Beweiserhebungskontrollen des Tatgerichts und Autonomie der Verteidigung durch Präsentation von Entlastungsbeweisen in der Hauptverhandlung des Strafprozesses [1 ed.] 9783428494996, 9783428094998

Der Autor thematisiert über das spezielle Recht der Beweismittelpräsentation hinaus den Begründungszusammenhang tragende

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Beweiserhebungskontrollen des Tatgerichts und Autonomie der Verteidigung durch Präsentation von Entlastungsbeweisen in der Hauptverhandlung des Strafprozesses [1 ed.]
 9783428494996, 9783428094998

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RALF PETER ANDERS

Beweiserhebungskontrollen des Tatgerichts und Autonomie der Verteidigung durch Präsentation von Entlastungsbeweisen in der Hauptverhandlung des Strafprozesses

Strafrechtliche Abhandlungen . Neue Folge Herausgegeben von Dr. Eberhard Schmidhäuser em. ord. Professor der Rechte an der Universität Hamburg

und Dr. Friedrich-Christian Schroeder

ord. Professor der Rechte an der Universität Regensburg

in Zusammenarbeit mit den Strafrechtslehrern der deutschen Universitäten

Band 111

Beweiserhebungskontrollen des Tatgerichts und Autonomie der Verteidigung durch Präsentation von Entlastungsbeweisen in der Hauptverhandlung des Strafprozesses

Von

Ralf Peter Anders

Duncker & Humblot . Berlin

Zur Aufnahme in die Reihe empfohlen von Professor Dr. Michael Köhler, Hamburg

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Anders, Ralf Peter: Beweiserhebungskontrollen des Tatgerichts und Autonomie der Verteidigung durch Präsentation von Entlastungsbeweisen in der Hauptverhandlung des Strafprozesses / von Ralf Peter Anders. Berlin : Duncker und Humblot, 1998 (Strafrechtliche Abhandlungen; N.F., Bd. 111) Zug1.: Hamburg, Univ., Diss., 1997 ISBN 3-428-09499-9

Alle Rechte vorbehalten

© 1998 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7271 ISBN 3-428-09499-9 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 97069

Meinen Eltern

Vorwort Die Arbeit hat im Wintersemester 1996/97 dem Fachbereich fiir Rechtswissenschaft I der Universität Hamburg als Dissertation vorgelegen. Literatur und Rechtsprechung sind noch bis Mitte 1997 berücksichtigt worden. Mein besonderer Dank gilt meinem Doktorvater und Lehrer, Herrn Prof. Dr. Michael Köhler, der das Thema der Arbeit angeregt und ihre Entstehung stetig gefordert hat. Ohne die Unterstützung durch meine Familie, insbesondere durch meinen Bruder Frank Anders, wäre diese Arbeit nicht möglich gewesen. Danken möchte ich auch Herrn Prof. Dr. Walter Perron, der mir früh Einblick in seine Habilitationsschrift gewährte, sowie Herrn Prof. Dr. Gerhard Fezer rur die Erstellung des Zweitgutachtens über die Dissertation. Weiterhin danke ich Herrn Prof. Dr. Eberhard Schmidhäuser und Herrn Prof. Dr. FriedrichChristian Schroeder rur die Aufnahme der Arbeit in die vorliegende Schriftenreihe sowie der Universität Hamburg fiir die Gewährung einer Druckbeihilfe. Hamburg, im Januar 1998

RalfPeler Anders

Inhaltsverzeichnis Einleitung ....................................................................................................................... 19 Erster Teil

Darstellung der Rechtslage und ihrer tatsächlichen Bedeutung I. Kapitel

Inhaltsstruktur und rechtliche Wertungskategorien des Beweisantrags A. Inhaltsstruktur des vom Antrag erfaßten Beweises .................................................... 22 I. Beim unmittelbaren Beweis .............................................................................. 24

11. Beim Indizienbeweis ......................................................................................... 24 III. Erkenntnistheoretische Struktur der Würdigung des erhobenen Beweises ....... 25 B. Wertungskategorien und erkenntnistheoretische Struktur der Entscheidung über den Beweisantrag ....................................................................................................... 26 2. Kapitel

Beweiserhebungskontrollbefugnisse des Tatgerichts in der Hauptverhandlung 31 A. Die formalen Ausgrenzungsbefugnisse in der Zulässigkeitsprüfung ......................... 33 I. Bestimmtheit von Beweismittel und -tatsache .................................................. 35 I. Beweismittel ............................................................................................... 35 2. Beweistatsache ............................................................................................ 36 11. Fehlende Überzeugung des Antragstellers von der Richtigkeit der unter Beweis gestellten Tatsache ............................................................................... 40 I. Die "Vermutungsrechtsprechung" des Dritten Strafsenats ........................ .40 2. Die "Plausibilitätsrechtsprechung" des Fünften Strafsenats ............. ......... .42 3. Kritische Anmerkungen .............................................................................. 42 III. Anerkennung eines allgemeinen übergesetzlichen Mißbrauchsverbots ........... .45 I. Tendenzen in der Rechtsprechung ............................................................. .45 2. Kritische Anmerkungen .............................................................................. 46 IV. Praktische Bedeutung der Ausgrenzungsrechtsprechung und zusammenfassende Würdigung .............................................................................................. 52 B. Die materialen Ablehnungsgründe in der Begründetheitsprüfung ............................. 55 I. Unzulässigkeit der Beweiserhebung ...................................... , .......................... 55 11. Überflüssigkeit der Beweiserhebung wegen Offenkundigkeit der Tatsache bzw. des Erfahrungssatzes oder ihrer Gegenteile .............................................. 59 III. Bedeutungslosigkeit der Tatsache, die bewiesen werden soll ........................... 63 IV. Erwiesensein der Tatsache, die bewiesen werden sol1 ...................................... 65

10

Inhaltsverzeichnis

V. Völlige Ungeeignetheit des Beweismittels ........................................................ 66 VI. Unerreichbarkeit des Beweismittels .................................................................. 69 I. Der Umfang der tatgerichtlichen Bemühungen .......................................... 69 2. Insbesondere: Das Problem des Auslandszeugen ....................................... 72 VII. Antragstellung zum Zweck der Prozeßverschleppung ...................................... 75 I. Objektive Verfahrensverzögerung .............................................................. 75 2. Verschleppungsabsicht des Antragstellers .................................................. 77 3. Objektive Aussichtslosigkeit der Beweiserhebung ..................................... 80 4. Zusammenfassung ...................................................................................... 80 VIII. Wahrunterstellung der behaupteten Tatsache .................................................... 81 IX. Zusätzliche Gründe flir die Antragsablehnung auf Sachverständigenbeweis .... 86 X. Fehlende Erforderlichkeit eines Augenscheins ................................................. 88 I. Anträge auf Einnahme eines Augenscheins ................................................ 88 2. Anträge auf Vornahme einer Tatrekonstruktion ......................................... 89 3. Praktische Bedeutung ................................................................................. 90 Xl. Ablehnungsgründe flir Beweisanträge auf Erhebung präsenter Beweismittel gemäß § 245 Abs. 2 StPO ....................................................................... 90 I. Erfordernis der Präsenz des Beweismittels ................................................. 92 2. Die speziellen materialen Ablehnungsgründe ............................................. 94 a) Fehlender Zusammenhang zwischen der Tatsache, die bewiesen werden soll, und dem Gegenstand der Urteilsfindung .......................... 94 b) Unzulässigkeit der Beweiserhebung ................................................... 100 c) Antragstellung zum Zwecke der Prozeßverschleppung ...................... 104 d) Völlige Ungeeignetheit des Beweismittels ......................................... 106 e) Ergebnis .............................................................................................. 107 3. Praktische Bedeutung des § 245 Abs. 2 StPO ........................................... I07 XII. Zusammenfassung .......................................................................................... 111 C. Auffangmöglichkeit durch die überschießende Amtsaufklärungspflicht gemäß § 244 Abs. 2 StPO? ................................................................................................. 114 D. Zwischenergebnis .................................................................................................... 114

Zweiter Teil Das Verhältnis von Amtsaufklärungspflicht zum Beweisantragsrecht 3. Kapitel

Die kategoriale Einheit von Amtsaufklärungspflicht und Beweisantragsrecht 116 A. Relationistische Bestimmungen von Amtsaufklärung und Beweisantragsrecht ...... 116 I. Die historische Entwicklung des strafprozessualen Beweisrechts .................. 116 I. Präsente Beweismittel und Aufklärungspflicht.. ....................................... 117 2. Das Beweisantragsrecht für das nicht präsente Beweismittel ................... 119 3. Entwicklungsgeschichtliche Argumentationen ......................................... 120 II. Das Verbot der Beweisantezipation ................................................................ 123 I. Diskussionsstand ...................................................................................... 123 2. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ........................................... 127 III. Resumee ......................................................................... .. ... ................... .. ....... 129

Inhaltsverzeichnis

11

B. Strukturelle und erkenntnistheoretische Betrachtung des Beweisantrags ................ 130 C. Ergebnis ................................................................................................................... 133

Dritter Teil

Kritik der Rechtslage . 4. Kapitel

Destruktive und abstrakte Kritik; Aufweis der Gefahren für die Verteidigung A. Einwände gegen die Beweiserhebungskontrollbefugnisse im einzelnen ................. 135 I. Einwände, die sich aus der Struktur des Strafverfahrens ergeben ................... 136 1. Vorprägung der Beweislage durch die Ausgestaltung des Ermittlungs-

verfahrens ................................................................................................. 136 2. Korrekturmöglichkeit in der Hauptverhandlung? ..................................... 143 11. Einwände, die sich aus der Struktur des Beweisens ergeben .......................... 146 1. Unsicherheit des Geeignetheitsurteils ....................................................... 147 a) Abstraktheit der präsumtiven Vorstellung von der Beweisbehauptung ..................................................................................................... 147 b) Insbesondere: Negative Präsumtion der Glaubhaftigkeit einer Zeugenaussage .......................................................................................... 150 2. Partikularität des generellen Erfahrungssatzes beim Indizienbeweis ........ 151 a) Keine Erhöhung der Gefahr des Beweisverlustes durch die Partikularität des tatsächlichen Erheblichkeitsurteils in der Zwischenbeweiswürdigung? .............................................................................. 154 b) Das Prinzip der Freiheit der Beweiswürdigung als Argument für die Freistellung vom Beweiszwang? .................................................. 158 aa) Strukturelle Verschiedenheit von Beweiserhebung und Beweiswürdigung ............................................................................ 159 bb) Geltung des Prinzips der Freiheit der Zwischenbeweiswürdigung des Antrags während der Beweisaufnahme?; Telos des § 261 StPO .................................................................................. 160 c) Ergebnis .............................................................................................. 164 3. Beweisverlust durch retrospektive Geeignetheitsverneinung in der laufenden Beweisaufnahme ........................................................................... 164 4. Abschirmung gegen das Erkennen von Erfahrungssätzen ........................ 164 B. Zusammenfassung ................................................................................................... 165 5. Kapitel

Konstruktive und konkrete Kritik; Definition und Grenze der Autonomie der Strafverteidigung im Beweisverfahren der Hauptverhandlung A. Ausgangsposition .................................................................................................... 168 I. Fehlende einheitliche Argumentationskraft .................................................... 169 11. Fehlender hinreichend vermittelter Begründungszusammenhang ................... 169 1. Die verfassungsrechtliche Argumentation (Perron) .................................. 170

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Inhaltsverzeichnis

2. Einzelfallrechtsfestsetzung im Spannungsfeld von Wahrheitssuche und Konzentration des Verfahrens (ter Veen) ................................................. 174 UI. Fehlende Einbeziehung des Prinzips der Prozeßverantwortung des Verfahrenssubjekts ..................................................................................................... 177 IV. Lösungsansatz ................................................................................................. 178 B. Beweisvorführungsautonomie als Selbstbestimmungsrecht der Verteidigung ........ 178 I. Autonomie der Verteidigung im strafprozessualen Schrifttum ....................... 178 H. Der Gedanke der Autonomie der Verteidigung in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ............................................................................. 180 III. Orientierung am ProzeßzieI ............................................................................ 181 I. Wahrheit als ZwischenzieI des Strafverfahrens ........................................ 182 2. Konkordanz von materiell-rechtlich begründetem ProzeßzieI und Be- . weisrecht.. ................................................................................................. 186 a) Versuch einer freiheitsgesetzlich begründeten Theorie der Strafe ...... 186 aa) Die sittliche Autonomie des Einzelnen ....................................... 186 (I) Das Prinzip guter Verhaltensgesetzlichkeit der praktischen Vernunft ................................................................................ 186 (a) Theoretische Vernunft als das Vermögen zur Erkenntnis der Wirklichkeit ....................................................... 187 (b) Praktische Vernunft als Bestimmungsgrund des Handelns des Einzelnen ........................................................ 189 (2) Das personalisierte gegenseitige Anerkennungsverhältnis .... 193 (3) Die Kategorialität (sitten-)normwidrigen Verhaltens ............ 195 bb) Rechtsstrafe als der auf Intersubjektivität angelegte Vernunftprozeß ......................................................................................... 197 (I) Äußerlichkeit und Formalität des Rechtsbereichs ................. 197 (2) Das Strafrecht als reflexiv konstituiertes öffentliches Basisvertrauen ............................................................................... 199 (3) Das dialogische Profil der Rechtsstrafe ................................. 200 (a) Zielsetzung der Rechtsstrafe: Freiheitsminderung und Hilfestellung .................................................................. 202 (b) Form des Strafens: Reflexive Revalidierungsleistung in bezug auf das verrechtlichte Anerkennungsverhältnis ............................................................................ 203 cc) Zusammenfassung ....................................................................... 204 b) Konsequenzen für die Beweisaufnahme ............................................. 205 aa) Vorüberlegungen ......................................................................... 205 bb) Notwendige Ausgestaltung der Beweisaufnahme ....................... 208 3. Verfahrensinterne Autonomieforderung ................................................... 211 a) Ausgangsposition ............................................................................... 211 b) Fehlende Kausalität autonomer Beweisvorführung für das tatsächlich richtige Urteil .............................................................................. 214 c) Das tatsächlich fehlerhafte Urteil ....................................................... 215 d) Zusammenfassung .............................................................................. 216 4. Grenzziehung aus der Autonomiebegründetheit des Beweispräsentationsrechts .............................................................................................. 217 5. Ergebnis .................................................................................................... 217

Inhaltsverzeichnis

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Vierter Teil

Reformüberlegungen 6. Kapitel

Reform der Beweisaufnahme der Hauptverhandlung A. Dilemma der gegenwärtigen Reformdiskussion ...................................................... 221 I. Reform des Rechts des präsenten Beweismittels ............................................ 223 11. Reform des Rechts des nicht präsenten Beweismittels ................................... 225 B. Autonomie der Verteidigung als integrierendes Modell .......................................... 231 I. Reformvorschlag: Rückkehr zum Recht der autonomen Beweispräsentation.232 1. Ausgestaltung des Rechts ......................................................................... 232 2. Grenzen des Rechts ................................................................................... 233 a) Verschleppungsabsicht als Kehrseite des autonomen Beweiswillens der Verteidigung ................................................................................. 233 b) Kumulative Beweiserhebung ........................................... .......... .. ....... 238 c) Unzulässigkeit der Beweiserhebung ................................................... 238 3. Ergebnis .................................................................................................... 239 11. Notwendige Ausgestaltung des Ermittlungsverfahrens ................................... 241 III. Das Beweisantragsrecht für das nicht präsente Beweismittel als Element prozessualer Fürsorge ..................................................................................... 246 IV. Einwendungen ................................................................................................ 249 C. Schlußbetrachtung ................................................................................................... 252 Literaturverzeichnis ...... ............. ................... ................................................................ 253 Anhang ......................................................................................................................... 266 Sachregister ................................................................................................................... 270

Abkürzungsverzeichnis a.A. ab\. Abs. AE a.E. a.F. allg. AK Anm. AnwBl Aufl. BayObLG bearb. begr. BGB\. BGH BGHR BGHSt BMJ BR BR-Entwurf BRAGO BRAK BRAO BReg BReg-Entwurf BT BT-Drucksache BVerfGE bzw. DAR DAV dens. ders. d.h. dies.

andere Ansicht ablehnende er) Absatz Alternativentwurf am Ende alte Fassung allgemeine Arbeitskreis Anmerkung Anwaltsblatt (zitiert nach Jahr und Seite) Auflage Bayerisches Oberstes Landesgericht bearbeitet begründet Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof BGH-Rechtsprechung, Strafsachen (zitiert nach Paragraph, Schlagwort und Nummer) Bundesgerichtshof in Strafsachen oder Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen (zitiert nach Band und Seite) Bundesministerium der Justiz Bundesrat (Gesetzes-)Entwurf des Bundesrats Bundesgebührenordnung fiir Rechtsanwälte Bundesrechtsanwaltskammer Bundesrechtsanwaltsordnung Bundesregierung (Gesetzes-)Entwurf der Bundesregierung Bundestag Drucksache des Deutschen Bundestages Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (zitiert nach Band und Seite) beziehungsweise Deutsches Autorecht (zitiert nach Jahr und Seite) Deutscher Anwaltverein denselben derselbe(n) das heißt dieselbe

Abkürzungsverzeichnis Diss. DRiZ d.V. E ebd. Ein!. EMRK Er!. f. FAZ ff. FGO Fn. fortgef. F.R.E. FS GA gern. GG ggf. GMS GS GVG Hans h.M. Hrsg. i.S.d. i.S.v.

JR

JurBüro JuS JW JZ Kap. KdU KG KK KllMG KMR KpV KrV lit. LM LR

15

Dissertation Deutsche Richterzeitung (zitiert nach Jahr und Seite) der Verfasser Entwurf oder Entscheidung ebenda Einleitung Europäische Menschenrechtskonvention Erläuterung( en) folgend Frankfurter Allgemeine Zeitung (zitiert nach Ausgabe und Seite) folgende Finanzgerichtsordnung Fußnote(n) fortgeführt Federal Rules of Evidence for United States Courts and Magistrates Festschrift Goltdammer's Archiv für Strafrecht (zitiert nach Jahr und Seite) gemäß Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland gegebenenfalls Grundlegung zur Metaphysik der Sitten Gedächtnisschrift Gerichtsverfassungsgesetz Hanseatisches herrschende Meinung Herausgeber im Sinne der/des im Sinne von Juristische Rundschau (zitiert nach Jahr und Seite) Juristisches Büro (zitiert nach Jahr und Spalte) Juristische Schulung (zitiert nach Jahr und Seite) Juristische Wochenschrift (zitiert nach Jahr und Seite) Juristenzeitung (zitiert nach Jahr und Seite) Kapitel Kritik der Urteilskraft Kammergericht Karlsruher Kommentar zur Strafprozeßordnung KleinknechtlMeyer-Goßner, Kommentar zur Strafprozeßordnung KMR, Kommentar zur Strafprozeßordnung Kritik der praktischen Vernunft Kritik der reinen Vernunft littera; Buchstabe Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs von LindenmaierlMöhring (zitiert nach Paragraph und Nummer) LöwelRosenberg, Kommentar zur Strafprozeßordnung

16 m.

M/D

MDR

MdS m.w.N. Nr. NStZ NStZ-RR OLG(e) OLGSt OrgKG o.V. P/F Rdnr. RGBI. RG RSpr RGSt RiStBV RpflEntlG RSpr. RStPO S. SchlHA sie. SK st. StGB StPO StV StVÄndG u.a. U.S.A. v. Var. VerbrechensbekämpfungsG vgl.

Abkürzungsverzeichnis mit Maunz-Dürig, Grundgesetz, Kommentar Monatsschrift für Deutsches Recht (zitiert nach Jahr und Seite) Metaphysik der Sitten mit weiteren Nachweisen Nummer Neue Zeitschrift für Strafrecht (zitiert nach Jahr und Seite) Neue Zeitschrift für Strafrecht-Rechtsprechungs-Report (zitiert nach Jahr und Seite) Oberlandesgericht( e) Entscheidungen der Oberlandesgerichte zum Straf- und Strafverfahrensrecht (zitiert nach Paragraph und Nummer) Gesetz zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Erscheinungsformen der organisierten Kriminalität ohne Vornamen Pfeiffer/Fischer, Kommentar zur Strafprozeßordnung Randnummer Reichsgesetzblatt Rechtsprechung des Reichsgerichts in Strafsachen (18791888) Reichsgericht in Strafsachen oder Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen (zitiert nach Band und Seite) Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren Gesetz zur Entlastung der Rechtsplege Rechtsprechung Reichsstrafprozeßordnung Seite(n) oder Satz Schleswig-Holsteinische Anzeigen (zitiert nach Jahr und Seite) so Systematischer Kommentar zur Strafprozeßordnung ständige Strafgesetzbuch Strafprozeßordnung Strafverteidiger (zitiert nach Jahr und Seite) Strafverfahrensänderungsgesetz unter anderem United States of America von Variante Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuchs, der Strafprozeßordnung und anderer Gesetze (Verbrechensbekämp· fungsgesetz) vergleiche

Abkürzungsverzeichnis VRS wistra z.B. ZfRV zit. ZPO ZRP ZStW

2 Anders

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Verkehrsrechts-Sammlung (zitiert nach Band und Seite) Zeitschrift für Wirtschaft, Steuer und Strafrecht (zitiert nach Jahr und Seite) zum Beispiel Zeitschrift für Rechtsvergleichung (zitiert nach Jahr und Seite) zitiert Zivilprozeßordnung Zeitschrift für Rechtspolitik (zitiert nach Jahr und Seite) Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft (zitiert nach Band und Seite)

Einleitung Mit dem Strafverfahrensänderungsgesetz vom 5. Oktober 1978 (StVÄndG 1979)' ist das Recht nach § 245 StPO, präsente Beweismittel in der Hauptverhandlung ohne vorherigen förmlichen Beweisantrag zu präsentieren, abgeschafft worden. Das Tatgericht konnte nunmehr Ablehnungsgründe aus einem erweiterten Katalog auch auf das präsente Beweismittel anwenden; die Rede war von einer "Integration"2 des § 245 StPO in das Beweisantragsrecht. Köhler prägte für die Regelung des § 245 StPO a.F. den Begriff der "autonomen Beweisvorfiihrung"3: Staatsanwaltschaft, Angeklagtem und Verteidigung war es nach eigener Vorbeurteilung des Beweiswerts möglich, Beweise vor dem Tatgericht zu präsentieren, ohne daß es diesem möglich gewesen wäre, seine Einschätzung an die Stelle derjenigen des Vorführenden zu setzen. Das Beweisantragsrecht, welches nunmehr sowohl für das präsente als auch das nicht präsente Beweismittel Anwendung fmdet, stellt das wohl wichtigste Stück des strafprozessualen Beweisrechts dar. Es wird von staatlicher Seite heftig kritisiert als Obstruktionsinstrument der Verteidigung", gilt andererseits auf Verteidigerseite schlechthin als Symbol rechts staatlichen V erfahrenss. Das Beweisantragsrecht, soweit es das nicht präsente Beweismittel betrifft, ist mittlerweile auch Gegenstand vereinzelter, stückwerkartiger legislativer Änderungen: Mit dem Gesetz zur Entlastung der Rechtspflege vom 11. Januar 1993 (RPflEntlG)6 ist der Ablehnungsgrund für Anträge auf Vernehmung eines Auslandszeugen erweitert worden, indem § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO nunmehr die Ablehnung dem pflichtgemäßen Ennessen des Gerichts unterstellt. Zudem ist in der Hauptverhandlung für das beschleunigte Verfahren nach § 420 Abs. 4 StPO sowie für das Strafbefehlsverfahren nach den §§ 411 Abs. 2 Satz 2, 420 Abs.4 StPO das Beweisantragsrecht gänzlich abgeschafft worden7 • Der BunBGB!. I, S. 1645. Vg!. Rieß NJW 1978, 2265 (2270). 3 Köhler, Inquisitionsprinzip und autonome Beweisvorführung (§ 245 StPO), 1979; ders. NJW 1979,348. 4 Vg!. Bräutigam FAZ vom 18.11.1993, S. 10. S Vg!. Herzog StV 1994, 166 (167). 6 BGB!. I, S. 50. 7 Durch das Verbrechensbekämpfungsgesetz vom 28.10.1994, BGB\. I, S. 3186. 1

2

2*

Einleitung

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desrat hat am 1. März 1996 den "Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Entlastung der Rechtspflege (strafrechtlicher Bereich)"8 beschlossen, welcher in Art. 2 Nr. 24 die Erleichterung der Ablehnung von Beweisanträgen wegen Prozeßverschleppungsabsicht vorsieht9 . Dabei steckt die Reform des Beweisantragsrechts in der Krise: Beide konträren Positonen scheinen sich unvermittelbar gegenüber zu stehen. Zudem erscheint äußerst fraglich, ob über die Restriktion des Beweisantragsrechts überhaupt die verlangte Straffung des Verfahrens erreicht werden kann lO• Von diesen Veränderungen ist in erster Linie die Verteidigung betroffen. Zwar kann auch die Staatsanwaltschaft von dem Beweisantragsrecht Gebrauch machen; in der Praxis kommt dem aber aufgrund des gerade in belastender Hinsicht zumeistens durchermittelten Sachverhalts kaum Bedeutung zu. Die vorliegende Arbeit konzentriert sich somit auf dieses Recht als ein klassisches Verteidigungsrecht. Die Analyse des Beweisantragsrechts der Verteidigung kann in Anbetracht der Breite und der emotionalen Belastung des Themas nur sinnvoll sein, wenn man sich auf wichtige Entwicklungslinien konzentriert. Vorliegend soll die autonome Beweispräsentation, wie sie in § 245 StPO a.F. verkörpert war, untersucht werden auf den in diesem Prinzip niedergelegten Begründungszusammenhang. Die Fragestellung lautet, welche Rolle der autonomen Beweisvorfiihrung in dem bestehenden Beweisrecht der Hauptverhandlung, welches der Verteidigung mit der Amtsaufklärungspflicht nach § 244 Abs. 2 StPO und dem nunmehr "bereinigten" Beweisantragsrecht nach den §§ 244 Abs. 3-5,.245 Abs. 2 StPO die wichtigsten Verteidigungsmittel bereit stellt, (wieder) zukommen kann, ob insbesondere ein Nebeneinander von Inquisitionsprinzip und autonomer Beweisführung als "fruchtbare" Spannung des Strafverfahrens ll begriffen werden kann. Dabei soll untersucht werden, ob das Prinzip der autonomen Beweispräsentation sich als Reforrnmittel zur Lösung der Krise des Beweisantragsrechts eignet. Angestrebt ist sowohl eine rechtsdogmatische Untersuchung als auch ein daraus resultierender Veränderungsvorschlag fiir die strafverfahrensrechtliche Praxis.

BT-Drucksache 13/4541. Vgl. dazu Frister StV 1997, 150 (152 f., 158). Siehe zum Vorentwurf des Strafrechtsausschusses der Justizministerkonferenz, der u.a. noch den vollständigen Ausschluß des Beweisantragsrechts in Verfahren vor dem Strafrichter vorsah, Herzog StV 1995,372 (375). 10 Vgl. beispielhaft die ehemalige Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger, auszugsweise abgedruckt in BRAK-Mitteilungen 1995, 155 (156), über den kaum meßbaren Entlastungserfolg nach der Einflihrung des § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO durch das RPflEntiG. 11 Köhler, Inquisitionsprinzip, S. 24. 8

9

Einleitung

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Zunächst sollen im Ersten Teil die Struktur der präsumtiven Würdigung eines Beweisantrags durch das Tatgericht (1. Kapitel) und nachfolgend eine dahingehende Systernatisierung der bestehenden Antragsablehnungsgriinde der §§ 244 Abs. 3-5, 245 Abs. 2 StPO dargestellt werden (2. Kapitel). Dabei werden insbesondere auch Antragsablehnungen wegen fehlender Zulässigkeit berücksichtigt. Von Interesse ist im Zweiten Teil die Klärung der Beziehung von Beweisantragsrecht zur Amtsaufklärungspflicht um herauszufmden, in welcher Hinsicht der Beweisantrag es der Verteidigung ermöglicht, Beweise aufgrund eigener Wertigkeitsbeurteilung auch gegen den Willen des Tatgerichts in die Hauptverhandlung einzubringen (3. Kapitel). Nach einer Analyse der Gefahren der Antragsablehnung für die Verteidigung (Dritter Teil, 4. Kapitel), soll im Kernteil der Arbeit eine vorpositive Begründung des autonomen Präsentationsrechts über die Erinnerung des prozessualen Erkenntnisziels geleistet werden (5. Kapitel). Als Ziel der Arbeit wird im Vierten Teil ein Reformvorschlag gemacht, der sowohl die Amtsaufklärungspflicht als auch das Beweisantragsrecht und das autonome Beweisvorführungsrecht in einen begriindeten Zusammenhang stellt unter Berücksichtigung nicht nur der Hauptverhandlung, sondern in Einbeziehung auch des Ermittlungsverfahrens (6. Kapitel). Der Reformvorschlag versteht sich als Versuch, einen begründeten Ausweg aus dem gegenwärtigen Dilemma der geplanten isolierten Veränderungen des Beweisantragsrechts aufzuweisen, indem er übergreifend an die Wiedergewinnung verfahrenszielbezogener Loyalität der Prozeßbeteiligten zueinander anknüpft.

Erster Teil

Darstellung der Rechtslage und ihrer tatsächlichen Bedeutung J. Kapitel

Inhaltsstruktur und rechtliche Wertungskategorien des Beweisantrags Zur Untersuchung der gerichtlichen Beweiskontrolle im Hauptverfahren ist es nicht nur sinnvoll, sondern in Anbetracht der Flut an Veröffentlichungen zum strafprozessualen Beweisverfahren mit zum Teil uneinheitlicher Bezeichnung der einzelnen Beweiselernentel auch unumgänglich, zunächst die in dieser Arbeit verwendete Terminologie zu erläutern. A. Inhaltsstruktur des vom Antrag erfaßten Beweises Hauptaufgabe des Tatrichters ist die Feststellung des der Vergangenheit angehörenden Tatgeschehens. Da die Nachbildung der exakten historischen Wirklichkeit in der Regel unmöglich ist, wird insoweit das Tatgericht zumindest die Aufgabe der möglichst wirklichkeitsgetreuen Rekonstruktion des Geschehens zu stellen sein. Es besteht - im eingeschränkten Sinne2 - eine Ähnlichkeit zur Tätigkeit des Historikers 3 ; das Beweisrecht dient dem Tatgericht dabei weitgehend als Rekonstruktions"werkzeug".

an

Diese Zentralaufgabe des Strafverfahrens ist für das Tatgericht zunächst über die Amtsaufklärungspflicht in § 244 Abs. 2 StPO normiert; die Vorschrift begründet für die Prozeßbeteiligten den unverzichtbaren Anspruch darauf, daß die Beweisaufnahme vom Gericht auf alle Tatsachen und alle tauglichen und nur die Termini bei Dedes, S. 71, und Geppert, S. 164. BGHSt 14,358 (365): "Es ist kein Grundsatz der StPO, daß die Wahrheit um jeden Preis erforscht werden müßte". Im Gegensatz zum Historiker hat das Tatgericht bei der Erforschung des vergangenen, wahren Sachverhalts Beweiserhebungs- und -verwertungsverbote zu beachten; insoweit ist die uneingeschränkt rückblickende Forschung des Historikers, dem alle zugänglichen Quellen zur Vefügung stehen, nicht vergleichbar, vgl. nur Eisenberg Rdnr. 329 ff.; Fezer, Grundfragen, S. 23. 3 Perron, Beweisantragsrecht, S. 41 m.w.N. 1 Vgl.

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I. Kapitel: Inhaltsstruktur des Beweisantrags

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erlaubten Beweismittel erstreckt wird, welche für die Entscheidung bedeutsam sind4 • Zusätzlich ermöglicht das in den §§ 244 Abs. 3-5,245 Abs. 2 StPO geregelte Beweisantragsrecht der Verteidigung, Entlastungsbeweise in der Hauptverhandlung erheben zu lassen. Dieses Recht stellt nicht die einzige Möglichkeit der Verteidigung dar, auf Gang und Ergebnis des Beweisverfahrens Einfluß zu nehmen: Möglich sind zudem die Verhinderung der Einführung von Beweisen durch die Geltendmachung von Beweisverboten und die zusätzliche Ausschöpfung bereits eingefiihrter Personalbeweismittel durch die Ausübung des Fragerechts nach § 240 Abs. 2 StPO. Das Beweisantragsrecht ist allerdings das effektivste und somit wichtigste Verteidigungsmittel, da es nicht reaktiv, sondern initiativ von der Verteidigung eingesetzt werden kann. Der Begriff des Beweisantrags setzt sich zusammen aus den Elementen des Beweises und des Antrags, und er bezeichnet das auf die Erhebung und nicht lediglich die Herbeischaffung eines Beweises im Verfahren gerichtete Begehrens. Der ,,Beweis" soll defmiert sein als der konkrete Akt der Erhebung eines Beweismittels im Verfahren6 • Der Begriff ,,Beweis" erfaßt demnach den Vorgang der BeweisfUhrung, die Beweisaufnahme im verfahrenstechnischen Sinn7 , begrifflich zunächst abgekoppelt von der Kognition des Urteilers, vor dem der Beweis erhoben wird, also der Beweiswürdigung. Diese - etwas gekünstelte - Abgrenzung ist sinnvoll, weil es hier zunächst um eine Darstellung der Struktur des mit dem Antrag verfolgten Beweises gehen soll, während die Problematik der Qualität der kognitiven Aufnahme bzw. Nichtaufnahme eines geführten Beweisinhalts die Qualität des Erkenntnisanspruchs 8 des Urteilers betrifft. Zwar liegt jedem ,,Beweis" als konkretem Erhebungsakt regelmäßig die Intention des Antragstellers zugrunde, das Tatgericht zu überzeugen, und erfährt daraus erst seinen Sinn; gleichwohl ist diese Intention für eine reine Strukturanalyse des Beweises zunächst nicht erforderlich. Unter dem Begriff des "Beweisantrags" soll hier das im Laufe des Verfahrens kundgemachte Verlangen der Verteidigung nach der Erhebung eines bestimmten Beweises verstanden werden9, welches sich auf die Schuld- und Rechtsfolgenfrage beziehtlO • BGHSt 32, 115 (124). Grundlegung, S. 278. 6 Vgl. Dedes, S. 56. 1 Vgl. Gollwitzer in: LR, § 244 Rdnr. 9. 8 Vgl. Köhler, Inquisitionsprinzip, S. 29. 9 Vgl. § 219 Abs. I Satz IStPO. 10 Dies ist der unstreitige Definitionskem, vgl. BGHSt 1,29 (31); 6,128 (129); BGH StV 1982,55; AlsberglNüselMeyer, S.36; Engels GA 1981, S.21; Gollwitzer in: LR, §244 Rdnr.94 f.; Herdegen in: KK, § 244 Rdnr. 42; Meyer-Goßner in: KIIMG, § 244 Rdnr. 18; Paulus in: KMR, § 244 Rdnr. 371; SarstedtlHamm Rdnr. 277; Schlüchter, Strafverfahren, Rdnr. 545; Eb. Schmidt, 11, vor §244 Rdnr. 24; Solbach/Vedder JA 1980,99 (101); Tenckhoff, S. 30; Wenner, S. 144; Wesseis JuS 1969, I (3). 4

5 Alsberg,

I. Teil: Darstellung der Rechtslage

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Nachfolgend sollen die Einzelelemente des Beweises untersucht werden (I. und 11.), um daran anknüpfend die Systematik aufzuzeigen, nach der die Würdigung eines erhobenen Beweises (III.) und - zunächst unabhängig von den SpezifIzierungen der einzelnen Ablehnungsgründe der §§ 244 Abs.3-5, 245 Abs. 2 StPO - die Würdigung eines Beweisantrags erfolgt (B.).

I. Beim unmittelbaren Beweis Der unmittelbare Beweis im verfahrenstechnischen Sinne läßt sich folgendermaßen strukturierenI I: Es sind Beweismitteleignung sowie Beweistatsache und Beweisziel zu unterscheiden. Die Beweismitteleignung beschreibt die Fähigkeit des Beweismittels, die intendierte Behauptung zu stützen (z.B. die Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage). Die Beweistatsache beschreibt den materialen Informationsgehalt des Beweises im objektiven Sinne (,,A war zum Zeitpunkt der Tat im Orte Y"). Das Beweisziel schließlich steht im engen Zusammenhang zur Beweistatsache: Beim unmittelbaren Beweis fallen beide zusammen (als Entlastungsbeweis steht beispielsweise die Zeugenaussage, daß der Beschuldigte vom Opfer angegriffen wurde: "B wurde unmittelbar vor der Tat vom Opfer angegriffen"); hier ist es die Beweistatsache selbst, welche unter einen bestimmten Rechtssatz subsumiert werden soll (Notwehrlage)12.

Il Beim Indizienbeweis Beim in praxi bedeutsameren Indizienbeweis ist eine solche Kongruenz von Beweistatsache und -ziel nicht gegeben. Um zum Beweisziel vorzudringen, bedarf es hier nach einhelliger Auffassung eines weiteren gedanklichen Schrittes, nämlich eines generellen Erfahrungssatzes, welcher die Beweistatsache (Indiztatsache) und das Beweisziel (indizierte Tatsache) als zwei singuläre Ereignisse miteinander verbindet13 • Lautet die Beweistatsache beispielsweise, daß B zur Tatzeit am Ort X war, so ist als Beweisziel die Konklusion, daß B nicht am Tatort Y war, intendiert. Der generelle Erfahrungssatz, der den Zugang zu dieser Konklusion ermöglicht, lautet: "Wer zur gleichen Zeit an einem anderen Ort ist, kann das Delikt (am Tatort) nicht begangen haben". So gesehen ist auch der klassische Alibibeweis Indizienbeweis. 11

Vgl. zum folgenden Kühl, S. 27 ff.

12 Vgl. Grünwald, Honig-FS, S. 55; Kühl, S. 114; Tenckhoff, S. 139. 13 AlsberglNüselMeyer, S. 578 f.; BenderlNack Rdnr. 390 tT.; Dedes, S.74; Döhring,

S. 333 f.;Engisch, S. 65 ff., 81; Geppert, S. 163; Glaser, S. 745; Grünwald, Honig-FS, S. 57; Henkel, S. 266 f.; KochlRüßmann, S. 277 tT.; Kühl, S.29, 113 spricht von einer "Schlußregel"; Tenckhoff, S. 137 f.

1. Kapitel: Inhaltsstruktur des Beweisantrags

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Zu keinem anderen Ergebnis kommt eine verbreitete Meinung im Schrifttum, nach der die Unterscheidung von unmittelbarem und Indizienbeweis nicht erforderlich und dogmatisch zweifelhaft ist14 . Die Existenz des Erfahrungssatzes wird von dieser Ansicht nicht abgeleugnet; vielmehr beruht nach ihr die richterliche Überzeugung auch beim unmittelbaren Beweis auf Schlußfolgerungen aus Indizien, da lediglich der Vorgang der Beweiserhebung die unmittelbare Tatsache darstelle und somit stets weitere Schlußfolgerungen durch Erfahrungssätze notwendig seien15 . Der Indizienbeweis ist danach der Regelbeweis. Aus Griinden der verständlicheren Systematisierung soll in dieser Arbeit jedoch der enger gefaßte Begriff des Indizienbeweises zugrunde gelegt werden. Für den hier thematisierten Entlastungsbeweis im Sinne der Hervorrufung des vernünftigen, konkreten Zweifels beim Tatgericht müßte eigentlich vom "Kontrabeweis" bzw. ,,-indiz" in bezug auf den Schuldnachweis die Rede sein. Zwecks einer einfacheren Handhabung sollen aber die Termini "Beweis" und "Indiz" verwendet werden, freilich soll ihnen begrifflich entlastende Bedeutung zugemessen sein. IJI. Erkenntnistheoretische Struktur der Würdigung des erhobenen Beweises

Wird ein Sach- oder Personalbeweis in der Hauptverhandlung erhoben, so zieht der Tatrichter aus seinen unmittelbaren Wahrnehmungen eine Vielzahl von Schlußfolgerungen (insoweit wird die reine Strukturanalyse des im Antrag enthaltenen Beweises verlassen und die kognitive Ebene der den Beweis würdigenden Person in die Betrachtung miteinbezogen): Er überprüft beim Personalbeweis die Glaubhaftigkeit der Aussage bzw. beim Sachbeweis die Echtheit des Beweisstücks (Beweismitteleignung) und würdigt anschließend die inhaltliche Bedeutung und Reichweite fiir das Beweisziel (Beweiserheblichkeit). Bei diesen gedanklichen Vorgängen wendet der Richter generelle Erfahrungssätze an; dies nicht nur bei dem namentlich fiir den Indizienbeweis notwendigen Schluß von der Beweistatsache auf das gedanklich vorgegebene Beweisziel, sondern auch bei der Prüfung der Glaubwürdigkeit des Beweismittels, da er insoweit auf eine Vielzahl forensischer Erfahrungsregeln zurückgreifen kann und muß16. Letzteres ist deshalb vorausgesetzt, als die Erfahrungssätze im gewissen Umfange durch die Rechtsprechung der Revisionsgerichte vorgegeben sind und 14 Vgl. BenderiNack Rdnr.383; Engisch, S.66; Grünwald, Honig-FS, S.60; Käßer, S. 74; Paulus in: KMR, § 244 Rdnr. 47; Schneider MDR 1974,944 (945); Solbach/Vedder JA 1980,99 (101). 15 Vgl. Grünwald, Honig-FS, S. 60. 16 Vgl. dazu Eisenberg Rdnr. 1428 ff.

I. Teil: Darstellung der Rechtslage

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daher ihrerseits rechtliche Relevanz aufweisen l7 • So hat der Richter bei der Würdigung der Glaubhaftigkeit einer Aussage aussagepsychologisch anerkannte Erfahrungssätze zu beachten18 und auch im übrigen einer Darlegungslast gerecht zu werden, welche das Revisionsgericht in die Lage versetzt, die subjektive Überzeugung des Tatgerichts inhaltlich nach objektiv-intersubjektiven Kriterien nachzuvollziehen l9 . B. Wertungskategorien und erkenntnistheoretische Struktur der Entscheidung über den Beweisantrag Der Beweisantrag in seiner erwähnten allgemeinen Defmition wird im Anschluß an Goldschmidt20 als eine Prozeßhandlung, genauer als eine Erwirkungshandlung verstanden21 • Das Charakteristikum der Erwirkungshandlung wird in dem Kriterium der Abhängigkeit des intendierten Rechtserfolgs, nämlich der Beweiserhebung, von der Eignung der Handlung zur Erreichung des tatsächlichen Erfolgs, auf den sie gerichtet ist, gesehen22 - insoweit wird wiederum die reine Strukturanalyse des im Antrag enthaltenen Beweises verlassen und die kognitive Ebene des beurteilenden Gerichts in die Betrachtung miteinbezogen mit der hier allerdings wesentlichen Besonderheit ihrer vor-urteilenden Quali~t, da der Beweis zum Zeitpunkt der AntragsteIlung ja noch nicht erhoben ist. Demgemäß läßt sich jede Ablehnung eines Beweisantrags, ganz gleich aus welchem Grunde, auf die Grundaussage zurückführen, daß der Antrag nicht geeignet ist, den Richter von dem Erreichen des Beweisziels zu überzeugen. Dem Beweisantrag ist somit die Dependenz von einer anderen Entscheidungsperson23 , welche die Einschätzungsprärogative hat, und - insoweit weitergehend als bei der "normalen" Beweiswürdigung - ihrem präsumtiv gesetzten Fezer StV 1995,95 (98). Vg\. beispielsweise die Rechtsprechung der Revisionsgerichte zur Beweiswürdigung beim sog. wiederholten Wiedererkennen, nach der letzterem aufgrund psychologisch anerkannter Fixierung des Zeugen auf das vorangegangene Wiedererkennen lediglich ein untergeordneter Beweiswert zukommt: BGHSt 16, 204 (205); BGH StV 1994,282; 638 (639); BGHR StPO § 261 Identifizierung 3, 6; OLGe Celle StV 1987, 429; DüsseldorfNStZ 1990,506 (507); StV 1991,509; FrankfurtlMain StV 1988,290; Köln StV 1986, 12; Oldenburg StV 1994,8 (9). 19 Zum ganzen Fezer StV 1995,95 (97 fI.). 20 Vg\. Goldschmidt, S. 364. 21 Vg\. AlsberglNüselMeyer, S.34; Gössel, Strafverfahrensrecht, S. 159 f.; Henkel, S. 236; Peters, Strafprozeß, S. 252; Roxin, § 22 Rdnr. 2; Schäfer in: LR, Ein\. Kap. 10 Rdnr.4; Schlüchter, Strafverfahren, Rdnr. 135; Eb. Schmidt, I, Rdnr. 214; Zipf, Strafprozeßrecht, S. 92. 22 Vg\. Goldschmidt, S. 366: "Ist doch der Rechtserfolg nichts anderes als die Prognose des tatsächlichen Erfolges". 23 Im Gegensatz zur Bewirkungshandlung, vg\. Goldschmidt, S. 456. 17

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1. Kapitel: Inhaltsstruktur des Beweisantrags

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Urteil über den Antrag eigen. Der Beweisantrag ist selbst Bewertungsgegenstand einer Entscheidung und der Oberbegriff, der die auf das Verfahren bezogenen Qualität eines Beweisantrags defmiert, ist der Begriff des "aussichtsvollen" Antrags24 • Auf die Erwirkungshandlung werden die Wertungskategorien der "Zulässigkeit" und der "Begründetheit" angewendet. "Zulässig" ist eine Erwirkungshandlung, wenn sie als Mittel zur Auslösung einer Rechtsverheißung formell zugelassen werden muß mit der Rechtsfolge der inhaltlichen Überprüfung des Begehrens25 • Diese auf eine Prozeßhandlung bezogene Wertungskategorie darf indes nicht mit dem Beweisantragsablehnungsgrund der "Unzulässigkeit" in § 244 Abs. 3 Satz 1 StPO verwechselt werden: Mit dieser Norm ist ihrem eindeutigen Wortlaut nach die Unzulässigkeit der Beweiserhebung gemeint26 • Insoweit wird der - prozessual zulässige Antrag bereits auf seine inhaltliche Rechtfertigung überprüft. "Begründet" ist eine Erwirkungshandlung, wenn sie inhaltlich geeignet erscheint, die Verwirklichung einer Rechtsverheißung durch den Richter auszulösen27 • Beide Urteile der Zulässigkeit und der Begründetheit bewerten die erwähnte Gesamteignung des Antrags, die richterliche Entscheidungsfmdung im intendierten Sinne zu beeinflussen28 • Diese - heute gängige29 - Wertungseinteilung kann für den Beweisantrag der Verteidigung sowohl im Bereich der Zulässigkeit als auch in dem seiner Begründetheit problematisch sein: Die Wertungskategorie der Zulässigkeit begründet für den Antragsteller eine Substantiierungslast und hat den Zweck, dem entscheidenden Gericht erst die Fähigkeit der Ausübung einer inhaltlichen Kontrollbefugnis zu vermitteln30 ; erst der substantiierte Beweisantrag schafft die Sachurteilsvoraussetzung für die Begründetheit des Antrags. Die Substantiierungsanforderungen der Zulässigkeit, im wesentlichen wurden damit bislang die Voraussetzungen, welche an die Bestimmtheit des Antrags gestellt sind, gemeint, bedeuteten in der Regel keine zweckwidrige "Filterung" einer beabsichtigten Beweistätigkeit und berei-

24 Goldschmidt, S. 381, spricht auch von dem im prozeßrechtlichen Sinne berechtigten Antrag. 25 Goldschmidt, S. 369. 26 Ausdrücklich Alsberg/Nüse/Meyer, S. 425. 27 Goldschmidt, S. 366. 28 Goldschmidt, S. 366. 29 Vg\. Peters, Strafprozeß, S. 262 f.; Schäfer in: LR, Ein\. Kap. 10 Rdnr. 8. 30 BGH NStZ 1990,602.

1. Teil: Darstellung der Rechtslage

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teten der Verteidigung somit keine großen Schwierigkeiten. Durch die Schaffung erhöhter formaler Anforderungen hat die Rechtsprechung in den letzten Jahren allerdings Kontrollbefugnisse geschaffen, welche im Ergebnis durch die Abstufungsmöglichkeit des "förmlichen" Beweisantrags zum schlichten Beweisermittlungsantrag den engeren Rahmen der Amtsaufklärungspflicht gemäß § 244 Abs. 2 StPO für das Beweisbegehren der Verteidigung spannen und die Tatgerichte somit von als lästig empfundenen Beweistätigkeiten entlasten sollen. Da in ihrer Anwendung durch die Rechtsprechung die Abstufung zum Ermittlungsantrag erfolgt, werden diese erhöhten Anforderungen an den Antrag im folgenden als "Ausgrenzungsbefugnisse" begriffen. Ihre Vereinbarkeit mit Sinn und Zweck der Zulässigkeitsprufung ist problematisch. Die Ablehnung eines Beweisantrags wegen fehlender Begründetheit erfolgt nach Maßgabe der in den §§ 244 Abs. 3-5, 245 Abs. 2 StPO gesetzlich kodifizierten materialen Ablehnungsgründe. Die entscheidende Besonderheit im Vergleich zur Würdigung eines erhobenen Beweises ist in ihrer präsumtiven Vorgehensweise zu sehen. Ein Beweisantrag kann theoretisch - losgelöst von den gesetzlichen Vorgaben - mit der Begründung abgelehnt werden, daß der Zeuge gar nicht das vom Antragsteller Behauptete aussagen wird. Mit diesem Urteil ist die Beweismittelprognose verneint; diese beschreibt die im Antrag explizit enthaltene Aussage des Antragenden, daß das beantragte Beweismittel eine bestimmte Information überhaupt tatsächlich erbringen wird3! und ist daher lediglich bei der im Beweisantragsverfahren erfolgenden vorwegnehmenden Beweiswürdigung möglich. Die Ablehnung kann ferner - dies ergibt sich aus der dargelegten erkenntnistheoretischen Struktur der Beweiswürdigung, die insoweit auch im präsumtiven Verfahren besteht - damit begründet werden, daß die Aussage des Zeugen oder Sachverständigen bzw. die Aufzeigung eines sachlichen Beweismittels nicht glaubhaft sein wird (Verneinung der Beweismitteleignung); der Unterschied zur Beweismittelprognose liegt darin, daß von dem Gelingen der tatsächlichen Informationsübermittlung ausgegangen wird (insofern ist die Verneinung der Beweismitteleignung nur möglich, wenn die Beweismittelprognose bejaht wird). Materieller Bezugspunkt der richterlichen Entscheidung kann in beiden Fällen jeweils zum einen das bisherige Beweisergebnis sein sog. retrospektive Beweiswürdigung -, zum anderen kann das Gericht aber auch ohne Rekurs auf die bisherige Beweisaufnahme allein an der Relation von Beweismittel zur Aussagekraft der Beweisbehauptung ansetzen - prospektive Beweiswürdigung32 •

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32

Kühl, S. 27. Kühl, S. 63.

1. Kapitel: Inhaltsstruktur des Beweisantrags

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Zum zweiten kann die Erheblichkeit der Beweisbehauptung, d.i. die im Antrag behauptete Beweistatsache, selbst negiert werden, womit beim unmittelbaren Beweis gleichzeitig die Erheblichkeit des Beweisziels verneint ist, sog. rechtliche Unerheblichkeit. Die Beweisbehauptung erfaßt dabei die objektive Beweistatsache unabhängig von der subjektiven Überzeugung des Antragstellers von ihrer Richtigkeit33 • Schließlich kann der generelle Erfahrungssatz beim Indizienbeweis mit der Begründung zurückgewiesen werden, dieser sei irrelevant rur den Prozeßgegenstand, womit gleichzeitig das Verdikt über die Erheblichkeit des Beweisziels gesprochen ist, sog. tatsächliche Unerheblichkeit. Da nach der Struktur dieses Beweises die unmittelbare Indiztatsache es allein nicht vermag, zum Beweisziel vorzudringen, kann sie insoweit keine eigene Rechtserheblichkeit besitzen. Das Erheblichkeitsurteil beim Indizienbeweis setzt somit immer am generellen Erfahrungssatz und damit mittelbar am Beweisziel an; die Geltung dieses Erfahrungssatzes wird vom Antragsteller im Antrag regelmäßig implizit behauptet34 • Die unmittelbare Beweistatsache kann beim Indizienbeweis allein in seiner Relation zum Beweismittel Gegenstand des Urteils der Geeignetheit sein. Bezugspunkt des Erheblichkeitsurteils kann retrospektiv das (Zwischen-)Ergebnis der bis dato erfolgten Beweisaufnahme sein3S , was bei der tatsächlichen Unerheblichkeit der Fall ist. Dies ist jedoch keinesfalls zwingend; auch das negative Erheblichkeitsurteil kann unabhängig von den bisher erhobenen Beweisen im Wege prospektiver Beweiswürdigung erfolgen, denkbar z.B. bei der rechtlichen Unerheblichkeit, bei der das Tatgericht unmittelbar - hinsichtlich des bisherigen Beweisergebnisses gleichsam "freihändig" - mit den Voraussetzungen der die Schuld und die Straffolgen normierenden Tatbestände argumentiert. Die im vorletzten Absatz genannten Urteile sollen unter dem Terminus der "Geeignetheit" des Beweismittels gefiihrt werden. Dabei darf der zugrundeliegende Begriff nicht verwechselt werden mit dem Ablehnungsgrund der völligen Ungeeignetheit des Beweismittels in § 244 Abs. 3 Satz 2, 4. Var. StPO, der als gesetzlich kodifIzierter Grund einen engeren Inhalt aufweist. Die beiden letztgenannten Urteile werden unter dem Terminus der "Erheblichkeit" zusammengefaßt. Das Geeignetheitsurteil bewertet das Ergebnis eines nicht erhobenen Beweises vorweg und prognostiziert somit lediglich die tatsächlichen Umstände der Chance des vorhergesagten Ablaufs des eigentlichen Aussagevorgangs sowie die Glaubhaftigkeit der Beweismittelaussage, während die Erheblichkeitsverneinung die rechtliche und tatsächliche Relevanz der Tatsache, d.h. die Möglichkeit und 33 Nach überwiegender Ansicht ist es flir einen Beweisantrag nicht erforderlich, daß der Antragsteller von der Beweisbehauptung überzeugt ist: Alsberg/NüselMeyer, S. 43 f.; Gollwitzer in: LR, § 244 Rdnr. 104; Herdegen in: KK, § 244 Rdnr. 44. 34 Alsberg/NüselMeyer, S.588 Fn. 82; Köhler, Inquisitionsprinzip, S.31; a.A. Kühl, S.66. 3S V gJ. Alsberg/Nüse/Meyer, S. 411; Kühl, S. 66.

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1. Teil: Darstellung der Rechtslage

gleichzeitige Notwendigkeit, sie unter die anzuwendenden gesetzlichen strafbarkeitsbegründenden und rechtsfolgeregelnden Rechtssätze zu subsumieren, verwirft. Der Begriff der Erheblichkeit ist demnach vom materiellen Recht her bestimmt36 ; die diesbezügliche Beurteilung erfolgt unter gleichzeitiger Unterstellung der Geeignetheit des Beweismittels und ist daher ,,nachgeschaltet" . Die Voraussetzungen der Geeignetheit und Erheblichkeit in der Kontrollstufe der Begründetheit sollen im folgenden unter dem Terminus der "Schlüssigkeit" zusammengefaßt werden37 • Wichtig ist, daß damit alle die Begründetheitsvoraussetzungen begriffen werden, welche unmittelbar an den einzelnen Strukturelementen des mit dem Antrag intendierten Beweises ansetzen38 • Daneben ist denkbar, daß die Bewertung eines Beweisantrags von der mit vom Antragsteller verfolgten subjektiven Zwecksetzung abhängig gemacht wird; der Gesetzgeber hat sich in den §§ 244 Abs. 3 Satz 2,6. Var., 245 Abs. 3 Satz 3,5. Var. StPO mit dem Ablebnungsgrund der Prozeßverschleppungsabsicht für diese Option entschieden. Gleichwohl hat dieser Ablebnungsgrund neben seiner rechtstheoretischen Sonderstellung in der Praxis eine eher untergeordnete Bedeutung. Ein Beweisantrag ist nach alledem erst dann "aussichtsvoll" im dargelegten Sinne, wenn er zulässig und auf der Begründetheitsstufe schlüssig, d.h. geeignet und erheblich ist. Erst beim Stellen einer positiven Gesamtprognose, also bei der Bejahung des tatsächlichen Erfolgs des gesamten Beweisschlusses bis hin zu der Akzeptierung des vom Antragsteller intendierten Beweisziels, sind alle Beweiserhebungskontrollen des Gerichts hinsichtlich des Beweisantrags überwunden und wird der Rechtserfolg im Sinne der Zulassung der Beweistätigkeit im Verfahren erreicht. Die Analyse der Beweiserhebungskontrollmöglichkeiten der Zulässigkeit und Begründetheit eines Beweisantrags soll nachfolgend nicht der bislang vorherrschenden Methodik folgen, den Umfang der vorwegnehmenden Ausschließung der Beweistätigkeit im Antragsrecht anhand des Vergleichs zur Amtsaufklärungspflicht nach § 244 Abs. 2 StPO zu bestimmen. Diese relationistische Diskussion argumentiert im Schwerpunkt mit dem Verbot der negativen Beweisantezipation, dessen Inhalt jedoch nicht einheitlich defmiert wird. Dementsprechend unübersichtlich ist der Diskussionsstand39• Nicht zuletzt aus diesem

36 VgI.Alsberg/Nüse/Meyer, S. 574; Gollwitzerin: LR, § 244 Rdnr. 219; Henkel, S. 341; Herdegen in: KK, § 244 Rdnr. 73; Köhler, S. 29 f.; Paulus in: KMR, § 244 Rdnr. 114. 37 Denkbar wäre auch der Terminus der "Prozeßgegenstandsbezogenheit" des intendierten Beweises. 38 Insoweit umfaßt der Begriff der Schlüssigkeit die Voraussetzung, daß der Beweisantrag seine Rechtfertigung in den zu seiner Begründung vorgebrachten tatsächlichen Behauptungen findet (si actio est fundata), vgl. Goldschmidt, S. 414,417. 39 Siehe dazu unten 5. Kap. A. H. 1.

2. Kapitel: Kontrollbefugnisse des Tatgerichts

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Grund erscheint der Rückgriff auf die erkenntnistheoretische Struktur der präsumtiven Beweisantragswürdigung und die damit zusammenhängenden Wertungskategorien als notwendig. Es folgt somit nicht eine - vergleichende - Bestimmung des Umfangs der ausschließenden Vorwegnahme einer Beweistätigkeit durch das geltende Recht, sondern vielmehr die DefInition ihrer Qualität. Diese soll anhand der präsumtiven rechtlichen Wertungskategorien des Beweisantrags aufgezeigt werden. Es sollen daher im 2. Kapitel, mit stellenweise kritischer Intention, über die Inhaltsstruktur des Beweisantrags und der darauf aufbauenden Wertungskategorien die Möglichkeiten aufgezeigt werden, die das Tatgericht nach den bestehenden Gesetzen und ihren Auslegungen durch die Revisionsgerichte hat, durch formale Ausgrenzungsbefugnisse und materiale Schlüssigkeitskontrollen von Beweisanträgen Beweistätigkeiten, welche von der Verteidigung intendiert sind, aus dem Hauptverfahren auszuschließen. Kritik ist derart mitgeteilt, daß sie sich nicht unmittelbar auf das Problem der Vorwegnahme der Beweistätigkeit und somit auf die Folgen der Entziehung des vorgeführten Beweises aus dem Kognitionsbereich des Tatgerichts bezieht, sondern sich auf den einzelnen Ablehnungsgrund in seiner Spezialität, auf die Gesetzessystematik, d.h. das Verhältnis der materialen Ablehnungsgründe zueinander, oder auf den vom Gesetzgeber beigelegten Telos der Norm beschränkt; strukturelle und vorpositive Normkritik bleiben im folgenden darstellenden Kapitel zunächst ausgeblendet.

2. Kapitel

Beweiserhebungskontrollbefugnisse des Tatgerichts in der Hauptverhandlung Die auf die mögliche Ausschließbarkeit des Entlastungsbeweisbegehrens gerichteten Überprüfungsmöglichkeiten des Tatgerichts wurden im vorhergehenden Kapitel in Ausgrenzungsbefugnisse und Schlüssigkeitskontrollrechte unterteilt. Innerhalb der Schlüssigkeitskontrolle erfolgt eine über die Anwendung der gesetzlich kodifIzierten Ablehnungsgründe materiale Überprüfung des Beweisbegehrens hinsichtlich seiner Begründetheit (B.). Die Ausgrenzungsbefugnisse des Tatgerichts greifen hingegen auf der vorgeschalteten formalen Ebene der Zulässigkeitskontrolle ein: Sie machen durch das Aufstellen ihrer Voraussetzungen die Einordnung des Beweisbegehrens in die Kategorie des Beweisantrags mit der Rechtsfolge der Anwendung der §§ 244 Abs. 3-5, 245 Abs.2 StPO von der formalen Ordnungsmäßigkeit des Antrags abhängig und nehmen bei deren Nicht-

1. Teil: Darstellung der Rechtslage

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vorliegen eine Ausgrenzung des Antrags aus der Anwendbarkeit dieser materialen Ablehnungsgründe vor (A.). Die Ausübung dieser Defmitionsmacht fUhrt bei der Ausgrenzung des Antrags zur Anwendung des verbleibenden Prüfungsmaßstabs der Amtsaufklärungspflicht gemäß § 244 Abs. 2 StPO. Die folgende Darstellung der Rechtslage orientiert sich an der Rechtsprechung der Revisionsgerichte; das Schrifttum wurde ergänzend herangezogen. Von Interesse war zudem die tatsächliche Bedeutung der Stellung von Beweisanträgen, insbesondere ihrer Ablehnung. Soweit Material zur Empirie vorliegt, wird zu den einzelnen Kontrollbefugnissen jeweils dargestellt, wie häufig die ablehnende Begründung im Verhältnis zu den anderen Begründungen von den Tatgerichten in praxi verwendet wird. Die Daten entstammen den Arbeiten von Vogtherr l und Perron2, welche sich in ihren jeweiligen Erhebungsweisen unterscheiden: Vogtherr untersuchte die Akten von 220 Verfahren, wobei sich in diesen Verfahren Anträge der Verteidigung auf Zeugenbeweis in 10,5%3, auf Sachverständigenbeweis in 10%4 und Urkundsbeweis in 9%5 der Akten ergaben, während die Häufigkeit von Anträgen auf Augenscheinseinnahme nach § 244 Abs. 5 Satz 1 StPO derart gering an der Zahl waren, daß Vogtherr keine statistischen Angaben machen wollte6 • Die Erfolgsquote der Anträge stellte sich als insgesamt hoch dar: Beim Zeugenbeweis betrug sie 4/5 7 • Lediglich bei den Anträgen 'auf Anhörung von Sachverständigen betrug die Erfolgsquote nur 50%8. Die Gesamtheit der Ablehnungen wurde prozentual in der relativen Häufigkeit ihres Auftretens gestaffelt, wobei neben der Ablehnung von Anträgen auf Einnahme eines Augenscheins auch die Ablehnung von präsenten Beweismitteln nach § 245 Abs. 2 StPO unberücksichtigt blieben, hingegen die Abstufung zum Beweisermittlungsantrag in die Gruppierung aufgenommen wurde9• Perron fUhrte zum einen eine Einzelbefragung von 27 Richtern, Staatsanwälten und Rechtsanwälten nach der Art der Vornahme von Beweisantragsablehnungen durch10, welche im Ergebnis eine weitgehende Übereinstimmung in den Angaben der einzelnen Berufsgruppen ergab ll . Es stellte sich heraus, daß im juristischen Alltag die Stellung von Beweisanträgen der Verteidigung eher eine Seltenheit Vogtherr, S. 344 ff. Perron, Beweisantragsrecht, S. 281 tr. 3 Vgl. Vogtherr, S. 344. 4 Vgl. Vogtherr, S. 346. 5 Vgl. Vogtherr, S. 347. 6 Vgl. Vogtherr, S. 348. 7 Vogtherr, S. 345. 8 Vogtherr, S. 347. 9 Vgl. Vogtherr, S. 347. 10 Vgl. Perron, Beweisantragsrecht, S. 283 tr. 11 V gl. Perron, Beweisantragsrecht, S. 331. 1

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2. Kapitel: Kontrollbefugnisse des Tatgerichts

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darstellt l2 und die Tatgerichte den Anträgen in der Regel stattgebenD, so daß die vielfach bemühten "Prozeßschlachten" wohl nur Einzelfälle darstellen dürften l4 . Die Durchschnittswerte der Antworten wurden von" 1" bis ,,4" mit den korrelierenden Anwendungshäufigkeitscharakterisierungen von "Nein/praktisch nicht" über "selten" und "häufiger" zu "sehr häufig/überwiegend" ausgewertet und umfassen neben den Ablehnungsgründen des § 244 Abs. 3-5 StPO die präsenten Beweismittel nach § 245 Abs. 2 StPO sowie die Abstufungen zum Beweisermittlungsantrag lS . Zudem verwertete Perron sämtliche Revisionsentscheidungen des Bundesgerichtshofs aus den Jahren 1983 und 1988 hinsichtlich der den Erfolg der Revision bedingenden einzelnen Aufhebungsgründe wegen fehlerhafter Anwendung des Beweisantragsrechts (einschließlich der Abstufungen zum Ermittlungsantrag I6)17. Dabei ergaben sich für die Jahre 1983 und 1988 zusammen 68 solcher Aufhebungen l8 . Allerdings geben diese Daten über die erfolgreiche Revision keinen Aufschluß darüber, wie häufig Beweisantragsfehler gerügt wurden und erlauben dadurch erst recht keine unmittelbaren Schlüsse auf die Geschehnisse vor den Tatgerichten l9 . In beiden Arbeiten konnte die Häufigkeit der Anwendung des erst später durch Art. 2 Nr. 4 RPflEntlG20 eingefügten § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO, Ablehnung des Antrags auf Vernehmung eines Auslandszeugen nach pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts, nicht berücksichtigt werden. A. Die formalen Ausgrenzungsbefugnisse in der Zulässigkeitsprüfung Beweisanträge in der Hauptverhandlung bedürfen einer Form; nur bei Erfüllung der formalen Voraussetzungen ist der Ablehnungskatalog der §§ 244 Abs. 3-5, 245 Abs. 2 StPO eröffnef 1• Unter dem Begriff der formalen Ausgrenzung des Beweisantrags soll verstanden werden, daß das Tatgericht durch die Verneinung der formalen Voraus-

Perron, Beweisantragsrecht, S. 315, 379. Perron, Beweisantragsrecht, S. 328, 379. 14 Perron, Beweisantragsrecht, S. 315. 15 VgJ. Perron, Beweisantragsrecht, S. 33 \. 16 Neben den Gründen der Nichtbescheidung, der zu späten Bescheidung, der Nichtausflihrung des Beweisantrags sowie des bereits erhobenen Beweises, vgJ. Perron, Beweisantragsrecht, S. 366. 17 VgJ. Perron, Beweisantragsrecht, S. 343. 18 Perron, Beweisantragsrecht, S. 343. 19 Perron, Beweisantragsrecht, S. 345. 20 Vom 11.1.1993, BGBI. I, S. 50. 21 VgJ. AlsberglNüselMeyer, S. 355. 12

13

3 Anders

1. Teil: Darstellung der Rechtslage

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setzungen eine Abstufung des Beweisantrags in einen Beweisermittlungsantrag vornimmt und somit die Anlehnung des Kontrollmaßstabs an die gesetzlich kodifIzierten materialen Ablehnungsgründe verweigert. Dadurch kann das Beweisbegehren leichter abgelehnt werden, da die Reichweite der Amtsaufklärungspflicht in den betreffenden Fällen von der Rechtsprechung regelmäßig deutlich enger als der Maßstab des entsprechenden gesetzlichen Ablehnungsgrunds gefaßt wird. Innerhalb der Amtsaufklärungspflicht nach § 244 Abs. 2 StPO hat das Gericht die Beweismittel zu erschöpfen, wenn auch nur die entfernteste Möglichkeit einer Änderung der durch die bis dahin vollzogenen Beweisaufnahme begründeten Vorstellungen von dem zu beurteilenden Sachverhalt besteht22 • Allerdings ist das Tatgericht nicht bei jeder nur denkbaren Möglichkeit der weiteren Sachaufklärung zur Beweiserhebung verpflichtet, da immer damit gerechnet werden muß, daß ein Sachverhalt unklar bleibt23 • Die Möglichkeit der weiteren Sachaufklärung muß daher auf einem konkreten Anlaß beruhen, es muß also ein vom Standpunkt eines lebenserfahrenen Richters24 das bisherige Beweisergebnis möglicherweise verändernder und nicht lediglich abstrakter Zweifel vorliegen25 • Nach der Formulierung des Bundesgerichtshofs ist die Amtsaufklärungspflicht somit durch die Nichthinzuziehung eines Beweismittels verletzt, wenn die Umstände zu dessen Gebrauch drängen oder diesen doch nahelegen26 • Losgelöst von der herrschenden theoretischen Kontroverse über die Reichweite der Amtsaufklärungspflicht weist Herdegen27 zurecht darauf hin, daß die von der Rechtsprechung befiirwortete abstufende Umdeutung des Beweisantrags in einen Beweisermittlungsantrag die Beweiserhebung nahezu zwangsläufIg erübrigt, da eine "aus der Luft gegriffene Assertion" nicht als eine das Tatgericht im Rahmen des § 244 Abs. 2 StPO zur Beweistätigkeit verpflichtende Beweisbehauphl;ng fungieren kann. Ein "Drängen" zur bzw. ein "Naheliegen" der Erhebung eines solchen über den Antrag aktualisierten Beweises scheidet von vornherein aus. In den nachfolgend aufgezeigten Ausgrenzungsentscheidungen der Revisionsgerichte ist, soweit erkennbar, auch keine Rüge der Verletzung der Aufklärungspflicht nach § 244 Abs. 2 StPO erfolgreich gewesen.

BGHSt 23, 176(\88);30, 131 (\43). BGHSt 3, 169 (\ 75). 24 Vgl. BGHNStZ-RR 1996,299: ,,( ... ) bei verständiger Würdigung der Sachlage ( ... )". 25 Vgl. BGH NStZ 1985,324 (325). Vgl. auch Herdegen NStZ 1984,97 (98). 26 Vgl. BGHSt 1,94 (96); 3,169 (175); 10, 116 (\ 18); 23,176 (187); 30,131 (143); 36, 159 (165). 27 Herdegen StV 1990, 518 (519): Für den Fall der Unzulässigkeit des Beweisantrags wegen fehlender Überzeugung des Antragstellers von der Richtigkeit der behaupteten Tatsache. Nichts anderes kann gelten flir die sonstigen Fälle der Abstufung zum Beweisermittlungsantrag. 22

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2. Kapitel: Kontrollbefugnisse des Tatgerichts

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Der eigentliche Sinn der formalen Erfordernisse des Beweisantrags in der Zulässigkeitsprüfung wird einhellig in einer notwendigen Korrespondenz zu den materialen Ablehnungsgründen gesehen: Der Beweisantrag muß, dies ergibt sich aus der gesetzlichen Anordnung der präsumtiven Kontrolle des Beweisbegehrens der Verteidigung, so dargelegt werden, daß die Ablehnungsgründe der §§ 244 Abs. 3-5, 245 Abs. 2 StPO sinnvoll angewendet werden können, d.h. es müssen die Tatsachen, welche Schlüsse auf die Geeignetheit des Beweismittels und die Erheblichkeit der Beweistatsache ermöglichen, vorgetragen werden28 • Die Substantiierung des Begehrens muß das Tatgericht durch die Vorgabe einer Beurteilungsgrundlage in die Lage versetzen, anband der gesetzlichen Vorgaben ein materiales Vor-Urteil zu fallen. Diese Zielsetzung gilt es im Blick zu behalten, um die Aufstellung und Anwendung formaler Voraussetzungen des Beweisantrags anband der gesetzlichen Vorgaben begründen zu können. "Formal" - so die Hypothese - ist das nachfolgend dargestellte Ausgrenzungsverfahren nicht deshalb, weil die Überprüfung des Tatgerichts sich etwa auf rein formale Gesichtspunkte beschränkte, sondern weil sie vielmehr allein im Ergebnis eine kategorisierende Abstufung des Antrags bedingt.

/. Bestimmtheit von Beweismittel und -tatsache Rechtsprechung und Schrifttum verlangen für das Vorliegen eines "förmlichen" Beweisantrags neben dem Ausdruck des Verlangens nach Beweiserhebung die Angabe eines bestimmten Beweismittels und einer bestimmten Beweistatsache 29 . 1. Beweismittel Die Anforderung an die Bestimmtheit des Beweismittels führt zu Schwierigkeiten für die Veteidigung in den seltenen Fällen der Nennung einer Vielzahl von Zeugen oder Urkunden, aus denen das Tatgericht das in Frage kommende Beweismittel erst noch ermitteln muß 30 • Nach einem obiter dictum des Dritten Strafsenats des Bundesgerichtshofs genügt zudem - entgegen der bisherigen ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, nach der die unterscheidbare Individualisierung des Zeugen mit Hinweis zu seiner Aufenthaltsermittlung

28Vgl. BGHSt 37,162 (165) m. insoweit zustimmender Anm. Schulz NStZ 1991,449; BGHSt39, 251 (254) = NStZ 1993,550 m. zustimmender Anm. Widmaier NStZ 1993,602; BGHSt40,3 (6); Herdegen in: KK, § 244 Rdnr. 46; Schlüchter in: SK, § 244 Rdnr. 57. 29 Vgl. BGHSt 1,29 (31); AlsberglNüselMeyer, S. 38 ff.; Thole, S. 49 ff. 30 V gl. für den Urkundenbeweis BGHSt 6, 128 (129); 30, 131 (142 f.). 3·

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1. Teil: Darstellung der Rechtslage

genügte3! - zur Individualisierung eines Zeugen im Sinne des Beweisantragsrechts grundsätzlich die bloße Namensnennung mit der Angabe eines Wohnortes nicht; erforderlich sei vielmehr die Bezeichnung des vollständigen Namens mit genauer Anschrift32 • Dem wird der Grundsatz "notorium non eget probatione" entgegengehalten, demgemäß bei Allgemeinkundigkeit der Erkenntnisquellen, welche über die Wohnortangabe die Adressenermittlung des Zeugen für das Gericht ermöglichen, solche auch nicht dargelegt werden müssen; nach Versagen notorischer Informationsquellen sei schließlich der Ablehnungsgrund der Unerreichbarkeit anwendbar, keinesfalls aber eine Abstufungsbefugnis gegeben33 • In der nicht ganz einheitlichen Rechtsprechung der Senate des Bundesgerichtshofs nimmt der Erste Senat eine wohl vermittelnde Ansicht ein, nach der mit der Angabe des früheren Arbeitsplatzes des namentlich bekannten Zeugen ein genügend konkreter Anhaltspunkt für das Auffmden des Zeugen genannt und damit ein Beweisantrag gegeben sei, hingegen die Notwendigkeit der Befragung von Registerbehörden wegen fehlender Individualisierung des Beweismittels zum Vorliegen eines Beweisermittlungsantrags fiihre 34 • In der Regel dürften diese Schwierigkeiten durch entsprechende Recherchen der Verteidigung aber vermeidbar sein. Zudem ist die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs uneinheitlich: Der Zweite Strafsenat judizierte später, daß das Erfordernis, Namen und Anschrift eines Zeugen auf dem im Beweisantrag angegebenen Weg feststellen zu müssen, den Antrag nicht zum Beweisermittlungsantrag mache und daher die Ablehnung nur auf § 244 Abs. 3 und 6 StPO gestützt werden dürfe3s • Im Ergebnis stellt diese Ausgrenzungsbefugnis die Verteidigung somit wohl nicht vor unlösbare Schwierigkeiten. 2. Beweistatsache Die Voraussetzung der Bestimmtheit der Beweistatsache verursacht der Verteidigung nicht nur bei hinsichtlich des zu erwartenden Beweisumfangs folgenreichen Anträgen zu umfangreichen und komplizierten Sachverhalten Probleme36, 3! Vgl. BGH NJW 1960,542; NStZ 1981,309 (310); StV 1983, 185; 1989,379. Vgl. auch OLG Köln StV 1996,368. 32 BGHSt 40,3 (6 f.) = StV 1994, 169 (170) rn. Anrn. Strate = NStZ 1994,247 rn. Anrn. Widmaier. 33 Vgl. Strate StV 1994, 171 (172) unter Hinweis aufBGH bei Dallinger MDR 1971, 547; Widmaier NStZ 1994,248 (249). 34 BGH StV 1996, 581. 3S BGH StV 1995,59 (60). 36 Die Rechtsprechung lehnt es in solchen Fällen ab, den Sinn des Antrags durch Auslegung substantiierend zu ermitteln, vgl. BGHR StPO § 244 Abs. 6 Beweisantrag Nr.4,13.

2. Kapitel: Kontrollbefugnisse des Tatgerichts

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sondern in neuerer Zeit gerade auch in den Fällen, in denen es der Verteidigung lediglich möglich ist, vom Entlastungszeugen die Beweisziele zu erfahren, ohne daß ihr die unmittelbaren tatsächlichen Wahrnehmungen (Beweistatsachen) mitgeteilt würden, so daß sie sich in der Kenntnis ausschließlich von Schlußfolgerungen sieht, deren Validität sie selbst nicht beurteilen kann. Letztere Situation kann praktisch häufig gegeben sein, beispielsweise bei einem Entlastungszeugen, von dem nur bekannt ist, daß er über ein entsprechendes den Angeklagten entlastendes, aber einen Anderen belastendes Indiztatsachenwissen verfUgt, der aber aus Angst vor Repressalien nicht bereit ist, dieses der Verteidigung, welche über keinerlei Zwangsmittel zur Ermittlung dieser Beweistatsache verfUgt, offenzulegen; in den meisten Fällen wird die Verteidigung daher sog. Negativtatsache, d.h. das Gegenteil des Tatvorwurfs, behaupten37 • Der Bundesgerichtshof verweigert in solchen Fällen die Annahme des Beweisbegehrens als förmlichen Beweisantrag, da insoweit die Beweistatsache nicht erkennbar gemacht werde38 ; erforderlich sei vielmehr die Angabe dessen, was ein Zeuge "im Kern" bekunden solle39 • Die gewollte Beweisbehauptung ist jedoch bei einfach gelagerten Sachverhalten durch Auslegung zu ermitteln40 • In diesen Konstellationen verneint das Tatgericht - seinem Anspruch nach mit dem Ausgrenzungsurteil die Substantiierung des Antrags hinsichtlich der Geeignetheit des Beweismittels, eine die behauptete Schlußfolgerung tragende Tatsachenwahmehmung überhaupt aussagen oder zumindest dieses glaubhaft leisten zu können; durch die fehlende Substantiierung der Beweisbehauptung ist es dem Gericht in der Regel auch nicht möglich, ein Erheblichkeitsurteil über den generellen Erfahrungssatz des Indizienbeweises zu fällen. Ein Konnex zwischen Beweisbehauptung und Beweismittel sei nicht erkennbar, so daß das Gericht die Ablehnungsgründe der Bedeutungslosigkeit der Beweistatsache oder der völligen Ungeeignetheit des Beweismittels nicht sinnvoll zu prüfen vermag41 (diese Argumentation hat entsprechend zu gelten fUr die verschärfte Voraussetzung der Bestimmtheit des Beweismittels). Dabei hat der Bundesgerichtshof das präsumtive Verdikt mangelnder Substantiierung der Beweistatsache jedoch nicht lediglich in den Fällen gefällt, in denen die Argumentation mit einer apriori gegebenen Ungeeignetheit des beantragten Beweismitteltypus als Wahmehmungsträger der unmittelbaren, die Vgl. BasdorfStV 1995,310 (315). Vgl. BGHSt 37, 162 (164) m. Anm. Schulz NStZ 1991, 449; BGH StV 1989, 287 f.; NStZ 1991,547 (548); BGHSt 39,251 (253) = StV 1993,454 m. Anm. Hamm; BGHSt 40,3 (6) = StV 1994, 169 (170) m. Anm. Strate = NStZ 1994,247 m. Anm. Widmaier; BGH StV 1996, 248 (249). 39 BGHSt 39, 251 (253). 40 BGH StV 1996, 248 (249). 41 BGHSt 40, 3 (6) unter Berufung auf Widmaier NStZ 1993, 602 f. 37 38

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1. Teil: Darstellung der Rechtslage

behauptete Schlußfolgerung stützenden Beweistatsache eröffnet wäre42 , sondern auch in Entscheidungen, deren Sachverhalte eine solche abstrakte Typenbetrachtung nicht zuließen43 • Schulz hält dem entgegen, daß einem Beweisantrag aufgrund der dargelegten Korrespondenzbeziehung zwischen substantiiertem Antrag und der Anwendungsmöglichkeit der kodifIzierten materialen Ablehnungsgründe konsequenterweise nur dann die Beweisantragsqualität abgesprochen werden könne, wenn innerhalb des Beweisantragsrechts eine angemessene Reaktion nicht zur Verfügung stehe: Diese Möglichkeit sei aber gegeben in der Form des Ablehnungsgrunds der völligen Ungeeignetheit nach § 244 Abs. 3 Satz 2, 4. Var. StP044 • Diese Argumentation verfängt indes nur in den Fällen, in denen dem Tatgericht über das genannte Beweismittel genügend Beweistatsachen mitgeteilt werden, um die Beweisprognose bzw. -eignung beurteilen zu können45 • In diesen Fällen kann dann von einer überspannten Anforderung an die Zulässigkeitsvoraussetzung der Bestimmtheit der Beweistatsache gesprochen werden. Konstruktiv ließe sich dieses Ergebnis dadurch erreichen, daß die Beweisbehauptung, d.h. die im Antrag enthaltene Beweistatsache, unabhängig vom benannten Beweismittel verstanden wird: Die im Antrag behauptete Unglaubwürdigkeit eines Belastungszeugen als Beweisziel des Zeugenbeweises könne danach vom Tatgericht gedanklich als insoweit mögliche Beweistatsache (i.S. einer wertenden Folgerung) des Sachverständigenbeweises verstanden werden, was argumentativ die Anwendbarkeit des Ablehnungsgrunds der Ungeeignetheit eröffne46 • Schließlich sei die dem Erfordernis der Bestimmtheit der Beweistatsache zugrundeliegende Argumentation, daß ein formal mangelhaft~r Antrag einen Beweisermittlungsantrag darstelle, nicht schlüssig: Während die Abgrenzung zwischen Beweisantrag und Ermittlungsantrag dort zu verlaufen habe, wo über das genannte Beweisthema noch hinausgehende Tatsachen ermittelt werden müßten, gehe es nach der Argumentation des Bundesgerichtshofs bei der formalen Kontrolle letztlich um die Beziehung zwischen Beweismittel und -gegenstand.

42 Siehe BGHSt 37, 162, in der ein Antrag Gegenstand der Entscheidung war, mit dem von der Verteidigung zum Beweis der Unglaubwürdigkeit eines Belastungszeugen ein Zeugenbeweis begehrt wurde. In diesen Fällen kann argumentiert werden, daß a priori ausschließlich der Sachverständige das geeignete Beweismittel ist, vgl. Schulz NStZ 1991,449 (450). 43 Siehe BGHSt 39, 251. In dieser Entscheidung wurde von der Verteidigung beantragt, zum Beweis, daß sich der Angeklagte zu einer gewissen Zeit nicht an einem gewissen Ort aufgehalten habe, eine Zeugin zu hören. Vgl. auch BGHR StPO § 244 Abs. 3 Rügerecht 2. 44 Schulz NStZ 1991,449 (450): "Entscheidend ist, ob das benannte Beweisthema zu den tauglichen Beweisgegenständen des angeführten Beweismittels gehört." 45 So im Falle BGHSt 37,162. 46 Schulz NStZ 1991, 449 (450).

2. Kapitel: Kontrollbefugnisse des Tatgerichts

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Diese werde von einem Antrag auf weitergehende Ermittlung aber nicht erfaß!,,7. In den anderen Fällen jedoch, in denen das benannte Beweismittel gleichsam aus sich selbst heraus kein Geeignetheitsurteil zuläßt, wie in dem genannten Beispielsfall des ängstlichen Zeugen, ist zu konstatieren, daß die Ablehnung der Annahme des Verteidigungsbegehrens als Beweisantrag dem Sinn und Zweck der Substantiierungsvoraussetzungen entspricht: Dem Tatgericht ist es in einem solchem Fall nicht möglich, die Ablehnungsgründe des materialen Ablehnungsrechts anzuwenden48 • Allerdings ist die Substantiierungslast beim Beweisantrag als reine Formulierungslast ausgestaltet: Letztlich hängt es vom Darstellungsgeschick der Verteidigung und auch vom Zufall ab, ob die sprachliche Ausgestaltung einer unbekannten Beweisbehauptung eine Lücke gerichtlicher Aufklärung trifft49. Der Tatrichter wird die Verteidigung zudem häufig auf den Mangel hinweisen und insoweit Gelegenheit zur "Nachbesserung" gebenso. Einer erfahrenen Verteidigung wird es in praxi daher häufig möglich sein, in diesen Fällen ohne genaue Kenntnis eine hinreichend bestimmte unmittelbar wahrgenommene Tatsachenbehauptung zu formulieren, um das Beweismittel zumindest zu Ausforschungszwecken in die Hauptverhandlung einzuführen. Sie wird sich, solange sie sich von der Vernehmung des Zeugen etwas verspricht und die Richtigkeit der Schlußfolgerung fur möglich hält, von einem solchen Vorgehen auch nicht abhalten lassen. Mithin ist die EffIZienz dieser Einschränkung des Aktionsradius der Verteidigung über eine verschärfte Substantiierungslast äußerst fraglich: Der Versuch zur punktuellen Verkürzung des Verfahrens durch das Gericht fuhrt immer wieder faktisch zur Verfahrensverlängerung durch Verteidigungsverhalten, da diese versuchen wird, ihr Ziel anderweitig zu erreichensI. In der Vernehmungssituation hat die Verteidigung schließlich über die §§ 240 Abs. 2 Satz 1, 241 Abs. 2 StPO das Recht, alle sacbzugehörigen Fragen, mithin unbeschränkt zumindest durch die Formulierung des Beweisthemass2, zu stellen. Einem solchen Verteidigungsverhalten versucht die Rechtsprechung nun entgegenzuwirken, indem sie zusätzlich zu dem im o.a. angefiihrten Sinne verschärften Schulz NStZ 1991,449 (450). So im Falle BGHSt 39,251; vgl. Widmaier NStZ 1993,602 (603). A.A. Hamm StV 1993,455 (458), der auch in diesen Fällen die Abstufung wegen mangelnder Bestimmtheit der Beweistatsache als unzulässig ansieht. 49 Schulz GA 1981, 301 (309). 50 Vgl. BGH StV 1996,248 (249); BasdoifStV 1995,310 (316). 51 Vgl. Richter [[ StV 1994, 454 (455): ,,zwischenprozessuale Entscheidungen des Gerichts und das Handeln der Verteidigung stellen letztlich ein System kommunizierender Röhren dar, das immer wieder nach gegenseitigem Ausgleich drängt". 52 Vgl. BGHSt 2, 284 (287 ff.). 47

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1. Teil: Darstellung der Rechtslage

objektiven fonnalen Erfordernis Voraussetzungen fonnuliert, welche außerhalb dieser eigentlichen Zulässigkeitsvoraussetzungen des Beweisantrags liegen. Zu nennen sind die Fälle der fehlenden Überzeugung des Antragstellers von der Richtigkeit der behaupteten Beweistatsache (11.) sowie die Anerkennung eines allgemeinen Mißbrauchsverbots (111.).

II. Fehlende Überzeugung des Antragstellers von der Richtigkeit der unter Beweis gestellten Tatsache In der Rechtsprechung des Dritten (1.) und des Fünften Strafsenats des Bundesgerichtshofs (2.) wird stellenweise das Erfordernis der Überzeugung des Antragstellers von der Richtigkeit der behaupteten Tatsache aufgestellt, um überhaupt vom Vorliegen eines Beweisantrags ausgehen zu könnenS3 • Dem steht die herkömmliche Auffassung entgegen, nach der es für den Beweis antrag nicht darauf ankommt, daß der Antragsteller von seiner Beweisbehauptung überzeugt ist54 • Diese herrschende Ansicht erschließt sich bereits unmittelbar aus der vom Inquisitionsprinzip vorgegebenen fonnellen Beweislastverteilung im Strafverfahren: Überläßt das Gesetz es dem Tatgericht, die Beweiserhebung durchzufiihren, und weist es dem Antragsteller lediglich die Rolle zu, diese Tätigkeit ergänzend durch ein entsprechendes Begehren auszulösen, so kann es für die Beurteilung des Werts eines beantragten Beweises nur auf die Ansicht des Tatgerichts ankommen; würde man dies anders sehen, wäre es nur konsequent, die Verantwortung der gesamten Beweisfiihrung der Verteidigung zu übertragen. 1. Die ...Vennutungsrechtsprechung" des Dritten Strafsenats Sie findet ihren Ausgangspunkt in einer Entscheidung aus dem Jahre 197355 • In einem Beweisantrag hatte der Verteidiger die ..höchstwahrscheinliche Behauptung" einer Beweistatsache aufgestellt mit der Folge, daß das Tatgericht den Antrag ablehnte. Der Dritte Strafsenat argumentierte, daß es sich bei der Behauptung der Verteidigung ..um die bloße Vennutung einer - im übrigen recht entfernt liegenden - Möglichkeit" handele, welche als bloßer Beweiser-

53 Zur Entwicklung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs siehe Gollwitzer StV 1990,420 (421 ff.); Herdegen, Meyer-GS, S. 201 ff.; Schwenn StV 1981,631 (634 ff.). 54 Vgl. AlsberglNüselMeyer, S. 43; Herdegen in: KK, § 244 Rdnr. 44; Kühl S. 28. 55 BGH, Urteil vom 17.10.1973,3 StR 248/71 (unveröffentlicht), Fundstelle bei BGH StV 1989,287 (288); Gollwitzer StV 1990,420 (421); Herdegen, Meyer-GS, S. 201; Schwenn StV 1981,631 (634).

2. Kapitel: Kontrollbefugnisse des Tatgerichts

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rnittlungsantrag gelte, der nicht nach § 244 Abs. 3 StPO beschieden werde 56 • In der Folgezeit wurde die Fonnel der bloßen Vennutung vom Zweiten Strafsenat einmalig repetiert57 und vom Dritten Strafsenat in drei Entscheidungen fortgeführt58. Eine Veränderung im Sinne eines nunmehr verlangten argumentativen Nachweises erfuhr die Rechtsprechung des Dritten Strafsenats durch das Urteil vom 27. Februar 1985 (3 StR 501184)59, in dem für die Abstufung zum Beweisermittlungsantrag verlangt wurde, daß der Antrag sich "nachweisbar ohne Tatsachengrundlage auf bloße ( ... ) Vennutungen" stütze. Diese Rechtsprechung des Senats wurde fortgeführt60: Danach muß, um eine im Antrag "aufs Geratewohl" geäußerte haltlose Vennutung anzunehmen, aus der Sicht eines verständigen Antragstellers auf der Grundlage der von ihm selbst nicht in Frage gestellten Tatsache geurteilt werden; die Beurteilung dürfe demnach u.a. nicht davon abhängig gemacht werden, ob der Tatrichter die beantragte Beweiserhebung nach dem Ergebnis der Vorermittlungen und der bisherigen Hauptverhandlung für aussichtsreich erachtet. Der Problematik der Abstufung des Antrags durch Umdeutung bei einer "aus der Luft gegriffenen" Vennutung des Antragstellers ist durch eine inzwischen erfolgte Annäherung der Rechtsprechung des Zweiten und Dritten Strafsenats zunächst die Schärfe genommen: Lehnte der Zweite Strafsenat bislang eine Umdeutung des Beweisantrags in eine Beweisanregung ab, wenn der Antragsteller die Tatsachen, die er unter Beweis stellen möchte, lediglich für möglich hält oder vennutet6 1, so verlangt der Dritte Strafsenat für die Annahme eines Beweisermittlungsantrags nunmehr die "aufs Geratewohl geäußerte, haltlose Vennutung", welche nur gegeben sei, wenn das Tatgericht detailliert und nachvollziehbar darlegen könne, daß objektiv jegliche Anhaltsp~e für die Richtigkeit der Beweisbehauptung fehlten62 • Die Anforderungen an den tatrichterlichen Nachweis der Haltlosigkeit der Antragsbehauptung wurden dadurch zwar erhöht. Es bleibt dennoch abzuwarten, ob die Entwicklung insoweit abgeschlossen ist63•

BGH, Urteil vom 17.10.1973,3 StR 248/71 (unveröffentlicht). Vgl. BGH bei Holtz MDR 1980, 987. 58 Vgl. BGH, Beschluß vom 12.2.1981,3 StR 333/80 (unveröffentlicht), FundsteIle bei Schwenn StV 1981,631 (634); BGH, Beschluß vom 18.2.1981, 3 StR 269/80 (unveröffentlicht), FundsteIle bei Strate StV 1981,261 (264) (unveröffentlicht); BGH, Beschluß vom 9.6.1982, 3 StR 112/82 (unveröffentlicht), FundsteIle bei Gollwitzer StV 1990,420 (421). 59 Unveröffentlicht, FundsteIle bei Herdegen, Meyer-GS, S. 202. 60 Siehe BGH StV 1994, 287 (288). 61 Vgl. BGH StV 1987, 141; 1988, 185; 1989,237. 62 Vgl. BGH StV 1989,287; auch BGH NStZ 1993,397 (398). 63 Vgl. R. Peters NStZ 1993, 293, der von einer Konstanz der Rechtsprechung des Dritten Strafsenats ausgeht. 56

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1. Teil: Darstellung der Rechtslage

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2. Die "Plausibilitätsrechtsprechung" des Fünften Strafsenats Der Fünfte Strafsenat lehnt in einem obiter dictum die Abstufung des Beweisantrags lediglich mit der Begründung der "bloßen Vermutung" zwar ab: Fehlten jedoch Anhaltspunkte dafür, daß das benannte Beweismittel die Beweisbehauptung bestätigen würde, so könne das Gericht nach den Wissenquellen oder den Gründen für die Vermutungen des Antragenden fragen64 • Bleibe daraufhin eine "plausible Antwort" aus, so könne das Gericht das Begehren ,je nach Sachlage entweder als Beweisermittlungsantrag behandeln oder ( ... ) wegen Verschleppungsabsicht ablehnen"6S. Diese "Plausibilitätsrechtsprechung" läßt sich allerdings derzeit noch nicht als eine höchstrichterlich gebilligte EntScheidungslinie bezeichnen: In einem danach ergangenen Urteil des Zweiten Strafsenats66 unter seinem damaligen Vorsitzenden Herdegen wurde die Befragung des Antragstellers als Gewährung rechtlichen Gehörs verstanden, da der Antragsteller vor der Antragsablehnung mit den Indizien der Verschleppungsabsicht konfrontiert wurde und ihm Gelegenheit gegeben wurde, sich zu äußem61 • Demnach war der Beweisantrag also schon als solcher anerkannt und die Befragung des Gerichts bewegte sich im Rahmen der gesetzlich kodifIzierten materialen Kontrolle; das Tatgericht hegte schon den Verdacht der Prozeßverschleppung, was durch das Ausbleiben einer Antwort noch verstärkt wurde. In seiner Entscheidung nahm der Zweite Strafsenat ausdrücklich distanzierend Bezug auf die "Plausibilitätsentscheidung" des Fünften Strafsenats, ohne sich jedoch näher mit dieser auseinanderzusetzen68 • Der Vierte Strafsenat schließlich verlangt im Falle des nach Überzeugung des Tatgerichts lediglich ,,tiur aufs Geratewohl" gestellten Hilfsbeweisantrags einen entsprechenden Hinweis gegenüber der Verteidigung, um eine Überraschung durch die Ablehnung als unzulässig in den Urteilsgründen zu vermeiden69 • Die gegenwärtige Rechtslage ist verworren und die Praxisrelevanz zudem gering10; auch hier bleibt allerdings zu beobachten, welche Entwicklung die Rechtsprechung nehmen wird. 3. Kritische Anmerkungen Das Ergebnis der "Vermutungsrechtsprechung", die Abstufung zum Ermittlungsantrag, ist im Schrifttum auf starke Kritik gestoßen: Der BundesgerichtsBGH StV 1985,311 m. Anm. Schulz. BGH StV 1985, 311 m. Anm. Schulz. 66 BGH StV 1989,234 m. Anm. Michalke. 61 Herdegen, Meyer-GS, S. 204 f.; ders. StV 1990,518 (519). 68 Vgl. BGH StV 1989,234 m. Anm. Michalke. 69 Vgl. BGH StV 1996,362 (363). 10 Vgl. Perron, Beweisantragsrecht, S. 205. 64

6S

2. Kapitel: Kontrollbefugnisse des Tatgerichts

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hof ignoriere die traditionelle Rechtsprechung71 , nach der es "keinen Unterschied" mache, "ob der Antragsteller die unter Beweis gestellten Tatsachen bereits kannte oder nur vermutete oder für wahrscheinlich" halten. Zudem wird auf die bereits erwähnte Chancenlosigkeit hinsichtlich der Beweistätigkeit des Gerichts nach erfolgter Abstufung aufgrund der eingeschränkten Reichweite der Aufklärungspflicht hingewiesen73 • Ferner werde durch diese Rechtsprechung die Verteidigung zu eigenen Ermittlungen gezwungen, welche sie oft, da sie nicht über Zwangsmittel verfüge, nicht leisten könne74 • Schließlich wird die Inkompatibilität dieser Rechtsprechung mit dem Begriff des Beweisantrags gerügt, der eben keine Wissenserklärung umschreibe, sondern die Annahme lediglich der Möglichkeit des Erfolgs der Beweiserhebung beim Antragsteller ausreichen lasse7s • Diese Einwände lassen sich auch gegen die "Plausibilitätsrechtsprechung" vortragen, da auch diese die Abstufungsmöglichkeit bei einer Behauptung in Form einer bloßen Vermutung anerkennt und insofern beide Rechtsprechungslinien im Ergebnis übereinstimmen. In systematischer Hinsicht erscheint die Entscheidungsalternative, vor der das Tatgericht nach der Rechtsprechung des Fünften Strafsenats bei einer objektiv haltlosen Behauptung im Antrag steht - darauf haben Schulz76 und Kühl77 hingewiesen - äußerst widersprüchlich. Sofern die auf einer "bloßen Vermutung" gestützte und die in Verschleppungsabsicht aufgestellte Beweisbehauptung der gleichen Kategorie angehören, besteht die Möglichkeit, daß die Ausschließungsbefugnisse des Gerichts aufgrund ihrer jeweils unterschiedlich hohen Voraussetzungen in Kollision geraten78 • Selbst Meyer, der die Linie des Fünften Strafsenat vorgezeichnet hat79, zieht die Unterscheidungslinie zwischen beiden Behauptungen derart, daß die Prozeßverschleppung dort beginnt, wo der Antragsteller es für ausgeschlossen hält, daß die Beweisbehauptung vom Beweismittel bestätigt wird, während dies von ihm bei der "bloßen Vermutung" zumindest noch für möglich, wenn auch für unwahrscheinlich, gehalten wirdBO • Da aber für die Ablehnung wegen Prozeßverschleppungsabsicht strengere

71 Herdegen, Meyer-GS, S. 202; Schwenn StV 1981,631 (635); Strate StV 1981,261 (264). 72 Vgl. RGSt 1,51 (52); RG JW 1924, 1251 Nr. 5; BGHSt 21,118 (125); BGH NJW 1983,126 (127). 73 Vgl. Herdegen StV 1990,518 (519). 74 Vgl. Welp JR 1988,387 (388). 7S Vgl. AlsberglNüse/Meyer, S. 43; SchulzStV 1985,312. 76 Schulz StV 1985,312 (314). 77 Kühl, S. 85 f. 78 Vgl. Kühl, S. 86. 79 Vgl. Alsberg/Nüse/Meyer, S. 45 f. 80 Vgl. AlsberglNüse/Meyer, S. 46 Fn. 69, S. 779 Fn. 13; Kühl, S. 85 f

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I. Teil: Darstellung der Rechtslage

Kautelen81 gelten, steht die Rechtsprechung des Fünften Strafsenats im Widerspruch zu der Systematik der gesetzlichen Ablehnungsgründe82 ; zumindest erscheint eine sinnvolle Unterscheidung, wann wegen Prozeßverschleppung abgelehnt und wann zum Beweisermittlungsantrag abgestuft werden muß, nicht möglich83 . Diese Kritik, explizit nur gegen die "Plausibilitätsrechtsprechung" vorgetragen, läßt sich auch gegen die "Vermutungsrechtsprechung" anführen, da auch ohne Befragung des Gerichts bei haltloser Behauptung die Entscheidungsalternative des Tatgerichts zwischen Antragsablehnung wegen Prozeßverschleppungsabsicht und Abstufung gegeben ist. Schließlich kommt hinzu, daß die Verteidigung ein legitimes Interesse daran hat, ihre Informationsquellen nicht preiszugeben, wie Z.B. bei der Einhaltung von Vertraulichkeitszusagen, was im Ergebnis, unter Zugrundelegung des Befragungsrechts nach der Ansicht des Fünften Strafsenats, zu einem Verzicht auf den beantragten Beweis fUhren würde84 . Die Kritik gegen die Umdeutungsrechtsprechung läßt sich mit den Worten von Herdegen in der Aussage zusammenfassen, daß dadurch ein ,,Ablehnungsgrund contra legem" geschaffen wird, "durch den die argumentativen Anforderungen, die der Ablehnungsgrund der Prozeßverschleppung stellt, reduziert werden"8s. Allerdings ist auch hier die EffIzienz der Rechtsprechung anzuzweifeln, sofern sich das Gericht mit einer erfahrenen Verteidigung konfrontiert sieht, der es nicht schwerfallen dürfte, durch entsprechende Antragsformulierungen den Eindruck der eigenen hinreichenden Überzeugung von der Richtigkeit der behaupteten Beweistatsache zu erwecken86 .

81 Vgl. Schulz StV 1985,312: Die Ablehnung eines Beweisantrags wegen Prozeßverschleppungsabsicht muß gemäß § 244 Abs. 6 StPO durch Gerichtsbeschluß erfolgen, während der Beweisermittlungsantrag vom Vorsitzenden allein abgelehnt werden kann und die Anrufung des Gerichts nach § 238 Abs. 2 StPO zum Teil als unzulässig angesehen wird (vgl. zum letzteren Alsberg/NüselMeyer, S. 90; aA. die h.M., siehe Meyer-Goßner in: KIIMG, § 244 Rdnr. 27 m.w.N.). 82 Kühl, S. 86; auch Thole, S. 62. 83 Perron, Beweisantragsrecht, S. 204. 84 Frister StV 1989, 380 (382); Gollwitzer StV 1990,420 (424); Perron, Beweisantragsrecht, S. 205; Schulz StV 1985,312 8S Herdegen StV 1990,518 (519). 86 Vgl. Julius, S. 244. Vgl. Richter II StV 1994, 454 (455), der darauf hinweist, daß die Verteidigung in den Fällen der Verfahrensverkürzung durch das Gericht über Einschränkung der Verteidigungsrechte einen anderen Weg zur Interessenwahrung des Angeklagten nehmen wird: "Nun wird der dupierte und gebeutelte Verteidiger sich zu wehren suchen".

2. Kapitel: Kontrollbefugnisse des Tatgerichts

45

III. Anerkennung eines allgemeinen übergesetzlichen Mißbrauchsverbots 1. Tendenzen in der Rechtsprechung Als eine dritte sich ankündigende Entscheidungslinie der Rechtsprechung mit der Folge der Ausgrenzung eines Beweisantrags aus der gesetzlich kodifizierten Schlüssigkeitskontrolle läßt sich, mit einiger Vorsicht, die Anerkennung eines allgemeinen übergesetzlichen Mißbrauchsverbots anführen. In drei Entscheidungen haben die Obergerichte ein solches bislang anerkannt mit den wenn auch nicht in allen entschiedenen Fällen rechtsfolgenerheblichen - Konsequenzen der Unzulässigkeit der Zeugenladung des Angeklagten gemäß § 220 StPO (unter der Geltung des § 245 StPO a.F.) bzw. der Verweigerung der Anerkennung eines Beweisantrags. Ohne daß die "Umdeutung" in einen Ennittlunsantrag in den letztgenannten Fällen dabei explizit dargelegt wurde, handelt es sich im Ergebnis um eine solche, da auf formaler Ebene die Beweisantragsqualität abgesprochen wird. Die Entscheidung des Kammergerichts vom 10. Mai 1971 87 betraf die Aufhebung zweier Ordnungsstrafbeschlüsse, nachdem ein Zeuge einer nach § 220 Abs. 1 StPO durch den Angeklagten erfolgten Ladung nicht nachgekommen war. Das Kammergericht hob einen der Beschlüsse niit der Begründung auf, daß die Ladung des Zeugen aufgrund des Mißbrauchs des unmittelbaren Ladungsrechts des Angeklagten aus § 220 StPO unzulässig gewesen sei - eine Einschränkung, welche das Gesetz nicht vorsah und - sieht88. Es berief sich dabei auf den "Grundsatz, daß Rechte nicht mißbraucht werden dürfen"89. Nach dem vom Kammergericht mitgeteilten Sachverhalt war der Zeuge in der vorherigen Vernehmung während zweier Sitzungstage mehrfach vom Angeklagten beleidigt worden; die Verteidigung habe lediglich Fragen gestellt, die keine fiir die Entscheidung wesentlichen Tatsachen betrafen.

87 Abgedruckt in JR 1971,338 m. Anm. Peters. 88 Zur Zeit der Entscheidung des KG galt noch § 245 StPO a.F., nach dem die Ver-

teidigung ohne Antragserfordernis und ohne Ablehnungskompetenz des Gerichts befugt war, ihre Beweise dem Tatgericht zu präsentieren. Das unmittelbare Ladungsrecht des § 220 StPO bezieht sich heute auf § 245 Abs. 2 StPO, der nunmehr einen Beweisantrag voraussetzt, erweiterte Ablehnungsmöglichkeiten bietet und einen Gerichtsbeschluß verlangt, § 244 Abs. 6 StPO. Die Problematik des Mißbrauchs des unmittelbaren Ladungsrechts mit der Rechtsfolge des Fehlens einer ordnungsgemäßen Ladung dürfte sich daher heute erübrigt haben, vgl. Meyer-Goßner in: KIIMG, § 220 Rdnr. 9. 89 KG JR 1971,338.

I. Teil: Darstellung der Rechtslage

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In seinem Urteil vom 18. März 1986 erkannte der BundesgerichtshofJO eine nach § 246 Abs. 1 StPO nicht zulässige Ablehnung eines Beweisantrags der Staatsanwaltschaft, formulierte aber weiter in einem obiter dictum, daß "es ... außerordentliche Fallkonstellationen geben (mag, d.V.), in denen sich die Stellung des Beweisantrags als grober Mißbrauch einer verfahrensrechtlichen Befugnis darstellt mit der Folge, daß der Beweisantrag - jenseits der gesetzlich geregelten Ablehnungsgründe - als unzulässig zurückgewiesen werden kann"91.

Diese Voraussetzungen nennt der Bundesgerichtshof jedoch nicht. Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 7. November 1991 begründet die Entziehung des Beweisantragsrechts des Beschuldigten (und nicht seines Verteidigers) mit einem allgemeinen Mißbrauchsverbot, welches "im Strafverfahren - wie in jedem Prozeß - (... ) (den, d.V.) Gebrauch prozessualer Rechte zum Erreichen rechtlich mißbilligter Ziele untersagt ( ... )"92. Das Gericht stellte sich mit dieser Aussage in Widerspruch zur bisherigen Judikatur93 , da seiner Auffassung nach das Mißbrauchsverbot über die gesetzlich kodiftzierten Vorschriften, insbesondere über die die Ablehnung eines Beweisantrags wegen Prozeßverschleppungsabsicht regelnden §§ 244 Abs.3 Satz 2, 6. Var., 245 Abs.2 Satz 3, 5. Var. StPO, hinaus gilt94 • Seine Ansicht stützt der Bundesgerichtshof auf die bereits zitierte Entscheidung des Kammergerichts, sowie auf verschiedene Stimmen im Schrifttum95 • Auch in der weiteren Literatur wird neben den in den genannten Judizien angefUhrten Autoren ein gesetzlich nicht kodiftziertes, allgemeines Mißbrauchsverbot ohne nähere Begründung anerkannt96 • 2. Kritische Anmerkungen Bei den zitierten Entscheidungen überrascht nach näherem Hinsehen die dogmatische Unsicherheit, mit der das allgemeine Mißbrauchsverbot hergeleitet

Abgedruckt in NStZ 1986,371. BGH NStZ 1986,371. Das Gericht meint erkennbar (dies ergibt sich aus dem Einschub ,jenseits") nicht den Ablehnungsgrund der Unzulässigkeit der Beweiserhebung nach § 244 Abs. 3 Satz I StPO, sondern vielmehr ,,nicht zulässig" im allgemeinen Sinne; a.A. Thole, S. 197. 92 BGHSt 38, III (113) = JR 1993, 169 m. Anm. SchejJler. 93 Vg\. RGSt 13,151 (153); 22, 235 (236); BGH JR 1980,218 (219) m. Anm. Meyer; BGHSt 29, 149 (152). 94 Vg\. BGHSt 38, III (113). 9S Vg\. Gollwitzer in: LR, Vor § 226 Rdnr. 49; Meyer-Goßner in: KIIMG, Ein\. Rdnr. III (das Gericht zitiert die 40. Aufl. des Kommentars); Peters JR 1971,340 (341); Rüping, S. 16 f.; Schlüchter, Strafverfahren, Rdnr. 161; Weber GA 1975,289 (295). 96 Pfeiffer in: KK, Ein\. Rdnr. 22a; Fischer in: PIF, § 244 Rdnr. 37; ter Veen, S. 291 f. 90 91

2. Kapitel: Kontrollbefugnisse des Tatgerichts

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wird: Fehlen in dem Beschluß des Kammergerichts dazu jegliche Ausführungen, so lassen sich die Zitate in den beiden angefUhrten Judizien des Bundesgerichtshofs ausnahmslos auf die Aufsätze von Weber97 und RüpinglDomseifer98 , die das erste Mal auf den sogenannten institutionellen Mißbrauch hingewiesen haben, zurückführen. Damit wird aber lediglich das institutionelle Objekt des Mißbrauchs, der Zweck einer Verfahrensnorm, aufgezeigt. Die eigentlichen Kemprobleme der zitierten Rechtsprechung, die Herleitung des übergesetzlichen Mißbrauchsverbots im allgemeinen und die Voraussetzungen seiner Anwendung auf das Beweisantragsrecht im besonderen99, sind damit nicht geklärt 1oo. Die zitierten "Begründer" des institutionellen Mißbrauchs jedenfalls haben sich zur Übergesetzlichkeit des Mißbrauchs nicht geäußert; im Gegenteil gehen sie vielmehr davon aus, daß es allein Aufgabe des Gesetzgebers sei, institutionellem Mißbrauch entgegenzuwirken101 • Soweit der dogmatische Unterbau eines übergesetzlichen Mißbrauchsverbots im strafprozessualen Beweisantragsrecht aus dem zivilistischen Rechtsgedanken der Verwirkung (§ 242 BGB) abgeleitet wird102, ist dieser Weg bedenklich. Einer Übertragung der zivilistischen Rechtsverwirkung als" venire contra fac-

tum proprium" steht entgegen, daß aufgrund eines fehlenden Prozeßrechtsver-

hältnisses sowohl zwischen dem Angeklagten und der Staatsanwaltschaft als auch zwischen j enem und dem Gericht es im Strafverfahren - anders als im Zivilprozeß - die Herrschaft von Treu und Glauben im Sinne einer personenbezogenen Rücksichtnahme des Angeklagten auf die Belange anderer Prozeßbeteiligter nicht geben kann 103 • Zumindest wäre ein solches personengebundenes Treueverhältnis in Weber GA 1975,289. Rüping/Dornseijer JZ 1977, 417. 99 Metzger, Kielwein-ColI., S. 98, spricht von einem Ablehnungsgrund "extra legern". 100 Vgl. auch Kröpil JuS 1997, 354 (358), der allerdings eine zusätzliche dogmatische Begründung für die Vemeinung des Mißbrauchsverbots vermißt, was angesichts des übergesetzlichen Charakters dieses Instituts überraschen muß. 101 Weber GA 1975,289 (299): "Würde man ins Beweisantragsrecht einen allgemeinen Ablehnungsgrund des Rechtsrnißbrauchs aufnehmen, so würde dies darauf hinauslaufen, daß der Richter nach freiem Ermessen über die Erhebung beantragter Beweise entscheidet, ein Rechtszustand, wie er im StPO-Entwurfvon 1939 angestrebt wurde, den aber heute niemand ernsthaft wünschen sollte". Siehe auch Rüping/Dornseijer JZ 1977, 417 (418 f.), die zwar in Fn. 18 die Entscheidung des KG zitieren, das in dieser Entscheidung zugrundege1egte allgemeine Prinzip allerdings lediglich als "Legitimierung von Einze1positivierungen" verstehen. 102 Weber GA 1975, 289 (291 ff.); Rüping/Dornseijer JZ 1977,417 (418). Vgl. auch BGHSt 24, 143 (148) (Nichteinhaltung der Ladungsfrist nach § 217 Abs. 1 StPO kein Grund für Rechtsbeschwerde); OLG Harnm MDR 1988,74 (75) (Verwirkung des Anhörungsrechts nach den §§ 463, 454 StPO vor der Strafvollstreckungskarnmer). 103 Scheffler JR 1993, 170 (172); auch Weber GA 1975, 289 (294 f.). Vgl. für den Fall des staatlichen illoyalen Verhaltens See/mann, Kielwein-ColI., S. 26. 97

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I. Teil: Darstellung der Rechtslage

seiner ursprünglich zivilrechtlichen Bedeutung angesichts der besonderen Stellung des Angeklagten im Strafprozeß - aus dem Grundsatz des "nemo tenetur se ipsum accusare" wird die fehlende Prozeßförderungspflicht bzw. die prozessuale Folgenlosigkeit einer Lüge des Angeklagten gefolgert104 - neu und spezifisch zu defmieren. Dieser grundsätzliche Einwand gilt auch für den Lösungsversuch von Scheffler lO5 , der rur die Entziehung des Beweisantragsrechts des Angeklagten für die Zukunft des Verfahrens das Schikaneverbot nach § 226 BGB als Lösungsmodell anbietet, da die Voraussetzungen des Schikaneverbots weitgehend mit denen des Ablehnungsgrunds der Prozeßverschleppungsabsicht übereinstimmten; handelt es sich bei § 226 BGB doch um eine spezielle Ausgestaltung des Grundsatzes des unzulässigen Rechtsausübung UJ6 • Demgegenüber soll der Begriff des sog. institutionellen Mißbrauchs von der Voraussetzung des personenbezogenen Rücksichtnahmeverhältnisses dispensieren 107: Danach wird ein Recht mißbraucht, wenn es nicht zu der vom Gesetz gewollten Interessenförderung, sondern zur Erreichung mißbilligenswerter Ziele eingesetzt wird lO8 • "Im Kern geht es also um ein Interpretationsproblem, genauer um eine Frage der teleologischen Interpretation von Normen"l09 - und genau darin liegt die entscheidende Schwäche dieses Ansatzes. Für die gleichsam gegenläufige Problematik des illoyalen staatlichen Verhaltens im Strafverfahren wird der Gedanke der Übertragung des zivilistischen Verwirkungsinstituts a~f das Strafverfahren zwar zum Teil befiirwortetl1 O. Dort fmdet der eng verstandene Verwirkungsbegriff jedoch allein im speziellen Fall der staatlichen Verbrechensprovokation Anwendung (mit dem Ergebnis der Straffreiheit)111; fiir das Problem des Eingriffs in das Beweisantragsrecht fehlt eine vergleichbare Konturierung des übergesetzlichen Mißbrauchsgedankens. Vielmehr würde das "venire contra factum proprium" der Verteidigung lediglich über die objektive negative Zweckbestimmung der betreffenden Verfahrensnorm im Sinne eines Verbots ihres Mißbrauchs begrifflich gefaßt. Wenn die Auslegung dieses negativen (Teil-)Telos sich derart allein am (unbegründeten) Selbstzweck der

104 Vgl. Fezer, Strafprozeßrecht, Fall 3 Rdnr. 11; Rogall, S. 54. Vgl. auch Fezer StV 1997, 57 (59) zur Anwendung der zivilrechtlichen "Verwirkungs"konstruktion auf die Notwendigkeit des Widerspruchs der Verteidigung in der Hauptverhandlung bei Verstoß gegen die Be1ehrungspflicht aus § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO. 105 Scheffler JR 1993, 170 (172 f.). 106 Vgl. Sax in: KMR, Einl. X Rdnr. 82. 107 Weber GA 1975,289 (294) hält es letztlich für eine terminologische Frage, ob der Grundsatz von Treu und Glauben so weit gefaßt werden sollte, daß er auch das Verbot des institutionellen Mißbrauchs erfaßt. 108 Weber GA 1975,289 (295); vgl. Rüping/Dornseifer JZ 1977,417 (418). 109 Weber GA 1975,289 (295); vgl. Rüping/Dornseifer JZ 1977,417 (418). 110 Vgl. Bruns StV 1984,388 (390); Katzorke, S. 68 ff. 111 Vgl. Katzorke, S. 119 f., 212.

2. Kapitel: Kontrollbefugnisse des Tatgerichts

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Vorschrift orientierte 112, so wäre damit die Gefahr begründet, den Sinn der Verfahrensnorm zur Disposition jeweils wechselnder rechtspolitischer Strömungen zu stellen113 ; ein solcher generalklauselartiger Mißbrauchsbegriff entzöge sich jeglicher, für ein Verfahrensrecht unabdingbar notwendiger Defmition114 • Sollte andererseits versucht werden, den Normzweck verbindlicher und personaler festzulegen - in diesem Sinne denken RüpingIDomseifer11S an die im Verfassungsrecht wiederkehrende Vorstellung des gemeinschaftsgebundenen Individuums, dessen Sozialität im Bereich rechtlicher Regelungen es bedinge, Einzelbefugnisse nicht um ihrer selbst Willen auszuüben -, so führte ein solcher Gedanke, konsequent zu Ende geführt, letztlich dazu, die Mißbrauchsabsicht des Antragstellers zur Voraussetzung zu erheben: Dies ist durch die §§ 244 Abs.3 Satz 2, 6. Var., 245 Abs. 2 Satz 3, 5. Var. StPO allerdings schon verwirklicht, so daß ein selbständiger Sinn eines übergesetzlichen, institutionellen Mißbrauchs verborgen bliebe. Dieses - formell verstanden systematische - Argument wird im Schrifttum hauptsächlich gegen die Anerkennung eines allgemeinen übergesetzlichen Mißbrauchsverbots angeführt 116• Auch setzt das Wort "nur" in § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO der Rechtsprechung eine Grenze, welche keine richterliche Rechtsfortbildung, auch nicht im Bereich der Zulässigkeitsvoraussetzungen des Beweisantrags, zulassen dürfte 117. Im weiteren Zusammenhang der Regelungssystematik werden zudem (neben §§ 244 Abs. 3 Satz 2, 6. Var., 245 Abs.2 Satz 3, 5. Var. StPO) die anderen Vorschriften der StPO, welche Rechtsfolgen an mißbräuchliches bzw. verfahrensfremde Zwecke verfolgendes Verhalten knüpfen (§§ 26a Abs. 1 Nr. 3, 138a Abs. 1 Nr. 2, 231a Abs. 1 Satz 1,241 Abs. 1 und 2,266 Abs. 3 Satz 1 StPO, auch § 67 Abs. 4 Satz 2 JGG), als argumentum e contrario für die Folgenlosigkeit des Mißbrauchs 112 Vg!. Kühne StV 1996,684 (685): ,,Die Analogie des Rechtsmißbrauchs beruht dabei auf dem Evidenzerlebnis des Widerspruchs der rechtstechnischen Anwendbarkeit mit dem gleichen Normzie!. Juristische Technik kollidiert gleichsam mit dem, was man unscharf genug mit gesundem Menschenverstand, Erfahrung, Vernunft oder ähnlichem beschreibt. Wie selbstverständlich wird dabei davon ausgegangen, daß der Rechtsanwender ein höheres Verständnis vom Sinn und Zweck des Rechts hat, als er dies mit Hilfe juristischer Subsumtionsmethoden belegen kann". 113 See/mann, Kielwein-Coll., 28, spricht für den Fall des illoyalen staatlichen Verhaltens von einer Entleerung des Begriffssinns des venire contra factum proprium. Beispielhaft für die fehlende Legitimation des Zweckwidrigkeitsurteils: Niemöller StV 1996,501 (502 ff.), der die Begriffe des prozeßfremden und des prozeßwidrigen Zwecks ohne Begründungen voraussetzt. 114 Vg!. nur Herdegen, Meyer-GS, S. 199. 115 Rüping/Dornseijer JZ 1977,417 (418) 116 Vg!. Eisenberg Rdnr. 174; Fezer, Strafprozeßrecht, Fall 12 Rdnr. 60; Kühne StV 1996,684 (688 f.); Meyer IR 1980,219 (220); Sax in: KMR, Ein!. X Rdnr. 82.; Schmidt, Anmerkung zu BGHSt 29, 149, LM Nr. 3, § 244 Abs. 3 StPO 1975; Wagner JuS 1972, 315 (317). 117 Metzger, Kielwein-Coll., S. 99.

4 Anders

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1. Teil: Darstellung der Rechtslage

außerhalb der jeweiligen Anwendungsbereiche verwendet 118 • Vieles deutet ferner darauf hin, daß das Strafverfahrensrecht Mißbrauchsmöglichkeiten für die Verteidigung eröffnet, welche nach dem Willen des Gesetzgebers verfahrensrechtlich ohne Folgen bleibenl19. Auch dies spricht für eine Beschränkung verfahrensrechtlicher Sanktionen aufkodiftzierte Einzelfälle l20 . Schließlich wird in der Literatur die Pauschalität der Zuschreibung des Verfahrensrechtsmißbrauchs zum Verteidigungsverhalten bemänge1tl 21 . Der Entwicklungsansatz der Rechtsprechung hinsichtlich der Anerkennung eines allgemeinen Mißbrauchsverbots muß auch deshalb beunruhigen, weil es sich nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts bei dem Beweisantragsrecht um ein über Art. 103 Abs. 1 GG und über das aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitete Recht auf ein faires Verfahren aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG verfassungsrechtlich abgesichertes Beschuldigtenrecht handelt l22 . Beweisanträge dürfen dementsprechend nicht ohne gesetzliche Grundlage abgelehnt werden123. Trotz gelegentlicher Befürwortung einer gesetzlich verankerten Mißbrauchsklausel in der Literatur124 ist der Gesetzgeber einer solchen Generalklausel mit Rudolphi1 2s und VogeP26 jedoch bis heute nicht gefolgt. Eine Rechtsprechung, welche jenseits der gesetzli-

118 Vgl. Niemöller StV 1996,501 (502).

119 Wie z.B. die Verhandlungsstörung durch den Verteidiger, dessen Entfernung aus dem Gerichtssaal gemäß § 177 GVG nicht möglich ist, vgl. Meyer-Goßner in: KIIMG, § 177 GVG Rdnr. 3; Schäfer in: LR, § 176 GVG Rdnr. 16. Siehe aber für die Möglichkeit der Entfernung des Verteidigers aus dem Gerichtssaal in dringenden Ausnahmefallen: BGH NJW 1977, 437 (438); auch in diesem Bereich ist für sog. Ausnahmefälle richterliche Rechtsbildung zu beobachten. 120 Sax in: KMR, Einl. X Rdnr. 86; Wagner JuS 1972, 315 (317 f.). 121 Eisenberg Rdnr. 174: Mißbrauch durch Verteidigung sei ein Vorwurf "aus amtsbezogener Perspektive", eine "Abgrenzung gegenüber einer intensiven Wahrnehmung der gesetzlich dem Verteidiger zugewiesenen Verfahrensrolle als einseitiger Vertreter der Interessen des Angeklagten" bereite Schwierigkeiten. Vgl auch Kühne StV 1996, 684 (687 f.), der die spezifische Rechtsanwendung der Verteidigung, welche mangels Rechtsanwendungshoheit in ihrer Verfahrensrolle allein auf Antragstellungen angewiesen sei, herausstellt: Vor diesem Hintergrund sei es weder sinnvoll noch angemessen, divergierende vorläufige Rechtsauffassungen zum Anlaß zu nehmen, sich unprofessionelles Verhalten vorzuwerfen. 122 Vgl. BVerfGE 57, 250 (274 0; Perron, Beweisantragsrecht, S. 32. 123 Siehe auch Sax in: KMR, Einl. X Rdnr. 85, nach dem eine gesetzlich nicht vorgesehene richterliche Maßnahme der Mißbrauchssteuerung nur zulässig ist, wenn sie durch Auslegung auf eine gesetzliche Verbotsnorm zurückführbar ist. 124 Vgl. Rebmann DRiZ 1979,363 (368 f.); ders. NStZ 1984,241 (246); vgl. Verhandlungen des Sechzigsten Deutschen Juristentages Münster 1994, Band II12: SaIger, Diskussion, M 210. 125 Rudolphi ZRP 1976, 165 (172, Fn. 32) unter Hinweis auf Weber GA 1975, 289 (299). 126 Vogel NJW 1978, 1217 (1223, Fn. 117) ebenfalls unter Hinweis auf Weber GA 1975,289 (299).

2. Kapitel: Kontrollbefugnisse des Tatgerichts

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chen KodifIzierung durch richterliche Rechtsschöpfung eine neue Beweiserhebungskontrolle schafft, müßte sich daher mit den Problemen der Vereinbarkeit eines solchen Richterrechts mit den Artt. 20 Abs. 3, 97 Abs. I GG beschäftigen127, was in den zitierten Entscheidungen nicht der Fall ist. Zwar muß konstatiert werden, daß die Gefahr der Beschneidung von Verteidigungsrechten durch die Verweigerung der Annahme von Beweisanträgen aufgrund des Verstoßes gegen ein allgemeines Mißbrauchsverbot bislang als recht gering einzustufen ist: Während es sich bei der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 18. März 1986128 um ein obiter dictum handelt, hatte der Beschuldigte in dem dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 7. November 1991 129 zugrundeliegenden Fall selbst 300 Beweisanträge gestellt, später 200 angekündigt und endlich erklärt, sich ca. 8.500 weiteren, ihm dem Inhalt nach unbekannten Anträgen, die ein Mitbeschuldigter eingereicht hatte, "schon jetzt" anzuschliessen l30 • In seiner Entscheidung fiihrte der Bundesgerichtshof aus, daß einem solchen Verhalten auf der Grundlage des allgemeinen Mißbrauchsverbots ohne spezielle Eingriffsnorm jedenfalls dann durch Einschränkungen begegnet werden könne, wenn diese ihrerseits nicht das Recht des betroffenen Angeklagten, sich umfassend verteidigen zu können, in Frage stellten 131 und sah sich insoweit zumindest von diesem Ergebnis her in der Tradition der bisherigen Rechtsprechung 132• Dementsprechend wurde die vom Tatgericht ausgesprochene Anordnung, daß der Angeklagte Beweisanträge in Zukunft nur noch über seinen Verteidiger stellen darf, vom Bundesgerichtshof nicht beanstandet. Soweit in diesen extremen Fällen zwar ein Bedürfuis nach einer Regelung, welche das Tatgericht von seiner Pflicht zur inhaltlichen Prüfung aller Beweisanträge 133 befreit, evident ist, kann andererseits nach dem hier Dargelegten die Umsetzung nur über eine begründete und somit konturierte Rechtsgrundlage erfolgen l34 • Der von Niemöller135 vorgeschlagene Weg über § 34 StGB stellt zwar den Versuch der Rechtfertigung zumindest über eine gesetzliche Eingriffsnorm dar; dieser ist jedoch - dies soll hier indes nicht vertieft werden insbesondere aufgrund der zweifelhaften Anwendbarkeit des Notstandsrechts Hamm StV 1993,455 (456); Metzger, Kielwein-Coll., S. 98. BGH NStZ 1986,371. 129 BGHSt 38, 111. 130 Die Entscheidung KG JR 1971,338 dürfte ftir § 220 Abs. 1 StPO keine Bedeutung mehr haben, vgl. Meyer-Goßner in: KI/MG, § 220 Rdn. 19. 131 BGHSt 38, 111 (114); insoweit dürfte auch eine Grundrechtsverletzung des Beschuldigten ausscheiden, vgl. Perron, Beweisantragsrecht, S. 185. 132 Vgl. BGH JR 1980,218 (219); BGHSt 29,149 (152). \33 Vgl. dazu BGHSt 29,149 (152). 134 Vgl. auch Niemöller StV 1996,501 (506). \35 Vgl. Niemöller StV 1996, 501 (506) unter Hinweis auf BGHSt 27, 260 (Kontaktsperre - Fall Schleyer). 127 128

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I. Teil: Darstellung der Rechtslage

sowohl auf prozessuales als auch auf hoheitliches Handeln fraglich. Zudem ist zweifelhaft, ob mit dieser Norm tatsächlich die notwendig sichere Defmition erreicht wäre, welche erforderlich ist, um dem Tatgericht nicht über diese Extremfalle hinaus ein zur Durchsetzung allein prozeßökonomischer Zwecke dienliches Instrumentarium an die Hand zu geben. Es bleibt insgesamt abzuwarten, ob durch das Institut des allgemeinen übergesetzlichen Mißbrauchsverbots über die Sachverhalte des krassen, offensichtlichen Mißbrauchs hinaus eine neue Entscheidungslinie eröffnet wird, welche die Verpflichtung der Tatgerichte zur Entlastungsbeweistätigkeit weiter reduziert und insbesondere auch Beweisanträge der Verteidigung betrifft136 • Eine solche Gefahr ist zumindest schon deshalb anzunehmen, weil, wie dargelegt, eine schlüssige Begründung zur Inhaltsbestimmung und Eingrenzung dieses Rechtsinstituts bislang fehlt und eine solche auch nicht über das seinerseits konturlose Recht des betroffenen Angeklagten, sich umfassend verteidigen zu können, geleistet wird. IV. Praktische Bedeutung der Ausgrenzungsrechtsprechung und zusammenfassende Würdigung

Die Darstellung hat gezeigt, daß die Rechtsprechung auf der Ebene der Zulässigkeitsbeurteilung eines Beweisantrags mehrere Wege erschlossen hat, um über die Ausgrenzung des Beweisbegehrens aus dem Begriff des förmlichen Antrags eine Abstufung in einen Beweisermittlungsantrag vorzunehmen, welcher anhand der weiter gefaßten und dadurch rur das Tatgericht leichter handhabbareren Voraussetzungen der Amtsaufklärungspflicht gemäß § 244 Abs. 2 StPO zu beurteilen ist. Die entwickelten Argumentationen reichen dabei von der Verschärfung der bereits bestehenden gesetzlichen formalen Voraussetzungen der Bestimmtheit von Beweismittel und -tatsache über die Schaffung des Erfordernisses der Überzeugung des Antragstellers von der Richtigkeit der behaupteten Tatsache bis schließlich zur Anerkennung eines allgemeinen Mißbrauchsverbots im Wege richterlicher Rechtsbildung. Die praktische Bedeutung dieser Ausgrenzung auf der Ebene der Formalkontrolle ist allerdings als gering einzustufen: Nach Vogtherr137 wurde mit der Begründung des "verdeckten" Beweisermittlungsantrags keine Ablehnung vorgenommen, während nach der Einzelbefragung von Perron138 eine solche Ablehnung "gar nicht" bis "selten" erfolgte. Lediglich die Aktenanalyse von Per136 Mit Einschränkung befürwortend Basdorf StV 1995, 310 (316): Nur, wenn ein anderer Verteidiger zur Verfügung steht. 137 Vogtherr, S. 350. 138 Perron, Beweisantragsrecht, S. 331.

2. Kapitel: Kontrollbefugnisse des Tatgerichts

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ron brachte im Jahre 1983 fiinf revisionsrechtlich zu beanstandende Abqualifizierungen zum Beweiserrnittlungsantrag 139• Gleichwohl geht er aufgrund der Ergebnisse der Einzelbefragung davon aus, daß, bevor das Tatgericht eine Abstufung vornimmt, es sich um eine inhaltliche Präzisierung bemüht und letztlich auch die Revision durch die Aufklärungsrüge fiirchtet l40 • Dem ist, wie bereits erwähnt, hinzuzufügen, daß es gerade bei den Anforderungen an die Bestimmtheit von Beweismittel und -tatsache, welche aufgrund des Ausnahmecharakters der anderen beiden zitierten Rechtsprechungslinien vornehmlich in der tatrichterlichen Praxis relevant sein dürften, der erfahrenen Verteidigung ein leichtes ist, durch entsprechende Formulierungen dem Abstufungsverdikt zu entgehen. Gleichwohl zeigt die Gesamtheit der dargestellten Ausgrenzungsbefugnisse, welche in ihren Formulierungen sowohl auf objektive als auch subjektive Elemente abstellen, daß die Revisionsrechtsprechung bemüht ist, auf der Ebene der Zulässigkeitsprüfung umfassend und lückenlos Abqualiflzierungsargumentationen zu entwickeln, um der Verteidigung ein Ausweichen zu erschweren. Der mit der Aufstellung der dargestellten überhöhten formalen Anforderungen von der Rechtsprechung verfolgte Zweck dürfte über die Kontrolle der Substantiierung des Beweisantrags hinaus in dem Bestreben zu sehen sein, unliebsame Beweisanträge auf eine prozeßökonomisch günstige Art und Weise abzulehnen. Die Ebene der formalen Zulässigkeitskontrolle eignet sich für dieses Ziel deshalb sehr gut, als hier die strengen Begründungsanforderungen des materialen Schlüssigkeitskontrollrechts nicht gelten. Es ist hier nicht einmal ein Ablehnungsbeschluß nach § 244 Abs. 6 StPO notwendig, so daß auch schon von daher das Risiko fiir das Tatgericht, einen revisiblen Fehler zu machen, geschmälert wird. Dafür spricht, daß die Rechtsprechung das Urteil mangelnder Substantiierung auch dann ausspricht, wenn auf der Ebene des materialen Antragsrechts eine Reaktionsmöglichkeit eingeräumt ist (mithin der Antrag substantiiert "vorgetragen" wurde). Dies betrifft zunächst die Abstufung wegen mangelnder Bestimmtheit der Beweistatsache unter Angabe lediglich des Beweisziels, soweit die Rechtsprechung das Beweisziel unnötigerweise restriktiv versteht l41 • Indizien für die Vermutung des Abweichens vom eigentlichen Zweck der Zulässigkeitskontrolle bestehen auch hinsichtlich der anderen Ausgrenzungsbefugnisse: So soll mit der Anerkennung eines allgemeinen Verbotstatbestands expliciter dem Rechtsmißbrauch vorgebeugt werden. Im Ergebnis gleiches gilt fiir die Begründung der Anforderung der Überzeugung des Antragstellers von der Richtigkeit der Beweistatsache, obwohl hier der Terminus der Mißbrauchsabwehr ausdrücklich nicht verwendet wird. Der Gesetzgeber hat sich zur Beur-

139 140 141

Vgl. Perron., Beweisantragsrecht, S. 366. Vgl. Perron, Beweisantragsrecht, S. 334 f. Siehe dazu oben 2. Kap. A. I. 2.

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I. Teil: Darstellung der Rechtslage

teilung der subjektiven Einstellung des Antragstellers zum Beweisantrag allerdings fiir den engen und aufgrund der hohen Darlegungsanforderungen selten angewendeten Ausnahmefall des materialen Ablehnungsgrunds der Prozeßverschleppungsabsicht entschieden. Dementsprechend steht auch hier ein materialer Ablehnungsgrund zur Verfiigung des Tatgerichts. Zudem ist auffällig, daß dort, wo die materialen Ablehnungsgründe weit gefaßt sind, wie in § 244 Abs. 4 und 5 Satz 1 StPO, wonach dem Gericht hinsichtlich der Beweismittel des Sachverständigen und des Augenscheins ein weiter Ermessenspielraum zugebilligt ist, Ausgrenzungen mit der Begründung formaler Mängel nicht vorkommen l42 . Das Tatgericht wendet mithin pseudomateriale Ablehnungsgründe an, an deren jeweilige Begründung geringe Anforderungen gestellt werden. Das Tatgericht fUhrt somit erleichterte Schlüssigkeitskontrollen aus seiner Perspektive durch: Dies gilt sowohl hinsichtlich der verschärften Bestimmtheitsvoraussetzungen als auch fiir die beiden anderen Ausgrenzungsargurnenationen, da bei ihnen eine Mißbrauchsabwehr allein aus dem Schlüssigkeitsbewertungshorizont des Gerichts vorgenommen wird und eine Darlegung der Ansicht des Antragstellers durch das Tatgericht revisionsrechtlich gar nicht verlangt ist. Formal ist an dieser Vorgehensweise somit nicht der Kontrollrnaßstab, sondern lediglich das Ergebnis auf der Rechtsfolgenseite, nämlich die Abstufung des Beweisantrags zum Beweisermittlungsantrag; insoweit fmdet sich die eingangs aufgestellte Hypothese bestätigt. Vor diesem Hintergrund ist der Zweck der ZulässigkeitspJÜfung, d.h. die Aufbürdung einer Substantiierungslast, um eine materiale Entscheidung vorzubereiten, entfremdet worden, um Ziele, welche vorn Gesetz der materialen Schlüssigkeitskontrolle vorbehalten sind, durchzusetzen. Dabei zeigt die erst junge Rechtsprechung zur Bestimmtheit von Beweismittel und -behauptung, daß ein solches "Trachten nach Surrogaten" keineswegs als "überwundene Episode"143 angesehen werden kann. Der verfahrensrechtliche Prüfungsstandort "Zulässigkeit" erfährt seine Berechtigung in diesem Zusammenhang somit letztlich in dem gering anzusetzenden Bewältigungsaufwand seiner Voraussetzungen bei der Antragsablehnung. Dem eingangs dargelegten Norrnziel der Zulässigkeitsprüfung auf eine hinreichende Substantiierung in KorrespondenZ zur Anwendbarkeit der materialen Ablehnungsgründe wird eine solche Zwecksetzung nicht mehr gerecht.

142 Vgl. Perron, Beweisantragsrecht, S. 200. 143 Herdegen in: KK, § 244 Rdnr. 86.

2. Kapitel: Kontrollbefugnisse des Tatgerichts

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B. Die materialen Ablehnungsgründe in der Begründetheitsprüfung Die materialen Ablehnungsgründe verkörpem die Entscheidungsmaßstäbe, anband derer die Tatgerichte u.a. die Schlüssigkeit, d.h. die Geeignetheit des Beweismittels und die Erheblichkeit der Beweistatsache, bzw. des generellen Erfahrungssatzes beim Indizienbeweis, beurteilen. Mithin erfolgt über sie die Prüfung der Begründetheit des Beweisantrags; ihre Anwendung setzt die positive Zulässigkeitsbewertung des Antrags voraus. In der Hauptverhandlung hat der Beschuldigte im Abschnitt ihrer Vorbereitung zum einen die Möglichkeit, Beweisanträge nach den §§ 225a Abs. 2, 270 Abs. 4 StPO zu stellen, welche allerdings aufgrund ihres Sondercharakters außer Betracht bleiben sollenl44 • Zum zweiten kann der Beschuldigte in diesem Abschnitt gemäß § 219 Abs. 1 StPO die Ladung von Zeugen oder Sachverständigen oder die Herbeischaffung anderer Beweismittel zur Hauptverhandlung beantragen, wobei sich die Präsentation der Beweismittel in der eigentlichen Hauptverhandlung nach § 245 Abs. 1 Satz I StPO richtet l4s • Die Ablehnung eines diesbezüglichen Antrags hat nach einhelliger Ansicht nach § 244 Abs. 3-5 StPO zu erfolgen l46 , so daß sich insoweit fiir den vorliegenden Untersuchungszweck keine Besonderheiten ergeben. I. Unzulässigkeit der Beweiserhebung

Der einzig zwingende Ablehnungsgrund des Beweisantragsrechts in § 244 Abs. 3 Satz I StPO betrifft zunächst Anträge, welche auf eine Beweiserhebung gerichtet sind, die gegen ein Beweisverbot verstößt l47 • Wird der Sinn der Beweisverbote darin gesehen, vorrangige Interessen zu schützen l48 , erfolgt keine Vorwegnahme der Geeignetheit oder Erheblichkeit des Beweisantrags. Für das Gericht ist das Problem der Schlüssigkeit des Beweises deshalb nicht relevant, da entweder die Art und Weise der Beweiserhebung, das bestimmte Beweisthema oder Beweismittel es erfordern, den Beweis zum Schutz gemeinschaftlicher oder persönlicher Werte nicht zu erheben l49 • Sollte davon ausgeVgl. dazu AlsberglNüselMeyer, S. 365 ff. 145 AlsberglNüselMeyer, S. 353. 146Vgl.AlsberglNüselMeyer, S. 356; Gollwitzerin: LR, § 219 Rdnr. 11; Meyer-Goßner in: KlIMG, §219 Rdnr.3; Paulus in: KMR, §219 Rdnr.9; Schlüchter in: SK, §219 Rdnr. 10; Treier in: KK, § 219 Rdnr. 6; a.A. nur Peters, Strafprozeß, S. 308. 147 Vgl. Alsberg/NüselMeyer, S. 430 ff. 148 Vgl. BGHSt 14, 358 (365): "Es ist kein Grundsatz der StPO, daß die Wahrheit um jeden Preis erforscht werden müßte". 149 Vgl. Köhler, Inquisitionsprinzip, S. 67. 144

1. Teil: Darstellung der Rechtslage

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gangen werden, daß das Beweisverbot zudem aufgrund der Unsicherheit des Beweiswerts der Sicherung der Qualität der Beweiserhebung dientlSO, wie beispielsweise beim Verwertungsverbot der Aussage eines gemäß § 52 StPO zeugnisverweigerungsberechtigten und diesbezüglich unbelehrten Angehörigen lSl , so erfolgt aus diesem Blickwinkel heraus zwar eine Vorwegnahme der Beweismitteleignung. Eine solche Vorwegnahme läßt sich allerdings nicht als spezifisches Problem des von der Verteidigung eingefiihrten Entlastungsbeweises begreifen: Sie erfolgt losgelöst von der konkreten Relation des Beweismittels zur Beweisbehauptung sowie vom bisherigen Beweisergebnis abstrakt und typisiert aufgrund des persönlichen Näheverhältnisses des Zeugen zum Beschuldigten; wäre es doch dem Tatgericht innerhalb seiner Amtsaufklärungspflicht selbst verwehrt, auf diesen Beweis zurückzugreifen. Ferner werden Anträge über die Auslegung des sachlichen Strafrechts und die Verhängung der Rechtsfolgen unter die Unzulässigkeit des § 244 Abs. 3 Satz I StPO subsurniert 1S2 • Auch diese Ablehnung bedeutet in ihrem Kern keine Schlüssigkeitsbeurteilung: Zwar kann ein beabsichtigter Verteidigervortrag über präjudizierende Gerichtsurteile 153 die Wahrheitsermittlung beeinflussen lS4 . Gleichwohl erfolgt der Ausschluß derartiger Anträge nicht aufgrund einer vorherigen Schlüssigkeitskontrolle. Vielmehr liegt der Grund, vergleichbar den Beweisverboten, in einer vorherigen abstrakten Fassung des Gegenstands der Beweisaufnahme, der der Disposition aller Beteiligten, auch der des Tatgerichts, entzogen ist: Die Auslegung und Anwendung des inländischen Rechts gehört zwingend zur Aufgabe des Tatgerichts 1S5 • Wie bei der Ablehnung der Anträge von Beweisen, welche einem Beweisverbot unterfallen, erfolgt die Feststellung der Unzulässigkeit losgelöst von dem Problem des Gelingens der Beweisfiihrung und damit der Prognose des "aussichtsvollen" Antrags. Eine solche Negativprognose erfolgt allerdings durch die von der Rechtsprechung berurwortete Subsumtion mißbräuchlich gestellter Anträge unter den Begriff der Unzulässigkeit, welche im Schrifttum Unterstützung fmdet lS6 : Nach Vgl. Eh. Schmidt, I, Rdnr. 20 Fn. 44. Vgl. Fezer, Strafprozeßrecht, Fall 15 Rdnr. 3. 152 Vgl. BGHNJW 1968, 1263; OLG Celle JR 1980, 256f.; JR 1985, 32; AlsherglNüsel Meyer, S. 428 ff.; Meyer-Goßner in: KlfMG, § 244 Rdnr. 49. 153 Vgl. BGHSt 25,207. 154 Köhler, Inquisitionsprinzip, S. 60. ISS Dafür, derartige Anträge außerhalb des Beweisantragsrechts zu behandeln und sie ggf. informell in die Hauptverhandlung rniteinzubeziehen: Köhler, Inquisitionsprinzip, S. 60 f.; Perron, Beweisantragsrecht, S. 223. 156 Vgl. DahslDahs Rdnr.259; Gössel, Strafverfahrensrecht, S. 254: Unzulässigkeit der "nicht ernstlich" bezweckten Beweiserhebung; Gollwitzer in: LR, § 244 Rdnr. 206 f. ("Scheinbeweisantrag"); Herdegen in: KK, § 244 Rdnr. 66: Unzulässigkeit des "Scheinbeweisantrags"; Paulus in: KMR, § 244 Rdnr. 425 fT., der von beiden Termini ausgeht; ISO

151

2. Kapitel: Kontrollbefugnisse des Tatgerichts

57

dieser Ansicht erlaubt die Bejahung verfahrensfremder Zweckverfolgung durch die Verteidigung aufgrund von Beweisanträgen, in denen ein Richter des Tatgerichts als Zeuge zwecks Schaffung des Ausschließungsgrunds nach § 22 Nr. 5 StPO genannt wird, die Ablehnung wegen Unzulässigkeit157 • Ferner seien Hilfsbeweisanträge, welche sich nach der zu beweisenden Behauptung gegen den Schuldspruch richteten, aber nur für den Fall einer bestimmten Rechtsfolgenentscheidung als gestellt gelten sollen, u.a. deshalb unzulässig, weil ein solcher Antrag nur den Sinn haben könne, dem Tatgericht eine Absprache "anzubieten", bei der die "Leistung" des Antragstellers im Verzicht auf einen Beweisantrag zur Schuldfrage, die vom Tatgericht erwartete "Gegenleistung" im Verzicht auf die Anordnung der mit der Antragsbedingung bezeichneten Rechtsfolge bestehe; ein darauf gerichteter Hilfsbeweisantrag stelle einen Mißbrauch der mit dem Beweisantragsrecht verliehenen prozessualen Mitwirkungsund Gestaltungsbefugnisse dar158 • Somit ist in den genannten Fallkonstellationen neben dem Ablehnungsgrund wegen Prozeßverschleppungsabsicht gemäß § 244 Abs. 3 Satz 2, 6. Var. StPO und der Mißbrauchsabwehr auf formaler Prufungsebene eine dritte Handlungsmöglichkeit des Tatgerichts zur Behandlung von sogenannten Scheinbeweisanträgen geschaffen159• Die Subsumtion dieses Scheinbeweis antrags unter die Unzulässigkeit wird von Meyer dahingehend kritisiert, daß der Ablehnungsgrund der Prozeßverschleppungsabsicht der Oberbegriff für alle Beweisanträge sei, mit denen der Antragsteller nicht ernsthaft eine Sachaufklärung anstrebe l60; dies sei schon deshalb anzunehmen, weil der Ablehnungsgrund der Unzulässigkeit obligatorisch sei, der Tatrichter demnach auch bei der Überzeugung, daß der Beweisantrag zur Sachaufklärung dienlich sei, ablehnen müsse 161 •

Perron, Beweisantragsrecht, S. 225, für den heute wohl noch relevanten Fall des An-

trags auf Zeugenvernehmung eines erkennenden Richters: "In der Sache selbst ist gegen die Ablehnung des Beweisantrags aber nichts einzuwenden, (... )"; Rüping, S. 133. 157 Vgl. BGRSt 7, 330 (331); BGRR StPO § 244 Abs.3 Satz 1 Unzulässigkeit 4; BGR NStZ 1994, 80. 158 BGRSt 40, 287 (290): Die Verteidigung hatte mehrere Beweisanträge für den Fall gestellt, daß die Strafkammer den Angeklagten zu einer Freiheitsstrafe ohne Bewährung verurteile, neben Freiheitsstrafe eine zusätzliche Geldstrafe verhänge, Verrnögenswerte für verfallen erkläre oder eine "Geldauflage als Bewährungsauflage" anordne, wobei die Beweisbehauptungen sich inhaltlich auf den Schuldspruch bezogen. 159 Vgl. auch Gollwitzer in: LR, § 244 Rdnr. 206 f. ("Scheinbeweisantrag"), der der konkreten Auswahl der Randlungsmöglichkeit des Gerichts keine ausschlaggebende Bedeutung zum ißt. 160 Vgl. Alsberg/Nüse/Meyer, S.637; auch Herdegen in: KK, § 244 Rdnr.87; auch Julius, S. 224; Köhler, Inquisitionsprinzip, S. 69; Meyer-Goßnerin: KlIMG, § 244 Rdnr. 67. 161 Vgl. Alsberg/Nüse/Meyer, S. 426; auch Marx NJW 1979, 1415 (1419) und Thole, S. 80 f.

1. Teil: Darstellung der Rechtslage

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Dem Tatgericht ist zudem - nunmehr unter Zugrundelegung des herrschenden engen, auf die wesentliche Verfahrensverzögerung gerichteten Verschleppungsabsichtsbegriffs - die Abschichtung der jeweiligen Anwendungsbereiche der Ablehnung wegen Unzulässigkeit und wegen Prozeßverschleppungsabsicht anband eines objektiven Kriteriums ermöglicht. Anträge, welche zu einer erheblichen Verfahrensverzögerung fUhren, fallen unter § 244 Abs. 3 Satz 2, 6. Var StPO, während der Bereich der genannten Scheinbeweisanträge von der Unzulässigkeitsbegründung erfaßt wird. Insoweit besteht aber auch hier eine Kollision innerhalb der Systematik der Ablehnungsgründe, da das Tatgericht im Bereich der Unzulässigkeit von den strengen subjektiven Begründungsanforderungen der Verschleppungsabsicht des Antragstellers befreit ist l62 . Die Begründungen in zwei Entscheidungen des Bundesgerichtshofs163 zeigen nämlich, daß es rur die revisions sichere Ablehnung wegen Unzulässigkeit ausreicht, "genügend Grund zu der Annahme" zu haben l64, daß der Richter ausgeschaltet werden solle. Dieser wurde aus der vorherigen dienstlichen Erklärung des Richters gefolgert, zu dem Beweisthema nichts bekunden zu können. Von den umfangreichen Darlegungen eines zweifelsfreien Nachweises, daß der Verteidiger des Beschuldigten selbst in dem Bewußtsein, die unter Beweis gestellte Tatsache könne nicht bewiesen werden, nur die Hinausschiebung des Urteils bezwecke l65, wurde insoweit dispensiert l66 . Die Indizienbeweisfiihrung der verfahrensfremden Intention aus eigener Perspektive ist fiir das Tatgericht weitaus leichter zu fUhren als dies hinsichtlich des subjektiven Elements aus Sicht des Antragstellers nach § 244 Abs. 3 Satz 2,6 Var. StPO gilt. Die praktische,Bedeutung des Ablehnungsgrunds ist als gering einzustufen: Nach der Aktenanalyse von Vogtherr167 erfolgte die Ablehnung mit der Begründung der Unzulässigkeit in 4,2% der untersuchten Fälle, nach Perron war dies unter Zugrundelegung der Einzelbefragung "praktisch nicht" bis "selten"l68 der Fall, was durch seine Entscheidungsauswertung gestützt wird l69 .

162 Vgl. Gollwitzer in: LR, § 244 Rdnr. 207 a.E.; ter Veen, S. 85 f. 163 BGHSt 7, 330 und BGH StV 1991,99. 164 BGH StV 1991,99 (100). 165 Vgl. Alsberg/Nüse/Meyer, S. 642. 166 Gollwitzer in: LR, § 244 Rdnr. 207 aE., scheint auf eine Absicht des Antragstellers selbst gänzlich zu verzichten, wenn er die objektive Richtererklärung allein als zureichende Bedingung rur die Antragsablehnung wegen Unzulässigkeit der Beweiserhebung ansieht. Vogtherr, S. 350. Perron, Beweisantragsrecht, S. 331. 169 Vgl. Perron, Beweisantragsrecht, S. 366: Der Ablehnungsgrund erscheint ledig-

167 168

lich einmal und steht mit anderen an letzter Stelle.

2. Kapitel: Kontrollbefugnisse des Tatgerichts

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II. Überjlüssigkeit der Beweiserhebung wegen Offenkundigkeit der Tatsache bzw. des Eifahrungssatzes oder ihrer Gegenteile Die Ablehnung eines Beweisantrags kann gemäß § 244 Abs. 3 Satz 2, 1. Var. StPO mit der Überflüssigkeit der Beweiserhebung wegen Offenkundigkeit begründet werden, wobei die Revisionsgerichte in ständiger Rechtsprechung auch die Ablehnung eines Beweisantrags anerkennen, wenn das Gegenteil einer behaupteten Tatsache oder eines behaupteten Erfahrungssatzes offenkundig ist l1o • Dem folgt die herrschende Auffassung in der Literatur\1l, gestützt im wesentlichen auf den Wortlaut der Vorschrift, historische Gründe und Praktikabilitätserwägungen. Während die Ablehnung wegen Offenkundigkeit für den von der Verteidigung beantragten Beweis keine Gefahr bedeutet, erlaubt . die Ablehnung mit der Begründung der Offenkundigkeit des Gegenteils eine Kontrollbefugnis des Gerichts mit dem möglichen Ergebnis entgegengesetzter Schlüssigkeitsbeurteilung. Dementsprechend wird von einer Minderheitsmeinung im Schrifttum die Beschränkung des Anwendungsbereiches der Vorschrift auf allgemein- und gerichtskundige Behauptungen gefordert l12 • Der Begriff der Offenkundigkeit geht auf Stein zurück und unterscheidet Allgemeinkundigkeit und Gerichtskundigkeit\13. Erstere urnfaßt danach Vorgänge, welche so allgemein wahrgenommen werden, daß ein verständiger Mensch sich ebenso davon überzeugt erklären kann, wie dies dem Gericht aufgrund einer Beweisaufnahme möglich ist l14 • Nach Graul l1S setzt dies dreierlei voraus, nämlich daß erstens das Wissen in weiten Kreisen parat oder wenigstens zweitens in allgemein zugänglichen Medien gespeichert ist, wobei die Einverleibung des Wissens keine besondere Sachkunde voraussetzt, und drittens, daß dieses Wissen nach allgemeiner Überzeugung zutreffend ist. Als gerichtskundig ist nach Stein zu bezeichnen, was der Richter im Zusammenhang mit seiner amtlichen Tätigkeit in Erfahrung gebracht hat l16 • 110 Vgl. BGHSt 6, 292 (296f.); 40, 97 (99); BGH NStZ 1994, 140; BayObLG JR 1966, 227; (Hans)OLGe Celle NJW 1967,588; MDR 1994,608; DüsseldorfMDR 1980,868 (869); StV 1992,314; Hamburg NJW 1968,2303 (2304); Hanun VRS 32, 278 (280). 111 AlsberglNüselMeyer, S. 531; Gollwitzer in: LR, § 244 Rdnr.227; Herdegen in: KK, § 244 Rdnr. 65; Krause, S.43; Kreuzer, S. 49; Meyer-Goßner in: KIIMG, § 244 Rdnr. 50; Paulus in: KMR, § 244 Rdnr. 440; Schlüchter in: SK, § 244 Rdnr. 84, 92. 112 Born, S. 113 f.; Engels, S.46 f., ders. GA 1981,30; Feuerpeil, S. 92 ff.; Geppert, S. 154; Graul, S. 193 ff., 242 (explizit nur in bezug aufdie Ablehnung eines beantragten Zeugen- oder Urkundenbeweises wegen OtIenkundigkeit des Gegenteils der Beweistatsache). 113 Stein, S. 138 tI., 151 tI. 114 Stein, S. 147. 115 Graul, S. 13 f., 149 f. 116 Stein, S. 161; auch BGHSt 26, 56 (59). Im einzelnen ist die Definition streitig; insbesondere wird zum Teil auf die amtliche Kenntniserlangung verzichtet, siehe zum Streitstand Graul, S. 271 ff.

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I. Teil: Darstellung der Rechtslage

Eine solche Ablehnung wegen Offenkundigkeit (des Gegenteils) kann sich nach herrschender Ansicht sowohl auf Tatsachen als auch auf Erfahrungssätze beziehen177 • Tatsachen beschreiben konkrete Geschehnisse oder Zustände der Außenwelt bzw. des menschlichen Innenlebens, während Erfahrungssätze aus der Lebenserfahrung oder aufgrund wissenschaftlicher Erkenntnis durch Abstraktion von Einzelfallbeobachtungen gewonnene allgemeine Urteile darstellen, die für alle vergleichbaren Fälle Gültigkeit beanspruchen und deren Anwendung es erst ermöglichen soll, bestimmte Tatsachen zu erschließenl78 • Der Anwendungsbereich der Ablehnung wegen Offenkundigkeit des Gegenteils von Tatsachen ist von vornherein auf den Indizienbeweis beschränkt. Unmittelbar beweiserhebliche Tatsachen können aufgrund der strafprozessualen Grundsätze der Mündlichkeit und Unmittelbarkeit weder wegen Allgemeinkundigkeit l79 noch wegen Gerichtskundigkeit1 80 abgelehnt werden. Die Frage der Geltung eines Erfahrungssatzes, welcher nach Auffassung des Tatgerichts einem zwingenden Erfahrungssatz widerspricht, wie z.B. der wissenschaftlich gesicherte Erfahrungswert, daß Heizöl - wie Dieselöl - einem Flammpunkt von über 55 Grad Celsius hat l81 , kann in der Praxis über den Sachverständigenbeweis gefUhrt werden, so daß der Ablehnungsgrund des § 244 Abs. 4 Satz 1 StPO - eigene Sachkunde des Gerichts - eingreifen wird182 • Zudem umfaßt der Inhalt des Oberbegriffs des Erfahrungssatzes innerhalb des Ablehnungsgrunds der Offenkundigkeit auch Erfahrungssätze, welche lediglich mehr oder weniger wahrscheinliche Einsichten über den regelmäßigen Ablauf der Dinge darstellen183. Beide Arten Erfahrungssätze können allgemein- bzw. gerichtskundig sein, sie unterscheiden sich lediglich hinsichtlich ihrer Allgemeingültigkeit. Diese beschreibt die Sicherung eines Erfahrungssatzes, so daß Erfahrungssätzen, welche keine zwingen177 Dies soll wiederum aufgrund des Wortlautes der Norm möglich sein, weil § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO von der Überflüssigkeit der Beweiserhebung wegen Offenkundigkeit spricht, BGHSt 26, 56 (59); Alsberg/Nüse/Meyer, S. 534; Gollwitzer in: LR, § 244 Rdnr. 227; Herdegen in: KK, § 244 Rdnr. 68 f.; Keller ZStW 101 (1989),381 (408 ff.); Meyer-Goßner in: KIIMG, § 244 Rdnr. 51 f.; Schlüchter in: SK, § 244 Rdnr. 89 f. 178 Alsberg/Nüse/Meyer, S. 552; Döhring, S.340; Graul, S. 137; Keller ZStW 101 (1989),381 (408). 179 Vgl. BGHSt6, 292 (294f.); KG JR 1956, 387 f.; OLG Zweibrücken VRS 61, 434f.; Alsberg/Nüse/Meyer, S. 541; Geppert, S. 157; Gollwitzer in: LR, § 244 Rdnr. 231; Henkel, S. 265; Paulus in: KMR, § 244 Rdnr. 209. 180 V gl. RGSt 16, 327 (332); BGHSt 6, 292 (295); OLG Zweibrücken VRS 30, 312; Alsberg JW 1918,792 f.; Alsberg/Nüse/Meyer, S. 549; Geppert, S. 157; Gollwitzer in: LR, § 244 Rdnr. 231; Henkel, S. 265; Paulus in: KMR, § 244 Rdnr. 209; Peters, Strafprozeß, S. 309; Sarstedt/Hamm Rdnr. 379; Stein, S. 161. 181 Vgl. BGHR StPO § 261 Erfahrungssatz 4, zitiert bei Graul, S. 141. 182 Graul, S. 174 f., 226 f.; Perron, Beweisantragsrecht, S. 236. 183 Vgl. BGHSt 31, 86 (87). Herdegen in: KK, § 244 Rdnr. 70, spricht von "Wahrscheinlichkeitsrege1n" .

2. Kapitel: Kontrollbefugnisse des Tatgerichts

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den Schlußfolgerungen erlauben, dieses Attribut fehlt l84 • Allerdings können nicht nur Erfahrungssätze allgemeingültiger Natur über den Grund der eigenen Sachkunde des Gerichts prospektiv abgelehnt werden; auch in den übrigen Fällen nicht allgemeingültiger Erfahrungssätze ist die Ablehnung auf § 244 Abs. 4 Satz 1 StPO zu stützen. Dies folgt daraus, daß letztlich alle Erfahrungssätze im förmlichen Beweisverfahren dem Sachverständigenbeweis zugänglich sind: Erfahrungssätze kann das Tatgericht im Rahmen seiner Fähigkeiten im Freibeweisverfahren selbst ermitteln, womit das Strengbeweisverfahren über den Sachverständigenbeweis nur erforderlich ist, wenn das Gericht nicht selbst sachkundig ist und die diesbezüglichen Anstrengungen im Freibeweisverfahren gescheitert sind; ob der Erfahrungssatz offenkundig ist, ist gleichgültig l8s . Eine Notwendigkeit der Erstreckung des § 244 Abs. 3 Satz 2,1. Var. StPO aufErfahrungssätze (und ihr Gegenteil) ist daher entgegen der herrschenden Meinung 186 zu verneinen: Sie führte im Gegenteil zu unnötigen Schwierigkeiten fiir das Tatgericht, welches gezwungen wäre, sich mit der Frage der allgemeinen Zugänglichkeit der Erkenntnisquelle auseinanderzusetzen187. Desweiteren kann ein Beweisantrag, welcher eine Tatsache zum Gegenstand hat, die wissenschaftlich gesicherten, allgemeingültigen Erfahrungssätzen widerspricht, über den Ablehnungsgrund der völligen Ungeeignetheit des Beweismittels gemäß § 244 Abs. 3 Satz 2, 4. Var. StPO abgelehnt werden l88 . Ferner wird von Graul die Beweismittelaustauschbefugnis 189 insofern anerkannt, daß Zeugenbeweisanträge, welche als Beweisthema eine dem Augenscheinsbeweis unterliegende Beobachtung haben, nach § 244 Abs. 5 Satz 1 StPO wegen Allgemeinkundigkeit des Gegenteils der behaupteten Tatsache abgelehnt werden können (sog. "mittelbare Augenscheinseinnahme")I90. Nach dieser Minderheitsmeinung ist der Anwendungsbereich des § 244 Abs. 2 Satz 3, 1. Var. StPO in Hinblick auf die Offenkundigkeit des Gegenteils von Erfahrungssätzen und Tatsachen erheblich einschränkbar; in vielen Fällen kann die Ablehnung über andere Ablehnungsgründe Fezer StV 1995,95 (97). Graul, S. 143 mit Fn. 36, S. 171; Perron, Beweisantragsrecht, S. 236. 186 BGRSt 26, 56 (59); Alsberg/NüselMeyer, S. 534; Gollwitzer in: LR, § 244 Rdnr. 227; Herdegen in: KK, § 244 Rdnr. 68 f.; Keller ZStW 101 (1989),381 (408 ff.); Meyer-Goßner in: KIIMG, § 244 Rdnr. 51 f.; Schlüchter in: SK, § 244 Rdnr. 89 f. 187 Graul, S. 171 ff. 188 Graul, S. 211 ff. 189 Siehe dazu Perron, Beweisantragsrecht, S. 208 ff. 190 Graul, S. 243 ff. Beispiel bei ders., S. 245 f.: Der Beweisantrag, der die Behauptung 184 18S

enthält, es gebe keine Autobahnverbindung zwischen FrankfurtlMain und Köln, könne mit der Begründung abgelehnt werden, das Gegenteil der behaupteten Tatsache sei ausweislich der in Augenschein genommenen Straßenkarten allgemeinkundig. Letztlich sei sowohl in § 244 Abs. 3 Satz 2, 1. Var. StPO als auch in § 244 Abs. 5 Satz I StPO maßgeblicher Gesichtspunkt für die Antragsablehnung die Sachaufklärungspflicht, so daß eine terminologische Kombination beider Ablehnungsgründe möglich sei, dies., S. 243 f. Vgl. auch Perron, Beweisantragsrecht, S. 211, unter Bezugnahme aufBGRSt 22,347.

1. Teil: Darstellung der Rechtslage

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erfolgen, so daß der Unterschied zur herrschenden Meinung im Ergebnis - Ablehnung des Beweisantrags - gar nicht so groß istl91 • Über die Antragsablehnung mit der Begründung der Offenkundigkeit des Gegenteils der behaupteten Tatsache bzw. des Erfahrungssatzes aufgrund von Allgemein- oder Gerichtskundigkeit setzt das Tatgericht eine eigene Erkenntnis über die (Un-)Wahrheit der Behauptung des Antragstellers als allgemeinverbindlich und postuliert damit gleichzeitig die im anderslautenden Beweisantrag enthaltene fehlende Geeignetheit des Beweismittels. Es argumentiert dabei anhand der Relation von Beweismittel zu Beweisbehauptung, d.h. prospektiv. Allerdings ist diese Gefahr von vornherein aufgrund der strengen Anforderungen, welche der Bundesgerichtshof an die revisionssichere Ablehnung eines Beweisantrags wegen Offenkundigkeit des Gegenteils stellt, eingedämmt: Mit einer solchen Begründung kann demgemäß ein Antrag dann nicht abgelehnt werden, wenn der intendierte Beweisinhalt die Geltung der allgemein- oder gerichtskundigen Tatsache bzw. des Erfahrungssatzes als solche in Frage stellt und das beantragte Beweismittel durch Überlegenheit über den Träger der Offenkundigkeit hierzu geeignet erscheintl92 . Innerhalb der Unterscheidung zwischen Ablehnungen wegen Allgemein- und Gerichtskundigkeit wird dabei der letztgenannte Bereich als der eindeutig problematischere angesehen; dies deshalb, weil den Feststellungen früherer Urteile nicht dieselbe objektive Beweiskraft zugebilligt werden könne, als dies bei den rational handhabbareren allgemeinkundigen Erkenntnissen der Fall sei \93. Die praktische Bedeutung der Ablehnung von Beweisanträgen wegen Überflüssigkeit der Beweiserhebung aufgrund von Offenkundigkeit (sowohl der Behauptung als auch ihres Gegenteils) ist als gering zu bezeichnen: Die Erhebung von Vogtherr l94 stinunt in ihrem Wert mit dem beim Ablehnungsgrund der Unzulässigkeit überein, d.h es wurde eine Ablehnung in 4,2% der Fälle ermittelt. Die Befragung von Perron195 erbrachte einen durchschnittlichen Häufigkeitswert von "praktisch nicht" bis "selten", wobei lediglich die befragten Staatsanwälte die "seltene" bis "häufigere" Anwendung angaben l96 •

Vgl. Graul, S. 246 f. BGHSt 6,70 (75); 292 (295); auch BayObLG JR 1966,277 und HansOLG Hamburg JR 1968,432; Alsberg/Nüse/Meyer, S. 568; Herdegen in: KK, § 244 Rdnr. 68 f.; Perron, Beweisantragsrecht, S. 238 f. 193 Gollwitzer in: LR, § 261 Rdnr. 31; Keller ZStW 101 (1989),381 (406 f.); Perron, Beweisantragsrecht, S. 240 f.; Schmidt-Hieber JuS 1985,295. 194 Vogtherr, S. 350. 195 Perron, Beweisantragsrecht, S. 331. 196 In den Revisionsentscheidungen findet sich keine einzige rechtsfehlerhafte Ablehnung wegen Offenkundigkeit, vgl. Perron, Beweisantragsrecht, S. 366. 191

192 V gl.

2. Kapitel: Kontrollbefugnisse des Tatgerichts

63

II/. Bedeutungslosigkeit der Tatsache, die bewiesen werden soll

Der Ablehnungsgrund der Bedeutungslosigkeit der Tatsache, die bewiesen werden soll, erlaubt es dem Gericht zunächst, Anträge abzulehnen, welche auf die Erhebung von Beweisen zielen, die in Anbetracht der Rechtslage keine Relevanz für den Verfahrensausgang besitzenl97 . Verneint wird damit die rechtliche Erheblichkeit der Beweistatsache im Wege prospektiver Argumentation ohne Rückgriff auf die bisherige Beweislage. Einen besonderen Ermessensspielraum in der Bestimmung der rechtlichen Relevanz besitzt das Gericht bei den Tatsachen zur Strafzumessung l98 : Mit dem Ermessensspielraum des Tatgerichts bei der Auswahl der "relevanten" Strafzumessungstatsachen in § 46 Abs. 2 StGB korreliert auch eine auf prozessualer Ebene größere Erheblichkeitskontrollbefugnis hinsichtlich der Bestimmung des Umfangs der Beweisaufuahme l99 . Dem Tatgericht ist es hier möglich, über die vorherige Bestimmung der rechtlichen Gewichtigkeit der Beweistatsache diese im Wege des einseitigen präsumtiven Urteils über ihre lediglich geringrugige Fähigkeit, die gerichtliche Entscheidung zu beeinflussen, von der Beweisaufnahme auszuschließen2°O; insbesondere kann das Tatgericht in seiner Ermessensentscheidung seine Pflicht zur Beschleunigung und Konzentration der Hauptverhandlung berücksichtigen20l . Den eigentlichen Problemschwerpunkt des § 244 Abs. 3 Satz 2, 2. Var. StPO bildet jedoch die Ablehnung aus tatsächlichen Gründen beim Indizienbeweis202 • Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs darf ein Beweisantrag mit einer solchen Begründung abgelehnt werden, wenn die behauptete Indiztatsache zwar geeignet ist, die Entscheidung zu beeinflussen, das Tatgericht gleichwohl (retrospektiv) aufgrund seiner aus der bisherigen Beweisaufnahme gewonnenen (Zwischen-)Überzeugung203 die Konklusion zum intendierten Beweisziel nicht leisten wiIF04. Mit dieser Vorgehensweise, die in der richterlich

Alsberg/Nüse/Meyer, S. 580 f. Die Zulässigkeit eines Beweisantrages auf Feststellung von Strafzumessungstatsachen ist anerkannt, vgl. Alsberg/NüselMeyer, S. 586; Bruns, S. 278; Zipf, Strafmaßrevision, S. 244. 199 Vgl. ter Veen, S. 101 f. 200 Vgl. Alsberg/Nüse/Meyer, S. 587. 201 Ausdrücklich BGH NStZ-RR 1996,334 (335). 202 Siehe dazu umfassend ter Veen, S. 99 fI. 203 Vgl. Alsberg/Nüse/Meyer, S. 589; Köhler, Inquisitionsprinzip, S. 31; Kühl, S. 64. 204 BGH NJW 1953,35 (36); GA 1964,77; NStZ 1981,309 (310); StV 1981,270 (271); bei PfeifferiMiebach NStZ 1983,210 (211); NStZ 1983,277; StV 1983,90 (91); NStZ 1984,42 (43); NStZ 1985,516; NJW 1988,501 (502); StV 1992,259 (260); StV 1993, 173; BGHR StPO § 244 Abs. 3 Satz 2 Bedeutungslosigkeit 5, 13. 197

198

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1. Teil: Darstellung der Rechtslage

dominierten Kommentarliteratur Unterstützung fmdefos, wird die Trennung von gebundener Beweiserhebung und freier Beweiswürdigung aufgehoben206 , was für die Verteidigung erhebliche Nachteile bedingt207 . Davon abzuschichten ist die Antragsablehnung mit der Begründung, daß die Beweistatsache als solche nicht bewiesen werden wird; insoweit ist im Rahmen des § 244 Abs. 3 Satz 2, 2. Var. StPO eine Geeignetheitsvemeinung unzulässig208 • Die Begründungsanforderungen an das Gericht verlangen bei der Ablehnung aus tatsächlichen Gründen eine Sorgfalt derart, daß der Antragsteller den in der Zwischenbeweiswürdigung vollzogenen Gedankengang des Tatgerichts nachvollziehen kann, um gegebenenfalls neue Beweisanträge zu stellen209. Über diese Begründungsanforderungen hinaus ergeben sich die Grenzen der Schlüssigkeitskontrollbefugnis aus dem Verbot der Verkürzung des Beweisthemas 2\O, den allgemeinen Anforderungen an die Beweiswürdigung, d.h. aus der Beachtung der Denkgesetze und der anerkannten Erfahrungs- bzw. Bewertungsgrundsätze211 . Der Hebel dieser Schlüssigkeitskontrolle setzt am Strukturelement des generellen Erfahrungssatzes als "Brücke" zum verfolgten Beweisziel an, dessen Annehmbarkeit im Wege einer Zwischenbeweiswürdigung in Frage gestellt wird. Beides, implizit mitbehaupteter Erfahrungssatz und intendiertes Beweisziel, tragen insoweit dasselbe rechtliche Schicksal. Dieses Bewertungsverfahren betrifft gerade innere Tatsachen, da bei diesen naturgemäß erst von einem objektiven Erscheinungsbild mittels eines generellen Erfahrungssatzes auf den psychischen Einzelsachverhalt geschlossen werden kann212 •

20S Vgl. AlsberglNüselMeyer, S. 588 f.; Gollwitzer in: LR, § 244 Rdnr. 222 f.; Herdegen in: KK, § 244 Rdnr. 74; Meyer-Goßner in: KIJMG, § 244 Rdnr. 56. 206 Perron, Beweisantragsrecht, S. 227. 207 Siehe dazu ausflihrlich unten 4. Kap. A. H. 2. 208 Vgl. BGH StV 1993, 621 (622); StV 1994, 62 (63); BGHR StPO § 244 Abs. 3 Satz 2 Bedeutungslosigkeit 6, 18 S. 2; AlsberglNüselMeyer, S. 589; Herdegen in: KK, § 244 Rdnr. 74; Holzapfel, S. 184 ff. 209Vgl. BGHSt 2, 284 (286); BGH NStZ 1981,309 (310); NStZ 1982,213; bei PfeifferlMiebach NStZ 1983,210 (211); NStZ 1983,277; NStZ 1984,42 (43); bei Miebach/Kusch NStZ 1991,28 Nr. 11; StV 1993,3 (4); wistra 1995, 30 (31); BGHR StPO § 244 Abs. 3 Satz 2 Bedeutungslosigkeit 1,9, 15. Ausgenommen sind Evidenzfälle: Vgl. BGHR StPO § 244 Abs. 3 Satz 2 Bedeutungslosigkeit 9, S. 2,12,14. 210 Vgl. BGH StV 1996,411 (412). 211 Vgl. BGH StV 1981,270 (271); NStZ 1982, 126; StV 1983,90 (91); NJW 1988, 501 (502); Herdegen in: KK, § 244 Rdnr. 74; Köhler, Inquisitionsprinzip, S. 32; Perron, Beweisantragsrecht, S. 226. 212 Vgl. die Entscheidung BGHR StPO § 244 Abs. 3 Satz 2 Bedeutungslosigkeit 13, nach der das Tatgericht einen Beweisantrag der Verteidigung auf Feststellung von Indiztatsachen, welche die Bemühungen um nachträgliche Schadenswiedergutrnachung aufzeigen sollten, um dem Gericht den Schluß auf die zugrundeliegende Motivation des Beschuldigten zu erlauben, zu Recht mit der Begründung abgelehnt hat, daß der intendierte

2. Kapitel: Kontrollbefugnisse des Tatgerichts

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Die Häufigkeit der Antragsablehnung mit der Begründung, die Tatsache, die bewiesen werden soll, sei fiir die Entscheidung ohne Bedeutung, wird von Vogtherr213 allerdings lediglich mit 4,2% eingeschätzt, während nach der Einzelbefragung von Perron214 vor allem die Ablehnung wegen tatsächlicher Bedeutungslosigkeit schon "selten" bis "häufiger" erfolgte. Einen höheren Stellenwert gerade dieses Ablehnungsgrunds beim Indizienbeweis ergab die Entscheidungsauswertung nach Perron215 : Hier lag die Begründung mit "Bedeutungslosigkeit" an zweiter Stelle, wobei die Kontrolle des Erfahrungssatzes bzw. Beweisziels beim Indizienbeweis eindeutig überwog. Die eingangs beschriebene besonders gelagerte Gefahr der übermäßigen Verneinung der rechtliche Relevanz von beantragten Strafzumessungstatsachen durch das Gericht dürfte in der Praxis allerdings aufgrund des taktischen Verhaltens der Verteidigung kaum akut werden: In der Regel erfordert die Erreichung einer günstigen Strafzumessung ein auf dem Geständnis des Beschuldigten aufbauendes kooperatives Verteidigerverhalten, welches förmliche Beweis anträge von vornherein vermeidet216 • Insgesamt kann aber mit Vorsicht, zumindest auf Grundlage der Erhebungen von Perron, dem Ablehnungsgrund der Bedeutungslosigkeit aus tatsächlichen Gründen innerhalb der Ablehnungsgriinde des Beweisantragsrechts eine fiihrende Position zugesprochen werden217 • IV. Erwiesensein der Tatsache, die bewiesen werden soll

Bei der Ablehnung wegen Erwiesenseins der Tatsache, die bewiesen werden soll, verneint das Tatgericht streng genommen die Erheblichkeit des Beweisziels. Dabei stützt sich das Gericht im Wege retrospektiver Würdigung auf bereits erhobene Beweise218 , die das Beweisziel des Antragstellers stützen. Daraus folgt zweierlei: Der nunmehr gestellte Beweisantrag wird als geeignet angesehen219 und die Erheblichkeit des Beweisziels wird lediglich unter Verweis auf Motivationsschluß zwar möglich, daneben aber auch zahlreiche andere Beweggründe denkbar seien. 213 Vgl. Vogtherr, S. 350. 214 Vgl. Perron, Beweisantragsrecht, S. 331,332. 215 Vgl. Perron, Beweisantragsrecht, S. 366,368. 216 Perron, Beweisantragsrecht, S. 308,323. Vgl. zu dieser Praxis auch Bruns, S. 279. 217 Vgl. Perron, Beweisantragsrecht, S. 379. 218 Das Gericht kann seine Überzeugung auch auf die Einlassung des Angeklagten, der nicht Beweismittel im eigentlichen Sinne ist, stützen, AlsberglNüselMeyer, S. 598. 219 Das Tatgericht wird kaum davon ausgehen, daß ein Beweismittel, welches zum Beweis einer schon anerkannten Tatsache beantragt wird, eine solche nicht stützen bzw. unglaubhaft sein werde. 5 Anders

1. Teil: Darstellung der Rechtslage

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eine bereits bestehende, der Verteidigung vorteilhafte (weil dem Antrag entsprechende) Überzeugung des Tatgerichts verneint. Letztlich wird die Erheblichkeit des Beweisziels damit akzeptiert; Beweisverlustnachteile der Verteidigung sind kaum zu besorgen. Lediglich Perron220 nennt die Möglichkeit, daß es der Verteidigung nicht möglich ist, einen bereits erbrachten Indizienbeweis durch zusätzliche Details zu verstärken. Dem ist entgegenzuhalten, daß durch die Ablehnung wegen des Erwiesenseins der Beweistatsache indirekt auch das Beweisziel fixiert wird221 , und bei mehreren festgeschriebenen Indiztatsachen der Spielraum des Gerichts, den intendierten Beweiszielschluß zu vermeiden, zunehmend enger wird. In der Praxis liegt die Anwendungshäufigkeit des Ablehnungsgrunds des § 244 Abs. 3 Satz, 3. Var. StPO im Vergleich im Mittelfeld: Während die Einzelbefragung von Perron222 die durchschnittliche Anwendungshäufigkeit zwischen "praktisch nicht" bis "selten" ergab, wurden in seiner Entscheidungsauswertung 1983 und 1988 sechs Fehler bei einer solchen Antragsablehnung revidiert223 • Bei Vogtherr224 lag der Ablehnungsgrund mit 12,4% an dritter Stelle. V. Völlige Ungeeignetheit des Beweismittels

Beim Ablehnungsgrund der völligen Ungeeignetheit gemäß § 244 Abs. 3 Satz 2, 4. Var. StPO hat das Gericht die Möglichkeit, die Schlüssigkeit des Beweis antrags durch Kontrollen an den Elementen der Beweisprognose und der Glaubhaftigkeit der Aussage zu überprüfen. Die völlige Ungeeignetheit ist zu bejahen, wenn das Gericht ohne jede Rücksicht auf das bisherige Beweisergebnis, d.h. im Wege prospektiver Beweiswürdigung, sagen kann, daß sich mit einem solchen Beweismittel die im Beweisantrag in Aussicht gestellte Behauptung nicht erzielen läßt225 • Kontrollobjekt ist damit die Relation von Beweismittel zu Aussageinhalt, mithin die Geeignetheit des Beweismittels. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist das Kontrollverfahren eingeschränkt: Das Urteil der völligen Ungeeignetheit des Beweismittels darf sich nur aus dem Beweismittel selbst, der allgemeinen und sicheren Lebenserfahrung226 und, im Falle des Sachverständigenbeweises, aus dem Stand der wissenPerron, Beweisantragsrecht, S. 235 . Schlothauer StV 1992, 134 (141), spricht vom "affinnativen" Beweisantrag. 222 Perron, Beweisantragsrecht, S. 331 . 223 Vgl. Perron, Beweisantragsrecht, S. 366. 224 Vogtherr, S. 350. 225 Vgl. nur BGH bei Ho/tz MDR 1994,765, 1072; BGHR StPO § 244 Abs. 3 Satz 2 Ungeeignetheit 6; OLG Köln StV 1996, 368. 226 Vgl. BGHSt 14,339 (342); NStZ 1984,564; StV 1989,238 (239); StV 1990, 7; StV 1990,98; StV 1993,232 (233); StV 1993,508; StV 1995,45; OLG Köln StV 1996,368. 220 221

2. Kapitel: Kontrollbefugnisse des Tatgerichts

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schaftlichen Erkenntnisse221 ergeben. In Abweichung von diesem Grundsatz erkennt der Bundesgerichtshof für den Fall des Sachverständigenbeweises allerdings an, daß zur Entscheidung über die Geeignetheit des Sachverständigen auch der unter Berücksichtigung des sonstigen Beweisergebnisses mögliche Einfluß des Gutachtens auf die Überzeugungsbildung des Gerichts heranzuziehen sej228, d.h. die retrospektive Würdigung erlaubt ist. In seiner Grundentscheidung zum Ablehnungsgrund des § 244 Abs. 3 Satz 2, 4. Var. StPO hat der Bundesgerichtshof entschieden, daß es dem Gericht nicht zuzumuten sei, Beweiserhebungen durchzuführen, von deren völliger Nutzlosigkeit es überzeugt sei229 • Die Problematik dieses Ablehnungsgrunds liegt nun in den graduellen Anforderungen, welche an die Voraussetzungen des Begriffs der "Nutzlosigkeit" gestellt werden230. So ist es zunächst unmittelbar einsehbar, daß darunter solche Beweismittel fallen, bei denen eine Beweisprognose von vornherein negativ ausfallen muß. Für die in diesem Zusammenhang in der Praxis allein relevanten Mittel des Zeugen- und Sachverständigenbeweises kann danach die völlige Ungeeignetheit eines Zeugen, der die in der Beweisbehauptung enthaltene Wahrnehmung gar nicht erlebt haben kann231 oder der sich schon im Vorfeld auf sein Zeugnisverweigerungsrecht beruft232, sowie eines Sachverständigen, welchem die für die Erstellung seines Gutachtens erforderlichen Anknüpfungstatsachen fehlen und dem diese auch nicht beschaffbar sind233 oder dessen Untersuchungsmethode unausgereift ist234, festgestellt werden. In diesen Fällen ist die Ungeeignetheit mit einer in der Regel feststehenden (intersubjektiven) Sicherheit vorauszusagen235 . Darüber hinaus subsumiert die Rechtsprechung unter den Begriff der "Nutzlosigkeit" allerdings für den Zeugenbeweis sowohl die Unwahrschein221 Vgl. BGH StV 1993,340 (341). 228 Vgl. BGHR StPO § 244 Abs. 3 Satz 2 Ungeeignetheit 2,6; BGH StV 1994,358;

bei Holtz MDR 1994, 1072. 229 BGHSt 14, 339 (342). 230 Vgl. zum Folgenden die erschöpfenden Nachweise aus der Rechtsprechung bei ter Veen, S. 140 ff. 231 Vgl. BGHR StPO § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO Ungeeignetheit 1. Beim beantragten Zeugenbeweis über innere Tatsachen bei einem Anderen ist vorsichtig abzuschichten, ob der Zeuge nicht doch äußere, einen Schluß auf die betreffenden inneren Tatsachen ermöglichende Umstände bekunden kann, vgl. BGH StV 1984,61; 1987,236 (237); 1991, 500 (SOl); OLG Zweibrücken StV 1990,440 (441). 232 Vgl. BGHSt 21,12 f.; BGH NStZ 1982, 126 (127). 233 Vgl. BGH NStZ 1981,32; StV 1982, 102; bei Holtz MDR 1994, 1072; BGHR StPO § 244 Abs. 2 Satz 2 Ungeeignetheit 6; vgl. Alsberg/NüselMeyer, S. 607. 234 Vgl. BGH StV 1993, 340 (341). 235 Vgl. Perron, Beweisantragsrecht, S. 243. S'

1. Teil: Darstellung der Rechtslage

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lichkeit der Beweisprognose als auch die wahrscheinlich fehlende Glaubhaftigkeit der Aussage. So wird es z.B. als unwahrscheinlich angesehen, daß ein Zeuge sich nach einem längeren Zeitraum noch an bestimmte erhebliche Dinge erinnern könne236• Dabei hat das Tatgericht allerdings die besonderen Umstände des Einzelfalles und die allgemeine Lebenserfahrung zu berücksichtigen237 • Auch bei der präsumtiven Verneinung der Glaubhaftigkeit einer Zeugenaussage ist es dem Gericht verwehrt, sein Verdikt der völligen Ungeeignetheit allein auf die Etiketten bestimmter Eigenschaften des Beweismittels, wie Z.B. seine Verwandtschaft mit dem Angeklagten238 , seine Teilnehmerschaft239 oder sein Vorstrafenregister hinsichtlich begangener Aussagedelikte240 zu stützen241 • Einen generellen Erfahrungssatz, daß bestimmte Menschen in bestimmten Situationen lügen, gibt es nicht. Dementsprechend ist auch in den Fällen der Verneinung der Glaubhaftigkeit der Aussage das Gericht gezwungen, zusätzlich zu den betreffenden Eigenschaften des Zeugen besondere Umstände darzulegen, aus denen sich die völlige Unglaubhaftigkeit ergibt242 ; die Anforderungen an einen revisionssicheren Ablehnungsbeschluß sind mithin als hoch zu bezeichnen243 • Der Sachverständige ist auch dann ein geeignetes Beweismittel, wenn er zwar keine sicheren und eindeutigen Schlüsse ziehen kann, sondern seine Folgerungen die unter Beweis gestellte Behauptung nur mehr oder weniger wahrscheinlich erscheinen lassen, unter Berücksichtigung des sonstigen Beweisergebnisses diese aber Einfluß auf die Überzeugungsbildung des Gerichts erlangen können244 • Die Rolle des Ablehnungsgrunds wegen völliger Ungeeignetheit des Beweismittels ist in der Rechtspraxis mit Vorsicht als verhältnismäßig gering einzustufen: Während Vogtherr24S zwar eine Häufigkeit von 8,4% ermittelte, wurde diese Begründung nach der Einzelbefragung von Perron246 "praktisch nicht"

Vgl. BGH NStZ 1993,295 (296) bei einem Zeitraum von drei Jahren. Herdegen in: KK, § 244 Rdnr. 77. Dementsprechend kann die Ungeeignetheit zu verneinen sein, wenn der Zeuge über lang zurückliegende Geschehnisse berichten soll, die für ihn allerdings bedeutsam waren, vgl. BGH StV 1982, 339 (340 f.) bei einem Zeitraum von 17Yz Jahren und OLG Frankfurt StV 1984, 17 bei einem Zeitraum von zehn Jahren. 238 Vgl. OLG Köln VRS 24, 217 (218). 239 Vgl. BGH bei Spiegel DAR 1981, 198. 240 Vgl. KG JR 1983,479. 241 Vgl. Alsberg/NüselMeyer, S. 612 ff.; Herdegen in: KK, § 244 Rdnr. 78. 242 Herdegen in: KK, § 244 Rdnr. 78. 243 Vgl. Perron, Beweisantragsrecht, S. 244. 244 BGHR StPO § 244 Abs. 3 Satz 2 Ungeeignetheit 2, 6; BGH StV 1994, 358; bei Holtz MDR 1994, 1072. 245 Vogtherr, S. 350. 246 Perron, Beweisantragsrecht, S. 331. 236 237

2. Kapitel: Kontrollbefugnisse des Tatgerichts

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bis "selten" angewandt. In der Entscheidungsauswertung stand der Ablehnungsgrund zwar an dritter Stelle247 ; der verhältnismäßig hohe Anteil an den Revisionsaufhebungen wurde von Perron allerdings mehr auf besondere Revisionsrisiken als auf eine tatsächlich häufige Verwendung zurückgefiihrt248 .

VI Unerreichbarkeit des Beweismittels

1. Der Umfang der tatgerichtlichen Bemühungen Der faktisch nur rur den Zeugenbeweis bedeutsame Ablehnungsgrund der Unerreichbarkeit des Beweismittels nimmt auf den ersten Blick eine Sonderstellung innerhalb der Ablehnungsgründe ein: Mit der Begründung gemäß § 244 Abs. 3 Satz 2, 5. Var. StPO lehnt das Tatgericht nicht unmittelbar die Schlüssigkeit des angebotenen Beweises ab, sondern unterläßt die Beweiserhebung, weil es die Möglichkeit verneint, das Beweismittel in den Bereich seiner Kognition zu stellen. Diese Unmöglichkeit kann dabei tatsächlicher Natur sein, wenn z.B. der Aufenthalt des Zeugen nicht erfahrbar ist, oder rechtliche Gründe haben, wie z.B. bei fehlender Kompetenz des Gerichts, das Erscheinen eines Auslandszeugen zu erzwingen249 . Allerdings zeigt die sich daran unmittelbar anschließende Frage, in welchen einzelnen Fällen eine solche Unmöglichkeit anzunehmen ist, die Verknüpfung der Kontrollebene dieses Ablehnungsgrunds mit den Fragen der Geeignetheit und Erheblichkeit des beantragten Beweises. Nach der Formel des Bundesgerichtshofs steht die Erreichbarkeitsbeurteilung im pflichtgemäßen Ermessen des Tatgerichts 250, welches dann fehlerfrei ausgeübt sei, wenn das Gericht "unter der Beachtung der ihm obliegenden Aufklärungspflicht alle der Bedeutung des Zeugnisses entsprechenden Bemühungen zur Beibringung des Zeugen vergeblich entfaltet hat und auch keine begründete Aussicht besteht, daß der Zeuge in absehbarer Zeit von dem Gericht als Beweismittel herangezogen werden kann"251. Innerhalb seiner Aufklärungspflicht hat das Gericht zunächst, ohne Rücksicht auf eine dadurch bedingte mögliche Verfahrensverzögerung, den Aufenthaltsort des Zeugen routinemäßig zu ermitteln, um diesen zur Hauptverhandlung zu laden. Erst wenn der Zeuge insoweit nicht ausfmdig zu machen ist bzw. ein vorübergehendes Hindernis besteht, zur Verhandlung zu erscheinen, ergibt

247 Vgl. Perron, Beweisantragsrecht, S. 366: Insgesamt zehn rechtsfehlerhafte Ablehnungen. 248 Vgl. Perron, Beweisantragsrecht, S. 369. 249 Vgl. Alsberg/Nüse/Meyer, S. 620. 250 Vgl. BGH GA 1975,237. 251 BGH StV 1987,45.

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1. Teil: Darstellung der Rechtslage

sich fiir das Tatgericht die Möglichkeit, den Beweisantrag wegen Unerreichbarkeit abzulehnen. Es hat allerdings vorher eine Abwägung vorzunehmen, in der die Kriterien der Bedeutung sowie der Glaubhaftigkeit der Aussage den größten Einfluß aufweisen252 • Letztgenanntes Kriterium nimmt in der Rechtsprechung eine im Verhältnis zur Aussagebedeutung untergeordnete Stellung ein und ist in dieses Element integriert253 • So wird eine vom Tatgericht mehr oder minder angenommene Unwahrscheinlichkeit der Glaubhaftigkeit einer Zeugenaussage, die als unter den Ablehnungsgrund der völligen Ungeeignetheit gemäß § 244 Abs. 3 Satz 2, 4. Var. StPO nicht subsumierbar gewertet wird, als ein hinreichendes Unterkriterium zur Verneinung der Aussagebedeutung anerkanntl54, welche ihrerseits als bedeutendstes Kriterium zur Festlegung des Beibringungsaufwands des Tatgerichts rangiert255 • Die Vorgehensweise des Gerichts ist dabei durch die Unterstellung der Geeignetheit des Beweismittels und der generellen Erheblichkeit des Beweises gekennzeichnet256 • Beurteilt wird hinsichtlich der Aussagebedeutung die Nähe des Beweisziels zum Gegenstand der Urteilsfmdung. Somit wird über die ,,normalen" Anforderungen der Schlüssigkeit hinaus ein Kriterium der Prozeßgegenstandsnähe geschaffen, welches innerhalb mehrerer, an sich relevanter Beweisziele257 eine Auswahl ermöglicht. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich, daß bei der Beurteilung der Aussagebedeutung das Tatgericht dieselben Überlegungen anstellt, die es bei jeder Bewertung der Schlüssigkeit eines Beweisziels vornimmt: Neben der Bezugsetzung zum materiellen Recht - die Geeignetheit des Beweismittels unterstellt - wird nunmehr zusätzlich innerhalb mehrerer Relevanzgrade für die Wahrheitsfmdung eine verfeinerte Auswahl vorgenommen. Einige Beweise sind von "stärkerer" Relevanz als andere (an sich auch relevante), so daß im Ergebnis das Kriterium der Aussagebedeutung als integrativer Bestandteil der Schlüssigkeitsbeurteilung angesehen werden kann.

252 Einen vollständigen Überblick über die Abwägungskriterien geben Julius, S. 65 ff. und ler Veen, S. 166 ff. 253 Vgl. BGH GA 1975,237 (238). 254 Vgl. BGH StV 1982, 51; OLG Koblenz OLGSt StPO § 244 Nr. 8. Bei der Vemeinung der Glaubwürdigkeit eines Zeugen hat das Tatgericht indes vorsichtig vorzugehen, insbesondere dann, wenn die bisherige Belastungsbeweislage unsicher erscheint, vgl. BGH NStZ 1983, 180 (181). 255 Vgl. BGHSt 22, 118 (120); 32, 68 (73). Daneben ist das Gewicht des Anklagevorwurfs zu beachten, BGHSt 32, 68 (73), was vor allem bei Sachen geringerer Straferwartung vor den Amtsgerichten zum Tragen kommt, Perron, Beweisantragsrecht, S. 247 Fn.374. 256 Dies bedeutet für den Indizienbeweis die Unterstellung der Gültigkeit des generellen Erfahrungssatzes. . 257 Ansonsten würde das Gericht z.B. wegen Bedeutungslosigkeit ablehnen.

2. Kapitel: Kontrollbefugnisse des Tatgerichts

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Freilich muß offen bleiben, nach welchen genauen Parametern diese Beurteilung zu erfolgen hat. Resultat dieser Vorgehensweise ist eine unübersichtliche Kasuistik: So soll z.B. einem Antrag auf Vernehmung eines Alibizeugen eine größere Aussagebedeutung beigemessen werden als einem Antrag auf Zeugenvernehmung zwecks Erschütterung der Glaubwürdigkeit des Belastungszeugen2s8 • Die Beurteilung des Beibringungsaufwands des Tatgerichts ist somit von der "Nähe" des Entlastungsbeweises zum Anklagevorwurf abhängig. Dabei ist es dem Tatgericht verwehrt, die Prozeßgegenstandsnähe aufgrund retrospektiver (Zwischen-)Beweiswürdigung nach dem Ergebnis der bisherigen Beweisaufnahme zu bestimmen2s9, so daß allein die Möglichkeit der prospektiven Argumentation, d.h. die Beurteilung der Beweisbehauptung an sich, verbleibt260 • Ergibt diese Abwägung die Werthaftigkeit des beantragten Zeugen aus der Sicht des Tatgerichts, so ist dieses verpflichtet, auch längere Verfahrensverzögerungen hinzunehmen261 • Allerdings war der Verteidigung selbst im Falle der Bejahung der Aussagebedeutung des Zeugen dann nicht geholfen, wenn dieser im - vor EinfUhrung des § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO - praktisch bedeutsamsten Fall des Auslandsaufenthalts auch nach Wegfall eines vorubergehenden Hindernisses und nach Beschreitung des Weges der förmlichen internationalen Rechtshilfe nicht gewillt war, vor dem Tatgericht zu erscheinen, da es der Bundesgerichtshof in das nahezu ungebundene Ermessen des Tatgerichts stellte, den Zeugen kommissarisch im Ausland vernehmen zu lassen, und die Aussage durch Protokollverlesung in die Hauptverhandlung einzufiihren262 • § 244 Abs. 3 Satz 2, 5. Var. StPO regelt somit unmittelbar den Umfang einer Tätigkeitspflicht des Tatgerichts, der wiederum im wesentlichen über das Element der Aussagebedeutung des von der Verteidigung intendierten Beweises defmiert wird. Dieses Kriterium folgt der Struktur der Schlüssigkeitsbeurteilung und ist in diese integriert. Die Ablehnung mit der Begründung der Unerreichbarkeit fiigt sich somit als verfeinerte Schlüssigkeitskontrolltätigkeit in die bisher genannten materialen Ablehnungsgründe ein.

Die vorliegenden Untersuchungen zur Praxisrelevanz des Ablehnungsgrunds des § 244 Abs. 3 Satz 2, 5. Var. StPO ergeben ein uneinheitliches Bild: Während Vogtherr263 in seiner Aktenanalyse keine einzige Ablehnung mit dieser Begrundung fand, erscheint der Ablehnungsgrund in den Ermittlungen von PerVgl. BGH BGH NStZ 1983, 180 und StV 1982, 51; Julius, S. 68. Vgl. BGH bei Spiegel DAR 1977, 174; KG StV 1983,95; Julius, S. 70 ff. 260 Julius, S. 67 ff. 261 Vgl. BGH NStZ 1982,341. 262 Vgl. BGH bei PfeiflerlMiebach NStZ 1985, 14 Nr. 11; NStZ 1991, 143. 263 Vagtherr, S. 350. 258 259

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1. Teil: Darstellung der Rechtslage

ron als bedeutsamer. In der Einzelbefragung wurde diese Begründung "selten" bis "häufiger" angewandt264 , in der Entscheidungsauswertung sind insgesamt sieben Aufhebungen registriert265 . 2. Insbesondere: Das Problem des Auslandszeugen Zudem verfügt das Tatgericht seit dem 1. März 1993 anband des durch Art. 2 Nr. 4 RpflEntlG266 neu geschaffenen § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO über die Möglichkeit, auch unter den Voraussetzungen des Satzes 1 dieser Vorschrift, d.h. wenn nach pflichtgemäßen Ermessen der Beweis zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist, den Antrag auf Vernehmung eines Zeugen, dessen Ladung im Ausland zu bewirken wäre, abzulehnen; für den Bereich des Auslandszeugen wird § 244 Abs. 3 Satz 2, 5. Var. StPO daher an Bedeutung verlieren. Das Bundesverfassungsgericht sieht § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO als verfassungsgemäß an267 . Mit der Norm soll die Anwendung des Ablehnungsgrunds wegen Unerreichbarkeit erleichtert und das Strafverfahren beschleunigt werden268 . Unabhängig davon, ob im Einzelfall die Ladung des Zeugen mit Schwierigkeiten verbunden ist, und unabhängig davon, ob und in welchem Umfang mit der Ladung des Zeugen eine Belastung des internationalen Rechtshilfeverkehrs in Strafsachen verbunden ist269, wird das pflichtgemäße Beweiserhebungsermessen des Gerichts allein durch die Amtsaufklärungspflicht gemäß § 244 Abs. 2 StPO beschränkt27o . Zwar soll das Tatgericht in seiner Ermessensausübung einen als gering anzusetzenden Beibringungsaufwand hinsichtlich des beantragten Zeugen mitberücksichtigen271 , gleichwohl kann erwartet werden, daß aufgrund des angestrebten Entlastungseffekts der Vorschrift solche Erwägungen in der Praxis wenig Einfluß haben werden. Die erhoffte zusätzliche Beschleunigung wird in dem durch die Ermessensentscheidung bedingten Verzicht auf die grundsätzlich 264 Vgl. Perron, Beweisantragsrecht, S. 331. 265 Vgl. Perron, Beweisantragsrecht, S. 366: Davon entfielen allerdings sechs auf das Jahr 1983, während im Jahr 1988 nur noch eine Aufhebung registriert werden konnte. Perron, Beweisantragsrecht, S. 369, geht von einem offensichtlichen Lemprozeß der Tatrichter aus. 266 Vom 11.1.1993, BGBI.I, S. 50. 267 Vgl. BVerfG StV 1997, 1 (2). 268 Vgl. BT-Drucksache 12/1217, BR-Begründung, S. 35,36; BGH NStZ 1994,554. 269 Vgl. BGHSt 40,60 (62) = JZ 1995,209 (210) m. Anm. Perron; BGH NStZ 1994, 554; StV 1994, 229 (230). 270 Vgl. BGHSt 40,60 (62) = JZ 1995,209 (210) m. Anm. Perron; BGH NStZ 1994, 554; StV 1994,229 (230); BöttcheriMayer NStZ 1993, 153 (154); Herdegen in: KK, § 244 Rdnr. 85; Meyer-Goßner in: KIIMG, § 244 Rdnr. 3 f.; dens. NJW 1993, 498 (500); Rieß AnwBl 1993, 51 (55); Schornburg/Klip StV 1993, 208 (210); Siegisrnund/ Wickern wistra 1993, 83 (86); Werfe JZ 1991,789 (793). 271 Rieß AnwB1 1993, 51 (55); Siegisrnund/Wickern wistra 1993, 83 (86).

2. Kapitel: Kontrollbefugnisse des Tatgerichts

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erforderliche Ermittlung des Aufenthaltortes des Zeugen und der Ladung gesehen272 • Dadurch soll erreicht werden, daß die präsumtive Schlüssigkeitskontrolle des beantragten Beweises nun nicht mehr mittelbar, d.h. innerhalb der Bestimmung des Beibringungsaufwands des Gerichts zum Tragen kommt, sondern schon in dessem Vorfeld. So soll der Verzicht auf die Ermittlung des Auslandszeugen ermessensfehlerfrei sein, wenn aufgrund der Ergebnisse der bereits durchgeführten Beweisaufnahme die Vernehmung keine wesentliche Aufklärung verspricht273 , wobei dem Tatgericht zur Begründung seiner Prognose in Anwendung des § 251 Abs. 3 StPO das Freibeweisverfahren eröffnet ist274 • Somit wird bei der beantragten Auslandszeugenvernehmung zum einen die unmittelbare Kontrollmöglichkeit der Schlüssigkeit des Beweises eröffnet und zum anderen die Argurnentationsbreite um die retrospektive Beweiswürdigung erweitert. Systematisch betrachtet wird dadurch der Bereich abgedeckt, in welchem die Erheblichkeit des Beweises einerseits nicht über den Ablehnungsgrund der Bedeutungslosigkeit gemäß § 244 Abs. 3 Satz 2, 2. Var. StPO sowie die Prozeßgegenstandsnähe nicht über die Ablehnung wegen Unerreichbarkeit des Beweismittels nach § 244 Abs.3 Satz 2, 5. Var. StPO verneint werden kann, der aber andererseits nicht mehr vom Maßstab der Amtsaufklärungspflicht umfaßt ist275 • Wie breit dieses Band ist - so schon die Gesetzesbegründung276 - dürfte schwer zu quantiftzieren sein. Gleichwohl kann wohl prognostiziert werden, daß der verfolgte Zweck der Entgegenwirkung einer übermäßigen Verfahrensdauer277 nicht erreicht werden und insofern keine über den Ablehnungsgrund der Unerreichbarkeit des § 244 Abs. 3 Satz 2, 5. Var. StPO hinausgehende spürbare Erleichterung geschaffen wird278 : Wird schon der Zwang des Tatgerichts zur Durchführung von Routineermittlungen des Aufenthaltsortes eines beantragten Auslandszeugen im Rahmen des § 244 Abs. 3 Satz 2, 5. Var. StPO durch die Amtsaufklärungspflicht begründet, so ist schwer einsehbar, warum diese Amtsaufklärungspflicht, bezogen auf denselben Tatvorwurf, nun niedriger anzusetzen sein sollte279 • Das neue Recht wird wohl deshalb nicht über die bisherige Rechtslage "hinausschießen" können28o •

Vgl. Meyer-Goßner NJW 1993,498 (500); Werfe JZ 1991,789 (793). Vgl. Meyer-Goßner NJW 1993,498 (500). 274 Vgl. BGH StV 1995,173; BasdorfStV 1995,310 (313 f). 275 Vgl. Fezer StV 1995,263 (266). 276 Vgl. BT-Drucksache 12/1217, BR-Begründung, S. 36. 277 Vgl. BT-Drucksache 12/1217, BR-Begründung, S. 35. 278 So aber BasdorfStV 1995, 310 (313): "Beträchtlicher Neuregelungsgehalt". 279 Vgl. Perron JZ 1995,210 (212); Schomburg/Klip StV 1993,208 (210). 280 Vgl. Perron JZ 1995,210 (212); Schomburg/Klip StV 1993,208 (210); Schoreit DRiZ 1991,404 (405). 272 273

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1. Teil: Darstellung der Rechtslage

Sollte dies anders beurteilt werden und sich ein jenseits der Aufklärungspflicht verbleibender Anwendungsraum herausstellen281 , so spricht jedoch die Eigenart des Zeugenbeweises entschieden gegen die Einräumung eines Ennessensspielraums. Zwar handelt es sich bei beiden Entscheidungen des Tatgerichts im Rahmen des § 244 Abs. 5 Satz I und 2 StPO ausdrücklich um Ennessensentscheidungen. Nur rur den Sonderfall des Augenscheinsbeweises allein gilt aber der prozessuale Grundsatz der Unmittelbarkeit nicht, da es "um die Feststellung eines gegenwärtigen Zustands oder (00') um den Nachweis einer Erscheinung, die sich jederzeit wiederholen läßt (geht, d.V.). Eine Gebundenheit an die Wahrnehmung bestimmter Personen liegt mithin regelmäßig nicht vor (00')' Hieraus ergibt sich (00') die Möglichkeit, das Beweismittel des Augenscheins durch andere Beweismittel zu ersetzen"282. Die Ennessenseinräumung in § 244 Abs. 5 Satz I StPO ist somit spezifisch auf den Antrag auf Augenscheinseinnahme bezogen und findet seinen Grund nicht lediglich in der besonders "schwergängigen" Fonn dieser Beweiserhebung283 , sondern vielmehr in der unmittelbaren Kognitionsmöglichkeit dieses Beweismittels und der daraus resultierenden Reduzierung der Wahrscheinlichkeit von Fehlbeurteilungen, welche die Beschränkung auf mittelbare Surrogate (z.B. Augenscheinsgehilfe) zulässig macht284 . Beim persönlichen Beweismittel des Zeugen hingegen ist der konkrete Beweiswert regelmäßig schwer vorwegzunehmen285 : jeder Personalbeweis besitzt einen Moment der offenen Ausforschung286. Eine solche Anforderungsreduzierung auf den Fall des Auslandszeugen und somit auf ein von vornherein in seiner Aussagebedeutung schwer ausrechenbares Personalbeweismittel zu beziehen, ist aus der über § 244 Abs. 5 Satz I StPO vorgegebenen Systematik der Staffelung der Antragsablehnungsgründe nach unterschiedlichen Beweismittelarten schwer begründbar287 . Die bisherige ratio des Ge281 So BT-Drucksache 12/1217, BR-Begründung, S. 35, auch Böttcher/Mayer NStZ 1993,153 (155) und Rieß AnwBl 1993, 51 (55). 282 RGSt 47, 100 (106). 283 So BasdorfStV 1995, 310 (313). 284 Vgl. Alsberg/Nüse/Meyer, S. 740 f.; Fezer StV 1995,263 (266); Perron, Beweisantragsrecht, S. 267. 285 Vgl. Köhler, Inquisitionsprinzip, S. 75; Kühl, S. 83. 286 Vgl. Köhler StV 1992,4 (5). 287 Vgl. Fezer StV 1995,263 (266). So zunächst scheinbar - allerdings höchst mißverständlich - der Fünfte Strafsenat des Bundesgerichtshofs (abgedruckt in StV 1994, 283 (284)); "dagegen" danach der Erste Strafsenat im Wege der Wortlautinterpretation und der historischen Auslegung der Vorschrift (abgedruckt in NStZ 1994, 554). In dem Beschluß 5 StR 478/94 vom 7.9.1994 (unveröffentlicht, auszugsweise abgedruckt in StV 1994,634) stellt der Fünfte Senat richtig: ,,(B)ei Auslegung des § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO nach Maßgabe der Aufklärungspflicht (ist, d.V.) eine Beweisantezipation (00') zulässig, für welche die beim Augenschein von der Rechtsprechung entwickelten engeren Grenzen nicht gelten

(00')' Diese Ansicht steht im Einklang mit der des I. Strafsenats (00')", Der Fünfte Senat geht

somit - was auf den ersten Blick selbst für einen anderen Senat nicht erkennbar war -

2. Kapitel: Kontrollbefugnisse des Tatgerichts

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setzes, die auf der Eigenart des Beweismittels beruht, wird systemfremd durch das Argument der Verfahrensbeschleunigung ersetzt. Durch die neue Regelung wird die Gefahr willkürlicher, d.h. gesetzeszweckwidriger Ermessensausübung geschaffen288 . Verwertbare Praxiserkenntnisse zur relativen Anwendungshäufigkeit des neu eingefügten § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO liegen bislang nicht vor.

VII. AntragsteIlung zum Zweck der Prozeßverschleppung Der Ablehnungsgrund der Prozeßverschleppungsabsicht nimmt unter den Gründen des § 244 Abs. 3-5 StPO deshalb eine Sonderstellung ein, weil er Kontrollvoraussetzungen für das Gericht aufstellt, welche über die "gängigen" Wertungskriterien der Geeignetheit und Erheblichkeit, d.h. der Schlüssigkeitsbeurteilung aus der Sicht des Tatgerichts, hinausgehen. Gemäß § 244 Abs. 3 Satz 2, 6. Var. StPO ist es erforderlich, daß die Erhebung des beantragten Beweises zu einer objektiven Verfahrensverzögerung führt (1.), daß zum zweiten der Antragsteller die Verschleppung des Verfahrens subjektiv beabsichtigt (2.) und daß drittens die begehrte Beweiserhebung objektiv aussichtslos ist (3.). 1. Objektive Verfahrensverzögerung Der Bundesgerichtshof stellt bei der Bestimmung des Begriffs der objektiven Verfahrensverzögerung nicht ganz einheitlich auf die erhebliche289, wesentliche290 bzw. auf unbestimmte Zeit erfolgende Verzögerung291 des Verfahrensabschlusses durch die Erhebung des beantragten Beweises ab. Diese Voraussetzungen seien zum einen gegeben, wenn die Verzögerung "auf der Hand" liege292 . Dabei wird auf die Art des Beweismittels abgestellt, ohne genauere Zeitprognosen abzugeben293 . Thole294 zitiert zudem zwei ältere Entscheidungen der Revisionsgerichte, nach denen eine mehrfache Aussetzung der Hauptverdavon aus, daß die Aufklärungspflicht für den Augenscheinsbeweis sogar weiter greift als für den Auslandszeugen, vgl. Basdorf, Richter im Fünften Strafsenat, StV 1995, 310 (313); auch Meyer-Goßner in: KIIMG, § 244 Rdnr. 43 lit. f. 288 Vgl. Schoreit DRiZ 1991, 404 (405). 289 Vgl. BGH NStZ 1982,291 (292); 391. 290Vgl. BGH StV 1984,494; StV 1989,234 (235); StV 1992,501; StV 1993,405; auch BGH StV 1990,391; NStZ 1984,230. 291 Vgl. BGHSt 21,118 (121). 292 Vgl. BGH StV 1990,391; StV 1990,393; StV 1992,501 (502). 293 Vgl. BGH StV 1990, 393: "Während auf der Hand liegt, daß die Einholung des beantragten Sachverständigengutachtens (es handelte sich um eine Gen-Analyse, d.V.) zu einer erheblichen Verfahrensverzögerung führen würde, ... ". 294 Thole, S.133.

I. Teil: Darstellung der Rechtslage

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handlung erforderlich ist295 • Nach derzeitiger Haltung des Bundesgerichtshofs dürfte wohl den Unterbrechungsfristen des § 229 StPO die grenzziehende Funktion zukommen296 , d.h. es wird auf die Aussetzung der Hauptverhandlung nach § 228 Abs. 1 StPO abgestellt297 • Für den Fall des Antrags auf Vernehmung eines Richters des Tatgerichts nimmt der Bundesgerichtshof unter Ausblendung der insoweit unerheblichen Frage der Verfahrensverzögerung eine Subsumtion unter den Ablehnungsgrund der Unzulässigkeit der Beweiserhebung nach § 244 Abs. 3 Satz 1 StPO vor298 • In der Literatur wird eine Auseinandersetzung über den Inhalt des Begriffs der Verfahrensverzögerung gefiihrt. So wird die Absicht der Verfahrensverzögerung als Oberbegriff fiir alle Beweisanträge, mit denen verfahrensfremde Ziele verfolgt werden, angesehen299 • Dagegen wird die Ausgrenzung anderer Ziele der Verteidigung wie die Bloßstellung des Zeugen oder die Vorbereitung der Ablehnung eines Richters durch Aufdrängung einer Zeugenrolle aus dem Ablehnungsgrund gefordert3°O. Die Kontroverse dürfte nicht über das Argument zu vernachlässigen sein, daß etwa im Regelfall jede Verfolgung verfahrensfremder Ziele zur Verfahrensverzögerung fiihrte 30l . Dies mag zwar in einigen Fällen zutreffen; gleichwohl ist der Begriff der objektiven Verzögerung über die Erheblichkeit bzw. Wesentlichkeit eng defmiert. Entscheidend dürfte vielmehr der Blick auf den Ablehnungsgrund der Verschleppungsabsicht beim präsenten Beweismittel sein: Der Sinn fiir die diesbezügliche Gleichbehandlung von nicht präsentem und präsentem Beweismittel- bei welchem in der Tat richtigerweise der weite Verschleppungsbegriff gilt, da ansonsten der Ablehnungsgrund dort überhaupt keine Anwendung finden würde - wird von der oben erstgenannten, weiten Ansicht nicht genannt, sondern es wird vielmehr entweder ohne Begründung302 oder aber unter historisch verfehltem303 Rekurs auf die reichs gerichtliche Rechtsprechung zum präsenten BeweismitteP04 argumentiert.

BGH NJW 1989,36 (37); HansOLG Hamburg JR 1980,32 (34). Vgl. auch OLGe Karlsruhe Justiz 1976,440 (441); Schleswig StV 1985,225. Im Schrifttum: AlsberglNüselMeyer, S. 640; DahslDahs Rdnr. 336; Gollwitzer in: LR, § 244 Rdnr. 212; Meyer-Goßnerin: KIIMG, § 244 Rdnr. 67; umfassend ter Veen, S. 242 ff. 297 Vgl. BGH StV 1990, 391; StV 1992,501 (502). 298 Vgl. BGHSt 7,330 (331); NStZ 1991,99 (100). 299 Vgl. AlsberglNüselMeyer, S. 637; Julius, S. 224; Herdegen in: KK, § 244 Rdnr. 87; Köhler, Inquisitionsprinzip, S. 69; Meyer-Goßner in: KlIMG, § 244 Rdnr. 67. 300 Vgl. Gössel, Strafverfahrensrecht, S.254; Gollwitzer in: LR, § 244 Rdnr.212; Perron, Beweisantragsrecht, S. 253; Thole, S. 126 ff. 301 So aber AlsberglNüselMeyer, S. 637. 302 So Julius, S. 224; Köhler, Inquisitionsprinzip, S. 69. 303 Siehe dazu unten 2. Kap. B. XI. 2. c). 304 So AlsberglNüselMeyer, S. 637; Herdegen in: KK, § 244 Rdnr. 87; Meyer-Goßner in: KlIMG, § 244 Rdnr. 67. 295 296

2. Kapitel: Kontrollbefugnisse des Tatgerichts

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2. Verschleppungsabsicht des Antragstellers Die Zweckbestimmung der AntragsteIlung muß ausschließlich in der Absicht der Prozeßverschleppung liegen. Der Inhalt der Absicht korrespondiert mit dem Inhalt der objektiven Verzögerung, so daß das intendierte Antragsziel auf die zeitliche Verzögerung der Hauptverhandlung präzisiert sein muß (Ziel der Aussetzung der Hauptverhandlung)30s. Gleichzeitig muß auch beim Antragsteller das Verlangen, die behauptete Tatsache beweisen zu können, fehlen: Dies deshalb, weil lediglich der ausschließliche Verschleppungswille die Voraussetzungen des § 244 Abs. 3 Satz 2, 6. Var. StPO erfüllt. Bei einer Kumulation von Sachaufklärungs- und Verschleppungswillen kann der Beweisantrag nicht nach dieser Vorschrift abgelehnt werden306. Das Tatgericht ist somit gezwungen, sich in die Person des Antragstellers zu versetzen und eine Beurteilung aus dessen Perspektive vorzunehmen. Das Kemproblem des § 244 Abs. 3 Satz 2,6. Var. StPO ist demnach beweistechnischer Natur mit der Besonderheit, daß es nicht um den Nachweis der Schuld des Angeklagten geht, sondern einer prozessualen Gegebenheit in Form einer inneren, fremdpsychischen Tatsache307 . Das Tatgericht wendet dabei Regeln des Indizienfreibeweises an (vgl. § 251 Abs. 3 StPO)308. Dieser Zwang zur verengten Perspektive bei der Beweiswürdigung hat für den Ablehnungsgrund der Prozeßverschleppung nicht immer bestanden, sondern wurde in dieser Schärfe erst durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs 309 verankert31O ; nach früher Ansicht des Reichsgerichts reichte die Überzeugung des Tatgerichts von der Verschleppungsabsicht des Antragstellers aus, welche es sich nach seinem Ermessen aus dem Gesamtergebnis der bisherigen Beweisaufnahme bilden konnte 31l . Danach konnte das Tatgericht seine eigene Perspektive leicht an die Stelle der Sichtweise des Antragstellers setzen: Es konnten schlicht diejenigen Anträge erfaßt werden, in denen das Tatgericht von der Unschlüssigkeit des Antrags überzeugt war, sei es wegen der fehlenden Geeignetheit oder Erheblichkeit des intendierten Beweises. Diese Geschichte der Rechtsprechung zu diesem Ablehnungsgrund ist hervorzuheben, um zum einen die Sonderstellung der Vorschrift und zum anderen die im heutigen Anwendungsverfahren angelegten Probleme vollständig zu erfassen: Vgl. Thole, S. 137. Vgl. BGH NStZ 1984,230; StV 1989,234 (235); Thole, S. 139 m.w.N. 307 Herdegen in: KK, § 244 Rdnr. 3. 308 Thole, S. 160 ff. 309 St. RSpr. Siehe grundlegend BGHSt 21, 118 (121). 310 Thole, S. 160. 311 Vgl. RGSt 12, 335 (336). Erst später, vgl. RGSt 20, 206 (207), wurde die Beurteilung der Ansicht des Antragstellers überhaupt der revisionsrechtlichen Prüfung unterstellt, Thole, S. 159 Fn. 353. 305

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1. Teil: Darstellung der Rechtslage

Das Tatgericht muß nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in seinem Ablehnungsbeschluß Indizien darlegen, welche hinreichend sicher darauf schließen lassen, der Antragsteller habe sich von der beantragten Beweiserhebung nichts versprochen. Das Gericht wird die Ernsthaftigkeit der Beweiserhebung unterstellen und nach Widersprüchen zum bisherigen Prozeßverhalten des Antragstellers bzw. zum bisherigen Beweisergebnis suchen312 ; schließlich kommt dem Zeitpunkt der AntragsteIlung eingeschränkter Indizwert zu3i3. Letztere Indiztatsache hat einen Beweiswert hinsichtlich des Verzögerungswillens insoweit, als ein die Verhandlungsaussetzung verfolgender Antragsteller diesem Ziel dann am nächsten kommt, wenn er den Antrag zu einem Zeitpunkt stellt, an dem nach der Terminierung des Tatgerichts weitere Hauptverhandlungstage nicht mehr vorgesehen sind314 • Gleichwohl - insoweit bewegt sich dieses Indiz in einem Spannungsfeld - ist zu beachten, daß der Antragsteller nicht verpflichtet ist, Beweisanträge zu einem von dem Tatgericht fiir angemessen gehaltenen Zeitpunkt zu stellen31S ; die Prozeßstrategie der Verteidigung ist grundsätzlich dem richterlichen Urteil entzogen. Zudem kann aus dem Kriterium der verspäteten AntragsteIlung inhaltlich nicht darauf geschlossen werden, daß der Antragsteller gleichzeitig sich von der Beweisaufnahme nichts mehr verspreche. Deshalb ist dieses Indiz allein niemals tauglich, die subjektiven Ablehnungsvorausetzungen ausreichend zu begründen316 • Auch das Indiz des bisherigen Prozeßverhaltens des Antragstellers 317 ist den Kräften entgegengesetzter Pole ausgesetzt: Zum einen wirkt auch hier die grundsätzliche Unantastbarkeit der Art und Weise der Verteidigungsfiihrung, zum anderen ist es evident, daß gerade das eigene widersprüchliche Verhalten eines Verfahrenssubjekts gegen dessen propagierte Absichten und Erklärungen spricht. Im Parallelfall der Glaubhaftigkeitsbeurteilung der Einlassung des Angeklagten bzw. der Aussage des Zeugen ist dementsprechend bei der Beweiswürdigung das Merkmal der Aussagekonstanz ein gravierendes Kriterium318 • Zur Lösung dieser Spannung hat die Rechtsprechung eine Kasuistik entwikkelt319, nach der die Widersprüchlichkeit aus einer gänzlich nicht mehr nachvollziehbaren Sichtweise des Antragstellers deduziert wird32o : So etwa bei vor-

312 Perron, Beweisantragsrecht, S. 255. Siehe die erschöpfende Einzeldarstellung der Entscheidungen des Bundesgerichtshofs bei ter Veen, S. 262 ff. 313 Thole, S. 164 ff. 314 Thole, S. 165. 315 BGH NStZ 1982,391; 1990,350; Meyer-Goßner in: KlIMG, § 246 Rdnr. I. 316 Thole, S. 166. 317 Meyer-Goßner in: K1IMG, § 244 Rdnr. 68. 318 Vgl. BGH StV 1982,255; 1991,292,409. 319 Einen Überblick gibt Schlüchter in: SK, § 244 Rdnr. 121. 320 Umfassend dazu Thole, S. 170 ff.

2. Kapitel: Kontrollbefugnisse des Tatgerichts

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heriger völliger Passivität des Angeklagten gegenüber belastenden Aussagen und nunmehr beantragtem Alibibeweis321 , im Falle vorheriger Behauptung, bei einem nunmehr unter präziser Nennung von Namen und Anschrift beantragtem Zeugen, dessen Identität nicht zu kennen322 sowie bei Beantragung eines Zeugen, auf dessen Vernehmung vorher schon einmal verzichtet bzw. ein dahingehender Beweisantrag schon einmal zurückgezogen wurde, wenn sich seit dem aus der Weiterentwicklung der Hauptverhandlung keine äußeren Anzeichen feststellen lassen, welche den Sinneswandel des Antragstellers hinsichtlich des erstrebten Beweisziels plausibel machten323 . Letzteres Beispiel leitet über zur letztgenannten Indizgruppe, da insoweit die dort aufzuweisenden Beweisprobleme hier im gleichen Maße gelten: Setzt sich der Antragsteller mit seinem Beweisantrag zum bisherigen Beweisergebnis in Widerspruch324, so kann argumentiert werden, daß dem Beweisantragsinhalt eine "erdrückende Beweislage"325 gegenübersteht, was nur den Schluß auf die Falschheit der unter Beweis gestellten Tatsache erlaube326 . Die Vagheit einer solchen Schlusses und das Spannungsfeld, in welchem diese vermeintliche Indizwirkung steht, liegen auf der Hand: Entscheidend ist die Richtigkeitsgarantie des Verdikts über das Ergebnis der bisherigen Beweisaufnahme. Hier schlagen im Freibeweisverfahren diejenigen Unwägbarkeiten zu Buche, welche die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs durch das Erfordernis der Perspektive des Antragstellers gerade vermeiden will: Die Bestimmung der Verschleppungabsicht des Antragstellers aus der Sicht des Tatgerichts. Die Gefahr eines Zirkelschlusses ist angelegt: Entscheidend bei der gerichtlichen Vorgehensweise ist, daß das Beweisziel dieser Indizienbeweisführung zwar (im Bezug auf den Antragsteller) subjektiviert die Einschätzung des Wertes der beantragten Beweiserhebung der Verteidigung ist, das Tatgericht gleichwohl Gefahr läuft, als indizierende Vergleichsparameter "objektive" Anhaltspunkte aus der retrospektiven Zwischenbeweiswürdigung zu entnehmen, welche nichts anderes als die Schlüssigkeitsbewertung des Tatgerichts selbst, mithin seine Geeignetheits- und Erheblichkeitsbeurteilungen mit Ausschließlichkeitsanspruch, darstellen. Die Gefahr eines Rückfalls zu der Vorgehensweise der Tatgerichte unter der frühen Rechtsprechung des Reichsgerichts ist daher nicht von der Hand zu weisen327 . Das Verfahren über nur scheinbar objektive Indizien ergibt sich zwangsläufig aus der Verschiedenheit des Erkenntnissubjekts bei der Antragsbeurteilung und ist 321 BGH NStZ 1986,519 (520). 322 BGH NStZ 1989,36 (37). 323 BGH NStZ 1982,391 (392). 324 Siehe zu dieser Fallgruppe ter Veen, S. 262 ff. 325 Vgl. HansOLG Hamburg JR 1980,32 (34) 326 Vgl. BGH NJW 1990, 1307. 327 Thole, S. 182, geht deshalb so weit, auf das Indiz der Nichtübereinstimmung von Beweisantrag und bisherigem Beweisergebnis gänzlich zu verzichten.

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1. Teil: Darstellung der Rechtslage

jeglichem Nachweis innerer, fremdpsychischer Tatsachen immanent - so auch dem Schuldnachweis beim subjektiven Straftatbestand. Im Beweisantragsrecht ist diese Gefahr indes noch deshalb spezifIzierend erhöht, als aufgrund der vorläufIgen, noch vor Abschluß der Hauptverhandlung erfolgenden Beweiswürdigung (ein "Inbegriff der Verhandlung" nach § 261 StPO kann noch nicht vorliegen) die Richtigkeitsmöglichkeit der in diesem Sinne präsumtiven Beweiswürdigung zusätzlich gemindert wird. Das aufgezeigte generelle Problem wird durch den versubjektivierten Begriindungszwang solange nicht verändert, als auch (frei)beweisrechtlich die aufzufmdenden Indizien nicht vollständig integriert werden in die eigene Perspektive des Antragstellers. Für das vorgenannte Problem der Widerspruchsbeweisführung zum vorherigen Prozeßverhalten der Verteidigung kann nichts anderes gelten: Die Beurteilung der Weiterentwicklung der Hauptverhandlung läuft im gleichem Maße Gefahr, allein aus der Perspektive des Tatgerichts vorgenommen zu werden. 3. Objektive Aussichtslosigkeit der Beweiserhebung Als dritte Voraussetzung fordert der Bundesgerichtshof die objektive Aussichtslosigkeit der beantragten Beweiserhebung328 • Der Zweck dieses Kriteriums li~gt in der Vermeidung von erfolgreichen Aufklärungsrügen329 • Schon über diese Voraussetzung ist die Reichweite des § 244 Abs. 3 Satz 2, 6. Var. StPO von einer originär der Amtsaufklärungspflicht zuzurechnenden Kautele 330 eingeschränkt: Es verbleibt lediglich der äußerst seltene Restbereich, in welchem andere Ablehnungsgründe, wie z.B. die Bedeutungslosigkeit, nicht ansetzen können, in dem aber der Maßstab des Naheliegens und des Drängens zur Beweiserhebung nicht greift33l • 4. Zusammenfassung Der Ablehnungsgrund des § 244 Abs. 3 Satz 2,6. Var. StPO hat einen durch die Rechtsprechung der Revisionsgerichte äußerst eingeschränkten Anwendungsbereich: Objektiv greift er lediglich ein in der Zone zwischen verneintem

328 Vgl. BGHSt 21, 118 (121 f.); 29, 149 (151); BGH NStZ 1986,519 (520); 1989, 36 (37). 329 Vgl. BGHSt 21, 118 (121 f.); 29, 149 (151); BGH NStZ 1986,519 (520); 1989, 36 (37).; auch DahslDahs, Rdnr. 336; Go/lwitzer in: LR, § 244 Rdnr. 211; Herdegen in: KK, § 244 Rdnr. 85; Thole, S. 188 m.w.N. 330 Daneben kommt dem Kriterium der objektiven Aussichtslosigkeit selbstverständlich Indizwert für die subjektive Verschleppungsabsicht des Antragstellers zu, Perron, Beweisantragsrecht, S. 254. 331 Köhler, Inquisitionsprinzip, S. 69 f.

2. Kapitel: Kontrollbefugnisse des Tatgerichts

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Amtsaufklärungsbedarf und verneinter anderweitiger Antragsablehnungsmöglichkeit, zum anderen ist dem Tagericht durch den Zwang, die Verschleppungsabsicht aus der Perspektive des Antragstellers nachzuweisen, die Möglichkeit genommen, trotz des insoweit möglichen Freibeweisverfahrens durch komplikationslose Entscheidung unliebsame Anträge abzuwehren. Hervorzuheben ist, daß aufgrund dieses Perspektivwechsels der Ablehnungsgrund des § 244 Abs. 2 Satz 3, 6. Var. StPO in der Systematik des § 244 Abs. 3-5 StPO eine Sonderstellung einnimmt, indem er von den dem Inquisitionsprinzip verpflicheten präsumtiven Schlüssigkeitsbeurteilungen aus der Sicht des Tatgerichts dispensiert; andererseits ist im Indizienfreibeweisverfahren latent die Gefahr angelegt, die eigene tatgerichtliche Perspektive anstelle derjenigen des Antragstellers zu setzen, mithin diese vom Ablehnungsgrund verlangte Ausschließlichkeit des Erkenntnisanspruchs in ihr genaues Gegenteil zu verkehren. Dementsprechend gering ist die praktische Bedeutung: Vogtherr332 ermittelte 0%, während in der Einzelbefragung von Perron333 und in seiner Aktenanalyse 334 der Ablehnungsgrund der Prozeßverschleppungsabsicht nahezu bedeutungslos ist. VIII. Wahrunterstellung der behaupteten Tatsache

Gemäß § 244 Abs. 3 Satz 2, 7. Var. StPO kann das Gericht den Beweisantrag mit der Begründung ablehnen, daß eine erhebliche Behauptung, die zur Entlastung des Angeklagten bewiesen werden soll, so behandelt werden könne, als wäre die behauptete Tatsache wahr. An die Stelle der Würdigung eines tatsächlich erhobenen Beweises wird damit die Fiktion gesetzt, der Beweis sei gelungen. Der Anwendungsbereich des Ablehnungsgrunds umfaßt eine weite Bandbreite. Setzt der Wortlaut der Vorschrift eine erhebliche, den Angeklagten entlastende Tatsache voraus, so wäre damit der Kernbereich dieses Ablehnungsgrunds umrissen, der in der bloßen verfahrensrechtlichen Antezipation des Grundsatzes "in dubio pro reo" besteht. Da die Verteidigung nicht gezwungen ist, die Unschuld des Angeklagten zu beweisen, sondern es ausreicht, konkrete Zweifel an der Täterschaft beim Tatgericht zu bewirken, muß es letzterem erlaubt sein, aus prozeßökonomischen Erwägungen einen Antrag auf Erhebung eines Beweises, welcher sich zusätzlich entlastend in eine bereits durch Zweifel des Gerichts an der Schuld des Angeklagten gekennzeichnete Sachverhalts aufklärung einfügte, abzulehnen und dem Angeklagten somit den möglichen Vogtherr, S. 350. Perron, Beweisantragsrecht, S. 331. 334 Perron, Beweisantragsrecht, S. 366: Lediglich eine fehlerhafte Ablehnung im Jahre

332 333

1983.

6 Anders

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1. Teil: Darstellung der Rechtslage

Nachweis seiner Unschuld zu verweigern33S • Verneint wird mit dieser Begründung im Wege retrospektiver (Zwischen-)Beweiswürdigung die Erheblichkeit der Beweisbehauptung aufgrund der schon bestehenden Zweifelssituation des Gerichts, welche durch die Anhörung des angebotenen Entlastungsbeweises nicht mehr verändert werden kann. Dadurch wird dem Angeklagten allerdings die Möglichkeit abgeschnitten, in der Hauptverhandlung über seine beantragten Entlastungsbeweise die hinreichende Gewißheit seiner Sichtweise zu vermitteIn336. Gemessen an der eigentlichen Funktion des Entlastungsbeweises, der Induktion des konkreten Zweifels beim Tatgericht zur Anwendung der Unschuldsvermutung, liegt in der Wahrunterstellung in Form der Antezipation des Grundsatzes in dubio pro reo aber zumindest im Ergebnis keine diesbezügliche Gefährdung. Die Schlüssigkeitskontrollbefugnis des Gerichts beim Ablehnungsgrund der Wahrunterstellung erfährt allerdings mit der großzügigen Auslegung, die der § 244 Abs.3 Satz 2, 7. Var. StPO durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs erhalten hat, eine weitergehende Bedeutung. Dem Tatgericht soll es erlaubt sein, solche Indiztatsachen als wahr zu unterstellen, welche sich im Urteil aufgrund der sonstigen Beweislage letztendlich als bedeutungslos erweisen, weil das Gericht nicht den vom Antragsteller erwünschten Schluß daraus ziehen möchte 337 • Die damit gezogene Parallele zum Ablehnungsgrund der Bedeutungslosigkeit überrascht angesichts des Wortlauts der Norm, der eine erhebliche Tatsache verlangt338 . Gleichwohl ist eine solche Ablehnungsmöglichkeit revisionsrechtlich unangreifbar, weil der Bundesgerichtshof es in ständiger Rechtsprechung zum einen anerkennt, daß ein Beweisantrag durch Wahrunterstellung bereits abgelehnt werden kann, wenn es sich zum Zeitpunkt der Beschlußfassung um eine nur möglicherweise erhebliche Tatsache handelt339. Zum anderen soll ein Wechsel der Bewertung zur Unerheblichkeit nach Schluß der Beweisaufnahme in der Urteilsberatung - anders während der laufenden

335 Vgl. RGSt 47, 417 (424); 65, 322 (330); AlsberglNüselMeyer, S. 662 f.; Engels GA 1981,21 (31); Grünwald,Honig-FS, S. 53 (56); Herdegen in: KK, § 244 Rdnr. 91;dens. NStZ 1984, 337 (340); Köhler, Inquisitionsprinzip, S.39; Perron, Beweisantragsrecht, S. 229; Roxin, § 43 Rdnr. 15; Schlüchter, Strafverfahren, Rdnr. 553.3; Tenckhoff, S. 115 ff., 130. Die Erkenntnis des Zusammenhangs zwischen Wahrunterstellung und dem Grundsatz in dubio pro reD geht zurück auf Radbruch, RG-FG, S. 208. 336 Köhler, Inquisitionsprinzip, S. 39. 337BGH NJW 1961,2069 (2070); BGH GA 1972, 272f.; bei Holtz MDR 1979,281 (282); NStZ 1983,376; NStZ 1993,447 (448); BGHR StPO § 244 Abs. 3 Satz 2 Wahrunterstellung 2, 5, 20 S. 2, 22, 25; auch OLG CelleNStZ 1986,91 ; AlsberglNüsel Meyer, S. 667; Herdegen in: KK, § 244 Rdnr. 92; ders. NStZ 1984, 337 (342); Meyer-Goßner in: KIIMG, § 244 Rdnr. 71. 338 Siehe umfassend zum Streitstand ter Veen, S. 115 ff. 339 BGH NJW 1961,2069 (2070); GA 1972,272.

2. Kapitel: Kontrollbefugnisse des Tatgerichts

83

Beweisaufnalune340 - nicht zur Verpflichtung des Tatgerichts fuhren, diesen der Verteidigung offenzulegen341 . Eine mögliche Aufweichung bildet dabei lediglich eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs342, nach der ein solcher Hinweis erforderlich sei, "wenn es naheliegt, daß der Angeklagte wegen der Wahrunterstellung davon absieht, Beweisanträge zu einem Thema zu stellen, das mit der als wahr unterstellten Tatsache im Zusammenhang steht und das - im Gegensatz zu dieser Tatsache - für die Entscheidung möglicherweise von Bedeutung ist". Zumindest im Grundsatz ist aber durch die Rechtsprechung eine Austauschbarkeit der Ablehnungsgründe der Wahrunterstellung und der Bedeutungslosigkeit gegeben343 . Wie bei der Ablehnung wegen Bedeutungslosigkeit wird bei einer derart erfolgenden Wahrunterstellung am generellen Erfahrungssatz des Indizienbeweises angesetzt und somit, nach präsumtiver Akzeptierung der Geeignetheit des Beweismittels344, die Erheblichkeit des Beweisziels im Wege retrospektiver Argumentation vemeint345 . Gleichwohl werden durch die Ablehnung wegen Wahrunterstellung der Verteidigung unweit mehr Nachteile taktischer Natur begründet, als dies bei einer solchen wegen Bedeutungslosigkeit der Fall ist. Die Begründungsanforderungen bei der Ablehnung wegen Wahrunterstellung fallen anders als bei der Begründung mit der Bedeutungslosigkeit nicht ins Gewicht, weil das Gericht hier seine Zusage erteilt, die unmittelbare Beweistatsache als wahr zu behandeln. Es kommt hinzu, daß nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs aufgrund der Schlußfolgerungsfreiheit des Tatgerichts, ob es die Tatsache als erheblich oder unerheblich erachtet, eine Erörterungspflicht in den Urteilsgründen zu den als wahr unterstellten Tatsachen grundsätzlich nicht anerkannt wird346. Der Verteidigung ist somit nur die prozessuale Realität vermittelt, daß "das Gericht einen Weg gefunden hat, den Angeklagten trotz der Wahrunterstellung zu verurteilen"347. Der Vorteil 340 BGHSt 1,51 (54); 21, 38 (39). 341 BGH GA 1972, 272 (273); bei Pfeiffer NStZ 1981, 296; bei PfeifferlMiebach NStZ 1983,357 Nr. 25; auch OLG Celle NStZ 1986,91. 342 BHGSt 30,383 (385); vgl. auch OLG Hamm NStZ 1983,522. 343 Rabe, S. 91 f.; Sarstedt/Hamm Rdnr. 286; Schweckendieck NStZ 1997,257 (260 f.). 344 Hinsichtlich der als wahr unterstellten unmittelbaren Beweistatsache selbst gewährt der Bundesgerichtshof der Verteidigung umfassenden Vertrauensschutz; vgl. BGHSt 32, 44 (47). Danach hat der Angeklagte aus dem Grundsatz des fairen Verfahrens einen Anspruch auf Unterrichtung, wenn das Gericht die Tatsache nicht mehr als wahr betrachtet; siehe dazu Hamm, Peters-FG, S. 177 f. 345 Vgl. dazu oben I. Kap. B. 346 Vgl. BGH NJW 1961,2069; bei PfeifferiMiebach NStZ 1985,206 Nr. 13; StV 1988,91; bei Miebach NStZ 1988,212 Nr. 12. 347 Sarstedt DAR 1964,307 (312).101 6*

1. Teil: Darstellung der Rechtslage

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des "erlaubten Einblicks in das Beratungszimmer"348, wie er der Verteidigung bei der Ablehnung wegen Bedeutungslosigkeit über die Beschlußbegründung gegeben ist, in der das Gericht den aktuellen Stand seiner Beweiswürdigung preiszugeben hat, entfällt. Die Verteidigung hat es somit schwer, durch gezielte neue Anträge Einfluß auf das Beweisverfahren zu nehmen349 . Im Ergebnis kann dies auf eine Verteidigungstaktik hinauslaufen, welche abseits jeglichen Beweisinteresses inhaltlich kaum ernst gemeinte Beweisanträge produziert, um das Tatgericht durch mögliche fehlerhafte Wahrunterstellungen zu revisiblen Fehlern in der Urteilsabfassung zu verleiten3so . Die revisionsrechtlichen Grenzen einer solchen Wahrunterstellung ergeben sich u.a. 3S1 aus der Bindung des Gerichts an die allgemeinen Grundsätze der Beweiswürdigung3S2, den Verboten der Verkürzung und Einengung der Beweisbehauptung3S3 , insbesondere der präsumtiven Verneinung der Glaubhaftigkeit der Aussage354, sowie des Inwiderspruchsetzens zur Wahrunterstellung355 bzw. des Abrückens von der zugesagten Wahrunterstellung oder der späteren Antragszurückweisung mit einer anderen als der ursprünglichen Ablehnungsbegründung356 . Ferner hat die Amtsaufklärungspflicht Vorrang vor der - insoweit nicht zulässigen - Wahrunterstellung zumindest in den Fällen, in denen die Überzeugungsbildung des Tatgerichts von der Glaubwürdigkeit eines Zeugen abhängt, und der Angeklagte zur Nachprüfung der Glaubwürdigkeit Tatsachen unter Beweis stellt, die der Zeuge bestreitet357 . In der Aktenanalyse von Vogtherr nahm der Ablehnungsgrund wegen Wahrunterstellung mit 33,3% die Spitzenposition ein358 . Perron359 ermittelte in seiner Einzelbefragung mit einer "häufigeren" bis "sehr häufigen" Anwendung dieses Ablehnungsgrunds ebenfalls die Führungsposition, innerhalb derer die Richter die 348

Vogtherr, S. 180.

351

Einen Überblick geben Born, S. 143 ff. und Perron, Beweisantragsrecht, S. 231 f.

349 Vgl. Rabe, S. 93 f.; Schräder NJW 1972,2105 (2107). 350 Vgl. Perron, Beweisantragsrecht, S. 234.

352 BGH NJW 1961,2069 (2070); NStZ 1982,213; bei PfeifferlMiebach NStZ 1983,

357 Nr. 24; bei Holtz MDR 1990,98; StV 1990,291 (292); 1990,292 (293); BGHR StPO § 244 Abs. 3 Satz 2 Wahrunterstellung 11; Herdegen in: KK, § 244 Rdnr. 93, ders. NStZ 1984,337 (342); Tenckhoff, S. 151 f. 353 BGH wistra 1990, 196 (197), 307; BGHR StPO § 244 Abs. 3 Satz 2 Wahrunterstellung 4, 6,8,17,18,19 S. 2,21. 354 BGH StV 1984,61; StV 1995, 172 (173) m.w.N. 355 Vgl. BGHSt 32, 44 (46 f.); BGHR StPO § 244 Abs. 3 Satz 2 Wahrunterstellung 7, 14, 16, 19,24. 356 Vgl. BGH StV 1994,5. 357 Vgl. BGH NJW 1961,2069 (2070); bei Holtz MDR 1990, 98; bei Kusch NStZ 1992, 28 Nr. 7. 358 Vgl. Vogtherr, S. 180. 359 Perron, Beweisantragsrecht, S. 331.

2. Kapitel: Kontrollbefugnisse des Tatgerichts

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Applikation der Wahrunterstellung einer - aus ihrer Sicht - an sich unerheblichen Indiztatsache in der Mehrzahl der Fälle angaben360• Nach der Entscheidungsauswertung von Perron361 steht auch dort die Wahrunterstellung an erster Position362, während sich hier allerdings lediglich die Hälfte auf Indiztatsachen bezog363 • Die zahlenmäßig stärkere Anwendung dieses Ablehnungsgrunds bei Indiztatsachen im Vergleich zu dem der Bedeutungslosigkeit dürfte sich dabei wohl aus den an das Tatgericht gestellten geringeren Begründungsanforderungen ergeben. Diese Hypothese wird durch die von Rahe364 durchgeführte Umfrage bei den Tatrichtem des Amts- und Landgerichts Hamburg im Jahre 1986 sowie seine Auswertung von judizierten Fällen anhand rechtskräftig abgeschlossener Verfahren in Hamburg aus dem Zeitraum von 1975 bis 1990 gestützt: Danach wurde der Ablehnungsgrund der Wahrunterstellung zum einen nahezu ausschließlich dazu verwandt, Indiztatsachen als wahr zu unterstellen36s, während zum anderen dies aus prozeßökonornischen Erwägungen heraus auch dann geschah, wenn aufgrund der bisherigen Beweisaufnahme oder des Akteninhalts zum Zeitpunkt der Ablehnung des Beweisantrags Indizien vorlagen, die gegen die "Unwiderlegbarkeit" der unter Beweis gestellten Tatsache sprachen366• Schließlich wurde der Ablehnungsgrund der Wahrunterstellung als "Auffangbeweisablehnungsgrund" in 20% der untersuchten Beweisanträge, die mit dieser Begründung zurückgewiesen wurden, auch dann angewendet, wenn der Beweisantrag aus anderen Gründen hätte abgelehnt werden müssen367 • Der Ablehnungsgrund der Wahrunterstellung bei Indiztatsachen kann damit als essentiell bedeutend für eine den prozeßökonornischen Bedürfnissen der Praxis entsprechende Gestaltung der Beweisaufnahme bezeichnet werden368 : Die Norrnauslegung und die Anwendungskontrolldichte der Revisionsgerichte läßt den Tatrichtem im wesentlichen durch die eingeräumte Schlußfolgerungsfreiheit über die als wahr behandelte Tatsache als erheblich oder unerheblich sowie die daraus resultierende Erörterungsfreiheit in den Urteilsgründen genügend Raum, verfahrensökonornische Zwecke durchzusetzen369 •

Vgl. Perron, Beweisantragsrecht, S. 332. Perron, Beweisantragsrecht, S. 366. 362 Mit jeweils gleichbleibend zehn Aufhebungen in den Jahren 1983 und 1988, vgl. Perron, Beweisantragsrecht, S. 366. ' 363 Vgl. Perron, Beweisantragsrecht, S. 367. 364 Vgl. Rabe, S. 27 ff.; 87 ff. 365 Rabe, S. 87. 366 Rabe, S. 89. 367 Rabe, S. 89. 368 So ter Veen, S. 133. 369 ter Veen, S. 134. Siehe auch Rabe, S. 90. 360 361

1. Teil: Darstellung der Rechtslage

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IX Zusätzliche Gründe fiir die Antragsablehnung auf Sachverständigenbeweis Der Sachverständige besitzt im Beweisverfahren des Strafprozesses eine überragende Bedeutung37o . Das Gesetz geht in den §§ 73 Abs. 1 Satz 1, 244 Abs.4 StPO von der Leitvorstellung aus, daß der Sachverständige als "Gehilfe" des Tatgerichts zur Klärung der betreffenden Beweisfrage im Prinzip fungibel sei, da jeder Sachverständige zu demselben Ergebnis gelangen müsse. Diese Vorstellung ist indes mit der Wirklichkeit nicht zu vereinbaren, wie allein das Beispiel der Heranziehung eines psychologischen oder psychiatrischen Sachverständigen bei einem nichtkrankhaften Zustand des Beschuldigten371 eindrucksvoll belegt. Gemäß § 244 Abs. 4 Satz 1 StPO kann der Antrag auf Vernehmung eines Sachverständigen zusätzlich zu den durch Abs. 3 der Vorschrift gegebenen Möglichkeiten mit der Begründung abgelehnt werden, das Gericht besitze selbst die erforderliche Sachkunde. In systematischer Betrachtung erfolgt mit dieser Argumentation die Verneinung der Beweismittelgeeignetheit, da das Tatgericht von dem Grundsatz ausgeht, daß es fiir jedes wissenschaftliche Problem eine einzige Antwort gibt und folglich einen Antrag auf Anhörung eines Sachverständigen wegen negativer Beweisprognose oder aufgrund mangelnder Glaubwürdigkeit ablehnen muß. Das Tatgericht bezieht sich in seiner Würdigung dabei prospektiv auf das Beweismittel in Relation zur Beweisbehauptung. Vom Wortlaut der Vorschrift unausgesprochen wird damit das Gegenteil der behaupteten Tatsache als gültig festgeschrieben. Die Frage nach der eigenen Sachkunde des Gerichts betrifft dabei allerdings ein allgemeines Problem des Beweisrechts, welches nicht auf die Besonderheit des Antrags auf Sachverständigenbeweis beschränkt ist: Die Frage nach dem Ausreichen des richterlichen Sachverstands. Die Bestimmung der Grenze, jenseits derer das Tatgericht gezwungen ist, sachverständige Hilfe zu hören, wird anhand des Maßstabs des § 244 Abs. 2 StPO vorgenommen372 • Die dazu ergangene umfangreiche Kasuistik kann hier nicht dargestellt werden373 . Indes ist auf die besonderen Gefahren hinzuweisen, die in der richterlichen Behauptung eigenen Sachverstands angelegt sind: Die Kontrolle, ob das besondere Fachwissen des Tatgerichts ausreicht, ist schlechterdings lediglich über einen Sachverständigen möglich, dessen Anwesenheit per Gerichtsbeschluß gerade verhindert wurde - ein im Beweisverfahren angelegter Zirkelschluß. Wolschke sieht darin eine das Recht auf Gehör verletzende Rollenvermischung von Richter und BeweismitteP74. 370 Vgl. dazu Krauß ZStW 85 (1973), S. 320. 371 Vgl. BGH NStZ 1988,86; Rasch NStZ 1992,257 (258 fI). 372

Vgl. Herdegen in: KK, § 244 Rdnr. 99.

374

Wolschke, S. 191.

373 Siehe dazu Alsberg/Nüse/Meyer, S. 699 ff.

2. Kapitel: Kontrollbefugnisse des Tatgerichts

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Dem Antrag auf Anhörung eines weiteren Sachverständigen kann nach § 244 Abs. 4 Satz 2 StPO entgegengehalten werden, daß durch das frühere Gutachten das Gegenteil der behaupteten Tatsache bereits erwiesen sei oder daß das Gericht aufgrund des Gutachtens des ersten Sachverständigen eine ausreichende eigene Sachkunde erlangt habe 37S, es sei denn, einer der Ausnahmetatbestände des § 244 Abs. 4 Satz 4 StPO griffe ein. Dieser Ablehnungsgrund ist fiir die Verteidigung insofern von besonderem Nachteil, als nach der herrschenden Zuziehungspraxis, ausgehend von dem gesetzlichen Leitbild der Fungibilität dieses Beweismittels, der Sachverständige in der Mehrzahl der Fälle schon im Vorverfahren und auf Initiative der Staatsanwaltschaft herangezogen wird376• Die Verteidigung ist daher in besonderem Maße auf eine Korrektur der Sachverständigenbeweislage in der Hauptverhandlung angewiesen. Diese Notwendigkeit wird dringlich durch die herrschende Auswahlpraxis, nach der vornehmlich dieselben Sachverständigen bestellt werden, welche den Anforderungen der Staatsanwaltschaften nach Schnelligkeit und Komplikationslosigkeit der Gutachtenerstellung am ehesten gerecht werden377 • In systematischer Betrachtung erfolgt auch über § 244 Abs. 4 Satz 2 StPO eine präsumtive Verneinung der Geeignetheit des weiteren Sachverständigen, indem entsprechend dem Gesetzeswortlaut das Gegenteil der behaupteten Tatsache als erwiesen angesehen wird. Das Tatgericht lehnt den Beweisantrag im Wege retrospektiver (Zwischen-)Beweiswürdigung, also unter Rekurs auf das frühere Gutachten, ab. Diese Verneinung ist in der überwiegenden Zahl der Fälle rechtsfehlerfrei, da die Reichweite der Ausnahmetatbestände der zweifelhaften Sachkunde des früheren Gutachters, der unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen des früheren Gutachtens und der überlegenen Forschungsmittel des neuen Sachverständigen sehr restriktiv gehandhabt werden378 • In rechtstatsächlicher Hinsicht kommt den Ablehnungsgründen fiir Sachverständigenbeweisanträge eine gewichtige Bedeutung zu. Nach Vogtherr379 steht die Ablehnung mit der Begründung eigener Sachkunde nach § 244 Abs. 4 Satz 1 StPO mit 29,1 % an zweiter Stelle, während Perron in seiner Einzelbefragung Vgl. BGH bei Dallinger MDR 1972, 925. Vgl. Krauß ZStW 85 (1973), S. 320, 324; Vogtherr, S. 288. 377 Vgl. Barton, S.25; Eisenberg Rdnr. 1538. Siehe auch die Falldarstellung von HartmanniRubach StV 1990,425,427 f. 378 Siehe dazu Alsberg/NüselMeyer, S. 728 ff. und Perron, Beweisantragsrecht, S. 264 f. Die Revisionsanforderungen verlangen bei der Rüge zweifelhafter Sachkunde des gehörten Erstsachverständigen die Mitteilung des gesamten Inhalts des vorbereitenden Gutachtens, vgl. BGH StV 1996,529. 379 Vogtherr, S. 288: Die Ablehnung eines weiteren Sachverständigen (genauer aufgrund fehlender überlegener Forschungsmittel) lag mit 4,2% hingegen im unteren Rangbereich. 375 376

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I. Teil: Darstellung der Rechtslage

für beide Ablehnungsgrunde des § 244 Abs. 4 StPO "seltene" bis "häufigere" Anwendungen ennittelte380• X Fehlende Erforderlichkeit eines Augenscheins

1. Anträge auf Einnahme eines Augenscheins Mit dem Ablehnungsgrund des § 244 Abs. 5 Satz 1 StPO ist es dem Tatgericht möglich, Anträge auf Einnahme eines Augenscheins durch die Kontrolle der Geeignetheit des Beweismittels bis zum Geltungsbereich der Amtsaufklärungspflicht, d.h. nach seinem pflichtgemäßen Ermessen381 , abzulehnen. Diese Sonderstellung erklärt sich aus der unmittelbaren Wahrnehmbarkeit des Augenscheinobjekts, aus der schon vom Reichsgericht die Befugnis zur Beweismittelersetzung abgeleitet wurde382 • Nach der Rechtsprechung der Revisionsgerichte kann ein Antrag auf Einnahme eines Augenscheins abgelehnt werden, wenn das Tatgericht entweder über ausreichend zuverlässige und in diesem Sinne gleichwertige Ersatzbeweismittel verfügt383 oder wenn es, auch ohne derartige Surrogate, aufgrund der bisherigen Beweisaufnahme, also im Wege retrospektiver Würdigung, davon überzeugt ist, daß die vom Antrag der Verteidigung intendierte Entlastungsbeweisbehauptung unzutreffend ist384 • Im Rekurs auf eine bereits anderweitig gewonnene Überzeugung des Tatgerichts wird dabei die im Antrag auf Einnahme des Augenscheins dargelegte Tatsachenbehauptung mit einer negativen Beweisprognose oder zumindest mit einer fehlenden Glaubhaftigkeit des Augenscheinsobjekts beurteilt, mithin die Geeignetheit des Beweismittels verneint385 • Der Ermessensspielraum des § 244 Abs.5 Satz 1 StPO ermöglicht somit über die Geeignetheitsverneinung des Beweismittels die Vorwegnahme des Gegenteils der intendierten Beweisbehauptung386 •

380 V gl. Perron, Beweisantragsrecht, S. 331: Lediglich die befragten Rechtsanwälte sahen eine "häufigere" Ablehnung mit der Begründung eigener Sachkunde nach § 244 Abs. 4 Satz I StPO. In der Aktenanalyse rangierte der Ablehnungsgrund der eigenen Sachkunde mit insgesamt fünf Aufhebungen allerdings lediglich auf Platz sieben, während der Antrag auf Anhörung eines weiteren Sachveständigen allein im Jahre 1988 einmal fehlerhaft abgelehnt wurde, vgl. Perron, Beweisantragsrecht, S. 366. 381 Vgl. Alsberg/Nüse/Meyer, S. 739 f.; Fezer, Strafprozeßrecht, Fall 12 Rdnr. 83; Herdegen in: KK, § 244 Rdnr. 104,85; Meyer-Goßner in: KIIMG, § 244 Rdnr. 78. 382 Vgl. RGSt 47, 100 (106). 383 Vgl. OLGe Hamm VRS 34, 61; Stuttgart VRS 3, 356 (358). 384 Vgl. BGHSt 8,177 (180 f.). 385 Zwar handelt es sich beim Beweismittel bei der Augenscheinseinnahme um ein unmittelbares, gleichsam aus sich selbst heraus sprechendes Beweismittel; gleichwohl ist ein "Lügen" dieses Beweismittels im Falle der Fälschung des Objekts denkbar. 386 Vgl. Köhler, Inquisitionsprinzip, S. 37.

2. Kapitel: KontroIIbefugnisse des Tatgerichts

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Lediglich im Falle des mit dem Antrag verfolgten Ziels, Schlüsse auf außerhalb des eigentlichen Augenscheinsobjekts liegende Tatsachen zu ermöglichen, z.B. beim Angriff auf die Glaubwürdigkeit eines Belastungszeugen, ist das Tatgericht zur Beweiserhebung verpflichtet387 • 2. Anträge auf Vornahme einer Tatrekonstruktion Anträge, die auf den Nachweis eines bestimmten Ablaufs oder der näheren Umstände einer Tat zielen, mithin auf die Rekonstruktion einer Tat, werden von der Rechtsprechung als Beweisamegungen und nicht als Beweisanträge eingestuft: Der Antrag sei nicht auf die Benutzung eines bestimmten Beweismittels gerichtet, sondern es solle im Rahmen der Rekonstruktion erst ein neues Beweismittel aufgewiesen werden388 ; der Antragsteller wolle nicht auf den Umfang, sondern auf die Art und Weise der Beweisaufnahme Einfluß nehmen389• Beispielhaft sei auf die bei Meyer390 aufgeführten Fälle der Anträge auf Vornahme von Fahrversuchen391 oder der Rekonstruktion von Beleuchtungsverhältnissen392 verwiesen. Solche Anträge bescheidet die Rechtsprechung nicht nach § 244 Abs.5 StPO, sondern nach dem Maßstab der Amtsaufklärungspflicht gemäß § 244 Abs. 2 StP0393 • Auch in diesen Fällen braucht der Amegung der Verteidigung nicht nachgekommen zu werden, wenn das Tatgericht die Feststellungen mit Hilfe von Surrogatbeweismitteln in gleich zuverlässiger Art und Weise treffen kann394 • Im übrigen hat das Tatgericht abzuwägen, ob der Versuch überhaupt irgendeinen Erkenntniswert besitzt395 • Das Gericht nimmt mithin beim Antrag auf Rekonstruktion der Tat eine Geeignetheitsprüfung, genauer eine Beurteilung der Beweismittelprognose vor, wobei das "Beweismittel" in dieser Prüfung der Versuch und die Beweisbehauptung die Existenz des behaupteten Geschehens sind3%. Dabei kann sich das Tatgericht, bewegend im Rahmen der Instruktionsmaxime, sowohl retrospektiv auf die bisherige Beweisaufnahme durch SurVgl. BGHSt 8, 177 (181); Herdegen in: KK, § 244 Rdnr. 105. Vgl. RGSt 40,48 (59); BGH NJW 1961, 1486 (1487). 389 Vgl. Alsberg/Nüse/Meyer, S. 98 m.w.N. aus der Rechtsprechung. 390 Alsberg/Nüse/Meyer, S. 99. 391 Vgl. BGH VRS 35, 264 (266); VRS 36,189 (190). 392 Vgl. OLG Hamm VRS 11, 138 (139). 393 Vgl. BGH NJW 1961, 1486 (1487); OLG Hamm NJW 1957,921; VRS 49, 434 (435). 394 Vgl. BGH bei PfeifferiMiebach NStZ 1985,204 (206 Nr. 14). 395 BGH NJW 1961, 1486 (1487). 396 Die Ablehnung wegen mangelnder Glaubhaftigkeit der "Aussage" ist aufgrund der geringen Möglichkeit der "Fälschung" einer Tatrekonstruktion, an dessen Vorbereitung auch das Gericht teilnehmen dürfte, kaum denkbar. 387 388

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rogate 397 als auch prospektiv auf das Beweismittel in Relation zur Beweisbehauptung beziehen398 • 3. Praktische Bedeutung Die Bedeutung des § 244 Abs. 5 Satz 1 StPO in der Praxis ist gering: Anträge auf Einnahme eines Augenscheins werden ohnehin von der Verteidigung selten gestellt399 • Vogtherr wollte zur Ablehnungshäufigkeit keine statistischen Aussagen machen400 ; bei Perron taucht der Ablehnungsgrund in beiden Erhebungen gleichfalls nicht auflO'. Dies darf allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, daß ein beantragter Augenscheinsbeweis für die Verteidigung von entscheidender Bedeutung sein kann402 • Für die Anträge auf Tatrekonstruktion fehlen empirische Daten.

XI. Ablehnungsgründe fiir Beweisanträge aufErhebung präsenter Beweismittel gemäß § 245 Abs. 2 StPO Durch das StVÄndG 1979403 ist in § 245 Abs. 2 Satz 1 StPO für die Fälle der vom Angeklagten vorgeladenen und erschienenen Zeugen und Sachverständigen sowie die sOf\Stigen von ihm herbeigeschafften Beweismittel die Notwendigkeit der Stellung eines förmlichen Beweisantrags vorgesehen. Ein solcher kann nur unter den Voraussetzungen der Sätze 2 und 3 dieser Vorschrift abgelehnt werden, d.h. wegen Unzulässigkeit der Beweiserhebung, des Erwiesenseins bzw. der Offenkundigkeit der Tatsache, die bewiesen werden soll, des fehlenden Zusammenhangs zwischen ihr und dem Gegenstand der Urteilsfmdung, der völligen Ungeeignetheit des Beweismittels sowie wegen der Antragstellung zum Zwecke der Prozeßverschleppung. Alle anderen in § 244 Abs. 3-5 StPO für das nicht präsente Beweismittel kodifIZierten Ablehnungsgründe fmden im Rahmen des § 245 Abs. 2 StPO keine Anwendung404. Die Ablehnung erfolgt nach § 244 Abs. 6 StPO analog im Beschlußverfahren4OS • Zusätzlich wurde in § 245 Abs. 1 StPO eine grundsätzlich verschiedene Regelung hinsichtlich der vom Gericht geladenen und herbeigeschafften Beweismittel normiert, für die ein Verwendungszwang besteht, der allein von der Unzulässigkeit der Beweiserhebung begrenzt wird. Die sachlichen Beweismittel der StaatsVgl. BGH NJW 1961, 1486 (1487) a.E. Vgl. BGH NJW 1961, 1486 (1487) a.E. 399 Vogtherr, S. 348; auch Perron, Beweisantragsrecht, S. 322. 400 Vgl. Vogtherr, S. 348. 401 V gl. Perron, Beweisantragsrecht, S. 331, 366. 402 Vgl. dazu Peters, Bd. 2, S. 191 f. 403 BGBI. I, S. 1645. 404 Vgl. BT-Drucksache 8/976, BReg-Begründung, S. 53 f.; BGH StV 1994,358. 405 Meyer-Goßner in: Kl/MG, § 245 Rdnr. 28. 397

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anwaltschaft werden nach § 245 Abs. 1 StP0406 , ihre persönlichen Beweismittel nach § 245 Abs. 2 StPO behandelt. Nach § 245 StPO a.F. war das Gericht verpflichtet, die Beweisaufnahme nach einem nicht-förmlichen, sog. unechten Beweisantrag407 (auch) der Verteidigung auf sämtliche persönlichen Beweismittel, welche aufgrund einer Ladung in der Hauptverhandlung erschienen waren sowie auf alle herbeigeschafften sachlichen Beweismitttel zu erstrecken; als Ausschließungsgrunde kamen lediglich die Unzulässigkeit der Beweiserhebung und die Beantragung zum Zweck der Prozeßverschleppung in Betracht. Die Gesetzesänderung erschien der Legislative notwendig zur Verfahrensbeschleunigung aufgrund der vermeintlichen Erfahrung in sog. Großverfahren, in denen "Verfahrensbeteiligte ( ... ) ihre prozessualen Möglichkeiten in teilweise exzessiver und gelegentlich mißbräuchlicher Weise ausnutzen"408. Durch die Vorschrift des § 245 StPO a.F. war für den Fall des präsenten Beweismittels das Verteidigungsrecht verankert, Beweise allein nach eigener Schlüssigkeitseinschätzung vorzufiihren: Zum einen war aufgrund eines nicht erforderlichen förmlichen Beweisantrags dem Tatgericht ~eine Zulässigkeitskontrolle möglich, so daß dieses über keinerlei formale Ausgrenzungsbefugnisse verfUgte. Zum anderen beschrieb der Ablehnungsgrund der Unzulässigkeit im richtigen Verständnis das ohnehin nach anderen Vorschriften verbotene Beweisen409 und stellte der Ablehnungsgrund der Prozeßverschleppungsabsicht allein auf die subjektive Einschätzung des Beweisvorfiihrenden ab410, so daß das Gericht beim präsenten Beweismittel über keinerlei Schlüssigkeitskontrollbefugnisse aus eigener Perspektive verfUgte. Die Vorschrift stellte sicher, daß das Tatgericht gegen seine möglicherweise entgegenstehende Auffassung von der Notwendigkeit seines Tuns bis hin zur Grenze des überhaupt Denk- und Erfahrbaren und von ,,materiellen Anklage- und Verteidigungsfunktionen tunlichst entlastet"411 der Verteidigung zuhören mußte412 . Für den nunmehr erforderlichen förmlichen Beweisantrag beim präsenten Beweismittel bestehen in formaler Hinsicht bis auf das Präsenzerfordernis des Beweismittels (1.) keine Besonderheiten im Vergleich zum nicht präsenten Beweismittel. Die dargestellten Schwierigkeiten rur die Verteidigung hinsichtlich der 406 Hierin sieht Köhler NJW 1979, 348 (349), ders., Inquisitionsprinzip, S. 78 f., ders. StV 1992,4, einen Verstoß gegen das Prinzip der Waffengleichheit: Das schon bestehende Ungleichgewicht durch die Privilegierung der Staatsanwaltschaft hinsichtlich der ihr eingeräumten Befugnis zur formlosen unmittelbaren Ladung von persönlichen Beweismitteln, siehe dazu Meyer-Goßner in: KIIMG, § 245 Rdnr. 16, werde nun auch hinsichtlich des sachlichen Beweismittels verstärkt. 407 Alsberg/Nüse, S. 489. 408 BT-Drucksache 8/976, BReg-Begründung, S. 16. 409 Siehe oben 2. Kap. B. I. 410 Siehe oben 2. Kap. B. VII. 411 Goldschmidt, S. 393. 412 Köhler, Inquisitionsprinzip, S. 52 f.

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Zulässigkeitsbedingungen des Antrags, d.h. die Gefahren formaler Ausgrenzung - wenngleich die überhöhten Anforderungen an die Bestimmtheit des Beweismittels aufgrund der Präsenz keine größeren Auswirkungen haben dürfte -, bestehen prinzipiell auch hiey413. Der Ablehnungsgrund des Erwiesenseins der Beweistatsache wird im Rahmen des § 245 Abs. 2 StPO nicht abweichend von dem Parallelgrund beim nicht präsenten Beweismittel verstanden; gleiches gilt grundsätzlich für den Ablehnungsgrund wegen Offenkundigkeit mit der Einschränkung, daß die Offenkundigkeit im Gegensatz zu § 244 Abs. 3 Satz 2, 1. Var. StPO das Gegenteil der Beweisbehauptung nicht erfaßt4 14 • Somit ist eine Darstellung lediglich der verbleibenden Ablehnungsgründe erforderlich (2.). Schließlich ist die Frage nach der Bedeutung des § 245 Abs. 2 StPO unter Beachtung rechtstatsächlicher Erkenntnisse zu beantworten (3.). 1. Erfordernis der Präsenz des Beweismittels Die Verteidigung ist im Rahmen der Antragstellung nach § 245 Abs. 2 StPO gezwungen, den betreffenden Zeugen oder Sachverständigen gemäß § 220 StPO zu laden. Im Unterschied zu der in dieser Hinsicht privilegierten Staatsanwaltschaft, welche informell verfahren kann41S , ist dafür die Form der Beauftragung des Gerichtsvollziehers zur Zustellung der Ladung gemäß § 38 StPO und die Kostenhinterlegung oder das Kostenangebot nach § 220 Abs. 2 StPO erforderlich. Für den Fall des Auslandszeugen steht der Verteidigung das Ladungsrecht aus § 220 Abs. 1 StPO nicht ZU416. Die Verteidigung muß die geladenen Beweispersonen nach § 222 Abs. 2 StPO dem Gericht und der Staatsanwaltschaft rechtzeitig namhaft machen417 • Der Zeuge oder Sachverständige muß Vgl. oben 2. Kap. A. Vgl. BT-Drucksache 8/976, BReg-BegTÜndung, S. 53: "Anders als bei § 244 Abs. 3 Satz 2 kann hier der Antrag nicht wegen Offenkundigkeit des Gegenteils der zu beweisenden Tatsache abgelehnt werden"; Alsberg/Nüse/Meyer, S. 826; Born, S. 113; Gollwitzer in: LR, §245 Rdnr. 69; Graul, S. 191 f.; Herdegen in: KK, § 245 Rdnr.14; Meyer-Goßner in: KI/MG, § 245 Rdnr. 24; Paulus in: KMR, § 245 Rdnr. 40; Rieß NJW 1978, 2265 (2270); Schlüchter in: SK, § 245 Rdnr. 39,41; a.A. wohl Hagemann, S. 105. 41S Vgl. Alsberg/Nüse/Meyer, S. 816; Gollwitzer in: LR, § 245 Rdnr.47; Herdegen in: KK, § 245 Rdnr. 11; Meyer-Goßner in: KI/MG, § 245 Rdnr. 16. 416 Fezer StV 1995,263 (266); Siegismund/Wickern wistra 1993, 83 (86 f.); a.A. Hartwig StV 1997,626 (627ff.). Die Beschränkung des Ladungsrechts auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ergibt sich aus der insoweit eingeschränkten Zuständigkeit des Gerichtsvollziehers, vgl. § 160 GVG. Eine Ladung durch Vermittlung der Geschäftsstelle, unmittelbar durch die Post oder gar durch den Ladungsberechtigten selbst ist nicht zulässig, BGH NJW 1952, 836; Meyer-Goßner in: KI/MG, § 38 Rdnr. 2. 417 Der Verstoß gegen § 222 Abs. 2 StPO läßt allerdings den antragsbedingten Beweiserhebungsanspruch der Verteidigung unberührt, vgl. Alsberg/Nüse/Meyer, S. 817; Gollwitzer in: LR, § 245 Rdnr. 48. 413 414

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spätestens bis zum Schluß der Beweisaufnahme erschienen und zur Vernehmung verwendbar sein418 • Die letztgenannte Voraussetzung bedeutet für die Verteidigung eine zusätzliche kleinere Hürde für die Präsentation eines Sachverständigen, welcher dann nicht verwendbar ist, wenn er sich nicht in der im Gang befindlichen Hauptverhandlung äußern kann, sondern noch weitere Vorbereitungszeit beanspruchrl19 • Insbesondere ist der Sachverständige auf die der Verteidigung vorliegenden Informationen und damit auf den Akteninhalt verwiesen. Er hat im Rahmen seiner Präsentation nach §§ 220, 245 Abs. 2 StPO nicht das Recht, weitergehende Ermittlungen anzustellen420 • Gleichwohl dürfte der Verteidigung in der Mehrzahl der Fälle damit gedient sein, die Methode des Erstgutachters zu überprüfen, um über die Darstellung der Fragwürdigkeit des Erstgutachtens den eigenen Sachverständigenbeweis zu führen421 . Der Bundesgerichtshof erkennt das Recht der Verfahrensbeteiligten an, die vollständigen Testunterlagen einzusehen422 , so daß diese über die Verteidigung zur Kenntnis eines nach § 220 StPO geladenen Sachverständigen gelangen können. Ferner steht auch dem nach §§ 220, 245 Abs. 2 StPO geladenen Sachverständigen das Fragerecht nach § 80 Abs. 2 StPO ZU423. Das Präsenzerfordernis beim Sachverständigenbeweis, dies belegt die anwaltliche Erfahrung, stellt die Verteidigung somit nicht vor unlösbare Schwierigkeiten424 • Hinsichtlich der von der Verteidigung herbeigeschafften sachlichen Beweismittel genügt nach § 245 Abs. 2 StPO die formlose Überreichung an das Gericht in der Hauptverhandlung. Dabei ist zu beachten, daß der Beweisgegenstand gebrauchsfähig vorgelegt werden muß; demnach ist es nicht ausreichend, Fotokopien von Urkunden vorzulegen, da ihre Übereinstimmung mit dem Original Verwertbarkeitsvoraussetzung ist425 • Gänzlich anders behandelt der Bundesgerichtshof in einer Entscheidung aus dem Jahre 1990 die Frage nach den "sonstigen nach § 214 Abs. 4 vom Gericht"

AlsberglNüselMeyer, S. 818; Gollwitzer in: LR, § 245 Rdnr. 50. Vgl. BGHSt 6, 289 (291); 23, 176 (185); BGH NJW 1954, 1656 NT. 20; StV 1993, 340 (342); 1994, 358; AlsberglNüselMeyer, S.787; Gollwitzer in: LR, § 245 Rdnr. 50, 21; Hetzer, S. 108; Meyer-Goßner in: KIIMG, § 245 Rdnr. 3; Eb. Schmidt, Nachträge, § 245 Rdnr. 2; Wolschke, S. 83. 420 BGH StV 1993,340 (342). 421 Siehe z.B. den Fallbericht von HartmannlRubach StV 1990,425 (427 f.). 422 Vgl. BGH bei Dallinger MDR 1976,17; StV 1989, 141. 423 Widmaier StV 1985,526 (527). 424 Vgl. auch Widmaier StV 1985,526, der von guten Erfahrungen mit der Selbstladung von Sachverständigen berichtet. 425 BGH bei Holtz MDR 1994, 1072. 418

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herbeigeschafften Beweismitteln426 im Rahmen des § 245 Abs. 1 StPO, der keinen Beweisantrag der Verteidigung verlangt: Hier sei es erforderlich, daß das Gericht durch Erklärung zu erkennen gegeben habe, daß es vom Beweismittel Gebrauch machen wolle; das bloße körperliche Vorhandensein reiche nicht aus 427 • Damit ist vom Bundesgerichtshof zum Zwecke der Mißbrauchsabwehr (die Verteidigung erstrebte im konkreten Fall die Verlesung von in ca. 4.300 Aktenordnern enthaltenen Geschäftsunterlagen) ein im Rahmen der beiden Absätze des § 245 StPO unterschiedlich zu gebrauchender Begriff der "Herbeischaffung" des Sachbeweismittels entstanden428 . Entsprechend ist der erweiterte Kontrollrahmen des § 245 Abs. 2 StPO rur entlastende Sachbeweismittel, welche sich lediglich im Besitz des Tatgerichts befmden und nicht "herbeigeschafft" sind im Sinne dieser Auslegung des Absatzes 1 der Vorschrift, eröffnet. 2. Die speziellen materialen Ablehnungsgründe a) Fehlender Zusammenhang zwischen der Tatsache, die bewiesen werden soll, und dem Gegenstand der Urteilsfindung Revisionsgerichtliche Entscheidungen zu diesem Ablehnungsgrund liegen, soweit ersichtlich, bislang nicht vor. Am Ausgangspunkt der Darstellung soll die historische Auslegung der Vorschrift stehen: Der Gesetzgeber versteht die Regelung als einen Teilbereich des Ablehnungsgrunds der Bedeutungslosigkeit nach § 244 Abs. 3 Satz 2, 2. Var StP0429 . Sie solle "rein objektive und damit auch revisionsrechtlich überprüfbare Merkmale zur Abgrenzung verwenden, bei denen rur eine vorläufige Beweiswürdigung kein Raum ist"430. Als Beispiele aus der Rechtsprechung rur diesen Teilbereich werden zwei Entscheidungen des Reichsgerichts431 unver-

426 Gemeint sind Objekte des Augenscheins und Urkunden, Herdegen in: KK § 245 Rdnr.5. 427 BGHSt37, 168(171 f.)=StV 1992,3 m.Anm.Köhler=JR 1992,35 m. Anm. Fezer. 428 Zustimmend Fezer JR 1992,36; Meyer-Goßner in: KIIMG, § 245 Rdnr. 5. Köhler StV 1992, 4, schlägt zur Verhinderung von Mißbrauch eine andere Begründung vor: Danach bedarf es eines Beweisantrags im weiteren Sinne, "der die sachzugehörige Thematik ( ... ) mit einer der Natur des Beweismittels entsprechenden Genauigkeit angibt". Diese Ansicht setzt somit nicht am Merkmal der "Herbei schaffung" an und wahrt insoweit eine einheitliche Interpretation der beiden Absätze des § 245 StPO. Ihr folgt auch Herdegen in: KK, § 245 Rdnr. 6. 429 BT-Drucksache 8/976, BReg-Begründung S. 53. 430 BT-Drucksache 8/976, BReg-Begründung S. 53. 431 Vgl. BT-Drucksache 8/976, BReg-Begründung S. 53: RGSt 1,241 (244): "Beweise, welche völlig heterogene Umstände betreffen, (... ) in gar keiner Beziehung zu der vorliegenden Untersuchung stehen (... )"; RGSt66, 14 (15): ,,( ... ) völlig außerhalbder Sache (... )".

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mittelt neben zwei darüber hinaus im Wortlaut falsch zitierten Entscheidungen des Bundesgerichtshofs zum Ablehnungsgrund der Unzulässigkeit des § 245 StPO a.F. angefuhrt432 • Diese etwas unergiebige Begründung, bei der die Anfuhrung eigentlich nicht zusammengehörender Rechtsprechungszitate zu einiger Verwirrung beiträgt, läßt keine eindeutige Konturierung des Ablehnungsgrunds zu. Im Schrifttum besteht hinsichtlich der Auslegung des Gesetzes daher auch Uneinigkeit. Die verschiedenen Ansichten fuhren zu unterschiedlichen Abgrenzungen zu den anderen Ablehnungsgründen der Unzulässigkeit der Beweiserhebung nach § 245 Abs.2 Satz 2 StPO (b» sowie der Antragstellung zum Zwecke der Prozeßverschleppung nach § 245 Abs. 2 Satz 3,5. Var. StPO (c». Eine Ansicht nimmt eine Auslegung am Ablehnungsgrund der Bedeutungslosigkeit gemäß § 244 Abs. 3 Satz 2, 2. Var. StPO vorm und stimmt insoweit mit der Gesetzesentwurfsbegründung, welche von einer objektiven Teilkongruenz ausgehr'34, im Ansatz überein. Bei der Beantwortung der Frage, wie dieser deckungsgleiche Bereich defmiert ist, gehen allerdings die Meinungen auseinander: Während zum Teil der Bereich der tatsächlichen Bedeutungslosigkeit im Rahmen des § 245 Abs.2 Satz 3,3. Var. StPO nicht berücksichtigt werden soll435 und die Möglichkeit der retrospektiven Erheblichkeitskontrolle des generellen Erfahrungssatzes und somit des Beweisziels beim Indizienbeweis für das präsente Beweismittel abgelehnt wird, wird andererseits diametral dazu vertreten, daß ein fehlender Zusammenhang nicht gegeben sei bei nur - im Wege prospektiver, allein am Tatbestand orientierter Würdigung - rechtlicher Bedeutungslosigkeir'36. Nach dieser Auffassung wäre im Umkehrschluß beim präsenten Beweismittel die Kontrolle der Erheblichkeit des generellen Erfahrungssatzes beim Indizienbeweis, d.h. das präsumtive und retrospektiv gefällte Urteil der tatsächlichen Bedeutungslosigkeit, ermöglicht. Ein dritter Weg restriktiver Interpretation wird schließlich darin gesehen, den Ablehnungs432 BT-Drucksache 8/976, BReg-Begründung S. 53: BGHSt 17,28,,(... ) bei vernünftiger Beachtung die Wahrheitsfindung schlechterdings nicht beeinflussen kann (... )"; BGHSt 17, 338,,(... ) außer Zusammenhang mit dem Verfahrensgegenstand (... )". Korrekt müßte es heißen: BGHSt 17,28 (30): ,,(... ) bei verständiger Beurteilung die Wahrheitsermittlung schlechterdings nicht beeinflussen ( ... )"; BGHSt 17,337 (343): ,,(... ) außer Zusammenhang mit dem Gegenstand des Verfahrens ( ... )". Die Fehler verändern zwar den Wortsinn nicht; ihre hier zugegebenermaßen kleinliche Anfiihrung soll jedoch auf die augenscheinlich fehlende genauere Auseinandersetzung mit der Bedeutung der zitierten Entscheidungen hinweisen. 433 Vgl. Alsberg/Nüse/Meyer, S. 827; Gollwitzer in: LR, § 245 Rdnr. 72; Marx NJW 1981, 1415 (1419); Meyer-Goßner in: KIIMG, § 245 Rdnr. 25; Paulus in: KMR, § 245 Rdnr. 41; Rieß NJW 1978,2265 (2270); Schlüchter, Strafverfahren, Rdnr. 556, dies. in: SK, § 245 Rdnr. 41; Thole, S. 205. 434 Vgl. BT-Drucksache 8/976, BReg-Begründung, S. 53. 435 V gl. Gollwitzer in: LR, § 245 Rdnr. 73 und Paulus in: KMR, § 245 Rdnr. 41. 436 Vgl. Alsberg/Nüse/Meyer, S. 827

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grund des § 245 Abs.2 Satz 3, 3. Var. StPO beim Fehlen jeglichen inhaltlichen Sachbezugs zu dem anhängigen Entscheidungsgegenstand anzunehmen. Abgestellt wird damit aufEvidenzfälle, in denen das Beweisthema schon äußerlich keinen Bezug zum Inhalt des Verhandlungs gegenstands aufweist437 . Eine zweite Auffassung begreift den "fehlenden Zusammenhang" zwar als objektives Merkmal, bestimmt den Ablehnungsgrund allerdings nach subjektivem Maßstab438 : Verschleppungsabsicht im Sinne des § 245 Abs.2 Satz 3, 5. Var. StPO und Nichtsachzugehörigkeit der Beweisthematik beschreiben nach dieser Ansicht "zwei Seiten derselben Sache"439. Letztere sei lediglich objektives und auch hinreichendes Indiz rur erstere, so daß ein selbständiger Sinn des Ablehnungsgrunds des fehlenden Sachzusammenhangs unklar bleibe440 . Bezogen auf seine Indizfunktion kann die Objektivität dieses Merkmals nur als intersubjektiv vermittelte Gewißheit begriffen werden, welche die parteiliche Sicht des Antragstellers miteinschIießt441 (diese Auffassung verdient daher die Bezeichnung "intersubjektive Ansicht"). So betrachtet, ist der Ablehnungsgrund eng gefaßt und läßt das Instruktionsermessen des Tatgerichts, d.h. seine Schlüssigkeitsbewertung, nicht hinreichen. Den bereits benannten Schwächen der Indizienbeweisruhrung bei der Beurteilung der Einschätzung der Sicht des Antragstellers und den dadurch bedingten Gefahren des Rückfalls in die Perspektive des Tatgerichts sei dabei mit einer Darlegungs- und Begründungspflicht' der Verteidigung zu begegnen, um objektiv fiir den Urteiler ein Minimum an (parteilichem) Beweiswert transparent zu machen und die Intersubjektivität überhaupt erst herzustellen442 . Unter diesem i\spekt der Objektivität als konkrete intersubjektive Verrnitteltheit im Einzelfall stellt sich auch heraus, daß Unterschiede zwischen der in437 Vgl. Marx NJW 1981, 1415 (1420); Meyer-Goßner in: K1/MG, § 245 Rdnr.25; nicht eindeutig Thole, S. 205. 438 Vgl. Köhler, Inquisitionsprinzip, S.74; dens. NJW 1979, 348 (351); Perron, S. 273: bei keinem "intersubjektiv anerkennbaren Indizwert"; Rüping, S. 143. 439 Köhler NJW 1979, 348 (351). 440 Vgl. Köhler NJW 1979,348 (351). A.A. Kühl, S. 88, der von einem grundlegenden Unterschied zwischen beiden Ablehnungsgründen ausgeht: Während es bei der Prozeßverschleppungsabsicht auf die Sicht des Antragstellers ankäme, rechne der Ablehnungsgrund des fehlenden Zusammenhangs mit einem eindeutig identifizierbaren Prozeßgegenstand; weil die zugrundeliegenden Ideen, wie der Prozeßgegenstand zu definieren sei, verschieden seien, könne das eine nicht Indiz für das andere sein. Kühl übersieht, daß die Perspektive des Antragstellers in der Objektivität im hier umfassend gemeinten Sinne im Ablehnungsgrund des fehlenden Sachzusammenhangs enthalten ist, vgl. auch Thole, S. 223 Fn. 100. 441 Vgl. Köhler NJW 1979,348 (351). In diesem Sinne auch Perron, Beweisantragsrecht, S. 274. 442 Vgl. Köhler NJW 1979,348 (351); dens., Inquisitionsprinzip, S. 74 f.; wohl auch Perron, Beweisantragsrecht, S. 273 f.

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tersubjektiven und der letztgenannten objektiven Auffassung, welche auf den äußerlich erkennbaren fehlenden jeglichen inhaltlichen Sachbezug abstellt (sog. "Evidenzauffassung"), kaum bestehen, vielmehr von der Übereinstimmung beider Ansichten auszugehen ist: Das Bemühen um eine Restriktion des Legalbegriffs "fehlender Zusammenhang" über das Nichtvorhandensein jeglichen Sachbezugs verpflichtet dazu, alle Sachbezüge bis zur Grenze des Erfahrungsund Denkmöglichen443 zu eruieren. Das muß in jedem Falle die vermittelte subjektive Ansicht des Antragstellers miteinbeziehen, um sich nicht dem Vorwurf der unvollständigen Bewertung auszusetzen. Soweit gegen die intersubjektive Auffassung und damit auch die Evidenzansicht schließlich eingewendet wird, das objektive Merkmal des fehlenden Zusammenhangs sei lediglich ein als solches nicht hinreichendes Indiz für die Verschleppungsabsicht des Antragstellers und andere Indizien müßten erst noch dazukommen444, wird der in seiner Intersubjektivität umfassende Ansatz der kritisierten Meinung zu Unrecht außer Betracht gelassen: Das Indiz berührt nicht lediglich die subjektive Ansicht des Antragstellers, sondern erfaßt diese vollumfänglich - ist in dem jeglichen fehlenden Sachzusammenhang doch begriffsnotwendig die parteiliche Sicht des Antragstellers integriert und aufgehoben - in ihrem Verständnis einer ausschließlichen Verfolgung eines verfahrensfremden Zwecks44s • Daneben können keine weiteren Anhaltspunkte erforderlich sein. In diesem Sinne hat schon das Reichsgericht den fehlenden Zusammenhang und die Verschleppungsabsicht - letztere freilich im weiten, auf die Bedürfnisse der Situation beim präsenten Beweismittel angepaßten und mit dem gleichlautenden Terminus beim nicht präsenten Beweismittel inhaltlich nicht identischen Verständnis jeglicher, d.h. auch nicht ausschließlich prozeßverlängernde Ziele verfolgender, verfahrens fremder Intention - als "zwei Seiten derselben Sache" betrachtet: "Der Zweck der Prozeßverschleppung, dessen Nachweis freilich stets eine besonders eindringende Erörterung seitens des Gerichts erfordert ( ... ), kann aber nicht nur dann vorliegen, wenn der an sich mögliche Fortgang des Verfahrens ohne sachlichen Grund gehindert wird, damit die Urteilsfällung verzögert werde, sondern auch dann, wenn dasselbe geschieht, damit die Verhandlung für einen jener ungehörigen Nebenzwecke 446 mißbraucht werde'