Bismarck und der deutsche Kolonialerwerb 1883–1885: Eine Quellensammlung. Hrsg. und bearb. von Winfried Baumgart aufgrund der Vorarbeiten von Axel T. G. Riehl. Red.: Mathias Friedel [1 ed.] 9783428533718, 9783428133710

Warum erwarb Bismarck 1883/85 Kolonien für Deutschland, obwohl er zuvor antikolonial eingestellt war und danach die eben

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German Pages 540 Year 2011

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Bismarck und der deutsche Kolonialerwerb 1883–1885: Eine Quellensammlung. Hrsg. und bearb. von Winfried Baumgart aufgrund der Vorarbeiten von Axel T. G. Riehl. Red.: Mathias Friedel [1 ed.]
 9783428533718, 9783428133710

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Quellen und Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte Band 40

Bismarck und der deutsche Kolonialerwerb 1883–1885 Eine Quellensammlung Herausgegeben und bearbeitet von

Winfried Baumgart aufgrund der Vorarbeiten von

Axel T. G. Riehl Redaktion Mathias Friedel

Duncker & Humblot · Berlin

Bismarck und der deutsche Kolonialerwerb 1883–1885

Quellen und Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte Begründet von Johannes Kunisch Herausgegeben im Auftrag der Preußischen Historischen Kommission, Berlin von Prof. Dr. Wolfgang Neugebauer und Prof. Dr. Frank-Lothar Kroll

Band 40

Bismarck und der deutsche Kolonialerwerb 1883–1885 Eine Quellensammlung

Herausgegeben und bearbeitet von

Winfried Baumgart aufgrund der Vorarbeiten von

Axel T. G. Riehl

Redaktion Mathias Friedel

Duncker & Humblot · Berlin

Gedruckt mit Unterstützung des Förderungsund Beihilfefonds Wissenschaft der VG WORT

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten # 2011 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0943-8629 ISBN 978-3-428-13371-0 (Print) ISBN 978-3-428-53371-8 (E-Book) ISBN 978-3-428-83371-9 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Im Jahr 1993 hat mein Schüler Axel T. G. Riehl seine umfangreiche Dissertation „Der ‚Tanz um den Äquator‘. Bismarcks antienglische Kolonialpolitik und die Erwartung des Thronwechsels in Deutschland 1883 bis 1885“ veröffentlicht. In diesem Buch hat er die von ihm so genannte „Kronprinzen-These“ aufgestellt. Sie besagt folgendes: Bismarck war bis 1883 prononciert antikolonial eingestellt und hat nach 1885 die Kolonien, die er in der Zwischenzeit für Deutschland erworben hatte, wieder loswerden wollen; er hat sie in erster Linie deswegen erworben, um den liberal gesinnten und anglophil eingestellten Thronfolger Friedrich Wilhelm, dessen Regierungsübernahme damals wegen des hohen Alters seines Vaters, Wilhelms I. (1797 geboren), allgemein erwartet wurde, von einem liberalen Umbau im Innern Deutschlands und einem Bündnis mit dem liberalen England abzuhalten; ferner um die deutsch-englischen Beziehungen – durch die heftig vertretenen kolonialen Ansprüche Bismarcks – in einen derartigen Spannungszustand zu versetzen, daß er – Bismarck – sich als Überwinder dieser Krise dem Thronfolger unentbehrlich machen würde. Mit dieser „Kronprinzen-These“ hat Riehl das über hundert Jahre währende Rätselraten um die Hauptgründe für den deutschen Kolonialerwerb beendet. Seine Hauptthese hat er um diverse weitere Aspekte, was den deutschen Kolonialerwerb angeht, ergänzt, die miteinander verknüpft waren und alle auf diese Hauptthese konvergieren: Verwendung der Kolonialagitation für die Ende Oktober 1884 anstehenden Reichstagswahlen durch Bismarck; Reaktivierung des Staatsrats, an dessen Spitze er den Kronprinzen stellte, um diesen in konservativem Sinne „einzuhegen“; Rückzug aus den preußischen Ämtern, um dem Kronprinzen eine innenpolitische Entfaltungsmöglichkeit anzubieten; Aufwertung der konstitutionellen Funktion des Bundesrats, um die unitarischen Tendenzen des Kronprinzen in föderative Bahnen umzulenken; Kaltstellung des liberalen Beraterkreises des Kronprinzen; Mundtotmachen und moralisches Anschwärzen liberaler Politiker (Stosch, Forckenbeck u.a.), die Bismarcks Rivalen bzw. Nachfolger in einer künftigen Regierung hätten sein können; Untergrundkampf gegen die Kronprinzessin Viktoria, die nach einem Thronwechsel ihren schwachen Gemahl in liberales und anglophiles Fahrwasser zwängen würde usw. Der Kernpunkt des gesamten Ursachengeflechts für den deutschen Kolonialerwerb bleibt für Riehl immer der plötzlich inaugurierte und hektisch

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Vorwort

betriebene (da der Thronwechsel unmittelbar bevorzustehen schien) Kolonialerwerb selbst, der eine Krise mit England heraufbeschwören mußte. Es war zu erwarten, daß die „Kronprinzen-These“ angesichts der umfangreichen vorausgegangenen Forschungen zur deutschen Kolonialpolitik nicht sogleich von der Wissenschaft rezipiert werden würde. Denn man kann sich eine solch abenteuerliche und fast grotesk anmutende Begründung für Bismarcks Kolonialexpansion kaum vorstellen und ist bestrebt, nach näherliegenden Ursachen zu fahnden, wie es in der vorangegangenen Forschungsliteratur auch immer wieder geschehen ist – seien es wirtschaftliche (Absatzförderung, Rohstoffbezug), demographische (Auswanderung), „sozialimperialistische“ (Ablenkung innerer Spannungen in Deutschland nach außen) oder außenpolitische (Annäherung an Frankreich) Gründe. Ich habe wegen der zu erwartenden Abwehrhaltung bei der Rezeption der „Kronprinzen-These“ Herrn Riehl ermutigt, seiner Dissertation einen Quellenband anzufügen, in dem die Hauptpfeiler seines Argumentationsgebäudes, nämlich die zentralen Quellen, im Wortlaut veröffentlicht werden sollten. Vor allem aus beruflichen Gründen ist Herr Riehl dazu nicht gekommen. Ich habe ihn daher gebeten, mir sein gesammeltes Quellenmaterial zu übergeben. Das ist im Dezember 2007 geschehen: Ich bekam von ihm 30 Leitz-Ordner mit Material, das sorgfältig chronologisch geordnet war. Ich habe dieses überbordende Material auf ein bis zwei Leitz-Ordner mit der entsprechenden Zahl von Dokumenten zusammengestutzt. Da die gesammelten Quellen in der Regel exzerpiert, also gekürzt vorlagen – sie dienten Herrn Riehl als Fundus für seine Dissertation –, habe ich sie jetzt in den einschlägigen Archiven ergänzt. Das Ergebnis ist die folgende Zusammenstellung von 350 Quellenstücken. Der etwas größere Teil (ca. 57%) sind hier erstmals veröffentlichte (in der Regel von Riehl bereits argumentativ verwendete) Stücke; der kleinere Teil (ca. 43%) sind einschlägige bereits veröffentlichte Quellen, die hier regestiert wiedergegeben sind. Unter den veröffentlichten Quellen sind die Tagebücher Friedrich von Holsteins (1957 publiziert) die ergiebigsten. Die vorliegende Quellensammlung sollte daher stets zusammen mit diesen Tagebüchern verwendet werden; sie beginnen glücklicherweise 1883, also dem Jahr, in dem – von einem repräsentativen Dutzend Quellen aus vorangegangenen Jahren abgesehen – auch das vorliegende Quellenkorpus einsetzt. Die 350 Quellen sind ein repräsentativer Querschnitt durch das Motivgeflecht für den deutschen Kolonialerwerb durch Bismarck. Der Fokus sind nicht die Kolonien in Übersee selbst, sondern Berlin – also der Ort, an dem die Entscheidungen für die Kolonialakquisition fielen. Neben dem Hauptteil der Quellen, welche die Hintergründe für den Kolonialerwerb aufzeigen sollen, ist auch ein kleiner Teil von Quellen inkorporiert, die den äußeren Ablauf der deutschen Kolonialepisode 1884/85 (von Südwestafrika bis Ostafrika und Neuguinea) illustrieren, damit das Faktengerüst für die „Kronprinzen-These“ nicht aus den Augen verloren wird.

Vorwort

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Es versteht sich von selbst, daß für eine Vertiefung der „KronprinzenThese“ die Studie von Riehl herangezogen werden muß. Das Buch und die hier dargebotenen Quellen lassen es künftig nicht mehr zu, über die eigentlichen Gründe für den deutschen Kolonialerwerb durch Bismarck weiter zu spekulieren. * Zur Einrichtung der Edition Aus den rund 7 000 Quellen, die Axel T. G. Riehl für seine Edition gesammelt hat, wurde eine rigorose Auswahl von 350 Stück getroffen. Der Gesamtfundus geht in seinen Privatbesitz zurück und bleibt dort erhalten. Die zum Druck ausgewählten archivalischen Quellen werden grundsätzlich ungekürzt wiedergegeben. In einigen Fällen wurden jedoch Passagen fortgelassen, die nicht zur Materie (Bismarcks Kolonialpolitik) gehören; das ist z.B. bei Privatbriefen und Tagebucheintragungen immer wieder der Fall. Solche Passagen wurden entweder (in Kursivsatz) regestiert, durch Auslassungspunkte oder durch die Angabe „Auszug“ gekennzeichnet. Eine stattliche Anzahl der aufgenommenen Quellen ist bereits anderweitig veröffentlicht. In diesen Fällen wurde grundsätzlich auf den Wiederabdruck verzichtet; statt dessen wurden diese Quellen regestiert. In ganz wenigen Fällen – bei denen es sich um schwer zugängliche Stücke handelt – wurde jedoch der volle Wortlaut übernommen. Hervorhebungen in den Quellen sind durch Sperrdruck gekennzeichnet. Ein Asteriskus (Sternchen) neben der Dokumentennummer bedeutet, daß die Quelle bereits anderweitig gedruckt ist und hier – in Kursive – nur regestiert wird. Die Quellenstücke sind chronologisch geordnet. Sie werden sowohl durch die Einleitung als auch das Register sachthematisch erschlossen. Der Text wurde in der Orthographie wie in der Interpunktion nicht modernisiert. Zu weiteren hier angewandten editorischen Einzelheiten sei auf die entsprechenden Richtlinien hingewiesen, die im Vorwort zu jedem Band meiner Edition „Akten zur Geschichte des Krimkriegs“ (1970–2006 erschienen) verzeichnet sind.

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Vorwort

Danksagung Vielfältige Hilfe bei der Benutzung und Bearbeitung der Quellen haben mir die Leiter und Angestellten folgender Archive geleistet: Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes, Berlin; Bundesarchiv Berlin-Lichtenberg; Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, Berlin-Dahlem; Staatsarchiv Bremen; Staatsarchiv Darmstadt; Hauptstaatsarchiv Dresden; Archiv der Hessischen Hausstiftung, Schloß Fasanerie (Eichenzell, bei Fulda); Staatsarchiv Hamburg; Generallandesarchiv Karlsruhe; Bundesarchiv Koblenz; Hauptstaatsarchiv München; Staatsarchiv Oldenburg; Hauptstaatsarchiv Stuttgart; National Archives, Washington; Haus-, Hof- und Staatsarchiv, Wien. Herrn Dr. Manfred und Frau Christa von Stosch, Oestrich (Rheingau), danke ich für die Benutzung des Privatarchivs ihres Urgroßvaters Albrecht von Stosch und für die Erlaubnis zum Abdruck verschiedener Briefe. – Seiner Durchlaucht Prinz Rainer von Hessen danke ich für die Genehmigung zum Abdruck verschiedener Briefe des preußischen Kronprinzenpaares. – Ihrer Majestät Königin Elisabeth II. danke ich für die gütige Erlaubnis, den Brief der Königin Victoria an ihre Tochter Viktoria in Nr. 245 zu veröffentlichen. Herrn Dr. Axel T. G. Riehl danke ich für die Überlassung des immensen Quellenmaterials, das er für die Erstellung seiner 1993 erschienenen Dissertation über Bismarcks Kolonialerwerb zusammengestellt hat. – Mein Mitarbeiter Mathias Friedel hat in bewährter Weise die computergerechte Redaktion des Textes übernommen; dafür sei ihm gedankt. Mainz, Januar 2010

Winfried Baumgart

Inhaltsverzeichnis Einleitung ................................................................................................................ 11 Verzeichnis der nicht allgemein gebräuchlichen Abkürzungen .............................. 55 Dokumentenverzeichnis .......................................................................................... 59 Dokumente .............................................................................................................. 69 Quellen- und Literaturverzeichnis......................................................................... 499 I. Verzeichnis der Archivalien.......................................................................... 499 II. Verzeichnis der gedruckten Quellen und der Literatur ................................ 508 Register ................................................................................................................. 519

Einleitung Die „Kronprinzen-These“ und Bismarcks Kolonialerwerb In der Forschung herrscht seltene Einmütigkeit, daß Bismarck vor 1884/85 jegliches Ansinnen, überseeische Territorien zu erwerben, strikt abgelehnt hat. Einmütigkeit herrscht ferner darüber, daß er seit Mitte 1885 je länger, je mehr kolonialmüde wurde, die deutschen Kolonien bald allesamt verwünschte und sie wieder loswerden wollte. Über die Gründe, warum Bismarck sich in dem kurzen Zeitraum eines Jahres für Kolonien so heftig interessiert hat, gab es – vor der Studie von Axel T. G. Riehl – dagegen nur Rätselraten, Spekulation oder bloße Ratlosigkeit. Diejenigen Bismarckforscher früherer Jahrzehnte, die sich für eine Hauptbegründung ausgesprochen haben – A. J. P. Taylor hat eine systematische Annäherung Bismarcks an Frankreich für dessen antienglische Politik verantwortlich gemacht1; Mary E. Townsend hat gar nachzuweisen versucht, daß Bismarck insgeheim schon frühzeitig sein Auge auf Kolonien geworfen und dann 1883/85 eine denkbar günstige außenpolitische Konstellation für den Erwerb von Kolonien ausgenutzt habe2 –, können heute nicht mehr akzeptiert werden, da seit dem Erscheinen ihrer Studien (in den 1930er Jahren) sich die Quellenlage umfassend verbessert hat. Auch in den umfangreicheren oder neueren Bismarck-Biographien wird man in dieser Hinsicht ziemlich allein oder im Ungewissen gelassen. Erich Eyck, der sonst ein gutes Gespür für Bismarcks verschlungene politische Wege hat, äußert nur Mutmaßungen3: „Vielleicht hat bei Bismarcks Berechnungen [Kolonialpolitik zu treiben] auch die Hoffnung mitgespielt, auf diese Weise einen Keil zu treiben zwischen dem Kronprinzen [ . . . ] und die ‚Kronprinzen-Partei‘.“ Er läßt aber von dieser an sich richtigen Fährte sogleich ab, wenn er schreibt4, daß Bismarcks Schritte „in der Angelegen___________ 1

A[lan] J. P. Taylor, Germany’s First Bid for Colonies, 1884–1885. London

1938. 2

Mary E. Townsend, The Rise and Fall of Germany’s Colonial Empire, 1884– 1918. New York 1930. – Vgl. Henry Ashby Turner, Jr., Bismarck’s Imperialist Venture: Anti-British in Origin? In: Britain and Germany in Africa. Imperial Rivalry and Colonial Rule. Ed. by Prosser Gifford and Wm. Roger Louis. New Haven/London 1967, S. 47–82. 3 Erich Eyck, Bismarck. Bd. 3. Erlenbach-Zürich 1944, S. 400. 4 Ebd. S. 405.

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heit Angra Pequena“ (Kern des späteren Südwestafrika) den Eindruck verstärkten, „daß ihm der Streit mit England damals Selbstzweck war“. Nein – der „Streit mit England“ war vielmehr Mittel zum Zweck. Lothar Gall kehrt in seiner Biographie zu der alten These von A. J. P. Taylor zurück, daß die Kolonialpolitik der Annäherung an Frankreich gedient habe und ein Weg zu „einer Art kontinentalen Blockbildung“ gegen die immer mächtiger werdenden Flügelmächte England und Rußland gewesen sei5. Diese These ist im Lichte der hier vorgelegten Quellen nicht haltbar. Otto Pflanze sympathisiert mit der von Hans-Ulrich Wehler vorgelegten und maßlos übertriebenen Sozialimperialismus-These und sieht in Bismarcks „Besorgnis über den Zustand der deutschen Wirtschaft und die soziale Stabilität, der Suche nach sicheren und wachsenden Märkten“ die Hauptursachen für Bismarcks Abkehr von seiner früheren Kolonialabstinenz6. Ernst Engelberg liefert eine blasse und unschlüssige Erklärung, wenn er schreibt, daß Bismarck die in der Kolonialbewegung „zum Vorschein kommenden Interessen von Großindustriellen, Großbankiers und Großgrundbesitzern zum Gegenstand diplomatischer Aktivitäten machte“7. Das ist zwar nicht grundfalsch, erklärt aber die Kolonialpolitik überhaupt nicht oder nur zu einem Quentchen. Eine der neuesten Bismarck-Biographien – das schmale Bändchen von Volker Ullrich – öffnet sich bereits in vorsichtiger, durchaus expliziter Form der Riehlschen „Kronprinzen-These“: Der Reichskanzler habe mit der Kolonialpolitik, die Reibungsflächen mit England hervorrufen würde, verhindern wollen, „daß im Falle eines Thronwechsels die englischen Sympathien des Kronprinzen und seiner Frau Viktoria [ . . . ] zu großen Einfluß auf die deutsche Politik gewännen“8. Karina Urbach nimmt in ihrer Studie über den englischen Botschafter in Berlin, Lord Ampthill (Odo Russell), Riehls Erklärung zwar zur Kenntnis, kommt aber zu der abwegigen Auffassung, daß Bismarck sich mit der Kolonialpolitik beim Kronprinzen, der von Hause aus nicht antikolonial eingestellt gewesen sei, im Lichte des bevorstehenden Thronwechsels lieb Kind habe machen wollen9. ___________ Lothar Gall, Bismarck. Der weiße Revolutionär. Frankfurt a.M. [u.a.] 51981, S. 622. 6 Otto Pflanze, Bismarck. Der Reichskanzler. [Übers. aus dem Engl.] München 1998, S. 376. 7 Ernst Engelberg, Bismarck. Das Reich in der Mitte Europas. München 1993, S. 312. 8 Volker Ullrich, Otto von Bismarck. Reinbek bei Hamburg 1998, S. 101. 9 Karina Urbach, Bismarck’s Favourite Englishman. Lord Odo Russell’s Mission to Berlin. London/New York 1999, S. 202. – Michael Epkenhans schließt sich der Auffassung Urbachs ohne weitere Überprüfung an: Michael Epkenhans, Victoria und Bismarck. In: Victoria Kaiserin Friedrich. Mission und Schicksal einer englischen Prinzessin in Deutschland. Hrsg. v. Rainer von Hessen. Frankfurt a.M./New York 2002, S. 175–176. – Vgl. auch Kollander, Constitutionalism or 5

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Von den diversen Rezensionen in Fachzeitschriften, die Riehls „Kronprinzen-These“ mehr oder minder nur partiell akzeptieren, sei hier nur die Stellungnahme des Bismarck-Kenners Klaus Hildebrand in der „Historischen Zeitschrift“ erwähnt10. Er äußert darin folgende Bedenken gegen die neue These: „Wenn Bismarck die antienglische Kolonialpolitik als Mittel der Domestizierung des Kronprinzenpaares eingeschätzt hat, wie konnte er sie dann ein für allemal und mit Entschiedenheit ad acta legen, nachdem es im Sommer 1885 zu einer doch nach wie vor höchst fragilen Ausgleichung der Gegensätze zwischen dem Kronprinzenpaar und der ‚Dynastie Bismarck‘ gekommen war?“ Die Frage läßt sich mit Hilfe der hier vorgelegten Quellen schlüssig beantworten: Kronprinz und Kronprinzessin waren im Sommer 1885 so stark „weichgeklopft“, daß Bismarck die hohe Gewißheit bekam, der Thronwechsel werde ohne seine Entlassung vonstatten gehen, wie unten weiter ausgeführt werden soll. Außerdem war Anfang Juni 1885 in London das englische Kabinett Gladstone durch das konservative Kabinett Salisbury ersetzt worden, womit ein zentrales Ziel Bismarcks erreicht war: den (ihm persönlich verhaßten) englischen Premier, den die Kronprinzessin glühend verehrte11 und den sich der Kronprinz als liberales Vorbild für die deutsche Politik (so Bismarcks Vorstellung) genommen hätte, in die Wüste zu schicken. Schließlich war ein weiteres (Teil-)Ziel von Bismarcks Kolonialpolitik hinfällig geworden: nämlich mit ihrer Hilfe die Wahlen von Ende Oktober 1884 zu gewinnen (auch darauf wird zurückzukommen sein).

Alte Quellen und die „Kronprinzen-These“ Nun ist die „Kronprinzen-These“ in der bisherigen Literatur im Ansatz keineswegs unbekannt gewesen. In demselben Atemzug aber, in dem sie erwähnt wird, wird sie auch schon abgelehnt. Sie erscheint einfach zu grotesk. Als gewöhnlicher Beleg wird eine 1943 publizierte Quelle ange___________ Staatsstreich? S. 192 (vorsichtig zustimmend). Ferner Matthew P. Fitzpatrick, Liberal Imperialism in Germany. Expansionism and Nationalism, 1848–1884. New York/Oxford 2008, S. 116–131. Nach Fitzpatrick diente Bismarcks Kolonialerwerb in erster Linie der Stärkung der Nationalliberalen Partei in ihrer Auseinandersetzung mit den Linksliberalen. – Jutta Bückendorf („Schwarz-weiß-rot“ S. 190–191, dort Anm. 133) billigt zwar der Kronprinzenthese einen hohen Wert zu, lehnt sie aber als einzigen Ansatz ab. Pogge von Strandmann (Imperialismus vom Grünen Tisch S. 57) erblickt in der „Kronprinzen-These“ überhaupt keinen Sinn, da die deutschen Erwerbungen letzten Endes nur mit englischer Duldung durchgeführt werden konnten. 10 Historische Zeitschrift 261 (1995) S. 601. 11 Nr. 211.

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führt, nämlich die Aufzeichnung des Flügeladjutanten Carl Graf von Wedel aus dem Jahre 1891, also sieben Jahre nach Bismarcks Kolonialerwerb12. Sie hält ein Gespräch zwischen Kaiser Wilhelm II., Staatssekretär Adolf Freiherr Marschall von Bieberstein und Wedel fest. Der Kaiser überraschte die beiden Gesprächspartner mit folgender Aussage: „Und wissen Sie denn überhaupt, w e m wir unsere Kolonien verdanken? [ . . . ] Als nämlich Kaiser Wilhelm I. immer älter geworden und damit ein Thronwechsel in immer größere Nähe gerückt sei, habe Bismarck in der Furcht, daß der englische Einfluß durch die Kaiserin Friedrich die deutsche Politik beherrschen werde, die Kolonien geschaffen, um damit ein Objekt zu besitzen, das er im Notfalle jederzeit zur Heraufbeschwörung von Streitigkeiten mit England und damit zur Erkaltung unserer Beziehungen zu jener Macht benutzen könne. [ . . . ] Herbert Bismarck habe diesen Plan einst in Weinlaune ausgeplaudert.“ Mit dieser überraschenden Aussage ist die Frage nach dem Warum der deutschen Kolonien bündig beantwortet. Etwas weitschweifiger ist die nämliche Erklärung auch von Kaiserin Friedrich (Kronprinzessin Viktoria) überliefert, die sie im Juni 1894 ihrer Mutter, Königin Victoria, in einem Brief mitteilte13. Sie nennt darin Bismarck als Gewährsmann, der sie dem Botschafter Hans Lothar von Schweinitz gegenüber geäußert habe. Auch der Diplomat Ludwig Raschdau erfuhr im Dezember 1895 diese Version von Schweinitz; hier wird als Autor Herbert von Bismarck und nicht Bismarck selbst genannt14. Für die Einleitung der deutschen Kolonialpolitik habe Schweinitz „die höchst seltsame Erklärung erhalten, der Kanzler habe für den Fall des Regierungsantritts Kaiser Friedrichs dessen englische Neigungen gefürchtet und darum eine antienglische Politik eingeschlagen“. Nun ließe sich gegen diese Überlieferung zweierlei einwenden: Einmal liegen die Äußerungen mehrere Jahre nach dem eigentlichen Geschehen; zum anderen gehen sie alle offenbar auf Herbert von Bismarck zurück, der sie ursprünglich unter Weingenuß geäußert haben soll. Zwischen der ersten Äußerung Februar 1891 und der dritten Dezember 1895 liegen fast fünf Jahre. Und es ist nicht jedesmal derselbe Mittler, sondern es sind deren vier (Kaiser Wilhelm II., Adjutant Wedel, Botschafter Schweinitz, L. Raschdau). Entscheidend für die Glaubwürdigkeit der Erklärung ist, daß sich ihre Spuren bis in die Jahre 1884 und 1885 selbst zurückführen lassen, obwohl eigentlich nicht zu erwarten ist, daß eine derart ungeheuerliche Begründung für die Kolonialpolitik in den zeitgenössischen Quellen zu finden wäre. In einer Aktennotiz vom 19. Mai 1884, also 25 Tage nach dem Erwerb der ___________ 12 13 14

Nr. 346. Nr. 347. Nr. 348.

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ersten deutschen Kolonie, Angra Pequena (Südwestafrika), fragt der Staatssekretär des Auswärtigen Amtes, Paul Graf von Hatzfeldt15: Graf Münster, der deutsche Botschafter in London, solle „vielleicht ganz vertraulich soweit von unseren Absichten zu informiren sein, als erforderlich ist, damit der den Werth, den wir auf diese Angelegenheit legen, nicht unterschätzt“. Darauf antwortet Bismarck: „nein, keinesfalls irgend jemand der nicht n o t h w e n d i g mitwirkt.“ Was soll diese Geheimniskrämerei am Beginn der deutschen Kolonialpolitik? Selbst der Botschafter an dem Ort, an dem der Erwerb der ersten deutschen Kolonie überraschen mußte, soll nicht einmal vertraulich in die dahintersteckenden Absichten eingeweiht werden, damit er danach seine Sprache, wenn auch nur indirekt, einrichten kann? Die Erklärung dafür läßt sich einige Tage später im Tagebuch Friedrich von Holsteins, des Vortragenden Rats im Auswärtigen Amt, dessen Journal die ausführlichste, wichtigste und zuverlässigste Quelle für die Hintergründe der damaligen Außenpolitik ist, finden. Holstein notiert am 6. Juni 188416: Die neuerdings in den Vordergrund tretende Kolonialfrage werde die deutsch-englischen Beziehungen auf längere Zeit trüben. „Keine Frage ist aber so wie diese geeignet, im Falle eines Konflikts, die dermalige Kaiserin mit ihren englischen Tendenzen vor dem deutschen Volke ins Unrecht zu setzen. Denn gerade die liberalen und demokratischen Gruppen verlangen Kolonien.“ Bismarck werde die Frage als Kampfmittel „gegen fremdländische Einflüsse“ benutzen und sich damit durchsetzen. Zweieinhalb Monate später vermerkt wiederum Holstein in seinem Tagebuch, daß Bismarck – also der Urheber des deutschen Kolonialerwerbs selbst – dem russischen Zaren bei der Kaiser-Entrevue in Skiernewice offenbart habe, „die deutsche Kolonialpolitik habe nur den Zweck, einen Keil zwischen den Kronprinzen und England zu schieben“17. Der verdutzte Zar habe dazu geäußert: „Voilà, qui est intelligent.“ Diese Erklärung, die dann Jahre später von Herbert von Bismarck erneut ausgestreut wurde, ist nicht auf die Holsteinsche Überlieferung beschränkt. Der damalige Generalstabschef, Alfred Graf von Waldersee, reichert sie mit einer weiteren Variante an, wenn er seinerseits am 10. Oktober 1884 seinem Tagebuch anvertraut18: „Unsere neue Kolonialpolitik hat nach meiner Überzeugung hauptsächlich den Zweck, England fühlen zu lassen, daß wir ___________ 15

Nr. 141. Nr. 154. 17 Nr. 213. 18 Nr. 226. Vgl. auch Nr. 305: Der ehemalige badische Außenminister Franz Freiherr von Roggenbach vermutet im April 1885, Bismarck scheine bestrebt zu sein, eine Allianz mit England unter dem künftigen Kaiser schon jetzt unmöglich zu machen. 16

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ihm Schwierigkeiten bereiten können. Nebenbei hat der Kanzler wohl gesehen, daß das Kolonialproblem sich auch im Lande für die Wahlen gut verwerten läßt.“ In England, eine der Zielscheiben für Bismarcks koloniale Pfeile, wurde über den überraschenden Beginn und den Fortgang des deutschen Kolonialerwerbs damals immer wieder spekuliert. Im Londoner Foreign Office unter Lord Granville und im Kolonialamt unter Lord Derby, die sich in erster Linie mit dem deutschen Kolonialerwerb zu beschäftigen hatten, gab man sich lange Zeit ratlos über Bismarcks Kolonialvorstöße und über seine bald auch damit parallel laufende englandfeindliche Ägyptenpolitik. „What can he gain by picking a quarrel with us?“ vertraute Derby seinem jüngst veröffentlichten Tagebuch am 19. August 1884 an19. Was könne nur sein dahintersteckendes Ziel sein? Immer wieder besprach Derby mit Granville Bismarcks feindselige Kolonialaspirationen. Schließlich glaubt er den Schlüssel dafür gefunden zu haben, nämlich die „Kronprinzen-These“. Das ganze habe innenpolitische Gründe20: „The Crown Princess is his avowed enemy, & controls her husband the future emperor: & he is working to destroy her influence by holding her up as the representative of English ideas, & England as the enemy of Germany.“ Und noch im März 1885 hielt Derby den von Bismarck vom Zaun gebrochenen Streit für „unerklärlich“ und konnte sich nur erneut mit Hilfe der „Kronprinzen-These“ einen Reim darauf machen21: „dislike of the Crown Princess, who hates him, does not conceal it, & is never tired of holding up English institutions as a model to Germany – personal dislike of Gladstone [ . . . ] and fear of the growth in Germany of a parliamentary English system, which he believes would be fatal to the empire. – These three motives are in fact one, though with slight variations in form: for both Gladstone & the Princess represent to him the detested parliamentary system“. Konziser hätten drei der noch zahlreicheren Varianten der „Kronprinzen-These“ nicht formuliert werden können.

___________ 19

Derby, Diaries S. 696–697. Ebd. S. 742. 21 Ebd. S. 760. Vgl. auch Nr. 267. – Vgl. auch das Urteil des englischen Gesandten in Madrid, Robert Morier, das er in einem Bericht vom 24. November 1884 an Granville über die Gründe für Bismarcks antienglische Politik formulierte, in: Riehl, „Tanz“ S. 647–648. Es lautet in der ungekürzten Form: Above all remember that the days of the old Emperor are numbered, and at his death an English Empress mounts the throne. The Chancellor’s determination is to be beforehand with the English influences. This may bring to bear against his policy and therefore he is doing everything he can do to excite the utmost German fury and chauvinism against England. (National Archives London, FO 72, vol. 1679 [Spain].) 20

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Bismarcks Zukunftsängste im Hinblick auf den Thronwechsel Bevor auf diese Varianten im einzelnen näher eingegangen wird, sei noch eine Grundursache für Bismarcks hektische Präventivmaßnahmen im Hinblick auf den Übergang von Wilhelm I. zum neuen Kaiser Friedrich Wilhelm (Friedrich III.) kurz beleuchtet: seine Zukunftsängste. Bismarck war sich der Brüchigkeit seiner 1871 äußerlich vollzogenen Reichseinigung bewußt. Die innere Konsolidierung seines Werkes war nach seinem Empfinden noch längst nicht erreicht und drohte bei dem bald erwarteten Thronwechsel auf der Strecke zu bleiben, wenn er – Bismarck – vom neuen Kaiser entlassen würde und an seine Stelle neue – und das konnten angesichts des diffusen liberalen Weltbildes Friedrich Wilhelms nur liberale – Wagenlenker die Führung übernehmen würden. Als am 28. September 1883 das Niederwalddenkmal oberhalb von Rüdesheim als Symbol der gegen Frankreich erreichten Reichseinigung eingeweiht wurde, äußerte sich Friedrich Wilhelm im vertrauten Kreis sehr abfällig über das Denkmal, in dem er einen unnötigen frankreichfeindlichen Affront sah. Herbert von Bismarck gab sich entrüstet über die Äußerungen des Kronprinzen22. Er warf ihm „maßlosen Eigendünkel und vollständigste Urteilslosigkeit“ vor. Ihm graute vor der Übernahme der Regierung durch den Kronprinzen: „Ich habe immer das Gefühl, als ob ein unschätzbares Kunstwerk [das Deutsche Reich], das nach jahrelangen Mühen musterhaft hergestellt ist, in die Hände eines törichten, eigensinnigen Kindes geraten soll, ohne daß man es vor dem sicheren Ruin zu bewahren vermag.“ Herbert von Bismarck war das Sprachrohr seines Vaters, der seinen Sohn die Karriereleiter so rasch wie möglich emporsteigen lassen wollte, um ihn als seinen engsten Mitarbeiter und womöglich als seinen Nachfolger aufzubauen. Ein weiterer Mitarbeiter Bismarcks (und dessen Schwiegersohn), Kuno Graf zu Rantzau, war im November 1883 an der Vorbereitung der Reise Friedrich Wilhelms nach Spanien beteiligt, die Bismarck dem Kronprinzen unter anderem auch deswegen übertragen hatte, um ihn stärker an die Regierungsgeschäfte zu gewöhnen. Friedrich Wilhelm wollte Frau und Kinder mitnehmen, um sie die spanische Kultur erleben zu lassen. Bismarck sprach sich vehement dagegen aus, da die politische Reise dann mehr den Charakter einer Vergnügungsreise angenommen hätte. Rantzau, der Immediatberichte darüber an den Kaiser entwerfen mußte, schrieb dazu in einem Privatbrief vom 3. November 1883 an Holstein23: „Das machte große Arbeit [ . . . ] und wirkte noch schlimmer durch die unvermeidlichen Gedanken über das Schicksal, dem wir entgegengehen, wenn mal so geringes politisches Verständniß regieren wird.“ ___________ 22 23

Nr. 34. Nr. 38.

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Solche Zukunftsperspektiven, die in der Umgebung Bismarcks (und nicht nur dort) geäußert wurden, waren natürlich der Reflex von Bismarcks eigenen Gedanken in dieser Hinsicht. Bereits in einem Immediatschreiben aus dem Jahre 1879 gab der Kanzler sich dunklen Ahnungen hinsichtlich der Zukunft des von ihm geschaffenen Reiches hin24. Er fürchtete, daß „eine Anzahl strebsamer Zukunfts m i n i s t e r sich mit dem Gedanken trägt, seine Kaiserliche Hoheit werde dermaleinst liberal regieren wollen, und man müße sich deshalb auf diese Aussicht einrichten. Es sind dies aber in Grenzen wenig befähigte und wenig zuverlässige Staatsmänner; ihr Regiment wird daher, wenn es eintreten sollte, schwerlich von Dauer sein, – was allerdings nicht hindern würde daß Krone, Staat und Heer in der Zwischenzeit sehr geschädigt werden könnten.“ Der Pessimismus ließ Bismarck nicht los, sondern verstärkte sich. Anfang Dezember 1883 besuchte Hildegard Freifrau von Spitzemberg, die Gattin des verstorbenen württembergischen Gesandten in Berlin, Bismarck in Friedrichsruh. Sie notierte sich Bismarcks Äußerungen in ihr Tagebuch25: „Ich sehe sehr schwarz in Deutschlands Zukunft. Wenn die ‚Forchow und Wirkenbeck‘ (Forckenbeck und Virchow) ans Ruder kommen und von oben her protegiert werden, so fällt alles wieder auseinander. Sie sind alle kleinlich und enge, keiner wirkt für das Ganze, jeder stoppt nur an seiner Fraktionsmatratze.“ Bismarcks Frau erzählte der Besucherin, daß ihr Mann oft nächtelang simuliere, wem er, aus seinen Ämtern scheidend, sein Werk überlassen solle und keinen finde. „Sie sind zu eng, so eng!“ Nicht nur im vertrauten Kreise, sondern auch in der Öffentlichkeit äußerte Bismarck schwarze Gedanken über die Zukunft Deutschlands. In seiner berühmten Hödurrede vom 13. März 188526, die er aus Anlaß seiner Kolonialpolitik im Reichstag hielt, bedauerte er, daß die nationale Begeisterung, die in den Jahren der Einigungskriege in Deutschland geherrscht habe, allmählich wieder erloschen und an ihre Stelle der Parteigeist getreten sei. Diesen Parteigeist klagte er „vor Gott und der Geschichte“ an, „wenn das ganze herrliche Werk unserer Nation von 1866 und 1870 wieder in Verfall gerät und durch die Feder hier verdorben wird, nachdem es durch das Schwert geschaffen wurde.“ Inzwischen hatte ihn der geringe Widerhall im Reichstag auf seine Kolonialpolitik enttäuscht. Von „nationaler Begeisterung“ für die neuen Kolonien, wie er sie 1884 von Regierungsseite her mächtig zu entfachen versucht hatte, spürte er wenig, nachdem ihm in der Volksvertretung bei mancherlei kolonialpolitischen Anlässen – wenn es um die Bewilligung von Geldern ging – breiter Widerstand entgegengesetzt worden war. ___________ 24 25 26

Nr. 12. Nr. 47. Nr. 286.

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Ende Mai 1885 schüttete Bismarck dem französischen Botschafter, Baron de Courcel, sein Herz auf ungewöhnlich offene Weise aus. Courcel, mit dem er bemerkenswerterweise einen intimeren Verkehr pflegte als mit den beiden englischen Botschaftern, Lord Ampthill und Sir Edward Malet, berichtete seiner Regierung darüber in einem seitenlangen Geheimbericht folgendes27: Der Gesundheitszustand Wilhelms I., so Bismarck, sei beunruhigend; man müsse sich auf den Thronwechsel einstellen; er wisse nicht, ob er im Amt bleiben werde; der Kronprinz möchte zahlreiche Neuerungen einführen; er ignoriere aber die Realität; seine Gemahlin habe großen Einfluß auf ihn; man müsse sich auf eine Ära der Coburgs gefaßt machen; er – Bismarck – könne zwar Kanzler und Leiter der Außenpolitik bleiben; wäre er zwanzig Jahre jünger, könnte er den neuen Herrscher langsam auf den Pfad der richtigen nationalen Interessen führen; jetzt aber fühle er nicht die Kraft dazu in sich; bei einem Thronwechsel sei Hinneigung zu England zu gewärtigen; die jetzige deutsch-französische Annäherung könne zurückgedreht werden; auf jeden Fall werde sich Rußland weniger auf Deutschland verlassen und eher mit England handelseinig werden. Schließlich sei Bismarck, so der Botschafter, in einen Krampf ausgebrochen und habe gerufen: „Ein Vierteljahrhundert habe ich den Kaiser nicht verlassen [ . . . ] . Wenn ich ihn verliere, wäre die Welt für mich nicht mehr dieselbe.“ In dieser Schilderung sind zahlreiche Facetten der „Kronprinzen-These“ enthalten. Das zentrale Element fehlt jedoch: die antienglische Kolonialpolitik und der dahinterstehende Zweck. Es ist hier jedoch schon darauf hinzuweisen – was noch näher auszuführen sein wird –, daß die Katharsis der Bismarckschen Kolonialpolitik bereits im März 1885 eingeleitet war: Bismarck hatte viele kolonialpolitische Forderungen gegenüber England durchgesetzt, mit diesem sogar ein Abkommen geschlossen; der Kronprinz war im Mai/Juni 1885 so weit von Bismarck zermürbt worden, daß er den Kanzler als unersetzbar beim künftigen Thronwechsel empfand; und das wichtigste: Durch den Regierungswechsel von Jules Ferry zu Charles de Freycinet in Frankreich war eine der Grundlagen seiner antienglischen Kolonialpolitik verschwunden – Frankreich ließ sich unter der neuen Regierung, die am 30. März 1885 ans Ruder gekommen war, nicht mehr in englandfeindlichem Fahrwasser hinter der deutschen Politik herziehen. Am Schluß der Überlegungen zu Bismarcks Zukunftsängsten sei noch vermerkt, daß sogar engste Vertraute des Kronprinzen diesen Pessimismus teilten, darunter General Albrecht von Stosch, den Bismarck im März 1883 aus dem Amt des Chefs der Admiralität gedrängt hatte. Stosch, den Bismarck als Rivalen fürchtete und verfolgte, verblieb im Ruhestand in intensivem Verkehr mit dem Kronprinzen. Anfang November 1883 besuchte ihn dieser auf seinem Gut in Oestrich am Rhein. Stoschs Eindruck von der ___________ 27

Nr. 314.

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Regierungsfähigkeit des Thronfolgers war niederschmetternd, wie er seinem Freund Gustav Freytag anvertraute28: „Solche Öde des Geistes und solch ein Mangel an Tatkraft, ist mir lange nicht entgegengetreten, wie in diesem Herren, und man muß Angst vor der Zukunft haben.“

Die Führungsschwäche des Kronprinzen Der Charakter des Kronprinzen und das Maß an Herrscherfähigkeiten, die ihm damals vor dem unmittelbar erwarteten Thronwechsel von Personen, die ihn gut kannten, zugetraut wurden, müssen noch kurz besprochen werden, weil sie einen wesentlichen Teil der „Kronprinzen-These“ ausmachen. Von der Charakter- und Führungsschwäche des Kronprinzen waren viele, die Umgang mit ihm hatten, unangenehm berührt. Noch ein weiteres Zeugnis Stoschs dazu sei angeführt. Am 25. März 1885 schrieb er an Freytag29: „Der Mann hat leider keinen eigenen Willen [ . . . ] Unser Thronfolger wäre kaum im Stande zielbewußt zu sprechen u. zu hören. Ich schäme mich, wenn ich an die Unterhaltung des Kronprinzen mit dem Papst [im Dezember 1883 in Rom] denke. Unser junger Herr empfindet die Leere seines Thuns sehr wohl, aber der Wille dies zu ändern fehlt.“ Im Tagebuch Holsteins, einer der besten Kenner der Szene, sind zahlreiche ähnlich lautende Belege überliefert30. „Der Charakter des Kronprinzen ist aus Schwäche und Kleinlichkeit zusammengesetzt.“ „Absolut ausgeschlossen nach Ansicht aller Eingeweihten [ . . . ] ist der Gedanke, daß der Kronprinz jemals [ . . . ] einen eigenen Willen ihr [der Kronprinzessin] gegenüber geltend machen könnte.“ Sein persönlicher Adjutant, Gustav von Sommerfeld, urteilt über ihn31: „Jetzt ist er überhaupt kein Mensch mehr, er hat keine eigenen Gedanken , wenn sie [die Kronprinzessin] ihm dieselben nicht erlaubt. Er ist gar nichts; ‚Fragen Sie meine Frau‘ oder ‚Haben Sie schon mit der Kronprinzeß gesprochen?‘ – damit ist alles gesagt.“ In Waldersees Tagebuch finden sich mehrere ganz ähnlich lautende Urteile, so z.B. am 6. April 188532: „Der Kronprinz wird immer schwächer und urteilsunfähiger. Er darf in der Tat keine andere Ansicht haben als seine Frau. [ . . . ] Lebt der Kaiser noch einige Jahre [ . . . ] , so ist der Kronprinz völlig aufgerieben und verbraucht. Schon jetzt hat er Anfälle von Schwermut und kein Vertrauen in die Zukunft.“ ___________ 28 29 30 31 32

Nr. 39. Nr. 293. Holstein, Die geheimen Papiere II S. 166. Das folgende Zitat ebd. S. 211. Ebd. S. 211. Vgl. auch Nr. 325. Waldersee, Denkwürdigkeiten I S. 255.

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Friedrich Wilhelm war sich seiner Willensschwäche, zumal gegenüber seiner überaus willensstarken Gemahlin und dem autokratischen Reichskanzler, sehr wohl bewußt33: „Ich bin ein verbrauchter Mann. Die liberalen Anschauungen, in denen ich erzogen bin, und die ich nicht aufgeben kann, sind beiseite geschoben. Das Beste für mich wird sein, auf die Krone zu verzichten und meinen Sohn, der ja den neuen Anschauungen gewonnen ist, regieren zu lassen.“ Das aber hätte die Kronprinzessin niemals zugelassen. Bismarck wußte um ihre starke Dominanz und ihre geistige Überlegenheit gegenüber dem Gatten. Ansonsten wären die im Rahmen der Kronprinzenthese engesetzten Instrumentarien entbehrlich gewesen. Das Verhältnis zwischen Bismarck und dem Kronprinzen in den hier behandelten Monaten ist durch ein stetes Auf und Ab gekennzeichnet. Am Schluß, im Frühjahr 1885, war es durch zwei Vorfälle wieder scheinbar heillos verdorben. Im Reichstag hatte der linksliberale Abgeordnete Eugen Richter die dynastischen Beziehungen zwischen Berlin und London als maßgeblichen Faktor in der deutschen Außenpolitik bezeichnet. Bismarck wandte sich am 16. März frontal gegen eine derartige Deutung seiner Außenpolitik und rief in den Reichstagssaal, daß das „Hineinziehen der dynastischen Verwandtschaften in die internationalen Interessen erfahrungsgemäß in der Geschichte den Dynastien niemals nützlich gewesen“ sei34. Das war ein unverhüllter Angriff gegen das Kronprinzenpaar und dessen Ansprüche, die deutsche Außenpolitik mitzugestalten. Wieder ist es Stosch, der in einem Brief an Freytag einige Tage später den Stab über Friedrich Wilhelm bricht35: „Der Ausfall gegen Richter wegen Anführung der dynastischen Verbindungen, hat auch meinen Beifall gefunden, weil ich fest überzeugt bin, daß der Hieb fest beim Kronprinzen u. dessen Gattin gesessen hat. Besserung führt es eben nicht herbei, denn die Frau läßt ihre Gefühle nicht durch den Verstand bestimmen, u. der Mann hat leider keinen eigenen Willen.“ Zwei Wochen nach Bismarcks Reichstagsrede mußte der Kronprinz die berauschenden Ovationen erleben, die dem Reichskanzler aus der Nation anläßlich seines 70. Geburtstages entgegengebracht wurden. Entrüstet notierte Friedrich Wilhelm in sein Tagebuch36: „Der Schwindel [ . . . ] aus Anlaß von Bismarck’s 70tem Geburtstag, hat Gestalt angenommen, daß die Demonstrationen diejenigen völlig überbieten welche bisher dem Landesherrn galten. Ein schlimmer Vorgang für unsere Monarchie!!“ Aus demselben Anlaß wurde Bismarck – wie auch dem Kronprinzen selbst – der höchste türkische Orden verliehen. Friedrich Wilhelm war, ___________ 33

Holstein, Die geheimen Papiere II S. 180. Vgl. auch ebd. S. 103. – Prinz Wilhelm, der zu seinen Eltern ein zerrüttetes Verhältnis hatte, sprach sogar von der Aussicht, daß sich sein Vater beim Thronwechsel zur Trennung von seiner Gemahlin genötigt sehen könnte. Vgl. Nr. 154, ferner Nr. 42, 147, 237, 291. 34 Nr. 289 Anm. 791. 35 Nr. 293. 36 Nr. 294 Anm. 813.

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nach dem Zeugnis Holsteins, rasend vor Wut über diese Ehre37, die Bismarck zuteil wurde und den Thronfolger in den Augen der Öffentlichkeit herabdrücken mußte. Inzwischen hatte Friedrich Wilhelm im Kampf mit Bismarck um die Gestaltung des Thronwechsels resigniert. Bereits Ende November 1884 schrieb er seinem Vertrauten Stosch38, er wünsche angesichts des Thronwechsels nur, „daß mein Familienleben mir ungestört erhalten bleibe, denn für alles Andere ist wenn man mein gegenwärtiges Alter erreicht hat, kein Same zum Hoffen übrig. Meine Zeit liegt hinter mir, und die Zukunft gehört dem nach uns kommenden Geschlecht, das jubelnd und vergötternd Alles recht findet was geschieht, oder mit Selbstgefälligkeit sich schon die Kartätschen zurecht legt, mit denen den Sozialisten begegnet werden muß.“

In der Erwartung des Thronwechsels Das angesprochene Auf und Ab im Verhältnis zwischen Kanzler und Kronprinzenpaar muß noch im Hinblick auf den 1883/85 allseits erwarteten Thronwechsel kurz beleuchtet werden, und zwar aus der Sicht Bismarcks, um zu verdeutlichen, daß die Kolonialpolitik in dessen Hand eines der Mittel war, um den Wechsel in konservativem Sinne über die Bühne gehen zu lassen. Axel Riehl hat sich in seiner Studie ausführlich mit dem bedrohlichen Gesundheitszustand des alten Kaisers befaßt39, so daß dieser Umstand hier als vorausgesetzt angesehen werden kann. Besonders im Juni 1885 wurde in der Umgebung Wilhelms I. mit dessen unmittelbar bevorstehendem Ableben gerechnet. Friedrich Wilhelm und Viktoria wußten davon und mußten sich auf den Wechsel einrichten. Es gab aus Bismarcks Sicht mehrere Möglichkeiten, den Thronwechsel vom alten zum neuen Kaiser vonstatten gehen zu lassen: 1. Er würde beim Thronwechsel fallengelassen und durch eine neue Regierungsmannschaft ersetzt; da nach den verfügbaren Quellen die neue Regierungsspitze aus Stosch als Reichskanzler und Max von Forckenbeck als liberalem preußischem Ministerpräsidenten bestehen würde, kämpfte Bismarck unter Aufbietung all seiner Kräfte darum, daß diese Möglichkeit von vornherein ausschied; in seinen Augen hätte das den Untergang seines Werkes und damit Finis Germaniae bedeutet. 2. Bismarcks Machtumfang in seiner ganzen Fülle, d.h. der Posten des Reichskanzlers, des preußischen Mini___________ 37

Nr. 294. Nr. 240. 39 Riehl, „Tanz“ S. 97–125, 161–162, 181–182, 329–331, 481–484, 545–547, 645–647, 655–656, 712–715, 731–733. 38

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sterpräsidenten, des preußischen Ministers des Auswärtigen (und auch des preußischen Handelsministers), würde erhalten bleiben; Bismarck fühlte sich wegen seines Alters, seines angegriffenen Gesundheitszustandes und angesichts der zu erwartenden vielfältigen Reibereien, vor allem persönlicher Art (mit der neuen Kaiserin und ihrem Umfeld, mit liberalen Ministern – gleich welcher Couleur –, die Friedrich Wilhelm neu berufen würde), dazu nicht in der Lage und ließ den beabsichtigten Verzicht auf die preußischen Ämter den Kronprinzen immer wieder wissen. 3. Bismarck würde aus allen Ämtern freiwillig ausscheiden, um den neuen Kaiser mit neuen Männern und neuen Ideen erst einmal walten und schalten zu lassen in der Erwartung, daß ein solches Experiment schnell im Desaster enden und er – wie schon 1862 bei seiner ersten Berufung – wieder als Retter in der Not aus der Versenkung hervorgeholt würde. Die zweite Möglichkeit – und das ist die Kronprinzenthese – war diejenige, die Bismarck von Anfang an (d.h. bei den ersten ernsthaften Anzeichen des zu erwartenden Ablebens Wilhelms I.) ansteuerte. Die Mittel dazu waren 1. die Kolonialpolitik als solche, die England herausfordern mußte; 2. die Umbildung des Reichstags, der im Herbst neu gewählt werden mußte, in antiliberalem Sinne, um die Volksvertretung in der nächsten Sitzungsperiode konservativ und bismarckfreundlich auszurichten; 3. die Entfernung von ihm unliebsamen, liberal gesinnten Personen aus dem Umfeld des Kronprinzen; in dem Zusammenhang Verächtlichmachung von liberalen Politikern im In- und Ausland (hier ganz besonders des englischen Premierministers Gladstone); die Kaltstellung von Personen auf diplomatischen Posten, die womöglich mit den liberalen Anschauungen des neuen Kaisers sympathisierten; 4. die Wiederbelebung von Verfassungsinstitutionen in konservativem Sinne, um den Kronprinzen von vornherein in ein antiliberales Fahrwasser zu zwingen; dazu der beabsichtigte Rückzug aus den preußischen Ämtern; 5. die Bearbeitung des Kronprinzen in der Weise, daß er ihn, anders als bisher unter Wilhelm I. geschehen, schon vor dem Thronwechsel an wichtigen Regierungsgeschäften beteiligte, um ihm in konservativem Sinne (in der Innen- und Außenpolitik) sanfte Fesseln für die Zukunft anzulegen; 6. die energische Bekämpfung des englischen Einflusses auf außenpolitischer Bühne in Form der „Battenbergerei“.

Der antienglische Kern von Bismarcks Kolonialpolitik Bismarcks plötzlicher Einstieg in die Kolonialpolitik wurde bereits oben in dem Sinne umrissen, daß der deutsche Kanzler den Erwerb von Kolonien u.a. betrieb, um die deutsch-englischen Beziehungen so lange zu belasten, bis entweder die derzeitige englische Regierung unter dem liberalen Gladstone von einer konservativen Regierung abgelöst und damit dem künftigen

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Kaiser eine Stütze im Ausland genommen oder die englische Regierung, wenn Gladstone am Ruder blieb, international isoliert würde. Die deutschen Kolonien in Afrika (von Südwestafrika über Togo/Kamerun bis Ostafrika) und in Asien (das nordöstliche Neuguinea) sind in atemberaubendem Tempo zwischen Frühjahr 1884 und Frühjahr 1885 erworben worden. Der Ablauf ist vielfach beschrieben. Jedesmal rief der Erwerb einer deutschen Kolonie, wie erwartet, den Widerstand Englands und dessen Kolonialregierungen (der südafrikanischen und der australischen) hervor. Bismarck ist auf der Welle einer Kolonialbegeisterung geschwommen, die ihm sein englandfeindliches Geschäft erst ermöglicht hat. Das ist bestens bekannt. Auf der anderen Seite ist er schon von Beginn an in Deutschland – vor allem im Reichstag, was weniger bekannt und beschrieben ist –, auf Widerstand gestoßen. Der geringe wirtschaftliche Nutzen, ja der wirtschaftliche Schaden des Kolonialbesitzes wurden sehr früh angeprangert: Südwestafrika bestehe doch nur aus Sandwüsten; in Ostafrika müsse viel Geld eingesetzt werden, um das bevölkerungsreiche Gebiet beherrschen zu können. Bismarck hat sich im Reichstag dagegen nur schwach und wenig glaubwürdig verteidigt. Liest man seine vielfältigen Rechtfertigungen und Stellungnahmen in den Reichstagsprotokollen, verfestigt sich der Eindruck, daß er das vermeintliche ökonomische Argument für den Kolonialerwerb selbst nicht ernst genommen haben kann und die eigentlichen Motive für sein Kolonialengagement ganz woanders liegen mußten. Bismarck gelang es in den Monaten vom April 1884 bis März 1885, die englische Regierung unter Granville und Gladstone vor dem deutschen und dem internationalen Publikum ständig vorzuführen. Er beschuldigte sie angesichts ihrer Ansprüche, die stets mit den deutschen Ansprüchen kollidierten, des anmaßenden Verhaltens auf der Welt und der Anwendung einer englischen Monroedoktrin auf Afrika40. Im ganzen Jahr 1883 und in den ersten Monaten 1884 erweckte er in London den Eindruck, daß er wie bisher strikt gegen Kolonialerwerb eingestellt sei und in Übersee (in Südwestafrika zumal) lediglich englischen Schutz für deutsche Handeltreibende erwarte oder widrigenfalls deutschen konsularischen Schutz ohne irgendwelche Souveränitätsansprüche selbst ausüben wolle. Er beschuldigte die englische Regierung wiederholt, daß sie bei ihren langsamen Reaktionen auf die deutschen Wünsche sich hinter den englischen Kolonialregierungen (besonders derjenigen in Kapstadt) verstecke. Den deutschen Botschafter in London, Münster, instruierte er – offenbar absichtlich – ungenau, um dann um so wirkungsvoller Anschuldigungen auf die englische Regierung herabregnen zu lassen und ihr in der deutschen Öffentlichkeit Übelwollen, Anmaßung, Verzögerung und Neid vorzuwerfen. Die von ihm gelenkte deut___________ 40

Z.B. Nr. 158 und 264.

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sche Presse (vor allem die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung“ und die „Kölnische Zeitung“) ließ er kräftig in sein Horn blasen. Vom Dezember 1884 bis zum April 1885 wurde dem Reichstag ein halbes Dutzend Weißbücher – ein Novum in der deutschen Geschichte – über koloniale Fragen vorgelegt, die Bismarcks koloniale Forderungen rechtfertigen und die englische Politik dagegen anschwärzen sollten41. Seinem Sohn Herbert – der damals vorübergehend Legationsrat an der deutschen Botschaft in London war (aber häufig in Berlin weilte) – schickte Bismarck im Sommer 1884 und erneut im Frühjahr 1885 auf aufsehenerregende Sondermissionen nach London, um den deutschen Kolonialansprüchen öffentlich Nachdruck zu verleihen. In Reichstagsreden zog er die englische Regierung wiederholt ins Lächerliche. So kanzelte er am 2. März 1885 Lord Granville ab42, daß er von ihm binnen eines Jahres Noten in Kolonialangelegenheiten im Gesamtumfang von über 800 Seiten erhalten habe, ohne natürlich zu erwähnen, daß er dazu seinen Teil beigetragen hatte. Gleichzeitig mit dem Kolonialknüppel schwang Bismarck auch den ägyptischen Knüppel, vor dem sich die englische Regierung geradezu ducken mußte. Die Kolonialfrage und die Ägyptenfrage sind in der deutschen Englandpolitik wie zwei kommunizierende Röhren: Vor dem April 1884 behandelte er beide Komplexe suaviter; danach benutzte er sie wie Fanfarenstöße und als beständig einsetzbares Druckmittel. Herbert von Bismarck frohlockte in einem Brief an seinen Bruder Wilhelm43: „Der Zankapfel Ägypten“ (zwischen England und Frankreich) sei für die deutsche Politik „ein Geschenk des Himmels“. Das kolonialpolitische Trommelfeuer Bismarcks in Richtung London mußte natürlich auch auf die innenpolitischen Auseinandersetzungen in England, also zwischen Regierung und Opposition, Einfluß ausüben. Dieser Aspekt ist überhaupt noch nicht untersucht und kann in dieser Dokumentation auch nicht berücksichtigt werden. Aber aus den deutschen Quellen geht immerhin hervor, daß Bismarck (der Vater in Gemeinschaft mit seinem Sohn) die liberale Regierung Gladstone/Granville erschüttern, wenn nicht gar zum Sturz bringen wollte. So ließ es sich Herbert von Bismarck auf seinen Sondermissionen – sicherlich auftragsgemäß – angelegen sein, auch mit prominenten konservativen Oppositionspolitikern ins Gespräch zu kommen. Zum Beispiel offenbarte sich Lord Randolph Churchill im Juli 1884 ihm gegenüber mit folgendem Ansinnen44: Das liberale Kabinett Gladstone könne zu Fall gebracht werden, wenn die gerade in London ___________ 41

Bismarcks koloniale Presse- und Weißbuchkampagne 1884/85 verdiente eine eigene Untersuchung. 42 Nr. 273. 43 Nr. 203. 44 Nr. 179.

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tagende Ägypten-Konferenz zum Scheitern geführt würde; nur Bismarck (Deutschland nahm an der Konferenz teil) könne das zuwege bringen; unter Gladstone breite sich „der radikale Republikanismus“ überall aus, was nicht im Interesse der europäischen Monarchien sein könne; bei einem Regierungswechsel würden die Konservativen Ägypten annektieren und damit zu einem Krieg mit Frankreich gelangen; auf diese Weise könnte eine Allianz mit Deutschland angebahnt werden; auf jeden Fall bitte er, die ÄgyptenKonferenz ins Leere laufen zu lassen. Herbert von Bismarck machte sich diese Überlegung zu eigen, berichtete sie seinem Vater bis ins Detail45 und streute sie in seinem engsten Umfeld aus. Am 2. September 1884 schrieb er seinem Bruder nach Varzin46: „Der alte Schuft Gladstone m u s s jetzt an die Wand gepresst werden, nie war die Gelegenheit so günstig!“ Und ein paar Wochen später enthüllte er Holstein47, sein Vater wolle England mit Hilfe Frankreichs noch mehr isolieren, „bis es toll wird, daß selbst dem Dümmsten der liberalen Engländer Gladstones törichte Politik empfindlich als solche fühlbar wird“. Nun stand in diesen Monaten die Regierung Gladstone ohnehin auf sehr wackligen Füßen. Die Gründe waren vornehmlich innenpolitischer Natur, nämlich Gladstones Homerule-Politik gegenüber Irland und vor allem seine geplante Wahlrechtsreform, die das Wahlrecht in England gewaltig ausweiten sollte und daher auf starke Gegenkräfte im Parlament stoßen mußte. Bismarck brauchte deswegen mit seinen kolonialpolitischen Forderungen in dieses innenpolitische Feuer nur hineinzublasen, um die Regierungstage des verhaßten Gladstone noch mehr abzukürzen. Am 24. und 25. Januar 1885 richtete Bismarck an Münster in London zwei geharnischte Erlasse, in denen er dem Botschafter den Sinn sowohl seiner Ägypten- als auch seiner Kolonialpolitik ein gehöriges Stück, aber bezeichnenderweise nicht bis in die letzten Falten seiner Absichten, offenlegte48. Im Erlaß vom 25. Januar schärfte er dem Botschafter ein, „daß alle ägyptischen Dinge für uns nur ein mittelbares Interesse haben, daß die Kolonialfrage aber schon aus Gründen der inneren Politik eine Lebensfrage für uns ist“. Er bitte ihn, „nicht zu vergessen, daß Ägypten als solches für uns ganz gleichgültig und für uns nur ein M i t t e l ist, den Widerstand gegen unsere kolonialen Bestrebungen zu überwinden. Der kleinste Zipfel von Neu-Guinea oder West-Afrika, wenn derselbe objektiv auch ganz wertlos sein mag, ist gegenwärtig für unsere Politik wichtiger als das gesamte Ägypten und seine Zukunft.“ Was der Botschafter darunter verstehen sollte, „daß die Kolonialfrage [ . . . ] schon aus Gründen der inneren ___________ 45 46 47 48

Nr. 203. Nr. 204. Nr. 227. Nr. 254 und 257.

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Politik eine Lebensfrage“ für Bismarck sei, wurde ihm nicht erläutert; er konnte es auch nicht klar erkennen. Was er hatte verfolgen können, war, daß die Kolonialagitation für die Reichstagswahlen Ende Oktober 1884 eingesetzt worden war; er hatte auch Bismarcks Intervention im Reichstag nach den Wahlen – am 15. Dezember 1884 und am 9./10. Januar 188549 – zur Kenntnis nehmen können, um sich zu verdeutlichen, daß Bismarck mit Hilfe der Kolonialpolitik die Mehrheitsverhältnisse im Reichstag abtasten und ausprobieren wollte (die sich bis dato noch nicht zu seinen Gunsten austariert hatten); aber der eigentliche Grund für die antienglische Ägyptenund Kolonialpolitik – die Schwächung der Regierung Gladstone; der Untergrundkampf gegen das Kronprinzenpaar, das sich politisch an der Gladstone-Regierung orientierte, und das Bemühen, sich dem Paar für die Zukunft unersetzbar zu machen – konnte dem Botschafter nicht offengelegt werden. Die Katharsis der Spannungen in den deutsch-englischen Beziehungen vollzog sich, wie oben in anderem Zusammenhang schon angedeutet, in den Monaten März bis Mai 1885, und die vollständige Entspannung war mit dem Regierungswechsel von Gladstone zum konservativen Kabinett Salisbury Anfang Juni erreicht. Der Ablauf braucht nur kurz umrissen zu werden. Am 4. März reiste Herbert von Bismarck nach London. Eine Instruktion seines Vaters ist weder in den Amtsakten noch im Nachlaß Bismarck auszumachen und erfolgte wahrscheinlich mündlich; aber den Berichten Herbert von Bismarcks50 ist zu entnehmen, daß sein Vater die Spannungen so weit auf die Spitze getrieben hielt, daß es entweder zu einem Bruch zwischen Berlin und London kommen oder die englische Regierung allen deutschen Kolonialforderungen endgültig nachgeben und damit öffentlich zu Kreuze kriechen würde. Die englische Regierung sollte vor dem heimischen und vor dem deutschen Publikum (und vor den Augen des Kronprinzenpaares) gedemütigt werden. Tatsächlich gelang dies. Innerhalb weniger Tage gab die englische Regierung in allen Kolonialstreitigkeiten grundsätzlich nach51: Bei der Abgrenzung von Kamerun machte England Konzessionen; in Sachen Fidschi-Inseln (dort ging es um den jahrelangen Streit, deutsche Siedler und Handelshäuser für Konfiskationen zu entschädigen) sollte den deutschen Forderungen entsprochen werden; in Neuguinea wurde als Grenze der deutschen Kolonie und der englischen Interessensphäre der 8. Breitenkreis vereinbart; in Ostafrika (Hinterland von Sansibar) wurde Deutschland freie Hand gewährt. Die deutschen Gegenkonzessionen waren: Verzicht auf Forderungen in Südostafrika (Santa Lucia) und Verzicht auf ___________ 49 50 51

307.

Nr. 243 und 247. Nr. 278, 279 und 282; Derby, Diaries S. 760, 761. Vgl. die Nummern in der vorangehenden Anm.; ferner Nr. 280, 284, 303 und

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die antienglische Haltung in der Ägyptenfrage. In den folgenden Monaten ging es in Spezialverhandlungen nur noch um Einzelheiten dieser Abmachung. Aus verschiedenen Quellen geht hervor, daß die deutschen Kolonialforderungen nur wieder ein Vorwand für dahinterliegende Motive waren, nämlich die Beseitigung Granvilles und Derbys von ihren Posten, um damit offenbar einen schnelleren Übergang der liberalen Regierung Gladstone zu einer konservativen Regierung zu ermöglichen und auf diese Weise dem deutschen Kronprinzenpaar nach der Thronübernahme fürs nächste eine wesentliche Stütze zu nehmen. In einem vertraulichen Bericht vom 11. März 1885 schreibt der österreichisch-ungarische Botschafter in London, Graf Aloys Károlyi, nach Wien52, das eigentliche Ziel der Mission Herbert von Bismarcks sei es, sowohl Granville als auch Derby aus ihren Ämtern zu drängen und damit den Übergang zu einem konservativen Kabinett einzuleiten. In einer englischen Quelle wird diese Vermutung wesentlich verstärkt. Am 5. März notierte Derby in seinem Tagebuch53, daß nach Auffassung Granvilles eine von Herbert von Bismarck geförderte Intrige durch Sir Charles Dilke und Lord Rosebery – beide deutschfreundlich gesinnt – im Gange sei „who want the foreign & colonial offices respectively, [ . . . ] they are trying to make the Germans believe that we, Granville & I, are the obstacles to a good understanding.“ Noch kam es nicht zur Ausbootung der beiden Minister, weil die englische Regierung gegenüber den deutschen Forderungen förmlich zu Kreuze kroch (und sich dabei in den Augen der Öffentlichkeit blamierte). Es wurden nicht nur die deutschen Kolonialforderungen akzeptiert, sondern Granville hielt auch am 6. März im Parlament eine an den deutschen Reichskanzler gerichtete Entschuldigungsrede, deren Wortlaut sogar vorher mit Herbert von Bismarck abgesprochen war54. Aus englischer Sicht war das Nachgeben gegenüber den deutschen Kolonialforderungen eine geringfügige Konzession. Die englische Politik 1884/85 wurde, wie schon vermerkt, innenpolitisch von der Wahlrechtsfrage und außenpolitisch von der Ägyptenfrage, nicht von der Kolonialfrage beherrscht. In Kolonialdingen hatte England als Weltmacht ohnehin an vielen Ecken und Enden der Welt sich mit Konflikten auseinanderzusetzen. Die kolonialen Reibereien mit Deutschland spielten darunter eine geringfügige Rolle. Derby bezeichnete sie als „comparatively unimportant colonial troubles“55. Von Gladstone sind zahlreiche öffentliche und intime Äußerungen überliefert, daß er den Deutschen ihre Kolonien auf der Welt – „in ___________ 52 53 54 55

Nr. 282. Derby, Diaries S. 760. GP IV S. 102; Nr. 282. Derby, Diaries S. 740.

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these desert places of the earth“ – von Herzen gönnte, sie ihnen auf keinen Fall neidete56. In seinen Augen war englisches Nachgeben in Kolonialdingen viel einfacher als in der Ägyptenfrage57.

Bismarck und Gladstone Aus Bismarcks Sicht sahen die Zusammenhänge zwischen England- und Kolonialpolitik wesentlich anders aus. Sowohl die Kolonialpolitik als auch die Ägyptenpolitik waren ihm vorzügliche Pressionsmittel, um den ihm persönlich verhaßten Gladstone anzuschwärzen, wo es nur ging, und ihn schließlich zu stürzen. Er sah in ihm den Wegbereiter republikanischer Regierungen in England und Europa und den Totengräber der Monarchie. Im vertrauten Kreis kannte sein abgrundtiefer Haß auf Gladstone keine Grenzen. Immer wieder kolportierte er ein Wort des verstorbenen Lord Palmerston, der über Gladstone geurteilt haben soll58: „Wenn der je als Premier zur Regierung käme, so würde er das Land durch den Schmutz ziehen und selbst im Irrenhaus enden. Das erste sei eingetroffen, das zweite stehe noch bevor.“ Bemerkenswerter noch ist, daß Bismarck sich in dieser Hinsicht selbst im amtlichen Schriftverkehr keinerlei Fesseln auferlegte. So schrieb er im Oktober 1883 an Kaiser Wilhelm I.59: „Mit einem so unfähigen Politiker wie Gladstone“, der nichts als ein großer Redner sei, lasse sich keine Politik treiben, bei welcher England mit Sicherheit in Rechnung gezogen werden könnte. Das „parlamentarische Musterreich England“ gehe ___________ 56

Gladstone/Granville Correspondence S. 243 Anm. 1, 260, 291, 309, 329–

330. 57

Ebd. S. 343. Gladstone schrieb Granville am 6. März 1885: According to Herbert Bismarck there is and can be no quarrel about Egypt if colonial matters are amicably settled. [ . . . ] It is really impossible to exaggerate the importance of getting out of the way the bar to the Egyptian settlement [ . . . ] ; as, if we cannot wind up at once these small colonial controversies, we shall, before we are many weeks older, find to our cost. – Am 1. Juni 1885 schrieb er in Sachen Ostafrika (ebd. S. 380): The great man [Bismarck] ought not to go on torturing us in Egypt meanwhile. O for the day when we shall escape from the consequence of the original folly there. 58 Lucius von Ballhausen, Bismarck-Erinnerungen S. 288. Ähnlich Holstein, Die geheimen Papiere II S. 64. Am 3. September 1884 schrieb Herbert von Bismarck in einem Brief an Holstein (ebd. III S. 117): Ich [ . . . ] hoffe, daß unsere Politik will avail itself of this most favourable moment, um Gladstone gegen die Wand zu quetschen, daß er nicht mehr japsen kann. Er muß im allgemeinen Interesse ad absurdum geführt werden, aber erst die Engländer noch mehr in den Dreck reiten, damit sein Prestige selbst bei der Masse des dummen englischen Wählers erlischt. 59 Nr. 36 (dort auch Anm. 94).

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wie Frankreich der Republikanisierung, d.h. aus seiner Sicht der Auflösung, entgegen. „Wenn Gladstone noch einige Jahre am Ruder bleibt, so kann I.M. die Königin Victoria noch selbst die Anträge auf gesetzliche Abschaffung der Monarchie erleben. [ . . . ] Möge Gott unser Vaterland auch ferner vor ähnlichen Ministern wie Gladstone behüten.“ Gerade der letzte Satz bietet einen deutlichen Fingerzeig, was Bismarck mit solchen Haßtiraden bezweckte: Er wollte offenbar auf dem Wege über den Kaiser dessen Sohn Friedrich Wilhelm warnen, sich dermaleinst mit liberalen Ministern zu umgeben. Absoluter Höhepunkt seiner Haßattacken gegen Gladstone ist ein vertraulicher Erlaß, den Bismarck am 26. Februar 1884 an Schweinitz in Petersburg richtete60. Die Herausgeber der „Gesammelten Werke“ Bismarcks haben sich in den 1930er Jahren gescheut, dieses haßtriefende Dokument zu veröffentlichen; es ist später in einer Bismarckstudie des englischen Historikers William N. Medlicott publiziert worden. Anlaß für Bismarcks Erlaß waren Nachrichten aus Petersburg, daß Rußland in seiner Politik gegenüber England zu schonend mit diesem umgehe. Es sei, so hob er an die russische Adresse gerichtet hervor, weder für Rußland noch für Europa von Gewinn, wenn England durch Fortdauer der Regierung Gladstone „innerlich zersetzt und republikanisiert“ werde. „Ein so wesentliches Glied der europäischen Gemeinschaft, wie England, kann nicht in schwere Krankheit und Zuckungen verfallen, ohne ganz Europa in Mitleidenschaft zu ziehen. Die jetzige englische Regierung, an deren Spitze ein Mann steht, dem ausser seiner verhängnisvollen Gabe der Beredsamkeit jede Eigenschaft eines Staatsmannes in dem Maasse fehlt, daß ich geneigt bin, ihn als geisteskrank anzusehen, wird mit solchem Ungeschick geführt, daß es [ . . . ] nützlich sein würde, jenes große Reich zur Wahrnehmung seiner Interessen unter eine Curatel der übrigen Christenheit zu stellen.“ Man geht nicht fehl in der Annahme, daß der eigentliche Adressat dieser Invektive nicht Petersburg, sondern der deutsche Kronprinz war, um ihn vor jeglichem Paktieren mit der englischen Regierung Gladstone zu warnen. Tatsächlich ist auf Betreiben des Kaisers der Erlaß nachträglich dem Kronprinzen zugestellt worden61. Die Bearbeitung des Kronprinzen auf der Schiene Bismarck – Kaiser ist in den folgenden Monaten fortgesetzt worden62. Der schon länger erwartete Sturz des Kabinetts Gladstone trat am 8. Juni 1885 ein. Eine direkte Reaktion Bismarcks darauf ist nicht festzustellen. Statt dessen gibt es eine solche des Prinzen Wilhelm, der anders als sein Vater, der Kronprinz, mit Bismarck damals in bestem Verhältnis stand. Prinz Wilhelm beglückwünschte seinen Großvater am 10. Juni zum Sturz ___________ 60 61 62

Nr. 75. Nr. 89. Z.B. Nr. 168.

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Gladstones63, „jenes gewissenlosesten und unfähigsten aller Staatsmänner der wohl je ein Land regiert hat; und einer unserer geschworensten Feinde. [ . . . ] Schlimm ist das Erbtheil, das er dem Nachfolger hinterläßt.“ Diesem Nachfolger, Lord Salisbury, hatte Herbert von Bismarck bereits während seiner Mission im März 1885 beruhigende Erklärungen über die Haltung Deutschlands gegeben: Sobald die kolonialen Ansprüche Deutschlands befriedigt seien, werde Deutschland wieder in dieselbe Stellung zur englischen Politik wie unter Disraeli zurückschwenken. Sogleich nach der Bildung seines Kabinetts hatte Salisbury nichts Eiligeres zu tun, als Bismarck des guten Einverständnisses mit Deutschland zu versichern64. Er werde alles tun, um die deutschen Kolonialbestrebungen zu unterstützen65. Am 2. Juli richtete der englische Premier sogar einen Privatbrief in diesem Sinn an Bismarck66. Der Kanzler antwortete ihm in englischer Sprache und versicherte ihm unter anderem67: „Our colonial questions are to my great satisfaction nearly regulated and their final settlement is close at hand.” Gleichzeitig sagte er ihm auch die deutsche Unterstützung in der ägyptischen Frage zu.

Die Entfernung liberaler Mitarbeiter aus dem Kreis des Kronprinzen (Stosch, Normann) Bismarcks Kolonialpolitik sollte den Kronprinzen und die Kronprinzessin im Hinblick auf den Thronwechsel gefügig machen, d.h. sie von ihren liberalen Anschauungen im Innern und in der Außenpolitik abbringen. Dem gleichen Ziel diente auch der teils untergründige, teils offen geführte Kampf Bismarcks gegen vorhandene oder künftige liberale Mitarbeiter des Kronprinzen. Auf General Stosch wurde oben schon hingewiesen. Dieser war allerdings, wie sein Biograph Frederic Hollyday herausgearbeitet hat, kein Liberaler im parteipolitischen Sinn68. Er gehörte vielmehr zu den Vertrauten des Kronprinzen, und daher sah ihn Bismarck als seinen Erzrivalen an. Die Reibungen zwischen beiden hatten schon 1877 begonnen und führten schließlich im März 1883 zur Entlassung Stoschs als Chef der Admiralität und preußischer Minister. Die Abneigung bestand auf beiden ___________ 63

Nr. 320. GP IV S. 131–133. 65 Nr. 326. 66 GP IV S. 132–133. 67 Ebd. S. 133–134. 68 Hollyday, Bismarck (besonders S. 105, 107–108); ders., Bismarck’s Rival S. 224. 64

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Seiten. In einem Brief an Gustav Freytag vom Dezember 1877 charakterisiert Stosch den Reichskanzler als größenwahnsinnig69; er habe „nur an seinem kranken Gehirn und an seinem schlaflosen Körper den Maßstab für seine Treue“ gegenüber dem Kaiser. In der Phase des bevorstehenden Thronwechsels 1884/85 stand Bismarck unter der Zwangsvorstellung, Stosch werde vom neuen Kaiser zum Reichskanzler berufen. Im Sommer 1884 trug Bismarck den Kampf gegen Stosch in die Öffentlichkeit. In der Reichstagssitzung vom 26. Juni kam es zu einer Auseinandersetzung über Bismarcks Kolonialpolitik im Zusammenhang mit der Dampfersubventionsfrage. Der Kanzler warf der Opposition vor, daß sie Stosch als seinen „möglichst baldigen Nachfolger“ im Reichskanzleramt ansehe und der linksliberale Abgeordnete Heinrich Rickert mit Stosch in Verbindung stehe70. Am 5. Juli legte Bismarck mit einem Artikel in der offiziösen „Norddeutschen Allgemeinen Zeitung“ nach71. Darin wurde behauptet, bereits 1880 sei in Kreisen des kronprinzlichen Hofes geplant gewesen, ein Koalitionsministerium nach englischem Muster zu bilden, „in welchem die Rolle des Herrn Gladstone dem damaligen Chef der Admiralität zugedacht war“. Die Behauptung geistert sogar noch in Bismarcks „Erinnerung und Gedanke“72. In einem Brief an den Kronprinzen verband Stosch die Angriffe auf ihn mit der von Bismarck betriebenen Entfernung Normanns, des Hofmarschalls des Kronprinzenpaares, um „für den Fall des Thronwechsels nur seine Leute in der Umgebung Euer Kaiserlichen Hoheit zu haben“. Und in einem Brief an Freytag beschuldigte Stosch den Reichskanzler, daß es diesem nur darauf ankomme, ihn „moralisch zu töten, ehe der Thronwechsel stattfindet“. Stoschs Hilferuf an den Kriegsminister Paul Bronsart von Schellendorff, dieser möge die offiziöse Presse veranlassen, derlei Angriffe in Zukunft zu unterlassen, verhallte ungehört73. Aus den verfügbaren Quellen geht hervor, daß Karl von Normann auf Empfehlung Stoschs zum Hofmarschall des Kronprinzen ernannt worden war. In Holsteins Tagebuch heißt es dazu74: „Die beiden, Normann und Stosch, haben seitdem immer zusammengehalten und sich gegenseitig geschoben. Wenn Stosch Reichskanzler werden sollte, könnte Normann sich aussuchen, was ihm paßt.“ Normann war bereits im Oktober 1882 vom Kronprinzen zu seinem Hofmarschall ausersehen worden (er übernahm die Stellung offiziell Anfang 1883), obwohl er nur dem niederen Adel entstammte. Es ging ihm der Ruf eines wendigen und ehrgeizigen Hofmannes voraus. Der österreichi___________ 69 70 71 72 73 74

Nr. 10. Nr. 172 Anm. 503. Nr. 176–178. Riehl, „Tanz“ S. 567–568 (mit Anm. 107). Nr. 180, 182 und 184. Nr. 52.

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sche Geschäftsträger in Berlin, Marius Freiherr von Pasetti, prophezeite ihm eine große Zukunft75: „Am Tage [ . . . ] , an welchem der Kronprinz den deutschen Kaiserthron besteigen wird, wird Herr von Normann eine der einflußreichsten Stellungen im Reich bekleiden.“ Außerdem galt er als einer der schärfsten Kritiker Bismarcks. Normann selbst war mit seiner Hofkarriere nicht besonders zufrieden und strebte eine vorübergehende Stellung in der Diplomatie an. Hier nun konnte Bismarck seine Hebel ansetzen. Die Kronprinzessin förderte die diplomatischen Pläne Normanns. Im September 1883 schrieb sie ihrem Gemahl76, daß Normann bald vom Hof in die Diplomatie wechseln solle, „damit er noch so eine Art formelle Vorschule durchmachte e h e Du ihn dann – bei einem Regierungs Wechsel [ . . . ] zu einem Minister [ . . . ] machst.“ Normann war indes nicht so wendig, wie sein Ruf ihm das andichtete. Es entspann sich bald ein Duell zwischen ihm und der Kronprinzessin. Normann lag seinem Herrn mit dem gegen dessen Gemahlin gerichteten Vorwurf in den Ohren, sie sei zu sehr Engländerin geblieben und habe kein Herz für Deutschland77. Er beging dann auf der Reise des Kronprinzen in Spanien gleich mehrere Fehler. So wollte er Stosch auf die Reise mitnehmen. Diese offene Provokation Bismarcks machte die Kronprinzessin nicht mit und hintertrieb dessen Mitreise. Sodann war sie aufgebracht über das Verhalten der den Kronprinzen begleitenden Journalisten („nur über meine Leiche wären die mitgekommen“, hätte sie rechtzeitig davon gewußt78). Inzwischen wurde der zum liberalen Hofkreis des Kronprinzen gehörende Adjutant General Albert von Mischke, dem ebenfalls Mißgriffe auf der Spanienreise vorgeworfen wurden, durch den konservativen Hugo von Winterfeld ersetzt79. Bismarck tat nun einen Schachzug, um auch Normann kaltzustellen. Im Mai 1884 gab er bereitwillig dem Wunsch des Kronprinzen (und noch mehr der Kronprinzessin) nach, Normann auf einen diplomatischen Posten zu schieben (Oldenburg) und ihn durch einen konservativen Diplomaten (der nun eine diplomatische Stelle freimachte und ein Revirement ermöglichte), nämlich durch Hugo Graf von Radolinski, zu ersetzen80. Dem alten Kaiser erschien in seiner Einfalt dieses etwas verwirrende Wechselspiel zwar rätselhaft, er freute sich aber darüber81: „Die Ersetzungen Mischkes u Normanns durch völlig Konservative wie Winterfeld u Radolinski gibt Andeutung, daß bei Fritz und Victoria eine Schwenkung zum ___________ 75 76 77 78 79 80 81

Nr. 19; vgl. auch Nr. 59. Nr. 35. Holstein, Die geheimen Papiere II S. 74. Ebd. S. 160; ferner Nr. 59. Nr. 92. Nr. 139 und 168. Nr. 150.

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Guten in ihren politischen Ansichten eingetreten ist.“ Der nicht minder einfältige Kronprinz war es ebenfalls zufrieden, wie sein langer Brief an Stosch, der ihn vor der Abschiebung Normanns nach Oldenburg gewarnt hatte, am 20. Juli 1884 beweist82: „Bismarck’s Entgegenkommen entspricht seiner seit einiger Zeit ganz geänderten Haltung mir gegenüber; denn er ist eifrig bemüht meinen Wünschen Rechnung zu tragen, und Rücksicht auf mich zu nehmen. [ . . . ] Daß er mich nun gar mit ‚seinen Leuten‘ allmählich umgeben läßt um in der Zukunft mich zu beeinflussen glauben Sie am wenigsten!“

Bismarck und Graf Münster Auf so elegante Weise wie im Fall Normanns wurde Bismarck einen anderen Widersacher der Monate 1884/85, nämlich den Grafen Münster in London, nicht los. Dieser gehörte zwar nicht zum engeren, aber doch zum weiteren Kreis des Kronprinzen. Bismarcks Kampf gegen ihn war auch insofern von einer anderen Dimension als derjenige gegen Normann, als Münster auf einem der angesehensten Posten des Reichs und zudem Persona grata beim alten Kaiser war. Die Auseinandersetzung zwischen beiden hängt schließlich auch direkt mit Bismarcks Kolonialpolitik und seinen diversen Präventivmaßnahmen in bezug auf den Thronwechsel zusammen. Die Mittel, die Bismarck gegen Münster einsetzte, gehören zu einem Repertoire von Maßnahmen, das Bismarck in seiner langen Laufbahn immer gegen Diplomaten ergriff, die er aus irgendeinem Grund loswerden wollte: Er stellte ihnen Fallen, in die sie hineintappen mußten, um dann beim Kaiser die Abberufung zu beantragen. Frontal konnte er in solchen Fällen nicht vorgehen, da er dieses Privileg des Kaisers, in wichtigen Personalfragen selbst zu entscheiden – anders als bei politischen Auseinandersetzungen, in denen Bismarck „seinen Herrn“ durch Rücktrittsgesuche erpreßte –, aus Selbsterhaltungstrieb nicht antasten wollte. Die einschlägigen Amtsakten für die Monate 1884/85 sind voll von kolonialpolitischen Erlassen, die Münster aus Berlin erhielt und in denen er in mehr oder minder scharfem Ton für deren unvollständige Ausführung gerügt wurde. Sie sind so zahlreich, daß man sich des Eindrucks nicht erwehren kann, daß Bismarck sie sammelte und einfach zu dem Zweck nach London sandte, sie einmal als Sündenregister in der Hand zu haben, um mit dessen Hilfe beim Kaiser die Abberufung zu erwirken. Die Erlasse sind obendrein oft so verfaßt, daß ihr Kern unklar blieb, damit dann eine ___________ 82

Nr. 182.

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Rüge um so schneller ausgesprochen werden konnte. Das Gegenstück dazu sind ebenso zahlreiche Rechtfertigungsberichte Münsters, die oft hilflos klingen, weil der Botschafter in die Hintergründe der Kolonialmaterie nicht voll eingeweiht war83. Münster war genau so antikolonial eingestellt, wie es Bismarck bis Anfang 1884 selbst war. Deswegen sprach er in einem Bericht von Anfang Mai 1884 von den „ganz unpraktischen und unreifen Kolonialbestrebungen“, die jetzt seit einiger Zeit in Deutschland um sich griffen84. Diese Formulierung benutzte er zwei Wochen, nachdem er (am 24. April 1884) von Bismarck aufgefordert worden war, in London die Schutzerklärung über Angra Pequena bekanntzugeben! Die plötzlich eingeleitete amtliche Kolonialpolitik als „ganz unpraktisch und unreif“ zu apostrophieren mußte auf Bismarck wie ein rotes Tuch wirken. Der Kampf zwischen Kanzler und Botschafter kann hier im einzelnen nicht verfolgt werden. Es muß genügen, daraus die folgenden wesentlichen Gesichtspunkte festzuhalten. Die ständigen Zurechtweisungen des Botschafters mußten einen bestimmten Zweck haben, nämlich ihn zu entlassen oder ihn zum Rücktritt von sich aus zu drängen. Warum? Einmal wegen seiner Nähe zum Kronprinzen; sodann wegen seiner ganzen anglophilen Haltung, die in den Quellen allseits hervorgehoben wird. Münster war in England – als Sproß einer alteingesessenen hannoverschen Familie war das fast natürlich – gesellschaftlich hoch angesehen und stand auf vertrautem Fuße sowohl mit Lord Granville als auch mit Lord Derby, also den zwei Ministern – von Gladstone abgesehen –, auf die Bismarck die Schale seines Spotts und Zorns ausgoß. Dieses gute Verhältnis – das muß man Bismarck zugute halten –, veranlaßte Münster, für England unangenehme Erlasse in der Ausführung abzumildern. Der Umstand, daß in den kolonialpolitisch bewegten Monaten Bismarck Sohn – einmal im Sommer 1884, dann Anfang März 1885 – in Sondermission nach London geschickt wurde, um das zu erreichen, wozu Bismarck seinen Botschafter nicht in der Lage hielt (den Druck auf England zu erhöhen oder es, wie März 1885 geschehen, dem internationalen Publikum vorzuführen), mußte für Münster wenig schmeichelhaft sein. Aus den Quellen aus dem Umkreis des Hauses Bismarck geht hervor, daß eines der Motive der Sondermission war, Münster zum Rücktritt zu drängen85. Das darüber hinausgehende Ziel war, den Botschafterposten dann offenzuhalten, bis ihn – nach einer Anstandsfrist und der vorangehenden nötigen Beförderung – Herbert von Bismarck selbst einnehmen könnte. Mit ihm als diplomatischem Vertreter des Deutschen Reiches in Großbritannien wäre ge___________ 83 84 85

Vgl. z. B. Nr. 155 und 260. Nr. 134. Nr. 197. Vgl. auch Courcel an Ferry, 21. September 1884 (DDF V S. 421).

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währleistet, daß der kommende Kaiser seinen anglophilen Neigungen und einer außenpolitischen Anlehnung an England nur schwer würde nachgehen können. Auch das war also ein Bestandteil der Präventivplanung Bismarcks für den Thronwechsel. In Berliner Diplomatenkreisen war es Anfang 1885 ein offenes Geheimnis, daß hinter dem Trommelfeuer gegen Münster die Absicht stand, Herbert von Bismarck auf den Londoner Botschafterposten zu lancieren86. Aus einem Privatbrief Wilhelm von Bismarcks vom 27. August 1884 an seinen Bruder geht das schon früh hervor87. Da Münster vom Charakter her dickfellig und unerschütterlich war und im September 1884, als er auf Urlaub in Deutschland weilte und Bismarck aufsuchte, dessen Wink nicht mit dem eigenen Rücktritt nachkam, fuhr der Reichskanzler schwereres Geschütz auf: Er griff den Botschafter Anfang Oktober 1884 in der Presse (so in der „Norddeutschen Allgemeinen Zeitung“) an und deutete seine baldige Abberufung an. Das war nun dem alten Kaiser, der Münster hochschätzte, zuviel. Wilhelm I. raffte sich in einem Handschreiben zu einer Rüge seines Kanzlers auf88 und redete ihm ins Gewissen, er nehme an, „dass diese Abberufungsidee Ihnen fremd ist, da es einem Manne gilt von so hohem Ansehen in der Welt, den man wohl r e k t i f z i e r e n kann, aber nicht gleich mit Entlassung drohen darf“. Bismarck mußte klein beigeben, stellte die Zeitungsberichte in Abrede und behauptete unverfroren, daß er keinen Kontakt (allerdings keinen „regelmäßigen“) zur „NAZ“ habe89. Bismarck trieb den Kampf gegen Münster weiter auf die Spitze. In mehreren Erlassen von Ende Januar 188590, auf die oben in anderem Zusammenhang schon eingegangen ist, schob er die Schuld für die Entfremdung zwischen England und Deutschland dem Botschafter in die Schuhe, dem es nicht gelungen sei, der englischen Regierung in der Kolonial- und in der Ägyptenfrage die deutsche Haltung rückhaltlos klarzumachen. Das war eine wenig noble Verdrehung der Tatsachen. Der englische Botschafter in Berlin, Sir Edward Malet, dem Bismarck – sicher mit Absicht, damit auch ___________ 86

Derby, Diaries S. 768. Die Tagebucheintragung Derbys lautet: He [Malet] says it is no secret in Berlin that Bismarck has done his utmost to get rid of Münster, by describing him to the Emperor as inefficient or indifferent to his duty: that, if he had succeeded, somebody [ . . . ] would have been put into the English embassy to keep the place open, and after a year or two would have resigned to make way for Herbert Bismarck. [ . . . ] and he is the more eager, as he knows that after the Emperor’s death he will have no chance. 87 Zitiert bei Windelband, Bismarck S. 517. Bismarck Vater, heißt es in dem Brief, empfehle, daß Du zu niemandem auf Münster schimpfest, damit man Dir, wenn Du ihn einst ersetzen solltest, nicht nachsage, Du hättest gegen ihn intrigiert. 88 Nr. 221. 89 Nr. 225. 90 Nr. 252, 254 und 257.

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dieser seinen Groll nach London berichte – von den Erlassen Kenntnis gab, schrieb Granville in einem Privatbrief, daß Bismarcks Weisungen nach London für einen Botschafter nicht unangenehmer sein könnten91. Wieder ist davon auszugehen, daß dieser heftige Ausfall den Botschafter zum Rücktritt veranlassen sollte. Münster blieb weiterhin standhaft. Einem diplomatischen Freund schrieb er92: „Der große Bismarck hat überhaupt, ich weiß nicht warum, jetzt etwas gegen mich. Ich [ . . . ] tue meine Schuldigkeit, befolge genau meine Instruktionen und sage ganz ruhig meine Meinung, wenn mir einer zu nahe tritt. Ich bleibe hier, so lange mich der liebe Kaiser nicht abberuft, und ich weiß, daß der Kronprinz und die Kronprinzessin [mir] vertrauen.“ Bismarck gelang es erst im Oktober 1885, als die von ihm inszenierte deutsch-englische Entfremdung längst überwunden war, den Botschafter aus London zu entfernen. Münster blieb jedoch im Dienst und wurde nur auf den Posten nach Paris versetzt.

Bismarck und die Lasker-Affäre Bismarck hatte im Zuge seiner Präventivstrategie hinsichtlich des Thronwechsels mit einem anderen Diplomaten wesentlich leichteres Spiel als mit dem Grafen Münster, nämlich mit dem deutschen Gesandten in Washington, Karl von Eisendecher. Am 5. Januar 1884 schrieb der Kronprinz in sein Tagebuch93: „Den Tod des Abgdt Eduard Lasker erfahren, der letzte Nacht in New York plötzlich an Herzschlag verstarb. [ . . . ] Viel hatte ich von ihm für meine Zukunft noch erhofft.“ Lasker, einer der führenden Persönlichkeiten der Linksliberalen und einer der markantesten Gegenspieler Bismarcks, war auf einer USA-Reise verstorben. Sein Leichnam wurde mit dem Schiff nach Bremerhaven und von dort per Zug nach Berlin zur Beisetzung verbracht, wo er am 26. Januar ankam. Am 29. Januar sollte die offizielle Leichenfeier in der Berliner „Singakademie“ stattfinden. Wegen der Bedeutung des Verstorbenen wollten einige der preußischen Minister daran teilnehmen. Bismarck reagierte darauf höchst verärgert und telegraphierte aus Friedrichsruh, wo er sich gerade aufhielt, nach Berlin, daß er strikt dagegen sei94. Dem Kronprinzen wurde durch Holstein geraten, von jeglicher Demonstration abzusehen, um das chronisch angespannte Verhältnis zu Bismarck nicht noch weiter anzuheizen. ___________ 91 92 93 94

Nr. 256, auch Nr. 255. Zitiert bei Nostitz, Bismarcks unbotmäßiger Botschafter S. 153–154. Nr. 53. Nr. 61.

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Der Ärger des Kanzlers wurde über die Maßen erhöht, als er Anfang Februar von der Resolution des amerikanischen Repräsentantenhauses erfuhr, in der die politischen Verdienste Laskers gewürdigt wurden95. Eine solche Maßnahme war an sich ungewöhnlich, aber insofern erklärlich, als Lasker auf seiner USA-Reise mehrfach mit öffentlichen Reden aufgetreten war. Viel ungewöhnlicher war indes, daß der amerikanische Gesandte in Berlin, Aaron Sargent, aus Washington aufgefordert wurde, diese Resolution über die deutsche Regierung dem deutschen Reichstag mitzuteilen. Bismarck schäumte vor Wut und triumphierte zugleich. Er nahm die Affäre zum Anlaß, sogleich eine Hetze in der Presse gegen Lasker und gegen die hinter diesem stehenden Linksliberalen loszutreten. Sie war einigermaßen geschmacklos. Geradezu unappetitlich ist der darauf bezügliche Schriftwechsel im Hause Bismarck, aus dem im Quellenteil zwei Kostproben aufgenommen sind96. Nicht zu Unrecht witterte Bismarck hinter der amerikanischen Resolution Hintermänner aus dem Kreis der Linksliberalen in Deutschland: Er machte schließlich deren Anhänger, den Reichstagsabgeordneten Georg von Bunsen, ausfindig97. Die Affäre gedachte Bismarck für die anstehenden Reichstagswahlen (im Herbst 1884) auszubeuten. Zunächst aber kühlte er sein Mütchen an zwei Diplomaten: am deutschen Gesandten in Washington und am amerikanischen Gesandten in Berlin. Eisendecher wies er an98, die amerikanische Regierung zur Abberufung ihres Berliner Gesandten aufzufordern, da dieser seinen Außenminister nicht rechtzeitig über die Unzulässigkeit der Resolutionsübergabe aufgeklärt habe und zudem in „unerhörten Beziehungen“ zur deutschen Opposition stehe. Da Eisendecher nicht umgehend seinen Auftrag auszuführen vermochte, wurde er zunächst selbst (April 1884) abberufen, während Sargent von seiner Regierung, des kleinlichen Streits überdrüssig, Ende März abgezogen und nach Petersburg versetzt wurde (was er nicht annahm; er ging ins Privatleben zurück)99. Da Eisendecher einen relativ unbedeutenden diplomatischen Posten innehatte, mußte Bismarck nicht mit dem Widerstreben des Kaisers – wie im Fall des Grafen Münster – rechnen. Einen Tag nach seiner Rückkehr aus Friedrichsruh (12. März 1884) zog Bismarck in einer langen Rede im Reichstag über die Lasker-Affäre vom Leder100. Er rechtfertigte sich, daß er die Lasker-Resolution von Sargent nicht angenommen, geschweige denn sie dem Reichstag mitgeteilt habe. Er ___________ 95 96 97 98 99 100

Nr. 57. Nr. 63 und 80. Nr. 84. Ebd. Vgl. Nr. 96. Nr. 93.

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habe sich nicht „vor den Triumphwagen der Opposition“ spannen und als Briefträger mißbrauchen lassen wollen; die Linksliberalen hätten nach dem Tode Laskers „Spiritismus“ getrieben und ihn als Reichskanzler beleidigt. Auch sei es nach dem Völkerrecht nicht möglich, daß ein Volk mit einem anderen von Parlament zu Parlament in politischen Verkehr trete. Bismarck drosch also auf den toten Lasker, auf Sargent und Eisendecher ein, um die Linksliberalen als Partei insgesamt zu treffen.

Bismarck und die Reichstagswahlen vom Oktober 1884 Am 6. März notierte Friedrich Wilhelm in seinem Tagebuch101: „Gestern Abend hat sich die liberale Vereinigung und die Fortschrittspartei [ . . . ] zu einer Partei der ‚Deutschfreisinnigen‘ verschmolzen [ . . . ] . Möge diese Fusion heilsam wirken.“ Neben dem katholischen Zentrum waren die linksliberalen Fraktionen in Bismarcks Augen die Totengräber des Reichs („Reichsfeinde“). Bei den Reichstagswahlen vom Oktober 1881 hatten die drei linksliberalen Parteien zusammen 115 von 397 Mandaten errungen und waren damit von 39 Sitzen auf das etwa Dreifache angewachsen – für Bismarck eine Untergangsvision. Die Fusion der „Liberalen Vereinigung“ und der „Fortschrittspartei“ Anfang März 1884 ließ bei ihm die Alarmglocken schrillen. Die Stärkung der Linksliberalen und die Erwartung des nahenden Thronwechsels veranlaßten ihn zu hektischer Aktivität. Die Lasker-Affäre kam ihm wie gerufen, um die konservativen Volksschichten aufzurütteln. In der von Bismarck entfachten Wahlagitation vom Sommer und Herbst 1884 spielte die Kolonialpolitik die wichtigste Rolle. Das bezeugen viele Beobachter der Berliner Szene102. Wie schon in anderem Zusammenhang vermerkt, sprang Bismarck auf den Wagen der damals in Deutschland wie in Europa populären Kolonialbewegung auf. In diversen Reichstagsreden, die von Einzelfragen der Kolonialpolitik ausgelöst waren, rechtfertigte er im Grundsatz sein plötzlich erwachtes Interesse an Kolonien. Der englische Botschafter in Berlin beschrieb in mehreren Privatbriefen an seinen Außenminister die Zusammenhänge. So vermerkte er am 2. August, Bismarck betreibe mit Hilfe der Kolonialfrage eine englandfeindliche Politik, um seine Popularität vor den Reichstagswahlen zu erhöhen103. Drei Wochen später ___________ 101

Nr. 85. Vgl. z.B. Nr. 156 und 181; Waldersee, Denkwürdigkeiten I S. 244; Letters from the Berlin Embassy S. 340. 103 Nr. 185. 102

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schrieb Herbert von Bismarck in einem Brief an Holstein104, daß der Termin für die Wahlen möglichst früh festgesetzt werden solle: „Jetzt moussiert alles wegen Kolonialpolitik.“ Selbst in einem Brief an Granville hielt Herbert von Bismarck nicht hinter dem Berg105: Für die deutsche Regierung sei die Kolonialfrage neuerdings in ihrer Auseinandersetzung mit der Opposition wichtig geworden. Bismarck selbst äußerte sich im vertrauten Kreise unverblümt über den Sinn – einen Sinn – seiner Kolonialpolitik. Den Kaiser bat er, die Kolonialerfolge Schlag um Schlag weiterbetreiben zu dürfen106. „Geschieht dies nicht, so laufen wir Gefahr, daß unmittelbar vor den bevorstehenden Reichstagswahlen der bisher über Erwarten günstige Eindruck unserer Colonial-Politik in das Gegentheil umschlägt.“ Einem Ministerkollegen gegenüber sprach er vom „Kolonialschwindel“107. Dem Chef der Admiralität, Leo von Caprivi, der den Kolonialabenteuern grundsätzlich abhold gegenüberstand, räumte er ein, „die ganze Kolonialgeschichte werde nur für die Wahlen gemacht“108. Sohn Wilhelm tadelte seinen Vater für solch breitgestreute Äußerungen109: Wenn dieser die Kolonialbestrebungen derart verächtlich mache und sie als Wahlmanöver ausposaune, werde das bald in der Öffentlichkeit ruchbar werden. Bei den Reichstagswahlen am 28. Oktober (und den Stichwahlen Mitte November) konnte Bismarck eine entsprechende Ernte einfahren. Die „Deutschkonservativen“ erhöhten ihren Mandatsanteil um über 50% (von 50 im Jahr 1881 auf 78 Sitze 1884). Die „Deutschfreisinnigen“, die Zielscheibe von Bismarcks Wahlkampf, verloren 39 und sanken auf 67 Sitze. Trotzdem war der Wahlausgang ein Pyrrhussieg. Die „gouvernementalen Parteien“ (die beiden konservativen und die nationalliberale) verbuchten zusammen nur knapp 40%, die regierungsfeindlichen kamen also zusammen auf über 60% der Mandate. Dieses Ergebnis zeigte sich sogleich anläßlich einer im Reichstag am 15. Dezember eingebrachten Etatforderung des Auswärtigen Amtes für eine neue Direktorenstelle. Obwohl die Summe außerordentlich gering war (20 000 Mark), wurde sie von der Mehrheit abgelehnt. Das offenbarte das Ausmaß der Opposition sowohl gegen die Kolonialpolitik als auch gegen Bismarck persönlich. Dieser reagierte prompt mit Empörung. Im Preußischen Staatsministerium erklärte er110, man müsse den Reichstag „weiter Torheiten begehen lassen, bis er schußrecht sei“. Das war eine seiner zahlreichen Ankündigungen, das Reichstagswahlrecht zu ändern oder den Reichstag vorzeitig aufzulösen. ___________ 104 105 106 107 108 109 110

Nr. 197. Nr. 200. Nr. 212. Holstein, Die geheimen Papiere II S. 174. Nr. 214. Nr. 215. Nr. 243. Vgl. auch Nr. 244.

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Bismarck wäre indes nicht Bismarck gewesen, wenn er den Fehlschlag nicht ausgebeutet hätte. In den kolonialpolitischen Debatten der nächsten Monate machte er mit Hilfe von Erfolgen in Afrika, einer entsprechenden Pressekampagne, der stoßweisen Veröffentlichung von Weißbüchern über die Kolonialfrage und mit effektvollen (unter anderem englandfeindlichen) Auftritten im Reichstag seinen Kolonialerwerb populär und rundete ihn mit der Schutzgebietserklärung über Deutsch-Ostafrika (27. Februar 1885) und Neuguinea (17. Mai) ab. Der Kolonialerwerb hatte mit dem relativen Erfolg bei den Reichstagswahlen und der nationalen Stimmungsmache unmittelbar danach einen Teil seiner Schuldigkeit getan.

Bismarcks Plan, seine preußischen Ämter aufzugeben Bismarcks Kolonialpolitik 1884/85 gehört zu dem vielschichtigen Katalog von Maßnahmen, um seiner befürchteten Kaltstellung beim bevorstehenden Thronwechsel vorzubeugen. Eine weitere Maßnahme in dieser Hinsicht ist Bismarcks in diesen Monaten forciert betriebene Ankündigung, sich aus den diversen Ämtern an der Spitze Preußens (Ministerpräsident, Handelsminister, Vorsitzender des Preußischen Staatsministeriums) zurückzuziehen und nur noch das Amt des Reichskanzlers und damit auch die Leitung der Außenpolitik zu behalten. Da diese Strategie nur in mittelbarem Zusammenhang mit seiner Kolonialpolitik steht, soll sie hier nur mit knappen Strichen skizziert werden. In der folgenden Quellensammlung sind aber genügend einschlägige aussagekräftige Quellen ausgewählt. Im Jahr 1883 bereits lassen sich, vor dem Hintergrund des zeitweise schlechten Gesundheitszustandes Wilhelms I., Anzeichen dafür feststellen, daß Bismarck beabsichtigte, sich aus seinen preußischen Ämtern zurückzuziehen. Sie verstärkten sich in den ersten Monaten 1884. Unter seinen Mitarbeitern und seinen Ministerkollegen ventilierte er immer wieder diese Idee. Holstein bewertete sie am 7. Februar 1884 folgendermaßen in seinem Tagebuch111: „Die Sache hat ihre zwei Seiten. Einigen Einfluß verliert er dadurch allerdings, erschwert es aber dem kronprinzlichen Regime ganz außerordentlich, ihn zu verdrängen; denn daß er die Leitung der auswärt. Politik behalten soll, verlangt die Mehrzahl sogar der Demokraten. Wenn Bismarck aber überhaupt noch im Amt ist, muß der nächste Kaiser sich doch einigermaßen genieren in der Wahl der Leute, die er neben Bismarck zu preußischen Ministern macht. Die Schattierung Forckenbeck halte ich für ausgeschlossen, Bennigsen nicht.“ ___________ 111

Nr. 66.

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Die Absicht, seine preußischen Ämter aufzugeben, kündigte Bismarck auch im Staatsministerium an112. Die Ankündigung wurde – wohl wider Bismarcks Erwarten – im wesentlichen mit Stillschweigen quittiert113. Gegenüber dem sächsischen Gesandten in Berlin gab Bismarck im April 1884 für seine Initiative neben dem Wunsch, sich zu entlasten, die Absicht an, „sich für den Fall des Thronwechsels eine unabhängige Stellung zu erhalten, welche nicht an die Zusammensetzung des Preußischen Staatsministeriums geknüpft“ sei114. Gegenüber Holstein offenbarte er wenig später, seine Gegner – „Stosch und Co.“ – kennten noch nicht die Tragweite seines Ausscheidens aus den preußischen Angelegenheiten115. „Das ist die Brücke für mein Zusammenbleiben mit dem Kronprinzen, der ganz ungemein ‚jieprig‘ drauf ist, mich als Reichskanzler zu behalten“. Tatsächlich scheiterte die Umsetzung der Idee an der Harthörigkeit des alten Kaisers. Im Juni kam es zu einer immer wieder zu beobachtenden Szene zwischen beiden, bei der Wilhelm I. ins Jammern und Moralisieren verfiel und Bismarck anflehte, er möge ihn, der doch nur noch ein oder zwei Jahre zu leben habe, nicht im Stich lassen116. Bismarck ließ von weiterem Drängen ab, zumal er parallel dazu zwei weitere Verfassungsinitiativen verfolgte, die gleichfalls den Gefahren des Thronwechsels vorbeugen sollten: seine Bundesratsinitiative und die Reaktivierung des Staatsrats.

Bismarcks Bundesratsinitiative Unmittelbarer Anlaß für Bismarcks Bundesratsinitiative vom April 1884 war ein Punkt im Programm der neuen „Deutschfreisinnigen Partei“, künftig – d.h. beim Thronwechsel – ein verantwortliches Reichsministerium zu schaffen117. Bismarck reagierte umgehend darauf. Er entwickelte dem sächsischen Gesandten in Berlin folgenden Plan118: Er wolle dem Bestreben der Freisinnigen vorbauen; er fürchte, daß der künftige Kaiser sich mit liberalisierenden Ministern umgeben und unitarische Tendenzen unterstützen werde; während der Reichskanzler in den Jahren seit der Reichseinigung in die Stellung eines dem Reichstag verantwortlichen Ministers ___________ 112

Nr. 97. Vgl. Nr. 201. 114 Nr. 115. Vgl. auch Nr. 114. 115 Holstein, Die geheimen Papiere II S. 133. Der auch bald gescheiterte Plan wurde durch die schlagkräftigere Kolonialpolitik ersetzt. 116 Nr. 175. 117 Schulthess’ Europäischer Geschichtskalender 25 (1884) S. 28. 118 Nr. 94. 113

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gelangt sei, habe sich der Bundesrat von seiner verfassungsmäßigen Stellung als unverantwortliche Reichsregierung verabschiedet; er suche daher bei den verbündeten Regierungen um Unterstützung, diese Entwicklung zurückzudrehen; er wolle den Reichskanzler aus dem Preußischen Staatsministerium und die preußischen Staatssekretäre aus ihrer Verbindung mit dem Reichstag herausnehmen und dadurch den Einfluß des Bundesrats erhöhen; er wünsche, daß der von ihm skizzierte Umbau durch Absendung identischer Noten Sachsens, Bayerns und Württembergs eingeleitet werde. Nach einigem Hin und Her kam es am 2. April 1884 im Bundesrat zur Behandlung entsprechender Erklärungen. Zur Überraschung der Bevollmächtigten erschien Bismarck höchstpersönlich im Bundesrat, um der Sache mehr Nachdruck zu verleihen119. Bismarcks Rede, die nicht in den Bundesratsprotokollen (und auch nicht in den „Gesammelten Werken“) gedruckt ist, gipfelte in den Worten: „principiis obsta“, d.h. beuget einer Parlamentarisierung des Reiches vor, die „zum Verfall und zur Wiederauflösung des deutschen Reiches“ führe. Er verlas eine die sächsische Initiative begrüßende preußische Erklärung, die am 5. April im Bundesrat abgesegnet und im „Deutschen Reichsanzeiger und Königlich Preußischen Staatsanzeiger“ sogleich veröffentlicht wurde. Bismarcks Bundesratsdeklaration hatte keine konkreten – verfassungspolitischen – Folgen. Daher ist der Einschätzung des hamburgischen Bundesratsbevollmächtigten Daniel Krüger120 vom 20. April 1884 recht zu geben, daß Bismarcks diverse Verfassungsvorstöße „nur eine prophylaktische Vorbereitung auf den Fall des Thronwechsels“ sein könnten „mit dem Zwecke, den Gefahren vorzubeugen, welche Preußen und dem Reiche aus den liberalen Neigungen des Kronprinzlichen Hauses erwachsen könnten“.

Die Reaktivierung des preußischen Staatsrats durch Bismarck Eine dritte innenpolitische Prophylaxe-Maßnahme, die Bismarck 1884 mit wesentlich größerem Nachdruck und höherem Aufwand als die Bundesratsinitiative betrieb, war die Reaktivierung des preußischen Staatsrates. Krüger nahm in dem eben angeführten Bericht dazu ebenfalls Stellung und sah „den wahren Grund“ auch dieses Vorhabens darin, „in den legislativen Mechanismus ein Organ einzuschieben, welches die Gesetzes-Vorlagen, sowohl die Preußischen als die für das Reich bestimmten, in dem ersten ___________ 119

Nr. 102, 103, 105, 125 und 129. Nr. 125. Es ist genau der Tag, an dem die aktive Kolonialpolitik (Schutzerklärung für Angra Pequena) inauguriert wurde. 120

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Stadium der Vorbereitung gegen das Eindringen fortschrittlicher Grundsätze zu vertheidigen“. Der preußische Staatsrat war in der vorkonstitutionellen Zeit, also bis 1848, eine bedeutende Institution zur Begutachtung der wichtigsten Staatsangelegenheiten gewesen. Nach 1848 war er in der Versenkung verschwunden, wurde aber nie förmlich aufgelöst. Bismarcks Plan, den Staatsrat zu reaktivieren, geht bereits auf den Anfang des Jahres 1883 zurück, als der alte Kaiser Zeichen ernstlicher Erkrankung zeigte. Der Reichskanzler machte sich zunächst verfassungsrechtliche Gedanken über die Wiederbelebung. Da Wilhelm I. vorübergehend genas, verfolgte Bismarck den Plan nicht weiter. Seit Anfang 1884 kümmerte er sich indes wieder stärker darum. Am 13. Januar 1884 teilte er seinem preußischen Ministerkollegen Karl von Boetticher mit121, der große Vorteil eines „Reichsrates“ wäre, den Einfluß der bestehenden gesetzgebenden Körperschaften mit ihren wechselnden Mehrheiten bei künftigen Gesetzesvorhaben einzuschränken. Nach der Fusion der liberalen Parteien Anfang März verfiel Bismarck in hektische Aktivität. Sein Plan der Wiederbelebung des versunkenen Staatsrats geriet in die Öffentlichkeit, wurde vielfach diskutiert und als „Kanzlerkrise“ apostrophiert. Einigen Beobachtern wurde sogleich der eigentliche Grund klar. So schrieb am 9. April der bayerische Gesandte in Berlin, Clemens Freiherr von Podewils, nach München122: „Der Fürst will [ . . . ] in dem neuen Staatsrath ein specifisch conservatives Element schaffen, dessen ureigentlicher Beruf es wäre, einem eventuell freisinnigen Ministerium als Gegengewicht zu dienen.“ Die Reaktion des Kronprinzen sowie des Kaisers ist bemerkenswert. Friedrich Wilhelm notierte sich am 12. April in seinem Tagebuch123: „Bismarck bei mir, fragt, ob ich das Präsidium des wieder in’s Leben tretenden Staats Raths übernehmen werde. Ich halte es für unabweislich, daß ich dazu gehöre.“ Bismarck mußte triumphieren: Der Thronfolger willigte ein, ohne weiter nachzudenken oder dahinterzuschauen, sich von einer neu zu schaffenden konservativen Körperschaft einrahmen und Fesseln anlegen zu lassen. Wahrscheinlich ist ihm diese Selbstfesselung leichtgefallen, weil Bismarck ihm ankündigte, sich aus dem Preußischen Staatsministerium zurückzuziehen und an seine Stelle Rudolf von Bennigsen und Johannes Miquel, führende Köpfe der Nationalliberalen, zu berufen124. Das war nicht einmal eine Kröte, die er schlucken mußte. Gegen den Wiederbelebungsplan leistete der alte Kaiser aus ganz pragmatischen Gründen Widerstand. Seinem Chef des Zivilkabinetts, Karl ___________ 121 122 123 124

Nr. 58. Nr. 107. Vgl. auch Nr. 110 und 115. Nr. 109. Nr. 112, auch Nr. 110.

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Freiherr von Wilmowski, schrieb er am 11. April125: „Mein Bedenken gegen das ganze Projekt besteht in der fast Unmöglichkeit neben dem Preuß. Parlament nur noch wieder eine Zwischen Instanz der Begutachtung einzuschieben.“ Der Kaiser hatte schon mit Bismarck gesprochen, daß doch der preußische Innenminister, Robert von Puttkamer, Präsident der neuen Körperschaft werden könnte. Bismarck hatte dem schroff widersprochen. Der Kaiser hatte darauf, so schrieb er an Wilmowski, erwidert: „Oh hoh, da würde ich doch noch mitsprechen! [ . . . ] Sie sehen die alte Lage ist wieder da, über 2 Jahre läßt der Fürst kein Ministerium bestehn!!“ Ein deutlicheres Zeugnis für das Über- und Unterordnungsverhältnis zwischen Kaiser und Kanzler läßt sich wohl kaum finden. Der bedauernswerte Kaiser griff gegenüber dem autokratischen Machtmenschen zum Mittel der indirekten Beeinflussung, indem er von Wilmowski einen Artikel gegen die Staatsratsidee in die Presse setzen ließ126. Der höchlich gereizte Kanzler holte sich für seinen Plan die Rückendeckung des Preußischen Staatsministeriums127, in dem keiner der Minister zu widersprechen wagte, und nötigte so den Kaiser, eine vorbereitete Kabinettsorder zu erlassen, in der die Wiederberufung des Staatsrates genehmigt wurde128. Im Juni 1884 waren die Vorbereitungen für die Konstituierung des Staatsrats bereits so weit gediehen, daß die Ernennungen feststanden. Das Gremium zählte 115 Mitglieder, war also eine recht ungefüge Körperschaft, sollte aber in verschiedene Abteilungen aufgeteilt werden. Neben aus früheren Jahrzehnten „übriggebliebenen“ Persönlichkeiten gehörten ihm an die Prinzen des Königlichen Hauses, die aktiven Staatsminister, die Feldmarschälle, die elf Oberpräsidenten und die zwölf Kommandierenden Generäle. Unter den 70 neu berufenen Mitgliedern waren die beiden nationalliberalen Parteiführer Bennigsen und Miquel und auffallenderweise der Zentrumsabgeordnete Burghard Freiherr von Schorlemer-Alst. Persönlichkeiten des Freisinns waren ausgeschlossen, so der linksliberale Oberbürgermeister von Berlin, Max von Forckenbeck129. Bismarck hatte mit der Ernennung des Kronprinzen zum Vorsitzenden des neuen Staatsrats einen großen Coup gelandet. Friedrich Wilhelm war insofern von dem Plan sogleich eingenommen, als er nun endlich zu einer ___________ 125

Nr. 108. Nr. 119. 127 Nr. 118. 128 Nr. 124. Das geschah wiederum am 20. April, also am Tag des „AngraPequena“-Telegramms. Die Parallelität und das Ineinandergreifen der innenpolitischen Maßnahmen (beabsichtigter Rückzug aus den preußischen Ämtern, Bundesratsinitiative, Reaktivierung des Staatsrats) mit der Inaugurierung der (außenpolitischen) Kolonialpolitik sind überdeutlich. 129 Vgl. Nr. 166 und 175. Eine Namenliste der neu ernannten Mitglieder des Staatsrats 1884 in Schneider, Staatsrat S. 313–314. 126

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tätigen Anteilnahme an den Staatsgeschäften, von denen ihn sein Vater bislang systematisch ferngehalten hatte, zugelassen wurde. Kenner seines Charakters waren indes von vornherein skeptisch. So stellte sein Vertrauter, General Stosch, bereits Ende April 1884 die Prognose130: „Der Herr kann nicht arbeiten, denkt deshalb nicht scharf u. wird nicht im Stande sein immer die entscheidenden Punkte in einer Debatte zu erfassen; u. nur dann kann er eine solche leiten.“ Anfang Oktober warnte Wilhelm I. seinen Kanzler, der sich bei ihm über unerträgliche Arbeitsbelastung beklagt hatte131: „Die beiden Hauptpunkte Ihrer Ueberspannung, die Kolonialpolitik und der Staatsrath, die Sie sich neu creirt haben [ . . . ] , begreife ich vollkommen! [ . . . ] der Staatsrath wird nicht nur Ihnen, sondern der ganzen Staatsmaschine, viel Arbeit dauernd verursachen, namentlich da auf viele Zeiten hin, der Präsident desselben, mein Sohn, Ihnen keine Stütze sein wird.“ Am 25. Oktober 1884 wurde der Staatsrat im Schloß zu Berlin feierlich eröffnet. In den folgenden Wochen behandelte und begutachtete er drei Gesetzentwürfe (Unfallversicherung, Postdampfersubvention und Postsparkassen). Bismarck ging der Staatsrat, wie der Kaiser es ihm prophezeit hatte, recht bald auf die Nerven132. Der Kronprinz äußerte in einem Brief an Stosch tiefe Skepsis133: „Ob aber meine Erwartungen von den Leistungen des Staats Raths sich erfüllen, erscheint mir nach dem Gang des Erlebten recht problematisch. Denn es wird dort eigentlich angenommen was vorgelegt ward, zumal wenn Minister oder gar der Kanzler sich zur Sache geäußert haben.“ Er wolle viel lieber fern von Berlin „still und zurückgezogen auf dem Lande“ seinen Erinnerungen leben. „Parturiunt montes, nascetur ridiculus mus“ – mehr braucht über den Staatsrat nicht gesagt zu werden134. Er verschwand 1885 ebenso schnell wieder in der Versenkung, wie er 1884 aus ihr von Bismarck hervorgeholt worden war. Es ist mit dem Staatsrat wie mit dem Kolonialerwerb: Bismarck setzte gleichsam mit herkulischen Kräften gewaltige Maschinerien in Gang, nur um den Kronprinzen angesichts des Thronwechsels weichzuklopfen und in die totale Resignation zu versetzen. Im eben angeführten ___________ 130

Nr. 130. Nr. 220. Nach dem folgenden Zitat sah der Kaiser zwar die zeitliche Parallelität der Maßnahmen „Kolonialpolitik“ und „Reaktivierung des Staatsrats“, erfaßte aber nicht ihren inneren Zusammenhang. 132 Nr. 230. 133 Nr. 240. 134 Vgl. Nr. 233 Anm. 634. Schweinitz vermerkte in seinem Tagebuch über einen Besuch bei Bismarck: Dann brachte ich die Rede auf den Kongo-Kongreß und die afrikanischen Kolonien. ‚Parturiunt montes‘, antwortete Fürst Bismarck zu meiner Freude; er sagte, diese Sache habe unerwartet viel Wind in seine Segel gebracht, und schon übermorgen, nämlich am Tage nach den Wahlen, werde sein Eifer nachlassen. 131

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Brief an Stosch lamentierte Friedrich Wilhelm über die Kolonialpolitik: „Die plötzliche Leidenschaft für Colonial Politik ist ein reines Curiosum nachdem bis vor Kurzem jede Anregung auf diesem uns völlig neuen Gebiet, mit Entrüstung zurückgewiesen ward. Es geht diese Unternehmung nunmehr ihren Gang, aber sowohl die Kosten, wie die militairischen unvermeidlichen Einrichtungen welche Colonien erfordern, dürften Vielen unter den begeisterten Heißspornen Ueberraschungen bereiten.“ Es zeugt von bemerkenswerter Einfalt, daß der Kronprinz, obwohl ihm von Vertrauten die eigentlichen Hintergründe hinter diesen zwei gewaltigen Maßnahmen Bismarcks angedeutet oder sogar klargemacht waren, diese einfach ignorierte – aus Unvermögen oder aus Lethargie.

Wechselwirkungen von Bismarcks Kolonial- und Außenpolitik In dem eben zitierten Brief Friedrich Wilhelms vom 30. November 1884 findet sich auch der bemerkenswert abgeklärte Satz: „Einstweilen brüten die Mitglieder der Congo-Conferenz über die Verhältnisse eines ihnen unbekannten Stückes fremden Welttheils.“ Er gibt Anlaß, abschließend ein paar wenige Bemerkungen über die außenpolitischen Folgen und Begleiterscheinungen von Bismarcks Kolonialpolitik und seines alles beherrschenden Prävenire-Spiels im Hinblick auf den Thronwechsel zu machen. In der früheren Kolonialismusgeschichtsschreibung ist mitunter die These geäußert worden, daß Bismarck die deutschen Kolonien nur deshalb habe erwerben können, weil er die internationale Situation als günstig vorgefunden (englisch-französische und englisch-russische Spannungen) und sie entsprechend ausgenutzt habe. Das ist nach dem bisher Gesagten und aufgrund der vorliegenden Quellen nicht richtig, enthält aber dennoch ein Quentchen Wahrheit. Die in Band 5 der „Documents diplomatiques français“ veröffentlichten französischen amtlichen Quellen geben hinreichend Auskunft darüber, daß der Phase der deutsch-englischen Entfremdung und Spannungen 1884/85 eine deutsch-französische Entspannung und vorübergehende Zweckgemeinschaft korrespondiert, indes keineswegs eine freundschaftliche Allianz. Bismarck hat in diversen vertraulichen Gesprächen mit dem französischen Botschafter in Berlin, Alphonse Baron de Courcel, diesem nahezubringen versucht, daß ein deutsch-französisches Zusammengehen in Kolonialfragen, in der Ägyptenfrage und in der Kongofrage seiner Hoffnung entspringe, die Franzosen die Niederlage von 1871 vergessen zu machen135. Das ist ein bei Bismarck sonst nicht anzutreffendes Wunschden___________ 135

Z.B. DDF V S. 502; Bismarck, GW VIc S. 308.

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ken. Sein eigentliches Ziel, mit Hilfe des deutsch-französischen Rapprochements England um so mehr in dem oben dargelegten Sinn unter Druck zu setzen, hat er dagegen erreicht, solange ihm das nützlich erschien, also bis zum Frühjahr 1885. Skepsis und Enttäuschung über die beiderseitigen Annäherungsversuche gehen sowohl aus den französischen wie auch aus den deutschen Quellen hervor. So betonte Ministerpräsident Jules Ferry in einem Erlaß nach Berlin vom 8. November 1884, daß er mit der deutsch-französischen Entente in der Kongo-Angelegenheit kein „neues politisches System“ zu inaugurieren gedenke136. Er wollte sich stets die Tür zur Verständigung mit England offenhalten und zeigte sich dankbar für englische Versuche, im französischchinesischen Krieg zu vermitteln137. Die Freundschaft mit Deutschland charakterisierte Courcel Ende Dezember 1884 als „amitié orageuse“, wenn sie nicht die Form einer unterwürfigen Unterordnung unter die Wünsche Berlins annehme138. Aus den deutschen Quellen geht die reine Funktionalität der vorübergehenden Entente mit Frankreich mit wünschenswerter Deutlichkeit hervor. Als Ende August 1884 von Bismarcks Seite der französischen Regierung Vorschläge über gemeinsames Vorgehen im Hinblick auf die protektionistische Handelspolitik Englands in Westafrika gemacht wurden, notierte Holstein in seinem Tagebuch139: „Jetzt, wo wir Kolonialpolitik machen, wäre ein solches Abkommen mit Frankreich recht nützlich, um die Engländer einzuschüchtern [ . . . ] . Wie lange die Abmachung hält, ist eine Nebenfrage, je kürzer desto besser. Sie hat ihren Zweck erfüllt, wenn Gladstone gestürzt ist.“ Herbert von Bismarck hob wenige Tage später die deutschfranzösischen Beziehungen ins Grundsätzliche, als er seinem Bruder schrieb140: „Frankreich wird doch n i e und n i m m e r unser Freund und wird über uns herfallen, sobald es starke Allianzen findet, mögen wir ihm jetzt zu Gefallen [wegen Ägyptens] tun, was wir wollen.“ Bismarck selbst drängte auf baldigen Zusammentritt der Kongokonferenz in Berlin, die von ihm und Frankreich vorbereitet wurde, um im Zusammenhang mit seiner Kolonialpolitik einen weiteren Paukenschlag für den Reichstagswahlkampf auszuführen141. Als im September in der deutschen Presse die Idee einer deutsch-französischen Allianz besprochen wurde, quittierte sie Wilhelm I. mit der Bemerkung142: „Bei den Zuständen, die nun bald ein Jahrhundert in Frankreich toben, ohne dass es zur Ruhe kommen kann, wird etwas mehr ___________ 136 137 138 139 140 141 142

DDF V S. 465. Ebd. S. 512. Ebd. S. 525. Holstein, Die geheimen Papiere II S. 168. H. v. Bismarck, Privatkorrespondenz S. 259. Nr. 202. Nr. 221.

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als eine freundliche Annäherung, nie zu empfehlen sein.“ Bismarck sekundierte143 ihm, er werde niemals dazu raten, „daß Ew. M. die Zukunft unserer Politik auf so unsichere Grundlagen basierten“. Am 26. Februar wurden in Berlin die internationale Kongo-Akte und am 17. März 1885 in London die ägyptische Finanzkonvention unterzeichnet. Damit hatte die deutsch-französische Zusammenarbeit ihre Schuldigkeit getan. Im März wurde gleichfalls unter den deutsch-englischen Kolonialstreit ein Schlußstrich gezogen, so daß die deutsche Kolonialpolitik ihren Hauptzweck erfüllt hatte. Waren auch die deutsch-russischen Beziehungen von Bismarcks Kolonialabenteuer und von dem damit verbundenen Ziel, dem Thronwechsel vom konservativen Wilhelm I. zum liberalen neuen Kaiser vorzuarbeiten, beeinflußt? Direkt und indirekt hingen all diese Probleme miteinander eng zusammen. Der Eckstein in Bismarcks Bündnissystem waren tragfähige Beziehungen zum konservativen Rußland. Die Vorstellung war daher in seinen Augen sehr wohl begründet, daß eine anglophile Außenpolitik des neuen Kaisers, die eine enge Anlehnung an England zum Ziel haben würde, diesen Eckstein aus dem System herausbrechen würde. England und Rußland standen 1884/85 wegen des russischen Vordringens über Merv hinaus in Richtung Herat (Afghanistan) in äußerst gespannten Beziehungen, die im Frühjahr (März/April) 1885 zu beiderseitigen Kriegsrüstungen führten. Wie Ägypten in den französisch-englischen Beziehungen war Afghanistan in den englisch-russischen Beziehungen für Bismarck „ein Geschenk des Himmels“. Schon am 12. Februar 1884 wies er Schweinitz in Petersburg an144, daß eine russische Annexion Bucharas „dem europäischen Frieden, wenigstens soweit wir in Betracht kämen“, einen großen Dienst erweisen würde. Im Mai 1885, als der englisch-russische Konflikt über Herat gerade seinen Höhepunkt überschritten hatte, notierte sich Holstein den Zusammenhang mit dem Thronwechsel in Deutschland in seinem Tagebuch145: Es sei ein Unglück, daß der englisch-russische Konflikt wegen Afghanistans jetzt nicht ausgebrochen sei, denn unter der Regierung des Kronprinzen würde „Deutschland als englischer Vasall zur Heeresfolge herangezogen werden“. Bismarck habe sich unlängst dazu geäußert: „Die Russen würden viel energischer in der afghanischen Frage vorgehen, wenn sie nicht fürchteten, daß unser Kaiser mal plötzlich über Nacht stirbt.“ Dieses zögernde Verhalten und die Begründung dafür sind aus den russischen Quellen auch direkt überliefert. Als im Zusammenhang mit der Verlängerung des Dreikaiserbündnisses sich der russische Außenminister Nikolaj K. Giers im November 1883 in Berlin aufhielt und sich für ___________ 143 144 145

Bismarck, GW VIc S. 308. Nr. 67. Nr. 306.

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russische Truppenverstärkungen an der deutsch-russischen Grenze rechtfertigen mußte, warf er einen Blick in die Zukunft146: Solange Kaiser Wilhelm I. regiere, fürchte Rußland keinen Angriffskrieg von deutscher Seite, „daß aber bei etwaigem Thronwechsel dieselbe Sicherheit der Überzeugung nicht mehr haltbar sei, und der englische Einfluß möglicherweise an unserm [dem deutschen] Hofe prävalieren könne“. Eine noch größere Rolle in dem Beziehungsdreieck England – Rußland – Deutschland spielte 1884/85 (und darüber hinaus bis 1888) die von der Kronprinzessin (und der Königin Victoria von England) intensiv betriebene Verheiratung ihrer Tochter Viktoria mit Alexander von Battenberg (aus dem Hause Hessen), dem Fürsten von Bulgarien. Bismarck wandte sich vehement gegen eine solche Liaison, da er Bulgarien der russischen Interessensphäre zurechnete und daher die deutsch-russischen Beziehungen auf keinen Fall einer Belastungs- oder gar Zerreißprobe ausgesetzt wissen wollte. In den Personen der Kronprinzessin und des Reichskanzlers traten sich zwei Kontrahenten gegenüber, die mit größter Energie ihr jeweiliges Ziel durchsetzen wollten. Kaiser Wilhelm und zunächst noch der Kronprinz lehnten die geplante Heirat aus Gründen der Unebenbürtigkeit (Fürst Alexander stammte aus einer morganatischen Ehe), aber auch wegen der unsicheren Stellung des Fürsten in Bulgarien strikt ab147. Bismarck drohte in den Auseinandersetzungen immer wieder mit Rücktritt148 und hielt dem Fürsten bei dessen Deutschlandbesuch im Mai 1884 eine entsprechende Standpauke149: Er setzte ihm die politische Unmöglichkeit der geplanten Heirat auseinander und riet ihm zu bedingungsloser Anlehnung an Rußland oder zur Abdankung. Ein knappes Jahr später befolgte der Fürst diesen Rat und versicherte dem deutschen Kaiser150, daß er trotz großer Zuneigung zur Prinzessin Viktoria dessen Befehl erfülle, mit ihr keine Verbindung einzugehen. Er versprach in seiner Außenpolitik Anlehnung an Rußland und in seiner Innenpolitik Vertretung der russischen Interessen, deutete aber zugleich seinen Rücktritt an. Das weitere Tauziehen um die Heirat in der Folgezeit interessiert hier nicht. Wichtig ist aber, noch auf die innere Haltung des deutschen Kronprinzen in der Sache hinzuweisen: Bulgarien sah er nicht wie Bismarck als russische, sondern als englische Interessensphäre (ein Standpunkt, den in England vor allem Gladstone vertrat) an – in dem Sinne, daß Bulgarien als Damm gegen Rußland auf dem Weg nach Konstantinopel fungieren und Deutschland es dabei unterstützen müsse151. Da Bismarck derlei Ansichten ___________ 146 147 148 149 150 151

Nr. 43. Vgl. vor allem Nr. 121 und 131. Vgl. z.B. Nr. 133. Nr. 136. Nr. 296. Nr. 167. Vgl. auch Beloved Mama S. 145.

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des Kronprinzen kennen mußte, ist sein hartnäckiger Widerstand gegen die Battenberg-Liaison um so verständlicher.

Zusammenfassung Was hat Bismarck mit seinen zahlreichen Maßnahmen, um der von ihm albtraumartig gefürchteten Neuorientierung der deutschen Innen- und Außenpolitik nach einem Thronwechsel vorzubauen, erreicht? Er hat dabei das klassische Mittel von Zuckerbrot und Peitsche umfassend eingesetzt. Seinem unbeugsamen Kampfgeist entsprechend hat er mehr die Peitsche geschwungen als mit dem Zuckerbrot gelockt. Der stärkste Peitschenhieb war die Inaugurierung der von ihm zuvor abgelehnten Kolonialpolitik in dem Sinne des direkten Kolonialerwerbs. Dies mußte zu hohen Spannungen im Verhältnis zu England führen. Zur Beruhigung der mutwillig inszenierten Spannungen war, so das Kalkül, für den Thronfolger nur ein Hexenmeister vom Schlage und von der europäischen Autorität eines Bismarck einsetzbar. Die Kolonialpolitik sollte im besonderen das Kabinett Gladstone treffen, dessen Ansehen im Innern und nach außen unterminieren und es womöglich zum Sturz bringen. Weitere Peitschenhiebe waren die Kaltstellung oder Verächtlichmachung liberaler deutscher Politiker, die eine künftige Regierung nach dem Thronwechsel anführen konnten: Der ärgste Rivale, General Stosch, war schon im Frühjahr 1883 ausgebootet; Lasker war verstorben und wurde von Bismarck bis übers Grab hinaus verfolgt; Forckenbecks wurde Bismarck indes nie habhaft; aber enge, liberal gesinnte Vertraute wurden aus der höfischen Umgebung des Kronprinzen – wie Normann und Mischke – entfernt; der im Hohenzollernhaus hochgeachtete Diplomat Graf Münster wurde auf seinem Londoner Posten systematisch erniedrigt, bis er 1885 nach Paris versetzt werden konnte. Die Kolonialpolitik wurde auch vorübergehend als populäres Instrument für den Reichstagswahlkampf im Sommer und Herbst 1884 eingesetzt; mit allen diesen „Peitschenhieben“ sollte auch der liberale und anglophile Kronprinz (und die Kronprinzessin) direkt getroffen und „weichgeklopft“ werden. Seiner künftigen Politik wurden verschiedene Fesseln angelegt: durch Bismarcks angekündigten, aber wegen des Widerstands des Kaisers nicht bewerkstelligten Rückzug aus den preußischen Ämtern; durch die Wiederbelebung des Staatsrats, was der Kronprinz als Zuckerbrot empfand, da er ihm präsidieren wollte und sollte, was aber zu seiner konservativen Einhegung gedacht war; das Werben um die führenden Köpfe unter den Nationalliberalen (Miquel, Bennigsen), die in den Staatsrat berufen wurden und dem Kronprinzen in einem zukünftigen Kabinett sehr genehm sein mußten.

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Wann läßt sich der Zeitpunkt ausmachen, zu dem der Kronprinz (und hinter ihm die Kronprinzessin) es aufgab, Bismarck beim Thronwechsel aufs Altenteil zu setzen? Wann also entschloß er sich, ihn wiederzuverwenden? Es war kein plötzlicher Entschluß, sondern zunächst seit Sommer 1884 Ärger über Bismarcks antienglische Attitüde und deren Widerhall in der deutschen Öffentlichkeit und schließlich eine langsam sich entwickelnde Resignation. Im ersten Halbjahr 1885 ist sie deutlich auszumachen. Beobachter hatten sie aber schon ein Jahr zuvor kommen sehen. So berichtete am 19. Januar 1884 der österreichisch-ungarische Botschafter in Berlin152: „Sollte heute oder morgen [ . . . ] ein Regierungswechsel eintreten, so glaube ich [ . . . ] , daß der neue Regent nicht umhin wird können, den Reichskanzler in seinen Würden und Ämtern zu bestättigen, und auch Bismarck dürfte [ . . . ] sich bestimmen lassen zu bleiben, um die weitere Consolidirung seiner Schöpfung nicht in andere, vielleicht unfähige oder in einem verschiedenen Geiste wirkende Hände legen zu müssen.“ Etwa ein Jahr später, am 11. Februar 1885, schrieb Waldersee in sein Tagebuch153: „Es sieht [im kronprinzlichen Haus] beinahe so aus, als ob das Gefühl zum Durchbruch kommt, mit einem völlig liberalen Regiment nicht debütieren zu können, und man nach Leuten mittlerer Schattierung sucht. [ . . . ] Die große Klippe liegt beim Kanzler. [ . . . ] Wie soll der Kanzler auswärtige Politik treiben, wenn die künftige Kaiserin, durch die Schwäche des Gemahls, Mitwisserin der Politik, im Herzen englisch gesinnt ist? Wen soll andererseits der Kronprinz als Kanzler nehmen? Er hat keinen brauchbaren!“ Als der alte Kaiser Ende Juni 1885 in Bad Ems während der Erholung in eine tiefe Ohnmacht fiel und seine Umgebung das Ende als unmittelbar bevorstehend empfand, wurden in Berlin sowohl im kronprinzlichen Haus als auch seitens des Kanzlers ernsthafte Überlegungen über dessen Verbleib im Amt angestellt154. Die Kronprinzessin schrieb am 1. Juli einen langen Brief an Minister Heinrich von Friedberg, in dem sie über die historische und künftige Bedeutung des Thronwechsels sinnierte155. Der Brief liest sich wie ein Vermächtnis und sollte über Friedberg in die Hände Bismarcks gelangen. Das ist auf Betreiben des Kronprinzen nicht geschehen, offenbar weil der ganze Tenor auf die Psyche Bismarcks schlecht berechnet war. Aus dem Brief geht aber mit aller Klarheit hervor, daß die Kronprinzessin dringend wünschte, Bismarck für die kommende Regierung zu erhalten: Er solle die Brücke bauen, „welche uns sicher hinüber führen soll von den alten in die neuen Verhältnisse, welche sein eigenes Werk krönen und ___________ 152 153 154 155

Nr. 59. Nr. 267 Anm. 721. Nr. 325 und 328. Nr. 327. Dazu vgl. Kollander, Frederick III S. 150–152.

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vollenden soll“; der Kronprinz werde ihm „überflüssige Mühe“ ersparen und ihm die Arbeit erleichtern (das war gemünzt auf Bismarcks Vorhaben, sich aus den preußischen Geschäften zurückzuziehen). Am Schluß der langen Epistel wies sie den Vorwurf ins Reich der Fabel, sie habe ihr Engländertum beibehalten. Mit ausgestreckter Hand bat sie Bismarck um intensivere Fühlungnahme und Aussprache. Aus dem Kreis der Mitarbeiter beider Seiten wurde diese Aussprache umgehend zuwege gebracht156. Vom Chef des Kaiserlichen Militärkabinetts, General Emil von Albedyll, erfuhr Bismarck157, daß man im kronprinzlichen Hause (so Friedrich Wilhelm selbst) „im Falle des Thronwechsels eingesehen habe, auf alle Neuerungen durchaus verzichten und auf den gegenwärtigen Regierungs-Wegen bleiben zu müssen“. Er hatte nicht versäumt hinzuzufügen, „daß es nicht allein seine Ansicht sondern eine mit der Frau Kronprinzessin erwogene Sache“ sei. Die Aussprache fand am 7. Juli 1885 im Neuen Palais zu Potsdam statt. Der Kronprinz vermerkte dazu in seinem Tagebuch158: „[ . . . ] längere Unterredung mit ihm, anschließend an meine gestern in Ems empfangenen Eindrücke, wobei ich ihm sagte, daß wenn der Wechsel einträte ich auf ihn rechnete um Hand in Hand mit ihm die Geschäfte fortzuführen so daß keine Unterbrechung fühlbar würde, und wir Beide nur für das Wohl des Staats sorgend handelten.“ Bismarck hatte damit alles erreicht, was er mit seinen diversen Präventivmaßnahmen über anderthalb Jahre vorbereitet hatte: seinen Verbleib an der Spitze des Reiches. Das Schicksal verschob den Thronwechsel allerdings noch um fast drei Jahre auf das Jahr 1888, der dann unter anderen Umständen stattfand, als es sich die Beteiligten 1885 vorgestellt hatten.

___________ 156

Nr. 328 und 329; Holstein, Die geheimen Papiere II S. 228–230, 323–239, 241–242. 157 Nr. 330. 158 Nr. 332 Anm. 898.

Verzeichnis der nicht allgemein gebräuchlichen Abkürzungen Abg., Abgdt., Abgeordn. A.C. a.D. AHH Allerh. anl. art., Art. Ausw. BA BDFA bez., bezw., bz. Bon BPH c. cf. cit. Comp. cr dd, d.d. DDF dergl. dess. Mts. d.Js. dM., d.Ms., d.Mts, d.Mts. EE, EE., E.E. E.Ex. ehrf. Epp. event. Ew, Ew. Ew.Exc Ew.M, Ew.M. Ew.p., Ew.pp. Exp. Nro f.

Abgeordneter, Abgeordnetem Armeecorps außer Dienst Archiv der Hessischen Hausstiftung Allerhöchst anliegend(er) articulus, Artikel Auswärtigen Bundesarchiv British Documents on Foreign Affairs (vgl. im Quellen- und Literaturverzeichnis) beziehungsweise Baron Brandenburg-Preußisches Hausarchiv currentis (des laufenden . . . ) confer (vergleiche) citatus Compagnie (Gesellschaft) currentis (des laufenden . . . ) de dato (vom Tage, mit Datum vom) Documents diplomatiques français (vgl. im Quellen- und Literaturverzeichnis) dergleichen desselben Monats dieses Jahres dieses Monats Euer Excellenz ehrfurchtsvoll Euer perge, pergite (usw.) eventuell Euer Euer Excellenz Euer Majestät Euer perge, pergite (usw.) Expeditionsnummer folio

56

Verzeichnis der nicht allgemein gebräuchlichen Abkürzungen

fl Fr. frcs Frhr., Frhrn Fst, Fst G g.e. gef. geh. Geh. Rath, Geh. Räten Gf, Gf. g.geh. GLA GP GR Grf. GrMama G.S.S. GStAPK GW h H, H. HA HHStA HM’s Hn HStA i. I.M. Im. Vortrag Jan. Kais. Kbt., Kbt K.H. Köln. Ztg. Kons. Kpssin Kpz, Krnprzn, Kronprz Ksl. K.u.K. Ld, Ld. Leg.per.

Gulden Franken francs Freiherr(n), Freiherrn Fürst Geheim(en) ganz ergebenst gefälligen, gefälligst gehorsamst Geheimrat, Geheimräten Graf ganz gehorsamst Generallandesarchiv Große Politik der Europäischen Kabinette, Die – (vgl. im Quellen- und Literaturverzeichnis) Geheimrat Graf Großmama Gesetzessammlung Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Gesammelte Werke hora (Stunde) Herr(n) Hauptarchiv Haus-, Hof- und Staatsarchiv Her Majesty’s Herrn Hauptstaatsarchiv im Ihre Majestät Immediatvortrag Januar Kaiserlich(en) Kanonenboot Kaiserliche Hoheit Kölnische Zeitung Konservative; Konsorten Kronprinzessin Kronprinz(en) Kaiserlichen Kaiserliche und Königliche Lord Legislaturperiode

Verzeichnis der nicht allgemein gebräuchlichen Abkürzungen

LegRaths Littr. l.J. l.Mts. M, M. Maj. MdR m.E., M.E. Min. Mitgl. Mk. Mr, Mr., Mr N. NAZ N.F. N.F.A. Nm., N.M. No, No., No, Nr(o), Nro Nordd. Allg. Ztg., Norddeutsche A. Zeitung, Nordd. Z. o.O. p. p., pp. PA P.M. pptr pr. P.S. Pz. quaest. Reg. resp. RGBl Rk, RK., Rkanzler, Rkzler R.tag S., Se. S.D. Se. sel. sh. S.H. S.K.H., Sr.K.H. S.K.K.H.

57

Legationsraths Lit(t)era (Buchstabe) laufenden Jahres laufenden Monats Majestät; Mark; Mein; Morgens Majestät Mitglied des Reichstags meines/Meines Erachtens Minuten Mitglieder Mark Mister Nachmittag Norddeutsche Allgemeine Zeitung Neue Folge Neue Friedrichsruher Ausgabe (vgl. im Quellen- und Literaturverzeichnis unter Bismarck) nachmittags Numero Norddeutsche Allgemeine Zeitung ohne Ort pagina perge, pergite (usw.) Politisches Archiv Promemoria praeter propter (ungefähr) praeteriti (des vergangenen Jahres) Postscriptum Prinz quaestioni[e]rte (fragliche) Regierung respective Reichs-Gesetzblatt Reichskanzler Reichstag Seine(r) Seine(r) Durchlaucht Seine selige shilling Seine Hoheit Seine(r) Kaiserlichen Hoheit Seine Kaiserliche und Königliche Hoheit

58

Verzeichnis der nicht allgemein gebräuchlichen Abkürzungen

S.M. S.M. Kbt, S.M. kbt S.M.S., S.M.Sch. SrMama Sp. Sr. Sr. K.H. Sr.M., Sr.Maj. St, St. St. StA s.Z. telegr tit. u.A., U.A. videl. v.J., v.Jrs., v.Jrs. V.M. v.M, v.M., v.Mts., vor.Ms. Wirkl WLR xr Z., Ztg. z.Z., z.Zt. Meilen £ & < >

Seine Majestät Seiner Majestät Kanonenboot Seiner Majestät Schiff Schwiegermama Spalte Seine(r) Seiner Kaiserlichen Hoheit Seiner Majestät Santa Sterling Staatsarchiv seinerzeit telegraphisch titulus unter/Unter Anderem videlicet (nämlich) vorigen Jahres Vormittag vorigen Monats Wirklichen Wirklicher Legationsrat Kreuzer Zeitung zur Zeit Quadratmeilen Pfund (Sterling) et, und unsichere Lesung

Dokumentenverzeichnis Nr.

Aussteller und Empfänger

1* Bismarck an L. v. Gerlach 2* Tagebucheintragung E. L. v. Gerlachs 3* Gespräch Bismarcks mit Diest 4 Bismarck an Roon 5* Tagebucheintragung Friedrich Wilhelms 6* Tagebucheintragung M. Buschs 7* Friedrich I. von Baden an Gelzer 8* Normann an Freytag 9* B. E. Bülow an Hennings 10* Stosch an Freytag 11 Wilmowski an Bismarck 12 Bismarck an Wilhelm I. 13* Tagebucheintragung HohenloheSchillingsfürsts 14 Marginalien Bismarcks an einem Brief C. A. Buschs an H. v. Bismarck 15 Széchényi an Kálnoky 16 Notiz Brauers 17* Friedrich Wilhelm an Bismarck 18* Bismarck an Friedrich Wilhelm 19 Pasetti an Kálnoky 20* Lüderitz an das Auswärtige Amt 21* Hatzfeldt an H. v. Bismarck 22 Marginalien Bismarcks Tagebucheintragung Tiedemanns Tagebucheintrag HohenloheSchillingsfürsts 25* Protokoll der Plenarsitzung der Handelskammer Hamburg 26 H. v. Bismarck an das Auswärtige Amt 27 Stephan an Bismarck

23 24

Ort

Datum

S.

Frankfurt a.M. [o.O.]

8. April 1856 26. September 1865

71 71

[Anfang August 1867] Berlin 9. Januar 1868 [Hauptquartier 31. Dezember 1870 Versailles] [vor Paris] 9. Februar 1871 Berlin 20. März 1872 Potsdam 6. Juli 1873 Berlin 17. Januar 1875 Berlin 26. Dezember 1877 Berlin 20. März 1878 Berlin 11. Juli 1879 Berlin 22. Februar 1880

71

74 75 75 76 76 76 78 80

Berlin

3. Januar 1881

80

Berlin Berlin Potsdam Varzin Berlin Bremen Berlin [o.O.]

81 86 87 87 87 89 89 90

[o.O.] Paris

14. Januar 1882 25. Juli 1882 4. September 1882 7. September 1882 28. Oktober 1882 23. November 1882 4. Februar 1883 14./16. Februar 1883 5. Mai 1883 8. Juni 1883

Hamburg

22. Juni 1883

92

Kissingen

15. August 1883

93

Berlin

15. August 1883

94

[o.O.]

72 74

90 91

60

Nr.

28 29 30 31 32 33 34* 35

Dokumentenverzeichnis

Aussteller und Empfänger

Ort

Datum

Fabri an Lüderitz Viktoria an Friedrich Wilhelm Diktat Bismarcks Caprivi an Bismarck C. A. Busch an Plessen H. v. Bismarck an Stephan H. v. Bismarck an P. zu Eulenburg Viktoria an Friedrich Wilhelm

Barmen Potsdam Kissingen Berlin Berlin Gastein Gastein Potsdam

16. August 1883 23. August 1883 26. August 1883 31. August 1883 6. September 1883 6. September 1883 7. September 1883 15. September 1883 22. Oktober 1883 26. Oktober 1883

36* Bismarck an Wilhelm I. 37* Tagebucheintragung HohenloheSchillingsfürsts 38 Rantzau an Holstein 39* Stosch an Freytag 40 Wilhelm I. an Bismarck 41* Hatzfeldt an H. v. Bismarck 42 Viktoria an Friedrich Wilhelm 43* Bismarck an Wilhelm I. 44* Lüderitz an Bismarck 45 Rantzau an das Auswärtige Amt 46 Promemoria Kusserows 47* 48 49* 50* 51 52* 53 54 55 56* 57* 58* 59 60 61* 62 63 64 65

Tagebucheintragung Spitzembergs Tagebucheintragung Waldersees Hatzfeldt an Wentzel C.A. Busch an Münster Tagebucheintragung Waldersees Tagebucheintragung Holsteins Tagebucheintragung Friedrich Wilhelms Tagebucheintragung Holsteins Tagebucheintragung Waldersees Tagebucheintragung Holsteins Resolutionsantrag Ochiltrees im amerikanischen Repräsentantenhaus Bismarck an Boetticher Széchényi an Kálnoky Bismarck an das Auswärtige Amt Tagebucheintragung Holsteins Stosch an Freytag Rantzau an Rottenburg Rantzau an das Auswärtige Amt Promemoria Bosses

Friedrichsruh Berlin Friedrichsruh Oestrich Berlin Berlin Wiesbaden Friedrichsruh Bremen Friedrichsruh Berlin

S. 100 100 102 102 104 105 106 107 108 108

Friedrichsruh [o.O.] Berlin Berlin [o.O.] [o.O.] [o.O.]

3. November 1883 6. November 1883 7. November 1883 12. November 1883 14. November 1883 16. November 1883 20. November 1883 23. November 1883 [Ende] November 1883 2. Dezember 1883 17. Dezember 1883 22. Dezember 1883 31. Dezember 1883 5. Januar 1884 5. Januar 1884 5. Januar 1884

109 110 110 112 112 115 116 116 117 121 121 122 122 122 123 123

[o.O.] [o.O.] [o.O.] [Washington]

6. Januar 1884 9. Januar 1884 9. Januar 1884 9. Januar 1884

124 125 126 126

Friedrichsruh Berlin Friedrichsruh [o.O.] Oestrich Friedrichsruh Friedrichsruh [o.O.]

13. Januar 1884 19. Januar 1884 26. Januar 1884 27. Januar 1884 28. Januar 1884 31. Januar 1884 3. Februar 1884 5. Februar 1884

127 127 131 131 132 132 133 135

Dokumentenverzeichnis

Nr.

66* 67 68 69 70 71 72 73 74 75* 76 77 78 79 80 81* 82 83 84 85 86 87 88 89 90* 91 92* 93* 94* 95* 96 97* 98 99 100 101 102 103 104 105

61

S.

Aussteller und Empfänger

Ort

Datum

Tagebucheintragung Holsteins Rantzau an das Auswärtige Amt Tagebucheintragung Tiedemanns Tagebucheintragung Tiedemanns Marschall von Bieberstein an Turban Münster an Bismarck Bismarck an Puttkamer Bismarck an Puttkamer Puttkamer an Bismarck Bismarck an Schweinitz Promemoria Hatzfeldts Votum Puttkamers Rantzau an das Auswärtige Amt Votum Lucius’ von Ballhausen Rantzau an Rottenburg Tagebucheintragung Bambergers Votum Goßlers Rantzau an das Auswärtige Amt Bismarck an Eisendecher Tagebucheintragung Friedrich Wilhelms Bismarck an Eisendecher Votum Boettichers H. v. Bismarck an Rantzau Wilhelm I. an Hatzfeldt Tagebucheintragung Holsteins Stephan an Bismarck Tagebucheintragung Waldersees Reichstagsrede Bismarcks Nostitz-Wallwitz an Fabrice Ampthill an Granville Sargent an Frelinghuysen Protokoll einer Sitzung des Preußischen Staatsministeriums Votum Bismarcks Liebe an Jansen Hatzfeldt an Nachtigal Bismarck an Münster Meier an Gildemeister Versmann an Petersen Tagebucheintragung Pindters Liebe an Jansen

[o.O.] Friedrichsruh [Friedrichsruh] [Friedrichsruh] Berlin

7. Februar 1884 12. Februar 1884 14. Februar 1884 15. Februar 1884 20. Februar 1884

138 139 140 140 142

London Friedrichsruh Friedrichsruh Berlin Friedrichsruh Berlin Berlin Friedrichsruh Berlin Friedrichsruh [o.O.] Berlin Friedrichsruh Friedrichsruh [o.O.]

20. Februar 1884 22. Februar 1884 24. Februar 1884 24. Februar 1884 26. Februar 1884 28. Februar 1884 29. Februar 1884 1. März 1884 1. März 1884 2. März 1884 2. März 1884 3. März 1884 4. März 1884 5. März 1884 6. März 1884

143 146 147 148 149 149 153 155 156 160 161 161 164 165 167

Friedrichsruh Berlin St. Petersburg Berlin [o.O.] Berlin [o.O.] Berlin Berlin Berlin Berlin Berlin

7. März 1884 8. März 1884 8. März 1884 9. März 1884 9. März 1884 10. März 1884 11. März 1884 13. März 1884 14. März 1884 15. März 1884 15. März 1884 16. März 1884

168 169 171 171 172 172 179 179 180 181 181 183

Berlin Berlin Berlin Berlin Berlin Berlin [o.O.] Berlin

20. März 1884 23. März 1884 29. März 1884 2. April 1884 2. April 1884 2. April 1884 5. April 1884 6. April 1884

183 187 189 190 192 195 200 200

62

Dokumentenverzeichnis

S.

Nr.

Aussteller und Empfänger

Ort

Datum

106 107 108 109

Promemoria Kusserows Podewils an Crailsheim Wilhelm I. an Wilmowski Tagebucheintragung Friedrich Wilhelms Széchényi an Kálnoky Preußisches Staatsministerium an Wilhelm I. Tagebucheintragung Holsteins Tagebucheintragung Holsteins Baur-Breitenfeld an Mittnacht Nostitz-Wallwitz an Fabrice Bismarck an Radolinski Tagebucheintragung Holsteins Protokoll einer vertraulichen Besprechung des Preußischen Staatsministeriums Tagebucheintragung Holsteins Hatzfeldt an Hohenlohe Tagebucheintragung Friedrich Wilhelms Hatzfeldt an Schmidthals Rantzau an H. v. Bismarck Wilhelm I. an das Preußische Staatsministerium Krüger an Petersen Tagebucheintragung Holsteins Lüderitz an das Auswärtige Amt Bismarck an Lippert Crailsheim an Ludwig II. Stosch an Normann Wilhelm I. an Bismarck Bismarck an Münster Tagebucheintragung Holsteins Münster an Bismarck Bismarck an Münster Diktat Bismarcks Münster an Bennigsen Fabri an Bismarck Tagebucheintragung Holsteins Bismarck an Nachtigal Notiz Hatzfeldts Hatzfeldt an Münster Münster an das Auswärtige Amt

Berlin Berlin Berlin [o.O.]

8. April 1884 9. April 1884 11. April 1884 12. April 1884

202 210 211 212

Berlin Berlin

12. April 1884 14. April 1884

213 215

[o.O.] [o.O.] Berlin Berlin Berlin [.o.O.] Berlin

14. April 1884 15. April 1884 15. April 1884 15. April 1884 16. April 1884 16. April 1884 17. April 1884

219 220 220 222 223 224 225

[o.O.] Berlin [o.O.]

17. April 1884 17. April 1884 18. April 1884

226 227 228

Berlin Berlin Berlin

18. April 1884 19. April 1884 20. April 1884

228 229 230

Berlin [o.O.] Berlin Berlin Berlin Oestrich Berlin Berlin [o.O.] London Berlin [o.O.] London Bremen [o.O.] Berlin Berlin Berlin London

20. April 1884 21. April 1884 22. April 1884 24. April 1884 25. April 1884 26. April 1884 4. Mai 1884 5. Mai 1884 5. Mai 1884 8. Mai 1884 11. Mai 1884 12. Mai 1884 15. Mai 1884 17. Mai 1884 17. Mai 1884 19. Mai 1884 19. Mai 1884 21. Mai 1884 21. Mai 1884

230 235 235 235 236 239 242 243 243 244 244 244 246 247 249 250 250 251 251

110 111 112* 113* 114 115 116 117* 118

119* 120* 121 122* 123 124 125 126* 127* 128* 129 130 131 132* 133* 134* 135* 136 137* 138 139* 140* 141 142 143

Dokumentenverzeichnis

63

S.

Nr.

Aussteller und Empfänger

Ort

Datum

144* 145* 146* 147* 148 149 150 151

Hatzfeldt an Bismarck Hatzfeldt an Münster Bismarck an Münster Prinz Wilhelm an Alexander III. Münster an Bismarck Münster an Bismarck Wilhelm I. an Karl Alexander W. v. Bismarck an das Auswärtige Amt Bismarck an Münster Hatzfeldt an Münster Tagebucheintragung Holsteins Münster an Bismarck Ampthill an Granvillle Münster an Bismarck Bismarck an Münster Bismarck an Münster H. v. Bismarck an Bismarck H. v. Bismarck an Bismarck Münster an das Auswärtige Amt H. v. Bismarck an Bismarck Hatzfeldt an Münster Bismarck an Wilhelm I. Széchényi an Kálnoky Prinz Wilhelm an Wilhelm I. Lerchenfeld an Ludwig II. H. v. Bismarck an Bismarck Protokoll der Sitzung der Budgetkommission des Reichstags H. v. Bismarck an Bismarck Baur-Breitenfeld an UxkullGyllenband Münster an Bismarck Tagebucheintragung Oldenburgs Széchényi an Kálnoky Stosch an Friedrich Wilhelm Stosch an Freytag Freytag an Stosch H. v. Bismarck an Bismarck Stosch an Bronsart v. Schellendorff Széchényi an Kálnoky Friedrich Wilhelm an Stosch

Berlin Berlin Friedrichsruh Kreml London London Berlin Friedrichsruh

24. Mai 1884 24. Mai 1884 25. Mai 1884 25. Mai 1884 26. Mai 1884 26. Mai 1884 27. Mai 1884 29. Mai 1884

252 253 253 253 254 257 259 261

Friedrichsruh Berlin [o.O.] London Berlin London Berlin Berlin London London London London Berlin Berlin Berlin [Potsdam] Berlin London [Berlin]

1. Juni 1884 4. Juni 1884 6. Juni 1884 6. Juni 1884 7. Juni 1884 7. Juni 1884 10. Juni 1884 14. Juni 1884 14. Juni 1884 16. Juni 1884 17. Juni 1884 17. Juni 1884 18. Juni 1884 21. Juni 1884 21. Juni 1884 22. Juni 1884 22. Juni 1884 22. Juni 1884 23. Juni 1884

264 264 265 265 270 270 270 271 274 275 276 277 277 278 280 283 285 286 287

London Berlin

24. Juni 1884 28. Juni 1884

298 301

London [o.O.] Berlin Oestrich Oestrich Siebleben London Oestrich

28. Juni 1884 4. Juli 1884 5. Juli 1884 7. Juli 1884 8. Juli 1884 9. Juli 1884 11. Juli 1884 15. Juli 1884

303 304 304 308 310 310 310 311

Berlin Potsdam

19. Juli 1884 20. Juli 1884

312 313

152* 153* 154* 155 156* 157* 158* 159 160 161* 162 163* 164 165 166 167 168 169* 170 171 172 173 174* 175 176 177* 178* 179* 180 181 182

64

Nr.

Dokumentenverzeichnis

Aussteller und Empfänger

183* Tagebucheintragung Lucius’ von Ballhausen 184 Stosch an Freytag 185* Ampthill an Granville 186* Münster an Bismarck 187 Viktoria an Augusta 188 H. v. Bismarck an Plessen 189* Bismarck an Münster 190* Lüderitz an Bismarck 191 Prinz Wilhelm an Bismarck 192* Schrader an Stauffenberg 193 Bismarck an Prinz Wilhelm 194* Hatzfeldt an Plessen 195 B. v. Bülow an H. v. Bismarck 196* Nachtigal an Bismarck 197* H. v. Bismarck an Holstein 198 H. v. Bismarck an Plessen 199 W. v. Bismarck an das Auswärtige Amt 200* H. v. Bismarck an Granville 201 Tavera an Kálnoky 202* W. v. Bismarck an Holstein 203* H. v. Bismarck an W. v. Bismarck 204 H. v. Bismarck an W. v. Bismarck 205 Holstein an H. v. Bismarck 206 Friedrich Wilhelm an Viktoria 207 C. A. Busch an Bismarck 208 Wilhelm I. an Bismarck 209* Granville an Gladstone 210 H. v. Bismarck an Plessen 211 Viktoria an Friedrich Wilhelm 212 Bismarck an Wilhelm I. 213* Tagebucheintragung Holsteins 214* Tagebucheintragung Holsteins 215* W. v. Bismarck an Holstein 216* Aufzeichnung H. v. Bismarcks 217* Bismarck an Wilhelm I. 218* H. v. Bismarck an Bismarck 219 Granville an H. v. Bismarck 220 Wilhelm I. an Bismarck 221 Wilhelm I. an Bismarck 222 Marschall an Turban 223* Aufzeichnung H. v. Bismarcks

Ort

Datum

[o.O.]

22. Juli 1884

S. 316

Oestrich 30. Juli 1884 Berlin 2. August 1884 London 8. August 1884 Osborne Cottage 11./13. August 1884 Königstein 11. August 1884 Varzin 12. August 1884 Berlin 12. August 1884 [Potsdam] 17. August 1884 Zoppot 21. August 1884 Varzin 22. August 1884 Berlin 22. August 1884 Potsdam 23. August 1884 Madeira 23. August 1884 Königstein 24. August 1884 Königstein 25. August 1884 Varzin 25. August 1884

317 318 318 319 320 321 322 322 323 323 325 326 328 328 328 330

Königstein Berlin [Varzin] Königstein Königstein Berlin Berlin Berlin Berlin Walmer Castle Königstein Balmoral Berlin [o.O.] [o.O.] [o.O.] Mar Lodge Friedrichsruh Dupplin Castle Walmer Castle Baden Baden Berlin Paris

330 331 332 333 333 334 335 336 337 338 338 339 340 343 343 343 344 344 344 345 346 349 351 355

30. August 1884 30. August 1884 1. September 1884 1. September 1884 2. September 1884 5. September 1884 6. September 1884 6. September 1884 7. September 1884 7. September 1884 8. September 1884 9. September 1884 14. September 1884 19. September 1884 23. September 1884 24. September 1884 24. September 1884 29. September 1884 1. Oktober 1884 2. Oktober 1884 3. Oktober 1884 3. Oktober 1884 5. Oktober 1884 5. Oktober 1884

Dokumentenverzeichnis

Ort

Nr.

Aussteller und Empfänger

224 225* 226* 227* 228 229* 230 231*

Wilhelm I. an Bismarck Baden Bismarck an Wilhelm I. Friedrichsruh Tagebucheintragung Waldersees [o.O.] H. v. Bismarck an Holstein Friedrichsruh Friedrich Wilhelm an Augusta Gries-Bozen Viktoria an M. Ponsonby Gries-Bozen Holstein an H. v. Bismarck Berlin Tagebucheintragung Lucius’ von [o.O.] Ballhausen Tagebucheintragung Holsteins [o.O.] Lerchenfeld an Ludwig II. Berlin Promemoria Kusserows Berlin Viktoria an Friedrich Wilhelm Gries-Bozen Viktoria an Friedrich Wilhelm Gries-Bozen Viktoria an Friedrich Wilhelm Gries-Bozen Aufzeichnung Rottenburgs Berlin Tagebucheintragung Holsteins [o.O.] Friedrich Wilhelm an Stosch Berlin Bismarck an Münster [o.O.] Tagebucheintragung Holsteins [o.O.] Tagebucheintragung Lucius’ von [o.O.] Ballhausen H. v. Bismarck an B. v. Bülow Berlin Viktoria an Victoria Berlin Münster an Friedrich Wilhelm Knowsley Hall Rede Bismarcks vor dem Reichstag [Berlin] Liebe an Jansen Berlin Bismarck an Münster Berlin Bismarck an Reuß Berlin Széchényi an Kálnoky Berlin Bismarck an Münster Berlin Münster an Bismarck London Bismarck an Münster Berlin Malet an Granville Berlin Malet an Granville Berlin Bismarck an Münster Berlin Gladstone an Granville Liverpool Tagebucheintragung Hamiltons [o.O.] Münster an Bismarck London Bismarck an Münster Berlin Malet an Granville Berlin Granville an Malet London Bismarck an Münster Berlin

232* 233 234 235 236 237 238 239* 240 241* 242* 243* 244 245 246 247* 248 249 250 251 252 253 254* 255* 256* 257* 258* 259* 260 261* 262* 263* 264

65

Datum

S.

7. Oktober 1884 9. Oktober 1884 10. Oktober 1884 11. Oktober 1884 16. Oktober 1884 17. Oktober 1884 17. Oktober 1884 25. Oktober 1884

355 357 357 358 358 359 360 360

26. Oktober 1884 26. Oktober 1884 31. Oktober 1884 7. November 1884 8. November 1884 13. November 1884 16. November 1884 17. November 1884 30. November 1884 5. Dezember 1884 13. Dezember 1884 15. Dezember 1884

361 361 363 367 370 371 372 372 373 375 375 375

19. Dezember 1884 30. Dezember 1884 31. Dezember 1884 10. Januar 1885 11. Januar 1885 14. Januar 1885 17. Januar 1885 17. Januar 1885 21. Januar 1885 21. Januar 1885 24. Januar 1885 24. Januar 1885 24. Januar 1885 25. Januar 1885 29. Januar 1885 29. Januar 1885 2. Februar 1885 3. Februar 1885 7. Februar 1885 7. Februar 1885 17. Februar 1885

376 377 378 380 380 382 384 385 387 388 390 391 391 392 392 393 394 395 396 396 397

66

Dokumentenverzeichnis

Ort

Nr.

Aussteller und Empfänger

265 266

Bismarck an Münster Berlin [o.O.] Tagebucheintragung Friedrich Wilhelms Károlyi an Kálnoky London Bismarck an Schweinitz Berlin Berlin Kusserow an Woermann H. v. Bismarck an B. v. Bülow Berlin Malet an Granville Berlin Berlin Schutzbrief Wilhelms I. betr. Ostafrika Baur-Breitenfeld an Mittnacht Berlin Münster an Bismarck London [o.O.] Tagebucheintragung Friedrich Wilhelms Note Münsters an Granville London Scott an Sanderson Berlin H. v. Bismarck an Bismarck London Münster an Bismarck London Bismarck an Münster Berlin Tagebucheintragung Holsteins [o.O.] London Károlyi an Kálnoky A. v. Bülow an B. v. Bülow Potsdam Münster an das Auswärtige Amt London Berlin C. A. Busch an Münster Rede Bismarcks vor dem Reichstag [Berlin] Krauel an Bismarck London Bismarck an Krauel Berlin Tagebucheintragung Holsteins [o.O.] Krauel an H. v. Bismarck London Viktoria an Ludwig IV. Berlin Bismarck an Krauel Berlin Stosch an Freytag Oestrich Tagebucheintragung Holsteins [o.O.] Tagebucheintragung Holsteins [o.O.] Sofia Alexander von Battenberg an Wilhelm I. Széchényi an Kálnoky Berlin Krauel an H. v. Bismarck London Hatzfeldt an Krauel Berlin Rothschild an H. v. Bismarck London Bismarck an Münster Berlin Berlin H. v. Bismarck an Rothschild London Granville an Münster Bismarck an Münster Berlin

267 268 269 270* 271* 272* 273 274 275 276 277* 278* 279 280 281* 282 283 284 285 286* 287 288 289* 290 291 292 293 294* 295* 296* 297 298 299 300 301 302 303* 304

Datum

S.

17. Februar 1885 20. Februar 1885

399 403

25. Februar 1885 26. Februar 1885 26. Februar 1885 26. Februar 1885 26. Februar 1885 27. Februar 1885

404 408 410 411 411 412

2. März 1885 2. März 1885 3. März 1885

412 414 416

6. März 1885 6. März 1885 7. März 1885 8. März 1885 9. März 1885 11. März 1885 11. März 1885 11. März 1885 12. März 1885 13. März 1885 13. März 1885 16. März 1885 17. März 1885 17. März 1885 20. März 1885 21. März 1885 25. März 1885 25. März 1885 29. März 1885 30. März 1885 8. April 1885

417 421 422 422 424 425 425 429 429 430 431 432 433 435 435 437 439 440 441 442 443

10. April 1885 11. April 1885 21. April 1885 24. April 1885 26. April 1885 29. April 1885 29. April 1885 30. April 1885

443 445 447 448 450 453 453 454

Dokumentenverzeichnis

67

S.

Nr.

Aussteller und Empfänger

Ort

Datum

305* 306* 307* 308* 309* 310 311 312 313 314* 315 316 317* 318 319

Tagebucheintragung Gelzers Tagebucheintragung Holsteins Münster an Granville Viktoria an M. Ponsonby Prinz Wilhelm an Dolgorukij Bismarck an Caprivi Münster an Bismarck Bismarck an Münster Podewils an Ludwig II. Courcel an Freycinet Malet an Hatzfeldt Angabe Bismarcks Erinnerungen M. Buschs Széchényi an Kálnoky W. v. Bismarck an das Auswärtige Amt Prinz Wilhelm an Wilhelm I. H. v. Bismarck an W. v. Bismarck Notiz H. v. Bismarcks Tagebucheintragung Holsteins H. v. Bismarck an Münster Tagebucheintragung Holsteins Münster an Bismarck Viktoria an Friedberg Tagebucheintragung Holsteins Tagebucheintragung Holsteins Albedyll an Bismarck Bismarck an Salisbury Tagebucheintragung Holsteins Tagebucheintragung Holsteins Rantzau an W. v. Bismarck Arendt an Krauel Aktennotiz Berchems Marginalie Bismarcks Marginalien Bismarcks Aufzeichnung Wolfs Tagebucheintragung Schweinitz’ Fischer an Marquardsen Viktoria an Victoria Tagebucheintragung Lucius’ von Ballhausen Aufzeichnung Versmanns Aufzeichnung Philipps

Steineck [o.O.] London Potsdam Potsdam Berlin London Berlin Berlin Berlin Berlin Berlin [o.O.] Berlin Kissingen

1. Mai 1885 6. Mai 1885 7. Mai 1885 11. Mai 1885 20. Mai 1885 22. Mai 1885 22. Mai 1885 26. Mai 1885 27. Mai 1885 28. Mai 1885 28. Mai 1885 29. Mai 1885 31. Mai 1885 6. Juni 1885 7. Juni 1885

457 457 457 458 458 459 461 461 462 466 467 467 468 469 472

Stücken Berlin Berlin [o.O.] Berlin [o.O.] London Potsdam [o.O.] [o.O.] Ems Berlin [o.O.] [o.O.] Varzin Sansibar Berlin [o.O.] [o.O.] [o.O.] [o.O.] Berlin [o.O.] [o.O.]

10. Juni 1885 12. Juni 1885 18. Juni 1885 18. Juni 1885 23. Juni 1885 26. Juni 1885 30. Juni 1885 1. Juli 1885 5. Juli 1885 6. Juli 1885 7. Juli 1885 8. Juli 1885 11. Juli 1885 20. Juli 1885 2. August 1885 13. Mai 1886 18. Juli 1886 September 1888 Dezember 1888 5. Dezember 1888 17. Januar 1889 19. Februar 1889 20. April 1889 17. August 1889

474 474 475 476 476 478 479 479 484 484 485 487 487 488 488 490 490 491 491 492 492 493 493 493

[o.O.] [o.O.]

3. September 1889 494 22. September 1889 495

320 321* 322 323* 324 325 326 327 328* 329* 330 331* 332* 333* 334 335* 336* 337 338 339* 340* 341* 342* 343* 344* 345*

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Dokumentenverzeichnis

Nr.

Aussteller und Empfänger

Ort

Datum

346* 347* 348* 349* 350*

Aufzeichnung Wedels Viktoria an Victoria Tagebucheintragung Raschdaus Münster an Holstein Holstein an P. zu Eulenburg

Berlin [o.O.] [o.O.] Paris Berlin

12. Februar 1891 21. Juni 1894 7. Dezember 1895 13. Januar 1896 24. November 1896

S. 496 496 497 497 498

Dokumente

1*. Bismarck L. v. Gerlach Nr. 1*. Nr. Bismarck an L. v. an Gerlach, 8. April 1856

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1*. Bismarck1 an L. v. Gerlach2 Privatbrief. Druck: Bismarck, GW XIV,1 S. 439–440.

Seine Meinung über die Heirat des Prinzen Friedrich Wilhelm von Preußen3 und die Prinzessin Viktoria von England4: Wenn die Prinzessin ihr Engländertum ablegt, wird sie ein Segen für Preußen sein; im umgekehrten Fall wird der preußische Hof von englischen Einflußbestrebungen umgeben sein; angesichts der Anglomanie in Preußen ist der letztere Fall zu befürchten. Frankfurt a.M., 8. April 1856.

2*. Tagebucheintragung E. L. v. Gerlachs5 Druck: Gerlach S. 471.

Bismarck läßt sich in privater Runde über des Kronprinzen Geistlosigkeit und Borniertheit aus. Er habe ihm gesagt, wenn er, der Kronprinz, zur Regierung komme, könne er, Bismarck, das Schafott besteigen; der Kronprinz aber werde nicht lange König bleiben. [o.O.] 26. September 1865.

3*. Gespräch Bismarcks mit Diest6 Erinnerungen Diests. Druck: Bismarck, GW VII S. 216–217; Diest, Aus dem Leben S. 368–369.

Bismarck rechtfertigt die Anwendung des Systems allgemeiner, gleicher und direkter Wahlen für den Norddeutschen Reichstag; dieses liberale ___________ 1 Otto Graf (seit 1865; seit 1871 Fürst) von Bismarck-Schönhausen (1815– 1898), preußischer Gesandter am Frankfurter Bundestag 1851–1859, in St. Petersburg 1859–1862, in Paris 1862; preußischer Ministerpräsident seit 1862; deutscher Reichskanzler seit 1871. 2 Leopold von Gerlach (1790–1861), Generaladjutant König Friedrich Wilhelms IV. 1850–1861. 3 Friedrich Wilhelm (1831–1888), Prinz von Preußen; Kronprinz (seit 1861); Deutscher Kaiser (als Friedrich III.) 1888. 4 Viktoria (1840–1901), älteste Tochter der Königin Victoria und des Prinzen Albert; seit 1858 verheiratet mit Friedrich Wilhelm; Kronprinzessin (seit 1861); Deutsche Kaiserin („Kaiserin Friedrich“) 1888. 5 Ernst Ludwig von Gerlach (1795–1877) Präsident des Oberlandesgerichts Magdeburg 1844–1874. 6 Gustav von Diest (1826–1911), Regierungspräsident in Wiesbaden 1867– 1869, in Danzig 1869–1876, in Merseburg 1876–1894.

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Nr. 4. Bismarck Nr. 4. Bismarck an Roon,an9.Roon Januar 1868

System sei ein Schachzug gegenüber Österreich und dem Kronprinzen; er müsse damit alle Parteien Deutschlands auf seine Seite bringen; allein mit den Konservativen ginge das nicht. Sobald der alte Herr die Augen zumacht, bekomme ich vom Kronprinzen einen Tritt; den Tritt kann er mir aber nicht geben, wenn ich der Majorität in den Volksvertretungen sicher bin, diese Majorität aber wiederum erlange ich jetzt nur durch ein solches Wahlsystem. [o.O., Anfang August 1867.]

4. Bismarck an Roon7 Schreiben. Abschrift. Auszug. BA Berlin-Lichterfelde, R 1001/7155, f. 11–12.

Er stimmt Roons Empfehlung zu, in den ostasiatischen Gewässern eine deutsche Marinestation zu gründen; wichtiger ist aber eine Station im Golf von Mexiko. Sie sollen aber keinesfalls der Einleitung von Kolonisationsprojekten dienen, da diese zum größten Teil auf Illusionen beruhen. Deshalb ist auf die Erkundung der Küste Neuguineas zu verzichten. Auch der Gedanke, in Ecuador „ein zu kolonisirendes Terrain“ zu erwerben, soll nicht verfolgt werden, da solch ein Plan zu Verwicklungen mit den USA führen würde. Berlin, 9. Januar 1868. [Er ist mit Roons Empfehlung einverstanden, angesichts des wachsenden deutschen Handelsverkehrs im Sommer zwei Korvetten in die ostasiatischen Gewässer zu entsenden, um dort eine Flottenstation zu etablieren. Wichtiger ist aber die Gründung einer Station im Golf von Mexiko.] Was Eurer Excellenz geneigtes Erbieten angeht, durch eine der in die ostasiatischen Gewässer zu entsendenden Corvetten eine Exploration der Insel Timor und sonstiger für Niederlassungen in jenen Meeren als günstig bezeichneter Punkte vornehmen zu lassen, so hege ich gegen die Einleitung von Colonisationsplänen überhaupt erhebliche Bedenken. Einerseits beruhen die Vortheile, welche man sich von Colonien für den Handel und die Industrie des Mutterlandes verspricht, zum größten Theil auf Illusionen. Denn die Kosten, welche die Gründung, Unterstützung und namentlich die Behauptung der Colonien veranlaßt, übersteigen, wie die Erfahrungen der ___________ 7 Albrecht Graf (seit 1871) von Roon (1803–1879), Generalfeldmarschall; preußischer Kriegsminister 1859–1873, Marineminister 1861–1871.

Nr. 4. Bismarck Nr. 4. Bismarck an Roon,an9.Roon Januar 1868

73

Colonialpolitik Englands und Frankreichs beweisen, sehr oft den Nutzen, den das Mutterland daraus zieht, ganz abgesehen davon, daß es schwer zu rechtfertigen ist, die ganze Nation zum Vortheile einzelner Handels- und Gewerbszweige zu erheblichen Steuerlasten heranzuziehen. England hat auf Grund der daran gemachten Erfahrungen seine Coloinialpolitik aufgegeben und Frankreich scheint ebenfalls wenig Werth auf die Gründung neuer Colonien zu legen. Für den Norddeutschen Bund, dessen Wehrsystem auf der allgemeinen Wehrpflicht beruht, liegt noch eine besondere Schwierigkeit darin, daß es nicht füglich als zum Inhalt der Wehrpflicht gehörig angesehen werden kann, die Wehrpflichtigen auf längere Zeit in den Tropenländern als Besatzung zu verwenden. Andererseits aber trete ich ganz der von Ew. Excellenz schon öfter in den Verhandlungen über diesen Gegenstand ausgesprochenen Ansicht bei, daß unsere Marine noch nicht weit genug entwickelt ist, um die Aufgabe nachdrücklichen Schutzes von Niederlassungen in fernen Meeren übernehmen zu können. Endlich würde der Versuch, Colonien auf Gebieten zu gründen, deren Oberhoheit andere Staaten, gleichviel ob mit Recht oder mit Unrecht, in Anspruch nehmen, zu mannigfachen und unerwünschten Conflicten führen können. Aus denselben Gründen würde ich auch auf die Wiederaufnahme der Exploration der Küsten Neu-Guinea’s, welche nach Ew. Excellenz unterm 5. Oktober v.Js. (8892. C.A.) an den Herrn Minister der auswärtigen Angelenheiten gerichteten gefälligen Schreiben durch S.M.S. Vineta nicht hat ausgeführt werden können, kein Gewicht legen, vielmehr den Wunsch hegen, daß die Aufgabe des Commandos der in die ostasiatisichen Gewässer zu entsendenden Corvetten lediglich auf die Maßnahme beschränkt würde, welche zur Errichtung einer Marinestation nothwendig sind, und auch diese wieder meines Erachtens auf das Nothwendigste zu beschränken sein. Eine ähnliche Frage betrifft Ew. Excellenz Schreiben vom 19. v.Mts. (11368. C.A.) an den Herrn Minister der auswärtigen Angelegenheiten, welches, weil die Colonisation Gegenstand des Art. 4. der Verfassung des Norddeutschen Bundes bildet, hierher abgegeben worden ist. M.E. würde der Norddeutsche Bund sich in eine sehr schiefe Stellung bringen, wollte er an der Ecuador-Land-Compagnie ein zu kolonisirendes Terrain erwerben, welches unter der Oberhoheit der Republick Ecuador steht. Colonisationsunternehmungen dieser Art sind lediglich der Privat-Industrie zu überlassen. Selbst bei günstiger Disposition der Republik Ecuador würde jedes Unternehmen welches den Anschein erweckte, als wolle der Norddeutsche Bund in Central-Amerika festen Fuß fassen, die Eifersucht der Vereinigten Staaten wachrufen und damit den Keim zu Verwickelungen legen, deren Nachtheile für das Gesammt-Interesse des Bundes außer allem Verhältniß zu dem Werth jener Erwerbung stehen würden. Indem ich also darauf verzichte, auf den angeregten Colonisationsplan einzugehen, muß ich Ew.

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Nr.Tagebuch 5*. Tagebucheintragung Friedrich Wilhelms1870 Nr. 5*. Friedrich Wilhelms, 31. Dezember

Excellenz Ermessen ganz ergebenst anheimgeben, inwiefern etwa lediglich im Interesse einer an der Ostküste Amerika’s zu errichtenden Marinestation ein Terrainerwerb nothwendig sein möchte. Es ist mir nicht bekannt, ob andere europäische Mächte solche Stationen dort besitzen; wäre dies nicht der Fall, so würde ich für die Errichtung einer Station von Seiten des Bundes überhaupt nicht stimmten können.

5*. Tagebucheintragung Friedrich Wilhelms Auszug. Druck: Friedrich III., Kriegstagebuch S. 302–303.

Durch Bismarcks Theorie von Blut und Eisen wird Deutschland von der Welt nicht geachtet, sondern gefürchtet. Bismarck hat uns groß und mächtig gemacht, aber er raubte uns unsere Freunde, die Sympathien der Welt und – unser gutes Gewissen. Deutschland hätte auch ohne Blut und Eisen ‚moralische Eroberungen‘ machen können. Der kühne, gewalttätige Junker hat es anders gewollt. [Hauptquartier Versailles] 31. Dezember 1870.

6*. Tagebucheintragung M. Buschs8 Auszug. Druck: Busch, Tagebuchblätter II S. 157.

Gespräch mit Bismarck über Versuche Frankreichs, die Abtretung von Teilen des Elsaß und Lothringens durch die Übergabe französischer Kolonien (z.B. Cochinchinas und Pondichérys) zu verhindern: Ich will auch gar keine Kolonien. Die sind bloß zu Versorgungsposten gut. In England sind sie jetzt nichts andres, in Spanien auch nicht. Und für uns in Deutschland – diese Koloniegeschichte wäre für uns genau so wie der seidne Zobelpelz in polnischen Adelsfamilien, die kein Hemd haben. [vor Paris] 9. Februar 1871.

___________ 8 Moritz Busch (1821–1899), Pressemitarbeiter im Auswärtigen Amt 1870– 1871, danach freier Schriftsteller und Publizist.

Nr. 7*. Friedrich I. vonan Baden an20. Gelzer Nr. 7*. Friedrich I. von Baden Gelzer, März 1872

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7*. Friedrich I. von Baden9 an Gelzer10 Privatbrief. Druck: Friedrich I. von Baden I S. 54.

Bismarck äußert sich in verschiedensten Kreisen abfällig und unehrerbietig über Kaiser und Kaiserin. Er gibt deutlich zu erkennen, daß er sein Augenmerk auf den Kronprinzen richte und sich bei ihm unentbehrlich zu machen sucht; er rechnet dabei auf desselben Mangel an Tatkraft. Berlin, 20. März 1872.

8*. Normann11 an Freytag12 Privatbrief. Druck: Deutscher Liberalismus im Zeitalter Bismarcks II S. 81–83.

Das Verhältnis Bismarcks zur Krone ist eigentümlich: In den deutschen Dingen ist die Macht des Kanzlers alles, die Macht des Kaisers gleich Null. Bismarcks Plan ist, die selbständige Stellung der Minister im preußischen Staatsministerium zu beseitigen und alle Kompetenzen auch in Preußen auf sich zu vereinigen; dadurch würde die Machtfülle der Krone geschwächt. Der Kronprinz wird bei Übernahme der Regierung gezwungen sein, eine Verständigung mit Bismarck zu suchen. Er müßte aber die Allmacht des Kanzlers allmählich dadurch brechen, daß die Stellung des Königs zu seinen preußischen Ministern unverändert bliebe, diese aber zugleich als Reichsminister für die betreffenden Ressorts fungierten und dadurch ihre Kompetenzen gegenüber Bismarck ausbauten. Potsdam, 6. Juli 1873.

___________ 9

Friedrich I. (1826–1907), Großherzog von Baden 1852/58–1907. Heinrich Gelzer (1813–1889), Professor der Geschichte; vertrauter Ratgeber des Großherzogs Friedrich. 11 Karl von Normann (1827–1888), Privatsekretär der Kronprinzessin Viktoria 1864–1883, Vortragender Rat und Adjutant des Kronprinzen Friedrich Wilhelm; dessen Hofmarschall 1883–1884; Gesandter in Oldenburg, Braunschweig und Lippe 1884–1888. 12 Gustav Freytag (1816–1895), Schriftsteller und Dichter. 10

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Nr.E.9*. B. E. v.anBülow an Hennings Nr. 9*. B. v. Bülow Hennings, 17. Januar 1875

9*. B. E. v. Bülow13 an Hennings14 Erlaß. Auszug. Druck: Deutsche Land-Reklamationen auf Fidji S. 423.

Die Annexion der Fidschi-Inseln an England (1874) verletzt keinesfalls die Interessen der dort ansässigen Deutschen; vielmehr profitieren sie, falls ihr Grundbesitz rechtmäßig erworben wurde, durch größere Rechtssicherheit. Berlin, 17. Januar 1875.

10*. Stosch15 an Freytag Privatbrief. Druck: Stosch, Briefe II S. 5–7.

Er hält den Eintritt in ein Ministerium Bismarck für unmöglich. Viele Parteiführer halten Bismarck für unentbehrlich, besonders Bennigsen16. Bismarck aber leidet an Größenwahn und hat nur an seinem kranken Gehirn und an seinem schlaflosen Körper den Maßstab für seine Treue gegenüber dem Kaiser17. Laut Minister Friedberg18 will Bismarck ein Reichsministerium bilden, das identisch mit dem preußischen Staatsministerium sein soll; darin soll auch er – Stosch – Mitglied sein. Das kann aber nicht gutgehen. Berlin, 26. Dezember 1877.

11. Wilmowski19 an Bismarck Schreiben. Eigenhändige behändigte Ausfertigung. PA Berlin, I.A.A.a. 67.

Der Kaiser hat sehr schwerwiegende Bedenken gegen Übertragung der Regierungsbefugnisse in Elsaß-Lothringen an den Kronprinzen. Dieser ___________ 13

Bernhard Ernst von Bülow (1815–1879) Staatssekretär des Auswärtigen Amtes 1873–1879. 14 Wilhelm Hennings, deutscher Konsul in Levuka (Fidschi) 1881–1889. 15 Albrecht von Stosch (1818–1896), General der Infanterie und Admiral; Chef der Admiralität 1872–1883. 16 Rudolf von Bennigsen (1824–1902), MdR (nationalliberal) 1867–1883, 1887– 1898. 17 Wilhelm I. (1797–1888), König von Preußen 1861–1888; Deutscher Kaiser 1871–1888. 18 Heinrich Friedberg (1813–1895), preußischer Justizminister 1879–1889. 19 Karl von Wilmowski (1817–1893), Chef des Zivilkabinetts 1870–1888.

Nr. 11. Wilmowski an Bismarck Nr. 11. Wilmowski an Bismarck, 20. März 1878

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müsse in der Hauptstadt des Reiches residieren, um sich dort am Staatsleben zu beteiligen. Berlin, 20. März 1878 Ew. Durchlaucht verfehle ich nicht mitzutheilen, daß S. Majestät auf meine Erinnerung zu Erledigung des Berichts20 wegen Uebertragung der Machtvollkommenheit des Deutschen Kaisers bezüglich des Reichslandes auf den jedesmaligen Kronprinzen des Deutschen Reichs äußerten, dieserhalb sehr schwer wiegende Bedenken zu haben. S. Majestät bemerkten, der Kronprinz gehöre nach zurückgelegten Jugendjahren seinem Domizil nach dahin, wo der Monarch residire; dort habe er sich in das Staaatsleben einzugewöhnen und an der Staatsverwaltung sich zu betheiligen. Zu diesem Behufe habe S. Majestät die Anordnung getroffen, daß der Kronprinz fortdauernd an den Sitzungen des StaatsMinisteriums Theil nehmen solle und über spezielle, ihn interessirende Angelegenheiten nach seinem Belieben sich durch den Ressort-Minister oder dessen Rath Vortrag halten lasse. S. Majestät seien als Prinz von Preußen in derselblen Lage gewesen, hätten an den Sitzungen des Staatsraths Sich lebhaft betheiligt, was Allerhöchst Ihnen gegenwärtig zu Statten käme, und hegten fortgesetzt den Wunsch, daß der Kronprinz in ähnlicher Weise in die Central-Verwaltung sich einlebe. Wenn demungeachtet S. Kaiserliche und Königliche Hoheit seit mehreren Jahren sich von dieser Thätigkeit zurückgezogen habe, so beklage S. Majestät diese Resignation sehr, fühle Sich aber außer Verantwortung. S. Mäjestät äußerten ferner Bedenken, von denen ich jedoch annehmen muß, daß sie lediglich vertraulichen Charakters sind. Allerhöchstdieselben sprachen die auf langjährige Erfahrung beruhende Ueberzeugung aus, daß es der Frau Kronprinzessin nicht gelegen sei und kaum gelingen werde, dem deutschen und preußischen Wesen Geschmack abzugewinnen, sich den deutschen Sitten und Gewohnheiten anzubequemen; die Kinder würden kaum in deutschem und preußischem Geiste erzogen und auch der Hofhaltung hafte wesentlich Ausländisches an. Damit hänge zusammen, daß die Frau Kronprinzessin geradezu eine Aversion gegen die Residenz in Berlin habe und gern jeden Vorwand ergreife, um sich von Berlin fern zu halten. – Der Kronprinz werde nicht a l l e i n nach Straßburg gehen, sondern bei dauerndem Aufenthalte die Familie mitnehmen wollen; damit wachse die Gefahr der Entfremdung der ganzen Kronprinzlichen Familie vom deutschen Vaterlande; statt daß die Elsässer dadurch bessere Deutsche würden, müssen die Angehörigen des Kronprinzen leicht Ausländer werden – jedenfalls würden „die Kinder in Straßburg alles andere eher als Deutsche“. ___________ 20

Immediatbericht Bismarck an Wilhelm I., 14. März 1878: Bismarck, GW VIc S. 103–106.

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12. Bismarck an Wilhelm I. 1879 Nr. 12. Nr. Bismarck an Wilhelm I., 11. Juli

S. Majestät hätten sich aus diesen Gründen nicht entschließen können, dem von Ew. Durchlaucht in dem von mir indeß nicht zugestellten Berichte motivirten Antrage beizustimmen.

12. Bismarck an Wilhelm I. Immediatschreiben. Ausfertigung von der Hand H. v. Bismarcks (in zwei Bruchstücken; Auszug). GStAPK Berlin, BPH, Kaiser Wilhelm I., Rep. 51 Nr. 569 (Teil a–a); PA Berlin, Preußen 1 Nr. 1 Nr. 14 secr. (Asservat Nr. 10), Fiche 4, p. 365–371 (Teil b–b). – Der regestierte Anfangsteil und der dann folgende Satz [Was die Stellung ... nicht dauernd sein wird] gedruckt in: Kaiser Wilhelm I und Bismarck S. 293–294.

Ob der Kronprinz einmal einen liberalen Kurs einschlagen wird, ist zweifelhaft. Eine solche Phase wird aber kaum von Dauer sein. In der Sitzung des Staatsministeriums vom 5. Juni 1878 hat der Kronprinz den Reichstag nicht auflösen wollen. Eine künftige liberale Wende wird von der Gruppe um Forckenbeck gewünscht; mit ihr unterhält General Stosch enge Beziehungen. Berlin, 11. Juli 1879. 21

[Nobilitierung Friedenthals ; Rücktritt und Beförderung Falks22 zum Staatsminister.] a

Was die Stellung Seiner Kaiserlichen Hoheit des Kronprinzen betrifft, so bin ich meinerseits darüber noch nicht gewiß, ob dermaleinst, wenn er nach Gottes Rathschluß regiert, Höchstderselbe grundsätzlich liberal regieren wird. Ich weiß es nicht, und habe für meine Person Zweifel; jedenfalls vermuthe ich, daß diese Richtung, wenn sie eintreten sollte, nicht dauernd sein wird. Ich habe in meinem vorletzten Schreiben23 mich über die Intentionen S e i n e r K a i s e r l i c h e n H o h e i t selbst auch nicht äußern, sondern nur andeuten wollen, daß eine Anzahl strebsamer Zukunfts m i ___________ 21

Rudolf Friedenthal (1827–1890), preußischer Landwirtschaftsminister 1874–

1879. 22

Adalbert Falk (1827–1900), preußischer Kultusminister 1872–1879. Immediatschreiben Bismarck an Wilhelm I., 3. Juli 1879, in: Bismarck, GW VIc S. 152–156 (die Anspielung auf den Kronprinzen ebenda S. 155). – Zur Reaktion des Kaisers auf dieses Schreiben vgl. die Vorbemerkung des Herausgebers von GW VIc (Werner Frauendienst) ebenda S. 159 (zu Nr. 165). – Sowohl Frauendienst als auch die Bearbeiterin des kürzlich erschienenen Bandes 4 der „Neuen Friedrichsruher Ausgabe“ Bismarcks, Andrea Hopp, haben nur den ersten Satz dieses Immediatschreibens ausfindig gemacht (Bismarck, NFA IV S. 120). 23

12. Bismarck an Wilhelm I. 1879 Nr. 12. Nr. Bismarck an Wilhelm I., 11. Juli

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n i s t e r sich mit dem Gedanken trägt, seine Kaiserliche Hoheit werde dermaleinst liberal regieren wollen, und man müße sich deshalb auf diese Aussicht einrichten. Es sind dies aber in Grenzen wenig befähigte und wenig zuverlässige Staatsmänner;a bihr Regiment wird daher, wenn es eintreten sollte, schwerlich von Dauer sein, – was allerdings nicht hindern würde daß Krone, Staat und Heer in der Zwischenzeit sehr geschädigt werden könnten. Euere Majestät nehmen an, daß im Conseil vom 5t Juni vorigen Jahres Seine Kaiserliche Hoheit g e g e n die Auflösung des Reichstages gewesen sei. Meine Erinnerung stimmt damit nicht [überein]: Ich erlaube mir, das Protocoll des damaligen Conseils24 mit der ehrfurchtsvollen Bitte um Rücksendung hierbeizulegen und allerunterthänigst hinzuzufügen, daß ich auch bei meinen Vorträgen bei Seiner Kaiserlichen Hoheit damals den Eindruck bekommen habe, daß es Höchstdemselben unlieb war, die Geschäftsführung mit der ersten Reichstags-Auflösung, die überhaupt stattgefunden, zu beginnen, – daß ich aber nicht das leiseste Schwanken dies zu thun, in Erinnerung habe, sobald die Mehrheit des Staatsministeriums sich dafür entschied und die Gründe dem Kronprinzen einleuchteten: Daß vorher versucht worden ist, Seine Kaiserliche Hoheit für andere Auffassungen zu gewinnen, daran zweifle ich allerdings nicht. Ich habe überhaupt Seine Kaiserliche Hoheit damals tapferer gefunden, als das Ministerium, und nur in einer menschlich erklärlichen Verstimmung darüber, Seine erste selbstständige Thätigkeit mit unpopulären Maßregeln eröffnen zu müßen. Die Meinung, daß Seine Kaiserliche Hoheit dermaleinst liberal regieren werde, wird in Abgeordneten-Kreisen geflissentlich unterhalten, und namentlich in denjenigen, welche mit den Abgeordneten von Forckenbeck25, Rickert-Danzig26, Hänel27 in Verbindung stehn. Ich schreibe das zum Theil der Neigung der Frau Kronprinzessin zu, mit Männern, welche interessant z u r e d e n wissen, ohne Rücksicht auf die Parteistellung, zu verkehren. Dabei habe ich indessen von Seiten Ihrer Kaiserlichen Hoheit bisher niemals einen Versuch bemerkt, in die politischen Geschäfte praktisch einzugreifen, auch nicht während der Stellvertretungszeit im vorigen Sommer. Anderntheils trägt zur Verbreitung und Befestigung jener Zukunftsrechnungen auf ein liberales Regiment der Umstand vieles bei, daß der General ___________ 24

Protokolle des Preußischen Staatsministeriums 1817–1934/38. Bd. 6/I S. 487. Der hier angesprochene Passus lautet dort: Hingegen ist es für ihn [den Kronprinzen] nicht leicht, die Auflösung des Reichstags anzuordnen; er folgt aber der überwiegenden Majorität [der Minister zugunsten der Auflösung]. 25 Max von Forckenbeck (1821–1892), MdR (nationalliberal; Liberale Vereinigung; deutschfreisinnig) 1867–1892; Präsident des Reichstags 1874–1879; Oberbürgermeister von Berlin 1878–1892. 26 Heinrich Rickert (1833–1902), MdR (nationalliberal, Liberale Vereinigung, deutschfreisinnig, Freisinnige Vereinigung) 1874–1902. 27 Albert Hänel (1833–1918), MdR (Fortschritt, deutschfreisinnig) 1867–1893.

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Tagebucheintragung Hohenlohe-Schillingsfürsts Nr. Nr. 13*.13*. Tagebuch Hohenlohe-Schillingsfürsts, 22. Februar 1880

von Stosch mit jenen liberalen Kreisen persönliche Beziehungen unterhält, und bei denselben für einen „streng parlamentarisch“ gesinnten Zukunftsminister, zugleich aber auch für eine Persönlichkeit gilt, welche mehr als jede andern im Kronprinzlichen Hause eine Vertrauensstellung einnimmt. Euere Majestät verlaßen Ems schon früher als ich hier von Bundesrath und Reichstag frei werde, sonst würde ich um die Erlaubniß gebeten haben mich in Ems bei Euerer Majestät melden zu dürfen. In Ermangelung dessen habe ich mir diese Zeilen erlaubt, um Euerer Majestät Sorgen über die zukünftigen Intentionen Seiner Kaiserlichen Hoheit des Kronprinzen durch Darlegung meiner Eindrücke vielleicht zu mindern.b

13*. Tagebucheintragung Hohenlohe-Schillingsfürsts28 Auszug. Druck: Hohenlohe-Schillingsfürst, Denkwürdigkeiten II S. 291.

Gespräch mit Bismarck, der von Kolonien nach wie vor nichts wissen will. Deutschland habe keine Flotte, um sie zu schützen; die Bürokratie sei nicht gewandt genug, um sie zu verwalten. Man solle Frankreichs Pläne, Marokko zu erwerben, unterstützen, um es von Elsaß-Lothringen abzulenken. Berlin, 22. Februar 1880

14. Marginalien Bismarcks an einem Brief C. A. Buschs29 an H. v. Bismarck Von Goldschmidt regestierter Privatbrief (Auszug) mit Marginalien Bismarcks. Maschinenschriftliche Abschrift Goldschmidts. BA Koblenz, Nachlaß Goldschmidt, NL. 298/6.

Der deutsche Beamtenstaat kann keine Kolonien gründen. Berlin, 3. Januar 1881. 30

[Goldschmidt :] Geh. Kommerzienrat v. Hansemann31 hat am 9. Nov. eine „Denkschrift über die Kolonialbestrebungen in der Südsee“ mit einem Anschreiben übergeben. ___________ 28

Chlodwig Fürst zu Hohenlohe-Schillingsfürst (1819–1901), Botschafter in Paris 1874–1885. 29 Clemens August Busch (1821–1899), Unterstaatssekretär im Auswärtigen Amt 1881–1885. 30 Hans Goldschmidt (1879–1940), Historiker.

Nr. 15. Széchényi an Kálnoky Nr. 15. Széchényi an Kálnoky, 14. Januar 1882

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Herbert Bismarck32 möge beides dem Reichskanzler übergeben, da ohnedies Entscheidung über die in Samoa u. der Südsee überhaupt zu verfolgende Politik nötig sei. [Dazu Randvermerk Bismarcks:] Zu dergl. müssen wir ein nationales Parlament hinter uns haben, nicht bloss Fractionen [Zu Hansemanns Denkschrift S. 6: Deutschland müsse sich an der Nordküste von Neuguinea als Kolonialgebiet rechtzeitig seinen Anteil sichern. Folgender Randvermerk Bismarcks:] mit Geh. Räten, Kanzlei? Die Sache müßte kaufmännisch entstehen, der Staat ist nicht im Besitz der Beamten, um sie damit zu gründen. Die englischen Kolonisten gehn mit 16 Jahren dorthin, ohne studirt zu haben. Die S t a a t e n wie England und Holland haben die Kolonien nicht gemacht, sondern acceptirt. Beamte können wir hinschicken, Colonisten u Kaufleute gehn aber nicht hin. Es liegt das nicht in der preuß. Erziehung, höchstens in den Hansestädten & die gehn eigne Wege. [Spekulationen über eine Auflösung des Reichstags im Zusammenhang mit der Verlängerung des Sozialistengesetzes; Lavieren des Zentrums.]

15. Széchényi33 an Kálnoky34 Vertraulicher Bericht. Behändigte Ausfertigung. Praes.: 19. Januar 1882. HHStA Wien, PA III/123, f. 11–19.

Der königliche Erlaß vom 4. Januar 1882 (über die Herrscherrechte des Königs und die politischen Pflichten der Beamten) haben in der Öffentlichkeit zu großen Auseinandersetzungen geführt. Es wird angenommen, daß er eine Aktion gegen den Liberalismus einleiten soll. Die liberalen Fraktionen verfolgen tatsächlich schon seit Jahren die Absicht, die königlichen Rechte ___________ 31 Adolf von Hansemann (1826–1903), Direktor der Diskontobank; seit 1884 Leiter der Neuguinea-Kompanie. – Text seiner im folgenden genannten Denkschrift in BA Berlin-Lichterfelde, R 1001/2927, f. 9–34. Vgl. auch Wehler, Bismarck S. 223–225. 32 Herbert Graf von Bismarck (1849–1904), ältester Sohn O. v. Bismarcks; Legationsrat 1880 (an verschiedenen diplomatischen Missionen); Gesandter im Haag 1884–1885; Unterstaatssekretär 1885–1886 und Staatssekretär des Auswärtigen Amtes 1886–1890. – Wichtige Briefedition: H. v. Bismarck, Privatkorrespondenz. 33 Imre Széchényi (1825–1898), österreichisch-ungarischer Botschafter in Berlin 1878–1892. 34 Gustav Graf von Kálnoky (1832–1898), österreichisch-ungarischer Außenminister 1881–1895.

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zu untergraben und den Parlamentarismus einzuführen. Deshalb sieht Bismarck den Augenblick gekommen, diese Bestrebungen energisch zu bekämpfen. Er hat aber mit den Geistern, gegen die er jetzt vorgehen will, im Zuge der deutschen Einigung selbst schon paktiert. Die Liberalen bauen ihrerseits auf den baldigen Thronwechsel, um ihren Ideen zum Sieg zu verhelfen. Wie sich der Kronprinz verhalten wird, ist unsicher; seine englische Gemahlin wird ihn aber in diese Richtung vorantreiben. Nro 5. B.

Berlin, 14. Januar 1882.

Der königliche Erlaß vom 4. d.Mts.35 den ich mich beeilt habe, Euer Excellenz mit meinem ergebensten Berichte No 3 vom 8. Jänner durch die Post, daher ohne jeden Commentar einzusenden36, hat begreiflicherweise nicht ermangelt, besonders in den liberalen Kreisen Preußens und Deutschlands einen gewaltigen und tiefgehenden Eindruck hervorzurufen. Doch während die liberalen Organe des Auslandes und vor Allem die unsern, sei es aus wirklicher Unkenntniß der Preußischen Verfassungszustände sei es mit tendentiöser Absicht, sich so weit versteigen aus Anlaß jener Manifestation der Krone, von „Verfassungsbruch, Eidbruch oder gar Verrath“ zu fabeln, gibt es unter den inländischen kaum eines, welches es peremptorisch in Abrede stellen wollte, daß der Inhalt des Erlasses eigentlich weiter nichts sei als der natürliche Ausfluß der preußischen Verfassungsurkunde und daher auch als etwas bereits Allbekanntes gelte. – Wenn daher trotzdem die Aufregung eine so bedeutende ist, so ist es weniger der Kern der sie hervorgebracht hat, als die Schale, nämlich die ungewöhnliche und feierliche Form des Erlaßes und der Zeitpunkt des Erscheinens desselben. Man will in den hiesigen liberalen Kreisen eben nicht glauben, daß mit dieser so gewichtigen Kundgebung weiter nichts bezweckt worden wäre, als nur eine Abwehr gegen die in neuester Zeit sowohl in der liberalen Presse als im Parlamente deutlicher hervortretende Tendenz, die Stellung des Königs von Preußen als Monarch im modern parlamentarischen Sinne in einschränkender und vernichtender Weise zu interpretiren, oder eine Definition der Pflichten der Staatsbeamten dem Herrscher gegenüber. Vielmehr wird vorausgesetzt, daß man es in diesem Falle mit der Einleitung zu einer weiteren praemeditirten und planmäßig fortzusetzenden Action gegen den Liberalismus im Allgemeinen, oder zum Mindesten mit einem Versuche zu thun habe, durch diese Manifestation die die Rolle des ___________ 35

Druck in: Bismarck, GW XII S. 324. Ebenda S. 324–339 Bismarcks darauf bezügliche Reichstagsrede vom 24. Januar 1882. Weiterer Druck in: Schulthess’ Europäischer Geschichtskalender 23 (1882) S. 3–6 (mit Kommentar und Presseübersicht). Vgl. Riehl, „Tanz“ S. 107–108. 36 Széchényi an Kálnoky, 8. Januar 1882, in: HHStA Wien, PA III/123 f. 4–7 (f. 7 der im „Reichsanzeiger“ gedruckte Erlaß).

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agent provocacteur zu spielen hätte, die liberalen Fractionen zu solchen Aeußerungen oder Schritten zu verleiten, in denen für die Regierung eine Handhabe für reactionäre Maßregeln zu finden wäre. In beiden Fällen würde eine reservirte abwartende Haltung diejenige sein, die dem Interesse der liberalen Fractionen am meisten entspräche. – Und in der That scheint diese Meinung bei vielen die dieser Richtung angehören die vorherrschende zu sein, auch werden häufige Berathungen gepflogen zu dem Ende, die verschiedenen liberalen Fractionen dahin zu einigen, daß man sich von jeder Uebereilung, sei es als Beschlußfassung oder als ein Hervortreten irgendwelcher anderen Art, zu enthalten habe. Wohl sind die Befürchtungen, welche die Situation so hinstellen als befände man sich hier am Vorabende eines mit Absicht hervorgerufenen Verfassungsconflictes, sehr übertrieben, aber auch der würde meiner Ansicht nach irren der hinter der in dieser Weise formulirten und erlassenen Declaration der Rechte des Königs, nichts weiter erblicken wollte als nur eine auf einen concreten Fall beachsichtige Wirkung. Anerkannte Rechte und in deren Genusse man sich thatsächlich befindet brauchen nicht erst declarirt zu werden, wenn sie nicht von irgend einer Seite angefochten oder angegriffen werden. Angefochten und direct angegriffen werden sie zwar noch nicht, denn selbst die radicalste Auffassung anerkennt deren verfassungsmäßige Gültigkeit, jedoch ein mehr oder minder offenes Streben, eine weitangelegte Minenarbeit, aller hiesigen liberalen Frachtionen, geht schon seit Jahren dahin, diese Rechte nach und nach zu untergraben und an ihre Stelle den vollgültigen Parlamentarismus mit der absoluten Parteiherrschaft im modernen Geiste aufzurichten. Allerdings wurde dieser Tendenz von Seiten der Regierung und besonders durch Fürst Bismarck, der mehr denn ein Anderer von der politischen Verderblichkeit und der alles zersetzenden Gewalt einer Partheiregierung mit dem damit verbundenen Schaukelspiele des Regierungswechsels, durchdrungen ist, bei jedem Anlasse entgegengetreten. – Doch in Folge des Ausfalles der letzten Wahlen37, der prinzipiell negativen Haltung sämmtlicher liberalen Fractionen, der Regierung und ihren reformatorischen Plänen gegenüber, endlich durch ihr weit unverdeckteres und ungestümeres Auftreten, seitdem ihre Doctrinen in den Ländern der lateinischen Rasse und selbst auch in England zur fast unbeschränkten Herrschaft gelangt sind, scheint der Moment herangerückt zu sein wo es nothwendig war, der Strömung ein energisches Halt zu gebieten. – Doch es gibt Bewegungen ___________ 37

Bei den Reichstagswahlen vom 27. Oktober 1881 hatten die beiden linksliberalen Parteien 106 (von 397) Mandate gewonnen und somit gegenüber der Wahl von 1878 gewaltig zugenommen. Die Nationalliberalen waren demgegenüber von 99 (1878) auf 47 Mandate (1881) zurückgegangen.

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und die bezeichnete ist eine derselben, die durch bloßes Aufhalten nicht zum Stillstand gebracht werden können; will man ihrer Herr werden, so müssen sie zurückgedrängt werden. Daher ist es denn auch mehr als wahrscheinlich, daß der Erlaß vom 4. l.Mts. nicht ein vereinzelter Act in dieser Richtung bleiben dürfte, und daraus kann sich für den Reichskanzler ein Kampf entspinnen der einen um so titanenhafteren Character annehmen wird, als die Bedingungen unter welchen er ihn führt, für ihn gerade keine günstigen sind. Fürst Bismarck befindet sich in der Lage jener legendären Baumeister des Mittelalters, die um den begonnenen Riesenbau ihres Domes vollenden zu können sich den Mächten der Unterwelt verschrieben haben, und nachdem das Werk mit ihrer Hülfe vollendet da steht sich wieder von dem Banne lösen möchten, doch nur gar Wenigen gelang es, den Teufel zu überlisten. Wird es ihm besser gehen? ihm der um die ungeheure Aufgabe der Einigung Deutschlands sicher lösen zu können sich dereinst so ganz und gar den Dämonen des Radicalismus verkaufte und als Abschlagszahlung für die Dienste die er von ihnen erwartete, selbst das Allgemeine Stimmrecht und die liberale Kreisordnung eingeführt hat? Wird er diese Dämonen bannen können in einer Zeit wo sie in den meisten europäsichen Staaten zur unbestrittenen Herrschaft gelangt sind und ganz unbehindert ihr Wesen treiben? Wird er bei dem hohen Alter des Kaisers Wilhelm und bei seiner eigenen nicht mehr so ganz intacten Kraft und Gesundheit die Zeit dazu haben? Endlich, hat er sich diese seine Aufgabe nicht selbst schon dadurch um ein Bedeutendes erschwert, daß er seiner Zeit unbedacht den leidigen Kulturkampf hervorgerufen hat? – Dieß Alles sagt sich Fürst Bismarck gewiß auch selbst und dennoch wird er den Kampf aufnehmen und mit aller seiner Energie und Beharrlichkeit fortführen, falls ihm die Wahl nur zwischen diesem und dem Gewährenlassen einer weiteren Beschränkung und Brachlegung der Machtstellung der Krone, übrig gelassen würde. – Er wird es thun weil er es für nothwendig erachten dürfte, angesichts der scheinbaren Consolidirung der französischen Republik und ihrer merkwürdigen Prosperität, alles zu versuchen was seiner Ueberzeugung nach beitragen kann, das monarchische Prinzip in Deutschland zu behaupten und zu kräftigen, ferner weil er in Italien, das auch mit Hülfe jener finsteren Mächte seine staatliche Einigung erreicht hat ein warnendes Beispiel dessen erblickt, wohin man gelangt wenn man nicht bei Zeiten die widernatürlichen Bundesgenossen abzustreifen weiß und endlich weil seine ganze Charakteranlage darnach ist. Ohne nun so weit zu gehen wie jene, die den Conflict für ganz fest beschlossen, daher für unausweichlich halten und wähnen daß man am Vorabende großer, mit Absicht provozirter Ereignisse sein m ü ß e , so glaube

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ich dennoch, daß ein Conflict nicht unmöglich ja sogar wahrscheinlich ist und daß wir wohl am Vorabende jener großen Ereignisse stehen k ö n n e n . – Fürst Bismarck ist ja vor Allem Realpolitiker und zuweilen ganz unberechenbar, man kann daher nicht wissen wozu er sich im gegebenen Momente entschließt, findet sich Gelegenheit zu einem Compromisse das in der Form und in der Nebensache nachgibt, das Prinzip aber in seinem Wesen nicht tangirt, so geht er gewiß darauf ein. Was man einen Prinzipienreiter zu nennen pflegt, das war er niemals und wird er auch jetzt nur ganz nothgedrungen sein. Der sich in seiner Existenz bedroht sehende Liberalismus tröstet sich nunmehr damit indem er auf das hohe Alter des Kaisers Wilhelm und auf die freisinnige Richtung seiner Erben und Nachfolger baut. „Nur nach einem Regierungswechsel wird es besser werden“ ist eine Aeußerung die hie un da schon laut wird. Auch hat sich in den öffentlichen Organen bereits eine Polemik darüber entsponnen, ob der bewußte Erlaß mit oder ohne Hinzuziehung der Zustimmung des Kronprinzen vom Stapel gelassen wurde38. Obwohl ich nichts sicheres darüber erfahren konnte, so glaube ich dennoch annehmen zu dürfen, daß bei der so überaus hohen Wichtigkeit und der eine weitere und längere Action möglicherweise bedingenden Tragweite dieses Entschlusses, der Kaiser sich kaum dazu entschieden haben dürfte, wenn er nicht wüßte, daß sein Sohn und Erbe der bei seinem so vorgerückten Alter von heute auf morgen sein Nachfolger werden kann, damit einverstanden ist, so wie es auch wahrscheinlich erscheint, daß der Reichskanzler andernfalls hiezu nicht gerathen haben würde. Nun freilich gilt der Kronprinz für nicht sehr characterfest, auch weiß man, daß er den Einflüssen seiner Umgebung besonders aber jenen seiner hohen Gemahlin sehr zugänglich ist. Die Frau Kronprinzessin hat aber nach einem fast vierteljahrhundertlangen Aufenthalte in ihrer neuen Heimath noch immer kein rechtes Herz für dieselbe gefaßt, auch noch keine wahres Verständniss für deutsches Wesen gewonnen. – Die hängt noch mit allen Banden des Geistes und des Gemüthes an ihrem Geburtslande und so wie alles was englisch ist, stellt sie auch die Verfassung Großbritanniens über jene aller anderen Länder. Außerdem hegt sie eine ausgesprochene Sympathie für die Politik der Whigs in ihrer liberalsten Schattirung. So z.B. hat sie denn seiner Zeit über den Sturz Lord Beaconfield’s39 ihrer näheren Umgebung gegenüber förmlich frohlockt und aus ihrer Bewunderung für Herrn ___________ 38 Die Kronprinzessin schrieb dazu an ihre Mutter am 10. Januar 1882: People fancy Fritz has had something to do with it, whereas he first read it in the newspapers and was horrified at anything so useless and ill-advised being written. (Beloved Mama S. 114.) 39 Benjamin Disraeli (1804–1881), englischer Premierminister 1868, 1874–1880.

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16.Brauers, Notiz Brauers Nr. 16. Nr. Notiz 25. Juli 1882

Gladstone40 gar kein Hehl gemacht. Besteigt sie einst an der Seite ihres Gatten den Thron, so glaubt man nicht allein, daß sie auf ihn politischen Einfluß nehmen werde, sondern auch daß sie die Inspirationen hiezu von ihren Freunden aus England entnehmen dürfte. Uebrigens kann dies Alles noch ganz anders kommen und nur die Zukunft vermag den Schleier hierüber zu lüften. Die Geschichte der Dynastien liefert mehr denn ein Beispiel davon, daß Thronerben wenn sie zur Herrschaft gelangten, ganz im entgegengesetzten Sinne jener Erwartungen handelten, die sie während ihrer Anwartschaft wachriefen.

16. Notiz Brauers41 Eigenhändige Ausfertigung. BA Berlin-Lichterfelde, R 1001/7159, f. 95.

Da üblicherweise Eingaben betreffend Kolonisationsprojekte unbeantwortet bleiben, sollte auch im vorliegenden Fall (Vorhaben eines Exportkaufmanns, Kolonien in Westafrika, Madagaskar und Südamerika zu gründen) nicht reagiert werden. Berlin, 25. Juli 1882. Es ist bereits seit einigen Jahren als Regel festgehalten worden, auf Eingaben welche Colonisationsprojekte (mit den üblichen Redensarten: Ablenkung bez. Nutzbarmachung der Auswanderung etc.) zum Gegenstande haben, und nicht etwa von beachtenswerther Seite herrühren, überhaupt keinen Bescheid (auch nicht mündlich) zu ertheilen. Von dieser Regel im vorliegenden Falle42 eine Ausnahme zu machen, dürfte nicht angezeigt sein. Dem Umstande gegenüber, daß Immediateingaben der Regel nach nicht unbeantwortet bleiben sollen, kommt vorliegend in Betracht, daß es sich in dieser Eingabe nicht um Privatinteressen sondern um Vorschläge politischer Natur handelt, welche zu befürworten sich neuerdings alle möglichen Privatleute berufen glauben, und daß die Annahme des Petenten sich im Wesentlichen in dem Rahmen der bekannten, der Vereinspresse entlehnten Gemeinplätze bewegen. ___________ 40 William Ewart Gladstone (1809–1898), englischer Premierminister 1868– 1874, 1880–1885, 1886, 1892–1894. 41 Arthur von Brauer (1845–1926), Vortragender Rat im Auswärtigen Amt 1881–1888. 42 Vgl. Riehl, „Tanz“ S. 23–24.

Nr. 17*. Wilhelm Friedrichan Wilhelm an Bismarck Nr. 17*. Friedrich Bismarck, 4. September 1882

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Daher unter geh. Notiz des H Vertreters des G Wirkl LegRaths von Brauer Zu den Akten (Colonisation)

17*. Friedrich Wilhelm an Bismarck Eigenhändiges Handschreiben. Druck: GP IV S. 31–32.

Nach Auffassung des Prinzen von Wales43 hegt man in England quer durch die Parteien den Wunsch nach einem engeren Verhältnis zu Deutschland und auch zu Österreich. Potsdam, 4. September 1882.

18*. Bismarck an Friedrich Wilhelm Konzept. Druck: GP IV S. 32–34.

Die deutsche Politik ist nicht daran interessiert, England in der ägyptischen Frage zu reizen. Sie kann England aber darin kaum aktiv unterstützen, weil die Beziehungen zu Frankreich, Rußland und Österreich im Auge behalten werden müssen. Ein engeres Verhältnis zu England ist grundsätzlich schwierig, weil in London die Kabinette häufig wechseln und die Öffentlichkeit von etwaigen Bündnisverhandlungen immer erfahren würde. Varzin, 7. September 1882.

19. Pasetti44 an Kálnoky Vertraulicher Bericht. Behändigte Ausfertigung. Praes.: 2. November 1882. HHStA Wien, PA III/123, f. 463–464.

Zum Nachfolger des Hofmarschalls am kronprinzlichen Hof, Graf Eulenburg, ist Normann ausersehen. Als vertrautester Ratgeber des Kronprin___________ 43

Edward (1841–1910), Prince of Wales; König von Großbritannien und Irland 1901–1910. 44 Marius Freiherr von Pasetti-Friedensburg (1841–1913), Botschaftsrat an der österreichisch-ungarischen Botschaft in Berlin 1880–1883.

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Nr. 19. an 28. Kálnoky Nr. 19. Pasetti anPasetti Kálnoky, Oktober 1882

zen und scharfer Kritiker Bismarcks wird er nach dem Thronwechsel eine der einflußreichsten Stellungen bekleiden. No 107 E.

Berlin, 28. Oktober 1882.

Die durch den Tod des Grafen von Stillfried45 vakant gewordene Stelle des Oberhofceremonienmeisters ist, wie übrigens schon bei Lebzeiten desselben feststand, dem Vice-Oberceremonienmeister Grafen August von Eulenburg46 zugedacht, welcher bisher und heute noch die Funktionen eines Hofmarschalls bei Seiner Kais. Hoheit dem Kronprinzen bekleidet. Graf Eulenburg wird diese seine Stellung erst nach der silbernen Hochzeit des Kronprinzenpaares verlassen, welche am 25. Jänner 1883 gefeiert wird und zu welcher man die Ankunft des Prinzen von Wales und wohl auch noch anderer Prinzen erwartet. Zum Nachfolger des Grafen Eulenburg ist Herr von Normann ausersehen, welcher bisher, ohne offizielle Stellung, der Privatkanzlei des Kronprinzen vorstand. Herr von Normann ist eine Schöpfung des Kronprinzen und gleichzeitig sein vertrautester Rathgeber. Seine bevorstehende Ernennung zum Hofmarschall erfolgt auf den ausdrücklichen und allen Einwendungen gegenüber festgehaltenen Wunsch des Kronprinzen. Da er weder durch Geburt noch durch Rang denjenigen Kreisen angehört, welche bisher fast ausschließlich zu den obersten Hofchargen berufen wurden, so erregt diese Wahl hier alllgmeines Aufsehen. So lange Seine Majestät der Kaiser Wilhelm lebt und der Kronprinz mit den Geschäften nicht befaßt und selbst bei sich ergebenden Gelegenheiten vom Fürsten Bismarck in dieselben nicht eingweiht wird, wird der Einfluß des künftigen Hofmarschalls so wie bisher nicht bemerkbar sein. Am Tage aber, an welchem der Kronprinz den deutschen Kaiserthron besteigen wird, wird Herr von Normann eine der einflußreichsten Stellungen im Reiche bekleiden. Er gilt als einer der gewandtesten und schärfsten Kritiker des Fürsten Bismarck. Mit Rücksicht auf die charakteristische Tendenz, welche der Wahl des Herrn von Normann innewohnt und auf die politische Bedeutung, die sie in Zukunft erlangen kann, habe ich die Aufmerksamkeit Eurerer Excellenz auf dieselbe lenken zu sollen geglaubt.

___________ 45

Rudolf Graf von Stillfried-Alcántara (1804–1882), Oberzeremonienmeister am preußischen Hof 1853–1882. 46 August Graf zu Eulenburg (1838–1921), Hofmarschall 1868–1883, Oberzeremonienmeister des Kronprinzen Friedrich Wilhelm 1883–1888.

Nr. 20*. Lüderitz an das Amt, Auswärtige Amt 1882 Nr. 20*. Lüderitz an Auswärtiges 23. November

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20*. Lüderitz47 an das Auswärtige Amt Eingabe. Druck: Lüderitz, Erschließung S. 14—16.

Er plant, das Gebiet von Angra Pequena in Südwestafrika zwischen dem 26. und 29. Grad südlicher Breite zu erwerben, eine Landungsstelle außerhalb der englischen Walfisch-Bucht zu suchen, dort eine Faktorei zu gründen und Warenaustausch unter Umgehung des hohen englischen Importzolls zu organisieren. Im Innern des Landes soll nach Erzen geschürft werden. Er bittet für diese aufwendigen Unternehmungen um den Schutz der deutschen Flagge. Bremen, 23. November 1882.

21*. Hatzfeldt48 an H. v. Bismarck Erlaß. Druck: Angra Pequena S. 60–61; zu dort ausgelassenen Teilen vgl. Aydelotte, Bismarck S. 38 Anm. 2.

England hat bislang den Stationen der Rheinischen Missionsgesellschaft in Südwestafrika keinen Schutz gewähren können, weil es dort außer in der Walfisch-Bai keine Staatsgewalt beansprucht. Die englische Regierung soll von den Erwerbsplänen des Bremer Kaufmanns Lüderitz in diesen Gegenden unterrichtet werden. Es wäre erwünscht, wenn England dort, wo es dies kann, deutschen Ansiedlern Schutz gewährte; Deutschland behält sich indes vor, auch seinerseits den Schutz dort eintreten zu lassen, wo der englische Einfluß nicht hinreicht. H. v. Bismarck soll sich über die englischen Auffassungen orientieren. Berlin, 4. Februar 1883.

___________ 47

Adolf Lüderitz (1834–1886), Bremer Großkaufmann und Kolonialpionier. – Über ihn in den hier behandelten Jahren: Lüderitz, Erschließung; Schüßler, Lüderitz. 48 Paul Graf von Hatzfeldt-Wildenburg (1831–1901), Staatssekretär des Auswärtigen Amtes 1881–1885, Botschafter in London 1885–1901. – Private Quellen zu den Jahren 1881–1885: Hatzfeldt, Nachgelassene Papiere I S. 398–472. Neuere Biographie: Niehus, Hatzfeldt.

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Nr. 22. Marginalien Nr. 22. Marginalien Bismarcks, Bismarcks 14./16. Februar 1883

22. Marginalien Bismarcks Eigenhändige Marginalien an zwei Berichten Baares an Bismarck. BA Berlin-Lichterfelde, R 1001/7159, f. 151, 152, 155.

Die Marginalien (1–2) stehen an einer Eingabe des Bochumer Industriellen Baare49 an Bismarck vom 29. November 1882, in dem die Idee eines Erwerbs der Insel Formosa entwickelt wird, sowie (3) an einem dazu im Auswärtigen Amt angefertigten Promemoria vom 16. Februar 1883. – Bismarck: Ein solcher Plan ist ohne einen national denkenden Reichstag nicht zu verwirklichen. [o.O.] 14. und 16. Februar 1883. [1] zu Colonien gehört ein Mutterland in dem das Nationalgefühl stärker ist als der Parthei Geist [2] mit d i e s e m Rtag ist es schon schwer genug dem Reiche zu erhalten was es hat, sogar das Heer im Inlande. So lange das Reich finanziell nicht consolidirt ist, dürfen wir an so theure Unternehmen nicht denken. cf. Samoa50. Colonial Verwaltung wäre nur Vergrößerung des parlamentarischen Exercirplatzes. [3] directe Colonien können wir nicht verwalten, nur Compagnien unterstützen, dazu wäre aber auch ein n a t i o n a l e r Reichstag nötig, mit anderen höheren Zwecken als der Reg. Schwierigkeiten zu machen u. Reden zu halten.

23. Tagebucheintragung Tiedemanns51 Eigenhändig. Auszug. BA Berlin-Lichterfelde, Nachlaß Tiedemann, Nr. 40, f. 65.

Besuch bei Bismarck in Friedrichsruh. Bismarck: Wer soll nach dem Tod des Kaisers Reichskanzler werden? Caprivi? In der Außenpolitik hält er sich für unentbehrlich. ___________ 49 Louis Baare (1821–1897), Industrieller; Generaldirektor des Bochumer Vereins für Bergbau und Gußstahlfabrikation 1855–1895. 50 Zur Samoa-Vorlage von 1880, mit deren Hilfe die in Schwierigkeiten geratene „Deutsche Handels- und Plantagengesellschaft“ subventioniert werden sollte, was aber am Widerstand des Reichstags scheiterte, vgl. Riehl, „Tanz“ S. 385 Anm. 2 (mit der dort angegebenen Literatur). 51 Christoph von Tiedemann (1836–1907), Chef der Reichskanzlei 1878–1881, Regierungspräsident von Bromberg 1881–1899.

Nr.24. 24.Tagebuch Tagebucheintragung Hohenlohe-Schillingsfürsts Nr. Hohenlohe-Schillingsfürsts, 8. Juni 1883

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[o.O.] 5. Mai 1883. Der Fürst, während des Essens wiederholt von Schmerzen geplagt, thaut beim Kaffee auf und ergeht sich in den interessantesten Betrachtungen über die gegenwärtige Situation und über die Gestaltung der Dinge nach dem Tode des Kaisers. Wen solle er als seinen Nachfolger vorschlagen? Womöglich einen General. Caprivi52? Eventualität eines Ministeriums Eulenburg53 – Bennigsen – Friedenthal. Schwierigkeiten der äußeren Politik. I h m glaube man jedes, auch nicht geschriebenes Wort.

24. Tagebucheintragung Hohenlohe-Schillingsfürsts Eigenhändig. Auszug. BA Koblenz, Nachlaß Hohenlohe-Schillingsfürst, Nr. 1375, f. 17–18.

Bleichröder bringt diverse Nachrichten: Er halte die deutsche Pressepolemik gegen Frankreich für falsch; Bismarck wolle Frankreich unterstützen, solange es Republik bleibe und nicht auf Elsaß-Lothringen blicke; Bennigsen gebe dem Drängen Bismarcks, ins Ministerium einzutreten, nicht nach; Bismarck werde unter dem neuen Kaiser nicht weiterdienen. Paris, 8. Juni 1883. Vor einigen Tagen besuchte mich Herr von Bleichroeder54, der wie gewöhnlich eine große Menge von Nachrichten auskramte. Von hier sagte er, daß er unter seinen französ. Bekannten große Verstimmung gefunden habe. Man fühle die Isoliertheit. Dazu kommen die bittern Artikel in den deutschen Zeitungen. Er, Bl., habe es den Herrn Lindau55 u.s.w. im Ausw. Amt gesagt, daß er diese Polemik nicht für gut halte. Der Rkzler wolle den Frieden, es sei deshalb nicht verständlich warum man aufrege und hetze. Von Waddington56 sagte er, daß dieser die Republik als gesichert betrachte und friedliche Versicherungen gegeben habe. Bismarck hat ihm gesagt, ___________ 52

Leo von Caprivi (1831–1899), Generalleutnant; Chef der Admiralität 1883– 1888; Reichskanzler 1890–1894. 53 Botho Graf zu Eulenburg (1831–1912), preußischer Minister des Innern 1878–1881; Oberpräsident von Hessen-Nassau 1881–1882. 54 Gerson von Bleichröder (1822–1893), Berliner Bankier; Hausbankier und Finanzberater Bismarcks. 55 Rudolf Lindau (1825–1910), Legationsrat (1885 Geheimer Legationsrat) im Auswärtigen Amt 1878–1885. 56 William Henry Waddington (1826–1894), französischer Außenminister 1877–1879, Ministerpräsident 1879; Botschafter in London 1883–1893.

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Protokoll PlenarsitzungHamburg, der Handelskammer Nr. Nr. 25*.25*. Protokoll der der Handelskammer 22. Juni 1883

Deutschland werde den Frieden halten, so lange die Republik dauere. Die Orléans57 bedeuteten ihm Krieg, weil sie Frankreich allianzfähig machen würden. Im Allgemeinen könne Frankreich auf jeden appui von Deutschland rechnen, wenn es nicht sein Augenmerk auf Elsaß-Lothringen richte. Die Verstimmung zwischen dem Parlament und Bismarck nehme zu, ebenso zwischen B. und den Liberalen. Bism. habe Bennigsen bestimmen wollen einzutreten. Bennigsen aber sage, er wisse daß er das Vertrauen des Kaisers nicht habe. Werde er also Minister, so habe er weder beim Kaiser einen Halt noch bei Bism. Garantie auf beständige Uebereinstimmung, würde sich also nicht lange halten. Anders sei es wenn der Kaiser stürbe. Die Beziehungen zwischen dem Kronprinzen und Bismarck sind, wie Bleichroeder sagt, wieder schlechter. Bl. glaubt, daß Bism. nicht bleiben werde, wenn der Kronprinz zur Regierung käme. Der Kronprinz sei hautain u. Bism. zu sehr durchdrungen von seiner Bedeutung und seiner Stellung, als daß er sich etwas gefallen lassen werde. Mit Rußland habe man gute Beziehungen, aber man sei in Berlin sehr aufmerksam auf die russ. Poltik. Besonders Bulgarien bilde einen schwarzen Punkt. An eine Allianz Rußlands mit Frankreich glaube man in B. nicht. [Goluchowskis58 Politik in Österreich.]

25*. Protokoll der Plenarsitzung der Handelskammer Hamburg Druck: Dokumente zur Geschichte der Handelskammer Hamburg S. 167– 172. Vgl. S. 167 die Vorbemerkung der Herausgeber über die Veranlassung zu dieser Sitzung, die vom Auswärtigen Amt in Berlin ausgegangen war.

Beraten wird ein Exposé des Hamburger Reeders Woermann59 über die Wahrung deutscher Handelsinteressen an der Westküste Afrikas. Großkaufmann Refardt60 referiert zunächst über die Wünsche der am westafrikanischen Geschäft beteiligten Interessenten: Vereinbarung mit den euro___________ 57

Orleanisten; Anhänger des Hauses Orléans, aus dem König Louis Philippe (König 1830–1848) kam; sie hatten sich 1883 mit den Legitimisten (den Anhängern der Bourbonen) verschmolzen und erstrebten die Wiedererrichtung der Monarchie in Frankreich. 58 Agenor Graf Goluchowski (1812–1875), Statthalter von Galizien (zuletzt 1871–1875), wo er die Polonisierung des Kronlandes betrieb. 59 Adolph Woermann (1847–1911), Hamburger Großkaufmann; gründete 1885 die „Africanische Dampfschiffahrtsgesellschaft“ („Woermann-Linie“). 60 Friedrich Karl Refardt (1843–1917), Hamburger Großkaufmann; Mitglied der Hamburger Handelskammer seit 1876; deren Präsident 1883–1884.

Nr.v.26. H. v. Bismarck an das Auswärtige Amt 1883 Nr. 26. H. Bismarck an Auswärtiges Amt, 15. August

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päischen Mächten zum Schutz der deutschen Handelsinteressen in Westafrika; Abschluß von Verträgen mit einheimischen Fürsten von Westafrika; Unterstützung diesbezüglicher Verhandlungen durch deutsche Kriegsschiffe; Erwerbung einer Flottenstation; Besitzergreifung eines Küstenstreifens zwischen Kamerun und Gabun. Refardt äußert Bedenken gegen eine solche Kolonialpolitik, da sie zu diplomatischen Verwicklungen mit europäischen Mächten und zu Kriegswirren mit den Eingeborenen führe; das Klima in den tropischen Ländern sei ungesund; die Geldopfer würden durch Erhebung von Zöllen nicht gedeckt werden können. Refardt wird in seiner ablehnenden Haltung von einem anderen Mitglied der Handelskammer, Dr. Jürgens61, unterstützt. Demgegenüber wendet sich Woermann gegen die Ausführungen dieser beiden Redner. Seine Anträge bezweckten gerade, den Handelsverkehr zwischen Deutschland und Westafrika allgemein zu intensivieren. Dieses Handelspotential werde zumeist unterschätzt; nach Schätzungen sei allein im Kongogebiet ein Warenabsatz im Umfang von 60 Mio. Mark zu erwarten. Hier schlummere also ein großes Absatzgebiet für deutsche Waren. Politische Verwicklungen mit anderen Mächten seien wegen Deutschlands Machtstellung nicht zu befürchten. Die Geldopfer, die am Anfang zu erbringen seien, würden durch den reger werdenden Handel reichlich aufgewogen. Wenn Deutschland nicht zugreife, würden andere europäische Nationen sich in Westafrika festsetzen und die dort tätigen Deutschen verdrängen. Er bittet also, die geäußerten Wünsche durch die Handelskammer zu unterstützen. Weitere sieben Redner unterstützen die von Woermann vorgetragenen Bemerkungen. Nach Schluß der Debatte werden die eingangs gestellten Wünsche mit Mehrheit angenommen62. Hamburg, 22. Juni 1883.

26. H. v. Bismarck an das Auswärtige Amt Angabe. Eigenhändige, behändigte Ausfertigung. Praes.: 17. August 1883. BA Berlin-Lichterfelde, R 1001/1994, f. 80. – Druck jetzt in: Bismarck, NFA V S. 491.

Der Reichskanzler ist damit einverstanden, daß die Erwerbung des Kaufmanns Lüderitz in Westafrika in der Presse erwähnt werde; Reichs___________ 61

Dr. Alexander Carl Jürgens (1839–1921), Sekretär der Hamburger Handelskammer 1881–1907. 62 Zum Kolonialengagement Hamburgs vgl. Washausen, Hamburg und die Kolonialpolitik.

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Nr. 27. an Stephan an Bismarck Nr. 27. Stephan Bismarck, 15. August 1883

schutz könne gewährt werden, sofern das Unternehmen nicht mit fremden Interessen kollidiere; die Regierung sei aber aufgrund der negativen Erfahrung in der Samoa-Angelegenheit entmutigt. Kissingen, 15. August 1883. Der Herr Reichskanzler hat das wiederangeschlossene Pro Memoria, welches dem hohen Erlaß 27548/23420, die afrikanische Erwerbung des Kaufmanns Lüderitz betreffend, beilag, mit verschiedenen Randbemerkungen versehen63, nach deren Maßgabe er die Sache der englischen Regierung64 und dem p. Lüderitz gegenüber zu behandeln bittet. Seine Durchlaucht ist mit einer Erwähnung des Gegenstandes in der Presse einverstanden, wünscht aber, daß dabei mehr als es dem p. Lüderitz gegenüber geschehen, accentuirt werde, daß die Bremer Firma auf den Schutz der deutschen Regierung rechnen könne, so weit ihr Unternehmen nicht mit fremden Rechten collidiren würde, und daß ferner hervorgehoben werde, wie die Regierung nicht weitergehen könne, nach der Erfahrung die sie bei Ablehnung der Vorlage wegen Samoa gemacht hätte, wo es sich um sehr viel weiter entwickelte deutsche Interressen gehandelt hätte. Durch die Behandlung der Samoa-Frage seitens der Volksvertretung, bei der eine sehr geringe Geldforderung verweigert worden, sei die Regierung entmuthigt und glaube nicht für eine überseeische Politik auf Sympathien im Reichstage rechnen zu können.

27. Stephan65 an Bismarck Schreiben. Behändigte Ausfertigung. Praes.: 21. August 1883. BA Koblenz, R 43 F/555, f. 2–17.

Deutschland unterhält derzeit zehn Postdampferlinien in Übersee, England dagegen 38 und Frankreich 32. Deren staatliche Subventionierung ist wesentlich höher als die deutsche. Im Postverkehr mit Asien, Australien und Afrika muß sich die deutsche Postverwaltung auf fremde Linien verlassen. ___________ 63 Das Promemoria des kommissarischen Direktors der Handelspolitischen Abteilung des Auswärtigen Amtes, Victor von Bojanowski (1831–1892), vom 8. August 1883 faßt Gespräche, die Lüderitz am 7. und 8. August im Auswärtigen Amt führte, zusammen (BA Berlin-Lichterfelde, R 1001/1994, f. 58–64). Einige der Randbemerkungen bei Schüßler, Lüderitz S. 57–59, und bei Wehler, Bismarck S. 269. 64 Vgl. unten Nr. 32; ferner den Erlaß Bojanowskis an Konsul Lippert in Kapstadt vom 18. August 1883 in: Angra Pequeña S. 168. Vgl. auch Schüßler, Lüderitz S. 60–61, 69. 65 Heinrich (seit 1885 von) Stephan (1831–1897), Staatssekretär des Reichspostamtes 1880–1897.

Nr. 27. an Stephan an Bismarck Nr. 27. Stephan Bismarck, 15. August 1883

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Auch im Frachtverkehr nach Ostasien und Australien werden derzeit deutsche Waren günstiger auf englischen als auf deutschen Schiffen befördert. Zur Steigerung der deutschen Ausfuhr wäre die Herstellung regelmäßiger deutscher Dampferlinien nach Fernost zu wünschen. Er schlägt vor, eine Dampferlinie mit je vierwöchentlicher Fahrt von Bremen/Hamburg nach China und nach Australien einzurichten. Einzelheiten zu den Fahrtrouten und den Kostenzuschüssen. In den Anfangsjahren sollten diese Linien mit ca. 3 Mio. Mark subventioniert werden; diese Summe könnte auch von der Reichspostverwaltung selbst aufgebracht werden. Berlin, 15. August 1883. Der Seepostdienst des Deutschen Reichs im unmittelbaren Verkehr mit überseeischen Ländern wird gegenwärtig auf z e h n Dampfschiffslinien vermittelt, welche von Privatunternehmungen zwischen Hamburg bzw. Bremen einerseits und Amerikanischen Hafenorten andererseits in regelmäßiger Wiederkehr der Fahrten unterhalten werden. Nach der anliegenden, im Kursbureau des Reichspostamts bearbeiteten Uebersicht der überseeischen Postdampfschiffslinien im Weltpostverkehr unterhält: a) England 38 Postdampferlinien, wovon 23 im Verkehr mit Amerika, 6 im Verkehr mit Afrika, 5 im Verkehr mit Asien, 4 im Verkehr mit Australien, b) Frankreich 32 Postdampferlinien, wovon 9 im Verkehr mit Amerika, 5 im Verkehr mit Afrika, 6 im Verkehr mit Asien, 1 im Verkehr mit Australien, c) Italien 6 Postdampferlinien, wovon 2 im Verkehr mit Amerika, d) Belgien 2 Postdampferlinien, beide im Verkehr mit Amerika. Während die an die deutschen Schiffs-Unternehmungen für ihre Leistungen im Postbeförderungsdienst von der Reichs-Postverwaltung zu entrichtende Gesamtvergütung sich zur Zeit auf nur M 300.000 jährlich beläuft, zahlt: a) die Großbritannische Postverwaltung an Postsubventionen jährlich 641.656 Pfund Sterling = M 12.833.120 wobei die sehr erheblichen Subventions-Beträge, welche für die Unterhaltung der Dampfer-Verbindungen mit den englischen Colonien aus Fonds der Colonial-Regierungen geleistet werden, noch nicht mit eingerechnet sind, b) die französische Postverwaltung Fr. 24.269.391 jährlich, c) die italienische Postverwaltung – mit Einschluß der Mittelmeer-Linien – Fr. 8.254.995 jährlich, d) die belgische Postverwaltung Fr. 827.000 jährlich.

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In Frankreich werden außerdem den nicht zur Klasse der subventionirten Postdampfer zählenden Schiffen langer Fahrt, deren Führer gesetzlich verpflichtet sind, Postsendungen auf Verlangen der Postverwaltung unentgeltlich zu befördern, besondere Schiffsprämien von durchschnittlich jährlich Fr. 7.460.000 aus Staatsmitteln gewährt. Wenn gegenüber diesen Summen die von der Reichs-Postverwaltung aufzuwendende Vergütung als verhältnißmäßig gering bezeichnet werden muß, so liegt die Erklärung hierfür in dem Umstande, daß die Ertragsfähigkeit der deutsch-amerikanischen Dampferlinien durch die anhaltende starke Auswanderung gesteigert wird, und daß das hierdurch gesicherte längere Bestehen der betreffenden Linien die Anknüpfung und Befestigung von geschäftlichen Verbindungen mit überseeischen Verkehrsplätzen erleichtert hat, welche den Unternehmungen bei den sich immer wieder verbreitenden Beziehungen auch fortschreitende Einnahmen aus dem Frachtverkehr zuführen. Bei den Dampfschiffslinien, welche Hamburger Rheder nach Asiatischen und Australischen Verkehrsorten – und neuerdings auch nach Orten der afrikanischen Westküste – eingerichtet haben, wird zur Zeit auf eine Einnahme aus dem Reiseverkehr weniger gerechnet; die Unternehmungen sind vielmehr fast ausschließlich auf das Frachtgeschäft gerichtet, sie suchen Ladung, wo solche zu finden ist, nehmen zu diesem Zweck vielfach Aufenthalt in fremdländischen Häfen und sind demzufolge nicht in der Lage, fahrplanmäßige Ueberfahrzeiten einzuhalten. Im Postverkehr mit Asien, Australien und Afrika ist daher die ReichsPostverwaltung gezwungen, von der Benutzung deutscher Dampfer wegen der Unregelmäßigkeit und der langen Dauer ihrer Fahrten überhaupt abzusehen und sich der Vermittelung fremdländischer Dampferlinien zuzuwenden, welche durch staatliche Beihülfen in die Lage gesetzt sind, regelmäßige und beschleunigte Fahrten im Verkehr mit bestimmten Plätzen der genannten Welttheile auszuführen. Gerade für die Verbindung mit China und Australien macht sich das Fehlen von deutschen Schiffslinien mit regelmäßigem Fahrplane, beschleunigter Fahrtdauer und bestimmten auf jeder Fahrt zu berührenden Zwischenstationen für den deutschen Postverkehr um so empfindlicher bemerkbar, je mehr die Postsendungen aus Deutschland nach den betreffenden Ländern und umgekehrt an Zahl und Bedeutung zunehmen und zugleich einen Rückschluß dafür gewähren, daß auch die unmittelbaren Handelsbeziehungen zwischen Deutschland und den betreffenden Ländern von Jahr zu Jahr eine größere Ausdehnung gewinnen. Zwar findet es wesentliche Schwierigkeiten, in letzter Beziehung über den thatsächlichen Umfang des in Betracht kommenden HandelsVerkehrs bestimmte Nachweise aus Veröffentlichungen dazu berufener Organe zu entnehmen. Dürfen die Angaben in Fachblättern als zutreffend

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erachtet werden, so hat allein die unmittelbare Ausfuhr aus Hamburg nach Australien im Jahre 1881 8.914.000 Kilogramm betragen. Wenn andererseits in demselben Jahre der Geldwerth der Ausfuhr Deutschlands nach den dem Verkehr mit dem Auslande offen stehenden Japanischen Häfen (gegenüber dem auf M. 64.621.000 berechneten Export Großbritanniens) auf M. 1.491.000 angegeben und ferner der Gesammtwerth des deutschen Handels (Export und Import) mit den chinesischen Vertragshäfen auf M. 36.223.200 geschätzt wird[,] während der Gesammtwerth des englischen Handels mit China auf 804.051.625 Mark sich belaufen hat, so würde sich schon hieraus die Folgerung ergeben, daß die deutschen Verkehrsbeziehungen mit den genannten Ländern nicht unbeträchtlich sind, indeß von der englischen Konkurrenz durch die derselben zu Gebot stehende bessere und schnellere Schiffsverbindung in der Entwickelung wesentlich beeinträchtigt und zurückgehalten werden. Allerdings wird eine richtige Schätzung des deutschen Exports nach China, Japan, Ostindien und Australien schon durch den Umstand erschwert, daß die deutschen Exporteure von der unmittelbaren Verfrachtung aus deutschen Häfen vielfach absehen und der Vermittelung englischer Hafenorte bei der Versendung den Vorzug geben; in solchen Fällen läßt sich das Ursprungsland der betreffenden Waaren pp. nicht immer mit Zuverläßigkeit feststellen. In der That wird bei den bestehenden Verbindungsverhältnissen, insbesondere mit Australien, China und Japan, der Transport deutscher Erzeugnisse durch englische Dampfschiffe, auch wenn eine Umladung in London oder einem anderen englischen Hafenorte stattfindet, nicht nur wegen der öfteren Versendungsgelegenheit schneller, sondern auch wegen der größeren Konkurrenz zu wesentlich niedrigeren Frachtsätzen besorgt, als durch die deutschen Schiffe, welche zum Theil höhere Frachtvergüthungen in Anspruch nehmen und zum Öfteren genöthigt sind, mit erheblichem Verluste an Zeit in Zwischenhäfen Ladung für die am Abgangsorte nicht voll befrachteten Schiffe zu suchen. Wenn es in der Absicht Ew. Durchlaucht liegen sollte, bei der weiteren Entwickelung und Hebung des Verkehrs Deutschlands mit überseeischen Landgebieten regierungsseitig fördernd und helfend einzutreten, so erscheint die Herstellung von regelmäßigen und beschleunigten Postdampferlinien besonders nach Australien und China – neben den bereits bestehenden unvollkommenen Linien – als das geeignetste Mittel, den deutschen Landeserzeugnissen erweiterten und gesicherten Absatz zu verschaffen und deutschem Gewerbefleiß, deutschem Einfluß und deutscher Gesittung durch diese Postdampfer, die gewissermaßen als schwimmende Colonien zu betrachten sind, weite Länder zu erschließen. Nach dieser Richtung sind neuerdings besonders in Frankreich bedeutende und umfassende Schritte geschehen. Der Leitartikel in einer der letzten Nummer eines der größten politischen Pariser Tagesblätter bemerkt in dieser Beziehung unter Anderem Folgendes:

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„Nous n’hésitons donc pas à proclamer bien haut que jamais dépense publique n’a été plus justifiée que celle des subventions à ces lignes de navigation. Jamais l’argent de la France n’a reçu un emploi plus utile et plus fécond. La création de la ligne d’Indo-Chine par la Compagnie des Messageries maritimes a plus fait pour le commerce de la France avec l’Extrême-Orient que ne feront jamais la Cochinchine et le Tonkin.“ Ew. Durchlaucht gestatte ich mir, folgenden Plan zur Verbesserung unseres Seepostdienstes zu unterbreiten. Von einem der beiden deutschen Handelsplätze Hamburg oder Bremen – am besten Hamburg – werden eingerichtet: 1. eine ostindisch-chinesische Postdampferlinie und 2. eine afrikanisch-australische Postdampferlinie. Die Fahrten jeder der beiden Linien finden bis auf Weiteres in regelmäßigen Zeitabschnitten von vier Wochen statt. Die Dampfer der ostindischchinesischen Linie (zu 1.) nehmen ihren Weg hin wie herwärts durch den Kanal von Suez, endigen in Shanghai und berühren unterwegs folgende Hafenorte: Southampton, Brindisi, Port-Said, Suez, Colombo, Singapore und Hongkong. Die Dampfer der afrikanisch-australischen Linie (zu 2.) gehen um das Cap der guten Hoffnung, endigen in Sidney und legen unterwegs in nachbenannten Hafenplätzen an: Southampton, Lissabon, Cap Verd, Capstadt, Melbourne. Die letzte Post aus Europa wird von den Dampfern der ostindischchinesischen Linie in Brindisi, von den Dampfern der afrikanischaustralischen Post hingegen in Lissabon an Bord genommen. Eine Berechnung der Zeit und der Kosten für eine Fahrt auf jeder der beiden Linien ist in den gehorsamst beigefügten Uebersichten66 zusammengestellt. Danach ergiebt sich, daß jede Fahrt bei einer täglichen Durchschnittsleistung von 260 Seemeilen a) auf der ostindisch-chinesischen Linie in 43 Tagen, hingegen b) auf der afrikanisch-australischen Linie in 47 Tagen zurückgelegt werden könnte, und daß andererseits für jede Hin- und Rückfahrt, nach Gegenrechnung der erfahrungsgemäß für die erste Zeit in mäßigem Betrage anzunehmenden Einnahme, auf der Linie zu a) ein Kostenzuschuß von M. 109.466, auf der Linie zu b) ein solcher von M. 152.240 erforderlich sein würde. ___________ 66

Sie liegen bei: BA Koblenz, R 43F/555, f. 17–20.

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Auf dieser Grundlage würde die Reichsbeihülfe a) bei der ostindischchinesischen Linie – für 12 Hin- und Rückfahrten – jährlich auf M. 1.313.592, b.) bei der afrikanisch-australischen Linie bei einer gleichen Anzahl Fahrten jährlich auf M. 1.826.880, zusammen auf M. 3.140.472 jährlich zu veranschlagen sein. Eine dauernde Zuwendung von Reichsgeldmitteln zur Erhaltung beider Dampferlinien würde vielleicht nicht nöthig sein; vielmehr würde nicht ganz ausgeschlossen sein, eine Subventionirung nur auf die Anfangsjahre der Unternehmung in Aussicht zu nehmen und für die Bewilligung eine Skala einzuführen, nach welcher sich die Beihülfe demnächst von Jahr zu Jahr nach dem Verhältniß der Zunahme des Brutto-Ertrages verringert. In dieser Beziehung steht der Reichs-Postverwaltung eine Erfahrung aus dem Hamburg-Mexikanischen Dampf-Schiffs-Unternehmen in so fern zur Seite, als die Hamburger Packetfahrt-Actiengesellschaft, welche vertragsmäßig für jede regelmäßige Monatsfahrt nach und von Veracruz pp. eine PostVergütung vom M. 15.000 zu beanspruchen hatte, nach kaum 2 ½ jährigem Bestehen der Linie durch die zunehmende Vergrößerung des Frachtverkehrs und die dadurch gesteigerte Schiffs-Einnahme in den Stand gesetzt war, auf die Postvergütung freiwillig und gänzlich zu verzichten. Sofern nicht die Gesammtlage des Reichshaushaltsetats anderweite Rücksichten erfordern sollte, dürfte der Etat der Reichs-Post- und Telegraphenverwaltung bei seinen an sich blühenden finanziellen Abschlüssen geeignet erscheinen, die obige Gesammtsumme an Postsubventionen nach dem Vorgange anderer Staaten mit zu übernehmen, zumal mit einiger Zuverlässigkeit anzunehmen ist, daß ein größerer Theil der bezüglichen Ausgaben durch die demnächst in Folge der besseren Verbindung zweifellos eintretenden Mehreinnahmen aus dem Postverkehr, so wie durch die aus dem vermehrten Waaren-Umsatze gleichmäßig steigenden Zoll-Einnahmen wieder eingebracht werden dürfte, ganz abgesehen von der allgemeinen Vermehrung des Nationalvermögens durch den zunehmenden Export. Das Unternehmen würde zweckmäßig im Wege der Submission zu vergeben sein, wobei nicht ausgeschlossen bliebe, von der Anerbietung an bereits bewährt gefundene leistungsfähige Gesellschaften Gebrauch zu machen oder eine besondere Gesellschaft neu zu bilden. Die endgültige Abschließung des bezüglichen Vertrages mit den Unternehmern würde selbstverständlich von der Mitwirkung der Reichsfinanzverwaltung und von der vorherigen Zustimmung des Bundesraths und des Reichstags abhängig bleiben. Ew. Durchlaucht bitte ich um hochgeneigte Entschließung gehorsamst, ob und in welcher Richtung der Gegenstand weiter verfolgt werden darf.

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Nr. 28. an Lüderitz Nr. 28. Fabri an Fabri Lüderitz, 16. August 1883

28. Fabri67 an Lüderitz Privatbrief. Eigenhändige Ausfertigung. StA Bremen, Nachlaß Lüderitz, 7,15 – A.5.

Die in Südwestafrika wirkenden deutschen Kolonisationsbestrebungen sollten zusammengefaßt werden. Eine vor drei Jahren geplante Demonstration mit einem Kriegsschiff hatte Bismarck unterbunden. Barmen, 16. August 1883. Dr. Höpfner68 war zwei Tage hier. Brachte er auch nicht viel Neues, so bekam ich durch seine Mittheilungen doch verstärkten Eindruck, daß alle neuerlich in Südwestafrika arbeitenden Faktoren wo möglich vereint und nach Einem Plane vorgehen sollten, u. in diesem Blick halte ich die angeregte Conferenz für wünschenswerth. Sollten Sie Münster vorziehen, so wäre ich nächste Woche, etwa Mittwoch oder Donnerstag, in der Lage dahin zu kommen u. würde auch Herrn Hasenclever69 einladen. Dr. H. erzählte, die in den Zeitungen berichtete Stellung des Auswärtigen Amtes zu Ihrem Unternehmen sei begründet. Hoffentlich hat dieselbe bereits die Genehmigung Bismarcks. Vor 3 Jahren war auf meinen Antrag eine Demonstration an der Walfischbay im Ausw. Amte gebilligt, ein Kriegsschiff bereits beordert, u. schließlich fiel Alles am Nein B’s. Sind die Zugeständnisse so, wie Dr. H. sagte, so kommt es darauf an, die Engländer auf die schicklichste Weise aus der Walfischbai herauszucomplimentiren70.

29. Viktoria an Friedrich Wilhelm Privatbrief. Eigenhändige Ausfertigung. Auszug. AHH, Schloß Fasanerie, KF 7/2 – 23/14.

Er soll sich über die Zuneigung „Morettas“ zum Fürsten von Bulgarien nicht beunruhigen. Politisch ist das allerdings eine heikle Sache. Über das Privatleben Alexanders muß man noch Erkundigungen einziehen. ___________ 67 Friedrich Fabri (1824–1891), evangelischer Theologe und Kolonialschriftsteller. 68 Dr. Carl Höpfner (1857–1900), Geologe; Direktor des Mineralogischgeologischen Instituts in Hamburg. 69 Albert Hasenclever (1842–1894), Industrieller. 70 Zum ganzen vgl. Bade, Fabri S. 200–208; Kaulich, Deutsch-Südwestafrika S. 47–52.

Nr. 29. an Viktoria an Friedrich Nr. 29. Viktoria Friedrich Wilhelm,Wilhelm 23. August 1883

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Potsdam, 23. August 1883. [Abschied von Leopold71 und Helene72.] Daß Dich Moretta’s73 Angelegenheit bekümmert – verstehe ich nur zu gut – denn mir geht sie fortwährend im Kopf herum, wenn ich sehe wie das Kind es sich zu Herzen nimmt! Aber ich möchte Dir doch rathen – Dich nicht zu beunruhigen u. jetzt keine Sorgen zu machen. Kommt Zeit, kommt Rath! – Wir sind noch viel zu wenig unterrichtet von dem wahren Stand der Dinge – u. es müßten erst alle „pours et contres“ r e i f l i c h s t erwogen werden. Die politische Seite der Frage ist eine höchst schwierige. Aber auch eine sehr wichtige! – Die Auffassung des Königs v. Griechenland74 stimmt mit derjenigen von Carl v. Rumänien75 nicht überein! Carl sagte an Leopold, Sandro könne u. müsse die Russen aus seinem Lande herauswerfen, u. er k ö n n e es, denn sie seien im Land verhaßt, u. schließlich müßten die übrigen Russen durch Rumänien erst durch ehe sie Sandro etwas zu leide thun könnten. Ferner meinte er – er (Sandro76) – müßte eine vornehme Prinzessin aus einem großen Hause heirathen, da würde das Land welches recht an ihm hinge – eine große Summe ihm g a n z v o n s e l b s t votiren. Mir ist garnicht klar wie seine Angelegenheiten w i r k l i c h stehen, eben so wenig wie es mit seinem Vermögen bestellt ist. Eine Sache scheint zweifellos, daß seine Persönlichkeit, nach allen Richtungen hin eine Empfehlung werth ist, u. daß die Gerüchte welche über sein Privat Leben Dir zu Ohren gekommen sind nicht auf Wahrheit beruhen! – Ehe man überhaupt aber ein solches Wagniß unternehmen könnte, müßte man viel genauer Bescheid wissen in allen diesen Dingen u. viele Garantien verlangen! Du wirst vielleicht Gelegenheit haben, Louis77 auszufragen – den jungen Mann darnach gründlich anzusehen ............. (wenn er überhaupt nach Deutschland kommt). [Schönes Wetter, das sie zu genießen hofft.] ___________ 71

Leopold von Albany (1853–1884), Bruder der Kronprinzessin. Helena (1846–1923), Schwester der Kronprinzessin. 73 Viktoria (1866–1929), Prinzessin von Preußen; im familiären Umkreis „Moretta“ genannt. – Mit „Morettas Angelegenheit“ ist die heimliche Verlobung zwischen ihr und dem Fürsten Alexander von Battenberg, der sich im Juli 1883 in Berlin aufhielt, gemeint. Vgl. Riehl, „Tanz“ S. 144–146; Corti, Alexander von Battenberg S. 136–138. 74 Georg I. (1845–1913), König der Hellenen. 75 Karl I. (1839–1914), König von Rumänien. 76 Alexander („Sandro“) von Battenberg (1857–1893), Fürst von Bulgarien 1879–1886. – Über ihn vgl. oben die Literatur in Anm. 73. Vgl. auch den Brief der Kronprinzessin an ihre Mutter (in Sachen Bulgarien) vom 22. Juli 1883 in: Beloved Mama S. 144–145. 77 Ludwig (1854–1921), Prinz von Battenberg, Bruder Alexanders von Battenberg. 72

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Nr. 30. Diktat Bismarcks Nr. 30. Diktat Bismarcks, 26. August 1883

30. Diktat Bismarcks Abschrift. BA Koblenz, R 43 F/555, f. 24.

Er ist mit den Argumenten, wie sie Stephan zugunsten der Errichtung von Postdampferlinien nach Fernost vorgetragen hat, einverstanden, möchte aber zuvor von der Admiralität wissen, ob dabei die Mitwirkung der Marine – zum Zwecke der eigenen Ausbildung und Erfahrung – gewünscht werde. Kissingen, 26. August 1883. Ich bin mit den das Seepostwesen betreffenden Anregungen, welche der Herr Staatssecretär Stephan in seinem Bericht vom 15. d. Monats78 macht, einverstanden, wünsche aber, daß die Sache zuerst dem Herrn Chef der Admiralität vorgelegt werde, um dessen Meinung darüber zu hören, ob und welche Beihülfe an Offizieren, Mannschaften eventuell auch an Schiffen, von Seiten der Kaiserlichen Marine einem solchen Unternehmen, wie Herr Stephan es im Auge hat, geleistet werden könnte; ich verkenne nicht alle Bedenken, die, wenn man unsere Marine-Offiziere mit denen anderer Staaten vergleicht, hiergegen sprechen, glaube aber, daß namentlich in Frankreich die Marine-Offiziere mehr als die Land-Offiziere einen den unsrigen mehr entsprechenden Standpunkt einnehmen; wenigstens war es früher so. Die Marine-Offiziere waren in Frankreich stets eine Art EliteKorps, dennoch ist eine Einrichtung, wie sie mir vorschwebt, wegen der Uebung und Erfahrung die damit für die Betheiligten verbunden ist, in Frankreich willkommen gewesen. Ich habe mir keine feste Ansicht darüber gebildet, würde aber dankbar sein, wenn der Herr Chef der Admiralität mir die seinige geben wollte. Die Institution bedarf der Mitwirkung der Marine nicht, um ins Leben zu treten. Ich bitte daher nur darin um die Ansicht Seiner Excellenz des Herrn General von Caprivi, ob die Marine ein Interesse hat, ihren Offizieren und Beamten eine berufsmäßige Beschäftigung zu geben, wie sie hier zu finden wäre, sonst bin ich, wie gesagt einverstanden. Ich bitte um eine baldige Antwort des Herrn Chefs der Admiralität, da ich die meinige an Herrn Stephan solange zurückhalte.

31. Caprivi an Bismarck Schreiben. Behändigte Ausfertigung. Praes.: 1. September 1883. BA Koblenz, R 43 F/555, f. 27–28.

Er ist aus Personalmangel nicht in der Lage, die Marine bei der Herstellung von Postdampferlinien nach Fernost mitwirken zu lassen. Er macht ___________ 78

Vgl. oben Nr. 27.

Nr. 31.an Caprivi an Bismarck Nr. 31. Caprivi Bismarck, 31. August 1883

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auf den geringen technischen Standard der bestehenden Postdampfer aufmerksam, der gehoben werden sollte. Berlin, 31. August 1883. Euer Durchlaucht beehre ich mich in der Anlage mit gehorsamsten Dank den mir zugegangenen Bericht des Staatssecretairs Dr. Stephan vom 15. August 1883 zurückzureichen79. Zu meinem Bedauern ist die Marine nicht in der Lage, dem Unternehmen eine personelle oder materielle Unterstützung zu leihen. Der Personalstand der Kaiserlichen Marine ist, namentlich was das obere Militairpersonal betrifft, ein so geringer, daß schon jetzt nicht mehr allen Anforderungen genügt werden kann. Beispielsweise bin ich in diesem Sommer nicht einmal in der Lage, neben den planmäßigen Indiensthaltungen noch eine nur geringe Besatzung zur Abhaltung außer Dienst befindlicher Schiffe zusammenzustellen. Die Benutzung von Kriegsschiffen für Post- und Handelszwecke verbietet sich schon aus dem Grunde, weil die Marine kaum ein Schiff besitzt, welches den aus der Denkschrift des Staatssecretairs Dr. Stephan hervorgehenden Anforderungen genügt. Die einzige materielle Unterstützung, welche an Dampfschiffsgesellschaften von Seiten der Marine gewährt werden könnte, möchte etwa in der unentgeltlichen Benutzung der Trockendocks in den einzelnen Kriegshäfen bestehen. Ich würde mich zu einer solchen Unterstützung gern bereit erklären. Bei dieser Gelegenheit möchte ich noch den nachfolgenden Umstand Eurer Durchlaucht geneigter Erwägung unterbreiten. Es ist mehrfach behauptet worden – und verschiedene Schiffsunfälle der letzten Zeit sprechen dafür, daß ein Theil der deutschen Seedampfer, was die Sicherheit von Personen und Eigenthum betrifft, nicht denjenigen Anforderungen genügt, welche man bei dem heutigen Standpunkte der Schiffbau-Technik an Passagier- und Postschiffe zu stellen berechtigt ist. Auch in der besseren Presse ist auf diesen, den Ruf der deutschen Seeschiffahrt schädigenden Umstand wiederholt hingewiesen [worden]. Die Bewilligung von Subventionen an Dampfschiffahrtsgesellschaften möchte daher vielleicht eine günstige Gelegenheit bieten, den betreffenden Gesellschaften die Verpflichtung aufzuerlegen, ihre Schiffe sowohl auf inländischen Werften erbauen, als auch die Pläne dazu vorher einer schiffbaupolizeilichen Revision unterwerfen zu lassen. ___________ 79

Vgl. oben Nr. 27 und die vorangehende Nr.

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32. C. an A. Plessen, Busch an6.Plessen Nr. 32. C. Nr. A. Busch September 1883

32. C. A. Busch an Plessen80 Vertraulicher Erlaß. Revidiertes Konzept. BA Berlin-Lichterfelde, R 1001/1994, f. 99–100.

Der Bremer Kaufmann Lüderitz hat an der Bucht von Angra Pequena ein Gebiet erworben. Der beantragte Schutz des Reiches konnte bisher nicht gewährt werden; doch soll der Kommandant des Kriegsschiffes „Carola“ die Bucht anlaufen und Bericht erstatten. Er – Plessen – soll in Erfahrung bringen, ob die Bucht von England beansprucht werde und ggf. auf welche Titel sich ein solcher Anspruch gründe. Lüderitz fürchtet eine Benachteiligung seiner Betätigung durch England. Berlin, 6. September 1883. In meinem vertraulichen Erlasse vom 4ten Februar d.Js. betr. deutsche Niederlassungen an der Westküste von Afrika81 hatte ich erwähnt, daß ein Bremer Kaufmann kürzlich den Schutz der Kais. Regierung nachgesucht habe für Faktoreien, die er in den Küstengebieten zwischen dem OrangeFluß und dem kleinen Fischfluß anzulegen beabsichtige. Dieses Projekt ist gegenwärtig in der Ausführung begriffen. Der Kaufmann F. A. E. Lüderitz aus Bremen hat, wie Epp. aus dem zu Ihrer vertraulichen Information beigefügten Promemoria82 näher ersehen wollen, seinen Angaben zufolge im April d.Js. an der Bay von Angra Pequeña im südwestlichen Afrika von einem Hottentotten-Häuptling83 ein Areal von ungefähr 150 engl. Quadratmeilen käuflich erworben. Derselbe hat sich dann im vorigen Monate, begleitet von einem technischen Personal, nach Kapstadt eingeschifft, um von dort nach Angra Pequeña und weiter ins Innere des Landes zu reisen. Den Anträgen des p. Lüderitz auf Unterstützung seines Unternehmens durch die Kais. Regierung konnte nicht in der von ihm gewünschten Weise entsprochen werden, doch wurde angeordnet, daß S.M.Sch. „Carola“, welche am 13ten vor.Ms. in Kapstadt angekommen ist, auf der Weiterreise in die Heimat auch die Bay von Angra Pequeña anlaufen sollte, um dem Kommandanten Gelegenheit zu geben, über die dortigen Verhältnisse Bericht zu erstatten. Deßgleichen ist auf besondere Bestimmung des H. Reichskanzlers das Unternehmen des p. Lüderitz dem Schutze des Kais. ___________ 80

Ludwig von Plessen-Scheel (1848–1929), Zweiter Sekretär an der Botschaft in London 1882–1883; Erster Sekretär in St. Petersburg 1883, 1884 in Wien, wieder in London 1884–1888. 81 Oben Nr. 21. 82 Es ist das oben in Nr. 26 Anm. 64 genannte Promemoria Bojanowskis. 83 Joseph Fredericks (vor 1842–1893), Häuptling de Nama in Bethanien.

33. H. v. an Bismarck an6.Stephan Nr. 33. H. Nr. v. Bismarck Stephan, September 1883

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Konsuls in Kapstadt84 empfohlen worden. Abschrift des dieserhalb an den Letzteren gerichteten Erlasses vom 18ten vor.Ms.85 sowie den darin erwähnten Artikel der „Post“86 lasse ich zur gef. Kenntnißnahme beifolgen und bemerke über die weitere Behandlung dieser Angelegenheit folgendes. Nachdem das Lüderitz’sche Projekt sowohl in der deutschen als in der englischen Presse ausführlich besprochen ist – zuletzt in einem Artikel der ‚Times‘ vom 1ten d.Ms. – wird es zunächst darauf ankommen, Sicheres darüber zu erfahren, ob die dortige Regierung das Oberhoheitsrecht über die auf vielen neueren Karten als englisch bezeichnete Bay von Angra Pequeña beansprucht, und eventuell, worauf sich ein solcher Anspruch gründet. Epp. werden in der Lage sein, dies unter der Hand festzutstellen u. zugleich vorsichtige Erkundigungen darüber einzuziehen, ob man englischer Seits beabsichtigt, dem Unternehmen des p. Lüderitz entgegenzutreten. Letzterer hat hier die Ansicht ausgesprochen, daß ihm von den Eingeborenen in Afrika keine Gefahren drohen, dagegen befürchtet er Mißgunst und Eingriffe in seine Rechte durch die Engländer. Dies klingt nicht unwahrscheinlich, da anzunehmen ist, daß England bei der deutschen Tendenz eines Theils der holländischen Bauernbevölkerung in seinen südafrikanischen Besitzungen ein deutsches Etablissement vier Tagereisen von Kapstadt entfernt nicht gerne sieht. Einem gef. Berichte über die Erledigung dieses Erlasses sehe ich mit Interesse entgegen.

33. H. v. Bismarck an Stephan Schreiben. Abschrift. BA Koblenz, R 43 F/555, f. 29. – Druck jetzt in: Bismarck, NFA V S. 518.

Er teilt sein Einverständnis mit den Vorschlägen Stephans zur Einrichtung von Postdampferlinien nach Fernost mit. Die Marine kann nach Auskunft Caprivis daran nicht mitwirken. Gastein, 6. September 1883. Euerer Excellenz beehre ich mich die beiliegende Aufzeichnung vom 15. d.M. über das Seepostwesen87 gehorsamst zurückzureichen. Wie Euere ___________ 84

Wilhelm August Lippert (*1845), Konsul in Kapstadt 1878–1887. Krauel an Lippert, 18. August 1883 (BA Berlin-Lichterfelde, R 1001/1994, f. 81–82); Auszug in: Angra Pequena S. 168. 86 Vom 19. August 1883 mit dem Titel „Angra Pequenna“ (BA BerlinLichterfelde, R. 1001/1994, f. 80). 87 Oben Nr. 27. 85

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H. v. an Bismarck an P. zu Eulenburg Nr. 34*. H.Nr. v. 34*. Bismarck P. zu Eulenburg, 7. September 1883

Excellenz aus dem Marginaldekret am Schlusse desselben geneigtest entnehmen wollen, ist der Herr Reichskanzler mit Ihren Vorschlägen einverstanden. Fürst Bismarck hatte versucht, die Unterstützung der Admiralität für Euerer Excellenz Plan zu gewinnen, und dieserhalb an den Herrn Generallieutenant von Caprivi geschrieben88, um festzustellen, ob und eventuell in welcher Form die Kaiserliche Marine an dem Zustandekommen der überseeischen Postdampfschifflinien sich betheiligen oder sich interessiren könnte. Nach der heute hier eingegangenen Antwort des Herrn Chefs der Admiralität89, welche ich im Auftrage des Herrn Reichskanzlers schriftlich zur vertraulichen Kenntnißnahme beifüge, ist Herr von Caprivi leider nicht in der Lage, dem Unternehmen Unterstützung zu leihen. Fürst Bismarck bedauert dies, bittet aber Euere Excellenz, die Sache nunmehr selbst in die Hand nehmen und ihm demnächst, wenn der Plan erst feste Gestalt gewonnen haben wird, wieder berichten zu wollen.

34*. H. v. Bismarck an P. zu Eulenburg90 Privatbrief. Druck: Eulenburg-Hertefeld, Aus 50 Jahren S. 180.

Er ist entrüstet über die abfälligen Bemerkungen des Kronprinzen über das Niederwalddenkmal91 (das gerade eingeweiht worden war). Aus ihnen spricht „maßloser Eigendünkel und vollständigste Urteilslosigkeit“. Man darf nicht an die Übernahme der Regierung durch den Kronprinzen denken. Ich habe immer das Gefühl, als ob ein unschätzbares Kunstwerk [das Deutsche Reich], das nach jahrelangen Mühen musterhaft hergestellt ist, in die Hände eines törichten, eigensinnigen Kindes geraten soll, ohne daß man es vor dem sicheren Ruin zu bewahren vermag. Gastein, 7. September 1883.

___________ 88

Vgl. oben Nr. 30. Oben Nr. 31. 90 Philipp Graf zu Eulenburg-Hertefeld (1847–1921), Legationssekretär an der preußischen Gesandtschaft in München 1881–1887. 91 Der Kronprinz hat sich 1883 dem Grafen gegenüber folgendermaßen über das Niederwalddenkmal geäußert: Ich liebe nicht, auf diese Art den Nachbarn zu reizen. Die Franzosen werden dadurch noch mehr daran gemahnt, was sie verloren haben, und die übrigen Nationen werden an unsere Stärke erinnert, die ihren Neid unablässig herausfordert. (Eulenburg-Hertefeld, Aus 50 Jahren S. 178.) 89

Nr. 35. Friedrich15. Wilhelm Nr. 35. Viktoria anViktoria FriedrichanWilhelm, September 1883

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35. Viktoria an Friedrich Wilhelm Handschreiben. Eigenhändige Ausfertigung, Auszug. AHH, Schloß Fasanerie, KF 7/2 – 23/22.

Die Bulgarien-Krise. – Normann sollte seine großen Fähigkeiten außerhalb des Hofes noch in einer politischen Stellung schulen, ehe er nach einem Regierungswechsel ein Minister- oder ein hohes Hofamt bekommt. Potsdam, 15. September 1883. [Befinden der Kinder.] Die engl. Zeitungen sind voll von der Crisis in Bulgarien, indignirt über das Spiel der Russen, sympathisch für Sandro, u. hervorheben, daß die Großmächte sich wohl würden mit einem Wort hineinmischen müssen um weiteren Ehrgeizigen Plänen der Russen vorzubeugen. Was Du über Sommerfeld92 u. H. v. N[ormann] sagst – ist ganz meine Meinung. N. wird bitter, weil er k e i n e m Arbeit gönnt. Es ist auf der einen Seite wohl begreiflich, denn er kennt seine eigenen seltenen Kräfte, u. die größeren u. höheren Interessen der Politik u. des öffentlichen Lebens beherrschen ihn ganz – so daß er seine j e t z i g e T h ä t i g k e i t nur als einen Übergangs Posten ansieht. – Wo er nur i r r t ist in dem Glauben, daß man B e i d e s auf e i n m a l kann! Das geht n i c h t ! Oft w ü n s c h e ich ihm möglichst bald eine b e s t i m m t e p o l i t i s c h e Aufgabe, aber dann o h n e Hof-Stellung dabei, damit er noch so eine Art formelle Vorschule durchmachte e h e Du ihn dann – bei einem Regierungs Wechsel, sei es zu einem Minister oder einem Wilmowski bei Dir machst; denn d a n n wirst Du ihn so recht brauchen müssen. Eigentlich müßte er dies auch s e l b s t wünschen, nur hängt seine Frau sehr an einer H o f S t e l l u n g ! Trotzdem denke ich immer daß man sich das Alles recht überlegen müßte – damit seine werthvollen Kräfte Dir wohl recht lange erhalten bleiben u. an der wichtigen Stelle (die ihn selbst auch befriedigt) verwerthet werden93. Doch ich muß eilig abbrechen u. zum Thee gehen.

___________ 92 Gustav von Sommerfeld (1837–1905), Oberst à la suite des Generalstabes; persönlicher Adjutant des Kronprinzen 1883–1886. – Friedrich Wilhelms Brief an Viktoria vom 14. September 1883 in: AHH, Schloß Fasanerie, KF 7.1/1 – 24/23. 93 Zum Verhältnis der Kronprinzessin zu Normann vgl. auch Kollander, Frederick III S. 143–145, 159–161.

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Nr. 36*. Bismarck an I., Wilhelm I. Nr. 36*. Bismarck an Wilhelm 22. Oktober 1883

36*. Bismarck an Wilhelm I. Immediatbericht. Druck: Bismarck, GW VIc S. 282–283.

Er befürwortet dringend den Bau eines Nord-Ostsee-Kanals, um den Kriegshafen Kiel besser schützen und der russisch-französischen Seemacht Paroli bieten zu können. Er ist in seiner Außenpolitik sehr bemüht um friedliche österreichisch-russische Beziehungen. Diese Aufgabe wird durch die Schwäche der englischen Regierung erschwert. Mit einem so unfähigen Politiker, wie Gladstone94, der nichts als ein großer Redner ist, läßt sich keine Politik treiben, bei welcher England mit Sicherheit in Rechnung gezogen werden könnte. Das parlamentarische Musterreich England geht wie Frankreich der Republikanisierung, d.h. der Auflösung, entgegen. Wenn Gladstone noch einige Jahre am Ruder bleibt, so kann I.M. die Königin Victoria noch selbst die Anträge auf gesetzliche Abschaffung der Monarchie [ . . . ] erleben. [ . . . ] Möge Gott unser Vaterland auch ferner vor ähnlichen Ministern wie Gladstone behüten. Friedrichsruh, 22. Oktober 1883.

37*. Tagebucheintragung Hohenlohe-Schillingsfürsts Auszug. Druck: Rogge, Holstein und Hohenlohe S. 205.

Bleichröder zu Besuch. Dieser sorgt sich um das Verhältnis des Kronprinzen zu Bismarck. Wie werde der Kronprinz, wenn er Kaiser werde, sich zu Bismarck stellen? Der Mann des Kronprinzen sei Forckenbeck. Den werde Bismarck nie akzeptieren, wohl aber Bennigsen. Bleichröder hält den Einfluß der Kronprinzessin für gefährlich. Das Verhältnis zwischen dem Kronprinzen und seinem Sohn Wilhelm95, den Bismarck schätzt, sei unterkühlt. Berlin, 26. Oktober 1883.

___________ 94

Zu Bismarcks Urteil über Gladstone und England vgl. Riehl, „Tanz“ S. 79– 88 (mit der älteren Literatur und zahlreichen Quellen). 95 Zum Verhältnis zwischen dem Kronprinzenpaar und ihrem Sohn Wilhelm vgl. Röhl, Wilhelm II. S. 379–405.

Nr. 38.anRantzau an3.Holstein Nr. 38. Rantzau Holstein, November 1883

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38. Rantzau96 an Holstein97 Privatbrief. Ausfertigung. Auszug. PA Berlin, Nachlaß Holstein, Korrespondenz Bd. 14, f. 26–27. – Teildruck: Riehl, „Tanz“ S. 137–138.

Schlechter Gesundheitszustand Bismarcks. Er ärgert sich über die Sonderwünsche des Kronprinzen hinsichtlich seiner Reise nach Spanien. Friedrichsruh, 3. November 1883. [Dank für einen Brief.] Sie sollen aber doch noch ein paar Worte von mir über das Befinden des Chefs haben, das leider wieder so schlecht wie möglich ist. Ganz die alte Geschichte, Gelbsucht in hohem Grade, kein Appetit, Aufstoßen, Mattigkeit u.s.w. Ein Diätfehler ist seit 14 Tagen eigentlich nicht vorgekommen, und der war auch unbedeutend genug, es quiemt aber schon längere Zeit98; vielleicht sind die Gallensteine von selbst in Bewegung gerathen, und haben ein schnelleres Tempo angenommen in Folge des Aergers, den S.K.H. Auffassung über die Spanische Reise99 ihm verursacht hat. Nach einem Briefe dieses Hohen Herrn, der Abends am 26. ankam, ist das Befinden immer schlechter geworden. S.K.H. will die Fahrt als Vergnügungsreise ausnutzen und Frau und Kinder mitnehmen. Das machte große Arbeit, allein zwei lange Immediatberichte100 und wirkte noch schlimmer durch die unvermeidlichen Gedanken über das Schicksal, dem wir entgegengehen, wenn mal so geringes politisches Verständniß regieren wird. [Schweninger101; Graf Münster102; er soll den Brief wegen der Passagen über den Kronprinzen verbrennen.] ___________ 96

Kuno Graf zu Rantzau (1843–1917), Wirklicher Geheimer Rat (im Auswärtigen Amt 1878–1888); Schwiegersohn und Privatsekretär Bismarcks. 97 Friedrich von Holstein (1837–1909), Legationssekretär; Vortragender Rat im Auswärtigen Amt. – Quellen von kapitaler Bedeutung für die hier behandelten Jahre: Holstein, Die geheimen Papiere II und III. 98 Vgl. die Aufzeichnung des Hausarztes Bismarcks Dr. Eduard Cohen, vom 1. November 1883, in: Bismarck, GW VIII S. 482–483. 99 Im September 1883 weilte König Alfons XII. von Spanien auf Besuch in Deutschland. Der Kronprinz sollte einen Gegenbesuch machen. Zur politischen Bedeutung dieses Vorhabens und zur Bedeutung des Verhältnisses zwischen Bismarck und dem Kronprinzen vgl. Windelband, Berlin; Riehl, „Tanz“ S. 126–140. – Zu dem im folgenden erwähnten Brief Friedrich Wilhelms an Bismarck vom 26. Oktober 1883 vgl. Windelband, Berlin, S. 91–92. 100 Einer der Immediatberichte ebenda S. 97–100 (vom 3. Oktober 1883). 101 Ernst Schweninger (1850–1924), Leibarzt Bismarcks 1881–1890; Professor an der Berliner Universität (seit 1884). 102 Georg Graf zu Münster (1820–1902), deutscher Botschafter in London 1873– 1885, in Paris 1885–1900. – Biographie: Nostitz, Bismarcks unbotmäßiger Botschafter (besonders S. 133–157).

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Nr. 39*. Nr. 39*. Stosch an Stosch Freytag,an6.Freytag November 1883

39*. Stosch an Freytag Privatbrief. Druck: Stosch an Freytag II S. 22–23.

Besuch des Kronprinzen in Oestrich. Stoschs Eindruck: Solche Öde des Geistes und solch ein Mangel an Tatkraft, ist mir lange nicht entgegengetreten, wie in diesem Herren, und man muß Angst vor der Zukunft haben. Dagegen Stoschs Urteil über die Kronprinzessin, die er zuvor in Wiesbaden getroffen hatte: Sie ist ihm ein Rätsel in der Verschiedenheit ihres Denkens und Handelns. Oestrich, 6. November 1883.

40. Wilhelm I. an Bismarck Handschreiben. Eigenhändige und behändigte Ausfertigung. Praes.: 8. November 1883. PA Berlin, England 69 secr., Bd. 2, p. 117–120. – Teildruck (der letzten zwei Absätze) in: Windelband, Berlin S. 101–102.

In der bulgarischen Krise ist Deutschland direkt kaum beteiligt; falls Fürst Alexander aber gestürzt wird, darf Deutschland nicht schweigen. – In den Auseinandersetzungen in Frankreich zwischen Anhängern der Republik und jenen der Monarchie muß Deutschland einfach zuschauen. – An der Reise des Kronprinzen nach Spanien dürfen sich Familienmitglieder und sonstige Fürstlichkeiten nicht beteiligen. Berlin 7. November 1883. Sehr dankbar bin ich Ihnen für die hierbei zurück erfolgende Dépéche Ihres Sohnes u Ihrer Bemerkungen zu denselben103, die ich beide vollkommen mit meinen Auffassungen theile u namentlich die Antworten Ihres Sohnes sehr richtig finde. In der Bulgarischen Sache sind wir allerdings sehr wenig direct betheiligt, dennoch scheint mir, müßten wir vor allem, uns bei den Balcan Ver___________ 103

Bismarck an Wilhelm I. (Abschrift), 6. November 1883 (PA Berlin, England 69 secreta, Bd. 2, p. 114–116). – Bismarck hatte dem Kaiser den Brief seines Sohnes Herbert vom 3. November 1883 aus London übersandt mit dem Bemerken, er habe den Ausführungen nur hinzuzufügen, daß der Prinz von Wales sich H. v. Bismarck eher aus persönlichen als aus politischen Erwägungen (über die bulgarische Krise, über den Besuch Gladstones in Kopenhagen und über eine mögliche orleanistische Restauration in Frankreich) geöffnet habe. Der Brief H. v. Bismarcks in: H. v. Bismarck, Politische Privatkorrespondenz S. 184–187 (dort S. 187 Bismarcks Randbemerkungen).

Nr. 40.I.Wilhelm I. an Bismarck Nr. 40. Wilhelm an Bismarck, 7. November 1883

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hältnissen, auf die Aufrechterhaltung der Schöpfungen des Berliner Friedens stellen, u daher in dem vorliegenden Falle Bulgariens, den Fürst zu erhalten suchen. Die letzten Vorgänge sind noch nicht erledigt, aber sie beweisen doch klar genug, daß das russische Verfahren seiner dortigen Generale und Bevollmächtigten gegen den Fürsten ein solches gewesen ist, wie es durchaus nicht zu entschuldigen ist104. Dies scheint der Kaiser A.105 selbst einzusehen u man muß abwarten, ob er die Intrigen, die dort geschmiedet werden, strafen u beseitigen wird. Würde es aber immer klarer daß es wirklich auf den Sturz des Fürsten abgesehen ist, dann könnten wir doch als Vorsitzende des Friedens Congreßes nicht schweigen? Zu der Gladston. Episode106 habe ich nichts hinzuzufügen, denn auch mir erscheint dieselbe durchaus irrélevant zu sein, während man sonst diesen unberechenbaren Premier, Alles zutrauen darf, was man von einem s o l c h e n sonst nicht erwarten könnte! Mit Ihrer Auffassung was [er] als Zuthat zu den [?] französischen Verhältnissen, in Ihrem Brief an mich ausspricht, bin ich ganz einverstanden. Ich glaube aber daß im V o r a u s dort garnichts zu thun ist und wir uns nur freuen könnten, wenn ohne Einfluß von Außen, dort aus einer neuen Catastrophe, eine d u r a b l e M o n a r c h i e entstünde, denn darin hat der Prinz von Wallis ganz recht, daß durch die Dauer der Républik in einem so großen Staat, die Gefahr [= die Lage] der Nachbar-Staaten gefährdet ist! Daß in England die Spanische Reise doch schon bekannt war, ist nur über Wiesbaden107 möglich! Nachdem ich meinem Sohn unsere Ansicht über das Nicht-Mitreisen seiner Familie ausgesprochen hatte, u mein Enkel freiwillig seine Reise aufgegeben hatte, verlangte mein Sohn nochmals dessen Mitnahme u verwarf alle unsere Gründe108 u nun kommt gestern noch ein neuer Antrag, des Großherzogs von Baden an ihn, den Erbgroßherzog109 auch noch mitzu___________ 104

Als sich im Herbst 1883 die innerbulgarische Lage zuspitzte, entließ Fürst Alexander sowohl seinen Kriegs- wie auch seinen Innenminister, die beide russische Generäle waren. Vgl. allgemein Langer, European Alliances S. 323–364; für den hier interessierenden Zusammenhang: Riehl, „Tanz“ S. 140–152. 105 Alexander III. (1845–1894), Zar von Rußland 1881–1894. 106 Gladstone war auf einer Skandinavien-Reise in Kopenhagen am 18. September 1883 mit dem russischen Zaren zusammengetroffen, was zu allerhand Spekulationen Anlaß gab. Vgl. Riehl, „Tanz“ S. 153–154; Beloved Mama S. 148 mit Anm. 1. 107 Das Kronprinzenpaar befand sich Ende Oktober/Anfang November 1883 in Wiesbaden. 108 Vgl. Windelband, Berlin S. 94–103. 109 Friedrich Wilhelm (1857–1928), Erbgroßherzog von Baden; als Friedrich II. Großherzog von Baden 1907–1918.

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Nr. 41*.an Hatzfeldt an H. v. 12. Bismarck Nr. 41*. Hatzfeldt H. v. Bismarck, November 1883

nehmen!! was mein Sohn unterstützt! Natürlich verbleibt es bei der Nichtmitnahme beider Prinzen. Das Begleiten des großen Theils seiner Familie erklärt mein Sohn mit einem Mißverständniß, daß er bei B e z u g n a h m e auf die E i n l a d u n g des Königs von Spanien110 an die k r o n p r i n z l i c h e F a m i l i e dies gar nicht gemeint habe, mit seiner S e n d u n g zu verbinden! Tant mieux! Daß der Pz. von Wales fürchtet daß mit Frankreich zum 2tmal über Spanien ein Conflikt entstehen könne, verhüte der Himmel, da die quaest. Reise ja gerade en cas que ein Zugpflaster gegen einen Krieg sein soll, das wir an die Pyrenäen auflegen. [P.S.] ich bedaure sehr, daß Sie wieder weniger wohl sind, und hoffe, sehr, daß es nur vorübergehend sein wird.

41*. Hatzfeldt an H. v. Bismarck Erlaß. Druck: Angra Pequena S. 169; vollständig jetzt in: Bismarck, NFA V S. 588–589.

Er soll bei der englischen Regierung amtlich anfragen, ob sie Ansprüche auf das Gebiet von Angra Pequena erhebt und, im bejahenden Fall, auf welche Titel sich diese Ansprüche gründen111. Berlin, 12. November 1883.

42. Viktoria an Friedrich Wilhelm Privatbrief. Eigenhändige Ausfertigung. Auszug. AHH, Schloß Fasanerie, KF 7/2 – 23/33. – Teildruck: Röhl, Wilhelm II. S. 404–405.

Alle Versuche, auf Prinz Wilhelm einzuwirken, sind nutzlos. In den Beziehungen zu seinen Eltern ist er herzlos und kalt. Seine politischen Ansichten sind auf der Ebene junger Offiziere angesiedelt. Er sollte mit erfahrenen Politikern wie Roggenbach und Schleinitz verkehren. Es ist bitter, ihn so zu erleben und tatenlos zusehen zu müssen. ___________ 110

Alfons XII. (1857–1885), König von Spanien 1874–1885. Die Antwort der englischen Regierung vom 21. November 1883 in: Angra Pequena S. 169–170; BDFA I F vol. 18 S. 189. 111

Nr. 42.anViktoria anWilhelm, Friedrich14. Wilhelm Nr. 42. Viktoria Friedrich November 1883

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Wiesbaden, 14. November 1883. [Sie hat einen Brief vom Erzbischof von Canterbury112 erhalten, in dem dieser sich bedankt, daß der Kaiser sich entschlossen habe, das Bistum Jerusalem weiterzubetreiben, und empfiehlt als neuen Bischof den deutschen Missionar und Gelehrten Dr. Weitbrecht113.] Es thut mir leid um die vielen schönen Worte die Du an Wilhelm114 verschwendet hast! Sein rücksichtsloses Benehmen gegen uns entspringt aus seinem Bodenlosen Egoismus u. aus seiner H e r z l o s i g k e i t aus seiner B e q u e m l i c h k e i t , um sich das v o r s i c h s e l b s t u. vor uns zu rechtfertigen, thut er als wärest D u unfreundlich gegen ihn. Es sind J a h r e vergangen ohne daß i c h Politik mit ihm gesprochen hätte, ich vermeide es grundsätzlich! P o l i t i k wäre auch das L e t z t e was ich [in] einem Brief von ihm verlangte, oder ihm gar schreiben würde. Ein B i s c h e n I n t e r e s s e , W ä r m e u. Theilnahme sind das Einzige was ich je von ihm erhofft! Ein Bischen Liebe u. Dankbarkeit für das viele welches ich für ihn gelitten u. gethan! Auf Gleichheit der Auffassung u. Gesinnung mache ich gar keinen Anspruch – dazu müßten Geistes- u. Characteranlagen die selben sein, – u. sie sind es n i c h t im Geringsten, ich habe sie auch nie dafür gehalten! Ich habe aber noch nie gehört daß dies eine nothwendige Bedingung sei – um gut für seine Eltern zu sein. – Sein Trotz m a g von anderer Seite encouragiert werden, d a s weiß ich n i c h t . Die Zeit muß ihn erziehen! Er hat ein Bedürfniß nach Anerkennung, D u kannst als Soldat beurtheilen was er in dieser Branche leistet, u. bist gewiß nicht geneigt, ihm Ermuthigungen vorzuenthalten wenn er sie verdient! Was weiß er von Deiner oder meiner politischen Auffassung? G a r n i c h t s – was ist die seinige? – einfache Lieutenants Ansichten, wie sie ein jeder hat, der nicht in anderen Kreisen verkehrt, – n i e m a l s liest, n i c h t s anderes hört – als was man auf Jagd oder unter j u n g e n unerfahrenen Officeren schwätzt! Er verdient n i c h t au sérieux genommen zu ___________ 112

Edward White Benson (1829–1896), Erzbischof von Canterbury 1883–1896. Theodor Christlieb Weitbrecht (1833–1889), deutscher evangelischer Theologe an der Universität Bonn 1868–1889; Mitbegründer der Missionswissenschaft; war von 1858 bis 1865 Pfarrer einer deutschen Gemeinde in London. – Das von Preußen und Großbritannien 1842 gegründete protestantische Bistum Jerusalem war mit dem Tod des letzten englischen Bischofs, Joseph Barclay, 1882 vakant geworden. Nach dem Bistumsvertrag war nun ein preußischer (deutscher) Bischof an der Reihe. Die Verhandlungen darüber zogen sich mehrere Jahre hin, bis die deutsche Regierung – nicht zuletzt wegen der über der deutschen Kolonialpolitik entstandenen Spannungen – den Vertrag am 3. November 1886 kündigte. 114 Wilhelm (1859–1941), Prinz; als Wilhelm II. Deutscher Kaiser und König von Preußen 1888–1918. – Zu den schlechten Beziehungen zu seinen Eltern vgl. Röhl, Wilhelm II. S. 402–405. 113

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Nr. 42.anViktoria anWilhelm, Friedrich14. Wilhelm Nr. 42. Viktoria Friedrich November 1883

werden. Traurig ist nur, daß er n i c h t den Trieb hat, ältere, klügere Leute kennen zu lernen u. von ihnen sich anlehren zu lassen, u. daß seine Frau nicht klug genug ist um f ü r ihn zu s e h e n , h ö r e n , lassen denken u. lernen, um ihn anzuregen, ihm zu helfen, ihn weiter zu bringen. Er müßte immer nur mit Leuten verkehren die ihm weit überlegen sind, dann könnte er geistig w a c h s e n u. sich entwickeln. Er glaubt sich aber seiner Frau überlegen, welches er vielleicht auch ist u. es ist ihm bequemer, nicht f o r s c h e n , z w e i f e l n , geistig a r b e i t e n zu müßen! Es thut mir l e i d , daß er nicht nach Spanien geht. Wenn er zum Beispiel am theuren Stockmar h i n g e wie w i r , wenn er Freunde hätte wie Roggenbach, Schleinitz, Schrader, Hillebrand115 – u. so viele andere unserer Vertrauten – dann würde sich die Welt in seinem Kopf anders spiegeln. Er stemmt sich aber gegen einen solchen Einfluß u. Verkehr, wie e i n s t Du selbst , – nur daß sein Trotz stärker ist als Deiner war, u. daß – d a s H e r z , welches der S c h l ü s s e l ist zur I n t e l l i g e n z – bei ihm n i c h t vorhanden ist. Ich muß ein wahres Martyrium durchmachen – welches darin besteht – mit vollommenster Resignation j e d e Illusion fahren zu lassen, die beiden g a n z laufen zu lassen, u. mich um sie nicht anders zu bekümmern als ihnen ein freundliches Gesicht zu machen! Dies kann wenigstens zur Opposition nicht reizen. – Die Welt ist gar zu komisch, u. das Leben wird von Tag zu Tag n i c h t l e i c h t e r aber schwerer, aber s e l b s t kann man w a c h s e n u . r e i f e n u. dazu muß jede Erfahrung beitragen. Ich werde versuchen über jede Bitterkeit mich zu erheben, u. als eine Schwäche von mir zu streifen. „Tout comprendre c’est tout pardonner“ u. ich bestrebe mich Wilhelm’s komischen Character recht zu erkennen u. bin ihm drum n i c h t böse! Wenn er m i c h um viel Glück u. Trost u. Freude b r i n g t – so weiß er nicht was e r alles dabei verliert, u. so dauert er mich doch! Er kann nichts dafür daß er das w a r m e t r e u e l o y a l e Herz meines kleinen Waldie116 nicht hat! Lebewohl ___________ 115

Franz Freiherr von Roggenbach (1825–1907), badischer Außenminister und Minister des großherzoglichen Hauses 1861–1865; vertrauter Ratgeber des Kronprinzen. – Alexander Graf von Schleinitz (1807–1885), preußischer Außenminister 1848, 1849/50, 1858–1861; Minister des königlichen Hauses 1861–1885. – Karl Schrader (1834–1913), MdR (linksliberal, freisinnig) 1881–1912. – Mit Hillebrand ist vermutlich gemeint: Karl Hillebrand (1829–1884), Publizist und Essayist; schrieb u.a. für die „Augsburger Allgemeine“, die „Deutsche Rundschau“, die „Contemporary Review“ und die „Fortnightly Review“. 116 Waldemar (1868–1879), Prinz; vierter Sohn des Kronprinzenpaares; er war an Diphtherie gestorben.

Nr. 43*.an Bismarck I. Nr. 43*. Bismarck WilhelmanI.,Wilhelm 16. November 1883

115

[P.S.] Hinzpeter117 schmeichelt Wilhelm wohl ein wenig um noch etwas Einfluß auf ihn zu behalten, denn seine Auffassungen sind die unsrigen u. nicht diejenigen von Wilhelm.

43*. Bismarck an Wilhelm I. Immediatbericht. Druck: GP III S. 302–305.

Unterredung mit dem russischen Außenminister Giers118. Dieser rechtfertigt die russischen Truppenverstärkungen an der Grenze: Sie würden zurückgenommen, sobald die Fortifikationsarbeiten dort vollendet seien; von Deutschland sei kein Angriffskrieg zu erwarten, solange der Kaiser regiere; nach dem Thronwechsel werde man indes nicht mehr so sicher sein können, da in Berlin dann der englische Einfluß vorherrschen könne. Bismarck hält Giers gegenüber eine solche Kalamität für unmöglich; eine Kriegsgefahr berge allerdings das Verhältnis Rußlands zu Österreich; im Falle eines Krieges zwischen diesen beiden Mächten könne Deutschland seinen Verbündeten nicht im Stich lassen; das Bündnis mit Italien diene der Befestigung des dortigen monarchischen Gedankens; die beste Garantie zur Wahrung des europäischen Friedens sei, das enge Verhältnis der drei Kaisermächte zu erhalten, um „den Fortschritten der Demokratie“ Paroli bieten zu können. Giers war über die Beteuerung Bismarcks, Deutschland wünsche die Fortsetzung des im Juni 1884 ablaufenden Drei-KaiserBündnisses, sehr zufrieden; er habe nur den Wunsch nach einer unwesentlichen Änderung im Bündnisvertrag angedeutet; darüber könne man sich in den nächsten Wochen einigen119. Friedrichsruh, 16. November 1883. ___________ 117

Georg Ernst Hinzpeter (1827–1907), Erzieher des Prinzen Wilhelm 1866–

1877. 118

Nikolaj Karlovič Giers [Girs] (1820–1895), russischer Außenminister 1882– 1895. – Zu den deutsch-russischen Beziehungen 1883 vgl. Windelband, Bismarck S. 409–417, 447–458. 119 Vgl. auch die Tagebucheintragung M. Buschs vom 16. November 1883: ,Giers [so Bismarck] hat den Kaiser recht hinfällig gefunden, und vielleicht dauerts mit ihm nicht lange mehr. Wenn er tot ist, gehe ich auch. Er ist ein alter tapferer Herr [ . . . ] . Mit dem Kronprinzen mache ich aber keine Experimente, dazu bin ich überhaupt der Überzeugung, daß dann das, was wir seit sechsundsechzig geschaffen haben, keinen Bestand hat.‘ Er nannte im weiteren Verlauf seiner Rede die Kronprinzessin ‚eine liberale Engländerin‘, eine ‚Anhängerin Gladstones‘ und behauptete, sie ‚habe auf ihren Gemahl mehr Einfluß, als zu wünschen wäre.‘ (M. Busch, Tagebuchblätter III S. 164.)

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Nr. 44*.anLüderitz an 20. Bismarck Nr. 44*. Lüderitz Bismarck, November 1883

44*. Lüderitz an Bismarck Bericht. Druck: Angra Pequena S. 169.

Er teilt mit, daß er außer der schon in seinem Besitz befindlichen Bucht von Angra Pequena auch den Küstenstreifen nördlich des Oranje-Flusses bis zum 26. Breitengrad nebst Hinterland (in einer Breite von 150 km) käuflich erworben hat. Bremen, 20. November 1883.

45. Rantzau an das Auswärtige Amt Angabe. Behändigte Ausfertigung. Praes.: 24. November 1884. PA Berlin, Deutschland 129 secr., Bd. 7, f. 26–27.

Bismarck wünscht, nach Wien und Bukarest mitzuteilen, daß der Besuch Giers’ in Berlin absolut beruhigend gewirkt hat; Giers habe die deutsche Auffassung begrüßt, daß die monarchischen Mächte in Europa gegenüber den republikanischen Gefahren, die von Frankreich und England drohten, zusammenhalten müßten. [o.Nr.]

Friedrichsruh, 23. November 1883.

Der Herr Reichskanzler bittet mit Benutzung des zutreffenden Inhaltes des geheimen Immediatberichtes vom 16. d.Mts120 und des geheimen Erlasses nach Wien vom 19. d.Mts121 auf sicherem Wege nach Wien und Bukarest zu schreiben, daß sein Eindruck von dem Besuche des Herrn von Giers ein sehr beruhigender gewesen wäre. Dies sei besonders deshalb der Fall gewesen, weil Herr von Giers ausdrücklich angeführt habe, daß der Kaiser Alexander ihm befohlen habe, den Besuch zu machen, um Seine friedliche Gesinnung auszusprechen. Die Garantie läge also nicht in Herrn von Giers, sondern in dem Kaiser selbst. Der Kaiser wäre nicht ein Charakter, der unaufrichtig genug wäre, um solche Züge zu machen, daß er mit der Absicht des Besuches im Herzen unaufgefordert und ungefragt friedliche Zusicherungen gäbe. Dergleichen ließe sich von diesem hohen Herrn nicht erwarten. – Ueber die starken Truppenaufstellungen habe Hr von Giers die Erklärung gegeben, daß dieselben nur provisorisch wären, bis die Grenzbefestigungen genügend ausgebaut wären; so lange dies nicht der Fall wäre, müßten die Russen mehr Truppen als sonst erforderlich an der Grenze ___________ 120 121

Oben Nr. 43. GP III S. 305–307.

Nr. 46. Promemoria Kusserows Nr. 46. Promemoria Kusserows, [Ende] November 1883

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haben, weil man, wenn man weder Festungen noch Truppen dort hätte, im Fall des Angriffes zu sehr in’s Treiben kommen würde. – Wenn wir eine Kriegsgefahr befürchteten, so würden wir selbstverständlich sofort unsere Bundesgenossen von den uns bedrohlich erscheinenden Symptomen in Kenntniß setzen. – Herr von Giers sei besonders empfänglich gewesen für den Gedanken, daß die monarchischen Mächte in Europa zusammen halten müßten, um den Gefahren entgegenzutreten, die aus der propagandistischen Tendenz der französischen Republik und aus der zunehmenden Gravitation der Englischen Zustände in der Richtung republikanischer Institutionen für die monarchischen Einrichtungen entständen, in welchen wir die einzige Sicherheit für die Zukunft erblickten. Herrn von Giers habe den ihm so entwickelten Gedanken als der Auffassung des Kaisers Alexander unbedingt entsprechend bezeichnet.

46. Promemoria Kusserows122 Abschrift. BA Koblenz, Nachlaß Bismarck, A 23.

In London ist angefragt worden, ob englischerseits Ansprüche auf Angra Pequena geltend gemacht würden. In der Zwischenzeit hat Kaufmann Lüderitz das Gebiet dem Häuptling J. Fredericks abgekauft und bittet für diesen Besitz um den Schutz des Reiches. Die abwartende Haltung Englands steht im Widerspruch zu früheren amtlichen Kundgebungen, vor allem gegenüber Spanien. Es steht zu befürchten, daß England auf Gebiete in Westafrika, auf Neuguinea und auf Inseln in der Südsee neuerdings Ansprüche erhebt. Deutschland sollte jetzt selbst Schutztitel in diesen Regionen geltend machen. Berlin, [Ende] November 1883. Bei Vorlegung des Berichts aus London vom 22. d.M.123 bemerke ich gehorsamst, daß in Gemäßheit Euerer Durchlaucht Weisung vom 10. d.M.124 Graf Münster unter dem 12. d.M. beauftragt worden war125, bei der ___________ 122

Heinrich von Kusserow (1836–1900), Vortragender Rat und Geheimer Legationsrat (seit 1879) im Auswärtigen Amt für Kolonialangelegenheiten 1874–1884; preußischer Gesandter bei den Hansestädten und den mecklenburgischen Höfen 1885–1890. 123 Angra Pequena S. 169. 124 Rantzau an Auswärtiges Amt, 10. November 1883 (BA Berlin-Lichterfelde, R 1001/1995, f. 7). 125 Oben Nr. 41.

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Nr. 46. Promemoria Kusserows Nr. 46. Promemoria Kusserows, [Ende] November 1883

Großbritannischen Regierung mündlich, jedoch amtlich anzufragen, ob englischerseits Ansprüche auf das Gebiet von Angra Pequena erhoben würden oder nicht, und, im bejahenden Falle, auf welche Titel sich diese Ansprüche gründen. Während die Antwort noch ausstand, hat der Chef des Hauses Lüderitz in Bremen unter dem 20. d.Mts. einen Vertrag vom 25. August d.Js. mitgetheilt126, durch welchen der Häuptling Joseph Fredericks in Bethanien der Firma Lüderitz, außer der bereits in Besitz genommenen Bai von Angra Pequenna, auch den übrigen Theil der Küste vom Orange-Fluß aufwärts bis zum 26. Grad südlicher Breite, nebst 20 geographischen Meilen Landesfläche von jedem Punkte der Küste aus für 500 £ St. in Gold verkauft hat, und der Besitzübergang zugleich mit der erfolgten Zahlung als perfekt geworden bestätigt wird. Herr Lüderitz bittet, auch diesem Besitze den deutschen Schutz angedeihen zu lassen127. Der erforderte Bericht des Kaiserlichen Konsulats in Capstadt über die jüngsten Vorgänge in Angra Pequenna128, welche den Gegenstand des mit dem Promemoria vom 25. v.Mts.129 gehorsamst wieder angeschlossenen Berichts aus London vom 22. v.M.130 bildeten, ist noch nicht eingetroffen. Der jetzt von England eingenommene Standpunkt steht im Gegensatz zu den uns früher auf unsern wiederholten Anfragen ertheilten Antworten und zu den sonstigen amtlichen Kundgebungen der Großbritannischen Regierung über den Bereich ihrer Oberhoheit und Jurisdiktion in Südwest-Afrika, welche in dem gehorsamst angeschlossenen Aktenauszug131 resumirt sind. Der jetzt englischerseits erhobene Anspruch auf die ganze südwestafrikanische Küste vom 18. Breitengrad bis zum Orange-Fluß132 steht indeß ___________ 126

Oben Nr. 44. Diese Angabe ist in der Weißbuch-Veröffentlichung (vgl. die vorangehende Anm.) fortgelassen und steht nur im Original: Lüderitz an Bismarck, 20. November 1883 (BA Berlin-Lichterfelde, R 1001/1995, f. 22). 128 Lippert sandte folgende einschlägige Berichte, die über drei Wochen Postlaufzeit beanspruchten: 1) 6. November 1883 (ebenda f. 17–18); 2) 19. November 1883 (ebenda f. 71–74); 3) 19. Dezember 1883 (ebenda f. 75–76). 129 Promemoria Busch, 25. Oktober 1883 (BA Berlin-Lichterfelde, R 1001/1994, f. 134–135). 130 Münster an Bismarck, 22. Oktober 1883 (ebenda f. 130). 131 BA Berlin-Lichterfelde, R 1001/1995, f. 35–43. 132 Die als Blaubuch im August 1884 veröffentlichten Akten zu Angra Pequena sind: Correspondence respecting the Settlement at Angra Pequena; für das Jahr 1883: S. 9–35; für den hier angesprochenen neuerdings erhobenen englischen Anspruch ebenda S. 24 (No. 30; die deutsche Übersetzung im deutschen Weißbuch: Angra Pequena S. 169). 127

Nr. 46. Promemoria Kusserows Nr. 46. Promemoria Kusserows, [Ende] November 1883

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nicht nur in concreto im Widerspruch mit den früheren Aeußerungen und Kundgebungen der Großbritannischen Regierung in Betreff der Grenze des Gebiets in Südwest-Afrika, wo England Hoheitsrechte besitze und Schutz zu gewähren im Stande sei, sondern auch mit dem prinzipiellen Standpunkt, über welchen sich England mit uns in den Jahren 1874/75 aus Anlaß von Ansprüchen Spaniens auf die Carolinen und Pelew-Inseln und in der SuluAngelegenheit verständigt hat.133 Zufolge Berichts des Grafen Münster vom 4. Dezember 1874134 bezeichnete Lord Derby135 jene Spanischen Prätensionen und deren Begründung (die Carolinen-Inseln würden spanischerseits als zum großen PhilippinenArchipel und zu der Spanischen Interessen-Sphäre gehörig bezeichnet) als eine geradezu lächerliche Anmaßung. Das Londoner Kabinet forderte uns zum gemeinsamen Protest in Madrid auf und erklärte, daß die Großbritannische Regierung überhaupt auf k e i n e m Gebiete, auf dem nicht d a u e r n d Hoheitsrechte f a k t i s c h a u s g e ü b t würden, die Souveränität einer anderen Macht anerkennen könne. Zufolge Berichts vom 5. März 1875 äußerte Lord Derby, die Spanier könnten mit demselben Recht, welches sie jenen unabhängigen Inseln gegenüber plötzlich geltend machten, auch einmal plötzlich die Isle of Wight beanspruchen. Die in Madrid übergebene Protestnote des Herrn Layard136 vom 3. März 1875137 erklärte „that Her Majesty’s Government do not admit the right claimed by Spain over the Caroline, or Pelew Islands, over which she has never exercised, and does not now exercise any actual dominion“. England und seine Colonien erheben jetzt als ihre angeblich „legitimate rights“ Ansprüche auf Gebiete von der drei- und sechsfachen Ausdehnung ___________ 133 Zu den Anfängen des Karolinenstreits zwischen Spanien, England und Deutschland vgl. Hardach, König Kopra S. 47 (dort Anm. 7 die ältere Literatur). – Die Sulu-Inseln sind eine Inselgruppe zwischen der Nordost-Spitze von Borneo und Mindanao, die Spanien 1876 dem Archipel der Philippinen einverleibte. Vgl. Havemann, Spanien S. 104–108. Quellen zu den englisch-spanischen Auseinandersetzungen über die Sulu-Inseln in den hier behandelten Jahren in: BDFA I E Bd. 28 S. 193–255. 134 Diese und die im folgenden genannten Berichte Münsters aus den Jahren 1875 und 1874 in der Sache werden in dem in Anm. 131 genannten Aktenauszug in ihren Kernpunkten zusammengefaßt. 135 Edward Henry Smith Stanley, 15th Earl of Derby (1826–1893), englischer Kolonialminister 1882–1885. – Tagebücher: Derby, Diaries (für die Jahre 1883– 1885: S. 493–797). 136 Austen Henry Layard (1817–1894), englischer Gesandter in Madrid 1869– 1877, danach Botschafter in Konstantinopel bis 1880. 137 Oben in Anm. 132 nachgewiesen.

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Nr. 46. Promemoria Kusserows Nr. 46. Promemoria Kusserows, [Ende] November 1883

von Großbritannien und Irland, ohne hierfür einen besseren Titel, als denjenigen der Spanier auf die Carolinen zu besitzen. Wie ganz Südwest-Afrika so kann England jeden Augenblick auch alle noch unabhängigen Gebiete Afrika’s am Golf von Guinea und an der Ostküste unter dem Gesichtspunkt der Nachbarschaft einer seiner Kolonien, welche eine Gebietserwerbung Seitens einer anderen Macht unerwünscht erscheinen lassen würde, für sich in Beschlag nehmen. In gleicher Weise werden neuerdings auch Neu-Guinea und das ganze noch unabhängige Inselgebiet der Südsee von den Englisch-Australischen Kolonien beansprucht, und sieht sich der deutsche Handelsstand hierdurch in seinen Interessen schwer bedroht. Welche Stellung wir aus politischen Opportunitätsgründen gegenüber solchen Ansprüchen in Afrika wie in der Südsee z.Zt. einnehmen sollten, so dürfte wohl eine förmliche, Deutschland für die Zukunft bindende Anerkennung dieser Prätensionen zu vermeiden sein. Wir werden indeß auch kaum umhin können, überall wo England n i c h t t h a t s ä c h l i c h Jurisdiktion ausübt und unseren Angehörigen ausreichenden S c h u t z g e w ä h r t , diesen Schutz selbst in die Hand zu nehmen bezw. in der Hand zu behalten. Auch läßt die auf Fidji, mit Respektirung der wohlerworbenen Rechte von Reichsangehörigen auf Grundeigenthum gewonnenen schlimmen Erfahrung es rathsam erscheinen, daß wir in den bisher unabhängigen Gebieten, wo England die Ausübung von Schutz jetzt übernehmen sollte, uns nicht lediglich mehr auf das Wohlwollen und die Gerechtigkeit Englischer Behörden verlassen, sondern auf Arrangements mit der Englischen Regierung Bedacht nehmen, durch welche die deutschen Eigenthumstitel gegen spätere Anfechtungen sicher gestellt werden. Was speciell Angra Pequenna anbelangt, so würden die Worte in der Note Lord Granville’s138 „They (die Großbrit. Regierung) trust that it may be found practicable to make such arrangements as may enable the German Traders to share in the occupation of the land at Angra Pequeña“ eventl. zu geeigneter Zeit, verwerthet werden, um z.B. in diesem Falle solche Arrangements herbeizuführen.

___________ 138

George Leveson-Gower, Lord Granville (1815–1891), englischer Außenminister 1870–1874, 1880–1885. – Sein Briefwechsel mit Gladstone: Gladstone/Granville Correspondence II.

Nr. 47*. Tagebucheintragung Spitzembergs Nr. 47*. Tagebucheintragung Spitzembergs, 2. Dezember 1883

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47*. Tagebucheintragung Spitzembergs139 Auszug. Druck: Spitzemberg, Tagebuch S. 202–203.

Besuch bei Bismarck in Friedrichsruh. Der Kanzler äußert schwarze Gedanken über Deutschlands Zukunft: Dies Volk kann nicht reiten! Die was haben, arbeiten nicht, nur die Hungrigen sind fleißig, und die werden uns fressen. Ich sage dies ohne Bitterkeit und ganz ruhig: ich sehe sehr schwarz in Deutschlands Zukunft. Wenn die ,Forchow und Wirkenbeck’ (Forckenbeck und Virchow) ans Ruder kommen und von oben her protegiert werden, so fällt alles wieder auseinander. Sie sind alle kleinlich und enge, keiner wirkt für das Ganze, jeder stoppt nur an seiner Fraktionsmatratze. Die Fürstin hat beim Abschied beigefügt, daß Bismarck oft nächtelang simuliere, wem er scheidend sein Werk überlassen könnte, und keinen finde: Sie sind zu eng, so eng! – Der ebenfalls auf Besuch weilende Schweinitz140 teilt Bismarcks Pessimismus nur bedingt. Bismarck zählt in seiner Außenpolitik nicht auf die parlamentarisch regierten Länder Europas (Frankreich, Italien, England), sondern baut auf Rußland. Friedrichsruh, 2. Dezember 1883.

48. Tagebucheintragung Waldersees141 Eigenhändig. Auszug. GStAPK Berlin, Nachlaß Waldersee, Rep. 92 A I Nr. 12, Tagebuch, f. 86.

Normann wird wohl aus der Umgebung des Kronprinzen entfernt. [o.O.]

17. Dezember 1883.

Es besteht in der Tat gegründete Aussicht, Normann zu Fall zu bringen. Die Kronprinzeß sieht ein, daß er fort muß, und es ist damit nach meiner Ansicht die Hauptsache erreicht. ___________ 139

Hildegard Freifrau von Spitzemberg (1843–1914), Gattin des württembergischen Gesandten in Berlin, des Freiherrn Carl von Spitzemberg. – Ihre Tagebücher: Spitzemberg, Tagebuch (für die Jahre 1883–1885: S. 198–221). 140 Hans Lothar von Schweinitz (1822–1901), General; Botschafter in St. Petersburg 1876–1892. Erinnerungen: Schweinitz, Denkwürdigkeiten (für die Jahre 1883–1885: S. 219–311); Briefe: Schweinitz, Briefwechsel (hier S. 194–211). 141 Alfred Graf von Waldersee (1832–1904), Generalleutnant; Generalquartiermeister und Vertreter des Chefs des Generalstabes der Armee 1882–1888; Chef des Generalstabes 1888–1891. – Erinnerungen und Tagebücher: Waldersee, Denkwürdigkeiten I (für 1883–1885: S. 224–269).

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Nr. 49*.an Hatzfeldt Wentzel Nr. 49*. Hatzfeldt Wentzel,an22. Dezember 1883

Der Kronprinz kehrt von Rom zu Weihnachten hierher zurück und dann wohl die Entscheidung fallen.

49*. Hatzfeldt an Wentzel142 Erlaß. Teildruck: Togogebiet S. 128.

Es soll alsbald eine kommissarische Vertretung der deutschen Interessen an der westafrikanischen Küste eingerichtet werden. Der deutsche Handel dort soll vor Benachteiligungen geschützt werden. Der Handelsvertrag mit Liberia soll bestätigt und gegebenenfalls revidiert werden. Die Hansestädte sollen Vorschläge für das Aufgabengebiet des dort 1885/86 einzurichtenden Generalkonsulats machen. Berlin, 22. Dezember 1883.

50*. C. A. Busch an Münster Erlaß. Druck: Deutsche Land-Reklamationen auf Fidji S. 446.

Er soll an den bisher unbeantwortet gebliebenen Vorschlag erinnern, die deutschen Reklamationen wegen Landenteignungen auf Fidschi143 durch beiderseitige Kommissare zu erledigen. Berlin, 31. Dezember 1883.

51. Tagebucheintragung Waldersees Eigenhändig. Auszug. GStAPK, Nachlaß Waldersee, Rep. 92 A I Nr. 12, f. 86v.

Vorerst keine Aussicht auf den Sturz Normanns. Viele Intrigen, was den zukünftigen Kaiser angeht. ___________ 142

Otto von Wentzel (1819–1899), preußischer Gesandter bei den Hansestädten und an den mecklenburgischen Höfen 1875–1885. 143 Zu den Fidschi-Landreklamationen vgl. Riehl, „Tanz“ S. 243–246 (dort Anm. 68 die ältere Literatur). Die Fidschiinseln wurden 1874 von England annektiert; die seitens der Häuptlinge zuvor erfolgten Landverkäufe erkannte die Kolonialregierung zum größten Teil nicht an. Davon waren deutsche Interessenten betroffen.

52*. Tagebucheintragung Holsteins Nr. 52*.Nr. Tagebucheintragung Holsteins, 5. Januar 1884

123

[o.O.] 5. Januar 1884 Im kronprinzlichen Palais wechselt die Stimmung häufig. Aus dem Sturz des Herrn von Normann wird vorläufig nichts144. Es ist wunderbar, wie jämmerlich die Masse der Menschen ist. Recht viele schwanken jetzt zwischen ihrem eigenen Gefühl und ihrem Vortheil; sie wollen es nicht gern mit dem zukünftigen Kaiser verderben. Ich hoffe der liebe Gott erhält den jetzigen noch recht lange; dann zerfallen alle diese jämmerlichen Intrigen.

52*. Tagebucheintragung Holsteins Druck: Holstein, Die geheimen Papiere II S. 49–50.

Der Hofmarschall des Kronprinzen, Normann, hat diesem auf seiner Spanienreise145 mancherlei Unannehmlichkeiten mit den ihn begleitenden Journalisten bereitet. Normann war es auch, der die Mitreise des KronprinzenVertrauten Stosch betrieben hat, die dank der Intervention der Kronprinzessin nicht zustande kam. Beide arbeiten eng zusammen. Wenn Stosch Reichskanzler werden sollte, könnte Normann sich aussuchen, was ihm paßt. Es würde nicht schaden, wenn Normann, der eine Spaltung zwischen dem Kronprinzen und Bismarck herbeiführen will, vom kronprinzlichen Hof verschwände. [o.O.] 5. Januar 1884.

53. Tagebucheintragung Friedrich Wilhelms Eigenhändig. Auszug. GStAPK Berlin, BPH, Kaiser Friedrich III., Rep. 52, F I Nr. 7x, p. 6.

Er hat vom verstorbenen Lasker viel für die Zukunft erwartet. [o.O.] 5. Januar 1884 146

[ . . . ] Den Tod des Abgdt Eduard Lasker erfahren, der letzte Nacht in New York plötzlich an Herzschlag verstarb. Ich achtete u. schätzte in ihm ___________ 144

Vgl. oben Nr. 48. Zur Spanienreise des Kronprinzen vgl. Windelband, Berlin; Riehl, „Tanz“ S. 126–140. Einige neue Quellen jetzt in: Bismarck, NFA V S. 557–559, 563–566, 575–576, 578–579. 146 Eduard Lasker (1829–1884), liberaler Politiker; MdR 1867–1884 (nationalliberal; Liberale Vereinigung). – Lasker, einer der markantesten Gegenspieler 145

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Nr. 54. Tagebucheintragung Holsteins Nr. 54. Tagebucheintragung Holsteins, 6. Januar 1884

den uneigennützigen, überzeugungstreuen Mann der sich immer gleich blieb im langjährigen Ringen um seine Auffassungen von freisinnigen Grundsätzen und RegierungsHandhabung, wenn auch sein Wirken mehr theoretisch als practisch verwendbar war! Viel hatte ich von ihm für meine Zukunft noch erhofft.

54. Tagebucheintragung Holsteins Eigenhändig. PA Berlin, Nachlaß Holstein, Tagebuchblätter, Bd. 72, f. 12.

Der Herausgeber der „Norddeutschen Allgemeinen Zeitung“ druckt aus eigener Initiative Teile eines Artikels aus dem linksliberalen „Reichsfreund“ ab, in dem über die Audienz des Kronprinzen beim Papst berichtet wird. Dieser Artikel soll offenbar nachweisen, daß die Linksliberalen „die Royalisten der Zukunft“ sind. [o.O.] 6. Januar 1884. Den gestrigen Artikel der Norddeutschen147 gegen die National-Zeitung148 hat Pindter149 lediglich aus eigner Initiative losgelassen. Auf meine Anfrage ___________ Bismarcks, war am 5. Januar 1884 auf einer USA-Reise verstorben. Der Leichnam wurde per Schiff nach Bremerhaven und von dort per Zug nach Berlin verbracht, wo er am 26. Januar ankam. Über Lasker jetzt: Schuder, „Fremdling“ (über die Trauerfeier und die öffentliche Anteilnahme ebenda S. 210–238); ferner Riehl, „Tanz“ S. 183–196 (mit zahlreichen Belegen und der älteren Literatur). 147 „Norddeutsche Allgemeine Zeitung“, konservativ-liberale Tageszeitung; gegründet 1861; seit 1863 staatlich subventioniert; galt als das Sprachrohr Bismarcks; 1918 in „Deutsche Allgemeine Zeitung“ umbenannt; 1945 eingestellt. 148 „National-Zeitung“, liberale Tageszeitung; 1848 in Berlin gegründet; nach der Spaltung der Nationalliberalen 1880 hat die Zeitung ihre Stellung in der Partei mehrfach gewechselt; 1915 in „8-Uhr-Abendblatt“ umbenannt; 1938 eingestellt. – Holstein vermerkte am 5. Januar 1884 in seinem Tagebuch: Seit der [Spanien-]Reise giebt die National-Zeitung sich das Ansehen eines kronprinzlichen Moniteurs, bringt allerlei Indiscretionen, z.B. Enthüllungen über die Unterredung des Kronprinzen mit dem Papst und erklärt alles aus authentischer Quelle zu wissen. [ . . . ] daß Normann, der mit der Nat.Ztg. enge Fühlung hat, dieser die verschiedenen geheimen Nachrichten geliefert hat, ist nicht zu bezweifeln, er selbst läßt es auch durchblicken. (PA Berlin, Nachlaß Holstein, Tagebuchblätter, Bd. 72, f. 8r–v, 9v.) 149 Emil Pindter (1836–1897), Chefredakteur der „Norddeutschen Allgemeinen Zeitung“ 1871–1894. – Er hatte in der NAZ vom 5. Januar 1884 einen Artikel der „National-Zeitung“ über die Audienz des Kronprinzen beim Papst aufs Korn genommen und dabei in entschärfter Form einen Artikel („Kronprinz und Kanzler“) des linksliberalen „Reichsfreund“ zitiert, in dem offen zugegeben wird, daß der Kronprinz Einzelheiten über seine Unterredung mit dem Papst an die „National-Zeitung“ weitergegeben habe. Diese Presseveröffentlichungen belasteten die

Nr. 55. Tagebucheintragung Waldersees Nr. 55. Tagebucheintragung Waldersees, 9. Januar 1884

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ließ er mir sagen, er hätte die Verantwortung auf sich genommen, da dem Treiben der Fortschrittler endlich mal entgegengetreten werden müßte. Der Artikel des „Reichsfreund“150 sei in natura noch stärker gewesen, die übelsten Sätze habe die Norddeutsche gar nicht wiedergeben können. Der Kronprinz werde von der Fortschrittspartei bei ihren Wahlagitationen ausgespielt, um nachzuweisen daß sie die Royalisten der Zukunft seien. Zu diesem Behufe sei auch obiger Artikel des Reichsfreund in zahllosen Exemplaren über das Land verbreitet worden. Er wird mir eins dieser Flugblätter schicken.

55. Tagebucheintragung Waldersees Eigenhändig. GStAPK Berlin, Nachlaß Waldersee, Rep. 92 A I, Nr. 12, f. 87. – Teildruck in: Waldersee, Denkwürdigkeiten I S. 234–235

Normanns nachteiliger Einfluß auf den Kronprinzen. Grabenkämpfe in dessen Umgebung. [o.O.] 9. Januar 1884. Es stellt sich immer mehr heraus welch nachtheiligen Einfluß Herr v Normann auf den Kronprinzen ausübt. Er und sein Anhang arbeiten mit aller Kraft daran Albedyll’s151 Stellung zum Kronprinzen zu untergraben. Der Hofmarschall des Pz Wilhelm, Liebenau152, scheint sich dieser Richtung anzuschließen. ___________ Beziehungen zwischen Bismarck und Friedrich Wilhelm aufs neue. Vgl. die weiteren einschlägigen Tagebuchaufzeichnungen Holsteins: Holstein, Die geheimen Papiere II S. 49, 54–56; ferner Riehl, „Tanz“ S. 174–179. 150 „Reichsfreund“, 1882 von Eugen Richter u.a. gegründete und herausgegebene linksliberale Wochenzeitschrift; bereits 1889 eingestellt. – Der hier gemeinte Artikel erschien in der Nr. 1 des „Reichsfreund“ am 5. Januar 1884, S. 1–3. Darin wird aus einem Bericht der „National-Zeitung“ vom 28. Dezember 1883 über die Audienz des Kronprinzen beim Papst zitiert, den der Kronprinz persönlich veranlaßt haben muß. Der Kronprinz habe „offenbar absichtlich“ zu Mitteilungen an die Presse ein Blatt gewählt, das nicht zur „Kanzlerpresse“ gehörte. Dadurch habe er kundgetan, daß er die „gegenwärtige Kanzlerpolitik“ inhaltlich nicht vertrete, und von seinem Recht auf eigenständige Politik Gebrauch gemacht. Er habe mit kurzer und fester Hand das künstliche Gespinst zerstört [ . . . ] , welches geeignet war, ihn vor der Welt in die gegenwärtige Kanzlerpolitik zu verflechten. – Vgl. auch Holstein, Die geheimen Papiere II S. 55. 151 Emil von Albedyll (1824–1897) Generalleutnant; Chef des Militärkabinetts 1872–1888. 152 Eduard von Liebenau (1840–1900), Major; Hofmarschall des Prinzen Wilhelm 1881–1888, Oberhof- und Hausmarschall Wilhelms II. 1888–1890.

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56*. Tagebucheintragung Holsteins Nr. 56*.Nr. Tagebucheintragung Holsteins, 9. Januar 1884

Es wird wohl noch heißen Kampf geben; leider ist gar zu deutlich zu sehen ein wie schwacher Herr der Kronprinz ist.

56*. Tagebucheintragung Holsteins Druck: Holstein, Die geheimen Papiere II S. 54–56.

Gegenüber Hatzfeldt äußert sich der Kronprinz befriedigt über seine Spanien-Reise, ist aber verärgert über den unvermittelt erteilten Auftrag, daß er danach nach Rom ohne Instruktionen habe gehen müssen. Außerdem ist er gereizt, daß in seinem Gefolge angeblich ein Spion des Auswärtigen Amtes mitgefahren sei. Holstein erläutert, daß es für Bismarck unpassend gewesen wäre, dem Kronprinzen eine Instruktion zu erteilen; das wäre vielmehr Sache des Kaisers gewesen. Jedenfalls war die Reise des Kronprinzen eine Triumphfahrt durch Spanien und Italien. [o.O.] 9. Januar 1884.

57*. Resolutionsantrag Ochiltrees153 im amerikanischen Repräsentantenhaus Druck u.a.: Snyder, Resolution S. 50–51.

Das amerikanische Repräsentantenhaus hat mit tiefem Bedauern die Nachricht vom Tod des „hervorragenden deutschen Staatsmannes“ Eduard Lasker vernommen. Dieser Verlust wird nicht nur von seinem Vaterland, wo er mit seinen liberalen Ideen die soziale, politische und wirtschaftliche Lage seines Volkes wesentlich verbessert hat, sondern auch von allen Freiheitsfreunden in der ganzen Welt betrauert. Eine Kopie dieser Resolution möge nicht nur der Familie des Verstorbenen übermittelt werden, sondern auch dem amerikanischen Gesandten in Berlin154, der sie auf amtlichem Wege dem Präsidenten des deutschen Reichstags155 weiterleiten soll. [Washington] 9. Januar 1884. ___________ 153 Thomas Peck Ochiltree (1845–1902), Abgeordneter im amerikanischen Repräsentantenhaus 1883–1885; er war mit der Familie Lasker befreundet. 154 Aaron Augustus Sargent (1827–1887), Gesandter der USA in Berlin 1882– 1884. 155 Albert von Levetzow (1828–1903), Präsident des Reichstags 1881–1884, 1888–1895.

58*. Bismarck an Boetticher Nr. 58*. Nr. Bismarck an Boetticher, 13. Januar 1884

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58*. Bismarck an Boetticher156 Vertrauliches Schreiben. Druck: Bismarck, GW VIc S. 290–291.

Er ist mit dem Vorschlag einverstanden, Diäten für Mitglieder des Volkswirtschaftsrates aus dem Welfenfonds zu zahlen, nachdem sie vom Reichstag abgelehnt worden sind. Er wird durch diese ablehnende Haltung des Reichstags in seiner Absicht bestärkt, auf Reichsebene nach Analogie des preußischen Staatsrates einen Reichsrat zu berufen, der die Gesetzgebungsaufgaben der Reichsregierung vorbereiten soll. Mitglieder dieser beratenden Behörde würden neben den preußischen Ministern und den Chefs der Reichsämter Fachleute aus der Wirtschaft sein. Er bittet Boetticher um Prüfung dieses Gedankens. Der Vorteil eines Reichsrats wäre, den Einfluß der gesetzgebenden Körperschaften mit ihren wechselnden Mehrheiten bei künftigen Gesetzesvorhaben einzuschränken157. Friedrichsruh, 13. Januar 1884.

59. Széchényi an Kálnoky Geheimbericht. Behändigte Ausfertigung. Praes.: 28. Januar 1884. HHStA Wien, PA III/125, f. 24–32.

In der Presse werden Differenzen zwischen Bismarck und dem Kronprinzen behandelt. Die Hauptperson in der Umgebung des Kronprinzen ist Normann, der sich das Wohlwollen des Kronprinzenpaares erworben hat, nachdem er als Nachfolger Eulenburgs zum Hofmarschall ernannt worden war. Er ist ein Freund der führenden Männer der Fortschrittspartei und macht sich anheischig, beim Thronwechsel ein neues Ministerium zu bilden. Dies erklärt den Zwiespalt zwischen Kronprinz und Bismarck. Nach dem Thronwechsel wird Bismarck zwar zunächst noch im Amt bleiben; doch es würde über kurz oder lang zum Bruch mit dem neuen Kaiser kommen. No 6 A–E

Berlin, 19. Januar 1884.

Ich habe seiner Zeit nicht ermangelt, Euer Excellenz durch meine beiden mit der Post abgesendeten ergebensten Berichte No 3 C vom 5. und No 4 ___________ 156

Karl Heinrich von Boetticher (1833–1907), Staatssekretär des Innern 1880–

1897. 157 Zum ganzen vgl. Goldschmidt, Das Reich S. 80–82; Schneider, Staatsrat S. 261–263.

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Nr. 59. Széchényi an Kálnoky Nr. 59. Széchényi an Kálnoky, 19. Januar 1884

vom 8. d.Mts.158 von der Polemik zwischen der Norddeutschen Allgemeinen Zeitung und den hiesigen fortschrittlichen Blättern in Kenntniß zu setzen159, welch’ letztere die Behauptung von Differenzen zwischen dem deutschen Kronprinzen und dem Reichskanzler aufgestellt hatten. Im Hinblick darauf gestatte ich mir, unter Benützung des heutigen periodischen Kouriers, nunmehr einige erläuternde Daten aus dem Kreise des hiesigen kronprinzlichen Hofes hier folgen zu lassen. Die Hauptperson in der Umgebung des Kronprinzen ist jetzt der kaum vor einem Jahr zu seinem Hofmarschall ernannte Normann. Dieser kam vor einigen Jahren, bis zu welcher Zeit er ein ganz unbekannter und obskurer Offizier im preußischen Heere war, als Privatsekretär des Kronprinzen an dessen Hof. Diese Ernennung hatte er der Empfehlung seines Vorgängers, des Herrn von Stockmar160 zu verdanken, der ein Sohn jenes, durch seine Vertrauensstellung beim Prinz-Gemahl161 und später bei Ihrer Majestät der Königin Victoria162, wie auch durch seine nach seinem Tode erschienenen Mémoiren bekannten Doktor’s Stockmar163, sich der besonderen Gunst des Kronprinzen und der Kronprinzessin erfreute, jedoch in Folge einer eingetretenen unheilbaren Lähmung der Beine, seine Stellung hatte aufgeben müssen. Herrn von Normann gelang es gar bald, durch sein vollständiges Eingehen auf die Ideen, besonders jener der Kronprinzessin und auf die durch sie vertretene freisinnige und freigeisterische Richtung, sich das ausgesprochene Wohlwollen des Kronprinzenpaars zu erwerben, so zwar, daß er, als Graf Eulenburg, der damalige Hofmarschall des Kronprinzen im verflossenen Winter von seiner Stellung zurücktrat, zum allgemeinen Erstaunen zu dessen Nachfolger befördert wurde. Graf Eulenburg, im allgemeinen geschätzter und hochgeachteter Mann, hatte schon seit längerer Zeit das Mißgeschick, der Kronprinzessin unliebsam geworden zu sein. Als warmer Anhänger des Reichskanzlers und ___________ 158

HHStA, PA III/125, f. 14–17 bzw. f. 19–21. Vgl. oben Nr. 54. 160 Ernst von Stockmar (1823–1886), Privatsekretär der Kronprinzessin Viktoria 1857–1864; blieb danach weiterhin in Verbindung mit dem kronprinzlichen Hof. 161 Albert (1819–1861), Prinz von Sachsen-Coburg-Gotha; seit 1840 mit Königin Victoria verheiratet; führte ab 1857 den Titel „Prinzgemahl“. 162 Victoria (1819–1901), Königin von Großbritannien und Irland 1837–1901. 163 Christian Friedrich Freiherr von Stockmar (1787–1863), Ratgeber der Königin Victoria und des Prinzgemahls Albert; förderte die Heirat zwischen Friedrich Wilhelm und der (Kron-)Prinzessin Viktoria. – Seine „Denkwürdigkeiten aus den Papieren des Freiherrn Christian Friedrich von Stockmar“, zus.gestellt v. Ernst v. Stockmar, waren 1872 in Braunschweig erschienen. 159

Nr. 59. Széchényi an Kálnoky Nr. 59. Széchényi an Kálnoky, 19. Januar 1884

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seiner Politik und als Vertreter der alt-hohenzollern’schen Traditionen, fehlte ihm jener Grad der Geschmeidigkeit, der es ihm möglich gemacht hätte, alle Meinungskonflikte zu vermeiden oder, in Fällen wo selbe nicht zu umgehen waren, sich unterzuordnen, und so wurde er dieser Prinzessin derart mißliebig, daß sie schon während der letzten Jahre es sich zur Aufgabe gemacht hatte, den Hofmarschall ihres hohen Gemahls von dieser seiner Stellung wegzudrängen. Lange wollte es ihr nicht gelingen, weil Kaiser Wilhelm dem Grafen Eulenburg die Stange hielt und selbst der Kronprinz ihm insgeheim noch sein Wohlwollen bewahrt hatte. Endlich, als vor einem Jahre der Ober-Zeremonienmeister Graf Stillfried starb, kam Graf Eulenburg, dem sein Amt am kronprinzlichen Hofe trotz der Gunst, der er sich Seitens des Kaisers zu erfreuen hatte, denn doch verleidet war, um die Nachfolge ein und erhielt sie. Herr von Normann, der neue Hofmarschall, ist ja aber auch in gewißer Hinsicht gerade das Gegentheil seines Vorgängers, ein Freund der Forckenbeck’s, der Virchow’s164, der Bamberger’s165 und des nunmehr verstorbenen Lasker, so wie überhaupt jener Männer, die aus dem linken Flügel der National-Partei jenen des rechten Flügels der FortschrittPartei die Hände reichen. Herr von Normann macht aus seinem Antagonismus gegen die innere Politik des Fürsten Bismarck, gegen den er den Vorwurf erhebt, die Person des Kaisers zwischen sich und das deutsche Volk zu schieben, gar kein Hehl. In vertrauten Kreisen versteigt er sich sogar bis zur Behauptung, daß er sich anheischig macht, wenn sein gnädigster Herr einmal den Thron besteigt und ihm sein Vertrauen schenkt, ein Ministerium aus seinen Freunden zu bilden, welches in kürzester Zeit den unmittelbaren Kontakt und die gegenseitige Fühlung zwischen dem Monarchen und dem preußischen Volke beziehungsweise der deutschen Nation wieder herstellt. Obwohl nun das persönliche Verhältnis des Kronprinzen zum Reichskanzler immer noch ein äußerlich gutes ist, so ist dennoch diese Haltung des Hofmarschalls seiner Wahl ein ganz genügendes Moment, um die Verbreitung und Beglaubigung der Annahme eines ernstlichen Zwiespaltes zwischen dem preußischen Thronerben und dem Fürsten Bismarck erklärlich zu machen. Herr von Normann ist es denn auch gewesen, der die unglückliche Wahl der Zeitungs-Reporter traf, die den Kronprinzen auf seiner SpanischItalienischen Reise begleiteten und jene Serie von taktlosen und tendenziö___________ 164

Rudolf Virchow (1821–1902), Arzt und Politiker; MdR 1880–1893 (Frei-

sinn). 165

Ludwig Bamberger (1823–1899), Schriftsteller und Politiker; MdR 1868– 1893 (nationalliberal; Freisinn). – Tagebücher: Bamberger, Bismarcks großes Spiel (für die Jahre 1883–1885 S. 270–294, 333–338).

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Nr. 59. Széchényi an Kálnoky Nr. 59. Széchényi an Kálnoky, 19. Januar 1884

sen Korrespondenzen an die „National-Zeitung“, die „Kölnische Zeitung“166 und andere dergleichen richteten. Indeß was den Kronprinzen selbst anbelangt, so ist er ungemein zurückhaltend in seinen Äußerungen über den Reichskanzler und die einzige Beschwerde, die man hie und da aus seinem Munde vernimmt, ist die, daß man ihn von den Geschäften so fern hält, daß er von den wichtigen Beschlüssen der Regierung nicht einmal Kenntniß erhält. Fürst Bismarck weiß es und sagt, es könnte ihm nichts erwünschter sein als den Kronprinzen in alles einzuweihen, wenn er nicht die Erfahrung gemacht hätte, daß wenn er dem Hohen Herrn was immer mittheilt, es Herr v. Normann augenblicklich erfährt und durch ihn die ganze Gruppe der erbittertsten Gegner der Regierung. Man kann hier in die Lage kommen, nicht selten das Bedauern aussprechen zu hören, daß der Kronprinz so ganz aus der Art der Hohenzollern geschlagen sei; als Trost hierfür beeilt man sich aber dann hinzuzufügen, es wäre noch ein Glück, daß wenigstens Prinz Wilhelm sich als echter Sproße seines Stammes entwickelt habe. Doch, sollte heute oder morgen hier ein Regierungswechsel eintreten, so glaube ich dessen ungeachtet, daß der neue Regent nicht umhin wird können, den Reichskanzler in seinen Würden und Ämtern zu bestättigen und auch Fürst Bismarck dürfte, gleichwohl die Fürstin167 schon während der letzten Jahre gelegentlich öfters die Versicherung laut werden ließ, daß ihr Gemahl in einem solchen Falle sich die ihm nöthig gewordene Ruhe gönnen und von den Geschäften zurücktreten werde, sich bestimmen lassen zu bleiben, um die weitere Consolidirung seiner Schöpfung nicht in andere, vielleicht unfähige oder in einem verschiedenen Geiste wirkende Hände legen zu müssen. Lange würde in einem solchen Falle das einträchtliche Zusammengehen des Ministers mit dem neuen Herrscher, beziehungsweise der neuen Herrscherin, wohl schwerlich andauern, es wäre denn, daß auch hier wie es die Geschichte nicht selten aufweist, der Besitz des Thrones ganz andere Gesichtskreise eröffnet, andere Ideen erweckt und andere Richtungen vorzeichnet, als die Anwartschaft auf denselben.

___________ 166 „Kölnische Zeitung“, ging aus einer Postzeitung des 18. Jahrhunderts hervor; 1802 nahm sie ihren neuen Namen an; in der Bismarckzeit überregional; nationalliberal ausgerichtet; 1944 erloschen. 167 Johanna Fürstin von Bismarck (1824–1894), geb. von Puttkamer; seit 1847 mit Otto von Bismarck verheiratet.

Nr. 60. Bismarck an das Auswärtige Nr. 60. Bismarck an das Auswärtige Amt, 26.Amt Januar 1884

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60. Bismarck an das Auswärtige Amt Telegramm. Maschinenschriftliche Abschrift. BA Koblenz, R 43 F/672, f. 51.

Er ist gegen Beteiligung an Laskers Begräbnis. Friedrichsruh, 26. Januar 1884 Für Geheimrath Rottenburg168: Ich bin unbedingt gegen Betheiligung an Leichenbegängniss Laskers; sie ist politisch unmöglich, jedenfalls ein Fehler, der sich schwer strafen würde. Das Gleiche liesse sich eventuell bei Celebritäten wie Richter169 und Bebel170 eben so wenig ablehnen.

61*. Tagebucheintragung Holsteins Druck: Holstein, Die geheimen Papiere II S. 72–75.

Ein Teil der preußischen Minister will zur Leichenfeier Laskers gehen, ein anderer Teil nicht. Bismarck hat aus Friedrichsruh telegraphiert171, daß er strikt dagegen sei. Holstein dringt in Minister Friedberg172, dem Kronprinzen von jeglicher Demonstration abzuraten, da darunter das Verhältnis zu Bismarck leiden würde. – Die Kronprinzessin fühlt sich durch und durch als Engländerin. Normann beutet diese antinationale Gesinnung beim Kronprinzen aus, der stark deutsch, weniger preußisch denkt. – Bismarck wünscht, daß Bennigsen zum Präsidenten entweder des preußischen Abgeordnetenhauses oder des Reichstags gemacht werde, um die wirtschaftlichen Gesetzesvorlagen mit Hilfe der Nationalliberalen und der beiden konservativen Parteien besser durchdrücken zu können. [o.O.] 27. Januar 1884.

___________ 168

Franz von Rottenburg (1845–1907), Chef der Reichskanzlei 1881–1890. Eugen Richter (1838–1906), MdR 1867, 1871–1906 (Fortschritt, Freisinn). 170 August Bebel (1840–1913), MdR 1867–1870, 1871/72, 1874–1881, 1883– 1913 (Sächsische Volkspartei, SPD). 171 Vgl. die vorangehende Nr. 172 Heinrich (seit 1888: von) Friedberg (1813–1895), preußischer Justizminister 1879–1889. 169

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Nr. 62.anStosch an Freytag Nr. 62. Stosch Freytag, 28. Januar 1884

62. Stosch an Freytag Privatbrief. Abschrift. Auszug. Privatarchiv Oestrich, Nachlaß Stosch, ungedruckte Denkwürdigkeiten III S. 7.

Der Kronprinz ist aufgrund der erfolgreichen Spanienreise sicherer im Auftreten. Der Kaiser wirkt abgespannt. Man muß den Augenblick des Thronwechsels einfach abwarten. Oestrich, 28. Januar 1884. [Beileidsbekundung zum Tod des zweiten Sohnes Freytags, Waldemar, am 19. Januar 1884.] Die Reise mit dem Aufenthalt in Gotha war nicht gerade heiter, dagegen traf ich Normann außerordentlich zufrieden. Er, sowie der Kronprinz, sehen mit Stolz auf die spanische Reise zurück. Der Letztere zumal fühlt sich ausserordentlich gehoben und tritt sicherer auf wie ich je an ihm gesehen. Der Kaiser ist sehr viel älter geworden, apathische Zustände zeigen sich, wie mir die Kaiserin173 sagte, man müsse ihn manchmal förmlich wecken. Dann aber geht es ganz gut, und er ist frisch wie immer. – Jedermann an massgebender Stelle hat das Gefühl, die Dinge laufen zu lassen bis der entscheidende Moment eintritt.

63. Rantzau an Rottenburg Privatbrief. Maschinenschriftliche Abschrift. Auszug. BA Koblenz, Nachlaß Bismarck, FC 2977.

Er bittet, in seiner Zeitung den „Schwindel“, der mit dem toten Lasker getrieben wird, gehörig aufs Korn zu nehmen. Friedrichsruh, 31. Januar 1884. [Antwort auf diverse Anfragen aus Berlin.] Ihr Volksfreund174 ist ja ein famoses Blatt, das auf alles schimpft; wie nimmt es den unseligen Cremer175 mit. S.D. wünscht, daß sie den toten ___________ 173 Augusta (1811–1890), Königin von Preußen (1861–1888), Deutsche Kaiserin 1871–1888; seit 1829 verheiratet mit Wilhelm I. 174 „Trierischer Volksfreund“, 1875 gegründete Tageszeitung; stand politisch dem Zentrum nahe; existiert heute noch. 175 Christoph Joseph Cremer (1840–1898), Redakteur; Mitglied des preußischen Abgeordnetenhauses 1875–1893 (bis 1892 Zentrum, dann konservativ).

Nr. 64. Rantzau an das Auswärtige Amt 1884 Nr. 64. Rantzau an das Auswärtige Amt, 3. Februar

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Lasker auch mal hernehmen, das heißt den Schwindel, der mit ihm getrieben wird, und dabei sagten: daß man von Lasker in den letzten Jahren überhaupt gar nichts mehr gesprochen hätte; selbst seine eigenen Leute hätten ihn nicht mehr gewollt, da wäre er nach Amerika gegangen und dort als Freund des amerikanischen Schweines und der Trichine des armen Mannes176 natürlich mit offenen Armen aufgenommen worden. Nach seinem Tode wäre der ganze Schwindel mit seiner Leiche von seinen amerikanischen Schweinefreunden in Gang gesetzt, und wir in Deutschland hätten diesen amerikanischen Import willig acceptirt. S.D. sagte noch, die Liberalen kämen ihm mit ihrer Leichencultur vor, wie der Portugiesische König XX177 der seine Höflinge gezwungen hat, dem verwesenden Leichname der von ihnen während seiner Abwesenheit ermordeten Geliebten des Königs, Inez de Castro178, die Hand zu küssen, während die Leiche stinkend auf dem Königsthron saß. Aber ich weiß nicht, ob das für Ihr Organ passt.

64. Rantzau an das Auswärtige Amt Erlaß. Eigenhändige behändigte Ausfertigung. Praes.: 5. Februar 1885. PA Berlin, Vereinigte Staaten von Nordamerika 3, Bd. 1.

Bismarck bittet, einen Erlaß an Eisendecher in Washington zu entwerfen: Die amtliche Belobigung des verstorbenen Lasker durch das amerikanische Repräsentantenhaus könne er nicht entgegennehmen; Lasker habe die Konsolidierung des Deutschen Reiches stets erschwert und eine parlamentarische Mehrheitsbildung im Reichstag verhindert; die Resolution des Repräsentantenhauses könne an den Reichstag nicht weitergeleitet werden. Friedrichsruh, 3. Februar 1884. Der Herr Reichskanzler bittet um Vorlegung des Entwurfes zu einem von ihm zu zeichnenden Erlasse an Herrn von Eisendecher179, dem die Anlage des Exhibitum180 sowie Abschrift des Letzeren beizufügen wäre. ___________ 176 Deutschland und Frankreich hatten 1883 die Einfuhr amerikanischen Schweinefleisches, da sie mit Trichinen verseucht seien, verboten. Vgl. Schulthess’ Europäischer Geschichtskalender 25 (1884) S. 403–404. 177 Alfons IV. (1291–1357), König von Portugal 1325–1357. 178 Inèz de Castro (1325–1355), Geliebte des Infanten Dom Pedro von Portugal; sie wurde auf Geheiß seines Vaters, Alfons IV., vor den Augen des Königs ermordet; der Stoff wurde mehrfach literarisch verarbeitet. – Zum ganzen vgl. Riehl, „Tanz“ S. 192–193 (mit Anm. 88). 179 Karl von Eisendecher (1841–1934), Gesandter in Washington 1882–1884, in Karlsruhe 1884–1914. 180 Exhibitum = Eingabe, eingereichte Schrift; gemeint ist hier die Bismarck nach Friedrichsruh geschickte Resolution des amerikanischen Repräsentantenhauses.

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Nr. 64. Rantzau an das Auswärtige Amt 1884 Nr. 64. Rantzau an das Auswärtige Amt, 3. Februar

In dem Erlasse möchte behufs Mittheilung an die Amerikanische Regierung Nachstehendes gesagt werden: Der Herr Reichskanzler freue sich über die Anerkennung, welche die persönlichen Eigenschaften eines Deutschen im Auslande fänden. Das politische Urtheil aber über die Thätigkeit Lasker’s in der inneren deutschen Politik und die Thatsache, daß das Urtheil einer so hochstehenden Körperschaft, wie des amerikanischen Repräsentantenhauses ihm a m t l i c h mitgetheilt wäre, erlaubte dem Herrn Reichskanzler nicht, diese Mittheilung stillschweigend entgegenzunehmen, und nach dem Grundsatze, qui tacet consentire videtur der Vermuthung Raum zu geben, daß er, dem die Welt ein competentes Urtheil über diese Frage zutraue, die Ansicht des Repräsentantenhauses für richtig halte. Die Mehrheit desselben befände sich aber seiner Ansicht nach im Irrthum und er müsse dem historischen Irrthum entgegentreten, welcher dem Urtheil des Hauses zu Grunde läge. Die Thatsache, daß er seit der Neubegründung des deutschen Reiches an dessen innerer Politik unmittelbar betheiligt gewesen, ermuthige ihn seinem Urtheile hierüber ein gewisses Maß von Competenz beizulegen und dasselbe demjenigen einer so erlauchten Körperschaft wie des amerikanischen Repräsentantenhauses gegenüberzustellen. Er glaube wohl, daß Lasker danach gestrebt habe to advance materially etc etc, aber derselbe habe falsche Wege dazu gewählt und sein Ziel verfehlt. Im Gegentheil habe Bismarck die Gewißheit, daß Lasker die Consolidation des deutschen Reiches nicht selten erschwert und gehindert habe durch zu weitgehende Accentuirung seines persönlichen wie seines Parteistandpunktes. Außerdem müsse er ihn als Hauptursache betrachten, daß die einzige Parteibildung, welche bisher dem parlamentarischen Leben in Deutschland die Hoffnung auf Bildung einer constanten Majorität181 gewährt hätte, durch den Einfluß dieses einzigen Mitgliedes und die hohe Beredsamkeit desselben sowie seine Unduldsamkeit auch geringen Meinungsverschiedenheiten gegenüber, zerbröckelt worden und zu verschiedenen Zeiten und nach verschiedenen Seiten hin auseinander gegangen wäre. Im Interesse der historischen Wahrheit und auf Grund seiner mehr als zwanzigjährigen Erfahrung als Minister dieses Landes und seiner Kenntnisse unserer parlamentarischen Vorgänge, müsse er es angesichts der ihm amtlich mitgetheilen Resolution aussprechen, daß die Thätigkeit Laskers für die Begründung, Befestigung und Entwicklung des deutschen Reiches mehr hemmend als förderlich gewesen wäre. Dem Wunsch um Mittheilung der Resolution an den Präsidenten des Reichstags wäre er nicht in der Lage zu entsprechen, da er als Minister an den Reichstag nur solche Mittheilungen richten könne, zu welchen er den Auftrag Sr. Majestät erhalten habe oder voraussehen könne; in diesem Falle aber die Allerhöchste Ermächtigung zu erbitten, sähe er sich nach dem Vorstehenden außer Stande. ___________ 181

Der Nationalliberalen mit den Konservativen.

Nr. 65. Promemoria Bosses Nr. 65. Promemoria Bosses, 5. Februar 1884

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65. Promemoria Bosses182 Ausfertigung. BA Koblenz, Nachlaß Boetticher, Nr. 57.

Gegen die Errichtung eines Reichsrats hat er keine staatsrechtlichen Bedenken. Der Reichsrat muß durch Reichsgesetz gebildet werden. Die bisherige Gesetzgebung ist in der Regel vom Reichskanzler ausgegangen und hat ihm damit eine exorbitante Belastung beschert; sie würde durch eine stärkere Gesetzesinitiative des Bundesrats nicht gemindert werden können. Hier brächte nur der Reichsrat eine Entlastung. Er würde den Gesetzgebungsprozeß sachkundig vorbereiten. Er müßte aus Ministern der einzelnen Bundesstaaten, aus den Chefs der Reichsämter und aus Mitgliedern der Wirtschaft, die vom Kaiser zu ernennen wären, bestehen. Eventuell könnten auch einige Reichstagsmitglieder berufen werden. Der Reichsrat könnte den bisherigen Volkswirtschaftsrat ersetzen. [o.O.] 5. Februar 1884. Bei der Bildung einer Behörde im Verfassungsorganismus des Deutschen Reichs, welche nach Analogie des preußischen Staatsraths mit dem Namen des „Reichsraths“ bezeichnet und deren Gutachten von des Kaisers Majestät erfordert werden könnte auf allen den Gebieten, auf denen die Präsidialthätigkeit zum Ausdrucke kommt, wird es sich zunächst um die staatsrechtliche Zulässigkeit, und sodann um die politische Zweckmäßigkeit einer derartigen Neuschöpfung handeln. 1. Daß die Begründung einer derartigen berathenden Behörde staasrechtlich zulässig ist, unterliegt keinem Zweifel. Ebenso unzweifelhaft aber dürfte es sein, daß die Errichtung derselben nur auf dem Wege der R e i c h s g e s e t z g e b u n g wird erfolgen können. Insofern der „Reichsrath“ Kosten verursachen wird, ergiebt sich dies ohne Weiteres aus dem geltenden Reichsfinanzrecht. Selbst wenn man aber die neue Behörde ganz ohne neue Kosten ins Leben rufen könnte, würde man zunächst wenigstens eines zustimmenden Bundesrathsbeschlusses bedürfen. Denn der Kaiser allein – ohne Bundesrath – kann die „zur Ausführung der Reichsgesetze erforderlichen Verwaltungsvorschriften und Einrichtungen“ nur nach Art. 7 No. 2 der Reichsverfassung erlassen, sofern dies durch Reichsgesetz bestimmt ist. Eine solche Bestimmung liegt nicht vor. Für diesen Fall sieht Art. 7 cit. also einen Beschluß des Bundesraths vor. Ob man aber die neue Behörde als „eine zur Ausführung der Reichsgesetze erforderliche Einrichtung“ bezeichnen könnte, ist mindestens zweifelhaft. Dieselbe erscheint jedenfalls als ein so wesentlich neues Glied in der ___________ 182

Robert Bosse (1832–1901), Direktor im Reichsamt des Innern 1881–1889.

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Nr. 65. Promemoria Bosses Nr. 65. Promemoria Bosses, 5. Februar 1884

Reihe der Reichsorgane, sie greift so tief in die bisher ausschließlich vom Bundespräsidium und vom Bundesrath ausgeübten Funktionen ein, daß es in hohem Grade bedenklich sein dürfte, sie auf eine künstliche oder geschraubte Interpretation der Verfassung zu stützen. Soll sie Bedeutung gewinnen, und nicht von vornherein auf Verstimmung der Bundesgenossen und auf parteipolitische Angriffe im Reichstage und in der Presse stoßen, so wird sie offen und ausdrücklich auf ein Reichsgesetz gestützt werden müssen. 2. Dazu gehört allerdings der überzeugende Nachweis, daß die geplante neue Behörde politisch zweckmäßig, ja nothwendig ist. Um das Bedürfnis klar zu übersehen, bedarf es zunächst einer wenigstens ungefähren Vorlegung der Aufgaben, welche der „Reichsrath“ zu lösen berufen sein soll, und im Zusammenhang damit eines annähernd zutreffenden Bildes der für denselben ins Auge zu fassenden Zusammensetzung. Der auf die Errichtung eines Reichsrathes gerichtete Gedanke entspringt der Wahrnehmung, daß der Weg auf welchem die Vorlagen an den Reichstag jetzt zu Stande zu kommen pflegen, erhebliche Mängel zeigt. Was die I n i t i a t i v e der Gesetzgebung anbetrifft, so giebt die Verfassung für die Frage, w e m dieselbe zufallen soll, wenig Anhalt. Die durch Art. 23 dem Reichstage fakultativ gegebene Initiative ist für die hier zur Erörterung stehende Frage ohne Bedeutung. Nach Art. 7 beschließt der Bundesrath über die dem Reichstage zu machenden Vorlagen, und nach Art. 16 werden die erforderlichen Vorlagen nach Maßgabe der Beschlüsse des Bundesraths im Namen des Kaisers an den Reichstag gebracht. Von wem die Initiative zu den Entwürfen ausgehen soll, wird in der Reichsverfassung nicht gesagt. Zweifellos ist nur, daß sie sowohl vom Präsidium, wie vom Bundesrath oder von einzelnen Bundesregierungen ausgehen k a n n . In der weitaus größten Mehrzahl der Fälle ist diese Initiative vom Präsidium geübt worden. Die Last derselben ruht daher fast ausschließlich auf dem Reichskanzler. Selbst in den Fällen, in welchen formell die Initiative von Preußen ausgegangen ist, wird sie materiell nach der Natur der Verhältnisse auf den Reichskanzler zurückzuführen sein. Diese thatsächlich eingetretene Praxis involvirt daher sowohl nach der Seite der Verantwortlichkeit, wie nach der der Arbeitslast eine exorbitante Belastung des Reichskanzlers, die über das menschliche Maß um so mehr hinauszugehen scheint, als schon die auf dem Gebiete der Verwaltung und der Ueberwachung der Ausführung der Reichsgesetze liegenden Aufgaben des Reichskanzlers weder an Größe noch an Umfang irgend eine Analogie haben. Es fragt sich hier zunächst, ob man nicht wenigstens einen Theil der Initiative auf den Bundesrath oder auf einzelne Bundesregierungen, d.h. Preußen abwälzen könnte. Bekanntlich hat man in staatsrechtlichen Untersuchungen unserer Reichsorganisation behauptet, die Befugnisse des Bundesraths seien zum Theil die eines „Staatsrathes“. Das mag theoretisch

Nr. 65. Promemoria Nr. 65. Promemoria Bosses, 5.Bosses Februar 1884

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richtig sein. Allein eine wesentliche Entlastung des Reichskanzlers bezüglich der legislatorischen Initiative kann der Bundesrath nicht gewähren. Die Richtung der Reichsgesetzgebung und ihre Weiterbildung wird ihre Impulse stets vom Präsidium empfangen müssen. Ein Appell an den Bundesrath oder die Einzelregierungen, ihrerseits eine kräftigere Initiative für die Reichsgesetzgebung zu entwickeln, würde aller Voraussicht nach ziemlich wirkungslos bleiben, und, wenn er ja wirken sollte, d.h. wenn die Einzelregierungen als solche oder der Bundesrath aus seinem Schooße Gesetzentwürfe in größerer Zahl einbrächten, so läge in dieser Einbringung an und für sich gar keine Entlastung für den Reichskanzler. Im Gegentheil, seine Bedeutung könnte dadurch noch gesteigert werden. Denn, was der Reichskanzler braucht, ist nicht eine Steigerung der Produktion von beliebigen Gesetzentwürfen. Damit kann ihm nicht gedient sein. Er braucht vielmehr ein Organ, welches ihm volle Gewähr für eine umsichtige, einsichtige, patriotische, sorgfältige Vorbereitung der Gesetzgebung bietet, und zwar in größerem Maße und mit mehr Zuverlässigkeit, als dies jetzt durch den Bundesrath oder durch die einzelnen Reichsämter geschieht. Der Impuls zu neuen Gesetzentwürfen wird in der Hauptsache stets vom Reichskanzler ausgehen müssen, aber auch nur der Impuls. Die Einzelheiten der Ausarbeitung, die Sorge für die Congruenz neu vorzuschlagender Bestimmungen mit dem bestehenden Rechte, die Präzision der Redigirung, alles Aufgaben, die jetzt in letzter Linie auf den Reichskanzler fallen, können ihm durch eine bessere, gründlichere Vorbereitung wesentlich erleichtert werden. Hier und im Zusammenhang damit in der Vertretung der Gesetzentwürfe vor dem Reichstage liegt die zu lösende Aufgabe. Daß der Bundesrath als solcher deren Lösung in die Hand nehmen werde, steht nach den bisherigen Erfahrungen nicht zu hoffen. Dazu bedarf es einer neuen Institution, und nach dieser Seite hin liegt der Gedanke an die Errichtung eines „Reichsrathes“ keineswegs fern. Der Reichsrath soll also eine Behörde zur möglichst korrekten Vorbereitung der Reichsgesetzgebung sein. Seine Aufgabe bestände darin: alle Entwürfe zu Reichsgesetzen und Kaiserlichen Verordnungen zu berathen, bevor dieselben an den Bundesrath gelangen. Er wäre also ein technisch-juristischer, sachverständiger Beirath des Präsidiums (im Sinne der Reichsverfassung) d.h. des Kaisers. Als Vorsitzender ergiebt sich von selbst der Reichskanzler. Als Mitglieder: 1. die Minister der einzelnen Bundesstaaten, 2. die Chefs der obersten Reichsämter, 3. Mitglieder, welche der Kaiser beruft. Bei den vorwiegend wirthschaftlichen Aufgaben des Reichs läge es nahe, für diese Mitglieder zu 3 eine bestimmte Zahl von Angehörigen des prakti-

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66*. Tagebucheintragung Nr. 66*. Nr. Tagebucheintragung Holsteins,Holsteins 7. Februar 1884

schen Wirthschaftslebens, also aus der Industrie, der Landwirthschaft und dem Handel zu bestimmen, wobei nicht ausgeschlossen zu werden braucht, daß der Kaiser auch sonst Personen, die er für besonders geeignet erachtet, zu Mitgliedern des Reichsraths ernennen könnte. Vielleicht empfiehlt es sich, um partikularistischen Empfindlichkeiten von vornherein zu begegnen, die sämmtlichen Mitglieder ad 3 durch den Bundesrath prasentiren zu lassen, oder sie auf die einzelnen deutschen Staaten zu vertheilen und jeder Bundesregierung die Ernennung oder besser die Präsentation einer entsprechenden Anzahl von Mitgliedern zu überlassen. Endlich könnte noch in Erwägung kommen, ob nicht vielleicht vom Reichstag die Wahl einer beschränkten Anzahl von Mitgliedern zu konzediren wäre, um von vornherein das voraussichtliche parlamentarische Mißtrauen zu paralysiren. Allerdings kommt auf diese Weise ein sehr umfangreiches Kollegium zu Stande. Allein das Plenum des Reichsraths brauchte ja nur bei besonders wichtigen Angelegenheiten berufen zu werden. In der Regel würde man mit einer oder zwei Sektionen, deren Bildung ohnehin unentbehrlich sein wird, auskommen können. Eine derartige Institution würde zugleich den Volkswirthschaftsrath ersetzen können. Aus ihr ließen sich – abgesehen freilich vom Reichshaushalts-Etat – auch die geeigneten Kräfte zur Vertretung der Vorlagen im Reichstage gewinnen. Die Institution würde voraussichtlich hohes Ansehen gewinnen und auch von vornherein schwerlich auf großen Widerstand stoßen. Sie wäre zugleich, da sie vom Kaiser ausgeht und auf seiner Ernennung beruht, ein kräftiger Ausdruck des Reichsgedankens. Allerdings vergrößert und komplizirt sie den Apparat der Reichsorgane. Allein nur äußerlich. In Wirklichkeit entspricht sie einem Bedürfniß, welches leicht mit Evidenz zu begründen ist. Sie wird die Reichsgesetzgebung formell erleichtern und sachlich fördern.

66*. Tagebucheintragung Holsteins Auszug. Druck: Holstein, Die geheimen Papiere II S. 79–80.

Auf den Wunsch des Kronprinzen, Bismarck möge den konservativen Abgeordneten Rauchhaupt183 rügen, weil dieser in einer Wahlrede törichte ___________ 183

Wilhelm von Rauchhaupt (1818–1894), Rittergutsbesitzer; Mitglied des preußischen Abgeordnetenhauses (konservativ) 1866–1867, 1870–1873, 1877– 1893. – Rauchhaupt hatte in einer Wahlrede davon gesprochen, daß es bei der Überfahrt des Kronprinzen von Genua nach Spanien zu einer gefährlichen Begegnung mit einem französischen Kriegsschiff gekommen sei. Die Sache wurde in der Presse breit behandelt. Vgl. Riehl, „Tanz“ S. 179–180.

Nr. 67.an Rantzau an das Auswärtige Amt Nr. 67. Rantzau das Auswärtige Amt, 12. Februar 1884

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Bemerkungen über die Spanienreise Friedrich Wilhelms gemacht habe, hat Bismarck geantwortet: Die Rüge müsse vom preußischen Ressortminister (also nicht von ihm) ausgesprochen werden; er selbst fühle sich den Anstrengungen der Regierungsämter in Preußen nicht mehr gewachsen und wolle den Kaiser um Erlaubnis bitten, sich auf die Reichsangelegenheiten, insbesondere auf die Leitung der auswärtigen Politik, zu beschränken und vom Amt des preußischen Ministerpräsidenten zurückzutreten. – Innenminister Puttkamer184 war wenig erfreut, sich mit der Rauchhauptschen Angelegenheit befassen zu müssen. – Bismarcks Projekt, sich auf die Reichspolitik zurückzuziehen, hat zwei Seiten. Zum einen verliert er dadurch an Einfluß, erschwert es aber andererseits dem zukünftigen kronprinzlichen Regime, ihn zu verdrängen: Die Beschränkung auf die auswärtige Politik bedeutet, daß er darin um so unentbehrlicher sein wird, da er dort von allen als unersetzbar gehalten wird. [o.O] 7. Februar 1884.

67. Rantzau an das Auswärtige Amt Angabe. Eigenhändige behändigte Ausfertigung. Praes.: 13. Februar 1884. PA Berlin, I.B. 10 (Asien), Bd. 14, f. 34.

Schweinitz soll unterrichtet werden, daß die Annexion Bucharas durch Rußland dem europäischen Frieden diene. Friedrichsruh, 12. Februar 1884. Der Reichskanzler bittet, Herrn von Schweinitz vertraulich und auf sicherem Wege zu antworten, daß, wenn General Tschernajew185 Buchara annektire, derselbe seiner Ansicht nach dem europäischen Frieden, wenigstens soweit wir in Betracht kämen, damit einen großen Dienst leisten würde186.

___________ 184

Robert von Puttkamer (1828–1900), preußischer Minister des Innern 1881–

1888. 185

Michail Grigor'evič Černjaev (1828–1898), russischer General; Generalgouverneur von Taškent 1882–1884; Mitglied des Kriegsrats 1884–1886. 186 Für Bismarcks Englandpolitik war die sich nun anbahnende englischrussische Spannung wegen Zentralasiens und Afghanistans von großer Bedeutung. Vgl. Baumgart, Europäisches Konzert S. 194–198 (Literatur S. 201). Zur Einordnung der Quelle vgl. auch Riehl, „Tanz“ S. 231–233.

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Nr. 68. Tagebucheintragung Tiedemanns Nr. 68. Tagebucheintragung Tiedemanns, 14. Februar 1884

68. Tagebucheintragung Tiedemanns Eigenhändig. BA Berlin-Lichterfelde, Nachlaß Tiedemann, Nr. 40, f. 78–79.

Besuch in Friedrichsruh bei Bismarck. Dieser will sich aus den politischen Geschäften mit Ausnahme der Außenpolitik zurückziehen. Er kritisiert Goßler und Puttkamer. [Friedrichsruh] 14. Februar 1884. Nach Friedrichsruh. Der Fürst erstaunlich verändert. 20 Jahre jünger geworden, schlank, sehnig, lebhaft. Frau von ist zum Besuch dort. Abends kommt Frau von Spitzemberg. Zunächst werden die parlamentarische [Dinge] besprochen, dann entwickelt der Fürst seinen Plan, von allen Geschäften mit Ausnahme der auswärtigen zurückzutreten. Er sei es satt die Verantwortlichkeit für Dinge zu tragen, die er nicht angeregt, nicht einmal gebilligt, ja sogar bekämpft habe. Um jeden Quark müsse er votiren. Namentlich Goßler188 sei merkwürdig unselbständig und frage jeden Augenblick an. Schuldotations-Gesetz189. Er halte es für inopportun dasselbe jetzt einzubringen und habe in diesem Sinn bereits votirt, das Votum solle jedoch nicht abgehen, bevor ich es gelesen. Mangel an politischem Takt unter den Ministern. Puttkamer – ein Rede-Minister, nichts weiter. Kein Zoll von einem Staatsmann an ihm. Um ½ 10 Uhr geht der Fürst zu Bett.

69. Tagebucheintragung Tiedemanns Eigenhändig. BA Berlin-Lichterfelde, Nachlaß Tiedemann, Nr. 40, f. 79–82.

Bismarck beharrt auf dem Plan, aus dem Preußischen Staatsministerium auszuscheiden; die Leitung der auswärtigen Angelegenheiten will er aber behalten. Er fragt, ob die Bildung eines Staatsrats, der Gesetzentwürfe zu beraten hätte, opportun sei. Tiedemann bejaht dies. ___________ 187

Vermutlich Freifrau Anna von und zu der Tann-Rathsamshausen, geb. Gräfin von Voß (1829–1905), verheiratet seit 1852 mit dem bayerischen General und Generaladjutanten Freiherrn Ludwig von der Tann-Rathsamshausen (1815–1881). – Sie wird im Tagebuch der Baronin Spitzemberg genannt: Spitzemberg, Tagebuch S. 198. 188 Gustav von Goßler (1838–1902), preußischer Kultusminister 1881–1891. 189 Zu Goßlers Entwurf für ein „Schulunterhaltsgesetz“ vgl. die Quellenangaben in: Protokolle des Preußischen Staatsministeriums I 7 S. 133 (Nr. 160), S. 135 (Nr. 164), S. 136 (Nr. 165).

Nr. 69. Tagebucheintragung Tiedemanns Nr. 69. Tagebucheintragung Tiedemanns, 15. Februar 1884

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[Friedrichsruh] 15. Februar 1884. Um ½ 7 Uhr zugleich mit dem Fürsten aufgestanden. Das Schuldotationsgesetz durchgesehen. Von 10 bis 2 Uhr im Arbeitszimmer des Fürsten. Ich bemühe mich, sein Vorurteil gegen das Schuldotationsgesetz190 zu zerstreuen und polemisire nur gegen den in Vorschlag gebrachten Verteilungsmaßstab: die Hälfte der Staat, die Hälfte die Gemeinde. Er ändert nur wenig in seinem Votum, welches Abends abgeht. Der Fürst kommt dann auf seine schon am Abend vorher erörterte Idee zurück, aus dem preußischen Staatsministerium auszuscheiden. Ich bekämpfe diese Idee nach Kräften und mache besonders geltend, daß unter den preußischen Ministern Niemand sei, der die eigentliche politische Führung übernehmen könne. Es werde eine greuliche Confusion, einen Kampf Aller gegen Alle geben. Der Fürst stimmt dem zu und charakterisirt die einzelnen Minister in keineswegs schmeichelhafter Weise (Maybach191 und Scholz192 ausgenommen). Trotz alledem wolle und müsse er austreten. Um das Präsidium des Staatsministeriums in vollem Umfang und in voller Wirkung zu handhaben, dazu fühle er sich nicht arbeitsfähig genug. Bloß aber Topfdeckel zu sein und mit seinem Namen und Ansehn die Dummheiten Anderer zu decken, dazu fühle er weder Pflichtgefühl noch Neigung. Die Leitung der auswärtigen Angelegenheiten müsse er behalten, denn auf Niemanden anders könne er die Glaubwürdigkeit und das Vertrauen, die er nun einmal in Europa besitze, übertragen. Aber die inneren preußischen Angelegenheiten brauchten ihn nicht, und er wolle unfähigen Collegen zu Liebe nicht seine staatsmännische Reputation opfern. (Will der Fürst auch unter dem Kronprinzen und bei einem völlig veränderten preußischen Ministerium Kanzler bleiben?). Dann fragt der Fürst mich, was ich von einer Wiederbelebung des Staatsrats dächte. Er habe seit Langem den Eindruck, daß die Gesetzentwürfe in den Ministerien mangelhaft vorbereitet und schlecht redigirt würden. Es erscheine ihm daher wünschenswert, daß sie noch die Instanz eines Staatsrats passirten, bevor sie den gesetzgebenden Körperschaften vorgelegt würden. Ich erwiedere, daß die Reaktivierung des Staatsrats keinerlei Schwierigkeiten biete, da derselbe niemals aufgehoben sei, sondern noch heute zu Recht bestehe, und es zu keiner Einberufung, nur einer königlichen Ordre bedürfe. Wir konstatiren aus dem Staatshandbuch die jetzige Mitgliedschaft des Staatsrats. Der Fürst meint dann, es werde sich empfehlen, die Mitglieder durch einige Regierungspräsidenten, Oberlandesgerichtspräsidenten, Provinzialsteuerdirektoren zu ergänzen. Rantzau erhält ___________ 190

Vgl. die vorangehende Nr. und Anm. 189. Albert (seit 1888 von) Maybach (1822–1904), preußischer Minister der öffentlichen Arbeiten 1879–1891. 192 Adolf (seit 1883 von) Scholz (1833–1924), preußischer Finanzminister 1882– 1890. 191

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Nr. 70. Marschall von Bieberstein Turban Nr. 70. Marschall von Bieberstein an Turban,an20. Februar 1884

den Auftrag, Möller193 telegraphisch nach Friedrichsruh zu citiren, damit dieser eine dem König zu machende Vorlage ausarbeite.

70. Marschall von Bieberstein194 an Turban195 Vertraulicher Bericht. Behändigte Ausfertigung. Auszug. Praes.: 24. Februar 1884. GLA Karlsruhe, Staatsministerium, Nr. 233–3475, f. 94v–95v (der ganze Bericht f. 92–100). Andere Passagen betr. das Sozialistengesetz gedruckt in: Großherzog Friedrich II S. 237–238.

An der Trauerfeier zu Ehren Laskers haben weder höhere Staatsbeamte noch irgendwelche Kollegen des Bundesrats teilgenommen. Die Rücksendung der Resolution des amerikanischen Repräsentantenhauses betreffend Lasker geht über die Grenze des Notwendigen hinaus. Mit diesem Akt soll eigentlich nur der amerikanische Gesandte in Berlin, Sargent, getroffen werden, der seit der Affäre um das Verbot der Einfuhr amerikanischen Schweinefleischs für Bismarck Persona ingratissima geworden ist. Durch dieses Vorgehen wird die Erbitterung der Linksliberalen gegenüber dem Reichskanzler nur noch erhöht. No 7.

Berlin, 20. Februar 1884.

An das H i n s c h e i d e n d e s A b g e o r d n e t e n L a s k e r haben sich verschiedene recht unerquickliche Vorgänge geknüpft. Daß die höheren Staatsbeamten der Trauerfeier nicht beiwohnten, geschah auf direkte Anweisung aus Friedrichsruhe196. Nachdem die hiesige sezessionistische und fortschrittliche Presse nicht nur die Verdienste des Verstorbenen in maßloser Weise übertrieben sondern ihre Nekrologe auch zu direkten Angriffen auf den Reichskanzler und die Regierung benutzt hatte, ließ sich, da das ganze Arrangement der Feier von den Führern jener Parteien ausging, gegen jenes Verbot kaum etwas sagen; auch die wenigen meiner Bundesrathskollegen, denen Karten vom Komité zugesendet worden waren, haben sich der Theilnahme an dem Trauerakte enthalten. Dagegen scheint mir die Zurücksendung der von dem Repräsentantenhaus in Washington ___________ 193

Ernst von Moeller (1834–1886), Unterstaatssekretär im preußischen Ministerium für Handel und Gewerbe 1881–1886; Staatssekretär des Staatsrats 1884– 1886. 194 Adolf Freiherr Marschall von Bieberstein (1842–1912), badischer Gesandter in Berlin 1883–1890, Staatssekretär des Auswärtigen Amtes 1890–1897. 195 Ludwig Turban (1821–1898), Präsident des badischen Staatsministeriums 1876–1893, Minister des Innern 1881–1890. 196 Vgl. oben Nr. 60.

Nr. 71. an Münster an Bismarck Nr. 71. Münster Bismarck, 20. Februar 1884

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gefassten Resolution über die Grenzen des Nothwendigen hinauszugehen. Das in dem Erlaß des Reichskanzlers an Herrn von Eisendecher – der im heutigen Reichsanzeiger veröffentlicht ist197 – aufgestellte Argument, der Reichskanzler könne die Uebergabe der Resolution an den Reichstag bei dem Kaiser nicht beantragen, weil er sich dann das darin enthaltene Urtheil aneignen und bei Seiner Majestät vertreten müßte, trifft doch eigentlich nicht zu; Niemand würde aus dem Akte der Uebergabe den Schluß gezogen haben, daß die Resolution neben dem Urtheile des Repräsentantenhauses auch dasjenige des Reichskanzlers über den Verstorbenen enthalte. Ich kann mir, da es sich doch um eine Courtoisie gegen einen Verstorbenen handelt, die Sache nur dadurch erklären, daß eben nicht nur diese Person, sondern auch diejenige eines Lebenden im Spiele ist – und dieser Lebende ist der Gesandte der Vereinigten Staaten Mr Sargent. Bekanntlich sind im vorigen Jahre in amerikanischen Blättern die Berichte desselben über das deutsche Schweinefleischeinfuhrverbot veröffentlicht und von der Norddeutschen Allgemeinen Zeitung kritisirt worden; seitdem ist Mr Sargent persona ingratissima beim Kanzler; daß der Hieb in erster Reihe ihm gilt, bestätigt die Norddeutsche Allgemeine Zeitung von heute, indem sie die „von Herrn Sargent dem Reichskanzler gemachte Zumuthung“ mit „der Unkenntniß des diplomatischen Gebrauches“ erklärt. Für unsere inneren Verhältnisse ist der Vorgang immerhin beklagenswerth, denn er verschärft die vorhandenen Gegensätze und vermehrt die ohnehin schon hochgradige Verbitterung der Linksliberalen gegen den Reichskanzler. Natürlich wird die Angelegenheit im Reichstage zur Sprache gebracht werden und voraussichtlich gleich zum Beginn anläßlich der üblichen Gedächtnißworte des Präsidenten auf das verstorbene Mitglied des Reichstags Stoff zu Debatten bieten, wenn es nicht dem Takte des Herrn von Levetzow gelingt, die erbitterten Freunde Laskers zu versöhnen.

71. Münster an Bismarck Vertraulicher Bericht. Behändigte Abschrift. Praes.: 22. Februar 1884. PA Berlin, England 69, Bd. 21. Die Abschrift wurde am 25. Februar den deutschen Botschaftern in Wien, St. Petersburg und Rom sowie dem Preußischen Staatsministerium mitgeteilt.

Die Debatten im Unterhaus über Ägypten ergeben für die Regierung Gladstone eine schwache Mehrheit, im Oberhaus versetzen sie die Regierung in die Minderheit; diese kann sich aber über das Tadelsvotum hinwegsetzen. Das zeigt, wie sich die Regierungsmacht im Unterhaus konzentriert und der ___________ 197

Text auch in Schulthess’ Europäischer Geschichtskalender 25 (1884) S. 20–21.

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Nr. 71. an Münster an Bismarck Nr. 71. Münster Bismarck, 20. Februar 1884

alte nationalkonservative Charakter des Parlaments verlorengeht. Daher macht auch das Vordringen Rußlands in Mittelasien (Merv) keinen Eindruck. No 23.

London, 20. Februar 1884.

Die Debatten und die Abstimmung im Oberhause, sowie die Debatten im Unterhause, welche erst in vergangener Nacht zu Ende geführt wurden und eine Majorität von 49 Stimmen für die Regierung ergaben198, werfen kein erfreuliches Licht auf die diesigen Zustände. Mr. Gladstone und seine Regierung sind in den Augen Englands und des Auslandes geschädigt worden, die konservative Partei hat aber wenig dadurch gewonnen und hat bewiesen, daß sie nicht fähig ist, die Zügel zu ergreifen. Sie hat keinen Führer, der in der Partei selbst, geschweige denn im Lande, das nöthige Vertrauen finden würde. Lord Salisbury199 besitzt es nicht, Sir Stafford Northcote200 im Ganzen mehr, wird aber für nicht energisch genug gehalten, und ihm wird im Unterhause durch Lord Randolph Churchill201 starke Konkurrenz gemacht. In konservativen Kreisen wird daher jetzt viel an ein Ministerium Salisbury mit Lord Randolph Churchill als Führer im Unterhause gedacht. Beide würden gefährliche Politiker sein, das fühlt die eigene Partei, das fühlt das Land. Die Reden im Unterhause waren, trotzdem daß durch die letzten Vorgänge in Egypten viel Stoff zum Angriff gegeben wurde, die Wiederholung der Anklagen und Rekriminationen, die wir seit Monaten in den Reden an die Wähler gehört haben. Merkwürdig in mancher Beziehung waren die Reden der beiden früheren liberalen Minister Mr. Forster202 und Mr. Goschen203. Beide unterwarfen ___________ 198

Über Ägypten und den Sudan (am 19. Februar 1884): Hansard’s Parliamentary Debates, Third Series, vol. 284, Sp. 1306–1327 (Oberhaus), Sp. 1342–1350, 1353–1462 (Unterhaus). Weitere Debatten zum Thema in den vorangegangenen Februartagen ebenda passim. 199 Robert Arthur Talbot Gascoyne-Cecil, Marquis of Salisbury (1830–1903), Führer der englischen Konservativen seit 1881; Außenminister 1878–1880, Premierminister 1885–1886, 1886–1892. 200 Sir Stafford Henry Northcote, (seit 1885 Duke of Iddesleigh) (1818–1887), Führer der konservativen Opposition im englischen Unterhaus 1880–1885. 201 Randolph Henry Spencer, Lord Churchill (1849–1895), Unterhausmitglied (konservativ) 1874–1885, 1885–1895; Mitbegründer der Primrose Leage 1883; Minister für Indien 1885–1886. 202 William Edward Forster (1818–1886), Unterhausmitglied (liberal) 1861–1885, 1885–1886; Obersekretär für Irland 1880–1882. – Seine Rede am 14. Februar 1884 im Unterhaus: Hansard’s Parliamentary Debates, Third Series, vol. 284, Sp. 935–950. 203 George Joachim, Viscount Goschen (1831–1907), Unterhausmitglied (liberal) 1881–1891. – Seine Rede ebenda S. 1405–1414.

Nr. 71. an Münster an Bismarck Nr. 71. Münster Bismarck, 20. Februar 1884

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die Handlungsweise der Regierung der schärfsten Kritik, stimmten aber nachher trotzdem mit der Majorität. Herr Goschen erklärte geradezu, daß er wenig Vertrauen in die jetzige Regierung habe, trotzdem für sie stimmen wolle, weil er sonst Lord Salisbury einen Blanco-Wechsel ausstellen würde; dieser sei ihm aber noch bedenklicher. Von den Liberalen stimmten nur 4 Mitglieder gegen die Regierung, darunter der radikale Mr. Cowen204. Das Stimmenverhältniß war 311 gegen 262. Im Oberhause war die Stimmung entschieden sachlicher, staatsmännischer, und wurde in einem Tage zu Ende geführt205. Die Abstimmung zeigte die Stimmung der höheren, vom Parteitreiben weniger beeinflußten Stände. Das Resultat dieser Abstimmung, in der die Regierung bei einer für das Land und die Machtstellung Englands so wichtigen Frage mit einer Majorität von 100 Stimmen geschlagen wurde, muß die ernstesten Bedenken hervorrufen. Daß es möglich ist, daß ein mit so überwiegender Majorität ausgesprochenes Tadelsvotum des englischen Oberhauses von der Regierung unbeachtet bleibt, daß ein solches Votum so wenig Einfluß auf die Volksvertretung im anderen Hause ausübt, beweist nur zu deutlich, wie weit schon die Verbindung zwischen Aristokratie und Volk gelockert ist. Die Demokratie hat in diesem Lande in den letzten zehn Jahren größere Fortschritte gemacht, als man zugestehen möchte. Die Regierungsgewalt liegt jetzt allein im Unterhause, und durch die Erweiterung des Stimmrechts, namentlich durch die geheime Abstimmung, durch die Einführung des amerikanischen Caucus-Systems ist die Vertretung in andere Hände gelegt, hat ihren alten national-konservativen Charakter verloren. Daher schwankt die öffentliche Meinung, schwinden die Traditionen. Das erklärt Erscheinungen, die jetzt die meisten Engländer selbst als unerträglich ansehen. Ich will nur zwei Beispiele anführen: die Proklamirung des freien Sklavenhandels durch einen Abgesandten der englischen Regierung, General Gordon206, und zweitens die Apathie, die sich in Beziehung auf die Besitzergreifung Merw’s207 durch die Russen zeigt. ___________ 204

Joseph Cowen (1831–1900), Unterhausmitglied (radikal) 1874–1886. Vgl. oben Anm. 198. 206 Charles George Gordon (Gordon Pascha) (1833–1885), General; Oberbefehlshaber der englischen Truppen im Sudan 1884–1885. 207 Das Khanat von Merv in Zentralasien war von den Russen im Januar 1883 unterworfen worden. 205

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Nr. 72. Bismarck an Puttkamer Nr. 72. Bismarck an Puttkamer, 22. Februar 1884

Vor wenigen Jahren würde das Vordringen der Russen allgemein als casus belli angesehen worden sein, jetzt macht die vollendete Thatsache nur geringen Eindruck. Die Opposition wird zwar beide Fragen zu Angriffen auf die Regierung benutzen, sie werden aber zu keinem weiteren Resultate führen, es werden Schläge ins Wasser sein. In Egypten wird die Regierung nach wie vor sich von einer halben Maßregel zur anderen drängen lassen. Die Nachricht, daß General Gordon eine Proklamation in Khartum erlassen habe, durch die er den Mahdi zum Sultan von Kordofan einsetzt, die halben Steuern erläßt und die Straflosigkeit des Sklavenhandels proklamirt, wurde anfänglich bezweifelt, findet aber jetzt ihre Bestätigung. Die Nachricht, daß die egyptische Armee aufgelöst werden solle, ist dagegen nicht richtig oder verfrüht. Richtig dagegen ist, daß Sir Evelyn Baring208 um Truppenverstärkung für Egypten gebeten hat und daß Vorbereitungen dazu getroffen werden.

72. Bismarck an Puttkamer Vertrauliches Schreiben. Abschrift. BA Koblenz, R 43 F/1813, Bd. 4, f. 62–64.

Der amerikanische Gesandte Sargent paktiert mit der fortschrittlichen und sezessionistischen Opposition. Besonders der Abgeordnete Kapp im Wahlkreis Salzwedel hat Verbindung mit ihm und hat augenscheinlich die amerikanische Lasker-Resolution bestellt. Im Wahlkreis Salzwedel soll diese Tätigkeit Kapps im bevorstehenden Wahlkampf verwertet werden. Friedrichsruh, 22. Februar 1884 Ew. pp. wird es bekannt sein, daß der amerikanische Gesandte, Herr Sargent, seine Stellung so auffaßt, als ob er nicht bei Seiner Majestät dem Kaiser und Könige, sondern bei der fortschrittlichen und sezessionistischen Opposition accreditirt wäre. Vertrauliche Schritte, die seinetwegen in Washington geschehen sind, bieten keine Aussicht auf Erfolg, weil er zu denjenigen Leuten gehört, mit welchen die jetzige Regierung der vereinigten Staaten sich in ihrer inneren Politik abzufinden hat. Seine feindselige Stellungnahme unserer Regierung gegenüber, und die Thätigkeit, die er in dieser Richtung in der amerikanischen sowohl wie in der hiesigen Opposi___________ 208

Evelyn Baring, Lord Cromer (seit 1892, 1899 Viscount) (1841–1917), englischer Generalkonsul in Ägypten 1883–1907.

Nr. 73. Bismarck an Puttkamer Nr. 73. Bismarck an Puttkamer, 24. Februar 1884

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tionspresse entwickelt, findet von Seiten der Sezessionisten und insbesondere durch Vermittelung des Abgeordneten Kapp209 eine Unterstützung, wie sie in einem anderen Lande als bei uns kaum möglich sein würde, ohne an patriotischer Entrüstung oder strafrechtlicher Einschränkung ihre Grenze zu finden. Der Artikel in der Münchener Allgemeinen Zeitung210 über diese Beziehungen, welcher auch durch die Berliner Zeitungen gegangen ist, dürfte von wohlunterrichteter, wenn auch mir unbekannter Seite herrühren. Ich sehe [es] als eine Aufgabe unserer Thätigkeit in der Presse an, dieses illoyale Verhalten der Opposition in den betheiligten Wahlkreisen im Hinblick auf die bevorstehenden Neuwahlen zu verwerthen und besonders in dem Wahlkreise Salzwedel, wo der Abgeordnete Kapp gewählt ist, diese Auslandspartei, welcher derselbe angehört, in das richtige Licht zu stellen. Mit dem Abgeordneten, den die Münchener Zeitung als den Vermittler der Umtriebe des Herrn Sargent bezeichnet, ist ohne Zweifel Kapp gemeint; durch ihn wird auch der Antrag Ochiltree zur Verherrlichung Laskers bei Sargent oder direkt in Amerika bestellt worden sein, um aus der Anerkennung der Laskerschen, also der sezessionistischen Parteibestrebungen bei den Wahlen Capital zu schlagen. Salzwedel ist in der Hauptsache ein ackerbautreibender und königstreuer Wahlbezirk und verspreche ich mir dort Erfolg, wenn es gelingt, die Wähler über die Stellung des Herrn Kapp zur Landwirthschaft, zur Monarchie und zu Deutschland überhaupt aufzuklären, aber auch in anderen sezessionistischen Wahlkreisen wird sich die zweifellose Betheiligung der sezessionistischen Partei an den ausländischen Einmischungsversuchen nützlich verwerthen lassen211.

73. Bismarck an Puttkamer Schreiben. Behändigte Ausfertigung. Praes.: 25. Februar 1884. GStAPK Berlin, I. HA, Rep. 90A, Nr. 3432, Bd. 3, f. 57.

Er beabsichtigt, die im März angeregte Reaktivierung des Staatsrats dem Staatsministerium demnächst zur Entscheidung vorzulegen. Wenn einige ___________ 209

Friedrich Kapp (1824–1884), Schriftsteller; MdR (Freisinn) 1872–1878, 1881–1884. 210 „Allgemeine Zeitung“, Tageszeitung von gemäßigt liberaler Richtung; 1798 von J. F. Cotta in Stuttgart gegründet; hatte von 1810 bis 1882 ihren Sitz in Augsburg, wurde dann nach München verlegt; 1925 eingestellt. – In der „Allgemeinen Zeitung“ erschienen Artikel über die Lasker-Resolution am 20. Februar 1884 (S. 738), am 21. Februar (S. 755), am 22. Februar (S. 771 und 776). 211 Zum ganzen vgl. Riehl, „Tanz“ S. 221–223; Holstein, Die geheimen Tagebücher II S. 92–94.

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Nr. 74. Puttkamer an Bismarck Nr. 74. Puttkamer an Bismarck, 24. Februar 1884

Minister dazu noch Voten abgeben wollen, soll dies in den nächsten zwei Wochen geschehen. Friedrichsruh, 24. Februar 1884. Als Minister für Handel und Gewerbe habe ich am 24. März v.J. dem Königlichen Staatsministerium eine Denkschrift über den Staatsrath vorgelegt und eine Beschlußfassung über die Reactivirung des letzteren beantragt212. Seitens der Herren Minister der Justiz und der Finanzen sind über die Frage schriftliche Vota am 28. März und 6. Mai v.J. abgegeben worden213. In der Hoffnung, daß ich in den ersten Tagen des nächsten Monats im Stande sein werde, mich an den Sitzungen des Staatsministeriums wieder direkt zu betheiligen, beabsichtige ich die von mir am 24. März v.J. angeregte Frage alsdann zur Entscheidung des Staatsministeriums zu stellen. Wenn von Seiten Ihrer Excellenzen der Herren Minister die Abgabe andrer vorgängiger Vota als der oben erwähnten noch beabsichtigt wird, so stelle ich ergebenst anheim, solche innerhalb der nächsten beiden Wochen dem Staatsministerium gefälligst zugehen lassen zu wollen.

74. Puttkamer an Bismarck Schreiben. Abschrift. BA Koblenz, R 43 F/1813, Bd. 4, f. 65.

Die Tätigkeit des sezessionistischen Abgeordneten Kapp im Wahlkreis Salzwedel (zugunsten der Lasker-Resolution) wird in der Presse gebührend verwertet werden. Berlin, 24. Februar 1884 Eurer Durchlaucht geneigtes Schreiben vom 22. d.Ms.214 habe ich zu empfangen die Ehre gehabt; ich habe sofort mich mit Dr Rottenburg in Verbindung gesetzt, um Material für die auch nach meiner Ansicht wünschenswerthe und nützliche öffentliche Erörterung des Antheils zu gewinnen, welchen der Abgeordnete Dr. Kapp an den Reklameversuchen für Mr. Sargent hat. Es wird dafür gesorgt werden, daß sowohl in der größeren Presse als namentlich auch in den in dem Wahlkreise des Dr Kapp erscheinenden Lokalblättern eine gebührende Beleuchtung der Haltung dieses Herrn gegenüber den Interessen seines Vaterlandes und seiner eigenen Wählerschaft erfolgt. ___________ 212 213 214

GStAPK Berlin, Rep. 90a, Nr. 3432, Bd. 3, f. 1–7. Ebenda f. 16–23 (Votum Friedbergs) und f. 47–52 (Votum Scholtz’). Oben Nr. 72.

Nr. 75*. Bismarck an Schweinitz Nr. 75*. Bismarck an Schweinitz, 26. Februar 1884

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75*. Bismarck an Schweinitz Vertraulicher Erlaß. Abschrift. Druck: Medlicott, Bismarck S. 341–343.

Die Schonung Englands durch Rußland ließe sich dadurch erklären, daß ein schwaches Ministerium Gladstone nützlich für Rußland ist. Andererseits ist es weder für Rußland noch für Europa von Gewinn, wenn England durch Fortdauer der Regierung Gladstone innerlich zersetzt und republikanisirt wird. [ . . . ] Ein so wesentliches Glied der europäischen Gemeinschaft, wie England, kann nicht in schwere Krankheit und Zuckungen verfallen, ohne ganz Europa in Mitleidenschaft zu ziehen. Die jetzige englische Regierung, an deren Spitze ein Mann steht, dem ausser seiner verhängnisvollen Gabe der Beredsamkeit jede Eigenschaft eines Staatsmannes in dem Maasse fehlt, dass ich geneigt bin, ihn als geisteskrank anzusehen, wird mit solchem Ungeschick geführt, dass es [ . . . ] nützlich sein würde, jenes grosse Reich zur Wahrnehmung seiner Interessen unter eine Curatel der übrigen Christenheit zu stellen. Er – Schweinitz – soll ihm die russische Rücksicht auf Gladstone näher erläutern215. Friedrichsruh, 26. Februar 1884.

76. Promemoria Hatzfeldts Ausfertigung. BA Berlin-Lichterfelde, R 1001/8955, f. 71–80.

In der Note Münsters vom April 1883 an die englische Regierung war die Erwartung ausgesprochen, daß die deutschen Reklamationen auf Fidschi durch eine gemischte Kommission geregelt werden würden. Lord Granville hat die deutschen Empfehlungen indes bereits zweimal abgelehnt. Ein neuerer Vorfall beleuchtet die Hintergründe der englischen Ablehnung: Die Australischen Kolonien haben inzwischen die Annexion der FidschiInseln beschlossen. Die englische Regierung wird sich auf Dauer diesem Wunsch nicht verschließen können. Nicht nur auf Fidschi, sondern auch auf den anderen Südsee-Inseln würden deutsche Handelshäuser geschädigt werden. Es empfiehlt sich daher, in London auf den früheren deutschen Vorschlag zur Lösung der Landreklamationen auf Fidschi, soweit sie überhaupt noch aufrechterhalten werden, zurückzukommen. Soll Graf Münster in diesem Sinne angewiesen werden oder ist die Sache als geschlossen zu erachten? ___________ 215

Die Herausgeber der GW Bismarcks haben sich in den 1930er Jahren gescheut, diesen Erlaß zu veröffentlichen. – Zu Bismarcks Urteil über Gladstone vgl. Riehl, „Tanz“ S. 79–88, 231–243.

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Nr. 76. Promemoria Hatzfeldts Nr. 76. Promemoria Hatzfeldts, 28. Februar 1884

Berlin, 28. Februar 1884. In der von Eurer Durchlaucht genehmigten Note, welche Graf Münster unter dem 26. April v.J. wegen der Reklamationen Deutscher auf Fiji an Lord Granville gerichtet hat216, war die Ueberzeugung ausgesprochen, daß die Königlich Großbritannische Regierung Mittel und Wege finden werde, um die Maßnahmen ihrer Colonialbehörden mit der Rücksicht auf wohlerworbene Rechte der Angehörigen einer befreundeten Nation in Einklang zu bringen, und daß unsere Vorschläge, die von uns vertretenen Reklamationen durch eine gemischte Kommission regeln zu lassen, in Erwägung gezogen werden würden. Mittels Note vom 25. Juli v.J. hat Lord Granville diese Vorschläge ohne nähere Motivirung, nur unter Hinweis auf Erwägungen des Colonial-Amtes, als unannehmbar bezeichnet, und hat, als er darauf um nähere Darlegung der Auffassung seiner Regierung ersucht worden war, unter dem 9. v.Mts. die Ablehnung lediglich wiederholt. Die gewechselten Schriftstücke sind hier beigefügt217. Die Entscheidung der Englischen Regierung erhält durch einen Vorgang aus der letzten Zeit besondere Bedeutung. Die Australischen Colonien haben kürzlich eine Conferenz beschickt, die in Sydney getagt und über gemeinsame Interessen berathen und Beschlüsse gefaßt hat. Zunächst ist dabei der Anschluß der Südsee-Inseln nach dem Muster der Monroe-Doktrin, die Beseitigung aller fremden Elemente und fremden Einflusses in’s Auge gefaßt. Für den hier vorliegenden Zweck interessirt besonders eine Resolution vom 9. Dezember v.J., welche über die purchases of land from natives sich ausspricht: that in the opinion of this convention no purchases or pretended purchases of land made before the establishment of British jurisdiction or dominion in New-Guinea or other islands of the Pacific, not having a recognised Government should be acknowledged, excepting in respect of small areas of land actually occupied for missionary or trading purposes. (The Sydney Morning Herald, 12 December 1883). Antragsteller ist Sir G. William Des Voeux218, der Gouverneur von Fiji. Zwar wird die Britische Regierung, die ___________ 216

PA Berlin, England 69 Bd. 18. – Als Entwurf des Auswärtigen Amtes vom 16. April 1883 veröffentlicht in: Deutsche Land-Reklamationen auf Fidji S. 436–437. 217 Sie liegen nicht bei, sind aber in dem in der vorangehenden Anm. genannten Weißbuch veröffentlicht: Note Granvilles vom 23. [!] Juli 1883 (Übersetzung), in: Deutsche Land-Reklamationen auf Fidji S. 440–441; im englischen Original: Further Correspondence respecting Claims of German Subjects S. 1; Granvilles Note vom 9. Januar 1884 ebenda S. 9 (deutsche Übersetzung in: Deutsche LandReklamationen auf Fidji S. 446–448). 218 Sir George William Des Voeux (1834–1909), Generalgouverneur der Fidschiinseln und Hochkommissar für den Westpazifik 1880–1885.

Nr. 76. Promemoria Hatzfeldts Nr. 76. Promemoria Hatzfeldts, 28. Februar 1884

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mehrfach erklärt hat, daß sie Colonien satt sei, gegen die Annexionswünsche der Australischen Colonien sich zunächst wahrscheinlich ablehnend verhalten. Indeß, wie sie trotz der Ueberfülle bis in die jüngste Zeit immer neue Gebiete erworben, unter Anderem Rotumah in der Nähe von Fiji „auf Bitte der Häuptlinge“ ihrer Herrschaft einverleibt, an der Sierra LeoneKüste ihre Besitzungen erweitert, die ganze südwest-afrikanische Küste vom Oranje-Fluß bis zur Walfisch-Bay in Anspruch genommen hat: so werden sich voraussichtlich auch in der Südsee die Umstände stärker erweisen, als ihr Wunsch und Wille, und sie wird den immer energischer sich kund gebenden Gelüsten der Australischen Colonien auf die Dauer um so weniger widerstehen können, als hier bereits centrifugale Neigungen zu Tage getreten sind, die sie nicht unbeachtet lassen darf219. Unter solchen Umständen fällt es um so mehr in’s Gewicht, in welcher Weise die Fiji-Reklamationen ihre schließliche Erledigung finden. Denn die Verhältnisse auf einem großen Theil der Südsee-Inseln sind zur Zeit denjenigen ähnlich, wie sie auf den Fiji-Inseln längere Jahre vor der Englischen Besitzergreifung bestanden haben. Insbesondere sind auf NeuIrland, Neu-Britannien, den Marschall-, Admiralitäts- und anderen Inseln von dem deutschen Hause Hernsheim220, auf den Salomons-, Carolinen-, Yorkund anderen Inseln von der Deutschen Handels- und Plantagen- Gesellschaft unter Mühe und Gefahren Niederlassungen begründet, Land erworben, Plantagen angelegt, Schiffsverbindungen eingerichtet u.s.w. Englische und Australische Häuser haben sich diesen Gebieten bisher meist fern gehalten. Die Deutschen aber würden sich, wie auf Fiji, um die Früchte ihrer Arbeit gebracht sehen, und diese würden den Engländern mühelos in den Schooß fallen, wenn früher oder später die Beschlüsse der intercolonialen Conferenz in Sydney staatlich gutgeheißen werden und zur Ausführung gelangen. Unter Hinweis einerseits auf diese Resolutionen, andererseits auf das Schicksal der Fiji-Reklamationen haben denn auch bereits die genannten beiden deutschen Häuser sich hierher gewendet und um Schutz ihrer bedrohten Rechte gebeten. Es liegt somit ein Fall vor, welcher in der Eingangs gedachten Note vom 26. April v.J. in Aussicht genommen, und an den die Bemerkung geknüpft ist: es könne für die Kaiserliche Regierung nicht gleichgültig sein, wenn der ___________ 219 Zu den australischen Annexionsbestrebungen vgl. die einschlägigen Blaubücher für das Jahr 1883, z.B. Correspondence respecting New Guinea, the New Hebrides, and other Islands in the Pacific; Correspondence respecting New Guinea and other Islands. 220 Hans Hernsheim (1845–1909) und sein Bruder Eduard Hernsheim (1847– 1917), Südseepioniere, die u.a. auf den Marshallinseln kaufmännisch tätig waren. Ihre Firma fusionierte zunächst mit der „Deutschen Handels- und Plantagengesellschaft der Südsee“ und ging in die 1887 in Hamburg gebildete Jaluitgesellschaft über.

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Nr. 76. Promemoria Hatzfeldts Nr. 76. Promemoria Hatzfeldts, 28. Februar 1884

Deutsche Handelsstand, in seinem Vertrauen zu dem Englischen Rechtsschutz erschüttert, sich genöthigt sehe, das Deutsche Reich zur Vertretung seiner wohlerworbenen Rechte anzurufen. Zwar bieten die Beschlüsse der intercolonialen Conferenz akeine geeignete Handhabea, um bei der Englischen Regierung Einspruch zu erheben und von ihr Sicherstellung der deutschen Interessen auf den noch freien Inseln der Südsee zu verlangen. Wohl aber wird bder Vorgang in Sydney zum Vortheil der deutschen FijiReklamationen verwerthet werden könnenb, falls es für angemessen erachtet wird, diese Angelegenheit in London weiter zu verfolgen. Auf unsere Vorschläge zurückzukommen, möchte sich empfehlen, da ein Erfolg nicht völlig ausgeschlossen erscheint. Die Erwiederung der Englischen Regierung lässt den Eindruck zurück, als ob sie sich dem Gewicht der von uns vorgeführten Gründe keineswegs verschließt, daß sie aber das Billige versagen zu müssen glaubt mit Rücksicht auf die Folgen, die eine Nachgiebigkeit nach ihrer Meinung nach sich ziehen würde. Sie vermeidet in ihren Äußerungen ein Eingehen auf die von uns geltend gemachten thatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte, und beschränkt sich auf Behauptungen und Hypothesen, welche eine sachliche Erörterung nicht ersetzen können, und nur die Verlegenheit verrathen, die Ablehnung unserer Forderung zu motiviren. Der einzige wirkliche Grund, der hierfür gefunden werden kann, liegt in der vom Colonial-Amt ausgesprochenen Befürchtung, daß unser Vorgang, wenn von Erfolg begleitet, Nachahmung finden, daß die Wiederaufnahme der Frage die größte Verwirrung erzeugen, und die Bewilligung von Entschädigungen „zu hoffnungslosem Bankrott führen würde“. Aus dem ganzen Zusammenhange scheint hervorzugehen, daß die Englische Regierung unseren Vorschlägen eine viel zu weit gehende Bedeutung beigemessen und angenommen hat, als verlangten wir, daß alle LandReklamationen Deutscher Reichsangehöriger von Neuem der Entscheidung einer ad hoc ernannten gemischten Kommission unterbreitet würden. In der That aber kann in Fällen, wo die Reklamanten ihre Ansprüche zurückgezogen, oder mit den Entscheidungen der Englischen Behörden sich ausdrücklich oder stillschweigend einverstanden erklärt haben, von einer Wiederaufnahme der Sache nicht die Rede sein. Hierunter fallen auch die Reklamationen der Deutschen, welche der land claimants protection association in Lenvuka angehört haben; dieser Verein hat, nach Inhalt des anliegenden Schreibens vom 29. November v.J.221 (in dem die Auslassungen von Sir A. ___________ a-a

Randvermerk Bismarcks: gewiß nicht. Randvermerk Bismarcks: ja ___________ b-b

221

Es liegt dem Promemoria nicht bei.

Nr. 77. Votum Puttkamers Nr. 77. Votum Puttkamers, 29. Februar 1884

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Gordon Williamson222 und Anderen ausdrücklich als wahrheitswidrig bezeichnet werden) seine Sache als zur Zeit hoffnungslos aufgegeben. Wird die kommissarische Prüfung beziehungsweise die Entschädigung auf die hiernach verbleibenden wenigen Fälle beschränkt, so können die Folgen unmöglich so verhängnisvoll sein, wie das Colonial-Amt befürchtet, und es erscheint daher die Annahme gerechtfertigt, daß die Britische Regierung, über die Bedeutung unserer Vorschläge aufgeklärt, auf dieselben einzugehen nicht länger ablehnen wird. In der Note, welche zu diesem Zweck an Lord Granville zu richten wäre, würden gleichzeitig mehrfache Unrichtigkeiten in den Darlegungen der Britischen Behörden zu berichtigen und besonders bemerkenswerthe Fälle von Willkür vorzuführen sein. Euere Durchlaucht bitte ich gehorsamst um Weisung, ob Graf Münster beauftragt werden soll, cdie Schreiben Lord Granville’s in der angedeuteten Weise zu beantwortenc, oder ob der Schriftwechsel in der dAngelegenheit als geschlossen erachtetd, und vielleicht eine Gelegenheit, wo Großbritannien unsere Dienste in Anspruch nimmt, abgewartet werden soll, um auf den Gegenstand zurückzukommen223.

77. Votum Puttkamers Behändigte Ausfertigung. Praes.: 29. Februar 1884. GStAPK Berlin, I. HA, Rep. 90A, Nr. 3432, Bd. 3, f. 60–61.

Zur Frage der Reaktivierung des Staatsrats: Da er rechtlich noch existiert, kann er ohne neuen gesetzgeberischen Akt reaktiviert werden. Puttkamer gibt jedoch zu bedenken, daß der Staatsrat bei eilig zu behandelnden Gesetzentwürfen nicht tagen kann – wie jüngste Beispiele zeigen –, da er naturgemäß für seine gründlichen Beratungen viel Zeit beansprucht. Wenn aber viele Ausnahmen gemacht werden müssen, wird sein Wert gemindert. ___________ c-c d-d

Randvermerk Bismarcks: ja Randvermerk Bismarcks: nein

___________ 222

Sir Arthur Hamilton Gordon (1829–1912), erster Gouverneur der Fidschiinseln 1875–1880, Hochkommissar für den Westpazifik 1877–1883. 223 Zum ganzen vgl. Riehl, „Tanz“ S. 243–253; die englischen und deutschen Quellen sind in: Deutsche Interessen in der Südsee. Teil 1, S. 196–231; Teil 2, S. 687–728; Correspondence respecting New Guinea and other Islands; Further Correspondence Respecting New Guinea and other Islands, ebenda S. 245–652 [bis August 1885 reichend].

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Nr. 77. Votum Puttkamers Nr. 77. Votum Puttkamers, 29. Februar 1884

Berlin, 29. Februar 1884. Mit Bezugnahme auf das Schreiben des Herrn Minister-Präsidenten vom 24ten Februar cr.224 gestatte ich, mir zu den Ausführungen des Votums des Herrn Ministers für Handel und Gewerbe vom 24ten März pr. über den Vorschlag einer Reaktivirung des Staatsraths Folgendes ganz ergebenst zu bemerken: Ich schließe mich der Auffassung an, daß die rechtliche Existenz des Staatsraths an sich nicht in Zweifel gezogen werden kann, indem dieselbe durch Artikel 110 der Preußischen Verfassungs-Urkunde225 sichergestellt ist. Es wird deßhalb auch meines Erachtens auf Grund der bestehenden Gesetzgebung und ohne daß es eines neuen gesetzgeberischen Aktes bedarf, eine Reaktivirung des Staatsraths stattfinden können, sofern nur davon abgesehen wird, demselben neue Befugnisse beizulegen oder eine Geldbewilligung für dessen Mitglieder in Anspruch zu nehmen. Ich bin ferner mit den Ausführungen des vorbezeichneten Votums dahin einverstanden, daß im Allgemeinen eine Reaktivirung des Staatsraths zum Zwecke einer gründlichen Vorprüfung und eingehenden geschäftlichen Vorbereitung von Gesetz-Entwürfen aus praktischen und politischen Gründen für wünschenswerth zu erachten ist. – Ich glaube jedoch auf das Bedenken aufmerksam machen zu sollen, daß unter Umständen die Nothwendigkeit eintreten kann, Gesetz-Entwürfe von erheblicher politischer oder financieller Tragweite der Landesvertretung mit so großer Beschleunigung zur verfassungsmäßigen Beschlußnahme vorzulegen, daß eine gründliche Vorprüfung derselben im Staatsrathe, welche naturgemäß einen längeren Zeitraum beansprucht, nicht mehr stattfinden kann. – Es würde, falls man an der Forderung einer eingehenden Vorberathung der der LandesVertretung vorzulegenden Gesetz-Entwürfe durch den Staatsrath unbedingt festhalten wollte, in der laufenden Session des Landtags voraussichtlich nicht möglich gewesen sein, die Gesetz-Entwürfe über die Verstaatlichung von Privatbahnen und über die Anlegung von Sekundär-Bahnen, über die Einkommen- und Kapitalrentensteuer, die Jagd-Ordnung und das Communalsteuer-Nothgesetz zur Vorlage an den Landtag der Monarchie zu bringen. Werden aber von der Regel der Vorberathung der Gesetz-Entwürfe durch den Staatsrath grade in wichtigen Fällen häufige Ausnahmen gemacht, so wird dadurch die Bedeutung des Staatsraths heruntergedrückt und der Wert seiner Gutachten gemindert. – Eine erfolgreiche und fruchtbringende Thätigkeit des Staatsraths ist daher meines Erachtens nur dann ___________ 224

Oben Nr. 73 und zum folgenden dort die Anm. 212. Art. 110 der preußischen Verfassung vom 31. Januar 1850 lautet: Alle durch die bestehenden Gesetze angeordneten Behörden bleiben bis zur Ausführung der sie betreffenden organischen Gesetze in Thätigkeit. (Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte I S. 413.) 225

78. Rantzau an das Auswärtige Nr. 78. Nr. Rantzau an das Auswärtige Amt, 1.Amt März 1884

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möglich, wenn überhaupt auf allen Gebieten der legislativen Aktion ein langsameres Tempo eingehalten wird. Abschrift dieses Votums habe ich den sämmtlichen Herren StaatsMinistern mitgetheilt.

78. Rantzau an das Auswärtige Amt Angabe. Eigenhändige behändigte Ausfertigung. Praes.: 2. März 1884. BA Berlin-Lichterfelde, R 1001/8955, f. 83–84.

Münster soll in London die deutschen Landreklamationen auf Fidschi noch einmal mündlich vortragen; die englische Regierung müsse anerkennen, daß Deutschland die englische Stellung im Orient bisher nicht kritisiert habe; es könne sich aber in der Frage der Reklamationen deutscher Untertanen auf Fidschi nicht länger hinhalten lassen. Ampthill in Berlin soll bedeutet werden, daß Deutschland sich veranlaßt sehen könnte, das englische Verfahren in Ägypten international prüfen zu lassen. Friedrichsruh, 1. März 1884. In Vervollständigung seiner Marginalien226 bittet der Herr Reichskanzler den Grafen Münster zu beauftragen, daß er die Reclamationen noch einmal mündlich erneuern möge. Zu gleicher Zeit möchte die Angelegenheit als eine schwebende, sine ira et studio, als einfache Geschichtserzählung in der Presse besprochen werden; die Vorgänge auf den andern Inseln möchten dabei als Argumente benutzt, aber nicht als Beschwerde-Punkte bezeichnet werden. Der Herr Reichskanzler wünscht, daß Graf Münster sich neben der schriftlichen Reclamation mündlich und vertraulich in nachstehendem Sinne ausspreche: Die Engländer müßten uns das Zeugniß geben, daß wir in allen großen politischen Fragen sehr entgegenkommend gewesen wären und Alles vermieden hätten, was einer Kritik über die exceptionelle Stellung Englands im Orient hätte ähnlich sehen und England möglicherweise den bestehenden Verträgen gegenüber Verlegenheit bereiten können; dies träfe namentlich für Alles zu, was seit dem Angriff auf Alexandria227, diesen einge___________ 226

Vgl. oben in Nr. 76 die textkritischen Anmerkungen. Wegen der Unruhen in Ägypten, die am 11. Januar 1882 in einem Massaker an Ausländern gipfelten, beschossen englische Schiffe zunächst die Forts von Alexandria; am 14. Juli wurde die Stadt durch englische Landtruppen besetzt und 227

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79. Lucius’ Votum Lucius’ von Ballhausen Nr. 79. Nr. Votum von Ballhausen, 1. März 1884

schlossen, geschehen sei. Wenn wir nun dem gegenüber, in einem Falle, wo das Recht zweifellos auf unserer Seite stände, nicht einmal eine ehrliche Prüfung, sondern nur ausweichende Antworten erreichen könnten, so müßten sich doch die Engländer selbst fragen, ob sie glaubten, auf eine dauernde Unterstützung ihrer Politik rechnen zu können. Unsere bisherige Haltung wäre ganz uninteressirt und freundschaftlich für England gewesen, und ohne Gegenseitigkeit, da wir in keiner analog wichtigen Sache der Englischen Unterstützung bedurft oder sie erstrebt hätten; aber daraus dürfte nicht geschlossen werden, daß wir deshalb g e r e c h t e Reclamationen deutscher Unterthanen aus bloßem Wohlwollen für England im Stich lassen könnten, und eine unfreundliche Behandlung deutscher Unterthanen müßte nothwendig auf unser politisches Verhältniß zurückwirken. Der Herr Reichskanzler bittet den Herrn Staatssekretär, sich in gleichem Sinne zu Lord Ampthill228 zu äußern, und dabei leicht anzudeuten, daß wir als Repressalie veranlaßt werden könnten, eine Prüfung des Englischen Verfahren[s] in Egypten gegenüber den Pfortenverträgen anzuregen. Wenn England nicht mehr Achtung für die fremden Nationen bewiese, so müßte die Ausdehnung seiner Seeherrschaft, welche wir bisher als eine Ausdehnung der Civilisation und Gerechtigkeit betrachtet hätten, eine Gefahr für die Gesammtheit werden und wir würden gezwungen, dagegen Stellung zu nehmen.

79. Votum Lucius’ von Ballhausen229 Ausfertigung. GStAPK Berlin, I. HA, Rep. 90A, Nr. 3432, Bd. 3, f. 62–64.

Er hält die Reaktivierung des Staatsrats für verfassungsmäßig unbedenklich. Um zu verhindern, daß der Staatsrat den künftigen Gang der Gesetzgebung verzögert und erschwert, schlägt er folgendes vor: 1. Der Staatsrat ___________ das ägyptische Heer unter Arabi Pascha am 13. September in die Flucht geschlagen. Das Land wurde daraufhin ein englisch-ägyptisches Kondominium unter der nominellen Oberhoheit des türkischen Sultans. Über die schwierige finanzielle Situation des Landes wurde zwischen den europäischen Großmächten, Ägypten und der Türkei längere Zeit verhandelt. 228 Odo Russell, (seit 1881) first Baron Ampthill (1829–1884), englischer Botschafter in Berlin 1871–1884. – Sein für die vorliegende Fragestellung wichtiger Briefwechsel: Letters from the Berlin Embassy I (für die Jahre 1883–1885 [am Schluß seines Nachfolgers Malet] S. 289–414). – Zur Kontaktnahme Hatzfeldts mit Ampthill wegen Ägyptens ebenda S. 317–319 Ampthills Brief an Granville vom 15. März 1884. 229 Robert Lucius (seit 1888: Freiherr von Ballhausen) (1835–1914), preußischer Landwirtschaftsminister 1879–1890. – Ergiebige Tagebücher: Lucius von Ballhausen, Bismarck-Erinnerungen (für die Jahre 1883–1885: S. 246–326).

79. Lucius’ Votum Lucius’ von Ballhausen Nr. 79. Nr. Votum von Ballhausen, 1. März 1884

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soll nicht bei allen, sondern nur bei den wichtigeren Gesetzentwürfen hinzugezogen werden; 2. bei Gesetzentwürfen wirtschaftlicher Art, über die zuvor schon der bestehende Volkswirtschaftsrat gegutachtet habe, soll der Staatsrat nicht mehr erneut gutachten; 3. es ist darauf zu achten, daß der Staatsrat Gesetzentwürfe nicht in allen Einzelheiten, sondern nur in den wesentlichen Punkten prüft. Er soll sich schließlich auf die mündliche Beratung beschränken und von schriftlichen Voten absehen. C . B. 1 5 1 / 5 2

Berlin, 1. März 1884.

Die Frage, ob die Institution des Staatsraths jetzt noch zu Recht besteht, ist meines Erachtens zu bejahen. Auch halte ich die Reactivirung des Staatsraths verfassungsmäßig für unbedenklich, da derselbe nach der Verordnung vom 20. März 1817230 die Stellung einer nur berathenden Behörde einzunehmen hat und durch seinen Beirath weder die Verantwortlichkeit der Minister, noch auch die dem Landtage zustehenden Rechte beeinträchtigt werden würden. Ich nehme ferner an, daß der Staatsrath ungeachtet der durch die Einführung der Verfassung veränderten Verhältnisse auch jetzt noch immerhin in der Lage sein würde, auf dem Gebiete der Gesetzgebung durch Vorprüfung und Begutachtung eine ersprießliche Wirksamkeit zu entfalten. In allen diesen Beziehungen schließe ich mich den Gründen an, aus welchen die Staatsregierung schon bei der früheren Reactivirung des Staatsraths dieselbe in ihrer dem Hause der Abgeordneten vorgelegten Denkschrift vom 5. Januar 1855231 gerechtfertigt hatte, und welche damals auch die Zustimmung des Hauses der Abgeordneten fanden, indem dasselbe die im Etat für das Staatssekretariat geforderte Summe bewilligte. Ich erkläre mich daher mit den Vorschlägen des Herrn Ministers für Handel und Gewerbe in seiner Denkschrift vom 24. März v.J.232 im Wesentlichen einverstanden. Allerdings läßt sich nach den Erfahrungen, welche man mit dem Staatsrathe bis zum Jahre 1848 gemacht hatte, nicht verkennen, daß seine Wirksamkeit unter Umständen dahin führen kann, den Gang der Gesetzgebung in hohem Grade zu verzögern und zu erschweren. Es dürfte daher im Falle der Reactivirung des Staatsraths von vornherein darauf Bedacht zu nehmen sein, daß diesem Uebelstande, welcher sich jetzt bei dem complicirten Mechanismus der konstitutionellen Gesetzgebung noch weit fühlbarer machen würde, als früher, möglichst vorgebeugt werde. In dieser Beziehung erlaube ich mir, nachfolgende Punkte hervorzuheben. ___________ 230

Vgl. grundlegend zur Geschichte des Staatsrats: Schneider, Staatsrat; zur Entstehung der Verordnung von 1817 ebenda S. 36–47; Text der Verordnung ebenda S. 299–303. 231 Ebenda S. 236. 232 Vgl. oben Nr. 73 und Anm. 212.

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79. Lucius’ Votum Lucius’ von Ballhausen Nr. 79. Nr. Votum von Ballhausen, 1. März 1884

1. Nach der Vorschrift unter No. 2 Littr. a der Verordnung vom 20. März 1817 mußten s ä m m t l i c h e Vorschläge zu neuen oder zur Aufhebung, Abänderung und authentischen Deklarationen von bestehenden Gesetzen dem Staatsrathe zur Begutachtung vorgelegt werden. Diese Vorschrift ist durch den § 5 der Verordnung vom 6. Januar 1848233 aufgehoben worden, nach welchem es für jeden einzelnen Fall vorbehalten bleiben soll, darüber besonders zu bestimmen, ob der Staatsrath mit seinem Gutachten zu hören sei. Hienach sollte also die Mitwirkung desselben bei der Gesetzgebung fortan nicht mehr eine obligatorische, sondern nur noch eine f a c u l t a t i v e sein. Ich nehme an, daß es hierbei im Falle der Reactivirung des Staatsrathes sein Bewenden behalten [muß] und daß, wie schon in der Denkschrift vom 5. Januar 1855 betont worden ist, die Zuziehung des Staatsrathes keineswegs bei allen, sondern nur bei den w i c h t i g e r e n Gesetzentwürfen zu erfolgen haben, daß es aber auch bei Gesetzentwürfen der letzteren Art gestattet sein würde, in Fällen der Dringlichkeit auf die Mitwirkung des Staatsrathes zu verzichten. 2. Nach der Verordnung vom 17. November 1880 (G.S.S. 367) sollen Entwürfe von Gesetzen und Verordnungen, welche wichtigere wirthschaftliche Interessen von Handel, Gewerbe und Land- und Forstwirthschaft betreffen, in der Regel von dem Volkswirthschaftsrath begutachtet werden. Ich stelle zur Erwägung, ob es sich nicht empfehlen dürfte, bei solchen Entwürfen, über welche schon der Volkswirthschaftsrath gutachtlich gehört worden ist, von einer nochmaligen Begutachtung durch den Staatsrath Abstand zu nehmen. Eine Zuziehung beider Körperschaften würde sehr umständlich sein und könnte möglicherweise zu widersprechenden Gutachten führen, durch welche die seitens der Staatsregierung zu treffende Entscheidung nur erschwert werden würde. 3. Bekanntlich hat der Staatsrath bei seiner früheren Wirksamkeit wiederholt zu lebhaften Beschwerden über die Langsamkeit seiner Arbeiten Veranlassung gegeben. Diese Beschwerden haben sogar in einer an den damaligen Staatsminister und Staatsrath-Präsidenten von Savigny234 erlassenen Allerhöchsten Ordre vom 17. Oktober 1847235 Ausdruck gefunden, in welcher es heißt: „Die Erfahrung der letzten Jahrzehnte habe gelehrt, daß durch die zu häufige Wiederholung der legislativen Berathungen über einen und denselben Gegenstand und durch die für diese Berathungen in den verschiedenen ___________ 233

Schneider, Staatsrat S. 102–107 (Text ebenda S. 303–305). Friedrich Carl von Savigny (1779–1861), Professor der Rechte in Berlin; Mitglied des Staatsrats 1817–1848, dessen Präsident 1847–1848. 235 Schneider, Staatsrat S. 101 (mit Anm. 1). 234

79. Lucius’ Votum Lucius’ von Ballhausen Nr. 79. Nr. Votum von Ballhausen, 1. März 1884

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Stadien bestehenden komplicirten Einrichtungen die Vorbereitung größerer Gesetz-Entwürfe und damit die Befriedigung der dabei zu Grunde liegenden praktischen Bedürfnisse in einer die Regierung wahrhaft kompromittirenden Weise verzögert werde; dieser große Uebelstand bedürfe einer durchgreifenden Abhilfe, und es seien daher die jetzt für die legislativen Berathungen des Staats-Ministeriums und des Staatsraths bestehenden Vorschriften einer sorgfältigen Revision zu unterwerfen.“ Die Verzögerung der legislativen Arbeiten durch den Staatsrath hatte ihren Grund einmal in einer überaus schwerfälligen Geschäftsordnung, sodann in dem Umstande, daß der Staatsrath die zu seiner Begutachtung gelangenden Gesetz-Entwürfe nicht etwa blos in ihren w e s e n t l i c h e n Punkten, sondern bezüglich aller einzelnen Bestimmungen auf das Eingehendste prüfte und sich dabei oft in das Detail zu sehr vertiefte. Ich würde es im Falle der Reactivirung des Staatsraths für dringend geboten erachten, daß nach beiden Richtungen hin Abhilfe geschaffen werde. In m a t e r i e l l e r Beziehung würde es meines Dafürhaltens genügen, wenn der Staatsrath, ohne sich auf das Detail der Gesetzentwürfe einzulassen, seine Prüfung und Begutachtung derselben auf die p r i n c i p i e l l e n Gesichtspunkte beschränkte. Ich stimme insofern mit dem Herrn Finanz-Minister überein, welcher in seinem Votum vom 6. Mai v.J.236 die wesentlichste Bedeutung des Staatsraths darin erblickt: „bei der Feststellung von Gesetzentwürfen den Zusammenhang mit der Gesammtgesetzgebung, die legistische Harmonie zu sichern, sowie die Entwürfe rücksichtlich einer erschöpfenden Behandlung der betreffenden Materie und rücksichtlich ihrer Struktur in logischer und juristischer Beziehung zu prüfen.“ Dagegen dürfte die Ausarbeitung der Gesetzentwürfe im Einzelnen, namentlich auch ihrer Redaktion, sowie das sonstige juristische und technische Detail nicht dem Staatsrathe zu übertragen, sondern, wie bisher, den zuständigen Ressort-Ministern zu überlassen sein. Meines Erachtens wird von dem Staatsrathe, um ihm die Erfüllung seiner staatsmännischen Aufgaben zu erleichtern, jede lediglich bureaukratisch-technische Arbeit, welche ebenso gut durch die den Ministerien zu Gebote stehenden Arbeitskräfte besorgt werden kann, möglichst fern zu halten sein. Geschieht dies, so würde dadurch zugleich die Anstellung ständiger und berufsmäßiger Hilfsarbeiter für den Staatsrath, welche der Herr FinanzMinister befürwortet, entbehrlich werden. Was die f o r m e l l e Behandlung der Geschäfte bei dem Staatsrathe anbetrifft, so kann ich dem Vorschlage des Herrn Ministers für Handel und Gewerbe am Schlusse seiner Denkschrift vom 24. März v.J., daß der Schwerpunkt auf die mündliche Berathung im Staatsrathe gelegt und das schriftliche Votiren möglichst vermieden werde, nur beipflichten. ___________ 236

Vgl. oben Nr. 73 und Anm. 212.

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80. Rantzau an Rottenburg Nr. 80. Nr. Rantzau an Rottenburg, 2. März 1884

Ich nehme an, daß sich das Königliche Staats-Ministerium zunächst nur darüber schlüssig zu machen haben wird, ob überhaupt mit der Reactivirung des Staatsrathes vorgegangen werden soll. Wird diese Hauptfrage, wie auch ich befürworte, bejaht, so dürfte es sich empfehlen, über die Modalitäten der Reactivirung unter Zuziehung von Vertretern sämmtlicher Ministerien, kommissarische Berathungen stattfinden zu lassen. Abschrift dieses Votums habe ich sämmtlichen Herrn Staats-Ministern mitgetheilt.

80. Rantzau an Rottenburg Privatbrief. Maschinenschriftliche Abschrift. Auszug. BA Koblenz, Nachlaß Bismarck, FC 2977.

Im „Deutschen Tageblatt“ soll die Unfähigkeit des amerikanischen Gesandten in Berlin, Sargent, grell beleuchtet werden: Im fehle alles, was zu einem Diplomaten gehört; seine drei Vorgänger seien ihm hoch überlegen gewesen. Friedrichsruh, 2. März 1884. [Er wird morgen abend in Friedrichsruh erwartet.] Hier ist schnell noch ein Sargent-Auftrag für das Deutsche Tageblatt237 nach der Melodie zu singen, ein Kanadier, der Europas Höflichkeit nicht kannte; es wäre zu sagen, S. gehörte offenbar zu den Leuten, welche, wenn man sie befragte, ob sie Flöte spielen könnten, antworteten, sie wüssten es nicht, sie hätten es noch nicht versucht. Ihm fehlte nicht nur die Sprachkenntnis, sondern überhaupt alles, was zum Diplomaten gehört, Vorbildung, Studium, Kenntnis in ethnographischer, geschichtlicher, politischer Beziehung, namentlich was das Land angeht, bei welchem er die Vereinigten Staaten zu vertreten habe; aber es wäre anzunehmen, dass seine edle Dreistigkeit ihn auch befähigen würde, ebenso wie den Gesandtenposten eine Steinoperation oder die Führung einer Lokomotive zu übernehmen wenn er nicht vielleicht gerade auf diesem Gebiete grössere Vorsicht beweisen sollte. Alles das wäre umso betrübender, wenn man den Abstand ___________ 237

„Das Deutsche Tageblatt“ war eine 1881 in Berlin gegründete konservative Tageszeitung, die den Bismarck-Kurs unterstützte; sie wurde 1891 von der „Kreuzzeitung“ aufgekauft und hörte nach wenigen Monaten auf zu existieren; sie wurde indes 1894 wieder aus der Taufe gehoben, war in der Weimarer Zeit das Organ der Deutsch-Völkischen und erschien bis 1934.

81*. Tagebucheintragung Bambergers Nr. 81*.Nr. Tagebucheintragung Bambergers, 2. März 1884

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in Betracht ziehe, den die 3 letzten amerikanischen Gesandten238 gegen ihn geboten hätten, die durch feine wissenschaftliche, politische und gesellschaftliche Bildung den Beweis geliefert hätten, dass Amerika nicht arm an Männern ist, welche den Gesandtenposten zu ihrer Ehre und zum Nutzen beider Länder voll ausführen können. Können Sie sich nicht ganz vertraulich informieren, ob S.K.K.H. bei der vorhabenden Reise nach Kiel seinen Weg über Hamburg oder Lübeck nehmen werden?

81*. Tagebucheintragung Bambergers Druck: Bamberger, Bismarcks großes Spiel S. 276–281.

Die Kronprinzessin hat sich auf offener Straße demonstrativ bei ihm für seine Rede auf den Tod Laskers239 bedankt. Am 29. Februar Empfang durch den Kronprinzen, der sich ebenfalls für die Laskerrede bedankt; er bedauert, daß der Kulturkampf nicht hartnäckig weitergeführt werde; das Sozialistengesetz dürfe jetzt nicht aufgehoben werden; er wolle damit aber nichts zu tun haben. Bamberger gewinnt von der Unterredung den Eindruck eines ernsten, aufrichtigen und freisinnigen Mannes. [o.O.] 2. März 1884.

82. Votum Goßlers Ausfertigung. GStAPK Berlin, I. HA, Rep. 90A, Nr. 3432, Bd. 3, f. 66–68.

Hinsichtlich der Reaktivierung des Staatsrats schließt er sich den bisher von seinen Ministerkollegen abgegebenen Stellungnahmen im wesentlichen an. Die Sitzungen des Staatsrats sollten auf bestimmte Perioden begrenzt sein. Der Staatsrat sollte lediglich als sachkundiger Beirat des Staatsmini___________ 238

Es waren dies: 1. John Chandler Bancroft Davis (1822–1907), Gesandter in Berlin 1874–1877; 2. Bayard Taylor (1825–1878), Gesandter in Berlin 1878; 3. Andrew Dickson White (1832–1918), Gesandter in Berlin 1879–1881. 239 Das Leichenbegängnis für Lasker fand am 28. Januar 1884 statt. Bamberger hielt seine Rede auf Lasker am Abend des Tages in der Berliner Singakademie. Sie wurde als Demonstration gegen das herrschende Regierungssystem empfunden. Auszüge daraus bei: Schuler, „Fremdling“ S. 221–224. Ebenda S. 224–225 der Bericht eines Polizeispitzels.

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82. Votum Nr. 82. Nr. Votum Goßlers,Goßlers 3. März 1884

steriums fungieren, also nicht selbst ein legislativer Faktor sein. Er sollte nur bei wichtigeren Gesetzesvorhaben tätig werden. Hilfreich wäre die Einsetzung einer Redaktionskommission des Staatsrats, welche die legislativen Formalien zu prüfen hätte. Mitglieder des Staatsrats sollten auch mit der Vertretung von Regierungsvorlagen im Landtag und mit Vorarbeiten größerer Gesetzentwürfe betraut werden. I. N o 5 3 5 . B.

Berlin, 3. März 1884.

Der Auffassung, welcher der Herr Minister für Handel in der Denkschrift vom 24. März 1883240 über die Rechtsbeständigkeit des Staatsraths und die Zweckmäßigkeit seiner Reaktivirung Ausdruck gegeben hat, trete ich in allen wesentlichen Punkten bei, indem ich im Einzelnen mich dem Standpunkte nähere, welchen der Herr Finanzminister in seinem Votum vom 6. Mai 1883241 eingenommen hat. In der prinzipiellen Beurtheilung scheint mir überhaupt bisher eine erhebliche Verschiedenheit unter den Herren Mitgliedern des Staats-Ministeriums nicht hervorgetreten zu sein, vielmehr steht im Vordergrund aller Erwägungen die mehr praktische Frage, ob das von dem Herrn Minister für Handel gesteckte Ziel, „die geschäftliche Behandlung der preußischen legislatorischen Arbeiten ohne Beeinträchtigung ihrer Gründlichkeit durch Heranziehung des Staatsraths an Schnelligkeit und Leichtigkeit gewinnen zu lassen“, lediglich auf der durch die Verordnungen von 1817, 1848, 1854 gegebenen Basis erreicht werden kann, oder ob es hierzu mehr oder minder erheblicher Modifikationen dieser Basis bedarf. Der Herr Minister für Handel hat sich schon im Sinne der letzten Alternative insofern ausgesprochen, als er die Stellung des Staatsraths zum Staats-Ministeriums analog der Stellung der Bundesrathsausschüsse zum Plenum des Bundesraths geordnet wissen will. Diese Analogie läßt sich meines Erachtens wenigstens in Ansehung des Staatsraths und der Bundesrathsausschüsse bis zu einem gewissen Grade durchführen, wenn die Staatsrathssitzungen möglichst auf bestimmte Perioden verlegt werden, welche die rege und andauernde Betheiligung der auswärts wohnenden Mitglieder gestatten, und wenn – dem Vorschlage des Herrn Finanzministers entsprechend – die Bestellung einiger ständiger Arbeiter in Aussicht genommen wird. Aber auch darüber hinaus werden meines Erachtens Abänderungen in dem früheren Geschäftsgange des Staatsraths sich als wünschenswerth erweisen. Denn, wenn auch die Berathungen des Staatsraths durch Gründlichkeit, sicheres Wissen und objektives Urtheil sich ausgezeichnet haben, ___________ 240 241

Oben Nr. 73 Anm. 212. Ebenda Anm. 213.

82. Votum Nr. 82. Nr. Votum Goßlers,Goßlers 3. März 1884

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so läßt sich ihnen doch, wenigstens nach den mir bekannten Verhandlungen, z.B. über die 6 kirchenpolitischen Gesetzentwürfe von 1838242, Leichtigkeit oder Schnelligkeit der Arbeit nicht nachrühmen; vielmehr machen sie mit ihren schriftlichen Referaten, Korreferaten, Protokollen, Separatvoten häufig mehr den Eindruck von Arbeiten parlamentarischer Kommissionen. Um bei der gegenwärtigen Organisation der Gesetzgebungsmaschine eine Förderung durch die Thätigkeit des reaktivirten Staatsraths zu gewinnen, würde sich meines Erachtens empfehlen, demselben die Stellung, welche er früher je länger je mehr als ein neben dem Staatsministerium stehender, gewisser Maßen die Landstände ersetzender legislativer Faktor, wenn auch nur mit berathender Stimme, eingenommen hat, nicht wieder einzuräumen, sondern ihm, wie schon der Herr Finanzminister hervorgehoben, die Funktionen eines sachkundigen Beiraths des Staats-Ministeriums beizulegen. Ferner halte ich aus derselben allgemeinen Erwägung eine Modifikation der grundlegenden Vorschrift, daß der König für jeden Entwurf eines Gesetzes oder einer Verordnung besonders bestimmen will, ob über denselben der Staatsrath, sei es im Plenum, sei es in der engern Versammlung, mit seinem Gutachten gehört werden soll, für angezeigt. Ich würde vielmehr ausgehen von dem Allerhöchsten Erlaß vom 6ten Februar 1875243, nach welchem bei wichtigeren Gesetzesvorlagen das Staats-Ministerium sich zunächst über die Grundsätze schlüssig machen und die Entscheidung des Königs einholen soll, ob nach denselben ein spezieller Gesetzentwurf ausgearbeitet ist oder nicht, und darnach folgender Maßen unterscheiden: 1. Bei wichtigeren Gesetzentwürfen hat das Staats-Ministerium mit der Einholung der Allerhöchsten Genehmigung zur Aufstellung eines speziellen Gesetzentwurfs auf Grund der vorgetragenen Grundsätze gleichzeitig die Allerhöchste Entschließung darüber zu erbitten, ob der spezielle Gesetzentwurf nach seiner Fertigstellung dem Plenum des Staatsraths bezw. der engern Versammlung vorgelegt werden soll oder nicht. Bejahendenfalls geht demnächst das Gutachten des Staatsraths unmittelbar an das Staatsministerium, welches den Gesetzentwurf feststellt und mit dem Gutachten des Staatsraths dem Könige überreicht. 2. Wichtigere Gesetzentwürfe, welche nicht dem Staatsrathe zur materiellen Begutachtung überwiesen werden sollen, und unwichtigere Gesetzentwürfe sind einer neu zu bildenden Redaktionskommission des Staatsraths zur Prüfung der legislativen Formalien (Anordnung des Stoffs, Ueberschriften, Ausdrucksweise, Interpunktion pp.) vorzulegen. Die Bemerkungen, welche der Herr Finanzminister über die Nothwendigkeit, die ___________ 242

Während des „Kölner Kirchenstreits“. Vgl. Protokolle des Preußischen Staatsministeriums VI,1 S. 382 (Nr. 490) mit Anm. 2. 243

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83. Rantzau an das Auswärtige Nr. 83. Nr. Rantzau an das Auswärtige Amt, 4.Amt März 1884

Einheit und Korrektheit unserer legislativen Technik wiederherzustellen, gemacht hat, kann ich meinerseits nur theilen und ich halte den jetzigen Zustand so sehr der Abänderung für bedürftig, daß ich die Einsetzung einer derartigen Redaktionskommission, an welcher namentlich auch Mitglieder des Oberverwaltungsgerichts und Kammergerichts zu betheiligen sein würden, auch dann empfehlen möchte, wenn in der Reaktivirung des Staatsraths eine Verzögerung eintreten sollte. Neben diesen Andeutungen, welche im Wesentlichen auf eine Modificirung des früheren Verfahrens hinaus laufen, glaube ich noch zwei Gesichtspunkte hervorheben zu dürfen, welche auf eine erweiterte Nutzbarmachung des Staatsraths abzielen. Einmal halte ich es für zulässig, unter Umständen auch für nützlich, wenn Mitglieder des Staatsraths bezw. bei demselben angestellte ständige Arbeiter mit der Vertretung von Regierungsvorlagen im Landtage betraut werden. Sodann ließe sich die Arbeitskraft der Mitglieder des Staatsraths vielleicht noch intensiver ausnutzen, wenn die Staatsregierung sich über ein Programm zur Aufstellung größerer Gesetzentwürfe für einen gewissen Zeitraum verständigen und die Mitglieder des Staatsraths mit den Vorarbeiten hierzu betrauen wollte. Die Bedenken, welche solchen legislativen Arbeiten auf Lager entgegenstehen, unterschätze ich nicht; auf der andern Seite lassen sich aber die gegenwärtig für die legislative Thätigkeit der Ministerien bestehenden Schwierigkeiten nicht verkennen, und der Gedanke, mit Hülfe der Staatsrathsmitglieder die Ministerien zu entlasten, dürfte der Erwägung nicht unwerth sein. Abschrift dieses Votums habe ich jedem Mitgliede des Königlichen Staats-Ministeriums mitzutheilen nicht unterlassen.

83. Rantzau an das Auswärtige Amt Angabe. Eigenhändige, behändigte Ausfertigung. Praes.: 5. März 1884. PA Bonn, Vereinigte Staaten von Amerika 3, Bd. 1.

Da die Opposition im Reichstag eine Antwort auf die Lasker-Resolution geben will, erbittet Bismarck ein Promemoria über die Vorgeschichte der Resolution. Der Kaiser sollte im Falle der Annahme der Antwort auf die Resolution das Reichstagspräsidium bei nächster Gelegenheit auf Einhaltung der Reichsverfassung (Artikel 11) aufmerksam machen. Friedrichsruh, 4. März 1884. Der Herr Reichskanzler bittet mit Bezug auf die von den Zeitungen gebrachte Nachricht, daß die Opposition beabsichtige, im Reichstage eine

84. Bismarck an Eisendecher Nr. 84. Nr. Bismarck an Eisendecher, 5. März 1884

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Antwort auf die Laskerresolution zu beantragen, alle Notizen über Entstehung, Uebermittlung und Veranlassung der Resolution, sowie über die Mittheilung derselben an den Bruder des Verstorbenen244 sammeln und in einem P.M. zusammenstellen zu lassen, welches bei den eventuellen Reichstagsverhandlungen benützt werden könnte. Der Herr Reichskanzler bittet ferner den Staatssekretär, Sr. Majestät mündlich vorzutragen, daß, wenn eine Antwort auf jene Resolution wirklich im Reichstag Annahme finden sollte, nach Auffassung des Herrn Reichskanzlers darin ein Eingriff in die Kaiserlichen Vorrechte und eine Verletzung des Art. 11 der Reichsverfassung245 liegen würde, welcher die Auflösung des Reichstages nothwenig machen müßte. Vielleicht würde Se. Majestät bei demnächstiger Vorstellung des neuen Reichstagspräsidiums Gelegenheit nehmen wollen, die Herren auf die Nothwendigkeit des Einhaltens der Verfassung aufmerksam zu machen.

84. Bismarck an Eisendecher Vertraulicher Erlaß. Abschrift. PA Berlin, Vereinigte Staaten von Nordamerika 3, Bd. 1.

Die Lasker-Resolution des amerikanischen Repräsentantenhauses war sicherlich nicht böswillig gemeint. Sargent in Berlin hätte seine Regierung darüber aufklären müssen, daß er in „unerhörten Beziehungen“ zur deutschen Opposition steht; es ist daher notwendig, daß er bald abberufen wird. Er – Eisendecher – hat bisher ungenügend über die Entstehung der Resolution berichtet und soll das nachholen. Als Vermittler der Resolution in Deutschland muß der Abgeordnete Bunsen angesehen werden. No A. 8.

Friedrichsruh, 5. März 1884.

Ew.p. Bericht v. 17. v.M. No 63 ich erhalten246. ___________ 244

Moritz [Morris] Lasker (1840–1916), Eduard Laskers jüngerer Bruder; lebte in den USA (Galveston, Texas) und kümmerte sich um die Formalitäten nach dessen Tod. 245 Im Art. 11 der Reichsverfassung von 1871 ist der Passus gemeint: Der Kaiser hat das Reich völkerrechtlich zu vertreten [ . . . ] . – Am Kopf des Aktenstücks Bleistiftvermerk vom 6. März (von unbekannter Hand): S.M. vorgetragen, Allerh.derselbe ganz einverstanden, will Gelegenheit nehmen dem Reichstagspräsidium einige geeignete Worte zu sagen. S.D. dies berichten. 246 PA Berlin, Vereinigte Staaten von Nordamerika 3, Bd. 1 (Aufregung in der amerikanischen Presse wegen Bismarcks Rücksendung der Lasker-Resolution).

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84. Bismarck an Eisendecher Nr. 84. Nr. Bismarck an Eisendecher, 5. März 1884

Ich bin überzeugt davon, daß die Resolution des Repräsentantenhauses nicht malitiös gemeint ist; ich möchte dieselbe nicht einmal mit taktlos bezeichnen, in Anbetracht, daß eine Versammlung der Art schwerlich auf einem Gebiete, das ihr ganz unbekannt ist, Takt beweisen kann. Wenigen Leuten bei uns ist der Name auch nur eines einzigen amerikanischen Abgeordneten bekannt, und es ist wohl anzunehmen, daß die Amerikaner sich noch weniger um unseren Abgeordneten bekümmern, als wir uns um die ihrigen. Ich bin von Hause aus nicht zweifelhaft gewesen, daß das Repräsentantenhaus, wenn irgend eine, so nur die Absicht gehabt hat, dem von mir seit länger als 20 Jahren nicht ohne Erfolg gepflegten Wohlwollen Amerikas für Deutschland im Allgemeinen Ausdruck zu geben. Daß dieser Ausdruck des Wohlwollens in der Verherrlichung eines langjährigen und äußerst unbequemen Oppositionsmitgliedes bestand, und also seine Spitze gerade gegen die Politik der Kaiserlichen Regierung richtete, das hat man im Repräsentantenhause sich schwerlich klar gemacht. Die Stellen, von denen eine Aufklärung in dieser Beziehung hätte ausgehen können, sind die beiderseitigen Gesandtschaften, die unserige in Washington und die amerikanische in Berlin. Ich nehme an, daß Ew.p. nicht rechtzeitig von dem, was bevorstand, unterrichtet gewesen sind, um H. Frelinghuysen247 aufmerksam darauf zu machen, daß die Verherrlichung Lasker’s und seiner sezessionistischen Opposition mit einer scharfen Verurteilung unserer Reichspolitik gleichlautend war. Herrn Sargent hat ohne Zweifel sein übler Wille und die unerhörten Beziehungen, in welche dieser Vertreter einer befreundeten Macht sich zu dem verbissensten Theil unserer Opposition gesetzt hat, abgehalten, seine Regierung über die nothwendigen Folgen des beabsichtigten Schrittes aufzuklären. Auch hieraus geht die Nothwendigkeit hervor, unsererseits zu tun, was in unseren Kräften steht, um eine Aenderung in der Person des amerikanischen Vertreters herbeizuführen. Ueber die Entstehung der Ochiltree’schen Resolution, über den Einfluß, welchen Lasker’s Bruder auf dieselbe genommen hat, über die Einwirkung der deutschen Mitglieder des Repräsentantenhauses darauf, über deren wirthschaftliche Interessen, in Verbindung mit den Parteibestrebungen unserer Freihändler, über die Stellung endlich, welche der verstorbene Lasker in öffentlichen Reden gegen unsere Zollpolitik in Amerika genommen hat, vermisse ich bisher eine ausgiebige Berichterstattung Ew.p., und bin im Wesentlichen auf das angewiesen, was die Zeitungen darüber zu meiner Kenntnis bringen. Ich ersuche Sie, in dieser Beziehung nachzuholen, was für die diesseitige Orientirung nützlich sein kann, und bemerke zu Ihrer Information, daß mir von Berlin aus, nicht, wie die Zeitungen annehmen, der Abgeordnete Kapp, sondern der Abge___________ 247

Frederick Theodore Frelinghuysen (1817–1885), amerikanischer Außenminister 1881–1885.

85. Tagebucheintragung Friedrich Wilhelms Nr. 85. Nr. Tagebucheintragung Friedrich Wilhelms, 6. März 1884

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ordnete Bunsen248 als Träger der Vermittelung zwischen Herrn Sargent und unseren regierungsfeindlichen Parteien bezeichnet wird. Wenn Ihnen dort Indizien der Thätigkeit dieses oder anderer unserer Abgeordneten in der Presse oder in Unterhaltungen bekannt werden, so wollen Sie dieselben hierher mittheilen.

85. Tagebucheintragung Friedrich Wilhelms Eigenhändig. Auszug. GStAPK Berlin, BPH, Kaiser Friedrich III., Rep. 52 F I, Nr. 7x, f. 65v.

Am 5. März haben sich die „Liberale Vereinigung“ und die „Fortschrittspartei“ zur „Partei der Deutsch-Freisinnigen“ verschmolzen; sie wird langsam Früchte tragen. [o.O.] 6. März 1884. [Sohn Heinrich249 auf Seefahrt.] Gestern Abend haben sich die liberale Vereinigung und die Fortschrittspartei fast einstimmig auf Grund eines neuen Programms zu einer Partei der „Deutschfreisinnigen“ verschmolzen250, über 100 Mitgl. stark. Es soll dem Liberalismus hierdurch wieder fester Boden bereitet werden, in der Hoffnung daß wenn die heute an der Tagesordnung befindliche gewalthsame Unterdrückung aller freisinnigen Bestrebungen nachläßt, nicht der Radikalismus die Oberhand gewinnt. Möge diese Fusion heilsam wirken; zunächst stehen ihr viele Elemente hindernd entgegen, es kann also nur langsam eine gesunde Frucht heranreifen. [Theater- und Konzertbesuch.]

___________ 248

Georg von Bunsen (1824–1896), MdR 1867–1874 und 1876–1885 (nationalliberal, Freisinnige Vereinigung). 249 Heinrich (1862–1929), Prinz von Preußen; zweiter Sohn des Kronprinzenpaars; Seeoffizier. 250 Vgl. Schulthess’ Europäischer Geschichtskalender 25 (1884) S. 27–28 (dort S. 28 das Programm). Allgemein: Adolf Rubinstein, Die Deutsch-Freisinnige Partei bis zu ihrem Auseinanderbruch 1884–1893. [Diss. phil.] Berlin 1935.

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86. Bismarck an Eisendecher Nr. 86. Nr. Bismarck an Eisendecher, 7. März 1884

86. Bismarck an Eisendecher Vertraulicher Erlaß. Abschrift. PA Berlin, Vereinigte Staaten von Nordamerika 3, Bd. 1.

Die Artikel der „Norddeutschen Allgemeinen Zeitung“ geben der Entrüstung Ausdruck, welche die Lasker-Resolution in Berlin hervorgerufen hat. Die Resolution ist eine Beleidigung des deutschen Kaisers; die amerikanische Regierung hätte wissen müssen, was sie mit der Belobigung eines der schärfsten Gegner der deutschen Reichsregierung anrichten würde; besonders der amerikanische Gesandte in Berlin, Sargent, hat durch mangelhafte Unterrichtung seiner Regierung schuldhaft gehandelt. No A 9.

Friedrichsruh, 7. März 1884.

Ew. Telegramm No 7 vom 5. d.M.251 habe ich erhalten. Die Thatsache, daß die Artikel der Nordd. Allg. Ztg. in Amerika erbittern252, ist für uns keine überraschende und bedurfte nicht der telegraphischen Mittheilung. Die betreffenden Artikel sind sicher nicht geschrieben, um unserer Freude und Befriedigung über das Verhalten der Amerikaner, sondern um der Entrüstung Ausdruck zu geben, welche bei uns von allen nicht in regierungsfeindlichen Bestrebungen befangenen Deutschen über das Gebahren nicht nur der Presse sondern auch der staatlichen Elemente in Amerika empfunden wird. Die Schweinefleisch-Repressalien und ihre ausschließlich antideutsche Motivirung und Ignorirung der gleichen und zum Theil schärferen Maßregeln anderer Staaten, die Ernennung und Belassung eines der deutschen Regierung feindlichen und mit ihren Gegnern conspirirenden Gesandten in Berlin, die Duldung der publicistischen Agitation des Herrn Sargent und seines Verhältnisses zu den Leitern der Fortschrittspartei, die impertinente Verhöhnung der Reichsregierung durch die deutsche Fortschrittspartei, zu welcher die amerikanische Regierung durch Mittheilung der Lasker-Resolution an mich in ihrer Unwissenheit die Hand geboten hat, – das Alles sind Vorgänge, welche uns nur dann gleichgültig lassen könnten, wenn wir für unsere eigene nationale Würde und gegen die Mißachtung derselben durch das Ausland gleichgültig wären. Ich habe in meiner Stellung es für Pflicht gehalten, meine Gefühle einer fremden und uns sonst befreundeten Regierung gegenüber mit der Höflichkeit auszudrücken, wegen deren meine an Ew. gerichtete Instruktion vom ___________ 251

PA Berlin, Vereinigte Staaten von Nordamerika 3, Bd. 1. Zu diesen Artikeln der NAZ vgl. Holstein, Die geheimen Papiere II S. 78, 93– 94. Zahlreiche Artikel vom Februar 1884 sind in den deutschen und amerikanischen Akten deponiert: PA Berlin, Vereinigte Staaten von Nordamerika 3, Bd. 1; National Archives Washington, Despatches from Germany, Roll 52 (= vol. 34). 252

87. Votum Boettichers Nr. 87. Nr. Votum Boettichers, 8. März 1884

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7. v.M.253 auch von Seiten unserer Gegner Anerkennung gefunden hat. Ew. ersuche ich aber, daraus nicht zu schließen, daß ich, und selbst daß S.M. der Kaiser, für die Beleidigung unempfindlich wäre, welche in der Zumuthung liegt die lobende Anerkennung eines hervorragenden Gegners der Regierung, dessen Opposition und Beredsamkeit von der verderblichsten Wirkung für die Entwicklung unserer Verhältnisse gewesen ist, amtlich, also im Namen des Kaisers, dem Reichskanzler vorzulegen. Das Beneficium der Unbekanntschaft mit der Tragweite des Geschehenen kann dabei höchstens dem Abgeordneten Ochiltree und dem Repräsentantenhause zu Statten kommen; das Auswärtige Amt der Vereinigten Staaten aber mußte über unsere inneren Angelegenheiten hinreichend unterrichtet sein, um zu wissen, was es that, wenn es uns diese Zumuthung stellte. Ich kann mir nicht denken, daß Ew. bei der längeren Dauer des Lasker’schen Aufenthaltes, daß derselbe öffentlich geredet hat, nicht in der Lage gewesen sein sollten, Sich Herrn Frelinghuysen gegenüber über die Stellung Laskers in Deutschland und zu dessen Regierung gelegentlich zu äußern; wenn dies unterblieben wäre, so müßte der amerikanische Staatsmann doch durch sein amtliches Organ, Herrn Sargent, unterrichtet sein, und hat jedenfalls die Folgen davon und die Verantwortung dafür zu tragen, wenn er in Berlin einen Vertreter hält, welcher die Wahrheit gewohnheitsmäßig oder aus Parteirücksichten nicht berichtet. Ich halte für nothwendig Ew. von den Eindrücken, welche die Vorgänge bei uns machen, hierdurch und natürlich ausschließlich zu Ihrer eigenen Information Kenntniß zu geben, damit Ihre Berichterstattung wenn sie S.M. dem Kaiser vorgelegt wird, Allerhöchsten Ortes nicht den Eindruck macht, als ob Ew. über die amerikanische Haltung uns gegenüber anderer Ansicht wären.

87. Votum Boettichers Behändigte Ausfertigung. Praes.: 12. März 1884. GStAPK Berlin, I. HA, Rep. 90A, Nr. 3432, Bd. 3, f. 72–73.

Wie seine Ministerkollegen hält auch er die Reaktivierung des Staatsrats für unbedenklich. Der Staatsrat muß nicht jede Gesetzesvorlage zur Vorberatung bekommen. Als Mitglieder sollten auch außerhalb des Beamtenstandes wirkende „hervorragende Personen“ berufen werden. Hilfskräfte sollen erst bestellt werden, wenn sich das als nötig erweist. ___________ 253

Richtig: vom 9. Februar 1884 (No. 32): PA Berlin, Vereinigte Staaten von Nordamerika 3, Bd. 1.

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87. Votum Boettichers Nr. 87. Nr. Votum Boettichers, 8. März 1884

No 331 II.

Berlin, 8. März 1884.

In Uebereinstimmugn mit denjenigen Ressort-Chefs, deren Aeußerungen in betreff der durch das Schreiben des Herrn Minister-Präsidenten vom 24. März v.J. angeregten Reaktivirung des Staatsraths inzwischen bei dem Königlichen Staatsministerium zur Vorlage gelangt sind254, bin auch ich der Meinung, daß der Staatsrath thatsächlich und rechtlich noch besteht, und daß es daher, um denselben zu neuer Thätigkeit zu berufen, eines gesetzgeberischen Aktes nicht bedarf. Im Anschlusse an die bezüglichen Ausführungen in der dem vorgedachten Schreiben des Herrn Minister-Präsidenten beigefügten Denkschrift theile ich ferner die Auffassung, daß sich das Bedürfniß eines Organs, welchem die Vorberathung und Durcharbeitung der Gesetzentwürfe, bevor dieselben zur Beschlußfassung im Königlichen Staatsministerium gelangen, obzuliegen hätte, nicht in Abrede stellen läßt, und daß es sich empfiehlt, zu diesem Zwecke den Staatsrath wieder thätig werden zu lassen. Dabei sehe ich es als selbstverständlich an, daß nicht jede Gesetzesvorlage zur Vorberathung an den Staatsrath wird gelangen sollen, sondern daß es vielmehr gemäß der noch in Geltung stehenden Vorschrift der Verordnung vom 6. Januar 1848 die Bestimmung darüber, welche Entwürfe dem Staatsrathe vorzulegen sind, der Allerhöchsten Entschließung vorbehalten bleibt. In Betreff der Zusammensetzung des Staatsraths wird zwar zunächst an den dieserhalb bestehenden, in der Denkschrift vom 24. März v.J.255 näher dargelegten gesetzlichen Bestimmungen festzuhalten sein, nach welchen auch die durch besonderes Vertrauen Seiner Majestät zu berufenden Mitglieder aus der Zahl der Staatsdiener zu entnehmen sind. Ich möchte mir indessen, namentlich im Hinblick auf Gesetzesvorlagen, welche die wirthschaftlichen Verhältnisse der Bevölkerung berühren, schon jetzt erlauben, als wünschenswerth zu bezeichnen, daß auch außerhalb des berufsmäßigen Beamtenthums stehende hervorragende Personen, deren Lebensstellung und praktische Erfahrung sie zu einer sachverständigen Beurtheilung derartiger Vorlagen besonders befähigen, in den Staatsrath möchten berufen werden können. Von der Ernennung ständiger, lediglich für die Geschäfte des Staatsraths zu bestellender berufsmäßiger Hülfskräfte würde, wie ich glaube, vorerst Abstand genommen werden können. Ob ein Bedürfniß hierzu sich demnächst ergeben und inwieweit ein solches anzuerkennen sein wird, dürfte erst dann mit Sicherheit bemessen werden können, wenn hierüber aus dem Umfange des Geschäftsbetriebs und aus den bei der Erledigung derselben gemachten Wahrnehmungen bestimmte Erfahrungen vorliegen. Vorläufig würde vielleicht das Beamtenpersonal des Königlichen Staatsministeriums die Vorbereitung der Sachen für die Berathungen im Staatsrathe, soweit ___________ 254 255

Oben Nr. 58, 65, 73, 77, 79, 82. Oben Nr. 73 Anm. 212.

H. v. Bismarck an Rantzau Nr. 88. Nr. H. v.88. Bismarck an Rantzau, 8. März 1884

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diese Vorbereitung nicht innerhalb der betheiligten Ressortministerien erfolgt, versuchsweise mitübernehmen können. Abschrift dieses Votums habe ich den sämmtlichen Herrn Staatsministern mitgetheilt.

88. H. v. Bismarck an Rantzau Privatbrief. Eigenhändige Ausfertigung. Auszug. BA Koblenz, Nachlaß Bismarck, FC 3014.

Im Reichstag scheint es recht roh hergegangen zu sein. St. Petersburg, 8. März 1884. [Geburtstagsglückwünsche. Reisepläne einiger der Botschaftsmitglieder.] Im Reichstag scheint es nach den heutigen Telegrammen zu urtheilen ja gleich recht roh hergegangen zu sein256. Von dem zum 2t Viceerwählten Fortschrittler257 habe ich früher noch nie gehört, – es wird wohl ein ebenso ruppiges Luder sein, wie der Rest. Hoffentlich begibt Papa sich möglichst wenig in jene schlechte Gesellschaft, wenn Ihr erst in Berlin seid: es ist doch eigentlich wirklich unter seine Würde u. eine öffentliche Schande, daß er sich mit dem Gesindel überhaupt abgeben muß!

89. Wilhelm I. an Hatzfeldt Erlaß. Eigenhändige behändigte Ausfertigung. Praes.: 9. März 1884. PA Berlin, England 69 secr., Bd. 2, p. 129–130.

Er begrüßt es, daß der Kronprinz anfängt, klarer über die Zustände in England zu sehen; der Kronprinz sollte Bismarcks Erlaß an Schweinitz lesen. Berlin, 9. März 1884 Aus manchen Anzeichen scheint hervorzugehen, daß mein Sohn a n f ä n g t die Augen über die Englischen Zustände zu öffnen u nicht mehr ___________ 256

Gemeint sind die erste und zweite Sitzung des Reichstags nach der Weihnachtspause am 6. und 7. März. Vgl. Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages, V. Leg.per. IV. Session. Bd. 1, S. 1–12. 257 Adolf Hoffmann (1835–1899), MdR (Freisinn) 1874–1896.

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90*. Tagebucheintragung Holsteins Nr. 90*.Nr. Tagebucheintragung Holsteins, 9. März 1884

b l i n d l i n g s die unseligen Regierungs Prinzipien als für A l l e heilsam zu halten! Zur Befestigung dieses Augenöffnens dürfte der Brief des Fst Bismarck an den Grafen Schweinitz vom 26. Februar cr.258 sehr nützlich sein, so daß ich wünsche daß Sie ihm die desfolgliche Einlage noch jetzt senden, nachdem ich sie fest u geheim verschlossen, so lange behalten habe. Oder hat der Fürst diesen Brief nur s p e c i e l l zu m e i n e r Kenntniß bestimmt?

90*. Tagebucheintragung Holsteins Druck: Holstein, Die geheimen Papiere II S. 104–107.

Bismarcks Aufenthalt in Friedrichsruh. Eisendechers Tage in Washington sind gezählt. Der Erlaß Bismarcks an Schweinitz (oben Nr. 75) soll auf Wunsch des Kaisers dem Kronprinzen mitgeteilt werden. – Saburow259. – Bismarck hält eine Abdankung Friedrich Wilhelms als Kaiser für denkbar, wenn er die Karre auf der liberalen Bahn ins Rollen gebracht habe und sie nicht mehr anhalten könne. [o.O.] 9. März 1884

91. Stephan an Bismarck Schreiben. Behändigte Ausfertigung. Praes.: 11. März 1884. BA Koblenz, R 43 F/555, f. 38–57.

Aufgrund des Schriftwechsels vom Vorjahr über die Einrichtung von Postdampferlinien nach Ostasien und Australien hat er sich mit den zuständigen Ressorts in Verbindung gesetzt. Es wird empfohlen, dazu einen Gesetzentwurf in der jetzigen Reichstagssession einzubringen. Das würde die Sache beschleunigen. Es sollen eingerichtet werden: eine HauptPostdampferlinie zwischen Hamburg und Hongkong; eine Zweiglinie nach Yokohama; eine Hauptlinie nach Sidney; eine Zweiglinie von dort zu den Tonga- und Samoa-Inseln. Die Post zwischen Europa und Asien wird in ___________ 258

Oben Nr. 75. Zur Einordnung dieses Schreibens vgl. Riehl, „Tanz“ S. 231– 241. – Eine Abschrift des Erlasses an Schweinitz ging am 11. März 1884 an den Kronprinzen (PA Berlin, England 69 secr., Bd. 1, p. 134). 259 Pëtr Aleksandrovič Saburov (1835–1918), russischer Botschafter in Berlin 1879–1884.

Nr. 91. Stephan an Bismarck Nr. 91. Stephan an Bismarck, 10. März 1884

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Neapel, nach Australien in Lissabon (oder auch in Neapel) aufgenommen bzw. abgeliefert. Die Fahrten nach Ostasien und Australien sollen in Abständen von je vier Wochen stattfinden. Die Schiffe sollen in ihrer Größe den englischen und französischen Postdampfern entsprechen und für Kriegszwecke ausgerüstet sein. Die Fahrten werden geeigneten Unternehmern für 12 – 15 Jahre unter Kontrolle des Reichs übertragen werden; diese bekämen eine Subvention von 4 Mio. Mark seitens des Reichs. In der Anlage wird ein Gesetzentwurf übermittelt, der den Betriebsbeginn für den 1. April 1885 vorsieht. Im Unterschied zu den anderen Ressorts will das Reichsschatzamt darin noch keinen Termin für den Beginn der Subventionszahlungen festgelegt sehen. Stephan bittet den Reichskanzler um Zustimmung und Einholung der kaiserlichen Genehmigung. Berlin, 10. März 1884. Eure Durchlaucht haben mit meinen Vorschlägen in dem hier wieder beigefügten Berichte vom 15. August v.J.260, betreffend die Einrichtung deutscher Postdampferlinien nach und aus Ostasien und Australien, Sich einverstanden erklärt und durch den Herrn Grafen Bismarck, Inhalts des abschriftlich gleichfalls anliegenden Schreibens aus Gastein vom 6. September v.J.261 mich beauftragen lassen, die Angelegenheit vorbereitend zu verfolgen und, sobald der Plan feste Gestalt angenommen hat, darüber das Weitere zu berichten. In Folge dieses hohen Auftrages habe ich nicht versäumt, alsbald mit den Herren Staatssecretairen des ReichsSchatzamts262, des Auswärtigen Amts und des Reichsamts des Innern, sowie mit dem Herrn Chef der Admiralität ins Benehmen zu treten, um einerseits denselben Gelegenheit zu geben, den Gegenstand auch vom Standpunkte der von ihnen zu vertretenden Ressortinteressen einer entsprechenden Prüfung zu unterziehen und um andererseits nach näherer Ermittelung des erforderlichen Geldbedarfs, eine übereinstimmende Auffassung in Bezug auf die wesentliche Frage herbeizuführen, in welcher Form zweckmäßig die Bewilligung der Mittel bei den gesetzgebenden Faktoren nachzusuchen sein werde. Hierbei bedurfte es namentlich der Erörterung, ob lediglich die Einstellung der Forderung in den Reichshaushalts-Etat genügen würde, oder ob sich die Vorlegung eines besonderen Gesetzentwurfes empfehlen möchte, durch welchen die Reichsverwaltung ermächtigt würde, die Einrichtung und Unterhaltung der Postdampfer-Verbindungen geeigneten PrivatUnternehmungen vertragsmäßig gegen Bewilligung entsprechender Beihül___________ 260

Oben Nr. 27. Oben Nr. 33. 262 Emil (seit 1883 von) Burchard (1836–1901), Staatssekretär des Reichsschatzamtes 1882–1886. 261

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Nr. 91. Stephan an Bismarck Nr. 91. Stephan an Bismarck, 10. März 1884

fen aus Reichsfonds zu übertragen und die bezüglichen Beträge in den Etat einzustellen. Die letztere Bewilligungsform wurde vorwiegend deshalb mit in den Kreis der Erwägungen gezogen, weil die Nothwendigkeit nicht verkannt werden durfte, die Ausführung der geplanten PostdampferschiffsVerbindungen im nationalen wirthschaftspolitischen Interesse soviel als möglich zu beschleunigen. Denn es wird nach Thunlichkeit abzuwenden sein, daß denjenigen fremden Nationen, welche ihren Handels- pp. Verkehr mit den betreffenden überseeischen Ländern, unter jahrelanger Benutzung von staatlich reich subventionirten regelmäßigen Postdampfern, bereits befestigt und fortdauernd erweitert haben, nach dem Bekanntwerden der Absichten des Reichs Anlaß und Zeit gewährt wird, einer Ausbreitung der Verkehrsbeziehungen des deutschen Handels mit vermehrter Geschäftsthätigkeit entgegen zu wirken. Bestrebungen nach dieser Richtung dürften in den betheiligten fremdländischen Verkehrskreisen nicht ausbleiben, wenn mit den Vorbereitungen zur Ausführung des Plans erst nach endgültiger verfassungsmäßiger Bewilligung der erforderlichen Geldmittel durch den nächsten Reichshaushalts-Etat vorgegangen werden könnte. In solchem Falle würde die Verwirklichung des Planes sich um ein volles Jahr verzögern, da alsdann der Beginn der Fahrten wegen des etwaigen Neubaues der Schiffe pp. vor Anfang 1886 kaum in Aussicht zu nehmen wäre. Hingegen würde durch ein Reichsgesetz, welches der Reichsverwaltung die Ermächtigung ertheilt, den Postdampferdienst geeigneten Schiffs-Unternehmern pp., unter Begrenzung der dazu aus Reichsfonds aufzuwendenden Mittel, vertragsmäßig zu übertragen, wenn zum Zustandekommen des Gesetzes noch die gegenwärtige Reichstags-Session benutzt wird, der nicht zu unterschätzende Vortheil geboten werden, daß die Betriebseröffnung der Dampferlinien spätestens zum 1. April 1885 sicher gestellt werden könnte. Unter Berücksichtigung der obigen Gesichtspunkte haben zunächst Vorbesprechungen von Vertretern der in Betreff kommenden Reichsämter, mit Zuziehung eines Abgeordneten der Admiralität, über die einheitliche Behandlung des Gegenstandes stattgefunden. Die Herren Chefs der betheiligten ReichsRessorts sind nach dem Ergebnisse dieser Berathungen mit mir in der Auffassung befestigt worden, daß die Ausführung des Planes im Interesse der nationalen Wirthschaftspolitik, soviel als thunlich, der Beschleunigung bedürfe, und daß für die Gestaltung des Unternehmens sich die Annahme nachstehender allgemeiner Grundlagen empfehlen möchte. Es werden eingerichtet: 1. f ü r d e n V e r k e h r m i t O s t a s i e n a) e i n e H a u p t –P o s t d a m p f e r l i n i e zwischen H a m b u r g bz. B r e m e r h a v e n und H o n g k o n g , auf der Hinfahrt mit Berührung von Rotterdam oder Antwerpen, Neapel, Port-Said, Suez, Aden, Colombo, Singapore, auf der Rückfahrt über Singapore, Colombo, Aden, Suez, PortSaid, Neapel, b) e i n e Z w e i g –P o s t d a m p f e r l i n i e nach Yokohama

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von Hongkong über Shanghai, Yokohama, Nagasaki, und nach Berührung eines noch zu bestimmenden Hafenorts in Korea, zurück über Shanghai nach Hongkong. 2. f ü r d e n V e r k e h r m i t A u s t r a l i e n a) e i n e H a u p t – P o s t d a m p f e r l i n i e zwischen H a m b u r g bz. B r e m e r h a v e n und S i d n e y auf der Hinfahrt über Lissabon, Cap Verd, Capstadt, Adelaide, Melbourne, auf der Rückfahrt über Melbourne, Adelaide, King Georges Sound, Aden, Suez, Port-Said, Neapel, b) e i n e Z w e i g l i n i e von S i d n e y über Auckland, die Tonga-Inseln, die Samoa-Inseln und Brisbane zurück nach Sidney. Die Festsetzung des Endpunktes Hongkong für die ostasiatische Linie (anstatt Shanghai, wie in meinem Berichte vom 15. August v.J. vorgeschlagen), sowie die Herstellung der Zweiglinien Hongkong-Yokohama und Sidney – Auckland – Samoa ist auf Anregung des Auswärtigen Amts aus handelspolitischen Rücksichten angenommen worden. Für die Aenderung bz. Erweiterung der ostasiatischen Linie ist außerdem bestimmend gewesen, daß von Hongkong ab Schiffe von geringerem Tonnengehalt für das Verkehrsbedürfniß ausreichen, sowie daß kleine Schiffe den Hafen von Shanghai wegen der dortigen Fahrwasser-Verhältnisse gesicherter erreichen können und die Hafenabgaben wegen der in Shanghai zur Erhebung kommenden unverhältnißmäßig hohen Tonnengelder wesentlich beschränken. Das Anlaufen eines Hafens von Korea ist im Hinblick auf den neuerdings zwischen Deutschland und Korea abgeschlossenen Handelsvertrag für empfehlenswerth erachtet worden. Die Zuführung und Ablieferung der europäischen Post erfolgt bei der ostasiatischen Linie hin- wie herwärts in Neapel. Bei der australischen Linie wird die Post hinwärts in Lissabon aufgenommen, herwärts in Neapel abgeliefert. Bei beiden Linien soll es dem Unternehmen unter Umständen auf der Rückfahrt freigestellt sein, von Neapel ab andere europäische Häfen anzulaufen, unter der Bedingung, daß die betreffenden Anlegeplätze im Voraus fest bestimmt werden, und daß der fahrplanmäßige Ankunftstag in Bremerhaven bz. Hamburg eingehalten werde. Für die australische Linie ist auf Anrathen des Vertreters der Admiralität zur Vermeidung von Zeitverlust bei der durch abweichende Verhältnisse der Luft- und Meeresbewegung behinderten Fahrt die Rückkehr über Suez – anstatt, wie in meinem vorerwähnten Berichte vorgesehen, über Capstadt – angenommen worden. Von sachkundigen Rhedern ist außerdem darauf hingewiesen worden, daß es im finanziellen und handelspolitischen Interesse zweckmäßig erscheinen möchte, bei der australischen Linie auch auf der Hinfahrt den Weg über Neapel und Suez, statt über Lissabon und Capstadt, einzuhalten. Die Entscheidung über die Wahl des einen oder des anderen Weges dürfte zweckmäßig der späteren Verständigung mit dem Unternehmer gelegentlich der endgültigen Vertrags Vereinbarung vorbehalten sein.

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Die Fahrten sollen sowohl auf der ostasiatischen, als auch auf der australischen Linie in Zeitabschnitten von je vier Wochen (statt einmal monatlich) stattfinden; diese Aenderung ergiebt sich aus der Nothwendigkeit, den Gang der deutschen Schiffe in den Fahrplan der englischen und französischen Dampfer der indo-chinesischen bz. Austral. Linie gleichmäßig einzufügen. Die einzustellenden Postdampfer sollen in Beziehung auf Größe, Einrichtung und Fahrgeschwindigkeit den auf denselben Linien regelmäßig laufenden Postdampfern anderer Nationalität, insbesondere der französischen und englischen, mindestens nicht zurückstehen und im Uebrigen mit Vorkehrungen versehen sein, welche es ermöglichen, sie im Kriegsfalle ohne großen Zeitaufwand für Zwecke der Kriegsmarine als Kreuzer, Avisos pp. zu verwenden. Ungerechtfertigte Verzögerungen bei der Fahrtausführung unterliegen der Bestrafung. Den einzustellenden Dampfern wird die Berechtigung ertheilt, die Postflagge zu führen, dagegen muß mit denselben die gesammte Postladung ohne besondere Bezahlung befördert werden. Die Ausführung der Fahrten wird im Wege des Anbietungsverfahrens geeigneten Unternehmern auf eine Dauer von 12–15 Jahren vertragsmäßig übertragen. Den Unternehmern wird die Einnahme an Fracht und Passagegeld, sowie die Feststellung der Tarife im Allgemeinen überlassen; doch soll hierbei eine Kontrolbefugniß der Reichsverwaltung zur Verhütung von Willkürlichkeiten und Ungleichheiten in der Tarifirung pp. nicht ausgeschlossen sein. Für Leistungen zu Zwecken der Marineverwaltung und auf Verlangen deutscher Reichsbehörden sollen die Unternehmer gewisse Verpflichtungen bei Beförderungsleistungen für staatliche Zwecke zu erfüllen haben. Zur Sicherstellung der Erfüllung der Vertragsverbindlichkeiten ist von den Unternehmern eine Kaution zu erstellen. Für die Ausführung der vertragsmäßigen Leistungen wird den Unternehmern aus Mitteln des Reichs eine Beihülfe in Form einer Subvention gewährt. Dieselbe soll in der Weise berechnet werden, daß für jede Fahrt hin und zurück (Rundfahrt) unter Zugrundelegung einer bestimmten Bruttoeinnahme ein Höchstbetrag zugestanden wird; daß aber bei der Erzielung einer höheren Bruttoeinnahme die Vergütung sich um diejenige Summe – bis zu einem gewissen Mindestbetrage – ermäßigt, um welche sie die angenommenen Bruttoeinnahmen übersteigen wird. Unter Umständen möchte sich vielleicht auch empfehlen, zur Erhöhung des Interesses der Unternehmer an der weiteren Entwickelung des Verkehrs den Mehrertrag der angenommenen Bruttoeinnahme nicht ganz dem Reichsfonds zuzuführen, sondern den Unternehmern zur Hälfte zu belassen.

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Um für die Bezifferung der auf diesen Grundlagen auf die Unterhaltung der Dampfschiffsverbindungen zu bewilligenden Beihülfen eine möglichst sichere Grundlage zu gewinnen, sind auf meine Veranlassung im Einverständniß mit den übrigen Ressorts durch den betheiligten Referenten des Reichs-Postamts in vertraulicher und unauffälliger Weise sachgemäße Erkundigungen bei geneigten Schiffsrhedern in Hamburg und Bremen eingezogen worden. Dieselben haben ergeben, daß, wenn auch die Hamburger Rheder durch Annahme größerer Unterhaltskosten und geringerer Einnahmen zu höheren Betriebszuschüssen für jede Fahrt gelangen, als die Bremer Rheder, dennoch die Einheitsberechnungen in den meinem Berichte vom 15. August v.J. beigefügten Zusammenstellungen im Großen und Ganzen richtig gegriffen sind, und daß eine Gesammt-Subvention von pptr. 4.000.000 Millionen Mark jährlich voraussichtlich ausreichen wird, um daraus die Beihülfe für die Unterhaltung nicht nur der in jenem Berichte angenommenen Hauptlinien nach Shanghai und Sidney, sondern auch der Nebenlinien nach Japan, Korea und den Südsee-Inseln zu bestreiten. Die Beihülfe würde danach, auf eine Seemeile zurückgeführt, durchschnittlich M. 5,49 betragen. Im Vergleich hiermit zahlt: 1. die englische Postverwaltung a) an die Peninsular and Oriental Steam Navigation Comp. für die Postdampferfahrten zwischen Brindisi – Suez – Bombay und Suez – Shanghai eine Beihülfe von 9 Shilling 6,3 Pence oder M. 9,71 für die Seemeile, b) an die Union Steam Ship Comp. für die Linie Aden – Zanzibar 4 Shilling 4,1 Pence = M. 4,40; 2. die französische Postverwaltung an die Messageries maritimes a) für die Linie Marseille – Numea (Australien) 10,66 frcs = M. 8,50, b) für die Linie Marseille – Hongkong 12,62 frcs = M. 10,10; 3. die italienische Postverwaltung an die Società generale di navigatione italiana a.) für die Linie Genua – Bombay 10 frcs = M. 8,00, b.) für die Linie Genua – Singapore 10,50 frcs = M. 8,40; 4. die oesterreichische Postverwaltung an den Oesterreich-Ungarischen Lloyd a) für die Linie Triest – Calcutta 2 fl. 50 xr = M. 5,00, b) für die Linie Triest – Singapore 2 fl 50 xr = M. 5,00. Was die Form betrifft, in welcher bei den gesetzgebenden Faktoren die Bewilligung der Mittel aus Reichsfonds zur Zahlung der Subvention zu beantragen sein wird, so besteht zwischen den Herren Chefs der übrigen Reichsressorts und mir Einverständniß darüber, daß, wenn die Ausführung des Planes für das Jahr 1885 gesichert werden soll, noch die gegenwärtige Session des Reichstages zur Einbringung einer besonderen GesetzesVorlage benutzt werden müsse, um zu erreichen, daß der Reichspostverwaltung, vorbehaltlich einer späteren etatsrechtlichen Behandlung des zunächst im Allgemeinen zu bestimmenden Geldbedarfs, die Ermächtigung ertheilt

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wird, mit den Vorbereitungen alsbald vorzugehen, also die Ermittelung geeigneter Unternehmer, die endgültige Vertragsschließung und – nach Umständen – den Neubau entsprechender Schiffe pp. rechtzeitig herbeizuführen. Für den Fall, daß Eure Durchlaucht geneigen möchten, diese Auffassung als zutreffend und deren vorgeschlagene Ausführung als zeitschicklich zu erkennen, ist mit den Herren Chefs der übrigen betheiligten Ressorts der gehorsamst hier beigefügte Entwurf des bezüglichen Gesetzes263 vereinbart worden. In demselben ist als Zeitpunkt für die Betriebseröffnung der geplanten Postdampfer-Linien der 1. April 1885 in Aussicht genommen. Um indeß der Reichsverwaltung für alle Fälle freiere Hand zu gewähren, wird von den Herren Staatssecretairen des Auswärtigen Amts und des Reichsamts des Innern, sowie von dem Herrn Chef der Admiralität und von mir für zweckmäßig und zulässig erachtet, in dem Gesetzentwurfe den Zeitpunkt für den Beginn der Subventionszahlungen wegzulassen. Nur der Herr Staatssecretair des Reichs-Schatzamts hegt eine hiervon abweichende Auffassung, welche von ihm in einem an mich gerichteten Schreiben vom 6. Maerz, wie folgt, begründet wird. „Wenn ich meinerseits der Beibehaltung des auf den 1. April 1885 gestellten Anfangstermines den Vorzug geben würde, so leitet mich dabei die Erwägung, daß anderenfalls eine hinsichtlich des Eintritts der erheblichen Mehrbelastung des Reichhaushalts unbegrenzte Vollmacht gefordert würde, wozu eine Nöthigung nicht besteht, und daß dadurch zugleich auch der immerhin möglichen Mißdeutung vorgebeugt wird, als läge es in der Absicht, die Subventionen unter Umständen auch schon während des Rechnungsjahres 1884/85 ohne etatsmäßige Bereitstellung auf Grund einer in § 1 des Gesetzentwurfs zu erkennenden Ermächtigung außeretatsmäßig zu verausgaben. Daß die Reichsverwaltung ohne Bestimmung des Anfangstermins bezüglich der Beschleunigung der Einrichtung freiere Hand gewinnen würde, ist nicht anzuerkennen. Denn die Terminbestimmung würde, falls für das Finanzjahr 1884/85 wider die gegenwärtig bestehende Absicht dennoch ein Nachtragsetat eingebracht und durch denselben für den in Rede stehenden Zweck Mittel bewilligt werden sollten, eine Verwendung der letzteren vor dem 1. April 1885 nicht entgegenstehen, da in diesem Falle die Ermächtigung dazu in dem Nachtragsetat zu finden wäre.“ ___________ 263 Text (Auszug) in: Schulthess’ Europäischer Geschichtskalender 25 (1884) S. 51–52.

92*. Tagebucheintragung Waldersees Nr. 92*.Nr. Tagebucheintragung Waldersees, 11. März 1884

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Euere Durchlaucht stelle ich in Ehrerbietung anheim, hinsichtlich dieses Punktes hohe Entscheidung zu treffen und, falls auch sonst die vorstehend ausgeführten Grundlagen für die Einrichtung und Unterhaltung der deutschen Postdampfer-Linien nach Ostasien und Australien hohe Billigung finden möchten, mich hochgeneigtest ermächtigen zu wollen, den Entwurf eines bezüglichen Immediat-Berichts an Seine Majestät behufs Einholung der Allerhöchsten Genehmigung der Gesetzes-Vorlage, Eurer Durchlaucht zur Prüfung und Vollziehung gehorsamst vorlegen zu dürfen. Zum Schluß erlaube ich mir anzuführen, daß die Brutto-Einnahme der Reichspost für das laufende, ultimo Maerz endende Rechnungsjahr ein Mehr von 6 ½ Millionen Mark gegen das Vorjahr ergeben wird. Der reine Ueberschuß wird mindestens 2 1 ½ Millionen Mark betragen, gegen 1 5 ½ Millionen im Jahre 1879/80.

92*. Tagebucheintragung Waldersees Druck: Waldersee, Denkwürdigkeiten I S. 235–236.

In der Umgebung des Kronprinzen ist General Mischke264 durch General v. Winterfeld265 ersetzt. Nun muß nur noch Normann beseitigt werden, um die Beziehungen zwischen dem Kaiser und dem Kronprinzen zu glätten. [o.O.] 11. März 1884.

93*. Reichstagsrede Bismarcks Druck: Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages, V. Legislaturperiode, IV. Session, Bd. 1, S. 28–31, 33–34; Bismarck, GW XII S. 406–416.

Bismarck begründet die Nichtbeförderung der Lasker-Adresse des amerikanischen Repräsentantenhauses an den Reichstag: Die seit Friedrich d.Gr. guten Beziehungen zu den Vereinigten Staaten seien von ihm seit seinem Amtsantritt 1862 fortgesetzt worden; damals habe Preußen die ___________ 264 Albert von Mischke (1830–1906), persönlicher Adjutant des Kronprinzen 1870–1878; Stabschef der IV. Armeeinspektion 1878–1886 (deren Inspekteur der Kronprinz war); Generaladjutant des Kaisers 1888–1889. 265 Hugo von Winterfeld (1836–1898), Flügeladjutant des Kronprinzen; Generaladjutant des Kaisers (Friedrich III.) 1888. – Vgl. Riehl „Tanz“ S. 522–523.

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94*. Nostitz-Wallwitz an Fabrice Nr. 94*.Nr. Nostitz-Wallwitz an Fabrice, 14. März 1884

Südstaaten nicht als kriegführende Macht anerkannt. In der LaskerResolution stehe die Formulierung, daß die politische Tätigkeit des Verstorbenen für Deutschland nützlich gewesen sei; damit werde impliziert, daß die deutsche Politik, wie sie von ihm – Bismarck – betrieben und von Lasker bekämpft worden sei, nicht nützlich gewesen sei. Schließlich habe man am Grabe des Verstorbenen das Leichenbegängnis politisiert. Er – Bismarck – habe sich also nicht „vor den Triumphwagen der Opposition“ spannen und als Briefträger mißbrauchen lassen wollen. Lasker habe laut Presseberichten bei seiner Ankunft in Amerika geäußert, der deutsche Kaiser und sein Reichskanzler stünden der politischen Entwicklung Deutschlands im Wege. Der nordamerikanische Gesandte in Berlin, Sargent, hätte sich vor Überreichung der Lasker-Resolution vertraulich über die Opportunität der Sache informieren sollen. Lasker habe mitnichten die Politik des Deutschen Reiches befördert, wie in der Resolution stehe, sondern alles getan, um die große liberale Fraktion zu spalten, nach links zu führen und den Eintritt Bennigsens ins Ministerium zu hintertreiben. Auf die Verteidigungsworte des linksliberalen Abgeordneten Hänel erwidert Bismarck: Er sei nicht von der Art Christ, daß er nach der ersten Ohrfeige noch eine zweite einstecken wolle. Wäre in der Lasker-Resolution nicht eine deutliche politische Spitze gewesen, so hätte er darüber nicht so viel Aufhebens gemacht. Zudem hätten die Linksliberalen nach dem Tode Laskers Spiritismus getrieben und ihn als Reichskanzler beleidigt. Schließlich sei es nach dem Völkerrecht nicht möglich, daß ein Volk mit einem anderen von Parlament zu Parlament in politischen Verkehr trete. Berlin, 13. März 1884.

94*. Nostitz-Wallwitz266 an Fabrice267 Bericht. Druck: Goldschmidt, Das Reich und Preußen S. 300–303.

Bismarck hat ihm folgenden Plan entwickelt: Er wolle dem Programm der neuen Freisinnigen Partei, an die Stelle des jetzigen unverantwortlichen Bundesrats ein verantwortliches Reichsministerium zu setzen, vorbauen. Er habe seit einigen Jahren allen unitarischen Tendenzen Widerstand geleistet; er fürchte, daß der künftige Kaiser sich mit liberalisierenden Ministern umgeben und unitarische Bestrebungen unterstützen werde; der ___________ 266

Oswald von Nostitz-Wallwitz (1830–1885), sächsischer Gesandter in Berlin und Bevollmächtigter zum Bundesrat 1873–1885. 267 Alfred [seit 1884 Graf] von Fabrice (1818–1891), Vorsitzender des sächsischen Gesamtministeriums 1876–1891, Außenminister 1882–1891.

95*. Ampthill an Granville Nr. 95*.Nr. Ampthill an Granville, 15. März 1884

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Bundesrat sei von seiner verfassungsmäßigen Stellung als unverantwortliche Reichsregierung zurückgedrängt worden, der Reichskanzler dagegen in die Stellung eines dem Reichstag verantwortlichen Ministers gelangt; er suche daher bei den verbündeten Regierungen um Unterstützung, diese Entwicklung zurückzudrehen. Bismarck wolle den Reichskanzler ganz aus dem Preußischen Staatsministerium und die preußischen Staatssekretäre aus ihrer Verbindung mit dem Reichstag herausnehmen und dadurch den Einfluß des Bundesrats erhöhen. – Bismarck wünscht, daß der von ihm skizzierte Umbau durch die Absendung identischer Noten Sachsens, Bayerns und Württembergs eingeleitet werde. Nostitz empfiehlt, darüber mit den Regierungen in München und Stuttgart in Verbindung zu treten. Berlin, 14. März 1884.

95*. Ampthill an Granville Privatbrief. Druck: Letters from the Berlin Embassy S. 317–319.

Bismarck drängt die Regierung in London, sich mit einer gemischten Kommission einverstanden zu erklären, welche die deutschen Ansprüche auf Fidschi untersucht; er müsse den Interessen der deutschen Überseefirmen in dieser Hinsicht nachgeben, da diese wüßten, daß er gegen den Erwerb von deutschen Kolonien sei. Bismarck gibt vertraulich zu verstehen, daß eine gemischte Kommission die bisher ergangenen Urteile der englischen Kolonialbehörden nicht revidieren werde; er brauche aber gegenüber der erregten deutschen Öffentlichkeit den Nachweis, daß deutsche Ansprüche in fremden Kolonien unparteiisch untersucht würden; er wünsche ein Entgegenkommen englischerseits um so mehr, als er die englischen Interessen in Ägypten bisher nachhaltig unterstützt habe. – Bismarck benötigt das Einlenken Englands im Hinblick auf die Reichstagswahlen im Herbst. Berlin, 15. März 1884.

96. Sargent an Frelinghuysen Telegramm. Behändigte Entzifferung. Auszug. Praes.: 15. März 1884. National Archives, Washington, Despatches from U.S. Ministers to . . . Germany 1799–1906, vol. 35, roll 53 (verfilmt).

Seine Situation ist unerträglich. Bismarck verfolgt ihn, nur weil er seine Pflicht tut. In der gestrigen Reichstagsrede hat er behauptet, daß Laskers

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Nr. 96. Sargent an Frelinghuysen Nr. 96. Sargent an Frelinghuysen, 15. März 1884

Freunde seine – Sargents – intimen Berater seien; aber diese kennt er überhaupt nicht. Wenn Bismarck ihn herabwürdigt, würdigt er die Vereinigten Staaten herab. Sargent bietet seinen Rücktritt an, wenn das in Washington gewünscht wird. Berlin, March 15, 1884. My situation is intolerable. I have been persecuted by Bismarck for a considerable time – simply for discharge of my duty and obeying your orders. Yesterday he based an attack against me in a speech in the Reichstag upon a falsehood that Lasker’s friends are my intimate advisers268 none of whom I know. He means to drive me away, partly from hatred for my opposition to his prohibition policy, partly [from a] desire to show his power, and to teach the Diplomatic Corps that humility is good policy. He humbles the United States through me, and future American Ministers are expected to learn by my fate. I should have asked to be relieved before had I not felt the humiliation involved to the United States from its representatives flying from the country, but the situation is made considerably more difficult by the Chancellor’s openly assuming the lecturing of his organ’s attacks thus inciting others and the implacability just displayed. I feel my honor is safe in yours and the President’s269 hands. Knowing that both will try to protect me and shield the country from the imputation of sacrificing a servant to a policy which attacks our diplomatic independence. I tender my resignation, if it is desired, into the hands which generally gave me the office, although I think closing the Legation the only adequate return for such an invasion of the sanctity of a diplomatic representative. But I make that suggestion with extreme diffidence from its gravity and hope its bearing will be fully weighed. [Empfiehlt, die deutsche Regierung wissen zu lassen, daß er lediglich Instruktionen befolgt habe.]

___________ 268 Bismarck hatte sich in seiner Rede vom 13. März 1884 im Reichstag über die Lasker-Resolution in Hinsicht auf Sargent folgendermaßen geäußert: [ . . . ] ich hatte wohl darauf gerechnet, daß der hiesige Vertreter der nordamerikanischen Freistaaten mit unseren inneren Verhältnissen [ . . . ] hinreichend vertraut gewesen wäre, oder daß die Berather, die er innerhalb der Parteigenossen des verstorbenen Lasker gehalten hat, aufrichtig genug gewesen wären, um ihn dazu zu veranlassen, daß er vielleicht eine vertrauliche Besprechung erst über diese Mittheilung gesucht hätte. (Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstags, V. Leg.per., IV. Session 1884, Bd. 1, S. 30.) 269 Chester A. Arthur (1830–1886), 21. Präsident der Vereinigten Staaten 1881– 1886.

Nr. 97*. Protokoll einer Sitzung des Preußischen Nr. 97*. Protokoll des Staatsministeriums, 16. März 1884

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97*. Protokoll einer Sitzung des Preußischen Staatsministeriums Teildruck: Goldschmidt, Das Reich und Preußen S. 303–306.

Bismarck teilt mit, daß er aus Gesundheitsrücksichten seine umfassende politische Stellung einschränken müsse und sich als Reichskanzler auf die Leitung der auswärtigen Angelegenheiten zurückziehen wolle; er wolle aus dem Preußischen Staatsministerium ausscheiden. Er entwickelt die Idee, den Einfluß des Bundesrats zu stärken und den preußischen Staatsrat zu reaktivieren, um Gesetzesvorlagen besser vorbereiten zu können270. Berlin, 16. März 1884.

98. Votum Bismarcks Behändigte Ausfertigung. Praes. (im Staatsministerium): 21. März 1884. GStAPK Berlin, I. HA, Rep. 90A, Nr. 3432, Bd. 3, f. 75–78.

Aufgrund von Präzedenzfällen hinsichtlich der Mitgliedschaft und des Geschäftsumfangs des zu reaktivierenden Staatsrats soll das Staatsministerium vom König folgende grundsätzliche Bestimmungen erbitten: 1) dem Staatsrat sind zur Begutachtung grundsätzlich alle Gesetzesentwürfe vorzulegen mit Ausnahme des Staatshaushalts und derjenigen Gesetze, deren Grundzüge prinzipiell schon feststehen (z.B. die Verstaatlichung von Eisenbahnen); schließlich sind solche Entwürfe auszuschließen, deren Gegenstand unerheblich oder besonders dringlich erscheint; 2) ferner sollen dem Staatsrat Verordnungsentwürfe gemäß Art. 45 der Verfassungsurkunde nur vorgelegt werden, wenn ein Mitglied des Staatsministeriums das verlangt; 3) die Begutachtung im Staatsrat erfolgt durch die engere Versammlung, nur in Ausnahmefällen durch das Plenum. Berlin, 20. März 1884. Zur Vorbereitung der mündlichen Berathung des Königlichen Staatsministeriums über die Reactivirung des Staatsraths erlaube ich mir auf einige Vorgänge aus der Zeit der früheren Wirksamkeit desselben aufmerksam zu machen, welche geeignet sind, einen Theil der bei den bisherigen Erörterungen hervorgetretenen Zweifel zu erledigen. ___________ 270

Vgl. dazu die weiterführende Literatur in: Die Protokolle des Preußischen Staatsministeriums VII S. 149 Anm. 3.

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Nr. 98.Bismarcks, Votum Bismarcks Nr. 98. Votum 20. März 1884

Bezüglich der Frage, ob ein aus Allerhöchstem Vertrauen in den Staatsrath berufener Staatsdiener auch nach seinem Ausscheiden aus dem Staatsdienst Mitglied dieser Körperschaft bleibe, ergiebt sich die gegentheilige Annahme aus einem Allerhöchsten Erlaß vom 30. Juni 1854, welcher lautet: „Ich habe beschlossen, den vor einigen Jahren aus dem Staatsdienst und deshalb auch aus dem Staatsrath geschiedenen Tribunals-Vicepräsidenten von Kleist271 wieder aus besonderem Vertrauen in den Staatsrath zu berufen.“ Durch diese Allerhöchste Entschließung ist der Grundsatz festgestellt, daß die Mitgliedschaft eines in den Staatsrath berufenen Staatsdieners mit seinem Austritt aus dem Dienste endet; in Folge dessen können von den früher in den Staatsrath berufenen Beamten gegenwärtig nur noch diejenigen als Mitglieder desselben angesehen werden, welche im Staatshandbuch für 1883/84 auf Seite 47 aufgeführt sind. Für die Entscheidung der Frage, welche Kategorien von Personen als Staatsdiener auf Grund des § 4 der Verordnung vom 20. März 1817 aus Allerhöchstem Vertrauen in den Staatsrath berufen werden können, wird die Auslegung von maßgebender Bedeutung sein, welche diese Bestimmung in der früheren Praxis erfahren hat. Bei einer Durchsicht der Mitgliederverzeichnisse des Staatsraths vom Jahre 1817 ab hat sich herausgestellt, daß keineswegs nur die unmittelbaren Staatsbeamten zu den Staatsdienern im Sinne jener Vorschrift gerechnet worden sind; es liegen zahlreiche Ernennungen von Officieren, Hofbeamten und Geistlichen vor, und der König hat einzelne Personen von hervorragender socialer Stellung, obwohl sie ein Staats-, Hof- oder Kirchenamt überhaupt nicht bekleideten, dennoch in den Staatsrath berufen, z.B. den Fürsten Sulkowski272, den Grafen Heinrich zu Stolberg-Wernigerode273, den Fürsten zu Solms-Lich274. Ferner sind sowohl im Jahre 1854 als auch schon vorher Personen in den Staatsrath aufgenommen worden, welche früher im Staatsdienst gestanden hatten, zur Zeit der Berufung aber bereits aus demselben geschieden waren, wie beispielsweise 1840 der Geheime Regierungsrath a.D. von Krosigk275, ___________ 271 Adolf von Kleist (1793–1866), Vizepräsident des Geheimen Obertribunals 1846–1848; nahm 1848 seinen Abschied; Mitglied des Staatsrats seit 1840, nach seinem Ausscheiden wiederernannt 1854 (bis 1866). 272 August Anton Fürst Sulkowski (1820–1882), erbliches Mitglied des preußischen Herrenhauses 1836–1882; Mitgliedschaft im Staatsrat nicht ermittelt. 273 Heinrich Graf von Stolberg-Wernigerode (1772–1854), Mitglied des Staatsrats 1826–1854. 274 Ludwig Fürst zu Solms-Hohensolms-Lich (1805–1880), Mitglied des Staatsrats 1837–1880. 275 Friedrich Freiherr von Krosigk (1784–1871), Mitglied des Staatsrats 1840– 1871; Regierungspräsident von Merseburg 1841–1848.

Nr. 98.Bismarcks, Votum Bismarcks Nr. 98. Votum 20. März 1884

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1854 der vorhin erwähnte Präsident von Kleist und der Oberpräsident a.D. von Meding276. Eine scharf bestimmte Grenze ist also bei den aus Allerhöchstem Vertrauen erfolgten Berufungen nicht inne gehalten worden. Was den Geschäftskreis des Staatsraths anlangt, so hat der Herr Minister für Landwirthschaft empfohlen277, demselben nur die wichtigeren Gesetzentwürfe und auch diese nur in so weit vorzulegen, als sie nicht dringlich seien, weil die Mitwirkung des Staatsraths bei der Gesetzgebung nach der Verordnung vom 6. Januar 1848 nur eine facultative sein solle. Ich glaube, daß die Nachtheile, welche sich bisher aus dem Verzicht auf die legislatorische Mitwirkung dieser Körperschaft ergeben haben, nur dann beseitigt werden können, wenn derselben ein hinreichend weit bemessenes Feld der Thätigkeit obligatorisch zugewiesen wird. Es scheint mir deshalb erforderlich, daß alle Entwürfe zu Preußischen Landesgesetzen dem Staatsrath vorgelegt werden, so fern nicht im einzelnen Falle wegen Unerheblichkeit oder Dringlichkeit des Gegenstandes Se. Majestät eine Abweichung von dieser Regel genehmigt. Gleichzustellen sind den erwähnten Gesetzen die Verordnungen, welche auf Grund des Art. 63 der Verfassungsurkunde278 octroyirt werden, weil diese mit Gesetzeskraft ergehen, und die Entwürfe zu Gesetzen und Verordnungen für das Reich, welche als Anträge Preußens an den Bundesrath gelangen sollen. Generell von der Vorlegung an den Staatsrath auszuschließen wären nach meinem Dafürhalten nur die Staatshaushaltsetats; die Vorbereitung derselben in den Ministerien und ihre Berathung im Abgeordnetenhause ist eine so weitschichtige, daß die rechtzeitige Feststellung der Etats fraglich werden würde, wenn dieselben auch noch vom Staatsrath zu begutachten wären. In Gleichem diejenigen Gesetze, welche, unter sich gleichartig, einer Kategorie angehören, deren Grundzüge principiell schon feststehen, wie beispielsweise Verstaatlichung einzelner Eisenbahnen, nachdem das Princip derselben durch frühere Vorlagen generell festgestellt ist. Für die Königlichen Ausführungsverordnungen zu den Gesetzen dürfte die entgegengesetzte Regel anzunehmen sein. Ihr Inhalt ist, da er durch die Gesetze vorgezeichnet wird, meistens von minderer Wichtigkeit; es wird deshalb mit ihnen der Staatsrath nur dann zu befassen sein, wenn einer der Herren Minister Werth darauf legt. ___________ 276

August Werner von Meding (1792–1871), Oberpräsident der Provinz Brandenburg 1842–1848; Mitglied des Staatsrats 1838–1848, nach seinem Ausscheiden wiederernannt 1854 (bis 1871). 277 Oben Nr. 79. 278 Nur in dem Falle, daß die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit, oder die Beseitigung eines ungewöhnlichen Nothstandes es dringend erfordert, können, insofern die Kammern nicht versammelt sind, unter Verantwortlichkeit des gesammten Staats-Ministeriums, Verordnungen, die der Verfassung nicht zuwiderlaufen, mit Gesetzeskraft erlassen werden. [ . . . ] .

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Nr. 98.Bismarcks, Votum Bismarcks Nr. 98. Votum 20. März 1884

Die Berathungen des Staatsraths sollen nach der Verordnung vom 6. Januar 1848 theils im Plenum, theils in der engeren Versammlung vor sich gehen. Zur möglichsten Vereinfachung der Verhandlungen wird es zweckmäßig sein, die Berathung in der engeren Versammlung als Regel festzustellen und die Plenarberathung nur in besonders wichtigen Fällen mit Allerhöchster Genehmigung eintreten zu lassen. Ich beehre mich demgemäß zu beantragen, das Königliche Staatsministerium wolle bei Einholung der Entscheidung Sr. Majestät über die Reactivirung des Staatsraths die Allerhöchste Genehmigung folgender grundsätzlichen Bestimmungen erbitten: „I. Dem Staatsrath sind zur Begutachtung vorzulegen: 1. die Gesetzentwürfe, welche zur Einbringung in den Landtag bestimmt sind, mit Ausschluß der Staatshaushalts-Etats und derjenigen Gesetze, welche, unter sich gleichartig, einer Kategorie angehören, deren Grundzüge principiell schon feststehen, wie beispielsweise Verstaatlichung einzelner Eisenbahnen, nachdem das Princip derselben durch frühere Vorlagen generell festgestellt ist, 2. die Entwürfe zu Verordnungen, welche auf Grund des Art. 63 der Verfassungsurkunde mit Gesetzeskraft erlassen werden sollen, 3. die Entwürfe zu Gesetzen und Verordnungen, welche von der Preußischen Regierung bei dem Bundesrath eingebracht werden sollen. Erachtet das Staatsministerium einen der bezeichneten Entwürfe wegen der Unerheblichkeit seines Gegenstandes oder wegen seiner besonderen Dringlichkeit zur Vorlegung an den Staatsrath nicht für geeignet, so ist hierüber die Allerhöchste Entscheidung einzuholen. II. Der Entwurf einer Verordnung, welche auf Grund des Art. 45 der Verfassungsurkunde279 zur Ausführung eines Gesetzes erlassen werden soll, ist dem Staatsrath nur in dem Falle vorzulegen, wenn dies von einem Mitgliede des Staatsministeriums beantragt wird. III. Die Begutachtung der dem Staatsrath vorgelegten Entwürfe erfolgt durch die engere Versammlung desselben; erachtet das Staatsministerium die Verweisung eines Entwurfs an das Plenum des Staatsraths für zweckmäßig, so ist darüber die Allerhöchste Entscheidung einzuholen.“ Meine Vorschläge für die Berufung neuer Mitglieder in den Staatsrath und für die Constituirung des letzteren darf ich mir vorbehalten, bis die Berufung von Sr. Majestät angeordnet sein wird. ___________ 279

Er [der König] besetzt alle Stellen in demselben [im Heer], so wie in den übrigen Zweigen des Staatsdienstes, insofern nicht das Gesetz ein Anderes vorsieht.

Nr. 99.anLiebe an23. Jansen Nr. 99. Liebe Jansen, März 1884

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Abschrift dieses Votums habe ich sämmtlichen Herren Staatsministern zugehen lassen.

99. Liebe280 an Jansen281 Bericht. Behändigte Ausfertigung. Praes.: 24. März 1884. StA Oldenburg, Bestand 132–225, f. 13–14.

Feierlichkeiten aus Anlaß des Geburtstages des Kaisers. Beim Empfang des Reichstagspräsidiums mahnt der Kaiser die Verabschiedung des Sozialistengesetzes an und warnt vor dem Umsturz der Monarchie. Diese ernsten Worte sind offenbar von Bismarck veranlaßt worden. No 32.

Berlin, 23. März 1884.

Zur Feier des Geburtstags Seiner Majestät des Kaisers282 war eine Anzahl fürstlicher Personen und regierender Herren eingetroffen; eine vollständige Liste ergiebt der Staatsanzeiger283, ich erwähne die Herrschaften aus Sachsen, Baden, Anhalt, Mecklenburg, Oldenburg, Lippe u.s.w. Am Morgen begannen die Gratulationscouren schon um 10 Uhr. Ich kann vorab bemerken, daß der Kaiser die Mühen des Tags gut überstanden hat. Um 12 3/4 Uhr empfing der Kaiser den Bundesrath und die Präsidenten des Reichstags zusammen. Der Reichskanzler war hierbei, wie bei allen Hoffeierlichkeiten nicht zugegen. Um 5 Uhr war für das diplomatische Corps das übliche Diner bei dem Reichskanzler, bei welchem die Fürstin Bismarck fehlte und durch die Gräfin Rantzau284 vertreten wurde. Nachher war eine Soirée im Schlosse, zu der so viele Personen geladen waren, daß der weiße Saal, wo man lebende Bilder und ein Singspiel aufführte, längst nicht die Anwesenden faßte. Bemerkenswerth ist die Ansprache des Kaisers an den Bundesrath und das Präsidium des Reichstags285. Zuerst sprach der Kaiser von seinem hohen Alter, und bemerkte, daß, wenn die Vorsehung Ihm noch ein längeres Leben ___________ 280

Friedrich August von Liebe (1809–1885), oldenburgischer und braunschweigischer Ministerresident in Berlin (Preußen) 1867–1885. 281 Günther Jansen (1831–1914), Minister des Innern und des Großherzoglichen Hauses sowie Minister der Auswärtigen Angelegenheiten 1876–1890. 282 Am 22. März 1884; Wilhelm I. begann sein 88. Lebensjahr. 283 „Deutscher Reichsanzeiger und Königlich Preußischer Staatsanzeiger“, das amtliche Organ der deutschen Reichs- und der preußischen Staatsregierung 1819– 1933. 284 Marie Gräfin zu Rantzau, geb. von Bismarck (1848–1946), verheiratet seit 1878 mit Kuno Graf zu Rantzau. 285 Vgl. Schulthess’ Europäischer Geschichtskalender 25 (1884) S. 36–37.

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Nr. 99.anLiebe an23. Jansen Nr. 99. Liebe Jansen, März 1884

schenke, sie Ihm auch die Kräfte lassen möge, damit man nicht mit dem Finger auf Ihn zeige und sage: „der lebt auch noch“. Dann dankte der Kaiser dem Bundesrathe für seine Thätigkeit, die nach den von den Souveräns gegebenen Instructionen ganz Seinen Absichten entsprochen habe. Bemerkenswerther waren aber die Äußerungen gegen die Herren vom Reichstage. Der Kaiser kam alsbald auf das zur Verhütung von „Unruhen“ bestimmte Gesetz, das Gesetz über die Prolongirung der Dauer des Socialistengesetzes286 und die ernste Gefahr die mit der Socialdemokratie verbunden sei. Die Maßregel liege Ihm sehr am Herzen; er habe deshalb geblutet, was sich auf das Attentat bezog287. Er sehe den Widerstand gegen das Gesetz als gegen Sich persönlich gerichtet an. Die neue Coalition der Parteien – die Verbindung der Secessionisten und des Fortschritts – führe zu nichts Gutem und mache die Lage gefährlicher. Auf der Oberfläche sehe Alles ganz gut aus, allein weiter unten, wo die Fäden zusammenliefen, sei die Gefahr, und es sei auf nichts Geringeres abgesehen, als den Umsturz der Monarchie. Die Ansprache wird auf den Reichstag großen Eindruck machen; die Mitglieder des Präsidiums von Frankenstein288 und Hofmann, ein Ultramontaner und ein Fortschrittsmann, können sie besonders beherzigen. Einzelne haben auch bei der Coalition an eine Verbindung der Ultramontanen mit den Radicalen gedacht, wie sie im Augenblicke in Belgien zu Stande gekommen ist. Zu dem Diner bei dem Reichskanzler kam ich ziemlich zeitig, so daß der Reichskanzler mich dem bereits anwesenden Fürsten Orlof289 vorstellen und dann mit mir noch einige Reden wechseln konnte. Ich erwähnte jener Ansprache des Kaisers an Bundesrath und Reichstag, worauf der Reichskanzler äußerte: der alte Herr sei einmal recht energisch gewesen. Er gebrauchte dabei einen etwas andern Ausdruck. Dann fügte er aber hinzu: er selbst habe es absichtlich vermieden, im Reichstage von dem besonderen Willen des Kaisers zu sprechen und den Kaiser in die Sache hineinzuziehen. Ich schließe daraus doch, daß die Ansprache des Kaisers mit dem Reichskanzler verabredet und von diesem veranlaßt ist. Übrigens betrachtet der Reichs___________ 286 Am 20 und 21. März 1884 fand die erste Lesung über die Verlängerung des Sozialistengesetzes auf zwei Jahre statt. Die Vorlage wurde zunächst an eine Kommission verwiesen. 287 Infolge der Attentate auf den Kaiser am 11. Mai und 2. Juni 1878 wurde am 21. Oktober d.J. das „Sozialistengesetz“ erlassen; es war zunächst bis 1881 befristet, wurde jedoch mehrfach (bis 1890) verlängert. 288 Georg Freiherr von Franckenstein (1825–1890), führender Zentrumspolitiker; MdR (Zentrum) 1868–1871, 1872–1890; Vizepräsident des Reichstags 1879– 1887. 289 Nikolaj Alekseevič Fürst Orlov (1820–1885), russischer Botschafter in Berlin 1884–1885.

100. Hatzfeldt an Nachtigal Nr. 100.Nr. Hatzfeldt an Nachtigal, 29. März 1884

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kanzler die Verweisung des Socialistengesetzes an eine Commission als eine halbe Ablehnung. Es könnte also doch zu einer Auflösung kommen. Nach der Beendigung des Diners blieb eine kurze Pause vor dem Beginn der Abendfeierlichkeit im Schlosse290.

100. Hatzfeldt an Nachtigal291 Erlaß. Revidiertes Konzept. BA Berlin-Lichterfelde, R 1001/4192, f. 150–151.

Er wird zum kommissarischen Vertreter für Westafrika ernannt. Instruktionen bekommt er auf der Durchreise durch Lissabon. Das Kanonenboot „Möwe“ wird demnächst dorthin in See stechen. No 18.

Berlin, 29. März 1884.

Ew. pp. sind bereits auf privatem Wege davon unterrichtet, daß es in der Absicht der Kais. Regierung liegt, diejenigen Punkte der Küste von WestAfrika, welche für den deutschen Handel besonders wichtig sind, durch einen konsularischen Beamten bereisen zu lassen, dem die Aufgabe gestellt ist, über die Ausdehnung unserer commerziellen Interessen in jenen Gegenden eingehend zu berichten und das Material zu Vorschlägen zu sammeln, auf Grund deren demnächst eine ständige konsularische Vertretung des Reichs in West-Afrika eingerichtet werden könnte. Ich habe beschlossen, dieses Kommissarium, welches auf einige Monate berechnet ist, Ew.pp. zu übertragen und behalte ich mir weiteren Erlaß bezüglich Ihrer Competenzen vor. Die Instruktionen für die von Ihnen zu lösenden Aufgaben werden Ew.pp. durch den Kais. Gesandten in Lissabon292 übermittelt werden, wo S.M. Kbt. „Möwe“ anlaufen wird, um Sie an Bord zu nehmen. Ob Ihr Begleiter, Dr. Buchner293, und der in Aussicht genommene Konsulats-Sekretär294 in Lissabon, oder etwa in Gibraltar oder Madeira an Bord gehen werden, läßt sich zur Zeit noch nicht bestimmen. ___________ 290

Vgl. auch die Tagebucheintragung Oldenburgs vom 22. März 1884: Oldenburg, Aus Bismarcks Bundesrat S. 84–85; den Bericht Marschalls an Turban vom 22. März in: Friedrich I. von Baden II S. 244–245. 291 Gustav Nachtigal (1834–1885), Generalkonsul in Tunis 1882–1885; Kaiserlicher Kommissar für Westafrika 1884–1885. 292 Richard Veit von Schmidthals (1829–1888), deutscher Gesandter in Lissabon 1882–1888. 293 Dr. Max Buchner (1846–1921), Forschungsreisender. 294 Nicht identifiziert.

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101. Bismarck an Münster Nr. 101.Nr. Bismarck an Münster, 2. April 1884

S.M. Kbt. „Möwe“ wird am 1. April in Dienst gestellt, und soll seine Abfahrt beschleunigt werden, so daß auf die Ankunft des Fahrzeuges in Lissabon zwischen dem 15. und 20. nächsten Monats zu rechnen ist. Unter diesen Umständen wird es sich empfehlen, daß Ew.pp. baldmöglichst nach Lissabon reisen, um dort die verbleibende Zeit zu Ihrer Orientierung über die Verhältnisse in den Portugiesischen Kolonien zu verwerthen. In Betreff der Wahrnehmung der Konsulatsgeschäfte für die Dauer Ihrer Abwesenheit genehmige ich die Ihrerseits vorgeschlagene Anordnung mit dem Ersuchen gef. das Entsprechende veranlassen und demnächst davon Anzeige erstatten zu wollen. Den Tag Ihrer Abreise, sowie Ihrer Ankunft in Lissabon wollen Sie mir gef. telegraphisch anzeigen.

101. Bismarck an Münster Erlaß. Abschrift. BA Berlin-Lichterfelde, R 1001/4193, f. 1–3.

Die deutsche Regierung schließt sich dem französisch-italienischen Schritt an, für die Schäden, welche deutsche Reichsangehörige bei der Beschießung von Alexandrien und durch deren Folgen erlitten haben, Wiedergutmachung zu verlangen. Da Ägypten dazu nicht in der Lage sein dürfte, wird erwartet, daß England sich der Sache annimmt. Wegen der ungerechten Behandlung in der Fidschi-Frage kann sich Deutschland auf den Schutz seiner Interessen in der Südsee durch England nicht mehr verlassen. Berlin, 2. April 1884. Euerer Excellenz ist bekannt, daß die Vertreter Frankreichs und Italiens in Egypten vor Kurzem an die Regierung des Chedive Noten gerichtet haben, um eine baldige Auszahlung der den Opfern des Bombardements von Alexandrien zugebilligten Entschädigungsgelder zu verlangen295. Deutsche Reichsangehörige, welche gleichfalls seit längerer Zeit auf Be___________ 295

Zur Bombardierung von Alexandrien vgl. oben Nr. 78 Anm. 227. Zahlreiche englische Quellen zur Entschädigungssache in folgenden Blaubüchern: Correspondence respecting Indemnity Claims arising out of the Alexandria Riots and subsequent Events; Correspondence respecting the assent of Foreign Powers to the Law of Liquidation; Correspondence respecting the finances of Egypt [19 April 1884]; Further Correspondence respecting the Finances of Egypt; Protocols of Conferences held in London respecting the Finances of Egypt; Further Correspondence respecting the Finances of Egypt.

101. Bismarck an Münster Nr. 101.Nr. Bismarck an Münster, 2. April 1884

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friedigung ihrer anerkannten und dem Betrage nach festgesetzten Forderungen warten, haben sich jetzt an das Auswärtige Amt gewendet und gebeten, daß jener Französisch-Italienische Schritt unsererseits unterstützt werden möge. Ew.pp. ersuche ich ergebenst, Lord Granville hiervon gefälligst mündlich in Kenntniß zu setzen, und hinzuzufügen, daß wir das Verlangen unserer Landsleute nach Regelung ihrer Forderungen für gerechtfertigt halten und unserer öffentlichen Meinung gegenüber die Vertretung desselben nicht ablehnen können. Die Schäden, welche seit zwei Jahren in Egypten zu Tage treten, stellen sich als Folge des Eingreifens Englands in die inneren Verhältnisse des Landes und insbesondere der Beschießung der Haupthandelsstadt dar; man wird also nicht daran zweifeln dürfen, daß die Britische Regierung Alles aufbieten werde, um den Geschädigten zum baldigen Ersatze der ihnen zustehenden Entschädigungsgelder zu verhelfen, und auf diese Weise dem weiteren Ruin des Europäischen Handelsstandes in Alexandrien vorzubeugen. Vielleicht werden die gegenwärtigen finanziellen Verhältnisse Egyptens es der Egyptischen Regierung schwer machen aus eigenen Mitteln die Entschädigungsgelder zu bezahlen. In diesem Falle hoffen wir, daß die Englische Regierung der Frage näher treten würde, auf welchem Wege der Ersatz der Schäden, die das Bombardement Alexandrien’s durch die Englische Flotte verursacht hat, zu beschaffen sein würde. Indem ich Euere Excellenz ersuchen darf, Sich des vorstehenden Auftrags zu entledigen und über den Erfolg Ihrer Sondirung mir eine Benachrichtigung gefälligst zugehen zu lassen, füge ich für Ew.pp. persönlich hinzu, daß wir bisher zwar überall England gern entgegengekommen sind, und auf die schwierige Lage, in der es sich im Orient befindet, weitgehende Rücksicht genommen haben, daß aber die Art und Weise, wie die Britische Regierung zu der ungerechten Behandlung deutscher Unterthanen in der Fidji-Frage und zu anderen Schädigungen unserer berechtigten HandelsInteressen in der Südsee Stellung genommen hat, unsere Ueberzeugung erschüttern muß, daß jede Ausdehnung der Britischen Autorität in uncivilisirten Ländern ein Gewinn für alle Nationen sei, weil eine Erweiterung des Gebietes geordneter Rechtszustände darin liege. Diese Ueberzeugung hat es uns möglich gemacht, englische Interessen in fremden Welttheilen durch direkte Förderung oder wohlwollende Passivität zu unterstützen. Mit dieser Ueberzeugung würde schließlich deren bisherige Wirkung, auch gegen unsere Neigung, schwinden müssen296. ___________ 296 Vgl. auch den Erlaß Hatzfeldts an Münster vom 4. April 1884 in der Sache in: GP IV S. 48–49; ferner Ampthills Privatbriefe in der Sache vom 15. März und 6., 10. und 13. April 1884 in: Letters from the Berlin Embassy S. 317–319, 321– 324.

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102.an Meier an Gildemeister Nr. 102.Nr. Meier Gildemeister, 2. April 1884

102. Meier297 an Gildemeister298 Bericht. Eigenhändige behändigte Ausfertigung. Auszug. Praes.: 4. April 1884. StA Bremen, Bestand 2 – M.6.c.2.b.1.b., Bd. 6.

Bismarck sprach in der heutigen Bundesratssitzung gegen Bestrebungen, ein verantwortliches Reichsministerium zu schaffen. Es seien genug unitarische Elemente in der Verfassung Deutschlands vorhanden. Er bat daher, daß sich die deutschen Regierungen das sächsische und württembergische Votum, sich gegen solche Bestrebungen auszusprechen, zu eigen machen sollten, und verlas eine entsprechende preußische Erklärung. Er bat ferner, daß diese Erklärung identisch sein solle. Angesichts des drängenden Vorgehens Bismarcks erklärten sich alle Bevollmächtigten mit der preußischen Auslassung einverstanden; nur der bayerische und der württembergische Vertreter wollten noch Instruktionen einholen. No 22.

Berlin, 2. April 1884.

Zu der heutigen Sitzung des Bundesraths war, seit langer Zeit zum ersten Male wieder, Fürst Bismarck erschienen299. Der Anlaß seiner Anwesenheit war der an der Spitze der Tagesordnung stehende Gegenstand „der Meinungsaustausch über die Erklärungen Sachsens und Würtembergs betreffend die Parteibestrebungen zur Errichtung eines verantwortlichen Reichsministeriums“. Der Reichskanzler ergriff als erster zu diesem Gegenstand das Wort das Wort u. erklärte, daß die Preußische Regierung die sächsische Anregung mit Freuden begrüße, da sie den verbündeten Regierungen Gelegenheit gebe, zu konstatiren, daß sie Versuchen, die Rechte der Bundesstaaten, wie sie durch die Verfassung gewährleistet seien, zu verdunkeln entgegentreten würden. Handele es sich zur Zeit auch nur um theoretische Bestrebungen, obwohl übrigens die Frage verantwortlicher Reichsministerien in den Jahren 1869 und 1878 im Reichstage ja auch schon praktisch ventilirt worden sei, so müsse man des Sprichworts principiis obsta einge___________ 297 Hermann Meier (1809–1898), Bremer Großkaufmann und Senator; stellvertretender Bevollmächtigter der Freien Hansestadt Bremen zum Bundesrat; MdR (nationalliberal) 1867–1871, 1878–1887. 298 Otto Gildemeister (1809–1902), Bürgermeister der Freien Hansestadt Bremen 1871–1875, 1878–1881, 1882–1887; Erster Bevollmächtigter zum Bundesrat 1882–1887. 299 Von diesem Teil der Sitzung (vgl. den letzten Absatz des Berichts) existiert kein Protokoll. Die Sache wurde am 5. April (ohne Beisein Bismarcks) wiederaufgenommen. Protokoll dieser Sitzung (nebst den Erklärungen Preußens und Bayerns) in: Protokolle über die Verhandlungen des Bundesraths des Deutschen Reichs. Jahrgang 1884. Berlin, S. 95–98 (Protokoll der 16. Sitzung). Vgl. auch Schulthess’ Europäischer Geschichtskalender 25 (1884) S. 45–48. Die Rede Bismarcks vom 2. April 1884 im Bundesrat ist nirgends veröffentlicht.

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denk sein. Man dürfe solche Bestrebungen nicht einreißen lassen, ohne ihnen Widerspruch entgegenzusetzen u. müße auf diese Weise verhindern, daß sich über die Bedeutung der Verfassung eine Legende bilde, wie sie sich beispielsweise bezüglich der Preußischen Verfassung gebildet habe, sofern die Behauptung aufgestellt wurde, daß die Minister u. nicht der König zu regieren habe. Nach seinen (Bismarck’s) Antecedentien brauche er wohl nicht zu versichern, daß ihm vor Allem die Einheit Deutschlands am Herzen liege. Allein nach seiner Ansicht hätten wir in unitarischer Richtung dasjenige Maß, welches wir gebrauchten, um zu gedeihen; er erinnere an das Heerwesen, die Vertretung im Ausland, Münzwesen, Zoll etc. etc., u. er hege die feste Überzeugung, daß wenn einmal das Bedürfniß hervortreten sollte, noch andere Gegenstände der alleinigen Kompetenz des Reichs zu unterwerfen, die Regierungen der einzelnen Staaten bereit sein würden, das Bedürfniß zu prüfen u. ihm entgegenzukommen. Bestrebungen dagegen zur Herbeiführung einer Verfasssungsveränderung, wie sie mit der Einsetzung verantwortlicher Reichsministerien verbunden sein würden, würden seiner Meinung nach leicht eine Zerbröckelung der Verfassung u. des Reichs herbeiführen können. Darum sei es die Aufgabe der Regierungen die öffentliche Meinung vor Irrungen zu hüten, u. schon solchen Parteiprogrammen gegenüber Stellung zu nehmen, da Niemand wissen könne, welche Wirkung sie allmählich gewinnen könnten (namentlich in kritischen Momenten), wenn ihnen nicht widersprochen werde. Er bitte daher, es möchten sich alle Regierungen in dem von ihm angedeuteten Sinne aussprechen, da es darauf ankomme, daß alle Regierungen einig seien, daß Einer für alle u. Alle für einen einstehen würden. Hierauf beruhe die Sicherheit u. Ruhe des Reichs u. der Verfassungsentwicklung. Für Preußen sei er ermächtigt eine bezügliche Erklärung zu Protokoll zu geben. Der Reichskanzler verlas dann eine lange den obigen skizzierten Ausführungen entsprechende Erklärung, welche den hier anwesenden Bundesrathsmitgliedern metallographirt zugestellt werden wird u. welche ich morgen nachschicken werde. Offenbar waren alle Bevollmächtigten über das Vorgehen des Fürsten Bismarck einigermaßen überrascht. Jedermann war instruirt in Betreff der von Würtemberg in letzter Sitzung abgegebenen, dem Sinn nach mit der preußischen Auffassung sich deckenden Erklärung300, nicht aber bezüglich ___________ 300

Es wolle [ . . . ] konstatirt werden, daß bezüglich der Errichtung eines verantwortlichen Reichsministeriums in den Anschauungen der verbündeten Regierungen [ . . . ] eine Aenderung nicht eingetreten sei. (Protokolle über die Verhandlungen des Bundesraths des Deutschen Reichs. Jahrgang 1884. Protokoll der dreizehnten Sitzung [24. März 1884]. Berlin 1884, S. 73. In der 13. Sitzung des Bundesrats wurde die sächsische Erklärung zur Frage der Errichtung eines verantwortlichen

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der vom Reichskanzler eben vorgetragenen Erklärung. Und doch legte Fürst Bismarck Werth darauf, einmal, daß auch in der Form eine einheitliche Erklärung Aller abgegeben werde u. sodann, daß sie noch in dieser Sitzung abgegeben werde. Dann, meinte er wiederholt, wenn es an sich auch nur darauf ankomme, zu erklären, „wir lassen uns auf solchen Schwindel nicht ein, wenn er uns gebracht wird“, oder, wie die Baiern sagen, „mer thun’s halt nit mit“, gleichviel in welcher Form, so werde die öffentliche Meinung hinter verschieden formulirten Erklärungen Verschiedenes suchen, während gerade die Einmüthigkeit der Regierungen von höchstem Wert sei u. ferner könne der Umstand, daß man nicht sofort sich über eine Erklärung geeinigt habe, in der öffentlichen Meinung zu dem Mißverständnisse führen, als ob einzelne Regierungen sich darüber hätten besinnen müssen, ob sie für die bestehende Verfassung eintreten wollten. Dem Druck der Lage gehorchend erklärten denn auch die meisten Bevollmächtigten sich mit der Preußischen Erklärung einverstanden; auch ich in Übereinstimmugn mit Dr. Krüger301 u. Senator Versmann302; Herr v. Mittnacht303 zog seine Erklärung zurück u. nur der bairische Bevollmächtigte bat304, es möge ihm das Protokoll offen gelassen werden, wenn schon er nicht zweifele, daß seine Regierung völlig einverstanden sein werde mit der preußischen Erklärung. Das veranlaßte dann seltsamerweise Herrn v. Mittnacht wieder, auch für Würtemberg nachträglich seine bereits ausgesprochene Zustimmung zurückzunehmen u. sich das Protokoll bis nach eingeholter Instruktion offen zu halten. Da nun aber Fürst Bismarck aus den oben angeführen Gründen Werth darauf legte, die Angelegenheit in e i n e r Sitzung abzumachen, so wurde am Ende beschlossen, die heutigen Erörterungen als vertrauliche, nicht im Protokoll aufzunehmende Vorbesprechungen zu betrachten u. in einer der nächsten Sitzungen auf die Sache zurückzukommen. Ich bitte daher auch diesen Bericht als einen vertraulichen zu behandeln, um so mehr, als Herr v. Nostiz am Beginn der Sitzung sich darüber beklagt hatte, daß über die denselben Gegenstand behandelnden Verhandlungen der letzten Sitzung ein Bericht in der Kölnischen Zeitung ___________ Reichsministeriums vorgetragen. Vgl. auch Poschinger, Bismarck und der Bundesrat S. 149–150; Mittnacht, Erinnerungen. Neue Folge S. 36–42, 64–65. 301 Daniel Christian Krüger (1819–1896), Ministerresident der Hansestädte in Berlin 1866–1888; Bundesratsbevollmächtigter (für Lübeck 1868–1888, für Bremen/Hamburg 1873–1888). 302 Johannes Georg Versmann (1820–1899), Bevollmächtigter der Freien und Hansestadt Hamburg zum Bundesrat 1880–1899; seit 1887 mehrmals Bürgermeister von Hamburg. 303 Hermann (seit 1887 Freiherr) von Mittnacht (1825–1909), württembergischer Ministerpräsident (zunächst als Präsident des Geheimen Rates)1870–1900, Außenminister 1873–1900; Bevollmächtigter zum Bundesrat 1871–1900. 304 Hugo von und zu Lerchenfeld-Koefering (1843–1925), bayerischer Gesandter in Berlin und Bevollmächtigter zum Bundesrat 1880–1919.

103. Versmann an Petersen Nr. 103.Nr. Versmann an Petersen, 2. April 1884

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gestanden habe, der direkt oder indirekt auf Mittheilungen solcher, die der Sitzung beigewohnt, zurückgeführt werden müsse305; u. als der Reichskanzler die Notwendigkeit der Geheimhaltung des heute Vorgefallenen besonders betonte306. [Der bremische Antrag in der Zollanschlußsache.]

103. Versmann an Petersen307 Bericht. Abschrift. Auszug. StA Hamburg, Bestand 132–5/4 (Hamburgischer Bevollmächtigter beim Bundesrat in Berlin), I 2, Bd. 3.

Zur Plenarsitzung des Bundesrats erschien Bismarck, der sich zum Tagesordnungspunkt „Errichtung eines verantwortlichen Reichsministeriums“ äußerte: Die vereinigten Regierungen sollten, um den Anfängen zu wehren, gemeinsam gegen Bestrebungen zur Bildung eines solchen Reichsministeriums vorgehen; hinter diesen Bestrebungen stehe die neue Deutschfreisinnige Partei; es sei sehr zu wünschen, daß sich die Regierungen der entsprechenden „Äußerung Preußens“ (die Bismarck verlas) einmütig anschlössen. Der bayerische Bevollmächtigte kündigte, obwohl er mit der verlesenen „Äußerung“ übereinstimmte, noch Instruktionseinholung an. Alle anderen Vertreter erklärten ihre Zustimmung. Bismarck hob noch hervor, daß das heutige Votum nach außen hin als Warnung zu verstehen sei. Auf Vorschlag Sachsens wurde vorerst Geheimhaltung vereinbart, bis in der nächsten Sitzung definitiv darüber befunden werde. – Versmann spekuliert über die Gründe für Bismarcks Aktion. No 12.

Berlin, 2. April 1884.

Die heutige Plenarsitzung des Bundesraths, deren Tagesordnung zu übersenden ich schon gestern die Ehre hatte, wurde pünktlich um 2 Uhr unter dem Vorsitz des Staatssekretärs von Boetticher eröffnet308. Bei der Feststellung des Protokolles der beiden vorangegangenen Sitzungen machte der Sächsische Gesandte, Herr v. Nostiz-Wallwitz, darauf ___________ 305

Die „Kölnische Zeitung“ vom 26. März 1884 (S. 1) berichtete über die Bundesratssitzung vom 24. März. 306 Zu dieser Bundesratssitzung vgl. auch Bismarcks Immediatschreiben an Ludwig II., 2. April 1884, in: GW XIV,2 S. 949–950. 307 Carl Friedrich Petersen (1809–1892), Hamburger Bürgermeister, elfmal seit 1876, zuletzt 1892. 308 Vgl. auch die vorangehende Nr.

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103. Versmann an Petersen Nr. 103.Nr. Versmann an Petersen, 2. April 1884

aufmerksam, daß die Kölnische Zeitung309 und die Hamburger Nachrichten310 Berichte über die von ihm in Betreff der Einrichtung eines verantwortlichen Reichsministeriums abgegebene Erklärung gebracht hätten, welchen ersichtlich nicht bloß die bezügliche Protokollstelle, sondern auch die von ihm mündlich vorgetragene Motivirung zu Grunde liege. Nun sei allerdings eine ausdrückliche Verständigung über die Geheimhaltung der betreffenden Verhandlungen nicht erfolgt. Da dieselbe aber bei einer derartigen Frage sich wohl von selbst verstehe, so müsse es einem Reporter gelungen sein, sich Einsicht in den Bericht eines stimmführenden Mitgliedes zu verschaffen. Dies könne, namentlich wenn es sich einmal um auswärtige Angelegenheiten handeln sollte, sehr unangenehme Folgen haben, weshalb er sich gestatte, allseitige Vorsicht zu empfehlen. Noch während der Feststellung des Protokolls erschien der Reichskanzler und nahm, von der Versammlung durch Erheben von den Sitzen begrüßt, zur Rechten des Herrn v. Boetticher Platz, ohne indeß den Vorsitz der Versammlung zu übernehmen, welcher vielmehr in den Händen des Herrn v. Boetticher verblieb. Zu No 2 der Tagesordnung äußerte, da auf ergangene Frage kein Anderer das Wort verlangte, der Reichskanzler sich in einer durch zahlreiche Pausen und wiederholtes, starkes Räuspern unterbrochenen Rede etwa, wie folgt: Wenn Niemand sonst das Wort verlangt, bin ich gern bereit, die Ansicht der Königlich Preußischen Regierung zu dem von Sachsen angeregten Gegenstande mitzutheilen. Dieselbe glaubt, daß nach dem Satze „principiis obsta“ die vereinigten Regierungen Stellung zu nehmen haben in dieser bisher zwar nur in theoretischer Gestalt vorliegenden, aber doch auch schon früher ventilirten Frage. Die vereinigten Regierungen werden sich in die Lage zu versetzen haben, sich einen gemeinsamen Plan zu bilden, nach welchem sie Bestrebungen behandeln wollen, welche auf eine allmählige Verdunkelung der Reichsverhältnisse gerichtet sind. Die vereinigten Regierungen würden nicht wohl daran thun, Gewohnheiten und einen Sprachgebrauch einreißen zu lassen, nach welchem es den Anschein gewinnen würde, als wenn die Reichsverfassung so leichthin geändert werden könnte. Die neue Partei hat auf die Wahlen Bezug genommen; deshalb müssen die Regierungen sich einigen, sie müssen wissen, daß sie der gegenseitigen Unterstützung sicher sind, um jeder Verdunkelung ihrer verfassungsmäßigen Stellung entgegenzutreten, sie müssen verhindern, daß sich in dieser ___________ 309

Ebenda und Anm. 305. „Hamburger Nachrichten“, 1792 gegründet; vertrat in politischer Hinsicht gemäßigt liberale Ansichten; 1939 erloschen. – Berichte der „Hamburger Nachrichten“ über die Bundesratssitzung vom 24. März 1884 finden sich in der Abendausgabe vom 26. März (S. 2) und in der Abendausgabe vom 27. März (S. 1). 310

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Beziehung eine Legende bilde. Von derselben Partei wird versucht, in Preußen das Königthum zurück zu drängen und es ist deshalb der Preußischen Regierung nicht unerwünscht, daß hier eine Gelegenheit zur Stellungnahme geboten wird. Mir liegt natürlich vor Allem die Erhaltung der Errungenschaften am Herzen, kraft deren wir hier zusammen sitzen. In unitarischer Richtung haben wir das Maaß von Einheit, was wir nothwendig brauchen, im Heerwesen, in der Diplomatie, im Handel und Verkehr, in der Münze, im Zollwesen und im Recht. Wenn ein weiteres Bedürfniß sich geltend machen sollte, so werden die vereinigten Regierungen es prüfen und ohne Zweifel bereit sein, daß Nothwendige zu thun. Aber dergleichen unmotivirten unitarischen Einbrüchen in die Reichsverfassung können die vereinigten Regierungen nicht früh genug entgegentreten. Niemand weiß, welche Wirkungen so etwas haben kann, welchen Einfluß es auszuüben vermag auf die innere Ueberzeugung des einen oder anderen Regenten (vielleicht des Kronprinzen?), auf den Glauben an die Festigkeit der Institutionen des Reichs. Ein Abgeordneter kann seinen Wählern leicht dergleichen empfehlen, aber dann ist es auch die Aufgabe der Regierungen, dem von vorn herein entgegenzutreten. Ich will die Aeußerung der Königlich Preußischen Regierung zu Protokoll geben, aber ich würde wünschen, daß auch alle übrigen Regierungen sich erklären, damit wir wissen, daß Einer für Alle und Alle für Einen stehen. Die Uebereinstimmung Seiner Majestät des Kaisers und Königs kann ich unbedingt versichern. Das Beste ist der Feind des Guten! Aber das ist hier nicht einmal zutreffend. Sodann verlas der Reichskanzler die als Anlage hier beigefügte „Aeußerung Preußens“. Darauf nahm für Bayern der Generalmajor v. Xylander311, welcher statt des erkrankten Herrn v. Lerchenfeld die Stimme führte, das Wort, um zu erklären, daß seine Regierung mit der Preußischen Aeußerung dem Inhalt nach durchaus übereinstimme, doch wünsche er sich das Protokoll offen zu halten, bis seiner Regierung der Wortlaut dieser Aeußerung vorgelegen habe. Für Württemberg erklärte sodann Herr v. Mittnacht die Zustimmung seiner Regierung und gab anheim, diese und die übrigen Regierungen, die sich anschließen würden, zu Protokoll zu constatiren. ___________ 311

Robert Ritter von Xylander (1830–1905), bayerischer Generalmajor; Militärbevollmächtigter in Berlin und Bevollmächtigter zum Bundesrat 1878–1884.

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Für Weimar verlas Herr Herwart312 eine Erklärung, die im Wesentlichen besagte, daß die Weimarsche Regierung in der hohen Stellung, die der Reichskanzler einnehme, eine Garantie erblicke für die Sicherheit der verfassungsmäßigen Rechte der verbündeten Regierungen. Hiezu bemerkte der Reichskanzler, es handle sich doch nicht um seine Stellung. Er sei verantwortlich nur für die Anordnungen des Kaisers, für weiter nichts. Eine Zerlegung seiner Machtbefugnisse würde die Parteien auch garnicht befriedigen, welche vielmehr in die Rechte der verbündeten Regierungen einzugreifen trachteten. Nachdem noch der Badische313 und die übrigen Vertreter, auch der Minister-Resident Krüger für Lübeck, der Senator Dr Meier für Bremen und ich für Hamburg mit einigen motivirenden Worten die Uebereinstimmung ihrer Regierungen mit den Preußischen Ausführungen kundgegeben hatten, constatirte der Vorsitzende, daß, soviel er vernommen, sämmtliche Regierungen sich im Einklang befänden. Er frage nur den Württembergischen Bevollmächtigten, ob derselbe seinen in voriger Sitzung vorläufig gestellten Antrag als definitiv gestellt betrachte? Württemberg zieht seinen Antrag zurück. Der Vorsitzende schlägt vor, die Preußische Aeußerung in das Protokoll aufzunehmen und den übrigen Regierungen die Mitwirkung ihrer zustimmenden Erklärungen vorzubehalten. Der Reichskanzler wünscht eine möglichst übereinstimmende Willensäußerung der Regierungen dahin, daß sie sich „auf solchen Schwindel“ nicht einlassen werden, sondern wie die Landsleute meines Bayerischen Herrn Nachbarn zu sagen pflegen: „Mer thun’s halt net.“ Uebrigens liege ein Anlaß ad faciendum nicht vor. Es solle nur eine Warnung sein: „Dieses Eisen ist heiß, rührt nicht daran.“ Sachsen macht darauf aufmerksam, daß von den heutigen Verhandlungen Nichts in die Presse gelangen dürfe, bis sämmtliche Regierungen sich bestimmt geäußert hätten, da aus dem Umstande, daß Letzteres noch nicht geschehen, leicht ein unrichtiger Eindruck entstehen könne. Seiner Zeit würden dann die Verhandlungen allerdings in die Oeffentlichkeit zu bringen sein. Der Reichskanzler hält den Sächsischen Wunsch für berechtigt, weil die Sache sonst allerdings den Eindruck machen könnte, als sei erst nach weiteren Verhandlungen mühsam eine Einigung zu Stande gebracht worden. Er habe geglaubt, daß eine weitere Instruktionseinholung nicht erfor___________ 312

Dr. Adolf von Heerwart (1828–1899), stellvertretender Bevollmächtigter Sachsen-Weimar-Eisenachs zum Bundesrat 1872–1899. 313 Der schon kommentierte Marschall.

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derlich sein werde, da dies dennoch der Fall und die Offenhaltung des Protokolls doch schon vom Bundestage her eigentlich die Form sei, unter welcher man sich die Abgebung eines abweichenden Votums vorbehalte, so müsse alles geschehen, um einen unrichtigen Eindruck zu vermeiden. Der Vorsitzende erklärt, die Lage so aufzufassen, daß nur noch eventuelle selbstständige Zusatzformulirungen in Frage stehen, während man in der Sache selbst durchaus einig sei. Bayern bestätigt dies. Württemberg erklärt, wenn der Anschluß an den Wortlaut der Preußischen Aeußerung gewünscht werde, so sei es besser, erst berichten zu können. Schließlich kommt man dahin überein, daß die heutige Besprechung nur als eine vorläufige betrachtet werden und die Sache demnächst wieder vorkommen solle, damit nicht der falsche Eindruck hervorgerufen werde, als ob noch Zweifel beständen, die erst durch Einholung von Instruktionen u.s.w. zu heben gewesen wären. Die Preußische Aeußerung soll inzwischen den stimmführenden Mitgliedern im Ueberdruck zugestellt werden. Ich nahm an, daß im Protokoll der heutigen Sitzung etwa nur vermerkt werden wird, daß die Verhandlung ausgesetzt worden. Die Haltung der Bayerischen und Württembergischen Bevollmächtigten, welcher wir die Wiederaufnahme der stattgehabten, doch eigenlich bloß akademischen Erörterungen in einer weiteren Sitzung verdanken, ist nicht recht verständlich und giebt verschiedenen Vermuthungen Raum, die im Privatgespräch mehrseitig laut geworden sind. Auch drängt sich die Frage auf, was der Reichskanzler eigentlich mit der ganzen Aktion bezweckt? Soll dieselbe vielleicht irgend einen Vorstoß in unitarischer Richtung die Wege bahnen? Handelt es sich etwa um die Uebernahme der Eisenbahnen auf das Reich und erklärt sich daraus die Aengstlichkeit Bayerns und Württembergs? Das Dunkel, welches über der ganzen Angelegenheit schwebt, ist durch die heutige Verhandlung nach keiner Richtung gelichtet! Den hochpolitischen Erörterungen folgten die auf der Tages-Ordnung stehenden rein geschäftlichen Gegenstände. Der Reichskanzler hörte der Erledigung der No 2–7 ruhig zu, bis er vor dem Vortrag des Herrn v. Liebe über die Stempelpflichtigkeit gewisser Actien das Feld räumte. Herr v. Boetticher folgte ihm sehr bald, worauf die noch offenstehenden wenigen Nummern unter dem Vorsitz des Finanzministers von Scholz erledigt wurden. [Es folgen Ausführungen über die Behandlung weiterer Tagesordnungspunkte.]

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104. Tagebucheintragung Pindters Nr. 104.Nr. Tagebucheintragung Pindters, 5. April 1884

104. Tagebucheintragung Pindters Eigenhändig. Auszug. PA, Berlin, Nachlaß Pindter, Tagebuch 1884.

Laut Bleichröder will Bismarck die innere Politik künftig dem Kronprinzen überlassen. [o.O.] 5. April 1884. [Über sein Gespräch mit Bleichröder notiert Pindter:] Sein [Bleichröders] Eindruck gipfelt darin, daß Bismarck aus innerer Politik [he]raus will, um dem Kronprinzen Luft für liberale Experimente zu machen, und um Culturfrieden von Anderen abschließen zu lassen. Bi[smarck] und Bl[eichröder] hoffen, es werde das ja v[on] Scholz geschehen können, und Bl[eichröder] ist ein wenig betroffen, als ich dessen schwache Gesundheit erwähne.

105. Liebe an Jansen Bericht. Eigenhändige behändigte Ausfertigung. Praes.: 7. April 1884. StA Oldenburg, Bestand 132–339, f. 70–71.

Spekulationen über die von Bismarck veranlaßte sächsische Aktion gegen Schaffung eines Reichsministeriums: Es soll vielleicht auf die kommenden Reichstagswahlen eingewirkt werden; angeblich soll der „sehr unitarischen und weniger particularistischen Gesinnung des Kronprinzen“ ein Riegel vorgeschoben werden. – Es herrscht noch Unklarheit über Bismarcks Ausscheiden aus dem Preußischen Staatsministerium. N0 40.

Berlin, 6. April 1884.

Die Verhandlungen über die Sächsische Anregung wegen des Reichsministeriums314 sind sofort im Reichs- und Staatsanzeiger publicirt, und werden Gegenstand der Erörterung in der Presse werden. Ich habe hier weniger über die sachliche und staatsrechtliche Seite der Sache reden und discutiren hören, als darüber, was den Reichskanzler bewogen haben mag, daraus eine Art von Haupt- und Staatsaction zu machen. Der Würtembergische Minister von Mittnacht hatte unmittelbar nach dem Sächsischen ___________ 314

Vgl. oben Nr. 102 und 103; ferner Lucius von Ballhausen, BismarckErinnerungen S. 290–291.

105.anLiebe an Jansen Nr. 105.Nr. Liebe Jansen, 6. April 1884

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Vortrage den Zweifel geäußert, ob es indicirt sei, wegen eines aus den Zeitungen bekannten Parteiprogramms so viel Umstände zu machen; er hatte indeß diesen Punkt fallen lassen, sobald zu bemerken war, daß der Reichskanzler auf die Sache großen Werth lege. Einen demonstrativen Character hat dieselbe haben sollen, sonst hätte der Reichskanzler die Publikationen nicht für nöthig gehalten. Manche glauben, es solle auf die Wahlen, die nach einer möglichen Auflösung kommen würden, eingewirkt werden. Es kann auch ein den Regierungen gegenüber für opportun gehaltener Beweis Preußischer Loyalität sein sollen – mit besonderer Freundlichkeit gegen Bayern. Im Grunde sagt die Bayerische Erklärung nichts, was nicht aus der Preußischen zu entnehmen wäre. Bayern hat übrigens schon in der Krisis, die seiner Zeit über die Quittungssteuer herkam315, dem Reichskanzler einen nicht zu unterschätzenden Dienst geleistet. Noch Andere meinen, es sei darauf abgesehen, der angeblich sehr unitarischen und weniger particularistischen Gesinnung des Kronprinzen einen Riegel vorzuschieben. Daß nach den bekannten persönlichen Verhältnissen und der Wichtigkeit der Personenfragen für die künftige Entwickelung, etwas Zukunftspolitik im Spiele ist, mag nicht unwahrscheinlich sein. Ob künftig die Preußische Politik oder die Deutsche Reichspolitik vorwalten wird, läßt sich jetzt schwerlich sagen. Hat aber auch die Reichspolitik immerhin einen etwas unitarischen Zug, der bei einer Weiterentwickelung schwer auszuschließen sein würde, so ist es doch sehr fraglich, ob die Haltung einer mehr particularistisch Preußischen Politik mehr im besonderen Interesse der Staaten liege, als die andre Alternative. Auch ist hier die Stellung und eventuell Aussicht der kleineren Staaten eine andre als die der Königreiche und namentlich Bayerns. Das Ausscheiden des Reichskanzlers aus dem Preußischen Staatsministerium scheint noch in der Schwebe zu sein. Der Reichskanzler hatte auf Rath seines Arztes, des Dr Schwenninger, eine Verminderung seiner Geschäftslast im Auge. Der Kaiser, der selbst in der letzten Woche bettlägerig war, hatte eine weitre Motivirung verlangt. Man hat also im Augenblick den Erfolg abzuwarten. Wie sich dann eventuell practisch die Sachen gestalten, läßt sich kaum sagen. Es ist auch von sonstigen Ministerveränderungen die Rede gewesen. Richtig ist nur, daß der Reichskanzler über die polizeilichen Anordnungen wegen der Sonntagsfeier316 in der Provinz Sachsen mit Herrn von Puttkammer Differenzen gehabt hat. Jetzt scheint dieser Punkt beige___________ 315

Im Verlauf der Reichstagsdebatte über die Stempelsteuernovelle, die am 1. Oktober 1881 in Kraft trat, hatte Preußen, das die Quittungssteuer bereits 1873 aufgegeben hatte, Bayern zugestanden, die Steuer weiterhin im Land zu erheben. 316 Dazu ausführlich: Quellensammlung zur Geschichte der deutschen Sozialpolitik 1867 bis 1914. II. Abt. Von der kaiserlichen Sozialbotschaft bis zu den Februarerlassen Wilhelms II (1881–1890), Bd. 3. Arbeiterschutz. Bearb. v. Wolfgang Ayass. Darmstadt 1998 (Register S. 621 sub Sonntagsarbeit bzw. -heiligung).

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106. Promemoria Kusserows Nr. 106.Nr. Promemoria Kusserows, 8. April 1884

legt zu sein, und es fehlt an Anzeichen aus denen auf weiter gehende Differenzen und Personalveränderungen zu schließen wäre.

106. Promemoria Kusserows Revidiertes Konzept. BA Berlin-Lichterfelde, R 1001/1995, f. 155–169. – Das Promemoria ist mit zahlreichen Unterstreichungen, mit Anstreichungen und Fragezeichen am Rand von der Hand Bismarcks versehen. – Druck (mit der Ausnahme von zwei kurzen Passagen zu Beginn und am Schluß) in: Die Kolonialpolitik des Fürsten v. Bismarck. In: Deutsches Kolonialblatt, Beilage. 9 (1898) S. 1–4.

Am 27. Dezember 1883 hat Graf Münster in London angefragt, auf welche Titel sich die englische Auffassung stütze, daß eine dritte Macht in dem südwestafrikanischen Gebiet nördlich des Oranje-Flusses keine Hoheitsrechte ausüben dürfe. Eine Antwort darauf ist bisher nicht erfolgt. Aus anderen Quellen geht hervor, daß Kaufmann Lüderitz im Sommer 1883 das fragliche Gebiet vom Häuptling von Bethanien käuflich erworben hat. Die dem Hafen von Angra Pequena vorgelagerten Inseln sind dagegen noch auf gewisse Zeit an die englische Firma Spence verpachtet. Lüderitz sollte für sein Gebiet der Schutz des Reiches nach Analogie der „Royal Charter“ für die „North Borneo Company“ von 1881 gewährt werden. Durch einen Vertrag zwischen dem Reich, vertreten durch Generalkonsul Nachtigal, und dem Häuptling von Bethanien wäre die Unabhängigkeit des Lüderitzschen Gebietes gegenüber dritten Nationen zu bekunden. In dem Vertrag sollte die Zollhoheit geklärt werden. Der englischen Regierung müßte sodann mitgeteilt werden, daß das Lüderitzsche Gebiet unter dem Schutz des Reiches stehe. Kann Graf Münster in diesem Sinne instruiert werden? Die Korvette „Leipzig“ könnte auf ihrer Heimreise von Ostasien in Angra Pequena kurz Station machen. Berlin, 8. April 1884. Unter dem 27. Dezember v.J. ist dem Grafen Münster der von dem Herrn Reichskanzler genehmigte Entwurf einer Note übersandt worden317, in der an das Londoner Kabinet die Frage gerichtet war, auf welche Titel sich die in der Note Lord Granville’s vom 21. November v.J.318 in Widerspruch mit früheren Kundgebungen vertretene Auffassung stütze, daß die Ausübung von Hoheitsrechten durch eine andere Macht in dem Gebiete zwischen der ___________ 317 318

Text in: Angra Pequena S. 170. Vgl. oben Nr. 41 Anm. 111.

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nordwestlichen Grenze der Kap-Kolonie und der südlichen Grenze der Portugiesischen Besitzungen in die legitimen Rechte der Englischen Regierung eingreifen würde, obwohl die Letztere dort bisher selbst keine Hoheitsrechte ausübt, vielmehr in amtlichen Depeschen den Orange-Fluß, mit alleiniger Ausnahme der von der Kap-Kolonie in Besitz genommenen Walfischbai, als die festzuhaltende Nordwestgrenze dieser Kolonie bezeichnet und ausdrücklich erklärt habe, auf kein Projekt zur Ausdehnung der Britischen Jurisdiktion über Gross-Namaqua und Damara-Land sich einlassen zu wollen. Eine Antwort hierauf haben wir bis heute nicht erhalten; auch fehlt noch ein Bericht des Kaiserlichen Botschafters über mündliche Verwerthung der Fidji-Angelegenheit im Sinne des Erlasses vom 27. Dezember. Dagegen liegen vor: 1. ein durch Karten illustrirter Bericht des Commandanten S.M. Kbt. „Nautilus“ vom 27. Januar d.J. in welchem sich derselbe über die Rechtstitel des Herrn Lüderitz und die Bedeutung seines Unternehmens sehr günstig ausspricht319 und 2. eine Eingabe des kürzlich von Angra Pequeña zurückgekehrten Herrn Lüderitz vom 21. v.Mts.320, in welcher er, unter Einreichung beweiskräftiger Urkunden für sein Recht auf das volle Eigenthum an einem 900 □Meilen betragenden, zwischen dem 26o südlicher Breite und dem OrangeFlusse gelegenen und 20 geographische Meilen landeinwärts sich erstreckenden Gebiete, um den Schutz des Reichs für sein Unternehmen bittet. Beweisstücke für die Rechte des p. Lüderitz und gegen die Ansprüche der Engländer Die vorgelegten Original-Urkunden beweisen, daß dem Engländer S p e n c e 321 im Jahre 1863 von dem damaligen Vormund des jetzigen Häuptlings von Bethanien nur das Recht zum Betriebe von Minen, aber kein Grundeigenthum zugestanden („vergund“; eine „vergunning“ hat die Bedeutung eines „grant, revocable at any time“) worden war, daß dagegen der im Jahre 1881 zur Herrschaft gelangte Häuptling Joseph Frederiks von Bethanien das fragliche Gebiet, welches etwa den fünften Theil seiner Herrschaft ausmacht, im Sommer 1883 Herrn L ü d e r i t z mit allen Rechten v e r k a u f t hat. ___________ 319

Text in: Angra Pequena S. 172. BA Berlin-Lichterfelde, R 1001/1995, f. 98–106. 321 John Spence (1826–1910), englischer Kapitän und Kaufmann. – Über ihn vgl. Phillips, Deutsch-englische Komödie S. 25–26, 58–69. 320

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Das Gebiet, für welches Spence jenes Nutzungs-Recht erworben, erstreckt sich nicht auf die Bai von Angra Pequeña, und ist dieses Recht selbst zufolge einer vorliegenden Erklärung des Häuptlings und seines Rathes durch den Verkauf an Lüderitz erloschen. Lüderitz ist nur verpflichtet, Spence den Durchgang durch sein Gebiet und die Benutzung des Hafens von Angra Pequeña für die Verschiffung der in einer, außerhalb der Lüderitz’schen Besitzung im Innern gelegenen Mine zu gestatten, deren Exploitirung in dem Kontrakt vom Jahre 1864 für eine Zeit von vierzig Jahren (bis 1. Januar 1904) dem p. Spence zugestanden ist. Herr Lüderitz nimmt, so lange ihm die rechtmäßige Erwerbung der an der Küste seines Gebietes innerhalb der drei Seemeilen-Zone gelegenen I n s e l n durch die Engländer nicht nachgewiesen wird, auch für diese Inseln das avolle Eigenthums-Rechta in Anspruch. Das Kap-Gouvernement hat 11 solcher Inseln, von denen 2 in der Angra Pequena-Bucht liegen, vor Jahren der Firma Spence v e r p a c h t e t . Das Recht zur Verpachtung hat der Kolonial-Sekretär in Kapstadt Herrn Lüderitz gegenüber auf eine Besitzergreifungsakte des Commandanten eines Britischen Kriegsschiffes vom Jahre 1866 gestützt. Derselbe versuchte aus der bezüglichen Proklamation das Recht Englands auch auf den Hafen von Angra Pequeña herzuleiten, obwohl, wie der Kaiserliche Konsul in Capstadt unter dem 22. Januar d.Js. berichtete322, die Inbesitznahme dieses Hafens schon damals ausdrücklich als Kompetenz-Ueberschreitung des hierzu nicht angewiesenen Kommandanten annullirt wurde, und die Einverleibungsakte der Kapkolonie vom Jahre 1873 sich auf keinen Punkt an der Küste, sondern nur auf jene 11 Inseln erstreckte. Auf die Frage des Herrn Lüderitz, ob England oder die Kapkolonie die Inseln gekauft habe, antwortete der Kolonial-Sekretär, dies sei nicht nöthig gewesen, denn die Hottentotten seien „Savages“, bderen Land von irgend einer civilisirten Macht annektirt werden könne.b Diesen neuesten Behauptungen der Kolonial-Behörden gegenüber, welche wegen ihres postumen Karakters mindestens auffällig sind, können wir uns auf die, in unserer noch unbeantworteten Note schon benutzte Erklärung der Großbritannischen Regierung vom 30. Dezember 1880323 beziehen, welche eine Ausdehnung der Britischen Jurisdiktion jenseits des Orangeflusses nur für die Walfisch-Bai zuläßt. ___________ a–a b–b

Dazu Randvermerk Bismarcks: Landeshoheit? Dazu Randvermerk Bismarcks: als auch von uns

___________ 322

Text in: Angra Pequena S. 171. Die englischen Quellen zum folgenden in: Correspondence respecting the Settlement at Angra Pequena S. 9–39. 323 Text (Auszug) in: Angra Pequena S. 165.

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Während Herr Lüderitz sonach auf Grund seines Kaufvertrages zugleich mit dem Gebiete auf dem Festlande auch die fraglichen Inseln mit allen Privat- und Hoheitsrechten für sich reklamirt, erklärt er sich bereit, Herrn Spence, da dieser s.Z. bona fide Pächter der Inseln geworden zu sein scheine, die aus dem angeblichen Pachtvertrage (ein solcher ist Englischer Seits bisher nicht produzirt worden) fließenden Rechte bis zum Ablaufe der Pachtzeit nicht streitig zu machen, falls von Seiten der Engländer im Uebrigen seine Rechte respektirt werden. Antrag des p. Lüderitz auf den Schutz des Reiches Was nun den erbetenen Schutz des Reichs anbelangt, so hat Herr Lüderitz vor Allem daran erinnert, daß er seiner Zeit ausdrücklich erklärt habe, es komme ihm darauf an, außerhalb der Machtsphäre einer dritten Nation sein Unternehmen zu begründen. Er glaubt den Beweis geliefert zu haben, daß das von ihm erworbene Gebiet dieser Voraussetzung vollkommen entspreche. Eines schriftlichen Antrages über die F o r m des zu gewährenden Schutzes hat er sich enthalten zu sollen geglaubt, weil er nach den ihm gemachten Andeutungen besorgt, daß sein Wunsch wegen Inbesitznahme seines Gebietes oder Uebernahme eines Protektorats über dasselbe durch das Reich sich nicht erfüllen werde. Er hofft aber, daß die Kaiserl[iche] Regierung irgend eine Form finden werde, cum die Annexion des fraglichen Gebietes durch eine andere Macht zu verhüten.c Vorschläge für die fernere Behandlung der Sache 1. Diplomatische Seite Der Großbritannischen Regierung gegenüber können wir, außer auf das in Angelegenheiten der Karolinen- und Palew-Inseln von England gemeinsam mit uns vertretene und in der unbeantwortet gebliebenen Note in Erinnerung gebrachte Prinzip, daß nur die effektive Okkupation und faktisch ausgeübte Souveränität Anspruch auf Anerkennung begründe, uns auch auf den jüngsten Schriftwechsel zwischen den Kabineten von London und Lissabon über die Kongo-Frage berufen: In dem Englischen Blaubuch Afrika No. 2. 1884324 findet sich Seite 34 unter No. 21 eine Depesche Lord ___________ c–c

Dazu Randvermerk Bismarcks: dazu müßten wir entweder Besitz ergreifen, oder Lüderitz als Souverän anerkennen.

___________ 324

Correspondence relating to Negotiations between the Government of Great Britain and Portugal for Conclusion of the Congo Treaty.

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Granville’s vom 7. Januar d.J., worin die Englische Regierung die Anerkennung der Souveränität Portugals über die Kongo-Mündung u.A. an die Begrenzung der Souveränität Portugals über den oberen Schire-Fluß (Nebenfluß des Zambesi) knüpft. Diese Forderung wird einfach durch den Hinweis begründet, daß sich an den Seen Nyassa und Schirwa325, wo Portugal bisher keine Hoheitsrechte ausgeübt habe, seit einiger Zeit Englische Handels- und Missionsniederlassungen befänden, mit deren Interessen die Portugiesische Herrschaft nicht verträglich sein würde. In Gross-Namaqua und Damara (Herero) giebt es aber so gut wie keine Englischen Interessen, dagegen befinden sich daselbst seit mehr als 40 Jahren viele deutsche Handels- und Missions-Niederlassungen, für welche wir vor einigen Jahren vergeblich den Schutz der Englischen Regierung in Anspruch nahmen, weil wir damals noch glaubten, daß England ein Protektorat über diese Gebiete prätendire und faktisch ausübe. Besäße England in diesen Gebieten Interessen von gleicher Ausdehnung, so würde deren Annexion sich ganz von selbst verstehen. Will nun das Reich weder Besitz ergreifen, noch ein Protektorat übernehmen, so berechtigt doch die in der Südsee (Tonga und Samoa) gemachte Erfahrung zu der Hoffnung, daß eine klare Betonung des Werthes, den wir auf die Unabhängigkeit dieses Gebietes von einer dritten Macht legen, genügen werde, um eine uns so befreundete und vielfach verpflichtete Regierung wie die Großbritannische zu verhindern, dieses unser Interesse zu ignoriren. 2. Staatsrechtliche Seite Bei Bestimmung der Form für den Schutz, welchen wir der deutschen Unternehmung von Angra Pequeña selbst gewähren wollen, könnte in Betracht kommen, Herrn Lüderitz nach Analogie der von der Englischen Regierung in Fällen, wo die staatliche Besitzergreifung eines staatlich nicht organisirten Gebietes nicht beliebt wird, an Privatpersonen oder Gesellschaften, wie z.B. noch im Jahre 1881 an die „North Borneo Company“ für die Exploitirung der mit allen Hoheitsrechten von den Sultanen von Sulu und Bruni käuflich erworbenen Gebiete verliehenen „Royal Charter“ – so Herrn Lüderitz eine seinen Anspruch auf den Schutz des Reichs unter gewissen Voraussetzungen bestätigende und seine Rechte bestimmende Urkunde zu gewähren und hiervon den Mächten Kenntniß zu geben. ___________ 325

Ein See an der Grenze von Britisch-Zentralafrika und Portugiesisch-Afrika, von Livingstone 1859 entdeckt, 1903 durch Austrocknung verschwunden.

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Die der „North Borneo Company“ verliehene Royal Charter326 giebt derselben das Recht zur Führung einer besonderen Flagge, welche ihren Britischen Karakter anzeigt; und dieser ist durch die Bestimmung gewahrt, daß die Leitung der Gesellschaft in Händen geborener Engländer liegen muß. Die Charter berechtigt die Gesellschaft zur freien Verfügung über das von ihr erworbene Grundeigentum und zur Ausübung aller staatlichen Funktionen, mit nur solchen Einschränkungen, welche das Interesse der Eingeborenen und die Beziehungen zum Auslande bedingen. In letzterer Hinsicht behält die Charter die Entscheidung bezw. Zustimmung eines der Großbritannischen Staatssekretäre vor. Für die Jurisdiktion über die Britischen Unterthanen und in gemischten Fällen sind die Englischen Gesetze und Regulative maßgebend. Von besonderer Bedeutung ist die Bestimmung unter No 17 der Charter, welche zwar den Handel mit den Territorien der Company für frei erklärt, dieser aber das R e c h t z u r E r h e b u n g von Z ö l l e n verleiht. Da in letzter Zeit ausser Herrn Lüderitz noch andere Deutsche an der Westküste von Afrika (die Häuser Woermann und Jantzen & Thormälen327 in Hamburg an der Cameroons-Küste, gegenüber von Fernando-Po und am Benita-Fluß, und ferner ein Konsortium Frankfurter und Stuttgarter Financiers auf und gegenüber den Los-Inseln) (9o 25 nördlicher Breite) größere Privat-Erwerbungen in unabhängigen Gebieten theils gemacht haben, theils beabsichtigen, dem Vernehmen nach auch in der Südsee vertagte Projekte dieser Art bald in Angriff genommen werden sollen, so dürfte es ohnehin angezeigt sein, die Form des Schutzes zu bestimmen, den wir in unabhängigen, aber staatlich nicht organisirten Gebieten, deren Absorbirung durch dritte Mächte gegen unser Interesse wäre, den deutschen Unternehmungen von Reichs wegen gewähren wollen. Die Verleihung einer der Englischen Royal Charter entsprechenden Berechtigung würde für das Reich keine größeren Pflichten und Kosten involviren, als dasselbe durch dauernde Stationirung von Kriegsschiffen und Einrichtung von Berufskonsulaten bisher in der Südsee auf sich genommen hat und nunmehr auch in Afrika übernehmen will. Die von deutschen Missionaren seit lange zum Christentum bekehrte Bevölkerung von Namaqua ist zudem den Deutschen freundlich gesinnt, so daß Gewaltthätigkeiten der Eingeborenen gegen dieselbe kaum zu besorgen sind. Z u g l e i c h mit Verleihung einer solchen Konzession an Herrn Lüderitz sowie auch in dem Falle, daß hiervon abgesehen werden sollte, würde durch den Abschluß eines Vertrages zwischen dem Reich und dem Häupt___________ 326 Text bequem zugänglich über www.google.de unter „Sabah Laws“ North Borneo Company 1881. 327 Hamburger Handelshaus und Überseefirma.

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ling von Bethanien, womit wohl Generalkonsul Dr. Nachtigal betraut werden könnte, sowohl den Eingeborenen wie dritten Nationen gegenüber zu bekunden sein, ddaß wir jenes Gebiet als ein unabhängiges ansehen.d Ein solcher Vertrag würde in erster Linie die Uebertragung des fraglichen Gebietes auf Herrn Lüderitz sanktioniren. Außerdem aber würde derselbe die Rechte der Deutschen auch in dem unter der Herrschaft des Häuptlings von Bethanien verbliebenen, 3.000 bis 4.000 □Meilen umfassenden, Gebieten zu regeln haben, da die Zukunft der deutschen Unternehmung auf einem geregelten Handelsverkehr mit dem Innern des Landes beruht. Es handelt sich hier um eine gesicherte Straße nach dem oberen Kongo und Zambesi. Bis etwa ein besonderes Berufskonsulat für dieses und die sonst von uns als unabhängig angesehenen Gebiete in Südwestafrika eingerichtet wäre, könnte vielleicht der Vertreter des Herrn Lüderitz, Herr Vogelsang328, durch Dr. Nachtigal mit konsularischen Funktionen für jene Gebiete betraut werden. Herrn Lüderitz kommt es vom nationalen Standpunkt auf die U n a b h ä n g i g k e i t seines Gebietes von dritten Mächten eund vom kommerziellen wesentlich darauf an, daß die Zollhoheit in demselbene auf eine auch von Angehörigen dritter Mächte anzuerkennende Weise ausgeübt werde. Andernfalls würde er die Kosten der Unternehmung und der Hafenanlagen u.s.w. tragen, während ihm die benachbarten Engländer mit Hülfe ihrer zollfreien Niederlagen in Capstadt mit den ohnehin billigeren, wenn auch schlechteren Waaren (es giebt einstweilen keine deutschen Fabriken, welche mit den Engländern in der Herstellung der für die Eingeborenen benöthigten Stoffe konkurriren könnten) eine erdrückende Konkurrenz machen würden. Sein Versuch, nach dem Maßstab der in Capstadt von deutschen Waaren erhobenen Zölle, seinerseits in Angra Pequeña Werthzöllle von den Englischen Importeuren zu erheben, ist mißglückt. Der Kommandant des Englischen Kriegsschiffes „Boadicea“329 hat ihm bedeutet, er sei kein deutsches Zollhaus und sei zur Ausübung von Souveränitätsrechten, so lange die Kaiserliche Regierung ihm dieses Recht nicht ausdrücklich verleihe, nicht befugt. Auf die Bemerkung, daß man ihm in Capstadt für eine nach Angra Pequeña bestimmte Flinte und einen Revolver nicht weniger als £ 2. 18sh. als Zoll abgenommen habe, hätte der Englische Kommandant nur die Antwort gegeben: „that is a quite different thing“. ___________ d–d e–e

Dazu Randvermerk Bismarcks: als deutsches Schutzland? Dazu Randvermerk Bismarcks: nomine Lüderitz? – Häuptling? – Deutschland?

___________ 328

Heinrich Vogelsang (1862–1914), Sohn eines Bremer Tabakhändlers; Bevollmächtigter Lüderitz’ in Südwestafrika. 329 Über diese Vorgänge vgl. die englischen Quellen in: Correspondence respecting the Settlement at Angra Pequena S. 15–23.

106. Promemoria Kusserows Nr. 106.Nr. Promemoria Kusserows, 8. April 1884

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Falls nicht beliebt werden sollte, Herrn Lüderitz bzw. einer Handelsgesellschaft, welche er im Falle der Gewährung des Reichsschutzes zur Exploitiring seines Gebiets bilden werde, ein nach dem Muster der erwähnten „Royal Charter“ zur Erhebung von Zöllen ein Privilegium zu verleihen, so würde das vorliegende deutsche Interesse nur im Wege des abzuschließenden Vertrages mit dem Häuptlinge von Bethanien gewahrt werden können. Der Vertrag müßte aussprechen, daß auch für das an Lüderitz verkaufte Gebiet die Landeshoheit fbei dem Häuptling von Bethanien verbleibt,f und dieser müßte die Ausübung der Zollhoheit dort selbst übernehmen, oder Herrn Lüderitz hierzu ermächtigen; das Nähere würde gleichfalls im Vertrage festzusetzen sein. Herr Lüderitz fühlt sich in dem Genuß seines Eigenthums, auf dessen Erwerbung und für dessen erste Benutzung er bisher schon über ½ Million Mark aufgewandt hat, so lange nicht frei und sicher, als er Beeinträchtigungen von Seiten der Engländer in Capstadt besorgen muß. Schlußanträge 1. Es dürfte hiernach vor Allem darauf ankommen, der Großbritannischen Regierung, welche uns jede Antwort auf die Frage nach der Berechtigung ihrer Ansprüche schuldig geblieben ist, unter Mittheilung beglaubigter Abschriften von den die Rechte des Herrn Lüderitz nachweisenden Urkunden, durch den Kaiserlichen Botschafter davon in Kenntniß zu setzen, daß wir die Voraussetzungen, unter welchen s.Z. Herrn Lüderitz der Schutz des Reichs für eine außerhalb der Jurisdiktion irgend einer anderen Macht zu begründendes Unternehmen zugesagt wurde, als erfüllt zu erachten. Graf Münster könnte vielleicht hinzusetzen, daß wir eine weitere Mittheilung über die Form des zu gewährenden Schutzes uns noch vorbehielten; einstweilen werde der als kommissarischer Vertreter nach der Westküste von Afrika abgehende General-Konsul Dr. Nachtigal beauftragt werden, auch Angra Pequeña zu besuchen. Darf Graf Münster in diesem Sinne instruirt, gund soll ihm ein Noten-Entwurf übersandt werden?g 2. Sollten Ew. Durchlaucht geneigt sein, dem Gedanken wegen Verleihung einer der Form der Englischen „Royal Charter“ nachzubildenden Konzession näher zu treten, so könnte hierüber vielleicht zunächst vertraulich hmit dem Reichs-Justiz-Amt konferirt werden?h ___________ f–f

Dazu Randvermerk Bismarcks: unter deutschen Schutz? Dazu Randvermerk Bismarcks: nein h–h Dazu Randvermerk Bismarcks: ja g–g

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107. Podewils an Crailsheim Nr. 107.Nr. Podewils an Crailsheim, 9. April 1884

3. Um bei der ersten sich bietenden Gelegenheiti unser Interesse für das Gedeihen dieser deutschen Unternehmung an Ort und Stelle erneut zu bekunden, könnte die Korvette „Leipzig“, welche demnächst auf der Heimreise von Ostasien in Capstadt anlegt, beauftragt werden, in Angra Pequeña zu kurzem Besuch vorzulaufen. Darf die Kaiserliche Admiralität ersucht werden jdies zu veranlassen?j

107. Podewils330 an Crailsheim331 Bericht. Abschrift. HStA München, Gesandtschaft Berlin, Nr. 1054.

Das Motiv für Bismarcks Plan, den Staatsrat zu reaktivieren, ist folgendes: Der Fürst will nämlich in dem neuen Staatsrath ein specifisch conservatives Element schaffen, dessen ureigentlicher Beruf es wäre, einem eventuell freisinnigen Ministerium als Gegengewicht zu dienen. Aus Äußerungen Bismarcks geht hervor, daß er auch unitarischen Tendenzen vorbeugen will. Nr 180.

Berlin, 9. April 1884.

Der Preußische Ministerrath hat sich in seiner Sitzung vom vergangenen Sonntag332, u. zwar nicht zum erstenmale in neuerer Zeit, mit der Frage der Wiederbelebung des Staatsrathes beschäftigt. Darüber, unter welchen Modalitäten u. zu welchen speciellen Zwecken diese Neuorganisation erfolgen soll, habe ich nähere Andeutungen nicht in Erfahrung bringen können; dagegen ist mir über das Motiv, welches den hieher bezüglichen Anregungen des Reichskanzlers zu Grunde liegen soll, eine Version mitgetheilt worden, welche mir um so interessanter scheint, als sie sehr wohl in den Rahmen des Bildes paßt, welches ich auf Grund ___________ i

Folgt, von Bismarck gestrichen: zur Bekundung an Ort und Stelle. Dieser Passus am Rand von Bismarck ersetzt durch: bezw. vielleicht nach Vertrag mit dem Häuptling j–j Dazu Randvermerk Bismarcks: ja

___________ 330 Clemens Freiherr (1911 Graf) von Podewils-Dürniz (1850–1922), bayerischer Legationssekretär in Berlin 1881–1887 (1887 Legationsrat). 331 Christoph Freiherr (1901 Graf) von Crailsheim (1841–1926), Minister des königlichen Hauses und des Äußern 1880–1890. 332 Am 6. April. Vgl. Protokolle des Preußischen Staatsministeriums VII S. 150 (Nr. 187); Schneider, Staatsrat S. 264–266; Lucius von Ballhausen, BismarckErinnerungen S. 291.

108. Wilhelm I. an Wilmowski Nr. 108.Nr. Wilhelm I. an Wilmowski, 11. April 1884

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zuverläßiger Informationen hin E.E. in den Berichten der letzten Zeit von den politischen Bestrebungen g.geh. zu entwerfen hatte, an deren Bethätigung Fürst Bismarck seit geraumer Zeit zu arbeiten scheint. Der Fürst will nämlich in dem neuen Staatsrath ein specifisch conservatives Element schaffen, dessen ureigentlicher Beruf es wäre, einem eventuell freisinnigen Ministerium als Gegengewicht zu dienen. Für welche temporäre Eventualitäten aber die hier besprochene, sowie jene andere Cautelmaßnahmen berechnet sind, als welche die dermaligen Aktionen des Kanzlers sich characterisiren, dürfte ebenso klar sein, als meinem unmaßgeblichen Dafürhalten nach kaum zweifelhaft sein kann, daß Fürst Bismarck begründeten Anlaß haben muß, in jener Richtung vorzugehen resp. vorzubauen. E.E. habe ich mir bereits gestattet, auf einen Artikel der Frankfurter Zeitung ehrerbietigst aufmerksam zu machen333; Hochdenselben darf ich vielleicht auch einen Bericht g.geh. in Erinnerung bringen, welchen Graf Lerchenfeld unterm 12. Dezember v.Jrs. No 554 erstattet hat334. Es ist dort schon, in Verbindung mit einer gewissen Eventualität von einer allzumächtigen Entwicklung der Fortschrittspartei in Deutschland sowie von einem Ueberwuchern des parlamentarischen Einflusses die Rede, wogegen nach Ansicht des Kanzlers schon jetzt angekämpft werden müsse. Daß neben diesen Gefolgschaften eines zukünftigen Regimes, welche der Fürst, weil er ihnen vorbeugen will, auch der Unitarismus sich befindet, das beweisen andere Aeußerungen desselben, ueber welche E.E. ich bereits g.geh. berichtet habe, sowie vor Allem die jüngste Erklärung Preußens im Bundesrathe335.

108. Wilhelm I. an Wilmowski Reskript. Eigenhändige Ausfertigung. GStAPK Berlin, I. HA, Rep. 89, Nr. 3769, f. 93–94.

Es ist kaum möglich, den Staatsrat als weitere gutachterliche Zwischeninstanz neben den bestehenden Organen wiederzubeleben. Bismarck lehnt ___________ 333 „Frankfurter Zeitung“, 1856 gegründete liberale Tageszeitung; heute „Frankfurter Allgemeine Zeitung“. – Gemeint ist hier der Leitartikel der „Frankfurter Zeitung“ vom 7. April 1884. 334 Der Bericht ist weder in HStA München, Gesandtschaft Berlin Nr. 1053, noch in der Gegenüberlieferung ebenda Ministerium des Äußeren, Abt. II, MA Nr. 2661, zu finden. 335 Oben Nr. 102 und 103.

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109. Tagebucheintragung Friedrich Nr.Nr. 109. Tagebuch Friedrich Wilhelms, 12.Wilhelms April 1884

Puttkamer als dessen Präsident ab. Puttkamer seinerseits lehnt Bismarcks Ausscheiden aus den preußischen Instanzen ab. Berlin, 11. April 1884. Anliegend sende ich Ihnen zu Ihrer vorläufigen Information u Besprechung mit mir, das Project der Wiederbelebung des Staatsrathes336. Mein Bedenken gegen das ganze Projekt besteht in der fast Unmöglichkeit, neben dem Preuß. Parlament nur noch wieder eine Zwischen Instanz der Begutachtung einzuschieben, u die nöthige Zeit für die Minister u Vorarbeiter zur Staatsraths Beratung zu finden. Denn jetzt schon klagen Minister u Beamte über Zeit Mangel, was ich durchaus richtig finde. Ich fragte den Fst Bismarck, wer denn der President sein könnte, gewiß Puttkamer. Er erwiederte, wenn der es würde, gehen alle andern Minister ab. Ich erwiederte nur: Oh >hoh