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German Pages [338] Year 2017
Brahms’ Schubert-Rezeption im Wiener Kontext Herausgegeben von Otto Biba, Gernot Gruber, Katharina LooseEinfalt und Siegfried Oechsle
Musikwissenschaft Franz Steiner Verlag
Schubert : Perspektiven – Studien 5
Otto Biba / Gernot Gruber / Katharina Loose-Einfalt / Siegfried Oechsle (Hg.) Brahms’ Schubert-Rezeption im Wiener Kontext
Schubert : Perspektiven – Studien 5 Her ausgegeben von Hans-Joachim Hinrichsen und Till Gerrit Waidelich In verbIndung mIt Marie-Agnes Dittrich, Walther Dürr, Anselm Gerhard und Andreas Krause
Brahms’ Schubert-Rezeption im Wiener Kontext Bericht über das internationale Symposium Wien 2013 Herausgegeben von Otto Biba, Gernot Gruber, Katharina Loose-Einfalt und Siegfried Oechsle
Franz Steiner Verlag
Umschlagabbildung: Franz Schubert, Erlkönig, 2. Fassung (ca. 1816) Mus.ms.autogr. Schubert, F. 1 (16) Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung mit Mendelssohn-Archiv Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2017 Druck: Offsetdruck Bokor, Bad Tölz Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. ISBN 978-3-515-11767-8 (Print) ISBN 978-3-515-11771-5 (E-Book)
Inhalt Editorial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Lorenz Mikoletzky Die kulturpolitische Situation in Wien nach 1848 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Otto Biba Zur Wiener Musikszene zwischen Schubert und Brahms . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 Ingrid Fuchs Zur Wiener Kammermusiktradition zwischen Schubert und Brahms . Vom privaten Musizieren zum öffentlichen Konzert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 Gernot Gruber Nationale und kulturelle Vereinnahmung von Johannes Brahms . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 Michael Struck Wie singulär ist Brahms’ Schubert-Rezeption? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 Katharina Loose-Einfalt „… stowed away in the dusty cupboard of Dr . Schneider, in Vienna“? Eduard Schneider, Johannes Brahms und die Verwaltung des SchubertNachlasses in den 1860er bis 1880er Jahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 Johannes Behr Kopist für Schubert und Brahms: Franz Hlawaczek . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 Elisabeth Hilscher Johannes Brahms und die Wiener Singakademie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 Christine Martin Berührungspunkte zwischen Brahms’ frühen Chorwerken und Schuberts mehrstimmigen Gesängen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179
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Inhalt
Siegfried Oechsle Intensive und extensive Zeitweisen der Form . Symphonische Monumentalität bei Schubert und Brahms . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 Robert Pascall Der weither kommende Ein-Fluß . Schubert und Brahms’ 4 . Symphonie . . . . . . . . . 217 Eike Fess Wege der Gattungserschließung bei Schubert und Brahms . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 Katrin Eich „… so manches lustige Experiment“ . Johannes Brahms’ öffentlich gespielte, doch nie gedruckte Schubert-Bearbeitungen für Klavier solo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 Walburga Litschauer „Diese gar leicht beschwingten Wienerischen …“ . Klaviertänze bei Schubert und Brahms . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 Rita Steblin The Viennese Composer Johann Wolf (1805–1874) . His Role in the “Kosegarten Song Cycle” and in Creating Aleatoric Music . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 Über die Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 Dank der Herausgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335
Editorial Der hiermit vorgelegte Wiener Kongreßbericht sollte ursprünglich ein Themenheft unseres Periodikums „Schubert : Perspektiven“ darstellen. Während der redaktionellen Einrichtung zeichnete sich ab, daß das Periodikum künftig nicht mehr erscheinen wird. Wir sind dem Franz Steiner Verlag und seinem Leiter, Dr. Thomas Schaber, sehr dankbar, daß er großzügig bereit war, das fast fertig aufbereitete Material als einen selbständigen Band in die weiterhin bestehende Reihe „Schubert : Perspektiven – Studien“ aufzunehmen. Ferner gilt unser herzlicher Dank der unschätzbaren Hilfe, die Thomas Gerlich (Zürich) bei der Redaktion des Bandes geleistet hat. Den bereits zur Publikation vorgesehenen, aber durch die Einstellung des Periodikums ‚heimatlos‘ gewordenen Aufsatz von Rita Steblin haben wir hier mit aufgenommen und ihn an das Ende des Bandes gestellt. So markiert also der vorliegende Band nach zwölf gehaltvollen Jahrgängen der „Schubert : Perspektiven“ gleichsam den Übergang von dem einen (periodischen) zu dem anderen (monographischen) wissenschaftlichen Publikationsforum der aktuellen Schubert-Forschung. Zürich und Wien, im Frühjahr 2017 Hans-Joachim Hinrichsen und Till Gerrit Waidelich
Vorwort Die Schubert-Rezeption von Johannes Brahms hat die internationale Musikwissenschaft in den letzten Jahrzehnten immer wieder beschäftigt, wenn auch die historiographisch älteren und zum Teil spektakuläreren Fragen nach Brahms’ Beethoven-Rezeption dafür nicht selten den Bezugspunkt gebildet haben. An zwei Aspekten lag es im wesentlichen, daß die Brahms-Schubert-Materie sich dennoch zu einem Tagungskonzept verdichtet hat. Zum einen sollte das Spektrum der relevanten Brahms-Aktivitäten möglichst umfassend ausgeleuchtet werden. Das betraf neben der bislang dominierenden Erkundung der kompositorischen Rezeption auch Facetten, die Brahms als Sammler von Schubert-Manuskripten und -Drucken, als Bearbeiter, Editor sowie als Spieler und Dirigent von Werken Schuberts zeigen. Zum anderen war intensiver als zuvor regionalen Bedingungen und ihren rezeptionsgeschichtlichen Besonderheiten Rechnung zu tragen. Obwohl Brahms’ Wahrnehmung von Schubert, seine Arbeit am eigenen Schubert-Bild, deutlich vor seiner Wiener Zeit einsetzte, war hier der Schwerpunkt auf den Wiener Kontext zu legen. Damit sollten allgemeinere musikhistorische Gesichtspunkte, ob Brahms Schubert etwa ‚über‘ Schumann oder ‚gegen‘ Beethoven rezipiert habe, nicht aus dem Blickfeld verbannt werden. Zu dessen Erweiterung war jedoch Ausschau zu halten nach Traditionslinien der Wiener Schubert-Überlieferung, nach möglichen kulturgeschichtlichen Institutionen und Akteuren samt ihren politischen, ästhetischen oder historiographischen Interessen. Auf welche Schubert-Bilder und -Stereotypen traf Brahms im Wien des späteren 19. Jahrhunderts? Was galt der Prophet in der eigenen Stadt, wo verliefen die Grenzen zwischen privaten und öffentlichen Aktionsbereichen, wie wurde Schubert im Spannungsfeld zwischen Klassizität und Aktualität positioniert und welche gattungsspezifischen Unterschiede wurden dabei gemacht? In all diesen Überlegungen war die Kategorie der Rezeption wenn nicht direkt zu reflektieren, so doch mit zu bedenken. Das betraf vor allem das schwierige Terrain der kompositorischen Auseinandersetzung, die Brahms in seiner Wiener Zeit zwar im Einzelnen weniger spektakulär, dafür aber ziemlich kontinuierlich verfolgt hat – oder wäre besser zu sagen: verfolgt haben dürfte? Denn nicht nur lassen sich die Grenzen zwischen Zitat und Andeutung, zwischen Einwirkung, Nähe oder Analogie selten eindeutig ziehen. Dazu tritt die Forderung nach der Rekonstruktion von Motiven der Rezeption wie ihrer formstrukturellen und ästhetischen Konsequenzen. Und gerade weil es sich um interpretatorische Akte der Rekonstruktion handelt, schwingt die Frage mit, wo und wie methodisch der Übergang von einer als ‚Einfluß‘ verstandenen, ‚objektiven‘ Rezeption zu einer intertextuellen, von spezifischem Erkenntnisinteresse geleiteten Betrachtungsweise erfolgt. Es liegt auf der Hand, daß ein Thema dieser inhaltlichen Spannweite im vorliegenden Band nur stückwerkhaft beleuchtet werden konnte. Immerhin mögen im darin
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markierten rezeptionsgeschichtlichen Feld Spuren und Bezugspunkte sichtbar werden, die sich zu erkennbaren Mustern fügen. Die Tagung „Brahms’ Schubert-Rezeption im Wiener Kontext“ fand am 12. und 13. September 2013 in Wien als internationales Kooperationsprojekt statt. Beteiligt waren die Österreichische Akademie der Wissenschaften (Institut für kunst- und musikhistorische Forschungen) mit den Wiener Arbeitsstellen der Johannes Brahms Gesamtausgabe und der Neuen Schubert-Ausgabe, das Musikwissenschaftliche Institut der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel mit seiner Forschungsstelle der Johannes Brahms Gesamtausgabe und die Gesellschaft der Musikfreunde in Wien, die auch die Räumlichkeiten zur Verfügung stellte. Dank gebührt der Fritz Thyssen Stiftung für die großzügige Förderung der Tagung sowie den Reihenherausgebern und dem Franz Steiner Verlag für die Aufnahme des Berichts in die Reihe der Schubert : Perspektiven – Studien (auf Veranlassung der Reihenherausgeber enthält der Band auch einen Aufsatz von Rita Steblin, der nicht zum Tagungsbericht gehört). Kiel, Ostern 2017 Siegfried Oechsle für die Herausgeber
Lorenz Mikoletzky
Die kulturpolitische Situation in Wien nach 18481 Auch ohne abergläubisch zu sein, muß man als Historiker so manche Momente in der Geschichte etwas anders betrachten als vielleicht Alltägliches. Dazu gehören eindeutig Geschehnisse, die den März prägen. Man denke jetzt nicht nur an die schicksalhaften Iden des Jahres 44 v. Chr., sondern im besonderen daran, welche Bedeutung diesem Monat im Laufe der österreichischen Geschichte zukam, vor allem im 19. und 20. Jahrhundert. Revolutionen sind selten geplant. Vorbereitete Umstürze gehen selten gut aus: Es gibt zu viele Agenten, Verräter oder skrupellose Gemüter. Echte Revolutionäre sind zumeist spontan. In Österreich spielte nicht nur die Innenpolitik die große Rolle, auch die gemeineuropäische Reaktion des Liberalismus gegen die Zwangsformen des absoluten Staats wirkte sich aus. Schon die Julirevolution von 1830 hatte den „Kutscher Europas“, den Staatskanzler Metternich, erbeben lassen, und als am 24. Februar 1848 ein Aufstand in Paris den „Bürgerkönig“ zur Abdankung zwang, galt dieser doch als liberal, da war die Situation mehr als angespannt. Interessant wäre zu erwähnen, daß eine der Hauptursachen der Revolution in Österreich die kulturelle Frage war. Die Stellung der „Schreibenden“ in diesem von der Zensur beherrschten Reich war eine gar nicht angenehme, waren doch die meisten der „Dichter“ veredelte Journalisten, die auch Gedichte schrieben oder reimen konnten (Anastasius Grün, Heinrich Laube, Franz von Dingelstedt oder Ignaz Franz Castelli und Eduard Bauernfeld), während man Franz Grillparzer, Adalbert Stifter und Nikolaus Lenau oder Ferdinand Raimund und Johann Nestroy als „echte“ Dichter bezeichnen kann, ohne die Texte der anderen abwerten zu wollen. Alle diese Genannten und noch weitere hatten in der einen oder anderen Form unter dem Regime von Lothar Wenzel Fürsten Metternich und seinem Polizeiminister Joseph Grafen 1
Der seinerzeitige Vortrag wurde größtenteils frei gehalten, die in der Druckfassung wiedergegebenen Zitate stammen aus folgenden Werken: Hans Gál, Johannes Brahms. Werk und Persönlichkeit, Frankfurt a. M. 1961. Max Kalbeck, Johannes Brahms, 8 Bde., Berlin 1904–1914. Hans A. Neunzig, Johannes Brahms in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, Reinbek bei Hamburg 1973 (rowohlts monographien 197). Hanns Leo Mikoletzky, Österreich. Das entscheidende 19. Jahrhundert. Geschichte, Kultur und Wirtschaft, Wien 1972. Helmut Rumpler, Eine Chance für Mitteleuropa. Bürgerliche Emanzipation und Staatsverfall in der Habsburgermonarchie, in: Herwig Wolfram (Hrsg.), Österreichische Geschichte 1804–1914, Wien 1997. Heinrich Ritter von Srbik, Metternich. Staatsmann und Mensch, 2 Bde., Wien 1925. Erich Zöllner, Geschichte Österreichs. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, Wien 81990.
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Sedlnitzky zu leiden. Man denke etwa nur an den wahrlich nicht politischen Geselligkeitsverein „Ludlamshöhle“, der 1826 durch eine Polizeiaktion aufgelöst wurde und unter anderem Franz Grillparzer Hausarrest verschaffte. Am wenigsten verdächtig machten sich die Musiker. Kennzeichnend ist der Eintrag Grillparzers in Beethovens Konversationsheft: „Den Musikern kann die Zensur doch nichts anhaben – wenn man wüßte, was Sie bei Ihrer Musik denken!“ Dabei muß und soll man die „Biedermeierzeit“ genannte Epoche weder schönreden, noch die damals Regierenden verdammen, wie dies etwa der Historiker Viktor Bibl schon im Titel seiner Biographie Metternich, der Dämon Österreichs (1936) tat. Ein Werk, das regste Diskussion hervorrief, wie man sich vorstellen kann, nicht nur von Seiten des Staatskanzler-Biographen Heinrich von Srbik – beide Herren ausgewiesen großdeutsch und dann Nationalsozialisten. – Man sollte dem Metternich-Regime und somit seiner Person detaillierte Gerechtigkeit widerfahren lassen, auch was den „Geist“ der Jahrzehnte vor 1848 betrifft. Nicht allein die Zulassung der Gründung einer Akademie der Wissenschaften sollte in Erinnerung gerufen werden. Eine Idee, die in dieser Habsburgermonarchie schon länger in anderen Teilstaaten Wirklichkeit war, deren Pläne im zentralen Bereich seit Leibnizens Treffen mit dem Prinzen Eugen, bei dem er Vorschläge unterbreitete, aber dann in einer Lade verschwanden. Neben dem kulturpolitischen Akzent der einzigen (!) großen Revolution Österreichs – wir hätten mehr vertragen können, wenn man in der Geschichte zurückblickt –, der in verschiedenen Salons durch Verächtlichmachung des bestehenden Kurses dessen Änderung nicht bewußt vorbereitete, aber doch wünschenswert erscheinen ließ, darf der stark proletarische Charakter der Ereignisse von 1848 nicht übersehen werden, der in der sich verschlechternden Lage der breiten Massen begründet war. Die Geschichte der Revolution füllt Bibliotheken, und es ist hier nicht der Ort der Nacherzählung. Wie einleitend angeführt, ist der März ein seltsamer und wichtiger Monat für die österreichische Geschichte (1848, 1938), und auch die 8er Jahre spielen eine Rolle (zu den vorgenannten kommt noch 1918 dazu). Es ist aus der Nachschau natürlich ein Leichtes, Ereignisse zu beurteilen, aber doch war es im März 1848 ein offenes Geheimnis, daß Metternich zum Rücktritt gezwungen werden sollte. Es ging eigentlich nie gegen das Herrscherhaus, erst nach der „Entführung“ Ferdinands nach Innsbruck (ohne Möglichkeit des Kleiderwechsels) und seiner verhinderten Rückkehr sollte sich die Einstellung – vor allem der Bewohner der Haupt- und Residenzstadt an der Donau – ändern. Alles erwartete für den 13. März den Lostag. Schon am Abend des 12. März meinte der Schriftsteller Friedrich Fürst zu Schwarzenberg, Sohn des Siegers der Völkerschlacht, daß am folgenden Tag der Teufel los sein und es noch tagelang in den Gassen wahrscheinlich laut hergehen werde. Den Gipfel der klaren Aussagen erstieg jedoch Félicie Gräfin Esterházy, als sie den Staatskanzler am selben Tag in seinem Salon direkt mit der Frage konfrontierte: „Ist es denn wahr, daß ihr morgen weggeht? Man sagt uns, wir sollen Kerzen kaufen, um morgen zu illuminieren, weil ihr weggeschickt werden!“ Die Dame gab auch sogleich die Quelle dieser Nachricht bekannt: Sie stammte von Ludwig Grafen Széchényi, dem Obersthofmeister der Erzherzogin
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Sophie, einer Dame, die in ihren Intrigen so geschickt vorging, daß ihr Gegner anfangs gar nicht begriff, daß die Unruhe ihm und seinen Prinzipien galten. Noch am 13. März erklärte er: „Vor allem muß dafür gesorgt werden, daß sich dieser Straßenunfug nicht wiederholt“. Er hielt ihn für nichts Einschneidendes, sondern nur für eine Krankheit, von der er froh war, daß sie endlich „auf der Oberfläche“ war und man ihr zu Leibe rücken konnte. Metternich und der Rest der Regierung waren auf einen heftigen Ausbruch der Volksempörung nicht vorbereitet, obwohl die Stadt von Gerüchten schwirrte und der spätere Minister Dr. Johann Nepomuk Berger schon tags zuvor hatte wissen lassen: „Das wäre ein Unglück, wenn morgen keine Schüsse fallen sollten. Wenn wir den Absolutismus für immer los werden wollen, dann muß geschossen werden, sonst bleibt alles beim alten“. Metternich, der von den Unruhen in der Herrengasse (vier tote Männer und eine von den Flüchtenden erdrückte Frau) natürlich wußte, traute der Gutmütigkeit der Wiener keine ernste Revolution zu. Am Abend um halb sieben wurde er in die Hofburg befohlen, wo ihm der Leiter der Staatskonferenz (die mit und für Ferdinand seit seiner Thronbesteigung 1836 die Geschäfte führte), Erzherzog Ludwig, mitteilte, daß die verschiedensten Deputationen, die im Laufe des Tages beim Hof vorgesprochen hatten, seine Demission wünschten. Metternich nannte sie zwar „Verschwörer“, aber als er hörte, daß der Kaiser persönlich eingegriffen habe, verließ er den Schauplatz, genau zwei Monate vor seinem 75. Geburtstag. Dann schrieb er sein Rücktrittsgesuch: „Allergnädigster Herr! Ich sehe mich zu einem Schritte gezwungen, über dessen Veranlassung ich es als eine Gewissenspflicht betrachte, Eurer Majestät, meine vollste Beichte abzulegen. Meine Gefühle, Ansichten, Entschlüße, sind in meinem ganzen Leben dieselben gewesen und sind stehende Gewalten, welche in mir nie erlöschen werden. Ich habe sie in dem Motto ausgesprochen, welches ich meinen Nachkommen zur immerwährenden Erinnerung und Nachachtung überlaße: Mein Wahlspruch ist der: Kraft im Recht! Daß ich demselben in meinem Privatleben wie im öffentlichen Wirken, stets treugeblieben bin, hiervon überzeugt mich mein Gewißen und ich sage es ungeschönt, – dies beweist die That! Ich trete vor einer höheren Gewalt zurück, als es die des Regenten selbst ist. Meine innigsten Wünsche sind und bleiben der geheiligten Person Eurer Majestät, dem Throne als der sichersten Stütze des Reiches und dem Glücke des letzteren geweiht. Geruhen Allerhöchstdieselben, diesen Ausspruch meiner Gefühle als den Beweiß meiner tiefsten Verehrung im Momente meiner Resignation in Gnaden auszunehmen. Metternich. Wien, den 13. März 1848“.
Auf die Frage seiner Gattin Melanie geborene Gräfin Zichy-Ferraris: „Eh bien, est-ce que nous sommes tous morts?“ antwortete der Abdankende: „Oui, ma chére, nous sommes morts“. Der alte Mann entschloß sich, nachdem sein Gartenpalais am Rennweg teilweise geplündert wurde, als man den Hausherrn dort suchte, zur Flucht. Seit frühesten Jugendtagen in habsburgischen Diensten (Gesandter, Botschafter, 1809 Minister des Äußern und 1810–1848 Staatskanzler, ab 1821 Haus-, Hof- und Staats-
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kanzler), verließ er seinen Posten ungebrochen. An seinen russischen Kollegen beim Wiener Kongreß, Karl Robert Nesselrode, schrieb Metternich: „Ich habe mein Leben verbracht, Geschichte zu machen, ich werde meine letzten Fähigkeiten dazu verwenden, Material zu sammeln, damit die Geschichte der Wahrheit gemäß geschrieben werden kann“. Am 20. April 1848 betrat er englischen Boden, wo er Asyl erhielt. Nach dem Sieg des Neoabsolutismus kehrte er 1851 als Berater des neuen Kaisers Franz Joseph zurück, um 1859 in Wien zu sterben. War mit seiner Abdankung das „Vaterland gerettet“, wie man so sagt? Eigentlich hatten die Verantwortlichen an der Staatsspitze, in der Hofburg, in den Hofämtern keine Idee, was an die Stelle des „Erhaltungssystems“ zu setzen wäre, und so erwuchsen aus den Ereignissen des März, gleichsam über das Jahr verteilt, Zeichen, die bewiesen, wie schwer entfesselte Geister wieder gebändigt werden können. Wien ist nicht Österreich und Österreich ist nicht Wien, wird man oftmals von Bundesländerbewohnern und -bewohnerinnen belehrt. Da ist schon etwas Wahres daran, aber doch wird der Fokus immer auf die Hauptstadt gerichtet, nicht nur in politischer, wirtschaftlicher und sozialer Sicht, sondern auch auf kulturellem Sektor. Revolution hin oder her, gerade die Wiener Bevölkerung läßt sich durch einschneidende Ereignisse selten beeindrucken oder stemmt sich gegen Verordnungen. Denn über Wien war am 31. Oktober, nachdem die Stadt erstürmt worden war, der Belagerungszustand verhängt worden, der bis 1853 dauern sollte, und die Regierung unter dem neuen Kaiser Franz Joseph war absent. Man wollte mit den undankbaren Bewohnern der Stadt an der Donau nichts zu tun haben. Die ließen es sich aber nicht verdrießen und genossen das Leben unter dem Standrecht, wie sie es früher und auch später unter anderen Auspizien tun sollten. Vor allem auf dem Gebiet des Theater- und Musikwesens wurde viel von der Kultur aus der Zeit des Vormärzes weitergeführt. Als interessant wäre zu erwähnen, daß eine viel zu wenig beachtete Leistung der Zeit vor 1848 darin bestand, daß damals, da etwa die Bindungen an die Kirche nicht mehr so stark waren, da das Alltagsleben nicht mehr in dem Maße wie zuvor von der kirchlichen Ordnung bestimmt war, die Menschen Wege fanden, ihr Leben individuell zu gestalten. Da sie eine Bevormundung durch den Staat stärker denn je ablehnten, suchten sie in Familie und Heim, im Freundeskreis, aber auch in der Natur und beim Vergnügen den Alltag selbstständig zu gestalten. Die bürgerliche Kultur des Fin de Siècle hätte sich nicht entfalten können, hätte der Bürger der Biedermeierzeit nicht gelernt, einen eigenständigen Weg zu finden, der auch half, die Revolution zu übertauchen. Zu den neuen Wegen trug auch der Fall der Zensur bei und etablierte mit vielen Zeitungen und Zeitschriften eine neue Macht, die Presse. Hier traten zahlreiche Persönlichkeiten an die Öffentlichkeit, die heute oftmals vergessen, damals aber dem Publikum sehr wichtig gewesen sind. Auch erste literarische Schritte führten durch das Zeitungswesen ab 1848/49 an breiteste Öffentlichkeit. Etwas, was sich die Wiener eigentlich niemals verdrießen ließen und lassen, ist das Theater. Der eigentliche Klassiker des biedermeierlichen Wiener Volkstheaters Ferdinand Raimund wurde schon
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genannt, seine Stücke gerieten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in leichte Vergessenheit, zumal das aufstrebende Hofburgtheater derartiges für zu minder erachtete. Der zweite Poet des Volkes aus dem Vormärz, Johann Nestroy, erlebte noch sehr aktiv mitwirkend die Ereignisse von 1848, und stets im Kampf mit der Zensur befindlich, was Raimund nie war, zeigte er sofort durch die Freiheit in Krähwinkel die Hohlheit der Revolutionäre und die Phrasen auf. Nach seinem Tod (1862) verschwand auch er, nicht immer verstanden – die feinen Nuancen seines Wortwitzes können vielleicht überhaupt nur dem Beherrscher österreichischer Spracheigenheiten offenbar werden, und erst Karl Kraus „entdeckte“ ihn neu. Wien hatte in seinen besten Zeiten eine große Anzahl von Sprechtheatern, von denen mehrere in jeweiligen Kaiserjubiläen (8er Jahre!) in den einzelnen Bezirken gebaut wurden, andere auf große Tradition (Leopoldstädter Theater, Josefstädter Theater) zurückblicken konnten. Im Mittelpunkt der Betrachtungen / Beobachtungen in der neuen Ära stand eindeutig Franz Grillparzer, auch er ein Zensur-„Geschädigter“, stets beleidigt und gekränkt, ein echter Wiener im Sinne des „Vorsichtl und Rücksichtl“. Er war, wie etwa auch Adalbert Stifter, Beamter, und das sagt so manches aus. Er hielt sich aus der Revolution heraus, trotz seines Radetzky-Gedichtes, verließ Wien, als es gefährlich werden konnte in Richtung Baden, wußte, wo „Gott wohnt“, wie Hebbel gelegentlich feststellte, ist aber doch wohl der bedeutendste Klassiker, den dieses Land hervorbrachte und der gerne Hofbibliotheksdirektor geworden wäre. Einer neuen Kulturinstitution, wenn man so sagen darf, verhalfen die Zeitungen zum Leben, der Feuilletonist war geboren. Der Ausdruck bezeichnete den von der politischen Berichterstattung durch einen Strich abgetrennten unteren Teil der Titelseite einer Zeitung. Hier müssen Ferdinand Kürnberger, Daniel Spitzer und Ludwig Speidel als Repräsentanten genannt werden. Wobei etwa Spitzer in seinen auch heute noch sehr lesenswerten Wiener Spaziergänge[n] satirisch bis sarkastisch die Verschandelungen der Stadt und die Schwächen der Wiener beschrieb. Auf dem Gebiet der Architektur und der Malerei sollte die Politik besonders ab 1857 prägend eingreifen, als im Dezember dieses Jahres Franz Joseph sein Schreiben „Es ist mein Wille …“ zur Neugestaltung Wiens (Ringstraße) hinausgehen ließ, das viele fruchtbare Ideen auf dem Gebiet der bildenden Kunst in die Wirklichkeit umsetzen half. Johannes Brahms kam 1862 in ein sich sehr stark entwickelndes Wien. Der Ausnahmezustand war noch gar nicht so lange aufgehoben, aber die Kontakte, die er pflegte, brachten ihn doch mit der Créme de la créme des Wiener Musiklebens zusammen, und auch, wenn er das Amt eines Chormeisters der Wiener Singakademie nach nur einem Jahr wieder zurücklegte, ist doch wohl nicht zu leugnen, daß er von Anfang an in der Donaumetropole musikalisch eng verwurzelt war, nicht nur, weil ihn Joseph Hellmesberger sen. nach einem Quartettspiel mit dem Satz „Das ist der Erbe Beethovens“ qualifizierte. Er interessierte sich hier auch gleich für die Wiener Volksmusik. Damals gab es fliegende Kapellen, die von Gasthaus zu Gasthaus zogen. Ihnen hörte der Hamburger ausgesprochen gerne zu, wie auch einer ungarischen Damenkapelle im Prater, und daß der Wiener Walzer, auch aus dem Vormärz herübergerettet, eine große Rolle in seinem Leben spielen sollte, ist bekannt, ebenso wie seine Freundschaft mit Johann
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Strauß Jr. Heinrich Laube, der verdiente Burgtheaterdirektor (1849–1867), selbst aus Schlesien stammend, der sich bei seiner Spielplangestaltung nicht allein vom Publikumsgeschmack, sondern von seiner künstlerischen Verantwortung leiten ließ, meinte gelegentlich: „… Die neuen Walzer … [bringen] gleich dem Stich einer Tarantel das junge Blut in Aufruhr … In der Mitte des Gartens, bei seinem Orchester steht der moderne Held Österreichs, Napoléon autrichien, der Musikdirektor Johann Strauß. Was den Franzosen die Napoleonischen Kriege waren, das sind den Wienern die Straußschen Walzer“.
Der erst spät „verifizierte“ Charles Sealsfield, der nicht nur dem geistlichen Amt, sondern auch seiner Heimat entflohene Karl Postl, brachte literarisch gesehen im Bezug auf die Schriftsteller die Lage der Nation um 1848 auf einen Nenner: „Ein österreichischer Schriftsteller ist wohl das meistgequälte Geschöpf auf Erden. Er darf keine wie immer benannte Regierung angreifen, auch keine Minister, keine Behörde, nicht die Geistlichkeit oder den Adel, er darf nicht freisinnig, nicht philosophisch, nicht humoristisch, kurz, er darf gar nichts sein“. Hier wird ein Muß-Zustand wiedergegeben, der in vielem auch nach 1848 fortdauern sollte – wie lange, das wäre eine ein anderes Mal zu klärende Frage.
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Zur Wiener Musikszene zwischen Schubert und Brahms Die Friedenssituation, die zwischen Herbst 1814 und Frühjahr 1815 im Wiener Kongreß für ganz Europa gefunden worden war, beruhte auf dem Prinzip, den erreichten status quo nicht zu verlassen, auf der Situation, die nun gefunden worden war, zu beharren und diese zu sichern. Trotz des Aufflackerns revolutionärer Gegenströmungen im Jahr 1830 in Paris, Belgien und Polen konnte dieser Zustand der Ruhe und des Friedens bis zum Revolutionsjahr 1848 gewahrt bleiben, auf das nach anfänglichen Erfolgen für neue Ideen wieder Jahre der Neues ablehnenden Repression und Reaktion folgten. Erst in den 1850er Jahren erkannte eine neue Politiker-Generation, daß Fortschritt nicht unbedingt gefährlich und Zustandsänderungen für Staat und Gemeinwohl nicht unbedingt schlecht seien. Symbolhaft dafür war die im Dezember 1857 getroffene Entscheidung des damals 27jährigen österreichischen Kaisers Franz Joseph I., die aus dem Mittelalter stammenden Stadtbefestigungen zu schleifen, die von diesen geschützte „Innere Stadt“ mit den rundum gewachsenen Vorstädten zusammenwachsen und anstelle der Befestigungen eine repräsentative Prachtstraße anlegen zu lassen. Gegen diese „offene“ Stadt gab es massive Bedenken der Militärs, die aber letztendlich vom Fortschrittsglauben des jungen Kaisers hinweg gewischt wurden. In einer nur gut zwanzigjährigen Bauzeit wurde Wien von einer im wesentlichen mittelalterlichen Stadt mit barocken Einsprengseln zu einer Stadt nach den Vorstellungen der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Diesen Wandel hat Johannes Brahms miterlebt, in einer solchen zeitgemäßen Stadt hat er letztendlich gewohnt, während Franz Schubert noch im mittelalterlichen dreiteiligen Prinzip von eigentlicher Stadt, Schutz- und Verteidigungsbereich rund um diese und Vorstädte außerhalb dieser gelebt hat. Franz Schubert hat in diesem, nochmals sei es gesagt, im wesentlichen mittelalterlichen und mit Kirchen und Palais barock verbrämten Ambiente sehr fortschrittliche Musik schreiben können. Aber dennoch muß man das politische und das daraus resultierende städtebauliche Umfeld präsent haben, wenn man die Wiener Musikszene zwischen Schubert (man könnte auch sagen Beethoven) und Brahms verstehen will. Zurück zum politischen Umfeld. Dieses Beharren auf dem nach 22jähriger Kriegszeit 1814/1815 Erreichten und die Angst, das wieder zu verlieren, führte zu einer Ablehnung von Änderungen und von Neuem. Das waren politische Maximen, die jedermann betrafen, jedermann beeinflußten, kurz: das Leben bestimmten. Um diese Maximen zu sichern, gab es Zensur und Bespitzelung im Inneren. Zensur und Zoll sorgten auch dafür, daß nichts Neues, Fremdes im Sinn von „Änderungserregendem“ oder „Umstürzlerischem“ von außen hereinkam. Facit: Man zog sich in das unmittelbar eigene Milieu zurück. Für Literatur und Musik bedeutete dies, daß die „Salon“ ge-
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nannte Beschäftigung im privaten Milieu mit literarischen und musikalischen Kunstwerken unter einem ausgewählten Personenkreis und zur persönlichen Unterhaltung als gesellschaftliches Phänomen nun den Höhepunkt seiner Geschichte fand. Franz Schuberts Verkehr mit den Freunden – von der „Ludlamshöhle“ bis zu den Salons bei Hatwig, Sonnleithner und Kiesewetter – und das heute überstrapazierte Schlagwort von den „Schubertiaden“ sind das Ergebnis dieses politisch bedingten Zurückziehens in das eigene Milieu. Das Phänomen des Salons wurde aber weder 1848 noch danach obsolet, sondern bestand fort. Daß auch Brahms persönlich wie mit seinen musikalischen Kunstwerken in bestimmten Familien in einem von gemeinsamen musikalischen Interessen geprägten Freundeskreis präsent war, daß also auch für ihn noch der Salon wie das private Musizieren im Freundeskreis wichtige menschliche und künstlerische Medien waren, ist bisher nur ansatzweise dargestellt und dokumentiert worden.1 Die oftmaligen Verweise auf Theodor Billroth sind nicht wirklich zielführend, da die musikalischen Produktionen bei ihm eher dem Hauskonzert als der Hausmusik und noch weniger dem Phänomen des Salons zuzurechnen sind. Freilich liegt es auch im Wesen des Salons, daß diese Aktivitäten nur in seltensten Fällen detailreich aus Quellen zu erschließen sind. Er ist ja das Resultat eines Zurückziehens, eines bewußten Meidens der breiten Öffentlichkeit. Letzteres erfolgte in der Zeit Schuberts aus politischen, in der Zeit von Brahms hingegen primär aus privaten, persönlichen oder künstlerischen Gründen. Im öffentlichen Musikleben entwickelt sich in den Jahren nach dem Wiener Kongreß das, was man heute einen klassischen Repertoire-Kanon nennt. Die selbst veranstalteten Konzerte Mozarts oder Beethovens sollten, wie alle anderen KomponistenKonzerte dieser Zeit, dem Publikum neueste Kompositionen vorführen. Beethovens nach einer langen Unterbrechung letztes selbst veranstaltetes Konzert vom 7. Mai 1824 mit der Uraufführung der 9. Symphonie (Wiederholung am 23. Mai 1824) war schon ein Nachzügler. Es war das letzte Komponisten-Konzert in Wien mit extrem neuer Musik. Schubert hat solche öffentliche Konzerte der Selbstdarstellung überhaupt abgelehnt, weil sie für seine Generation nicht mehr üblich waren. Wenn manchmal mitleidsvoll vom einzigen selbst veranstalteten Konzert Schuberts am 26. März 1828 gesprochen wird, so muß man dieses Konzertprojekt Schuberts in die rechte Relation bringen: Andere Komponisten seiner Generation haben überhaupt keine eigenen Kompositionskonzerte mehr veranstaltet. Müßig zu sagen, daß Johannes Brahms das auch nicht mehr gemacht hat. 1
Für das private Musizieren im Freundeskreis vgl. die Darstellungen bei Ingrid Fuchs, Brahmsiana in der Sammlung Fellinger. Unbekannte Dokumente von der Hand Maria Fellingers und Bertha von Gasteigers zu den letzten Lebensjahren von Johannes Brahms, in: Spätphase(n)? Johannes Brahms’ Werke der 1880er und 1890er Jahre. Internationales musikwissenschaftliches Symposium Meiningen 2008, hrsg. von Maren Goltz, Wolfgang Sandberger und Christiane Wiesenfeldt, München 2010, S. 204–232, im besonderen S. 214–220. Der 2011 in London stattgefundene Kongreß „Brahms in the Home and the Concert Hall“ hat das Phänomen des Musikalischen Salons für Brahms nicht anhand konkreter Beispiele dargestellt, sondern im wesentlichen aus der Musik Rückschlüsse auf dessen Bedeutung für Brahms gezogen (Brahms in the Home and the Concert Hall. Between Private and Public Performance, hrsg. von Katy Hamilton und Natasha Loges, Cambridge 2014).
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Einen solchen Repertoire-Kanon zu entwickeln, war ein allgemeines Anliegen, das die 1812 gegründete „Gesellschaft der Musikfreunde“ in ihren 1814 approbierten Statuten ausdrücklich unterstützte. In diesen heißt es unter § 3/1, daß beispielhafte Werke dauernden Werts (damals so genannte „klassische“) nur entstehen können, wenn man weiß, was vordem mit andauerndem Wert geschaffen wurde: „Wird sie die vorhandenen classischen Werke zur Aufführung bringen, theils, um dadurch den musikalischen Geschmack überhaupt zu erheben und zu veredeln, theils um durch die Anhörung derselben aufkeimende Talente zu begeistern, und zu dem Bestreben zu erwecken, sich auch zu classischen Tonsetzern zu bilden, wozu die Gesellschaft durch Aufmunterungen und Belohnungen nach ihren Kräften beytragen wird.“ 2
Experimente waren in der Kunst gar nicht mehr gefragt, nicht das Neue an sich war gesucht, sondern beispielhaft Bleibendes, ganz so, wie Johann Christian August Heyse 1804 in seinem Fremdwörterbuch3 „classisch“ erklärt hat: „vorzüglich, bewährt, vortrefflich, musterhaft (in seiner Art)“; demnach waren für ihn „classische Werke Hauptoder Musterwerke, schulrechte Musterschriften oder Meisterwerke (die wegen der Reinheit des Styls Andern bes[onders] in Schulen zur Muster dienen können)“. Das Anliegen, auch in der Gegenwart und Zukunft „Klassisches“ zu schaffen, traf sich also zeitgleich mit der politischen Intention, Erreichtes zu erhalten. Neues Klassisches sollte seinen Platz sehr wohl in den Gesellschaftskonzerten, d. h. in den Konzerten der Gesellschaft der Musikfreunde, erhalten, Experimentelles, nur der Veränderung wegen Neues, hingegen nicht. Das bestätigt ein Blick in den Alltag öffentlicher Konzerte nach 1814/1815: Komponistenkonzerte hörten sich auf, bei neuen Werken wurde das Bewährte und Beispielhafte gesucht und erwartet, während Experimente gemieden, Ohrenkitzel und Überraschung dem Feld der Virtuosenkonzerte überlassen wurden. Die reisenden Virtuosen brachten neue Spieltechniken, aber nicht neue Musik. Sie brauchten Reisebewilligungen und Pässe, aber es gab für sie keine Paß-Schikanen, denn sie brachten nicht neue künstlerische Ideen, nicht neue Kunst, sondern neues Kunst-Handwerk. Die Musikwissenschaft sucht wie jede historische Beschäftigung mit den Künsten immer die Evolution und den Fortschritt. Das heißt, die musikalische Kunstgeschichtsschreibung sucht bei Beethoven und Schubert etwas, wofür es gar keine offizielle Erwartungshaltung geben durfte, nämlich das revolutionär Andere und Neue, 2 3
Eusebius Mandyczewski, Zusatz-Band zur Geschichte der K. k. Gesellschaft der Musikfreunde in Wien. Sammlungen und Statuten, Wien 1912, S. 197. Allgemeines Wörterbuch zur Verdeutschung und Erklärung der in unserer Sprache gebräuchlichen fremden Wörter und Redensarten, Erster Theil, Oldenburg 1804, S. 136. Die 1825 in Hannover unter dem Titel Kurzgefaßtes Fremdwörterbuch oder Handbuch zum Verstehen und Vermeiden der in unserer Sprache mehr oder minder gebräuchlichen fremden Ausdrücke erschienene vierte Auflage übernahm (S. 128) diese Definitionen fast wortwörtlich. Ihr Verständnis darf nicht von dem rezenten Begriff „Wiener Klassik“ beeinflußt werden, der ganz andere Wurzeln hat. Vgl. dazu Wiener Klassik. Ein musikgeschichtlicher Begriff in Diskussion, hrsg. von Gernot Gruber, Wien etc. 2002.
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das Vorhandenes verdrängt. Diese Form der Kunst- und Musikgeschichtsschreibung thematisiert etwas, zu dem es zwar kommen konnte, aber das der Komponist gar nicht thematisiert haben wollte, ja etwas, das für seine öffentliche Präsenz gar nicht wichtig sein durfte. Keine Veränderung, das war nämlich auch der vorauseilende Gehorsam in der Kunst, ob Nazarener in der Malerei, Historismus in der Baukunst, Rossini-Rummel in der Oper oder Klassizismus – im oben beschriebenen Sinn von „classisch“ – in der Musik. Die Diskussionen, warum Franz Schuberts Große C-Dur-Symphonie D 944 keine in unsren Augen repräsentative zeitgenössische Aufführung erfahren hat, sind hinfällig, wenn man das Werk nicht isoliert, sondern in seinem Umfeld sieht. Ein Werk, das so viele neue Ideen bringt, das so sehr mit dem Gegebenen bricht, entsprach nicht den grundsätzlichen politischen Vorgaben, die unterschwellig auch die Kunst beeinflußten. Ein Werk, das so sehr in Neuland vordringt, konnte nicht klassisch im Sinn von „musterhaft“ sein, sondern nur ein experimentelles Ausloten der Zukunft. Es konnte daher fürs erste gar keinen Platz im öffentlichen Konzertrepertoire haben. Daher wurde seine erste Aufführung 1827 für die halböffentlichen Orchesterübungen – wobei ‚Übungen‘ im Sinn von Produktionen zu verstehen war – vorgesehen.4 Und wenn Joseph Hüttenbrenners Bericht, wonach sie am 12. März 1829 in Wien in einem Concert spirituell auf dem Programm gestanden sein muß, geglaubt werden kann, dann wurde diese Aufführung totgeschwiegen: Auf dem Programmzettel steht nur eine Symphonie von Schubert (ohne Tonart), die Rezensionen verlieren über diese Symphonie kein Wort.5 Dieser ganze Problemkreis bis hin zur Aufführung von zwei Sätzen (nachdem eigentlich die komplette Aufführung geplant gewesen war) in einem Gesellschaftskonzert am 15. Dezember 1839 und zur kompletten Aufführung in Leipzig am 12. März 1839 kann hier nicht weiter abgehandelt werden. Mit diesem Beispiel soll hier nur gezeigt werden, wie isoliert diese Symphonie in der Wiener Musikszene ihrer Epoche stand und wie wenig sie der öffentlichen Erwartungshaltung entsprechen konnte. Das Beispiel kann aber auch die unterschiedlichen Voraussetzungen für ein öffentliches Konzertleben in der von bürgerlichem Selbstbewußtsein geprägten Stadt Leipzig und in der kaiserlich-königlichen Residenzstadt Wien aufzeigen. Vergleicht man für diese Epoche die Leipziger und die Wiener Kunstszene im allgemeinen und die Musikszene im besonderen, so ist die bürgerliche Wirtschaftsstadt Leipzig – freilich nur relativ – interessanter und aufgeschlossener, während im Regierungssitz Dresden die Verhältnisse viel ähnlicher jenen in Wien sind. Solche Vergleiche müssen zumindest kurz angedacht werden, weil das nach dem Wiener Kongreß einsetzende beharrende Moment in der Politik ja kein österreichisches oder habsburgisches Phänomen ist, sondern für ganz Kontinentaleuropa Gültigkeit hatte. Mit dem Erreichten zufrieden sein, das Erreichte bewahren und nicht 4 5
Otto Biba, Franz Schubert und die Gesellschaft der Musikfreunde in Wien, in: Schubert-Kongreß Wien 1978. Bericht, hrsg. von Otto Brusatti, Granz 1979, S. 31. Otto Biba, Die Uraufführung von Schuberts Großer C-Dur-Symphonie – 1829 in Wien. Ein glücklicher Aktenfund im Schubert-Jahr, in: Musikblätter der Wiener Philharmoniker 51 (1997), S. 287–291. Wenn die traditionelle Schubert-Literatur von einer Aufführung der Kleinen C-Dur-Symphonie D 589 an diesem 12. März 1829 spricht, so ist dies auch nicht dokumentarisch belegt.
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durch neue Ideen gefährden, das war das politische Anliegen in allen von den Koalitionskriegen erschüttert gewesenen Ländern. Wenn diese Maxime später etwas abfällig als „Metternich’sches System“ bezeichnet und der österreichische Staatskanzler als sein Verursacher bezeichnet wurde, so darf man nicht vergessen, daß Klemens Wenzel Lothar Fürst von Metternich Sekretär des Wiener Kongresses war. Und wenn man die Leipziger Gewandhauskonzerte (insbesondere unter Felix Mendelssohn Bartholdy) als in jeder Hinsicht „offener“ bezeichnen muß als die Wiener Gesellschaftskonzerte oder die hiesigen Concerts spirituels, so darf man nicht übersehen, daß dieser reaktionäre, nichts Neues wollende Geist auch dort präsent war und gepredigt wurde, freilich im Alltag nicht so konsequent prägend war. Man muß nur die Rezensionen und Artikel der dort erscheinenden Allgemeinen musikalischen Zeitung nicht nur punktuell auswerten, sondern in ihrer Gesamttendenz beobachten, um, trotz der unterschiedlichen Mitarbeiter und mancher unterschiedlicher Standpunkte, eine Blattlinie zu erkennen, die – redigiert unter Verantwortlichkeit der Verleger, wie es im Impressum heißt – genau dem beschriebenen Zeitgeist entspricht. In einem Beitrag über die Wiener Musikszene ist nicht Platz, diese Blattlinie zu erklären, aber die anonym erschienene Rezension der Klaviersonate op. 7 von Carl Czerny mag die grundsätzlich konservativ-reaktionäre Positionierung der Zeitschrift und deren Folgen für diesen Wiener Komponisten zeigen.6 So ziemlich alles, was an ihr neuartig ist, wurde in der Rezension kritisch hinterfragt: „Der Charakter der ganzen Sonate ist sehr leidenschaftlich und hat selbst in sanften Stellen, die nicht eben selten sind, etwas düsteres, meist aber ist er unruhig und ungestüm, zuweilen melancholisch und wild. Diese Bemerkung, die, wie sich von selbst versteht, nicht Tadel ist, macht es doch, wenn man zugleich die Ausdehnung des Werkes beachtet, begreiflich, dass es geistanstrengend sey, die ganze Sonate hinter einander wegzuspielen. Glücklicherweise ist es aber auch nicht nöthig, da sie, ungeachtet ihre fünf Sätze allerdings innere Einheit haben und ein achtungswerthes Ganzes ausmachen, doch von der gewöhnlichen Form der Sonate etwas abweicht, und fast jede zwey oder drey Sätze, in welcher der möglichen Combinationen man sie auch nehmen möge, recht gut für sich bestehen können.“
Die Sonate ist also nach Meinung des Rezensenten zu lang und kann oder sollte deshalb geteilt werden. Ferner gibt es etliche Vorwürfe gegen die Satzweise zu lesen, vor allem, daß einmal gis auf as folgt, was ein Verstoß gegen die Orthographie sei: „Das barsche Wort des alten Mattheson’s (wahrscheinlich aus seinem vollkommenen Kapellmeister7, den man jetzt ziemlich vergessen hat, obwohl mancher Kapellmeister noch recht viel aus dem originellen Werke lernen könnte) ‚nur ein Stümper darf gegen die Orthographie sündigen‘ verdient daher wohl Beherzigung.“ 6 7
Allgemeine musikalische Zeitung 24 (1822), Sp. 382–384. Ein solches Zitat kann ich bei Mattheson in keinem Werk nachweisen. Gemeint sind wohl die Ausführungen über die „Notirungs-Kunst“ und die Orthographie in: Der vollkommene Capellmeister, Hamburg 1739, S. 56 f.
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1822 gegen eine zwei Jahre zuvor im Druck erschienene Komposition8 mit einem 1739 erschienenen Werk bzw. einem 1764 verstorbenen Autor ins Feld zu ziehen, das sagt allerdings viel über den damaligen Umgang mit neuer Musik aus, war allerdings kein ausschließlich deutsches Phänomen. Als François Joseph Fétis 1831 in der Revue et Gazette musicale in ganz ähnlicher Position Kritik an der langsamen Einleitung von Mozarts „Dissonanzenquartett“ übte, widersprach Raphael Georg Kiesewetter aus Wien ganz heftig, allerdings mit der in diesem Zusammenhang seltsam anmutenden Sichtweise, daß die Wechselnoten im dritten Takt von Mozart nicht neu, kühn und zukunftweisend verwendet worden seien, sondern daß diese von altersher erlaubt seien und „der große Bach an tausend Stellen seiner klassischen Kompositionen“ solche Wechselnoten verwendet hätte.9 Was mutig neu wirkt, aber klassisch ist, im Sinn von bereits anerkannt und beispielhaft geworden, muß außer Diskussion stehen: Das erklärte ein Wiener einem Pariser Theoretiker. Aber zurück zu Carl Czerny, der, mit solchen und einigen ähnlichen Vorwürfen konfrontiert, sein neuartiges musikalisches Schaffen der Öffentlichkeit vorenthielt, Galantes, Virtuoses und Didaktisches schrieb, damit berühmt und reich wurde, mit „falscher“ Musik seinen so erworbenen Ruf nicht ruinieren wollte und seine im eigentlichen Sinn zeitgemäßen Kompositionen, mit denen er in der Beethoven-Nachfolge stand, zur Veröffentlichung nach seinem Tod bestimmte. Da er 1857 starb, waren diese danach auch nicht mehr brandaktuell, und erst in der Gegenwart konnte er als eines der Wiener Bindeglieder zwischen Schubert und Brahms erkannt werden. Czerny war also einer – und wohl der deutlichste – jener doppelbödigen Komponisten des Wiener Biedermeier, die mit einem Gesicht an die Öffentlichkeit traten und mit einem anderen Gesicht diese mieden.10 Vielleicht hat Franz Schubert ähnlich gedacht, der von seinen drei Messen in einem praktikablen und praxisfreundlichen Umfang nur die zwei in der Auffassung konventionellen Messen in B-Dur und in C-Dur veröffentlicht hat, nicht aber seine heute populärste, nämlich jene in G-Dur, die nicht nur mit neuen Harmonien arbeitet, sondern – weit gefährlicher – im musikalischen Ausdruck eine völlig neue Textauffassung bringt. Der Besetzung und Anforderung nach hätte sie auch bei den Zeitgenossen eine rege Akzeptanz finden müssen, ihre staunende und nicht Glaubenszuversicht ausstrahlende Credo-Vertonung hat aber niemand als „klassisch“ einstufen können. Demnach war diese Messe nichts für die breite Öffentlichkeit, was auch der Komponist wußte und deshalb nichts für ihre Verbreitung tat. Daß seine Symphonien in Hauskonzerten und in den Musikalischen Salons gespielt wurden, war eine damals übliche Form der Rezeption, auch für Orchesterwerke. Daß die Große C-Dur-Symphonie D 944 diesen Rahmen sprengte, für das Konzertrepertoire aber stilistisch nicht geeignet war, wurde schon dargelegt. Daß sich unter den nicht veröfWien, Artaria, PN 2632. Vgl. Alexander Weinmann, Vollständiges Verlagsverzeichnis Artaria & Comp., Wien 31985, S. 121. 9 Herfrid Kier, Raphael Georg Kiesewetter (1773–1850). Wegbereiter des musikalischen Historismus, Regensburg 1968 (Studien zur Musikgeschichte des 19. Jahrhunderts 13), S. 113. 10 Otto Biba, Carl Czerny – Januskopf?, in: Carl Czerny. Komponist. Pianist. Pädagoge, hrsg. von Heinz von Loesch, Mainz / London etc. o. J., S. 1–31. 8
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fentlichten Werken Carl Czernys Symphonien befunden haben, ist nachzutragen, und auf einen weiteren Wiener Symphonie-Komponisten zwischen Schubert und Brahms sei wenigstens mit der Namensnennung kurz hingewiesen, um auf die notwendige Behandlung dieser Gattung bei Wiener Komponisten zwischen Schubert und Brahms hinzuweisen. Von Ignaz Assmayrs symphonischen Werken galt die 1846 geschriebene D-Dur-Symphonie als verschollen, bis jüngst bei einer Auktion die autographe Partitur samt (benützten) handschriftlichen Stimmen für das Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien erworben werden konnten. Wie zu erwarten, ist auch diese Symphonie kein zukunftweisendes Werk, aber man muß sich fragen, wo sie aufgeführt, also wo diese musikalische Gattung rezipiert wurde, um festzustellen, daß die Symphonie-Komposition und -Rezeption im Wien dieser Jahre ein wichtiges Thema war, auch wenn dies wegen der Fixierung auf große Namen, die es nun einmal dafür nicht gab, in der Gegenwart nicht so wahrgenommen wird. Es gab in dem zur Diskussion stehenden Zeitraum in allen musikalischen Sparten ein reiches kompositorisches Schaffen, es gab Interpreten, die sich darum annahmen, freilich nicht nur in dem uns heute vertrauten Milieu der öffentlichen Konzerte. Darauf war schon bei den Symphonien hinzuweisen, das gilt aber auch für das Streichquartett und andere kammermusikalische Gattungen, die in diesem Zeitraum langsam – und noch lange nicht endgültig – aus den Händen der Amateure oder Dilettanten (wie man sie damals in ganz positiver Bedeutung des Wortes nannte) in jene der Professionisten übergingen. Auch zwischen den berühmten und viel zitierten Schuppanzighund Hellmesberger-Quartetten gab es professionelle Streichquartett-Ensembles, die in öffentlichen Konzerten auftraten, aber noch viel öfter gegen Bezahlung in Privathäusern in Hauskonzerten, was im übrigen auch noch für das Hellmesberger-Quartett gegolten hat und nur beweist, wie wichtig dieses halböffentliche oder private Milieu für die Musik-Rezeption war. Da es hier nicht um eine musikgeschichtliche Dokumentation, sondern um die musikalische Situation zwischen den Schaffensepochen zweier Komponisten geht – unausgesprochen, aber erwartet, auch um eine Antwort auf die Frage, ob es nun zwischen diesen beiden in Wien ein kompositorisches Vakuum gegeben habe oder nicht –, nun wieder von der Rezeption zurück zur Komposition. Es gab keine kodifizierte Geschmacks- oder Stilvorgabe in der Kunst, wie sie in Diktaturen des 20. Jahrhunderts üblich war, aber das verbindliche Wissen, daß in allem – und daher auch in der Kunst – der status quo das Gewünschte und Beste und statt experimentell gesuchten Neuerungen das beispielhaft Klassische gesucht sei. Der taube Meister Beethoven ist aus diesem Schema ausgebrochen, was niemanden verwundert hat, ja, was man ihm nachsah, Franz Schubert mit einem Teil seines Schaffens ebenfalls. Beethoven war der Taube, Schubert der schwer zu Fassende, vielleicht sogar Rätselhafte. Ganz so, wie dies sein Freund Johann Mayrhofer auf den Punkt gebracht hat: „Mir war und bleibt Franz Schubert ein Genius, welcher mich mit angemessenen Melodien durch das Leben, bewegt und ruhig, wandelbar und räthselvoll,
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düster und licht, wie es ist, treulich geleitet.“ 11 Wie wichtig dieser Satz in den Jahren nach Schuberts Tod den Zeitgenossen erschien, erkennt man daran, wie oft er zitiert wurde, allerdings nicht ohne Varianten.12 Die für die inhaltliche Aussage wichtigste Variante ist jene, die „düster und licht“ mit „verworren und leicht“ ersetzte. Aber wie auch immer, Schubert ist auch in den Augen eines seiner besten Freunde rätselhaft gewesen, vielleicht sogar verworren, demnach sicher aber doppelbödig oder doppelgesichtig, wie dies als Phänomen in der Wiener Komponistenszene dieser Zeit schon zu erklären war. Werfen wir in Fortspinnung des bisher Gesagten einen kurzen Blick auf die Kirchenmusik und die Tanzmusik dieser Zeit. Auch dort ist das Doppelbödige zu erkennen. In der Kirchenmusik gab es einerseits sowohl etwas, das man „Haydn- oder Mozart-Aufguß“ nennen möchte, also nicht eine Weiterführung, sondern Weiterpflege eines Stils (vielleicht mit der einen oder anderen neueren harmonischen Wendung verbrämt), und andererseits kühne neue Werke. Ähnliche Beobachtungen macht man, wenn Tanzmusik von Joseph Lanner, Johann Strauß Vater und Philipp Fahrbach d. Ä. – nicht ohne Grund die heute bekanntesten Komponistennamen in diesem Genre – mit der konventionellen Tagesproduktion vergleicht: Die drei schrieben nicht nur besser, sondern vor allem mutiger. Der Gedanke drängt sich auf, daß es in der Tanz- und Kirchenmusik, also zweckgebundener Musik, die erklingt, um etwas stattfinden zu lassen, leichter war, das Neue und Unkonventionelle zu verstekken. Und das Geniale war, diese Möglichkeit zu erkennen und zu nützen. Neue Musik sollte nach den beschriebenen Maximen zu nichts verleiten, aber dennoch konnte ein Galopp von Johann Strauß Vater – wie oft behauptet wurde – als Musik gelten, die rasend macht. Diese Doppelbödigkeit und Doppelgesichtigkeit konnte noch gesteigert werden, wenn ein Komponist Werke für die aktuelle Verwendung schrieb und Werke für die Zukunft, wenn man so will für bessere Zeiten. Erstere wurden zur aktuellen Präsenz und Verwertung geschaffen und letztere nur der Kunst willen. Es gab also zwei Intentionen, zu komponieren, und zwei Stile. Das war schon am Beispiel Carl Czernys zu zeigen, dafür steht aber auch das Schaffen von Joseph Drechsler, Joseph Mayseders und anderer. Dahinter steckt – oder daran ist zu erkennen – eine große Unsicherheit. Es gab sozusagen zwei Zeitstile, einen offiziellen und einen inoffiziellen. So erkannte Franz J[ohann] Mayrhofer, Erinnerungen an Franz Schubert, in: Neues Archiv für Geschichte, Staatenkunde, Literatur und Kunst 1 (1829), S. 123. 12 Ernst Fr[ei]h[er]rn v[on] Feuchtersleben, Erinnerungen an Johann Mayrhofer, in: Deutsche Blätter für Litteratur und Leben 1 (1840), S. 297 f.: „Mir war und bleibt Schubert ein Genius, der mich mit angemessenen Melodieen durch’s Leben bewegt, und ruhig, räthselhaft und wechselnd, verworren und leicht, wie es ist, treulich geleitet.“ Ernst Freiherr von Feuchtersleben, Erinnerungen an Johann Mayrhofer, in: Lebensbilder aus Oesterreich. Denkbuch vaterländischer Erinnerungen, hrsg. von Andreas Schumacher, Wien 1843, S. 106: derselbe Wortlaut. Astolf, Rückblick in die Vergangenheit, in: Der Zuschauer. Zeitschrift für Kunst, Wissenschaft und geistiges Leben, Wien 1843, S. 172: „Mir war und blieb Schubert ein Genius, der mich mit angemessenen Melodien durch’s Leben bewegt, und ruhig, räthselhaft und wechselnd, verworren und leicht, wie es ist, treulich geleitet hat.“ 11
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Gernerth13 1846 sowohl ein „Drängen und Treibern nach dem Nihilism“ als auch nach „der Außergewöhnlichkeit in der Kunst.“14 Seine Betrachtungen führten ihn „auf die componirenden Kräfte unseres Wiens, und es gewährt wahrlich kein geringes Interesse, in dieser durch und durch für Musik empfänglichen Stadt die Namen deren herauszulesen, welche mit ihrer schöpferischen Kraft der Kunst ihrer Zeit einen Ausdruck zu geben berufen sind.“ Er sucht vergeblich, „die verschiedenen Richtungen“ zu erklären, und konstatiert, daß es in der Musik wie in der Literatur sei: „Entweder sind wir Epigonen, oder es sammeln sich in uns die Strahlen zu einem künftigen, bedeutungsvollen Tage.“15 Auch Gernerth sieht also die Spannung zwischen dem Musikschaffen für den Tagesgebrauch oder nach dem Diktat des Bewahrens und Erhaltens und jenem ausschließlich um der Kunst willen, nicht für die Gegenwart, sondern für die Zukunft. Er erwähnt aus verschiedenen Gründen „Bedrückte“ in der Wiener Komponistenszene, für deren Bedrücktsein er Gründe nennt und Gründe ausdrücklich nicht beschreibt, und fasst all das unter der „innerlichen Beengung der Schafflustigen“ zusammen.16 Schließlich apostrophiert er „die Sterilität, welche wir bei hiesigen Componisten bezüglich größerer, orchestraler Werke finden“ und sieht den Grund in der Tendenz des Bewahrens: „Vor allem müßte man in jenen Konzerten, die sich besonders die Aufführung von Orchesterwerken zum Zwecke setzen, nicht die lebenden immer bei Seite setzen, und nur an den todten Meistern sich erheben.“ Was so dezidiert und grundsätzlich allerdings nicht der Fall war. „Freilich scheint es schwer, nach Beethoven noch große Symphonien zu schreiben, aber wer würde auch in jedem Jahrzehnde einen Shakespeare verlangen?“17 Eine rhetorische Frage, mit der er sich gegen die Suche nach dem „Klassischen“ in der Musik an sich, also auch in der neuen Musik, wandte. Eine etwas andere Charakterisierung der Doppelbödigkeit (und damit der Ratlosigkeit) formulierte Ferdinand Leopold Graf Schirnding im Jahr 1840 so.18 Nach seinem Dafürhalten hat die Form in der zeitgenössischen österreichischen Musik einen Höhepunkt und eine Vollkommenheit erreicht. Aber „weit tiefer steht die Idee, da die meisten Componisten unserer Zeit mit wenigen Ausnahmen nur ein Spiel schöner, reizvoller Tonformen, ohne tiefere Bedeutsamkeit, und ohne alle markirte, eigenthümliche Charakteristik darbieten. […] In dieser Beziehung ist die heutige Compositionsweise der meisten österreichischen Tonkünstler nur auf technische Fertigkeit, selten auf das Gemüth des Menschen begründet.“ Dieser Gegensatz von Form und Idee ist nach seiner Überzeugung ein Problem, denn „der eigentliche Geist der Tonkunst beruht auf der innigen Verschmelzung von Idee und Form in ein und dasselbe 13 Franz Gernerth, Umschau in den Wiener Musikzuständen, in: Wiener Allgemeine Musik-Zeitung 6 (1846), S. 253 f., 256–258, 269 f., 272–274, 281 f., 285 f. 14 Ebda., S. 258. 15 Ebda., S. 286. 16 Ebda., S. 273. 17 Ebda., S. 274. 18 [Ferdinand Leopold Graf Schirnding,] Oesterreich im Jahre 1840. Staat und Staatsverwaltung, Verfassung und Cultur, Bd. 2, Leipzig 1840, S. 288 f.
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Wesen“. Die Idee ist zurückgedrängt, da die Vermittlung neuer Ideen ja nicht opportun ist. In Paris gab es nach der Märzrevolution des Jahres 1830 ein liberaleres Klima für die Kunst, das in der Musik einzig von Hector Berlioz wirklich genützt wurde. Seine im Winter 1845/1846 in Wien gegebenen Konzerte sind bestaunt und bejubelt worden, aber ohne nachhaltigen Einfluß geblieben. Zu groß waren die eindoktrinierten Maximen des Bewahrens und der Suche nach dem Klassischen. Selbst Eduard Hanslick hat die nicht ergriffene Chance von Berlioz’ Konzerten in Wien auch 25 Jahre später noch nicht erkannt gehabt und nur gemeint, Berlioz habe die Wiener gleichzeitig gefesselt und geblendet.19 „In Berlioz“ so Hanslick weiter, „lernte das Wiener Publicum den isolirten Gipfelpunkt einer modernen musikalischen Romantik kennen, von deren Existenz es keine Ahnung gehabt. In dem musikalisch gebildeten Teil der Hörerschaft, wie in der Journalistik gab es in der Beurtheilung und Schätzung dieses Componisten schroffsten Zwiespalt, der größte Theil der Kritik lautete ablehnend, verdammend.“ Berlioz ist aus eigenem Antrieb nach Wien gekommen und hat seine Konzerte selbst veranstaltet. Felix Mendelssohn Bartholdy – um einen anderen großen nichtösterreichischen Zeitgenossen zu nennen – wurde hingegen von der Gesellschaft der Musikfreunde eingeladen, bei ihrem Musikfest im Jahr 1839 das Oratorium Paulus zu dirigieren. Man wollte damit aus dem von Händel und Haydn dominierten WerkKanon der Oratorienaufführungen der Musikfeste ausbrechen und Zeitgenössisches bieten, freilich mit einem Werk, von dem man sicher war, daß es den Zug zum „Klassischen“ in sich trägt. Mendelssohn hat die Einladung angenommen, dann aber doch abgesagt. Immerhin, Paulus wurde auch ohne ihn gegeben. Mitbestimmend für die Absage war sicher, daß Mendelssohn der Tonkünstlersozietät angeboten hatte, anläßlich seines Aufenthaltes in Wien für sie ein Konzert mit eigenen Werken zu dirigieren, dessen Erlös gänzlich diesem Sozialinstitut für Musiker-Witwen und Waisen zur Verfügung stehen sollte, dieses Angebot dort aber nicht angenommen wurde. Das von Mendelssohn angebotene Konzert hätte so ganz und gar nicht den üblichen Terminen der zweimal jährlich veranstalteten Konzerte der Sozietät entsprochen, ebenso wenig der statutenkonformen Pflicht aller aktiven Mitglieder der Sozietät, bei diesen Konzerten vollzählig mitzuwirken, kurz, es hätte Beweglichkeit, ein Abgehen von den Normen und einen Bruch mit Gewohntem verlangt: Darauf war man nicht eingestellt. Auch ein zweiter Versuch der Gesellschaft der Musikfreunde mit Mendelssohn ist gescheitert. 1847 hat er zugesagt, Elias bei dem Musikfest dieses Jahres zu dirigieren; kurz davor ist er jedoch verstorben. Elias wurde trotzdem gegeben. Mit Mendelssohn, dessen Werk hier Fuß fassen konnte, sollte also ein zeitgenössischer Klassiker nach Wien kommen. Robert Schumann, um einen weiteren heute anerkannt Großen außerhalb Wiens zu erwähnen, kam für ein solches Projekt nicht in Frage. Gegen ihn wie gegen sein Werk gab es manche Vorbehalte. Wie man ihn selbst 19 Eduard Hanslick, Geschichte des Concertwesens in Wien, Wien 1869, S. 358.
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1861 noch sah, ein Jahr, bevor Brahms zum ersten Mal nach Wien kam, hat Gerhard von Breuning so formuliert: „So wenig nun Schumann mit jenen Männern direkt zusammenhängt, welche es sich gefallen lassen müssen, Männer ‚der Zukunft‘ genannt zu werden, und denen er an produktivem Vermögen zweifellos überlegen ist, so sind doch jene nervöse Unruhe in ihm, jenes übermäßig ausgeprägte, subjektive, leidende Pathos Momente, die er mit ihnen gemein hat und die, indem überhaupt die ganze moderne Kunst und Literatur von ihnen beherrscht wird, auf eine gemeinsame Quelle hindeuten, welche keine andere ist, als die grenzenlose Unbefriedigtheit der allgemeinen Zustände, der Mangel jeder festen inneren und äußeren Basis im Leben des Ganzen sowohl wie des Einzelnen, und die Erschöpfung der Produkzionskraft, welche nach einer Periode überschwänglicher Entwicklung nothwendig eintreten muß.“ 20
Das ist eine wichtige Stellungnahme zu Schumann aus der Perspektive eines Kenners der Wiener Musikszene, der nach dem Auslaufen der Maxime des Bewahrens und Nicht-Veränderns und selbst nach dem Ende der infolge der Revolutionen des Jahres 1848 eingetretenen Reaktion und Restriktion offensichtlich immer noch in einer gewissen „Endzeitstimmung“ verharrte und diese auf Schumann projizierte, den er grundsätzlich an einem Wendepunkt von Klassischem zu Neuem sah: „Schumann gehört wohl in einer Beziehung noch zu jenen Komponisten, über welche der […] räthselhafte Tongeist eine zwingende Herrschaft ausübte. Aber während wir dieses Verhältniß bei den früheren Meistern als ein durchaus natürliches, wahlverwandtschaftlich-freies erkennen, tritt es bei Schumann mit einer Mischung von Kampf an. Es ist als ob ein Geist, der, eigentlich ein Fremdling in dieser Welt, sich gleichwohl so wunderbar und zu so gewaltiger Höhe entfaltet hat, nun, in sich zusammenbrechend, noch einmal fieberhafte Anstrengungen macht, seine Herrschaft zu behaupten.“ 21
Ob in diese Sätze auch die Auseinandersetzung mit Schumanns Spätwerk eingeflossen ist? Das Bewahren nach dem Wiener Kongreß und die Reaktion nach 1848 waren also 1861 noch so präsent, daß derartige Sätze geschrieben werden konnten, aber sie war nicht mehr gültig. Sie wurde innerlich immer noch gefühlt, war aber nicht mehr äußerlich zu spüren, also keine politische Maxime mehr, hat aber immer noch die reaktionäre Musikszene bestimmt. Johannes Brahms – laut Schumann ein Komponist, der neue Bahnen geht – kam 1862 zum ersten Mal nach Wien, in eine Stadt, in der es möglich war, solche Sätze im Zusammenhang mit Robert Schumann zu schreiben – und fühlte sich wohl. Das 20 [Gerhard] v[on] Br[euning], Die Repräsentanten der modernen Musikrichtungen, in: Recensionen und Mittheilungen über Theater und Musik 7 (1861), S. 411. 21 Ebda.
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von Breuning angesprochene Vakuum, also die hiesige „Erschöpfung der Produkzionskraft“, mußte für einen Komponisten von auswärts herausfordernd sein, und die reaktionäre Haltung in der Musikszene hat die Tradition präsent gehalten. Das heißt, die Begegnung mit der Tradition hat Brahms gefallen. Von Schubert hatte er 1863 in Wien die Empfindung, „als lebte er noch“.22 Genauso gefallen hat ihm, daß seiner eigenen Kunst nichts im Wege stand, ja mehr noch, daß er als Komponist so freundlich aufgenommen wurde. Denn das Suchen nach dem wirklich Neuen, in dem die Voraussetzungen zum „Klassischen“, also zum Klassisch-Werden, enthalten sind, war immer noch aktuell. Diese Empfindung von Brahms, daß Schubert noch lebe, ist freilich nicht leicht zu interpretieren, aber als ein subjektives Empfinden eine nicht zu unterschätzende Charakterisierung der Wiener Musikszene. In der öffentlichen Wahrnehmung war Schubert ein historischer Komponist, von dem 1861 die erste Biographie in Buchform23 erschienen ist. Gerhard von Breuning hat ihn 1861 gemeinsam mit Händel, Bach, Gluck, Haydn, Mozart, Beethoven und Schumann zu den „großen Komponisten“24 gezählt und konstatiert: „Schubert […], doch eigentlich ein Zeitgenosse Beethoven’s, erkannte, daß über diesen nicht hinauszukommen, ja daß nicht von fern an ihn hinanzukommen sei. Eine vom Genius tief angehauchte völlig naive künstlerische Vollblutnatur aber, irrte ihn das in seinem Schaffen nicht und fand er von selbst die Pfade zu den Sternenbildern, von welchen die Schleier zu ziehen, ihm bestimmt war“.25
Schubert, der Überwinder Beethovens als naive künstlerische Vollblutnatur? Daß Schubert zur Zeit, als Brahms nach Wien kam, hier als ein Klassiker im eingangs beschriebenen Sinn gesehen wurde, sei hier nur noch mit einer von vielen Aussagen belegt. Als Julie von Asten, die bald zum ersten Wiener Künstlerkreis rund um Brahms zählen sollte, 1857 in einem Konzert ein Klaviertrio von Schubert spielte, war in einer Rezension zu lesen: „[…] worin sie Gelegenheit hatte, […] ihre richtige Auffassung klassischer Tonwerke an den Tag zu legen.“26 Hatte Schirnding schon 1840 zur Liedkomposition in Österreich gemeint, „seit Schubert‘s Tode ist […] kein ebenbürtiges Talent mehr aufgetreten“, so war offensichtlich fünf Jahre, bevor Brahms nach Wien kam, auch schon seine Kammermusik unter „klassische Tonwerke“ subsumiert. Seine Opern fanden Interesse, seine Klavier- und Kirchenmusik war präsent, einzig 22 So am 26. März 1863 an Adolf Schubring (Johannes Brahms Briefwechsel, Bd. 8, hrsg. von Max Kalbeck, Berlin 1915, S. 196): „Da ist nun besonders Schubert, bei dem man die Empfindung hat, als lebte er noch! Immer neue Menschen lernt man kennen, die von ihm als einem guten Bekannten sprechen, und immer neue Werke sieht man, von deren Existenz man nichts wußte, und die so unberührt sind, daß man den Sand abscheuern könnte.“ 23 Dr. Heinrich von Kreißle, Franz Schubert. Eine biografische Skizze, Wien 1861. 24 Breuning, Die Repräsentanten der modernen Musikrichtungen (wie Anm. 20), S. 410. 25 Ebda. 26 Neue Wiener Musik-Zeitung 6 (1857), S. 22.
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seine Symphonien waren sozusagen noch in Wartestellung. Der selbst für seinen Freund Mayrhofer rätselhaft gewesene Komponist war zu einem Klassiker geworden. Freilich waren von ihm noch viele Schätze zu heben, was Brahms mit Begeisterung tat, wie er 1863 an Jakob Rieter-Biedermann schrieb: „Überhaupt verdanke ich die schönsten Stunden hier ungedruckten Werken von Schubert […].“27 Diese schönsten Stunden ließen ihn dann auch zum Editor Schubertscher Werke werden. Brahms ist nach Wien gekommen, um Tradition und Kontinuität zu suchen. Sein Lehrer Eduard Marxsen ist ja 1830 bis 1833 in Wien Schüler Ignaz von Seyfrieds und somit Enkelschüler Mozarts gewesen. Mit Seyfried hat er einen Lehrer aus der Schubert-Nähe und aus Beethovens weiterem Freundeskreis gehabt. Von diesen Eindrükken hat er gezehrt und Brahms berichtet. Brahms hat danach Tradition und Kontinuität in Wien gesucht, und ein Teil des Wiener Publikums hat in dieser gelebt, jenes Publikums, das Brahms 1863 entzückt hat: „Die herrliche Stadt, die schönen Umgebungen, das theilnehmende, lebendige Publikum, wie ist das alles anregend für den Künstler!“28 Brahms’ Urteil über das Publikum bestätigt der Literat Karl Landsteiner 1870 in einem ansonsten durchaus kritischen Essay: „Wien hat ein musikalisch gebildetes Publikum, wie keine andere Stadt der Welt.“29 Die für Brahms wichtige Tradition und Kontinuität, in die auch er die längst vollzogene Anerkennung Schuberts miteinbezog, beschrieb Landsteiner so: „In Wien erstanden und wirkten die größten Tonkünstler und die musikalischen Klassiker, der elegante Gluck, der anmuthreiche Mozart, der liebenswürdige Haydn, der dämonisch große Beethoven, der unvergleichliche Schubert, in Wien lebten und starben sie. Hier schrieben sie ihre Meisterwerke und hier fanden sie das gehörige Verständniß für dieselben.“ 30
Heute neigt man dazu, solche Formulierungen als die Pflege von Klischeebildern zu bezeichnen, aber Brahms kam deshalb nach Wien und empfand dies 1863 genauso: „Und nun gar für uns das heilige Gedächtnis der großen Musiker, an deren Leben und Schaffen hier man täglich erinnert wird.“31 Aber zurück zu Landsteiner, der die damalige Gegenwart so sah: „Wien ist der Hauptstapelplatz für alle musikalischen Waaren, – und alle finden Abgang, die klassische und romantische; die Offenbach’sche und Wagner’sche Musik, jede Richtung hat ihre zahlreichen Verehrer und so prononzirt sind die musikalischen Parteistandpunkte, daß es bei Gelegenheit der Aufführung von Wagner’s Meistersingern im neuen Opernhause zu förmlichen Schlachten kam.“32 27 Johannes Brahms Briefwechsel, Bd. 14, hrsg. von Wilhelm Altmann, Berlin 1920, S. 77. 28 Brahms Briefwechsel 8 (wie Anm. 22), S. 196. 29 Karl Landsteiner, Das Babel des Ostens. Bilder aus dem Wiener Leben, Würzburg 1871, S. 150. Das Buch erschien zuvor bereits mit etlichen Varianten im Text unter dem Titel: Die Kaiserstadt an der Donau. Wiener Photographien, Zürich / Stuttgart o. J. Das gebrachte Zitat hier ebenfalls auf S. 150. 30 Ebda. 31 Brahms Briefwechsel 8 (wie Anm. 22), S. 196. 32 Landsteiner, Das Babel des Ostens (wie Anm. 29), S. 153 f. In der Ausgabe o. J. heißt es auf S. 153 f. weniger
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Nicht zu vergessen: Auch Brahms hat hier mit etlichen Werken, die hier nicht aufgelistet werden müssen, Ablehnung gefunden. Landsteiner skizziert auch – kritisch und leicht karikierend – den Musik-Enthusiasten, eine „Spezialität der Wiener Bevölkerung“: „Ein [fiktiver] Bekannter von mir, Herr von Singmüller, gehört in diese Kategorie. Er wohnt, wenn es möglich ist, täglich einem Konzerte oder doch wenigstens irgendeiner Musikaufführung bei. […] Geht er Abends nicht in die Oper, so veranstaltet er eine kleine musikalische Soirée in seiner Wohnung. Er selbst spielt zur Not die ‚Bratsche‘ und singt, je nach Umständen, den ersten Tenor oder den zweiten Baß. Uebrigens ist er, wie er selbst sagt, mehr Theoretiker als Praktiker. Aber er weiß Alles, was sich auf die Musik bezieht, kennt alle halbwegs bekannten Werke der Tonkunst und hat sich selbst in die kritischen Werke [Ludwig] Nohls und [Otto] Jahns, nicht bloß in die geistvollen Recensionen von R[udolph] H[irsch] in der Wiener Zeitung, der etwas weniger bekannt ist, als der E[duard] H[anslick] in der Neuen Fr[eien] Presse, vertieft. Er hat noch den Beethoven gekannt und weiß eine Menge Anekdoten von ihm. Schubert war sein Schulgenosse und darauf thut er sich sehr viel zu Gute. Er rühmt sich, alle berühmten Meisterwerke der Tonkunst schon gehört zu haben. Und das glaub ich auch, wenn man die abrechnet, die er noch nicht gehört hat. Wird im Operntheater die Zauberflöte oder Fidelio aufgeführt, dann nimmt sein Gesicht einen feierlichen Ausdruck an. Er sagt leise: ‚Ein Festtag für uns – Musiker!‘ Mozarts Requiem rührt ihn zu Thränen und Beethovens große Messe macht ihn krank. Schuberts Lieder kann er alle auswendig und trällert sie vor sich hin, wenn er spazieren geht. Kommt eine neue Oper oder eine andere musikalische Neuigkeit, der eine tüchtige Reklame vorausgegangen, so muß er, das ist unumgänglich nöthig, der ersten Aufführung beiwohnen und sollte es ihm das Leben kosten. […] Ist er in einem Konzerte – im Musikvereinssaale hat er eine Loge, im großen Redoutensaale steht er ganz hinten in dem Quergang, wo die Besitzer von Freibilleten sich stoßen und drängen – so bleibt er keinen Augenblick ruhig. Entweder blickt er, um seine Wonne zu veranschaulichen, wie ‚verzückt‘ zur Saaldecke empor oder er sieht dich an, so rührend, so verständnißinnig. Dann lauscht er, mit einem Ohr nach vorwärts neigend, als ob ihm etwas aufgefallen wäre, verzieht auch wohl die Mienen, wenn er einen ‚falschen‘ Ton zu vernehmen meint. Er spricht auch während der Aufführung: ‚Ach dieser Mozart! – Nein, dieser Satz! – Haben Sie gehört? Das war ein Strich! – Das muß man sagen, diese Florentiner33 haben es den ‚Helmesbergern‘34 noch zuvor gethan! – Ach, Freund! Beethovens A-[moll-]Quartett [op. 132] ist eine der wunderbarsten Schöpfungen des großen Mannes! – So Etwas kann man denn doch nur bei uns in Wien hören!‘ Früh Morgens, wenn ich noch schlafe, kommt Herr von Singmüller schon die Treppe heraufgepoltert und ruft ins Zimmer: ‚Haben schon eine Karte für das heutige Konzert?‘ ‚Ach was da! Lassen Sie mich in Ruhe!‘
detailreich: „Wien ist der Hauptstapelplatz für die musikalischen – Waaren. Das wissen die Künstler in der ganzen Welt und darum kommen sie Männlein und Weiblein mit langen Haaren – und Finger – aus allen Winkeln der Erde und spielen den Wienern – ‚Etwas vor‘. Wer in Wien Glück macht, der ist geborgen. Wer in Wien nicht reussiert, ist ein todtgeborenes Kind der Kunst. [Etc.]“ 33 Das 1865 bis 1880 bestehende und 1868 erstmals in Wien aufgetretene „Florentiner Streichquartett“ des Mannheimer Geigers Jean Becker. 34 Das 1849 bis 1901 bestehende Wiener „Hellmesberger-Quartett“.
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‚Wissen Sie, was Sie sagen? Sie werden mir’s danken, daß ich Sie geweckt. Sogleich senden Sie einen Dienstmann um eine Karte, sonst ist’s zu spät.‘ ‚Ich geh’ nicht ins Konzert.‘ […] ‚Eine ganz neue Komposition von – ‘ ‚Wollen Sie mich zur Verzweiflung bringen?‘ ‚Barbar! Nicht werth des Namens eines Wieners!‘ […]“35
Dieses Feuilleton Karl Landsteiners eignet sich bestens, unsere Betrachtungen zur Wiener Musikszene zwischen Schubert und Brahms abzuschließen. Es bestätigt, daß Schubert 1870 längst zum jüngsten „Klassiker“ geworden war, also zu einer Berühmtheit. Der literarische Kunstgriff, um dies zu zeigen: Jemand rühmt sich, mit Schubert in die Schule gegangen zu sein. Landsteiner bestätigt aber auch, daß 1870 alle noch im Biedermeier wurzelnde und in der Reaktion der postrevolutionären Epoche wiederauflebende oder sich fortsetzende Angst vor Neuem überwunden war. Nach Überwindung der Ratlosigkeit, was Neues ist und ob Neues möglich und erlaubt sei, hat Brahms – der Komponist, der nach Schumanns Urteil auf neuen Bahnen wandelte – in sich personifiziert Neues nach Wien gebracht und hier einerseits eine lebendige Tradition und andererseits in Schuberts Werken für sich Neues gefunden. Nicht zu vergessen: Er hat hier auch eine musikalische Kunst- und Künstlerszene gefunden, in der er sich wohlgefühlt hat. Es ist daher für die Situation symbolhaft, daß Brahms am Beginn seines Komponistenlebens in Wien, im Februar 1863, Simon Sechter aufgesucht hat und von ihm mit einem musikalischen Widmungsblatt36 geehrt wurde. – Jenen Simon Sechter, der die Personifikation des für die traditionell in Wien gepflegte Kompositionstechnik so wichtigen Kontrapunkts und strengen Satzes war, und jenen Simon Sechter, bei dem 35 Jahre zuvor Franz Schubert noch am Ende seines Komponistenlebens Unterricht zu nehmen begonnen hat, weil er überzeugt war, in den von Sechter gelehrten traditionellen Techniken für sich Neues finden zu können.
35 Landsteiner, Das Babel des Ostens (wie Anm. 29), S. 157–161, in der Ausgabe o. J. ebenfalls auf diesen Seiten. Vom Verfasser bereits auszugsweise zitiert in seinem Beitrag Die Kammermusik im Wien der Brahmszeit, in: Die Kammermusik von Johannes Brahms. Tradition und Innovation. Bericht über die Tagung Wien 1997, hrsg. von Gernot Gruber, Laaber 2001, S. 47 f. 36 „Canon in der Vergrößerung nebst einer freien Oberstimme. Herrn Johannes Brahms zum Andenken.“ Wien, Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde (Sign.: VII 41532). Publiziert in: Johannes Brahms in Wien. Ausstellung, Katalog von Otto Biba, Wien 1983, S. 13.
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Zur Wiener Kammermusiktradition zwischen Schubert und Brahms Vom privaten Musizieren zum öffentlichen Konzert Johannes Brahms ist im September des Jahres 1862 nach Wien gekommen: Der 29jährige war damals kein unbekannter Künstler mehr – sein Ruf als Musiker, verstärkt durch Schumanns neun Jahre zuvor erschienenen Artikel Neue Bahnen, war ihm vorausgeeilt –, sodaß es ihm sofort gelang, Kontakte zur Wiener Musikszene herzustellen. Und so fand bereits am 16. November 1862 Brahms’ erstes öffentliches Auftreten als Pianist und Komponist in Wien statt. Dieses ist nun hinsichtlich der hier zu behandelnden Thematik in mancherlei Hinsicht interessant: 1. Brahms trat als Komponist eines Werkes aus der Gattung Kammermusik an die Öffentlichkeit; 2. Brahms wählte ein Klavierquartett, nämlich jenes in g-Moll op. 25, und wirkte als Pianist bei der Aufführung selbst mit; 3. geschah dies im Rahmen der „Quartett-Productionen“ des Hellmesberger-Quartetts, der damals einzigen, in Wien seit 1849 bestehenden, als Fixstern im Wiener Musikleben höchst angesehenen Quartettformation, und 4. fand das Konzert im 1831 eröffneten Alten Musikvereinssaal Unter den Tuchlauben statt, der 700 Personen Platz bot: Alle diese Punkte verweisen auf ganz spezifische, in der Tradition der Kammermusik in Wien wurzelnde Aspekte, namentlich des Quartettspiels, worauf in der Folge näher eingegangen wird. Vorweggenommen sei hier nur, daß die Kammermusik bei Brahms’ erstem Auftreten im Jahr 1862 schon gänzlich im Konzertsaal etabliert und somit Bestandteil des öffentlichen Konzertlebens war, während diese zu Schuberts Lebzeiten noch vorwiegend privaten Charakter hatte und Bestandteil des Musikalischen Salons war, auch wenn dieser aufgrund der oft zahlreich anwesenden Gäste in mancherlei Hinsicht bereits als ‚halböffentlich‘ zu bezeichnen ist. Die Kammermusik, ursprünglich durch den Ort der Aufführung definiert – die „musica da camera“, das Musizieren in der „Kammer“, als eigenständiger Bereich neben der Kirchen- und Theatermusik (sowie der Militärmusik) –, entstammte zunächst höfischen Kreisen, wurde aber im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts durch den Aufstieg des Bürgertums zunehmend auch in den Häusern des gehobenen Mittelstandes heimisch, ja entwickelte sich geradezu zu einem Statussymbol der aufstrebenden bürgerlichen Kultur. Dieses private, manchmal auch halböffentliche Musizieren sowohl der Aristokratie als auch des Bürgertums fand in Musikzimmern und Salons statt, Räumlichkeiten, denen die kleine, solistische Besetzung angemessen war: der sogenannte „Musikalische Salon“ bezeichnete jedoch nicht nur den Ort dieser Musikaufführungen, sondern ganz allgemein ein wichtiges gesellschaftliches Phänomen der Musikkultur des ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts.
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Das häusliche Musizieren, sei es nun zum eigenen Vergnügen im familiären Kreis oder im Rahmen von kleineren oder größeren Gesellschaften, spielte damals bereits in allen Gesellschaftsschichten eine bedeutende Rolle.1 Die Adeligen waren einerseits selbst die Ausführenden – war doch die musikalische Bildung Teil des Erziehungsplans junger Aristokraten –, andererseits wurden aber auch die Musiker der eigenen Hofkapelle zum gemeinsamen Musizieren herangezogen.2 In bürgerlichen Kreisen kam die Musik als Element der Erziehung immer mehr in Mode, als man Ende des 18. Jahrhunderts versuchte, dem höfischen Bildungsideal möglichst nachzueifern, ja es gehörte geradezu zum guten Ton, seine Kinder musikalisch ausbilden zu lassen, wobei die Mädchen in Klavier und Gesang, die männliche Jugend aber vor allem im Streichinstrumentenspiel unterrichtet wurde.3 Die so zustande gekommene große Schicht der Dilettanten, der Musikliebhaber, wurde nun zur wichtigsten Säule der bürgerlichen Musikkultur des beginnenden 19. Jahrhunderts. Der sogenannte „Dilettant“ verdiente seinen Lebensunterhalt im Gegensatz zum Berufsmusiker nicht mit Musik, verfügte aber über eine so gediegene Musikausbildung, daß er sich nicht nur mit Gleichgesinnten dem Kammermusikspiel widmen konnte, sondern oft auch befähigt war, gemeinsam mit Berufsmusikern im privaten oder halböffentlichen Kreis zu musizieren. Einen besonderen Stellenwert nahm in Wien von jeher das Streichquartettspiel ein, zu dem man sich sowohl in Bürgerhäusern als auch in Adelspalais zusammenfand. Nach Heinrich Christoph Koch galt das Streichquartett als „Lieblingsstück kleiner musikalischer Gesellschaften“,4 und Abbé Stadler meinte, es „müßten ganze Bücher geschrieben werden, wenn man alle diejenigen aufzeichnen wollte, die in Wien besonders zur Zeit Kaiser Josephs II. in ihren Wohnungen Quartetten usw. aufführten“.5 Die von Joseph Haydn für Fürst Nikolaus Esterházy, Graf Anton Apponyi, Graf Joseph Erdödy oder Fürst Franz Joseph Maximilian Lobkowitz geschriebenen bzw. ihnen 1
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Vgl. u. a. Walter Salmen, Haus- und Kammermusik. Privates Musizieren im gesellschaftlichen Wandel zwischen 1600 und 1900, Leipzig 1982; Dorothea Link, Vienna’s Private Theatrical and Musical Life, 1783–92, as Reported by Count Karl Zinzendorf, in: Journal of the Royal Musical Association 122 (1997) S. 205 ff. Ferner Ingrid Fuchs, The First Performers and Audiences of Haydn’s Chamber Music, in: Richard Chesser / David Wyn Jones (Hrsg.), The Land of Opportunity. Joseph Haydn and Britain, London 2013, S. 147–162. Auch sonstige Bedienstete wurden herangezogen, die oft danach ausgewählt wurden, ob sie zu ihrer eigentlichen Profession noch ein Musikinstrument beherrschten. Besonders in kleineren adeligen Residenzen musizierten die Aristokraten aber auch gemeinsam mit bürgerlichen Musikliebhabern. „Sie finden vielleicht nicht ein gutes Haus, in welchem nicht das Fräulein auf dem Klavier klimperte, oder der junge Herr mit vieler Wichtigkeit auf seiner Violine […] spielte“, konstatiert 1802 leicht boshaft Johann Baptist Mittrowsky ([ Johann Baptist Mittrowsky], Ueberblick des neuesten Zustandes der Litteratur, des Theaters und des Geschmacks in Wien, [Wien] 1802, S. 25). „In jeder nur etwas bemittelten Familie, werden die Kinder, besonders die Töchter in der Musik unterrichtet, Klavierspielen und Singen gehört wesentlich zu dem, was man hier gute Erziehung nennt. [Und so gibt es] unstreitig sehr große Künstler unter den Dilettanten und Dilettantinnen auf allen Arten von Instrumenten […], welche die schwersten Stücke meisterhaft auszuführen im Stande sind.“ (N. N., Neuestes Sittengemählde von Wien, Wien 1801, S.160 f.) Heinrich Christoph Koch, Versuch einer Anleitung zur Composition, 3. Theil, Leipzig 1793, S. 325. Abbé Maximilian Stadler. Seine Materialien zur Geschichte der Musik unter den österreichischen Regenten. Ein Beitrag zum Historismus im vormärzlichen Wien, hrsg. und kommentiert von Karl Wagner, Kassel [1974], S. 164.
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gewidmeten Quartette wurden zunächst in einer kurzen „Schutzfrist“, während welcher der Widmungsträger alleiniger Eigentümer des Werkes war, meistens von den Musikern der jeweiligen Adelskapellen gespielt, also von professionellen Künstlern, gleichzeitig bzw. etwas später aber aus Abschriften und Drucken von den bürgerlichen Musikliebhabern, den Dilettanten. Allerdings stellten manche späten, dem ursprünglichen Divertimentocharakter dieser Gattung entwachsenen Streichquartette Haydns und Mozarts an die technischen Fähigkeiten der Ausführenden wie an die Hörgewohnheiten der Zuhörer so hohe Ansprüche, daß sie auf wenig Verständnis bei den Musikliebhabern stießen. Dies ist bereits ein Symptom der sich um die Jahrhundertwende in zwei Richtungen auseinander entwickelnden Kammermusik: Auf der einen Seite entstand die von Berufsmusikern in öffentlichen Konzerten produzierte, zunehmend ästhetisch anspruchsvoller und technisch schwieriger werdende Kammermusik, auf der anderen Seite die von nichtprofessionellen Musikliebhabern gespielte, rein private Hausmusik, die sich oft auf Werke von gefälligerem, einfacheren Charakter zurückzog und schließlich den pejorativen Beigeschmack des Begriffes „Dilettant“ verursachte.6 Die verschiedenen Funktionen, die der 1776 in Wien geborene Geiger Ignaz Schuppanzigh mit seinem Streichquartett bekleidete,7 vermögen diese Entwicklung eindrucksvoll zu verdeutlichen: Einerseits hatte er mit seinen Quartettpartnern8 bei Graf Andrej Kyrillowitsch Rasumowsky eine besoldete Anstellung als dessen privates Hausquartett, bei dem der Graf als ausgezeichneter Dilettant in alter Tradition zunächst selbst die zweite Geige spielte, andererseits war Schuppanzigh der erste, der ab 1804/05 in Wien öffentliche Streichquartett-Konzertzyklen veranstaltete, und zwar mit solchem Erfolg, daß diese bald zu einer Art Institution wurden und andere Metropolen in Europa seinem Beispiel folgten. Diese Quartett-Produktionen fanden anfangs in einem Privathaus im Heiligenkreuzerhof und schließlich im Saal des Hotels „Zum römischen Kaiser“ statt9 – einen reinen Konzertsaal gab es damals in Wien noch nicht – und waren mit im Abonnement erworbenen Eintrittskarten zugänglich. Im Mittelpunkt der Musikpflege des Grafen Rasumowsky stand Ludwig van Beethoven, dem das Schuppanzigh-Quartett für die Ausführung seiner Streicherkammermusik sozusagen zur Verfügung stand und wesentlich das Quartett-Schaffen des Komponisten beflügelte. Da es Schuppanzigh neben seiner vertraglichen Bindung an Rasumowsky erlaubt war, öffentliche Konzerte mit ähnlichem Programm zu veranstalten, wurden Beethovens Quartette praktisch zeitgleich auch einem breiteren Publikum bekannt. 6
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Von 1800 bis 1828 sind in Wien mehr als 400 Quartette von ca. 50 Komponisten im Druck erschienen, vom anspruchsvollen Quartett und Virtuosenquartett bis zu einfachen, populär ausgerichteten Quartetten und Quartettbearbeitungen anderer Werke (vgl. Artikel „Streichquartett“, in: Ernst Hilmar / Margret Jestremski (Hrsg.), Schubert-Lexikon, Graz 21997, S. 450). Bereits als 18jähriger war Schuppanzigh an der Spitze des von Fürst Karl Lichnowsky unterhaltenen Streichquartetts gestanden, das wöchentlich in dessen Palais Konzerte gab, bei denen er Joseph Haydn und vor allem den jungen Ludwig van Beethoven kennengelernt hat. Louis Sina, Franz Weiß und Joseph Linke. Vgl. Eduard Hanslick, Geschichte des Concertwesens in Wien, Wien 1869, S. 203.
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Die von Schuppanzigh veranstalteten öffentlichen Streichquartett-Zyklen wurden 1816 während der von ihm unternommenen Konzertreisen unterbrochen10 und erst 1823, nun im Saal der Gesellschaft der Musikfreunde im Haus „Zum roten Igel“, fortgesetzt.11 Gleichsam als Gegenpol zum seit 1816 in Wien herrschenden „Rossini-Taumel“ wurden die anspruchsvollen Konzerte des Schuppanzigh-Quartetts, die sich fast ausschließlich der Interpretation der Streichquartette der „Wiener Klassiker“ Haydn, Mozart und Beethoven widmeten, von der zeitgenössischen Kritik äußerst positiv aufgenommen, ebenso wie die Entscheidung Schuppanzighs, in seine StreichquartettAbonnementkonzerte als Mittelstück Klaviertrios aufzunehmen, bei denen namhafte Pianisten mitwirkten. Diese Auflockerung des Programms durch ein Kammermusikwerk mit Klavier wurde vor allem vom Publikum begrüßt und sollte noch Jahrzehnte später als Grundstruktur der meisten Quartettkonzerte beibehalten werden: Man denke an die Positionierung des Brahms’schen Klav ierquartetts im HellmesbergerQuartettabend des Jahres 1862 als Mittelteil zwischen zwei Streichquartetten. Doch nicht nur Beethoven fühlte sich durch die außerordentlichen Leistungen des Schuppanzigh-Quartetts animiert, sondern auch Franz Schubert, dessen a-MollQuartett (D 804) am 14. März 1824 in einem Abonnementkonzert des SchuppanzighQuartetts uraufgeführt wurde: Es war die erste, aber auch letzte nachweisbare öffentliche Aufführung eines Schubertschen Streichquartetts zu seinen Lebzeiten. Ignaz Schuppanzigh spielte ferner am 26. Dezember 1827 in seinem Quartett-Zyklus mit Carl Maria von Bocklet und Karl Linke die Uraufführung von Schuberts Klavier-Trio in B-Dur (D 898), wirkte aber auch im privaten Kreis bei Kammermusikaufführungen Schubertscher Werke mit, u. a. bei der Aufführung des Es-Dur-Klaviertrios (D 929) im Rahmen der Schubertiade bei Josef von Spaun am 28. Januar 1828. Damit sind wir wieder zur überaus bedeutungsvollen privaten Kammermusikpflege des ersten Viertels des 19. Jahrhunderts zurückgekehrt, bei den zahlreichen Musikalischen Salons, in denen nicht nur hervorragend ausgebildete Dilettanten, sondern auch viele Berufsmusiker, ja namhafte Künstler als Gäste mitwirkten. Diese geselligen Zusammenkünfte mit musikalischen Darbietungen, die als Spezifikum der biedermeierlichen Musikkultur nach dem Wiener Kongreß gelten können – auf dem Programm standen in gemischter Folge je nach Gegebenheiten und Vorlieben kleiner oder größer besetzte Instrumental- und Vokalwerke –, fanden in den Salons des gehobenen Bürgertums statt, das den Adel nunmehr in seiner Funktion als Träger der Musikpflege fast gänzlich abgelöst hatte. Leopold von Sonnleithner berichtet in seiner Musikalischen Skizze aus Alt-Wien12 über zahlreiche derartige Initiativen, wie z. B. bei der Familie Josef Hochenadel, wo Georg Hellmesberger mitwirkte, bei Otto Hatwig, 10 Im Herbst 1816 versuchte der junge Joseph Böhm im „Römischen Kaiser“ die öffentlichen Quartettkonzerte fortzuführen, und im Frühjahr 1821 die von Schuppanzigh gegründeten Quartettunterhaltungen im Prater wieder. Vgl. Hanslick, Geschichte des Concertwesens in Wien (wie Anm. 9), S. 205 f. 11 Seine Quartettpartner waren nun Karl Holz, Franz Weiß und Joseph Linke (die zuvor mit Joseph Böhm musiziert hatten). 12 Leopold von Sonnleithner, Musikalische Skizzen aus Alt-Wien, in: Recensionen und Mittheilungen über Theater und Musik 7 (1861), S. 737–741, 753–757; und 8 (1862), S. 4–7, 177–180, 305–307, 322–325.
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für den der 19jährige Franz Schubert seine Sinfonie in B-Dur (D 485) schrieb, oder bei dem späteren Brauhausgründer Vinzenz Neuling, selbst ein tüchtiger Geiger, der seinen Lehrer Mayseder gewonnen hatte und mit diesem und anderen hervorragenden (Berufs-) Musikern Quartette aufführte.13 Von größter Bedeutung waren – nicht zuletzt für Franz Schubert – die von Ignaz von Sonnleithner veranstalteten, von letzterem mit Understatement als „Musikalische Übungen“ bezeichneten, privaten Hauskonzerte mit vorwiegend instrumentaler und vokaler Kammermusik, bei denen die ausgezeichnetsten Musiker Wiens mitwirkten, handgeschriebene Programme für den Abend hergestellt wurden und aufgrund des großen Andrangs schließlich sogar Eintrittskarten ausgegeben werden mußten, obwohl in seinen privaten Räumlichkeiten für 120 Personen Platz war14 – auch hier bereits ein deutlicher Trend zur Öffentlichkeit. Abgesehen von dieser in privatem, aber größerem gesellschaftlichen Rahmen auf gehobenem künstlerischen Niveau gepflegten Kammermusik, bei der sehr häufig professionelle Musiker mitwirkten, die wiederum auch selbst „Musikalische Privatunterhaltungen“ veranstalteten, wurde damals im engsten Familienkreis auch eifrig Hausmusik betrieben – zum Unterschied vom „Hauskonzert“ des Musikalischen Salons –, wobei sich in alter Tradition die weiblichen Familienmitglieder vor allem dem Klavierspiel oder Gesang widmeten, während die männlichen auf der Geige oder dem Violoncello gemeinsam mit der Familie oder mit Freunden musizierten. Diese zahlreichen aktiv tätigen Musikliebhaber waren aber auch ein wesentlicher Bestandteil des Konzertpublikums, und so ist es nicht verwunderlich, daß die dort aufgeführten Werke in zahllosen hausmusiktauglichen Besetzungen (fast immer unter Beteiligung von Violine oder Klavier) und Bearbeitungen, Variationen und Potpourris auf den Markt kamen und zu Hause mit großer Begeisterung gespielt wurden. Die 1812 gegründete Gesellschaft der Musikfreunde entschloß sich im Jahr 1818 zur Abhaltung von sogenannten Musikalischen Abendunterhaltungen, um entsprechend ihrem Ziel der „Emporbringung der Musik in allen ihren Zweigen“15 auch die Kammermusik zu fördern.16 Bei den Musikalischen Abendunterhaltungen konnten sich die „ausübenden“ Mitglieder, Musikliebhaber von großteils hervorragenden in13 Oder auch bei der von den Brüdern Eppinger gegründeten „Reunion“, einem Verein von Musikliebhabern im Hotel „Zum römischen Kaiser“, wo sich aber auch immer wieder das Schuppanzigh-Quartett sowie etliche bedeutende Geiger hören ließen. In der Allgemeinen musikalischen Zeitung findet sich am 25. Mai 1814 (Sp. 355) folgende Notiz: „Am 11ten April wurde um die Mittagsstunde im Saal zum römischen Kaiser eine musikalisch-deklamatorische Akademie […] von dem Hrn. Schupanzigh [sic] und dem Administrator des Hotels veranstaltet, [… bei der] Hr. Lud. Van Beethoven ein von ihm neu componirtes Trio für das Pianoforte selbst vorgetragen, und dass sein Spiel, so wie die Composition, den grössten Beyfall erhalten“ hat. 14 Wilhelm Böcking, Musikalische Skizzen aus Alt-Wien, in: Recensionen und Mittheilungen über Theater und Musik 8 (1862), S. 369–375. 15 § 2 der Statuten der Gesellschaft der Musikfreunde des österreichischen Kaiserstaates: Siehe Eusebius Mandyczewski, Zusatz-Band zur Geschichte der k. k. Gesellschaft der Musikfreunde in Wien. Sammlungen und Statuten, Wien 1912, S. 197. 16 Vgl. zum Folgenden Ingrid Fuchs, Die Musikalischen Abendunterhaltungen der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien. Kammermusik auf dem Weg vom Salon in den Konzertsaal, in: Ingrid Fuchs (Hrsg.), Musikfreunde. Träger der Musikkultur in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, Kassel 2017, S. 47–73.
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strumentalen oder vokalen Fähigkeiten, zunächst unter Ausschluß der Öffentlichkeit in kleinerem Rahmen vor einem Mitgliederauditorium kammermusikalisch selbst betätigen, wobei auch hier immer wieder namhafte professionelle Musiker als Gäste mitwirkten. Die ersten Musikalischen Abendunterhaltungen fanden in der „Kanzley der Gesellschaft der Musikfreunde des österreichischen Kaiserstaates im roten Apfel in der Singerstraße“17 statt, worunter man sich wohl nicht Büroräume vorstellen darf, sondern Räumlichkeiten, die den Gegebenheiten eines privaten Musikalischen Salons vermutlich noch sehr nahe kamen. Nach zwei weiteren Zwischenstationen18 übersiedelte die Gesellschaft 1822 ins Haus „Zum roten Igel“ Unter den Tuchlauben. Auf den Konzertprogrammen dieser Zeit ist nun von „Musiksaal“, „Concert-Saal“, „Verein-Saal“, „Vereins-Lokal“ oder nur „Saal“ des „Musikvereins“ bzw. „der Gesellschaft der Musikfreunde“ die Rede.19 Schuppanzigh kündigte seine Quartett-Abonnements im „kleinen Verein-Saale“ an und grenzt damit seine kammermusikalischen Produktionen bewußt von den groß besetzten Gesellschaftskonzerten im Großen Redoutensaal ab, indem er den „kleinen“, für die Kammermusik prädestinierten Rahmen hervorhebt – es handelte sich eben doch noch nicht um einen „richtigen“ Konzertsaal, sondern um einen dem intimen Charakter der Kammermusik adäquaten, dem Musikalischen Salon noch recht nahe stehenden, wenn auch den Übergang zum Konzertsaal markierenden Veranstaltungsort. Erst als die Musikalischen Abendunterhaltungen 1831 in den 700 Personen fassenden Saal des neu errichteten Musikvereinsgebäudes Unter den Tuchlauben – den ersten ausschließlich Konzerten gewidmeten Saal Wiens – übersiedelten, ist die Kammermusik tatsächlich und endgültig im Konzertsaal im heutigen Sinn angekommen: der 1830 verstorbene Ignaz Schuppanzigh hat dies aber nicht mehr erlebt. Die von 1818 bis 1840, nur mit Unterbrechung von zwei Saisonen während des Neubaues des bis 1870 bestehenden Musikvereinsgebäudes, insgesamt 22 Jahre hindurch veranstalteten Musikalischen Abendunterhaltungen waren – mit Ausnahme der erwähnten im Abonnement gegebenen Quartett-Produktionen Schuppanzighs – der erste und einzige durch viele Jahre hindurch existierende Kammermusik-Zyklus in Wien, der ab der Mitte der 20er Jahre auch für Nichtmitglieder der Gesellschaft der Musikfreunde, d. h. öffentlich zugänglich war. Nach übereifrigem Beginn mit insgesamt 38 Musikalischen Abendunterhaltungen vom Frühjahr 1818 bis zum Frühjahr 1819 – hier wirkte offensichtlich noch das aus der privaten Musikpflege übliche wö17 Kurze Nachricht über Zweck und Verfassung der Anstalt der wöchentlichen musikalischen Abend-Unterhaltungen, Wien 1818, S. 6. Zu den räumlichen Gegebenheiten der Musikalischen Abendunterhaltungen vgl. die ausführliche Darstellung von Anna Schirlbauer, Historische Standorte der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien, in: Wiener Geschichtsblätter 67 (2012), H. 4, S. 359–388, bes. S. 374–380. 18 Zunächst übersiedelte man 1819 in den „Müllerschen Kunstsaal am rothen Thurm“ und 1820 in den Gundelhof, ein Durchhaus zwischen Bauernmarkt und Brandstätte. Dieser war damals im Besitz des bereits erwähnten Vinzenz Neuling, einem Musikliebhaber, der hier ebenso musikalische Privataufführungen veranstaltete wie der mit Franz Schubert eng verbundene, ab 1818 im Gundelhof logierende Otto Hatwig mit seinem Liebhaberorchester. Und auch Ignaz Sonnleithner veranstaltete seit Mai 1815 in seiner zehn Zimmer umfassenden Wohnung im dritten Stock dieses Hauses regelmäßig Hauskonzerte (vgl. oben). 19 Vgl. Fuchs, Abendunterhaltungen (wie Anm. 16), S. 51, Fußnote 19.
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chentliche Musizieren weiter –, fanden ab 1820/21 bis 1835/36 jeweils 16 Abendunterhaltungen pro Saison statt, in der Folge bis 1840 jedoch nur mehr acht – ein Symptom für das zurückgehende Interesse aufgrund des Überhandnehmens der Virtuosenkonzerte.20 Bemerkenswerterweise wurde durch 22 Jahre hindurch das Programmschema dieser Veranstaltungsreihe im Prinzip beibehalten: Jeder Abend wurde mit einem Streichquartett, manchmal auch mit einem Quintett eröffnet, auf das abwechselnd vier bis fünf vokale und instrumentale Darbietungen in den verschiedensten Besetzungen vom solistischen Vortrag bis zum Nonett folgten, wobei Konzertsätze entweder mit Klavier oder Streichquartett begleitet wurden. Am Schluß stand fast immer ein größer besetztes Vokalwerk: ein Chor oder ein Solisten-Ensemble, oft aus Oper oder Oratorium, zumeist mit Klavierbegleitung, wobei mehr oder weniger alle namhaften zeitgenössischen Komponisten mit diesbezüglichen Werken bzw. Ausschnitten daraus vertreten waren, Rossini jedoch bei weitem am meisten aufgeführt wurde.21 Die vokale Kammermusik zwischen Eingangs-Streichquartett und SchlußEnsemble umfaßte neben Liedern Duette und Terzette bis zu den in dieser Zeit so beliebten Vokalquartetten, einer Gattung, die dem damals so populären geselligen Musizieren besonders entgegenkam: Es war kein geringerer als Franz Schubert, der für diese Besetzung zahlreiche Werke schuf, die in den Musikalischen Abendunterhaltungen neben seinen Liedern eine bedeutende Rolle spielten. In diesem Zusammenhang ist zu erinnern, daß diese Form von klein besetzter Vokalmusik, die im Musikalischen Salon eine zentrale Stellung einnahm, noch bis weit in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts ein fester Bestandteil der gemischten Programme der Soloabende von Pianisten und anderen Instrumentalvirtuosen war und als Weiterführung der aus dem Musizieren im privaten Rahmen stammenden Tradition im Konzertsaal gelten kann. Franz Schubert zählte in den Musikalischen Abendunterhaltungen – allerdings nur im Bereich des Liedes und der mehrstimmigen solistischen Vokalmusik – zu den beliebtesten Komponisten, nach 1825 sogar zu den nach Rossini meistaufgeführten. Seine instrumentale Kammermusik blieb jedoch bis auf eine Ausnahme – Schuberts Freund Carl Maria von Bocklet spielte 1832 die Fantasie D 942 – in diesem Rahmen unbeachtet und unausgeführt. Bei der – mit der vokalen wechselnden – instrumentalen Kammermusik finden wir so wie dort einen unglaublich weit gespannten Bogen an Komponisten, von bekannten Namen bis zu jenen komponierender Dilettanten, wobei – die zu Beginn gespielten Quartette zunächst einmal ausgeklammert – fast ausschließlich Werke leben20 Bis 1829 wurden die aufzuführenden Tonwerke und die Vortragenden von abwechselnd amtierenden Direktoren ausgewählt, nach 1831 durch ein eigenes Comité. Die Direktoren – im bürgerlichen Beruf meistens in mehr oder weniger hohen Beamtenfunktionen tätig – waren durchwegs ausübende Mitglieder der Gesellschaft, Dilettanten, die zum Teil in den Abendunterhaltungen auch aktiv als Musiker mitwirkten. 21 Die Beliebtheit Rossinis, von dem bereits 1818 ein Duett auf dem Programm stand, steigerte sich so rasant, daß in den späteren 30er Jahren fast in jedem Konzert zumindest ein Ausschnitt aus einer seiner Opern gegeben wurde.
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der Komponisten auf dem Programm standen, in den dreißiger Jahren dann durchsetzt mit jenen der mittlerweile verstorbenen Meister Schubert und Beethoven. D. h., das Interesse an überlieferter, historisch gewordener Musik war kaum vorhanden: man begeisterte sich für das Neue, Aktuelle, das zum Teil keine allzu hohen ästhetischen Anforderungen stellte. In den allermeisten Fällen handelt es sich bei den solistischen Instrumentalwerken um Vortragsstücke für Klavier oder, sogar noch häufiger, für ein konzertierendes Instrument mit Klavierbegleitung. Besonders beliebt waren die von Klavier- oder Violin- bzw. Violoncellovirtuosen für ihr Instrument komponierten, oft eher seichten Vortragsstücke wie Variationen oder Potpourris, die vor allem den in Ensembles mitwirkenden Musikern die Möglichkeit zu solistischer Selbstdarstellung gaben. In den ersten Jahren der Abendunterhaltungen wurde außer dem EingangsQuartett häufig noch ein weiteres Quartett oder Quintett gespielt, oft aber auch ein größer besetztes Instrumentalwerk vom Septett bis zum Nonett (mit und ohne Klavier, namentlich von Spohr, Hummel und Beethoven). Diese kammermusikalischen Gattungen wurden nach 1831 von solistischen Virtuosenstücken schließlich gänzlich verdrängt. Auch das ist ein Symptom auf dem Weg der Kammermusik in den Konzertsaal: Vom gemeinsamen Musizieren möglichst vieler anwesender Musiker im Musikalischen Salon, bei dem das aktive Zusammenspiel entscheidend war, geht die Entwicklung zum solistischen Vortragsstück, bei dem sich ein Musiker vor Publikum produziert, d. h. die ursprüngliche Intimität der Kammermusik wurde durch die Virtuosität der Darbietung abgelöst. Das am Beginn jeder Musikalischen Abendunterhaltung stehende Streichquartett (in wenigen Fällen auch ein Quintett) ist in Bezug auf die Transferierung dieser Gattung vom privaten in den öffentlichen Bereich am aussagekräftigsten, und zwar vor allem aufgrund der sich ändernden Art der Interpreten. Doch zunächst kurz zu den aufgeführten Werken: Haydn war mit seinen Streichquartetten der absolute Spitzenreiter und stand in mehr als 55 Abenden am Beginn, an zweiter Stelle rangierte Mozart mit über 45 Quartett- und Quintettaufführungen. Es ist überaus bemerkenswert, daß in der Kategorie Streichquartett – im Gegensatz zu den anderen zur Aufführung gelangten Kammermusikgattungen – nicht die damals lebenden Komponisten wie z. B. die sonst so beliebten Onslow, Spohr oder Romberg dominierten, sondern bei weitem die beiden Urväter dieser Gattung, deren Werke mittlerweile zum Standardrepertoire zählten, zu denen sich an dritter Stelle mit fast 40 aufgeführten Quartetten und Quintetten Beethoven gesellte, der in den ersten zehn Jahren der Musikalischen Abendunterhaltungen ja noch am Leben war. Es ist bemerkenswert, daß – neben Schuppanzighs professionellen öffentlichen Quartett-Zyklen – in der Reihe der Musikalischen Abendunterhaltungen die ersten regelmäßigen (halb)öffentlichen Quartett-Produktionen stattfanden, die fast ausschließlich von Dilettanten bestritten wurden. Relativ frühzeitig beteiligten sich daran zwei damals blutjunge Geiger, die später Karriere machen sollten: der 23jährige Leopold Jansa und der 18jährige Georg Hellmesberger. Ab 1823 finden wir unter den Quartett-Ausführenden neben den verschiedensten Dilettanten immer wieder auch
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professionelle Musiker, u. a. Franz Weiß, Karl Holz und Josef Linke, die Mitglieder des Schuppanzigh-Quartetts (ohne ihren Primarius) oder Studierende und Absolventen des Konservatoriums, d. h., man war zunehmend bestrebt, das Streichquartettspiel durch das Einbinden von (angehenden) Berufsmusikern auf ein höheres Niveau zu bringen. Die von 1829 bis 1831 durch den Neubau des Musikvereinsgebäudes verursachte Unterbrechung der Veranstaltungsreihe bewirkte eine komplette Neuorientierung der Quartett-Produktionen in den Musikalischen Abendunterhaltungen, und zwar einerseits durch den neuen Aufführungsort selbst, einen relativ großen Konzertsaal, andererseits durch den plötzlichen Tod Ignaz Schuppanzighs im Jahr 1830, der in der öffentlichen Quartettpflege Wiens eine große Lücke hinterlassen hatte. Um den nun in zweifacher Hinsicht gestiegenen Ansprüchen an das Streichquartett gerecht zu werden, wurde die bislang übliche, pro Abend wechselnde Mitwirkung von Dilettanten aufgegeben und ein stehendes Quartett aus fast ausschließlich professionellen Musikern gebildet: In der Saison 1831/32 waren dies Joseph Böhm, Professor am Konservatorium, die beiden Ex-Mitglieder des Schuppanzigh-Quartettes Holz und Linke und an der Bratsche der ausgezeichnete Dilettant Joseph Kaufmann. In der darauffolgenden Saison übernahm das Jansa-Quartett, bestehend aus dem bekannten Violinsolisten Leopold Jansa, dessen Schüler Carl Magnus Hafner sowie Kaufmann und Linke, diese Aufgabe, dem nun wieder das Böhm-Quartett22 folgte. Zwischen den beiden vermutlich rivalisierenden Primgeigern Jansa und Böhm dürfte es jedoch zu gröberen Unstimmigkeiten gekommen sein, denn nach dem zweiten noch mit dem Böhm-Quartett angekündigten Abend der Saison 35/36 zog sich Böhm plötzlich gänzlich zurück. Jansa übernahm teilweise dessen Quartettmitglieder23 und spielte in dieser Zusammensetzung nun bis zum Ende der Musikalischen Abendunterhaltungen im Jahr 1840. Den beiden Geigern Leopold Jansa und Joseph Böhm kommt jedenfalls das Verdienst zu, die durch den Tod Schuppanzighs unterbrochene Tradition professioneller Streichquartett-Produktionen in Wien im Rahmen der Musikalischen Abendunterhaltungen weitergeführt zu haben. Zugleich wurde diese wohl anspruchsvollste Gattung der Kammermusik in den ersten Konzertsaal Wiens transferiert: Daß dies unter der Mitwirkung einzelner Dilettanten geschah, die offensichtlich mit den Profimusikern mithalten konnten, ist äußerst beachtenswert. Leopold Jansa war es auch, der außerhalb der Musikalischen Abendunterhaltungen in den 30er Jahren mehrfach versuchte, im Wiener Musikleben reine Streichquartett-Zyklen zu installieren, wobei der erste Versuch knapp vor dem Auftritt der
22 An der zweiten Geige nun Böhms ausgezeichneter Schüler Matthias Durst. 1834/45 wurde der Dilettant Kaufmann durch ein anderes ausübendes Mitglied der Gesellschaft, Joseph Roman Zäch, ersetzt und als Cellist Ägidius Borzaga engagiert, der später ein hochbegehrtes Mitglied verschiedener Streichquartettformationen war. 23 Nämlich Joseph Roman Zäch und Ägidius Borzaga, und Durst wurde durch Josef Khayll (offenbar ein Mitglied aus der bekannten Wiener Bläserfamilie) ersetzt. Joseph Roman Zäch wirkte viele Jahre später in den Konzerten des Hellmesberger-Quartetts als zusätzlich beigezogener Musiker mit (vgl. weiter unten).
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Gebrüder Müller aus Braunschweig, des ersten reisenden Streichquartetts, erfolgte,24 das in Wien im Dezember 1833 einen Zyklus von vier Quartett-Unterhaltungen veranstaltete.25 Jansa legte als Reaktion auf die erfolgreichen Konzerte der Gebrüder Müller in der Saison 1834/35 seinen Quartett-Unterhaltungen ein ähnliches Programmschema zugrunde, und zwar wurden – im Gegensatz zu Schuppanzighs Mittelteil mit Klavierbeteiligung – nur Streichquartette gespielt, wobei meistens ein zeitgenössisches Quartett (Fesca, Spohr, Onslow, Mendelssohn) zwischen zwei Werken der Wiener Klassik erklang.26 Diese Programmidee wirkte ebenfalls bis in Hellmesbergers Quartett-Produktionen weiter und kam auch in Brahms’ erstem Konzert zum Tragen: das Werk des zeitgenössischen Komponist Brahms wurde zwischen jene der bereits verstorbenen, zum Standardrepertoire gehörigen von Mendelssohn und Beethoven platziert (eine frühe Form des sogenannten „Sandwichkonzerts“). Die sonstigen Konzerte der 30er und 40er Jahre, in denen kleinbesetzte Werke, d. h. Kammermusik im weitesten Sinn, zur Aufführung gelangten, wurden meistens von Vokal- und Instrumental-Solisten, und zwar von einheimischen wie reisenden Virtuosen, veranstaltet.27 Diese Konzerte zeichneten sich durch äußerst bunt gemischte Programme aus, in denen die Solisten mit jeweils aktuellen Modekompositionen im Vordergrund standen, während die Gattungen der traditionellen Kammermusik praktisch nicht berücksichtigt wurden. Ignaz Franz von Mosel: „Die Kammermusik war in den letzten zwei Decennien in beständiger Abnahme, und existirt gegenwärtig beinahe gar nicht mehr.“28 Er charakterisiert die Situation folgendermaßen: „Man will […] nicht mehr das objective Kunstwerk, man will nur die subjective Person des Künstlers in glänzenden Vorträgen ohne Inhalt.“29 Und bezüglich der Gattung Streichquartett meint Mosel: „[…] ich wüßte jetzt in meiner weit verbreiteten Bekanntschaft 24 Die „erste Quartett-Unterhaltung des Leopold Jansa im Saale zur Kaiserin von Oesterreich in der Weihburggasse Nro. 906“ fand am 3. November 1833 statt, bei der je ein Streichquartett Haydns, Mozarts und Beethovens auf dem Programm standen. Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde (in der Folge als GdM zitiert), Programmsammlung 1833–11–03. 25 Archiv der GdM, Programmsammlung 1833–12–17/20/28/30. I[ganz] F[ranz] von Mosel, Die Brüder Müller aus Braunschweig in Wien, in: Allgemeine musikalische Zeitung 33 (1834), Nr. 8, Sp. 117 ff. Den hoch gelobten Quartett-Unterhaltungen der Gebrüder Müller im Dezember 1833 folgten im Dezember 1838 vier Konzerte der Brüder Moralt aus München, in denen jeweils ein Quartett Beethovens auf dem Programm stand (neben Mozart, Haydn, Onslow und Fesca, sowie diversen Modestücken). Archiv der GdM, Programmsammlung 1838–12–02/04/08/11. 26 Am 30. November 1834 brachte Jansa Beethovens Streichquartett in cis-Moll op. 131 in seinem Zyklus zur ersten öffentlichen Wiener Aufführung, das auf Verlangen des Publikums an einem zweiten Abend sogar wiederholt wurde. (Die allerersten Aufführungen hatten im privaten Rahmen stattgefunden, die öffentliche Uraufführung spielten die Gebrüder Müller am 5. Juni 1828 in Halberstadt [Ludwig van Beethoven. Thematisch bibliographisches Werkverzeichnis, hrsg. von Kurt Dorfmüller u. a., München 2014, Bd. 1, S. 864f.]) Dies ist insofern hervorzuheben, als man Leopold Jansa später immer wieder vorgeworfen hat, ausschließlich die frühen Beethovenschen Quartette und auch sonst nur leicht eingängige Literatur aufgeführt zu haben, was in dieser Pauschalierung keinesfalls zutrifft. 27 Als Grundlage der folgenden Ausführungen diente in erster Linie die umfangreiche, wenn auch nicht vollständige Programmsammlung im Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde. 28 Ignaz Franz von Mosel, Die Tonkunst in Wien während der letzten fünf Decennien, in: Allgemeine Wiener Musikzeitung 4 (1843), 18. November 1843, S. 582. 29 Ebda., 25. November 1843, S. 594.
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kaum noch ein Haus zu nennen, in welchem sie gepflegt würde. So sind uns denn die Werke der großen Tonmeister auch von dieser Seite gänzlich entschwunden!“ 1846 beklagt auch Franz Gernerth: „Die häuslichen musikalischen Zirkel, in denen sonst gute Kammermusik aufgeführt wurde, werden nachgerade eine Seltenheit.“30 Zu diesen zählten beispielsweise die Aktivitäten Simon Molitors von 1832 bis 1842, der, vergleichbar Raphael Georg Kiesewetters historischen Hauskonzerten mit vor allem vokaler Musik, wöchentlich bzw. 14tägig private Instrumental-Akademien in zumeist kammermusikalischer Besetzungen vor geladenen Gästen gab, die er unter ein musikgeschichtliches Motto stellte.31 War es früher üblich, daß Berufsmusiker zur Kammermusik im Musikalischen Salon – oft auch zum gemeinsamen Musizieren mit den Dilettanten – zusammenkamen, so wurden jetzt Sänger, Pianisten und Instrumentalvirtuosen in private Gesellschaften eingeladen, wo sie sich präsentieren konnten, teilweise aber auch, um vor ihren öffentlichen Konzerten zu probieren und für diese zu werben. Als ein Beispiel sei der vielbejubelte Violinvirtuose Ferdinand Laub genannt, von dem es in einer Rezension im Zusammenhang mit seinem im November und Dezember 1863 in Wien veranstalteten Quartettzyklus heißt, „er habe, seine öffentlichen Produktionen und seine Mitwirkung in Privatgesellschaften zusammengerechnet, im Durchschnitt täglich ein Konzert gegeben“.32 Die Musikliebhaber zogen sich dagegen zum eigenen kammermusikalischen Spiel in die intime Sphäre der rein privaten Hausmusik zurück und wurden zunehmend als Dilettanten im abfälligen Sinn bezeichnet.33 Nur ganz kurz sei auf das Weiterwirken der Traditionen des Musikalischen Salons in Brahms’ späteren Wiener Jahren verwiesen: Man denke beispielsweise einerseits an die sogenannten „Kipferljausen“ bei Ignaz Brüll, bei denen in geselliger Runde unter Mitwirkung von Musikliebhabern die Zigeunerlieder das erste Mal gesungen wurden, andererseits an die Hauskonzerte bei Theodor Billroth mit professionellen Künstlern, aber auch an das Musizieren und die Proben der berühmten Solisten Robert Hausmann oder Richard Mühlfeld im Hause Fellinger. Schuberts Lieder, aber auch seine Vokalquartette, standen in den gemischten Programmen der von Gesangsolisten und sonstigen Virtuosen in den 30er und 40er Jahren veranstalteten Konzerten nicht häufig, aber doch immer wieder auf dem Programm, im Gegensatz zu seiner instrumentalen Kammermusik.34 Umso auffälliger ist 30 Franz Gernerth, Umschau in den Wiener Musikzuständen, in: Wiener allgemeine Musik-Zeitung 6 (1846), 6. Juni 1846, S. 269. 31 Vgl. Herfrid Kier, Raphael Georg Kiesewetter (1773–1850). Wegbereiter des Historismus, Regensburg 1968 (Studien zur Musikgeschichte des 19. Jahrhunderts 13), S. 88 ff. Die Stützen des Ensembles waren neben Molitor an der Bratsche die beiden Geiger Leopold Jansa und Joseph Böhm sowie Aloys Fuchs am Violoncello (S. 90). 32 Z., Concerte. Laub’s letzte Quartettproduktion und Abschiedsconcert, in: Blätter für Theater, Musik und Kunst 10 (1864), 5. Jänner 1864, S. 5. 33 Diese Tendenz läßt sich auch aus den zahlreichen damals erschienenen Arrangements und Bearbeitungen ablesen, die das Hausmusikrepertoire prägten. 34 Im Konzert der Sängerin Anna Milder am 27. Dezember 1835 wurde ein Klaviertrio (ohne nähere Angabe) Franz Schuberts von Nina Sedlak, Matthias Durst und Josef Hartinger, einem Schüler Josef Merks,
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es daher, daß Franz Schubert in den Konzerten Franz Liszts eine hohen Stellenwert einnahm: In sechs der sieben von Liszt im Jahr 1838 im Musikvereinsaal gegebenen Konzerte (mit gemischtem Programm) findet sich (zumindest) ein originales Schubertlied auf dem Programm, an zwei Abenden Liszts Übertragungen Schubertscher Lieder aufs Klavier.35 In den in der Saison 1839/40 gegebenen insgesamt elf Konzerten Liszts standen bereits die Transkriptionen im Vordergrund:36 sechs Mal kamen solche zur Aufführung gegenüber je einem Lied und einem Vokalquartett in Originalbesetzung. Die Bearbeitung Schubertscher Lieder bzw. Melodien sind in der Folge zunehmend auch in den Konzerten anderer Instrumentalvirtuosen37 zu finden, wobei es bemerkenswert ist, daß Schuberts Lieder so populär waren, daß sie in InstrumentalBearbeitungen solchen Anklang fanden. Doch kehren wir zu den Streichquartett-Produktionen Leopold Jansas zurück, der (zunächst neben Joseph Böhm) bis 1840 die Wiener Quartett-Tradition Schuppanzighs in den Musikalischen Abendunterhaltungen der Gesellschaft der Musikfreunde weitergeführt hat. 1845 hat er schließlich mit seinen Kollegen der Wiener Hofkapelle Matthias Durst, Carl Heissler und Carl Schlesinger neuerlich ein Streichquartett gegründet, das von 1845 bis 1849 pro Saison erfolgreich einen Zyklus von sechs Konzerten veranstaltete, auf deren Programm die gängigsten Quartette Haydns, Mozarts und vor allem des frühen Beethoven, aber auch Werke zeitgenössischer Komponisten standen. 1849 ist es dem damals erst 21jährigen Joseph Hellmesberger gelungen, dem im Wiener Musikleben seit Jahrzehnten arrivierten Leopold Jansa seine drei ausgezeichneten Quartettkollegen abzuwerben und mit diesen ein neues Quartett aufzubauen, das in Wiens Musikleben bei Publikum und Kritik sofort großen Anklang fand und in der zweiten Jahrhunderthälfte schließlich außerordentlichen Erfolg haben sollte.38 Es sei nicht verschwiegen, daß das Hellmesberger-Quartett von der Presse, dar-
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gespielt (während Anna Milder selbst Schuberts Hermann und Thusnelda [Klopstock] sang). Am 5. März 1846 spielte Franz Liszt Schuberts Fantasie in C (Archiv der GdM, Programmsammlung 1835–12–27 und 1846–03–05). Archiv der GdM, Programmsammlung 1838–04–23: „Lieder von Schubert, für Fortepiano gesetzt und vorgetragen von Liszt“; 1838–04–29: „Der Erlkönig“; 1838–05–02: „Das Ständchen“; 1838–05–08: „Der Wanderer“; 1838–05–14: „Das Fischermädchen“, „Der Kreuzzug“, „Die Forelle“; 1838–05–18: „Auf dem Strome“, „Die Post“; 1838–05–25: „Die Allmacht“; „Lieder von Schubert: 1. Sey mir gegrüßt. 2. Der Erlkönig, 3. Die Post, vorgetragen von Liszt“. Bereits 1835 war Carl Czernys Fantasie für Pianoforte und Horn nach Schubertschen Motiven auf dem Programm eines Wohltätigkeitskonzertes gestanden (Archiv der GdM, Programmsammlung 1835–05– 17). Dazu einige Beispiele: Die 12jährige Pianistin Sophie Bohrer spielte am 18. November 1841 „Der Erlkönig, von Schubert, für Pianoforte eingerichtet von Liszt“ (Archiv der GdM, Programmsammlung 1841–11–18); der Cellist Martin Bauer am 21. November 1841 „Variationen für das Violoncello von Schubert“ (ebenda 1841–11–21); der Pianist Anton Rubinstein am 8. Jänner 1842 „Lob der Thränen, von Schubert, übertragen von Liszt“ (ebenda 1842–01–08); der Cellist François Servais am 15. Februar 1842 „Bravour-Variationen über ein Thema von Franz Schubert“ und am 12. März 1842 „Grosse Bravour-Variationen über den TrauerWalzer von Franz Schubert“, beides „componirt und vorgetragen von Servais“ (ebenda 1842–02–15 und 1842–03–12). In der Haslinger-Soirée am 16. April 1845 kamen Schubert-Lieder in der Bearbeitung für Gitarre zur Aufführung (ebenda 1845–04–16). Zu diesem „Rivalisiren von zwei Quartett-Gesellschaften“ findet sich in der Wiener Zeitung vom 27. Oktober 1849, S. 16 (Beilage zum Morgenblatt, S. 4), folgende Nachricht: „Die Herren Durst, Heißler und
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unter auch von Eduard Hanslick, vor allem in späteren Jahren unter Herabsetzen der Verdienste und musikalischen Qualitäten Leopold Jansas hochgejubelt und dadurch zum legitimen Nachfolger des Schuppanzigh-Quartetts hochstilisiert wurde.39 Ohne die herausragenden Qualitäten des Hellmesberger-Quartetts schmälern zu wollen, muß hervorgehoben werden, daß es Leopold Jansa war, der unter für diese Gattung im damaligen Musikleben schwierigen Voraussetzungen die Wiener Quartetttradition zwischen Schuppanzighs Tod 1830 und dem Jahr 1850 – am Beginn sogar noch mit dessen Quartettmitglied Josef Linke – weitergeführt hat. Das Hellmesberger-Quartett, dessen Zusammensetzung sich im Lauf der Zeit abgesehen vom Primarius mehrmals geändert hat, veranstaltete jedenfalls ab 1849/50 pro Saison zwischen 6 und 12 Konzerte im Abonnement, die bis 1862 auf den Programmvorschauen „Quartett-Produktionen“ genannt wurden – Abendprogramme gab es keine.40 Nachdem in den ersten beiden Jahren neben dem „Saal der Gesellschaft der Musikfreunde“ alle Quartettmitglieder in großen Lettern angekündigt worden waren, stand ab der Saison 1851/52 auf der Programmvorschau, die nun kleinformatig auf weißem oder fallweise buntem Papier gedruckt war, nur mehr „Quartett-Produktionen“ ohne Aufführungsort und ohne die Interpreten anzuführen, d. h., es war in Wien klar, daß es nur ein einziges Streichquartett gab, und das war eben das Hellmesberger-Quartett, das schon damals eine Art Institution und sozusagen im Musikverein beheimatet war.41 Namentlich angeführt wurden jedoch alle übrigen Mitwirkenden,42 und das waren gar nicht so wenige: denn in den Quartettabenden Hellmesbergers wurden bei weitem nicht nur Streichquartette aufgeführt, sondern auch etliche an-
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Schlesinger nämlich, welche in den frühern Jahren mit Hrn. Prof. Jansa spielten, haben sich jetzt unter dem trefflichen Jos. Hellmesberger vereinigt, während Hr. Prof. Jansa, die HH. Bezdek, Strebinger und Borzaga gewonnen hat.“ In dieser neuen Besetzung des Jansa-Quartetts – auch diese Musiker waren Mitglieder der Wiener Hofkapelle – fand bereits im Januar 1850 das letzte Konzert statt, woran jedoch Jansas Weggang aus Wien schuld war: Als Jansa anläßlich einer Reise, die er als Mitglied einer Jury von Streichinstrumentenspezialisten nach London unternahm, dort 1851 an einem Benefizkonzert für emigrierte Revolutionäre des Ungarn-Aufstandes teilnahm, wurde er aller Wiener Ämter enthoben und lebte bis zwei Jahre nach seiner Begnadigung 1868 in der englischen Metropole, kehrte 1870 nach Wien zurück und starb hier 1875. Eduard Hanslick, Geschichte des Concertwesens in Wien, Bd. 1, Wien 1869, S. 306, Bd. 2, Wien 1870, S. 7; Wiener musikalische Zustände, in: Illustrirte Zeitung Nr. 561, 1. April 1854, S. 243 f.; sowie Otto Keller, Zum Jubiläum des Quartetts Hellmesberger, in: Deutsche Kunst- & Musik-Zeitung 16 (1889), 1. November 1889, S. 249 f. Die in einem Zyklus angekündigten Werke wurden oft an anderen als den ursprünglich vorgesehenen Tagen gespielt, d. h. die Aufführungstermine getauscht, wie man den handschriftlichen Anmerkungen in der Programmsammlung der GdM bzw. im Vergleich mit den später in einem Büchlein publizierten Programmen entnehmen kann (Quartett Hellmesberger. Sämmtliche Programme vom 1. Quartett am 4. November 1849 bis zum 300. Quartett am 19. Dezember 1889, [Wien 1889]). Das erste Mal, an dem das Hellmesberger-Quartett in einer Vorschau wieder namentlich angeführt ist, ist jene der Saison 1862/63 mit Brahms’ erstem Auftritt in Wien. Joseph Roman Zäch (Bratsche) zählt zu den am meisten genannten zusätzlich angeführten Interpreten: Zäch, ein Schüler Joseph Mayseders (Franz Heinrich Böckh, Wiens lebende Schriftsteller, Künstler und Dilettanten im Kunstfache, Wien 1821, S. 384), war ab 1822 ausübendes Mitglied der Gesellschaft der Musikfreunde, ab den 30er Jahren in den Musikalischen Abendunterhaltungen als Musiker und ab 1835/36 auch in deren Comité aktiv.
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dere instrumentale Kammermusikwerke, von der Klaviersonate bis zum Nonett. In Weiterführung der Schuppanzigh-Tradition stand fast immer ein Werk mit Klavier in der Mitte des Programms, und der Name des Pianisten wurde groß gedruckt bei dem jeweiligen Programmpunkt in der Saisonvorschau angekündigt. In den ersten zwölf Jahren der Hellmesbergerschen Quartett-Produktionen, die im Konzertsaal der Gesellschaft der Musikfreunde Unter den Tuchlauben (mit einer Ausnahme) jeweils am Nachmittag um ½ 4 bzw. 5 Uhr stattfanden, standen pro Zyklus immer zumindest je zwei Quartette von Haydn und Mozart auf dem Programm. Bei weitem am meisten aufgeführt wurde jedoch Beethoven, und zwar mit besonderem Augenmerk auf dessen spätes Quartettschaffen, beliebt waren aber auch seine Violinsonaten und größer besetzte Kammermusikwerke. Einen hohen Stellenwert nahmen neben vielen namhaften zeitgenössischen Komponisten, die hier nicht aufgezählt werden können, die Werke Mendelssohns, etwas später auch Schumanns ein.43 Bemerkenswert sind die erstmaligen Aufführungen von etlichen instrumentalen Kammermusikwerken Schuberts durch das Hellmesberger-Quartett, die davor nicht den Weg in öffentliche Konzerte gefunden hatten, wie bereits 1849 das Streichquartett in d-Moll (D 810),44 1850 jenes in G-Dur (D 887) und das C-Dur-Streichquintett (D 956),45 1851 das a-Moll-Streichquartett (D 804), 1852 bzw. 1853 das Trio in B-Dur (D 898)46 und in Es-Dur (D 929).47 Ein Jahr vor Brahms’ erstem Wiener Auftritt häufen sich wieder die als „neu“ aufgeführten Schubert-Werke: 1861 das Oktett (D 803), im Frühjahr 1862 das B-Dur-Quartett (D 112) und 1864 das g-Moll-Quartett (D 173). In den Zyklen 1861/62 bis 1863/64 stand Schubert in jeweils zwei Konzerten mit verschiedenen Kammermusikwerken auf dem Programm, war also damals im Musikleben Wiens bereits auch in diesem Bereich durchaus präsent. Instrumentale Kammermusik wurde in den 50er Jahren jedoch nicht nur in den Konzerten des Hellmesberger-Quartetts gespielt,48 sondern auch fallweise als Auflok43 Zu finden sind in den Programmen aber auch Werke von Persönlichkeiten des Wiener Kulturlebens, die nicht primär als Komponisten bekannt geworden sind, wie z. B. Heinrich Esser, Dirigent der Wiener Hofoper, Gustav Nottebohm, Musikforscher und Archivar der Gesellschaft der Musikfreunde, oder – relativ häufig am Programm – Johannes Hager, der eigentlich Johann von Hasslinger-Hassingen hieß und Hofrat im Außenministerium war. 44 Dieses Quartett war für Schuppanzighs Quartett-Zyklus vorgesehen, wurde aber schließlich nur im privaten Rahmen uraufgeführt. Etwas später wurde dieses Werk auch in einer Quartett-Produktion der Gebrüder Müller am 19. November 1853 im Salon Streicher aufgeführt (Archiv der GdM, Programmsammlung 1853–11–19). 45 Auf der Programmvorschau findet sich unten der folgende, kleingedruckte Hinweis: „Die beiden Manuscripte von F. Schubert werden in kürzester Zeit im Druck erscheinen, und sind dann in der k. k. Hofmusikalienhandlung der Herren A. Diabelli & Comp. zu haben.“ – Ein sehr geschickter Schachzug Hellmesbergers, diese noch ungedruckten Werke aufzuführen und für den Druck Werbung zu machen. 46 Das B-Dur-Klaviertrio (D 898) hatte Jansa in seinen Quartett-Produktionen bereits am 19. Dezember 1848 aufgeführt, und am 2. Dezember 1849 Schuberts Fantasie für Violine und Klavier (D 934) mit Carl Maria von Bocklet, die dieser seinerzeit schon im Konzert des Geigers Joseph Slawjk am 20. Jänner 1828 im Landständischen Saal gespielt hatte. 47 Im Konzert der Sängerin Anna Milder am 27. Dezember 1835 wurde eines der Schubertschen Klaviertrios von Nina Sedlak, Matthias Durst und Josef Hartinger gespielt (vgl. Anm. 34). 48 Im Jahr 1856 versuchte Joseph Hellmesberger den Zyklus der Musikalischen Abendunterhaltungen der
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kerung des Programms in Konzerten von Instrumental- oder Gesangssolisten eingesetzt, wie z. B. das Schubertsche Es-Dur-Trio im Konzert des Cellisten Alfred Piatti am 18. Jänner 1858 oder das „Forellenquintett“ im Konzert des Pianisten Julius Epstein am 27. April 1860.49 Und Johannes Brahms wirkte beispielsweise am 20. Dezember 1862 als Klavierbegleiter der von Hellmesberger vorgetragenen Bach’schen Violinsonate BWV 1016 und als Interpret zweier Schumannscher Klavierwerke im Konzert der Sängerin Adele Passy-Cornet mit.50 Der Violinvirtuose Henri Vieuxtemps gab unter Heranziehung von Musikern des Hofopernorchesters reine Quartett-Abende, erstmals 1846 – damals mit ausschließlich Beethovenschen Werken –, schließlich 1853, 1854 und 1859 jeweils mehrere Abende mit Streichquartetten der Klassiker-Trias sowie Mendelssohns.51 Am Beginn der 60er Jahre war es der bereits zuvor erwähnte Violinvirtuose Ferdinand Laub, der neben seinen Solistenabenden auch Quartett-Produktionen veranstaltete (ebenfalls mit Mitgliedern des Hofopernorchesters52) – in jener vom 22. November 1863 wurde Brahms’ g-Moll-Klavierquartett op. 25 unter Mitwirkung des Komponisten zum zweiten Mal aufgeführt. Alle genannten Konzerte, ebenso wie die beiden von Brahms selbst veranstalteten am 29. November 1862 sowie am 6. Jänner 186353 mit Klavierwerken, Liedern und seinem A-Dur-Klavierquartett op. 26, fanden im Musikvereinssaal statt. Daneben gab es in Wien aber auch Kammermusikaufführungen in den Salons der Klavierbauer bzw. -fabrikanten, die alle im Rahmen ihrer Verkaufsräumlichkeiten einen kleineren Konzertsaal unterhielten. Diese Salons – seien es jene von Stein, Streicher oder Seuffert – waren bezüglich Größe und Ambiente eine offensichtliche Weiterführung des ursprünglichen, privaten Musikalischen Salons, prädestiniert für kammermusikalisches Musizieren, nun aber unter Einbeziehung der Öffentlichkeit. Johannes Brahms ist in seinen ersten Jahren in Wien öfters in solchen Salons aufgetreten: Zunächst im Salon
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Gesellschaft der Musikfreunde, dessen Bestehen 1840 geendet hatte, wieder aufleben zu lassen. Am 26. Februar 1856 fand unter den Direktoren Joseph Hellmesberger und dem Direktionsmitglied Johann Baptist Krall – Namen handschriftlich auf dem Programm vermerkt – die erste der acht Abendunterhaltungen des Jahres 1856 statt, mit einem ausschließlich Franz Schubert gewidmeten Programm. Die weiteren sieben Abendunterhaltungen (die letzte am 16. Dezember 1856), mit jeweils wechselnden Direktoren, boten ein gemischtes Programm mit unterschiedlichen Komponisten und zum Teil namhaften Interpreten, die zwar auf den gedruckten Programmen nicht angeführt waren, zum Teil aber auf den in ein großes Buch eingeklebten Exemplaren handschriftlich ergänzt wurden (Programme der Musikalischen Abendunterhaltungen [1818–1840 und 1856]. Bibliothek der GdM 2697/32). Archiv der GdM, Programmsammlung 1858–01–18 und 1860–04–27. Archiv der GdM. Programmsammlung 1862–12–20. Vgl. auch Renate und Kurt Hofmann, Johannes Brahms als Pianist und Dirigent. Chronologie seines Wirkens als Interpret, Tutzing 2006, S. 73. Als reisende Streichquartette sind in dieser Zeit nur nochmals die Gebrüder Müller (in verjüngter Besetzung) in Wien aufgetreten. Erst etliche Jahre später feierten das Florentiner Streichquartett mit Jean Becker und das Joachim-Quartett in Wien große Erfolge. Ferdinand Laubs Quartettpartner waren Moritz Kässmayer, Johann Král und Carl Schlesinger. Als Zugabe spielte Brahms Franz Schuberts Marsch aus op. 121 (D 968 B), von ihm selbst bearbeitet für Klavier zu zwei Händen: Dies war das erste Mal, daß Brahms in Wien öffentlich Schubert vortrug. Dieses Werk spielte Brahms auch am 25. März 1863 im k. k. Hofoperntheater in einer Musikalischen Akademie zum Vortheile des Bürgerspital-Fonds. Hofmann / Hofmann, Johannes Brahms als Pianist und Dirigent (wie Anm. 50), S. 73 f.
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Streicher am 10. April 1863 im Konzert der Pianistin Julie von Asten mit einigen seiner Frauenchöre (aus op. 17 und op. 44) und ebenda am 12. April in einer Soirée Musicale als Pianist von Werken verschiedener Komponisten.54 In Bösendorfer’s Salon, dem Vorläufer des späteren Bösendorfer-Saales, fand „zum Vortheile eines bedürftigen Künstlers“55 am 18. Dezember 1863 eine „Privat-Soirée“ statt, bei der Johannes Brahms ebenfalls als Pianist mitwirkte, aber auch zwei Duette aus seinem op. 28 sowie das Vokalquartett Wechselgesang beim Tanze op. 31 zum ersten Mal vorgetragen wurden – ein passender Rahmen für diese seit Schubert so traditionsreiche wie beliebte Gattung.56 Erwähnt sei abschließend noch kurz der Salon des Musikverlegers Carl Haslinger, in dem unter seiner Mitwirkung als Sänger und Pianist – er war ein Schüler Carl Czernys – seit den 40er Jahren Soiréen veranstaltet wurden, betitelt einerseits als „Musikalisch-Historische Soirée“ und andererseits „Novitäten-Revue“, in denen entweder gemischte Programme präsentiert oder der ganze Abend Kompositionen eines bestimmten Komponisten gewidmet wurden – meistens war dies Beethoven.57 Bemerkenswerterweise fand aber zehn Tage nach Brahms’ erstem Auftreten in Wien im Salon Haslinger am 26. November 1862 eine „Erinnerungsfeier an Franz Schubert“ statt,58 bei der, wie in den meisten Fällen dieser Soiréen, keine Interpreten auf dem kleinformatigen Programm angeführt wurden: auf dem Programm standen neben einem deklamatorischen Vortrag ein Lied, zwei Vokalquartette und das a-Moll-Streichquartett Schuberts sowie – offenbar von Carl Haslinger selbst ausgeführt – eine Freie Fantasie auf dem Pianoforte nach Schubertschen Motiven, zu der es folgende Aufforderung des Veranstalters bzw. Vortragenden gab: „Es wird höflichst ersucht, Themas zur 54 Ebda., S. 74 f. 55 Es handelte sich um den krankheitshalber in Not geratenen bedeutenden Violinvirtuosen Heinrich Wilhelm Ernst. 56 Vgl. Ingrid Fuchs, Brahms’ klavierbegleitete Duette und Quartette in Wien. Zwischen Salon und Konzertsaal, in: Urs Fischer / Laurenz Lütteken / Wolfgang Sandberger (Hrsg.), Die „Liebeslieder-Walzer“ von Johannes Brahms und die zyklische Chormusik im 19. Jahrhundert. Symposium in der Zentralbibliothek Zürich, Kassel etc. 2014, S. 39–50. 57 Am 25. März 1846 fand eine „Beethoven-Soiree“ bei Haslinger mit prominenter Beteiligung statt. Auf dem gedruckten Programmzettel ohne Interpretennamen in der Programmsammlung des Archivs der GdM (1846–03–25) sind handschriftlich deren Namen notiert, unter ihnen Franz Liszt, Heinrich Wilhelm Ernst und Carl Czerny. Vgl. auch Vieuxtemps’ Soirée musicale mit Beethoven-Quartetten (op. 18, op. 59, op. 130) am 26. Jänner 1846: auf diesem Programmzettel wird auch der Ort der Veranstaltung angeführt: „[…] in Herrn C. Haslinger’s Wohnung (am Peter Nro. 575, im 4ten Stock)“ (Archiv der GdM, Programmsammlung 1846–01–26). 58 Archiv der GdM, Programmsammlung 1862–11–26. – Ab 1850 gab es immer wieder Schubert-Konzerte, genannt beispielsweise „Erinnerungsfeier an Franz Schubert“ (1850–11–19, veranstaltet vom Wiener Männergesang-Verein), oder „Schubert-Feier“ (1851–02–28 und 1853–11–25), bei denen neben Liedern (bzw. Chören) und Vokalquartetten auch Klavierwerke und instrumentale Kammermusik aufgeführt wurden, wie die Streichquartette in d-Moll (D 810) und a-Moll (D 804) oder die Fantasie für Klavier und Violine (D 934). Am 20. Jänner 1863 – damals war Brahms bereits in Wien – veranstaltete die Gesellschaft der Musikfreunde ein Konzert mit folgender Zweckbestimmung: „Das ganze Erträgnis dieses Concertes wird zur Restaurirung und Einfriedung der Grabstätten Beethoven’s und Schubert’s verwendet.“ Aufgeführt wurde dabei Schuberts Streichquintett in C-Dur (D 956), gespielt von Hellmesberger und den Mitgliedern des Hofopernorchesters Mathias Durst, Franz Dobyhal, Heinrich Röver und Wilhelm Kupfer. Archiv der GdM, Programmsammlung 1863–01–20.
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freien Fantasie von Schubert mitzubringen.“ Ob Brahms an diesem Abend anwesend war, wäre zwar denkbar, läßt sich aber höchstens vermuten. Brahms gab sein Debut als Pianist und Komponist mit einem Kammermusikwerk im renommierten Hellmesberger-Quartett-Zyklus – als Klavierquartett traditionell in der Mitte des Programms positioniert –, in einem Konzertsaal, nämlich jenem der Gesellschaft der Musikfreunde Unter den Tuchlauben, wo er in der Folge selbst zwei Konzerte veranstaltete und sich an solchen anderer Künstler als Pianist und Komponist von Klavier- sowie kammermusikalisch besetzten Instrumental- und Vokalwerken beteiligte. Daß er neben seiner Mitwirkung in öffentlichen Soiréen der Klaviersalons auch im privaten Rahmen des immer noch höchst wichtigen Musikalischen Salons aufgetreten ist, können wir nur annehmen, da Dokumente dazu fehlen. Letztendlich haben jedoch alle diese kammermusikalischen Aktivitäten den Grundstock für Brahms’ spätere Wiener Erfolge nicht nur in der Kammermusik, sondern auch im Orchester- wie im Chorbereich gelegt.
Gernot Gruber
Nationale und kulturelle Vereinnahmung von Johannes Brahms Die Idee des Nationalen und ein politischer Nationalismus prägten die europäische Geschichte des 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts: nachhaltig. Beides wirkt bis in die Gegenwart weiter, wie dies auch innerhalb der EU wieder verstärkt spürbar ist. Darüber wurde und wird viel geschrieben. Es liegt im Wesen einer nationalen Idee, daß sie in den einzelnen Ländern von Anfang an auf sehr unterschiedliche Voraussetzungen traf und sich entsprechend unterschiedlich ausprägte, folglich auch zu unterschiedlichen Geschichtsverläufen führte. Diese sehen etwa in Italien anders aus als in Frankreich. In den deutschsprachigen Ländern – in den Nachfolgestaaten des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation (Ende 1806) und in Teilen der Schweiz – geben sie ein alles andere als einheitliches Bild. Gerade in Hinblick auf das Thema „Brahms“, seine Vereinnahmung und auch sein eigenes Selbstverständnis, sind begriffliche Differenzierungen nötig, um nicht alles durcheinander zu werfen – wie dies häufig geschieht. Im Großen gesehen, ist zwischen einer „Staatsnation“ und einer „Kulturnation“ zu unterscheiden.1 Anders als in Deutschland, das sich seit Kaiser Wilhelm I. 1871 als „Deutsches Reich“ und Erben des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation sah und sich heute in republikanischer Verfassung als einheitliche „Staatsnation“ sieht, etablierte sich eine allgemein, nach außen und nach innen, akzeptierte „österreichische Staatsnation“ nach 1918 und dem Ende eines großen Reiches mühsam erst nach 1945 in der 2. Republik. Diese staatliche Unterscheidung übergreifend besteht eine deutsche „Kulturnation“, die freilich in ihren Inhalten und Begrenzungen wenig klar faßbar ist. Zudem gibt es sozusagen unterhalb dieser zweifältigen Begriffe von „Nation“ auch „kollektive Identitäten“ verschiedenster Art, die gegeneinander stehen oder sich auch mischen, je nach Situation. Welche Schwierigkeiten sich hier auftun, zeigt in der Literatur über Brahms die häufige Rede von seinen „patriotischen“ Gefühlen und Begeisterungen. Aber welche „patria“ ist gemeint? Hamburg – das Wilhelminische „Deutsche Reich“ – oder die einer weit gespannten „deutschen Kulturnation“? Und sollte all dies gemischt auftreten, wäre doch im einzelnen Fall zu präzisieren, wie dieses Gemisch mit seinen jeweiligen Akzenten strukturiert ist. Außerdem steht all das in einem historischen Prozeß, selbst innerhalb der Biographie von Brahms.
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Nachdrücklich forderte das bereits Helmuth Plessner: Wie muss der deutsche Nation-Begriff heute aussehen?, in: ders., Gesammelte Schriften, Bd. 6, Frankfurt a. M. 1982, S. 293–310, bes. 309.
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Dem gebürtigen Hamburger Brahms, der lange in Wien lebte und hier starb, begegneten als Resonanz auf seinen steigenden Erfolg und sein Ansehen als Komponist von Rang, das er spätestens mit seinem Deutschen Requiem gewonnen hatte, Versuche von deutscher wie österreichischer Seite, von ihm ein kulturpolitisch jeweils passendes Bild zu profilieren. Er selbst stand in seinem Lebensweg nolens volens als Handelnder wie Erleidender in diesem Prozeß. Wer die Vorgänge durchleuchten möchte, blickt auf ein weites Feld. Auf diesem stehen politische und kulturelle „kollektive Identitäten“, die noch einigermaßen faßbar sind. Unübersichtlicher ist die Unmenge an anderen Identifikations-Angeboten in historischen Vorgaben und Vorurteilen, Klischees vom Eigenen und Fremden, unterschwelligen regionalen Animositäten, Musiker-Vorlieben und Aversionen. Vor allem verschärfte sich eine politisch begründete Polarität zwischen Preußen und Habsburgisch-Österreich mit einer, von heute aus gesehen, bald 300jährigen Geschichte. Diese Geschichte als Hintergrundfolie auch für die Biographie von Brahms kann hier in ihrer Komplexität nicht einmal einigermaßen umfassend skizziert werden, aber einige historische Schlaglichter seien doch auf sie geworfen: – Spätestens seit dem Siebenjährigen Krieg Mitte des 18. Jahrhunderts entstand im Heiligen Römischen Reich eine politische Öffentlichkeit, die in erheblichem Maße von der politischen Rivalität zwischen Friedrich dem Großen und Maria Theresia inhaltlich geprägt wurde. Daraus erwuchsen auch kulturpolitisch gepflegte Animositäten, vor allem in Berlin gegen Theater und Literatur aus Wien. Zunächst gab es auch noch Reserven gegen Musik aus Wien. Joseph Haydn schrieb in seiner autobiographischen Skizze von 1776 selbstbewußt und anzüglich: „In dem camer Styl hab ich außer denen Berlinern fast allen Nationen zu gefallen das glück gehabt.“2 – In Hinblick auf Musik hat sich dies in den Jahrzehnten um 1800 sehr geändert: Durch die intensive Rezeption, ja Kanonisierung des Œuvres von Haydn, Mozart und später vor allem Beethovens wurde Wien ein „Ort großer Musiker“, zu dem junge Musiker häufig „Pilgerfahrten“ unternahmen. Im weiteren 19. Jahrhundert erreichte das Musikleben in Wien einen besonderen Stellenwert. Deshalb hat Wien auch Brahms angezogen. Im schrittweisen Niedergang des Habsburger-Reiches und der endgültigen Etablierung des Wilhelminischen „Deutschen Reiches“ entstand in Österreich ein folgenreicher Wandel. Der mit der sich abzeichnenden staatlichen Schwäche gleichzeitige Aufstieg eines in der bürgerlichen Gesellschaft breit verankerten Eigenwertes der Musikkultur brachte zwei Impulse mit sich: einerseits eine kompensatorische Identitätspolitik der Habsburger, die die Musik und ihre Tradition zu einem Faktor kultureller Überlegenheit stilisierten; andererseits wurde eine ästhetische Polarisierung zur „Neudeutschen Schule“ Richard Wagners durch eine traditionalistische, „klassizistische“ Strömung mit Eduard Hanslick als Vordenker und mit vorrangig profilierten Komponisten wie Johann Strauß und Johannes Brahms Atmosphäre schaffend forciert. 2
Siehe Fabian Kolb, Autobiographische Skizze, in: Das Haydn-Lexikon, hrsg. von Armin Raab u. a., Laaber 2010, S. 73–74.
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– Bezeichnend für diese Polaritäten, in die Brahms hineingeraten war, sind offizielle Ehrungen, die ihm zuteil wurden. Brahms erhielt zahlreiche hohe Auszeichnungen vor allem in deutschen Ländern außerhalb Österreichs. 1879 wurde ihm sogar die Würde des Ehrendoktors als „princeps musicae severioris” von der Breslauer Universität verliehen, wofür er sich mit der Akademischen Festouvertüre op. 80 bedankte. Eine heftige Attacke darauf ritt Richard Wagner und bezeichnete alles als bloße „Maskerade“.3 1889 verlieh ihm seine Vaterstadt Hamburg den Ehrenbürgerbrief, was Brahms mit den Fest- und Gedenksprüchen op. 109 quittierte. Als Brahms ebenfalls 1889 das Komturkreuz des Leopoldordens von Kaiser Franz Joseph verliehen bekam, ging er nur widerwillig zur Audienz. Einen Höhepunkt der offiziellen Vereinnahmung in Wien fand Brahms bei seinem Begräbnis: Der Trauerzug führte durch die Stadt wie zuvor bei Beethoven und danach bei Kaiser Franz Joseph, Brahms erhielt am Wiener Zentralfriedhof ein Ehrengrab, bezeichnender Weise zwischen Beethoven und Schubert. – Die „deutschen“ und „österreichischen“ Charakteristika in Wesen und Verhalten der Menschen wurden von Franz Grillparzer bis hin zu Hugo von Hofmannsthal sogar in tabellarischen Gegenüberstellungen festgeschrieben und sind bis heute als Klischees geläufig. Ein aktuelles Beispiel für die mit dem Klischee von der Musikalität der Österreicher verknüpften Animositäten brachte vor einigen Jahren die ZDF-Umfrage „Wer ist der größte Deutsche?“, als dabei auch W. A. Mozart nominiert wurde. Das löste heftige, sogar offizielle Reaktionen aus: der Österreichische Botschafter protestierte in Berlin höheren Orts. Von der staatlichen Zugehörigkeit her war Mozart gar kein Untertan des habsburgisch-österreichischen Territoriums, sondern einer des geistlichen Fürstentums Salzburg im Heiligen Römischen Reich. Vor allem aber wurde bei diesem Streit „Staatsnation“ und „Kulturnation“ verwechselt bzw. nicht von vornherein hinlänglich klar unterschieden. Für den Umgang mit den rezeptionshistorischen Vereinnahmungen von Brahms sind an die Forscher gewisse Forderungen zu stellen, vor allem die einer präzisen und multidimensionalen Betrachtung der jeweiligen historischen Konstellation des Untersuchungsgegenstandes. Damit verknüpft sollte eine Selbstreflexion des betrachtenden Musikhistorikers gehen. Vor einer kritischen Distanznahme zum Gegenstand sollte man sich selber fragen: Woher komme ich als geprägte Person und was verfolge ich mit meiner Studie? Der Versuch einer Distanz zu eigenen Wunschvorstellungen und emotionalen Identitäten dient der Sachlichkeit. Die Problematik einer Frage nach den Vereinnahmungen von Brahms sei im Folgenden anhand dreier Beispiele etwas schärfer profiliert: 1. Die Chorkompositionen von Brahms bieten sich deshalb an, weil sie immer wieder als Nachweis für eine Nähe von Brahms zu den deutschnationalen und bürger3
Carl Fr. Glasenapp, Das Leben Richard Wagners, Bd. 6, Leipzig 1911, S. 220.
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lichen Tendenzen des 19. Jahrhunderts (und freilich auch danach) genannt wurden. 2. Eine deutliche Distanz dazu verspricht – zumindest dem Anschein nach – das Wort von „Brahms dem Fortschrittlichen“, wie es Arnold Schönberg als Faktor einer sich selbst stilisierenden Vereinnahmung auf einem kompositionsgeschichtlichen Gebiet prägte. 3. Ein kritischer Blick sei auch auf die Vorbildstruktur für Brahms und dessen Schubert-Rezeption, so wie sie die Musikwissenschaft darstellt, geworfen. Erfolgen die Akzentsetzungen trotz präziser kompositionsgeschichtlicher Argumentation auch auf einer Ebene unhinterfragter, außermusikalischer Vorurteile? 1. Chorwerke Friedhelm Brusniak stellt in seinem MGG-Artikel über „Chor und Chormusik“ fest, daß Brahms ein „überragender Chorkomponist der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts“ gewesen sei und „für nahezu alle Chorgattungen Maßstäbe gesetzt“ habe4. Dies ist ebenso unbestritten wie die anhaltenden Erfolge von Ein deutsches Requiem oder die überragende Qualität der Harzreise im Winter (op. 53). Wie vielschichtig Rezeptionsgeschichte sein kann, zeigt die des Deutschen Requiems, wie sie Daniel Beller-McKenna in seinen Studien durchleuchtet hat.5 Grundsätzlich wird in der Geschichte dieser Rezeption deutlich: Während im 19. Jahrhundert das „Deutsche“ und Selbstbewußt-Bürgerliche im Deutschen Requiem betont wurde, änderte sich das in den letzten Jahrzehnten im Zeichen eines Ideals von Humanität als etwas Transnationalem und Transreligiösem. Bezeichnend dafür ist der Essay von John Eliot Gardiner Brahms and the ‚Human‘ Requiem6. In den Brahms-Studien 1990 hat Winfried Döbertin ähnliche Ansichten vertreten und sich ausdrücklich auf Brahms selbst berufen, der in einem Brief an Carl Reinthaler 1868 bekannte, „daß ich recht gern […] das ‚Deutsch‘ fortließe und einfach den ‚Menschen‘ setzte“.7 Ob man Brahms heutige Humanitätsideale unterstellen kann, bleibe dahin gestellt. Jedenfalls aber gab es zeitgenössische Reibungen zwischen den Konfessionen, zwischen Luthertum und Katholizismus. Diese Jahrhunderte lang prägenden unterschiedlichen konfessionellen Wege in den deutschsprachigen Ländern hatten auch große kulturelle und speziell musikalische Auswirkungen. Sie bekam Brahms zu spüren: Als er in seiner Funktion als artistischer Direktor der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien (1872–75) historische Musik – und da wohl erstmals in Wien auch von Heinrich Schütz und Johan4 5 6 7
Friedhelm Brusniak, Artikel Chor und Chormusik, in: MGG2, Sachteil, Bd. 2, Sp. 808 f. Daniel Beller-McKenna, Brahms and the German Spirit, Cambridge, MA, 2004; ders., How „Deutsch“ a Requiem? Absolute Music, Universality, and the Reception of Brahms’s „Ein deutsches Requiem“, op. 45, in: 19th-Century Music 22 (Summer 1998), S. 3–19. In: Gramophone, April 1991, zit. nach Beller-McKenna, How „Deutsch“ a Requiem? (wie Anm. 5), S. 4. Winfried Döbertin, Johannes Brahms’ „Deutsches Requiem“ als religiöses Kunstwerk, in: Brahms-Studien Bd. 8 (1990); Carl Reinthaler, Johannes Brahms im Briefwechsel mit Carl Reinthaler, Berlin 1908, S. 7–12.
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nes Eccard – aufführte, stieß er auf Unverständnis bei Publikum und Kritik. Selbst Eduard Hanslick – der freilich Brahms’ Ein deutsches Requiem sehr bewunderte und in Kritiken lobte – lehnte diese Art Konzerte ab und verstieg sich gar zu einer, heute unverständlichen, Äußerung, er „würde lieber den ganzen Heinrich Schütz verbrennen sehen, als das Deutsche Requiem“8. Doch Brahms selbst hat sich als Vokal-Komponist sehr für die geistlichen Konzerte von Heinrich Schütz, aber auch für die Musik Palestrinas oder Heinrich Isaacs interessiert. Noch unübersichtlicher wird es, wenn man Brahms als Persönlichkeit mitdenkt: Ein deutsches Requiem verfolgt, nicht nur aufgrund der verwendeten Bibelübersetzung Martin Luthers, eine Verinnerlichung eher im Sinne der evangelischen Konfession – andererseits hatte Brahms viel Sinn für den katholischen Kultus, selbst für die Marienverehrung (wie schon in seinen Frauenchören aus der Hamburger Zeit). Kategorisierungen mit Begriffen des „Nationalen“ oder „Patriotischen“ scheinen für derartige Phänomene ungeeignet, und auch der Begriff des „Konfessionellen“ greift als Unterscheidungsmerkmal zu kurz, oder besser gesagt: er gerät in von unterschiedlichen Impulsen durchwachsene Konstellationen. Wie komplex nicht nur das Werk, sondern auch die Aktualität im Verhalten von Brahms war, zeigt folgende Diskrepanz: Ein deutsches Requiem fand seine frühe Resonanzgeschichte mitten in einer extrem angespannten Zeit des Auseinanderdriftens von Preußen und Habsburgisch-Österreich (1866 Schlacht von Königsgrätz – 1870/71 Gründung des „Deutschen Reiches“ und damit definitive Entscheidung in der Großdeutschen bzw. Kleindeutschen Frage). Aber der Erfolg des Deutschen Requiems war dies- und jenseits der staatlichen und konfessionellen Grenzen groß. Sicher läßt sich das so erklären, Brahms habe sich eben trans-territorial und trans-konfessionell ‚deutsch‘ verhalten. Aber wie ist dann seine durchaus nicht transnationale Begeisterung für den preußischen Krieg gegen Frankreich zu verstehen? Sein Triumphlied op. 55 hat er 1871 „Seiner Majestät dem Deutschen Kaiser Wilhelm I. ehrfurchtsvoll zugeeignet“, zunächst mit einem Widmungszusatz „Auf den Sieg der deutschen Waffen“. Victor Ravizza meint im Brahms Handbuch 2009, das Triumphlied stehe „im Ruf eines sowohl ästhetischen wie politischen Fehltritts“.9 Was aber unverständlich bleibt, ist die weitere Frage: Warum haben Brahms und die Veranstalter für die Eröffnung der Neuen Tonhalle in Zürich am 20. Oktober 1895 das Triumphlied gewählt und, unter dem Dirigat von Brahms, aufgeführt? Sicherlich war das bereits 25 Jahre nach dem Deutsch-Französischen Krieg, außerdem stammt der vertonte Text aus keinem politischen Manifest, sondern aus der Offenbarung des Johannes (Kap. 19). Jedenfalls verständlich sind die heftigen Diskussionen in der Musikwissenschaft der jüngeren Zeit um dieses Werk. Ich neige der Ansicht von Sabine Giesbrecht-Schutte zu, das Triumphlied sei primär als eine gründerzeitliche, eben
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Eduard Hanslick, Aus meinem Leben, Berlin 1894, Bd. 2, S. 304. Wolfgang Sandberger (Hrsg.), Brahms Handbuch, Stuttgart und Kassel 2009, S. 290; Victor Ravizza, Brahms. Spätzeitmusik. Die sinfonischen Chorwerke, Schliengen 2008.
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bürgerlich-hochgemute Festmusik zu sehen.10 Wohl nur so wäre die Zürcher Entscheidung für das Werk zu begründen. (Politisch sicher nicht!) In der politischen und weltanschaulichen Ausrichtung folgen dem Triumphlied die 20 Jahre danach entstandenen Fest- und Gedenksprüche für nationale Fest- und Gedenktage. Auffälligerweise hat Brahms eine Gattung kaum bedient, die das ganze 19. Jahrhundert hindurch (besonders 1848!) eine nationalistische Funktion erfüllte: die a cappella-Chöre für Männergesangsvereine. Warum diese Zurückhaltung? Vielleicht weil ihm die plakative Simplizität von derlei Chorstücken als Komponist widerstrebte? Gerade für deutsch-national ausgerichtete Werke wie Triumphlied und die Fest- und Gedenksprüche ist in der Literatur, auch im neuen Brahms Handbuch11 gern von einem „patriotischen Impetus“ etc. die Rede. Friedhelm Brusniak in der MGG spricht von einem „patriotischen Moment“ und setzt es unmittelbar mit Anton Bruckners „patriotischen Männerchorkompositionen“ gleich. Auch Bruckner habe „auf die allgemeine politische Stimmung reagiert“.12 Hier sind doch einige Klarstellungen nötig, um zu einem differenzierteren Bild zu gelangen: – Brahms lebte damals in Wien, also in der Fremde. Sicherlich sind ihm deutschpatriotische Gefühle, wie sie sich in seiner Bismarck-Verehrung äußerten, auch als ein schöpferischer Impetus zuzubilligen. – Bruckners „patriotische“ Gefühle waren anderswo verankert. Dennoch hat er deutsch-nationale Vokalkompositionen verfaßt (von 1845 bis zu Helgoland 1893). Hier laufen zwei Faktoren gegen- und ineinander: Die deutsche Bevölkerung im Vielvölkerstaat „Österreich-Ungarn“ war (besonders nach der Entscheidung in der groß- bzw. kleindeutschen Frage) in ihren politischen Zugehörigkeitsgefühlen gespalten zwischen einer „vaterländisch-österreichischen“ und einer „deutsch-nationalen“ Gesinnung.13 Hier spielte aber auch die Kulturpolitik in erheblichem Maße mit herein. So setzte die frühe Richard Wagner-Verehrung nicht in Wien ein, erste Aufführungen seiner Opern fanden in Prag und Graz unter einer deutsch-nationalen politischen Ausrichtung statt, die danach insgesamt die Wagner-Vereine bzw. -Verbände auch in Österreich durchdrang. Dies war verbunden mit einem ästhetischen Bekenntnis zur zeitgenössischen Moderne der „Neudeutschen Schule“ – in die wiederum Bruckner aufgenommen werden wollte, der auch von diesen Kreisen als ein „Naturereignis“ (aus Oberösterreich und nicht aus Wien) verstanden wurde. – Es wird noch komplizierter: Denn Brahms hatte mit diesen Wagner-Verbänden und der „Neudeutschen Schule“ wenig im Sinne. Er lebte auch gesellschaftlich in Wien eher in traditionalistisch-österreichischen Kreisen und orientierte sich auch 10 Sabine Giesbrecht-Schutte, Gründerzeitliche Festkultur. Die „Bismarckhymne“ von Karl Reinthaler und ihre Beziehung zum „Triumphlied“ von Johannes Brahms, in Die Musikforschung 52 (1999), S. 70–88. 11 Etwa von Michael Heinemann, S. 303. 12 Brusniak, Chor und Chormusik (wie Anm. 4), Sp. 809. 13 Siehe Ernst Bruckmüller, Nation Österreich. Kulturelles Bewusstsein und gesellschaftlich-politische Prozesse, 2. erweiterte Aufl., Wien 1997.
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sozusagen geographisch nach dem Süden hin. So verbrachte er seine Sommeraufenthalte ab 1877 fast ausschließlich in Österreich oder der Schweiz und reiste einige Male nach Italien. Das heißt, sowohl bei Brahms wie bei Bruckner zeigt sich eine Spannung zwischen gesellschaftlich-politischer und kultureller / musikästhetischer Gesinnung – freilich mit umgekehrten Vorzeichen. Damit sei diese Konstellation so stehen gelassen. Ziel war es nur, auf die Notwendigkeit von viel weiter gehenden Differenzierungen hinzuweisen. 2. Zur musikalischen und kulturellen Vereinnahmung am Beispiel von Arnold Schönbergs Brahms, der Fortschrittliche Schönberg hat seinen Radiovortrag mit diesem Titel in Frankfurt am 12. Februar 1933 gehalten (am 30. Januar 1933 wurde Adolph Hitler Reichskanzler), 1947 überarbeitet er ihn, dieser Text wurde als Brahms, the Progressive gedruckt. Diese Fassung wurde, besonders in der Musikwissenschaft, sehr intensiv rezipiert, Schönbergs Aussagen wurden zum „Mythos“.14 Bezeichnend sind im Gedenkjahr 1933 (100. Geburtstag von Brahms) drei sehr unterschiedliche Äußerungen: der Rundfunkvortrag von Schönberg – die Ansprache zur Feier in der Wiener Gesellschaft der Musikfreunde am 16. Mai durch Wilhelm Furtwängler – ein Essay von Paul Bekker im Wiener Musikjournal Anbruch. Furtwänglers Rede war deutsch-national ausgerichtet, aber er vermied es, von der aktuellen politischen Realität zu sprechen und betonte die Deutschland und Österreich gemeinsame „deutsche Kulturnation“. Bekker wiederum betonte Brahms’ Verwurzeltsein in der liberalen Kultur des späteren 19. Jahrhundert und damit in der Modernität dieser Zeit. Solche Akzentuierungen sagen freilich viel über die konkrete Situation der Äußerungen und über die Grundeinstellung der jeweiligen Autoren aus.15 Nun zur inhaltlichen Tendenz in Schönbergs Text:16 Die Motivation gab ihm die als notwendig angesehene historische und theoretische Begründung seines Weges zu einer radikalen Fortschrittlichkeit. Solch eine sich selbst kommentierende Argumentationsweise findet sich auch bei anderen Komponisten vor und nach ihm, extrem bei Richard Wagner, deutlich aber auch etwa bei Claude Debussy. Während Schönberg in seinem Text Nationale Musik 1931 sehr nationalistische Töne anschlägt und eine Verteidigung deutscher Musik mit den Geschehnissen des 1. Weltkriegs in Zusammenhang bringt, hält er sich bei seinem Brahms-Vortrag und vor allem bei der 14 Egon Voss, Schönbergs „progressiver“ Brahms. Gedanken und Einwände, in: Johannes Brahms. Das symphonische Werk. Entstehung, Deutung, Wirkung, hrsg. von Renate Ulm, Kassel etc. 1996, S. 264–271. Siehe dazu auch Ludwig Finscher, Arnold Schönbergs Brahms-Vortrag, in: Neue Musik und Tradition. Festschrift Rudolf Stephan zum 65. Geburtstag, hrsg. von Josef Kuckertz u. a., Laaber 1990, S. 485–500. 15 Einen Überblick zur Brahms-Rezeption im 20. Jahrhundert gibt Daniel Beller-McKenna, The Rise and Fall of Brahms the German, in: Musicological Research 20 (2001), S. 187–210. 16 Die deutschen Fassungen der besprochenen Aufsätze Schönbergs sind enthalten in: Gesammelte Schriften, hrsg. von Ivan Voitěch, Bd. 1, Frankfurt a. M. [1976].
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später publizierten Fassung diesbezüglich zurück. Er konzentriert sich auf kompositionstechnische und strukturanalytische Fragen, um auf diesem sozusagen politisch neutralen Feld ein – auf ihn selbst abzielendes – teleologisches Entwicklungsmodell zu entwerfen. Für die deutsche wie amerikanische Musikwissenschaft war diese Fokussierung nach 1947 höchst willkommen: als Tendenz zur unbelasteten Versachlichung, in alter musiktheoretischer Tradition und im Verständnis des komponierten Notentextes als „res facta“, den es primär zu interpretieren gelte – und sie diente auch als Befreiung des Brahms-Bildes von nationalistischen Vereinnahmungen davor. Wie weit es Schönberg dabei glückte, Brahms als den Fortschrittler in Richtung auf seine eigenen radikalen Modernisierungsschritte zu erweisen, bleibe dahingestellt. Über die Reduzierung des Brahmsschen Tonsatzes auf intervallische Keimzellen und über die behauptete Asymmetrie in Liedern von Brahms zwischen Text- und Musikstruktur wurde und wird viel diskutiert. In Hinblick auf das Thema der Vereinnahmungen ist Folgendes von besonderem Interesse: Schönberg bekennt sich in seinem Text, genau genommen, mehr zu Mozart als zu Brahms und erörtert auch weitere Komponisten wie Bach, Beethoven und intensiv selbst einen Richard Wagner – aber keine nicht-deutschen Komponisten. Schönberg geht es hier, wie auch sonst häufig, doch um die Bestätigung einer „deutschen Kulturnation“ und ihrer Überlegenheit. So ist auch zu verstehen, daß er – mit streng strukturanalytischen Argumenten – Brahms selbst in die Nähe von Richard Wagner rückt und beide als Vertreter einer Modernität im 19. Jahrhundert ausgibt. Schönberg übergeht die Staatsnationalität und hat bei seiner Argumentation einen übergreifenden Kulturbegriff im Auge. Da vertragen sich dann Wagner und Mozart als Bezugsgegenstände sehr gut miteinander. Vielleicht noch bemerkenswerter ist der vor allem von der nachträglichen Musikwissenschaft herangezogene Begriff der „absoluten Musik“. Wie Beller-McKenna in seinen Publikationen zur Geschichte der Brahms-Rezeption wiederholt betont, entkomme man mit dem so sachlich-neutral wirkenden Terminus „absolute Musik“ der Germanisierung doch nicht, da dieser Begriff in der deutschen Philosophie entstanden ist. Doch zu ihr gehört auch der Wiener Brahms-Freund Eduard Hanslick mit seinem Begriff von „Tonsprache“ und seinen formalästhetischen Annäherungen an Brahms. Zu der von Schönberg behaupteten „Fortschrittlichkeit“ von Brahms seien noch zwei grundsätzliche Hinweise gegeben: – Die Ansicht von einer impliziten Zukunftserwartung in Brahms’ Komponieren reibt sich mit Brahms’ persönlichen, sehr pessimistischen Erwartungen vom „Ende der Musik“ (die er auch gegenüber Gustav Mahler geäußert hatte). – Der Akzent auf „entwickelnde Variation“ und motivisch-thematische Arbeit wird auch in Nachfolge Schönbergs gerne als entschiedene Revision des Bildes vom konservativen Brahms gesehen. Dies ist zumindest zu relativieren. Brahms hat selbst wiederholt auf die Bedeutung von Variation und Durcharbeitung des musikalischen Satzes verwiesen. Selbst das böse Wort Friedrich Nietzsches von der
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„Melancholie des Unvermögens“ als Polemik gegen das Geschichtsbewußtsein von Brahms pointiert dieses Ethos des Durcharbeitens. So werden der „konservative“ und der „fortschrittliche“ Brahms zu zwei Seiten einer Medaille. 3. Vorbilder und Vorbildstrukturen in Brahms’ Kompositionen Brahms’ unleugbar hohes kompositionshistorisches Interesse, sein auch darüber hinaus starkes Geschichtsbewußtsein und sein ebenfalls unleugbares Streben, all das als Anregung zur Ausprägung des Eigenen in seinem musikalischen Schaffen zu verstehen, sind Merkmale, die auf die Annahme einer sehr komplexen Vorbildstruktur hinführen. Daher sucht die Forschung nach Strategien, um diese Art Ergebnis zu bewältigen. Schwierigkeiten mit geläufigen Gegebenheiten bauen sich zu Hindernissen auf: – Brahms Neigung zum Durcharbeiten, zu einer beständigen ‚kompositorischen Reflexion‘, führt unweigerlich dazu, daß seine Werke als Notentexte, je tiefer man in sie eindringt, ein sehr komplexes Bild geben. Ohne Zweifel enthält seine Musik viele Anspielungen, an die man sich als theoretischer Interpret halten möchte. Dabei ergibt sich eine Fülle von Fragen, wie: Sind sie im Einzelfall gezielt gesetzte Zitate – mit eindeutiger Absicht einer Reverenz vor einem bestimmten Komponisten – oder ein Faktor unter anderen im Gewebe dessen, was wir ‚Werk‘ nennen? Und wie verhält es sich mit dem Aufgreifen von Techniken aus den verschiedenen Schichten des musikalischen Satzes, die andere Komponisten vor ihm verwendeten und – in wie spezifischer Weise? – profilierten? Um mit dieser Befindlichkeit treffender umzugehen, hat Peter Gülke den Begriff der „Diaphanie“ empfohlen und auf Musik übertragen.17 Diaphanbilder sind mit raffinierten Techniken hergestellte Bilder, die man gegen das Licht gehalten betrachten kann. Der Begriff wird metaphorisch aber auch in der Literaturwissenschaft als Kategorie verwendet, um das Durchscheinen von Vergangenem (Mythen in der Literatur etwa) als Phänomen zu benennen und zu bestimmen. – Um in Anbetracht dessen beim Bestimmen von Vorbildern weiterzukommen, liegt es auf der Hand, nach bekenntnishaften verbalen Äußerungen von Brahms zu fahnden. In Briefen und Gesprächen hat sich Brahms ja reichlich zur Musik anderer wertend und auf sein eigenes Komponieren bezogen geäußert. Auch im Falle von „Schubert“ wird man da fündig, um zu beweisen, wie sehr er die Musik Schuberts schätzte und auch auf eigenes Komponieren bezog. Doch Vorsicht ist angebracht. Wie wörtlich ist etwa eine Aussage zu nehmen, daß er von Robert Schumann nichts außer Schachspielen gelernt habe? Als bekenntnishafte Antwort auf eine (von Kalbeck mitgeteilte) Frage nach seiner Beeinflussung durch Schu17 Siehe Brahms Handbuch (wie Anm. 9), S. 159 f.
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mann wohl kaum18 – aber wie dann? Eine noch relativ einfach zu erfüllende Forderung ist es, bei Äußerungen von Künstlern zu hinterfragen, an wen sie gerichtet sind. Danach stellen sich aber weitere Fragen: Aus welcher konkreten Situation und Befindlichkeit heraus äußerte sich ein Künstler? Sollen sie beim Adressaten etwas bewirken oder sind sie schlicht bekenntnishaft? Und liegt das Bekenntnis in schönen Worten oder im gezielten Aussparen, in einem ironischen Spiel mit der Distanz? Liegt es, in Anbetracht der Fülle von Problemen, für uns Interpreten nicht nahe, um sozusagen Boden unter den Füßen zu gewinnen, auf unsere Erfahrung mit dem Gegenstand zu vertrauen, unserem Empfinden zu folgen? Da komme ich wieder auf meine Forderung zur kritischen Selbstreflexion zurück, um nicht Vorurteilen, vielleicht sogar unbewußt, ‚aufzusitzen‘ – und seien es so banale wie denen des „Deutschen“ oder des „Wienerischen“ als heimlichem Wertkriterium. Ist es bloß ein Zufall, daß das Brahms Handbuch von 2009 zur leidigen Vorbildfrage einen einzigen expliziten Abschnitt enthält: mit dem Titel „Brahms und Schumann“? Ein möglicher Einwand gegen meine skeptische Frage wäre ein Hinweis, daß der Abschnitt im Großkapitel „Lebenswelt“ steht. Doch der führt wiederum zu weiteren Fragen: Warum gibt es keinen einschlägigen Abschnitt über Clara Schumann oder über Brahms’ Lehrer Eduard Marxen? Warum wird im „lebensweltlichen“ Zusammenhang kein Nachweis der kompositorischen Bedeutung Robert Schumanns für Brahms durch eine Analyse der Variationen op. 9 erbracht? Ist ein unmittelbarer persönlicher Kontakt mit einem für bedeutend gehaltenen Komponisten das entscheidende Kriterium für dessen Vorbildhaftigkeit? Das reibt sich doch mit dem so hohen, komponierend verwirklichten Geschichtsbewußtsein von Brahms. Ist die reflektierende Begegnung mit Musik, historischer wie zeitgenössischer, nicht etwas Anderes als die persönliche Begegnung mit einem großen Komponisten, aber in Hinblick auf das kompositorische Ergebnis bei Brahms gleichrangig – oder doch nicht? Unter der Kapitelüberschrift „Lebenswelten“ hätte man doch auch einen Abschnitt über Brahms’ Sich-Einleben in Wien erwartet, oder – vielleicht besser? – über sein Spiel mit der „Wiener Lebenswelt“, ein Spiel mit dem Zulassen einer Empathie aus einer Künstler-Überlegenheit heraus. Dazu sei mir (im Bewußtsein, bei dieser Facette als „Österreicher“ angesprochen zu sein) ein Hinweis gestattet. Hof und Regierung pflegten in ihrer Kulturpolitik eine „kollektive Identifikation“ mit dem habsburgischen „Vielvölkerstaat“. Ein Paradebeispiel dafür gibt die Wiener Operette der Jahrzehnte vor und um 1900. Musikalische und theatralische Idiome aus verschiedenen Kulturen (deutsche – ungarische – nordund südslawische – italienische) wurden als Codes gezielt für ein Gemeinschaftsgefühl eingesetzt.19 Brahms hat sich nicht nur für Walzer und besonders die von Johann Strauß begeistert (siehe mit Bezug auf Schubert das Referat von Walburga Litschau18 Ebda., S. 63. 19 Siehe Moritz Csáky, Ideologie der Operette und Wiener Moderne. Ein kulturhistorischer Essay zur österreichischen Identität, 2. Aufl., Wien etc. 1998.
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er). Enormen Erfolg hatten und haben bis heute seine 21 Ungarischen Tänze (WoO 1). Brahms’ Interesse für das Ungarische geht jedoch bis in die 1850er Jahre zurück! Er wußte auch über die unterschiedliche Herkunft sog. „ungarischer“ Musikidiome Bescheid. Etwa bot er 1869 den Druck seiner Ungarischen Tänze dem Verleger Simrock als „echte Pußta- und Zigeunerkinder“ an. Das klingt salopp, ist aber genau richtig, denn die ‚echte‘ ungarische Bauernmusik griffen erst Zoltán Kodály und Béla Bartók auf. Für Brahms und seine vielschichtige Persönlichkeit sind Unterschiede in seinem Verhalten zu Wien im Verhältnis zu dem von Schumann bezeichnend: Brahms wie Schumann begeisterten sich für die Werke Schuberts – auch Schumann kam nach Wien, aber blieb nicht lange, kam hier letztlich nicht zurecht – Brahms blieb und kam sehr gut zurecht. Von verschiedenen Perspektiven her betrachtet vermittelt Brahms als Persönlichkeit alles eher als ein einheitliches Bild. Aber wie damit als Historiker umgehen? Es verlockt – sehr zu Unrecht –, ihn nach den zu seiner Lebenszeit bestehenden staatlichen, territorialen und konfessionellen Gegebenheiten auf diese oder jene Seite hin zu modellieren. Solche Vorgangsweisen sind zu reduktionistisch. Aber was bleibt nach aller Skepsis zu tun? Daniel Beller-McKenna hat sich an Brahms „the German“ und dessen Rezeptionsgeschichte abgearbeitet, doch letztlich sieht er bei allen vorhandenen Versuchen, besonders für die Zeit nach dem 2. Weltkrieg, andere Aspekte ins Spiel zu bringen, doch keine Chance, „dem Deutschen“ als Kulturnation zu entkommen. Er rettet sich in einen ironischen Ton und meint so, man müsse sich eben an die „guten“ Deutschen halten. Es läuft – auch jenseits der Kritik an „the German“ – auf das Bild eines universalen Brahms hinaus. Übrigens, der Begriff der „Universalität“ als Kriterium für die Größe eines musikalischen Œuvres stammt auch von einem deutschen Musikwissenschaftler; Alfred Einstein verstand es so in seinem Buch von der „Größe in der Musik“.20 Doch, selbst ohne wertende Pointe, hat der Begriff der „Universalität“ seine Tücken. Er mag unserer aktuellen Stimmungslage in einer Zeit mit politischer Globalisierung und kulturellen Visionen von Stockhausens „Weltmusik“ bis zur „world music“ in der Popularmusik gut entgegenkommen – doch er droht in eine alles umhüllende und unprofilierte Banalität zu münden. Nach dem kursorischen Rundgang durch all die interpretatorischen Ansätze zur Thematik von Brahms und dessen Vereinnahmungen sei gewagt, ein methodisches Fazit aus den Problemen, wie sie sich zeigten, zu ziehen. Und das heißt zu allererst, ein Lebensprinzip von Brahms und wohl vieler „großer“ Künstler als solches anzuerkennen: ein Sich-Erkunden durch ein Sich-selbst-Entgrenzen. Freilich mündet das nicht in einer chaotischen Freiheit, sondern in Herausforderungen, die Brahms immer wieder aufs Neue bewältigte. Dieses Prinzip der sich öffnenden Neugierde im individuellen 20 Alfred Einstein, Greatness in Music, London etc. 1941 (deutsch Zürich 1951).
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Künstler ernst zu nehmen, erscheint sachgerechter zu sein, als seine Werke zu einsinnig durch ein Rückführen auf Vorbildstrukturen entschlüsseln zu wollen. So wird es am besten sein, bei einer angestrebten historischen Verortung sich dem Gesamtphänomen Brahms mit dem Begriff einer „komplexen Identität“ anzunähern, wie dies heutzutage auch in der Soziologie propagiert wird. Doch muß bei dessen Interpretation eine zweifellos den Wunsch nach klarer Bestimmung irritierende Spannung zwischen den formenden historischen Umständen und Verhältnissen als dem einen Pol und dem anderen eines Sich-Erkundens durch Schritte eines Sich-selbst-Entgrenzens als Brahmssches Lebensprinzip im Bewußtsein bleiben.21
21 Theoretisch zu fundieren suchte diese Vorgangsweise der Soziologe Karl Acham: Zur Komplementarität von Allgemeinem und Besonderem, Theorie und Erzählung, in: Andreas Frings / Johannes Marx (Hrsg.), Erzählen, Erklären, Verstehen. Beiträge zur Wissenschaftstheorie und Methodologie der Historischen Kulturwissenschaften, Berlin 2008, S. 191–215.
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Wie singulär ist Brahms’ Schubert-Rezeption? Meinem verehrten, lieben Freund Robert Pascall zugeeignet
Ist über Johannes Brahms’ Schubert-Rezeption nicht schon viel geschrieben und gesagt worden? Hat nicht James Webster Wesentliches, ja, um einen Brahmsschen Ausdruck aufzugreifen, „Dauerhaftes“ über Brahms’ „First Maturity“ unter dem Zeichen Franz Schuberts publiziert?1 Hat nicht David Brodbeck in seinen Forschungen die Relation von Brahms’ Walzern und Schuberts Tänzen eingehend untersucht,2 Robert Pascall in mehreren speziellen und generellen Beiträgen das Feld von Brahms’ Schubert-Rezeption erhellend ausgeleuchtet?3 Hat nicht Salome Reiser 2003 bei der 1. Internationalen Arbeitstagung zur Schubert-Rezeption in Wien unter dem Motto Von „Schubertluft“ umweht versucht, Stationen der Schubert-Rezeption bei Johannes Brahms, Clara Schumann und Joseph Joachim nachzuzeichnen?4 Und – um diesen Einstieg mit einer polemischen Frage zu schließen – lohnt es sich überhaupt, nach neuen Arealen der Schubert-Rezeption zu suchen, solange selbst gestandene Musikwissenschaftler und Lexikographen Robert Schumanns enthusiastischen Hinweis auf die „himmlische Länge“ von Schuberts großer C-Dur-Symphonie, die ihm wie ein vierbändiger Jean-Paul-Roman erschien, immer noch zu „himmlischen Längen“ verfälschen, was ja etwas ganz anderes meint: nämlich wunderschöne, aber eben doch disproportionale Phasen innerhalb eines Satzes oder Werkes?5 1 2
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James Webster, Schubert’s Sonata Form and Brahms’s First Maturity in: 19th-Century Music 2 (1978/79), S. 18–35, und 3 (1979/80), S. 52–71. Siehe vor allem David Brodbeck, Brahms as Editor and Composer: His Two Editions of Ländler by Schubert and His First Two Cycles of Waltzes, Opera 39 and 52, Ph. D. diss. University of Pennsylvania 1984 (Typoskript); ders., Primo Schubert, Secondo Schumann: Brahms’s Four-Hand Waltzes, Op. 39, in: The Journal of Musicology 7 (Winter 1989), S. 58–80. Robert Pascall, Brahms and Schubert, in: The Musical Times 124 (1983), S. 286–291; ders., Musikalische Einflüsse auf Brahms, in: Österreichische Musikzeitschrift 38 (1983), S. 228–235; ders., „My Love of Schubert – No Fleeting Fancy“. Brahms’s Response to Schubert, in: IFSI. Mitteilungen Nr. 21 ( Juni 1998), S. 39–60. Salome Reiser, Von „Schubertluft“ umweht. Stationen der Schubert-Rezeption bei Johannes Brahms, Clara Schumann und Joseph Joachim, in: Schubert und die Nachwelt. I. Internationale Arbeitstagung zur SchubertRezeption Wien 2003. Kongreßbericht, hrsg. von Michael Kube u. a., München/Salzburg 2007, S. 145–169. Siehe beispielsweise EH [Ernst Hilmar], Artikel Sinfonien, in: Ernst Hilmar / Margret Jestremski (Hrsg.), Schubert-Lexikon, Graz 1997, S. 429–431, hier S. 430; Friedhelm Krummacher, Schubert als Konstrukteur. Finale und Zyklus im G-Dur-Quartett D 887, in: Archiv für Musikwissenschaft 51 (1994), S. 26–50, hier S. 27 (f.). Michael Kube scheint den gravierenden Bedeutungswechsel schon in der Überschrift eines Kongreßbeitrages von 2003 zu thematisieren, handelt die eigentliche Begriffs- und Bedeutungsproblematik dann aber eher flüchtig ab und konzentriert sich weithin auf Rezeptionstopoi in der Auseinandersetzung des späteren 19. und frühen 20. Jahrhunderts mit Schuberts Instrumentalwerken (Michael Kube, Von „himmlischer Länge“ zu „himmlischen Längen“: Denken und Schreiben über Schuberts Musik im 19. und
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Gerade der Beitrag Reisers mag indes Anlaß geben, bestimmte Aspekte von Brahms’ Schubert-Rezeption zu überdenken und aus verändertem Blickwinkel zu betrachten. Seine Ausgangs- und Arbeitshypothese, mit dem Tod Robert Schumanns scheine „dessen intensives und folgenreiches Engagement für die Werke Franz Schuberts ganz in die Hände“ Clara Schumanns, Joseph Joachims und „des immer stärker aus dem Schumann-Kreis hervortretenden Johannes Brahms“ gelegt worden zu sein, erscheint nicht unproblematisch: Einerseits wirkt das Bild der rezeptionellen Erbschaft eher gedanklich konstruiert als historisch fundiert. Andererseits mündet der Beitrag in die Aussage, Brahms’ vielfältige Schubert-Rezeption sei von vornherein „unter dem starken Einfluß seiner Kontakte nach und schließlich in Wien“ zu sehen, was in dokumentarischer Hinsicht nur partiell zutrifft, weil die frühen privaten und öffentlichen Schubert-Aktivitäten v o r Brahms’ Wiener Zeit keinesfalls außer acht gelassen werden dürfen.6 Demgegenüber kann es der Scharfstellung des Bildes von Brahms’ Schubert-Rezeption dienen, wenn anhand eines kritischen Vergleiches gefragt wird, wie singulär Brahms’ zweifellos sehr facettenreiche Beschäftigung mit Schuberts Schaffen war. So vergleicht der erste Hauptteil des vorliegenden Beitrages die Profile der Schubert-Rezeption von Johannes Brahms und Robert Schumann: Konnte der 29jährige Brahms 1862 mit seinem Aufbruch von Hamburg nach Wien den ersten Schritt zur dauerhaften Übersiedelung in die traditionsmächtige Musikmetropole tun, so vermochte der 1838 im Alter von 28 Jahren von Leipzig nach Wien gereiste Schumann dort zwar keinen festen Fuß zu fassen, wurde jedoch auf andere Weise musikgeschichtlich in Sachen Schubert aktiv. Im kürzeren zweiten Teil sollen auf dieser Grundlage einige Überlegungen zu Möglichkeiten, Grenzen und Methoden musikwissenschaftlicher Auseinandersetzung mit Johannes Brahms’ und Robert Schumanns kompositorischer Schubert-Rezeption angestellt werden. ***
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frühen 20. Jahrhundert, in: Schubert und die Nachwelt [wie Anm. 4], S. 39–50, hier S. 41 f.). – Schumanns originale Formulierung lautet: „Und diese himmlische Länge der Symphonie, wie ein dicker Roman in vier Bänden etwa von Jean Paul, der auch niemals endigen kann und aus den besten Gründen zwar, um auch den Leser hinterher nachschaffen zu lassen. Wie erlabt dies, dies Gefühl von Reichthum überall, während man bei Anderen immer das Ende fürchten muß und so oft betrübt wird, getäuscht zu werden.“ (Robert Schumann, Gesammelte Schriften über Musik und Musiker, 4 Bde., Leipzig 1854 [Reprint mit einem Nachwort von Gerd Nauhaus und einem Register von Ingeborg Singer, Leipzig 1985], Bd. 3, S. 195–203, hier S. 201). Reiser, „Schubertluft“ (wie Anm. 4), S. 145, 161.
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I. Die Denkfigur, nach der Brahms das Engagement Schumanns für Schuberts Musik übernommen und fortgesetzt habe, leidet bereits daran, daß der Begriff des „Engagements“ zumindest im Hinblick auf Schumann unscharf bleibt.7 Vergleicht man die Schubert-Rezeption von Brahms und Schumann, das heißt die Aktionsfelder ihrer öffentlichen und privaten Auseinandersetzung mit Schuberts Musik, dann zeigen sich neben bestimmten Kongruenzen doch auch wesentliche Alleinstellungsmerkmale oder zumindest unterschiedliche Schwerpunkte, die im folgenden umrißhaft skizziert werden sollen. Wege zu Schubert: Voreilig wäre die polarisierende Behauptung, der Weg zur Musik Schuberts sei beim jungen Brahms eher historisch-didaktisch durch seinen Klavierund Kompositionslehrer Eduard Marxsen vermittelt worden, beim jungen Schumann dagegen primär autodidaktisch verlaufen. Zwar wurde Marxsen Anfang der 1830er Jahre in Wien bei Ignaz von Seyfried und Karl Maria von Bocklet ausgebildet, doch hat selbst Jane Vial Jaffes Dissertation über Marxsen und Brahms die schroffe Behauptung Max Kalbecks kaum nachhaltig erschüttern können, daß Schuberts „epochemachende Erscheinung […] fast spurlos“ an Marxsen vorübergegangen sei.8 Zwar soll der junge Brahms in den späteren 1840er Jahren vierhändige Märsche Schuberts gespielt9 und möglicherweise schon in Otto Cossels Klavierunterricht – also in der Zeit vor der Unterweisung durch Marxsen – Klavierstücke und -tänze Schuberts studiert haben.10 Zudem wissen wir, daß in den Hamburger Konzerten Ende der 1840er und Anfang der 1850er Jahre, an denen Brahms als Pianist mitwirkte, einige Schubert-Lieder erklangen11 und daß er sich in den Düsseldorfer Jahren 1854–1856 intensiver mit Schuberts Musik beschäftigt haben muß.12 Doch eine gesicherte Vermittlung von Wiener Schubert-Traditionen durch seine Lehrer wird durch solche Indizien und Vermutungen keinesfalls belegt. Kaum ist auch zu vermuten, daß Brahms gleich während seines ersten Düsseldorfer AufenthalIn Reisers Beitrag wird das Profil der Schubert-Rezeption zwar für Brahms umrissen (Reiser, „Schubertluft“ [wie Anm. 4], S. 145 f.), bleibt im Hinblick auf Schumann dagegen eher konturlos. 8 Max Kalbeck, Johannes Brahms, Bd. I, Halbbd. 1, Berlin 41921 (Reprint: Tutzing 1976), S. (27–)29; Jane Vial Jaffe, Eduard Marxsen and Johannes Brahms, Ph. D. diss. The University of Chicago, Illinois, 2009, S. 15 f. (Marxsens Wien-Aufenthalt), S. 42, 111–114 (jeweils Marxsens Orchestrierung von Schuberts Klaviersonate a-Moll op. 42 / D 845 betreffend), S. 263–265 (kontroverse Diskussion innerhalb der BrahmsLiteratur über fehlende bzw. mögliche Hamburger Schubert-Impulse für den jungen Brahms) und passim. 9 Vgl. den Beitrag von Katrin Eich in diesem Band (S. 253–270). 10 Kalbeck, Brahms I/1 (wie Anm. 8), S. 48; Kurt Hofmann, „Sehnsucht habe ich immer nach Hamburg …“. Johannes Brahms und seine Vaterstadt. Legende und Wirklichkeit, Hamburg 2003, S. 35. Ob die von Hofmann erwähnten Notenmanuskripte und -drucke tatsächlich speziell in Brahms’ Klavierstunden verwendet wurden oder nur verwendet worden sein könnten, geht aus den Ausführungen nicht hervor. 11 Siehe Renate und Kurt Hofmann, Johannes Brahms als Pianist und Dirigent. Chronologie seines Wirkens als Interpret, Tutzing 2006, S. 19–22. 12 Siehe die Nachweise ebda., S. 31–41. 7
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tes im Herbst 185313 von Robert und Clara Schumann intensiver in die Musik Schuberts eingeführt wurde.14 So bleiben die Anfänge seiner Schubert-Rezeption im Dunkeln, und es muß letztlich offen bleiben, in welchem Maße Brahms’ Weg zu Schubert per Tradition vermittelt oder – ähnlich wie beim jungen Schumann – autodidaktisch angelegt war. Für Schumann ist, wie Marie Luise Maintz in ihrer grundlegenden Arbeit über Franz Schubert in der Rezeption Robert Schumanns aufgezeigt hat, ab 1827, also gegen Ende der Schulzeit, neben seinem „Schwärmen in Jean Paul“ auch das erste Kennenlernen von Werken Schuberts belegt, während ihm Goethe und Bach noch „verschlossen“ geblieben seien.15 1828 verstärkte sich dann mit Beginn des Leipziger Jurastudiums (bzw. an dessen Stelle) seine Schubert-Kenntnis wesentlich. Die autodidaktische Schubert-Aneignung wird durch autobiographische Skizzen, vor allem aber geradezu minutiös durch die Jugendtagebücher belegt und muß hier nicht im einzelnen rekapituliert werden. Genannt seien von den ab 1821 publizierten Werken Schuberts, die Schumann rezipierte, vor allem Erlkönig op. 1 / D 328,16 weitere Lieder,17 die Klaviersonate a-Moll op. 42 / D 845,18 die Variationen über ein Thema aus der Oper „Marie“ von Hérold für Klavier zu vier Händen op. 82 Nr. 1 / D 908, die für Schumann „das vollendetste romantische Gemälde, ein vollkom[me]ner Tonroman“ waren,19 die Wan13 Brahms hielt sich von Ende September bis Anfang November 1853 in Düsseldorf auf; siehe Renate und Kurt Hofmann, Johannes Brahms. Zeittafel zu Leben und Werk, Tutzing 1983, S. 18; vgl. Robert Schumann, Tagebücher, Bd. 3: Haushaltbücher, hrsg. von Gerd Nauhaus, Teil 2, Leipzig 1982, S. 637–641. 14 Möglicherweise wohnte Brahms in Düsseldorf dem von Ruppert Becker erwähnten privaten Spiel von Schuberts G-Dur-Streichquartett D 887 am 21. Oktober 1853 bei, während er vom Es-Dur-Klaviertrio D 929 vor seiner Abreise am 2. November bestenfalls noch die Probe am 1. November miterlebte, nicht aber die Aufführung am 3. November. Siehe dazu Ruppert Becker, Notizen, Erstveröffentlichung, hrsg. und kommentiert von Ute Bär, in: Zwischen Poesie und Musik. Robert Schumann – früh und spät, Begleitbuch und Katalog zur Ausstellung, hrsg. von Ingrid Bodsch und Gerd Nauhaus, Bonn etc. 2006, S. 185– 229, hier S. 206–209. – Daß Brahms – wie Thomas Synofzik aufgrund der in der Datierung oft unzuverlässigen, in diesem Fall zudem zeitlich uneindeutigen Erinnerungen Albert Dietrichs annahm – bereits in jenen Tagen Schuberts G-Dur-Klaviersonate D 894 vorgetragen haben könnte, erscheint eher fraglich (siehe Albert Dietrich, Erinnerungen an Johannes Brahms in Briefen besonders aus seiner Jugendzeit, Leipzig 1898, S. 4; Thomas Synofzik, Brahms und Schumann, in: Brahms Handbuch, hrsg. von Wolfgang Sandberger, Stuttgart/Kassel etc. 2009, S. 63–76, hier S. 66). Dagegen ist gesichert, daß Brahms das Werk zu Clara Schumanns Geburtstag am 13. September 1855 privat in der Düsseldorfer Wohnung Rosalie Lesers musizierte (siehe Berthold Litzmann, Clara Schumann. Ein Künstlerleben. Nach Tagebüchern und Briefen, Bd. 2: Ehejahre 1840–1856, Leipzig 31907, S. 388); dies scheint Brahms’ einzige nachweisbare Darbietung des Werkes gewesen zu sein, das er niemals öffentlich gespielt zu haben scheint (siehe Hofmann, Chronologie [wie Anm. 11], S. 35, 396, hier unter „Fantasie G-Dur“ und „Klaviersonate G-Dur“ mit gleichem Aufführungsdatum doppelt rubriziert). Brahms’ privates Spiel Schubertscher Werke – darunter auch Klaviersonaten – in Düsseldorf ist seit Mai 1854 verläßlich nachgewiesen, öffentliche Aufführungen seit November 1855 (siehe Hofmann, Chronologie [wie Anm. 11], S. 395–397 und passim). Zur G-Dur-Sonate vgl. unten S. 73, Anmerkung 55. 15 Marie Luise Maintz, Franz Schubert in der Rezeption Robert Schumanns. Studien zur Ästhetik und Instrumentalmusik, Kassel etc. 1992, S. 17; vgl. Robert Schumann, Selbstbiographische Notizen, Faksimile, hrsg. von Martin Schoppe, o. O., o. J., o. S. 16 Robert Schumann, Tagebücher, Bd. 1, hrsg. von Georg Eismann, Leipzig 1971, S. 165, 171. 17 Ebda., S. 152 f., 155 f., 172, 174, 178, 335. 18 Maintz, Schubert/Schumann (wie Anm. 15), S. 18. 19 Schumann, Tagebücher 1 (wie Anm. 16), S. 96, 117, 157, 203.
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dererfantasie op. 15 / D 760,20 vierhändige Polonaisen,21 Walzer, darunter der sogenannte Sehnsuchtswalzer op. 9 Nr. 2 / D 365 Nr. 2,22 und immer wieder das Klaviertrio Es-Dur op. 100 / D 929, das ihn außerordentlich beschäftigte23 und zur Komposition seines c-Moll-Klavierquartetts (Op. V, Anh. E1) angeregt zu haben scheint.24 Schuberts vierhändige Polonaisen veranlaßten ihn zu einer poetisierenden Charakterisierung dieses Tanztypus25 und zur Komposition seiner eigenen Jugend-Polonaisen (Op. III; Anh. G1).26 Diese wirkten bekanntlich bis in die Papillons op. 2 hinein. Daß in den Papillons reale Tänze zu ihren eigenen Abbildern und damit zu Trägern einer poetischen Dramaturgie wurden, läßt sich mithin auf Schumanns Schubert-Rezeption zurückführen.27 So war die autodidaktische Schubert-Aneignung des jungen, sich immer mehr der Musik zuwendenden Schumann von existentieller Wucht, die sein Komponieren ebenso prägte, wie sie Impulse für seine späteren musikschriftstellerischen Aktivitäten gab. Solch existentielle Wucht ist für den jungen Johannes Brahms nicht dokumentarisch belegt. Freilich gibt es Spuren einer gewissen Schubert-Kenntnis seit der zweiten Hälfte der 1840er Jahre, und so ließ Brahms seinen Bekannten Ernst Rudorff später wissen, er habe sich „eine lange Zeit hindurch […] mit nichts anderem beschäftigt, als mit Schubert“.28 Dennoch erscheint es symptomatisch, daß der Name Schubert in den ersten Teilen der beiden großen Brahms-Monographien Max Kalbecks und Florence Mays überwiegend beim Vergleich von Werken beider Komponisten, bei einzelnen Hinweisen auf Brahms’ pianistisches Repertoire und im Zuge musikhistorischer Panoramaschilderungen auftaucht. Daß prägnante biographisch-dokumentarische Hinweise und Aussagen des jungen Brahms über Schubert fehlen,29 fällt natürlich umso 20 Ebda., S. 113 (evtl. auch S. 108). 21 Ebda., S. 116, 119, 123, 165, 203. 22 Zu Walzern siehe ebda., S. 158, 160, 171, 178. Über den sogenannten Sehnsuchtswalzer komponierte Schumann (unvollendet gebliebene) Variationen; siehe Margit McCorkle, Robert Schumann. Thematisch-Bibliographisches Werkverzeichnis, München 2003, S. 681 f. (Anhang F 24). 23 Dabei ist unwichtig, ob hier von ‚Schaffensimpuls‘ oder ‚Koinzidenz‘ gesprochen werden muß; in jedem Fall dürfte Schumanns Klavierquartett als Reflex seiner Schubert-Rezeption zu bewerten sein. Vgl. Hans Kohlhases Hinweis, daß die transponierte Wiederholung von Durchführungsteilen, die den Kopfsatz von Schuberts Es-Dur-Trio maßgeblich prägt, auch in späteren Sonatensätzen Schumanns eine bedeutende Rolle spielt (Hans Kohlhase, Die Kammermusik Schumanns, Hamburg 1979, Bd. 1, S. 117–119). – Es ist bezeichnend, daß Schumann, unmittelbar bevor er im Tagebuch erschüttert die Nachricht von Schuberts Tod vermerkte, erstmals die Komposition seines c-Moll-Klavierquartetts erwähnte (Schumann, Tagebücher 1 [wie Anm. 16], S. 151: 1. Dezember 1828). 24 McCorkle, Schumann Werkverzeichnis (wie Anm. 22), S. 664 f. Auch im folgenden richtet sich die Zählung der von Schumann nicht publizierten frühen Werke nach McCorkle, Schumann Werkverzeichnis (wie Anm. 22), S. 651–741. Die römische Werkzählung des jungen Schumann betraf Werke, die er letztlich unveröffentlicht ließ. 25 „[…] lauter aufbrechende Gewitterstürme mit romantischen Regenbogen über feierlich-schlummernde [sic!] Welten“; siehe Schumann, Tagebücher 1 (wie Anm. 16), S. 119. 26 McCorkle, Schumann Werkverzeichnis (wie Anm. 22), S. 694 f. 27 Siehe Maintz, Schubert/Schumann (wie Anm. 15), S. 255–306. 28 Ernst Rudorff, Johannes Brahms. Erinnerungen und Betrachtungen, in: Schweizerische Musikzeitung 97 (1957), Heft 3, S. 81–86; Heft 4, S. 139–145; Heft 5, S. 182–187; hier S. 185. 29 Kalbeck, Brahms I/1–2 (wie Anm. 8), passim; Florence May, Johannes Brahms, aus dem Englischen übers. von Ludmille Kirschbaum, 2 Teile in einem Bd., Leipzig 1911, passim.
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mehr auf, als Schumann seinerseits weit mehr biographische Dokumente produzierte und aufbewahrte als Brahms.30 Verbale Äußerungen: Einen eklatanten Unterschied im Vergleich der rezeptionellen Aktionsfelder finden wir demzufolge bei öffentlichen verbalen Äußerungen über Schubert, die gewissermaßen ein Schumannsches Alleinstellungsmerkmal sind. Als Redakteur und Autor der Neuen Zeitschrift für Musik, der seine eigenen Beiträge 1854 in überarbeiteter Gestalt in den Gesammelten Schriften über Musik und Musiker perpetuierte, hat Schumann die musikkritische Reflexion über Schuberts Musik im 19. Jahrhundert maßgeblich geprägt. Angesichts der eingehenden Darlegungen in Maintz’ Dissertation soll an dieser Stelle ein Resümee von Schumanns öffentlichen und privaten Äußerungen über Schubert genügen: Überblickt man Schumanns öffentliche musikkritische Beiträge vor dem Hintergrund der persönlichen Aufzeichnungen, dann wird deutlich, daß seine Auseinandersetzung mit Schubert in zwei Phasen verlief. In der ersten Phase zwischen 1835 und 1838 bildeten Schuberts Klavierkompositionen den Schwerpunkt seiner Besprechungen – parallel zu Schumanns eigener Etablierung als Klaviermusik-Komponist. Bei aller grundsätzlichen, teilweise enthusiastischen Zustimmung ist dabei doch eine zunehmende Distanzierung zu beobachten, die in der auffallend kritischen Besprechung der letzten drei Klaviersonaten und des Grand Duo op. 144 / D 812 gipfelt. Zugleich relativierte Schumann seine eigene SchubertRezeption historisch und ästhetisch.31 Aus der zeitlichen und ästhetischen Distanz heraus charakterisierte er seine frühe Schubert-Begeisterung als ‚Schwärmerei‘ und bezeichnete Schubert nicht nur als „Liebling“ der „Jugend“, sondern auch im Vergleich mit Beethoven (ästhetisch und genderpolitisch nach heutigen Maßstäben natürlich völlig unkorrekt) als „Mädchencharakter“. So konstatierte er mit Blick auf das Grand Duo und die späte Sonatentrias: „Vor zehn Jahren […] würde ich diese zuletzt erschienenen Werke ohne Weiteres den schönsten der Welt beigezählt haben […].“32 Es wäre indes voreilig, wollte man Schumanns Schubert-Rezeption als generelles 30 Maßgeblich ist natürlich auch der Generationsunterschied zwischen Schumann und Brahms: Die Schubert-Rezeption des 1810 geborenen Schumann begann ja zu Lebzeiten Schuberts; dieser war für den lediglich 13 Jahre jüngeren Schumann noch ein Zeitgenosse, zumal er nur geringfügig älter war als Schumanns ältere Brüder. Der junge Brahms dagegen entdeckte „seinen“ Schubert zwar bereits von Hamburg aus, erhielt von der Düsseldorfer Notenbibliothek Robert und Clara Schumanns vermutlich weitere Anregungen, rezipierte Schuberts Musik aber in ganzer Intensität und Nachhaltigkeit doch erst seit der zunächst vorübergehenden, dann permanenten Verlagerung des Lebens- und Schaffensmittelpunktes nach Wien (ab 1862). 31 Ein ähnlicher Ansatz prägte 15 Jahre später Schumanns legendären Brahms-Aufsatz, in dem er vordergründig aus der Perspektive des erfahrenen älteren Mu s i k k r i t i k e r s die Neuen Bahnen der jungen Komponistengeneration beobachtete. Indirekt aber tat er dies ebenso als Angehöriger einer älteren K o m p o n i s t e n generation, zu der (neben Mendelssohn und Chopin, die bereits verstorben waren) auch Liszt und Wagner zu zählen waren – Komponisten also, die für sich die Musik der „Zukunft“ reklamierten. Genau das machte die Ambivalenz und die Brisanz von Schumanns Darstellung aus. Siehe dazu Michael Struck, Nähe und Distanz. Robert Schumann in Johannes Brahms’ Sicht, in: Die Tonkunst 4, Nr. 3 ( Juli 2010), S. 380–396, hier S. 381–383. 32 Schumann, Gesammelte Schriften (wie Anm. 5), Bd. 2, S. (235), 236, 238.
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Wertschätzungs-Diminuendo lesen und ein solches womöglich auch noch der bemerkenswert kontinuierlichen, ja crescendierenden Wertschätzung von Schuberts Musik durch Brahms gegenüberstellen (die freilich nur durch private, teilweise indirekt überlieferte Äußerungen dokumentiert ist). Denn Schuberts Musik hatte trotz einer gewissen Relativierung und Distanzierung immer noch eine Sonderstellung in Schumanns musikalischem Weltbild. 1839 begann im Hinblick auf Schumanns Schubert-Rezeption eine zweite, nicht weniger bedeutende Phase – zunächst durch seine Wiener Vermittlungstätigkeit zwischen Ferdinand Schubert und dem Leipziger Verlag Breitkopf & Härtel und später nach der Rückkehr aus Wien durch die erste direkte Begegnung mit Schuberts großer C-Dur-Symphonie in Leipzig.33 Seine Besprechung dieses Werkes in der Neuen Zeitschrift für Musik ist so oft als Dokument der Schubert-Rezeption interpretiert (und, wie eingangs erwähnt, en détail fehlzitiert) worden, daß hier lediglich folgendes festzuhalten ist: Angesichts des vorangehenden Distanzierungsprozesses ist bei dieser zweiten Phase von einem rezeptionellen Quantensprung zu sprechen, der durch die Bemerkung markiert wird: „Sag’ ich es gleich offen: wer diese Symphonie nicht kennt, kennt noch wenig von Schubert“.34 Nicht allein diese Formulierung, sondern Schumanns gesamte Rezension läßt sich auch als latente musikkritische Selbstrevision lesen. So wird gegenüber dem einstigen Bild vom „Mädchencharakter“ Schubertscher Musik nun mehrfach betont, die C-Dur-Symphonie sei in Schuberts „reifster Manneskraft“ geschrieben und zeige in ihrer „völlige[n] Unabhängigkeit“ von Beethovens Symphonien ihren „männlichen Ursprung“, so sehr sie auch „den ewigen Jugendkeim in sich“ trage.35 Brahms’ verbale Äußerungen über Schubert erfolgten demgegenüber ausschließlich im privaten Kontext.36 Sie bleiben daher zwangsläufig mosaikartig und zeigen zudem keine deutlichen Entwicklungs- oder Änderungstendenzen wie in Schumanns öffentlichkeitszentrierten Texten. Die frühe kurze enthusiastische Äußerung gegenüber Joseph Joachim vom 7. Dezember 1853 nach einer Leipziger Probe der großen 33 Laut aktuellem Stand der Schubert-Forschung dürfte die Leipziger Aufführung der ‚großen‘ C-Dur-Symphonie unter Leitung Felix Mendelssohn Bartholdys am 21. März 1839 – entgegen zwischenzeitlich anders lautenden Vermutungen – doch die erste öffentliche Wiedergabe, also die Uraufführung gewesen sein. Siehe NGA V/4: Sinfonie Nr. 8 in C, Teil a, vorgelegt von Werner Aderhold, Kassel etc. 2003, S. XIV–XVI; vgl. Peter Krause, Unbekannte Dokumente zur Uraufführung von Franz Schuberts großer C-Dur-Sinfonie durch Felix Mendelssohn Bartholdy, in: Beiträge zur Musikwissenschaft 29 (1987). S. 240–250. Demnach läßt sich folgern: Bei der ‚Wiederentdeckung‘ der Symphonie war Schumann zwar nicht Finder, wohl aber maßgeblicher Ermutiger und Vermittler im Netzwerk mit dem Schubert-Bruder Ferdinand, dem Verlag Breitkopf & Härtel und Felix Mendelssohn Bartholdy, der mit zielsicherem Blick statt der vorgeschlagenen ‚kleinen‘ die ‚große‘ C-Dur-Symphonie zur Aufführung in Leipzig wählte. Später setzte Schumann mit seiner Rezension einer Leipziger Folgeaufführung dann auch musikliterarische Maßstäbe für die Rezeption des Werkes. Und schließlich ließ er sich als Komponist durch die von Schubert aufgezeigte Option zur Komposition von Symphonien ‚nach Beethoven‘ anregen. Siehe dazu die weiteren Ausführungen. 34 Schumann, Gesammelte Schriften (wie Anm. 5), Bd. 3, S. 197. 35 Ebda., S. 201–203. 36 Die fehlende Öffentlichkeitswirkung der Äußerungen wird in gewisser Weise durch die im folgenden zu erörternden editorischen und künstlerisch-praktischen Aktivitäten kompensiert.
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C-Dur-Symphonie, es habe ihn „noch Weniges so entzückt“,37 signalisiert bereits das generelle Einschätzungsniveau. Ob Brahms später Schubert – und nicht Mendelssohn oder Schumann – als „wahren Nachfolger Beethovens“ bezeichnete (was er freilich nur am Beispiel der Lieder exemplifizierte),38 ob er jungen Musikern das Studium Schubertscher Lieder, Tänze und Sonaten empfahl,39 gegenüber Adolf Schubring vom „Genie“ und „Götterjüngling“ Schubert sprach, der sich „zu dem Himmel“ aufschwinge, in dem man „dann die wenigen Ersten thronen“ sehe40 – fast immer erfolgten diese und andere Aussagen auf einem Hochplateau der Bewunderung. So war seine „Schubertliebe“ nach eigener Aussage „eine sehr ernsthafte“ und keine „flüchtige Hitze“.41 Obwohl Brahms den Komponisten Schubert aus einer im Vergleich mit Schumanns Schubert-Rezeption entscheidend größeren historischen Distanz als feste, wenn auch teilweise erst noch zu entdeckende musikhistorische Größe betrachtete, hatte er, wie er 1863 an Schubring schrieb, in Wien doch „die Empfindung […], als lebte er noch!“42 Zugleich unterschied Brahms bei Schubert stark zwischen Werken, die er durch Drucklegung und Aufführung an die Öffentlichkeit gebracht wissen wollte, und anderen, die zwar den professionellen Musiker interessieren und reizen könnten, ihm selbst letztlich aber nicht als gewichtig genug für eine Publikation erschienen. In diesem Zusammenhang ist bei ihm freilich eine bemerkenswerte Urteilsrevision gegenüber der von Eusebius Mandyczewski besorgten alten Schubert-Gesamtausgabe zu beobachten. Äußerte Brahms sich 1893 noch ausgesprochen kritisch gegenüber deren enzyklopädischem Konzept,43 so nahm er jenes Urteil Ende 1894 zumindest im Hinblick auf Schuberts Lieder mit geradezu drastischen Worten zurück, wie Richard Heuberger berichtete: „Über die ihm jetzt vorliegende Ausgabe der Schubert-Lieder, die Mandyczewski im Rahmen der Gesamtausgabe edierte, sprach er in begeisterten Worten. Er sagte wörtlich: ‚Ich war immer dagegen, aber ich wurde glänzend widerlegt. Alles was 37 Johannes Brahms im Briefwechsel mit Joseph Joachim, hrsg. von Andreas Moser, Bd. 1, Berlin 31921 (Johannes Brahms Briefwechsel 5), S. 21. Nach dieser enthusiastischen Äußerung und der anschließenden Bekundung „ich möchte Dir von nichts anderem schreiben.“ folgten indes nur noch kurze kritische Bemerkungen zur Aufführungsqualität. 38 Max Kalbeck, Johannes Brahms, Bd. II, Halbbd. 1, Berlin 31921 (Reprint: Tutzing 1976), S. 220. 39 Gustav Jenner, Johannes Brahms als Mensch, Lehrer und Künstler. Studien und Erlebnisse, Marburg 1905, S. 31; vgl. die Nachweise in Reiser, „Schubertluft“ (wie Anm. 4), S. 146. 40 Johannes Brahms. Briefe an Joseph Viktor Widmann, Ellen und Ferdinand Vetter, Adolf Schubring, hrsg. von Max Kalbeck, Berlin 1915 (Johannes Brahms Briefwechsel 8), S. 200. 41 Ebda., S. 199. 42 Ebda., S. 196. 43 Richard Heuberger, Erinnerungen an Johannes Brahms. Tagebuchnotizen aus den Jahren 1875 bis 1897, hrsg. von Kurt Hofmann, Tutzing 21976, S. 60: „Leider ist bei der Schubert-Ausgabe die Maxime, alles zu drukken, beibehalten worden. Das ist schade! So viel schwaches Zeug würde durch Abschriften, die von Hand zu Hand gehen, bekannt genug. Schade, daß die Meister nicht mehr von ihren schwachen Sachen vertilgt haben! Freilich war seinerzeit die erst in den fünfziger Jahren entstandene Editions- und Sammelwut nicht sehr groß.“ Zu Brahms’ entsprechend skeptischen Bemerkungen über die von ihm verantwortete Edition von Schuberts Symphonien Nr. 1–6 siehe Johannes Brahms im Briefwechsel mit Breitkopf & Härtel, Bart[h]olf Senff, J. Rieter-Biedermann, C. F. Peters, E. W. Fritzsch und Robert Lienau, hrsg. von Wilhelm Altmann, Berlin 1920 (Johannes Brahms Briefwechsel 14), S. 353 (Brief an Breitkopf & Härtel, [26.] März 1884).
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ich dagegen hatte, hat sich als unrichtig erwiesen. Man soll eigentlich nie über etwas reden, was man nicht fertig vor sich hat. Soll vorerst das Maul halten!‘“44 Entdecken – Sammeln – Vermitteln: Parallele Rezeptionsaktivitäten lassen sich bei Brahms und Schumann nicht nur im Hinblick auf das Sammeln von SchubertManuskripten feststellen,45 sondern auch hinsichtlich der Entdeckung von SchubertHandschriften oder der Vermittlung von Notentexten Schubertscher Werke an die Öffentlichkeit – wenngleich mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Bei Schumann betrifft dies, wie schon dargelegt, die Aufführungs- und Verlagsvermittlung sowie die Rezension der großen C-Dur-Symphonie, aber auch die Erstveröffentlichung verbaler Dokumente von und Erinnerungen an Schubert sowie die Herausgabe dreier noch unveröffentlichter Kompositionen in den Notenbeilagen der Neuen Zeitschrift für Musik in den Jahren 1839 und 1840.46 Demgegenüber liegt bei Brahms der Schwerpunkt dieses Bereiches ganz auf der Notenedition.47 Als Besitzer etlicher Schubert-Manuskripte sowie mit seiner guten Vernetzung zu Verlegern und Manuskript-Erben war er teils als Vermittler und Berater aktiv, teils direkt oder indirekt an Editionen beteiligt. Schubert-Bearbeitungen: Das Areal der Schubert-Bearbeitung bleibt beim vorliegenden Vergleich der Rezeptionsfelder allein Brahms vorbehalten. Im Falle des Klavierauszuges von Schuberts Es-Dur-Messe D 950, der vom eher amateurhaften Versuch des Schubert-Neffen Eduard Schneider ausging, verschob sich Brahms’ Aktivität über die Stadien der Redaktion und Revision schließlich bis zur Neubearbeitung für den Druck.48 Dagegen blieben die überwiegend für Julius Stockhausen geschaffenen Instrumentierungen von sechs Schubert-Liedern zu Brahms’ Lebzeiten unveröffent44 Heuberger, Erinnerungen (wie Anm. 43), S. 74. 45 Zu Brahms siehe Kurt Hofmann, Die Bibliothek von Johannes Brahms, Hamburg 1974, S. 163 (hier Reprint aus dem vollständig wiedergegebenen Aufsatz von Alfred Orel, Johannes Brahms’ Musikbibliothek. Bücher- und Musikalienverzeichnis, in: Simrock-Jahrbuch III, hrsg. von Erich H. Müller, Leipzig 1930/34, S. 18–47); Deutsch, Thematisches Verzeichnis, passim; zu Schumann siehe (für D 840) Deutsch, Thematisches Verzeichnis, S. 529 f., hier S. 530; vgl. (mit weiteren Angaben) EH [Ernst Hilmar], Artikel SchubertSammlungen, in: Schubert-Lexikon (wie Anm. 5), S. 412 f., hier S. 412. 46 MJ [Margret Jestremski], Artikel Schumann Robert (Alexander) [sic!], in: Schubert-Lexikon (wie Anm. 5), S. 416 f., hier S. 416. 47 Siehe dazu Margit McCorkle, Johannes Brahms. Thematisch-Bibliographisches Werkverzeichnis, München 1984, S. 751 f. Vgl. zu Brahms’ Schubert-Editionen und -Bearbeitungen den Beitrag von Katrin Eich im vorliegenden Band (S. 253–270). 48 Siehe Brahms Briefwechsel 14 (wie Anm. 43), S. 121(−122); Kalbeck, Brahms II/1 (wie Anm. 38), S. 194; McCorkle, Brahms Werkverzeichnis (wie Anm. 47), S. (645–)647. Dies spiegelt sich auch in Formulierungen zweier unveröffentlichter Briefe des Verlegers Jakob Melchior Rieter-Biedermann an Eduard Schneider; sie stammen aus der Zeit vor der Veröffentlichung von Partitur, Klavierauszug, Orchester- und Chorstimmen sowie Franz Wüllners vierhändigem Klavierarrangement der Es-Dur-Messe im November 1865 bei Rieter-Biedermann und scheinen Brahms’ Anteil an der definitiven Gestalt des Klavierauszuges aus taktischen Gründen abzuschwächen: 13. Mai 1865: „Freund Brahms macht den Clavierauszug fertig.“ 1. Juli 1865: „Den Clavierauszug hat Freund Brahms im Einverständnisse mit Ihnen noch gründlich durchgesehen und Manches davon verändert.“ (Ungedruckter Briefwechsel zwischen Rieter-Biedermann und Eduard Schneider, A-Wst, Nachlaß Eduard Schneider, ZPH 606). Katrin Eich sei für den Hinweis auf die Briefe herzlich gedankt.
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licht, erklangen damals aber zum Großteil in öffentlichen Konzerten – teils unter seiner eigenen, teils unter fremder Leitung.49 Schubert-Aufführungen: Eine wichtige Kategorie innerhalb von Brahms’ SchubertRezeption spielen zweifellos seine Aufführungen von Schuberts Musik, wobei die pianistischen Aktivitäten die dirigentischen auch dann weit übertreffen, wenn man allein das öffentliche Spiel berücksichtigt.50 (Daß Brahms dabei die Entdeckung und Propagierung noch ungedruckter Kompositionen Schuberts reizte, liegt auf der Hand.51) Als D i r i g e n t setzte er sich als Chormeister der Wiener Singakademie und später als Artistischer Direktor der Gesellschaft der Musikfreunde sowie bei Gastdirigaten einerseits für einige der bereits erwähnten Lied-Orchestrierungen sowie für vier weitere Werke bzw. Werkausschnitte ein, nämlich für Joseph Joachims Orchestrierung des Grand Duo D 812 (1872), die Ouvertüre zu Fierrabras D 798 (1873), Schuberts Einlagearie zu Hérolds Oper Das Zauberglöckchen52 D 723 (1873, 1874) sowie Kyrie und Credo aus der As-Dur-Messe D 678 (1874). Daß er keine Symphonie und kein weiteres groß besetztes Werk Schuberts aufführte, dürfte mit den Wiener Musik- und Konzertverhältnissen, mit Brahms’ zeitlich begrenzten Wiener Engagements sowie mit der verständlichen Fokussierung auf eigene Werke bei Dirigiergastspielen hinreichend erklärbar sein. Quantitativ vielfältiger war der Einsatz des P i a n i s t e n Brahms für Schubert. Hier war er einerseits als Liedbegleiter aktiv, insbesondere in Kooperation mit Julius Stockhausen, mit dem er von 1856 bis 1869 neben zahlreichen Einzelliedern den Zyklus Die schöne Müllerin ganz oder – ebenso wie Gesänge aus der Winterreise – in Auszügen aufführte. In kammermusikalischer Hinsicht engagierte er sich insbesondere als Duopartner Joseph Joachims, wobei das Rondeau brillant eindeutig dominierte.53 Als Solopianist widmete sich Brahms intensiv eigenen Klavierübertragungen Schubertscher Märsche und des Scherzos aus dem Oktett, wobei er die Märsche rund 30 Jahre lang öffentlich spielte.54 Darüber hinaus scheint der Pianist Brahms nur vier 49 Siehe McCorkle, Brahms Werkverzeichnis (wie Anm. 47), S. 636–644 (Anh. Ia, Nr. 12–17); vgl. Hofmann, Chronologie (wie Anm. 11), S. (131)–132. 50 Die folgenden Ausführungen beziehen sich (ohne einzelne Seitenzahl-Nachweise) auf Hofmann, Chronologie (wie Anm. 11), S. 395–397 (Register) und passim. Nicht einbezogen wurden in die folgenden Ausführungen private Vorspiele und Proben, die in unterschiedlichen Textsorten der Brahms-Literatur – von der Brahms-Korrespondenz über Brahms-Biographien bis hin zu Brahms-Erinnerungen – erwähnt sind. Der letzte Nachweis privaten Musizierens betrifft bezeichnenderweise Brahms’ Mitwirkung bei der hausmusikalischen Wiedergabe von Schuberts Klaviertrio B-Dur op. 99 / D 898 am 27. Mai 1896 auf dem Hagerhof in Honnef (ebda., S. 308). 51 Für diesen Hinweis danke ich Katrin Eich. 52 Siehe dazu Christine Martin, Brahms entdeckt eine Arie von Schubert. Der Philologe und Interpret im Widerstreit zwischen Originaltreue und Bearbeitung, in: Brahms am Werk. Konzepte – Texte – Prozesse, hrsg. von Siegfried Oechsle und Michael Struck unter Mitarbeit von Katrin Eich, München 2016, S. 243–254. 53 Einmal kam aber auch Schuberts gewichtige C-Dur-Fantasie für Violine und Klavier D 934 zur Aufführung (Wien, 9. November 1867); außerdem soll Brahms bereits 1857 in den Detmolder Hofkonzerten, die freilich nicht ‚öffentlich‘ im bürgerlichen Sinne zu nennen waren, bei Aufführungen des Forellenquintetts und von „Violinsonaten“ Schuberts mitgewirkt haben; vgl. Hofmann, Chronologie , S. 97 bzw. S. 43 f. 54 Siehe den Beitrag Katrin Eichs (S. 253–270).
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Originalkompositionen Schuberts öffentlich aufgeführt zu haben: Die späte B-DurSonate D 960 war offenbar das einzige mehrsätzige Werk, das er vollständig konzertant darbot – wenn auch nur einmal.55 Hinzu kamen der Variationensatz der a-MollSonate op. 42 / D 845, das E-Dur-Adagio D 612 sowie ein Allegro aus den drei 1868 unter Mitwirkung von Brahms anonym herausgegebenen Drei Klavierstücken D 946 (Nr. 3 oder 156). So kann man Brahms’ Schubert-Repertoire außerhalb der numerisch stark vorherrschenden Liedbegleitungen als relativ schmal bzw. als ‚konzentriert‘ bezeichnen – als Werkbestand, den Brahms und seine Musizierpartner für öffentlich aufführbar hielten. Aufschlußreich ist in diesem Zusammenhang ein quantitativer Grobvergleich innerhalb von Brahms’ pianistischem und dirigentischem Gesamtrepertoire: Überschlägt man die in Hofmanns Aufführungs-Chronologie57 nachgewiesenen öffentlichen und privaten Wiedergaben f r e m d e r We r k e , so stehen die Kompositionen Schumanns mit deutlichem Abstand an der Spitze, gefolgt von Schubert. Auf dem dritten und vierten Platz liegen – in erheblicher Distanz zu Schubert, doch ihrerseits nahezu gleichauf – Beethoven und Bach. In künstlerisch-interpretatorischer Hinsicht bot sich Robert Schumann mangels pianistischer Wirkungsperspektiven nur in den drei Jahren seiner Düsseldorfer Dirigententätigkeit die Gelegenheit zum öffentlichen Einsatz für Schuberts Musik, sofern diese zu jener Zeit gedruckt vorlag. Dabei ermöglichte er zunächst als Konzertorganisator die Aufführung von fünf klavierbegleiteten Schubert-Liedern in Orchesterund Kammerkonzerten. Vor allem aber leitete er am 8. Januar 1852 Schuberts große C-Dur-Symphonie in einem Abonnementskonzert.58 Gerade weil das Werk in Düssel55 Die Aufführung erfolgte im Rahmen eines Wiener Konzertes mit Julius Stockhausen am 20. Februar 1869. Daß Brahms die gesamte B-Dur-Sonate Schuberts spielte, bekräftigen mehrere Wiener Rezensionen (siehe insbesondere die anonyme Kritik Concerte, in: Zellner’s Blätter für Theater, Musik und bildende Kunst, Jg. XV, Nr. 16 [Dienstag, 23. Februar 1869], S. [1]; vgl. A. M., Concerte, in: Neue Freie Presse, Nr. 1614, Donnerstag, 25. Februar 1869, Morgenblatt, S. [1]–[3], hier S. [2] f.; E. Schelle, Concerte, in: Die Presse, Jg. 22, Nr. 56 [Donnerstag, 25. Februar 1869], S. [1]–[3], hier S. [3]). Bereits in einem Brief vom 22. Februar 1856 hatte Brahms sich erfreut darüber geäußert, daß Clara Schumann bei ihren Wiener Konzerten auch Klavierwerke Schuberts vortrug, und die Bemerkung angeschlossen: „Wäre ich ein einigermaßen respektierter und zu respektierender Pianist, hätte ich schon längst eine Sonate (die in G z. B. [op. 78 / D 894]) öffentlich gespielt. Die muß ja die Leute entzücken, wenn sie schön gespielt wird.“ (Clara Schumann – Johannes Brahms. Briefe aus den Jahren 1853–1896, hrsg. von Berthold Litzmann, Bd. 1, Leipzig 1927, S. [176–]177). 56 Katrin Eich sei für den Hinweis gedankt, daß in einigen Fällen aus tonalen Gründen (Kopplung mit dem vorangehenden E-Dur-Adagio und dem abschließenden C-Dur-Marsch) eher Nr. 3 in Betracht kommt. 57 In dieser verdienstvollen Dokumentation gibt es im Hinblick auf die Musik Schuberts lediglich kleine Unschärfen in Gestalt von Überschneidungen. Dies betrifft beispielsweise die Nachweise zu den Stichworten „Fantasie G-Dur“ und „Klaviersonate G-Dur op. 78 D 894“, bei denen das gleiche, auf den ausgewerteten Konzertprogrammen offenbar unterschiedlich bezeichnete Werk gemeint gewesen sein dürfte, oder die fünf (ebenfalls den Benennungen auf den einzelnen Konzertprogrammen folgenden) Rubriken „Märsche für Klavier“, „Märsche op. 121, für zwei Hände bearbeitet von Brahms“, „Marsch aus op. 121 für zwei Hände bearbeitet von Brahms“, „Marsch C-Dur aus op. 121, für zwei Hände bearbeitet von Brahms“ und „Marsch“, die allesamt die Märsche op. 121 (D 968 B) betreffen (Hofmann, Chronologie (wie Anm. 11), S. 396). 58 Siehe Festschrift zur hundertjährigen Jubelfeier des Städtischen Musikvereins Düsseldorf u. zum hundertjäh-
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dorf schon 1840 durch Julius Rietz und 1849 durch Ferdinand Hiller aufgeführt worden war,59 ist bemerkenswert, daß Schumann anscheinend unbedingt die Gelegenheit nutzen wollte, dem früheren musikkritischen Wort über die Symphonie nun auch die dirigentische Tat folgen zu lassen. II. Kompositorische Schubert-Rezeption War das bisher erörterte Rezeptionsspektrum relativ eindeutig zu erfassen, so mutet die Frage nach Brahms’ und Schumanns kompositorischer Schubert-Rezeption weitaus heikler an. Das betrifft die Beziehung zwischen historischen Belegen und analytischen Befunden ebenso wie die Auseinandersetzung mit methodischen Problemen. Daß Schuberts Liedschaffen Schumann, Brahms und viele andere Komponisten anregte, ebenfalls Lieder zu komponieren, ist eine ebenso richtige wie triviale Feststellung. Und es kam bereits zur Sprache, daß Schuberts Tänze Schumann wie auch Brahms anregten, Schubertsche Variationen, Klaviersonaten sowie das Es-Dur-Trio den jungen Schumann stark beschäftigten und ihm kompositorische Anregungen boten und gerade der junge Brahms bei der Konzeption ‚großer‘ Formen von seiner Auseinandersetzung mit Instrumentalwerken Schuberts profitierte. Wie bedeutsam Schuberts große C-Dur-Symphonie für Schumanns B-Dur-Symphonie, die sogenannte Frühlingssymphonie, war, ist in der Schumann-Literatur so eingehend erörtert worden, daß auf Einzelnachweise verzichtet werden kann. Über Schumanns Besprechung von Schuberts C-Dur-Symphonie in der Neuen Zeitschrift für Musik hinaus finden sich bei ihm unmittelbar nach dem ersten Leipziger Probeneindruck Ende 1839 geradezu prognostische Aussagen über die inspirative Bedeutung des Werkes für sein eigenes Komponieren. So schrieb er noch am gleichen Tage an Ernst Adolf Becker: „Das hat mich wieder in die Füße gestachelt, nun auch bald an die Symphonie zu gehen, und bin ich erst im Frieden mit Clara vereint, so denk ich, soll noch etwas werden.“60 Unüberhörbar enthielt denn auch Schumanns rund dreizehn Monate nach dieser Äußerung begonnene B-Dur-Symphonie mit ihrem Hörnermotto zu Beginn der langsamen Einleitung ein unverkennbares Signal der Schubert-Anregung. Dennoch verfolgte Schumann ein konzeptionell autarkes Konzept motivischer Verdichtung, indem das Signalmotto der Introduktion thematisch-motivisch direkt in das Hauptthema des folgenden Allegro-Teils eingeht und in dessen Satzverlauf naherigen Bestehen der Niederrheinischen Musikfeste (Text: W.[ilhelm] H.[ubert] Fischer), Düsseldorf 1918, S. 108; abgebildet in: Schumanns rheinische Jahre, bearb. von Paul Kast, Düsseldorf 1981, S. 180; Ernst Burger, Robert Schumann. Eine Lebenschronik in Bildern und Dokumenten, Mainz etc. 1999, S. 278 f. 59 Siehe Festschrift Musikverein Düsseldorf (wie Anm. 58), S. 135. 60 Robert Schumanns Briefe. Neue Folge, hrsg. von F. Gustav Jansen, Leipzig 21904, S. (174–)175 (Brief vom 11. Dezember 1839). Wie bedeutsam Schuberts große C-Dur-Symphonie für Schumann war und blieb, ist noch daraus zu ersehen, daß dieser später im Ehetagebuch ausdrücklich die erste Konzertbegegnung seiner Frau Clara mit dem Werk vermerkte (Robert Schumann, Tagebücher, Bd. 2, hrsg. von Gerd Nauhaus, Leipzig 1987, S. 118 [Donnerstag, 29. Oktober 1840]).
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zu permanent präsent ist.61 Die Anregung durch Schuberts Symphonie und die Emanzipation von ihr sind die dialektischen Kräfte von Schumanns Schubert-Rezeption in der Frühlingssymphonie. Aufgrund einer wichtigen Datierungskorrektur zur Schumann-Mendelssohn-Korrespondenz ist inzwischen unzweideutig geklärt, daß dem Beginn von Schumanns Arbeit an seiner C-Dur-Symphonie op. 61 das Erlebnis einer Dresdner Aufführung von Schuberts großer C-Dur-Symphonie samt voraufgehenden Proben unmittelbar voranging.62 Nach konzeptionellen Parallelen zwischen beiden Werken dürfte man vergeblich suchen. Immerhin läßt sich eine zeitlich bemerkenswert direkt umgesetzte Reaktion des Symphonikers Schumann auf Schuberts Symphonie annehmen – eine Reaktion, die sich in diesem Fall darauf beschränkt zu haben scheint, eine ‚große‘ Symphonie in C-Dur zu schreiben.63 In der konzeptionellen Emanzipation von Schubert ging Schumann diesmal noch weiter als bei der B-Dur-Symphonie, indem das Blechbläser-Motto, mit dem die langsame Einleitung beginnt, in der C-Dur-Symphonie nunmehr das gesamte Werk umspannt, indem es in den Sätzen 1, 2 und 4 präsent ist. Liefern bei Schumann Tagebuchaufzeichnungen, Briefe, Rezensionen und kompositorische Befunde ein bemerkenswert dichtes und tragfähiges Informationsnetz im Hinblick auf analytische Untersuchungen seiner kompositorischen SchubertRezeption, so hat man es bei Brahms in dieser Hinsicht von vornherein weit stärker mit musikwissenschaftlichen Konstruktionen, Hypothesen und Spekulationen zu tun. Immer wieder müßte dabei jedoch die Frage nach der Plausibilität rezeptioneller Konstrukte, nach der Verbindlichkeit thematisch-motivischer, klanglicher und makrostruktureller Ähnlichkeiten, Affinitäten, Bezüge und Einflüsse gestellt, sollten vorgelegte Ergebnisse kritisch hinterfragt und differenziert werden. Die folgenden Ausführungen akzentuieren in dieser Hinsicht eine gewisse generelle Skepsis.64 61 Während Schubert das mottoartige Thema der langsamen Einleitung am Ende des Kopfsatzes noch einmal in verknappter Gestalt im Allegro-Duktus überhöhend aufgreift, verfährt Schumann grundsätzlich anders: Bei ihm hat das eröffnende Motto in der langsamen Einleitung keine thematische, sondern lediglich motivische Qualität, ist in dieser Eigenschaft dann aber über weite Strecken des Kopfsatzes hin motivisch bzw. rhythmisch präsent. Daraufhin gibt es am Satzende keine emphatische Überhöhung des Mottos, sondern die Präsentation eines neuen hymnisch-lyrischen Themas, das eine Brücke zum langsamen Satz bildet. 62 Schumann, Tagebücher 2 (wie Anm. 60), S. 408 (6., 9. und ab 12. Dezember 1845). Lange Zeit hatte man aufgrund eines Zuordnungs- und Datierungsfehlers in Jansens Briefausgabe annehmen müssen, daß Schumann bereits im September 1845 mit der Komposition seiner C-Dur-Symphonie begonnen hatte (Schumann, Briefe Neue Folge [wie Anm. 60], S. 249). Auf Grund der inzwischen erfolgten Richtigstellungen (u. a. in McCorkle, Schumann Werkverzeichnis [wie Anm. 22], S. 265; Schumann Briefedition, Serie II, Bd. 1: Robert und Clara Schumann im Briefwechsel mit der Familie Mendelssohn, hrsg. von Kristin R. M. Krahe u. a., Köln 2009, S. 222–226, 257–260) ist nun klar, daß Schumanns Mitteilung an Mendelssohn „In mir paukt und trompetet es seit einigen Tagen sehr (Trombe in C); ich weiß nicht was daraus werden wird.“ (ebda., S. 257) nicht vom 20. September, sondern vom 18. Dezember 1845 datiert. 63 Daß Schumann seine C-Dur-Symphonie später als „so ’ne rechte Jupiter“ bezeichnet und somit auf Mozarts C-Dur-Symphonie KV 551 bezogen haben soll, dürfte vor allem ein ironisches Spiel mit der Tonartidentität gewesen sein. Siehe dazu Wilhelm Josef [sic!] von Wasielewski, Robert Schumann. Eine Biographie, Leipzig 41906, S. 371. 64 Bei dieser Gelegenheit danke ich meinem Freund Robert Pascall für intensive Diskussionen über das Problem des „Einflusses“ – gerade weil unsere Einschätzungen in dieser Beziehung teilweise divergieren. Siehe Pascalls Beitrag im vorliegenden Band (S. 217–237).
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So plausibel die einschlägige umfangreiche Studie Websters über Brahms’ Orientierung an Spezifika Schubertscher Sonatensatz-Konzeptionen und Brodbecks Untersuchung der Relation von Brahmsschen und Schubertschen Walzerzyklen anmuten,65 so problematisch erscheinen demgegenüber bestimmte rezeptionelle Deutungen der Brahms-Literatur, die thematische Ähnlichkeiten als zitatartige Spiegelungen bewerten. Ob Brahms im langsamen Satz seines im Januar 1854 abgeschlossenen H-DurKlaviertrios wirklich Schuberts Lied Am Meer (Nr. 12 aus der 1829 posthum publizierten Liedersammlung Schwanengesang D 957) zitieren wollte, ja, ob er das Lied damals überhaupt kannte,66 ist ungeklärt. Gleiches gilt für das angebliche Beethoven-Zitat (aus Nr. VI des Liederkreises An die ferne Geliebte op. 98) im Finale des gleichen Trios, das in der Brahms-Literatur allzugern als musikalische Liebeserklärung an Clara Schumann gewertet wird, zumal schon Schumann diesen Gedanken wiederholt verwendet habe (Fantasie C-Dur op. 17, 1. Satz; Streichquartett F-Dur op. 41 Nr. 2, 4. Satz; Symphonie C-Dur op. 61, 4. Satz). Doch sollten vor solchen direkten Zuschreibungen einige zitattheoretische Grundsatzfragen geklärt werden, ehe diese und andere thematische Ähnlichkeiten als Zitate – also als intendierte Bezugnahmen – zu akzeptieren wären. So wäre zu fragen, ob die in der Schumann- und Brahms-Literatur offenbar erst nach Schumanns Tod entdeckten oder konstruierten Zitatkonnotationen67 entstehungsgeschichtlich überhaupt plausibel erscheinen. Kritisch zu prüfen ist außerdem, welche Funktion derartige Zitate innerhalb der jeweiligen Satz- und Werkdramaturgie überhaupt haben könnten, will man es nicht beim Nachweis einer kurz aufblitzenden, für die Werkkonzeption im übrigen konsequenzlosen Fremdreferenz belassen. Allzu häufig nämlich verbleiben Zitat-Nachweise und Zitat-Erörterungen in der Brahms-Literatur im Bereich freischwebender Spekulation, laufen allzuoft auf eine (angebliche) Anspielung auf Clara Schumann hinaus (so daß der Aussagewert solcher Zuschreibungen letztlich gegen Null tendiert) oder verraten mehr über Fantasiereichtum und Repertoirekenntnis des jeweiligen Autors, als daß sie im Hinblick auf die betreffenden Kompositionen mit kontext- und konzeptionsbezogener historisch-biographischer, ästhetischer, analytischer, sozialgeschichtlicher und widmungspsychologischer Argumentation überzeugen könnten.68 Natür65 Allerdings ist die ‚poetische‘ Aufladung der Tanzcharaktere für Brahms’ Walzer offensichtlich nicht mehr so bedeutsam wie für Schumanns Papillons mit ihrer Verwurzelung in Schuberts Klaviertänzen (vgl. oben S. 67). 66 In Hofmann, Chronologie (wie Anm. 11), S. 369 mit S. 84 und 219, sind für das Lied Am Meer D 957 Nr. 12 nur Aufführungen aus späteren Jahren (1865, 1883) nachgewiesen, an denen Brahms überdies nicht mitgewirkt zu haben scheint. 67 In Wasielewskis Schumann-Biographie, deren 1. Auflage 1858 erschien, findet sich der Hinweis auf die Ähnlichkeit (noch ohne die Vermutung eines Zitates) erst ab der 3. Auflage (Wilhelm Joseph von Wasielewski, Robert Schumann. Eine Biographie, Bonn 31880, S. 210, Anmerkung 1). 68 Dabei wäre zusätzlich nach der ästhetischen und psychologischen Plausibilität zu fragen: Ist die Vorstellung schaffenspsychologisch und menschlich schlüssig, daß der 20jährige Brahms kompositorisch auf Clara Schumann (als heimliche Widmungsträgerin?) hätte zielen wollen, indem er gleichsam ‚mit Schumanns Worten‘ aus Beethovens Liederkreis An die ferne Geliebte zitierte? Und wie überzeugend wäre die Annahme, daß Brahms die Schlußzeilen aus Heines Gedicht Am Meer („Mich hat das unglücksel’ge Weib vergiftet mit ihren Tränen.“) auf Clara Schumann hätte beziehen wollen?
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lich gilt all dies nicht allein im Hinblick auf Fragen und Probleme kompositorischer Schubert-Rezeption. Doch auch wenn man sich von der Kategorie des direkten Zitats hin zu offeneren Bezugsqualitäten wie Affinität, Anregung und Einfluß wendet, stellen sich Grundsatzfragen – beispielsweise werkgenetischer und schaffenspsychologischer Art: Ist beispielsweise die z e i t l i c h e Nä h e von (vermutetem) rezeptionellem Input und kreativem Output für sich genommen schon ein plausibles Indiz für kompositorische Rezeption? Immerhin sind im Falle Schumanns ganz unterschiedliche kreative Reaktionszeiten auf Schuberts C-Dur-Symphonie zu beobachten: von wenigen Tagen bis zu mehr als einem Jahr. Andere Fragen sind eher analytischer Art. Sie können bestimmte Instrumentations- und Klangkonstellationen Brahmsscher Werke betreffen, die wir auch aus Schuberts Schaffen kennen. Unter welchen Bedingungen können oder müssen wir sie aufeinander beziehen? Das gilt auch für die Fälle, in denen Brahms das Konzept einer Verschränkung von Reprise und Durchführungsprozeß aufgreift, das uns aus Finalsätzen Schubertscher Werke geläufig ist, bei Brahms aber alle Satztypen eines Sonatensatzzyklus prägen kann und jeweils zum Eindruck des zweifachen thematischen Kursus mit Tendenzen zur Ausbildung von Refrain- oder Ritornellstrukturen führt.69 Aber ist es unabdingbar, ist es hilfreich, wenn wir dabei immer wieder direkt auf Schubert rekurrieren und das Modell, ja den Topos des direkten Einflusses konstruieren? Wäre nicht eher eine Parallele zum Prozeß des Spracherwerbs zu ziehen, bei dem ein Kind zunächst den Wortschatz und Wortgebrauch der Eltern und anderer Orientierungspersonen übernimmt, zeitweise auch imitiert, also quasi ‚zitiert‘, dann aber aus den übernommenen Elementen seine eigene Sprech- und Ausdrucksweise entwickelt, die immer weniger im unmittelbaren Bezug zur Anfangsphase steht und immer mehr zum Rückgriff auf ein allgemein verfügbares Repertoire wird, dessen Elemente je nach Kontext sinnvoll eingesetzt werden? Vor allem aber sollten wir bei Diskussionen darüber, ob bestimmte Ähnlichkeiten als Resultate kompositorischer Schubert-Rezeption zu werten sind, die Möglichkeit zufälliger und ungesteuerter Ähnlichkeiten einkalkulieren – schon um nicht dem letztlich trivialen scheindialektischen Diktum anheimzufallen, auch Nicht-Einfluß sei Einfluß. Wie wäre unter solchen Voraussetzungen beispielsweise die Durchführungsphase im Finale von Brahms’ Klarinettentrio zu interpretieren? Auch in diesem Satz kehrt, wie eben angedeutet, nach dem Ende der Exposition das Anfangsthema in der Grundtonart a-Moll wieder, wenn auch nur rudimentär (T. 65/66 ff.). Ehe sich fünfzig Takte später erweist (T. 116 ff.), daß solche refrainartige Wiederkehr als Beginn einer gespreizten Reprise gelten muß, setzt ein Verarbeitungsprozeß ein, bei dem die bisher verborgenen Terzzellen des Hauptthemas freigelegt, im Zuge der modulatorischen Entwicklung an die Oberfläche des musikalischen Geschehens gespült und durch rhythmische Modifikationen zunehmend abstrahiert werden. Als Destillat des 69 Vgl. Robert Pascalls erhellenden Beitrag im vorliegenden Buch (S. 217–237, vor allem S. 226–233).
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Hauptthemas werden diese Zellen nun in veränderter motivischer Gestalt weiterverarbeitet (T. 77–104/105; siehe Beispiel 1).70 Fast unvermeidlich fühlt man sich im Verlauf dieser Durchführungsphase zunehmend an das Hauptthema des Kopfsatzes aus Brahms’ 4. Symphonie erinnert – oder zumindest an die in der Brahms-Forschung gängige analytische Interpretation, der zufolge sich das Thema per intervallische Abstraktion auf eine auftaktig rhythmisierte abfallende Terzkette zurückführen läßt. Freilich finden wir ähnliche destillierte Terzabstiege in einer ganzen Reihe Brahmsscher Werke, so daß man je nach Blickwinkel von einem motivisch-diastematischen Topos oder von Selbstreferenz sprechen könnte, die vom Scherzo der Klaviersonate C-Dur (T. 48–52) bis hin zum C-Dur-Intermezzo op. 119 Nr. 3 (T. 35–36) und dem dritten der Vier ernsten Gesänge reicht (T. 0/1–2, insbesondere in der Verschränkung von Gesang und Klavier). Ist es nun unter solchen Voraussetzungen überhaupt sinnvoll, diese idiomatische Konstante auch noch extern auf eine bemerkenswert ähnliche Passage aus dem langsamen Satz von Schuberts Klaviertrio in Es-Dur op. 100 (D 929) zu beziehen, das Brahms zweifellos gekannt, aber anscheinend nicht öffentlich gespielt71 oder privat kommentiert hat? Schuberts ebenfalls auftaktige Terzketten-Passage von T. 57/58–64, die sich bis T. 66/67 auspendelt, ist aus dem Seitenthema des Satzes abgeleitet (siehe Beispiel 2). Da absteigende Terzketten einerseits in Brahms’ Schaffen zu einem idiomatischen Signet geworden sind und andererseits erst im Klarinettentrio (sowie im analytisch faßbaren Substrat des Hauptthemas aus dem Kopfsatz der 4. Symphonie) unüberhörbar dicht an Schuberts Es-Dur-Trio rücken, dürfte es trotz der unverkennbaren Ähnlichkeit wenig ergiebig erscheinen, wollte man in der Brahmsschen Durchführungsphase ein Dokument der Schubert-Rezeption, also einen intendierten Rückgriff sehen. Hinzu kommt, daß im Finale von Brahms’ Klarinettentrio zwar die Terzkette der Durchführung an das thematische Material des Satzes selbst rückgekoppelt ist, im übrigen aber keine breitere konzeptionelle Berührungsfläche zwischen diesem Werk und Schuberts Es-Dur-Trio zu erkennen ist.
70 Erscheinen diese Elemente anfangs noch quasi figurativ in kurz-auftaktigen Terzabstiegen pro Halbtakt (T. 76/77–80), so werden sie anschließend in ebenfalls noch kurz-auftaktigen Ganztaktfolgen mit augmentiertem Zielton (T. 80/81–97) und schließlich in nur noch schwach auftaktig wirkender Terzverkettung von nunmehr quasi gleichen Notenlängen (T. 97/98–104/105) zur diastematischen Abstraktion bzw. zum thematischen Substrat des Hauptthemas. 71 Ohne eindeutigen Nachweis bei Hofmann, Chronologie (wie Anm. 11), S. 396 und passim. Zu Schuberts B-Dur-Trio op. 99 / D 898 vgl. oben Anmerkung 50.
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Beispiel 1: Johannes Brahms, Klarinettentrio a-Moll op. 114, 4. Satz, T. 74–105
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Beispiel 2: Franz Schubert, Klaviertrio Es-Dur op. 100 (D 929), 2. Satz, T. 56–68
Das abschließende zweite rezeptionskritische Beispiel weist über die Schubert-Rezeption von Schumann und Brahms hinaus. Die Anfänge zweier langsamer Symphoniesätze aus den 1820er bzw. 1830er Jahren, deren historisch früher liegender aus Schuberts großer C-Dur-Symphonie stammt (Beispiel 3), würden beim ersten Hören oder Lesen schnell der Vermutung Nahrung geben, der später entstandene Satz (Beispiel 4) zeige unverkennbar Schubert-Einflüsse: Der jeweilige marschartige Charakter des 2/4-Taktes, der längere oder kürzere Vorspann, das von der Solo-Oboe intonierte Mollthema und die charakteristische – wenn auch an unterschiedlichen Stellen des Satzbeginns auftretende – Klangkombination von Horn und Fagott im Begleitsatz scheinen mehr zu sein als eine generelle zarte „couleur locale“ oder „couleur du genre“. Stellt man zudem fest, daß der Komponist der später entstandenen Symphonie auf bemerkenswerte, wenn auch mit gewissen Risiken formaler Tragfähigkeit behaftete Weise versucht hat, einen ausgesprochen lyrischen Gedanken zur Grundlage des
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vorangehenden, fast 600 Takte umfassenden symphonischen Kopfsatzes72 zu machen, dann ist die Vermutung fast unausweichlich, daß wir es mit einem eindrucksvollen frühen Dokument intensiver Schubert-Rezeption zu tun haben.
Beispiel 3 (S. 81–83): Franz Schubert, Symphonie C-Dur D 944, 2. Satz, T. 1–20
72 Jener Gedanke umspannt den gesamten Kopfsatz netzartig.
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Beispiel 4 (S. 84–87): Norbert Burgmüller, 2. Symphonie D-Dur op. 11, 2. Satz, T. 1–30
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Dieses Beispiel stammt indessen aus der unvollendeten 2. Symphonie op. 11 des mit 26 Jahren verstorbenen Düsseldorfer Komponisten Norbert Burgmüller. Das Werk entstand – und das ist für die Frage nach einer möglichen rezeptionellen Abhängigkeit entscheidend – in den Jahren 1834–1835/36,73 zu einer Zeit also, als Schuberts große C-Dur-Symphonie zwar schon komponiert, aber selbst der Wiener musikalischen Öffentlichkeit noch nicht bekannt war. Überdies hat Burgmüller Wien offenbar niemals besucht,74 hatte also keinerlei Gelegenheit, Schuberts Symphonie auch nur vom Lesen her kennenzulernen. So ist in diesem Fall ein Schubert-Einfluß und somit eine rezeptionelle Beziehung auszuschließen. Reizvoll und ergiebig könnte es freilich sein, wollte man die beiden Symphonien in konzeptioneller Hinsicht gegeneinander halten – nicht im Hinblick auf Einflüsse und Abhängigkeiten, wohl aber als vergleichbare und vergleichenswerte Versuche, neben und nach Beethoven neue, lyrisch geprägte symphonische Konzeptionen zu entwickeln. Nicht ein einflußtheoretischer rezeptioneller Ansatz wäre hier angemessen, sondern ein entpersonalisierter intertextueller Ansatz, bei dem erst der Untersuchende eine Beziehung herstellt, nicht aber der untersuchten Komposition unterstellt wird, ihr Komponist habe bewußt oder unbewußt die Anbindung an ein präexistentes fremdes Werk oder Œuvre gesucht. Im Zentrum einer solchen intertextuellen Untersuchung stünde das, was beide Werke dem Beobachtenden in ihren konzeptionellen Voraussetzungen und kompositorischen Konsequenzen zu erkennen geben. Möglicherweise ist dies ein Ansatz, der jenseits nachweisbarer oder plausibler EinflußRelationen auch für die Relation von Werken Schuberts und Brahms’ fruchtbar zu machen ist und Analysierende davon entlastet, bei bestimmten Affinitäten sogleich direkte Einflüsse suchen, vermuten oder konstruieren zu müssen. *** Wie singulär ist also Johannes Brahms’ Schubert-Rezeption? Sie ist singulär, weil sich bei Johannes Brahms wie beim Vergleichskomponisten Robert Schumann jeweils ein individuelles Rezeptionsprofil abzeichnet, das von der betreffenden historischen Position mitbestimmt ist. Der Vergleich mit Schumanns Schubert-Rezeption hat gezeigt, daß es einerseits rezeptionelle Alleinstellungsareale gibt und andererseits parallele Aktionsfelder, die freilich unterschiedliche Schwerpunkte aufweisen können. So erscheint die Schubert-Rezeption von Brahms und Schumann in ihren Profilen letztlich vor allem komplementär und in dieser komplementären Relation erhellend.
73 Zum Werk und seiner Datierung siehe Klaus Tischendorf, Norbert Burgmüller. Thematisch-Bibliographisches Werkverzeichnis, unter Mitwirkung von Tobias Koch, hrsg. in Zusammenarbeit mit der NorbertBurgmüller-Gesellschaft Düsseldorf, Köln 2011, S. 91–106, hier S. 92. 74 Siehe dazu Klaus Martin Kopitz, Der Düsseldorfer Komponist Norbert Burgmüller. Ein Leben zwischen Beethoven – Spohr – Mendelssohn, Kleve 1998. In dieser Monographie werden auch Burgmüllers Reisen nach Berlin, Dresden, London, Aachen, Ehreshoven, Köln und Bonn erwähnt, während von Wien keine Rede ist.
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„… stowed away in the dusty cupboard of Dr. Schneider, in Vienna“? Eduard Schneider, Johannes Brahms und die Verwaltung des Schubert-Nachlasses in den 1860er bis 1880er Jahren Beschäftigt man sich mit der Wiener Schubert-Rezeption zu Brahms’ Zeit, mit deren Voraussetzungen und Umständen, so wird man einem Namen immer wieder begegnen: Dr. Eduard Schneider (1827−1889) spielte als Verwalter von Franz Schuberts musikalischem Nachlaß in den 1860er bis 1880er Jahren, also gerade zu der Zeit, als Johannes Brahms erstmals nach Wien reiste und schließlich dauerhaft in die Musikmetropole übersiedelte, eine wesentliche Rolle. Schneider war der Sohn von Franz Schuberts Schwester Maria Theresia, Jurist mit eigener Rechtsanwaltskanzlei Unter den Tuchlauben und Amateurmusiker.1 Anschaulich berichtete George Grove nach seinem Wiener Besuch im Jahr 1867, Schneider verwahre den musikalischen Nachlaß seines Onkels in einem „roomy cupboard“ in seiner Kanzlei.2 So avancierte Schneiders Büro in den 1860er Jahren zu einer geradezu unumgänglichen Adresse für Forscher, Verleger, Musiker, musikalische Institutionen sowie private Vereinigungen, und es verwundert nicht, daß der ‚Schubert-Schrank‘ auch Brahms’ Neugier weckte. Schon bei seinem ersten Aufenthalt in Wien im Herbst 1862 bis Frühjahr 1863 suchte Brahms den Kontakt zu Schneider und sichtete dessen Sammlung. Im Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien sowie in der Wienbibliothek im Rathaus befinden sich Konvolute noch unpublizierter Korrespondenz Schneiders, die wichtige Bausteine zur Geschichte der musikalischen Schubert-Quellen liefern und im Speziellen Aufschluß über die Rolle Schneiders bei der Verbreitung und Veröffentlichung von Schuberts Werken geben.3 Zwar ist kein direkter Briefverkehr zwischen Brahms und Schneider überliefert, doch erlaubt Schneiders Korrespondenz mit Dritten auch Rückschlüsse auf seine Beziehung zu Brahms. Auf der anderen Seite fällt in Brahms’ bereits publizierten Schreiben an Verleger und Freunde immer wieder der Name des
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Vgl. Ernst Hilmar, Art. Nachfahren, in: Schubert-Lexikon, S. 313 f.; Margret Jestremski, Art. Schneider Eduard, in: Schubert-Lexikon, S. 398. Zitiert nach Deutsch, Erinnerungen, S. 523. Vgl. zu diesem Zusammenhang auch Till Gerrit Waidelich, „nicht das Verdienst der im J. 867 nach Wien gekommenen Englishmen“? Legenden und Tatsachen zu Sullivans und Groves Sichtung des „staubigen“ Aufführungsmaterials von Schuberts Rosamunde-Musik (Teil II), in: Sullivan-Journal. Magazin der Deutschen Sullivan-Gesellschaft e. V. Nr. 13 ( Juli 2015), S. 18–32. Beide Konvolute enthalten in erster Linie Briefe an Schneider sowie einzelne Entwürfe für Antwortschreiben von Schneider (A-Wgm, Sign.: Korrespondenz Dr. Eduard Schneider; A-Wst, Sign.: ZPH 606).
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Schubert-Neffen.4 Die unveröffentlichte Korrespondenz Schneiders greift mit bereits publizierten Brahms-Briefen ineinander und erhellt so in anschaulichen Beispielen das Zusammenwirken von Schneider und Brahms bei der Beurteilung und Publikation der Schubertschen Werke. Der vorliegende Beitrag möchte anhand der erhaltenen Korrespondenz Schlaglichter auf dieses bislang wenig beleuchtete Beziehungsnetz wie speziell auf Schneiders strategisches Agieren als Nachlaßverwalter werfen.5 *** Die Geschichte der nachgelassenen Manuskripte Franz Schuberts ist ebenso komplex wie unübersichtlich, und im Rahmen der vorliegenden Darstellung kann nur ein zeitlich recht begrenzter Abschnitt näher in den Blick genommen werden. Die Orientierung mag dabei wenigstens ein kursorischer Überblick bis zu Beginn der 1860er Jahre erleichtern6: Schon als Schubert im November 1828 starb, waren seine Hinterlassenschaften keineswegs vollständig an einem Ort vereint. Dieser Umstand ist indes nicht allzu verwunderlich, verfügte Schubert doch die allerwenigste Zeit über eine eigene Wohnung, sondern lebte und arbeitete meist bei Freunden, zeitweise auch bei seiner Familie.7 Das Gros der musikalischen Handschriften dürfte sich im Jahr 1828 bei Schuberts Freund Franz von Schober befunden haben, bei dem der Komponist immer wieder, zuletzt bis August 1828, ein Quartier in der Inneren Stadt gefunden hatte.8 Hierauf zog Schubert zur erhofften Erholung von schwerer Krankheit in das Haus seines Bruders Ferdinand in der heutigen Kettenbrückengasse, wo er jedoch im November verstarb, so daß auch dort mehrere Handschriften verblieben.9 Noch dazu hatte Schubert wohl Manuskripte im Elternhaus in der Rossau zurückgelassen, bei Freunden wie Joseph von Spaun und Albert Stadler in Linz oder Anselm Hüttenbrenner in Graz etc., im Einzelnen läßt sich all dies schwer rekonstruieren.10 Ein Testament hinterließ Schubert nicht, und so wurde sein Bruder Ferdinand als ältester und gleichzeitig „musikalisch der Berufenste“ unter den Geschwistern von Johannes Brahms, Briefwechsel, 16 Bde., Berlin (1906) 1907–1922 (Reprint: Tutzing 1974). Ich danke Prof. Dr. Otto Biba für das Zugänglichmachen der Briefe im Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien sowie Dr. Till Gerrit Waidelich für das freundliche Überlassen von zahlreichen Transkriptionen von Schneider-Briefen aus der Wienbibliothek im Rathaus (Sign.: ZPH 606). Der im folgenden zitierte, ebenfalls in der Wienbibliothek im Rathaus unter der Signatur ZPH 606 verwahrte Briefwechsel zwischen Schneider und Rieter-Biedermann liegt dort zudem in maschinenschriftlicher Übertragung von Ignaz Weinmann vor (Briefwechsel des Musikverlegers J. Melchior Rieter-Biedermann mit Franz Schuberts Neffen Dr. Eduard Schneider, zusammengestellt von Ignaz Weinmann, maschinenschriftlich bzw. xerokopiert, Wien, o. J. [1974], Sign.: C 293945). 6 Siehe hierzu ausführlicher etwa Walther Dürrs Einleitung zu dem in Vorbereitung befindlichen Band der NGA VIII/7: Quellen I. Franz Schuberts Autographe; Margret Jestremski, Art. Nachlaß, in: SchubertLexikon, S. 314−316. 7 Vgl. Ernst Hilmar, Art. Wohnungen, in: Schubert-Lexikon, S. 512 f. 8 Deutsch, Erinnerungen, S. 441. 9 Deutsch, Erinnerungen, S. 441; Walther Dürr, Zur Rezeption des Schubertschen Werkes. Urteile und Vorurteile im 19. Jahrhundert, in: Schubert-Handbuch, S. 114−132, hier S. 116. 10 Jestremski, Nachlaß (wie Anm. 6), S. 314. 4 5
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der Familie zum Nachlaßverwalter bestimmt.11 Ferdinand begann hierauf, die erhaltenen Manuskripte, soweit als möglich, zusammenzutragen.12 Schober etwa übergab nach eigenen Angaben die bei ihm befindlichen Manuskripte „mit solcher Gewissenhaftigkeit der Familie“, daß er „von seiner [Schuberts] Handschrift nur ein Heft […] zum Andenken“ behielt.13 Zudem bemühte Ferdinand sich um die posthume Veröffentlichung von ungedruckten Werken. Noch Ende des Jahres 1828 verkaufte er den Verlegern Tobias Haslinger und Joseph Czerny einzelne Handschriften, worauf beide sogleich öffentlich deren Drucklegung ankündigten.14 Einen ungleich größeren Teil, „sämtliche“ Lieder, aber auch Klavier- und Kammermusik, kaufte im folgenden Jahr Anton Diabelli; hiervon ausgenommen waren laut Kaufvertrag die größer besetzten Werke: „1. Alle Opern, 2. Oratorien, 3. die Kantaten für ein ganzes Orchester, 4. alle mehrstimmigen Gesänge, 5. die Sinfonien, 6. die Ouvertüren u 7. Messen.“15 Diese bedeutende Sammlung sollte im Jahr 1858 mit Übernahme des Diabelli-Verlages an den Verlag Carl Anton Spina übergehen. Offenkundig war Ferdinand auf der einen Seite daran interessiert, auch die bei ihm verbliebenen Handschriften zu veräußern bzw. zur Veröffentlichung zu bringen. So schaltete er im April 1835 international Anzeigen in verschiedenen musikalischen Zeitschriften16 und verkaufte daraufhin mehrere Manuskripte. Parallel zu all diesen Veräußerungen bemühte er sich auf der anderen Seite jedoch fortwährend, den Nachlaß seines Bruders zusammentragen, indem er etwa einzelne, bei dessen Freunden befindliche Manuskripte einforderte.17 Nach dem Tod Ferdinands im Jahr 1859 wurden die bei ihm verbliebenen Handschriften zunächst zur Schuldendeckung beschlagnahmt und zum Verkauf angeboten.18 Immerhin ein Teil der Musikalien konnte jedoch kurz darauf in Familienbesitz zurückgelangen − und die Verwaltung dieses Teilnachlasses übernahm ab 1860 Schuberts Neffe Eduard Schneider.19 Aus einem in der Wienbibliothek im Rathaus erhaltenen Konzept Schneiders für ein Schreiben an Franz Espagne vom 7. Juli 1860 wissen wir, daß er damals bereits „vor einigen Tagen das Übereinkommen definitiv abgeschlossen“ hatte, „wodurch die vorhandenen Franz Schubert’schen Manuscrip11 12 13 14 15 16
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Deutsch, Erinnerungen, S. 441; siehe auch Walther Dürr, Ferdinand Schuberts ‚Schubert-Schrank‘ (Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien und Wiener Stadtbibliothek), in: NGA VIII/8: Quellen II. Franz Schuberts Werke in Abschriften: Liederalben und Sammlungen, Kassel 1975, S. 111−122. Vgl. Jestremski, Nachlaß (wie Anm. 6), S. 315. Deutsch, Erinnerungen, S. 486. Schubert. Dokumente 1817–1830, S. 458 und 466. Siehe Ferdinands Schreiben an Diabelli vom 29. November 1829, in: Deutsch, Erinnerungen, S. 445 ff.; Dürr, Rezeption des Schubertschen Werkes (wie Anm. 9), S. 117. So in der NZfM, im Allgemeinen musikalischen Anzeiger und in der Gazette musicale, siehe u. a. Deutsch, Erinnerungen, S. 450 f. Auf die Anzeige in der NZfM hin besuchte Robert Schumann Ferdinand Schubert in Wien und setzte sich bei Breitkopf & Härtel für die Publikation der Werke Franz Schuberts ein; siehe dazu die Korrespondenz in Deutsch, Erinnerungen, S. 451 ff. Jestremski, Nachlaß (wie Anm. 6), S. 315. Deutsch, Erinnerungen, S. 443. Siehe auch Ludwig Speidels Artikel Franz Schubert in Wien – Geschrieben bei Gelegenheit der ersten Aufführung der Operette: ‚Der häusliche Krieg.‘ −, in: Das Vaterland, 2. Jg., Nr. 56 (8. März 1861), S. [1]. Deutsch, Erinnerungen, S. 443.
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te“ in seine „Disposition“ übergegangen waren. Versicherte Schneider zwar selbst von vornherein, er sei „vom Wunsche geleitet, die Schubert’schen Manuscripte dem Schicksale der Zersplitterung oder des gänzlichen Verschwindens zu entreißen“20, so hatte er sich dennoch schon bald gegen Vorwürfe zu wehren, er sei einzig daran interessiert, die Handschriften rentabel zu veräußern. So nahm etwa der Musikkritiker Ludwig Speidel die erfolgreiche Wiener Aufführung des Schubertschen Singspiels Die Verschwornen D 787 im März 1861 zum Anlaß, die ungünstige Situation des zersplitterten Nachlasses generell zu problematisieren und im Speziellen zu bemängeln, daß die ursprünglich von Ferdinand verwaltete Sammlung inzwischen „leider an einen Verwandten Schuberts“ gegangen sei, der „nun darauf bedacht ist, die einzelnen Werke zum besten Preis an den Mann zu bringen. So wird die ganze Sammlung verschleudert werden. Wer denkt bei solchem Falle nicht an die Pflichten einer Hofbibliothek, wer nicht, wenn diese sich indifferent verhält, an die Gesellschaft der Musikfreunde? Es ist ein Jammer, mit ansehen zu müssen, mit welcher Mißachtung die Stadt Wien einen ihrer genialsten Söhne behandelt.“21
Schneider setzte dieser Kritik umgehend eine energische, an den Mittelsmann Johann Herbeck adressierte Replik entgegen, die ebenfalls in der österreichischen Tageszeitung Das Vaterland abgedruckt wurde: „Geehrter Herr Director! Im gestrigen ‚Vaterland‘ findet sich ein Artikel, worin Herr sp. sein Bedauern ausdrückt, daß der Schubert’sche Nachlaß in den Besitz eines Verwandten Schubert’s gekommen ist, der, wie sich Herr sp. ausdrückt, darauf bedacht ist, die einzelnen Werke zum besten Preise an den Mann zu bringen, wobei die ganze Sammlung verschleudert werden wird. Sie wissen, Herr Director, daß ich dieser Verwandte bin, und ich hoffe, Sie werden aus unsern bisherigen Beziehungen die Ueberzeugung geschöpft haben, daß ich in Angelegenheiten der Kunst nicht unedler denke als Herr sp., daß ich Privatinteressen, seien es meine oder fremde, nie mit Hintansetzung der höchsten Kunstinteressen oder der den Manen Schuberts schuldigen Pietät zur Geltung kommen lassen werde, und daß kein Kunstfreund Ursache hat, zu bedauern, daß Schubert’sche Werke in meinen Besitz gekommen sind. Ich darf mich daher durch die Behauptung des Herrn sp., welche in meinem bisherigen Vorgehen nicht den geringsten Anhaltspunct einer Begründung findet, auf das tiefste verletzt fühlen, um so mehr, da, wie Sie wissen, die drohende Gefahr der Verschleuderung oder Zersplitterung eben auch mit Hilfe meiner Intervention beseitigt wurde. Da Sie nun in persönlicher Beziehung zu Herrn sp. stehen, welchen ich nicht kenne, so würden Sie mich sehr verbinden, wenn Sie Herrn sp. in obiger Beziehung beruhigen, und wo möglich auch dahin wirken würden, daß er seiner Beruhigung über das fernere Schicksal der in meinen Händen befindlichen Schubert’schen Werke in einer der Fortsetzungen seines Aufsatzes oder sonst im ‚Vaterland‘ Ausdruck gebe. […]“22 20 A-Wst, Sign.: ZPH 606. 21 Speidel, Franz Schubert in Wien (wie Anm. 18), S. [1]. 22 Das Vaterland, 2. Jg., Nr. 64 (17. März 1861), S. [2], mit dem abschließenden Kommentar: „Die Ausfälle in unserem neulichen Artikel gingen nach ganz anderen Seiten als unser Briefschreiber meint. Unter Verschleuderung verstanden wir ein stückweises Losschlagen der noch unedirten Werke Schubert’s, und
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Diese intrikaten Verhältnisse blieben auch Brahms nicht verborgen. Schon bei seinem ersten Wiener Aufenthalt 1862/63 wurde ihm die Problematik der auseinandergerissenen musikalischen Hinterlassenschaft durchaus bewußt, und so berichtete er dem befreundeten Verleger Carl Melchior Rieter-Biedermann am 18. Februar 1863 aus Wien: „Eine schöne Sache ist hier, daß die Verleger Schuber tsche Manuskripte gar als Beilage geben können, was denn freilich sehr verlockend für unsereinen ist! Überhaupt verdanke ich die schönsten Stunden hier ungedruckten Werken von Schuber t , deren ich eine ganze Anzahl im Manuskript zuhause habe. So genußvoll und erfreuend aber ihre Betrachtung ist, so traurig ist fast alles, was sonst daran hängt. So z. B. habe ich viele Sachen hier im Manuskript, die Sp ina oder Sc h n eider gehören, und von denen es nichts weiter als das Manuskript gibt, keine einzige Kopie! und die Sachen werden bei Sp ina so wenig als bei mir in einem feuerfesten Schrank aufbewahrt. Zu unglaublich billigem Preis kam neulich noch ein ganzer Stoß ungedruckter Sachen zum Verkauf, den zum Glück noch die Gesel l schaf t der Musi k f reunde erwarb. Wie viel Sachen sind zerstreut, da und dort bei Privatleuten, die entweder ihren Schatz wie Drachen hüten oder sorglos verschwinden lassen.“23
Brahms’ Beobachtung führt eindrücklich die paradoxe Wahrnehmung Schuberts in dieser Zeit vor Augen: Wurde der Komponist einerseits bereits als ‚Klassiker‘ verehrt, dessen erste große Lebensbeschreibung im Jahr 1861 mit Kreißles Biographischer Skizze erschienen war, so ließ andererseits die Anerkennung seines Gesamtschaffens noch auf sich warten, von einer Kanonisierung gar nicht zu reden. Schließlich schätzte das breite Publikum bis ins späte 19. Jahrhundert doch vorrangig – und vorbehaltlos – den Liedkomponisten Schubert, was unter anderem freilich daran lag, daß ein erheblicher Teil des Œuvres schlichtweg unbekannt war. Ungleich schärfer als Brahms, ja fast polemisch hatte Speidel schon im März 1861 in der oben erwähnten Kritik moniert, mit welch „kleinlichen, sein Vaterland und Volk tief beschämenden Hindernissen eine unbefangene Wertschätzung“ Schuberts „zu kämpfen“ habe. Neben dem Versäumnis des Staates und musikalischer Institutionen, den Schubert-Nachlaß zusammenzuhalten, kritisierte Speidel mit Nachdruck, daß die noch lebenden „Colporteure der Freundschaft Schubert’s“ es schlichtweg versäumt hätten, „vergilbte Handschriften Schubert’scher Werke aus dem Staub musikalischer Rumpelkammern zu ziehen und die öffentliche Aufmerksamkeit darauf zu lenken“.24 Tatsächlich waren damals Schneider und Carl August Spina die beiden wichtigsten Besitzer von Schubert-Manuskripten. Auf dem Weg der teils mühsamen und langwierigen Verlagsverhandlungen bis damit dieser Fall nicht eintreten könne, hätten wir gewünscht, den Nachlaß im Besitze einer öffentlichen Bibliothek oder eines unternehmenden Musikverlegers zu sehen. Ob Herr Dr. Schneider beim besten Willen in der Lage ist, gegen eine Verschleuderung in obigem Sinne zu bürgen, darüber zu urtheilen, hat er uns nicht in Stand gesetzt. Natürlich hoffen wir das Beste.“ 23 Johannes Brahms im Briefwechsel mit Breitkopf & Härtel, Bart[h]olf Senff, J. Rieter-Biedermann, C. F. Peters, E. W. Fritzsch und Robert Lienau, hrsg. von Wilhelm Altmann, Berlin 1920 (Johannes Brahms Briefwechsel XIV), S. 77. 24 Speidel, Schubert in Wien (wie Anm. 18), S. [1].
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hin zur Veröffentlichung Schubertscher Werke sollte Brahms in den folgenden Jahren eine nicht zu unterschätzende Rolle als Vermittler, Berater und auch Herausgeber einnehmen. Schon einige Monate vor Brahms’ Lagebericht aus Wien, am 18. November 1862, hatte Rieter-Biedermann sich an Schneider gewandt und nachdrücklich Interesse an der Herausgabe der Ouvertüre zu Schuberts Oper Alfonso und Estrella D 732 sowie gegebenenfalls an „noch anderen Frz. Schubert’schen Kompositionen“ bekundet.25 Diese Ambitionen dürften wohl nicht zuletzt auf die kurz zuvor in Frankfurt erfolgte gelungene Aufführung der Ouvertüre zurückzuführen sein.26 Da Rieter-Biedermann auf seine Anfrage keine Antwort erhalten hatte, hakte er im Januar 1863 nochmals nach und bekräftigte, er möchte sich „nur schwer von den Gedanken trennen […], ein Werk Frz. Schubert’s im Verlag übernehmen zu können […]“.27 Als auch dieses Schreiben ohne Erwiderung blieb, tauschte der Verleger sich mit Brahms aus. Offenbar hatte der Komponist in Wien bereits regen Kontakt mit Schneider gehabt, denn Mitte Mai 1860 teilte Brahms dem Verleger verheißungsvoll mit: „Wegen Sc hu ber t und einer möglichen Verknüpfung des schönen Namens mit dem Ihren habe ich vielfach gesprochen mit Besitzern Schuber tscher Handschriften. […] Der Schwestersohn von Schuber t ist ein Doktor der Rechte Eduard Schneider, Wien, Josefstadt, Schlösselgasse Nr 2. Dieser besitzt sehr viel Handschriften (6 Sinfonien etc.) und ist sehr geneigt, mit Ihnen zu korrespondieren. Einen Brief von Ihnen muß er wohl nicht empfangen haben, denn er sagte mir nichts davon. (Ich vergaß zu fragen.) Ich habe ihm oft von Ihnen gesprochen, und haben Sie Lust, so schreiben Sie nur an ihn. Er ist sehr liebenswürdig und musikalisch und hat das uneigennützigste Interesse für die Sache.“28
Rieter-Biedermann liebäugelte indes nicht nur mit der Veröffentlichung der Partitur der Ouvertüre zu Alfonso und Estrella, sondern ebenso mit der Publikation des damals jedoch schon von Spina gedruckten vierhändigen Klavierarrangements der Ouvertüre.29 Eine fragwürdige Klausel in dem Vertrag, den noch Diabelli mit Ferdinand Schubert geschlossen hatte, sicherte Spina noch dazu vermeintlich die Rechte an allen unveröffentlichten Werken Schuberts, was die Sache zusätzlich verkomplizierte.30 25 A-Wst, Sign.: ZPH 606. Rieter-Biedermann bezog sich dabei auf einen Hinweis des Frankfurter Musikdirektors Henkel. Das Autograph der Ouvertüre befand sich indes vermutlich seit April 1835 beim Verlag Diabelli & Co. (später C. A. Spina) und ging 1872 in den Besitz des Nachfolgeverlags von Spina, Friedrich Schreiber, über (NGA II/6, Kritischer Bericht, S. 22 f.). 26 Vgl. NGA II/6a, S. XX. Siehe auch das Schreiben der Frankfurter Museums-Concerte an Schneider vom 9. März 1863: „Im philharmonischen Vereinsconcert wurde vor einigen Monaten die Ouvertüre zu Alphonso und Estrella von Franz Schubert aufgeführt und gefiel sehr […]“ (A-Wgm, Sign.: Korrespondenz Dr. Eduard Schneider, Frankfurt a. M. 10). 27 Rieter-Biedermanns Schreiben an Schneider vom 22. Januar 1863 (A-Wst, Sign.: ZPH 606). 28 Brahms Briefwechsel XIV (wie Anm. 23), S. 79 f. 29 Das Arrangement war zuerst im Jahr 1826 bei Sauer & Leidesdorf in Wien, irrtümlich unter der Opuszahl 52, erschienen; ca. 1830 erschien ein Nachdruck bei Diabelli & Co. als op. 69 (Deutsch, Thematisches Verzeichnis, S. 465). 30 Deutsch, Erinnerungen, S. 446; Dürr, Quellen I (wie Anm. 6).
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Auch hierüber war Brahms, der schließlich auch in der Hoffnung auf die Publikation eigener Werke in Kontakt mit Spina stand, bestens informiert, und so erklärte er Rieter-Biedermann weiter: „Nun findet sich jedoch in dem Kontrakt, den Sp ina mit Ferd inand Schuber t gemacht hat, die Klausel, daß ihm das Verlagsrecht gehöre von allen Schuber tschen Werken, die jetzt in seinem Besitz sind und die sich irgendwann und wo finden mögen! Dies soll vor Gericht nicht durchzuführen sein, wie mir Fachleute sagen, und Sp ina selbst die Unhaltbarkeit des Kontrakts belächeln. Der Besitz des Manuskripts allein gibt aber doch auch kein Recht zur Herausgabe? Und so müßten Sie vor allem selbst wissen, wie weit Sie vor Sp ina Rücksicht nehmen.“31
Noch immer einer Reaktion Schneiders harrend, wandte Rieter-Biedermann sich am 4. September 1863 ein drittes Mal an den Schubert-Neffen und berief sich dieses Mal auf Brahms: „Schon im November vorigen Jahres [= 1862] fragte ich Sie von Leipzig aus an, ob und zu welchen Bedingungen Sie geneigt wären, mir das Recht einer Orchester-Ausgabe von Franz Schubert’s Ouverture zu ‚Alphonso und Estrella‘ abzutreten. Meine beiden hierauf bezüglichen Briefe müssen Ihnen jedoch, wie ich zu meinem Erstaunen durch Herrn Brahms vernahm, nicht zugekommen sein, weshalb ich nun mit Gegenwärtigem mir erlaube, meine Anfragen zu wiederholen.“32
Auch dieses Schreiben blieb letztlich erfolglos. Zu einer Veröffentlichung der Ouvertüre durch den Verlag Rieter-Biedermann sollte es nicht kommen, stattdessen erschien deren Erstdruck in Partitur im Jahr 1867 bei C. A. Spina in Wien. Im Dezember 1863 teilte Brahms Rieter-Biedermann auf dessen verschollene Nachfrage hin mit, Dr. Schneider habe „freilich“ einen Brief von ihm erhalten, er selbst habe Schneider aber „lange nicht gesehen“, sonst würde er „gewiß Entschuldigungen und was sonst mitzuteilen haben.“ Weiter berichtete Brahms, Schneider habe „leider von Schuber tschen Werken nur den ‚Fierrabas‘ [sic!], eine große historische Oper, zu verkaufen!“ Tatsächlich war Schneider zu der Zeit im Besitz der autographen Partitur. Brahms’ offene Einschätzung: „[…] davon ist die Ouvertüre bereits vorzeiten bei Sp ina erschienen! Die Musik ist freilich schön, aber der Text jedenfalls ganz umzuarbeiten − das ganze Unternehmen wäre sehr weitläufig, denn wenn man zugleich an Aufführungen dächte, müßte die Umdichtung vorher geschehen.“33
31 Brahms Briefwechsel XIV (wie Anm. 23), S. 79. 32 A-Wst, Sign.: ZPH 606. 33 Brahms’ Schreiben an Rieter-Biedermann vom 16. Dezember 1863 (Brahms Briefwechsel XIV [wie Anm. 23], S. 82).
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sowie das negative Urteil Hermann Levis, dem Brahms das Manuskript im Februar 1865 mit der Bitte, ob er „wohl die Pietät und die Aufopferung“ hätte, sich gemeinsam mit dem Karlsruher Intendanten Eduard Devrient „die Oper in Bezug auf theatralische Aufführungen anzusehen“ schickte,34 dürften Rieter-Biedermann damals vom Kauf abgehalten haben. So wurde die Partitur der Oper erst im Rahmen der Alten Schubert-Ausgabe gedruckt. Rieter-Biedermann blieb jedoch hartnäckig und bemühte sich weiter, doch seinen „längst gehegten Wunsch noch in Erfüllung gehen zu sehen […]“: Nachdem Spina ihm mittlerweile ebenso grundsätzlich wie undefiniert „seine Einwilligung zur Herausgabe einiger Schubertschen Werke“35 gegeben hatte, bat Rieter-Biedermann Schneider nun, ihm „schnellst möglich diejenigen Werke zu nennen, zu deren Veröffentlichung“ er ihm „am ehesten rathen“ könnte. Zudem sollte Brahms, der sich den Winter über in Wien aufhielt,36 seine Expertise abgeben: „Freund Brahms wird in dieser Angelegenheit, vornehmlich in Bezug auf die Wahl der Werke, auch mit Ihnen sprechen.“37 Am 2. März 1865 bekundete Rieter-Biedermann gegenüber Schneider Interesse an der Herausgabe eines Klavierauszugs zu Fierabras; er habe bereits bei Spina angefragt, ob er gegebenenfalls „ein zweihändiges Arrangement der Ouvertüre derselben vorandrucken“ dürfe.38 Doch auch diese Veröffentlichung scheiterte schließlich an der fehlenden Zustimmung Spinas. Am 17. März informierte Rieter-Biedermann Schneider, was „die Oper Fierabras anbetrifft, so scheint es, als ob Herr Spina seine Zustimmung zu deren Herausgabe nicht zu ertheilen geneigt sei […]. Ich würde somit wohl darauf verzichten müssen […].“39 In Absprache mit Brahms wurden für Rieter-Biedermann stattdessen die beiden Messen in Es (D 950) und in As (D 678) ausgewählt, von denen Schneider jeweils Abschriften besaß.40 Diese Manuskripte hatte Brahms wohl im Februar 1865 zur Ansicht an Rieter-Biedermann geschickt,41 und noch im selben Jahr konnte durch die ver34 Brahms’ Schreiben an Levi von Ende Januar 1865 (Johannes Brahms im Briefwechsel mit Hermann Levi, Friedrich Gernsheim sowie den Familien Hecht und Fellinger, hrsg. von Leopold Schmidt, Berlin 1910 [Brahms Briefwechsel VII], S. 18); siehe auch Levis Antwort vom 2. Februar 1865 an Brahms, in: ebda., S. 22). 35 Rieter-Biedermanns Schreiben an Schneider vom 27. Januar 1865 (A-Wst, Sign.: ZPH 606). Vgl. hierzu Brahms’ Schreiben an Rieter-Biedermann vom 20. November 1864: „Möchte nun Herr Spina Ihnen jetzt beweisen, daß die wohlbekannte Wiener Liebenswürdigkeit auch mehr bedeutet als ein bloßes Aushängeschild“ (Brahms Briefwechsel XIV [wie Anm. 23], S. 113). 36 Renate und Kurt Hofmann, Johannes Brahms. Zeittafel zu Leben und Werk, Tutzing 1983 (Publikationen des Instituts für Österreichische Musikdokumentation 8), S. 66. 37 Rieter-Biedermanns Schreiben an Schneider vom 27. Januar 1865 (A-Wst, Sign.: ZPH 606). 38 A-Wst, Sign.: ZPH 606. 39 A-Wst, Sign.: ZPH 606. 40 In Schneiders Besitz befand sich eine von ihm selbst angefertigte (?) Partitur- und Stimmenabschrift der Messe in Es (Schneider.-Verz. 12, 63, 329, 520) sowie bis mindestens 1870 eine Partiturabschrift der ersten Fassung der Messe in As von Ferdinand Schubert. Letzteres Manuskript erwarb Brahms später, vermutlich von Schneider; es wird heute im Brahms-Nachlaß in A-Wgm (Sign.: I. 25167) aufbewahrt (NGA I/3, Kritischer Bericht, S. 18). 41 Siehe Rieter-Biedermanns Schreiben an Schneider vom 2. März 1865: „Vor einigen Tagen erhielt ich von Herrn Brahms die Nachricht, daß er die beiden Schubert’schen Messen bereits an mich abgesandt habe
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einten Kräfte von Brahms, Schneider und Rieter-Biedermann die Drucklegung von Partitur und Klavierauszug der Messe in Es gelingen. Herausgeber der Partitur war Franz Espagne, der Zugang zu dem schon damals in der Königlichen Bibliothek (heute: Staatsbibliothek) zu Berlin verwahrten Partiturautograph hatte.42 Vermittelt hat diese Herausgeberschaft höchstwahrscheinlich Schneider, der seit 1860 mit Espagne in Kontakt stand.43 Zumindest Teile des Klavierauszugs hatte ursprünglich Schneider angefertigt, jedoch übernahm Brahms letztendlich nicht nur deren gründliche Revision, sondern auch die Fertigstellung, wie Rieter-Biedermann Schneider am 13. Mai 1865 wissen ließ: „Herr Brahms macht den Klavierauszug fertig.“44 Am 1. Juli fügte Rieter-Biedermann erläuternd hinzu: „Ich hoffe Clavierauszug und Chorstimmen spätestens Anfangs September, Partitur und Orchesterstimmen Anfangs October veröffentlichen zu können. […] Den Clavierauszug hat Freund Brahms im Einverständnisse mit Ihnen noch gründlich durchgesehen und Manches davon verändert.“45
Am 24. November 1865 konnte Rieter-Biedermann nach einigen Verzögerungen schließlich Partitur und Klavierauszug druckfrisch an Schneider senden.46 Zuvor hatte Brahms wiederum Levi gebeten, seine Arbeit noch einmal durchzusehen: „Ich denke es wird Dir der Mühe des Aus- u. Einpackens werth sein, wenn ich ein Stück Schubert’scher Messe statt direkt an Rieter erst Dir zuschicke. Indes muß ich jetzt bitten es möglichst gleich weiter nach Winterthur (unfrankiert) zu spedieren, da (durch Allgeyer) die Geschichte schon einige Tage verzögert ist. Ich habe das Stück Clavier-Auszug gemacht, das fehlte, und Du, der Du ein Clavier zu Haus hast, kannst diesen nebenbei ansehen, ob er bis auf Kleinigkeiten passieren kann, die bei der Revision zu ändern sind.“47
Während hier wie in dem Schreiben Rieter-Biedermanns nur von einer Fertigstellung des Klavierauszugs die Rede ist, erklärte Brahms Josef Gänsbacher im Juni 1865 dagegen, er habe den von Schneider angefertigten Teil „mit viel Liebe“ so stark revidiert, „daß es schließlich nöthig war, einen ganz neuen Auszug zu schreiben, in dem kein Takt vom früheren geblieben ist.“ Schließlich scheine es ihm die Hauptsache, daß das Werk „möglichst künstlerisch und anständig, wie sich’s bei dem Mann und unserer
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und daß Sie sich bereit erklärt hätten, mir dieselben ohne irgend welche Bedingung zu freier Disposition stellen zu wollen.“ (A-Wst, Sign.: ZPH 606). Siehe auch Rieter-Biedermanns Schreiben an Schneider vom 13. Mai 1865, in dem es heißt, „daß in Angelegenheit der Schubertschen Es-Messe mit Herrn Fr. Espagne nun alles geordnet ist und daß derselbe selbst die Copie mit dem Originale zu vergleichen die Freundlichkeit hat“ (A-Wst, Sign.: ZPH 606). Siehe Espagnes Schreiben an Schneider vom 2. Mai 1860 (A-Wst, Sign.: ZPH 606). A-Wst, Sign.: ZPH 606. A-Wst, Sign.: ZPH 606. Rieter-Biedermanns Schreiben an Schneider vom 24. November 1865 (A-Wst, Sign.: ZPH 606). Brahms Briefwechsel VII (wie Anm. 34), S. 24 f. (hier undatiert).
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Liebe für ihn schickt, in die Welt gesandt wird.“48 Da der Wiener Jurist Gänsbacher mit Schneider bekannt war, sollte er einmal vorfühlen, wie der Schubert-Neffe Brahms’ offenbar rigorose Änderungen aufnehmen würde. Auch war die Frage zu diskutieren, unter wessen Herausgeberschaft der Klavierauszug erscheinen sollte: „Was wird nun Dr. Schneider sagen? Schreib’ mir doch darüber. Ich konnte nicht anders thun, sonderlich da er bescheiden u. liberal genug mir Alles überließ. Wird er seine[n] Namen auf der fremden Arbeit leiden, es ist wohl vielleicht beleidigend wenn ich’s stillschweigend dabei laße. Mir ist es in allem Ernst u. einfach einerlei! Wollte er’s nicht, so setzte ich vielleicht m. Namen drauf, doch nur, weil der Verleger gern einen Namen f. d. Sache hat u. ich gern zeige daß ich Schubert gedient. Es ist (zum Ueberfluß bemerkt) auch sonst durchaus keine Geschäftssache bei mir gewesen.“49
Der Klavierauszug erschien letztlich weder unter Schneiders noch unter Brahms’ Namen, sondern anonym.50 Weniger günstig verliefen für Rieter-Biedermann die Verhandlungen bezüglich der Messe in As. Da das Autograph nach dem Tod Ferdinands in den Besitz der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien gelangt war,51 erhob diese offenbar rechtliche Ansprüche.52 Noch am 19. April 1870 klagte Brahms als Mittelsmann vor Ort gegenüber Rieter-Biedermann: „Es ist eine dumme Sache mit der Messe, und ich fürchte, es wird nicht Gescheidtes dabei herauskommen. Die Partitur (von Ferd . Schuber t) und den Klavierauszug habe ich − Schneid er scheint sie mir durchaus lassen zu wollen. Dagegen aber meint er, habe er der Direktion [der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien] gelegentlich das Versprechen gegeben, die Messe solle nicht durch ihn zum Druck oder nur zur Aufführung kommen. […] Mit der Direktion wird nichts anzufangen sein. Wollen Sie noch an Dr. Schneider schreiben? Es ist ärgerlich. Alles liegt in schönster Ordnung bei mir. Der Klavierauszug gut revidiert etc. Wenn nur Schneider über sein Bedenken zu bringen wäre. […] Ich weiß weiter nicht zu raten und hoffen kann ich ebenso wenig.“53
Nachdem Brahms das Kyrie und Credo der Messe am 2. März 1874 im Großen Musikvereins-Saal in Wien noch aus ungedrucktem Material aufgeführt hatte,54 erschien das Werk 1875 bei Spinas Nachfolger Friedrich Schreiber.55 Wiederum war Brahms im Üb48 Max Kalbeck, Johannes Brahms, Bd. II, Halbbd. 1, Berlin 31921 (Reprint: Tutzing 1976), S. 197. 49 Unpubliziert, Briefautograph in A-Wgm, Sign.: Briefe Johannes Brahms an Josef Gänsbacher 4. Dr. Vasiliki Papadopoulou sei herzlich für die Übertragung gedankt. 50 Siehe hierzu auch Kalbeck, Johannes Brahms II/1 (wie Anm. 44), S. 197 f. 51 NGA I/3a, S. X f. 52 Siehe Rieter-Biedermanns Schreiben an Schneider vom 2. März 1865 (A-Wst, Sign.: ZPH 606). 53 Brahms Briefwechsel XIV (wie Anm. 23), S. 187 f. 54 Renate und Kurt Hofmann, Johannes Brahms als Pianist und Dirigent. Chronologie seines Wirkens als Interpret, Tutzing 2006 (Veröffentlichungen des Archivs der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien 6), S. 138. 55 Offenbar hatte noch Spina das Verlagsrecht und auch das Autograph später von der Gesellschaft der Musikfreund in Wien erworben (NGA I/3a, S. X f).
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rigen direkt an der Veröffentlichung beteiligt, insofern er die frühe Partiturabschrift Ferdinands mit dem später von Schubert noch geänderten Autograph abglich. Die von Brahms nach der zweiten Fassung korrigierte Partiturabschrift Ferdinand Schuberts diente denn auch als Stichvorlage für den Erstdruck bei Schreiber.56 Nachdem die Herausgabe der Messe in As nicht zustande kam, fragte RieterBiedermann seit 1865 bei Schneider immer wieder nach „kleinere[n] Werke[n] Schubert’s“,57 auch die Veröffentlichung der Sinfonien, „doch wohl wenigstens theilweise“ oder in „vierhändigem Arrangement“,58 reizte ihn – Schneider möge doch „mit Freund Brahms“ darüber sprechen und bald eine Rückmeldung geben.59 Im Jahr 1867 konnten immerhin die drei nachgelassenen Klavierstücke D 946, von denen Schneider die autographen Manuskripte besaß,60 in Zusammenarbeit von Brahms, Schneider und Rieter-Biedermann zur Veröffentlichung gelangen. Galt Brahms lange Zeit als anonymer Herausgeber,61 so ist inzwischen anzunehmen, daß vornehmlich Schneider für die Edition verantwortlich zeichnete. Brahms’ Beteiligung dürfte sich in diesem Fall mehr oder weniger auf die Vermittlung zwischen Schneider und Rieter-Biedermann beschränkt haben.62 *** Parallel zu den Verlagsverhandlungen wurden zahlreiche Anfragen von Konzerthäusern bzw. musikalischen Vereinen aus dem In- und Ausland nach Aufführungsmaterial und Aufführungsbedingungen von Werken Schuberts an Schneider herangetragen. Überraschenderweise waren vornehmlich Schuberts Bühnenwerke von Interesse, ungleich seltener etwa die frühen Sinfonien. Nachdem Schuberts „große“ C-Dur-Sinfonie D 944 in Frankfurt seit 1841 bereits mehrfach erfolgreich aufgeführt worden war, erkundigte sich immerhin der Vorstand der dortigen Museumskonzerte am 9. März 1863, „ob denn keine der ersten sechs Symphonien von Franz Schubert zur Aufführung geeignet ist. […] es ist doch kaum glaublich, daß wenigstens die der großen C dur Symphonie vorausgehenden Symphonien nicht gleichfalls von Bedeutung seyn sollen.“63
56 NGA I/3, Kritischer Bericht, S. 20. 57 Rieter-Biedermann an Schneider vom 24. November 1866 (A-Wst, Sign.: ZPH 606). 58 Rieter-Biedermann an Schneider vom 24. November 1865 (A-Wst, Sign.: ZPH 606 [Übertragung von Ignatz Weinmann]). 59 Rieter-Biedermann an Schneider vom 24. November 1866 (A-Wst, Sign.: ZPH 606). 60 Vgl. NGA VII/2, Bd. 5, Kritischer Bericht, S. 74 mit Fußnote 55 und S. 76. Heute befinden sich die Manuskripte in A-Wst, Sign.: MH 143/c (Nr. 1 und 2) und MH 144/c (Nr. 3). 61 Siehe etwa Deutsch, Thematisches Verzeichnis, S. 607, oder Margit L. McCorkle, Johannes Brahms. Thematisch-bibliographisches Werkverzeichnis, München 1984, S. 752. 62 Siehe hierzu Brahms’ Schreiben an Rieter-Biedermann vom 17. Januar 1867, 2. August 1867 und 10. November 1867 (Brahms Briefwechsel XIV [wie Anm. 23], S. 138, 149 und 150 f.); Andrea Lindmayr-Brandl, Johannes Brahms und Schuberts „Drei Klavierstücke“ D 946. Entstehungsgeschichte, Kompositionsprozess und Werkverständnis, in: Die Musikforschung 53 (2000), S. 134–144, sowie Katrin Eichs Beitrag in vorliegendem Band, S. 261 f. mit Anmerkung 47. 63 A-Wgm, Sign.: Korrespondenz Dr. Eduard Schneider, Frankfurt a. M. 10.
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Am 23. Januar 1865 folgte die konkrete Nachfrage: „Wir wünschen sehr, diejenigen drei Symphonien von Franz Schubert, welchen der letzten Symphonie in C dur […] vorausgehen, nämlich Symphonie in d (comp. 1815) Trag. Symph. in C moll (comp. 1816) Sechste Symph. in C dur (comp. 1818) entweder ganz oder bruchstückweise (wie dies 1860 in Wien geschehen) aufzuführen. […] Wir erlauben uns nun bei Ihnen anzufragen, ob Sie nicht geneigt wären, uns Copien dieser Werke anfertigen zu laßen […].“64
Gefragt waren also die Sinfonien Nr. 3 D-Dur (D 200), Nr. 4 c-Moll (D 417) und Nr. 6 C-Dur (D 589), deren autographe Handschriften sich damals bei Schneider befanden.65 Die weitere Korrespondenz mit den Frankfurter Museumskonzerten ist nicht erhalten, muß aber negativ verlaufen sein, denn nach der Wiener Aufführung der 6. Sinfonie im März 1829 erklang das Werk, soweit bekannt, erst wieder im Jahr 1868 unter der Leitung August Manns in London.66 Auch eine Aufführung der 3. und 4. Sinfonie ist in Frankfurt zu diesem Zeitpunkt nicht nachgewiesen. Offenbar teilte Schneider mit Brahms die Skrupel vor einer Veröffentlichung der „Jugendsinfonien“ Schuberts. Deutlich wird dies in einem zwei Jahre später entstandenen Brief von Brahms an Rieter-Biedermann, in dem er dem Verleger, der sich für den Druck der Sinfonien interessierte, berichtete, Schneider sei „sehr unschlüssig − oder eigentlich schlüssig, die Sinfonien nicht herausgeben zu wollen.“ Der um Rat gefragte Brahms selbst schien nicht weniger unschlüssig, denn weiter heißt es: „Nun fragt er mich freilich, aber auch ich mag nicht ja sagen und zwar durchaus auch in Ih rem Interesse. Will Sp ina für Schuber t ein Übriges tun, so kann er es sehr wohl. Erfolg ist nämlich nicht anzunehmen. Einzelne Sätze wären für Orchester interessant genug, vieles à 4 mains; wer will aber hineinschneiden? Ich nicht. Vor allem ist die gewohnte Länge der Sachen bedenklich etc. etc.“67
Hierzu ist Brahms’ späteres Schreiben an Breitkopf & Härtel vom 26. März 1884 zu vergleichen, das sich auf das in Planung befindliche Gesamtausgabenprojekt der Alten Schubert-Ausgabe bezieht. Wiederum riet Brahms von der Veröffentlichung der frühen Sinfonien, die er als „Vorarbeiten“ bezeichnete, aus Gründen der Pietät ab: „Ich meine, derartige Arbeiten oder Vorarbeiten sollten nicht veröffentlicht werden, sondern nur mit Pietät bewahrt und vielleicht durch Abschriften mehreren zugänglich gemacht werden. Eine eigentliche und schönste Freude daran hat doch nur der Künstler, der sie in ihrer Verborgenheit sieht und – mit welcher Lust – studiert!“68
64 A-Wgm, Sign.: Korrespondenz Dr. Eduard Schneider, Frankfurt a. M. 11. 65 NGA V/2, Kritischer Bericht, S. 14, 39 f. und 72. 66 Wolfram Steinbeck, ‚Und über das Ganze eine Romantik ausgegossen‘. Die Sinfonien, in: Schubert-Handbuch, 550−669, hier S. 610. 67 Brahms’ Schreiben vom 17. Januar 1867 (Brahms Briefwechsel XIV [wie Anm. 23], S. 137 f.). 68 Ebda., S. 353. Vgl. auch Brahms’ Schreiben an Ernst Rudorff vom 1. November 1877 (Johannes Brahms
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Zwar hatte Schneider etwa George Grove im Jahr 1871 erlaubt, Abschriften der frühen Sinfonien „aus D, B, und C dur“ für Aufführungen im Londoner Crystal Palace anzufertigen, eine Weitergabe der Manuskripte untersagte er zunächst jedoch streng, wie Groves Schreiben an Schneider vom 29. Dezember 1871 dokumentiert.69 Auf die durch Grove vermittelte Anfrage des Verlegers Carl Friedrich Peters in Leipzig stellte Schneider diesem im Jahr 1873 schließlich doch „Copien zur Veröffentlichung“70 der Sinfonien 1−3 und 6 zur Verfügung. Nach einer Durchsicht der Manuskripte kam jedoch der Verlag selbst zu der Entscheidung, daß die Werke für eine Publikation „nicht bedeutend“ genug seien.71 Die frühen Sinfonien wurden zuletzt trotz aller Bedenken im Rahmen der alten Schubert-Ausgabe von Brahms herausgegeben. In erster Linie beziehen sich die im Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien und in der Wienbibliothek im Rathaus erhaltenen Anfragen jedoch auf Schuberts Bühnenwerke und in den allermeisten Fällen auf das einaktige Singspiel Die Verschwornen (Der häusliche Krieg) D 787. Das mag nun zunächst verwundern, ist doch die Skepsis der Zeitgenossen wie generell des 19. Jahrhunderts gegenüber Schubert als Theaterkomponist bekannt. Zwar machen die Bühnenwerke einen erheblichen Teil des Schubertschen Œuvres aus, doch blieb der erhoffte Erfolg damals – wie eigentlich bis heute – aus: Von den elf vollständigen Bühnenwerken konnten zu Lebzeiten des Komponisten nur drei (Die Zwillingsbrüder, Die Zauberharfe und die Schauspielmusik zu Rosamunde) überhaupt zur Aufführung gelangen, ganz zu schweigen von den sieben fragmentarisch überlieferten Werken.72 Publiziert wurde zu Schuberts Lebzeiten keines der Bühnenwerke. Öffentlich uraufgeführt wurden Die Verschwornen konzertant erst am 1. März 1861 im alten Wiener Musikvereinssaal Unter den Tuchlauben, die szenische Uraufführung folgte am 29. August 1861 im Stadttheater Frankfurt. Die Korrespondenz Schneiders ermöglicht Einblicke in die Vorverhandlungen der Frankfurter Aufführung: Nachdem vom Frankfurter Theater am 21. März 1861, also kurz nach der konzertanten Wiener Erstaufführung, die Frage nach Textbuch und Aufführungsrecht an Eduard Schneider erging, holte dieser erst einmal Erkundigungen bei dem offenbar mit ihm bekannten Frankfurter Opernsänger Carl Baumann ein und bat ihn um Vermittlung. Im Schneider-Nachlaß ist ein Entwurf dieses Schreibens an Baumann erhalten, in dem es heißt: „Sie haben wohl erfahren, welchen Enthusiasmus […] hier [in Wien] die 2 malige concertweise Auffüh[run]g der Schubert’schen 1actigen Oper: Der häusliche Krieg hervorgebracht hat. Ich wurde nun von dem dortigen [Frankfurter] Capellmeister, Herrn Golter[mann] angegangen, ihm die Bed[in]g[un]gen der Üb[er]lassung des Aufführungsrechtes dieser Oper an
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im Briefwechsel mit Karl Reinthaler, Max Bruch, Hermann Deiters, Friedr. Heimsoeth, Karl Reinecke, Ernst Rudorff, Bernhard und Luise Scholz, hrsg. von Wilhelm Altmann, Berlin 21912 [Brahms Briefwechsel III], S. 172). A-Wst, Sign.: ZPH 606. Schneiders Schreiben an Carl Friedrich Peters vom 17. März 1873 (A-Wst, Sign.: ZPH 606). Carl Friedrich Peters Schreiben an Schneider vom 22. August 1873 (A-Wst, Sign.: ZPH 606). Siehe etwa Ulrich Schreiber, Glücklose Liebe zum Theater. Die Bühnenwerke, in: Schubert-Handbuch, S. 304−344, hier S. 304 ff.; Hans-Joachim Hinrichsen, Franz Schubert, München 2011, S. 62 ff.
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katharina loose-einfalt das Frankfurter Theater mitzutheilen. Meine Unkenntniß der dortigen Verhältnisse bestimmt mich, mich an Sie zu wenden. Die erste Rücksicht ist die [einer] immer würdigen Aufführung, welche um so mehr zu beachten ist, da dies möglicher Weise die erste Aufführung im Theater sein wird […]. Ich […] bitte Sie, dahin zu wirken daß […] alles geschehe, was zur vollen Geltendmachung ihres musik. Werthes nötig ist. Was das Honorar anbelangt, so halte ich einen B[e]t[ra]g. von Zweihundert Gulden […] für das Aufführungsrecht an der dortigen Bühne für nicht übertrieben, wobei sich von selbst versteht, daß mir die Verlagsrechte und das Recht, die Aufführung an anderen Bühnen zu gestatten, vorbehalten bleiben. […] so bitte ich Sie, mir Mittheil[un]g zu machen, u. mir offen Ihre Meinung zu sagen, was nach Ihrer Ansicht angemessen und erreichbar ist, um das Hin- u Herfeilschen zu vermeiden.“73
Gänzlich blieb das „Hin- und Herfeilschen“ denn doch nicht aus. Solches läßt zumindest ein auf den 1. Juni 1861 datierter Entwurf für ein weiteres Schreiben Schneiders stark vermuten: „Auf Ihre gesch[ätzte] Zuschrift […] beehre ich mich zu erwiedern, daß ich mich mit dem angebethenen Honorar von 80 fl. Gulden süddeutscher Wäh[run]g dann begnüge, wenn mir außerdem die Copierungs-Kosten der Partitur wenigstens theilweise ersetzt werden. Die Copiatur hat nämlich gekostet circa 22 f ö[sterreichischer]W[ährung] oder mit Rücksicht auf das Agio auf Silber reduzirt, 16 f öW oder 18 f süddeutsch. Es ergäbe sich dennoch eine Summe von 98 f welche ich aber auf Neunzig Gulden süddeutscher Währung abzurunden bereit bin, gegen dem daß mir dieser Betrag innerhalb acht Tagen nach Empfang der Partitur u. des Textbuches, entweder in Silber franco eingesendet oder nach Ihrem Bedenken hier in Wien in Silber oder in österr. Banknoten nach dem Courswerthe zur Auszahlung angewiesen wird. Da ich unter den obwaltenden Umständen billiger Weise auch keine Transportkosten auf mich nehmen kann, so bitte ich Sie, mich auch wissen zu lassen, durch welche Gelegenheit ich Ihnen die bereit liegende Partitur senden soll, da Sie vielleicht durch Buchhändlergelegenheit […] bedeutend an Porto ersparen können.“74
Nicht nur in diesem Fall trat Schneider als resoluter Verhandlungspartner auf. Kurz darauf erhielt er aus Frankfurt das gewünschte Honorar von 90 Gulden süddeutscher Währung, und am 30. August folgte die freudige Nachricht: „es wird Sie gewiß freuen, wenn ich Ihnen mittheile, daß gestern Abend (29 Aug.) Schubert’s Oper ‚der häusliche Krieg‘ zum ersten Male auf der Frankfurter Bühne gegeben ist. Die Oper hat außerordentlich gefallen, sämmtliche Nummern, ohne Ausnahme, wurden mit Beifall ausgezeichnet, und am Schluß sämmtliche Darsteller nebst Chor gerufen.“75
73 A-Wgm, Sign.: Korrespondenz Dr. Eduard Schneider, Konzepte für Antwortschreiben 3. 74 A-Wgm, Sign.: Korrespondenz Dr. Eduard Schneider, Konzepte für Antwortschreiben 4. 75 A-Wgm, Sign.: Korrespondenz Dr. Eduard Schneider.
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Die Verschwornen wurde die zu Brahms’ Zeit am häufigsten aufgeführte SchubertOper,76 woran Eduard Schneider sicher einen großen Anteil trug. Schneider selbst fertigte einen Klavierauszug an, der 1862 bei Spina in Wien im Druck erschien.77 In erster Linie war Schneider offenbar an dem Bekanntwerden der Oper gelegen. Anfragen aus Privatkreisen scheint er ebenso befürwortet zu haben wie diejenigen größerer Institutionen. Dabei setzte er den Preis für das Aufführungsrecht generell moderat an und ließ diesbezüglich durchaus − in einem gewissen Rahmen − mit sich verhandeln. Hierzu sei als abschließendes Beispiel der Briefwechsel mit dem Dresdner Hoftheater angeführt: Nachdem das Theater Interesse an einer Aufführung der Verschwornen bekundet hatte, veranschlagte Eduard Schneider den Preis von 80 Talern. Die Antwort war deutlich: „Das von Ihnen bestimmte Honorar 80 Thlr erscheint etwas zu hoch gestellt, und habe ich Ihnen für die Partitur ein Honorar von 50 Thlr. nebst 10 Thlr. für die Copiatur, also im Ganzen 60 Thlr. vorzuschlagen.“ Schneiders Einwilligung muß prompt erfolgt sein, denn schon kurz darauf schickt das Hoftheater 60 Taler als „Honorar für Buch, Partitur und alleiniges Aufführungsrecht der Oper ‚Der häusliche Krieg‘ […] für Dresden“.78 *** Eduard Schneider als Nachlaßverwalter Schuberts hatte seinerzeit verschiedentlich mit dem Vorwurf zu kämpfen, er halte mit Auskünften zurück und verfolge persönliche Interessen. Eine britische Rezension der Aufführung von Schuberts 4. Sinfonie im Londoner Crystal Palace vom Februar 1881 etwa polemisierte, die 4. Sinfonie sei wie viele andere Werke Schuberts in Schneiders Schubert-Schrank eingeschlossen gewesen, bis George Grove sie im Jahr 1869 entdeckt habe: „This symphony (like many other compositions of Schubert) was stowed away in the dusty cupboard of Dr. Schneider, in Vienna, until the year 1869, when Mr Grove discovered the hidden treasures.“79 Diese Bemerkung ist gleich mehrfach unzutreffend: Zum einen wurde die Sinfonie nicht etwa in London uraufgeführt, sondern schon am 19. November 1849 in Leipzig.80 Zum anderen fand Grove bei seinem Besuch in Wien im Oktober des Jahres 1867 (!) gar nicht das Autograph der 4. Sinfonie vor, wie er später selbst berichtete („The original appears to be lost; at any rate, neither Schneider, Spina, nor Kreissle, knew anything of it.“81), sondern lediglich eine Partiturabschrift.82 Das Original befand sich zu diesem Zeitpunkt vermutlich schon beim Verlag Peters in Leipzig, der im Jahr 76 Vgl. etwa Schreiber, Die Bühnenwerke (wie Anm. 72), S. 332. 77 Deutsch, Thematisches Verzeichnis, S. 481. 78 Carl Krebs’ Schreiben vom 10. Januar 1862 sowie das Schreiben der General-Direktion der Königlich Sächsischen musikalischen Kapelle und des Hoftheaters vom 22. Januar 1862 (A-Wgm, Sign.: Korrespondenz Dr. Eduard Schneider, Dresden 1 und 2). 79 The Monthly Musical Record, 1. April 1881, S. 74. 80 NGA V/2, Kritischer Bericht, S. 14. 81 George Grove, Appendix, in: Heinrich Kreissle von Hellborn, The Life of Franz Schubert, übersetzt von Arthur Coleridge, Bd. 2, London 1869, S. 297–332, hier S. 308. 82 Vermutlich die Abschrift des Wiener Kopisten Franz Hlawaczek, die Grove jedoch für die Handschrift Ferdinand Schuberts hielt; siehe NGA V/2, Kritischer Bericht, S. 14 und 35.
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1871 den zweiten Satz herausbrachte.83 Dennoch kam Schneider noch im Juni 1884 in einem Brief an Max Friedländer auf diese Kritik zurück, wie aus einem erhaltenen Entwurf für ein Antwortschreiben hervorgeht: „Was den berühmten ‚dicken Staub‘ anbelangt, so ist wohl die vom Monthly Musical Record im J[ahr] [1]881 (wie ich glaube, ohne Mr Groves’s Zuthun) in die Welt geschickte Ente, als hätte der letztere die Sinfonien (wovon ja schon 1860 mehrere Sätze hier öffentlich aufgeführt wurden) erst im J.[ahr] [1]867 bei mir entdeckt, bereits als abgethan zu betrachten.“84
In den Jahren 1881 bis 1883 hatte Eduard Schneider ohnehin bereits den Großteil seiner Schubert-Handschriften an den Wiener Industriellen und Kunstmäzen Nicolaus Dumba verkauft, darunter insbesondere autographe Bühnenwerke, die Messe in FDur sowie die Autographe der Sinfonien Nr. 1–3 und 6.85 In Schneiders Besitz verblieben lediglich einzelne Handschriften und Drucksachen, die er dem Projekt der Alten Schubert-Ausgabe in den 1880er Jahren offenbar bereitwillig zur Verfügung stellte. Auf Anfrage Nicolaus Dumbas hin übersandte er etwa im März 1884 umgehend Ferdinand Schuberts Partiturabschrift des Fierabras sowie das zugehörige Textbuch für die Drucklegung.86 Ebenso stand Schneider mit Johann Nepomuk Fuchs, dem Herausgeber des Ouvertüren-Bandes der Alten Schubert-Ausgabe, in Austausch und überließ ihm zu Editionszwecken verschiedenes Notenmaterial.87 Fraglos muß Schneider zu Gute gehalten werden, daß er nach dem Tod Ferdinand Schuberts den Splitternachlaß in Familienbesitz zusammenhielt.88 Seine Aufgabe sah er nach eigenen Worten darin, die Manuskripte „stets für die Eingeweihten zugänglich zu erhalten.“89 Nach Durchsicht der Briefkonvolute kann ihm eine Hermetisierung der Handschriften sicher nicht vorgeworfen werden. Die erhaltenen Entwürfe für Antwortschreiben Schneiders dokumentieren anschaulich, wie sorgfältig er Inhalte und Wortwahl bedachte und überarbeitete. Zahlreiche Werke Schuberts konnte Schneider, teilweise unter direkter Mitarbeit, zur Drucklegung befördern. Auch dürfte es maßgeblich auf sein reges Engagement zurückzuführen sein, daß Die Verschwornen in den 1860er und 1870er Jahren zu erstaunlicher Popularität gelangten. So erscheint Richard von Pergers Charakterisierung des Schubert-Neffen in seinem Nachruf in der Allgemeinen Kunst-Chronik von 1889 recht treffend: 83 Siehe hierzu Gustav Nottebohm, Thematisches Verzeichniss der im Druck erschienenen Werke von Franz Schubert, Wien 1874, S. 205, mit Besitzvermerk zum Autograph bei Peters. 84 A-Wgm, Sign.: Korrespondenz Dr. Eduard Schneider, Konzepte für Antwortschreiben 9. 85 Deutsch, Erinnerungen, S. 443. 86 Dumbas Schreiben an Schneider vom 19. Februar 1884 mit Schneiders Vermerk, er habe Dumba am 4. März 1884 Kopien von Ouvertüre und Partitur sowie das Textbuch zu Fierrabras geschickt (A-Wgm, Sign.: Korrespondenz Dr. Eduard Schneider, Dumba 3). 87 Siehe hierzu die Korrespondenz in A-Wgm, Sign.: Korrespondenz Dr. Eduard Schneider, Johann Nepomuk Fuchs. 88 Vgl. auch Andrea Lindmayr-Brandl, Franz Schubert. Das fragmentarische Werk, Stuttgart 2003 (Schubert : Perspektiven – Studien 2), S. 315. 89 Schneiders Entwurf für ein Schreiben an Franz Espagne vom 7. Juli 1860 (A-Wst, Sign.: ZPH 606).
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„Wie begreiflich, waren es vor Allem die Tondichtungen Schubert’s, für die Schneider schwärmte und die er mit einer Genauigkeit kannte und verstand, die jedem Fachmanne zur Ehre gereichen würde. […] Schneider war zu früherer Zeit im Besitze höchst werthvoller Manuscripte aus dem Nachlasse Schubert’s; durch ihn gelangten Werke, wie die Oper ‚Fierabras‘, die Musik zu ‚Rosamunde‘, eine Messe u. A. m. in die Oeffentlichkeit. Auch von der Operette ‚Der häusliche Krieg‘ besass Schneider die Originalpartitur. Die genannten Manuscripte sind zum grossen Theile in den Besitz des Herrn Nicolaus Dumba übergegangen. [… Schneider war ein] reichbegabter Musikfreund […], zu seinem Scharfsinn, seinem Witz und Humor gesellte sich gar oft ein herber, sarkastischer Zug, welcher nicht dazu angethan war, ihn liebenswürdig zu machen. Unter der harten, knorrigen Schale lag aber ein goldener Kern; sein Wort war heilig, seine That fest und ohne Schwanken, seine Freundschaft unwandelbar, und für das Wol derjenigen, welche seinem Herzen nahe gestanden, war ihm kein Opfer zu schwer.“90
90 Richard von Pergers Nachruf auf Schneider in: Allgemeine Kunst-Chronik. Illustrirte Zeitschrift für Kunst, Kunstgewerbe, Musik, Theater und Literatur, Bd. 13, Nr. 13 (Zweites Juniheft 1889), S. 365.
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Kopist für Schubert und Brahms: Franz Hlawaczek Der Name des Wiener Kopisten Franz Hlawaczek ist sowohl in der Schubert- als auch in der Brahms-Forschung bekannt. Im Falle beider Komponisten liegen etliche Abschriften Hlawaczeks vor, die wichtige Quellen für die Entstehungs- und Überlieferungsgeschichte der betreffenden Werke sind. Dennoch war Hlawaczek nicht im gleichen Sinne Kopist „für Schubert“, wie er dies für Brahms war. Mit Brahms stand er in direktem Kontakt und war von 1875 bis 1884 dessen bevorzugter Notenschreiber. Dagegen kannte er Schubert (soweit man weiß) nicht persönlich und war auch nicht zu dessen Lebzeiten für ihn tätig, sondern wurde von hinterbliebenen Verwandten und Freunden Schuberts mit Abschriften von dessen Werken beauftragt. Dieser Wiener Kopist ist also schon darum im vorliegenden Kontext interessant, weil er als Bindeglied zwischen Schubert und Brahms angesehen werden kann. Aber auch darüber hinaus verdient Hlawaczek Beachtung, denn es gibt Hinweise darauf, daß er im musikalischen Wien seiner Zeit als Kopist eine besondere Stellung innehatte. Seine nachweisbare Kopistentätigkeit umfaßte den langen Zeitraum von rund 50 Jahren; er spielte als Kopist nicht nur für Schubert und Brahms, sondern auch für Bruckner, Liszt und andere eine Rolle; er wurde sowohl von Komponisten privat als auch von musikalischen Institutionen als Notenschreiber beschäftigt; er arbeitete öfter mit anderen Kopisten zusammen und nahm innerhalb des Wiener Kopisten-‚Netzwerks‘ seiner Zeit offenbar eine zentrale Position ein. Über Franz Hlawaczeks Leben und seine Berufstätigkeit neben der Arbeit als Kopist ist bislang nur wenig bekannt. Wie dem „Totenbeschauprotokoll“ zu entnehmen ist,1 starb er am 11. Dezember 1889 im Alter von 83 Jahren an „Altersschwäche“ in der Lammgasse 12 im VIII. Wiener Bezirk. Als Geburtsort ist Beneschau in Böhmen eingetragen, als Religionszugehörigkeit „katholisch“ und als „persönliche Eigenschaft“ die Berufsbezeichnung „Musiker“.2 Aus dem Todesdatum und der Altersangabe ist zu schließen, daß Hlawaczek wohl im Jahr 1806 geboren wurde. Sein Geburtsort war möglicherweise die mittelböhmische Bezirksstadt Beneschau (heute Benešov) südöstlich von Prag.3 Es ist nicht bekannt, wie lange er dort blieb und ob er seine musika1 2 3
Wiener Stadt- und Landesarchiv, Totenbeschreibamt, B1: 1889H. Die wesentlichen Informationen aus dem Protokoll wurden eine Woche später in der Rubrik „Verstorbene“ der Wiener Zeitung (Nr. 291, 18. Dezember 1889, S. 10) veröffentlicht: „Verstorbene. Den 11. December. […] Hlawaczek Franz, Musiker, 83 J., VIII., Lammg. 12, Altersschwäche.“ Unter mehreren böhmischen Kleinstädten dieses Namens kommt wohl in erster Linie diese als die (relativ) bedeutendste in Betracht; um 1835 hatte sie etwa 1700 Einwohner. Siehe den Artikel „Beneschau“ in: Heinrich August Pierer, Universal-Lexikon oder vollständiges encyclopädisches Wörterbuch, Bd. 3, Altenburg 1835, S. 255.
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lische Ausbildung noch in der Heimatstadt erhielt. Sicher ist nur, daß er spätestens ab ca. 1830 in Wien lebte, denn aus dieser Zeit stammen die frühesten datierbaren Schubert-Abschriften aus seiner Feder. In den Wiener Adreßbüchern, die ab 1859 nahezu jährlich erschienen, ist Hlawaczek mit Ausnahme der Jahre 1865 bis 1870 durchgehend nachgewiesen:4 1859: „Hlawaczek Franz, Musikus, Neubau, Zieglergasse 102.“ 1860: „Hlawaczek Franz, Musikus, St. Ulrich, Rofranog. 76.“ (ebenso 1861) 1864: „Hlawaczek Franz, Musiker, VII. Lerchenfelderstr. 15.“ 1871: „Hlawaczek Franz, Musiker, Mitgl. d. Josefstädter Theaters, VIII. Lammg. 10.“ (ebenso 1872–1875) 1876: „Hlawaczek Franz, Musiker, VIII. Lammg. 12.“ (ebenso 1877–1890)
Über Hlawaczek persönlich ist außer der katholischen Konfession nur bekannt, daß er verheiratet war und zumindest einen Stiefsohn hatte. Die Ehefrau wird in einem unpublizierten Brief von Carl Ferdinand Pohl an Brahms erwähnt;5 ein Beleg für einen Stiefsohn namens Franz Wittmann ist die Meldung von dessen frühem Tod am 1. April 1864.6 Offenbar hatte Hlawaczek also eine verwitwete Frau Wittmann geheiratet, die mindestens dieses Kind in die neue Ehe mitbrachte. Der verstorbene erste Ehemann jener Frau Wittmann könnte der mit dem Sohn gleichnamige Musiker Franz Wittmann gewesen sein, der im Oktober 1855 an der Cholera gestorben war.7 Dieser wiederum dürfte mit einem 1855 verstorbenen Musiker namens Wittmann identisch gewesen sein, der bis zu seinem Tod Mitglied des Orchesters im Theater in der Josefstadt war,8 welchem in den 1860er und 1870er Jahren auch Franz Hlawaczek angehörte (siehe unten). Auffällig ist außerdem, daß in der Todesmeldung des jungen Franz Wittmann die Adresse „Lammgasse 12“ genannt wird, also genau diejenige Anschrift, unter der Hlawaczek in den Adreßbüchern ab 1876 erscheint, während er 1864 noch unter einer anderen Adresse gemeldet war. Sowohl im Totenbeschauprotokoll als auch meist in den Adreßbüchern wird Hlawaczek nur als „Musiker“ bezeichnet. In der Verstorbenenmeldung des Stiefsohns erscheint er als „Theater-Orchestermitglied“, in den Adreßbüchern der Jahre 1871–1875 4 5
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Adolph Lehmann’s allgemeiner Wohnungs-Anzeiger nebst Handels- und Gewerbe-Adreßbuch für die k. k. Reichshaupt- u. Residenzstadt Wien und Umgebung, Wien 1859 ff.; nicht erschienen in den Jahren 1862, 1863, 1866 und 1869 (Digitalisat: http://www.digital.wienbibliothek.at). „Ich gehe jetzt gleich zu Hlawaczek u. werde ihn, wenn er nicht schon (7 Uhr Abds) im Bette liegt, auf morgen ins Archiv bestellen. Nur fürchte ich dass er die 2 Stücke nicht wird sogleich copiren können, denn er hat jetzt viel zu thun. […] Der Donna werde ich den 16ten auf die Seele binden.“ (Brief vom 26. Oktober 1876; A-Wgm, Brahms-Nachlaß, Briefe C. F. Pohl an Johannes Brahms 265, 29; Übertragung von Katharina Loose-Einfalt). Wiener Zeitung, Nr. 86, 5. April 1864, S. 62: „Verstorbene. […] Den 1. April. […] Wittmann Franz, Stiefsohn des Theater-Orchestermitgliedes Franz Hlawaczek, 12 J., Josephstadt, Lammgasse 12, Bauchfellentzündung.“ Wiener Zeitung, Nr. 254, 25. Oktober 1855, S. 2868: „Verstorbene zu Wien. […] Den 21. Oktober. […] Wittmann Franz, Musikus, alt 52 J., Altlerchenfeld Nr. 112, an der Cholera.“ Deutscher Bühnen-Almanach, hrsg. von A. Heinrich, Jg. 20, Berlin 1856, S. 410, 412: „Wien. (K. K. priv. Theater in der Josephstadt.) […] Gestorben: […] Die Hrn. Wittmann und […], Orchester-Mitglieder.“
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als „Musiker“ und „Mitglied des Josefstädter Theaters“. Die naheliegende Vermutung, daß er auch 1864 schon in diesem Theaterorchester spielte, läßt sich anhand der jährlich erschienenen Deutschen Bühnen-Almanache bestätigen, die für viele deutschsprachige Theater das Personal anführen und dabei in manchen Fällen sogar die einzelnen Orchestermitglieder nennen. Hier erscheint in den Jahren 1862 bis 1864 tatsächlich auch Hlawaczeks Name, in zwei von drei Fällen allerdings falsch geschrieben:9 1862: „Orchester. […] Orchestermitglieder. Die Herren: […] Illawaczek. […]“ 1863: „Kapelle. […] Orchester-Mitglieder. Die Herren: […] Hlawaczek. […]“ 1864: „Orchester. […] Orchester-Mitglieder: Die Hrn. […] Hlawatsek. […]“
Die Almanache der Jahre 1859 bis 1861 nennen ebenfalls jeweils alle Orchestermitglieder des Josefstädter Theaters, unter denen sich Hlawaczek jedoch nicht befindet. Offenbar wurde er also erst im Laufe des Jahres 1861 engagiert (die Bände kamen jeweils zu Jahresbeginn heraus und geben demnach den Stand vom Ende des Vorjahres wieder) und blieb mindestens bis ins Jahr 1864 hinein dabei. Wie aus dem Fehlen seines Namens in einem Jahrbuch des Theaters in der Josefstadt von 1867 hervorgeht,10 gehörte er zumindest in diesem Jahr dem Orchester nicht an, trat aber, wie den Adreßbüchern zu entnehmen ist, spätestens 1870 von neuem ein und blieb nunmehr bis 1874/75 Orchestermitglied. Welches Instrument Franz Hlawaczek im Orchester des Josefstädter Theaters spielte, ist bislang nicht bekannt. *** Die frühesten nachweisbaren Zeugnisse der Kopistentätigkeit Hlawaczeks liegen in etlichen Abschriften von Werken Franz Schuberts vor, die in der einschlägigen Literatur auf etwa 1830 bis nach 1841 datiert werden. Auftraggeber waren Personen des Schubert-Kreises, die nachgelassene Werke sammelten oder sich um Aufführungen und Veröffentlichungen bemühten. Nach den jeweiligen Auftraggebern lassen sich die vorhandenen Abschriften Hlawaczeks in drei Gruppen einteilen: 1. Abschriften für den Bruder Ferdinand Schubert, 2. Abschriften für die Sammlung des SchubertFreundes Joseph Wilhelm Witteczek, 3. einzelne weitere Abschriften, deren Auftraggeber bisher nicht sicher ermittelt werden konnten. Nach Franz Schuberts Tod ging der Musikaliennachlaß in den Besitz seines Bruders Ferdinand über.11 Dieser war drei Jahre älter als Franz und überlebte ihn um 31 Jahre, arbeitete als Schullehrer und Kirchenmusiker und übernahm nun auch die Aufgabe, den Nachlaß des Bruders zu verwalten. Er führte in Konzerten und in kirchenmusikalischem Rahmen ungedruckte Stücke auf, warb öffentlich für Aufführungen Deutscher Bühnen-Almanach, hrsg. von A. Entsch, Jg. 26, Berlin 1862, S. 269; Jg. 27, Berlin 1863, S. 342; Jg. 28, Berlin 1864, S. 311. 10 F. W. Stitz, Jahrbuch des k. k. priv. Theaters in der Josefstadt für das Jahr 1867, Wien [1867], S. 3–8: „Personalstand des k. k. priv. Theaters in der Josefstadt“, insbesondere S. 7: „Orchester-Personale.“ 11 Schubert-Enzyklopädie, Bd. 2, S. 508–510: „Nachlaß“, S. 658–661: „Schubert Ferdinand Lukas“. 9
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von Kompositionen, deren Handschriften bei ihm zu bekommen waren, und verkaufte wiederholt einzelne Werke oder ganze Nachlaßteile zur Publikation an Verlage. Im Zusammenhang mit diesen Aktivitäten benötigte Ferdinand Schubert immer wieder Abschriften, seien es Dirigierpartituren, Klavierauszüge oder Stimmen für eigene oder fremde Aufführungen, seien es Ansichtsexemplare zur Sendung an Verlage, wenn er die Autographe nicht selbst besaß oder nicht aus der Hand geben wollte. Insgesamt 59 solcher Abschriften(-konvolute) aus dem einstigen Besitz Ferdinand Schuberts sind erhalten geblieben und befinden sich heute teils im Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien, teils in der Musiksammlung der Wienbibliothek im Rathaus. Walther Dürr beschrieb diese Quellen innerhalb eines Supplementbandes der Neuen Schubert-Ausgabe, der den wichtigsten posthumen Abschriftensammlungen gewidmet ist.12 Demnach stammen die meisten Abschriften von Ferdinand Schubert selbst, der schon zu Lebzeiten seines Bruders einer von dessen wichtigsten Kopisten gewesen war. Für Stimmendoubletten zog er offenbar auch seine Schüler heran, was laut Dürr an verschiedenen ungeübten Handschriften zu erkennen sei. Eine kleinere Gruppe von Abschriften wurde aber von professionellen Kopisten angefertigt, unter denen sich auch Franz Hlawaczek befand. Insgesamt neun Partiturabschriften aus der einstigen Notensammlung Ferdinand Schuberts werden von Dürr dem Kopisten Hlawaczek zugeschrieben:13 (1) Messe F-Dur D 105 (A-Wgm, o. Kl. 47205, I/B, Nr. 16) (2) Violinkonzert D-Dur D 345 (A-Wst, MH 11837)14 (3) Symphonie Nr. 4 c-Moll („Tragische“) D 417 (A-Wgm, o. Kl. 47205, I/B, Nr. 13) (4) Rondo für Violine und Streichorchester A-Dur D 438 (A-Wst, MH 11834) (5) Magnificat C-Dur D 486 (A-Wst, MH 11833) (6) Duett-Arie „Auguste jam coelestium“ D 488 (A-Wst, MH 11832) (7) Ouvertüre D-Dur D 556 (A-Wst, MH 11835) (8) Ouvertüre D-Dur („im italienischen Stile“) D 590 (A-Wst, MH 11836) (9) Symphonie Nr. 8 C-Dur D 944 (A-Wst, MH 11838)
12 Walther Dürr, Franz Schuberts Werke in Abschriften: Liederalben und Sammlungen, Kassel etc. 1975 (NGA VIII/8), S. 111–122: „Ferdinand Schuberts ‚Schubert-Schrank‘“. 13 Wie es scheint, taucht der Name Hlawaczek hier zum ersten Mal in der Schubert-Literatur auf. Dürr nennt als Quelle für die Zuschreibung eine mündliche Auskunft des Wiener Musikforschers Karl Pfannhauser, die von Christa Landon, der damaligen Wiener Mitarbeiterin der Schubert-Gesamtausgabe, bestätigt worden sei. Auf welcher Grundlage Pfannhauser und Landon den Kopisten identifiziert hätten, sei ihm nicht bekannt (Dürr, Liederalben und Sammlungen [wie Anm. 12], S. 114, Anm. 95, sowie Mitteilung Walther Dürrs an den Verfasser vom 21. Mai 2013). 14 Abbildung der Titelseite: NGA V/7: Konzertstücke, hrsg. von Michael Kube, Kassel etc. 2008, S. XXII. Zu diesem Werk existiert außerdem ein von Hlawaczek geschriebener vollständiger Stimmensatz (D-B, N. mus. ms. 10515), der wohl im Zusammenhang mit der von Hlawaczek angefertigten Partitur entstand, also vermutlich ebenfalls aus dem Besitz von Ferdinand Schubert stammt (siehe NGA V/7: Konzertstücke, Kritischer Bericht von Michael Kube, Tübingen 2008, S. 16).
Kopist für Schubert und Brahms: Franz Hlawaczek
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Dürr datiert diese Abschriften sämtlich „um 1835“ und verweist zur Begründung auf das allen gemeinsame Papier mit dem Wasserzeichen vom „Typus 7“.15 Die betreffenden Kritischen Berichte der Neuen Schubert-Ausgabe, soweit bisher erschienen, übernehmen diese Datierung in vier Fällen;16 nur die Abschrift der 4. Symphonie wird mit einem 1843 beabsichtigten Verkauf des Werkes an Breitkopf & Härtel in Verbindung gebracht.17 Eine vergleichende Prüfung der neun Manuskripte führte allerdings zu dem Ergebnis, daß sie nicht durchgehend von demselben Schreiber stammen. Bei sieben der Abschriften (Nr. 1–6 und 9) wurden sowohl die Notentexte als auch die Titelseiten tatsächlich von Franz Hlawaczek geschrieben. Man vergleiche die Abschrift des Violinkonzerts D 345 von Schubert (siehe Abbildung 1) mit derjenigen des Kopfsatzes der 1. Symphonie op. 68 von Brahms, die spätestens im Sommer 1876 entstand und für die Hlawaczek als Kopist gesichert ist (siehe Abbildung 2).18 Die Übereinstimmung in der Gesamtanlage und in etlichen Details ist unverkennbar und angesichts des zeitlichen Abstandes von rund vierzig Jahren geradezu frappierend. Die einzige wahrnehmbare, wenn auch nur graduelle Veränderung besteht darin, daß die Violinund Baßschlüssel im jüngeren Manuskript etwas ‚offener‘ gezogen sind, was für Hlawaczeks Notenschrift spätestens ab den 1860er Jahren charakteristisch wird. Die beiden Ouvertüren-Abschriften (Nr. 7 und 8) stammen, was den Notentext betrifft, nicht von Hlawaczek, sondern von gleicher unbekannter Hand. Wie ein Vergleich der beiden Notenhandschriften erkennen ließ, gibt es zwar durchaus Ähnlichkeiten (etwa bei der Viertelpause und beim Baßschlüssel), aber auch charakteristische Unterschiede (so beim f-Zeichen und vor allem beim Violinschlüssel), die auf zwei verschiedene Schreiber hinweisen. Die Titelseiten der beiden Manuskripte stammen nicht vom Kopisten der Noten, sondern von zwei anderen Schreibern. Bei der Abschrift der Ouvertüre D 590 rührt sie vollständig von Ferdinand Schubert her – nicht nur das Notenincipit, das ihm bereits richtig zugeschrieben wurde.19 Das Manuskript der Ouvertüre D 556 trägt dagegen eine Titelseite von der Hand Franz Hlawaczeks und ist insofern besonders interessant, als es dessen Zusammenarbeit mit einem anderen Kopisten belegt. Die beiden Schreiber dürften kollegial miteinander verbunden gewesen sein, wobei die unterschiedlichen Schreibanteile möglicherweise zugleich 15 Dürr, Liederalben und Sammlungen (wie Anm. 12), S. 20 (Abbildung des Wasserzeichens), 116 f., 121. 16 NGA I/1a: Messe in F, Kritischer Bericht von Michael Kube nach Vorarbeiten von Talia Pecker Berio, Tübingen 2003, S. 44; NGA V/7: Konzertstücke, Kritischer Bericht von Michael Kube, Tübingen 2008, S. 9 (D 345), S. 35 (D 438); NGA V/4: Sinfonie Nr. 8 in C-Dur D 944, Kritischer Bericht von Werner Aderhold, Tübingen 2007, S. 30. 17 NGA V/2: Sinfonien Nr. 4–6, Kritischer Bericht von Mario Aschauer und Swenja Schekulin nach Vorarbeiten von Arnold Feil und Douglas Woodfull-Harris, Tübingen 2012, S. 35. 18 Siehe Johannes Brahms, Neue Ausgabe Sämtlicher Werke (im folgenden: JBG), Serie I, Bd. 1: Symphonie Nr. 1, hrsg. von Robert Pascall, München 1996, S. 206 (Quellenbeschreibung). 19 Dürr, Liederalben und Sammlungen (wie Anm. 12), S. 121. Vgl. weitere Schriftproben Ferdinand Schuberts in: ebda., S. 112; Siegfried Mühlhäuser, Die Handschriften und Varia der Schubertiana-Sammlung Taussig in der Universitätsbibliothek Lund, Wilhelmshaven 1981 (Quellenkataloge zur Musikgeschichte 17), Tafeln XLVII f.
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Abbildung 1: Franz Schubert, Violinkonzert D 345, Abschrift von Franz Hlawaczek, ca. 1835 (A-Wst, MH 11837)
eine Hierarchie erkennen lassen: Der unbekannte Kopist, der den Notentext schrieb und damit die eigentliche Arbeit leistete, war vermutlich nachgeordnet gegenüber Hlawaczek, der die Titelseite hinzufügte und damit für das äußere Erscheinungsbild der Abschrift sorgte, also wohl für die Erledigung des Kopierauftrags insgesamt verantwortlich war. Ob die beiden Schreiber zu einem informellen Verbund von Kopisten gehörten, die sich fallweise ihre Aufträge teilten, oder ob es sich um eine firmenmäßig organisierte „Kopisterie“ handelte,20 ist auf der Basis des bisher erschlossenen Quellenmaterials nicht festzustellen. Die zweite Gruppe von Schubert-Abschriften Hlawaczeks ist in der „Sammlung Witteczek-Spaun“ enthalten.21 Diese umfangreiche Sammlung von Schubert-Drucken, Abschriften und Autographen sowie anderen Schubertiana wurde ab etwa 1830 von Joseph Wilhelm Witteczek zusammengetragen, der Schubert über den gemeinsamen Freund Joseph von Spaun kennengelernt hatte. Nach Witteczeks Tod 1859 ging die Sammlung an Spaun über; dieser vermachte sie testamentarisch der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien, in deren Archiv sie sich seit Spauns Tod im Jahr 1865 befindet.22 20 Dürr, Liederalben und Sammlungen (wie Anm. 12), S. 114. 21 Dürr, Liederalben und Sammlungen (wie Anm. 12), S. 69–111; hiernach auch die in der folgenden Übersicht zusammengestellten Angaben. 22 Ohne Signatur.
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Abbildung 2: Johannes Brahms, 1. Symphonie op. 68, 1. Satz, Abschrift von Franz Hlawaczek mit Eintragungen von Brahms, 1876 (D-LÜbi, Bra : A2 : 23) Datierung Band Reihe Witteczek: Vokalwerke 1–22 [ab 1831] 39 [urspr. 21] [1832] 40 [urspr. 22] [1832] 23 [1832] 24 [1832] 25 [1833] 26 [1833] 27 [1833] 28 [1833] 29 [1834/35] 30 [1834/35] 31 [1834/35] 32 [1835]
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[1835–1840]
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Schreiber (Anzahl der Stücke) (Drucke) Kopist 1 (35) Kopist 1 (23), Hlawaczek [recte: Unbekannt] (1) Kopist 1 (26) Kopist 1 (16), Kopist 2 (1) Kopist 1 (19) Kopist 1 (49) Kopist 1 (24) Kopist 1 (45) Kopist 1 (7) Kopist 1 (18) Kopist 1 (14) Kopist 1 (6) Kopist 1 (7), Ferdinand Schubert (1), Kopist 1 und Ferdinand Schubert (2), Kopist 3 (1) Kopist 1 (5)
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Datierung Band Schreiber (Anzahl der Stücke) [1835–1840] 35 Kopist 1 (16) [1835–1840] 36 Kopist 1 (1) [1835–1840] 37 Kopist 1 (3 [recte: 2]), Hlawaczek (4 [recte: 5]) [1840] 38 Kopist 1 (2), Hlawaczek (34), Ferdinand Schubert (5) [nach 1841] 41 Kopist 1 (0 [recte: 3]), Hlawaczek (4 [recte: 1]) [nach 1841] 42 Hlawaczek [recte: Kopist 1] (1) Reihe Witteczek: Instrumentalwerke 42a, 43–51 (Drucke) 52 Kopist 1 (2) 53, 54 (Drucke) 55 Kopist 1 (2) 56 Kopist 1 (5) 57, 58 (Drucke) 59 Kopist 1 (4) 60 (Drucke) 60a Kopist 1 (12) 61 Kopist 1 (3) 62 (Drucke) Reihe Weiser [1837–1841] 63–74 (Werkabschriften von Weiser und verschiedene Schubertiana) Reihe Witteczek: Supplemente 75, 76 Kopist 1 (Verzeichnisse) [77] (aufgelöst, enthielt Autographe) 78 Hlawaczek [recte: Unbekannt] (1) 79 Kopist 1 (9) 80 Kopist 1 (6) 81, 82 (Drucke) 83 Kopist 4 (1) 84, 85 (verschiedene Schubertiana) [86, 87] (aufgelöst, enthielt z. T. Varia) Vokalterzette, zur Reihe Witteczek gehörig A-Wgm, Q 21236 Kopist 1 (10) A-Wgm, Q 21237 Kopist 1 (4) A-Wgm, Q 21238 Kopist 1 (3)
Die Übersicht dieser Sammlung zeigt mehrere Untergruppen: die „Reihe Witteczek“ in getrennten Serien für Vokalwerke, Instrumentalwerke und Supplemente, drei Einzelmanuskripte mit Terzetten, die außerhalb der Reihe Witteczek überliefert sind, aber zu dieser gehören, und die zwölf Bände der „Reihe Weiser“, die ursprünglich von einem anderen Schubert-Sammler namens Weiser (mit bislang unbekanntem Vorna-
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men) angelegt wurden und später in den Besitz von Witteczek übergingen. Die Bände dieser Reihe rühren alle von einem einzigen Schreiber her, vermutlich von Weiser selbst,23 die Handschriften der Reihe Witteczek stammen dagegen von verschiedenen Kopisten. Wie die Übersicht erkennen läßt, gibt es einen Schreiber, der eindeutig dominiert und offenbar Witteczeks Hauptkopist war; er ist namentlich nicht bekannt und wurde von Walther Dürr als „Kopist 1“ dieser Sammlung bezeichnet. Er war von Anfang an für Witteczek tätig und kopierte sämtliche Instrumentalwerke, die meisten Vokal- und Supplementbände sowie die Terzette.24 Daneben fallen die Kopisten 2, 3 und 425 sowie Ferdinand Schubert kaum ins Gewicht; von ihnen stammen in der Sammlung Witteczek-Spaun nur vereinzelte Abschriften in den Bänden 24, 33, 38 und 83, die laut Dürr vermutlich separat entstanden sind. Der einzige Schreiber, der neben Kopist 1 häufiger begegnet, ist Franz Hlawaczek. Nach Dürrs Angaben soll er in den Bänden 40 [22], 37, 38, 41, 42 und 78 mit insgesamt 45 Abschriften vertreten sein.26 Bei einer Durchsicht dieser sechs Bände konnten allerdings einige der Zuschreibungen nicht bestätigt werden. In Band 40, ursprünglich Band 22 und damit einer der ältesten Abschriften-Bände, befindet sich eine nachträglich eingeklebte Kopie des Terzetts Klage um Ali Bey D 140. Diese soll laut Dürr „wahrscheinlich“ von Hlawaczek stammen, was jedoch offenkundig nicht der Fall ist. In Band 78 ist der Klavierauszug Ferdinand Schuberts zum Stabat Mater D 383 enthalten, der entgegen Dürrs Angabe ebenfalls nicht von Hlawaczek stammt, sondern vom unbekannten Kopisten der beiden Ouvertüren D 556 und D 590 (siehe oben). Die Bände 41 und 42 umfassen insgesamt fünf Abschriften (Auguste jam coelestium D 488, Chor der Engel D 400, Salve Regina D 676, Magnificat D 486, Lazarus D 689), von denen nur eine (D 676) tatsächlich von Hlawaczek herrührt, während die übrigen vier dem Kopisten 1 zuzuweisen sind. Umgekehrt ist in Band 37 ein Stück (An die Sonne D 439) dem Kopisten 1 zugeschrieben, das in Wirklichkeit von Hlawaczek kopiert wurde. So bleiben von ihm nach derzeitigem Stand27 40 Abschriften in drei Bänden übrig, die auf den Zeitraum von 1835 bis nach 1841 datiert werden. Dennoch gilt wei23 Dürr, Liederalben und Sammlungen (wie Anm. 12), S. 73, 76 f. Schriftproben: ebda., S. 72 (= Sammlung Witteczek-Spaun, Bd. 64, S. 57); NGA III/4: Mehrstimmige Gesänge für gleiche Stimmen ohne Klavierbegleitung, hrsg. von Dietrich Berke, Kassel etc. 1974, S. XXI (= Bd. 66, S. 123). 24 Schriftproben: NGA IV/5a: Lieder, hrsg. von Walther Dürr, Kassel etc. 1985, S. XXIX (= Bd. 31, S. 32); NGA III/2a: Mehrstimmige Gesänge für gemischte Stimmen, hrsg. von Dietrich Berke, Kassel etc. 1996, S. XXXVIII (= Bd. 31, S. 77); Dürr, Liederalben und Sammlungen (wie Anm. 12), S. 71 (= Bd. 39, S. 45); NGA V/7: Konzertstücke, hrsg. von Michael Kube, Kassel etc. 2008, S. XVIII f. (= Bd. 59, Bl. 2r/v); Otto Biba, Franz Schubert und seine Zeit. Katalog zur Ausstellung im Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien, Wien 1978, S. 29 (= Bd. 80, S. 19). 25 Von ihnen liegen keine gedruckten Schriftproben vor. 26 Dürr, Liederalben und Sammlungen (wie Anm. 12), S. 88–90, 92 f., 108; vgl. oben die Übersicht. In den bereits vorliegenden Kritischen Berichten der Neuen Schubert-Ausgabe werden meist die Zuschreibungen an Hlawaczek übernommen (Bde. I/7, II/10, III/2, IV/9), sofern nicht auf eine Nennung von Kopisten ganz verzichtet wird (Bde. IV/2, IV/7, IV/11, IV/13, IV/14). Nur in einem Fall (Bd. II/8, S. 85) wird zwar auf Dürr, Liederalben und Sammlungen verwiesen, aber als Kopist nicht Hlawaczek genannt, sondern lediglich angegeben, die Abschrift stamme „von anderer Hand […] als der Rest des Bandes“. 27 Eine Prüfung der Kopistenzuschreibungen über die genannten sechs Bände der Sammlung WitteczekSpaun hinaus wurde bislang nicht vorgenommen.
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terhin, daß die Abschriften der Sammlung Witteczek-Spaun im wesentlichen von Kopist 1 und Hlawaczek stammen. Hiervon ausgehend ist nun wiederum anzunehmen, daß die beiden Kopisten nicht unabhängig voneinander beauftragt wurden, sondern zusammenarbeiteten und bestimmte Aufträge unter sich aufteilten.28 Berücksichtigt man außerdem die angegebenen Datierungen, so ist der Ablauf für die Sammlung Witteczek-Spaun hypothetisch folgendermaßen zu rekonstruieren: In den ersten Jahren ab 1831 schrieb Kopist 1 allein für Witteczek. Eventuell ab Mitte der 1830er Jahre, spätestens ab 1840 arbeitete Kopist 1 mit Hlawaczek zusammen und gab einige, aber nicht alle Aufträge an ihn weiter. In diesem Fall mag das hierarchische Verhältnis also umgekehrt gewesen sein: Kopist 1 war möglicherweise der ältere, der sich allmählich zurückgezogen und einen Teil der Arbeit an den jüngeren Kollegen vermittelt haben könnte. Ein wirklicher Beleg für die Kooperation in Gestalt einer gemeinsam angefertigten Abschrift liegt aber im Fall dieser beiden Kopisten bislang nicht vor. Die dritte Gruppe von derzeit bekannten Schubert-Kopien Hlawaczeks besteht aus vier einzeln überlieferten Abschriften(-konvoluten), deren Auftraggeber bisher nicht mit Gewißheit ermittelt werden konnten: 1. ein Liederalbum aus dem Archiv der Peterskirche Wien, verwahrt in der Österreichischen Nationalbibliothek.29 Es enthält auf 74 Blättern insgesamt 19 SchubertLieder sowie Beethovens Lied Die Ehre Gottes aus der Natur op. 48 Nr. 4. Walther Dürr datiert die Abschriften aufgrund der vorkommenden Wasserzeichen „um 1830“ und erwähnt eine mögliche Herkunft „aus Diabellis Archiv“.30 2. Stimmenabschriften des Streichtrios D 581, die sich heute in der Universitätsbibliothek Lund befinden.31 Laut Werner Aderhold wurden die Abschriften „möglicherweise noch für Ferdinand Schubert, wahrscheinlicher jedoch für den Verleger A. Diabelli angefertigt, als sich die autographe Partitur bereits in dessen Besitz befand“. Diesen Besitzwechsel datiert Aderhold an anderer Stelle „um 1830“.32 3. eine Partiturabschrift des 23. Psalms D 706 mit englischem Text. Der Verbleib dieser Handschrift, die sich zwischenzeitlich als Depositum im Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien befand, ist unbekannt. Eine Abbildung daraus in einem Ausstellungskatalog erlaubt es aber, Hlawaczek als Kopisten zu bestätigen.33 Laut Katalogbeschreibung lag dem „ca. 1840/50“ zu datierenden Manuskript noch die ebenfalls Hlawaczek zuzuweisende Abschrift einer Komposition des Schubert-Freundes Leopold von Sonnleithner bei (Nightthought für zwei Sopran- und zwei Altstimmen und Klavierbegleitung, ebenfalls mit englischem Text). Damit 28 Auch Dürr vermutet wiederum die Zusammenarbeit in einer „Kopisterie“ und verweist auf gemeinsame „charakteristische Eigenheiten“ der Handschriften (Dürr, Liederalben und Sammlungen [wie Anm. 12], S. 73). 29 A-Wn, Mus.Hs.35902 Mus; siehe NGA IV/3: Lieder, Kritischer Bericht von Walther Dürr, Tübingen 1985, S. 63–70. 30 NGA IV/3, Kritischer Bericht (wie Anm. 29), S. 64. 31 S-L, Sammlung Taussig, H 32. 32 NGA VI/6: Streichtrios, Kritischer Bericht von Werner Aderhold, Tübingen 1983, S. 12 f., 14 f. 33 Biba, Franz Schubert und seine Zeit (wie Anm. 24), S. 68.
Kopist für Schubert und Brahms: Franz Hlawaczek
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kommt, wie bereits Otto Biba vermutete, als Auftraggeber beider Abschriften wohl in erster Linie Sonnleithner in Frage.34 4. eine Partiturabschrift des Oktetts D 803, die sich im Brahms-Nachlaß befindet.35 Es ist bisher weder bekannt, wann und in wessen Auftrag diese Handschrift entstanden sein mag, noch wann und von wem Brahms sie erhielt.36 *** Hlawaczeks Kopistentätigkeit für Institutionen des Wiener Musiklebens ist noch weitgehend unerforscht. Im Zuge der Vorbereitung dieser Studie wurden zwei Institutionen ermittelt, für die er als Kopist tätig war: die Gesellschaft der Musikfreunde in Wien und die Wiener Hofmusikkapelle. In die jeweiligen Notenbestände konnte vorläufig nur stichprobenartig Einblick genommen werden, was jedoch bereits einige von Hlawaczek stammende Materialien zutage förderte. Es ist somit anzunehmen, daß durch eingehendere, systematische Untersuchungen noch weit mehr Abschriften zu erschließen wären. Zudem könnte Hlawaczek auch für andere Wiener Institutionen als Kopist gearbeitet haben, etwa für die Hofoper, die Singakademie oder die verschiedenen Männergesangvereine; hier liegen für künftige Forschungen noch umfangreiche Quellenbestände bereit. Im Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien sah ich einen großen Teil der Aufführungsmaterialien zu denjenigen Werken durch, die Brahms in seiner Zeit als „artistischer Direktor“ zwischen 1872 und 1875 aufgeführt hatte,37 und stieß dabei mehrfach auf Abschriften Hlawaczeks. Meist handelte es sich dabei um neue, offenbar für Brahms’ Aufführungen angefertigte Stimmen, die im Zusammenhang mit Hlawaczeks Tätigkeit als Brahms-Kopist erwähnt werden. In einem Fall (Händel, Alexander-Fest) waren jedoch zusätzlich ältere Stimmen vorhanden; auf einzelne weitere vor Brahms’ Zeit von Hlawaczek geschriebene Materialien machte mich freundlicherweise Otto Biba aufmerksam: Händel, Alexander-Fest, 16 Doublierstimmen (A-Wgm, III 1, Karton 6) Beethoven, 5. Symphonie, 3 Doublierstimmen (A-Wgm, XIII 6149, Fasz. C) Schubert, Fantasie f-Moll D 940, für Orchester bearbeitet von Leopold von Sonnleithner, 31 Stimmen (A-Wgm, XIII 19792)
34 Siehe ebda. 35 A-Wgm, Nachlaß Brahms, XI 21827. Das Manuskript wurde im Mai 2013 von Katharina Loose-Einfalt als Abschrift Hlawaczeks identifiziert. In der NGA wird diese Quelle weder im Notenband (VI/1) noch im betreffenden Kritischen Bericht erwähnt. 36 Zu Brahms’ nicht überlieferter Klavierbearbeitung des 3. Satzes aus Schuberts Oktett siehe den Beitrag von Katrin Eich im vorliegenden Band. 37 Siehe die Übersicht auf S. 124 f.
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Zu Händels Alexander-Fest ist im Archiv der Gesellschaft reichlich Notenmaterial vorhanden. Fünf von insgesamt acht großen Archivkartons enthalten sehr alte Stimmen, die wohl aus der Zeit der ersten Aufführungen des Werkes (unter dem Titel Timotheus oder Die Gewalt der Musik) im November/Dezember 1812 stammen.38 Im sechsten Karton liegen Doubletten, die vermutlich zu zwei Aufführungen am 8. und 12. November 1840 gehören39 und unter denen sich die 16 genannten Stimmen von Hlawaczek befinden. In den Kartons 7 und 8 sind neuere Stimmen für die von Brahms 1873 geleitete Aufführung vorhanden, von denen einige Titelseiten ebenfalls die Handschrift Hlawaczeks zeigen (siehe unten). Auch zu Beethovens 5. Symphonie gibt es im Archiv sicherlich viel Notenmaterial. Durchgesehen wurde ein Bündel mit Doublierstimmen, in dem sich drei Exemplare der 2. Violine von Hlawaczek fanden. In den Konzertprogrammen der Gesellschaft der Musikfreunde sind zwischen 1820 und 1870 insgesamt acht Aufführungen der 5. Symphonie nachgewiesen.40 Als möglicher Entstehungsanlaß für diese Stimmen kommen darunter wohl am ehesten die Aufführungstermine 7. März 1841, 14. März 1847 oder 3. März 1850 in Frage. An dritter Stelle ist der vollständig von Hlawaczek geschriebene Stimmensatz zu Schuberts f-Moll-Fantasie in der Instrumentierung Leopold von Sonnleithners genannt. Als Beleg für eine Aufführung war bisher nur ein Artikel Eduard Hanslicks von 1864 zu finden, in dem es heißt, das noch ungedruckte Arrangement sei „im verflossenen Winter in den Orchesterconcerten des hiesigen Conservatoriums mit großem Beifall gespielt“ worden.41 Demnach müssen diese Abschriften spätestens 1863/64 angefertigt worden sein. Das historische Notenarchiv der Wiener Hofmusikkapelle liegt heute größtenteils in der Musiksammlung der Österreichischen Nationalbibliothek. Dort sah ich stichprobenartig einige Partituren und Stimmensätze von etwa 1865 bis 1875 durch und stieß wiederum mehrfach auf die Handschrift des Kopisten Hlawaczek. Die folgende Übersicht nennt eine Auswahl dieser Materialien:
38 Richard von Perger / Robert Hirschfeld, Geschichte der K. K. Gesellschaft der Musikfreunde in Wien, Wien 1912, S. 6. 39 Ebda., S. 56. 40 Ebda., S. 285–303. 41 Eduard Hanslick, Sämtliche Schriften. Historisch-kritische Ausgabe, Bd. I,7: Aufsätze und Rezensionen 1864–1865, hrsg. und kommentiert von Dietmar Strauß, Wien etc. 2011, S. 246, Fußnote (ursprünglich in: Oesterreichische Wochenschrift für Wissenschaft, Kunst und öffentliches Leben. Beilage zur k. Wiener Zeitung, Bd. 4 [ Jg. 1864, H. 27–53], S. 1040).
Kopist für Schubert und Brahms: Franz Hlawaczek
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Bruckner, Messe f-Moll, Stimmen (A-Wn, Mus.Hs.6075 Mus)
Hlawaczek, A, B, C, D, E
Habert, Messe F-Dur, Partitur (A-Wn, HK.2163 Mus)
Hlawaczek, A
Herbeck, Messe e-Moll, Partitur (A-Wn, HK.2907 Mus)42
Hlawaczek
Herbeck, Missa brevis F-Dur, Partitur (A-Wn, HK.1788 Mus)
Hlawaczek, A
Herbeck, Hymnus In laudem ascensionis, Stimmen (A-Wn, HK.2685 Mus)
Hlawaczek, B, F, G, H
Herbeck, Hymnus Adoro te, Partitur (A-Wn, HK.1789 Mus)43
Hlawaczek
Herbeck, Hymnus Adoro te, Stimmen (A-Wn, HK.2686 Mus)
Hlawaczek, B, G
Liszt, Graner Messe, Stimmen (A-Wn, HK.3069 Mus)
Hlawaczek, A, F
Auffällig ist, daß nur zweimal eine Partitur von Hlawaczek allein geschrieben wurde, während in allen übrigen Fällen noch andere Kopisten beteiligt waren. In dieser Auswahl sind es acht verschiedene weitere Schreiber, die hier mit den Buchstaben A bis H bezeichnet sind. Am häufigsten begegnet Kopist A (viermal), gefolgt von den Kopisten B (dreimal), F und G (je zweimal), während die Kopisten C, D, E und H nur je einmal vorkommen. Wieder arbeitete Hlawaczek also mit anderen Kopisten zusammen, und wieder ist die jeweilige Art der Zusammenarbeit aufschlußreich. Zwei Partituren stammen von Hlawaczek und dem Kopisten A. Bei der Partitur von Herbecks Missa brevis F-Dur schrieb Kopist A den kompletten Notentext und Hlawaczek nur die Titelseite. Ähnlich verhält es sich bei der Messe F-Dur von Habert: Kopist A schrieb den Notentext und ein Titelblatt, ein weiteres, äußeres Titelblatt stammt von Hlawaczek. Bei den Stimmen sind neben Hlawaczek stets mindestens zwei andere Kopisten beteiligt, und entsprechend sind die Verhältnisse hier etwas komplizierter: Herbeck, Hymnus Adoro te, Stimmen Hlawaczek 1x Sopran 1x Alt [1x Tenor] 1x Baß
Kopist G 5x Sopran 5x Alt 5x Tenor 5x Baß
Kopist B
Orchesterstimmen
Bei Herbecks Hymnus Adoro te gibt es von Hlawaczek jeweils eine Sopran-, Alt- und Baßstimme, und auch eine Tenorstimme dürfte einmal existiert haben, denn nach diesem einfachen Stimmensatz schrieb Kopist G jeweils fünf Doubletten aus. Die Instrumentalstimmen wurden dagegen vollständig von Kopist B geschrieben.
42 Digitalisat: http://data.onb.ac.at/rec/AL00464459. 43 Digitalisat: http://data.onb.ac.at/rec/AL00497244.
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Bruckner, Messe f-Moll, Stimmen 1868 Hlawaczek 1x Sopran 1x Alt 1x Tenor 1x Baß Blechbläser Pauke Holzbläser Streicher
1870er Jahre Kopist A 4x Sopran
Kopist B
Kopist C
Kopist D
2x Alt
2x Alt
Kopist E
4x Tenor 4x Baß
Holzbläser
Holzbläser Streicher
Streicher
je 1x Violine II, Violoncello
Auch bei den Stimmen zu Bruckners Messe f-Moll stellte Hlawaczek je eine Leitstimme für die vier Chorpartien her, die anschließend von den Kopisten A und C vervielfältigt wurden. Für den Alt schrieb Kopist C ursprünglich wohl ebenfalls vier Exemplare, von denen vermutlich zwei verlorengingen und später durch neue Abschriften von Kopist D ersetzt wurden. Bei den Orchesterstimmen kopierte Hlawaczek die Blechbläser und Pauke allein, die Holzbläser gemeinsam mit den Kopisten A und B und die Streicher gemeinsam mit den Kopisten B und C (jeweils abschnittsweise aufgeteilt). Die beiden Streicherstimmen von Hand des Kopisten E kamen später hinzu und dürften wiederum verlorene ältere Exemplare ersetzt haben.44 Schon diese wenigen Beispiele bestätigen das Bild des Kopisten Hlawaczek, der größere Aufträge gemeinsam mit anderen Schreibern bearbeitete und in diesem Kopisten-Verbund offenbar eine führende Position innehatte. Er schrieb Leitstimmen, die von anderen doubliert wurden, und er schrieb bei Partiturabschriften anderer zuweilen die Titelseiten, was auch hier wieder als Hinweis darauf interpretiert werden kann, daß er für die betreffenden Abschriften insgesamt verantwortlich zeichnete. * * *
44 Siehe hierzu die umfassende Quellenbeschreibung in: Anton Bruckner, Messe f-Moll. Revisionsbericht, vorgelegt von Paul Hawkshaw, Wien 2004 (Sämtliche Werke, Zu Bd. XVIII), S. 95–103; Abbildung einer von Hlawaczek geschriebenen Notenseite (Posaune 2, fol. 603v) auf S. 311. Eine weitere Notenseite (Sopran, fol. 1v) ist als Schriftprobe des Kopisten Hlawaczek abgebildet in: Paul Hawkshaw, The Manuscript Sources for Anton Bruckner’s Linz Works. A Study of his Working Methods from 1856 to 1868, Ph. D. Dissertation Columbia University 1984, S. 372; dieselbe Seite (in besserer Abbildungsqualität) auch in: Paul Hawkshaw, Die Kopisten Anton Bruckners während seines Aufenthaltes in Linz, in: Bruckner-Symposion Musikstadt Linz – Musikland Oberösterreich im Rahmen des Internationalen Brucknerfestes Linz 1990. Bericht, Linz 1993, S. 225–240, hier S. 240.
Kopist für Schubert und Brahms: Franz Hlawaczek
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In der Bruckner-Forschung ist der Name des Kopisten Franz Hlawaczek auch über die von ihm geschriebenen Stimmen zur Messe f-Moll hinaus geläufig. Nach meiner derzeitigen Kenntnis wurden ihm in der Literatur insgesamt acht Abschriften(-konvolute) zugewiesen: (1/2) Herbstlied für Männerchor, 2 Sopran-Soli und Klavier WAB 73, zwei Partiturexemplare (Archiv der Linzer Singakademie) (3) Messe f-Moll WAB 28, Chor- und Orchesterstimmen (A-Wn, Mus.Hs.6075 Mus) (4) Symphonie Nr. 2 c-Moll WAB 102, Fassung 1877, Partitur (A-Wst, M. H. 6781) (5) Symphonie Nr. 4 Es-Dur WAB 104, mehrere Partiturfragmente (A-Wn, Mus.Hs.3177 Mus, Mus.Hs.3195 Mus)45 (6) Symphonie Nr. 5 B-Dur WAB 105, zwei Partiturfragmente des Finales (Stift Kremsmünster, Musikarchiv C 56,11) (7) Symphonie Nr. 5 B-Dur WAB 105, Widmungspartitur für Carl von Stremayr (A-Wn, Mus Hs. 6064 Mus)46 (8) Symphonie Nr. 6 A-Dur WAB 106, Widmungspartitur für Anton von Oelzelt (A-Wgm, XIII 37730)
Eine vergleichende Durchsicht dieser Manuskripte führte jedoch zu der Feststellung, daß nur drei von ihnen tatsächlich die Handschrift Hlawaczeks zeigen: die bereits herangezogenen Stimmen zur f-Moll-Messe und die beiden Partiturexemplare des Herbstliedes.47 In beiden Fällen wurden die Abschriften offenbar nicht von Bruckner selbst bei Hlawaczek bestellt. Die Messe entstand 1867/68 als Auftragswerk für die Wiener Hofmusikkapelle,48 so daß die Stimmen sicherlich auf Veranlassung dieser Institution hergestellt wurden und folgerichtig in deren Notenarchiv verblieben. Das Herbstlied komponierte Bruckner schon 1864 für die Liedertafel „Frohsinn“ in Linz.49 Die naheliegende Frage, warum dieses Stück aus der Linzer Zeit von einem Wiener Kopisten abgeschrieben wurde, beantwortete Paul Hawkshaw mit der Vermutung, daß der mit Bruckner befreundete Wiener Musiker Rudolf Weinwurm die Abschriften Hlawaczeks vermittelt haben könnte.50 Die fünf Symphonie-Abschriften stammen dagegen nicht von Hlawaczek, sondern von drei verschiedenen anderen Kopisten. Als Schreiber der drei Manuskripte zur 5. und 6. Symphonie läßt sich der anonyme Linzer Kopist „L2“ bestimmen.51 Die 45 Digitalisate: http://data.onb.ac.at/rec/AL00228197 (Mus.Hs.3177 Mus), http://data.onb.ac.at/rec/ AL00484482 (Mus.Hs.3195 Mus). 46 Digitalisat: http://data.onb.ac.at/rec/AL00228215. 47 Auch in den beiden Publikationen Paul Hawkshaws über die Manuskriptquellen bzw. die Kopisten Bruckners werden nur diese drei Abschriften Hlawaczek zugewiesen (Hawkshaw, Manuscript Sources [wie Anm. 44], S. 327 f.; Hawkshaw, Kopisten [wie Anm. 44], S. 228, 231). 48 Renate Grasberger, Werkverzeichnis Anton Bruckner (WAB), Tutzing 1977, S. 32. 49 Ebda., S. 79. 50 Hawkshaw, Manuscript Sources (wie Anm. 44), S. 327 f.; Hawkshaw, Kopisten (wie Anm. 44), S. 228. 51 Siehe zu diesem Schreiber Hawkshaw, Manuscript Sources (wie Anm. 44), S. 321–323, Schriftprobe S. 362; Hawkshaw, Kopisten (wie Anm. 44), S. 230 f., Schriftprobe S. 235. Beide Schriftproben stammen aus der Widmungspartitur der Messe f-Moll (A-Wn, Mus.Hs. 31246 Mus), die im Internet vollständig einsehbar ist
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falsche Zuschreibung geht in diesem Fall offenbar auf Eusebius Mandyczewski zurück. Als die Widmungspartitur der 6. Symphonie 1922 ins Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde gelangte, wurde sie vom damaligen Archivar Mandyczewski auf dem Vorsatzblatt mit folgender Bemerkung versehen: „Diese Abschrift rührt von der Hand des zu Bruckners Zeit angesehensten, ausgezeichneten Notenschreibers Hlawaczek her […]; Hlawaczek hat von den meisten Werken von Bruckner die ersten Abschriften gemacht. Er wohnte in der Lammgasse in der Josephstadt.“52 Diese Zuschreibung wurde 1935 in die Edition des Werkes von Robert Haas innerhalb der Bruckner-Gesamtausgabe übernommen und noch 1986 in Leopold Nowaks Revision des Bandes beibehalten.53 Hiervon ausgehend war es gewissermaßen folgerichtig, daß Haas und Nowak auch die beiden Abschriften zur 5. Symphonie, die ebenfalls von L2 stammen, dem Kopisten Hlawaczek zuwiesen.54 Kaum zu erklären ist aber, weshalb sowohl die Partitur der 2. Symphonie55 als auch die Partitur-Fragmente zur 4. Symphonie56 ebenfalls für Manuskripte Hlawaczeks gehalten wurden, denn sie stammen offenkundig von zwei unterschiedlichen, weder mit Hlawaczek noch mit L2 identischen Kopisten. Beide Schreiber sind – zumindest auf Basis der von Hawkshaw abgedruckten Schriftproben57 – vorläufig nicht mit bereits bekannten Bruckner-Kopisten zu identifizieren. Es bleibt somit festzuhalten, daß Franz Hlawaczek durchaus auch ein Bruckner-Kopist war, jedoch in deutlich geringerem Maße als bisher angenommen. Wie es scheint, war man vor allem in der älteren Bruckner-Forschung allzu schnell bereit, vorliegende Abschriften dem Kopisten Hlawaczek zuzuweisen. Ein Grund dafür könnte die oben zitierte Bemerkung Mandyczewskis gewesen sein, Hlawaczek habe „von den meisten Werken von Bruckner die ersten Abschriften gemacht“. Hinzu kommt, daß sich in Bruckners Taschenkalendern von 1879 und 1880 zweimal der Name Hlawaczeks eingetragen findet, jeweils mit Adresse und dem ausdrücklichen Hinweis: „Copist“.58
52 53 54
55 56 57 58
(http://data.onb.ac.at/rec/AL00227423). Auch im Revisionsbericht zu Hawkshaws Edition des Werkes (siehe oben, Anm. 44) werden insgesamt acht Seiten aus dieser Abschrift gezeigt (S. 297, 300, 302, 304– 308), wobei irrtümlich stets „Anonymus L1“ als Kopist genannt ist; vgl. aber die korrekte Angabe „L2“ in der Quellenbeschreibung, S. 43. – Die Widmungspartitur der 6. Symphonie hatte bereits Hawkshaw als von L2 herrührend erkannt (Hawkshaw, Manuscript Sources [wie Anm. 44], S. 322, Anm. 1; Hawkshaw, Kopisten [wie Anm. 44], S. 227). Zit. nach: Anton Bruckner, VI. Symphonie A-Dur. Revisionsbericht, [1935] vorgelegt von Robert Haas, ergänzt von Leopold Nowak, Wien 1986 (Sämtliche Werke, [Zu] Bd. VI), S. 18. Ebda., S. 7; siehe auch Robert Haas, Anton Bruckner, Potsdam 1934 (Die großen Meister der Musik), S. 137; Anton Bruckner, VI. Symphonie A-Dur. Originalfassung. Studienpartitur, 2., revidierte Ausgabe, hrsg. von Leopold Nowak, Wien 1952 (Sämtliche Werke, [Bd. VI]), Vorwort, S. [1]. Anton Bruckner, V. Symphonie B-Dur. Revisionsbericht, [1935] vorgelegt von Robert Haas, ergänzt von Leopold Nowak, Wien 1985 (Sämtliche Werke, [Zu] Bd. V), S. 48, 88 f.; Anton Bruckner, V. Symphonie BDur. Originalfassung. Studienpartitur, 2. revidierte Ausgabe, hrsg. von Leopold Nowak, Wien 1951 (Sämtliche Werke, [Bd. V]), Vorwort, S. [1]. Anton Bruckner, II. Symphonie c-Moll. Fassung von 1877. Studienpartitur, hrsg. von William Carragan, Wien 2007 (Sämtliche Werke, Bd. II/2), Vorwort, S. VII. Anton Bruckner, IV. Symphonie Es-Dur (Fassung von 1878 mit dem Finale von 1880). Finale von 1878. Partituren und Entwürfe mit Bericht, hrsg. von Robert Haas, Wien 1936 (Sämtliche Werke, Bd. IV/1), Vorlagenbericht, S. XVI, XXIX. Hawkshaw, Manuscript Sources (wie Anm. 44), S. 357–497. Elisabeth Maier, Verborgene Persönlichkeit. Anton Bruckner in seinen privaten Aufzeichnungen, Teil 1: Text-
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Hiervon ausgehend mochte man den Eindruck gewinnen, Hlawaczek sei geradezu Bruckners Wiener Hauptkopist gewesen – was nach heutigem Kenntnisstand nicht der Fall war. *** Für Brahms ist dagegen unbestreitbar, daß Hlawaczek in den Jahren 1875 bis 1884 sein Wiener Hauptkopist war. Unmittelbar vorausgegangen war Brahms’ Anstellung als „artistischer Direktor“ der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien von 1872 bis 1875, und es war höchstwahrscheinlich diese Tätigkeit, die ihn mit Hlawaczek – und anderen Kopisten – in Verbindung gebracht hatte. Als artistischer Direktor hatte Brahms in jeder Wintersaison die reguläre Anzahl ordentlicher und außerordentlicher Gesellschaftskonzerte zu dirigieren und diese Aufführungen vorzubereiten. Dazu gehörten nicht nur die Proben, sondern auch die Auswahl der Werke und die Beschaffung des Notenmaterials. Hierbei wurde Brahms vom damaligen Archivar Carl Ferdinand Pohl unterstützt. Wie aus dessen erhaltenen Briefen an Brahms hervorgeht,59 prüfte Pohl jeweils die vorhandenen Notenbestände und übernahm in der Regel die Aufgabe, Fehlendes zu beschaffen, sei es durch Bestellung gedruckter Stimmen und ggf. Partituren oder durch Beauftragung von Kopistenabschriften. Im Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde sind noch heute zahlreiche Notenmaterialien vorhanden, die in den von Brahms dirigierten Konzerten verwendet wurden. Das Brahms-Werkverzeichnis weist diese Materialien nach, macht aber für abschriftliche Quellen keine Angaben über die jeweiligen Kopisten.60 Meine Durchsicht eines großen Teils der vorhandenen Partitur- und Stimmenabschriften erbrachte hinsichtlich der beteiligten Kopisten folgende Resultate:61
übertragungen und Kommentar, Wien 2001, S. 87, 154; bereits zuvor in: August Göllerich, Anton Bruckner. Ein Lebens- und Schaffens-Bild, ergänzt und hrsg. von Max Auer, Bd. IV/1, Regensburg 1936 (Deutsche Musikbücherei 39, 1. Teil), S. 584, 625. 59 A-Wgm, Nachlaß Brahms, Briefe C. F. Pohl an Johannes Brahms 265, 1–46 (größtenteils unveröffentlicht). 60 Margit L. McCorkle, Johannes Brahms. Thematisch-bibliographisches Werkverzeichnis (im folgenden: BraWV), München 1984, Anhang Ib, S. 648–653. 61 Zu den von Brahms geleiteten Gesellschaftskonzerten und sämtlichen jeweils aufgeführten Werken siehe Renate und Kurt Hofmann, Johannes Brahms als Pianist und Dirigent. Chronologie seines Wirkens als Interpret, Tutzing 2006, S. 128–152.
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Datum Werk (BraWV-Nummer des der Auf- Aufführungsmaterials) führung 10.11.1872 Händel, Dettinger Te Deum (Anh. Ib Nr. 24) Eccard, Chor a cappella Übers Gebirg Maria geht (Anh. Ib Nr. 18) Isaac, Chor a cappella Innsbruck, ich muß dich lassen (Anh. Ib Nr. 28) 8.12.1872 Händel, Orgelkonzert d-Moll op. 7 Nr. 4 (Anh. Ib Nr. 27) Mozart, Offertorium Venite populi für Doppelchor, Orchester und Orgel KV 260 (Anh. Ib Nr. 29) 28.2.1873 Händel, Oratorium Saul (Anh. Ib Nr. 26) 23.3.1873
6.4.1873 9.11.1873
Abschriftliches Notenmate- Kopist(en) rial in A-Wgm (Signatur) Orchesterstimmen (I 24985)
Chorstimmen, autographiert (V 25206) Chorstimmen, autographiert (V 25202) Orchesterstimmen, Orgelstimme (VII 25420) Partitur (A 130d) Orchesterstimmen, Orgelstimme (I 18052) Orchesterstimmen (III 29842) Orgelstimme (A 130c) Bach, Kantate Christ lag in Todesban- Orchesterstimmen (III den BWV 4 (Anh. Ib Nr. 2) 25419), Orgelstimme (A 131d) Chorstimmen, autographiert (III 25419) Schubert, Ellen’s zweiter Gesang Chorstimmen, autographiert D 838, Bearbeitung für Sopran solo, (V 25418) Frauenchor und Blasinstrumente von Instrumentalstimmen Brahms (Anh. Ia Nr. 17) (V 25418) Beethoven, Chor Wo sich die Pulse Orchesterstimmen (V 8622) jugendlich jagen aus dem Festspiel Die Weihe des Hauses für Sopran- und Chorstimmen, autographiert Violinsolo, Chor und Orchester WoO (V 8622) 98 (Anh. Ib Nr. 14) Bach, Kantate Liebster Gott, wann Orchesterstimmen werd’ ich sterben? BWV 8 (III 25427) (Anh. Ib Nr. 3) Orgelstimme (A 131e) Beethoven, Ouvertüre Zur Namensfei- Orchesterstimmen (XII 1315) er op. 115 (Anh. Ib Nr. 12) Händel, Oratorium Alexander-Fest Orchesterstimmen (III 1) (Anh. Ib Nr. 23)
E, J [u. a.] K K L [u. a.] E E, M [u. a.] K, N, O A A E K L M, E E P A Hlawaczek, B, Q, R, S, T, U Hlawaczek, A, E [u. a.]
Kopist für Schubert und Brahms: Franz Hlawaczek
Datum Werk (BraWV-Nummer des der Auf- Aufführungsmaterials) führung 7.12.1873 Schubert, Einlage-Arie Der Tag entflieht zu Hérolds Oper Das Zauberglöckchen D 723 Ahle, Chor a cappella Es ist genug, so nimm, Herr, meinen Geist (Anh. Ib Nr. 1) Bach, Chor a cappella Es ist genug, Herr, wenn es dir gefällt aus der Kantate O Ewigkeit, du Donnerwort BWV 60 (Anh. Ib Nr. 7) Gallus, Chor a cappella Ecce, quomodo, moritur justus (Anh. Ib Nr. 21) Bach, Kantatensatz Nun ist das Heil und die Kraft BWV 50 (Anh. Ib Nr. 6)
2.3.1874
Schubert, Kyrie und Credo aus der Messe in As für Chor und Orchester D 678 (Anh. Ib Nr. 33) Schumann, Musik zu Manfred für Chor und Orchester op. 115 (Anh. Ib Nr. 35)
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Abschriftliches Notenmate- Kopist(en) rial in A-Wgm (Signatur) Partitur (Q 3530)62 Orchesterstimmen (o. Kl. 47685, Nr. 47) Partituren (A 136)
Partitur (A 131h), Orchesterstimmen (III 25454) Orgelstimme (A 131j) Chorstimmen, autographiert (III 25454) Orchesterstimmen (I 25167) Orchesterstimmen der Ouvertüre (XII 22312)
Chorstimmen Sopran/Alt, 2.+3. Abteilung (IV 22312) 19.4.1874 Bach, Pastorale für Orchester aus dem Orchesterstimmen (XIII Weihnachtsoratorium BWV 248 25482) (Anh. Ib Nr. 9b) 10.1.1875 Bach, Kantate O ewiges Feuer BWV 34 Partitur (A 131f), Orchester(Anh. Ib Nr. 5) stimmen (III 25453) Orgelstimme (A 131g) 28.2.1875 Mozart, Arie Bei der Stürme brausen- Orchesterstimmen (III 7936) dem Schmettern aus Davidde penitente KV 469 (Anh. Ib Nr. 30) 23.3.1875 Bach, Matthäus-Passion BWV 244 Orchesterstimmen (III 1935) (Anh. Ib Nr. 8) Orgelstimme (A 131b)
P A V
A P W N, O Hlawaczek, B, S, X, Y, Z, AA, BB, CC DD A, EE A FF N Hlawaczek, F F
62
62 Eine weitere Partiturabschrift Franz Hlawaczeks (D-B, Mus. ms. 20273/10) wurde wohl ebenfalls um die Zeit dieser Aufführung in privatem Auftrag für Brahms angefertigt und später an Franz Wüllner weitergegeben, in dessen Besitz sie schließlich verblieb. Siehe NGA II/18: Operneinlagen, hrsg. von Christine Martin, Kassel etc. 2010, S. XV f. mit Anm. 84; Kritischer Bericht zu Bd. II/18, S. 37–42 (jeweils noch ohne Identifizierung Hlawaczeks als Kopist); Christine Martin, Brahms entdeckt eine Arie von Schubert. Der Philologe und Interpret im Widerstreit zwischen Originaltreue und Bearbeitung, in: Brahms am Werk. Konzepte – Texte – Prozesse, hrsg. von Siegfried Oechsle und Michael Struck unter Mitarbeit von Kat-
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Die ermittelten Kopisten außer Hlawaczek sind – unter Verwendung bzw. Fortsetzung der oben eingeführten Reihe – wiederum mit Buchstaben bezeichnet.63 Bemerkenswert ist, daß von acht Schreibern der Wiener Hofmusikkapelle (A bis H) immerhin vier (A, B, E und F) wieder begegnen, darunter die beiden hier mit Abstand am häufigsten vorkommenden Kopisten (A und E). Für drei der in beiden Notenbeständen identifizierten Schreiber (A, B und F) wiesen die Materialien der Hofmusikkapelle auf eine direkte Zusammenarbeit mit Hlawaczek hin. Entsprechendes ist auch hier zu beobachten: Bei Beethovens Namensfeier-Ouvertüre und bei Schumanns Manfred-Ouvertüre stammen einzelne Stimmen von Hlawaczek und andere von anderen Schreibern; bei Bachs Matthäus-Passion und bei Händels Alexander-Fest schrieb Hlawaczek vielfach nur die Titelseiten und jeweils ein anderer Kopist den Notentext. Bei allen übrigen bisher durchgesehenen Abschriften erscheinen allerdings nur andere Kopisten, so daß eine Entstehung der betreffenden Materialien unter der Aufsicht Hlawaczeks zwar möglich, aber vorläufig nicht nachweisbar ist. Wie bereits erwähnt, wurden die nötigen Kopistenabschriften für die von Brahms geleiteten Konzerte wohl in der Regel nicht vom artistischen Direktor selbst, sondern vom Archivar Pohl in Auftrag gegeben. Ein Hinweis darauf findet sich in einem Brief vom 19. Juni 1872, also aus dem Sommer vor Brahms’ erster Saison als Dirigent der Gesellschaftskonzerte. Pohl schrieb an Brahms nach Baden-Baden: „Einen geradezu verlässlichen Copisten hat Wien nicht; ich habe mich erst in letzter Zeit weidlich über diese Sache geärgert. Und doch sind meine noch von den besten.“64 „Seine“ Kopisten waren die von der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien regelmäßig beauftragten Schreiber, zu denen offenbar auch Hlawaczek und seine Kollegen gehörten. Aber diese Briefstelle zeigt auch, daß es Brahms nicht gleichgültig war, welche Kopisten die Materialien für seine Aufführungen schrieben, denn er muß sich zuvor bei Pohl erkundigt haben, ob es in Wien zuverlässige Schreiber gebe. Wie intensiv Brahms tatsächlich in jenen Jahren die Wiener ‚Kopisten-Szene‘ beobachtete, läßt ein anderes Dokument sehr anschaulich erkennen: sein persönliches Adreßbuch, in dem er unter dem Buchstaben C die eigene Rubrik „Copisten“ führte (siehe Abbildung 3).65 Hier trug Brahms insgesamt zwölf Wiener Kopisten ein und vermerkte außer den Adressen gelegentlich auch Bewertungen ihrer Arbeit, teils mit pauschalen Angaben wie „nicht gut“ oder „sehr gut“, teils mit spezielleren Bemerkungen wie „Texte schlecht, sonst gut“ oder „autographirt gut“. Aus den notierten Adressen kann durch einen Abgleich mit den Wiener Adreßbüchern66 ermittelt werden, in welchem Zeitraum die einzelnen Kopisten eingetragen wurden. Die folgende Aufstellung nennt für jeden von ih-
63 64 65 66
rin Eich, München 2016, S. 243–254 (mit Abb.); Digitalisat: http://resolver.staatsbibliothek-berlin.de/ SBB0000A57B00000000. Es handelt sich dabei um eine Kopistenbezeichnung nur für Zwecke der vorliegenden Studie, nicht etwa um eine neu eingeführte Zählung der Brahms-Kopisten. A-Wgm, Nachlaß Brahms, Briefe C. F. Pohl an Johannes Brahms 265, 6; Übertragung von Katharina LooseEinfalt. D-LÜbi, A. B.H. 1.1.29; Digitalisat: http://www.brahms-institut.de. Siehe oben, Anm. 4.
Kopist für Schubert und Brahms: Franz Hlawaczek
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Copist Georg Richter Neu=Währing Martinsstraße 44, 2t Stock 9 Copist Tenschert S.[siehe] T67 nicht gut […] 30 Copist Weiner Leopoldstadt gr. Schiffg. Mocker Alserstraße 49 gut Fels (recht gut) langsam // Komarek (passabel, Texte schlecht) sonst gut, VIII Josefstadt, Ledererg. 15. // //
//
Hlawaczek VIII Lamgasse 12, 3t St.[iege] sehr gut. 2t St.[ock] 29.
48. Stiege 3. Stock 1. Fels VII, Lerchenfelderstr. 129 (Thür 5 part.) Löbel Chorist a. d. Oper autographirt gut Franz Nittmann Margarethen Hundsthurmerstr. 26 II, 12 (Geißler Hofoper) Copist Ignaz Lichtl Josefstadt 25. Albertgasse W. Kupfer (Copist) Neu-Lerchenfeld, Gaullacherg. 28 IV Luiseng. 17. III. 25
Abbildung 3: Brahms’ eigenhändig geführtes Adreßbuch (D-LÜbi, A. B. H. 1.1.29), S. 13 mit Vermerken zu mehreren Wiener Kopisten. Eintragungen mit Bleistift sind normal, solche mit Tinte fett wiedergegeben. Streichungen und Unterstreichungen nahm Brahms in der Regel mit dem Schreibmittel des betreffenden Worts vor; nur die Strich-Markierungen der Namen Komarek, Hlawaczek, Löbel (erster, einfacher Strich) und Nittmann wurden mit Blaustift vorgenommen. (Eintragungen zu anderen Personen sind in der Transkription ausgelassen.)
nen nur diejenige Adresse, welche mit der von Brahms notierten übereinstimmt (mit Angabe der betreffenden Jahrgänge der Adreßbücher): Georg Richter: „Tonkünstler, Whrg. Martinsstr. 44.“ (1872–1874) Josef Tenschert:68 „Musiker, VI. Gumpendorferstr. 33.“ (1871–1875) Paul Weiner: „Musiker, II. Gr. Schiffg. 30.“ (1872–1875) Karl Mocker: „Orchester-Mitgl. am Josefstädter-Theater, VIII. Alserstr. 49.“ (1873–1874) Ferdinand Fels: „Orchester-Mitgl. d. Carl-Theaters, VIII. Lerchenfelderstr. 48.“ (1875) Wenzel Komarek: „Musiker, VIII. Ledererg. 15.“ (1872–1875) Franz Hlawaczek: „Musiker, VIII. Lammg. 12.“ (1876–1890) 67 Eintragung unter T: „Tenschert IV, 33 Gumpendorferstr. VI 3te St. 2 St. 29 / Copist“. 68 In den Adreßbüchern der Jahre 1868–1877 steht „Tentschert“, in demjenigen von 1865 jedoch „Tenschert“, welche Schreibung auch der Kopist selbst verwendete (siehe unten, S. 128).
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johannes behr Ignaz Löbl:69 (zu Brahms’ Angabe „Chorist an der Oper“ vgl. Adreßbuch 1871: „Chorsänger“, 1872–1891: „Chorsänger am Hofoperntheater“) Franz Nittmann: „Orchestermitgl. des Hofoperntheaters (Waldhorn), V. Hundsthurmerstr. 26.“ (1865–1878) Alexander Geißler: (zu Brahms’ Angabe „Hofoper“ vgl. Adreßbücher 1873–1875: „Bmt. im k. k. Hofopernhause“, 1877–1878: „Archivar im Hofopernhause“, 1879–1884: „Ob. Inspicient im Hofopernhause“, 1885–1886: „p.[ensionierter] Ob. Inspicient im Hofopernhause“; vgl. außerdem Deutscher Bühnen-Almanach 1873 und 1875–1881: „Notencopist“ an der Hofoper) Ignaz Lichtl: „Musiker, VIII. Albertg. 25.“ (1880–1884) William Kupfer: „Musiklehrer, Neulerchenf. Gaullachergasse 28“ (1884)
Unter Berücksichtigung der Tatsache, daß die Wiener Adreßbücher stets zu Beginn eines Jahres erschienen und somit den Stand vom Ende des jeweiligen Vorjahres wiedergeben, ist hieraus zu schließen, daß Brahms sein Kopisten-Verzeichnis frühestens 1871 mit Georg Richter begonnen haben kann. Über die folgenden Jahre führte er die Liste weiter und schloß sie 1883 mit seinem letzten Hauptkopisten William Kupfer ab. Die Aufzeichnung der ersten Kopistennamen fiel also recht genau in den Zeitraum des Engagements als Dirigent der Gesellschaftskonzerte. Hiervon ausgehend liegt die Frage nahe, ob sich hinter manchen der notierten Namen Schreiber von Aufführungsmaterialien verbergen, die in der vorliegenden Studie mit Buchstaben gekennzeichnet wurden. In der Tat können (nach heutigem Kenntnisstand) vier der Kopisten sicher und ein weiterer vermutungsweise identifiziert werden. Josef Tenschert ist in der Bruckner-Forschung schon seit längerem als Kopist bekannt, denn in einer teilweise von seiner Hand stammenden Partiturabschrift der 2. Symphonie Bruckners findet sich am Ende des 2. Satzes die Signatur „Tenschert / Copist.“70 Er ist mit dem oben als Kopist E bezeichneten Schreiber verschiedener Materialien in den Archiven der Hofmusikkapelle und der Gesellschaft der Musikfreunde identisch.71 Brahms selbst beschäftigte diesen Kopisten, den er „nicht gut“ fand, nur ein einziges Mal für eine Teilabschrift der Sonate für zwei Klaviere op. 34bis, die in der Literatur bisher irrtümlich Franz Hlawaczek zugeschrieben wurde.72 Karl Mocker, den Brahms als „gut“, aber „langsam“ qualifizierte, ist als Kopist L identifizierbar, da sich im Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien drei
69 Brahms notierte „Löbel“, doch erscheint der Name sowohl in den Wiener Adreßbüchern als auch in drei eigenhändigen Schriftstücken (siehe unten, Anm. 76) stets in der Schreibweise „Löbl“. 70 A-Wn, Mus.Hs.6035 Mus, fol. 104v (Digitalisat: http://data.onb.ac.at/rec/AL00158777, Scan Nr. 214). Siehe Anton Bruckner, II. Symphonie c-Moll (Originalfassung). Studienpartitur, hrsg. von Robert Haas, Leipzig 1938 (Sämtliche Werke, Bd. II), Einführung, S. [1]; Anton Bruckner, II. Symphonie c-Moll. Fassung von 1872. Studienpartitur, hrsg. von William Carragan, Wien 2005 (Sämtliche Werke, Bd. II/1), Vorwort, S. V. 71 Eine Seite aus den Stimmen zu Bruckners Messe f-Moll ist als Schriftprobe abgebildet in: Hawkshaw, Manuscript Sources (wie Anm. 44), S. 376. 72 Siehe BraWV, S. 125 (hier noch mit „[?]“ als zweifelhafte Zuschreibung gekennzeichnet); JBG, Serie II, Bd. 4: Klavierquintett, hrsg. von Carmen Debryn und Michael Struck, München 1999, S. 82, 86.
Kopist für Schubert und Brahms: Franz Hlawaczek
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signierte Autographe von seiner Hand befinden.73 Über die oben genannten Aufführungsmaterialien hinaus stammt von ihm auch eine Partiturabschrift der Motette Warum ist das Licht gegeben dem Mühseligen? op. 74 Nr. 1, die möglicherweise im Zusammenhang mit deren Uraufführung unter Eduard Kremsers Leitung in einem Gesellschaftskonzert am 8. Dezember 1878 entstand.74 Wenzel Komarek ist als Kopist N zu erkennen, indem mehrere Stimmenexemplare zur Arie aus Mozarts Davidde penitente die Signatur „Komarek/Kopist“ tragen.75 Brahms notierte über ihn im Adreßbuch zunächst „passabel, Texte schlecht“ und modifizierte sein Urteil später zu „Texte schlecht, sonst gut“, übertrug ihm aber, soweit bekannt ist, keine Abschriften eigener Werke. Ignaz Löbl ist mit Kopist K identisch. Als Belege dienen drei eigenhändige Schriftstücke des Hofopern-Chorsängers, die sich heute unter den Akten der Hofoper im Österreichischen Staatsarchiv befinden.76 Die Handschrift stimmt zweifellos mit derjenigen überein, welche in den Textunterlegungen der vom Kopisten K stammenden Abschriften vorliegt. Bestätigend kommt hinzu, daß dieser Schreiber mehrfach für die Herstellung autographierter (also nach handschriftlicher Vorlage gedruckter) Stimmensätze herangezogen wurde, was mit Brahms’ Bemerkung „autographirt gut“ in Einklang steht. Auch die beiden erhaltenen Exemplare (Sopran und Alt) aus dem autographierten Chorstimmensatz zum Deutschen Requiem op. 45 in der vorläufigen sechssätzigen Fassung zeigen die Handschrift Ignaz Löbls.77 Der von Brahms offenbar geschätzte Kopist ist außerdem mit dem bisher anonymen Kopisten 8 nach Zählung des Brahms-Werkverzeichnisses identisch, von dem die abschriftlichen Stichvorlagen der Nummern 3, 4 und 6 aus den Magelone-Liedern op. 33 stammen.78 Soweit aus den erhaltenen Quellen zu ersehen ist, wurde keiner dieser vier Kopisten von Brahms häufiger mit Abschriften eigener Werke betraut. Dies trifft dagegen auf einen weiteren Schreiber von Aufführungsmaterialien zu, der vorläufig nur vermutungsweise namentlich identifiziert werden kann. Es handelt sich um den Kopisten A, aus dessen Feder nahezu alle vorliegenden Partitur- und Stimmenabschriften zu den von Brahms aufgeführten Bach-Kantaten stammen. Auch in den durchgesehenen Notenmaterialien der Wiener Hofmusikkapelle begegnete dieser Kopist am häufigsten.79 Die Bruckner-Forschung kennt ihn als Anonymus W7, der an den Stimmenausschrif73 Charles [Karl] F. Mocker, Minuetto (L’Arlesienne par Georges Bizet), Nr. 4 Carillon (L’Arlesienne) und Potpourri über böhmische Nationallieder, jeweils Arrangement für Klavier, Harmonium, Flöte, 2 Violinen, Viola, Violoncello und Kontrabaß, jeweils Partitur und Stimmen (A-Wgm, XI 30863–30865). 74 A-Wgm, V 26260 (H 29802); siehe BraWV, S. 315 f. 75 A-Wgm, III 7936. Von insgesamt 37 Stimmenexemplaren sind sechs in dieser Weise signiert (4x Violine 1, je 1x Oboe 2 und Horn 2). 76 Schreiben an die Direktion der Hofoper vom 22. August 1875, 3. März 1876 und 10. September 1896 (Österreichisches Staatsarchiv, HHStA HA Oper 47 und Oper 133). 77 D-LÜbi, Inv.-Nr. 1999.124/125; siehe BraWV, S. 174; „Ich will euch trösten …“. Johannes Brahms – Ein deutsches Requiem. Symposion – Ausstellung – Katalog, hrsg. von Wolfgang Sandberger, München 2012 (Veröffentlichungen des Brahms-Instituts an der Musikhochschule Lübeck 6), S. 53: Abbildung von S. 1 und 12 der Sopranstimme. 78 D-Hs, BRA : Ab : 11; siehe BraWV, S. 117 f. 79 Siehe oben, S. 119.
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ten zur Messe f-Moll maßgeblich beteiligt war.80 In der Brahms-Literatur wird er nach Zählung des Werkverzeichnisses als Kopist 24 bezeichnet, dem bislang Partitur-Teilabschriften des Klavierquartetts op. 60 (Sätze 1 und 2)81 sowie der Neuen LiebesliederWalzer op. 65 (Nummern 1–11 und 13)82 zugeordnet wurden. Nach heutiger Kenntnis sind noch weitere Zuschreibungen möglich: Eine verschollene Abschrift ausgewählter Walzer op. 39 in der Fassung für zwei Klaviere, deren Schreiber im Werkverzeichnis als „nicht identifiziert“ angegeben wird, ist bereits aufgrund der in Reproduktion zugänglichen Titelseite mit hoher Wahrscheinlichkeit dem Kopisten 24 zuzuweisen.83 Auch die Abschriften der Duette op. 61 Nr. 2–4 und der Sieben Lieder für gemischten Chor op. 62, die sich unter den 1992 wiederaufgetauchten 32 Stichvorlagen Brahmsscher Werke befinden, stammen eindeutig von diesem Kopisten.84 Eine Geschenkabschrift der Lieder op. 59 Nr. 3, 4, 7 und 8 für Klaus und Doris Groth, die im Werkverzeichnis nach einer fotokopierten Seite beschrieben und fälschlich dem Kopisten 25 zugewiesen wurde,85 stammt ebenfalls vom Kopisten 24.86 Zwischen 1873 und 1875 sind von keinem anderen Schreiber so viele Abschriften Brahmsscher Werke überliefert, so daß Kopist 24 durchaus als Hauptkopist dieser Jahre gelten kann. Es ist darum anzunehmen, daß gerade er im Kopistenverzeichnis des Adreßbuchs nicht fehlt. Vorerst nur zu vermuten ist, daß es sich um Franz Nittmann handelte, denn nur sein Name wurde – neben demjenigen Hlawaczeks – in voller Länge mit Blaustift unterstrichen, was wohl in beiden Fällen als Zeichen besonderer Wertschätzung zu deuten ist. Dennoch bleibt diese Identifizierung so lange eine bloße Vermutung, bis es gelingt, sie mit Hilfe einer Schriftprobe Nittmanns zu bestätigen – oder zu widerlegen.87 Über diese vier bzw. fünf namentlich identifizierbaren Kopisten hinaus befinden sich unter den Schreibern der durchgesehenen Materialien drei weitere, die als anonyme Brahms-Kopisten bereits bekannt sind: Die Kopisten F, V und FF sind mit 80 Siehe oben, S. 120 (Übersicht der Abschriften zur f-Moll-Messe, Kopist A); Anton Bruckner, Messe f-Moll. Revisionsbericht, vorgelegt von Paul Hawkshaw, Wien 2004 (Sämtliche Werke, Zu Bd. XVIII), S. 95–103; Schriftprobe: Hawkshaw, Manuscript Sources (wie Anm. 44), S. 382. 81 BraWV, S. 257 (heutiger Standort: A-Wgm, Bibliothek Renate und Kurt Hofmann). 82 BraWV, S. 279 (heutiger Standort: D-LÜbi, Bra : A2 : 22; Digitalisat: http://www.brahms-institut.de). 83 BraWV, S. 144; Mes Laurin – Guilloux – Buffetaud – Cailleur [Paris]. Manuscrits Musicaux, Katalog zur Auktion am 14. Dezember 1979 (Expert: Thierry Bodin), Nr. 11, mit Abbildung der Titelseite. 84 Vgl. dagegen Brahms-Institut an der Musikhochschule Lübeck. 32 Stichvorlagen von Werken Johannes Brahms’, Kiel 1995 (Kulturstiftung der Länder – Patrimonia, Nr. 107) [im folgenden: Patrimonia 107], S. 35 f.: jeweils „nicht identifiziert“. 85 BraWV, S. 253; das damals nicht auffindbare Originalmanuskript ist mittlerweile im Klaus-Groth-Museum Heide wieder aufgetaucht; es fehlt allerdings ein Blatt mit dem Schluß des letzten Liedes. 86 Die Fehlzuschreibung im Werkverzeichnis hatte zur Folge, daß die beiden Kopisten 24 und 25 irrtümlich für identisch gehalten wurden; siehe etwa Michael Struck, Johannes Brahms’ kompositorische Arbeit im Spiegel von Kopistenabschriften, in: Archiv für Musikwissenschaft 54 (1997), S. 1–33, hier S. 29, Anm. 63; eine Abbildung aus der Abschrift auf S. 24. 87 Bislang konnten von Franz Nittmann, der als Hornist im Wiener Hofoperntheater beschäftigt war, lediglich drei eigenhändige Vertragsunterschriften von 1863, 1880 und 1888 ausfindig gemacht werden, welche noch keine hinreichende Grundlage für eine Kopistenidentifizierung bieten (Österreichisches Staatsarchiv, HHStA HA Oper SR 71–84, 240/1888). Auch im Archiv der Wiener Staatsoper waren vorläufig keine Schriftproben Nittmanns zu finden. Ich danke Peter Poltun und Katharina Loose-Einfalt für ihre Hilfe bei den bisherigen Nachforschungen.
Kopist für Schubert und Brahms: Franz Hlawaczek
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den Kopisten 17, 13 und 9 des Brahms-Werkverzeichnisses identisch. Auch diese drei Schreiber wurden also nicht nur von der Gesellschaft der Musikfreunde für die Herstellung von Aufführungsmaterialien, sondern auch von Brahms für Abschriften eigener Werke herangezogen.88 In weit größerem Umfang war dies bei Franz Hlawaczek der Fall, dem einzigen Kopisten, der im Adreßbuch die Bewertung „sehr gut“ erhielt. Die folgende Übersicht führt sämtliche erhaltenen Abschriften Hlawaczeks für Brahms an, die derzeit bekannt sind:89 90 91
bis Mai 1875
bis April 1876
bis Sommer 1876 bis April 1877 bis April 1877
bis April 1877 bis April 1877
Neue Liebeslieder-Walzer op. 65, Nr. 12, 14 (Nr. 1–11, 13 von Kopist A = Kopist 24, Nr. 15 von Kopist F = Kopist 1790) (D-LÜbi, Bra : A2 : 22) BraWV, S. 279; Patrimonia 162, S. 14–19 Der 13. Psalm op. 27, Fassung für Frauenchor, Orchester und Orgel, Streicherstimmen (weitere Exemplare von Kopist 22) (A-Wgm, V 25696)91 BraWV, S. 92 f. 1. Symphonie op. 68, Partitur, 1. Satz (D-LÜbi, Bra : A2 : 23) JBG, Serie I, Bd. 1: Symphonie Nr. 1, hrsg. von Robert Pascall, München 1996, Frontispiz (Abb.), S. 206, 209 f.; Patrimonia 107, S. 36–38 (mit Abb.) Neun Gesänge op. 69, Nr. 1–3, 5–8 (D-LÜbi, Bra : A2 : 25) BraWV, S. 296; Patrimonia 107, S. 38–40 Vier Gesänge op. 70, Nr. 1–3 (Nr. 2 in zwei Fassungen) (D-LÜbi, Bra : A2 : 27) BraWV, S. 296; Patrimonia 107, S. 41 f.; Michael Struck, Johannes Brahms’ kompositorische Arbeit im Spiegel von Kopistenabschriften, in: Archiv für Musikwissenschaft 54 (1997), S. 1–33, hier S. 14 f. (Abb.); Brahms Handbuch, hrsg. von Wolfgang Sandberger, Stuttgart etc. und Kassel etc. 2009, S. 190 (Abb.) Fünf Gesänge op. 71, Nr. 1–5 (D-LÜbi, Bra : A2 : 29) BraWV, S. 296; Patrimonia 107, S. 42 f. Fünf Gesänge op. 72, Nr. 1–5 (D-LÜbi, Bra : A2 : 31) BraWV, S. 296; Patrimonia 107, S. 43 f.
88 Zu den jeweils nachgewiesenen Abschriften siehe BraWV, S. 812, sowie unten, Anm. 90. 89 Die oben genannten Aufführungsmaterialien der Jahre 1872–1875 werden hier nicht nochmals angeführt. Ebenfalls ungenannt bleiben zwei Hlawaczek irrtümlich zugeschriebene Manuskripte: Neben der bereits erwähnten Teilabschrift der Sonate für zwei Klaviere op. 34bis von Josef Tenschert (siehe oben, S. 128) ist dies eine Abschrift des Duetts Die Schwestern op. 61 Nr. 1, die entgegen der Angabe in Patrimonia 107 (S. 35) nicht von Hlawaczek, sondern vom Kopisten P stammt. Die Datierungen sind der jeweils angegebenen Literatur entnommen. Alle angeführten Quellen in D-LÜbi sind als Digitalisate im Internet zugänglich (http://www.brahms-institut.de). 90 Nicht von Kopist 16, wie in der Literatur irrtümlich angegeben (BraWV, S. 279; Brahms-Institut an der Musikhochschule Lübeck. Brahmsiana aus dem Nachlaß Oswald Jonas, Kiel 1999 [Kulturstiftung der Länder – Patrimonia, Nr. 162] [im folgenden: Patrimonia 162], S. 17). 91 Da die Übersicht der Aufführungsmaterialien im Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde nur die Jahre 1872–1875 umfaßte (siehe oben, S. 124 f.), werden diese Stimmenabschriften, die vermutlich für eine Aufführung am 2. April 1876 entstanden, ausnahmsweise hier genannt.
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bis März 1878 2. Symphonie op. 73, Partitur, 1. Satz (US-NYj, 31 B731sy no.2 mvt.1) BraWV, S. 311; JBG, Serie I, Bd. 2: Symphonie Nr. 2, hrsg. von Robert Pascall, München 2001, S. 220 f., 228, 260 (Abb.); Digitalisat: http:// juilliardmanuscriptcollection.org bis Juni 1878 Acht Lieder und Gesänge op. 58, transponierte Fassung, Nr. 1–4, 6–8 (D-Hs, BRA : Ab : 18) BraWV, S. 240, 247 f. bis Juni 1878 Acht Lieder und Gesänge op. 59, transponierte Fassung, Nr. 1–7 (D-Hs, BRA : Ab : 19) BraWV, S. 251–254 Juli 1878 Acht Klavierstücke op. 76, Nr. 1–4 (A-Wgm, A 142b) BraWV, S. 323; JBG, Serie III, Bd. 6: Klavierstücke, hrsg. von Katrin Eich, München 2011, S. 217; Sotheby’s. Fine Musik and Continental Manuscripts, Katalog zur Auktion am 21. Mai 1998, S. 78 f. (mit Abb.) Juli 1878 Zwei Motetten op. 74, Nr. 1, Partitur mit modernen Schlüsseln (A-Wgm, A 140) BraWV, S. 315 f.; Imogen Fellinger, Unbekannte Korrekturen in Brahms’ Motette „Warum ist das Licht gegeben dem Mühseligen?“ (Op. 74, I), in: Logos Musicae. Festschrift für Albert Palm, hrsg. von Rüdiger Görner, Wiesbaden 1982, S. 83–89 (mit Abb.); Otto Biba, Johannes Brahms in Wien, Ausstellungskatalog, Wien 1983, S. 79 (mit Abb.); Johannes Brahms. Leben und Werk, hrsg. von Christiane Jacobsen, Wiesbaden 1983, S. 169 (Abb.) bis August Vier Balladen und Romanzen op. 75, Nr. 4 (D-LÜbi, Bra : A2 : 36) 1878 BraWV, S. 319; Patrimonia 107, S. 47 f. bis Oktober Zwei Motetten op. 74, Nr. 1, Partitur (D-LÜbi, Bra : A2 : 33) 1878 BraWV, S. 315 f.; Patrimonia 107, S. 44–46 (mit Abb.) Juni 1879 1. Violinsonate op. 78, Partitur und Stimme (A-Wgm, A 101a BraWV, S. 329–331; Dorotheum. Autographen und historische Photos, Katalog zur Auktion am 23. November 1999, Nr. 197 (mit Abb.) Juni/Juli 1879 Zwei Rhapsodien op. 79, Nr. 1–2 (A-Wgm, A 142c) BraWV, S. 333; JBG, Serie III, Bd. 6: Klavierstücke, hrsg. von Katrin Eich, München 2011, S. 222–224 (mit Abb.) bis März 1880 Ungarische Tänze WoO 1, vierhändige Fassung, Hefte 3–4, Nummern 11, 12, 14–17, 19–21 (Privatbesitz, Schweiz) BraWV, S. 499 f. bis März 1881 Akademische Festouvertüre op. 80, Partitur (D-Hs, BRA : Ab : 21) BraWV, S. 335 April 1882 Zwei Gesänge für Altstimme, Viola und Klavier op. 91, Nr. 2, Partitur und Stimmen (D-LÜbi, Bra : A2 : 40) BraWV, S. 375; Patrimonia 107, S. 51 August 1882 Gesang der Parzen op. 89, Klavierauszug (D-LÜbi, 1995.51b-c) BraWV, S. 367, 369; Patrimonia 107, S. 48, 50 bis Dezember Gesang der Parzen op. 89, Partitur (D-LÜbi, Bra : A2 : 37) 1882 BraWV, S. 367 f.; Patrimonia 107, S. 48
Kopist für Schubert und Brahms: Franz Hlawaczek
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bis September Sechs Lieder und Romanzen für Chor op. 93a, Nr. 1–6, Partitur (D-LÜbi, 1884 Bra : A2 : 42) BraWV, S. 382; Patrimonia 107, S. 52 f. ? Friedrich Wilhelm Arnold und Jacob Grimm: Volkslieder aus dem Siebengebirge (A-Wgm, Nachlaß Brahms, A 129)92 BraWV, S. 552; George S. Bozarth, The origin of Brahms’s In Stiller Nacht, in: Notes 53 (1996), S. 363–380, hier S. 374 92
Zwischen 1875 und 1884 war Hlawaczek damit eindeutig Brahms’ Hauptkopist, von dem die meisten erhaltenen Abschriften für Brahms aus diesen Jahren stammen. Nur einzelne Kopien aus diesem Zeitraum wurden von anderen Schreibern angefertigt. Einer von ihnen war der Kopist Josef Füller in Karlsruhe, den Brahms über seine dortigen Freunde Hermann Levi und Otto Dessoff auch von Wien aus gelegentlich mit Abschriften beauftragte.93 Darunter befanden sich jedoch auch mehrere Wiener Kopisten, von denen zumindest einzelne nachweislich mit Hlawaczek in Verbindung standen. Bereits erwähnt wurden die Kopisten 17 und 24 (laut Zählung des BrahmsWerkverzeichnisses), die mit den Schreibern F bzw. A (nach Bezeichnung in vorliegender Studie) identisch sind und in Aufführungsmaterialien der Hofmusikkapelle und der Gesellschaft der Musikfreunde teilweise in direkter Kooperation mit Hlawaczek begegneten.94 Auch die erhaltenen Streicherstimmen zum 13. Psalm op. 27 in einer orchestrierten Fassung wurden von Hlawaczek gemeinsam mit dem Kopisten 22 angefertigt.95 Weitere im betreffenden Zeitraum in Wien entstandene Abschriften stammen von den Brahms-Kopisten 25, 27, 30 und 31, die ebenfalls (teilweise) zum Kopistenkreis um Hlawaczek gehört haben könnten. Einen indirekten Hinweis darauf gibt es im Fall des Kopisten 31, der im Sommer 1881 den Solopart innerhalb des Klavierauszugs zum 2. Klavierkonzert op. 83 schrieb.96 In seinem Taschenkalender von 1881 notierte Brahms auf der Juli-Seite – also gerade zur Entstehungszeit dieser Abschrift – den Namen „Hlawaczek“.97 Sofern sich die Notiz tatsächlich auf jene Kopiatur bezog, ist es also durchaus möglich, daß Brahms den Auftrag seinem bewährten Kopisten übergab, dieser ihn aber aus Krankheits- oder sonstigen Hinderungsgründen nicht ausführen konnte und an den Kopisten 31 weiterreichte. Auch das vierhändige Klavierarrangement zur 2. Symphonie op. 73 wurde im Dezember 1877 von Theodor Billroth vermutlich Hlawaczek zur Abschrift übergeben, jedoch schließlich von den Kopisten 27 (Sätze 92 Für eine Quellenautopsie und Bestätigung Hlawaczeks als Kopist danke ich Vasiliki Papadopoulou. 93 Siehe etwa die Briefe zwischen Brahms und Dessoff vom 19. und 22. November 1876 zur Abschrift des Finales der 1. Symphonie op. 68 (Johannes Brahms im Briefwechsel mit Spitta und Dessoff, hrsg. von Carl Krebs, Berlin 1920 [Johannes Brahms Briefwechsel 16], S. 150 f.). 94 An der Abschrift der Neuen Liebeslieder-Walzer op. 65 waren ebenfalls die Kopisten 17 und 24 sowie Hlawaczek beteiligt, doch scheint dieser erst nachträglich in gesondertem Auftrag eine Umstellung der Nummern 12 und 14 sowie eine Transposition zumindest der Nr. 14 vorgenommen zu haben (siehe Patrimonia 162, S. 17–19). 95 BraWV, S. 92 f. 96 BraWV, S. 346; JBG, Serie I, Bd. 8: Klavierkonzert Nr. 2, hrsg. von Johannes Behr, München 2013, S. 182. 97 Brieftaschen-Kalender für das Jahr 1881, Exemplar aus dem Besitz von Brahms (A-Wst, Ia 79559).
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1–3, Dezember 1877) und 28 (Satz 4, bis März 1878) kopiert.98 Zumindest Kopist 27, der mit Sicherheit ein Wiener Kopist war, könnte also ebenfalls zum kollegialen Umfeld von Hlawaczek gehört und den Auftrag von ihm vermittelt bekommen haben. Sollte Hlawaczek tatsächlich manche Kopieraufträge weitergereicht haben, so dürfte Brahms damit nicht (immer) zufrieden gewesen sein. Angesichts der Bewertung nur dieses Kopisten mit „sehr gut“ ist anzunehmen, daß er sich bei der Beauftragung Hlawaczeks Abschriften von diesem selbst wünschte. Ob sich nun derartige Fälle häuften oder ob Hlawaczek im hohen Alter nur immer langsamer arbeitete – jedenfalls leitete der Komponist spätestens im Herbst 1883 einen Wechsel des Hauptkopisten ein. So schrieb Brahms am 7. November 1883 an seinen Verleger Simrock: „Mein Kopist wird sehr alt und langsam – ich habe mir auch schon einen jungen daneben angeschafft.“99 Der junge Kopist war der damals 43jährige William Kupfer, der für die letzten 13 Schaffensjahre von Brahms dessen Hauptkopist wurde, diese Funktion also letztlich länger als Hlawaczek innehatte.100 Doch mag Brahms mit Hlawaczeks Kopistentätigkeit über die Qualität seiner Abschriften hinaus noch einen ganz eigenen Wert verbunden haben: das Bewußtsein, daß dieser Kopist schon für den engeren Schubert-Kreis gearbeitet hatte. Wenn Brahms diese Vergangenheit Hlawaczeks kannte, dann hat es ihm sicher gefallen, in Wien nicht nur seinen „Wein trinken [zu können], wo ihn Beethoven getrunken hat“,101 sondern auch einen Notenschreiber zu beschäftigen, der in gewissem Sinne bereits Kopist für Schubert gewesen war.102
98 BraWV, S. 312; JBG, Serie IA, Bd. 1: Klavierarrangements op. 68, 73, hrsg. von Robert Pascall, München 2008, S. 186. Die Überbringung und Abholung von Kopieraufträgen wurde damals häufig von Billroth besorgt, dessen Wohnung (Alserstraße 20) nur wenige hundert Meter von derjenigen Hlawaczeks (Lammgasse 12) entfernt lag (siehe Billroth und Brahms im Briefwechsel, hrsg. von Otto Gottlieb-Billroth, Berlin und Wien 1935, Fundstellen für „Hlawaczek“ im Personenregister, S. 522). 99 Brahms an Fritz Simrock, [7. November 1883] (Johannes Brahms. Briefe an Fritz Simrock, Bd. 3, hrsg. von Max Kalbeck, Berlin 1919 [Johannes Brahms Briefwechsel 11], S. 38). 100 [Max Kalbeck], Brahms’ Notenschreiber, in: Neues Wiener Tagblatt, Jg. 40, Nr. 51 (21. Februar 1906), S. 11; teilweise veränderter Wiederabdruck in: Max Kalbeck, Johannes Brahms, Bd. IV, Halbbd. 2, 2. verbesserte Auflage Berlin 1915 (Reprint: Tutzing 1976), S. 549–515; Otto Biba, William Kupfer. Ein Hamburger Musiker im Wiener Brahms-Kreis, in: Österreichische Musikzeitschrift 52 (1997), H. 4, S. 41–45. 101 Brahms an Julius Otto Grimm, [November 1862] (Johannes Brahms im Briefwechsel mit J. O. Grimm, hrsg. von Richard Barth, Berlin 1908 [Johannes Brahms Briefwechsel 4], S. 110). 102 Für die Unterstützung meiner Forschungen durch Auskünfte bzw. die Bereitstellung von Quellen danke ich Prof. Dr. Walther Dürr, Dr. Christine Martin, Prof. Dr. Walburga Litschauer und Katharina LooseEinfalt (Neue Schubert-Ausgabe, Tübingen und Wien), Prof. Dr. Otto Biba (Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien), Dr. Peter Poltun (Musikarchiv der Wiener Staatsoper), Dr. Andrea Harrandt (Österreichische Nationalbibliothek, Wien), Dr. Gerrit Waidelich und Dr. Erich Wolfgang Partsch † (Österreichische Akademie der Wissenschaften, Wien), P. Altman Pötsch (Stift Kremsmünster), Prof. Dr. Paul Hawkshaw (Yale School of Music) und Prof. Dr. Wolfgang Sandberger (Brahms-Institut an der Musikhochschule Lübeck). Meinen Kolleginnen und Kollegen an der Brahms-Gesamtausgabe, Dr. Michael Struck, Dr. Katrin Eich und Dr. Jakob Hauschildt (Kiel) sowie Dr. Vasiliki Papadopoulou (Wien), bin ich für wertvolle Hinweise bzw. ergänzende Wiener Quellenrecherchen dankbar.
Elisabeth Hilscher
Johannes Brahms und die Wiener Singakademie 25 Jahre alt war Johannes Brahms, als in Wien eine seit den Anfängen eines öffentlichen Konzertlebens als Manko empfundene Lücke geschlossen wurde: Mit 15. März 1858 wurde die Bewilligung zur Gründung eines gemischten Laienchores nach Vorbild der Singakademie zu Berlin unter der Leitung von Chormeister Ferdinand Stegmayr erteilt, und am 25. März fand die konstituierende Sitzung des Vereins Wiener Singakademie statt. Die Gesellschaft der Musikfreunde war über die Abspaltung der Sänger ihrer Chorübungen und deren Emanzipation als eigenständiger Verein einigermaßen überrascht, wenngleich dieser Schritt nicht unvorbereitet kam; schon lange war man mit der Probendisziplin bei den „Chorübungen“ wie mit der Zusammenarbeit mit dem Präsidium der Gesellschaft der Musikfreunde unzufrieden gewesen, zahlreiche Reformvorschläge (auch durch Mitglieder des Präsidiums) waren letztlich ins Leere verpufft, so daß Stegmayr, frustriert über die Situation als Chormeister der Gesellschaft und unterstützt durch andere prominente Wiener Chorleiter (beispielsweise August Schmidt, den Leiter des Wiener Männergesang-Vereins), sich zu einem Alleingang bzw. einer Emanzipation aus den Armen der Gesellschaft der Musikfreunde entschloß. Freilich rechnete Stegmayr damit, nicht nur nun inhaltlich seine Idee eines Laienchores mit professionellem Anspruch leichter umsetzen zu können, sondern auch weiterhin (weil sich seiner Exklusivität in Wien sicher) als Konzertchor für die Gesellschaft unentbehrlich zu sein – aber nun mit dem Präsidium auf Augenhöhe verhandeln zu können. In erster Hinsicht hatte Stegmayr richtig kalkuliert, in zweiter jedoch sich gründlich verschätzt. Mit 16. April 1858 gründete die Gesellschaft der Musikfreunde nun ihrerseits einen Konzertchor, der als Zweigverein Singverein der Gesellschaft der Musikfreunde in die Gesellschaft eingebettet war (und ist).1 1
Zu Vorgeschichte und Gründung der Wiener Singakademie vgl. Karl Ulz, Die Wiener Singakademie. Geschichte und Chronik, Phil Diss. Wien 1986, S. 7–26. Die Arbeit von Ulz pflegt, trotz ihrer großen Verdienste, unkritisch viele Klischees in der Beziehung zwischen Singakademie und Musikfreunden weiter; es darf nicht außer Acht gelassen werden, daß zwischen dem Vorstand der Gesellschaft der Musikfreunde und dem der Wiener Singakademie weiterhin enge persönliche wie freundschaftliche Bande bestanden, aber die offenbar nicht unproblematische Persönlichkeit Stegmayrs einen gemeinsamen Weg unmöglich gemacht hatte (hinter den ‚Kulissen‘ scheint es jedoch weit mehr Gemeinsamkeit gegeben zu haben, als konkret durch Fakten belegbar ist, weshalb es auch immer wieder zu Diskussionen um eine Vereinigung beider Chöre gekommen ist). Vgl. dazu auch August Böhm, Geschichte des Singvereines der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien. Festschrift zum fünfzigjährigen Singvereins-Jubiläum, Wien 1908, S. 36–63. Kurzweilig pointiert ist die Darstellung der Gründung bei Joachim Reiber, Wiener Singverein. Menschen – Stimmen – Götterfunken, St. Pölten/Salzburg 2007, S. 36–40. Prof. Dr. Otto Biba möchte ich an dieser Stelle für die anregenden Gespräche und zahlreichen Hinweise betreffend die Beziehungen dieser beiden Institutionen danken.
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Diese neue Situation, die innerhalb weniger Wochen Wien zwei große gemischte Laienchöre bescherte, änderte das geplante Aufgabenprofil der Wiener Singakademie. Deren Hauptaufgabe bestand nun nicht mehr in der Bereitstellung eines Chores für die traditionellen großen Oratorienkonzerte der Gesellschaft, sondern sie etablierte sich als gemischter Chor ohne institutionelle Anbindung, der sich vorwiegend a cappella- bzw. klavierbegleiteter Chor-Literatur widmete. In ihrer Sparte leistete die Singakademie in mehrerer Hinsicht Pionierarbeit: sowohl in der Form als gemischter Chor, ohne Anbindung an einen Kirchenmusikverein, sondern mit dem alleinigen Vereinszweck der Pflege von Chormusik auf professionellem Niveau, als auch in der Gestaltung der Programme, die sich vom ersten öffentlichen Auftreten am 28. November 1858 im Großen Redoutensaal an der Pflege der Alten Musik widmeten (jedoch immer wieder ergänzt durch zeitgenössische Werke). Die Konzerte, die mehrheitlich im Großen Redoutensaal stattfanden,2 brachten beispielsweise Werke von Hermannus Contractus, Johann Sebastian Bach, Francesco Durante, Antonio Lotti, Palestrina, Michael Praetorius, Orazio Vecchi, Jacques Arcadelt, Giovanni Gabrieli, Gregorio Allegri, Orazio Benevoli, Johann Hermann Schein, Georg Friedrich Händel, Wolfgang Amadeus Mozart, Felix Mendelssohn Bartholdy, Franz Schubert, Robert Schumann, Heinrich Esser, Wilhelm Taubert, Friedrich Wilhelm Rust und Franz Mair zur Aufführung. Von den 19 Konzerten, die von November 1858 bis März 1863 gesungen wurden, bestanden neun aus reinen a cappella-Programmen, dominiert von Werken der Alten Musik. In sieben wurde jeweils ein großes Werk der Oratorienliteratur zur Aufführung gebracht (sowohl bekannte Werke wie auch in Wien bislang wenig oder nicht gespielte Werke3); in den übrigen drei Konzerten wurde nach ein paar a cappella-Stücken ein umfangreicheres Werk für Chor, Orchester und Solisten gegeben (wie beispielsweise Robert Schumanns Der Rose Pilgerfahrt oder Requiem für Mignon).
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Alte Musik war zu dieser Zeit bereits kein ‚Sparten‘-Programm weniger Kenner, sondern hatte schon um die Jahrhundertmitte ein breites Publikum in Wien gefunden. Von 1858 bis zum Ende der Konzertsaison 1862/63 gab es 19 Konzerte, von denen 16 im Großen Redoutensaal stattfanden, eines im k. k. Hofoperntheater (18. März 1860, Israel in Egypt von Georg Friedrich Händel unter Carl Eckert) und zwei im Vereinssaal der Gesellschaft der Musikfreunde in den Tuchlauben (15. April 1860 und 9. März 1862, beide a cappella-Programme unter Stegmayr). Vgl. dazu die Daten im Konzertarchiv der Wiener Singakademie (http://www.wienersingakademie.at/archiv). 25. März 1859: Ferdinand Hiller: Saul; 18. März 1860: Georg Friedrich Händel: Israel in Egypt; 1. April 1860: Händel: Das Alexanderfest; 6. Jänner 1861: Felix Mendelssohn Bartholdy: Paulus; 15. April 1862: Johann Sebastian Bach: Matthäus-Passion; 15. November 1862: Händel: Belshazzar und am 31. März 1863: Bach: Matthäus-Passion (Daten laut Konzertarchiv der Singakademie, siehe Anm. 2).
Johannes Brahms und die Wiener Singakademie
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Die Berufung von Brahms an die Wiener Singakademie Am 6. Mai 1863 verstarb nach längerer Krankheit Ferdinand Stegmayr,4 und die Wiener Singakademie mußte sich nach einem neuen Chormeister umsehen, der den von Stregmayr begonnenen Weg erfolgreich fortzusetzen verstand. Brahms hatte zu diesem Zeitpunkt schon durch circa sechs Jahre Erfahrung als Chordirigent sammeln können (in Detmold mit dem Hofchor wie in Hamburg mit dem Hamburger Frauenchor). In Wien, wo Brahms seit Mitte September 1862 wohnte, hatte er sich in erster Linie als Pianist einen Namen gemacht: Am 16. November 1862 war Brahms erstmals in Wien öffentlich im Rahmen eines Konzerts des HellmesbergerQuartetts aufgetreten, am 29. November in einem eigenen Konzert5 – als Chordirigent war er bis zu seiner Abreise nach Hamburg in Wien nicht in Erscheinung getreten.6 Siegfried Kross spricht Brahms zu diesem Zeitpunkt auch jegliche Qualifikation als Chorerzieher und Chorleiter eines größeren Klangkörpers ab: „[…] [A]bgesehen von ein paar Wochen Chorleitung in Detmold besaß er doch keinerlei Erfahrung. Eine Repertoirebildung oder auf Chorerziehung abstellende auch nur mittelfristige Planung hatte er da nicht nötig gehabt. Durchsetzungsprobleme hatte es schon deswegen nicht gegeben, weil Mitglieder des regierenden Hauses im Chor mitsangen. Von Stimmbildung hatte er keine Vorstellung, wie schon die unsinnigen Experimente in Detmold mit seiner eigenen Stimme hinlänglich zeigen.“7 Und so sah man auch in Hamburg von einer Berufung Brahms’ an die hiesige Singakademie ab, doch in Wien gingen die Uhren anders. Es muß wohl schon seit dem Ableben von Stegmayr Gespräche gegeben haben,8 in denen Brahms in die engere Wahl als Nachfolger des Singakademie-Gründers gezogen worden war. Am 18. Mai 1863 fand eine außerordentliche Generalversammlung der Wiener Singakademie statt, deren Hauptpunkt die Nachfolge Stegmayrs darstellte. Fünf Kandidaten standen zur Wahl: Otto Bach,9 Johannes Brahms, Heinrich Esser, 4
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Zu Stegmayr, der einer Wiener Musikerfamilie entstammte, vgl. den Artikel im Oesterreichischen Musiklexikon online (http://www.musiklexikon.ac.at; Zugriff: 3.9.2013). Stegmayr hatte sich schon seit Beginn der Saison 1862/63 mehrmals durch seinen Stellvertreter Franz Krenn bei Proben wie Konzerten krankheitshalber vertreten lassen müssen; am 2. März 1863 hatte er ein letztes Mal die Wiener Singakademie dirigiert (vgl. dazu Ulz, Wiener Singakademie [wie Anm. 1], S. 35 f.). Vgl. dazu die Angaben bei Renate und Kurt Hofmann, Johannes Brahms. Zeittafel zu Leben und Werk, Tutzing 1983 (Publikationen des Instituts für österreichische Musikdokumentation 8), v. a. S. 58–62. Brahms freute sich „wie ein Kind“ auf den Besuch dieser Stadt – zum ersten Wien-Aufenthalt von Johannes Brahms vgl. Siegfried Kross, Johannes Brahms. Versuch einer kritischen Dokumentar-Biographie, 2 Bde., Bonn 1997, hier: Bd. 1, S. 381–392. Eine Ausnahme sei erwähnt, doch handelte es sich eher um ein Ensemble als um einen Chor: „In einem Konzert der Sängerin Julie von Asten am 10. April wurden auch Frauenchor-Sätze von ihm gemacht und der Ossian-Gesang aus op. 17.“ Kross, Brahms (wie Anm. 5), Bd. 1, S. 402. Kross, Brahms (wie Anm. 5), Bd. 1, S. 396. Wie weit sogar schon vor dem Tod Stegmayrs am 6. Mai 1863 ernsthaft Gespräche geführt wurden, oder Brahms sich (wieder) Illusionen hingab, kann nicht im Detail quellenmäßig belegt werden; Brahms deutet jedoch schon am 13. April gegenüber Joseph Joachim an, daß er ein Angebot der Wiener Singakademie zu deren Leitung hätte (dazu Kross, Brahms [wie Anm. 5], Bd. 1, S. 412). Otto Bach stammte aus der in Wien gesellschaftlich bestens verankerten Politiker- und Beamtenfamilie Bach. 1868 ging er nach Salzburg (vgl. oeml-online, Zugriff: 4.9.2013).
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der bisherige Vizechormeister Franz Krenn und Rudolf Weinwurm – es stand also vier bereits gut bekannten Wiener Chordirigenten und Musikern ein hier noch relativ unbekannter Komponist, Pianist und Dirigent aus Hamburg gegenüber. Warum die geheime Abstimmung zugunsten von Brahms ausging, kann nur aus folgendem erklärt werden: „Schon das leitende Komitee [der Wiener Singakademie] teilte sich in seinen Ansichten in zwei Lager. Während der favorisierte Kandidat des Präsidiums (Graf Kuefstein und Stellvertreter Dr. Egger) Franz Krenn war, tendierte die Mehrheit des restlichen Komitees zu Rudolf Weinwurm. Umso erstaunlicher scheint es, daß in der geheimen Wahl der Generalversammlung das Los auf Johannes Brahms fiel.10 Das Ergebnis der Abstimmung brachte einen knappen Vorsprung für Brahms: Johannes Brahms Franz Krenn Rudolf Weinwurm Otto Bach Heinrich Esser
39 Stimmen 37 Stimmen 27 Stimmen 1 Stimme 1 Stimme.“11
Die Wahl des Hamburgers war also ein Kompromiß, um sich für keine der streitenden Wiener „Parteien“ entscheiden zu müssen. Johannes Brahms war zum Zeitpunkt der Abstimmung schon nicht mehr in Wien; Er war am 1. Mai aus Wien abgereist und lebte seit 7. Mai wieder in Hamburg. Zwar hatte er in Wien mit seinem achtmonatigen Aufenthalt eine „musikalische Visitenkarte“ hinterlassen – ernsthafte Absichten, sich hier niederzulassen, bestanden zu diesem Zeitpunkt jedoch noch nicht.12 Brahms wirkt daher einigermaßen überrascht, als er schriftlich von seiner Wahl zum Chormeister der Wiener Singakademie erfuhr. Dementsprechend zurückhalten-höflich war seine Antwort, in der auch ein gewisser Widerwillen mitschwingt, sich zu lange und eng an eine Institution wie an einen Ort binden zu wollen – ausreichend Zeit für Komposition und sein Wirken als Pianist schienen ihm zu wichtig, als daß er diese gegen eine sichere, geregelte, aber zeitaufwendige Tätigkeit in einer ihm noch nahezu unbekannten künstlerischen Umgebung ohne weiteres eintauschen mochte. Mit Datum vom 30. Mai 1863 antwortete er dem Präsidium der Wiener Singakademie: „Hochgeehrte Herrn, Daß die Dirigenten-Wahl der Wiener Sing-Akademie auf mich fallen konnte, ist mir ein ebenso überraschendes als ehrenvolles Zeichen Ihres Vertrauens erschienen, das ich dankbarst zu schätzen weiß. Und so möchte ich Ihnen denn vor Allem meine lebhafte Freude über das mir 10 Angeblich sei diese Entscheidung aufgrund eines glühenden Plädoyers von Vorstandsmitglied Joseph Gänsbacher gefallen – in den Chroniken der Wiener Singakademie wird darüber nicht berichtet. 11 Ulz, Wiener Singakademie (wie Anm. 1), S. 36. 12 Brahms hatte hingegen gehofft, zum Dirigenten der Philharmonischen Konzerte in Hamburg gewählt zu werden. Die Wahl fiel jedoch am 20. März 1863 auf Julius Stockhausen, dennoch kehrte Brahms in seine Heimatstadt zurück, da er sich hier (bzw. in Norddeutschland) bessere berufliche Chancen ausrechnete als im österreichischen Kaiserstaat. Vgl. dazu die Chronologie bei Hofmann/Hofmann, Brahms Zeittafel (wie Anm. 5), S. 60–62; bzw. Ulz, Wiener Singakademie (wie Anm. 1), S. 36 f.
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gewordene Anerbieten ausdrücken u. wie sehr ich geneigt bin, ja, wie sehr ich wünsche, ich möge das mir geschenkte Vertrauen durch meine Thätigkeit für die Akademie verdienen können. Ich hoffe nun u. zwar theils durch Ihre Güte einiges Nähere über die Ak. u. über die von mir verlangte Thätigkeit zu erfahren u. hoffe zugleich sehr, es möge mir der Antrag dann immer annehmbarer erscheinen. Daß ich mich überhaupt bedenke von der ehrenvollen Einladung Gebrauch zu machen werden Sie erklärlich finden, da eine derartige Stellung doch jedenfalls sehr ändern in m. bisherige Lebensweise eingreift. So nehme ich mir also die Freiheit, Ihnen hier gleich einiges zu notiren über das ich Ihre gütige Auskunft wünschte. Vor Allem möchte ich wissen wie lange u. wie sehr ich überhaupt gebunden bin durch die Akademie. Nach den Statuten gehen die Uebungen bis zum August, das thun sie aber in Wirklichkeit wohl nicht? Bleibt wie bisher ein Vice-Chormeister beschäftigt u. kann ich sonach, falls ich wünsche, eine od. mehrere Wochen verreisen u. diesem derweile die Uebungen übertragen? Dann möchte ich zu wissen, wie stark derzeit die Zahl der singenden Mitglieder der Akademie ist u. zwar nach den Stimmen. (Sopr. Alt. Ten. Bass.) ferner, wie stark die Männer etwa im letzten Winter bei den gewöhnlichen Proben vertreten waren. Damit hängt die Frage zusammen ob jetzt, bis zum Wiederanfang wohl dafür gethan wird neue Mitglieder zu gewinnen u. wer etwa die Prüfung u. Aufnahme derselben übernimmt. Sehr lieb wäre es mir wenn ich durch Ihre Güte die bisherige Thätigkeit der Ak. übersehen könnte, etwa durch Uebersendung der Programme; so daß ich sähe was geleistet u. also was etwa zu leisten ist. Wäre es gar möglich mir vom Herbeck’schen Singverein [Singverein der Gesellschaft der Musikfreunde] dasselbe zu verschaffen so wäre mir das freilich außerordentlich angenehm. (Schon der zu wählenden neuen Werke wegen.) Schließlich spreche ich, ungern auch über den Geldpunkt. Doch indem ich bedenke daß die Beschäftigung mit der Ak. mich vielfach hindern wird, anderweitig darnach umzuschauen, so will es doch überlegt sein. Vielleicht wäre es das Einfachste wenn ich Sie bäte die außerordentlichen Einnahmen des bisherigen Chormeisters, wovon ich auch durch Sie höre, in einer Weise festzustellen, daß das Ganze ein genügend fixer Gehalt für mich würde. Doch ich fürchte ich mißbrauche Ihre Geduld nur zu sehr. Es ist eben ein besonderer Entschluß seine Freiheit das erstemal wegzugeben. Jedoch, was von Wien kommt, klingt eben dem Musiker noch eins so schön u. was dorthin ruft, lockt eins so stark. Möchten Sie damit, wie ich dringend bitte, meine Weitläufigkeit gütig entschuldigen. Mit ausgezeichneter Hochachtung ergeben Johannes Brahms Hamburg d. 30. Mai 1863.“13 13 Archiv der Wiener Singakademie, Briefsammlung, Brief 46 (deponiert im Archiv der Wiener Konzerthausgesellschaft); Transkription nach Ulz, Wiener Singakademie (wie Anm. 1), S.37–39. Max Kalbeck
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Die Singakademie konnte die Bedenken zerstreuen, und im August 1863 übersiedelte Brahms nach Wien.14 Auch Clara Schumann hatte ihrem „lieben Johannes“ zugeredet, die Stelle in Wien anzunehmen: „[…] [D]as ist ja prächtig, was ich soeben aus sehr zuverlässiger Quelle gehört habe, daß Du in Wien eine Stelle erhalten. Da will ich nicht säumen, Dir zu sagen, wie sehr mich das freut, denn ist es auch eben keine brillante Stellung, so doch ein Anfang, der bald Besseres nach sich zieht, und nun bist Du doch an eine Stadt gefesselt, die Dir, hoffe ich, lieb geworden, und wo es sich ganz gut leben läßt. In Hamburg wäre jetzt für die Dauer kein angenehmes Sein für Dich gewesen, ein gewisses bitteres Gefühl würde Dich oft beherrschen – und so geht denn alles recht nach Deinem Wunsche.“15
Brahms als Dirigent der Wiener Singakademie In Brahms’ Augen war die intensive Beschäftigung der Singakademie mit Alter Musik (mit Pioniertaten wie der Wiener Erstaufführung von Bachs Matthäus-Passion am 15. April 1862 im Großen Redouten-Saal) ein Bonus, kam dies doch seinen eigenen Interessen sehr entgegen. Am 28. September 1863 wurde Johannes Brahms den Mitgliedern der Wiener Singakademie als neuer Chormeister vorgestellt. Die Zeit drängte, wollte man die übliche Anzahl an Konzerten – vier bis fünf pro Saison – gründlich vorbereiten. Das erste Konzert der Singakademie unter der Stabführung von Johannes Brahms fand am 15. November 1863 im Großen Redoutensaal statt. Für den ersten Teil studierte Brahms neue (vorwiegend) a cappella-Chorwerke ein, darunter drei Stücke aus den 14 Deutschen Volksliedern WoO 34, die er – quasi als Einstandsgeschenk – „seiner“ Wiener Singakademie mitgebracht und gewidmet hatte, und eine Bach-Kantate (Ich hatte viel Bekümmernis BWV 21 – erstmals in Wien aufgeführt), für den zweiten Teil griff Brahms auf das bereits gut studierte und am 2. März 1863 unter Stegmayr zur Wiener Erstaufführung gebrachte Requiem für Mignon von Robert Schumann zurück. Mit den beiden Volksliedern aus WoO 34 stellte sich Brahms dem großen Wiener Publikum als Komponist mehrstimmiger Vokalmusik vor – beide Stücke wurden am zitiert ein Schreiben von Brahms an Joseph Gänsbacher, in welchem sich der Komponist über Honorarvorstellungen, Probenmöglichkeiten, Bibliothek, Repertoire etc. erkundigt und einen ziemlich ahnungslosen Brahms zeigt. Max Kalbeck, Johannes Brahms, Berlin 1921 (Reprint: Tutzing 1976), Bd. II, S. 75 f. 14 Nach Kalbeck hatte ihm der Vorstand der Wiener Singakademie schon nach dem Konzert am 10. April 1863 die Stelle eines Chormeisters angeboten, was jedoch unwahrscheinlich scheint, da Stegmayr zu diesem Zeitpunkt noch am Leben war (Kalbeck, Brahms II [wie Anm. 13], S. 47). 15 Clara Schumann an Johannes Brahms, Baden[-Baden], den 14. Juni 1863 (Clara Schumann – Johannes Brahms. Briefe aus den Jahren 1853–1896, im Auftrag von Marie Schumann hrsg. von Berthold Litzmann, Bd. 1 [1853–1871], Leipzig 1927, S. 423). Vgl. dazu auch Clara Schumanns Brief an Johannes Brahms, Baden[-Baden], den 10. Juli 1863 (ebda., S. 428): „Wie lieb ist es mir, daß Du die Stelle in Wien nun angenommen – ich hoffe zuversichtlich, daß es zu Deiner Freude wird, ein immer schönerer Wirkungskreis, und kaum gibt es eine Stadt in Deutschland, wo Du so leicht Anerkennung findest, als in Wien. […].“
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15. November 1863 durch den Komponisten uraufgeführt.16 Die Kritik lobte die Leistung der Wiener Singakademie, doch hegt Rezensent „–m–“ Zweifel an den Fähigkeiten von Johannes Brahms als Dirigent und Chorleiter: „Concerte. Erstes Singakademie-Concert. Zum Herrscher muß man geboren sein, mithin auch zum Dirigenten. – Ob Hr. Brahms, der neugewählte musikalische Leiter dieses Vereins, der, um seinen Tactirstock den Kranz der Jungfräulichkeit gewunden, in diesem Concerte öffentlich in den Bund der Wiener Concertdirigenten eintrat, zu diesem Geschäfte den angeborenen Beruf in sich trägt, bildet eine Frage, die wir, um uns weder der Gefahr der Voreiligkeit noch dem Verdachte der Voreingenommenheit auszusetzen, vorläufig noch als eine offene behandeln wollen. Die Thätigkeit des Dirigenten hat sich nach zweierlei Richtungen geltend zu machen, zu denen jeder bestimmte Qualificationen gehören. Das Einstudieren erfordert Partiturkenntnis, Auffassung des Inhaltes der betreffenden Tonwerke, Umsicht des Blickes und Gehörs, um jeden Fehler des einzelnen Mitwirkenden sofort zu erkennen, die Gabe der Mittheilung, um die Ausübenden über den Geist der Composition zu orientiren, sie mit den, jeden Einzelnen betreffenden Details des Ausdrucks u. s. w. aufzuklären. Wie weit Hr. Brahms diese Gaben besitzt, vermögen wir noch nicht zu beurtheilen. […] Jedenfalls scheint Hr. Brahms mehr Ruhe als Energie zu besitzen. Erstere gränzt beinahe an Gleichgültigkeit, nur selten vermag er es zu einem energischen Eingreifen zu bringen. Er führt den Tactirstab, als wenn er eine Schreibfeder in der Hand hielte. Sein Auftreten ist schlicht und bescheiden und verräth nichtsdestoweniger eine gewisse Selbständigkeit. Nur selten wirft er einen Blick in die Partitur, denn er scheint Alles genau innen zu haben. Im Allgemeinen kann man mit seinen Aufführungen zufrieden sein. Jedenfalls wurden die Vocalfarben vollendeter und mit kräftiger Schattirung als die Instrumentalsätze gespielt. […].“17
Brahms selbst war sich offenbar schon nach dem ersten Konzert nicht mehr sicher, ob diese Stelle für ihn und seine beruflichen Pläne förderlich wäre, sprach aber vorerst nur mit Clara Schumann über seine Zweifel, worauf diese irritiert antwortete: „Du hast übrigens der Freude [über das gelungene Konzert mit der Wiener Singakademie] gleich einen Dämpfer aufgesetzt durch Deine Äußerung, daß Du doch nicht daran denkst, die Stellung zu behalten, während ich mir dich schon ganz an Wien gefesselt glaubte. Ich weiß nicht, warum Du Dietrichs und Stockhausens Stellungen [im Hamburg] beneidenswerter findest? […].“18
Dem Chor gegenüber wurden diese Zweifel jedoch nicht geäußert. Hingegen bereiteten Brahms und die Singakademie sich intensiv auf das nächste Konzert, das am 6. Jänner 1864 – wieder im Großen Redoutensaal – stattfand, vor. Brahms präsen16 Vgl. dazu Margit L. McCorkle, Johannes Brahms. Thematisch-bibliographisches Werkverzeichnis, München 1984, S. 598–601. 17 –m–, in: Blätter für Theater, Musik und Kunst 9 (17. 11. 1863), Nr. 92, S. 366. 18 Clara Schumann an Johannes Brahms, Schwerin, den 25. November 1863 (C. Schumann – Brahms. Briefe [wie Anm. 15], Bd. 1, S. 432).
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tierte seinen Chor sowohl mit a cappella-Werken als auch mit orchesterbegleiteten Chorwerken, teilweise auch mit Solisten; die Werke der Alten Musik (wie Gabrieli, Haßler oder Schütz) führte Brahms puristisch a cappella auf, obwohl ein Mitlaufen von Instrumenten dem mit dieser Art von Musik überforderten Chor Sicherheit gegeben hätte.19 Wie gründlich sich Brahms mit dem Material auseinandersetzte, zeigen gedruckte Partituren zu Giovanni Gabrielis Benedictus, Heinrich Schützens Saul, was verfolgst du mich und von Johannes Stobäus’ / Johannes Eccards Aufs Osterfest, die sich heute im Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde befinden.20 Der Kritik wie dem Publikum war das Programm zu kontemplativ, teilweise auch schlecht (Gabrielis Benedictus mußte neu begonnen werden) bzw. uninspiriert ausgeführt, vielleicht auch mit dem hohen Anteil an Alter Musik zu anspruchsvoll. „Bis zur vollständigen Anspannung niederdrückend“ sei das Programm gewesen, kritisiert der Rezensent der Neuen Zeitschrift für Musik.21 Und selbst Clara Schumann, bei der sich der wohl bitter enttäuschte Brahms „ausweinte“, konnte ihre Kritik an der Programmgestaltung nicht zurückhalten: „Über dein 2. Konzert hörte ich leider, daß es nicht gut gegangen sei, daß Ihr nicht genug studiert hattet – warum verschobst Du es nicht? Dann hörte ich, du habest so alte Kirchensachen gemacht, die die Leute in Wien nicht möchten – ist das wahr? Du hast doch gewiß auch anderes gegeben, und ein oder zwei so alte Stücke könnten sie sich wohl gefallen lassen! […]“22
Und auch bei der Programmwahl für das dritte Konzert der Saison zeigte Brahms zwar viel Gestaltungswillen, aber wenig Fingerspitzengefühl: Mit der Wiener Erstaufführung von Johann Sebastian Bachs Weihnachtsoratorium (Kantaten 1, 2, 4 und 623) setzte er die von der Wiener Singakademie begonnene Pflege der großen BachOratorien fort, doch ist die Programmierung für Palmsonntag doch eher unglücklich zu nennen. Dazu kam, daß zwei Tage später Johann Herbeck mit dem Singverein Bachs Johannes-Passion zur Aufführung brachte und somit beide Wiener Konzertchöre sich gleichsam in einem „Bach-Wettstreit“ präsentierten, den der Singverein und Herbeck für sich gewinnen konnten. Das Weihnachtsoratorium24 war schon im Sommer 1863 auf Brahms’ Desiderata-Liste für Wien gestanden, auch Händels Alexanderfest, jedoch 19 Als Solisten nennt das Konzertarchiv der Wiener Singakademie Rudolf Panzer (Baß), Ottilie Hauer (Sopran) und Ida Flatz (Alt) und die Wiener Philharmoniker als Orchester (vgl. http://www.wienersingakademie.at/archiv; Zugriff: 25.5.2013). 20 Vgl. dazu die Abbildungen bei Virginia Hancock, Brahms’ Aufführungen früher Chormusik in Wien, in: Susanne Antonicek / Otto Biba (Hrsg.), Brahms-Kongreß Wien 1983. Kongreßbericht, Tutzing 1988, S. 199– 228, hier S. 204–213. 21 Neue Zeitschrift für Musik, Heft 60 (1864), S. 49. 22 Clara Schumann an Johannes Brahms, Hamburg, den 20. Januar 1864 (C. Schumann – Brahms. Briefe [wie Anm. 15], Bd. 1, S. 437 f.) 23 Als Solisten werden genannt: Anna Bockholz-Falconi (Sopran), Ida Flatz (Alt), Lorenz Dalfy (Tenor) und Rudolf Panzer (Baß); die Wiener Philharmoniker stellten wieder das Orchester (vgl. http://www. wienersingakademie.at/archiv; Zugriff: 25.5.2013). 24 Vgl. dazu den Brief an Joseph Gänsbacher, zitiert bei Kalbeck, Brahms II (wie Anm. 13), S. 77 f.: „Das Weihnachts-Oratorium von Bach ist wohl bei ihnen [in Wien] aufgeführt?“
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ohne zu wissen, daß es für ersteres keine, jedoch für letzteres eine große Wiener Tradition gab. So schrieb Brahms an seinen Freund Albert Dietrich im Sommer 1863: „Empfiehl mir ein recht practisches Oratorium von Händel, womit ein Neuling einigermaßen sicher debütiren kann. Wie hast Du es im Besonderen z. B. mit dem Weihnachts-Oratorium von Bach gehalten? An wie viel Abenden? Nur einige Theile? Die zwei ersten scheinen mir practisch bei flüchtiger Durchsicht. – Kannst Du mir überhaupt als bejahrter und hochweiser Hofcapellmeister rathen oder empfehlen, so bitte ich. – N[ota] B[ene] Alexanderfest und Weihnachtsoratorium gehen mir besonders durch den Kopf und hörte ich gern Beliebiges über Instrumentation etc. NB. Hättest Du etwa Letzteres mit oder ohne Orgel instrumentirt und könntest Du mir dies zur Ansicht und Studium mittheilen, so wäre mir’s das Allerliebste! daß ich ein Princip, überhaupt die Art und Weise erkennen mag.“25
Diese Unkenntnis hatte sich gewandelt, denn auch auf das Weihnachtsoratorium hatte sich Brahms sehr gründlich vorbereitet, wie eine Partitur der Alten Bach-Gesamtausgabe mit – nach mündlicher Überlieferung der Wiener Singakademie – autographen Eintragungen von Brahms im Vereinsarchiv belegt.26 Brahms hatte auch in dieses Projekt, in diese Pioniertat der Wiener Bach-Rezeption, großes persönliches Engagement gesteckt, was in den Blättern für Theater, Musik und Kunst auch gebührend gewürdigt wurde; Zellner schließt seinen Bericht: „Bei so vorwiegender Anerkennung des uns Gebotenen müssen wir wohl auch des geistigen Mittelpunctes, des Leiters des Ganzen gedenken und dem geistreichen, gesinnungstüchtigen Chormeister der Singakademie, Johannes Brahms, unserer vollste Anerkennung zollen. Wenn wir den Wunsch aussprechen, dem ‚Weihnachtsoratorium‘ auch im nächsten Jahre auf dem Repertoire der Singakademie zu begegnen, so glauben wir damit wohl in Uebereinstimmung mit der Mehrzahl der Hörer zu sein.“27
Johannes Brahms selbst war mit seiner Leistung zufrieden, die zeitlich ungünstige Plazierung des Werkes scheint ihm nicht einmal bewußt gewesen zu sein: „In unserm 3. Konzert ging das Weihnachts-Oratorium (Teil 1, 2, 4, 6) doch ganz trefflich. Ich und der Chor mindestens hatten unsre Freude. Der hiesigen Kritik gegenüber hat ein Bachsches Werk schweren Stand. Hanslick mag in den 8 Tagen Höllenpein gelitten haben, da 2 Tage nachher von Herbeck die Johannis-Passion aufgeführt wurde. Leider haben wir am 17. April noch 25 Albert Dietrich, Erinnerungen an Johannes Brahms, Leipzig 1989, S. 170. 26 Das alte Vereinsarchiv der Wiener Singakademie wurde dem Archiv der Konzerthausgesellschaft zur fachgerechten Verwahrung übergeben. Die genannte Partitur wurde von Katharina Loose (Brahms-GA) fotografiert; eine Seite daraus mit – wahrscheinlich – Eintragungen von Brahms diente auch als Coverbild für die intern für die Mitglieder der Singakademie produzierte CD der Aufnahme des Konzerts des Bachschen Weihnachtsoratoriums (Kantaten 1 bis 3) vom 22. Dezember 2010 (Wien, Minoritenkirche) mit Cornelia Horak (Sopran), Gerda Lischka (Alt), Daniel Johannsen (Tenor), Günter Haumer (Baß) und dem Orchester Barucco, Dirigent: Heinz Ferlesch. 27 Leopold Alexander Zellner, in: Blätter für Theater, Musik und Kunst 10 (22.3.1864), Nr. 24, S. 93.
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elisabeth hilscher ein Konzert, und leider hatte ich Gründe, auf den Vorschlag des Komitees einzugehen, lauter ‚Brahms‘ zu geben! Ave Maria, Marien- und andre Chorlieder, eine Motette, Solo-Quartette, das Streich-Sextett, und schließlich mit Carl Taussig meine Sonate für 2 Klaviere. […]“28
Mit dem vierten Konzert der Saison 1863/64 am 17. April 1864 im Vereinssaal der Musikfreunde dirigierte Brahms ausschließlich eigene Werke und mit Ausnahme des Ave Maria op. 12, das mit Klavierbegleitung gegeben wurde, ausschließlich Werke für gemischten Chor a cappella – ergänzt wurde das Vokal-Programm durch das Sextett für Streichinstrumente op. 18, ausgeführt durch Hellmesberger, Durst, Dobyhal, Bauer, Schlesinger und Kupfer sowie die im Brief erwähnte Zweite Sonate für Klavier.29 Sowohl Zellner als auch die kurze Notiz in der Wiener Zeitung bemängeln die Überlänge des Konzertes, das an die drei Stunden („bis in die elfte Nachtstunde“30) gedauert haben soll. Die sehr ins Detail gehende Rezension Zellners kritisiert die Vokalwerke als „mäßig ansprechend“; zwar sei das Ave Maria op. 12 „ein tüchtiges Stück Contrapunkt, aber auch nicht mehr“. Auch die Interpretation der Chorwerke scheint ihm zu wenig nuancenreich. „Ob dieß vom Componisten so beabsichtigt ist, wissen wir nicht; wahrscheinlich aber ist es so, denn er dirigirte ja die Aufführung und hätte wohl Nuancen anbringen können, wenn er welche gewollt hätte.“31 Brahms selbst hatte sich zu diesem Zeitpunkt schon innerlich von der Singakademie verabschiedet. Bereits in seinem Brief vom 4. April 1864 schrieb Brahms an Clara Schumann, daß er zweifle, ob er die Singakademie weiter leiten wolle32 – doch vorerst teilte er seine Bedenken 28 Johannes Brahms an Clara Schuman, Wien, den 4. April 1864 (C. Schumann – Brahms. Briefe [wie Anm. 15], Bd. 1, S. 444). 29 Angaben laut Leopold Alexander Zellners Rezension in den Blättern für Theater, Musik und Kunst 10 (19.4.1864), Nr. 32, S. 125. 30 Wiener Zeitung Nr. 100 (19. April 1864), S. 219: „Am Abend versammelte Dr. Johann Brahms in dem aus eigenen Compositionen bestehenden Concert ein zahlreiches Auditorium. Das Concert währte bis in die elfte Nachtstunde.“ 31 Leopold Alexander Zellner, in: Blätter für Theater, Musik und Kunst 10 (19.4.1864), Nr. 32, S. 125. 32 „Ich habe jetzt mich leider zu entschließen, ob ich die Akademie fürs nächste Jahr behalten will. Könnt’s doch ein andrer für mich! […] Das Schlimmste für mich einstweilen ist der besagte Entschluß, der gefaßt sein soll. Die Akademie hat mir freilich recht viel Freude gemacht, indes ist einmal wieder Unangenehmes genug dabei. Wie die Leute musikalisch sind, vom Blatt singen, schön üben, ist ganz gut, aber das Leben ist zu unruhig hier, in der kurzen Saison kann weder ein Mensch noch ein Institut bestehen, das nicht rasch mittaumelt, sondern ruhig existieren möchte und Genuß und Bildung in sich suchen möchte. Das will gelebt sein, getanzt von einem Konzert und einer Überraschung zur andern. Das pekuniäre und Künstlerische kommt auch dadurch in bedenkliche Lage, daß kein recht vornehmer und vornehm künstlerischer Mensch mit an der Spitze steht. Das Musikalische könnte ich recht gut und genügend besorgen, aber wie es hier steht, müßte ich ein Organisationstalent besitzen, das mir abgeht. […] Heute früh nun, will ich gestehen, liegt mir wieder das nächste Konzert und mein zu fassender Entschluß aufs unbequemste im Kopf. Wenn jemand Geld hätte, könnte er doch einmal viel besser entschließen und nach Herzenslust tun und lassen! […].“ Johannes Brahms an Clara Schumann, Wien, den 4. April 1864 (C. Schumann – Brahms, Briefe [wie Anm. 15], Bd. 1, S. 444–446). Ähnlich auch in einem undatiert wiedergegebenen Brief an Josef Joachim in: Kalbeck, Brahms II (wie Anm. 13), S. 113: „[…] So manche Freude mir auch die Akademie macht, gibt’s doch genug, daß man’s überlegt. Wundere Dich nächstens nicht zu sehr und zu unangenehm, wenn Dir ein Brahms-Programm vorkommt! Die Akademie muß ein Konzert geben, mir blieb keine Wahl, als eben auf die Bitte des Komitees einzugehen. Das Konzert soll Geld bringen und in zwei bis drei Wochen studiert sein. Ehe ich als bloßer Kapellmeister mich prostituie-
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nur mit Clara Schumann, die Mitglieder der Wiener Singakademie brachten ihrem Chorleiter uneingeschränktes Wohlwollen trotz der Rückschläge dieser Saison und der schwierigen Programmgestaltung entgegen. Der Verein selbst hatte ein schwieriges Jahr hinter sich: „Bereits vor Wiederbeginn der Proben [im September 1863] war Präsident Franz Graf Kuefstein von seinem Amt zurückgetreten. Damit trat sein Stellvertreter Dr. Franz Egger in dessen Rechte und Pflichten. Bei der ersten Zusammenkunft am 28. September 1863 stellte dieser den Mitgliedern den neuen Chormeister Brahms vor. Anläßlich der Generalversammlung am 19. Oktober 1863 wurde beschlossen, mit der Neuwahl eines Präsidenten noch zuzuwarten.“33 Erst am 9. Mai 1864 fand eine außerordentliche Generalversammlung statt: In dieser wurde nicht nur der bisherige Stellvertreter, Dr. Franz Egger, zum Präsidenten gewählt, sondern auch Johannes Brahms für weitere drei Jahre zum künstlerischen Leiter bestellt.34 Daher erscheint es doch einigermaßen merkwürdig, daß Brahms wenige Wochen nach diesem Beschluß das Amt des Chormeisters zurücklegte, wie man einer Kurznotiz in den Blättern für Theater, Musik und Kunst vom 15. Juli 1864 entnehmen konnte: „Der Dirigent der Singakademie, Johannes Brahms, hat seine Stelle bei der Singakademie niedergelegt, und Hofoperncapellmeister Dessoff selbe bereits angenommen.“35 Auch Clara Schumann hatte am 1. Juni 1864 noch freudig geschrieben: „Wie lieb ist es mir aber, daß Du die Stellung in Wien wieder angenommen – ich dachte mir immer dasselbe, was Du auch geäußert, daß manche Menschen Dein so baldiges Fortgehen anders auffassen würden. Sehr recht hast Du aber, auf Abschaffung von Übelständen zu bestehen, erreichst Du auch nicht alles, etwas doch. – […]“36 Über die Gründe des plötzlichen Umschwenkens kann nur spekuliert werden: War es die zeitaufwendige Probenarbeit, die geforderte Präsenz vor Ort, die nicht immer friktionsfreie Zusammenarbeit mit Laien, die oft nicht sofort verstanden, was Brahms wollte bzw. dieses nur unzureichend umzusetzen vermochten, oder der Erfolgsdruck bei den Konzerten? An dieser Stelle sei auf die Bedenken hingewiesen, die Brahms dem Vorstand der Singakademie bereits in seinem Brief vom 30. Mai 1863 angeführt hatte – Zeit für seine kompositorische Arbeit und Reisefreiheit waren ihm schon damals wichtige Anliegen, und beides war in dem Jahr als Chormeister der Wiener Singakademie zu kurz gekommen.37 Doch so ganz konnte sich Brahms noch nicht
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re und das Publikum mit einer langen Reihe von Chören langweile, lasse ich’s lieber als Komponist über mich ergehen; wer hineingeht, weiß ja, welchen Spaß er mitmachen soll. […]“ Ulz, Wiener Singakademie (wie Anm. 1), S. 39 f. Ebda, S. 41. Blätter für Theater, Musik und Kunst 10 (15.7.1864), S.227. Clara Schumann an Johannes Brahms, Düsseldorf, den 1. Juni 1864 (C. Schumann – Brahms. Briefe [wie Anm. 15], Bd. 1, S. 452). Brahms holte seine ‚Vergangenheit‘ als Chormeister der Wiener Singakademie wenige Jahre später ein, als er 1870 die Nachfolge Herbecks als Konzertdirektor der Gesellschaft der Musikfreunde antreten sollte, zu dessen Pflichten auch die Leitung der Proben des Singvereins zählte. Da Brahms sich jedoch als Chormeister der Singakademie einige Male sarkastisch über den Singverein geäußert haben soll, wurde er von diesem „entschieden“ abgelehnt. Nachdem der Chor Brahms bei der Einstudierung des Deutschen Requiem (Konzert am 5. März 1871) erstmals als Dirigenten erlebt hatte, konnte ab 1872 eine erfolgreiche Zusammenarbeit mit dem Singverein im Rahmen der Tätigkeit als Konzertdirektor beginnen. Doch
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von der Singakademie trennen – der vielbeschäftigte Dirigent Otto Dessoff sollte zwar die alltägliche Arbeit übernehmen, doch in der Programmgestaltung mit der Matthäus-Passion und dem Magnificat von Bach wie dem Requiem von Robert Schumann meint Karl Ulz doch zu erkennen, daß man im Falle einer (sehr wahrscheinlichen) Verhinderung Dessoffs damit rechnete, Brahms doch für ein weiteres Dirigat als ‚Einspringer‘ gewinnen zu können – eine Hoffnung, die sich zumindest teilweise erfüllte: Mit spürbarer Erleichterung schrieb Brahms an Clara Schumann Ende Oktober 1864: „Montag mußte ich schon die Akademie leiten, da Dessoff verhindert war. Ich soll prächtig lustig gewesen sein. Natürlich weil mir die Konzerte nicht im Nacken sitzen und das Magnificat von Bach herrlich in Feuer bringt. Daß ich die Stellung los bin, freut mich jetzt und hier doppelt.“38
1864 und weiter: Brahms in den Konzertprogrammen der Wiener Singakademie Auch Dessoff blieb nur eine Saison Chormeister der Wiener Singakademie, konnte auch weder Probenarbeit noch Konzerte leiten, da ihn die Arbeit in der Oper zu sehr in Anspruch nahm. Da die Konzertplanung aufgrund der vielen Verpflichtungen des Chormeisters nicht eingehalten werden konnte und viele Mitglieder zum Singverein wechselten, mußte rasch gehandelt werden, sollte eine drohende Auflösung abgewendet werden. Ende Jänner 1865 demissionierte Dessoff, und Rudolf Weinwurm, der bewährte Chormeister des Akademischen Gesangvereins, folgte nach. Dessen bis 1878 dauernde Tätigkeit als Chormeister holte die Singakademie wieder in das Wiener Konzertleben sowohl als a cappella-Chor wie auch als professionell agierender Konzertchor Seite an Seite mit dem Singverein der Gesellschaft der Musikfreunde zurück. Obwohl Johannes Brahms mit seinem überraschenden Abgang den Chor in eine schwere Krise gestürzt hatte, war man ihm nicht Gram – im Gegenteil: Unter Weinwurm und seinen Nachfolgern39 setzte eine regelmäßige Pflege vor allem der a capnach drei Saisonen legte Brahms diese Funktion, mit der er nie ganz glücklich war, nieder. Dazu der mit ausführlichen Quellen belegte Aufsatz von Otto Biba, Brahms und die Gesellschaft der Musikfreunde in Wien, in: Susanne Antonicek / Otto Biba (Hrsg.), Brahms-Kongreß Wien 1983. Kongreßbericht, Tutzing 1988, S. 45–65. 38 Ulz, Wiener Singakademie (wie Anm. 1), S. 44. Stark tendenziell und ohne Quellenbelege berichtet Max Kalbeck über die Tätigkeit von Brahms an der Wiener Singakademie; die von ihm genannten Parteiungen und Gegnerschaften können jedoch durch Quellenmaterial widerlegt bzw. relativiert werden. Vgl. Kalbeck, Brahms II (wie Anm. 13), S. 94–108 und 112 f. Daß Brahms keineswegs mit der Wiener Singakademie ‚gebrochen‘ bzw. sich überworfen hatte, belegt sein Brief von Ende Oktober 1864 an Clara Schumann, in dem er über ein neuerliches Dirigat der Singakademie – nun aber ohne Konzert-Druck – berichtet (C. Schumann – Brahms. Briefe [wie Anm. 15], Bd. 1, S. 471). 39 Chormeister bzw. künstlerische Leiter der Wiener Singakademie waren bzw. sind: 1858–63 Ferdinand Stegmayer, 1863/64 Johannes Brahms, 1864/65 Otto Dessoff, 1865–78 Rudolf Weinwurm, 1878–81 Richard Heuberger, 1881–84 Adolf Schmidt (Schmidt-Dolf), 1884–92 Max von Weinzierl, 1892–96 Hermann Grädener, 1896–98 Ferdinand Löwe, 1898/99 Carl Führich, 1899/1900 Joseph Venantius von Wöss, 1900–05 Carl Lafite, 1906/07 Max Puchat, 1907–11 Richard Wickenhausser, 1911–13 Bruno Walter, 1913–16 Siegfried
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pella-Chorliteratur von Johannes Brahms ein, die erst mit der Etablierung der Wiener Singakademie als Haus-Chor des im Oktober 1913 eröffneten Konzerthauses sich hin zu den großen Chor-Orchesterwerken wandelte. Bis 1903, als die Wiener Singakademie zum ersten Mal Ein deutsches Requiem op. 45 in einem Konzert unter ihrem Chormeister Carl Lafite präsentierte (7. April 1903, Großer Musikvereinssaal),40 standen v. a. die Chorwerke aus WoO 34, op. 22, op. 62, op. 17 oder op. 44 auf den Programmen der vorwiegend a cappella oder mit Klavierbegleitung gesungenen Konzerte der Wiener Singakademie.41 Brahms war in den Programmen unter den Chormeistern Rudolf Weinwurm und Richard Heuberger jedoch jeweils nur mit einem, bestenfalls zwei Werken pro Chorkonzert vertreten. Erst am 2. Dezember 1882 kommt es unter Adolf Schmidt (Schmidt-Dolf) zu einem (fast reinen) Brahms-Konzert, ergänzt nur durch Robert Schumanns Adventlied op. 71. Max von Weinzierl setzt in den Jahren 1884 bis 1890 die bisher gepflegte Praxis fort und fügt in seine Chorprogramme ein bis maximal drei Stücke von Brahms ein – kaum neue, sondern aus den bereits studierten Opera. Diese Praxis wird auch von Hermann Grädener, Carl Schön, Carl Führich und Carl Lafite beibehalten. Eine Ausnahme bildet ein Konzert unter Ferdinand Löwe mit der Nänie op. 82, allerdings nicht mit Orchester-, sondern Klavierbegleitung. Zwischen 1900 und 1910/1920 intensivierte sich die Brahms-Pflege der Singakademie, wobei ab 1903 sich die Stückauswahl zu ändern begann: zu den bislang gewählten Werken finden nun die Chor-Orchesterwerke Ein deutsches Requiem (ab 1903), Schicksalslied (ab 1915) und Gesang der Parzen (ab 1918) Eingang in das Repertoire der Wiener Singakademie, doch dominieren bis zur Eröffnung des Wiener Konzerthauses 1913, in das der Chor als Haus-Chor miteinzog, die traditionellen a cappella-dominierten Chorprogramme, dirigiert durch den jeweiligen Chormeister. Von 1915 bis 1981 dominieren die großen Chor-Orchesterwerke die Brahms-Pflege der Singakademie: 22 Aufführungen des Deutschen Requiems, fünf des Schicksalsliedes und zwei des Gesangs der Parzen stehen nur einem reinen Brahms-Chorkonzert mit Werken aus op. 93a, op. 17 und WoO 34 am 7. Mai 1923 unter Paul von Klenau sowie eine Aufführung der Waldesnacht op. 62/3 im Rahmen eines Konzertes am 12. Mai 1929 gegenüber. Die Wandlung vom a cappella-Chor zum Konzertchor manifestiert sich gerade in Hinblick auf die BrahmsPflege dieses Chores mit aller Deutlichkeit. Erst 1992 kommt es zu einer Wiederaufnahme der a cappella-Brahms-Pflege durch Herbert Böck (1988–1998 künstlerischer Leiter), die durch seinen Nachfolger und aktuellen künstlerischen Leiter Heinz Ferlesch fortgesetzt wird; blieben die großen Chor-Orchesterwerke von Brahms unter Ochs, 1916–20 Ferdinand Löwe, 1920/21 Edoardo Granelli, 1921/22 B. Walter, 1922–31 Paul von Klenau, 1931–33 Ivan Boutnikoff, 1933–45 Anton Konrath, 1945/46 Robert Nilius, 1946–53 Richard Schmid, 1953– 68 Heinz Gillesberger, 1968–71 Hermann Furthmoser, 1972–82 Friedrich Lessky, 1982/83 Thomas Christian David, 1983–86 Agnes Großman, 1987/88 Walter Hagen-Groll, 1988–98 Herbert Böck, seit 1998 Heinz Ferlesch. 40 Das Werk war am 1. Dezember 1867 vom Wiener Singverein unter Johann Herbeck uraufgeführt worden. Woran diese verzögerte Rezeption durch die Singakademie lag, konnte noch nicht geklärt werden. 41 Basis der Auswertung bilden die Daten im Konzertarchiv der Wiener Singakademie: http://www. wienersingakademie.at/archiv (letzter Zugriff: 12/2014).
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Böck für das Repertoire des Chores unberücksichtigt, werden diese ab 2002 – v. a. ab 2012 in Zusammenarbeit mit dem RSO Wien unter Cornelius Meister – ebenfalls wieder aufgegriffen. Im Detail ergeben sich folgende Verlaufskurven: Zahl der Brahms-Konzerte 14 12 10 8 6
Zahl der Brahms-Konzerte
4 2
0
Die Zahl der Konzert, bei denen Werke von Brahms gesungen wurden, zeigt mehrere Spitzen: anfangs ein stetes Ansteigen der Frequenz bis zu einem Höhepunkt in den Jahren 1900–1909, dann – mit dem Repertoire-Wechsel – ein Einpendeln auf 4 bis 5 Konzerten jährlich zwischen 1920 und 1969/70. Dem Absinken auf null in den 1970er Jahren folgen zwei Spitzen in den Jahren 1990/1999 sowie ab 2010. Vergleicht man nun die Anzahl der Konzerte der Wiener Singakademie insgesamt mit jenen, in denen Werke von Brahms auf dem Programm standen, glättet sich die Kurve der Brahms-Konzerte auf einem niedrigen, aber konstanten Pegel: 180 160
140
Zahl der Brahms 14 12
120
10 8
2
20 0
1920-1929
Anzahl der Konzerte insgesamt
40
1910-1919
Zahl der Brahms-Konzerte
1900-1909
1890-1899
0 1880-1889
60
4
1870-1879
80
6
1860-1869
100
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Anzahl der Stücke 80 70 60 50
40 Anzahl der Stücke 30 20 10 0
Zählt man nun die Anzahl der Brahms-Werke (wobei, um ein Gleichgewicht zu den kleineren Chorwerken halten zu können, Ein deutsches Requiem als sieben Stücke gezählt wurde), fehlt der auffällige Ausschlag zwischen 1870 und 1919, da in den meisten Konzerten nur ein bis drei meist kürzere Werke von Brahms gebracht wurden, ab 1903 aber der Repertoire-Wechsel mit der häufigen Aufführung des Deutschen Requiems rein quantitativ kompensiert wurde. Erst mit der parallelen Pflege sowohl des a cappellaRepertoires wie der großen Chor-Orchesterwerke ab 2010 steigt die Kurve steil an. Wie die folgende Tabelle zeigt, ist Ein deutsches Requiem op. 45, obwohl erst seit 1903 im Repertoire, mit 33 Aufführungen auch das mit Abstand am meisten interpretierte Werk von Johannes Brahms, das die Wiener Singakademie in den letzten 150 Jahren gesungen hat. Mit deutlichem Abstand folgt In stiller Nacht WoO 34/8 mit 17 Aufführungen, das sich jedoch seit 1863 im Repertoire gehalten hat (letzte Aufführung 2011). Alle übrigen Werke standen weniger als 10 Mal auf den Konzertprogrammen der Singakademie, die meisten nur ein- bis zweimal, so daß keine Tendenz in der Bevorzugung bestimmter Werke erkennbar wird. Tabelle 1: Auswahl und Häufigkeit der Stücke (vgl. auch die Liste im Anhang) Stücke Ein deutsches Requiem op. 45 In stiller Nacht WoO 34/8 Schicksalslied op. 54 Der Gärtner op. 17/3 Warum ist das Licht op. 74/1 Die Wollust in den Maien op. 34/11 Es tönt ein voller Harfenklang op. 17/1 Gesang aus Fingal op. 17/4 Schnitter Tod WoO 34/13
Häufigkeit 33 17 8 7 6
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Stücke Bei nächtlicher Weil WoO 34/3 Dein Herzlein mild op. 62/4 Der bucklichte Fiedler op. 93a/1 Lied von Shakespeare op. 17/2 Vineta op. 42/2 Waldesnacht op. 62/3 Täubchen weiß All meine Herzgedanken op. 62/5 Gesang der Parzen op. 89 Liebeslieder-Walzer op 52 Nänie op. 82 Schaffe in mir, Gott, ein rein Herz op. 29/2 Von alten Liebesliedern op. 62/2 Abendständchen op. 42/1 Abschiedslied WoO 34/9 Am Wildbach die Weiden op. 44/9 An die Heimat op. 64/1 Beherzigung op. 93a/6 Der Abend op. 64/2 Der englische Gruß op. 22/1 Der Falke op. 93a/5 Die Berge sind spitz op. 44/8 Nun steh’n die Rosen in Blüte op. 44/7 O Heiland, reiß die Himmel auf op. 74/2 Ruf zur Maria op. 22/5 Und gehst du über den Kirchhof op. 44/10 Unsere Väter hofften auf dich op. 109/1 Wenn ein starker Gewappneter op. 109/2 Wo ist ein so herrlich Volk op. 109/3 Ave Maria op. 12 Begräbnisgesang op. 13 Dank den Damen op. 93b Darthulas Grabesgesang op. 42/3 Das Mädchen op. 93a/2 Der englische Jäger WoO 34/14 Der Jäger op. 22/4 Dich, Mutter Gottes, ruf ’ ich an op. 22/5 Erlaube mir, feins Mädchen WoO 35/3 Es geht ein Wehen op. 62/6 Es ist das Heil uns kommen her op. 29/1 Fahr wohl op. 93a/4 Fragen op. 44/4 Magdalena op. 22/6 Maria wollt zur Kirche gehn op. 22/2 Marias Wallfahrt op. 22/3 Minnelied op. 44/1 Mit Lust tät ich ausreiten WoO 34/2 O süßer Mai op. 93a/3
Häufigkeit 5
4 3
2
1
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Stücke Rhapsodie für Alt, Männerchor und Orchester op. 53 Sankt Raphael WoO 34/7 Tafellied op. 93b Vom heiligen Märtyrer Emmerano WoO 34/4 Von edler Art WoO 34/1
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Häufigkeit 1
In der Saison 2013/14 kann die Wiener Singakademie nun auf 150 Jahre Brahms-Pflege zurückblicken. Auch wenn die Zeit des Chormeisters Brahms nur eine kurze und aus verschiedenen Gründen nur mäßig erfolgreiche für den Chor war, hat sich das Repertoire, das der Hamburger Komponist dem Chor vermittelte, nachhaltig in den Konzertprogrammen etablieren können; dies betraf nicht nur die eigenen Kompositionen des neuen Chormeisters, sondern auch seine Liebe zu Alter Musik, für deren Pflege bereits sein Vorgänger Stegmayr den Boden bereitet hatte. In der Pflege der Werke von Johannes Brahms durch die Wiener Singakademie können vereinfacht dargestellt vier Phasen festgestellt werden, deren jeweilige Charakteristika eng mit der Geschichte des Chores und seinen Aufgaben zusammenhängen: 1. 1864 bis ca. 1919 (Übergang zwischen 1903 und 1920): a cappella-Chorwerke und Werke mit kleiner Orchester- bzw. Klavierbegleitung; 2. 1919 bis 1981 bzw. 1991 (1981 bis 1991: keine Brahms-Aufführungen): ausschließlich große Chor-Orchesterwerke; 3. 1992 bis 2001: a cappella-Werke; 4. ab 2002: Die Pflege der a cappella-Werke wie der großen Chor-Orchesterwerke wird gleich wichtig genommen; grundsätzliche ist ein deutliches Anwachsen der Brahms-Aufführungen zu bemerken. Die Wiener Singakademie hat sich 1863 wider jegliche Vernunft für einen unbekannten jungen Musiker aus Hamburg als Chormeister entschieden, eine Entscheidung, auf die man bis heute im Chor stolz ist. War auch die persönliche Zusammenarbeit von kurzer Dauer, blieben die Werke bis heute im Repertoire des Chores, wenngleich in unterschiedlich starker Intensität, erhalten.
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Anhang 1. Konzerte unter Johannes Brahms 15.11.1863, Großer Redoutensaal (Wien) J. Brahms Abschiedslied WoO 34/9 J. Brahms In stiller Nacht WoO 34/8 J. S. Bach Ich hatte viel Bekümmernis BWV 21 L. v. Beethoven Opferlied op. 121b J. Brahms Schnitter Tod WoO 34/13 H. Isaac Innsbruck, ich muß dich lassen R. Schumann Requiem für Mignon op. 98b Rudolf Panzer (B), Ottilie Hauer (S), Marie Wilt (S), Adele Ferrari-Kuh (S), Ida Flatz (A), L. Dalfy (T), Wiener Singakademie; Dirigent: Johannes Brahms 6.1.1864, Großer Redoutensaal (Wien) J. Brahms Bei nächtlicher Weil WoO 34/3 J. Brahms Mit Lust tät ich ausreiten WoO 34/2 J. S. Bach Liebster Gott, wann wird ich sterben L. v. Beethoven Sanft wie du lebtest op. 118 J. Eccard Des Christen Triumphlied aufs Osterfest G. Gabrieli Benedictus H. L. Haßler Mein Gmüt ist mir verwirret F. Mendelssohn Bartholdy Mitten wir im Leben sind op. 23/3 G. Rovetta Salve Regina H. Schütz Saul, was verfolgst du mich Rudolf Panzer (B), Ottilie Hauer (S), Ida Flatz (A), Wiener Singakademie, Wiener Philharmoniker; Dirigent: Johannes Brahms 20.3.1864, Großer Redoutensaal (Wien) J. S. Bach Weihnachtsoratorium Rudolf Panzer (B), Ida Flatz (A), L. Dalfy (T), Anna Bockholz-Falconi (S), Wiener Singakademie, Wiener Philharmoniker; Dirigent: Johannes Brahms 17.4.1864, Vereinssaal der Musikfreunde (Wien) J. Brahms Abendständchen op. 42/1 J. Brahms Ave Maria op. 12 J. Brahms Dich, Mutter Gottes, ruf ’ ich an op. 22/5 J. Brahms Es ist das Heil uns kommen her op. 29/1 J. Brahms In stiller Nacht WoO 34/8 J. Brahms Maria wollt zur Kirche gehn op. 22/2 J. Brahms Vineta op. 42/2 Wiener Singakademie; Dirigent: Johannes Brahms
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2. Konzerte mit Werken von Johannes Brahms (ab der Saison 1864/65) 5.1.1867, Akademisches Gymnasium – Festsaal (Wien) J. Brahms In stiller Nacht WoO 34/8 J. Eccard Maria wallt zum Heiligtum J. J. Mayer Die Vögelein, sie sangen F. Mendelssohn Bartholdy Am Neujahrstage op. 79/2 F. Mendelssohn Bartholdy Laß, o Herr op. 96/1 F. Mendelssohn Bartholdy Weihnachten op. 79/1 H. A. Neithardt Bleibe bei uns L. Stark Sängers Trost Marie Leeder (A), Wiener Singakademie; Dirigent: Rudolf Weinwurm 21.12.1867, Akademisches Gymnasium – Festsaal (Wien) J. Brahms Der englische Jäger WoO 34/14 J. Brahms In stiller Nacht WoO 34/8 W. Bargiel Frühling, ich grüße dich F. v. Hiller O weint um sie F. Mendelssohn Bartholdy Heilig o. op. R. Schumann Der Rose Pilgerfahrt op. 112 Marie Leeder (A), Anna Schmidtler (S), J. Prihoda (T), Franz Krückl (B), Frl. Treml (S), Marie Raith (S), Fr. Ertl (A), Hr. Petzer (B), Adolf Lorenz (Klavier), Wiener Singakademie; Dirigent: Rudolf Weinwurm 8.4.1872, Kleiner Musikvereinssaal (Wien) J. Brahms Bei nächtlicher Weil WoO 34/3 Anonymus O komm, mein Kind Anonymus Schönste Griselidis H. Contractus Salve Regina (Satz: F. Krenn) F. Liszt Salve Regina (Satz: F. Krenn) F. Mendelssohn Bartholdy Laß, o Herr op. 96/1 G. P. da Palestrina Adoramus te R. Weinwurm Im Korn R. Weinwurm Schläfst oder wachst du Rosa Girzick (A), Rudolf Schelle (T), Wiener Singakademie; Dirigent: Rudolf Weinwurm 2.2.1876, Kleiner Musikvereinssaal (Wien) J. Brahms Der englische Gruß op. 22/1 J. Brahms Magdalena op. 22/6 J. Haydn Die Beredtsamkeit J. Haydn Du bist’s, dem Ruhm und Ehre gebührt Hob. XXVc:8 F. Mendelssohn Bartholdy Hör mein Bitten, Herr o. op. J. R. Schachner Blas, du Winterwind R. Weinwurm Annie Laurie R. Weinwurm Hob y deri dando Johanna Korbel (S), Artur Nikisch (Klavier), Wiener Singakademie; Dirigent: Rudolf Weinwurm
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3.12.1876, Kleiner Musikvereinssaal (Wien) J. Brahms Der Abend op. 64/2 J. S. Bach Du Hirte Israel, höre BWV 104 S. Calvisius Josef, lieber Josef mein C. Goldmark Abschied op. 24/3 C. Goldmark Geständnis op. 24/2 C. Goldmark Neue Liebe op. 24/1 J. Rheinberger Mummelsee op. 95/1 Adolf Schultner (T), Leopold Buchholz (B), Leopold Landskron (Klavier), Josef Pottje (Klavier), Wiener Singakademie; Dirigent: Rudolf Weinwurm 2.2.1877, Kleiner Musikvereinssaal (Wien) J. Brahms An die Heimat op. 64/1 E. S. Engelsberg Italienisches Liederspiel H. Grädener Des Sängers Harfe J. Rheinberger Marientau op. 95/2 Adolf Schultner (T), Anna Schmidtler (S), Ferdinand Maas (B), Marie Widl (S), Leopold Landskron (Klavier), Wiener Singakademie; Dirigent: Rudolf Weinwurm 27.4.1878, Akademisches Gymnasium – Festsaal (Wien) J. Brahms An die Heimat op. 64/1 J. Brahms In stiller Nacht WoO 34/8 H. Contractus Salve Regina (Satz: F. Krenn) F. Mendelssohn Bartholdy Laß, o Herr op. 96/1 W. A. Mozart Misericordias Domini KV 222 F. Schubert Pax vobiscum D 551 Luise Weiss (A), E. v. Lambert (T), Wiener Singakademie; Dirigent: Rudolf Weinwurm 30.3.1879, Kleiner Musikvereinssaal (Wien) J. Brahms Bei nächtlicher Weil WoO 34/3 J. Brahms Von edler Art WoO 34/1 J. Herbeck Die Königstochter F. Mendelssohn Bartholdy Aus tiefer Not schrei ich zu dir op. 23/1 R. Schumann Spanisches Liederspiel R. Volkmann Die Luft so still Adolf Schultner (T), Ferdinand Maas (B), Recha Büchler (S), Marianne Zips (A), Wiener Singakademie; Dirigent: Richard Heuberger 18.4.1880, Kleiner Musikvereinssaal (Wien) J. Brahms Der Abend op 64/2 J. S. Bach Du wahrer Gott und Davids Sohn BWV 23 N. W. Gade Frühlingsnahen op. 51/4 N. W. Gade Sommernacht op. 51/1 J. Herbeck Ein Liebesreihen R. Schumann Requiem für Mignon op. 98b Ferdinand Maas (B), Marie Spängler (S), Leopoldine Günther (S), Marie Pfliger (A), M. Nowak (A), Franz Schaumann (T), Stefan Stocker (Klavier), Wiener Singakademie; Dirigent: Richard Heuberger
Johannes Brahms und die Wiener Singakademie
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2.12.1882, Großer Musikvereinssaal (Wien) J. Brahms Dein Herzlein mild op. 62/4 J. Brahms Der englische Gruß op. 22/1 J. Brahms Der Gärtner op. 17/3 J. Brahms Der Jäger op. 22/4 J. Brahms Gesang aus Fingal op. 17/4 J. Brahms Marias Wallfahrt op. 22/3 J. Brahms Ruf zur Maria op. 22/5 J. Brahms Von alten Liebesliedern op. 62/2 J. Brahms Waldesnacht op. 62/3 R. Schumann Adventlied op. 71 Bertha Ehnn (A), W. Kleinecke (Horn), J. Richter (Horn), F. Moser (Harfe), Friedrich Spigl (Klavier), Wiener Singakademie; Dirigent: Schmidt-Dolf (Adolf Schmidt) 17.3.1883, Großer Musikvereinssaal (Wien) J. Brahms Bei nächtlicher Weil WoO 34/3 R. Heuberger Feldeinwärts flog ein Vögelein F. Mendelssohn Bartholdy Frühlingslied op. 100/3 F. Mendelssohn Bartholdy Im Wald op. 100/4 F. Mendelssohn Bartholdy Lob des Frühlings op. 100/2 Schmidt-Dolf Die Tage der Rosen Schmidt-Dolf Willkommen mein Wald F. Schubert Die Allmacht D 852 R. Schumann Der Rekrut op. 75/4 R. Schumann Heidenröslein op. 67/3 R. Schumann Im Walde op. 75/2 R. Weinwurm O Sonne Wilhelm Landau (T), Friedrich Künneth (B), Emilie Zips (A), Katharina Geraus-Sengl (S), Friedrich Spigl (Klavier), Wiener Singakademie; Dirigent: Schmidt-Dolf 17.12.1884, Großer Musikvereinssaal (Wien) J. Brahms Begräbnisgesang op. 13 J. Dowland O wolltest du voll Mitleid H. Esser Wach auf G. F. Händel Nachtigallenchor (aus Solomon) H. Hofmann Die Fischlein munter hüpfen A. Jensen Adonis-Feier Th. Morley Heller Pfeifen lust’ger Klang L. Spohr Herr, wir fleh’n in tiefsten Leiden M. v. Weinzierl Frühling Katharina Geraus-Sengl (S), Heinrich Adolfi (T), Josef Lamberg (Klavier), Wiener Singakademie; Dirigent: Max von Weinzierl 11.3.1885, Großer Musikvereinssaal (Wien) J. Brahms Am Wildbach die Weiden op. 44/9 J. Brahms Die Berge sind spitz op. 44/8 J. Brahms Nun steh’n die Rosen in Blüte op. 44/7 J. S. Bach Sie werden aus Saba alle kommen BWV 65
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elisabeth hilscher Und gehst du über den Kirchhof op. 44/10 Laß, o Herr op. 96/1
Heinrich Adolfi (T), Hedwig Mauthner (A), Alois Hofmann (B), Josef Lamberg (Klavier), Carl Führich (Orgel), Wiener Singakademie; Dirigent: Max von Weinzierl 12.3.1886, Großer Musikvereinssaal (Wien) J. Brahms Der Falke op. 93a/5 Anonymus O komm, mein Kind Anonymus Schönste Griselidis F. v. Hiller O weint um sie F. Kiel Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu dir J. Lamberg Das Mädchen und der Schmetterling F. Mendelssohn Bartholdy Singet dem Herrn op. 91 R. Schumann Der Wassermann op. 91/3 H. Schütz Schlußchor aus der Matthäus-Passion M. v. Weinzierl Wenn der Lenz erwacht Josef Lamberg (Klavier), Carl Führich (Orgel), Alfred Zamara (Harfe), Wiener Singakademie; Dirigent: Max von Weinzierl 14.12.1886, Großer Musikvereinssaal (Wien) J. Brahms Am Wildbach die Weiden op. 44/9 J. Brahms Die Berge sind spitz op. 44/8 J. Brahms Nun steh’n die Rosen in Blüte op. 44/7 J. S. Bach Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn BWV 147 J. Arcadelt Ave Maria J. Brahms Und gehst du über den Kirchhof op. 44/10 B. Gesius Ich bin ein Gast auf Erden R. Heuberger Brautgesang F. Liszt An den Wassern zu Babylon C. M. v. Weber Windet zum Kranze die goldenen Ähren Marie Englisch (S), Josef Lamberg (Klavier), Therese Zamara (Harfe), Therese Schuster-Seydel (Violine), Wiener Singakademie; Dirigent: Max von Weinzierl 2.3.1887, Großer Musikvereinssaal (Wien) J. Brahms Dank der Damen op. 93b C. Ph. E. Bach Gott, deine Güte J. Haydn Abendlied zu Gott Hob. XXVc:9 H. v. Herzogenberg Hüt du dich J. Lamberg Frühlingsanfang A. Lotti Crucifixus (à 8) M. Praetorius Es ist ein Ros’ entsprungen F. Schubert An die Sonne D 439 R. Schumann Nänie op. 114/1 R. Schumann Spruch op 114/3 R. Schumann Triolett op. 114/2 Josef Lamberg (Klavier), Carl Führich (Orgel), Wiener Singakademie; Dirigent: Max von Weinzierl
Johannes Brahms und die Wiener Singakademie
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16.12.1887, Großer Musikvereinssaal (Wien) Anonymus Ach Gott, wem soll ich’s klagen J. Brahms O süßer Mai op. 93a/3 Chr. W. Gluck Leih aus deines Himmels Höhen J. Herbeck Wohin mit der Freud’ G. A. Homilius So gehst du nun, mein Jesu, hin J. B. Lully Haltet uns, wonnige Banden, umwunden G. A. Perti Adoramus F. Schubert Gott im Ungewitter D 985 M. v. Weinzierl Gesang der Nixen Josef Lamberg (Klavier), Wiener Singakademie; Dirigent: Max von Weinzierl 10.12.1888, Großer Musikvereinssaal (Wien) J. Brahms Fragen op. 44/4 J. Brahms Minnelied op. 44/1 W. Fr. Bach Lasset uns ablegen A. Bruckner Ave Maria (à 7) L. Lemlin Der Gutzgauch G. P. da Palestrina Tu es Petrus C. W. Schauseil Mir ist ein schön’s braun’s Mägdelein F. Schubert Mirjams Siegesgesang D 942 Caroline Wogrincz (S), Josef Lamberg (Klavier), Wiener Singakademie; Dirigent: Max von Weinzierl 30.3.1890, Kleiner Musikvereinssaal (Wien) J. Brahms Die Wollust in den Maien J. Brahms In stiller Nacht WoO 34/8 L. Cherubini Blanche de Provence P. Cornelius Christkind op. 8/2 P. Cornelius Christus, der Kinderfreund op. 8/1 C. Goldmark Regenlied G. F. Händel Zum Himmel auf schall’ unser Chor (aus: Deborah) H. L. Haßler Feinslieb, du hast mich g’fangen F. Schubert Chor der Engel D 440 M. v. Weinzierl Viel Träume Marie Tomschik (A), Josef Lamberg (Klavier), Wiener Singakademie; Dirigent: Max von Weinzierl 18.12.1890, Kleiner Musikvereinssaal (Wien) J. Brahms Von alten Liebesliedern op. 62/2 P. Cornelius Jerusalem op. 13/3 H. Goetz An den Wassern zu Babel R. Schumann Ungewisses Licht op. 141/2 J. Stobäus Uns ist ein Kind geboren R. Weinwurm Hob y deri dando Carl Wendlik (B), Friederike Mayer (S), Josef Lamberg (Klavier), Wiener Singakademie; Dirigent: Max von Weinzierl
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22.12.1893, Bösendorfersaal (Wien) J. Brahms Der Gärtner op. 17/3 J. Brahms Es tönt ein voller Harfenklang op. 17/1 A. Bruckner Vexilla regis J. Fischer Liebesbote J. Fischer Mädchen und Haselstrauch J. N. Fuchs Hüt du dich A. v. Hermann Röslein im Dornbusch A. v. Hermann Ständchen E. Mandyczewski Eileen-a-Roon E. Mandyczewski Findlay W. Weckbecker Mutter, sag, was soll ich tun W. Weckbecker Wie magst mich so umtreiben Wiener Singakademie, Wiener Philharmoniker; Dirigent: Hermann Grädener 9.5.1894, Kirche am Hof (Wien) J. Brahms Ruf zur Maria op. 22/5 A. Bruckner Ave Maria (à 7) F. Mendelssohn Bartholdy Laudate pueri op. 39/2 P. de la Rue O salutaris hostia J. P. Sweelinck Regina coeli Wiener Singakademie; Dirigent: Hermann Grädener 8.4.1896, Kleiner Musikvereinssaal (Wien) J. Brahms Der bucklichte Fiedler op. 93a/1 C. Goldmark Wasserfall und Ache R. Heuberger Es steht eine Lind’ im tiefen Tal A. Jensen Adonis-Feier R. Kralik Der lustige Grenadiermarsch R. Kralik Frisch auf in Gottes Namen O. di Lasso Du liebe Nachtigall J. B. Lully Haltet uns, wonnige Banden, umwunden F. Mendelssohn Bartholdy Lob des Frühlings op. 100/2 C. Schön Fröhliche Armut Paula Tichy (S), Paula Holzknecht (S), Mizzi Gold (A), Johann B. Hartl (T), Carl Berger (Klavier), Wiener Singakademie; Dirigent: Carl Schön 6.5.1897, Kleiner Musikvereinssaal (Wien) J. Brahms Nänie op. 82 F. Liszt Die Gründung der Kirche (aus: Christus) J. V. von Wöss Heiliges Land Hermann Zechner (Klavier), Albert Ernst (Klavier), Wiener Singakademie; Dirigent: Ferdinand Löwe 20.12.1897, Großer Musikvereinssaal (Wien) J. S. Bach Actus tragicus BWV 106 J. Brahms Vineta op. 42/2 Léo Delibes Les nymphes des bois
Johannes Brahms und die Wiener Singakademie
A. Lotti E. Mandyczewski M. Praetorius R. Schumann Th. Tomkins
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Crucifixus (à 8) Zur Nacht Es ist ein Ros’ entsprungen Zigeunerleben op. 29/3 Sieh da, des Schäfers Freud
Emil Vaupèl (B), Josephine von Statzer (Mezzo), Julius Chmel (T), Hermann Zechner (Klavier), August Petyrek (Klavier), Wiener Singakademie; Dirigent: Adolf Kirchl 4.5.1898, Kaufmännischer Verein – Festsaal (Wien) J. Brahms Der Falke op. 93a/5 W. Bargiel Im Frühling J. Dowland Süßes Lieb E. Mandyczewski Zur Nacht H. Schütz Ehre sei dir, Christe, der du littest Not (aus der Matthäus-Passion) Hermann Zechner (Klavier), Wiener Singakademie; Dirigent: Adolf Kirchl 31.1.1899, Altes Rathaus – Sitzungssaal (Wien) J. Brahms Abschiedslied WoO 34/9 J. Brahms In stiller Nacht WoO 34/8 J. Brahms Vom heiligen Martyrer Emmerano WoO 34/4 F. Mendelssohn Bartholdy Richte mich Gott op. 78/2 Th. Morley Auf, laßt uns singen H. Wolf Aufblick H. Wolf Erhebung Wiener Singakademie; Dirigent: Carl Führich 20.3.1900, Altes Rathaus – Sitzungssaal (Wien) J. Brahms Bei nächtlicher Weil WoO 34/3 J. Brahms Sankt Raphael WoO 34/7 Th. Morley Auf, laßt uns singen Th. Morley Heller Pfeifen lust’ger Klang F. Schubert 23. Psalm D 706 H. Schütz Schlußchor aus der Matthäus-Passion H. Schütz Schlußchor aus der Lukas-Passion SWV 479 T. L. da Vittoria Jesu, mein Heiland Mathilde von Kralik (Klavier), Wiener Singakademie; Dirigent: Joseph Venantius von Wöss 2.4.1901, Großer Musikvereinssaal (Wien) J. Brahms Dein Herzlein mild op. 62/4 J. S. Bach Lobet den Herren (Choral) BWV 374 J. Gallus Ecce, quomodo moritur C. Goldmark Wer sich die Musik erkiest H. Grädener Abschied R. Heuberger Es steht eine Lind’ im tiefen Tal Th. Morley Heller Pfeifen lust’ger Klang C. H. Reinecke Pastorelle C. H. Reinecke Die traurige Müllerin A. Rubinstein Chor der Engel (aus: Das Verlorene Paradies) Hugo Holik (Klavier), Wiener Singakademie; Dirigent: Carl Lafite
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12.11.1901, Großer Musikvereinssaal (Wien) J. Brahms Die Wollust in den Maien Anonymus Ach, wie ist’s möglich dann Anonymus Wiegenlied C. Lafite Der rote Sarafan H. A. Neithardt Der Hirte J. Pommer Hör’ ich ein Sichlein rauschen C. H. Reinecke Tyrsis C. H. Reinecke O Mädchen, o komm C. W. Schauseil Vespergesang R. Weinwurm Der Pfeifer von Dundee R. Weinwurm Die Tochter Erins R. Weinwurm Hob y deri dando R. Weinwurm Lord Ronald R. Weinwurm Mein Lieb ist wie der Morgenstern R. Weinwurm Oft in der stillen Nacht Stefan Gold (B), Lilly Claus-Neuroth (S), Maria Smola (A), Franz X. Rossi (T), Carl Berger (Klavier), Hugo Holik (Klavier), Wiener Singakademie; Dirigent: Carl Lafite 15.2.1903, Großer Musikvereinssaal (Wien) J. Brahms Dein Herzlein mild op. 62/4 J. Brahms Die Wollust in den Maien J. Brahms Fahr wohl op. 93a/4 J. Brahms In stiller Nacht WoO 34/8 Wiener Singakademie; Dirigent: Carl Lafite 7.4.1903, Großer Musikvereinssaal (Wien) J. Brahms Ein deutsches Requiem op. 45 F. Schreker Schwanengesang op. 11 Agnes Brichta-Pyllemann (S), Sigmund Hecker (Bariton), Wiener Singakademie, Orchester des Wiener Konzertvereins; Dirigent: Carl Lafite / Franz Schreker 26.4.1903, Városi Theater (Preßburg) J. Brahms In stiller Nacht WoO 34/8 J. S. Bach Lobet den Herren (Choral) BWV 374 Anonymus Schöne Griselidis C. Goldmark Wer sich die Musik erkiest J. Herbeck Wohin mit der Freud’ C. Lafite In der Sommerzeit F. Liszt Chor der Schnitter (aus: Prometheus) H. A. Neithardt Der Hirte C. H. Reinecke Pastorelle H. Rietsch Windzauber C. W. Schauseil Vespergesang R. Weinwurm Der Pfeifer von Dundee R. Weinwurm Hob y deri dando Géza Zichy Treue Liebe! Lebenskrone Wiener Singakademie; Dirigent: Carl Lafite
Johannes Brahms und die Wiener Singakademie 20.2.1905 Volksoper (Wien) J. Brahms Anonymus J. Herbeck C. Lafite C. Lafite C. Loewe W. A. Mozart C. H. Reinecke C. W. Schauseil
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In stiller Nacht WoO 34/8 Schöne Griselidis Wohin mit der Freud’ Finnlandwald Es steht ein’ Lind’ In der Marienkirche Abendruhe KV Anh. C 9.10 Pastorelle Vespergesang
Wiener Singakademie; Dirigent: Carl Lafite 21.4.1906, Großer Musikvereinssaal (Wien) J. Brahms Ein deutsches Requiem op. 45 Lilly Dorn-Langstein (S), Felix von Kraus (Bariton), Wilhelm Scholz (Orgel), Wiener Singakademie, Gesangverein österreichischer Eisenbahnbeamter, Orchester des Wiener Konzertvereins; Dirigent: Ferdinand Löwe 12.5.1906, Großer Musikvereinssaal (Wien) J. Brahms Die Wollust in den Maien J. S. Bach Actus tragicus BWV 106 J. Dowland Süßes Lieb J. Haydn Die Beredtsamkeit R. Lach Es gieng sich unser Fraue C. Lafite Röschen, wollen wir tanzen R. Mahler Der Goldschmied M. Merz Gute Lehre Th. Morley Nun strahlt der Mai den Herzen Emmy Kirchmayer (A), Wilhelm Scholz (Klavier), W. Chladek (Klavier), Wiener Singakademie, Wiener Akademischer Gesangverein (Orchester); Dirigent: Hans Wagner 8.4.1907, Großer Musikvereinssaal (Wien) J. Brahms Ein deutsches Requiem op. 45 Lucie Weidt (S), Anton Sistermans (Bariton), Wilhelm Scholz (Orgel), Wiener Singakademie, Orchester des Wiener Konzertvereins; Dirigent: Richard Wickenhausser 24.5.1907, Rotunde – Vortragssaal (Wien) J. Brahms Dein Herzlein mild op. 62/4 C. Horn Wie ist doch die Erde so schön E. Mandyczewski Eileen-a-Roon J. Rheinberger Maientau op.95/2 H. Rietsch Windzauber R. Weinwurm Geh, wo Ruhm dir vorschwebt Wilhelm Scholz (Klavier), Wiener Singakademie; Dirigent: Richard Wickenhausser
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4.5.1908, Großer Musikvereinssaal (Wien) J. Brahms Dein Herzlein mild op. 62/4 J. Brahms Die Wollust in den Maien R. Heuberger Es steht eine Lind’ im tiefen Tal C. Lafite In der Sommerzeit R. Weinwurm Der Pfeifer von Dundee R. Weinwurm Hob y deri dando M. v. Weinzierl Wenn der Lenz erwacht R. Wickenhausser Weißt du noch Wilhelm Scholz (Klavier), Wiener Singakademie; Dirigent: Richard Wickenhausser 22.4.1909, Großer Musikvereinssaal (Wien) J. Brahms Es geht ein Wehen op. 62/6 J. Brahms Von alten Liebesliedern op. 62/2 J. Brahms Waldesnacht op. 62/3 J. Fischer Kriegers Auszug J. Fischer Vorabend der Schlacht J. N. Fuchs Duncan Grey J. N. Fuchs Jagdlied H. L. Haßler Feinslieb, du hast mich g’fangen J. Herbeck Liebesklage W. Weckbecker Mutter, sag, was soll ich tun W. Weckbecker Wie magst mich so umtreiben Wiener Singakademie; Dirigent: Richard Wickenhausser 16.4.1910, Großer Musikvereinssaal (Wien) J. Brahms Ein deutsches Requiem op. 45 Berta Kiurina (S); Hjalmar Arlberg (Bariton), Georg Valker (Orgel), Wiener Singakademie, Gesangverein österreichischer Eisenbahnbeamter, Orchester des Wiener Konzertvereins; Dirigent: Richard Wickenhausser 19.3.1911, Katharinenhalle (Wien) J. Brahms Liebeslieder-Walzer op. 52 J. Brahms O Heiland, reiß die Himmel auf op. 74/2 J. Brahms Tafellied op. 93b R. Fuchs Ein Stündlein wohl vor Tag R. Fuchs Morgenständchen R. Fuchs Wunderbar ist mir geschehen Fritz Liegler (Klavier), Fritz Plessl (Klavier), Wiener Singakademie, Technisch-akademischer Gesangverein; Dirigent: Hermann Zechner 15.6.1913, Stift Melk – Marmorsaal J. Brahms Beherzigung op. 93a/6 J. Brahms Vineta op. 42/2 B. Donato Wenn wir hinauszieh’n am Frühlingssonntag F. Mendelssohn Bartholdy Mailied op. 41/5 G. P. da Palestrina Tenebrae factae sunt
Johannes Brahms und die Wiener Singakademie F. Schubert
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Mirjams Siegesgesang D 942
Sabine Kalter (S), Adele Steppan (S), Leopold Reiter (Klavier), Wiener Singakademie; Dirigent: Hermann Zechner 19.2.1915, Konzerthaus – Großer Saal (Wien) J. Brahms Schicksalslied op. 54 F. Mendelssohn Bartholdy Die erste Walpurgisnacht op. 60 H. Wolf Der Feuerreiter Ludwig Hess (T), Elisabeth Gound-Lauterburg (A), Julius von Raatz-Brockmann (B), Ludwig Drapal (B), Wiener Singakademie, Orchester des Wiener Konzertvereins; Dirigent: Siegfried Ochs 6.12.1915, Konzerthaus – Großer Saal (Wien) J. Brahms Ein deutsches Requiem op. 45 W. A. Mozart Laudate Dominum KV 339/5 Gertrude Förstel-Links (S), Hans Duhan (B), Rudolf Dittrich (Orgel), Wiener Singakademie, Orchester des Wiener Konzertvereins; Dirigent: Ferdinand Löwe 29.12.1916, Konzerthaus – Großer Saal (Wien) J. Brahms Schicksalslied op. 54 Wiener Singakademie, Orchester des Wiener Konzertvereins; Dirigent: Ferdinand Löwe 27.2.1918, Konzerthaus – Großer Saal (Wien) J. Brahms Gesang der Parzen op. 89 Wiener Singakademie, Orchester des Wiener Konzertvereins; Dirigent: Ferdinand Löwe 31.10.1919, Konzerthaus – Großer Saal (Wien) J. Brahms Ein deutsches Requiem op. 45 Josef Manowarda (B), Stephanie Bruck-Zimmer (S); Georg Valker (Orgel), Wiener Singakademie, Orchester des Wiener Konzertvereins; Dirigent: Ferdinand Löwe 2.11.1919, Konzerthaus – Großer Saal (Wien) J. Brahms Ein deutsches Requiem op. 45 Leo Schützendorf (Bariton), Annie Kallab (S); Louis Dité (Orgel), Wiener Singakademie, Orchester des Wiener Konzertvereins; Dirigent: Ferdinand Löwe 9.11.1919, Konzerthaus – Großer Saal (Wien) J. Brahms Ein deutsches Requiem op. 45 Leo Schützendorf (Bariton), Stephanie Bruck-Zimmer (S); Louis Dité (Orgel), Wiener Singakademie, Orchester des Wiener Konzertvereins; Dirigent: Ferdinand Löwe 3.2.1922, Konzerthaus – Großer Saal (Wien) J. Brahms Ein deutsches Requiem op. 45 Josef Manowarda (B), Gertrude Förstel-Links (S); Franz Schütz (Orgel), Wiener Singakademie, Philharmonischer Chor, Wiener Sinfonie-Orchester; Dirigent: George Szell
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7.5.1923, Konzerthaus – Großer Saal (Wien) J. Brahms Beherzigung op. 93a/6 J. Brahms Das Mädchen op. 93a/2 J. Brahms Der bucklichte Fiedler op. 93a/1 J. Brahms Der Gärtner op. 17/3 J. Brahms Die Wollust in den Maien J. Brahms Es tönt ein voller Harfenklang op. 17/1 J. Brahms Gesang aus Fingal op. 17/4 J. Brahms In stiller Nacht WoO 34/8 J. Brahms Lied op. 17/2 J. Brahms Schnitter Tod WoO 34/13 J. Brahms Vineta op. 42/2 Wiener Singakademie; Dirigent: Paul von Klenau 12.5.1929, Konzerthaus – Großer Saal (Wien) L. v. Beethoven Die Himmel rühmen op. 48/4 J. Brahms Waldesnacht op. 62/3 W. A. Mozart Ave verum corpus KV 618 F. Schubert Des Tages Weihe D 763 F. Schubert Hirtenchor (aus: Rosamunde) D 797/7 H. Wolf Elfenlied Sofie Seyss (S), Fr. Kröger (A), Hr. Pamnititzky (T), Hr. Percy (B), Ferdinand Adler (Violine), Theo Salzmann (Violoncello), Fritz Kuba (Klavier), Walter Pach (Orgel), Wiener Singakademie; Dirigent: Anton Konrath 24.2.1931, Konzerthaus – Großer Saal (Wien) J. Brahms Ein deutsches Requiem op. 45 Berta Kiurina (S), Hermann Nissen (B), Franz Schütz (Orgel), Wiener Singakademie, Wiener Lehrer-a cappella-Chor, Wiener Chorverein, Wiener Sinfonie-Orchester; Dirigent: Bruno Walter 14.3.1933, Konzerthaus – Großer Saal (Wien) J. Brahms Schicksalslied op. 54 Wiener Singakademie, Wiener Lehrer-a cappella-Chor, Wiener Sinfonie-Orchester; Dirigent: Leopold Reichwein 15.3.1933, Konzerthaus – Großer Saal (Wien) J. Brahms Schicksalslied op. 54 Wiener Singakademie, Wiener Lehrer-a cappella-Chor, Wiener Bruckner-Chor, Wiener SinfonieOrchester; Dirigent: Leopold Reichwein 8.11.1934, Konzerthaus – Großer Saal (Wien) J. Brahms Ein deutsches Requiem op. 45 Elisabeth Schumann (Mezzo), Johannes Willy (Bariton), Franz Schütz (Orgel), Wiener Singakademie, Wiener Lehrer-a cappella-Chor, Wiener Symphoniker; Dirigent: Hans Weisbach
Johannes Brahms und die Wiener Singakademie
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9.11.1934, Konzerthaus – Großer Saal (Wien) J. Brahms Ein deutsches Requiem op. 45 Elisabeth Schumann (Mezzo), Johannes Willy (Bariton), Franz Schütz (Orgel), Wiener Singakademie, Wiener Lehrer-a cappella-Chor, Wiener Symphoniker; Dirigent: Hans Weisbach 20.10.1937, Konzerthaus – Großer Saal (Wien) J. Brahms Ein deutsches Requiem op. 45 Erika Rokyta (S), Alexander von Sved (Bariton), Günther Ramin (Orgel), Wiener Singakademie, Wiener Lehrer-a cappella-Chor, Wiener Symphoniker; Dirigent: Karl Böhm 1.11.1940, Konzerthaus – Großer Saal (Wien) J. Brahms Ein deutsches Requiem op. 45 Erika Rokyta (S), Josef Herrmann (Bariton), Karl Walter (Orgel), Wiener Singakademie, Wiener Staatsopernchor, Wiener Lehrer-a cappella-Chor, Wiener Symphoniker; Dirigent: Karl Böhm 24.11.1943, Konzerthaus – Großer Saal (Wien) J. Brahms Ein deutsches Requiem op. 45 Erika Rokyta (S), Josef Herrmann (Bariton), Karl Walter (Orgel), Wiener Singakademie, Wiener Staatsopernchor, Wiener Symphoniker; Dirigent: Karl Böhm 28.11.1943, Hochschule für Welthandel – Festsaal (Wien) J. Brahms Denn alles Fleisch (aus: Ein deutsches Requiem) op, 45/2 J. Brahms Ihr habt nun Traurigkeit (aus: Ein deutsches Requiem) op. 45/5 Wilma Lipp (S), [Orchester/Klavier?], Wiener Singakademie; Dirigent: Anton Konrath 16.2.1947, Konzerthaus – Großer Saal (Wien) J. Brahms Ein deutsches Requiem op. 45 Irmgard Seefried (S), Ludwig Weber (B), Ernst Tittel (Orgel), Wiener Singakademie, Wiener Lehrer-a cappella-Chor, Wiener Symphoniker; Dirigent: Reinhold Schmid 24.1.1951, Konzerthaus – Großer Saal (Wien) J. Brahms Ein deutsches Requiem op. 45 Irmgard Seefried (S), Dietrich Fischer-Dieskau (Bariton), Franz Schütz (Orgel), Wiener Singakademie, Wiener Symphoniker; Dirigent: Wilhelm Furtwängler 25.1.1951, Konzerthaus – Großer Saal (Wien) J. Brahms Ein deutsches Requiem op. 45 Irmgard Seefried (S), Dietrich Fischer-Dieskau (Bariton), Franz Schütz (Orgel), Wiener Singakademie, Wiener Symphoniker; Dirigent: Wilhelm Furtwängler 27.4.1954, Konzerthaus – Großer Saal (Wien) J. Brahms Ein deutsches Requiem op. 45 Rita Streich (S), Hans Braun (B), Franz Schütz (Orgel), Wiener Singakademie, Wiener Symphoniker; Dirigent: Carl Schuricht
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28.4.1954, Konzerthaus – Großer Saal (Wien) J. Brahms Ein deutsches Requiem op. 45 Rita Streich (S), Hans Braun (B), Franz Schütz (Orgel), Wiener Singakademie, Wiener Symphoniker; Dirigent: Carl Schuricht 29.4.1954, Konzerthaus – Großer Saal (Wien) J. Brahms Ein deutsches Requiem op. 45 Rita Streich (S), Hans Braun (B), Franz Schütz (Orgel), Wiener Singakademie, Wiener Symphoniker; Dirigent: Carl Schuricht 22.1.1964, Konzerthaus – Großer Saal (Wien) J. Brahms Ein deutsches Requiem, op. 45 Evelyn Lear (S), Thomas Stewart (Bariton), Josef Nebois (Orgel), Wiener Singakademie, Wiener Symphoniker; Dirigent: Carl Melles 11.9.1966, Malatesta Tempel (Rimini) J. Brahms Ein deutsches Requiem op. 45 Christiane Sorell (S), Ioan Holi-Holender (Bariton), Wiener Singakademie, Orchestra Sinfonica Maltestiana; Dirigent: Thomas Ungar 14.12.1967, Konzerthaus – Großer Saal (Wien) J. Brahms Ein deutsches Requiem op. 45 Gundula Janowitz (S), Knut Skram (Bariton), Wiener Singakademie, Wiener Symphoniker; Dirigent: Zdenek Kosler 29.11.1968, Konzerthaus – Großer Saal (Wien) J. Brahms Gesang der Parzen op. 89 J. Brahms Nänie op. 82 J. Brahms Schicksalslied op. 54 Wiener Singakademie, Wiener Symphoniker; Dirigent: Hans Swarowsky 19.3.1981, Konzerthaus – Großer Saal (Wien) J. Brahms Schicksalslied op. 54 Wiener Singakademie, ORF-Chor, ORF-Symphonieorchester; Dirigent: Michael Tabachnik 14.5.1981, Konzerthaus – Großer Saal (Wien) J. Brahms Ein deutsches Requiem op. 45 Edda Moser (S), Walter Berry (B), Wiener Singakademie, ORF-Chor, ORF-Symphonieorchester; Dirigent: Gustav Kuhn 22.1.1992, Kapuzinerkirche (Wien) J. S. Bach Lobe den Herren J. Brahms Warum ist das Licht gegeben op. 74/1 A. Bruckner Tota pulchra J. Hairston All Over Me
Johannes Brahms und die Wiener Singakademie
A. Hosp F. Mendelssohn Bartholdy F. Mendelssohn Bartholdy A. Parker / R. Shaw R. Thompson H. Wolf
Go Down, Moses Ehre sei Gott o. op. Richte mich, Gott op. 78/2 Deep River Alleluja Einkehr
Gottfried Mandlburger (T), Wiener Singakademie; Dirigent: Herbert Böck / Albert Hosp 4.4.1993, Stift Melk – Kolomanisaal J. Brahms Warum ist das Licht gegeben op. 74/1 A. Bruckner Ave Maria (à 7) A. Bruckner Christus factus est A. Bruckner Os iusti H. Distler Jesu, deine Passion A. Heiller O Jesu, all mein Leben Z. Kodály Jesus und die Krämer F. Mendelssohn Bartholdy Denn er hat seinen Engeln befohlen o. op. H. Schütz Jauchzet dem Herrn H. Wolf Einkehr H. Wolf Resignation Wiener Singakademie; Dirigent: Herbert Böck 8.4.1993, Queen Elizabeth Hall (London) J. Brahms Warum ist das Licht gegeben op. 74/1 A. Bruckner Ave Maria (à 7) A. Bruckner Christus factus est A. Bruckner Os iusti H. Distler Jesu, deine Passion A. Heiller O Jesu, all mein Leben Z. Kodály Jesus und die Krämer F. Mendelssohn Bartholdy Denn er hat seinen Engeln befohlen o. op. H. Schütz Jauchzet dem Herrn H. Wolf Einkehr H. Wolf Resignation Wiener Singakademie; Dirigent: Herbert Böck 13.4.1993, St. John’s, Smith’s Square (London) J. Brahms Warum ist das Licht gegeben op. 74/1 A. Bruckner Ave Maria (à 7) A. Bruckner Christus factus est A. Bruckner Os iusti H. Distler Jesu, deine Passion A. Heiller O Jesu, all mein Leben Z. Kodály Jesus und die Krämer F. Mendelssohn Bartholdy Denn er hat seinen Engeln befohlen o. op. H. Schütz Jauchzet dem Herrn H. Wolf Einkehr H. Wolf Resignation Wiener Singakademie; Dirigent: Herbert Böck
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16.10.1993, Dom (Klagenfurt) W. Berger Trost der Nacht J. Brahms All meine Herzgedanken op. 62/5 J. Brahms In stiller Nacht WoO 34/8 J. Brahms Waldesnacht op. 62/3 J. N. David Es geht eine dunkle Wolk’ J. N. David Kume, kum, Geselle min H. Distler Totentanz M. Reger Nachtlied M. Reger Wie kommt’s, daß du so traurig bist R. Schumann Heidenröslein op. 67/3 Albert Hosp (Sprecher), Wiener Singakademie; Dirigent: Herbert Böck 17.10.1993, Heimatsaal Kammern (Steiermark) J. Brahms All meine Herzgedanken op. 62/5 J. Brahms Erlaube mir, feins Mädchen J. Brahms In stiller Nacht WoO 34/8 J. Brahms Waldesnacht op. 62/3 J. N. David Es geht eine dunkle Wolk’ J. N. David Kume, kum, Geselle min H. Distler Totentanz E. Fischer Ach, Luise A. Hosp In der Bar zum Krokodil M. Reger Wie kommt’s, daß du so traurig bist R. Schumann Heidenröslein op. 67/3 Albert Hosp (Sprecher), Wiener Singakademie; Dirigent: Herbert Böck 19.12.1995, Konzerthaus – Mozartsaal (Wien) J. Brahms O Heiland, reiß die Himmel auf op. 74/2 A. Bruckner Virga Jesse H. Distler Es ist ein Ros entsprungen H. Distler O Heiland, reiß die Himmel auf F. Martin Messe für Doppelchor F. Poulenc Hodie Christus natus est F. Poulenc O Magnum Mysterium F. Poulenc Quem vidistis F. Poulenc Videntes Stellam G. Verdi Ave Maria G. Verdi Laudi alla Vergine Maria G. Wolters Maria durch ein Dornwald ging Wiener Singakademie; Dirigent: Herbert Böck 1.12.1996, 10:30, Konzerthaus – Mozartsaal (Wien) J. Brahms Der bucklichte Fiedler op. 93a/1 M. Bartholomew De Animals a-comin’ B. Britten A child is born B. Britten Procession (aus: A Ceremony of Carols) B. Britten Wolcum Yole! (aus: A Ceremony of Carols)
Johannes Brahms und die Wiener Singakademie
H. Lau E. Rautavaara W. Swingle A. Warrell
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Sur le pont d’Avignon Gesellschaften Audete Gaudete A Merry Christmas
Albert Hosp (Sprecher), Kyoko Yoshizawa (Klavier), Wiener Singakademie; Dirigent Lluis Vila i Casanas 1.12.1996, 15:30, Konzerthaus – Mozartsaal (Wien) J. Brahms Der bucklichte Fiedler op. 93a/1 M. Bartholomew De Animals a-comin’ B. Britten A child is born B. Britten Procession (aus: A Ceremony of Carols) B. Britten Wolcum Yole! (aus: A Ceremony of Carols) H. Lau Sur le pont d’Avignon E. Rautavaara Gesellschaften W. Swingle Audete Gaudete A. Warrell A Merry Christmas Albert Hosp (Sprecher), Kyoko Yoshizawa (Klavier), Wiener Singakademie; Dirigent Lluis Vila i Casanas 1.12.1996, 17:00, Konzerthaus – Mozartsaal (Wien) J. Brahms Der bucklichte Fiedler op. 93a/1 M. Bartholomew De Animals a-comin’ B. Britten A child is born B. Britten Procession (aus: A Ceremony of Carols) B. Britten Wolcum Yole! (aus: A Ceremony of Carols) H. Lau Sur le pont d’Avignon E. Rautavaara Gesellschaften W. Swingle Audete Gaudete A. Warrell A Merry Christmas Albert Hosp (Sprecher), Kyoko Yoshizawa (Klavier), Wiener Singakademie; Dirigent: Lluis Vila i Casanas 17.6.1997, Konzerthaus – Mozartsaal (Wien) J. Brahms Liebeslieder-Walzer op. 52 J. S. Bach Jesu, meine Freude BWV 227 J. N. David Deutsche Messe op. 42 C. Debussy Dieu! Qu’il la fait bon regarder C. Debussy Quant j’ay ouy le tambourin C. Debussy Yver, vous n’estes qu’un vilain Z. Kodály Abend A. Kubizek Memento homo Eva Kammerlander (Violoncello), Franz König (Kontrabaß), Marco Ozbic (Klavier), Ursula Bosch (Klavier), Wiener Singakademie; Dirigent: Herbert Böck 23.6.2000, Pfarrkirche St. Gallen (Steiermark) A. Bruckner Vexilla regis
170 A. Bruckner A. Heiller F. Mendelssohn Bartholdy F. Mendelssohn Bartholdy J. Brahms R. Mauersberger Ch. V. Stanford M. Seiber Ch. V. Stanford Ph. Collins H. Bright M. Hogan
elisabeth hilscher Virga Jesse O Jesu, all mein Leben Herr, Gott, du bist unsere Zuflucht op. 79/2 Jauchzet dem Herrn op. 69/2 Fest- und Gedenksprüche op. 109 Wie liegt die Stadt so wüst Beati quorum via op. 38/3 Yugoslav Folk-Songs The Blue Bird A Groovy Kind of Love I hear a voice a-prayin’ Elijah Rock
Wiener Singakademie; Dirigent: Heinz Ferlesch 24.6.2000; Evangelische Kirche Gmunden (Oberösterreich) A. Bruckner Vexilla regis A. Bruckner Virga Jesse A. Heiller O Jesu, all mein Leben F. Mendelssohn Bartholdy Herr, Gott, du bist unsere Zuflucht op. 79/2 F. Mendelssohn Bartholdy Jauchzet dem Herrn op. 69/2 J. Brahms Fest- und Gedenksprüche op. 109 R. Mauersberger Wie liegt die Stadt so wüst Ch. V. Stanford Beati quorum via op. 38/3 M. Seiber Yugoslav Folk-Songs Ch. V. Stanford The Blue Bird Ph. Collins A Groovy Kind of Love H. Bright I hear a voice a-prayin’ M. Hogan Elijah Rock Wiener Singakademie; Dirigent: Heinz Ferlesch 18.10.2002, Konzerthaus – Großer Saal (Wien) J. Brahms Ein deutsches Requiem op. 45 Ruth Ziesak (S), Kwangchul Youn (Bariton), Wiener Singakademie, RSO Wien; Dirigent: Bertrand De Billy 25.5.2005, Konzerthaus – Mozartsaal (Wien) A. Dvorak Sechs Klänge aus Mähren / Sest moravskych dvojzpevu op. 32 J. Brahms Drei Lieder op. 42 (Abendständchen, Vineta, Darthulas Grabesgesang) R. Schumann Zuversicht op. 141/3 R. Schumann Talismane op. 141/4 J. Brahms Liebeslieder-Walzer op. 52 M. Seiber Yugoslav Folk-Songs W. Engel-Berger In der Bar zum Krokodil L. Denza Funiculi funicula (Arr. A. Hosp) L. Prima Angelina (Arr. A. Hosp) J. Brahms All meine Herzgedanken op. 62/5 Wiener Singakademie; Dirigent: Heinz Ferlesch
Johannes Brahms und die Wiener Singakademie
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29.4.2010, Konzerthaus – Großer Saal (Wien) J. Brahms Ein deutsches Requiem op. 45 Dorothea Röschmann (S), Christian Gerhaher (Bariton), Wiener Singakademie, Wiener Symphoniker; Dirigent: Georges Prêtre 30.4.2010, Konzerthaus – Großer Saal (Wien) J. Brahms Ein deutsches Requiem op. 45 Dorothea Röschmann (S), Christian Gerhaher (Bariton), Wiener Singakademie, Wiener Symphoniker; Dirigent: Georges Prêtre 11.9.2010, Mürzzuschlag – Kunsthaus (Steiermark) J. S. Bach Komm, Jesu, komm BWV 229 J. Brahms Schaffe in mir, Gott, ein rein Herz op. 29/2 J. Brahms Warum ist das Licht gegeben op. 74/1 F. Mendelssohn Bartholdy Vespergesang op. 121 F. Mendelssohn Bartholdy Mitten wir im Leben sind op. 23/3 J. Brahms Vier Gesänge für Frauenchor op. 17 J. Brahms Täublein weiß J. Brahms Schnitter Tod J. Brahms In stiller Nacht, zur ersten Wacht A. Schönberg Schein uns, du liebe Sonne A. Schönberg Herzlieblich Lieb, durch Scheiden G. Ligeti Pápainé / Witwe Pápai Anonymus Loch Lomond Johannes Pfaffeneder (T), Oliver Stech (T), Manfred Perhold (B), Günther Friedrich (B), Hannes Fleischer (T), Eric Kushner (Horn), Josef Eder (Horn), Ulrike Mattanovich (Harfe), Jörg Ulrich Krah (Violoncello), Herwig Neugebauer (Kontrabaß), Wiener Singakademie Kammerchor; Dirigent: Heinz Ferlesch 12.9.2010, Stiftskirche Waldhausen (Oberösterreich) J. S. Bach Komm, Jesu, komm BWV 229 J. Brahms Schaffe in mir, Gott, ein rein Herz op. 29/2 J. Brahms Warum ist das Licht gegeben op. 74/1 F. Mendelssohn Bartholdy Vespergesang op. 121 F. Mendelssohn Bartholdy Mitten wir im Leben sind op. 23/3 J. Brahms Vier Gesänge für Frauenchor op. 17 J. Brahms Täublein weiß J. Brahms Schnitter Tod J. Brahms In stiller Nacht, zur ersten Wacht A. Schönberg Schein uns, du liebe Sonne A. Schönberg Herzlieblich Lieb, durch Scheiden G. Ligeti Pápainé / Witwe Pápai Anonymus Loch Lomond Johannes Pfaffeneder (T), Oliver Stech (T), Manfred Perhold (B), Günther Friedrich (B), Hannes Fleischer (T), Eric Kushner (Horn), Josef Eder (Horn), Ulrike Mattanovich (Harfe), Jörg Ulrich Krah (Violoncello), Herwig Neugebauer (Kontrabaß), Wiener Singakademie Kammerchor; Dirigent: Heinz Ferlesch
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16.10.2010, Konzerthaus – Mozartsaal (Wien) J. S. Bach Komm, Jesu, komm BWV 229 J. Brahms Schaffe in mir, Gott, ein rein Herz op. 29/2 J. Brahms Warum ist das Licht gegeben op. 74/1 F. Mendelssohn Bartholdy Vespergesang op. 121 F. Mendelssohn Bartholdy Mitten wir im Leben sind op. 23/3 J. Brahms Vier Gesänge für Frauenchor op. 17 J. Brahms Täublein weiß J. Brahms Schnitter Tod J. Brahms In stiller Nacht, zur ersten Wacht A. Schönberg Schein uns, du liebe Sonne A. Schönberg Herzlieblich Lieb, durch Scheiden G. Ligeti Pápainé / Witwe Pápai Anonymus Loch Lomond Johannes Pfaffeneder (T), Oliver Stech (T), Manfred Perhold (B), Günther Friedrich (B), Hannes Fleischer (T), Eric Kushner (Horn), Josef Eder (Horn), Ulrike Mattanovich (Harfe), Jörg Ulrich Krah (Violoncello), Herwig Neugebauer (Kontrabaß), Wiener Singakademie Kammerchor; Dirigent: Heinz Ferlesch 13.2.2011, Kulturpalast – Festsaal (Dresden) J. Brahms Ein deutsches Requiem op. 45 Christiane Oelze (S), Gerd Grochowski (Bariton), Wiener Singakademie, Philharmonischer Kammerchor Dresden, Dresdner Philharmonie; Dirigent: Rafael Frühbeck de Burgos 18.2.2011, Großes Festspielhaus (Salzburg) J. Brahms Ein deutsches Requiem op. 45 Christiane Karg (S), Gerd Grochowski (Bariton), Wiener Singakademie, Dresdner Philharmonie; Dirigent: Rafael Frühbeck de Burgos 6.11.2011, Klangraum Minoritenkirche (Krems/Stein, Niederösterreich) J. Brahms Täublein weiß J. Brahms Schnitter Tod J. Brahms In stiller Nacht A. Schönberg Schein uns, du liebe Sonne G. Ligeti Pápainé / Witwe Pápai Wiener Singakademie Kammerchor; Dirigent: Heinz Ferlesch 29.3.2012, Konzerthaus – Großer Saal (Wien) J. Brahms Gesänge für Frauenchor op. 17 J. Brahms Gesang der Parzen op. 9 J. Brahms Nänie op. 82 Peter Keserü (Horn), Johann Widihofer (Horn), Anna Verkholantseva (Harfe), Wiener Singakademie, RSO Wien; Dirigent: Cornelius Meister
Johannes Brahms und die Wiener Singakademie
173
15.3.2013, Konzerthaus-Großer Saal (Wien) R. Schumann Requiem für Mignon op. 98b J. Brahms Ein deutsches Requiem op. 45 Christiane Karg (S), Katharina Sellschopp-Meister (S), Dorothya Láng (Mezzo), Ida Aldrian (Mezzo), Florian Boesch (Bariton), Wiener Singakademie, RSO Wien; Dirigent: Cornelius Meister 29.4.2014, Konzerthaus – Großer Saal (Wien) F. Mendelssohn Bartholdy Wie der Hirsch schreit op. 42 J. Brahms Rhapsodie für Alt, Männerchor und Orchester op. 53 J. Brahms Schicksalslied op. 54 Sylvia Schwartz (S), Elisabeth Kulman (Mezzo), Wiener Singakademie, RSO Wien; Dirigent: Cornelius Meister
3. Die aufgeführten Werke von Johannes Brahms Werk Abendständchen op. 42/1 Abschiedslied WoO 34/9 All meine Herzgedanken op. 62/5 Am Wildbach die Weiden op. 44/9 An die Heimat op. 64/1 Ave Maria op. 12 Begräbnisgesang op. 13 Beherzigung op. 93a/6 Bei nächtlicher Weil WoO 34/3
Dank der Damen op. 93b Darthulas Grabesgesang op. 42/3 Das Mädchen op. 93a/2 Dein Herzlein mild op. 62/4 Dein Herzlein mild op. 62/4 Denn alles Fleisch op. 45/2 s. Ein deutsches Requiem
Konzertdaten 1864-04-17 2005-05-25 1863-11-15 1899-01-31 1993-10-16 1993-10-17 2005-05-25 1885-03-11 1886-12-14 1877-02-02 1878-04-27 1864-04-17 1884-12-17 1913-06-15 1923-05-07 1864-01-06 1872-04-08 1879-03-30 1883-03-17 1900-03-20 1887-03-02 2005-05-25 1923-05-07 1882-12-02 1901-04-02 1903-02-15 1907-05-24 1908-05-04
174
Werk Der Abend op. 64/2 Der bucklichte Fiedler op. 93a/1
Der englische Gruß op. 22/1 Der englische Jäger WoO 34/14 Der Falke op. 93a/5 Der Gärtner op. 17/3
Der Jäger op. 22/4 Dich, Mutter Gottes, ruf ’ ich an op. 22/5 Die Berge sind spitz op. 44/8 Die Wollust in den Maien
elisabeth hilscher
Konzertdaten 1876-12-03 1880-04-18 1896-04-08 1923-05-07 1996-12-01/10:30 1996-12-01/15:30 1996-12-01/17:00 1876-02-02 1882-12-02 1867-12-21 1886-03-12 1898-05-04 1882-12-02 1893-12-22 1923-05-07 2010-09-11 2010-09-12 2010-10-16 2012-03-29 1882-12-02 1864-04-17 1885-03-11 1886-12-14 1890-03-30 1901-11-12 1903-02-15 1906-05-12 1908-05-04 1923-05-07
Drei Lieder op. 42 s. Abendständchen, Vineta, Darthulas Grabesgesang Ein deutsches Requiem op. 45 1903-04-07 1906-04-21 1907-04-08 1910-04-16 1915-12-06 1919-10-31 1919-11-02 1919-11-09 1922-02-03 1931-02-24
Johannes Brahms und die Wiener Singakademie
Werk Ein deutsches Requiem op. 45
Erlaube mir, feins Mädchen WoO 35/3 Es geht ein Wehen op. 62/6 Es ist das Heil uns kommen her op. 29/1 Es tönt ein voller Harfenklang op. 17/1
175
Konzertdaten 1934-1-08 1934-11-09 1937-10-20 1940-11-01 1943-11-24 1943-11-28 (nur 45/2 & 5) 1947-02-16 1951-01-24 1951-01-25 1954-04-27 1954-04-28 1954-04-29 1964-01-22 1966-09-11 1967-12-14 1981-05-14 2002-10-18 2006-12-12 2010-04-29 2010-04-30 2011-02-13 2011-02-18 2013-03-15 1993-10-17 1909-04-22 1864-04-17 1893-12-22 1923-05-07 2010-09-11 2010-09-12 2010-10-16 2011-03-29 1903-02-15
Fahr wohl op. 93a/4 Fest- und Gedenksprüche op. 109 s. Unsere Väter hofften auf dich, Wenn ein starker Gewappneter, Wo ist ein so herrlich Volk Fragen op. 44/4 1888-12-10 Gesang aus Fingal op. 17/4 1882-12-02 1923-05-07 2010-09-11 2010-09-12 2010-10-16 2011-03-29
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Werk Gesang der Parzen op. 89
elisabeth hilscher
Konzertdaten 1918-02-27 1968-11-29 2011-03-29
Ihr habt nun Traurigkeit op. 45/5 s. Ein deutsches Requiem In stiller Nacht WoO 34/8 1863-11-15 1864-04-17 1867-01-05 1867-12-21 1878-04-27 1890-03-30 1899-01-31 1903-02-15 1903-04-26 1905-02-20 1923-05-07 1993-10-16 1993-10-17 2010-09-11 2010-09-12 2010-10-16 2011-11-06 Liebeslieder-Walzer op. 52 1911-03-19 1997-06-17 2005-05-25 Lied (von Shakespeare) op. 17/2 1923-05-07 2010-09-11 2010-09-12 2010-10-16 2011-03-29 Magdalena op. 22/6 1876-02-02 Maria wollt zur Kirche gehn op. 22/2 1864-04-17 Marias Wallfahrt op. 22/3 1882-12-02 Minnelied op. 44/1 1888-12-10 Mit Lust tät ich ausreiten WoO 34/2 1864-01-06 Nänie op. 82 1897-05-06 1968-11-29 2011-03-29 Nun steh’n die Rosen in Blüte op. 44/7 1885-03-11 1886-12-14 O Heiland, reiß die Himmel auf op. 74/2 1911-03-19 1995-12-19 O süßer Mai op. 93a/3 1887-12-16 Rhapsodie für Alt, Männerchor und Orchester op. 53 2014-04-29
Johannes Brahms und die Wiener Singakademie
Werk Ruf zur Maria op. 22/5 Sankt Raphael WoO 34/7 Schaffe in mir, Gott, ein rein Herz op. 29/2 Schicksalslied op. 54
Schnitter Tod WoO 34/13
Tafellied op. 93b Täubchen weiß
Und gehst du über den Kirchhof op. 44/10 Unsere Väter hofften auf dich op. 109/1 Vineta op. 42/2
Vom heiligen Märtyrer Emmerano WoO 34/4 Von alten Liebesliedern op. 62/2 Von edler Art WoO 34/1 Waldesnacht op. 62/3
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Konzertdaten 1882-12-02 1894-05-09 1900-03-20 2010-09-11 2010-09-12 2010-10-16 1915-02-19 1916-12-29 1933-03-14 1933-03-15 1941-10-31 1968-11-29 1981-03-19 2014-04-29 1863-11-15 1923-05-07 2010-09-11 2010-09-12 2010-10-16 2011-11-06 1911-03-19 2010-09-11 2010-09-12 2010-10-16 2011-11-06 1885-03-11 1886-12-14 2000-06-23 2000-06-24 1864-04-17 1897-12-20 1913-06-15 1923-05-07 2005-05-25 1899-01-31 1882-12-02 1890-12-18 1909-04-22 1879-03-30 1882-12-02 1909-04-22 1929-05-12 1993-10-16 1993-10-17
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Werk Warum ist das Licht gegeben op. 74/1
Wenn ein starker Gewappneter op. 109/2 Wo ist ein so herrlich Volk op. 109/3
elisabeth hilscher
Konzertdaten 1992-01-22 1993-04-04 1993-04-08 1993-04-13 2010-09-11 2010-09-12 2010-10-16 2000-06-23 2000-06-24 2000-06-23 2000-06-24
Christine Martin
Berührungspunkte zwischen Brahms’ frühen Chorwerken und Schuberts mehrstimmigen Gesängen Mehrstimmige Gesänge von Johannes Brahms mit denen Franz Schuberts in Verbindung zu bringen, muß aus mehreren Gesichtspunkten heraus problematisch erscheinen, liegt doch zwischen Schuberts ersten, 1812 entstandenen Gesängen und Brahms’ frühen Chorwerken von 1859 fast ein halbes Jahrhundert: In dieser Zeit hatten sich die musikalischen Charakteristika und Aufführungsbedingungen von Kompositionen dieses Genres, vor allem aber der gesellschaftliche Kontext, in dem sie gesungen und rezipiert wurden, sehr verändert. Schuberts mehrstimmige Gesänge entstanden noch in der Tradition eines geselligen, wenn auch durchaus anspruchsvollen Musizierens, das in Wien die Generation seines Lehrers Salieri und der Brüder Haydn geprägt hatte. Mehrstimmiges Singen fand im Schulunterricht und im privaten Kreis als Gelegenheitsmusik oder zur Unterhaltung statt.1 Der gesellige oder pädagogische Anlaß prägte in der Regel auch die Texte – meist handelt es sich um Ständchen, Trinklieder oder erbauliche Sentenzen. Auch die musikalische Gestaltung dieser Gesänge war weitgehend schlicht gehalten. Erst ab 1823 erlangten einige von Schuberts mehrstimmigen Ensembles durch Aufführungen bei den ‚Abendunterhaltungen‘ der Wiener Gesellschaft der Musikfreunde ein öffentliches Interesse und entwickelten inhaltlich wie musikalisch eine höhere Qualität.2 Als Johannes Brahms 1859 seine ersten Chorwerke komponierte, hatte sich das zu Schuberts Zeit erst neu aufkeimende Interesse für den Chorgesang längst zu einer breiten kulturellen Bewegung in ganz Europa entwickelt. Diese verband sich mit hohen musikalischen Erwartungen und historistischen Strömungen: So widmeten sich Chöre und Komponisten gleichermaßen der Wiederentdeckung von Vokalmusik früherer Epochen wie der des authentischen Volksliedes.3 An vielen Stationen seines Wirkens traf Brahms auf ambitionierte Laienchöre, die beides, das gesellige Singen 1 2
3
Vgl. Dietrich Berke, Leise, leise laßt uns singen. Die mehrstimmigen Gesänge, in: Schubert-Handbuch, S. 269– 301, hier S. 277. Otto Biba, Franz Schubert in den musikalischen Abendunterhaltungen der Gesellschaft der Musikfreunde, in: Schubert-Studien. Festgabe der österreichischen Akademie der Wissenschaften zum Schubert-Jahr 1978, hrsg. von Franz Grasberger und Othmar Wessely, Wien 1978, S. 7–29. Geist der Liebe D 747 war der erste Gesang, der dort aufgeführt wurde; s. ebda., S. 15, und eine Übersicht zu allen aufgeführten SchubertWerken S. 30 f. Hans Michael Beuerle, Johannes Brahms. Untersuchungen zu den A-cappella-Kompositionen. Ein Beitrag zur Geschichte der Chormusik, Hamburg 1987, S. 83–104, skizziert diese Entwicklung einschließlich ihrer politischen und gesellschaftlichen Hintergründe.
180
christine martin
im kleineren Kreis wie auch den oratorischen Chorgesang im öffentlichen Konzert, pflegten. So hatte Brahms 1859 angeregt, mit einigen jungen Frauen aus dem Hamburger Bürgertum regelmäßig zu proben. Man traf sich über drei Jahre bei seiner Klavierschülerin Friedchen Wagner und deren Freundinnen – bald waren 40 Sängerinnen beteiligt und veranstalteten gelegentlich auch Konzerte.4 Der Paradigmenwechsel in der Entwicklung des Chorgesangs von Schubert bis zum frühen Brahms läßt sich exemplarisch an zwei Werken ablesen, die im Herbst 1859 bei denBeispiel ersten1:Proben dieses erarbeitet wurden: SchuSchubert, Der 23.Hamburger Psalm (D 706),Frauenchors T. 5–14 berts 23. Psalm D 706 und der 13. Psalm op. 27 von Brahms. ° b bC p˙ &b b
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Vgl. Sophie Drinker, Brahms and His Women’s Choruses, [Boston] 1952.
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Berührungspunkte zwischen Brahms’ frühen Chorwerken
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Schuberts Psalm „Gott ist mein Hirt“ ist kontrapunktisch, aber überwiegend homorhythmisch gesetzt. Motettische Imitation findet nur in bescheidenem Maße und vorwiegend in Stimmpaaren statt. Die Unterstimmen bewegen sich bevorzugt in kleinen Schritten, auch in der Melodie werden große Intervalle und Spitzentöne sehr dosiert eingesetzt, Stimmkreuzungen vermieden. Schubert ließ die Stimmen dagegen häufig auf einem Ton deklamieren.5 Der satztechnische Anspruch des Vokalsatzes versteckt sich hinter einer gleichförmigen Klavierbegleitung, die der eines Sololieds gleicht. Die tiefere Deutung des Textes und der inhaltliche Kontrast zwischen den einzelnen Versen wird vor allem von einer harmonischen Bewegung getragen, die raffiniert in entlegene Tonarten gleitet, damit aber auch die vermeintliche Schlichtheit des Gesangs unterläuft und denselben abhebt von einer Andachtsmusik im Stile der deutschen Meßgesänge seiner Zeit. Franziska Meier, eine der Sängerinnen von Brahms’ Hamburger Frauenchor, erwähnt in ihrem Tagebuch, man habe Schuberts 23. Psalm mit und ohne Begleitung geübt. Während sich ihr alter Lehrer Theodor Avé-Lallement („Papa Avé“) begeistert zeigte,6 hinterließ Schuberts Komposition bei der jungen Sängerin keinen nachhaltigen Eindruck;7 viel aufregender fand Franziska die neu komponierten Frauenchöre, in diesem Falle zwei der Marienlieder op. 22, ihres Chorleiters Johannes Brahms, von denen die Sängerinnen sich die Stimmen noch selbst ausschreiben mußten. Nach den ersten Proben mit Psalmen von Schubert und Carl Graedener, dem Leiter der Hamburger Singakademie und Mentor des Hamburger Frauenchors, komponierte Brahms selbst einen Psalm für die jungen Frauen. Der Unterschied zu Schuberts Psalm – hier ein Ausschnitt aus dem zweiten Teil – ist auf den ersten Blick zu erkennen: Brahms folgt dem Vorbild deutscher Motetten aus dem 16. und 17. Jahrhundert.8 Jeder Vers beginnt mit einem neuen Soggetto. Der Satz ist streng kontrapunktisch gesetzt und verlangt Selbständigkeit in den Einzelstimmen, mehrfach auch imitierende Einsätze. Der erste Sopran bewegt sich gleich in den ersten beiden Abschnitten häufig auf den Spitzentönen g2 und as2, den Altstimmen wird am Ende der zweiten Sektion das Pendant (g, as) in der Tiefe abverlangt. Außerdem wählte Brahms alte, in der Musik des 19. Jahrhunderts wenig geläufige Metren wie den 6/4-Takt oder 4/2-Takt als Allabreve, wechselte Tempo und Metrum 5 6 7 8
Auch der formale Verlauf des Psalms ist klar gegliedert: Schubert verbindet eine symmetrisch angeordnete Reprisenform – die Anfangsglieder kehren in umgekehrter Reihenfolge wieder – geschickt mit der Aussage des Psalms. Vgl. Drinker, Brahms and His Women’s Choruses (wie Anm. 4), S. 26. Sie scheint dem Chor auch keine besonderen Schwierigkeiten bereitet zu haben, was bei anderen Stücken ausführlich referiert wird. Brahms hatte durch Robert Schumann und Julius Otto Grimm die ‚altklassische‘ Vokalmusik kennengelernt; vgl. dazu Beuerle, Untersuchungen zu den A-cappella-Kompositionen (wie Anm. 3), S. 108 f. In den synkopisch einsetzenden Eingangsrufen seines Psalms ist außerdem das Vorbild des Eingangschores von Johann Sebastian Bachs Johannespassion nicht zu überhören. Daß die dreimaligen Rufe im folgenden keinen Einfluß mehr auf den musikalischen Verlauf nehmen, unterstreicht ihre Funktion als musikalisches Zitat. Vgl. Michael Anderl, Psalm für Frauenchor op. 27, in: Claus Bockmaier / Siegfried Mauser (Hrsg.), Johannes Brahms. Interpretationen seiner Werke, Laaber 2013, Bd. 1, S. 186–191, hier S. 189.
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in jedem Abschnitt und verlangte auch die Umsetzung von polyrhythmischen Struk? bb (z. Ú Ú was von ˙ B. Duolen turen w im Chor gegen∑Triolen in der Instrumentalbegleitung), ˙ w den Sängerinnen eine hohe rhythmische Flexibilität erfordert. Der formale Verlauf zielt linear auf eine apotheotische Schlußsektion, meidet ganz im motettischen Stil jede Wiederholung. Der 13. Psalm, aber auch das Ave Maria op. 12 und die Marienlieder op. 22 zeigen, wie sehr sich Brahms in seinen frühen Chorwerken an der ‚alten‘ Musik orientierte. Im Vergleich zum komplexen Satz und der expressiven Textausdeutung einer Motette von Heinrich Schütz oder Leonhard Lechner konnten Schuberts auf Schlichtheit zielende und musikalische Gelehrtheit meidende Gesänge dem jungen Brahms vorerst wenig bieten. Auch wenn Brahms seinen Hamburger Frauen gleich in den ersten Proben Schuberts 23. Psalm und das Ständchen „Zögernd leise“ D 920 vorlegte, so fällt doch auf, daß sein intensives Interesse, das er zeitlebens für Schuberts Musik zeigte, die Vokalensembles
Berührungspunkte zwischen Brahms’ frühen Chorwerken
183
des Wiener Komponisten eher am Rande streifte. Erst in seiner frühen Wiener Zeit belegen drei handschriftliche Kopien, daß Brahms Schuberts mehrstimmige Kompositionen näher kennengelernt hat.9 Es handelt sich um Abschriften von insgesamt acht Gesängen für Männerstimmen und einen für gemischte Stimmen (Viel tausend Sterne prangen D 642), allesamt frühe, einfach und strophisch gesetzte Werke Schuberts, die Anfang der 1860er Jahre noch nicht im Druck vorlagen und Brahms von Franz Flatz, einem Vorstandsmitglied der Wiener Singakademie, vermittelt wurden.10 Manuskript 1 [Flatz]: • D 337 Lob der Einsamkeit • D 338 An den Frühling • D 435 Räuberlied [aus dem Opernfragment Die Bürgschaft] • D 364 Fischerlied • D 331 Der Entfernten • D 642 Viel tausend Sterne prangen Manuskript 2 [Kopie Brahms, nach 1863]: • D 337 Lob der Einsamkeit • D 338 An den Frühling • D 435 Räuberlied [aus dem Opernfragment Die Bürgschaft] • D 364 Fischerlied • D 331 Der Entfernten • D 572 Lied im Freien • D 642 Viel tausend Sterne prangen Manuskript 3 [Flatz, 1866]: • D 984 Der Wintertag. Ein Geburtstagslied Auf der separaten Abschrift von Der Wintertag hatte Flatz vermerkt, die verschollene Klavierbegleitung sei „behufs einer Aufführung im Freundeskreise von Herrmann Graedener substituirt“ worden. 11 Dies belegt, daß im Hause Flatz und möglicherweise Vgl. Otto Biba, „Es hat mich noch Weniges so entzückt.“ Johannes Brahms und Franz Schubert. Ausstellung im Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien. Katalog, Wien 1997, S. 32 f., Nr. 37 und 38. Das dritte Manuskript ist von Flatz am „1/7 1866“ datiert. Die zweite Abschrift stammt nach freundlicher Auskunft von Johannes Behr, Kiel, von Kopist 9 (nach der Zählung von Margit L. McCorkle, Johannes Brahms. Thematisch-bibliographisches Werkverzeichnis, München 1984, S. 812 f.), der vor allem in den Jahren 1863–1866 für Brahms tätig war. 10 Biba, „Es hat mich noch Weniges so entzückt.“ (wie Anm. 9), S. 33. Brahms lernte Flatz 1862 kennen und teilte mit ihm die Liebe für Schuberts Musik. Flatz war 1863 maßgeblich für Brahms’ Berufung als Leiter der Singakademie verantwortlich. Seine Frau, die Altistin Ida Flatz, wirkte als Solistin in zahlreichen Konzerten dieses Chores unter Brahms’ Dirigat mit. Vgl. Peter Clive, Brahms and His World. A Biographical Dictionary, Lanham etc. 2006, S. 147. 11 Hermann Graedener war der Sohn von Brahms’ Kollegen Carl Graedener und studierte zu dieser Zeit am Wiener Konservatorium. Vgl. Clive, Brahms and His World (wie Anm. 10), S. 179. 9
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auch bei anderen Wiener Musikliebhabern12 Schuberts Gesänge noch musiziert wurden.13 Diese kleinen Gelegenheitsmusiken – Der Wintertag war ein Geburtstagslied – scheinen Brahms jedoch nicht eingehender beschäftigt zu haben. Anders als bei anderen Werken zeigt Brahms’ Kopie der mehrstimmigen Ensembles keine Eintragungen von seiner Hand und auch sonst keine erkennbaren Gebrauchsspuren.14 Sie diente wohl eher der Ergänzung seiner Sammlung und dem freundlichen Austausch mit dem Schubert-Verehrer Flatz. Während Brahms seine Begeisterung für Tänze und Lieder Schuberts auch mit dem weiteren Freundeskreis durch Versendung von Noten, Aufführungsempfehlungen und Engagement für eine Drucklegung15 teilte, wurden die Gesänge weder im Briefwechsel erwähnt noch verschickt. Auch in Konzerten, an denen Brahms als Ausführender mitwirkte, wurden Schuberts mehrstimmige Gesänge selten aufgeführt, und wenn, dann nicht von Brahms, sondern von den beteiligten Chören und ihren Dirigenten aufs Programm gesetzt. Das ist umso mehr zu bemerken, da sich Brahms als Pianist und Dirigent unermüdlich für die Wiederentdeckung von Schuberts Werken einsetzte.16 Bezüglich der Darbietung von a capella-Gesang im Konzert hatte er wohl hauptsächlich aufführungspraktische Bedenken: Das kammermusikalische Profil dieses Formats war in seinen Augen offensichtlich wenig geeignet für das Konzertpodium; auch eigene Chorwerke führte er in der Regel nur mit Instrumentalbegleitung auf. So bevorzugte er in seinen Konzertprogrammen anstelle von Schuberts Originalgesängen mehrstimmige orchesterbegleitete Arrangements seiner Lieder, beispielsweise Liszts Bearbeitung von Schuberts Die Allmacht D 875A und Franz Wüllners von Gott in der Natur D 757.17 Für
12 Mehrere Wiener Familien, mit denen Brahms freundschaftlichen Kontakt pflegte, pflegten das gesellige Singen im eigenen Hause: die Familie von Brahms’ Schülerin Julie von Asten, ferner Bertha Porubszky, ehemaliges Mitglied des Hamburger Frauenchors, und ihr Mann Arthur Faber, aber auch Eusebius Mandyczewski, der Brahms um Chorliteratur für den Frauenchor seiner Frau und den Helene von Hornbostels bat. Vgl. Drinker, Brahms and His Women’s Choruses (wie Anm. 4), S. 81–83. Richard Fellinger, der das häufig von Brahms mitgestaltete und veranlaßte Musizieren im Hause seiner Eltern detailliert beschreibt, erwähnt allerdings mit Ausnahme der Brahmsschen Zigeunerlieder kein mehrstimmiges Singen, sondern vornehmlich Liedgesang und Kammermusik. Siehe ders., Klänge um Brahms, Berlin 1933, S. 54–57. 13 Otto Biba zufolge geben diese Kopien „Einblick in die Schubertpflege in jenen Wiener Kreisen, denen auch der 1844 in Kiel geborene Herrmann Graedener seit seiner Übersiedlung nach Wien 1861 zugehörte, und denen sich auch der junge Brahms anschloß.“ Vgl. ders., „Es hat mich noch Weniges so entzückt.“ (wie Anm. 9), S. 33. 14 Vgl. Salome Reiser, Von „Schubertluft“ umweht. Stationen der Schubert-Rezeption bei Johannes Brahms, Clara Schumann und Joseph Joachim, in: Schubert und die Nachwelt. I. Internationale Arbeitstagung zur Schubert-Rezeption Wien 2003. Kongreßbericht, hrsg. von Michael Kube u. a., München/Salzburg 2007, S. 145–169, hier S. 151. 15 Vgl. etwa Johannes Behr, Franz Schuberts 20 Ländler D 366/D 814 – ni cht bearbeitet von Johannes Brahms, in: Die Musikforschung 64 (2011), S. 358–367. 16 S. dazu Robert Pascall, „My Love to Schubert – No Fleeting Fancy“. Brahms’s Response to Schubert, in: IFSI. Mitteilungen Nr. 21 ( Juni 1998), S. 39–60, hier S. 41–44. 17 Vgl. Renate und Kurt Hofmann, Johannes Brahms als Pianist und Dirigent, Tutzing 2006, S. 135 f. und S. 267.
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eine Wiener Aufführung im März 1873 bearbeitete er selbst das Lied Ellens Gesang II D 838 für Frauenchor, 4 Hörner und 2 Fagotte.18 Möglicherweise zeigte Brahms aber auch deshalb wenig Interesse für Schuberts Gesänge, weil die meisten zu seiner Zeit bereits vollständig von der Männerchorbewegung des 19. Jahrhunderts vereinnahmt worden waren. Schon als Tobias Haslinger 1827 in seiner Reihe Der deutsche Minnesänger zwei Gesänge Schuberts veröffentlichte, wurden sie in der Leipziger Allgemeinen Musikalischen Zeitung wie selbstverständlich als Literatur für die deutsche Liedertafel rezensiert, obwohl sie bei Schubert ganz sicher für ein Vokalensemble gedacht waren. 19 Nachdem sich der 1843 gegründete Wiener Männergesang-Verein in besonderer Weise der Aufführung von Schuberts Ensembles für Männerstimmen angenommen hatte, wurden diese fortan ausschließlich als Männerchöre rezipiert.20 Als Brahms 1863 nach Wien kam, waren Männerchor-Konzerte zudem die Domäne seines Konkurrenten Johann Herbeck, der seit 1856 den Wiener Männergesang-Verein leitete.21 Herbeck holte zahlreiche, noch unveröffentlichte Werke Franz Schuberts, darunter den Gesang der Geister über den Wassern D 714, aus dem Nachlaß der Familie hervor und erweiterte das Männerchor-Repertoire durch seine Bearbeitungen einiger Lieder und einzelner Nummern aus Der Graf von Gleichen, Adrast und dem damals unter dem Titel Rüdigers Heimkehr geführten Opernfragment D 791 Schuberts.22 1866 initiierte er bei dem Wiener Verleger Carl A. Spina eine umfangreiche Reihenausgabe von Schuberts Vokalensembles als Chöre von Franz Schubert.23 Sein Aufruf „Singt Schubert! Schubert! und noch einmal Franz Schubert!“ im Vorwort zu dieser Ausgabe legte den Grundstein für einen Schubert-Kult deutscher Männerchöre, der bis weit ins 20. Jahrhundert hinein enthusiastisch gepflegt wurde, allerdings wenig mit der ursprünglichen Zielgruppe von Schuberts Gesängen zu tun hatte.24 18 Vgl. ebda., S. 131 f. Die noch bei Siegfried Kross, Die Chorwerke von Johannes Brahms, Berlin 1958, S. 534, erwähnte Bearbeitung von Schuberts Gesang der Geister über den Wassern ist weder bei McCorkle, Brahms. Thematisch-bibliographisches Werkverzeichnis (wie Anm. 9), noch in der Werkliste der MGG2 nachgewiesen. 19 Berke, Leise, leise laßt uns singen (wie Anm. 1), S. 272. 20 Vgl. Walther Dürr, Zwischen Liedertafel und Männergesang-Verein: Schuberts mehrstimmige Gesänge, in: ders., Zeichen-Setzung. Aufsätze zur musikalischen Poetik, hrsg. von Werner Aderhold und Walburga Litschauer, Kassel etc. 1992, S. 151–169, hier S. 167. 21 Brahms hielt schon aus persönlichen Gründen Abstand zu Herbeck, den er in Wien als mächtigen Konkurrenten fürchten mußte. Sowohl als Leiter der Wiener Singakademie in den Jahren 1863–1864 als auch als Generalmusikdirektor des Wiener Singvereins und der Gesellschaft für Musikfreunde (1874–1876) profilierte er sich mit oratorischen und vornehmlich der alten Musik gewidmeten Chor-Programmen. Vgl. Virgina Hancock, Brahms’ Aufführungen früher Chormusik, in: Brahms-Kongreß Wien 1983, hrsg. von Susanne Antonicek und Otto Biba, Tutzing 1988, S. 199–228. 22 Vgl. Ludwig Herbeck, Johann Herbeck. Ein Lebensbild von seinem Sohne Ludwig, Wien 1885, S. 52–55 und 157–159; sowie Helmut Loos, Franz Schubert im Repertoire der deutschen Männergesangvereine, in: Archiv für Musikwissenschaft 57 (2000), S. 117–129, hier S. 116 f., und Crawford Howie, Johann v. Herbeck (1831– 1877): An Important Link Between Schubert and Bruckner, in: Bruckner-Jahrbuch 2006–2010, S. 165–187, hier S. 166–172. 23 Unter dem Reihentitel Chöre von Franz Schubert nach Einsicht der Original-Partituren revidiert, mit Vortragszeichen und Vorwort versehen von Johann Herbeck erschienen seit 1866 bei C. A. Spina und später bei seinen Nachfolgern Friedrich Schreiber und Cranz 30 Gesänge für Männerstimmen. 24 Berke, Leise, leise laßt uns singen (wie Anm. 1), S. 272.
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Brahms zeigte sich gegenüber dem deutschen Männerchorwesen deutlich reserviert. Obwohl er in zahlreichen Konzerten auf ambitionierte Männerchöre traf, widmete er sich als Dirigent und Komponist fast ausschließlich dem Frauenchor oder dem gemischten Chor.25 Vielleicht teilte er die massiven Vorbehalte gegenüber der deutschen Liedertafelei, die sein Freund und Kollege Carl Graedener im zweiten Kapitel („Über Liedertafeln“) seiner Gesammelten Aufsätze über Kunst formulierte. Dort heißt es unumwunden, die Liedertafeln seien „nichts weniger als Mörder der Männerkehlen, Verderber des guten Geschmacks, Beförderer der Eitelkeit und des einseitigen Virtuosenthums, dadurch Hemmschuhe des gemischten Gesangs.“ 26 Zwar toleriert Graedeners Liedertafel-Feind das gesellige Singen, kritisiert jedoch harsch die „Kunstreisen ganzer Liedertafel-Korporationen“ und den „seiltänzerischen Wettstreit“ auf überregionalen Sängerfesten, der nur noch auf die unwürdige Effekthascherei „von smorzandos und morendos und flüstrandos“ ziele.27 Graedeners Alter ego hatte jedoch nicht nur gesellschaftliche, sondern auch genuin musikalische Vorbehalte gegenüber dem reinen Männergesang: Das Verweilen der Außenstimmen in der extremen Höhe oder Tiefe schade den nicht professionell ausgebildeten Stimmen. Der vernünftig eingeschränkte Tonumfang, etwa 2 ½ Oktaven, aber biete dem Komponisten nur begrenzte musikalische Möglichkeiten: „Der Umfang unserer Stimmen war […] sehr klein – nur 2 ½ Oktaven. In diesem soll melodisch, ja harmonisch […] geleistet werden, was sonst vom ganzen Vokale in 3 ½, oder nur vom gewöhnlichen Instrumentale begleitet, in beiläufig 6 Oktaven geschieht. Alles das auf mindestens 3, möglichst 4 Stimmen vertheilt, und dennoch soll’s nicht kraus, nicht bunt, gelehrt, nicht unklar werden. Wie hier die Stimmen führen, dass sie frei harmonisch sich ergehen und ihres natürlichen Spielraums sich erfreuen können, ohne einander immer auf den Hacken zu sitzen, einander zu treten und zu stören? wie gar, wenn man einmal kontrapunktisch werden wollte […], ohne dass jene fortwährend einander kreuzen und in die Quere kommen?“28
Auch das Fehlen unterschiedlicher Klangfarben im Männerchorsatz wird moniert: „Der Klang der Männerstimmen ist nicht reich, nicht mannigfaltig gemischt wie beim Gesammt-Vokale. Dieses theils hell theils dunkel […] Bei jenem nur die eine Sphäre, die der Tiefe, hell und dunkel zwar schattirt, doch höchstens so schattirt wie das Violoncell auf seinem a (Tenor) den übrigen Chorden gegenüber […] nun denken Sie sich eine Reihe von Stücken,
25 Vgl. die statistische Gegenüberstellung der Chorwerke nach Besetzungen bei Kross, Die Chorwerke von Johannes Brahms (wie Anm. 18), S. 16. 26 Carl Georg Peter Graedener, Über Liedertafeln, in: ders., Gesammelte Aufsätze über Kunst, vorzugsweise Musik, Hamburg 1872, S. 13–28, hier S. 14. 27 Ebda., S. 22. Da Graedener zu dieser Zeit bereits in Wien wirkte, könnte man dies gar als direkten Angriff auf Herbecks Wiener Männergesang-Verein verstehen, der auf seine Teilnahme an zahlreichen Sängerfesten im In- und Ausland besonders stolz war. Vgl. Karl Pfannhauser, Aus Herbecks Leben, Wirken, Umwelt und Schriftenmappe, in: Festschrift. 125 Jahre Wiener Männergesang-Verein 1843–1968, hrsg. von Karl Kretschek, Wien 1968, S. 31–62. 28 Ebda., S. 17 f.
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von 4 Violoncells, 4 Fagotten, 4 tiefen Clarinetten vorgetragen. Würden Sie’s lange aushalten? Nein! Sie würden schreien über unerträgliche Monotonie.“29
Wenn Gleichstimmigkeit angestrebt werde, so wären nach Graedeners Vorschlag vier Violinen oder zwei Alte und zwei Soprane zu bevorzugen, „da diese wenigstens uns aus der ewig dunkeln Lage hinweg der strebenderen, leidenschaftlicheren Helle, dem Glanz, dem Lichte zuführen.“30 Der Autor ließ offen, mit welchem „abgesagten Feind des ganzen Liedertafelwesens“ er seinen fiktiven Dialog führte, aber Brahms’ klare Präferenz für Frauenchöre oder gemischte Ensembles könnte durchaus auf ähnliche Beweggründe zurückgehen. Sie haben ihn vielleicht auch davon abgehalten, sich an der allgemeinen Schubert-Euphorie deutscher Männerchöre durch eigene Aufführungen zu beteiligen oder selbst für dieses Genre zu komponieren. Dennoch gibt es einige Hinweise, daß Brahms Schuberts mehrstimmige Gesänge doch besser kannte und einiges daran so schätzte, daß es in seinen Chorwerken einen produktiven Widerhall gefunden hat. Als Clara Schumann von den Frauenchören op. 17 hörte,31 die Brahms im Februar 1860 für seinen Hamburger Frauenchor komponiert hatte, fragte sie: „Wie bist Du auf die Harfe und Hörner gekommen? Ich kann mir keine Idee von dem Zusammenklang dieser beiden Instrumente machen, aber ganz eigentümlich wird er sein und gewiß etwas Zauberhaftes haben? […] Ich denke mir das Ganze recht schwärmerisch, wenn nicht die Hörner etwas unsanft im Zimmer hineinfahren.“
Ist die Harfe noch unmittelbar durch den Text des ersten Liedes „Es tönt ein leiser Harfenton“ motiviert,32 so gibt es im ganzen Zyklus kein inhaltliches Moment, das die Begleitung der Hörner nahelegen konnte. Ein prominentes, damals wohl einzigartiges Vorbild für die Begleitung mit Hörnern bot Schuberts Nachtgesang im Walde, 1846 als op. 139b im Druck erschienen, den Brahms übrigens im selben Jahr am 26. November 1860 in einem Konzert im Leipziger Gewandhaus unter Carl Reinecke hören konnte. In Schuberts Nachtgesang im Walde wächst die Hornbegleitung über eine stützende Funktion weit hinaus, verselbständigt sich gegenüber den Vokalstimmen und trägt mit eigenen, sehr spezifischen Motiven zur Deutung des Textes maßgeblich bei. Besonders sinnfällig wird dies gleich im ersten Teil des Gesangs, wenn die Hörner jeweils die beiden letzten Akkorde des Männerensembles wiederholen. Dieses Echo evoziert 29 Ebda., S. 18. 30 Ebda., S. 18 f. Im weiteren Verlauf des Dialogs wird dies auch physikalisch begründet, s. S. 25 f. 31 Brief von Clara Schumann an Brahms vom 3. März 1860, zit. nach: Clara Schumann – Johannes Brahms. Briefe aus den Jahren 1853–1896, hrsg. von Berthold Litzmann, Bd. 1, Leipzig 1927, S. 301. Brahms mußte seine Verleger erst von der ungewöhnlichen Besetzung der Begleitinstrumente überzeugen; s. seine Briefe an Breitkopf & Härtel und deren Antwortbriefe in: Johannes Brahms im Briefwechsel mit Breitkopf & Härtel, Bartolf Senff, J. Rieter-Biedermann, C. F. Peters, E. W. Fritzsch und Robert Lienau, hrsg. von Wilhelm Altmann, Berlin 1920 (Johannes Brahms Briefwechsel 14), Nr. 40, 42, 44, 45 und 46. 32 Clara Schumann, ebda., vermutete im Chor „ein recht hübsches junges Mädchen, die Harfe spielt, für die Du es komponiert?“
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ganz unmittelbar die räumliche Weite und Atmosphäre des nächtlichen Waldes. Zugleich suggeriert es, die Sänger führten tatsächlich einen Dialog mit der nächtlichen Natur. Dabei verkürzt der Nachhall der Hörner die im Lied übliche Viertaktperiode anfangs immer wieder auf einen Dreitakter, dessen metrische Offenheit vorwärts drängt zum nächsten Abschnitt der Melodie. Erst am Ende der Sektion, wenn die MeBeispiel 3:mündet Schubert,der Nachtgesang Walde 913), T. 12–19 Viertaktstruklodiephrasen länger werden, Gesangimin eine(D‚regelmäßige‘ tur, welche dann auch durch ein doppeltes Echo in den Takten 31–34 bestätigt wird. Horn 1 (in E)
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Beispiel 3: Franz Schubert, Nachtgesang im Walde D 913
Im zweiten Teil symbolisiert ein auftaktiges Triolenmotiv die „säuselnden Lüfte“; zwei der Hörner wechseln einander ab und weben einen zarten Klangteppich, der sich im dritten Teil durch eine Beschleunigung (der Achteltriolen zu Sechzehnteln) und kumulatives Hinzutreten der beiden anderen Hörner wirkungsvoll zu Fanfarenmotiven verdichtet, die die schlafenden Sänger wieder wach rufen. Was könnte Brahms bei der Gestaltung seiner Frauenchöre op. 17 aus Schuberts Nachtgesang im Walde übernommen haben? Dies scheint zunächst vor allem die hervorragende Bedeutung der Hornpartie in diesen Chören zu sein: Das eindrückliche, versonnene Hornsolo des ersten Liedes etwa verbannt die im Text viel beschworenen Harfentöne zunächst ganz in den Hintergrund. Das Horn wird mit grundtönigen Motiven als Naturhorn präsentiert und weckt mit seinen archaisch wirkenden Signalmotiven jene Nostalgie, Sehnsucht und Trauer, die im Text angesprochen werden. Brahms nutzte wie Schubert die Hornstimme als ein Signet für die Klangwelt, die im Text beschrieben wird, und rief zugleich beim Hörer ähnliche Empfindungen wach wie sie das lyrische Ich erfährt. Die Funktion dieser Instrumentalpartie geht weit über
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die einer Begleitung hinaus; vielmehr steht sie im Zentrum des Satzes, während der Chor eigentlich nur das erklärt, was die Zuhörer beim Erklingen dieser Harfen- und Hornklänge empfinden. Ein Dialog zwischen Chor und Instrumentalstimmen, wie ihn Schubert in seinem Nachtgesang beredt gestaltete, findet hier jedoch nicht statt. Dieser scheint sich eher im zweiten Gesang von op. 17, einem Lied von Shakespeare, zu verwirklichen, das im Scherz flehentlich um den Tod bittet, um Liebesqualen zu entgehen. Hier intonieren die Hörner die gleichen Motive wie die Singstimmen, allerdings immer im Voraus. Die vorausgreifenden Hornsignale sind so eng mit dem jeweiligen Phrasenende der Singstimmen verzahnt, daß ähnlich wie bei Schuberts Echo im Nachtgesang, nur in umgekehrter Reihenfolge, gänzlich unregelmäßige Perioden gebildet werden. Auch hier führt die metrische Offenheit zu einem überstürzten Vorwärtsstreben, das die 33 neckische Flucht vor der Liebe vergegenwärtigt. Beispiel 4: Brahms, Lieder für Frauenchor, op. 17, Nr. 2: Lied von Shakespeare, T. 1-3 Andante
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Beispiel 4: Johannes Brahms, op. 17, Nr. 2, Lied von Shakespeare
Im vierten Lied aus op. 17, dem Gesang aus Fingal, ist Schubertisches durchwegs greifbar, wenn auch vielleicht eher das Vorbild von Schuberts zahlreichen Ossian-Liedern, insbesondere sein Mädchen von Inistore D 281 nach dem gleichen Text.34 Dennoch verweist das ausführliche Vorspiel der beiden Hörner wieder direkt auf den Nachtgesang im Walde: Die Hörner intonieren auch in Brahms Fingal die Chormelodie und etablieren den Kontext des Gesangs, indem sie die Hörer mit fremd klingenden Hornquin33 Eine weitere mögliche Parallele zu Schuberts Nachtgesang deutet sich auch im zweiten Teil der Strophe an, wenn sich die Hornmotive zu länger angehaltenen Pedaltönen verdichten und zur abschließenden Bestätigung des Chorverses „Treu hält es!“ die Hörner wie bei Schubert colla parte mit dem Chor geführt werden. 34 Veronika Giglberger, Vier Gesänge für dreistimmigen Frauenchor mit zwei Hörnern und Harfe Op. 17, in: Bockmaier/Mauser, Johannes Brahms. Interpretationen (wie Anm. 8), S. 114–119, hier S. 117, sieht keinen Bezug zu Schuberts D 281, führt aber das rhythmische Grundmuster von Fingal auf den markanten Schreitrhythmus aus Schuberts Der Tod und das Mädchen D 531 zurück.
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ten und -sexten in die archaische Sphäre des keltischen Barden Ossian versetzen, der hier vom Tod des Kriegers Trenar singt. Ein typisches, nicht nur, aber sehr oft in den mehrstimmigen Gesängen angewandtes Stilmittel Schuberts ist das überraschend eintretende Unisono. Wir begegnen ihm im letzten Teil, der Cabaletta des Nachtgesangs („Es regt in den Lauben des Waldes sich schon“), hier als staunendes Flüstern, aber auch häufig wie etwa im Geistertanz D 494 als Ausdruck des Unheimlichen, Grausigen. So wird es hier bei Brahms zu den Versen „Sein Bogen hängt ungespannt in der Halle, nichts, nichts regt sich auf der Haide der Rehe“ sehr passend eingesetzt.35 Charakteristisch für Schuberts Themen, gerade jene in den gleichstimmigen Ensembles, ist das Kreisen um einen Zentralton und die Bewegung in vorwiegend kleinen Intervallen. Dies gilt auch für die Melodie von Brahms’ Fingal-Gesang. Die Unterstimme bewegt sich dazu wie oft bei Schubert, etwa im 23. Psalm, in Terzen und Sexten, hier schon quasi im Fauxbourdon. Kombiniert wird das Ganze mit einem Pedalton in der Mittelstimme. Beispiel 5: Schubert, An den Frühling (D 338), T. 1-4 ° # 6 pœ œ œ >œ œ œ œ U œ œ œ œ Tenor 1 & 8 J J œ J ‹ Will - kom - men schö - ner Jüng - ling! Du Won U # 6 p œ j >œ œ œ œ œ œ œ œ œ Tenor 2 & 8 œ J J œ ‹ Will - kom - men schö - ner Jüng - ling! Du Won p U ? # 68 œ œ œ >œ œ œ ™ œ œ œ™ Bass 1 J J J J Etwas geschwind
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Beispiel 5: Franz Schubert, An den Frühling D 338
Beispiel 6: Brahms: Lieder für Frauenchor, op. 17, Nr. 4: Gesang aus Fingal, T. 9-16
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Wein’ an den Fel - sen der brau - sen-den Wind - de,
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wei - ne, o
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Mäd-chen von
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I - ni - store!
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Beug
Beispiel 6: Johannes Brahms, op. 17, Nr. 4, Fingal 35 Dieses Unisono findet sich bei Brahms ebenso in den Romanzen op. 44, beispielsweise zu Beginn der Nr. 4 Die Müllerin („Die Mühle, die dreht ihre Flügel“) oder in Nr. 7 Nun stehn die Rosen in Blüte („Du schwanker loser Falter“).
Berührungspunkte zwischen Brahms’ frühen Chorwerken
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Sicher gehören Pedaltöne und Tonwiederholungen notwendig zu jedem gleichstimmigen Satz, bei Schubert aber begegnen sie ungewöhnlich häufig und lang anhaltend. Der permanente Klangwechsel über einem ruhenden Baß, bei dem Dissonanzen nicht gescheut, sondern geradezu auskostet werden, ist eines der charakteristischen und wirkungsvollsten Merkmale von Schuberts gleichstimmigem Vokalsatz.36 Diesen besonderen Klangeffekt findet man auch bei Brahms nicht nur im schubertisch inspirierten Fingal, sondern mehrfach in den – ursprünglich wohl auch für Frauenchor komponierten – Gesängen op. 42, etwa durchgängig im Abendständchen, aber auch zu Beginn von Vineta und im Mittelteil von Darthulas Grabgesang („Wach auf, wach auf, Darthula!“), dort verbunden mit der ebenfalls an Schuberts Musik erinnernden Rückung in die gleichnamige Dur-Tonart. Der häufige Einsatz von Pedaltönen verleiht Schuberts mehrstimmigen Sätzen einen in sich ruhenden, nur minimal bewegten Schönklang, aber oft auch eine statische Wirkung. Die Unterstimmen dienen vornehmlich der harmonischen Bewegung und entwickeln wenig eigenes melodisches Profil. Gerade diese „harmonischen Fesseln“ aber hatte Graedeners Liedertafel-Feind als ein zentrales Manko des gleichstimmigen Ensemblesatzes gesehen.37 Experimentierte Brahms in op. 17 und op. 42 mit einem homophonen Chorsatz, der manche Ähnlichkeit mit Schuberts Satztechnik zeigt, so führte er in den Romanzen für Frauenchor op. 44 beides zusammen: die klangliche Raffinesse eines gleitenden akkordischen Satzes und die lineare Eigenständigkeit der Singstimmen, die er sich in seinen frühen geistlichen Chorwerken und Kanons erarbeitet hatte. Ein schönes Beispiel für dieses Nebeneinander bietet die Romanze Nr. 4 Fragen. Solch lineare Selbständigkeit der einzelnen Stimmen konnte Schubert in seinen Männerensembles nur bedingt verwirklichen, und wo er es tat, wie beispielsweise im Gesang der Geister über den Wassern, mußte er die begrenzte Aufnahmefähigkeit bei den Ausführenden wie beim Publikum erfahren.38 In der Mitte des 19. Jahrhunderts aber war man in fortschrittlichen musikalischen Kreisen durch die Wiederentdeckung der klassischen Vokalpolyphonie vom „Simplizitätsideal“ biedermeierlicher Geselligkeit – so eine Formulierung Hans Michael Beuerles39 – abgerückt und stellte auch im modernen Chorgesang höhere musikalische Ansprüche an einen gelungenen Satz. Ob Brahms Schuberts mehrstimmige Gesänge wirklich intensiver studiert hat, ob ein gesungener Ländler wie Schuberts Die Geselligkeit vielleicht auch ein Anstoß für 36 Siehe etwa den Anfang des vierstimmigen Männerquartetts D 893 Die Nacht („Wie schön bist du“) in: NGA III/4: Mehrstimmige Gesänge für gleiche Stimmen ohne Begleitung, hrsg. von Dietrich Berke, Kassel etc. 1974, S. 118–120. 37 Bei Graedener, Über Liedertafeln (wie Anm. 26), S. 18, wird neben der „Beschränktheit des Raumes“ vor allem die „Beschränktheit der Stimmbewegung“ kritisiert: „Wer kann auf die Länge, sei er Schaffender oder Hörer, nur harmonische Fesseln ertragen?“ 38 Trotz des bereits gehobenen musikalischen Anspruchs seiner Gesänge für die ‚Abendunterhaltungen‘ klagte Schubert gegenüber Sonnleithner über die Serienproduktion solcher Gesänge und die Grenzen, die der Gattung durch die Erwartungshaltung von Publikum und Sängern gesetzt waren. Siehe Schubert. Die Dokumente seines Lebens, S. 182. 39 Beuerle, Untersuchungen zu den A-cappella-Kompositionen (wie Anm. 3), S. 92.
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christine martin Beispiel 7: Brahms, Zwölf Lieder und Romanzen für Frauenchor, op. 44, Nr. 4 Fragen, T. 1–7
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Beispiel 7: Johannes Brahms, op. 44, Nr. 4 Fragen
Brahms’ gesungene Walzer gegeben haben könnte und ob Schuberts Nachtgesang im Walde tatsächlich das hornbegleitete Opus 17 angeregt hat – all das muß Spekulation bleiben, weil es meines Wissens keine Zeugnisse gibt, die dies belegen. Brahms’ frühe Lieder und Romanzen für Frauenchor lassen jedoch neben dem deutlichen Einfluß der Chorwerke Mendelssohns durchaus erkennen, daß Schuberts Vokalensembles für gleiche Stimmen noch immer eine Größe waren, an der Komponisten und Sänger Maß genommen haben.40
40 Beuerle (ebda., S. 92 f.) merkt an: „Besonders Schubert […] bereicherte und differenzierte, vom Sololied herkommend, mit seinen […] Männerquartetten die Ausdrucksmöglichkeiten des Satzes erheblich.“ Vgl. auch Kross, Die Chorwerke von Johannes Brahms (wie Anm. 18), S. 534 f.
Siegfried Oechsle
Intensive und extensive Zeitweisen der Form Symphonische Monumentalität bei Schubert und Brahms
1. Symphonische Monumentalität nach Beethoven Größe, Monumentalität, Erhabenheit – in der Geschichte der Symphonie nach Beethoven scheinen die Kurse dieser ästhetischen Grundwerte des Genres für Jahrzehnte auf Talfahrt gegangen zu sein. Eine Re-Monumentalisierung des Symphonischen, wie sie schließlich Brahms und Bruckner in sehr unterschiedlicher Weise betrieben haben, war deshalb auch kaum anders als durch eine direkte Rückkehr zu Beethoven zu ermöglichen: „Brahms mag in einzelnen Zügen von Schumann abhängig sein […]; primär aber steht er als Symphoniekomponist, ebenso wie gleichzeitig Bruckner, über den geschichtlichen Abstand hinweg in unmittelbarer Relation zu Beethoven“.1 Mit Dahlhaus’ Bild der symphonischen Gattungsgeschichte nach Beethoven ist hier nicht erneut ins Gericht zu gehen.2 Von Interesse ist indes die Besonderheit, daß es bei der angeführten Behauptung weder um motivisch-thematische Belege noch um satztechnische Spezifika geht. Die Notwendigkeit des unmittelbaren Rückbezugs auf Beethoven und damit die Ausblendung eines halben Jahrhunderts Symphoniegeschichte wird vielmehr über den Anspruch symphonischer Monumentalität begründet. Weil Beethoven in Dahlhaus’ Sicht hierin den Rang eines Paradigmas besitzt, muß der „Zwang zur Monumentalität“3 für die Nachgeborenen entweder zu ‚bescheideneren‘ Lösungen à la Mendelssohn und Schumann oder zum direkten Ansatz beim kanonischen Original führen. Für die Jahrzehnte nach ca. 1825 läßt sich fraglos eine Ausdifferenzierung des Genres nach Typen, Modellen oder Paradigmen beobachten – eine Feststellung, die freilich nicht zu verwechseln ist mit der Auffassung, das Beethovensche Großreich sei in eine Reihe von Diadochenstaaten zerfallen. Daß sich dieses Geschehen mit dem von Dahlhaus ansonsten favorisierten Modell, Gattungsgeschichte als Problemgeschichte zu verstehen, nicht recht verträgt, wird von ihm klar angesprochen. In der Tat zeichnet „sich in der Geschichte der Symphonie kaum eine Kontinuität ab, die dem Topos 1 2 3
Carl Dahlhaus, Die Musik des 19. Jahrhunderts, Wiesbaden 1980 (Neues Handbuch der Musikwissenschaft 6), S. 125. Eine Übersicht über die Symphonik des 19. Jahrhunderts in Auseinandersetzung mit Dahlhaus’ Thesen und ihrer Rezeption bietet David Brodbeck, The Symphony after Beethoven after Dahlhaus, in: John Horton (Hrsg.), The Cambridge Companion to the Symphony, Cambridge 2013, S. 61–95. Dahlhaus, Die Musik des 19. Jahrhunderts (wie Anm. 1), S. 125.
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siegfried oechsle
von der Kette entspräche, in der sich ein Glied ans andere fügt“.4 Wenn es aber, wie Dahlhaus richtig bemerkt, unzulässig ist, von „der“ Beethovenschen Symphonie zu sprechen, weil gerade der einzelnen Werke „Unterschiedlichkeit […] es unmöglich macht, einen Idealtypus zu konstruieren“, dann liegt dies jedoch vor allem daran, daß Beethovens symphonisches Œuvre selbst keine lineare Entwicklung darstellt. Vielmehr gehorcht bereits dessen Entstehung einer inneren Ausdifferenzierung symphonischer Potentiale, die zugleich eine Signatur der musikalischen Moderne um 1800 darstellt. Diese Entwicklung setzt nicht erst im Zeitalter der ‚Epigonen‘ ein, sondern kennzeichnet bereits das Terrain des Symphonischen bei Beethoven. Vielleicht ließe sich sogar behaupten, daß hierin überhaupt eine der zentralen Neuerungen des Symphonikers Beethoven gegenüber Haydn und Mozart bestehe. Jedenfalls ist es wenig sinnvoll, für die Bestimmung des Symphonisch-Monumentalen bei Beethoven ein mehr oder weniger starres Prinzip zu suchen und zum kanonischen Ideal zu isolieren. Weil sich aber wiederum mit dem Versuch, die Sache auf der Ebene einzelner Werke zu bestimmen, die Kategorie selbst verflüchtigen würde, muß statt dessen ihr geschichtlicher Charakter rekonstruiert werden. Wenn symphonische Monumentalität einer historischen Dynamik unterliegt, dabei aber nicht auf ein abstraktes Richtmaß bezogen werden kann – sei es ein beethovenscher Durchschnittswert oder eine Art sozial- und ideengeschichtlicher Gradmesser –, dann müßte wenigstens nach musikalischen Möglichkeiten gefragt werden, auf denen überhaupt eine Entwicklungsfähigkeit monumentaler symphonischer Formen beruhe könnte: Was verändert sich nicht nur in quantitativer, sondern vor allem in qualitativer Hinsicht? Und worin bestünde der Motor dieser Veränderungen? Die Vorstellung einer mehr oder weniger kontinuierlichen Expansion würde zweifelsohne das quantitative Moment einseitig akzentuieren – wobei sich die Frage stellte, ob statt von Überbietung nicht von dem allgemeineren Moment der Entgrenzung auszugehen wäre. Denn so gerieten nicht nur äußere Umfänge von Form in den Blick, sondern auch Grenzphänomene im ‚Forminneren‘ (z. B. in Gestalt von Episoden, Enklaven oder Parenthesen). Von ungleich größerem Interesse ist indes die Seite des Qualitativen. Und da geht es neben den Aspekten Mannigfaltigkeit und Abwechslung vor allem um die innere Tragfähigkeit großer symphonischer Satz- und Werk-‚Gebäude‘. Weil es sich dabei um zeitliche Gebilde handelt, kann nur von sich selbst tragenden Prozessen die Rede sein. Darin sind wiederum stoffliche von zeitlichen Aspekten zu unterscheiden. Dahlhaus hat beide Momente – das primär quantitative des Expansiven und das qualitativ dominierende einer substantiellen Sicherung – durch die Forderung nach einem „thematisch differenzierte(n) Prozeß“ und nach einem „dramatischen Zug“ dieses ‚teleologischen‘ Geschehens zu verbinden versucht.5 Weil motivische Differenzierung als Arbeit im Kleinen intensiven Zusammenhalt liefert, fungiert sie als 4 5
Ebda. Ebda., S. 126. Genauer ausgeführt hat Dahlhaus dies im Abschnitt „Zeitstrukturen“ in: ders., Ludwig van Beethoven und seine Zeit, Laaber 1987, S. 114–125.
Intensive und extensive Zeitweisen der Form
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Gegenpart zur Tendenz ins Große, das dadurch nicht in leere Monotonie abgleitet. Doch auch dieser konstitutive Gegensatz fußt nicht auf starren Relationen, sondern sollte ebenfalls unter der Orientierung am Ausdifferenzierungstheorem der Moderne betrachtet werden. Nicht nur die motivisch-thematischen Materialien unterstehen einem prinzipiellen Wandel, sondern auch die von ihnen getragenen Satzverläufe. Über Aspekte wie die harmonische Disposition der Form oder kompositorische Arbeitstechniken sind motivische Größen zwar immer auch mit formzeitlichen Qualitäten vermittelt. Doch eine das Formganze umfassende Kategorie wie die einer monumentalen Größe verlangt die Untersuchung der dafür paradigmatischen Zeitordnungen und Prozeßweisen. Deswegen muß in den Zusammenhang der Entwicklung symphonischer Monumentalität auch die Frage nach einer Pluralisierung der Modi, Typen oder Charaktere musikalischer Formzeit mit einbezogen werden. 2. „Himmlische Länge“ ohne irdische Längen Wird ein von Beethoven abstrahierter dramatisch-teleologischer Formbegriff als Voraussetzung symphonischer Größe verwendet, muß das Urteil über romantische Symphonie notwendig negativ ausfallen. Zur Kenntnis zu nehmen ist indes, daß schon in der frühen Rezeption der 1826 abgeschlossenen „großen“ C-Dur-Symphonie Schuberts der Versuch begegnet, den von Beethoven radikal abweichenden Zeitcharakter dieser Musik sprachlich zu fassen. Der dabei von Robert Schumann 1839 verwendete Vergleich mit dem Genre des Romans stellt fraglos nicht nur ein quantitatives Kriterium dar (hätte Schumann nur die Bedeutung des ‚dicken Wälzers‘ ins Auge gefaßt, dürfte die Rede vom „novellistischen Charakter“ kaum auftauchen).6 Vielmehr geht es der Sache nach um einen musikalischen Zeitcharakter, der eine völlig innovative „Weite und Breite der Form“7 ausprägt. Gewiß, Schumanns Metaphern sind nicht als direkter Ausgangspunkt für eine wissenschaftliche Beschreibung musikalischer Sachverhalte zu nehmen. Daß der Rekurs auf poetische Genres wie Roman und Novelle nicht nur allgemeine episch-lyrische Assoziationen vermittelt, läßt sich jedoch an Schumanns viel und oft falsch zitierter Formulierung von der „himmlischen Länge“ veranschaulichen.8 Sie wird sicher nicht so zu verstehen sein, daß es Schubert gelungen sei, der meßbaren zeitlichen Dauer des Werks ein ‚Stück Ewigkeit’ einzusenken. Schumanns Worte dürften vielmehr anzeigen, daß die Musik eine Zeitweise ausprägt, 6 7 8
Robert Schumann, Die 7te Sinfonie von Franz Schubert, in: Robert Schumann, Gesammelte Schriften über Musik und Musiker, 5. Auflage, hrsg. von Martin Kreisig, 2 Bde., Leipzig 1914, Bd. I, S. 459–464. Ebda., S. 463. Ebda. So spricht Peter Gülke von „himmlischen Längen“ und sieht darin „jene Vergrößerung der Dimension, als welche die Beethovensche Entfaltung ex uno bis zum Äußerstmöglichen getrieben wird“ (Ders., Schubert, Brahms und das Erbe Beethovens, in: Arnfried Edler [Hrsg.], Schubert und Brahms. Kunst und Gesellschaft im frühen und späten 19. Jahrhundert, Augsburg 2001 [Publikationen der Hochschule für Musik und Theater Hannover 11], S. 21–31, hier S. 27). Es ist freilich genau diese Möglichkeit der Extensivierung der Form, die Schubert nicht wahrnimmt (wie unten noch zu zeigen sein wird).
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siegfried oechsle
die sich fundamental vom zielgerichteten Prozeßcharakter Beethovenscher Modelle abhebt (die „völlige Unabhängigkeit, in der die Symphonie zu denen Beethoven’s steht“,9 wird unmißverständlich unterstrichen). Das Attribut des „Himmlischen“ signalisiert einen Zeittypus, der weder unendlich gelängte Weile noch mystische Zeitlosigkeit bedeutet. Vielmehr scheint es sich um eine temporale Ordnung des symphonischen „Lebens“10 dieser Musik zu handeln, in dem gewissermaßen nicht alle Macht vom ‚irdischen‘ Zwang zu Arbeit und Produktivität ausgeht. Der Dauer dieser Musik eignet ein Himmlisches im Sinne von erfüllter Zeit (kairos statt chronos). Meist wird in Schumanns Rezension eine weitere Bemerkung überlesen, die in diese Richtung weist. Erlabend sei „dieses Gefühl von Reichtum überall, während man bei anderen immer das Ende fürchten muß und so oft betrübt wird, getäuscht zu werden“.11 Die Musik ist offenbar nicht so streng auf ein finales Ziel hin bestimmt, daß ihre jeweilige Gegenwart zugunsten der Erwartung eines Zukünftigen radikal entwertet würde. Das Fehlen des Zwangs zu Knappheit und teleologischer Force bedeutet indes nicht die bloße Fixierung auf den Augenblick. Vielmehr scheint das klangliche Geschehen von einer Endlichkeit geprägt zu sein, die aus der Fülle des Einzelnen heraus das Ende als Erfüllung zum Total konstituiert. Vergänglichkeit wird im Reichtum des Werdens und Vergehens im musikalischen Verlauf erfahrbar und nicht durch Summierung und Kontraktion des Einzelnen zum definitiven Schlußpunkt aufgeschoben. Wie auch immer: Das offenbar der Musik Schuberts eingesenkte Moment von Ewigkeit weist – zumindest in der Lesart Schumanns12 – nicht auf ein endloses oder zeitloses Jenseits, sondern auf einen ‚Grund‘ oder eine ‚Ordnung‘ dieser musikalischen Zeit, die im folgenden noch genauer zu charakterisieren wäre. Für die Frage nach der zeitlichen Grundverfassung großer Form heißt dies, daß zu dem Prozeßtyp Beethovenscher Monumentalität, wie ihn u. a. Dahlhaus beschrieben hat, ein konträrer Typ existiert, der im Hinblick auf einen Symphoniker wie Schubert und dann auch auf spätere Vertreter wie Schumann, Mendelssohn oder Brahms genauer zu umreißen wäre. Ansätze dazu sollen im folgenden unter Rekurs auf Adornos Unterscheidung eines intensiven und eines extensiven formzeitlichen Modus oder Typs versucht werden.13 Vor der präzisierenden Entwicklung dieser Begriffe wäre vor9 Schumann, Gesammelte Schriften I (wie Anm. 6), S. 463. 10 Ebda., S. 462 (die Rede ist im Hinblick auf das gesamte Werk vom „hellen, blühenden, romantischen Leben darin“ und von „Leben in allen Fasern“). 11 Ebda., S. 463. 12 Deutungen des Werks als Ausdruck des Verhältnisses von Natur und Religion im Denken der letzten Lebensjahre Schuberts werden aufgeführt bei Werner Aderhold, Vorwort zu NGA V/4a: Sinfonie Nr. 8 in C, D 944, Kassel etc. 2003, S. XIII f. Zur Kritik dieser „in der Regel eher spekulativen Unternehmungen“ siehe Walter Werbeck, Ganz anders‘ als Beethoven? Das Finale der Ersten Symphonie von Johannes Brahms, in: Rezeption als Innovation. Untersuchungen zu einem Grundmodell der europäischen Kompositionsgeschichte. Festschrift Friedhelm Krummacher zum 65. Geburtstag, hrsg. von Bernd Sponheuer u. a., Kassel etc. 2001 (Kieler Schriften zur Musikwissenschaft 46), S. 305–322, bes. S. 311. 13 Theodor W. Adorno, Beethoven. Philosophie der Musik. Fragmente und Texte, hrsg. von Rolf Tiedemann, Frankfurt a. M. 1993, bes. S. 74 ff., 134–147, 174 f. Siehe dazu Richard Kleins Rezension in: Schlüsseltexte der Kritischen Theorie, hrsg. von Axel Honneth, Institut für Sozialforschung, Wiesbaden 2006, S. 93–96; ders., Die Frage nach der musikalischen Zeit, in: Adorno-Handbuch, hrsg. von Richard Klein u. a., Stutt-
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ab auf Aspekte hinzuweisen, die das Vorgehen im folgenden leiten. Zum einen ist zu betonen, daß es sich bei dem Begriffspaar intensiv-extensiv um Termini der wissenschaftlichen Beschreibungssprache handelt. Wieweit ihre Tauglichkeit reicht, muß sich am Ergebnis zeigen. Zum anderen gibt es für die Unterscheidung nach diesen Kategorien nicht nur einen einzigen, historisch legitimen Ansatzpunkt, sei er nun auf Personen, Gattungen oder Epochen bezogen. Adorno hat die beiden Begriffe zunächst nur in Beschränkung auf Beethoven verwendet. Im vorliegenden Zusammenhang geht es indes darum, Eigenarten der symphonischen Musik des späten Schubert zu beschreiben, ohne sie je schon als defiziente Ausgabe Beethovenscher Modelle zu verstehen. Schließlich sollte der Hinweis nicht fehlen, daß die Termini keine strenge Antinomie formieren.14 Vielmehr stehen sie für den Versuch, formzeitliche Phänomene in wechselnden und prinzipiell nicht restlos ausleuchtbaren Konfigurationen aus musikalisch-strukturellen, zeitphilosophischen und sozial- wie mentalitätsgeschichtlichen Sachverhalten zu Schwerpunkten und Tendenzen zu ordnen. Die darin wiederum enthaltene Tendenz zu dualen Gegensätzen rührt größtenteils von der Art der Darstellung her, die nicht von Grauzonen und sich darin abzeichnenden Konturen ausgeht, sondern von möglichst klar umrissenen formzeitlicher Typen oder Modi, um dann vor allem in der analytischen Betrachtung konkreter Musik Möglichkeiten der Vermittlung auszuloten.15 3. Intensive und extensive Formzeit In Formen unter den Konditionen intensiver Zeitlichkeit sind Ereignisse so kontrahierbar, daß ihre Erstreckung tendenziell gegen Null geht, d. h. sie können approximativ als Zeitpunkt aufgefaßt werden (alltagssprachlich wäre das die Größe eines Augenblicks). In diesem zeitlichen Milieu regiert der musikalische Prozeß idealiter hindurch bis auf den Zeitpunkt an sich. Alle zeitlichen Quanten und die ihre Abfolge ordnenden Perspektiven werden darin erzeugt und kontrolliert.16 Diskontinuitäten bis hin zu scheinbaren Brüchen stellen hier keine Bedrohung der Form dar, sondern dienen ihrer Versorgung mit Kontingenz. Die Beherrschung unvorhersehbarer, plötzlicher Ereignisse demonstriert die Macht des musikalischen Prozesses und konfrontiert gart 2011, S. 59–74; Richard Klein, Musikphilosophie zur Einführung, Hamburg 2014, S. 114 ff., bes. S. 128 ff. Siehe auch Nikolaus Urbanek, Auf der Suche nach einer zeitgemäßen Musikästhetik. Adornos „Philosophie der Musik“ und die Beethoven-Fragmente, Bielefeld 2010, bes. S. 164 ff. Adornos Unterscheidung eines intensiven und eines extensiven Zeittypus wäre keinesfalls kritiklos zu übernehmen. Die im vorliegenden Zusammenhang maßgeblichen Aspekte dieser Termini werden unten näher charakterisiert und dann im Hinblick auf den Kopfsatz von Schuberts C-Dur-Symphonie D 944 und das Finale von Brahms’ 1. Symphonie c-Moll op. 68 durch musikalische Hinweise konkretisiert. 14 Siehe dazu unten die Erwägung anderer formzeitlicher Typen. 15 Der Terminus „Vermittlung“ darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß es dabei weniger um graduelle Übergänge als vielmehr um reflexive Wechselverhältnisse geht, wie sie durch unterschiedliche Kombinationen temporaler Typen entstehen. 16 Stets geht es in diesem Zusammenhang um ästhetische Kausalitäten.
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das Einzelne spontan mit der Dimension des Totals. Auch im Falle der Kombination pluraler formzeitlicher Perspektiven kennzeichnet den intensiven Typ der Anspruch, eine finale Einheit herstellen zu können. Die Aufhebung von Dauer und Weile zugunsten von Raffung und Summierung führt indes im (theoretischen) Extrem zu einer Entwertung der musikalischen Gegenwart, die zwischen dem Noch-nicht- und dem Nicht-mehr-Sein gewissermaßen übersprungen wird. Weil das Ende, dem alles zustrebt, auch nur ein Zeitpunkt ist, hebt dieser Typ ‚letztlich‘ Zeit auf. Würde die Logik der ‚finalen Pünktlichkeit‘ und des ‚Keine-Zeit-Habens‘ zu Ende gedacht, führte dies in ‚letzter‘ Konsequenz zur Suspendierung von Zeit. Der letzte Augenblick des musikalischen Geschehens wäre der Einstand der Formzeit durch die finale Zusammenziehung aller früheren Augenblicke zum integralen Ganzen als Sinn, Idee oder Substanz. Der radikal demonstrierten Vergänglichkeit alles Einzelnen entspräche die Unvergänglichkeit des so zur Formidee konzentrierten Totals. Das bedeutete freilich, daß dieses Ereignis als Resultat einer Zusammenziehung keine zeitliche Erstreckung mehr besäße – eine derartige gedankliche Zuspitzung mutet zwar als eine Spielerei an, veranschaulicht jedoch den theoretisch-logischen Status der Zeitlichkeit, die den intensiven Typus prägt.17 Im extensiven Zeitmodus regiert der Satzprozeß (idealtypisch gesehen) nicht auf den Augenblick durch, sondern findet seinen Widerstand an der Grenze zu eigenzeitlichen Größen. Extensive Zeitlichkeit kann deshalb in einem ersten Zugriff an dieser Abgrenzung dingfest gemacht werden. Die Zeit des extensiven Typus wäre vielleicht sogar als ‚dingfeste Zeit‘ zu bezeichnen. Die ‚Dinge‘ bzw. Phänomene stehen in einem je eigenzeitlichen Zusammenhang, sie scheinen je über ihre eigene Zeit zu verfügen. Am unmittelbarsten leuchtet dies ein bei allen sich selbst performierenden Musikarten wie Tanz, Fanfare oder Marsch. Ihre Zeit entstammt keiner ihnen übergeordneten formalen Instanz und ist auch nicht in eine solche auflösbar. Ein extensiver Status kann indes auch durch eine bloße Absenkung der Ereignisdichte entstehen, ohne daß dafür neues, fremdes Material auftauchen müßte. Klangflächenepisoden oder harmonische Zirkelgänge ließen sich hier womöglich anführen. In diesem Fall entsteht Eigenzeit als Umwandlung der teleologischen Formzeit in einen Zeitmodus, in dem aus der Zukunft des Satzverlaufes kaum noch neue Information einzutreffen und die Gegenwart sich raumartig zu weiten scheint (wobei dieser zu einem Zustand der Dauer tendierende Modus eventuell auch vom extensiven zu unterscheiden wäre18). 17 Die konkrete Beschaffenheit des musikalischen Materials im intensiven Prozeßtyp muß an dieser Stelle ausgeklammert bleiben (etwa die Frage, wohin das Material gelangt, wenn es „verarbeitet“ wird und warum Strukturen nicht verarbeitet werden können). 18 Die Zeitweise der Dauer im Sinne eines durativen Typs wäre u. a. dadurch gekennzeichnet, daß die reflexive Abhebung der Gegenwart von Vergangenem und Zukünftigem einer raumartigen Statik weicht. Ein derart in sich geschlossenes Gegenwärtigsein, in dem der Charakter des Werdens vorübergehend suspendiert wird und in dem die Möglichkeit eines Zukünftigen hinter den Horizont von Erwartung zu fallen beginnt, wäre genau genommen von der entfalteten Gegenwart des extensiven Typs zu unterscheiden. Doch derlei Fragen nach musikzeitlichen Typen wären an anderem Ort weiter zu verfolgen. Vgl. dazu neuerdings Gunnar Hindrichs, Die Autonomie des Klangs. Eine Philosophie der Musik, Frankfurt a. M. 2014, bes. S. 108 ff.
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Geschichtlich dominieren den extensiven Typ indes ‚thematisch‘ eigenwertige Größen oder Materialien, deren Zeit zur Formzeit exterritorial steht oder zumindest nicht allein das Produkt der Form zu sein scheint. Dazu gehören Phänomene wie der im symphonischen Satzmilieu zunächst fremde Auftritt eines Liedmodells oder einer chorisch-hymnischen Passage, einer ‚alten Weise‘ sowie die bereits erwähnten selbstperformativen Musikarten wie Tanz und Marsch. Die Beispiele ließen sich ohne Mühe vermehren. Herkunft und Anlaß der Ereignisse liegen nicht selten im Dunklen. Der hier nur grob skizzierte Gegensatz zwischen einem intensiven und einem extensiven Modus musikalischer Zeit konnte zwar zunächst im Verzicht auf konkrete historische Feststellungen begrifflich präzisiert werden. Ein weitwinkliger Eintritt in historische Zusammenhänge wäre selbstverständlich der eigentliche Zweck einer solchen Veranstaltung. Auch wenn das hier nicht zu leisten ist, läßt sich mit den Begriffen unter Fokussierung auf die hier gegebene Fragestellung ein Stück weit arbeiten: Kann auch für die Jahrzehnte nach Beethoven in der deutschen Symphonik von monumentalen Satz- und Werkformaten gesprochen werden und wie verhält sich Brahms mit seiner ersten Symphonie dazu? Der Versuch, die beiden temporalen Modi voneinander zu unterscheiden, begünstigt den Eindruck einer binären Opposition. Dies darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß in symphoniegeschichtlicher Perspektive zumindest für die Zeit nach 1800 ein asymmetrisches Verhältnis zwischen den beiden Zeitweisen musikalischer Form besteht. Sie sind in diesem Genre nicht gleichrangig und bilden daher keine streng binäre Symmetrie. Der intensive Typus besitzt vielmehr den historischen Primat. Für Adorno ist er denn auch „der eigentlich symphonische […], der eigentlich klassische Typ“.19 Zentrale Gesetze und Dimensionen der intensiven großen Form haben sich musikgeschichtlich in den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts gebildet und zu „klassischem“ Status verfestigt. Zu dieser historisch-genetischen Primärebene verhalten sich extensive Gegenstände und Prozeduren nicht als bloße Abweichung. Vielmehr ist ihr Status in der Welt des Symphonischen der einer reflexiven Distanzierung. Oder anders gesagt: Der extensive Zeittyp reflektiert unter seinen Bedingungen grundsätzliche Eigenschaften der Form wie das Gebot der Einheit des Ganzen oder des prozessualen Gesamtcharakters und bleibt darin auf den intensiven Zeittyp bezogen. Bereits ein so frühes Beispiel der extensiven Zeitart wie etwa das Cantabile zu Beginn des Kopfsatzes von Mozarts g-Moll-Symphonie KV 550, das aus einer formzeitlich nicht zugänglichen Vorzeit herzukommen scheint, ist gegen die intensive Zeitordnung der etablierten symphonischen „Allegrosatzmusik“20 gesetzt – deren Geltungsbereich dann die bereits am Ende des Nachsatzes in greller Dramatik dreinfahrenden Forte-Akzente des Orchesters auch eindrucksvoll demonstrieren.21 19 Adorno, Beethoven (wie Anm. 13), S. 134. 20 Michael Polth, Sinfonieexpositionen des 18. Jahrhunderts. Formbildung und Ästhetik, Kassel 2000 (Bärenreiter Hochschulschriften), S. 9 ff. 21 Adorno ist zwar darin zuzustimmen, daß der intensive Typ, wie oben angeführt, der „eigentlich symphonische […] Typ“ sei. Nicht zu akzeptieren ist indes Adornos historische Lokalisierung des extensiven Typus. Genau genommen (so gut dies der Konzeptcharakter der Fragmente zuläßt) findet sich der ex-
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Die Unterscheidung von intensiver und extensiver Formzeit vermag besonders die historische Dynamik des symphonischen Genres zu verdeutlichen. Daß gerade im symphonischen Milieu des 19. Jahrhunderts Phänomene formzeitlicher Extensivierung zunehmen, liegt maßgeblich an der gattungsästhetischen Bedeutung der Idee der Universalität. Sie bildet zusammen mit ihrem Antagonisten, der Idee der Totalität, den wohl stärksten geschichtlichen Motor in der Entwicklung der modernen Symphonie. Deren Gesichtskreis wird bis hin zu Mahler immer mehr um musikalische Gegenstände erweitert, die ihrem historischen Beritt ursprünglich nicht zurechnen. Eine Theorie des Symphonischen ist noch nicht geschrieben; doch die Kategorie der Universalität mit ihren sozialen, ästhetischen, rhetorischen und form- wie satzstrukturellen Aspekten hätte darin eine zentrale Position einzunehmen. Nicht allein die Steigerung der Dimension in der Weise des intensiven Zeittyps – gewissermaßen nach der Formel ‚Größe durch Arbeit‘ – kann für die zu beobachtende Monumentalisierung des Genres verantwortlich gemacht werden. Vielmehr kommt darin Impulsen von ‚außen‘ eine entscheidende Bedeutung zu. Musik- und Satzarten, die den extensiven Zeittyp repräsentieren, stehen für eine expansive Dynamik des Symphonischen, die aus der produktiven Kollision mit den Prinzipien der intensiven Zeitregie resultiert. Phänomene der extensiven Zeitlichkeit begegnen fraglos auch in der Kammermusik. Erst die Idee der Universalität und der expansive Zug des Symphonischen in Verbindung mit der Idee der erhaben-großen Form erzeugen jedoch die spezifisch symphonische Problemlage. 4. Musikalisch-satztechnische Aspekte im Zusammenhang extensiver Monumentalität Statt intensive und extensive Zeitlichkeit auf die triviale Unterscheidung von ‚objektiver‘ Arbeit und ‚subjektiver‘ Kantabilität zu trimmen, um dadurch Defizite nachbeethovenscher Symphonik zu bestimmen, wären an Hand dieser Differenz besser die traditionellen Funktionen der Form auszuloten. Weil sich Funktionen durch den Status des Zeitlichen von Substanzen unterscheiden, wirkt sich eine Pluralisierung der Zeitarten tiefgreifend auf ein funktionales Formverständnis aus.22 tensive Typus in zweierlei Ausgaben, eine bei Beethoven und eine romantische, die eigentlich erst bei Mahler so richtig einsetzt. Der extensive Typus à la Beethoven wird systematisch in Opposition zum intensiven bestimmt. Das Spätwerk, etwa die Neunte, weist für Adorno dann Versuche auf, beide „zu verschränken“ (Adorno, Beethoven [wie Anm. 13], S. 136). Der extensive Typus der „romantischen, zumal Schubertischen Formerfahrung“ ist dazu offenbar nur von „äußerlicher Ähnlichkeit“ (ebda.). 22 Eine neuere Theorie der funktionalen Form wird exponiert und diskutiert in William E. Caplin u. a., Musical Form, Forms and Formenlehre. Three Methodological Reflections, Leuven 2009. Die bestehenden Ansätze wären jedoch konsequent um eine Differenzierung des Temporalen zu erweitern, die nicht nur lagezeitliche Daten berücksichtigte. Zur Unterscheidung von Lagezeit und Modalzeit siehe Siegfried Oechsle, Forminterne Eigenzeiten und narrative Strukturen. Zum Werkkonzept der d-Moll-Symphonie op. 120, in: Robert Schumann und die große Form. Referate des Bonner Symposions 2006, hrsg. von Bernd Sponheuer und Wolfram Steinbeck, Frankfurt a. M. 2009 (Bonner Schriften zur Musikwissenschaft 8), S. 29–51.
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In symphonischen Allegro-Sätzen Beethovens kann zwar die funktionale Ordnung der Form massiv verändert werden – das bleibt aber ganz unter der Regie des musikalischen Prozesses und der thematischen Gebilde, die er sich gibt. In symphonischen Allegro-Sätzen nach Beethoven – und dazu rechnen in jedem Falle auch bereits die letzten beiden Symphonien Schuberts D 759 und D 944 – werden die ‚klassischen‘ Prozeduren der Formung stärker von Themen und ihren Musikarten geprägt, deren eigene ‚Zeitorte‘ sich nicht mit den formal dafür vorgesehenen Stadien der Form decken. Die Unterscheidung primärer und sekundärer Bereiche und auch der Status von Ein-, Über- und Ausleitungen können sich deshalb auch hier grundlegend ändern. Während im intensiven Formtypus der konventionelle Funktionsplan vom Satzgeschehen souverän umdefiniert werden kann, was zudem in völliger Transparenz geschieht, werden im extensiven Formtypus nicht selten die historisch ‚vorprogrammierten‘ Funktionsbereiche überformt, verdeckt, überspielt oder unterbrochen. Daß bei der Beschreibung dieser Eigenarten auffallend viele Metaphern fallen, gründet sachlich in diesen Verfahren der Metaisierung der Form, in der es um Momente von Erweiterung, Anbau, Überdeckung, Schichtung oder Öffnung geht. Sie können zumindest für Musik des 19. Jahrhunderts zusammenfassend als extensive Reflexion der ‚klassisch‘-intensiven Form verstanden werden. Involvierte Zeitebenen lassen sich zwar nicht in durchgängiger Simultaneität prozessieren. Dennoch dürfen sie nicht zu einer reinen Sukzession planiert werden. Mögliche Interferenzen zwischen den Typen können den Eindruck erwecken, als begänne die ‚Zeitkurve‘ der Form zu streuen und die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen sich zu räumlichen Äquivalenten zu ‚öffnen‘. Formen erhalten eine Art Umgebung oder Grundierung, die nicht nur atmosphärischen Charakter besitzt, sondern sich zu ‚Metaräumen‘ verdichten kann, getragen von Netzen aus motivischen und paramotivischen Beziehungen. Im Gegensatz zu intensiven Prozeßtypen, die auch das Spiel mit unvermittelten Kontrasten oder disparaten Ereignissen eingehen können, weil sie darauf ausgerichtet sind, derlei Heterogenitäten zur höheren Einheit des Totals zusammenzuzwingen, begegnen in extensiven ‚gezeiteten‘ Partien Phänomene, die sich zwar wie unvermittelte Szenenwechsel ausnehmen (Episoden, Rückblenden, spontane Neuauftritte von ‚Themen‘ an nichtthematischen Stellen der Form etc.). Daß sich dafür dennoch der Begriff des Bruches wenig eignet, hängt mit Effekten von Entgrenzung, Überlappung oder Mehrschichtigkeit zusammen. Sie entstehen, wenn etwa ein aktuelles Formgeschehen von einer ‚mitlaufenden Spur‘ aus vergangenen motivischen oder auch rein klanglichen Ereignissen ‚begleitet‘ wird. Das kann sich zum Beispiel in Gestalt spontaner ‚poetischer Kontrapunkte‘ darbieten, die nur über dünnste Motivfäden in die Form einbezogen sind; oder wenn ein performativer Satztypus wie der Marsch nicht liquidiert, sondern gleichsam ausgeblendet wird und im ‚Hintergrund‘ des aktuellen Satzgeschehens weiterzulaufen scheint. Extensive Monumentalität zeigt sich auch in formzeitlichen wie formräumlichen Abhebungen, ‚Ekstasen‘ und ‚Heterotopien‘. Materialien, die keinesfalls je schon thematischen Status besäßen, scheinen aus ‚anderen‘ Zeiten herzukommen: mythische Zeit, historische Zeit, Erinnerungszeit, eschatologisch-visionäre Zeit, Naturzeit – um
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eine Auswahl an derlei ‚präsymphonischen‘ Zeitorten zu nennen. Sie ‚grundieren‘ oder ‚hinterfangen‘ die klassische Formimmanenz auf vielfältige Weise (was noch am Verhältnis des einleitenden Andante zum nachfolgenden Allegro in Schuberts C-Dur-Symphonie D 944 zu konkretisieren wäre). Und wie das historische Kapitel der musikalischen „Töne“ zeigt, kann sich auch die Seite des Räumlichen in der musikkulturellen Imaginatio zu regionalen ‚Identitäten‘ konkretisieren. Kommen sakrale Semantiken hinzu, wie sie in choralähnlichen Prägungen seit den 1830er Jahren begegnen, dann wird spätestens hier deutlich, wie die Begriffsfelder Natur, Geschichte und Religion mannigfaltige Adressen bilden, über die sich (auch und besonders) symphonische Musik nach Beethoven mit extensiver Zeitlichkeit versorgt. Wenn große Form sich auf derlei ‚übergroße‘ Gegenstände bezieht, muß dies indes nicht automatisch zu quantitativen Steigerungen führen. Effekte von Entgrenzung können dafür auch auf subtile Weise als ‚Überformung der Form‘ ins Werk gesetzt sein. Wie sehr die von Schumann beobachtete Selbständigkeit der C-Dur-Symphonie Schuberts (D 944) primär auf Eigenheiten beruht, die sich der Herrschaft extensiver Zeitverhältnisse und -ordnungen verdanken, läßt sich an Hand des Kopfsatzes verdeutlichen. Von diesen Beobachtungen aus wäre dann schlaglichtartig der Blick auf einige Besonderheiten in Brahms’ I. Symphonie zu richten. Dieses Vorgehen könnte zwar dazu führen, die fragwürdige geschichtliche „Beethoven-Brahms-Konstellation“23 durch einen anderen historischen Kurzschluß zu ersetzen, was dann auf eine ‚BrahmsSchubert-Konstellation‘ hinausliefe. Doch das ist im vorliegenden Rahmen durchaus ein wenig gewollt – wenngleich auch nur in ‚didaktischer‘ Absicht. 5. Schuberts „große“ C-Dur-Symphonie – in „völliger Unabhängigkeit zu denen Beethovens“24 Die innovative Antwort Schuberts auf den vor allem durch Beethoven in die symphonische Welt gelangten „Zwang zur Monumentalität“25 muß sich unbedingt auch auf der Ebene der formästhetischen Zeitordnung darstellen. Richtig ist, daß in dieser Perspektive die Unterscheidung zwischen einem intensiven und einem extensiven Typ musikalischer Formzeit auch eine ‚personalstilistische‘ Opposition (Schubert versus Beethoven) aufrichtet. Dem Einwand, es drohe eine vergröberte Sicht auf die Sache, die sich in Wahrheit differenzierter und weniger deutlich abgegrenzt darbiete, wäre nicht grundsätzlich zu widersprechen. Wird jedoch Schumanns Behauptung der völ23 Reinhold Brinkmann, Johannes Brahms. Die Zweite Symphonie. Späte Idylle, München 1990 (Musik-Konzepte 70), S. 20, passim. Was sich zunächst auf die melodische Reminiszenz des Freudenthemas der Neunten im Finale von Brahms’ Erster richtet, kann bereits seit dem späteren 19. Jahrhundert auch als gattungshistorische Figur gelten. 24 Schumann, Gesammelte Schriften I (wie Anm. 6), S. 459 ff. In Schumanns Besprechung der C-Dur-Symphonie heißt es: „Die völlige Unabhängigkeit, in der die Sinfonie zu denen Beethovens steht, ist ein […] Zeichen ihres männlichen Ursprungs.“ 25 Dahlhaus, Die Musik des 19. Jahrhunderts (wie Anm. 1), S. 125.
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ligen Unabhängigkeit ernst genommen, dann kann es sich im Falle der Achten Schuberts kaum nur um graduelle Abweichungen handeln (und Schumann formuliert sehr genau, grenzt er doch die C-Dur-Symphonie D 944 von allen symphonischen Werken Beethovens ab).26 Wichtiger als die Frage nach Strenge und Ausmaß der Gegensätze ist jedoch die nach der konkreten kompositorischen Realisierung der großen symphonischen Form. 5.1. Andante-Zeit Die mit Andante überschriebene Langsame Einleitung von D 944 besitzt einen Status, in dem die Bedeutung einer Vorzone zum Allegro-Satz und die einer über Satz und Zyklus stehenden Metaregion eigentümlich miteinander verschränkt sind. In der Geschichte der Gattung davor gibt es kein vergleichbares Pendant. Die Innovationen beginnen mit der Hörnerprägung des Anfangs, die vielleicht mit der Bezeichnung ‚Signalmelodie‘ am besten charakterisiert wird. Corni, a 2
C p
pp
Beispiel 1: Franz Schubert, Symphonie Nr. 8 C-Dur, Beginn des Kopfsatzes
Die Signalseite wird durch den Hörnerklang, die Fügung aus knappen Formeln und – zumindest teilweise – durch das mittels Dehnung erzeugte Verklingen markiert. Die melodische Seite besteht hauptsächlich in der sanglichen Linie und der metrischen Bauweise, die freilich keine Aussicht auf korrespondierende Fortsetzung eröffnet. Weder erklingt ein Solohorn, das ein konzertantes Entree böte, noch eine Folge von Signalfiguren mit Ankündigungscharakter. Die Melodie entsteht gewissermaßen im reinen Selbstvollzug; sie verweist weder auf ein Davor qua Herkunftsort noch auf ein Danach aus zu erwartenden Anschlüssen. Ihre Gegenwart ist dieser selbstbezügliche und sich selbst regulierende Klang. Bereits die Kennzeichnung als ‚vorsymphonisch‘ spiegelte eine musikalisch noch nicht existierende Zuordnung zu diesem Kontext von Orchester und Konzertsaal vor. Die Melodie fungiert nicht als Thema des schnellen, der Sonatennorm gehorchenden Satzes. Sie bildet vielmehr das dem Satzverlauf ‚übergeordnete‘ Referenzzentrum (wobei die Lage dieses ‚über‘ noch genauer zu bestimmen wäre). Das Orchester erschließt zunächst das Gebilde und holt es sozusagen vom Satzbeginn ab. Zugleich betreibt es dessen klangliche ‚Sozialisierung‘ durch Übertragung in andere Instru26 Das bedeutet, daß Dahlhaus’ rezeptionsgeschichtliches Bild einer Umkreisung des Beethovenschen Œuvres sich nicht auf Schumann berufen könnte – was insofern stimmig ist, als Schumanns symphonische Leistungen für Dahlhaus letztlich eine komponierte Verfehlung der gattungsspezifischen Monumentalität darstellen (ebda., S. 131).
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mentalgruppen und durch die Ausstattung mit Gegenstimmen. Die in Phasen erfolgende orchestrale Einkleidung der Melodie kann den Eindruck erwecken, als solle der symphonische Apparat an dem Modell seinen satztechnischen Fundus demonstrieren. Es kommt zwar zur Verselbständigung des initialen Terzzugs, der dann im Allegro nahezu omnipräsent ist. Die achttaktige Melodie selbst erscheint jedoch niemals im Inneren der Form. Und die motivischen Analogien bilden keinen irreversiblen Zusammenhang der Ableitung, sondern imprägnieren in unterschiedlichem Maße die motivischen Erfindungen in Exposition und Durchführung. In der Einleitung wird zwar noch der Eindruck der motivischen Verarbeitung der Kopfformel erweckt; dabei öffnen sich nicht nur mediantische Räume der Harmonik, die später im Allegro wieder betreten werden.27 Darüber hinaus scheint sich auch der Weg zu einer direkten orchestralen Monumentalisierung der Hörnermelodie aufzutun. Allerdings wird mit der Überleitung zum Allegro das Gebilde selbst zurückgelassen – ohne daß es dadurch als ein schlechthin Vergangenes abgelegt würde. Seine Aktualität erhält sich vor allem durch melodische Details. Deren motivischer Status scheint für eine Analyse, die sich hauptsächlich an Intervallstrukturen orientiert, ausgemacht zu sein. Doch das in Frage stehende Intervall der Terz bildet in durmolltonaler Musik einen Elementarbaustein des Satzes überhaupt. Und weil das Detail in dieser Abstraktheit ein ergiebiger Motivlieferant ist (was auch der Erstellung von Motivtabellen zugute kommt), hat es besonders in Analysen des 20. Jahrhunderts als ein sehr mobiles exegetisches Vehikel gedient. Im Satz gegenwärtig sind Derivate der Hörnermelodie jedoch vor allem durch Vorgänge, die sich als Versuche des Andeutens, Ansprechens oder Aufrufens verstehen lassen. Durch diesen „Beziehungszauber“ (vielleicht wäre besser von einer geheimnisvollen Kommunikation zu sprechen) erhält das Formgeschehen des Allegro eine hinter- oder untergründige Sphäre, die die Form submotivisch grundiert und ihr ein Moment von Offenheit zufügt. Im Hinblick auf den Schlußauftritt der Hörnermelodie am Satzende könnte womöglich behauptet werden, daß mit dem Übergang vom Andante28 ins Allegro nicht die Zeit der Ableitungen, sondern der Hinleitungen beginne, als würden sich zwei zueinander gegenläufige Zeitvektoren zu einer komplementären, letzten Endes zyklischen Zeitgestalt überlagern. Der eine Vektor weist in die vom Sonatenplan geregelte Zukunft der Formveranstaltung, der andere zurück in die Vergangenheit, die einmal die Gegenwart der Hörnermelodie war. Es ist genau diese Überlagerung von Allegro-Zeit und Andante-Vorzeit, von thematisch aufgespanntem Formraum und der Meta-Zone der hornmelodischen ‚Erinnerungsmomente‘, die der Formimmanenz ihre interne Reflexivität verleiht. Sehr deutlich wird dieses Sich-von-sich-Abheben der Form in Gestalt des in as-Moll ein27 Siehe dazu Hans-Joachim Hinrichsen, Franz Schubert, München 2011, S. 90 f., sowie ders., Untersuchungen zur Entwicklung der Sonatenform in der Instrumentalmusik Franz Schuberts, Tutzing 1994 (Veröffentlichungen des Internationalen Franz Schubert Instituts 11), S. 119 (zur tonartlichen Struktur der Exposition). 28 Mit der Bezeichnung Andante ist im folgenden stets die Einleitung des Kopfsatzes und nicht der mit Andante con moto überschriebene zweite Satz von D 944 gemeint.
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setzenden Auftritts der Posaunen am Ende der Exposition sichtbar.29 Wie die historische Semantik der Posaunen als Künder des Weltengerichts, des ins Diesseits einbrechenden Jenseitigen, indiziert, prägt die rufartig auftretenden Instrumente ein Moment von Transgression und Mittlertum. Diesem Meta-Status entspricht hier in der ästhetischen Anschauung die formzeitliche Zwischenposition des Geschehens. Die große Form wird überformt vom klanglichen Treiben der symbolischen Repräsentanten eines Übergroßen. Das ereignet sich indes nicht als Bruch oder Ruptur der Form unter den Konditionen intensiver Formzeit, sozusagen als ein Geschehen des Formprozesses ‚an und für sich‘. Vielmehr läßt sich der Vorgang durch die Vorstellung einer krisenhaften Berührung zweier zeitlicher Sphären beleuchten – wobei die ‚zwischenweltlichen‘ Posaunen die ‚Tunnel‘ zwischen den formzeitlichen Ebenen anzeigen. Wem das als eine zu phantasievolle Sicht auf die ‚rein‘ musikalischen Dinge erscheint, der sei wenigstens darauf verwiesen, daß die von Schubert inszenierte Semantik der Posaunen ‚nur‘ etwas auf sehr spektakuläre Art veranschaulicht, was technisch als Einführung einer Innen-Außen-Unterscheidung in die Formimmanenz zu bezeichnen wäre. Das spektakuläre Moment darin rührt denn auch nicht allein von den Mahnrufen der ‚endzeitlichen‘ Posaunen her, sondern überhaupt von der Komplexität formzeitlicher Phänomene, wie sie im Zusammenwirken von intensiven und extensiven Zeitweisen entstehen. Deren Verhältnis läßt sich durch einen Blick auf den Übergang vom Andante zum Allegro noch etwas genauer illustrieren. 5.2. Der Übergang vom Andante zum Allegro: Anlandung mit Wissenslücke Wieder kann eine Aussage Schumanns zu diesem Werk als Fingerzeig für innovative Befunde dienen. Zum Übertritt vom Andante zum Allegro ma non troppo heißt es in Schumanns Rezension teilweise rätselhaft: „Gänzlich neu ist auch der Uebergang von da in das Allegro; das Tempo scheint sich gar nicht zu ändern, wir sind angelandet, wissen nicht wie“.30 Daß die Bemerkung zum Tempo die korrekte, den Quellen entsprechende Interpretation durch Mendelssohn 1839 wiedergibt, ist mittlerweile geklärt.31 Der Allabreve-Schlag hat im Andante dem halben, im Allegro dem ganzen Takt zu gelten. Da Schubert die Punktierungen nach dem Doppelstrich den Werten 29 Wenn im folgenden generell von „den Posaunen“ die Rede ist, dann bezieht sich das auf die spektakulären Rekurse der Posaunen auf die Hörnermelodik ab Takt 199 (Schlußabschnitt des Seitensatzes) und in der Durchführung ab Takt 304. 30 Schumann, Gesammelte Schriften I (wie Anm. 6), S. 464, hier jedoch zitiert nach Robert Schumann, Die 7te Symphonie von Franz Schubert, in: Neue Zeitschrift für Musik 7 (1840), Bd. 12, S. 81–83, hier S. 83. 31 In dem von Brahms redigierten Band der Alten Schubert-Gesamtausgabe von 1884 ist der Andante-Einleitung versehentlich ein 4/4-Takt statt des korrekten Allabreve-Taktes vorgezeichnet worden. Der Fehler wirkte sich etwa für 100 Jahre Interpretationsgeschichte dahingehend aus, daß der Übergang zum Allegro von den meisten Dirigenten durch ein Accelerando bewerkstelligt wurde. Siehe Jürgen Neubacher, Zur Interpretationsgeschichte der Andante-Einleitung aus Schuberts großer C-Dur-Sinfonie (D 944), in: Neue Zeitschrift für Musik 150 (1989), S. 15–21.
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nach verdoppelt, ändert sich für diesen Rhythmus das Tempo von der Überleitung zum Thema selbst nicht. Die Formulierung „scheint“ ist sehr genau; denn nur für den Rhythmus der punktierten Werte bleibt das Tempo gleich, insgesamt ändert es sich jedoch gemäß den Satzüberschriften. Trotzdem verblüffen die Worte „wir sind angelandet, wissen nicht wie“, denn dieser Übertritt von einem Formteil zum nächsten scheint völlig nahtlos auskomponiert zu sein. Um zu erkennen, was für die von Schumann empfundene ‚Lücke‘ oder Unbestimmtheitsstelle verantwortlich sein könnte, ist das Hauptthema zu konsultieren. 5.3. Exposition I: Schneller Marsch mit Signalpart Wie die Hörnermelodie besitzt auch dieses Gebilde ein Doppelprofil, bestehend aus Marsch- und Signalanteilen. Die Unisono-Gruppen im punktierten Rhythmus deuten auf die Gangart des Geschwindmarsches, während die Taktgruppen der Holzbläser mit ihrer Bewegung „im“ Akkord ein Fanfaren-Element einbringen. [Andante]
Allegro ma non troppo
V. II
76
Hbl.
V. I
C
3
3
C
Trn.
Cor.
ff
f
p
Str./Trb./Timp.
Trb.
Fag.
C
C Vc.
3 Hbl. 3
81
f Cor.
Str./Trb./Timp.
3
f
p Fag.
3
3
Str./Trb./Timp.
Cor.
3
Beispiel 2: Franz Schubert, Symphonie Nr. 8 C-Dur, Kopfsatz, T. 76–88
Das Exponat (T. 78 ff.) ist ein Muster extensiver Musik, ein selbstgängerisches und sich selbst ausbreitendes Gebilde, das seine eigene Energiequelle in sich zu tragen scheint. Seine Bewegung ist, typisch für den Marschanteil, gleichsam auf unendlich gestellt. Nicht nur seine metrisch-klangliche, sondern auch seine temporale Struktur ist mehrschichtig. Die Folge der Punktierungen setzt zwar zu den alternierenden metrischen Gruppen der Akkordfanfaren aus. Doch es handelt sich keineswegs um die symphonische Karikatur eines schnellen Marsches mit jeweils nach zwei Takten eingelegten Ruhepausen. Vielmehr wird die Marschebene zu den Fanfaren abgeblendet, läuft aber ‚in der Vorstellung‘ weiter.32 Dieser imaginative ‚Untergrund‘ tritt im 32 Der Gedanke, eine Stelle im ersten Satz von Beethovens Trio op. 97 sei „wie eine Decke, unter der die abgeblendete Musik weitergeht“, findet sich bei Adorno (Beethoven [wie Anm. 13], S. 141).
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Nachsatz (T. 94 ff.) dann gewissermaßen an die klingende Oberfläche. Das zeigt nicht nur das gleichzeitige Agieren beider Ebenen. Darüber hinaus richten sich die verketteten Punktierungen zu ‚zügigen‘ Skalen aus, während sich die triolischen Signale zu Tonrepetitionen vereinfachen. So geht das Hauptsatzfeld auf seine Reise in der Form, breitet sich kraftvoll aus, und erst die spontane Änderung der Bewegungsart zur Folge gleichmäßiger Viertel schafft eine neue ‚Formregion‘. In ihr findet die tänzerisch geprägte Präsentation des Seitensatzes statt, dessen derber Schlußteil vielleicht Walther Vetters Bezeichnung „Abkömmling der wienerischen Bratlmusik“33 rechtfertigt. Damit wird nach Marsch und Fanfare mit dem Tanz eine weitere Sphäre extensiver Musik ‚exponiert‘. Die sozialen Referenzen sind durchaus bezeichnend: Wenn bei derart extensiven Materialien von ihrer Eigenzeit die Rede ist, so liegt das nicht nur an ihren eigenen temporalen Ressourcen, sondern auch an ihren materialechten Spuren von ‚Welthaltigkeit‘. Doch zurück zum Wechsel vom Andante zum Allegro. Diese Formgrenze ist gemäß der Unterscheidung nach früheren und späteren Zeitpunkten ein nahtloser Anschluß. Das Andante endet, das Allegro beginnt, ein Dazwischen gibt es nicht. Auf der Ebene einer modalzeitlichen Unterscheidung in vergangene, gegenwärtige und zukünftige Ereignisse,34 markiert das Allegro jedoch einen elementaren formzeitlichen Moduswechsel. Es beginnt die Zeit des Hauptthemas, dessen performative Präsenz einer spontanen Selbstgründung zu entspringen scheint – als sei der reflexive Bezug auf ein Vergangenes, das dem je Gegenwärtigen sein Gewordensein verleiht, außer Kraft gesetzt. Daran ändert die komponierte Vorwegnahme sowohl der Triolen als auch der Punktierungen im Übergang vor dem Doppelstrich wenig. Im Gegenteil, die Antizipation der ‚motivischen‘ Substanzen unterstreicht um so deutlicher den Wechsel von der Zeit der Einleitung, die zunächst um die Hörnermelodie kreist und sich dann immer mehr dem Zeittyp intensiver Prozesse annähert, in die Zeit des zügigen, mit Signalpart versehenen Marsches.35 Diese Zäsur ist auch eine formzeitliche ‚Schnittstelle‘. Durch ein Trompetensignal zusätzlich markiert, wirkt sie für einen gewissermaßen ausdehnungslosen Augenblick als ein Sprung von der kompositorisch zuletzt kontrahierten Zeit des Andante zum ersten Allegro-Thema, dessen spontaner ‚drive‘ den Eindruck erweckt, als habe es seine Zeit selbst importiert. Die für Schumann beim Überschreiten des Doppelstriches entstehende ‚Wissenslücke‘ könnte dieser formzeitlichen ‚Schleusung‘ gelten.
33 Walther Vetter, Der Klassiker Schubert, Bd. 2, Leipzig 1953, S. 236. 34 … wozu stets ein Subjekt vonnöten ist, daß die modalen Bestimmungen reflektiert. 35 Genau genommen handelt es sich bei diesem Marsch nicht um einen Geschwindmarsch. Wird nämlich im Allegro, ma non troppo ein ganzer Takt auf den Allabreve-Schlag genommen, dann sinkt das Schritttempo auf eine marschfähige Gangart. Der Eindruck des Geschwinden entsteht nur bei einer Ausrichtung am Tempo der Halben.
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5.4. Exposition II: Extensive Zeit und prozessuale Formregie Extensive Zeitordnung bedeutet freilich nicht, daß Schubert die Form abteilte in eine Folge ‚autonomer‘ Gebilde und ihrer ‚Zeitregionen‘. Auch steht nicht Systemzeit gegen ‚Real‘- oder ‚Echt‘-Zeit, als würde – bildlich gesprochen – der Formzeit von Sonatensätzen Aufnäher aus ‚realer‘ Zeit in Gestalt lied-, marsch- oder tanzähnlicher Gebilde appliziert. Das erste Exponat im Allegro der C-Dur-Symphonie D 944 besetzt genau die Position des Hauptthemas, nimmt sich sozusagen die Zeit dieser thematisch definierten Formzone, um jedoch in diesem Akt die Zeit also solche mit ihren Prädikaten des Sich-Bewegens, Sich-Ausbreitens, Vergehens oder Verströmens sichtbar zu machen. Zeit dient hier nicht als Medium oder Konstruktionsfläche für formlogische Entwicklungen. Sie ist weitaus mehr eine phänomenale Qualität jener Musik, die am ‚Formplatz‘ agiert. Da die Idee der Einheit der Form nicht aufgegeben wird, werden vermittelnde Strategien unvermeidlich, die freilich im je individuellen Fall zu untersuchen wären. Einer analytischen Schnelldiagnose diastematischer Zusammenhänge, ihrer Bezeichnung als Arbeit und ihrer Bewertung als Integration wäre dabei mit Vorsicht zu begegnen.36 Entwicklungen im Kopfsatz von D 944 lassen sich auch als eine Störung oder als ein Sich-Verbrauchen jener Potentiale begreifen, die den extensiven Modus konstituieren. Bei musikalischen Bewegungen in der Weise von Marsch und Tanz veranschaulicht der Blick auf die usuelle Ebene, daß diese Musikarten keine Produkte prozessualer und damit zielgerichteter Zeitregie sind. Diese Musik findet ihr Ende, weil z. B. andere Ereignisse eintreten (Störungen, Abirrungen etc.), der Zweck abhanden kommt oder die Ausführenden erschöpft sind.37 Beim Seitensatz in D 944 kann sich der Eindruck einstellen, die tänzerische Vorstellung überdrehe und gerate gleichsam unter die Räder ihres eigenen Potentials. Die Musik steigert sich nach sanglichem, verhaltenem Beginn zunächst zu einem aus zwei Scheitelpunkten bestehenden dynamischen Hochplateau (T. 156 ff. und 168 ff.). Ein neuer Ansatz (T. 174 ff.) gründet auf stärker konturierten Tanz-Figuren, die nun kürzer, stampfender und melodisch ‚schräger‘ geraten. Der daraus angesteuerte Höhepunkt mit seinen querständigen Akkordschlägen (h – G7, T. 186 ff.) bedeutet jedoch einen Umschlag. Die harmonische 36 Die Kategorie der Integration wurde vom Verf. gelegentlich etwas zu undifferenziert verwendet im Schubert-Kapitel von Symphonik nach Beethoven. Studien zu Schubert, Schumann, Mendelssohn und Gade, Kassel etc. 1992 (Kieler Schriften zur Musikwissenschaft 40), S. 161–198, sowie Schubert, Schumann und die Symphonie nach Beethoven, in: Probleme der symphonischen Tradition im 19. Jahrhundert. Internationales Musikwissenschaftliches Colloquium Bonn 1989. Kongreßbericht, hrsg. von Siegfried Kross, Tutzing 1990, S. 279–293. 37 Der zweite Satz der VIII. Symphonie veranschaulicht drastisch die Gefährdung extensiver, eigenzeitlicher Bewegung wie etwa die des Marsches, der aus dem Tritt gerät – eine Störung, die sich einbruchsartig zur kritischen Situation der Form (und der ihr zugedachten ästhetischen Subjekte) verdichten kann. Harmonische Brüche sind in diesem Zusammenhang mehr Indikator als Ursache. Vielleicht trägt Clemens Kühns Formulierung, „Harmonik […] verkörpert auch Gefährdung“, geäußert u. a. im Zusammenhang mit dem Andante von D 944, diesem Umstand Rechnung (Ders., Zur Themenbildung Franz Schuberts. Sechs Annäherungen, in: Das musikalische Kunstwerk. Geschichte, Ästhetik, Theorie. Festschrift Carl Dahlhaus, hrsg. von Hermann Danuser u. a., Laaber 1988, S. 513).
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Bewegung irrt ab auf formgesetzlich ungesichertes Gelände (as-Moll). Der Satz wird in diesem kritischen Zustand durchlässig für Einwirkungen, die seine Eigendynamik paralysieren. Während die bedrohlichen Posaunen als Eingriff von ‚außen‘ gelten können, stellt demgegenüber der Jubel-Epilog (T. 228 ff.) einen sonatenlogisch konformen Eingriff von ‚innen‘ dar. Er ist offensichtlich Ausdruck des Überwindens der fremden Macht und markiert den Schluß der Exposition mit dem Ziel, G-Dur definitiv als Seitensatztonart zu sichern. Ein zentraler Aspekt dieses ‚Wendemanövers‘ besteht ganz offensichtlich in der Funktion, den Satz wieder stärker dem Handlungsbereich intensiver Formzeit anzunähern. Dieses Zusammenwirken extensiver und intensiver Prozeduren der symphonischen Beherrschung der Zeit ließe sich zwar weitaus differenzierter darstellen, doch für eine erste Konkretion der abstrakten Begriffe mag dies genügen. 5.5. Coda: Andante-Melodie und monumentales Satzfinale Extensive Formen sollten erwartungsgemäß ein größeres ‚Finalproblem‘ aufweisen als solche, die den ‚klassisch‘-intensiven Prozeßtyp ausprägen. Das scheint für den Kopfsatz der Achten jedoch keinesfalls zuzutreffen. Kein Zweifel kann zumindest daran bestehen, daß das Ende des Satzes zugleich sein spektakulärstes Ereignis bereithält. Er bietet den einzigen Auftritt der Hörnermelodie seit dem einleitenden Andante. Der lyrisch-poetische Charakter des Geheimnisvollen ist von ihr gewichen zugunsten einer orchestralen Massierung zu wuchtig-erhabenem Triumph-Gestus. Auf die Frage jedoch, ob der Schlußauftritt der Hörnermelodie das Resultat einer zielgerichteten und irreversiblen Entwicklung darstelle, gibt es keine einfachen Antworten. Auffällig ist die Tatsache, daß die Apotheose im letzten Augenblick geschieht, sozusagen in der Nachspielzeit der Coda. Zwei mächtige, harmonisch weit ausgreifende Kadenzbögen auf der Grundlage des Hauptsatzes steuern in der Stretta die Tonika an, die in akkordischer Form zu erreichen auch ein stimmiges Ende bedeutet hätte. Statt dessen öffnet sich der völlig finaltaugliche Tonika-Takt (T. 662) für den Rückgriff auf die Melodie des Satzbeginns. Genau genommen erfährt der Takt – getreu der temporalen Grundverfassung des gesamten Satzes – eine Extension auf das Format der gedehnten, metrisch veränderten und zweifach erklingenden Andante-Melodie. Trotz dieser satzumspannenden Korrespondenz handelt es sich keineswegs um eine rhetorische Klammer aus Pro- und Epilog. Vielmehr kann von einer zunehmenden Zentrierung gesprochen werden, in der thematisch gedeckten Größen eine katalysatorische Funktion zukommt. Die extensiven Themen aus der Exposition sind zwar nicht dergestalt produktiv, daß sie den Auftritt der Hörner-Prägung als Resultat eines schrittweisen Rückbaus aus Teilmotiven herbeiführten. Sie fungieren aber doch, nicht zuletzt durch den ihnen innewohnenden Ausbreitungsdrang, als Vehikel für die Herstellung melodisch-harmonischer Rückbezüge auf die einleitende Andante-Zeit. Maximale Stärke erreichen hierin die Posaunenrufe und die zwischen Sehnsucht und Erfüllung schwebende Epilogmelodie. Der final zur melodischen Gestalt geweitete
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Schlußpunkt bedeutet denn auch deren Hebung aus einer Latenz, die das Formgeschehen insgesamt prägte. Die Frage aller Fragen in diesem Augenblick ist die nach der formalen Qualität des Ereignisses: Geschieht die finale Monumentalisierung der Melodie an formal exterritorialem Ort oder gehört hier s c h l i e ß l i c h jede InnenAußen-Unterscheidung der ‚Geschichte‘ des Satzes an? Man mag in der durch den Zusatz più moto verordneten Stretta eine Art Hilfestellung für einen Satz erblicken, dem die teleologische Stringenz und die dazu nötige thematisch-motivische Arbeitsdisziplin merklich fehlen. Deutlicher als durch den Auftritt der Melodie am und ‚im‘ Ende der Coda ließe sich deren nichtthematischer Status auch kaum veranschaulichen. Die Feststellung, die Stretta treibe den Satz über das funktionale Kontrollgebiet der Sonate hinaus, würde jedoch von einem zu tektonischen Formverständnis zeugen.38 Die innere Konsequenz, mit der dies geschieht, kann statt dessen als Resultat einer ‚konzertierten Aktion‘ aus extensiven und intensiven Formhandlungen begriffen werden. Im finalen Höhepunkt, der sich zugleich als ‚Mittelpunkt‘ der Form darstellt, laufen alle Radien der einzelnen Rückbezüge zusammen.39 In ihm umspannen der retrograde Zeitvektor und die prospektive Zeitrichtung ausgreifender Bewegung die Gesamtform zur zyklischen Schließung. Dabei fällt dem Hauptsatz aus der sonatenlogisch bestimmten ‚Binnenform‘ eben doch die Aufgabe zu, als Träger der finalen Stretta zu agieren. Die bereits erwähnten Kadenzbögen (T. 590 ff. und 611 ff.) sind das Werk dieses thematischen Modells. Und weil die harmonischen Potentiale der Posaunen nun darin eingebunden sind, gelangen deren an sich zentrifugalen Energien doch noch auf die Bahn der Form. Die innovative symphonische Monumentalität des Satzes, die in seinem Finale gipfelt, ist denn auch das Produkt einer Überlagerung. Es dominiert zwar eindeutig der extensive Zeittyp. Dazu treten jedoch funktional dirigierende Impulse. Sie vertreten gewissermaßen die historischen Interessen der Großform aus den Zeiten intensiver Formprozesse und halten den Zwang zur Einheit des Totals aufrecht. 6. Brahms’ Erste und ihr ‚romantisches‘ Finale Weder die Jagd nach versteckten Schubert-Reminiszenzen in Brahms’ op. 68 noch der Versuch, gattungsgeschichtliche Entwicklungen vom einen zum anderen zu rekonstruieren, leiten die folgenden Hinweise. Dabei wäre eine Betrachtung der Geschichte 38 Der von Erwin Ratz im Hinblick auf Beethovens f-Moll-Sonate op. 57 erwogene Vorschlag, die Aufwertung der Coda als Moment einer „strophische(n) Gliederung“ aufzufassen, die auch Exposition, Durchführung und Reprise umfaßt, käme hier einer zu schnellen Vereinnahmung der Coda gleich (siehe Erwin Ratz, Einführung in die Formenlehre. Über Formprinzipien in den Inventionen und Fugen J. S. Bachs und ihre Bedeutung für die Kompositionstechnik Beethovens, Wien 31973, S. 156). 39 Auch hier darf der vielzitierte Verweis auf Schumann nicht fehlen, der von der „neuverschlungenen Weise“ der Form spricht, „nirgends zu weit vom Mittelpunkt wegführend, immer wieder zu ihm zurückkehrend“ (Schumann, Gesammelte Schriften I [wie Anm. 6], S. 463).
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der Symphonie zwischen 1830 und 1870 unter dem Aspekt formzeitlicher Pluralität ein sehr lohnenswertes Unternehmen mit erheblichen historiographischen Konsequenzen. An dieser Stelle sind jedoch nur einige Beobachtungen am Finale der c-MollSymphonie op. 68 möglich. In ihm begegnen nicht nur Formereignisse, die sich als komponierte Interaktion des intensiven und des extensiven Zeittyps verstehen lassen. Darin fällt der Seite extensiv-zeitlicher Phänomene überdies ein großes Gewicht zu; denn sie bilden die Grundlage dafür, dem historisch von Beethoven herrührenden „Zwang zur Monumentalität“ in einer völlig unbeethovenschen Weise Folge zu leisten. Um eine Zusammenfassung vorweg anzudeuten: Das Skandalon dieses Finales besteht darin, daß Langsame Einleitung und Coda die Sache der Finalität und des Monumentalen regeln, während die Sonatenprozesse im Inneren der Form dazu – fraglos sehr pointiert gesagt – vor allem Klärungs- und Hilfsdienste verrichten. Trotz großer Unterschiede im Detail der Satzfaktur und des konkreten Konzepts sind die Parallelen zum Kopfsatz der Achten Schuberts nicht von der Hand zu weisen, vor allem deshalb nicht, weil es vergleichbare Gründe für diese funktional grundstürzende Reflexion der ‚klassischen‘ Formimmanenz gibt.40 Die knappe Betrachtung der c-Moll-Symphonie op. 68 orientiert sich im folgenden an Phänomenen, die eine Art Ebenen- oder Szenenwechsel darstellen – Ereignisse, die in den ‚konventionslogischen‘ Verhältnissen der Form nicht unmittelbar ihre Begründung finden. Nicht selten handelt es sich um ein spontanes Transzendieren einer Formebene oder eines geschlossenen Formzusammenhangs. Wörter wie Öffnung, Überschreitung oder Durchbruch bezeichnen in diesem Sinne ein wesentliches Moment. Weil dabei nichts in einem tektonisch-gegenständlichen Sinne auf- oder durchbricht, sollte eigentlich besser von Metaisierung einer ‚Grundform‘ gesprochen werden; doch wird die Sache allein dadurch nicht anschaulicher. Das mögen statt dessen konkrete Beispiele leisten. Von besonderem Interesse sind dabei Formereignisse, die durch die Verschränkung des intensiven und des extensiven Zeittyps geprägt sind. Eine tiefe Zäsur, der vielleicht ein Moment von Grenzüberschreitung innewohnt, bildet bereits der Wechsel vom dritten zum vierten Satz. Dadurch scheint sich im Satzzyklus der Symphonie eine neue Ebene zu öffnen. Das Werk ist eine Final-Symphonie, wie vor ihm nur wenige im Genre begegnen. Die vorausgehenden Sätze nehmen sich gegen den kolossalen Schlußsatz fast schon als eine vorgelagerte Zone aus.41 Während der schnelle Kopfsatz, der ursprünglich keine Langsame Einleitung aufwies,42 geradezu mit einem Hineinstürzen ins Hauptthema beginnt, setzt die Einleitung des 40 An dieser Stelle sei der Hinweis gestattet, daß derartige, durch Vergleiche hergestellte Zusammenhänge nicht mit der Rekonstruktion einer historischen Entwicklung zu verwechseln sind. Es käme erst einmal darauf an, den Blick auf die jeweiligen Sachverhalte zu schärfen, um dann die historiographisch ergiebigsten Fragen zu finden. 41 Peter Gülke, ‚Humanität trumpft nicht auf‘ – Lesarten zu Brahms’ Erster Symphonie, in: Brahms-Studien 16 (2011), S. 9–29, spricht zurecht von einem „Vorfeld“ (S. 15). 42 Siehe dazu Robert Pascalls Einleitung in: Johannes Brahms, Neue Ausgabe sämtlicher Werke I/1: Symphonie Nr. 1 c-Moll opus 68, hrsg. von Robert Pascall, München 1996, S. IX–XI („Vorgeschichte und Entstehung der 1. Symphonie“) sowie ders., Brahms Underway to the ‚1st Symphony‘: A Hidden Story of Concept-Development, in: Festschrift Otto Biba zum 60. Geburtstag, hrsg. von Ingrid Fuchs, Tutzing 2006, S. 405–423.
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Finales noch einmal ganz neu an, als sei nun das eigentliche symphonische Terrain zu betreten. Die Genese des Zyklus erscheint so im Rückblick als ein Sich-Vorarbeiten zum Anfangspunkt des Finales. Zu diesem Eindruck tragen nicht nur die beiden als Intermezzi wirkenden Binnensätze bei, sondern auch der Ouvertüren-Charakter des Kopfsatzes. Die Zäsur zwischen den ersten drei Sätzen und dem Finale nimmt sich denn auch wie eine Wasserscheide im Zyklus aus. Der viersätzigen Folge (in Anknüpfung an Schumanns op. 52) den Zusatztitel Ouvertüre, Intermezzi und Finale zu verleihen, träfe angesichts der mächtigen Stellung des Schluß-Satzes fraglos ein Richtiges.43 Der Kopfsatz prägt klar ein intensiv-zeitliches Arbeitsmilieu aus. Die kontrapunktische Potenzierung des thematischen Materials trägt nicht wenig dazu bei; denn der Kontrapunkt, der sich nicht zu eigenzeitlichen Veranstaltungen wie Kanon und Fuge auswächst, verstärkt hier die Prozeßart des intensiven Zeittyps.44 Die (kontra-) punktuelle Möglichkeit, im musikalischen Geschehen zumindest tendenziell auf den konkreten Zeitpunkt spontan durchzugreifen, wird trotz der ‚linearen‘ Dynamik von Stimmzügen präzisiert. Die an kadenzmetrische Schemata gebundene Bewegungsart erfährt demgegenüber eine deutliche Einschränkung. Und das Choral-Zitat transzendiert keineswegs die Herrschaft des intensiv ‚gezeiteten‘ Satzes, auch nicht durch sein Auftauchen in der Durchführung. Vielmehr wird die Materie noch an Ort und Stelle motivisch mobilisiert und so eingebunden, daß in Reprise und Coda darauf angespielt werden kann.45 Dazu kontrastieren die musikzeitlichen Verhältnisse im Finale und die dafür verantwortliche Formidee in grundsätzlicher Weise. Das liegt vor allem an Ereignissen innerhalb der ausgedehnten Introduktion, deren Satzarten ein Zeitverständnis extensiver Ausrichtung bezeugen. Die Alphornepisode (Più Andante) bietet sich als ein Akt von Überschreitung und Öffnung des Adagio-Geschehens dar, und trotz der vom Orchester gelieferten klanglichen Grundierung der Hörnermelodie nimmt sich die ‚Freiluft‘-Szene als ein musikalisches Bild im Bild aus. Und diese dem symphonischen Kontext eingelagerte ‚Außenwelt‘ öffnet sich wiederum – anschaulich als Folge der rufenden Hörner – zum Bläserchoral mit seiner kunstreligiösen Aura. Eine derart in sich geschachtelte Folge eigenzeitlicher ‚Musiken‘ öffnet nicht nur klangliche und semantische Räume, sondern etabliert formzeitliche Ebenen, die mit den Übertritt ins Allegro durchaus nicht als portalhafte Kulisse zurückgelassen werden. Wie sich indes die Allegro-Zeit zu der Zeit von Alphorn und Choral verhält, bedarf der Klärung im weiteren Verlauf des Finales. Die rein lagezeitliche Angabe, das eine gehe dem ande43 Das satzzyklische Konzept von op. 68 wäre ohne Schumanns Arbeit am symphonischen Zyklusproblem kaum denkbar. Zu Schumanns Rezeption von Schuberts D 944 im Hinblick auf die Zyklus-Problematik siehe Kai Marius Schabram, Konzepte „großer“ Form. Studien zur symphonischen Zyklik im 18. und 19. Jahrhundert, Kassel etc. 2016 (Kieler Schriften zur Musikwissenschaft 54), S. 227–236. 44 Zur kontrapunktischen Steigerung der Hauptthemen in Brahms’ symphonischen Kopfsätzen siehe Giselher Schubert, Themes and Double Themes: The Problem of the Symphonic in Brahms, in: 19th-Century Music 18 (1994), S. 10–23. 45 Nicht zuletzt sind es dieser Choral und das davon geprägte Coda-Ende in C-Dur, die den Abstand zu ‚klassischen‘ Mustern formaler Handlungs- und Ereignisfolgen („plots“) im c-Moll-Fach anzeigen.
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ren voraus, beantwortet noch nicht die Frage, ob und wie die Gegenwart des Allegro von den vergangenen Ereignissen geprägt wird. Das sangliche Hauptthema wird nicht in einer von der Introduktion bereits initiierten Bewegung eingesetzt, sondern gründet spontan ein eigenes formzeitliches Milieu kraft der ihm eigenen extensiven Tendenz. Der darin gestiftete Bezug auf das Freuden-Thema der Neunten Beethovens ist absolut eindeutig – dies freilich auch in seiner Funktion: das im weiteren motivischen Prozeß inaktive Segment fungiert als Referenzmarkierung, das die Formidee ‚großes Finale mit gattungsübergreifenden Exkursen‘ unmißverständlich auf das Finale der Neunten bezieht, um darin wiederum einen Widerpart für die Abhebung der eigenen Lösungen zu gewinnen. Bereits Alphorn- und Choral-Episode machen indes deutlich, daß Brahms sich dabei am musikalischen Fundus des Symphonischen n a c h Beethoven bedient. Das sangliche Hauptthema ergießt sich nicht nur in seiner eigenen formzeitlichen Sphäre. Seine ihm innewohnende Neigung zur Redundanz, zum selbstbezogenen Aussingen, schafft auch Ansatzmöglichkeiten zur Isolierung sich wiederholender Partikel. Mit ihnen gewinnt der Prozeß ein intensiveres Arbeitsklima. Vor dem Eintritt des Seitenthemas dringt jedoch die Kopfformel der Alphornmelodie aus der Einleitung in den Allego-Satz ein (T. 114 in der Flöte und einen Takt später auch im Horn, siehe Beispiel 3). Die ursprüngliche Funktion der Rufens und Ankündigens scheint sich noch erhalten zu haben, doch anstelle des Chorals betritt der Seitensatz die Formszene, und die Exposition nimmt einen Verlauf, der nicht weiter von ‚importierten‘ Impulsen beeinflußt wird. 114
p
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Str. (akk. not.)
Beispiel 3: Johannes Brahms, Symphonie Nr. 1 op. 68, 4. Satz, T. 114 ff.
Es bleibt bekanntlich nicht bei dieser Kurzvorstellung der Alphornmelodie. Sie kehrt vielmehr vor der episodenhaft isolierten Reprise des Seitensatzes wieder. Nun setzt das charakteristische Signal nicht spontan in seiner Originalform ein. Statt dessen wird der Beginn der Prägung aus der Leiterstruktur ihres Kopfes sukzessive rekonstruiert.46 Dazu werden klanglich sämtliche Kräfte des Orchesters aufgeboten. Die 46 Im Zusammenhang mit der hier geltenden Fragestellung ist nicht auf die genaueren kompositorischen Umstände dieses Vorgangs und seine ausgiebige Diskussion in der einschlägigen Literatur einzugehen. Einen umfassenden Überblick darüber gibt Walter Werbeck (‚Ganz anders‘ als Beethoven? [wie Anm. 12]). Eine formzeitlich und gattungsgeschichtlich differenzierte Betrachtung des Finalkonzepts der Brahmsschen Ersten unternimmt der Beitrag des Verf. in Kathrin Kirsch / Siegfried Oechsle (Hrsg.), „Finalproblem“. Große Form zwischen Apotheose und Suspension. Referate der Kieler Tagung 2013 (Druck in Vorbereitung).
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zum klanglichen Höhepunkt verdichtete motivische Floskel führt denn auch zum Rückgriff auf die Signalmelodie. Deren Ableger verdichten sich indes nicht zum Choral, den die Alphornweise vormals wie eine musikalische Monstranz umschloß. Und es erklingt auch nur das Kopfstück der Hörnermelodie, das dann eine komponierte Ausblendung erfährt (T. 295 ff.; es reichte ohnehin nur zum Rückgriff auf den Schlußteil der ursprünglichen Episode). Einen thematischen Status erlangen die Derivate der Hörnermelodie im Kontext der Allegro-Form auch an dieser Stelle nicht. Sie bleiben Eingriffe in die Formimmanenz.47 Genau genommen stellt der Vorgang eine komponierte Abweisung dar. Der Herold ruft, doch die gekrönte Figur betritt nicht den ‚Innenraum‘ der Formveranstaltung. Dafür wird der Herold selbst verabschiedet. Damit ist auch die ursprüngliche Kopplung von Alphorn und Choral aufgelöst. Zentrale Aspekte des nachfolgenden Geschehens können bereits aus diesem Sachverhalt anvisiert werden. Der zumindest von der Sonatenform aus gesehen exterritoriale Charakter des Chorals wird durch diese Entwicklung bestätigt. Weil er nicht zum thematischen Protagonisten der Allegro-Form vereinnahmt werden kann, wäre eine motivische Herleitung im weiteren Satzverlauf ästhetisch auch nicht plausibel. Der Choral als die Ziel- und Erfüllungsgestalt der Finalapotheose erscheint in der Coda denn auch nicht als Resultat motivischer Arbeit, jedenfalls nicht im Sinne einer motivischen Rekonstruktion des genuin nichtsymphonischen Bläsersatzes. Er bleibt ein Gebilde, das seine eigene Formzeit als Fortschreitung der Stimmen im ‚reinen Satz‘ erzeugt.48 Trotzdem handelt es sich keinesfalls um ein plump aufgesetztes Monumentalspektakel. Das Ereignis ist in eine subtile Verdichtung themenzyklischer Rückbezüge eingebettet. Sie haben als formzeitliche Kontraktion zu gelten, wie sie dem intensiven Typus eigen ist. Auch sie nimmt (nach Einleitung, Exposition und Durchführung) ihren Ausgang vom Kopf des Hauptthemas, allerdings wieder von der Mollfassung (T. 374 m. A.). Die daraus sich entwickelnde Stretta auf der Basis des diminuierten Hauptthemenkopfs entfacht eine extensive Motorik, deren harmonische Bewegung zwar auf das Choral-Ereignis hinführt, ohne jedoch den formzeitlichen Hiatus an dieser Stelle zu kaschieren (siehe Beispiel 4). Der Auftritt der obersten ‚Herrscherinstanz‘ der Form geschieht ohne die magischen Hörner. Sie kommt nicht wie gerufen, sondern wie vom Orchester angezogen.
47 Werbeck spricht im Hinblick auf den Hornruf von einem Eingriff „von außen in die Musik“ (‚Ganz anders‘ als Beethoven? [wie Anm. 12], S. 315). 48 Vom Aspekt des Religiösen und des Erhabenen hebt Laurenz Lütteken den Aspekt des reinen Satzes ab, dessen finale Würde auch davon herrührt, daß er gegenüber der zuvor verrichteten thematischen Arbeit ein Moment der Läuterung und des In-sich-Ruhens verkörpert (Ders., Die Apotheose des Chorals. Zum Kontext eines kompositionstechnischen Problems bei Brahms und Bruckner, in: Colloquia academica. Akademievorträge junger Wissenschaftler. Akademie der Wissenschaften und der Literatur, Mainz, Stuttgart 1997, S. 7–38).
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ff
Beispiel 4: Johannes Brahms, Symphonie Nr. 1 op. 68, 4. Satz, T. 407–413
Wenn das weitere Geschehen mit ‚werkgeschichtlichen‘ Materialen angereichert wird und dies letztlich bis auf das Hauptthema des ersten Satzes zurückreicht (vgl. IV, T. 432 ff. mit I, T. 49–50), ist auch hier die Zusammenschließung eines linear-prospektiven und eines zyklisch-retrograden Zeitvektors zu einer – salopp gesagt – zeitlich in sich ‚runden Gestalt‘ zu beobachten. Der Choral bildet das spektakulärste Ereignis auf diesem Weg, nicht jedoch, wie bei Schubert die Hörnermelodie, das Ende der Coda. Die Coda ist in diesem Satzkonzept kein Zusatz zur Form. Nur in der Perspektive von außen, die Form als eine Art Grundrißzeichnung mit lagezeitlichen Daten erscheinen läßt, bleibt die Coda ein Appendix nach dem ‚eigentlichen‘ Ende.49 In der Innenperspektive jedoch, in der sich das Werden der Form als wechselseitige Reflexion intensiver und extensiver Verfahren der Erzeugung von Formzeit ereignet, bildet die Coda den finalen Ort dieser Synthese. Vereint werden die intensive Zeitordnung der Form und die extensive formzeitliche Ebene, die in der Langsamen Einleitung gegründet wird, als Metaebene ‚neben‘ oder ‚über‘ der immanenten mitläuft, i. e. latent mitprozessiert wird und in der Coda an die Oberfläche der Finalentwicklung tritt. Es sind freilich die Zeitvektoren der intensiven Art, die für die Idee des integralen Totals stehen und die symphonische Einheit dieser konträren Zeitperspektiven herstellen. Von dieser Einheit aus betrachtet, verändert sich im Laufe des Satzes (ähnlich wie im Kopfsatz von D 944) das Verhältnis zwischen dem ‚Innen‘ und dem ‚Außen‘ der Form: Einleitung und Coda bilden nicht nur eine Art Bypass um die Form, sondern avancieren zur „Hauptsache“50 des gesamten Geschehens. Die Vorgänge innerhalb der „Sonatenhauptsatzform“ erfüllen demgegenüber zwar historisch normierte Funktionen, wozu vor allem die Verarbeitung der beiden Themen ‚im großen Stil‘ rechnet. Dieses satzimmanente Geschehen arbeitet indes einem Ganzen zu, das formal und ästhetisch größer ist als es selbst. Es sind die extensiv ‚gezeiteten‘ Gebilde und Satzphasen, die den intensiv-zeitlichen Formprozeß über seine angestammten Grenzen hinaus in das paradoxale Gelingen einer ‚übergroßen‘ Finallösung treiben. *** 49 William E. Caplin nennt die Coda in funktionaler Hinsicht eine „after-the-end function“ (Caplin u. a., Musical Form, Forms and Formenlehre [wie Anm. 22], S. 25). 50 So bezeichnet Brahms die Einleitung des Finales in einem Brief an Clara Schumann vom Januar 1877, hier zitiert nach Clara Schumann, Johannes Brahms. Briefe aus den Jahren 1853–1896, hrsg. von Berthold Litzmann, Leipzig 1927, Bd. 2: 1872–1896, S. 89.
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Epilog. Brahms zeigt sich in diesem Finale als profunder Kenner der Geschichte der Symphonie seit Beethoven, in der die Schubert-Rezeption eine zentrale Rolle besonders für die „Leipziger Schule“ um Mendelssohn und Schumann spielt. Wie weiträumig und differenziert er in jenen Jahren über das Genre dachte, veranschaulicht ein Brief an Ferdinand Hiller, nachdem dieser 1879 und damit nach dem Vorliegen der ersten beiden Brahmsschen Symphonien sich enthusiastisch über Mendelssohns aMoll-Symphonie geäußert hatte: „Ich halte dieses Werk (nichts für ungut) doch für das Vollendetste seiner Gattung, seit Beethoven“.51 Brahms’ Antwort bringt dazu noch ein weiteres Werk ins Spiel: „Mendelssohns Amoll-Symphonie die ‚vollendetste‘ seit Beethoven; ich möchte das richtig finden, meine aber daß der Ausdruck auch vorsichtig gewählt ist u. weiß ihm gegenüber z. B. mit der Schubertschen nicht recht zu bleiben“.52
51 Brief Hillers vom 7. November 1879 an Brahms; siehe Reinhold Sietz (Hrsg.), Aus Ferdinand Hillers Briefwechsel, Bd. 4 (1876–1881), Köln 1965 (Beiträge zur Rheinischen Musikgeschichte 60), S. 99. 52 Ebda., S. 100. Brahms’ Brief ist mit „Nov. 79“ datiert.
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Der weither kommende Ein-Fluß Schubert und Brahms’ 4. Symphonie Meinem lieben Freund Michael Struck gewidmet
Allzu oft wird „Einfluß“ als Gegensatz zu „Originalität“ gesehen, was wir ohne Weiteres als eine naive, ja sogar irreführende Gegenüberstellung bewerten sollten. Denn einerseits ist das Schaffen ex nihilo für Menschen schier unmöglich, und andererseits wirkt Einfluß auf die Originalität eines Meisters eher fördernd. Hans Werner Henze formulierte es so: „Der Rückblick auf zurückliegende Zeiten bietet Stärkung, Anreiz und Bindung, es sind dort Parallelfälle zur Gegenwart vorzufinden, Ähnlichkeiten, und das Offenbare des in sich kristallisch Ruhenden, das mit phosphoreszierender Kraft strahlt –, einer Kraft, die sich bis in die Gegenwart auswirkt.“1 Eine EinflußAnalyse dürfte somit zu bereichernden Einblicken in den Kern der Originalität eines Werkes führen. Die grundlegenden Kriterien für solche Analysen sind dreifach: biographische Plausibilität, klangliche Korrelation zwischen Input und Output (bzw. spezifisch relevante Non-Korrelation), und ein transformiertes Resultat. Letzten Endes bleibt eine solche Analyse zweifellos eine Interpretation, denn niemand – auch der Komponist selber nicht – kann wissen, was in allen Einzelheiten im Schaffensprozeß geschieht. Und wie andere Interpretationen überzeugt sie nur durch merkliche Relevanz und explikative Kraft der Forschungsergebnisse. An Johannes Brahms’ 4. Symphonie genießen wir zunächst sicherlich ihre kraftvolle, ausstrahlungsreiche Originalität. Erst danach betrachten wir wohl, welche Stellung sie innerhalb von Brahms’ künstlerischer Laufbahn hat und wie sie den Erfordernissen Nach-Beethovenscher Symphonik2 auf individuelle Weise begegnet und diese erfüllt – nicht zuletzt, indem sie bis auf die Gestaltungsprinzipien Bachs und seiner Zeitgenossen zurückgreift. Dieses Meisterwerk repräsentiert also gewissermaßen einen Sonderfall von Brahms’ reifer Antwort in Richtung der beiden „obersten Göt1
2
Hans Werner Henze, Essays, Mainz 1964, S. 114. Ich bedanke mich sehr herzlich beim Widmungsträger (Kiel) und bei Philip Weller (Nottingham) für die vielen aufschlußreichen Diskussionen im Hinblick auf „Einfluß“, zudem beim Widmungsträger für sprachliches Glätten und bei Mark Audus (Nottingham) für den Computersatz der Notenbeispiele sowie bei Gerallt Ruggiero (Nottingham) für den Computersatz von Beispiel 4. Natürlich hatten viele bedeutende Komponisten zwischen Beethoven und Brahms Symphonien geschrieben, Brahms selbst erwähnte jedoch nur Beethoven, als er gegenüber Carl Bargheer bemerkte, die 1. Serenade sei keine Symphonie: „Wenn man wagt, nach Beethoven noch Sinfonien zu schreiben, so müssen die ganz anders ausschauen“. C.[arl] Bargheer, Erinnerungen an Johannes Brahms in Detmold 1857–1865, Lippische Landesbibliothek Detmold, maschinenschriftlich, S. 11.
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tern“ seiner Teenagerjahre, von denen bereits seine Jugendfreundin Louise Japha berichtete.3 Es ist genau eine solche rezeptive Haltung, die das vorliegende Projekt einer Einfluß-Forschung ermöglicht, nämlich ein neues Verständnis der Subtilität und Komplexität zu gewinnen, nach deren Maßgabe ein wieder aufgetauchter sekundärer Einfluß-Strom formbildend werden konnte. Unser Projekt wird von zwei biographischen Besonderheiten tangiert: Die eine besteht darin, daß Brahms sich die Aufgabe gestellt hatte, einen Symphoniesatz unter Verwendung des Bachs’schen Chaconne-Basses zu komponieren – und zwar lange Zeit bevor er dieses Projekt tatsächlich realisierte. Die zweite biographische Besonderheit besteht darin, daß er zur Zeit der Hauptarbeit an seiner eigenen Vierten mit der Edition von Schuberts Symphonien für die geplante Gesamtausgabe beschäftigt war. In der Zeit um den 8. Januar 1882 herum fand nach einem Bericht von Siegfried Ochs eine Diskussion zwischen Brahms und Hans von Bülow in Anwesenheit von Siegfried Ochs und Hermann Wolff statt, worin Brahms seine Idee erwähnte, einen Symphoniesatz unter Verwendung des Chaconnethemas aus dem letzten Satz von Johann Sebastian Bachs Kirchenkantate Nr. 150 Nach dir, Herr, verlanget mich zu schreiben: „Was meinst du, wenn man über dasselbe Thema einmal einen Sinfoniesatz schriebe. Aber es ist zu klotzig, zu geradeaus. Man müßte es irgendwie chromatisch verändern.“4 Brahms’ endgültige Änderungen an der diastematisch-rhythmischen Gestalt von Bachs Thema und dessen anfängliche Verlagerung in die obere Stimme, was eine radikale chromatische Umharmonisierung ermöglichte, zeigen also auf lebendigste Weise die Wirkung eines herausragenden schöpferischen Vermögens auf einen von weit her kommenden Einfluß! Der Termin jener Diskussion läßt darauf schließen, daß die Herausforderung, die eine so auffällige Auseinandersetzung mit der ferneren Vergangenheit mit sich brachte, offenbar ein längeres Nachdenken und weitreichende Überlegungen im Unbewußten erforderte. Generell äußerte sich Brahms bei anderer Gelegenheit: „Mit dem Gedanken ist’s wie mit dem Samenkorn: er keimt unbewußt im Innern fort. […] Komme ich vielleicht nach langer Zeit wieder darauf, dann hat es unversehens schon Gestalt angenommen, ich kann nun anfangen, daran zu arbeiten.”5 Als Brahms endlich zur Hauptarbeit an der 4. Symphonie kam, komponierte er die Sätze in der Reihenfolge 1–2 (im Sommer 1884) und 4–3 (im Sommer 1885).6 Ob3 4
5 6
Max Kalbeck, Johannes Brahms, Bd. 1, Halbbd. 1, Berlin 41921 (Reprint: Tutzing 1976), S. 35 f. Siegfried Ochs, Geschehenes, Gesehenes, Leipzig und Zürich 1922, S. 299 f. Zur Datierung dieser Diskussion, siehe Johannes Brahms, Neue Ausgabe Sämtlicher Werke. Serie I, Bd. 4: Symphonie Nr. 4, e-Moll opus 98, hrsg. von Robert Pascall, München 2011 (im folgenden: JBG, Symphonie Nr. 4), S. [X]. Der neueste Versuch, Ochs’ Bericht massiv in Frage zu stellen, scheitert nicht zuletzt an der Mißdeutung des von Ochs’ verwendeten Begriffs „kennenlernen.“ Siehe Peter Petersen, Das Variationen-Finale aus Brahms’ e-Moll-Symphonie und die c-Moll-Chaconne von Beethoven (WoO 80), in: Archiv für Musikwissenschaft 70 (2013), S. 105–118. Max Kalbeck, Johannes Brahms, Bd. II, Halbbd. 1, Berlin 31921 (Reprint: Tutzing 1976), S. 181 f. So hatte Brahms die Entstehung der Vierten in seinen (heute verschollenen) Taschenkalendern der betreffenden Jahre vermerkt. Siehe Max Kalbeck, Johannes Brahms, Bd. III, Halbbd. 2, Berlin 21913 (Reprint: Tutzing 1976), S. 445. Eine ausführlichere Darlegung der Entstehungschronologie zur 4. Symphonie findet sich in JBG, Symphonie Nr. 4 (wie Anm. 4), S. XI–XIV.
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gleich der 1. und 2. Satz also wohl schon im Lichte des intendierten Finales geschrieben wurden, hatte Brahms diese Sätze prinzipiell zu Ende komponieren müssen, ehe er sich bereit fühlte, das Finale ernsthaft in Angriff zu nehmen. Brahms’ konzentrierte Beschäftigung mit der Musik Franz Schuberts während der späteren 1850er und frühen 1860er Jahre hatte zu einer merklichen Bereicherung seines Personalstils geführt, vor allem zur Erweiterung und Lyrisierung der Sonatenform und zur Zunahme chromatischer Gestaltungsmöglichkeiten einschließlich terzverwandter harmonischer Gänge bzw. Blockbildungen.7 Wie aber stand es damit in den früheren 1880er Jahren und somit in direkter zeitlicher Relation zum Thema dieses Beitrages? Brahms hatte es keinesfalls mehr nötig, irgendein externes „Anderes“ aufzusuchen und seine Musik durch bereichernde Anverwandlung zu optimieren, denn sein Personalstil war vollständig ausgereift und seine kompositorische Arbeit erfolgte in diesem Kontext selbstgewiß und nachhaltig. Demzufolge war seine eigene Erfahrung insbesondere in der Gattung Symphonie sicherlich einer der wichtigsten Inputs bzw. Leitlinien beim Komponieren der Vierten. Doch hatte er sich für diese Symphonie unter anderem eine ganz spezifische Aufgabe gestellt: ein symphonisches Finale unter Verwendung von Bachs Chaconne-Baß zu schreiben („set-and-solve“8 oder „Problemstellung und -lösung“). Indem er sich an die Lösung der Aufgabe machte, mußte er einen neuen Weg suchen, um der von ihm so sehr verehrten Tradition und zugleich der eigenen künstlerischen Laufbahn gerecht zu werden. OstinatoKompositionen hatte er allerdings bereits geschrieben, nie jedoch in Gestalt eines vollständigen Symphoniesatzes. War eine Symphonie für ihn jeweils innerhalb der klanglichen Umwelt nach-Beethoven’scher Symphonik zu denken, so ist es gerade in dieser Beziehung vielsagend, daß er sich auf das Vorbild des Eroica-Finales berief, als die Chaconne-Konzeption des Finales von Max Kalbeck in Frage gestellt wurde.9 Im Kontext dieses „set-and-solve“ war indes auch Schubert für Brahms besonders präsent, da dieser zu jener Zeit sehr mit der Arbeit an der Schubert-Gesamtausgabe und entsprechenden Planungen beschäftigt war. Im Brief vom 30. Oktober 1883 an den Komponisten gaben die Leiter des Verlagshauses Breitkopf & Härtel ihre Absicht bekannt, eine solche Gesamtausgabe zu veröffentlichen; sie ersuchten Brahms um eine Empfehlung im Hinblick auf die „Beteiligung an der Redaktion“ und fragten ihn zudem, ob er selbst bereit sei, „die Redaktion der Schubertschen Symphonien auf sich zu nehmen und in erster Linie die der C-dur Symphonie?“10 Brahms empfahl Siehe dazu James Webster, Schubert’s Sonata Form and Brahms’s First Maturity in: 19th-century Music 2 (1978/79), S. 18–35, und 3 (1979/80), S. 52–71; Robert Pascall, Brahms and Schubert in: Musical Times 124 (1983), S. 286–291; Robert Pascall, „My love of Schubert – no fleeting fancy“. Brahms’s Response to Schubert, in: IFSI. Mitteilungen Nr. 21 ( Juni 1998) / Sondernummer The Oxford Bicentenary Symposium 1997. Bericht, hrsg. von Elizabeth Norman McKay und Nicholas Rast, S. 39–60. 8 Der Terminus „set-and-solve“ stammt von Philip Weller. 9 Kalbeck, Brahms III/2 (wie Anm. 6), S. 454. 10 Johannes Brahms im Briefwechsel mit Breitkopf & Härtel, Bart[h]olf Senff, J. Rieter-Biedermann, C. F. Peters, E. W. Fritsch und Robert Lienau, hrsg. von Wilhelm Altmann, Berlin 1920 (Johannes Brahms Briefwechsel 14), S. 350 f. 7
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insbesondere Eusebius Mandyczewski, der in der Tat zum Haupteditor wurde, und antwortete im Hinblick auf die ihm angetragene Edition der Symphonien: „Die Sinfonien jedoch, namentlich die C dur, meine ich jedenfalls übernehmen zu können.“11 Bis etwa zum 26. März 1884 hatte er bereits die Symphonien Nr. 1, 3, 4 und die Große C-Dur-Symphonie ediert.12 Bis zum 15. Februar 1885 hatte er die Stichkorrektur der 5. Symphonie gelesen und die „Unvollendete“ ediert. Am 27. Juli 1885 sandte er die letzte Korrektur aller acht Symphonien an Breitkopf & Härtel ab und erhielt das Belegexemplar des zweiten und zugleich letzten Symphonie-Bandes am 26. August 1885.13 Damit ist das eingangs genannte biographische Kriterium erfüllt: Der Sinfoniker Schubert war für Brahms zur Zeit der Komposition an seinem eigenen Opus 98 gerade aktuell.14 Fragt man im Hinblick auf Brahms’ Vierte und ihr Verhältnis zu Schuberts Musik: „Wonach klingt diese, wenn man von ihr selbst absieht?”, so kommen m. E. vor allem drei Stellen bzw. Eigenschaften in Betracht: die nachkomponierte, wenn auch nur vorübergehend gültige 4-taktige Einleitung zum 1. Satz, die Melodik und Form des 2. Satzes und schließlich die Umsetzung dieser Melodik und Form in den folgenden Sätzen, insbesondere im Finale. Den 1. Satz schrieb Brahms im Sommer 1884 und fügte die Einleitung Ende September 1885 – also nachdem er das ganze Werk fertiggestellt hatte – hinzu. Zu jener Zeit wurde die Einleitung zum festen Bestandteil des Werkes; die Hinzufügung der vier Takte mit Tinte im Partiturautograph am Ende des 1. Satzes mit entsprechendem Verweisvermerk und Verweiszeichen war also keine Alternative bzw. Versuchskorrektur, wie man aus der Schreibweise des Notats ableiten kann.15 Dies hatte wohl, zumindest zum Teil, mit aufführungspraktischen Aspekten des ursprünglichen Beginns zu tun. Dennoch tilgte er die Einleitung knapp fünf Wochen später definitiv.16 Schubert verwendete ähnliche 4-taktige akkordische Einleitungen in langsamer harmonischer (und teilweise auch rhythmischer) Bewegung in den Finalsätzen seiner Symphonien Nr. 2 und 4 sowie im 1. Satz der 5. Symphonie. Die Beispiele 1a–c zeigen diese drei Einleitungen Schuberts und Beispiel 1d eine Transkription von Brahms’ Einleitung zum Kopfsatz der Vierten:
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Ebda., S. 351 f. Ebda., S. 352 f. Ebda., S. 362, 365. Im Hinblick auf Einfluß muß nicht immer ein direkter zeitlicher Kontext bestehen; in diesem Fall ist es freilich besonders sinnfällig. 15 Standort des Autographs: Zentralbibliothek Zürich (Depositum der Allgemeinen Musikgesellschaft Zürich), Sign.: AMG I 309a; Gesamtmanuskript faksimiliert in: Johannes Brahms. Symphony No. 4 in e minor op. 98. Facsimile edition of the autograph score in the possession of the Allgemeine Musikgesellschaft Zürich. Introduction by Günter Birkner / Johannes Brahms. 4. Symphonie in e-Moll op. 98. Faksimile des autographen Manuskripts aus dem Besitz der Allgemeinen Musikgesellschaft Zürich. Einleitung von Günter Birkner, Adliswil-Zürich 1974 [= Autograph der 4. Symphonie, Faksimile]. Abbildungen von Seite 1 und 51, siehe JBG, Symphonie Nr. 4 (wie Anm. 4), Frontispiz obere und untere Abbildung (Farbdruck). 16 Zur Begründung dieser Datierung siehe JBG, Symphonie Nr. 4 (wie Anm. 4), S. XXIII–XXV.
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Beispiel 1 a). Beginn des Finales von Schuberts Symphonie Nr. 2, D 125
Beispiel 1 b). Beginn des Finales von Schuberts Symphonie Nr. 4, D 417
Beispiel 1 c). Beginn des 1. Satzes von Schuberts Symphonie Nr. 5, D 485
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Beispiel 1 d). Brahms’ nachkomponierte Einleitung zu Symphonie Nr. 4, op. 98
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In allen vier Fällen sinkt die Musik gleichsam nieder zum Beginn des ersten Themas als Ziel, und die Einleitung zum Finale von Schuberts Vierter (Beispiel 1b) beginnt sogar wie die Brahms’sche mit einem Quartsextakkord, wenn auch mit anderer harmonischer Funktion. Brahms’ kompositorische Umdeutung bzw. Neuinterpretation der Vorbilder Schuberts erfüllt hier zudem eine wichtige Bedingung seines eigenen Symphonie-Begriffes, wonach die vorangehenden drei Symphonien ebenfalls mit vorthematischem Material begannen. Figurativ-diastematisch betrachtet, schält die Musik von Brahms’ Einleitung zur Vierten einige Noten des Hauptthemas in veränderter Reihenfolge heraus (nämlich c-h-g); harmonisch betrachtet, führt sie mit einer Plagalkadenz in den Satz hinein, die am Satzende wiederkehrt.17 Nur spekulieren können wir über Brahms’ Gedankengänge, als er diese Einleitung Anfang November 1885 wieder tilgte: Vielleicht näherte sie sich den Schubert’schen Vorbildern zu sehr an oder auch dem Quartsextakkord-Beginn des langsamen Satzes aus Beethovens 7. und aus Schumanns 4. Symphonie: Gewiß rückte sie den an Bach gemahnenden harmonischen Gang des Hauptthemas (I-IV-V-I) ein wenig in den Hintergrund. Im 2. Satz der Vierten übernimmt Brahms bestimmte Schubert’sche Eigenschaften, was Thema, Satztechnik, Harmonik und Instrumentation betrifft: Dies betrifft u. a. den fast emblematischen Beginn mit unbegleitetem Hornklang in melodischen Terzzügen (siehe den Beginn von Schuberts Großer C-Dur Symphonie D 944), die melodische Gestaltung des Hauptthemas, das um einen einzigen Ton kreist, und die ostinatoartige Begleitung des Hauptthemas. Die beiden letztgenannten Eigenschaften finden wir in Schuberts späteren Instrumentalwerken oft zusammen, etwa in den Hauptthemen der langsamen Sätze aus Schuberts Großer C-Dur Symphonie, dem Streichquintett D 956, der letzten Klaviersonate B-Dur D 960 oder im Seitenthema des 1. Satzes im Streichquintett D 956. Die Profile dieser Themen werden in den Beispielen 2a–d mittels Schenker’scher Stimmführungsanalysen verdeutlicht. Aus diesen Stimmführungsanalysen ist ohne Weiteres zu ersehen, wie das jeweilige Thema um seinen Anfangston kreist und immer wieder dorthin zurückkehrt; dieses Verfahren wird im folgenden als ‚zentripetale Melodik‘ bezeichnet. Brahms aktualisierte und erneuerte dieses Schubert’sche Prinzip im Hauptthema des 2. Satzes der Vierten durch zentripetale Gestaltung um die Terz gis1, wie die Schenker’sche Analyse in Beispiel 3 zeigt. Dabei besteht die Motivik aus einer Reihe leicht modifizierter Motivformen, die zunächst in Zweierkonstellationen und schließlich in einer Viererkonstellation gruppiert sind, wie die semiotische Analyse in Beispiel 3 mit Klammern und den Buchstaben A, B, C, D verdeutlicht. Das Thema basiert auf zwei Hauptfiguren: zwei Achteln mit Tonwiederholung im Pizzicato von Vl. I (= tw: von Klar. 1 als Viertelnote durchgehalten) sowie der rhythmischen Gestalt Sechzehntelnote – Zweiunddreißigstelpause – Zweiunddreißigstelnote mit melodischem Profil (= rm: punktiertes Sechzehntel-Zweiunddreißigstel in Klar. 1). Diese Figuren werden unverändert beibehalten bis zur erweiterten zweiten Paradig17 Vgl. Louise Litterick, Brahms the indecisive: notes on the first movement of the Fourth Symphony, in: Michael Musgrave (Hrsg.), Brahms 2, biographical, documentary and analytical studies, Cambridge 1987, S. 223–235.
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meneinheit in Segment C (4. Zeile des Diagramms), danach werden sie durch eine Kombination von rhythmischer Augmentation und melodischer Liquidierung18 zur Kadenz des Themas geführt. In Segment A werden die zwei Hauptfiguren der Motivik in einer siebenfachen Darstellung abwechselnd präsentiert: tw + rm + tw + rm(1) + tw + rm(1) + tw, wobei der Ton gis1 für tw unverändert bleibt und das melodische Profil von rm in Umkehrung als rm(1) erscheint. Die Wiederholung von rm(1) + tw als zweite Paradigmeneinheit von A (2. Zeile des Diagramms) etabliert eine Auftaktfunktion für rm, die auf die Fortsetzung des Themas formbildend einwirkt. Segment B besteht aus Derivaten von rm (Veränderung des intervallischen Gehalts) und tw (Veränderung des wiederholten Tons) in einer eintaktigen Paradigmeneinheit in zweifacher Darstellung. Segment C besteht aus weiteren Derivaten von rm und tw, hier zunächst in einer halbtaktigen Paradigmeneinheit, die erweitert wiederholt wird. Diese von zwei Achteln gis1 – a1 geformte Erweiterung ergänzt und verschränkt eine Version der aufsteigenden Terz aus der ursprünglichen rm-Gestalt mit einer Umrhythmisierung von tw, wobei die Achtel auf veränderten Taktteilen plaziert werden (siehe im Diagramm die zwei Achtel am Ende der zweiten Paradigmeneinheit in Segment C).
Beispiel 2 a). Schubert, Symphonie C-Dur, D 944, 2. Satz: Hauptthema, T. 8–16; StimmführungsAnalyse, T. 8–241
Beispiel 2 b). Schubert, Streichquintett, D 956, 1. Satz: Seitenthema (Vc. I), T. 60–65; Stimmführungs-Analyse, T. 60–79
18 Der Terminus „Liquidierung“ wird in dieser Studie im Sinne Schönbergs verwendet; siehe Arnold Schoenberg, Models for Beginners in Composition, New York 21943, S. 16: „Liquidation, the method of getting rid of the obligations of the motif.“
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Beispiel 2 c). Schubert, Streichquintett, D 956, 2. Satz: Hauptthema (Vl. II), T. 1–4; Stimmführungs-Analyse, T. 1–151
Beispiel 2 d). Schubert, Klaviersonate B-Dur, D 960, 2. Satz: Hauptthema, T. 1–8; StimmführungsAnalyse, T. 1–21
Beispiel 3: Semiotische und Schenkersche Analyse des Hauptthemas im 2. Satz der Vierten Symphonie, T. 5–131
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In Segment D führt Klar. 1 die Melodie in vollständiger Gestalt allein weiter. Die Identität des D-Segments beruht auf den rhythmisch-augmentierten Versionen von rm, mit denen alle drei Paradigmeneinheiten des Segments beginnen. Das rm-Derivat zu Beginn der ersten Paradigmeneinheit von D wird durch rhythmische Augmentation und Transposition aus dem Beginn der Paradigmeneinheiten von Segment C abgeleitet, und die oben erörterte Erweiterung in der zweiten Paradigmeneinheit von Segment C erscheint ebenfalls transponiert als Fortsetzung der ersten Segment-DParadigmeneinheit. Im folgenden wird diese Fortsetzung eliminiert bzw. liquidiert zugunsten des rhythmisch augmentierten, nunmehr mit erweiterter Intervallstruktur versehenen rm-Derivates, bis sie in der Kadenzformulierung umgekehrt wiedererscheint (5. und 6. Zeile des Diagramms). Somit gestaltete Brahms insgesamt die Motivik des Themas betont progressiv. Die in Beispiel 2 bereits analysierten Themen von Schubert weisen eine charakteristische erfindungsreiche Begleitung mit Ostinatozügen auf. Brahms dagegen integrierte ein solches Begleitcharakteristikum stärker, als Schubert es tat, in der Themenbildung selbst. In der Harmonik führte Brahms c1 zunächst im Kontext eines Dominant-Nonen-Akkordes ein (T. 53.1), das er danach als Terz der Moll-Subdominante uminterpretierte und zunächst mit der oberen Nebennote d1 (T. 56.1–6.2, 63.1–3.2), schließlich mit der vorangehenden Nebennote als Terz der Moll-Dominante zur Geltung brachte (T. 71–2, 81–2). Die Moll-Subdominante im Dur-Kontext als Kolorit war Beethoven und Schubert bereits bekannt19 und wurde von ihnen auch genutzt (z. B. von Beethoven im langsamen Satz des Serioso-Streichquartetts op. 95, bei Schubert im 1. Satz der Klaviersonate c-Moll D 959 am Ende der Exposition). Mit der Moll-Dominante brachte Brahms jedoch eine archaisierende modale Färbung in die Harmonik ein (mixolydisch); mit dieser Verfahrensweise nahm er somit wiederum ein Schubert’sches Charakteristikum (d. h. die Moll-Subdominante) auf und entwickelte es kreativ weiter.20 Der langsame Satz in Brahms’ Vierter hat eine ganz spezielle Struktur: Das Schenker-Diagramm in Beispiel 4 liefert die entsprechende Übersicht. Diese Art von Diagramm wird hier auf der Grundlage von Beispielen aus Schenkers Buch über Beethovens 9. Symphonie auf Brahms übertragen.21 Den ersten Teil der Struktur bildet eine 19 Matthew Riley, The ‚Harmonic Major‘ Mode in Nineteenth-Century Theory and Practice, in Music Analysis 23 (März 2004), H. 1, S. 1–26. 20 Raymond Knapp bemerkte Ähnlichkeiten zwischen dem Hauptthema des 3. Satzes in der 2. Symphonie und dem Hauptthema im 2. Satz der Vierten, siehe: Brahms and the Challenge of the Symphony, Stuyvesant N. Y. 1997, S. 181. Das genannte Thema in der Zweiten Symphonie bildete Brahms m. E. indes eher auf der Grundlage einer Akkordbrechung mit abschließender Aufwärtsverlegung: h1 (T. 11) – g1 (T. 62) – d1 (T. 82) – d2 (T. 92). Das Hauptthema im Finale der Dritten Symphonie kann dagegen als eine frühere zentripetale Melodik von Brahms gelten. 21 Heinrich Schenker, Beethovens Neunte Sinfonie. Eine Darstellung des musikalischen Inhaltes unter fortlaufender Berücksichtigung auch des Vortrages und der Literatur, Wien/Leipzig 1912, S. 2, 136, 194, 244. Schenker widmete das Buch „Dem Andenken des letzten Meisters deutscher Tonkunst: Johannes Brahms.“ Als er gegen Ende seines Lebens sein letztes Buch Der Freie Satz verfaßte, wobei er die Bedeutung von Thema und Motiv als formbildenden Eigenschaften entschieden verwarf, bezeichnete er die Form von Brahms’ langsamem Satz aus der 4. Symphonie als vierteilige Liedform, wie es neulich auch Ivan Eröd in einer
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reguläre Sonatensatz-Exposition mit Hauptthema, Überleitung als variative Vermittlung zwischen Haupt- und Seitenthema und dem Seitenthema selbst in der Dominanttonart. Der zweite Teil verschmilzt dagegen Reprise und Durchführung, indem Brahms das Hauptthema zunächst in der Tonika reprisenartig wiederholt und dann durchführungsartig entwickelt. Daraufhin kehrt ein charakteristisches Element der Überleitung als Ziel der Durchführung wieder. Zwar beginnt diese Überleitungspassage in dominantisch auf E-Dur bezogenem H-Dur (also in dem Sinne reprisenartig), aber mit erhöhter Dynamik, figurativer Entwicklung und chromatischer Änderung (also größtenteils durchführungsartig).22 Dies führt zur Reprise und Variierung des Seitenthemas in der Tonika, woran sich die Coda anschließt. Somit wird die thematische Reihenfolge der Exposition im zweiten Teil der Struktur beibehalten, aber nur einmal erörtert und zwar unter Verschränkung von Durchführung und Reprise. Diese Form verwendete Schubert in den Finalsätzen verschiedener Spätwerke, beispielsweise in den Streichquartetten d-Moll D 810 und G-Dur D 887, im Streichquintett C-Dur D 956 und in der Klaviersonate B-Dur D 960. Brahms setzte sich relativ früh – nämlich seit der Zeit seiner ersten Schubert-Begeisterung etwa Ende der 1850er und Anfang der 1860er Jahre – mit diesem Formtypus auseinander und verwendete ihn im 1. Satz des 1. Klavierquartetts g-Moll op. 25,23 in den Finalsätzen des 2. Klavierquartetts A-Dur op. 26 und des Klavierquintetts f-Moll op. 34 und danach in 14 weiteren Sätzen bzw. Stücken bis hin zum Jahre 1892.24
privaten Mitteilung an den Autor tat. Schenker behandelte die Form von Brahms’ Satz in Beziehung zur formalen Gestaltung der langsamen Sätze aus Beethovens Klaviersonaten op. 2 Nr. 1, op. 2 Nr. 3, op. 7, op. 10 Nr. 1, op. 22 und op. 31 Nr. 2. Siehe Heinrich Schenker, Neue Musikalische Theorien und Phantasien. Bd. 3: Der Freie Satz, Wien 21956, S. 212 f. Nur einer dieser Sätze Beethovens enthält indes eine Art von Durchführung, nämlich das Adagio con molt’ espressione der Sonate op. 22, bei der Durchführung freilich ‚regulär‘ zwischen Exposition und Reprise stattfindet. 22 Der Widmungsträger ist hier anderer Meinung und hält die Passage eher für einen modifizierten Reprisenbeginn. Diese Meinungsdifferenz zeigt einmal mehr, wie sehr analytische Terminologie durch originelle Meisterwerke überfordert wird. 23 Als Brahms sich nachträglich entschied, den 2. Teil der Struktur mit der 10-taktigen Reprise des Hauptthemenbeginns zu eröffnen, tilgte er zugleich die bereits notierte Wiederholung der Exposition; siehe Siegfried Oechsle, Späte Revision. Zum Formkonzept des Kopfsatzes aus dem Klavierquartett g-Moll op. 25 von Johannes Brahms in: Friederike Wißmann u. a. (Hrsg.), „Vom Erkennen des Erkannten“. Musikalische Analyse und Editionsphilologie. Festschrift für Christian Martin Schmidt, Wiesbaden 2007, S. 305–320, hier S. 305–308. 24 Finalsätze des 1. Streichquartetts c-Moll op. 51 Nr. 1 und der 1. Symphonie c-Moll op. 68, Tragische Ouvertüre op. 81, Finalsätze des 2. Klavierkonzertes B-Dur op. 83 und der 3. Symphonie F-Dur op. 90, sämtliche Sätze der 4. Symphonie op. 98, 1. Satz des Klaviertrios c-Moll op. 101, Finalsätze der 3. Violinsonate op. 108, der revidierten Fassung des Klaviertrios H-Dur op. 8 und des Klarinettentrios a-Moll op. 114 sowie das Capriccio d-Moll op. 116 Nr. 1. Siehe dazu: Robert Pascall, Some Special Uses of Sonata Form by Brahms in: Soundings No. 4 (1974), S. 58–63; Josef-Horst Lederer, Werkidee und harmonisches Modell. Zum 1. Satz von Brahms’ Klaviertrio in c-Moll op. 101 in: Gernot Gruber (Hrsg.), Die Kammermusik von Johannes Brahms. Tradition und Innovation. Bericht über die Tagung Wien 1997, Laaber 2001 (Schriften zur musikalischen Hermeneutik 8), S. 245–256, mit Diskussion S. 306 f. In keinem der Sätze wiederholt Brahms die Exposition der Sonatenform, siehe dazu Anmerkung 23.
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Beispiel 4: Brahms, Symphonie Nr. 4, op. 98, 2. Satz: Struktureller Überblick
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Und so merkte der britische Analytiker Donald Francis Tovey an, als er das Finale von Brahms’ Klavierquintett f-Moll op. 34 erörterte: „This form was amplified from Mozart by Schubert.“25 Wie auch Schubert verwendete Brahms diese Form meist in Finalsätzen; seine Verwendung im 2. Satz der Vierten Symphonie war die erste überhaupt in einem langsamen Satz.26 Position und Gestalt des durchführungsartigen Materials ermöglichten Brahms den Zugriff auf ein weiteres Schubert’sches Charakteristikum, nämlich den eruptiv-explosiven Ausbruch im dritten Viertel der Struktur, wie er insbesondere in den langsamen Sätzen der „Wanderer-Fantasie“ D 760, der Großen C-Dur Symphonie D 944 und der späten Klaviersonaten c-Moll D 958 und A-Dur D 959 zu finden sind.27 In der Vierten Symphonie verwendete Brahms eine bestimmte Variante dieser Form sogar in allen vier Sätzen, somit ist das Werk in dieser Beziehung singulär in Brahms’ Œuvre. Im 1. Satz beginnt der 2. Teil mit einer Wiederholung des Hauptthemas in der Tonika (T. 1444–152), ehe verschiedene Aspekte des thematischen Repertoires dieses Satzes durchgeführt werden. Die Doppelwiederkehr von Tonika und Hauptthema am Beginn der eigentlichen Reprise bringt das Hauptthema zunächst in stark augmentierten Notenwerten (T. 2463–2581), wobei, vom Ausdruck her betrachtet, diese Stelle als Teil der Durchführung gehört wird. Hier also besteht keine Verschränkung der Durchführung und Reprise im strengen formalen Sinne, obgleich man den Satz beim Hören so wahrnimmt. Im 3. Satz beginnt der 2. Teil ebenfalls mit der Wiederkehr des Hauptthemas in der Tonika (erweitert in T. 893–1091.2); danach aber wird die Durchführung auf das Hauptthema beschränkt und die wiederaufgenommene Reprise (T. 1992) beginnt an genau jener Stelle des Hauptthemas, wo zuvor zu Beginn des 2. Teils die tonikabezogene Wiederkehr abgebrochen worden war. Im Finale der Vierten kommt die formbildende Kraft dieser Idee dann freilich zu besonderer dramatisch imponierender Wirkung. Um Unklarheiten vorzubeugen, wird hier das Thema selbst als ‚Variation 1‘ bezeichnet (zumal es ja gewissermaßen schon eine Variante des Bach’schen Originals ist!) und durch die daraus resultierende Nummerierung für den ganzen Satz dürfen wir die Gruppierungen und Ausbalancierungen des Satzes umso besser einschätzen können. Bekanntlich hat Brahms (wie auch andere Meister) seine Variationen durch Ähnlichkeiten und Differenzen innerhalb eines Satzes gruppiert und kontrastiert. Beispiel 5 zeigt die verschiedenen hierarchisch organisierten Schichten der Gruppenstruktur im Finale der Vierten. Brahms gruppierte die Variationen dabei paarweise 25 Donald F. Tovey, Brahms, in: Cobbett’s Cyclopedic Survey of Chamber Music, zusammengestellt und hrsg. von Walter Willson Cobbett, mit einem Vorwort von W. H. Hadow, Bd. 1, London 1929, S. 158–182, hier S. 170. Eine äußerst seltene Verwendung dieser Form bei Beethoven befindet sich im Finale von dessen Streichquartett f-Moll op. 95. 26 Brahms hatte diese Form bereits für Binnensätze benutzt, allerdings lediglich für Scherzo- bzw. TrioAbschnitte: Scherzo-Hauptteile im 3. Satz des Klavierquintetts f-Moll op. 34 und im 2. Satz des Horntrios Es-Dur op. 40, Trio-Teil aus dem 3. Satz des 2. Streichquartetts a-Moll op. 51 Nr. 2. 27 Diese Eigenschaft bezeichnete Hugh Macdonald in anthropomorpher Übertragung als Schubert’s Volcanic Temper in: Musical Times 119 (1978), S. 949–952.
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(wie auch in vielen anderen seiner Werke, z. B. in den Variationen über ein Thema von Händel op. 24), wobei die zweite Variation des jeweiligen Paares zugleich das Thema und die vorangehende Variation variiert.28 Brahms schuf aber auch Vierergruppen, z. B. durch eine Änderung des Metrums mitten im Satz, was zum Teil als Antwort auf Bachs relativ zentral platzierte Gruppe von Dur-Variationen in der Chaconne aus der 2. Partita für Violine solo d-Moll BWV 1004 gelten kann. Darüber hinaus nahm er Gruppierungen zu größeren Einheiten vor, insbesondere durch die veränderte Reprise der 1. Variation als Variation 17 und der Variationen 2–4 als Variationen 25–27. Was zwischen den Variationen 17 und 25 und nach Variation 27 geschieht, wird also zum Hauptanliegen unseres Projektes. Die Variationen 18–24 haben verstärkt durchführungsartige Eigenschaften, sei es durch schnellere und/oder weiterreichende Modulationen innerhalb einer Variation, durch Verdichtung der figurativen Entwicklungen, durch schroffe Ausdruckskontraste oder durch Steigerungswellen. Variation 18 (ab T. 1371) entwickelt das melodische Motiv vom Beginn der 3. Variation (T. 162–172) durch Fragmentation, Umkehrung, Sequenzierung, chromatische Intensivierung der Harmonik, Erneuerung und Ausfüllung der Streichertextur. Variation 19 (ab T. 1451) verarbeitet eine umrhythmisierte Version der Figur vom Beginn der 4. Variation (T. 5–6) durch Imitation, Umkehrung und modifizierte Fortsetzung der vorangehenden Streichertextur. Die Variationen 20–22 (T. 153–1771.1) formen die erste der zwei Steigerungswellen im Durchführungsteil des Satzes. Variation 20 nimmt ihren Beginn vom letzten Takt (T. 152; Fl. 1, Ob. 1/2) der unmittelbar vorangehenden 19. Variation, stiftet also eine Kettenstruktur, wobei die Figur aus T. 152 diminuiert und mit einer ebenfalls diminuierten umgekehrten Wiederholung derselben verknüpft erscheint (T. 1531.2–3.2; Vl. I, Hrn. 1/2). Variation 21 bildet dann eine rhythmische Intensivierung der vorangehenden Variation, wobei die Achtel-Figurationen von Variation 20 in Variation 21 zu Achteltriolen-Figurationen modifiziert werden. Die Variationen 20 und 21 beginnen jeweils in D-Dur und modulieren nach H-Dur (T. 158–159, bzw. T. 166–167). Variation 22 ist intern höchst differenziert: am Beginn und Ende mit rasch-aufsteigenden Tonleitern, ff < am Beginn, pp < am Schluß, mit dem auf unterschiedliche Instrumentengruppen verteilten Passacaglia-Thema (T. 1–61 der Variation für Vl. I, T. 61–8 für Fl. 1 und Ob. 1), mit synkopierten sf-Unterbrechungen auf der verminderten Septime der jeweiligen Harmonie in Pos. 1/2 (T. 22, 42, 52 der Variation), mit relativ weit schweifenden, wenn auch kurzfristigen Modulationen: von e-Moll nach F-Dur (T. 1–21), nach G-Dur (T. 23–31), nach A-Dur (T. 33–41), nach H-Dur (T. 43–51) und wieder zurück nach e-Moll über die Stufen VI und IV. Die Variationen 23–24 formen die zweite Steigerungswelle des Durchführungsteils: Variation 23 besteht aus einem mit Achteltriolen und Wechselnoten dekorierten Tonika-Orgelpunkt durch fünf Lagen aufwärts-steigend und einer absteigenden Gegenlinie synkopierter Terz- und Sekund28 Paarweise vorgenommene Gruppierungen finden sich auch häufig in Werken Dieterich Buxtehudes (z. B. in der Ciacona e-Moll für Orgel Bux 160) und Johann Sebastian Bachs (z. B. in der Passacaglia c-Moll für Orgel BWV 582 oder in der Chaconne aus der 2. Partita für Violine solo d-Moll BWV 1004).
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Bewegungen im pp mit abschließendem Diminuendo. In Variation 24 werden diese Bestandteile durch Ausfüllung und zusätzliche Arpeggien im f mit abschließendem Crescendo intensiviert; in den letzten drei Takten (T. 190–192) wird die achteltriolische Wechselnoten-Figuration zunächst quasi enggeführt und schließlich liquidiert über einem Quint-Orgelpunkt, wodurch der Übergang zur Reprise geschaffen wird. Demgegenüber bringen die Variationen 28–29 einen neuen Lyrizismus, der in Variation 29 Resonanzen eines Schubert’schen Ländlers einschließt, ehe eine kulminierende zyklische Wiederkehr der fallenden Terzkette, die den Beginn dieser Symphonie so maßgeblich prägte, in den Variationen 30–3129 zur letzten Variation 32 bzw. zur Coda führt. Großformal betrachtet, wird also eine variierte Reprise des Satzbeginns in Gestalt der Variationen 17 und 25–27 von einer durchführungsartigen Variationsgruppe unterbrochen, während ihr eine dezidiert lyrische Gruppierung folgt. Dies kann somit als ein im Variationenkontext neu gestalteter 2. Teil einer Sonatenform mit Verschränkung von Reprise und Durchführung gedeutet werden, wobei der neue Lyrizismus als Ersatz-Seitenthema fungiert und in diesem Sinne die lyrisch gestalteten ‚verlangsamten‘ Variationen 13–16 im Satzinneren beantwortet.30 Freilich hört man diese ‚langsamen‘ Variationen nicht unbedingt als Bestandteil einer Sonatenform, und somit ist die Form des Satzes sicherlich als progressiv/prozessual zu deuten, indem der Satz als einfache Variationsreihe anfängt, mit den Ausdruckskontrasten der ‚verlangsamten‘ Variationen den Aspekt großformaler Dreiteiligkeit zu integrieren beginnt und erst danach für die letzten 16 Variationen samt Coda auch Charakteristika der Sonatenform adoptiert.31 Die Struktur des Satzes ist also als eine einzigartige, überaus wirkungsvolle progressive Verdichtung zu verstehen: die Variationenform öffnet sich zunächst Prinzipien der dreiteiligen Großform und schließlich dazu Eigenschaften der Sonatenform. Diese Interpretation der Großform des Satzes wird in der rechten Spalte von Beispiel 5 im Diagramm dargestellt.
29 Wie Arnold Schönberg in seinem Aufsatz Brahms the Progressive bereits bemerkte: Style and Idea. Selected Writings of Arnold Schoenberg, hrsg. von Leonard Stein, London 21984, S. 405 f. 30 Zu einer ausführlichen Darlegung dieser Interpretation siehe Robert Pascall, Genre and the Finale of Brahms’s Fourth Symphony, in: Music Analysis 8 (October 1989), H. 3, S. 233–245. Die Annahme einer ‚Verlangsamung‘ der Variationen 13–16 bedarf einer Erläuterung. Sie betrifft nicht das Tempo im engeren Sinne, da Brahms den Beginn von Variation 13 mit der Spielanweisung Viertel = Viertel bezeichnete, so daß die Tempo-Bewegung unverändert bleiben sollte; die Verlangsamung betrifft vielmehr die metrische Verlängerung, da jeder Takt der Variationen 13–16 doppelt so lang ist wie die vorangehenden und folgenden Takte des Satzes; somit ist der strukturelle Rhythmus der harmonisch und thematisch bedingten Ereignisse entsprechend ausgedehnt und in dieser Beziehung verlangsamt. 31 Diese Zählung reflektiert die Tatsache, daß die Stretto-Coda als eine weitere Variation (Variation 32) beginnt, also in T. 253–258.
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Variationen mit Gruppierungen 3/4 Allegro energico e passionato
e-Moll
Formen
1
Variationen
2 3 4 neues Gegenthema i + Varianten
5 6 7 8
neues Gegenthema ii + Variante
9 10 11 12
3/2 espressivo
E-Dur
Fl.-Solo
13
Klar.-, Ob.-Solo
14
Blechbläser
15
Blech- u. Holzbläser 3/4 Tempo I
e-Moll
D- → H-Dur
16 17 = 1
motivische Zersplitterung bzw. Verdichtung
18
Steigerungswelle i
20
Reprise
19
D- → H-Dur
21
e-Moll → F-, AH-Dur → e-Moll
22 Steigerungswelle ii
+ kontrastierender Mittelteil = ternär
+ sonatenformartig, unter Verschränkung von Reprise und Durchführung
Durchführung
23 24
(e-Moll)
25 = 2
Reprise
26 = 3 27 = 4 G-Dur → e-Moll
neues Gegenthema iii
28
G-Dur → e-Moll
+ Variante
29
(e-Moll)
Terzkette
30
Terzkette (kanonisch)
31
auf Var. 1 und 3 basiert
32 →
Coda
−
−
Beispiel 5: Johannes Brahms, Symphonie Nr. 4, 4. Satz: Struktureller Überblick Beispiel 5: Brahms, Symphonie Nr. 4, op.op. 98, 98, 4. Satz: Struktureller Überblick
−
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Impulse für die Platzierung der vier lyrisch-gestalteten ‚verlangsamten‘ Variationen im Satzinneren dürfen wir einerseits im ruhig-beginnenden Dur-Zentrum der Bach-Chaconne lokalisieren (siehe oben), wo es freilich keinen Metrum- oder Tempo-Wechsel gibt, andererseits im Finale von Beethovens Eroica, wo die durch Tempowechsel verlangsamte betreffende Stelle strukturell erst relativ spät platziert ist. Brahms unterteilt seine vier ‚verlangsamten‘ Variationen in zwei Zweiergruppen: Variationen 13–14 (mit Holzbläsern) + Variationen 15–16 (choralartig mit Blechbläsern), wobei er die MollFiguren der 1. Flöte (Variation 13) in der Dur-Variation anfangs als Zwiegespräch von Klarinette 1 und Oboe 1 weiterführt. Die beiden folgenden choralartigen Variationen sind eng miteinander verbunden, indem Variation 16 eine Variante der vorangehenden Variation mit verstärkter Orchestrierung und merklichen Alterationen in Harmonik und Melodik bildet. Die rhythmische Verlangsamung der Melodiebildung gestaltet Brahms im Verlauf jener Vierergruppe gewissermaßen progressiv: In Variation 13 dominiert Achtelbewegung, in Variation 14 Viertel-, und in den Variationen 15–16 Halbebewegung. Die Gestaltung des Flötensolos in Variation 13 ist auch innerhalb von Brahms’ Schaffen sicherlich ausnehmend originell. In dieser Variation adaptierte er die Idee der zentripetalen Melodiebildung weiter, indem er die Flötenmelodie nicht um den einen Ton e2 herum bildete, sondern durch Lagenwechsel um die Tonklasse e als solche: So steigt die Melodie vom Anfangston e2 bis zum e3 an (mit vorangehender oberer Nebennote fis3), um dann über e2 bis zum e1 (mit vorangehender unterer Nebennote dis1) herabzusinken; somit wurde der Anfangston von oben und unten in Oktaven umrahmt, wie in der Schenker’schen Analyse in Beispiel 6 zu sehen ist. Die Linienführung selbst liegt gewissermaßen zwischen Melodie und Figuration und wird im Kleinsten hauptsächlich aus einer Grundfigur von nach aufwärts aufgelösten, auf den Schlag platzierten Vorhalten gebildet. Impulse für solch expressive, in seiner Musik indes nur relativ selten vorkommende Linienbildung erhielt er sicherlich aus der obligaten Begleitfigur des Incarnatus aus Bachs Hoher Messe h-Moll. Er selbst hatte diesen Satz der Messe bereits am 11. April 1879 im Bremer Dom zur Aufführung gebracht; außerdem hörte er eine von Hans Richter geleitete Aufführung der ganzen Messe am 31. März 1885 in der Gesellschaft der Musikfreunde und schrieb daraufhin an Theodor Billroth einen ausführlichen enthusiastischen Bericht über Werk und Aufführung.32
32 Renate und Kurt Hofmann, Johannes Brahms als Pianist und Dirigent. Chronologie seines Wirkens als Interpret, Tutzing 2006, S. 178; Billroth und Brahms im Briefwechsel, hrsg. von Otto Gottlieb-Billroth, Berlin und Wien 1935, S. 374 (Brief vom 1. April 1885). Max Kalbeck dagegen verweist auf eine mögliche weitere Quelle in der Coda zum 2. Satz von Mozarts Violinsonate e-Moll KV 304; siehe Kalbeck, Brahms III/2 (wie Anm. 6), S. 483 f.
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Beispiel 6: Semiotische und Schenker’sche Analyse von Variation 13 im letzten Satz der Vierten Symphonie, T. 97–1051
Das semiotische Diagramm gibt das Schema von Wiederholung, Variante und Kontrast in der endgültigen Fassung der Flötenmelodie wieder. Die Identitäts-Äquivalenz der vierfachen Sequenz von Modell und Varianten in A/A1 basiert auf den folgenden Merkmalen: zwei Achtel mit den gleichbleibenden Tönen dis2-e2 in zweiter Viertelposition, darauffolgende Fortsetzung durch aufsteigende Figuren, entweder skalar (in A) oder in Akkordbrechung (in A1); die Dauer der Paradigmeneinheiten 1 und 3 beträgt jeweils einen Dreiviertelwert, diejenige der Paradigmeneinheiten 2 und 4 dagegen jeweils einen Zweieinhalbviertelwert. Die Identitäts-Äquivalenz der dreifachen Sequenz von Modell und Varianten in B/B1/B2 basiert auf den folgenden Merkmalen: Viertelbeginn auf dem jeweiligen 1. Taktteil, Fortsetzung durch drei zum Höhepunkt aufsteigenden Achtel und eine absteigende große Sekunde zur abschließenden Achtel. Die Dauer der Paradigmeneinheiten in der B-Äquivalenzklasse beträgt jeweils
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einen Dreiviertelwert; nachfolgend erscheint jeweils eine Paradigmeneinheit der C-Äquivalenzklasse. Die Identitäts-Äquivalenz der dreifachen Sequenz von Modell und Varianten in C/C1/C2 basiert auf den folgenden Merkmalen: Es gibt jeweils fünf Achtel vor dem Taktstrich, beginnend nach der eröffnenden Achtelpause des vierten Taktteils, mit melodischer Richtungsfolge abwärts – aufwärts – abwärts – aufwärts; dabei sind die Abwärtsintervalle variabel, die Aufwärtsintervalle dagegen gleichbleibend kleine Sekunden. Vorangehend erscheint jeweils eine Paradigmeneinheit der B-Äquivalenzklasse; die Kadenzen von C und C1 überlappen sich mit dem Beginn der darauffolgenden Paradigmeneinheit (C zu A1, C1 zu B2); in C2 wird dagegen die motivisch-melodische Kette durch eine weitere aufsteigende kleine Sekunde in Achteln fortgesetzt; und die daraus resultierenden drei Schlußachtel von C2 erzeugen im Folgenden ein intervallisch modifiziertes Echo (absteigende Quart und aufsteigende kleine Sekunde) wiederum aus drei Achteln. Aus diesem Echo wird Äquivalenzklasse D durch Transposition, intervallische Modifikation und neue Erweiterung abgeleitet. Die Identitäts-Äquivalenz von D und D1 basiert auf den folgenden Merkmalen: jeweils eine Folge von sieben Achteln mit der Intervallsequenz: absteigende verminderte Quarte, aufsteigende kleine Sekunde, Tonwiederholung, absteigende kleine Terz, absteigende Sekunde (große Sekunde in D, kleine Sekunde in D1), aufsteigende kleine Sekunde. Echo1 stellt erneut den transponierten Beginn von D dar, Echo2 dagegen wiederholt den Schluß von D1 mit gleichbleibenden Tönen, und die Kadenz der Flötenmelodie wird aus dem drei Achel umfassenden Höhepunkt in B2 (T. 1012.2–3.2) durch Tieferlegung, intervallische Modifikation, rhythmische Augmentation und Erweiterung geformt. Im Partiturautograph machte Brahms Tinten-Änderungen zur ursprünglichen Fassung der Flötenmelodie, und zwar zur figurativen Substanz der absteigenden Linie in T. 103–104:33 in T. 1032.2 von fis2 zu h2 (im Diagramm, Beispiel 6: Echo, erste Note), in T. 1034.2 von dis2 zu g2 (im Diagramm, Beispiel 6: Paradigmeneinheit D, erste Note), in T. 1042.2 von gis1 zu c2 (im Diagramm, Beispiel 6: Echo1, erste Note), und in T. 1044.2 von eis1 zu a1 (im Diagramm, Beispiel 6: Paradigmeneinheit D1, erste Note). Somit brachte Brahms das 1. und 2. Echo sowie die Motivformen D und D1 in engere Beziehung zur Motivform C2. Die Melodiebildung der gesamten Variation folgt dem Passacagliathema und verziert es relativ regelmäßig bis zum Ton a2 (T. 100); danach erhöht Brahms das melodische Profil und dehnt die chromatische Verflechtung weiter aus, wie in der Schenker’schen Analyse in Beispiel 6 deutlich zu sehen ist. Ein Vergleich der semiotischen Analyse in Beispiel 3 und 6 leitet zu folgenden Schlüssen im Hinblick auf die Korrelation zwischen dem Hauptthema des 2. Satzes und der eben erörterten Flötenmelodie im Finale: Die motivische Struktur basiert hauptsächlich auf binär geformten Wiederholungsschemata; darüber hinaus werden neue Motivformen progressiv entwickelt, so daß der Beginn des Themas bzw. der Melodie zugunsten immer neuerer Motivformen nachgeben mußte, gegen Ende 33 Autograph: auf S. 13 des 4. Satzes, siehe Autograph der 4. Symphonie, Faksimile (wie Anm. 15), 4. Satz, S. 13, sowie JBG, Symphonie Nr. 4 (wie Anm. 4), S. 192, Abbildung 11 (schwarz-weiß).
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von Thema bzw. Melodie werden die Motivformen komprimiert bzw. liquidiert als Vorbereitung für eine relativ emphatische Schlußkadenz, die freilich jeweils aus vorangehendem Material abgeleitet wird, jedoch gewissermaßen auch als neu wahrgenommen wird. So gestaltete Brahms im Thema des 2. Satzes und in der Flötenlinie des Finales jeweils Beginn, Fortsetzung und Ende aus kontrastierenden Motivformen mit Schluß-Liquidierung, das heißt also in einer Art Fortspinnungsmotivik. Der Titel dieser Studie verweist auf eine Idee Martin Heideggers, die die Offenheit eines Genies gegenüber fremden Einflüssen erörtert. „Es bleibt darum das ausschließliche Vorrecht der größten Denker sich be-einflussen zu lassen. Die Kleinen dagegen leiden lediglich an ihrer verhinderten Originalität und verschließen sich deshalb dem weither kommenden Ein-Fluß.“34 Er bezeichnete damit eine besondere Art von Einfluß, wobei die größten schaffenden Geister eine starke Beziehung zu gewissen Ideen bzw. Eigenschaften anderer Meister eingehen. Dafür werden sie vom minderwertigen Zustand „verhinderter Originalität“ befreit und dadurch stilistisch entsprechend bereichert. Ein Komponist nutzt seine „usable past“ – seine verwendbare Vergangenheit (der Terminus stammt von Aaron Copland, der ihn von Van Wyck Brooks entlieh35) – in unterschiedlichen Situationen. Hier lassen sich prinzipiell sechs Grundkategorien unterscheiden, die sich freilich überlappen. In erster Linie geht es dabei nicht um den ursprünglichen Ort des Einflusses, sondern um die erzielte Wirkung: 1. Formung des schöpferischen Kerns (z. B. bei Brahms frühes Modellkomponieren von Sonatensätzen nach Vorbildern Mozarts und Beethovens, wie er es als Schüler bei seinem Lehrer Eduard Marxsen lernte); 2. Bereicherung eines bereits ausgereiften Personalstils (z. B. bei Brahms’ späterer Assimilierung von Stilmerkmalen der Renaissance und Barockzeit); 3. Akzeptieren und Nutzung gattungsspezifischer Charakteristika (z. B. bei seinen Walzern oder Choralvorspielen); 4. Übernahme bestimmter Anklänge bzw. Annäherungen (z. B. bei Brahms’ Schumann-Resonanzen in den Variationen über ein Thema von Robert Schumann op. 9 oder bei den Mozart- bzw. Haydn-Resonanzen im 3. Streichquartett op. 67); 5. Problemlösung (wie in den Finalsätzen des 1. Klavierkonzertes op. 15 und der 1. Symphonie op. 68); 6. Ausbildung einer Gegenposition zu kritisch Rezipiertem (also als negativer Einfluß, z. B. bei Brahms’ kritischer Reaktion auf Liszts Programmmusik in den 1850er Jahren, die gewiß dazu beigetragen hatte, daß er u. a. mit literarischen Zuschreibungen sehr vorsichtig war und sich entgegen den von den Liszt- und Wagner-Apologeten verkündeten Fortschritts-Tendenzen bewußt weiter mit den Gattungen Lied, Klaviervariation, Kammermusik und nicht-programmatischen Orchesterwerken befaßte).36
34 Martin Heidegger, Was heißt Denken? Tübingen 41984, hier nach der Reclam-Edition, Stuttgart 1992, S. 59. 35 Aaron Copland, Music and Imagination. The Charles Eliot Norton Lectures 1951–1952, London 1952, S. 100, 102. 36 Diese Formulierung von Brahms’ negativer Reaktion gegen Liszts Musik verdanke ich dem Widmungsträger.
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Wenden wir diese Kategorien auf die hier-präsentierten Ergebnisse an, die unsere Frage nach möglichen Einflüssen Schuberts auf Brahms’ 4. Symphonie erbracht hat, so läßt sich Folgendes konstatieren: Aus Schuberts Präsenz für Brahms zur Zeit der Komposition des 2. Satzes resultieren teilweise die Gestaltung des Hauptthemas sowie Struktur und Ausdrucksverlauf des Satzes im Ganzen; dies läßt sich also der Einflußkategorie 4 zurechnen (Übernahme bestimmter Anklänge bzw. Annäherungen aus intuitivem Angezogen-Sein durch die Einfluß-Quelle). Als Brahms ein Jahr später das Finale komponierte, führte ihn die Schubert-Beschäftigung zu der befreienden Idee der Sonatenform mit verschränkter Durchführung/Reprise, also zu der Möglichkeit, eine Passacaglia symphonisch rezipieren zu können, was der Einfluß-Kategorie-5 entspricht (Problemlösung); dazu brachte er in Variation 13 eine seiner originellsten Sololinien, die jedoch auf seine Erfahrung mit dem Hauptthema des 2. Satzes z. T. zurückzuführen sei – also wiederum Einfluß-Kategorie 4, wenn auch schon durch eigene Hand vermittelt. Zu allerletzt versuchte er ein weiteres imaginäres Problem zu lösen, indem er für den 1. Satz Einleitungstakte hinzukomponierte, die indes nur für kurze Zeit gültig waren; auch dies betrifft die Einfluß-Kategorie 5, die freilich nach weiterer Überlegung in einen Einfluß der Kategorie 6 überging: Letztlich entschied er, daß dieser Schubert’sche Einfluß für ihn und sein Werk weder relevant noch angemessen war. Wir kommen zum Schluß: Für einen Meister ist Einfluß also eine reale Erfahrung, eine schöpferische Notwendigkeit – und zwar eine solche, die kräftigste Originalität ermöglichen kann. Für den Historiker bzw. den Analytiker ist Einfluß ein wertvolles Thema der Forschung, die das Wesen eines Meisterwerkes erhellen kann. Mit anderen Worten formulierte es Heidegger: „Das Werkwerden des Werkes ist eine Weise des Werdens und Geschehens der Wahrheit.“37
37 Martin Heidegger, Der Ursprung des Kunstwerkes, in: ders., Holzwege, Stuttgart 1950, S. 7–68, hier S. 49.
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Wege der Gattungserschließung bei Schubert und Brahms Symphonie und Streichquartett gelten seit den Wiener Klassikern als Idealverkörperungen orchestralen und kammermusikalischen Schreibens. Fokussiert zunächst auf das Œuvre Joseph Haydns, der im Musikfeuilleton ebenso wie in Lehrwerken und lexikalischen Publikationen nachdrücklich als „Begründer“1 beider Gattungen präsentiert wurde, traten sie ihren Siegeszug als Leistungsausweis eines jeden Komponisten an. Unabhängig voneinander werden beiden Gattungen höchste schöpferische Anforderungen zugeschrieben: die Symphonie gilt dem „Ausdruck der Empfindung einer ganzen Menge“;2 der Komponist muss zur Evokation des „Erhabenen, Grossen, des Würdigen und Edlen […] seine individuelle Eigenthümlichkeit zur universellen Anschauung zu erheben bestrebt seyn.“3 Dagegen ist im Quartett „das Aussprechen jeder musikalischen Idee auf ihre wesentlich-nothwendigsten Bestandtheile – die vier Stimmen – beschränkt“,4 weshalb die Gattung als der „sicherste Prüfstein gediegener Komponisten“5 gilt. Daß die Symphonie als „der höchste Gipfel der Instrumentalmusik“6 und das Quartett zugleich als deren „edelste Formgattung […] überhaupt“7 betrachtet werden kann, ist nur scheinbar paradox: beide Gattungen re1
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Die Entwicklungsgeschichte von Symphonie und Streichquartett ist weit verzweigt; wenn Haydn auch aus heutiger Sicht die zentrale Rolle bei der Entstehung des Streichquartetts als Gattung beigemessen werden kann, so trifft das für die Symphonie kaum in gleichem Maße zu. Außer Frage steht aber, daß die Rezeption der Gattungen sich zunächst stark auf seine Beiträge fokussierte. Vgl. hierzu u. a. Ludwig Finscher, Haydns Begründung instrumentaler Gattungen, in: Die Musik des 18. Jahrhunderts, hrsg. von Carl Dahlhaus, Laaber 2008 (Geschichte der Musik 5), S. 278–291, besonders S. 278. Heinrich Christoph Koch, Musikalisches Lexikon. Faksimile-Reprint der Ausgabe Frankfurt/Main 1802, hrsg. von Nicole Schwindt, Kassel etc. 2001, Sp. 1386. Rezension der 1. und 2. Symphonie von Joseph Küffner, in: Allgemeine Musikalische Zeitung 22 (1820), Sp. 274; publiziert in Wolfram Steinbeck, Die Symphonie im 19. und 20. Jahrhundert. Teil 1: Romantische und nationale Symphonik, Laaber 2002 (Handbuch der musikalischen Gattungen 3.1), S. 28. Zitate richten sich soweit nicht anders angegeben nach den Originalquellen. Carl Maria von Weber, Ueber die Tondichtweise des Hrn. Conzertmeisters, Feska, in Karlsruhe, in: Allgemeine Musikalische Zeitung 20 (1818), Sp. 585 ff. Eine Zusammenfassung der Rezeptionsgeschichte des Streichquartetts, findet sich bei Friedhelm Krummacher, Geschichte des Streichquartetts. Bd. 1: Die Zeit der Wiener Klassik, Laaber 2005, S. 70–86. Carl Ferdinand Pohl, Joseph Haydn, Bd. 1, Berlin 1875, S. 328. Die Formel geht auf Johann Joachim Quantz’ Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen zurück und bezieht sich dort auf generalbaßbegleitete Quartette. Sie wurde schließlich auf das Streichquartett im allgemeinen übertragen; vgl. auch den entsprechenden Artikel (Quartett, gezeichnet d. Red.) in Gustav Schillings Universal-Lexicon der Tonkunst, Bd. 5, Stuttgart 21841, S. 591: „Unbestritten ist und bleibt das ächte Quartett ein wahrer Probierstein für jeden Tonsetzer“. Friedrich Schneider, Elementarbuch der Harmonie und Tonsetzkunst, Leipzig [1820], S. 108. Arrey von Dommer, H. Ch. Kochs Musikalisches Lexikon, Heidelberg 1865, S. 804.
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präsentieren zwei grundlegend verschiedene Schreibarten als jeweils ideale Verkörperung. Jedes Quartett und jede Symphonie trägt den Nimbus eines Hauptwerks mit sich, insofern beide Gattungen an die Wiener Klassik und damit die Œuvres von Haydn, Mozart und Beethoven anschließen.8 Das Bekenntnis zur Tradition veranlaßt Musikschaffende unterschiedlicher Herkunft und ästhetischer Haltung, den etablierten Kanon kompositorisch zu erweitern. Über historische Distanzen hinaus bietet die gemeinsame Ausgangslage viele Ansatzpunkte für Vergleiche – wie es zunächst scheint, auch bei Schubert und Brahms: Beide verfügten über tief gehende Kenntnis der Wiener klassischen Tradition, ihre Beiträge zu den in Frage stehenden Gattungen geben einer Untersuchung hinreichend Material. Allerdings bringen divergierende kompositorische Ansätze und damit unterschiedliche Konsequenzen aus der Überlieferung auch erhebliche Differenzen mit sich, die eine parallele Untersuchung zumindest teilweise ins Leere laufen lassen. Schuberts frühe Werke entstanden zunächst aus Bedürfnissen des praktischen Musizierens, sei es im Familienkreis oder in Zusammenarbeit mit Laienorchestern.9 Im Quartett mit dem Vater und den Brüdern konnten kompositorische Ideen zeitnah erprobt werden. Schuberts Quartettschaffen wird demgemäß auch durch den Einfluß zahlreicher Gattungsvarianten, die dem bürgerlich-privaten Musizieren zu jener Zeit zur Verfügung standen, geprägt. An Haydn und Mozart scheint sich Schubert weniger abzuarbeiten, als deren Ansätze in unterschiedlichen formalen und strukturellen Strategien fortzusetzen. Das Streichquartett ist ihm Experimentierfeld: bis zu seinem 20. Lebensjahr hatte er ganze ganze elf Quartette unterschiedlichen Charakters produziert, ohne dabei ein erkennbares Konzept zu verfolgen: Während Haydns Arbeit am Quartett von Opus 9 bis Opus 33 restrospektiv als strategisches Erproben und Verwerfen von Möglichkeiten der Gattungsgestaltung betrachtet werden kann, ist in Schuberts Schaffen keine vergleichbar zielgerichtete Genese ersichtlich. Das Respekt heischende Repertoire an Streichquartetten – inklusive der Œuvres von Haydn, Mozart und Beethoven – scheint ihn kaum einzuschüchtern. Hier wie auch bei den Symphonien dürfte weniger ein absoluter Maßstab kompositorischer Meisterschaft im Zentrum stehen, als die Lust am Schreiben – und natürlich das Bestreben, ein Publikum zu gewinnen.10 Die lediglich in Einzelfällen sichtbar werdende Identifikation mit der Wiener klassischen Tradition dürfte mit dafür verantwortlich sein, daß Schuberts Beiträge zu den beiden Hauptgattungen der Instrumentalmusik nach seinem Tod zunächst kaum rezipiert wurden: er paßte nicht in die Schemata des sich schon im frühen 19. Jahrhundert nachhaltig verändernden Konzertwesens. Angefangen mit den „Pariser Symphonien“ Joseph Haydns, die in den 1780er Jahren durch das Orchester der Loge Vgl. Wolfram Steinbeck, Klassik als Romantik, in: Wiener Klassik. Ein musikgeschichtlicher Begriff in Diskussion, hrsg. von Gernot Gruber, Wien 2002 (Wiener Musikwissenschaftliche Beiträge 21), S. 65–73. 9 Zu Entstehung und Aufführungsgeschichte der frühen Symphonien Schuberts vgl. Wolfram Steinbeck, „Über das Ganze eine Romantik ausgegossen“. Die Sinfonien, in: Schubert-Handbuch, S. 558–617. 10 Vgl. hierzu J. Peter Burkholder, Brahms and Twentieth-Century Classical Music, in: 19th-Century Music 8 (1984/85), S. 75–83, hier S. 77. 8
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Qlympique aus der Taufe gehoben wurden, kam es zu einer Umstellung des Repertoires von Novitäten zu einem festen Kanon, der durch neue Kompositionen lediglich ergänzt wurde.11 Europaweit setzten sich die Wiener Klassiker als Grundpfeiler des Konzertbetriebs durch und wurden damit zugleich zum Maßstab für neue Werke. Jüngere Komponisten standen vor einem Dilemma: wollten sie reüssieren, mußten sie – wie Richard Taruskin formuliert – „instant classics“12 produzieren, also Werke von höchstem künstlerischem Anspruch, den überkommenen Maßstäben gerecht, zugleich aber originell und bis zu einem gewissen Grade zugänglich.13 Zahlreiche Symphonien und Streichquartette – auch im Rahmen von Wettbewerben – sind einer verpflichtenden Auseinandersetzung mit den Gipfelpunkten einer sakrosankten Tradition geschuldet, erweisen sich darüber hinaus jedoch kaum als repertoirefähig.14 Komponisten wie Robert Schumann, Felix Mendelssohn oder Hector Berlioz suchen eigenständige Konzepte, Niels Gade oder Franz Berwald bilden nationale Partikulartraditionen aus, ohne dabei mit den übermächtigen ‚Heroen‘, unter denen Beethoven stets als unüberwindlicher Titan hervorzuragen scheint, in direkten Wettbewerb zu treten. Brahms zögerliche Annäherung an Streichquartett und Symphonie wurzelt in der – wie Wolfram Steinbeck formuliert – „frontal[en] […] Auseinandersetzung“ mit Beethoven.15 Sein immenser Erfolg als Komponist basiert nicht zuletzt darauf, daß sein Werk schließlich weithin als gültige Lösung des Problems der Symphonie nach Beethoven anerkannt wurde. Die folgenden Ausführungen möchten das Werk Brahms’ und Schuberts zunächst als voneinander unabhängige Erscheinungen betrachten und aufzeigen, wie sich die Gattungen angesichts unterschiedlicher Voraussetzungen auf individuellen Wegen entwickeln. In einem zweiten Schritt folgt die durchaus spekulative Frage, wo sich trotz aller Differenzen Parallelen und vielleicht sogar Korrespondenzen beider Œuvres mit Bezug auf die Gattungsfrage erkennen lassen. 1. Symphonie und Streichquartett bei Franz Schubert In Anbetracht der heterogenen Faktur des frühen Streichquartettschaffens von Franz Schubert ist die weitgehende Absenz der Werke im Konzertrepertoire durchaus nachvollziehbar. Die Stücke enthalten zwar eine Fülle ansprechender Melodik, sind rhythmisch lebendig und formal originell. Bis 1816 verfolgt Schubert unterschiedli11 12 13 14 15
Zur Etablierung eines repertoirebasierten Konzertbetriebs mit Haydns „Pariser Symphonien“ vgl. Bernard Harrison, Haydn: The „Paris“ Symphonies, Cambridge 1998 (Cambridge music handbooks), S. 5–25. Richard Taruskin, Music in the Nineteenth Century, Oxford 2005 (The Oxford History of Western Music 3), S. 682. Näher hierzu Burkholder, Brahms and Twentieth-Century Classical Music (wie Anm. 10), S. 77. Zu dieser Problematik wie im Speziellen auch zum Wiener Symphonienwettbewerb vgl. Siegfried Oechsle, Symphonik nach Beethoven. Studien zu Schubert, Schumann, Mendelssohn und Gade, Kassel etc. 1992 (Kieler Schriften zur Musikwissenschaft 40), S. 11–14. Steinbeck, Romantische und nationale Symphonik (wie Anm. 3), S. 188.
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che kompositorische Ansätze, die eine unbändige Erfindungskraft verraten, allzu oft jedoch kaum in ein Verhältnis zu den eigentlich bereits etablierten Paradigmen der Gattung zu setzen sind. Der Versuch, analytisch eine Fortführung der Linie HaydnMozart herauszuarbeiten, bleibt relativ fruchtlos. Schubert hat beider Werk zweifellos gekannt und respektiert, imitiert sie jedoch – wie bereits Salome Reiser in ihrer grundlegenden Studie festgestellt hat – keineswegs epigonal, sondern nimmt manche vorgefundenen Ansätze auf, um kreativ darüber hinaus zu denken und sie mit eigenen Ideen zu versetzen.16 So übertrifft der Eröffnungssatz des D-Dur-Quartetts D 74 mit 503 Takten nicht nur jedes Haydn-Quartett um mehr als das Doppelte, er verfolgt auch eine ambitionierte formale Strategie. Der vollständige Satz inklusive Seitengedanke entwickelt sich in fließenden Übergängen aus der Abspaltung einer dreitönigen Wiederholungsfigur. Eine Durchführung als motivische Verarbeitung erübrigt sich, insofern das Material bereits mit den ersten Takten an einer stetigen Transformation teilhat.17 Ähnliche Strategien der Entwicklung ganzer Sätze aus einem nur wenige Takte umfassenden Kernmotiv verfolgt Haydn auch in manchen Symphonien der Esterhazy-Zeit18 oder im Streichquartett op. 17/4, wo die thematische Verdichtung in der Konzentration auf eine initiale Intervallkonstellation auf die Spitze getrieben wird. Mit der Etablierung gesanglicher Thementypen in den Quartetten op. 33 gerät solch eine Gestaltung jedoch zur Ausnahme, die gerade in dieser Konsequenz den Erwartungen an die Gattung zuwider läuft. Ein weiteres Irritationsmoment von Schuberts Quartett liegt im gestischen Charakter. Im Eröffnungssatz wird der Hörer bald nach Beginn von Vorhangakkorden überrascht, im Finale durch fanfarenartige Motive. Solche Effekte sind zwar auch in den Quartetten Haydns immer wieder anzutreffen, werden dort allerdings in einen genuin kammermusikalischen Zusammenhang integriert und zumeist als kalkulierter Effekt aufgelöst.19 Der symphonische Charakter des D-Dur-Quartetts wie auch die Gemeinsamkeiten mit Schuberts 1. Symphonie wurden in der Forschung bereits mehrfach beschrieben. Das Werk war als Geschenk zum Namenstag des Vaters gedacht, was den festlichen Charakter der musikalischen Gestik erklärt.20 Ob Schubert es bloß mangels Orchester quasi als verkümmerte Streichersymphonie gesetzt hat, ist allerdings
16 Salome Reiser, Franz Schuberts frühe Streichquartette. Eine klassische Gattung am Beginn einer nachklassischen Zeit, Kassel etc. 1999, S. 118. 17 „Ein Endpunkt dieser Entwicklung ist mit dem im August/September 1813 entstandenen D-Dur-Quartett D 74 erreicht, in dem weder Kopf- noch Finalsatz überhaupt eine Durchführung besitzen. […] Ohne das übergeordnete Variantenmodell erscheint die Durchführung nicht mehr in den großformalen Zusammenhang eingebunden und kann in letzter Konsequenz entfallen.“ Reiser, Franz Schuberts frühe Streichquartette (wie Anm. 16), S. 182 f. 18 Vgl. etwa die Analyse der Symphonie Nr. 39 g-Moll bei A. Peter Brown, The First Golden Age of the Viennese Symphony: Haydn, Mozart, Beethoven, and Schubert, Bloomington 2002 (The Symphonic Repertoire 2), S. 104–108. 19 Das gilt selbst für die frühen Divertimenti, in denen die Typologie der Gattung noch kaum ausgeprägt ist: Das Divertimento B-Dur op. 1/1 eröffnet zwar mit einer fanfarenartigen Geste; diese ist jedoch in ein akkurat austariertes Gleichgewicht von Takten im forte mit ausgleichenden Takten im piano eingebettet. 20 Werner Aderhold, Vorwort, in: Franz Schubert, Streichquartette II, hrsg. von dems., Kassel etc. 1994, S. IX.
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fraglich,21 plante er doch, sein Werk in einer Gruppe von Trois Quatuors … par François Schubert écolier de M.sr de Salieri zu veröffentlichen, wie man am Autograph des Vorsatzblatts sieht, durchaus mit dem Nimbus eines Antrittswerkes.22 Durch eigenhändige Ergänzung seiner Titel drückt Salieri Anerkennung für das Vorhaben seines Schülers aus. Im direkten Vergleich mit der Symphonie zeigt sich schließlich, wie Schubert den Charakter der Gattung durch strukturelle Identifikatoren zu markieren weiß: Wenn er im Schlußsatz seiner 1. Sinfonie auf die Melodie aus dem Finale des D-Dur-Quartetts zurückgreift (wenn er nicht gar beide Sätze parallel entworfen hat), ersetzt er die abwechslungsreich figurierte Begleitformel durch eine Art Alberti-Baß, welcher in seiner auf unmittelbare Wahrnehmbarkeit und leichte Spielbarkeit ausgerichteten Faktur dem Orchestersatz entgegen kommt.
Beispiel 1a: Franz Schubert, Streichquartett D-Dur D 74, 4. Satz
Beispiel 1b: Franz Schubert, Symphonie D-Dur D 82, 4. Satz
Die frühen Quartette Schuberts zeigen einen 13- bis 19jährigen am Werk, der sich auf der Suche nach einer eigenen Sprache beherzt einen Weg bahnt. Seine Strategien sind oft nur eingeschränkt mit einem an den Hauptwerken der Wiener Klassik geschulten Verständnis der Gattung kompatibel, sondern speisen sich, wie schon Salome Reiser feststellte, aus einer „Vielfalt der Quartettformen“, die im damaligen Wien virulent waren und bei der Eroberung der Gattung durch das bürgerlich-häusliche Musizieren auch eine wichtige Rolle spielten.23 Wenn Schubert dieses Frühwerk im Juli 1824 gegenüber dem Bruder Ferdinand abqualifiziert, es sei „nichts daran“,24 so muß dies vor dem Hintergrund eines Neuansatzes im Quartettschaffen mit dem im Februar/ März des Jahres entstandenen a-Moll-Quartett betrachtet werden. Schubert meinte 21 22 23 24
So vermutet Reiser, Franz Schuberts frühe Streichquartette (wie Anm. 16), S. 190. Aderhold, Vorwort zu: Schubert, Streichquartette II (wie Anm. 20), S. XIV, Faksimile auf S. XXIII. Vgl. Reiser, Franz Schuberts frühe Streichquartette (wie Anm. 16), S. 28–49. Zitiert nach Werner Aderhold, Vorwort, in: Franz Schubert, Streichquartette III, hrsg. von dems., Kassel etc. 1989, S. IX.
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gegenüber Leopold Kupelwieser zwar, er wolle sich „auf diese Art den Weg zur großen Sinfonie bahnen.“25 Das bedeutet jedoch nicht, daß die drei späten Quartette genuin symphonisch konzipiert sind. Neben aufführungspraktischen Vorteilen erlaubt die Gattung eine Konzentration auf grundlegende musikalische Parameter, was das Ausprobieren neuer formaler Strategien zunächst erleichtert. Davon abgesehen steht die oben zitierte Bemerkung in einem praktischen Kontext: Schubert spricht im selben Brief über das heute berühmte Beethoven-Konzert im Kärntnertortheater vom 7. Mai 1824, bei dem u. a. die 9. Symphonie uraufgeführt werden sollte. Den „Weg zur großen Symphonie“ zu gehen war eine Notwendigkeit, da diese Gattung als gelungener Abschluß einer Akademie einen glanzvollen Weg in die musikalische Welt zu ebnen versprach. Diese Funktion hätte kein Quartett, aber auch kaum die h-Moll-Symphonie erfüllen können – man darf darüber spekulieren, ob sie deshalb Fragment blieb. Dagegen ist die große C-Dur-Symphonie durchaus auf Breitenwirkung hin konzipiert: Die 77-taktige Einleitung eröffnet mit einer Hornmelodie, die in unterschiedlichen orchestralen Situationen beleuchtet wird. Dabei gestaltet Schubert von Beginn an starke dynamische Kontraste und Steigerungsverläufe, wobei der Strukturverlauf angesichts der stabilen Melodik gut verfolgbar bleibt. Der Hauptsatz (ab T. 78) beschäftigt sich erst einmal 24 Takte mit der Bekräftigung der Tonika, bevor eine Modulation zum Seitengedanken folgt, ohne daß der affirmative Charakter (fanfarenartige Quarten, Tonrepetitionen, also historisch mit der Symphonie verknüpfte Gesten) ganz verloren geht. Am Ende des Satzes kehrt schließlich das eröffnende Hornthema, das zuvor bereits subkutan in die Struktur des Satzes integriert wurde,26 in einer apotheotischen Steigerung wieder. Die späten Streichquartette haben einen ganz anderen Charakter: zwei stehen in Moll, das dritte ist nur scheinbar ein leichtgewichtiges Gegenstück in Dur.27 Orchestrale Klangballungen erfüllen eine kalkulierte expressive Funktion; sie eröffnen der Gattung neue Dimensionen, die sich von der affirmativen Kontrastgestaltung symphonischer Musik unterscheidet.28 Das G-Dur-Quartett – vielleicht das ungewöhnlichste der drei – ist auf weiter Strecke kammermusikalisch angelegt, also entweder im Sinne der Gattungstradition dialogisierend oder in engmaschigen instrumentalen Verknüpfungen, deren Wahrnehmbarkeit durch den Quartettsatz begünstigt wird. Gleich einem Gegenentwurf zur großen C-Dur-Symphonie trägt der Satzbeginn des G-Dur-Quartetts parataktische Züge: schon in der knappen, äußerst kontrastreichen Einleitung verändert sich innerhalb von nur 14 Takten achtmal die Dynamik zwischen pianissimo und fortissimo. Das sich unmittelbar anschließende Hauptthema wirkt nicht nur aufgrund der durchgängigen Begleitung durch Tremoli instabil, 25 Zitiert nach ebda., S. X. 26 Vgl. hierzu die ausführliche Analyse bei Oechsle, Symphonik nach Beethoven (wie Anm. 14), v. a. ab S. 183 ff. 27 Auf harmonischer Ebene zeigt sich dies auch im stetigen Dur-Moll-Wechsel in den Ecksätzen. 28 Krummacher beschreibt, wie sich die „subtile Planung […] im Wechsel zwischen klanglicher Eruption und inniger Kontemplation“ im Spätwerk zu einer Neukonzeption des Quartettsatzes ausbildet (Geschichte des Streichquartetts, Bd. 2: Romantik und Moderne, Laaber 2005, S. 74).
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sondern ebenso angesichts seiner harmonischen Gestaltung. Die das Thema in T. 33 abschließende Tonika läßt keine Sekunde zum Aufatmen: Nach mehr als 20 Takten im pianissimo bricht sie im fortissimo als Eröffnung einer Überleitungspassage herein, welche die Motivik der Einleitung aufnimmt und das Spiel mit scharfen Kontrasten weiter spinnt. Die melodischen Konturen des Hauptthemas werden in der Reprise durch rhythmische Variation und diverse figurative Ergänzungen in einem lockeren Satz aufgelöst, was angesichts des ohnehin schon brüchig-zart wirkenden Themas geradezu erschüttert. Auch wenn die Differenzierung der Gattungen im Werk Schuberts eine partielle Neubewertung von überlieferten Kriterien erfordert, so lassen sich grundlegende Unterschiede in den Gestaltungsansätzen doch eindeutig herausstellen: Die Symphonie zeigt einen expansiven Ansatz und strebt mit breit ausformulierten Entwicklungsgängen unmittelbare Wirkung an. Das Streichquartett sucht Intensität im Ausdruck, die u. a. durch die differenzierte Disposition der Dynamik und Melodik – im Binnenraum wie über den ganzen Satz hinweg – erzeugt wird. Während das Orchester den Hörer durch vergleichsweise leicht nachvollziehbare Variantenbildung durch das Werk geleitet, erfordert die kammermusikalische Schreibweise einen verstehenden Nachvollzug der Gesamtanlage. Den tradierten Funktionen dieser beiden kompositorischen Grundkategorien entsprechend steht die Ansprache an ein breites Publikum einer gleichsam privaten Mitteilung gegenüber. Schubert scheint in dem für seine Zeit einzigartigen Formentwurf von G-Dur-Quartett wie C-Dur-Symphonie beiderseits am Beginn einer Erneuerung der Gattungen zu stehen – was er daraus entwickelt hätte, läßt sich nur erahnen. 2. Johannes Brahms – Gattung als Aufgabe Johannes Brahms dürfte sich nach eigener Schätzung kaum weniger häufig mit der Gattung Streichquartett auseinandergesetzt haben als Schubert.29 Sein Weg zur Gattung bleibt allerdings im Verborgenen, an die Öffentlichkeit gelangten lediglich Hauptwerke, die der Komponist in einem Alter schrieb, das Schubert erst gar nicht erleben sollte. Die anzunehmende Vernichtung jeglicher Quellen zum Frühwerk läßt jedoch vermuten, daß Brahms seine Versuche als gescheitert betrachtete. Eine Ahnung vom beschwerlichen Weg zur Gattung vermittelt die immerhin teilweise dokumentierte Annäherung an die Symphonie. Der Versuch, eine Sonate für zwei Klaviere in eine Symphonie zu verwandeln, mündete im 1. Klavierkonzert sowie – passagenweise – im Deutschen Requiem.30 Die 1. Serenade, welche Brahms zunächst als Symphonie anleg29 Nach einer durch Alwin Cantz überlieferten Aussage hatte Brahms vor seinem op. 51 bereits über zwanzig Versuche zum Quartett unternommen. Vgl. Max Kalbeck, Johannes Brahms, Bd. II, Halbbd. 2, Berlin 1921 (Reprint: Tutzing 1976), S. 440. 30 Vgl. Robert Pascall, Orchestermusik, in: Brahms Handbuch, hrsg. von Wolfgang Sandberger, Kassel etc. 2009, S. 498 und 479 f.
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te und auch nach Fertigstellung noch umarbeiten wollte, mußte trotz aller symphonischen Züge Vorstufe bleiben, da sie im Ganzen einer retrospektiv-klassizistischen Form der Symphonie entspricht, inklusive thematischer Anspielungen auf Joseph Haydn. Nur eine veritable Re-Formulierung der Gattung konnte adäquat auf das Gipfelwerk Beethovens antworten – in Brahms eigenen Worten: „[W]enn man wagt, nach Beethoven Symphonien zu schreiben, so müssen sie ganz anders aussehen.“31 Daß Brahms immerhin bereits als 20jähriger erstmals überlegte, mit einem Streichquartett an die musikalische Öffentlichkeit zu treten, belegt ein Brief Robert Schumanns an das Verlagshaus Breitkopf & Härtel von 1853, mit dem dieser – in ähnlicher Funktion wie Salieri bei Schubert – für die Qualität des Opus 1 seines Schützlings bürgt.32 Brahms sollte sich allerdings noch gut 20 Jahre abarbeiten, bis er mit seinem Opus 51 herauskam. Als etablierter Komponist konnte er sein Werk allerdings kaum mehr einem Mentor zueignen – Schumann war längst verstorben. Die Widmung an den anerkannten Mediziner und hervorragenden Laienmusiker Theodor Billroth ist auf andere Weise bezeichnend im Hinblick auf den Gattungscharakter: zum einen, weil es sich um eine freundschaftliche, private Geste handelte, welche das Stück seiner Bestimmung zum häuslichen Musizieren übergibt; zum anderen, weil Billroth kompetent war, die außerordentlich kunstvolle Gestaltung gerade des ersten Quartetts nachzuvollziehen.33 Auf einen inneren musikalischen Dialog der beiden Freunde deuten auch Brahms’ Bemerkungen in einem Brief anläßlich der Zueignung des Quartetts hin, nämlich, daß es „aus dem berühmten c-Moll geht“ – weiteres solle aber ein Geheimnis bleiben, da der Widmungsträger sich sonst leicht etwas „überphantasieren“ könne, und „hernach – gefällt Dir das zweite besser.“34 Was in dieser Bemerkung angedeutet ist, wurde bereits in unzähligen Analysen diskutiert: Das zweite Streichquartett (op. 51/2) gilt als das freundlichere, eingängigere Werk, op. 51/1 dagegen als Musterbeispiel der Motivvariation, -entwicklung und -verknüpfung. Es entspricht damit ganz dem Anspruch der Gattung als Probe kompositorischen Könnens wie auch als angemessener Gegenstand der musikalischen Auseinandersetzung für „Kenner und Liebhaber“ – genau das war der Mediziner Billroth. Zeitgenössische Rezensionen bestätigen den Rang des c-Moll-Quartetts und greifen dabei manche Topoi auf, die das Bild der Gattung in der öffentlichen Wahrnehmung spiegeln: „Blüthe reiner Instrumentalmusik“; „kunstvolle Verflechtung“ statt „Steigerung der Tonfülle“; „eine tiefernste Composition, die erst nach wiederholter Vorführung“ zu würdigen ist.35 Das Streichquartett scheint prädestiniert für Brahms’ anspruchsvolles, auf strukturell vielschichtige Verarbeitung zielendes kompositorisches Ethos. Dennoch schließt 31 Die Aussage wurde durch Carl Bargheer überliefert; zitiert nach Billroth und Brahms im Briefwechsel, hrsg. von Otto Gottlieb-Billroth, Berlin/Wien 1935, S. 226. 32 Vgl. die Darstellung bei Max Kalbeck, Johannes Brahms, Bd. I, Halbbd. 1, Berlin 1921 (Reprint: Tutzing 1976), S. 130. Vgl. auch Krummacher, Geschichte des Streichquartetts, Bd. 2 (wie Anm. 28), S. 163. 33 Ursprünglich war geplant, Billroth lediglich op. 51/1 zu widmen; vgl. Gottlieb-Billroth, Billroth und Brahms im Briefwechsel (wie Anm. 31), S. 201. 34 Brief von Juli 1873, zitiert nach ebda., S. 200. 35 Zitiert nach Krummacher, Geschichte des Streichquartetts, Bd. 2 (wie Anm. 28), S. 164.
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er sein Œuvre in dieser Gattung bereits mit dem dritten Beitrag ab, wobei dieser kaum eine Steigerung seiner Vorgänger darstellt, sondern mit dem Rekurs auf Mozart und Haydn die Perspektive wechselt.36 Der mit dem ersten Quartett eingeschlagene Weg findet seine Fortsetzung vielmehr in jener Gattung, deren Bewältigung Brahms nun in Angriff nahm: 1. Symphonie und 1. Streichquartett teilen nicht nur die Tonart c-Moll, auch die kompositorischen Strategien gleichen sich. Während die Eröffnungssätze von Schuberts G-Dur-Quartett und der C-Dur-Symphonie bei allen stilistischen Gemeinsamkeiten strukturell kaum in ein vergleichbares Schema zu pressen sind, lassen sich Brahms’ Erstlingswerke beider Gattungen zunächst methodisch ähnlich als Musterbeispiele entwickelnder Variation, also hinsichtlich der Arbeit mit einem reduzierten motivischen Grundbestand, analysieren. Vor allem der Eröffnungssatz läuft bei aller Farbigkeit und Dynamik den Erwartungen an ein großes Orchesterwerk entgegen, was Paul Bekker zu der Überzeugung brachte, Brahms sei mit seinem Versuch, die „Kammermusik zu monumentalisieren“, gescheitert.37 Zwar ist der Satz gesättigt mit Verweisen auf die symphonische Tradition – in der Durchführung klingt das Schicksals-Motiv aus Beethovens 5. Symphonie mahnend hervor. Entgegen dem Gattungscharakter, der bei Schubert in einer fulminanten Schlußsteigerung affirmativ verkörpert ist, endet der Eröffnungssatz von Brahms’ Erster in einer zurückhaltenden Abwicklung des Hauptmotivs in Verknüpfung mit der Beethoven-Anspielung, das alles im piano. Die noch in der Durchführung als grandioser Konflikt inszenierte Auseinandersetzung mit dem musikalischen Material mündet im Verebben, was angesichts der symbolisch aufgeladenen Allusion einem – vorläufigen – Scheitern gleich zu kommen scheint. Im Gegensatz zu manchem Rezensenten wußte Theodor Billroth die außergewöhnliche wie auch intellektuell fordernde Gestaltung der Komposition zu würdigen. Er stellte sich vor, „die Symphonie ganz alleine [zu] hören, im Dunkeln“, ohne „Alle die dummen, alltäglichen Menschen, von denen man im Konzertsaal umgeben ist“.38 Diese Aussage steht im direkten Gegensatz zu den für das 19. Jahrhundert gültigen Symphonie-Topoi, welche die Gattung ausdrücklich im Rahmen einer Veranstaltung mit zahlreichen Hörern positionieren.39 Explizit wiederholt Billroth diese Feststellung im Brief vom 17. Dezember 1878: „Der Geist, den die Massen begreifen, gleicht freilich nicht dem Geist, der in diesem Tonwerk weht.“40 Das bedeutet nicht, daß das Werk in Billroths Wahrnehmung ganz aus dem Kontext des Symphonischen heraustritt. Der 36 Michael Musgrave identifiziert Spuren Haydns und Mozarts vor allem in den Rahmensätzen, während er in den Mittelsätzen Bezüge zu Mendelssohn und Schubert erkennt. Er beobachtet gerade in diesem Streichquartett jedoch weniger eine identifikatorische Auseinandersetzung als eine Reflexion der Vorbilder im Sinne eines distanzierten Klassizismus; vgl. Michael Musgrave, The Music of Brahms, Oxford 1985, S. 179–182. 37 Zitiert nach Steinbeck, Romantische und nationale Symphonik (wie Anm. 3), S. 185 f. 38 Brief vom 10. Dezember 1876, zitiert nach Gottlieb-Billroth, Billroth und Brahms im Briefwechsel (wie Anm, 31), S. 225. 39 Eine Zusammenfassung von für das 19. Jahrhundert prägenden Topoi der Symphonie findet sich bei Steinbeck, Romantische und nationale Symphonik (wie Anm. 3), S. 29–34. 40 Gottlieb-Billroth, Billroth und Brahms im Briefwechsel (wie Anm. 31), S. 276.
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explizite Verweis auf intensives Studium zur notwendigen Einsicht in kompositorische Gestaltungsmerkmale entspricht jedoch einer Rezeptionshaltung, die traditionell mit Kammermusik assoziiert ist. Zweifellos wußte auch Brahms, daß er manche tradierten Charakterzüge der Gattung Symphonie mit diesem Satz konterkarierte – der Weg zur großen Gattung, für den nicht nur Robert Schumann bereits 1853 in seinem gleichnamigen Aufsatz „Neue Bahnen“ eingefordert hatte,41 war noch nicht zu Ende beschritten. 3. Schubert und Brahms – Spuren eines Dialogs? Über die Problematik, unmittelbare Einflüsse Franz Schuberts im Schaffen Johannes Brahms zu lokalisieren, wurde nicht nur im Rahmen der gegenständlichen Wiener Tagung bereits diskutiert. Robert Pascall konnte in seinem Aufsatz Brahms and Schubert zwar diverse melodische und strukturelle Korrespondenzen in beider Schaffen anführen, klammerte Gattungsfragen dabei jedoch weitgehend aus – nicht zuletzt deshalb, da Brahms viele Hauptwerke Schuberts erst relativ spät vertraut wurden.42 Die späten Streichquartette kamen zu seinen Lebzeiten nur sporadisch zur Aufführung, seine eigene Ausgabe des Quartettsatzes in c-Moll erschien erst 1870. Ob die editorische Auseinandersetzung mit dem symphonischen Werk43 oder das beglückende Erlebnis einer Aufführung von Schuberts C-Dur-Symphonie44 tatsächlich auf Brahms’ kompositorisches Denken wirkte, ist rein analytisch kaum zu belegen. Abgesehen von standardisierten Formfaktoren haben die Gattungsbeiträge der beiden Komponisten praktisch keine Gemeinsamkeiten. Daß die musikalische Vergangenheit Spuren in Brahms’ 1. Symphonie hinterlassen hat, ist offensichtlich. Das Finale wurde bald nach der Uraufführung als instrumentale Antwort auf den Schlußchor aus Beethovens 9. Symphonie betrachtet – nicht zuletzt wohl aufgrund einer thematische Anspielung auf das Freudenthema. Eine markante choralartige Passage, welche schließlich die hymnische Krönung des Satzes bildet, wird gewöhnlich (wahrscheinlich auch von Theodor Billroth, vgl. das Zitat bei Anm. 49) als Referenz an Johann Sebastian Bach gehört. Nun auch noch das bekannte Hornsolo als dritten Referenzpunkt mit Schuberts C-Dur-Symphonie zu verknüpfen, erscheint zunächst gleichermaßen banal wie weit hergeholt. Die Themen haben außer dem Instrument wenig miteinander gemein: Schuberts Tonfolge ist liedhaft und auf dem Naturhorn nur durch Stopfen zu realisieren, woraus ein eher verhaltener Klang 41 Der anonyme Rezensent einer Symphonie von Johann Baptist Moralt scheint den Versuch, solch eine „neue Bahn brechen zu wollen“, einige Jahrzehnte davor noch als Hybris gegenüber den Klassikern zu betrachten. Allgemeine Musikalische Zeitung 19 (10. Dezember 1817), Sp. 845; zitiert auch bei Oechsle, Symphonik nach Beethoven (wie Anm. 14), S. 15. 42 Robert Pascall, Brahms and Schubert, in: The Musical Times 124 (1983), No. 1683, S. 286–287, 289, 291. 43 Franz Schubert’s Werke. Erste kritisch durchgesehene Gesammtausgabe. Serie I. Sinfonien, Bd. 1 und 2, Leipzig 1884/1885. 44 Vgl. Johannes Brahms im Briefwechsel mit Joseph Joachim, hrsg. von Andreas Moser, Bd. 1, Berlin 1908 (Johannes Brahms Briefwechsel 5), S. 18. Vgl. auch Pascall, Brahms and Schubert (wie Anm. 42), S. 286.
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resultiert.45 Dagegen setzt sich Brahms’ Thema ausschließlich aus Naturtönen zusammen und kann deshalb schon bei seiner Vorstellung einen prachtvollen Instrumentalklang entfalten. Auf diastematischer Ebene gibt es dennoch Gemeinsamkeiten: die gedrängte Wiederholung kurzer Motive, welche Schuberts Melodie einen andeutungsweise signalhaften Charakter verleiht46, entspricht der Struktur des Themas bei Brahms; der Höhepunkt beider Gestalten liegt auf g2, das Schlußmotiv ist identisch.
Beispiel 2: Vergleich der Hornthemen bei Schubert und Brahms
Handelt es sich dabei um zufällige Parallelen, welche auch in Bezug auf andere Hornmelodien zu ziehen wären? Oder flicht Brahms hier eine Anspielung auf Schubert ein, wie an anderen Stellen auf Bach und Beethoven? Auf Grundlage dieser Annahme möchte ich folgende Hypothese aufstellen: Brahms schätzte Schuberts Einfall, eine im Verlauf des Satzes weitgehend unveränderte Hornmelodie, welche noch vor dem Hauptthema eingeführt wird, zur Gestaltung einer apotheotischen Steigerung einzusetzen. Dagegen dürfte der Schlußsatz der C-Dur-Symphonie in Brahms’ Augen keine hinreichend überzeugende Antwort auf das vokale Finale von Beethovens Neunter gewesen sein. Diese schickte sich Brahms schließlich an, selbst zu geben: durch eine – wie schon Friedrich Chrysander formulierte – „Zurückführung“ der Gattung „zu der reinen Instrumentalsymphonie“,47 allerdings unter Einsatz dreier durchaus vokaler Themen: ein an Beethoven angelehnter Hymnus als Hauptthema, davor ein Bachischer Choral und die Schubertsche Idee der Hornmelodie, an Stelle von deren liedhaftem Duktus Brahms ein raumgreifendes Alphorn-Thema setzt, dessen apotheotischer Charakter sich bereits beim ersten Erklingen mitteilt. Die analytisch anzuführenden Parallelen sind dabei nur ein Teilaspekt und keinesfalls zwingend hinsichtlich des vermuteten Zusammenhangs zwischen Brahms und Schubert. Die strukturelle Verankerung wie auch die thematische Substanz sind für 45 Vgl. Christian Ahrens, Das Motto im Kopfsatz von Schuberts Großer C-Dur-Sinfonie. Vorbild oder Muster für Schumanns Frühlingssinfonie?, in: Schubert : Perspektiven 5 (2005), S. 7 f. 46 Darauf verweist bereits Oechsle, Symphonik nach Beethoven (wie Anm. 14), S. 189. 47 Bericht zu einer Aufführung der 1. Symphonie Brahms’ in Hamburg. Allgemeine Musikalische Zeitung 13 (6. Februar 1878), Nr. 6, Sp. 94. Der Bericht ist nicht eigens gezeichnet, stammt laut David Lee Brodbeck aber von Friedrich Chrysander; vgl. ders., Brahms: Symphony No. 1, Cambridge 1997, S. 86.
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die ideelle Bedeutung einer Allusion zweitrangig: auch der Choralabschnitt könnte in seiner unspezifischen Kürze gleichermaßen auf Bach wie auf Heinrich Schütz bezogen werden; noch näher läge eine Verbindung mit Mendelssohns 1832 uraufgeführter Reformations-Symphonie, in der solche Referenzen in großem Umfang symphonisch erschlossen werden. Selbst für das berühmte Beethoven-Thema erklärt sich der Allusionscharakter nicht aufgrund der Ähnlichkeiten in der thematischen Substanz – diese wiegen kaum stärker als jene mit Schuberts Melodie –, sondern durch die Bedeutung, welche das Thema als Referenz erhält.48 Bereits Theoder Billroth hob in einem Brief an Brahms den „Faustsche[n], Bachsche[n], Beethovensche[n] Geist des Stückes“ hervor, und bestätigte damit nicht nur zwei der von Brahms gesetzten Referenzpunkte, sondern positioniert es durch die Verknüpfung mit (selbstverständlich: Goethes) Faust in einer spezifisch deutschen, nationalen musikalischen Tradition.49 Die Hornmelodie bleibt in diesem Kontext zunächst übrig, obwohl ihr zeichenhafter Charakter innerhalb des Werkes offensichtlich ist.50 Naheliegend ist eine Deutung als Referenz an Clara Schumann, was der Ursprung des Themas auf einer Grußpostkarte aus der Schweiz an die verehrte Freundin nahelegt. Zwangsläufig stellt sich daraus abgeleitet auch der Gedanke an Landschaftsbilder ein, da das Horn – nicht anders bei Schubert – mit pastoralem Charakter assoziiert wird. Alternativ bietet sich jedoch eine gewissermaßen musikhistorische Interpretation des Zusammenhangs an: Schuberts große C-Dur-Symphonie war die erste Symphonie nach Beethoven, welche weithin als angemessene Antwort auf dessen Gipfelwerk betrachtet wurde. Die zweifellos für die Entwicklung der Gattung und insbesondere für das Schaffen Brahms’ bedeutenden Werke von Mendelssohn und Schumann mögen in formaler Hinsicht weitreichende Konsequenzen nach sich gezogen haben – als Referenzpunkt konnte lediglich jene Symphonie gelten, „die unter uns gewirkt, wie nach den Beethoven’schen keine noch.“51 Siegfried Oechsle weist Schuberts C-Dur-Symphonie in seiner umfassenden Studie als „Opus fundamentale einer eigenständigen Symphonik nach Beethoven“52 aus und zeigt am Beispiel der ersten Symphonien Gades und Schumanns sowie der dritten Mendelssohns, wie Schuberts 48 Daß Norbert Jeanjour in Reclams Konzertführer (Stuttgart 141990, S. 333) „nicht recht einleuchten“ will, weshalb die beiden Themen zusammenhängen, ist angesichts des beachtlichen Netzes an Korrespondenzen erstaunlich, hinsichtlich der thematischen Substanz jedoch vollkommen nachvollziehbar. Clemens Höslinger brachte im Rahmen des Symposiums die Ähnlichkeit des Beethoven-Themas mit einer Passage aus einer Messe Michael Haydns ins Gespräch – was letztlich belegt, daß zur Identifikation eines Zitats bloße melodische Identität nie ausreicht. Zu welchen Fehlschlüssen die Verknüpfung von Werken aufgrund thematischer Ähnlichkeiten führen kann, führt Michael Struck in seinem Beitrag eindrücklich vor (S. 63–88). 49 Gottlieb-Billroth, Billroth und Brahms im Briefwechsel (wie Anm. 31), S. 248. 50 Auf die Bedeutung des Horns als Identifikator des Symphonischen von Schubert bis hin zu Anton Webern kam erst jüngst Nikolaus Urbanek zu sprechen: Weberns Opus 21 und das Ende der Symphonie, in: Das Ende der Symphonie in Österreich und Deutschland von 1900–1945. Symposion 2012, hrsg. von Carmen Ottner, Wien 2014 (Studien zu Franz Schmidt 17), S. 167. 51 Robert Schumanns für die Rezeption des Werkes zentrale Besprechung ist ganz auf Beethoven als Fixpunkt der Gattung fokussiert und kulminiert im vorletzten Absatz in der oben zitierten Feststellung; Neue Zeitschrift für Musik 12 (1840), Nr. 21, S. 83. 52 Oechsle, Symphonik nach Beethoven (wie Anm. 14), S. 197.
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Werk Energien zu neuer symphonischer Produktion freisetzte. Für Brahms trifft diese Verbindung so unmittelbar nicht zu – und doch weisen beide Werke zumindest im gestalterischen Ansatz Gemeinsamkeiten auf. Neben diastematischen Parallelen vereint beide Themen die melodische Stabilität innerhalb der Entwicklung des Satzes sowie die Funktion als Apotheose: bei Schubert – instrumental wie auch durch leichte Modifikation der Motive monumentalisiert53 – als Höhepunkt des Eröffnungssatzes. Der Schlußsatz konnte darüber nicht mehr hinausgehen und wurde deshalb wahrscheinlich auch von Brahms kaum als gültige Antwort auf das Finale aus Beethovens Neunter betrachtet.54 Brahms macht sich die Idee der Monumentalisierung in Verknüpfung mit der stabilen Hornmelodie nun für das Finale seiner ersten Symphonie nutzbar und setzt damit zugleich eine Referenz auf den ersten Komponisten nach Beethoven, der in der Geschichte der Gattung eine „neue Bahn“ beschritten hat. Regelrecht variiert und verarbeitet wird lediglich das Beethoven-Thema – also der Bezug auf jenen Komponisten, dessen Schaffen erst noch ‚überwunden‘ werden mußte. Die Krönung bildet kurz vor Schluß das Choral-Thema, welches im vollen Blechbläsersatz den Höhepunkt der Symphonie markiert und mit Johann Sebastian Bach den Ursprung einer spezifisch deutschen Tradition des Komponierens evoziert.55 Die Symphonien und Streichquartette von Franz Schubert und Johannes Brahms bieten zunächst wenig Anlaß zum Vergleich hinsichtlich gattungsgeschichtlicher Kriterien. Nicht umsonst konzentrieren sich Auseinandersetzungen mit Schuberts Einfluß auf Brahms vornehmlich auf das Liedschaffen, bzw. harmonische oder melodische Kriterien. Gerade beim Streichquartett geht Schubert Individualwege, die zunächst kaum Niederschlag in der Gattungsgeschichte finden. Für Brahms war ein absoluter Maßstab durch die Wiener Klassiker markiert. In der 1. Symphonie gelang ihm – mit den Worten Wolfram Steinbecks formuliert –, „den Bann, unter dem die Nachfahren [Haydns, Mozarts und Beethovens] litten, zu brechen.“56 Schubert scheint als Zwischenglied unter den Tisch zu fallen – möglicherweise trug jedoch eine Schubertsche Idee, die den Gattungscharakter der Symphonie schließlich affirmativ bestätigt, wesentlich zum Gelingen von Brahms’ Entwurf bei.
53 Zur Analyse vgl. ebda., S. 184 f. 54 Auch Gottfried Wilhelm Fink, dessen ästhetische Auseinandersetzung mit der Symphonie als Gattung auch bei Oechsle diskutiert wird, zeigt sich in seiner ausführlichen Rezension der Partitur eher unglücklich mit dem Schlußsatz, vor allem was dessen Nähe zu einem „Opernfinale“ angeht (Allgemeine Musikalische Zeitung 42 [1840], Nr. 36, Sp. 746). 55 Die Identifikation Bachs mit der Idee einer deutschen Musiktradition reicht zurück bis zu Johann Nikolaus Forkel, der Bach als „erste[n] Klassiker“ sowie „Ersten aller deutschen und ausländischen Künstler“ betrachtet (vgl. Ueber Johann Sebastian Bachs Leben, Kunst und Kunstwerke, Leipzig 1802, S. VII), und bis hin zu Arnold Schönberg, der in seinem – ursprünglich nicht zur Veröffentlichung vorgesehenen – Aufsatz Nationale Musik eine direkte Linie von Bach über die Wiener Klassiker und Brahms bis hin zu seinem eigenen Schaffen zieht (in: ders., Stil und Gedanke, hrsg. von Ivan Vojtĕch, Frankfurt a. M. 1976, S. 252 f.). 56 Steinbeck, Romantische und nationale Symphonik (wie Anm. 3), S. 188.
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„… so manches lustige Experiment“ Johannes Brahms’ öffentlich gespielte, doch nie gedruckte Schubert-Bearbeitungen für Klavier solo1 Michael Struck in herzlicher Freundschaft gewidmet
Johannes Brahms’ vielfältige Auseinandersetzung mit Franz Schubert schlug sich nicht zuletzt in Bearbeitungen Schubertscher Werke nieder. Von der Besetzung her gesehen, lassen sich bei diesen Bearbeitungen im wesentlichen zwei Richtungen unterscheiden: diejenige der Expansion und diejenige der Reduktion. Als expansiv wären seine Bearbeitungen von Schubert-Liedern zu bezeichnen, die Brahms meist für eine Singstimme mit Orchester sowie auf Wunsch des mit ihm befreundeten Sängers Julius Stockhausen anfertigte und die zu seinen Lebzeiten unpubliziert blieben.2 In den Bereich der Reduktion fällt zunächst ein Klavierauszug von Schuberts Messe Es-Dur D 950, das heißt: die Reduktion des Orchesterparts auf das Klavier unter Beibehaltung der Gesangstimmen. Dieser Klavierauszug erschien 1865 im Rahmen der Werk-Erstausgabe anonym im Verlag von Jakob Melchior Rieter-Biedermann,3 wobei Brahms’ konkrete Arbeit an diesem Auszug noch genauer aufzuarbeiten ist. Hinzu kommen „verschollene“ Bearbeitungen von ursprünglich für ein Klavier zu vier Händen konzipierten Märschen sowie des dritten Satzes aus dem Oktett op. posth. 166
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Zunächst gilt es, folgenden Personen für diverse Hilfen bei der Erstellung dieses Textes zu danken: Katharina Loose-Einfalt M. A. (Neue Schubert-Ausgabe, Arbeitsstelle Wien), Dr. Christine Martin (Neue Schubert-Ausgabe, Arbeitsstelle Tübingen) und Dr. Thekla Kluttig (Staatsarchiv Leipzig) für das Zugänglichmachen von bisher unveröffentlichten Briefen und Dokumenten, meinem Kollegen Dr. Johannes Behr (Forschungsstelle Kiel der Johannes Brahms Gesamtausgabe) für Literaturhinweise sowie meinem Kollegen Dr. Michael Struck (ebenda) und Prof. Valerie Woodring Goertzen (Loyola University, New Orleans) für anregende inhaltliche Diskussionen. Folgende Bearbeitungen für eine Singstimme und Orchester sind nachgewiesen: An Schwager Kronos („Spute dich Kronos!“) op. 19 Nr. 1, D 369 (Anh. Ia Nr. 12); – Memnon („Den Tag hindurch“) op. 6 Nr. 1, D 541 (Anh. Ia Nr. 13); – Gruppe aus dem Tartarus („Horch wie Murmeln“) op. 24 Nr. 1, D 583 (Anh. Ia Nr. 14); – Geheimes („Über meines Liebchens Äugeln“) op. 14 Nr. 2, D 719 (Anh. Ia Nr. 15); – Greisengesang („Der Frost hat mir bereifet“) op. 60 Nr. 1, D 778 (Anh. Ia Nr. 16); – Nachtstück („Wenn über Berge sich der Nebel breitet“) op. 36 Nr. 2, D 672 (Anh. III Nr. 11, Fragment). Dazu kommen die Bearbeitungen für Singstimme(n) und Blasinstrumente von Ellens Gesang II („Jäger, ruhe von der Jagd“) op. 52 Nr. 2, D 838 (Anh. Ia Nr. 17), während der von Brahms publizierte Kanon op. 113 Nr. 13 für sechs Frauenstimmen nach Schuberts Leiermann einen speziellen Fall darstellt. Siehe hierzu Margit L. McCorkle, Johannes Brahms. Thematisch-bibliographisches Werkverzeichnis, München 1984, S. 452, 636–644, 678 f. Aus diesem Werkverzeichnis stammen auch die Anhang-Nummern. McCorkle, Brahms-Werkverzeichnis (wie Anm. 2), S. 645–647: Anh. Ia Nr. 18.
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(D 803) für Klavier solo.4 Eine ebenfalls für Klavier angefertigte, als „Studie für die linke Hand“ betitelte Bearbeitung des Impromptu Es-Dur op. 90 Nr. 2 (D 899) erschien zwar posthum im Rahmen der alten Brahms-Gesamtausgabe und läßt sich in die Nähe von Brahms’ Studien für das Pianoforte (Anh. Ia Nr. 1) rücken, ist aber nur abschriftlich überliefert, so daß sich Brahms nicht zweifelsfrei als Autor klassifizieren läßt.5 Weitere, zu seinen Lebzeiten gedruckte Bearbeitungen von Klavierwerken Schuberts, die lange Zeit Brahms zugeschrieben wurden,6 konnte Johannes Behr vor kurzem dem Wiener Verleger J. P. Gotthard zuordnen, nämlich die Bearbeitung für ein Klavier zu vier Händen von sechzehn ursprünglich zweihändigen Ländlern D 366 sowie die Bearbeitung für Klavier solo von vier ursprünglich vierhändigen Ländlern D 814.7 Will man sich in diesem Zusammenhang mit den tatsächlich auf Brahms zurückführbaren Schubert-Bearbeitungen für Klavier solo, also mit den Bearbeitungen der Märsche und des Oktett-Scherzos befassen, besteht zunächst ein grundsätzliches Problem: Zwar spielte er diese Bearbeitungen nachweislich in öffentlichen Konzerten, doch sie wurden nie publiziert, und es liegen auch keine skripturalen Zeugnisse in Gestalt von Notenquellen vor. So gerät man in die paradox anmutende Lage, sich mit künstlerischen Produkten zu beschäftigen, die sich überhaupt nicht konkret materialisieren. Dieser Paradoxie läßt sich immerhin in gewisser Weise begegnen, denn die betreffenden Bearbeitungen können auf verschiedene Aspekte hin befragt werden, die Brahms’ kreative Doppelrolle als klavierspielender Komponist und komponierender Pianist tangieren und letztlich auch schaffensästhetische und publikationsstrategische Grundsätze betreffen. Vor allem kann es um die Aspekte Performanz, Inspiration, ‚nachschöpferische‘ Kreativität und Kontextualisierung gehen, das heißt um die Fragen: Was können wir nach heutigem Wissensstand über Brahms’ Aufführungen sagen? Was könnte ihn an den betreffenden Originalwerken besonders gereizt haben? Und wie lassen sich Brahms’ Bearbeitungen vor dem Hintergrund seines eigenen Schaffens sowie seines zeitgenössischen Umfelds einordnen?
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Ebda., S. 667 f.: Anh. IIb Nr. 3 und 4. Johannes Brahms, Sämtliche Werke. Ausgabe der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien, hrsg. von Eusebius Mandyczewski und Hans Gál, 26 Bde., Leipzig [1926–1927] (revidierter Reprint: Wiesbaden [1965]), Bd. 15: Studien und Bearbeitungen für Klavier, S. IV, 44–52; vgl. McCorkle, Brahms-Werkverzeichnis (wie Anm. 2), S. 686: Anh. IV Nr. 2. Diese Bearbeitung wird nicht in den Anhang des entsprechenden Bandes der Neuen Ausgabe sämtlicher Werke aufgenommen ( Johannes Brahms, Neue Ausgabe sämtlicher Werke, Serie IX, Bd. 2: Bearbeitungen von Werken anderer Komponisten für Klavier zu zwei Händen oder für die linke Hand allein, hrsg. von Valerie Woodring Goertzen, Druck in Vorb.; im folgenden zitiert als JBG, ein- bzw. zweihändige Klavierbearbeitungen fremder Werke). Die Abschrift, die sich in Brahms’ Nachlaß befand (heute in A-Wgm) und zwischenzeitlich als verschollen galt, entdeckte Prof. Kathrin Kirsch im Jahr 2010 im Leipziger Staatsarchiv (D-LEsta) unter Materialien, die die Herausgabe der alten BrahmsGesamtausgabe betrafen; diese Quelle befindet sich inzwischen wieder in A-Wgm. Siehe McCorkle, Brahms-Werkverzeichnis (wie Anm. 2), S. 624–627: Anh. Ia Nr. 6. Johannes Behr, Franz Schuberts 20 Ländler D 366/D 814 – ni cht bearbeitet von Johannes Brahms, in: Die Musikforschung 64 (2011), S. 358–367.
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1. Brahms’ Bearbeitung von Schubert-Märschen und des dritten Satzes aus Schuberts Oktett – eine Bestandsaufnahme Ein „Marsch von Fr. Schubert“, „gespielt von Johannes Brahms“, taucht erstmals auf dem Programm des Konzertes vom 14. November 1855 in Danzig auf, welches Brahms gemeinsam mit Clara Schumann und Joseph Joachim bestritt.8 Wenig später, am 24. November, spielte er in einem Hamburger Abonnementkonzert unter dem Dirigat von Georg Dietrich Otten nicht nur Ludwig van Beethovens Es-Dur-Klavierkonzert op. 73, sondern als eine der Solonummern „auf Ottens und Aller dringendes Verlangen“ ebenfalls „den Marsch von Schubert“, wie er selbst Clara Schumann am Folgetag brieflich schilderte.9 Dieser Äußerung zufolge dürfte es sich um eben jenen Marsch gehandelt haben, den er zuvor in Danzig gespielt hatte und den Clara Schumann entsprechend kannte. Max Kalbeck überlieferte – wohl in Kenntnis von Rezensionen –, „erst der Schubertsche Marsch, mit dem Brahms abtrat, erhielt rauschenden Beifall – es imponierte den Leuten, daß einer mit zwei Händen spielte, was für vier geschrieben war.“10 Und die Signale für die musikalische Welt sprachen von einem „ursprünglich vierhändigen Marsch in Cdur von Schubert“, der „von Brahms zu zwei Händen übertragen“ worden sei.11 Dadurch läßt sich zunächst eingrenzen, daß Brahms in der Tat eine eigene Bearbeitung gespielt hatte und es sich bei dem Original um einen vierhändigen Marsch in C-Dur handelte. Wie bereits Robert Pascall vermerkte,12 findet sich diese Tonart bei drei entsprechenden Originalwerken Schuberts: bei den beiden charakteristischen Märschen op. posth. 121 (D 968B) und dem zweiten der drei schon zu Schuberts Lebzeiten publizierten Marches héroiques op. 27 (D 602). Scheint Brahms’ Beschäftigung mit Märschen Schuberts schon auf seine Hamburger Jugendzeit zurückzugehen – laut Kalbeck soll er mit dem etwas älteren Hamburger Musiker Christian Miller in einem Ausflugslokal u. a. vierhändige Schubertsche Märsche vorgetragen haben –,13 spielten solche eine nicht unwesentliche Rolle in Siehe eine Abbildung des Programms in: Dieter Boeck, Johannes Brahms. Lebensbericht mit Bildern und Dokumenten, Kassel 1998, S. 80; vgl. Max Kalbeck, Johannes Brahms, Bd. I, Halbbd. 1, Berlin 41921 (Reprint: Tutzing 1976), S. 252. 9 Brahms’ Brief an Clara Schumann vom 25. November 1855, in: Clara Schumann – Johannes Brahms. Briefe aus den Jahren 1853–1896, hrsg. von Berthold Litzmann, 2 Bde., Leipzig 1927 (Reprint: Hildesheim 1989), Bd. 1, S. 151 f. Die Lesart „auf […] Aller dringendes Verlangen“ findet sich im Brieforiginal (D-B), im Druck dagegen irrtümlich die Lesart „auf […] Avés dringendes Verlangen“ (= auf Wunsch von Theodor Avé-Lallemant). Gemeint ist hier sicherlich, daß von Brahms nach einer ersten Solonummer noch eine weitere erwartet wurde. 10 Kalbeck, Brahms I/1, (wie Anm. 8), S. 253. 11 Signale für die musikalische Welt 13, Nr. 50, 29. November 1855, S. 398. 12 Robert Pascall, „My Love of Schubert – no Fleeting Fancy“. Brahms’s Response to Schubert, in: IFSI. Mitteilungen Nr. 21 ( Juni 1998), S. 39–60, hier S. 42. 13 Kalbeck, Brahms I/1 (wie Anm. 8), S. 48. Bei einer Abendgesellschaft Johann Gottfried Halliers im Herbst 1861 in Hamburg sollen Brahms und Clara Schumann ebenfalls u. a. „zwei Märsche“ von Schubert gespielt haben (Walter Hübbe, Brahms in Hamburg, Hamburg 1902, S. 42 f.). Da hier vom Umblättern durch Avé-Lallemant und Joseph Joachim die Rede ist und wenig später davon, daß Clara Schumann und Brahms „auch“ am 4. November im Hause Wagner „vierhändig […] spielten“, dürfte es sich um ihr gemeinsames Spiel vierhändiger Märsche gehandelt haben.
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seinen Konzerten seit seinen frühen Wiener Jahren. In der 2006 erschienenen Aufführungschronologie von Renate und Kurt Hofmann sind insgesamt knapp 30 Aufführungen eines Marsches bzw. zweier Märsche in Brahms’ zweihändiger Version belegt, die meisten davon zwischen 1863 und 1880.14 Schon in seinem zweiten Wiener Konzert vom 6. Januar 1863 im Saal der Gesellschaft der Musikfreunde spielte er einen Marsch Schuberts als Zugabe. Dazu schrieb Eduard Hanslick in der Presse: „Nach wiederholtem Hervorruf erfreute B r a h m s die Versammlung noch mit dem Vortrage eines S c h u b e r t ’schen Marsches (eigenes Arrangement nach dem Vierhändigen), an dessen entzückender Frische man sich nicht wenig erlabte.“15 Brahms’ Wiener Erfahrungen mit der Lebenswelt Schuberts hatten somit offenbar nicht nur einen generellen Katalyse-Effekt auf seine Rezeption des Komponisten, sondern im Speziellen auch auf sein öffentliches Spiel Schubertscher Märsche. Aus einigen Programmen oder Rezensionen geht dabei hervor, daß Brahms einen der oder beide charakteristischen Märsche C-Dur (D 968B) spielte,16 die erstmals kurz nach Schuberts Tod publiziert worden waren. Dies läßt sich mit hoher Wahrscheinlichkeit auch auf diejenigen Fälle übertragen, in denen keine konkrete Zuordnung erfolgte oder nur die Tonart angegeben wurde. In einem Fall präzisierte eine Musikzeitschrift sogar, es habe sich um den zweiten der beiden charakteristischen Märsche gehandelt.17 Daß es sich jedoch immer um dieses Werk handelte, wenn lediglich ein Marsch bzw. einer der beiden Märsche D 968B genannt wurde, läßt sich daraus allerdings nicht ableiten.18 Die Frage, was Brahms an den C-Dur-Märschen D 968B so gereizt haben könnte, daß er sie sich für seine Konzertvorträge bearbeitete, ist natürlich nur spekulativ zu beantworten. Denkbar wäre immerhin, daß hier funktionale Diskrepanzen eine Rolle spielten. Denn zum einen lassen sich die im übrigen häufig arrangierten Märsche dem Bereich häuslich-geselliger Unterhaltungsmusik zuordnen,19 zum anderen stechen ge14 Renate und Kurt Hofmann, Johannes Brahms als Pianist und Dirigent. Chronologie seines Wirkens als Interpret, Tutzing 2006 (Veröffentlichungen des Archivs der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien 6). Siehe hierzu auch Pascall, My Love of Schubert (wie Anm. 12), S. 41–45. 15 Eduard Hanslick, Sämtliche Schriften. Historisch-kritische Ausgabe, Bd. I, 6: Aufsätze und Rezensionen 1862–1863, hrsg. und kommentiert von Dietmar Strauß, unter Mitarbeit von Bonnie Lomnäs, Wien etc. 2008, S. 243 (leicht korrigiert nach Die Presse 16, Nr. 8, 8. Jänner 1863, S. 2 [Feuilleton]). 16 Beispielsweise enthält das Programm zum Konzert vom 25. März 1863 im Wiener Hofoperntheater den Programmpunkt: „Marche characteristique von F. S c h u b e r t für das Pianoforte, vorgetragen von Herrn J o h a n n e s B r a h m s “ (Programm in A-Wgm). Ausdrücklich beide Märsche D 968B spielte Brahms z. B. am 9. November 1867 in seinem mit Joseph Joachim veranstalteten Konzert in der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien (siehe das Programm ebenda, siehe auch Signale für die musikalische Welt 25, Nr. 49, 21. November 1867, S. 950). Vgl. Hofmann/Hofmann, Chronologie (wie Anm. 14), S. 74, 96 f. 17 So heißt es im Programm von Brahms’ Konzert im Baseler Stadtcasino am 19. November 1865 noch pauschal: „Marsch (aus op. 121) Schubert.“ (Programm in A-Wgm). In der Leipziger Allgemeinen musikalischen Zeitung wurde präzisiert, daß es sich um den zweiten der Märsche, also um Opus 121 Nr. 2, gehandelt habe: „Marsch (Op. 121 Nr. 2), ursprünglich 4händig von Schubert (Hr. Brahms).“ (Leipziger AmZ 1, Nr. 8, 21. Februar 1866, S. 67). 18 Bereits in McCorkle, Brahms-Werkverzeichnis (wie Anm. 2), S. 667, ist Brahms’ Bearbeitung auf die Märsche D 968B bezogen. 19 Siehe entsprechende Einordnungen in NGA VII/1: Werke für Klavier zu vier Händen, Bd. 4: Märsche und Tänze, vorgelegt von Christa Landon, Kassel etc. 1972, S. IX („für Liebhaber und zur geselligen Unterhal-
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rade die Märsche D 968B aus diesem Werkkorpus heraus, und zwar vor allem durch ihre temporeiche, repetitive Motorik.20 So meinte Joachim Kaiser, die beiden Märsche gehörten, „schon wegen ihres jagenden Tempos, zu den ekstatischsten Marschkompositionen, die wir von Franz Schubert besitzen“.21 Zusammen mit ihrer klanglichen Attraktivität könnte dieses Charakteristikum der Märsche Brahms besonders angesprochen haben, wobei er den in der Originalfassung primär der hausmusikalischen Sphäre angehörenden Stücken zugleich den Weg in den Konzertsaal ermöglichte. Auf die Art von Brahms’ Bearbeitung gibt es jedoch kaum Hinweise. In Rezensionen entsprechender Vorträge des Komponisten kommen vor allem qualitative Aspekte von Brahms’ Spiel zur Sprache sowie die Wirkung der bearbeiteten Stücke, die häufig als beeindruckend, ja enthusiasmierend dargestellt wurde.22 Immerhin dürfte Brahms’ Bearbeitung einen hohen spieltechnischen Anspruch gehabt haben. Denn in der Rezension eines Konzertes von Brahms und Stockhausen in Kiel vom 13. März 1868 wurde unter anderem für den von Brahms gespielten Schubertschen Marsch auf die „schwierigsten Octav- und Terzgänge“ hingewiesen, die Brahms „stets mit großer Präcision ausgeführt“ habe.23 Brahms’ Bearbeitung des dritten Satzes aus Schuberts Oktett D 803 taucht mit dem Titel Scherzo weit später in seinen Konzerten auf, soweit bekannt nämlich erstmals als Programmpunkt seines Grazer Konzerts am 22. Februar 1867.24 Damit fiel diese Aufführung in eine Hochphase von Brahms’ Wiener Auseinandersetzung mit Schubert, gerade was das Sammeln von Manuskripten, das Anfertigen und Veranlassen von Abschriften und die Herausgabe bis dato unpublizierter Werke (die er teilweise selbst vornahm, teilweise wohl zumindest unterstützte) betrifft. Außerdem veranstaltete er im Frühjahr 1867 in Wien und Österreich-Ungarn mehrere eigene Konzerte, in denen hauptsächlich er als Solist auftrat. Dies scheint bei Brahms offensichtlich Bearbeitungen fremder Werke für Klavier solo befördert zu haben, denn zu dieser Zeit taucht
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tung“); Walburga Litschauer, „Halt’s enk zsamm“. Tänze und Märsche für Klavier, in: Schubert-Handbuch, 3 2010, S. 435–450, hier S. 436, 446. Wie schon Claus-Christian Schuster in der Diskussion während des Symposiums zu Recht anmerkte, schlug sich die Repetitionsmotivik der Märsche in Brahms’ Scherzo c-Moll WoO 2 (6/8) nieder, das im Oktober 1853 als Beitrag zur sogenannten F.A.E.-Sonate entstand. Bei diesem Gemeinschaftswerk (1. Satz: Albert Dietrich, 2. und 4. Satz: Robert Schumann, 3. Satz: Johannes Brahms) handelt es sich um eine Violinsonate für Joseph Joachim, mit der dieser Ende Oktober 1853 in Düsseldorf überrascht wurde (siehe McCorkle, Brahms-Werkverzeichnis [wie Anm. 2], S. 506). Booklet zur Einspielung von Franz Schubert, Klaviermusik zu vier Händen, Duo Tal & Groethuysen, Vol. 6, Sony Classical, 88697535822. Siehe z. B. Zellner’s Blätter für Theater, Musik und bildende Kunst 13, Nr. 30, 12. April 1867, S. 118 (Rezension des Konzertes von Brahms in Preßburg am 10. April 1867); Klaus Kessler, Verspa[e]tete Chronik. Die Konzertreise von Brahms und Joachim ins Banat und nach Siebenbürgen 1879 / Cronică tîrzie. Turneul de concerte al lui Johannes Brahms şi Joseph Joachim în Banat şi Ardeal 1879, Bukarest 1984, S. 80 (mit dem Zitat einer vermutlich aus der Lokalpresse stammenden Rezension zu einem Konzert von Brahms und Joachim in Temesvar vom 15. September 1879). Kurt Hofmann, Johannes Brahms und Kiel. Ein Beitrag zur Musikgeschichte Kiels, Jahresgabe 1973 der Brahms-Gesellschaft Hamburg e. V., S. 9 (Wiedergabe einer Rezension von A. Kirchner aus der Kieler Zeitung vom 19. März 1868). Hofmann/Hofmann, Chronologie (wie Anm. 14), S. 93.
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beispielsweise auch das Finale aus Beethovens Streichquartett C-Dur op. 59 Nr. 3 in seinen Konzertprogrammen auf.25 Für die zeitliche Einordnung der Oktettsatz-Bearbeitung spielt jedoch auch die Publikations- und Rezeptionsgeschichte des Originalwerkes eine Rolle. Anders als die bereits zu Schuberts Lebzeiten weitgehend publizierte beliebte Werkgruppe der Märsche für ein Klavier zu vier Händen wurde das Oktett erst einige Zeit nach Schuberts Tod im Jahr 1853 bei Spina in Wien erstmals in Stimmen veröffentlicht,26 wobei der 4. und 5. Satz (Andante mit Variationen, Menuett) des dem Verleger offenbar zu lang erscheinenden, insgesamt sechssätzigen Werkes wegblieben. Nach der Publikation fristete das Werk zunächst ein Schattendasein, wurde aber immerhin einige Male in Deutschland aufgeführt, etwa am 3. Januar 1857 im Leipziger Gewandhaus mit dem dortigen Konzertmeister Ferdinand David.27 So lernte Brahms das Werk auch nicht erst in Wien kennen, sondern spätestens im November 1861 in Hamburg, denn in dem Konzert am 10. November anläßlich der musikalischen Jahresfeier des Schiller-Vereins, an dem Brahms als Pianist beteiligt war, wurde das Oktett als erstes Werk musiziert.28 Kurz darauf, am 29. Dezember 1861, kam es zur Wiener Wiederaufführung des Werkes im Rahmen einer Hellmesbergerschen Quartettveranstaltung im Saal der Gesellschaft der Musikfreunde (Tuchlauben),29 welche zugleich die Rezeption des Werkes deutlich intensivierte.30 Wurden anläßlich dieser Aufführung noch Kürzungen am Oktett kritisiert,31 kamen in späteren Hellmesberger-Quartettveranstaltungen mehrfach sowohl die beiden zunächst ungedruckt gebliebenen Sätze als auch das komplette Oktett zu Gehör. So hatte Brahms gerade in den 1860er Jahren mehrfach Gelegenheit, das Werk in Wien zu hören. Im übrigen erschien um den Jahreswechsel 1861/6232 bei Spina 25 Ebda., S. 94, 96. 26 Musikalisch-literarischer Monatsbericht neuer Musikalien, musikalischer Schriften und Abbildungen für das Jahr 1853, Leipzig, Fr. Whistling, Nr. 3 (März 1853), S. 283. 27 Theodor Müller-Reuter, Lexikon der deutschen Konzertliteratur. Ein Ratgeber für Dirigenten, Konzertveranstalter, Musikschriftsteller und Musikfreunde, Leipzig 1909, S. 48 f.; Neue Zeitschrift für Musik 46, Nr. 2, 9. Januar 1857, S. 21. Laut der NZfM wirkte in dieser „Quartett-Unterhaltung“ auch Clara Schumann mit. 28 Hofmann/Hofmann, Chronologie (wie Anm. 14), S. 68 f. 29 Quartett Hellmesberger. Sämmtliche Programme vom Beginn der Quartette im Jahre 1849 am 4. November, o. O., o. D., S. 49 (mit Hinweis „NEU“). Nach der Uraufführung durch das Schuppanzigh-Quartett im Jahr 1827 war dies offenbar die erste öffentliche Wiener Wiederaufführung (siehe bereits Richard Heuberger, Franz Schubert, Berlin 1902, S. 69). 30 Siehe Müller-Reuter, Lexikon der deutschen Konzertliteratur (wie Anm. 27), S. 49. 31 Neue Zeitschrift für Musik 56, Nr. 7, 14. Februar 1862, S. 55; vgl. auch Die Presse 15, Nr. 69, 11. März 1862, Feuilleton von Eduard Hanslick („Die Schubert’schen Vermächtnisse wurden schön gespielt, aber nicht getreu; man präsentirte sie in einer willkürlichen Zurichtung. Das Octett hatte man an vielen Stellen beschnitten und abgeändert, mitunter ganze Seiten daraus fortgestrichen.“). Hauptsächlich mit Bleistift vorgenommene Änderungen und Streichungen enthält im übrigen eine durch den Wiener Kopisten Franz Hlawaczek angefertigte Partiturabschrift des (vollständigen) Werkes, die sich in Brahms’ Nachlaß befindet (A-Wgm, Signatur XI 21827) und auch in dem jüngeren seiner beiden eigenhändigen Musikalien- und Bücherverzeichnisse aufgelistet ist (A-Wst, Sign.: H.I.N. 32888, 67338 Ic). Diese Abschrift könnte mit der genannten Aufführung in Beziehung stehen, gänzlich unklar ist jedoch, ob sie sich auf Brahms’ Bearbeitung auswirkte. 32 Siehe Otto Erich Deutsch, Musikverlags Nummern. Eine Auswahl von 40 datierten Listen 1710–1900, Berlin 1961, S. 12: Hier firmiert die Verlags- und Plattennummer C. S. 17,176 als erste Nummer des Jahres 1862.
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auch ein Arrangement des Werkes für ein Klavier zu vier Händen von „S. Leithner“.33 Dieses Arrangement, das Brahms sicherlich kannte, enthielt nun auch das bei der Stimmen-Erstausgabe weggelassene Andante mit Variationen und das folgende Menuett. Brahms und Clara Schumann könnten dieses Arrangement verwendet haben, als sie während eines Ferienaufenthaltes in Münster am Stein im Sommer 1862 vierhändig spielten,34 darunter, wie Clara Schumann an Joseph Joachim schrieb, „D-moll Quartett, C-dur Quintett und Octett von Schubert zu mehreren Malen“.35 Laut der Hofmannschen Chronologie spielte Brahms das Scherzo des Oktetts für Klavier solo zwischen 1867 und 1881 wohl in insgesamt zehn Konzerten, davon vier Mal im Jahr 1867. Es bot sich als wirkungsvolles, zeitlich nicht allzu ausgedehntes Solostück an und läßt sich mit den formal ähnlich gebauten, ebenfalls mit einem Trioteil versehenen Märschen vergleichen, wobei auch dem Oktettsatz eine kräftige Motorik und vor allem besondere rhythmische Prägnanz zu eigen ist. Richard Heuberger stellte in seiner Schubert-Monographie von 1902 einen bezeichnenden Vergleich an, indem er zu diesem Satz schrieb: „Das Scherzo ist eines der charakteristischsten Beispiele für den ganz eigenthümlichen Ton, welchen Schubert in einer ganzen Reihe von Scherzi aus seiner Meisterzeit anzuschlagen wußte. Das ist echt Schubert’scher Humor; die Schwärmstimmung seiner Märsche in den 3/4-Takt übersetzt.“36 Nach Brahms’ Konzert vom 7. April 1867 in der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien, in dem er den Satz als Zugabe spielte, wurde das Stück in einer Rezension nicht von ungefähr als „das stürmisch einherrauschende Scherzo aus dem Octett in F“ beschrieben, was von ihm demnach entsprechend gespielt worden sein muß.37 Hinsichtlich von Brahms’ öffentlichem Spiel des Oktett-Satzes ergibt sich eine Parallele zu Clara Schumann, die diesen Satz ebenfalls im Frühjahr 1867 während ih-
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In der NGA wurde das Erscheinen dieses Druckes hingegen auf den 21. Dezember 1861 datiert (NGA VI: Kammermusik, Bd. 1: Oktette und Nonett, vorgelegt von Arnold Feil, Kassel etc. 1969, S. X). Wie in der NGA vermerkt (ebda.), war der Bearbeiter vermutlich Schuberts Freund Leopold von Sonnleithner, der sich schon zu Schuberts Lebzeiten und auch danach für die Herausgabe von Schuberts Werken eingesetzt hatte (siehe auch bereits Constant von Wurzbach, Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich, Bd. 32, Wien 1876, S. 30–110, hier S. 67). Allerdings gibt es auch die Theorie, daß es sich bei dem im Druck erschienenen Namen um ein Pseudonym des von Schubert geschätzten Pianisten Josef von Gahy handelte (E.[rnst] H.[ilmar], Kompositionen von Albert Stadler, Schubert-Abschriften u. a. in der Sammlung Leopold Cornaro in Wien, in: IFSI. Mitteilungen Nr. 5 [ Juni 1990], S. 26–30, hier S. 30). Hilmar wies u. a. auf mehrere Handschriften mit Bearbeitungen Schubertscher Werke für Klavier zu vier Händen hin, die sich in A-Wst befinden und Gahy zugeschrieben werden. Darunter befindet sich auch eine auf den Februar 1861 datierte Bearbeitung des Oktetts D 803 (Sign.: MH 10875c), die allerdings mit dem gedruckten Arrangement nicht identisch ist und in der wiederum der Variationensatz und das Menuett fehlen. So auch Salome Reiser, Von „Schubertluft“ umweht. Stationen der Schubert-Rezeption bei Johannes Brahms, Clara Schumann und Joseph Joachim, in: Michael Kube u. a. (Hrsg.), Schubert und die Nachwelt. I. Internationale Arbeitstagung zur Schubert-Rezeption Wien 2003. Kongreßbericht, München/Salzburg 2007, S. 145– 169, hier S. 150 mit Anmerkung 31. Clara Schumanns Brief an Joseph Joachim vom 1. Juli 1862, in: Briefe von und an Joseph Joachim, hrsg. von Johannes Joachim und Andreas Moser, Bd. 2 (1858–1868), Berlin 1912, S. 213. Heuberger, Franz Schubert (wie Anm. 29), S. 68. Signale für die musikalische Welt 25, Nr. 22, 12. April 1867, S. 363. Vgl. Max Kalbeck, Johannes Brahms, Bd. II, Halbbd. 1, Berlin 31921 (Reprint: Tutzing 1976), S. 214: „Zuletzt ließ er, wieder hervorgerufen, das Scherzo aus Schuberts Oktett wie einen Sturm von den Saiten rauschen.“
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rer England-Tournee spielte, also kurze Zeit, nachdem Brahms ihn öffentlich zu spielen begonnen hatte.38 Laut den erhaltenen Konzertprogrammen tat sie dies zweimal: am 4. April im südenglischen Torquay sowie bei gleichem Programm am 11. April in Bath.39 Ein Bearbeiter ist hier nicht genannt, es heißt nur: „SCHERZO (from the Octetto, arranged)“. Brahms hingegen hatte den Satz bereits zweimal im Februar des Jahres in Graz und Klagenfurt gespielt und tat dies auch, wie bereits vermerkt, am 7. April in Wien.40 Im Dunkeln liegt, welche Bearbeitung Clara Schumann nutzte und warum sie sie insgesamt nur zweimal spielte. Nichts zu finden ist zu diesem Punkt im Briefwechsel zwischen ihr und Brahms, denn aus dieser Zeit sind Brahms’ Briefe komplett verschollen, und Clara Schumanns Schreiben liegen nur gedruckt mit Auslassungen vor. Hatte Brahms ihr von seiner Aufführung berichtet, zum Beispiel in seinem verschollenen Brief vom Februar, der dem Schreiben der Freundin aus London von Ende Februar 186741 vorausgegangen sein muß? Ihrer brieflichen Reaktion zufolge informierte er sie in diesem Brief über die Wiener Erstaufführung seines zweiten Streichsextetts op. 36 vom 3. Februar und kündigte auch Konzerte an, darunter diejenigen in Graz, deren erstes am 17. Februar und ein weiteres – mit eben dem dritten Satz des Oktetts – am 22. Februar stattfand.42 Daß sich die Freundin eine solche Bearbeitung daraufhin womöglich selbst anfertigte, ist zwar denkbar, erscheint aber, nicht zuletzt angesichts der Reise- und Konzertstrapazen, die sie dem Freund schilderte, eher unwahrscheinlich. So bleiben verschiedene Fragen offen: Gab es eine fremde, gedruckte Bearbeitung dieser Art, die ihr zugänglich war? Könnte Brahms ihr eine (provisorische) Niederschrift seiner Bearbeitung zugesandt haben, die sie zeitweilig nutzte (und die er womöglich zurückforderte)? Oder geht die von ihr gespielte Bearbeitung schon auf frühere Zeiten bzw. Treffen zurück? Nicht einmal eindeutig zu klären ist, ob der Impuls zum Spiel einer solchen Bearbeitung überhaupt von Brahms ausging, wenngleich der Umstand, daß er von beiden Künstlern der erste war, der den Satz öffentlich solo spielte, dafür spricht. 2. Programmdramaturgische Kontextualisierung Im Zusammenhang mit den hier erörterten Bearbeitungen für Klavier solo ist zu bemerken, daß Brahms sie in verschiedenen, auf Schubert bezogenen Verbundsystemen vortrug. Solche Kombinationen waren nicht nur performativ wirksam, sondern verdeutlichen zugleich Brahms’ programmdramaturgische und werkästhetische Vorstellungen. So kombinierte er zwischen 1865 und 1867 einen der Märsche mit zwei zu dieser Zeit noch ungedruckten Originalwerken, nämlich mit dem Adagio E-Dur 38 39 40 41 42
Siehe hierzu bereits Salome Reiser, „Schubertluft“ (wie Anm. 34), S. 149 f. Laut Programmsammlung in D-Zsch. Hofmann/Hofmann, Chronologie (wie Anm. 14), S. 93–95. Schumann – Brahms, Briefe I (wie Anm. 9), S. 553–557. Hofmann/Hofmann, Chronologie (wie Anm. 14), S. 92 f.
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D 612 und einem „Allegro“ aus den drei Klavierstücken D 946 (Allegro assai es-Moll, Allegretto Es-Dur, Allegro C-Dur). Der Marsch folgte dabei jeweils auf das „Allegro“.43 Nicht zuletzt als Folge dieser Aufführungen erschienen Ende Januar 1868 die Klavierstücke D 946 (Verlags- und Plattennummern 564a–c), Mitte Mai des Folgejahres 1869 schließlich auch das Adagio D 612 (Verlags- und Plattennummer 616) im Verlag von Jakob Melchior Rieter-Biedermann im Druck.44 Daß die Klavierstücke D 946 von Brahms herausgegeben worden seien, wie in der Brahms- und Schubert-Literatur häufig zu lesen ist,45 muß nach heutigem Stand der Forschung jedoch relativiert werden46 – was an dieser Stelle nur sehr verknappt dargestellt werden kann: Die eigentliche redaktionell-editorische Tätigkeit oblag nämlich Schuberts Neffen Eduard Schneider, dem die Originalmanuskripte Schuberts gehörten, während Brahms die Herausgabe wie auch bei dem Adagio D 612 immerhin – allerdings in bislang nicht eindeutig zu klärendem Ausmaß – beförderte.47 43 Siehe die Konzerte am 19. November 1865, Basel (die Stücke sind hier bezeichnet als „Impromptus“); 5. Januar 1866, Oldenburg; 17. Februar 1867, Graz; vgl. ein Konzert ohne Marsch am 7. April 1867, Wien (Hofmann/Hofmann, Chronologie [wie Anm. 14], S. 83 f., 88 f., 92–95). Insbesondere für das Wiener Konzert präzisierte Brahms schon im Programmentwurf hinsichtlich der beiden Originalstücke: „Adagio (comp 1817) / Allegro (comp. 1828).“ ( J. A. Fuller-Maitland, Brahms, autorisierte deutsche Bearbeitung von A. W. Sturm, Berlin/Leipzig 1912, Tafel 18; vgl. das Programm in A-Wgm). Letztere Datierung entspricht Schuberts eigenhändigem Eintrag im Autograph der Stücke D 946/1–2, während das separat überlieferte Autograph von D 946/3 undatiert blieb (jeweils A-Wst). Für das Klavierstück D 612 hatte Schubert hingegen im Autograph „Aprill 1818“ notiert (F-Pn). Möglicherweise hatte sich Brahms, der sich gelegentlich etwa bei Briefdatierungen irrte, hier um ein Jahr vertan. 44 Aus Kalkulationsbüchern des Verlages (D-LEsta), die hinsichtlich dieser Werke für den vorliegenden Beitrag offenbar erstmals ausgewertet wurden, gehen u. a. die genauen Veröffentlichungsdaten hervor: So findet sich darin nach dem jeweiligen Vordruck „Fertig / im“ handschriftlich das Datum „1868 Jan. 25“ (D 946) bzw. „1869 Mai 15“ (D 612). Außerdem ist als Honorarempfänger für D 946 Eduard Schneider vermerkt (vgl. unten). 45 Siehe exemplarisch McCorkle, Brahms-Werkverzeichnis (wie Anm. 2), S. 752: Anh. VI Nr. 12. Das Adagio D 612 findet hier indes keine Erwähnung. 46 Siehe hierzu bereits Andrea Lindmayr-Brandl, Johannes Brahms und Schuberts „Drei Klavierstücke“ D 946: Entstehungsgeschichte, Kompositionsprozess und Werkverständnis, in: Die Musikforschung 53 (2000), S. 134– 144. Dieser verdienstvolle Text kann inzwischen, nicht zuletzt durch Hinzuziehung unveröffentlichter Korrespondenz, teilweise präzisiert und ergänzt werden (siehe die folgende Anmerkung). 47 Hinweise hierzu finden sich im Briefwechsel zwischen Rieter-Biedermann und Brahms (siehe vor allem Johannes Brahms im Briefwechsel mit Breitkopf & Härtel, Bart[h]olf Senff, J. Rieter-Biedermann, C. F. Peters, E. W. Fritzsch und Robert Lienau, hrsg. von Wilhelm Altmann, Berlin 1920 [Johannes Brahms Briefwechsel 14], (Reprint: Tutzing 1974)) sowie im bisher ungedruckten Briefwechsel zwischen RieterBiedermann und Eduard Schneider (A-Wst, Nachlaß Eduard Schneider, ZPH 606; vgl. Briefwechsel des Musikverlegers J. Melchior Rieter-Biedermann mit Franz Schuberts Neffen Dr. Eduard Schneider, zusammengestellt von Ignaz Weinmann, maschinenschriftlich bzw. xerokopiert, Wien, o. J. [1974], Exemplar in A-Wst, Sign.: C 293945). Demnach gab Brahms im Frühjahr 1867 eine „Kopiatur“ (Abschrift) von „4 Klavierstücke[n]“ (D 946 und 612) in Auftrag (Brahms Briefwechsel 14, S. 145, 138), die von ihm laut Schneiders Briefentwurf an den Verleger vom 27. September „durchgesehen und mit den [Schubertschen] Manuscripten verglichen worden“ sei. Doch betonte Brahms gegenüber Rieter-Biedermann in seinem vom Verleger auf den 2. August datierten Brief: „Ich habe aus Rücksicht nicht redigiert, weiß aber auch nicht, was und wie er [= Schneider] es gemacht.“ Und er schrieb: „Doch muß jedenfalls Ordnung und alles Mögliche recht sorglich bedacht werden.“ (Brahms Briefwechsel 14, S. 149). Nachdem er von Schneiders Aussonderung des Adagio D 612 erfahren hatte, für dessen Druck er sich daraufhin nachdrücklich einsetzte, bat er den Verleger im November um Korrekturfahnen (ebda., S. 151), die er über Schneider auch erhielt und durchsah (vgl. u. a. sein bisher unveröffentlichtes Schreiben an den Verleger
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Das „Allegro“ aus D 946 wurde schließlich mehr oder weniger abgelöst durch das als Variationssatz gestaltete Andante (2. Satz) aus der Klaviersonate a-Moll op. 42 (D 845), welche zu Schuberts Sonaten-Trias von 1825 gehört.48 So gab es Kombinationen wie Andante – Marsch und Andante – Märsche,49 aber auch Scherzo – Marsch oder Andante – Scherzo – Marsch, letztere beispielsweise in seinem Konzert mit Joseph Joachim in Temesvar am 15. September 1879.50 Dabei war es für Brahms offensichtlich weder problematisch, einzelne Sätze aus zyklischen Werken zu isolieren, sobald sie ihre Tragfähigkeit als Solostück bewiesen hatten, noch Bearbeitungen mit Originalen zu vermischen. Unter dramaturgischen Gesichtspunkten ließe sich die Kombination aus Andante – Scherzo – Marsch mit einigem Wohlwollen als um den Kopfsatz amputierter Sonatenzyklus deuten oder als Folge von Charakterstücken mit auskomponiertem accelerando. Inwieweit solche Überlegungen für Brahms tatsächlich eine Rolle spielten, muß dahingestellt bleiben, doch war für ihn offenbar die Voraussetzung entscheidend, daß die entsprechenden Sätze und Stücke eine solche Paarung kompositorisch sinnvoll hergeben, wobei er bezeichnenderweise Ähnlichkeiten und verbindende Elemente nutzte. Bei der Kombination Andante – Scherzo – Marsch passen bereits die Tonarten problemlos zusammen: Das Andante aus der a-Moll-Sonate op. 42 und beide Märsche D 968B stehen in C-Dur, der dritte Satz aus dem Oktett in F-Dur, dessen Trio in CDur (Beispiele 1–3). Durch stets triadisch basierte Taktarten ist auch rhythmische Anschlußfähigkeit gegeben (Andante: 3/8-, Oktett-Satz: 3/4-, Märsche: 6/8-Takt). Und bei der Kombination aus Andante und Marsch/Märschen ist besonders reizvoll, daß ein Hauptcharakteristikum des Andante-Satzes weitergeführt wird, nämlich seine im Thema angelegte, zunehmende, gegen Ende des Satzes fast hypnotisch wirkende repetierende Motivik, die unmittelbar in die hämmernde Repetitionsmotorik des/der folgenden Marsches/Märsche übergeht. Die Märsche erfahren im Verbund mit dem Sonaten-Satz zugleich eine Art Sublimierung. Welchen der Märsche Brahms jeweils kombiniert haben könnte, spielt für diese Aspekte keine Rolle, denn beide Märsche bevom 5. Januar 1868, CH-W). Brahms’ Meinung zu der in D 946 Nr. 1 vorliegenden Schubertschen Tilgung des ursprünglichen zweiten Kontrastteils (Andantino) ist unklar, doch war es Schneider, der laut seinem oben genannten Briefentwurf (mit dem Originalschreiben schickte er offenbar die Stichvorlagen zu D 946 an den Verlag, dafür dankte Rieter-Biedermann am 15. Oktober) dafür plädierte, diesen Teil mit einer Kennzeichnung versehen zu drucken, wie es auch geschah. 48 Aus dieser Sonate spielte Brahms den zweiten Satz mehrfach in Konzerten, erstmals wohl am 25. Februar 1867 in Klagenfurt, also wenige Tage nach seiner Erstaufführung der Oktettsatz-Bearbeitung. Laut Hofmann/Hofmann, Chronologie (wie Anm. 14), S. 93 f., stand auf dem Programm zwar lediglich „Andante“. Da in späteren Fällen jedoch gelegentlich ein Zusatz der Opuszahl vorkommt, läßt sich annehmen, daß es sich bereits in diesem Konzert um den langsamen Satz aus der a-Moll-Sonate op. 42 handelte. In Brahms’ Nachlaß befindet sich im übrigen eine annotierte Notenausgabe der Sonate, siehe hierzu Salome Reiser, Schubertluft (wie Anm. 34), S. 151 f. 49 In Brahms’ Wiener Konzert vom 9. November 1867 mit Joseph Joachim standen beispielsweise ausdrücklich das „Andante aus op. 42“ und „Zwei charakteristische Märsche op[.] 121“ auf dem Programm, wie schon einem Brahmsschen Programmentwurf zu entnehmen ist (abgebildet in: Wolfgang Sandberger (Hrsg.), [vgl. Fußnote 72], J. A. Fuller-Maitland, Brahms [wie Anm. 43], Tafel 19; vgl. das Programm in A-Wgm); ebendies spielte er am 24. November in Brünn (siehe Zellner’s Blätter für Theater, Musik und bildende Kunst 13, Nr. 97, 3. Dezember 1867, S. 386). 50 Hofmann/Hofmann, Chronologie (wie Anm. 14), S. 179 f.
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ginnen im Allegro-vivace-Tempo mit repetitiven Gesten im Secondo-Part: in Nr. 1 mit staccatierten Wechseln von Grundton und Quinte, in Nr. 2 mit staccatierten Wiederholungen des Grundtons. Darüber hinaus kommen motivische und rhythmische Analogien zur Geltung: Marsch Nr. 1 exponiert die gleiche verterzte Motivumspielung von Grund- und Terzton c/e wie das Andante-Thema, Marsch Nr. 2 die gleiche jambische Achtel-Viertel-Rhythmik. Der Einschub des Oktett-Satzes gewährleistet schließlich den Effekt des accelerando und betont die zyklische Verklammerung der Außenteile. Und gerade bei der Kombination des Oktett-Satzes mit dem ersten Marsch wird wiederum eine verbindende harmonisch-motivische Relation deutlich: Der für den Marsch konstitutive schnelle Wechsel von Grundton (Tonika) und Unterquarte (Dominante) wird im dritten Satz des Oktetts schon im Hauptthema prägnant exponiert, zunächst ab dem Drei-Achtel-Auftakt mit dem zum F-Dur hinführenden Quartzug c-d-e-f, dann in der zweiten Hälfte des viertaktigen Vordersatzes bei der Wendung nach d-Moll mit dem d, dem tiefer liegenden a und wieder folgenden d sowie in der Baßlinie des entsprechenden Nachsatzes. Am Beginn des Scherzo-Satzes findet sich auch die Wechselnotenmotivik wieder, die das Andante und den ersten Marsch verklammert, hier nicht verterzt, sondern in Oktavierung auf den Grundton f bezogen. Im übrigen läßt sich dieses kombinatorische Vorgehen mit einem kürzlich von Michael Struck dargestellten Fall vergleichen: So spielte Brahms in einem Konzert in Kopenhagen im März 1868 und auch später in der Mitte von Robert Schumanns Liederzyklus Dichterliebe op. 48 die ersten drei Stücke aus Schumanns Klavierzyklus Kreisleriana op. 16. Dabei kommen sich das letzte vor der Zäsur gesungene Lied Und wüßten’s die Blumen und das erste dieser Klavierstücke durch ihre aufgeregt-figurative Struktur sinnfällig nahe.51 Natürlich steht Brahms in seiner Zeit weder mit seinen aufführungsorientierten Fremdbearbeitungen noch mit seiner programmdramaturgischen Montage-Technik allein. Doch war es nicht unbedingt die Regel, gerade beim kombinatorischen Vorgehen von ästhetischen Prinzipien auszugehen, die die Substanz der betreffenden Kompositionen berücksichtigen oder sogar besonders zur Geltung bringen. Als ein Gegenbeispiel mag hier Franz Liszt dienen, der fraglos in ganz anderen Dimensionen als Brahms mit Bearbeitungen und Transkriptionen hervortrat. Bereits in den 1840er Jahren hatte Liszt mit der Grande Marche Caractéristique de François Schubert eine Schubert-Bearbeitung für Klavier solo im Druck vorgelegt.52 Hierin verwendete Liszt 51 Siehe Michael Struck, Skandal in Kopenhagen? Johannes Brahms’ Aufenthalt in der dänischen Hauptstadt anno 1868, in: Brahms-Studien, im Auftrag der Johannes-Brahms-Gesellschaft Internationale Vereinigung e. V. hrsg. von Beatrix Borchard und Kerstin Schüssler-Bach, Bd. 17, Tutzing 2014, S. 51–78, hier S. 59 f. Hintergrund dieser Aufführungspraxis war nicht zuletzt der Umstand, daß sich der Vortrag kompletter Liedzyklen im 19. Jahrhundert erst allmählich durchsetzte. Dabei trugen beispielsweise Julius Stockhausen oder Amalie Joachim Schuberts Zyklus Die schöne Müllerin mit ergänzender Deklamation der nicht komponierten Texte sowie des Prologs und Epilogs vor, wobei in der Mitte des Zyklus auch Klaviervorträge vorkamen. Beatrix Borchard benannte dieses Vorgehen als „aufführungspraktische Interpretation“ (Beatrix Borchard, Stimme und Geige. Amalie und Joseph Joachim. Biographie und Interpretationsgeschichte, Wien etc. 2005, S. 436). 52 Franz Liszt, Neue Ausgabe sämtlicher Werke, Serie II: Freie Bearbeitungen und Transkriptionen für Klavier zu zwei Händen, Bd. 7, hrsg. von Imre Sulyok und Imre Mezö, Budapest 1988.
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Beispiel 1: Franz Schubert, Klaviersonate a-Moll D 845, 2. Satz, T. 1–4; 177–181
Beispiel 2: Franz Schubert, Deux Marches Caractéristiques D 968B, Nr. 1: T. 1–6; Nr. 2: T. 1–5
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Beispiel 3: Franz Schubert, Oktett F-Dur D 803, 3. Satz, T. 1–7
insgesamt vier verschiedene Schubert-Märsche für ein Klavier zu vier Händen, nämlich die beiden charakteristischen Märsche C-Dur D 968B sowie die ersten beiden Märsche aus den Six Grandes marches op. 40 (D 819): den Marsch Nr. 1 Es-Dur und den Marsch Nr. 2 g-Moll. Die Art der von Liszt vorgenommenen Bearbeitung zeigt, daß er sich die Vorlagen in gewisser Weise gefügig machte: Er koppelte strengere und freiere Bearbeitung, chromatisierte und transponierte bei tonartlichen Divergenzen und nutzte ebenso Effekte von Tremoli, Verzierungen und Arpeggien wie auch aufwändige Vortragsbezeichnungen und bis in Superlative gesteigerte Tempoanweisungen. So bleibt diese Bearbeitung dem seinerzeit nachgefragten Potpourri-Konzept verpflichtet,53 dem sich Brahms dagegen gerade nicht öffnete. 3. Typen der Bearbeitung: Zwischen Aufführung und Publikation Nimmt man schließlich die gesamte, nicht sehr große Gruppe der von Brahms angefertigten Fremdbearbeitungen für Klavier solo in den Blick,54 ist bezeichnend, welche dieser uns heute bekannten Bearbeitungen er im Druck erscheinen ließ und welche 53 Vgl. Andreas Ballstaedt, Artikel Potpourri, in: MGG2, Sachteil, Bd. 7, Sp. 1759–1761. 54 Siehe zu diesem Bereich bereits die überblicksartigen Darstellungen bei Joachim Draheim, „… für das Pianoforte gesetzt“. Die zweihändigen Klavierbearbeitungen von Johannes Brahms, in: Üben und Musizieren 5 (April 1988), S. 106–114, vor allem S. 107 f., 109, 112–114; ders., Brahms als Bearbeiter, in: Brahms-Handbuch, Stuttgart und Kassel 2009, S. 171–198, Abschnitt Bearbeitungen für Klavier, S. 101–107.
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nicht. Dabei verfolgte er im wesentlichen ein duales Prinzip mit entgegengesetzten Strategien: 1) Als offizielle Fremdbearbeitungen firmieren die so genannten Studien für das Pianoforte (Anh. Ia Nr. 1), die Brahms nach Klavierkompositionen Frédéric Chopins und Carl Maria von Webers (Nr. I/II) sowie nach Kompositionen für Violine solo von Johann Sebastian Bach anfertigte (Nr. III–V). Diese wurden schriftlich fixiert und 1869 (Nr. I/II) bzw. 1878 (Nr. III–V) im Leipziger Verlag von Bartholf Senff publiziert, waren aber nicht, jedenfalls nicht primär, für den Konzertvortrag vorgesehen. Bei diesen Bearbeitungen geht es nur begrenzt um den Transfer in eine andere Besetzung, vielmehr hauptsächlich um eine spieltechnische Aufbereitung für das Klavier. So bezeichnete Brahms gegenüber dem Verleger insbesondere die Bach-Studien, darunter diejenige für die linke Hand nach der Chaconne aus der d-Moll-Partita BWV 1004, als „dem Pianisten so nötig und nützlich wie ein Butterbrod dem Menschen“.55 2) Eine zweite Gruppe von Fremdbearbeitungen fertigte Brahms zu Geschenkbzw. zu Aufführungszwecken an. Ein verbindendes Kriterium innerhalb dieser Gruppe besteht darin, daß die entsprechenden Bearbeitungen in aller Regel zu Brahms’ Lebzeiten ungedruckt blieben (zu einer Ausnahme siehe unten S. 270). Darüber hinaus ergibt sich eine weitere Unterteilung: 2a) Die zu Geschenkzwecken angefertigten Bearbeitungen wurden zwar schriftlich fixiert, waren aber weder unter performativen noch publikationsbezogenen Gesichtspunkten für die Öffentlichkeit gedacht. Zu diesen privaten Bearbeitungen gehört hauptsächlich eine Schumann-Bearbeitung, nämlich diejenige des Scherzos aus Schumanns Klavierquintett Es-Dur op. 44 (Anh. Ia Nr. 7).56 Die entsprechende Niederschrift schenkte er Clara Schumann am 13. September 1854 zum Geburtstag und bezeichnete die Bearbeitung in einem Schreiben vom Vortag gegenüber Joachim als „kleinen Witz, den ich gemacht habe“.57 Dazu kommen als Albumblätter verfaßte ‚Bearbeitungen‘: eine kanonische Studie (Anh. III Nr. 5) über das 7. Stück (f-Moll) aus Schumanns frühem Klavierzyklus Papillons op. 258 und eine kleine Variation (Anh. III Nr. 6) über Schumanns Albumblatt fis-Moll aus den Bunten Blättern op. 99 (Nr. 4)
55 Brahms Briefwechsel 14 (wie Anm. 47), S. 296 (Brahms’ Schreiben an Senff von Ende Oktober 1878). 56 McCorkle, Brahms-Werkverzeichnis (wie Anm. 2), S. 627 f. 57 Johannes Brahms im Briefwechsel mit Joseph Joachim, hrsg. von Andreas Moser, Bd. 1, Berlin 31921 (Johannes Brahms Briefwechsel 5) (Reprint: Tutzing 1974), S. 60. Brahms’ Autograph befindet sich heute in D-B. Siehe McCorkle, Brahms-Werkverzeichnis (wie Anm. 2), S. 628; Margit L. McCorkle, Robert Schumann. Thematisch-Bibliographisches Werkverzeichnis, München 2003, S. 193–195. 58 Siehe Johannes Brahms, Neue Ausgabe sämtlicher Werke, Serie III, Bd. 7: Klavierwerke ohne Opuszahl, hrsg. von Camilla Cai, München 2007 (im folgenden: JBG, Klavierwerke ohne Opuszahl), S. XXVI f., 127, 192. Diese Studie existiert als Albumblatt für die Sängerin Mathilde Hartmann, das Brahms ca. 1854/55 verfaßt haben dürfte (der heutige Standort läßt sich gegenüber den Angaben in JBG, Klavierwerke ohne Opuszahl, S. 192, inzwischen präzisieren: CH-Bps, Sammlung Rudolf Grumbacher). Ein weiteres Albumblatt für einen unbekannten Empfänger, datiert auf „Hamburg 13t Mai 61.“, wurde im Jahr 2012 auf einer Auktion angeboten, es befindet sich heute in A-Wgm. Beide Albumblatt-Versionen unterscheiden sich geringfügig.
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für ein Stammbuch von Clara Schumanns Halbschwester Marie Wieck.59 Im weiteren Sinne läßt sich zu dieser Rubrik auch Brahms’ rudimentäre Niederschrift des RákocziMarsches (Anh. III Nr. 10) zählen, die ebenfalls für Clara Schumann bestimmt war, sich in ihrem Nachlaß befand und vermutlich wie Anh. Ia Nr. 7 aus dem Jahr 1854 stammen dürfte.60 Der Marsch ist allerdings so flüchtig bzw. abbreviatorisch notiert, daß ein Spieler vieles hinzudenken muß.61 2b) Bei denjenigen Bearbeitungen, die Brahms selbst zu Aufführungszwecken dienten, kehren sich die unter Punkt 2a) genannten Kriterien um: Diese Bearbeitungen wurden offenbar in der Regel nicht verschriftlicht, waren nun jedoch zumindest unter performativen Gesichtspunkten für die Öffentlichkeit gedacht. Zu dieser Gruppe gehören die oben behandelten Schubert-Bearbeitungen, die zugleich im Kontext weiterer entsprechender Bearbeitungen von Werken bzw. Sätzen anderer Komponisten stehen. Hierbei handelt es sich zunächst um Klavierbearbeitungen Bachscher Orgelwerke, darunter der Toccata F-Dur BWV 540,62 sowie des Finalsatzes aus Beethovens Streichquartett C-Dur op. 59 Nr. 3.63 Außerdem spielte Brahms gelegentlich auch einige der Studien für den Pedal-Flügel op. 56 von Robert Schumann, vor allem die Studie h-Moll Nr. 5, wobei es sich ebenfalls um eine Bearbeitung handelte.64 In Anlehnung an Michael Strucks Typologie der Fassungen bei Brahms und seine Begriffsprägung 59 Siehe JBG, Klavierwerke ohne Opuszahl, S. XXVII, 170, 222 f. Wie dort dargelegt, ist die Variation Anh. III Nr. 6 allerdings lediglich in einer Publikation (Victor Joß, Der Musikpädagoge Friedrich Wieck und seine Familie. Mit besonderer Berücksichtigung seines Schwiegersohnes Robert Schumann, Dresden 1902, S. 346) als Notendruck mit darunter gedrucktem Ort und Datum („Baden, 1868“) sowie montierter Unterschrift des Komponisten überliefert, so daß die Authentizität nicht endgültig gesichert ist. 60 McCorkle, Brahms-Werkverzeichnis (wie Anm. 2), S. 677 f.; vgl. JBG, Klavierwerke ohne Opuszahl, S. XXIII f., 110–114, 188, 205 f. Das Autograph befindet sich heute in D-Zsch. 61 Laut Joachim Draheim handelt es sich bei Brahms’ für Clara Schumann angefertigtem Manuskript mit dem Instrumentalstück Gratieux sans Lenteur aus Glucks Oper Iphigénie en Aulide (Anh. Va Nr. 19) ebenfalls um eine Bearbeitung für Klavier solo (Draheim, Zweihändige Klavierbearbeitungen [wie Anm. 54], S. 111 f.). 62 In McCorkle, Brahms-Werkverzeichnis (wie Anm. 2) wird unter der entsprechenden Anhang-Nummer Anh. IIb Nr. 1 (S. 667) hauptsächlich die Toccata BWV 540 behandelt; nur pauschal wird auf „mehrere“ weitere von Brahms arrangierte „Orgelwerke“ Bachs hingewiesen. Differenziertere Hinweise hierzu finden sich u. a. in Russell Stinson, The reception of Bach’s organ works from Mendelssohn to Brahms, Oxford 2006, S. 132–141; Hofmann/Hofmann, Chronologie (wie Anm. 14), passim. 63 McCorkle, Brahms-Werkverzeichnis (wie Anm. 2), S. 667: Anh. IIb Nr. 2. Diese Bearbeitung spielte Brahms offenbar erstmals als Zugabe in seinem Wiener Konzert vom 17. März 1867. Siehe die euphorische Rezension in der Neuen Freien Presse. Morgenblatt (Nr. 917, 20. März 1867, S. 2), in der zugleich das improvisatorische Moment von Brahms’ Bearbeitung hervorgehoben wurde. So hieß es hier zum Beispiel: „Die ganz eigenthümliche Verve, die der Spieler beim Vortrage […] entwickelte, gab dem Stücke den Charakter des Halbimprovisirten und erhöhte womöglich dadurch seinen ungemeinen Effect.“ 64 Dies geschah vor allem in den 1850er Jahren (genauer ab November 1855) bzw. in zwei Konzerten des Jahres 1869 (Hofmann/Hofmann, Chronologie [wie Anm. 14], S. 37 f., 42, 117 f., 121). In McCorkle, BrahmsWerkverzeichnis (wie Anm. 2) gibt es hierzu keine Informationen. Interessant ist, daß schon zuvor Clara Schumann Stücke für Pedalflügel ihres Mannes öffentlich solo spielte und schließlich im Jahr 1895 einige davon (op. 56 Nr. 2, 4–6 sowie op. 58 Nr. 1, 3 und 4) in einer Bearbeitung für Klavier solo bei Novello in London veröffentlichte. Brahms steuerte hierfür Ratschläge bei und half beim Korrekturlesen (Schumann – Brahms, Briefe II [wie Anm. 9], S. 588 ff.). In diesem Zusammenhang äußerte sie gegenüber Brahms am 2. August 1895 bezeichnenderweise: „Du warest so freundlich, mir Deine Hilfe zu versprechen, die mir eine große Beruhigung gibt, denn mir liegt ja alles daran, daß die Skizzen (die sich ja eigentlich jeder Künstler selbst arrangieren kann) so leicht und bequem spielbar sind als möglich.“ (ebda., S. 588 f.).
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der „halboffiziellen Alternativfassung“65 ließe sich hier auch von der ‚halboffiziellen Fremdbearbeitung‘ sprechen. Denn einerseits materialisierten sich diese Fremdbearbeitungen durch Brahms’ Aufführungen für das damalige Publikum immerhin auditiv, andererseits aber blieben sie mangels Drucklegung für die Rezeption außerhalb des Konzertsaals unzugänglich. Brahms’ Fremdbearbeitungen für Klavier solo
zu Lebzeiten gedruckt, offiziell (zuvor schriftlich fixiert)
zu Lebzeiten ungedruckt
privat (schriftlich fixiert, Geschenkkontexte)
halboffiziell (in der Regel nicht schriftlich fixiert, doch öffentlich aufgeführt)
Hintergrund für diese halboffiziellen Fremdbearbeitungen ist zunächst, daß es vor allem in jenen Konzerten, in denen Brahms als Solist mitwirkte, galt, große und kleine Form zu paaren und darüber hinaus passende Zugaben parat zu haben, wobei im 19. Jahrhundert Mischprogramme mit Vokal- und Instrumentalwerken unterschiedlichster Besetzung bekanntlich an der Tagesordnung waren. Wenn es darum ging, kürzere solistische Beiträge für den Konzertvortrag auszuwählen oder zu generieren,66 war für Brahms offenbar eine Mischung von Komponenten ausschlaggebend. Neben programmdramaturgischen Aspekten ging es zunächst sicherlich um individuelle Vorlieben und eine gewisse Wirkung, die mit dem Vorgetragenen – auch unter spieltechnischen Gesichtspunkten – zu erzielen war, wobei sich der Spieler durch den Vortrag eigener Bearbeitungen zugleich als kreativ Schaffender unter Beweis stellen konnte. Bei den Originalen der von Brahms vorgetragenen Bearbeitungen handelt es sich nicht von ungefähr oft um motorisch agile – scherzose, toccatenhafte, rondoartige – Sätze, die sich auf dem Klavier gut zur Geltung bringen ließen. Darüber hinaus spielte für Brahms auch das Verhältnis von Historie und Aktualität eine Rolle. So präsentierte er ebenso Werke etablierter wie (noch) wenig bekannter zeitgenössischer Komponisten, trug aber auch Werke aus dem 18. und frühen 19. Jahrhundert vor. Zyklisch vorgegebene Werkzusammenhänge und auch Gattungs- und Besetzungsgren65 Ein prominentes Beispiel für Brahms’ nicht sehr umfangreiche Gruppe halboffizieller Alternativfassungen ist seine zweihändige Klavierfassung des langsamen Variationensatzes aus dem Streichsextett Nr. 1 op. 18, die er für Clara Schumann aufschrieb und die erst posthum gedruckt wurde. Siehe Michael Struck, Um Fassung(en) ringend. Johannes Brahms, das Problem der Fassungen und das Problem der Brahms-Forschung mit dem Problem der Fassungen, in: Mit Fassung. Fassungsprobleme in Musik- und Text-Philologie. Helga Lühning zum 60. Geburtstag, hrsg. von Reinmar Emans, Laaber 2007, S. 141–176, insbesondere S. 149–152, 175. 66 Vgl. Kalbecks Hinweis: „Daß er sich gern Stücke für seinen eigensten Gebrauch zurechtmachte, die für andere Instrumente geschrieben waren, um sie als zweite Vortragsnummer in seinen Konzerten zu verwenden, wirft vielleicht ein noch grelleres Streiflicht auf sein Verhältnis zum Klavier als Frühergesagtes.“ (Kalbeck, Brahms I/1 [wie Anm. 8], S. 256 f.).
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zen waren hingegen offensichtlich weniger relevant als individuelle, wirkungsästhetische und publikumsdidaktisch-programmorientierte Faktoren. Was den Aspekt der Verschriftlichung betrifft, sind nicht nur im Fall der SchubertBearbeitungen, sondern auch in den anderen genannten Fällen keine Manuskripte überliefert. Daß diese Bearbeitungen – vergleichbar mit den für den Druck vorgesehenen Bearbeitungen eigener und fremder Werke – grundsätzlich in ausgearbeiteten autographen Niederschriften bzw. Abschriften vorgelegen haben, von Brahms jedoch in späteren Jahren systematisch vernichtet worden sein könnten, dürfte sehr unwahrscheinlich sein, auch wenn er für das Vernichten von Manuskripten berüchtigt war. So ist diese Nicht-Überlieferung von Handschriften ein Indiz dafür, daß Brahms seine aufführungsorientierten zweihändigen Fremdbearbeitungen in der Regel nicht aufgeschrieben haben dürfte, wobei auch fraglich ist, inwieweit er den Notentext überhaupt verbindlich festlegte.67 Ein zweites Indiz ist der anzunehmende pragmatische Zugriff des pianistisch aktiven Komponisten. Dabei verhielt es sich womöglich in der Regel ähnlich wie etwa bei seinen Ungarischen Tänzen WoO 1. Nachdem die ersten zehn Tänze für ein Klavier zu vier Händen erschienen waren, formulierte Brahms seinem Verleger Fritz Simrock gegenüber, es falle ihm schwer, die zweihändige Version aufzuschreiben und für den Druck vorzubereiten, da er die Tänze „so lange und wild bloß gespielt“ habe.68 Bei seinen Gedächtnis-Kapazitäten war es für ihn offenbar wesentlich leichter und auch pragmatisch angebracht, eher nur frei bzw. „wild“ zu spielen als festgelegt-geordnet zu schreiben, was zugleich eine gewisse Flexibilisierung des Notentextes bedeutete. Dies schließt jedoch nicht aus, daß Brahms solche halboffiziellen Bearbeitungen gelegentlich auch – wohl primär für Freunde – notierte oder skizzierte. So wurde der amerikanische Forscher Russell Stinson auf einen in den U. S. A. erhaltenen gedruckten Bach-Sammelband des Ehepaars Robert und Clara Schumann aufmerksam, der unter anderem die genannte gedruckte Orgeltoccata BWV 540 enthält. Darin sind handschriftliche Eintragungen zu finden, die teilweise auf Brahms zurückzuführen sein dürften und wohl einen solchen freundschaftlichen Hintergrund haben: ein Notat für bzw. mit Clara Schumann, das – gerade im Fall von BWV 540 – eine Klavierfassung zumindest andeutet.69 Daß sich ein skizzenhaft notierter Klaviersatz in einer Druckausgabe von Orgelwerken findet, die zumal in zwei Systemen erfolgte, ist allerdings wohl am wenigsten überraschend. 67 So konstatierte Otto Biba hinsichtlich von Brahms’ Spiel des Oktett-Scherzos: „Eine Bearbeitung dieses Satzes von Brahms für Klavier ist nicht erhalten. Daher ist es unklar, ob Brahms überhaupt eine solche gespielt oder nach der Partitur bzw. auswendig eine Klavierfassung dieses Satzes improvisiert hat.“ (Otto Biba, „Es hat mich noch Weniges so entzückt.“ Johannes Brahms und Franz Schubert. Ausstellung im Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien. Katalog, Wien 1996/97, S. 35). 68 Johannes Brahms. Briefe an P. J. Simrock und Fritz Simrock, hrsg. von Max Kalbeck, Bd. 1, Berlin 1917 (Johannes Brahms Briefwechsel 9) (Reprint: Tutzing 1974), S. 114 f. (Brahms’ Schreiben an Simrock vom 3. Februar 1872). 69 Siehe zu diesem noch weiter zu erforschenden Themenkomplex Russell Stinson, Clara Schumann’s Bach Book: A Neglected Document of the Bach Revival, in: Bach. Journal of the Riemenschneider Bach Institute, Bd. 39, Nr. 1 (2008). Weiterführende Informationen zu diesem Thema finden sich in: JBG, ein- bzw. zweihändige Klavierbearbeitungen fremder Werke (Druck in Vorb.).
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Nicht nur die von Brahms öffentlich gespielten solistischen Klavierbearbeitungen fremder Werke wurden von ihm in der Regel weder publiziert noch vermutlich schriftlich festgehalten. Auch die Kombinationen von Werken oder Werkteilen in Original und Bearbeitung, für die er Synergieeffekte nutzte, waren in dieser Gestalt ausschließlich für seine pianistische Aktivität vorgesehen. So pragmatisch und offen Brahms performativen Ideen gegenüberstand, so zurückhaltend war er im Hinblick auf publizistische Festlegung. Ein Ausnahmefall, bei dem eine eigentlich nur halboffizielle Fremdbearbeitung doch publiziert wurde, wirft ein besonderes Schlaglicht auf seine publikationsstrategischen Grundsätze. So sollte auf Betreiben Clara Schumanns seine von ihm häufiger gespielte Bearbeitung der Gavotte aus Christoph Willibald Glucks Oper Iphigénie en Aulide (Anh. Ia Nr. 2) im Druck erscheinen,70 wozu Brahms seine Zustimmung gab. Doch nicht von ungefähr schrieb er dem Verleger Bartholf Senff in diesem Zusammenhang im Herbst 1871: „Alles recht – obwohl mir die Geschichte gar nicht recht ist. Ich habe so manches lustige Experiment auf dem Klavier gemacht und bin doch immer glücklich dem Corps der Arrangeure fern geblieben und nun –?“71 Dies läßt sich vor dem Hintergrund seiner strengen Schaffenskriterien sehen, die oftmals zur intensiven Überarbeitung seiner Werke im Entstehungsprozeß, nicht selten auch zur Aussonderung von Werken oder Werkteilen führten, sofern ihm diese als nicht „dauerhaft“ genug erschienen.72 Als noch weniger „dauerhaft“ stufte er offenbar diejenigen Bearbeitungen für Klavier solo ein, die primär in Aufführungskontexten standen. Dadurch, daß er sie in der Regel unpubliziert ließ, konnte er nicht zuletzt bestimmen, was der Öffentlichkeit temporär zugänglich gemacht wurde; die öffentliche Existenz dieser Bearbeitungen war dadurch unmittelbar an den Ausführenden und seine Flexibilität geknüpft. Zwar können wir heute bedauern, daß Brahms die im vorliegenden Beitrag behandelten Schubert-Bearbeitungen ebenso wie entsprechende Bearbeitungen anderer Komponisten für Klavier solo nur öffentlich spielte, nicht aber der Nachwelt überlieferte. Dies war jedoch keine Achtlosigkeit, sondern resultierte aus einem strengen Veröffentlichungskonzept bei klarer Abgrenzung von performativer Kreativität.
70 Diese Bearbeitung erschien spätestens Anfang 1872 im Druck (siehe McCorkle, Brahms-Werkverzeichnis [wie Anm. 2], S. 620). Ihr liegt die Gavotte Gratioso [sic] in A-Dur zugrunde, die in den Partitur-Frühdrucken in der 3. Szene des 2. Aktes im Instrumentalpart vor dem vokalen Schluß-Quartett „Jamais à tes autels“ vorkommt (vgl. Christoph Willibald Gluck, Sämtliche Werke, Abt. I, Bd. 5: Iphigénie en Aulide, hrsg. von Marius Flothuis, Kassel etc. 1987, Teilband b: Vorwort, Notenanhang, Kritischer Bericht, Notentext auf S. 499–501). Die Gavotte erscheint bereits in Glucks Oper Paride ed Elena (Paris und Helena) am Ende des 3. Aktes, dort in G-Dur. 71 Brahms Briefwechsel 14 (wie Anm. 47), S. 201. 72 Zum Begriff der Dauerhaftigkeit bei Brahms siehe u. a. Michael Struck, Vom Einfall zum Werk – Produktionsprozesse, Notate, Werkgestalt(en), in: Brahms-Handbuch, (wie Anm. 54), S. 171–198, vor allem S. 171 f., 195 f.
Walburga Litschauer
„Diese gar leicht beschwingten Wienerischen …“ Klaviertänze bei Schubert und Brahms „Mir soll bei Schubert etwas entgangen sein! Und ich sollte den schönen a moll-Walzer in den Deutschen Tänzen nicht wissen! Aber dieser neue erste Teil ist gerade deshalb interessant. Im Original sind sie ‚deutsches Tempo‘ bezeichnet. Ländler ist Spinas Erfindung“.
Dieses Zitat stammt aus einem Brief von Johannes Brahms an Adolf Schubring vom 25. Juni 1865.1 Max Kalbeck, der Herausgeber dieses Briefes, verfaßte dazu folgenden Kommentar: „Gemeint ist Nr. 3 aus Op. 33: ‚Deutsche Tänze und Ecossaisen‘. Brahms besaß das Werk in einem, ‚Deutsches Tempo, Mai 1823‘ überschriebenen Originalmanuskript. Unter dem ‚neuen ersten Teil‘ aber mag einer der als Nr. 3, 4, 5 einanderfolgenden Moll-Walzer zu verstehen sein, die Brahms mit anderen aus einem zweiten, ebenfalls ihm gehörigen Schubert-Autograph als ‚20 Ländler‘ 1869 bei J. P. Gotthard in Wien erscheinen ließ“.2 Kalbeck sind hier gleich mehrere Fehldeutungen unterlaufen: Die Nummer 3 in Schuberts op. 33 steht in B-Dur und nicht in a-Moll; der von Brahms angesprochene Tanz kann jedoch als Nummer 10 der 16 Deutschen identifiziert werden und ist in dieser Serie auch der einzige Tanz in a-Moll; im Deutsch-Verzeichnis ist er als D 783/10 verzeichnet.3 Mit dem „neuen ersten Teil“ ist nicht – wie von Kalbeck angenommen – „einer der als Nr. 3, 4, 5 einanderfolgenden Moll-Walzer“ gemeint, die Brahms angeblich „mit anderen aus einem zweiten, ebenfalls ihm gehörigen Schubert-Autograph als ‚20 Ländler‘ 1869 bei J. P. Gotthard in Wien erscheinen ließ“,4 sondern die Nummer 8 der 12 Deutschen D 790 (op. post. 171), die Brahms 1864 im Verlag von Karl Anton Spina in Wien herausbrachte. Die beiden Tänze unterscheiden sich – abgesehen von ihrer Tonart – nur in ihren jeweils ersten Teilen. D 783/10 steht in a-Moll und ist im Jänner 1825 zusammen mit 15 weiteren Deutschen und zwei Ecossaisen bei Cappi & Co. in Wien als Schuberts op. 33 erschienen. Sein erster Teil zeigt folgenden Verlauf:
1 2 3 4
Nr. 12 in: Johannes Brahms. Briefe an Joseph Viktor Widmann, Ellen und Ferdinand Vetter, Adolf Schubring, hrsg. von Max Kalbeck, Berlin 1915 (Johannes Brahms Briefwechsel 8), S. 206 f. Ebda., S. 207. Deutsch, Thematisches Verzeichnis, S. 474. Auch diese Angabe entspricht nicht den Tatsachen; vgl. dazu Johannes Behr, Franz Schuberts 20 Ländler D 366 / D 814 – nicht bearbeitet von Johannes Brahms, in: Die Musikforschung 64 (2011), S. 358–367.
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walburga litschauer
Beispiel 1: Franz Schubert, Deutscher in a D 783/10, T. 1–8
D 790/8 steht in as-Moll, einer für einen Tanz wohl ebenso ungewöhnlichen wie schwer lesbaren Tonart. Sein erster Teil stellt sich folgendermaßen dar:
Beispiel 2: Franz Schubert, Deutscher in as, D 790/8, T. 1–8
In ihren jeweils zweiten Teilen stimmen die beiden Tänze dann bis auf wenige Abweichungen überein:
Beispiel 3: Franz Schubert, Deutscher in a, D 783/10, T. 9–24
„Diese gar leicht beschwingten Wienerischen …“
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Beispiel 4: Franz Schubert, Deutscher in as, D 790/8, T. 9–24
Um die Herausgabe der 12 Deutschen D 790 hatte sich Brahms schon 1863 bemüht und diesbezüglich in einem Brief am 16. Dezember an Josef Rieter-Biedermann geschrieben: „Ich könnte Ihnen eine schöne Sammlung ‚Walzer‘ geben (50 fl. erbäte ich mir, die ich für die Manuskripte gab). Vor allem stehen 12 ‚Walzer‘ auf einem Blatt in Reih und Glied, die ganz allerliebste Gesichter haben. Ein und ein halber finden sich schon gedruckt, und müßte Spina des Zusammenhangs wegen die Erlaubnis zum Wiederabdruck geben. Doch wie ist es überhaupt mit Spina? Soll ich, ohne ihn zu fragen, Ihnen die Tänze überlassen, oder wollen Sie oder soll ich ihn fragen, ob er Ihnen quasi etwas abtreten will, was ihm gehört oder auch nicht gehört? Ich möchte Rücksicht auf Spina nehmen, und Sie vermutlich noch mehr“.5
Das „eine“ Blatt, von dem Brahms hier schreibt, ist wohl symbolisch zu verstehen. Das Manuskript, um das es hier geht, umfaßt insgesamt nämlich drei Blätter, auf denen die Tänze notiert sind.6 Mit den „ein und ein halber“ Gedruckten sind die Nummer 2 und die bereits erwähnte Nummer 8 gemeint, wobei die Nummer 2 aus D 790 identisch mit der Nummer 1 aus D 783 ist.7 Karl Anton Spina war der Zweitnachfolger von Cappi & Diabelli, in deren Verlag die 16 Deutschen und 2 Ecossaisen D 783 erschienen waren. Anton Diabelli, der Spinas Vorgänger war, hatte am 29. November 1829 einen Großteil von Schuberts Nachlaß, darunter alle noch verfügbaren Lieder, von dessen Bruder Ferdinand gekauft.8 Als Nachfolger von Diabelli war Spina weiterhin auf der Suche nach unveröffentlichten Manuskripten und darum bemüht, seine von Diabelli übernommenen Rechte zu wahren. So wundert es nicht, daß Brahms am 11. Februar 5 6 7 8
Nr. 79 in: Johannes Brahms im Briefwechsel mit Breitkopf & Härtel, Bartolf Senff, J. Rieter-Biedermann, C. F. Peters, E. W. Fritzsch und Robert Lienau. hrsg. von Wilhelm Altmann, Berlin 1920 (Johannes Brahms Briefwechsel 14), S. 82 f. A-Wgm, A 262. Zu dieser Problematik vgl. Walburga Litschauer / Walter Deutsch, Favoritstücke, in: dies., Schubert und das Tanzvergnügen, Wien 1997, S. 125–132. Vgl. dazu Deutsch, Erinnerungen, S. 445 f.
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1864 an Rieter-Biedermann schreiben mußte: „Mit Schubert ist es nichts! Ich frug neulich Spina der Walzer wegen, und er erbittet sie sich selbst dringendst, spricht von Gesamtausgabe und was alles – das leider in seinem Munde wenig zu bedeuten hat“.9 Brahms besaß insgesamt elf Tanzmanuskipte von Schubert, die nach seinem Tod zusammen mit seinem Nachlaß in den Besitz der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien gelangten:10 Sechs Ecossaisen in As, D 297, datiert: Mai 182011 Sechs Atzenbrugger Deutsche, datiert: Juli 182112 Vier Deutsche, datiert: August 182113 Zwölf Ecossaisen, D 781, datiert: Jänner 182314 Zwölf Deutsche, D 790 (op. post. 171), datiert: Mai 182315 Zwanzig Ländler, undatiert16 Zehn Ecossaisen, D 977, undatiert17 Vier Tänze, undatiert18 Sechs Deutsche, undatiert19 Fünf Ländler, undatiert20 Acht Ländler in Des, undatiert21 Von wem Brahms diese Handschriften im einzelnen erwarb, ist nur teilweise bekannt. „Die schönsten Stunden“, schrieb er am 18. Februar 1863 an Rieter-Biedermann, „verdanke ich hier ungedruckten Werken von Schubert, deren ich eine ganze Anzahl im Manuskript zuhause habe. So genussvoll und erfreuend aber ihre Betrachtung ist, so traurig ist fast alles, was sonst daran hängt. So z. B. habe ich viele Sachen hier im Manuskript, die Spina oder Schneider gehören, und von denen es nichts weiter als das Manuskript gibt, keine einzige Kopie! Und die Sachen werden bei Spina so wenig als bei mir in einem feuerfesten Schrank aufbewahrt“;22 weiter oben heißt es in demselben Brief, in dem bereits vorher von Spina die Rede gewesen war, der von Brahms dessen op. 27 und op. 28 zur Drucklegung erhielt: „Eine schöne Sache ist hier, dass die 9 Nr. 81 in: Brahms Briefwechsel 14 (wie Anm. 5), S. 87. 10 Vgl. dazu Eusebius Mandyczewski, Zusatz=Band zur Geschichte der k. k. Gesellschaft der Musikfreunde in Wien. Sammlungen und Statuten, Wien 1912, S. 117. 11 A-Wgm, A 258. – Neuausgabe in: NGA VII/2/6: Tänze I, vorgelegt von Walburga Litschauer, Kassel etc. 1989 (im folgenden abgekürzt: Tänze I), Nr. 23. 12 A-Wgm, A 259; Tänze I, Nr. 29. 13 A-Wgm, A 260; Tänze I, Nr. 30. 14 A-Wgm, A 261; Tänze I, Nr. 31. 15 A-Wgm, A 262; Tänze I, Nr. 34. 16 A-Wgm, A 263; Tänze I, Nr. 22. 17 A-Wgm, A 264; Tänze I, Nr. 9. 18 A-Wgm, A 265; Tänze I, Nr. 40. 19 A-Wgm, A 266; Tänze I, Nr. 36. 20 A-Wgm, A 267; Tänze I, Nr. 24. 21 A-Wgm, A 268; Tänze I, Anhang Nr. 5. 22 Nr. 75 in: Brahms Briefwechsel 14 (wie Anm. 5), S. 77.
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Verleger Schubertsche Manuskripte gar als Beilage geben können, was denn freilich sehr verlockend für unsereinen ist!“23 Man kann sich gut vorstellen, daß unter diesen „Beilagen“ auch das eine oder andere Tanzmanuskript war. Auf weitere Besitzer Schubertscher Autographe geht Brahms dann in seinem Brief vom 15. Mai 1863 an Rieter-Biedermann ein, dem er offenbar noch unveröffentlichte Werke für den Druck verschaffen wollte: „Wegen Schubert und einer möglichen Verknüpfung des schönen Namens mit dem Ihren habe ich vielfach gesprochen mit Besitzern Schubertscher Handschriften. Nun findet sich jedoch in dem Kontrakt, den Spina mit Ferdinand Schubert gemacht hat, die Klausel, dass ihm das Verlagsrecht gehöre von allen Schubertschen Werken, die jetzt in seinem Besitz sind und die sich irgendwann und wo finden mögen! Dies soll vor Gericht nicht durchzuführen sein, wie mir Fachleute sagen, und Spina selbst die Unhaltbarkeit des Kontrakts belächeln. Der Besitz des Manuskripts allein gibt aber doch auch kein Recht zur Herausgabe? Und so müssten Sie vor allem selbst wissen, wie weit Sie vor Spina Rücksicht nehmen. Der Schwestersohn von Schubert ist ein Doktor der Rechte Eduard Schneider, Wien, Josefstadt, Schlösselgasse Nr. 2. Dieser besitzt sehr viele Handschriften […] und ist sehr geneigt, mit Ihnen zu korrespondieren […] Er ist sehr liebenswürdig und musikalisch und hat das uneigennützigste Interesse für die Sache. Ein andrer Doktor der Rechte, Enderes, hat z. B. ein Dutzend reizender Tänze, die er ohne weiteres (doch vielleicht für kleines Honorar) zum Druck überlässt. Da ist nur von Ihrer Seite Spina zu bedenken. Wie dies denn überhaupt das Hauptbedenken ist […] Er hält es für eine Art Ehre, der Schubert-Verleger zu sein, nimmt wohl auch alles an und legt’s zu den übrigen Sachen in den Schrank“.24
Bei dem „Dutzend reizender Tänze“ handelt es sich Kalbeck zufolge um unsere bereits vorhin erwähnten 12 Deutschen D 790, die Brahms von Dr. Enderes erwarb25 und Spina zur Drucklegung übergab. Für kurze Zeit hatte Brahms ein weiteres Tanzmanuskript von Schubert in seinem Besitz. Es handelt sich um ein Autograph mit 14 Tänzen, die Schubert 1824 in Zseliz für den Klavierunterricht der Komtessen Marie und Karoline von Esterházy zu Papier brachte.26 Diese Handschrift ist unter Schuberts 58 von Maurice J. E. Brown nachgewiesenen Tanzmanuskripten27 ein Unikum, da sie auf den beiden Außenseiten ihrer insgesamt drei Blätter jeweils Tänze für Klavier zu zwei Händen28 und auf den vier Innenseiten solche für Klavier zu vier Händen enthält.29 Man kann sich gut 23 24 25 26
Ebda. Nr. 77 in: Ebda., S.79 f. Max Kalbeck, Johannes Brahms, Bd. II, Halbbd. 1, Berlin 31921, S. 80. Vgl. Maurice J. E. Brown, The Dance-Music Manuscripts, in: ders., Essays on Schubert, New York 1966, S. 240 (Ms. 51). 27 Ebda., S. 217–243. 28 Tänze I (wie Anm. 11), Nr. 39. 29 Neuausgabe in: NGA VII/1/4: Märsche und Tänze, vorgelegt von Christa Landon, Kassel etc. 1972, Nr. 11.
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vorstellen, daß dieses Manuskript in der Sommerresidenz der Esterházys sowohl für den Unterricht als auch für das gemeinsame Musizieren bzw. für gesellige Unterhaltungen herangezogen wurde. Wie dieses Autograph später in den Besitz von Elisabeth von Herzogenberg gelangte, ist nicht bekannt. Diese machte es Johannes Behr zufolge im Frühjahr des Jahres 1863 Brahms zum Geschenk.30 Brahms soll es ihr im Februar 1886 allerdings gegen ihren Willen zurückgegeben haben.31 Behr schreibt, daß die Handschrift nach ihrem Tod im Jahr 1892 an ihren Mann Heinrich von Herzogenberg überging, der „seinerseits 1900 starb und die Musikalien- und Autographensammlung seiner Lebensgefährtin der letzten Jahre, Helene Hauptmann, vermachte“.32 Anschließend gelangte die Handschrift in den Besitz des Verlagsbuchhändlers Dr. Fritz Baedeker, dessen Nachlaß am 14. und 15. August 1928 in Berlin bei Karl Ernst Henrici versteigert wurde.33 Im Juni 2005 gelangte sie bei Stargardt in Berlin zur Auktion;34 im März 2014 wurde sie neuerlich bei J & J Lubrano in New York zum Verkauf angeboten.35 Brahms hat von diesem Autograph – wie auch von zahlreichen anderen SchubertAutographen – eine eigenhändige Abschrift angefertigt, in die er noch weitere Tänze aufnahm.36 Johannes Behr wies nach, daß das eben besprochene Tanzmanuskript Schuberts zusammen mit sechs anderen als Quelle für die Ausgabe der 1869 bei Gotthard in Wien veröffentlichten Ländler für Klavier zu zwei bzw. zu vier Händen diente, deren anonymer Bearbeiter und Herausgeber allerdings nicht – wie bisher angenommen37 – Brahms, sondern Gotthard war.38 *** Schuberts Tanzmusik ist in seinem Schaffen ein besonderer Platz einzuräumen, ist sie doch zwischen sogenannter Gesellschaftsmusik – einer Musik, die spontan für oder bei einem geselligen Anlaß entstand – und dem zur Veröffentlichung bestimmten musikalischen „Werk“ einzuordnen.39 Dies läßt sich bereits an ihrer Überlieferung erkennen, die sowohl auf handschriftlichen als auch auf gedruckten Quellen beruht. Bei 30 Behr, Franz Schuberts 20 Ländler (wie Anm. 4), S. 361. 31 Vgl. dazu den Briefwechsel zwischen Brahms und dem Ehepaar Herzogenberg vom 24. Februar bis 12. März 1886 in: Johannes Brahms im Briefwechsel mit Heinrich und Elisabet[h] von Herzogenberg, hrsg. von Max Kalbeck, Bd. 2, Berlin 21921 (Johannes Brahms Briefwechsel 2), S. 120–126. 32 Behr, Franz Schuberts 20 Ländler (wie Anm. 4), S. 361. 33 Kat. 138, Nr. 791, S. 106. 34 Kat. 681, Auktion vom 28. und 29. Juni 2005, Nr. 884. 35 J & J Lubrano Music Antiquarians (http://www.lubranomusic.com/cgi-bin/lubrano/22798.html; Zugriff am 31. März 2014). 36 Diese Abschrift befindet sich heute in der Pierpont Morgan Library, New York (Sign.: S384.L257), Deposit der Robert Owen Lehman Foundation; vgl. Behr, Franz Schuberts 20 Ländler (wie Anm. 4), S. 362. 37 Vgl. dazu etwa David Brodbeck, Brahms’ Edition of Twenty Schubert Ländler: An Essay in Criticism, in: Brahms Studies. Analytical and Historical Perspectives, hrsg. von George S. Bozarth, Oxford 1990, S. 229– 250. 38 Behr, Franz Schuberts 20 Ländler (wie Anm. 4), S. 358–367, bes. S. 361. 39 Vgl. dazu Walburga Litschauer, Franz Schuberts Tänze – zwischen Improvisation und Werk, in: Musiktheorie 10 (1995), S. 3–9, sowie Litschauer/Deutsch, Schubert und das Tanzvergnügen (wie Anm. 7).
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den rund 300 in Handschriften überlieferten Tänzen handelt es sich in der Mehrzahl um lose aneinander gereihte Folgen mit etwa acht bis zwölf Stücken im Durchschnitt. Solche Tanzfolgen notierte sich Schubert offenbar häufig als Gedächtnisstütze für oder nach dem Aufspielen zum Tanz. Dies berichtet Leopold von Sonnleithner in seinen Erinnerungen: Schubert „besuchte manchmal Hausbälle in vertrauten Familienkreisen; er tanzte nie, war aber stets bereit, sich ans Klavier zu setzen, wo er stundenlang die schönsten Walzer improvisierte; jene, die ihm gefielen, wiederholte er, um sie zu behalten und in der Folge aufzuschreiben.“40 Aus Sonnleithners Aussage geht hervor, daß Schuberts Tanzmanuskripte vielfach nach Improvisationen niedergeschrieben wurden. Schubert hielt dabei jedoch nur seine besten Einfälle fest; der sicher nicht unbeträchtliche Rest der von ihm gespielten Tanzmusik ist verloren gegangen. „Werkcharakter“ zeigen im Gegensatz zu diesen Improvisationsskizzen jene Tanzfolgen, denen formbildende Reihungsprinzipien zugrunde liegen, sowie jene acht Tanzsammlungen, die Schubert später selbst aus verschiedenen Manuskripten zusammenstellte und mit deren Drucklegung er ein breiteres Publikum zu erreichen hoffte. Diese Sammlungen enthalten oft dieselben Tänze wie die Autographe, häufig jedoch in veränderter Gestalt und in anderer Tonart, bisweilen auch in anderer Funktion. Sehen wir uns als Beispiel für diese Überlieferungsproblematik die Sechs Atzenbrugger Deutschen41 näher an. Für die Annahme, daß es sich bei diesem Tanzmanuskript um eine nach Improvisationen im Juli 1821 entstandene Niederschrift handelt, spricht allein schon der Titel „Atzenbrucker Deutsche“. Dieser dürfte als Bezeichnung für die bei diesem Sommeraufenthalt häufig gespielten und besonders beliebten Tänze anzusehen sein. Ob Schubert sie nun tatsächlich in Atzenbrugg niederschrieb, wissen wir nicht. Kompositionen, die außerhalb von Wien entstanden, versah er gewöhnlich mit Ortsangaben; bei Tänzen war ihm das aber wohl oft ein zu großer Aufwand. Fünf der sechs Deutschen hat er in diesem Manuskript zum ersten Mal aufgezeichnet (die Nummern 1–3 und 5–6). Die Nummer 4 (D 145 / Walzer 2) findet sich schon zuvor in einem anderen Tanzmanuskript mit sieben Deutschen und ist dort mit 20. Mai 1821 datiert;42 dieses Stück muß zu den Lieblingstänzen von Schubert und seinen Freunden gezählt haben, scheint es doch in einem weiteren Manuskript mit vier Deutschen vom August 1821, das sich ebenfalls im Besitz von Brahms befand, ein drittes Mal auf.43 In ihrer ursprünglichen Reihenfolge sind die Sechs Atzenbrugger Deutschen zu Schuberts Zeit nicht veröffentlicht worden. Drei davon (die Nummern 3, 5 und 6: D 365/29, 30 und 31) nahm Schubert aber schon in seine erste Sammlung von 36 Originaltänzen auf, die als sein op. 9 im November 1821 bei Cappi & Diabelli erschien – das war übrigens das erste Werk Schuberts, das auf Kosten eines Verlegers gedruckt wurde.44 Die Nummern 1, 2 und 4 (D 145 / Walzer 1, 3 und 2) wurden dann in einer 40 41 42 43 44
Vgl. Deutsch, Erinnerungen, S. 141. Autograph in A-Wgm, A 259; Tänze I (wie Anm. 11), Nr. 29. Tänze I (wie Anm. 11), Nr. 26/VII, S. 97. A-Wgm, A 260; vgl. Tänze I (wie Anm. 11), Nr. 30/III, S. 106. Vgl. dazu NGA VII/2/7a: Tänze II, vorgelegt von Walburga Litschauer, Kassel etc. 1990, Nr. 1/XXIX, S. 14, 1/XXX und 1/XXXI, S. 15.
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Sammlung von 12 Walzern, 17 Ländlern und 9 Ecossaisen veröffentlicht, die im Februar 1823 als Schuberts op. 18 im Druck erschien. Bemerkenswert ist, daß diese Tänze dort nicht als „Deutsche“, sondern als „Walzer“ publiziert wurden. Dies läßt sich darauf zurückführen, daß zwischen den Begriffen „Ländler“, „Deutscher“ und „Walzer“ zu Schuberts Zeit noch nicht genau unterschieden wurde und auch Schubert selbst gelegentlich ein- und dasselbe Tanzstück in mehreren Quellen mit verschiedenen Bezeichnungen versah.45 *** Den Philologen interessiert natürlich die Frage, ob Brahms in den Schubertschen Tanzmanuskripten, die in seinem Besitz waren, Eintragungen vornahm, was sich gar nicht so leicht beantworten läßt. Auffällig ist, daß sich vor einigen Tänzen jeweils ein, gelegentlich auch mehrere mit Bleistift geschriebene Fragezeichen feststellen lassen.46 Mehrmals gibt es Eintragungen, die sich auf Opuszahlen von Schuberts Tanzsammlungen beziehen.47 Das in dieser Hinsicht mit Abstand interessanteste Autograph ist das bereits mehrfach erwähnte mit den 12 Deutschen D 790.48 Auf den Vorderseiten der drei Blätter findet sich am rechten Rand jeweils der Vermerk: „Verlags Eigenthum der k. k. Hof- Kunst- und Musikhandlung C. A. Spina in Wien“, daneben rechts auf Bl. 1r ein Fragezeichen, auf Blatt 2r zwei Fragezeichen und auf Blatt 3r ein Fragezeichen mit einem „NB“, die möglicherweise alle von Brahms stammen (vgl. dazu die Abbildungen 1 und 2): Vor den Nummern 3 und 5 auf Blatt 1v und 2r lassen sich ausradierte und damit unkenntlich gemachte Bleistifteintragungen feststellen. In der Hoffnung, daß es sich dabei um die Handschrift von Brahms handeln könnte, wurde Christian Grafl an der Abteilung für Kriminologie des Instituts für Strafrecht und Kriminologie der Universität Wien um eine Untersuchung des Autographs gebeten. Durch spezielle Untersuchungen mit dem Dokumentenprüfgerät VSC2000/HR im sichtbaren und nahen infraroten Lichtbereich konnten die getilgten Eintragungen wieder halbwegs sichtbar gemacht werden. So läßt sich jetzt vor der Nummer 3 wenigstens das Wort „Auftakt“ und vor der Nummer 5 andeutungsweise „g oder gis“ und darunter „gis wäre besser“ entziffern (vgl. dazu die Abbildungen 3 und 4):
45 Vgl. dazu Litschauer/Deutsch, Schubert und das Tanzvergnügen (wie Anm. 7), S. 125 ff. 46 Bei den Vier Deutschen (A 265) vor Nr. 2 und 4, bei den Zwölf Deutschen D 790 (A 262) vor Nr. 3, 6, 7 und 9–11. 47 Op. 9 und 18 bei den Atzenbrugger Deutschen (A 259), op. 18 bei den Acht Ländlern in Des (A 268). 48 A-Wgm, A 262; Tänze I (wie Anm. 11), Nr. 34.
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Abb. 1: Franz Schubert, 12 Deutsche D 790, Autograph in A-Wgm, A 262, Bl. 1r
Abb. 2: Franz Schubert, 12 Deutsche D 790, Autograph in A-Wgm, A 262, Bl. 3r
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Abb. 3: Franz Schubert, 12 Deutsche D 790, Autograph in A-Wgm, A 262, Bl. 1v, ausradierte Eintragung vor Nr. 3
Abb. 4: Franz Schubert, 12 Deutsche D 790, Autograph in A-Wgm, A 262, Bl. 2r, ausradierte Eintragung vor Nr. 5
Die Bemerkung „Auftakt“ bei Nummer 3 bezieht sich auf die im unteren System fälschlich notierte Achtelpause, die im Druck durch eine Sechzehntelpause ersetzt wurde. Worauf sich die Bemerkung vor Nummer 5 bezieht, ist unklar. Wie die Forschungsstelle der Johannes Brahms Gesamtausgabe in Kiel feststellte, stammen diese Eintragungen allerdings nicht von Brahms, sondern vermutlich von einem Mitarbeiter Spinas.
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*** Wir wollen uns abschließend noch der Frage zuwenden, wie sich Brahms’ Auseinandersetzung mit Schuberts Klaviertänzen in seinem Wirken als Pianist und in seinem eigenen Schaffen niedergeschlagen hat. In der von Renate und Kurt Hofmann erstellten Chronologie über „Johannes Brahms als Pianist und Dirigent“ findet man auf den ersten Blick keine Einträge dazu.49 Was man dort allerdings mehrmals findet, ist der Hinweis auf eine von Brahms stammende Bearbeitung der beiden Marches Caractéristiques D 968 B für Klavier zu zwei Händen.50 Ein zweiter Blick in dieses Nachschlagewerk bleibt an „Wiener Walzern“ hängen, die unter der Autorschaft von Brahms verzeichnet sind.51 Zumindest bei zwei der dafür genannten Hausmusikabende darf angezweifelt werden, ob dabei ausschließlich Tänze von Brahms gespielt wurden: 19.[?] Januar 1880: Hausmusikabend in Krefeld bei Rudolf von der Leyen: „Wiener Walzer“.52 Hierbei könnte es sich wohl ebenso gut um Walzer von dem mit Brahms befreundeten Johann Strauß gehandelt haben. Der zweite Eintrag betrifft den 25. Juni 1883: Hausmusikabend in Wiesbaden bei Rudolf von Beckerath: „Wiener Tänze“.53 Auch hier erhebt sich die Frage, wer die ungenannten Komponisten dieser Tänze waren. Kehren wir nochmals zu dem eingangs zitierten Brief von Brahms an Adolf Schubring zurück, in dem es am 25. Juni 1865 im Hinblick auf Schuberts Tänze heißt: „Ich habe übrigens mehr der Art von ihm und – auch selbst eine Portion, von denen ich vermutlich, da sie den Freunden gar so gut Spaß machen, den Sommer herausgeben werde“.54 Brahms bezieht sich hier auf seine Walzer op. 39, die zweifellos unter dem Eindruck der Schubertschen Tänze entstanden sind. Ganz deutlich läßt sich dies seinem Widmungsbrief an Eduard Hanslick vom April 1866 entnehmen: „Soeben den Titel zu vierhändigen Walzern schreibend, die nächstens erscheinen sollen, kam mir ganz wie von selbst Dein Name mit hinein. Ich weiß nicht, ich dachte an Wien, an die schönen Mädchen, mit denen Du vierhändig spielst, an Dich selbst, den Liebhaber von derlei, den guten Freund […] Es sind […] kleine unschuldige Walzer in Schubertscher Form“.55
Hanslick war ein ausgezeichneter Amateurpianist, der das vierhändige Klavierspiel überaus schätzte und auch gern selbst ausübte, war es für ihn doch „die intimste, die
49 Renate und Kurt Hofmann, Johannes Brahms als Pianist und Dirigent. Chronologie seines Wirkens als Interpret, Tutzing 2006 (Veröffentlichungen des Archivs der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien 6). 50 Vgl. dazu den Beitrag von Katrin Eich, „… so manches lustige Experiment“. Johannes Brahms’ öffentlich gespielte, doch nie gedruckte Schubert-Bearbeitungen für Klavier solo, in diesem Band. 51 Hofmann/Hofmann, Johannes Brahms als Pianist und Dirigent (wie Anm. 49), S. 392. 52 Ebda., S. 185. 53 Ebda., S. 223. 54 Vgl. Anm. 1. 55 Vgl. Kalbeck, Brahms II/1 (wie Anm. 25), S. 193.
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bequemste und in ihrer Begrenzung vollständigste Form häuslichen Musizierens“,56 mit der sich der Musikfreund gleichermaßen zu vergnügen wie zu bilden weiß. Als Dank für Brahms’ Widmung verfaßte Hanslick im August 1866 eine ebenso feinsinnige wie liebenswürdige Kritik, an deren Ende auch er auf Anklänge an Schuberts Tanzmusik Bezug nahm: „Brahms und Walzer; die beiden Worte sehen einander auf dem zierlichen Titelblatte förmlich erstaunt an. Der ernste, schweigsame Brahms, der echte Jünger Schumanns, norddeutsch, protestantisch und unweltlich wie dieser, schreibt Walzer? Ein Wort löst uns das Rätsel, es heißt: Wien. Die Kaiserstadt hat Beethoven zwar nicht zum Tanzen, aber doch zum Tänzeschreiben gebracht, Schumann zu einem ‚Faschingsschwank‘ verleitet, sie hätte vielleicht Bach selber in eine ländlerische Todsünde verstrickt. Auch die Walzer von Brahms sind eine Frucht seines Wiener Aufenthaltes, und wahrlich von süßester Art […] Welch reizende, liebenswürdige Klänge! Wirkliche Tanzmusik wird natürlich niemand erwarten: Walzer-Melodie und Rhythmus sind in künstlerisch freier Form behandelt und durch vornehmen Ausdruck gleichsam nobilisiert. Trotzdem stört darin keinerlei künstelnde Affektation, kein raffiniertes, den Total-Eindruck überqualmendes Detail – überall herrscht eine schlichte Unbefangenheit […] Die Walzer […] wollen in keiner Weise großtun, sie sind durchwegs kurz und haben weder Einleitung noch Finale. Der Charakter der einzelnen Tänze nähert sich bald dem schwunghaften Wiener Walzer, häufiger dem behäbig wiegenden Ländler, mitunter tönt wie aus der Ferne ein Anklang an Schubert oder Schumann“.57
56 Eduard Hanslick, Waffenruhe am Klavier. Wien, im August 1866 nach Beendigung des Preußisch-Österreichischen Krieges, in: ders., Aus dem Tagebuch eines Rezensenten. Gesammelte Musikkritiken, hrsg. von Peter Wapnewski, Kassel etc. 1989, S. 211 f. 57 Ebda., S. 212 f.
Rita Steblin
The Viennese Composer Johann Wolf (1805–1874) His Role in the “Kosegarten Song Cycle” and in Creating Aleatoric Music* Johann Wolf plays a major role in Morten Solvik’s theory, first presented in 1996, that Schubert had formed a song cycle out of twenty settings of texts by Gotthard Ludwig Kosegarten (1758–1818), composed in two spurts of intensive creativity in June / July and October 1815.1 At some point in the 1860s, Wolf – who was working as an archivist for the Viennese publishing firm of C. A. Spina – wrote the numbers 1 to 20 in the lower left-hand corner of a collection of “Reinschriften” of these Kosegarten settings that had once belonged to Ferdinand Schubert (1794–1859).2 It was on the basis of these numbers, as well as through various comments inscribed by Wolf in the margins – he assigned these songs to category IV, that is, autograph fair copies with song titles only (lacking the poet’s name, date of composition and Schubert’s signature) – that Solvik determined the apparent original order in this convolute of Kosegarten settings. Solvik then claimed, using textual and musical evidence, that these pieces formed a deliberate cycle, a “Liederspiel” that tells “the ultimately tragic story of an amorous adventurer and his broken-hearted mistresses”.3 Not all Schubert scholars have accept* 1
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I wish to thank Richard Fuller, fortepianist in Vienna, as well as Ann and David Hiley in Regensburg, for help of various kinds in writing this article, which I completed in 2013. Morten Solvik first presented his theory in the paper Schubert’s Kosegarten Settings of 1815: A Newly Discovered Song Cycle, which he read at the American Musicological Society Meeting in Baltimore in fall 1996, and also in the paper Franz Schubert and the Liederspiel: From the Kosegarten Cycle to Die schöne Mullerin, which he read in London on 20 August 1997 at the International Musicological Society Congress. For his publications on this topic, see Solvik, Lieder im geselligen Spiel. Schuberts Kosegarten-Zyklus von 1815 entschlüsselt, in: Österreichische Musikzeitschrift 53/1 (1998), pp. 31–39. This same article, with slight changes, was also published by Solvik as Schuberts Kosegarten-Zyklus. Eine Einführung, in: Schubert neu entdeckt, hrsg. von Erich Benedikt, Wien 1999, pp. 28–36. An expanded version in English was published by Solvik as Finding a Context for Schubert’s Kosegarten Cycle, in: Schubert und seine Freunde, hrsg. von Eva Badura-Skoda et al., Wien 1999, pp. 169–182; see also Solvik, Of Songs and Cycles: A Franz Schubert Bifolio, in: The Rosaleen Moldenhauer Memorial. Music History from Primary Sources: A Guide to the Moldenhauer Archives, ed. by Jon Newsom and Alfred Mann, Washington, D. C. 2000, pp. 392–399. The first concert performance of these twenty Kosegarten pieces as a “Liederspiel” took place at the Ravinia Festival (Chicago) on 30 June 1997. A staged performance was then held in Vienna at the Schottenstift Prälatensaal on 25 November 1997. Wolf must have added these marginal comments after 1865 since he wrote on the fair copy of Das Sehnen D 231: “(:gestochen:) Sechs Lieder aus dem Nachlaße op. 172 N4 16758”. See the Reinschrift of this Schubert Lied, now owned by the Wienbibliothek, on www.schubert-online.at. The publication of this Lied, as no. 4 in op. post. 172, was first announced by C. A. Spina on 2 December 1865. See Deutsch, Thematisches Verzeichnis, p. 151. Solvik, Finding a Context for Schubert’s Kosegarten Cycle (cf. Fn. 1), p. 170.
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rita steblin
ed this hypothesis. A British journalist in The Independent reported on 4 April 2005 in connection with the London premiere of the Kosegarten series: “‘I see no convincing evidence,’ says Paul Reid, of the Schubert Institute (UK), dismissing the whole cycle theory as ‘unnecessary and unlikely’”.4 In 2009 Walther Dürr undermined this theory by citing other, earlier numbers – entered in the margins on some of these song manuscripts in dark-red pencil – that indicate these pieces were originally in some other order.5 And, in 2011, Dürr summarized his thoughts about Solvik’s thesis as follows: “Seine philologischen Argumente dafür lassen sich kaum halten”.6 Who is right? Solvik or his challengers? While not answering this question directly, my article will take a closer look at the archivist / composer whose initial numbering scheme led to the theory of a Kosegarten cycle. Surely it is time for some new biographical research to identify this person. Prior Research on Johann Wolf Who was Johann Wolf? Solvik wrote as follows in his 1998 article: “Fast alle Ziffern und Notizen […] stammen von einem gewissen Johann Wolf, einem in Wien lebenden wenig bekannten Komponisten und Verlagsmitarbeiter des 19. Jahrhunderts. Um 1860 bekam Wolf den Auftrag, Schubert-Handschriften im Archiv des Wiener Verlegers C. A. Spina zu katalogisieren, wahrscheinlich um festzustellen, welche von den vielen noch unbekannten Werken veröffentlicht werden sollten. Wolfs Markierungen zeigen, daß er Dutzende, vielleicht Hunderte Autographe durchforstete und sie nach Datum und anderen Kriterien einordnete. […] Von besonderem Interesse ist es, daß Wolf ein Ordnungssystem entwickelt hat, das sein Bemühen um Authentizität widerspiegelt”.7
Wanting to know who had first identified Johann Wolf as the writer of these marginalia, I approached Walther Dürr, who kindly referred me to his first Critical Report in the NGA edition of Schubert’s Lieder, vol. 1 from 1972, where the following explanation appears: “Weitere ergänzende Eintragungen […] stammen von Johann Wolf, wahrscheinlich einem Verlagsangestellten der Firma Spina. Von diesem rührt wohl auch eine Zählung der Lieder des Manuskriptes her, jeweils links unten auf der
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This online report by Michael White is entitled “Secrets and lieder” and was written to announce the premiere performance in London of the “Kosegarten cycle”, organized by pianist David Owen Norris. See Walther Dürr, NGA IV/8, Kassel 2009, p. XVIII: “Zweifel an der Authentizität dieser Ordnung ergeben sich dabei auch aufgrund einer zweiten, früheren Zählung: Als der Verlag (damals noch Diabelli & Co.) die Manuskripte erwarb, wurden die einzelnen Lieder mit Rötel numeriert: Die von Wolf mit 12 und 13 (D 237/236) gezählten Lieder tragen z. B. die Rötel-Nummern 39 und 40, Wolfs Lieder 14 und 15 (D 233/221) hingegen die Nummern 177 und 178. Zahlreiche Lieder ohne Rötelzählung scheint der Verlag erst später erworben zu haben: Offenbar hat erst danach Johann Wolf die Kosegarten-Lieder zu einer einheitlichen Gruppe (wieder?) zusammengefügt.” NGA IV/9, Kassel 2011, p. XXVI. Solvik, Lieder im geselligen Spiel (cf. Fn. 1), p. 32.
The Viennese Composer Johann Wolf (1805–1874)
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Seite und in Tinte”.8 In 1975, Dürr explained further: Wolf “hat auf den Autographen Schubertscher Lieder, soweit sie im Besitz des Verlages waren, Titelkonkordanzen vermerkt und dabei häufig auch die Fundorte der Quellen angegeben.”9 Ernst Hilmar, in his 1978 catalogue of Schubert manuscripts owned by Vienna’s City Library, provided more details, at first mentioning numbers in the hand of Ferdinand Schubert: “Offensichtlich hat dieser nach Franz Schuberts Tod eine Art Bestandsaufnahme durchgeführt, bevor die Manuskripte an den Verlag Diabelli & Comp. gelangt sind. – Noch eine zweite Handschrift ist häufig festzustellen: sie stammt von Johann Wolf, selbst Komponist und daneben Rezensent (z. B. in Bäuerles ‘Theaterzeitung’) und offensichtlich Vertrauter des Verlagshauses Diabelli. Wolf hat mehrere Manuskripte in der rechten unteren Ecke mit Nummern versehen und zudem – in umständlicher Weise – Listen von Werken angeführt, die vom Titel her ähnlich wie das jeweils vorliegende lauteten.”10
As we shall see, Hilmar was able to provide new details about Wolf ’s apparent activity as a critic based on a letter located in the Wienbibliothek. The references to Diabelli or Spina actually apply to the same firm: Anton Diabelli (1781–1858), who had purchased a large portion of Schubert’s musical estate from Ferdinand Schubert, retired from running his publishing company in 1851, leaving it in the control of Carl Anton Spina (1827–1906), who in turn sold the business to Friedrich Schreiber in 1872. Dürr mentioned Wolf again in his article on the “Reinschrift” of Schubert’s setting of Kosegarten’s Das Finden D 219 for the 1989 catalogue of the Hans P. Wertitsch collection, identified here as “Spinas Archivar Johann Wolf ”.11 Five years later, Ernst Hilmar, in describing in detail the Schubert autographs collected by Wertitsch, which now included more Kosegarten settings (for example, the fair copies of four songs numbered by Wolf 1, 2, 5 and 6), wrote that the marginalia “steht in der Handschrift von Johann Wolf, der im Verlag Diabelli beschäftigt war”.12 But, no new biographical details were supplied about Wolf, not even his dates. Who was he? Walther Dürr, NGA IV/1, Kritischer Bericht, Tübingen 1972, p. 70. In his e-mail message to me from 17 September 2013, Dürr indicated that he probably first came across Wolf ’s name in an auction catalogue from J. A. Stargardt. Dürr also referred me to his Kritischer Bericht for the Lieder, vol. 10, Tübingen 2009, p. 55, where he mentions that Johann Wolf has signed his own name on fol. 2r of a convolute of Schubert “Reinschriften” that begins with Blumenlied D 431 and ends with Canon a trè D deest; see www.schubert-online.at. 9 Walther Dürr, Franz Schuberts Werke in Abschriften. Liederalben und Sammlungen, Kassel 1975 (NGA VIII/8), p. 12. 10 Ernst Hilmar, Verzeichnis der Schubert-Handschriften in der Musiksammlung der Wiener Stadt- und Landesbibliothek, Kassel 1978 (Catalogus Musicus 8), p. VIII. 11 See Walther Dürr, Franz Schubert: Das Finden. Von der ersten Niederschrift zur Reinschrift, in: Beiträge zur musikalischen Quellenkunde. Katalog der Sammlung Hans P. Wertitsch in der Musiksammlung der Österreichischen Nationalbibliothek, hrsg. von Günter Brosche, Tutzing 1989, pp. 345–351, at p. 346. 12 See Ernst Hilmar, Die Schubert-Autographe der Sammlung Hans P. Wertitsch. Katalog, in: IFSI. Mitteilungen Nr. 13 ( Juni 1994), pp. 3–42, at p. 11. The four fair copies of Kosegarten settings in the Wertitsch collection, now owned by the ÖNB-Musiksammlung (A-Wn), are Huldigung D 240 (Wolf No. 1), Alles um Liebe D 241 (Wolf No. 2), Das Finden D 219 (Wolf No. 5) and Idens Nachtgesang D 227 (Wolf No. 6). One can view these numbers in Wolf ’s hand in the lower left-hand corners of the original MSS on www. schubert-online.at.
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The great Austrian lexicographer Constant von Wurzbach (1818–1893) reported as follows in 1889: “Johann Wolf, ein in Wien lebender Compositeur, welcher zu Ende der Fünfziger- und Beginn der Sechziger-Jahre mehrere Gesangs- und Claviercompositionen bei Wiener Musikverlegern herausgegeben hat, unter Anderem: ‘Fliegende Blätter. Für Pianoforte zu 2 Händen’, 2 Hefte Op. 11 (Wien, Haslinger); – ‘Silhouette einer Romanze von W. A. Mozart’ (ebd. 1863, Spina); – ‘Bifolium. 2 amorose Tonstücke’ (ebd. 1865, Haslinger), bildet auch Nr. 173 des bei Haslinger in Wien herausgegebenen musicalischen Sammelwerkes: ‘Neuigkeiten im eleganten Style’; – ‘3 Lieder: Ihr Auge, von Sorger; Heimlicher Schmerz, von J. Nep. Vogl; Der alte Schiffer, von J. G. Seidl’ Op. 9 (ebd. 1865, Spina); – ‘Au bord du fjord de Bergen. Pièce charactéristique’ (ebd. 1866, Spina); – ‘Freie Phantasie über Rich. Wagner’s Tannhäuser’ Op. 15 (ebd. 1867, Spina); – ‘Etuden-Sonatine’ Op. 21 (ebd. 1870, Spina).”13
Wurzbach was unable to supply Wolf ’s dates, and apparently no one since has bothered to do any research on him. In general, it is a sad reality that composers who worked in Vienna between the death of Schubert and the era of Brahms, Bruckner and Mahler have been sorely neglected.14 In the case of Wolf, the fact that his name is fairly common adds to the difficulty in establishing his basic biography. For example, there was also a librarian in Vienna named Johann Wolf who died single at the age of 77 on 15 June 1840, identified as “fürstl: Lichtensteinischer Bibliothekar, von Kinderich im Herzogthum Nassau gebürtig, Stadt No 251.”15 Furthermore, there was a pianist and violinist named Johann Conrad Ludwig Wolf, born in Frankfurt am Main on 29 July 1804, who died in Vienna on 6 August 1859, after studying composition with Ignaz Ritter von Seyfried and publishing numerous works, especially chamber works for strings. In fact, the standard musicological literature has confused this Wolf – even though he normally published under the name Louis or Ludwig Wolf – with Spina’s archivist Wolf, thoroughly mixing up the works composed by these two men, as if they were written by one person.16 The following discussion explains how I was eventually able to identify the correct Wolf. 13 Constant von Wurzbach, Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich, vol. 58, Wien 1889, p. 18. 14 An exception may be seen in the case of Benedikt Randhartinger, thanks to the untiring efforts of Adi Trimmel. But even the dates of Schubert’s composer friend Joseph Lanz (1797–1873) were unknown until I established them recently. See Rita Steblin and Frederick Stocken, Studying with Sechter. Newly-Recovered Reminiscences about Schubert by his Forgotten Friend, the Composer Joseph Lanz, in: Music & Letters 88/2 (May 2007), pp. 226–265. 15 See A-Wsa, Totenbeschauprotokoll (TBP) under 1840, lit. W, 15. Juni. 16 See the article on “Wolf, Johann Conrad Ludwig” by Henrike Hartmann in: MGG1, vol. 14 (1968), col. 796 f. Hartmann was aware there was a problem, writing “ob u. wieweit etwa verschiedene Titel dass. Werk bezeichnen, konnte nicht geklärt werden, ebenso nicht die Frage der gültigen op.-Zählung”, but did not realize that she had combined here the works of two different composers in one list. Walther Dürr wrote as follows to me in September 2013 about Spina’s Wolf: “Ich habe – im Anschluß an Alexander Weinmann – lange geglaubt, dieser Johann Wolf sei identisch mit Johann Conrad Ludwig Wolf (1804– 1859, Henrike Hartmanns Artikel in MGG1), einem fruchtbaren Komponisten. Das kann aber nicht sein, denn Wolfs Anmerkungen beziehen sich z. T. auf Spinas Plattennummern von 1865 ff. Auch dieser Wolf hat komponiert.”
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My first task was to locate works by “Johann Wolf ” that are housed in the three most important Viennese music libraries / archives. (See Appendix 1 below for my preliminary list of his surviving compositions.) In so doing, I also found other autograph materials that aided in his identification. Because of his common name, it would have been hopeless to begin the search by looking for biographical materials on a person named “Wolf ” at the Wiener Stadt- und Landesarchiv (A-Wsa, Gasometer). The Wienbibliothek im Rathaus (A-Wst) contains several items under the name “Wolf, Johann”, including two published pieces – Fliegende Blätter and Bifolien No. 1 (see Appendix 1: Op. 1 and ?Op. 2) – and three handwritten items: a score, a letter and an album entry. A comparative study reveals that the latter three items are in the same handwriting as the marginalia on the Schubert manuscripts. However, the online catalogue entry for the autograph two-page score (MHc-9078) with music for male chorus on the text “Ein Lebehoch dem schönen Oesterreich!” – the poet is Johann Nepomuk Vogl (1802–1866) – identifies the composer as Johann Nepomuk von Wolf (1743–1829).17 This is definitely wrong! The signature “Johann Wolf ” on this piece in C Major for tenor and bass voices (which I have labelled WoO 1) is the same as that for our composer / archivist Wolf, and he was certainly alive after 1829! (See Wolf ’s signature in the illustrations below.) The letter is dated 13 May 1848 and reads: “An Seine des Herrn Adolph Bäuerle, Redacteur der: Allgemeinen Theaterzeitung etc etc etc Wien am 13. Mai 1848 Wohlgeboren! Da ich erst gestern in Erfahrung brachte, daß von den bei H. F. Müller zur Herausgabe angenommenen beiden Männerchören der Tex[t] des Einen, nämlich: Ausrückungslied der Nationalgarde von M. G. Saphir Eigenthum der Kunst- und Musikalienhandlung Diabelli et Comp. ist, daher bei H. F. Müller nicht erscheinen darf, so halte ich mich verpflichtet, dieß hiermit allsogleich anzuzeigen mit der ergebensten Bitte: Falls über schon geschehene Einrückung meines Aufsatzes in N 108 der Theaterzeitung, wofür ich verbindlichst danke, die bereits erschienenen Compositionen (Bifolien u. 3 Versetten samt Fuge) noch einer näheren Besprechung gewürdigt werden sollten, vorläufig den Verlagsort der in meinem Aufsatze erwähnten Männerchöre nicht näher zu bezeichnen, weil ich mich erst hierüber mit der Diabelli’schen Kunsthandlung in’s Einvernehmen setzen muß. Hochachtungsvoll ergebenster Johann Wolf ”18
17 A-Wst MHc-9078. The poem by Johann N. Vogl, beginning “Du Land der Rebenhügel”, was published with the title “Schönes Österreich” as the first item in Vogl’s Blätter und Trauben, Wien 1843, a book dedicated to an Austrian winegrower and containing settings of poems celebrating wine by 44 composers, including Carl Haslinger, J. Hoven, Franz Lachner, B. Randhartinger, Simon Sechter and Louis Wolf. 18 A-Wst H. I. N.-3584: “Wolf, Johann: Brief an Adolf Bäuerle – Datum: 1848.05.13.” Wolf is not identified with any dates in the online catalogue entry.
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This message to Adolf Bäuerle, editor of the Wiener Theaterzeitung, concerns Wolf ’s announcement in issue No 108 on 5 May 1848 of the publication of two of his compositions, Bifolien No 1 and Drei Versetten über “Asperges me” (see Appendix 1: ?Op. 2 and ?Op. 3), and the forthcoming publication of a work for male chorus entitled Fliegendes Blatt für Männerchor (?Op. 4). This announcement reads as follows: “Bei H. F. Mü l ler, Kunst- und Musikalienhändler in Wien, Kohlmarkt Nr. 1147, sind neu erschienen: Die erste Nummer der Bifolien, Sammlung von Original-Compositionen für das Pianoforte, dann eine Composition für die Orgel oder das Pianoforte, beide von Johann Wol f. Die beiden Tonstücke des Bifoliums haben zum Zweck, die Elemente zweier verschiedener Charaktere auszudrücken u. zwar [im] Andante: Ernst, gepart mit den Elementen der Grazie, im Allegro, lebensfrohe Heiterkeit mit trüben Ahnungen. Dem Ganzen liegt das Motto zum Grunde: Ernst ist das Leben, heiter ist die Kunst. Vielleicht ist Idee und Ausführung gelungen. Dieses Bifolium ist dem Fräulein Karoline Sechter gewidmet. Die Composition für die Orgel oder das Pianoforte enthält drei Versetten über: Asperges me und eine Fuge über: Glückselig’s neues Jahr, das alte ist schon gar. Diese Composition ist dem Herrn Ambros R ieder, Regenschori in Perchtoldsdorf, gewidmet, einem Manne, der trotz seiner isolirten Stellung sich vielseitig die Achtung der Musikkenner erworben hat. Es dürfte hiermit dem greisen Veteran eine angemessene und vielleicht nicht ganz unwürdige Spende dargebracht sein. Die Titelblätter sind elegant und sehr geschmackvoll, Stich und Druck (Preys Druckerei) ausgezeichnet. Demnächst wird erscheinen: Fliegendes Blatt für Männerchor, der Nationalgarde gewidmet, und zwar: Nationalgardistenlied, von Dr. Johann Nep. Vogl , und Ausrückungslied der Nationalgarde, von M. G. Saphir. Johann Wol f.”19
From these items in the Wienbibliothek, we may conclude that Wolf first began publishing his works in 1848, and that he was not yet working for Diabelli’s firm. His dedicatees are interesting because of their connection to Schubert. Karoline Sechter (1823–1888) was the younger daughter of the theorist Simon Sechter (1788–1867), to whom Schubert – and his composer-friend Joseph Lanz – went for counterpoint lessons on 4 November 1828.20 In 1849 she would marry Karl Egger, the widowed husband of her older sister Wilhelmine. Ambros Rieder (1771–1855), choir director in Perchtoldsdorf, was the father of both the schoolteacher Johann Rieder (1792–1876) – Ferdinand Schubert’s best friend – and the artist Wilhelm August Rieder (1796–1880), painter of the well-known water-colour portrait of Schubert in May 1825. Regenschori Rieder – who had known Mozart and Haydn – dedicated a composition to Schubert in July 1826, Präludien und Fughetten für die Orgel oder das Pianoforte, op. 82, published by Anton Diabelli & Comp. This is the only work known to have been dedicated to 19 Allgemeine Theaterzeitung (Wien), Jg. 41, Nr. 108 (5. Mai 1848), p. 436. 20 See Steblin and Stocken, Studying with Sechter (cf. Fn. 14). See also Steblin, Der Komponist Joseph Lanz (1797–1873). Ein vergessener Freund Franz Schuberts aus Oberösterreich, in: Streifzüge II. Beiträge zur oberösterreichischen Musikgeschichte, hrsg. von Klaus Petermayr und Erich Wolfgang Partsch, Linz 2011, pp. 77– 107.
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Schubert during his lifetime.21 Wolf ’s Fliegendes Blatt for male chorus was apparently never published, and could not be located in any of the libraries I examined. Nevertheless, I have assigned it the tentative number ?Op. 4. The third autograph item housed by the Wienbibliothek is a page in Wolf ’s hand in the album compiled in 1862 for Karl Haslinger (1816–1868) on the occasion of the 25th anniversary of his concert series.22 Wolf wrote here a three-voice piece in C Major entitled “Punschlied von Schiller” on the text “Vier Elemente, innig gesellt, bilden das Leben, bauen die Welt […] Citrone, Zucker, Wasser, Geist”. The verso side contains a programmatic work for pianoforte in B-flat Major entitled “Fliegendes Blatt”.23 Also included is a photograph of Wolf showing a slim man with thinning hair and a moustache, standing with his hands folded on a mantelpiece. The ÖNB-Musiksammlung (A-Wn) contains several published works by Johann Wolf – including Op. nos. 9, 11–15, 21–22 – and two autograph items, one of which is “Fantasie über 3 Lieder von Josef Brixner für das Pianoforte componirt von Johann Wolf ” (WoO 11), a manuscript purchased by the library in 1939 from a dealer named Taborsky. Several religious works, part of the “Fonds St. Peter-Wien”, are identified in the library catalogue as having been composed by “Johann Wolf ”. (The composer is not identified with dates in the catalogue.) One of these sacred pieces (B 200) is indeed in the hand of Spina’s archivist: “2 Tantum ergo für Sopran, Alt, Basso et Organo”, but the others were copied by an unidentified professional. (I have included them in Appendix 1 as WoO nos. 3–7.) These items in A-Wn did not help me to establish Wolf ’s biography. The solution to the mystery about his identity finally came via the autograph materials – compositions accompanied by various letters – that are housed in the Gesellschaft der Musikfreunde (A-Wgm). Two letters signed by “Johann Wolf ” and addressed to the composer of “Der Tänzer”, that is, J. Hoven = Johann Vesque von Püttlingen (1803–1883), accompanied the autographs of eight of Wolf ’s unpublished works, including “Schubertlieder Fantasie” (see Appendix 3 for the text of these letters). Both letters are inscribed “Wien 22. Juli 1874”, meaning that the mysterious composer Wolf was still alive on that date. Armed with this clue, I then searched Lehmann’s Viennese address books (formerly on microfiche, now online) to narrow down possible candidates, and found that a pensioned bureaucrat was listed in the 8th district (“p. Bmt., VIII. Tigerg. 8”) until 1875, but that Lehmann’s Wohnungs-Anzeiger for 1876 now contained the entry for his widow: “Wolf Elisabeth, Bmt.-Wwe., VIII. 21 See Erich Benedikt, Musik für Franz Schubert, in: Schubert neu entdeckt, hrsg. von Erich Benedikt, Wien 1999, pp. 69–75. 22 A-Wst C H. I. N.-49883; Ic 76402. This Stammbuch opens with the following inscription: “Herrn Karl Haslinger zur Erinnerung an den 25jährigen Bestand seiner musikalischen Abende gewidmet 1862” and contains entries by Ignaz Aßmayr, Karl Maria von Bocklet, Ignaz Franz Castelli, Simon Sechter, Leopold von Sonnleithner, Ferdinand Walcher, etc. Johann Wolf ’s entry is on p. 65. 23 The programmatic text inserted into Fliegendes Blatt on p. 65v reads (based on my research notes made in April 1997): “Pintsch läuft bald rechts, bald links. Haslinger und Wolf promeniren in der Klausen und sprechen vom Kontrapunkt. Haslinger und Wolf fahren auf der Eisenbahn gegen Wien. Haslinger steigt in Liesing aus. Wolf kommt in Wien an. Adieu.” (This Stammbuch was unavailable for research in fall 2013.)
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Tigerg. 8.” I next combed through Vienna’s death records, working backwards from 1876, and eventually came across this entry, dated 1 December 1874: “Wolf Johann [Persönliche Eigenschaft:] kk Beamter in Pens [Alter:] 69 J [Stand:] vh [Religion:] kath [Geburtsort:] Wien [Wohnort und Sterbeort:] VIII Tigergasse 8 [Todesart:] Lähmung.”24
After more searching, I found a brief obituary published two days later in the Neues Wiener Tagblatt under the heading “Theater und Kunst”, confirming that this was our long-sought-after composer: “Der in weiteren Kreisen bekannte Kompositeur und Musiktheoretiker, Herr Joh. Nep. Wolf, ein Schüler Sechter’s, ist gestern an Altersschwäche gestorben.”25
Wolf ’s estate settlement has not survived, but with the information from his death record, I was able to locate further documentary materials, both in parish archives and in the Wiener Stadt- und Landesarchiv, and thus learn a great many details about this interesting theorist and composer. Johann Wolf’s Biography Here is a summary of my research to establish the basic facts of Johann Wolf ’s life. His parents – Johann Georg Wolf (1769–1821), master coppersmith, and Johanna Leidenfrost (1779–1862), daughter of a restaurant owner – married on 1 February 1803 in the Viennese parish of St. Michael. The banns were recorded on 16, 23, and 30 January 1803 at the Schotten Pfarre, in the parish of the groom, and the entry there reads: “Bräutigam: Der Herr Johann Georg Wolf bürg[erlicher] Kupferschmidmeister geb[ürtig] von Wien des Joh. Georg Wolf Ziergärtners und Johanna ehl[icher] Sohn. Wohnung: Im tiefen Graben No 175. 4 Jahr. Jahresalter: 33. Katholisch. Ledig. Braut: Johanna Leidenfrost geb. von Wien des Johann Leidenfrost b[ürgerlichen] Wirths und Johanna ehl: Tocht[er]. Wohnung: In der Dorotheegasse 1172. Jahresalter: 23. Katholisch. Ledig.”26
A marriage contract, signed on 11 January 1803, shows that the groom contributed a dower of 4000 f (Gulden) and the bride a dowry of 2000 f, with the combined sum 24 A-Wsa, TBP, lit. W (Dec. 1874), fol. 609. 25 Neues Wiener Tagblatt, 8. Jg., Nr. 332 (3 Dec. 1874), p. 5. 26 Pfarre Schotten Trauungsbuch 1802–1808, fol. 38. See matricula-online.eu. Although the Anmerkung reads “Die Trauung gehört zu St. Augustin”, the marriage ceremony took place at St. Michael. The Matrikeln for the Michaeler Pfarre are currently being digitilized (in summer 2013) and were not available for my research. The composer’s paternal grandparents were Johann Georg Wolf “ein Gartner von Ebreichstorf ” and Johanna Stroblin “zu Schwandorf aus der Pfaltz gebürtig”. Their marriage entry on 8 February 1762 was also recorded at the Pfarre Schotten. Later documents show two variants for the mother’s family name: she used “Leidenfrost” and her parents and siblings used “Leibenfrost”.
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to be inherited by the survivor. The bride signed her name: “Johanna Leidenfrost als Braut” but her father signed the document (also writing his wife’s name) using the variant spelling: “Johan Leibenfrost Bürgerlicher Gastgöb / Johanna Leibenfrostin”. This professional host – Johann Wolf ’s grandfather – owned the house at I. Dorotheergasse 3. At his death at the age of 77 on 21 March 1824, he was survived by eleven children, including Johann’s mother and five sons, one of whom was Franz Leibenfrost (1790–1851), the owner of the famous coffeehouse “Leibenfrosts”.27 Schubert and his friends would visit the premises at the corner of Neuer Markt and Plankengasse on several occasions in early 1825.28 When Johann Wolf ’s grandmother, Johanna Leibenfrost, died at the age of 78 on 21 November 1833, she left the huge sum of 46,324 f 28 x C. M. to be inherited by her children (and grandchildren, that is, the children of a deceased daughter).29 Eight children were born to Johann Wolf ’s parents, all at the address Tiefer Graben 175 (in a house, later renumbered Stadt 168, that once stood at the present-day location Tiefer Graben 17/Wächtergasse 2), but three died as babies.30 The surviving children were: Joseph Johann Martin, *11 November 1803 Johann Nepomuk, *28 June 1805 Karl Ignatz, *5 October 1806 Johann Georg Michael, *29 September 1808 Gabriela Regina Apollonia, *9 February 1818
Our composer Johann was born and christened on the same day, 28 June 1805. His godmother was his maternal grandmother, “Johanna Leidenfrost bürg: Gastwirthin”.31 His father, Johann Georg Wolf, died of dropsy at the age of 52 on 15 June 1821 in the house he now owned, Stadt 168, having purchased this property in 1809.32 The estate settlement records that he was survived by five underage children living at home: “Joseph, Kupfers[chmied] 17 Jahre alt, Johann Student 15 Jahr, Karl 14 Jahr, Georg
27 See Hans Pemmer, Alt-Wiener Gast- und Vergnügungsstätten, Wien 1969 (mschr.), vol. 2, p. 264 f., although he was mistaken in writing here that there were 13 children in the Leibenfrost family. See the estate settlement of Johann Leibenfrost: A-Wsa, Verl. Abh. A2, Fasz. 2-1365/1824. 28 See Schubert. Die Dokumente seines Lebens, p. 277. Franz von Hartmann wrote as follows in his Familien-Chronik: “1825 […] Ein großer, die tiefsten Erinnerungen hinterlassender Genuß waren auch die Schubertiaden […] diese Abende waren am 29. Januar, 10. und 26. Februar, und zum Schlusse gingen wir mit Schwind und Schubert in Leibenfrosts”. See Deutsch, Erinnerungen, p. 314 f. 29 A-Wsa, Verl.-Abh. A2, Fasz. 2-5851/1833. 30 These three children were Joseph *19 August 1804, Johanna Anna *1 Oct. 1809, and Anton von Padua Vincenz *19 Feb. 1815. All eight children were christened at the Pfarre Schotten (see the online matricula). 31 Pfarre Schotten Taufbuch 1799–1808, fol. 147 (see the online matricula). Johann Nepomuk’s father is recorded here as “Joh. Georg Wolf bürg: Kupferschmidmstr.” and his mother as “Johanna gebohrne Leidenfrost”. 32 The death record (TBP) on 15. Juni 1821 reads: “Wolf H[err] Georg, bürg: Kupferschmidmeister, verheurath, hier gebürtig, im eign. H. N. 168. im Tiefengraben, an der Brustwassersucht, alt 52. Jr. Abends 7½ Uhr.”
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12 Jahr, und Gabriela 3 J. alt. Alle bei der leib[lichen] Mutter im Sterbeorte.”33 In his testament, the father stipulated that each of his five children should receive 3000 f C. M. (to be paid out at the age of majority, the 24th birthday), with the interest in the meantime being applied to their education. The co-guardian, along with the mother, was Adam Schuller, “bürgerlicher Ledermeister”, the husband of one of the mother’s sisters. When this guardian died, on 14 September 1837, both Johann and Georg Wolf signed a document agreeing to take over the co-guardianship for their still underaged sister Gabriela. Johann Wolf ’s signature on this document is the same as what appears on his own compositions (and was my inital confirmation that I had located the right person). This is also the same signature that is found next to Wolf ’s marginalia on a Schubert autograph: the convolute beginning with Blumenlied D 431.34 In 1837, Wolf gave his profession as “k. k. N. Oe. Landrechts Kanzellist”. According to the conscription record begun in 1805 for Stadt 168, the family home on Tiefer Graben, Johann is first mentioned here as a “Student”, then as a “Kadet beym Pionier Corps” and finally “Pontonier Corps”. In the later record for “Wohnparteyen Nr. 1”, begun in 1830, Johann is described as an “Akzessist beim n. oe. Landrechte, ddo. 23. Feb. 1830” – giving the date when he was appointed to this position – followed by the remark “Kanzlist” – indicating his promotion to a higher position with the Lower Austrian government.35 The Wolf family is also entered on a conscription record for the address Stadt 235, located on Tiefer Graben 8, where they apparently lived for a number of years, and the information beside Johann’s name here shows that he was called up for military duty on 15 November 1824 but was dismissed as unfit for service because of a chest defect.36 Since Johann’s bride, Elisabeth Leppich, also lived at this address with her family, this must have been where he met his future wife.37 Johann’s career advancements – and the addresses where he lived – can be followed in the Hof-
33 A-Wsa, Verl. Abh. A2, Fasz. 2-3479/1821. 34 See Blumenlied D 431 on www.schubert-online.at: Johann Wolf has signed his remarks at the bottom of fol. 2r. This “Sammelmanuskript” is now located at A-Wn, call number: Mus.Hs.L14.Münze.2. See also Fn. 8 above. 35 See A-Wsa, Cons. Bg. Stadt 168/1 and Stadt 168/8. The first record shows that Johann’s older brother Joseph, born in 1803, trained as a “Kupferschmidt”, was called for military duty in 1821, but was released as “untauglich wegen Ausdehnung beiden Leisten” and then died (date unspecified, but see below Fn. 45). Johann’s brother Carl *1806 was described as a “Kupferschmidgeselle” who was called up by the military on 15 Sept. 1824 but was dismissed because of a “Brustdefekt”. On 22 May 1827 he received a one-year travel pass for Paris, but then died (date unspecified, but see Fn. 45). The second record, begun in 1830, shows that the youngest brother Georg *29. Sept. 1808 was appointed as “Praktikant bey der allg[emeinen] Hofkammer laut Dek[ret] dto. 15. Juni 1830”, before advancing to “Akzessist” and later to “Kanzlist”. This record also shows that Georg married and became a “BadInhaber zu Sechshaus”. On 8 June 1837 he received a 2-month travel pass to Salzburg and Karlsbad. Johann’s sister Gabriela *1818 married Heinrich Michael Stutz *1807, a government official, in 1842 and the couple also lived at Stadt 168. 36 See A-Wsa, Cons. Bg. Stadt 235/9, Wohnparteyen 3: “Johann Wolf *1780, brg. Kupferschmid, v. Wien, No 168 Stadt. Sohn Johann […] dem 15. Nov. 1824 gestellt, wegen Brustdefekt untauglich. Accessist der k. k. Landstände, l[aut] Dec[re]t dto 23. Febr. 1830”. 37 See A-Wsa, Cons. Bg. Stadt 235/6v, registering Elisabeth Leppich as one of six children of the master baker Joseph Leppich, and Cons. Bg. Stadt 235/8, for the more detailed record begun in 1830.
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und Staats-Schematismus des österreichischen Kaiserthums. Here is a summary, indicating only the changes: 1831: K. K. nied. öst. Landrecht. Expedit und Kanzley. Accessisten. Herr Johann Wolf, woh. im tiefen Graben 168. 1837: K. K. nied. öst. Landrecht. Expedit und Kanzley. Kanzlisten. Herr Johann Wolf, woh. im tiefen Graben 168. 1842: K. K. nied. öst. Landrecht. Expedit und Kanzley. Kanzlisten. Herr Johann Wolf, Josephstadt 221. [= VIII. Tulpeng. 5 / Lenaug. 18] 1846: K. K. n. öst. Landtafel. Kanzlisten. Herr Johann Wolf, Josephst. 221. 1847: Josephst. 53. [= VIII. Florianig. 15] 1848: Josephst. 221.
Johann’s new address in 1842 in the suburb of Josephstadt – after he had moved out of his mother’s home – was obviously a direct result of his marriage. This major biographical event is recorded in the “Trauungs-Matriken” at the Pfarre Schotten (now conveniently online) and the entry reads as follows: “Sind den 15ten May 1841 von Urban Loritz Kapitular-Priester des Stiftes Schotten getraut worden […] [Bräutigam:] Johann Wolf, Kanzlist bey dem k. k. n. ö. Landrechte, led[igen] St[andes] gebürtig von Wien in der Stadt, des Johann Georg Wolf bürg[erlichen] Kupferschmiedmeisters und Hausinhabers sel[ig] und dessen Gattinn Johanna gebornen Leibenfrost noch am Leben ehe[licher] Sohn. [Verkündigung:] 25. April 2. 9. May [Wohnung:] Stadt Tiefe Graben No 168 d[urc]h 10 Jahre l[aut] Z[eu]g[ni]ß. Katholisch. 35 Jahre alt. Unvereheligt. get[auft] bey den Schotten den 28. Juny 1805. [Braut:] Elisabeth Leppich, led. St. gebürtig von Wien in der Stadt, des Joseph Leppich bürg: Bäckermeisters, und dessen Gattinn Elisabeth gebornen Held beyder noch am Leben eheliche Tochter. [Wohnung:] Stadt Tiefe Graben No 235 dh 18 Jahre l. Zgß. Katholisch. 25 Jahre alt. Unvereheligt. get. bey den Schotten den 17. October 1815. [Beistände, eigenhändig unterschrieben:] Joseph Leibenfrost bef[ugter] Kaffehausinhaber Stadt No 1060. Max[imilian] Widmann Großhandlungs Cassier Mariahilf No 74. [Anmerkung:] Der Bräutigam hat sein Anstellungsdekret ddo 7. Juny 1836 Zahl 9244 gezeigt, und die Erlaubniß zur nachmittägigen Trauung gebracht.”38
38 Pfarre Schotten Trauungsbuch 1836–1843, fol. 179. See matricula-online.eu, Wien, Schotten, Sign. 02/45.
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The “Volkszählung” (census) record from 1857 for the address Josephstadt 53 (VIII. Florianigasse 15) shows that the following persons were registered in apartment 12, all born in Vienna: “Johann Wolf *1805, k. k. Beamter, Wien Ehefrau Elisabeth *1815 Sohn Eduard *1851 Tochter Elisabeth *1842 Tochter Maria *1843 Tochter Karoline *1845 Tochter Anna *1848 Mündel Johan Löblich [*30.I.1830], Buchbinder, elternlos.”39
This address belongs to the Pfarre Maria Treu, and the “Taufbücher” there record the births of these five children. The entry for the first child, Elisabeth, born on 22 March 1842 and christened the next day, reads: “22 geb[oren] / 23 get[auft] März 1842 Josephstadt 221 Elisabeth [Vater:] Johann Wolf, Kanzellist bei dem k. k. N. Ö. Landrechte S[ohn] d[es] Johann Georg Wolf bürgl. Kupferschmidmeisters u. Hausinhabers u. d. Johanna Leibenfrost. Kath. Rel. [Mutter:] Elisabeth Leppich T. d. Joseph Leppich bürgl. Bäckermeisters u. d. Elisabeth Held. Kath. Rel. [Pathin:] Elisabet Leppich Bäckermeist[er]s Gattinn.”40
The father’s entry in the Taufbuch was written by Johann Wolf in his own hand (see Plate 1, showing his inscription for the next child, his daughter Maria Johanna, born and christened on 25 July 1843). The godmother of this second child – Johann’s mother – signed the entry: “Johanna Wolf Hauseigenthümerin”.41 For the third child, Caroline, born and christened on 2 August 1845, the father’s profession had changed, reading: “Johann Wolf k. k. N. Oe. Landtafel-Kanzellist”. The godmother was “Anna Widmann, Großhandlungs-Kassiersgattin.”42 The first three children were all born at Josephstadt 221, at the current location VIII. Tulpengasse 5/Lenaugasse 18. The fourth child, Anna, was born on 24 April 1848 and christened the next day. The family had now moved to Josephstadt 53 (VIII. Florianigasse 15). Anna’s godmother was again Anna Widmann. Johann’s son Eduard was born on 20 December 1851 at Josephstadt
39 A-Wsa, Volkszählung 1857, Josephstadt 53/12. The next sheet in this census record, for apartment 13 at Josephstadt 53, shows that Johann’s younger brother Georg, now widowed, was living here with one daughter: “Georg Wolf *1808, kk. Finanz Minister: Beamter, katholisch, verwitwet; Tochter Marie *1842, Sechshaus bei Wien”. 40 Pfarre Maria Treu Taufbuch 1842, fol. 29. This entry also contains the note: “Heb[amme] Katharina Möbs. Stadt 455. Getr[aut] in d[er] Stadtpf[arre] zu den Schotten den 15. May 1841 l[aut] Trauschein.” 41 Ibid. Taufbuch 1843, fol. 66. 42 Ibid. Taufbuch 1845, fol. 73. For the christening of the fourth daughter, Anna, see Taufbuch 1848, fol. 41.
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53 and christened the following day. His godmother was his father’s mother, Johanna Wolf. Johann’s profession was now given as “Kanzellist d. k. k. Bezirksgerichtes”.43 On 22 June 1847 Johann’s mother gave each of her three surviving children, Johann, Georg and Gabriela, a one-third share of the house on Tiefer Graben 17; in 1850 this was divided two-ways between Johann and his sister, and they sold the house in 1860 to an insurance organization.44 I assume that the sale of this inner-city property gave Johann sufficient funds to retire from his government post – and dedicate his time to organizing Schubert’s manuscripts for Spina’s publishing firm, as well as to his own compositional activity. (Two of his brothers had died earlier: Joseph on 28 October 1822, aged 19, and Karl on 11 September 1828, while on a trip to Paris, aged 21. Johann thus inherited at each death a part of their shares of the father’s estate.)45 Johann’s mother died on 27 April 1862, at the house owned by her daughter Gabriela Stutz and her son-in-law Heinrich Stutz, on Strozzi-Hauptstraße (VIII. Strozzigasse 3) in the Pfarre Maria Treu. Her death record reads: “Wolf Johanna geb. Leibenfrost bgl. Kupferschmidts Wittwe, 85 J., Strozzengrund 51, Altersschwäche”.46 Johann Wolf continued to live at the address Florianigasse 15 until 1867, as indicated by the entries for him in Lehmann’s allgemeiner Wohnungs-Anzeiger. The following gives a summary, indicating only the changes: 1859: Wolf, Joh. k. k. Landesger.-Offiz., Josefstadt, Florianig. 53. 1864: Wolf, Joh. p[ensionierter] Beamter, VIII. Florianig. 15 [= Josefstadt 53] 1867: Wolf, Joh. p. Beamter, VII. Lindeng. 2 1871: Wolf, Joh. p. Beamter, VII. Neubaug. 73 1872: Wolf, Joh. p. Beamter, VIII. Tigerg. 8 1876: Wolf, Elisabeth, Bmt.-Wwe., VIII. Tigerg. 8
After Wolf ’s death on 1 December 1874, his widow continued to reside at the Tigergasse address – by the way, this was practically next door to the house at Tigergasse 4 where Ferdinand Schubert had lived and taught from April 1820 to January 1824, as “Knabenlehrer und Regenschori” at the school “in Altlerchenfeld”.47 In 1878 Lehmann’s address book registered Frau Wolf in the Wieden suburb at IV. Karolinengasse 30; after living 43 Pfarre Maria Treu Taufbuch 1851, fol. 112. 44 See Paul Harrer, Wien: seine Häuser, Menschen und Kultur, Wien 1953 (mschr.), vol. 2, p. 735: “1860 wurde das Haus [Tiefer Graben Nr. 17 (alt Nr. 168)] vom Pensionsinstitut der Beamten der wechselseitigen Brandschaden Versicherungsanstalt in Wien, sowie deren Witwen und Waisen erworben. Mit Kaufvertrag vom 25. April 1907 kam das Gebäude in das Eigentum der Gemeinde Wien, in deren Besitz es sich auch noch gegenwärtig befindet.” A new building was constructed there in 1912. 45 See A-Wsa, Verl. Abh. A-2, Fasz. 2-5005/1822 (for Joseph Wolf) and A-2, Fasz. 2-5164/1845 (for Karl Wolf). Karl’s estate (his share of his father’s inheritance, amounting to 3000 f C. M.) was only settled at the time his mother handed over ownership of the house to her surviving three children. The documents in 1845 contain many examples of the signature of “Johann Wolf, k. k. N. Oe. Landtafels Kanzellist”. 46 Pfarre Maria Treu Totenbuch 1855–1862, fol. 318. See also A-Wsa, TBP. The estate settlement for Johanna Wolf has not survived. 47 See Ernst Hilmar, Ferdinand Schuberts Skizze zu einer Autobiographie, in: Schubert-Studien. Festgabe der Österreichischen Akademie der Wissenschaften zum Schubert-Jahr 1978, hrsg. von Franz Grasberger und Othmar Wessely, Wien 1978, pp. 85–117, at p. 101.
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at several other addresses in this 4th district, she died at IV. Schaumburgergasse 7A on 22 June 1890 of “Lebereiterung”, identified in the death registry as “Wolf Elisabeth geb. Leppich, k. k. Beamtens Witwe, 74 J.” Her estate settlement has miraculously survived, and reveals that the following children were still alive in 1890: “Elise Wolf, Privat in Wien, VIII. Florianigasse No 19 Caroline Beldi geb. Wolf, k. k. Beamtensgattin im Sterborte Eduard Wolf, Südbahnbeamter in Wien, IV. Alleegasse No 50 Sofie Wolf, Privat im Sterborte”48
Tracing the further lives of these descendants of Johann Wolf is beyond the scope of this article. Johann Wolf’s Music Compositions Appendix 1 shows that Wolf published at least 22 opus numbers, most likely beginning with the items announced in Bäuerle’s Theaterzeitung in May 1848, Op. 1 – [?Op. 4], and concluding with a piano method in three parts (Op. 22), printed by C. A. Spina in 1873. After his first work was brought out by Tobias Haslinger’s widow and son, Wolf then used the company of Heinrich Friedrich Müller (1779–1848) for the pieces dedicated to Caroline Sechter and Ambros Rieder, but Müller died on 15 September 1848, and Wolf then published his next three works, Op. 5 – Op. 7, with the firm of Franz Glöggl (1796–1872), in 1849. Op. 8 could not be located (however, perhaps this was Die schöne Schifferin, WoO 2, published in 1850), and there was a long hiatus of about 13 years before Op. 9 appeared: with the firm of C. A. Spina in ca. 1863. This direct contact with Spina must have led to Wolf ’s archival duties with the firm, beginning in ca. 1865. Concerning Op. 10, Wolf seems to have published this unusual work himself; the long textual “Vorerinnerung” may have been too strange for the customary music publishing practice. Op. 11 – Op. 15 were brought out between late 1862 and 1867 by either Spina or Carl Haslinger (1816–1868). The next opus numbers, from Op. 16 to Op. 20, could not be located, but they were probably written in ca. 1870. Wolf may have had plans to publish some of the autograph pieces sent to Vesque von Püttlingen, but everything was stopped by his death at the end of 1874. We saw above in the advertisement Wolf placed in Bäuerle’s Theaterzeitung that his Bifolium, dedicated to Caroline Sechter, contained the motto: “Ernst ist das Leben, heiter ist die Kunst.” The idea of heading a composition with a motto probably came from Wolf ’s teacher, Simon Sechter, who also placed a motto on each of the daily fugues that he composed.49 Wolf ’s late autographs, housed in the Gesellschaft der Musikfreunde (including Melodien-Kaleidoskop, Lieder ohne Worte von Franz Schubert and Föderativ-Fantasie über 3 Schubertlieder) all begin with the textual motto on the 48 A-Wsa, Verl. Abh. Wieden: Wolf, gestorben am 22. Juni 1890. 49 See the Sechter autographs in the Wiener Gesellschaft der Musikfreunde.
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title page: “Das Neue reizt, das Gute fesselt.” As the list of his works shows, Wolf had a penchant for making up unusual titles, revealing a literary bent, but he must also have had a streak of eccentricity in his nature. His desire to explain his formal innovations in a written introduction – already evident in his Op. 5, from May 1849, with the long “Vorerinnerung” explaining what the title Bilateralien meant (see Appendix 2) – foreshadows this practice by twentieth-century experimental composers. Wolf wrote mostly works for the piano, in an easy style for domestic consumption, including his last publication: a basic piano method. He also wrote some vocal works: pieces for male chorus or church choirs, some of which included orchestral instruments, and a few Lieder. These are not virtuoso works, but compositions in a straightforward, non-technically demanding style – and they display no great originality in melody or harmony. At some point, Wolf seems to have turned from writing original works to making transcriptions of pieces by other composers: he set themes by Mozart, arranged motives from Richard Wagner’s Tannhäuser, and reworked Lieder by such contemporary composers as Josef Brixner, Albert Jungmann and Johann Hoven (Vesque von Püttlingen). He also began to make arrangements of Schubert’s works. One might be tempted to dismiss his creative efforts as the musical dabbling of a dilettante bureaucrat. And yet, his experimentation with form sets him off as a forerunner of certain path-breaking twentieth-century practices. In one of his letters to Vesque von Püttlingen, dated 22 July 1874, Wolf wrote as follows, summarizing his personal philosophy toward the composition of music: “Euer Hochgeboren werden sogleich erkennen, daß ich es Ernst mit der Kunst meine und daß meine Neigung zur Auffindung neuer Formen nicht als unnütze Tändelei anzusehen sei, sondern als Resultat tief durchdachten Studiums, das gleichsam zwingt, Experimente zu machen”.50
Already Wolf ’s performance instruction “Vorerinnerung” – published in May 1849 together with his Op. 5 – shows what he meant by “making experiments”: he was a pioneer in writing aleatoric music! This term, derived from the Latin word “alea” meaning “dice”, is usually defined as “music in which some element of the composition is left to chance, and / or some primary element of a composed work’s realization is left to the determination of its performer(s).”51 The first option includes Mozart’s experiment in composing music by throwing dice. Wolf, however, was involved in the second option: allowing the performer some element of choice in realizing the composed music. This second aspect is usually associated with the American composer and leading figure of twentieth-century avant-garde music: John Cage (1912–1992) – whose anniversary year was widely celebrated in 2012. Building on earlier experiments by Charles Ives and Henry Cowell, who added some elements of variability to the performance 50 See Appendix 3, Brief Nr. 1. 51 See the Wikipedia site “Aleatoric music”, accessed in November 2013. See also Paul Griffiths, Aleatory, in: The New Grove Dictionary of Music and Musicians, 2nd ed., London 2001, vol. 1, pp. 341–347, where he defines the second type of aleatory technique as “the allowance of choice to the performer(s) among formal options stipulated by the composer” (p. 341).
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of their music, Cage outlined his theory – which he called “indeterminacy” – in two lectures that he gave in Europe in 1958: the first at Darmstadt, titled simply “Indeterminacy”; the second in Brussels titled “Indeterminacy: New Aspect of Form in Instrumental and Electronic Music”.52 Here he established the classic definition of this concept: “the ability of a piece to be performed in substantially different ways – that is, the work exists in such a form that the performer is given a variety of unique ways to play it.”53 And yet, more than one hundred years earlier, a Viennese composer was experimenting with the same concept! The pioneering efforts of Wolf should now be acknowledged in discussions of the history of aleatoric ideas in music performance. The following gives a brief summary of the Schubert works set by Wolf, and serves as an introductory glimpse at his innovative aleatoric techniques, in particular, how he applied them to his transcriptions of Schubert’s Lieder, including those on Kosegarten texts. WoO 9: An den Frühling. This straight-forward transcription for piano of Schubert’s Lied D 283, on a text by Schiller, was published by Wolf in 1871 in the Leipzig collection Musikalische Gartenlaube. This work first appeared as Schubert’s op. post. 172, no. 5, published by C. A. Spina on 2 December 1865, at a time when Wolf was already working for this firm. Wolf retained Schubert’s key of F Major and his expressive marking “Mäßig, heiter”. WoO 18: Sprung-Etuden-Variationen über das Franz Schubert’sche Lied: Das Abendroth. This is a transcription for piano, not of a Lied, but of Schubert’s Terzett for two sopranos and bass, D 236, on a text by Kosegarten. This is no. 13 in Solvik’s cycle of twenty Kosegarten pieces. Since Wolf printed Schubert’s composition date “25. Juli 1815” next to the title on the music, however, this indicates that the arrangement is based not on the category IV “Reinschrift” (which has no date), but on the “erste Niederschrift”. This work was first published in 1892, long after Wolf ’s death. Thus, Wolf set here an unpublished Kosegarten piece. (I wonder if he had some sort of private agreement with Spina about the publication rights; or perhaps this was an unresolved problem, hindering the work’s publication). Wolf retained Schubert’s key of A Major for the “Etuden-Seite” but used a variety of keys for the “Melodien-Seite” and indicated – in a written instruction on the title page – that the piece was to be performed in an aleatoric fashion. WoO 19: Real- und Ideal-Fantasie über Lieder ohne Worte von Franz Schubert föderativ zusammengestellt (see Plate 2/a–e). Wolf selected here ten Schubert Lieder, most of them unpublished, and made two transcriptions of each for piano: those on the left-side pages are numbered I to X and literally follow Schubert’s originals; those on the right-side pages are numbered 1 to 10 and include slight variations, usually changing the meter. His written instruction explains how they could be performed (in this “federal” collection): either following the sequence of Roman or Arabic numerals, or alternating them (I, 1, then II, 2, etc.). Here is a brief overview, showing the keys, publication dates, and some of Wolf ’s “Abteilung” numbers for the Schubert
52 See the Wikipedia site on “Indeterminacy (music)”, accessed in November 2013. 53 James Pritchett, The Music of John Cage, Cambridge 1993, p. 108.
The Viennese Composer Johann Wolf (1805–1874)
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autographs owned by Spina (in particular, the numbers on the category IV-“Reinschriften” of the Kosegarten pieces): Wolf No. Title (Poet) 1. Schwangesang (Kosegarten) 2. Von Ida (Kosegarten) 3. Die Erscheinung (Kosegarten) 4. Klage (Hölty) 5. Der Leidende (Hölty) 6. Seligkeit (Hölty) 7. Selma u. Selmar (Klopstock) 8. Der Herbstabend (Salis) 9. Nachtgesang (Kosegarten) 10. Vaterlandslied (Klopstock)
Deutsch
Schubert
Wolf
published
Abteil.
D 318 D 228
f-Moll f-Moll
a-Moll f-Moll
1895 1894
IV/17 IV/3
D 229 D 371 D 432 D 433
E-Dur h-Moll h-Moll E-Dur
F-Dur d-Moll a-Moll E-Dur
1824 1872 1850 1895
IV/4 II/39 II/40 II/41
D 286 D 405
F-Dur f-Moll
F-Dur f-Moll
1895 1895
D 314
Es-Dur
G-Dur
1887
D 287
C-Dur
C-Dur
1895
IV/8
Here are a few general comments on the above table. For this Real- und Ideal-Fantasie Wolf selected ten Schubert Lieder: at first three Kosegarten settings, then three Hölty ones, followed by a mixture of Klopstock, Salis and Kosegarten. For one-half of the numbers, Wolf transposed the key from the original one used by Schubert, always choosing an easier key. He thus disregarded the principle of key characteristics. At the time Wolf constructed this Lieder ohne Worte, in the early 1870s, only two of the Schubert songs he selected had already been published: Die Erscheinung in 1824 and Der Leidende in 1850. But Wolf probably did not use the printed versions as his model. These two works, numbered IV/4 and II/40 in the classification system he devised for Spina, are found right next to unpublished works (IV/3 and II/41) in the manuscripts he organized. These manuscripts must have been the source of the Schubert Lieder he chose. Wolf, by mixing up the pieces so thoroughly in his composition, certainly did not maintain the integrity of any “Kosegarten cycle”. WoO 21: Föderativ-Fantasie über 3 Schubertlieder für das Pianoforte (see Plate 3/a–g). For this cycle, Wolf chose three Schubert Lieder that had already been published before 1866, setting them twice: in a straightforward transcription using large notes, and in a variation using small notes. 1. Der Abend (D 221), identified here and in the first publication from 1829 (op. 118/2) as being on a text by Hölty. However, the poem was actually written by Kosegarten, and is No. 15 in Solvik’s cycle. Wolf transposed Schubert’s Lied from B Major to the much easier C Major, and composed a sonatina-like variation in small notes. 2. An den Mond (D 259), on a text by Goethe, first appeared in ca. 1850 with a short piano prelude added by the publisher, Diabelli & Co. Wolf copied this prelude, meaning that he took this
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first publication as his model. He retained Schubert’s original key of E-flat Major, and set the variation in small notes in a waltz-like style. 3. Die Vögel (D 691) is on a text by Friedrich von Schlegel; Wolf did not identify the poet. This Lied was first published by Spina on 2 December 1865, as op. post. 172, no. 6.54 Wolf transposed the piece from Schubert’s A Major to the easier G Major. In his variation, in small notes, he merely changed a few rhythmic details. At the end of this “federal” Fantasy, Wolf rounded off the form by returning to the music of the first two Lieder and the initial key of C Major. Wolf also included a vocal part, and a “Vorerinnerung” (see Appendix 2) which explains the various aleatoric versions possible, with or without the “Singstimme”. In my opinion, this work is the most accomplished musically of the various resettings Wolf made of Schubert’s compositions.
One other work, WoO 20, although not based on transcriptions of Schubert’s Lieder, merits special attention: Melodien-Kaleidoskop für das Pianoforte (see Plate 4). This work, consisting of four pages of music, is signed by Wolf at the end and dated 13 June 1872. It contains twenty musical passages, mostly eight bars in length, illustrating various pianistic techniques in a variety of keys and meters: broken chords, chromatic scales, large chords, high registers, etc. These passages, each of which fills one keyboard system, are labelled I–X on the left-hand side, and 1–10 on the righthand side. In addition to the instructions on the title page, explaining four different ways to combine the musical contents in performance, Wolf has also included a whole page describing the invention and construction of the kaleidoscope and how this device, with its ever-changing patterns caused by revolving bits of coloured glass, can serve as an analogy to his formal innovation (see the “Vorerinnerung” in Appendix 2, where he now gives twelve different combinations of the material for performance purposes). The effect of Wolf ’s composition is kaleidoscope-like: it juxtaposes different bits of music, with rather abruptly shifting connecting points. Wolf ’s choice of title is an amazing coincidence, considering that the new caricature of Schubert “Das Kaleidoskop und die Draisine”, painted by Leopold Kupelwieser for the 16 July 1818 issue of the Archiv des menschlichen Unsinns, shows the composer peering into a kaleidoscope.55 The question remains: Why did the composer Wolf, who worked so intensively on Schubert’s autographs – identifying the Lieder and organizing them into categories, including the twenty Kosegarten settings in group IV – not recognize these twenty works as belonging to a definite cycle? He was closer to Schubert’s time, had studied composition with Sechter, and in his own creative work was concerned with organizing pieces into cycles. In fact, he took various unpublished Kosegarten pieces out 54 The Schubert autograph (“Arbeitsmanuskript”) once owned by C. A. Spina has in the margin in Spina’s hand “1865 gestoch[en]” and in Wolf ’s hand “op. 172 – 6 Lieder N6”. See D 691 on www.schubert-online. at. 55 See Rita Steblin, Die Unsinnsgesellschaft. Franz Schubert, Leopold Kupelwieser und ihr Freundeskreis, Wien 1998, p. 335, and Steblin, New Thoughts on Schubert’s Role in the Unsinnsgesellschaft, in: Schubert : Perspektiven 10/2 (2010).
The Viennese Composer Johann Wolf (1805–1874)
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of their “supposed” original cycle, changed the order and the keys, made his own arrangements, and regrouped them anew. Was he blind to their original significance? Or, had he created the numbered series himself out of the twenty Kosegarten “Reinschriften”, and so knew that the order had no deeper meaning? Be that as it may, Wolf is an interesting person in his own right: a government bureaucrat who not only organized Schubert’s autographs for Spina, but who also composed music. His innovative spirit – creating new forms and experimenting with aleatoric performance possibilities – makes him a true forerunner of certain avant garde trends in the twentieth century. *** Appendix 1 Here is a brief overview of the works by Johann Wolf that are located in three Viennese music libraries / archives (A-Wst = Wienbibliothek im Rathaus; A-Wn = Österreichische Nationalbibliothek, Musiksammlung; A-Wgm = Wiener Gesellschaft der Musikfreunde), beginning first with published works assigned opus numbers, then printed works without opus numbers and manuscript pieces (autographs or copies), to which I have assigned tentative WoO numbers, in a roughly chronological order. I have also given some details based on my preliminary examination of the music and have included a tentative date where possible.56 Op. 1: A-Wst, Mc 245 Fliegende Blätter. / für das / Piano-Forte / componirt / von Johann Wolf. / 1tes Werk. 1tes Heft / Preis 45 kr. C. M. / Der Reinertrag des ersten Heftes, bestehend aus 6 Nummern wird jährlich an das unter / dem Allerhöchsten Schutze IHRER MAJESTÄT der regierenden Kaiserin / MARIA ANNA / stehende 1te Kinderspital am Schottenfeld zugewendet. / Wien / in Commission bei / TOBIAS HASLINGER’S WITTWE & SOHN / k:k: Hof- u. priv. Kunst- u. Musikalienhändler, Kohlmarkt No 281. / Ged. bei Joh. Höfelich. [ohne Verlags-Nummer, Datierung: Anfang 1848]57 [Musik-Noten: S. 2–11, No 1. Allegretto, C-Dur; No 2. Adagio, f-Moll; No 3. Allegretto, C-Dur; No 4. Andante, As-Dur; No 5. Maestoso, Es-Dur; No 6. Allegro moderato, As-Dur]
56 I have dated Wolf ’s works published by Haslinger and Spina according to the dates provided in: Otto Erich Deutsch, Musikverlags Nummern. Eine Auswahl von 40 datierten Listen 1710–1900, 2nd ed., Berlin 1961, pp. 11 f. and 24 f. I also consulted: Alexander Weinmann, Vollständiges Verlagsverzeichnis Senefelder Steiner Haslinger, vol. 3: Tobias Haslingers Witwe und Sohn und Carl Haslinger qdm. Tobias (Wien 1843– 1875), München-Salzburg 1983, p. 121, 126, 130 and 225. 57 The date is based on the history of the Kinderspital, which in September 1848 moved from the Schottenfeld address to a new building in the Alservorstadt, and the abdication on 2 December 1848 of Kaiser Ferdinand – his wife was Kaiserin Maria Anna von Savoyen (1803–1884) – as a result of the revolution in March 1848.
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[?Op. 2]: A-Wst, Mc 6459158 BIFOLIEN / Sammlung von Original Compositionen. / No 1. / ANDANTE und ALLEGRO / FÜR DAS PIANOFORTE / componirt und dem / Fräulein Caroline Sechter / gewidmet von / JOHANN WOLF. / No 310 / Preis 45 xr. C. M. / WIEN / bei H. F. Müller, Kunst- u. Musikalienhändler / Kohlmarkt, No 1147. / Leipzig, B. Hermann. / Hamburg, A. Cranz. / St. Petersburg, A. Büttner. / K. K. Hof-Lithogr. u. Steindr. v. A. Grube, Wien. [o. VN, Datierung: angezeigt in Bäuerles Theater-Zeitung am 5. Mai 1848] [Musik-Noten: S. 2–5, Andante con moto, g-Moll; S. 6–11: Allegro, G-Dur] [?Op. 3]: A-Wgm VII 49730 3 Versetten / ÜBER / ASPERGES ME / UND / Fuge / über: „Glückseliges neues Jahr / Das alte ist schon gar“ / componirt und dem / Herrn Ambros Rieder / Regenschori zu Perchtoldsdorf / gewidmet von / JOHANN WOLF. / Eigenthum des Verlegers. Eingetragen ins VereinsArchiv. / No 357. Preis 24 kr. C. M. / WIEN / bei H. F. Müller, Kunst- und Musikalienhändler. / Kohlmarkt No 1147. / Leipzig, B. Hermann. Hamburg, A. Cranz. / St. Petersburg, A. Büttner. / K. K. Hof- Lithogr. u. Steindr. v. A. Grube. Wien. [eine Composition für die Orgel oder das Pianoforte] H. F. M. 357 [Datierung: angezeigt in Bäuerles Theater-Zeitung am 5. Mai 1848] [Musik-Noten: S. 3, drei Versetten über “Asperges me”; S. 4–5, FUGE. Glückselig’s neues Jahr! C-Dur, 4/4, Fugen-Thema mit Text unterlegt] [?Op. 4: = sollte als Druck bei H. F. Müller erscheinen; Noten fehlen “Fliegendes Blatt für Männerchor, der Nationalgarde gewidmet, und zwar: Nationalgardistenlied, von Dr. Johann Nep. Vogl, und Ausrückungslied der Nationalgarde, von M. G. Saphir.”]59 Op. 5: A-Wgm, VII 49234 Bifolien / No 2 und 3. / Bilateralien / Romanze u. Ballade / für das / PIANO FORTE / componirt / von / Johann Wolf. / Eigenthum des Verlegers. / Eingetragen in das Vereins-Archiv. / 2tes und 3tes Heft.60 Bilateralien: 30 kr. C. M. / Romanze u. Ballade: 45 [kr. C. M.] / WIEN BEI F. GLÖGGL, /
58 I have assigned the tentative numbers Op. 2, Op. 3 and Op. 4 based on Wolf ’s announcement in Bäuerle’s Theaterzeitung on 5 May 1848 (see above) of the publication of these works. See also Op. 5, “Bifolien No 2 und 3 […] 5tes Werk”, which seems to confirm that “Bifolien No 1” should be assigned an earlier opus number. 59 This entry is based on the announcement that Wolf made in Bäuerle’s Theaterzeitung on 5 May 1848. Since Wolf subsequently explained in his letter to Bäuerle, dated 13 May 1848, that the “Ausrückungslied der Nationalgarde von M. G. Saphir Eigenthum der Kunst- und Musikalienhandlung Diabelli et Comp. ist, daher bei H. F. Müller nicht erscheinen darf ”, it may be that this work was never published. And, the publisher Heinrich Friedrich Müller died on 15 September 1848. In any case, this piece is not located in the three Viennese music libraries / archives I examined. Based on Wolf ’s letter, we may assume that he was not yet working as an archivist for Diabelli’s firm at this time. 60 “2tes” is underlined with red pencil. Although “Op. 5” does not appear on the title page, this piece is identified as “5tes Werk” on p. 3.
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Kunst- u. Musikalien-Händler. Stadt No 558 im Musikvereinsgebäude. / LEIPZIG b. F. WHISTLING. / Gez. u. lith. v. F. Berndt. Gedr. b. J. Höfelich. F. G. 130 [= Mai 1849]61 [Musik-Noten: S. 2, VORERINNERUNG.62 S. 3, 5tes Werk. / BILATERALIE No 1. / Von / JOHANN WOLF. / Abtheilung I., C-Dur, Andante con moto, 4/4; S. 4–5, Abtheilung II., G-Dur, Andante con moto, 4/4; S. 6–7, BILATERALIE No 2. INTRODUZIONE, G-Dur, Allegretto, 2/4; Abtheilung I, Abtheilung II.] Op. 6: A-Wgm, VII 49235 Bifolien / No 2 und 3. / Bilateralien / Romanze u. Ballade / für das / PIANO FORTE / componirt / von / Johann Wolf. / Eigenthum des Verlegers. / Eingetragen in das Vereins-Archiv. / 2tes und 3tes Heft.63 Bilateralien: 30 kr. C. M. / Romanze u. Ballade: 45 [kr. C. M.] / WIEN BEI F. GLÖGGL, / Kunst- u. Musikalien-Händler. Stadt No 558 im Musikvereinsgebäude. / LEIPZIG b. F. WHISTLING. / Gez. u. lith. v. F. Berndt. Gedr. b. J. Höfelich. F. G. 131 [= Mai 1849] [Musik-Noten: S. 3–5, Titel: 6tes Werk. / ROMANCE / über eine WILDE ROSE von M. G. SAPHIR. / Musik / von / JOHANN WOLF. Es-Dur, Andante con moto quasi Allegretto, 3/4, Text beginnt: “Wenn ein Herz in einem andern seine Heimat hat erkoren”; S. 6–11, Titel: BALLADE. / DER ALTE SCHIFFER / von JOH. GABR. SEIDL. G-Dur, Allegro non troppo, 4/4, Text beginnt: “Ein alter Schiffer lebt’ am Ostseestrand”.] Op. 7: A-Wgm, VI 40409 RADETZKY. Gedicht, bei Ansicht des 31. Armeebulletins verfasst und / der siegreichen Armee in Italien / gewidmet von / A. PALME / in Musik gesetzt / von / Johann Wolf. / 7t Werk. / für eine Singstimme mit / Pianoforte Begleit. 15 x. C. M. […] Wien bei F. Glöggl. / Kunst u. Musikalienhandlung Stadt No 558 in Musikvereins-Gebäude. / Mart. Baumann sc. F. G. 132 [= Mai 1849] [Musik-Noten: S. 2–3, C-Dur, c-Moll, C-Dur, Andante quasi Adagio, 4/4, Text beginnt: “Hoch flattern die Fahnen, es blitzen die Waffen im kühnen Gefecht”.]
61 I have given the date May 1849 to Op. 5 to Op. 7, all published with consecutive plate numbers by Franz Glöggl, since this is the date on Wolf ’s “Vorerinnerung”. 62 See Appendix 2 for the text of this “Vorerinnerung”. 63 “3tes” and “Romanze u. Ballade” are underlined with red pencil. Although the title page is exactly the same (printed from the same plate), there is no “Vorerinnerung” on the reverse side of this title page, identified as “6tes Werk” on p. 3.
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Op. 9: A-Wn, MS4537-4°/15,41; A-Wgm, VI 76132 [neue Inv.-Nr.]64 Ihr Auge. / Gedicht v. Joh. B. Sorger. / Heimlicher Schmerz. / Gedicht von J. N. Vogl. / Der alte Schiffer. / Ballade v. Joh. Gabr. Seidl. / für eine / Singstimme / mit / Begleitung des Pianoforte / in Musik gesetzt / und dem deutschen Sänger Herrn / Johann Pischek / freundschaftlich gewidmet von / JOHANN WOLF. / Op. 9. / Wien, C. A. Spina / k. k. Hof- u. priv. Kunst- u. Musikalienhandlung / (Medaille 1ter Cl. der Welt-Ausstellung zu Paris 1855.) Pr. 81 Nkr./15 Ngr. C. S. 17759 [= ca. 1863]65 [Musik-Noten: S. 3–4, IHR AUGE, A-Dur, Andante, 6/8; S. 5–6, HEIMLICHER SCHMERZ, As-Dur, Andante, 3/4; S. 5–11, DER ALTE SCHIFFER, As-Dur, Andante con moto, 3/4] Op. 10: A-Wgm, VII 2427; VII 76133 VARIETÆTEN / für das / PIANOFORTE / zu 2-4 und 6 Händen, dann für 2 / Pianoforte zu 4-68-10 und 12 Händen / mit oder ohne Begleitung einzelner oder mehrerer / Instrumente. / componirt von / Johann Wolf / 10. Werk / 4 Blätter / auf 1 Bogen 15 kr. C. M. / 2 Blätt. auf 1 halb. Bog. 7½ kr. C. M. / jedes Blatt einzeln 5 kr C. M. / Titelblatt mit 2 Blätt. 15 kr C. M. / Titelblatt allein 12 kr. C. M. / Vorerinnerung / allein 10 kr. C. M. / Bei Abnahme von mehr als / 2 Blätter, -- und jedem / Titelblatt wird die / Vorerinnerung / gratis gegeben66 [Musik-Noten: 16 Blätter (ein-seitig), C-Dur, Allegretto, 6/8; Blatt 16 = VIOLINO / zu den VARIETÄTEN von JOHANN WOLF. Vorerinnerung.67 = 5 Seiten Text, eng geschrieben, lithographiert, am Ende: “Wien, am 21. Dezember 1851. Johann Wolf.”] Op. 11: A-Wn, MS4346-4°/45,4; A-Wgm, VII 49236 Fliegende Blätter. / für das / PIANO-FORTE. / componirt / von / Johann Wolf. / […] Wien, Carl Haslinger pm Tobias / k. k. Hof- u. pr. Kunst u. Musikalienhändler. / Medaille-London 1862. […] C. H. 12852 [= 2. Heft angezeigt in der Wiener Zeitung am 16. Dezember 1862]68 64 The A-Wgm card catalogue has the following entry: “VI [the Inv. Nr. VI 76132 was only assigned in October 2013] Wolf Johann / Ihr Auge. – Heimlicher Schmerz – Der alte Schiffer. (Op. 9.) 1 Singst. m. KlavBegl. (9 S.) Lithogr. Gr. Anstalt v. Berndt. Wien.” The title page is somewhat different from the Spina publication: Ihr Auge. / Gedicht v. Joh. B. Sorger. [engraving of a man in a rowboat playing a drum] Heimlicher Schmerz. / Gedicht von J. N. Vogl. / Der alte Schiffer. / Ballade von Joh. Gabr. Seidl. / In Musik gesetzt / und dem deutschen Sänger Herrn / JOHANN PISCHEK / freundschaftlich gewidmet / von / Johann Wolf. / Op. 9. / Lithogr. Gr. Anstalt v. Berndt. Wien. [no plate number]. 65 See Deutsch, Musikverlags Nummern (cf. Fn. 56), p. 12. 66 There is no indication of a publisher. Wolf probably brought out this pioneering work as a self-publication. The A-Wgm new card for VII 76133 describes the contents as “Vorerinnerung [Spielanweisung] und 16 Blätter”. 67 The long “Vorerinnerung” begins: “Varietaeten sind Musikstücke welche ein Motiv, eine Melodie, ein Thema, eine Periode u. s. w, verschiedenartig darstellen.” Wolf then lists and describes the mathematical possibilities of combining Blätter 1–15 using different numbers of pianists on one or two pianos, and also performing Blatt 16 “Mit Streich-Instrumenten” and “Mit Blas-Instrumenten”. 68 The Wiener Zeitung on 16 Dec. 1862, Beilage: Wiener Tagesbericht, p. 1734, announced for sale at the music publisher Carl Haslinger quondam Tobias, in addition to three polkas by the three Strauss brothers, “Wolff. Fliegende Blätter für das Pianoforte. 2. Heft. 1 fl.” On 19 October 1862, the Wiener Zeitung, p. 145, announced new works published by Carl Haslinger quondam Tobias, including “Wolf ( Joh.), Fliegende
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[Musik-Noten: S. 2, Titel: 2tes Heft. Fliegende Blätter / von / Johann Wolf. / 11tes Werk. / Romanze. S. 2–3: No 1. Romanze, F-Dur, Andante con moto, 4/4; S. 4–6: No 2. Allegretto, A-Dur, 6/8; S. 6: No. 3. Etude, C-Dur, 4/4; S. 7–8: No. 4. Andante, Es-Dur, 4/4; S. 8–10: No. 5. Lied ohne Worte, As-Dur, Andante, 6/8; S. 10–11: No. 6. Allegro moderato, Es-Dur, 4/4] Op. 12: A-Wn, MS4346-4°/45,5; A-Wgm, VII 49237 Silhouette / der Romanze ohne Worte von / W. A. MOZART / für das / Pianoforte von / JOHANN WOLF. / Op. 12. / Wien, C. A. Spina, / k. k. Hof- u. pr. Kunst- u. Musikalienhandlung. / (Med. 1. Cl. der Pariser-Welt-Ind.-Ausstellung.) Pr. 42 Nkr./7½ Ngr. C. S. 17753 [= ca. 1863] [Musik-Noten: S. 2, Titel: Silhouette einer Romanze von W. A. Mozart. Johann Wolf, Op. 12; S. 2–5: Andante, As-Dur, 6/8] Op. 13: A-Wn, MS4346-4°/45,6; A-Wgm VII 49238 Herrn Josef Labor.69 / Menuett und Galanteriefuge / über ein W. A. Mozart’sches Thema / für das Pianoforte componirt / von / Johann Wolf. / Op. 13. / […] Wien, Carl Haslinger qm. Tobias / k. k. Hof- u. pr. Kunst- u. Musikalienhändler. / Medaille London 1862. / Leipzig, B. Hermann. […] 54 Nkr. C. H. 13080 [= ca. 1863]70 [Musik-Noten: S. 2–4, I. Tempo di Menuetto, D-Dur, 3/4; S. 5–7: II. Galanterie Fuge über ein Thema von Mozart [= Don Giovannis Duettino mit Zerlina: Là ci darem la mano], A-Dur, 2/4] Op. 14: A-Wn, MS4346-4°/6,3; Wgm, VII 49239 BIFOLIUM. / Zwei amorose Tonstücke / von / JOH. WOLF. / Op. 14. In: NEUIGKEITEN / FÜR DAS PIANOFORTE / IM ELEGANTEN STYLE. / 18te ABTHEILUNG. / No 173. […] Wien, bei Tobias Haslinger’s Witwe u. Sohn, / k. k. Hof- und privil. Kunst- und Musikalienhändler. / Leipzig, in deren Verlags-Expedition. C. H. 12973 [= ca. 1863] [Musik-Noten: S. 2–4, [I.] Andante, G-Dur, 4/4; S. 5–7, II. Allegro Moderato, c-Moll / C-Dur, 6/8]
Blätter für das Pianoforte. 1. Heft 80 kr.” Perhaps this was actually Wolf ’s Op. 1. Alexander Weinmann (cf. Fn. 56) writes as follows on p. 121 of his Verlagsverzeichnis (Haslinger): “Nr. 12851 Johann Wolf 1. Heft: Fliegende Blätter, Pfte., H[ochformat], 80 x, [Angabe auf anderen Titelblättern] WZ Nr. 242 / 19.10.1862; Nr. 12852 [ Johann Wolf] 2. Heft: Fliegende Blätter, Pfte., H[ochformat], 1 fl. M. S. 4346 / WZ Nr. 258 / 16.12.1862”. 69 Josef Labor (1842–1924) was a Bohemian pianist, organist, teacher and composer. He was blinded at the age of three after contracting smallpox, attended the Institute for the Blind in Vienna, and studied with Simon Sechter. After touring Europe as a pianist, he settled in Vienna in 1866 and became a famous teacher. Among his notable students were Alma Schindler, who studied with him for six years, Paul Wittgenstein and Arnold Schönberg. 70 See Deutsch, Musikverlags Nummern (cf. Fn. 56), p. 25.
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Op. 15: A-Wn, MS4346-4°/45,7 Freie Fantasie / über Motive aus / Richard Wagner’s / TANNHÄUSER / für das / PIANOFORTE / componirt / von / Johann Wolf, / Op. 15. / […] Wien, C. A. Spina […] Pr. 81 Nkr./15 Ngr. C. S. 19352 [= 1867] [Musik-Noten: S. 3–11, G-Dur, 4/4, Moderato; Hirtenlied (Frau Holde kam); Einzugsmarsch, H-Dur; Andante maestoso. Pilgerchor: (Beglückt darf nun dich, o Heimat), E-Dur; Allegro. Arie (Dich theure Halle), G-Dur; Moderato (O du mein holder Abendstern); Allegro con fuoco; Allegro vivace (Gegrüsst sei uns), F-Dur; Elfentanz, G-Dur.] Op. 21: A-Wn, MS4346-4°/45,8; A-Wgm VII 49240 Etuden-Sonatine / für das / PIANOFORTE / componirt / von / JOHANN WOLF. / Op. 21. / […] Wien, C. A. Spina […] 42 nkr./7½ ngr. C. S. 22065 [= ca. 1871] [Musik-Noten: S. 2–5, Allegro moderato, G-Dur, 4/4; Allegro molto, C-Dur, 6/8; Allegretto, G-Dur, 2/4. Auf S. 2 unten: NB. Die eingeklammerten Theile können zwei und mehrere Male nach einander gespielt werden.] Op. 22:71 A-Wn, MS4346-4°/15,11-15 Für den Clavier-Unterricht. / LEICHTE TONSTÜCKE / von / Johann Wolf / Op. 22. / 1. Abtheilung: Heft 1. Sechs melodische Übungsstücke im Umfange / von fünf Noten bei stillstehender Hand mit ein- / zwei- und dreistimmiger Begleitung Heft 2. Zwölf desgleichen; die Begleitung ohne / Octavenspannung 2. Abtheilung: Kleine Rondinos Heft 1., 2. 3. Abtheilung: Etuden-Sonatine (No 2.)72 […] Wien, C. A. Spina’s Nachfolger, (Friedrich Schreiber.)73 […] NB. Die I. Etuden-Sonatine Op. 21. ist in derselben Verlagshandlung erschienen. C. S. 22857 – C. S. 22861 [= 1873]
71 Op. 22 was reviewed in the Leipzig journal founded by Robert Schumann, Neue Zeitschrift für Musik, Jg. 41, Bd. 70 (30. Januar 1874), p. 54, as follows: “Pädagogische Werke […] Für Pianoforte zu zwei Händen […] A. Biehl, Op. 32. Studien […] Carl Evers, Op. 97. Clavierstudien […] Louis Köhler, Op. 242 […] Auch J. Wolf bietet ganz brauchbares, wenn auch etwas verwässertes Material für den Clavierunterricht.” 72 “III. Abtheilung. / Etuden-Sonatine. [unten:] NB. Die eingeklammerten Theile können 2 und mehrere Male nach einander gespielt werden.” 73 Friedrich Schreiber acquired the music publishing firm of C. A. Spina in 1872.
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*** Werke ohne Opuszahl [WoO]: Drucke, Autographen (Kopien)74 WoO 1: A-Wst, MHc 9078 = Autograph Ein Lebehoch dem schönen Oesterreich! / Text von Dor J. N. Vogl / Mænnerchor / componirt / von / Johann Wolf.75 [Musik-Noten: 2 Blätter, Andante con moto, C-Dur, 2/2, für Tenori, Bassi, Text beginnt: “Oesterreich du Land der Rebenhügel / Oesterreich mein schönes Oesterreich, / was ist an Wein und Freude Dir noch auf Erden gleich?”, signiert fol. 2r rechts unten: Johann Wolf] WoO 2: A-Wgm, VI 76131 = Druck [?Op. 8] DIE SCHÖNE SCHIFFERIN / Gedicht v. Dr Joh. Nep. Vogl / für eine Tenorstimme / mit Begleitung des Pianoforte / in Musik gesetzt / und dem Herrn / ALOYS ANDER76 / k. k. Hofopernsänger / gewidmet / von / JOHANN WOLF. / Pr. 30 x. C. M. / Wien / bei A. O. Witzendorf, / Graben, No 1144. / Mart. Baumann sc. [o. VN, Datierung: angezeigt in der Wiener Zeitung am 6. März 1850, S. 704.] [Musik-Noten: S. 3–7: Andante, A-Dur, 3/4, Text beginnt: “Schiffermädchen, schönes Kind, rühr das Ruder nicht so schnelle, viel zu hastig, glaub’ es mir, bringt an’s Ufer uns die Welle.”] WoO 3: A-Wn, Fonds 24 St. Peter Wien: A 317 = Kopist Nr. 177 Messe in C-Dur / von / Johann Wolf. / Partitur. [Musik-Noten: S. 1–71, beginnt: Kyrie, Andante, C-Dur, 4/4, für Corni in C / Basso, Oboi, Violino 1mo, Violino 2do, Viola, SATB, C. Basso e Organo] WoO 4: A-Wn, Fonds 24 St. Peter Wien: B 200 = Autograph 2 Tantum ergo. / für / Sopran, Alt, / Basso ad Organo / componirt von / Johann Wolf
74 For easier comprehension, I have tried to organize these WoO numbers in a roughly chronological order. 75 The title page has two faint inked stamps each reading: “Eduard Pfleger / Kapellmeister / ? Wien ? / 62 / Döblergasse Nr. 3/19”. 76 The Moravian-born tenor Alois Ander (1821–1864) was engaged at the Vienna Court Opera in 1845, soon became a favourite with the public, enjoyed his greatest success as Johann von Leyden in Meyerbeer’s Der Prophet, staged in Vienna in 1850, and was celebrated as the city’s best lyrical-dramatic singer in the 1850s. 77 I have placed all of the items from A-Wn, Fonds 24 St. Peter Wien, together here, following the shelfnumber order: the first item, Messe in C-Dur [WoO 3] is in the hand of a professional copyist whom I have labelled Nr. 1; the second item, 2 Tantum ergo [WoO 4] is in the autograph hand of Johann Wolf; the third item, another Tantum ergo [WoO 5] is in the hand of copyist Nr. 1 using old C-clefs; the fourth item, yet another Tantum ergo [WoO 6], is in the hand of the same copyist Nr. 1; this convolute also includes a copy by Nr. 1 of Wolf ’s published work Hymne on a text by A. Palme [WoO 8], although with a different tempo marking; the fourth item, Graduale [WoO 7], is in the hand of the same copyist Nr. 1. I assume that all of these religious works are by the same composer, Spina’s Johann Wolf.
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[Musik-Noten: fol. 1v–2r: Tantum ergo. Andante, G-Dur, 3/4, basso continuo; fol. 2v–3r: 2. Tantum ergo. Andante, B-Dur, 2/2, basso continuo] WoO 5: A-Wn, Fonds 24 St. Peter Wien: B 201 = Kopist Nr. 1 Tantum ergo. / für Sopran, Alt, Tenor und Bass Solo. / von / Johann Wolf / Partitur. [Musik-Noten: Tantum ergo. Andante, Es-Dur, 3/4, Partitur und 4 einzelne Blätter = SATB-Stimmen] WoO 6: A-Wn, Fonds 24 St. Peter Wien: B 202 = Kopist Nr. 1 Tantum ergo. / für 4 Singstimmen / von / Johann Wolf. [Musik-Noten: Partitur (fol. 1v–2r) und Stimmen (SATB, jeweils 4 Kopien = 16 Blätter), F-Dur, 4/4; auch dabei in der Hand von Kopist Nr. 1 WoO 8 = Titelblatt: Hymne von A. Palme / Musik von / Johann Wolf. Partitur (fol. 1v–24), Andante, F-Dur, 4/4, Text beginnt: “Vater sieh vom höchsten Throne gnädig auf dein Volk herab”] WoO 7: A-Wn, Fonds 24 St. Peter Wien: D 300 = Kopist Nr. 1 Graduale / für eine Altstimme mit Begleitung / der Orgel oder Physharmonica. / von / Johann Wolf. [Musik-Noten: 1. Stück, G-Dur, 3/4, Violinschlüssel für die Singstimme, Text beginnt: “Domine, ne in furore tuo arguas me”; 2. Stück, das Gleiche mit C-Schlüssel für die Singstimme] WoO 8: A-Wn, MS33738-4° = Druck; A-Wgm, V 23161 (H 30162-H 30164); V 29569 (H 30165)78 HYMNE / von A. Palme / in Musik gesetzt / von / JOHANN WOLF. / Clavier Auszug 15 x. C:M. / Singstimmen 30 x. C. M. / In Commission / in den Kunst- u. Musikalienhandlungen Wien’s. / Mart. Baumann sc. [Musik-Noten: S. 2–3, Titel: HYMNE / von A. Palme. / MUSIK von JOHANN WOLF. / CLAVIER AUSZUG. Langsam und feierlich, F-Dur, 4/4. Text beginnt: “Vater sieh vom höchsten Throne Gnädig auf dein Volk herab; Stets beschütze unsern Kaiser, Den uns deine Liebe gab.” mit SATB Singstimmen, Text = 5 Strophen]
78 These four items in A-Wgm all have the same title page. V 23161 (H 30162–30163) both have the Clavier Auszug and single sheets with SATB-Singstimmen, plus a small sheet with the text. V 23161 (H 30164) has the Clavier Auszug and double sheets with SA and TB Singstimmen. V 29569 (H 30165) has only the Clavier Auszug.
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WoO 9: A-Wn, MS31674-4° (S. 35) = Druck An den Frühling. / Lied von Franz Schubert, für das Pianoforte übertragen von / Joh. Wolf in Wien. [Gedicht] v. Schiller.79 In: Musikalische Gartenlaube. Hausmusik für Pianoforte und Gesang. Hrsg. von Dr. Hermann Langer, Universitäts-Musikdirector in Leipzig, IV. Band, No. 31, Leipzig 1871, S. 35.80 [Musik-Noten: F-Dur, Mässig, heiter, 6/8, Textanfang: “Willkommen, schöner Jüngling”] WoO 10: A-Wn, MS31674-4° (S. 190–192) = Druck Kleine Fantasie / mit Motiven aus R. Wagner’s Tannhäuser. / Johann Wolf in Wien. In: Musikalische Gartenlaube. […] Band, No. 50, Leipzig 1871, S. 190–192. [Musik-Noten: G-Dur, B-Dur, G-Dur, 4/4, gekürzte, erleichterte Fassung von Op. 15] WoO 11: A-Wn, Mus.Hs.20460. Mus = Autograph81 Fantasie / über 3 / Lieder von J. Brixner / für das / Pianoforte / componirt von / Johann Wolf. / [links oben mit Blaustift:] Spenden v. Joh: Wolf. / [rechts oben:] Motto: Das Neue reizt, / das Gute fesselt.82 [Musik-Noten: fol. 1v: I. Das Mädchen vom Lande / :Du Mädchen vom Lande: / Lied von J. Brixner op. 21, Allegro, G-Dur, 3/8; fol. 2r: II. Der Schäfer im Mai / :Siehst du das Vögelein: / Lied von J. Brixner op. 28, Andante con moto, D-Dur, 2/4; fol. 3r: III. Liebestaumel / :Was geht die ganze Welt mich an: / Gedicht von J. M. Miller. / Lied von J. Brixner op 27, Allegro appassionato, A-Dur, 2/4 […] fol. 4r, signiert am Ende: Johann Wolf. Einzelblatt, fol. 5r–v: Singstimme] WoO 12: A-Wgm, VII 49241 Ms (Q 16092) = Autograph Salonstück / mit musikalisch-photographischer Nachbildung der Melodie der / Albert Jungmann’schen Nocturne: / Versunkene Sterne / op. 17483 / für das / Pianoforte / componirt von / Johann Wolf 79 This is Schubert’s first setting of Schiller’s text “An den Frühling” (D 283), dated 6 September 1815, set also in F Major with the expressive marking “Mäßig, heiter”, and first published as no. 5 in op. post. 172 by C. A. Spina on 2 December 1865. 80 The next piece in this issue of Musikalische Gartenlaube, pp. 36–39, is Schubert’s Kinder-Marsch (D 928), first published by J. P. Gotthard, VN 53, Wien 1870. 81 According to acquisition records at the ÖNB Musiksammlung, this autograph was bought in 1939 from the dealer “Taborsky”; in 1938/1939 he sold a total of 1333 items to the Musiksammlung. 82 Wolf includes the following instructions at the bottom of the titlepage: “*Die Verwendbarkeit dieses Musikstückes ist dreierlei: / Erstens: indem man es durchspielt wie jedes andere Musikstück; die willkührliche Beifügung der Singstimme jedoch bewirkt eine / unterschiedliche Veränderung; / Zweitens: indem man blos die 3 Lieder / : erkenntlich gemacht durch / größere Noten : / unmittelbar nach einander spielt, u. zw. entweder / I, II, III oder III, II, I, selbstverständlich durch Hinweglassung der Zwischenspiele. / Drittens: indem man sämtliche, durch kleinere Noten erkennbare Sätze / unmittelbar nach einander spielt, wodurch eine separate Fantasie / sich gestaltet.” 83 The piece Nocturne (Setting stars, op. 174) was published in Boston in 1872 by the composer Albert Jungmann (1824–1892). He was born in Langensalza, Prussia and died in Parndorf, Austria. After moving to Vienna from Rome in 1853, he was associated with C. A. Spina, established the publishing firm Jungmann and Lerch, and wrote many salon pieces for the piano.
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[Musik-Noten: 2 Blätter, fol. 1v, Andante, As-Dur, 4/4, Melodie en nature; Melodie en miniature; fol. 2r, Precedent Melodie en augmentation; Melodie en nature; fol. 2v, signiert am Ende: Johann Wolf] WoO 13: A-Wgm, VII 49242 Ms (Q 16093) = Autograph Scherzo capriccioso / für das / Pianoforte. / componirt von / Johann Wolf / [als Motto umrahmt:] Erlaubt den heitern Herzen / Mit Kunst und Ton zu scherzen. [Musik-Noten: 4 Blätter [Blatt 4 ist leer], fol. 1v, Introduction. Allegro. e-Moll, 3/4 […] Andante; fol. 2r, tempo primo […] Scherzo capriccioso. Allegro. e-Moll, 4/4] WoO 14: A-Wgm, VII 49243 Ms (Q 16094) = Autograph Sonate / für das / Pianoforte. / componirt von / Johann Wolf / [als Motto umrahmt:] Sieh, was dein Werk für einen Eindruck macht, / Das du in deinen reinsten Stunden, / Aus deinem Innern selbst erfunden, / Mit stillem, treuen Fleiß vollbracht. [Musik-Noten: 4 Blätter, fol. 4v ist leer; fol. 1v, Allegro moderato, G-Dur, 3/4; fol. 2v, Andante, C-Dur, 4/4; fol. 2r, Allegro con fuoco, G-Dur, 4/4; dabei eigenhändig geschriebener Brief, datiert: Wien 22. Juli 1874, signiert Johann Wolf, siehe Anhang 3] WoO 15: A-Wgm, VI 49252 Ms (Q 10380) = Autograph Abendläuten / Gedicht von Dor J. N. Vogl / für eine / Singstimme mit Begleitung des Pianoforte / in Musik gesetzt / von / Johann Wolf. [links unten:] Beiliegend: / 1 Singstimme / 1 Harmonium (loco Singstimme) / 1 Flöte [loco Singstimme] / 1 Violino 1mo / 1 Violino 2do / 1 Viola / 1 Violoncello / 1 Basso / 1 Flöte / 1 Arrangements-Erklärung / [oben:] Die Glöckchenbegleitung kann auch mittelst eines Triangels effectuirt werden, oder auch / mittelst eines Trinkglases, das auf die bekannte Art durch Einfüllung von Wasser auf / den Ton b gestimmt wird, dann aber bleibt die glöckchenähnliche Begleitung der rechten Hand / weg, anstatt welcher die übrige Begleitung in beide Hände getheilt wird. [Musik-Noten: Andante, Es-Dur, 3/4, Text beginnt: “Riefest du auch dießmal wieder wach in mir das stille Weh, du mit deinen frommen Klängen, Abendglocke über’m See?”] WoO 16:84 A-Wgm, VI 49251 Ms (Q 10379) = Autograph Der rothe Sarafan / Russisches Volkslied / arrangirt / für Pianoforte zu 2 und 4 Händen, für Violino I u. II u. Violonzello I u. II / wodurch folgende Zusammenstellung statt findet: […] von / Johann Wolf. / Singstimme oder Flöte loco Singstimme / können bei jeder Zusammenstellung / mitwirken. / Pianoforte a 4 mains.
84 I have assigned the numbers for WoO 16 to WoO 22 in the order in which Wolf lists these pieces in his first letter to Vesque von Püttlingen dated 22 July 1874. See Appendix 3, Brief Nr. 1.
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[Musik-Noten: 1tes Heft: fol. 1v–2r, Secondo. Primo. G-Dur, Allegro moderato, 2/4, [signiert am Ende:] Johann Wolf. 2tes Heft: [Titel wie oben] Pianoforte a 2 mains; fol. 1v–2r; Violino I; Violino II; Singstimme, Text beginnt: “Nähe nicht, lieb Mütterlein, den rothen Sarafan”] WoO 17: A-Wgm, XVI 49249 (Q 20676) = Autograph Parade-Marsch / für das / Pianoforte zu 4 Händen / componirt / von / Johann Wolf. / [unten links:] Kann zugleich mit dem Arrangement zu 2 Händen gespielt werden. [Musik-Noten: fol. 1v, Secondo. C-Dur, 4/4, Introduction […] Marsch; fol. 2r, Primo. […]; fol. 2v: Trio. […] fol. 5r: [signiert rechts unten:] Johann Wolf. Fol. 6r: [Titelblatt:] Parade-Marsch / für das / Pianoforte 2 hdg / componirt / von / Johann Wolf. / [unten links:] Kann zugleich mit dem Arrangement zu 4 Händen gespielt werden; fol. 6v–7v: Introduction. Marsch. Trio. C-Dur, 4/4, [signiert am Ende:] Johann Wolf] WoO 18: A-Wgm, VII 49245 Ms (Q 16096) = Autograph Sprung-Etuden-Variationen / über das Franz Schubert’sche Lied: / Das Abendroth. / für das Pianoforte componirt / von / Johann Wolf. / [rechts oben:] Motto: Das Neue reizt, / das Gute fesselt. / [unten:] Sämmtliche Nummern der Etuden-Seite können unmittelbar nach einander gespielt werden, / eben so sämmtliche Nummern der Melodien-Seite. / Man kann aber auch nach No 1 links, sogleich No 1 rechts, dann No 2 links, No 2 rechts, No 3 links / No 3 rechts u. s. f. bis zu Ende spielen. / Auch kann das ganze Musikstück, wie jedes andere, Seite für Seite durchgespielt werden. [Musik-Noten: 6 Blätter, fol. 1v, [links oben:] Etuden-Seite. [Titel:] Das Abendroth. / von Kosegarten. / comp. 25. Juli 1815 von Franz Schubert.85 A-Dur, Langsam mit Ausdruck, 4/4, [Text zu No 1 beginnt:] “Der Abend blüht, der Westen glüht!” Etude* No 2; Etude No 3; [unten:] *Die Etuden zu No 2, 3, 4 u. 5 sind zu erst mit der rechten, bei der Wiederholung mit der linken Hand sprungweise zu spielen; fol. 2r, [rechts oben:] Melodien-Seite, 1. A-Moll; 2. C-Dur; 3. F-Dur. [… bis fol. 6r = No 10], signiert am Ende: Johann Wolf] WoO 19: A-Wgm, VII 49244 Ms (Q 16095) = Autograph Real- und Ideal-Fantasie / über / Lieder ohne Worte / von / Franz Schubert / föderativ zusammengestellt / von / Johann Wolf / [oben rechts:] Motto: Das Neue reizt, / das Gute fesselt. [unten:] Die Nummern I bis X der linken Seite, so wie jene 1 bis 10 der rechten Seite können nach einander gespielt werden. Man kann aber auch nach I links sogleich 1 rechts, sodann nach II links sogleich 2 rechts u. s. f. bis schließlich nach X \links / sogleich 10 rechts spielen /: föderalisiren :/. Die Nummern I bis X links sind Franz Schubert’sche Lieder, für das Pianoforte arrangirt, jene von 1 bis 10 rechts aus den Nummern I bis X links gebildet.
85 D 236, Terzett (2 Sopr, Basso) mit Klavier, in A-Dur: Wolf ’s date “comp. 25. Juli 1815” shows that he must have based his Sprung-Etuden-Variationen on Schubert’s “erste Niederschrift”, now located in A-Wn: Mus. Hs. 41.628. See www.schubert-online.at for the marginalia Wolf wrote on this autograph. The copy in the Witteczek-Spaun collection is dated 20. Juli 1815. Schubert’s Terzett, also in A Major, was first published in 1892 in the AGA.
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[Musik-Noten: 6 Blätter, fol. 6v ist leer; fol. 1v, I Schwangesang /: Endlich steh’n die Pforten offen :/ von Kosegarten. Langsam. a-Moll, 2/2; II Von Ida /: Der Morgen blüht :/ von Kosegarten. Klagend. f-Moll, 2/2; fol. 2r, 1 Moderato. a-Moll, 4/4 = Schwangesang; 2 Andante con moto. f-Moll, 4/4 = Von Ida; fol. 2v, III Die Erscheinung /: Ich lag auf grünen Matten :/ von Kosegarten. Lieblich. F-Dur, 2/2; IV Klage /: Trauer umfließt mein Leben :/ von Hölty. Langsam. d-Moll, 2/2; fol. 3r, 3 Allegro non troppo. F-Dur, 4/4 = Die Erscheinung; 4 Allegro. d-Moll, 4/4 = Klage; fol. 3v, V Der Leidende. /: Nimmer trag ich länger :/ von Hölty. Unruhig. a-Moll, 2/4; VI Seligkeit /: Freuden sonder Zahl :/ von Hölty. Lustig. E-Dur, 3/8; fol. 4r, 5 Moderato. a-Moll, 2/4 = Der Leidende; 6 Allegro. E-Dur, 3/8 = Seligkeit; fol. 4v, VII Selma und Selmar /: Weine nicht, o, die ich innig liebe :/ von Klopstock. Etwas geschwind. F-Dur, 3/4; VIII Der Herbstabend /: Abendglockenhalle zittern dumpf :/ von Salis. Langsam. f-Moll, 4/4; fol. 5r, 7 Andante con moto. F-Dur, 9/8 = Selma und Selmar; 8 Grave. f-Moll, 4/4 = Der Herbstabend; fol. 5v, IX Nachtgesang /: Tiefe Feier schauert um die Welt :/ von Kosegarten. Sehr langsam. G-Dur, 2/2; X Vaterlandslied /: Ich bin ein deutsches Mädchen :/ von Klopstock. Mäßig. C-Dur, 2/4; fol. 6r, 9 Moderato. G-Dur, 4/4 = Nachtgesang; 10 Tempo di Marcia. C-Dur, 4/4 = Vaterlandslied; signiert am Ende: Johann Wolf] WoO 20: A-Wgm, VII 49248 Ms (Q 16098) = Autograph Melodien-Kaleidoskop / für das / Pianoforte / componirt / und zusammengestellt / von / Johann Wolf / [oben rechts:] Motto: Das Neue reizt, / das Gute fesselt. [unten:] Die Melodien können partieweise auf 4fache Weise zusammengestellt werden: Erstens: indem man sämmtliche Nummern der linken Seite von I bis X nacheinander spielt; Zweitens: eben so sämmtliche Nummern von 1 bis 10 der rechten Seite; Drittens: indem man mit I linksseits anfängt, mit 1 rechtsseits fortsetzt, sodann II linksseits, 2 rechtsseits, III linksseits, 3 rechtsseits u. schließlich X linksseits u. 10 rechtsseits spielt. Viertens: indem man das ganze Musikstück wie jedes andere Seite für Seite, nämlich alle 4 Seiten nacheinander spielt. Man kann aber auch mit der 2ten Seite anfangen, sodann die 1te, 3te u. 4te folgen lassen. [Musik-Noten: 3 Blätter + Vorerinnerungen;86 fol. 1v, I Allegretto. F-Dur, 6/8; II F-Dur; III A-Dur; IV Andante. A-Dur, 3/4; V Allegro. C-Dur; fol. 2r: 1 Allegretto. F-Dur, 6/8; 2 A-Dur; 3 Andante. A-Dur; 4 Allegro non troppo. / Andante A-Dur, 3/4; 5 Allegro. C-Dur, 2/4; fol. 2v, VI Andante con moto. C-Dur, 2/4; VII d-Moll; VIII Allegro. F-Dur; IX Allegretto. F-Dur; X Allegro. 13 Takte in f-Moll / endet in F-Dur, bei Takt 12: Fine*; [unten:] *Fine, wenn linksseits geschloßen werden will. fol. 3r, 6 Allegro. F-Dur; 7 Andante con moto. d-Moll; 8 Allegro. d-Moll; 9 Tempo di Marcia. F-Dur, 4/4; 10 Allegro. F-Dur; [signiert unten rechts:] 13/6 [18]72 Johann Wolf]
86 See Appendix 2 for Wolf ’s “Vorerinnerung” to WoO 20. Each of the sections numbered I, II … and 1, 2 … fills one system and is eight bars long, except for the final sections X and 10 which are 13 and 9 bars respectively.
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WoO 21: A-Wgm, VII 49246 Ms (Q 10377) = Autograph Föderativ- / Fantasie / über 3 / Schubertlieder / für das / Pianoforte / componirt von / Johann Wolf. [oben rechts:] Motto: Das Neue reizt, / das Gute fesselt. [unten links:] Beiliegend: / 1 Singstimme, / 1 Vorerinnerung.87 [Musik-Noten: 5 Blätter insgesamt, fol. 1v, I Der Abend /: Gedicht von Hölty88:/ Feierlich, langsam. C-Dur, 2/2; Allegretto. [in small notes:] C-Dur, B-Dur, 4/4; fol. 2r, [II] An den Mond. /: Gedicht von Goethe :/89 Ziemlich langsam. Es-Dur, 2/2; Allegretto. [in small notes:] Es-Dur, 6/8; fol. 2v, III Die Vögel.90 Allegretto. G-Dur, 3/8; fol. 3v: Andante. C-Dur, 4/4 [= Der Abend], Moderato [= An den Mond]; signiert am Ende: Johann Wolf. Fol. 4r–v, Singstimme zur Schubertlieder*-Fantasie für das Pianoforte. [unten:] *Die Schubertlieder können /: selbstverständlich nach Hinweglassung der Zwischenspiele :/ unmittelbar nach einander gesungen werden.] WoO 22: A-Wgm, VII 49247 Ms (Q 16097) = Autograph 3 / Transsubstantiationen / über die / Oesterreich’sche Volkshymne / für das / Pianoforte / componirt / von / Johann Wolf / [links oben:] Transsubstantiation = Stoffverwandlung. [rechts oben:] Motto: Das Neue reizt, / das Gute fesselt. [Musik-Noten: fol. 1v, Oesterreich’sche Volkshymne. G-Dur, Andante, 2/2; fol. 2r: Transsubstantiation I. [signiert rechts unten:] Johann Wolf. Fol. 3r [Titelblatt:] Transsubstantiation II / über die / Oesterreich’sche Volkshymne / für das / Pianoforte zu 4 Händen / componirt / von / Johann Wolf; fol. 3v: Secondo.* [unten:] *Statt dieser Begleitungsstimme kann die Transsubstantiation I gespielt werden; fol. 4r: Primo.* [unten:] *Kann zu gleicher Zeit mit Transsubstantiation I und III. selbstverständlich auf 3 Klavieren gespielt werden. Fol. 5r [Titelblatt:] Transsubstantiation III / über die / Oesterreich’sche Volkshymne / für das / Pianoforte zu 4 Händen / componirt / von / Johann Wolf; fol. 5v: Secondo* [unten:] *Statt dieser Begleitungsstimme kann die Oesterreich’sche Volkshymne gespielt werden; fol. 6r: Primo* [unten:] *Kann zur Transsubstantiation I gespielt werden.]
87 See Appendix 2 for Wolf ’s “Vorerinnerung” to WoO 21. 88 According to Deutsch, Thematisches Verzeichnis, p. 145 f., the author of the text for this Schubert Lied (D 221) is Kosegarten. This piece was first published in Sechs Gedichte, as no. 2 in op. post. 118, by Josef Czerny, VN 341, on 19 June 1829, with the poet identified as “Hölty”. 89 D 259, first published by Diabelli & Co., VN 8836, in ca. spring 1850. According to Deutsch, Thematisches Verzeichnis, p. 164, this was “(Nachlaß-Lieferung 47), mit einem nicht authentischen Klaviervorspiel.” Wolf also begins his version with this 4-bar piano prelude. 90 D 691, first published by C. A. Spina, VN 16784, as op. 172/6, on 2 December 1865. The poet of Die Vögel is Friedrich von Schlegel.
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WoO 23: A-Wgm, VI 49250 Ms (Q 10378) = Autograph91 Der Tänzer / von H. Heine / Lied für eine Singstimme mit Begleitung des Pianoforte / componirt von / J. Hoven92 [= Vesque von Püttlingen]93 / für / Pianoforte / übertragen / von / Johann Wolf / Beiliegend: / Eine Singstimme94 [Musik-Noten: 1tes Heft: fol. 1v–3r, Walzer Tempo, h-Moll, H-Dur, h-Moll, 3/4, [signiert am Ende:] Johann Wolf. 2tes Heft, Titelblatt: “2 / Restringirungen / des / Liedes: Der Tänzer / componirt von / J. Hoven / für das / Pianoforte / arrangirt / von / Johann Wolf. / Beiliegend: / Eine Violinstimme.”; fol. 1v–4r: 2 Verarbeitungen für Klavier bezeichnet I und II; “Violino”-Stimme; “Singstimme”, Text beginnt: “Die Jungfrau schläft in der Kammer, der Mond schaut zitternd hinein”]
*** Appendix 2 Op. 5: Bifolien / No 2 und 3. / Bilateralien / Romanze u. Ballade / für das / PIANO FORTE Vorerinnerung. So viele Formen für Musikstücke es gibt, so dürfte es doch möglich seyn, neue aufzufinden. Einen Versuch hiezu übergebe ich hiermit der Öffentlichkeit unter der Benennung: Bilateralien. Zweck hiebei ist: ein Musikstück auf zweifache Art darzustellen. Die erste Bilateralie des gegenwärtigen Heftes beginnt in beiden Abtheilungen mit demselben Thema, aber die Benützung der einzelnen Glieder desselben und das Fortspinnen der Idee selbst, obgleich die Begleitungsfigur dieselbe ist, gestaltet sich jedesmal anders. Dieses Musikstück könnte man eine Bilateralie der Idee nennen. In der Bilateralie No 2 ist die Melodie der rechten Hand in beiden Abtheilungen Note für Note (also materiell) gleich, die Begleitung der linken Hand aber wesentlich verschieden, wodurch beide Abtheilungen höchst heterogen (fremdartig) sich gestalten. Dieses Musikstück wäre somit eine Bilateralie der Materie.
91 The catalogue card at A-Wgm has classified this autograph (as well as all of the other Wolf autographs here) as a manuscript copy. 92 Hoven was the pseudonym of the Austrian lawyer, singer and composer Johann Vesque von Püttlingen (1803–1883), who is regarded as the most important composer of Lieder in Vienna between Schubert and Brahms. Deutsch (in: Schubert. Die Dokumente seines Lebens, p. 499) quoted Vesque’s diary entry dated 5 March 1828: “Soirée mit Vogl, Schubert und Grillparzer.” and commented “[Vesque] soll 1827 und 1828 mit Schubert verkehrt, von ihm begleitet Schubert-Lieder gesungen und mit ihm Vogl besucht haben, bei dem er Deklamation lernte.” His Op. 7, published in 1831 by Pietro Mechetti (Nr. 2159), includes the song with piano accompaniment “Der Tanz”, set to a poem by Heinrich Heine, and is regarded as one of his best compositions. 93 Hoven’s identification was written in ballpoint ink on Wolf ’s autograph in the late 20th-century by an archivist at A-Wgm. 94 An autograph letter [addressed to Hoven] is found unattached within the music MS, signed by Johann Wolf and dated “Wien 22. Juli 1874”, beginning: “Euer Hochgeboren! Die durch den ‘Krach’ in Frage gestellte Existenz der ‘Komischen Oper’” (see Appendix 3, Letter No. 2).
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Sollte die Form dieser Musikstücke Anklang finden, und die Kritik sie nicht verwerfen, werde ich theils ähnliche, theils in anderer Art bilateral sich darstellende folgen lassen. Wien, im Mai 1849. Johann Wolf.
WoO 20: Melodien-Kaleidoskop / für das / Pianoforte Vorerinnerung. Kaleidoskop – Schönbilderzeiger – ein in England erfundenes Instrument in Gestalt eines Perspektives. Legt man zwischen die Gläser desselben allerlei buntfärbige Glasstückchen, Blätter u. d. gl., so bilden sich in denselben, so oft sie gerüttelt werden, immer neue mannigfaltige Figuren und Zusammensetzungen, welche nicht nur zur Unterhaltung, sondern auch als Muster zu Zeichnungen dienen können. Analog dieser Definition ist es denkbar, daß durch ein Musikstück, welches viele einzelne, verschieden artig zusammenstellbare Theile in sich faßt, so oft ihre Zusammenstellung erneuert wird, bald mehr, bald weniger interessante Aufeinanderfolgen zu Gehör gebracht werden können. Ein solches Musikstück wäre daher mit dem Epitheton: Melodien-Kaleidoskop zu bezeichnen. Im gegenwärtigen Melodien-Kaleidoskop können die zwei Partien Melodien in 12facherweise zusammengestellt werden: 1. in dem man sämmtliche Nummern I bis X der linken Seite nacheinander spielt. 2. [in dem man sämmtliche Nummern] 1 “ 10 “ rechten [Seite nacheinander spielt.] 3. [indem man] Seite 2 anfängt, sodann Seite 1, 3 u. 4 folgen läßt. 4. [indem man Seite] 2 [anfängt, sodann Seite] 4, 1 u. 3 [folgen läßt.] 5. [indem man Seite] 2 [anfängt, sodann Seite] 3 u. 4 oder nur Seite 4 folgen läßt, 6. [indem man Seite] 3 [anfängt, sodann Seite] 4, 1 u. 2 folgen läßt und mit Nr X links od. 10 rechts schließt, 7. [indem man Seite] 4 [anfängt, sodann Seite] 1, 2 u. 3 folgen läßt, 8. [indem man Seite] 4 [anfängt, sodann Seite] 2, 1 u. 3 [folgen läßt], 9. [indem man] mit Nr I links anfängt, mit 1 rechts fortsetzt, sodann Nr II links, 2 rechts, III links, 3 rechts u. s. f. bis zu Ende spielt. 10. [indem man], wenn Seite 3, sodann Seite 1 gespielt wird, auf gleiche Art wie puncto 9tens verfährt. 11. [indem man] blos sämmtliche Nummern von Seite 1 spielt und mit Nr X links oder 10 rechts schließt. Auf gleiche Art kann man mit Seite 2, 3 u. 4 verfahren. 12. [indem man] das ganze Musikstück, wie jedes andere, Seite für Seite, nämlich alle 4 Seiten nach einander durchspielt. Da das /: Perspectiv :/ Kaleidoskop hauptsächlich nur zur Unterhaltung dienlich ist, so hat das Melodien-Kaleidoskop denselben Zweck, und je mehr oder weniger eine oder die andere Zusammenstellung als gelungen sich darstellt, in demselben Maße wird sich das Vergnügen des Spielers oder Zuhörers kund geben. Johann Wolf
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WoO 21: Föderativ- / Fantasie / über 3 / Schubertlieder / für das / Pianoforte Vorerinnerung. Ein Musikstück, so gestaltet, daß man Theile desselben dem Ganzen entnehmen und separat zu Gehör bringen kann, ohne einen Mangel an Abrundung fühlbar zu machen, läßt erkennen, daß es im Sinne des Föderalismus gestaltet ist. Solcher Gestaltung entspricht gegenwärtige Fantasie in mehrfacher Beziehung, nämlich: 1tens man kann sie wie jedes andere Musikstück durchspielen; 2tens man kann blos die 3 Lieder /: erkenntlich gemacht durch größere Noten :/ unmittelbar nach einander spielen u. zw. in beliebiger Reihenfolge, entweder I, II, III oder I, III, II od. II, III, I oder II, I, III oder III, I, II od. III, II, I; 3tens man kann den Liedern die bezügliche Singstimme beifügen; 4tens man kann, indem man die Lieder wegläßt, die durch kleinere Noten erkennbaren Sätze unmittelbar nach einander spielen, wodurch eine separate Fantasie sich gestaltet. Diese Fantasie enthält somit: 3 Lieder ohne Worte für das Pianoforte, 3 Lieder mit Pianoforte-Begleitung und eine separat sich gestaltende Fantasie für das Pianoforte. Möge die Form dieses Musikstückes, da sie wahrscheinlich noch nicht vorhanden ist, mithin als Spezialität sich darstellt, Veranlassung zu neuen Formen, somit zum Fortschritte in der Tonkunst geben. Der Verfasser.
*** Appendix 3 Brief [Nr. 1 an Johann Vesque von Püttlingen] bei WoO 14 (Sonate für das Pianoforte): A-Wgm, VII 49243 Ms (Q 16094) = Autograph, 2 Blätter [S. 1:] Wien 22. Juli 1874 Euer Hochgeboren! Es ist doch denkbar, daß die „Komische Oper“95 neuerdings in’s Leben tritt.96 Selbstverständlich müßen sodann neue Kräfte gewonnen werden.
95 The Comic Opera in Vienna, which was founded by a consortium to present lighter fare in contrast to the serious opera of the Hofoper, opened on 17 January 1874 at a new building constructed at I. Schottenring 7. Renamed the “Ringtheater” in 1878, the building was totally destroyed in a devastating fire on 8 December 1881 that killed at least 384 persons. 96 The Comic Opera faced constant financial difficulties and there was much upheaval in the management. In 1873 Vesque von Püttlingen had joined the board of directors (but would soon give up his position).
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Ich halte dafür, daß ich Euer Hochgeboren mittelst Unterbreitung beifolgender Manuscripte Anhaltspüncte zu geben mir erlauben soll, um nach Durchblickung meiner Arbeiten herausfinden zu können, ob eine meinen Fähigkeiten entsprechende Stellung mir theilhaftig werden kann, und ob im bejahenden Falle mein Wirken fruchtbringend zu werden verspricht.97 Euer Hochgeboren werden sogleich erkennen, daß ich es Ernst mit der Kunst meine und daß meine Neigung zur Auffindung neuer Formen nicht [S. 2:] als unnütze Tändelei anzusehen sei, sondern als Resultat tief durchdachten Studiums, das gleichsam zwingt, Experimente zu machen, ähnlich einem ausgelernten Schwimmer, den es drängt, Purzelbäume zu schlagen oder einem sattelfesten Reiter, der Cabriolen in Ausführung zu bringen strebt. Daß beide, vollendeter Schwimmer und eminenter Reiter Specialitäten in ihrem Fache sind, wird Jedermann anerkennen. Aber auch Euer Hochgeboren sind Specialist im Bereiche der Tonkunst. Dies Beweisen mehrere Ihrer Werke z. B. das Tonstück: „Klara Wieck und Beethoven, Gedicht von Grillparzer nach Motiven aus der F moll Sonate musikalisch gegeben“98 und unter Andern auch das Lied: Der Tänzer von Heine. Solche Werke lassen den gereiften Componisten erkennen. [S. 3:] Und somit glaube ich, durch aufrichtige Darstellung meiner Gesinnung vielleicht doch einige Anhaltungspuncte gegeben zu haben, durch welche Euer Hochgeboren sich versichert halten können, daß Ihre Verwendung keinem so ganz Unwürdigen theilhaftig wird. Ich bitte daher, dieses mein vertrauungsvoll unterbreitetes Schreiben mit Wohlwollen aufzunehmen und Hochgeneigtest benachrichtigen zu wollen, so bald eine Mittheilung möglich ist Euer Hochgeboren ehrfurchtsvoll zeichnenden, treu ergebensten Johann Wolf
The first artistic director, Albin Swoboda, resigned on 9 March 1874, and perhaps the plan for a new start was what prompted Johann Wolf to offer his musical services to Vesque. 97 Johann Wolf died less than six months later, and at some point Vesque must have given these manuscripts, as well as the two letters written on 22 July 1874, to the Gesellschaft der Musikfreunde, where he had served on the directorial board (1839–1849 and 1853–1855) and as Vice-President (1851/52). According to Ingrid Fuchs, there are no records at A-Wgm documenting such acquisitions. 98 This work was published in January 1838 by A. Diabelli and Comp. (Nr. 6455) and reviewed in the Allgemeiner Musikalischer Anzeiger 10 (15 February 1838), p. 25 f. The anonymous critic writes here about Vesque: “Dieser junge Tondichter, der in Schubert’s Fußstapfen mit vielem Glücke tritt, und sein Vorbild bereits überflügelt hat […]”!
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Beileigende Manuscripte: Der rothe Sarafan Coalitions-Fantasie Parade-Marsch Sprung-Etuden Variationen Real- u. Ideal Fantasie Melodien-Kaleidoskop Schubertlieder Fantasie Transsubtantiationen.99
Brief [Nr. 2 an Johann Vesque von Püttlingen] bei WoO 23 (Der Tänzer): A-Wgm, VI 49250 Ms (Q 10378), 2 Blätter [S. 1:] Wien 22. Juli 1874 Euer Hochgeboren! Die durch den „Krach“ in Frage gestellte Existenz der „Komischen Oper“ gab Veranlassung, daß in mir eine Idee auftauchte, welche vielleicht in privaten Gesellschafts-Kreisen in erheitender Weise ausgebeutet werden könnte. Einen Fingerzeug hiezu gab mir das von Euer Hochgeboren in Musik gesetzte Lied: Der Tänzer.100 Dieses characteristisch aufgefaßte, die Unheimlichkeit des Textes durch mysteriöse Begleitung fixirende, mit leicht faßlichen, aber immer edel gehaltenen Melodien ausgestattete Lied sprach mich so an, daß ich unternahm, dasselbe für Clavier zu übertragen, worauf ich nach Überblick meiner Arbeit zu erkennen glaubte, daß durch Zusammenziehung von je 2 Tacten die mysteriöse [S. 2:] Begleitung noch prägnanter sich gestalten dürfte. Dieses durch Zufall entstandene Experiment glaubte ich mit dem Epithet: „Restringirung“ bezeichnen zu können. Aber angeeifert durch das Resultat des ersten Versuches, unternahm ich eine noch engere Zusammenziehung, wodurch die Restringirung II entstand. Meine Eingangs erwähnte, auszubeutende Idee zielt nun dahin ab, daß, wenn ein lebensfroher oder ein satyrischer Dichter sich finden sollte, der den unheimlichen Inhalt des Heine’schen Gedichtes in das Gegentheil umzugestalten versuchen wollte, er vielleicht durch satyrische Beleuchtung irgend einer Persönlichkeit der „Komischen Oper“ oder durch erheiternde Darstellung des Entstehens, der Weiterführung und des Ende derselben, Aufstellungspunkte [S. 3:] finden könnte für Parallelfiguren, z. B. Schlafende Jungfrau – Ideenbildung zu irgend einem Entwurfe; 99 All of these autograph manuscripts are found in the Gesellschaft der Musikfreunde with the exception of the “Coalitions-Fantasie” (see my work list WoO 16–22). 100 This Lied, actually entitled “Der Tanz”, was set to a poem from Heinrich Heine’s Heimkehr series of 1823– 1824 and was published in 1831 as part of Vesque’s Op. 7. For a discussion of Heine’s poem, see Rita Steblin, Death as a Fiddler: The Study of a Convention in European Art, Literature and Music, in: Basler Jahrbuch für Historische Musikpraxis 14 (1990), pp. 271–322, at p. 285 f.
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Zitternder Mond – Gründer; Fidelndes Todtengerippe – Actionäre; Hervorlockung der Jungfrau – Verwaltungsrath; Nicken mit dem Schädel – Directionsrath. Wenn das Gedicht sodann in nicht verletzender Art, vielmehr in Abzielung auf eine Erneuerung der „Komischen Oper“ verfaßt, wenn ferner das Vers- und Silbenmaß des Heine’schen Textes beibehalten wird, so könnte dieses erheiternde oder satyrische Gedicht der Melodie des Liedes unterlegt werden und in Privatzirkeln selbstverständlich durch gelungene Pointen entsprechende Wirkung erzielen. [S. 4:] Wenn ich mir durch Unterbreitung dieser Arbeit vielleicht zu viel erlaubt habe, so bitte ich dies jenem Drange zuzuschreiben, der von selbst entsteht, wenn eine aufgetauchte Idee verspricht, daß deren Inslebentreten doch nicht so ganz zwecklos erscheinen dürfte. Sollten aber vielleicht Euer Hochgeboren diese Angelegenheit als nicht opportun halten, so gebe ich hiermit die Versicherung, daß ich Niemanden davon Mittheilung machen werde. Ehrfurchtsvoll zeichnend Euer Hochgeboren treu ergebenster Johann Wolf
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Appendix: List of Plates
Plate 1: Johann Wolf ’s autograph signature on the christening entry for his second daughter, Maria Johanna Wolf, born on 25 July 1843. Wien, Pfarre Maria Treu, Taufbuch 1843, fol. 66
The Viennese Composer Johann Wolf (1805–1874)
Plate 2/a: Johann Wolf autograph: (WoO 19) Real- und Ideal-Fantasie über Lieder ohne Worte von Franz Schubert föderativ zusammengestellt. Title page, fol. 1r. A-Wgm, VII 49244 Ms (Q 16095)
Plate 2/b: Real- und Ideal-Fantasie, fol. 1v: I. Schwangesang (D 318), II. Von Ida (D 228)
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Plate 2/c: Real- und Ideal-Fantasie, fol. 2r: 1. (Schwangesang), 2. (Von Ida)
Plate 2/d: Real- und Ideal-Fantasie, fol. 2v: III. Die Erscheinung (D 229), IV. Klage (D 371)
The Viennese Composer Johann Wolf (1805–1874)
Plate 2/e: Real- und Ideal-Fantasie, fol. 3r: 3. (Die Erscheinung), 4. (Klage )
Plate 3/a: Johann Wolf autograph: (WoO 21) Föderativ-Fantasie über 3 Schubertlieder für das Pianoforte. Title page, fol. 1r. A-Wgm, VII 49246 Ms (Q 10377)
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Plate 3/b: Föderativ-Fantasie, fol. 1v, I. Der Abend (D 221)
Plate 3/c: Föderativ-Fantasie, fol. 2r, [II.] An den Mond (D 259)
rita steblin
The Viennese Composer Johann Wolf (1805–1874)
Plate 3/d: Föderativ-Fantasie, fol. 2v, III. Die Vögel (D 691)
Plate 3/e: Föderativ-Fantasie, fol. 3r, Die Vögel continued
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Plate 3/f: Föderativ-Fantasie, fol. 3v, end (signed Johann Wolf)
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The Viennese Composer Johann Wolf (1805–1874)
Plate 3/g: Föderativ-Fantasie, Vorerinnerung
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Plate 4: Johann Wolf autograph: (WoO 20) Melodien-Kaleidoskop für das Pianoforte. Title page. A-Wgm, VII 49248 Ms (Q 16098)
Über die Autoren Johannes Behr, geb. 1971, studierte Musikwissenschaft und Philosophie an den Universitäten Heidelberg, Wien und Marburg. Abschluß im Jahr 2000 mit der Magisterarbeit Entstehungsgeschichtliche Untersuchungen zu den Klavierübungen von Johannes Brahms, die in eine Neuedition der 51 Übungen WoO 6 mit einigen bislang unveröffentlichten Klavierübungen mündete (Wiener Urtext Edition). 2006 Fertigstellung der Dissertation Johannes Brahms – Vom Ratgeber zum Kompositionslehrer. Eine Untersuchung in Fallstudien, erschienen 2007 innerhalb der Schweizer Beiträge zur Musikforschung (Bärenreiter). Seit 2006 wissenschaftlicher Mitarbeiter der Forschungsstelle Johannes Brahms Gesamtausgabe am Musikwissenschaftlichen Institut der Universität Kiel, zunächst als Bearbeiter eines Forschungsprojekts über Korrekturabzüge bei Brahms, seit 2008 als Redakteur und Herausgeber von Gesamtausgaben-Bänden und Mitglied der Editionsleitung. Noteneditionen, Vorträge und Aufsatzpublikationen hauptsächlich zu Brahms und dessen Umfeld. Otto Biba, geb. 1946, studierte Geschichte und Musikwissenschaft in Wien, Promotion 1974. Seit 1973 ist er Mitarbeiter in Archiv, Bibliothek und Sammlungen der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien, seit 1979 deren Direktor. Er ist und war Kurator zahlreicher Ausstellungen über Komponisten oder zur Geschichte der Musik, ist Mitglied des wissenschaftlichen Beirats der Johannes Brahms Gesamtausgabe und anderen wissenschaftlichen Gremien. Er ist international als Vortragender tätig, hat zahlreiche Musikeditionen und Publikationen zur österreichischen Musikgeschichte des 18. und 19. Jahrhunderts vorgelegt, insbesondere zu Joseph Haydn, Wolfgang Amadé Mozart, Franz Schubert und Johannes Brahms und ihrem Umfeld. Katrin Eich, geb. 1971, studierte Instrumentalpädagogik (Hauptfach Klavier) an der Musikhochschule/Universität Rostock sowie Musikwissenschaft, Romanistik und Germanistik an der Universität Kiel (Promotion 2001 mit einer Dissertation über die Kammermusik von César Franck, im Druck erschienen 2002). Lehrtätigkeit an der Musikschule Kiel, 2001–2004 Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Max-Reger-Institut / Elsa-Reger-Stiftung Karlsruhe, dort Mitarbeit am Reger-Werkverzeichnis. Seit 2004 Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Forschungsstelle der neuen Johannes Brahms Gesamtausgabe am Musikwissenschaftlichen Institut der Kieler Universität (Mitglied der Editionsleitung), Herausgabe und Redaktion mehrerer Bände. Weitere Notenausgaben sowie Publikationen u. a. zu quellengeschichtlichen und editorischen Themen bei Brahms.
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Über die Autoren
Eike Fess, geb. 1975, studierte Musikwissenschaft, Germanistik und Philosophie an der Universität zu Köln (Magisterarbeit über „Wolfgang Rihm und die Musikauffassung des 19. Jahrhunderts“). Seine Forschungsschwerpunkte liegen auf Arnold Schönberg, der Musik des 20. Jahrhunderts sowie der Gattungsgeschichte von Symphonie und Streichquartett. Abgesehen von zahlreichen Programmtexten arbeitete er u. a. zu Gustav Mahler, Karlheinz Stockhausen, Wolfram Schurig sowie zur Aufführungspraxis der Wiener Schule. Neben dem Workshop „Arnold Schönberg – Educational Visions“ (Wien/Mödling) leitete er Lehrveranstaltungen in Luzern, Klagenfurt, Berlin und Wien. Seit September 2002 ist Eike Feß als Archivar am Arnold Schönberg Center, Wien, tätig. Zusammen mit Therese Muxeneder ist er Herausgeber des „Journal of the Arnold Schönberg Center“ und als Kurator an Ausstellungen der Institution beteiligt. Ingrid Fuchs, geb. 1954, studierte Musikwissenschaft und Kunstgeschichte an der Universität Wien (Promotion 1981 mit einer Arbeit über die Suiten für Violoncello solo von J. S. Bach) sowie Violoncello Konzertfach an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien. 1981–1999 wissenschaftliche Mitarbeiterin der Kommission für Musikforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, ab Herbst 1999 Stellvertretende Direktorin von Archiv, Bibliothek und Sammlungen der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien. Vortragstätigkeit in Europa, Japan, Kanada und den USA, wissenschaftliche Leitung von internationalen Kongressen und Herausgabe der Kongreßberichte sowie Mitwirkung an der Konzeption von Musikausstellungen im In- und Ausland. Zahlreiche Publikationen zur österreichischen Musikgeschichte des 18. bis 20. Jahrhunderts. Schwerpunkte: J. Haydn, W. A. Mozart, L. van Beethoven und J. Brahms sowie die private und öffentliche Musikszene Wiens am Ende des 18. und im 19. Jahrhundert. Gernot Gruber, geb. 1939 in Bruck an der Mur (Steiermark), studierte Musik, Musikwissenschaft, Philosophie und Germanistik in Graz, 1964 Promotion. 1973 Habilitation an der Universität Wien. 1976–1995 ordentlicher Professor an der Hochschule für Musik in München, 1995–2008 ordentlicher Professor für Musikwissenschaft an der Universität Wien. Seit 2005 wirkliches Mitglied und bis 31. Dezember 2012 Obmann der vormaligen Kommission für Musikforschung der ÖAW; Projektleiter für die Wiener Arbeitsstellen der Werkausgaben von Brahms, Fux, Schubert und Webern sowie Editionsleiter bei der Fux-Ausgabe. Buch- und Aufsatzpublikationen insbesondere zur österreichischen Musikgeschichte (u. a. gemeinsam mit Rudolf Flotzinger Herausgabe der Musikgeschichte Österreichs, Graz 1977–1979), zu Wolfgang Amadeus Mozart (u. a. Herausgabe vom Mozart-Handbuch, 7 Bde., Laaber 2005 ff.) und zu Franz Schubert (zuletzt Schubert. Schubert? Leben und Musik, Kassel 2010); derzeit arbeitet er an dem Abschluß einer Geschichte europäischer Musik.
Über die Autoren
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Elisabeth Hilscher, geboren 1967 in Wien, studierte Musikwissenschaft und Geschichte an der Universität Wien (1989 Diplom, 1993 Promotion). Seit 1987 ist sie Mitarbeiterin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (zuerst Kommission für Musikforschung, seit 2013 der Abteilung Musikwissenschaft des Instituts für kunst- und musikhistorische Forschungen). Weiter gehört sie der Leitenden Kommission der Gesellschaft zur Herausgabe von Denkmälern der Tonkunst in Österreich an und dem Präsidium der Österreichischen Gesellschaft für Musikwissenschaft. Seit 2012 ist sie Lektorin an der Universität Wien und immer wieder auch Gastlektorin an der Masaryk-Universität Brno. Die Schwerpunkte ihrer wissenschaftlichen Arbeit liegen auf der österreichischen bzw. Wiener Musikgeschichte (u. a. gem. mit Helmut Kretschmer (Hg.): Wien. Musikgeschichte, 2 Bde., Wien-Münster 2006 & 2011), insbesondere auf der Musikgeschichte der Höfe der Habsburger der österreichischen Linie (u. a. Mit Leier und Schwert, Graz-Wien-Köln 2000; Im Dienste einer Staatsidee, WienKöln-Weimar 2013) sowie der Geschichte des Faches Musikwissenschaft Walburga Litschauer, geb. 1954 in Klagenfurt, studierte Musik- und Theaterwissenschaften an der Universität Wien, daneben Klavierausbildung am Konservatorium der Stadt Wien, die sie 1979 mit der Staatsprüfung abschloß. 1980 erfolgte ihre Promotion und anschließend eine Mitarbeit an der Anton Bruckner-Gesamtausgabe. Von 1980–2014 leitete sie die Wiener Arbeitsstelle für die Neue Schubert-Ausgabe an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, seit 1990 war sie Mitglied der Editionsleitung (Edition und Redaktion von Schuberts Klaviermusik), ihre Habilitation erfolgte 2005. Von 1990–1995 war sie Schriftleiterin der Musicologica austriaca, von 1998–2012 Präsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Musik, seit 2004 stellvertretende Vorsitzende des Festivals „Carinthischer Sommer“ und von 2010–2016 dessen Obfrau. 2015 absolvierte sie eine Ausbildung zur Akademischen Jagdwirtin an der Universität für Bodenkultur in Wien. Zahlreiche Publikationen zu Leben und Werk Franz Schuberts, zu Anton Bruckner und zur Musikgeschichte Kärntens. Katharina Loose-Einfalt, geb. 1982, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte und Theologie an der Universität Kiel (2009 Magistra Artium mit einer Arbeit über Schuberts Klaviertrio Es-Dur D 929). 2009–2014 war sie für die neue Johannes Brahms Gesamtausgabe tätig, zunächst in freier Mitarbeit und als wissenschaftliche Hilfskraft an der Kieler Forschungsstelle, ab 2011 als wissenschaftliche Mitarbeiterin der Wiener Arbeitsstelle am Institut für kunst- und musikhistorische Forschungen (IKM) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Seit 2015 ist sie Mitarbeiterin der Wiener Arbeitsstelle der Neuen Schubert-Ausgabe am IKM. 2017 Promotion mit einem hybriden Dissertationsprojekt, das die historisch-kritische Edition von Brahms’ Horntrio op. 40 und Klarinettentrio op. 114 (neue Brahms Gesamtausgabe, Bd. II/7, München 2016) mit einer analytisch-hermeneutischen Studie zu Form und Klangstrukturen des Horntrios verbindet. Forschungsinteressen: Schubert, Brahms, Klavierkammermusik im 19. Jahrhundert sowie das Zusammenspiel von philologischen, analytischen und ästhetischen Aspekten.
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Über die Autoren
Christine Martin, geb. 1961, studierte Musikwissenschaft, Germanistik und Romanistik in Frankfurt/Main, Heidelberg und Turin. 1987 Magisterexamen mit einer Arbeit über Das Parodieverfahren in Georg Friedrich Händels Oratorium Jephtha. 1988 Mitarbeit im Forschungsprojekt „Capella Sistina“ der Universität Heidelberg am Deutschen Historischen Institut in Rom. 1989–1998 wissenschaftliche Angestellte in der Zentralredaktion des Répertoire International des Sources Musicales (RISM) in Frankfurt/Main. 2000 Promotion über Vicente Martín y Solers Oper „Una cosa rara“. Geschichte eines Opernerfolgs im 18. Jahrhundert (Hildesheim 2002). Seit 2003 wissenschaftliche Mitarbeiterin und seit 2006 Mitglied der Editionsleitung der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen) sowie Lehrbeauftragte der Universität Tübingen. Forschung und Herausgebertätigkeit der Autorin konzentriert sich neben Werken Franz Schuberts und Georg Friedrich Händels auf Musik für die Bühne und deren Bearbeitung im 18. und frühen 19. Jahrhundert. Lorenz Mikoletzky, geb. 1945, studierte Geschichte und Archäologie an der Universität Wien; 1969 Promotion mit einer Arbeit über Karl Freiherrn von Krauß, einem Justizminister Kaiser Franz Josephs. Von 1964 bis 1968 Absolvierung des 51. Ausbildungskurses am Institut für Österreichische Geschichtsforschung mit Staatsprüfung 1968. Im Jahr darauf Eintritt in das Österreichische Staatsarchiv (1969–1976 Abteilung Finanz- und Hofkammerarchiv; 1976–1994 Abteilung Allgemeines Verwaltungsarchiv). Direktor und Hofrat 1991, 1. Juli 1994–31. Dezember 2011 Generaldirektor des Österreichischen Staatsarchivs und Leiter des Archivamtes. Seit 1993 Honorarprofessor für Neuere Geschichte Österreichs an der Universität Wien. 2004–2008 Präsident des Internationalen Archivrates; 1998–2003 Stellvertretender Vorsitzender der Historikerkommission der Republik Österreich; 1975–1991 Generalsekretär der Grillparzer-Gesellschaft; seit 1992 Geschäftsführender Vizepräsident des Verbandes Österreichischer Historiker und Geschichtsvereine. Zahlreiche Publikationen zu Joseph II., Kaiser Ferdinand I., Franz Grillparzer, zum Archivwesen und zur Kulturgeschichte Wiens und Österreichs. Siegfried Oechsle, geb. 1956, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte und Philosophie an den Universitäten in Kiel und Kopenhagen. 1985 Magister Artium, 1989 Promotion, 1995 Habilitation. 1999–2001 Professor an der Universität Kopenhagen, seit 2001 Lehrstuhl für Musikwissenschaft an der Universität Kiel. Wissenschaftlicher Leiter der Johannes Brahms Gesamtausgabe, Ausländisches Mitglied von Det Kongelige Danske Videnskabernes Selskab / The Royal Danish Academy of Sciences and Letters, Mitglied der Academia Europaea und der Akademie der Wissenschaften in Hamburg, Vorsitzender der Wissenschaftlichen Kommission der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften. Forschungsschwerpunkte: Bach, Beethoven, Brahms, Geschichte der Symphonie und der Ouvertüre, Musik und Zeit, Musikgeschichte Skandinaviens.
Über die Autoren
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Robert Pascall, geb. 1944, studierte Musikwissenschaft an der Universität Oxford; dort 1973 Promotion mit der Dissertation Formal Principles in the Music of Brahms. Ordinarius für Musikwissenschaft an der Universität Nottingham 1988–1998, an der Üniversität Bangor 1998–2005. 2009 Honorary Professor of Music Philology an der Universität Cambridge, Honorary Member of the Royal Musical Association. Zahlreiche Beiträge über Musik von J. S. Bach bis Arnold Schönberg und Franz Schmidt, mit Schwerpunkt Brahms. Wissenschaftlicher Beirat der Johannes Brahms Gesamtausgabe; edierte dafür die Symphonien; Corresponding Director of the American Brahms Society; wissenschaftlicher Beirat der Neuen Anton Bruckner Gesamtausgabe. Neueste Veröffentlichungen u. a.: Johannes Brahms, Neue Ausgabe Sämtlicher Werke. Serie IA, Band 3: Symphonie Nr.4, Arrangements für ein und zwei Klaviere zu vier Händen, München 2012; Brahms Beyond Mastery: His Sarabande and Gavotte, and its Recompositions, Farnham 2013. Michael Struck, geb. 1952 in Hannover, ab 1973 Studium an Musikhochschule und Universität Hamburg: Schulmusik, Privatmusikerziehung, Klavier/Diplom (Werner Schröter), Musikwissenschaften (Constantin Floros), Erziehungswissenschaften. 1984 Promotion mit Dissertation Die umstrittenen späten Instrumentalwerke Schumanns. 1985 zunächst im niedersächsischen Schuldienst, dann Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Forschungsstelle der neuen Johannes Brahms Gesamtausgabe an der Universität Kiel (Mitglied der Editionsleitung); Herausgeber/Redakteur diverser Bände. Zahlreiche musikwissenschaftliche Veröffentlichungen, weitere Werkeditionen, Tätigkeit als Musikkritiker und Pianist. 2009 Träger des Schumann-Preises der Stadt Zwickau, 2010 als Mitarbeiter der Kieler Brahms-Forschungsstelle (am Kieler Musikwissenschaftlichen Institut) Mit-Preisträger des Brahms-Preises 2010 der Brahms-Gesellschaft Schleswig-Holstein. Forschungsschwerpunkte: Musik des 18.–20. Jahrhunderts (Schulz, Weber, Schumann, Brahms und Umfeld, Goldschmidt/ Exil); Spannungsfeld von Musikphilologie und Analyse; werkgenetische Fragen; Bedeutung von Komponistenbriefen für Philologie/Musikwissenschaft. *** Rita Steblin, geb. 1951 in Chilliwack, B. C., Kanada, studierte Musikwissenschaft an den Universitäten von British Columbia, Vancouver (B.Mus. 1973), Toronto (M. A. 1974), und Illinois, Urbana-Champaign (Ph.D. 1981). Außerdem studierte sie Cembalo bei Isolde Ahlgrimm und barocke Aufführungspraxis bei Eduard Melkus an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Wien (1977–1979). Nach ihrer Lehrtätigkeit an der University of Alberta, Edmonton (1981–1984), arbeitete sie als Klavierlehrerin und Kirchenmusikerin in Vancouver. Seit 1991 lebt sie als freie Musikwissenschaftlerin in Wien und recherchiert Archivquellen hauptsächlich zu Schubert und Beethoven. Buchpublikationen u. a.: A History of Key Characteristics in the Eighteenth and Early Nineteenth Centuries (Ann Arbor 1983, 2. rev. Ausgabe: Rochester 2002); Die Unsinnsgesellschaft. Franz Schubert, Leopold Kupelwieser und ihr Freundes-
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Über die Autoren
kreis (Wien: Böhlau 1998); Beethoven in the Diaries of Johann Nepomuk Chotek (Bonn: Beethoven-Haus, 2013). 2002 bis 2005 war sie Sachbearbeiterin des Projekts „Beethovens Unsterbliche Geliebte: Josephine Gräfin Brunsvik“ sowie 2006/2007 „Musikinstrumentenmacher der Mozartzeit“ (beide gefördert vom Jubiläumsfonds der Österreichischen Nationalbank).
Dank der Herausgeber Die Herausgeber des Bandes bedanken sich herzlich bei den nachfolgend aufgeführten Institutionen, die die Tagung großzügig unterstützt haben.
Martin Günther
Kunstlied als Liedkunst Die Lieder Franz Schuberts in der musikalischen Aufführungskultur des 19. Jahrhunderts
Schubert : PerSPektiven – Studien band 4 Orte für die klingende Existenz von Kunstliedern wurden innerhalb des von einschneidenden Wandlungsprozessen bestimmten Musiklebens des 19. Jahrhunderts immer wieder neu geschaffen – verbunden mit der fortwährenden Diskussion einer als „angemessen“ erachteten Aufführungspraxis und der entsprechenden Rezeptionshaltung. Auch auf Schuberts Liedkompositionen, aus denen die Musikgeschichtsschreibung später das gattungsästhetische Paradigma „Schubert-Lied“ herausdestillierte, wirkten sich vielschichtige, z. T. ideologisch gefärbte, kulturelle Formungsprozesse aus, die Martin Günther aus der Perspektive kulturgeschichtlich ausgerichteter Interpretationsforschung nachzeichnet und analysiert: Die beginnende Professionalisierung des Liedvortrags um 1800, die Liedpraxis der Schubert-Zeit im Kontext musikkultureller und gesellschaftlicher Umbrüche, die historiographische Konstruktion „des“ Schubert-Liedes sowie die öffentliche Inszenierung „liedhafter Innerlichkeit“ im späteren 19. Jahrhundert werden zu einem Panorama zusammengefügt, das zeigt, wie verklungene musikalische Aufführungen zu einer musikgeschichtlichen Kategorie werden können.
416 Seiten mit 25 Abbildungen und 10 Notenbeispielen 978-3-515-11406-6 gebunden 978-3-515-11407-3 e-book
Hier bestellen: www.steiner-verlag.de
Johannes Brahms zählt zu den Kompo nisten des 19. Jahrhunderts, denen mit Recht ein ausgeprägtes historisches Inter esse nachgesagt wird. Dazu gehört auch sein immenses Gespür für die Leistungen seiner kompositorischen Vorgänger, an die er produktiv anzuknüpfen verstand. Während aber die Literatur zu Brahms vor allem sein Verhältnis zu Bach und zu Beethoven in den Blick genommen hat, blieb seine nachweislich ebenso intensive Beziehung zur Musik Franz Schuberts bisher wenig beachtet. Die Autorinnen und Autoren dieses Bandes zeichnen, erstmals in dieser Tiefe und Breite, ein faszinierendes Panorama der Auseinan dersetzung des Hamburgers und Wahl
Wieners Johannes Brahms mit der musi kalischen Hinterlassenschaft des Wieners Franz Schubert. Der Band enthält, neben gründlichen Un tersuchungen zu Brahms’ unmittelbarer kompositorischer Auseinandersetzung mit Schubert, Schilderungen der Epo che, eingehende Analysen zu allen Gat tungen, in denen Brahms sich mit Schu bert befasste, sowie Informationen über Brahms als improvisierenden Stegreif Interpreten schubertscher Musik. Und er enthält schließlich Dokumentationen über Brahms’ Aktivitäten als Chorleiter, Arrangeur und Herausgeber.
www.steiner-verlag.de Franz Steiner Verlag
ISBN 978-3-515-11767-8
9
7835 1 5 1 1 7678