Aquarell auf Papier, Maße unbekannt, Privatbesitz

Tafel X Ferdo Kikerec: Das Kosovo Mädchen, 1879, Öl auf Leinwand, 58,5 × 79 cm, Zagreb, Historisches Museum von Kroatien

Tafel IX Uroš Predić: Urkunde des serbischen Volksfonds für Kriegsversehrte, Detail

Tafel XI Konstantin E. Makovsky: Bulgarische Märtyrer, 1877, Öl auf Leinwand, 207 × 141 cm, Minsk, Nationalgalerie der Republik Weißrussland

Tafel XII Ivan Mrkvička: Märtyrer, aus dem Zyklus „Unter dem Joch“, um 1906, Öl auf Leinwand, 120,5 × 95 cm, Sofia, Nationalgalerie

Tafel XIII Ivan Mrkvička: Nocturno des Grauens, aus dem Zyklus „Unter dem Joch“, 1897, Öl auf Leinwand, 93 × 119 cm, Sofia, Nationalgalerie

Tafel XIV Ivan Mrkvička: Die Zeit der Kărdžalien, aus dem Zyklus „Unter dem Joch“, um 1897, Öl auf Leinwand, 95 × 100 cm, Sofia, Nationalgalerie

Tafel XV Antoni Piotrowski: Das Massaker von Batak, 1892, Öl auf Leinwand, 183 × 283 cm, Sofia, Nationalgalerie für Ausländische Kunst, Foto: Todor Mitov 2007

Tafel XVI Dimităr Cavra: Inszenierung des Massakers vor der Schule in Batak, 1888, Fotografie (ursprünglich: Überlebende nach dem Massaker von Batak, undatiert bzw. zwischen 1876 und 1878 datiert)

Tafel XVII Dimităr Cavra: Inszenierung des Massakers von Batak, Retusche und rote Markierung des Flusses d. Verf.

Tafel XVIII Dimităr Cavra: Inszenierte Gebeine in der Kirche Hl. Nedelja in Batak, 1888, Fotografie (ursprünglich: Die historische Kirche in Batak nach dem April-Aufstand, 1878)

Tafel XIX Felice Beato: Das Innere des Secundra-Bagh-Palastes in Lucknow, 1858, AlbuminSilber-Print, 26,2 × 29,8 cm, Providence, Anne S. K. Brown Military Collection, Brown Univer­ sity, Library



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und bildstrukturellen Ähnlichkeiten bei der Wiedergabe gleicher Handlungen, sondern auch die kaum voneinander zu unterscheidende Kleidung, Waffen und Attribute der Bildprotagonisten auf. Die Illustrationen herzegowinischer Insurgenten im Hinterhalt (Abb. 44) und türkischer Baschibozuks im Hinterhalt (Abb. 45) zeigen jeweils zwei Gruppen aus schwerbewaffneten und in Pluderhosen gekleideten Männern, die hinter einem Felsen auf ihre Opfer lauern. Lediglich attributive wie habituelle Details suggerieren Differenzen bei den dargestellten Personen. Hierzu gehört etwa das Attribut der Kopfbedeckung: während die Herzegowiner durch flache Kappen kenntlich gemacht werden, tragen die Baschibozuks die obligatorischen Turbane oder mit Tuch umwickelten Feze. Auch die scheinbar ethnien- bzw. religionsspezifischen Kollektiveigenschaften finden sich hier in den schon bekannten ikonografischen Darstellungsmustern wieder. So entlädt sich die herzegowinische Tapferkeit fast schon in manierierter Übertriebenheit in dem entschiedenen Ausfallschritt und in der wie ein Schießbogen gespannten Brust des in der vorderen Bildmitte platzierten Herzegowiners. Seine Pose wird in leicht veränderter Form von dem dahinter schreitenden Mitstreiter aufgegriffen, um durch die formale Dopplung des Ausfallschrittes den Eindruck der gebannten Kampfbereitschaft und Entschlossenheit zu potenzieren. Indessen wird die Bequemlichkeit und Desorganisation, und nicht zuletzt die Blutrünstigkeit der Baschibozuks von der auf dem Felsen lässig sitzenden Figur personifiziert, die durch das Motiv des Messers zwischen den Lippen das Klischee von der Bewaffnung bis an die Zähne ins Visuelle buchstäblich übersetzt. Verstärkt wird der Eindruck von müßiger Gelassenheit durch die Körperhaltung des unmittelbar dahinter stehenden und in der Betrachtung seines Gewehrs versunkene Baschibozuk, dessen Bein nicht zum Ausfallschritt, sondern zum Ausruhen angewinkelt ist.

Unübliche Illustrationen „Die meisten europäischen Blätter wissen allerhand Greuelthaten zu erzählen, die den Türken den Titel ‚Henker von Matschin‘ eintrugen. Alle diese Schauergeschichten sind nichts als eine phantasiereiche Inszenesetzung verschiedener Lügengewebe, um das Mitleid des Occidents rege zu halten.“ Ueber Land und Meer, 187766

Manche ‚Taten‘ der so unterschiedliche Charakterzüge aufweisenden Ethnien des Balkans scheinen sich jedoch bei genauerer Betrachtung kaum von denen der Berufsgruppe der Baschibozuks unterschieden zu haben. Orthodoxe Griechen, heldenhafte Herzegowiner und Montenegriner wie friedfertige Bulgaren waren mal mehr, 66 „Ein Streifzug an der unteren Donau. Mit Bildern von J. Kaloros“, in: Ueber Land und Meer 38, Nr. 48, 1877, S. 980–981, hier S. 981.

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mal weniger grausam, wie sich an den wenigen, mithin heute unbekannten und daher oft vergessenen visuellen wie schriftlichen Darstellungen aufzeigen lässt. Dabei maß die illustrierte Presse gleiche Taten, zumal Gräueltaten, mit zweierlei Maß. Während von muslimischen Baschibozuks verübte Gräuel als natürlicher Ausdruck ihres religiösen Fanatismus gewertet wurden, waren solche von Christen ein Zeichen von ethnienspezifischem Kampfesmut oder bloßer Naivität. In diesem Zusammenhang ist der Bericht von Felix Kanitz über Bosnische Verhältnisse in der Illustrirten Zeitung besonders instruktiv. Darin wird von den ein Jahr zuvor ausgebrochenen Bauernrebellionen in Bosnien und der Herzegowina aufgrund erhöhter Steuern berichtet, die sich nun in interethnischen Konflikten entladen hätten. Dem Bericht zufolge würden nun „überall [...] die Baschi-Bozuks einberufen, die Handschare geschliffen, welche in den Rassenkämpfen dieser Länder“67 benützt würden. Brandschatzung, Plünderung und Massaker sollen gleichermaßen von muslimischen Irregulären wie von Montenegrinern und Herzegowinern begangen worden sein. Doch während die betroffenen „armen Christen in die Berge zersprengt“ worden seien, seien die von Montenegrinern an muslimischen Zivilisten begangenen Gräuel „kampfesmuthig“68 gewesen. Vor allem aber ist es das dazugehörige Bild, das diese nach „Rassen“ unterscheidende Wertung exemplarisch demonstriert und sie mit besonderer Nachdrücklichkeit gerade visuell nahezulegen sucht. Die Illustration zeigt nämlich nicht etwa kampfesmutig massakrierende Montenegriner, sondern einen „Bosnischen Derwisch zum Kampfe gegen Montenegro auffordernd“ (Abb. 46). Auf dem Bild – so der Text – sei die Rekrutierung von Baschibozuks zu sehen, deren blindwütige Kampfbereitschaft in einem Meer von erhobenen Säbelklingen zum Ausdruck gebracht wird. Vom islamischen Geistlichen angestachelt, prüft der im Vordergrund sitzende Mann die Schärfe seiner Waffe, während die von der Rede bereits fanatisierte Menge düster martialisch dreinschaut. Fast fehl am Platz wirken die zwei Mädchen in der Bildmitte, die wohl zum Brunnen gekommen sind, um Wasser zu holen und staunend das Fanatisierungsszenario beobachten. Arabische Schrift und eine den Brunnen bekrönende Mondsichel runden die von Fanatismus aufgeheizte Atmosphäre symbolisch ab. Wie bei den frühen Illustrationen der balkanischen Ethnien bleiben in den 1860er Jahren auch die Baschibozuks – zumindest visuell – noch weitgehend passiv und unter sich, obschon sie immer öfter in aktive, zumeist Blutrünstigkeit suggerierende Handlungen eingebunden werden. Diese säuberliche Trennung nach balkanischen Typen ist 67 Felix Kanitz: „Bosnische Verhältnisse,“ in: Illustrirte Zeitung 36, Nr. 934, 25. Mai 1861, S. 352–353, hier S. 354. 68 Ebenda: „So wurde im verflossenen Jahre von den Türken die Saat gestreut, welche in diesem Frühjahre so blutig für sie aufgehen sollte! An 2000 Uskoken, angeführt von Novica Zerovitsch, griffen Kolatschin an und steckten es in Brand. Gleichzeitig wurde das zwischen Montenegro und Serbien liegende, als christenfeindlich bekannte türkische Dorf Bivori mit allen seinen Einwohnern gänzlich vernichtet [...] Die türkischen Dörfer Podasklad, Branitza und Karatschinbreg unterwarfen sich den Montenegrinern. Vrbiga, Lipnitza und Androvitsch wurden jedoch niedergebrannt und von gleichem Lose sind Spusch und Podgoritza bedroht.“



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am Beispiel der schon oben besprochenen Doppelseite aus der Illustrirten Zeitung abzulesen (Abb. 16), wo sich irreguläre muslimische Söldner und bulgarische Freischärler gegenüberstehen, jedoch lediglich in ein ästhetisches Verhältnis gebracht worden sind, ohne die Klingen zu kreuzen. Die christlichen Pendants verüben dagegen, zumal im Bild, nur selten abscheuliche Taten. Ein rares Beispiel findet sich in Ueber Land und Meer, das allerdings nicht wegen seiner Rarität, sondern wegen der Anstößigkeit der dargestellten Handlung, die mehr als befremdlich wirkt, hier angeführt wird. Noch befremdlicher als die Handlung selbst ist jedoch deren Wertung, die bereits im Illustrationstitel enthalten ist. Das Bild „Insurgenten nach einem glücklichen Gefecht“ (Abb. 47) stellt keine, wie der geradezu euphemistische Titel nahelegt, etwa vor Glück über ihren Sieg jubelnden Aufständischen dar, sondern einen Herzegowiner, der mit seinem Messer gerade dabei ist, einer Leiche das Ohr abzuschneiden. In unmittelbarer Nähe liegt eine weitere, schon enthauptete Leiche, deren Kopf vor die Füße eines daneben stehenden und der Amputation zuschauenden Aufständischen rollt.69 Nicht mit dieser anrüchigen Detailliertheit und verklärenden Bildtitelgebung wurden die für die Bulgaren sonst untypischen Taten von Plünderung, Brandschatzung und Massaker dargestellt, galten sie doch als friedliche und opferbereite Ethnie. Wohl deshalb wurde diese ‚unbekannte‘ Seite des Bulgaren nicht in Form einer Handlung, sondern als deren Resultat verbildlicht. Eine der wenigen Ausnahmen, die diese Regel bestätigt, ist die in Ueber Land und Meer publizierte Illustration „Bulgaren zerstören die Moschee“ (Abb. 48), die bisweilen einem Comic ähnelt, mithin die dargestellte Verrichtung verschiedener Zerstörungs- bzw. Schändungstaten zu verharmlosen sucht. Während im Vordergrund ein orthodoxer Geistlicher mit Hilfe eines ihm gleichgesinnten Mannes einen Koran in Fetzen reißt, ihnen zur Seite ein dritter mit einem Beil bewaffneter Mann soeben eine Balustrade kaputt geschlagen hat, und ein im Hintergrund zu sehender vierter Mann eine Bogennische mit dem christlichen Kreuz bemalt, reißt rechts ein fünfter gerade die Fenster der Moschee aus. Der so illustrierte Artikel fällt in seinem Urteil jedoch etwas schärfer aus und gehört damit zu den wenigen in der illustrierten Presse, die überhaupt über die von Bulgaren verübten Gräuel berichten. Der Text über das zerstörte Türkenviertel der fast 5.000 Einwohner zählenden Stadt Matschin (heute Mačin in Rumänien) an der Donau sei deshalb in einiger Ausführlichkeit zitiert: „So wie überall tragen vorzüglich die beiden Moscheen die Spuren der gewaltsamen Zerstörung. Als der letzte türkische Soldat Matschin verlassen hatte, fielen Bulgaren und Rumänen in edlem 69 Vgl. hierzu etwa die doppelseitige und hervorragend gearbeitete Illustration nach dem Entwurf von Richard Catoon Woodville: „Greek Insurgents“, in: The Illustrated London News 72, Nr. 2035, 29. Juni 1878, Extra Supplement, die griechische Kleften mit einem von ihnen umgebrachten osmanischen Soldaten zeigt, oder zwei Illustrationen zum herzegowinischen Aufstand: „The War in the Herzegowina: Insurgents Surprising a Turkish Convoy“, in: The Illustrated London News 68, Nr. 1910, 4. März 1876, S. 221, die die Plünderung eines Militärkonvois durch Aufständische darstellt, sowie: „A Journey in to the Herzegowina: Fate of a Turkish Spy“, in: The Illustrated London News 68, Nr. 1925, 17. Juni 1876, S. 584, auf der zwei herzegowinische Aufständische einen von ihnen erstochenen osmanischen Soldaten ausrauben.

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Wetteifer über die beiden Andachtstempel her“ und zertrümmerten sie. „Der Koran (der Moschee), alle im Inneren befindlichen Bilder, die heiligen Lampen, mit einem Wort der gesamte innere Schmuck bildete hinlängliches Material, an dem dies civilisirt sein wollende Volk den niederträchtigsten Vandalismus übte. Als es im Inneren nichts mehr zu zertrümmern gab, warf man sämtliche Fenster ein und beendete die Heldentat mit der Entwürdigung der Grabstellen und Verstümmelung der Monumente in den beiden Friedhöfen. [...] Nachdem man noch das Innere der Moscheen mit einem Kreuz bemalt hatte, kamen die übrigen türkischen Gebäude und schließlich der Konak an die Reihe. Was sich nicht ohne Weiteres zerstören ließ, wurde den Flammen preisgegeben.“ Und auch die Wertung dieser Taten ist äußerst untypisch, insofern eine sonst allein den Muslimen vorbehaltene Eigenschaft nun den Bulgaren zugeschrieben wurde, deren „[...] religiöser Fanatismus, gepaart mit unvergleichlicher Rohheit, Akte vollbrachte, die der Nation einen unauslöschlichen Schandfleck aufdrücken und die so recht den bulgarischen Charakter kennzeichnen.“ Zwar habe die Auflehnung der Bulgaren gegen die türkische Misswirtschaft – fährt der Autor fort – ihre Berechtigung, die ihnen jedoch nicht das Recht gebe, zu solchen Mitteln zu greifen wie in Matschin und anderen Orten wie Tulca und Hirsova. Nur die grenzenlose Entsittlichung, der Mangel an geistiger Entwicklung könne Szenen herbeiführen, die ungerechterweise den Türken zur Last gelegt würden: „Die meisten europäischen Blätter wissen allerhand Greuelthaten zu erzählen, die den Türken den Titel ‚Henker von Matschin‘ eintrugen. Alle diese Schauergeschichten“ – schließt der Autor ab – „sind nichts als eine phantasiereiche Inszenesetzung verschiedener Lügengewebe, um das Mitleid des Occidents rege zu halten.“70 Die visuelle Rhetorik der Verharmlosung wird noch deutlicher in einer Illustration der Illustrated London News, auf der der russische General Zimmermann mit belehrender Geste eine vor ihm versammelte Menge von beschämten Bauern wegen der Zerstörung muslimischen Eigentums tadelt, als richte sich seine Rüge nicht an erwachsene und für ihre Taten verantwortliche Menschen, sondern an naive Kinder (Abb. 49). Das von den illustrierten Massenmedien suggerierte Mitleid mit den stets als friedfertig präsentierten Bulgaren und Bulgarinnen erklärt, warum von ihnen begangene Übeltaten – wenn sie denn überhaupt zum nachrichtenpolitischen Thema gemacht wurden – hauptsächlich in Form zerstörter leerer Räume oder ruinierter Siedlungen dargestellt worden sind. Keine emotional aufgeladene Ikonografie biblischen Leids stand deshalb diesen Bildern Pate, sondern jene verklärende bürgerliche Ruinenromantik, mit Hilfe derer eventuelle Gefühlswallungen bei den Lesern/Betrachtern effektiv neutralisiert werden sollten. Denn schließlich verhinderte die gähnende Menschenleere dieser Bilder jegliche Gleichsetzung mit den ‚unüblichen‘ Opfern wie etwa Muslimen und Musliminnen, fehlten doch die obligatorischen Menschenfiguren als potenzielle Identifikationsobjekte.

70 „Ein Streifzug an der unteren Donau“, S. 981.



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Wie die Illustration zerstörungswütiger Bulgaren, so handelt es sich auch bei den menschenleeren Illustrationen mit ‚ruinösem‘ Inhalt um Holzstiche kleinsten Formats, das die dargestellten Zerstörungen zusätzlich unterminieren sollte. Die hier reproduzierten drei Beispiele aus der Illustrated London News bekommen gerade durch ihre kleinen Maße einen kursorischen Charakter, obschon die dargestellten Ruinen eines muslimischen Friedhofs und eines Kaffeehauses in der Stadt Matschin (Abb. 50 und 51) sowie eines türkischen Badehauses in einem türkischen Dorf namens Medžidie (Abb. 52) – möchte man den Bildern glauben – von nicht unerheblichem Ausmaß gewesen sein dürften. Das Missverhältnis zwischen diesen verharmlosenden Bildstrategien auf der einen Seite und den Berichten über von Bulgaren begangene Untaten auf der anderen Seite lässt sich am Beispiel der Illustration des zerstörten Friedhofs von Matschin und dem dazugehörigen erläuternden Text besonders gut demonstrieren. Während das gerade einmal 11 × 13 cm messende Bildchen ein Haus mit einem etwas unordentlichen Hof zeigt, der erst bei genauerem Hinsehen einige umgestoßene Grabsteine erkennen lässt, versichert der Bericht, die vom Spezialartisten eingesandten Zeichnungen würden den unverfälschten Beweis für die schrecklichen Gräuel liefern, die mutwillig von Christen an Muslimen begangenen worden seien: „The Bulgarians“ – heißt es darin – „[...] seem to have been perpetrating such deeds of havoc and foulest outrage, endings wholesale massacre, where Moslem families alert left at their mercy, as to rival the worst atrocities commited by the Circassians and Bashi-Bazouks [...].“71 Noch deutlicher tritt die emotionsneutralisierende Funktion dieser Ruinenbildgattung in Darstellungen zerstörter Siedlungslandschaften zu Tage, obschon diese die kontaminierenden Miniformate ihrer Art bisweilen deutlich überschreiten konnten. Ob qualmendes Gemäuer wie in einer Illustration des zerstörten tatarischen Dorfs Tergesek (Abb. 53) oder die sich durch die ausgezoomte Totale dem Blick förmlich entziehenden „Ueberreste von Türkisch Getschet“ (Abb. 54), stets fungierten solche mehr als unspezifische Darstellungen als nüchterne Zustandsdokumentationen, deren austauschbare Beliebigkeit das Publikum kaum über das leidvolle Schicksal der dargestellten Siedlungen ergriffen machen konnte. Nicht einmal die obligatorisch anwesenden Repoussoirfiguren jaulender Hunde vermögen die intendierte Suggestion akustischer Unheimlichkeit beim Betrachten dieser sachlichen Aufzeichnungen aufkommen zu lassen.72 Und selbst die seltenen Ruinenbilder mit menschlicher Staffage wie die in Ueber Land und Meer publizierte Illustration eines von Bulgaren in Brand gesetzten Tatarendorfs, die eine Begegnungsszene zwischen den tatarischen Dorfbewohnern und russischen Offizieren zeigt, wirken eher als Schilderungen von dokumentarischer Sachlichkeit als von bemitleidenswerter Dramatik (Abb. 55). Keine ausladenden Gesten 71 „The War“, in: The Illustrated London News 71, Nr. 1987, 11. August 1877, S. 126. 72 Zu einem ähnlichen Ergebnis seiner ikonografischen Analyse kommt Weber 1988, S. 158, demzufolge Ruinenbilder „nichts Spektakuläres“ aufweisen, sondern lediglich „die Trümmermasse als Zustandbild ohne Zeichen der Erregung [protokollieren].“

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der Wehrlosigkeit vor der Katastrophe, keine erschrockenen Gesichter des Entsetzens über das Grauen und kein sensationsträchtiger Titel suchen hier den Betrachter in den emotionalen Bann des Bildes zu ziehen. Ganz im Gegenteil lassen die geradezu brave Steifheit der Staffagefiguren und deren trotz vordergründiger Plazierung emotionssicherer Abstand zum Betrachter die Darstellung als ein kühl beschreibendes Zustandbild erscheinen. Diese Illustrationen – wenngleich durch vollkommene Harmlosigkeit gekennzeichnet – sollten nicht in das kollektive Gedächtnis der Balkanvölker eingehen, mithin nicht deren jeweilige Selbstbilder prägen. Andererseits hätte ihre Austauschbarkeit mit ihren heutigen Feindbildern kaum den Wunsch der betrachtenden Leserschaft nach unmissverständlicher Erkennbarkeit erfüllt.

I V. D i e sc h i c ksal h af t en B e ge gnunge n d er Bal kan vö lk e r „Die Phantasie, welche sich jetzt so sehr mit dem Kampfe beschäftigt, den erbitterte Gegner führen, wünscht [...] für das Auge sichtliche Darstellung des Fernen, namentlich des Schauplatzes der Kämpfe, welchen verhältnismäßig Wenige gesehen. [...] Und so kann jede Vermuthung der Unwahrheit oder Oberflächlichkeit ausgeschlossen werden.“ Ueber Land und Meer, 18761 „The Bashi-Bozouks […] ripped open pregnant women, and killed the unborn infants.“ Januarius MacGahan, 18762

Ihren quantitativen, vor allem aber qualitativen Höhepunkt erreichte die visuelle Berichterstattung vom Balkan in den 1870er Jahren, namentlich im Zeitraum zwischen dem Herzegowinischen Aufstand 1875 und dem Ende des Russisch-Osmanischen Kriegs 1878. Wie schon die beiden diese Kulminationsphase markierenden Ereignisse nahelegen, handelte es sich wie immer um konflikt- und damit sensationsreiche Anlässe, die das Interesse der illustrierten Presse nach mehr als zehn Jahren erneut auf die Bevölkerung des Balkans lenkten. Die Orientalische Krise, ausgelöst von dem bis dahin größten Aufstand auf dem Territorium des europäischen Teils des Osmanischen Reichs, an dem sich den Quellen zufolge 15.000 Aufständische, vornehmlich aus Bosnien und der Herzegowina beteiligt haben sollen,3 setzte eine bis dahin in ihren Ausmaßen genauso ungekannte Bildproduktion mit Balkanthematik in Gang, die – wollte man sie in ihrem Umfang gebührend auswerten – eine eigene Studie verdient hätte. Dieses Kapitel beschränkt sich deshalb im wesentlichen auf den Versuch einer typologischen Systematisierung der Bildfülle der 1870er Jahre, der für die Herausbildung der nationalen Selbstbilder auf dem Balkan eine entscheidende Rolle zukommen sollte. Es waren vor allem die schicksalhaften Begegnungen der einzelnen, von der illustrierten Presse schon zuvor als optisch erkennbar konstruierte ethnische und/oder

1 „Vom Kriegsschauplatz“, in: Ueber Land und Meer 36, Nr. 51, 1876, S. 1014. 2 Januarius MacGahan: Brief aus Tatar Pazardžik vom 2. August 1876, erschienen am 9. August 1876 in der Daily News, in: The Turkish Atrocities in Bulgaria. Letters of the Special Commissioner of the „Daily News“, J. A. MacGahan, Esq. With an Introduction and Mr. Schuyler’s Preliminary Report, London 1876, S. 27. 3 Vgl. zur Zahl der Aufständischen Karl Kaser: Der Aufstand in der Herzegovina im Jahre 1882 im Rahmen der Aufstandsbewegungen im neunzehnten Jahrhundert. Die Frage nach seiner Qualität, in: 100 godina ustanka u Hercegovini 1882. godine, Sarajevo 1983, S. 89–102, hier S. 95 ff, sowie zum Verlauf des Aufstandes Grandits 2008.

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religiöse Gruppen des Balkans, die erstmals in der Geschichte des Mediums auch im Bild zusammenfinden sollten. Mehr als sinnfällig wird dieser Sachverhalt in einer auf den ersten Blick idyllisch anmutenden Illustration der Le Monde Illustré mit dem Titel „Types des Balkans“, die Baschibozuks und Bulgaren in einem Bild zusammen zeigt (Abb. 56). Die nach Skizzen von Anamian und Fotografien von Ivan de Wœstine, dem französischen Pendant des Orientreisenden Felix Kanitz und Korrespondenten der Zeitung vor Ort, angefertigte ganzseitige Illustration lässt die Protagonisten zwar noch nicht einander unmittelbar begegnen, doch befinden sich diese kompositorisch schon immerhin in griff-, ja angriffsbereiter Nähe. Getrennt werden sie lediglich von einer markanten Waffentrophäe und sind in der Sicherheit ihrer jeweiligen Lebenswelt in Form zweier scheinbar ornamentierter Ovalrahmen aufgehoben. Erst bei genauerem Hinsehen entpuppen sich die rocailleartig anmutenden Rahmenovale als narrative Stränge einer im buchstäblichen Sinne visualisierten Rahmenhandlung, die zwar noch eher marginal erscheinen mag, jedoch das künftige Interagieren der Balkanvölker im Bild vorwegnimmt. Während beide Ovale die schon bekannten ethnologischen Bildstudien von brav posierenden bulgarischen Bauern rechts sowie wörtlich bis an die Zähne bewaffneten Baschibozuks links präsentieren, und eine kunstvolle Trophäe aus den Attributen irregulärer Bewaffnung wie Turban, Flinte, Beil, Pistole, Yatagan, aber vor allem die mit Mondsichel versehene osmanische Fahne die Bildmitte ziert, erzählen die durch ihren skizzenhaften Duktus Beiläufigkeit suggerierenden und das Blatt rahmenden Zeichnungen eine oben rechts ansetzende und unten rechts endende, in fünf Sequenzen unterteilte Geschichte: Ein mit Ochsenpflug den Ackerboden bestellender Mann, eine ihm folgende Frau mit einem Kind auf dem Arm und ein hinterher schreitender Junge steuern ihrem grausamen Schicksal in der gegenüberliegenden linken Ecke entgegen, wo sich berittene Baschibozuks einer Mordszene nähern – ein Irregulärer hat soeben mit einem Beil einen fallenden Bulgaren erschlagen, ein weiterer liegt mit einem Messer in der Brust in ästhetisch geschwungener, der ovalen Kontur der Liegefläche folgenden Pose. Unten links setzt sich die Handlung in einer ähnlichen Szene fort, um in der Bildmitte in einem schon qualmendem Gebäude, in mehreren umherliegenden Leichen und in triumphierend ihre erhobenen Säbel schwingenden Baschibozuks zu kulminieren. Das unheilvolle Ende der Geschichte wird von einem seines Ochsengespanns entledigten Heuwagen – die Illustration erschien schließlich im August – und dessen leblos daneben liegendem Besitzer vor Augen geführt. Die auf den ersten Blick als ethnografisch typologisierendes Genrebild daherkommende Illustration enthält damit alle wichtigen Komponenten des berichterstattenden Balkan- und vor allem Bulgariendiskurses der 1870er Jahre: die friedlichen Bulgaren, allesamt christliche, fleißig arbeitende Bauern, werden ohne ersichtlichen Grund zu Opfern brutaler muslimischer Baschibozuks, ihr Hab und Gut wird geplündert und schließlich fällt ihre Behausung den Flammen anheim. Dieses Szenario ist allerdings nicht nur die zugespitzte Fortsetzung jener Opferrhetorik, deren Traditionslinien bis in die 1860er Jahre zurückverfolgt werden konn-



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ten. Einen ganz bedeutenden Entwicklungsschub, und mehr noch, eine entscheidende Wendung bekam sie durch die Berichte des Amerikaners irischer Herkunft und eines der bekanntesten Journalisten seiner Zeit, Januarius MacGahan. Die von einer internationalen Untersuchungskommission durchgeführten Ermittlungen der als „Bulgarian Horrors“ in die Geschichte eingegangenen Ereignisse im europäischen Teil des Osmanischen Reichs im Frühjahr 1876 sollte MacGahan, der die Kommission begleitete, in einer Serie emotional aufgeladener Berichte zu den meistgelesenen Schauergeschichten der Zeit verdichten, die zwischen August und November 1876 in der Daily News und anderen europäischen Blättern erschienen sind.4 Der zeitgenössischen Presse zufolge sollen allein im Sandžak Filibe (Provinz Philippopel) bzw. im Nordwesten Thrakiens und in den Rhodopen im Mai 1876 zwischen 70 und 100 kleinere und größere Dörfer geplündert und zerstört, die Bewohner vertrieben oder massakriert worden sein. Erste Berichte waren bereits Anfang Mai 1876 in der russischen Presse erschienen.5 Seit Anfang Juni berichtete darüber auch die englische Presse, wenn auch zunächst von „dunklen Gerüchten“ die Rede war, etwa in Frank O’Donells Bericht im Spectator vom 3. Juni 1876.6 Im Juni 1876 erreichten schließlich erste Nachrichten von Gräueltaten die westeuropäische Öffentlichkeit durch die Depesche des Korrespondenten der Daily News in Istanbul, Edwin Pears, vom 16. Juni 1876: „I have hitherto refrained from mentioning these rumors, or from stating what I have heard, but they are now gradually assuming definiteness and consistency, and cruelties are being revealed which place those committed in Herzegovina and Bosnia altogether in the background.“7 MacGahan traf Ende Juli 1876 in Philippopel (heute Plovdiv) ein und bereiste die betroffenen Gebiete zusammen mit seinem alten Bekannten aus Russland und mit der

4 Die ersten neun von insgesamt vierzehn Berichten, innerhalb von vier Wochen verfasst, wurden ab dem 7. August in der Daily News und ab dem 8. August in Moskovskie vedomosti abgedruckt. Der letzte Bericht stammt vom 7. November 1876. Sieben von insgesamt vierzehn Briefen von MacGahan wurden zusammen mit dem Preliminary Report von Eugen Schuyler als Buchausgabe bereits im September 1876 in London publiziert: MacGahan 1876. Es folgten zahlreiche Übersetzungen, darunter etwa die deutsche: Die türkischen Gräuel in Bulgarien. Briefe von J. A. Macgahan, Special-Commissar der „Daily News“. Mit einem Vorwort, sowie dem Bericht des amerikanischen General-Consuls Schuyler, Stettin 1876. Nur die bulgarische Übersetzung, die auf der russischen Ausgabe von 1877 beruht, erschien erst vier Jahre später: Turskite zverstva v Bălgarija. Pisma na specialnija korrespondent na „Daily News“ E. D. Makgahana, übersetzt von S[tefan] Stambolov, Sofia 1880. Im Unterschied zur Originalausgabe enthalten die russische und bulgarische Ausgabe alle vierzehn Berichte von MacGahan, jedoch ohne den Annex mit Eugene Schuylers Bericht. 5 Vgl. dazu die Quellensammlung: Osvoboždenieto na Bălgarija. Korespondencii i materiali na ruskija pečat 1876–1879 (Die Befreiung Bulgariens. Korrespondenz und Materialien der russischen Presse 1876–1879), Sofia 1988, und besonders Bd. 1, Otzvukăt ot Aprilskoto văstanie v Rusija 1876 (Die Berichterstattung über den April-Aufstand in Russland 1876), S. 56 ff. 6 Über O’Donells Behauptung, als erster von den Ereignissen berichtet zu haben, siehe seine Schrift: A Borrowed Plume of the Daily News, the First Description of the Bulgarian Rising in 1876, London 1912. 7 „The Assasinations at Constantinople“. Moslem Atrocities in Bulgaria (From Our Own Correspondent), in: The Daily News, 23. Juni 1876, S. 5.

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Aufklärung der Vorfälle beauftragten amerikanischen General-Konsul in Istanbul, Eugene Schuyler. Zuvor hatte Schuyler acht Jahre in Russland als U. S. chargé d’affaires in St. Petersburg verbracht, er sprach sehr gut russisch, war Autor von Büchern über russische Geschichte und Literatur. Schuylers sechsseitiger Preliminary Report erschien am 29. August 1876 ebenfalls in der Daily News. Sein abschließender und viel längerer Report vom 20. November 1876 erschien erst 1878, jedoch nur auszugsweise.8 Der Übersetzer der Kommission war der Bulgare Petăr Dimitrov, der 25 Jahre später seine Erinnerungen an die Ermittlungen als Buch publizierte.9 Der Kommission gehörten noch der Sekretär der britischen Botschaft in Istanbul, Walter Baring, sowie der russische Attaché, Fürst Aleksej Ceretelev, an. Es war vor allem die plastische Beschreibung von Gräueln von zuweilen unvorstellbarem Ausmaß, die MacGahans Berichten aus den bulgarischen Gebieten zur europaweiten Popularität verhalf, und unserer – freilich noch harmlos anmutenden – Illustration, aber auch vielen weiteren Illustrationen in ihrer elementaren Dichotomie von Opfern und Tätern als dokumentarische Quelle dienten. Auch die variationsreiche Fülle an Gräueltaten, die sich bei MacGahan bis ins kleinste Detail beschrieben finden, machte seine Berichte zu einer Art ikonografischem Nachschlagewerk der visuellen Medien, die zwischen den verschiedensten Aspekten und Episoden der darin versammelten Grausamkeit balkanischer Provenienz wählen konnten. In der Illustration aus der Le Monde Illustré etwa wurde für die Rahmenhandlung offensichtlich besonders der saisonale, mithin die Aktualität betonende Aspekt der durch Massaker vereitelten Ernte herausgegriffen, die MacGahan gleichsam als Metapher der gewaltsamen Entvölkerung blühender Landschaften zu Beginn seines Berichtes von dem kleinen Ort Batak benutzt: „The hillsides were covered with little fields of wheat and rye, that were golden with ripeness. But although the harvest ripe, and over ripe, although in many places the well-filled ears had broken down the fast-decaying straw that could no longer hold them aloft, and were now lying flat, there was no sign of reapers trying to save them. The fields were as deserted as the little valley, and the harvest was rotting in the soil.“10 Indes wiederholen die beiden in den Ovalen gerahmten Hauptmotive der Illustration den bewährten Modus der Friedfertigkeit und des Fleißes der Bulgaren einerseits – die Zuschreibung letzterer Eigenschaft sollte erst im Gefolge MacGahans in den 1870er Jahren medial kodifiziert werden – und der Grausamkeit der muslimischen Irregulären andererseits, wobei auch hier auf MacGahans zitierten Bericht zurückgegriffen worden zu sein scheint, indem das schwarzweiße Bild von opferfähigen Bulgaren und bestialischen Baschibozuks mit aller Deutlichkeit gezeichnet wird. Über die Bulgaren schreibt MacGahan: „The truth ist that these Bulgarians, instead of the

8 In: Linus P. Brocket und Porter C. Bliss: The Conquest of Turkey: or the Decline and Fall of the Ottoman Empire, 1877–8, Philadelphia 1878, S. 216–218. 9 Petăr Dimitrov: Spomeni po izsledovanijata na turskite svirepstva (Erinnerungen an die Ermittlungen der türkischen Gräuel), Sofia 1901. 10 MacGahan 1876, S. 21.



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savages we have taken them for, are in reality a hardworking, industrious, honest, civilized, and peaceful people.“11 Dagegen werden die die Kommission begleitenden osmanischen Landpolizisten „in their picturesque costumes, bristling with knives and pistols, our guide likewise armed to the teeth“12 wie gewohnt geschildert und den Baschibozuks Gräueltaten zugeschrieben, welche auch das abgehärtetste Vorstellungsvermögen weit übersteigen: „The number of children killed in these massacres is something enormous. They were often spitted on bayonets, and we have several stories from eye-witnesses who saw little babes carried about the streets […] on the point of bayonets. The reason is simple. When a Mahometan has killed a certain number of infidels, he is sure of Paradise. […] Here in Batak the Bashi-Bozouks […] ripped open pregnant women, and killed the unborn infants.“13

Alte und neue Turcica Dass hier die althergebrachten Muster der zyklisch wiederkehrenden antiislamischen bzw. antiosmanischen Propaganda des Abendlandes unter dem Deckmantel dokumentarischer Aktualität wieder einmal ans Licht kamen, wird zum einen an der auffallenden Übereinstimmung der Rhetorik der zeitgenössischen Medienberichterstattung vom Balkan mit jener der massenhaft produzierten, stets mit Gräuelmärchen ausgeschmückten Türkendrucke vom Beginn der Neuzeit deutlich.14 Zum anderen sollten sich die überlieferten Stereotype der antiosmanischen Agitation, namentlich im Dienste katholischer Kirchenpolitik, auch und gerade im Hinblick auf aktuelle politische Konstellationen als besonders wirksam bewähren. Vergleicht man etwa die oben zitierte Stelle des MacGahanschen Berichts mit einem beliebigen illustrierten Türkendruck des 16. Jahrhunderts, so wird die Kongruenz zwischen Wort- und Motivwahl mehr als offensichtlich. Die im August 1876 durch die Presse verbreitete Gräuelgeschichte von den Neugeborenen, die in Batak von Baschibozuks auf Bajonetten aufgespießt herumgetragen worden sein sollen, scheint das sprachlich aktualisierte Äquivalent zahlreicher bildlicher Darstellungen von auf Lanzen osmanischer Soldaten aufgespießten Neugeborenen zu sein, die seit der ersten osmanischen Belagerung von Wien 1529 in großen Auflagen auf den Markt gebracht wurden. So zeigt der von Hans Guldenmundt um 1530 herausgegebene Holzschnitt 11 12 13 14

Ebenda, S. 25 (Herv. d. Verf.). Ebenda, S. 20 (Herv. d. Verf.). Ebenda, S. 27. Speziell zu den Türkendrucken des 16. Jahrhunderts siehe das nach wie vor grundlegende dreibändige Werk von Carl Göllner: Tvrcica. Die Türkenfrage in der öffentlichen Meinung Europas im 16. Jahrhundert (= Bibliotheca Bibliogrphica Aureliana LXX), 3 Bde., Bukarest u. a. 1961, 1968, 1978. Laut Göllner 1978, Bd. 3, S. 18, erschienen Türkendrucke nicht kontinuierlich, sondern zumeist im Zusammenhang mit bedeutenden Kriegshandlungen, und sind damit vergleichbar mit den Massenmedien des 19. Jahrhunderts. Die höchsten Auflagenzahlen von Türkendrucken wurden in der Zeit der Seeschlacht von Lepanto 1571 erreicht.

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von Erhard Schoen „Die gefangen klagen“ einen osmanischen Reiter, der auf seiner Lanze ein Kind aufgespießt trägt und dessen Eltern in die Sklaverei verschleppt (Abb. 57). Das Motiv des Säuglingsmords findet sich fast unverändert auch auf der Titelseite eines antiosmanischen Pamphlets aus dem Jahr 1557 wieder, hier jedoch neben anderen Varianten muslimischer Grausamkeit – rechts in Form des Aufpfählens an einem Zaun und links per Schwerthieb (Abb. 58). Schließlich unterscheidet sich der Topos von der Tötung von Ungeborenen, die laut MacGahan aus den Leibern aufgeschlitzter Frauen herausgeholt worden seien, kaum von diesen eher der Fantasiewelt des Illustrators eines Türkendrucks als der Realität osmanischer Kriegsführung entsprungenen Gräueltaten. Mehr noch, er scheint geradezu wörtlich von jenen Absagbriefen des 16. Jahrhunderts übernommen worden zu sein, die mit „Brennen, Rauben und Morden“ selbst der Kinder im Mutterleib drohten.15 Es war jedoch vor allem die politische Intention der MacGahanschen Berichte, die sie in die Nähe dieser traditionsreichen antiislamischen Kirchenpropaganda rückten, welche durch das Massenmedium der Turcica eine ihrer Konzeption gemäße Meinungsbildung zu verwirklichen suchte. Nach Carl Göllner gehörten die Türkendrucke neben der „missa contra Turcas“ – der Türkenmesse – zu den wichtigsten innerkirchlichen Maßnahmen der Neuzeit, durch welche „die Christenheit um die Fahne Sankt Petri im Geiste der Kirchenunion von Florenz 1439“ geschart und „die Aufwertung der päpstlichen Stellung gegenüber den europäischen Nationen“ erreicht werden sollte.16 Modernen Türkendrucken gleich sollten MacGahans Berichte ebenfalls eine innenpolitische Funktion erfüllen, indem sie mittelbar für die Politik des Vorsitzenden der Liberal Party und mehrfachen Premiers William Gladstone (1809–1898) einstanden. Augenscheinlich richteten sich die Berichte zwar gegen die osmanische Regierung, indirekt jedoch gegen das englische Kabinett des konservativen Premierministers Benjamin Disraeli, späterer Lord Beaconsfield, das in der Orientalischen Krise an der für das Empire traditionellen proosmanischen Haltung festhielt und hinter dem blutigen Bürgerkrieg auf dem Balkan russische Intrigen witterte. Die Schuldzuweisungen der Konservativen, die Russen hätten im Jahr zuvor den Aufständischen in Bosnien und der Herzegowina sowohl moralische als auch materielle Unterstützung geboten, die Serben und Montenegriner zur gemeinsamen Rebellion angespornt und nun auch die Bulgaren zum Aufstand angestiftet, wurden mit der angestrebten Dominanzrolle Russlands auf dem Balkan begründet. Seit Katharina II. beruhte das imperiale Selbstverständnis der Russen auf der Vorstellung vom Russischen Imperium als Beschützer des wahren christlichen Glaubens, respektive aller orthodoxen Slawen und insbesondere jener unter „türkischem Joch“, doch ging es dabei tatsächlich um die Ausweitung der russischen Territorien nach Süden und damit um die Kontrolle über die Dardanellen und den Bosporus, mithin um die Konkurrenz beider Großmächte um den Zugang zum Mittelmeer und zu den 15 Göllner 1978, S. 23. 16 Ebenda, S 22.



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Welthandelsrouten. Die russisch-osmanische Rivalität hatte ihrerseits auch eine lange Vorgeschichte, die auf das 16. Jahrhundert zurückging, und die seitdem auf den Territorien der Krim, der Walachei und der Moldau, Bessarabiens, in Bosnien und Serbien in andauernden Kriegen ausgefochten worden war. In dieser politischen Situation einer erneuten Zuspitzung des russisch-osmanischen Konflikts beauftragte der Chefredakteur der liberalen Zeitung Daily News, John Robinson, wohl nicht zufällig Januarius MacGahan mit der Berichterstattung von den Ermittlungen der Kommission vor Ort. MacGahan war in den frühen 1870er Jahren als Korrespondent der amerikanischen Herald an der Seite der russischen Truppen bei ihrer Offensive im Kaukasus gereist,17 seit 1873 mit einer russischen Adligen, Varvara Nikolaevna Elagina, verheiratet und engster Freund des russischen Generals Skobelev, der sich im darauffolgenden Russisch-Osmanischen Krieg besonders verdient machen sollte.18 Unparteiisch war MacGahan also nicht, und als Russophiler galt er als osmanophob und damit nicht nur als Gegner der Konservativen, sondern auch des Status quo auf dem Balkan. Um so mehr bemühte sich MacGahan, in seinen Berichten genügend Beweise gegen die osmanische Regierung und damit gegen den innenpolitischen Gegner der Liberalen anzuführen. Und in der Tat sollten seine haarsträubenden Beschreibungen nicht nur eine der heftigsten Kontroversen seit Erfindung des Zeitungswesens auslösen und zu einer Regierungskrise in England führen, sondern den siegreichen Einzug der Liberalen 1880 ins Parlament einleiten. Hierzu trug nicht zuletzt William Gladstones bestverkauftes Pamphlet Bulgarian Horrors and the Question of the East bei,19 das auf MacGahans Berichten aufbaute und als moderner Türkendruck in die Geschichte einging. Damit sollte Gladstone eine der berühmtesten politischen Schriften aller Zeiten verfassen und sich die Mehrheit der Wählerstimmen in den anstehenden Wahlen sichern.20 Walter Barings vorläufiger Bericht mit dem weniger skandalisierenden Titel Report of the Bulgarian Insurrection of 1876, der die eigentliche Aufgabe hatte, die politische Doktrin von Disraeli durch die Widerlegung der Behauptungen MacGahans zu legitimieren, erschien erst im September und damit viel zu spät, um auch noch irgendetwas gegen die innenpolitisch angespannte Lage ausrichten zu können.21 17 Daraus ist ebenfalls ein Buch hervorgegangen. Januarius A. MacGahan: Campaigning on the Oxus, and the Fall of Khiva, New York 1874. 18 Zur Biografie MacGahans siehe etwa Walker 1988; James F. Clarke: J. A. MacGahan. A Centennial Tribute, in: Ders.: The Pen and the Sword. Studies in Bulgarian History, hrsg. v. Dennis P. Hupchick, New York 1988, S. 402–412; Ders.: J. A. MacGahan and Russia, in: ebenda, S. 413–420, sowie Teodor Dimitrov: Januari Makgahan 1844–1878 g. Biografija, dokumenti i materiali (Januarius MacGahan 1844–1878. Biografie, Dokumente und Materialien), Sofia 1977. 19 William Gladstone: Bulgarian Horrors and the Question of the East, London 1876. Allein 40.000 Exemplare wurden in der ersten Woche nach Erscheinen der Schrift und 200.000 im ersten Monat verkauft. Siehe dazu Walker 1988, S. 189. 20 Zur innenpolitischen Bedeutung der Schrift in Großbritannien siehe David Harris: Britain and the Bulgarian Horrors of 1876, Chicago 1939. 21 Report by Mr. Baring on the Bulgarian Insurrection of 1876, in: Supplement to the London Gazette, 19. September 1876, S. 5116–5140.

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Die balkanische Völkerfibel Während die Ikonografie des balkanischen und insbesondere des bulgarischen Horrors allmählich zum eigenständigen Bildtypus verdichtet wurde, namentlich in der zweiten Hälfte des Jahres 1876 und forciert im gesamten Jahr 1877, begegnete die Leserschaft illustrierter Periodika auf Schritt und Tritt jenen Typen des Balkans, deren mediale Kodifizierung schon in den beiden vorangegangenen Jahrzehnten weitgehend vollzogen worden war. Allerdings spielten diese klassifizierenden Illustrationen nicht mehr allein jene wissensvermittelnde Rolle, die als unterhaltend pittoreskes Beiwerk daherkam. Nicht anders als die typologisch angelegte Illustration der Le Monde Illustré (Abb. 56) erfüllten auch viele ähnliche ethnografische Genrebilder eine ganz praktische Funktion, nämlich die schon verblassten Kenntnisse des Publikums über das Äußere und den Charakter der verschiedenen Akteure auf dem Balkan aufzufrischen und systematisch zu vertiefen, um sie als spätere Protagonisten in einer langen Reihe von Illustrationen schicksalhafter Begegnungen voneinander unterscheiden zu können. Diese bildmediale Praxis lässt sich bis in die 1850er Jahre zurückverfolgen, als sich im Krimkrieg nicht nur Russen und Osmanen, sondern auch Briten, Franzosen, Italiener und Österreicher auf dem Schlachtfeld begegneten und vom Betrachter im Getümmel der verbildlichten Kampfhandlung auseinander gehalten werden sollten. Im Vorfeld nicht nur dieses Krieges entstanden so jene obligatorischen Bildgalerien unterschiedlichster Militäruniformen, die der besseren Bildlesbarkeit wegen den künftigen Illustrationen mit Schlachtendarstellungen als eine Art Uniformfibel stets vorangestellt wurden. Der Funktion dieser Illustrationsgattung entsprach auch die formale Gestaltung. Zumeist als Doppelseite konzipiert und stets an prominenter Stelle innerhalb des Hefts untergebracht, waren Uniformdarstellungen ganz offensichtlich als herausnehmbare Sammelbilder gedacht, die entweder als Wandschmuck verwendet oder zu Handbüchern militärischer Kleidung und Bewaffnung zusammengestellt werden konnten.22 Ein Beispiel hierfür liefert etwa die Illustrated London News in Form einer prunkvoll gestalteten Doppelseite, auf der die Oberbefehlshaber der osmanischen und russischen Armee in militärischer Begleitung sich als Pendants gegenübertreten (Abb. 59). In den nüchtern gehaltenen und nur durch die mit plastisch hervorgehobenen Staatswappen geschmückten Bogennischen voneinander separiert, erinnern die beiden einander zugewandten und repräsentative Würde vermittelnden Kontrahenten – der osmanische Sultan links und der russische Imperator rechts – an die ähnlich gestaltete Illustration balkanischer Kontrahenten in der Le Monde Illustré (Abb. 56) oder an jene ebenfalls auf einer Doppelseite als Gegenstücke konzipierten Illustrationen albanischer Baschibozuks und bulgarischer Aufständischer in der Illustrirten Zeitung (Abb. 16). 22 Vgl. Becker 2001, S. 387, demzufolge die Bilder aus den Zeitungen herausgenommen wurden, um an die Wand geklebt, verschenkt oder in Alben aufbewahrt zu werden. Bis heute sind die Holzstiche beliebte Sammlerstücke, die inzwischen auch über Internetauktionshäuser wie Ebay angeboten werden.



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Abwandlungen dieser klassifizierenden Uniformdarstellungen sind die als supplementäre Kompositionen gestalteten Illustrationen unterschiedlicher militärischer Einheiten derselben Kriegspartei wie etwa die doppelseitigen Illustrationen der verschiedenen französischen oder britischen Regimenter, die zu Beginn der Kriegshandlungen auf der Krim in der Illustrated London News publiziert wurden (Abb. 60 und 61). Jeweils auf Doppelseiten aufgeteilt, veranschaulicht die Unterbringung der verschiedenen Uniformträger auf gegenüberliegende Seiten allerdings keine diametrale Rivalität, sondern die komplementäre Vielfältigkeit militärischer Ausdifferenzierung und damit Professionalisierung beider Großmächte. Und obschon den balkanischen Ethnien nur selten ein so weitläufiger Illustrationsraum gewährt wurde, erfüllte ihre ethnografische Kodifizierung in der Presseillustration der 1870er Jahre die gleiche Funktion wie die Uniformstudien der kriegführenden Großmächte. Aufgrund der intensivierten Kenntnisse sowohl von Berichterstattern als auch von Reisenden und Gelehrten über die Region erfuhren die Balkandarstellungen in diesem Zeitraum zunehmend eine typologische Differenzierung, die sich auch im visuellen Balkandiskurs niederschlagen sollte. Dementsprechend wurde das balkanische Genrebild sowohl formal als auch inhaltlich immer komplexer, andererseits aber auch zunehmend schematischer, sodass die illustrierte Presse der 1870er Jahre gleichsam zu einer Völkerfibel avancierte, die den Lesern/Betrachtern als motivische und ikonografische Orientierung in den zahlreichen Ereignisdarstellungen vom Balkan dienen sollte. So erinnert die Illustration „Typen aus den aufständischen Provinzen am Balkan“ aus Ueber Land und Meer (Abb. 62), zuerst in der Le Monde Illustré publiziert,23 kaum mehr an jene ethnografischen Genreszenen der 1850er und 1860er Jahre, obwohl sie in der Ansammlung mehrerer miniaturhafter Trachtenstudien motivisch daran anknüpft, sondern vielmehr an eine ethnografische Klassifikationstabelle. Um die deutlich größer ausfallenden Figuren zweier orthodoxer Geistlicher in der Mitte des Bildes, die laut Illustrationstext auch im Mittelpunkt des auf dem Balkan geführten religiösen „Rassekriegs“ stünden, sind mehrere kleinere und in sich abgeschlossene zwei- bis mehrfigurige ethnografische Genrestudien registerartig gruppiert, die im Bildkommentar als exemplarische Vertreter ihres Typus ausgewiesen werden: ein bulgarisches Mädchen aus Samokoff, Arabadžijs24 und Karrenführer aus der Gegend von Tatar-Pazardžik (heute Pazardžik in Bulgarien) mit Ehefrau, ein herzegowinisches Mädchen, Männer wie Frauen aus Dimotica, ein Bey aus Prizren, Bäuerinnen aus der Gegend von Pirot, Radomir und Dupnica, serbische Frauen aus Jagodina und Aleksinac oder bulgarische Frauen aus Philippopel und Eski-Zagra (heute Stara

23 Der Druckstock für die Illustration in Ueber Land und Meer wurde von der Le Monde Illustré übernommen, wo sie erstmals publiziert wurde unter dem Titel „Les Balkans. Types des provinces insurgées. Papas bulgare des environs de Nish. S. S. Michel, métropolitan de Serbie. Bulgares des deux sexes, etc.“ (Dessin de M. Vierge, d’après les photographie de M. Michailidis, de Sophia, et communiquées par M. Bianconi), in: Le Monde Illustré 39, Nr. 1005, 15. Juli 1876, S. 40. 24 Türkisch für Handwerker, die Karren reparierten.

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Zagora in Bulgarien) etc.25 Die schematische Zurschaustellung der verschiedenen Trachten wird jedoch nicht mehr durch die Einbindung der Figuren in einen logischen Raum- und Handlungszusammenhang in jenes Natürlichkeit suggerierende Posieren innerhalb einer genrehaften Bauernszene überführt. Stattdessen erstarren die Figuren in fotografischer Frontalität, die durch die räumliche Separierung und registerartige Anordnung der einzelnen Figurengruppen zusätzlich verstärkt wird und den Eindruck erweckt, als handele es sich um eine typologische Systematisierungstabelle in einem Nachschlagewerk für balkanische Ethnografie. Im Gegensatz zu diesem scheinbar wissenschaftlich objektivierbaren Bild fällt die textuelle Bewertung der Typen jedoch weniger objektiv aus, wie aus dem Bildkommentar hervorgeht: „Wie man sieht, durchaus originelle Figuren, die mehr durch Absonderlichkeit der Kleidung, markige Gesichter und sehnige, kräftige Gestalten, als durch Schönheit ausgezeichnet sind, hinsichtlich der Reinlichkeit und sonstigen Kultureigenthümlichkeiten aber ziemlich viel zu wünschen übrig lassen dürften, denn der größte Theil dieser Leute wohnt in Hütten […]“.26 Die motivische Verknüpfung zwischen dem sachliche Objektivierbarkeit suggerierenden Darstellungstypus tabellarischer Ordnung und dem ethnografischen Genrebild wird noch offenkundiger in einer Illustration der Illustrirten Zeitung, in der nicht mehr eine typologische Differenzierung der balkanischen Ethnien, sondern innerhalb einer, der montenegrinischen Ethnie vorgenommen wird (Abb. 63). Während der erläuternde Illustrationstext ausschließlich der Beschreibung der montenegrinischen Kampfuniformen gewidmet ist, werden in der Illustration, registerartig angeordnet und in leichter Diagonalneigung, verschiedene, nach Geschlecht und Handlung differenzierte Figurengruppen in systematischer Ordnung dargestellt. So sind im oberen Register Männer und Jugendliche beim Gespräch zu sehen, während im mittleren Register militärische Einheiten Kanonen transportieren und im untersten Register Frauen Schmuck begutachten, der ihnen von einem vor ihnen sitzenden Mann gezeigt wird. Der die dargestellten Szenen erläuternde Kommentar fällt knapp aus: „Die mit kurzem Urlaub Heimgekehrten erzählen von ihren Heldenthaten, prüfen die erbeuteten Waffen oder Schmucksachen aus einem türkischen Harem“.27 Die Strenge tabellarischer Anordnung wird hier zum einen durch die Einbindung der einzelnen Figuren in die jeweiligen Raum- und Handlungszusammenhänge aufghoben. Zum anderen vermittelt die vom oberen zum unteren Register zunehmende Größe der Figuren den Eindruck einer subtilen Untersicht auf das Dargestellte, die im Zusammenspiel mit den diagonal geneigten Registern an die serpentinartigen Reliefs der Trajanssäule in Rom erinnert. Es sei dahingestellt, ob durch diesen kompositorischen Einfall eine bewusste Assoziation mit diesem oder anderen antiken Monumenten gesucht worden ist

25 „Typen aus den aufständischen Provinzen am Balkan“, in: Ueber Land und Meer 36, Nr. 46, [nach 15. Juli] 1876, S. 916. 26 Ebenda. Dieser Kommentar findet sich nicht in der Le Monde Illustré, dort werden lediglich die einzelnen Typen nummeriert aufgezählt. 27 „Waffenruhe zu Cettinje“, in: Illustrirte Zeitung 67, Nr. 1737, 14. Oktober 1876, S. 316.



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als Anspielung auf die weit zurückreichenden Wurzeln mancher balkanischen Ethnie. Gewiss ist jedoch, dass hier eine Darstellungsform gewählt worden ist, die dem Ablauf der im Text knapp geschilderten Geschehnisse Rechnung trägt, indem die einzelnen Szenen in einen registerartigen Bildaufbau eingebunden sind, der Kontinuum suggeriern soll. Eine Abwandlung dieser klassifizierenden Illustrationsgattung stellt die physiognomische Studie dar, welche sich formal von den oben beschriebenen Spielarten kaum unterscheidet. Allerdings stehen hierbei nicht mehr ganze Figuren in bäuerlichen Trachten, sondern typologisierende Porträts mit ethnisch charakteristischen Gesichtsmerkmalen im Fokus des medialen Klassifikationsblicks. Ein explizites Beispiel, wiederum dem montenegrinischen Typus gewidmet, liefert die russische Vsemirnaja illustracija (Abb. 64). Fünf menschliche Köpfe unterschiedlichen Alters und Geschlechts sind in der üblichen Halbkreisform als stellvertretende Typen der montenegrinischen Ethnie angeordnet, wobei die alternierenden Ansichten wie Enface, dreiviertel und ganzes Profil auch hier der Auflockerung, zugleich jedoch der Mehransichtigkeit von Details der Kopfbedeckung, Frisur oder physiognomischer Spezifika dienen. Letztere scheinen sich bei der montenegrinischen Ethnie im wesentlichen in dichten Lockenprachten, trägen Blicken, dunklen Augenringen und nach unten geneigten Mundwinkeln zu äußern. Es muss allerdings fragwürdig bleiben, ob der physiognomische Typus allein der montengrinischen Ethnie vorbehalten war. Die stilistischen Merkmale der russischen Illustration lassen auf Franz (František) Zverina als Urheber der Illustration schließen, der den gleichen physiognomischen Typus ebenso für Darstellungen der dalmatischen oder herzegowinischen Bevölkerung verwendete. So weist der im Profil dargestellte greise Kopf links im Bild verblüffende Ähnlichkeit mit zahlreichen anderen Illustrationen von Zverina auf, darunter das 1885 im tschechischen Světozor publizierte Bild dalmatischer Bauern oder das 1879 in der deutschsprachigen Heimat erschienene Bild eines montenegrinischen Freischärlers. Der Frauenkopf rechts im Bild findet sich fast unverändert in einem undatierten, wohl aber um 1875 entstandenen Holzstich einer herzegowinischen Frauengestalt wieder.28 Die mehrfache Verwendung bzw. Austauschbarkeit desselben Bildes oder Bildmotivs für heterogene Kontexte und Nachrichtenzusammenhänge kann also nicht nur als konstitutives Merkmal der ethnografischen Genreillustration, sondern als solches des gesamten Balkandiskurses der illustrierten Presse angesehen werden. Trotz dieser visuellen Normierung konnte das mit scheinbar viel ethnografischem Wissen über Kleidung, Charakter und Physiognomie gewappnete Publikum illustrierter Periodika die ab den 1870er Jahren immer häufiger dargestellten schicksalhaften Begegnungsszenen der balkanischen Ethnien mühelos dechiffrieren.

28 Abbildungen aller drei Beispiele finden sich im Ausstellungskatalog: František Bohumír Zvěřina. 1835–1908, hrsg. v. Markéta Dlábková und Ondřej Chrobák, Jihlava 2008, Abb. XX, XXXIII und XL.

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Die balkanische Genreillustration Die schon ausführlich behandelte Gattung der ethnografischen Genreillustration erstarrte in den 1870er Jahren ebenfalls zunehmend zur stereotypen Veranschaulichung jener schon in den vorangegangenen Jahrzehnten festgelegten kollektiven Charaktereigenschaften der balkanischen Ethnien, wenngleich die handelnden Akteure, die immer öfter von Akteurinnen verdrängt werden, anstatt als kostümierte Mannequins zu posieren, in zuweilen atemberaubenden Ereignisbildern von Heldenmut agieren. Dagegen bleibt die Gräueltat ausschließlich Domäne männlicher Personage. Ganz gleich also, ob es sich um die Darstellung serbischen Opferleids, bulgarischer Friedfertigkeit, herzegowinischer Heroik oder muslimischer Blutrünstigkeit handelte, sollten sich die bewährten Bildmuster medialer Berichterstattung trotz der enormen Bilderfülle mehr und mehr in ihrer schematischen Plakativität verfestigen. Mit dieser ikonografischen Entwicklung ging eine zuweilen vielfältige motivische Ergänzung oder Erneuerung der schon bewährten Bildmotive einher. Neben der langen Reihe jener Illustrationen von Flüchtlingsszenen beispielsweise, die an das Mitleid des Publikums für die leidende christliche Bevölkerung appellieren sollten, entstanden auch ganz neue Bildfindungen für die Darstellung des balkanischen Opfers wie etwa Grabbeweinungsszenen. Stets sind Frauen, gelegentlich auch Kinder bäuerlicher Herkunft, die Bildprotagonistinnen dieser Illustrationen, die einerseits ethnienspezifische Rituale – in diesem Fall des Totenkults – vollziehen, zum anderen als Identifikationsfiguren für das Leid der Opfer fungieren. So zeigt eine Titelillustration der Le Monde Illustré die in schwarz gehüllte Silhouette einer Serbin, vor einer Grabplatte kniend, umgeben von mehreren, reichlich mit dem eigentümlichen Grabschmuck und anderem Beiwerk balkanischer Provenienz geschmückten Steinund Holzkreuzen.29 Noch offenkundiger wird diese Doppelfunktion der ethnografisch visuellen Studie einerseits und des Opferbildes andererseits als Grabbeweinungsszene in einer ganzseitigen Illustration im englischen The Graphic, in der wiederum eine Serbin, diesmal in Begleitung ihrer Kinder und einer weiteren Trauernden, ein Grabeskreuz dekoriert (Abb. 65). Während die detaillierte Wiedergabe des Grabschmucks und der bäuerlichen Trachten ethnografisches Wissen über das Serbentum zu vermitteln vorgibt – obschon die Kleidung freilich eher im Umfeld des englischen Bauernlebens als auf dem Balkan identifiziert werden müsste –, liefern manierierte Gestik und sentimentalische Mimik – etwa die zum Gebet gefalteten Hände der Schmückenden und des ihr zugewandten Jungen sowie der direkt zum Publikum gerichtete Blick des Kindes in der Bildmitte und die süßlichen Gesichtszüge des an den Rockschößen der Mutter hängenden Mädchens – eine Vielzahl an identifikatorischen Bezugspunkten für das Publikum, das beim Betrachten dieses Bildes sowohl zu lernen als auch mitzutrauern hatte. Die in abgewandelter Form zitierte christliche Ikonografie des Bild29 „Les Balkans – Cimetière près de Ratina (Serbie méridionale)“, in: Le Monde Illustré 39, Nr. 1011, 26. August 1876, Titelseite.



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typus der Beweinung vor dem Grab Christi schwingt in dieser Illustrationsgattung stets mit. Analog zu den Grabbeweinungsszenen konzipiert ist ein weiterer Darstellungstypus, der die Beweinung mit der Ruinenikonografie verknüpft und an einer ebenfalls im The Graphic publizierten Illustration abzulesen ist. Hier wird neben den stereotypen Darstellungskonventionen kindlicher Unschuld und weiblicher Trauer in den Identifikationsfiguren des puppenhaften Mädchens, das mit einer Katze spielt, und der daneben sitzenden Mutter mit in den Händen vergrabenem Gesicht, die Ruinenikonografie bewusst eingesetzt, um das Leid der als Opfer konstituierten serbischen Ethnie bildlich zum unmissverständlichen Ausdruck zu bringen (Abb. 66). Aus diesen bildmotivischen Gründen fand die Illustration mehrere weitere Verwendungen, jedoch wie so oft unter veränderten kontextuellen Vorzeichen. Als profane Allegorie der Schrecken des Krieges fand das Bild Eingang in die populäre Cassell’s Illustrated History of the Russo-Turkish War30, obwohl sie ursprünglich die zerstörten Überreste von Knjaževac (heute in Serbien) während des Serbisch-Osmanischen Kriegs 1876 illustrierte. Unter dem Titel „A Disaster of War. 1877–1878“ diente der Stich ferner als Umschlagsbild der historischen Studie von James J. Reid, der die Illustration von der Cassellschen Geschichte übernahm.31 Die zumal für Balkanhistoriker selten kritische Bildreflexion Reids beschränkt sich nicht allein auf die genauen Provenienzangaben des von ihm verwendeten Bildmaterials, sondern beinhaltet zudem kurze Interpretationen der jeweiligen Illustrationen. So vermag Reid, trotz der irrtümlichen zeitlichen und inhaltlichen Zuschreibung des Bildes, daran einen weiteren gewichtigen Aspekt in der Entwicklung der Kriegsberichterstattung der illustrierten Presse darzulegen. Nach Reid demonstriert die Illustration das sich allmählich herausbildende Bewusstsein für die Folgen des Krieges auch für die zivile Bevölkerung, die zu Beginn der 1870er Jahre immer öfter in den Fokus der Bildberichterstattung über Kriege rückt.32 In den 1870er Jahren häufen sich auch die zahlreichen Darstellungen der „Friedfertigkeit“ der bulgarischen Ethnie, die in mehr und mehr zum Klischee verflachenden Bildern vor Augen geführt wurde. Ländliche Hütteninterieurs etwa erwiesen sich auch hier als geeignete Kulissen für die visuelle Konstruktion einer ausschließlich als bäuerlich imaginierten Ethnie, die stets gutmütige Mildtätigkeit demonstriert. Zwar variieren die Konnotationen von Blatt zu Blatt und je nach politischer Interessenslage, doch verbleibt der Grundton der Bildbotschaften stets beim hergebrachten Stereotyp. Vergleicht man etwa zwei Illustrationen der eher bulgarenfreundlichen Illustrirten Zeitung mit der konservativen Illustrated London News, die beide Interieurszenen zeigen, so fallen diese freilich subtilen Unterschiede erst bei genauerem Hinschauen auf. Während im Mittelpunkt der Illustration der Illustrirten Zeitung (Abb. 67), de-

30 Ollier 1878, Bd. 1, S. 72. 31 Reid 2000. 32 Ebenda. Der Kommentar zur Abb. IX auf S. 19.

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ren entwerfender Urheber Felix Kanitz sein muss,33 die fürsorgliche Barmherzigkeit einer bulgarischen Bauernfamilie mit „mitleidvollen Zügen“ für einen verwundeten serbischen Soldaten steht, der „dort die liebevollste Pflege zu erwarten hat“,34 suggeriert die englische Illustration durch die sachliche Schilderung bäuerlichen Daseins die bisweilen dumpfe Duldsamkeit der einfachen Bauernfamilie gegenüber den in der engen Hütte einquartierten russischen Soldaten (Abb. 68). Trotz dieser unterschiedlichen Konnotationen treten die Bulgaren in beiden Illustrationen als einfaches, gutmütiges und friedvolles Bauernvolk auf. Die Montenegriner und Herzegowiner haben inzwischen jeden nur denkbaren ethnien- wie geschlechtsspezifischen Mut auf dem Balkan weit übertroffen, denn nun treten auch mutige Frauen die Stellungen der männlichen Helden zum Kampf an. Die Tapferkeit der montenegrinischen Heldinnen beschränkt sich zwar auf das „Verproviantieren“ der kämpfenden Männer in den Schluchten des Balkans, wie es im Titel einer Illustration der Illustrirten Zeitung heißt (Abb. 69). Doch wird im erläuternden Text zu dieser „durch ihre Lebenswahrheit“ ausgezeichneten Illustration den montenegrinischen Frauen keinesfalls ihr Heldenmut abgesprochen, die „dicht neben ihren Männern zu finden“ seien, sobald „sich der Kampf einem montenegrinischen Dorf [nähert]“. Vielmehr wird das „weibliche Geschlecht in den Schwarzen Bergen [Montenegro]“, das die Männer, Söhne und Brüder mit Proviant und Munition versorgt, zudem für seine körperlichen Merkmale gelobt: „Auf unserem Bild“ – heißt es im Text nämlich – „bewundern wir den leicht beschwingten Schritt, die elastische Haltung dieser ‚Heldinnen‘ der Felsgebirge.“35 Dagegen reichen die Herzegowinerinnen in den 1870er Jahren nicht nur körperlich an die Stärke ihrer männlichen Volksgenossen heran. Die Illustrirte Zeitung zeigt sie in zwei von Franz Zverina entworfenen Illustrationen als androgyne Wesen, die auch kämpferisch dem männlichen Heldenideal in nichts nachstehen. Aus der eigenwilligen Mischung antiken Formenvokabulars und der Obsession für das Weibliche sind zwei Kampfszenen hervorgegangen, die das von der illustrierten Presse konstruierte Bild von der herzegowinischen Ethnie auf exemplarische Weise demonstrieren. Antiken Amazonen gleich kämpfen die mutigen Frauen am Rande felsiger Abgründe mit finsterer Entschlossenheit gegen die Türken oder entreißen verwundete Kämpfer dem Tod wie in einem mittelalterlichen Heldenepos. Dabei steht jedoch nicht so sehr die Folklore des Balkans im Vordergrund, sondern die Assoziation mit mythischen Zeiten und märchenhaften Sagen, die sich durch die verschiedensten motivischen Versatzstücke beim Betrachter einstellen soll. So gleicht in der Illustration „Südslawische Mädchen im Kampf mit türkischen Verfolgern“ (Abb. 70) eine der Frauengestalten 33 Für die Autorschaft von Felix Kanitz spricht zum einen die Signatur unten links sowie der Vergleich mit der dem Autor zugeschriebenen Illustration „Weihnachtsfeier in Serbien. Nach einer Zeichnung von F[elix] Kanitz“, in: Illustrirte Zeitung 39, Nr. 1016, 20. Dezember 1862, Titelseite, hier Abb. 36, der zweifelsohne die gleiche kompositorische Anlage zugrunde liegt. 34 „Der serbisch-türkische Krieg“, in: Illustrirte Zeitung 67, Nr. 1735, 30. September 1876, S. 270–272, hier S. 272. 35 Ebenda.



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mehr einem Sisyphos als einer herzegowinischen Bäuerin. Sie ist gerade im Begriff, einen überdimensionalen Felsbrocken mit aller Leichtigkeit gegen ihre Verfolger zu schleudern. Bekleidet ist sie nicht etwa mit einer pittoresken Tracht, sondern in einen den Körper lasziv entblößenden Chlamys nebst phrygischer Mütze. Ähnlich ist auch die sitzende Figur im Vordergrund gekleidet, während das erzürnte Gesicht und die flatternde Lockenpracht der halb liegenden Frau in der Bildmitte einer Gorgo Medusa in festlich balkanischer Tracht zu gehören scheint.36 Der mit den „Sitten und Bräuchen der Herzegowiner genau vertraute Zeichner“ Zverina erlaubte in der ein halbes Jahr später erschienenen Illustration „Herzegowinische Frauen im Kampf“ (Abb. 71) dem Publikum „abermals einen Einblick in jene mit größter Erbitterung und Grausamkeit geführten Kämpfe“37. Zusätzlich durch den Professorentitel als wahrheitstreuer Kenner des Stoffes beeidigt, hüllt darin Zverina die kämpferisch starken und wagemutigen Herzegowinerinnen dieses Mal in märchenhafte, mittelalterlich anmutende Fantasiekostüme. Die Skizze hierzu hatte Zverina schon 1871 angefertigt und ursprünglich als „Montenegrinerinnen im Kampf“38 betitelt, doch schlug die Illustrirte Zeitung das Bild den herzegowinischen Frauen zu. In Windeseile galoppiert eine von ihnen auf einem reichverzierten Schimmel vom Kampfschauplatz davon, um – einer Pietà gleich – den sterbenden Krieger noch dem Tod zu entreißen.39 Ihre Sekundantin blickt sich in kraftstrotzender Torsion um und erhebt triumphierend eine erbeutete Standarte als Zeichen des Sieges und der Stärke gegen den in der atemberaubend tiefen Schlucht zu sehenden Gegner. Und auch der Text tut sein Übriges zur Verklärung des herzegowinischen Frauencharakters: „Wenn die kräftigen und den Männern an Verwegenheit nicht nachstehenden Frauen und Mädchen der Gebirgsbewohner nicht mit den Waffen in der Hand sich direct am Kampfe betheiligen, so leisten sie wenigstens Dienste bei Wegschaffung der Verwundeten vom Gefechtsplatz und in der Sanitätspflege. [...] Zuweilen entdeckt ihr spähendes Auge einen Bajrack (türkische Fahne) in der Hand eines sterbenden Feindes. Schnell entschlossen stürzt sich ein verwegenes Mädchen in das Kampfgewühl, bemächtigt sich der Trophäe und bringt sie triumphierend zu den Ihrigen, um durch ihren Muth die ‚Brüder‘ zu erneutem Gemetzel zu entflammen.“40

36 Eine ähnliche Darstellung kleineren Formats, die laut Bildtitel „Weiber und Kinder, aus dem Felsenversteck mitkämpfend“ wohl montenegrinische Frauen, die Felsbrocken schleudern, und mit Pistolen schießenden Kindern zeigt, findet sich auch in: Ueber Land und Meer 37, Nr. 1, 1876, S. 9. 37 „Herzegowinische Frauen im Kampf“, in: Illustrirte Zeitung 66, Nr. 1701, 5. Februar 1876, S. 103. Die Illustration erschien zeitgleich in der tschechischsprachigen Niva, abgebildet bei Dlábková/ Chrobák 2008, Abb. XXXVIII auf S. 60. 38 Siehe Abbildung der lavierten Federzeichnung auf Papier bei Dlábková/Chrobák 2008, S. 127. 39 Das Motiv der Pietà zu Pferde entwickelte Zverina um 1875 und verwendete es neben der Vorlage für die Illustrirte Zeitung auch für die Darstellung einer Kampfszene mit einem makedonischen GuslaSpieler namens Mato Zerkovac, abgebildet bei Dlábková/Chrobák 2008, Abb. auf S. 128. Letztere diente als Vorlage für einen Holzstich, der 1903 in der tschechischsprachigen Zlatá Praha erschienen ist, abgebildet ebenda, Abb. XXXV. 40 „Herzegowinische Frauen im Kampf“, S. 103.

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Die Gemetzel fanden auch in den 1870er Jahren wie so oft gegen die barbarischen Baschibozuks statt, deren Blutrünstigkeit mit Hilfe des schon bewährten Formenvokabulars unentwegt von der illustrierten Presse durchdekliniert wurde. Neben jene klischeehaften Einzeldarstellungen exemplarischer Vertreter der grausamen Balkanspezies, welche spätestens nach MacGahans Berichten ausschließlich negativ konnotiert ist, entstehen in dieser Zeit unzählige Rekrutierungsszenen irregulärer Söldner, die sich als apathische und dürftig bekleidete Kreaturen durch die Städte und Dörfer des Balkans schleppen, um für ein paar Groschen, Kleidung und eine Waffe in den Kampf gegen die mutigen Herzegowiner oder unschuldigen Bulgaren zu ziehen. Solche Züge von Rekrutierungswilligen sehen wir vor allem in Illustrationen der Illustrated London News, deren zumeist verlumpte Protagonisten sicherheitshalber mit listigen Blicken am Betrachter vorbeiziehen, um nicht zufällig etwaige Sympathien zu wecken. So werden die Baschibozuks in einer als Skizze konzipierten Illustration mit dem spöttischen Titel „Bashi-Bazouks Marching to Head-Quarters“ (Abb. 72) zu lächerlichen Karikaturwesen reduziert, die nicht etwa in Reih und Glied und ordentlich uniformiert stramm voranschreiten, sondern sich barfüßig und liederlich gekleidet durch die Straße schleppen. Nicht anders werden die muslimischen irregulären Rekruten in ernsthaft gemeinten Illustrationen dargestellt, wie an einer halbseitigen Darstellung einer aus Thessaloniki in Istanbul ankommenden Rekrutenkolonne sichtbar wird (Abb. 73). Auch hier ziehen verlumpte muslimische Männer in der üblichen Richtung von rechts nach links parallel der Bildfläche entlang, wobei die die Mitte markierende Figur verschlagen aus dem Bild schaut, um allein physiognomisch den hinterhältigen Charakter des Baschibozuks zu demonstrieren. In der am Straßenrand gaffenden Menge findet sich stets die obligatorische Figurenstaffage aus muslimischer Frau mit Kind, die Proviant für die liederlichen Männer bereithalten. In Einzel- und Kampfdarstellungen tritt der Baschibozuk dagegen weiterhin mit allen erdenklichen Waffen ausgestattet und jenem obligaten Messer zwischen den Zähnen auf, wie ihn etwa eine beispielhafte Illustration der illustrierten Kriegschronik Illjustrirovannaja hronika vojny der Vsemirnaja illustracija zeigt (Abb. 74). Umgeben von seinen im Hinterhalt lauernden Gefährten posiert der in Pluderhose, Kaftan und Turban gekleidete Baschibozuk mit Flinte in den Armen, Yatagan im Gürtel und Messer im Mund.



Das Massaker als Ort balkanischer Schicksalsbegegnungen

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Das Massaker als Ort balkanischer Schicksalsbegegnungen „[...] sein höhnend von Barbaren abgeschnittener Kopf rollte im Sande [...]. Die Mutter wollte noch das [...] ergriffene Kind [...] entreißen, [...] niedergemetzelt mußte sie die [...] Hände [...] sinken lassen und racheschnaubend hat der Grimmige das schuldlose Kind [...] gespießt.“ Ueber Land und Meer, 187641

Ausgestattet mit diesen von der illustrierten Presse normierten Merkmalen genuin ethnischer und/oder religiöser Herkunft begegnen sich die Akteure und Akteurinnen des Balkans seit der zweiten Hälfte der 1870er Jahre immer öfter in Szenen unvorstellbaren Grauens. Richtungweisend für die visuelle Kodifizierung zahlreicher blutiger Ereignisse waren auch hier die drei in Europa führenden illustrierten Periodika Illustrated London News, Le Monde Illustré und die Illustrirte Zeitung. Die Vorreiterstellung sollte auch diesmal vom englischen Blatt durch die wohl erstmalige Publikation einer Illustration dieser Gattung behauptet werden, wenngleich es sich dabei eigentlich um die Reproduktion eines Gemäldes handelte, das Jahre zuvor für den Pariser Salon angefertigt worden war.42 Die nicht einmal zehn Jahre junge Vsemirnaja illustracija sollte indes allen anderen Blättern insofern den Rang ablaufen, als deren mannigfaltige künstlerische Interpretation von Gewaltakten balkanischer Provenienz alle bis dahin publizierten Illustrationen zum Thema bei weitem übertreffen sollte. Die maßgebliche Rolle des russischen Periodikums lag in der Tatsache begründet, dass sich das orthodoxe Reich als Partei im bevorstehenden Krieg auch medial gegen die Osmanen gewappnet sehen wollte, was dem Verleger der Vsemirnaja illjustracija Hermann D. Hoppe mehr als erfolgreich gelingen sollte. Seit dem Krieg gegen Napoleon hatte die russische Regierung auf die massenwirksame Kraft des lubok,43 jener auf das 17. Jahrhundert zurückgehenden traditionellen Volksillustration (narodnaya kartinka), gesetzt und sie für kriegspropagandistische Zwecke zu wissen genutzt, die nunmehr in der elaborierten Form der Presseillustration die gleiche kriegslegitimierende Funktion zu erfüllen hatte. Vor allem die als Supplement zur russischen Illustrierten parallel erschienene zweibändige Bilderchronik des Russisch-Osmanischen Kriegs Illjustrirovannaja hronika vojny sollte eine lange Reihe von Darstellungen hervorbringen, welche in ihrer sinnstiftenden Signifikanz für das nationale Bewusstsein der Balkanvölker und insbesondere für die Bulgaren bis heute ihresgleichen suchen. Namentlich die unzähligen, scheinbar dokumentarischen Gräuelbilder haben das historische Bewusstsein der – zumindest sich über das orthodoxe Christentum definierenden – Nationen des Balkans zutiefst geprägt.

41 „Vom Kriegsschauplatz. Vor und nach dem Kampfe bei Alexinatz“, in: Ueber Land und Meer 37, Nr. 3, 1876, S. 57. 42 Vgl. zum Gemälde Kapitel Die Konvertierbarkeit der Bildmotive. 43 Zur historischen Entwicklung der Gattung und Bedeutung der lubki in der russischen Kriegspropaganda des 19. Jahrhunderts siehe Norris 2006.

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Diese Art von Illustrationen erlaubt allerdings keine systematische Differenzierung nach motivischen oder ikonografischen Kriterien als vielmehr nach dem Ausmaß der dargestellten Gräueltat, wobei es sich bei den abgemilderten Varianten hauptsächlich um die Verbildlichung von mehr oder minder leidvollen Verschleppungsszenen handelt, während Massakerbilder die verdichtete Form dieser sensationsträchtigsten Gattung bilden. Letztere finden sich dabei hauptsächlich in der russischen, gefolgt von der französischen Presse, wogegen die angelsächsischen Periodika eher gemäßigte Gräueldarstellungen publizierten. In beiden Fällen jedoch werden die Leidtragenden hauptsächlich als Frauen und Kinder christlicher Herkunft dargestellt, während die Täter stets muslimische Irreguläre zu sein hatten. Ausnahmen hiervon bilden Darstellungen, die keine metaphorische Funktion erfüllen, sondern sich auf ganz konkrete Ereignisse beziehen wie etwa die im September 1876 durch Pressebilder bekannt gewordene Verbrennung dreier serbischer Soldaten bei lebendigem Leib44 oder der unten etwas ausführlicher zu behandelnde exemplarische Fall von Illustrationen der öffentlichen Zurschaustellung abgetrennter Köpfe bulgarischer Insurgenten. Der überwiegende Teil von Illustrationen dieser Gattung richtet sich indes an jenem sinnbildlich dichotomen Schema, das an dem wohl frühesten Beispiel, der Reproduktion des Čermákschen Gemäldes unter dem Titel „The Captives“ in der Illustrated London News, deutlich wird: Zwei reichlich mit Waffen ausgestattete Baschibozuks in den für sie scheinbar typischen Posen von Untätigkeit und Müßiggang flankieren eine Gruppe von verschleppten herzegowinischen Frauen während der eingelegten Rast auf dem Weg zum Sklavenmarkt (Abb. 23).45 Ein knappes Jahr später publizierte auch die Le Monde Illustré ihre erste Entführungsszene vom Schauplatz des sich nunmehr in vollem Gange befindenden herzegowinischen Aufstands, doch hebt sie sich als dokumentarisch konzipierte Darstellung deutlich von der süßlich sentimentalischen Wirkung des Čermákschen Gemäldes ab. 44 Illustriert findet sich der Vorfall einmal als „Scene in a Wood, near Tesica, Servia, Sketched by Our Special Artist [H. Harralds]. ‚The men tied to the trees were said to have been wounded Servian soldiers burnt by the Turks‘ “, in: The Graphic 14, Nr. 355, 16. September 1876, Titelbild, sowie zwei Monate später als „Z bojiště: Živi Srbové upáleni od Čerkesů“ (Vom Kriegsschauplatz: Serben, von Tscherkessen bei lebendigem Leib verbrannt), in: Světozor 10, Nr. 45, 10. November 1876, S. 606. Während erstere Illustration nach einer Zeichnung von S. Durand drei an Bäumen gefesselte nackte Männer mit bereits von den Flammen erfassten Unterkörpern im Vordergrund sowie zwei aus dem Hintergrund zu Pferd herbeieilende Kriegskorrespondenten, von denen einer der prominente Spezialartist Frederic Villiers ist, zeigt, stellt das tschechische Blatt die drei an den Bäumen gefesselten Serben umzingelt von der Reitergruppe der Täter dar. Der in Světozor verwendete Druckstock wurde offenbar von der französischen L’Illustration angekauft, die einen identischen Stich mit dem Titel „Les événements d’Orient. Prisonniers Serbes brulés vifs par les Tcherkess“ bereits im Oktober publizierte, in: L’Illustration 34, Nr. 1756, 21. Oktober 1876, S. 261. Der Spezialartist der französischen Illustration konnte nicht ermittelt werden, der Holzstecher hingegen war August Tilly (?–1898), der gemeinsam mit seinem Lehrer Joseph Burn-Smeeton die berühmte xylografische Werkstatt, SmeetonTilly, unterhielt und die meisten Holzstiche mit Balkanthematik für die L’Illustration stach. 45 Zum historischen Hintergrund und Verhältnis zwischen Frau und Sklaventum im Osmanischen Reich siehe Madeline C. Zilfi: Women and Slavery in the Late Ottoman Empire. The Design of Difference, Cambridge 2010.



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Zwar sind auch hier die von zwei osmanischen Soldaten mit Peitsche und Gewehr vorangetriebenen Opfer Frauen und Kinder, doch ist die Entführungsszene – wenn auch prominent im Bildvordergrund und damit in nächster Betrachternähe untergebracht – eingebunden in einen komplexen Handlungsablauf und somit in einen vielschichtigen Bildaufbau aus Szenen weiterer Untaten wie die Inspektion zweier getöteter Bauern durch einen osmanischen Offizier, eine weitere Entführungsszene im mittleren Bildgrund sowie die sich über die Dächer des Dorfes erhebenden Rauchschwaden der von Soldaten angezündeten Häuser.46 Ebenfalls weniger der stereotypen Dichotomie eines Čermák verpflichtet, denn als dynamisches Ereignisbild komponiert, ist die wohl erste in der Illustrirten Zeitung erschienene Darstellung einer Entführung, wenngleich diese kaum an die Komplexität des französischen Beispiels heranreicht. Hier werden bulgarische Mädchen und Kinder durch jene den Baschibozuks vermeintlich in nichts nachstehenden Tscherkessen47 entführt (Abb. 75). Zwar sind auch hier die dunkelhäutigen und düster dreinschauenden, Peitschen schwingenden Gestalten der drei sich zu Pferd über die Opfer erhebenden Tscherkessen den schöngesichtigen jungen Frauen mit ihren festlichen Trachten und kunstvoll mit Blumen geflochtenen Haarschöpfen fast schon plakativ gegenübergestellt, doch gelingt es dem anonym gebliebenen Zeichner durch die geschickte Raumlösung des aus der Tiefe des Bildes auf den Betrachter zulaufenden Menschenzugs, nicht nur unmittelbare Anteilnahme an der leidvollen Szene zu evozieren, sondern auch die Dramatik des Geschehens natürlich erscheinen zu lassen. Wie man dem dazugehörigen Bildkommentar entnehmen kann, ist die Illustration wohl frei nach MacGahans Gräuelberichten interpretiert, wenngleich stattdessen die von der Redaktion ihren Lesern wärmstens empfohlene Broschüre William Gladstones erwähnt wird, in der dieser von den Schändlichkeiten der „tscherkessischen Unmenschen“ erzähle, „welche wir hier kaum näher anzudeuten uns getrauen würden.“ Diese seien – so der Text – noch schlimmer als die aus Türken und Albanern sich rekrutierenden Baschibozuks und hätten in den letzten Monaten hunderte Dörfer in Asche gelegt und „ganze Hekatomben von Menschen dem Religions- und Stammeshaß“ geopfert. Noch schlimmer als das Los der Getöteten sei aber jenes vieler Frauen und Mädchen, welche dem Messer entgangen seien: „Besser als jede Schilderung läßt 46 Vgl. die Illustration mit dem Titel: „Troubles de l’Herzégovine. Soumission des villages de Dratschewo et Doljane le 31 juillet, par un détachement de l’armée ottomane (Dessin de M. Vierge, d’après le croquis de notre correspondant)“, in: Le Monde Illustré 37, Nr. 960, 4. September 1875, S. 149. 47 Bei den Tscherkessen handelte es sich um eine aus dem Kaukasus stammende und von dort systematisch von den Russen vertriebene ethnische Gruppe, die in den 1860er Jahren zu Zehntausenden in das Osmanische Reich geflohen waren, wo sie sich unter anderem auch auf dem Balkan ansiedelten. Die von den Russen verübten Massaker an der kaukasischen Zivilbevölkerung waren jedoch zu keiner Zeit Thema visueller Berichterstattung. Zur Bedeutung der Tscherkessen als Hilfstruppen in der osmanischen Armee siehe Reid 2000, besonders Kapitel „Bands of Common Cultural or Tribal Origin“, S. 131 ff., und „Circassians or Cherkes“, S. 137 ff. Zu den ‚vergessenen‘ Massakern an der tscherkessischen Bevölkerung siehe Stephen D. Shenfield: The Circassians. A Forgotten Genocide?, in: The Massacre in History, hrsg. v. Mark Levene und Penny Roberts, New York u. a. 1999, S. 149–162.

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unsere Illustration das Schicksal solch armer verschonter Wesen errathen. [...] In beredter Weise ruft unser Bild das tiefste Mitleid mit jenem armen Bulgarenvolk hervor [...] und doch ist unsere illustrirte Scene immer noch eine der mildesten unter den zahllosen raffinierten Greuelthaten, vor deren Darstellung der Griffel des Illustrators zurückschaudert.“48 Die Illustrirte Zeitung wählte in der Tat eines der weniger signifikanten Gräuel aus den MacGahanschen Beschreibungen für die Ausschmückung ihrer Titelseite, ähnlich dem tschechischen Světozor etwa, der einen Tag zuvor ebenfalls eine Entführungsszene mit dem Titel „Gefangene Bulgaren“ publizierte (Abb. 76).49 Auch hier entfaltet sich die Bewegung des Menschenzugs aus Treibenden und Getriebenen aus dem Bildhintergrund heraus in Richtung des Betrachters, wobei eine Reihe von Details wie der auf dem Boden gefallene Junge, die Peitsche schwingende Figur und die die Szene hinterfangenden reitenden Tscherkessen auf den selben anonymen Spezialzeichner zu verweisen scheinen, welcher der deutschen Illustrierten die zeichnerische Vorlage geliefert hat. Die tschechische Illustration ist auch aus einem weiteren Grund von Interesse, zeigt doch das uns vorliegende Exemplar von Světozor die Gesichter und schändlichen Gesten der Täter von einem wohl vom Bildgeschehen besonders mitgenommenen Betrachter im Wortsinne ausgelöscht bzw. ausgekratzt. Zwar bleibt unklar, wann genau und aus welchem Grund der anonyme Urheber dieses ikonoklastischen Angriffs gehandelt hat, doch verrät der Akt der damnatio memoriae mehr als viele Worte über die Wirkkraft visuell konstruierter Wirklichkeit. Dabei wurden im genannten Exemplar lediglich jene Illustrationen beschädigt, die bulgarische Schmach zum Thema haben.50 Der Betrachter wird hier selbst zum Täter, indem er die im Bild verewigten Täter durch deren Tilgung genauso vernichtet, wie diese die im Bild verewigten Opfer vernichtet haben. Damit wäre auch die Tatsache erklärt, dass nicht nur die Gesichter, sondern auch die vernichtenden Gesten durch den ikonoklastischen Akt des Auskratzens getilgt worden sind. Russische Periodika dagegen wussten das Vorstellungsvermögen des Betrachters schon im Vorfeld des sich ankündigenden Kriegs mit Bildern viel grauenvolleren Inhalts zu befeuern, obschon es sich ebenfalls um Variationen des harmloseren Genres balkanischer Entführungsdarstellungen handelte. Eine ursprünglich in der russischen Gazeta A. Gatzuka erschienene Illustration, etwas später auch in Ueber Land und Meer publiziert (Abb. 77), zeigt, wie sehr die Verleger russischer Illustrationen auf eine dramatisch verdichtete Verbildlichung von Untaten zielten. 48 „Der serbisch-türkische Krieg“, in: Illustrirte Zeitung 67, Nr. 1733, 16. September 1876, S. 230–232, hier S. 232. 49 Die Illustration erschien zeitgleich und mit geringfügig verändertem Titel „Bulgarische Gräuel“ auch in: Srpska zora 1, September 1876, S. 196/197. Der serbische Kommentar „Die Gräuel in Bulgarien“ nimmt konkret Bezug auf die in der englischen Daily News publizierten Berichte und das gleichnamige Pamphlet von William Gladstone. Siehe dazu Kapitel Alte und neue Turcica. Die Tradition antiosmanischer Propaganda des Abendlandes. 50 Vgl. hierzu auch Abb. 79.



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Die halbseitige Darstellung mit dem denunziativ klingenden, da euphemistisch gewendeten Titel „Friedlicher Besuch von Muslimen in einem bulgarischen Dorf“51 macht den Leser/Betrachter zum Zeugen einer herzzerreißenden Szene, in der die ganze Dramatik der schicksalhaften Begegnung von wehrlosen bulgarischen Bäuerinnen und deren unschuldigen Kindern mit den blutrünstigen muslimischen Irregulären enthalten ist. Während zwei – schon zu Genüge in ihrem Äußeren beschriebene – Baschibozuks in unmittelbarer Betrachternähe mit unmenschlicher Brutalität Kinder aus den Armen ihrer Mütter entreißen und um den Raub eines Neugeborenen willens sich anschicken, eine Frau nach der anderen mit dem Yatagan zu entleiben, treiben Tscherkessen die sichergestellte menschliche Beute einer Tierherde gleich am linken Bildrand zusammen. Die im Hintergrund obligatorisch brennenden Ruinen einer Siedlung, umherliegende Leichen und zum Himmel Klagende vollenden das grauenvolle Szenario nach den konventionellen Darstellungsmustern. Der die deutsche Version erläuternde Text, der kein Wort über die Provenienz und den ursprünglichen Nachrichtenzusammenhang der Illustration erwähnt, sondern sie stattdessen als Visualisierung eines ganz konkreten Ereignisses, der Entführung von Kindern aus Newrokop, ausgibt, ist weniger dieser scheinbar konkreten Bildbestimmung als vielmehr der barbarischen Bildrhetorik verpflichtet. Der Text berichtet zunächst allgemein über das Ausmaß muslimischer Barbarei, um im Anschluss auf das konkrete Ereignis einzugehen, dass der hauseigene Spezialartist gesehen haben will: „Die Art der Kriegsführung vom humanen Gesichtspunkt aus wird immer ein Maßstab für den Kulturstand der betreffenden Nation sein, und hienach nehmen die Türken eine Stufe ein, die sie noch unter die Rothäute versetzt, – die Grausamkeiten in Bulgarien überschreiten Alles, was von irgendeiner historischen Nation bis jetzt geworden. Eine der schmählichsten Gewaltthätigkeiten der verthierten, habgierigen Horden ist der Raub von Kindern [...]. Das Fortführen der geraubten Kinder aus Newrokop hat unser Specialartist als ein eigenthümlich hervorstechendes Moment dieses Krieges hier uns vorgeführt.“52 Diese Strategie der fingierten Augenzeugenschaft von Gräueln gelang nicht nur mit Hilfe der rhetorischen Zusicherung, die Verbildlichung gehe auf einen dabei gewesenen Spezialartisten zurück. Wie schon im Kapitel über die mehrfache Verwendung von Bildern festgestellt, spielte bei diesem Kunstgriff die Reproduktion von Gemälden – man denke an Čermáks „Kriegsbeute“ (Taf. I) – und die Nennung des Namens des Bildurhebers eine ebenso wichtige Rolle. Gerade weniger profitable Illustrierte, die sich keine eigenen Bildberichterstatter in der Region leisten konnten, sollten des Öfteren auf diese Strategie zurückgreifen. So auch die tschechische Světozor, in der die Beglaubigung der Bildwahrheit meistens durch die Angabe des Künstlernamens als Urheber erfolgte. Neben der Reproduktion vieler Gemälde von Jaroslav Čermák publizierte Světozor auch Arbeiten des ungarischen Malers Ferdo Kikerec, dessen kleines Ölbild „Das Mädchen vom Amselfeld“ (Taf. X) später zum 51 Erschienen in: Gazeta A. Gatzuka, 1. Oktober 1876, S. 668. 52 „Raub der Kinder“, in: Ueber Land und Meer 36, Nr. 51, 1876, S. 1014.

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bedeutendsten Bild der serbischen Nation aufrücken sollte. Kikerecs Bilder dienten auch als Entwürfe für Illustrationen des herzegowinischen Aufstands. Eine auf ihn zurückgehende Illustration ist nicht nur beispielhaft für die Gräuelikonografie der illustrierten Presse. Sie enthält zudem jenen zentralen Topos der Visualisierung muslimischer Blutrünstigkeit, der ebenfalls in den neuzeitlichen Türkendrucken wurzelt, jedoch erst in der illustrierten Presse der 1870er Jahre zu seiner dezidierten Bildform finden sollte. Es ist das Motiv der Enthauptung, das zu einem der markantesten Merkmale des Sensationsbildes balkanischen Typs wurde, und dem wir in zahlreichen Abwandlungen auf den Seiten der illustrierten Presse begegnen. Dabei zeichnet sich die nach einem Entwurf von Kikerec gestochene Illustration mit dem neutralen Titel „Vom herzegowinischen Aufstand“ (Abb. 78) noch durch eine gewisse Komplexität des narrativen Bildaufbaus aus, da das Motiv der Enthauptung nur eine von mehreren Bildhandlungen bildet, die zudem alle ästhetisch aufeinander bezogen sind und in einem kausalen Narrationszusammenhang stehen. Aus dem Getümmel des erbittert geführten Kampfes ragt rechts der einen abgetrennten Kopf empor haltende Arm eines Baschibozuks, während links die Komposition von der zu Boden gestürzten Figur eines herzegowinischen Helden abgeschlossen wird. Seine zum Pistolenschuss erhobene Hand weist nach rechts, wo die gerade abgefeuerte Kugel den Kopf eines fallenden Baschibozuks durchdringt. Eine Rückenfigur schickt sich indes an, den allein gegen drei Feinde kämpfenden Mann mit seinem Messer anzugreifen. Sein Arm und sein zum Bildhelden gewandtes Gesicht erfüllen vor allem eine strukturell innerbildliche Funktion. Arm und Blickrichtung bilden die imaginierte Verlängerung des Arms und der Blickrichtung der den abgetrennten Kopf haltenden Figur und bilden somit eine Diagonale, die als Verbindung zwischen Heldenopfer und Heldentat fungiert. So changiert der Blick unentwegt zwischen der Tat des Abscheulichen und der des Helden vor der erhabenen Kulisse der balkanischen Schluchten. Die Illustration war schon im April 1876 in der serbischen Illustrierten Srpska zora erschienen, hier jedoch als Darstellung eines konkret benannten Erignisses mit eindeutig identifizierbaren, allerdings serbischen Protagonisten. Der Text zur Illustration mit dem gleichnamigen Titel „Tod des Vojevoden Trifko“ verortet die Handlung in Serbien und beschreibt mit der Dramatik des Bildes gebührendem Pathos die Heldentat des serbischen Rebellen Trifko, der mit seinem Revolver den barbarischen Tod seines geköpften Bruders gerächt habe.53 Das Gros der Enthauptungsdarstellungen ist dagegen dem Klischeehaften verpflichtet und zumeist allein auf die Handlung selbst oder deren Resultat reduziert. So zeigt eine ebenfalls in Světozor publizierte Illustration eines anonymen Zeichners die Hinrichtung bulgarischer Insurgenten vor der Stadtmauer von Niš, wobei hier das deskriptive Nebeneinander von dem Vor- und Nachher-Zustand des Enthauptungsakts in den beiden Gestalten eines vor dem Henker knienden und eines bereits geköpf53 Die Illustration erstreckt sich auf zwei Seiten in: Srpska zora 1, April 1876, S. 88/89. Der Text ebenda, S. 94.



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ten Mannes vor Augen geführt wird (Abb. 79). Die ausgekratzte Fläche, wohl einem über das Bild entrüsteten Betrachter geschuldet, vermag nicht darüber hinwegzutäuschen, dass es sich bei dem Scharfrichter um eine männliche Figur in breitbeiniger Haltung handelt, die mit einem Yatagan eine ausholende Enthauptungsgeste vollzieht. Den Pluderhosen nach zu schätzten, ist der Henker ein Muslim. Den Druckstock für diese Illustration übernahm das tschechische Blatt wohl von der L’Illustration, wo sie unverändert und unter dem gleichen Titel zuerst erschienen war (Abb. 80). Das intakte Bild der französischen Vorlage bestätigt die Annahme, dass jene die Exekution ausführende Figur gerade mit einem Schwert zum Hieb ausholt. Ungewöhnlich ist allein die für die visuelle Balkanberichterstattung nicht übliche schwarze Hautfarbe des Mannes in Pluderhosen, dessen Oberkörper in Rückenansicht nackt mit markant breiten Schultern wiedergegeben ist. Ebenfalls durch konventionelle Darstellungsmittel suchen drei analoge Illustrationen zum selben Ereignis der öffentlichen Zurschaustellung von gepfählten Häuptern bulgarischer Insurgenten die Sensationslust des Publikums zu befriedigen. Zunächst in der französischen L’Illustration und im englischen The Graphic, dann in der russischen Vsemirnaja illustracija im Abstand von zwei Wochen erschienen, zeigen die martialischen Illustrationen die zur Abschreckung auf Pfählen steckenden oder auf dem Boden rollenden Häupter, bewacht von einem unter einem Sonnenschirm stehenden osmanischen Soldaten. Während jedoch der englischen Illustration durch ihren skizzenhaften Charakter und die Unterbringung neben vier weiteren Illustrationen kleinen Formats auf einer ganzen Seite eher beiläufige Bedeutung zukommt (Abb. 81), demonstrieren die jeweils als Titelbilder gewählten und bis ins kleinste Detail ausgearbeiteten Illustrationen in der französischen und russischen Version die exponierte Stellung von Gräuelbildern für die illustrierte Presse im Allgemeinen sowie für die bald in den Krieg gegen die Osmanen ziehenden Russen im Besonderen (Abb. 83 und 84). Wie variationsreich die künstlerische Interpretation desselben Ereignisses sein konnte, zeigt der Vergleich der drei Bildanlagen: Während das Bild in The Graphic (Abb. 82) die in der prallen Sonne zur Schau gestellten Köpfe am Ufer der Donau zeigt, befinden sie sich laut der russischen und französischen Variante im Schatten der Festungsmauer der Stadt Vidin. Der Vergleich beider Titelbilder, die auf den ersten Blick Spiegelbilder zu sein scheinen, zeigt sowohl stilistisch als auch in den narrativen Einzelheiten deutliche Unterschiede. In allen drei Versionen werden jedoch jene Motive beibehalten, die zweifelsohne als osmanisch bzw. islamisch konnotiert sind. Je nach künstlerischer Intention konnte das Minarett mal rechts am gegenüberliegenden Ufer, mal links hinter der Festungsmauer erscheinen. In einem Gräuelbild durfte der Verweis auf das islamische Gotteshaus genauso wenig fehlen wie der die abgeschlagenen Köpfe bewachende osmanische Soldat. Obwohl es sich also um drei Abbildungen desselben Ereignisses handelt, vermitteln sie durch ihre unterschiedliche Bildfindung den Anschein der ständigen Wiederholung und Allgegenwärtigkeit osmanischer, mithin muslimischer Grausamkeit.

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Schließlich sei auch die in der Le Monde Illustré publizierte Illustration mit dem üblichen Enthauptungsmotiv erwähnt (Abb. 9), die auffällig an den oben besprochenen Türkendruck (Abb. 58) erinnert, nur dass anstelle der an einem Zaun aufgespießten Säuglinge nun die Köpfe serbischer Soldaten auf den Pfählen stecken und sich als buchstäbliches nature morte dem aufmerksam sachlichen Blick eines Spezialzeichners darbieten. Die ihn begleitenden Offiziere blicken währenddessen auf einen abgetrennten weiblichen Kopf links, der ebenfalls aufgepfählt unmittelbar über dem offenbar zuvor vergewaltigten Rumpf zu sehen ist. Verhältnismäßig zurückhaltend waren indes die in der englischen illustrierten Presse erschienenen ersten expliziten Massakerdarstellungen, auf die im Anschluss an die drei MacGahanschen Berichte vom Ende Juli und Anfang August 1876 keines der hier untersuchten Periodika verzichten wollte. Angesichts der politischen Haltung der Regierung Disraelis ist es jedoch nur zu verständlich, dass die konservative Illustrated London News das sensationsträchtige Thema des balkanischen Massakers vergleichsweise spät und mit unverkennbar kühler Sachlichkeit in sein visuelles Programm aufnahm. Vorgestellt seien hier zwei der in ihrem visuellen Vokabular typischen Massakerillustrationen der Illustrated London News, die im Vergleich zu Beispielen gerade aus den russischen und französischen Illustrierten von einer relativen Gräuelabstinenz zeugen. Ende August und Anfang September 1877 – mithin erst ein Jahr nach Bekanntwerden der inzwischen zum Schlagwort gewordenen „Türkischen Gräuel“ – erschienen zwei fast identische, jedoch auf zwei verschiedene Begebenheiten bezogene Illustrationen, die beide auf Skizzen des britischen Offiziers und Kriegskorrespondenten der Times, James Gambier, zurückgehen. Wie uns der Text zur Illustration mit dem Titel „Massacres at Yeni Zara“ informiert, zeichnete Gambier die Vorlagen dazu am 17. Juli 1877, zwei Tage nachdem Tscherkessen und Baschibozuks ein schreckliches Massaker unter den Einwohnern der sechstausend Menschen zählenden Stadt Yeni Zara (heute Nova Zagora in Bulgarien) verübt haben sollen. Doch während der Text von Gambier in aller Ausführlichkeit sowohl über Massaker an muslimischen Zivilisten seitens bulgarischer Christen, als auch umgekehrt berichtet, visualisiert die ganzseitige Illustration lediglich das Leid der Christen (Abb. 85).54 Die zu einem Tableau von mehreren ineinander verschachtelten Bildern zusammengefügte Illustration zeigt zwei die Gesamtdarstellung beherrschende Nahansichten von Leichen bulgarischer Zivilisten, wogegen die von Bulgaren verübten Untaten wie so oft in Form einer ruinierten Moschee im unteren linken und deutlich kleineren Bild dargestellt werden. Mehr noch, wäre nicht am oberen Bildrand die Inschrift „Ruins of Mosque“ angebracht, so würde diese mehr als idyllische Darstellung einer von pittoresker Architektur gesäumten Gasse, in der Gänse ungestört grasen, nicht die geringste Ahnung von jenen im Bericht beschriebenen Grausamkeiten aufkommen lassen. Und dennoch 54 „The Massacres at Yeni Zara“, in: The Illustrated London News 71, Nr. 1989, 25. August 1877, S. 181–182. Der Bericht gehört zu den wenigen, die über von Bulgaren verübten Massaker an muslimischen Zivilisten ausführlich Auskunft geben.



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vermitteln die als deskriptive Zustandsbilder konzipierten Einzeldarstellungen distanzierte dokumentarische Sachlichkeit. Ähnlich verfuhr der Zeichner beim Entwerfen der eine Woche später in der Illustrated London News publizierten Illustration mit dem Titel „The Massacres in the Balkan Villages“, die sich ebenfalls aus mehreren Einzeldarstellungen zu einem Bildganzen zusammensetzt (Abb. 86). Auch diese stellen allein das bulgarische Leid dar, wenngleich mit großer emotionaler Zurückhaltung. So erfährt man allein aus der Inschrift, dass es sich bei der Ansicht einer Dorfkirche und eines primitiven Brunnens im oberen Bildteil um die Darstellung von Gräbern massakrierter Christen handeln soll, die als kaum wahrnehmbare Erdhaufen im Bildvordergrund sichtbar sind. Selbst die ins Bildzentrum gerückten verkohlten Leichen sind in den schablonenhaft angedeuteten Körperumrissen eher als schwarz qualmender Haufen aus gekräuselten Schraffuren denn als tote Menschen zu erkennen. Schließlich dient die Innenansicht einer orthodoxen Kirche im unteren Bildteil weniger als Illustration als vielmehr als Projektionsraum für die durch die Inschrift „Interior of church at Geula Mahalisse where 175 were massacred“ aufgeforderte Imagination, sich über hundert massakrierte Christen auf engstem Raum vorzustellen. Ganz anders, ja zuweilen leidenschaftlich im Vergleich zur kühl dokumentarischen Bildrhetorik der Illustrated London News, stellte die französische illustrierte Presse die Begegnung der balkanischen Kontrahenten in ihren Massakerszenen dar. Bereits im Mai 1876 und damit lange bevor MacGahan seinen Fuß auf balkanischem Boden setzen sollte, publizierte die Le Monde Illustré das wohl erste balkanische Massakerbild in der Geschichte der illustrierten Presse. Die ganzseitige Illustration „Das Massaker von Travnik“ stellt alle nur denkbaren Gräueltaten von der Erschießung und Enthauptung über den Nahkampf mit Säbeln und Äxten bis hin zum triumphal erhobenen gepfählten Kopf in der Totale dar (Abb. 87). Die unentwirrbare Gewalt entfaltet sich vor dem alles umfassenden Blick, der sich in der sicheren Entfernung der perspektivischen Draufsicht wähnt. Und obwohl die Vogelschau die unzähligen Protagonisten dieses gruseligen Treibens zu ameisenähnlichen Kreaturen schrumpfen lässt, sind die in den Völkertafeln bereits klassifizierten ethnischen und/oder religiösen Gruppen deutlich voneinander zu unterscheiden. So sind auch hier die Opfer serbische Bäuerinnen und Bauern, zu erkennen an ihren festlichen Trachten, wie etwa in der Bildmitte das fliehende Paar mit dem obligatorischen Kind in den Armen der blumengeschmückten Frau. Die mit Pistolen schießenden, mit Äxten erschlagenden, mit Säbeln erstechenden und abgetrennte Köpfe tragenden Männer sind natürlich blutrünstige, bis an die Zähne bewaffnete Baschibozuks. Im September publizierte die Le Monde Illustré eine weitere Massakerszene, die durch die nahansichtige Untersicht und trotz ihres karikaturhaft anmutenden Zeichenduktus an Dramatik kaum zu überbieten ist (Abb. 88). Hauptdarsteller sind auch hier Serben als Opfer und Muslime als Täter, welche laut Bildtitel Tscherkessen und albanische Baschibozuks (Arnauten) seien. Vor der obligatorischen Kulisse infernalischer Flammen, aus denen symbolisch ein Kirchturm hervorragt, setzen die bestialischen Übeltäter Hütten in Brand, tragen triumphierend abgeschlagene Köpfe umher oder

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verschleppen Frauen in die Sklaverei. Dabei scheint die die Bildmitte beherrschende Figur eines Baschibozuks zu Pferd, an dessen Schwanzende zwei serbische Bäuerinnen gefesselt sind, buchstäblich von Erhard Schoens Türkendruck der klagenden Gefangenen übernommen worden zu sein (Abb. 57). Ob der Zeichner dieser MassakerIllustration den mehr als dreihundert Jahre alten Holzstich aus Nürnberg gekannt hat, bleibt dahingestellt. Das identische Motiv zeugt jedenfalls von der ungebrochenen Kontinuität des visuellen Gedächtnisses des christlichen Abendlandes, das die kollektive Imagination der Balkanvölker tiefgreifend prägen sollte. Dass hierzu die kaum zu überschauende Fülle an Massakerdarstellungen einen ganz wesentlichen Beitrag leistete, kann nicht oft genug betont werden. Sogar in der verhältnismäßig zurückhaltenden deutschen Presse begegnen wir immer wieder jenen in ihrem narrativen oder ästhetischen Aufbau mehr oder minder vielschichtigen Gräuelszenen, wenngleich die schon hinlänglich bekannten Motive der Grausamkeit auch hier stets wiederkehren. So finden sich Szenen der Verschleppung, Plünderung und des Nahkampfes ebenso in einer ganzseitigen Illustration in Ueber Land und Meer, die um der Steigerung der Dramatik willen in leicht untersichtiger Zentralperspektive geradezu harmonisch im Bildvordergrund platziert sind, während es im Hintergrund wie immer qualmt und brennt (Abb. 89). Das so überschaubar gestaltete Getümmel aus kräftigen Baschibozuks und gepeinigten Serben, die sich in der Mitte bei einer Frauenentführung, rechts bei einem Viehraub und links bei einem bewaffneten Nahkampf begegnen, kulminiert schließlich in dem Aufschlitzen einer schwangeren Frau auf einem Pferdewagen, prominent auf der mittleren Bildvertikale platziert. Ein ähnliches Bild, jedoch mit weniger konventionellen visuellen Mitteln gestaltet, bot Ueber Land und Meer ihren Lesern/Betrachtern in einer aus zwei separaten Darstellungen bestehenden ganzseitigen Illustration, die ihrem Titel nach die Situation „Vor und nach dem Kampfe bei Alexinatz“ zeigt und sich narrativ jeweils über die zwei Zeitschichten eines Vor- und eines Nachher des Massakers entfaltet (Abb. 90). In ihr verband der Zeichner beide typischen Illustrationsgattungen der ethnografischen Genrestudie einerseits und der Massakerdarstellung andererseits zu einem Bildganzen, dessen oberer Teil die in hellem Licht gezeichnete ländliche Idylle des Davor zeigt, während man unten die sich im Dunklen abspielenden Gräuel des eben endenden Massakers sieht. Beide Szenen finden wir im kommentierenden Text in vortrefflich dramatischer Rhetorik erläutert: „Unser Zeichner, welcher den Kriegsschauplatz durchstreift, so weit die Sicherheit des Augenblicks es zuläßt, hat im Gefilde von Alexinatz die weitgeräumige Hütte in ihrem einfachen Stolze gesehen, welche er später in ihren Resten kaum und nur nach der Umgebung erkennen konnte. Eine solche, wohl strohgedeckte Hütte ist der allen Bedürfnissen der Serben, wie den Gewohnheiten der Südslawen überhaupt, entsprechende Sitz einer großen Familie. [...] Kommt ein Dudelsackspieler des Weges oder aus der Nachbarschaft, so ist bald der Kreis der Tänzer und Tänzerinnen um ihn. [...] Ein solches fröhliches Beisammensein sah der Künstler, ehe die Männer zum Kampf auszogen [...] und gar nicht glauben konnten, daß die Feinde ihrem Haus und Heim so nahe kommen könnten. Wenige Tage haben über das Los ent-



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schieden. Das Kriegsglück eilt blitzartig. Verderben brach reißend herein. Das Dach loderte, ehe die Mutter das schlummernde Kind retten konnte. Der herbeigeeilte blutsverwandte Vertheidiger erlag der Feinde und sein höhnend von Barbaren abgeschnittener Kopf rollte im Sande [...]. Die Mutter wollte noch das von den rauhen Fäusten ergriffene Kind denselben entreißen, sie kämpfte wahnsinnig verzweifelnd um das lebendige Gut mit den Barbaren, – niedergemetzelt mußte sie die eingekrallten Nägel aus des Barbaren Gesicht, die krampfhaften Hände aus seinem struppigen Bart sinken lassen und racheschnaubend hat der Grimmige das schuldlose Kind, um die ‚Brut‘ zu vertilgen, gespießt.“55 Von der bäuerlichen Hütte und der folkloristischen Idylle über die lodernden Dächer und abgetrennten Häupter bis zum niedermetzelnden Barbaren und dem aufgespießten Kind finden wir hier alle jene Klischees versammelt, die im Verlauf der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu den konstitutiven Merkmalen der Presseillustration vom Balkan ausgebildet werden sollten. Jedoch sollten diese an sensationsträchtigen Motiven kaum zu überbietenden Illustrationen von jenen der russischen Presse noch übertroffen werden, hat diese doch wahre Pandämonien des balkanischen Grauens geschaffen. Exemplarisch hierfür steht die vom deutschen Verleger Hermann D. Hoppe gegründete Vsemirnaja illustracija, die eine lange Reihe von großformatigen Illustrationen zu den Ereignissen auf dem Balkan publiziert hat. Die Prominenz des Themas ist nicht zuletzt gerade an den Formaten der Stiche abzulesen, die von ganz- bis doppelseitig reichen. Abschließend sollen drei der signifikantesten Beispiele vorgestellt werden. Unter dem Titel „Plünderung eines bulgarischen Dorfs durch Baschibozuks und Tscherkessen“ (Abb. 91) publizierte das russische Blatt eine der ersten doppelseitigen Illustrationen zum Schicksal der Bulgaren. Entgegen der vom Titel geweckten Erwartung ist das Bild jedoch nicht narrativ angelegt. Vielmehr zeigt es einen allegorischen Akt ungeheurer Bösartigkeit, der in der krassen formalen, aber auch emotiven Gegenüberstellung von den bedrohlich das gesamte Bild beherrschenden grimmigen Tätern und den sinnbildlich in die Bildecke gedrängten verängstigten Opfern zum Ausdruck kommt.56 Solche auf bloße Dichotomie bauenden Darstellungen setzten trotz 55 „Vom Kriegsschauplatz. Vor und nach dem Kampfe bei Alexinatz“ 1876. 56 Wie sehr solche Darstellungen auch heute, zumal von bulgarischen Wissenschaftlern, mit den Berichten MacGahans assoziiert werden, auch wenn sie diese nachweislich nicht illustrierten, zeigt die Verwendung der Illustration in der Biografie des Journalisten von Dimitrov 1977, S. 89, 93. Das sich ursprünglich auf zwei Seiten erstreckende Bild wurde von Dimitrov allerdings der Seitenbruchlinie entlang geteilt und als zwei eigenständige Illustrationen reprodziert. Während der linke Teil mit beiden Baschibozuks und dem darunter liegenden Geistlichen auf S. 89 den von Dimitrov verliehenen Titel „Baschibozuks vernichten ein bulgarisches Dorf“ trägt, bekam der rechte Teil mit dem Tscherkessen und der von ihm bedrängten Familie auf S. 93 den Titel „Angezündetes Dorf“. Etwaige Provenienz-, Autor- und Datierungshinweise suchte ich vergeblich, jedoch fiel auch ohne die Kenntnis über den ursprünglichen Publikationszusammenhang sofort auf, dass es sich hierbei um jeweils unvollständige Bilder, mithin um zwei zusammengehörende Teile derselben Darstellung handelte. Diese Art der Bildverwendung zeigt zum wiederholten Mal, wie leicht die Bedeutung von Bildern selbst in wissenschaftlichen Werken veränderbar und damit auch die visuelle Wahrnehmung manipulierbar ist.

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der zahlreichen rhetorischen Details – etwa der zum Aufspießen des Kindes bereite Tscherkesse oder der von den Pferden der beiden Baschibozuks zu Tode getrampelte Geistliche, der das christliche Kreuz als Zeichen märtyrerhafter Erlösung in der Hand hält – auf übersichtliche Eindeutigkeit und unmissverständliche Lesbarkeit. Schließlich galt es, nicht nüchtern über Zustände zu informieren, sondern Kriegszustimmung zu schüren und das bewährte russische Propagandamotiv des „Heiligen Krieges“ im Namen der vermeintlich durch einen drakonischen Islam bedrohten Orthodoxie auf sinnfällige Weise zu visualisieren.57 Aber auch solche russischen Illustrationen, die weniger auf eine plakative Ikonografie ethnografisch religiöser Demarkation setzten, als vielmehr auf eine eher labyrinthisch verworrene Bildkonstruktion, dienten der Kriegspropaganda. Die Strategie dieser Bilder setzte nicht auf eine übersichtliche Bildgestaltung, sondern gerade auf deren Gegenteil und damit auf die Unübersichtlichkeit als die Grausamkeit potenzierendes Gestaltungsmittel. Hervorragendes Beispiel für eine solche Verdichtung von Gräueln ist eine durch ihre zuweilen überwuchernde narrative Komplexität gekennzeichnete Illustration mit dem dennoch lakonischen Titel „Türkische Gräuel“ (Abb. 92), welche sich vor der Kulisse einer gespenstischen Nacht über das gesamte Bildformat serpentinenförmig entfalten. Das visuelle Narrativ nimmt seinen Anfang unten rechts in der Gestalt eines berittenen Muslimen, der auf seiner Lanze nichts geringeres als einen aufgespießten Säugling triumphierend erhebt, während sich dahinter die Rückenfigur eines regulären Soldaten wohl am Anblick jener an Bäumen gefesselten, brennenden Serben ergötzt, die schon aus Illustrationen von The Graphic, L’Illustration und Světozor bekannt sind.58 Linker Hand geht die kaum entwirrbare Grausamkeit weiter in einer tumultartigen Szene aus um Gnade flehenden und zu fliehen versuchenden Frauen und Kindern und abgeschlagene Köpfe umhertragenden Baschibozuks. Links macht der Blick Halt an einem hinter hellem Mauerwerk sich öffnenden ruinösem Verlies, wo eingekerkerte, mit messianischer Ernsthaftigkeit ausgestattete christliche Aufständische auf ihre Hinrichtung warten, die in der darüber befindlichen Szene mit gepfählten und auf dem Boden rollenden Köpfen vor jener Festungsmauer von Vidin bereits vollbracht worden ist. Von hier aus breitet sich ein schwarzer Wolkenteppich über das Bild aus, der in Richtung eines Halbmondes einen Konvoi aus Entführern und Entführten gen Himmel trägt. Zu so vielen von Türken verübten Gräueln auf dem Balkan, die der zeichnende Korrespondent Nikolaj Nikolaevič Karazin (1842–1908)59 – zumal in dieser nachvollziehbaren räumlichen wie zeitlichen Kontingenz – gesehen haben will, ließe sich kaum etwas hinzufügen.

57 Vgl. hierzu auch Norris 2006, der die signifikante Bedeutung dieses ideologisch verbrämten Motivs auch für den russischen lubok feststellt. 58 Siehe Anm. 44. 59 Karazin berichtete u. a. vom Serbisch-Osmanischen (1876) und Russisch-Osmanischen Krieg (1877– 1878) und gehörte zu jenen Korrespondenten, die als Offiziere an den Kampfhandlungen beteiligt waren.



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Selbst russische Karikaturen wie die zynisch anklagend betitelte „Türkische Heldentaten auf der Balkanhalbinsel“ (Abb. 93) bewiesen eine zuweilen besondere Versiertheit in der Imagination des balkanisch Abscheulichen. Die zu einer klar erkennbaren pyramidalen Komposition angeordnete Massakerszene in der russischen Satirezeitschrift Budil’nik nimmt ihren Anfang in der Gestalt eines osmanischen Soldaten, der einen auf dem Boden liegenden Greis erwürgt, dessen ausgebreitete Arme die Basis des Kompositionsdreiecks bilden. Die gleichsam die Schenkel des Dreiecks nachzeichnenden Körper zweier um das Leben ihrer Kinder flehenden Frauen werden indes von zwei mit Messern bewaffneten Baschibozuks bedroht, während der formale wie auch sinnbildliche Kulminationspunkt dieser Pyramide aus Körpern von einem nackten Säugling gekrönt wird, dessen Schicksal man von dem bislang Gelesenen und Gesehenen nur zu gut erahnen kann.

Rückblick und Ausblick Die vorläufig letzte Massakerdarstellung balkanischen Typs der illustrierten Presse der 1870er Jahre erschien gegen Ende des Russisch-Osmanischen Kriegs 1878 mit dem Titel „Nachhut der türkischen Armee“ (Abb. 94) in der Illjustrirovannaja hronika vojny. Im 20. Jahrhundert sollte diese Illustration als einer der am meisten reproduzierten visuellen Nachweise der bulgarischen Geschichte zu einem der populärsten historischen Bilder der Bulgaren werden. Umso mehr verdient die Illustration eine ausführlichere Analyse, welche ihr bemerkenswerterweise noch immer nicht zuteil geworden ist. Dabei zeigt sich ein weiteres Mal, wie fließend die Grenzen zwischen visueller Dokumentation und künstlerischer Imagination sind. Die nach dem Entwurf des Zeichners Fritz van Haanen ausgeführte Illustration lässt auf den ersten Blick eine uns schon vertraute Gräuelszene vor bäuerlicher Kulisse erkennen, in der links jener buchstäblich bis an die Zähne bewaffnete Baschibozuk einer um das Leben ihres Neugeborenen flehenden Mutter ihr Kind entreißt, nachdem er wohl den zu seinen Füßen liegenden Familienvater getötet hat. Im Vergleich zu dieser sehr bewegten Szene geht es im rechten Bildteil ruhiger zu, wo ein weiterer Baschibozuk und ein Tscherkesse die entblößten Körper einer jungen Frau und eines jungen Mannes davonschleppen. Flammen und Rauch ziehen über das schreckenerregende Ereignis hinweg, das im entfernteren Hintergrund in lichterloh brennenden Dächern und auf Lanzen gespießten Köpfen seinen gewohnten Fortgang findet. Trotz oder gerade wegen dieser schon vielfach aufgezählten motivischen Topoi balkanischen Grauens hat die Illustration jene auch für andere Illustrationen beobachtete semantische Transformation erfahren. Während sie im ursprünglichen Publikationskontext weder ein konkretes Ereignis noch eine lokalisierbare Ortschaft oder Zeit darzustellen vorgab, ist sie heute vornehmlich einem bulgarischen Publikum als dokumentarischer Bildnachweis der „Türkischen Gräuel in Batak“ bekannt. Sie stammt nachweislich von Fritz van Haanen, der den Ort niemals besucht hat. Er fertigte die Illustration erst zwei Jahre nach den in Batak verübten Gräueltaten in einem

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gänzlich anderen Kontext am Ende des Russisch-Osmanischen Kriegs an. Dennoch gelangte die Illustration zu dieser neuen Identität, die ihre Popularität noch steigerte. Vor allem ihre Präsenz als monumentale Reproduktion in der ständigen Exposition des Historischen Museums zu Batak trägt dazu bei. Unter dem selben Titel und ohne Angabe des Autors finden wir sie auch in Büchern reproduziert.60 Von dieser semantischen Transformation der nationalen Vereinnahmung durch die neuere bulgarische Museumspraxis und Historiografie abgesehen, operiert aber auch die Illustration selbst bzw. deren Urheber mit der Strategie der semantischen Umwidmung. Bei genauerem Hinsehen entpuppt sich die angebliche visuelle Dokumentation der auf dem Balkan stattfindenden Kriegsereignisse als eine Addition heterogener ikonografischer Motive der abendländischen Bildtradition zu einer homogenen Schilderung balkanischer Zustände. Denn was konnte vertrauter und damit verständlicher für ein Massenpublikum sein als eine ikonografische Paraphrase der Pietà, wie der in der Bildmitte von dem Baschibozuk verschleppte Körper der Frau mit zurückgeworfenem Haupt, oder etwa die rechts im Bild zu sehende buchstäbliche Übersetzung des gekreuzigten Christus mit blutender Wunde und Lendentuch in die balkanischen Verhältnisse christlichen Leidens. Links wird das Bild vom archetypischen Motiv des Bethlehemitischen Kindermords vervollständigt, der von dem Baschibozuk mit ungeheurer Brutalität an einem Neugeborenen verübt werden wird. Der Vergleich dieser populären Motive mit beliebig gewählten kunstgeschichtlichen Vorbildern lässt keinen Zweifel daran aufkommen, dass wir es hier mit keiner visuellen Dokumentation eines Augenzeugen, sondern mit einem durch und durch nach den Regeln der bildenden Kunst konstruiertem Bild zu tun haben, dessen Aussage weit über das dokumentarische Narrativ hinausgeht. Zieht man etwa eine der populärsten kunsthistorischen Versionen der biblischen Geschichte des von Herodes befohlenen Kindermords, Nicolas Poussins „Kindermord zu Bethlehem“ (1628/1629) zum Vergleich heran, so wird selbst die formal ästhetische Verwandtschaft zwischen Illustration und Kunstwerk mehr als offensichtlich. Zwar erscheinen einige Details leicht modifiziert, doch erinnert die türkische Gräuelszene mit der aufbrausenden Figur des Bschibozuk, der unterwerfend sein Bein auf eines seiner Opfer stellt und erbarmungslos die flehende Mutter am Haarschopf packt (Abb. 95), stark an Poussins mordenden römischen Soldaten, der sein Bein ebenfalls auf das neugeborene Opfer aufstützt und in blinder Wut dessen Mutter an den Haaren zerrt (Abb. 96). Somit ändert sich die Lesbarkeit der durch den Bildtitel intendierten ursprünglichen Botschaft der Illustration, die nicht mehr etwa nur das unmenschliche Verhalten der Nachhut der osmanischen Armee oder – wie es die Bulgaren gern lesen – die „türkischen Gräuel“ anprangert, sondern von jenen biblischen Begebenheiten erzählt, die einen festen Platz in der kollektiven Imagination des Abendlandes einnehmen. 60 Etwa in Hristo Manov: Batak, Sofia 1979, der die Illustration anonym unter dem Titel „Türkische Gräuel in Batak“ publizierte und sie auf 1876 datierte, wobei im Falle dieser Reproduktion die äußeren Ränder der Bildfläche aufgrund des Buchformats rigoros beschnitten worden sind, Abb. auf S. 50.



Rückblick und Ausblick

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Mithin zeigt die Illustration auf einer zweiten semantischen Ebene im Grunde signifikante Episoden des Neuen Testaments, welche die Darstellung einer profanen Massakerszene, die Plünderung eines Dorfs durch die osmanische Nachhut während des Russisch-Osmanischen Kriegs legitimieren. Durch die Gleichsetzung archetypischer Narrative mit dem aktuellen Geschehen suchte man schließlich auch mit derart konzipierten Illustrationen, nicht nur die üblichen Vorkommnisse eines Krieges zu dokumentieren, sondern den Gegner zu diffamieren, und zwar umso stärker, als man ihn zum biblischen Kindermörder in Beziehung setzte. Die Nobilitierung der Presseillustration durch den Rückgriff auf klassische kunstgeschichtliche Motive und Themen rückte die illustrierte Presse in die Nähe der hohen Kunst und vor allem der Historien- bzw. Ereignismalerei. Umgekehrt sollten sich diese die Sujets und Strategien des trivialen Massenbildes zu eigen machen.

V. Fremd e Kü n st l er – e ige ne B ilde r

„Fakt ist, dass uns die Ausländer die Augen geöffnet haben, uns selbst zu sehen.“ F. Panajotov1

In die Problematik dieses Kapitels sei etwas polemisch mit einem Zitat von Gottfried Boehm eingestiegen, demzufolge „ein Stück mit Farbe beschmierter Fläche Zugang zu unerhörten sinnlichen und geistigen Einsichten eröffnen kann“.2 Was Boehm hier als unerhört benennt, ist, anders formuliert, die sinnstiftende Kraft des gemalten Bildes, mithin der Malerei nicht nur für den Einzelnen, sondern auch für die Gemeinschaft. Für die nationale Gemeinschaft, die von Benedict Anderson nicht zufällig als imaginierte – von Imago, also Bild – definiert wurde,3 besaßen und besitzen namentlich Historiengemälde nach wie vor eine gleichermaßen vorstellungs- wie kollektivbildende Kraft. Denn neben der illustrierten Presse hat vor allem die Historien- bzw. die Ereignismalerei einen folgenreichen Anteil an der Ausbildung der kollektiven Vorstellung der Balkannationen über ihre gemeinsame Vergangenheit gehabt. Öffentliche Ausstellungen und die stete Reproduktion in Zeitschriften, Bilderalben und Schulbüchern verhalfen manch einem Gemälde nicht nur zu dessen breitenwirksamer Rezeption, sondern auch zum Aufstieg in den Status einer nationalen Staatsikone, die bisweilen als identisch mit dem sie darstellenden Ereignis aufgefasst wird, oder wie es Stefan Germer auf den Begriff gebracht hat, solche Bilder fungieren als in die Vergangenheit geöffnete Fenster,4 die Geschichte kollektiv erlebbar und zugleich überschaubar werden lassen. Damit sollte sich im Verlauf des 19. Jahrhunderts die Funktion jener ursprünglich der herrschaftlichen Repräsentation vorbehaltenen und in der Rangfolge der Malerei höchsten Gattung nicht nur hin zu einem Massenmedium,5 sondern zum visuellen Medium der Nation par excellence wandeln. Dieser theoretische Ansatz wie auch die damit unmittelbar verbundene Frage nach der Rolle von bildender Kunst im Prozess der Nationenbildung ist allerdings in die Jahre gekommen.6 Neu ist indes der Gegenstand, nämlich der Balkan, an dem 1 Zit. n. Milka Markovska: Letopis za života i tvorčestvoto na Ivan Vazov (Chronik des Lebens und Werks von Ivan Vazov), Sofia 1981, S. 565. 2 Gottfried Boehm: Die Wiederkehr der Bilder, in: Was ist ein Bild?, hrsg. v. Gottfried Boehm, München 1995, S. 11–38, hier S. 31. 3 Benedict Anderson: Die Erfindung der Nation. Zur Karriere eines folgenreichen Konzepts, Frankfurt a. M. 1988. 4 Germer 1998, S. 44. 5 Diesen Funktionswandel der Historienmalerei stellt auch Germer 1997, S. 26, fest, obschon er für einen vorsichtigen Gebrauch des Begriffs „Massenmedium“ plädiert. 6 Zur Bedeutung der Monumentalkunst für die Ausbildung nationaler Zusammengehörigkeitsvorstellungen im 19. Jahrhundert siehe die Studien zu Deutschland von Monika Wagner: Allegorie und Geschichte. Ausstattungsprogramme öffentlicher Gebäude des 19. Jahrhunderts in Deutschland. Von der Cornelius-Schule zur Malerei der Wilhelminischen Ära, Tübingen 1989; zu Italien von Susanne

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Fremde Künstler – eigene Bilder

die Frage im Folgenden abzuhandeln ist. Auf Ausführungen zum Forschungsstand wird hier jedoch verzichtet, nicht nur weil er im Hinblick auf die Region ein weitgehendes Desiderat darstellt, dem dieses Kapitel abzuhelfen versuchen wird.7 Von Relevanz für die Untersuchung ist vielmehr die Feststellung, dass die Nationalisierung der Kunst auf dem Balkan in großem Maße, wenn nicht gar ausschließlich, von ausländischen Künstlern eingeleitet wird. Damit ist bereits eine weitere Gemeinsamkeit zwischen der illustrierten Presse und der Malerei in Bezug auf den Balkan genannt, denn gerade letztere lieferte jene spektakulär skandalisierenden visuellen Entwürfe von der Fremdwahrnehmung des Balkans und dessen Völkern, die in die Eigenwahrnehmung der Nationen in dieser Region implementiert werden sollte. Deshalb soll in diesem Teil der Untersuchung die Fremdbestimmung für den Entwurf nationaler Ikonografien auf dem Balkan und insbesondere der bulgarischen Nationalikonografie im Mittelpunkt stehen, richtete sich doch der am historischen Schicksal der Balkanvölker interessierte Künstlerblick auch in der Malerei hauptsächlich von außen auf seinen Gegenstand. Vor der Folie unserer Fragestellung ist dieses Faktum allemal ein Paradox, so dass zu fragen ist: Aus welchem Grund richteten Künstler überhaupt den Blick auf „fremde“ Völker? Welchen Einfluss hat Außenwahrnehmung auf die Selbstwahrnehmung der Balkannationen ausgeübt und nach welchen Prinzipien funktionierte diese Einflussnahme, mithin welche spezifischen Strategien setzten Künstler hierfür ein? Es wäre allerdings verfehlt, eine dezidiert malereigeschichtliche Sichtweise auf diese Fragen einzunehmen. Denn wie sich zeigen wird, differierten die im 19. Jahrhundert etablierten künstlerischen Strategien – wie sie etwa in der Ereignismalerei ausgebildet wurden – kaum von jenen der illustrierten Presse.8 Aktualität und Sensation, eine realgetreue Darstellungsweise, die die „Repräsentationsleistung“ des Mediums „vergessen machen“9 und es damit zum dokumentarischen Bild werden lassen sollte, sowie die stete Wiederholung stereotyper Bildmotive waren essentielle Merkmale auch der sich mit balkanischer Thematik befassenden malerischen Bildproduktion des 19. Jahrhunderts. Um diesem historischen Umstand gerecht zu werden, von Falkenhausen: Italienische Monumentalmalerei im Risorgimento. 1830–1890. Strategien nationaler Bildersprache, Berlin 1993; zu Tschechien von Michaela Marek: Kunst und Identitätspolitik. Architektur und Bildkünste im Prozess der tschechischen Nationsbildung, Köln u. a. 2004; zu den Niederlanden siehe die leider etwas unbefriedigende Studie von Britta Bley: Vom Staat zur Nation. Zur Rolle der Kunst bei der Herausbildung eines niederländischen Nationalbewusstseins im langen 19. Jahrhundert, Münster u. a. 2004; zu Polen von Krzysztof Ruminski: Bildende Kunst, Politik und Geschichtsbewusstsein in Polen, Frankfurt a. M. u. a. 1998; sowie zur Rolle der Kunstgeschichtsschreibung bei den Nationen Ostmitteleuropas: Die Kunsthistoriographien in Ostmitteleuropa und der nationale Diskurs, hrsg. v. Robert Born, Alena Janatkova und Adam S. Labuda, Berlin 2004. 7 Eine Ausnahme bildet die aus Sicht des traditionell auf dem Balkan vorherrschenden kunsthistorischen Diskurses methodisch ‚innovative‘ und kritische Arbeit von Makuljević 2006. 8 Zimmermann 2006, S. 10, stellt fest, dass sich die Konventionen der illustrierten Presse mit den Strategien der Malerei bzw. des Ausstellungsbildes im Verlauf der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gegenseitig durchdringen sollten. 9 Germer 1998, S. 44.



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kann es daher nicht darum gehen, den Fokus allein auf die Malerei zu richten. Diese sei vielmehr in ihrer Wechselbeziehung mit den anderen Bildmedien innerhalb jenes ganzheitlichen Mediensystems betrachtet, das im 19. Jahrhundert nach Michael Zimmermann im wesentlichen die öffentlichen Ausstellungen bzw. das Ausstellungsbild, dessen Reproduktion in der illustrierten Presse respektive die Illustrierten selbst sowie die Kunstkritik umfasste.10 Diesem Medienkonnex sei die Fotografie als jüngstes visuelles Medium des 19. Jahrhunderts hinzugefügt, da ihr gerade im abschließend betrachteten exemplarischen Fall eine ganz bedeutende Stellung zukommen sollte.

Die Anfänge Die Einflussnahme ausländischer Künstler auf die nationale Kunst der Balkanvölker wurde in Frankreich zu Beginn der 1820er Jahre begründet, zu jener ereignisreichen Zeit, in der hauptsächlich griechische Freischärler, auch als Kleften bekannt, unterstützt von gleichgesinnten Untertanen des Osmanischen Reichs und Kämpfern aus anderen Nationen, darunter etwa der englische Nationaldichter Lord Byron, der ebenfalls zum griechischen Nationalhelden avancieren sollte, jenen fast zehn Jahre währenden Bürgerkrieg entfachten, der als griechischer Unabhängigkeitskampf in die Annalen eingegangen ist.11 Griechenlandbegeisterung und Philhellenismus einerseits, ein spätestens seit dem napoleonischen Ägyptenfeldzug erhöhtes Interesse für den Orient andererseits garantierten in der Folge einer Reihe von Kunstwerken, die von den Konflikten in diesem Teil des Osmanischen Reichs inspiriert waren, eine breite öffentliche Resonanz.12 Das wohl früheste, indes auch berühmteste unter ihnen ist das im Jahr 1824 entstandene Gemälde „Das Massaker von Chios“ (Abb. 97), das nicht nur seinem Urheber, Eugène Delacroix, sondern ebenso einer genuinen Balkanikonografie sowie der griechischen Nation selbst zum Durchbruch verhelfen sollte. Das in vielerlei Hinsicht so folgenreiche Gemälde sowie dessen Entstehungsgeschichte sind bereits mehrfach Gegenstand eingehender Untersuchungen gewesen.13 Die im April 1822 auf der Insel 10 Nach Zimmermann 2006, S. 11, liegen die Gemeinsamkeiten all dieser Medien zum einen in einer naturalistischen Darstellungsweise, zum anderen in der einzigartigen Homogenität des künstlerischen Schaffens und der Produktion von Bildern. 11 Speziell zur Verarbeitung des Themas der griechischen Unabhängigkeitsbewegung in der französischen Kunst des 19. Jahrhunderts siehe Athanssoglou-Kallmyer 1989, sowie Anne de Margerie: La Grèce en révolte. Delacroix et les peintres français. 1815–1848, Paris 1996. 12 Peter Rautmann: Eugène Delacroix, München 1997, S. 72. 13 Zur formalen Entstehungsgeschichte des Gemäldes unter Berücksichtigung des umfangreichen Skizzen- und Vorarbeitenmaterials siehe Günter Busch: Ikonographische Ambivalenz bei Delacroix. Zur Entstehungsgeschichte der „Szenen aus dem Massaker von Chios“, in: Stil und Überlieferung in der Kunst des Abendlandes (= Akten des 21. Internationalen Kongresses für Kunstgeschichte in Bonn 1964), 3 Bde., Berlin 1967, Bd. 3, S. 143–148, sowie zum breiteren Entstehungskontext Francis Haskell: Chios, the Massacres, and Delacroix, in: Chios. A Conference at the Homereion in Chios 1984, hrsg. v. John Boardman und C. E. Vaphopoulou-Richardson, Oxford 1986, S. 335–358; zur Ideen-

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Chios durchgeführte Bestrafungsaktion der – im übrigen zum großen Teil aus Griechen rekrutierten – osmanischen Armee nach einer Attacke von aufständischen Freischärlern inspirierte den Franzosen zu seinem Werk, das zu einem der wichtigsten Bilder der griechischen Nation werden sollte. Es zeigt auf dem Boden kauernde griechische Bauern mit von Erschöpfung und Qual gezeichneten Körpern und Gesichtern, die den Betrachter zur Identifikation mit dem griechischen Leid einladen. Sie werden hinterfangen von den dunklen Silhouetten der Osmanen mit Turbanen und Waffen sowie einem Baschibozuk mit Yatagan, der auf seinem Schimmel eine junge nackte Frau verschleppt. Damit sind die Osmanen als Verantwortliche für dieses Leid und als Symbolfiguren muslimischer Grausamkeit und Barbarei lesbar. Von der Forschung wurde zurecht auf die neuartigen kompositorischen Qualitäten des Bildes hingewiesen, die es zu einem der Wegbereiter der romantischen Malerei machten. So wurden schon von den zeitgenössischen Kritikern jene strukturellen Merkmale wie das fehlende Bildzentrum ohne zentrale sinnstiftende Figur oder versöhnendes Moment benannt, die das Gemälde zu einem diametralen Gegenüber klassizistischer Historienmalerei werden ließen. Der Negativheld des Bildes, der reitende Baschibozuk mit seiner Beute, springe ins Leere, den Figurengruppen fehle der übergreifende Zusammenhang, es gebe keinen vermittelnden Mittelgrund zwischen Vorder- und Hintergrund, die öde Landschaft, wo in der Ferne eine Kampfhandlung zu sehen ist, erstrecke sich in die Ferne und Breite ohne erkennbare Begrenzung.14 Nicht um versöhnende Sinnstiftung also, sondern um die Darstellung von Vergewaltigung und roher Brutalität, um die psychologisierende Verbildlichung von extremen Zuständen wie Erschöpfung, Qual und Leid, um das Scheitern des Freiheitskampfes der Griechen gegen ihre Unterdrücker sei es Delacroix gegangen, der sich hierfür „um die Auflösung überlieferter, leer gewordener Bildformen und -formeln“15 klassizistischer Kunsttradition bemüht habe. Oder, so urteilte Antoine-Jean Gros: „Das Massaker von Chios [ist] ein Massaker der Malerei“16. Und dennoch bediente sich Delacroix der altbewährten christlichen Ikonografie, wenn er etwa auf die Darstellung des aufgebahrten Jesus rekurriert, der im nackten Körper des bärtigen Griechen mit blutender Seitenwunde und Lendentuch anklingt, oder auf die Beweinung Christi, die in der linken Figurengruppe angedeutet ist. Die aktuelle Thematik des Gemäldes sowie dessen balkanisches Thema wurden von der Forschung bisher lediglich kursorisch behandelt, obschon bereits die zeitgenössische Salonkritik die bildnerische Verarbeitung eines zeitgenössischen Ereignisses als konstitutiv für die romantische Malerei erklärt hatte.17 Stendhal urteilte: „Das geschichte und den politischen Hintergründen des Gemäldes siehe Athanssoglou-Kallmyer 1989, S.  29  ff.; eine eingehende strukturelle Analyse des Gemäldes findet sich u. a. bei Rautmann 1997, S. 72 ff. 14 Rautmann 1997, S. 75. 15 Ebenda. 16 Zit. n. ebenda. 17 Den Zusammenhang von bildkünstlerischer Verarbeitung des Krieges in Griechenland und dem tagespolitischen Geschehen behandelte Ekaterini Kepetzis: Familien im Krieg. Zum griechischen Frei-



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Romantische in allen Künsten bedeutet die Schilderung heute lebender Menschen“18. Damit verweist also schon der Bildgegenstand auf die fließenden Grenzen zwischen dem trivialen Massenbild der illustrierten Presse und der unikalen Bildschöpfung der hohen Kunst im 19. Jahrhundert, verarbeitete doch Delacroix in seinem Gemälde mit dem ursprünglichen Titel „Szenen aus den Massakern von Chios mit griechischen Familien, welche auf den Tod oder die Sklaverei warten“19 ein zeitgenössisches Ereignis, für das er sein Referenzmaterial weitestgehend aus der tagespolitischen Presse bezogen hat. Im Katalog zum Salon war Delacroix‘ Kommentar lakonisch, jedoch unmissverständlich: „Siehe die diversen Berichte und die zeitgenössischen Zeitungsartikel“20, die seit Ausbruch der Unruhen auf dem Balkan 1821 in eine nicht enden wollende Lawine aus Presseartikeln, Pamphleten, Büchern und gar Gedichten mündete,21 um beständig die populäre Fantasie mit den unvorstellbaren Gräueln des Balkans zu nähren. Den Gedanken, ein visuelles Äquivalent für diese Gräuel zu finden, hat Delacroix schon im Jahr davor gefasst,22 angeregt durch die wachsende antiosmanische Stimmung unter den philhellenischen Kreisen der liberal gesinnten französischen Intellektuellen, doch scheint er zu diesem Zeitpunkt noch keine greifbare Idee gehabt zu haben, was sein Bild konkret darstellen sollte. Was für Delacroix jedoch außer Frage stand, war das mit dem geplanten Bild verfolgte Ziel, den künstlerischen Durchbruch zu schaffen. Im Brief an einen Freund bekundete er, dass er ein Gemälde plane, welches den gegenwärtigen Krieg zwischen Griechen und Türken darstellen sollte, um die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.23 Vor allem aus dem Kalkül der eigenen Karriereplanung muss sich Delacroix entschieden haben, jene zwei Monate andauernden Massaker auf der Insel Chios zum Thema seines Hauptbildes für den anstehenden Salon zu machen.24 Bis dahin hatte der junge Künstler nicht ein einziges Mal ausgestellt und war einer breiten Öffentlichkeit vollkommen unbekannt.25 Einen ersten Erfolg hatte er zwar schon mit seinem ersten Bild „Die Dante-Barke“ (1822), das die Regierung für das neue Musée du Luxembourg gekauft hatte. Doch ging es dem junheitskampf in der französischen Malerei der 1820er Jahre, in: Graecomania. Der europäische Philhellenismus (= Klassizistisch-romantische Kunstträume 1), hrsg. v. Gilbert Heß, Elena Agazzi und Elisabeth Décultot, Berlin 2009, S. 133–170. 18 Zit. n. Rautmann 1997, S. 75. 19 Der orginale Titel „Scènes des massacres de Scio; familles grèques attendant la mort ou l’esclavage“ findet sich verzeichnet in: Explication des ouvrages de peinture, sculpture, gravure, lithographie et architecture des artistes vivants, Paris 1824, S. 52, Nr. 450. 20 Zit. n. Gérard-Georges Lemaire: Orientalismus. Das Bild des Morgenlandes in der Malerei, Hagen 2005, S. 149. 21 Eine Vielzahl an journalistischen und literarischen Beispielen findet sich in Auszügen bei Athanssoglou-Kallmyer 1989. 22 Rautmann 1997, S. 72. 23 Haskell 1984, S. 339. 24 Haskell 1984, S. 339, schreibt ganz konkret: „the war was to be used to further his [Delacroix’] own career.“ 25 Ebenda.

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gen und als außerordentlich talentiert erkannten Maler nunmehr um den definitiven Durchbruch, der – so erfahren wir aus seinem Journal – von der Darstellung eines blutigen Dramas abhing.26 Dass er ein solches Drama auf dem Balkan verortete, ist ein beredtes Zeugnis für die sowohl künstlerisch als auch öffentlich vorherrschende Auffassung vom Balkan als Ort skandalisierender Gräueltaten, die als Thema der Malerei zudem künstlerischen Erfolg versprachen. Somit nimmt das wohl früheste Werk der Malerei mit Balkanthematik jene für die illustrierte Presse ebenfalls konstitutiven Merkmale der Aktualität und Sensation vorweg, waren doch die erschütternden Berichte über Massaker an Griechen – obschon bereits mehrere Monate alt – immer noch in aller Munde. Aber auch in den motivischen Details weist „Das Massaker von Chios“ den Weg der Presseillustration über den Balkan. Nicht nur entstammen die Bildprotagonisten allesamt einem einfachen Bauernmilieu, was an ihren authentisch anmutenden Trachten abzulesen ist. Für deren Darstellung soll Delacroix originale Kostüme, Gegenstände und Waffen benutzt haben, die er sich bei einem Kenner der Region, einem gewissen Monsieur Auguste, ausgeliehen haben soll. Zudem bezog der Maler zahlreiche Informationen über die Ereignisse auf Chios von Olivier Voutier, einem französischen Oberst, der auf Seiten der Griechen mitgekämpft hatte.27 Und auch das Bildnarrativ beruht auf jenen später von der illustrierten Presse übernommenen ethnischen Demarkationszonen der besiegten und leidenden Griechen einerseits und der über sie triumphierenden barbarischen Osmanen andererseits. Diese im „Massaker von Chios“ angelegten Wesensmerkmale sollten nicht nur richtungsweisend für die romantische Malerei, sondern auch für die Ikonografie eines Großteils, wenn nicht gar aller ausländischen Gemälde mit balkanischer Thematik sein. So auch die für die griechische Nation nicht minder bedeutende und wiederum von Eugène Delacroix erschaffene, zugleich auch erste für den Balkan belegte nationale Allegorie „Das sterbende Griechenland auf den Trümmern von Messolunghi“ (Abb. 98). Das Bild, das zu Ehren Lord Byrons gemalt worden sein soll,28 der jedoch entgegen dem Mythos nicht den Heldentod bei Messolunghi, sondern an Malaria gestorben war, zeigt Griechenland als junge, lasziv entblößte Frau in volkstümlicher Tracht auf den Trümmern der Stadt. Das Bild entstand 1826, im Jahr der letzten von insgesamt drei Belagerungen von Messolunghi durch die Osmanen, deren Triumph in der allegorischen Figur eines schwarzhäutigen Söldners, rechts im Bildhintergrund, den entsprechend sinnbildlichen Widerhall findet. Die unter den Ruinen der – von den Westeuropäern als marmorweiß imaginierten und nun mit griechischem Blut befleckten – Antike begrabenen Gliedmaßen und die

26 Ebenda, S. 340. 27 Olivier Voutier hat seine Erinnerungen an die Kämpfe in Buchform publiziert: Mémoires du Colonel Voutier sur la guerre actuelle des Grecs, Paris 1823. 28 Lemaire 2005, S. 149.



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aufgetürmten menschlichen Schädel29, auf die der Blick des Osmanen sowie die rechte Hand der griechischen Bäuerin weisen, gemahnen an den angeblichen Selbstmord der überlebenden Bevölkerung während der Belagerung. Und wenngleich es sich um ein allegorisches Bild handelt, finden sich auch hier all jene bereits für das „Massaker von Chios“ festgestellten Merkmale balkanischer Nationalikonografie. Das Bildmotiv geht auf ein aktuelles, zugleich auch sensationsträchtiges Ereignis zurück und beruht bildnerisch auf dem Gegensatz zwischen der leidenden und um Hilfe flehenden griechischen Bäuerin und dem über sie triumphierenden reichbewaffneten muslimischen Osmanen. Beide Figuren sollten nach Delacroix jedoch nicht nur für den ethnischen und religiösen Gegensatz zwischen christlichen Griechen und muslimischen Türken, sondern darüber hinaus für den kategorischen Gegensatz zwischen Zivilisation und Barbarei stehen: „Besinne dich der Allegorie der Barbarei“ – so Delacroix in seinem Journal – „die um den Scheiterhaufen herumtanzt, auf den die muselmanischen Omare Bücher, heilige Ikonen und auch den Menschen werfen.“30 Aktualität, Sensation und Demarkation sind mithin die wesentlichen Merkmale des ersten allegorischen Bildes einer Balkannation. Unzählige Werke zur griechischen Geschichte mit diesen ikonografischen und strukturellen Merkmalen ließen sich anführen, Nina Athanassoglu hat sie dankenswerterweise mit großer Akribie zusammengestellt und aufgearbeitet.31 Für unsere Ausführungen mögen noch einige wenige emblematische Beispiele genügen. Ein wichtiges Bild für die Griechen, ebenfalls von einem Franzosen, Auguste-Jean-Baptiste Vinchon (1789–1855), entstand 1827 in Anlehnung an die Ereignisse auf Samothrake, einer Insel im Norden der Ägäis, wo fast die gesamte Bevölkerung den Osmanen zum Opfer gefallen sein soll. Der schon im Bildtitel „Modernes griechi29 Das Motiv der Pyramide aus menschlichen Schädeln scheint auf das „Monument“ aus Schädeln serbischer Aufständischer zurückzugehen, das von den Osmanen im bulgarisch-serbischen Viertel von Niš als – so die zeitgenössische Presse – „Denkmal türkischer Grausamkeit als eine Art Hohn gegen die slavische Bevölkerung“ 1809 errichtet wurde, nachdem der serbische Anführer Singelić mit seiner Schar bis Niš (eine der strategisch wichtigsten Festungen der Osmanen) vorgedrungen war, um die Festung zu nehmen. Die Aufständischen wurden jedoch von den Osmanen umzingelt und sprengten sich daraufhin selbst in die Luft. Die Osmanen sollen daraufhin 1.400 Leichen die Köpfe abgeschnitten und daraus einen Turm errichtet haben, an dessen Spitze sie den Kopf des Anführers setzten. Eine der frühesten westeuropäischen Überlieferungen dieser Begebenheit findet sich im Roman von Alexander William Kinglake: Eothen, London 1844. Wiederentdeckt wurde die ‚sensationelle‘ Schädelpyramide im Zuge der Orientalischen Krise 1876 durch die illustrierte Presse, die das ungewöhnliche „Denkmal“ erst populär machte. Vgl. die entsprechenden Illustrationen: „Vom Kriegsschauplatz“, in: Ueber Land und Meer 36, Nr. 47, 1876, S. 936, sowie die dazugehörige Illustration mit einer Ansicht von Niš mit dem Schädelberg; ebenso „G. Durand: The Eastern Question – Sketches at Nish by our Special Artist“, in: The Graphic 15, Nr. 377, 17. Dezember 1877, S. 160, sowie eine von fünf skizzenhaften Illustrationen der Schädelpyramide mit dem bemerkenswerten Titel „A turkish Golgotha, or ‚Place of Skulls‘ “. Unter dem Titel „La pyramide des cranes humains a Nisch“ wurde sie in: L’Illustration 34, Nr. 1743, 22. Juli 1876, S. 53, publiziert. 30 Zit. n. Nina Athanassoglou-Kallmyer: Delacroix zwischen „Griechenland“ und „Die Freiheit“. Anmerkungen zur politischen Allegorie im Frankreich der Restaurationszeit, in: Germer/Zimmermann 1997, S. 257–266, hier S. 264. 31 Athanassoglou-Kallmyer 1989.

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sches Sujet nach dem Massaker von Samothrake“ (Abb. 99) enthaltene Hinweis auf ein konkretes zeitgenössisches Ereignis, das auch als die „Enthauptung der 700“ in die Geschichte eingegangen ist, macht deutlich, welch große Bedeutung Aktualität für die Darstellung balkanischer Geschichtsbilder gehabt hat. Und wieder einmal stand das sensationsträchtige Motiv eines Massakers dem Bildgegenstand Pate, das sich am 1. September 1821 während der blutigen Niederschlagung des Aufstandes von Chora ereignete. Das Gemälde zeigt vor dem Eingang eines brennenden Hauses die über den Tod ihrer Tochter trauernde Figur eines griechischen Bauern, dem nur noch das kleine Enkelkind geblieben ist, friedlich im Schoß des Großvaters schlafend. Die entkleidete Leiche der Mutter verweist auf ihre Vergewaltigung, welche ihr mit Messer in der Hand liegender toter Ehemann im linken Mittelgrund offenbar abzuwenden gesucht hat, bevor auch er den Muslimen zum Opfer gefallen ist. In ihrer Analyse des Gemäldes von Vinchon und einer Reihe ähnlicher Werke konzentriert sich Ekaterini Kepetzis besonders auf das neuartige Motiv der Familie in Historiendarstellungen des Krieges, das „für die Wahrnehmung des griechischen Freiheitskampfes in Westeuropa [...] eine entscheidende Rolle“ gespielt habe.32 Neben dem Massaker von Samothrake avancierten, gerade durch Gemälde ausländischer Künstler, die Ereignisse von Souli zum griechischen Nationalmythos, denn es findet sich eine ganze Flut von Bildern zu diesem offenbar sehr ergiebigen Thema.33 So verarbeitete es etwa der spanische Maler Narcisse Diaz de la Pena als expressive Esquisse, aber auch die Franzosen Claude Pinet, Constance Blanchard sowie Eugène Fromentin fanden darin Inspiration.34 Das bekannteste Gemälde zum Thema stammt jedoch vom holländischen Maler Ary Scheffer, einem glühenden Philhellenisten und radikalen Liberalen, der für sein Œuvre mit griechischer Thematik beachtenswerte Anerkennung und Ruhm erlangen sollte. Sein Gemälde „Die Frauen von Souli“ (Abb. 100) entstand 1827, knapp 25 Jahre nachdem sich mehr als sechzig, anderen Versionen zufolge zwanzig griechische Frauen mit ihren Kindern von einer Felsklippe in den Tod gestürzt haben sollen, um nicht in die Hände der Osmanen zu fallen. Die Begebenheit soll sich einmal mehr während eines Aufstandes ereignet haben, diesmal der Soulioten, einem Stamm christlicher Albaner, der durch Ali, den Pascha von Janina und selbst ein ethnischer Albaner, niedergeschlagen wurde. Doch zum einen handelt es sich bei dem Motiv der von einer Felsklippe in den Freitod stürzenden Frauen um einen lang tradierten Topos balkanischer Volkssagen, der sich etwa in der bulgarischen Folklore als die Geschichte von den „Frauen von Kaliakra“ wiederfindet, wonach sich vierzig Frauen ins Schwarze Meer stürzten, um dem „türkischen Joch“ zu entkommen. Zum anderen entsprach das auf ethnischer Demarkation zwischen angeblichen Griechen und Türken beruhende Bildnar-

32 Kepetzis 2009, S. 135. 33 Auf Französisch wurden die Ereignisse überliefert durch die Schriften von François Pouqueville, Abel F. Villemain und Alphonse de Lamartin, letzterer ein guter Kenner des Balkans und das französische Pendant zu Felix Kanitz. 34 Genaue Daten zu den Werken finden sich bei Athanassoglou-Kallmyer 1989, S. 149, Anm. 84.



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rativ mitnichten den in der Wirklichkeit ausschließlich unter Albanern ausgetragenen Auseinandersetzungen. Im Katalog zum Pariser Salon wurde das Gemäldemotiv dennoch als Resultat eines griechisch-türkischen Konflikts beschrieben, der sich tatsächlich ereignet habe: „Eine Gruppe Souliotischer Frauen beobachtet die Schlacht zwischen Griechen und Türken von oben; als sie den Sieg über ihre Männer sahen, begannen sie einen Reigen [heute als Zalongo-Reigen bekannt] zu tanzen und ein Begräbnislied zu singen. Am Ende jeder Strophe machten sie eine Pause, und jene Frau, die sich am äußersten Ende der Klippe befand, sprang in die Tiefe, solange, bis sie alle den Tod gefunden haben.“ Ary Scheffer verbildlichte in seiner Darstellung allerdings nicht den Todessprung, sondern den ihm vorausgehenden Moment der todesnahen Erwartung und Hoffnungslosigkeit der jungen Bäuerinnen mit ihren Kindern. Die auf dem engen Felsgrund eingekesselten, durch ihre laszive Nacktheit bisweilen erotisch anmutenden Mädchen und Frauen formen ein Massiv aus engumschlungenen Körpern, die zum Felsen formal korrespondieren und zugleich einen diagonalen Keil in den Bildraum öffnen, der links die Sicht auf die in der Entfernung tobende Schlacht freigibt. Die theatralische Beleuchtung der im Vordergrund kauernden und zum Himmel um Erlösung flehenden Frauen verleiht dem Geschehen höchste Dramatik, die auf Géricaults „Floß der Medusa“ rekurriert, das im Übrigen ebenfalls nach einem skandalösen zeitgenössischen Ereignis gemalt worden war.35 Zeitgenössisches und dramatisches Ereignis, die volkstümliche Herkunft der Bildprotagonistinnen sowie die ethnienkategorische Gegenüberstellung sind auch hier die konstitutiven Elemente eines Bildes mit Balkanthematik. Das von Delacroix kodifizierte und zur ikonischen Abbreviatur avancierte Motiv des qualvollen Martyriums eines balkanischen Volkes sollte seinen Höhepunkt Ende der 1820er Jahre erreichen. Von den vielen Beispielen aus dieser Zeit mögen zuletzt zwei weitere Gemälde, beide ebenfalls von französischer Hand, als Veranschaulichung dienen. Beide handeln von der nationalen Selbstaufopferung griechischer Mütter, wobei das Gemälde von Henri Decaisne (1779–1852) „Griechin wartet auf den Kampfausgang“ von 1827 offensichtlich an Ary Scheffers Bildmotiv orientiert ist (Abb. 101). Die auf den Felsen sitzende Bäuerin mit ihrem Baby blickt in die Ferne auf den Kampf zwischen Griechen und Osmanen, von dessen Ausgang das Schicksal von Mutter und Kind abhängen wird. Die Brust der Griechin ist schon entblößt und bereit, den selbsttötenden Stoß des Dolches in ihrer Hand zu empfangen. FrançoisÉmile de Lansacs (1803–1890) „Episode aus dem Exodus aus Messolunghi“ von 1828 (Abb. 102) zeigt indes den Ausgang der verzweifelten Lage einer Mutter, die mit einem auf ihre enthüllte Brust zielenden Messer in der Hand, mit der sie zuvor ihr Kind erstochen hat, nun auch sich selbst umbringen wird, um nicht lebend in die Hände der Osmanen zu fallen. Angelehnt an Racines Iphigenie, die dem griechischen

35 Der Anlass für das Gemälde war ein politischer Skandal in Zusammenhang mit einem Schiffsunglück, das für Empörung in der französischen Öffentlichkeit sorgte. Begleitet wurde der Skandal von Berichten über schreckliche Gewalttaten und sogar Kannibalismus auf dem rettenden Floß. Vgl. hierzu etwa Simon 1997.

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Mythos zufolge von ihrem Vater Agamemnon geopfert wurde, rekurrieren die Gemälde von Decaisne und de Lansac auf die antike Mythologie, die nun im volkstümlichen Gewand daherkommt, um gleichsam nationalisiert zu werden. Was also verbindet die hier vorgestellten und eine lange Reihe ähnlicher Werke über die Tatsache hinaus, dass ihre Urheber keine Griechen, sondern fast ausschließlich Franzosen waren? Allesamt handeln sie von aktuellen Ereignissen, welche schockierend zu sein hatten und namentlich Gräuel darstellen. Damit haben sich nicht nur die Gattungsmerkmale der Historienmalerei, wie sie von der klassischen Kunsttheorie formuliert wurden, ganz wesentlich verschoben, indem nicht mehr die Moral als Exemplum künftigen Handelns,36 sondern die Aktualität bzw. das Profane in den Vordergrund gerückt wurde. Historienbilder, zumal jene zur Geschichte der Balkannationen, waren spätestens seit Delacroix nicht mehr retrospektiv, also durch einen wesentlichen zeitlichen Abstand zum dargestellten Ereignis gekennzeichnet. Vielmehr fielen Ereignis und das Bild vom Ereignis zeitlich zusammen. Zugespitzt formuliert hat es Rainer Fabian, wonach Gemälde – mit Pressebildern vergleichbar – geradezu rechtzeitig erschienen.37 Damit unmittelbar zusammenhängend ist zweitens eine ikonografische Kongruenz, deren Kern in der ebenfalls für die illustrierte Presse festgestellten Skandalisierung der Fantasie liegt. Verschleppung, Massaker und Selbstopfer hatten vor der Folie folkloristischer Exotik, gepaart mit einer gehörigen Dosis weiblicher Sinnlichkeit für den zeitgenössischen Betrachter eine besondere Wirksamkeit, waren doch die betreffenden Bilder nicht mehr für einen individuellen Auftraggeber, sondern für den Kunstmarkt und damit für ein bürgerliches Massenpublikum konzipiert. Denn „wer Erfolg haben wollte“ – so Stefan Germer – „durfte nicht beim Tugendexempel [...] stehenbleiben, sondern musste diesen vielmehr den Interessen der Betrachter anpassen, [...] konkret also: die Geschichte sentimentalisieren“38 – und im Falle des Balkans skandalisieren. Und drittens haben die hier besprochenen Gemälde ganz nach dem Prinzip der Presseillustration jene Demarkationslinie zwischen den balkanischen Ethnien und/oder Religionen mit zuweilen monotoner und deshalb umso dezidierterer Nachdrücklichkeit gezogen.

Die Konvertierbarkeit der Bildmotive Der visuellen Kodifizierung der griechischen Nation in der französischen Malerei der 1820er Jahre folgte recht bald die Entdeckung weiterer Völker auf dem Balkan, die bis in das 20. Jahrhundert hinein immer wieder im Fokus des west- und (ost-)mitteleuropäischen Kunstinteresses standen. Dieses Interesse unterlag wie jenes der illustrierten Presse der Konjunktur des Krieges und der Krise. Solange Frieden auf dem Balkan herrschte, waren dessen Einwohner, Landschaften und Begebenheiten, zumal 36 Germer 1997, S. 17, 22. 37 Fabian 1976, S. 15. 38 Germer 1997, S. 22 ff.



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für Außenstehende, gänzlich uninteressant. Nach dem Frieden von Adrianopel 1829, als Griechenlands Unabhängigkeit zumindest formal besiegelt wurde, und mit Beginn der französischen Julirevolution war das Griechenlandthema recht bald abgeflaut. Erst im Zuge des Krimkrieges und den daran anschließenden Unruhen in Montenegro, Bosnien und Herzegowina Ende der 1850er Jahre, später mit Ausbruch der Orientalischen Krise 1875 durch den Aufstand in Bosnien und Herzegowina, in dessen Folge der Serbisch-Osmanische Krieg und schließlich der Russisch-Osmanische Krieg ausgebrochen waren, wurde das Interesse ausländischer Künstler erneut auf den Balkan gelenkt. Diese Tatsache bestimmte ganz wesentlich die Sujets der auf den Balkan bezogenen Ereignismalerei, in denen nach den Prinzipien der Presseillustration nicht etwa das alltäglich Beständige oder das erfreuend Besondere, sondern das entsetzlich Abscheuliche dominierend ist. Während zwischen den 1830er und 1850er Jahren sich kaum ein Maler für den Balkan interessierte, bot die Zeit danach eine Fülle an spektakulären Themen für die Malerei. Die von Delacroix eingeleitete Strömung einer vom Balkan inspirierten Ereignismalerei sollte daher erst ab den 1860er Jahren eine Aktualisierung erfahren, die nun hauptsächlich von Künstlern aus (Ost-)Mitteleuropa, namentlich Tschechen, Polen, Ungarn, aber auch Russen vorangetrieben wurde. Die ausgesprochene Vorliebe für die Verbildlichung der Montenegriner, Herzegowiner, Serben und Bulgaren spiegelt sich in dem jeweiligen Œuvre mehr oder minder nachdrücklich wider. Dieses Interesse brachte zahlreiche Werke der Malerei hervor, die nicht nur als aktuelle Berichterstattungsbilder vom Balkan in der illustrierten Presse stets in wechselnden Kontexten reproduziert wurden, sondern selbst in ihrer genuin künstlerischen, das heißt einzigartigen Bestimmung unterschiedliche Verwendung gefunden haben. Gemeint ist damit die mehrfache nationale Zuschreibung desselben Bildmotivs oder Bildes, was zum wohl signifikantesten Charakteristikum der Nationalisierung der Kunst auf dem Balkan gehört und die Konvertierbarkeit des Bildmotivs genannt werden kann. Ähnlich wie Delacroix‘ Werke für das griechische Nationalbewusstsein sollte eine Reihe von Gemälden des tschechischen Historienmalers Jaroslav Čermák modellhaften Charakter für die Selbstwahrnehmung der Ethnien des westlichen Balkans bekommen. Für den gebürtigen Prager waren die Bauernrebellionen in Montenegro sowie in Bosnien und Herzegowina seit Anfang der 1860er Jahre jenes Thema, das sein künstlerisches Interesse nähren, aber auch seine künstlerische Karriere ganz besonders vorantreiben sollte. Der im Grunde gegen die missliche wirtschaftliche und vor allem landwirtschaftliche Lage gerichtete Widerstand der ländlichen Bevölkerung39 inspirierte den bis dahin hauptsächlich an der Hussitenbewegung interessierten Historienmaler zur Anfertigung zahlreicher Gemälde zu den montenegrinischen, bosnischen und herzegowinischen Aufständen. Sie machten ihn nicht nur über die Grenzen Europas hinaus berühmt, sondern zugleich zum wichtigsten Künstler der westlichen Balkanvölker, allen voran der Montenegriner und Herzegowiner. 39 Jelavich 1993, S. 143 f.

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Nach einem einjährigen Kunststudium in Prag bei Christian Ruben studierte der 1830 geborene Čermák zunächst in München und Düsseldorf, wo er unter anderem Wilhelm von Kaulbach und Peter Cornelius kennen lernte, um von 1850 bis 1855 die Kunstakademien in Antwerpen, Brüssel und Paris zu besuchen. Čermák war stark von der französischen Malerei beeinflusst, so dass es kaum verwundert, dass er neben der tschechischen und slowakischen Geschichte ab 1858 vor allem die Unruhen auf dem Balkan zum Thema seiner Bilder machte, offenbar dem Vorbild Delacroix‘ und seiner französischen Kollegen folgend. Čermák gehörte jedoch zu den wenigen Malern, die die Region selbst bereist und sich ein eigenes Bild von ihr und ihren Einwohnern gemacht hatten. Zwischen 1862 und 1865 unternahm er drei Reisen in die Herzegowina, besuchte Dalmatien, Bosnien und Montenegro, im kroatischen Mandaljena bei Župa dubrovačka richtete er sogar zeitweilig ein Atelier ein. Trotz seiner nahen Beobachtungen der Region sollte Čermák jedoch im Schlepptau seiner französischen Vorbilder bleiben und die Sentimentalisierung der balkanischen Thematik zuweilen bis ins süßlich Seichte überspannen. Hierin mag der Grund dafür liegen, dass sein BalkanŒuvre von der einschlägigen Literatur der Genremalerei zugeordnet wird, während seine Bilder zur tschechischen Geschichte als Historiengemälde gelten. Eines der ersten von den Unruhen auf dem Westbalkan inspirierten Gemälde Čermáks aus dem Jahr 1862 zeichnet sich durch eine bis an die Schmerzgrenze der Sentimentalität heranreichende Bildrhetorik aus, die es – wie so viele andere Werke des Tschechen – besonders geeignet zur Illustration der aktuellen Geschehnisse auf dem Balkan in der illustrierten Presse werden ließ. Ursprünglich als „Geschändete Frau“ (Abb. 103) bekannt, wurde das heute verschollene Bild unter dem Titel „Banditen“ (Abb. 104) in Světozor als Illustration der Kriegshandlungen auf dem Balkan 1878 benutzt, obschon es ganze sechzehn Jahre zuvor entstanden war und mit dem Russisch-Osmanischen Krieg nichts gemein hatte. Ungeachtet seiner ursprünglichen, wohl montenegrinischen Zuschreibung schien das Bildmotiv geeignet, die Verhältnisse während des Krieges auf dem Balkan zu schildern, entsprach es doch dem bewährten Bildkanon balkanischer Zustandsschilderung und war damit in beliebigen Kontexten einsetzbar: Der Blick des Betrachters wird sogleich von dem im Bildvordergrund liegenden weiblichen Akt gebannt, und obwohl gänzlich unversehrt oder von keinerlei Gewaltspuren gezeichnet, suggeriert die im Hintergrund entfliehende Reitergruppe von Muslimen unter düsterem Firmament, dass der eigentlichen Bildhandlung ein Vergewaltigungsakt vorangegangen sein muss. Der manipulativen Praxis der Umwidmung eines Bildes durch die Bildunterschrift bediente man sich jedoch nicht nur in der Redaktion der Wochenzeitung Světozor, sondern auch in denen ihrer westeuropäischen Urahnen. Die englische Illustrated London News publizierte im Zuge der wachsenden Unruhen in der Herzegowina 1874 einen Holzstich nach dem monumentalen Gemälde Čermáks aus dem Jahr 1868 unter dem Titel „The Captives“ (Abb. 23), das der Maler eigentlich nach Ereignissen aus dem Jahr 1862 gemalt hatte (Taf. I).40 Inmitten einer marmorweißen Ruinenku40 Siehe dazu Kapitel Mehrwegbilder und das Problem der Aktualität.



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lisse antik anmutender Architektur hat eine Gruppe gefesselter Mädchen und junger Frauen mit ihren Entführern eine Rastpause eingelegt. Die reich bewaffneten Baschibozuks rauchen gemächlich ihre Tschibuks, vor dem im Schneidersitz hockenden Entführer steht das Kupfergefäß für den türkischen Kaffee als Zeichen muslimischen Müßiggangs. Mit Wohlgefallen blickt er hinauf zu seiner menschlichen Beute, in dessen Mitte das Lieblingsmodell Čermáks, eine dunkelhaarige Schönheit, direkten Blickkontakt mit dem Betrachter aufnimmt, welche in vielen balkanischen Genrebildern des Tschechen die Hauptrolle sentimentalen Liebreizes spielt.41 In einer knapp zehn Jahre später entstandenen Version der „Gefangenen“ (Taf. II), die wie so oft bei Čermák nach dem Prinzip der Replik angefertigt wurde, begegnen wir erneut dem stets in langer schwarzer Robe gekleideten Modell, das nun an einer Brandmauer lehnt, an der entlang ihr melancholischer Blick aus dem Bild gleitet. Für diese zweite Version übernahm Čermák zwei weitere Protagonisten aus seinem früheren Bild, gruppierte sie jedoch für eine hochformatige Komposition um. Die ursprünglich rechts neben der schwarz Gekleideten gefesselte Bäuerin in prachtvoll bestickter Volkstracht finden wir – nunmehr links und auf einer Stufe erhoben – genauso unverändert in Pose und Kleidung wieder wie den Baschibozuk im Schneidersitz im Bildvordergrund. Genauso wie die Klischees des Leids der Christen bzw. christlichen Frauen oder der muslimischen Trägheit und ihrer menschenverachtenden Haltung hier repetiert werden, so werden auch die Bildmotive repetitiv in unterschiedliche thematische Kontexte eingesetzt. Die Strategie der Wiederverwendung von gleichen Bildmotiven in unterschiedlichen zeitlichen und räumlichen Kontexten sollte Čermák zeit seines Lebens erfolgreich anwenden. Davon zeugt nicht nur die kleine Replik des Brüsseler Gemäldes „Die Kriegsbeute“ in der Widener University Art Collection in Chester.42 1877, ein Jahr vor seinem Tod, malte der Tscheche zwei weitere Gemälde mit dem Motiv der liebreizenden Schönheit: „Im Harem“ (Taf. III) lehnt sie geradezu unverändert als Montenegrinerin – wie immer in die schwarze Robe des Kummers gehüllt – an der Wand eines orientalischen Frauengemachs, jenem endgültigen Bestimmungsort ihrer vielfachen Entführungen, während sie leicht modifiziert als – je nach Bildtitel – bosnische, herzegowinische oder montenegrinische Rückkehrende in ein von Baschibozuks geplündertes Dorf mit Kind in den Armen, einer Madonna ähnlich, abermals an der zerstörten Mauer einer Kirche angelehnt ist (Taf. IV). Das mannigfache Durchdeklinieren des gleichen Motivs – eines weiblichen Modells, das selbst in Habitus und Kostüm kaum variiert – innerhalb wechselnder zeitlicher, räumlicher und thematischer Zusammenhänge kennzeichnet das gesamte Balkan-Œuvre von Čermák. 41 Der wohl eher idealisierte als nach der Natur gemalte Frauentypus diente Čermák für die Anfertigung zahlreicher, meistens montenegrinischer Frauenporträts mit folkloristischem Charakter. 42 Das deutlich kleinere Ölgemälde (85 ×149,9 cm) aus der Sammlung Alfred O. Deshong ist unter dem Titel „The Abduction of Herzegovinian Women by Bashi Bazouks“ verzeichnet und 1868 datiert. Es befindet sich heute in der Widener University Art Gallery/PMC Museum, Chester, Pennsylvania. Für die Information danke ich der Leiterin der Sammlung, Rebecca Warda.

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Ein weiteres Beispiel dieser Kategorie ethnisch konvertierbarer Bilder liefert eines der letzten Werke des Tschechen, das der Geschichte diverser Nationen des Balkans zugeschlagen worden ist und entsprechend viele Titel trägt. Der ursprüngliche war etwas umständlich, da er für den uneingeweihten französischen Salonbesucher von 1877 gedacht war. Er umschreibt das Sujet des Gemäldes von 1877 als „Herzegowiner finden auf der Rückkehr in ihr von Baschibozuks geplündertes Dorf den Friedhof verwüstet und die Kirche zerstört vor“43 (Taf. IV). Im bislang einzigen Werkverzeichnis des Künstlers wurde das Gemälde indes als Darstellung von „Bosnien im Jahr 1877 (Rückkehr ins Dorf)“44 betitelt, während es als Holzstich 1879 in Světozor mit dem Titel „Herzegowina im Jahr 1877“ (Abb. 105) publiziert wurde.45 Schließlich wurde es im Bestandskatalog des Rijksmuseum Amsterdam, wo das Bild bis 1910 aufbewahrt wurde, als „Montenegrinische Flüchtlinge“ bezeichnet.46 Dieses – wiewohl in diesem Fall nicht vom Künstler, sondern von der Historiografie vorgenommene – ethnisch beliebige Vertauschen eines Bildes wird durch die darin enthaltene Anhäufung stereotyper Motive möglich, die sowohl in der populären Wahrnehmung als auch in der Fachwelt offenbar mit der visuellen Darstellung des Balkans in Verbindung gebracht werden. Die Bildprotagonisten entstammen dem für eine typische Balkandarstellung obligatorischen Bauernmilieu, welche Čermák wie so oft inmitten von Ruinen situiert, während die Rahmenhandlung Grausames erahnen lässt. Die in ihren festlichen Volkstrachten gekleideten Frauen schauen fassungslos durch die Überreste des Kircheneingangs auf den Dorffriedhof, wo ein dichter Schwarm schwarzer Vögel den unheilvollen und aus Presseillustrationen bekannten Anblick von neben einer Grabplatte aufgepfählten Köpfen von Aufständischen überfliegt. Rechts im Bild sinnt ein Greis über das traurige Schicksal seines Dorfs nach, eine Frau neben ihm weint gebeugt über die kirchlichen Trümmer. Der Kampf der Christen gegen ihre Unterdrücker ist an der muslimischen Barbarei gescheitert wie die im linken Bildvordergrund sichtbare Kanone, die als Symbol des gescheiterten christlichen Widerstandes zerbrochen daliegt.

43 Der originale Wortlaut des französischen Titels lautet: „Les Herzégoviens de retour dans leur village pillé par les Bachibouzouks trouvant le cimetière ravagé et l’eglise détroite“. 44 Vratislav Černý, Václav Náprstek, František V. Mokry: Život a dílo Jaroslava Čermáka (Leben und Werk von Jaroslav Čermák), Prag 1930, Taf. XVI. 45 Dieser Publikation folgt wohl die herzegowinische Zuschreibung des Gemäldes von Dlábková/ Chrobák 2008, S. 63. 46 Guide to the National Museum at Amsterdam, hrsg. v. Frederik Daniel Otto Obreen, Amsterdam 1894, S. 118. In der montenegrinischen Forschung wird das Gemälde bis heute ebenfalls als solches rezipiert. Vgl. etwa die illustrierte anthropologische Untersuchung von Tatjana Rajković: Vjerovanja i običaji u Crnoj Gori u vezi sa rođenjem (Glauben und Rituale zur Geburt in Montenegro), in: Glasnik narodnog muzeja Crne Gore 3, 2007, oder die elektronische Publikation von Olga Perović: Crna Gora na starim slikama (Montengero in historischen Bildern = www.montengrina.net/pages/gallery/ cg_na_starim_slikama/gallery1.htm, zuletzt besucht 18. März 2011).



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Schließlich wurde dieses Čermáksche Werk einmal mehr zur Darstellung eines konkreten aktuellen Ereignisses in der tagespolitischen Presse umgewidmet, wobei in diesem Fall wohl das Entstehungsjahr des Gemäldes ausschlaggebend für die willkürliche Datierung des verbildlichten Geschehens gewesen zu sein scheint, wie aus dem Titel des Holzstichs „Herzegowina im Jahr 1877“ (Abb. 105) in Světozor hervorgeht. Vom ursprünglichen Bildtitel ist lediglich der Ort geblieben, während das Entstehungsjahr des Gemäldes hinzugefügt worden ist, um das Dargestellte auch in eine ganz konkrete, mithin aktuelle Zeit zu verorten. Paradebeispiel für die Čermáksche Strategie der Konvertierbarkeit von Bildmotiven liefert eins bzw. zwei seiner früheren Gemälde mit exakt gleicher Szenerie: eine erotisch anmutende Ergreifung einer jungen Frau, die in ihrem ostentativ zur Schau gestellten drallen Körper zum Ausdruck kommt, welche mal als Herzegowinerin, mal als Montenegrinerin, mal als Christin bezeichnet wird, und die sich in unglaubwürdig aufreizender Pose gegen die sie verschleppenden Baschibozuks wehrt, während Kind und Mann, an beiden Bildrändern teilweise sichtbar, schon tot auf dem Boden liegen und das traute Heim im Bildhintergrund den Flammen zum Opfer fällt. Das gerissene Band des auf dem Boden liegenden silbernen Kruzifixes steht dabei symbolisch für die gewaltsame Unterwerfung des Christentums unter den Islam. Ursprünglich für den Pariser Salon angefertigt, trug die erste Version von 1861 den für Bilder mit ‚fremden‘ Balkansujets üblichen deskriptiven Titel „Plünderungszug von Baschibozuks in einem christlichen Dorf in der Herzegowina (Türkei)“47. Das Gemälde, das sich heute als „Entführung einer Herzegowinerin“ (Taf. V) im Dahesh Museum of Art in New York befindet, war seinerzeit ein enormer Publikumsmagnet, was nicht nur aus seiner Ausstellungskarriere und den euphorischen Pressebesprechungen deutlich hervorgeht: 1861 im Salon ausgestellt, ging es 1864 nach Rouen, wo es mit der Goldmedaille ausgezeichnet wurde, 1866 nach Berlin, 1869 nach Brüssel und München, um 1873 über Den Haag schließlich vom Ministerium der Schönen Künste der Vereinigten Staaten gekauft zu werden.48 Der Kunstkritiker Hector de Callias pries das Werk als „eins der besten des Salon“49 und Théophile Gautier sah durch den damals noch unbekannten Čermák abermals die erfolgsversprechende Strategie Delacroix‘ bestätigt, durch die Darstellung von „Brutalität“ den künstlerischen Durchbruch geschafft zu haben.50 Selbst das Ritterkreuz des belgi-

47 Das Gemälde wurde 1861 im Pariser Salon unter dem Originaltitel „Razzia de Bachibouzouks dans un village chrétien de l’Herzégovine (Turquie)“ ausgestellt. 48 Vgl. Orientalismus in Europa. Von Delacroix bis Kandinsky, hrsg. v. Roger Diederen und Davy Depelchin, München 2010, S. 51–52, wo es heißt, dass das Gemälde von der amerikanischen GildedAge-Sammlung des New Yorker Zuckerfabrikanten Theodore Havemeyer gekauft wurde. 49 Zit. n. Diederen/Depelchin 2010, S. 51. 50 Der französische Wortlaut „Une Razzia de bachi-bouzouks dans un village de l’Herzégowine, de M. Cermak, attire impérieusement le regard par une certaine brutalité puissante et lumineuse“ von Théophile Gautier: Abécédaire du Salon de 1861, Paris 1861, S. 99 (Herv. im Original).

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schen Ordens sollte „dem genialen Künstler vom König Leopold“51 für sein Gemälde verliehen werden.52 Dass das Gemälde auf eine massenhafte Rezeption hin gearbeitet und vornehmlich für den Kunstmarkt bestimmt war, zeigt sich ferner daran, dass Čermák wegen des enormen Publikumserfolgs 1865 eine freilich deutlich kleinere Replik seines Gemäldes angefertigt hat, die nunmehr die „Entführung einer Montenegrinerin“ darzustellen vorgab und sich heute im Besitz der Prager Nationalgalerie befindet (Taf. VI). Abgesehen von der Massenwirksamkeit und Marktfähigkeit solcher Balkandarstellungen und ausschlaggebend für unsere Untersuchung ist indes die Tatsache, dass zwei gleich gestaltete Bilder eine unterschiedliche nationale Zuschreibung – mal montenegrinisch, mal herzegowinisch – bekommen konnten. Diese unterschiedliche ethnische Zuschreibung zweier gleicher Gemälde sorgt bis heute für Verwirrung in der Literatur53 und zeigt zugleich, wie beliebig und damit flexibel die Nationalisierung von Bildmotiven balkanischer Provenienz erfolgen konnte. Mithin verfügen heute zwei Nationen auf dem Balkan über dasselbe Nationalbild bzw. wird dasselbe Bild von zwei Nationen beansprucht. Die Konvertierbarkeit des Bildmotivs zeigt sich umso nachdrücklicher, wenn das gleiche Bild auch noch als Illustration in der tagespolitischen Presse benutzt wurde, um als Verbildlichung eines aktuellen Ereignisses zu dienen, obschon es vierzehn Jahre vor seiner tagespolitischen Umwidmung entstanden war. Als Beispiel möge ein in der tschechischen Zeitung Světozor publizierter Holzstich nach dem Gemälde Čermáks dienen, der nun mit „Türken töten das Christentum“ (Abb. 24) betitelt wurde. Aus der Herzegowinerin bzw. der Montenegrinerin ist in nuce eine Allegorie des unter islamischer Herrschaft leidenden Christentums geworden, die zugleich als dokumentarisches Abbild der Ereignisse im Osmanischen Reich 1875 ausgegeben wurde. Die beiden Versionen von „Entführungen“ Čermáks sowie deren Reproduktion als Presseillustration sind beispielhaft für den historischen Prozess der Nationalisierung der Bilder und insbesondere der Malerei auf dem Balkan.54 Während das Motiv bzw. die Motive der Gemälde kaum variieren, im Falle Čermáks sogar genau gleich sind, und stets Schockierendes zeigen, indem sie Massaker, Vergewaltigung und Plünderung zu immer wiederkehrenden Rahmenhandlungen balkanischer Darstellungen 51 Siehe die noch zu Lebzeiten Čermáks und voll des Lobes verfasste biografische Skizze von Dr. J.: Jaroslav Cermak. Historienmaler. Biografische Skizze mit Porträt, in: Slavische Blätter. Illustrirte Zeitschrift für die Gesammtinteressen des Slaventhums 1, 1865, S. 17–19, hier S. 19. 52 Am selben Salon nahm Alexandre Cabanel mit einer geradezu identisch angelegten Entführungsszene teil, jedoch mit mythologischem Sujet: Satyr entführt eine Nymphe, 1860, Öl auf Leinwand, 241 × 142 cm, Lille, Musée des Beaux-Arts. 53 Die entführte Frau auf der Prager Version wird gelegentlich als herzegowinische bezeichnet. Siehe Vera Soukupová: Jaroslav Čermák, Prag 1981, S. 46, Abb. 26. Nach mündlicher Aussage der tschechischen Kunsthistorikerin und Kustodin der Prager Nationalgalerie, Markéta Dlábková, soll die Entführte auch als Griechin oder Serbin ausgestellt worden sein. 54 Das Gemälde „Bosnisch-Herzegowinische Flüchtlinge“ des serbischen Historienmalers Uroš Predić ist ebenfalls in zwei Versionen überliefert, die laut Makuljević 2006, S. 134, Anm. 372, nach dem Vorbild des tschechischen Kollegen angefertigt wurden.



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werden lassen, konnte sich ihre ethnische Zuordnung und selbst das Ereignis, das sie vorgeben darzustellen, bisweilen grundlegend ändern. Zugespitzt ließe sich dieser Sachverhalt umschreiben, indem man sich vorstelle, „Die Freiheit führt das Volk“ von Delacroix (1830, Abb. 123) stelle sowohl die Allegorie der Französischen Julirevolution als auch die des deutschen Vormärzes dar, wäre zugleich als aktuelle Presseillustration vom Deutsch-Französischen Krieg von 1870–1871 benutzt worden, um dann auch noch allegorisch für den Sieg des Protestantismus über die katholischen Franzosen zu stehen. Die Konvertierbarkeit balkanischer Bildmotive gehört neben deren Aktualität, Skandalträchtigkeit und Demarkation zu den wesentlichen Merkmalen der Nationalisierung der Malerei auf dem Balkan. Wie am Beispiel der Bilder von Čermák deutlich wird, funktionierte diese bildsemantische Konversion zum einen auf der Ebene der textuellen Umwidmung oder Anpassung der Darstellung an das Darzustellende, welche vom Künstler je nach Bedarf vorgenommen werden konnte. Sie erfolgt aber auch in der Gegenwart, namentlich in der Historiografie. Zum anderen konnten Bildmotive auf der visuellen Ebene ausgetauscht bzw. umgewidmet werden, indem sie unverändert in immer neue kompositorische Zusammenhänge und narrative Wechselbeziehungen gestellt wurden.

Die Konvertierbarkeit der Ikonografie Die semantische Austauschbarkeit balkanischer Motive erfolgte jedoch auch auf einer weiteren Ebene, die schon von Delacroix erfolgreich erprobt worden war und die man als die Ebene der ikonografischen Umwidmung oder als die Konvertierbarkeit der Ikonografie bezeichnen kann. Überlieferte Bildformeln der abendländischen Kunstgeschichte wurden im volkstümlichen Gewand des balkanischen Bauerntums nationalisiert, um die künstlerische Darstellung der Balkannationen gleichsam zu legitimieren. Beispielhaft hierfür sind Čermáks „Entführungen“, die – so eindeutig lesbar sie auf den ersten Blick auch scheinen – ikonografisch zutiefst in der abendländischen Bildgeschichte verankert sind. Hier ist dem offensichtlichen balkanischen Kontext des Bildes das klassische Motiv „Der Raub der Sabinerinnen“ als zweiter, quasi legitimierender Subtext unterlegt. Dem antiken Geschichtsschreiber Roms, Titus Livius, zufolge mangelte es nach der Gründung der Stadt an Frauen, ein Problem, das Romulus gelöst haben soll, indem er die Bewohner der benachbarten Städte zu einem großen Festspiel einlud, bei dem sich die römischen Krieger auf die unbewaffneten Gäste stürzten und die Frauen ihrer Nachbarn ergriffen. Der Moment des Ergreifens unschuldiger Frauen durch bewaffnete Soldaten war seit dem frühen 16. Jahrhundert Thema zahlreicher Kunstwerke. Es besteht kein Zweifel, dass Čermák einige von ihnen nicht nur sehr gut kannte, sondern für seine „Entführung“ wichtige Impulse von ihnen schöpfte und sie sogar im Detail zitierte. Dem Kommentar des Dahesh Museums zufolge hat sich Čermák an Giovanni Bolognas Skulpturengruppe „Der Raub der Sabinerin“ von 1583 in der Loggia dei Lanci

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in Florenz orientiert,55 wobei trotz der auffälligen formalen Ähnlichkeit beider Kompositionen ungewiss ist, wann und wo der Tscheche die frühbarocke Plastik besichtigt haben könnte, hat er doch Italien nachweislich erst vier Jahre nach der Entstehung des Gemäldes besucht.56 Denkbar ist, dass Čermák hierfür Reproduktionen benutzt hat. Das gleichnamige Gemälde von Nicolas Poussin von 1634/1635 (Abb. 106) kann sowohl formal als auch koloristisch als Vorbild gedient haben, was im manierierten Habitus der entführten – wie auch immer ethnisch bezeichneten – Frau, in der gewaltsamen Ergreifung des weiblichen Körpers durch den muskelprotzenden Männergriff, in dem sich auf dem Boden wälzenden Neugeborenen als auch in der Farbgebung zum Ausdruck kommt. Schon Delacroix scheint für sein „Massaker von Chios“ bei Poussins „Raub der Sabinerinnen“ mehrfach motivisch fündig geworden zu sein, wenn er für seine greise Griechin die klagende Greisin inmitten der Raubszene zum Vorbild gewählt hat oder mit dem reitenden Baschibozuk auf die Entführungsszene mit dem Schimmel am rechten Bildrand rekurriert. Noch offensichtlicher ist die Verwandtschaft zum „Raub der Töchter des Leukippos“ (Abb. 107) von Rubens, den Čermák aus seiner Studienzeit in München gut gekannt haben dürfte. Die nahezu gleichen Maße beider Leinwände, ihre fast schon deckungsgleichen Kompositionen bis hin zu direkten Motivanleihen wie die Pose der Entführten, dem starken Kontrast des weiblichen und männlichen Inkarnats, die die nackten Körper umspielenden Draperien und selbst die Gestaltung des Himmels im Hintergrund sind deutliche Anzeichen dafür, dass Čermák das Rubenssche Gemälde als Vorlage für seine „Entführung“ benutzt hat. Die „Entführung“ Čermáks verweist also auf einer weiteren semantischen Ebene im Grunde auf signifikante Episoden der antiken Mythologie römischer Prägung, die durch bildmotivische Anleihen, aber auch durch direkte Bildzitate mit einer aktuellen profanen Rahmenhandlung – der Entführung einer Frau durch Baschibozuks – verknüpft werden. Diese Strategie der ikonografischen Konversion ermöglichte nach Stefan Germer die „symbolische Fassung“ der neuen, mithin durch das nationale Prisma gebrochenen „Konzeption von Geschichte und insbesondere die Erfahrung der Zeitgenossenschaft“57. Damit – so Germer weiter und Jurij Lottman paraphrasierend – wird „eine lineare (ereignisorientierte, für sich bedeutungslose) Geschichte mit einer zirkulären (mythischen, aus dem Mythos bedeutungsgesättigten) Erzählung verbunden“, die „dem aktuellen Ereignis gewissermaßen ein[en] weiter[en] Text unterlegt, der es in allgemeiner Weise lesbar macht“58 und dessen ästhetische Repräsentation schließlich legitimiert. Das Prinzip der ikonografischen Konversion lässt sich exemplarisch auch an dem wohl wichtigsten historischen Gemälde für die serbische Nation „Das Mädchen vom Amselfeld“ (Taf. VII) demonstrieren, welches wegen seiner mittelalterlichen Thema55 56 57 58

www.daheshmuseum.org/collection/detail.php?object=cermakj_1 (zuletzt besucht 16. Juni 2009). Dr. J. 1865, S. 19. Germer 1997, S. 18. Germer 1997, S. 23.



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tik allerdings nur bedingt zu den bislang besprochenen Beispielen zu zählen ist. Das zur nationalen Ikone der Serben avancierte Bild von einem der bedeutendsten serbischen Historienmaler, Uroš Predić (1857–1953),59 von 1919 zeigt eine in prachtvoller Bauerntracht gekleidete Frau, die einen verwundeten serbischen Krieger nach der mythischen Schlacht auf dem Amselfeld versorgt. Mit letzter Kraft richtet sich der Verletzte auf, um seine Lippen am Rand eines goldenen Krugs mit Wasser zu benetzen, das ihm behutsam vom Mädchen eingeflößt wird. Dabei stützt er sich auf die Leiche eines osmanischen Feindes, dessen geschorenes Haupt an die Haartrachten nomadischer Krieger erinnert und ihn als Barbaren konnotiert. Diese an sich unbedeutende Szene der Mildtätigkeit beruht auf einer der bedeutendsten bildlichen Findungen der christlichen Kunst, dem ikonografischen Archetypus der Pietà, die Maria als Mater Dolorosa mit dem vom Kreuz abgenommenen Leichnam Jesu zeigt. Ähnlich wie das Bildgeschehen war – historisch gesehen – auch die Schlacht auf dem Amselfeld von 1389 eher unbedeutend, jedoch sollte sie spätestens seit den beiden Balkankriegen von 1912–1913 zum Inbegriff des serbischen Kampfes gegen die Osmanen und damit zum Fundament des serbischen Nationalbewusstseins werden. Zwar verloren die Serben die Schlacht, doch starb hier der serbische Fürst Lazar, nachdem er sich anstatt für das irdische Leben für das himmlische Reich entschieden haben soll, wodurch er in die Nachfolge Christi gerückt und sein Tod als Opfertod für das Christentum interpretiert wurde, was später auf alle Serben übertragen werden sollte. Somit gilt Lazars Tod als nationaler Märtyrertod, der Serbien vor der Islamisierung bewahrt habe, während die verlorene Schlacht zu einem spirituellen Sieg des Christentums über den Islam gedeutet und das Amselfeld zum serbischen Jerusalem stilisiert wurde. Umso weniger war es ein Zufall, dass das Bild von Predić im Februar 2008 eine brisante Aktualität bekommen sollte, als tausende serbische Patrioten auf die Straßen gingen und mit der serbischen Pietà in den Händen gegen die Unabhängigkeitserklärung des Kosovo demonstrierten. Dies zeigte einmal mehr, wie bedeutend die Historienmalerei für die Vergewisserung einer kollektiven Vergangenheit der Nation nach wie vor ist. Doch abgesehen von der nationalen Wirkmächtigkeit und Argumentationskraft des Predićschen Gemäldes dürften die wenigsten der serbischen Demonstranten gewusst haben, dass auch in diesem Fall das „eigene“ Bild von einem „fremden“ Künstler nach dem Prinzip der ikonografischen Konversion entworfen wurde. Denn der serbische Nationalmaler schuf sein Werk nach dem gleichnamigen Bild des ungarischen Malers, späteren Hofmalers des Fürsten Nikita von Montenegro und heutigen Nationalmalers der Kroaten, Ferdo Quiquerez-Beaujeu (Kikerec)60, und 59 Zu Leben und Werk siehe die grundlegende Arbeit von Miodrag Jovanović: Uroš Predić, Novi Sad u. a. 1998. 60 Daten zum Leben und Wirken von Kikerec finden sich in Österreichisches Biographisches Lexikon. 1815–1950, Bd. 8, S. 355, sowie in Thieme-Becker 1999, Bd. 27/28, S. 527, hier allerdings unter dem Namen Ferdinand von Quiquerez-Beaujeu. Eine Monografie zum Wirken des kroatischen (sic!) Künstlers in Montenegro und der Herzegowina verfasste Marijana Schneider: Hrvatski slikar Ferdo Quiquerez u Cernoj Gori i Hercegovini 1875. i 1876. godine, Sarajevo 1977.

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übernahm dabei selbst dessen ursprüngliche Komposition. Der im heutigen Budapest 1845 geborene und spätere Zeichenprofessor in Agram (Zagreb) Kikerec, dessen Gemälde ebenfalls als aktuelle Illustrationen in der Presse publiziert wurden, hatte sein kleinformatiges Ölbild 1879 (Taf. X) nach dem gleichnamigen Volksepos angefertigt, womit er dem Mädchen vom Amselfeld und dem in ihren Armen sterbenden Bannerträger des Fürsten Lazar, Pavle Orlović, den Weg in die nationale Imagination der Serben ebnen sollte.61 Der unwiderrufliche Aufstieg zur Nationalikone gelang dem Mädchen vom Amselfeld schließlich durch die Bildversion von Predić.62 Während das Bild von Kikerec ganz im Einklang mit der seit dem 19. Jahrhundert populären Volkserzählung beide Bildprotagonisten als Zeitgenossen darstellt, abzulesen an der festlichen Kleidung, wie sie in der Zeit von den serbischen Bauern getragen wurde,63 um seiner balkanischen Pietà sozusagen aktuelle Züge zu verleihen, versetzt Predić die Szene mit fingierten Kostümen und theatralisch anmutendem Requisit in eine bühnengerechte mittelalterliche Welt.64 Schon 1914, im Anschluss an die beiden Balkankriege, als das ‚Amselfeld‘ von den Osmanen verloren und an Serbien abgetreten wurde, hatte Predić das Pietà-Motiv von Kikerec für den Entwurf einer Urkunde des Serbischen Volksfonds für Kriegsversehrte verwendet und es entsprechend zeitgenössisch aufbereitet. Der auf Papier mit Aquarell ausgeführte Urkundenentwurf ist in drei Bildfelder gegliedert (Taf. VIII). Die beiden äußeren und etwas schmaleren Felder zeigen links eine Attacke serbischer Soldaten, rechts die Rückkehr eines Kriegsinvaliden in sein Dorf, und flankieren das Hauptbild, das wiederum aus zwei einzelnen Bildszenen zusammengesetzt ist. Während links der Patron des Invalidenfonds, der Hl. Georg, auf einem sich aufbäumenden weißen Pferd gegen den Drachen kämpft und symbolisch für den Kampf der Serben gegen die Osmanen steht, zitiert die Szene rechts das Motiv der Pietà (Taf. IX): Eine serbische Bäuerin in Volkstracht versorgt einen verwundeten serbischen Soldaten mit Wasser aus einem Krug, doch diesmal ist der Verletzte, der auch hier auf dem getö61 Das Gemälde von Kikerec wurde verhältnismäßig spät nach seiner Entstehung reproduziert in: Srpske ilustrovane novine 2, Nr. 21, 15. Mai 1882, S. 140. Eine ausführliche Beschreibung des Werks mitsamt seiner historischen Quelle, dem gleichnamigen Volkslied, von Stevan Popović-Vacki: „Kosovka Devojka“, in: ebenda, Nr. 19, 15. April 1882, S. 102–105. 62 Zur Genese des Bildmotivs in der serbischen Kunst und dessen zahlreiche Variationen von der frühen Neuzeit bis in die Gegenwart siehe Dejan Medaković: Kosovski boj u likovnim umetnostima (Die Schlacht auf dem Amselfeld in der bildenden Kunst) (= Kosovska spomenica 1389–1989, 4 Bde., Bd. 2), Belgrad 1990. 63 Der Beschreibung von Popović-Vacki 1882, S. 104, zufolge tragen die Protagonisten des Bildes eindeutig identifizierbare Trachten. Die männliche Kleidung verortet der Autor sowohl in der Herzegowina als auch in manchen Gegenden Montenegros, insbesondere in Risan in der Bucht von Kotor, die Tracht des Kosovo-Mädchens dagegen finde sich in der Oberkrain (heute Kranjska in Slowenien). 64 Die Hinwendung zu mittelalterlichen Themen in der nationalen Historienmalerei der Balkannationen wurde seit Beginn des 20. Jahrhunderts vor allem von einheimischen Künstlern vollzogen. Der in den Werken ihrer ausländischen Kollegen kodifizierte Opferstatus der christlichen Balkanbevölkerung wurde so allmählich verdrängt, um zunehmend von einer nunmehr als glorreich imaginierten mittelalterlichen Geschichte ersetzt zu werden. Der Prozess dieses Wandels ist kunsthistorisch bislang nicht behandelt worden und wäre Aufgabe der künftigen Forschung.



Die Ikonografie der Demarkation und ihre Spielarten

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teten osmanischen Feind liegt, wie sein Rivale in zeitgenössischer Soldatenmontur gekleidet.

Die Ikonografie der Demarkation und ihre Spielarten Die Aufwertung bzw. Legitimation der Darstellung des profanen zeitgenössischen Ereignisses balkanischer Provenienz durch dessen Verknüpfung mit archetypischen Bildmotiven der abendländischen Kunstgeschichte war ein wichtiger Bestandteil der künstlerischen Strategie bei der historischen Verbildlichung der Balkannationen. Diese beiden semantischen Ebenen des aktuell Trivialen einerseits und des überzeitlich Archetypischen andererseits wurden dabei durch jene gemeinsame ikonografische Klammer zusammengefasst, die mit dem analytischen Differenzbegriff der Ikonografie der ethnischen Demarkation bezeichnet wurde. Dieser ikonografische Typus zeichnet sich dadurch aus, dass disparate Geschehnisse, die sich zu unterschiedlichen Zeiten, auf unterschiedlichen Territorien und aus unterschiedlichen Gründen ereigneten, auf die immer wiederkehrende visuelle Rhetorik des elementaren Gegensatzes reduziert werden. Die Bildhandlung wird dabei zumeist auf eine Misshandlung reduziert, wobei die Missetäter stets grausame muslimische Osmanen sind, die Misshandelten, zumeist als Märtyrerinnen konnotiert, indes unschuldig leidende Christinnen bestimmter oder beliebiger ethnischer Herkunft sind. In dezidierter Form findet sich die Ikonografie der Demarkation im Gemälde „Bulgarische Märtyrer“ (Taf. XI) von Konstantin E. Makovsky (1839–1915). Makovsky war Mitglied und Mitbegründer der künstlerischen Bewegung der russischen Peredvižniki (Wanderer), die sich 1870 zur Gesellschaft der künstlerischen Wanderausstellungen (Tovariščestvo peredvižnyh hudožestvennyh vystavok) als Reaktion gegen die offiziellen akademischen Regeln der Petersburger Kunstakademie zusammenschlossen.65 Als Vertreter des Realismus in der Malerei setzten sich die Peredvižniki, darunter prominente Maler wie Ilja Repin, Wassili Perov, Wassili Surikov oder Wassili Veresčagin, für demokratische Ideale in der Kunst ein, die sich vornehmlich in genrehaften Darstellungen des Bauerntums niederschlugen. Dementsprechend trugen auch die zwischen 1871 und 1923 insgesamt 48 organisierten Wanderausstellungen einen aufklärerischen Charakter. Sie waren an breite Bevölkerungsschichten und vor allem an die einfache Bevölkerung adressiert. Damit weisen die Werke der Peredvižniki nicht nur eine Nähe zu den Ideen der westeuropäischen Romantik auf, indem sie das Leben ihrer Zeitgenossen zum Thema der Malerei machten, sondern ebenso zu den illustrierten Massenmedien der Zeit, die mit exotisch schockierenden Darstellungen des volkstümlichen Lebens ein breites Publikum anzusprechen suchten.

65 Zu den Peredvižniki siehe etwa die zweibändige Quellenedition Tovariščestvo peredvižnyh hudožestvennyh vystavok. Pisma i dokumenty. 1869–1899 (Gesellschaft der künstlerischen Wanderausstellungen. Briefe und Dokumente. 1869–1899), 2 Bde., Moskau 1987.

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Makovsky hatte sich ähnlich wie Čermák selbst ein Bild vom bäuerlichen Leben auf dem Balkan, namentlich in Serbien, gemacht und fertigte mehrere Gemälde im schon bekannten rhetorischen Duktus an, darunter sein wohl heute populärstes Gemälde vor allem für ein bulgarisches Publikum von 1877 „Bulgarische Märtyrer“ (Taf.  XI).66 Rechtzeitig zum Russisch-Osmanischen Krieg gemalt, zeigt es im Inneren einer verwüsteten christlich-orthodoxen Kirche eine bulgarische Bäuerin mit Kind, die von drei Männern misshandelt wird, während eine weitere Frau schon tot auf dem Boden liegt. Die Blutlache neben und die aufgeschlagene Bibel auf ihrem Körper verweisen auf das unmittelbar bevorstehende Schicksal ihrer Glaubens- und Nationalschwester. Wie immer sind die Missetäter Muslime: Während der an der schwarzen Fellmütze zu erkennende Tscherkesse gerade im Begriff ist, das Kind der Mutter zu entreißen, wird diese von einem lüsternen schwarzhäutigen Baschibozuk entkleidet. Der schwerbewaffnete türkische Baschibozuk mit hochgekrempelten Ärmeln schaut indes in erwartungsvoller Haltung und mit zynischem Grinsen der Misshandlung zu. Auch hier finden sich also jene konstitutiven Merkmale balkanischer Ereignismalerei, die bis auf Delacroix zurückverfolgt werden können und ohne welche kaum ein bildnerischer Entwurf zu einer balkanischen Nationalgeschichte auskommen konnte: die Aktualität der Handlung, ihr skandalträchtiger Charakter und vor allem die kategorische Gegenüberstellung von Opfer und Täter, von Gut und Böse, verkörpert von den christlichen Bulgarinnen einerseits und von den muslimischen Ethnien andererseits. Die Demarkationslinie zwischen den Religionen oder Ethnien des Balkans, mithin das Trennende zwischen ihnen wird somit – folgt man Stefan Germer – zur essentiellen symbolischen Einfassung nationaler Geschichte der Balkanvölker in der Ereignismalerei des 19. Jahrhunderts.

Die asymmetrische Ikonografie der Demarkation Die bislang behandelten Gemälde beruhen ausnahmslos auf dem Prinzip der Ikonografie der Demarkation. Diese kann jedoch auch Spielarten aufweisen. Instruktiv in dieser Hinsicht ist der Gemäldezyklus „Unter dem Joch“ von einem der bedeutendsten Nationalmaler Bulgariens, dem tschechischen Künstler Ivan Mrkvička (1856–1938), der schon allein wegen seines emblematischen Werktitels als Exemplum geeignet ist, um die Variabilität dieses ikonografischen Modells zu verdeutlichen. Im Unterschied zu Čermák und Makovsky, die sich nur für kurze Zeit auf dem Balkan aufhielten, ließ sich der bei den Genremalern Mikuláš Aleš und Joseph Manes Ma-

66 Während des Medienskandals um die Ausstellung „Batak – ein bulgarischer Erinnerungsort“ wurde das Bild von Makovsky in der Boulevardpresse als visuelles Dokument bulgarischer Geschichte abgedruckt. Vgl. etwa Nikolaj Golemanov, Mila Kudrina: „Bulgarische Märtyrer“ ist das erste Gemälde, welches den Gräueltaten nach dem Aprilaufstand im Jahr 1876 gewidmet war, in: Dneven Trud, 30. April 2007, S. 8–9, Abb. S. 8.



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lerei studierende Ivan Mrkvička für ganze vierzig Jahre in Bulgarien nieder. Mrkvička war die wohl bedeutendste Figur und die Verkörperung des künstlerischen Lebens im damals gerade einmal drei Jahre jungen bulgarischen Staat. Diese schicksalhafte Verbindung zu Bulgarien wird nicht nur aus der Selbsteinschätzung Mrkvičkas deutlich, der wie Delacroix von sich behauptet haben soll, dass ihn das Sujet des bulgarischen Bauerntums und seiner Trachten überhaupt erst zu einem bedeutenden Künstler gemacht hätten.67 Auch die Tatsache, dass einer der ersten bulgarischen Kunsthistoriker, Andrej Protič, in seiner Studie über „Die Kunst in Bulgarien“68 im Kapitel über die hier tätigen ausländischen Künstler Mrkvička nicht einmal erwähnt, sondern ihn als bulgarischen Maler behandelt, definiert den Tschechen als Schlüsselfigur der bulgarischen Nationalkunst. Wie viele andere ausländische, überwiegend aus (Ost-)Mitteleuropa stammende Künstler kam auch Mrkvička 1881 auf Einladung des Bildungsministers von Ostrumelien69, Konstantin Veličkov, nach Plovdiv, wo er acht Jahre lang als Zeichenlehrer am städtischen Gymnasium tätig war,70 um sich ab 1889 endgültig in der bulgarischen Hauptstadt Sofia niederzulassen. Schon in Prag hatte der hauptsächlich mit ethnografischer Genremalerei beschäftigte Tscheche bulgarische Studenten kennen gelernt und 1880 den Bulgarischen akademischen Verein „Bălgarska sedjanka“ (Bulgarische Zusammenkunft) gegründet als Auftakt zu den zahlreichen von ihm initiierten Gründungsakten in seiner späteren Wahlheimat Bulgarien: 1885 gründete er die erste bulgarische Zeitschrift für bildende Kunst Izkustvo; 1886 organisierte er die erste bulgarische Kunstausstellung in Plovdiv; auf seine Initiative hin wurde im Rahmen der Ersten Nationalen Ausstellung in Plovdiv 1892 der Pavillon für Malerei eingerichtet, wo ein Großteil der ausgestellten Werke von Mrkvička selbst stammte; 1893 wurde unter seiner Federführung die erste Vereinigung bulgarischer Künstler „Verein zur Unterstützung der Kunst in Bulgarien“ gegründet, später in „Verein der bulgarischen Maler“ umbenannt; schließlich gehörte der Tscheche zu den Mitbegrün67 Radost Železarova: Češkite hudožnici v Bălgarija ot kraja na XIX i načaloto na XX vek (Die tschechischen Maler in Bulgarien des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts), in: Čehi v Bălgarija – istorija i tipologija na edna civilizatorska rolja (Tschechen in Bulgarien – Geschichte und Typologie einer zivilisatorischen Rolle), Teil 2 (= Goljama česka biblioteka 3), Sofia 1996, S. 16–39, hier S. 23 f. 68 Andrej Protič: Izkustvoto v Bălgarija (Die Kunst in Bulgarien), in: Učilišten pregled 12, 1907, S. 884– 914. Die Studie wurde im selben Jahr auch in englischer Übersetzung publiziert: Fine art in Bulgaria (Supplement to Bulgaria of to-day), London 1907, vgl. besonders Kapitel „Ausländische Künstler in Bulgarien“, S. 885–890. 69 Ostrumelien wurde im Anschluss an den Russisch-Osmanischen Krieg als autonome Provinz des Osmanischen Reiches im Süden des heutigen Bulgariens auf dem Berliner Kongress und durch den Berliner Vertrag 1878 gegründet. Die Provinz bestand bis 1885, als sie durch eine Revolte in Philippopel (heute Plovdiv) an das Bulgarische Fürstentum angeschlossen wurde. Sie umfasste die Oberthrakische Tiefebene und das obere Thrakien zwischen Balkan, Rhodopen und der Küste des Schwarzen Meeres mit Hauptstadt Philippopel. 70 Die Entscheidung scheint Mrkvička unter dem Einfluss von Ludwig Lukaš, Sohn seines damaligen Vermieters in Prag und selbst Lehrer in Philippopel, getroffen zu haben. Siehe dazu Železarova 1996, S. 19.

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dern der ersten Staatlichen Zeichenschule Bulgariens 1896, der heutigen Akademie für Bildende Kunst in Sofia, deren Direktor er 25 Jahre lang war. Die Monopolstellung von Mrkvička blieb allerdings nicht auf das bulgarische Kunstleben beschränkt, von Anfang an verkehrte der tatkräftige Tscheche in den einflussreichen Politikerund Intellektuellenkreisen des Landes, war Mitglied der Bulgarischen Akademie der Wissenschaften, Herausgeber und Illustrator von ethnografischen Bildbänden71 und literarischen Werken, darunter des bulgarischen Nationalromans von Ivan Vazov Unter dem Joch72. Die erste Ausgabe des Romans von 1894 wurde mit insgesamt 30 Illustrationen versehen. Sie beruhen zum großen Teil auf inszenierten Fotos mit Schauspielern, die im nachhinein bildnerisch bearbeitet worden sind. Die Idee dafür geht auf Vazov zurück, der mit Schauspielern der Theatertruppe von „Sălza i smjah“ (Tränen und Lachen) die Szenen im Atelier des bulgarischen Hoffotografen Ivan Karastojanov gemeinsam mit den Künstlern inszenieren ließ.73 Über den Charakter der Illustrationen schreibt Rumjana Dončeva, die an der Illustration des Romans beteiligten Künstler hätten durch die Darstellung der bäuerlichen Alltagskultur, der charakteristischen ethnografischen Kleidung sowie der typisch bulgarischen Gesten und Posen ein naturalistisches Bild der Bulgaren wiedergegeben.74 Der zeitgenössische Rezensent der ersten Buchausgabe F. P[anajotov] drückte es indes deutlicher aus: „Fakt ist, dass uns die Ausländer die Augen geöffnet haben, uns selbst zu sehen.“75 Offenbar unter dem Einfluss des Vazovschen Romans, für den Mrkvička neben anderen ausländischen Künstlern wie Joseph Oberbauer, Antoni Piotrowski und Canella sowie dem einzigen bulgarischen Illustrator Anton Mitov die meisten Illustrationen beisteuerte, begann der Tscheche 1897 an seinem gleichnamigen Gemäldezyklus zu arbeiten, das er um 1906 beendete. Von den vermutlich fünf zum Zyklus gehörenden Gemälden sind vier dem ikonografischen Modell der ethnischen Demarkation verschrieben.76 Lediglich das Gemälde „Hajduken im Walddickicht“ von 1898 – so beobachtet auch die Koryphäe der bulgarischen Historienmalerei Atanas Božkov – stellt die historischen Ereignisse im Bulgarien des ausgehenden 19. Jahrhunderts aus einer anderen Perspektive dar,77 womit das Fehlen eines sensationsträchtigen Motivs, 71 Ivan Mrkvička: Bălgarija v obrazi (Bulgarien in Bildern), Sofia 1929. 72 Ivan Vazov: Pod igoto, Sofia 1894. 73 Siehe dazu Markovska 1981, besonders S. 560, sowie Ivan Popov: Minaloto na bălgarskija teatăr. Spomeni i dokumenti (Die Geschichte des bulgarischen Theaters. Erinnerungen und Dokumente), 4 Bde., Sofia 1956, Bd. 2, S. 408–409. 74 Rumjana Dončeva: Vazov i bălgarskite hudožnici (Vazov und die bulgarischen Maler), in: Nasledstvoto na Vazov (Das Erbe Vazovs), Sofia 2002, S. 279–284, hier S. 279 f. 75 Zit. n. Markovska 1981, S. 565. 76 Die Frage nach der Zusammengehörigkeit der fünf Gemälde zu einem Zyklus ist – soweit mir bekannt – nie gestellt bzw. erörtert worden. Atanas Božkov: Bălgarskata istoričeska živopis (Die bulgarische Historienmalerei), 2 Bde., Sofia 1978, Bd. 2: Ot văzraždaneto do 1944 godina (Von der Wiedergeburt bis 1944), setzt sie als gegeben voraus und bespricht insgesamt fünf Gemälde, doch erwähnt er auch weitere, die sich im Privatbesitz in Kralovice bei Prag befinden. 77 Ebenda, S. 160, Abb. 84, S. 156. Das heute in der Nationalgalerie Sofia aufbewahrte und 139 × 95 cm große Bild zeigt ein in dunklen Farben gehaltenes Dickicht aus Laubbäumen. Hinter den Baumstäm-



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das auf dem ethnischen Gegensatz von Opfern und Tätern beruht, gemeint zu sein scheint. Den anderen Gemälden des Zyklus‘ bescheinigt der bulgarische Kunsthistoriker den Charakter einer „Märtyrerchronik unseres Volkes“78, die – so Božkov – keine konkreten Ereignisse dokumentieren und auch keine konkreten Personen darstellen. Vielmehr handele es sich dabei um allegorische Erzählungen, in denen Elemente aus Folklore, Ethik und Psychologie ineinander verwoben werden: Die Heldentaten der „Idealisten, die mit einfachen Kanonen gegen das Osmanische Imperium kämpfen, sind in den Hintergrund gedrängt“, während im Fokus von Mrkvičkas Werken die Massaker stehen, „die mit unerhörter Brutalität verübt worden sind.“79 Der Tscheche erzähle die Gräuel einfach und konkret, bemühe sich jedoch zugleich, seine künstlerische Idee in ein erhabeneres Narrativ zu stellen, indem die Protagonisten auf die Ebene christlicher Märtyrer gehoben werden. Mrkvičkas Vorstellungskraft verlasse jene für sein ganzes Œuvre zentrale nüchterne Wahrheitstreue, mithin das ethnografisch Deskriptive, um die Realität des armen Bauernhauses mit dem himmlischen Leben zu verbinden. Das Wundersame und Ethische verdrängten das Genrehafte, so dass der sich hier offenbarende künstlerische Humanismus einen religiös-abstrakten Charakter bekomme. Mit diesem für die sozialistische Kunstgeschichtsschreibung nicht unüblichen idealisierenden Pathos fährt Božkov in seiner Beschreibung des um 1906 entstanden, in der chronologischen Reihenfolge letzten Gemäldes „Märtyrer“ (Taf. XII), fort: „Der Vater, stark und irdisch, in grober Kleidung, ist gefesselt – vor ihm liegt seine Tochter, nackt und vergewaltigt. Die Täter haben sich versteckt [sic!], verblieben ist nur das menschliche Leid. Das Licht vom kleinen Fenster verwandelt sich in Schein, der die Komposition diagonal teilt und in den Raum kommt eine Gruppe Engel herein – wie in barocken Bildern, in denen Martyrien und Krönungen dargestellt sind. Der Körper der Frau scheint sich noch in den Todesqualen zu winden, aber schon naht die Erlösung – einer der Engel schwebt vom Himmel herab und bringt den Ruhmeskranz.“80 Auch wenn Božkov irrtümlich von der Absenz des Täters spricht, so ist selbst für den uneingeweihten Betrachter unschwer zu ermitteln, wem der tschechische Maler für die Greueltat die Schuld gegeben hat. Der Blick des gedemütigten Mannes weist auf den rechten Bildhintergrund, wo niemand geringeres als ein mit Turban und Gewehr aus dem Haus heraustretender Muslim zu erkennen ist.81 Das von Blut befleckte men lodert in der Bildmitte ein kleines Feuer, um welches herum die kaum erkennbaren Figuren der Hajduken (Freischärler) einen ihrer verwundeten Kameraden versorgen. 78 Ebenda, S. 159. 79 Ebenda. 80 Ebenda. 81 Ob und warum Božkov bei der Beschreibung des Bildes keinen Täter identifieziert hat, bleibt unklar. Der schlechte Zustand des Gemäldes vor der Restaurierung im Vorfeld der Retrospektive im Jahr 2006 in der Nationalgalerie Sofia erlaubte es vermutlich nicht, die in den dunklen Bildpartien befindlichen Gegenstände zu erkennen, die wohl erst nach der Reinigung ans Tageslicht gekommen sind. Anlässlich der Retrospektive erschien eine bescheidene Farbbroschur mit 12 Seiten: 150 godini

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weiße Gewand der Toten hat der Missetäter schon angezündet, eine Rauchwolke steigt von der noch lodernden Flamme hinauf und führt den Blick über die Diagonale zur oberen linken Ecke, wo barock anmutende Putten Palmenzweig und Dornenkrone für die nationalen Märtyrer bereithalten. Die abermals durch das Prisma der christlichen Ikonografie gebrochene Botschaft des Bildes an die Nation ist leicht verständlich und appelliert an die Emotion: Auch wenn von einem Türken gefesselt, gequält und geschändet, anschließend bei lebendigem Leib verbrannt, lohnt es sich, für die bulgarische Nation zu leiden und zu sterben und dafür in ihre himmlische Ewigkeit einzugehen. Im Vergleich zu den Werken von Delacroix über Čermák bis hin zu Makovsky, und wie selbst aus der Werkbeschreibung von Božkov hervorgeht, setzt Mrkvička als Erster nicht auf jene deutlich sichtbare Demarkationslinie zwischen Opfer und Täter, sondern nimmt die Präsenz des Letzteren so weit zurück, bis dieser hinter seine Tat tritt oder gar gänzlich durch diese ersetzt wird. Diese Variante der Ikonografie der Demarkation, die als asymmetrisch bezeichnet werden kann, da sie auf die Verbildlichung der direkten Konfrontation der sinnstiftenden Träger von Gut und Böse verzichtet, findet sich in allen anderen Gemälden des Zyklus‘ wieder. In dem motivisch mit „Märtyrer“ verwandten Bild „Nocturno des Grauens“ von 1897 (Taf. XIII) schildert Mrkvička den Tatbestand des Massakers in einem bulgarischen Dorfhaus, in dessen – auch symbolisch – stark überschattetem Hof die nackten Leichen von Mutter und Kind liegen. Gespenstisch muten die offenen Augen und der offene Mund der toten Frau an, in deren Brust eine Stichwunde klafft, ähnlich dem vom Schatten fast gänzlich überdeckte tote Hund am unteren Bildrand mit seinem blutigen Maul. Mit in den Händen vergrabenem Gesicht ist im hellsten Teil des Bildes die Figur einer Trauernden positioniert, die gebeugt über die Toten wacht. Verglichen mit „Märtyrer“ wirkt dieses Bild der Trauer prosaischer, da es ohne offensichtliche Anleihen bei der abendländischen christlichen Kunst auszukommen scheint. Doch auch hier knüpft Mrkvička an jene profan gewendeten Beweinungsszenen an, die, eingebettet in Ruinenlandschaften, durch die illustrierte Presse verbreitet worden waren. Mrkvička – so Božkov – erzähle hier über das Ereignis still, intim und ohne darin das Heroische zu suchen. „Die Massenexekutionen, die blutigen Rinnsale und der Qualm der brennenden Dörfer werden hier erneut vom persönlichen Drama abgelöst, das das kollektive Leid auf die individuelle Ebene herunterbricht.“82 Im Unterschied zu „Märtyrer“ jedoch fehlt in diesem Bild jener kaum zu erkennende Täter, an dessen Stelle ist seine bloße Tat getreten, so dass die Linie der Demarkation nicht mehr innerhalb des visuellen Narrativs zwischen Opfer und Täter verläuft, sondern außerhalb des Bildes und damit in die Imagination des Betrachters verlagert wird. ot roždenieto na Ivan Mărkvička. Izbrani tvorbi ot kolekcijata na nacionalnata hudožestvena galerija (150 Jahre seit der Geburt von Ivan Mărkvička. Ausgewählte Werke aus der Sammlung der Nationalgalerie), Sofia 2006. 82 Božkov 1978, S. 160.

Abbildungen

1 Die Ausgabe der Illustrirten Zeitung, in: Illustrirte Zeitung 39, Nr. 1000, 30. August 1862, Titelseite

2 H. Scherenberg: Leiden und Freuden eines artistischen Mitarbei­ ters der Illustrirten Zeitung, in: Illustrirte Zeitung 36, Nr. 927, 6. April 1861, S. 245

3 Antiquarian Discoveries in Greece: Our Artist Sketching the Entrance Gate of the Acropolis at Mycenae, in: The Illustrated London News 70, Nr. 1960, 3. Februar 1877, Titelseite

4 The War: Our Artist’s First Encounter with a Cossack – Trying his Mettle, in: The Illustrated London News 70, Nr. 1974, 12. Mai 1877, S. 449

6 The War: Narrow Escape of the „Times’“ Correspondent and Our Artist [Melton Prior] at Rustchuk, in: The Illustrated London News 71, Nr. 1985, 28. Juli 1877, Titelseite

5 The War in the Herzegovina: The Correspondents of the „Rousski Mir“ [Pierre de Mon­ teverdi] and the „Illustrated London News“ [Melton Prior] on their Way from Risano to Peco Pavlovitch’s Camp at Piva, in: The Illustrated London News 68, Nr. 1903, 15. Januar 1876, S. 56

7 The War: Watering Horses under Difficulties. From a Sketch by one of Our Special Artists, in: The Illustrated London News 70, Nr. 1977, 2. Juni 1877, Titelseite

8 The War: Camp of the „Times’“ and „Illustrated London News’“ Correspondents Attacked by Wolves. From a Sketch by one of Our Special Artists [Irving Montagu], in: The Illustrated London News 71, Nr. 2000, 10. November 1877, Titelseite

10 [Richard Caton Woodville]: The War in Bulgaria: English Prisoners on the March. From a Sketch by One of Them (Mr. Bell, Our Special Artist), in: The Illustrated London News 72, Nr. 2019, 9. März 1878, Titelseite

9 Serbie. – Les Ruines du village de Buimir (près Alexinatz), incendié par les Tcherkess. – (Dessin de M. Férat, d’après le croquis de M. Dick, notre envoyé spécial.) (Serbien. Die Ruinen von Buimir, bei Aleksinac, von den Tscherkessen in Brand gesetzt, Zeichnung: Férat, nach Skizzen des Spezialartisten Dick), in: Le Monde Illustré 39, Nr. 1006, 22. Juli 1876, S. 252

12 The War: A Quiet Half-Hour in Mehemet Ali’s Tent. From a Sketch by Mr. F. Francis, in: The Illustrated London News 72, Nr. 2010, 5. Januar 1878, Titelseite

11 The War: Riza Bey Watching the Circassian Raid across the Danube through Our Artist’s [Melton Prior] Telescope, in: The Illustrated London News 70, Nr. 1981, 30. Juni 1877, Extra Supplement

15 Rücken eines sechsteili­ gen Druckstocks bzw. einer halben Seite, aus: Mason Jackson: The Pictorial Press, London 1895, S. 316

13 [Jules Pelcoq ?]: Faksimile einer Skizze vom Schauplatz des DeutschFranzösischen Kriegs 1870–1871, aus: Mason Jackson: The Pictorial Press, London 1895, S. 318

14 The War: The Surrender of Sedan, in: The Illustrated London News 57, Nr. 1613, 17. September 1870, Titelseite

16 Doppelseite, in: Illustrirte Zeitung 39, Nr. 1014, 6. Dezember 1862, S. 408/409; links: Albanesisches Baschibozuk-Piket im Balkan in Bulgarien, rechts: Hinterhalt aufständischer Bulgaren in einem Balkanpasse, nach Zeichnungen von F[elix] Kanitz

17 Albanesisches Baschibozuk-Piket im Balkan in Bulgarien, Detail

18 Plattenraster eines neunteiligen Druckstocks bzw. einer Titelbildgröße der Illustrated London News 37, Nr. 1613, 17. September 1870, Titelseite, Konstruk­ tionszeichnung d. Verf.

19 Türkische Karaul-Zapties, aus: Felix Kanitz: Donau-Bulgarien und der Balkan, Leipzig 1875, Bd. 1, Taf. V

20 Bashi-Bazouk: an unknown artist’s interpretation, aus: Dale L. Wal­ ker: Januarius MacGahan. The Life and Campaigns of an American War Correspondent, Athens, Ohio 1988, S. 173

21 Aufständische Bulgaren im Balkan, aus: Felix Kanitz: Donau-Bulgari­ en und der Balkan, Leipzig 1875, Bd. 1, Taf. I

22 Aufständische Bulgaren im Balkan. Aus Kanitz „DonauBulgarien und der Balkan“, in: Ueber Land und Meer 35, Nr. 20, 1876, S. 400

23 The Captives, from the Picture by Jaroslav Cermak, in: The Illustrated London News 65, Nr. 1832, 17. Oktober 1874, S. 381/382

24 Turci vrahové krěstanstva. Obraz Jaroslava Čermáka (Foto­ grafováno na dřevo) (Türken töten das Christentum. Nach einem Bild Jaroslav Čermáks, Fotoxylogra­ fie), in: Světozor 9, Nr. 31, 30. Juli 1875, S. 365

26 Moldo-Wallachian Peasantry, in: The Illustrated London News 23, Nr. 639, 20. August 1853, S. 140

25 Wallachian Peasantry and Troops, in: The Illustrated London News 23, Nr. 636, 6. August 1853, Titelseite

27 Varna – Public Fountain, in: The Illustrated London News 25, Nr. 690, 1. Juli 1854, Titelseite

28 Der Kampf in Montenegro: Scene aus dem Gefechte bei Bielopaolovic, in: Illustrirte Zeitung 39, Nr. 1002, 13. September 1862, S. 188

30 Luka Vukalovich, Füh­ rer der Aufständischen in der Herzegowina. Nach einer Photographie, in: Illustrirte Zeitung 38, Nr. 985, 17. Mai 1862, S. 324

29 Herzegowinische Insurgentenführer. Nach einer Originalzeichnung, in: Illustrirte Zeitung 39, Nr. 994, 19. Juli 1862, S. 45

31 Vom serbisch-türkischen Kriegsschauplatz: Panajot Hitow, Führer der Jungbulgarenlegion, inmit­ ten zweier Jungbulgaren, in: Illustrirte Zeitung 67, Nr. 1727, 5. August 1876, S. 115

32 Anastas Karastojanov: Ivan Kăršovski, Pa­ najot Hitov und Ivan Zerdelijski (v. l.), Fotogra­ fie, Belgrad 1867

33 Anonym: Ilija Markov (Iljo vojvoda), Foto­ grafie, Belgrad 1865

34 Der Aufstand in Bulgarien: Der bulgarische Klephtenführer Iljo Mar­ kow. Nach einer Photographie, in: Illustrirte Zeitung 67, Nr. 1723, 8. Juli 1876, S. 26

35 Berathung einer Petition an den Sultan durch bulgarische Dorfäl­ teste. Originalzeichnung von F[elix] Kanitz, in: Illustrirte Zeitung 36, Nr. 918, 2. Februar 1861, S. 68

36 Weihnachtsfeier in Serbien. Nach einer Zeichnung von F[elix] Kanitz, in: Illustrirte Zeitung 39, Nr. 1016, 20. Dezember 1862, Titelseite

37 Flüchtige Serbenfamilien in der großen Salpeterhöhle bei Belgrad. Nach einer Zeichnung von F[elix] Kanitz, in: Illustrirte Zeitung 39, Nr. 1006, 11. Oktober 1862, S. 269

38 Die Salpeterhöhle bei Belgrad. Nach einer Zeichnung von F[elix] Ka­ nitz, in: Illustrirte Zeitung 67, Nr. 1726, 29. Juli 1876, S. 90

39 Deli Mustapha, the Bashi-Bozouk, in: The Illustrated London News 27, Nr. 771, 24. November 1855, S. 613

40: Ein Baschi-Bozuk, in: Illustrirte Zeitung 25, Nr. 648, 1. Dezember 1855, S. 364

41 A Bashi-Bozouk. From a Drawing by James Robertson, Esq., of Constantinople, in: The Illustrated London News 24, Nr. 686, 3. Juni 1854, Titelseite

42 Aus der Herzegowina: Türkische Baschibozuks in einem Kaffeehaus zu Trebinje. Nach einer Zeichnung von F[elix] Kanitz, in: Illustrirte Zeitung 65, Nr. 1677, 21. August 1875, Seite 144

43 „A Montenegrin.‟ By Carl Haag. From the Winter Exhibition of the Society of Painters in Water Colours, in: The Illustrated London News 70, Nr. 1972, 28. April 1877, S. 392

44 [Melton Prior]: The War in the Herzegovina: Insurgents in Ambush. From a Sketch by Our Special Artist, in: The Illustrated London News 68, Nr. 1906, 5. Februar 1876, S. 128/129

45 [G. Durand]: The War in the East – with the Turks: Bashi-Bazouks in Ambush, in: The Graphic 15, Nr. 394, 16. Juni 1877, Titelseite

46 Bosnischer Derwisch zum Kampfe gegen Montenegro auffordernd. Nach einer Originalskizze von F[elix] Kanitz, in: Illustrirte Zeitung 36, Nr. 934, 25. Mai 1861, S. 352

47 Insurgenten nach einem glücklichen Gefecht, in: Ueber Land und Meer 36, Nr. 28, 1876, S. 560

48 [J. Kaloros]: Bulgaren zerstören die Moschee, in: Ueber Land und Meer 38, Nr. 48, 1877, S. 981

49 General Zimmermann Scolding the Bulgarians for Destroying Turkish Pro­ perty. Facsimile of a Sketch by One of Our Special Artists, in: The Illustrated London News 71, Nr. 1985, 28. Juli 1877, S. 76

50 [Melton Prior]: Turkish Graveyard at Mat­ chin, Destroyed by the Bulgarians, in: The Illus­ trated London News 71, Nr. 1987, 11. August 1877, S. 124

51 Turkish Coffee-House at Matchin Sacked by the Bul­ garians, in: The Illustrated London News 71, Nr. 1985, 28. Juli 1877, S. 84

52 [H. Schönberg] Turkish Bath-House at Med­ jidieh Sacked by the Bulgarians. Sketch by Our Special Artist in the Dobrudscha, in: The Illust­ rated London News 71, Nr. 1990, 1. September 1877, S. 205

53 Tartar Village of Tergesek, in the Dobrudscha, Set on Fire by the Bulgarians, in: The Illustrated London News 71, Nr. 1987, 11. August 1877, Titelseite

55 Dikeletschi-Tatarendörfer in Brand gesteckt den 20. Juli 1877. Nach einer Skizze von J. Kaloros, in: Ueber Land und Meer 38, Nr. 51, [nach Juli] 1877, S. 1037

54 [J. Kaloros]: Die Ueberreste von Türkisch Getschet, in: Ueber Land und Meer 38, Nr. 48, 1877, S. 980

56 Types des Balkans: Bachi-bouzouk, Zeïbek et Tcherkess ou Circassiens/Armes des irréguliers/Bulgares des provinces in­ surgées – Un chef de village. D’après croquis de M. Anamian et photographies communiquées par M. Ivan de Wœstine (Typen des Balkans: Baschibozuk, Zeibek und Tscherkesse/Irreguläre Bewaffnung/Bulgaren aus den aufständischen Provinzen – Ein Dorfvorsteher. Nach Skizzen von Anamian und Korrespondenten-Fotografien von Ivan de Wœstine), in: Le Monde Illustré 39, Nr. 1011, 26. August 1876, S. 132

57 Hans Guldenmundt: Die gefangen klagen, Holzschnitt von Erhard Schoen, Nürnberg, um 1529/1530, Blatt 6 aus einer Folge von 19 Holzsti­ chen über die Belagerung Wiens 1529, 28,4 × 18,5 cm

58 Titelseite: Andreas Musculus: Beider Antichrist, des Constantinopolitanischen, und Römischen einstimmig und gleichförmig Leerglauben und Religion Wieder Christum, Frankfurt an der Oder 1557

61 Doppelseite in: The Illustrated London News 24, Nr. 676, 1. April 1854, S. 292/293; links: Troops for the War – Cavalry, rechts: Troops for the War – Cavalry Officers

60 [Valentin]: Doppelseite in: The Illustrated London News 25, Nr. 698, 19. August 1854, S. 156/157; links: Cavalry of the French Impe­ rial Guard, rechts: Infantry of the French Imperial Guard

59 Doppelseite in: The Illustrated London News 24, Nr. 664, 21. Januar 1854, S. 52/53; links: The Sultan Proceeding to Mosque, at Constantinople, rechts: The Emperor Nicholas, the Grand Duke Alex­ ander, and Staff, at St. Petersburg

62 [Entwurf: Vierge, nach Fotografien von Michailidis, Sofia]: Typen aus den aufständischen Provinzen am Balkan, in: Ueber Land und Meer 36, Nr. 46, 1876, S. 916

63 Aus Montenegro: Während des Waffenstillstands zu Cettinje. Nach einer Skizze unsers Specialzeichners, in: Illustrirte Zeitung 67, Nr. 1737, 14. Oktober 1876, S. 314

64 [Franz Zverina?]: Sobytija na Balkanskom poluostrove – Černogorskie tipy (Grav. A. Daugel) (Die Ereignisse auf der Balkanhalbinsel – Montenegrinische Typen. Holzstich A. Daugel), in: Vsemirnaja illustracija 16, Nr. 397, 7. August 1876, S. 120

65 The War in the East – Servian Women Decorating the Graves of the Dead. Sket­ ched by Our Special Artist, in: The Graphic 14, Nr. 353, 2. September 1876, S. 221

66 The War in the East – „Returning Home“. Sketched by Our Special Artist at Knjazevatz (Gurgussovatz), in: The Graphic 14, Nr. 355, 16. September 1876, S. 276

67 Vom serbisch-türkischen Kriegsschauplatz: Verwundeter serbischer Offizier in einem Bulgarenhaus bei Saitschar. Nach einer Skizze unsers Specialzeichners, in: Illustrirte Zeitung 67, Nr. 1735, 30. September 1876, S. 270

68 The War: Russian Soldiers Making Themselves at Home in a Bulgarian Cottage. From a Sketch by One of Our Special Artists, in: The Illustrated Lon­ don News 72, Nr. 2019, 9. März 1878, S. 217

70 Südslawische Mädchen im Kampf mit türkischen Verfolgern. Originalzeichnung von Prof. Franz Zvěřina, in: Illustrirte Zeitung 65, Nr. 1677, 21. August 1875, S. 145

69 Vom montenegrinisch-türkischen Kriegsschauplatz: Montenegrinische Frauen, ihre Männer in Grahowo verproviantirend. Nach einer Skizze unsres Specialzeichners, in: Illustrirte Zeitung 67, Nr. 1735, 30. September 1876, S. 270

71 Der bosnisch-herzegowinische Aufstand: Herzegowinische Frauen im Kampf. Originalzeichnung von Professor Franz Zvěřina, in: Illustrirte Zeitung 66, Nr. 1701, 5. Februar 1876, S. 105

72 Bashi-Bazouks Marching to Head-Quarters, in: The Illustrated London News 70, Nr. 1981, 30. Juni 1877, Extra Supplement

74 Baši-buzuki v boju (Grav. A. Daugel) (Baschibozuks im Kampf. Holzstich A. Dau­ gel), in: Illjustrirovannaja hronika vojny 1, Nr. 47, 1877, S. 376

73 The Eastern Question: Recruits from Salonica Arriving in Constantinople to Be Clothed and Armed, in: The Illustrated London News 70, Nr. 1958, 20. Januar 1877, S. 65

75 Vom serbisch-türkischen Kriegsschauplatz: Tscherkessen, gefan­ gene Bulgarenmädchen entführend. Nach einer Skizze unsers Special­ zeichners, in: Illustrirte Zeitung 67, Nr. 1733, 16. September 1876, Titelseite

76 Z bojiště: Zajatí Bulhaři (Dle původního náčrtku kreslil Josef Mukařovský (Vom Kriegsschauplatz: Gefangene Bulgaren. Nach einer Originalskizze gezeichnet von Josef Mukařovský), in: Světozor 10, Nr. 37, 15. September 1876, S. 505

77 Kinderraub durch Baschi-Bozuks. Nach einer Originalskizze, in: Ueber Land und Meer 36, Nr. 51, 1876, S. 1016

78 Z povstání hercegovského (Dle náčrtku F. Kikerca kreslil Jos. Mukařovský (Vom herzegowinischen Aufstand. Nach dem Entwurf von F[erdo] Kikerec, Zeichnung Jos[ef] Mukařovský), in: Světozor 10, Nr. 12, 24. März 1876, S. 181

79 Z bojiště: Poprava bulharských povstalců v Niši (Vom Kriegs­ schauplatz: Hinrichtung aufständischer Bulgaren in Niš), in: Světozor 10, Nr. 32, 11. August 1876, S. 450

80 Une exécution d’insurgés Bulgares a Nisch (Hinrichtung aufständischer Bulgaren in Niš), in: L’Illustration 34, Nr. 1743, 22. Juli 1876, S. 56

81 The War in the East – Sketches by Our Special Artist, in: The Gra­ phic 14, Nr. 348, 29. Juli 1876, Nr. 348, S. 100

82 The War in the East – Sketches by Our Special Artist: 5. Insurgents Heads Expo­ sed in the Fortress, Widdin, in: The Graphic 14, Nr. 348, 29. Juli 1876, S. 100, Detail

83 Têtes mutilèes d’insurges Bulgares exposées devant la fort­ eresse de Widin, in: L’Illustration 34, Nr. 1743, 22. Juli 1876, Titelseite

84 Sobytija na Balkanskom poluostrove. Golovy bolgarskih insurgentov na glasis kreposti Viddina (Grav. K. Weierman) (Die Ereignisse auf der Balkanhalbinsel. Köpfe bulgarischer Insurgen­ ten vor der Festungsmauer in Vidin. Holzstich K. Weierman), in: Vsemirnaja illustracija 16, Nr. 397, 7. August 1876, Titelseite

85 The War: Massacres at Yeni Zara. Sketches by the „Times’‟ Naval Correspondent [James Gambier], in: The Illustrated London News 71, Nr. 1989, 25. August 1877, S. 180

86 The Massacres in the Balkan Villages. Sketches by the „Times’‟ Naval Correspondent [James Gambier], And by One of Our Special Artists [E. Matthew Hale], in: The Illustrated London News 71, Nr. 1990, 1. September 1877, S. 197

87 Question d’Orient. Massacre de Trawnick (Dessin de M. Vierge, d’après le croquis de M. Bianconi) (Die Orientalische Frage. Das Massaker von Travnik. Entwurf Vierge, nach Skizzen von Bianconi), in: Le Monde Illustré 38, Nr. 997, 6. Mai 1876, S. 300

88 La Guerre. Les Arnautes et les Tcherkess incendiant par le pétrole le village de Tesica, voisin d’Alexinatz. Deux Prisonnières (Crcq. de M. Dick) (Arnauten und Tscherkessen setzen das Dorf Tesica in der Nähe von Aleksinac in Brand. Skizzen Dick), in: Le Monde Illustré 39, Nr. 1014, 16. September 1876, S. 184

89 Türkischer Requisitionskampf in einer serbischen Ortschaft. Nach einer Original­ skizze, in: Ueber Land und Meer 36, Nr. 49, 1876, S. 973

90 Vor und nach dem Kampfe bei Alexinatz. Nach Originalskizzen, in: Ueber Land und Meer 37, Nr. 3, 1876, S. 49

91 Sobytija na Balkanskom poluostrove. Razgrablenie bolgarskoj derevni bašibuzukami i čerkesami (Grav. A. Daugel) (Die Ereig­ nisse auf der Balkanhalbinsel. Plünderung eines bulgarischen Dorfs durch Baschibozuks und Tscherkessen. Holzstich A. Daugel), in: Vsemirnaja illustracija 16, Nr. 400, 28. August 1876, S. 164/165

92 Sobytija na Balkanskom poluostrove. Tureckija varvarstva (Ris. naš korrespondent N[ikolaj] N[ikolaevič] Karazin, grav. K. Weierman) (Die Ereignisse auf der Balkanhalbinsel. Türkische Gräuel. Nach der Zeichnung unseres Korrespondenten N[ikolaj] N[ikolaevič] Karazin, Holzstich K. Weierman), in: Vsemirnaja illustracija 16, Nr. 403, 18. September 1876, S. 216/217

93 Tureckoe gerojstvo na Balkanskom poluostrove (Türkische Heldentaten auf der Balkanhalbinsel), in: Budil̕ nik, 9. August 1876, Titelseite

94 Dunajskaja armija. Ariergard otstupajuštih tureckih vojsk (S nabroska našego korrespondenta, ris. F. Gaanen, grav. J. Baranovs­ kij (Die Donau-Armee. Nachhut der türkischen Armee. Nach Skizzen unseres Korrespondenten, Zeichnung F[ritz van] Haanen, Holzstich J. Baranovskij), in: Illjustrirovannaja hronika vojny 2, Nr. 61, 1878, S. 88

95 Nachhut der türkischen Armee, Detail

96 Nicolas Poussin: Kindermord zu Bethlehem, 1628/1629, Öl auf Leinwand, 147 × 171 cm, Chantilly, Musée Condé

97 Eugène Delacroix: Das Massaker von Chios, 1824, Öl auf Leinwand, 419 × 354 cm, Paris, Musée National du Louvre

98 Eugène Delacroix: Das sterbende Griechenland auf den Trüm­ mern von Messolunghi, 1826, Öl auf Leinwand, 209 × 147 cm, Bordeaux, Musée des Beaux-Arts

99 Auguste-Jean-Baptiste Vinchon: Modernes griechisches Sujet nach dem Massaker von Samothrake, 1827, Öl auf Leinwand, 274 × 342 cm, Paris, Musée National du Louvre

100 Ary Scheffer: Die Frauen von Souli, 1827, Öl auf Leinwand, 262 × 360 cm, Paris, Musée National du Louvre

101 Henri Decaisne: Griechin wartet auf den Kampfausgang, 1827, Öl auf Leinwand, 60 × 50 cm, La Rochelle, Musée des Beaux-Arts

102 François-Émile de Lansac: Episode aus dem Exodus aus Messolun­ ghi, 1828, Öl auf Leinwand, 238 × 200 cm, Messolunghi, Pinakothek

103 Jaroslav Čermák: Geschändete Frau, 1862, Öl auf Leinwand, Maße unbekannt, verschollen (?)

104 Loupežníci (Dle obrazu Jaroslava Čermáka (Banditen. Nach dem Bild von Jaroslav Čermák), in: Světozor 12, Nr. 43, 25. Oktober 1878, S. 532

105 Hercegovina roku 1877. Obraz Jar. Čermáka. (Ryto dle fotografie) (Her­ zegowina im Jahr 1877. Bild von Jar[oslav] Čermák, nach einer Fotografie), in: Světozor 13, 1879, Nr. 17, S. 201

106 Nicolas Poussin: Raub der Sabinerinnen, 1634/1635, Öl auf Leinwand, 154,6 × 209,9 cm, New York, Metropolitan Museum of Art

107 Peter Paul Rubens: Der Raub der Töchter des Leukip­ pos, um 1618, Öl auf Leinwand, 224 cm × 209 cm, München, Alte Pinakothek

108 Ivan Mrkvička: Unter Joch, aus dem Zyklus „Unter dem Joch“, Jahr, Technik und Maße unbe­ kannt, Privatsammlung

109 Ivan Mrkvička: Vorbereitung, um 1898, Öl auf Leinwand, Maße und Auf­ bewahrungsort unbekannt, in: Iskustvo 2, Heft 7–8, 1898, S. 109

110 Innenansicht der Kirche Hl. Nedelja in Batak, Postkarte, nach 1903, Batak, Historisches Museum

112 Kojčo Karagitliev: Marga Goranova vor dem Eingang der Kirche Hl. Nedelja in Batak, Postkarte, 1927, Batak, Historisches Museum

111 Außenansicht der Kirche Hl. Nedelja in Batak, Postkarte, 1925, Batak, Historisches Museum

114 Fototableau im Historischen Museum Batak mit dem Titel „Die histo­ rische Kirche in Batak nach dem April-Aufstand“, undatiert, Foto: Martina Baleva 2005

113 Fototableau im Historischen Museum Batak mit dem Titel „Baschibo­ zuks aus Dospat“, undatiert, Foto: Martina Baleva 2005

115 Dimităr Cavra: Inszenierte Gebeine in der Kirche Hl. Nedelja in Batak, 1888, Fotografie, Konstruktionszeichnung d. Verf.

116 Dimităr Cavra: Inszenierung des Massakers von Batak, 1888, Fotografie, Hervorhebung der unteren rechten Ecke d. Verf.

117 Dimităr Cavra: Inszenierung des Massakers von Batak, Detail

118 Antoni Piotrowski: Das Massaker von Batak, Detail

119 Dimităr Cavra: Pomaken aus den Nachbardörfern von Batak, inszeniert als Baschibozuks, 1888, Fotografie, Detail (ursprünglich anonym: Baschibozuks aus Dospat, undatiert)

120 Dimităr Cavra: Reise nach Batak (Piotrowski 2. v. r.), 1888, Fotografie (ur­ sprünglich anonym: Bataker Aufständische, 1876)

121 Mass for the Victims of the Bulgarian Massacres in the Church of Batak (Candles are being placed on the ground to mark the places where the bodies were found), in: The Graphic 15, Nr. 378, 24. Februar 1877, S. 176

122 Anonym: Sarkophag in der Kirche Hl. Nedelja, Batak, 1976, Sandstein, Glas, Kupfer, Foto: Ljubomir Piperkov 1976

123 Eugène Delacroix: Die Freiheit führt das Volk, 1830, Öl auf Leinwand, 260 × 325 cm, Paris, Musée National du Louvre



Die asymmetrische Ikonografie der Demarkation

161

Ähnlich verfuhr Mrkvička in einer weiteren Version des „Nocturno des Grauens“ mit dem Titel „Unter Joch“ (Abb. 108), die im Inneren eines Bauernhauses eine neben einer Babywiege in den Armen ihrer Mutter Schutz suchende junge Frau zeigt, welche mit zum Betrachter gewandten Gesicht und weit aufgerissenen Augen verängstigt über das Schicksal ihres Kindes ist. Im Hintergrund ist eine männliche Hand, offenbar des Täters, zu sehen, die im Begriff ist, die Tür zu öffnen und in das Haus einzudringen.83 Auch hier nimmt Mrkvička den Täter zurück zu Gunsten der Schilderung der bedrohlichen Situation, dessen Ausgang der Imagination des Betrachters überantwortet wird. Den Täter lagerte Mrkvička indes in ein sonderbares, als Allegorie des blutdürstigen Türken lesbares Porträt mit dem suggestiven Titel „Vorbereitung“ aus, das heute in Vergessenheit geraten und lediglich als eine Schwarz-Weiß-Reproduktion ohne Jahres- oder Maßangabe in der vom Künstler herausgegebenen illustrierten Zeitschrift Iskustvo überliefert ist (Abb. 109).84 Der vor einer bröckelnden Hauswand stehende schnurrbärtige Mann mit Fez und reichbestickter Bauerntracht blickt bedächtig auf eine Messerklinge, deren Schärfe er mit dem Daumen der linken Hand überprüft. Die Vorbereitung steht im Gegensatz zu seinem Gesichtsausdruck, der eher versonnen denn übeltäterisch ist. Zum Übeltäter wird der durch die Inschrift Mehmed in der oberen linken Ecke als Muslim ausgewiesene Mann erst durch den beschreibenden Text zum Bild: „Manche jener Baschibozuks, die bereit sind, die Ungläubigen wie Hühner abzuschlachten, überprüfen bei jeder nur erdenklichen Gelegenheit mit besonderer Sorgfalt [...] die Schärfe ihres Yatagans, der bald am Hals eines Christen ausprobiert werden soll.“85 Nach dem Prinzip der asymmetrischen ethnischen Demarkation ist das durch zahlreiche Reproduktionen vor allem in Schulbüchern populärste Gemälde aus dem Zyklus „Die Zeit der Kărdžalien“ (um 1897) aufgebaut, nur weist es einen weit komplexeren kompositorischen Aufbau als die übrigen Bilder auf (Taf. XIV). Es bezieht sich auf jenen als Kărdžalien-Zeit bekannten Geschichtsabschnitt anarchischer Zustände im europäischen Teil des Osmanischen Imperiums, der über dreißig Jahre angedauert hat. Als Raubzüge zumeist desertierter oder demobilisierter Soldaten der osmanischen Armee in den 1770er Jahren begonnen, weiteten sich die Unruhen innerhalb von einem Jahrzehnt auf das gesamte heutige bulgarische Territorium aus

83 Die verwendete Reproduktion – leider nur im Ausschnitt, ohne Jahres- und Maßangaben – findet sich bei Božkov 1978, Abb. 81, S. 152. Das Gemälde befindet sich ebenfalls im Privatbesitz in Kralovice bei Prag. Die Jahres- und Maßangaben konnten nicht eruiert werden. 84 Erwähnt wird das Porträt lediglich von Božkov 1978, S. 158, ohne jedoch besprochen zu werden. Auch im Œuvre von Jaroslav Čermák findet sich eine, wohl undatierte, kleinformatige Ölstudie eines „Baschibozuk mit Säbel“, abgebildet bei Černý/Náprstek/Mokrý 1930, Abb. 90. Die Gattung des Baschibozuk-Porträts geht auf Jean-Léon Gérômes Porträt eines „Schwarzen Baschibozuk“ (1869) zurück, auf dem der reich bewaffnete schwarzhäutige Jüngling in Profil allerdings als würdevoller Krieger idealisiert dargestellt ist. 85 „Prigotovlenie ot I[van] Mrkvička“ (Vorbereitung von I[van] Mrkvička), in: Iskustvo 2, H. 7–8, 1898, S. 125.

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Fremde Künstler – eigene Bilder

und nahmen teilweise den Charakter eines Bürgerkrieges an, unter dem die gesamte sowohl christliche als auch muslimische Bevölkerung der Region zu leiden hatte. Diese Ereignisse erfuhren eine gegensätzliche historische Beurteilung, die von der gänzlichen Ablehnung als Form des grausamen Türkenregimes bis hin zu einer der Französischen Revolution vergleichbaren demokratischen Bewegung reichte,86 wobei Mrkvičkas Bild ersterer Interpretation verpflichtet ist. Es zeigt eine Gruppe von Flüchtlingen inmitten einer verschneiten Landschaft, die in den am Horizont von Flammen erhellten nächtlichen Himmel blickt, zu dem ein Hund leidvoll aufjault.87 Nur die in der Mitte des Bildes positionierte solitäre Figur mit zum Betrachter gekehrten Rücken hat den Kopf resigniert zu Boden gesenkt. Die übrigen Figuren sind summarisch in Form eines diagonal in die Bildtiefe hineinragenden Keils wiedergegeben, der seinen Anfang im Bildvordergrund mit den schwarzen Silhouetten zweier Büffel und eines Karrens nimmt und im Hintergrund in den auf den Brand in der Ferne weisenden gestreckten Arm eines Mannes sowie den jaulenden Hund ausläuft. Diese kompositorische Anlage interpretiert Božkov als die formale Entsprechung der gemeinsamen Qualen des ganzen bulgarischen Volkes, welche hier in der Betonung der dramatischen Ausdruckskraft der gesamten Gruppe und ihrer kompakten Geschlossenheit zum Ausdruck kommen. Die Figuren – so Božkov weiter – seien statisch, jedoch trage dies aktiv zur Suggestion der Bilddramatik bei. Nicht auf den Gesichtern der Flüchtlinge verweile der Blick des Betrachters, sondern auf dem brennenden Dorf88 und damit auf der Gräueltat. Auch hier verzichtet Mrkvička auf die Schilderung der konkreten Täter zugunsten der Tat, die als Inferno am Horizont den formalen Gegensatz zu der Flüchtlingsgruppe als dem kollektiven Opfer bildet. 86 Letztere, für die bulgarische Historiografie unorthodoxe These wurde aufgestellt von der namhaften bulgarischen Osmanistin Vera Mutafčieva in ihrer nach wie vor richtungsweisenden Studie über die Epoche: Kărdžalijsko vreme (Kărdžalien-Zeit), Sofia 1977. Zwischen der „einheimischen“ Autorin und dem namhaften französischen, „fremden“ Balkanisten Bernard Lory entbrannte bezüglich der Kărdžalien-Zeit in den 1990er Jahren eine interessante Debatte, nachzulesen in der Reihenfolge Bernard Lory: Razsăždenija vărhu istoričeskija mit „Pet veka ni klaha“ (Überlegungen zum historischen Mythos „Fünf Jahrhunderte wurden wir massakriert“), in: Istoričesko bădešte 1, 1997, S. 92–98, und die Antwort von Vera Mutafčieva: Njakoj razsăždenija otnosno razsăždenijata na Bernard Lory vărhu istoričeskija mit „pet veka ni klaha“ (Einige Überlegungen zu den Überlegungen von Bernard Lory zum historischen Mythos „Fünf Jahrhunderte wurden wir massakriert“), in: Istoričesko bădešte 2, 1997, S. 75–80. Zu den wenigen auf bulgarisch edierten zeitgenössischen Quellen aus der Kărdžalien-Zeit gehört der Bericht des holländischen Botschafters in Istanbul über seine Reise nach Bukarest von 1801, publiziert von Machiel Kiel: Opisanie na Frensko-Holandskoto pătuvane prez Bălgarija po vreme na Kărdžaliite (oktomvri 1801 g.) (Beschreibung der Französisch-Holländischen Reise durch Bulgarien während der Kărdžalien-Zeit im Oktober 1801), in: Vekove 6, 1981, S. 66–72. Siehe auch die ins Bulgarische übersetzte Quellensammlung osmanischer Regierungsdokumente aus der Zeit von Dimităr Ihčiev: Turski dăržavni dokumenti za kărdžaliite (Türkische Regierungsdokumente über die Kărdžalien), in: Sbornik za narodni umotvorenija, nauka i knižnina 22/23, 1906/1907, S. 1–71. 87 Zum Motiv des „jaulenden Hundes“ in der illustrierten Presse siehe Kapitel Unübliche Illustrationen und besonders Abb. 53 und 54. 88 Božkov 1978, S. 158 f.

VI . A n t o ni Pi ot row ski u n d d as Ma ssa k e r von B a ta k

Wie sich dieser auf der elementaren Dichotomie fußende Ikonografietypus ethnischer Demarkation in der Malerei auf das kollektive Geschichtsbewusstsein der Balkannationen ausgewirkt hat, soll am Beispiel eines der wichtigsten Historiengemälde zur bulgarischen Geschichte erörtert werden.1 Zwar kann es natürlich nicht darum gehen, die Rezeption des Gemäldes durch das Massenpublikum etwa anhand statistischer Erhebungen zu rekonstruieren, da hierüber keine relevanten historischen Quellen vorliegen. Vielmehr wird von der Prämisse ausgegangen, dass Bilder, anders als Texte, sich unmittelbar und bisweilen beharrlich in das Gedächtnis einbrennen, um als sinnlich komprimierte Annexe komplexer historischer Vorgänge die Imagination der nationalen Gemeinschaft in bisweilen diametralem Gegensatz zur geschichtlichen Wirklichkeit zu beeinflussen. Dies ist der Fall bei einem der zentralen Topoi in der kollektiven Geschichtsvorstellung der meisten Balkannationen, dem sogenannten „türkischen Joch“, das jenen fast sechshundert Jahre umfassenden historischen Abschnitt bezeichnet, der insbesondere von Griechen, Montenegrinern, Serben und Bulgaren als das dunkelste Kapitel ihrer nationalen Geschichte imaginiert wird. Die seit dem 14. Jahrhundert erfolgreich geführten Kriege der Osmanen gegen die mittelalterlichen Reiche der Bulgaren, Serben und schließlich gegen Byzanz werden nach wie vor als eine grausame Invasion von Barbaren vorgestellt, die alles auf ihrem Weg verwüsteten, die autochtone Bevölkerung über Jahrhunderte hinweg drangsalierten, zwangsislamisierten und bis in das späte 19. Jahrhundert hinein mit ungekannter Brutalität über die Territorien des Balkans herrschten. Eine besondere Rolle bei der Entstehung und Konsolidierung der verzerrten kollektiven Vorstellungen von der eigenen nationalen Vergangenheit haben die hier vorgestellten Bilder gespielt. Dabei hat die Bedeutung ausländischer, vor allem mitteleuropäischer Künstler für die Nationalisierung der Kunst im Falle Bulgariens nicht nur ihre abermalige Bestätigung gefunden, sondern sich in einem der zentralen Gründungsmythen der Nation geradezu manifestartig eingeschrieben. Gemeint ist das zum nationalen Mythos avancierte historische Ereignis des Massakers von Batak, zu dessen Konstruktion in der Nachfolge der europäischen Massenmedien ein polnischer Maler und sein Werk maßgeblich beigetragen haben.

1

Eine gekürzte Fassung dieses Kapitels erschien zunächst auf Bulgarisch: Baleva 2006a, sowie als zweisprachige (deutsch/bulgarische) erweiterte Version: Das Bild von Batak im kollektiven Gedächtnis der Bulgaren, in: Batak – ein bulgarischer Erinnerungsort, hrsg. v. Martina Baleva und Ulf Brunnbauer, Sofia 2007, S. 15–47. Übersetzungen davon erschienen auf Ungarisch: Batak képe a bolgárok kollektiv emlékezetében, in: Regio. Kisebbség, Politika, Társadalom 2, 2007, S. 29–46, sowie auf Griechisch: H εikόνa toυ Mπaτák στη συλλoγιkή μνήμη тων Boυλγάрων, in: Synchrona Themata 31, H. 105, April–Juni 2009, S. 33–41.

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Antoni Piotrowski und das Massaker von Batak

Im kollektiven Gedächtnis der bulgarischen Nation spielt die kleine Stadt Batak, im Rhodopengebirge unweit der griechischen und türkischen Grenzen gelegen, bis heute eine zentrale identitätsstiftende Rolle als wichtiger Erinnerungsort. Der Geschichtsmythos von Batak, der die Niederschlagung des sogenannten April-Aufstandes von 1876 gegen die osmanische Herrschaft zum historischen Kern hat, legitimiert noch immer die kollektiv empfundene Abneigung der Bulgaren gegen den Islam im Allgemeinen und gegen den Nachbarstaat Türkei im Besonderen. Die nationalen Ressentiments richten sich aber vor allem gegen die muslimischen Minderheiten im Land, darunter ethnische Türken sowie Pomaken2, die bis 1989 das Objekt mehrerer Massenkampagnen – unter dem euphemistischen Begriff „Wiedergeburtsprozess“3 bekannt – zur Zwangsbulgarisierung gewesen sind. Diese politischen Repressionen waren unter anderem durch ein Geschichtsbild begründet, in dem die osmanische Herrschaft als „türkisches Joch“ in den dunkelsten Farben geschildert wurde, und das besonders zur Dämonisierung der muslimischen Minderheiten beitrug. Die zentrale, jedoch durch historische Quellen kaum belegbare These der nationalistischen Historiografie lautet auch heute, dass es sich bei den heutigen Pomaken, und später auch bei den Türken, um Nachkommen zwangsislamisierter Bulgaren während der Zeit des „Jochs“ handelt, welche es zum Bulgarentum rückzubekehren gelte. An dieser kollektiven Vorstellung konnten auch neuere, sowohl von bulgarischen als auch von ‚fremden‘ Wissenschaftlern durchgeführte Studien nichts ändern, die anhand der Analyse umfangreichen Quellenmaterials osmanischer Provenienz nachweisen konnten, dass es sich bei der Islamisierung der bulgarischen Gebiete, nicht anders als in anderen Teilen des Balkans wie etwa Bosnien, um einen langsamen und kontinuierlichen Prozess gehandelt hat, in dem Christen freiwillig zum Islam konvertierten.4

2 Bei den Pomaken handelt es sich um bulgarischsprachige Muslime, die noch bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Mehrheit der Bevölkerung in den Rhodopen ausmachten. Zur neueren Geschichte der Pomaken siehe etwa Ulf Brunnbauer: Gebirgsgesellschaften auf dem Balkan. Wirtschaft und Familienstrukturen im Rhodopengebirge (19./20. Jahrhundert), Wien u. a. 2004. 3 Mit „Wiedergeburtsprozess“ wurde im kommunistischen Bulgarien die Zwangsassimilation der Pomaken (Anfang der 1970er Jahre) und der Türken (Mitte der 1980er Jahre) bezeichnet. In beiden Fällen war die erzwungene Annahme von „bulgarischen“ Namen anstelle der gewohnten türkischarabischen sichtbarster Ausdruck der „Wiedergeburt“. Speziell zur Zwangsassimilierung der Pomaken siehe etwa Yulian Konstantinov: An Account of Pomak Conversions in Bulgaria (1912–1990), in: Minderheitenfragen in Südosteuropa, hrsg. v. Gerhard Seewann, München 1992, S. 345–346; Evangelos Karagiannis: Zur Ethnizität der Pomaken Bulgariens, Münster 1997; Ders.: Flexibilität und Definitionsvielfalt pomakischer Marginalität, Wiesbaden 2005; Ulf Brunnbauer: An den Grenzen von Staat und Nation. Identitätsprobleme der Pomaken Bulgariens, in: Umstrittene Identitäten. Ethnizität und Nationalität in Südosteuropa, hrsg. v. Ulf Brunnbauer, Frankfurt am Main u. a. 2002, S. 97–121; Evgenija Ivanova: Othvărlenite „priobšteni“ (Die abgelehnten „Eingegliederten“), Sofia 2002. 4 Siehe dazu etwa Machiel Kiel: Razprostranenie na isljama v bălgarskoto selo prez osmanskata epoha (Die Verbreitung des Islams im bulgarischen Dorf während der osmanischen Epoche), in: Mjusjulmanskata kultura po bălgarskite zemi (Die muslimische Kultur auf den bulgarischen Territorien), hrsg. v. Rosica Gradeva und Svetlana Ivanova, Sofia 1998, S. 56–126.



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Der wohl wichtigste Bestandteil der nationalen Meistererzählung der Bulgaren vom „500-jährigen Joch“ ist der Geschichtsmythos vom Massaker von Batak. Historisch geht er auf die von irregulären Banden, namentlich der Tscherkessen und Baschibozuks, verübten Massaker an der Zivilbevölkerung von etwa hundert Ortschaften im europäischen Teil des Osmanischen Reichs im Frühjahr 1876 zurück, darunter auch an der Bevölkerung von Batak. Hier soll sich der Baschibozuk hauptsächlich aus den um Batak liegenden pomakischen Dörfern rekrutiert haben, deren Einwohner die bürgerkriegsähnlichen Zustände nutzten, um einem lokalen Konflikt ein freilich radikales Ende zu setzen.5 Am konkreten Beispiel des mustergültigen Falles von Antoni Piotrowski und der nationalen Mythologisierung der Ereignisse von Batak sollen die Bilder selbst befragt werden und damit als zentrale Erkenntnisquellen dienen, deren Rolle als bislang kaum beachtete historische Akteure im Prozess der Konstituierung dieses bulgarischen Nationalmythos‘ zu beleuchten ist. Zudem wird sich dieser exemplarische Fall in zweifacher Hinsicht als instruktiv erweisen, da er sowohl inhaltlich im Hinblick auf die Frage nach der konstitutiven Bedeutung von Bildern für die Nation als auch methodisch aus Sicht einer historisch relevanten intermedialen Betrachtungsweise aufschlussreich ist. Nahegelegt wird eine solche Betrachtungsweise bereits durch den künstlerischen Werdegang Antoni Piotrowskis, der – nicht anders als viele seiner zeitgenössischen Kollegen – in den unterschiedlichsten Bildmedien und -gattungen mehr oder minder erfolgreich gearbeitet hat. Hauptsächlich als Maler sentimentalischer Genrebilder bekannt, zeichnete sich Piotrowski daneben auch als Ereignis- und Schlachtenmaler aus, bediente sich gelegentlich der Fotografie und arbeitete mehr als zwanzig Jahre als Spezialartist für den englischen The Graphic und für die französische L’Illustration. Zudem publizierte er journalistische Artikel in der polnischen Presse und hinterließ eine etwa eintausend Seiten umfassende Autobiografie. Diese vielseitigen Betätigungsfelder und die damit verbundene Themenvielfalt seines Wirkens gingen einher mit einem stetigen Wechsel seiner Arbeits- und Aufenthaltsorte. Es lohnt sich daher, zunächst einen genaueren Blick auf den bewegten Lebenslauf und insbesondere auf jenen mit Bulgarien verbundenen Lebensabschnitt von Piotrowski zu richten, denn schon hier finden sich vielfach Anhaltspunkte sowohl im Hinblick auf die Interferenz visueller Medien als auch für die Beantwortung der Frage nach deren gemeinschaftsformender Rolle im Kontext der bulgarischen Nationalidentität. Umso mehr ist es ein glücklicher Umstand, dass Piotrowski neben seinem der bulgarischen Ereignisgeschichte gewidmeten Œuvre eine 1911 verfasste Lebensbeschreibung hinter-

5 Kritik an dieser bis in die 1890er Jahre gültigen historischen Interpretation übte Alexandăr Vezenkov: Proektăt i skandalăt „Batak“. Razkaz na edin očevidec (Das Projekt und der Skandal „Batak“. Erzählung eines Augenzeugen), in: Anamneza 1, 2009, S. 132–203, hier S. 152 ff. Vezenkov zufolge hätten die Unruhen in Batak keinen lokalen Charakter, sondern seien als Teil eines national motivierten Aufstandes zu beurteilen. Der Aufsatz ist die ausführliche und erweiterte Fassung der gekürzten deutschen Übersetzung Vezenkov 2010. Die Kritik von Vezenkov ist darin nicht enthalten.

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lassen hat, die in Ausschnitten auch in bulgarischer Übersetzung vorliegt.6 Wie jede biografische und künstlerische Selbstreflexion jedoch bergen auch Piotrowskis umfangreiche Memoiren, die zudem aus retrospektiver Sicht niedergeschrieben worden sind, eine Reihe an Problemen, die von der elementaren Verwechslung von Orten, Daten und Namen bis hin zum komplexeren Phänomen der an die Gegenwart angepassten Erinnerung reichen. Insofern wird die Autobiografie, so hilf- und aufschlussreich sie auch für die Untersuchung ist, stets mit der nötigen quellenkritischen Distanz heranzuziehen sein. Komplementär zum Werdegang des polnischen Künstlers wird in einem zweiten Schritt die historische Karriere der Ereignisse von Batak zum nationalen Mythos näher in den Blick genommen, um anschließend den Einfluss jener von Piotrowski angestoßenen Bildproduktion auf die Form und das Wesen der heutigen Kollektiverinnerung der Bulgaren an die Geschichte dieses Orts ermessen zu können. Nicht um die dekonstruierende Analyse jenes vermeintlich kausalen Zusammenhangs von Geschichte und deren Abbildung soll es also gehen, sondern um die Gegen- bzw. Nebeneinanderstellung zweier Wirklichkeiten – des historischen Narrativs einerseits und der visuellen Konstruktion von Ereignisgeschichte andererseits.

Antoni Piotrowski und Bulgarien 1853 in dem damals zu Russland gehörenden Nietulisko Duże, Bistum Kunów, in einer katholische Familie verarmten und patriotisch gesinnten polnischen Adels geboren, studierte Antoni Piotrowski zuerst an der Zeichenschule in Warschau bei dem Genre- und Historienmaler Wojciech Gerson (1831–1901), von 1875 bis 1877 bei Ferdinand Barth (1842–1892) und Wilhelm Lindenschmidt (1829–1895) an der Akademie in München, und später bei dem gefeierten polnischen Historienmaler tschechischer Herkunft Jan Matejko (1838–1893) in Krakau.7 1878 ließ sich Piotrowski für vier Jahre in Paris nieder, wo er unter anderem engen Kontakt zum polnischen Schriftsteller und späteren Nobelpreisträger Henryk Sienkiewicz unterhielt. 1884 6 Antoni Piotrowski: Autobiografie, Warschau 1911, unpubliziertes Manuskript, in: Muzeum Narodowe w Warszawie – Biblioteka, Zbiory Specjalne (IS PAN, Zb. Specjalne, nr. 91). Teile der Biografie wurden ins Bulgarische von Dimităr G. Dimitrov übersetzt und auszugsweise im Katalog publiziert: Antoni Piotrowski. Svidetel i hronikjor na knjažeskoto vreme (Antoni Piotrowski. Zeuge und Chronist des Bulgarischen Fürstentums), Ausstellung, Sofia, Nationalgalerie für Ausländische Kunst, 1996/1997. Die vollständige bulgarische Übersetzung, die Dimitrov während seines Forschungsaufenthaltes in Warschau zwischen April 1969 und Mai 1970 angefertigt hat, umfasst 94 Seiten und trägt den Titel: Antoni Piotrowski. Avtobiografija. Izvadki otnosno Bălgarija (Antoni Piotrowski. Autobiografie. Auszüge betreffend Bulgarien). Sie ist ebenfalls unpubliziert und wird heute im Polnischen Institut in Sofia aufbewahrt. Letztere wird – sofern nicht anders angegeben – hier zitiert. Diese und andere, an gegebener Stelle genannten wertvollen Hinweise im Zusammenhang mit Leben und Werk von Piotrowski verdanke ich dem inzwischen von uns gegangenen Kunsthistoriker Dimităr G. Dimitrov. 7 Sofern nicht anders angegeben sind diese und die nachfolgenden Lebensdaten des Künstlers entnommen aus Thieme-Becker 1999, Bd. 27/28, S. 75–76, sowie Słownik artystów polskich, 7 Bde., hrsg. v. Urszula Makowska, Warschau 2003, Bd. 7, S. 210–219.



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richtete er schließlich sein Atelier in Krakau ein, doch sollte er schon im Jahr darauf nach Bulgarien reisen, wo er sich als zeichnender Berichterstatter vom SerbischBulgarischen Krieg bis Ende 1885 aufhielt. Neben der neuen beruflichen Herausforderung als Spezialartist sollte auch die Faszination für den Krieg den Polen nach Bulgarien führen, der nach eigenem Bekunden schon immer von der Idee begeistert gewesen sei, einen echten Krieg zu erleben.8 Piotrowski fuhr im Herbst 1885 gemeinsam mit dem Orientalisten und Korrespondenten des Pariser Le Figaro Jan Grzegorzewski über Lwów und Philippopel zum Kriegsschauplatz an der bulgarischserbischen Grenze, wo er auf Vorschlag seines einstigen Vorbilds, des Malers Adam Chmielowski (1845–1916), Kontakt zu den prominentesten europäischen Illustrierten aufnahm, um ihnen seine Mitarbeit als Spezialartist anzubieten. Akkreditierungen bekam Piotrowski schließlich von der französischen L’Illustration und dem englischen The Graphic, für letzteren sollte er bis 1907 als zeichnender Berichterstatter vom Balkan tätig sein.9 Schon bald nach seiner Ankunft in Philippopel lernte Piotrowski einen großen Teil der politischen Elite des Landes, unter anderem den Premierminister Petko Karavelov sowie den bulgarischen Fürsten Alexander I. kennen, eher bekannt unter dem Namen Alexander von Battenberg (1857–1983), mit dem ihn – auch wegen der polnischen Herkunft der fürstlichen Mutter10 – Zeit seines Lebens eine enge Freundschaft verbinden sollte. Gepaart mit der Faszination für den Krieg und seine Feldherren schlug sich diese Freundschaft in jener augenfälligen Omnipräsenz der Gestalt Battenbergs in zahlreichen auf Piotrowskis Skizzen zurückgehenden Illustrationen nieder, die wohl auch der medialen Objektivität wegen mit den unterschiedlichsten Pseudonymen wie Józef Riedel, Bertrand oder Baron Bernard signiert werden mussten.11 Der zumeist zu Pferd als glorreicher Befehlshaber auf dem Schlachtfeld dargestellte Fürst, der auch in der Realität erfolgreich gegen die Serben kämpfte, sollte sich für diese schmeichelhaft rühmenden Darstellungen mit einem ansehnlichen Auftrag für eine Serie aus zehn Schlachtengemälden bei Piotrowski bedanken, welche alle auf die während des Krieges entstandenen Korrespondentenskizzen zu 8 Dimităr G. Dimitrov: Antoni Piotrowski – svidetel i hronikjor na novata bălgarska istorija (Antoni Piotrowski – Zeuge und Chronist der neueren bulgarischen Geschichte), in: Izkustvo 4, 1987, S. 34– 39, hier S. 36, sowie Ders.: Srăbsko-bălgarskata vojna v tvorčestvoto na A. Piotrowski (Der SerbischBulgarische Krieg in der Kunst A. Piotrowskis), in: Voennoistoričeski sbornik 3, 1986, S. 163–177, hier S. 166. 9 Dimitrov 1987, S. 34, 35, 39, Anm. 1. Das 1900 in Daily Graphic umbenannte Blatt beschäftigte Piotrowski als zeichnenden Berichterstatter vom Balkan respektive von Rumänien, Serbien, Bulgarien und Griechenland. Den Höhepunkt seiner Karriere als Spezialartist erreichte Piotrowski mit der Berichterstattung vom Putsch gegen den serbischen König Alexander Obrenović und seine Ehefrau Draga am 11. Juni 1903, bei dem beide in ihren Schlafgemächern auf das Grausamste massakriert wurden. 10 Prinz Alexander von Battenberg war der Sohn von Prinz Alexander von Hessen-Darmstadt und Julie Gräfin von Haucke. 11 Speziell zu den Presseillustrationen von Piotrowski mit entsprechenden Reproduktionen siehe Dimitrov 1986.

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rückgehen.12 Mit dem Auftrag zum beträchtlichen Honorar von insgesamt 100.000 Franken13 im Gepäck reiste Piotrowski wohl Weihnachten 1885 oder zu Beginn des Jahres 1886 nach Krakau zurück, wo er sich alsbald an die Arbeit gemacht haben dürfte, denn schon in der zweiten Julihälfte 1886 ist er mit Fotografien der begonnenen Bilder erneut in der bulgarischen Hauptstadt, um dem Fürsten wie vereinbart die Entwürfe für die Gemälde zur Begutachtung vorzulegen.14 Angesichts der brisanten politischen Ereignisse in diesem für den gerade einmal achtjährigen Nationalstaat schicksalhaften Sommer stellen sich jedoch berechtigte Zweifel ein, ob Piotrowskis erneuter Bulgarienbesuch tatsächlich allein mit den bestellten Gemälden oder nicht doch mit dem Putsch gegen Alexander von Battenberg zusammenhängt. Denn bekanntlich war es ausgerechnet der polnische Korrespondent von The Graphic, der zur rechten Zeit und am rechten Ort Skizzen von jener turbulenten Nacht vom 19. zum 20. August 1886 angefertigt hatte,15 in welcher der wie so manch anderer aus den Adelshäusern Europas in einen Balkanstaat ‚importierte‘ Fürst auf Betreiben der russischen Regierung und des russophilen Militärflügels von Offizieren des Struma-Regiments gestürzt und in das russisch-bessarabische Reni entführt worden war.16 Auf der Suche nach dem hessischen Prinzen reiste Piotrowski zwei Tage nach dessen Entführung wohl nicht nur als besorgter Freund, sondern auch als eifriger Spezialartist nach Rumänien. Hier begegnete er dem ebenfalls die bulgarische Nationalgeschichte prägenden, über diese aber vor allem schriftlich waltenden, indes in einfachen Bauernverhältnissen aufgewachsenen Bulgaren Zaharij Stojanov, der sich in jener Nacht auch auf die Suche nach Alexander von Battenberg gemacht hatte. Den damaligen Abgeordneten und bekennenden Nationalisten Stojanov kannte Piotrowski noch aus dem Jahr zuvor, als er in Philippopel auf seine Akkreditierungen wartete, wohlwissend, dass der vom einfachen Hirten zum heldenhaften Aufständischen von 1876 aufgestiegene Politiker, Publizist und Literat maßgeblich für die im September 1885 gewaltsam vollzogene und die Kriegserklärung der Serben auslösende Vereinigung des Fürstentums Bulgarien mit der autonomen osmanischen Provinz Ostrumelien verantwortlich gewesen war.17 Über dieses Wiedersehen schreibt Piotrowski: „Ich 12 Zur Praxis der Anfertigung von Schlachtengemälden nach Korrespondentenskizzen siehe Kapitel Der Spezialartist und Der Spezialartist als Lohnempfänger. 13 Piotrowski 1911, S. 37. 14 Piotrowski 1911, S. 38, 50. 15 Piotrowski 1911, S. 51. 16 Zur Biografie Alexander von Battenbergs und seiner politischen Karriere siehe etwa die zeitgenössische Darstellung des russischen Privatsekretärs und Presseattachés des Fürsten, Alexander F. Golowine, der später seine Tätigkeit auf das Feld der Publizistik verlegte. Alexander F. Golowine: Fürst Alexander I. von Bulgarien (1879–1886), Wien 1896, sowie das aktuellste und bislang umfassendste Sachbuch von Haralampi G. Oroschakoff: Die Battenberg-Affäre. Leben und Abenteuer des Gawriil Oroschakow oder eine russisch-europäische Geschichte, Berlin 2007. 17 Die Vereinigung Bulgariens mit Ostrumelien vollzog im Grunde den auf dem Berliner Kongress 1878 revidierten Vertrag von San Stefano vom März desselben Jahres zwischen Russland und dem Osmanischen Reich, wenngleich ohne den von den Russen vorgesehenen Anschluss Thrakiens und Makedoniens. Der im September 1885 wenn auch nur teilweise realisierte nationale Traum von einem



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hatte vor, nach Turnu Severin in Rumänien zu fahren. Während ich auf den Dampfer der Donau-Dampfschifffahrt-Gesellschaft wartete, traf ich Zaharij Stojanov, Abgeordneter und Anhänger von Stefan Stambolov18, und da wir uns noch aus Philippopel her kannten, haben wir entschieden, gemeinsam nach Rumänien zu reisen, um etwas über das Schicksal des Fürsten zu erfahren.“19 Während der Reise scheinen die beiden jedoch nicht nur Erkundungen über das aktuelle Ereignis eingeholt, sondern vermutlich auch Informationen über jenes zehn Jahre zurückliegende Ereignis in Batak ausgetauscht zu haben, das später eine zentrale Stellung in beider Lebenswerk einnehmen sollte. Und obschon Piotrowski an dieser Stelle seiner Biografie kein Wort über ein etwaiges Gespräch über die Gräuel von 1876 verliert, deutet vieles darauf hin, dass es eben diese drei gemeinsam verbrachten Augusttage gewesen sein müssen, in denen er die Idee gefasst haben dürfte, ein Historiengemälde zum Massaker von Batak anzufertigen. Doch vorerst verweilte Piotrowski mit Stojanov noch im rumänischen Turnu Severin, wo beide Zimmer im selben Hotel bezogen und sich hernach zur Telegrafenstation begaben, um Neuigkeiten über den entführten Fürsten zu erfahren. Piotrowski berichtet, dass man in der Donaustadt den bulgarischen Politiker nicht nur gut kannte, sondern auch respektierte, so dass man ohne jegliches Zutun seinerseits ziemlich bald die nötigen Informationen über Battenberg habe beschaffen können, wonach der Fürst nach Lwów ausgeliefert worden sei, um anschließend nach Bulgarien zurückgebracht zu werden.20 Dass Stojanov nicht nur hier äußerst detailliert, sondern sogar schon im Voraus über den genauen Verlauf der Entführung informiert wurde, lässt auf seine guten Kontakte zu den Verschwörern schließen, was auch Piotrowski für seine Aufgabe als Spezialartist geschickt zu wissen genutzt haben dürfte,21 denn nach einem Großbulgarien wird heute als einer der wichtigsten Nationalfeiertage in Bulgarien begangen. Vgl. dazu Kapitel Die asymmetrische Ikoniografie der Demarkation, Anm. 69. 18 Stefan Stambolov (1854–1895) war der bedeutendste bulgarische Politiker seiner Zeit und Vorsitzender der Volksliberalen Partei. Der rasante politische Aufstieg des ehemaligen Emigranten in Rumänien und später Aufständischen von 1875 und 1876, zur Zeit des Putsches Präsident des Ministerrates, begann mit der Abdankung Alexander I., als der russophobe Nationalist zum Regenten aufstieg und kurz darauf zum Ministerpräsidenten gewählt wurde. Seine fast zehn Jahre andauernde despotische Regierungszeit, in der oppositionelle Politiker und Regimekritiker eingekerkert wurden oder spurlos verschwanden, entbehrt bis heute einer differenzierten geschichtlichen Aufarbeitung in Bulgarien. Der einem grausamen Attentat zum Opfer gefallene Stambolov wird heute als Nationalrevolutionär, Staatsmann, Poet und Journalist gefeiert. Stambolov ist unmittelbar mit der Geschichte Bataks verbunden, übersetzte er doch die Berichte MacGahans – allerdings aus dem Russischen – ins Bulgarische: MacGahan 1880. Zur Biografie siehe umfassend Duncan M. Perry: Stefan Stambolov and the Emergence of Modern Bulgaria, 1870–1895, Duke 1993. 19 Piotrowski 1911, S. 58. Dieses und alle nachfolgenden Zitate aus der Autobiografie entstammen in eigener Übersetzung dem unpublizierten bulgarischen Manuskript. 20 Piotrowski 1911, S. 59. 21 Wohl auch deshalb vermutete Piotrowski hinter dem Putsch ein Doppelspiel des künftigen Regenten Stefan Stambolov, denn er schrieb: „Die Konterrevolution der Stambolov-Anhänger hatte überall im Land gesiegt“ und sah den Ministerratspräsidenten als Organisator des Umsturzes an: Piotrowski 1911, S. 58, 61. Das Gegenteil war jedoch der Fall, denn es war eben Stambolov, der die Stunde seiner Machtergreifung mit der Entführung des hessischen Prinzen schlagen sah und noch in der Nacht des 22. August 1886 Geheimkuriere, darunter wohl auch Zaharij Stojanov, nach Rumänien entsandt hatte,

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gemeinsam verbrachten Abend traten beide am nächsten Tag wiederum gemeinsam die Zugreise nach Bukarest an, wo sie auf den entführten Fürsten treffen sollten. Kurz darauf scheint Piotrowski nach Krakau zurückgekehrt zu sein, denn bereits im Februar 1887 hat er die Arbeit an den von Battenberg bestellten Gemälden beendet und sie auf eine lange Ausstellungstournee durch ganz Europa geschickt, die in Krakau und Lwów begann, um dann in der Heimatstadt des inzwischen abgedankten bulgarischen Fürsten, Darmstadt, wo Piotrowski und Battenberg einander zum letzten Mal begegneten, ausgestellt zu werden. Hier soll der unter Depressionen leidende Battenberg unter Tränen Piotrowski gegenüber zugegeben haben, dass er wegen seiner finanziellen Notlage die bestellten Gemälde nicht bezahlen könne. Dennoch kaufte der Vater des Fürsten, Alexander von Hessen, eines von ihnen für 4.000 Mark, für ein weiteres hatten die Verwandten Battenbergs 2.000 Mark gesammelt.22 Bis 1888 wurden die Gemälde noch in Paris, Berlin, Posen, Breslau und Wien gezeigt, jedoch nicht – wie geplant – im damals zu Russland gehörenden Warschau. Dessen General-Gouverneur, der ehemalige General und berühmte Held des letzten Russisch-Osmanischen Kriegs, Gurko, hatte das Ausstellen von Gemälden mit bulgarischer Thematik verboten und die Bilder von Piotrowski von der Polizei konfiszieren lassen, offensichtlich aus Verärgerung über den antirussischen Kurs der neuen bulgarischen Regierung unter Stefan Stambolov und den gerade aus Österreich angekommenen neuen bulgarischen Fürsten Ferdinand I. Es sollte indes ausgerechnet Ferdinand I. sein, der 1888 persönlich Piotrowski nach Sofia einlud, wo die Schlachtengemälde im Gebäude der Nationalversammlung ausgestellt und anschließend von der bulgarischen Regierung angekauft wurden.23 Es muss spätestens im Frühjahr oder Sommer 1888 gewesen sein, als Piotrowski mit den Vorbereitungen für sein anderes Werk mit bulgarischer Thematik, das Gemälde „Das Massaker von Batak“ begann, das jenes inzwischen in Vergessenheit geratene Motiv des balkanischen Massakers aus der illustrierten Presse der 1870er Jahre in die Monumentalität der Historienmalerei überführen sollte.

die Alexander von Battenberg befreien und nach Bulgarien zurückbringen sollten: Oroschakoff 2007, S. 83. 22 Piotrowski 1911, S. 63 ff. 23 Die Gemälde werden heute in der Nationalgalerie für ausländische Kunst Sofia aufbewahrt. Gute Reproduktionen finden sich bei Dimitrov 1996/1997.



Das Gemälde „Das Massaker von Batak“

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Das Gemälde „Das Massaker von Batak“ „Auf die Knie, verehrte Leser, die Hüte ab. Vor uns liegt Batak mit seinen Trümmern. Ich fordere alles auf, das rein bulgarisch ist, alles ehrliche und seine Heimat liebende, mit uns bei diesem bulgarischen Heiligtum zu verweilen, an diesem Opferaltar für unsere Freiheit, worauf das Blut Tausender heiliger Märtyrer, Hunderter kleiner Kinder, unzähliger unschuldiger Jungfrauen [...] vergossen wurde.“ Zaharij Stojanov24

Batak erlangte seine traurige Berühmtheit durch die spektakulär bestürzenden Berichte des Journalisten Januarius MacGahan, die in der Daily News und anderen europäischen Zeitungen, darunter der russischen Moskovskie vedomosti, zwischen August und November 1876 erschienen sind. Der Amerikaner hatte etwa zehn Dörfer als Begleiter einer internationalen Untersuchungskommission bereist, die von den Unruhen im Frühjahr 1876 betroffen waren, darunter auch das verwüstete Dorf Batak, und beschrieb ihren beklagenswerten Zustand. Diese dramatischen Beschreibungen lösten eine Welle der Empörung in ganz Europa aus und bereiteten den Boden für die öffentliche Zustimmung zum russischen Angriff auf das Osmanische Reich (1877), dessen Ergebnis die Errichtung des bulgarischen Nationalstaates (1878) war.25 Eine entscheidende Rolle hierfür spielte der dritte Bericht MacGahans, der das blutige Bild vom verwüsteten Dorf Batak zeichnet. Das im Rhodopen-Gebirge liegende Dorf wurde damit über Nacht europaweit berühmt und zum Synonym für Gräuelta-

24 Zaharij Stojanov: Zapiski po bălgarskite văzstanija (Aufzeichnungen zu den bulgarischen Aufständen), Sofia o. J. (1933?), S. 684. Sofern nicht anders angegeben stammen dieses und alle nachfolgenden Zitate aus der genannten Ausgabe in eigener Übersetzung. 25 Die Frage nach der sogenannten Taktik bulgarischer Aufständischer, die öffentliche Meinung des Westens zu beeinflussen, indem sie einerseits die osmanische Regierung durch provokative Aktionen zur Überreaktion und damit nicht selten zu Massakern bewegen konnten, andererseits hierdurch die Aufmerksamkeit der westlichen Berichterstattung auf sich zogen, um somit eine Einmischung von Außen zu bewirken, kann hier nicht behandelt werden. Verwiesen sei auf die einschlägigen Studien von Thomas Scheffler: Ethnizität, symbolische Gewalt und internationaler Terrorismus im Vorderen Orient, in: Ethnizität und Gewalt, hrsg. v. Thomas Scheffler, Hamburg 1991, S. 221–250; Ders.: Ethnoradikalismus. Zum Verhältnis von Ethnopolitik und Gewalt, in: Minderheiten als Konfliktpotential in Ostmittel- und Südosteuropa, hrsg. v. Gerhard Seewann, München 1995, S. 9–47; Ders.: „Wenn hinten weit in der Türkei die Völker aufeinander schlagen ...“. Zum Funktionswandel „orientalischer“ Gewalt in europäischen Öffentlichkeiten des 19. und 20. Jahrhunderts, in: Europäische Öffentlichkeit. Transnationale Kommunikation seit dem 18. Jahrhundert, hrsg. v. Jörg Requate und Martin Schulze Wessel, Frankfurt a. M. u. a. 2002, S. 205–230; sowie das vierte Kapitel zu Bulgarien bei Gary J. Bass: Freedom’s Battle. The Origins of Humanitarian Intervention, New York 2008, S. 233–312 und 443–461.

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ten schlechthin.26 Aufgrund des großen Leserinteresses wurden sieben der Berichte MacGahans zusammen mit dem Preliminary Report des amerikanischen Konsuls in Istanbul und dem Mitglied der internationalen Untersuchungskommission, Eugene Schuyler, als Buchausgabe bereits im September 1876 in London publiziert.27 Unmittelbar danach folgten Übersetzungen in viele europäische Sprachen. Nur die bulgarische Übersetzung durch den künftigen Ministerpräsidenten Stefan Stambolov erschien erst im Jahr 1880 mit der Unterstützung seines ehemaligen Mitstreiters aus den Aufstandsjahren Zaharij Stojanov.28 Doch das Dorf geriet ebenso schnell in die mediale Vergessenheit – noch zu Beginn des Russisch-Osmanischen Krieges –, wie es in das Zentrum der Aufmerksamkeit der Presse gelangt war, verdrängt von immer neuen Berichten über Massaker auf dem Balkan, sowohl von muslimischer als auch von christlicher Seite.29 Erst mehr als zehn Jahre später richtete sich das kollektive Interesse der Bulgaren auf Batak. Zu den wenigen Quellen aus der Zeit zwischen 1876 und 1892, die für die Konstruktion der heutigen kollektiven Vorstellung über Batak von Relevanz sind, gehören zwei Fotografien des Fotografen Dimităr Cavra von Überlebenden des Massakers sowie der Kirche des Ortes mit den sterblichen Überresten von Massakrierten, beide bislang zwischen 1876 und 1878 datiert,30 sowie die bulgarische Übersetzung der MacGahanschen Reportagen von 1880. Ab dem Jahr 1892 beginnt eine ununterbrochene 26 Unabhängig vom zeitgenössischen Gebrauch bezeichnet man im Bulgarischen bis heute „Massaker“ mit „batak“ (türk. Sumpf). 27 MacGahan 1876. Vgl. dazu Kapitel Die schicksalhaften Begegnungen der Balkanvölker, Anm. 4. 28 MacGahan 1880. 29 Die illustrierte Presse gibt kaum Auskunft über von Christen verübte Massaker an muslimischen Zivilisten während des Krieges. Schriftliche Berichte dazu sind indes zahlreich, namentlich in der britischen Presse erschienen. Siehe dazu etwa die ins Deutsche übersetzte Quellensammlung der englischen Regierung: Die Grausamkeiten des russisch-türkischen Krieges, Regensburg 1878, sowie die gesammelten Berichte der beiden prominentesten britischen Kriegskorrespondenten Archibald Forbes und MacGahan: The War Correspondence of the ‚Daily News‘ 1877. With a Connecting Narrative, Forming a Continuous History of the War Between Russia and Turkey, to the Fall of Kars, London 1878. Von den vielen illustrierten Bänden zu diesem Krieg siehe dasjenige von Alexander Jacob Schem: The War in the East. An Illustrated History of the Conflict between Russia and Turkey, with a Review of the Eastern Question, New York 1878. Eine Fülle an osmanischen Quellen wertete aus Ömer Turan: Turkish Documents about the 1877–78 Ottoman-Russian War, in: The Ottoman-Russian War of 1877–78, hrsg. v. Ömer Turan, Ankara 2007, S. 321–339, besonders S. 336 ff. Über Massaker an Juden seitens der christlichen Bevölkerung existieren vielfache schriftliche Belege. Siehe dazu Zvi Keren: The Fate of the Jewish Communities of Kazanlik and Eski Zagra in the 1877/78 War, in: ebenda, S. 113–130. Zur jüngst entdeckten Fotoserie von verstümmelten und verwundeten muslimischen Zivilisten, Opfer „russischer Gräuel“ von 1877, siehe Martina Baleva: Das Imperium schlägt zurück. Bilderschlachten und Bilderfronten im Russisch-Osmanischen Krieg 1877–1878, in: Image Match. Visueller Transfer, ‚Imagescapes‘ und Intervisualität in globalen Bildkulturen, hrsg. v. Martina Baleva, Ingeborg Reichle und Oliver Lerone Schultz, München 2012, S. 87–108. 30 Da es an passendem Bildmaterial zum Schicksal von Peruštica – einem 1876 ebenfalls verwüsteten Dorf – fehlte, diente die Fotografie mit den sterblichen Überresten in der Bataker Kirche als visuelles Dokument der zerstörten Kirche in Peruštica. Siehe Dojno Dojnov, Hristo Jonkov: Aprilskoto văstanie 1876 (Der April-Aufstand 1876), Sofia 1976, Abb. 216, wo das Foto, ohne Angabe des Autors und des Entstehungsdatums, lediglich den Titel „Die Kirche in Peruštica nach dem Aufstand“ trägt.



Das Gemälde „Das Massaker von Batak“

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literarische und visuelle Produktion zum Thema „Batak“, die bis heute andauert. Im Jahr 1892 erschienen nicht nur die wichtigsten Quellen der Historiografie zu diesem Thema – der dritte Band der großen nationalen Widerstandschronik der Bulgaren Aufzeichnungen zu den bulgarischen Aufständen 1876 von Zaharij Stojanov31 sowie der Augenzeugenbericht von Bojčo Der Aufstand und das Massaker von Batak.32 Im selben Jahr wurde auch der populäre Essay des bulgarischen Nationalpoeten Ivan Vazov Im Schoße der Rhodopen33 publiziert, in dem sich der Schriftsteller ausführlich mit der nationalen Bedeutung von Batak als bulgarischem Chios beschäftigt, um im Anschluss das Gemälde von Antoni Piotrowski „Das Massaker von Batak“ in pathetischen Worten zu beschreiben, das er auf der Ersten Nationalen Ausstellung in Plovdiv – ebenfalls im Jahr 1892 – bestaunen konnte. Doch das Ziel besteht weniger darin, sich mit den Beispielen dieser kalendarisch-thematischen Koinzidenz zu befassen, als vielmehr das schicksalhafte Hinschauen auf die Tragödie Bataks zu ergründen und hinter die visuellen Strategien ihrer Konstruktion im kollektiven Gedächtnis der Bulgaren zu blicken. Die Autobiografie von Antoni Piotrowski enthält aufschlussreiche Informationen über die Gründe, die das Interesse an Batak hervorgerufen haben. Doch zuvor werfen wir einen Blick auf sein Gemälde „Das Massaker von Batak“ (Taf. XV), das dem ikonografischen Modell der ethnischen Demarkation verpflichtet ist. Dargestellt ist der Moment nach dem Massaker. Vor dem Hintergrund eines nächtlichen Himmels zeigt das Gemälde eine brennende Landschaft, deren Flammen das Bildgeschehen in ein dramatisches Licht tauchen. Die Szenerie spielt sich an beiden Ufern eines Flusses ab, der den Blick diagonal in die Bildtiefe leitet. Am linken Ufer haben sich einige Männer neben den entblößten Leichnamen mehrerer junger Frauen niedergelassen. In der Landschaft verstreut liegen weitere Leichen, die gerade von Plünderern durchsucht werden. Die sich in unmittelbarer Betrachternähe befindenden Männer haben indes ihre Beute schon sichergestellt und ruhen sich anscheinend ungestört vom grausamen Anblick neben den Leichen aus. Nur zwei Frauen im linken Vordergrund sind immer noch dabei, einen Haufen Kleidung zu durchsuchen. Beide sind durch das Attribut des Kopftuches, das nur einen Schlitz für die Augen offen lässt, ganz offensichtlich als Frauen muslimischen Glaubens gekennzeichnet. Nicht anders verfuhr Piotrowski auch bei der attributiven Kennzeichnung der Männer. Sie tragen einen Turban oder Fez, der sie als Muslime definieren soll.34 Von zwei tscherkessischen Kriegern hin31 Zaharij Stojanov: Zapiski po bălgarskite văstanija (Aufzeichnungen zu den bulgarischen Aufständen 1876), Plovdiv 1884, Russe 1887, Sofia 1892. 32 Bojčo [Angel Goranov]: Văstanieto i klaneto v Batak. Istoričeski očerk (Der Aufstand und das Massaker in Batak. Historische Abhandlung), Plovdiv 1892 (Faksimile: Sofia 1991). 33 Ivan Vazov: V nedrata na Rodopite (Im Schoße der Rhodopen), in: Sbornik za narodni umotvorenija, nauka i knižnina 8, H. 2, 1892, S. 3–104. 34 Während der Turban eine traditionelle muslimische Kopfbedeckung darstellt, ist der Fez – eine kegelförmige, meistens rote Kappe mit schwarzer Quaste – ein osmanisches Accessoire der Reformzeit (Tanzimat), das die soziale Zugehörigkeit seines Trägers zur Intelligenz bzw. zu den Befürwortern der Reformen kennzeichnete, gleichermaßen von Muslimen und Christen, Türken und Bulgaren getragen.

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terfangen, die an den hohen schwarzen Fellmützen und den schwarzen Kaftanen zu erkennen sind, besteht der übrige Teil der Gruppe aus variationsreichen Einzelstudien zur orientalischen Männertracht und ihren schillernden Details. Würde man nur den linken Bildteil bzw. nur die Männergruppe betrachten, so hätte man im Grunde ein Genrebild vor Augen, das eine präzise ethnografische Studie der Modesitten auf dem Balkan im 19. Jahrhundert darstellt, jenen opulenten Trachtenalben westeuropäischer Reisender entsprungen, in welchen sich die Klassifizierung ethnischer Typen nach äußerlichen Merkmalen bereits Anfang des 19. Jahrhunderts vorgebildet findet,35 oder von der massenmedialen Genreillustration inspiriert. Dagegen weisen die Frauenleichen im rechten Bildteil keinerlei religiöse, ethnische oder sonstige Identitätsmerkmale auf. Ihre lasziv entblößten Körper legen lediglich die Vermutung nahe, dass ihrem Tod ein sexueller Gewaltakt vorangegangen sein muss. Damit kommt den Frauenkörpern – allesamt jung, schön, hellhäutig und wohlgeformt – im Gegensatz zu der äußerst differenzierten ethnografischen Schilderung der Männergruppe sowie der ihnen zugeordneten muslimischen Frauen eine verallgemeinernde, ideale Bedeutung zu. Sie bilden den sinnbildlichen Anteil der Bildaussage, der auf der Antithese Täter – Muslime – Männer vs. Opfer – Christen – Frauen beruht.36 Letzteres wird nicht zuletzt durch die Darstellung kompliziertester Torsionsstudien augenfällig. Geradezu verblüffend ist die Ähnlichkeit der in forcierter perspektivischer Verkürzung dargestellten Frauenkörper mit dem aufgebahrten Christus von Andrea Mantegna mit seiner kühnen perspektivischen Darstellung des heiligen Körpers. Diese Antithese wird noch einmal in der Gegenüberstellung von Mondsichel und Abendstern am abendlichen Firmament aufgegriffen, die der jeweiligen Gruppe bzw. Bildteil zugeordnet sind.37

Die Inkongruenz von Kleidungsaccessoires in Piotrowskis Gemälde beruht entweder auf mangelnden Kenntnissen oder auf einer bewussten Entscheidung, alles Osmanische negativ zu konnotieren. 35 Einen besonderen Einfluss auf diese Art von Darstellungen dürfte der selbst ins Osmanische Reich gereiste Franzose Louis Dupré ausgeübt haben, dessen fulminantes Werk: Voyage à Athénes et à Constantinople, ou Collection de portraits, de vices, et de costumes grees et ottomans, Paris 1825, zahlreiche Farblithografien mit freilich allzu idealisierenden Darstellungen verschiedenster osmanischer Ethnien enthält. 36 Über die Sexualisierung nationaler Konflikte in der spätosmanischen Zeit als Darstellungsform, die ihren Ausdruck in der dichotomen Formel von der christlichen Frau und ihrem türkischen Schänder findet, siehe den auf einigen Bildbeispielen, unter anderem auch aus der illustrierten Trivialliteratur beruhenden Aufsatz von Schick 2007. Dieser aus meiner Sicht zu Genüge diskutierte Aspekt in der kunsthistorischen Genderforschung im Kontext des Orientalismus in der Malerei des 19. Jahrhunderts soll deshalb hier nicht weiter verfolgt werden. Verwiesen sei auf die weiterführende Literatur bei Schick 2007, S. 300 ff., auf die knappe Einführung zum Thema von Christine Peltre: „Und die Frauen?“, in: Diederen/Depelchine 2011, S. 155–165, sowie auf die Arbeiten von Reina Lewis zum breiteren Rahmen des Frauenbildes im Orientalismusdikurs. 37 Szwat-Gyłybowa 2011, S. 41, die in der Farbgebung des Gemäldes eine Anspielung auf byzantinische Ikonen zu erkennen glaubt, führt als weiteres antithetisches Strukturmerkmal der Bildkomposition die sich am Horizont kreuzenden Linien des Feuers und des Flusses in Form eines umgeworfenen Kreuzes, über dem der Halbmond triumphiere.



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Bildgenese und Mythenbildung In seiner fast zwanzig Jahre nach Fertigstellung des Gemäldes verfassten Autobiografie beschreibt Piotrowski mit einiger Ausführlichkeit dessen Entstehung. Aufgrund dieser Beschreibungen wurden die Aufzeichnungen von Zaharij Stojanov stets als die literarische Vorlage für das Gemälde angesehen, da Piotrowski sie eindeutig als seine Quelle angibt: „Als ich die Geschichte des bulgarischen Aufstandes von Stojanov las“ – schreibt Piotrowski – „traf ich auf die Beschreibung des Massakers von Batak, welches damals für Aufsehen in ganz Europa sorgte und den russisch-türkischen Krieg hervorrief.“38 Und tatsächlich widmete Stojanov die letzten dreißig von insgesamt etwa eintausend Seiten seiner für die bulgarische Nation epochalen Chronik der Beschreibung des heroischen Abwehrkampfes und der blutigen Tragödie der Bataker. Doch kommen die Aufzeichnungen sowohl aus inhaltlicher wie auch aus chronologischer Sicht als Quelle für das Bild kaum in Betracht, denn in mehr als der Hälfte des Textes geht es um die heroische Verteidigung von Batak, um tapfer kämpfende bulgarische Männer, Frauen und Kinder, die ihr Blut für die Freiheit des Volkes vergießen. Nirgends ist die Rede von unschuldig dahingemetzelten Frauen, ja wiederholt weist Stojanov darauf hin, dass keine einzige Bataker Frau vergewaltigt worden sei, im Gegensatz zu ihrer Darstellung auf dem Bild, die gerade eine entgegengesetzte Lesart nahe legt. Ein weiterer und viel entscheidenderer Grund, der gegen die Aufzeichnungen als Piotrowskis Quelle spricht, ist die Tatsache, dass die erste Ausgabe der Aufzeichnungen in drei aufeinanderfolgenden Teilen erschienen ist. Während im ersten Band von 1884 der Name Batak ein einziges Mal erwähnt wird,39 und im zweiten von 1887 sich lediglich ein einziger Satz über das Schicksal des Dorfs findet, welcher jedoch für das Gemälde keine Relevanz gehabt haben kann, endet der dritte von 1892 mit der detaillierten Beschreibung der Ereignisse in Batak auf mehr als dreißig Seiten, so dass er als einziger als Quelle für Piotrowski in Frage kommt. Doch wie war es möglich, dass Piotrowskis Gemälde bereits im August 1892 auf der Ersten bulgarischen nationalen Ausstellung zu sehen war, wenn seine Quelle erst im November 1892 erschienen ist, also mindestens vier Monate vor Erscheinen des letzten Bandes der Aufzeichnungen fertiggestellt worden sein muss?40

38 Piotrowski 1911, S. 81. 39 In der hier benutzen sogenannten Ignatovo-Ausgabe wohl von 1933 wird Batak im Vorwort zum ersten Teil auf S. 21 erwähnt: Stojanov 1933. 40 Nur die erste Ausgabe erschien in drei Einzelbänden. Alle nachfolgenden Ausgaben vereinen die einzelnen Bände zu einem Buchganzen. Dies erklärt aber nicht, warum in der bulgarischen Kunstgeschichte die These von den Aufzeichnungen als Quelle für Piotrowskis Bild bis heute aufrecht erhalten wird, da aus allen nachfolgenden Ausgaben die „schrittweise“ Entstehung des Buchs deutlich hervorgeht. Die Ausstellung eröffnete mit einiger Verzögerung wegen nicht rechtzeitig abgeschlossener Bauarbeiten am 15. August 1892. Ursprünglich war der 2. August als Datum für die Ausstellungseröffnung geplant worden, so dass Piotrowski mit dem Bild spätestens Ende Juli fertig gewesen sein muss. Vgl. Čudoto, narečeno părvo plovdivsko izloženie (Das Wunder, genannt Erste Plovdiver Ausstellung), Sofia 1992, S. 18.

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Der Wahrheitsgehalt der Autobiografie von Piotrowskis sollte nicht ganz und gar in Frage gestellt werden, doch bedenkt man, dass sie retrospektiv geschrieben worden ist, zwischen der Bildentstehung und ihrer Niederschrift knapp zwei Jahrzehnte vergangen waren, so ist es durchaus möglich, dass die chronologische Reihenfolge gerade der eigenen Erinnerungen in ein von der Gegenwart bestimmtes Licht gerückt wurde. Dennoch stellt die Behauptung von Piotrowski vor zwei Probleme: Warum nennt der Künstler die Aufzeichnungen von Stojanov als Quelle, wenn sie ihm offensichtlich nicht als solche gedient haben können? Und welche ist die eigentliche Quelle für sein Gemälde? Zweifellos liegt Piotrowskis Bild der Bericht von MacGahan aus Batak zu Grunde. Es genügt, einige wenige Stellen aus der Reportage in der Daily News vom 9. August 1876 anzuführen, um dies deutlich zu machen. Die ersten Toten, auf die MacGahan in Batak gestoßen war, sollen ausschließlich Frauen gewesen sein, die zu etwa Hundert auf einem Haufen lagen. Ihre Schädel seien fast alle von den Leibern getrennt. Alle weiblichen Gerippe seien nur mit einem Hemd bekleidet: „Es muß hervorgehoben werden, daß alle weiblichen Gerippe, die wir fanden, nur mit einem Hemde bekleidet waren [...] theils um nach Geld oder Schmuck zu suchen, theils um in brutaler Weise erst geschändet und dann getödtet zu werden.“41 Auch die „Ufer waren vor kurzem ganz bedeckt mit Leichen von Männern, Weibern und Kindern, die hier in der Sonne faulten und von den Hunden benagt wurden. Aber der Himmel erbarmte sich und sandte Regenströme, die den kleinen Bach anschwellen und aus den Ufern treten ließ, so dass er die Leichen wegschwemmte.“42 Für die Gräuel in Batak machte MacGahan namentlich Ahmed Aga aus dem benachbarten Dorf Barutina und die pomakischen Nachbarn der Bataker verantwortlich: „Nicht die Tscherkessen, wie man glaubte, haben diese Schlächterei en gros verübt, sondern die Türken der Nachbardörfer unter der Leitung von Ahmed Aga.“43 Die Ursache für die Gräueltaten sei eindeutig: „[...] ein Muhamedaner ist des Paradies sicher, wenn er eine gewisse Anzahl Ungläubiger getödtet hat“.44 Als weiteren Grund nennt MacGahan den Neid und die Eifersucht der türkischen Nachbarn auf das reiche und blühende Dorf sowie die islamische Frömmigkeit: „[...] die Gelegenheit zum Rauben und Plündern, dazu der religiöse Fanatismus und der Vorwand eines Aufstandes [...] das waren Versuchungen.“45 Im Bericht von MacGahan findet sich eigentlich alles vorgebildet, was Piotrowski später bildnerisch umgesetzt hat – die aufgetürmten Frauenleichen, alle bis auf das Hemd entkleidet, einige von ihnen geköpft, wie im unteren rechten Bildteil zu sehen ist, während andere noch durchsucht werden, die

41 42 43 44 45

Alle nachfolgenden Zitate stammen aus der deutschen Übersetzung MacGahan 1876a, S. 16. Ebenda, S. 18. Ebenda, S. 21. Ebenda, S. 16. Ebenda, S. 21.



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Ufer entlang des Flusses mit Leichen bedeckt und ihre Schlächter – die Pomaken aus den Nachbardörfern von Batak.46 Doch wenn MacGahans Bericht die offensichtliche Quelle für Piotrowski ist, warum nennt er Stojanov als Autor seiner literarischen Vorlage? Der Autobiografie entnehmen wir, dass, nachdem er sich angeblich von der Lektüre der Aufzeichnungen von Stojanov inspirieren lassen hatte, Piotrowski eigens nach Batak gefahren war, in Begleitung eines griechischen Fotografen namens Kera. „Als ich die Geschichte des bulgarischen Aufstands von Stojanov las“ – schreibt Piotrowski – „begegnete ich der Beschreibung vom Massaker von Batak [...] Ich entschied mich, ein Gemälde zu malen. Deshalb fuhr ich nach Plovdiv, von wo ich den griechischen Fotografen Kera mit mir nahm, und wir fuhren gemeinsam nach Batak.“47 Weiter erfahren wir auch Einzelheiten über die künstlerische Strategie von Piotrowski, die zweifelsohne stark von seiner Korrespondententätigkeit beeinflusst gewesen ist und die Ikonografie der Demarkation wörtlich beschreibt: „Für die Absicht unseres Besuchs, nämlich die Stadt, ihre Einwohner und die traurigen Zeugnisse des Massakers zu fotografieren, wurde uns die völlige Unterstützung zugesagt. [...] Einige Männer wurden in die umliegenden Dörfer der Pomaken geschickt, um die grausamsten Schlächter von 1876 zu holen. Nach einigen Stunden kamen mehr als zehn von ihnen auf Eseln oder kleinen Pferden. Sie waren auf türkische Art gekleidet, ziemlich ärmlich und dreckig, sprachen aber genauso Bulgarisch wie ihre christlichen Brüder. Aber der Islam hatte einen Graben zwischen ihnen ausgehoben. Schlicht und einfach auf Grund der Religionsunterschiede empfanden sich die einen als offizielle Hinrichtende und die anderen als angestellte Opfer. Aber das merkwürdigste war, dass von einem spürbaren Hass nicht die Rede sein konnte. [...] Wir machten einige, 15–16 Fotografien, darunter auch von der Kirche, in der bis heute die sterblichen Überreste vieler Ermordeter liegen. [...] Wir inszenierten die Szene des Massakers vor der Schule. Die Christen hockten sich hin, und die Pomaken, die Ärmel ihrer türkischen Kleidung hochgekrempelt, standen breitbeinig und hielten in ihren Händen Krummsäbel, Dolche und Schwerter. Einige von ihnen versuchten sogar, ihren Gesichtern einen grau46 Unklar bleibt allerdings, warum ausgerechnet ein Tscherkesse den Höhepunkt der Bildkomposition markiert, wenn laut MacGahan die Tscherkessen beim Massaker eine untergeordnete Rolle gespielt haben sollen. Als einzige Figur zu Pferd kommt dem Tscherkessen gerade eine herausragende Rolle innerhalb der Gruppe der Täter zu, was seine Identifikation mit Ahmed Aga aus Barutina erlaubt. Leider ist über Ahmed Aga kaum etwas bekannt. Reid 2000, S. 147, bezeichnet ihn lediglich als tscherkessischen Führer, ohne jedoch zu klären, ob damit die ethnische Herkunft des Führers selbst oder seiner Bande gemeint ist. Vom „Pomak-leader“ spricht Bernard Lory: Ahmed Aga Tamraslijata. The Last Derebey of the Rhodopes, in: The Turks of Bulgaria. The History, Culture, and Political Fate of a Minority, hrsg. v. Kemal H. Karpat, Istanbul 1990, S. 179–202, hier S. 186. Der Familienname Ahmed Agas, Kasalicki, deutet jedoch auf eine slawische Herkunft, mithin pomakische Zugehörigkeit hin. Piotrowskis ethnische Wahl könnte rein biografische Gründe haben, bedenkt man, dass der Künstler aus dem niederen polnischen Adel stammte, der äußerst antirussisch gestimmt war. Die Tscherkessen wurden in den 1860er Jahren im großen Stil von den Russen aus dem Kaukasus vertrieben. Mehrere Zehntausend Flüchtlinge fanden Asyl im Osmanischen Reich. Insofern ist es denkbar, dass Piotrowski zugleich auf die mittelbare Schuld der russischen Machtinteressen an dem Massaker verweist. 47 Piotrowski 1911, S. 81.

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samen Ausdruck zu verleihen. Bei den Christen beobachtete ich einen Ausdruck der Angst und der Bitte – ich hatte das Gefühl, dass im nächsten Augenblick tatsächlich Blut fließen wird. Ich kehrte nach Krakau zurück und nach einigen Monaten schickte ich mein Bild nach Plovdiv für die bulgarische Nationalausstellung.“48

Bilder der bulgarischen Nation „Erinnern ist wissen, was man sah. Wissen ist sich erinnern an das, was man sah. Sehen ist wissen, ohne sich zu erinnern.“ Orhan Pamuk49

Die Suche nach den von Piotrowski inszenierten Fotografien führt in das Historische Museum von Batak. Die 1976 nach der Konzeption von Prof. Assen Stojčev eingerichtete Exposition anlässlich der 100-Jahres-Feiern zum April-Aufstand besteht aus einer schier endlosen Collage aus Schwarz-Weiß-Reproduktionen von Fotografien und künstlerischen Werken jeglicher Art und Zeit, darunter auch Piotrowskis Gemälde, die sich größtenteils dem Aufstand und dem Massaker widmet, als hätte der Ort keine Geschichte jenseits der Ereignisse von 1876 gehabt. Unter dem reichen Bildmaterial befinden sich interessante Postkartenmotive, die für die Popularisierung des Ortes in großen Auflagen gedruckt worden sind. Eine der Postkarten zeigt das Innere der Kirche in Batak (Abb. 110). Anstelle der in orthodoxen Kirchen üblichen Ikonostase ist ein Schrank zu sehen, hinter dessen Glasfenstern sich penibel angeordnete Schädel befinden. Davor ist eine Art Vanitas-Stillleben eingerichtet, das von zwei älteren Frauen flankiert wird. Über den ordentlich arrangierten Gebeinen hängt ein Tableau, worauf mit menschlichen Knochen „Überreste von 1876“ geschrieben steht. Wie aus einer anderen Postkarte deutlich wird, welche den Schädel- und Knochenberg – nunmehr auf mehr als die doppelte Menge an Gebeinen angewachsen – vor der Kirche zeigt, erfuhren die Stillleben-Motive mit der Zeit leichte Modifikationen, doch das Tableau blieb stets als unverkennbares Zeichen unverändert (Abb. 111). Die Postkarten sollen bis in die 1940er Jahre hergestellt worden sein,50 wobei eine der bekanntesten von ihnen eine schwarz gekleidete ältere Frau vor dem Eingang der Kirche zeigt (Abb. 112). Von Stillleben-Pyramiden aus Totenköpfen und Schusswaffen umgeben, liegt vor ihren Füßen ein Baumstamm. Das kollektive Gedächtnis 48 Der zitierte Eintrag findet sich ebenda, irrtümlicherweise unter dem Jahr 1895, was zu fehlerhaften Angaben in Aufsätzen und Enzyklopädien in Bezug auf die Datierung des Gemäldes geführt hat, obschon die Signatur eindeutig das Jahr 1892 trägt, etwa in: Słownik artystów polskich, S. 212. In Thieme-Becker 1999, S. 75, wird das Gemälde aus unbekannten Gründen 1891 datiert (Herv. d. Verf.). 49 Orhan Pamuk: Rot ist mein Name, München u. a. 2001, S. 107. 50 So zumindest die Annahme der Direktorin des Historischen Museums Batak, Ekaterina Pejčinova, der ich für viele wertvolle Informationen zu danken habe.



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identifiziert die Frau als Marga Goranova, Ehegattin des Anführers des Aufstandes in Batak, Petăr Goranov.51 Verwandte, Bekannte und Freunde versandten die Grußkarten in alle Ecken des Landes, auf deren Rücken sich stets die gleichlautende Erläuterung findet: „Erinnerung an Batak“.52 Drei der Fotografien im Museum ziehen die Aufmerksamkeit jedoch besonders auf sich. Die erste beeindruckt insofern, als sie vorgibt, eine authentische Aufnahme der berüchtigten Baschibozuks zu sein, welche das Massaker von Batak verübt haben sollen (Abb. 113). Darauf sind insgesamt elf männliche Personen mit Turbanen zu erkennen, wovon zwei je einen Esel oder kleines Pferd mit sich führen. Besonders auffallend ist die symmetrische Bildkomposition in Form eines zum Betrachter geöffneten Halbkreises, die für ein Gruppenfoto der Zeit zwar nicht untypisch ist. Doch wie die Überschrift „Baschibozuks aus Dospat“ suggeriert, müsste darin eher jener blutdürstig massakrierende Pöbel aus den Nachbardörfern von Batak erkennbar sein, als dieses geradezu liebenswürdige Andenkenbild schüchtern posierender Männer suggeriert. Wie bei allen sich im Museum befindenden Bildern fehlen auch zu diesem Foto etwaige Angaben zum Autor oder zur Datierung. Eine andere Fotografie zeigt den Innenraum einer an ihrem Apsisbogen zu erkennenden Kirche, in dem sich eine kniende Frauenfigur inmitten von Skelettteilen und Schädeln befindet (Abb. 114). Neben der halb zerstörten Ikonostase im Hintergrund ist die nachsinnende Figur eines Jungen zu erkennen, der den Blick in die Ferne gerichtet hat. Die Überschrift dazu lautet „Die historische Kirche in Batak nach dem Aufstand im April“. Von wem oder wann genau nach dem Aufstand die Fotografie gemacht worden ist, bleibt auch in diesem Fall unklar. Eine weitere Reproduktion derselben Fotografie befindet sich in der Kirche von Batak, die ebenfalls als Museum eingerichtet worden ist. Hier trägt sie zwar eine ähnliche Überschrift, diesmal aber auch mit Angabe des Autors – Dimităr Cavra – sowie des Entstehungsdatums – 1878, also zwei Jahre nach dem Ereignis datiert. Auf dieser offenbar nicht beschnittenen Version sind noch weitere Einzelheiten zu erkennen wie etwa die im linken Bildteil sich befindenden zwei weiteren knienden sowie eine am Bogenpfeiler angelehnte weibliche Figur (Taf. XVIII). Das dritte Foto ist wohl das berühmteste von Batak, das sich tief in das kollektive Gedächtnis mehrerer Generationen von Bulgaren eingeprägt hat. Immer wieder wurde 51 Ein Vergleich mit einem Familienfoto der Goranovs spricht jedoch gegen die Identifikation mit der Ehegattin von Petăr Goranov, obschon es sich bei der hier fotografierten Frau ebenfalls um eine Marga Goranova handelt. Allerdings soll diese 1876 noch ein kleines Kind gewesen sein, das durch das Massaker zur Waise wurde. Aus diesem Grund soll sie der Autor des Fotos und Lehrer in Batak, Kojčo Karagitliev, für seine Komposition ausgewählt haben. Das Familienfoto der Goranovs wurde oft publiziert, darunter von Manov 1979, S. 57. Zur Identifizierung des Autors und genauen Datierung des Fotos siehe das Interview mit der Tochter von Kojčo Karagitliev, Ženi Kojčeva: „Trud“ potvărždava tezata na Martina Baleva. S Ženi Kojčeva razgovarja Toma Bikov (Die Zeitung „Trud“ bestätigt die These von Martina Baleva. Ženi Kojčeva im Interview mit Toma Bikov), in: Glasove 2, Nr. 48, 30. November 2007, S. 7. 52 Eine Reihe solcher Postkarten befindet sich im Archiv des Historischen Museums Batak sowie im Fotoarchiv der Nationalbibliothek „Kyrill und Method“ Sofia.

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die ebenfalls Dimităr Cavra zugeschriebene und je nach Intention mal 1876, mal 1877 oder 1878 datierte Fotografie in historischen Abhandlungen, Bildbänden zum AprilAufstand, Gedenk- oder Schulbüchern reproduziert (Taf. XVI). Darauf ist eine große Menschenansammlung von etwa fünfzig Männern, Frauen, Kindern und Greisen in den verschiedensten Posen zu erkennen, aufgenommen vor dem Schulgebäude, das 1877 anstelle des 1876 abgebrannten Gebäudes vom Bulgarian Peasant Relief Fund der britischen Viscountess Lady Strangford errichtet wurde. Die Aufnahme vermittelt den Eindruck einer ganz normalen, ja durchschnittlichen Fotografie von Angehörigen einer traditionellen Bauerngesellschaft. Die Bildunterschrift lautet meistens „Überlebende nach dem Massaker von Batak“, manchmal mit dem Zusatz „vor der Schule“, „vor der zerstörten Schule“ oder bei etwas unaufmerksameren Autoren, „in [!] der halb abgebrannten [!] Schule“.53 Es wird deutlich, dass zwischen 1876 bzw. 1878 und 1892 Batak von zwei Plovdiver Fotografen griechischer Herkunft – Cavra und Kera – aufgesucht worden sein muss, wobei Cavra 1878 wohl auf eigene Faust nach Batak reiste, während Kera 1892 von Piotrowski engagiert worden ist. Erneut stellt sich die Frage nach der Koinzidenz, welche nicht nur das thematische Interesse der beiden Fotografen, sondern auch ihre ethnische Herkunft, ihren Wohnort und nicht zuletzt die Schreibweise beider Namen betrifft.54 Die Identifikation des gesuchten Fotografen ist allerdings unproblematisch, da im ausgehenden 19. Jahrhundert in Plovdiv lediglich zwei Fotoateliers registriert waren – das der Brüder Kacarovi und das von Dimităr Cavra.55 Im hier behandelten Zeitraum existierte in Plovdiv jedoch kein Fotograf namens Kera. Bei dem gesuchten Fotografen kann es sich also nur um ein und dieselbe Person handeln, deren korrekter Name des seinerzeit berühmtesten Fotografen in Plovdiv Dimităr Cavra lautet.56 Piotrowskis Gedächtnis ist also auch in dieser Hinsicht nicht verlässlich.57 Doch wenn 53 Siehe Dojnov/Jonkov 1876, Abb. 222, wo die gleiche Fotografie den Titel erhalten hat: „Überlebende Bataker nach dem Aufstand, fotografiert in der halb abgebrannten Schule in Batak“. 54 Die Kongruenz ist im Bulgarischen noch offensichtlicher, denn die kyrillische Schreibweise von Cavra wird mit „K“, also Kavra transkribiert. 55 Krăstan Djankov: Pečatni danni za našata fotografija v kraja na 19-ti i načaloto na 20-ti vek (Gedruckte Dokumente über unsere Fotografie im ausgehenden 19. und dem beginnenden 20. Jahrhundert), in: Bălgarsko foto 1, 1971, S. 6–8 und 34–35, hier S. 7. 56 Zu Dimităr Cavra (um 1835–um1905) ist kaum geforscht worden. Er scheint bis 1897 in Plovdiv gearbeitet zu haben, wonach er nach Griechenland umsiedelte und in Athen ein Fotoatelier eröffnete. Ein knapper biografischer Eintrag bei Georgi Rajčevski: Plovdivska enciklopedija (Enzyklopädie der Stadt Plovdiv), Plovdiv 2004, S. 142–143. Siehe auch Petăr Boev: Fotografskoto izkustvo v Bălgarija (Die Kunst der Fotografie in Bulgarien), Sofia 1983, S. 13 und 88 ff. Um 1870 fertigte Cavra eine Serie von Panoramafotos von Plovdiv an, die als Colotypien Eingang gefunden haben in James Samuelson: Bulgaria past and present, historical, politcal and descriptive, London 1888, Tafeln VI und VII. Originale Abzüge werden im Fotoarchiv der Nationalbibliothek „Kyrill und Method“ aufbewahrt. 57 Der Kunsthistoriker und Übersetzer der Autobiografie, Dimităr G. Dimitrov, der sie im Original eingesehen hat, merkt dazu an, dass der Name nicht leserlich geschrieben worden sei, weshalb er nicht ermitteln konnte, ob es sich um denselben Fotografen „Kavra“ handelt, der „die berühmten Fotos in Batak machte“: Dimitrov 1976a, Anm. 1.



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Cavra innerhalb von mehr als zehn Jahren zweimal in Batak fotografiert haben soll und wenn seine Fotos von 1878 bis heute erhalten sind, wo befinden sich dann jene, die er später nach Piotrowskis Anweisungen anfertigte? In den Archiven des Künstlers in Krakau und Warschau wurden die von ihm beschriebenen Fotos bislang nicht ausfindig gemacht. Deshalb wird vorerst das Wenige, was zur Verfügung steht, genügen müssen. Betrachten wir somit das Foto der „Überlebenden“ etwas näher. Eine erkennbare Anordnung scheinen die Menschen darauf nicht aufzuweisen. Soweit es die Qualität der Reproduktion erlaubt, lässt sich eine Vielzahl an Kindern in verschiedenen Posen in der ersten Reihe, mehrere jüngere und ältere Männer dahinter sowie einige Frauen mit Kopftüchern erkennen. Im linken Bildteil befinden sich zwei weitere, sitzende Frauen mit Kopftüchern, welche neben einem bäuchlings liegenden Jungen etwas gelangweilt der unübersichtlichen Szenerie zuschauen. Diese unordentliche Anordnung für ein Gruppenfoto könnte dafür sprechen, dass die Menschen gerade im Begriff sind, ihre von Cavra bestimmten Positionen einzunehmen. Gerade diese Unordnung aber verrät etwas anderes, und das ist die Beschaffenheit des Terrains, auf dem die Menschen stehen. Betrachtet man das Auf und Ab der Silhouette der Gruppe, so scheint sie auf einem unregelmäßigen und von links nach rechts abfallendem Gelände zu stehen, das rechts am Ufer eines kleinen Flusses endet. Vom Fluss ist nur wenig zu sehen, weil er von den Figuren verdeckt wird, aber man kann sich seinen logischen Verlauf in der perspektivischen Verkürzung weiterdenken, der diagonal das Bild schneiden würde. Ferner ist das gegenüberliegende Ufer zu sehen, das nach rechts aufsteigt und auf dem zwei Holzhütten im Mittelgrund und zwei weitere dahinter stehen. Der Vergleich von Fotografie und Gemälde fördert verblüffende Ähnlichkeiten in Bezug auf das Beschriebene zu Tage. Beide Bilder haben eine geradezu identische Anlage, welche durch ein Wegretuschieren des Schulgebäudes auf der Fotografie noch offenkundiger wird (Taf. XVII). Das Hauptgeschehen spielt sich sowohl auf dem Gemälde als auch auf dem Foto am linken Ufer eines Flusses ab, wobei die Silhouetten der jeweiligen Menschengruppen ein Gefälle von links nach rechts zum Fluss hin aufweisen. Die Holzhütten am rechten Ufer – auf dem Foto noch ganz intakt – sind auf dem Gemälde gerade im Begriff abzubrennen. Weitere Parallelen sind noch zu nennen wie die beiden Frauen im linken Vordergrund – auf dem Foto sind es noch Bäuerinnen ohne erkennbare Identitätsmerkmale, auf dem Gemälde machte Piotrowski aus ihnen muslimische Frauen. Die sitzende Rückenfigur eines älteren Mannes hinter dem liegenden Jungen findet sich auf dem Gemälde exakt an der gleichen Stelle wie auf dem Foto wieder. Piotrowski ersetzte lediglich die Fellmütze, den Kalpak, mit einem leuchtend weißen Turban mit rotem Boden. Damit diese Ausführungen nicht im Spekulativen verharren, sei auf ein entscheidendes Detail hingewiesen. Am rechten Bildrand der Fotografie fallen zwei Figuren besonders auf, nicht nur, weil sie etwas isoliert von der Gruppe stehen (Abb. 116). Bei der linken Figur handelt es sich offenbar um einen Mann mit angewinkeltem rechten Bein, auf dem sein rechter Arm ruht (Abb. 117). In der rechten Hand hält er einen

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länglichen Gegenstand in der Form eines Beils, der an einem Baumstamm angelehnt ist. Seine Ärmel sind hochgekrempelt und er trägt einen Turban, der den Kopfbedeckungen in Piotrowskis Bild sehr ähnelt. Vor ihm hockt ein Junge, gerade im Begriff, seine Schuhe auszuziehen, während weitere Kinder neben ihm auf etwas zu warten scheinen, zum Jungen hinunterblicken und sich die Augen mit den Händen reiben, als würden sie weinen. Am äußersten rechten Bildrand ist ein weiterer Mann zu erkennen, der breitbeinig dem Betrachter zugewandt steht und dessen Ärmel ebenfalls hochgekrempelt sind. Auch er trägt einen Turban und in den Händen hält er ebenfalls einen säbelähnlichen Gegenstand. Doch was haben zwei Männer mit Turbanen und Säbeln vor dem 1877 erbauten Schulgebäude, also mindestens ein Jahr nach dem Massaker bei den Überlebenden in Batak zu suchen? Bei der Fotografie kann es sich also nur um jene Inszenierung des Massakers vor der Schule handeln, die Piotrowski in seiner Autobiografie beschrieben hat. Dies bedeutet, dass die Aufnahme nicht im Zeitraum zwischen 1876 und 1878 entstanden ist, sondern erst – wie Piotrowski schreibt – viel später und damit einige Monate vor der Ausstellung in Plovdiv. Insofern können sich unter den fotografierten Personen nur einige wenige tatsächlich Überlebende des Massakers befinden. Mindestens ein Drittel von ihnen war 1876 nicht einmal geboren. Für eine fotografische Inszenierung sprechen auch weitere Indizien. Schon die Bildunterschrift in der ersten Publikation der sogenannten „Überlebenden“ in der Zeitschrift Svetlina von 1894 enthält den Hinweis auf den posthumen Anlass der Aufnahme, wenngleich auch hier auf eine konkrete Datierung verzichtet worden ist. Demnach handele es sich um „Batak – eine Gedenkversammlung am Ort des Massakers. Nach Fotografien von Herrn Cavra“.58 Das vermeintlich autorlose Gruppenfoto der Baschibozuks zeigt ebenfalls keine blutrünstigen Schlächter, sondern von Cavra fotografierte Pomaken, die Piotrowski extra für seine Inszenierung nach Batak geholt hatte. Der Vergleich mit dem Gemälde macht deutlich, dass der in der Mitte hockende stattliche Pomake der spiegelverkehrte Prototyp für Piotrowskis hockenden Baschibozuk ist, nur dass Piotrowski den ostentativ zur Schau gestellten Krummsäbel in der rechten Hand des Pomaken durch eine harmlose Zigarette in der linken Hand des Baschibozuks als Zeichen des entspannten Müßiggangs ersetzte (Abb. 118 und 119). Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass Aufnahmen von Batak aus den Jahren 1876, 1877 oder 1878 wohl nicht existieren. Überliefert sind lediglich Reproduktionen einiger weniger aus insgesamt 15 oder 16 Fotografien von Dimităr Cavra, 58 Der originale Wortlaut „Batak – Edno văspominanie ot mestoto na klaneto. Po fotografijte na g. Cavra“, in: Svetlina 9–10,1894, S. 152. Das im Fotoarchiv der Nationalbibliothek „Kyrill und Method“ aufbewahrte Exemplar (Inv. Nr. C V 737), das aus der Zeitschrift ausgeschnitten und auf Karton aufgezogen worden ist, wird unter leicht modifiziertem, hierdurch jedoch irreführenden Titel verzeichnet: „Văzpomenatelno săbranie na mjastoto, kădeto e stanalo klaneto v Batak po vreme na Aprilskoto Văstanie“ (Gedenkversammlung am Ort des Massakers in Batak während des April-Aufstandes). Die Ergänzung durch die zeitliche Konkretisierung „während des April-Aufstandes“ kann entweder als Zeitpunkt des Massakers oder der Gedenkversammlung interpretiert werden, womit der willkürlichen Datierung schon recht früh der Weg geebnet wurde.



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die unter Piotrowskis Regie entstanden sind. Doch wie kam es dazu, dass ausgerechnet diese Fotografien in einer musealen Exposition, in Schulbücher, in seriöse wissenschaftliche Untersuchungen und heute selbst in der Presse und im Internet als authentische Bildnachweise des unheilvollen Bataker Schicksals Eingang finden, wenn sie die Vorlagen einer nachträglichen künstlerischen Konstruktion waren?

Die Geburt eines Geschichtsmythos In seinem richtungsweisenden Vortrag zur Frage nach dem Wesen der Nation sagte der französische Historiker Ernest Renan, das Vergessen, oder besser der historische Irrtum spiele bei der Erschaffung einer Nation eine wesentliche Rolle.59 Das Wesen einer Nation – so Renan – besteht darin, dass ihre Mitglieder vieles miteinander gemeinsam und dass sie vieles vergessen haben. Das Zusammenfügen der einzelnen Puzzelteile aus schriftlichen und bildlichen Werken zu einem Gesamtbild kann helfen, die Grundsteinlegung des Geschichtsmythos von Batak in Erinnerung zu rufen. Auch hierüber finden sich aufschlussreiche Hinweise in der Autobiografie von Piotrowski. Darin erwähnt der Maler, auf seiner Abreise aus Bulgarien im Jahr 1886 den berühmten bulgarischen Politiker Zaharij Stojanov getroffen zu haben,60 mit dem er während der gemeinsamen dreitägigen Reise auf den Spuren des entführten Fürsten genügend Zeit hatte, sich auszutauschen.61 Dabei scheint Stojanov den Ausländer vor allem als Autor des ersten erschienenen Bandes des Nationalepos über den bulgarischen Aufstand beeindruckt zu haben, was Piotrowski zugleich äußerst erstaunt haben dürfte, denn in MacGahans berühmten Berichten etwa kann er kaum einen Hinweis auf bulgarische Aufstände im Jahr 1876 gefunden haben. Ganz im Gegenteil muss Piotrowski darin gelesen haben: „Statt Wilde zu sein, wie wir glaubten, sind diese Bulgaren in Wirklichkeit ein [...] zivilisiertes, friedliches Völkchen und was den Aufstand anlangt, so wurde allerdings in drei oder vier Dörfern ein schwacher Versuch zu einem solchen gemacht, in Batak aber gar nicht, und es ist auch nicht ersichtlich, dass ein einziger Türke hier getötet worden ist. Die türkischen Behörden

59 Ernest Renan, Qu’est-ce qu’une nation?, in: Œuvres complètes, Paris 1947–1961, Bd. 1, S. 892. 60 In meinem Artikel Baleva 2006, schrieb ich, dass die Begegnung im Frühjahr 1889 stattgefunden hat, indem ich mich auf ein im Dezember 2005 geführtes Gespräch mit Dimităr G. Dimitrov berief. Doch erst später konnte ich dessen Übersetzung der Autobiografie einsehen, woraus hervorgeht, dass die Begegnung nicht 1889, sondern während des Staatsstreiches und der Entführung des bulgarischen Fürsten Alexander von Battenberg im August 1886 stattgefunden hat. 61 Obschon die in der Autobiografie angeführten Datumseinträge nur selten verlässlich sind, kann in diesem Fall das von Piotrowski angegebene Datum der Reise von Sofia über Bukarest nach Krakau wohl ab dem 22. August 1886 durch Stojanovs Biografie bestätigt werden, da der Politiker nachweislich zur gleichen Zeit nach Bukarest fuhr, um den einige Tage zuvor entführten Alexander von Battenberg auf seiner Rückreise (am 29. August 1886) nach Bulgarien zu begleiten.

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behaupten ebenfalls weder dies noch, dass die Bewohner irgendwelchen Widerstand geleistet hätten.“62 Als Argument gegen Stojanovs These von einem bulgarischen Massenaufstand dürfte Piotrowski gerade jenen berühmten, erschütternden Bericht aus dem verwüsteten Batak angeführt haben, in dem von unschuldig dahingemetzelten christlichen Bauern, jedoch nicht von tapferen Aufständischen die Rede ist. Dies muss Stojanov besonders in Aufregung versetzt haben, da er ja bekanntlich nicht nur jede Möglichkeit genutzt hat, sich gegen sich in bulgarische Angelegenheiten einmischende Ausländer und insbesondere gegen MacGahan zu äußern, sondern in dieser Situation sein Lebenswerk ausgerechnet von einem gut informierten Fremden in Frage gestellt gesehen haben muss. Gute Beispiele dafür finden sich bei Stojanov zuhauf, so etwa 1884 im Vorwort zum ersten Band der Aufzeichnungen, wo es unmissverständlich heißt: „Es besteht kein Zweifel, dass wie für unsere anderen Angelegenheiten so auch für unsere nationale Bewegung zuerst die Ausländer-Spekulanten Interesse zeigen werden. [...] Der bulgarophile Ausländer wird unser Land kreuz und quer durchreisen (natürlich nur dort, wo es Eisenbahn und Straßen gibt), [...] wird sich flüchtig über das Geschehen erkundigen [...] und das Buch unseres ‚teuren Gastes‘ wird voll sein mit Lügen und fabrizierten Fakten, tendenziös im Dienste der Partei und der Gesellschaft jenes Landes geschrieben, welche den Reisenden entsandt hat. [...] Wer mir dies nicht glaubt, sollte die Bücher [...] des verstorbenen MacGahan lesen. [...] In diesen Büchern finden sich so viele Lügen über das bulgarische Volk, dass wenn auf dem Umschlag nicht „Lady“ oder „von“ [...] stünde, man fragen würde: ‚Warum lügst du?‘ “63 Der Unmut Stojanovs gegenüber seinem Gesprächspartner muss umso heftiger gewesen sein, wenn man bedenkt, dass der ehemalige Hirte sich selbst in seinen Aufzeichnungen eine der Hauptrollen beim Aufstand neben den anderen nationalen „Aposteln“ – darunter Stefan Stambolov – beimisst, und einem gewissen Petăr Goranov eine Nebenrolle als Anführer des Aufstandes in Batak zuweist. Dass zu dieser Zeit Goranov Verwalter des Landkreises Pazardžik, zu dem Batak gehörte, und Abgeordneter in der bulgarischen Volksversammlung war, Stojanov dessen künftiger Vorsitzender und Stambolov Regierungschef, dürfte nicht unentscheidend bei der Wahl der Protagonisten in den Aufzeichnungen gewesen sein. Piotrowski dürfte im Laufe der Diskussion mit Stojanov besonders neugierig auf Batak geworden sein und sich dazu entschlossen haben, ein Gemälde zu dem Ereignis anzufertigen. Insofern kann Stojanov tatsächlich als unmittelbare Quelle für sein Werk angesehen werden. 62 MacGahan 1876a, S. 25. Mit „drei oder vier Dörfern“ meint MacGahan Panagjurište, Koprivštica, Peruštica und Bracigovo, welche heute ebenfalls zu den wichtigen Erinnerungsorten der bulgarischen Nation gehören. Ihr Schicksal während der Unruhen 1876 handelt MacGahan in seinen anderen Berichten ab, wobei auffällig ist, dass der Autor jedem Ort auch eine symbolische Funktion zumisst. Während Batak für die muslimische Blutrünstigkeit, mithin „türkische“ Barbarei steht, dient Panagjurište als Nachweis bulgarischer „Zivilisiertheit“, Peruštica steht für den „tatsächlichen“ bulgarischen Widerstand und Koprivštica für bulgarischen Reichtum. 63 Stojanov 1933, S. 23 f.



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Doch bevor er sein Bild malte, beabsichtigte Piotrowski in seiner Rolle als berichterstattender Illustrator und bildender Künstler zugleich, sich der historischen Wahrheit zu vergewissern, indem er selbst nach Batak fuhr und mit den Einwohnern sprach. Aus diesem Grund engagierte er eigens den Fotografen Cavra, um mit Hilfe des Mediums der Wahrhaftigkeit schlechthin, der Fotografie, jedwede historischen Spuren aufzuzeichnen. In Batak traf Piotrowski auf einfache, weitgehend analphabetische Bauern, die in traditionell patriarchalischen Verhältnissen lebten und noch nicht über ein von der Staatsdoktrin sanktioniertes kollektives Gedächtnis zum Gemetzel verfügen konnten.64 Was die Bataker jedoch sicherlich kollektiv erinnerten, war die Flucht des Anführers der Aufständischen Petăr Goranov mit seiner gesamten Familie, noch bevor die Baschibozuks das Dorf umzingelt hatten. Der Augenzeuge Bojčo schreibt: „In der Nacht schafften es Goranov und die Notabeln [...], die gegnerischen Positionen zu überwinden und entsandten Džurkov mit der Botschaft an die Zurückgebliebenen, den selben Fluchtweg zu benutzen. Es entschieden sich nur einige Frauen, mit Džurkov rauszukommen, darunter auch die Familie von Goranov.“65 An dieser Stelle muss hervorgehoben werden, dass sich hinter dem Pseudonym Bojčo kein anderer als der zum Zeitpunkt des Massakers 19-jährige Sohn von Petăr Goranov, Angel P. Goranov, verbirgt, was nicht nur die Notwendigkeit des Pseudonyms Bojčo erklärt, sondern auch die Augenzeugenschaft des Autors in Frage stellt, welcher wiederum die Informationsquelle für Stojanovs Beschreibung der Ereignisse in Batak und aller wissenschaftlichen Untersuchungen zum Thema bis heute bildet. Die Gespräche mit den Einwohnern haben Piotrowski in seiner offensichtlich der MacGahanschen Reportage aus Batak entlehnten Interpretation der Historie wohl bestätigt, was sowohl aus den Fotografien als auch aus dem daraus hervorgegangenen Gemälde deutlich wird.66 Dabei kommt den Fotografien eine besondere Rolle zu, denn an ihrer Inszenierung soll – wie Piotrowski berichtet – die gesamte Bataker Bevölke-

64 Die ersten statistischen Daten für das Fürstentum Bulgarien von 1881 zeigen, dass lediglich 3,3% der Bevölkerung (davon 0,5% der männlichen und 0,1% der weiblichen Landbevölkerung) des Lesens und Schreibens kundig waren. Ein realistischeres Bild vom Bildungsstand entsteht, wenn man sich die Analphabetenrate von 96,7% vor Augen führt (99,5% der männlichen und 99,9% der weiblichen Landbevölkerung). Leider zitiert die nächste Volkszählung von 1887 die Daten von 1881, so dass wir über keine Daten aus dem hier untersuchten Zeitraum verfügen. Pro-nationale Untersuchungen gehen für das Jahr 1887 von 10,7% Alphabetisierte, d. h. von 89,3% Analphabeten aus. Gerade für die ländlichen Gegenden ist jedoch von keinem rapiden Alphabetisierungsprozess auszugehen. Vgl. dazu Krasimira Daskalova: Gramotnost, knižnina, čitateli, četene v Bălgarija na prehoda kăm modernoto vreme (Alphabetisierung, Bücher, Leser, Lesen in Bulgarien im Übergang zur modernen Zeit), Sofia 1999, S. 62, welche das niedrige Bildungsniveau auf dem Land auf den Traditionalismus einer noch stark patriarchalisch geprägten Gesellschaft zurückführt. 65 Bojčo 1892, S. 64. 66 Angesichts eines niedrigen Bildungsniveaus wie dem der Bataker Bauern sollte von einer – wenn auch nicht beabsichtigten – manipulierenden Interaktion zwischen Bevölkerung und Künstler ausgegangen werden. Eine gebildete Person wie Piotrowski muss den Bauern als gut informierte Autorität erschienen sein, die ‚besser‘ Bescheid wusste. Schließlich hängt die Antwort von der Frage ab.

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rung teilgenommen haben.67 Durch sie hat der Künstler nicht nur den Grundstein der lokalen Kollektiverinnerung gelegt, sondern auch ihre Form bestimmt. Eine besondere Rolle spielte hierbei die Innenaufnahme der Kirche mit sterblichen Überresten (Taf. XVIII), wobei auch in diesem Fall keine ‚authentische‘ Fotografie von 1876 oder 1878 vorliegt, sondern ein Bild, das unter Piotrowskis Anweisungen entstanden ist und dem wiederum MacGahan Pate gestanden haben muss: „Was wir [in der Kirche] sahen, war schrecklich, und gestattete nur einen eiligen Blick. Eine große Zahl Körper war hier theilweise verbrannt und die verkohlten schwarzen Ueberreste, die bis halb an die Bogen heranreichten und den Raum noch niedriger und dunkler erscheinen ließen, lagen in Verwesung umher“.68 Doch nicht nur die Erwähnung einer solchen Fotografie in der Autobiografie führt auf die Spuren ihres Autors. Dafür spricht auch die Struktur der Bildkomposition, die sich durch die Anordnung der Bildprotagonisten in jener für die abendländische Wahrnehmung ästhetisch befriedigenden pyramidalen Komposition auszeichnet (Abb. 115),69 und vor allem der mit Gebeinen bedeckte Boden.

Datierung der Fotografien Das entscheidende Argument für die Zuschreibung der Fotografie mit den sterblichen Überresten ist jedoch das zeitliche, da diese – wie auch alle übrigen – im Sommer 1888 entstanden sein muss, und nicht 1892, wie sich Piotrowski wieder einmal irrtümlich erinnert. Das vom Künstler angegebene Datum seines Besuchs in Batak, einige Monate vor der Eröffnung der Ersten Nationalen Ausstellung in Plovdiv im August 1892, erscheint schon allein aus technischen Gründen zweifelhaft. So sind etwa auf der Fotografie des inszenierten Massakers eindeutig Bäume in voller Blattkrone zu erkennen, welche angesichts der klimatischen Verhältnisse in Batak mit einem fast 67 1.000 bis 1.500 Einwohner sollen laut Piotrowski zum Zeitpunkt seines Besuchs in Batak gelebt haben, die sich auf dem Dorfplatz versammelt hätten, um einen Reigen zu tanzen, wovon Piotrowski eine bislang nicht aufzufindende Fotografie angefertigt haben will: Piotrowski 1911, S. 81. Bei der vom Künstler angegebenen Einwohnerzahl handelt es sich allerdings um keine korrekte Angabe, sondern um die direkte Übernahme der von MacGahan geschätzten Überlebenden unmittelbar nach dem Massaker, was wieder einmal dessen Bericht als die eigentliche schriftliche Quelle für das Gemälde bezeugt. Laut offiziellen Zählungen lebten in Batak zum Zeitpunkt des Besuchs von Piotrowski nämlich knapp 2.000 Menschen. Vgl. dazu: Istorija na Batak (Die Geschichte Bataks), hrsg. v. Ilija Todev, o. O. [Batak] 1995, S. 309, Tab. 2. 68 MacGahan 1976a, S. 19. Vgl. das von der illustrierten Presse bald darauf aufgegriffene Motiv verkohlter Leichen und von mit hunderten von massakrierten Menschen vollen Kirchen wie Abb. 85 und 86. 69 Eine solche Bildstruktur, zumal einer Aufnahme, findet sich meines Wissens bis dahin weder in der bulgarischen Malerei noch in der bulgarischen Fotografie wieder. Auch die wenigen Ausnahmen weltlicher Malerei, namentlich die historischen Gemälde mit mittelalterlicher Thematik von Nikolaj Pavlovič, sind noch der post-byzantinischen Bildtradition verhaftet, welche für die christliche Kunst unter den Osmanen charakteristisch ist. Den Begriff „post-byzantinische“ Kunst für den Balkan prägte Kiel 1985.



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acht Monate andauernden Winter frühestens im Mai einen solchen Wachstumsstand aufgewiesen haben dürften. Demnach müsste Piotrowski sein etwa fünf Quadratmeter großes Gemälde, welches mehrere lasierende sowie opake Farbschichten, stellenweise einen pastosen Farbauftrag und eine deutlich zu erkennende Gesichtsübermalung des Tscherkessen zu Pferd aufweist, was eine gewisse Zeit zum Trocknen der Ölfarbe erfordert, innerhalb von höchstens zwei Monaten nicht nur entworfen und fertiggestellt, sondern auch auf die Reise von Krakau nach Plovdiv geschickt haben. Da sich der Künstler zudem, nach allem, was bekannt ist, nach 1888 und vor 1892 nicht in Bulgarien aufgehalten hat, können die Fotografien mit großer Sicherheit auf den Sommer 1888 datiert werden, als Piotrowski auf Einladung Ferdinands I. zur Ausstellung seiner Schlachtengemälde Sofia besuchte.70 Der ausschlaggebende Hinweis für die Datierung des Besuchs in Batak, mithin der Datierung der Fotos, ist die nach der Ausstellungseröffnung stattgefundene Bahnreise des Fürsten anlässlich der im Juni 1888 fertiggestellten Eisenbahnstrecke zwischen der serbisch-bulgarischen Grenze in Zaribrod, Sofia und Vakarel und der im Juli 1888 stattgefundenen feierlichen Eröffnung des letzten Abschnitts zwischen Vakarel und Belovo, oder – wie Piotrowski schreibt – „mit anderen Worten der Abschnitt, der zwischen Sofia und Philippopel fehlte“, die der Künstler auf Wunsch des Fürsten mit Leinwand und Farbe dokumentiert haben soll.71 In Plovdiv angekommen, übernachtete Piotrowski im selben Hotel eines gewissen Griechen namens Christopulo, in dem er schon bei seiner ersten Bulgarienreise 1885 mit Jan Grzegorzewski gewesen war und nun „von allen Einheimischen erkannt wurde“, um anschließend mit dem Fürsten und den Plovdiver Notabeln zu dinieren.72 Am Tag darauf will er schließlich das kleine Porträt des Fürsten Ferdinand I. gemalt, sich anschließend von diesem getrennt und allein die Reise nach Sofia angetreten haben, wo er die Schlachtengemälde verkaufte und zurück nach Krakau reiste.73 Zwar verliert Piotrowski auch in diesem Zusammenhang kein Wort über eine Reise nach Batak, doch scheint er eben zwischen seinem Aufenthalt in Plovdiv und der Rückkehr nach Sofia jenen kurzen Abstecher in das Dorf gemacht zu haben, den er aus einem Grund, der im Dunklen liegt, auf 1892 datiert. Es ist sehr wahrscheinlich, dass eben im Hotel des Griechen Christopulo der Kontakt zu dessen Landsmann, dem Fotografen Dimităr Cavra entstanden ist, dessen Atelier sich in der Grand Rue Chemin de Fer, vermutlich in der Nähe des vom Künstler bezogenen Hotels befand. Piotrowski und Cavra scheinen jedoch nicht allein die Reise nach dem nahegelegenen Batak angetreten zu haben, sondern in Begleitung einiger jener Notabeln, die beim fürstlichen Dinner zugegen gewesen waren. Eine im Historischen Museum 70 Dimităr G. Dimitrov hat am Rand seiner Übersetzung irrtümlicherweise das Jahr 1889 als das Ausstellungsjahr vermerkt. Siehe Piotrowski 1911, S. 68. 71 Piotrowski 1911, S. 73. Hinweise für die korrekte Datierung der Eröffnung der Bahnstrecke verdanke ich Stefan Dečev und Alexandăr Vezenkov. 72 Piotrowski 1911, S. 74. 73 Piotrowski 1911, S. 76.

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Batak ebenfalls als Reproduktion ausgestellte Fotografie hat den Tross der beiden fremden Bildermacher festgehalten, obschon sie, wie in der Ausstellung üblich, ohne Autor und Datierung lediglich den lapidaren Titel „Bataker Aufständische“ trägt (Abb. 120). Dass es sich bei den Fotografierten jedoch kaum um Aufständische handeln kann, die in jenem tragischen April 1876 vor erhabener Gebirgskulisse einen kurzen Fototermin in geordnetem Halbkreis wahrnehmen, wird nicht nur an dem gepflegten noblen Äußeren der in die Kamera blickenden Männer deutlich. Bei genauerem Hinsehen erkennt man auf dem weißen Pferd niemand anderes als Piotrowski selbst.74

Gebeininszenierungen Zurück zu der Fotografie mit den auf dem Kirchenboden verstreuten Gebeinen, die in Anbetracht der ziemlich sicheren Datierung die Frage aufwerfen, warum die strenggläubigen Bewohner von Batak die sterblichen Überreste ihrer Verwandten, Nachbarn und Bekannten mehr als zehn Jahre lang, zudem in einem derartigen Durcheinander, unbeerdigt ließen. Der Grund hierfür scheint jedoch nicht in der Pietätlosigkeit der Bataker Bauern zu liegen, sondern in der Vorstellungskraft Piotrowskis selbst, der für seine authentische Inszenierung auch authentische Requisiten aus dem Beinhaus der Kirche benutzt haben muss.75 Diese Vermutung wird ausgerechnet von einer Illustration des späteren Arbeitgebers von Piotrowski, dem The Graphic bestätigt, die das Innere der Bataker Kirche während eines Gedenkgottesdienstes im Winter 1877 zeigt (Abb. 121). Die Notiz unter dem eigentlichen Illustrationstitel erklärt, dass die dargestellten Bauern – mit Ausnahme der augenfällig fehl am Platz ein muslimisches Gebet vollziehenden Figur im mittleren Vordergrund – an jenen Stellen Kerzen anzünden, wo sie ein Jahr zuvor die Leichen ihrer Nächsten vorgefunden hatten. Auf dem Boden sind jedoch nirgends menschliche Skelette oder Schädel zu sehen. Ob sich Piotrowski bei seiner Vorgehensweise von jener aus dem Jahr 1858 stammenden Fotografie der Gebeine von indischen Aufständischen von Felice Beato inspirieren ließ, kann nicht mit Sicherheit behauptet werden. Doch erinnert diese von einem der ersten Kriegsfotografen in der Bildgeschichte im Hof des zerstörten Secundra Bagh-Palasts in Form einer Schädelstätte mit älteren menschlichen Gebeinen inszenierten Aufnahme (Taf. XIX) auffallend an die dreißig Jahre später in Batak 74 Die Identifizierung der Person auf dem Schimmel erfolgte anhand zweier fotografischer Porträts des Malers von Łukasz Dobrzański, Fotograf u. a. bei der polnischen Zeitschrift Tygodnik Illustrowany, wo die beiden Porträts in H. 50, 1901, S. 975, reproduziert worden sind. 75 Zur orthodoxen Kirche gehört traditionell ein Beinhaus, das auch einen rein praktischen Zweck erfüllt. Drei Jahre nach der Erdbestattung wurden die Gebeine der Verstorbenen aus dem Gemeindefriedhof in das Beinhaus überführt, um den fortwährenden Bedarf an Bestattungsplätzen zu gewährleisten. Zu diesem Ritual besonders in den Rhodopen siehe Hristo Popkonstantinov: Spomeni za strašnata prolet v Ahă-čelebi prez 1876 godina (Erinnerungen an den schrecklichen Frühling in Ahă-čelebi im Jahr 1876), Plovdiv 1884, S. 32.



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entstandene Fotografie. Die Parallelen sind vielfach und um so außerordentlicher, als der Name Secundra Bagh für eines der größten Massaker in der indischen Nationalgeschichte und für den Mythos vom indischen Aufstand 1857, dem Indian Mutiny, steht. Hartnäckig hält sich jedoch bis heute die These, Beato, der nachweislich erst im April 1858 im Auftrag des britischen War Office etwa sechzig Fotos von den Orten des indischen Aufstands anfertigte, habe den ‚authentischen‘ Zustand des Palastinneren nach den erbitterten Kämpfen zwischen der britischen Armee und den indischen Rebellen im November 1857 fotografisch dokumentiert. Schon Zeitgenossen wie der Augenzeuge und spätere Gouverneur von Bengalen, Sir George Campbell, machten auf die Inszenierung der Gebeine durch Beato aufmerksam. Campbell notierte in seinen Memoiren, dass der Fotograf für sein Bild ältere Gebeine arrangieren ließ: „There was a first-rate photographer in attendance taking all the scenes [...]. One very horrible one was the Shah Najaf. The great pile of bodies had been decently covered over before the photographer could take them, but he insisted on having them uncovered to be photographed before they were finally disposed of.“76 Wie Piotrowski ließ Beato auf dem ganzen Hof Menschenknochen verteilen und ein paar Einheimische an den Säulen im Hintergrund posieren. Bestätigt wird dieses Vorgehen nicht zuletzt durch eine unmittelbar vor Beatos Besuch in Lucknow entstandene anonyme Fotografie des Inneren des Secundra Bagh-Palasts, die anstelle von menschlichen Gebeinen aufgetürmte Trümmer zeigt.77 Astrid Erll, die die mediale Repräsentation des indischen Aufstandes eingehend untersucht und der Fotografie Beatos ein umfassendes Kapitel gewidmet hat, merkt ein „kleines“, jedoch entscheidendes Bilddetail an, das im gleichen Maße für die Fotografie von Cavra gilt – die den Betrachter anblickenden Schädel. „Beato hat die Skelette offensichtlich so arrangiert, dass die leeren Augenhöhlen der Totenköpfe den Betrachter des Fotos anstarren“, was besonders für das Skelett im rechten Bildvordergrund mit direkt auf den Betrachter gerichteten Blick gelte.78 Auch die von Piotrowski auf dem Boden verteilten Schädel blicken allesamt aus dem Bild, ein Verfahren, das Erll in der englischen Tradition von Totentanzdarstellungen identifiziert und das „den Betrachter in den Reigen von Lebenden und Toten mit einbezieht.“79 In Beatos Aufnahme komme Erll zufolge auch der Perspektive eine sinnstiftende Bedeutung zu, die in Cavras Bild verblüffend ähnlich ist. Beato fotografierte den In-

76 George Campbell: Memoirs of my Indian Career, 2. Bde., London 1893, Bd. 2, S. 4. Campbell verwechselte den Namen Shah Najaf mit Secundra Bagh. Siehe dazu John Fraser: Beato’s Photograph of the Interior of the Sikandar-Bagh at Lucknow, in: Journal of the Society for Army Historical Research 59, H. 237, 1981, S. 51–55, hier S. 55, Anm. 28. 77 Astrid Erll: Prämediation – Remediation. Repräsentationen des indischen Aufstands in imperialen und post-kolonialen Medienkulturen (von 1857 bis zur Gegenwart) (= ELCH Studies in English Literary and Culture History 23), Trier 2007, S. 90, bezieht sich auf einen Artikel von Zahid Chaudhary von 2005. 78 Ebenda, S. 103. 79 Ebenda.

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nenhof wie Cavra das Innere der Kirche aus der Untersicht,80 sodass der Boden und die darauf verteilten Gebeine sich umso deutlicher dem Auge darbieten. Der Unterschied in der Distanz zwischen Kamera und aufgenommenem Objekt und damit auch in den Größenverhältnissen ist bei beiden Fotografien zwar erheblich, musste Cavra doch in dem gerade einmal zehn Meter langen Kirchenschiff aus kürzestem Abstand seine Aufnahme machen, während Beato das weitläufige Gelände optimal ausgenutzt zu haben scheint. Die strukturelle Verwandtschaft beider Bilder ist dennoch mehr als offensichtlich. Ob die sinnstiftende Perspektivierung ‚von unten‘ als Stilmittel des Pittoresken, wie Erll zu Beatos Fotografie ausführt,81 im gleichen Maße für Cavras Aufnahme gilt, bleibt fragwürdig. Der Plovdiver Fotograf dürfte jene in der Untersicht dargestellten nordenglischen Ruinen des beginnenden 19. Jahrhunderts kaum gekannt haben, an welchen Beatos Blick geschult gewesen sein dürfte,82 um das Pittoreske als „Modus der Temporalisierung – um eine Darstellungsweise, die Zeiterfahrung, und insbesondere natürliche Prozesse des Verfalls, vor Augen“83 zu führen. Von diesen Differenzen abgesehen, haben beide Fotografien eine sehr ähnliche Funktion im jeweiligen historischen Diskurs erfüllt. Wie Beatos ‚authentisch‘ inszenierte Fotografie die kollektive Vorstellung vom indischen Aufstand in Lucknow 1857 prägte, hat auch Piotrowskis Gebeininszenierung die lokale Erinnerung der Bataker (re-)aktiviert, indem er sie einzig und allein auf das Massaker fokussierte. Zugleich sollte er diese Erinnerung aber auch in eine ganz bestimmte Richtung lenken. Anstatt das schmerzhafte Trauma vom gewaltsamen Verlust von etwa 1.700 Mitmenschen zu verdrängen,84 gedachten die Bataker Bauern von nun an ihrer Opfer durch die ostentative Zurschaustellung ihrer Überreste. Welchen Eindruck die zu Tage geförderten, angeblich von Massakrierten stammenden sterblichen Überreste in der 80 Ebenda, S. 106. 81 Ebenda. 82 Ebenda. 83 Ebenda, S. 107. 84 Die von mir ermittelten Opferzahlen beruhen im wesentlichen auf den Angaben des amerikanischen Missionars James Clarke (1.900 Opfer) sowie des bulgarischen Historikers Dimităr Strašimirov (1.750 Opfer) im Vergleich mit der von Dimităr G. Gadžanov publizierten Zahl von 3.489 Einwohnern unmittelbar vor dem Massaker. Vgl. dazu Dimităr Strašimirov: Istorija na Aprilskoto văzstanie (Geschichte des April-Aufstandes), 3. Bde., Plovdiv 1907, Bd. 3, S. 419–443; Dimităr G. Gadžanov: Turski iztočnici za novata ni istorija (Türkische Quellen zu unserer neuen Geschichte), in: Sbornik na BAN 3, 1914, S. 37. Die von Strašimirov publizierte Liste der Opfer mit Namen- und Altersangabe diente 1976 zwar als Vorlage für das Sgraffito-Paneau mit den Namen und dem Alter aller Toten, das den Kern der ständigen Exposition des Historischen Museums in Batak bildet, doch wird die von ihm ermittelte Opferzahl, da zu „niedrig“, von der Historiografie als irrtümlich abgelehnt. Siehe ebenfalls Clarke 1988, S. 421–442. Heute befindet sich das von der bulgarischen Forschung bislang unbeachtete Manuskript des Missionars in der Houghton Library, Harvard University, American Board Papers, ABC 16.9, vol. 5, no. 36. Im Jahr 2011 wurden die Opfer des Massakers von Batak anlässlich des bulgarischen Nationaltages, dem 3. März, von der bulgarischen orthodoxen Kirche selig gesprochen und zu Neumärtyrern kanonisiert. Siehe etwa Nikolaj Moskov: Bataškite măčenici sa bălgarskata mesija (Die Märtyrer von Batak sind der bulgarische Messias), in: 24 časa, 2. März 2011 (www.24chasa. bg/Article.asp?Articleld=802969, zuletzt besucht 1. Apirl 2011). Nach wie vor bleibt jedoch unklar, wieviele Neumärtyrer von nun an verehrt werden sollen.



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Kirche bei den Bataker Einwohnern hinterlassen haben, zeigen die Postkartenmotive. Der einzige Unterschied zwischen den Postkarten und der Fotografie von Piotrowoski und Cavra besteht in der artifiziellen Symbolik und der akkuraten Anordnung der Gebeine in den Postkarten, welche von dem Künstler zuvor so ‚echt‘ auf dem Boden verteilt worden waren. Doch Piotrowski forderte auch eine Reaktion heraus. Mit seinem Besuch in Batak hatte er eine empfindliche Stelle im gerade geführten nationalen Diskurs getroffen. In dieser Reaktion wurde vor allem aus den Kreisen der politischen Unternehmer sowie aus dem Lager der national gesinnten Intelligenz in Form von Büchern, Chroniken, Essays etc. ein Geschichtsereignis konstruiert, das bis zu diesem Zeitpunkt nicht so recht in das zu konstruierende Nationalgedächtnis zu passen schien. Nur so lässt es sich erklären, warum der letzte Teil der Aufzeichnungen sowohl stilistisch als auch thematisch aus dem Gesamtkonzept des Werks herausfällt, mithin warum der bis dahin allein an bulgarischem Heldentum interessierte Stojanov seine Aufmerksamkeit der „unheroischen“ Vergangenheit Bataks zuwendet.85 Dieser Band, der unverkennbar ultranationalistische Töne anschlägt und damit Batak ein bis heute gültiges Denkmal setzte, ist nur in dem skizzierten Kontext zu verstehen. Er muss als direkte Antwort auf Piotrowskis Bild und dessen Entstehungsgeschichte verfasst worden sein, mit der sich Stojanov gegen die ‚fremde‘ und im besonderen Maße gegen die von der illustrierten Presse konstruierte Vorstellung von den Bulgaren als friedliches, ja hilfloses Volk wehrt, das seine Niederlage ohne jegliche Gegenwehr hinnimmt. Indem Stojanov Batak neben jene „drei oder vier Dörfer“ reiht, in denen laut MacGahan tatsächlich ein schwacher Versuch zur Rebellion gegen die offizielle Regierung stattgefunden haben soll, erweitert der Autor nicht nur das Territorium der heldenhaften Nationaltopografie als Nachweis für die Version eines Massenaufstandes der bulgarischen Nation, sondern legitimiert zum wiederholten Mal seine politische Stellung. Die Gründe für das Verfassen der Augenzeugenchronik von Bojčo, alias Angel P. Goranov, sind ähnlich. Wie unbequem der Besuch von Piotrowski in Batak für den Gouverneur von Pazardžik gewesen sein muss, wird nicht nur am Pseudonym des Autors deutlich, sondern auch an der Tatsache, dass der Sohn sich zum Augenzeugen erklärte und den Vater von einem der Hauptflüchtlinge in einen Haupthelden verwandelte. Viele ähnliche Beispiele dieser thematisch-temporären Koinzidenz ließen sich noch anführen, wobei das früheste aus dem Jahr 1891 stammt – das Theaterstück von Atanas Šopov Das Massaker von Batak,86 doch bemerkens-

85 Zurecht weist Vezenkov 2009, S. 181–182, in seiner Kritik an dieser These darauf hin, dass Stojanov bereits im Vorwort der Aufzeichnungen dem Leser verspricht, den Ereignissen in Batak ein umfassendes Kapitel zu widmen, doch muss offen bleiben, welche Form seine Erzählung angenommen hätte, wäre die Begegnung mit Piotrowski nicht passiert. 86 Atanas Šopov: Bataško-to klanje. Tragedija v 4 dejstvija (Das Massaker von Batak. Tragödie in 4 Akten), Plovdiv 1891. Es ist sehr wahrscheinlich, dass sich hinter dem Autorennamen erneut Angel P. Goranov verbirgt. Siehe dazu Martina Baleva: Hiatusăt Batak (Der Hiatus Batak), in: Kultura 29, 8. September 2006, S. 6.

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Antoni Piotrowski und das Massaker von Batak

wert bleibt, dass sie alle unmittelbar aus der Zeit nach dem Besuch von Piotrowski 1888 in Batak stammen. Zugespitzt formuliert begann mit dem Besuch eines ‚Fremden‘ in Batak ein regelrechter Kampf um das Dorf, in dem es darum ging, wer die Deutungshoheit über seine Historie gewinnt und ein Kampf um die Vorstellungen in den Köpfen. Dass es dabei weniger um eine objektiv geführte Diskussion als vielmehr um eigene Interessen ging, muss nicht eigens betont werden. Und auch Piotrowski scheint die Gelegenheit für die eigenen Interessen genutzt zu haben, um sich nach dem Vorbild Eugène Delacroix‘ einen Namen zu machen, indem er die bulgarische Fassung des griechischen Geschichtsmythos vom Massaker auf Chios verbildlichte. Hätte der Künstler zum Beispiel Pazardžik (nicht zu verwechseln mit der gleichnamigen Stadt Tatar Pazardžik) besucht, jenes heute in Vergessenheit geratene Dorf, dessen Schicksal MacGahan als erstes in blutigen Farben schilderte, wäre höchstwahrscheinlich ein anderes Synonym für Massaker in das moderne Bulgarisch eingegangen. Offiziell wurde der Kampf um Batak jedoch von Stojanov und seinen Anhängern gewonnen. Als Piotrowski seine Erinnerungen 1911 niederschrieb, war Stojanov bereits in das Pantheon der nationalen Helden Bulgariens aufgenommen – und seine Aufzeichnungen galten schon längst als authentischer Bericht über die bulgarischen Aufstände, woran offensichtlich auch Piotrowski keine Zweifel mehr hegte. MacGahan wurde bezeichnenderweise erst hundert Jahre später rehabilitiert, als man ihm in Batak ein bescheidenes Denkmal errichtete. Warum also bezieht sich Piotrowski in seiner Autobiografie auf Stojanov und nicht auf MacGahan? Oder formulieren wir es anders: Warum sich neben einem Verlierer verewigen, wenn es auch neben einem Gewinner geht? Dass aber die Erwähnung des ‚Gewinners‘ Stojanov anstelle des ‚Verlierers‘ MacGahan in der Autobiografie Piotrowskis der Popularisierung seines Gemäldes wenig dienlich war, zeigt der Umstand, dass man um 1913 das Gemälde im Museumsdepot verschwinden ließ. Diesmal hatte es eine andere empfindliche Stelle im gerade geführten nationalen Diskurs berührt – das Problem der ethnischen Zugehörigkeit der pomakischen Bevölkerung, das bis in die späten 1980er Jahre andauern sollte.87 In dem kleinen Apsisraum der Kirche von Batak befindet sich heute – außer der Fotografie der Gebeininszenierung von Piotrowski und Cavra – ein schlichter Sarkofag aus Kupfer auf einem Sockel aus Sandstein (Abb. 122). Der Deckel lässt einen kleinen Spalt offen, durch den man ins Innere des Sarkofags hineinschauen kann. In der verspiegelten Sarkofagwanne liegt unter einem Glasdeckel eine große Anzahl von Schädeln, hier und da mit anderen Skelettteilen durchmischt. Im Kampf um das kollektive Gedächtnis hat Piotrowski also doch einen kleinen ‚Triumph‘ erringen kön-

87 Zum Problem, dass „es für die Zeitgenossen im 19. Jahrhundert selbstverständlich gewesen war, dass Muslime/Pomaken am Massaker an Bulgaren/Christen teilgenommen haben“, während sich „dies im 20. Jahrhundert als schwer aufzulösendes Paradox – Bulgaren hätten Bulgaren niedergemetzelt“ – erwies, siehe Alexandăr Vezenkov: Die neue Debatte über das Massaker von Batak. Historiografische Aspekte, in: Baleva/Brunnbauer 2007, S. 117–124, hier S. 120.



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nen – zumindest in der Kirche von Batak –, wenn auch bislang nicht unmittelbar mit seinem Namen verbunden. Die sich neben dem Sarkophag befindende Fotografie ist immer noch sein stiller Zeuge.88

A us bl i c k od er d i e Kon ve rtie rba rk e it de r Bi l d bot sc ha ft „Im Süden wird auch für unsere Freiheit gekämpft!“89

Die exemplarisch behandelten Künstler und ihre Werke für eine lange Reihe unbesprochen gebliebener haben die Balkannationen in ihrer kollektiven Selbstwahrnehmung als unschuldige Opfer willkürlicher muslimischer Barbarei zweifelsohne beeinflusst. Doch waren bzw. sind die Nationen der Griechen, Serben oder Bulgaren der tatsächliche Gegenstand dieser Werke? Wenn sich in den nationalen Kunsthistoriografien des Balkans überhaupt eine Antwort auf diese Frage findet, so wird stets mit dem diffusen Verweis auf die Bewegung des Philhellenismus im Falle der Griechen oder des Panslawismus im Hinblick auf den südslawischen Balkan argumentiert. Letzterer Ismus wurde seit den 1950er Jahren verdächtig oft in das kunsthistorische Feld geführt, als handele es sich bei der betreffenden Kunstströmung um eine quasi geschlossene Ideologie. Die spätestens hier durchscheinende Rückprojektion Warschauer-Pakt-Rhetorik auf die Geschichte der Nationalisierung der Kunst auf dem Balkan macht nicht nur skeptisch. Auch führt es kaum zu einem differenzierten historischen Verständnis, wenn individuelles Schöpfertum bisweilen vereinfachend einem der in Frage kommenden Ismen zugeordnet wird. Einen wichtigen Hinweis für die Beantwortung der Frage findet sich wie so häufig in den Bildern selbst. In ihrer Studie zum griechischen Unabhängigkeitskampf in der französischen Kunst zeigte die amerikanische Kunsthistorikerin griechischer Herkunft Nina Athanassoglou eindrücklich eine ikonografische Kontinuität auf, die sich für die Beantwortung der Frage nach den Gründen für das zuweilen obsessive Interesse „fremder“ Künstler für die Völker des Balkans als durchaus fruchtbar erweisen könnte. Anhand der akribischen Rekonstruktion der Bildgenese des für die Franzosen wohl bedeutendsten Nationalbildes „Die Freiheit führt das Volk“ (Abb. 123) von Eugène Delacroix konnte Athanassoglou nachweisen, dass die Allegorie „Das sterbende Griechenland auf den Trümmern von Messolunghi“ (Abb. 98) prototypisch für die 88 Inzwischen gehört der Name Piotrowski neben diesem von Batak zu den populärsten im bulgarischen Kollektivbewusstsein, was allen voran den visuellen Massenmedien zu verdanken ist. Siehe Baleva 2008 als einen ersten Versuch eines Überblicks zur Medienberichterstattung über das Projekt „Batak als bulgarischer Erinnerungsort“ sowie den anschließenden Kommentar von Horst Bredekamp: Das Bild des bulgarischen Staatskörpers als Organ der Gewalt, in: Kritische Berichte 36, H. 2, 2008, S. 31–35. 89 Růžena Havránková: Die tschechischen Demokraten und die Befreiungsbewegungen der Balkanvölker im 19. Jahrhundert, in: Choliolčev/Mack/Supan, S. 258–262, hier S. 259.



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nen – zumindest in der Kirche von Batak –, wenn auch bislang nicht unmittelbar mit seinem Namen verbunden. Die sich neben dem Sarkophag befindende Fotografie ist immer noch sein stiller Zeuge.88

A us bl i c k od er d i e Kon ve rtie rba rk e it de r Bi l d bot sc ha ft „Im Süden wird auch für unsere Freiheit gekämpft!“89

Die exemplarisch behandelten Künstler und ihre Werke für eine lange Reihe unbesprochen gebliebener haben die Balkannationen in ihrer kollektiven Selbstwahrnehmung als unschuldige Opfer willkürlicher muslimischer Barbarei zweifelsohne beeinflusst. Doch waren bzw. sind die Nationen der Griechen, Serben oder Bulgaren der tatsächliche Gegenstand dieser Werke? Wenn sich in den nationalen Kunsthistoriografien des Balkans überhaupt eine Antwort auf diese Frage findet, so wird stets mit dem diffusen Verweis auf die Bewegung des Philhellenismus im Falle der Griechen oder des Panslawismus im Hinblick auf den südslawischen Balkan argumentiert. Letzterer Ismus wurde seit den 1950er Jahren verdächtig oft in das kunsthistorische Feld geführt, als handele es sich bei der betreffenden Kunstströmung um eine quasi geschlossene Ideologie. Die spätestens hier durchscheinende Rückprojektion Warschauer-Pakt-Rhetorik auf die Geschichte der Nationalisierung der Kunst auf dem Balkan macht nicht nur skeptisch. Auch führt es kaum zu einem differenzierten historischen Verständnis, wenn individuelles Schöpfertum bisweilen vereinfachend einem der in Frage kommenden Ismen zugeordnet wird. Einen wichtigen Hinweis für die Beantwortung der Frage findet sich wie so häufig in den Bildern selbst. In ihrer Studie zum griechischen Unabhängigkeitskampf in der französischen Kunst zeigte die amerikanische Kunsthistorikerin griechischer Herkunft Nina Athanassoglou eindrücklich eine ikonografische Kontinuität auf, die sich für die Beantwortung der Frage nach den Gründen für das zuweilen obsessive Interesse „fremder“ Künstler für die Völker des Balkans als durchaus fruchtbar erweisen könnte. Anhand der akribischen Rekonstruktion der Bildgenese des für die Franzosen wohl bedeutendsten Nationalbildes „Die Freiheit führt das Volk“ (Abb. 123) von Eugène Delacroix konnte Athanassoglou nachweisen, dass die Allegorie „Das sterbende Griechenland auf den Trümmern von Messolunghi“ (Abb. 98) prototypisch für die 88 Inzwischen gehört der Name Piotrowski neben diesem von Batak zu den populärsten im bulgarischen Kollektivbewusstsein, was allen voran den visuellen Massenmedien zu verdanken ist. Siehe Baleva 2008 als einen ersten Versuch eines Überblicks zur Medienberichterstattung über das Projekt „Batak als bulgarischer Erinnerungsort“ sowie den anschließenden Kommentar von Horst Bredekamp: Das Bild des bulgarischen Staatskörpers als Organ der Gewalt, in: Kritische Berichte 36, H. 2, 2008, S. 31–35. 89 Růžena Havránková: Die tschechischen Demokraten und die Befreiungsbewegungen der Balkanvölker im 19. Jahrhundert, in: Choliolčev/Mack/Supan, S. 258–262, hier S. 259.

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drei Jahre später entstandene nationale Freiheitsallegorie der Franzosen gewesen ist.90 Ohne hier näher auf die Details der Bildanalyse einzugehen, mag diese Erkenntnis auf den ersten Blick lediglich ästhetische Gesichtspunkte betreffen. Betrachtet man jedoch etwas genauer die Entstehungskontexte beider Gemälde, so lassen diese mehr als nur ästhetische Rückschlüsse zu. Die Allegorie Griechenlands entstand in den Hochzeiten der reaktionären Politik Karls X., in die Geschichte unter dem Begriff „Terreur Blanche“ als repressiver Höhepunkt der französischen Restauration eingegangen. Ihr Ziel der Wiederherstellung der absolutistischen Ordnung vor der Revolution 1789 mündete in blutige Vergeltungsaktionen gegen Anhänger der Revolution, einschneidende Einschränkungen liberaler Meinungsäußerung und eine allumfassende Medienzensur. Die französische Allegorie ist jenen revolutionären Tagen im Juli 1830 gewidmet, die das Ende der Restauration herbeigeführt haben. Sie wurde im ersten Salon der Juli-Monarchie ausgestellt, deren König, der Herzog von Orléans und Förderer von Delacroix, Louis Philippe, die führende Figur der liberalen Opposition während der Restaurationszeit gewesen war.91 Führt man sich mithin vor Augen, dass die liberale Ideologie und die anti-akademische Bewegung in Frankreich – wie Athanassoglou deutlich macht – sich ausgerechnet um den griechischen Unabhängigkeitskampf kristallisierten, der als Kampf gegen die osmanische Herrschaft in Analogie zur französischen Revolution gegen das Ancien Régime gesehen wurde, so wird offensichtlich, welche Rolle der nationalgriechische Diskurs für die französischen Liberalen gespielt hat.92 Athanassoglou spricht diesbezüglich treffend vom schützenden „Schirm“ der griechischen Nationalbewegung, auf welche die Restaurationsgegner wie Delacroix ihre Parteinahme für die Ideale von 1789 projizierten. Gleichzeitig boten die Unruhen in Griechenland eine adäquate Metapher für den Kampf der romantischen Bewegung gegen den repressiven akademischen Klassizismus.93 Anders formuliert, waren regimekritische Bekundungen und Bekenntnisse zur bürgerlichen Revolution in Frankreich, gerade und vor allem in Form von Bildern nur über den subversiven Umweg „Balkan“ denkbar. Nach der Julirevolution von 1830, deren emblematische Fassung in der Freiheitsallegorie von Delacroix ihre höchste ästhetische Dichte erfahren hat, werden kaum noch Bilder mit griechischer Thematik entstehen. Vor diesem historischen Hintergrund erscheint die französische Obsession für Griechenland in etwas anderem Licht. All jene Gemälde zum nationalen Martyrium Griechenlands stammen von Künstlern der um 1789 geborenen Generation. Und 90 Athanassoglou-Kallmyer 1997, stützt ihre These auf die Untersuchung von Hélène Toussaint: „La liberté guidant le peuple“ de Delacroix, Paris 1982, S. 7 ff., die den Ursprung beider Bilder auf eine Serie von Zeichnungen von 1821 und 1822 zurückführt, welche den griechischen Aufstand zum Thema haben. Diese gemeinsame Quelle verdeutliche nach Athanassoglou den formalen und inhaltlichen Zusammenhang beider Bilder, wobei die „Freiheit“ als Erweiterung von „Griechenland“ zu verstehen sei, denn beide stünden für die Freiheit der beiden Völker. 91 Athanassoglou-Kallmyer 1997, S. 262. 92 Ebenda. 93 Ebenda.



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diese verwendete das Motiv weniger für die Allegorisierung der griechischen als vielmehr der eigenen französischen Verhältnisse. Das auf Griechenland als Opfer projizierte Thema lässt sich als Ausdruck des eigenen Leidens am Scheitern der französischen Revolution, mithin als symbolische Form des eigenen nationalen Martyriums interpretieren. Für die (ost-)mitteleuropäischen Breitengrade kann das skizzierte Erklärungsmodell genauso brauchbar sein. Die Generation der (ost-)mitteleuropäischen Künstler, die sich um die Nationalisierung der Kunst des slawischen Balkans verdient gemacht haben, ist um oder nach den Revolutionen von 1848 geboren. Und der Pole Antoni Piotrowski ist ein Jahrzehnt vor dem blutig niedergeschlagenen Aufstand der Polen 1863 geboren worden. Zwar wurden die revolutionären Erhebungen von unterschiedlichen sozialen Gruppen getragen, die um viele verschiedene Belange gekämpft haben, doch waren die 1848er für die Völker der Habsburger Monarchie auch weitgehend national konnotiert.94 Ihr Scheitern hatte Konsequenzen, die dem „weißen Terror“ der 1820er Jahre in Frankreich in nichts nachstanden. Ein Ausdruck der Verfolgung von Revolutionsanhängern war etwa die zu Hunderten erfolgte Emigration in kein anderes Land als das von ihren gleichgesinnten Künstler-Genossen zum Mekka der Barbaren stigmatisierte Osmanische Reich. In Erinnerung gerufen sei die tschechische Emigration nach dem Prager Pfingstaufstand 1848 sowie die polnische „Große Emigration“ (Wielka emigracja) nach dem Januaraufstand 1863. Die ungarische, sogenannte Kossuth-Emigration erhielt ihren Namen vom ungarischen Freiheitskämpfer von 1848 und Nationalhelden Lajos Kossuth, der die ersten Jahre seiner Exilzeit ausgerechnet in Şumla (heute Šumen in Bulgarien), einer der strategisch wichtigsten Festungsstädte der Osmanen verbrachte, wo er gemeinsam mit anderen ungarischen Emigranten von 1849 bis 1850 die Zeitschrift Der Emigrant herausgab.95 Und bei den „tschechischen Parisern“ handelte es sich um jene Exil-Künstler, die sich nach den Kämpfen des Jahres 1848 für die Pariser Emigration entschieden hatten. Unter den tschechischen Parisern der ersten Welle war der damals noch weitgehend unbekannte Jaroslav Čermák.96 Dazu schreibt die tschechische Historikerin Růžena Havránková, dass das starke Interesse der tschechischen Nationalbewegung am „Schicksal der Südslawen die Enttäuschung über die eigenen politischen Mißerfolge [...] kompensieren“ sollte.97 Das Ausmaß der politischen Repressionen gegenüber den national aufbegehrenden Völkern des Habsburger Reichs äußerte sich genauso offenkundig in der Pressezensur. Dass man diese durch das Motiv des nationalen Martyriums der Balkannationen sehr erfolgreich umgehen konnte, lässt sich an den illustrierten Zeitungen 94 Siehe dazu 1848/49. Revolutionen in Ostmitteleuropa, hrsg. v. Rudolf Jaworski und Robert Luft, München 1996. 95 Zur Biografie und historischen Bedeutung Lajos Kossuths siehe etwa Holger Fischer: Lajos Kossuth (1802–1894). Wirken, Rezeption, Kult, Hamburg 2007. 96 Diesem Künstlerkreis widmete die Prager Galerie Rudolfinum die von Marie Mžyková kuratierte Ausstellung „Křídla slávy“ („Die Flügel des Ruhmes“ 2000/2001). 97 Havránková 1992, S. 259.

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wie der tschechischsprachigen Světozor deutlich ablesen. Während die Mehrheit der Illustrationen, die genuin tschechische Themen zum Inhalt haben, fast ausschließlich bedeutungsneutrale Stadtansichten darstellt, wurden die balkanischen Gräuelbilder von Jaroslav Čermák, Ferdo Kikerec, Franz Zverina, Felix Kanitz, Ivan Mrkvička und anderen mehr mit geradezu programmatischer Nachdrücklichkeit publiziert. Diese Beobachtung lässt den Schluss zu, dass auch die Darstellungen der Balkannationen (ost-)mitteleuropäischer Provenienz nicht allein ein genuiner Ausdruck des altruistischen Künstlerinteresses für die balkanischen Völker sind. Vielmehr können diese als allegorische Bilder des Scheiterns der eigenen nationalen Belange, gleichsam als subversive Chiffren der Kritik an den gesellschaftspolitischen Verhältnissen im eigenen Land gelesen werden. Diese dritte Art einer Konvertierbarkeit der Bilder mit Balkansujets kann als die subversive Bildkodierung bezeichnet werden, welche als eigentliche Bildbotschaft zu betrachten ist. Zugespitzt formuliert, scheint das Motiv des ‚fremden‘, balkanischen Martyriums der selbstreferentiellen Ebene der Bildbotschaft vorangestellt zu sein, um dem eigenen nationalen Anliegen einen umso augenfälligeren Nachdruck zu verleihen. Der Kreis ließe sich dereinst schließen, wenn in der Umkehrung von der Erfindung der west- und (ost-)mitteleuropäischen Nationen in der Kunst des Balkans die Rede ist.

L i t erat u r

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Literatur

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Popkonstantinov 1884: Hristo Popkonstantinov: Spomeni za strašnata prolet v Ahă-čelebi prez 1876 godina (Erinnerungen an den schrecklichen Frühling in Ahă-čelebi im Jahr 1876), Plovdiv 1884 Popov 1956: Ivan Popov: Minaloto na bălgarskija teatăr. Spomeni i dokumenti (Die Geschichte des bulgarischen Theaters. Erinnerungen und Dokumente), 4 Bde., Sofia 1956 Protič 1929: Andrej Protič: Denacionalizirane i văzraždane na bălgarskoto izkustvo prez turskoto robstvo ot 1393 do 1879 god. (Denationalisierung und Wiedergeburt der bulgarischen Kunst unter dem türkischen Joch von 1393 bis 1879), Sofia 1929 Protič 1907: Andrej Protič: Izkustvoto v Bălgarija (Die Kunst in Bulgarien), in: Učilišten pregled 12, 1907, S. 884–914 Rajčevski 2004: Georgi Rajčevski: Plovdivska enciklopedija (Enzyklopädie der Stadt Plovdiv), Plovdiv 2004 Rajnov 1955: Nikolaj Rajnov: Nikolaj Pavlovič, Sofia 1955 Rajnov 1924: Nikolaj Rajnov: Grafikata na Nikolaj Pavlovič (Die Grafik Nikolaj Pavlovič’), in: Godišnik na narodnata biblioteka v Plovdiv 1922, Sofia 1924 Rautmann 1997: Peter Rautmann: Eugène Delacroix, München 1997 Reid 2000: James J. Reid: Crisis of the Ottoman Empire. Prelude to Collapse 1839–1878 (= Quellen und Studien zur Geschichte des östlichen Europas 57), Stuttgart 2000 Reiter 1983: Nationalbewegungen auf dem Balkan (= Balkanologische Veröffentlichungen 5), hrsg. v. Norbert Reiter, Berlin 1983 Renan 1947–1958: Œuvres complètes de Ernest Renan, hrsg. v. Henriette Psichari, 8 Bde., Paris 1947–1958 Requate/Wessel 2002: Europäische Öffentlichkeit. Transnationale Kommunikation seit dem 18. Jahrhundert, hrsg. v. Jörg Requate und Martin Schulze Wessel, Frankfurt a. M. u. a. 2002 Roeck 2004: Bernd Roeck: Das historische Auge. Kunstwerke als Zeugen ihrer Zeit von der Renaissance zur Revolution, Göttingen 2004 Roth 2009: Klaus Roth: „... Wenn unvorsichtige Hände unsere Heiligtümer anfassen“ – Vom Umgang mit historischen Mythen in Bulgarien, in: Südosteuropa-Mitteilungen 6, 2009, S. 16–30 Scheffler 2002: Thomas Scheffler: „Wenn hinten weit in der Türkei die Völker aufeinander schlagen ...“. Zum Funktionswandel „orientalischer“ Gewalt in europäischen Öffentlichkeiten des 19. und 20. Jahrhunderts, in: Requate/Wessel 2002, S. 205–230 Scheffler 1995: Thomas Scheffler: Ethnoradikalismus. Zum Verhältnis von Ethnopolitik und Gewalt, in: Minderheiten als Konfliktpotential in Ostmittel- und Südosteuropa, hrsg. v. Gerhard Seewann, München 1995, S. 9–47 Scheffler 1991: Thomas Scheffler: Ethnizität, symbolische Gewalt und internationaler Terrorismus im Vorderen Orient, in: Ethnizität und Gewalt, hrsg. v. Thomas Scheffler, Hamburg 1991, S. 221–250 Schem 1878: Alexander Jacob Schem: The War in the East. An Illustrated History of the Conflict between Russia and Turkey, with a Review of the Eastern Question, New York 1878 Schick 2007: İrvin Cemil Schick: Christian Maidens, Turkish Ravishers: The Sexualization of National Conflict in the Late Ottoman Period, in: Women in the Ottoman Balkans. Gender, Culture and History, hrsg. v. Amila Buturović und İrvin Cemil Schick, London u. a. 2007, S. 273–305 Schieder 1966: Theodor Schieder: Typologie und Erscheinungsformen des Nationalstaats in Europa, in: Historische Zeitschrift 202, H. 1, 1966, S. 58–81 Schneider 1977: Marijana Schneider: Hrvatski slikar Ferdo Quiquerez u Cernoj Gori i Hercegovini 1875. i 1876. godine (Der kroatische Maler Ferdo Quiquerez in Montenegro und der Herzegowina 1875 und 1876), Sarajevo 1977

206

Literatur

Schweigger 1608: Salomon Schweigger: Eine newe Reiss Beschreibung auss Teutschland nach Constantinopel und Jerusalem, Nürnberg 1608 Shenfield 1999: Stephen D. Shenfield: The Circassians. A Forgotten Genocide?, in: The Massacre in History, hrsg. v. Mark Levene und Penny Roberts, New York u. a. 1999 Simon 1997: Robert Simon: Géricault und die Faits Divers, in: Germer/Zimmermann 1997, S. 192207 Simpson 1855/1856: William Simpson: The Seat of War in the East, 2 Bde., London 1855/1856 Šišmanov 1943: Ivan Šišmanov: Ot Paisija do Rakovski: statii po bălgarskoto văzraždane (Von Paisij bis Rakovski. Aufsätze zur bulgarischen Wiedergeburt), hrsg. v. Mihail Arnaudov, Sofia 1943 Šopov 1891: Atanas Šopov: Bataško-to klanje. Tragedija v 4 dejstvija (Das Massaker von Batak. Tragödie in 4 Akten), Plovdiv 1891 Soukupová 1981: Vera Soukupová: Jaroslav Čermák, Prag 1981 Spasov 1966: Pavel Spasov: Zaharij Zograf, Sofia 1966 Springborn 1983: Radina Springborn: Die bulgarische Nationalbewegung, in: Reiter 1983, S. 281– 352 Stiewe 1933: Willy Stiewe: Das Bild als Nachricht. Nachrichtenwert und -technik des Bildes. Ein Beitrag zur Zeitungskunde (= Zeitung und Zeit 5), Berlin 1933 Stojanov 1933: Zaharij Stojanov: Zapiski po bălgarskite văstanija (Aufzeichnungen zu den bulgarischen Aufständen [ursprünglich 3 Bde., Plovdiv 1884, Russe 1887, Sofia 1892]), Sofia o. J. [1933?] Stokes 1984: Gale Stokes: Nationalism in the Balkans. An Annotated Bibliography, New York u. a. 1984 Strašimirov 1907: Dimităr Strašimirov: Istorija na Aprilskoto văzstanie (Geschichte des April-Aufstandes), 3. Bde., Plovdiv 1907 Sundhaussen 1998: Holm Sundhaussen: Osteuropa, Südosteuropa, Balkan: Überlegungen zur Konstruktion historischer Raumbegriffe, in: Was ist Osteuropa?, hrsg. v. Holm Sundhaussen, Berlin 1998, S. 4–22 Szwat-Gyłybowa 2011: Grażyna Szwat-Gyłybowa: Batak – Erinnerungsort im bulgarischen kollektiven Bewusstsein, in: Südosteuropa-Mitteilungen 1, 2011, S. 36–49 Timm 1988: Buchillustration im 19. Jahrhundert (= Wolfenbütteler Schriften zur Geschichte des Buchwesens 15), hrsg. v. Regine Timm, Wiesbaden 1988 Todev 1995: Istorija na Batak 2005: Istorija na Batak (Die Geschichte Bataks), hrsg. v. Ilija Todev, o. O. [Batak] 1995 Todorova 2009: Maria Todorova: Bones of Contention. The Living Archive of Vasil Levski and the Making of Bulgaria’s National Hero, Budapest 2009 Todorova 2004: Maria Todorova: Balkani – Balkanizăm (Balkan – Balkanismus), zweite überarbeitete und erweiterte Ausgabe (= Universitetska biblioteka 428), Sofia 2004 Todorova 2003: Maria Todorova: Die Kategorie Zeit in der Geschichtsschreibung über das östliche Europa (= Oskar-Halecki-Vorlesung 2003), Leipzig 2003 Tovariščestvo peredvižnyh hudožestvennyh vystavok. Pisma i dokumenty. 1869–1899 (Gesellschaft der künstlerischen Wanderausstellungen. Briefe und Dokumente. 1869–1899), 2 Bde., Moskau 1987 Troebst 2007: Stefan Troebst: „Budapest“ oder „Batak“? Varietäten südosteuropäischer Erinnerungskulturen. Eine Einführung, in: Zwischen Amnesie und Nostalgie. Die Erinnerung an den Kommunismus in Südosteuropa, hrsg. v. Ulf Brunnbauer und Stefan Troebst, Köln u. a. 2007, S. 15–26 Troebst 2002: Stefan Troebst: Von den Fanarioten zur UÇK. Nationalrevolutionäre Bewegungen auf dem Balkan und die „Ressource Weltöffentlichkeit“, in: Requate/Wessel 2002, S. 231–249



Literatur

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Turan 2007: The Ottoman-Russian War of 1877–78, hrsg. v. Ömer Turan, Ankara 2007 Turan 2007a: Ömer Turan: Turkish Documents about the 1877–78 Ottoman-Russian War, in: Turan 2007, S. 321–339 Ubicini 1854: Jean Henry A. Ubicini: Lettres sur la Turquie [...], 2. Bde., Paris 1853, 1854 Undžieva/Lekov 1990: Ljuben Karavelov. Sbornik po slučaj 150 godini ot roždenieto mu (Ljuben Karavelov. Anlässlich seines 150. Geburtstages), hrsg. v. Cveta Undžieva und Dočo Lekov, Sofia 1990 Vasiliev 1956: Asen Vasiliev: Stenopisi v svetogorskija manastir „Lavra“ ot Zaharij Zograf (Fresken im athonischen Kloster „Lavra“ von Zaharij Zograf), in: Izvestija na instituta za izobrazitelno izkustvo 1, 1956, S. 33–94 Vasiliev 1955: Asen Vasiliev: Văzroždenski hudožnici (Maler der Wiedergeburt), Sofia 1955 Vazov 1894: Ivan Vazov: Pod igoto (Unter dem Joch), Sofia 1894 Vazov 1892: Ivan Vazov: V nedrata na Rodopite (Im Schoße der Rhodopen), in: Sbornik za narodni umotvorenija, nauka i knižnina 8, H. 2, 1892, S. 3–104 Vezenkov 2010: Alexander Vezenkov: Das Projekt und der Skandal „Batak“, in: Südosteuropa 2, 2010, S. 250–272 Vezenkov 2009: Aleksandăr Vezenkov: Proektăt i skandalăt „Batak“. Razkaz na edin očevidec (Das Projekt und der Skandal „Batak“. Erzählung eines Augenzeugen), in: Anamneza 1, 2009, S. 132–203 Vezenkov 2007: Alexander Vezenkov: Die neue Debatte über das Massaker von Batak. Historiografische Aspekte, in: Baleva/Brunnbauer 2007, S. 117–124 Vezenkov 2006: Aleksandăr Vezenkov: Očevidno samo na prăv pogled. Bălgarskoto văzraždane kato otdelna epoha (Offensichtlich nur auf den ersten Blick. Die bulgarische Wiedergeburt als einzelne Epoche), in: Balkanskijat XIX vek. Drugi pročeti (Das balkanische 19. Jahrhundert. Andere Lesearten), Sofia 2006, S. 82–127 Vojvodata Dedo Iljo Maleševski i negovoto vreme (Der Vojvode Dedo Iljo Maleševski und seine Zeit), Berovo 2000 Voutier 1823: Olivier Voutier: Mémoires du Colonel Voutier sur la guerre actuelle des Grecs, Paris 1823 Walker 1988: Dale L. Walker: Januarius MacGahan. The Life and Campaigns of an American War Correspondent, Athens Ohio 1988 Weber 1988: Bruno Weber: Landschaft als Ereignis. Zur Ikonographie von Bildreportagen über historisches Gelände, Naturwunder, Naturkatastrophen in der Illustrirten Zeitung, in: Timm 1988, S. 149–183 Weber 2006: Claudia Weber: Auf der Suche nach der Nation. Erinnerungskultur in Bulgarien von 1878–1944 (= Studien zur Geschichte, Kultur und Gesellschaft Südosteuropas 2), Berlin 2006 Zahariev 1977: Vasil Zahariev: Stanislav Dospevski. Văzroždenski živopisec. 1823–1877 (Stanislav Dospevski. Wiedergeburtsmaler. 1823–1877), Sofia 1977 Zahariev 1956: Vasil Zahariev: Zaharij Hristovič Zograf, Sofia 1957 Železarova 1996: Radost Železarova: Češkite hudožnici v Bălgarija ot kraja na XIX i načaloto na XX vek (Die tschechischen Maler in Bulgarien vom ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert), in: Čehi v Bălgarija – istorija i tipologija na edna civilizatorska rolja (Tschechen in Bulgarien – Geschichte und Typologie einer zivilisatorischen Rolle), Teil 2 (= Goljama česka biblioteka 3), Sofia 1996 Zeune 1808: August J. Zeune: Gea. Versuch einer wissenschaftlichen Erdbeschreibung, Berlin 1808 Zimmermann 2006: Michael Zimmermann: Industrialisierung der Phantasie. Der Aufbau des modernen Italien und das Mediensystem der Künste. 1875–1900, München 2006

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Literatur

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Literatur

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„The Bashi-Bozouks“, in: The Illustrated London News 26, Nr. 686, 3. Juni 1854, S. 517–518 „The Captives“, in: The Illustrated London News 65, Nr. 1832, 17. Oktober 1874, S. 383 „The Massacres at Yeni Zara“, in: The Illustrated London News 71, Nr. 1989, 25. August 1877, S. 181–182 „The War“, in: The Illustrated London News, 71, Nr. 1987, 11. August 1877, S. 126 „The War: The Allied Troops at Varna“, in The Illustrated London News 25, Nr. 690, 1. Juli 1854, S. 612–613 „Trud“ potvărždava tezata na Martina Baleva. S Ženi Kojčeva razgovarja Toma Bikov (Die Zeitung „Trud“ bestätigt die These von Martina Baleva. Ženi Kojčeva im Interview mit Toma Bikov), in: Glasove 2, Nr. 48, 30. November 2007, S. 7 „Turci vrahové krěstanstva“, in: Světozor 9, Nr. 30, 30. Juli 1875, S. 367 „Typen aus den aufständischen Provinzen am Balkan“, in: Ueber Land und Meer 36, Nr. 46, [nach 15. Juli] 1876, S. 916 „Vom Kriegsschauplatz“, in: Ueber Land und Meer 36, Nr. 51, 1876, S. 1014 „Vom Kriegsschauplatz“ 1876: „Vom Kriegsschauplatz. Vor und nach dem Kampfe bei Alexinatz“, in Ueber Land und Meer 37, Nr. 3, 1876, S. 57 „Waffenruhe zu Cettinje“, in: Illustrirte Zeitung 67, Nr. 1737, 14. Oktober 1876, S. 316 „Was wir Wollen“, in: Illustrirte Zeitung 1, Nr. 1, 1. Juli 1843, S. 1

Lexika Handbuch der Zeitungswissenschaft, hrsg. v. Walther Heide, 2 Bde., Leipzig 1940 Österreichisches Biographisches Lexikon. 1815–1950, hrsg. v. der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und Peter Csendes et al., Wien 1954 ff. Słownik 2003: Słownik artystów polskich, 7 Bde., hrsg. v. Urszula Makowska, Warschau 2003 Thieme-Becker 1999: Allgemeines Lexikon der bildenden Künstler von der Antike bis zur Gegenwart. Begründet von Ulrich Thieme und Felix Becker, hrsg. v. Hans Vollmer, Nachdruck der Ausgaben 1933/1934, Leipzig 1999

Bi l d n achwe is Institutionen Batak, Historisches Museum 110–112 Berlin, Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz 1–12, 14, 16–18, 22, 23, 25–31, 34–44, 46–56, 58–63, 67–73, 75, 77, 85–90 Brüssel, Musées Royaux des Beaux-Arts de Belgique I Gotha, Stiftung Schloss Friedenstein Gotha, Schlossmuseum 57 Mainz, Wissenschaftliche Stadtbibliothek 45, 65, 66, 81, 82, 121 München, Bayerische Staatsbibliothek 64, 74, 84, 91, 92, 94, 95 New York, Dahesh Museum of Art V Plovdiv, Nationalbibliothek „Ivan Vazov“ 115–117, 119, XVI–XVIII Prag, Nationalgalerie II–VI Providence, Anne S. K. Brown Military Collection, Brown University, Library XIX Sofia, Nationalbibliothek „Kyrill und Method“ 109 Sofia, Nationalbibliothek „Kyrill und Method“, Sammlung „Porträts und Fotografien“ 32, 33 Sofia, Nationalgalerie für Ausländische Kunst 118, XV Tübingen, Universitätsbibliothek 80, 83

Literatur Bălgarsko foto 2, 1976 122 Božkov 1978 108 Černý/Náprstek/Mokrý 1930 103, IV Flacke 1998 98 Jackson 1895 13, 15 Jovanović 1998 VIII, IX Kanitz 1875 19, 21 Manov 1979 120 Margerie 1996 99, 101, 102 Medaković 1990 VII, X Mrkvička 2006 XII–XIV Osvoboždenieto na Bălgarija 1988 93 Rautmann 1997 97 Walker 1988 20

Web Flickr 100 Světozor. Obrázkovy Tydennik (http://archiv.ucl. cas.cz/?path=Svetozor) 24, 76, 78, 79, 104, 105 Wikimedia 96, 106, 107, 123, XI Die hier nicht ausgewiesenen Abbildungen stammen aus dem Archiv der Verfasserin.

Reg i st er Die Begriffe Balkan und Bulgarien sind nicht eigens aufgeführt. A Abou Klea, Schlacht von 56 Adrianopel 145 Afghanistankrieg (1878–1880) 50 Aleksinac (Alexinatz) 111, 119, 128, 129 Alexander I. von Bulgarien (Alexander von Battenberg) 167 ff., 183 Alexander I. von Serbien (Alexander Obrenović) 86, 167 Ali Pascha von Janina (Tepedelenli Ali Pascha) 142 Amerikanischer Bürgerkrieg (1861–1865) 28, 55 Amselfeld (Kosovo polje) 123, 152 ff. Asen I. (Ivan Asen I. von Bulgarien) 22

C Cameron, John 53 Cavra, Dimităr 172, 179 ff., 185, 187, 189 ff. Ceretelev, Aleksej (Fürst Aleksej Nikolaevič Cereteli) 106 Čermák, Jaroslav 72, 73, 120 ff., 145 ff., 156, 160, 161, 195, 196 Chios 137 ff., 152, 173, 192 Chora 142 Cincinnati Times 28 Clarke, James F. 109, 190 Colnaghi 29, 57 Crealock, Henry Hope 47 Crowe, Joseph Archer 42, 46, 52, 57, 62

B Balaklava, Schlacht von 53 Balkankriege (1912–1913) 14, 153, 154 Baring, Walter 106, 109 Baschibozuk 69, 70, 93 ff., 101, 103, 104, 106, 107, 110, 118, 120 ff., 126 ff., 138, 147 ff., 152, 156, 161, 165, 179, 182, 185 Batak 70, 88, 106, 107, 131, 132, 156, 163 ff., 169 ff. Beato, Felice 188 ff. Belgrad 22, 68, 85, 86, 89, 91 ff. Bell, Joseph 47 Beron, Petăr (Pierre) 22 Bessarabien 109 Bielopaolovic 83 Bojčo (Angel P. Goranov) 173, 185, 191 Bologna, Giovanni 151 Bosnien 23, 98, 103, 108, 109, 145, 146, 148, 164 Budil’nik 131 Buimir 46 Bukarest 85 ff., 162, 170, 183 Bulgarian Horrors 105, 109, 130, 132 Burenkriege (1880–1881, 1899–1902) 53, 55 Burn-Smeeton, Joseph siehe Smeeton-Tilly

D Decaisne, Henri 143, 144 Delacroix, Eugène 137 ff., 149, 151, 152, 156, 157, 160, 192 ff. Der Emigrant 195 Deutsch-Französischer Krieg (1870–1871) 30, 47, 48, 50, 56, 59, 60, 151 Dimitrov, Petăr 106 Disraeli, Benjamin 108, 109, 126 Dobrudža 76 Doré, Gustave 55 Dospevski, Stanislav 20, 21 Durand-Brager, Henri 47 E Elagina, Varvara Nikolaevna 109 England 16, 17, 25 ff., 30, 53, 79, 109 Eski Zagra (Stara Zagora) 111, 172 F Ferdinand I. von Bulgarien 170, 187 Filibe siehe Philippopel Forbes, Archibald 42, 70, 172 Forbes, Edwin 55 Frank Leslie’s Illustrated Newspaper 30

212

Register

Frankreich 16, 17, 25 ff., 60, 79, 137, 194, 195 G Gambier, James 47, 126 Gartenlaube 27 Gautier, Théophile 149 Gazeta A. Gatzuka 122, 123 Géricault, Théodore 30, 143 Gladstone, William E. 108, 109, 121, 122 Goranov, Angel P. siehe Bojčo Goranov, Petăr 179, 184, 185 Goranova, Marga 179 Griechenland 10, 15, 16, 77, 137, 138, 140, 141, 145, 167, 180, 193 ff. Gros, Antoine-Jean 138 Grzegorzewski, Jan 167, 187 Guldenmundt, Hans 107 Guys, Constantin 42, 46, 49 H Haag, Carl 96 van Haanen, Fritz 131 Habsburger Reich 16, 195 Hall, Sydney Prior 47, 58, 59, 64 Herald (New York Herald) 109 Herzegowina 23, 55, 72 ff., 80, 84, 90, 96, 98, 99, 103, 108, 145, 146, 148, 149, 153, 154 Hitow, Panajot 88, 89 Hoppe, Hermann D. 119, 129 I Iljo Vojvoda 89, 90, 96 Illjustrirovannaja hronika vojny 29, 118, 119, 131 Illustrated Times 27 Illustrirte Zeitung 26, 29, 31 ff., 39, 43, 53, 55, 59, 63 ff., 75, 81 ff., 88 ff., 98, 99, 110, 112, 115 ff., 119, 121, 122 Ingram, Herbert 52 Inkerman, Schlacht von 46, 53 Iskustvo (Izkustvo) 157, 161 Istanbul (Konstantinopel) 17, 18, 75, 96, 105, 106, 118, 162, 172

J Jackson, Mason 25, 41, 42, 45, 47 ff., 59, 60, 63, 64, 66, 67 K Kaliakra 142 Kaloros, J. 66 Kanitz, Felix 55, 67 ff., 80, 83, 89, 90, 92, 93, 96, 98, 104, 116, 142, 196 Karagitliev, Kojčo 179 Karastojanov, Anastas 86, 89 Karastojanov, Ivan 158 Karavelov, Ljuben 86 Karavelov, Petko 167 Karazin, Nikolaj Nikolaevič 130 Kărdžalij 161, 162 Katharina II. (Katharina die Große) 108 Kaukasus 109, 121, 177 Kikerec, Ferdo 55, 123, 124, 196 Knjaževac 115 Kosovo siehe Amselfeld Kossuth, Lajos 195 Krakau 166 ff., 170, 178, 181, 183, 187 Krimkrieg 23, 24, 29, 30, 41, 46, 47, 49, 50 ff., 57, 62, 75 ff., 80, 87, 90, 94, 95, 109 ff., 145 Krstac 81, 82 Květy 48 L Lady Strangford (Viscountess Strangford) 180 de Lansac, François-Émile 143, 144 Le Figaro 167 Le Monde Illustré 27, 43, 58, 59, 73, 75, 87, 104, 106, 110 ff., 114, 119, 120, 126, 127 Lepanto, Seeschlacht von 107 Levski, Vasil 86 L’Illustration 26, 28, 29, 32, 43, 47, 55, 70, 75, 120, 125, 130, 165, 167 Lord Beaconsfield siehe Benjamin Disraeli Lord Byron (George Gordon Byron) 137, 140 Lucknow 189, 190 Lwów 167, 169, 170



Register

M MacGahan, Januarius 70, 103, 105 ff., 118, 121, 122, 126, 127, 129, 169, 171, 172, 176, 177, 183 ff., 191, 192 Makovsky, Konstantin E. 155, 156, 160 Mandaljena 146 Markov, Ilija siehe Iljo Vojvoda Matschin (Mačin) 97, 99 ff. Medžidie 101 Messolunghi 140, 143, 193 Mihailo Obrenović III. 86 Mírohorský, Salomon 48 Moldau 76, 79, 109 Montagu, Irving 45, 47, 52, 54 Montenegro (Crna gora) 23, 55, 76, 80, 82, 83, 96, 98, 116, 145, 146, 148, 153, 154 Moskovskie vedomosti 105, 171 Mrkvička, Ivan (Jan) 22, 156 ff., 159 ff., 194 Mykene 45, 52 N Nikola I. Petrović Njegoš (Nikita/Nikolaus I. Petrovic Njegos) 153 Niš 71, 111, 124 Niva 117 Nova Zagora siehe Yeni Zara O O’Donell, Frank 105 Orientalische Krise 23, 51, 103, 108, 141, 145 Osmanisches Reich 14 ff., 23, 24, 64, 68, 70 ff., 75, 88, 103, 105, 120, 121, 137, 150, 157, 159, 161, 165, 168, 171, 174, 177, 195 Ostrumelien 157, 168 P Paisij (Mönch vom Hilendar-Kloster, Athos) 18, 21, 22 Pavlovič, Hristaki 21 Pavlovič, Nikolaj 20 ff., 186 Pavlovic, Peco (Peko Pavlović) 45 Pears, Edwin 105 Pelcoq, Jules 60 Petrovitsch, Mirko 80

213

Philippopel 12, 105, 111, 157, 167 ff., 173, 177, 175, 178, 180, 182, 186, 187, 190 Piotrowski, Antoni 11, 55, 158, 165 ff., 173 ff., 180 ff. Plovdiv siehe Philippopel Pomaken 164, 177, 182, 192 Poussin, Nicholas 132, 152 Predić, Uroš 92, 150, 153, 154 Prior, Melton 45 ff., 50 ff., 56, 57 Q Quiquerez-Beaujeu, Ferdo siehe Ferdo Kikerec R Rakovski, Georgi Sava 22 Rhodopen 105, 157, 164, 171, 173, 188 Robinson, John 109 Russisch-Osmanischer Krieg (1877–1878) 18, 24, 29, 45 ff., 50, 75, 103, 109, 119, 130 ff., 145, 146, 156, 157, 170, 172 S Samokoff (Samokov) 111 Samothrake 141, 142 Scheffer, Ary 142, 143 Scherenberg, H. 43, 44, 54, 62 Schoen, Erhard 108, 128 Schönberg, Johann Nepomuk 52, 58 Schuyler, Eugen 105, 106, 172 Secundra Bagh 188, 189 Sedan, Schlacht von 60, 63, 67 Semlin 91 Serbien 16, 23, 80, 83, 88, 89, 91, 98, 109, 115, 116, 124, 153, 154, 156, 167 Serbisch-Bulgarischer Krieg (1885–1886) 55, 167 Serbisch-Osmanischer Krieg (1876) 70, 115, 130, 145 Simpson, William 29, 42, 44, 47, 48, 49, 51 ff., 55, 57, 58, 60 ff. Skobelev, Mihail Dmitrievič 109 Smeeton-Tilly 70, 120 Sofia 12, 22, 86, 157 ff., 166, 170, 179, 183, 187 Souli 142 Stambolov, Stefan 169, 170, 172, 184

214

Register

Stara Planina 14, 89 Stara Zagora siehe Eski Zagra Stendhal (Marie-Henri Beyle) 138 Stojanov, Zaharij 168, 169, 171 ff., 175 ff., 183 ff., 191, 192 St. Petersburg 21, 106, 155 Şumla (Šumen) 195 Svetlina 182 Světozor 48, 55, 73, 75, 113, 120, 122 ff., 130, 146, 148 ff., 195 Szathmari, Carol 86, 87 T Tatar Pazardžik (Pazardžik) 103, 111, 184, 191, 192 Taylor, Frank Hamilton 43, 52, 58 Tel-el-Kebir, Schlacht von 57 Tergesek 101 Tesica 120 The Daily Graphic siehe The Graphic The Daily News 103, 105, 106, 109, 122, 171, 176 The Graphic 27, 30, 33, 55, 56, 58, 59, 64, 75, 96, 114, 115, 125, 130, 165, 167, 168, 188 The Illustrated London News 26, 27, 29, 32, 33, 41 ff., 60 ff., 66, 67, 71 ff., 94, 95, 100, 101, 110, 111, 115, 118 ff., 126, 127, 146 Theodorowitsch & Hitrow 87 The Spectator 105 Thessaloniki 118 The Standard 53 The Times 29, 45, 47, 54, 126 Thrakien 105, 157, 168 Tilly, August siehe Smeeton-Tilly Travnik 127

Trebinje 96 Tscherkessen 120 ff., 126, 127, 129, 165, 176, 177, 187 Türkische Gräuel siehe Bulgarian Horrors Tygodnik Illustrowany 188 U Ueber Land und Meer 27, 71, 75, 97, 99, 101, 103, 111, 119, 122, 128 V Varna 78, 79 Vazov, Ivan 158, 173 Vidin 125, 130 Villiers, Frederic 52, 53, 58, 120 Vinchon, Auguste-Jean-Baptiste 141, 142 Vizetelly, Frank 46, 62 Vsemirnaja illustracija 29, 71, 75, 113, 118, 119, 125, 129 Vukalović, Luka 83, 84, 96 W Walachei 76, 109 Warschau 166, 170, 181 Widdin siehe Vidin de Wœstine, Ivan 104 Woodville, Richard Caton 53, 56, 99 Y Yeni Zara (Yeni Zagra/Nova Zagora) 126 Z Zaharij Zograf 20, 21 Zlatá Praha 117 Župa dubrovačka 146 Zvěřina, Franz (František) 55, 113, 116, 117, 196

visuelle geschichtskultur Herausgegeben von stefan troebst in verbindung mit anders aman (†), steven a. mansbacH und LászLó KontLer

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bd. 2 | uLf brunnbauer,

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