Briefe an Henri, Katharina und Egon Petri 3795907551, 9783795907556

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German Pages [446] Year 1999

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Briefe an Henri, Katharina und Egon Petri
 3795907551, 9783795907556

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BRIEFE AN HENRi,KATHARINA UND mit Anmerkungen und einem Vorwort Herausgegeben von Martina Weindel

[Florian Noetzel! |Heinrichshofen-Bücher |

Taschenbücher zur Musikwissenschaft 129

Taschenbücher zur Musikwissenschaft

Herausgegeben von Richard Schaal 1 e,

FLORIAN NOETZEL GMBH Verlag der Heinrichshofen-Bücher : Wilhelmshaven

FERRUCCIO BUSONI

Briefe an Henri, Katharina

und Egon Petri

mit Anmerkungen und einem Vorwort herausgegeben von Martına Weindel

Gesamtausgabe

FLORIAN NOETZEL GMBH Verlag der Heinrichshofen-Bücher - Wilhelmshaven

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Busoni, Ferruccio:

Briefe an Henri, Katharina und Egon Petri / mit Anmerkungen und einem Vorwort hrsg. von Martina Weindel -— Wilhelmshaven : Noetzel, Heinrichshofen-Bücher, 1999

(Taschenbücher zur Musikwissenschaft ; 129) ISBN NE: GT

3-7959-0755-1

© Copyright 1999 by Florian Noetzel GmbH Verlag der Heinrichshofen-Bücher : Wilhelmshaven Alle Rechte, auch das der fotomechanischen Wiedergabe (einschließlich Fotokopie) und der Speicherung auf elektronischen Medien, vorbehalten All rights reserved Printed in Germany ISBN 3-7959-0755-1

INHALTSVERZEICHNIS

Vorwort

7

Bemerkungen zum Bestand der Quellen und zu ihrer Editon

11

Danksagung

12

Teil I: Ferruccio Busonis Briefe an Henri und Katharina Petri

14

Teil II:

Ferruccio Busonis Briefe an Egon Petri

65

Anmerkungen

312

Anhang

407

Bildtafeln

407

Bildnachweis Quellennachweis

420 421

Verzeichnis der zitierten Literatur

423

Personenregister

427

Verzeichnis der Werke Ferruccio Busonis

438

Digitized by the Internet Archive in 2022 with funding from Kahle/Austin Foundation

https://archive.org/details/briefehenrikatha0000buso

Vorwort

Zu den Briefen Bei dem vorliegenden Band handelt es sich um die erste vollständige Originalausgabe der Briefe Ferruccio Busonis an seinen Klavierschüler und Freund Egon Petri, der später ein namhafter Pianist wurde, sowie an dessen Eltern, den holländischen Geiger und Kapellmei-

ster Henri Petri und seine Frau Katharina. Recherchen in bezug auf den Bestand und Aufbewahrungsort der Antwortbriefe der Petris blieben bisher erfolglos. Es muß daher angenommen werden, daß sie verschollen oder nicht mehr erhalten sind,

so daß sich die Forschungsarbeiten auf die Edition der insgesamt 354 Briefe an die Petri-Familie beschränken mußten. Diese Korrespondenz aus dem Zeitraum von 1888 bis 1923, ursprünglich meist in Deutsch verfaßt, wurde bislang nur in übersetzter Auswahl in den englischen und italienischen Briefausgaben von Antony Beaumont und Sergio Sablich veröffentlicht. Da jedoch bei der Auswahl und fremdsprachlichen Übertragung ein Verlust des Informationsgehaltes und der stilistischen Originalität dieser Dokumente unvermeidlich ist, so erschien die Publikation einer Gesamtausgabe im ursprünglichen Wortlaut als eine erforderliche Konsequenz. Die Forschungsund Editionsarbeiten wurden dabei von der besonderen Ausgangssıtuation bestimmt, daß die betreffende Korrespondenz, aber auch an-

dere Briefe Busonis an unterschiedliche Adressaten nicht im autographen Original, sondern nur in maschinenschriftlichen Abschriften vorlagen, die in der Rowe Music Library des King’s College in Cambridge aufbewahrt werden. Die Autographe sollten als Materialgrundlage für die 1933 in London erschienene Busoni-Biographie des englischen Musikwissenschaftlers Edward J. Dent, der Busonis Freund war, dienen und ebenso für eine geplante, jedoch nie zustande gekommene Gesamtausgabe'. Sie wurden seinerzeit von Dent sowie

von mehreren Personen aus dem Freundes- und Schülerkreis Busonis abgeschrieben, wobei Anschriften und Absender der entprechenden Briefumschläge nicht berücksichtigt worden sind. Die originalen Briefe an die Petris befinden sich heute im Privatbesitz des amerikanischen Pianisten und Dirigenten Daniell Revenaugh (Berkeley, Californien), der ein Schüler von Egon Petri war. Da Revenaugh die 7

Einsichtnahme in die autographen Quellen grundsätzlich ablehnt, mußte das Original für die Forschungsarbeiten als unzugänglich betrachtet werden. Ein von ihm aufgestelltes, kommentiertes Verzeich-

nis über den Bestand seiner Sammlung wurde der Herausgeberin jedoch zur Verfügung gestellt, wobei sich bestätigte, daß Anzahl und Entstehungsdaten der Autographe mit den in Cambridge aufbewahrten Typoskripten übereinstimmen. Maßgebende Vorlage dieser Edition ist demnach die maschinenschriftliche Abschrift, die jedoch in textkritischer Hinsicht wie ein Original behandelt wird. Die insgesamt 40 Briefe an Henri und Katharina Petri, welche im

Zeitraum vom Spätsommer 1888 bis April 1914 entstanden sind, bieten zusammen mit der Korrespondenz an Egon Petri (314 Schriftstükke) einen profunden Einblick in Busonis freundschaftliche Beziehung zur Petri-Familie, die 39 Jahre lang, bis zum Tod des Komponi-

sten, währte. Busoni hatte die Petris 1885 in Leipzig, das zu diesem Zeitpunkt ein europäisches Zentrum für Musik, Buchhandel und Musikverlagswesen war, kennengelernt. Ein Jahr später, zum ersten

Mal von seinen Eltern völlig getrennt und unabhängig, ließ er sich in der Stadt nieder, wo er in die Obhut von Henri Petri gelangte, der Konzertmeister des Leipziger Gewandhausorchesters und Gründer des Petri-Quartetts war. Der Kreis der Petri-Familie wurde ihm zur »zweiten Heimat«. Henri Petri, den Busoni als Musiker sehr schätzte und freundschaftlich verehrte, hatte ein Jahr zuvor dessen erstes

Streichquartett in C op. 19 zur Aufführung gebracht. Auf Anregung von Katharina Petri, die Gesangslehrerin war, beschäftigte Busoni

sich erstmals mit der Transkription Bachscher Orgelwerke für Klavier — eine Anregung, die seine Kompositionspraxis und Musikauffassung entscheidend geprägt hat -, und Jahre später unterrichtete er den jungen Egon in Berlin und Weimar. Noch unbekannte biographische Einzelheiten enthalten insbesondere die Briefe aus der Zeit von 1888 bis 1890, als Busoni zum er-

sten Mal eine gesicherte Stellung als Klavierlehrer am Musikinstitut in Helsinki innehatte. Infolge seiner kritischen Beobachtungsgabe vermittelt er in diesen Briefen von den gesellschaftlichen Verhältnissen im damaligen Helsinki ein lebendiges Bild und gibt detaillierten Aufschluß über seine Tätigkeit und die Zustände am finnischen Musikinstitut sowie über seine Versuche, das Niveau der Hochschule und

des Kulturlebens durch die Veranstaltung von eigenen Konzertabenden zu heben. Andeutungsweise erhalten wir ebenso Informationen

über den Unterrichtsstoff, den er in seiner Klavierklasse einführt, 8

über Entstehungsprozeß und Aufführung einer Reihe von Werken aus dieser Zeit sowie über seine Begegnung mit Edvard Grieg. Dagegen wird in den späteren Briefen an Egons Eltern ausführlich über Busonis Tätigkeit als Konzertpianist berichtet; sie tragen somit zum Verständnis seiner Rolle als ausübender Musiker bei und liefern darüber hinaus interessanten Stoff zur Situation eines Künstlers im ausgehenden 19. Jahrhundert. Desgleichen vervollständigen diese Briefe die biographischen Ergebnisse der Edition der Korrespondenz an Egon Petri, denn sie geben Auskunft über das frühe Lehrer-SchülerVerhältnis sowie über Egons beginnende künstlerische Entwicklung und Ausbildung durch den Lehrer und lassen dabei die vertrauensvolle Beziehung zwischen den Eltern und Busoni deutlich in Erscheinung treten. . Ein umfassendes und differenziertes Zeugnis von der spannungsreichen Umbruchszeit der ersten beiden Dezennien des 20. Jahrhunderts bieten die Briefe an Egon Petri, die den Zeitraum vom Juli 1902 bis Oktober 1923 umfassen. Sie weisen Busoni als Zeitzeugen aus, der die kulturellen und politischen Ereignisse, insbesondere den im I. Weltkrieg und in den frühen Zwanziger Jahren aufkeimenden, auf alle Lebensbereiche übergreifenden Chauvinismus, in kritischer Weise kommentiert und verurteilt. Zudem enthalten sie angesichts des einundzwanzigjährigen Briefkontaktes mit Egon Petri eingehende Informationen über die Entstehungs-, Aufführungs- und Rezeptionsgeschichte der kompositorischen Hauptwerke von Busoni sowie zu seinem vielfältigen Persönlichkeitsbild als Pianist, Komponist, Pädagoge, Bearbeiter, Herausgeber, Ästhetiker und Schriftsteller, zumal

Egon sein Lieblingsschüler und zugleich »sein Eckermann«? war. Demnach erhält diese Korrespondenz eine besondere Bedeutung auch dadurch, daß durch den Einbezug bislang noch unveröffentlichter Briefe dem Gesamtbild des Entwicklungsverlaufes dieser Beziehung noch manche biographische Einzelheit hinzugefügt wird. So tritt in Busonis Briefen deutlich zutage, wie die universelle Persönlichkeit Busonis das künstlerische Denken und Handeln des jungen Petri bestimmt, zuweilen auch tyrannisiert. Und umgekehrt geht hervor, wie aus zunächst noch bedingungsloser Hingabebereitschaft und unkritischer Verehrung, die er seinem »Mentor« entgegenbringt, sich allmählich eine eigenständige Urteilskraft und kritische Distanz entwickeln, was bei beiden Briefpartnern zu einer gegenseitigen Entfremdung führt, die sich letzten Endes jedoch wieder in eine gemeinsame Annäherung kehrt. Durch Busonis ausführliche Beschreibun9

gen seiner Konzertreisen in Europa und in den Vereinigten Staaten erfährt man in dieser Korrespondenz ebenso von seinem Verwurzeltsein in der gewachsenen europäischen Kultur und von seiner Ablehnung eines amerikanisch-schnellebigen Zeitgeistes samt einer an kommerziellen Interessen orientierten Lebenseinstellung. Kulturgeschichtlich interessant, da sie ästhetische Auffassungen enthüllen, sind insbesondere auch diejenigen Dokumente, in denen Busoni sich mit Kunst und Literatur auseinandersetzt oder mit den Werken von Bach, Mozart und der damaligen musikalischen Gegenwart, die noch überwiegend unter dem wirkungsgeschichtlichen Einfluß von Beethovens IX. Symphonie und Wagnerscher Spätromantik stand, wobei ebenso sein Verständnis von Qualität und Klassizität zum Ausdruck kommt. Hingegen geben die Briefe aus den Jahren 1913 bis 1920 vor allem biographische Auskunft im Hinblick auf Busonis Tätigkeit als Leiter des Liceo Musicale in Bologna (1913-1914) sowie auf seine

künstlerischen Aktivitäten während seines fünfjährigen Aufenthaltes in dem nach Ausbruch des I. Weltkriegs freiwillig gewählten Zürcher »Exil« und die damit verbundenen Einschränkungen seiner persönlichen Freiheit. Das Faszinierende und Lebendige an dieser Korrespondenz liegt jedoch in Busonis Charakter begründet, der sich auszeichnet durch Originalität, Scharfsinn, Witz, Anteilnahme, Herzlichkeit, durch In-

stinkt und Verständnis sowie eine kompromißlose Selbstkritik.

Editorische Bemerkungen Die Wiedergabe der zitierten Quellen ist mit dem Wortlaut, der Orthographie, Interpunktion und Textauszeichnung der in Cambridge aufbewahrten Abschriften identisch. Unterschiedlich zur Vorlage ist im edierten Text die einfache Wiedergabe von doppelten Anführungszeichen sowie die Abbildung der Kopfzeilen ohne Unterstreichung, Die Anordnung und Numerierung der Briefe, hier in chronologischer Abfolge und nach Adressaten getrennt, weichen vom chronologisch geordneten Typoskript, in dem die Adressaten vermengt sind, ebenfalls ab. Zusätze des damaligen Kopisten erscheinen in spitzen, notwendige Ergänzungen und Vermerke der Herausgeberin in eckigen Klammern; evidente Fehler werden stillschweigend korri10

giert. Bei runden Klammern handelt es sich um die originalen Parenthesen Busonis. Nachträgliche handschriftliche Streichungen, Ergänzungen und Korrekturen von fremder Hand, die im Hinblick auf die geplante Briefausgabe zur Wahrung der Diskretion oder aus verlegerischen Gründen vorgenommen wurden, werden nicht berücksich-

tigt. Die deutsche Übersetzung von ungebräuchlichen Fremdwörtern oder kurzen fremdsprachlichen Redewendungen findet sich am Ende des jeweiligen Briefes, von fremdsprachlichen Briefen oder Briefstellen, im Anmerkungsapparat; englische Passagen werden nicht übersetzt. Bei gebräuchlichen Abkürzungen im edierten 'Iext wird zugunsten einer Erleichterung der Lesart auf eine vervollständigende Ausschreibung in eckigen Klammern verzichtet. Genannte Personen, deren Identität nicht nachweisbar war, erhalten den Vermerk »[?]«. Für das inhaltliche Verständnis notwendige Informationen und Erläuterungen finden sich im Anmerkungsapparat; hierbei werden die Ergebnisse von Beaumont und Sablich, die in ihren Ausgaben bereits wichtige Vorarbeit geleistet haben, weitgehend miteinbezogen (mit Verweis). Der orginale Zeilenfall konnte aus Platzgründen nicht beibehalten werden, jedoch entsprechen Anlage des Textes und Absatzbildungen der maschinenschriftlichen Vorlage. Im Gegensatz zu den Ausgaben von Beaumont und Sablich finden erstmals Busonis Anrede- und Schlußßformeln Berücksichtigung, denn hierin stimmt die Herausgeberin mit der Ansicht von Busonis Kompositionsschülerin Gisella Selden-Goth überein: »Der Reiz eines echten, typischen Busoni-Briefes beruht auf seiner Anlage als Ganzes, das jeden unmittelbaren Ausdruck eines überlebhaften Temperamentes in seinen sprühenden Ausbrüchen und Ausfällen der Zustimmung oder der Mißbilligung umschließen muß, um voll zu wirken; auf der Ursprünglichkeit auch des nebensächlichsten Apergus, auf der liebevoll gepflegten epistolären Form, die eben jenes auch Scheinbar-Unwichtige als bescheidenen Baustein zu ihrer Vollendung benötigt«.’ Die jeweiligen Bibliothekssigla der Quellen werden in den Fußnoten angegeben; in den entsprechenden Fußnoten wird ebenso vermerkt, wenn keine Bibliothekssignatur vorliegt. Die Dokumente aus dem Nachlaß von Edward J. Dent besitzen keine Einzelsignatur, sondern sind unter der Sammelsignatur »Dent Papers< verzeichnet, die im folgenden nicht mehr angegeben wird. Die Aufbewahrungsorte der zitierten Quellen finden sich im Quellennachweis in alphabetischer Ordnung.

Danksagung Aufrichtig danken möchte ich der Deutschen Forschungsgemeinschaft (Bonn), die die Realisierung der Recherche- und Editionsarbeiten zur vorliegenden Publikation durch ein Postdoktorandenstipendium ermöglicht hat. Das Forschungsprojekt wurde in Verbindung mit der Arbeitsstelle »Busoni-Editionen< der Akademie der Wissenschaften und der Literatur, Mainz, am Musikwissenschaftli-

chen Seminar der Freien Universität Berlin durchgeführt. Mein besonderer Dank gilt in diesem Zusammenhang dem Leiter der Arbeitsstelle, Herrn Prof. Dr. Albrecht Riethmüller.

Für die Publikationserlaubnis des Quellenmaterials sowie für unentbehrliche Hilfe bei Anfragen und Auskünften fühle ich mich insbesondere verpflichtet: Frau Margaret Cranmer (Rowe Music Library, King’s College, Cambridge), Frau Dr. Jutta Theurich und Herrn Dr. Hans-Günter Klein (Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz), Herrn Dir. Nick Wyman (Library of the

University of Tennessee, Knoxville), Herrn Peter J. Fay (Library of Congress, Washington D.C.), Herrn Harry Joelson-Strohbach (Stadtbibliothek Winterthur), Herrn Dr. Adriano Dugulin (Civico Museo Teatrale di Fondazione Carlo Schmidl, Trieste) und Herrn Dr.

Andreas Sopart (Verlagsarchiv Breitkopf & Härtel, Wiesbaden). Interessante

Hinweise

und wertvolle

Informationen,

die den

Fortgang der Arbeit erheblich förderten, lieferten ebenfalls: Herr Daniell

Revenaugh

(Berkeley,

Antony

Beaumont

(Bremen),

Californien),

Herr

Prof.

Herr

Dr.

Kapellmeister

Sergio

Sablich

(Conservatorio Musicale Luigi Cherubini, Firenze), Herr Dr. Antonio Latanza (Museo Nazionale degli Strumenti Musicali, Roma),

Herr Prof. Dr. Paul Op de Coul (Musikwissenschaftliches Institut der Universität Utrecht), Herr Prof. Dr. Klaus Schweizer und Herr Prof. Dr. Ulrich Michels (Musikhochschule Karlsruhe und Musikwissenschaftliches Institut der Universität Karlsruhe) sowie Herr Dr. Dietmar Pohnert (Stadtmuseum Berlin) und Frau Elfriede Puhlmann (Berlin). Ihnen allen gilt mein aufrichtiger Dank.

Für Hilfe bei der drucktechnischen Erstellung des vorliegenden Textes sei ebenso Herrn Otto-Eberhard von Butler herzlich gedankt sowie allen Freunden, die den Werdegang der Arbeit durch ansporUnterstützung wie konstruktive Kritik begleitet und gefördert aben. Martina Weindel

1 Vgl. Fragment eines undatierten maschinenschriftlichen Briefes an den S. Fischer Verlag (Berlin) von Friedrich Schnapp, der mit Dent und Busonis

Familie befreundet war (Rowe Music Library). Nach dem Inhalt des Brieffragmentes erweist sich Schnapp als der Kopist der vorliegenden

Korrespondenz. 2 In einem Brief an Egon Petri vom 3. Mai 1913 (s. Teil II, Nr. 186). 3 Busoni: Fünfundzwanzig Busonibriefe, S. 13.

Teil I: Ferruccio Busonis Briefe an Henri und Katharina Petri 1

An Henri! und Kathi Petri in Leipzig Helsingfors den 12. Sept. 88.

Ihr Lieben! Vielleicht ahnt Ihr nicht, wie schwer mir der Abschied von Euch ward! Es war mir zum ersten Male, als ob ich die Heimat verliesse;

und wie niemals ein Haus mir so sehr Heimat gewesen als das Eurige, ebenso, deuchte es mich, dass ich noch nie so recht in die Fremde ge-

zogen, wie diesmal.? Schon Lübeck erschien mir so weit und fremdartig, und als ich das Schiff betrat und es tagelang dahin in das Weite, Uferlose fuhr, da dachte ich, ich würde endlich nur landen, um sofort wieder heimzukehren. Die schon bedeutendere Reise hat manchen Eindruck hinterlassen, den ich aufzeichnen möchte, doch nicht für mich selbst. Für Euch, Ihr

Theueren, Liebenswerthen,

sollen die Aufzeichnungen bestimmt

sein, die ich hier niederschreibe; Ihr, deren Erinnerung meine Reise

immerfort belebte, sollt diese auch durch meine Beschreibung miterleben. —

Meine Fahrt nach Lübeck war eine recht peinliche. Die Müdigkeit überwand meine Aufregung, als ich - Leipzig verlassend - in das Coupe zurücksank. In Wittenberg gewaltsam aufgeweckt, musste ich umsteigen und meinen Hund? umladen, diesmal mit beträchtlichem Widerstande seitens Lesko. Nach kurzer Fahrt wurde der wiedergewonnene Schlaf durch die Ankunft in Büchen wieder unterbrochen, wo ich zwei Stunden auf Anschluss warten musste, die nimmer zu

enden drohten. Bemmchen* und Cognacflasche leisteten mir dabei die beste Gesellschaft. Endlich Lübeck. Ich besah mir die Stadt, nach-

dem ich meine Schiffsroute-Angelegenheiten in’s Reine gebracht hatte. Ein herrliches charakteristisches Plätzchen, dieses Lübeck, die ech-

te Hansa Stadt aus einer besseren Epoche, mit ihren schönen architektonischen Überresten eines vergessenen Styles und dem emsigen Handelsvölkchen; dem bunten Treiben am Hafen, dem malerischen Matrosenwesen.

Der Dampfer »Storfursten«, der seinen regelmässigen Verkehr zwischen Lübeck und Helsingfors betreibt, enttäuschte meine Erwartung. Es ist ein kleines zierliches Schiff, seinem Aussehen nach mehr

Vergnügungsdampfer, als zu einer bedeutenderen Überfahrt geeignet - etwa in der Art wie die Fahrzeuge, die Triest mit Venedig verbinden, oder zwischen Hamburg und Cuxhaven verkehren. Der Comfort ist gering, der Raum beschränkt, die Reisegesellschaft aber klein und nicht gewählt - nur nothgedrungen fährt man Mitte September nach Finnland! Eine Stunde nachdem wir losgeankert hatten, kam ein junger Mann auf mich zu, den ich nicht hatte einsteigen sehen: >»ob er das Vergnü-

gen hätte, Herrn Busoni zu sprechen« - und er stellt[e] sich als mein College in der Helsingforser Musikschule, als zweiter Clavierlehrer daselbst vor. Unser Gespräch bewegte sich in den alltäglichsten Wendungen; alle meine Versuche zum Besseren prallten ab wie an einem Stein. Folgendes charkterisirt meinen »Collegen«. Ich fand ihn später emsig in die Lecture der Gartenlaube‘, die ich mit den Worten unterbrach: »Ich glaube gar, Sie lesen die Novellen aus der Gartenlaube«, und dies mit

ziemlich unzweideutiger Betonung. Darauf antwortete er, mit etwas Empfindlichkeit: »das gefällt Ihnen wohl nicht?« Diese Antwort erachtete ich nicht für geeignet, auf sie ein literarisches Gespräch weiterzubauen. - Das ist Einer meiner Collegen. - Der Abend verging ziemlich behaglich, und ich legte mich bald schlafen. Mein Verkehr erstreckte sich noch auf einen Capitän des stillen Oceans, der ein Kauderwelsch von Englisch und Schwedisch sprach, den ich doch noch mir zurecht auslegte. Er bereist, nach seiner Versicherung, Tschaina (China), Indien, Südamerika etc., berichtete von den Klaimäd (clima) dieser Orte, trank viel Schnaps, rauchte stinkende Cigaretten, war

ganz grau gekleidet (inclusive eines Hutes, aus grau carrirter Wolle zusammengenäht) und nahm sich in seiner kleinsten Statur und seinem

erdfarbenen,

ewig lächelnden

Gesicht, dem

fortwährenden

Hüpfen seiner krummen Beine sehr possierlich aus. Meine dritte Bekanntschaft betraf einen jungen Docenten für Kunstgeschichte an der Helsingforser Universität‘, der von einer 3-jährigen Studienreise aus Italien zurückkehrte. Er scheint mir ein recht geistvoller Mensch zu sein, mit dem ich mich eine Stunde lang wohl unterhielt. Seine Frau und sein einziges, in Rom geborenes Kind begleiteten ihn. Ich traf ihn heute in Helsingfors, und er lud mich freundlich zu ihm. — 16

An dem Abend legten wir uns alle in unsere Cajüten schlafen. Des nächsten Morgens weckte mich ein unheilvolles Schwanken des Dampfbootes auf. Die Wirkungen eines imposanten »Affen< in Wahrheit treten zu sehen ist ein eigenthümliches Schauspiel. Die dünnen Wände einer Cabine haben vielleicht auch Ohren, jedenfalls aber können sie vollendet tanzen. Die Lebhaftigkeit meines Wohnortes konnte ich unmöglich im Bett ertragen; ich hüpfte heraus und trat muthig meinem Schicksal entgegen. Auf dem Verdeck angelangt bemerkte ich zu meinem Schrecken, dass das Schiff ein Opfer von Geistesstörung geworden war. Doch wozu die allbekannten Phasen dieser Krankheit weiterbeschreiben? Ich empfahl meinen Magen dem allmächtigen Gott, der sich gerade damit die Zeit vertrieb, abwechselnd die hintere und die vordere Spitze des Bootes an einem Faden zu ziehen - ein Seitenstück zum »Riesenspielzeug«.’ Gott liess sich jedoch in seinem Amusement nicht stören, sondern spielte immer toller

zu; - ich vergass meinen Respect und gab den Fischen Nahrung. Als ich vollkommen vermögenslos geworden, musste ich - um dem 'Tribut gerecht zu werden - die sonst unbeweglichen Güter - Galle und Blut - auch noch zum Theile versteigern. Darauf lag ich zwei Tage und zwei Nächte wie eine Mumie, in vollkommenstem Dumpfsinn auf einem Sopha und machte es wie jener Büsser in der Wüste, der weder Speise noch Trank zu sich nahm.* Am dritten Tage — auf dass erfüllet werde das Wort des Propheten war das herrlichste Wetter, und ich habe mich wohl befunden wie sel-

ten. Das Deck bevölkerte sich wieder, und fröhliche Mienen begegneten sich mit freundlichen Begrüssungen. Der »stille Oceaner< mit dem grauen Wollhut hatte allein sein Hüpfen während der zwei Tage nicht unterbrochen und lachte sichtlich in den Bart, als wir - Landratten —

wieder an die Luft krochen. Dieser Tag entschädigte mich aber auch vollständig, Fahrt und Wetter waren herrlich und durch das Wiederauftauchen der Küste und die verschiedenen Landungen in schöner Abwechslung belebt. Vormittags legten wir in Hangö an, wo ich und mein >College« ausstiegen. Das Aussehen des Ortes war eigenthümlich. Durch eine Reihe neu erbauter, halb unfertiger Holz-

hütten, gelangten wir zu einem grösseren Pavillon, auf welchem die Inschrift »Grand Hötel« zu lesen stand. Die verschiedenen Hütten selbst trugen Inschriften wie: Apotheke, Boockhandel, Irisch Consulat, etc. Die Strassen waren aus Sand, nicht alle noch bis zur

Festigkeit gestampft. Im Hötel fanden wir ein Buffet mit kalten 17

Delicatessen, alles wie zu einem Volksfeste auf einer Wiese improvisirt. Bewohner sahen wir keine; erst nach mehrmaligem Klopfen und halb erfolgter Vertilgung des Buffets erschien ein Mädchen, das uns Ale und Beefsteak vorsetzte. - Es war ein im Entstehen begriffener Badeort. — Nach fünfstündiger Fahrt erreichten wir Reval, eine deutsch-russische Stadt der Ostprovinz. Ein herrlicher unvergesslicher Anblick war diese Einfahrt in Reval. In der Beleuchtung der untergehenden Sonne sah man rechts die Stadt auf einem Hügel emportauchen, ein schlossartiges Gebäude mit Thürmen in seiner Mitte, um ihn [sic] die

Ortschaft gruppiert, der rauchende Rauchfänge ein geschäftiges Aussehen verliehen; links eine blühende, Baumreihen[-]Küste mit Villen

und Schlösschen in schattigen Laubgruppen versteckt, zu einer milden Anhöhe aufstrebend; zwischen beiden der Hafen, der Landungsplatz, wo eine bunte Menge von russischem Colorit, Zollbeamte, Soldaten, Lastträger, Droschkenkutscher, Erwartende und Abfahrtsbe-

reite uns begrüssten. Es war gerade der Namenstag des Kaisers: alle Schiffe waren festlich beflaggt; unweit des Hafens lagerten zwei mächtige russische Fregatten, Panzercolosse von imposantem Aussehen. Hinter den Thürmen der Stadt aber sank die Sonne in der Gestalt einer riesigen dunkelrothen Kugel, bis sie verschwand und das Bild in diesem unbeschreiblichen Dämmerungszauber zurückliess, den ich sonst nur aus Gemälden kannte. Ich hätte Euch da bei mir gewünscht. — Erst spät Nachts langten wir in Helsingfors an, und so ward mir ein gewiss eben so schönes Bild, wie das vorhergehende, anzustaunen versagt. Der Director Wegelius’ erwartete uns: wir speisten zu Abend, nach freundlicher conventioneller Begrüssung; darauf kroch ich ins Bett und schlief erst nach sehr melancholischen Betrachtungen ein. Weit von Euch, von meinen Eltern, zum ersten Male unter ganz fremden Personen, die - dem ersten Eindrucke nach — niemals meinem Um-

gang genügen werden, fühlte ich mich zum ersten Male in meinem Leben und zwar gerade in dem Augenblicke, als ich eine unabhängige, sichere Stellung antrat, — verlassen und hilflos. Ich glaube - und schäme mich nicht darum — dass ich geweint habe. Hier wird man mich achten lernen, wie Ihr mich achtet; niemals aber wird man mich so lieben, wie Ihr es thut und wird man mich jemals auch nur zum Theil so verstehen, wie Du, Henri, und Du, Kathi, Ihr mich verstan18

den habt? Ich glaube, sobald ich Gewissheit habe, unverstanden zu bleiben, werde ich einem solchen Verständnis ganz aus dem Wege ge-

hen und mich darauf beschränken, diesen Leuten für ihresgleichen zu gelten. - O, wie ist die Welt so blöde, so unempfindlich gegen das Schöne und das Gute! -— Ich hasse die Dummheit,

ich kann der

Dummheit gegenüber hart und schonungslos werden. Als wir von Hangö losankerten, stand auf dem einsamen, malerischen, felsenbesäten Strande ein Zigeuner: eine hohe Gestalt, schön

von Gesicht, mit jenem eigenthümlichen wild-traurigen Ausdrucke seines Volkes, die pittoresque Kleidung dieses südlichen Typus stach stark gegen den nordischen Character der Landschaft ab. Hinter ihm, um ihn das Meer, gegen dessen ewige Linie sich die Gestalt abhob; ihm zur Seite, auf einiger Entfernung, eine Gruppe von widerlich lachenden, lärmenden Badegästen in carrikirten, modernen Costumen,

die Hohlheit der Gesellschaft, gegen die Poesie jenes Naturstammes zur Schau tragend. Ich wandte mich zu einem meiner Reisegenossen, ihn auf die Gestalt des Zigeuners aufmerksam machend. »Ich wünschte< sagte der, »der Kerl wäre anständiger angezogen«. >Wie, — sagte ich ironisch - gefiele er Ihnen besser, wenn er enge carrirte Hosen und einen gebügelten Cylinder aufhätte?« —»Allerdings«. —- Da habt Ihr’s. — Heute unternahm ich eine Fahrt durch Helsingfors. Die Stadt ist entzückend, reinlich, reich an schönen Bauten, und der Strand mit seinen vielen Inseln, Felsen, kleinen Buchten, gehört zu dem Allerschönsten,

das ich jemals gesehen. Ob Ihr Eure Sommerreise nach Helsingfors nächstes Jahr unternehmt? Die Fahrt nach Lübeck kostet nur 56 Mark, Gepäck und Hund waren frei. - Ich mache schon Pläne für

Weihnachten. Schreibet, - Jeder von Euch schreibe. Küsset Egon" 1000mal. Seid herzlichst umarmt, Ihr Herrlichen. —

Euer durchaus nüchterner dankbarer Freund Ferruccio (Es ist ganz dunkel geworden.) Adresse: Musikschule. Einschreiben.

Grüsse an Clementine [?]

2

An dieselben

Grosse Schwierigkeit erwächst mir aus der Unkenntnis der »Landessprachen«. Kaum kann ich mich mit einem Kellner verständigen, oder mit dem Droschkenkutscher.

Schwedisch,

Russisch, Finnländisch

(eine magyarische Sprache), in der Gesellschaft aber Deutsch und auch Französisch werden hier gesprochen - ein Beweis für die Geistesabhängigkeit der Nation. - Es gilt hier in der Musik auszugeben, nicht aber zu empfangen; man kann lehren, nicht lernen, Neues vielleicht und mit grossen Schwierigkeiten allmählich einführen, nicht Neues erfahren. In den musika-

lischen Centren ist es die lohnende Aufgabe, (wo schon das Höchste der Zeitepoche erreicht ist) noch weiter zu bauen und sein eigenes Empfinden, Schaffen und Denken hinzuzufügen. Hier muss man zufrieden sein, wenn man einen Teil des anderswo Erreichten nachholen

oder nachahmen kann. Es giebt hier kein Operntheater! Kathi möge Väter und Söhne" mit grosser Aufmerksamkeit und Hingebung lesen. Es ist dieser Roman das in der Erzählkunst Bedeutendste der neueren Zeit. - Kathi soll trachten viel zu lesen, denn ihr Geist

ist danach angelegt. Jedoch soll die Frau darauf bedacht sein, weniger den kritischen Geist, als die Empfindung zu bilden. Drum darf sie keine wissenschaftlichen Bücher studieren, da sie durch diese eine di-

lettantenhafte Anschauung der Dinge sich zu eigen macht und eine Halbbildung erreicht, die schädlicher und falscher ist, denn Unbildung. Hier zu Lande trinkt man furchtbar viel. Schnaps ist an der Tagesordnung, vor und nach Tisch, zum Frühstück und zur Ausfüllung jeder Pause.

Mit meinem »Vorgesetztens dem Director Wegelius, sprach ich über die Unterrichtsweise. Ich frug, ob ein Programm, eine bestimmte

Richtung, eine gewisse Wahl des Unterrichtsstoffes eingehalten würden. - »Dergleichen gebe es eigentlich nicht, aber - nun - (nach längerem Nachdenken) — die Inventionen von Bach"? dürften wohl als

Grundlage betrachtet werden. Viel Bach, viel Bach, auch Mozart und Beethoven, Liszt ...!!!! Mein >»Colleges, der zweite

Clavierlehrer,

ist ein

Schafskopf,

ausserdem ein Handwerker; er gibt Stunden über Stunden, um sich angenehm mit dem erworbenen Gelde amüsiren zu können. 20

Eine eigene Arbeit, ein höheres Streben ist da umsonst zu suchen. Wie könnte er sonst vier Jahre hier sitzen; ein Mann im jugendlichsten Alter! Die Frauenverhältnisse sollen hier an Gomorrah erinnern. Man führt das freieste Leben, aber - siehe Erbkrankheit in den »Gespenstern«

von Ibsen!! Die Juden sind vorschriftsmässig auf eine sehr geringe, bestimmte

Zahl beschränkt, dürfen nur in ihrem eigenen Viertel wohnen, und sobald die gewisse Zahl durch die Geburt eines Kindes überschritten wird, wird eine Familie über die Grenze gebracht. Traurige, mittelalterliche Ansichten! Dafür überwuchern die Hunde, die frei herumlaufen. Dadurch ist ei-

gentlich die Gefahr für Lesko gross, da allerlei gefährliche Köter ohne Aufsicht hinzuspringen. Ich werde am meisten meiner eigenen Arbeit leben, nur in mir selbst dürfte ich Anregung zu einem Fortschreiten antreffen. Ich rechne, ein sehr behagliches Heim zu miethen, um eine starke Anziehungskraft im Hause zu haben. Kathi soll erfahren, dass die Angelegenheit mit meinem Textdichter noch am Besten geordnet wurde." Ich zahlte sofort 200 Mark aus; die noch übrigen 200 erhält er, sobald ich selbst Honorar von der Oper beziehe und in Anbetracht des dreijährigen contractwidrigen Wartens noch eine Zugabe von 100 Mark. — Bald bin ich wieder in Deutschland. Alles Gute mit Euch, Ihr Lieben Euer Ferruccıo

Hier einige kleine Aufzeichnungen, die Euch vielleicht interessiren.'* Schreibt bald. Ich bange danach. Tausend Grüsse, an Henri, an Kathi, unzählige Küsse für Egon.

Ferruccio

3

An dieselben

Helsingfors, den 25. Sept. 11 Uhr nachts. Nach erfolgten 3 Unterrichtsstunden, zwei Stunden Ensemblespiel und zwei ein halb Stunden am Clavier. 21

Meine liebe Kathi. Ich schrieb Dir 12 der 14 Seiten, und Du hast mir

diesen Reichthum mit Zinsen vergolten: als ich Deinen unter allen Umständen willkommenen, in den jetzigen Verhältnissen aber unschätzbaren Brief erhielt, dachte ich so darüber nach, wie doch die

Entfernung durch schriftlichen Verkehr gemildert, durch die bestätigte Begegnung der Gedanken zu Nichte gemacht wird, und wie aber die kürzlich erfolgte Trennung auf den Schreiber anregend und anspornend wirkt; - unzweifelhaft bleibt es jedoch, dass Trennung und Entfernung sich schliesslich doch fühlbar machen und dahin wirken,

die Leute auch innerlich von einander zu rücken. Ich dachte darüber nach, dass, wenn ich jahrelange hier bleiben sollte, unsere Briefe schliesslich doch nicht mehr Schlag auf Schlag erfolgen und jedenfalls niemals in so breiter Fassung erscheinen dürften: gross endlich häufen sich auch die Begebenheiten und die Einzelheiten dermassen, dass — um sie nicht unvollständig wiederzugeben - wir diese gar nicht mehr mittheilen. Deute diese kurze Reflexion nicht falsch und betrachte sie nicht etwa als eine diplomatische Vorbereitung zu einem geplanten Zurücktreten von meiner Seite — sondern lediglich als abstraktes Nachdenken. — Im Gegentheil sei versichert, dass mir nichts erwünschter [ist] als dieser briefliche Verkehr - so dass ich für deinen Brief Dir nicht Dank genug zu sagen weiss. — Was den wichtigsten Punkt, die Gesundheit betrifft, so ist Folgendes

zu berichten. Meine schon in Leipzig begonnene Heiserkeit hat in so heftigem Maasse zugenommen, dass ich heute total ohne Stimme bin: Es hat in Helsingfors überhaupt noch kein Mensch meine Stimme gehört. Wenn man diese Erscheinung mit der, nach deiner Muthmaassung, >ungewöhnlichen< des Blutbrechens in Zusammenhang bringen wollte, (eine Gedankencombination, die zum Beispiel meine Mutter'® mit Eifer betreiben würde), so könnte man auf ganz hübsche und überraschende Schlüsse gelangen, von diesen auf andere und sich solchermaassen das Leben systematisch verbittern. Ich will jedoch lieber annehmen, und habe auch Grund zu glauben, dass die Ursache

dieser eminenten Stimmenverderbtheit hauptsächlich im Halse sitzt; auch will ich Dich dahin beruhigen, dass »Blutbrechen« bei sehr heftiger Seekrankheit sehr oft beobachtet wurde. Ich habe im Durchschnitt vier tägliche Unterrichtsstunden: — kennst Du die Bilder vom Circus-clown mit den dressirten Gänsen? Ziehe Deinem guten Freunde Ferruccio eine weite Hose an und streiche ihm die Visage weiss an - an seinen Schülerinnen hättest Du weiter 22

nichts zu ändern, um das angeführte Bild in natura zu schauen! Sol-

cher Wasservögel habe ich fünfzehn unter meiner Autorität: Lesko ist zum Hirtenhund anvancirt und hat die Schaafherde, wenn auch nicht

zu bewachen, doch eifrig zu beschnüffeln — Mein Freund Stolz‘ wurde müde und abgespannt, wenn ich ihm [ein] »paar Stunden lang« classische Meisterwerke in guter Form vortrug — denke Dir aber tägliche vier Stunden Cramer Etuden und Clementi’s Sonatinen! Es ist zum Erbarmen! Und doch glaube ich, dass ich mir mit der Zeit auch an der pädagogischen Ausübung meiner Kunst einigermaassen Freude gewinnen könnte; das allmähliche sich Entwickeln eines eigenen Systemes, der Mittheilungsgabe, der Gewinn eines Überblicks für die technische Organisation des Lehrfaches u.s.w. können interessiren.

Nur habe ich die Befürchtung, mit dem steten schlechten Umgang, selbst zurück zu gehen, oder das [sıc] Maasstab über den Werth der Leistungen zu verlieren. Was erscheint nicht schon gut, nicht schon

talentvoll vom Standpunkte unserer wohllöblichen Anstalt aus betrachtet - während mein - im Verhältnis zu meinen Schülerinnen enorm überlegenes Wissen und Können in der höheren Kunstwelt einfach als Etwas Notwendiges, Vorausgesetztes angesehen wird! Wenn ich mich daran gewöhnen sollte, dieses mein Können im Verhältnis zu meiner Umgebung zu schätzen, wie werde ich dann in der That erscheinen? Das beunruhigt mich. - Vielleicht dass gerade die

Furcht zurückzubleiben gute Früchte treiben und so die entgegengesetzte von der gefürchteten Wirkung hervorrufen wird. Unser »Musikinstitut
»Charaktermaske« scheiterte an dem Widerspruch, dass ich, als Künstler, gleich Basaroff, nicht die Kunst verläugnen konnte. Also modificirte ich diesen Punkt dahin, dass ich die Kunst als eine technische Fertigkeit das Leben wie-

derzugeben - sei es durch Farben, Worte oder Formen - bezeichnete. Ja, selbst die Empfindungen, die diese Kunst beseelt, die sie erweckt,

wollte ich auf rein physische und physikalische Ursachen und Wirkungen zurückführen. Diese Periode wurde auch für mein Schaffen eine recht unfruchtbare; ich fing damals mein Streichquartett” an und konnte die beiden vollendeten ersten Seiten erst nach zwei verflossenen Jahren fortsetzen! Glücklicherweise lernte ich inzwischen mich nach eigener, wahrer Empfindungsart zu geben.” Damit will ich nur andeuten, wie verführerisch Basaroffs Gestalt ist,

vor Allem aber wie plastisch und greifbar sie von Turgeniew wiedergegeben wird und wie scharf sie auf empfängliche Gemüther wirken kann. Die Kunst des Autors in diesem Buche ist auch wahrlich unerreicht; wie sind, z.B., die Eltern Basaroffs wiedergegeben! An dieser Stelle dürfte es wohl sein, dass ich auf meinen Vater” bezügliche Anmerkungen hineinkritzelte. Das Buch gehörte übrigens Hess” und

wanderte durch [Leopold] Stolz’ Hände in die meinigen; Stolz’ Anstreichungen dürften ziemlich mit den meinen harmonisieren, während Hess’ Randbemerkungen im entschiedenen Gegensatze mit meinen stehen werden. Ich glaube, Hess hat das Buch von einem Freunde geborgt, so dass die Eigenthumsrechte auf diesen Band

ziemlich räthselhafter Natur sind. Lass Dich darum nicht irre machen und behalte ihn getrost. - -— — Der Anfang dieses Briefes datirt viele Tage zurück. Unterdessen bin ich im ersten »Musikabend« des Institutes mit aussergewöhnlichem Erfolge aufgetreten. Nach diesem Succes steht es nun fest, dass ich eine Reihe Claviervorträge, die ich als »ausserordentliche Lehrstunden« bezeichnet und angesehen wissen will, geben werde. Und 26

zwar: ]. Beethoven II. Bach (Mozart, Scarlatti, Händel) III. Chopin IV. Schumann, Mendelssohn Weber V. Modernes (Brahms Rubinstein, Liszt, Grieg, Sgambati etc.) worauf vielleicht ein 6. eigener Compositionsabend erfolgt. Ich habe auch schon viele Privatschüler. Ich muss gestehen, dass ich mich als privatimer Clavierlehrer ausserordentlich erbärmlich vorkomme. Ich komme also um die bestimmte Stunde zu einer Schülerin. Ich stelle mir lebhaft vor, wie die-

se 5 Minuten vorher, in Erwartung meiner, ihre französische Aufgabe zusammengepackt hat. Es klingelt. Die Mama sagt (mit Interesse für ihre Tochter und vollständiger Gleichgültigkeit für mich): >ach, der Clavierlehrer — Worauf ich ankomme und Mutter und Tochter schon im Salon, in sentgegenkommender Bewegung« antreffe. Kurzer, conventioneller Hand- und Phrasenwechsel, worauf die Mama sich zurückzieht. Zum Schluss der Stunde erscheint sie wieder, um

das Frühere in umgekehrter Reihenfolge zu erledigen. Beim ersten Besuch erscheint auch der Papa Commerzienrath, Staatsanwalt oder Grosskaufmann, um sich über den Preis zu verständigen, wobei ich

wie ein besserer, zu engagirender Kammerdiener behandelt werde. Kurz, das äussere Verhältnis ist das umgekehrte von jenem, das ich empfinde; eine traurige, traurige Rolle, die ich spiele, obwohl ich hier

die erste, angesehenste Stelle als Tastenverarbeiter einnehme! — Mit dem einstigen Collegen Henri’s,.und jetzigem Collegen Meiniges [sic], Herrn Csillag, spielte ich am ersten Musikabend Griegs neue Violinsonate”, (die - nebenbei gesagt - mir schon zum Hals herauswächst). Mit grosser Mühe brachte ich ihn dazu, da er durchaus Goldmark” oder Rubinstein” spielen wollte. den 14. Oktober. Um auf Csillag zurückzukommen, so gehört er eben einer veralteten manirirten (Wiener) Schule an. Er schleift fortwährend und kann keine Terz ohne achteltönige Schleifbrücke spielen. Auch hat er diese Art zu spielen, dass wenn eine Triole kommt, diese durchaus getragen

und zurückgehalten werden muss

4a LE

— Tah - Tah - T’hü

- so klingt’s. — Inzwischen kam Henri’s Brief an, der mit hellem Jubel begrüsst wurde. Ich und Lesko unternahmen einen kleinen Reigen durch’s Zimmer, und der Briefträger wurde mit einer 4 Mark und einer Zigarre bedacht. Es traf sich so glücklich, dass zugleich mit jenem Henri’s, ein Brief von Mama ankam. An diesem "Tage fühlte ich mich in der besten 27

Gesellschaft. - Also vielen vielen Dank, Henri, dem ich im Verlaufe

des Schreibens noch ausführlich antworte. Nun sind vorliegende Zeilen an Euch gerichtet. Vorgestern hatte ich meinen Beethoven Abend. (Sonaten: op. 2, op. 31 Appassionata, letzte (op. 111), ausserdem: Variationen und Fuge Es dur (Eroica) und Ecossaisen aus dem Nachlasse®”) - Es hiess, dass hier

seit Bülow” und Rubinstein nichts Ähnliches gehört wurde. Ich spielte auch vortrefflich und wie sonst selten. Der Erfolg war enorm, Ecossaisen wurden wiederholt, Kritik hebt mich in den 7. Himmel. Es war vielleicht meine bisher bedeutendste Leistung als Clavierspieler,

dieser 9 Viertelstunden währende Beethoven Abend! — Jedenfalls hat dieses Müssen hier für den Pianisten Ferruccio auch sein Gutes. —

Leider habe ich wenig, wenig Zeit für mich. Und wenn ich mir auch alle Vormittage bis 1 Uhr freigehalten habe, so spannen mich die fünf nachmittäglichen Stunden (so viele sind es geworden) so ab, dass ich Vormittags darauf am liebsten spazieren gehe. Auch die Abende sind faul. Nichts los. Ein miserables Theater, wo seit zwei Wochen jeden Abend die Traviata schwedisch gesungen wird. Kannst Dir denken! Ein guter Musiker (vielleicht der einzige wirklich tiefere hier), Director Faltin®, hat gleich viel Sympathie und Verständnis für mich gezeigt; ist aber so beschäftigt, dass ich ihn nur selten aufsuchen darf. Mehr als je kommt mir Lesko’s Gesellschaft zu Gute. Ich habe einsehen gelernt, dass für ihn thatsächlich keine Gefahr vorhanden ist. Der

erste Eindruck war eben ein solcher, wie man von den Empfindungen des langjährigen Gefangenen erzählt, der nun seine Freiheit wieder erhält. Er tritt mit anfänglichem Bedauern aus den liebgewordenen Mauern. Lesko hat sogar einige gute persönliche Bekanntschaften, und ich fürchte beinahe, dass von diesen eine zu nahe geworden ...! Auch die Lebensverhältnisse sind hier noch unvollkommen. Obwohl das Essen vortrefflich (aber theuer) so ist z.B. das Wasser untrinkbar, von kotgelber Farbe und selbst zum Waschen anekelnd - eine anständige Zigarre ist unter 50 Pfennig (= 50 Cf[en]t[i]m[e]s. nicht zu haben,

geschlossene Droschken gehören hier in das Reich der Fabel; ein Reich, das in dem Begriff »Petersburg« seine Verkörperung findet. Unsere Droschken sind klein, kaum für zwei Personen, sämmtlich

ohne Laternen und ohne Bremsen: sie fahren bergauf im Galopp, bergunter in Carriere. Die Kutscher tragen sämmtlich einen Kaftan und einen Hut von unbeschreiblicher Form, halb Zylinder und halb Mütze, oben breiter wie die Krempe und mit vorne drauf einer] Schnalle. Ferner sehen sie aus, als ob sie Brüder wären. Stumpfnase, 28

bartloses Milchgesicht und strähnenmässiges gelbes Haar. Als würdige Schwestern stellen sich ihnen im Typus zur Seite die finnländischen Damen jedweden Standes; so ungefähr das Artner-Gesicht ins gelb- oder aschblonde übersetzt, sowie ihr Körper ins Kantige, ihre Rundung ins Platte übertragen! Hübsch sind nur die Offiziersfrauen, die sämmtlich russisch sind. Beim Wort »Petersburg« fiel mir Peters Verlag“ ein, von dem ich die »Bagatellen” zugesandt bekam und zwar zu meiner freudigen Überraschung in die Peters-Edition aufgenommen. Es ist dies für mich eine nicht geringe Genugthuung. Da ich nur 5 Freiexemplare erhielt, so denke ich, dass das übliche sechste wohl Dir

zugeschickt wurde. Ich finde noch keine Sammlung zum eigenen Arbeiten und hatte, als ich gestern gewahr wurde, einen so schauderösen moralischen Kater — ausserdem einen solche Nervengereiztheit, dass es zum »Platzen« war! Ich hatte aber am Tage vorher auch vier Stunden unterrichtet, ebensoviel selbst gespielt und Abends meinen Beethovenvortrag gehabt! - Was würde ich hier für ein Theater geben, wie das Leipziger,

auf das wir nie genug schimpfen konnten! Und das viel verpönte Gewandhaus erscheint einem hier wie das erreichte Ideal aller Musikbestrebungen! Solltest Du, Henri, Sinding”*, sehen (wohnt, glaube ich bei Brodsky”, so bitte ihn, dass er bald das (Quintett* schickt, damit ich es zur freien

Zeit üben kann. In Halle wirke ich mit freudigem Danke mit und werde mit meinen Leistungen diesmal Deinen Wünschen noch besser entsprechen als im vorigen Jahre. Von Klein“ erhielt ich die Absage Deines Quintettes mit der >Hoff-

nung mich anderweitig zu beschäftigen< und keinem Wort weiter über Nikisch*. - Wenn Du diesen darüber befragen willst, so ist es mir lieb. -

den 17. Oktober. Es ist an der Zeit diesen Brief zu beenden. Die Orchester Concerte unter Kajanus’* Leitung (Concertmeister Sitt) haben begonnen und sind jedenfalls als das best-bietende Institut anzusehen. Die Volkskonzerte (deren erstes Programm, über das Du

die Augen aufreissen wirst, ich beilege) finden zweimal in der Woche 2

(!) statt, bei einer Mark Entree und gedeckten Tischen (nach Bilse’schem* Muster). Das ist doch anerkennungswerth. Das Orchester ist zwar jung, auch klein (6 I. Geigen, 2 Contrabässe), auch hat der Diri-

gent für Classisches absolut kein Begriffsvermögen (Mozart’s Adagio war flüchtig, nachlässig und trocken ohne Geduld und Sorgfalt), aber trotz dieses und jenes ist es Etwas; Etwas zwar, das mich mit den

Helsingforser Verhältnissen ein wenig versöhnt, die erbärmlichen Zustände unseres Institutes aber mich um so schärfer sehen lässt. - Denke Dir, nachdem ich den vielbewunderten, glänzend besprochenen,

kurz enorm angegafften Beethoven Abend gab, soll nun - knapp dar-

auf - eine ganz unfähige Schülerin, in denselben Musikabenden Beethovens grosses (wenigstens geistig riesenhaftes) D-dur-Irio® spielen!! - Eine Frechheit! Gegen die ich aber (diese Dame ist meine Schülerin) mich sträuben werde. —

Nun gehe ich auf die Einzelheiten von Henris Brief ein. Hoffentlich ist im Hause die Ordnung inzwischen wieder hergestellt. Grosse Freude macht mir zu hören, dass von Damek’s“ Fähigkeiten sich bewähren; wie sehr ich hoffe und wünsche, dass sich dies Jahr in Deinem Quartett ein Fortschritt bemerkbar mache, auf dass Du nach und nach Dir in Leipzig die Stellung erobern könnest, die Deinem ernsten Streben und Deinem glänzenden Musikerthum gebührt, brauche ich ja nicht zu betonen. Ich glaube aber, dass Du nun auf dem besten Wege dahin bist, ein Weg, der später sicher und erfolgreich Dich auch nach Berlin führen wird. Wenn dieser Brief in Deine Hände gelangt, wird Dein Kammermusikabend schon stattgefunden haben. Ich folge jedem Deiner Bogenstriche in Gedanken und gratuliere zu der schönsten Wahl. Warum verschweigest Du die 2te Nummer Deines Programmes? -- Für Halle habe ich schon zugesagt. Die, durch Deine Worte betonte, neue Bestätigung unserer Freundschaft hat mich aufs Neue belebt. Ich habe in Euch thatsächlich Familie, Geschwister, und in Dir, Henri, einen Collegen gleich mir empfindet, dessen Verständnis für mich in erwidert wird, und zu welchem ich ein musikalisches haupte, das für uns beide gleich anregend und nützlich

gefunden, der gleicher Stärke Verhältnis besein kann, und

viel mehr sein könnte, wenn die äusseren Gelegenheiten uns zu finden und zu begegnen durch die Umstände nicht so sehr eingeschränkt worden wären. 30

Ehrlich” recensirt über Nikisch halb und halb beifällig: auch die Essipoff*‘ (deren Leistung Du sehr rühmst) kommt nicht ganz heil davon. Paderewsky’s‘’ Variationen (ein nettes, gutes Stück)” kenne ich seit beinahe 4 Jahren. P.[aderewsky] selbst lebte in Wien und war Protege von Leschetizky. Wie kann man den grossartigen Cyclus der G[e]W[and]H[haus]concerte mit Eyr‘ anfangen! Und diese erbärmliche Ritterballettmusik’? von Beethoven. (Bekanntlich trat Beethoven die Autorenschaft einem Grafen ab, der das Ballett erfunden hatte; — so zu lesen in einem Gotha’schen Almanach des vorigen Jahrhdts.’”) - Dagegen spielte ich hier (im eigenen Arrangement) Ecossaisen von Beethoven (ebenfalls bisher unbe-

kannt) mit riesigem Erfolge. Darüber schrieb ich schon vorhin. Svendsen“ soll man pflegen, ich hörte hier Einiges sehr Hübsches, Feines, Geschmackvolles, auch Originelles von ihm.

Dass meine Sachen (Br. u. H., IX. Symph.[onie]’°) verspätet sind, liegt nur an mir - ich kam noch nicht dazu, wirklich nicht und mit dem

besten Willen. Auch bekam ich schon einen Mahnbrief von Br.& H. — Es scheint den Leuten doch daran zu liegen! — Wie es kommt, dass sich in Petersburg die Sage verbreitete, dass ich demnächst dort concertire, weiss ich nicht. Es gehört zu jenen unerklärbaren, räthselhaften Erscheinungen, deren Wesen unser Jahrhundert nicht ergründen konnte und deshalb verläugnen will. Thatsache ist's, dass ich vom mehrfachen Höfelieferanten [sic] Schröder (Clavierfabrik) einen Brief bekam, worin mir auf dieses Gerücht hin Claviere empfohlen und zur freien Verfügung gestellt werden. Einen herzlichsten Kuss [an] Egon für sein braves Verhalten in der

Schule. Auch seine Lebendigkeit, selbst wenn sie an die Ungezogenheit grenzt, gefällt und erfreut mich. Möge er auch später im Leben, besonders in so gefährlichen Übergangsjahren sich dieses gesunde Gemüth bewahren, das heutzutage mit der Kindheit zu verschwinden pflegt und das sich doch mit dem Ernste des Berufes vereinigen lässt. Jedenfalls sehr verfrüht und überflüssig kommt mir mein Rath, (Du weißt ja das besser als ich) dem Jungen später zur rechten Zeit die Augen zu öffnen über den Verlauf der Dinge. Verschlossenheit, Verschämtheit seitens der Väter, oder

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strenge Bewachung ohne erläuternde Rechtfertigung dieses Verfahrens, sind dem aufkeimenden Manne schädlich, denn es lässt sich

nichts Natürliches mit Gewalt zurückdrängen, und was seinen Ausweg finden muss, sucht ihn auf andere, falsche und verderblichere

Weise. Verzeihe diesen sittenpredigenden Ausbruch, den ich natürlicherweise weniger auf Dich und Egon, als auf mich selbst und meine

Erinnerungen bezogen habe. So sehr mir Otto’s [?] Verkehr gefällt, so warne ich Dich doch sehr ernstlich vor dessen Mutter. Das wäre nichts für Kathi, und Kathi

wäre noch weniger passend für besagte Mutter. — Zum Schluss noch eins. Ich bitte Dich nochmals, Nikisch über das Bewusste zu befragen und sobald Du die Gelegenheit hast, Reinecke“ einen Moment unter 4

. Augen zu sprechen, diesen über meine Orchester Suite, deren Aufführung wiederum halb und halb zugesagt war, zu interpelliren. Ich mag wirklich keinen officiellen Brief mehr vergeuden und bitte Dich, diesen kleinen unangenehmen Auftrag (vielleicht doch unangenehm) als ein Freundschaftsopfer (sagen wir Öpferchen) anzusehen und zu erledigen. Lebt alle wohl und glücklich. Grüsse Clementine [?] herzlich, über die Du ja Gutes schreibst. Seid alle herzlichst umarmt. Dein, Brief erwartender,

alter Freund Ferruccio Willst Du an Schwalm’ die Karte besorgen?

Vielen Dank für den nachgeschickten Brief.

4

An Henri Petri in Leipzig

Liebe Freunde. Grieg erwartete mich am Bahnhof. Spielte mit ihm und Abraham‘*. Beide colossal reizend und achtungsvoll gegen mich. — Heute Abends Bülow-Concert mit Grieg-Programm und Van Dyck [?] -

Mehr aus Helsingfors. Herzlichen Gruss. FBB.

Berlin 21. 1. 89 32

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An Henri Petri in Leipzig Weimar Schröderstr 23 A am 10.7. 89.

Lieber Henri! Sehr freundlich von Dir, mitten indem Wirrwarr noch an meine Klei-

nigkeiten zu denken. Für heute nur Weniges. Mutter kommt dieser Woche. - Ich bin sehr fleissig und ordentlich. — So alles nach Wunsch geht, wollen ich und meine Mutter Euch besuchen, sobald Du mir mittheilst, dass Ihr ruhig und in Ordnung seid. Bis dahin: auf Wiedersehen und herzlichste Grüsse an Euch drei. —

Dein alter Freund Ferruccio

Du freust Dich, aber ich sehne mich danach, mit Dir zu sprechen. Auch Einiges Wichtige zu exponiren.

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An Henri Petri in Leipzig 12. 7.89 Weimar In Eile!

Bester Henri! Nicht ich scheue, sondern ich sehne mich mit Dir zu sprechen: das

war geschrieben und gemeint. Bin übrigens Sonntag Abends und Montag Vormittags in Leipzig um meine Mutter zu erwarten, wo ich Dich, wenn auch kurz, begrüssen werde. Dass ich mich »scheue< musste Dir doch wahrlich unwahrscheinlich

klingen! Also auf Wiedersehen. Dein Freund Ferruccio

33

7

An Henri Petri Lieber, liebster Freund!

Du hast mir so oft und immer wieder so untrügliche Beweise Deiner Freundschaft gegeben, dass ich fest überzeugt bin, Dir das Intimste

und selbst Unangenehmes anvertrauen zu können, so zu sagen Dir die Nachtseiten meines Inneren und äusseren Lebens aufdecken zu dürfen, ohne dass Dein Vertrauen für mich verloren ginge oder geschwächt werde, kurz ohne dass Du nicht, nach wie vor, der gleiche,

gute Freund mir bliebest. Nach diesem schlangenartigen Satze, einem sprachlichen Reptil gleich (vielleicht der Fafner der deutschen Grammatik) will ich zur Sache schreiten. Ohne jede Scheu, kann ich nur Dein Anliegen vorbringen, da von Deiner Seite weder die abschlägige Antwort, noch die gefällige Gewährung etwas Demüthigendes haben kann. Du kennst mich eben sonst genug, um nicht von vorübergehenden Episoden auf meinen Charakter zu schliessen; Du wirst Dich durch

dies und jenes und auch durch das Folgende, in Deinem Urtheil über mich, nicht irren lassen.

Desgleichen darfst Du kannst Du auf meine Frage »Ja« oder »Nein« antworten, je nachdem es sich mit Deinem Können und Wollen verträgt; ohne dass ich dadurch mich etwa im Glauben an Deine Freund-

schaft erschüttern liesse. — Du weißt, wie verwickelt meine Verhältnisse jetzt dadurch geworden sind, dass ich für mich nicht nur, sondern für meine Eltern derartig sorgen muss, dass diese möglichst ohne Entbehrung leben können. Von meinen eigenen Wünschen und Bedürfnissen als Mann und Bräutigam rede ich nicht, da ich die letzte Eigenschaft vorläufig in den Hintergrund rücken muss. Mein Vater ist zwar nach Italien gewandert, wird aber dort meiner ebenso bedürfen als vorher, da er leider

ein gut Theil Energie und ernsten Strebens theils durch Alter und Krankheit, theils durch Missgeschick und in wenig sorgvolles Dasein eingebüsst hat. Ich selbst brauche wenigstens derjenigen provisorischen Ruhe, welche ein Weiterstreben und anhaltendes Arbeiten er-

möglicht: durch letzteres allein wird es mir möglich meinen Zielen näher zu kommen; doch müssen mich die Lebenskämpfe, falls sie

nicht auf kurze Zeit unterdrückt werden, davon abbringen und mir die nöthige Sammlung rauben. Kurz: ich möchte diese drei Existenzen und meine eigene, von der die beiden ja abhängen, auf wenigstens

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ein Jahr gesichert wissen, und ich brauche dazu einer grösseren Summe. Der Winter wird einige Concertengagements und meine Oper [Sigune] im nächsten Jahr (falls ich daran zu Ende arbeiten kann) ein Honorar einbringen: für die 5 Monate in Helsingfors wird zum Theile meine dortige Gage sorgen. Nun aber denke was dazwischen liegt, mein Vater, meine Mutter (die

auch in ihrer Garderobe für den finnischen Winter versorgt werden muss) die verschiedenen Stockungen in den Einkünften; endlich noch etwas über 1000 Mark an dringenden Verpflichtungen, und Du wirst begreifen, dass ich mich nach irgend einer Stütze umsehen muss. Selbst für das Auskommen bis zum Saison-Anfang steht es unsicher. Ich dachte Dich zu fragen ob Du es möglich glaubst, dass mir ein Capital von 5000 Mark gegen jährliche Prozentzahlung auf unbestimmte Zeit (sagen wir auf fünf Jahre) geliehen werden könnte und wollte Dich deshalb um Rath bitten. Dasselbe müsste recht bald ın meinen Händen sein. Hinzufügen will ich noch, dass auf Blüthner” (seit Abgang seines Schwiegersohnes vom Verlagsgeschäft) - der auf meine Oper rechnete, — nicht zu zählen ist; dass ich mit Abraham (seit seiner letzten sehr

merkwürdigen Correspondenz, — davon mündlich) auf gespanntem Fusse stehe“ und dass Steinway“ leider gestorben ist. An Dich selbst denke ich nicht im mindesten (ich weiss ja wie Deine Stellungsveränderung Dich derangirt haben muss): aber vielleicht ist es Dir möglich, mir einen guten Weg zu weisen. — Natürlich sind diese Zeilen nur für Dich bestimmt. Nimms also nicht übel und sei so freundlich, mir irgend eine Antwort zu geben. Es grüsst Dich und die Deinen herzlichst Dein Ferruccio Weimar

Schröterstr. 23 A - 22.7. 89.

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An Henri Petri in Dresden

Lieber H. Den Inhalt Deines Briefes kann ich durchwegs nicht misverstehen und ich erkenne Deine Gründe dafür an. Doch hast Du, wohl aus Versehen, ein Fragment abgeschickt: der Brief schliesst nicht und der zweite Bogen liegt wohl noch auf Deinem Schreibtische. Natürlich interessiren mich Fortsetzung und Schluss, worum ich Dich bitte. Herzliche Grüsse Ferruccio Weimar 24.7.

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AnHenri Petri in Dresden

Weimar 25.7.89. Liebster Freund! In meinem, die schwierige Frage betreffenden Briefe, sagte ich »dass weder eine gefällige Gewährung meiner Bitte, noch eine abschlägige Antwort mich demüthigen noch kränken könnte«. Ferner, dass ich auf Dich in keiner Weise rechnen dürfte, worin ich

wohl auch die »Leistung einer Garantie< mit gerechnet wissen wollte. Du siehst also, dass Deine Befürchtungen, meine Freundschaft ver-

scherzt zu haben, völlig unbegründet sind und auch, dass ich doch so viel zu rechnen verstehe, dass Deine Gründe, Dich selbst betreffend, mir nicht nur einleuchten, sondern von mir im voraus überlegt waren.

Ich kann nicht fordern, dass Du meinetwegen irgendwelche peinliche Schritte unternimmst und das um so weniger, als Du - wie klar zu ersehen - an dem eventuellen Erfolg verzweifelst. Meine Lage ist schwer, weil sie knapp nach einer Entscheidung drängt, und weil zu viele Übel die Complication hervorrufen. Mit Januar an, werde ich ja geborgen sein: in Helsingfors habe ich Gage, Lectionen und Concerte, die viel abwerfen. Die Beschaffung jener Summe, bleibt - nach nochmals vorgenommener Rechnung — doch unumgänglich nothwendig und ich werde sie auf irgendwelche Weise schaffen müssen. 36

Deshalb aber bitte ich Dich, Dich selbst nicht weiter zu beunruhigen: hast Du doch, wie Du schreibst, selbst erhebliche Sorgen.

Erst wenn Du ganz in Ordnung bist und ausserdem noch kurze Zeit darauf der Ordnungsruhe genossen hast, werden wir Dich - ich und Mutter — mit vieler Freude besuchen kommen.

Bis dahin sei herzlichst gegrüsst und für Deine warmempfundene Theilnahme bedankt. An die Deinen die herzlichsten saluts. Ebenso von Mutter.

Dein ergebener Freund Ferruccio

10 An Henri Petri in Dresden

26. Juli 89. Lieber Henri! Ich habe mich entschieden, Dich in Begleitung meiner Mutter erst dann zu besuchen, wenn Hofcapellmeister und Generalmusikdirektor Schuch‘? in Dresden ist: — vorausgesetzt dass Du mich ihm vorstellst und empfiehlst, will ich ihn die Oper [Sigune] hören lassen. Diesen Freundschaftsdienst darf ich, wie ich Dich kenne, von Dir er-

warten. — Meine Mutter freut sich auf Euch drei und grüsst freundschaftlichst. Desgleichen sende ich Dir herzlichste Grüsse an Euch, liebe Freunde. Dein Ferruccio

37

11 An Henri Petri in Dresden

W.[eimar] 14. 8. 89 Lieber, liebster Freund!

Dein Eifer ist rührend. War mehrere Tage in Berlin (wegen Wolff*Conferenz) daher die verspätete Antwort. Textbuch [zur Sigune] wird Ende des Monates bei Br. & H. in Druck gegeben.“ Herzlichste Grüsse an Dich und Kathi. Kann vorläufig, einer Überhäufung von Arbeiten wegen, nicht nach Dresden [kommen]. Küsse Egon. Dein dankbarer Ferruccio

12 An Henri Petri in Dresden

Weimar 18.8.89 Lieber Freund! Quartett“, Bachfuge“, Textbuch erscheinen September oder Oktober. Dieser Tage werden sämmtliche Revisionen fertig. Nl[ota] B[ene]. Ich höre dass am 24. 26. 28. 31. August die Nibelungen stattfinden. Das wäre eine gute Gelegenheit Mamä (und auch Paul”) zu »erziehens, zugleich mit dem prächtigen Dresden, vor allem aber mit Euch Beiden, Ihr Lieben, bekannt zu machen.

Doch, Werthester, sage ob es ein Ding der Unmöglichkeit, ob es eine blosse Componistenfantasie ist, dass wir drei zu jenen Vorstellungen Freibillets bekommen. (Ich merke leider zu spät, dass ich wieder mit einer Bettelei an Dich heranrücke; doch ich stamme ja aus Italien, wo die Bettler bekanntlich

schaarenweise auf den Treppen der Gottespaläste liegen.) Doch das ist des schaffenden Künstlers Methode und Bestimmung, dass er giebt um wieder zu fordern. Ich fordere nicht (mache also von

meinem eben bewiesenen Rechte keinen Gebrauch) sondern frage blos und eventuellen Falls würde ich mich auch zum Bitten bequemen. 38

Jetzt aber grüsse ich Dich und Kathi herzlichst. No 2. Grüsst Euch Mutter sachtungsvoll«. No 3. Vereinigen wir uns Beide, um Egon und recht derb zu küssen. No 4. Paul wiederholt No 2 und 3. Dein alter Freund Ferruccio

13 An Henri Petri in Dresden

Deiner freundlichen

Weimar 19.8.89. Lieber Freund! Zusage gemäss, schicke ich Dir die letzte

Correctur des (Quartettes. Die Partitur ist bereits auf das genaueste durchgesehen; nicht so die

Stimmen, welche mit der Partitur peinlich verglichen werden sollen. Auch diese sind zwar schon durchgesehen, doch sind sie sicher nicht fehlerfrei. Solltest Du etwaige Zusätze fachmännischer Art, Stricharten, auf technische Ausführung bezügliche Vortragszeichen, (zu welchen ich Dir die vollständige Ermächtnis verleihe) für nothwendig erachten; so versäume nicht die gleichen ın der Partitur einzutragen, auf deren Übereinstimmung mit den einzelnen Parten ich viel halte. Ich rechne darauf, dass eine Woche genügen wird die Sache druckfertig zu stellen, worauf ich Dich ersuche Partitur und Stimmen direct an Breitkopf & Härtel (Sternwartenstr. 22) und zwar eingeschrieben zu

senden, da eine Wiederholung dieser Hundearbeit mich rasend machen würde. —

Meiner wirklichen Dankbarkeit sei gewiss. Herzlichen Gruss an Euch Drei. Dein Ferruccio

39

14 An Henri Petri in Dresden

Wfleimajr. 22.8.89 Lieber, liebster Freund.

Dank von ganzem Herzen, für die eifrige Erledigung meiner Drucksache. Darüber Folgendes: 1. betreffs I. Viol. im Andante ıst Deine Version zu setzen:

a

PES=Z en

2. Satz IV. Bei Wiederaufnahme des Hauptthemas in Moll, nach dem

längeren »Poco sostenuto< (durch das Cello) ist die Bezeichnung Tempo I« schon auf dem letzten Achtel (Ihema-Auftakt) des »Poco sostenuto« zu setzen. Verstanden? So ist die Frage am einfachsten gelöst. 3. »Marcato un poco« ist bei allen drei Instrumenten am Platze ZEN

==

4. Bei Takt 110 im IV Satze*theile ich ebenfalls Deine Ansicht. 5. Stärke Bezeichnung bei dem Einleitungssatz IV ist mf

Beim 9. Takt jedoch ist p. vorzuschreiben: vg

=

Viol. I re

*





====esss> Ca

j

-

pP

oder wenigstens »zart«. 6. Beziehentlich des < > im 5. Takte nach Eintritt der I. Violine (I. Satz vergleiche die Parallel-Stelle im dritten Theile desselben Satzes, welche in B dur erscheint und richte die erste nach gleicher Art einf)].

Leider ist das Manuscript verloren gegangen (bei der Zurücksendung von Heermann [?]) und ich musste die Correctur aus dem Gedächtnisse fertigstellen. Jetzt, im Augenblick, habe ich keine Note des Werkes zur Hand. -

Zu unserem gewiss gegenseitigen Bedauern, muss ich, neu hinzugekommener Entschlüsse halber, meine Reise nach Dresden auf spätere

Zeiten verlegen. 40

Nochmals herzlichsten Dank und Gruss von Deinem stets ergebenen Freunde Ferruccio

15 An Henri Petri in Dresden

Es wäre mir willkommen, wenn Du mir anzeigtest wann Du die Correcturen an Br. u. H. sandtest. Nochmals Dank für die liebevolle Mühe. Herzlichen Gruss Ferruccio

WTleimajr. 26.8. [8]9

16 An Henri Petri in Dresden

’ Leipzig 2. Sept. 89. Prusse Lieber Freund. Ich muss Dir tausendmal für alles Liebe danken, das Du mir letzthin

erweisen wolltest, was hiermit aus vollem Herzen geschieht. - Leider muss ich heute noch selbst den ganzen morgigen Tag hier sein. — Die Klempneraffaire [?] ist ausgerichtet. - Dank und herzlichen Gruss auch an Kathi. Küsse an Egon. Dein

Freund Ferrucccio

17 An Henri Petri in Dresden

W.[eimar] 8.9. 89.

Liebe Freunde! In der Eile eine kurze Nachricht. Meine Geschäfte habe ich mit vieler Noth halbwegs nun ordnen können. Nächster Tage (11. Sept) geht’s nach Helsingfors. Von dort aus mehr. Al

Ich bin schrecklich beschäftigt, mit der Zeit knapp bemessen und nicht gerade phlegmatisch aufgelegt. Das wird sich und muss sich alles geben. Traf noch Nikisch und Grünberg“ in Leipzig, beide strahlend vor Glück. G.[rünberg] grüsst Dich. Anbei das Portrait. - Mehr als herzliche Grüsse von Euerem

Ferruccio

18 An Henri Petri in Dresden

Lieber Freund! Lese ich da neulich in den »Signalen für die musikalische Welt, und die der Strohköpfigkeit«”, dass der Concertmeister Petri, anstatt das erste Jahr in Dresden sich reservirt zu halten und nur bei würdigen Gelegenheiten aufzutreten, bei einem Herrn Johannes Schubert [?] (der

»ausserdem« indisponirt war), spielte und allerdings das beste des Abends leistete. , Ich sehe schon von weitem wie mein hochzuschätzender Freund für das junge Talent« dem man es »bei erster, flüchtiger Bekanntschaft gar nicht ansah«— Feuer und Flamme wird, wie er den »nur Johannes« ein-

ladet, mit ihm Compositionen durchspielt etc. etc. Das lange Schweigen, meine wirklich unmässige Arbeit, ein stärkeres Unwobhlsein, hatten mich ziemlich von Dir entfernt; als diese Nach-

richt (die ich negativ nennen will) mich plötzlich in die direkte Bezie-

hungen wieder zu Dir brachte. Die Frage ob ich oder Du nicht geschrieben haben, ist eine müssige; da Du von dem Standpunkte ausgehst, dass der Scheidende zuerst von sich berichten soll und mehr von sich zu berichten hat. Das finde ich richtig. Doch ein Brief kann (bei solcher Entfernung) aus tausend Gründen ausbleiben: während Ihr sicher und wohlverwahrt in Eurem Pensionkasten sitzt, kann mir dies und Jenes auf der Reise, durch schlimmes Klima etc. widerfahren. Aber Du, Vollendetster aller

Formenbeflissenen, hast die Besorgniss, die vielleicht auftauchte zurückgedrängt, um nicht der Erste von den beiden zu sein, oder hast

meine Handlungsweise mit den Begriffen »Undankbarkeit und Vergessenheit« identificirt: ein allerdings wohlzuempfehlendes Verfahren, 42

da es auf den Durchschnitt aller Menschheit erfolgreiche Anwendung finden kann, das hier aber als ein total verfehltes anzusehen ist.

Leider kann ich Weihnachten nicht bei Euch zubringen. Meine Arbeiten heissen mich den letzten Tag ausnützen, bevor ich nothwendigerweise nach Leipzig reise, wo ich am 8. 9. Januar im Gewandhaus Es Dur Concert [von Beethoven] und ein neues eigenes Concert”, ausserdem 11. bei Brodsky, Tschaikowsky A moll 'Trio spiele. Wie steht es um Deine russische Reise? Was macht Ihr überhaupt? Was mein eigenes Concert, oder Concertstück, oder symphonisches Clavierconcert belangt,-so betrachte ich es als wohlgelungen, da darinnen weniger >Contrapunkt, Rhythmus und unruhige Harmonie« als vielmehr Fantasiekraft, originelle Formung und wirksame Instrumentation es kennzeichnen. Ich wünschte Dich in Leipzig bei jener Gelegenheit und hoffe auch Dich zu sehen.

Küsse den liebsten Jungen (auch Lesko, der jetzt sehr würdige 10fache Mutter ward) und grüsse herzlichst Kathi. — Mama grüsst freundlichst und sehnt sich noch immer nach Euerer Bekanntschaft. Ich bin wie stets und unverändert Dein Freund Ferruccio

Hfelsing]fors 11.12.89

19 An Henri Petri in Dresden (Postkarte) 6.1.90

Lieber Freund. Ich hoffe doch die grosse Freude zu haben, Dich am Donnerstag Abend hier zu sehen. Ich möchte, dass Du bei diesem bisher wichtigsten Ereignisse meiner Laufbahn zugegen wärest. Und Kathi? Doch ich will nicht zuviel verlangen. — 43

Nachträglich ein fröhliches neues Jahr. - Reinecke erzählte, Du hättest in Plauen (?) wie ein Gott gespielt und Du wärest ihm deutlich als der direkte Nachfolger J.[oachi]’ms”' erschienen. Glück zu. Dein alter Ferruccio

Lpzg Simsonstr. 9 III bei Spann.

20 An Henri Petri in Dresden

Kann diesmal leider nicht. Doch hoffentlich noch bevor ich zurückreise. Herzlichsten Dank und Gruss D.[ein] Ferruccio

21 An Henri Petri in Dresden

H.fors 3.4.90 Liebster Freund. Dein Brief und die schriftlichen Grüsse Deiner Lieben waren mir ein halb unerwartetes und willkommenstes Geburtstagsgeschenk”, welches mir um so erwünschter war, als es mir Gelegenheit gibt einen Entschluss zu fassen: nämlich den, einmal wieder so recht und voll

Dir mein Herz auszuschütten. Wahrhaftig ist dies eine Art Nothwendigkeit, nachdem ich den vertrauten Umgang in Deinem gastlichen Hause und die damit verbundene Annehmlichkeit der Mittheilung entbehre: das behagliche Gefühl ein zum Hören stets bereites Gemüth zu haben. - War ich (oder galt ich) gegen Dich (für) schweigsam, so bin ich jetzt in mancher Beziehung stummer, denn die Memnonsäule, die doch wenigstens zu

Sonnenaufgang einen Laut von sich gab. Meine Mutter geht in ihren Ansichten so mit den meinen auseinander”, dass ich nicht wage eine

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Behauptung zu äussern aus Furcht, zur Antwort etwas derartiges zu hören, das ich mit so grossem Kampfe endlich aus meinem Glauben und Aberglauben getrieben habe! Ich glaube sehr dunkel zu reden; so dass andere, als Ihr, daraus nicht klug würden: - doch wäre es undankbar unausgesprochen zu lassen,

dass ich in meiner Braut einen grossen Ersatz für Euere Entfernung besitze, eine Gefährtin, bereit, zur Ermöglichung meines Strebens al-

les zu opfern und zu wagen, — die mich, wenn auch nicht speziell musikalisch, so doch geistig ganz erfasst, ohne blind zu sein: so dass ihre hohe Meinung von mir und ihre Kritik sich zu einem wohlthuenden Einfluss vereinen. - Damit schliesse ich den Bericht über meine Braut,

um nicht in den Verdacht zu kommen sentimental oder verliebt zu sein. Mit meiner Mutter will ich für heute auch abgeschlossen haben. Von dem anderen, zur Zeugung unerlässlichen Individuum” ist mit Heine zu sagen: »Es ist eine alte Geschichte‘. Er versinnbildlicht eben das grosse Leben der Natur mit der periodischen Wiederkehr der Elementarereignisse, als da sind: Frühlingsstürme, Herbstwehen, Ebbe und Fluth, Mondfinsternisse und dergleichen Kalenderweisheiten. Bei der Natur kommt aber der Segen von ihrem Schöpfer;

hier wandert er aber zum Schöpfer zurück. Meine Stellung ist hier eine meinem künstlerischen Streben so wenig förderliche geblieben, dass ich — trotz meiner dreifachen Lebenssorgen - sie ad acta zu legen, auf deutsch: zum Teufel schicken werde. Meine Ferien, die erst mit dem 1. Juni anheben, werden mich als den

abgesetzten Clavierprofessor und den glücklichen Nichtbesitzer von allem Möglichen erblicken. Deshalb kam die Nachricht, Breslau” betreffend, mehr alsä propos. Eine solche Stellung wäre die einzige »Gebundenheit« die ich mit wirklicher Freude auf mir lasten liesse und mein Dank für Deine freundschaftliche Handlung kann nicht wärmer empfunden sein. So bitte ich Dich denn mein probeweises Auftreten dort zu ermöglichen und zu sichern. Bei dieser Gelegenheit will ich Dir sagen, dass meine Orchestersuite hier unter meiner Leitung zur Aufführung kam” und dass es allgemein hiess: diese Leitung des hiesigen Orchesters wäre bisher die beste gewesen: auch die Orchester-

musiker selbst, behaupteten unter mir sich sicherer und angeregter gefühlt zu haben. Dies nur, um Dir meine guten Anlagen zum Dirigenten anzuführen, die allerdings noch der Erfahrung und der Übung bedürfen. Doch habe ich noch Anderes zu berichten. Ich spielte in Petersburg. Zuerst im Kammermusikverein, dann mit Auer” in Rubinsteins Ge45

genwart.”” Der Erfolg war ein ungewöhnlicher. Dass nach einem Beethovenschen Trio noch zwei Bis von Solostücken verlangt werden, kommt nicht oft vor, und das war der Fall. Dies bewirkte, dass ich ein drittes Mal, in den Orchester Concerten (ausnahmsweise unter Rfubinstein]’s Leitung) mit gleichem Erfolg auftreten musste.”

Merkwürdigerweise gilt seitdem meine feste Niederlassung in Petersburg als bestimmte Thatsache: ich selbst aber kann (trotz vieler Ermuthigung von einflussreicher Seite) nicht daran denken mich in dieser Stadt des verdorbenen Kunstgeschmackes und der gesellschaftlichen Vorurtheile als Clavierlehrer einzupflanzen. Dagegen beabsichtige ich an dem grossen Preisausschreiben für Pianisten und Componisten theilzunehmen, welches Rubinstein Ende des Sommers veranstaltet und wobei 10.000 francs zu holen wären.“ Wie denkst Du darüber? Auch dazu wurde ich dort stark angespornt. In diesem Falle dächte ich den Sommer hier zu verbringen. Die Theilnahme an den Concours erfordert starke Arbeit. - Mit dieser habe ich übrigens den ganzen Winter nicht gespart, so dass ich mich »jetzund« ziemlich angestrengt fühle. Unter anderem ist auch das Arrangement einer zweiten Orgelfuge von Bach zu erwähnen, das noch grösser und mächtiger als das erste gelang“; von letzterem ist hoffentlich ein Abdruck in den Händen Deiner Kathi. So. Nun bin ich meinerseits fertig! — Was Deinen lieben Egon anbelangt, so gestehe ich vorläufig keine grossen Bedenken zu hegen. Sei vorläufig recht glücklich einen so begabten Jungen zu besitzen. — Was ich aus eigener Wunderkindheitserinnerung sagen kann ist, dass es mir von grossem Nutzen war, dass mir von Anfang an eingeprägt wurde ich sollte und könnte ein grosser Mann werden; dabei aber zeigte man sich mit meiner vorläufigen Leistung stets unzufrieden. Junge Männer, die sich gerade auszeichneten und in den Blättern standen, wurden mit Erfolg citirt; ich weiss, dass mir solch’ eine

Nachricht stets einen Stoss in den Magen gab. Das System bestand darin, mein stark entwickeltes Ehrgeizgefühl anzuspornen. Doch darf die scheinbare Unzufriedenheit, das Kopfschütteln, das Straf-

predigen nicht übertrieben werden; da es leicht zur Entmuthigung oder zum Trotz führen kann. Auch später, in meiner Studienzeit, spornte mich das Wetteifern mit

den Mitschülern mehr [an], als die Sache selbst. Der eigentliche Ernst trat erst mit der beginnenden Männlichkeit und der Entwicklung des selbständigen Charakters ein. Das Clavierspiel habe ich bis vor weni46

gen Jahren gehasst und vernachlässigt. Früher habe ich lieber gelesen als musicirt. Obwohl ich über mich zu sprechen scheine, so beziehe ich meine Worte doch hauptsächlich auf Egon, über den Du Dich, (ich wiederhole es) vorläufig recht ruhig fühlen sollst. Da es für solche Naturen wie die seine heutzutage in der Musik keine geeigneten Lehrer gibt (nämlich solche, die einem klar machen, dass Alles Theoretische leicht und einfach und bald gelernt ist; anstatt des Gegentheiles) so wünschte ich später recht sehr, Egons Meister selbst sein zu können. Denn, dass er Musiker wird, scheint mir ziemlich

unvermeidlich. Grüsse ihn und küsse ihn herzlichst. Ebenso wie ihm danke Kathi für den Brief. Ich habe sie alle in einem beantwortet. Schreibe, wenn Du kannst, bald oder lieber sofort.

Herzlichsten Freundesgruss von Deinem alten Ferruccio Sage Kathi dass mich die Paraphrase über das Motiv »die weisse Hand« sehr amusirte und das ich mit dem ihr zuertheilten Platze mehr als zufrieden bin. Lesko ist wohl und zum zweiten Mal Mutter. Ihr Liebesroman (der sich zu Weihnachten abspielte) ist beinahe menschlich. Davon ein andermal. Ich beneide Euch im schönen Dresden! Gratuliere zu der Geigenrate. Nochmals Gruss an Euch Alle.

22 An Henri Petri in Dresden

Berlin W[est]” 3.3. 96

Mein lieber, hochgeschätzter und »königlicher* Freund! Habe herzlichsten Dank vorerst für die angenehmen und nahrhaften Stunden in Deinem Heim und für Deinen lieben warmen Empfang. Sodann sei für den Brief bedankt, den ich eben empfange. Wie doch

der Mensch steigt! Ich soll ja gar ein »ordentlicher« Mensch werden! Ein Mensch so zu sagen, in »geordneten« Verhältnissen! Es wird für mich Nichts »Ausserordentliches< mehr geben. 47

Ich werde Decorationsspieler, wie es Decorations-Maler giebt. Zu dem Christuskopf wird ein Kreuz gesellt werden. Als mir neulich eine Rose angeboten wurde, bemerkte

ich mit Scham, dass das

Knopfloch zu meinem Frack zugenäht war. Ich schicke ihn nun sofort zum Schneider. Doch, ich muss auf meinen Schwur halten und Deinen Brief beant-

worten. Ich halte es mit dem Vincentinen® Concerte und lege mein Schicksal, so betreff des Honorars, wie der Hofconcertlichen Bedingung in Deine Hände. Ich vertraue Dir ganz und gar, bin Dir für Deine Hilfe ungemein verpflichtet. Wenn die Aussichten auf Monaten nicht über das Mittelmass sind, so würde ich den Orden vorziehen. Aus rein

praktischen Gründen. Meine Schätzung derartiger Auszeichnungen ist Dir bekannt; wenn nicht, Dir gewiss kein Räthsel. Auch mit dem 27. bin ich Deiner Meinung. Habe grossen Dank für Dein freundschaftliches Interesse. Es drückt Dir herzlichst die Hand Dein Ferruccio Claviervirtuose

23 An Henri Petri in Dresden

Berlin 2 IX 96

Werthester, lieber Freund.

Es hat mich ebensosehr und aufrichtig gefreut von Deinem geplanten Berliner Concerte zu hören, als ich bedauerte Deinen Besuch ver-

säumt zu haben. Deine Nachricht und Aufforderung in Deinem Abend als Pianist und als Componist aufzutreten schmeichelt mir sehr und ich möchte gerne der letzteren nachkommen können. Es trifft sich schlimm, dass ich

aber bereits am 7, ja wahrscheinlich schon tags vorher auf der Reise nach Norwegen sein muss, so dass mir auch die Freude genommen bleibt, Dich zu hören. Auch für einen Begleiter weiss ich keinen Rath. Der Hofcapellmeister Dr. Muck ist hier mit bestem Erfolge als Kammermusikspieler aufgetreten, und obwohl ich ihn nicht hörte, so weiss ich, er wäre ein vornehmer Gefährte in Deinem Concerte. 48

Ansorge”, der in Berlin lebt, erfreute sich ebenfalls eines hervorragen-

den Erfolges. - Du stehst ja gut mit d’Albert®. — Oder endlich, kann man das Concert aufschieben? Ich bin natürlich mit Freuden bereit, noch mehr zu beantworten. Mit herzlichsten Grüssen von Haus zu Haus, Dein Freund und Bewunderer Ferr B Busoni Nl[ota]B[ene]. Dein Brief wurde nach Göhren und von dort wieder

zurückgeschickt: daher die Verspätung!

.

24 An Henri Petri in Dresden

Liebster Freund Petruccio. Welcher war der möglichst letzte Termin Dir die Violinstimme meines (kurzen und nicht schweren) Violin Concertes” zuzusenden, wenn Du dasselbe eventuell am 16. Januar spielen solltest? Meine Zeit ist leider so knapp, dass ich höchstens im letzten Augenblick damit fertig werde. Freundliche Antwort erwartend grüsst herzlichst Euch Alle Ferruccio Berlin 29 11 96

25 An Henri Petri in Dresden

Berlin 7 12. 96 LH.” Die Sachen stehen jetzt so, dass ich erst vom 21. Dec. mich dem Violin Concert widmen kann. Ich bin wahrscheinlich zu Neujahr fertig und komme nach Dresden; Du entscheidest, ob Du die Sache annimmst. Anders geht’s leider nicht. Für Brief 1000 Dank. Herzlichste wärmste Feiertagswünsche von Haus zu Haus. Dein alter Freund Ferruccio 49

26 An Henri Petri in Dresden

Berl[in] 3 J[anuar] 97 LH. Der Mensch denkt und Gott - lässt ihn zuweilen im Stich. Namentlich ist dies um Neujahr herum zu entschuldigen, allwo Millionen Bitten und Wünsche zu registriren und zu erfüllen sind. Mein Compositions Concert kommt erst im März, am 19. zu Stande - aus vielen, unnütz aufzuführenden Gründen. Mein Neujahrswunsch zu mir selber ist: Dir möge mein Violin Concert behagen und Du spielest es mir zu meiner Ehre und Freude am 19. Möge es in Erfüllung gehen!! Dir und den Deinen wünsche ich Frieden und Zufriedenheit, Wohlhabenheit und Freude an Euren Kindern, künstlerische

Genugthuungen und weltliche Ehren vorläufig auf 50 Jahre hinaus, also bis zum 3. Januar 1947. Bis dahin dürfte sich Einiges ändern und man wird neugemodelte Wünsche, den Verhältnissen angemessen ausdenken. — Mit grosser Freude trete ich in der königlichen Capelle auf - auch Deines Schwiegervaters [?] halber freute ich mich; wir verkehrten in freundlichster Weise miteinander bei Proben und Aufführung. Mit Singer” komme ich dann und wann zusammen. — Ich muss einmal im Januar nach Dresden kommen und Dir das Concert (von dem nur das Finale zu instrumentieren bleibt) vormachen. Vielleicht gerade in der Mitte des Monats. — Grüsse, Grüsse, Grüsse.

Dein alter FB Busoni Pianist und Komponist.

27 An Henri Petri in Dresden

LH. Die Frage der Aufführung meines Violin Concertes in meinem Compositions Abend ist mir überaus wichtig. Leider jedoch wenn man innerhalb eines Monates etwa 20 Concerte im Umkreise von 100 Kilometer zu geben hat, da schreiten die Arbeiten langsam vorwärts. Mit meinem Violin Concerte steht es so: morgen ist die

Partitur des Finales fertig, während die beiden 1. Sätze schon länger beim Copisten sind. In 3-4 Tagen kannst Du Deine Stimme haben. Es 50

hängt nun von Deinem guten Willen und Deiner Zeit ab, ob die Sache zum 19, zu Stande kommt. Mir liegt ungeheuer viel daran und ich bit-

te Dich inständig, Deine bewahrte Energie daran zu setzen (an dem Können ist kein Zweifel) und ein beruhigendes Wort zu senden zu Deinem ollen Ferruccio

28 An Henri Petri in Dresden Lieber Petri. Ich weiss nicht, wie es kam. Ich hielt seit Monaten fest an dem 19., als

Wolff plötzlich es als einen Irrtum erklärt und den 20. vorschiebt. Ich habe ein wenig Verdacht, dass sie den 19. gebraucht haben und die Daten vertauscht. Nun bist du am 20. nicht frei; und dies entschied

mich, die ohnehin etwas eilige Geschichte auf den Anfang des nächsten Herbstes zu vertagen, wobei ich nun fest auf Dich rechne, falls sich der gute Eindruck meines Stückes bei Dir auch mit dem (gewiss nicht nebensächlichen) Orchesterpart bewährt. Ich halte Etwas auf das Ding und war glücklich, dass es Dich nicht abschreckte. Clavierauszug war in der Eile nicht fertig zu stellen, die Partitur beim Copisten. — Das Finale wirkt im Ganzen als eine Art »Carneval und dürfte als Schlussatz eines Violin Concertes recht eigenartig klingen. - Nun kommt dazu, dass ich das Werk (nebst einer Orchester-Suite”?) verlegen wollte, dies aber nicht riskieren könnte, ohne wenigstens

eine Probe davon zu halten. Würdest Du das Opfer bringen und dabei sein? (Ausgaben sollst Du keine haben.) Ich habe bis 16. ein ganz neues Programm für Berlin” einzustudiren, wozu nur noch 6 Tage Zeit. Bin also bis dahin fest. Ich beglückwünsche Dich zu Deinem Wiener Erfolg, Habe grossen Dank für Deine freundschaftliche Bereitwilligkeit; grüsse mir herzlichst Deine Lieben. Zwei Zeilen! Dein Ferruccio

Berl[in] 9. M[ärz] 97

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29 An Henri Petri in Dresden

Liebster Freund Ich bin Dir für Deinen guten Willen und Eifer für Dein freundliches Entgegenkommen unendlich dankbar. Die Idee mit Mannheim wäre vorzüglich (Ich habe auch darum geschrieben) allein die Leute verhandeln eben wegen meiner pianistischen Mitwirkung und ich fürchte, dass sie mir als Componist kaum einen Nebenplatz einräumen werden umso mehr als ich merke (unter uns gesagt!) dass sie sogar meiner solistischen Bethätigung den Raum und das Programm schmälern wollen. Aber ich wäre glücklich wenn es ginge. Da ich bis jetzt keinen Menschen mit meinen Werken belästigt habe, bin ich gespannt, wie dieser erste Schritt ausfällt! Nochmals Dank! Herzlichste Grüsse Auf vielleicht recht baldiges Wiedersehen. Euer alter Ferruccio Brln 20 Mz 97

30 An Henri Petri in Dresden LFP.

Dein lieber, herzlicher Brief hat uns grosse Freude bereitet.

Dass Du in das kleine Ding so ganz [mit] Leib und Seel[e] aufgehst rechne ich hoch an und bild mir darauf was ein! Der Erfolg in Deinem Hause hat mich überrascht, ist es doch eigentlich der erste, den ich als

Componist erringe. Also grossen Dank! Ich freue mich auf Dein Spiel, aussergewöhnlich! - Proben am 7. und 8., die erste wahrscheinlich Vormittag; doch erfahre ich dies heute und schreibe sofort Bestimmtes. - An Egon schönen Dank für sein Briefchen. Wir freuen uns, Euch alle zu sehen. Hurrah. Dein Ferro

Berlin 1. ©. 97 Achtungsvollen Gruss an Herrn Offermann [?). 32

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An Henri Petri in Dresden

Berlin, 13. ©. 97.

Mein lieber Henri. Noch einmal danke ich Dir aus vollem Herzen für die künstlerisch vollendete, mit so warmem, herzlichem, echt freundschaftlichem Ei-

fer durchgeführte Wiedergabe meines Concertes.”* Der Abend des 8. Oktober ist ein Markstein in der Geschichte unseres künstlerischen und menschlichen Bündnisses: ein Bündnis, wel-

ches zuerst zu drei begründet, nun durch das Hinzutreten Gerdas und das Heranwachsen Egons fester geworden. Dieser Abend ist wie ein doppelter Taktstrich in der Sinfonie des Lebens, und wir wünschten - da das Schicksal das Wiederholungszeichen unerbittlich versagt, zum Mindesten eine recht lange Fermate darauf gehalten! Was Egon betrifft so trifft es sich glücklich für mich, dass ich - an Jahren - ihm fast ebenso nahe stehe, als Dir; so dass ich Beide verstehen,

mit beiden empfinden kann.” Indessen ich in Manchem Egon vorangehe, wird er bald mir zur Seite schreiten, und wer weiss ob ich schliesslich nicht um ein Beträchtliches zurückbleibe! Möge es ihm glücklich ergehen als Menschen, möge er als Künstler einen Stein zum grossen Monument beitragen an dem wir alls meisseln, formen bauen!

Die Kritik hat mich »unter derselben« behandelt. Einer geht soweit zu behaupten, dass ich vom Satzbau keine Ahnung hätte! Alle stellen mich als »anerkannten Meister am Clavier< dar, so dass

wenigstens Dieses erreicht ist! Was ich dem Briefe beilege, ist als Ersatz für die Stundenversäumnisse und wichtigsten Spesen gemeint. Meine alte Schuld hätte ich gern zugleich beglichen, doch muss ich Dich bitten, Dich damit noch ein we-

nig (nicht allzulange) zu gedulden. 1000 herzlichste Grüsse an Euch alle. Dein dankbarer Ferro.

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32 An Henri und Kathi Petri in Dresden

Lieben [sic] Freunde, Henri und Kaethe. Euch und Eueren Kindern alles Gute und Liebe zum neuen Jahre, freundschaftlichsten Herzens gewünscht! Es fügt sich, lieber Henri, recht schief und quer, dass ich zum 15. Ja-

nuar doch von Berlin abwesend bin. Ein in den beiden bekannten »Hinsichten< vortheilhaftes Engagement nach Bruxelles hat’s verschüttet. Ich möchte gern wissen, ob Du Deinen Vorsatz, mein Violin Concert

zu wiederholen, aufgegeben hast; wie ich vermuthen und im Ganzen auch billigen würde. Aber »gebt mir Gewissheit« sagte Othello, als er dem Theaterdirector wegen Honorar nicht traute. Für die schönen und fast historisch-werthvollen [Zinn]Soldaten (knieende« und »liegende« Franzosen und stolz dahertrabende Preussen, denn anders kriegt man sie in Deutschland nun nicht“), seid bestens bedankt: Benni” hatte am meisten Freude an diesem Ge-

schenke und spielt damit täglich. Ich bin dahinter her, dass er den Franzosen nicht zu früh den Garaus

mache -— > An Egon und Helga” die herzlichsten Umarmungen; von letzterer wünscht man bescheiden eine Visit-carten-photographie (sogen. [anntes] zusammengesetztes Wort) um sie einem neuen Album einzuverleiben. (für die Schönheit dieses letzten Ausdruckes kann ich nichts.) Wünsche, Küsse, Umarmungen, Handdrücke, Böllerschüsse, Glokkenläuten, brennende Lichter -- - Von Eurem Freunde Ferruccio

und Frau Gerda. — Berlin den 1. Januar 1998. —

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33 An Henri Petri in Dresden

Berlin 26. M[ärz] 98 Liebster, werther Freund.

Möchtest Du die grosse Güte haben den Clavierauszug des Violin Concertes an Breitkopf sowie die corrigirte und nach meinem Ermessen veränderte Violin Stimme mit der Bemerkung zu schicken, dass die Änderungen für die Solo-Geige ebensowohl in die Partitur als in den Clavierauszug aufgenommen werden? Das Ding wird jetzt gestochen und zwar eiligst. In letzterem Sinne verbleibt mit herzlichsten Grüssen, Dank und Entschuldigung

Dein ergebener Ferruccio

34 An Henri Petri in Dresden [ohne Ort]

Mein lieber Freund Petri Euer Weihnachts Geschenk war mir — abgesehen von der freundschaftlichen Empfindung Eures Erinnerns und der künstlerischen Freude an schönen Formen - von guter Vorbedeutung. Heisst es im deutschen Volksmunde »Glück und Glas — wie leicht bricht das< - so will ich mich der Hoffnung anvertrauen, dass Glas — welches als ein Glückwunsch unversehrt ankam, auf ein ungebrochenes Glück deute.

Noch mehr freuten mich Deine herzlichen und warmen Worte in Deinem heute erhaltenen Briefe. Die Empfänglichkeit Egons für alles Denkende und Künstlerische hat mir meine Aufgabe sehr erleichtert. Die Natur hat ihn sehr ausgezeichnet insofern seine Begabung nicht nur, sondern sein liebes ehrliches Wesen Einen sofort für ihn gewinnen helfen. Thatsächlich handelte es sich zwischen mir und Egon nicht um die Fortsetzung des alten Onkelverhältnisses, sondern um eine ganz neue Bekanntschaft, eine gegenseitige Prüfung und Eroberung, eine gegenseitiges Gewinnen des Vertrauens. Ich kenne jetzt ei-

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nen mir bisher unbekannten Egon, er einen ihm fremd gewesenen Lehrer. Neben den glänzenden fördernden Eigenschaften Eures lieben Kindes, sind - was nicht geleugnet werden soll - manche hindernde hinzugesellt. Wie viel da die deutsche Athmosphäre, die Provinz Umgebung, die musikalische Bürgerlichkeit, die seine Kindheit umgab,

daran schuld sind; - wie viel seine eigene Natur darin das Wort spricht - das kann ich noch nicht auseinanderhalten. Sicher ist aber neben einer ausgesprochenen Künstler Begabung, das Künstler- Temperament etwas kurz gekommen. Das elektrische, das boheme-hafte das »leben-

dige< der Kunst ist in ihm noch schlummernd, ohne das keine Wirkung auf Menschen möglich, zumal auf fremde Menschen und in

grosser Anzahl, wie ein heutiges Publikum. Die grosse Achtung vor allem »soliden«, »officiellen< und »allgemein Anerkannten« steckt noch stark in ihm. Das hat ihn z.B. neuerdings bewogen sich auf der Universität einzuschreiben (,immatriculiren«) zu lassen; eine Leistung, —

wie ich auf seine Mittheilung ziemlich trocken bemerkte, mit der die meisten deutschen Familiensöhne, Bach und Beethoven aber nicht

fertig wurden. Ich hoffe, dass Leben, eigene Beobachtung und grössere Reife dieses Verhältnis zwischen Bürger und Künstler, Deutschem und Weltmensch, in ihrigen jetzigen Verhältnissen noch modificiren werden. Das Alles dürfte mündlich deutlicher und vielleicht herzlicher klingen, als wie es geschrieben aussieht. Jedenfalls sei, seid beide Du und Kathi, versichert, dass ich Egon liebe - als Mensch und als Künstler -

und auch, dass ich ihn sicher noch weiterbringe: Es war nöthig, ihm gegenüber meine Ansichten etwas oppositionell zu gestalten. Damit er aus den alten und den neuen in der Folge die richtige Mischung treffe. Vielleicht mag Dir Einiges, gar aus Egons eigenem kampfberedtem Munde, etwas radikal geschienen haben; — lass gut sein, das Altern gleicht alles aus.'® Ich danke Euch für Euer Vertrauen innigst und bleibe Euer herzlichst ergebener Freund Ferruccio

23. 12. [1]901.

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35 An Henri Petri in Dresden

Lieber Henri. Sehr danke ich Dir für Deinen lieben Brief, sowie auch für die beiden Dresdener Schreiben, von denen das zweite allerdings mich nicht er-

reichte. Das Concert in Dresden war ungefähr das Gegentheil von dem, was ich mir unter dem Ideal der Musik-Aufführung, Darbietung und Aufnahme vorstelle, und wofür ich Zukunftspläne habe. - Warum schiebt man so Vieles in die Zukunft? Die Angelegenheit von Baussnern’sMignon