Bewegung - Spielraum für Bildung: Chancen für bereichsbezogenes Lernen in der frühen Kindheit 9783839440711

Bei der Fokussierung frühkindlicher Lern- und Bildungsprozesse wird vielfach den Konstellationen von Bewegung, Spiel und

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German Pages 246 [247] Year 2020

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Table of contents :
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Inhalt
Vorwort
Bewegung und Entwicklung
Bewegung als Medium und Motor der Gesundheitsförderung in der frühen Kindheit
Sprache und Bewegung in der frühen Kindheit
Bewegung und frühes mathematisches Lernen
Bewegung und ästhetische Bildung – Möglichkeiten einer transdisziplinären Bildung/Kunstpädagogik in der frühen Kindheit
Fußball spielen beim Fußballspielen – Die ästhetische Dimension des Kinderfußballs
Dance and Competence
Schrittmessung im Vorschulalter
»Kindergarten in Bewegung«
Interaktionsmomente zwischen Fachkraft und Kind in Bewegungssituationen
Kontaktaufnahme und Dialoganbahnung im Kontext von offenen Bewegungsangeboten für Kinder in der Krippe
Autorinnen und Autoren
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Bewegung - Spielraum für Bildung: Chancen für bereichsbezogenes Lernen in der frühen Kindheit
 9783839440711

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Jan Erhorn, Jürgen Schwier, Björn Brandes (Hg.) Bewegung- Spielraum für Bildung

Pädagogik

Jan Erhorn (Prof. Dr.) lehrt Sportpädagogik und Sportdidaktik an der Universi-

tät Osnabrück und ist Vorstandsvorsitzender des niedersächsischen Instituts für frühkindliche Bildung und Entwicklung (nifbe) und Mitglied des Center for Early Childhood Development and Education Research (CEDER). Seine Forschungsschwerpunkte sind u.a. die empirische Unterrichtsforschung und Bewegung sowie Spiel und Sport in der frühen Kindheit. Jürgen Schwier (Prof Dr.) lehrt Sportpädagogik und Sportsoziologie an der Europa-Universität Flensburg und ist Mitglied der Studiengangsleitung des Master-Studiengangs >>Leitung frühkindlicher BildungseinrichtungenWelt< durchaus prekär, denn dieser setzt voraus, dass es eine Ganzheit gibt, in der alles mit allem zusammenhängt. Insofern ist der Begriff >SinnfeldSchätze< konzentrisch ausgebreitet. Es handelt sich um eine Sammlung unterschiedlichster Gegenstände und Spielzeuge: eine Polizeikelle (bedruckt mit einem Benjamin-BlümchenMotiv), ein Holzmesser, ein kleines Gleitflugzeug, ein Schraubenschlüssel inklusive Inbusschlüssel und eine Spielzeug-Stichsäge. Diese Anordnung ist nicht beliebig; Adrian prüft, sortiert und ordnet das Material scheinbar nach einem inneren Plan. Gegenstände werden probeweise platziert und wieder umgruppiert; es entsteht ein Bild, eine Komposition. Nun begrenzt er das Ganze durch einen Greifarm, der eine Schnur hält, die an einer Seifenblasenvorrichtung befestigt ist, die wiederum in einer leeren Papprolle steckt. Dann kniet er vor der Kiste und sondiert weiteres Material; offenbar soll das Arrangement erweitert werden. Der zweijährige Spielgefährte sitzt interessiert daneben und bewegt begleitend Arme und Beine, so als wolle er den Prozess befördern. Aus der Perspektive eines Erwachsenen ist dieses Spiel zunächst unstrukturiert und wenig sinnvoll. Zu unterschiedlich sind die Objekte, deren offenkundige Semantik nicht beachtet wird. Es wirkt so, als wolle der Junge eine Ansammlung von beliebigen Dingen ausbreiten, um sich einen Überblick zu verschaffen. Womit er spielen will, ist noch nicht entschieden. Unordnung und Beliebigkeit scheinen die Szene zu bestimmen. Eine gerraue Betrachtung lässt aber auch andere Schlüsse zu. Der*die Betrachter*in ist Zeuge bzw. Zeugin einer dichten und konzentrierten Auseinandersetzung mit Material, das sinnlich-haptische Eigenschaften hat und es geht um Ordnung - um die Ordnung der Dinge und das Aufspüren eines impliziten Sinns, der sich nicht allein durch den vermittelten Gebrauch erschließt. Foucault schreibt: »Erkennen heißt also interpretieren: vom sichtbaren Zeichen zu dem dadurch Ausgedrückten gehen, das ohne das Zeichen stummes Wort, in den Dingen schlafend bliebet« (Foucault, 1966, S. 65).

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Zunächst fallt auf, dass die >Unordnung< System hat: Dinge werden unabhängig von ihrem Gebrauch gesammelt und in eine Komposition überfUhrt. Mit Akribie und Kontemplation werden das Material begutachtet und Positionsbestimmungen vorgenommen. Von Langeweile, Überdruss oder Unentschiedenheit ist nichts zu bemerken. Auch wenn die Dinge nicht gemäß einem festgelegten Gebrauch benutzt werden, so werden sie dennoch kriteriengestützt sortiert. Ein Aspekt ist Funktionalität im Hinblick auf Verbindungs- und Anschlussmöglichkeiten. Des Weiteren sind auch qualitative Eigenschaften wie Größe und Farbe bedeutsam. Das zentrale Materialcluster versammelt Objekte mit einer spezifischen Größe. Die Magnetmodule werden dagegen farblieh arrangiert. Also keine Beliebigkeit, sondern Komposition und Arrangement auf der Grundlage von relationalen Bestimmungen. Die >Ordnung der Dinge< ist also nichts Vorliegendes, sondern muss individuell erzeugt werden. Daraus folgt, dass sprachliche Bezeichnungen für ein Kind nicht fundamental und vorgängig sind, sondern erst dann Sinn ergeben, wenn dieser performativ erzeugt wurde. Derartig manifeste Sinnkonstruktionen haben Bildcharakter. Und noch eines ist bedeutsam: Bildfindungen basieren auf haptischen und sensitiven Erfahrungen. Der reine Augenschein reicht hier nicht aus. Adrian prüft sorgfältig die Dinge und kommt darüber zu gestalterischen Entscheidungen. Er geht ihnen buchstäblich auf den Grund. Nach Heidegger findet eine wesentliche Auseinandersetzung mit dem »Zeug« dann statt, wenn das »Zuhandene« durchkreuzt wird: »Was aber die Unverwendbarkeit entdeckt, ist nicht das hinsehende Feststellen von Eigenschaften, sondern die Umsicht des gebrauchenden Umgangs. In solchem Entdecken der Unverwendbarkeit fallt das Zeug auf« (Heidegger 2006, S. 73).

Kinder sind nicht dem Mainstream verhaftet. Sie entwickeln ihre Ordnungen und geben sich nicht mit dem Selbstverständlichen zufrieden. Durch Umgruppierung und Neustrukturierung des Vorgefundenen entsteht eine substanzielle Ordnung als Basis für ein selbstbestimmtes und erfülltes Leben; Ethik und Ästhetik hängen eng zusammen (vgl. Welsch, 1994). 3. Das Konzept der Junkyard-Education in der israelischen Frühpädagogik (Malka Haas) Malka Haas (geh. 1920 in Berlin-Schöneberg) wanderte mit 15 Jahren in das damalige britische Mandatsgebiet Palästina ein, wo sie 1939 zu den Gründern und Gründerinnen von Sde Eliyahu gehörte, einem religiös geprägten Kibbuz im

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heutigen Israel. 1940 gründete sie die erste israelische pre-school und arbeitete als Dozentin an der pädagogischen Hochschule in Haifa. In diesem Kontext entwickelte sie ein einzigartiges kunstpädagogisches Konzept frühkindlicher Entwicklungsförderung. Im Zentrum ihrer Arbeit steht die sogenannte Junkyard-Education. Dabei handelt es sich um ein Angebot, das in den Kindertagesstätten der Kibbuzim einen gewichtigen Teil des Tagesprogramms ausmacht. In einer vorbereiteten Umgebung (die aus einem geräumigen Hof besteht, der Stellagen mit unterschiedlichen Materialien enthält- eine Art überdimensionale Werkstatt), haben die Kinder unterschiedlichen Alters die Möglichkeit, mit ausrangie1ten Alltagsgegenständen frei zu agieren und diese dezidierten Forschungen zu unterziehen. Es handelt sich um technische Geräte, Baustoffe und Werkstücke - alles, was der unmittelbaren Verwendung entzogen wurde. Diese Objekte werden Teil eines ästhetisch affizierten Materialspiels - eines Spiels, in dem es um Dekonstruktion und Ko-Konstruktion einer ganzen Welt geht. Die Objekte des Alltags werden von den Kindern genutzt, dekonstruie1t, transformiert, um Teil eines neuen Sinnfelds zu werden. Dadurch wird der durch Erwachsene und die Peers vermittelte Alltag symbolisch verftlgbar gemacht. Wichtiges Moment, worauf Malka Haas in ihren Texten abhebt, ist das der Erinnerung. Nur was sich in Bewusstseinsprozessen ansiedelt, kann in ein Netz von Bedeutungen eingelagert werden. Erinnerung stellt sich dadurch ein, dass Objekte dekonstruktiv bearbeitet, in Handlungsvollzügen und in die eigene Erfahrungsgeschichte eingebunden werden. Dieser Prozess beinhaltet Freud- und Lustvolles, aber auch destruktive und obsessive Affektionen. Ein anderes Strukturelement besteht in der Wiederholung, denn die Junkyard-Prozesse sind zyklisch organisiert: Nach einem Zeitintervall von drei Wochen werden alle Konstruktionen rückgebaut und der Prozess beginnt von neuem. Dies ist aber keine Widerkehr des ewig Gleichen, sondern ein repetitiver Durchlauf durch das Ve1traute mit der Tendenz der sukzessiven Verschiebung. Leitbild der Junkyard Education ist ein spezifisches Menschenbild, das sich wie folgt auszeichnet: Es geht um die Entwicklung des Kindes zu einem unabhängigen, reflexiven, an sich selbst und an die Mitmenschen glaubenden Menschen, der kreativ und respektvoll mit seiner Umwelt kooperiert (vgl. Haas & Gavish, 2008a). Folgende Zielsetzungen und Lernfelder sind damit verbunden: a) Orientierung!Vertrautheit und Unabhängigkeit Der Junkyard, bestehend aus einer Überftllle an stimulierenden Objekten, bietet den Kindern ein kontinuierliches und herausforderndes Angebot mit

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dem Ziel der Orientierung in einer komplexen und problemhaltigen Welt. Beständig werden Schwierigkeiten erkannt und Problemlösungen entwickelt. Dabei lernen die Kinder eigenständig und initiativ zu handeln. Kooperation In der Entwicklung von baulichen Strukturen, deren Dimensionen allein nicht zu bewältigen sind, entwickeln sich Kooperationen unter den Peers. Durch Abstimmungs- und Aushandlungsprozesse entwickeln sie soziale und emotionale Kompetenzen. Dreidimensionale Designs Im Junkyard entwickeln die Kinder selbstständig dreidimensionale und vor allem funktionstüchtige Designs. Dabei spielt die Stabilität der hervorgebrachten Konstruktionen eine wichtige Rolle, denn sie ist die Voraussetzung für die Entwicklung eines kontinuierlichen und dynamischen Spiels. Ästhetische Wahrnehmung Die Kinder setzen sich holistisch mit den zur Verfügung stehenden Materialien auseinander, wobei alle Sinne beansprucht werden: Sehen, Berührung, Bewegung, Lagebeziehungen, Klang und Geruch beeinflussen die Auswahl und Verwendung der Gegenstände. Wahrnehmung und Genuss Die Freude und der Genuss des sinnlichen Vermögens sind eine energetische Quelle, aus der sich eine intensive und erfahrungsreiche Exploration der Lernumgebung speist. Die Entwicklung der kindlich imaginativen Kräfte vollzieht sich auch in künstlerisch-gestalterischen Zusammenhängen. Die in den Kinderzeichnungen entwickelten Bildprogramme beeinflussen auch das Design der Junkyard-Produktion. Literalität Literalität ist mit der Gesamtheit der kindlichen Produktion im Junkyard verwoben. Freier emotionaler Ausdruck In dem offenen Areal gehen die Kinder im Rahmen der selbstgewählten Spielzusammenhänge frei ihren Emotionen nach. Kultur und Tradition Kulturelle Traditionen und Narrative sind relevante gesellschaftliche Konstanten, die in Spielzusammenhänge adaptie11 und transformie11 werden.

Der Junkyard als vorbereitete Lernumgebung erweitert die Möglichkeit kindlichen Lernens und kindlicher Ausdrucksfahigkeit durch ästhetische Forschung. An diesem Ort ist es möglich, Identitätsbildung und Wissensakkumulation si-

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multan miteinander zu verzahnen, sodass eine komplexe kindliche Lebenswirklichkeit entsteht. »The junkyard playgrounds are a local cultural project of childhood in Israel. Their existence is based on an image of a highly competent child and an image of the teacher as a metaphorical detective, following the children's tootprints and welcoming the unexpected« (Haas & Gavish, 2008b, S. 2).

ANFANGEN Wie fängt alles an? Wie müssen frühpädagogische Lernarrangements strukturiert sein, damit ästhetisch-künstlerische Bildung möglich wird? Dass dies kein eindimensionales Eintauchen in eine vordergründige Sinnlichkeit ist, haben die drei Fallstudien gezeigt. In der ästhetischen Erfahrungsbildung der frühen Kindheit geht es um nichts weniger als die Wirklichkeit. Dieser Zusammenhang entwickelt sich durch eine bewegungsaffine Interaktion mit den Dingen und den Menschen. Dabei kommt das Sinnlich-Emotionale ebenso zum Tragen wie das (selbst-)reflexive Denken. Es entstehen bewohnbare Räume, Netzwerke, in denen man sich orientieren kann. Daraus entwickelt sich ein gegründetes Selbst, das sich in der Wirklichkeit zurechtfindet und einen hervorgehobenen Platz einnehmen kann. Ein derart gestärktes Selbst ist dann auch in der Lage, sich den Weg aus Krisen zu bahnen und Erschütterungen auszuhalten, nicht als egozentrischer Egomane bzw. egozentrische Egomanin, sondern eingebunden in ein komplexes Bezugssystem. Kunstpädagogische Praxis im Kontext kindlicher Bildungsprozesse muss diese Zusammenhänge nicht nur zu Kenntnis nehmen, sondern pädagogische Entscheidungen daran ausrichten. Beim Eintritt in die Bildungsinstitutionen bringen die Kinder viel mit; vor allem ein erfahrungsreiches Leben mit vielschichtigen Kompetenzen und Positionen. Damit die individuelle Entwicklungsgeschichte nicht nur Beachtung findet, sondern auch produktiv weiterentwickelt werden kann, brauchen Kinder: • • • • • •

eine offene und wertschätzende Lernumgebung, gestaltbare und flexible räumliche Situationen, eine materialreiche Ausstattung, die jederzeit erweitert werden kann, thematisch offene Lemsituationen, fachliche Expertise der Erzieher* innen, eine achtsame und moderierende Lernbegleitung sowie

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• substanzielle Partizipationsmöglichkeiten. Künstlerisch-ästhetische Bildung beginnt ganz am Anfang.

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Fußball spielen beim Fußballspielen Die ästhetische Dimension des Kinderfußballs THOMAS GRUNAU

EINLEITUNG Körperbilder, Schönheitsideale und Kleidungsstile haben sich durch den Einfluss des Sports verände11. Besonders der Fußball ist medial omnipräsent und an der Gestaltung des Alltags beteiligt. Er breitet sich in Lebensbereiche aus, die vormals von Politik und Kirche bestimmt wurden (vgl. Gebauer, 2016). Mehr als jede Vierte Person ist Mitglied in einem der über 90.000 Sportvereine in Deutschland (davon sind ein Drittel beim DFB). 1 Anders als prognostizie11, sinken die Mitgliederzahlen im Vereinssport nicht, jedoch werden die Mitglieder im Schnitt immer jünger. Während die Partizipation Erwachsener und älterer Jugendlicher zurückgeht, sind nahezu 90 Prozent aller Kinder bis zu ihrem 12. Lebensjahr mindestens einmal Sportvereinsmitglied (vgl. Gerlach & Brettschneider, 2013). Aus der »Versportung jugendlicher Körper« (Zinnecker, 1989, S. 133ff.) ist unlängst der Prozess der »Versportung von Kindheit« (Schmidt et al., 2009, S. 373) geworden. Gerade Fußball zählt bei Kindern zu den beliebtesten Sportarten, die im Verein ausgeübt werden (DOSB, 20 17). Der hohen sozialen Relevanz des Spmts mit seinem FlaggschiffFußball steht keine angemessene Aufmerksamkeit der Körper- und Sportsoziologie gegenüber, wie Gebauer (2016) konstatie11. Die vorhandenen Studien wiederum werden oft nicht der Relevanz der (früh-)kindlichen Prutizipation im Vereinssport gerecht, da sie sich auf den Leistungssport und/oder Erwachsene und Jugendliche konzentrieren (vgl. Naglo, 2014). In der Kindheitsforschung wiederum wird

Quelle: https://de.statista.com.

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die Bildungsbedeutsamkeit sämtlicher Akteur*innen und Orte, die an der Gestaltung der kindlichen Lebenswelt beteiligt sind, betont. Untersucht werden aber hauptsächlich die als genuin pädagogisch eingestuften Institutionen wie Krippe, Kita oder Grundschule (vgl. Cloos & Schroer, 2011 , S. 24). Spültvereine befinden sich in der »Restkategorie Freizeit« (vgl. Alkemeyer et al., 2003, S. 8). An dieser Stelle setzt der Beitrag an und stellt die Frage nach der ästhetischen Dimension des Kinderfußballs. Diese soll in explorativer Absicht anhand einer ethnographischen Untersuchung eines Bambini-Teams2 beschrieben werden. Zunächst jedoch werden sensibilisierende Konzepte vorgestellt, mit denen die ästhetische Komponente im Kinderfußball beschreibbar wird. Danach wird das vorgestellte empirische Material in seinen Entstehungskontext eingebettet. Es folgt der Hauptteil dieses Artikels, in dem eine dichte Beschreibung einer Trainingseinheit analysiert wird. Die Ergebnisse dieser Analyse werden abschließend gebündelt vorgestellt (vgl. Maase, 2008).

SENSIBILISIERENDE KONZEPTE Für die Exploration der ästhetischen Dimension des Kinderfußballs bedarf es einer theoretischen Sensibilität, um mit dem zu untersuchenden Material angemessen umgehen zu können (Strübing, 2011 , S. 267). Die sensibilisierenden Konzepte des Beitrags stammen aus phänomenologischen, pragmatistischen sowie aus performativitätstheoretischen Ansätzen. In der phänomenologisch orientierten Kindheitsforschung wird die Bildungsbedeutsamkeit sinnlich-ästhetischer Prozesse hervorgehoben. Das Ästhetische bezeichnet nach Schäfer (2016) einen generellen Weltzugang des Menschen und ist die Basis für (frühkindliche) Bildungsprozesse. Es lässt sich unterscheiden zwischen Aisthesis als sinnlicher Empfindung und dem sich über die Kindheit hinweg allmählich entwickelnden Spiel mit möglichen Bedeutungen dieser Wahrnehmungen, das Dietrich (2010) als Sinnfiguration beschreibt. Der phänomenologische Blick bringt damit einen erweiterten Begriff des Ästhetischen hervor als das bürgerliche Alltagsverständnis. Nicht (ausschließlich) das sinnlich Schöne, das in einem »kulturell verabredete[n] Zeichenrepertoire« (vgl. Dietrich, 2010, S. 3) wie Musik, bildende Kunst, Literatur, Theater usw. geteilt wird, wird als Aspekt einer ästhetischen Bildung betrachtet, sondern bereits durch das Aufmerksamwerden auf sinnlich erfahrbare Phänomene werden sich Kinder immer

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Als Bambinis werden in Deutschland die vier- bis sechsjährigen Kinder bezeichnet, die die unterste Altersklasse im Vereinsfußball bilden.

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mehr ihrer eigenen Wahrnehmungsfähigkeit bewusst und können phantasievoll mit ihr spielen. Die Leistung von sensornotorischen Erfahrungen in Bewegung, Spiel und Sport wird in dieser phänomenologischen Perspektive hervorgehoben (ebd.). Die Idee, auch Prozesse sinnlich-körperlicher Erfahrung als Aspekte ästhetischer Bildung zu verstehen, findet sich auch im wieder- und neuentdeckten Pragmatismus wieder. Einer der wichtigsten Vertreter dieser Denktradition, John Dewey, kritisierte die Unterscheidung zwischen Alltags- und Hochkultur. Für ihn bietet nicht nur der Gang ins Museum Potenziale ästhetischer Erfahrungen, sondern bspw. auch das Lesen von Comics (vgl. Dewey, 2016). Entscheidend ist, so Dewey, der sinnlich-körperliche Prozess, in dem aus routiniertem Handeln ein Machen und Erleiden von Erfahrungen wird und sich habitualisierte Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsschemata3 transformieren. Er beschreibt damit einen Prozess, der bei der Geburt beginnt und kontinuierlich über die Lebensspanne hinweg verläuft. Sämtliche Erfahrungen haben eine sinnlich-körperliche Dimension. Ästhetische Erfahrungen sind von jenen deshalb nicht wesensfremd. Sie sind jedoch intensiver, da Wahrnehmung selbst zum Gegenstand der Erfahrung wird. Ein Mensch wird sich seiner Wahrnehmung in Bezug auf einen sinnlich erfahrbaren, ihn herausfordernden Gegenstand gewahr (vgl. ebd., S. 285). In jüngerer Vergangenheit hat Richard Shusterman Deweys Gedanken aufgegriffen und noch stärker auf die somatische Seite ästhetischer Erfahrung bezogen. Demnach würden auch Hip-Hop, Tanz, Yoga oder Sport Möglichkeiten ästhetischer Erfahrungen bieten. Shusterman betont, dass Freude und Genuss wichtige Bestandteile ästhetischer Erfahrungen seien, die sich nicht aufrein körperliche Empfindungen reduzieren ließen, wie umgekehrt auch kognitive Vorgänge immer auch eine körperliche Dimension haben (vgl. Shusterman, 2012, 1994). Damit ist eine Brücke zu performativitätstheoretischen Ansätzen gebaut. Die sinnlich-ästhetisch vermittelte Außenwelt stellt auch hier die Grundlage flir bildende Prozesse dar (vgl. Wulf, 2014). Neben einer kognitiven wird in dieser Perspektive vor allem die körperlich-soziale Dimension der Bildung fokussiert (vgl. Wulf & Zirfas, 2007). Eine wichtige Rolle, besonders im Kindesalter, spielt mimetisches Lernen. Es umfasst Bewegungen, die auf vorhergehende Bewegungen Bezug nehmen und körperlich aufgeflihrt oder inszeniert werden (vgl. Gebauer & Wulf, 1998). Mimetisches Handeln ist kein bloßes Kopieren, sondern eine aktive Anäh:nlichung, flir die Vorbilder bedeutsam sind, wobei damit nicht Personen, sondern Handlungen gemeint sind (Bourdieu, 1987, S. 136). In mimetischen

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Dewey (1964) nennt diese Schemata »habits«.

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Lernprozessen wird praktisches Wissen erworben. Praktisches Wissen ist ein inkorporiertes Können, welches sich oftmals nicht kognitiv-reflexiv abrufen lässt (vgl. Wulf, 2014). Die historisch-kulturelle Situiertheit des Sinnlich-Ästhetischen wird in vielen jüngeren Praxistheorien betont. Über den Vollzug milieuspezifischer Praktiken bildet sich ein ästhetisches Urteilsvermögen. Nach Bourdieu liegt der Kern dieser Entwicklung in Kindheit und Jugend. Das, was als (un-)schön empfunden wird, ist subjektiv und zugleich stark mit der sozialen Stellung eines Subjekts verknüpft. Geschmack ist ftlr Bourdieu der Ausdruck des Habitus, welcher wiederum gesellschaftliche Machtverhältnisse widerspiegelt (vgl. Bourdieu, 2016). Schmidt (2008) plädie1t deshalb daftlr, mehr empirische Aufmerksamkeit den körperlichen Sozialisationsprozessen zu widmen, die er als fortlaufende (Um-) Bildungsprozesse beschreibt. Es kann davon ausgegangen werden, dass besonders eine im frühen Lebensalter begonnene und mittel- oder gar langfristig fmtgeftlhrte Ausübung einer spezifischen Sportart eine gewichtige Rolle für die Entwicklung eines ästhetischen Urteilsvermögens spielt. Durch repetitives Einüben von Bewegungsschemata bildet sich ein körperliches Erinnerungsvermögen aus. Die Erinnerungen »kommen wieder, wenn die Bewegungen, die sie hervorrufen, vollzogen werden« (Gebauer, 2003, S. 231 ). Zusätzlich geht mit der Ausübung eines Sports ein »Stilensemble« einher, das sich bspw. durch Merkmale wie Kleidung, Einstellungen usw. äußert (vgl. Wulf & Zirfas, 2007, S. 21). Die Ästhetisierung und Individualisierung des Spmts trägt verstärkt dazu bei, dass sich aus Sportarten Sportszenen bilden, in denen die Ausübung eines Sports als Mittel zur Inszenierung des Selbst wird (vgl. Schmidt et al., 2004). Im Zusammenhang mit der eingangs beschriebenen »Versportung der Kindheit« erscheint es deshalb als ein lohnendes Projekt, besonders frühe Sportkarrieren in den Blick zu nehmen. Sportvereine bieten Kindem sensornotorisch zu bearbeitende Angebote an. Diese bürgen das Potenzial ästhetischer Erfahrungen, da sie Bewegungsaufgaben in ihr Zentrum stellen, durch die Kinder aufgefordert sind, körperlich zu lernen bzw. umzulernen. Durch mimetische Lernprozesse werden sportarttypische Bewegungsformen eingeübt. Diese wiederum stehen in einer übergeordneten Perspektive für einen Stil ästhetischer Urteile. Die von Beginn an bestehende Ungleichheit bei der Nutzung von Sportvereinsangeboten sowie bei der Wahl einer spezifischen Spo1tart und deren potenzielle Folgen stellen einen bisher vernachlässigten Teil der (frühen) Kindheitsforschung dar. Diesem soll sich in diesem Beitrag anhand des Kinderfußballs genähert werden.

FUSSBALL SPIELEN BEIM FUSSBALLSPIELEN

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METHODISCHE EINBETTUNG Bevor die theoretisch sensibilisierenden Konzepte mit den empirischen Daten ins Gespräch gebracht werden, soll die Entstehung letzterer kurz erläutert werden. Die hier vorgestellten Daten sind Teil eines Forschungsprojekts, in dem ein »Bambini«-Fußballteam eines Sportvereins flir den Zeitraum eines gesamten Spieljahres ethnographisch untersucht wurde. Das übergeordnete Erkenntnisinteresse ist das Verhältnis privater und öffentlicher Erziehungs- und Bildungssphären im KinderfußbalL Über den gesamten Zeitraum der Untersuchung entstanden vielfältige ethnographische Daten wie teilnehmende Beobachtungen, ethnographische Interviews, Fotografien, Videografien sowie Dokumente, die in einem zyklisch-iterativem Verhältnis zu den Analyseschritten entstanden (vgl. Stegkernper et al., 2018, S. 16). Auf analytischer Ebene wurden aus den Protokollen »dichte Beschreibungen« (Geertz, 1983 ), die mit Mitteln der Grounded Theorie analysiert wurden (vgl. Strauss, 1994; Clarke 2012). Für die sozialtheoretische Rahmung wurde der Pragmatismus mitjüngeren Praxistheorien in ein reziprokes Gespräch gebracht (vgl. Strübing, 2017). Der Fokus dieses Beitrags liegt auf der Exploration der ästhetischen Dimension des Kinderfußballs. Hierzu wurden die eingangs beschriebenen sensibilisierenden Konzepte als Analysefokus auf das Material gelegt. Die These lautet, dass die beobachteten Trainingseinheiten und Spiele das Potenzial ästhetischer Erfahrungen haben, da den Kindern durch Erwachsene Bewegungsaufgaben gestellt werden, die u.a. durch mimetisches Lernen bearbeitet werden müssen. Es geht demnach zunächst um sinnlich-körperlich vermittelte ästhetische Erfahrungspotenziale, die sich durch das Zusammenspiel von räumlich-dinglichen Arrangements und fußballspezifischen Praktiken eröffnen.

EINE TRAININGSEINHEIT Der folgende Auszug ist eine dichte Beschreibung einer Trainingseinheit der beobachteten »Bambinis« des SC Betriebsmannschaft4 • Die Trainingseinheit wurde in flinf Abschnitte untergliedert, an deren Ende sich jeweils analytische Beschreibungen anschließen. Im Zentrum der Beobachtungen stehen vor allem die Kinder Davu, Levent sowie Belmir.

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Der Name des Vereins sowie die Namen aller Kinder und Eltern wurden anonymisiert.

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1. ln der Kabine: »Die volle Montur«

In der Umkleidekabine werden die Kinder vor dem Trainingfußballtauglich gemacht. Die Kabine riecht modrig. Die Fliesen waren einmal weiß, j etzt haben sie einen dunkelbraunen Schleier. In der Ecke steht ein großer Wasserschieber. Zudem gibt es einen Spiegel, der allerdings viel zu hoch für die Kinder hängt. Ich beobachte denfünfjährigen Davu und seinen Vater Dennis. Davu sitzt auf einem Stuhl, der zu groß für ihn ist. Er hat sich ganz an die Lehne gepresst und seine Füße ragen nicht sehr weit über die Stuhlkante hinaus. Neben dem Stuhl steht ein Tisch, den Davu im Stehen kaum erreichen könnte. Dennis hat bereits die Jeans und den Pullover von Davu sorgfältig zusammengelegt und in die Sporttasche verstaut. Jetzt hilft er seinem Sohn beim Anziehen. Dabei ist er in die Hocke gegangen, um auf Augenhöhe mit Davu zu sein. Für das Trikot steht der Junge auf und streckt seine Arme in die Luft. Dieser Vorgang wirkt sehr eingespielt. Schließlich setzt Davu sich wieder hin. Jetzt sind die Schienbeinschoner dran. Auch diese sind etwas zu groß und bedecken Teile seines Knies. Dennis schließt den Klettverschluss der Schoner, wobei er das Band zweimal um das dünne Schienbein von Davu wickeln muss. Schließlich zieht Dennis Davu die Fußballschuhe an und bindet sie zu. Ich blicke mich um und sehe, dass auch die anderen Kinder fast alle fertig angezogen sind Fast alle Kinder tragen Trikots von Nationalteams oder Profimannschaften: Davu trägt ein Trikot des Heimatlandes seiner Eltern, Nigeria, andere tragen Trikots vom FC Barcelona, Real Madrid, Galatasaray lstanbul, Bosnien und Herzegowina, Deutschland, Kroatien usw. Auch vier »eigene« Trikots des SC Betriebsmannschaft werden getragen. Diese sind von einem bekannten Sportartikelhersteller, mit dem der Sportverein einen Ausrüstervertrag abgeschlossen hat. Insgesamt tragen die meisten Kinder für das Training die >>Volle Fußball-Montur«, bestehend aus Trikot, Hose, Stutzen und Fußballschuhen. Das Fußballtraining beginnt nicht erst auf dem Platz, sondern bereits zu Hause beim Packen der Tasche oder wie hier beim Umziehen in der Kabine. Viele Sportstätten sind bereits mehrere Jahrzehnte alt (vgl. Koch, 2002) und bilden damit historisch-kulturell gewachsene räumlich-dingliche Arrangements. Sportstätten folgen in Deutschland DIN-Richtlinien und weisen deshalb große Ähnlichkeiten untereinander auf. Zusammen mit den schmutzigen Fliesen, dem modrigen Geruch nach verschwitzter Wäsche, Erde und Gras bildet die Kabine einen ästhetischen Erfahrungsraum für die Kinder. In diesen müssen die vier- bis sechsjährigen Bambinis aber erst »hineinwachsen«. Anders als in Kita, Familie oder Grundschule gibt es im hiesigen Beispiel kein kindgerechtes Mobiliar. Da-

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vu sitzt auf einem zu großen Stuhl, er muss sich strecken, um an den Tisch zu kommen, kann nicht in den Spiegel sehen usw. Das dinglich-räumliche Arrangement verbindet sich in der beobachteten Szene mit der Fürsorgepraktik des Umkleidens. Im Kinderfußball, besonders bei den Bambinis, ist es üblich, dass Elternteile vor und nach dem Training anwesend sind und häufig auch Trainings und Spiele am Spielfeldrand verfolgen. Davu und Dennis sind derart eingespielt, dass das Umkleiden eine Art ritualisierte Praxis (vgl. Gebauer & Wulf, 1998) wird. Davu wird zum kleinen Fußballer ausgerüstet. Der Prozess des Ankleidens, der sich zwischen Erwachsenen, Kindern und den Dingen vollzieht, schafft einen Unterschied zwischen dem Vereinsfußball und dem Kicken zwischen Elternteil und Kind im Garten. Derart entsteht zunächst ein »ernstes Spiel« (Klein & Meuser, 2008). Anders als bei dem Mobiliar der Umkleidekabine verhält es sich mit der fußballspezifischen Kleidung. Zwar sind Davu die Schienbeinschoner zu groß, aber Schuhe, Stutzen, Hosen und Trikots sind bereits in sehr kleinen Größen erhältlich. Der hier beobachtete Sportverein spielt in der Kreisliga, dennoch gibt es einen Ausrüstervertrag mit einem bekannten Hersteller. Der Verein hat sich - gegen Rabatt - verpflichtet, die Produkte einzig von dieser Marke abzunehmen. Dies gilt für die Spielkleidung und Trainingsanzüge des Vereins. Aber auch die Kinder selbst und ihre Eltern kaufen und tragen die Markenprodukte der Profiteams bzw. Nationalmannschaften. Die Teams bzw. Beflockungen der berühmten Spielernamen (Messi, Ronaldo, Neuer, Neymar, Modric und Olic waren es in diesem Fall) dienen als Identifikationsangebot Im postheroischen Zeitalter fungiert der Spitzensport als legitimes »Heldensystem« (Bette, 2007, S. 243). Sportler*innen und besonders Fußballer*innen sind »tragbare« Helden bzw. Heidinnen. Wie erwähnt, sind Vorbilder für Kinder wichtige Identifikationsfiguren, die Subjektpositionen anbieten. Dies gilt jedoch nicht nur für die einzelnen Spielernamen auf dem Rücken der Kinder, sondern auch für den Verein und besonders die Nationalmannschaft. Über das Tragen von Trikots der nigerianischen, deutschen oder bosnischen Mannschaft wird eine kulturelle bzw. nationale Differenz zu anderen Kindern hergestellt. Die Kabine wird in der Verbindung aus ihrer Materialität, den Fürsorgepraktiken, der fußballspezifischen Kleidung sowie deren Symbolhaftigkeit zu einem Raum ästhetischer Erfahrung, in dem die kindlichen Körper und ihre Präparierung zum Fußballer im Zentrum stehen. 2. Aufwärmen: »Besser als Ronaldo«

Von der Kabine aus geht es auf den kleinen Trainingsplatz der Bambinis. Dort sind bereits Trainer Vlado und seine beiden Co- Trainer. Sie bereiten das Trai-

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ning vor, indem sie bspw. Hütchen auf dem Feld verteilen. Die Kinder haben noch keine Fußbälle erhalten und warten mehr oder weniger geduldig in einer Ecke des Feldes. Ein Junge, Levent, wirkt dabei recht gelangweilt. Sein Vater Lokman steht neben mir am Spielfeldrand und ruft ihn zu sich. Er solle sich erst einmal aufWärmen, bis die Bälle da sind: »Von einem Tor bis zum anderen.« Mir fällt auf, dass Levent heute viel Gel in seinen Haaren und sich damit einen Scheitel gelegt hat. Er wirkt dadurch älter als sechs. Ich spreche ihn darauf an. Levent knetet sich verlegen die Haare und entgegnet: »Die sind heute etwas hart geworden.« Danach dreht er sich um und beginnt sein Warmmachprogramm: Er lässt seine Arme abwechselnd kreisen, dann macht er einen Kniehebelauf, läuft seitlich usw. Lokman spricht leise zu mir: »Ich verrate dir mal ein Geheimnis, aber du dat:ftt es ihm nicht erzählen, sonst findet er es peinlich. Er hat Ronaldo als Vorbild« Ich frage nach: »Wirklich?«. »Ja, er sagt immer: Ich werde mal besser als Ronaldo«. Levent läuft gerade vom gegenüberliegenden Tor in unsere Richtung. Lokman winkt ihn zu sich und sagt: »Zieh mal deine Jacke aus, es ist warm genug!« Levent schwingt seinen Oberkörper von links nach rechts, damit seine Arme besser aus den Armein gleiten. Ich sehe, dass er ein Real Madrid Trikot unter seiner Jacke trägt. Ich lächle ihn an. Zunächst schaut er ein wenig schüchtern zur Seite, dann streckt er sich und zieht sein Trikot glatt. Er dreht sich um und läuft sich weiter warm. Auf dem Rücken des Trikots steht die Nummer sieben und der Name »Ronaldo«.

Zu Beginn des Trainings haben die Kinder eigentlich Bälle, mit denen sie spielen können, bis das Training beginnt. Da dies bei der beobachteten Szene noch nicht der Fall ist, schickt Lokman seinen Sohn Levent zum Warmmachen, was dieser bereitwillig tut und auch ohne Anleitung verschiedene, typische Aufwärmübungen ausführt. Bei Spielen und Turnieren der Bambinis gab es in den teilnehmenden Beobachtungen nur wenige Kinder, die sich derart vorbereitet haben. Meist wird diese Vorbereitung der kindlichen Körper als (noch) nicht notwendig erachtet. Durch das Nachkommen Levents der Adressierung seines Vaters wird auch hier das kindliche Fußballspiel »veremsthaftet«. Zudem hat sich Levent die Haare ähnlich wie sein Vorbild Christiano Ronaldo frisiert und trägt dessen Trikot. Kinder und Erwachsene nehmen die Welt als eine Figuration von gegenständlichen und symbolischen Bildern wahr. Nach Christoph Wulf (2014) spielen dabei das Internet und Fernsehen eine bedeutsame Rolle. Die medial vermittelte Bildhaftigkeit der sozialen Welt des Fußballs ist ein wichtiges Element bei der ästhetischen Wahrnehmung selbiger. Levent ähnelt sich dieser Welt an, indem er sein äußeres Erscheinungsbild seinem Vorbild nachahmend anpasst. Dadurch entsteht ftlr Levent das Potenzial der Selbst-

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darstellung: Er zeigt sich selbst und den Anderen an, wie er sich sieht respektive gesehen werden möchte. Einen Anteil daran hat auch sein Vater, der durch die Aufforderung zum Warmmachen und auch durch das »Verraten« des Geheimnisses um das Idol von Levent eine Bühne bereitet, die dieser dann bespielt. 3. Trainingsübungen: »Den Ball streicheln«

Das Training beginnt. Trainer Vlado leitet ein Bewegungsspielnamens »Wer hat Angst vorm weißen Hai?« an. Hierauffolgen verschiedene Bewegungs- und Koordinationsübungen, die von den Kindern paarweise durchgeführt werden. Zum Beispiel sollen sich die Kinder Rücken an Rücken stellen, dann reicht ein Kind den Ball über den Kopf, wo das andere Kind ihn aufnimmt und ihn zwischen die vier Beine durchreicht, wo er wiederrum von dem Anderen aufgenommen werden soll usw. Bei einigen Kindern klappt das ganz gut, andere hingegen drehen sich immer zu ihrem Partner um, um ihm den Ball zu geben. Die umstehenden Eltern müssen hierüber lachen. Nach dem Koordinationsteilteilen sich die Kinder in zwei Gruppen auf Ich gehe zu der Gruppe von Vlado. Dort sollen die Kinder eine Übung machen, die Vlado vormacht und dabei erklärt: »Schaut mal! Mal sehen, wer das kann. Streichelt den Ball mit der Sohle, ganz vorsichtig!«. Er greift mit seiner Hand hinunter an seine Ferse und dann über die Stollen seiner Fußballschuhe. »Seht ihr, das ist die Sohle«. Die ersten Kinder beginnen, es ihm nachzuahmen. Dabei sollen sie in einem abgesteckten Feld bleiben und die anderen Kinder nicht stören. Bei manchen funktioniert es ganz gut, andere stoßen den Ball aber an, anstatt ihn zu »streicheln«. Dadurch springt er teilweise ein paar Meter weg. Sie holen dann den Ball schnell zurück und versuchen es erneut. Durch das kleine, abgesteckte Feld entsteht in manchen Momenten ein ziemliches Durcheinander, da Bälle und Beine der Kinder aneinandergeraten Teilweise schlängeln sich einige Kinder aber sehr elegant aneinander vorbei und behalten den Ball unter Kontrolle. Vlado erinnert die Kinder: »Denkt dran, was ich gesagt habe: Ihr seid der Chefvom Ball und nicht umgekehrt!« Es folgt eine Torschussübung, bei der die Kinderper » Vollspann« schießen sollen. Mit der Innenseite des Fußes haben sie bereits in vorhergehenden Trainingseinheiten geschossen. Vlado beugt sich nun nach unten und zeigt auf seine Schnürsenkel: »Mit dem müsst ihr jetzt schießen! Dort, wo ihr die Kickschuhe bindet«. Davu ruft: »ich schieß immer so!« und zeigt dabei mit seinem Fuß auf den Ball. Vlado entgegnet: »Nein, das ist die Innenseite. Versuch es so, wie ich es gesagt habe!«. Dann rollt er nach und nach einen Ball in Richtung der Kinder, die dann mit der Technik auf das Tor schießen sollen. Davu tr[fft den Ball,

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als er an der Reihe ist, mit der Innenseite des Fußes. Vlado fragt ihn: »Davu, womit hast du geschossen?«. Davu zeigt auf die Innenseite seiner Schuhe und sagt: »Mit hier«. »Und womit sollst du schießen?«. Davu zeigt aufseine Schnürsenkel: »Mit hier«. Vlado antwortet: »Genau, immerhin hast du es schon begriffen«. Vlado beginnt nun damit, die Bälle auf den je »schwachen« Fuß der Kinder hin zu rollen. Levent läuft zunächst einen großen Bogen um den Ball, um ihn doch mit rechts schießen zu können. Hierauf wird er von Vlado aufgefordert, es mit links zu versuchen. Levent ist wieder dran und schießt den Ball dieses Mal mit links und der richtigen Technik ins Tor. Levent geht zurück in die Warteschlange und ruft: »Hast du 's gesehen. Mit links. Das erste Mall« Davu sagt hierauf »Ich schieß so!« Er zeigt dabei mit seiner Hand auf seinen rechten Spann. Levent: »Jaaa, schon tausendmal, aber jetzt mit links! Weißt du welcher Fuß das ist?« Davu zeigt auf seinen rechten Fuß, wieder auf seinen Spann. Levent lacht: »Nein, das ist rechts. DAS [betont und dabei auf sein linkes Bein klopfend} ist links.« Davu blickt etwas verwirrt aufseine beiden Füße. Das linke Bein bewegt sich schließlich in Richtung des Balles und erst dann scheint er zu begreifen, was Levent ihm sagen wollte. Vlado hat bei seinem regionalen Fußballverband eine Trainerlizenz mit Fokus auf Kinderfußball erworben und möchte seine Trainingseinheiten möglichst »kindgerecht« gestalten. Deshalb legt er nach eigenen Aussagen den Fokus stark auf Bewegungsspiele und allgemeine Koordinationsübungen. Diese Übungen bieten die Möglichkeit ftlr die Kinder, samästhetische Erfahrungen zu machen. Das abwechselnde Reichen des Balles über den Kopf hinweg und durch die Beine hindurch stellt besonders ftlr die jüngeren Kinder eine besondere Herausforderung dar. Sie müssen ihren Körper und dessen Teile auf spezifische Weise in Bewegung setzen und dabei sowohl auf den Ball als auch auf den Mitspieler achten. Ähnlich verhält es sich bei der Übung »den Ball mit der Sohle streicheln«. Hier zeigt sich, dass gewisse Übungen nicht sprachlich vermittelt werden können und deshalb sinnlich-ästhetisch gezeigt werden müssen. Larissa Schindler (20 11) hat am Beispiel des Kampfkunsttrainings aufgezeigt, dass das gesprochene Wort beim Zeigen von Übungen lediglich der Untermalung des körperlich Gezeigten dient und isoliert nur wenig verstehbaren Gehalt hätte. Um den Unterschied zwischen normaler Ballftlhrung und der Sohlenftlhrung zu erläutern, greift der Trainer deshalb auf eine Sprache zurück, die an sinnlichen Erfahrungen anknüpft. Der Ball soll »ganz vorsichtig« »gestreichelt« werden. Zugleich zeigt er auf die Stollen, mit denen der Ball geftlhrt werden soll. Sportliche Bewegungen lassen sich aber nicht einfach vor- und nachmachen. Eine fließende, rhythmische Be-

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wegung kann nicht durch Anschauung allein adaptiert werden. Sie muss aktiv erfahren werden. Auch hier müssen die Kinder auf sich achten, aber auch auf das abgesteckte Feld und die anderen Kinder, die in diesem Feld den Ball führen. Sie erfahren auf sinnlich-ästhetische Weise, sich und ihre Mitspieler wahrzunehmen und anzuerkennen. Sie lernen zudem, dass die Dinge ihrer Umgebung manipulierbare Objekte sind und keine eigene magische Kraft besitzen. Der Ball rollt nicht aus eigenem Antrieb heraus, sondern weil er dazu bewegt wird. Passend dazu erinnert der Trainer die Kinder, sie sollen der »Chef vom Ball« sein. Die Torschussübung, bei der die Bambinis die Technik des Vollspannstoßes nutzen sollen, verläuft ähnlich. Der Trainer zeigt den Ort des Körpers, wo der Ball getroffen werden soll (»wo ihr die Kickschuhe bindet«). Eine Herausforderung ist hier, dass die Kinder eine bereits gemachte und inkorporierte Erfahrung, den Innenseitenstoß, nicht »automatisch« anwenden, sondern sich bewusst für den Vollspannstoß entscheiden. Dies zeigt sich bei Davu: Er hat den Schussper Innenseite, der Gegenstand vergangeuer Trainings war, verinnerlicht und wendet ihn nun in Schusssituationen an. Der Trainer sorgt bei Davu für eine Handlungshemmung (vgl. Mead, 2002), indem er Davus Technik als in dieser Situation für nicht angebracht hält. Davu muss sich seiner eigenen Körperwahrnehmung gewahr werden und seine Technik modifizieren: Er muss körperlich umlernen. Bei Levent zeigt sich Ähnliches, wenn es darum geht, den Ball mit dem schwächeren Fuß zu schießen. Zunächst läuft er eine Kurve um den Ball, um seinen starken rechten Fuß zu benutzen. Als er sich dann konzentriert und den Linksschuss erfolgreich absolviert, erzählt er stolz von seiner Erfahrung und irritie11 dadurch wiederum Davu, welcher selbst noch den Wechsel der Torschusstechnik »verkraften« muss. Spätestens an dieser Stelle wird die sinnlich-körperliche Erfahrung auch zu einem Gegenstand der Reflexion durch die beiden Kinder. 4. Abschlussspiel 1: »Du musst kämpfen«

Nach den Koordinations- und Torschussübungen folgt nun das Abschlussspiel Es gibt zwei Teams. Eine Gruppe zieht sich rote Leibchen über und die andere gelbe. Da heute sehr viele Kinder anwesend sind, der Platz hingegen recht klein ist, ist das Spielfür alle Beteiligten sehr unübersichtlich. Es kommt häufig zu Zusammenstößen, Fouls und Unterbrechungen. In einer dieser Situationen geht ein Kind, Belmir, zu Boden. Der Junge steht nicht gleich wieder atif und hält sich den Fuß. Vlado ruft ihm zu: »Hey, weiter geht 's, jedes Mal legst du dich hin!«. Belmir steht dann tatsächlich zügig auf und spielt weiter. Kurz darauf liegt er jedoch wiederamBoden undfängt an zu weinen. Seine Mutter, Brigitta, kommt auf das Feld, hi(ft ihm langsam beim Aufstehen und sie gehen Hand in Hand an

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den Spielfeldrand Schließlich sagt sie zu Be/mir: »Be/mir, was machst du, du musst spielen! Hast du Schmerzen?«. Be/mir: »Ja, hier!«. Brigitta: »Komm, trink mal was!«. Belmir trinkt etwas aus einer Sporiflasche. Danach läuft er wieder auf den Sportplatz. Brigitta ruft aufmunternd: »Be/mir, j etzt musst du kämpfen und dann klappt das!«. Kurze Zeit später fallen in einem Gedränge um den Ball wieder zwei Kinder zu Boden. Ein Kind ruft: »Hey!« und macht eine Trittbewegung, wobei es Davu am Kopf trifft, welcher zu weinen beginnt. Schnell sind drei umstehende Mütter auf dem Platz. Zwei gehen zu Davu und erkundigen sich, ob es ihm gut geht. Die Mutter des Kindes, welches getreten hat, geht zu ihm und redet energisch aufihn ein. Dabei rührt es sich nicht vom Fleck und sein Blick geht starr in eine Richtung. Es wirkt auf mich geschockt von seiner eigenen Tat. Die Kinder beruhigen sich langsam. Das Kind entschuldigt sich schließlich bei Davu. Es folgt eine weitere Szene, nur wenige Sekunden später, in der ein Kind hinfällt. Vlado geht zum Kind Er sagt im Gehen: »Ja, aber es war ja keine Absicht. Zeig mal! Ja, da sieht man nix, also komm weiter«. Das Kind wischt sich die Tränen ab, schluchzt einmal und rennt schließlich dem Ball hinterher. Vlado lacht und sagt: »Ich glaube Schienbeinschoner sind ab Freitag Pflicht!«. Elias (2006) sah den Fußball als besonderen Ausdruck des Prozesses der gesellschaftlichen Zivilisation an, da ein hohes Maß an Selbstdisziplin benötigt wird, um den Gegner zu stören, ohne ihn zu foulen. Anhand des Beispiels wird deutlich, dass diese Körperkontrolle erlernt werden muss. Zwar stellt die beobachtete Trainingseinheit ein extremes Beispiel hierfür dar, da es in anderen Trainingsspielen weit weniger »ruppig« zuging. Dennoch zeigt sich in den dokumentierten Szenen, wie komplex das Fußballspiel ist. Die Kinder müssen rennen, passen, schießen und gleichzeitig auf die Kinder im gegnerischen Team achten. Körperliche Disziplin ist jedoch auch nötig bezüglich der eigenen Körperund Schmerzwahrnehmung. In dem Beispiel wird Belmir durch seinen Trainer und auch seine Mutter Brigitta dazu aufgerufen, weniger empfindlich zu sein. In Bezug auf die Interaktion zwischen Brigitta und Belmir zeigt sich ein Changieren zwischen mütterlicher Fürsorge für das körperliche Wohlbefinden ihres Sohnes und dem Bestreben, dass Belmir weniger wehleidig am Fußballspiel teilnimmt. Hätt e zeigen und kämpfen sind eingeforderte Attribute des Fußballspiels. Emotionen und das Zeigen von Schmerzen haben sozialen Charakter: Sie sind affektive Praktiken (vgl. Reckwitz, 2016) und können unter- oder ausgedrückt werden (vgl. Wulf, 2014). Für die Praxis des Fußballspielens gilt es, angemessene Reaktionen auf bestimmte körperliche Zumutungen zu zeigen, da sonst der

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Ausschluss aus der teilnehmenden Gemeinschaft droht (vgl. ebd., S. 118). Der Fußballlässt sich dementsprechend kritisieren als eine soziale Praxis, welche ein spezifisches Ideal von Maskulinität reproduziert (vgl. Meuser, 2008). Über die langfristige »stumme Weitergabe« (vgl. Schmidt, 2008) dieses Bildes werden die Körper der Teilnehmer geformt. Härte zeigen wird habitualisiert. Dieser Prozess beginnt bereits bei den Bambinis und die umstehenden Erwachsenen haben im hiesigen Beispiel wichtigen Anteil hieran. Sie ziehen dabei aber eine klare Grenze zwischen einem interpretierten unabsichtlichen Aneinandergeraten und klaren Regelverstößen. Als Davu von einem Jungen im Affekt getreten wird, erfolgt eine starke Reaktion, da gleich drei Mütter auf den Platz gehen. Zwei, um sich um den getretenen Jungen zu kümmern und eine, um das Verhalten des tretenden Jungen zu sanktionieren. Damit unterscheiden Kinder, Trainer und Eltern in situ zwischen korrekten und inkompetenten, regelwidrigen Praxisvollzügen (vgl. ebd., S. 131), wobei die Erwachsenen in einer machtvolleren Entscheidungsposition sind. Das Kind, welches getreten hat, wird sich den Konsequenzen der eigenen körperlichen Taten sowie der Wahrnehmung der Anderen in Bezug auf diese gewahr. Es lernt etwas über die Möglichkeiten und Grenzen des eigenen Körpers in Auseinandersetzung mit den anderen Kindern. 5. Abschlussspiel II: »Ich brauche Platz!«

Auch Leventfällt wenig später in einem eher harmlosen Zweikampfhin und rollt sich dann mehrere Male theatralisch über den Boden. Dann schaut er sich um. Da niemand auf ihn eingeht, steht er wieder auf und spielt weiter. Einige Eltern müssen lachen. Lokman ruft Levent im Spaß zu: »Hey! Du Schwalbenkönig!«. Auf dem Spielfeld herrscht weiterhin viel Trubel. Und auch die Eltern und Trainer am Seitenrand sind aktiv dabei, feuern an, klatschen und lachen gemeinsam. Es gibt einen Freistoß. Levent steht vor dem Ball. Er schickt seine Mitspieler weg: »ich brauche Platz!«. Er stellt sich direkt vor den Ball und geht dann langsam zurück, indem er ein Bein weit nach hinten stellt und das andere Bein nachzieht. Schließlich bleibt er stehen und stellt sich breitbeinig auf Die Arme liegen straff links und rechts am Körper. Er nimmt Anlauf und schießt. Der Ball fliegt über die Mauer und geht am Torwart vorbei ins Tor. Levent dreht ab und spreizt seine Arme weit aus und läuft so ein paar Meter. Einige seiner Mitspieler tun es ihm nach. Andere machen eher Luftsprünge. Die Kinder des erfolgreichen Teams treffen sich in der eigenen Hälfte und umarmen sich gegenseitig. Kurz danach vergibt Levent eine Torchance. Sein Vater klatscht einmal wuchtig in die Hände, wirft den Kopfzur Seite und ruft: »Ahh! Schade!«. Levent vergräbt affektiert seine Hände im Gesicht, nimmt sie dann wieder weg, schaut nach oben in

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den Himmel und schüttelt den Kopf Wenig später schießt auch Davu ein Tor. Er dreht sich um, rennt ein paar Meter und lässt sich dann auf die Knie fallen, sodass er etwa einen halben Meter auf Knien und Schienbein über den Rasen rutscht. Dabei spreizt er die Arme und versucht, den Oberkörper nach hinten zu lehnen. Ein weiteres Kind folgt ihm und macht es ihm nach. Wieder sind die Eltern am Spielfeldrand hierüber amüsiert. Vlado sagt: »Guck mal! Das können sie schon wie die Stars!«. Abbildung 1: Freude, Arger, Frust: Das Aufführen von Emotionen

Quelle: Eigene Aufuahmen

Gebauer (2016, S. 177) trennt in seiner »Philosophie des Fußballs« den ProfiFußball stark vom Amateurfußball ab. Während professioneller Fußball in großen Stadien ein »Bühnengeschehen« sei, geprägt durch den Glauben an das Spiel, Rituale und kollektive Emotionen, sei der Amateurfußball nur eine ritualisierte Praxis, vergleichbar mit der täglichen Arbeit oder dem Drehen von morgendlichen Joggingrunden (vgl. ebd., S. 180). Die mediale Verbreitung des professionellen Fußballs und das pyramidenformige Verhältnis von Spitzen- und Breitensport in Deutschland lassen einen diese scharfe Abgrenzung allerdings in Frage stellen. Auch an dem hiesigen Beispiel zeigt sich, »wie bühnenhaft der Sport geworden ist, welche sinnlichen Potenziale er heute entfaltet, wie sehr er dazu drängt, ästhetisches Ereignis zu werden« (Schmidt et al., 2004, S. 177). In mimetischen Lernprozessen ähneln sich die Kinder der Theatralik des Fußballs an. Sie spielen nicht nur Fußball, sondern sie spielen ihn, sie führen ihn auf und stellen ihn dar. Levent zeigt mit übertriebenem Abrollen, dass er gefoult wurde. Wenig später zelebriert er einen Freistoß mit der sogenannten »Pistolero-Pose« seines Vorbilds Ronaldo. Auch Emotionen wie Freude oder Ärger werden nicht nur einfach »innerlich gefühlt«, sondern für die Mitspieler*innen und Zuschauer*innen angezeigt: Beim Torjubel werden Arme ausgebreitet und aufKnien ge-

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rutscht. Beim Frust über eine vergebene Chance wird das Gesicht demonstrativ in die Hände vergraben oder Rat im Himmel gesucht. Das Trainingsspiel einer Bambini-Mannschaft in einem Kreisklasse-Fußballverein wird so zur theatralischen Auffllhrung, in der Emotionen und dadurch das Selbst inszeniert wird. Die Kinder lernen die »existenzielle Ästhetik« (vgl. Gebauer, 2016, S. 203) des Fußballs und inkorporieren sie durch aktive Auffllhrung. Sie werden damit zugleich Teil dieser Inszenierungswelt und lernen, sich in dieser zu bewegen. Dabei machen die gespielten Emotionen der Kinder die Übertriebenheit der Auffllhrungen der Profisportler*innen überhaupt erst sichtbar. Es sind aber nicht allein die aufgefllhrten Praktiken der Kinder, sondern zugleich auch die Anfeuerungen, das Trösten, die Aufmurrterungen und auch die Belustigungen von Eltern und dem Trainer, die dieses Trainingsspiel gemeinsam inszenieren. Insgesamt entsteht so ein »Modus kinästhetischer Sympathie« (vgl. Alkemeyer, 2008, S. 98), der hinund herpendelt zwischen gespieltem Ernst und ernstem Spiel.

ZUSAMMENFASSUNG Abschließend möchte ich die Erkenntnisse der Explorationen des ethnographischen Materials mit den ausgewählten sensibilisierenden Konzepten zusammenfassen und erste Aspekte der ästhetischen Dimension des Kinderfußballs darlegen. Fußball ist ein Sport, bei dem ein »bereits mit der Hand nur recht schwer zu beherrschendes Ding mit dem Fuß gespielt wird, einem Organ, das dazu von Natur aus denkbar ungeeignet ist« (vgl. Alkemeyer, 2011, S. 66). Die spielspezifischen Techniken können zudem nicht einfach verbal vermittelt oder durch vorund nachmachen erlernt werden. Sie müssen erfahren werden. Hierzu gibt es verschiedene Möglichkeiten. In der hier vorgestellten Konstellation wurden bspw. allgemeine Koordinationsübungen, Dribbel- und Schussübungen vollzogen. Im Zentrum stehen dabei sinnlich-ästhetische Prozesse. Die Kinder müssen ihren Körper und dessen Teile wahrnehmen und einschätzen lernen sowie auf den Ball, die Spielfeldbegrenzung und andere Kinder achten. Ästhetisch werden die Erfahrungen beim Fußballtraining besonders dann, wenn die eigene Wahrnehmung zum Gegenstand der Wahrnehmung wird, bspw. wenn es darum geht, mit dem »schwachen« Fuß zu schießen oder mit einer anderen Schusstechnik. Die Kinder machen damit kinetische und kinästhetische Erfahrungen in Zeit und Raum (vgl. Westphal, 2014 ). Das in diesen Erfahrungen erworbene praktische Wissen muss immer wieder angewandt und situativ angepasst werden, wobei zum Nachdenken über den richtigen Pass oder den richtigen Schuss meist keine Zeit bleibt. Deshalb ist Fußball eine Art gelernte Intuition. Interessant wäre an

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dieser Stelle die Untersuchung der Frage, in welchem Verhältnis die Anforderungen im (Kinder-)Fußball, seinen eigenen Körper zu kontrollieren und auf Ball, Mit- und Gegenspieler zu achten, mit den Zielen des Spiels, den Gegner möglichst bei seinen Aktionen zu stören, kollidie11. Ähnlich wie das verbindende Element des Fußballs die Ausgrenzung ist (vgl. Degele, 20 13), lässt sich hier eine weitere Paradoxie vermuten. Während Pass- und Schusstechniken noch geübt werden müssen, zeigte sich in dem angeführten Beispiel, dass bei den Kindern bereits ein ausgeprägtes praktisches Wissen über die Bühnenhaftigkeit des Sports besteht. In Prozessen mimetischen Lernens führen sie sich als Fußballer auf. Dabei geht es um mehr als rennen, passen und schießen. Sich ärgern, sich freuen, oder anzuzeigen, gefoult worden zu sein, gehören zum inszenatorischen Repertoire des Fußballs. Kindern begegnet dieser Setzkasten an Emotionen und Praktiken im Internet, Stadion oder Fernsehen sowie anhand der konkreten räumlich-dinglichen Arrangements und des Vorbildes der Erwachsenen vor Ort. Letztere schaffen durch das Helfen beim Ankleiden für das Spiel, durch Aufmunterungen und Aufforderungen, durch fürsorgliches Trösten oder auch ironische Kommentare oder strikte Ermahnungen einen Raum für Potenziale ästhetischer Erfahrungen. Die Kinder werden von diesem Raum jedoch nicht determiniert und kopieren auch nicht einfach das Verhalten der Vorbilder am Spielfeldrand oder im Fernsehen. Einerseits müssen sie die Anforderungen dieses Raumes aktiv bearbeiten. Andererseits besteht eine Differenz zwischen (professionellem) Erwachsenenfußball und der beobachteten »Bambini-Variante«. Das Publikum besteht aus wenigen Personen, den engsten Verwandten der Kinder. Zwar verhalten sich diese oft auch wie Fans, sie feuern an, klatschen usw., zugleich stehen sie aber mit den kleinen Fußballern in einem Fürsorgeverhältnis, waschen die Sportkleidung, helfen beim Umkleiden, trösten nach Fouls und Niederlagen. Und sie brechen die Ernsthaftigkeit, die manche der Kinder an den Tag legen, mit Spaß und Ironie auf. Die Eltern kreieren im Changieren zwischen Fan- und Elternpraktiken etwas Drittes, dessen Untersuchung lohnend für künftige Forschungsprojekte wäre. Auch das räumlich-dingliche Arrangement ist im Kinderfußball ein anderes als im Spitzensport: Gespielt wird auf kleinen Sportplätzen, nicht in Stadien, mit kleineren Bällen usw. Bei den Bambinis gibt es nur einen eingeschränkten Wettbewerb. Und dennoch bietet selbst ein Trainingsspiel im Kinderfußball die Möglichkeit der Selbst-Inszenierung. Auf der Bühne des Sportplatzes erhalten Kinder die Möglichkeit, Fußball zu spielen. Sie »schlüpfen« in die kleineren Varianten der Trikots ihrer Vorbilder, drücken sich durch und mit ihren Körperbewegungen aus und setzen sich in ein Verhältnis zu sich und der Welt. Interessant wäre

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ein Vergleich zwischen der theatralen Komponente des Kinderfußballs - beeinflusst durch die mediale Präsenz des Fußballs - und anderen Spiel- und Sportarten wie dem Kinderturnen, Kindertanz oder Kinderschwimmen. Weiche Unterschiede und Gemeinsamkeiten wären erkennbar? Fußball ist ein Drama, das den Anspruch hat, keine Fiktion zu sein (Franke, 2008). Die Sportart besitzt keine bürgerliche, sondern eine rohere Form der Ästhetik. Fußball entfaltet seine Schönheit durch das Bestehen einer existenziellen Prüfung durch den Anderen (vgl. Gebauer, 2016). Der binäre Code des Spiels lautet: Sieg oder Niederlage. Im Kinderfußball sind diese Eigenschaften, wie eben beschrieben, sicherlich nur in abgeschwächter Form vorhanden. Doch auch bei den Bambinis zeigt sich, dass Gelingen des Eigenen durch Störung des Anderen erfolgt. Dabei müssen Kinder lernen, welche Störungen als konform und welche als unfair gelten. Dies geschieht in stetigen, interaktiven Prozessen. Zugleich sind Kinder im Raum des Fußballs mit der Verletzlichkeit ihres Selbst konfrontiert. Dazu zählt auch der Umgang mit Schmerzen, die in der körperlichen Begegnung mit anderen Kindern auftreten können. Über die Interaktion mit Eltern, Trainern und den anderen Kindern gilt es zu lernen, wann das Zeigen und Darstellen von Schmerzen bspw. nach einem Zweikampf angebracht ist und wann nicht. Hier spielen auch Erwartungen an genderkonformes Verhalten eine wichtige Rolle. Untersuchungen könnten hier anknüpfen und sich die Frage stellen, ob und in welchem Maße durch jahrelanges Fußballspielen nicht nur »0Beine«, sondern noch viele weitere samästhetische Aspekte geformt werden. Schließlich begegnen Kinder im Fußball nicht nur einer Sportart, sondern einem ganzen Körperstil mit einer eigenen ästhetischen Qualität.

LITERATUR Alkemeyer, T. (2008). Fußball als Figurationsgeschehen. Über performative Gemeinschaften in modernen Gesellschaften. In G. Klein & M . Meuser (Hrsg.), Ernste Spiele. Zur politischen Soziologie des Fußballs (S. 87-112). Bielefeld: transcript. Alkmeyer, T. (2011). Bewegen und Mitbewegen. Zeigen und Sich-ZeigenLassen als soziale Körperpraxis. In R. Schmidt, W.-M. Stock & J. Volbers (Hrsg.), Zeigen. Dimensionen einer Grundtätigkeit (S. 44-72). Weilerswist: Velbrück. Alkemeyer, T.; Boschert, B.; Gebauer, G.; Schmidt, R. (2003). Aufs Spiel gesetzte Körper. Eine Einftlhrung in die Thematik. In T. Alkemeyer, B. Bo-

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Dance and Competence Kompetenzentwicklung aus körperlicher Perspektive im Rahmen der kindheitspädagogischen Hochschulausbildung

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ÜBER DIE »KÖRPERVERGESSENHEIT« IN DER KINDHEITSPÄDAGOGISCHEN PRAXIS UND HOCHSCHULAUSBILDUNG Als Konsequenz der geforderten Kompetenzorientierung im Hochschulkontext sowie der Ausrichtung an Outcomes, Performanzen und dem praktischen Allwendungstransfer könnte geschlussfolgert werden, dass in akademisch organisierten Lehr-Lern-Arrangements vermehrt der Fokus auf praktisches, performatives und interaktives Tun gelegt wird und der Körper der Akteur*innen selbst aktiv in Erscheinung tritt. Jedoch lässt sich nach wie vor eine »Tendenz zur Kognitivierung« (Seewald, 1996, S. 89; Spatz, 2015, S. 218f.) in der Hochschullehre konstatieren; und ferner ist die methodisch-didaktische Umsetzung noch weit von einem »body turn« entfernt (Gugutzer, 2006, S. 9f.; Sheets-Johnstone, 2009, S. 2f.). Diese »Körpervergessenheit« betrifft im Speziellen ebenso die kindheitspädagogische Praxis- und Ausbildungssituation: So konnte u.a. in der BiK Studie (BiK - Bewegung in der frühen Kindheit) nachgewiesen werden, dass Bewegung im Praxisfeld nur marginal verankert ist und sich Fachkräfte nicht ausreichend qualifiziert sehen, jenen Bildungsbereich kompetent zu vermitteln. Diese Ergebnisse geben zu bedenken, da der Körper explizit als eigenständiges Themenfeld im Bereich Bewegung in den Bildungs- und Orientierungsplänen der Länder ausgewiesen ist und insofern eine konstitutive Grundlage für die pädago-

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gisehe Praxis sowie für die Aus- und Weiterbildung bildet (Fischer, 2016, S. 9f.; Stahl-von-Zabern et al., 2016, S. 105f.). Dass der Körper in der Kindheitspädagogik lediglich am Rande behandelt wird, verwundert, wird ihm doch eine fundamentale Rolle für alle Entwicklungsdomänen zugeschrieben: In kognitiven als auch sozialen Lernprozessen sowie in der Bildung von Emotionen kommt ihm eine zentrale Bedeutung zu (Tarozzi & Francesconi, 20 17; Fischer, 2016, S. 9f. ). Die Praxis hinkt demzufolge den Forschungserkenntnissen hinterher. Die Trennung zwischen psychologischer und physiologischer Wirklichkeit, dem denkenden Geist und dem fühlenden Körper bleibt ein bis in die Gegenwartskultur hineinwirkender Gemeinplatz und prägt das dualistische Allgemeinverständnis (Hustvedt, 2018, S. 16). Aktuelle Erkenntnisse der Neurowissenschaft und Psychologie haben jedoch eindrücklich aufgezeigt, dass Kognitionen, Emotionen und Volitionen (Willensimpulse) verkörpert sind und »Embodiment« ohne sozialen und ökologischen Kontext, sprich ohne »embeddedness«, nicht möglich ist (Damasio, 1994, S. 128; Breyer, 2015, S. 42). Demnach ist auch Kompetenzentwicklung »embodied« und diese körperlichen Aspekte bzw. Erkenntnisse sollten curriculare Würdigung finden. Dabei steht es weniger im Fokus, Körperlichkeit und Bewegung als einen isolierten Gegenstands- und Bildungsbereich im kindheitspädagogischen Studium zu behandeln, vielmehr geht es darum, körperbezogene Entwicklungsthemen in bildungsbereichsübergreifender Perspektive zu betrachten und auszuarbeiten (Fischer, 2016, S. 9f.). Aufzuzeigen, inwiefern Tanz (hier speziell kreative/zeitgenössische Ansätze) als ästhetisches Medium mit all seinen verschiedenen Facetten hierzu einen Beitrag - sowohl für die Kinder als auch die Studierenden und werdenden pädagogischen Fachkräfte - leisten könnte, ist Ziel dieses Artikels. Hierfür wird zu Beginn der Körper und die Bedeutung von Tanz im Feld der Kindheitspädagogik in den Blick genommen, um daraufhin die Rolle von Bewegung und Tanz bei den pädagogischen Fachkräften zu skizzieren und schließlich zur methodischen Frage überzuleiten, wie ein systematischer Einbezug des Körpers am Beispiel Tanz im Hochschulkontext zu realisieren ist. Diese körperliche und leibliche Rahmung der Kompetenzorientierung geschieht zum einen vor dem Hintergrund der Anwesenheit des Körpers in allen pädagogischen Prozessen sowie der praktischen Notwendigkeit, Lernprozesse durch und über den Körper mittels Bewegung/Tanz in der frühen Kindheit anzubahnen und professionell zu begleiten.

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ZUR BEDEUTUNG DES KöRPERS UND DES TANZES IN DER KINDHEITSPÄDAGOGIK Im Vergleich zu früheren Generationen macht Tobin (2004) auf das Verschwinden des Körpers in der Kindheitspädagogik aufmerksam. »The decline of the body in early childhood education takes many fom1s: compared to a generation ago, young children are spending less time in the sandbox and more at the computer; they are less likely to sit on their teachers' lap or to be given a hug, to fingerpaint, dance, or run naked through a sprinkler, or to engage with their peers in physical interaction- of either the afte ctionate or rough-housing varieties.« (Tobin, 2004, S. 111)

Dieses zu beobachtende Alltagsphänomen deckt sich mit den Ergebnissen der zweiten Welle der KiGGS-Studie, welche aufzeigt, dass mehr als drei Viertel der Mädchen und zwei Drittel der Jungen in Deutschland zwischen drei und 17 Jahren die WHO-Bewegungsempfehlung verfehlen, sich mindestens 60 Minuten pro Tag körperlich aktiv zu bewegen. Die Prävalenz für das Erreichen der Bewegungsempfehlung nimmt dabei mit ansteigendem Alter beim weiblichen und männlichen Geschlecht zunehmend ab. Die Ergebnisse verdeutlichen, dass auch in formalen Bildungskontexten wie Kita und Schule eine Bereitstellung diverser Angebote der Bewegungsförderung notwendig erscheint (Finger, Vamaccia, Borrmann, Lange & Mensink, 2018, S. 28). Entwicklungspsychologisch und anthropologisch betrachtet, ist der erste Kontakt mit der umgebenden (Um-)Welt ein leiblicher und das Denken und Handeln bleibt lebenslang durch die fundierenden Schichten vergangener als auch aktuell wahrgenommener Empfindungen strukturiert und beeinflusst (Abraham, 2016, S. 24). In den ersten Lebensjahren stellen Mimik, körperlicher Ausdruck und Bewegung elementare präverbale Kommunikations- und Interaktionsmittel dar, um sich die Welt zu erschließen (Stern, 2007; S. Ixf. ; Schneider, Kopie & Jasmund, 2015, S. 36f.). »We constantly experience and express ourselves through our bodies, and children use their bodies to communicate even before they develop a verballanguage. The body is central in our etforts to create meaning and make sense of our experiences.« (Svendler Nietsen, 2009, S. 80)

Das symbolhafte Denken in Bewegung unterscheidet sich dabei von einem Denken in Worten, welches komplexe Erfahrungen oft nur unvollständig und zeitlich verzögert wiedergeben kann, denken wir beispiel sweise nur daran, wenn wir je-

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manden in die Augen blicken und damit Nähe herstellen oder wiederum Distanz vermitteln durch das Abwenden unseres Gesichts. Phänomene, die auch im Alltag ständig vorkommen, die subtil passieren und für die es keine Erklärungen bedarf. Der Körper »spricht« hier also schon für sich allein und teilt sich der Umwelt mit. »When we Iook at the infants and how they are caught up in thinking through movement and not in words, we realize that basic human concepts, such as »distance«, are tundamentally corporeal concepts, as our first experiences and thoughts about them were nonverbal.« (Bozic Yams, 2018, S. 56)

Ebenso kann die gezielte Verbindung von spielerischer Bewegungsaktion und Sprache dabei unterstützen, das anregende Moment der Bewegung in eine entwicklungsfördernde Struktur zu bringen. Zu denken ist hier beispielsweise an das Guck-Guck-Spiel, bei dem sich der Erwachsene zuerst versteckt und dann mit dem plötzlichen Ausruf »Guck, guck« wieder ins Gesichtsfeld des Kindes tritt. So ist die konstruktive Verbindung von Sprache und Bewegung nur ein Beispiel ftlr die wechselseitige Bereicherung und Durchdringung von Bildungsbereichen und sollte vermehrt in pädagogischen Interaktionen als »Gesamtpaket« begriffen und umgesetzt werden (McArdle & Wright, 2014, S. 31). Schon Piaget (1970) akzentuierte in seinen Ausführungen zur stufenförmigen Entwicklung den Zusammenhang von Greifen als konkretem Akt sensornotorischen Tuns und dem kognitiven Begreifen - welcher nicht nur ftlr die frühe Kindheit gilt, sondern für das ganze Leben Relevanz hat (Kontra, Goldin-Meadow & Beilock, 2012, S. 1f.). »Moreover, although our brains become relatively less malleable over time, the influence of action experience does not end after intimcy. Embodied etlects on cognition are prevalent throughout childhood and into adulthood as weil. The most compelling evidence tor this idea comes from research that strives to investigate a causallink between motor experience and subsequent changes in perception or other higher Ievel cognitive processes.« (Kontra, Goldin-Meadow & Beilocl,, 2012, S. 3)

Die Wechselwirkung motorisch-körperlicher und kognitiver Prozesse wird ebenso durch aktuelle Studien belegt (Jascenoka et al., 2018, S. 142ff.; Golding, Boes & Nordin-Bates, 2016, S. 239; Paul, 2014; Posner & Patoine, 2009) sowie durch Embodiment-Theorien!Embodied Cognition Ansätze unterstrichen (Shapiro, 2011, 2014; Fingerhut, Hufendiek & Wild, 2013, S. 9; Tschacher, 2015, S. 15; Breyer, 2015, S. 42). Embodiment-Theorien betonen den körperlichen Anteil an

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Wahrnehmung, Erkenntnis und Verständnis vor dem Hintergrund der biologischorganischen Verfasstheit des Körpers. Der Geist - so die Grundannahme der verkörperten Kognitionstheorie - ist die Basis der Triangulation aus Gehirn, Körper und Um weit (Tarozzi & Francesconi, 20 17). Obwohl wir heute die Wechselwirkungen zwischen Körper und Geist besser verstehen, werden nach wie vor beide als getrennte Einheiten aufgefasst; es dauert oft lang, ehe sich Paradigmen durchsetzen (Breyer, 2015, S. 41). Im Zuge der Embodiment-Diskurse wurden auch ftlr die Pädagogik praktische Implikationen formuliert: So werden in Bezug auf die pädagogische Umsetzungsebene Konzepte wie «embodied learning«, «embodied education« oder auch «embodied pedagogy« angeführt. «Embodied learning« ist als aktuelle Theorie des Lernens zu verstehen, welche auf Verkörperungstheorien aufbaut, den Körper als Vehikel in der pädagogischen Praxis bewusst nutzt und sich gleichermaßen auf verkörperte Prozesse bei der Lehrperson als auch bei den Lernenden bezieht (Smyrnaiou et al., 2016, S. 1; Dixon & Senior, 2011, S. 473; Rapport & Vaisman, 2005, S. 3). Das Konzept »embodied learning« erkennt den Körper also als Grundlage und Medium für jegliche Lernprozesse an und nimmt ihn im Anschluss an die leibphänomenologischen Ausftlhrungen Merleau-Pontys nicht nur als Objekt und Instrument in den Blick (»body as object«), sondern begreift den Leib ebenso als Ausdruck der Körperidentität (»the lived body«). Die Unterscheidung zwischen Körper und Leib soll dabei nicht neue Gräben eröffnen, sondern vielmehr daftlr sensibilisieren, dass der Körper in der Pädagogik gleichermaßen von außen nach innen als auch von innen nach außen erfahren werden kann, der Körper also in einer Dritten-Person-Perspektive als auch einer Ersten-Person-Perspektive als Medium der Welterschließung fungiert. Dieses breit angelegte »Körperspektrum« sollte im pädagogischen Feld in seiner Komplexität und Differenzierung genutzt werden (Francesconi & Tarozzi, 2012, S. 276f.). So kann der Körper im Tanz vorgegebene Bewegungssequenzen imitieren und somit das eigene Bewegungsspektrum erweite1t werden, er kann sensibel erspürt oder auch anhand von explorativen Improvisationsaufgaben kreativ erlebt und gestaltet werden. Tanzbezogene Allgebotsformate können als konkrete Umsetzungsform von »embodied learning« verstanden werden, wenn sie das Lernen mit und über den Körper in den Mittelpunkt stellen (Anttila, 2015, S. 79; Fraleigh, 2004, S. 31; Kipling Brown, 2015, S. 144). Ernhoclied learning bzw. eine phänomenologisch orientierte Pädagogik ist demnach primär an dem Lernen von (körperlichem) Gewahrsein (»bodily consciousness«) interessiert als an einem leistungsorientierten Gehirn bzw. Körper (Francesconi & Tarozzi, 2012, S. 264f.). Tanz gehört traditionell zu den Inhaltsbereichen und Methoden der Elementarerziehung (Müller-Speer, 1995, S. 309). Verschiedene Pilot- und Modellpro-

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jekte wurden in den letzten Jahren mit Kindem in Kindertageseinrichtungen initiiert und realisiert (z.B. KitaTanz; vgl. Westphal 2009), die Potenziale sind jedoch sowohl in der Praxis als auch in der Forschung längst noch nicht ausgeschöpft (Reinwand, 2012, S. 800). Die Chance von Tanz im Kontrast zu Bewegung allgemein liegt in dieser hier entfalteten Sichtweise von Tanz in seiner ästhetischen Verortung. In einem an ästhetischer Bildung (im Sinne von »aisthesis«, d.h. mit Fokus auf die sinnliche Wahrnehmung) orientiertem Verständnis von Tanzvermittlung werden Bewegung, Spiel und (künstlerischer) Ausdruck dabei sinnstiftend miteinander kombiniert. Im Gegensatz zur Schule bleibt ästhetisches Lernen in Kindertageseinrichtungen dabei frei von Leistungs- und Zeitdruck (Pietsch, 2016, S. 7). Im frühkindlichen Bereich liegt der Schwerpunkt der Tanzerziehung primär in der Unterstützung der »natürlichen« Spiel- und Bewegungsbedürfnisse des Kindes und weniger in der Vermittlung einer speziellen stilistischen Form und wird durch eine vielseitige, polyästhetische (mehrere Sinneswahrnehmungen anregende), rhythmisch-musikalische Methodik realisiert (Stinson, 1990, S. 35; Fleischle-Braun, 2012, S. 587; FleischJe-Braun & Weiler, 2013, S. 155; Behrens, 2014, S. 63; Ellermann, Flügge-Wellenberg & Martin, 2010, S. 33). »Children move naturally. They move to achieve mobility, they move to express a thought or feeling, and they move because it is joyful and feels wonderful. When their movement becomes consciously structured and is performed with awareness for its own sake, it becomes dance.« (National Dance Education Organization, 2011 , S. 7)

Von Bedeutung für die Entwicklung grundlegender Bewegungsfertigkeiten und Darstellungsmöglichkeiten sind dabei eine prozessorientierte Herangehensweise, das Finden des richtigen Maßes zwischen Freiheit und Struktur, die explorative Auseinandersetzung mit den Bewegungsparametern (Raum, Zeit, Schwerkraft) und den Grundfortbewegungsarten (Springen, Hüpfen, Rollen) sowie der Einbezug »widerständiger« Materialien und Objekte, welche die Sinne und die Kreativität anregen (Fritsch, 2001, S. 37; FleischJe-Braun & Weiler, 2013, S. 156). Motorische Fertigkeiten beziehen sich in diesem Alter auf die Entwicklung von Balance, Kraft, Beweglichkeit und Koordination. In den Jahren zwischen drei und sechs spielen Bewegungen mit hohem Energielevel als auch sich wiederholende Bewegungsphasen, die ebenso Ruhe miteinschließen, eine Rolle. Pädagogische Fachkräfte sollten Gelegenheitsräume für die soziale und emotionale Entwicklung schaffen, indem sie den Kindem Möglichkeiten zur Verfügung stellen, ihre Gefühle durch Tanz anhand von Geschichten oder Bildern auszudrücken. Gemeinsam mit einem Partner/ einer Partnerin zu tanzen und auch anderen

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Bewegungen im Sinne mimetischen Lernens zu folgen, hilft dabei, soziale Ordnungen zu verstehen und soziale Kompetenzen zu fördern (Wulf, 2010, S. 34). Die Verwendung von Bewegungsqualitäten in Verbindung mit Bildern (schmelzen, einfrieren (»freeze«)) regt das Bewusstsein und die Phantasie der Kinder an. Auf kognitiver Ebene wird die Gedächtnisentwicklung als auch das räumliche Bewusstsein (oben-unten, vorn-hinten) gefördert. Durch nachträglich angeleitete Reflexionen können die Kinder ihre Eindrücke zu den Bewegungserfahrungen mitteilen und bewusst(er) machen. Die Schaffung der Bedeutung durch Bewegung und Tanz(-kunst) ist zentraler Punkt eines ästhetischen Entwicklungsprozesses (Frederiksen, o.J., S. 4ff.; The College Board, 2012, S. 9ff.). »Dance in early childhood provides concrete experiences in which children become more aware ofthe movement they see in their world, try it on for themselves, and notice how it teels.« (Stinson, 1990, S. 35)

Tanz ist nicht nur in der Lage, tanzimmanente Fertigkeiten zu fördern, sondern nimmt weitere Lebenskompetenzen in den Blick, wie kreativ zu denken und Probleme zu lösen, Kontakte mit Peers eingehen zu können und Vertrauen aufzubauen. »When children are provided with creative movement problems that involve the selection of movement choices, they learn to think in the concrete reality of movement Thus, learning the art of dance helps young children develop knowledge, skill, and understanding about the world.« (National Dance Education Organization, 2011, S. 8)

Durch die sinnlich-schöpferische und kreative Auseinandersetzung mit abstrakt erscheinenden Konzepten wie »Körperformen« (shapes), erkennen Kinder ganz und gar körperlich, dass sie sich (ver-)formen, sich mit Kraft und Leichtigkeit bewegen oder verschiedenste Wege finden können, um Hindernissen auszuweichen. Am Beispiel Tanz kann kreativ und explorativ erprobt werden, wie verschiedenartig dem eigenen Körper und der Umwelt begegnet werden kann und somit die eigene Handlungsfahigkeit unterstützt und erweitert werden (Stinson, 1990, S. 35ff.). Ein solches hier dargelegtes Tanzverständnis wird zumeist mit dem Konzept des Kreativen Tanzes verbunden, welches durch Rudolfvon Laban maßgeblich geprägt wurde. Labans Ausführungen haben dabei international Einfluss im Kontext der vorschulischen und schulischen Würdigung von Tanz genommen (Vogel, 2010; Butterworth, 2012, S. 168f.). Kreativer Tanz setzt im Kontrast zu anderen Tanzformen keine spezifischen Kenntnisse voraus. Primäres Ziel ist es, dass die Kinder lernen, durch das Medium Tanz ihre Geftlhle und

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Gedanken körperlich auszudrücken und kommunizieren zu können (Bergmann, 1995, S. 157). Weiterhin wurden positive Auswirkungen des Kreativen Tanzes im Kindesalter in Studien bestätigt: So zeigte u.a. die Untersuchung von Lobo und Winsler (2006) auf, dass Vorschulkinder, die an einem achtwöchigen kreativen Tanzprogramm partizipierten, ihre allgemeine Sozialkompetenz verbesserten und weniger Internalisierungsprobleme (z.B. Depression, Angst) und weniger Externalisierungsverhalten (z.B. Aggression) aufwiesen als die Kontrollgruppe, in der die Kinder freies Spiel hatten. Insgesamt steht der Nachweis über die empirische Evidenz kreativer Tanzangebote in Kindertageseinrichtungen in altersund geschlechtsspezifischer Perspektive weitestgehend noch aus (siehe auch Bonbright, Bradley & Dooling, 2013, S. 56; Winner, Goldstein & VincentLancrin, 2013 , S. 8). Die Orientierung an Standards und Lehr-Lern-Zielen, wie sie beispielsweise von der National Dance Education Organisation (2011) für den Elementarbereich veröffentlicht wurden, hilft pädagogischen Fachkräften und Tanzpädagog*innen dabei, Praxisangebote zu entwerfen, welche sich an der motorischen, emotionalen, sozialen und kognitiven Entwicklung orientieren. Standards liefern dabei ein konstruktives »Gerüst«, um zum einen die Breite und den Umfang des Lehrens und Lernens im Bereich Tanz zu definieren, zum anderen aber auch, um genügend Spielraum zu gewähren, um einen Ansatz zu entwickeln, der den institutionellen bzw. individuellen Möglichkeiten und Kompetenzen der Akteurinnen und Akteure am besten entspricht (Liu, 2012). Eine stimulierende Aufgabenstellung sollte demnach so konzipie1t sein, dass sie in eine »Zone« fällt, welche herausfordernd genug, aber nicht so schwierig ist, dass sie das Kind frustriert oder gar entmutigt. Bei der Nutzung innerer Bilder ist es wichtig, die Kinder in die Vorstellung hineinzuführen und ihnen Zeit zu geben, in die körperliche Nachempfindung zu kommen. Beispiele ftlr Aufgabenstellungen sind: »Welche Wege fallen dir ein (ganz langsam, ganz schnell) zu Boden zu gehen?«, »Wie kannst du größer werden, wenn du springst?«, »Wenn du dich ganz klein oder ganz groß machst, wasfühlst du da?«, »Wie bewegst du dich, wenn du richtig sauer/glücklich bist?«, »Wie würdest du dich bewegen, wenn du im Sturm spazieren gehst?«, »Stell dir vor, Du niest/hustet mit dem ganzen Körper oder einem Körperteil. Welche Bewegungenfallen Dir hierzu ein?«, »Bewege dich kraftvoll wie ein Elefant und dann wieder so leicht, als ob der Elefant auf einem Trampolin springt« oder »Stelle dir vor, es ist eiskalt draußen, der Frost hat Bäume und Gartenzäune eingehüllt. Jetzt überzieht er auch deinen Körper. Wie würdest du dich so bewegen?«. Diese Bewegungsaufgaben können durch den Einsatz von Musik in eine tänzerische Gestaltung gebracht, rhythmisiert und wiederholbar gemacht werden. Im Kontrast zur rein

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funktionalen Bewegungsausübung beinhaltet Tanz expressive Elemente (Bergmann, 1995, S. 159). Während andere Länder schon auf eine längere Tradition an etablierten Standards bzw. Curricula im Bereich Tanz zurückgreifen können, sind jene Diskussionen in Deutschland noch relativ neu. Hier lohnt sich also ein internationaler Blick auf tanzpädagogische Standards und Konzepte im vorschulischen Bereich, um die eigene Praxis zu bereichern.

BERÜCKSICHTIGUNG VON BEWEGUNG/TANZ IN DEN ORIENTIERUNGS- UND BILDUNGSPLÄNEN DER LÄNDER SOWIE IN DEN RAHMENLEHRPLÄNEN UND CURRICULA AUF FACHSCHUL-UND HOCHSCHULEBENE Da es kaum Literatur zum Stellenwert von Tanz in den Orientierungs- und Bildungsplänen der Länder sowie der inhaltlichen Verankerung in Ausbildungsplänen/Curricula zum Erzieher/ zur Erzieherin und zum Kindheitspädagogen/ zur Kindheitspädagogin gibt, erfolgt eine erste Annäherung der Berücksichtigung von Tanz auf konzeptueller Ebene über den allgemeineren Begriff der Bewegung. Bewegung - vorrangig unter der Bezeichnung »Körper, Bewegung und Gesundheit« - ist in allen 16 elementarpädagogischen Orientierungs- und Bildungsplänen der Länder verankert und liefert somit eine Basis fUr bewegungsorientierte Bildungs- und Entwicklungsförderung (Schneider, Kopie & Jasmund, 2015, S. 14; Zimmer, 2013, S. 594). Trotz der normativen Verankerung ließen sich in der BiK-Studie deutliche Differenzen zwischen curricularen Vorgaben und dem Bewegungsverständnis pädagogischer Fachkräfte ausmachen: Zwar erscheint pädagogischen Fachkräften sowie Hochschul- und Fachschullehrenden Bewegung als »Medium der Entwicklungsforderung« (Unterstützung der emotionalen, sozialen und kognitiven Entwicklung sowie der Persönlichkeitsentwicklung) bedeutsam, doch wird »Bewegung als Lernprinzip« (Verknüpfung mit anderen Bildungsbereichen, bewegtes handlungsorientiertes Lernen) oder »Bewegung als Bildungsgegenstand« (Verftlgbarkeit über ein breit gefächertes Bewegungsrepertoire) kaum akzentuiert (Schneider, Kopie & Jasmund, 2015, S. 14; Stahl-von-Zabern et al., 2016, S. 113f.). Darüber hinaus ist auch in den Bildungsplänen bislang nicht das gesamte Spektrum der Bedeutungsdimensionen von Bewegung aufgeführt: So werden salutogenetische/ressourcenorientierte Zugänge zu Bewegung sowie ein Verständnis von Bewegung als persönlichkeitsbildende Variable kaum berücksichtigt. Beide Aspekte werden jedoch von

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den pädagogischen Fachkräften selbst herausgestellt (Krus, 2018, S. 21f.; Bahr, Stahl von Zabem & Zabern, 2016, S. 141f.). Bewegung wird zwar prinzipiell in allen Bildungsplänen benannt, jedoch mit unterschiedlichen Begründungszusammenhängen und einem eindeutigen Schwerpunkt auf motorische F e11igkeiten (Bahr, Bebrens & Fischer, 2016, S. 33). Weiterhin wird deutlich, dass der Bildungsbereich Bewegung dabei überwiegend alltagstheoretisch, jedoch kaum bildungstheoretisch oder wissenschaftlich reflektiert wird (Bahr & Fischer, 2016, S. 84). Eine effektive und vielschichtige Realisierung von Bewegungsangeboten in Kindertageseinrichtungen benötigt prospektiv gesehen eine verstärkte Berücksichtigung der Spannbreite - so unter anderem auch eine ästhetische Perspektive auf Bewegung - sowohl in den Bildungsplänen als auch in den Fachschul- und Hochschulcurricula (Bahr & Fischer, 2016, S. 101f.). Insbesondere für die bewegungsorientierte Bildungsarbeit mit Kindern unter drei Jahren besteht großer Qualifizierungs- und Weiterbildungsbedarf der Fachkräfte (Wodzicki, 2010, S. 6). Die Anbahnung von Kompetenzen im Bereich Bewegung sollte dabei nicht nur theoretisch erfolgen, sondern einen hohen Selbsterfahrungsanteil aufweisen. Im Rahmen qualitativer Erhebungen in der BiK-Studie konnte nachgezeichnet werden, dass insbesondere die individuelle Haltung und Einstellung zu Bewegung auf Basis (bewegungs-)biographischer Erfahrungen das pädagogische Handeln prägen und nicht nur die fachliche Qualifizierung (Bahr, Stahl von Zabern & Zabern, 2016, S. 143; Krus, 2018, S. 28). Während Psychomotorik als praktischer Ansatz in einigen Ausbildungsplänen benannt wird, ist Tanz demgegenüber zumeist kein ausgewiesener eigener Bildungsbereich, sondern wird vorrangig als Querschnittsthema oder als Teilaspekt musikalisch-rhythmischer Ausbildungsinhalte aufgeführt (Bahr & Fischer, 2016, S. 89; Fleischle-Braun & Weiler, 2013, S. 161; Behrens, 2014, S. 64). Ein primär ästhetisches Bewegungsverständnis findet in den Ausbildungsinhalten der schulischen Ausbildung zum*zur Erzieher*in als auch auf Hochschulebene kaum und wenn nur im Wahlbereich Beachtung (Wodzicki, 2010, S. 72; Reinwand, 2013, S. 582). Dabei bietet das hier dargestellte Verständnis von Tanz als »embodied leaming« Optionen, »Bewegung als Bildungsgegenstand« (Erweiterung des Bewegungs- und Ausdrucksrepertoires) sowie als »Lernprinzip« (Verbindung zu anderen Lernbereichen) unter ästhetischen, expressiven und kreativen Gesichtspunkten zu entfalten.

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KOMPETENZEN PÄDAGOGISCHER FACHKRÄFTE IM BEREICH TANZ Neben der angedeuteten konzeptuell-inhaltlichen Ebene ist es ebenso von Bedeutung, wie die pädagogischen Fachkräfte selbst zu ihrem Körper bzw. zu Bewegung/Tanz stehen und über welche Kompetenzen sie im Bereich Tanz verfUgen (sollen). Bislang schätzen Erzieher*innen ihre Kompetenzen im Bereich tänzerischer/ästhetischer Bildung laut der Studie »Kita Tanz« von Westphal (2009, S. 12) als gering ein. Um ein qualitätsvolles, kindgerechtes, facettenreiches Tanzangebot flächendeckend in Kindertageseinrichtungen zu etablieren, ist es erforderlich, sowohl durch Top Down-Strategien (z.B. strukturelle Fördermaßnahmen) als auch Bottom Up-Initiativen (z.B . die Qualifizierung des Personals) das Praxis- und Ausbildungsfeld zu unterstützen (Fleischle-Braun & Weiler, 2013, S. 153f.). Neben dem erforderlichen Bedarf an tänzerischen Qualifizierungsformaten gilt es ebenso, Überlegungen anzustellen, inwiefern eine Kooperation zwischen Tanzkünstler*innen und pädagogischen Fachkräften ein tragfähiges Format ftlr die jeweilige Einrichtung wäre. Einzelne Projektinitiativen geben Hinweise zur Ausgestaltung dieser Bündnisse zwischen Kunst und Pädagogik (Westphal, 2012, S. 3). Unabhängig von der Frage, wer nun genau tanzkünstlerisch oder tanzpädagogisch mit Kindern in Kindertageseinrichtungen arbeitet, sollten pädagogische Fachkräfte im Rahmen ihrer Hochschulausbildung mit verschiedenen elementaren Bewegungsansätzen und Konzepten in Berührung kommen, um sich mit ihrem eigenen Körper im Kontext pädagogischer Lernprozesse gezielt zu beschäftigen und auseinanderzusetzen. Vor dem Hintergrund einer hier dargelegten Stärkung des Tanzes in der hochschulischen Ausbildung steht dabei nicht im Zentrum, werdende Kindheitspädagog*innen zu professionellen Tanzpädagog*innen auszubilden. Vielmehr geht es darum, ihnen Zugänge und Handlungsweisen aufzuzeigen, um sie in die Lage zu versetzen, eine ästhetisch orientie1te Bewegungs- und Körperpraxis bei Kindern anregen zu können und selbst einen Zugang zu ihrer Körperlichkeit in biographischer als auch berufsbiographischer Perspektive zu entwickeln. Die a) biographische Bedeutung sowie die b) methodisch-didaktische Ebene einer professionellen Körper- und Bewegungspraxis sollen folgend genauer beleuchtet werden.

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Körperorientierte Kompetenzentwicklung vor dem Hintergrund biographischen Gewordenseins: Wie stehen die Fachkräfte selbst zu ihrem Körper? Horstkernper (2009, S. 9) stellt pointiert heraus, dass in allen Berufen, in denen die eigene Person selbst das wichtigste Werkzeug ist, der reflektierte Umgang mit dem eigenen Körper wie auch die sensible Wahrnehmung der Körperlichkeit der jeweiligen Interaktionspartner*innen zu den Grundvoraussetzungen professionellen Verhaltens gehören. Bevor pädagogische Fachkräfte in der Praxis agieren, stellt sich also die dringliche Frage, wie die Akteurinnen und Akteure selbst zu ihrem Körper stehen und welche Bewegungs- respektive Tanzbiographie sie mitbringen. Nur durch eine kontinuierliche Selbst- und Prozessreflexion ist Professionalisierung zu realisieren (Nentwig-Gesemann et al., 2011, S. 20). Geschieht diese kritisch-reflexive Auseinandersetzung mit der eigenen Körperlichkeit und der eigenen Bewegungsbiographie nicht, läuft die Fachkraft Gefahr, Opfer des eigenen Sozialisationsprozesses zu werden und selbst erlebte Körperpraktiken unreflektie1t zu wiederholen (Schneider, Kopie & Jasmund, 2015, S. 73). In einer qualitativen Studie zum Bewegungsverständnis bei Erzieherinnen und Erziehern zeigt Hunger (2000, S. 230) auf, wie sich sozio-biographische Prägungen und motivationale Einstellungen im Bereich Bewegung und Sport auf die erzieherischen Handlungsorientierungen in der Bewegungspraxis auswirken. Ähnliche Ergebnisse finden sich in Studien bei Primarfachkräften, speziell im Bereich Tanz: In der Analyse von Schlüsselfaktoren, welche das Selbstverständnis, Tanzkunst in der Grundschule unterrichten zu können, beeinflussen, kam Rolfe (2001) zu dem Ergebnis, dass die persönlich erlebten Tanzerfahrungen, d.h. der persönliche Hintergrund und die biographisch geprägten Erfahrungen mit Tanz, der entscheidendste Faktor war (siehe auch Calderhead, 1988). Weiterhin fanden Carney und Chedzoy ( 1998) heraus, dass wenn Grundschullehrer*innen eine negative Einstellung in Bezug auf Tanz mitbringen, welche in Verbindung mit vorherigen Erfahrungen steht, sich diese ebenso negativ auf ihre Überzeugung niederschlägt, Tanz unterrichten zu können. Ebenso haben negative Einstellungen Einfluss auf das »Sich-Einlassen können« aufTanz im Rahmen des Studiums. Aus diesem Grund sind praxisbezogene, effektive und langandauernde Erfahrungen in der Hochschulausbildung elementar, um neue Bewegungserfahrungen vorherrschenden subjektiven Einstellungen gegenüberzustellen und (neu) zu überdenken. Bislang werden diese Aspekte von den Fachschulen und Hochschulen noch zu wenig gewürdigt und als Aufgabe betrachtet (Schneider, Kopie & Jasmund, 2015, S. 76). Aus hochschuldidaktischer Perspektive folgt hieraus die spannende wie schwierige Frage nach der Gestaltung von tänzeri-

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sehen Aneignungs-, Vermittlungs- und Reflexionsprozessen: Wie kann es vor dem Hintergrund der sozialen Genese der Studierenden gelingen, bildungsrelevante Situationen hervorzubringen, in denen die sozialen Formierungen im Bereich Tanz zum Ausgangspunkt und Lerngegenstand gemacht und Reflexionsprozesse angestoßen werden? (Stern, 2014, S. 61 ). Körperorientierte Kompetenzentwicklung vor dem Hintergrund methodisch-didaktischer Notwendigkeit: Welche Bewegungsangebote werden wie ins Spiel gebracht?

Sollen zukünftige Kindheitspädagog*innen über ästhetisch-expressive Bewegungsangebote (hier am Beispiel Tanz) mit Kindern in vorschulischen Institutionen komplexe - durch den Körper initiierte - Bildungsprozesse anregen und Kompetenzen anbahnen können, muss im Rahmen der hochschulischen Ausbildung verstärkt der Fokus darauf gelegt werden, wie sie selbst Tanz(bildung) explizit und implizit am eigenen Leib erfahren und jene Erfahrungen reflektieren und integrieren (Pietsch, 2014, 2019). Pädagogische Fachkräfte sollten deshalb die Möglichkeit bekommen, sich selbst auf ästhetische Erfahrungsprozesse einlassen zu können, zu experimentieren, zu gestalten und eigene tanzbezogene Aufgabenstellungen zu kreieren. Auf diese Weise verstehen die werdenden pädagogischen Fachkräfte am und mit dem eigenen Körper, was ästhetische Erfahrung und Bildung für sie selbst und folglich flir die Kinder bedeutet (Fritsch, 2001, S. 39; Bietz & Heusinger, 2010, S. 62). Dieses Nachsinnen über das individuell Bedeutsame im Bewegen ist essenziell, um jene Wahrnehmungsprozesse auch mit Kindern sensibel und vielschichtig anleiten und begleiten zu können. Stern (2011, S. 216ff.) differenziert hierzu mit Bezug auf Ahrens (2011) zwischen der »Exploration« und dem »Experiment« als zwei Modi der Weiterschließung. Dabei bezieht sich »Exploration« auf die weißen Flecken einer Landkarte, den unbekannten Raum. Bezogen auf den Gegenstandsbereich Tanz wäre dies z.B. die Erschließung einer neuen Tanzart oder die Aneignung von choreographischen Prinzipien im Sinne additiven Lernens. Im Kontrast dazu zielt das »Experiment« auf die Auseinandersetzung mit dem Bekannten im Sinne transformatarischer Bildung, indem bestehende Schemata, Muster oder Bewegungsweisen irritiert, erweitert und verändert werden, d.h. Umlernen stattfindet. Wichtige Elemente in diesem experimentellen Modus sind hierbei Improvisation, Gestaltung und Variation, aber auch Wiederholung, Nachahmung, Spiel, Verfremdung und Dekonstruktion (Klinge, 2016, S. 351). Im Tanz kann somit das Vertraute umgedeutet und neu interpretiert werden. Veränderte Wahrnehmungsweisen sowie alternative Handlungsformen können erfahren werden und

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Anlässe bereitstellen, das Nachdenken anzuregen, sodass es zu Umstrukturierungsprozessen kommen kann, die wiederum Auswirkungen auf die Praxis haben (Stenger, 2007, S. 62). »Mitgebrachte und eingefleischte Erfahrungen werden in Frage gestellt und am Körper aufgeworfen; sie werden sinnlich präsent und gehen damit in eine praktische, körpergebundene Reflexion uber.« (Klinge, 2016, S. 35 1)

Welche Körper-Kompetenzen sind hierfür erforderlich?

Eine ästhetisch orientierte Bewegungs- und Körperpraxis kann dabei unterstützen, das eigene körperliche Gewordensein zu hinterfragen, den Scheinwerfer auf die eigene Bewegungs- und Tanzbiographie zu richten und auch neue (positive) praktische Erfahrungen zu machen, die das eigene Bild vom Körper erweitern. Eine enge Verbindung zum Körper kann Studierende dabei unterstützen, mehr von innen nach außen zu agieren, ihre individuellen Empfindungen und Gefühle zu berücksichtigen, Wohlbefinden als auch Stress zu registrieren sowie die Vulnerabilität des Körpers anzuerkennen, seine Verletzlichkeit und seine Grenzen (Abraham, 2012, S. 14), sprich eine Art »somatische Wachsamkeit« in Bezug auf die eigene Gesamtbefindlichkeit als auch die der Anderen zu entwickeln (Eberlein, 2016, S. 244). »Körperlich Spüren zu können, ist unabdingbar für unsere Fähigkeit zur somatischen Interaktion, zu der Aufmerksamkeit, Spiegeln, Resonanz und Impulse gehören, uns an andere zu wenden, um Fürsorge zu erfahren, Bedürfnisse erfüllt zu bekommen und getröstet zu werden. [ ... ]Die gesamten Urformen von Kontakt, Aufeinander-Eingehen und Vertrauen entstehen in den tiefsten Schichten aufeinander abgestimmter Interaktionen. Um andere auf dieser Ebene bei ihrer Entwicklung zu begleiten, müssen wir zunächst einmal in der Lage sein, diese Zustände selbst spüren und uns in ihnen zu orientieren, bevor wir andere einladen können, >Mitzumusizieren