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German Pages 425 Year 2010
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1157
Von Martin W. Nell
Duncker & Humblot · Berlin
MARTIN W. NELL
Beurteilungsspielraum zugunsten Privater
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1157
Beurteilungsspielraum zugunsten Privater Die Übertragung der herkömmlichen Rechtsfigur auf das Verfahren regulierter Selbstregulierung im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV) zugunsten von Einrichtungen der freiwilligen Selbstkontrolle (EFS)
Von Martin W. Nell
Duncker & Humblot · Berlin
Die Hohe Juristische Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität zu München hat diese Arbeit im Jahre 2009 als Dissertation angenommen.
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© 2010 Duncker & Humblot GmbH, Berlin
Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 978-3-428-13280-5 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
Internet: http://www.duncker-humblot.de
In Dankbarkeit gewidmet meiner Mutter und meinem Vater sowie Ellen Nell und Maria Glas-Scha¨fers
Vorwort Die vorliegende Arbeit nimmt eine bislang spezifisch medienrechtliche Neuerung zum Anlass für einen Forschungsbeitrag, der den weitergehenden Anspruch verfolgt, möglichst allgemeingültige verwaltungs- und regulierungsrechtliche Erkenntnisse zu gewinnen. Der Beurteilungsspielraum zugunsten Privater wird als weitere Variante der regulativen Verwebung öffentlich-rechtlicher und privater Akteure grundlegend untersucht; dies beinhaltet die – ebenso grundlegende – inzidente Klärung klassischer verwaltungsrechtlicher Fragestellungen, insbesondere jene des „herkömmlichen“ Beurteilungsspielraums zugunsten der Verwaltung. Die Juristische Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München nahm diese Dissertation im August 2009 an, die mündliche Prüfung fand am 9. September 2009 statt. Die zitierte Literatur, Rechtsprechung und Gesetzeslage befinden sich auf dem Stand bei Abgabe der schriftlichen Arbeit, die im Juni 2008 erfolgte. Meinem Doktorvater Prof. Dr. Peter M. Huber danke ich aufrichtig dafür, dass ich ihn für die Betreuung des Promotionsthemas gewinnen konnte, er mir eine Integration in den Lehrstuhl ermöglichte, wie sie üblicherweise nur Mitarbeiter erfahren dürfen, und dafür, dass er mir durch seine treffenden Anmerkungen Anlass gab, die Arbeit entscheidend zu verbessern. Zu Dank verpflichtet bin ich ihm daneben für die eingehende Durchsicht der schriftlichen Arbeit; entsprechendes gilt für den Koreferenten PD Dr. Josef Aulehner. Ich danke nachdrücklich der Stiftung der Deutschen Wirtschaft, die mein Vorhaben mit einem großzügigen Stipendium gefördert und auf diese Weise zu einer wissenschaftlichen Untersuchung beigetragen hat, die in echter Unabhängigkeit von den betroffenen (privaten wie behördlichen) Institutionen entstehen konnte – insbesondere im Bereich der medien- und regulierungsrechtlichen Literatur keine Selbstverständlichkeit. Mein herzlicher Dank gilt den zahlreichen Menschen, die mir bei der Suche nach überzeugenden Lösungen geholfen haben, sei es durch die Überlassung von Materialien, mit informativen und kritischen Gesprächen oder mit der Durchsicht einzelner Kapitel des Entwurfs. Zweien von ihnen gebührt es, besonders hervorgehoben zu werden: Zunächst Henning Blaufuß, von dem ich in rechtlicher und auch in technischer Hinsicht stets uneingeschränkten Beistand erfuhr. Am meisten jedoch Carla Henker, deren unermüdliche und liebevolle Unterstützung juristisch wie menschlich jede andere überragte. Anlässlich des Abschlusses meiner rechts-, wirtschafts- und verwaltungswissenschaftlichen Ausbildung – die mich über Bayreuth, Palmerston North, Konstanz,
8
Vorwort
Mainz und Speyer nach München und somit zu den oberbayerischen Wurzeln meiner Familie geführt hat – will ich die wichtigsten Begleiter aus meinem ersten Lebensabschnitt in meiner Heimatstadt Sigmaringen nicht unerwähnt lassen: Ich danke meinen Eltern Walter und Irmengard Nell, meinem Bruder Peter Nell sowie meinen Ziehgroßeltern Traugott und Gertrud Schlegel für ihre liebevolle und stets wohlwollende Unterstützung sowie nicht zuletzt dafür, dass sie immer Verständnis für den aufwändigen Bildungsweg eines Akademikers fanden, obwohl sie allesamt in dem Alter, in dem ich mit dem Studium überhaupt erst beginnen konnte, bereits im Arbeitsleben zu stehen hatten. München, Oktober 2009
Martin W. Nell
Inhaltsübersicht Erster Teil Zum Inhalt dieser Arbeit
31
Zweiter Teil Das Konzept der regulierten Selbstregulierung
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A. Hinführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
34
B. Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
35
C. Theoretische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
44
D. Referenzgebiete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
52
E. Verwaltungsrechtliche Integration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
55
F. Verfassungsrechtliche Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
56
Dritter Teil Das Verfahren des JMStV
62
A. Hinführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
62
B. Gegenstand und Betroffene des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
64
C. Die Akteure des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
67
D. Das Verfahren ohne Einbeziehung der EFS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
90
E. Das Verfahren unter Einbeziehung der EFS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
91
F. Entscheidungen und Richtlinien gem. §§ 8, 9 Abs. 1 JMStV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
95
Vierter Teil Verwaltungsrechtliche Einordnung des Verfahrens des JMStV A. Das Verfahren des JMStV als ein Fall der regulierten Selbstregulierung . . . . . . . . . . . . .
98 98
B. Das Verfahren des JMStV als ein Fall der Beleihung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 C. Das Verfahren des JMStV als ein Fall der Privatisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 D. Das Verfahren des JMStV als ein Fall der Überwachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128
10
Inhaltsu¨bersicht Fünfter Teil Die herkömmliche Rechtsfigur des Beurteilungsspielraums zugunsten der Verwaltung
132
A. Hinführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 B. Die normative Ermächtigungslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 C. Die Rechtsprechung zur Verfassungsmäßigkeit des Beurteilungsspielraums und ihre Bedeutung für die normative Ermächtigungslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 D. Die Kritik an der normativen Ermächtigungslehre und eigene Stellungnahme . . . . . . . 156 E. Zur Bedeutung der Grundrechte für die normative Ermächtigungslehre . . . . . . . . . . . . . 194 F. Kriterien für die Annahme einer konkludenten normativen Ermächtigung . . . . . . . . . . . 202 G. Rechtspolitische Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 H. Konsequenzen bei Annahme eines Beurteilungsspielraums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 Sechster Teil Die Übertragung der herkömmlichen Rechtsfigur des Beurteilungsspielraums in den neuen Kontext 221 A. Vorbemerkung zur Bedeutung der Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 B. Zum „Ob“ der Übertragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 C. Zum „Wie“ der Übertragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 D. Instruktive Beispielsfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 Siebenter Teil Der Inhalt der neuen Rechtsfigur des Beurteilungsspielraums zugunsten Privater – ein Zwischenergebnis
246
Achter Teil Einfach-rechtliche Konsequenzen des Beurteilungsspielraums zugunsten der anerkannten EFS
250
A. Konsequenzen für die originären Kompetenzen der KJM . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 B. Konsequenzen für die Kompetenzabgrenzung zwischen Behörden und anerkannten EFS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 C. Konsequenzen für das Verwaltungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 D. Konsequenzen für den Verwaltungsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276
Inhaltsu¨bersicht
11
E. Konsequenzen für das materielle Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 F. Konsequenzen für die Ahndung von Ordnungswidrigkeiten und Straftaten . . . . . . . . . . 309 Neunter Teil Verfassungsrechtliche Bewertung
315
A. Der Beurteilungsspielraum zugunsten Privater als solcher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 B. Institutionelle Vorgaben für das Verfahren des JMStV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 C. Abwehrrechtliche Vorgaben für das Verfahren des JMStV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 D. Zur formellen Verfassungsmäßigkeit des JMStV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346 Zehnter Teil Rechtspolitische Bewertung
351
A. Hinführung und Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 B. Rechtspolitische Bewertung des Verfahrens des JMStV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 C. Zur Übertragung des Verfahrens auf neue Referenzgebiete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394 D. Abschließende Bewertung des Beurteilungsspielraums zugunsten Privater als Instrument regulierter Selbstregulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 405 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 422
Inhaltsverzeichnis Erster Teil Zum Inhalt dieser Arbeit
31
Zweiter Teil Das Konzept der regulierten Selbstregulierung
34
A. Hinführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
34
B. Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
35
I. „Regulierung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
35
1. Zur vielfältigen und widersprüchlichen Verwendung des Begriffs . . . . . . . . . .
35
2. Regulierung im Sinne der US-amerikanischen regulation . . . . . . . . . . . . . . . . . .
37
3. Regulierung im Sinne eines Oberbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
38
4. Regulierung im Sinne einer spezifischen Wettbewerbssicherung . . . . . . . . . . .
38
5. Regulierung im imperativen Sinne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
39
II. „Selbstregulierung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
39
III. „Regulierte Selbstregulierung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
40
IV. Abgrenzung der regulierten Selbstregulierung zu anderen Modellen . . . . . . . . . .
41
1. „Co-Regulierung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
41
2. Selbstverwaltung und Kondominialverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
42
3. Beleihung und Verwaltungshilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
42
V. Exkurs: Verortung der regulierten Selbstregulierung durch die verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
43
C. Theoretische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
44
I. Motive für eine Implementierung und erhoffte Vorteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
44
II. Gefahren einer Implementierung und befürchtete Nachteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
46
III. Potentielle Instrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
48
IV. Typologisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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14
Inhaltsverzeichnis
D. Referenzgebiete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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E. Verwaltungsrechtliche Integration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
55
F. Verfassungsrechtliche Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
56
I. Hinführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
56
II. Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
57
III. Staatliche Schutzpflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
58
IV. Demokratiegebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
59
V. Weitere potentiell relevante Verfassungsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
59
VI. Gemeinschaftsrechtliche Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Dritter Teil Das Verfahren des JMStV
62
A. Hinführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
62
B. Gegenstand und Betroffene des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Rundfunk und Telemedien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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II. Angebote und Anbieter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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III. Materiell-rechtlicher Maßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
67
C. Die Akteure des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
67
I. Die Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
67
1. Zusammensetzung, Sitz und Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
67
2. Untergliederungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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a) Prüfausschüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
68
b) Prüfgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
69
c) Arbeitsgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
69
d) „Jugendschutz.net“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
70
3. Exkurs: Die Stellung der KJM im Verhältnis zu den Landesmedienanstalten – nur oder auch „Organ“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
70
a) Hinführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
70
b) Das ausdrücklich normierte Verhältnis der KJM zu den Landesmedienanstalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
71
Inhaltsverzeichnis
15
c) Vergleich mit der Stellung der Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich (KEK) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
72
d) Stellung der KJM im Verwaltungsprozess bei Klage eines Anbieters gegen eine behördliche Maßnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
73
aa) Problemstellung und bisheriger Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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bb) Eigene Überlegungen und Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Unmöglichkeit der Prozessführung durch die KJM . . . . . . . . . . . . . (2) Notwendigkeit einer Problemlösung de lege lata . . . . . . . . . . . . . . . (3) Interpretation des JMStV über seinen Wortlaut hinaus . . . . . . . . . (4) Teilrechtsfähigkeit als Folge relativ hoher Eigenständigkeit . . . . (5) Die KJM als mögliche Beteiligte des Verwaltungsprozesses . . . . (6) Notwendigkeit der Beiladung der KJM . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
74 74 74 75 77 78 80
e) Ergebnis des Exkurses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
80
4. Anwendbares Verwaltungsverfahrensgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
80
5. Das Sonderproblem des Umlaufverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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a) Problemstellung und bisheriger Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
82
b) Eigene Überlegungen und Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
83
II. Die Einrichtungen der Freiwilligen Selbstkontrolle (EFS) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
85
1. Die EFS als eigenständige Subjekte des Privatrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
85
a) Subjekte des Privatrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
85
b) Eigenständige Subjekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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2. Die Anerkennung von EFS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
87
a) Die Voraussetzungen der Anerkennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
87
b) Die Folgen der Anerkennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
88
c) Die Aufhebung der Anerkennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
89
3. Die bisher tatsächlich anerkannten EFS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
89
a) Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen e.V. (FSF) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
89
b) Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia-Dienstanbieter e.V. (FSM) . . . . . .
89
D. Das Verfahren ohne Einbeziehung der EFS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
90
E. Das Verfahren unter Einbeziehung der EFS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Das Verfahren für Angebote des Rundfunks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
91
1. Unterscheidung nach der Vorlagefähigkeit von Angeboten . . . . . . . . . . . . . . . . .
91
2. Das Verfahren für vorlagefähige Angebote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
92
16
Inhaltsverzeichnis 3. Das Verfahren für nicht vorlagefähige Angebote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
93
4. Das Verfahren für vorlagefähige, aber nicht vorgelegte Angebote . . . . . . . . . .
93
II. Das Verfahren für Angebote der Telemedien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
95
F. Entscheidungen und Richtlinien gem. §§ 8, 9 Abs. 1 JMStV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
95
Vierter Teil Verwaltungsrechtliche Einordnung des Verfahrens des JMStV
98
A. Das Verfahren des JMStV als ein Fall der regulierten Selbstregulierung . . . . . . . . .
98
I. Prinzipielle Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
98
II. Resultierende Chancen und Risiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
99
III. Kategorisierung anhand der eingesetzten Instrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 IV. Zur rechtspolitischen Forderung nach zusätzlichen Instrumenten . . . . . . . . . . . . . . 100 1. Abgestufte Sanktionen gegenüber EFS? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 2. Institutionalisierte Beschwerden? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 3. Meldepflichten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 V. Andere medienrechtliche Kontrollsysteme im Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 1. Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 2. Verfahren zum Schutz der Jugend im öffentlich-rechtlichen Rundfunk . . . . . 103 3. Deutscher Presserat e.V. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 4. Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft GmbH (FSK) . . . . . . . . . . . . . . . 104 5. Deutscher Werberat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 6. Überwachung privater elektronischer Medien in Australien . . . . . . . . . . . . . . . . 107 B. Das Verfahren des JMStV als ein Fall der Beleihung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 I. Vorbemerkung zur Bedeutung der Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 II. Das Rechtsinstitut der Beleihung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 1. Rechtliche Stellung des Beliehenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 2. Die Qualifizierung einer gesetzlichen Regelung als Beleihung . . . . . . . . . . . . . 111 a) Der Standpunkt der Aufgabentheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 b) Der Standpunkt der Befugnistheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 c) Eigene Überlegungen und Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113
Inhaltsverzeichnis
17
3. Resultierende Abgrenzung der Beleihung von benachbarten Rechtsinstituten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 a) Abgrenzung von der Verwaltungshilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 b) Abgrenzung von der faktischen Beleihung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 c) Abgrenzung von der gesetzlichen Indienstnahme Privater . . . . . . . . . . . . . . 116 III. Die anerkannten EFS als Beliehene? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 1. Beleihung hinsichtlich pauschal aller Tätigkeiten der EFS? . . . . . . . . . . . . . . . . 117 a) Bisherige Vorschläge aus der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 b) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 2. Beleihung hinsichtlich des Erlasses von Richtlinien und Einzelfallentscheidungen gem. §§ 8, 9 Abs. 1 JMStV durch die EFS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 a) Bisherige Vorschläge aus der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 b) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 3. Beleihung hinsichtlich der Tätigkeiten der EFS im Übrigen? . . . . . . . . . . . . . . 120 a) Bisherige Vorschläge aus der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 b) Eigene Überlegungen und Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Zur Bedeutung der Anerkennung gem. § 19 Abs. 3 JMStV . . . . . . . . . bb) Zur Bedeutung expliziter gesetzlicher Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Zur Bedeutung des Vergleichs mit akkreditierten Stellen und Sachverständigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Zur Bedeutung der historischen Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Zur Bedeutung der Unverbindlichkeit der Entscheidung . . . . . . . . . . . . ff) Zur Bedeutung der Freiwilligkeit der Teilnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
121 121 121 122 124 124 125
4. Schlussfolgerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 C. Das Verfahren des JMStV als ein Fall der Privatisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 I. Zu den verschiedenen Formen der Privatisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 II. Einordnung des Verfahrens des JMStV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 D. Das Verfahren des JMStV als ein Fall der Überwachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 I. Zur Dichotomie von Überwachung und Aufsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 II. Einordnung des Verfahrens des JMStV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130
18
Inhaltsverzeichnis Fünfter Teil Die herkömmliche Rechtsfigur des Beurteilungsspielraums zugunsten der Verwaltung
132
A. Hinführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 B. Die normative Ermächtigungslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 I. Grundlegender Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 II. Fallgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 C. Die Rechtsprechung zur Verfassungsmäßigkeit des Beurteilungsspielraums und ihre Bedeutung für die normative Ermächtigungslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 I. Hinführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 II. Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 1. Vorbemerkung zur Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 2. Inhaltliche Entwicklung bis Ende der 1970er-Jahre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 3. Inhaltliche Entwicklung seit Anfang der 1980er-Jahre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 4. Bewertung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung und ihrer Rezeption durch Literatur und Verwaltungsgerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 III. Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 1. Inhaltliche Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 2. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 IV. Schlussfolgerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 D. Die Kritik an der normativen Ermächtigungslehre und eigene Stellungnahme . . 156 I. Vorbemerkung zu den Ursachen der Unübersichtlichkeit des Streitstands . . . . . . 156 II. Kritik an der Annahme einer Ermächtigung und an den Fallgruppen . . . . . . . . . . 159 1. Inhalt der Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 2. Eigene Überlegungen und Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 III. Kritik an der Unterscheidung von Beurteilungsspielraum und Ermessen . . . . . . . 163 1. Inhalt der Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 2. Eigene Überlegungen und Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 a) Zur Unterscheidung von terminologischer und inhaltlicher Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 b) Zur Unterscheidung von Tatbestands- und Rechtsfolgenseite . . . . . . . . . . . 166
Inhaltsverzeichnis
19
c) Zu den Praktikabilitätserwägungen und der europäischen Perspektive . . 168 d) Schlussfolgerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 IV. Kritik an der Interpretation von Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 1. Rekurs: Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG in der normativen Ermächtigungslehre . . 170 2. Bedeutung der Fragestellung und aktueller Forschungsstand . . . . . . . . . . . . . . . 171 3. Inhalt einzelner Kritikpunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 a) Alternative Interpretation des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG als Gebot „optimalen“ Rechtsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 b) Verneinung der Ausnahmefähigkeit des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG . . . . . . aa) Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Lehre Maurers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Die Lehre Iblers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
173 173 174 174
c) Verneinung der Vermutung zugunsten vollumfänglicher gerichtlicher Überprüfbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 4. Eigene Überlegungen und Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 a) Vorbemerkung zur Unterscheidung von Prozessformalitäten und Beurteilungsspielraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 b) Das Gebot der vollumfänglichen Überprüfung als Element des Gebots effektiven Rechtsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG als Gebot gerichtlichen Rechtsschutzes . . bb) Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG als Gebot effektiven Rechtsschutzes . . . . . . cc) Vollumfänglichkeit der Überprüfung als Beitrag zur Effektivität . . . . dd) Relativität des Gebots der Vollumfänglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zur Lehre Maurers – „Sachlich unüberwindbare Grenzen“ als alleinige Ausnahme? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Kein Schluss von der Vorbehaltlosigkeit auf die Ausnahmslosigkeit bb) Kein Schluss vom sachlichen Unvermögen auf das rechtliche Dürfen und Müssen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Fehlende Stringenz bei den Fallgruppen „sachbedingter Ausnahmefälle“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Möglichkeit des einfachen Gesetzgebers zur originären Schaffung eines „sachbedingten Ausnahmefalls“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
177 177 178 178 178 179 179 179 180 181
d) Die Vermutung zugunsten der vollumfänglichen gerichtlichen Überprüfbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 e) Vorgeschlagene verfassungsrechtliche Rechtfertigungsgründe für eine Ausnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 aa) Alternative Möglichkeit der Ermessenseinräumung als Rechtfertigung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 bb) Funktionsgrenzen der Rechtsprechung im Sinne erhöhter tatsächlicher Schwierigkeiten als Rechtfertigung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184
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Inhaltsverzeichnis cc) Funktionsgrenzen der Rechtsprechung im Sinne funktionellrechtlicher Gewaltenteilung als Rechtfertigung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) „Richtigkeit“ als Rechtfertigung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Staatsferne als Rechtfertigung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Funktionsfähigkeit der Verwaltungsgerichtsbarkeit als Rechtfertigung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . gg) Funktionsfähigkeit der Verwaltung als Rechtfertigung? . . . . . . . . . . . .
185 186 188 189 189
f) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 g) Zur Lehre Iblers – Theoretisch mögliche, aber praktisch ausgeschlossene Ausnahmen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 h) Mittelbare verfassungsrechtliche Rechtfertigung über den Weg des materiellen Rechts – Der Beurteilungsspielraum als vorgelagerte Frage . . . . . . . 191 i) Schlussfolgerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 V. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 E. Zur Bedeutung der Grundrechte für die normative Ermächtigungslehre . . . . . . . . 194 I. Hinführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 II. Grundrechte als Argument gegen einen Beurteilungsspielraum . . . . . . . . . . . . . . . . 195 III. Grundrechte als Argument für einen Beurteilungsspielraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 IV. Differenzierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 V. Eigene Überlegungen und Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 1. Angreifbare Heranziehung der Freiheitsgrundrechte gegen einen Beurteilungsspielraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 2. Angreifbare Heranziehung von Art. 3 Abs. 1 GG für einen Beurteilungsspielraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 3. Angreifbare Differenzierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 4. Schlussfolgerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 F. Kriterien für die Annahme einer konkludenten normativen Ermächtigung . . . . . 202 I. Bisherige Ansätze in Rechtsprechung und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 1. Hinführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 2. Beispiele und deren Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 a) Prognoseabhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 b) Komplexität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 c) Wertungsabhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 d) Besondere Gremien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 e) Schlussfolgerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204
Inhaltsverzeichnis
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II. Eigener Vorschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 1. Vom Gesetzgeber gewollte Exklusivität der Entscheidungszuständigkeit als zentraler Anknüpfungspunkt der Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 2. Weisungsfreie Gremien als prototypischer Fall der gesetzgeberisch gewollten Exklusivität der Entscheidungszuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 3. Einbindung des Prüfungswesens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 4. Einbindung der Entscheidungen weisungsfreier Regulierungsbehörden . . . . 210 5. Einbindung von beamtenrechtlichen Beurteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 6. Einbindung einzelner Risiko- und verwaltungspolitischer Entscheidungen sowie der Planung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 III. Zur Bedeutung explizit eingeräumter Beurteilungsspielräume für die Annahme konkludenter Einräumungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 G. Rechtspolitische Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 I. Aktueller Diskussionsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 II. Eigene Überlegungen und Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 H. Konsequenzen bei Annahme eines Beurteilungsspielraums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 I. Orientierung an der Ermessensfehlerlehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 II. Gerichtliche Überprüfung von Beurteilungsspielräumen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 Sechster Teil Die Übertragung der herkömmlichen Rechtsfigur des Beurteilungsspielraums in den neuen Kontext 221 A. Vorbemerkung zur Bedeutung der Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 B. Zum „Ob“ der Übertragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 I. Problemstellung – Ist die Rechtsfigur auf die neue Situation überhaupt anwendbar? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 II. Bisheriger Meinungsstand in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 1. Befürwortung einer Übertragbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 2. Skepsis gegenüber einer Übertragbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 3. Die Sondermeinung Bandehzadehs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 4. Die Sondermeinung Boschs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 III. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225
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Inhaltsverzeichnis
C. Zum „Wie“ der Übertragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 I. Problemstellung – In welchen Fällen ist die Überschreitung des Beurteilungsspielraums durch die EFS anzunehmen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 II. Entstehungsgeschichte von § 20 Abs. 3, 5 JMStV und amtliche Begründung . . 228 III. Bisherige Vorschläge aus der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 1. Zum Vorschlag von Hartstein / Ring / Kreile / Dörr / Stettner . . . . . . . . . . . . . . . 229 2. Zum Vorschlag von Cole . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 3. Zum Vorschlag von Erdemir . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 4. Zum Vorschlag von Scheuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 5. Zu vorgeschlagenen Vereinfachungen und Kurzformeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 IV. Eigener Vorschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 1. Konsequenzen des „herkömmlichen“ Beurteilungsspielraums als gedanklicher Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 2. Spezifizierung aufgrund besonderer Umstände des JMStV . . . . . . . . . . . . . . . . 235 3. Der Ablauf der Überprüfung durch die KJM . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 D. Instruktive Beispielsfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 I. „I want a famous face“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 1. Inhalt des Angebots und Verlauf des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 2. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 II. „Schönheitsoperationen zu Unterhaltungszwecken“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 1. Inhalt des Angebots und Verlauf des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 2. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 III. „Popetown“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 1. Inhalt des Angebots und Verlauf des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 2. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 IV. „Ein einsames Haus am See“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 1. Inhalt des Angebots und Verlauf des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 2. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 Siebenter Teil Der Inhalt der neuen Rechtsfigur des Beurteilungsspielraums zugunsten Privater – ein Zwischenergebnis
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Inhaltsverzeichnis
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Achter Teil Einfach-rechtliche Konsequenzen des Beurteilungsspielraums zugunsten der anerkannten EFS
250
A. Konsequenzen für die originären Kompetenzen der KJM . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 I. Eingreifen der KJM auch im „Normalfall“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 a) Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 b) Inhalt und Bewertung vorgeschlagener Begründungsansätze . . . . . . . . . . . . 251 aa) Abgestuftes Verhältnis zwischen KJM und EFS? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 bb) „Reservezuständigkeit“ der KJM bei „Anlegung deutlich falscher Maßstäbe“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 cc) Eingreifen im Einzelfall als Minus zum Widerruf? . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 dd) Verfassungsrang des Jugendschutzes als Eingriffsgrundlage für die KJM? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 c) Schlussfolgerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 II. Schlichtes Verwaltungshandeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 B. Konsequenzen für die Kompetenzabgrenzung zwischen Behörden und anerkannten EFS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 I. Hinführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 II. Erlass von Einzelfallentscheidungen gem. §§ 8, 9 Abs. 1 JMStV durch KJM und EFS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 1. Rechtliche Einordnung der Einzelfallentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 2. Rangverhältnis zwischen den von KJM und den von EFS erlassenen Einzelfallentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 III. Erlass von Richtlinien gem. §§ 8 Abs. 1; 9 Abs. 1 JMStV durch KJM und EFS
260
1. Rechtliche Einordnung der Richtlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 2. Rangverhältnis zwischen den von KJM und den von EFS erlassenen Richtlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 a) Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 b) Bisheriger Meinungsstand in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 c) Eigene Überlegungen und Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 3. Zusammenfassender Überblick zum Verhältnis von Richtlinien gem. §§ 8 Abs. 1; 9 Abs. 1 JMStV und Beurteilungsspielraum der EFS . . . . . . . . . . . . . . . 264 IV. Erlass von Richtlinien durch die Landesmedienanstalten und Beurteilungsspielraum der EFS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265
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Inhaltsverzeichnis V. Widerruf der Anerkennung gem. § 19 Abs. 5 Satz 1 Var. 2 JMStV . . . . . . . . . . . . 267 1. Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 2. Bisheriger Meinungsstand in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 3. Eigene Überlegungen und Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268
C. Konsequenzen für das Verwaltungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 I. Vorüberlegung zur Anwendbarkeit des VwVfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 II. Umfang der Pflicht der KJM zur Sachverhaltsermittlung von Amts wegen . . . . 271 III. Gesonderter Beschluss der KJM über die Feststellung der Überschreitung? . . . . 272 IV. Hinzuziehung der EFS zum Verwaltungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 1. Problemstellung und bisherige Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 2. Einfache Hinzuziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 3. Notwendige Hinzuziehung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 4. Wirkungen von Hinzuziehung und unterlassener Hinzuziehung . . . . . . . . . . . . 274 5. Zusammenfassung und Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 V. Zugänglichmachung von Entscheidungsbegründungen zugunsten der EFS . . . . 274 D. Konsequenzen für den Verwaltungsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 I. Beiladung der EFS bei Klagen des Anbieters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 1. Problemstellung und bisherige Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 2. Einfache Beiladung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 3. Notwendige Beiladung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 4. Wirkungen von Beiladung und unterlassener Beiladung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 5. Zusammenfassung und Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 II. Vorbemerkung zur Möglichkeit eigener Klagen der EFS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 III. Organstreitverfahren zwischen KJM und EFS? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 IV. Eröffnung des Verwaltungsrechtsweges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 1. Klagen des Anbieters sowie Klagen einer EFS auf Anerkennung . . . . . . . . . . . 280 2. Klagen der EFS gegen schlichtes Verwaltungshandeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 3. Klagen der EFS gegen die inzidente Behauptung der Überschreitung des Beurteilungsspielraums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 V. Klagebefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 1. Klagen des Anbieters sowie Klagen einer EFS auf Anerkennung . . . . . . . . . . . 281
Inhaltsverzeichnis
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2. Klagen der EFS gegen schlichtes Verwaltungshandeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 3. Klagen der EFS gegen die inzidente Behauptung der Überschreitung des Beurteilungsspielraums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 VI. Statthafte Klagearten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 1. Klagen des Anbieters sowie Klagen der EFS auf Anerkennung . . . . . . . . . . . . 284 2. Klagen der EFS gegen schlichtes Verwaltungshandeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 3. Klagen der EFS gegen die inzidente Behauptung der Überschreitung des Beurteilungsspielraums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 VII. Passivlegitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 1. Klagen des Anbieters sowie Klagen der EFS auf Anerkennung . . . . . . . . . . . . 286 2. Klagen der EFS gegen schlichtes Verwaltungshandeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 a) Problemstellung – Unmöglichkeit der eigenen Passivlegitimation der KJM . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 b) Bestimmung der konkret passivlegitimierten Landesmedienanstalt . . . . . 287 c) Rekurs: Statthafte Klageart bei einer Klage gegen die Landesmedienanstalt anlässlich des Handelns der KJM . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 3. Klagen der EFS gegen die inzidente Behauptung der Überschreitung des Beurteilungsspielraums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 a) Problemstellung – Unmöglichkeit der eigenen Passivlegitimation der KJM . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 b) Bestimmung der konkret passivlegitimierten Landesmedienanstalt . . . . . 290 VIII. Beweislastverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 IX. „Zweiter“ Beurteilungsspielraum zugunsten der KJM? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 1. Hinführung und Differenzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 2. Beurteilungsspielraum der KJM bei fehlender Befassung einer EFS . . . . . . . 292 3. Beurteilungsspielraum der KJM hinsichtlich der Überschreitung des Beurteilungsspielraums durch die EFS? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 a) Inhalt und Bewertung bisheriger Vorschläge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 b) Eigener Vorschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 c) Rekurs: Beiladung der EFS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 4. Beurteilungsspielraum der KJM nach tatsächlicher Überschreitung des Beurteilungsspielraums durch die EFS? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 X. Verwaltungsgerichtliches Eilverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296
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Inhaltsverzeichnis XI. Klagen von Anbietern gegen eine anerkannte EFS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 1. Klagen gegen eine EFS in ihrer privatrechtlichen Tätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . 298 2. Klagen gegen eine EFS in ihrer Tätigkeit als Beliehene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 a) Sachentscheidungsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 b) Beurteilungsspielraum der EFS als Beliehene gegenüber dem Gericht? . . 300 aa) Vorüberlegung zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit eines Beurteilungsspielraums zugunsten Beliehener im Allgemeinen . . . . . . . . . . 300 bb) Beurteilungsspielraum zugunsten der EFS als Beliehene . . . . . . . . . . . 301 XII. Übergreifende Schlussfolgerung zum Prozessrecht – Gibt es einen Beurteilungsspielraum zugunsten Privater gegenüber den Verwaltungsgerichten? . . . . . 302
E. Konsequenzen für das materielle Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 I. Problemstellung – Ausformung des materiellen Rechts durch Private . . . . . . . . . 304 II. Beispiele für betroffene unbestimmte Rechtsbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 1. „Programmankündigungen mit Bewegtbildern“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 2. „Entwicklungsbeeinträchtigend“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 3. „Pornografisch“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 III. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 F. Konsequenzen für die Ahndung von Ordnungswidrigkeiten und Straftaten . . . . . 309 I. Indirekte Auswirkung auf die Ahndung von Ordnungswidrigkeiten durch §§ 8, 9 Abs. 1 JMStV? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 II. Direkte Auswirkung auf die Ahndung von Ordnungswidrigkeiten durch § 20 Abs. 3, 5 JMStV? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 III. Direkte Auswirkung auch bei Überschreitung des Beurteilungsspielraums? . . . 310 IV. Direkte Privilegierung bei der Ahndung von Straftaten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 V. Indirekte Privilegierung durch strafrechtlichen Irrtum? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 Neunter Teil Verfassungsrechtliche Bewertung
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A. Der Beurteilungsspielraum zugunsten Privater als solcher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 B. Institutionelle Vorgaben für das Verfahren des JMStV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 I. Pflicht des Staates zum Jugendschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 1. Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 2. Vereinbarkeit der Einbindung anerkannter EFS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319
Inhaltsverzeichnis
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II. Rundfunkfreiheit als objektives Prinzip und das Gebot der Staatsferne . . . . . . . . 320 1. Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 2. Exkurs: Vereinbarkeit der KJM mit dem Gebot der Staatsferne . . . . . . . . . . . . 322 a) Bisheriger Meinungsstand in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 b) Eigene Überlegungen und Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 3. Vereinbarkeit der Einbindung anerkannter EFS mit dem Gebot der Staatsferne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 III. Demokratiegebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 1. Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 2. Exkurs: Vereinbarkeit der KJM mit dem Demokratiegebot . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 a) Vereinbarkeit hinsichtlich des Rundfunks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 b) Vereinbarkeit hinsichtlich der Telemedien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 3. Vereinbarkeit der Einbindung anerkannter EFS mit dem Demokratiegebot . . 329 a) Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 b) Die Tätigkeit anerkannter EFS als „Ausübung von Staatsgewalt“ gem. Art. 20 Abs. 2 GG? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 c) Die demokratische Legitimation der Tätigkeit der EFS . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 IV. Weitere institutionelle Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 V. Gemeinschaftsrechtliche institutionelle Vorgaben für das Verfahren . . . . . . . . . . . 334 C. Abwehrrechtliche Vorgaben für das Verfahren des JMStV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 I. Vorbemerkung zur Bedeutung der Abwehrrechte der Anbieter für das Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 II. Abwehrrechte der Anbieter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 1. Rundfunkfreiheit als Abwehrrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 a) Schutzbereich und Schranken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 b) Das Zensurverbot gem. Art. 5. Abs. 1 Satz 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 2. Weitere Freiheitsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 3. Gleichheitsgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 4. Zur Ausstrahlung der Abwehrrechte der Anbieter auf die privatrechtlichen Beziehungen zu anerkannten EFS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 III. Abwehrrechte der potentiellen Empfänger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344 1. Informationsfreiheit der Jugendlichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344
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Inhaltsverzeichnis 2. Informationsfreiheit der Erwachsenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 3. Elternrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346
D. Zur formellen Verfassungsmäßigkeit des JMStV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346 Zehnter Teil Rechtspolitische Bewertung
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A. Hinführung und Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 I. Referenzgebiet und Rechtsfigur in der Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 II. Relevanz der rechtspolitischen Bewertung und die Evaluation des JMStV . . . . . 352 III. Relativierung der rechtswissenschaftlichen Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 B. Rechtspolitische Bewertung des Verfahrens des JMStV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 I. Realbefund der Rahmenbedingungen unter besonderer Berücksichtigung des Internets . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 II. Zur bisherigen Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357 1. Praxis der KJM . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357 a) Zum Problem der übermäßigen Verfahrensdauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357 b) Zum Problem mangelnder Transparenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358 c) Zum Problem des überspannten Selbstverständnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 2. Praxis der anerkannten EFS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361 a) Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen e.V. (FSF) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361 b) Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia e.V. (FSM) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361 III. Zu den auf das Verfahren Einfluss nehmenden Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362 1. Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362 2. Die jeweiligen Einzelinteressen der Beteiligten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363 3. Das gemeinsame Interesse aller Beteiligten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364 4. Die Interessen von Außenstehenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365 IV. Bisherige Stellungnahmen zum neuen System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 1. Stellungnahmen der Anbieter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 2. Stellungnahmen der Behörden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 3. Stellungnahmen der Politik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 4. Stellungnahmen der Wissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368
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V. Übergreifende Überlegungen zu Realbefund und Rechtslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370 1. Implikationen der besonderen tatsächlichen Rahmenbedingungen für die Normierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370 a) Hinführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370 b) Internationale Ausweichmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370 c) Große Anzahl der Angebote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371 d) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371 2. Regulierte Selbstregulierung als Konsequenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373 3. Zur Bedeutung gesellschaftlicher Rahmenbedingungen für die Normierung 375 4. Zur Berechtigung einer Vielzahl von Entscheidungsträgern . . . . . . . . . . . . . . . . 376 a) Vielzahl der Entscheidungsträger bei der Normgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . 376 b) Vielzahl der Entscheidungsträger im Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 380 aa) Landesmedienanstalten und KJM sowie deren Untergliederungen . . 380 bb) KJM und EFS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381 cc) Verschiedene EFS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381 dd) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381 c) Vielzahl der Entscheidungsträger im gerichtlichen Verfahren . . . . . . . . . . . 383 aa) Verschiedene Gerichtsbarkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383 bb) Verschiedene Gerichte innerhalb der Verwaltungsgerichtsbarkeit . . . 384 d) Schlussfolgerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 384 5. Zur Berechtigung eines nicht auf Absolutheit orientierten Verfahrens . . . . . . 385 6. Zur Berechtigung eines besonders komplexen Systems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 386 7. Der Beurteilungsspielraum als Kriterium der Zuständigkeitsabgrenzung . . . 389 VI. Abschließende Bewertung des Verfahrens des JMStV in Zusammenschau mit seinen Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 392 C. Zur Übertragung des Verfahrens auf neue Referenzgebiete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394 I. Einbindung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394 1. Hinführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394 2. Bisheriger Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395 3. Eigene Überlegungen und Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 397 a) Interessenvertretung als Ausgangspunkt angreifbarer Begründungen . . . 397 b) Strukturelle Relevanz des Jugendschutzes im öffentlich-rechtlichen Rundfunk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 398 c) Besonderheiten und Probleme der jugendschutzrechtlichen Kontrolle im öffentlich-rechtlichen Rundfunk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 398
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Inhaltsverzeichnis d) Das Beispiel des Fernsehfilms „Wut“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 399 e) Verhältnismäßigkeit von Aufwand und Effektivitätssteigerung für den Fall einer Vereinheitlichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 400 f) Schlussfolgerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401 g) Zur Art und Weise der Umsetzung für den Fall einer Einbindung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 402 II. Zur Übertragung des Verfahrens auf andere Bereiche des Medienrechts . . . . . . . 402 III. Zur Übertragung des Verfahrens auf andere Wirtschaftsbereiche . . . . . . . . . . . . . . 403
D. Abschließende Bewertung des Beurteilungsspielraums zugunsten Privater als Instrument regulierter Selbstregulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 405 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 422
Erster Teil
Zum Inhalt dieser Arbeit In § 20 Abs. 3 und 5 des Jugendmedienschutz-Staatsvertrags (JMStV) wurde erstmalig eine neue Rechtsfigur verwandt: Der Beurteilungsspielraum zugunsten Privater. Mit der vorliegenden Arbeit sollen Inhalt und Auswirkungen dieser neuen Rechtsfigur geklärt werden, und zwar sowohl speziell im Rahmen ihres ersten und bislang einzigen Referenzgebiets – dem Verfahren zur jugendschutzrechtlichen Überwachung privater elektronischer Medien – als auch durch Gewinnung möglichst allgemeingültiger Erkenntnisse. Die Staatsvertragsparteien orientierten sich bei der Normierung des JMStV ausdrücklich an dem Konzept der „regulierten Selbstregulierung“. Dieses steht zwischen der rein staatlich-imperativen Regulierung einerseits und der rein privaten Selbstregulierung andererseits; regulierte Selbstregulierung ist zu definieren als eine Selbstregulierung, die in einen staatlich gesetzten Rahmen eingepasst ist oder auf rechtlicher Grundlage erfolgt. Bei genauer Analyse zeigt sich, dass dieser vermeintlich „neue Trend“ in Wahrheit ein sprichwörtlich „alter Hut“ ist. Im Verwaltungsrecht existieren seit jeher viele Normen, die sich nach aktuellem Begriffsverständnis als regulierte Selbstregulierung identifizieren lassen. „Neu“ ist daher lediglich die theoretische Klassifizierung derartiger Regelungen und – daraus folgend – der Umstand, dass der Gesetzgeber in bewusster Absicht Systeme regulierter Selbstregulierung implementiert – wie es eben im Falle des JMStV geschehen ist. Durch den JMStV wurde die Möglichkeit geschaffen, dass sich private „Einrichtungen der freiwilligen Selbstkontrolle“ (EFS) nach Erfüllung bestimmter qualitativer Voraussetzungen als solche behördlich anerkennen lassen. Die EFS kontrollieren die mit ihnen vereinsrechtlich oder werkvertraglich verbundenen Anbieter, vor allem private Fernsehsender und Internetanbieter. Wenn sich ein Anbieter – wozu er nicht verpflichtet ist – für eine Zusammenarbeit mit einer anerkannten EFS entscheidet, kann die zuständige Behörde – die länderübergreifend tätige „Kommission für Jugendmedienschutz“ (KJM) – nur noch gegen ihn einschreiten, wenn die EFS ihren „Beurteilungsspielraum“ überschritten hat. Dieses neue Verfahren des JMStV ist ein geradezu prototypischer Fall regulierter Selbstregulierung. Hinsichtlich ihrer konkreten rechtlichen Auswirkungen noch bedeutsamer ist aber die Frage, ob die anerkannten EFS Beliehene sind. Auf Basis einer prinzipiellen Klärung der abstrakten Voraussetzungen der Qualifizierung einer gesetzlichen Regelung als Beleihung kann belegt werden, dass die anerkann-
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1. Teil: Zum Inhalt dieser Arbeit
ten EFS nur in einem abgrenzbaren Sonderfall als Beliehene tätig werden, ansonsten aber rein privatrechtlich handeln. Nicht zuletzt aufgrund dieser Doppelnatur der anerkannten EFS bietet die Einordnung des Verfahrens als ein Fall der Privatisierung sowie der Überwachung ein differenziertes Bild. Mit der Verwendung des Begriffs „Beurteilungsspielraum“ nahm der Normgeber bewusst auf eine etablierte Rechtsfigur Bezug, und zwar auf den Beurteilungsspielraum zugunsten der Verwaltung, der den – nach herrschender Meinung nur ausnahmsweise anzunehmenden – Fall beschreibt, in dem das Verwaltungsgericht die Tatbestandsvoraussetzungen der Entscheidung einer Verwaltungsbehörde nicht vollständig, sondern nur auf bestimmte qualifizierte Fehler hin zu überprüfen hat. In der gerichtlichen Praxis erfährt der Beurteilungsspielraum zugunsten der Verwaltung alltägliche Anwendung, in theoretischer Hinsicht jedoch ist er noch immer nicht abschließend geklärt. Herrscht über die Konsequenzen bei Vorliegen eines Beurteilungsspielraums noch weitgehende Einigkeit, so besteht über die genaue verfassungsrechtliche Bewertung – die ihr bedeutendstes normatives Gravitationszentrum in Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG findet – sowie über die Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Beurteilungsspielraum anzunehmen ist, immer noch Unklarheit in hohem Maße. Insbesondere das letztgenannte Problem verschärft sich zusätzlich, weil es in seinem abstrakten Kern häufig übergangen wird, indem nur einige überkommene Fallgruppen beschrieben werden. Bei flüchtiger Betrachtung herrscht somit der trügerische Eindruck allgemeiner Einigkeit – ein Missstand, aufgrund dessen der Beurteilungsspielraum bereits als nur „scheinbarer Rechtsbegriff“ kritisiert wurde. Daher muss zunächst der herkömmliche Beurteilungsspielraum zugunsten der Verwaltung eine grundsätzliche Klärung erfahren, bevor – in einem darauf folgenden Schritt – die neue Rechtsfigur des Beurteilungsspielraums zugunsten Privater behandelt wird. Eine überzeugende Lösung des Problems führt nicht über eine Verwebung mit der grundrechtlichen Dimension, sondern muss unter Rückbesinnung auf den eigentlichen Kern der weitgehend anerkannten normativen Ermächtigungslehre erfolgen und daher an eine systematische Ermittlung des Willens des einfachen Gesetzgebers anknüpfen. Dieser Weg führt in der ganz überwiegenden Mehrheit der Fälle (bzw. Fallgruppen) nicht zu einer Abweichung von der (jeweils) herrschenden Meinung, er verspricht jedoch, einen widerspruchsfreien und einheitlichen Ansatz zu bilden, der sich nicht in der bloßen Adaption einzelner Referenzgebiete erschöpft. Auf Basis eines geklärten Verständnisses der herkömmlichen Rechtsfigur zeigt sich, dass sie grundsätzlich in den neuen Kontext eingefügt werden kann, hierfür jedoch einiger Modifikationen bedarf. Angesichts der sich dabei zeigenden Gemeinsamkeiten und Unterschiede lässt sich als wesentliches Zwischenergebnis der Inhalt der Rechtsfigur des Beurteilungsspielraums zugunsten Privater ermitteln: Anlässlich des missverständlichen Terminus des „Einräumens“ eines Beurteilungsspielraums ist klarzustellen, dass das Handeln Privater a priori legitim und dessen Einschränkung stets rechtfertigungsbedürftig ist. Ein „Spielraum“ muss Privaten als Trägern von Grundfreiheiten nicht erst einfachgesetzlich eingeräumt
1. Teil: Zum Inhalt dieser Arbeit
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werden, vielmehr beschränkt das einfache Recht ihre Freiheit aus Gründen des Gemeinwohls. Der Begriff des Beurteilungsspielraums erfährt seinen spezifischen Sinn daher erst im tripolaren Kontrollverhältnis von erstens dem „primär handelnden“ Privaten (i. e. der Anbieter von Medien), zweitens dem „beurteilenden“ Privaten (i. e. die EFS) und drittens der Verwaltung (i. e. die KJM). Ein Beurteilungsspielraum wird nur dem beurteilenden Privaten gegenüber der Verwaltung eingeräumt. Der primär handelnde Private ist zwar durch das jederzeit gleichermaßen geltende materielle Recht nach wie vor in seiner Freiheit beschränkt. Durch die zusätzlich geschaffene Option, sich an einen privaten Beurteiler zu wenden, der seinerseits über einen Beurteilungsspielraum gegenüber der Verwaltung verfügt, gewinnt jedoch auch er im Vergleich zur herkömmlichen Überwachungssituation eine Handlungsmöglichkeit hinzu. Die so zu verstehende neue Rechtsfigur des Beurteilungsspielraums zugunsten Privater kann in das System des Verwaltungsrechts integriert werden, sie ist hinreichend operationalisierbar und ermöglicht praktikable Ergebnisse. Zum Beleg dieser These werden die einfach-rechtlichen Konsequenzen des Beurteilungsspielraums zugunsten Privater detailliert in der gesamten Breite des Referenzgebiets des JMStV aufgezeigt und somit zugleich eine Reihe offener Fragen des Jugendmedienschutzrechts beantwortet. Der Beurteilungsspielraum zugunsten der anerkannten EFS beschränkt dabei nicht nur die Kompetenzen der KJM, er beeinflusst auch die verwaltungsverfahrensrechtliche und vor allem die verwaltungsprozessuale Stellung der EFS. Verfassungsrechtlich ist der Beurteilungsspielraum zugunsten Privater für sich genommen unbedenklich, solange der Staat im jeweils betroffenen Referenzgebiet bestehenden Schutzpflichten in einer der herkömmlichen Überwachung funktionell gleichwertigen Weise nachkommt. Das kann konkret mit Blick auf das Verfahren des JMStV und die damit verfolgte Staatsaufgabe des Jugendschutzes bejaht werden. Die abschließende rechtspolitische Bewertung fällt differenziert aus. Der Realbefund im Bereich des Jugendmedienschutzes zeugt zwar von vielfältigen Problemen. Diese sind jedoch bei näherer Betrachtung nicht auf den Beurteilungsspielraum zugunsten Privater zurückzuführen, sondern rühren im Wesentlichen von vorgelagerten, anderweitig zu verantwortenden Weichenstellungen her. Im Gegenteil trägt die Einbindung der Privaten erkennbar zur Bewältigung der vorgefundenen Herausforderungen bei. Die Rechtsfigur des Beurteilungsspielraums zugunsten Privater ist daher – unter Erfüllung bestimmter Voraussetzungen im Einzelfall – auch für weitere Referenzgebiete empfehlenswert.
Zweiter Teil
Das Konzept der regulierten Selbstregulierung Bevor das Verfahren des Jugendmedienschutz-Staatsvertrags untersucht wird, ist die zugrundeliegende, übergreifende Idee vorzustellen, um erst anschließend die vorhandenen Bezüge aufzuzeigen. Regulierte Selbstregulierung ist ein in jüngerer Zeit vermehrt herangezogenes Konzept (dazu A.), das in seiner rechtlichen Dimension erst zutreffend erfasst werden kann, nachdem es unter Berücksichtigung seiner begrifflichen Bestandteile definiert wurde (dazu B.). In theoretischer Hinsicht lassen sich neben prinzipiell vorstellbaren Vor- und Nachteilen und einer groben Typologie zahlreiche potentielle Instrumente beschreiben, die in verschiedenen Kombinationen eine Vielzahl denkbarer Varianten regulierter Selbstregulierung ermöglichen (dazu C.). Dies wird durch den Realbefund bestätigt, nach dem sich bereits im bestehenden Recht vielfältige Referenzgebiete der regulierten Selbstregulierung identifizieren lassen (dazu D.). Gerade diese Erkenntnis verdeutlicht die Möglichkeit der verwaltungsrechtlichen Integration regulierter Selbstregulierung (dazu E.). Bei der Implikation regulierter Selbstregulierung sind zwar einige verfassungsrechtliche Eckpunkte zu beachten, höherrangiges Recht steht dem aber nicht prinzipiell entgegen (dazu F.).
A. Hinführung „Regulierte Selbstregulierung“ ist ein relativ junger Rechtsbegriff, der eine bestimmte Art staatlicher Einflussnahme beschreibt und meist im Zusammenhang mit einer ganzen Reihe weiterer (tatsächlich oder vermeintlich) „weicher“ Formen staatlichen Eingreifens genannt wird1 und damit im Rahmen einer Entwicklung steht,2 die vielfach als „Paradigmenwechsel“ wahrgenommen wird.3 Im Modell der regulierten Selbstregulierung sieht Palzer daher eine „neue, moderne Form der 1 Vgl. Hoffmann-Riem, DÖV 1997, S. 433, 433 ff. zum Wandel der Handlungstypologien der Verwaltung. 2 Vgl. Voßkuhle in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band I, § 1, Rn. 9 ff. zu Ursachen und Antriebskräften einer Neuausrichtung der Verwaltungsrechtswissenschaft. 3 Kreile / Diesbach, ZUM 2002, S. 849, 852. Vgl. auch Schulze-Fielitz in: HoffmannRiem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band I, § 12, Rn. 91.
B. Definition
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Steuerung“,4 Groß spricht von einem „aktuellen Trend“ im Verwaltungsrecht,5 Schmidt-Preuß bezeichnet die Entwicklung gar als „Prinzipienwende“.6 Wenn der unbefangene Zuhörer erstmals mit dem Begriff „regulierte Selbstregulierung“ konfrontiert wird, stößt er sich typischerweise zunächst an der schon rein sprachlich gewöhnungsbedürftigen Konstruktion. Trotzdem ist die Wortwahl sinnvoll, ist sie doch in gewissem Maße7 selbsterklärend und betont zu Recht das Zusammenwirken an sich konträrer Aspekte. Die Bedeutung des „Verbundbegriffs“8 kann aber erst richtig erfasst werden, wenn zunächst seine beiden Bestandteile getrennt definiert und von anderen Begrifflichkeiten und Modellen abgegrenzt werden.9 Dementsprechend ist geboten, die terminologischen Fragen sämtlich an den Beginn der weiteren Untersuchung zu stellen.
B. Definition I. „Regulierung“ 1. Zur vielfältigen und widersprüchlichen Verwendung des Begriffs Der Begriff „Regulierung“ verfügt über keine einheitliche Definition.10 Im Gegenteil, kaum ein anderer Begriff wird so vielfältig, uneinheitlich und widersprüchlich verwendet,11 zudem unterliegt er einer ständigen Veränderung.12 Dies gilt nicht nur im Verhältnis verschiedener Wissenschaftsdisziplinen oder verschiedener Staaten,13 sondern auch innerhalb der deutschen Rechtswissenschaft. Der Palzer, ZUM 2002, S. 875, 876. Groß, NVwZ 2004, S. 1393, 1393. 6 Schmidt-Preuß, VVDStRL Band 56 (1997), S. 160, 169. 7 Der von Eifert in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band I, § 19, Rn. 52 ff. verwendete Begriff „hoheitlich regulierte gesellschaftliche Selbstregulierung“ ist in noch größerem Maße selbsterklärend, jedoch entsprechend schwieriger in der sprachlichen Handhabung. 8 Schmidt-Aßmann in: Regulierte Selbstregulierung als Steuerungskonzept, Die Verwaltung, Beiheft 4 / 2001, S. 253, 254. 9 Zusammenfassend zur Terminologie, die in der Diskussion um neue Steuerungsformen Verwendung findet Hoffmann-Riem, DÖV 1997, S. 433, 439. Vgl. auch die begrüßenswerten begrifflichen Klarstellungen von Bosch, Regulierte Selbstregulierung im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag, S. 162 f. 10 Eifert in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band I, § 19, Rn. 1. 11 Vgl. dazu auch Schulz et al, Co-Regulierungsmaßnahmen im Medienbereich, S. 13. 12 Schulz et al, Co-Regulierungsmaßnahmen im Medienbereich, S. 13 m. w. N. 13 Dazu Eifert in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band I, § 19, Rn. 2 ff. 4 5
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2. Teil: Das Konzept der regulierten Selbstregulierung
Gesetzgeber benutzte den Begriff „Regulierung“ erstmals14 im Jahre 1994 in § 2 des Gesetzes zur Neuordnung des Postwesens und der Telekommunikation (PTRegG); auf die Verwendung des Begriffs in der wissenschaftlichen Diskussion hatten die gesetzgeberischen Maßnahmen jedoch bemerkenswert geringen Einfluss.15 Dies mag vor allem daran liegen, dass (gerade im Telekommunikationsrecht) Begriffe und Regelungselemente in das deutsche Recht importiert wurden, ohne dass dies in eine insgesamt stimmige Konzeption eingebettet gewesen wäre.16 Der Begriff der Regulierung wird auch widersprüchlich verwendet, wenn er zur Beschreibung eines „Mehr“ oder eines „Weniger“ an staatlicher Einflussnahme dienen soll. Als Gegenbegriff zur allgemeinen, nicht branchenspezifischen polizeirechtlichen Überwachung durch den Staat kann er dahingehend verstanden werden, dass der Staat im betroffenen Bereich zusätzliche, spezifische Vorschriften aufstellt und insofern verstärkt Einfluss nimmt.17 Als Gegenbegriff zum verstaatlichten Betrieb von Wirtschaftsbereichen kann Regulierung aber auch eine abgeschwächte Einflussnahme beschreiben. Die dadurch vorprogrammierten Missverständnisse intensivieren sich noch weiter, weil das „Maß“ der Einflussnahme entweder an der Menge der Entscheidungsmöglichkeiten der betroffenen Privaten gemessen werden kann oder aber an der Menge der Normen, die gegenüber den betroffenen Privaten Geltung beanspruchen – diese beiden Dimensionen verfügen aber über eine konträre Tendenz,18 weil ein größeres Maß an privater Beteiligung vormals verstaatlichter Bereiche typischerweise die Menge von Entscheidungsmöglichkeiten Privater erhöht, ebenso jedoch die Menge von Normen erhöht, eben von Normen zur Regulierung.19 Plakativ gesagt: Es sind weniger Paragraphen nötig, wenn der Staat die Bundespost betreibt, als wenn er diese Dienstleistung einer Mehrzahl von privaten Unternehmen überlässt und trotzdem das Ergebnis einer flächendeckenden Versorgung absichern will. Noch mehr als von diesem Aspekt hängt die Frage, ob Regulierung als ein „Mehr“ oder als ein „Weniger“ an staatlicher Einflussnahme empfunden wird, aber wohl von dem status quo ab, der vor der (bevorstehenden oder gerade erfolgten) Veränderung besteht;20 so dürfte in einem ursprünglich nahezu ungeregelten Bereich (wie z. B. in der Internet-Branche) der Begriff „Regulierung“ regelmäßig mit einer Zunahme staatlichen Einflusses assoziiert werden, während in einem ursprünglich verstaatlichten Bereich (wie 14 Schulz in: Regulierte Selbstregulierung als Steuerungskonzept, Die Verwaltung, Beiheft 4 / 2001, S. 101, 101. 15 Berringer, Regulierung, S. 83. 16 Schulz in: Regulierte Selbstregulierung als Steuerungskonzept, Die Verwaltung, Beiheft 4 / 2001, S. 101, 102 m. w. N. 17 Vgl. dazu Berringer, Regulierung, S. 87 m. w. N. 18 Fechner, JZ 2003, S. 224, 224. 19 Vgl. dazu Wegmann, Regulierte Marktöffnung, S. 51. 20 Vgl. dazu Schulz et al, Co-Regulierungsmaßnahmen im Medienbereich, S. 19 f., der anhand von Co-Regulierungssystemen die Rolle dieser verschiedenen sog. „Regulierungspfade“ beleuchtet.
B. Definition
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z. B. in der Energiewirtschaft) „Regulierung“ als Begleiterscheinung einer Rücknahme staatlichen Einflusses wahrgenommen werden dürfte. 2. Regulierung im Sinne der US-amerikanischen regulation Das englischsprachige Wort „regulation“ ist wesentlicher Ausgangspunkt für die Verwendung des Begriffs der Regulierung im deutschen Recht. Viele der soeben skizzierten Schwierigkeiten werden schon dadurch erklärbar, dass der Begriff regulation auch in seinem Ursprungsland, den USA, verschiedene Verwendungen erfährt.21 Im juristischen Sinne meint regulation nichts anderes als das deutsche Wort „Regelung“.22 Mit spezifischem Bezug auf die Wirtschaft kann man von economic regulation sprechen, mit der die Tätigkeit der independent regulatory commissions in den regulated industries gemeint ist.23 Unter dem Verständnis des common law ist regulation dabei eher eine rechtsförmige staatliche Modulation gesellschaftlicher Prozesse denn ein gesetzlich hierarchisch gesteuertes, zielgerichtetes Handeln des Staates;24 ebenso wie dabei die Autonomie des gesellschaftlichen Prozesses unterstellt wird, wird regulation als notwendige Staatsaufgabe angesehen.25 Insgesamt blieb der angloamerikanische Raum von theoretischen Debatten aber weitgehend unberührt,26 so dass nicht verwundern kann, dass sich der Vergleich von Entwicklungen in Deutschland mit der US-amerikanischen regulation in unterschiedlicher und mithin missverständlicher Form vollzogen hat: Einerseits wurde „regulative Politik“ als eine direkte Steuerungsform in Abgrenzung zu Anreizsystemen kritisiert, andererseits als indirekte, die Autonomie gesellschaftlicher und ökonomischer Prozesse respektierende Form staatlichen Handelns in Abgrenzung zum klassischen Verwaltungsvollzug begrüßt.27 Außerdem ist zu bemerken, dass sich die deutsche Regulierungsdebatte über das amerikanische Konzept der regulation hinaus auch auf die Erreichung objektiver, zum Beispiel verfassungsrechtlicher Ziele und nicht nur auf den Ausgleich privater Interessen bezieht.28 Offenbar unter Einfluss der englischen Rechtssprache wird im Deutschen teilweise das Wort „Regulation“ (auch kombiniert zu „regulierter Selbstregulation“) Berringer, Regulierung, S. 88. Berringer, Regulierung, S. 88. 23 Berringer, Regulierung, S. 88. 24 Schulz in: Regulierte Selbstregulierung als Steuerungskonzept, Die Verwaltung, Beiheft 4 / 2001, S. 101, 102. 25 Schulz in: Regulierte Selbstregulierung als Steuerungskonzept, Die Verwaltung, Beiheft 4 / 2001, S. 101, 102 ff., der daraus den Schluss zieht, regulation spiegle im Grunde genommen das wider, was im deutschen Sinne regulierte Selbstregulierung heiße. 26 Eifert in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band I, § 19, Rn. 2. 27 Vgl. Schulz in: Regulierte Selbstregulierung als Steuerungskonzept, Die Verwaltung, Beiheft 4 / 2001, S. 101, 104 m. w. N. 28 Schulz / Held, Regulierte Selbstregulierung, S. A-1. 21 22
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2. Teil: Das Konzept der regulierten Selbstregulierung
verwandt.29 Inhaltlich ist damit offenbar nichts anderes als mit Regulierung gemeint, rein sprachlich stellt diese Begriffswahl m. E. eine misslungene Eindeutschung dar,30 die keiner Nachahmung bedarf.
3. Regulierung im Sinne eines Oberbegriffs In der Diskussion im deutschsprachigen Raum wird „Regulierung“ teilweise als einfaches Synonym für Regelung, Normierung oder Ordnung eines bestimmten Sachverhalts verstanden.31 Daneben werden auch die Begriffe Steuerung und Regelung häufig so unscharf verwendet, dass sie austauschbar werden.32 Die Rechtswissenschaft muss ihrem Wesen entsprechend aber in Abgrenzungen, nicht in Übergängen denken,33 so dass ein genauer definiertes Begriffsverständnis zu ermitteln ist.
4. Regulierung im Sinne einer spezifischen Wettbewerbssicherung Häufig ist mit „Regulierung“ die staatliche Wettbewerbssicherung eines wirtschaftlichen Marktes gemeint. Dann kann von einer spezifischen Regulierungsverwaltung gesprochen werden, welche die Aufgabe verfolgt, Wettbewerb auf einem (ggf. noch nicht funktionierenden) Markt herzustellen und zu fördern, insbesondere in infrastrukturrelevanten Bereichen, wie beispielsweise in der Energieversorgung.34 Regulierung in diesem Sinne ist eine besondere Form der Wirtschaftsüberwachung.35
Z. B. Rossen-Stadtfeld, AfP 2004, S. 1, 1. Kritisch Schulz in: Büttner / von Gottberg, Staatliche Kontrolle und selbstregulative Steuerung, S. 55, 56, der die entsprechenden Autoren in diesem Zusammenhang als „anglophile Kollegen“ bezeichnet. 31 Vgl. Berringer, Regulierung, S. 85 m. w. N. 32 Schulz in: Regulierte Selbstregulierung als Steuerungskonzept, Die Verwaltung, Beiheft 4 / 2001, S. 101, 101. 33 Peter M. Huber in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band III (im Ersch.), § 45, Rn. 221. 34 Peter M. Huber in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band III (im Ersch.), § 45, Rn. 40. 35 Badura / Peter M. Huber in: Schmidt-Aßmann, Besonderes Verwaltungsrecht, Kapitel 3, Rn. 80. Ausführlich zur Einordnung der Regulierungsverwaltung in die Kategorie der Überwachung Peter M. Huber in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band III (im Ersch.), § 45, Rn. 39 ff. 29 30
B. Definition
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5. Regulierung im imperativen Sinne Für den Zweck der vorliegenden Arbeit erscheint es jedoch geboten, den Begriff „Regulierung“ gleichzeitig enger und allgemeingültiger, also weder als pauschales Synonym jedweder Form staatlicher Einflussnahme noch als spezifischen terminus technicus einer sachlich (und womöglich zeitlich) begrenzten Gruppe bestimmter Wirtschaftsbereiche zu verwenden. Der hier verwendete Regulierungsbegriff ist als „imperativ“36 zu bezeichnen.37 Regulierung im imperativen Sinne38 bedeutet, dass der Staat für die Regelungsunterworfenen Ge- und Verbote eigenständig festlegt und deren Einhaltung kontrolliert.39
II. „Selbstregulierung“ „Selbstregulierung“ soll hier als Gegenbegriff zur Regulierung im imperativen Sinne verwendet werden; in diesem Sinne bedeutet Selbstregulierung, dass gesellschaftliche Vorgänge40 ohne Beteiligung des Staates behandelt werden.41 Aufgrund dieses weiten Begriffsverständnisses gehören dazu nicht nur kooperative und explizite Entscheidungsprozesse (wie zum Beispiel selbst auferlegte Kodizes), sondern auch implizite Entscheidungsprozesse, die nicht auf der Reflexion der Beteiligten beruhen, namentlich im Falle von Marktentscheidungen.42 Außerdem 36 Hoffmann-Riem in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann, Öffentliches Recht und Privatrecht, S. 261, 300; übereinstimmend Schuppert, Verwaltungswissenschaft, S. 348. 37 Diese Verengung verfolgt den Zweck, Unklarheiten bei der – sogleich vorzunehmenden – Untersuchung von Mischformen zu vermeiden, wie sie z. B. anlässlich der Ausführungen von Berringer, Regulierung, S. 103 entstehen können, der meint, im Grunde genommen bediene sich jede Regulierung der Selbstregulierung und in diesem Sinne sei jede Regulierung eine regulierte Selbstregulierung. 38 Grundlegend Eifert in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band I, § 19, Rn. 23 ff. 39 Schulz / Held, Regulierte Selbstregulierung, S. A-3. Schulz in: Regulierte Selbstregulierung als Steuerungskonzept, Die Verwaltung, Beiheft 4 / 2001, S. 101, 103 wählt die Bezeichnung „hoheitliche Regulierung“. 40 Daher bezeichnet Schulz in: Regulierte Selbstregulierung als Steuerungskonzept, Die Verwaltung, Beiheft 4 / 2001, S. 101, 103 dies auch explizit als „gesellschaftliche Selbstregulierung“. – Keine Beteiligung des Staates in diesem Sinne ist natürlich der Einfluss durch allgemeine Vorschriften, wie beispielsweise die des Bürgerlichen Gesetzbuches, so ausdrücklich Hoffmann-Riem in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann, Öffentliches Recht und Privatrecht, S. 261, 303. 41 Hoffmann-Riem in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann, Öffentliches Recht und Privatrecht, S. 261, 303; übereinstimmend Schuppert, Verwaltungswissenschaft, S. 348 42 Zum Ganzen Schulz / Held, Regulierte Selbstregulierung, S. A-3. Ein so weites Verständnis setzt auch Schulz in: Regulierte Selbstregulierung als Steuerungskonzept, Die Verwaltung, Beiheft 4 / 2001, S. 101, 104 m. w. N. voraus. – Zum Regelungsmodell der Selbstregulierung unter besonderer Beachtung des Medienrechts Retzke, Präventiver Jugendmedienschutz, S. 52 ff. (dort unter der Bezeichnung „Selbstkontrolle“).
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2. Teil: Das Konzept der regulierten Selbstregulierung
wird durch das breite Begriffsverständnis klargestellt, dass zur Selbstregulierung nicht zwingend die Verfolgung staatlich definierter öffentlicher Zwecke gehört, sondern sie eine solche allenfalls beinhalten kann; die absichtliche Erreichung öffentlicher Zwecke erfolgt erst durch eine Kombination mit regulativen Elementen.43 Die „reine“ Selbstregulierung unterscheidet sich gerade per definitionem von der – sogleich darzustellenden – „regulierten Selbstregulierung“, dass sie nicht notwendig einen derartigen Zweck verfolgt.44 Eine zwingende Integration der Verfolgung öffentlicher Zwecke widerspräche dem Ziel der hier zu vollziehenden Abschichtung von Modellen, die klar trennt zwischen dem rein staatlichen Bereich, dem rein privaten Bereich und den dazwischen liegenden Mischformen.
III. „Regulierte Selbstregulierung“ Die „regulierte Selbstregulierung“ ist eine Mischform aus den beiden Reinformen der imperativen Regulierung und der ausschließlichen Selbstregulierung.45 Der Begriff der regulierten Selbstregulierung wurde erst Mitte der 1990er-Jahre von Hoffmann-Riem in die rechtswissenschaftliche Diskussion in Deutschland eingeführt.46 Die Verwendung dieses Verbundbegriffs ist in der Literatur jedoch uneinheitlich.47 Zur Ermittlung einer genauen Definition sind grundsätzlich zwei verschiedene Ausgangspunkte denkbar, nämlich die Perspektive des Staates oder jene der beteiligten Privaten. Ein Teil der Literatur wählt die erstgenannte Möglichkeit und definiert regulierte Selbstregulierung als staatlich veranlasste gesellschaftliche Selbstregulierung.48 Dies erscheint auf den ersten Blick nahe liegend, weil es der Staat 43 Schmidt-Aßmann in: Regulierte Selbstregulierung als Steuerungskonzept, Die Verwaltung, Beiheft 4 / 2001, S. 253, 255 entgegen der anderen Ansicht von Di Fabio, VVDStRL, Band 56 (1997), S. 235, 238. 44 Eifert in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band I, § 19, Rn. 15. 45 Schulz / Held, Regulierte Selbstregulierung, S. A-3. 46 Vgl. z. B. Hoffmann-Riem in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann, Öffentliches Recht und Privatrecht, S. 261, 301. Zur Bewertung Schulz / Held, Regulierte Selbstregulierung, S. A-1 sowie Eifert in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band I, § 19, Rn. 14. 47 Beispielsweise liegt den Stellungnahmen von Ukrow, Selbstkontrolle im Medienbereich, S. 22 und ihm folgend Groß, NVwZ 2004, S. 1393, 1393, ein anderes Verständnis als vorliegend zugrunde, da sie meinen, Selbstregulierung setze voraus, dass Regeln von Privaten selbst erstellt worden seien, während die Kontrolle staatlich gesetzter Regeln durch Private „Selbstkontrolle“ sei. – Wieder anders Bandehzadeh, Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien, S. 72, Fn. 240, die unter regulierter Selbstregulierung die Übertragung „hoheitlicher Kompetenzen“ (!) auf die privaten Einrichtungen bei Überwachung der Funktionsfähigkeit der Einrichtungen durch den Staat versteht. 48 Burgi, Funktionale Privatisierung, S. 87 (Hervorhebung nicht im Original).
B. Definition
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ist, der eine Regulierung bewirkt. Jedoch ist dieser Ansatz nicht hinreichend trennscharf, vor allem, weil die Übergänge zu einer unabsichtlichen oder subtilen Veranlassung schwierig zu identifizieren sein dürften. Deshalb soll die Definition aus Perspektive der beteiligten Privaten erfolgen und in der vorliegenden Arbeit die Formulierung von Schulz / Held zugrunde gelegt werden: Regulierte Selbstregulierung ist Selbstregulierung, die in einen staatlich gesetzten Rahmen eingepasst ist oder auf rechtlicher Grundlage erfolgt.49
IV. Abgrenzung der regulierten Selbstregulierung zu anderen Modellen 1. „Co-Regulierung“ In einigen Veröffentlichungen wird der vom englischen Sprachgebrauch abgeleitete Begriff der Co-Regulierung verwendet, um kooperative Steuerungsformen zu beschreiben.50 Weil dieser Begriff aber mindestens so uneinheitlich verwandt wird wie jener der regulierten Selbstregulierung,51 schafft er eher zusätzliche Verwirrung als Klarheit52 und soll daher in der vorliegenden Untersuchung keine Verwendung finden. Bemerkenswert ist allerdings, dass Schulz / Held, die das Modell der regulierten Selbstregulierung in Deutschland entscheidend mitgeprägt haben, den Gegenstand ihrer jüngeren Untersuchungen inhaltlich erweitert und infolgedessen umbenannt haben. Statt von regulierter Selbstregulierung sprechen sie nun von Co-Regulierung,53 sehen darin also – im Gegensatz zu den zuvor erwähnten Autoren – einen inhaltlichen Unterschied. Er besteht darin, nicht mehr eine „rechtliche Grundlage“ für das nichtstaatliche Regulierungssystem zu fordern, sondern lediglich eine „rechtliche Verbindung“, so dass Systeme einbezogen werden, bei denen der Staat lediglich an eine existierende, nichtstaatliche Regelung anknüpft.54 Dieser Schritt erfolgte offensichtlich deshalb, um eine größere Anzahl der real existierenden rechtlichen Erscheinungsformen in den europäischen Mitgliedsstaaten erfassen zu können. In der vorliegenden Arbeit wird dieser Schritt sowohl aus inhaltlichen als auch aus terminologischen Gründen nicht nachvollzogen. Das hier vertretene Verständnis der regulierten Selbstregulierung lag bei der Entstehung des JMStV zuSchulz / Held, Regulierte Selbstregulierung, S. A-5. So z. B. Palzer, ZUM 2002, S. 875, 876. Ihr offensichtlich folgend Groß, NVwZ 2004, S. 1393, 1395, Fn. 24. 51 Auch Palzer, ZUM 2002, S. 875, 876 muss dies einräumen. 52 Ähnlich Retzke, Präventiver Jugendmedienschutz, S. 69, Fn. 357. 53 Das Begriffsverständnis wird detailliert beschrieben bei Schulz et al, Co-Regulierungsmaßnahmen im Medienbereich, S. 39 ff. 54 Schulz et al, Co-Regulierungsmaßnahmen im Medienbereich, S. 6. 49 50
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2. Teil: Das Konzept der regulierten Selbstregulierung
grunde55 und bildet auch sonst die bedeutendste Grundlage für die Diskussion innerhalb des deutschen Rechtssystems.
2. Selbstverwaltung und Kondominialverwaltung Unter Selbstverwaltung versteht man öffentlich-rechtlich verfasste Organisationen, deren Träger durch diese Rechtsform vollumfänglich auf der Seite des Staates stehen;56 die Handwerkskammern können hierfür als Beispiel genannt werden. Daher lässt sich plakativ formulieren: Selbstverwaltung ist Staat, während Selbstregulierung Gesellschaft bleibt.57 Dieser grundlegende Unterschied wird auch nicht dadurch aufgehoben, dass die Selbstverwaltungen aus historischen Selbstregulierungsformen hervorgegangen sind, dem „gesellschaftlichen Sektor“ nahe stehen oder die Gemeinsamkeit besteht, dass sich in beiden Fällen der Staat eine Art der Selbstbeschränkung auferlegt.58 Von Kondominialverwaltung59 oder einem staatlich-pluralistischen Modell kann gesprochen werden, wenn eine rein staatliche Behörde besteht, die jedoch über ein Organ mit pluralistischer Besetzung verfügt, also Vertreter privater Gruppen in diesem Gremium mitentscheiden; 60 die Rundfunkräte im öffentlich-rechtlichen Rundfunk bilden hierfür ein bekanntes Beispiel. Es handelt sich dabei nicht um einen Fall regulierter Selbstregulierung, weil die beteiligten Privaten keinen eigenen Gestaltungsspielraum haben. Im Übrigen ist zu bemerken, dass die beteiligten privaten Gruppen nicht identisch sein müssen mit den Gruppen, die reguliert werden, beispielsweise finden sich in den rundfunkrechtlichen Kontrollgremien regelmäßig Vertreter der Kirchen.
3. Beleihung und Verwaltungshilfe Beliehene sind Privatpersonen, denen die Befugnis zur hoheitlichen Wahrnehmung bestimmter Verwaltungsaufgaben übertragen wird, so dass ihr status privat bleibt, sie jedoch funktionell in begrenztem Umfang hoheitlich handeln.61 Der Be55 So ausdrücklich auch Schulz et al, Analyse des Jugendmedienschutzsystems, S. 123. Vgl. bereits Hartstein / Ring / Kreile / Dörr / Stettner, Rundfunkstaatsvertrag, Band III, C 2 Rn. 67. 56 Schmidt-Aßmann in: Regulierte Selbstregulierung als Steuerungskonzept, Die Verwaltung, Beiheft 4 / 2001, S. 253, 261. Näher zur Selbstverwaltung der Wirtschaft Badura / Peter M. Huber in: Schmidt-Aßmann, Besonderes Verwaltungsrecht, Kapitel 3, Rn. 67 ff. 57 Di Fabio, VVDStRL, Band 56 (1997), S. 235, 270. 58 Ukrow in: Ukrow, Selbstkontrolle im Medienbereich, S. 1, 25. 59 Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 79. 60 Groß, NVwZ 2004, S. 1393, 1394. 61 Näher zur Rechtsfigur des Beliehenen siehe Seite 109 ff.
B. Definition
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liehene ist also als ein Teil der Exekutive in diese hineingenommen.62 Daher lässt sich die regulierte Selbstregulierung nicht in die Figur der Beleihung einfügen.63 Bei der Verwaltungshilfe leisten Private einen Beitrag zu einer Staatsaufgabe, der von ihnen zwar nach ihren eigenen Verhaltensmustern regelmäßig in der Form des privaten Rechts erbracht wird, aber funktional auf die Staatsaufgabe bezogen bleibt.64 Die gesellschaftlichen Kräfte, die bei regulierter Selbstregulierung aktiv werden, sind in ihrem Tätigwerden im Unterschied zum Verwaltungshelfer nicht funktional auf eine Staatsaufgabe bezogen, sondern handeln innerhalb eines staatlich gesetzten Rahmens (wenn auch nicht „schlicht gesellschaftlich“ wie die reine Selbstregulierung).65 Aus der Sicht von Dritten handelt der private Verwaltungshelfer im Namen des Hoheitsträgers, so dass die Verwaltungshilfe nicht der regulierten Selbstregulierung zuzuordnen ist,66 sondern vielmehr Element von Regulierung im imperativen Sinne bleibt.67
V. Exkurs: Verortung der regulierten Selbstregulierung durch die verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen Bei der Diskussion um das Konzept einer regulierten Selbstregulierung können zwei weitgehend unabhängige, aber parallele Diskussionszusammenhänge unterschieden werden, nämlich einerseits ein politik- und rechtswissenschaftlicher Ansatz, der im deutschsprachigen Raum vorherrschend ist und andererseits ein ökonomisch und spieltheoretischer Ansatz, der vor allem im englischsprachigen Raum im Vordergrund steht.68 Da in dieser Untersuchung ein rechtswissenschaftlicher 62 Schmidt-Aßmann in: Regulierte Selbstregulierung als Steuerungskonzept, Die Verwaltung, Beiheft 4 / 2001, S. 253, 260. 63 Vgl. Burgi, Funktionale Privatisierung, S. 89. Zustimmend Schmidt-Aßmann in: Regulierte Selbstregulierung als Steuerungskonzept, Die Verwaltung, Beiheft 4 / 2001, S. 253, 265. Andere Ansicht wohl Di Fabio, VVDStRL, Band 56 (1997), S. 235, 273, der generell eine weitere Definition der Beleihung fordert, nicht zuletzt um Phänomene der Selbstregulierung damit erfassen zu können. Dies entspricht jedoch m. E. nicht der aktuellen Rechtsdogmatik. Ausdrücklich gegen Di Fabio äußert sich Bosch, Regulierte Selbstregulierung im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag, S. 73 m. w. N., die pointiert festhält: „Will man dem Konzept der regulierten Selbstregulierung rechtliche Grenzen setzen – was unzweifelhaft notwendig ist –, so müssen sie dem Gesetzgeber gesetzt werden und nicht den Privaten.“ 64 Schmidt-Aßmann in: Regulierte Selbstregulierung als Steuerungskonzept, Die Verwaltung, Beiheft 4 / 2001, S. 253, 261. 65 Burgi in: Erichsen / Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht (13. Auflage), § 9, Rn. 37. 66 Burgi, Funktionale Privatisierung, S. 89. Zustimmend Schmidt-Aßmann in: Regulierte Selbstregulierung als Steuerungskonzept, Die Verwaltung, Beiheft 4 / 2001, S. 253, 265. Andere Ansicht offenbar Di Fabio, VVDStRL, Band 56 (1997), S. 235, 273, der eine besondere, an den Beliehenen angelehnte Figur des „selbständigen Verwaltungshelfers“ vorschlägt; dies entspricht m. E. jedoch nicht der aktuellen Rechtsdogmatik. 67 Vgl. Eifert in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band I, § 19, Rn. 40 (uneindeutig dagegen Rn. 81).
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2. Teil: Das Konzept der regulierten Selbstregulierung
Ansatz verfolgt wird, soll die alternative Einordnung hier nur im Rahmen eines kurzen Exkurses erwähnt werden: Nach dem ökonomisch-spieltheoretischen Ansatz erweist sich Regulierung als „Spiel“ zwischen Regulierer und Reguliertem sowie eventuell beteiligten Dritten.69 Während rein rechtlich-politische Sichtweisen dazu neigen, Regulierung als „Einbahnstraße“ zu sehen, lassen sich mit dieser Betrachtungsweise vor allem Handlungsalternativen der Privaten darstellen, beispielsweise Ausweichstrategien oder Gegenwehr in Form politischen Drucks. Mit einem solchen geradezu dialektischen Ansatz konnte beispielsweise gezeigt werden, dass nicht größtmögliche Sanktionierung den größtmöglichen Erfolg bringt, sondern vergleichsweise große Freiheit in Verbindung mit der Drohung, stufenweise schärfere Sanktionen bei mangelndem Wohlverhalten einzuführen.70
C. Theoretische Grundlagen I. Motive für eine Implementierung und erhoffte Vorteile Regulierte Selbstregulierung führt dazu, dass der Staat auf einen Teil seiner Möglichkeiten zur unmittelbaren Einflussnahme verzichtet. Dieser Verzicht kann völlig unterschiedliche Motive haben, nämlich einerseits die bloße Resignation vor (tatsächlichen oder vermeintlichen) Realitäten oder andererseits eine originär liberale politische Überzeugung. Das Motiv der Resignation überwiegt typischerweise dort, wo Wissens- oder Vollzugsprobleme auf Seiten des Staates nachgewiesen (oder vermutet) werden. Das Motiv des Liberalismus überwiegt dort, wo die marktmäßige Erbringung von Dienstleistungen und Waren respektiert wird, aber gleichzeitig darin eingegriffen werden soll, weil unterstellt wird, dass die Funktionsfähigkeit strukturell bedroht ist oder unerwünschte Ergebnisse befürchtet werden (z. B. eine Unterversorgung mit Telekommunikationsdienstleistungen).71 Neben diesen Motivationen von eher übergreifendem Charakter besteht eine Reihe von erhofften konkreten Vorteilen, von denen einige exemplarisch genannt werden sollen. An vorderster Stelle steht häufig die Hoffnung auf eine Entlastung des Staates durch die Einbindung privater Kräfte.72 Im Idealfall müssen die Behörden nur 68 Schulz / Held, Regulierte Selbstregulierung, S. A-9 m. w. N. Vgl. auch Eifert in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band I, § 19, Rn. 2 ff. sowie Bosch, Regulierte Selbstregulierung im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag, S. 159 ff. 69 Vgl. zum Ganzen Schulz / Held, Regulierte Selbstregulierung, S. A-9 m. w. N. 70 Vgl. dazu Schulz et al, Co-Regulierungsmaßnahmen im Medienbereich, S. 18 f. 71 Schulz in: Regulierte Selbstregulierung als Steuerungskonzept, Die Verwaltung, Beiheft 4 / 2001, S. 101, 104. 72 Eifert in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band I, § 19, Rn. 59.
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noch einen geringfügigen Teil der Arbeit übernehmen, was regelmäßig eine personelle, je nach Ausgestaltung auch eine darüber hinausgehende finanzielle Entlastung zur Folge hat. Dieser potentielle Vorteil erfährt zunehmend an Gewicht, weil den Behörden immer öfter die personellen und sächlichen Ressourcen fehlen, um eine ausreichende Überwachung sicherzustellen.73 Umgekehrt können unter Umständen auch die privaten Akteure in monetärer Hinsicht profitieren, denn wenn sie sich an der Regulierung ihrer Branche beteiligen, verringern sie die Wahrscheinlichkeit eines unerwarteten staatlichen Eingriffs, der die von ihnen getätigten Investitionen wertlos machen würde.74 Regulierte Selbstregulierung verspricht des Weiteren, die zunehmenden staatlichen Wissensdefizite75 abzumildern. Die „Informationskrise des Rechts“ wird schon seit längerer Zeit diskutiert76 und inzwischen wird das „Wissensproblem“ als ein Hauptproblem rechtlicher Steuerung beschrieben.77 Das Element der Selbststeuerung ermöglicht die Ausnutzung privaten Wissens und kann daher sachnahe und flexible Lösungen erleichtern sowie die Wahrscheinlichkeit von Innovation erhöhen.78 Die Zunahme von Komplexität und Spezialisierung der erforderlichen Wissensbestände betrifft dabei nicht nur die Regelbildung, sondern ebenso den Vollzug.79 Rein staatliche Rechtsetzung ist immer weniger in der Lage, politische Steuerungsziele durchzusetzen, weil einerseits die Zielerreichung an sich immer schwieriger wird und andererseits unerwünschte Nebenwirkungen (wie z. B. Belastungen der Wirtschaft) ihre Vorteile konterkarieren.80 Traditionelle Steuerungskonzepte eignen sich beispielsweise kaum dazu, bei den Betroffenen kreatives Verhalten in Form von Eigeninitiative, Innovation und Verantwortungsbewusstsein zu erzeugen, da derartige Vorgänge kaum erzwungen werden können.81 Des Weiteren ist bei den 73 Peter M. Huber in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band III (im Ersch.), § 45, Rn. 128. 74 Vgl. Ukrow, Jugendschutzrecht, Rn. 659 m. w. N. 75 Schulz / Held, Regulierte Selbstregulierung, S. A-8 m. w. N.; vgl. auch Schulz et al, Co-Regulierungsmaßnahmen im Medienbereich, S. 14 f. sowie die sehr anschaulichen Ausführungen von Retzke, Präventiver Jugendmedienschutz, S. 55, die dieses Phänomen in die historische Entwicklung einordnet. 76 Vgl. Peter M. Huber, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 37 m. w. N. 77 Hoffmann-Riem, ZRP 2007, S. 101, 102. 78 Finckh, Regulierte Selbstregulierung im Dualen System, S. 46. Ähnlich Eifert in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band I, § 19, Rn. 59. 79 Eifert in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band I, § 19, Rn. 80. 80 Schulz / Held, Regulierte Selbstregulierung, S. A-2 m. w. N. Ähnlich Retzke, Präventiver Jugendmedienschutz, S. 56 m. w. N. 81 Schulz / Held, Regulierte Selbstregulierung, S. A-8 m. w. N.; vgl. auch Schulz et al, CoRegulierungsmaßnahmen im Medienbereich, S. 15.
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Bürgern Akzeptanz, die inzwischen als wichtiger Gradmesser für die Funktionalität von Regelungen identifiziert wurde,82 womöglich eher zu erreichen, wenn sie stärker in die Implementierung eingebunden werden. Auch gibt es viele weitere Ziele, die mit rein imperativer Steuerung regelmäßig (nicht nur suboptimal, sondern) überhaupt nicht erreicht werden können (z. B. Börsenkurse, Konjunkturverlauf, kulturelle Toleranz, wissenschaftliche Erkenntnisse, verantwortungsbewusstes Sexualverhalten83). Außerdem führen überkommene Modelle der imperativen Steuerung häufig mit sich, die Interessen der Betroffenen zu ignorieren, so dass sie Widerstand statt Kooperationsbereitschaft hervorrufen können.84 Dieser Widerstand kann auch dadurch zum Ausdruck kommen, dass die Betroffenen soweit wie möglich ausweichen.85 Dieser Aspekt gewinnt unter dem Einfluss zunehmender Globalisierung an Bedeutung, weil hierdurch vermehrte Ausweichmöglichkeiten entstehen.86 Schließlich gibt es auch rechtliche Hindernisse, durch die eine staatliche Aufsicht mehr eingeschränkt ist als private Institutionen, wie etwa die Grenzen sachlicher und örtlicher Zuständigkeit.87 Private Strukturen sind dagegen grundsätzlich unabhängig von den räumlichen Grenzen staatlicher Zuständigkeiten und Verwaltungsspezifika und erlauben übergreifende Problemlösungen, die bereits im föderalen System der Bundesrepublik zum Tragen kommen, das Konzept aber besonders als Integrationsmodell in den europäischen Gemeinschaften attraktiv machen.88
II. Gefahren einer Implementierung und befürchtete Nachteile Mindestens ebenso häufig wie auf die potentiellen Vorteile regulierter Selbstregulierung wird auf mögliche Gefahren und Nachteile hingewiesen. Einheitliches Grundproblem aller Formen regulierter Selbstregulierung besteht wohl in der Wahrung der Balance zwischen hinreichender Absicherung des Gemeinwohls einerseits und einer hinreichenden Respektierung des Eigensinns der in Bezug genommenen Selbstregulierungsmechanismen andererseits.89 Spezifische Problemstellungen können im Folgenden wiederum nur beispielhaft genannt werden. Vgl. Peter M. Huber, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 37. So ein Teil der Aufzählung bei Rossen-Stadtfeld, AfP 2004, S. 1, 2. 84 Diesen Aspekt stellt Schulz in: Klumpp, Medien, Ordnung und Innovation, S. 169, 172 an die Spitze seiner Überlegungen. 85 Vgl. Retzke, Präventiver Jugendmedienschutz, S. 55 m. w. N. Vgl. zum Ganzen auch Schulz et al, Co-Regulierungsmaßnahmen im Medienbereich, S. 14. 86 Peter M. Huber, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 37; Schulz in: Klumpp, Medien, Ordnung und Innovation, S. 169, 174 nennt dies „internationales Forum-Shopping“. 87 Ukrow in: Ukrow, Selbstkontrolle im Medienbereich, S. 1, 14. 88 Eifert in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band I, § 19, Rn. 59. 82 83
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Normative Vorgaben können unterlaufen oder zumindest relativiert werden, was als negative Folge einen staatlichen Autoritätsverlust nach sich ziehen kann, wenn der Eindruck einer „Kungelei“ zwischen Staat und Wirtschaft entsteht.90 Deshalb besteht eine häufig geäußerte Befürchtung darin, dass sprichwörtlich „der Bock zum Gärtner gemacht“ würde, wenn der Wirtschaft Verantwortung für die Regulierung zukomme.91 Die Einbindung von Elementen der Selbstregulierung birgt in Hinblick auf die materiell-rechtlichen Standards die Gefahr einer Einigung auf „den kleinsten gemeinsamen Nenner“.92 Dazu kann es kommen, wenn betroffene Private auf eine immer größere Handlungsfreiheit drängen und insbesondere dann, wenn eine Mehrzahl Privater beteiligt ist, die keine völlig gleichförmigen Interessen verfolgt. Bei einem Verzicht auf einseitig-hoheitliches Handeln besteht die Gefahr einer selektiven Berücksichtung derjenigen Interessen, die über organisierte Formen der Einflussnahme verfügen und einer Benachteiligung schlecht organisierbarer Interessen wie das Gemeinwohl oder die Bedürfnisse zukünftiger Generationen.93 Denn typischerweise sind Sonderinteressen schlagkräftiger zu organisieren als Allgemeininteressen, Gegenwartsinteressen leichter durchzusetzen als Zukunftsinteressen, wirtschaftliche leichter als ideelle Interessen.94 In Hinblick auf Wirtschaft und Wettbewerb besteht daneben die Gefahr, dass regulierte Selbstregulierung dazu genutzt wird, den Marktzutritt von Unternehmen zu erschweren.95 Dies kann nicht nur geltendem Kartellrecht widersprechen,96 sondern ist auch de lege ferenda kaum wünschenswert. Systemen, an denen Private beteiligt sind, wird im Vergleich zu staatlichen Stellen häufig eine erhöhte Flexibilität nachgesagt. Mag dies bei Veränderungen in einem vorhersehbaren Rahmen, beispielsweise technischer Art, noch zutreffen, so kann sich bei Änderungen außerhalb dieses Rahmens ein gegenteiliger Effekt ergeben.97 Es besteht die Gefahr des Immobilismus, wenn völlig neuartige Situationen 89 Eifert in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band I, § 19, Rn. 56. 90 Ukrow in: Ukrow, Selbstkontrolle im Medienbereich, S. 1, 16. 91 Schulz et al, Co-Regulierungsmaßnahmen im Medienbereich, S. 1. 92 Ukrow, Jugendschutzrecht, Rn. 660. 93 Vgl. Eifert in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band I, § 19, Rn. 60; wie hier auch Finckh, Regulierte Selbstregulierung im Dualen System, S. 45. 94 Ukrow, Jugendschutzrecht, Rn. 660. 95 Schulz in: Klumpp, Medien, Ordnung und Innovation, S. 169, 182. 96 Zum Verhältnis von Regulierung und allgemeinem Wettbewerbsrecht Berringer, Regulierung, S. 106. Ausführlich zur Vereinbarkeit von Elementen der Selbstregulierung mit europäischem Wettbewerbsrecht Ukrow in: Ukrow, Selbstkontrolle im Medienbereiche, S. 1, 73 sowie Schulz et al, Co-Regulierungsmaßnahmen im Medienbereich, S. 180 – 187. 97 Vgl. Eifert in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band I, § 19, Rn. 60.
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aufkommen, weil sich eine Mehrzahl von Beteiligten zunächst auf eine Reaktion einigen muss.98 Darüber hinaus kann eine Mehrzahl von Entscheidungsträgern zu verringerter Transparenz von Verantwortlichkeit führen. Mit anderen Worten besteht die Gefahr, dass Systeme zu komplex werden, was erhöhte Kosten, Unklarheit der Rahmenbedingungen für die Wirtschaft sowie Verantwortungsdiffusion nach sich ziehen kann.99 Dem Staat kann durch Rückzug auf eine regulierte Selbstregulierung das erforderliche Steuerungswissen verloren gehen oder künftig doch nur in einer interessenbestimmten Vorauswahl zur Verfügung stehen.100 Ebenso ist es denkbar, dass eine starke Verflechtung von staatlicher und privater Seite schwer wieder zu lösen sein wird, sei es aus praktisch-organisatorischen oder aus psychologischen Gründen, welche die kritische Distanz aufheben.101 Letzteres Phänomen wird unter dem Stichwort „Capturing“ diskutiert, wenn also der Staat bildhaft auf die Seite der Selbstregulierung gezogen wird, beispielsweise ein Behördenvertreter auf die Seite der Industrie.102
III. Potentielle Instrumente Zur Bildung von Systemen regulierter Selbstregulierung steht in der „Werkzeugkiste“103 des Gesetzgebers eine Vielzahl verschiedener potentieller Instrumente zur Verfügung. Die folgende Aufzählung kann zwar keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben, ermöglicht es aber, eine Vorstellung von den vielfältigen Einsatzund Kombinationsmöglichkeiten zu vermitteln. Ein typisches Instrument der regulierten Selbstregulierung sind Zulassungserfordernisse in Form von Registrierungen und Zertifizierungen.104 Durch sie kann eine systematische präventive Regulierung der Selbstregulierung erfolgen. Es kommen verschiedene Varianten in Betracht, so können von Privaten erarbeitete Kodizes beispielsweise einer staatlichen Genehmigungspflicht unterliegen. Durch eine Verpflichtung zur Registrierung kann der Staat auch gegenüber den Organisationen der Selbstregulierung bestimmte Vorgaben treffen, beispielsweise kann er sie zur Ukrow, Jugendschutzrecht, Rn. 660. Das gesteht auch Schulz in: Klumpp, Medien, Ordnung und Innovation, S. 169, 182 ein. 100 Schmidt-Aßmann in: Regulierte Selbstregulierung als Steuerungskonzept, Die Verwaltung, Beiheft 4 / 2001, S. 253, 263. 101 Schmidt-Aßmann in: Regulierte Selbstregulierung als Steuerungskonzept, Die Verwaltung, Beiheft 4 / 2001, S. 253, 263. 102 Hoffmann-Riem, Regulierung der dualen Rundfunkordnung, S. 270 m. w. N. 103 Eifert in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band I, § 19, Rn. 153. Die „Werkzeugkiste“ wird auch als „Toolbox“ bezeichnet, vgl. z. B. Schulz / Held, Regulierte Selbstregulierung, S. D-2. 104 Näher zum Ganzen Schulz / Held, Regulierte Selbstregulierung, S. D-3. 98 99
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Aufnahme bestimmter Mitglieder verpflichten. Schließlich sind sog. Audit-Verfahren zu nennen, bei denen staatlich registrierte, private Organisationen das Recht erhalten, andere Private zu überprüfen. Auch in der subsidiären imperativen Regulierung für den Fall der Schlechterfüllung105 kann ein potentielles Instrument identifiziert werden. Die Androhung der Einführung rein imperativer Regelungen für den Fall, dass die vorgesehenen Aufgaben der Selbstregulierung nicht innerhalb eines bestimmten Zeitrahmens erfüllt werden bzw. nicht die gewünschten Ergebnisse bringen, kann ein wirksames Mittel sein, Private zur Wahrnehmung der Möglichkeiten zur Selbstregulierung zu motivieren.106 Ein solches Instrument wird bildhaft auch als „Damoklesschwert staatlicher Intervention“107 oder „Knüppel im Sack“108 bezeichnet. Dabei wird die faktische Realisierbarkeit dieser Option in der Literatur als besonders wichtiger Aspekt beschrieben; nur wenn staatliche Steuerungsressourcen tatsächlich vorhanden sind, um bei unzureichendem Handeln der Privaten einzugreifen, könne die regulierte Selbstregulierung als solche funktionieren.109 Unter diesem Aspekt erscheine ein abgestuftes Sanktionssystem als sinnvoll, damit der Staat nicht vor einer schwierigen „Ganz oder gar nicht“-Situation steht. Eine Unterform solcher Systeme sind solche, die nicht den gesamten Bereich betreffen, sondern nur Einzelne, sog. „schwarze Schafe“. Da es wie erwähnt eine typische Motivation ist, Wissensdefizite auszugleichen, kann es sich anbieten, eine systematisierte Verwaltung von erlangten Informationen zu etablieren,110 beispielsweise durch die Verpflichtung der beteiligten Privaten, Informationen dem Staat und / oder der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. Über den primären Zweck hinaus kann so auch ein Beitrag zur Steigerung der Transparenz des Systems geleistet werden und der Aufbau einer faktischen Machtposition der Privaten durch ein Mehr an Information begrenzt werden. Ein ähnliches Mittel zur Generierung und zum Austausch von Information sind institutionalisierte regelmäßige Veranstaltungen, bei denen Staat und Private über ihre Erfahrungen berichten.111 Weitere potentielle Instrumente regulierter Selbstregulierung betreffen nicht originär beteiligte Dritte. So kann die formalisierte Einbindung von Beschwerden der 105 Auch Schmidt-Preuß, VVDStRL, Band 56 (1997), S. 160, 174 spricht von „gesellschaftlich-selbstregulativer Schlechterfüllung“; andere Quellen wie Schulz / Held, Regulierte Selbstregulierung, S. D-3 sprechen etwas plakativer von „Versagen“. 106 Schulz / Held, Regulierte Selbstregulierung, S. D-3 m. w. N. 107 Peter M. Huber in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band III (im Ersch.), § 45, Rn. 213 m. w. N. 108 Dafür wird auch der englische Ausdruck „heavy stick in the background“ verwendet, vgl. z. B. Schulz / Held, Regulierte Selbstregulierung, S. D-3. 109 Schulz et al, Co-Regulierungsmaßnahmen im Medienbereich, S. 127. 110 Schulz / Held, Regulierte Selbstregulierung, S. D-6. 111 Schulz / Held, Regulierte Selbstregulierung, S. D-6.
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Allgemeinheit ein sehr wirksames Mittel sein, um ein System regulierter Selbstregulierung zu kontrollieren.112 Schon die schiere Masse der potentiellen Kontrolleure kann sich als entscheidender Vorteil erweisen, wenngleich auf diese Weise naturgemäß nur solche Probleme erfasst werden können, die für die Allgemeinheit relevant und erkennbar sind. In diesem Zusammenhang kann auch die Verpflichtung zur generellen Gewährleistung von Öffentlichkeit stehen, so können Staat und / oder die beteiligten Privaten zur Offenlegung ihrer Arbeit u. ä. verpflichtet werden. Dies verspricht nicht nur eine erhöhte Transparenz, sondern kann auch eine zusätzliche Quelle zur Ideenfindung bilden.113 Um ein möglichst weites Durchdringen des gesellschaftlichen Bereichs zu erreichen, ist es denkbar, dass die beteiligten Privaten Informationen und / oder Verpflichtungen weitergeben müssen, beispielsweise gegenüber Vertragspartnern oder Arbeitnehmern.114 Zu nennen sind hier etwa Mitarbeiterschulungen oder Standardklauseln in Arbeitsverträgen. Schließlich sind auch Evaluierungen als potentielles Instrument regulierter Selbstregulierung nicht zu vernachlässigen. Sie können als Effizienzkontrolle dienen und versprechen zusätzliche Transparenz für die Beteiligten ebenso wie für die Öffentlichkeit.115 Evaluationen können auch mit einer Befristung von Registrierungen und Zertifizierungen kombiniert werden.
IV. Typologisierung Durch die nahezu beliebige Kombination der potentiellen Instrumente entsteht eine breite Vielfalt denkbarer Varianten regulierter Selbstregulierung – es gibt also nicht das Modell der regulierten Selbstregulierung.116 In der Literatur wurden aber Ansätze einer systematischen Typologie entwickelt; doch auch diese sogleich zu skizzierenden Grundmodelle beinhalten keine kategorialen Unterscheidungen, vielmehr lassen auch sie sich nahezu beliebig kombinieren. Zunächst können „normzentrierte“ und „organisationszentrierte“ Varianten unterschieden werden. Bei normzentrierten Modellen117 sind von Privaten erstellte Kodizes Anknüpfungspunkt der Selbstregulierung.118 Innerhalb dieses Grundtyps, der auch Selbstregulierung mit vorrangig normativen Regulierungstechniken119 Dazu Schulz / Held, Regulierte Selbstregulierung, S. D-5. Vgl. Schulz / Held, Regulierte Selbstregulierung, S. D-5. 114 Näher Schulz / Held, Regulierte Selbstregulierung, S. D-4. 115 Zum Ganzen Schulz / Held, Regulierte Selbstregulierung, S. D-4. 116 Pooth, Jugendschutz im Internet, S. 138 (Hervorhebung wie im Original). 117 Grundlegend Eifert in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band I, § 19, Rn. 61 ff. 118 Näher Schulz / Held, Regulierte Selbstregulierung, S. D-8. 119 So Schmidt-Aßmann in: Regulierte Selbstregulierung als Steuerungskonzept, Die Verwaltung, Beiheft 4 / 2001, S. 253, 259. 112 113
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genannt werden kann, lassen sich wiederum zwei Unterformen unterscheiden: Zum einen kann Gegenstand der Regulierung der Inhalt der Kodizes sein, wodurch der zu regelnde Bereich festgelegt wird. Auch inhaltliche Mindestvorgaben können hierbei formuliert werden. Die andere Unterform liegt dann vor, wenn der Prozess der Entstehung der Kodizes reguliert wird, beispielsweise indem die Beteiligung bestimmter Institutionen vorgeschrieben wird. Bei organisationszentrierten Modellen sind die Organisationen der Selbstregulierung, die regelmäßig durch eine staatliche Zertifizierung eingebunden werden, der entscheidende Anknüpfungspunkt.120 In Betracht hierfür kommen sowohl bereits früher bestehende private Verbände als auch neu zu schaffende Organisationen. Aus Sicht der Betroffenen, also beispielsweise aus Sicht der Unternehmen einer regulierten Branche, ist der entscheidende Effekt, dass ihnen gegenüber regelmäßig die Eingriffsbefugnisse des Staates beschränkt sind, soweit die Organisationen der Selbstregulierung zuständig sind. Auch innerhalb dieses Grundtyps können zwei Unterformen unterschieden werden:121 Entweder wird eine reine Überwachungslösung gewählt, bei der die Organisationen lediglich die Einhaltung staatlich gesetzter Regeln kontrollieren. Oder den Organisationen wird (auch) das Recht eingeräumt, einen Teil der relevanten inhaltlichen Regeln selbst zu erlassen, so dass es sich insofern um eine Kombination mit dem bereits beschriebenen normzentrierten Ansatz handelt.122 Zu nennen sind außerdem noch zwei weitere, häufig beschriebene Grundtypen. Beim Supervisions-Modell, das auch als Audit-Modell bezeichnet werden kann, steht die staatliche Unterstützung einer Selbstkontrolle im Vordergrund.123 Hierbei unterstützt der Staat die Privaten organisatorisch und durch die Weitergabe inhaltlichen Wissens bei der Umsetzung bestimmter Qualitätsanforderungen wie beispielsweise Datenschutz-Niveaus. Von kooperativen Organisationen kann demgegenüber gesprochen werden, wenn sich Selbstregulierung und Regulierung in eigens dafür geschaffenen Organisationen begegnen, was insbesondere bei privatrechtlich gebildeten Gremien der Fall ist, bei denen Vertreter des Staates mitwirken.124
Näher Schulz / Held, Regulierte Selbstregulierung, S. D-12. Vgl. Schulz / Held, Regulierte Selbstregulierung, S. D-12. 122 Schulz / Held, Regulierte Selbstregulierung, S. D-12 sprechen daher von einer „Normsetzungslösung“. 123 Schulz / Held, Regulierte Selbstregulierung, S. D-15. 124 Schmidt-Aßmann in: Regulierte Selbstregulierung als Steuerungskonzept, Die Verwaltung, Beiheft 4 / 2001, S. 253, 260. 120 121
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2. Teil: Das Konzept der regulierten Selbstregulierung
D. Referenzgebiete Die Darstellung von Referenzgebieten 125 verfolgt weder den Zweck, einen abschließenden Katalog zu bilden, noch gilt es, die einzelnen Beispiele abschließend zu klären – vielmehr ist damit schlaglichtartig zu demonstrieren, wie überraschend weit die regulierte Selbstregulierung im bestehenden Recht verbreitet ist. Zum Beispiel treten im Umwelt- und Abfallwirtschaftsrecht prototypisch Konstellationen zu Tage, die ein Abrücken von herkömmlichen imperativen Regelungen nahelegen, wie beispielsweise die bereits erwähnten Wissensdefizite.126 In diesem Bereich finden sich auch mehrere Beispiele, die jedoch nicht auf einem Gesamtkonzept beruhen, sondern Ausdruck punktueller Experimente sind.127 Ein in der Öffentlichkeit relativ bekanntes Beispiel für regulierte Selbstregulierung ist die dem „Dualen System“ zugrunde liegende Verpackungsverordnung.128 Ihre Bestimmungen sind durch ein Nebeneinander von ordnungsrechtlichen Mitteln einerseits und Elementen von Kooperation und indirekter Steuerung andererseits gekennzeichnet. Ein typisches Element regulierter Selbstregulierung kam Jahre nach der Einführung der Verpackungsverordnung zu besonderer Bekanntheit, nämlich das Dosenpfand. Die Verpackungsverordnung sah von Anfang an vor, ein Zwangspfand einzuführen, wenn das gesetzte Ziel bei der Abfallvermeidung nicht erreicht werden würde.129 In der Terminologie der regulierten Selbstregulierung ist dies die Androhung einer verschärften Sanktion für den Fall der Schlechterfüllung oder anschaulicher der „Knüppel im Sack“. Wie bekannt, kam es in der Realität sowohl zu einer Schlechterfüllung als auch zu der Sanktion dessen. Das Produktsicherheitsrecht gilt als eines der ältesten und am weitesten verbreiteten Referenzgebiete, in denen Systeme der regulierten Selbstregulierung geschaffen wurden.130 In Teilen dieses Bereichs sind Formen der regulierten Selbstregulierung zu finden, bei der private Stellen praktisch vollständig über die Ausformungen von technischen Sicherheitsstandards entscheiden, aber die Akkreditierung der entsprechenden Stellen in staatlichen Händen liegt.131 Populäres – 125 Vgl. Voßkuhle in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band I, § 1, Rn. 43 ff. zur Bedeutung von Referenzgebieten für die rechtswissenschaftliche Untersuchung. 126 Brandt in: Regulierte Selbstregulierung als Steuerungskonzept, Die Verwaltung, Beiheft 4 / 2001, S. 123, 123. 127 Brandt in: Regulierte Selbstregulierung als Steuerungskonzept, Die Verwaltung, Beiheft 4 / 2001, S. 123, 130. 128 Zur Einordnung der Verpackungsverordnung als System der regulierten Selbstregulierung Finckh, Regulierte Selbstregulierung im Dualen System, S. 74. 129 Finckh, Regulierte Selbstregulierung im Dualen System, S. 75. 130 Vgl. Eifert in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band I, § 19, Rn. 82 f. 131 Vgl. Schmidt-Aßmann in: Regulierte Selbstregulierung als Steuerungskonzept, Die Verwaltung, Beiheft 4 / 2001, S. 253, 258 und Röhl, Akkreditierung und Zertifizierung im Produktsicherheitsrecht, passim.
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aber auch umstrittenes132 – Beispiel ist die technische Normung durch das Deutsche Institut für Normung (DIN).133 Im Medienbereich gibt es eine Vielzahl von selbstregulativen Elementen,134 von denen einige im späteren Verlauf dieser Untersuchung noch erläutert werden.135 Ein Beispiel aus dem Ausland soll aber bereits an dieser Stelle erwähnt werden, weil es illustriert, wie überraschend weit staatliche Einflussnahme unter der Überschrift einer vorgeblich „weichen“ Steuerung gehen kann. In Kanada wird die Darstellung von Geschlechterrollenklischees im Rundfunk durch regulierte Selbstregulierung überwacht.136 Grundlage ist der „Sex-Role Portrayal Code For Television and Radio Programing“, der beispielsweise vorschreibt, dass Fernsehcharaktere vielfältig und unter Einbeziehung der sozialen Errungenschaften von Frauen und Männern dargestellt werden sollen. Dieser „Code“ wird von einem privaten Branchenverband erstellt und von einer öffentlich-rechtlichen Überwachungsbehörde genehmigt. Doch auch in einem Bereich, in dem es nicht um vergleichsweise nebensächliche Fragen, sondern um nicht weniger als um Leben und Tod geht, sind Private in die Entscheidungsfindung eingebunden, namentlich in das Transplantationsrecht.137 § 11 des Transplantationsgesetzes (TPG) überlässt die Verteilungsentscheidungen einer Koordinierungsstelle, die als Stiftung bürgerlichen Rechts organisiert ist. Hinzu kommt die Vermittlungsstelle gem. § 12 TPG, die in der Praxis als privatrechtliche Stiftung niederländischen Rechts organisiert ist, welche wiederum von den Spitzenverbänden der Krankenkassen, der Bundesärztekammer und der Deutschen Krankenhausgesellschaft beauftragt wird.138 Die Entscheidungsmaßstäbe hingegen werden von Gremien der Bundesärztekammer normiert. Es handelt sich hierbei also um eine Vermengung von Selbstregulierung, Selbstverwaltung und Beleihung.139 Teilweise wurde dieses System als guter Kompromiss gelobt,140 andere Stimmen bezweifeln dessen Verfassungsmäßigkeit und bemängeln, dass eine in dieser Form verwirklichte regulierte Selbstregulierung keine Ver132 Kritisch Peter M. Huber in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band III (im Ersch.), § 45, Rn. 218. 133 Dazu Trute in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann, Öffentliches Recht und Privatrecht, S. 167, 199 f. 134 Einen Überblick gibt der Bericht des Beauftragten der Bundesregierung für Angelegenheiten der Kultur und der Medien aus dem Jahre 1999, veröffentlicht bei Ukrow, Selbstkontrolle im Medienbereich, S. 141. 135 Siehe Seite 104 ff. 136 Dazu ausführlich Kalckreuth-Tabbara, Medien & Kommunikationswissenschaft 2001, S. 498. 137 Taupitz, NJW 2003, S. 1145. 138 Lang, MedR 2005, S. 269, 270. 139 Schmidt-Aßmann in: Regulierte Selbstregulierung als Steuerungskonzept, Die Verwaltung, Beiheft 4 / 2001, S. 253, 259. 140 Dippel in: FS Hanack, S. 665, 695.
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2. Teil: Das Konzept der regulierten Selbstregulierung
antwortungsteilung, sondern eine „Verantwortungsverflüchtigung“ bedeute.141 Ohne dass dieser Streit hier entschieden werden könnte, zeigt zumindest ein tragisches Beispiel aus der Vergangenheit, wie die regulierte Selbstregulierung im Einzelfall versagt hat.142 Im Jahr 2006 misslang die Zuteilung einer seltenen SpenderLunge zu einer Patientin des Klinikums Großhadern in München, weil die Stiftung die Verträge mit den Kliniken im Streit um Kostenfragen gekündigt hatte, ohne für eine Ersatzregelung zu sorgen. Dieser Fall sollte zumindest all diejenigen zur Zurückhaltung mahnen, die eine private Regelung für stets überlegen halten.143 Die Liste mit Referenzgebieten ließe sich weiter fortsetzen, ob mit dem Telekommunikationsrecht,144 dem Handels- und Gesellschaftsrecht (wo gelegentlich vormals reine Selbstregulierung durch staatliche Sanktionierung zur regulierten Selbstregulierung wird, z. B. bei Verwendung von Verhaltenskodizes145) oder auch dem Wissenschaftsrecht (wo in der für die Mittelverteilung zentralen Position der Deutschen Forschungsgemeinschaft ein Fall regulierter Selbstregulierung erkannt werden kann146). An dieser Stelle soll aber ein Rechtsgebiet den Abschluss bilden, mit dem sich Juristen seit jeher in einer frühen Phase ihres Studiums auseinandersetzen und das – wohl zur Überraschung vieler – als „geradezu paradigmatisch für regulierte Selbstregulierung“147 bezeichnet werden kann: Das Versammlungsrecht.148 Insbesondere werden in einem Zusammenwirken von Veranstalter und Behörde die Ordner einer Versammlung bestimmt, die ihrerseits mit strafbewehrten Rechten ausgestattet sind.149 Daher lässt sich dieses System ohne weiteres als regulierte Selbstregulierung kategorisieren.
Lang, MedR 2005, S. 269, 279. Vgl. z. B. die Berichterstattung in der Süddeutschen Zeitung vom 27. 01. 2006. 143 Vgl. zur weiteren Entwicklung der Thematik die Berichterstattung in der Süddeutschen Zeitung vom 21. 02. 2007. 144 Vgl. vor allem Wegmann, Regulierte Marktöffnung, mit dem Untertitel „Die Steuerungsinstrumente des Telekommunikationsgesetzes im Lichte regulierter Selbstregulierung“. 145 Schmidt-Aßmann in: Regulierte Selbstregulierung als Steuerungskonzept, Die Verwaltung, Beiheft 4 / 2001, S. 253, 257 m. w. N. 146 Schmidt-Aßmann in: Regulierte Selbstregulierung als Steuerungskonzept, Die Verwaltung, Beiheft 4 / 2001, S. 253, 258. Unklar dagegen ist die Einordnung von neueren hochschulrechtlichen Instrumenten bei Smeddinck, DÖV 2007, S. 269, 278, nicht zuletzt, weil dabei regulierte Selbstregulierung und Selbstverwaltung nicht hinreichend klar differenziert werden. 147 Schuler-Harms in: Regulierte Selbstregulierung als Steuerungskonzept, Die Verwaltung, Beiheft 4 / 2001, S. 159, 159. 148 Hier wird noch das in Folge der Föderalismusreform 2006 teilweise durch Landesrecht ersetzbare Versammlungsgesetz des Bundes zugrunde gelegt. 149 Vgl. die §§ 9, 10, 22 Versammlungsgesetz des Bundes (die nach der Föderalismusreform 2006 bis zum Erlass landesrechtlicher Vorschriften weiter gelten). 141 142
E. Verwaltungsrechtliche Integration
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E. Verwaltungsrechtliche Integration Wie lässt sich diese Vielzahl von Ausformungen der regulierten Selbstregulierung in das Verwaltungsrecht integrieren? Di Fabio einerseits befürchtet, die stärkere Öffnung des Staates für die Einbindung gesellschaftlicher Kräfte sei verwaltungsrechtlich schwierig zu fassen und das öffentliche Recht könne seine Einheit verlieren.150 Schmidt-Preuß andererseits meint, die Elemente der Selbstregulierung würfen zwar fundamentale Strukturfragen auf, das Verwaltungsrecht sei für diese jedoch ausreichend gewappnet.151 Um diesen Frage zu entscheiden, muss man sich – glücklicherweise – gar nicht auf das glatte Parkett der rechtspolitischen Bewertung jüngerer Ansätze wagen. Die lange Reihe der Referenzgebiete der regulierten Selbstregulierung hat gezeigt, dass der vermeintlich „aktuelle Trend“, die angeblich „neue moderne Form“, ebenso die verkündete „Prinzipienwende“152 in Wahrheit ein sprichwörtlich „alter Hut“ ist. Sowohl in alten wie in jungen Rechtsgebieten,153 sowohl in Deutschland als auch in anderen europäischen Mitgliedsstaaten154 existiert eine schier unüberschaubare Vielzahl von Modellen, die sich als regulierte Selbstregulierung identifizieren lassen. „Neu“ sind allenfalls die Kategorisierung, die Terminologie und die Absichtlichkeit der Implementierung. Daher sind zwar Terminologie und überkommene Typenreihen womöglich im Einzelfall zu aktualisieren, dem Grunde nach ist die verwaltungsrechtliche Integration der regulierten Selbstregulierung aber ohne Einschränkung möglich. Mit plakativen Worten: Wenn die Verwaltungsrechtswissenschaft den Ordner im Sinne des Versammlungsrechtes ohne weiteres einbinden konnte, warum sollte die Integration des Dosenpfands problematisch sein? 150 Di Fabio, VVDStRL Band 56 (1997), S. 235, 274 f., der im Weiteren sogar eine recht düstere Prognose wagt: „Es steht zu befürchten, dass das öffentliche Recht seine Einheit verliert, wenn disparate Zirkel von Eingeweihten entstehen. Eine Gruppe wird dann im Jargon der Sozialwissenschaften versuchen, die Entwicklung als Ganze angemessen zu beschreiben, um überhaupt rechtliche Systemfragen in einen geordneten Kontext stellen zu können, eine andere wird die Nase lediglich in den Wind politischer Entwicklungen halten, jede gesetzliche Novität bejubelnd, um von der Thermik des Aktuellen hoch in das Licht der Aufmerksamkeit getragen zu werden, und wiederum eine andere Gruppe wird – als wäre nichts geschehen – mit Bienenfleiß Gerichtsentscheidungen sammeln und kommentieren. Es besteht dabei die Gefahr, dass dabei der Zusammenhang zu einer systematischen, entscheidungsfördernden Dogmatik verloren geht und Juristen sich untereinander gleichsam nicht mehr verstehen.“ 151 Schmidt-Preuß, VVDStRL Band 56 (1997), S. 160, 227. 152 Zu den Nachweisen der hier zitierten Einschätzungen siehe Seite 34 f. 153 Ähnlich Bosch, Regulierte Selbstregulierung im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag, S. 152. Nur teilweise zustimmungswürdig ist insofern der Befund von Cole, RdJB 2006, S. 299, 300, der zwar ebenfalls davon ausgeht, dass die Idee der regulierten Selbstregulierung nicht neu sei, jedoch meint, sie sei wenig verbreitet. 154 Vgl. zu den ähnlichen Befunden in vielen anderen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union treffen Schulz et al, Co-Regulierungsmaßnahmen im Medienbereich, S. 1.
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2. Teil: Das Konzept der regulierten Selbstregulierung
Damit soll der regulierten Selbstregulierung freilich kein Persilschein ausgestellt werden. Wenn eine Normierung unter Bezugnahme auf dieses Konzept erfolgt, so ist sie nicht deshalb begrüßenswert.155 Regulierte Selbstregulierung ist daher auch nicht der Königsweg zwischen Liberalisierung und traditionell-imperativer Regulierung.156 Ob ein entsprechendes „Experiment des Gesetzgebers“157 als „erfolgreich“ erachtet werden kann, kann selbstverständlich nicht davon abhängig gemacht werden, dass Elemente der Selbstregulierung womöglich gerade „in Mode gekommen“158 sind. Vielmehr hängt der „Erfolg“ von den gewählten Erfolgsindikatoren ab, deren Definition primär eine politische Entscheidung beinhaltet (die sich im Idealfall wiederum auf volkswirtschaftliche und soziologische Erkenntnisse stützt). Aufgabe und Potential der Rechtswissenschaft ist es dagegen, die Funktionsweise der regulierten Selbstregulierung als eines von mehreren denkbaren gesetzgeberischen Instrumenten zu erklären, sie kann die rechtlichen Voraussetzungen aufzeigen, juristische Konsequenzen ermitteln und die regulierte Selbstregulierung in Bezug zu den anderen verwaltungsrechtlichen Instituten setzen. Dies alles aber kann sie – entgegen der von Di Fabio formulierten Skepsis – ohne weiteres.
F. Verfassungsrechtliche Bewertung I. Hinführung Die Implementierung eines Systems regulierter Selbstregulierung muss – wie jede Rechtssetzung – mit höherrangigem Recht vereinbar sein. Da die Implementierung regelmäßig auf einfach-rechtlicher Ebene stattfindet, ist sie an den Vorgaben der nationalen Verfassung (sowie am Gemeinschaftsrecht) zu messen. Freilich können im Rahmen dieser Arbeit nicht die verfassungs-159 und gemeinschaftsrechtlichen160 Probleme der Regulierung insgesamt aufgearbeitet, sondern nur die Aspekte skizziert werden, die einen Bezug zur Idee der regulierten Selbstregulierung aufweisen. Dabei sind zwei Pole erkennbar:161 Auf der einen Seite existiert ein Bereich, in dem das Verfassungsrecht eine nicht-imperative Regulierung verbietet, zum Beispiel bei der Sanktionierung von erheblichen Verletzungen der Menschenwürde; auf der anderen Seite besteht ein Bereich, in dem das VerfasÄhnlich Schulz et al, Co-Regulierungsmaßnahmen im Medienbereich, S. 20. Vgl. Schulz in: Klumpp, Medien, Ordnung und Innovation, S. 169, 183 (Hervorhebung wie im Original) mit Bezug auf Co-Regulierung. 157 Groß, NVwZ 2004, S. 1393, 1399. 158 Groß, NVwZ 2004, S. 1393, 1399. 159 Vgl. dazu z. B. Berringer, Regulierung, S. 163. 160 Vgl. dazu z. B. Berringer, Regulierung, S. 198. 161 Schulz / Held, Regulierte Selbstregulierung, S. A-6. 155 156
F. Verfassungsrechtliche Bewertung
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sungsrecht jedwede Regulierung, also auch solche unter Einbeziehung selbstregulativer Elemente, verbietet, wie zum Beispiel Fragen des „guten Geschmacks“. Jenseits solcher – wohl nur selten virulenter – Extrempunkte lassen sich aufgrund der Vielfalt möglicher Fallgestaltungen pauschale Urteile über die verfassungsrechtliche Zulässigkeit von Systemen regulierter Selbstregulierung zwar nur eingeschränkt fällen.162 Doch selbst ausgewiesene Skeptiker wie Di Fabio müssen zugestehen, dass das Verdikt der Rechtswidrigkeit kaum vorstellbar ist, jedenfalls dann nicht, wenn ein Parlamentsgesetz als Grundlage vorhanden ist.163 Insgesamt kann daher schon unter Vorwegnahme der sogleich folgenden differenzierteren Darstellung zu beachtender verfassungsrechtlicher Aspekte im Ergebnis festgehalten werden, dass höherrangiges Recht der regulierten Selbstregulierung grundsätzlich nicht entgegensteht. Ein rechtliches Gebot der Einbindung selbstregulativer Elemente164 lässt sich dagegen nur schwerlich konstruieren. So führen die Grundrechte zu keinem allgemeinen Vorrang der Selbstregulierung vor der staatlichen Regulierung, allenfalls könnte das rechtsstaatlich begründete Verhältnismäßigkeitsprinzip im Einzelfall zur Unzulässigkeit einer staatlichen Regulierung führen, namentlich, wenn diese nicht erforderlich ist.165 Im Regelfall dürfte sich der Gesetzgeber jedoch hier im Rahmen einer weiten Einschätzungsprärogative166 bewegen. Auch gemeinschaftsrechtlich ist kein Gebot der Verwendung regulierter Selbstregulierung bei der mitgliedsstaatlichen Umsetzung erkennbar,167 sofern ein solches nicht im Einzelfall ausdrücklich durch eine Richtlinie angeordnet würde.168
II. Grundrechte Die Freiheitsgrundrechte begrenzen zunächst die unfreiwillige Indienstnahme der privaten Akteure (einschließlich der Kostenseite).169 Denn auch die gängige Wortwahl in diesem Bereich, die die kooperativen Aspekte betont, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich trotzdem um Eingriffe in die Freiheit der 162 So ausdrücklich Ukrow in: Ukrow, Selbstkontrolle im Medienbereich, S. 1, 28 im Hinblick auf das Demokratieprinzip. 163 Di Fabio, VVDStRL Band 56 (1997), S. 235, 274. 164 Vgl. Schmidt-Preuß, VVDStRL Band 56 (1997), S. 160, 170 zur Frage, ob ein Postulat der größtmöglichen Verwendung von Elementen der Selbstregulierung anzunehmen ist. 165 Schmidt-Aßmann in: Regulierte Selbstregulierung als Steuerungskonzept, Die Verwaltung, Beiheft 4 / 2001, S. 253, 266. 166 Vgl. dazu Meßerschmidt, Gesetzgebungsermessen, S. 926 ff. 167 Ukrow in: Ukrow, Selbstkontrolle im Medienbereich, S. 1, 39. 168 Zur Vereinbarkeit einer solchen ausdrücklichen Anordnung mit Art. 249 Abs. 3 EGV Schulz et al, Co-Regulierungsmaßnahmen im Medienbereich, S. 164 m. w. N. 169 Schmidt-Aßmann in: Regulierte Selbstregulierung als Steuerungskonzept, Die Verwaltung, Beiheft 4 / 2001, S. 253, 265.
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2. Teil: Das Konzept der regulierten Selbstregulierung
Betroffenen handelt.170 Daneben sind auch die Grundrechte der Adressaten der Selbstregulierung zu beachten. Heute ist anerkannt, dass Grundrechtseingriffe auch durch mittelbares Einwirken der hoheitlichen Gewalt entstehen können,171 so dass diesbezüglich auch Akte der Selbstregulierung in Betracht kommen, die auf staatlichen Ermächtigungen beruhen.172 Dies gilt beispielsweise dann, wenn eine staatliche „Drohkulisse“ zu einer privatautonom gesetzten Regelung aufgebaut wird.173 Ein interessanter Aspekt ist, dass in diesem Zusammenhang „mehrpolige Grundrechtsbeziehungen“ 174 entstehen können: Während dem Staat als „Regulierer“ die Berufung auf Grundrechte verwehrt ist, können sich erstens die Organisationen der Selbstregulierung, zweitens die Teilhaber daran, drittens die Gruppe der „Regulierten“ und viertens externe Dritte auf Grundrechte berufen. Innerhalb der grundrechtlichen Dimension ist schließlich Art. 3 Abs. 1 GG zu beachten,175 sobald eine Ungleichbehandlung zu befürchten ist, sei es zwischen verschiedenen (potentiellen) Trägern der Selbstregulierung, sei es zwischen verschiedenen sonstigen Betroffenen.
III. Staatliche Schutzpflichten Staatliche Schutzpflichten limitieren den Verzicht auf das staatliche Steuerungsmandat.176 Sie ergeben sich aus der objektiv-rechtlichen Wirkung der Verfassung sowie ausdrücklichen verfassungsrechtlichen Aufgabenzuweisungen. Das Bestehen derartiger staatlicher Regulierungspflichten bedeutet jedoch nicht, dass die Integration jeder Form von Selbstregulierung ausgeschlossen wäre, es ist lediglich die Funktionsfähigkeit eines kombinierten Systems zu gewährleisten.177 Der teilweise Rückzug des Staates setzt insofern voraus, dass die im Zusammenspiel mit Privaten vorgenommene Kontrolle der überkommenen, rein staatlichen Erfüllung „funktionell gleichwertig“ ist.178 Daraus können sich je nach Einzelfall auch eine Gewährleistungsverantwortung, eine Beobachtungspflicht sowie eine Pflicht zur Begleitkontrolle oder „Kontrolle der Kontrolle“ ergeben.179 Ausführlich Di Fabio, VVDStRL Band 56 (1997), S. 235, 258. Vgl. BVerfGE 90, 112, 121 f.; Ingo von Münch in: von Münch / Kunig, GG, Band 1, Vor Art. 1 – 19, Rn. 51a; Pieroth / Schlink, Grundrechte, Rn. 240 m. w. N.; Peter M. Huber, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 72. 172 Berringer, Regulierung, S. 195. 173 Berringer, Regulierung, S. 195. 174 Di Fabio, VVDStRL Band 56 (1997), S. 235, 255. 175 Darauf macht Brandt in: Regulierte Selbstregulierung als Steuerungskonzept, Die Verwaltung, Beiheft 4 / 2001, S. 123, 134 aufmerksam. 176 Schmidt-Preuß, VVDStRL Band 56 (1997), S. 160, 172. Vgl. auch Eifert, Die Verwaltung 2006, S. 309, 318 f. 177 Groß, NVwZ 2004, S. 1393, 1397 178 Vgl. Peter M. Huber in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band III (im Ersch.), § 45, Rn. 212 m. w. N. 170 171
F. Verfassungsrechtliche Bewertung
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IV. Demokratiegebot Auch von wesentlichen Protagonisten des Modells der regulierten Selbstregulierung wird eingestanden, dass in der Forschung bislang ein Defizit über die demokratische Legitimation von Systemen regulierter Selbstregulierung festzustellen ist, weil Wissenschaft und Praxis ihren Fokus zumeist auf die Effizienz richten und weniger auf normative Fragestellungen.180 Klar ist jedoch, dass jede hoheitliche Gewaltausübung sich nach dem Demokratiegebot grundsätzlich mittels einer ununterbrochenen Legitimationskette auf das Volk zurückführen lassen muss;181 entscheidend ist letztendlich ein hinreichendes Legitimationsniveau.182 Angewendet auf Kombinationen von privaten und hoheitlichen Elementen führt dies zu folgender Unterscheidung:183 Wenn Private hoheitlich handeln sollen, wie beispielsweise der Beliehene, so unterstehen sie insofern dem öffentlichen Sonderrecht und es bedarf einer effektiven parlamentarischen Kontrolle. Wenn die Privaten nicht hoheitlich handeln – wie es bei der regulierten Selbstregulierung regelmäßig anzunehmen ist – muss eine klare Trennung zwischen beiden Bereichen existieren. Kurz gesagt dürfen Private in diesem Fall keine Hoheitsgewalt ausüben, umgekehrt dürfen die hoheitlichen Entscheidungen nicht Partikularinteressen dienen.
V. Weitere potentiell relevante Verfassungsnormen Insbesondere im Bereich des Umweltrechts muss die Grenze des Art. 28 Abs. 2 GG beachtet werden, sofern bisherige kommunale Aufgaben durch ein System regulierter Selbstregulierung ersetzt werden sollen.184 Grundsätzlich in allen Referenzgebieten einschlägig ist Art. 33 Abs. 4 GG, demgemäß die ständige Ausübung hoheitlicher Befugnisse regelmäßig nur Beamten übertragen werden darf. Trotzdem dürfte diese Verfassungsnorm im Ergebnis der Implementierung eines Systems regulierter Selbstregulierung nie im Wege stehen. Nicht nur, weil sie generell als Exempel unerfüllten Verfassungsrechts gilt185 und auch kein Konsens über die Auslegung des Begriffs der hoheitsrechtlichen Befugnis besteht,186 sondern zuvörderst, weil dem Gesetzgeber abgesehen von einem engen Kernbereich von Staatsaufgaben erhebliche Spielräume zustehen, die durch den mehrfach eingeschränkSchmidt-Preuß, VVDStRL Band 56 (1997), S. 160, 172 m. w. N. Vgl. Schulz in: Klumpp, Medien, Ordnung und Innovation, S. 169, 179 f. 181 Vgl. z. B. BVerfGE 93, 37, 38. 182 BVerfGE 83, 60, 72; Trute in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band I, § 6, Rn. 14 und 56. 183 Vgl. Di Fabio, VVDStRL Band 56 (1997), S. 235, 264. 184 Brandt in: Regulierte Selbstregulierung als Steuerungskonzept, Die Verwaltung, Beiheft 4 / 2001, S. 123, 134. 185 Kunig in: von Münch / Kunig, GG, Band 2, Art. 33, Rn. 46. 186 Battis in: Sachs, GG, Art. 33, Rn. 55 m. w. N. 179 180
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2. Teil: Das Konzept der regulierten Selbstregulierung
ten Wortlaut der Norm verstärkt werden.187 Zudem kann eine (zumindest vorgebliche) bessere Eignung von Privaten einen rechtfertigenden Grund bilden.188 Hier wie generell ist daher im Grunde kein Privatisierungsmodell vorhanden, welches zwar mit Grundrechten und Demokratieprinzip vereinbar wäre, aber an Art. 33 Abs. 4 GG scheitern würde.189 Schließlich ist das Rechtsstaatsprinzip gem. Art. 20 Abs. 3 GG zu erwähnen, das den Vorbehalt des Gesetzes beinhaltet; 190 dieses gebietet eine Eingriffsermächtigung sowohl gegenüber den privaten Trägern der Selbstregulierung als auch gegenüber anderen Betroffenen.191 Darüber hinaus lässt sich dem Rechtsstaatsprinzip auch ein Gebot der Transparenz und Klarheit der Verantwortungsteilung entnehmen.192
VI. Gemeinschaftsrechtliche Perspektive Die Idee der regulierten Selbstregulierung erhält Impulse durch die Europäisierung des Verwaltungsrechts, da die Europäische Gemeinschaft in einigen Richtlinien entsprechende Modelle aus dem angloamerikanischen Raum aufgenommen hat.193 Zudem besteht (auch) in anderen europäischen Staaten eine Vielzahl von Systemen regulierter Selbstregulierung.194 Selbstverständlich ersetzen derartige, eher politische Impulse nicht die rechtliche Prüfung der gemeinschaftsrechtlichen Konformität mitgliedsstaatlich normierter Systeme regulierter Selbstregulierung; dabei fällt vor allem das Verhältnis solcher Systeme zum Rechtsinstitut der Richtlinie in den Blick. Eine Richtlinie gem. Art. 249 Abs. 3 EGV schreibt das zu erreichende Ziel, nicht die Mittel zu ihrer innerstaatlichen Durchführung vor, letztere müssen aber effektiv sein; insofern besteht lediglich eine Ergebnisverantwortung der Mitgliedstaaten.195 Da es keine expliziten gemeinschaftsrechtlichen Regelungen darüber gibt, inwiefern Systeme der regulierten Selbstregulierung Gemeinschaftsrecht hinreichend umsetzen können, ist auf die allgemeinen Voraussetzungen zurückzugreifen.196 Das heißt insbesondere, dass die Begünstigten der Richtlinie in die Lage Battis in: Sachs, GG, Art. 33, Rn. 58. Jachmann in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Band 2, Art. 33, Rn. 36. 189 Kunig in: von Münch / Kunig, GG, Band 2, Art. 33, Rn. 42. 190 Dazu Peter M. Huber, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 77 ff. 191 Schmidt-Aßmann in: Regulierte Selbstregulierung als Steuerungskonzept, Die Verwaltung, Beiheft 4 / 2001, S. 253, 267. 192 Schmidt-Preuß, VVDStRL Band 56 (1997), S. 160, 176 m. w. N. 193 Groß, NVwZ 2004, S. 1393, 1393. 194 Einen detaillierten Überblick über das Beispiel der Medienbranche geben Bröhmer / Ukrow in: Ukrow, Selbstkontrolle im Medienbereich, S. 205. 195 Groß, NVwZ 2004, S. 1339, 1396. 196 Palzer, ZUM 2002, S. 875, 883; ausführlich und differenziert zur Anwendung der Voraussetzungen auf Systeme regulierter Selbstregulierung Schulz et al, Co-Regulierungsmaßnahmen im Medienbereich, S. 165 ff. 187 188
F. Verfassungsrechtliche Bewertung
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versetzt werden müssen, von ihren Rechten Kenntnis zu erlangen und diese vor den nationalen Gerichten geltend zu machen,197 dementsprechend bedarf es eines eindeutigen gesetzlichen Rahmens.198 Sieht die Richtlinie Sanktionen vor, so müssen diese wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein.199 Unter Einhaltung dieser Voraussetzungen können Systeme regulierter Selbstregulierung eine Richtlinie hinreichend umsetzen.200 Sowohl empirische Studien wie theoretische Überlegungen in der Literatur zeigen, dass Systeme regulierter Selbstregulierung bei der Umsetzung von Richtlinien hinreichend effektiv und im Einzelfall sogar effektiver als andere Methoden sein können.201 Daneben ist darauf hinzuweisen, dass die Europäische Kommission im Weißbuch „Europäisches Regieren“202 eine Reihe von Mindestvoraussetzungen zusammengestellt hat, die von Systemen unter Einbeziehung von Selbstregulierung erfüllt werden müssen, damit diese – nach Auffassung der Kommission – europarechtliche Vorgaben in hinreichender Form umsetzen.203 Ausgeschlossen sei dies für Bereiche, die stark politisch oder stark grundrechtlich geprägt seien, sowie dann, wenn die Gleichbehandlung oder die Sicherheit der Bürger gefährdet sei. Ferner sei ein gesetzlicher Rahmen vonnöten, der Gesamtziele, die wichtigsten Rechte, Durchsetzungsmöglichkeiten und Überwachungsmechanismen normiere. Die Organisationen der Selbstregulierung müssten repräsentativ, rechenschaftspflichtig, transparent und zuverlässig gestaltet sein. Die staatliche Seite solle eine Auffangverantwortung erhalten, falls die private Seite versage. Schließlich müsse das Gesamtsystem transparent und mit den Grundsätzen des Wettbewerbsrechts204 vereinbar sein.
Vgl. z. B. EuGH, Kommission vs. Deutschland, Slg. 1997, I-1653. Palzer, ZUM 2002, S. 875, 883. 199 Vgl. z. B. EuGH, Draehmpaehl vs. Urania Immobilienservice OHG, Slg. 1997, I-2195. 200 Palzer, ZUM 2002, S. 875, 883. 201 Schulz et al, Co-Regulierungsmaßnahmen im Medienbereich, S. 126. 202 Weißbuch „Europäisches Regieren“ vom 25. 07. 2001, KOM (2001), 428. 203 Zusammenfassend Palzer, ZUM 2002, S. 875, 883; vgl. ferner Schulz et al, Co-Regulierungsmaßnahmen im Medienbereich, S. 21. 204 Ausführlich zur Vereinbarkeit von Elementen der Selbstregulierung mit europäischem Wettbewerbsrecht Ukrow in: Ukrow, Selbstkontrolle im Medienbereich, S. 1, 73 sowie Schulz et al, Co-Regulierungsmaßnahmen im Medienbereich, S. 180 – 187. 197 198
Dritter Teil
Das Verfahren des JMStV Entsprechend der vom historischen Normgeber verfolgten Ziele (dazu A.) normiert der JMStV ein Verfahren regulierter Selbstregulierung zur jugendschutzrechtlichen Überwachung privater elektronischer Medien (dazu B.). Dafür wurden sowohl auf behördlicher wie auf privater Seite spezifisch ausgestaltete Institutionen geschaffen (dazu C.). Zwar kann die Überwachung auch ohne die Beteiligung privater Dritter stattfinden (dazu D.), von Interesse ist hier aber zuvörderst das differenzierte Verfahren im Falle ihrer Einbeziehung (dazu E.). Abschließend ist ein spezieller Sonderfall zu erläutern (dazu F.).
A. Hinführung Unter dem Eindruck des Amoklaufs eines Schülers in Erfurt1 wurde vor rund vier Jahren der Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV)2 in Kraft gesetzt.3 Dadurch entstand eine grundlegend neue Regelung4 der jugendschutzrechtlichen Überwachung der von privaten Anbietern verbreiteten elektronischen Medien,5 zuvörderst also des Privatfernsehens und des Internets. 1 Die entscheidende Rolle dieses Ereignisses für das Gesetzgebungsverfahren wird immer wieder betont, vgl. z. B. Beck, RdJB 2006, S. 280, 280. Zu dem eigentlichen Vorfall vgl. stellvertretend die Berichte in Der Spiegel, Nr. 19 / 2002. 2 Staatsvertrag über den Schutz der Menschenwürde und den Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien (Jugendmedienschutz-Staatsvertrag – JMStV) vom 10. September 2002, veröffentlicht u. a. in BayLT-Drucks. 14 / 10246. 3 Gleichzeitig mit dem JMStV trat die Neuregelung des Jugendschutzrechts des Bundes in Kraft. Das neue Jugendschutzgesetz (JuSchG) löste die Bestimmungen des Gesetzes zum Schutze der Jugend in der Öffentlichkeit (JÖSchG) sowie des Gesetzes über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften und Medieninhalte (GjSM) ab, erhielt aber die Einrichtung der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) aufrecht. Näher dazu Hopf, Jugendschutz im Fernsehen, S. 2. 4 Ausführlich zur Entstehungsgeschichte des neuen Rechts Hartstein / Ring / Kreile / Dörr / Stettner, Rundfunkstaatsvertrag, Band III, C 2. Vgl. auch Retzke, Präventiver Jugendmedienschutz, S. 2 ff. zur Entstehungsgeschichte und S. 9 ff. zur früheren Rechtslage. 5 In Abgrenzung zu den elektronischen Medien („Online-Medien“) besteht die Gruppe der Trägermedien („Offline-Medien“), wie z. B. Bücher oder DVD’s, die durch das Jugendschutzgesetz des Bundes geregelt werden.
A. Hinfu¨hrung
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Im Vordergrund der Novellierung standen zwei wesentliche Ziele. Erstens sollten, wenngleich sich die Länder als zuständig erachteten, die jugendschutzrechtlichen Standards bundesweit einheitlich gehandhabt werden. Mit dem JMStV sollte deshalb eine länderübergreifend zuständige, zentrale Kommission von den Bundesländern geschaffen werden, die im Rahmen der hoheitlichen Überwachung als inhaltlich verantwortlich zeichnet. Das zweite Ziel bestand in der verstärkten Einbindung von Privaten in die jugendschutzrechtliche Kontrolle, vor allem, um die immer größer werdende Menge von Angeboten trotzdem in hinreichendem Maße erfassen zu können. Zu diesem Zweck wurde das Konzept der regulierten Selbstregulierung herangezogen. Der JMStV sollte die Zertifizierung privater Einrichtungen ermöglichen, die sich an der jugendschutzrechtlichen Kontrolle der Medienanbieter beteiligen. Die Anbieter sollten zur Kooperation animiert werden, indem die hoheitlich handelnde Kommission in ihren Eingriffsmöglichkeiten eingeschränkt sein sollte, wenn sich die Anbieter der Kontrolle durch die zertifizierten privaten Kontrolleinrichtungen unterwerfen. Vor Beginn der eigentlichen Untersuchung ist noch auf einige Besonderheiten der verwendeten Terminologie aufmerksam zu machen. So ist, wenn vorliegend von „Jugendschutz“ gesprochen wird, genau genommen stets „Kinder- und Jugendschutz“ gemeint6 (außerdem dient der JMStV auch dem Schutz Erwachsener, sofern Fragen der Menschenwürde7 betroffen sind8). Der Verbundbegriff „Jugendmedienschutz“ erfuhr in der Wissenschaft bereits Kritik, weil das natürliche Sprachgefühl damit den Schutz von Jugendmedien assoziiere, was aber (selbstverständlich) nicht gemeint sei.9 Mag dieser Hinweis auch berechtigt sein, so hat der Normgeber des Jugendmedienschutz-[sic!]-Staatsvertrages10 doch dieses Wort gewählt, daher ist es in einer Untersuchung des JMStV ebenso zu verwenden. Schließlich sind die in das Verfahren eingebundenen privaten Einrichtungen zu erwähnen, die von § 19 Abs. 1 JMStV als „Einrichtungen der freiwilligen Selbstkontrolle“ bezeichnet werden. Weil die Abkürzung „FSK“ schon anderweitig belegt ist,11 sollen diese Einrichtungen mit „EFS“ bezeichnet werden (was zudem den sprachlichen Vorteil bietet, Singular und Plural gleichartig aussprechen und 6 Zutreffend Mynarik, Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien, S. 26 mit weiteren Ausführungen zur Verwendung des Begriffes in anderen Normen. 7 Ausführlich zur verfassungsrechtlichen Bedeutung der Menschenwürde im Bereich des JMStV Ehrlichmann, Die Verfassungsmäßigkeit der KJM, S. 74 ff. 8 Dies ergibt sich bereits aus dem vollständigen Titel des JMStV: „Staatsvertrag über den Schutz der Menschenwürde und den Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien“; vgl. auch Mynarik, Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien, S. 26 f. 9 Groß, NVwZ 2004, S. 1393, 1394, Fn. 8, der stattdessen den Begriff „Jugendschutz im Medienrecht“ vorschlägt. 10 Vgl. den amtlichen Titel: „Staatsvertrag über den Schutz der Menschenwürde und den Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien (Jugendmedienschutz-Staatsvertrag – JMStV)“. 11 „FSK“ ist die gängige Abkürzung für die „Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft“, also nur eine einzelne Organisation, die zudem nicht im Bereich der elektronischen Medien tätig ist. Näher zur FSK Seite 104.
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3. Teil: Das Verfahren des JMStV
schreiben zu können).12 Bereits vor Veröffentlichung der vorliegenden Arbeit hat Mynarik diese Abkürzung in ihrer monographischen Arbeit zum JMStV verwandt;13 teilweise wurde dem bereits gefolgt14 und eine zukünftige allgemeine Etablierung erscheint wünschenswert.15
B. Gegenstand und Betroffene des Verfahrens I. Rundfunk und Telemedien § 2 Abs. 1 JMStV bestimmt: „Dieser Staatsvertrag gilt für elektronische Informations- und Kommunikationsmedien (Rundfunk und Telemedien)“. Gemeint sind damit alle körperlos übertragenen Medien, insbesondere das Fernsehen und das Internet, nicht aber die so genannten Trägermedien, wie beispielsweise Bücher oder DVD’s, die separat in den §§ 11 ff. des Jugendschutzgesetzes (JuSchG) des Bundes geregelt werden.16 Der Begriff des Rundfunks bestimmt sich17 auf einfach-rechtlicher Ebene nach § 2 Abs. 1 Rundfunk-Staatsvertrag (RStV).18 Neben dem Fernsehen gehört dazu selbstverständlich auch der Hörfunk,19 unabhängig davon, dass mit diesem Medium erfahrungsgemäß kaum jugendschutzrechtlich problematische Inhalte übertragen werden.
12 Analog dazu könnten die „Organisationen freiwilliger Selbstkontrolle“ gem. § 14 Abs. 6 JuSchG mit der Abkürzung „OFS“ versehen werden. 13 Mynarik, Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien, S. 102 und passim. 14 Vgl. Peter M. Huber in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band III (im Ersch.), § 45, Rn. 168 und 207. 15 Dies ist in Publikationen der jüngeren Zeit zumeist leider noch nicht der Fall, vgl. z. B. Scheuer, RdJB 2006, S. 308, passim, Halves, Neuordnung des Jugendmedienschutzes, passim sowie Bosch, Regulierte Selbstregulierung im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag, S. 64 und passim, die jeweils von „Selbstkontrolleinrichtungen“ sprechen. 16 Näher zum Begriff des Trägermediums Retzke, Präventiver Jugendmedienschutz, S. 92 ff. 17 Scholz / Liesching, Jugendschutz, § 3 JMStV, Rn. 3 18 § 2 Abs. 1 Satz 1 und 2 RStV: „Rundfunk ist die für die Allgemeinheit bestimmte Veranstaltung und Verbreitung von Darbietungen aller Art in Wort, in Ton und in Bild unter Benutzung elektromagnetischer Schwingungen ohne Verbindungsleitung oder längs oder mittels eines Leiters. Der Begriff schließt Darbietungen ein, die verschlüsselt verbreitet werden oder gegen besonderes Entgelt empfangbar sind.“ 19 Im Ergebnis ebenso Mynarik, Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien, S. 59, die Meinungsäußerungen im Zusammenhang mit der Entstehungsgeschichte des JMStV aber zum Anlass nimmt, diesen Umstand ausführlicher zu diskutieren. Scholz / Liesching, Jugendschutz, § 3 JMStV, Rn. 3 setzen dies hingegen unproblematisch voraus.
B. Gegenstand und Betroffene des Verfahrens
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Der Begriff der Telemedien bestimmt sich seit dem Jahr 2007 nach dem Telemediengesetz (TMG)20 des Bundes sowie dem – inhaltlich relevanten21 – RStV.22 Der JMStV hatte schon vor dieser Neuregelung unter dem Begriff der Telemedien zwei ältere Begriffe zusammengefasst, nämlich die „Teledienste“ im Sinne des damals geltenden Teledienstegesetzes und die „Mediendienste“ im Sinne des damals geltenden Mediendienste-Staatsvertrags. Diese Unterscheidung wurde zunächst im Bereich des JMStV und später generell aufgegeben, weil sie sich als unpraktikabel erwiesen hatte.23 Die Zusammenfassung unter dem Oberbegriff der Telemedien hat aber nicht alle Abgrenzungsprobleme beseitigt, da die Telemedien immer noch vom zuvor erwähnten Rechtsbegriff des Rundfunks unterschieden werden müssen, weil die gesetzliche Definition eine Überschneidung ausschließt.24 Die somit notwendige Differenzierung verfügt durchaus über praktische Relevanz, da der JMStV nur grundsätzlich gleichermaßen für Rundfunk und Telemedien gilt, in einigen Teilen der materiellen Vorschriften aber jeweils unterschiedliche Bestimmungen enthält; das wohl auffälligste und wichtigste Beispiel dafür ist die einfache Pornographie, die im Rundfunk gänzlich verboten ist, in den Telemedien jedoch innerhalb sog. geschlossener Benutzergruppen verbreitet werden darf, vgl. § 4 Abs. 2 Satz 2 JMStV.25 Die komplexe definitorische Unterscheidung von Rundfunk und Telemedien26 hat zwar in einigen wenigen Konstellationen auch Auswirkungen auf das Verfahren,27 trotzdem bildet sie primär ein Problem des materiellen, nicht jugendschutzspezifischen28 Rechts, so dass es im Rahmen dieser Arbeit zum Verfahren des JMStV genügen soll, auf die vorhandenen ausführlichen Abhandlungen zum Thema zu verweisen.29 20 § 1 Abs. 1 Satz 1 TMG: „Dieses Gesetz gilt für alle elektronischen Informations- und Kommunikationsdienste, soweit sie nicht Telekommunikationsdienste nach § 3 Nr. 24 des Telekommunikationsgesetzes, die ganz in der Übertragung von Signalen über Telekommunikationsnetze bestehen, telekommunikationsgestützte Dienste nach § 3 Nr. 25 des Telekommunikationsgesetzes oder Rundfunk nach § 2 des Rundfunkstaatsvertrages sind (Telemedien).“ 21 Ausdrücklich § 1 Abs. 4 TMG: „Die an die Inhalte von Telemedien zu richtenden besonderen Anforderungen ergeben sich aus dem Staatsvertrag für Rundfunk und Telemedien (Rundfunkstaatsvertrag).“ 22 Vgl. § 2 Abs. 1 Satz 3 und 4 RStV: „Telemedien sind alle elektronischen Informationsund Kommunikationsdienste, soweit sie nicht Telekommunikationsdienste nach § 3 Nr. 24 des Telekommunikationsgesetzes sind, die ganz in der Übertragung von Signalen über Telekommunikationsnetze bestehen oder telekommunikationsgestützte Dienste nach § 3 Nr. 25 des Telekommunikationsgesetzes oder Rundfunk nach Satz 1 und 2 sind. Telemedien sind auch Fernseh- und Radiotext sowie Teleshoppingkanäle.“ 23 Vgl. Langenfeld, MMR 2003, S. 303, 306. 24 Übereinstimmend § 2 Abs. 1 Satz 3 RStV a. E. und § 1 Abs. 1 Satz 1 TMG a. E. 25 Vgl. Mynarik, Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien, S. 63. 26 Vgl. Roßnagel, NVwZ 2007, S. 743, 745. 27 Erwähnenswert erscheint einzig, dass es bei Telemedien kein Verfahren für vorlagefähige Angebote gibt, näher dazu siehe Seite 95. 28 Auch Schulz et al, Analyse des Jugendmedienschutzsystems, S. 119 betonen dies und verzichten in der Konsequenz auf eine prinzipielle Klärung.
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3. Teil: Das Verfahren des JMStV
Abschließend soll noch darauf aufmerksam gemacht werden, dass sich Differenzierungsprobleme im Einzelfall durch die genaue Identifikation des zu prüfenden Angebots häufig ohnehin erübrigen. Beispielsweise ist die rechtliche Einordnung des Abrufs von Klingeltönen per Mobiltelefon schwierig, jedoch ist die im Fernsehen gesendete Werbung für das Herunterladen eines Klingeltons – und diese steht regelmäßig im jugendschutzrechtlichen Fokus – unproblematisch dem Rundfunk zuzuordnen.30
II. Angebote und Anbieter Da der JMStV für verschiedene Arten von elektronischen Medien gilt, wurden in § 3 Abs. 2 Nr. 1 und 2 JMStV31 einheitliche Überbegriffe gewählt. So werden Rundfunksendungen und Inhalte von Telemedien als Angebote bezeichnet, deren jeweilige Veranstalter als Anbieter.32 Dabei sind jedoch einige Angebote und Anbieter ausgenommen. Die wichtigste Ausnahme betrifft den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, für den zwar die materiellen Vorschriften des JMStV gelten, jedoch nicht das in den §§ 13 ff. JMStV geregelte Überwachungsverfahren33 (dies ergibt sich schon aus der Überschrift des IV. Abschnittes des JMStV: „. . . mit Ausnahme des öffentlich-rechtlichen Rundfunks“). Außerdem findet das Verfahren gem. § 13 JMStV nur bei länderübergreifenden Angeboten Anwendung, worunter alle Angebote der Telemedien sowie solche Angebote des Rundfunks fallen, die bestimmungsgemäß, das heißt lizenzrechtlich, abgesichert sind und nicht nur durch technisch bedingte Überreichweite in mindestens zwei Bundesländern verbreitet werden.34 Für nicht-länderübergreifende Angebote gelten somit lediglich die materiellen Vorschriften des JMStV.35 Zwar ermöglicht es § 14 Abs. 2 Satz 2 JMStV den Landesmedienanstalten, auch nicht-länderübergreifende Angebote von der länderübergreifend zuständigen Kommission36 gutachterlich prüfen zu lassen, trotzdem werden sie grund29 Vgl. z. B. aus der jüngeren Literatur Mynarik, Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien, S. 63 ff. sowie Bandehzadeh, Jugendschutz im Rundfunk und in den Telemedien, S. 45 ff., jeweils auch m. w. N. aus der älteren Literatur. 30 Hierauf weisen Fechner / Schipanski, ZUM 2006, S. 898, 900 f. zutreffend hin. 31 Entspricht § 3 Abs. 2 Nr. 2 und 3 JMStV a. F., die Verschiebung entstand durch den Wegfall der Definition der Telemedien gem. § 3 Abs. 2 Nr. 1 JMStV a. F., die durch den Erlass des späteren Telemediengesetzes hinfällig wurde. 32 Ausführlich zum Rechtsbegriff des Anbieters Schulz et al, Analyse des Jugendmedienschutzsystems, S. 120 und zu problematischen Einzelfragen der Praxis S. 189 ff. 33 Zur Kritik an dieser Differenzierung siehe Seite 394 ff. 34 Erdemir, RdJB 2006, S. 285, 290. 35 Dazu näher Ukrow, Jugendschutzrecht, Rn. 606. 36 Ausführlich zur Gestaltung und Tätigkeit dieser Kommission, der Kommission für Jugendmedienschutz (KJM), siehe Seite 67 ff.
C. Die Akteure des Verfahrens
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sätzlich nicht Gegenstand des besonderen Überwachungsverfahrens der §§ 14 ff. JMStV. Immerhin soll es gemäß der amtlichen Begründung37 den Ländern möglich sein, auch hinsichtlich der nicht-länderübergreifenden Angebote die Vorschriften des JMStV über Verfahren und Vollzug für anwendbar zu erklären.
III. Materiell-rechtlicher Maßstab Zentraler materiell-rechtlicher Maßstab des Überwachungsverfahrens sind die §§ 4 und 5 JMStV. Durch § 4 JMStV werden die unzulässigen Angebote definiert,38 wobei die in Abs. 1 aufgeführten Angebote absolut und die in Abs. 2 aufgeführten Angebote nur relativ unzulässig sind.39 Relativ unzulässige Angebote sind im Rundfunk gar nicht erlaubt, in den Telemedien aber innerhalb so genannter geschlossenen Benutzergruppen40 gestattet. § 5 JMStV normiert die entwicklungsbeeinträchtigenden Angebote.41 Diese dürfen nur derart verbreitet werden, dass sie Jugendliche in der entsprechenden Altersstufe „üblicherweise nicht wahrnehmen“. Klassisches Beispiel hierfür sind entsprechend späte Sendezeiten im Rundfunk.
C. Die Akteure des Verfahrens I. Die Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) 1. Zusammensetzung, Sitz und Zuständigkeit Der KJM besteht gem. § 14 Abs. 3 JMStV aus zwölf Sachverständigen; sechs von ihnen sind Direktoren einer Landesmedienanstalt, die von den Anstalten im Einvernehmen benannt werden, vier Mitglieder werden von den obersten Jugendschutzbehörden der Länder entsandt und zwei Mitglieder von der obersten Jugendschutzbehörde des Bundes. Den Vorsitz führt gem. § 14 Abs. 3 Satz 7 JMStV ein 37 Amtliche Begründung zu § 13 JMStV, u. a. BayLT-Drucks. 14 / 10246, außerdem wiedergegeben bei Hartstein / Ring / Kreile / Dörr / Stettner, Rundfunkstaatsvertrag, Band III, C. 38 Ausführlich und unter Berücksichtigung aller Unterfälle Ukrow, Jugendschutzrecht, Rn. 403 ff. Zusammenfassend Hopf, Jugendschutz im Fernsehen, S. 42 ff. Vgl. auch Retzke, Präventiver Jugendmedienschutz, S. 140 ff. 39 Ukrow, Jugendschutzrecht, Rn. 424 nennt diese in seiner detaillierten Darstellung „grundsätzlich“ unzulässige Angebote. 40 Hinsichtlich so genannter Altersverifikationssysteme für geschlossene Benutzergruppen gibt es eine Vielzahl tatsächlicher und rechtlicher Probleme; vgl. dazu insbesondere Schulz et al, Analyse des Jugendmedienschutzsystems, S. 136 ff. 41 Ausführlich und unter Berücksichtigung aller Unterfälle Ukrow, Jugendschutzrecht, Rn. 440 ff. Zusammenfassend Hopf, Jugendschutz im Fernsehen, S. 44. Vgl. auch Retzke, Präventiver Jugendmedienschutz, S. 153 ff.
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3. Teil: Das Verfahren des JMStV
Direktor einer Landesmedienanstalt. Im Gegensatz zu anderen Kontrollgremien setzt sich die KJM also nicht aus Vertretern verschiedener gesellschaftlicher Gruppen zusammen – insofern liegt kein klassischer Fall der Kondominialverwaltung42 vor – , lediglich die Hälfte der Mitglieder wird von den ihrerseits pluralistisch zusammengestellten Gremien der Landesmedienanstalten bestimmt. Zur näheren Ausgestaltung von Organisation und Geschäftsgang hat sich die KJM eine Geschäfts- und Verfahrensordnung (GVO-KJM) gegeben.43 Als Sitz der KJM wurde durch einvernehmlichen Beschluss der Ministerpräsidenten (vgl. § 14 Abs. 10 JMStV) Erfurt bestimmt.44 Tatsächlich befindet sich in Erfurt jedoch lediglich die „Geschäftsstelle“ der KJM, die für organisatorische und koordinierende Aufgaben zuständig ist – die „Stabstelle“ hingegen, die für inhaltliche Fragen, die Vorbereitung von Grundsatzangelegenheiten sowie Öffentlichkeitsarbeit zuständig ist, wurde von der KJM in München errichtet.45 Die KJM ist gem. § 16 Satz 1 JMStV für die abschließende Beurteilung von Angeboten nach den Maßstäben des JMStV zuständig. § 16 Satz 2 JMStV nennt in nicht abschließender Weise („insbesondere“) die sich daraus ergebenden Aufgaben,46 beispielsweise die „Überwachung der Bestimmungen“ des JMStV (§ 16 Satz 2 Nr. 1 JMStV) oder die Entscheidung über Ordnungswidrigkeiten nach dem JMStV (§ 16 Satz 2 Nr. 8 JMStV). Die KJM wird gem. § 17 Abs. 1 JMStV von Amts wegen sowie auf Antrag einer Landesmedienanstalt oder einer obersten Landesjugendbehörde tätig.47 Gem. §§ 17 Abs. 2; 18 JMStV arbeitet die KJM mit der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) sowie mit der – sogleich noch näher zu beschreibenden – Einrichtung „Jugendschutz.net“48 zusammen.
2. Untergliederungen a) Prüfausschüsse Gem. § 14 Abs. 5 JMStV kann die KJM Prüfausschüsse bilden. Ihre Errichtung verfolgt den Zweck, eine hohe Zahl von Prüfverfahren durchzuführen und so die Überlastung der KJM zu verhindern.49 Die Prüfausschüsse entscheiden bei der juDazu Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 79 f. Abrufbar unter http: //www.kjm-online.de/public/kjm/downloads/GVO-KJM%20Stand%20 28.11.2006%20final.pdf (Stand: 30. 04. 2008). 44 Scholz / Liesching, Jugendschutz, § 14 JMStV, Rn. 22. 45 So die Selbstdarstellung der KJM, abrufbar unter http: //www.kjm-online.de/public/kjm/ index.php?show_1=67,54 (Stand: 14. 03. 2007). 46 Überblicksartige Darstellung bei Ukrow, Jugendschutzrecht, Rn. 625. 47 Näher zum Ablauf des Entscheidungsverfahrens gem. §§ 17 ff. JMStV Ukrow, Jugendschutzrecht, Rn. 626 ff. 48 Diese sprachlich ungewöhnliche Bezeichnung ist der gesetzlich normierte Name der Einrichtung, vgl. § 18 Abs. 1 Satz 1 JMStV. 42 43
C. Die Akteure des Verfahrens
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gendschutzrechtlichen Bewertung von Angeboten anstelle der KJM, dafür muss der Beschluss des Ausschusses jedoch einstimmig erfolgen; bei fehlender Einstimmigkeit wird der Fall an die KJM als Gesamtgremium weitergeleitet. Jedem Prüfausschuss gehören mindestens ein ordentliches Mitglied der KJM sowie weitere Mitglieder an; § 7 Abs. 1 GVO-KJM konkretisiert diese Vorgaben, danach gehören jedem Prüfausschuss drei Personen an, jeweils eine von ihnen wird von den drei in der KJM vertretenen Gruppen von Mitgliedern benannt, also je eine Person von den Landesmedienanstalten, von den Landesbehörden sowie von der Bundesbehörde.
b) Prüfgruppen Die Entscheidungen der Prüfausschüsse werden wiederum von Prüfgruppen vorbereitet. Diese sind im JMStV nicht ausdrücklich vorgesehen, sondern lediglich in § 9 GVO-KJM geregelt.50 Die Prüfgruppen bestehen aus jeweils fünf Prüfern. Sie bereiten die Entscheidungen der Prüfausschüsse in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht auf und geben eine Entscheidungsempfehlung ab. Der Prüfausschuss macht sich durch ausdrückliche Zustimmung jeden Mitglieds die Empfehlung der Prüfgruppe zu eigen; weicht ein Mitglied davon ab, muss es hierfür eine Begründung abgeben (§ 9 Abs. 2 Satz 5 und 6 GVO-KJM), für eine Zustimmung ist dies dagegen nicht erforderlich.51
c) Arbeitsgruppen Von den Prüfausschüssen und den Prüfgruppen sind die Arbeitsgruppen der KJM zu unterscheiden, deren Bildung gem. § 8 GVO-KJM vorgesehen ist. Die Arbeitsgruppen haben keine Entscheidungsbefugnisse, sondern bearbeiten bestimmte grundsätzliche Fragen (beispielsweise die Genehmigung von Verschlüsselungstechniken) und bereiten eine spätere Entscheidung des Gesamtgremiums vor. 49 Hartstein / Ring / Kreile / Dörr / Stettner, Rundfunkstaatsvertrag, Band III, C 3, § 14 JMStV, Rn. 19. 50 Wegen der entsprechend großen praktischen Bedeutung wird teilweise gefordert, die Prüfgruppen sollten im JMStV abgesichert werden, möglicherweise durch eine Anerkennung als Teilorgan der KJM, vgl. Erdemir, RdJB 2006, S. 285, 289, dessen Beitrag jedoch dadurch irritiert, dass er die in § 14 Abs. 5 JMStV ausdrücklich vorgesehenen Prüfausschüsse unerwähnt lässt. 51 Die Bildung der Prüfgruppen hat bereits deutliche Kritik erfahren, soweit sie über die einfache Vorbereitung und Reduzierung von offensichtlich unproblematischen Fällen hinausgeht; dabei wurde bemängelt, Ergebnis und Begründung der Prüfungen würden durch sie so detailliert vorbereitet, dass sie einen zu großen Einfluss auf die eigentliche Entscheidung erhielten, vgl. Jahresbericht 2005 der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen e.V. (FSF), S. 36, abrufbar unter http: //www.fsf.de/fsf2/ueber_uns/bild/download/FSF_Jahresbericht2005.pdf (Stand: 17. 10. 2006).
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3. Teil: Das Verfahren des JMStV
d) „Jugendschutz.net“ „Jugendschutz.net“ ist eine bereits 1997 durch die obersten Landesjugendbehörden eingerichtete gemeinsame Stelle aller Länder, die durch § 18 JMStV organisatorisch an die KJM angebunden wurde.52 Sie hat die Aufgabe, die KJM bei der Überwachung von Telemedien zu unterstützen.53 Ihre Rechtsform ist zwar noch nicht abschließend geklärt,54 am überzeugendsten erscheint es aber, in ihr ein Organ mit rein unterstützender Funktion und keine Behörde im funktionellen Sinne zu erkennen.55
3. Exkurs: Die Stellung der KJM im Verhältnis zu den Landesmedienanstalten – nur oder auch „Organ“? a) Hinführung Gegenstand der vorliegenden Arbeit ist primär das Verfahren der regulierten Selbstregulierung im JMStV. Dafür ist vor allem das Verhältnis von Verwaltungsträgern und beteiligten Privaten, weniger hingegen das Verhältnis von Verwaltungsträgern untereinander von Bedeutung. Das Verhältnis von KJM und Landesmedienanstalten soll hier daher nicht umfassend und nur im Rahmen eines Exkurses abgehandelt werden. Doch auch innerhalb dieses begrenzten Rahmens erscheint es geboten, über die ausdrückliche Normierung (dazu b)) hinaus zwei spezielle Aspekte etwas genauer in den Blick zu nehmen. Einerseits ist ein Vergleich mit einer anderen länderübergreifend zuständigen Kommission, der Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich (KEK), zu ziehen, weil diese teilweise als Vorbild für die KJM diente56 (dazu c)). Andererseits ist die Konstellation eines verwaltungsgerichtlichen Prozesses, in dem ein Anbieter gegen eine behördliche Maßnahme klagt, zu verdeutlichen, weil sich in dieser Prozesssituation mit besonderem Nachdruck prinzipielle Fragen der Verwirklichung eines einheitlichen und effektiven Jugendmedienschutzes stellen (dazu d)), die sich mittelbar auch auf betroffene Private auswirken können. Erst vor diesem Hintergrund kann die Stellung der KJM im Verhältnis zu den Landesmedienanstalten zutreffend erfasst werden (dazu e)).
Näher zu „Jugendschutz.net“ Scholz / Liesching, Jugendschutz, § 18 JMStV, passim. Näher dazu Mynarik, Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien, S. 121 ff. Vgl. auch Halves, Neuordnung des Jugendmedienschutzes, S. 124 ff. 54 Vgl. dazu auch Schulz et al, Analyse des Jugendmedienschutzsystems, S. 179. 55 Faber, Jugendschutz im Internet, S. 190 m. w. N. 56 Näher Ukrow, Jugendschutzrecht, Rn. 608. 52 53
C. Die Akteure des Verfahrens
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b) Das ausdrücklich normierte Verhältnis der KJM zu den Landesmedienanstalten Die originäre Zuständigkeit für die Überprüfung der Einhaltung der Bestimmungen liegt gem. § 14 Abs. 1 Satz 1 JMStV bei den Landesmedienanstalten. 57 Es ist gem. § 20 Abs. 6 JMStV die Landesmedienanstalt des Landes zuständig, bei der der jeweilige Rundfunk-Anbieter zugelassen ist bzw. in dem der jeweilige Anbieter von Telemedien seinen Sitz hat. Zur Erfüllung dieser Aufgabe dient die KJM der jeweils zuständigen Landesmedienanstalt gem. § 14 Abs. 2 Satz 1 und 2 JMStV als deren „Organ“. Die KJM wird also in den jeweiligen Einzelfällen für verschiedene Landesmedienanstalten, also für verschiedene Körperschaften, tätig, ohne einer von ihr fest anzugehören, sie wird daher auch als „Wanderorgan“58 bezeichnet. Die grundsätzliche Kompetenzverteilung gestaltet sich dabei wie folgt: Die KJM ist gem. § 16 Satz 1 JMStV abschließend funktionell zuständig für die inhaltliche Beurteilung der Angebote hinsichtlich der materiell-rechtlichen Vorschriften des JMStV.59 Ihre Beschlüsse sind gem. § 17 Abs. 1 Satz 5 und 6 JMStV im „Innenverhältnis“60 gegenüber den anderen Organen der Landesmedienanstalt bindend und den Entscheidungen der Anstalt zu Grunde zu legen61 (dabei ist nicht nur der Inhalt eines Beschlusses der KJM, sondern auch dessen Begründung für die Landesmedienanstalten bindend,62 weil die Begründung eines Beschlusses durch die KJM der Wahrung der Rechte des Betroffenen dienen soll63). Im „Außenverhältnis“64 zum Anbieter tritt jedoch ausschließlich die Landesmedienanstalt auf, die ggf. auch einen Bescheid erlässt.65 Sie entscheidet, welche konkreten rechtlichen Maßnahmen gegenüber einem Anbieter verhängt werden.66 Dies bestimmt sich nach 57 Scholz / Liesching, Jugendschutz, § 14 JMStV, Rn. 3 unter Aufzählung aller bestehenden Landesmedienanstalten. 58 Rossen-Stadtfeld, AfP 2004, S. 1, 7. 59 Vgl. Ukrow, Jugendschutzrecht, Rn. 637. 60 So die Wortwahl von Ukrow, Jugendschutzrecht, Rn. 629. 61 Ladeur, ZUM 2002, S. 859, 866 spricht daher von einer Verstärkung der Unitarisierung der Medienaufsicht. 62 Erdemir, RdJB 2006, S. 285, 289. Ebenso Altenhain in: Hoeren / Sieber, Handbuch Multimedia-Recht, Teil 20, Rn. 181. Ähnlich Scholz / Liesching, Jugendschutz, § 17 JMStV, Rn. 4, hierbei zustimmend Retzke, Präventiver Jugendmedienschutz, S. 206, Fn. 982. 63 Amtliche Begründung zu § 17 Abs. 1 JMStV, u. a. BayLT-Drucks. 14 / 10246. 64 So die Wortwahl von Scholz / Liesching, Jugendschutz, § 14 JMStV, Rn. 6; später ebenso Erdemir, RdJB 2006, S. 285, 288. 65 Zutreffend Scholz / Liesching, Jugendschutz, § 14 JMStV, Rn. 6 66 Fraglich ist, ob darüber hinaus auch die konkrete Ausgestaltung des Verfahrens in die ausschließliche Zuständigkeit der Landesmedienanstalt fällt, beispielsweise hinsichtlich einer Anordnung der sofortigen Vollziehung gem. § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO. Erdemir, RdJB 2006, S. 285, 289 bejaht dies mit dem Argument, die Möglichkeiten verwaltungsrechtlichen Handelns divergierten von Bundesland zu Bundesland. Dies vermag m. E. nicht zu überzeugen, nicht nur angesichts des weitgehenden Gleichlaufs des Verwaltungsverfahrensrechts der Länder, sondern auch, weil eine länderübergreifend zuständige Einrichtung die fachliche Kom-
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3. Teil: Das Verfahren des JMStV
den Landesmediengesetzen, die regelmäßig ein abgestuftes Ahndungssystem beinhalten.67 Nur ausnahmsweise, beispielsweise bei der Zulassung von Modellversuchen für so genannte „Jugendschutzprogramme“ gem. §§ 11 Abs. 6 JMStV,68 handelt die KJM völlig selbständig.69
c) Vergleich mit der Stellung der Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich (KEK) Um die Meinungsvielfalt im Rundfunk unabhängig von Standortinteressen zu sichern, wurde von den Ländern im Rundfunkstaatsvertrag (RStV) eine Kommission mit bundesweiter Zuständigkeit ins Leben gerufen, die Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich (KEK).70 Gem. § 36 Abs. 1 Satz 1 RStV ist die KEK zuständig für die (grundsätzlich) „abschließende Beurteilung von Fragestellungen der Sicherung der Meinungsvielfalt im Zusammenhang mit der bundesweiten Veranstaltung von Fernsehprogrammen.“ Sie dient nach § 35 Satz 2 RStV der jeweils zuständigen Landesmedienanstalt als „Organ“. Gem. § 37 Abs. 1 Satz 5 RStV sind die Beschlüsse der KEK gegenüber den anderen Organen der zuständigen Landesmedienanstalt grundsätzlich bindend und deren Entscheidungen zugrunde zu legen. Zur Erfüllung ihrer Aufgaben steht der KEK durch die jeweiligen Landesmedienanstalten das Recht zu, von den Anbietern Auskünfte sowie die Vorlage von Unterlagen zu verlangen, §§ 36 Abs. 1 Satz 3 i. V. m. §§ 21; 22 RStV. Die KEK setzt sich aus sechs Sachverständigen zusammen (§ 35 Abs. 3 Satz 1 und 2 RStV), die von den Ministerpräsidenten der Länder ernannt werden, bei ihrer Tätigkeit jedoch frei von Weisungen sind (§ 35 Abs. 6 Satz 1 RStV). Die grundsätzliche Alleinzuständigkeit der KEK wird jedoch durch die Kompetenz der Konferenz der Direktoren der Landesmedienanstalten (KDLM) relativiert. Die KDLM besteht gem. § 35 Abs. 5 RStV aus den gesetzlichen Vertretern der Landesmedienanstalten, die ihrerseits frei von Weisungen sind (§ 35 Abs. 6 Satz 1 RStV). Gem. § 37 Abs. 2 Satz 1 und 3 RStV kann auf Antrag der örtlich zuständigen Lanpetenz zur Anwendung verschiedener landesrechtlicher Vorschriften sicher aufbringen könnte, vor allem aber, weil die sachliche Kompetenz nicht von derartig pragmatischen Erwägungen abhängig zu machen ist; entscheidend ist m. E., dass Fragen des Verfahrens häufig eng mit materiellen Fragen verbunden sind, z. B. hängt hinsichtlich der Anordnung des sofortigen Vollzugs die Dringlichkeit eines Einschreitens vom Ausmaß des Verstoßes ab; insofern ist § 16 Satz 1 JMStV teleologisch dahingehend auszulegen, dass die weitere Ausgestaltung des Verfahrens durch die Landesmedienanstalten erfolgt, diese dabei jedoch verpflichtet sind, besondere Intentionen, die in Entscheidung und Begründung der KJM erkennbar sind, zugrunde zu legen. 67 Ukrow, Jugendschutzrecht, Rn. 636. 68 Dazu Scholz / Liesching, Jugendschutz, § 11 JMStV, Rn. 1 ff. und 16. 69 Näher Scholz / Liesching, Jugendschutz, § 16 JMStV, Rn. 2. 70 Vgl. dazu Petersen, Medienrecht, § 13, Rn. 21.
C. Die Akteure des Verfahrens
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desmedienanstalt durch einen Beschluss von drei Vierteln der Mitglieder der KDLM das Votum der KEK überstimmt werden. Die Gemeinsamkeiten der KJM mit der schon länger bestehenden KEK sind offensichtlich. Es gibt jedoch auch wesentliche Unterschiede, die allesamt eine im Vergleich noch stärkere Stellung der KJM zum Ausdruck bringen.71 Zunächst ist das Aufgabenfeld der KJM wesentlich breiter, wie schon ein Blick auf den (nicht einmal abschließenden!) Zuständigkeitskatalog gem. § 16 Satz 2 JMStV zeigt.72 Vor allem aber gibt es bei den Entscheidungen der KJM keine Abweichungsmöglichkeit, weder durch die KDLM noch durch eine andere Stelle. Ferner kann die KJM auch von Amts wegen tätig werden (§ 17 Abs. 1 Satz 1 JMStV) und selbständig (und nicht nur durch eine Landesmedienanstalt) in bestimmtem Maße Anbieter zur Erteilung von Auskünften sowie zur Vorlage von Unterlagen verpflichten (§ 21 JMStV).73 Schließlich wird sie – wie bereits erwähnt – bei einigen Aufgaben völlig selbständig tätig, namentlich bei der Zulassung von Modellversuchen gem. § 11 Abs. 6 JMStV.74 d) Stellung der KJM im Verwaltungsprozess bei Klage eines Anbieters gegen eine behördliche Maßnahme aa) Problemstellung und bisheriger Meinungsstand Wie bereits dargelegt, wird, wenn die KJM einen Verstoß gegen den JMStV festgestellt hat, eine mögliche Maßnahme gegen den Anbieter nicht durch sie selbst, sondern durch die jeweils zuständige Landesmedienanstalt verhängt. Will sich der Anbieter hiergegen gerichtlich zur Wehr setzen, so hat er die Anfechtungsklage gem. § 78 Nr. 1 Var. 3 VwGO gegen die Landesmedienanstalt zu richten, die den Bescheid erlassen hat. Sofern im Verfahren nicht nur die Wahl der rechtlichen Mittel in Frage steht (was selten sein dürfte), sondern auch (oder gar ausschließlich), ob der Anbieter tatsächlich gegen die Vorschriften des JMStV verstoßen hat, so stellt sich ein besonderes Problem: Die Landesmedienanstalt als Beklagte hat weder vor noch nach dem Erlass des Bescheides Verfügungsgewalt über die dahinterstehende Entscheidung, sie hat insofern nach außen lediglich eine „Letztmitteilungskompetenz“, und gerade keine „Letztentscheidungskompetenz“.75 Dieses Übereinstimmend Ehrlichmann, Die Verfassungsmäßigkeit der KJM, S. 44 f. Scholz / Liesching, Jugendschutz, § 14 JMStV, Rn. 6. 73 Hartstein / Ring / Kreile / Dörr / Stettner, Rundfunkstaatsvertrag, Band III, C 3, § 14 JMStV, Rn. 4. – Dieser Aspekt wird von Retzke, Präventiver Jugendmedienschutz, S. 199 und 203 offenbar übersehen. 74 Scholz / Liesching, Jugendschutz, § 16 JMStV, Rn. 2. – Altenhain in: Hoeren / Sieber, Handbuch Multimedia-Recht, Teil 20, Rn. 181, Fn. 4 macht dabei darauf aufmerksam, dass Beschlüsse der KJM gem. § 11 Abs. 6 JMStV Verwaltungsakte sind. 75 So aber BayVGH, Beschluss vom 03. 04. 2007, Az. 7 C 06.3009, juris Rn. 7 (für die KEK), wo unzutreffend ohne weiteres von der fehlenden Außenwirkung auf die (vermeintliche) „Letztentscheidungskompetenz“ geschlossen wird. 71 72
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3. Teil: Das Verfahren des JMStV
Problem kann sich im Einzelfall noch deutlich verschärfen, wenn die jeweils beklagte Landesmedienanstalt inhaltlich anderer Auffassung als die KJM ist, so dass vor Gericht zwei Parteien miteinander im Streit stehen (bzw. zu stehen haben), zwischen denen gar keine Meinungsverschiedenheit besteht. Um dieser Problematik76 zu begegnen, sind drei Wege denkbar: Die Organstellung der KJM könnte dahingehend ausgeweitet werden, dass sie auch im Verwaltungsprozess als Organ der jeweils zuständigen Landesmedienanstalt fungiert.77 Zum zweiten könnte der KJM über den Wortlaut des JMStV hinaus eine größere Selbständigkeit als einem „gewöhnlichen“ Organ zugesprochen werden,78 da die KJM in diesem Fall als eigenständige Beteiligte dem Prozess beigeladen werden könnte. Die dritte mögliche Antwort besteht darin, eine Prozessführung ausschließlich durch die Landesmedienanstalt zuzulassen, die Problematik also bis zu einer möglichen Änderung durch den Gesetzgeber bestehen zu lassen.79 bb) Eigene Überlegungen und Stellungnahme (1) Unmöglichkeit der Prozessführung durch die KJM Wenn die KJM den Prozess gegen den Anbieter als Organ der Landesmedienanstalt führen würde, so wäre zwar das beschriebene Problem gelöst, aber im gleichen Zuge ein anderes geschaffen, denn die Landesmedienanstalt und nicht die KJM ist verantwortlich für die Auswahl der rechtlichen Mittel. Es würde also die gleiche Problematik in umgekehrter Konstellation entstehen.80 Ferner würde dieses Vorgehen im gleichen Maße über den Wortlaut des JMStV hinausgehen wie die zweite der genannten Lösungsalternativen, so dass auch insofern nichts gewonnen wäre. (2) Notwendigkeit einer Problemlösung de lege lata Ebenso ist aber die Alternative abzulehnen, das Problem zu ignorieren, auch wenn dies offenbar teilweise als „Lösung“ favorisiert wird.81 Auch wenn eine ausdrückliche Regelung durch den Gesetzgeber de lege ferenda vorzugswürdig wäre, ist es für die aktuelle Rechtspraxis nicht akzeptabel, die beschriebene Gefahr bis 76 Auch Roll, KJuG 2005, S. 65, 66 betont die Bedeutung dieses Problems, jedoch ohne eine Lösung de lege lata vorzuschlagen. 77 Diesen Weg deutet Renck-Laufe, ZUM 2006, S. 907, 910 (für die KEK) an, ohne ihm im Ergebnis zu folgen. Roll, KJuG 2005, S. 65, 66 plädiert de lege ferenda für eine derartige Regelung. 78 So Renck-Laufe, ZUM 2006, S. 907, 910 (für die KEK). Zustimmend Halves, Neuordnung des Jugendmedienschutzes, S. 46. 79 So zu verstehen Hepach, ZUM 1999, S. 603, 611 f. (für die KEK). 80 Dies scheint Roll, KJuG 2005, S. 65, 66 zu übersehen. 81 So zu verstehen Hepach, ZUM 1999, S. 603, 611 f. (für die KEK).
C. Die Akteure des Verfahrens
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dahin hinzunehmen.82 Denn diese Gefahr ist nicht nebensächlich, sondern im Gegenteil von herausgehobener Bedeutung, weil das zentrale Ziel des JMStV in der Gewährleistung eines einheitlichen Schutzniveaus (§ 1 JMStV) gefährdet würde: Denn trotz des verwaltungsgerichtlichen Untersuchungsgrundsatzes gem. § 86 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 VwGO ist es – insbesondere durch die Möglichkeit eines gerichtlichen Vergleichs – denkbar, dass im gerichtlichen Verfahren die Auffassung der KJM übergangen wird. Diese Möglichkeit einer „Aushebelung“ besteht nicht nur rein theoretisch, sie ist sogar nahe liegend – die real existierende Gefahr, dass die Einhaltung jugendschutzrechtlicher Bestimmungen durch Standortinteressen der jeweiligen Landesmedienanstalten gefährdet wird, hat ja gerade zu der Einrichtung einer länderübergreifenden Kommission geführt!83 Wer dies also für unrealistisch hält, müsste konsequenterweise die Einrichtung einer länderübergreifenden Einrichtung insgesamt für überflüssig halten, dies wird bezeichnenderweise aber von niemandem vertreten. Darüber hinaus scheint sich die beschriebene Gefahr inzwischen an anderen Schnittstellen des hoheitlichen Überwachungssystems bereits zu realisieren, nachdem einzelne Landesmedienanstalten offenbar schon damit begonnen haben, die Arbeit der KJM durch eine mildere Behandlung der Anbieter aufzuweichen84 – die damit einhergehende Gefährdung des Jugendschutzes darf sich aber nicht ausweiten. (3) Interpretation des JMStV über seinen Wortlaut hinaus Würde man streng dem Wortlaut des JMStV folgen, so wäre eine gewissermaßen eigenständige Stellung der KJM im Prozess nicht anzunehmen. Wäre sie nur „Organ“ der jeweils zuständigen Landesmedienanstalt (§ 14 Abs. 2 Satz 2 JMStV) 82 Dass dies bei Hepach, ZUM 1999, S. 603, 611 f. (für die KEK) trotzdem der Fall zu sein scheint, relativiert sich möglicherweise dadurch, dass seine Stellungnahme ausweislich des Hinweises auf S. 603 auf einem Gutachten beruht, das er als Rechtsanwalt für die Bayerische Landeszentrale für neue Medien erstellt hat, also eine Landesmedienanstalt, deren Handlungsmöglichkeiten durch die Nichtbehandlung des Problems unbeschränkt blieben. – Auch Peter M. Huber, Die Verwaltung 2007, S. 1, 26 macht (am Beispiel der KEK) auf die Befangenheit vieler rechtswissenschaftlicher Autoren aufmerksam. 83 Deutlich und zustimmungswürdig die Ausführungen hierzu von Halves, Neuordnung des Jugendmedienschutzes, S. 155 f., die auf die KJM übertragbar sind: „Die KEK wurde errichtet, um gerade diesen zweckwidrigen und sachfremden Einflüssen auf die Entscheidung der Landesmedienanstalten vorzubeugen.“ – An dieser Gefahr ändert prinzipiell auch nichts, dass teilweise personelle Identität zwischen der KJM und den Landesmedienanstalten besteht: Nur eine Minderheit der Landesmedienanstalten ist in der KJM vertreten (6 von 15 Direktoren, vgl. § 14 Abs. 3 Nr. 1 JMStV) und diese Vertreter bilden auch nur die Hälfte der KJM. Angesichts dessen ist eine Meinungsverschiedenheit zwischen der örtlich zuständigen Landesmedienanstalt und der KJM allenfalls etwas unwahrscheinlicher als bei der KEK (deren Mitglieder nicht von den Landesmedienanstalten benannt werden), jedoch auch keinesfalls ausgeschlossen. 84 So das Ergebnis bei Schulz et al, Analyse des Jugendmedienschutzsystems, S. 162, wonach in einigen Landesmedienanstalten die Umsetzung von Entscheidungen der KJM nachrangig behandelt werden und somit zu spät erfolgen.
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und nichts darüber hinaus, so wäre sie im Hinblick auf ein gerichtliches Verfahren kein „Dritter“,85 sondern ein Teil der Beklagten. Auslegungen über den Wortlaut hinaus sind in der Rechtswissenschaft jedoch grundsätzlich anerkannt,86 so dass (auch) der JMStV an dieser Stelle über den Wortlaut hinaus ausgelegt werden kann. Für eine Auslegung über den Wortlaut hinaus ist nicht nur entscheidend, ob der Gesetzgeber eine bestimmte Terminologie – vorliegend also das Wort „Organ“ – „bewusst verwendet“ hat oder nicht.87 Dies gilt erst recht nicht, wenn das Gesetz kein etabliertes rechtliches Institut verwendet, wie es angesichts der relativ jungen Idee von länderübergreifend zuständigen Einrichtungen wie der KJM und der KEK der Fall ist.88 Weder handelt es sich dabei um behördliche Organe im klassischen Sinne89 (weil sie für verschiedene Körperschaften tätig werden) noch um die Reinform der verwaltungsrechtlich überkommenen Organleihe90 (insbesondere, weil die Kommission keiner juristischen Person originär zugeordnet ist).91Auch Äußerungen der Repräsentanten des historischen Gesetzgebers haben für die Auslegung nur eingeschränkte Aussagekraft.92 Vielmehr ist das gesamte Sinngefüge des Gesetzes entscheidend zu berücksichtigen.93 Eine solche teleologische Betrachtung des JMStV gibt zu erkennen, dass die gesamte Konstruktion einer standortunab85 So im Ergebnis Hepach, ZUM 2007, S. 40, 43 m. w. N. (für die KEK); ebenso BayVGH, Beschluss vom 03. 04. 2007, Az. 7 C 06.3009, juris Rn. 6, wo allerdings in – unabhängig vom Ergebnis – nicht überzeugender Weise von der Zurechenbarkeit der Kommissions-Entscheidung zur Landesmedienanstalt auf die Eigenschaft als „Dritter“ gegenüber der Landesmedienanstalt geschlossen wird. 86 Vgl. Rüthers, Rechtstheorie, § 22, Rn. 743. 87 Darauf stellt aber Hepach, ZUM 2007, S. 40, 43 praktisch ausschließlich ab. – Bandehzadeh, Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien, S. 69 gibt dagegen bezeichnenderweise das vom Gesetzgeber verwendet Wort „Organ“ nur in Anführungszeichen wieder. 88 Diesen Aspekt scheint BayVGH, Beschluss vom 03. 04. 2007, Az. 7 C 06.3009, juris Rn. 6 (hinsichtlich der KEK) zu übersehen; dort wird lediglich festgehalten, dass die Kommission der jeweiligen Landesmedienanstalt organisationsrechtlich zugeordnet sei und nicht die Stellung eines selbständigen Verwaltungsträgers erhalte, ohne im Weiteren die Besonderheiten der Kommission gegenüber einem gewöhnlichen Organ zu erklären. 89 Dazu Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 21, Rn. 19 ff. 90 Dazu Peter M. Huber, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 144. 91 Das müssen letztlich selbst kritische Stimmen wie Hepach, ZUM 1999, S. 603, 606 f. (für die KEK) – wenn auch mit erkennbarem Widerwillen – eingestehen (Halves, Neuordnung des Jugendmedienschutzes, S. 45, gibt die die Äußerung von Hepach a. a. O. insofern missverständlich wieder). 92 Deshalb ist es als überaus kritikwürdig, wenn BayVGH, Beschluss vom 03. 04. 2007, Az. 7 C 06.3009, juris Rn. 7 (hinsichtlich der KEK) keine teleologische Auslegung vornimmt, sondern lediglich im Rahmen einer historischen Auslegung darauf verweist, die Regierungschefs der Länder hätten anlässlich eines „Kamingesprächs“ in Bonn entschieden, dass die KEK weder gemeinsames Organ der Landesmedienanstalten noch eine eigene rechtsfähige Stelle sein solle. 93 Vgl. bereits BVerfGE 1, 299, 312: „Maßgeblich für die Auslegung einer Gesetzesvorschrift ist der objektivierte Wille des Gesetzgebers, so wie er sich aus dem Wortlaut der Gesetzesbestimmung und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den diese hineingestellt ist. Nicht entscheidend ist dagegen die subjektive Vorstellung der am Gesetzgebungsverfahren
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hängigen Entscheidung durch eine länderübergreifende Kommission ihren Sinn zu verlieren droht, wenn es bei der ausschließlichen Qualifikation als „Organ“ verbleibt. Der Normzweck des einheitlichen (und damit standortunabhängigen) Schutzes – der nicht umsonst in § 1 JMStV ausdrücklich genannt und somit an die Spitze des Staatsvertrags gestellt wurde – würde konterkariert, wenn er ausgerechnet im „Ernstfall“ eines Gerichtsprozesses nicht konsequent weitergeführt werden könnte.94 Diese Konterkarierung würde nicht nur in den besonders einschneidenden Fällen geschehen, die typischerweise den Gegenstand eines gerichtlichen Verfahrens bilden, sondern mittelbar auch in allen anderen Fällen. Denn sollte ein Anbieter erkennen, dass ihm die örtlich zuständige Landesmedienanstalt wohl gesonnen und im Falle eines Prozesses zu einem Vergleich bereit ist, so muss der Anbieter auch im Verwaltungsverfahren keine besondere Rücksicht mehr auf die Auffassung der KJM nehmen. Damit wird deutlich, dass der JMStV nicht nur über den Wortlaut hinaus ausgelegt werden kann, sondern dass er auch entsprechend ausgelegt werden muss. (4) Teilrechtsfähigkeit als Folge relativ hoher Eigenständigkeit Entscheidender Anknüpfungspunkt für eine erweiternde Auslegung ist die relativ deutlich ausgeprägte Eigenständigkeit der KJM, die bereits mehrfach erwähnt wurde. Die KJM ist nicht nur unabhängig (§ 14 Abs. 6 Satz 1 JMStV), ihr ist auch die Kompetenz zur Bewertung von Angeboten in ausnahmsloser95 Exklusivität zugewiesen (§ 16 Satz 1 JMStV), für deren Vorbereitung sie sogar selbständig gegenüber den Anbietern auftreten kann (§§ 17 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1; 21 JMStV). Ihre Entscheidung und deren Begründung sind durch die Landesmedienanstalt und durch sämtliche ihrer Organe im weiteren Verfahren zwingend zugrunde zu legen (§ 17 Abs. 1 5 und 6 JMStV). Die KJM ist also nicht nur eine etwas ungewöhnlich gestaltete „Abteilung“ der Landesmedienanstalt. Bei der Bewertung eines Angebots hinsichtlich der Vorschriften des JMStV ist die KJM praktisch die allein zuständige Stelle, während die örtlich zuständige Landesmedienanstalt – mit bildhaften und deutlichen Worten – nicht mehr als ihr Postbote ist. Die KJM ist daher nicht nur ein „funktionell zuständiges Willensbildungsorgan“,96 sondern darüber beteiligten Organe oder einzelner ihrer Mitglieder über die Bedeutung der Bestimmung. Der Entstehungsgeschichte einer Vorschrift kommt für deren Auslegung nur insofern Bedeutung zu, als sie die Richtigkeit einer nach den angegebenen Grundsätzen ermittelten Auslegung bestätigt oder Zweifel behebt, die auf dem angegebenen Weg allein nicht ausgeräumt werden können.“ 94 Ebenso (mit Bezug auf die Zulässigkeit eines Organstreits zwischen KJM und Landesmedienanstalt) Retzke, Präventiver Jugendmedienschutz, S. 203. 95 Sofern im Zusammenhang mit der KEK das Argument der gesetzlichen Entscheidungszuständigkeit mit Hinweis auf die Abweichungsmöglichkeit durch die KDLM relativiert wird (so Hepach, ZUM 2007, S. 40, 42), so kann dies für die KJM nicht gelten, weil es im JMStV keine entsprechende Abweichungsmöglichkeit gibt. 96 Erdemir, RdJB 2006, S. 285, 285.
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hinaus ein „emanzipiertes Organ“.97 Sie wurde durch den Staatsvertrag der Länder keiner juristischen Person zugeordnet,98 es gibt also keine originäre Trägereinheit.99 Daher ist es berechtigt, aus der relativen Eigenständigkeit eine Teilrechtsfähigkeit der KJM zu schließen.100 Angesichts des Wortlauts von § 14 Abs. 2 Satz 2 JMStV mag dieses Ergebnis überraschen – nichtsdestotrotz ist es, wie soeben hergeleitet, rechtlich möglich und geboten. Die soeben getroffenen Überlegungen treffen dem Grunde nach weitgehend entsprechend für die KEK zu, so dass ihr nach der vorliegend vertretenen Auffassung ebenfalls Teilrechts- und Beteiligtenfähigkeit sowie die Notwendigkeit ihrer Beiladung zugesprochen werden kann.101 Hinsichtlich der hier zu untersuchenden Stellung der KJM sei aber daran erinnert, dass sie – wie gezeigt – über eine noch wesentlich größere Selbstständigkeit als die KEK verfügt,102 so dass bei der KJM Konsequenzen selbst dann zum Tragen kommen müssten, wenn man sie bei der KEK ablehnte. (5) Die KJM als mögliche Beteiligte des Verwaltungsprozesses Aus der Teilrechtsfähigkeit ergibt sich automatisch die Möglichkeit, dass die KJM Beteiligte eines Verwaltungsprozesses gem. § 61 Nr. 2 VwGO sein kann. Im Übrigen wäre die Beteiligtenfähigkeit selbst dann anzunehmen, wenn die Teilrechtsfähigkeit entgegen der hier vertretenen Auffassung verneint werden würde. Generell müssen (entgegen dem Wortlaut von § 61 Nr. 2 VwGO) einer Vereinigung nämlich keine Rechte zustehen, es genügt bereits, wenn sie Zuordnungssubjekt von Rechtssätzen sein kann.103 Dies ist bei der KJM aufgrund der dargestellten exklusiv zugewiesenen Aufgaben der Fall. Auch über ein hinreichendes Maß an 97 Mynarik, Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien, S. 116, insbesondere unter Hinweis auf die Formulierung „herantreten“ in § 20 Abs. 3 JMStV. 98 Dies unterscheidet KJM und KEK einerseits von der gemeinsamen Filmbewertungsstelle der Länder in Wiesbaden, andererseits: Diese von der Rechtsprechung als zulässig erachtete Einrichtung ist eine Landesbehörde des Landes Hessen, bei der sich die anderen Länder durch Verwaltungsvereinbarung ein Mitwirkungsrecht ausbedungen haben, vgl. BVerwGE 23, 194, 197. 99 So selbst Hepach, ZUM 1999, S. 603, 606 (für die KEK). 100 So auch Renck-Laufe, ZUM 2006, S. 907, 910 (für die KEK). Ähnlich Halves, Neuordnung des Jugendmedienschutzes, S. 46. 101 So auch Renck-Laufe, ZUM 2006, S. 907, 910. Andere Ansicht BayVGH, Beschluss vom 03. 04. 2007, Az. 7 C 06.3009 sowie Hepach, ZUM 2007, S. 40, 42. 102 Dies übergeht aber BayVGH, Beschluss vom 03. 04. 2007, Az. 7 C 06.3009, juris Rn. 6 a. E. mit der unzutreffenden Behauptung, bei KEK und KJM bestünde jeweils „dieselbe verfahrens- und organisationsrechtliche Struktur“ – daneben sei angemerkt, dass selbst wenn diese Behauptung zuträfe, das Argument des BayVGH nicht überzeugen könnte, weil aus der (vermeintlichen) Übereinstimmung der Struktur nicht geschlossen werden kann, welche Konsequenzen in beiden Fällen zu ziehen sind. 103 Redeker / von Oertzen, VwGO, § 61, Rn. 4.
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Organisation und Repräsentanz, wie es für eine Beteiligung notwendig ist,104 verfügt die KJM offensichtlich.105 Zum gleichen Ergebnis führt ein Vergleich mit einem möglichen Organstreit zwischen der KJM und einer Landesmedienanstalt (dessen Möglichkeit wohl allgemein anerkannt ist106). Zwar könnte bei flüchtiger Betrachtung die Bezeichnung als Organstreit in die andere Richtung deuten. Jedoch ist nochmals zu betonen, dass die KJM auch, aber nicht nur im Sinne eines Organs für die Landesmedienanstalten tätig wird. Der dagegen vorgebrachte Einwand, die Kompetenz der Kommission reiche nur für eine wehrfähige Rechtsposition im Rahmen eines Organstreits aus und könne sich in einem Außenrechtsstreit aber nicht zu einem losgelösten Recht gem. § 61 Nr. 2 VwGO „verdichten“,107 überzeugt nicht. Denn die vom Gesetz gewollte exklusive Entscheidungszuständigkeit der KJM ist gleichermaßen gefährdet, egal, ob eine Landesmedienanstalt ihr direkt gegenübersteht (wie im Organstreit) oder dies nur mittelbar der Fall ist (wie bei der Klage eines Anbieters).108 Eine Landesmedienanstalt kann die Entscheidung der KJM nicht nur unterlaufen, indem sie gegenüber dem Anbieter eine mildere Entscheidung trifft und dieser anschließend nicht klagt – aufgrund dieser Gefahr muss ein Organstreit zulässig sein –,109 sondern ebenso, indem die Landesmedienanstalt zunächst keine mildere Entscheidung trifft, sich aber im Verwaltungsprozess mit dem Anbieter entsprechend vergleicht – aufgrund dieser Gefahr muss eine Beteiligung der KJM zulässig sein. Redeker / von Oertzen, VwGO, § 61, Rn. 4. Das müssen auch kritische Stimmen wie Hepach, ZUM 2007, S. 40, 42 (für die KEK) eingestehen. 106 Vgl. z. B. Ukrow, Jugendschutzrecht, Rn. 696 sowie Halves, Neuordnung des Jugendmedienschutzes, S. 153 f. – Im Ergebnis übereinstimmend auch Retzke, Präventiver Jugendmedienschutz, S. 203 f.; Retzke geht aber unzutreffenderweise davon aus, dass Scholz / Liesching, Jugendschutz, § 17 JMStV, Rn. 6 eine andere Ansicht vertreten, weil die dortige Ablehnung eines Organstreitverfahrens sich nur darauf bezieht, dass die Landesmedienanstalt nicht durch den Inhalt einer Entscheidung der KJM in ihren Rechten verletzt sein kann. 107 So Hepach, ZUM 2007, S. 40, 42 (für die KEK). – Auch die Ausführungen von VG Berlin, Urteil vom 06. 07. 2006, Az. 27 A 236.04, juris Rn. 42 (nicht rechtskräftig, anhängig beim OVG Berlin-Brandenburg, Az. OVG 8 N 85.06) könnten zwar so verstanden werden („Die KJM ist im vorliegenden Rechtsstreit nicht beteiligtenfähig i. S. v. § 61 Nr. 2 VwGO, denn streitig ist nicht die Frage, ob die von ihr wahrgenommenen Aufgaben ihr etwa als eigene Rechte zustehen, [ . . . ]“); diese Ausführungen erfolgen jedoch im Rahmen der Passivlegitimation und anhand einer Situation, in der Standortinteressen der Landesmedienanstalt ausgeschlossen sind, so dass daraus wohl keine weitgehenden Schlussfolgerungen gezogen werden können. 108 Dies übersieht BayVGH, Beschluss vom 03. 04. 2007, Az. 7 C 06.3009, juris Rn. 8 (hinsichtlich der KEK) bei der Behauptung, es komme bei der Klage eines Anbieters nicht darauf an, ob die Kommmission einen Organstreit führen könne; wenngleich diese Möglichkeit keine unmittelbare Auswirkung hat, kann sie trotzdem einen für die systematische und teleologische Auslegung des Gesetzes relevanten Aspekt bilden. 109 Dieser Zusammenhang wird von Retzke, Präventiver Jugendmedienschutz, S. 203 zurecht besonders stark betont. 104 105
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(6) Notwendigkeit der Beiladung der KJM Angesichts ihrer Beteiligtenfähigkeit kann die KJM einem Verwaltungsprozess beigeladen werden, fraglich ist aber, ob dies auch zwingend erfolgen muss.110 Eine Beiladung ist gem. § 65 Abs. 2 VwGO notwendig, wenn die vom Kläger begehrte Sachentscheidung nicht getroffen werden kann, ohne dass dadurch gleichzeitig, unmittelbar und zwangsläufig Rechte des in Frage kommenden Dritten bestätigt oder festgestellt, verändert oder aufgehoben werden.111 Bei einer Behörde als Drittem ist dies (unter anderem) dann der Fall, wenn deren Einvernehmen für den Erlass eines mehrstufigen Verwaltungsaktes erforderlich ist.112 Die hier zu untersuchende Situation der Anfechtungsklage eines Anbieters ist damit vergleichbar, denn die Landesmedienanstalt ist für die Wahl der rechtlichen Mittel verantwortlich, während die KJM alleinig über die Verletzung der materiellen Vorschriften des JMStV entscheidet. Daher ist die Beiladung der KJM notwendig i. S. v. § 65 Abs. 2 VwGO. e) Ergebnis des Exkurses Die KJM handelt auch, aber nicht nur als Organ der jeweils zuständigen Landesmedienanstalt gem. § 14 Abs. 2 Satz 2 JMStV. Durch eine teleologische Auslegung des JMStV ist in ihr über den Gesetzeswortlaut hinaus eine von den Ländern geschaffene Einrichtung zu erkennen, die zwar nicht völlig selbständig, aber teilrechtsfähig ist. Doch selbst wenn die Teilrechtsfähigkeit verneint würde, wäre die KJM aufgrund der ihr exklusiv zugewiesenen Aufgaben bei der Klage eines Anbieters gegen eine Maßnahme der Landesmedienanstalt im gerichtlichen Verfahren beizuladen.
4. Anwendbares Verwaltungsverfahrensgesetz Die KJM erfüllt den (inhaltlich praktisch übereinstimmenden) Behördenbegriff113 der Verwaltungsverfahrensgesetze des Bundes und der Länder.114 Die typischerweise vorhandenen rundfunkrechtlichen Ausschlussklauseln (z. B. Art. 2 Abs. 1 Satz 2 BayVwVfG für den Bayerischen Rundfunk) sind nicht einschlägig, da die KJM nicht Teil des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, sondern eine davon unabhängige Einrichtung zur Kontrolle privater Medien ist.115 Zwar besteht in der 110 Auf diese Frage geht BayVGH, Beschluss vom 03. 04. 2007, Az. 7 C 06.3009, juris Rn. konsequenterweise nicht ein, weil dort die KEK für „nicht beiladungsfähig“ gehalten wird. 111 Schmidt in: Eyermann, VwGO, § 65, Rn. 16 m. w. N. 112 Czybulka in: Sodan / Ziekow, VwGO, § 65, Rn. 155. 113 Zum Behördenbegriff Meyer in: Knack, VwVfG, § 1, Rn. 1. 114 So auch Hesse, Rundfunkrecht, 5. Kapitel, Rn. 38 für die Landesmedienanstalten.
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Literatur offenbar Einigkeit, dass die (inhaltlich praktisch übereinstimmenden) Regelungen der Verwaltungsverfahrensgesetze (VwVfG116) für die KJM einschlägig sind, zumeist offen gelassen wird aber die Frage, welches VwVfG konkret Anwendung zu finden hat.117 Das VwVfG des Bundes scheidet von vornherein aus. Zwar erklärt die GVO-KJM in Einzelfällen das VwVfG des Bundes für anwendbar (z. B. § 5 Abs. 3 Satz 1 GVO-KJM für § 20 VwVfG des Bundes), trotzdem ist die KJM keinesfalls eine Behörde des Bundes und führt auch kein Bundesrecht im Auftrag des Bundes aus (vgl. § 1 Abs. 1 VwVfG des Bundes). Muss somit das VwVfG eines Landes einschlägig sein, bleibt fraglich, welchen Landes. Zunächst wäre denkbar, stets das VwVfG eines Landes anzuwenden. Hiergegen spricht aber, dass die KJM wie gezeigt keiner juristischen Person originär zugeordnet ist. Deshalb erscheint es überzeugender, für das „Wanderorgan“ KJM das VwVfG zugrunde zu legen, das auch für die jeweils zuständige Landesmedienanstalt Geltung beansprucht.118 Diese grundsätzlich vorzugswürdige Konstruktion scheitert aber in den bereits erwähnten (Ausnahme-)Fällen, in denen die KJM völlig selbständig handelt.119 Mangels besserer Alternative muss dabei auf einen der beiden „Standorte“ der KJM zurückgegriffen werden. Während die Stabstelle in München für inhaltliche Fragen, die Vorbereitung von Grundsatzangelegenheiten und Öffentlichkeitsarbeit zuständig ist, liegen die Zuständigkeiten der Geschäftsstelle in Erfurt bei organisatorischen und koordinierenden Aufgaben.120 Die selbständigen Handlungen der KJM lassen sich eher der zweiten Gruppe von Aufgaben zuordnen, vor allem aber liegt der Sitz der KJM gem. § 14 Abs. 10 JMStV in Erfurt. Daher ist für diese Fälle anzunehmen, dass das VwVfG des Freistaats Thüringen anwendbar ist. Die KJM selbst geht offenbar (ebenfalls) von der Anwendbarkeit des VwVfG des jeweiligen Landes aus, für dessen Landesmedienanstalt sie tätig wird, wie bei115 So auch Hesse, Rundfunkrecht, 5. Kapitel, Rn. 38 m. w. N. für die Landesmedienanstalten. 116 Die Abkürzung „VwVfG“ soll im Folgenden für das im jeweiligen Zusammenhang gemeinte Verwaltungsverfahrensgesetz stehen und nicht für das Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes. Auch soll nicht auf spezielle Landeseigenheiten eingegangen werden (wie z. B. die Ordnung nach Artikeln im Bayerischen VwVfG oder die besondere Gestaltung des Verwaltungsverfahrensrechts im Land Schleswig-Holstein). 117 So etwa Roll, KJuG 2005, S. 65, 66. Ebenso Erdemir, CR 2005, S. 275, 280. Ähnlich (das „allgemeine Verwaltungsverfahrensrecht“ sei anwendbar) bereits Ukrow, Jugendschutzrecht, Rn. 683. 118 So auch Halves, Neuordnung des Jugendmedienschutzes, S. 119 sowie Altenhain in: Hoeren / Sieber, Handbuch Multimedia-Recht, Teil 20, Rn. 194. Dies setzen wohl ebenso voraus BayVGH, Beschluss vom 22. 03. 2005, Az. 7 CS 05.79, juris Rn. 21 sowie VG München, Beschluss vom 21. 12. 2004, Az. M 17 S 04.4817, juris Rn. 71. 119 Dies scheinen sowohl Halves, Neuordnung des Jugendmedienschutzes, S. 119 als auch Altenhain in: Hoeren / Sieber, Handbuch Multimedia-Recht, Teil 20, Rn. 194 zu übersehen. 120 So die Selbstdarstellung der KJM, abrufbar unter http: //www.kjm-online.de/public/ kjm/index.php?show_1=67,54 (Stand: 14. 03. 2007).
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spielsweise anlässlich des Verfahrens zur Sendung „I want a famous face“121 deutlich wurde. Dabei ist jedoch auffällig, dass sie die Vorschriften der GVO-KJM eher weit auslegt, so dass es nur in geringerem Maße zur Anwendung des VwVfG kommt. Dies überzeugt jedoch nicht, weil nicht ersichtlich ist, warum an die KJM andere Maßstäbe angelegt werden sollten als bei der Abgrenzung anderer Geschäftsordnungen zu den allgemeinen Normen des Verwaltungsverfahrensrechts. Sofern die GVO-KJM daher keine ausdrücklichen Regelungen enthält, ist ausschließlich auf das (jeweilige) VwVfG abzustellen. Virulent wurde diese Problematik bislang zuvörderst hinsichtlich der Zulässigkeit von Umlaufverfahren,122 worauf sogleich einzugehen ist. 5. Das Sonderproblem des Umlaufverfahrens a) Problemstellung und bisheriger Meinungsstand In mehreren Fällen ermöglicht die GVO-KJM ein Umlaufverfahren. Für die KJM als Gesamtgremium gilt § 5 Abs. 1 Satz 2 GVO-KJM. Die Prüfausschüsse können bei einem Teil ihrer Aufgaben im Präsenz- oder Umlaufverfahren entscheiden, bei einem anderen Teil beschließen sie sogar ausschließlich im Umlaufverfahren (§ 7 Abs. 3 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 GVO-KJM). Bei fehlender Einstimmigkeit in einem Prüfausschuss leitet der Vorsitzende des Ausschusses den Fall an das Gesamtgremium weiter und entscheidet dabei, ob dies im Umlauf- oder Präsenzverfahren geschieht. Auch die Prüfgruppen werden gem. § 9 Abs. 2 Satz 3 GVO-KJM teilweise im Umlaufverfahren tätig. In der Literatur wird vertreten, ein Umlaufverfahren sei generell zulässig, solange ein Verfahren in camera nicht ausdrücklich gesetzlich vorgeschrieben sei.123 Andere Stimmen kritisieren dagegen das Umlaufverfahren der KJM und ihrer Untergliederungen, weil nur durch eine gemeinsame Prüfung eine Auseinandersetzung mit den Argumenten der jeweiligen anderen Prüfer stattfinden könne.124 Da121 Erstinstanzliches Eilverfahren vor dem VG München, Az. M 17 S 04.4817 (Eilverfahren in zweiter Instanz entschieden durch Beschluss des BayVGH vom 22. 03. 2005, Az. 7 CS 05.79, Hauptverfahren anhängig beim VG München, Az. M 17 K 05.597). Zu Inhalt und Problematik der Sendung siehe Seite 238. 122 Vgl. den Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten des Antraggegners im erstinstanzlichen Eilverfahren vor dem VG München, Az. M 17 S 04.4817 vom 30. 11. 2004, S. 7 (nicht veröffentlicht); anders dagegen der Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten des Beigeladenen vom 04. 11. 2004, S. 14 (nicht veröffentlicht). 123 Ukrow, Jugendschutzrecht, Rn. 627. 124 Goerlich, tv diskurs 2007, Heft 2, S. 109, 110. Zweifelnd auch BayVGH, Beschluss vom 22. 03. 2005, Az. 7 CS 05.79, juris Rn. 21. Kritisch auch der Jahresbericht 2005 der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen e.V. (FSF), S. 35 f., abrufbar unter http: //www.fsf. de/fsf2/ueber_uns/bild/download/FSF_Jahresbericht2005.pdf (Stand: 17. 10. 2006); übereinstimmend Jahresbericht 2006, abrufbar unter http: //www.fsf.de/fsf2/ueber_uns/bild/down load/FSF_Jahresbericht_2006.pdf (Stand: 11. 11. 2007), S. 81.
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bei wird auch auf eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts Bezug genommen, mit der hinsichtlich der Bewertungen durch die damalige Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften festgestellt wurde, dass ein Umlaufverfahren bei kollegialen Entscheidungen nicht der gesetzgeberischen Intention gerecht werde;125 wenn keine Argumente ausgetauscht werden könnten, so läge keine Kollegialentscheidung, sondern eine Summe parallelisierter Einzelentscheidungen vor.126 Auch wird darauf verwiesen, das Bundesverwaltungsgericht habe bereits in anderem Zusammenhang die Erforderlichkeit eines persönlichen Zusammentretens von Gremienmitgliedern zur tatsächlich wirkungsvollen Beschlussfassung erwähnt.127 Schließlich wird hinsichtlich des Umlaufverfahrens der KJM problematisiert, ob sie dabei den Regelungen über Ausschüsse gem. §§ 88 ff. VwVfG unterliegt. Dies wurde teilweise mit dem Argument bezweifelt, § 14 Abs. 5 JMStV bilde eine abschließende Regelung zur Verfahrensbeschleunigung.128 Im Verfahren zur Sendung „I want a famous face“ wurde diese Frage schon relevant, nachdem ein Mitglied der KJM „Bedenken“129 gegen ein Umlaufverfahren in diesem Fall geäußert hatte. Gem. § 90 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 VwVfG genügt es, dass ein Mitglied der Durchführung des Umlaufverfahrens widerspricht, während gem. § 5 Abs. 1 Satz 2 Var. 2 GVO-KJM das Mitglied die Behandlung in einer Sitzung (wohl ausdrücklich) beantragen muss.
b) Eigene Überlegungen und Stellungnahme Hinsichtlich des Verhältnisses beider Regelwerke ist zwar zutreffend, dass das VwVfG nicht nur gegenüber formellen Gesetzen, sondern auch gegenüber Geschäftsordnungen,130 also auch gegenüber der GVO-KJM subsidiär ist. Trotzdem ist es nicht zustimmungswürdig, § 14 Abs. 5 JMStV als eine abschließende Regelung für alle Arten der Verfahrensbeschleunigung zu interpretieren. § 14 Abs. 5 JMStV normiert die Bildung von Prüfausschüssen; wenn Satz 3 dieser Vorschrift besagt, das Nähere werde durch die Geschäftsordnung der KJM geregelt, so ist BVerwGE 91, 217, 221 f. Andere Ansicht VG Hannover, AfP 2007, S. 293, 294, wobei das vorgenannte Urteil des Bundesverwaltungsgerichts anders als hier interpretiert wird. 127 BVerwG, NJW 1998, S. 323, 327 (im konkreten Fall wurde die Notwendigkeit des persönlichen Zusammentretens jedoch verneint). Dieser Entscheidung folgte erst wieder jüngst VG Hannover, Urteil vom 29. 05. 2002, Az. 6 A 181 / 02, juris Rn. 57. In die gleiche Richtung deutet BVerwG, NJW 2007, S. 2790, 2795, wonach Entscheidungen einer sachverständigen Kommission „im Regelfall“ eine gemeinsame „Erörterung“ voraussetzten. 128 So die Rechtsauffassung der Niedersächsischen Landesmedienanstalt, der das VG Hannover zunächst beipflichtet, das Ergebnis jedoch ausdrücklich offen lässt, vgl. VG Hannover, AfP 2007, S. 293, 293 f. Offen gelassen auch bei VG Hannover, K&R 2007, S. 230, 231. 129 Vgl. den Tatbestand bei VG München, Beschluss vom 21. 12. 2004, Az. M 17 S 04.4817, juris Rn. 6. 130 Bonk / Kallerhoff in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, § 88, Rn. 18. 125 126
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dies so zu verstehen, dass das Nähere hinsichtlich dieser Ausschüsse in der – als selbstverständlich bestehend vorausgesetzten – Geschäftsordnung geregelt wird. Aus dieser Formulierung zusätzlich eine Regelungskompetenz für jede Form der Verfahrensbeschleunigung für Gesamtgremium und Untergliederungen zu folgern, welche die subsidiäre Anwendung des VwVfG ausschließt, überzeugt nicht. Vielmehr geht die GVO-KJM den subsidiären Regeln des VwVfG nur vor, soweit es eigene Regelungen enthält – aber auch nicht weiter. Das heißt für das Umlaufverfahren, dass ausschließlich § 5 Abs. 1 Satz 2 Var. 2 GVO-KJM anzuwenden ist, § 90 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 VwVfG dagegen gar nicht – es bedeutet aber ebenso, dass die Regeln über das Umlaufverfahren gem. §§ 88 ff. VwVfG im Übrigen ohne jede Einschränkung gelten.131 In der Konsequenz des soeben Gesagten ist für jede Regelung der GVO-KJM gesondert zu ermitteln, wie weit ihr Regelungsanspruch geht. Dies hat sich selbstverständlich nicht an den subjektiv pragmatischen Wünschen der jeweiligen Akteure zu orientieren, sondern an den allgemein juristischen Auslegungsmethoden. Dazu gehören insbesondere die teleologische Auslegung sowie die Berücksichtigung der Konformität zu höherrangigen Rechtssätzen. Für die Bewertung speziell des Umlaufverfahrens ist zunächst die Bedeutung dieses Verfahrensschritts klarzustellen: Zwar ist generell einleuchtend, dass von der KJM nicht alle Eventualitäten abgesichert werden können und die Nachholung bestimmter Verfahrenshandlungen gem. § 45 Abs. 1 VwVfG möglich bleiben soll.132 Die Bewertung der Angebote ist jedoch die Schlüsselstelle des gesamten Verfahrens des JMStV schlechthin, so dass es nicht um nachrangige bloße Förmlichkeitsfragen geht, wenn die Bewertung in einer Weise geschieht, die nicht der gesetzgeberischen Intention entspricht. Wie die bereits zitierte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zurecht angedeutet hat, wird der Sinn einer (teil-)pluralistischen Zusammensetzung deutlich abgeschwächt, wenn es nicht zu einem unmittelbaren Austausch der unterschiedlichen Sichtweisen kommen kann.133 Denn – im Gegensatz z. B. zur bereits borgestellten KEK134 – werden die Mitglieder der KJM nicht ausschließlich wegen ihres Sachverstandes benannt, sondern auch, weil sie bestimmte gesellschaftliche Gruppen repräsentieren sollen.135 Diese Funktion wird durch den unmittelbaren Austausch der Prüfer wesentlich nachhaltiger erfüllt und sie ist essentiell, sofern die Freiheitsrechte von Bürgern beschnitten werden sollen. Ferner ist in diesem 131 Selbst wenn man dem nicht folgte, dürfte nicht übergangen werden, dass die §§ 88 ff. VwVfG Ausdruck allgemeiner Rechtsgrundsätze sind, deren ergänzende Heranziehung geboten ist, wenn keine vollständigen ausdrücklichen Regelungen vorhanden sind, vgl. Henneke in: Knack, VwVfG, vor § 88, Rn. 2. 132 Dies betont Roll, KJuG 2005, S. 65, 66. 133 Goerlich, tv diskurs 2007, Heft 2, S. 109, 110 meint sogar, die Ausgestaltung als kollegial organisierte und entscheidende Stelle werde durch derartige Entscheidungsprktiken „ad absurdum“ geführt. 134 Näher zur KEK siehe Seite 72 ff. 135 Das scheint die andere Ansicht von Roll, KJuG 2005, S. 65, 66 zu übersehen.
C. Die Akteure des Verfahrens
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Zusammenhang auch auf die Idee des Grundrechtsschutzes durch Verfahren zu verweisen, erst recht, wenn die grundrechtlich besonders geschützten Medienfreiheiten in Frage stehen.136 Schließlich spricht auch der Rang des Schutzgutes für die hier vertretene Auffassung: Wenn selbst eine im Vergleich wohl nicht bedeutsamere Angelegenheit wie die sensorische Bewertung von Wein als so wichtig erachtet wird, als dass sie von der Bewertungs-Kommission erörtert werden muss,137 so hat dies auch für womöglich jugendgefährdende Angebote zu gelten. Sollte eine solche Erörterung zugunsten eines leichter zu organisierenden Verfahrens aufgegeben werden, so bedürfte es aufgrund des aufgezeigten Gewichts der Frage einer gesetzlichen Grundlage138 und nicht nur einer Regelung in der Geschäftsordnung. Die GVO-KJM ist daher gesetzeskonform dahingehend auszulegen, dass ein Umlaufverfahren gem. § 5 Abs. 1 Satz 2 GVO-KJM nicht bei der Bewertung von Angeboten, sondern nur in anderen Angelegenheiten erfolgen darf. Die soeben getroffene Interpretation erscheint umso bedeutsamer, nachdem gem. § 9 Abs. 2 Satz 6 GVO-KJM die Mitglieder der Prüfausschüsse nur ein vom Vorschlag der Prüfgruppe abweichendes Veto begründen müssen, nicht jedoch eine Zustimmung, so dass eine kontroverse Diskussion, wie sie durch die pluralistische Besetzung eigentlich intendiert wird, womöglich noch unwahrscheinlicher wird.139 In der Praxis ist die KJM dem entsprechenden Anliegen inzwischen insofern entgegengekommen, als dass Fälle, in denen die mögliche Überschreitung des Beurteilungsspielraums einer anerkannten EFS in Frage steht, „grundsätzlich“ in ihren Sitzungen behandelt werden.140
II. Die Einrichtungen der Freiwilligen Selbstkontrolle (EFS) 1. Die EFS als eigenständige Subjekte des Privatrechts a) Subjekte des Privatrechts EFS sind Zusammenschlüsse von Privaten, sie sind daher ihrerseits Subjekte des Privatrechts. Somit können sie ausschließlich in privatrechtlicher Form bestehen, und zwar unabhängig davon, ob sie eine – sogleich zu erläuternde – förmliche AnSo mit ausführlicher Herleitung Goerlich, tv diskurs 2007, Heft 2, S. 109, 111. Dies wurde jüngst durch BVerwG, NJW 2007, S. 2790, 2794 festgestellt. 138 Auch Schulz et al, Analyse des Jugendmedienschutzsystems, S. 161 empfehlen eine Regelung durch das Gesetz selbst. 139 Auch dies kritisiert die FSF in ihrem Jahresbericht, S. 36, abrufbar unter http: //www. fsf.de/fsf2/ueber_uns/bild/download/FSF_Jahresbericht2005.pdf (Stand: 17. 10. 2006). – Ähnlich Goerlich, tv diskurs 2007, Heft 2, S. 109, 110. 140 Vgl. Zweiter Bericht der KJM vom August 2007, S. 47, abrufbar unter http: // www.kjm-online.de/public/kjm/downloads/KJM_Bericht%20und%20Umschlag.pdf (Stand: 19. 09. 2007). 136 137
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3. Teil: Das Verfahren des JMStV
erkennung gem. § 19 Abs. 3 JMStV erfahren oder nicht.141 Selbst wenn in den EFS funktional Verwaltungsträger erkannt werden könnten – namentlich in Form einer Beleihung, worauf noch ausführlich einzugehen sein wird142 – so blieben sie selbst dann formell Private.143 Der JMStV verlangt keine bestimmte Privatrechtsform, in der EFS geführt werden müssen. Allerdings wäre eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts als nichtkörperschaftlich verfasste Figur des Privatrechts wohl nicht geeignet, die Voraussetzungen gem. § 19 Abs. 3 JMStV zu erfüllen.144 Die bislang real existierenden anerkannten EFS145 haben allesamt die Form eines eingetragenen Vereins. Die Frage, ob eine EFS auch gewerblich ausgerichtet und mit einer entsprechenden Rechtsform ausgestattet sein könnte,146 wird sich in der Praxis aus steuerlichen und ökonomischen Gründen wohl kaum stellen. Eine Organisation mit dem Zweck des Jugendschutzes käme nur in der Form eines nicht wirtschaftlichen Vereins in den Genuss bestimmter steuerlicher Erleichterungen.147 Eine Gewinnerzielungsabsicht wäre bei den Anbietern, die auch Träger der EFS sind, offensichtlich sinnlos, denn die von ihnen abgeschöpften Gewinne würden ihnen als Träger der EFS wieder ausgeschüttet werden. Ein Gewinn könnte allenfalls durch die Bezahlung von Prüfungen von Angeboten solcher Anbieter erfolgen, die der EFS nicht angehören, sondern sie im Rahmen eines Werkvertrages mit einer Prüfung beauftragen.148 Zur Zahlung großer Margen dürften Anbieter aber kaum bereit sein und auch die Zahl solcher Prüfungen dürfte so gering bleiben, dass ein möglicher Gewinn kaum die steuerrechtlichen Vorteile der Gemeinnützigkeit aufwiegen dürfte. Rechtliche Gründe, die einer gewerblichen EFS entgegenstehen, sind aber nicht ersichtlich.
b) Eigenständige Subjekte Zwar ist von § 19 Abs. 2 JMStV vorgesehen, dass Anbieter bei einer anerkannten EFS „angeschlossen“ sind; auch wird die Initiative zur Gründung einer EFS 141 Eifert, Die Verwaltung 2006, S. 309, 310, Fn. 7, ordnet die EFS zutreffend als eine „eigenständige private Fremdkontrolle“ ein, die er einer Kontrolle durch „Private im staatlichen Kontrollzusammenhang“ gegenüberstellt (Hervorhebung nicht im Original). 142 Siehe Seite 117 ff. 143 Vgl. Peter M. Huber, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 162; Scheel, DVBl. 1999, S. 442, 442. 144 Mynarik, Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien, S. 111. 145 Im Einzelnen zu diesen siehe Seite 89 ff. 146 Dies verneint Mynarik, Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien, S. 111 für die EFS mit dem Hinweis auf deren „idealen Zweck“, bejaht es aber auf S. 112 für den externen Jugendschutzbeauftragten. 147 Mynarik, Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien, S. 111. 148 Dies ist möglich, dazu siehe Seite 92 f.
C. Die Akteure des Verfahrens
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typischerweise von Anbietern ausgehen und häufig werden Trägerschaft und mittelbare Finanzierung bei Anbietern liegen. Trotzdem sind EFS im Verständnis des JMStV von den Anbietern unabhängige und somit eigenständige Subjekte.149 Sie verfolgen den Zweck, eine jugendschutzrelevante Gefährdung mit einem hinreichenden Maß an Objektivität zu beurteilen, die ein Mindestmaß an Distanz voraussetzt. Im Normtext des JMStV wird dies beispielsweise daran deutlich, dass die EFS gem. § 19 Abs. 3 Nr. 1 JMStV nur dann anerkannt werden können, wenn sowohl ihre eigene Unabhängigkeit als auch die der tätigen Prüfer gewährleistet ist. Insofern können die EFS auch von den Jugendschutzbeauftragten gem. § 7 JMStV abgegrenzt werden: Die EFS sind aus der Binnensphäre der Anbieter herausgelöst, während der Jugendschutzbeauftragte grundsätzlich150 vom Anbieter selbst gestellt wird.151 Während die EFS eine private Fremdkontrolle darstellen, sind die Jugendschutzbeauftragten ein Fall der privaten Eigenkontrolle.152
2. Die Anerkennung von EFS a) Die Voraussetzungen der Anerkennung Damit die Einrichtungen der Freiwilligen Selbstkontrolle (EFS) im Sinne des JMStV agieren können, müssen sie zunächst gem. § 19 Abs. 4 JMStV von der KJM anerkannt werden. Hierfür sind bestimmte Voraussetzungen gem. § 19 Abs. 3 zu erfüllen. Insbesondere sind Unabhängigkeit, Sachkunde und pluralistische Zusammensetzung des Prüfungsgremiums sowie eine qualifizierte Verfahrensordnung zu gewährleisten.153 Bei Erfüllung der Voraussetzungen gem. § 19 Abs. 3 JMStV besteht nach allgemeiner Meinung ein Rechtsanspruch auf Anerkennung.154 – Selbstverständlich bleibt die Möglichkeit erhalten, nicht-zertifizierte Gruppen und 149 Sellmann, K&R 2007, S. 196, 197 spricht daher zutreffend von einem „tripolaren Verhältnis“ zwischen Anbietern, EFS und KJM. Ebenso deutlich wird die Eigenständigkeit bei Eifert, Die Verwaltung 2006, S. 309, 310, Fn. 7, der die EFS als einen Fall der „eigenständigen privaten Fremdkontrolle“ einordnet (Hervorhebung nicht im Original). 150 Eine Ausnahme besteht für kleine Anbieter gem. § 7 Abs. 2 JMStV. 151 Scheuer, RdJB 2006, S. 308, 310. Zur Effektivität des Jugendschutzbeauftragten Mynarik, Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien, S. 267. 152 Vgl. Eifert, Die Verwaltung 2006, S. 309, 310 ff. zu dieser Systematisierung. 153 Zu den Voraussetzungen im Einzelnen Ukrow, Jugendschutzrecht, Rn. 673 ff., Mynarik, Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien, S. 103 ff. sowie Retzke, Präventiver Jugendmedienschutz, S. 73 ff. – § 19 Abs. 3 JMStV erfüllt damit wohl die allgemeinen Anforderungen an die verwaltungsrechtliche Ausgestaltung privater Kontrollregimes, wie sie Eifert, Die Verwaltung 2006, S. 309, 320 ff. illustrativ aufgelistet hat. 154 Ukrow, Jugendschutzrecht, Rn. 680 m.w.N; zustimmend Peter M. Huber in: HoffmannRiem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band III (im Ersch.), § 45, Rn. 182. Ebenso Bosch, Regulierte Selbstregulierung im JugendmedienschutzStaatsvertrag, S. 64 f., Retzke, Präventiver Jugendmedienschutz, S. 72 f. sowie Halves, Neuordnung des Jugendmedienschutzes, S. 139.
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3. Teil: Das Verfahren des JMStV
Körperschaften mit dem Ziel der Selbstkontrolle der Medien zu bilden;155 diese können lediglich keine Funktionen nach dem JMStV übernehmen.156
b) Die Folgen der Anerkennung Nach der Anerkennung kann eine EFS die im JMStV vorgesehenen Tätigkeiten übernehmen, insbesondere gem. § 19 Abs. 2 JMStV die Einhaltung der materiellen Bestimmungen des JMStV überprüfen. Ihre Entscheidung kann eine Privilegierung des betroffenen Anbieters gegenüber der KJM bewirken, wie noch im Einzelnen dargestellt werden wird. Den anerkannten EFS können sich Anbieter „anschließen“ (so die Wortwahl von § 19 Abs. 2 JMStV), die EFS können jedoch auch (in einem bestimmten, noch näher zu beschreibenden Teil der Fälle) von Anbietern ohne dauerhaften Anschluss mit der Prüfung einzelner Angebote beauftragt werden. In beiden Fällen richten sich die Rechtsbeziehungen von Anbieter und EFS nach privatem Recht. Lediglich hinsichtlich des „Obs“ der Aufnahme bzw. der Auftragsannahme ist das Privatrecht aufgrund der mittelbaren Drittwirkung des Verfassungsrechts157 so auszulegen,158 dass ein Anspruch des Anbieters auf Vertragsabschluss bei Erfüllung der satzungsgemäßen Voraussetzungen besteht,159 wie in dem die verfassungsrechtliche Bewertung betreffenden Teil dieser Arbeit noch näher beschrieben wird.160 Auf einfachrechtlicher Ebene spiegelt sich dies in der Anerkennungsvoraussetzung gem. § 19 Abs. 3 Nr. 2 JMStV („Vielzahl von Anbietern“) wider, die zeigt, dass der JMStV eine möglichst breite personelle Basis der EFS zum Ziel hat.161 Umgekehrt besteht jedoch kein Zwang des Anbieters, mit einer EFS zusammenzuarbeiten. Auch kann er frei wählen, falls für sein Medium mehrere anerkannte EFS gebildet wurden.
155 Klarstellend Ukrow, Jugendschutzrecht, Rn. 672 mit weiterer Erläuterung in Fn. 288. Besonders nachdrücklich jüngst Halves, Neuordnung des Jugendmedienschutzes, S. 113. Ähnlich bereits aber die amtliche Begründung zu § 19 Abs. 1 JMStV, u. a. BayLT-Drucks. 14 / 10246. 156 Übereinstimmend Bosch, Regulierte Selbstregulierung im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag, S. 64. 157 Vgl. dazu auch Kannengießer in: Schmidt-Bleibtreu / Klein, GG, Vor Art. 1, Rn. 13. 158 Vgl. Ukrow, Jugendschutzrecht, Rn. 689 m. w. N. Ebenso Halves, Neuordnung des Jugendmedienschutzes, S. 152. 159 Ob eine kartellrechtliche Konstruktion zu einem vergleichbaren Ergebnis führen könnte, kann angesichts des hier dargelegten verfassungsrechtlich hinterlegten zivilrechtlichen Anspruchs offen bleiben. 160 Siehe Seite 343 f. 161 Vgl. Halves, Neuordnung des Jugendmedienschutzes, S. 153 m. w. N.
C. Die Akteure des Verfahrens
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c) Die Aufhebung der Anerkennung Die Anerkennung kann gem. § 19 Abs. 5 JMStV widerrufen werden, wenn die genannten Voraussetzungen nicht mehr erfüllt sind oder die Spruchpraxis der EFS nicht im Einklang mit dem Jugendschutzrecht steht.162 Es ist auch ein Teilwiderruf möglich.163 Lagen schon im Zeitpunkt der Anerkennung die Voraussetzungen nicht vor, erfolgt die Rücknahme der Anerkennung nach den allgemeinen verwaltungsrechtlichen Vorschriften.164 3. Die bisher tatsächlich anerkannten EFS a) Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen e.V. (FSF) Der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen e.V. (FSF)165 gehören 18 deutsche private Fernsehsender an. Diese wählen einen Vorstand, die Prüfer jedoch werden von einem sachverständigen und unabhängigen Kuratorium ausgewählt. Der Verein beschäftigt sich bereits seit 1994 mit der Überprüfung von Fernsehprogrammen. Im August 2003 wurde er von der KJM als EFS im Sinne des JMStV anerkannt. Seitdem gilt für die Kontrolle durch die FSF166 deren neue Prüfordnung.167
b) Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia-Dienstanbieter e.V. (FSM) Im Bereich der so genannten „Online-Medien“ ist der Verein Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia-Dienstanbieter e.V. (FSM) tätig.168 Die FSM wurde 1997 gegründet und im Oktober 2005 von der KJM im Sinne des JMStV anerkannt.169 Zu ihren Mitgliedern zählen sowohl Anbieter von Inhalten als auch so genannte „Host“- und „Accessprovider“. Ferner gehören ihr nicht nur Unternehmen, sondern Dazu Ukrow, Jugendschutzrecht, Rn. 683. Mynarik, Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien, S. 149. 164 Dazu ausführlich Mynarik, Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien, S. 150 ff. 165 Vgl. zur FSF deren Selbstdarstellung, abrufbar unter http: //www.fsf.de/fsf2/ueber _uns/fsf.htm (Stand: 24. 11. 2005). 166 Ausführlich zur Kontrolle durch die FSF Schulz et al, Analyse des Jugendmedienschutzsystems, S. 170 ff. 167 Abrufbar unter http: //www.fsf.de/fsf2/ueber_uns/bild/download/FSF_Pruefordnung. pdf (Stand: 11. 01. 2007); dazu kritisch und ausführlich Mynarik, Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien, S. 159 ff. 168 Vgl. zur FSM deren Selbstdarstellung, abrufbar unter http: //www.fsm.de/s=Wir+% FCber+uns (Stand: 22. 11. 2005). 169 Zunächst wollte die KJM die FSM nur unter Bedingungen und Auflagen anerkennen; nachdem die FSM hiergegen verwaltungsgerichtliche Klage erhob, wurde von der KJM ein Änderungsbescheid erlassen, so dass die Anerkennung nun ohne inhaltliche Einschränkungen Gültigkeit besitzt, vgl. Schulz et al, Analyse des Jugendmedienschutzsystems, S. 124. 162 163
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3. Teil: Das Verfahren des JMStV
auch Verbände an. Unter dem Dach der FSM ist schließlich die „Selbstkontrolle Suchmaschinen“ angesiedelt, in welcher die größten Anbieter dieser für das Internet zentralen Technologie vereinigt sind.170 Die Kontrolle von Angeboten durch die FSM171 regelt ihre Beschwerdeordnung.172
D. Das Verfahren ohne Einbeziehung der EFS Die KJM kann von Amts wegen tätig werden, aber auch auf Antrag einer Landesmedienanstalt oder einer obersten Landesjugendbehörde (§ 17 Abs. 1 Satz 1 JMStV). In der Praxis wird die Amtsermittlung der KJM häufig durch Hinweise von anderen Stellen und Bürgern auf einzelne Angebote ausgelöst.173 Gegenüber den Anbietern hat die KJM Auskunftsansprüche gem. § 21 JMStV.174 Wenn sie ihre Entscheidung getroffen hat, stellt dies gem. § 20 Abs. 1 JMStV die zuständige Landesmedienanstalt fest und trifft die erforderlichen Maßnahmen gegenüber dem Anbieter in Form eines Bescheids. Sofern sich ein Anbieter gegen eine Maßnahme der KJM bzw. der Landesmedienanstalt zur Wehr setzt, ist der Anbieter zu einer Anfechtungsklage gem. § 42 Abs. 1 Var. 1 VwGO befugt. Insoweit gelten die allgemeinen Sachentscheidungsvoraussetzungen ohne (hier175) erwähnenswerte Besonderheiten.
170 Ausführlich zu den Sonderregelungen der FSM bezüglich der Suchmaschinen Mynarik, Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien, S. 180 ff. Ausführlich zum Jugendschutzbeauftragten für Suchmaschinen sowie zu der möglichen Ersetzung durch einen Beitritt zu einer EFS Brosch, JurPC Web-Dokument 45 / 2006, passim. 171 Ausführlich zur Kontrolle durch die FSM Schulz et al, Analyse des Jugendmedienschutzsystems, S. 163 ff. 172 Abrufbar unter http: / / www.fsm.de / inhalt.doc / Beschwerdeordnung.pdf (Stand: 11. 01. 2007). Ausführlich zum Prüfverfahren der FSM Mynarik, Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien, S. 169 ff. 173 Erster Bericht der KJM vom April 2005, S. 43 (nicht veröffentlicht). 174 Näher Ukrow, Jugendschutzrecht, Rn. 634. 175 Besonderheiten bestehen aufgrund der Passivlegitimation der Landesmedienanstalt gem. § 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO und der gemäß der in dieser Arbeit vertretenen Auffassung notwendigen Beiladung der KJM, siehe Seite 73 ff.
E. Das Verfahren unter Einbeziehung der EFS
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E. Das Verfahren unter Einbeziehung der EFS I. Das Verfahren für Angebote des Rundfunks 1. Unterscheidung nach der Vorlagefähigkeit von Angeboten Für den Bereich des Rundfunks unterscheidet § 20 Abs. 3 JMStV nach der so genannten „Vorlagefähigkeit“ eines Angebots. Vorlagefähig sind alle Angebote, die zu einer Vorab-Kontrolle geeignet sind, also mit dem nötigen zeitlichen Vorlauf einer Überprüfung durch die EFS zugeführt werden können.176 Nicht vorlagefähig sind beispielsweise Live-Sendungen und erst unmittelbar vor der Ausstrahlung fertig gestellte Beiträge.177 Diese auf den ersten Blick eindeutige Unterscheidung erweist sich in der Praxis als problematisch178 und wurde daher schon als „Gummibegriff“179 kritisiert. Im Einzelfall kann es schwierig sein, eine genaue Bestimmung vorzunehmen. So ist beispielsweise unklar, ab wie vielen Tagen Vorlauf die Vorlagefähigkeit angenommen werden kann, ob an verschiedenartige Sendeformate verschiedene Maßstäbe anzulegen sind oder ob eine parallele Überprüfung von größeren Sendeformaten schon während der Herstellung erwartet werden kann, so dass die Prüfung der Endversion schneller möglich ist. Der JMStV enthält keine eindeutigen Unterscheidungskriterien zwischen vorlagefähigen und nicht vorlagefähigen Angeboten.180 Auch die Literatur hat Schwierigkeiten mit der Konkretisierung, was sich beispielhaft an Scheuer zeigt, der die Einräumung eines „vernünftig bemessenen Vorlaufs“ fordert.181 Erst in jüngster Zeit gibt es Gespräche zwischen der KJM und der FSF182 zur Definition der Vorlagefähigkeit,183 jedoch ohne dass bislang ein Ergebnis publik geworden wäre. Dies wiegt umso schwerer, als diese Einordnung von erheblicher praktischer Relevanz ist. Nicht nur, weil sie – wie sogleich darzustellen ist – verschiedene Verfahrensabläufe nach sich zieht. Besonderes Konfliktpotential Ukrow, Jugendschutzrecht, Rn. 639. Vgl. Ukrow, Jugendschutzrecht, Rn. 643. 178 Auf diese Problemlage macht z. B. der Jahresbericht 2006 der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen e.V. (FSF), S. 82, aufmerksam, abrufbar unter http: //www.fsf.de/fsf2/ueber _uns/bild/download/FSF_Jahresbericht_2006.pdf (Stand: 11. 11. 2007). 179 Urban, tv diskurs 2005, Heft 3, S. 33, 33. 180 So auch der Jahresbericht 2005 der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen e.V. (FSF), S. 37, abrufbar unter http: //www.fsf.de/fsf2/ueber_uns/bild/download/FSF_Jahresbericht 2005.pdf (Stand: 17. 10. 2006). 181 Scheuer, RdJB 2006, S. 308, 317. 182 Von den bisher tatsächlich anerkannten EFS ist die Frage der Vorlagefähigkeit nur für die FSF, nicht aber für die FSM relevant, weil nur bei Angeboten des Rundfunks, nicht aber bei Angeboten der Telemedien nach der Vorlagefähigkeit differenziert wird. 183 Scheuer, RdJB 2006, S. 308, 317. 176 177
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3. Teil: Das Verfahren des JMStV
birgt vor allem die Situation, in der Anbieter und EFS ein Angebot als nicht vorlagefähig einstufen, die KJM hingegen anderer Auffassung ist. Denn dann geht die KJM ohne Einschränkung gegen den Anbieter vor, während dieser sich auf die besondere – ebenfalls sogleich darzustellende – Privilegierung gem. § 20 Abs. 3 Satz 2 JMStV berufen möchte.
2. Das Verfahren für vorlagefähige Angebote Nach dem Grundsatz von § 20 Abs. 1 und 2 JMStV treffen KJM und die Landesmedienanstalt die erforderlichen Maßnahmen gegenüber einem Anbieter, sofern sie einen Verstoß gegen den JMStV feststellen. Dementgegen sind diese Maßnahmen jedoch unzulässig, wenn die kumulativen184 Voraussetzungen von § 20 Abs. 3 Satz 1 JMStV erfüllt sind:185 Der Rundfunkveranstalter hat erstens das Angebot einer anerkannten EFS vorgelegt, er hat zweitens deren Vorgaben beachtet und diese wiederum hat drittens ihren „Beurteilungsspielraum“ 186 nicht überschritten. Das daraus resultierende Verfahrenshindernis187 besteht unter diesen Voraussetzungen also auch dann, wenn die Sendung gegen materielle Jugendschutzbestimmungen verstößt.188 Die Vorab-Kontrolle eines Angebots ist nicht nur denjenigen möglich, die der anerkannten EFS angeschlossen sind, sondern auch anderen Anbietern,189 wie sich aus dem Wortlaut von § 20 JMStV ergibt (§ 20 Abs. 3 Satz 1 JMStV: „vorgelegt“; argumentum e contrario § 20 Abs. 5 Satz 2 JMStV: „angeschlossen ist“). Dementsprechend können Anbieter eine anerkannte EFS auch im Rahmen einer einzelfallbezogenen, schuldrechtlichen Vereinbarung beauftragen, die regelmäßig als Werkvertrag gem. § 631 BGB einzuordnen ist.
184 Auch Hartstein / Ring / Kreile / Dörr / Stettner, Rundfunkstaatsvertrag, Band III, C 3, § 20 JMStV, Rn. 5 stellen den kumulativen Charakter der Voraussetzungen in deutlicher Weise heraus. 185 Dieses Regel-Ausnahme-Verhältnis spricht dagegen, die von Ehrlichmann, Die Verfassungsmäßigkeit der KJM, S. 50 ff., vorgeschlagene Terminologie zu übernehmen, die von „subsidiärem“ Tätigwerden der KJM spricht. 186 Ausführlich zum Wesen eines solchen Beurteilungsspielraums siehe Seite 246 ff. 187 Die zutreffende rechtliche Einordnung als Verfahrenshindernis erfolgte bereits bei Hartstein / Ring / Kreile / Dörr / Stettner, Rundfunkstaatsvertrag, Band III, C 2 Rn. 67. 188 Hartstein / Ring / Kreile / Dörr / Stettner, Rundfunkstaatsvertrag, Band III, C 3, § 20 JMStV, Rn. 12. 189 Insofern ist unzutreffend, wenn Bosch, Regulierte Selbstregulierung im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag, S. 23 (inhaltlich übereinstimmend S. 65 f.) meint, den EFS werde (in diesem Sinne nur) „die Aufsicht über die ihnen angeschlossenen Anbieter“ übertragen.
E. Das Verfahren unter Einbeziehung der EFS
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3. Das Verfahren für nicht vorlagefähige Angebote Für nicht vorlagefähige Angebote sieht § 20 Abs. 3 Satz 2 JMStV eine andere Form der Privilegierung vor. Im Unterschied zu den vorlagefähigen Angeboten können davon aber nur Anbieter profitieren, die einer anerkannten EFS angeschlossen sind, eine Beauftragung für den Einzelfall durch außen stehende Anbieter ist durch den Wortlaut der Norm eindeutig ausgeschlossen.190 Die KJM darf nicht unmittelbar gegen die einer anerkannten EFS angeschlossenen Anbieter vorgehen, sondern muss gem. § 20 Abs. 3 Satz 2 JMStV zuerst die EFS mit dem Vorgang „befassen“. Aus einer systematischen Betrachtung, insbesondere dem Zusammenhang mit Abs. 1, sowie der amtlichen Begründung191 ergibt sich, dass unter „befassen“ zu verstehen ist, dass die KJM der EFS die Möglichkeit gibt, eine eigene Entscheidung zu treffen (die möglicherweise auch eine Sanktion beinhaltet); die KJM darf anschließend nur dann gegen den Anbieter vorgehen, wenn die Entscheidung der EFS (ggf. einschließlich der Sanktion) eine Überschreitung des Beurteilungsspielraums beinhaltet.192 Eine abweichende Situation besteht gem. § 20 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 2 JMStV nur bei Verstößen gegen § 4 Abs. 1 JMStV (also bei absolut unzulässigen Angeboten), so dass in diesen Fällen die Beurteilung durch die EFS kein Verfahrenshindernis bilden kann.
4. Das Verfahren für vorlagefähige, aber nicht vorgelegte Angebote Die erst nachträgliche Vorlage solcher Angebote, die vorlagefähig gewesen wären, ist im JMStV nicht ausdrücklich geregelt. Denkbar wäre insofern eine analoge Anwendung der Regelung gemäß der nicht vorlagefähigen Angebote gem. § 20 Abs. 3 Satz 2 JMStV, so dass die KJM ebenfalls nur bei der Überschreitung des Beurteilungsspielraums durch die anerkannte EFS gegen den Anbieter vorgehen könnte. In der Praxis sind solche nachträglichen Bewertungen von ursprünglich vorlagefähigen Angeboten gängig, die entsprechenden Prüfentscheide der anerkannten EFS werden von der KJM jedoch lediglich zur Kenntnis genommen, spielen aber in deren Entscheidung keine rechtserhebliche Rolle.193 Teilweise wurde diese Vorgehensweise der KJM kritisiert. Dabei wird eine Beachtung der nachträglichen Bewertung durch die anerkannten EFS befürwortet, weil dies zu einer „Stär190 Insofern ungenau Ullrich, MMR 2005, S. 743, 745, der pauschal behauptet, die EFS sei in ihrer Tätigkeit nicht auf ihre Mitglieder beschränkt. Dagegen deutliche Differenzierung bei Sellmann, K&R 2007, S. 196, 197. 191 Amtliche Begründung zu § 20 JMStV, u. a. BayLT-Drucks. 14 / 10246. 192 Hartstein / Ring / Kreile / Dörr / Stettner, Rundfunkstaatsvertrag, Band III, C 3, § 20 JMStV, Rn. 23. 193 Jahresbericht 2005 der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen e.V. (FSF), S. 37, abrufbar unter http: //www.fsf.de/fsf2/ueber_uns/bild/download/FSF_Jahresbericht2005.pdf (Stand: 17. 10. 2006).
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3. Teil: Das Verfahren des JMStV
kung der Selbstkontrolle“ führe.194 Wenn die anerkannte EFS ein vorlagefähiges, aber nicht vorgelegtes Angebot nachträglich bewerte und eine Sanktion verhänge, so sei ein zusätzliches Einschreiten der KJM unverhältnismäßig.195 Die Praxis der KJM sei „unabhängig von der rechtlichen Definition“ als „nicht akzeptabel“ einzustufen.196 Im Ergebnis ist eine Privilegierung vorlagefähiger, aber erst nachträglich vorgelegter Angebote abzulehnen. Zunächst überzeugt das Argument nicht, Sanktionen der KJM seien angesichts möglicher Sanktionen der EFS unverhältnismäßig. Dieser Gedanke beinhaltete nämlich keine Antwort auf die Situation, in der die EFS tatsächlich keine Sanktion verhängt; zudem stünde es der EFS in jedem Fall offen, Sanktionen nur unter der auflösenden Bedingung zu verhängen, dass die KJM nicht ihrerseits Sanktionen in gleicher Sache verhängt. Im Übrigen ist zwar der Ausgangspunkt der Kritik insofern zustimmungswürdig, als hierfür der Telos des Modells der regulierten Selbstregulierung herangezogen wird. Im Rahmen dessen ist die Idee, eine größtmögliche Zurückhaltung der staatlichen Seite könnte die private Kontrolleinrichtung stärken, aber nur scheinbar richtig. Vielmehr führte sie an dieser Stelle zu deren nachhaltiger Schwächung: Wenn es den Anbietern offen stünde, ein vorlagefähiges Angebot zunächst nicht vorzulegen, dies im drohenden Konfliktfall aber nachzuholen und dadurch eine Privilegierung im gleichen Maße zu erlangen, so würden bei lebensnaher Prognose kaum noch Angebote vorgelegt werden, weil sich die Anbieter den mit der Vorlage verbundenen Aufwand in allen anderen Fällen ersparen könnten, ohne Nachteile befürchten zu müssen. Was also bei Betrachtung des Einzelfalls den Schein einer Stärkung der EFS erweckt, entpuppt sich im Rahmen einer Gesamtbetrachtung als deutliche Schwächung. Würden fast nur noch nachträgliche Prüfungen durch die EFS stattfinden, so gingen die Vorteile einer Prävention von jugendschutzrechtlichen Gefahren weitgehend verloren – ein Verlust, den die hoheitliche Seite aufgrund des Zensurverbotes gem. Art. 5 Abs. 1 Satz 3 GG nicht durch eine eigene Vorkontrolle ausgleichen kann.197 Eine analoge Anwendung von § 20 Abs. 3 Satz 2 JMStV auf vorlagefähige, aber nicht vorgelegte Angebote ist daher abzulehnen; vorlagefähige Angebote können bei nachträglicher Vorlage keine Privilegierung (mehr) erfahren.
Scheuer, RdJB 2006, S. 308, 317. Scheuer, RdJB 2006, S. 308, 317. 196 Jahresbericht 2005 der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen e.V. (FSF), S. 37, abrufbar unter http: //www.fsf.de/fsf2/ueber_uns/bild/download/FSF_Jahresbericht2005.pdf (Stand: 17. 10. 2006). 197 Ausführlich zum Zensurverbot siehe Seite 337 ff. 194 195
F. Entscheidungen und Richtlinien gem. §§ 8, 9 Abs. 1 JMStV
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II. Das Verfahren für Angebote der Telemedien Das Verfahren im Bereich der Telemedien wird durch § 20 Abs. 4 und 5 JMStV im Wesentlichen ebenso198 geregelt wie bei den nicht vorlagefähigen Angeboten des Rundfunks.199 Die möglichen Arten und Adressaten der Maßnahmen bestimmen sich gem. § 20 Abs. 4 JMStV i. V. m. § 59 Abs. 2 bis 4 Rundfunkstaatsvertrag und §§ 7 bis 10 Telemediengesetz. Nicht zu folgen ist dem Vorschlag von Bosch, das Verfahren für vorlagefähige Angebote des Rundfunks auf Telemedien analog anzuwenden, da diese auch vor Veröffentlichung auf ein Trägermedium aufgezeichnet werden könnten und weil im Jugendmedienschutz eine präventive Kontrolle vorrangig sei.200 Das erstgenannte Argument erscheint wirklichkeitsfremd und praxisuntauglich, das zweite zirkulär – vor allem aber handelt es sich angesichts der unmissverständlichen Systematik von § 20 JMStV um eine unzulässige Interpretation contra legem. Der womöglich vorhandene rechtspolitische Wunsch nach einer vorherigen Vorlage auch von Telemedien201 könnte daher nur durch eine Gesetzesänderung umgesetzt werden. Besondere Konstellationen können sich allerdings ergeben, wenn Angebote der Telemedien noch vor Ablauf eines Verfahrens auf Basis des JMStV in Form von Trägermedien angeboten werden, für das die Einrichtungen und Verfahren des Jugendschutzgesetzes des Bundes einschlägig sind. Im Ergebnis haben die EFS zwar noch eine Prüfungskompetenz im Sinne des § 20 Abs. 5 JMStV, wenn ein entsprechendes Programm gem. § 14 JuSchG gekennzeichnet wurde, nicht jedoch, wenn die Indizierung eines entsprechenden Trägermediums gem. § 18 JuSchG erfolgte.202
F. Entscheidungen und Richtlinien gem. §§ 8, 9 Abs. 1 JMStV Neben dem „gewöhnlichen“ Überwachungsverfahren können gem. §§ 8, 9 Abs. 1 JMStV Richtlinien und Einzelfallentscheidungen erlassen werden. Die VorÄhnlich Ukrow, Jugendschutzrecht, Rn. 649 („im Ansatz parallele Privilegierung“). In der Praxis wurden bislang keine Probleme erkennbar, die Bezug zum unterschiedlichen Wortlaut von § 20 Abs. 3 Satz 2 JMStV („angeschlossen“) einerseits und § 20 Abs. 5 Satz 1 JMStV („Gehört ein Anbieter [ . . . ] einer Einrichtung der Freiwilligen Selbstkontrolle an oder unterwirft er sich ihren Statuten“) andererseits hätten. 200 Bosch, Regulierte Selbstregulierung im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag, S. 373. 201 Auch Retzke, Präventiver Jugendmedienschutz, S. 220 kritisiert die fehlende Möglichkeit einer vorherigen Vorlage von Angeboten der Telemedien, jedoch ohne eine Auslegung gegen den Wortlaut in Betracht zu ziehen. 202 Ausführlich und überzeugend Hartstein / Ring / Kreile / Dörr / Stettner, Rundfunkstaatsvertrag, Band III, C 3, § 20 JMStV, Rn. 36 f. 198 199
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3. Teil: Das Verfahren des JMStV
schriften erklären die hierfür anerkannten EFS gleichrangig203 neben der KJM204 für zuständig. Dabei eröffnet § 8 JMStV über die Verbote der §§ 4, 5 JMStV hinaus weitere Beschränkungsmöglichkeiten für Fernsehsendungen, die aufgrund der Unanwendbarkeit des Jugendschutzgesetzes keine jugendschutzrechtliche Klassifizierung erhalten können und bei denen Besonderheiten, insbesondere hinsichtlich einer seriellen Ausstrahlung, zu berücksichtigen sind.205 Nach der Regelung des § 9 Abs. 1 JMStV kann von § 5 Abs. 2 JMStV abgewichen werden, wonach die Entwicklungsbeeinträchtigung eines Angebots vermutet wird, wenn es nach dem Jugendschutzgesetz für die jeweilige Altersstufe nicht freigegeben ist;206 diese Abweichungsmöglichkeit gilt gem. § 9 Abs. 1 Satz 2 JMStV insbesondere für Angebote, deren ursprüngliche Bewertung länger als 15 Jahre zurückliegt. Speziell hinsichtlich § 8 Abs. 2 JMStV ist umstritten, ob auf seiner Grundlage nur Einzelfallentscheidungen oder (ebenso wie §§ 8 Abs. 1; 9 Abs. 1 JMStV) auch Richtlinien erlassen werden können, nachdem dort geregelt ist, dass die zuständigen Stellen „im Einzelfall zeitliche Beschränkungen vorsehen“ können. Cole meint, diese gesetzliche Formulierung sei „missglückt“, die Vorschrift wolle auch Richtlinien zulassen.207 Hopf / Braml kommen zum gleichen Ergebnis und betonen, dass der Gesetzgeber die Formulierung „für den Einzelfall“ anstelle von „im Einzelfall“ verwendet hätte, wenn er zum Ausdruck hätte bringen wollen, dass nur Einzelfallentscheidungen möglich sind.208 – Nicht nur die tendenzielle Gegensätzlichkeit der Argumentationen lässt an dem vorgeschlagenen Ergebnis zweifeln, vor allem scheinen die zitierten Stellungnahmen weniger von rechtlichen als von rechtspolitischen Überlegungen gelenkt zu sein, die insbesondere das Ziel verfolgen, so genannte „Grundsatzbeschlüsse“ der KJM209 zu legitimieren,210 denen vor203 Ausführlich zum Rangverhältnis bei sich inhaltlich widersprechenden Einzelfallentscheidungen und Richtlinien siehe Seite 258 ff. 204 Außerdem sind jeweils noch die Anstalten der ARD sowie das ZDF genannt. 205 Scholz / Liesching, Jugendschutz, § 8 JMStV, Rn. 1. Vgl. auch Ukrow, Jugendschutzrecht, Rn. 470 ff., dort auch mit näherer Beschreibung der Ausnahmen von Bewertungen von Filmen gem. Abs. 1 sowie der Bewertung von Sendeformaten gem. Abs. 2. 206 Näher Ukrow, Jugendschutzrecht, Rn. 478 ff. 207 Cole, ZUM 2005, S. 462, 470. – Anzumerken ist, dass sich Cole dabei in Fn. 90 unzutreffend auf Scholz / Liesching, Jugendschutz, § 8 JMStV, Rn. 6 beruft: Dort wird die Formulierung zwar auch als missverständlich bezeichnet, jedoch nicht, weil Richtlinien möglich seien, sondern weil ggf. nicht nur eine Einzelfolge, sondern auch eine komplette Reihe (z. B. eine Talkshow-Reihe) insgesamt bewertet werden könne. Dies wäre aber ebenfalls als Einzelfallentscheidung und nicht als Richtlinie einzustufen. Daher ist auch der Verweis auf die Vorgängervorschrift des § 3 Abs. 7 Satz 2 RStV a. F. obsolet, den Cole offenbar von Scholz / Liesching übernommen hat. Die Fehlerhaftigkeit der Interpretation wird auch durch die jüngst von Liesching, ZUM 2006, S. 785, 785 geäußerte Auffassung bestätigt. – Halves, Neuordnung des Jugendmedienschutzes, S. 143 übernimmt trotzdem die Ausführungen von Cole und den (unzutreffenden) Verweis auf Scholz / Liesching. 208 Hopf / Braml, ZUM 2007, S. 23, 28, die trotz der damit unterstellten Genauigkeit des Gesetzgebers ebenfalls davon ausgehen, die Formulierung sei missglückt. 209 Dazu siehe Seite 256 ff.
F. Entscheidungen und Richtlinien gem. §§ 8, 9 Abs. 1 JMStV
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geworfen wurde, sie erweckten den Anschein einer Verbindlichkeit, der ihnen nicht zustünde. Somit überzeugt dieser Versuch nicht, vielmehr ist dem Wortlaut von § 8 Abs. 2 JMStV zu folgen, der keine Richtlinien vorsieht,211 während das in den §§ 8 Abs. 1; 9 Abs. 1 JMStV gerade der Fall ist (argumentum e contrario). Für die hier vertretene Auslegung spricht auch eine verfassungsrechtliche Betrachtung, denn der mit § 8 Abs. 2 JMStV verbundene besonders erhebliche Eingriff in die Rundfunkfreiheit gebietet, dass es sich bei den betroffenen Angeboten jeweils um „krasse Ausnahmefälle“212 handeln muss.
210 Vgl. Cole, ZUM 2005, S. 462, 470 („selbst wenn“) und insbesondere Hopf / Braml, ZUM 2007, S. 23, 27 f., die ausweislich des Hinweises des Verlages auf S. 23 beruflich für die Stabstelle der KJM tätig sind. 211 So auch VG Berlin, Urteil vom 06. 07. 2006, Az. 27 A 236.04, juris Rn. 49 (nicht rechtskräftig, anhängig beim OVG Berlin-Brandenburg, Az. OVG 8 N 85.06). Zustimmend Ullrich, tv diskurs 2007, Heft 1, S. 102, 105. Wohl ebenfalls übereinstimmend Liesching, ZUM 2006, S. 785, 785. 212 Scholz / Liesching, Jugendschutz, § 8 JMStV, Rn. 10.
Vierter Teil
Verwaltungsrechtliche Einordnung des Verfahrens des JMStV Nach der bereits erfolgten generellen Vermessung des Konzepts der regulierten Selbstregulierung kann das soeben dargestellte Verfahren des JMStV prototypisch subsumiert werden (dazu A.). In ihren konkreten rechtlichen Auswirkungen weitaus bedeutsamer ist aber die Abklärung, inwiefern in den anerkannten EFS Beliehene zu erkennen sind; im Ergebnis ist dies nur in einem eng begrenzten Sonderfall anzunehmen, im Übrigen agieren die anerkannten EFS nur privatrechtlich (dazu B.). Dementsprechend differenziert fällt die Klassifizierung des Verfahrens als ein Fall der Privatisierung aus (dazu C.), das es auch vor dem Hintergrund der Dichotomie von Überwachung und Aufsicht zu verorten gilt (dazu D.).
A. Das Verfahren des JMStV als ein Fall der regulierten Selbstregulierung I. Prinzipielle Einordnung Die Tätigkeit der privaten anerkannten EFS fügt sich – insbesondere mit Blick auf die Anerkennung – in den mittels des JMStV staatlich vorgegebenen Rahmen ein. Das Verfahren ist dadurch ein geradezu prototypischer Fall regulierter Selbstregulierung (was freilich nicht überraschen kann, nachdem der Gesetzgeber sich ausdrücklich an diesem Konzept orientiert hat1). Einrichtungen privater Fremdkontrolle sind ein Unterfall der regulierten Selbstregulierung, der sich nochmals in drei Kategorien unterteilen lässt, nämlich erstens in die Substitution staatlicher präventiver Überwachung, zweitens die obligatorische vorgelagerte präventive Überwachung und schließlich drittens die freiwillige Ergänzung.2 Die Substitution staatlicher präventiver Überwachung, wie sie beispielsweise in Teilen des Produktsicherheitsrechts eingeführt wurde, ist die am weitesten gehende Form.3 Die obligatorische vorgelagerte präventive Kontrolle, Vgl. Schulz et al, Analyse des Jugendmedienschutzsystems, S. 123. Eifert in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band I, § 19, Rn. 82 ff. 1 2
A. Das Verfahren als Fall der regulierten Selbstregulierung
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wie sie beispielsweise in bestimmten Bereichen des Versicherungsrechts anzutreffen ist, trifft in der Regel wenigstens keine selbständigen Entscheidungen.4 Die nur freiwillige Ergänzung hoheitlicher Überwachung durch private Fremdkontrolle, wie sie (auch) in vereinzelten Bereichen des Umweltrechts eingerichtet wurde, steht am anderen Ende der vorhandenen Bandbreite; sie führt lediglich zu Privilegien der Überwachten.5 Die anerkannten EFS des JMStV sind (ebenfalls) diesem Teil des Spektrums zuzuordnen: Die KJM überwacht dem Grunde nach die Angebote aller Anbieter und es steht letzteren frei, nicht mit einer EFS zu kooperieren; sie werden lediglich im Verhältnis zur KJM privilegiert, wenn sie sich dafür entscheiden.
II. Resultierende Chancen und Risiken Nahezu prototypisch lassen sich am Beispiel des JMStV einige der Chancen und Risiken erkennen, die zuvor6 in allgemeiner Form beschrieben wurden. Zu den Vorteilen gehören eine deutliche Entlastung des Staates sowie eine Reduzierung von unmittelbaren staatlichen Eingriffen in den grundrechtssensiblen Bereich der Medien. Zu den Nachteilen gehört sicherlich die Gefahr, dass die beteiligten Privaten durch eine „Salami-Taktik“ in kleinen Schritten die materiellen Vorgaben relativieren, weil die Behörde nur bei besonders „schweren“, qualifizierten Verstößen eingreifen kann. Dafür lässt sich eine andere Gefahr, die Irreversibilität des Systems, mit hoher Wahrscheinlichkeit ausschließen, weil die Überwachung von staatlicher Seite dauerhaft parallel erhalten bleibt. Besonders illustrativ ist der Vorteil einer verbesserten Erreichbarkeit von Steuerungszielen und der Absicherung von Investitionskosten. Der Staat darf wegen des Verbots der Vorzensur gem. Art. 5 Abs. 1 Satz 3 GG nur im Nachhinein eingreifen,7 während sich die privaten EFS schon früher einschalten können, gerade auch bei der Entwicklung bis dahin unbekannter Programmformate. Dies führt für die Anbieter zu dem ökonomischen Vorteil, dass sie schon zu einem frühen Zeitpunkt eine relativ hohe Rechtssicherheit erhalten können und so weniger Gefahr laufen, dass ein teures Projekt an jugendschutzrechtlichen Vorgaben scheitert. Unter einem anderen Aspekt zeigt sich, dass einer der häufig genannten Vorteile regulierter Selbstregulierung, nämlich die Nut3 Eifert in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band I, § 19, Rn. 82 ff. m. w. N., der ergänzt, dass die entsprechenden privaten Institutionen allerdings auch hier nur einen Teil des gesamten Kontrollregimes bilden, weil staatliche Stellen weiterhin eine repressive Überwachung vornehmen. 4 Eifert in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band I, § 19, Rn. 86 f. 5 Eifert in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band I, § 19, Rn. 88 ff. 6 Dazu siehe Seite 44 ff. 7 Näher zum Zensurverbot siehe Seite 337 ff.
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4. Teil: Verwaltungsrechtliche Einordnung des Verfahrens des JMStV
zung des Wissens Privater, hier in ganz anderem Gewand erscheint: Die Unsicherheit der Entscheidungsgrundlage im Jugendschutz ist nicht technisch, sondern primär normativ begründet.8 So geht es insbesondere im Vergleich zum Technik- und Umweltrecht nicht darum, besonderes Sachwissen der Privaten zu nutzen, sondern darum, den materiellen Rechtsbegriff der Entwicklungsbeeinträchtigung anzuwenden, für dessen naturwissenschaftlich-psychologisch-pädagogischen Hintergrund keine gesicherte Basis besteht und auch keine in ganz überwiegenden Bereichen der Bevölkerung vorhandene moralische Übereinstimmung.
III. Kategorisierung anhand der eingesetzten Instrumente Ein Blick auf die verwendeten Instrumente zeigt, dass der JMStV eine organisationszentrierte Variante regulierter Selbstregulierung generiert hat. Die EFS haben nur Einfluss auf die Entscheidungen im Einzelfall, nicht aber auf die abstrakten materiellen Standards. Des Weiteren lassen sich im JMStV eine ganze Reihe der Instrumente erkennen, die in der allgemeinen Beschreibung der regulierten Selbstregulierung beispielhaft vorgestellt wurden:9 So sind ein Zulassungserfordernis in der Variante der Zertifizierung (§ 19 Abs. 3 JMStV), eine subsidiäre imperative Regelung (§ 20 Abs. 3, 5 JMStV), Sanktionsmöglichkeiten (§ 20 Abs. 2, 4 JMStV) und auch eine staatliche Evaluation (§ 20 Abs. 7 JMStV) vorgesehen. Das freilich spektakulärste Instrument ist der Beurteilungsspielraum zugunsten der anerkannten EFS (§ 20 Abs. 3, 5 JMStV), der später den Gegenstand einer grundlegenden Untersuchung bilden wird. Umgekehrt lässt sich jedoch auch feststellen, dass bestimmte potentielle Instrumente vom Normgeber nicht – teils bewusst nicht – eingesetzt wurden. Nicht aufgenommen wurde beispielsweise eine „Schwarze-Schafe“-Regelung, eine formalisierte Einbeziehung der Öffentlichkeit oder ein abgestuftes Sanktionssystem gegenüber den anerkannten EFS, obwohl entsprechende Vorschläge in der Zeit der Verhandlungen über den Staatsvertrag unterbreitet wurden.10
IV. Zur rechtspolitischen Forderung nach zusätzlichen Instrumenten 1. Abgestufte Sanktionen gegenüber EFS? Vor allem Schulz et al haben wiederholt betont, dass für die Funktionalität regulierter Selbstregulierung verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen besonLadeur, ZUM 2002, S. 859, 861. Siehe Seite 48 ff. 10 Schulz / Held, epd medien 2002, Nr. 58, S. 27, 30 f. 8 9
A. Das Verfahren als Fall der regulierten Selbstregulierung
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ders wichtig seien, und zwar sowohl in den Händen der beteiligten Privaten als auch auf der staatlichen Seite.11 Während die Sanktionsmechanismen der EFS gegenüber Anbietern durch Vereins- und Werkvertragsrecht jederzeit in deren eigenen Händen liegen,12 wird bezüglich der staatlichen Seite eine deutliche Abstufung des Systems gefordert, insbesondere sei der Widerruf der Anerkennung einer EFS problematisch, weil dessen Einsatz angesichts der besonderen Intensität unwahrscheinlich sei.13 Trotz der maßgeblichen Beteiligung von Schulz et al an Vorbereitung und Evaluation des deutschen Jugendschutzrechts ist die gegenteilige Auffassung von Mynarik überzeugender:14 Möglichkeiten zur Abstufung können bereits de lege lata in einer Befristung, der Verweigerung einer erneuten Zulassung sowie in einem Teilwiderruf identifiziert werden. Darüber hinaus würden weitere Instrumente auch besondere Gefahren mit sich bringen. So könnten öffentliche Anhörungen die Vertrauenswürdigkeit und somit die Effizienz der EFS beeinträchtigen; ferner würde die Möglichkeit zur Ersetzung von Entscheidungen der EFS durch die KJM die Eigenständigkeit der EFS gefährden.
2. Institutionalisierte Beschwerden? Bereits im Vorfeld der Verabschiedung des JMStV wurde gefordert, dass Beschwerdemöglichkeiten der Bürger explizit in den JMStV eingebunden werden sollten.15 Doch auch ohne eine solche ausdrückliche Einbindung werden die Beschwerden als „Kontrollressource“ genutzt, denn rund 80 Prozent der Prüfungen durch die KJM beruhen auf Beschwerden von Bürgern.16 Diese fühlen sich also offensichtlich auch ohne gesetzlich ausdrücklich eingeräumtes Recht dazu animiert, sich an die KJM zu wenden.17 Auf Seiten der EFS besteht eine formalisierte Einbindung ohnehin aufgrund der Anerkennungsvoraussetzung gem. § 19 Abs. 2 Nr. 6 JMStV.
Schulz et al, Co-Regulierungsmaßnahmen im Medienbereich, S. 193. Vgl. zu den real existierenden Sanktionssystemen der FSF sowie der FSM die differenzierte Darstellung bei Mynarik, Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien, S. 187 ff. 13 Schulz et al, Co-Regulierungsmaßnahmen im Medienbereich, S. 128. Übereinstimmend Retzke, Präventiver Jugendmedienschutz, S. 249 f. 14 Mynarik, Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien, S. 147 f. 15 Schulz / Held, epd medien 2002, Nr. 58, S. 27, 29. 16 Erster Bericht der KJM vom April 2005, S. 45 (nicht veröffentlicht); bestätigt durch den Zweiten Bericht der KJM vom August 2007, S. 8, abrufbar unter http: //www.kjm-online. de/public/kjm/downloads/KJM_Bericht%20und%20Umschlag.pdf (Stand: 19. 09. 2007). 17 Die Forderung von Bosch, Regulierte Selbstregulierung im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag, S. 384 nach einer „Beteiligung der Öffentlichkeit als Kontrollinstanz“ erscheint daher als überflüssig. 11 12
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4. Teil: Verwaltungsrechtliche Einordnung des Verfahrens des JMStV
3. Meldepflichten? Ferner ist umstritten, ob die EFS über die bisherigen Anerkennungsvoraussetzungen hinaus dazu verpflichtet werden sollen, den Behörden eine Verletzung materieller Vorschriften durch Angebote, die ihnen vorgelegt wurden, zu melden.18 Hinsichtlich von schweren Straftatbeständen wie z. B. Kinderpornographie wäre dies zwar sicher nicht unangemessen, das Eintreten einer solchen Situation erscheint jedoch als sehr unwahrscheinlich, da derartig schwere und somit ganz offensichtlich verbotene Angebote wohl nie von dem kriminellen Anbieter einer anerkannten EFS vorgelegt werden würden. Hinsichtlich „leichter“ Verstöße hingegen ist die Durchsetzung der materiellen Vorschriften durch die Anerkennungsvoraussetzungen gem. § 19 Ab. 3 JMStV hinreichend abgesichert19 und vor allem würde es dem Ziel der regulierten Selbstregulierung gerade widersprechen, würde man die Anbieter durch die Gefahr des „Verratenwerdens“ von den EFS abschrecken, anstatt sie zur Wahrnehmung des „Schutzschildes“ der EFS und damit zur Kooperation zu animieren. Die zusätzliche Aufnahme von Meldepflichten erscheint daher ebenfalls nicht geboten.
V. Andere medienrechtliche Kontrollsysteme im Vergleich 1. Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) ist gem. §§ 17 ff. JuSchG eine Bundesoberbehörde.20 Sie verfügt über die organisatorische Besonderheit eines Kollegialorgans mit pluralistischer Besetzung, das über die Aufnahme von Angeboten in die Liste jugendgefährdender Medien entscheidet. Das Gremium verfügt über zwölf Mitglieder, von denen vier von staatlicher Seite und acht von bestimmten privaten Verbänden benannt werden; alle Mitglieder sind frei von Weisungen.21 Zwar führt diese Form der Einbeziehung von Privaten nicht dazu, dass die einzelnen Personen als Inhaber eines staatlichen Amtes einzuordnen wären.22 Die Entscheidungen der BPjM als solcher sind aber Verwaltungsakte,23 die von den Verwaltungsgerichten überprüft werden können.24 18 Dafür Nikles / Roll / Spürck / Umbach, Jugendschutzrecht, § 19 JMStV, Rn. 6; dagegen Retzke, Präventiver Jugendmedienschutz, S. 76. 19 Darauf stellt Retzke, Präventiver Jugendmedienschutz, S. 76 ab. 20 Peter M. Huber, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 145 zur verwaltungsorganisationsrechtlichen Verortung der Bundesoberbehörde. 21 Näher zur Willensbildung in der BPjM Brockhorst in: Sommermann, Gremienwesen und staatliche Gemeinwohlverantwortung, S. 95. 22 BVerfGE 83, 130, 149. 23 Groß, NVwZ 2004, S. 1393, 1394.
A. Das Verfahren als Fall der regulierten Selbstregulierung
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Die BPjM ist kein Fall der regulierten Selbstregulierung, denn es fehlt an einem Element der Selbstregulierung. Vielmehr werden bestimmte gesellschaftliche Kreise, wie beispielsweise die Kirchen, dazu herangezogen, die rechtliche Situation anderer gesellschaftlicher Kreise (die Medienschaffenden und die Minderjährigen) möglichst sachgerecht zu regeln. Nach alledem ist in der BPjM ein Fall der Kondominialverwaltung25 (bzw. ein staatlich-pluralistisches Modell26) zu erkennen.
2. Verfahren zum Schutz der Jugend im öffentlich-rechtlichen Rundfunk Der Jugendschutz im öffentlich-rechtlichen Rundfunk27 unterliegt einem eigenen Verfahren.28 Während dem Intendanten die rechtmäßige Gestaltung des Programms obliegt, leisten die pluralistisch besetzten Rundfunkräte29 eine nachträgliche Kontrolle. Darüber hinaus übt in den meisten Fällen der Staat eine – wenn auch eingeschränkte – Rechtsaufsicht über die Rundfunkanstalten aus. Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten sind Beispiele für Selbstverwaltung,30 denn trotz ihrer „staatsfern“ gestalteten Aufsichtsgremien stehen sie als öffentlich-rechtliche Anstalten31 vollumfänglich auf der hoheitlichen Seite. Daher ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk nicht als ein Fall der regulierten Selbstregulierung einzuordnen.32
24 Inwiefern der BPjM dabei ein verwaltungsprozessrechtlicher Beurteilungsspielraum zusteht, ist problematisch und wurde im Verlauf der verwaltungsgerichtlichen und verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung sowie von verschiedenen Vertretern der Literatur in höchst unterschiedlicher Weise beantwortet: Vgl. z. B. BVerfGE 83, 130 sowie BVerwGE 91, 211; in der Literatur dazu jüngst Brunner, Beurteilungsspielräume im Jugendmedienschutzrecht, S. 132, der einen Beurteilungsspielraum der BPjM im Wesentlichen mit dem Argument ablehnt, dass im Falle von § 18 Abs. 5 JuSchG nicht eine Behörde, sondern ein Gericht bindend über die Indizierung eines Mediums entscheidet, so dass nicht davon ausgegangen werden könne, dass ein Freiraum der Exekutive vom Gesetz gewollt sei. 25 Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 80. 26 Groß, NVwZ 2004, S. 1393, 1394. 27 Zum Ganzen Ukrow, Jugendschutzrecht, Rn. 600. 28 Zur rechtspolitischen Kritik am Bestehen unterschiedlicher Verfahren siehe Seite 394 ff. 29 Diese heißen beim Deutschlandradio Hörfunkrat und beim Zweiten Deutschen Fernsehen Fernsehrat. 30 Zur Unterscheidung siehe Seite 42. 31 Vgl. Peter M. Huber, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 159. 32 Unzutreffend daher die andere Ansicht von Stock, Funk-Korrespondenz 2005 Nr. 7, S. 3, 4 f. und 6. Insofern ist auch Rossen-Stadtfeld, AfP 2004, S. 1, 6 zu widersprechen, der davon ausgeht, im öffentlich-rechtlichen Rundfunk bestehe beträchtliche Erfahrung mit regulierter Selbstregulierung (dort unter der Verwendung des Begriffs „Selbstregulation“).
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4. Teil: Verwaltungsrechtliche Einordnung des Verfahrens des JMStV
3. Deutscher Presserat e.V. Der Deutsche Presserat e.V. wird von vier Branchenverbänden getragen und ist eine rein private Einrichtung.33 Er hat sich unter anderem die Aufgabe gesetzt, einen Verhaltenskodex für die Presse zu pflegen und Beschwerden von Lesern zu bearbeiten. Als rein freiwillige Einrichtung unterliegt er weder einer staatlichen Aufsicht noch anderen gesetzlichen Vorgaben.34 Insofern ist der Deutsche Presserat e.V. ein Beispiel der reinen Selbstregulierung.35 Jenseits dieser grundsätzlichen Einordnung gibt es aber Aspekte, die eine andere Einordnung rechtfertigen können. Eine gewisse Verflechtung besteht in einer gesetzlich geregelten,36 zweckgebundenen finanziellen Unterstützung zugunsten des Beschwerdeausschusses des Presserates durch den Bund.37 Mochte diese Tatsache noch nicht als ausreichend erachtet werden, so ist für den Deutsche Presserat in jüngerer Zeit ein Aspekt hinzugekommen, der sich durchaus als ein Fall regulierter Selbstregulierung identifizieren lässt: Die Richtlinie 7.4 zur Wirtschafts- und Finanzmarktberichterstattung38 des Pressekodex des Deutschen Presserats legt fest, dass beruflich erlangte Informationen vor ihrer Veröffentlichung ausschließlich für publizistische Zwecke verwendet werden dürfen.39 Diese Regelung basiert auf den §§ 20a Abs. 6; 34b Abs. 4 Wertpapierhandelsgesetz, so dass der Kodex des privaten Presserates auf einer staatlichen Grundlage erfolgt.
4. Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft GmbH (FSK) Gem. § 14 JuSchG sind die obersten Landesbehörden dafür zuständig, Filme sowie Film- und Spielprogramme danach zu beurteilen, ob diese geeignet sind Entwicklungsbeeinträchtigungen bei Minderjährigen hervorzurufen. Die Behörden können jedoch auch eine Vereinbarung treffen, nach der die Bewertung durch „Organisationen der freiwilligen Selbstkontrolle“ erfolgt, die von Verbänden der Wirtschaft getragen oder unterstützt werden. In der Praxis wurde diese Aufgabe durch 33 Dies sind die vier Verleger- und Journalistenorganisationen Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV), Verband Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ), der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) und die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di; vgl. die entsprechende Selbstdarstellung, abrufbar unter http: / / www.presserat.de / Organisation.20.0.html (Stand: 02. 11. 2006). 34 Groß, NVwZ 2004, S. 1393, 1395. 35 Groß, NVwZ 2004, S. 1393, 1395 spricht von „selbstregulativer Lösung“. 36 Gesetz zur Gewährleistung der Unabhängigkeit des vom Deutschen Presserat eingesetzten Beschwerdeausschusses vom 18. August 1976 (BGBI. I, S. 2215). 37 Dazu Halves, Neuordnung des Jugendmedienschutzes, S. 114. 38 Abrufbar unter http: //www.presserat.de/Richtlinien_zu_Ziffer.77.0.html (Stand: 23. 06. 2006). 39 Pressemitteilung des Deutschen Presserats vom 24. 03. 2006, abrufbar unter http: // www.presserat.de/Pressemitteilung-anzei.pm+M53b9d6cb25 f.0.html (Stand: 22. 10. 2007).
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die obersten Landesbehörden40 der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) übertragen. Die FSK ist eine Einrichtung der privatrechtlich organisierten Spitzenorganisation der Filmwirtschaft e.V. (SPIO), die als hundertprozentige Tochtergesellschaft der SPIO in Form einer GmbH geführt wird und sich autonom durch Prüfgebühren finanziert.41 Die FSK war bereits seit 194942 in die Bewertung von Angeboten eingebunden43 und wurde daher schon als die „Mutter aller Selbstkontrolleinrichtungen“44 bezeichnet. Eine besondere Verflechtung von staatlicher und privater Seite entsteht durch die Besetzung der Prüfausschüsse der privaten FSK: die Mehrheit der Mitglieder sowie der Vorsitzende werden von staatlicher Seite gestellt. Zudem besteht gem. § 14 Abs. 6 Satz 2 JuSchG für alle Entscheidungen über die Altersgrenzen ein Abweichungsrecht der obersten Landesbehörde. Diese Situation hat von Gottberg zu der plakativen Einschätzung gebracht, dass bei der Freiwilligen Selbstkontrolle streng genommen weder von Freiwilligkeit noch von Selbstkontrolle die Rede sein könne.45 So ist nicht verwunderlich, dass auch die rechtliche Einordnung der Alterskennzeichnung als hoheitliches oder privates Handeln umstritten ist, namentlich, ob hier eine Beleihung46 vorliegt.47 Eher gegen eine Beleihung spricht, dass es den obersten Jugendschutzbehörden ohne Einschränkung möglich ist, entgegen einer Empfehlung der FSK einzuschreiten, 48 außerdem, dass die Vereinbarung der obersten Landesbehörden die Tätigkeit der FSK als „gutachterlich“ und die Entscheidung der Behörden als „eigene“ bezeichnet.49 Für eine Beleihung sprechen aber die große faktische Wirkung sowie der Umstand, dass die Kennzeichnung durch die FSK unmittelbar wirkt, selbst wenn 40 Näher zu Ablauf und Form der Vereinbarung Brunner, Beurteilungsspielräume im neuen Jugendmedienschutzrecht, S. 98 f. m. w. N. 41 Vgl. die Selbstdarstellung der SPIO, abrufbar unter http: //www.spio.de/index.asp?Seit ID=171 (Stand: 28. 11. 2006). Vgl. ferner Ukrow, Jugendschutzrecht, Rn. 662. 42 Vgl. zur Geschichte der FSK deren Selbstdarstellung, abrufbar unter http: //www. spio.de/index.asp?SeitID=16 (Stand: 30. 12. 2006). 43 Zur alten Rechtslage BVerfGE 87, 209, 212. 44 Mynarik, Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien, S. 50. 45 Vgl. von Gottberg in: Büttner / von Gottberg, Staatliche Kontrolle und selbstregulative Steuerung, S. 31, 35. 46 Ausführlich zum Rechtsinstitut der Beleihung siehe Seite 109 ff. 47 Für eine Beleihung Scholz / Liesching, Jugendschutz, § 14 JuSchG, Rn. 17 sowie Retzke, Präventiver Jugendmedienschutz, S. 130 f. Dagegen Brunner, Beurteilungsspielräume im neuen Jugendmedienschutzrecht, S. 99, Fn. 383 m. w. N. Vgl. zu dieser Frage auch Ukrow, Jugendschutzrecht, § 14 JuSchG, Rn. 17 m. w. N. 48 Cole, RdJB 2006, S. 299, 303 leitet den Vorrang der behördlichen Entscheidung im Konfliktfall daraus ab, dass innerhalb des mehrstufigen Instanzenzuges die Beteiligung von Behördenvertretern immer stärker würde. Das erscheint unnötig umständlich, weil sich diese Dominanz bereits eindeutig aus dem unbedingten Abweichungsrecht der Behörde gem. § 14 Abs. 6 Satz 2 JuSchG a. E. ergibt. 49 Darauf stellt Brunner, Beurteilungsspielräume im neuen Jugendmedienschutzrecht, S. 99, Fn. 383, ab.
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4. Teil: Verwaltungsrechtliche Einordnung des Verfahrens des JMStV
eine Behörde später einschreitet.50 Ebenso schwierig ist die Einordnung der FSK als ein Fall regulierter Selbstregulierung.51 Nähme man eine Beleihung an, wäre dies aus den bereits genannten Gründen52 fernliegend; andernfalls stünde dem nichts entgegen, weil die Filmwirtschaft neben den staatlichen Vertretern an der Bewertung ihrer eigenen Produkte mitwirkt, insofern also Selbstregulierung betreibt und diese in einen staatlichen Rahmen eingepasst wird. Abschließend bleibt anzumerken, dass die Zusammenarbeit der Behörden mit der FSK trotz der dogmatisch relativ unsystematischen Konstruktion und den daraus folgenden Schwierigkeiten in gewissem Sinne als erfolgreich angesehen werden kann: Obwohl die zu treffenden Entscheidungen naturgemäß stark wertungsabhängig sind,53 kam es in den rund fünf Jahrzehnten der Zusammenarbeit noch nie zu einem Rechtsstreit um eine Altersbeschränkung.54
5. Deutscher Werberat Der Deutsche Werberat ist eine Einrichtung des Zentralverbandes der Deutschen Werbewirtschaft e.V. (ZAW).55 Er stellt sich verschiedene Aufgaben im Bereich der Werbung; für die vorliegende Untersuchung soll aber nur ein bestimmter Aspekt herausgegriffen werden:56 Der Deutsche Werberat stellt (unter anderem) für alkoholische Getränke Verhaltensregeln auf.57 Auf diese Verhaltensregeln verweisen die Werberichtlinien der Landesmedienanstalten. 58 Diese Werberichtlinien der Landesmedienanstalten beruhen wiederum auf der Ermächtigung gem. § 7 Abs. 1 Satz 1 RStV. Es war die freie Entscheidung der Landesmedienanstalten, die Regeln des Deutschen Werberates zu übernehmen und es stünde ihnen jederzeit frei, abweichende eigene Regeln zu erlassen.59 Dieses System ist ein gutes Beispiel In diesem Sinne z. B. Scholz / Liesching, Jugendschutz, § 14 JuSchG, Rn. 17. Groß, NVwZ 2004, S. 1393, 1394 spricht von einer „staatlich-kooperativen Lösung“, ohne explizit zur Einrodnung als regulierte Selbstregulierung Stellumng zu nehmen. 52 Zu den Unterschieden von Beleihung und regulierter Selbstregulierung siehe Seite 42 f. 53 Man beachte hierzu nur die häufig stark abweichenden Einordnungen in verschiedenen europäischen Ländern, vgl. hierzu z. B. den Überblick in tv diskurs 2007, Heft 4, S. 17. 54 Von Gottberg in: Büttner / von Gottberg, Staatliche Kontrolle und selbstregulative Steuerung, S. 31, 36. Vgl. auch Schulz et al, Co-Regulierungsmaßnahmen im Medienbereich, S. 141. 55 Schulz et al, Co-Regulierungsmaßnahmen im Medienbereich, S. 61; vgl. auch Halves, Neuordnung des Jugendmedienschutzes, S. 114. 56 Zum Ganzen Schulz et al, Co-Regulierungsmaßnahmen im Medienbereich, S. 60 f. 57 Abrufbar unter http: / / www.werberat.de, dort unter Verhaltensregeln / Werbung für alkoholhaltige Getränke (Stand: 02. 11. 2006). 58 „Gemeinsame Richtlinien der Landesmedienanstalten für die Werbung, zur Durchführung der Trennung von Werbung und Programm und für das Sponsoring im Fernsehen / im Hörfunk (Werberichtlinien) vom 21. Februar 2000“, dort unter 3. (1), abrufbar unter http: // www.alm.de/fileadmin/Download/Gesetze/WerbeRiLi.pdf (Stand: 02. 11. 2006). 50 51
A. Das Verfahren als Fall der regulierten Selbstregulierung
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dafür, wie sich der der vorliegenden Arbeit zugrunde liegende Begriff der regulierten Selbstregulierung nach Schulz / Held von dem Begriff der Co-Regulierung, unterscheidet, wie ihn Schulz / Held späteren Arbeiten zugrunde legten:60 Zu regulierter Selbstregulierung gehört, dass das private Handeln auf rechtlicher Grundlage erfolgt. Das ist bei den Verhaltensregeln des Deutschen Werberates nicht der Fall, diese würden – wie Verhaltensregeln in anderen Bereichen auch – in jedem Fall erlassen. Für den – so verstandenen – weiteren Begriff der Co-Regulierung genügt bereits eine rechtliche Verbindung zur staatlichen Seite, die bei den Verhaltensregeln sehr wohl gegeben ist, weil die Landesmedienanstalten auf von Privaten bestimmte Regeln zurückgreifen und ihnen damit hoheitliche Wirksamkeit verleihen – wenn auch quasi freiwillig und jederzeit widerruflich.
6. Überwachung privater elektronischer Medien in Australien Australien hat bereits in den 1990er-Jahren ein System der regulierten Selbstregulierung für die Überwachung privaten61 Rundfunks und des Internets normiert, das auch in der deutschen Literatur bereits relativ intensiv erforscht wurde.62 Im Vergleich zum deutschen JMStV lassen sich sowohl einige beispielhafte Unterschiede als auch Gemeinsamkeiten herausarbeiten, die illustrieren, wie bei der Regelung des sachlich exakt übereinstimmenden Referenzgebiets zwei verschiedene Normgeber unterschiedliche Instrumente aus der „Werkzeugkiste“63 der regulierten Selbstregulierung entnehmen und zu unterschiedlichen Varianten zusammenstellen. Kern des australischen Modells sind von privaten Organisationen geschaffene Kodizes. Wenn diese nicht rechtzeitig erstellt werden oder inhaltlich nicht bestimmten Vorgaben entsprechen, treten an ihrer Stelle staatlich erstellte materielle Regelungen in Kraft, deren Einschränkungen spürbar weiter gehen als dies bei den privaten Kodizes der Fall wäre. Gemeinsamkeiten von deutschem und australischem Recht bestehen unter anderem bei den abgestuften Eingriffsmöglichkeiten der jeweiligen Behörde. Diese kann in Australien bei Verstößen gegen die Kodizes zunächst nicht direkt eingreifen; stellt sie jedoch wiederholt Verstöße fest, kann sie die Einhaltung der Kodizes zu einer der Lizenzbedingungen machen, Schulz et al, Co-Regulierungsmaßnahmen im Medienbereich, S. 61. Zu den Hintergründen dieses Wandels siehe Seite 41. 61 Ebenso wie in Deutschland unterliegt in Australien der öffentlich-rechtliche Rundfunk einem gesonderten Jugendschutz-Verfahren. Dort erlassen die öffentlich-rechtlichen Sender aufgrund eigener Rechtsgrundlagen eigene Kodizes, vgl. dazu sowie zur geringfügigen Verzahnung mit der für private Veranstalter zuständigen Behörde Schulz / Held, Regulierte Selbstregulierung, S. B-4. 62 Ausführlich Finger, Regulierung von Internet-Inhalten in Australien, passim. Ferner Schulz / Held, Regulierte Selbstregulierung, Kapitel B sowie Schulz et al, Co-Regulierungsmaßnahmen im Medienbereich, S. 97 ff. 63 Eifert in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band I, § 19, Rn. 153. 59 60
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4. Teil: Verwaltungsrechtliche Einordnung des Verfahrens des JMStV
deren Beachtung wiederum direkt sanktionierbar ist.64 Diese Ausformung hat den speziellen Vorteil, dass die Behörde „schwarze Schafe“ unmittelbar kontrollieren kann, während andere Anbieter im System der regulierten Selbstregulierung verbleiben. Ein beispielhafter Unterschied von deutschem und australischem System liegt darin, dass Beschwerden von Bürgern in das australische System explizit integriert sind,65 während bei KJM solche Beschwerden nur informeller Anlass für eine Ermittlung von Amts wegen sein können. Bemerkenswert ist schließlich der Vergleich der materiellen jugendschutzrechtlichen Vorschriften. Diese kommen auf völlig unterschiedlichem Wege zustande, in Australien werden sie privat durch die Kodizes geschaffen, in Deutschland sind sie gesetzlich vorgegeben und nur die Anwendung im Einzelfall wird in die Hände Privater gelegt. Trotzdem wird das materielle Schutzniveau – ungeachtet der bestehenden Schwierigkeiten einer „Messung“ – von der Literatur als praktisch gleichwertig beschrieben.66
B. Das Verfahren des JMStV als ein Fall der Beleihung? I. Vorbemerkung zur Bedeutung der Fragestellung Für die Beleihung ist der Technische Überwachungsverein „TÜV“ das sicher populärste Beispiel – dies wohl wissend, wurden die anerkannten EFS schon als „Quasi-TÜV“67 oder auch als „Jugendschutz-TÜV“68 bezeichnet. Die dahinterstehende Frage, ob die anerkannten EFS Beliehene sind, darf aber schon deshalb nicht durch einen beiläufigen Vergleich mit überkommenen Institutionen erfolgen, weil ihre Beantwortung ganz erhebliche Konsequenzen für viele weitere rechtliche Fragestellungen beinhaltet. Denn handelte eine EFS als Beliehene, so wäre sie insoweit – wie sogleich erläutert wird – eine Behörde, die im Verwaltungsverfahren und im Verwaltungsprozess prinzipiell wie jeder andere Hoheitsträger agiert. Plakativ gesagt: Das neue Verfahren wäre nichts wirklich Neues. Umso erstaunlicher ist es, wie stiefmütterlich diese entscheidende dogmatische Weichenstellung bisher im Rahmen der juristischen Aufbereitung des JMStV behandelt wurde.69 In vielen Dazu Schulz / Held, Regulierte Selbstregulierung, S. B-5. Schulz / Held, Regulierte Selbstregulierung, S. B-5. 66 Schulz / Held, Regulierte Selbstregulierung, S. B-14 (unter Heranziehung des nach damals geltendem Recht einschlägigen Rundfunkstaatsvertrages, dessen diesbezüglicher Inhalt jedoch den aktuell geltenden Vorschriften des JMStV im Wesentlichen entspricht). 67 So Cole, ZUM 2005, S. 462, 462. 68 Mynarik, Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien, S. 268. 69 Sogar Storr, DÖV 2007, S. 133 – 141, dessen Beitrag den Titel „Regulierung von Beliehenen? [sic!] – Das Konzept der regulierten Selbstregulierung im JugendmedienschutzStaatsvertrag [ . . . ]“ trägt, widmet der Frage, ob eine Beleihung der EFS anzunehmen ist, nur 64 65
B. Das Verfahren als ein Fall der Beleihung?
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Publikationen wird die Fragestellung überhaupt nicht erwähnt70 (nicht einmal in der knapp 400 Seiten umfassenden Evaluation71 von Schulz et al findet sich dazu ein einziges Wort). Andere Vertreter der Literatur nehmen eine Beleihung zwar an bzw. verneinen diese,72 jedoch ohne sich mit der jeweiligen Gegenauffassung auseinanderzusetzen. Die entsprechende Lücke im bisherigen Forschungsstand ist zu schließen, indem zunächst eine Vergegenwärtigung des Rechtsinstituts der Beleihung unter besonderer Berücksichtigung der abstrakten Kriterien zur Qualifizierung einer gesetzlichen Regelung als Beleihung vergegenwärtigt werden (dazu II.), bevor der konkrete Fall der anerkannten EFS subsumiert werden kann (dazu III.).
II. Das Rechtsinstitut der Beleihung 1. Rechtliche Stellung des Beliehenen Beliehene sind private Personen (natürliche oder juristische73), die damit betraut werden, bestimmte Verwaltungstätigkeiten selbständig74 und hoheitlich75 wahrzunehmen.76 Zwischen dem Beliehenen und dem beleihenden Verwaltungsträger eine halbe Seite und nennt weder die von ihm zu Grunde gelegten allgemeinen Voraussetzungen einer Beleihung noch andere Ansichten oder gar Differenzierungen. 70 So geht beispielsweise Cole, ZUM 2005, S. 462 trotz seiner selbst gewählten Anspielung „Quasi-TÜV“ mit keinem Wort auf diese rechtliche Fragestellung ein. Wohl nur ein sprachliches Versehen ist es, wenn Cole, RdJB 2006, S. 299, 304 davon spricht, dass die KJM die EFS mit einem Quasi-TÜV „versehe“, weil der Vergleich mit dem privaten Verein TÜV nur dann stimmig ist, wenn gemeint ist, dass eine EFS mit der Anerkennung durch die KJM vielmehr selbst zu einem „Quasi-TÜV“ wird. Dagegen ist es nicht lediglich terminologisch, sondern inhaltlich unklar, wenn Cole, RdJB 2006, S. 299, 304 davon spricht, die anerkannten EFS würden „beinahe ,behördlich‘ tätig“, weil nicht erkennbar ist, ob sie seines Erachtens behördlich im Sinne von hoheitlich tätig werden oder gerade nicht. Ferner übergehen auch Bosch, Regulierte Selbstregulierung im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag, passim, Retzke, Präventiver Jugendmedienschutz, S. 213 ff. und passim sowie Halves, Neuordnung des Jugendmedienschutzes, passim die Frage nach der Beleihung. 71 Schulz et al, Analyse des Jugendmedienschutzsystems. 72 Siehe Seite 117 ff. zu den Nachweisen für die jeweiligen Vertretern. 73 Klarstellend Burgi in: Erichsen / Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht (13. Auflage), § 9, Rn. 25. 74 Der Sinngehalt von „selbständig“ wird traditionellerweise auch dadurch zum Ausdruck gebracht, der Beliehene handle „im eigenen Namen“ (so z. B. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 23, Rn. 56); weil es aber nicht um Willenserklärungen geht, erscheint diese Formulierung unglücklich, stattdessen soll mit Burgi in: FS Maurer, S. 581, 586, Fn. 40 die Bezeichnung „selbständig“ Verwendung finden. 75 Vgl. Peter M. Huber, Die Zukunft des Schornsteinfegerhandwerks im Binnenmarkt, Rn. 31 ff. zum Verhältnis der „Ausübung öffentlicher Gewalt“ gem. Art. 45 EGV i. V. m. Art. 55 EGV zu Beleihung und Verwaltungshilfe. 76 Vgl. Burgi in: FS Maurer, S. 581, 585. Ähnlich Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 23, Rn. 56. Ausführliche Darstellung bei Freitag, Das Beleihungsrechtsverhältnis, S. 47 ff.
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4. Teil: Verwaltungsrechtliche Einordnung des Verfahrens des JMStV
kommt ein öffentlich-rechtliches Auftragsverhältnis77 zustande, durch das der Beliehene zur Behörde im funktionalen Sinne gem. § 1 Abs. 4 VwVfG wird;78 dies zieht – in Abhängigkeit von der konkreten Ausgestaltung79 – zahlreiche Folgen nach sich,80 beispielsweise Handlungspflichten, finanzielle Erstattungsansprüche81 oder die Kompetenz zum Erlass von Verwaltungsakten. Die Besonderheit des Beliehenen, der früher auch als beliehener Unternehmer82 bezeichnet wurde, besteht also darin, dass der damit ins staatliche Handeln eingebundene Private in privater Rechtsform verbleibt, er aber funktional zu einem Teil der Verwaltung wird.83 Die Beleihung muss als eine Form der Übertragung von Hoheitsrechten zwingend durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes erfolgen.84 Die Beleihung ist nicht nur eine der „populärsten“ dogmatischen Kategorien des Verwaltungsrechts, sondern erfreut sich gerade in jüngerer Zeit besonderer Beliebtheit als ein „Breitband-Institut“, das in kaum einem Aufgabenfeld moderner Staatstätigkeit fehlt,85 so dass jüngst die „Renaissance“ der Beleihung verkündet wurde.86 Diese Entwicklung steht im Zusammenhang mit den umfassenden Tendenzen einer Privatisierung von Staatsaufgaben und der sog. Verantwortungsteilung zwischen Staat und Gesellschaft.87 Zwar ist die grundsätzliche verfassungsNäher Freitag, Das Beleihungsrechtsverhältnis, S. 188 ff. Peter M. Huber in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band III (im Ersch.), § 45, Rn. 151; Kopp / Ramsauer, VwVfG, § 1, Rn. 25; besonders plakativ Burgi, NVwZ 2007, S. 383, 384: „. . . der Beliehene [ist] damit nicht lediglich „wie“ eine staatliche Behörde tätig, sondern er ist selbst Behörde . . .“ (Hervorhebung wie im Original). 79 Vgl. Peter M. Huber, Die Zukunft des Schornsteinfegerhandwerks im Binnenmarkt, Rn. 31 ff. zum Beispiel des Bezirksschornsteinfegers. 80 Einen Überblick über die Rechtsfolgen der Beleihung bieten Burgi in: FS Maurer, S. 581, 592 ff. und Freitag, Das Beleihungsrechtsverhältnis, S. 23 ff. und 151 ff. 81 Näher zu Fragen des finanziellen Ausgleichs Schmidt am Busch, DÖV 2007, S. 533, 539 m. w. N.; vgl. auch Freitag, Das Beleihungsrechtsverhältnis, S. 205 ff. 82 Zutreffend weist Frenz, Staatshaftung in Beleihungstatbeständen, S. 21 darauf hin, dass der früher noch häufiger verwendete Begriff „Beliehener Unternehmer“ zu eng und daher als unzutreffend abzulehnen ist. Im gleichen Sinne früher bereits Badura, Verwaltungsmonopol, S. 253, ebenso Freitag, Das Beleihungsrechtsverhältnis, S. 22 m. w. N. und jüngst wieder Schmidt am Busch, DÖV 2007, S. 533, 536 m. w. N. und Beispielen. 83 Scheel, DVBl. 1999, S. 442, 442. 84 Badura / Peter M. Huber in: Schmidt-Aßmann, Besonderes Verwaltungsrecht, Kapitel 3, Rn. 83. 85 So die anschauliche Darstellung von Burgi in: FS Maurer, S. 581, 581 f. Ähnlich Eifert, Die Verwaltung 2006, S. 309, 310. Zahlreiche Beispiele liefert Schmidt am Busch, DÖV 2007, S. 533, 534 m. w. N. 86 Schmidt am Busch, DÖV 2007, S. 533, 533 m. w. N. 87 Vgl. zu diesen Entwicklungen beispielsweise Burgi, Funktionale Privatisierung, S. 71 ff. Sehr interessant sind die Parallelen der Entstehung der Beleihung im Zusammenhang mit der industriellen Revolution in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sowie der vorübergehende Bedeutungsverlust der Beleihung in den 1970er Jahren, als der Staat zunehmend eigene 77 78
B. Das Verfahren als ein Fall der Beleihung?
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rechtliche Zulässigkeit der Beleihung anerkannt.88 Doch trotz der gestiegenen Verbreitung und trotz der hohen Praxisrelevanz sind zahlreiche weitergehende Fragen der Beleihung nur in relativ geringem Maße durch die Literatur aufbereitet worden, was sich am meisten bemerkbar macht, wenn die Qualifizierung einer gesetzlichen Ausgestaltung als Beleihung in Frage steht.89 Diese Herausforderung wird umso größer, als die gesetzlichen Regelungen „bisweilen erst nach mühevoller Interpretation aussagekräftig“90 werden. Gemeinsamer historischer Ausgangspunkt91 ist die Lehre Otto Mayers von der Verleihung öffentlicher Unternehmungen,92 die aber inzwischen, insbesondere wegen der Einbeziehung staatlicher Konzessionierung, überholt ist.93 Seitdem haben sich im Wesentlichen zwei Richtungen gebildet, die als Aufgaben- sowie als Befugnistheorie94 bezeichnet werden.95 Der Streit zwischen den beiden Auffassungen ist bis heute nicht endgültig geklärt.96
2. Die Qualifizierung einer gesetzlichen Regelung als Beleihung a) Der Standpunkt der Aufgabentheorie Nach der Aufgabentheorie ist der Beliehene ein Privater, dem Aufgaben übertragen werden, die normalerweise der öffentlichen Verwaltung zustehen.97 Ältere Vertreter dieser Ansicht gingen davon aus, dass allein die Übertragung einer öffentlichen bzw. staatlichen98 Aufgabe für das Vorliegen einer Beleihung ausreiBehörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts schuf, vgl. zum Ganzen Schmidt am Busch, DÖV 2007, S. 533, 533 m. w. N. 88 Näher Freitag, Das Beleihungsrechtsverhältnis, S. 56 ff. 89 So der zutreffende Befund von Burgi in: FS Maurer, S. 581, 585. 90 Pointiert Burgi in: Erichsen / Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht (13. Auflage), § 9, Rn. 27. 91 Ausführlich zur historischen Entwicklung des Instituts der Beleihung Stuible-Treder, Der Beliehene im Verwaltungsrecht, S. 4 ff. 92 Otto Mayer, Verwaltungsrecht Band 2, S. 431 ff. 93 So bereits Badura, Verwaltungsmonopol, S. 253. Näher dazu Frenz, Staatshaftung in Beleihungstatbeständen, S. 22. 94 Vgl. Gröschner, Überwachungsrechtsverhältnis, S. 265 ff. zur Unterscheidung von Aufgabe und Befugnis im Allgemeinen. 95 Zu dieser Aufteilung Frenz, Staatshaftung in Beleihungstatbeständen, S. 23 m. w. N. 96 Scheel DVBl. 1999, S. 442, 446, der trotz dieser Feststellung darauf verzichtet, selbst eine Klärung zu unternehmen. 97 Vgl. die Darstellungen bei Frenz, Staatshaftung in Beleihungstatbeständen, S. 23 sowie von Heimburg, Verwaltungsaufgaben und Private, S. 31 ff., jeweils m. w. N. 98 Teilweise wird in der Literatur zwischen öffentlichen und staatlichen Aufgaben unterschieden, so z. B. Stuible-Treder, Der Beliehene im Verwaltungsrecht, S. 31. In überzeugender Weise zeigt jedoch Seidel, Privater Sachverstand und staatliche Garantenstellung, S. 28 f.,
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4. Teil: Verwaltungsrechtliche Einordnung des Verfahrens des JMStV
che und der Kreis derartiger Aufgaben materiell bestimmbar sei.99 Die aktuell wohl allein bedeutsame100 Ausformung der Aufgabentheorie stammt von Steiner.101 Er geht im Gegensatz zu den älteren Theorien davon aus, dass der Staat selbst bestimmt, welche Aufgaben öffentlichen Charakter haben.102
b) Der Standpunkt der Befugnistheorie Nach der herrschenden103 Befugnistheorie, die teilweise auch als Rechtsstellungstheorie bezeichnet wird,104 ist für die Beleihung die Übertragung hoheitlicher Befugnisse durch einen Hoheitsträger notwendig.105 Während ältere Auffassungen noch davon ausgingen, dass darunter nur die Befugnis zu obrigkeitlicher Zwangsoder Befehlsgewalt verstanden werden könne,106 lässt die moderne Ausprägung bereits die Fähigkeit genügen, Rechtsbeziehungen zu Dritten öffentlich-rechtlich zu regeln, so dass auch schlichthoheitliches 107 Handeln erfasst wird.108 Ausschlaggebend für die Zurechnung ist demnach nicht die Wahrnehmung einer materiell staatlichen Aufgabe, sondern die Ermöglichung des Einsatzes von öffentlich-rechtlichen Handlungsformen.109 In Zusammenschau mit dem Erfordernis einer gesetzdass diese Unterscheidung sprachlich sowie sachlich unklar ist, so dass ihr nicht zu folgen ist, zumal die Rechtsprechung die Begriffe synonym verwendet. 99 Vgl. zu dieser älteren Ansicht die Nachweise bei Frenz, Staatshaftung in Beleihungstatbeständen, S. 23. 100 Auf die von Backherms, DIN, S. 40 ff. entwickelte Konstruktion des „besonders anerkannten Beliehenen“ soll hier nicht näher eingegangen werden. Vgl. dazu die überzeugende Ablehnung bei Frenz, Staatshaftung in Beleihungstatbeständen, S. 24. Übereinstimmende Bewertung auch bei Freitag, Das Beleihungsrechtsverhältnis, S. 30, Fn. 2. sowie bei Stadler, Die Beleihung, S. 6, Fn. 37. 101 So auch die Einschätzung von Stadler, Die Beleihung, S. 8. 102 Steiner, Öffentliche Verwaltung durch Private, S. 52; vgl. auch S. 466 ff. Zu weiteren Vertretern in der Literatur vgl. die Nachweise bei Freitag, Das Beleihungsrechtsverhältnis, S. 30, Fn. 4. 103 Vgl. Freitag, Das Beleihungsrechtsverhältnis, S. 21, Fn. 1 m. w. N. 104 Z. B. von Heimburg, Verwaltungsaufgaben und Private, S. 36 und erst jüngst wieder Burgi, NVwZ 2007, S. 383, 383. 105 Badura / Peter M. Huber in: Schmidt-Aßmann, Besonderes Verwaltungsrecht, Kapitel 3, Rn. 83; Dezidiert auch Frenz, Staatshaftung in Beleihungstatbeständen, S. 25 m. w. N. Bereits Badura, Verwaltungsmonopol, S. 253, Fn. 66 stellt ganz ausdrücklich auf die Befugnis ab. 106 Vgl. dazu die Nachweise bei Seidel, Privater Sachverstand und staatliche Garantenstellung, S. 27. 107 Vgl. Peter M. Huber, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 15 zum Begriff des schlichthoheitlichen Handelns. 108 Frenz, Staatshaftung in Beleihungstatbeständen, S. 25 m. w. N. Diese Entwicklung wird von Stadler, Die Beleihung, S. 9 m. E. nicht hinreichend berücksichtigt. Daher ist Frenz a. a. O. auch in seinen Ausführungen zu der sog. Kombinationstheorie zuzustimmen, die zeigen, dass diese inhaltlich der Befugnistheorie entspricht.
B. Das Verfahren als ein Fall der Beleihung?
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lichen Grundlage für die Beleihung muss nach dieser Auffassung Gegenstand der gesetzlichen Regelung insbesondere Art und Umfang der übertragenen Befugnisse sein, was zu dem Grundsatz „Ohne Befugnisse keine Beleihung“ führt.110 Die bloße Pflichtenübertragung ohne damit einhergehende Befugnisse genügt gerade nicht.111 Auch die Rechtsprechung setzt als entscheidenden Anknüpfungspunkt die Befugnis zu hoheitlichem Handeln voraus;112 es könne weder aus einem Tätigwerden im staatlichen Interesse noch aus einem staatlichen Anerkennungsverfahren auf eine Beleihung geschlossen werden, ebenso wenig aus dem Umstand, dass das Handeln des Privaten zwingende Voraussetzung für weitere, dann unmittelbare staatliche Handlungen ist.113 Auch wenn ein Bemühen um eine dogmatische Verortung in der Rechtsprechung zumeist nicht erkennbar wird, so sieht auch die Rechtsprechung in Übereinstimmung mit der jüngeren Literatur das schlichthoheitliche Handeln als mit erfasst an.114
c) Eigene Überlegungen und Stellungnahme Auch unter der Annahme einer Kompetenz-Kompetenz des Staates zur Festlegung öffentlicher Aufgaben ist und bleibt der Schwachpunkt der Aufgabentheorie, dass sie das rechtliche Dürfen (bzw. das rechtliche Müssen) und nicht das rechtliche Können als Anknüpfungspunkt heranzieht. Die Erweiterung des rechtlichen Dürfens zugunsten Privater ist typischerweise kein Akt staatlicher Verleihung.115 Nur für die Ausübung hoheitlicher Befugnisse benötigen Private die „Verleihung rechtlichen Könnens“, da eine Erlaubnis nicht ausreicht.116 Mit anderen Worten: Wenn es im Ergebnis gerade die Besonderheit des Beliehenen sein soll, BVerwG, NJW 1981, S. 2481, 2482; Burgi in: FS Maurer, S. 581, 585. Ausdrücklich Burgi in: FS Maurer, S. 581, 588. 111 Burgi in: FS Maurer, S. 581, 588. – Wenn Freitag, Das Beleihungsrechtsverhältnis, S. 35 meint, dass es eine Befugnisübertragung zu nicht-öffentlichen Zwecken und eine entsprechende Beleihung nicht geben könne, verwechselt er m. E. die Fragen nach dem gesetzgeberischen Willen einerseits und dessen Rechtmäßigkeit andererseits; zutreffend ist zwar, dass die gesetzliche Übertragung einer hoheitlichen Befugnis zu privaten Zwecken verfassungswidrig wäre, trotzdem handelte es sich dabei um eine Beleihung, nur eben um eine rechtswidrige Beleihung (ebenso wie beispielsweise ein Steuergesetz in der sachlichen Kategorisierung verschiedener Gesetze auch dann noch als Steuergesetz einzuordnen ist, wenn es als verfassungswidrig erkannt wird). 112 BVerwG, NJW 1981, S. 2482, 2482 unter ausdrücklicher Ablehnung der abweichenden Auffassung von Steiner. 113 BVerwG, NJW 1981, S. 2482, 2482 f. 114 Z. B. BVerwG, DÖV 1972, S. 500, 501 m. w. N. 115 So bereits die Stellungnahme aus dem Jahre 1959 von Klaus Vogel, Wirtschaftseinheiten, S. 81. 116 Von Heimburg, Verwaltungsaufgaben und Private, S. 34. 109 110
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4. Teil: Verwaltungsrechtliche Einordnung des Verfahrens des JMStV
dass er funktional zur Behörde wird, so kann zutreffender Anknüpfungspunkt nur etwas sein, was einer Behörde vorbehalten ist. Unter dem Primat der verfassungsrechtlichen Freiheitsvermutung117 darf jeder Private grundsätzlich alles tun, dazu gehören auch Tätigkeiten, die (auch) eine öffentliche Aufgabe darstellen.118 Beispielsweise dürfen Private Hilfsbedürftigen helfen, Unbedenklichkeitszertifikate ausstellen und sogar das Land verteidigen. Allein in der Wahl der Mittel sind sie beschränkt; so können sie keine Sozialhilfebescheide erlassen, ihre Zertifikate haben keine allgemeinverbindliche Wirkung und sie können nicht den Verteidigungsfall ausrufen. Diese bewusst zugespitzt formulierten Beispiele verdeutlichen, dass sinnvoller Anknüpfungspunkt nur die Befugnis sein kann. Schon deshalb ist die Aufgabentheorie abzulehnen und der Befugnistheorie als herrschender Meinung119 zu folgen. Darüber hinaus birgt die Aufgabentheorie die Gefahr eines Zirkelschlusses: Auch deren Vertretern ist bewusst, dass Private nicht allein deshalb zur Behörde werden, weil ihnen der Staat etwas erlaubt (bzw. ihnen nicht verbietet). Deshalb nehmen sie an, dass die Erlaubnis, etwas zu tun (bzw. die Aufhebung des Gebots, etwas zu unterlassen), erst dann zum Beleihungsakt wird, wenn die Aufgabe eine öffentliche ist, wobei der Staat selbst festlegt, welche Aufgaben öffentlich sind und welche nicht. Diese staatliche Qualifizierung dürfte kaum einmal ausdrücklich erfolgen, so dass sie im Wege der Interpretation dem Gesetz entnommen werden müsste. Sobald ein Gesetz einem Privaten etwas erlaubt (bzw. nicht verbietet), müsste dieses Gesetz also dahingehend interpretiert werden, ob der Gesetzgeber die nunmehr erlaubte Tätigkeit als eine öffentliche Aufgabe ansieht. Wenn ja, läge eine Beleihung vor. Nach der Aufgabentheorie ist eine Beleihung aber schon per definitionem die staatliche Übertragung von öffentlichen Aufgaben an Private. Das bedeutet gekürzt: Eine Beleihung liegt vor, wenn eine gesetzliche Regelung dahingehend zu interpretieren ist, dass eine Beleihung gewollt ist.120 Ein Erkenntnisgewinn liegt darin nicht.
117 BVerfGE 17, 306, 313 f.; Gröschner, Überwachungsrechtsverhältnis, S. 97 konstatiert zurecht, dass das Ordnungsprinzip der freiheitlichen Ordnung unter Geltung des Grundgesetzes nicht ernsthaft angezweifelt werden kann. 118 Das scheint Freitag, Das Beleihungsrechtsverhältnis, S. 31 Fn. 9 a. E. zu übersehen. 119 Selbst Steiner in: FS Koja, S. 603, 603, Fn. 3 muss eingestehen, dass sich sein Ansatz nicht durchsetzen konnte. Von Heimburg, Verwaltungsaufgaben und Private, S. 112 behauptet sogar, die Befugnistheorie sei die „allein vertretbare“. 120 Freitag, Das Beleihungsrechtsverhältnis, S. 32 scheint dem immerhin insofern noch etwas Positives abgewinnen zu können, indem er der Aufgabentheorie bescheinigt, „theoretisch wählbar und in sich schlüssig“ zu sein.
B. Das Verfahren als ein Fall der Beleihung?
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3. Resultierende Abgrenzung der Beleihung von benachbarten Rechtsinstituten a) Abgrenzung von der Verwaltungshilfe Vom Beliehenen zu unterscheiden ist der Verwaltungshelfer,121 der nach modernem Verständnis dadurch gekennzeichnet ist, dass er einen Teilbeitrag mit funktionalem Bezug auf eine Staatsaufgabe leistet.122 Dabei kommen sowohl selbständige als auch unselbständige Formen in Betracht.123 Der selbständige Verwaltungshelfer zeichnet sich regelmäßig dadurch aus, dass er mit größerem Fachwissen und größerer Ausstattung als die Behörde die eigentliche Entscheidung vorbereitet, die von der Behörde in eine öffentlich-rechtliche Form umgesetzt wird.124 Die Verwaltungshilfe steht im Gegensatz zur Beleihung nicht unter Gesetzesvorbehalt.
b) Abgrenzung von der faktischen Beleihung Wie bereits festgestellt, bedarf die Beleihung einer gesetzlichen Grundlage, nicht aber der Einsatz eines Verwaltungshelfers. Umgekehrt kann aus dem Fehlen einer gesetzlichen Grundlage jedoch nicht geschlossen werden, dass keine Beleihung, sondern ein Fall der Verwaltungshilfe vorliegt – dies würde einen Zirkelschluss darstellen, der die Frage nach der Unterscheidung mit der Frage nach der Rechtmäßigkeit vermischte.125 Wenn ein Privater rein tatsächlich so stark in das behördliche Verfahren integriert ist, dass faktisch dieser und nicht mehr die Behörde über den Einsatz hoheitlicher Maßnahmen entscheidet, so ist darin keine Verwaltungshilfe, sondern eine rechtswidrige, weil ohne gesetzliche Grundlage erfolgte Beleihung zu erkennen.126 Diese Situation kann als „faktische Beleihung“ bezeichnet werden.127
121 Vgl. Peter M. Huber, Die Zukunft des Schornsteinfegerhandwerks im Binnenmarkt, Rn. 51 ff. zur Besonderheit des „Verwaltungshelfers auf Dauer“. 122 Burgi in: FS Maurer, S. 581, 586. Seidel, Privater Sachverstand und staatliche Garantenstellung, S. 30 macht allerdings darauf aufmerksam, dass die Begriffe nicht einheitlich verwendet werden. 123 Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 23, Rn. 62. 124 Seidel, Privater Sachverstand und staatliche Garantenstellung, S. 31. 125 Überzeugend Seidel, Privater Sachverstand und staatliche Garantenstellung, S. 32. 126 Seidel, Privater Sachverstand und staatliche Garantenstellung, S. 32, mit einem überzeugenden Vergleich mit einer handelnden unzuständigen Behörde sowie mit zahlreichen weiteren Nachweisen aus Literatur und Rechtsprechung. 127 So bereits Hoppe / Bleicher, NVwZ 1996, 421, 423.
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4. Teil: Verwaltungsrechtliche Einordnung des Verfahrens des JMStV
c) Abgrenzung von der gesetzlichen Indienstnahme Privater Der Beliehene ist ferner abzugrenzen von Privaten, die nicht im Lager der Behörde, sondern im Lager des betroffenen Bürgers stehen; letztere nehmen keine Verwaltungsaufgaben wahr, sondern arbeiten dem betroffenen Bürger zu, damit dieser den ihm auferlegten öffentlichen Pflichten nachkommen kann.128 In diesen Fällen ist von einer gesetzlichen Indienstnahme Privater zu sprechen.129 Der Staat bedient sich hierbei nur eines in privater Hand befindlichen oder zu schaffenden Potentials, um eine ordnungsgemäße Erfüllung öffentlicher Aufgaben einschließlich der Gefahrenabwehr zu gewährleisten.130 Wenn einem Privaten also lediglich eine besondere Pflicht auferlegt wird – und sei es die Pflicht zur Bestellung eines privaten Dritten in seinem Lager – so liegt eine Indienstnahme und keine Beleihung vor.131 Will man somit bei der Analyse einer gesetzlichen Regelung zwischen Beleihung und Indienstnahme Privater differenzieren, so kommt es darauf an, ob diese Regelung zum Ausdruck bringt, dass der Staat die jeweilige Aufgabe als eigene durchführen und allein die konkrete Ausführung in der Form schlichthoheitlichen Verwaltungshandelns einem Privatrechtssubjekt übertragen will oder ob nur privates Verhalten im öffentlichen Interesse durch die Statuierung bestimmter Verhaltenspflichten im Sinne der öffentlichen Aufgabe gelenkt werden soll.132 Denn während die Wirtschaftsüberwachung das wirtschaftliche Verhalten Privater daraufhin überwacht, ob es mit den maßgeblichen Normen des Wirtschaftsverwaltungsrechts übereinstimmt und diese Übereinstimmung notfalls erzwingt, wird bei der Indienstnahme Privater für die Erfüllung von Verwaltungszwecken die privatwirtschaftliche Tätigkeit im öffentlichen Interesse in Anspruch genommen.133 Nach alledem ist die in jüngerer Zeit häufiger praktizierte Stärkung der privaten Eigenverantwortung, wie sie beispielsweise bei der Pflicht zur Bestellung eines Betriebsbeauftragten für den Umweltschutz gem. §§ 53 f. BImSchG zum Ausdruck kommt, eine Indienstnahme und keine Beleihung.134
128 In diesem Sinne anhand der Fallgruppe von Sachverständigen Seidel, Privater Sachverstand und staatliche Garantenstellung, S. 26 und 30. 129 Der Begriff wurde von Hans Peter Ipsen in: FS Kaufmann, S. 141 passim geprägt, dessen heutiges Verständnis sich aber geändert hat, vgl. von Heimburg, Verwaltungsaufgaben und Private, S. 40. 130 Schulze-Fielitz in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band I, § 12, Rn. 107. 131 So bereits die zustimmungswürdigen Ausführungen von Tettinger, DVBl. 1976, S. 752, 754 m. w. N. 132 Tettinger, DVBl. 1976, S. 752, 755. 133 Badura / Peter M. Huber in: Schmidt-Aßmann, Besonderes Verwaltungsrecht, Kapitel 3, Rn. 83. 134 Ähnlich Burgi in: FS Maurer, S. 581, 585 f.
B. Das Verfahren als ein Fall der Beleihung?
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III. Die anerkannten EFS als Beliehene? 1. Beleihung hinsichtlich pauschal aller Tätigkeiten der EFS? a) Bisherige Vorschläge aus der Literatur Von manchen Autoren werden die anerkannten EFS pauschal als Beliehene eingeordnet.135 Dafür spreche, dass der JMStV den anerkannten EFS die Prüfung von Angeboten als Aufgabe zugewiesen habe und in der amtliche Begründung ausgeführt wurde, die EFS übernähmen solche Aufgaben, die bisher staatlichen Stellen oblagen.136 Ferner sei zu berücksichtigen, dass die Feststellungen einer anerkannten EFS für den Anbieter aufgrund von § 20 Abs. 3, 5 JMStV verbindlich seien.137 Außerdem wiesen die §§ 8, 9 Abs. 1 JMStV den EFS bestimmte Befugnisse zu, deren Nichteinhaltung unter Umständen sogar mit einer Ordnungswidrigkeit sanktioniert sei.138 Schließlich wird argumentiert, auch die in § 14 Abs. 5 des Jugendschutzgesetz des Bundes normierten „Organisationen der freiwilligen Selbstkontrolle“ – wie z. B. die Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK)139 – seien Beliehene und vom Gesetzgeber sei eine weitere Vereinheitlichung der Rechtslage intendiert, daher sei eine übereinstimmende Einordnung der EFS systematisch geboten.140 Andere Vertreter der Literatur urteilen ebenso pauschal, jedoch mit gegenteiligem Ergebnis, sie verneinen also die Annahme einer Beleihung pauschal für alle Tätigkeiten der anerkannten EFS. So meint Schulz, die anerkannten EFS seien keine Beliehenen, weil sie ausschließlich privatrechtlich agierten.141 Auch RossenStadtfeld geht davon aus, eine Beleihung scheide „mangels hoheitlicher Befugnisse“ der EFS aus.142 Ebenso wenig könne eine Verwaltungshilfe angenommen wer135 So etwa Storr, DÖV 2007, S. 133, 139 sowie Retzke, Präventiver Jugendmedienschutz, S. 216 ff. – Entgegen anders lautender Interpretation kann dies nicht den Ausführungen von Kreile / Diesbach, ZUM 2002, S. 849, 854 entnommen werden: Sie nennen die „Schaffung von Ausnahmetatbeständen (§§ 8; 9 JMStV)“ zusammen mit der Überprüfung der Einhaltung der Bestimmungen des JMStV im Übrigen und stellen fest, dass die anerkannten EFS in diesen Fällen „staatliche Aufgaben“ übernähmen; zur Frage der Beleihung fehlt jede Stellungnahme, insbesondere findet sich kein Hinweis darauf, dass sie die Aufgabentheorie zugrunde legen würden. 136 Storr, DÖV 2007, S. 133, 139. – Ähnlich die Ausführungen von Hopf / Braml, ZUM 2007, S. 23, 29, die sich jedoch in unzutreffender Weise auf Liesching, ZUM 2006, S. 785, 785 berufen, der gerade nicht auf die Aufgaben abstellt und außerdem zwischen verschiedenen Tätigkeiten der EFS differenziert. 137 Storr, DÖV 2007, S. 133, 139. 138 Storr, DÖV 2007, S. 133, 139 unter Hinweis auf § 24 Abs. 1 Nr. 9 JMStV. 139 Zur FSK siehe Seite 104. 140 Retzke, Präventiver Jugendmedienschutz, S. 216. 141 Schulz in: Klumpp, Medien, Ordnung und Innovation, S. 169, 176. 142 Rossen-Stadtfeld, AfP 2004, S. 1, 8, Fn. 90.
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den, weil die EFS „Beurteilungs- und Entscheidungsfreiheit“ besitze;143 die „größte Ähnlichkeit“ bestehe daher mit der aus dem Umweltrecht bekannten Figur des Betriebsbeauftragen, der als ein Fall der Inpflichtnahme Privater angesehen werde.144 b) Stellungnahme Wie zuvor abstrakt erarbeitet, ist entscheidend auf die Befugnisse der Privaten, hier also der anerkannten EFS, abzustellen.145 Schon allein deshalb sind die zitierten Stimmen abzulehnen, die sich an den Aufgaben der EFS orientieren. Werden stattdessen die Befugnisse in den Blick genommen, so kann keine der gegensätzlichen pauschalen Einordnungen überzeugen, weil sich ein differenziertes Bild ergibt. Zwar können die anerkannten EFS gem. §§ 8, 9 Abs. 1 JMStV Entscheidungen treffen, die auch für Anbieter zwingend sind, mit denen sie nicht vertraglich verbunden sind (darauf ist sogleich noch näher einzugehen); jedoch ist andererseits die zitierte Auffassung unzutreffend, dass sich gem. § 20 Abs. 3, 5 JMStV die Verbindlichkeit der Prüfentscheidung der EFS ergebe, weil in letzterem Fall nur ein Verfahrenshindernis zuungunsten der KJM statuiert wird, nicht aber eine Verhaltenspflicht zuungunsten des Anbieters. Deshalb verleiht § 20 Abs. 3, 5 JMStV den anerkannten EFS keine hoheitlichen Befugnisse, sondern setzt vielmehr das Vorhandensein privatrechtlicher Eingriffs-“Befugnisse“ voraus – und solche können auch vorausgesetzt werden, denn zu deren privatrechtlicher Einräumung ist der Anbieter mittelbar durch § 19 Abs. 3 Nr. 4 JMStV gehalten, sofern er mit einer anerkannten EFS zusammenarbeiten will.146 2. Beleihung hinsichtlich des Erlasses von Richtlinien und Einzelfallentscheidungen gem. §§ 8, 9 Abs. 1 JMStV durch die EFS a) Bisherige Vorschläge aus der Literatur Insbesondere Ullrich hat vorgeschlagen, zwischen verschiedenen Tätigkeiten der anerkannten EFS zu differenzieren.147 Nach seiner Auffassung agieren die Rossen-Stadtfeld, AfP 2004, S. 1, 8, Fn. 90. Rossen-Stadtfeld, AfP 2004, S. 1, 8, Fn. 90. 145 Obwohl sie ansonsten anhand der Befugnis argumentiert, macht auch Retzke, Präventiver Jugendmedienschutz, S. 219 an dieser Stelle doch wieder die Aufgaben zum Anknüpfungspunkt. 146 Insofern scheint Retzke, Präventiver Jugendmedienschutz, S. 212 den Abs. 3 von § 19 JMStV zu übersehen, wenn sie lediglich § 19 Abs. 2 JMStV von § 20 Abs. 3, 5 JMStV abzugrenzen versucht. 147 Ullrich, MMR 2005, S. 743, 744. Ähnlich später Mynarik, Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien, S. 141 f. 143 144
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anerkannten EFS bei Entscheidungen gem. §§ 8, 9 Abs. 1 JMStV „wie eine staatliche Aufsichtsbehörde“.148 Wie Mynarik ergänzend hervorhebt, entfalten die von den anerkannten EFS erlassenen Richtlinien ihre Wirkung gegenüber den Anbietern insbesondere, wenn eines ihrer Angebote beanstandet wird und dies zu einem behördlichen Verfahren mit möglichen Sanktionen führt.149 Auch Scholz / Liesching gehen davon aus, die EFS nehme in diesem Rahmen hoheitliche Aufgaben wahr und sie schließen daraus auf eine Beleihung.150 Dabei nehmen sie – wie bereits die zuvor zitierten Vertreter einer pauschalen Einordnung – Bezug auf die Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK), die – ihrer Ansicht nach151 – als Beliehene tätig werde.
b) Stellungnahme Unter Zugrundelegung der vorzugswürdigen Befugnistheorie erweist sich diese Einordnung als zustimmungswürdig. Die durch die §§ 8, 9 Abs. 1 JMStV den anerkannten EFS verliehene Fähigkeit zum Erlass entsprechender Vorgaben bedeutet, dass sie die Rechte und Pflichten Dritter, nämlich der Anbieter, verbindlich regeln können.152 Dies wird am deutlichsten, wenn man sich den Fall vor Augen hält, in dem ein Anbieter keiner EFS angeschlossen ist und noch nie eine EFS beauftragt hat – selbst gegenüber einem solchen Anbieter entfalten die von der anerkannten EFS erlassenen Entscheidungen gem. §§ 8, 9 Abs. 1 JMStV Verbindlichkeit. Trotz des übereinstimmenden Ergebnisses muss der Begründung von Scholz / Liesching widersprochen werden. Sie ziehen die Übernahme „staatlicher Aufgaben“ als Anknüpfungspunkt heran, was nach der Befugnistheorie gerade abzulehnen ist. Weiter ist der dort herangezogene Vergleich mit der Stellung der FSK gem. § 14 Abs. 6 Satz 2 JuSchG nicht überzeugend, da eine Einordnung der FSK als Ullrich, MMR 2005 S. 743, 744. Mynarik, Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien, S. 142, was mit der inhaltlich nicht unrichtigen, jedoch nicht ganz eindeutigen Formulierung erfolgt, die Richtlinien seien „. . . auch zwingend im Rahmen der Aufsicht nach § 20 JMStV beachtlich.“ Ferner beruft sich Mynarik, Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien, S. 142, Fn. 481 in unzutreffender Weise auf Kreile / Diesbach, ZUM 2002, S. 849, 854: Zum einen differenzieren diese nicht zwischen den verschiedenen Tätigkeiten der anerkannten EFS, zum anderen sprechen sie nicht – wie Mynarik – von einer „Ausstattung mit Hoheitsrechten“, sondern lediglich von einer Übernahme „staatlicher Aufgaben“, woraus Kreile / Diesbach auf keine Beleihung schließen (und woraus nach Zugrundelegung der herrschenden und zustimmungswürdigen Befugnistheorie auch nicht auf eine Beleihung geschlossen werden kann). 150 Scholz / Liesching, Jugendschutz, § 8 JMStV, Rn. 5 und § 9 JMStV, Rn. 4, jeweils unter Hinweis auf die Kommentierung zu § 14 JuSchG, Rn. 17. Durch die Formulierung, dass die EFS „insoweit“ hoheitliche Aufgaben übernähmen, deutet darauf hin, dass im Sinne eines Umkehrschlusses davon ausgegangen wird, die anerkannten EFS seien im Übrigen keine Beliehenen, eine ausdrückliche Stellungnahme hierzu fehlt jedoch. 151 Scholz / Liesching, Jugendschutz, § 14 JuSchG, Rn. 17. 152 Insofern zustimmungswürdig Storr, DÖV 2007, S. 133, 139. 148 149
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Beliehene schon für sich umstritten und angreifbar ist;153 vor allem aber geht mit der Prüfentscheidung der EFS im Gegensatz zur Entscheidung der FSK gerade keine unmittelbare Kennzeichnung einher. 3. Beleihung hinsichtlich der Tätigkeiten der EFS im Übrigen? a) Bisherige Vorschläge aus der Literatur Mynarik widmet sich ausführlich der Einordnung der anerkannten EFS bei ihren übrigen Tätigkeiten und macht die Anerkennung gem. § 19 Abs. 3 JMStV zum Ausgangspunkt ihrer Überlegungen, indem sie die Anerkennung daraufhin untersucht, ob hierin eine Beleihung zu sehen sein könnte.154 Nach ihrer Auffassung spreche gegen die Annahme einer Beleihung, dass der JMStV den Prüfungsentscheidungen der EFS keine Verwaltungsaktqualität verleihe. Außerdem könne der Beurteilungsspielraum gem. § 20 Abs. 3, 5 JMStV keine hoheitliche Qualität aufweisen, weil dafür eine gesetzliche Grundlage erforderlich gewesen wäre. Ferner spreche die Bezeichnung Selbstkontrolle „eindeutig“ gegen eine Beleihung.155 Die Anerkennung von EFS gleiche eher der Akkreditierung einer Prüfstelle, beispielsweise gem. § 11 Geräte- und Produktsicherheitsgesetz oder § 15 Signaturgesetz.156 Auch Ullrich meint, die Prüfentscheidungen einer anerkannten EFS bezüglich eines einzelnen Angebotes seien rein vereinsrechtlicher und nicht hoheitlicher Natur. Es sei die Absicht des historischen Normgebers gewesen, die EFS zu stärken, in dieser Hinsicht wäre es aber nicht nur überflüssig, sondern sogar schädlich, wenn die Maßnahmen der EFS als hoheitlich zu qualifizieren wären, da sie damit die Vorteile privaten Handelns, beispielsweise hinsichtlich des Zensurverbots, verlören.157 Darüber hinaus betont Ullrich, dass der JMStV die Anbieter gerade nicht verpflichte, die Entscheidung der anerkannten EFS zu akzeptieren, sondern mit der Privilegierung gem. § 20 Abs. 3, 5 JMStV lediglich einen Anreiz dazu biete; eine mögliche Verpflichtung durch Vereinbarung der EFS mit dem Anbieter sei rein privatrechtlicher Natur.158 153 Dies übergeht auch Retzke, Präventiver Jugendmedienschutz, S. 216. – Zur strittigen Einordnung der FSK siehe Seite 104 f. 154 Mynarik, Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien, S. 141. 155 Mynarik, Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien, S. 141 (Hervorhebung wie im Original). 156 Mynarik, Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien, S. 142 f., dort auch mit der sicher zutreffenden Bemerkung, dass es sich bei der Anerkennung einer EFS nicht um eine Konzession handle, weil sich vorliegend der Staat kein Verleihungsrecht für die fragliche Aufgabe vorbehalten habe, sondern im Gegenteil Interesse an einem möglichst umfassenden Engagement habe. 157 Ullrich, ZUM 2005, S. 452, 456. 158 Ullrich, ZUM 2005, S. 452, 456; Altenhain in: Hoeren / Sieber, Handbuch MultimediaRecht, Teil 20, Rn. 173 missversteht offenbar Ullrich an dieser Stelle, da dieser sehr wohl
B. Das Verfahren als ein Fall der Beleihung?
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b) Eigene Überlegungen und Stellungnahme aa) Zur Bedeutung der Anerkennung gem. § 19 Abs. 3 JMStV Eine Beleihung hat durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes zu erfolgen. Daher ist es theoretisch denkbar, in der auf § 19 Abs. 3 JMStV beruhenden und gem. § 19 Abs. 4 JMStV durch die KJM auszusprechenden Anerkennung einen Beleihungsakt zu sehen. Ein Umkehrschluss ist aber nicht möglich: Nur weil eine Anerkennung mit gesetzlicher Grundlage gegeben ist, kann nicht deshalb von einer Beleihung ausgegangen werden. Die Anerkennung gem. § 19 Abs. 3 JMStV ist daher als Ausgangspunkt ungeeignet.159 Vielmehr ist im Sinne der Befugnistheorie danach zu fragen, über welche Befugnisse die anerkannten EFS verfügen. Sofern die Befugnisse hoheitlicher Art sind, kann in einem logisch nachfolgenden Schritt die dafür erforderliche gesetzliche Grundlage im JMStV bzw. in der Anerkennung durch die KJM identifiziert werden. Würde keine gefunden werden, so läge eine (rechtswidrige) „faktische Beleihung“160 vor.
bb) Zur Bedeutung expliziter gesetzlicher Regelungen Ein ebenso wenig geeigneter Ausgangspunkt ist die Überlegung, nach der es gegen eine Beleihung spreche, wenn das Gesetz nicht als Rechtsfolge der Anerkennung explizit anordne, dass die Prüfentscheidungen Verwaltungsaktqualität hätten.161 Nicht nur, weil das Gesetz es auch hinsichtlich vieler anderer Verwaltungsentscheidungen unterlässt, die Verwaltungsaktqualität ausdrücklich anzuordnen, sondern auch, weil Ursache und Wirkung verwechselt werden. Wenn die EFS Beliehene sind, dann können ihre Entscheidungen die Qualität eines Verwaltungsaktes aufweisen (auch dann, wenn es an einer ausdrücklichen Anordnung fehlt). Die Beleihung als solche muss – nach den allgemeinen Regeln der Gesetzesauslegung – ihrerseits nicht ausdrücklich erfolgen.162 Ein ähnlicher Fehlschluss liegt in der Behauptung, der Beurteilungsspielraum der anerkannten EFS gem. § 20 Abs. 3, 5 JMStV könne keine hoheitliche Qualität haben, da hierfür eine gesetzliche Grundlage erforderlich gewesen wäre.163 Ausgangspunkt muss die Frage sein, zwischen Verbindlichkeit im privat- und öffentlich-rechtlichen Sinne unterscheidet. – Vgl. im Übrigen auch Ullrich, MMR 2005, S. 743, 744. 159 So aber Mynarik, Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien, S. 141. 160 Dazu siehe Seite 115. 161 So aber Mynarik, Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien, S. 141. 162 Ausführlich und unter besonderer Berücksichtigung des Bestimmtheitsgebots Freitag, Das Beleihungsrechtsverhältnis, S. 75 ff.; vgl. dazu auch Stadler, Die Beleihung, S. 30 ff. 163 So aber Mynarik, Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien, S. 141. Darüber hinaus ist es zumindest missverständlich, wenn dort behauptet wird, für eine solche Wirkung wäre eine „explizite“ Regelung im JMStV erforderlich gewesen, da eine rechtswirksame Beleihung grundsätzlich auch durch konkludente gesetzliche Regelungen erfolgen kann.
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ob die Entscheidungen der EFS die Anbieter binden. Erst wenn dies bejaht würde, wäre eine gesetzliche Grundlage nötig. Umgekehrt kann es aber auch verfehlt sein, aus der Wortwahl des JMStV des Normgebers zu weit reichende Schlüsse zu ziehen. Es hat wenig Überzeugungskraft, als Argument gegen eine Beleihung anzuführen, dass der JMStV von Selbstkontrolle spricht, erst recht kann darin kein „eindeutiges“ Zeichen gesehen werden.164 Wie gezeigt, handeln die anerkannten EFS teilweise als Beliehene,165 werden aber vom JMStV stets als Einrichtungen der Selbstkontrolle bezeichnet. cc) Zur Bedeutung des Vergleichs mit akkreditierten Stellen und Sachverständigen Es wird vertreten, die anerkannten EFS seien ähnlich wie akkreditierte Stellen und Sachverständige tätig.166 Augenscheinlich richtig ist dabei, dass innerhalb der EFS Sachverständige mit der Prüfung von Angeboten betraut sind, da hierin eine der Anerkennungsvoraussetzungen gem. § 19 Abs. 3 Nr. 1 Var. 2 JMStV der EFS besteht. Mit dem einfachen Hinweis auf andere Fälle der Einbindung von privaten Sachverständigen167 wird aber übersehen, dass deren rechtliche Einordnung ihrerseits problematisch und im Einzelnen umstritten ist.168 Insbesondere kann nicht der Schluss gezogen werden, weil eine Akkreditierung oder gar weil die Nutzung privaten Sachverstandes vorliege (bzw. nicht vorliege), sei eine Beleihung anzunehmen (bzw. ausgeschlossen).169 Daher sollen nun die möglichen Anknüpfungspunkte, aufgrund derer die Einbindung privater Sachverständiger als Beliehene eingeordnet werden können, mit Blick auf die anerkannten EFS untersucht werden. Hinsichtlich bestimmter privater Institutionen wird die Annahme einer Beleihung diskutiert, wenn private Dritte staatlich dazu angehalten sind, mit diesen Stel164 So aber Mynarik, Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien, S. 141 (Hervorhebung wie im Original). 165 Das nimmt auch Mynarik, Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien, S. 142, an. 166 Schulz in: Klumpp, Medien, Ordnung und Innovation, S. 169, 176, bezeichnet die Anerkennung der EFS gem. § 19 Abs. 3 JMStV sogar synonym als „Zertifizierung“. Auch Peter M. Huber in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band III (im Ersch.), § 45, Rn. 168 ff. stellt die EFS in engen Zusammenhang mit Akkreditierung und Zertifizierung. 167 So aber offenbar Retzke, Präventiver Jugendmedienschutz, S. 219. 168 Vgl. nur die ausführliche Untersuchung von Seidel, Privater Sachverstand und staatliche Garantenstellung, passim. Überblicksartig Eifert in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band I, § 19, Rn. 84 m. w. N. Vgl. auch Freitag, Das Beleihungsrechtsverhältnis, S. 38 ff. 169 So aber offenbar Retzke, Präventiver Jugendmedienschutz, S. 219, die allgemeine Ausführungen zur gesetzlichen Indienstnahme Privater im Allgemeinen durch andere Autoren, die noch viele Jahre vor Inkrafttreten des JMStV getroffen wurden, mit einer (vermeintlichen) Auslegung des JMStV gleichsetzt.
B. Das Verfahren als ein Fall der Beleihung?
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len zusammenzuarbeiten, insbesondere bei der Einschaltung „benannter Stellen“ im Produktsicherheitsrecht. Dort stellt sich die Frage nach der Beleihung aber gerade deshalb,170 da eine Pflicht der Hersteller besteht, die benannten Stellen einzuschalten. Selbst in diesem Rahmen ist umstritten, ob eine Beleihung vorliegt oder nicht.171 Wenn aber schon gar keine Pflicht, sondern nur die freiwillige Möglichkeit der Einschaltung der Stellen besteht, ist eine Beleihung fernliegend. Dieser Befund steht auch im Einklang mit der Rechtsprechung. So hat das Bundesverwaltungsgericht nicht einmal dann eine Beleihung angenommen, wenn eine Zertifizierung durch einen staatlich anerkannten Verband zwingende Voraussetzung dafür ist, dass der Staat weitere begünstigende Handlungen vornimmt.172 Dies vorausgesetzt, wäre eine Beleihung erst recht nicht anzunehmen, wenn es sich nur um eine weitere, freiwillige Möglichkeit handelte. Die Anbieter von Rundfunk und Telemedien haben keine Pflicht zur Beteiligung der anerkannten EFS, dies spricht also gegen eine Beleihung. Problematisch ist die Einordnung von Privaten als Beliehene, wenn diese zwar keine verfahrensabschließende Entscheidung treffen, aber gutachterlich in einem so erheblichen Umfang tätig werden, dass sie der Behörde die unmittelbare Entscheidungsbasis liefern.173 Vermeintliche (selbständige) Verwaltungshelfer können zu Beliehenen (bzw. bei fehlender gesetzlicher Grundlage zu faktischen Beliehenen) werden, wenn ihnen als Sachverständigen die zuständige Behörde systematisch und planmäßig die eigentliche Überwachungsverantwortung überträgt.174 Auch können besonders anerkannte Sachverständige, die Aufgaben zur eigenverantwortlichen Erfüllung übertragen bekommen, Beliehene sein,175 wenn damit die Behörde von der eigenen Ermittlung freigestellt wird und der Beitrag des Privaten unmittelbar in die Entscheidung der Behörde einfließt.176 Das Verhältnis zwischen KJM und anerkannten EFS gestaltet sich jedoch in anderer Form. Die KJM ist so ausgestattet, dass sie aus eigenem Sachverstand heraus in der Lage ist, eine Entscheidung im Einzelfall zu treffen. Die Prüfentscheidungen der EFS haben eigenständige Bedeutung, sie bereiten dagegen nicht solche der KJM vor. Vielmehr prüft die KJM ihrerseits eigenständig. Sie ist niemals zuungunsten eines Privaten an die Entscheidung einer EFS gebunden (denn die mögliche Einschränkung durch den In diesem Sinne („daher“ dränge sich die Frage auf) Scheel, DVBl. 1999, S. 442, 445. Das muss auch Scheel, DVBl. 1999, S. 442, 446 zugestehen, der selbst mit Nachdruck für eine Qualifizierung der benannten Stellen als Beliehene eintritt. 172 BVerwG, NJW 1981, S. 2482, 2483 anhand des Falls eines privaten, staatlich anerkannten Züchterverbands, dessen Ausstellung eines Abstammungsnachweises zwingende Voraussetzung für die „Körung“ durch die Behörde ist. 173 Ausführlich Seidel, Privater Sachverstand und staatliche Garantenstellung, S. 221 – 228 m. w. N. 174 Seidel, Privater Sachverstand und staatliche Garantenstellung, S. 32. 175 Seidel, Privater Sachverstand und staatliche Garantenstellung, S. 174 f. 176 So die Differenzierung bei Seidel, Privater Sachverstand und staatliche Garantenstellung, S. 215 (Hervorhebung nicht im Original). 170 171
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4. Teil: Verwaltungsrechtliche Einordnung des Verfahrens des JMStV
Beurteilungsspielraum der anerkannten EFS kann nur zugunsten der Anbieter wirken). Die Befürchtungen, wie sie im Bereich des Technik- und Umweltrechts vorgebracht werden, die Grenzen zwischen rechtlicher und faktischer Bindungswirkung könnten weitgehend nivelliert werden,177 greifen hier also nicht, da der Sachverstand der KJM nicht prinzipiell hinter dem der EFS zurückbleibt. Insgesamt gilt hinsichtlich akkreditierter Stellen und Sachverständiger also, dass für die Frage nach der Beleihung offen bleiben kann, ob die anerkannten EFS als solche einzuordnen sind. Denn die EFS weisen jedenfalls erhebliche Unterschiede gegenüber dem Teil von akkreditierten Stellen und Sachverständigen auf, bei denen die Annahme einer Beleihung überhaupt als möglich erscheint. dd) Zur Bedeutung der historischen Auslegung Der Geschichte der Entstehung des JMStV kann nicht der Wunsch der Staatsvertragsparteien entnommen werden, dass die anerkannten EFS Beliehene sein sollten. Freilich kann diese Erkenntnis allein nicht verhindern, die Norm trotzdem in diesem Sinne auszulegen. Selbst wenn der Normgeber ausdrücklich keine Beleihung gewollt hätte,178 so wäre eine solche doch gegeben, wenn der privaten Einrichtung hoheitliche Befugnisse eingeräumt worden wären. Die historische Auslegung spricht also sicher nicht für eine Beleihung, sie ist jedoch auch nicht geeignet, eine solche prinzipiell auszuschließen. ee) Zur Bedeutung der Unverbindlichkeit der Entscheidung Unter Zugrundelegung der vorzugswürdigen Befugnistheorie muss eine Argumentation ihren Ausgangspunkt in der Frage der Verbindlichkeit der Entscheidung der EFS haben. Der JMStV weist den anerkannten EFS aber prinzipiell keine eigenständige Entscheidungsbefugnis zu.179 Dies ergibt sich insbesondere aus einer genauen Analyse der Wirkung des Verfahrenshindernisses gem. § 20 Abs. 3, 5 JMStV: Die anerkannten EFS können durch ihre Entscheidung in begrenztem Umfang einen Schutz zugunsten der Anbieter vor bestimmten hoheitlichen Eingriffen durch die KJM bieten – dies beinhaltet aber gerade keine Übertragung der So Vomhof, Einbindung von sachverständigen Gremien, S. 164. So Regina Käseberg, Referatsleiterin im Ministerium für Bildung, Frauen und Jugend des Landes Rheinland-Pfalz, der federführenden Stelle der Obersten Landesjugendbehörden für den gesetzlichen Jugendschutz in einem Interview in tv diskurs 2003, Heft 3, S. 25, 25. 179 Insofern zustimmungswürdig Rossen-Stadtfeld, AfP 2004, S. 1, 8, der jedoch in missverständlicher Weise festhält, der JMStV räume den anerkannten EFS eine „Überprüfungsbefugnis“ ein. Dies ist zumindest ungenau, denn es ist erst die privatrechtliche Vereinbarung zwischen Anbieter und EFS, die eine Befugnis zur Überprüfung bewirkt. Würde der JMStV den EFS unmittelbar die Befugnis zu einer Überprüfung von Angeboten einräumen, so wäre die Lage womöglich (je nach konkreter Ausgestaltung im Detail) anders zu beurteilen. 177 178
B. Das Verfahren als ein Fall der Beleihung?
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hoheitlichen Befugnisse der KJM auf die EFS, vielmehr kann die KJM ihre Befugnisse gegenüber dem Anbieter nur noch eingeschränkt anwenden.180 Die „Befugnisse“ der EFS gegenüber den Anbietern ergeben sich gerade nicht aus § 20 Abs. 3, 5 JMStV,181 sondern werden dort als bestehend vorausgesetzt – und zwar werden sie als privatrechtlich eingeräumte „Befugnisse“ vorausgesetzt. So hat auch Ullrich bereits zutreffend festgestellt, dass die Anbieter nicht öffentlich-rechtlich, sondern privatrechtlich verpflichtet sind, die Entscheidung der EFS zu akzeptieren.182 ff) Zur Bedeutung der Freiwilligkeit der Teilnahme Die soeben konstatierte öffentlich-rechtliche Unverbindlichkeit der Entscheidung der EFS gegenüber dem Anbieter könnte als relativiert angesehen werden, weil die KJM bei lebensnaher Betrachtung kaum einmal ein Angebot, das von einer EFS beanstandet wurde, als zulässig erachten würde. Hier ist aber der Aspekt der Freiwilligkeit einer Teilnahme, der anlässlich des Vergleichs mit den benannten Stellen im Produktsicherheitsrecht183 schon angesprochen wurde, entscheidend hervorzuheben: Dem Anbieter verbleibt immer die Möglichkeit, erst gar nicht an die EFS heranzutreten. Es ist nicht ersichtlich, dass er dadurch im Einzelfall eine schlechtere Behandlung durch die KJM erfahren würde (rein faktisch bestünde zugunsten des Anbieters sogar eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass ein ggf. unzulässiges Angebot von der KJM in der Masse der Angebote womöglich schwerer entdeckt wird). Würde die KJM an einen Anbieter, der nicht mit einer EFS kooperiert, strengere materielle Maßstäbe anlegen, so wäre dies rechtswidrig. Wenn aber der Anbieter freiwillig mit einer EFS kooperiert, da er sich davon in der Gesamtbetrachtung eine bessere Lage verspricht, so wird diese freiwillige Kooperation nicht dadurch zur hoheitlichen Freiheitsbeschränkung, dass im Rahmen dieser Kooperation im Einzelfall ein Nachteil für den Anbieter – und zwar in Form einer negativen Prüfentscheidung – entstehen kann. 4. Schlussfolgerung Auch wenn viele der bisher in der Literatur vorgebrachten Begründungen angreifbar sind, so ist im Ergebnis zutreffend, dass die anerkannten EFS – abgesehen von der Ausnahme hinsichtlich der §§ 8, 9 Abs. 1 JMStV – keine Beliehenen sind.184 Dies ist die Konsequenz aus den Prämissen der Befugnistheorie und be180 Insoweit völlig zustimmungswürdig Mynarik, Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien, S. 141. 181 So aber wohl die andere Ansicht von Retzke, Präventiver Jugendmedienschutz, S. 212 ff., die dies vor allem auf die vom JMStV verwendeten Worte „Vorgaben“ und „befassen“ stützt. 182 Ullrich, ZUM 2005, S. 452, 456; vgl. auch Ullrich, MMR 2005, S. 743, 744. 183 Siehe Seite 122 ff.
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4. Teil: Verwaltungsrechtliche Einordnung des Verfahrens des JMStV
gründet sich vor allem aus der fehlenden Verbindlichkeit der Entscheidung der anerkannten EFS und der fehlenden Verpflichtung der Anbieter zur Kooperation mit einer EFS.
C. Das Verfahren des JMStV als ein Fall der Privatisierung I. Zu den verschiedenen Formen der Privatisierung Da die anerkannten EFS eine neuartige Form der Einbindung Privater bilden, liegt die Frage auf der Hand, inwiefern sich das mit ihnen verbundene Verfahren als ein Fall der Privatisierung einordnen lässt. Die Beantwortung dieser Frage gestaltet sich jedoch bereits deshalb schwierig, weil trotz (oder gerade wegen) der alltäglichen Omnipräsenz des Wortes „Privatisierung“ als Rechtsbegriff wenig konturenstark185 ist. Unter diesem Vorbehalt können unter dem Oberbegriff der Privatisierung zunächst alle Umverteilungsprozesse vom öffentlichen in den privaten Sektor subsumiert werden.186 Allerdings darf das Stichwort der „Umverteilung“ nicht dahingehend missverstanden werden, dass die Einbindung Privater eine ausschließlich neumodische Erscheinung bildete. Vielmehr gehört es zu den seit jeher bedeutsamen Modi hoheitlicher Aufgabenwahrnehmung, dass Private für deren Zweck abgestuft instrumentalisiert werden.187 Gemeinhin werden dabei vier Formen der Privatisierung unterschieden,188 nämlich die formelle,189 die funktionale und die materielle Privatisierung sowie die Vermögensprivatisierung190 (wobei letztere für die vorliegende Untersuchung ohne Bedeutung ist). Formelle Privatisierung liegt vor, wenn der Verwaltungsträger eine 184 Peter M. Huber in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band III (im Ersch.), § 45, Rn. 168 einerseits und Rn. 207 andererseits setzt eine differenzierte Einordnung der EFS offenbar ebenfalls voraus, nachdem er sie einerseits als Fall der Beleihung und andererseits als Fall der Eigenüberwachung (in Abgrenzung zur Beteiligung Privater an staatlicher Überwachung) einordnet. 185 Voßkuhle in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band I, § 1, Rn. 58. 186 Voßkuhle in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band I, § 1, Rn. 58. 187 Schulze-Fielitz in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band I, § 12, Rn. 104. 188 Schulze-Fielitz in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band I, § 12, Rn. 108. 189 Die formelle Privatisierung wird auch Organisationsprivatisierung genannt, vgl. Peter M. Huber, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 165. 190 Die Vermögensprivatisierung wird auch Finanzierungsprivatisierung genannt, vgl. Peter M. Huber, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 167.
C. Das Verfahren als ein Fall der Privatisierung
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juristische Person des Privatrechts bildet, die fortan zur Wahrnehmung bestimmter Aufgaben an seine Stelle tritt, er jedoch deren Träger bleibt, so dass er sich nicht seiner Aufgabe entledigt, sondern lediglich die Rechtsform wechselt.191 Funktionale Privatisierung bedeutet, dass Teilbeiträge von der umfassenden staatlichen Erfüllungsverantwortung abgespalten und Privaten anvertraut werden;192 auch hier entledigt sich der Verwaltungsträger also nicht seiner Aufgabe, sondern nimmt lediglich die Hilfe des privaten Verwaltungshelfers193 in Anspruch, so dass sich für das Verwaltungsrechtsverhältnis zwischen Behörde und Bürger regelmäßig keine Veränderung ergibt.194 Eine Aufgabenentledigung erfolgt nur durch die materielle Privatisierung;195 der Staat überlässt dann die Erledigung der davon erfassten, bislang von ihm wahrgenommenen Aufgaben völlig den Privaten und greift allenfalls im Rahmen polizeirechtlicher Überwachung und wettbewerbsrechtlicher Regulierung ein.
II. Einordnung des Verfahrens des JMStV Die soeben erfolgte genaue Untersuchung des Modells der anerkannten EFS hat gezeigt, dass diese in der Sonderkonstellation gem. §§ 8, 9 Abs. 1 JMStV Beliehene sind. Beliehene bilden einen Unterfall der formellen Privatisierung.196 Im Regelfall sind die EFS jedoch nicht als Beliehene einzustufen, so dass sich ihre Einordnung in die überkommenen Formen der Privatisierung als schwieriger erweist. Ein klassischer Fall funktionaler Privatisierung liegt nicht vor, weil die EFS keinen unmittelbaren Teilbeitrag zur Tätigkeit der KJM leisten, sondern parallel und selbständig gegenüber den Anbietern auftreten. Doch auch gegenüber der typischen Form materieller Privatisierung bestehen Unterschiede, da sich die hoheitlich handelnde KJM nicht auf die Kontrolle der EFS beschränkt, sondern den Anbietern immer noch unmittelbar gegenübertritt (die KJM ist lediglich in den Fällen, in denen zuvor eine anerkannte EFS tätig war, in ihrem Kontrollmaßstab beschränkt).
Peter M. Huber, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 165. Burgi in: Erichsen / Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht (13. Auflage), § 9, Rn. 31. 193 Burgi in: Erichsen / Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht (13. Auflage), § 9, Rn. 32 trifft die anschauliche Einordnung, nach der die Figur, die „als Ergebnis funktionaler Privatisierung tätig ist“, als Verwaltungshelfer zu bezeichnen ist. 194 Peter M. Huber, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 166. 195 Schulze-Fielitz in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band I, § 12, Rn. 112. 196 Vgl. Burgi in: Erichsen / Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht (13. Auflage), § 9, Rn. 25. – Interessant, aber ohne Einfluss auf die hier vorzunehmende Kategorisierung, ist die Beschreibung von Burgi, NVwZ 2007, S. 382, 384, nach der es sich bei der Beleihung weniger um eine Privatisierung staatlicher Funktionen als vielmehr um eine Verstaatlichung des beliehenen Privaten handelt. 191 192
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4. Teil: Verwaltungsrechtliche Einordnung des Verfahrens des JMStV
Dieses Bild eines „Grenzfalls“197 passt zur Einordnung des Modells der regulierten Selbstregulierung, die generell in der Nähe der Aufgabenprivatisierung steht, ohne ihr letztlich untergeordnet werden zu können.198 Denn die gesellschaftlichen Kräfte, die bei regulierter Selbstregulierung tätig werden, sind nicht „schlicht gesellschaftlich“, 199 sondern sind in einen staatlich gesetzten Rahmen eingepasst bzw. agieren auf rechtlicher Grundlage. Andererseits ist die funktionale Privatisierung typischerweise ein Instrument imperativer Regulierung200 (die gerade das Gegenstück zur regulierten Selbstregulierung bildet). Die gesellschaftlichen Kräfte, die bei regulierter Selbstregulierung aktiv werden, sind im Unterschied zum Verwaltungshelfer bei ihrem Tätigwerden gerade nicht funktional auf eine Staatsaufgabe bezogen.201 Die Erkenntnis, dass sich weder die regulierte Selbstregulierung im Allgemeinen noch ihre Ausformung im JMStV im Besonderen in eine der überkommenen vier klassischen Formen der Privatisierung einordnen lassen, bildet im Ergebnis jedoch weder ein Problem noch eine Einmaligkeit. Anders als das Modell der vier Idealtypen der Privatisierung unterstellt, ist die Realität der Privatisierungsprozesse generell weit vielfältiger.202 Insbesondere eignen sich alle Grundmodelle auch für bloße Teilprivatisierungen; dies gilt selbst für die materielle Privatisierung, wenn insofern Private nur partiell mit der Aufgabenerfüllung betraut werden.203
D. Das Verfahren des JMStV als ein Fall der Überwachung I. Zur Dichotomie von Überwachung und Aufsicht „Überwachung“ und „Aufsicht“ werden im allgemeinen Sprachgebrauch, mitunter auch in juristischem Schrifttum sowie in der Rechtsprechung synonym ver197 Schulze-Fielitz in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band I, § 12, Rn. 81. 198 Burgi in: Erichsen / Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht (13. Auflage), § 9, Rn. 37 ist so zu verstehen: „. . .ein breites Teilspektrum im Zusammenhang mit Aufgabenprivatisierung [wird] zunehmend mit dem Begriff ,regulierte Selbstregulierung‘ umschrieben.“ 199 Vgl. Burgi in: Erichsen / Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht (13. Auflage), § 9, Rn. 37. 200 Eifert in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band I, § 19, Rn. 40 scheint dies vorauszusetzen. 201 Burgi in: Erichsen / Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht (13. Auflage), § 9, Rn. 37. 202 Schulze-Fielitz in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band I, § 12, Rn. 113. 203 Schulze-Fielitz in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band I, § 12, Rn. 113.
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wandt – als Rechtsbegriffe sind sie dennoch zu unterscheiden.204 Hintergrund der vermeintlichen Überlappung ist ein überkommenes etatistisches Aufsichtsverständnis, das ein Subordinationsverhältnis voraussetzt, wie es unter Geltung des Grundgesetzes zwischen Staat und Privaten jedoch nicht (mehr) angenommen werden kann.205 Die kategoriale, rechtsfolgenerhebliche Unterscheidung zwischen gemeinwohlverpflichteten, kompetenzgebundenen Trägern öffentlicher Gewalt einerseits und freitheitsberechtigten Privaten andererseits würde durch einen derart weiten Aufsichtsbegriff missachtet.206 Das Handeln des Privaten ist a priori legitim, dessen Einschränkung stets rechtfertigungsbedürftig.207 Die Aufsicht ist daher in einem sich daraus ergebenden engeren Verständnis als Instrument zur Steuerung eines komplexen staatlichen Aufbaus zu definieren, der Einsatz ihrer Instrumente ist eingeordnet im Rechtsverhältnis (u. a.) des Staates und seiner „Trabanten“.208 Dagegen ist die Überwachung als staatliche Kontrolle und Berichtigung privater Teilnehmer am Rechts- und Wirtschaftsverkehr, ggf. unter Anwendung von Verwaltungszwang, zu definieren.209 Aufsicht ist also Korrelat der Autonomie freier Verwaltungskörper, Überwachung dagegen Korrelat der Freiheit der Privaten.210 Deshalb besteht eine Dichotomie von Aufsicht und Überwachung.211 Den Oberbegriff bildet – trotz bestehender Uneinheitlichkeit in der Terminologie – die „Kontrolle“ (unter der generell die Prüfung und Beanstandung eines Geschehens aus der Distanz des Unbeteiligten zu verstehen ist).212 Das bedeutet anders gewendet: Die Kontrolle Privater bildet das Proprium der Überwachung.213 Überwachung als traditionelle Institution des rechtsstaatlich geprägten Verwaltungsrechts erscheint daher zu Unrecht gelegentlich als aus der Mode gekommen, sie bildet bei genauerem Hinsehen eine, wenn nicht gar die zentrale Aufgabe der Verwaltung.214 Insofern ist die Überwachung Privater mit dem Ziel, die Einhaltung Gröschner, Überwachungsrechtsverhältnis, S. 46. Gröschner, Überwachungsrechtsverhältnis, S. 334 f. 206 Peter M. Huber in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band III (im Ersch.), § 45, Rn. 23. 207 Peter M. Huber in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band III (im Ersch.), § 45, Rn. 22. 208 Peter M. Huber in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band III (im Ersch.), § 45, Rn. 24 und 27. 209 Peter M. Huber in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band III (im Ersch.), § 45, Rn. 6 (Hervorhebung nicht im Original). 210 Gröschner, Überwachungsrechtsverhältnis, S. 46 ff. 211 Peter M. Huber in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band III (im Ersch.), § 45, Rn. 30. 212 Vgl. Peter M. Huber in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band III (im Ersch.), § 45, Rn. 38 m. w. N. 213 Peter M. Huber in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band III (im Ersch.), § 45, Rn. 5 (Hervorhebung nicht im Original). 214 Peter M. Huber in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band III (im Ersch.), § 45, Rn. 220 f. (Hervorhebung nicht im Original). 204 205
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ihrer öffentlich-rechtlichen Pflichten sicherzustellen, an sich Aufgabe gerade des Staates – trotzdem erfolgt sie vielfach und vielgestaltig unter Beteiligung Privater.215 Diese Beteiligung bildet häufig einen Beitrag zur Regelüberwachung;216 der sogleich näher zu untersuchende Medienbereich dürfte hierfür geradezu prototypisch sein, nachdem die staatlichen Überwachungsinstitutionen angesichts der explosionsartig gestiegenen Zahl medialer Angebote strukturell fast nur noch zu einer Anlassüberwachung befähigt sind, so dass die kontinuierliche Begleitung der Anbieter durch private Institutionen besondere Vorteile verspricht.
II. Einordnung des Verfahrens des JMStV Im Bereich der elektronischen Medien herrscht in Deutschland das so genannte „duale System“, die Anbieter sind also teilweise öffentlich-rechtlich, teilweise privatrechtlich organisiert.217 Dementsprechend bedarf es bezüglich der Kontrolle der Medien einer besonders sorgfältigen Differenzierung: Die Kontrolle der öffentlichrechtlichen Rundfunkanstalten218 ist Aufsicht, da sie Träger der mittelbaren Staatsverwaltung sind – der Umstand, dass sie in gewissem Umfang auch Grundrechtsträger der Rundfunkfreiheit gem. Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Var. 2 GG sind,219 ändert daran nichts.220 Die Kontrolle privater Anbieter durch Verwaltungsträger ist dagegen ein klassisches Referenzgebiet der Überwachung221 – der Umstand, dass die Rundfunkfreiheit über das bloße Abwehrrecht hinaus auch ein objektives Prinzip beinhaltet,222 ändert daran nichts. Es bleibt insofern bei der Dichotomie von Überwachung und Aufsicht. Bei der jugendschutzrechtlichen Überwachung privater Anbieter nach dem JMStV ist in der Folge noch weiter zu differenzieren: Die EFS sind auch nach einer Anerkennung gem. § 19 Abs. 3 JMStV private Subjekte, so dass sie grundsätzlich Objekte der Überwachung, nicht der Aufsicht sind. Auch wenn der Staat die private Kontrolle anderer Privater regulatorisch aus215 Vgl. Peter M. Huber in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band III (im Ersch.), § 45, Rn. 71 einerseits und Rn. 162 ff. andererseits. 216 Peter M. Huber in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band III (im Ersch.), § 45, Rn. 107; zur Differenzierung zwischen Regelund Anlassüberwachung Rn. 104 f. 217 Vgl. Starck in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Band 1, Art. 5, Rn. 114 ff. 218 Näher zur jugendschutzrechtlichen Kontrolle im öffentlich-rechtlichen Rundfunk siehe Seite 103. 219 Starck in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Band 1, Art. 5, Rn. 125 m. w. N. 220 Peter M. Huber in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band III (im Ersch.), § 45, Rn. 32. 221 Peter M. Huber in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band III (im Ersch.), § 45, Rn. 54. 222 Vgl. Starck in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Band 1, Art. 5, Rn. 8 ff. m. w. N.
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gestaltet, vollzieht sich die daraus folgende Kontrolle der privaten Kontrolleure grundsätzlich in den klassischen ordnungsrechtlichen Strukturen, weil der Staat die Privaten materiellen Anforderungen unterwirft, deren Einhaltung er hoheitlich kontrolliert.223 Etwas anders gilt nur in der Sondersituation der §§ 8, 9 Abs. 1 JMStV, in der in den EFS Beliehene zu erkennen sind, die ihrerseits hoheitlich handeln und insofern auf die Seite des Staates treten. Ausschließlich in diesem Fall ändert sich das Rechtsverhältnis von KJM und EFS und wird zur Aufsicht, wie sie beim Beliehenen im Rahmen seiner Tätigkeit als solcher prinzipiell anzunehmen ist.224 Denn Aufsicht über Private kommt nur in Betracht, wenn sie der staatlichen Sphäre dergestalt zugeordnet sind, dass sie die Befugnis zur Erfüllung von Verwaltungsaufgaben gegenüber Dritten übertragen bekommen haben.225 Insgesamt ist also eine Doppelnatur der anerkannten EFS zu konstatieren: Im Ausnahmefall der Beleihung sind sie an staatlicher Überwachung beteiligte Private, im Regelfall aber bilden sie einen Fall privater Kontrolle.226 Die Anbieter von Medien sind (außerhalb des öffentlich-rechtlichen Rundfunks) stets Private, daher sind sie niemals Objekt der Aufsicht. Dies gilt nach den aufgezeigten allgemeinen Grundsätzen im Verhältnis zur KJM, erst recht im Verhältnis zu den privaten EFS, und zwar unabhängig davon, ob diese als Beliehene agieren oder nicht. Die letztgenannte Unterscheidung ist aber bedeutend für die zutreffende Einordnung der verschiedenen Rechtsverhältnisse der Anbieter als Überwachung: Zwischen Anbieter und KJM ist ohne weiteres ein Überwachungsrechtsverhältnis227 anzunehmen. Gleiches gilt für das Rechtsverhältnis zwischen Anbieter und anerkannten EFS, wenn diese im Ausnahmefall als Beliehene, also in hoheitlicher Form handeln. Das regelmäßige Rechtsverhältnis zwischen einem Anbieter und einer anerkannten EFS ist jedoch abweichend hiervon zu beurteilen: Dessen Basis bildet nämlich ausschließlich eine privatrechtliche (vereinsoder werkvertragsrechtliche) Verpflichtung, die rein freiwillig eingegangen und vom Gesetz lediglich durch die Modifizierung des Überwachungsmaßstabs der KJM privilegiert wird, so dass nur noch ein denkbar loser Bezug zur Staatsaufgabe der Überwachung besteht.228
223 Eifert in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band I, § 19, Rn. 91 f. 224 Vgl. Peter M. Huber in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band III (im Ersch.), § 45, Rn. 30. 225 Peter M. Huber in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band III (im Ersch.), § 45, Rn. 147. 226 Vgl. Peter M. Huber in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band III (im Ersch.), § 45, Rn. 168 einerseits und Rn. 207 andererseits. 227 Vgl. Gröschner, Überwachungsrechtsverhältnis, passim zu diesem Begriff. 228 Peter M. Huber in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band III (im Ersch.), § 45, Rn. 201.
Fünfter Teil
Die herkömmliche Rechtsfigur des Beurteilungsspielraums zugunsten der Verwaltung Bevor die neuartige Rechtsfigur des Beurteilungsspielraums zugunsten Privater durchdrungen werden kann, ist in einem vorhergehenden Schritt die herkömmliche Rechtsfigur des Beurteilungsspielraums zugunsten der Verwaltung isoliert, also gerade ohne Bezug zum JMStV abzuklären. Nach einer ersten überblicksartigen Verortung der Problematik (dazu A.) und der Vorstellung der normativen Ermächtigungslehre als der herrschenden Meinung (dazu B.) kann eine vertiefte Auseinandersetzung stattfinden. Die Auswertung der Rechtsprechung insbesondere zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit von Beurteilungsspielräumen erweist sich dabei im Ergebnis als nicht weiterführend (dazu C.), daher kommt der in der Wissenschaft stattfindenden Auseinandersetzung verstärkte Bedeutung zu, in deren Rahmen vielgestaltige Kritik geübt wird und die ihr bedeutendstes normatives Gravitationszentrum in Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG findet; insgesamt ist aus ihr die Erkenntnis zu gewinnen, dass die herrschende Lehre zwar im Ergebnis, nicht aber bezüglich der zumeist vorgebrachten Begründungen Zustimmung verdient (dazu D.), ebenso wenig der dabei verschiedentlich geübte Rückgriff auf die Grundrechte (dazu E.). Unter Zugrundelegung der normativen Ermächtigungslehre ist sodann zu klären, nach welchen Kriterien eine konkludent vorgenommene normative Ermächtigung identifiziert werden kann (dazu F.). Nach einer rechtspolitischen Bewertung der konstatierten Dogmatik (dazu G.) sind abschließend die Konsequenzen eines Beurteilungsspielraums zugunsten der Verwaltung zu nennen, über die – ganz im Gegensatz zu den vorhergehenden Fragen – weitgehende Einigkeit herrscht (dazu H.).
A. Hinführung Der Beurteilungsspielraum zugunsten der Verwaltung ist eine Rechtsfigur des Verwaltungsrechts, die sich in einer ersten, überblicksartigen Darstellung wie folgt erklärt:1 Rechtsnormen sind typischerweise konditional gefasste Anordnungen mit 1
Vgl. Voßkuhle, JuS 2008, S. 117, 118 mit kompaktem Problemaufriss.
A. Hinfu¨hrung
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einer zweigliedrigen Struktur; soweit sich ein konkreter Lebenssachverhalt unter den abstrakten Tatbestand einer Norm subsumieren lässt, tritt die Rechtsfolge dieser Norm ein.2 Auf der Rechtsfolgenseite besteht ein so genanntes „Ermessen“ der Verwaltung, wenn das Gesetz nicht nur eine Rechtsfolge vorsieht, sondern der Verwaltung mehrere Möglichkeiten oder einen gewissen Handlungsbereich zur Verfügung stellt und sie ermächtigt, innerhalb dessen die Rechtsfolge selbst zu bestimmen.3 Die Rechtsposition des betroffenen Privaten gegenüber der Verwaltung ist dementsprechend schwächer, weil er nur über ein formelles subjektiv-öffentliches Recht auf eine ermessensfehlerfreie4 Entscheidung der Verwaltung verfügt.5 Auf der Tatbestandsseite können eindeutige Rechtsbegriffe vorhanden sein wie beispielsweise Zeit- oder Gewichtsangaben.6 Ebenso – und empirisch weit häufiger7 – sind dort unbestimmte Rechtsbegriffe8 vorzufinden wie beispielsweise „Zuverlässigkeit“ oder „Gemeinwohl“. Die praktische Notwendigkeit unbestimmter Rechtsbegriffe ist offensichtlich,9 denn dem Normgeber ist es naturgemäß nicht möglich, alle regelungsbedürftigen Fälle vorherzusehen, so dass er die Konkretisierung dem Normanwender – i. e. Verwaltung und Gerichtsbarkeit – überlassen muss. Ebenso offensichtlich10 ist es aber, dass bei der Anwendung von unbestimm2 Vgl. Peter M. Huber, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 121; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 7 Rn. 2. Zum Charakter von final konstruierten Normen im Zusammenhang mit der vorliegenden Problematik Ossenbühl in: FS Redeker, S. 55, 60. 3 Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 7, Rn. 7 (Hervorhebung wie im Original). 4 Zur Ermessensfehlerlehre siehe Seite 218. 5 Stern, Staatsrecht Band II, § 41 III 3 c . 6 So bereits Stern, Staatsrecht Band II, § 41 III 3 c m. w. N. Andere Ansicht Jestaedt in: Erichsen / Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht (13. Auflage), § 10, Rn. 24, der die Beispiele von Zeit- oder Gewichtsangaben nicht beachtet, so dass seine These, bestimmte Rechtsbegriffe zeichneten sich nicht durch eine qualitative Andersartigkeit, sondern lediglich durch ein geringeres „Maß an Vagheit“ aus, nicht überzeugen kann. 7 Peter M. Huber, ThürVBl 1999, S. 97, 107 ergänzt, dass unbestimmte Rechtsbegriffe in allen Rechtsgebieten vorkommen. 8 Hinsichtlich der Terminologie besteht hier Uneinigkeit: Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 7 Rn. 28 nimmt an, streng genommen müsse von „unbestimmten Gesetzesbegriffen“ die Rede sein, dass sich aber der Ausdruck des „unbestimmten Rechtsbegriffes“ eingebürgert habe und deshalb verwendet werden sollte; ähnlich bereits Bachof, JZ 1955, S. 97, 98. Andere Ansicht dagegen Achterberg, Allgemeines Verwaltungsrecht (2. Auflage 1986), S. 339, der die Bezeichnung „Gesetzesbegriff“ aus dogmatischen Erwägungen heraus ablehnt. Pache, Tatbestandliche Abwägung, S. 35, Fn. 126 macht zutreffend darauf aufmerksam, dass dies von der Vorfrage abhängt, ob die Konstruktion nur auf Begriffe in geschriebenen Gesetzen Anwendung finden soll. 9 Vgl. Peter M. Huber, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 121. – Pache, Tatbestandliche Abwägung, S. 35 macht über den Aspekt der praktischen Notwendigkeit hinaus darauf aufmerksam, dass die „grundsätzliche verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe durch den Gesetzgeber unbestritten“ sei. 10 Voßkuhle, JuS 2008, S. 117, 118.
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5. Teil: Beurteilungsspielraum zugunsten der Verwaltung
ten Rechtsbegriffen Schwierigkeiten letztlich unvermeidbar sind.11 Bei ihrer Anwendung können Zweifel und Meinungsstreitigkeiten unter den Beteiligten entstehen. Aus rechtlicher Sicht kann es nur eine zutreffende Entscheidung geben12 (zwar wird bereits dieser gedankliche Ausgangspunkt von einzelnen Stimmen des Schrifttums in Zweifel gezogen,13 trotzdem ist an ihm weiter festzuhalten, weil die Verwaltung auch bei möglichen Zweifeln zu einer bestimmten Entscheidung gelangen muss14). Doch auch wenn es nur eine richtige Entscheidung gibt, bleibt zweifelhaft, was richtig ist.15 In der Konsequenz stellt sich die Frage, inwiefern die Gerichtsbarkeit befugt ist, eine aufgrund eines unbestimmten Rechtsbegriffs getroffene Entscheidung der Verwaltung zu überprüfen.16 Allgemein anerkannt17 ist, dass die Gerichte keinesfalls in der Ermittlung des Sachverhalts beschränkt sind; nahezu18 allgemein19 anerkannt ist auch, dass ihnen die Auslegung von Rechtsvorschriften obliegt,20 weil die Interpretation generell-abstrakter RechtsnorPeter M. Huber, ThürVBl 1999, S. 97, 107 m. w. N. Peter M. Huber, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 130. Ähnlich Ossenbühl in: Erichsen / Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht (12. Auflage), § 10, Rn. 27. Vgl. auch BVerwGE 21, 184, 186: „Nach der vom Gesetzgeber getroffenen Regelung kann es aber nicht mehrere richtige, sondern nur eine richtige Entscheidung geben.“ 13 Ramsauer in: Festgabe BVerwG, S. 699, 704; Hain in: FS Starck, S. 35, 40 f. Differenzierend Bachof, JZ 1955, S. 97, 99; differenzierend auch Jestaedt in: Erichsen / Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht (13. Auflage), § 10, Rn. 21, Fn. 71. Vgl. schließlich Stern, Staatsrecht Band II, § 41 III 3 c , dessen im Jahre 1980 getroffener Befund, seine Auffassung sei „heute anerkannt“, aufgrund des vielgestaltigen Meinungsstands in der Literatur jedoch nicht überzeugen kann. 14 Schoch, Jura 2004, S. 612, 614 (Hervorhebung nicht im Original). 15 Vgl. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 7 Rn. 29 (Hervorhebung auch im Original). 16 Vgl. Peter M. Huber, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 129. 17 Pache, Tatbestandliche Abwägung, S. 45 ist zwar inhaltlich darin zuzustimmen, dass es sich unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten nicht rechtfertigen lasse, einen Beurteilungsspielraum der Verwaltung auch auf die Sachverhaltsermittlung zu erstrecken, weil der Gesetzgeber die Verwaltung nur für den Fall des Vorliegens der Tatbestandsmerkmale einer Norm ermächtigt hat, überhaupt gegenüber dem Bürger zu handeln. Nicht zustimmungswürdig ist jedoch die Darstellung, Gegenteiliges würde in der Literatur überhaupt vertreten: Namentlich ist dies entgegen Pache, a. a. O., Fn. 184 nicht den Ausführungen von Wilke in: Merten, Gewaltentrennung, S. 135, 139 zu entnehmen; auch der Hinweis auf Kopp, VwGO (10. Auflage 1994), § 114, Rn. 24c, überzeugt nicht, weil sich daraus eine derartige Auffassung zumindest nicht klar entnehmen lässt, erst recht nicht aus der aktuellen 15. Auflage (2007) von Kopp / Schenke VwGO, § 114. 18 Andere Ansicht wohl Ramsauer, Festgabe BVerwG, S. 699, 721. Vgl. auch die weiteren Nachweise bei Schulze-Fielitz, JZ 1993, S. 772, 774, Fn. 42 sowie bei Pache, Tatbestandliche Abwägung S. 44, Fn. 176. – Wiederum anders Schenke Verwaltungsprozessrecht, Rn. 750, der davon ausgeht, in der Praxis lasse sich zwischen Subsumtion und Auslegung keine klare Trennlinie ziehen, so dass die Frage, auf was sich der Beurteilungsspielraum erstrecke, „zweitrangig“ sei. 19 So auch die Einschätzung von Pache, Tatbestandliche Abwägung, S. 43 und wohl ebenfalls von Schulze-Fielitz, JZ 1993, S. 772, 773. 11 12
A. Hinfu¨hrung
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men als reine Rechtsfrage21 keinesfalls eine genuine Verwaltungsfunktion, sondern originäre Funktion der Rechtsprechung22 ist. Als Kernfrage bleibt dementsprechend, ob die Gerichtsbarkeit befugt ist, eine im Einzelfall durch die Verwaltung vorgenommene Subsumtion zu überprüfen.23 Ursprünglich gestand die Rechtswissenschaft der Verwaltung einen Ermessensspielraum nicht nur auf der Rechtsfolgen-, sondern auch auf der Tatbestandsseite zu.24 Nach dem Ende von nationalsozialistischer Herrschaft und Zweitem Weltkrieg wurde die verwaltungsgerichtliche Kontrolle nachhaltig gestärkt, insbesondere durch die Rechtsschutzgarantie gem. Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG, durch die Trennung von Verwaltungsgerichten und Behörden sowie durch die verwaltungsgerichtliche Generalklausel.25 Parallel dazu entwickelte sich eine zunehmend deutliche Differenzierung zwischen den „Freiräumen“ der Verwaltung auf Tatbestandsund Rechtsfolgenseite, so dass sich daraus die Frage ergab, wie sich die gerichtliche Überprüfung auf der Tatbestandsseite gestalten solle.26 Bachof entwickelte dafür die Lehre vom Beurteilungsspielraum,27 nach welcher der Verwaltung zwar keine völlige Freiheit bei der Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe, jedoch unter bestimmten Voraussetzungen ein eigener Entscheidungsspielraum zusteht und die Gerichte in diesen Fällen darauf beschränkt sind, zu überprüfen, ob dessen Grenzen eingehalten wurden. (Im Ergebnis ähnlich28 haben Ule die Vertretbarkeitslehre29 und Wolff die Lehre von der Einschätzungsprärogative30 begründet,31 die jedoch keine vergleichbare Wirkkraft in Wissenschaft und Praxis entfalten 20 Schon Bachof, JZ 1955, S. 97, 101 formuliert deutlich: „Die Subsumtion, nicht die Auslegung lässt den Spielraum!“ (Hervorhebung wie im Original). 21 Pache, Tatbestandliche Abwägung, S. 44 unter Hinweis auf BVerfG, NJW 1987, S. 3175, 3176 sowie BVerwGE 72, 73, 77. 22 Papier in: Isensee / Kirchhof, HdBStR, Band VI, § 154, Rn. 63. Im Ergebnis übereinstimmend Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 7, Rn. 62, der vor allem auf die Vermeidung der Rechtszersplitterung durch die Rechtsprechung abstellt. 23 Peter M. Huber, Staatswissenschaften und Staatspraxis 1997, S. 423, 439 ff. bezieht die Fragestellung zusätzlich in Überlegungen zum Steuerungsverlust der Legislative ein. Wie hier Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 7 Rn. 29. Zur Einordnung der Problematik in den Themenkreis des Vorbehalts der Verwaltung Fingerhuth in: FS Kapoor, S. 235, 256. 24 Ramsauer in: Festgabe BVerwG, S. 699, 701. Überblick zur geschichtlichen Entwicklung bei Hoffmann-Riem in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band I, § 10, Rn. 71. 25 Vgl. Ibler, Rechtspflegender Rechtsschutz, S. 350 ff. 26 Vgl. zur historischen Entwicklung Ibler, Rechtspflegender Rechtsschutz, S. 350 ff. sowie Pache, Tatbestandliche Abwägung, S. 52 ff. 27 Bachof, JZ 1955, S. 97. 28 So die Bewertung von Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 7 Rn. 31. 29 Ule in: Gedächtnisschrift Jellinek, S. 309, passim. 30 Wolff, Verwaltungsrecht 1, 7. Auflage (1968), § 31 I c 4. 31 Vgl. zu der Entwicklung bis zu den 1950er-Jahren auch Schmieder, Risikoentscheidungen im Gentechnikrecht, S. 131 – 137.
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5. Teil: Beurteilungsspielraum zugunsten der Verwaltung
konnten.) Auch wenn sich die Lehre vom Beurteilungsspielraum im weiteren Verlauf anders entwickelte, als es Bachof ursprünglich vorschwebte,32 blieb sein berühmter Aufsatz (schon allein dessen Fundstelle „JZ 1955, S. 97“ verfügt über gewisse Prominenz) bis heute terminologisch und in wesentlichen inhaltlichen Fragen Ausgangspunkt der Diskussion. Obwohl sich die Literatur bis in die jüngste Zeit vielgestaltig mit dem Thema auseinandergesetzt hat,33 konnte sich bis heute keine einheitliche Auffassung herausbilden. Daher wird die Suche nach einer funktionsfähigen und verfassungsgemäßen Abgrenzung zu Recht als „Dauerthema“,34 „Dauerkontroverse“35 und „ewiger Streit“36 bezeichnet, der seit Jahrzehnten zu den ungelösten Problemen des Verwaltungsrechts gehört.37 Inhalt und Begründung des Beurteilungsspielraums sind weder im Allgemeinen noch im Besonderen geklärt.38 Aufgrund der daraus resultierenden Unklarheiten über die Wirkung der Rechtsfigur wurde der Beurteilungsspielraum sogar als (lediglich) „scheinbarer Rechtsbegriff“ bezeichnet.39 Bevor mit den weiter in diesem Teil der Untersuchung folgenden Ausführungen der „scheinbare Rechtsbegriff“ inhaltlich an Gestalt gewinnen soll, bedarf er in terminologischer Hinsicht noch einer Abgrenzung in zwei Richtungen, um sprachliche Missverständnisse zu vermeiden: Auf der einen Seite bestehen nahezu unüberschaubar viele Synonyme für den Beurteilungsspielraum zugunsten der Verwaltung, die teilweise deckungsgleich, teilweise übergreifender Natur sind oder auch spezielle Unterfälle umschreiben sollen.40 Zugunsten der besseren Übersichtlichkeit wird in dieser Arbeit ausschließlich das Wort Beurteilungsspielraum verwendet, auch dann, wenn ein Teil der verwendeten Quellen andere Bezeichnungen wählt, solange damit nicht zugleich inhaltliche Differenzen beschrieben werden. Auf der anderen Seite wird neben dem „Beurteilungsspielraum zugunsten der Verwaltung“ gelegentlich auch von einem „Beurteilungsspielraum des Gesetzgebers“ gesprochen, der die relative Freiheit der Legislative bei der Bewertung ungewisser Sachlagen beschreibt. In dieser Terminologie liegt an sich kein Fehler, sie böte aber im Rahmen dieser Arbeit überflüssigen Raum für Irritationen.41 Wenn32 Ramsauer in: Festgabe BVerwG, S. 699, 703, insbesondere mit Hinweis auf die Unterscheidung von „Wertbegriffen“ und „Erfahrungsbegriffen“, welche bei Bachof, JZ 1955, S. 97, 99 ff. getroffen wird. 33 Dies belegt Grupp in: FS Blümel, S. 139, 140, Fn. 4 anschaulich, indem er über 50 Beiträge zum Thema aus jüngerer Zeit aufzählt. 34 Wahl, NVwZ 1991, S. 409, 409. 35 Geis, DÖV 1993, S. 22, 23. 36 Herdegen, JZ 1991, S. 747, 747. 37 Bamberger, VerwArch 2002, S. 217, 227. 38 Bamberger, VerwArch 2002, S. 217, 218. 39 Ibler, Rechtspflegender Rechtsschutz, S. 440. 40 Ibler, Rechtspflegender Rechtsschutz, S. 430 – 440 zeigt dies in besonders anschaulicher Weise.
B. Die normative Erma¨chtigungslehre
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gleich keine allgemeine Einigkeit über die Details der Begriffsabgrenzungen besteht,42 erscheint es vertretbar43 und zweckmäßig, hier stattdessen von einer empirischen „Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers“44 zu sprechen.
B. Die normative Ermächtigungslehre I. Grundlegender Inhalt Die maßgeblich45 von Schmidt-Aßmann46 geprägte normative Ermächtigungslehre ist – wenn auch mit Unterschieden im Einzelnen – die ganz herrschende Meinung47 in der aktuellen Literatur. Ihre grundsätzliche Idee ist dabei von bestechender Einfachheit.48 Die Verfassung gebiete den Gerichten, das Verhalten der Verwaltung grundsätzlich vollständig zu überprüfen. Die Verfassung lasse es aber zu, dass der einfache Gesetzgeber ausnahmsweise die letztverbindliche Entscheidung der Verwaltung zuweist,49 und dies führe ggf. zu einem Beurteilungsspielraum zu deren Gunsten.50 Sofern (wie nur sehr selten51) der einfache Gesetzgeber der Verwaltung nicht ausdrücklich einen Beurteilungsspielraum eingeräumt habe, sei durch Auslegung des einfachen materiellen 52 Rechts zu ermitteln, ob im Einzelfall eine solche Einräumung erfolgt sei.53 41 Vgl. aber z. B. jüngst Schulz et al, Computerspiele, S. 81 ff., wo beide Rechtsfiguren unter der gleichen Überschrift abgehandelt werden. 42 Grundlegend zur Terminologie im Bereich von Gestaltungsspielraum, Ermessen und Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers Meßerschmidt, Gesetzgebungsermessen, S. 234 ff. 43 Vgl. Meßerschmidt, Gesetzgebungsermessen, S. 940 f. 44 Meßerschmidt, Gesetzgebungsermessen, S. 926 ff. 45 Übereinstimmende Einschätzung u. a. von Schuppert, Verwaltungswissenschaft, S. 530, Ramsauer in: Festgabe BVerwG, S. 699, 706 und Pache, Tatbestandliche Abwägung, S. 69. 46 Schmidt-Aßmann in: Maunz / Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4, Rn. 180 ff. 47 Diese Einschätzung teilen u. a. Grupp in: FS Blümel, S. 139, 144 und Pache, Tatbestandliche Abwägung, S. 73 f. Voßkuhle, JuS 2008, S. 117, 119 spricht von einer „weitgehend konsentierten“ Lehre. 48 Vgl. zu den hier wiedergegebenen Inhalten stellvertretend Schmidt-Aßmann in: Maunz / Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4, Rn. 185 ff. Eine Aufzählung zahlreicher weiterer Vertreter der normativen Ermächtigungslehre findet sich bei Pache, Tatbestandliche Abwägung, S. 73 f. 49 Aufgrund der Einbeziehung der drei Akteure Gesetzgeber, Verwaltung und Verwaltungsgerichtsbarkeit wird auch von einer „dreipoligen“ Konstellation gesprochen, so z. B. Schmidt-Aßmann, VVDStRL Band 34 (1975), S. 221, 237. 50 Voßkuhle, JuS 2008, S. 117, 1 ordnet dies als „Kompromiss“ zwischen den Extrempositionen ein, nach denen ein Beurteilungsspielraum stets oder nie anzunehmen ist. 51 Eines der wenigen Beispiele bildet § 10 Abs. 2 Satz 2 Telekommunikationsgesetz (TKG). 52 Papier in: Isensee / Kirchhof, HdBStR, Band VI, § 154, Rn. 65 f. betont diese Verortung mit einem anschaulichen Vergleich: Im Sinne der normativen Ermächtigungslehre sei das
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5. Teil: Beurteilungsspielraum zugunsten der Verwaltung
Demnach ist die Unbestimmtheit des betroffenen Rechtsbegriffs keine hinreichende, sondern lediglich eine notwendige Bedingung für einen Beurteilungsspielraum;54 der „Grad“ der Unbestimmtheit eines Rechtsbegriffes bildet dagegen keinen entscheidenden Anknüpfungspunkt.55 Als Indizien für das Vorliegen eines Beurteilungsspielraums werden zum Beispiel besondere Stellung, Organisation und Arbeitsweise der betrauten Verwaltungsstelle vorgeschlagen. Auch werden von einigen Vertretern der normativen Ermächtigungslehre funktionell-rechtliche Überlegungen der Gewaltenteilung zwischen Exekutive und Judikative angestellt, die eine wichtige Indizfunktion bei der Auslegung eines Gesetzes haben sollen.56
II. Fallgruppen In Lehre und Rechtsprechung haben sich bestimmte Fallgruppen herausgebildet, hinsichtlich derer – bei vielfältigen Differenzen im Detail – im Ergebnis relativ weitgehende Einigkeit herrscht, dass ein Beurteilungsspielraum zugunsten der Verwaltung besteht.57 Diese Fallgruppen können sowohl durch die gegenständliche Benennung der geregelten Lebensbereiche als auch systematisch gebildet werden.58 Eine Differenzierung nach Sachgebieten orientiert sich zumeist an der Rechtsprechung, weil diese in einigen Lebensbereichen Beurteilungsspielräume anerkannt hat,59 namentlich Prüfungs- und prüfungsähnliche Entscheidungen, materielle Recht und nicht das Prozessrecht entscheidend, ebenso wie das Ermessen durch das materielle Recht und nicht durch § 114 Satz 1 VwGO eingeräumt werde. 53 Auf den ersten Blick von größerer Komplexität, jedoch im Ergebnis unproblematisch sind sog. Koppelungsvorschriften, vgl. Pache, Tatbestandliche Abwägung, S. 49 f. sowie Brunner, Jugendmedienschutzrecht, S. 49 f. Vgl. zu dem primär im Atom- und Umweltrecht entwickelten sog. funktionsrechtlichen Ansatz, der teils als eigenständiges Institut, teils als Unterfall der normativen Ermächtigungslehre konstruiert wird, die ausführliche Darstellung bei Pache, Tatbestandliche Abwägung, S. 76 – 108. 54 Zutreffend Wittig, Beurteilungsspielräume, S. 30. – Der anderen Ansicht von Ossenbühl DVBl. 1974, S. 309, 310 f. (ähnlich Schmidt-Aßmann in: Maunz / Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4, Rn. 18), die Unbestimmtheit eines Rechtsbegriffes sei völlig belanglos, ist somit zu widersprechen, weil ein Beurteilungsspielraum jedenfalls dann ausgeschlossen ist, wenn ein Rechtsbegriff völlig bestimmt ist (z. B. bei Gewichts- oder Zeitangaben); Wittig, Beurteilungsspielräume, S. 30 stellt insofern zu Recht die rhetorische Frage, worauf sich ein „Spielraum“ denn sonst beziehen sollte, wenn nicht auf einen unbestimmten Begriff. 55 Die von Jestaedt in: Erichsen / Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht (13. Auflage), § 10, Rn. 20 formulierte Kritik geht an diesem Punkt ins Leere, da er der herrschenden Lehre zu Unrecht unterstellt, sie weise dem unbestimmten Rechtsbegriff eine „Hauptrolle“ zu. 56 Vgl. Peter M. Huber, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 133: „Archimedischer Punkt [ . . . ] ist das Verhältnis von Verwaltung und Verwaltungsgerichtsbarkeit“. Nach Pache, Tatbestandliche Abwägung, S. 108 kommt dieser Überlegung eine wichtige, aber keine hinreichende Indizfunktion zu. 57 Pache, Tatbestandliche Abwägung, S. 120. 58 Diese präzise und überzeugende Differenzierung findet sich bei Pache, Tatbestandliche Abwägung, S. 125.
B. Die normative Erma¨chtigungslehre
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beamtenrechtliche Beurteilungen, Entscheidungen von weisungsfreien und / oder mit Sachverständigen besetzten Ausschüssen, Prognose- und Risikoentscheidungen im Umwelt- und Technikrecht sowie verwaltungspolitische Entscheidungen.60 Etwas unübersichtlicher sind die verschiedenen Vorschläge für (mehr oder weniger) abstrakte Systematisierungen, zumal diese bereits terminologisch fließende Übergänge zu den soeben aufgezählten (mehr oder weniger) konkreten Sachgebieten aufweisen. Als Beispiel seien Wolff / Bachof / Stober / Kluth genannt, die Beurteilungsspielräume wie folgt einteilen: Entscheidungen mit Prognosespielraum, Entscheidungen über die Eignung von Personen, höchstpersönliche Fachurteile sowie Entscheidungen durch unabhängige sachverständige Gremien mit gruppenpluraler bzw. gesellschaftlicher Repräsentanz.61 Beaucamp systematisiert dagegen in folgender Weise: Besonders starke Wertungsabhängigkeit, besonderen Sachverstand erfordernde Komplexität, Notwendigkeit einer Prognose, planerische Entscheidungen, Entscheidungen durch verwaltungsexterne, pluralistisch besetzte Gremien sowie die tatsächliche Unmöglichkeit einer gerichtlichen Rekonstruktion der Verwaltungsentscheidungen.62 Rennert wiederum beschränkt seine Unterteilung auf folgende Elemente: administrative Gestaltungsfreiheit, Funktionsgrenzen der Rechtsprechung und weisungsfreie Kollegialorgane.63 Eine vollständige Aufzählung weiterer Systematisierungsversuche kann ebenso unterbleiben wie eine Entscheidung zwischen diesen, weil davon keine grundsätzlich neuen Erkenntnisse für das Verständnis des Beurteilungsspielraums zu erwarten wären.64 Derartige Typologien markieren weder ein exaktes noch ein im Detail verlässliches Arbeitsinstrumentarium, weil sie keine abschließende Aufzählung vorhandener (oder gar möglicher) Beurteilungsspielräume bilden, nachdem dem Gesetzgeber die Schaffung einer von jeder bestehenden Typologie abweichenden normativen Ermächtigung freisteht.65 Sie können zwar als erste, grobe Orientierungshilfe dienen, vermögen jedoch nichts darüber hinaus zu leisten, insbesondere erübrigen sie nicht die Rückführung des Beurteilungsspielraums auf eine konkrete normative Ermächtigung.66 59 Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 7 Rn. 37 – 42 mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung. 60 Eine nähere Beschreibung jeder dieser Fallgruppen bietet Pache, Tatbestandliche Abwägung, S. 128 – 144 m. w. N. Ausführlich zur Entwicklung der Fallgruppe des Prüfungsrechts in der Rechtsprechung Ibler, Rechtspflegender Rechtsschutz, S. 359 – 372. 61 Wolff / Bachof / Stober / Kluth, Verwaltungsrecht I, § 31, Rn. 23 ff. 62 Beaucamp, JA 2002, S. 314, 316, der jedoch im Ergebnis diese Beurteilungsspielräume weitgehend nicht anerkennen möchte. – Kritisch dazu Schoch, Jura 2004, S. 612, 616. 63 Rennert in: Eyermann, VwGO, § 114, Rn. 59 ff. 64 Überzeugend Pache, Tatbestandliche Abwägung, S. 126 f. 65 Jestaedt in: Erichsen / Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht (13. Auflage), § 10, Rn. 46. 66 Jestaedt in: Erichsen / Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht (13. Auflage), § 10, Rn. 46 m. w. N.
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5. Teil: Beurteilungsspielraum zugunsten der Verwaltung
Auf die Bildung von Fallgruppen wird jedoch noch zurückzukommen sein, soweit sie den Anlass für prinzipielle Kritik an der normativen Ermächtigungslehre bilden (dazu D.II.)67 und soweit deren jeweilige konkrete Leistungsfähigkeit als Auslegungskriterium für die Identifizierung konkludenter einfach-gesetzlicher Ermächtigungen zu bewerten ist (dazu F.I.).68
C. Die Rechtsprechung zur Verfassungsmäßigkeit des Beurteilungsspielraums und ihre Bedeutung für die normative Ermächtigungslehre I. Hinführung Wie bereits angedeutet, beruht die normative Ermächtigungslehre in verfassungsrechtlicher Hinsicht auf zwei wesentlichen Grundannahmen: Erstens bestehe ein verfassungsrechtlicher Grundsatz, nach dem Verwaltungsentscheidungen gerichtlich vollumfänglich zu überprüfen seien, zweitens sei dieser Grundsatz Ausnahmen auf einfachgesetzlicher Basis zugänglich. In der rechtswissenschaftlichen Literatur wird die Rechtsprechung von Bundesverfassungsgericht und Bundesverwaltungsgericht als zentrale69 – häufig sogar als alleinige70 – Stütze dieser beiden verfassungsrechtlichen Thesen herangezogen. Selbst monographische Werke zum Thema gehen bei bestimmten „Knackpunkten“ nicht darüber hinaus, Aussagen höchstrichterlicher Entscheidungen wiederzugeben, die ihrerseits ohne nähere Begründung getroffen wurden.71 Wie aber nun zu zeigen ist, verfügt weder die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (dazu II.) noch jene des Bundesverwaltungsgerichts (dazu III.) über die notwendige Konsistenz,72 die einen solchen Stellenwert in der wissenschaftlichen Aufarbeitung rechtfertigen könnte, so dass es in der Konsequenz einer eigenständigen Herleitung bedarf (dazu IV.), wie sie im anschließenden Abschnitt dieser Arbeit erfolgen soll (dazu D.).
Siehe Seite 159 ff. Siehe Seite 202 ff. 69 Besonders deutlich zeigt sich dies beispielsweise bei Schmidt-Aßmann in: Maunz / Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4, Rn. 180 ff. 70 Vgl. z. B. Jarass in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 19, Rn. 63. 71 Stellvertretend Pache, Tatbestandliche Abwägung, S. 462, dort Abschnitt 3, Absatz 2 und 3 bei der Wiedergabe von BVerfGE 88, 40, 56 und weiteren Entscheidungen. 72 So auch die Wortwahl von Ossenbühl in: FS Redeker, S. 55, 69. 67 68
C. Verfassungsma¨ßigkeit des Beurteilungsspielraums
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II. Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 1. Vorbemerkung zur Darstellung Vorangestellt werden soll zunächst der Hinweis, dass sich in der folgenden Aufzählung von verfassungsgerichtlichen Entscheidungen manche Aspekte wiederholen, vor allem aber, dass einige der Entscheidungen keinen weiterführenden Bezug zur Frage des Beurteilungsspielraums aufweisen. Die entsprechenden Fundstellen wurden hier trotzdem aufgenommen, weil sie im Zusammenhang mit dem Beurteilungsspielraum von Vertretern der Literatur73 und sogar vom Bundesverfassungsgericht74 zitiert werden. Dies ist insbesondere bei Entscheidungen der Fall, in denen lediglich die Stichworte „Beurteilungsspielraum“ oder „effektiver Rechtsschutz“ fallen, es aber um inhaltlich abweichende Fragestellungen geht.75 Der ungewöhnlich große Umfang der Aufzählung und die damit unvermeidlich einhergehenden Längen wurden zur Aufdeckung dieser potentiellen Fehlerquellen in Kauf genommen. Denn gerade dann, wenn die Inhalte der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts nicht aus ihrem jeweiligen konkreten Zusammenhang herausgerissen und nicht auf bloße Schlagworte reduziert werden, zeigen sich die Widersprüchlichkeiten in Kasuistik und deren Rezeption. Inhaltlich lassen sich in der Rechtsprechung zwei Phasen unterscheiden. In der früheren Phase bis einschließlich der 1970er-Jahre ging das Bundesverfassungsgericht stets davon aus, dass das Gebot des effektiven Rechtsschutzes gem. Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG das Gebot beinhalte, Verwaltungsentscheidungen vollumfänglich zu überprüfen. Von konkreten Ausnahmen oder der abstrakten Ausnahmefähigkeit ist in keiner einzigen (!) Entscheidung die Rede – nichtsdestotrotz werden auch diese älteren Entscheidungen immer wieder zum vermeintlichen Beleg (auch) der Ausnahmefähigkeit herangezogen.76 Erst in einer zweiten Phase äußerte sich das 73 So z. B. Gerhardt in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, VwGO, vor § 113, Rn. 19 a. E., der in Fn. 119 einerseits auf BVerwGE 81, 12, 17 verweist, andererseits auf SchmidtAßmann in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, VwGO, Band I, Einleitung, Rn. 183; auch dort findet sich jedoch kein Argument zur Ausnahmefähigkeit des Grundsatzes der Vollumfänglichkeit, sondern es wird lediglich auf die Entscheidungen BVerfGE 15, 275, 282; 78, 214, 226 verwiesen, die – wie im Folgenden dargestellt – gerade keine Aussage zur Ausnahmefähigkeit enthalten. 74 Als Beispiel sei BVerfGE 61, 82, 109 ff. genannt; in dieser Entscheidung, in der Präklusionsvorschriften als Ausnahme zu Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG für zulässig erachtet werden, wird auf die frühere Entscheidung BVerfGE 15, 275, 282 verwiesen, obwohl dort der Grundsatz der vollständigen gerichtlichen Nachprüfung betont und die Möglichkeit von Ausnahmen gerade nicht erwähnt wird. 75 Beispielsweise zieht Schmidt-Aßmann in: Maunz / Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4, Rn. 183, S. 117, Fn. 1 zum Beleg eines Grundsatzes vollumfänglicher gerichtlicher Überprüfbarkeit die Entscheidung BVerfGE 35, 263, 274 heran, obwohl darin keine Aussage zur Vollumfänglichkeit der gerichtlichen Kontrolle getroffen wird. 76 Insbesondere Schmidt-Aßmann in: Maunz / Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4, Rn. 183, Fn. 1, der von einem ausnahmefähigen Grundsatz der vollumfänglichen gerichtlichen Überprüfung
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5. Teil: Beurteilungsspielraum zugunsten der Verwaltung
Bundesverfassungsgericht zu möglichen Ausnahmen von der vollumfänglichen Überprüfung, wenngleich – wie sogleich gezeigt werden kann – mit höchst unterschiedlichen Ansatzpunkten. 2. Inhaltliche Entwicklung bis Ende der 1970er-Jahre BVerfGE 7, 129, 154 (Härtefallregelung – „lex Schörner“) – Inhaltlicher Gegenstand des Verfahrens war die Auslegung einer Norm, die eine anderweitige Regelung bei Vorliegen einer „besonderer Härte“ zuließ. Ohne die Worte „unbestimmter Rechtsbegriff“ oder „Tatbestand“ zu verwenden, legte das Bundesverfassungsgericht dar, die Gerichte hätten ihre eigene Auffassung an die Stelle jener der Behörde zu setzen. Bei einer derartigen Überprüfung von „allgemeinen“ Rechtsbegriffen hätten die Regeln über die begrenzte Nachprüfung von Ermessensentscheidungen keine Geltung. BVerfGE 11, 168, 191 f. (Bedürfnisprüfung für Mietwagen und Droschken – „Taxi-Beschluss“) – Gegenstand der Entscheidung war die Vereinbarkeit einer Bedürfnisprüfung für den Betrieb von Mietwagen und Droschken mit der Berufsfreiheit. Lediglich in einem obiter dictum wird angemerkt, dass „verfassungsrechtliche Bedenken“ gegen eine (nur denkbare, zum Zeitpunkt der Entscheidung gar nicht existente!) gesetzliche Bestimmung bestünden, welche den Gerichten die Überprüfung des unbestimmten Rechtsbegriffs „Interessen des öffentlichen Verkehrs“ entziehen würde, in dem sie die Genehmigung in das pflichtgemäße Ermessen (!) der Behörde stellte. BVerfGE 15,175, 282 (Überprüfung im Verfahren über Ordnungswidrigkeiten) – Gegenstand der Entscheidung war § 66 Abs. 3 OWiG a. F., der vorsah, dass das Oberlandesgericht an die tatsächlichen Feststellungen der Verwaltungsbehörde gebunden ist. Das Bundesverfassungsgericht stellte fest, dass die genannte Vorschrift gegen Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG verstieß. Diese Verfassungsnorm verlange nämlich, dass der Rechtsweg die vollständige Nachprüfung in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht durch ein Gericht ermögliche. Ausdrücklich wird jedoch auch festgehalten, dass Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG keine Rechte gewähre, sondern solche voraussetze.77 BVerfGE 18, 203, 212 (Formelle Aufhebung von Rügebescheiden der Rechtsanwaltskammer) – Die angegriffenen Regeln des einfachen Rechts sahen vor, dass der Rügebescheid der Rechtsanwaltskammer nicht in formeller Weise aufgehoben werden kann. Das Bundesverfassungsgericht wollte hierin kein Verstoß gegen Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG erkennen, weil trotzdem eine vollständige gerichtliche Überprüfung in sachlicher und rechtlicher Hinsicht erfolge. Hierin sei der Inhalt der Norm zu erkennen. ausgeht, beruft sich auf BVerfGE 15, 275, 282; 18, 203, 212; 21, 191, 194 f.; 31, 113, 117; 35, 263, 274; 51, 304, 312. 77 S. 281.
C. Verfassungsma¨ßigkeit des Beurteilungsspielraums
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BVerfGE 21, 191, 194 f. (Überprüfung von Hausstrafen im Strafvollzug) – Anlässlich der Auslegung der streitgegenständlichen Vorschriften der §§ 23 ff. EGGVG hinsichtlich von Hausstrafen im Strafvollzug stellte das Bundesverfassungsgericht fest, dass es mit Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG nicht zu vereinbaren sei, wenn die Gerichte gegenüber der Verwaltung nur auf die Nachprüfung der rechtlichen Seite beschränkt sind. Daher seien die Normen in verfassungskonformer Weise dahingehend auszulegen, dass eine Überprüfung auch der Tatbestandsseite möglich sei, weil bei gegenteiliger Auslegung ein Verstoß gegen Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG vorläge. BVerfGE 31, 113, 117 f. (Jugendgefährdende Schriften – „Pardon“) – Streitgegenständliche Verwaltungsentscheidung war ein Beschluss des so genannten Dreiergremiums der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften über die vorläufige Aufnahme einer Schrift in die Liste der jugendgefährdenden Schriften. Die Aufnahme war gem. § 15 des damals gültigen Gesetzes über jugendgefährdende Schriften vorgesehen, wenn zu erwarten war, dass das reguläre, so genannte Zwölfergremium ebenso entscheiden würde. Das zunächst erkennende Verwaltungsgericht hatte aus dieser Regelung den Schluss gezogen, dass die gerichtliche Überprüfung beschränkt sei. Dem widersprach das Bundesverfassungsgericht, legte die einfachgesetzliche Regelung anders aus und betonte, der von Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG gewährleistete Rechtsweg umfasse die vollständige Nachprüfung in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht. BVerfGE 35, 263, 274 (Suspensiveffekt im Verhältnis zweier Behörden zueinander) – Bei der streitgegenständlichen Auseinandersetzung ging es um die Anfechtbarkeit der Anordnung der sofortigen Vollziehung bei der Beteiligung verschiedener Behörden. Das Bundesverfassungsgericht zieht in seiner Entscheidung Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG neben den Art. 3 Abs. 1; 20 Abs. 3 GG heran, um die Rechtslage zwischen den Behörden in der besonderen Situation des vorläufigen Rechtsschutzes zu verorten. Nur im Rahmen dieser besonderen Situation, in der kein Bürger, mithin kein Grundrechtsträger betroffen ist,78 wird das von Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG umfasste Gebot des effektiven Rechtsschutzes erläutert. BVerfGE 51, 304, 312 (Jugendgefährdende Schriften – „Die Liebesgrotte“) – Der Vorsitzende der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften konnte gem. § 18 des damals geltenden Gesetzes über jugendgefährdende Schriften eine Schrift nach einer entsprechenden gerichtlichen Entscheidung in die Liste der jugendgefährdenden Schriften eintragen, es sei denn, er hielt dies nicht für erforderlich. In diesem Fall ging es also um eine Bindung der Verwaltung an die Entscheidung des Verwaltungsgerichts (!), nicht umgekehrt.79 Das mit dem Streitfall 78 Auf diese Besonderheit macht Schmidt-Aßmann in: Maunz / Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4, Rn. 183, Fn. 1 nicht aufmerksam. 79 Trotzdem zieht Schmidt-Aßmann in: Maunz / Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4, Rn. 183, Fn. 1 diese Entscheidung als Beleg für den Grundsatz vollständiger richterlicher Rechtskontrolle heran.
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5. Teil: Beurteilungsspielraum zugunsten der Verwaltung
zunächst befasste Verwaltungsgericht hielt diese Regelung für mit Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG unvereinbar, weil nach seiner Interpretation der Vorsitzende der Prüfstelle an die Gerichtsentscheidung (im Fall: die Einziehung eines bei einem Händler gefundenen Buches) gebunden sei, andere von der Eintragung Betroffene (im Fall: der Verleger) an diesem Verfahren aber nicht beteiligt gewesen seien. Das Bundesverfassungsgericht stellte dazu fest, eine vollständige gerichtliche Überprüfung in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht sei durch Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG gewährleistet; dies schließe die Bindung an rechtskräftige Gerichtsentscheidungen nicht aus, jedoch müssten die vom Verfahren Betroffenen die Möglichkeit zur Einflussnahme gehabt haben. Im konkreten Fall legte das Bundesverfassungsgericht das streitgegenständliche einfache Recht aber anders aus, nämlich dahingehend, dass der Vorsitzende der Prüfstelle nicht gebunden sei, so dass gegen seine Entscheidung der Rechtsweg offen stehe. Dementsprechend sei Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG nicht verletzt.
3. Inhaltliche Entwicklung seit Anfang der 1980er-Jahre BVerfGE 54, 173, 197 (Kapazitätsberechnung für Lehrverpflichtungen) – Gegenstand der gerichtlichen Auseinandersetzung war die Kapazitätsberechnung von Lehrverpflichtungen durch die zuständige Behörde. Dabei war fraglich, welche Bedeutung der Umstand hat, dass diese Entscheidung von bestimmten Wertungen abhängt. Das Bundesverfassungsgericht erwähnte divergierende obergerichtliche Entscheidungen, äußerte Zweifel hinsichtlich der konkreten Fragestellung, bemerkte aber auch: „Der wertungsabhängige Charakter [ . . . ] mag [ . . . ] die verwaltungsgerichtliche Kontrolldichte beeinflussen [ . . . ]“. In jedem Fall bestehe aber eine Verpflichtung der Verwaltung, die ihrer Wertung zugrunde liegenden wesentlichen Aspekte nachprüfbar darzulegen; weitere Ausführungen zu einem möglichen Beurteilungsspielraum erfolgten nicht. BVerfGE 60, 253, 266 ff. („Anwaltsverschulden“) – Das Bundesverfassungsgericht hatte über die Frage zu entscheiden, ob die im Prozessrecht vorgesehene Zurechnung des Verschuldens des Prozessvertreters mit Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG vereinbar ist. Dabei hielt es fest, dies sei eine Frage der normativen Ausgestaltung des Rechtsweges. Insbesondere betonte die Entscheidung aber, das Gebot des effektiven Rechtsschutzes sei Einschränkungen zugänglich, wenn ein anderes verfassungsrechtliches Prinzip diese Einschränkung rechtfertige und dies sei im konkreten Fall hinsichtlich des Prinzips der Rechtssicherheit der Fall: „Denn die Verfassung ist ein Sinngefüge, bei dem einzelne Gewährleistungen, und mithin auch Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG, so auszulegen sind, dass auch anderen Verfassungsnormen und -grundsätzen nicht Abbruch getan wird.“80 Aus diesen Erwägungen heraus wurde die Verschuldenszurechnung für verfassungsgemäß erachtet. – Gerade 80
S. 267.
C. Verfassungsma¨ßigkeit des Beurteilungsspielraums
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weil die Passage über das „Sinngefüge“ immer wieder zitiert wird,81 soll abschließend klargestellt werden, dass diese Entscheidung unmittelbar nur die Frage der Ausgestaltung des Rechtswegs und nicht die Möglichkeit eines Beurteilungsspielraums betraf.82 BVerfGE 61, 82, 109 ff. („Wyhl“ / „Sasbach“ – Präklusion im Atomrecht) – Die Gemeinde Sasbach klagte gegen die Errichtung eines Atomkraftwerkes im Gebiet der benachbarten Gemeinde Wyhl. Dabei war (unter anderem) umstritten, ob im Verfahren Präklusionen wie Fristen und Verfahrenserfordernisse mit Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG vereinbar seien. Dies bejahte das Bundesverfassungsgericht. Die eigentliche Frage eines Beurteilungsspielraums jenseits solcher prozessualer Ausgestaltungen wurde insofern wieder nur in einem obiter dictum angesprochen, allerdings in einer Weise, bei der ein Regel-Ausnahme-Verhältnis klar hervortritt: „Unbeschadet normativ eröffneter Gestaltungs-, Ermessens- und Beurteilungsspielräume sowie der Tatbestandswirkung von Hoheitsakten schließt dies grundsätzlich eine Bindung der rechtsprechenden Gewalt an tatsächliche oder rechtliche Feststellungen seitens anderer Gewalten hinsichtlich dessen, was im Einzelfall Rechtens ist, aus.“83 BVerfGE 64, 261, 279 („Hafturlaub“) – Das Bundesverfassungsgericht stellte fest, die Entscheidung über eine Gewährung von Hafturlaub beruhe auf einem unbestimmten Rechtsbegriff und daher sei eine vollumfängliche gerichtliche Überprüfung geboten, wogegen die „Regelung über die nur begrenzte Nachprüfung des Ermessens“ keine Anwendung fände. Zwar sei die Einräumung eines Beurteilungsspielraums zugunsten der Behörde denkbar, bei der streitgegenständlichen gesetzlichen Regelung liege ein solcher aber nicht vor, weil „aktuelle, persönliche Wertungen, für die der Vollzugsbehörde wegen ihrer Nähe zum Gefangenen umfassendere Erkenntnisquellen zur Verfügung stehen mögen“, keine Rolle spielten. BVerfGE 78, 214, 226 f. (Pauschale Bestimmungen der Steuerverwaltung) – Das Bundesverfassungsgericht entschied, die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe sei sowohl im Allgemeinen als auch im streitgegenständlichen Fall zulässig (dabei ging es um pauschale Bestimmungen der Steuerverwaltung, genauer gesagt um die generelle Verringerung des Höchstbetrages für den Abzug von Unterhaltsleistungen als außergewöhnliche Belastung). Hinsichtlich Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG setzt sich das Bundesverfassungsgericht damit auseinander, inwiefern die Gerichte an verwaltungsinterne Vorschriften gebunden sein können. Über die Frage des Beurteilungsspielraums finden sich keine Ausführungen. BVerfGE 83, 130, 148 (Jugendgefährdende Schriften – „Josephine Mutzenbacher“) – Das Bundesverfassungsgericht entschied anlässlich der Indizierung eines pornographischen Romans durch die Bundesprüfstelle für jugendgefähr81 82 83
Z. B. BVerwGE 72, 300, 317. Grundlegend zu dieser Differenzierung siehe Seite 176. S. 111.
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5. Teil: Beurteilungsspielraum zugunsten der Verwaltung
dende Schriften über das Verhältnis von Kunst und Pornographie. Bei der Abwägung zwischen der Kunstfreiheit und dem Jugendschutz bestünde kein Beurteilungsspielraum zugunsten der Behörde. Die Einräumung eines solchen sei mit dem unmittelbar aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG folgenden Gebot, die widerstreitenden Verfassungsgüter zur Konkordanz zu bringen, nicht zu vereinbaren. Zwar könne der Bundesprüfstelle hinsichtlich anderer Fragen ein Beurteilungsspielraum verbleiben,84 dies müsse in diesem Fall jedoch nicht entschieden werden. BVerfGE 84, 34, 49 f. (Berufsbezogene Prüfungen – „Gerichtliche Prüfungskontrolle“) – Das Bundesverfassungsgericht entschied über die verfassungsrechtlichen Anforderungen an berufsbezogene Staatsprüfungen. Zunächst betonte es, Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG enthalte keine eigene Rechtsposition, sondern eine solche werde darin vorausgesetzt. Hinsichtlich des Beurteilungsspielraums äußerte es sich dabei in neuartiger Weise: „Unbestimmte Rechtsbegriffe können allerdings wegen hoher Komplexität oder besonderer Dynamik der geregelten Materie so vage und ihre Konkretisierung im Nachvollzug der Verwaltungsentscheidung so schwierig sein, dass die gerichtliche Kontrolle an die Funktionsgrenzen der Rechtsprechung stößt. Der rechtsanwendenden Behörde mag in solchen Fällen ohne Verletzung rechtsstaatlicher Grundsätze ein begrenzter Entscheidungsspielraum zuzubilligen sein.“85 Weitere Ausführungen von allgemeingültigem Charakter unterlässt das Bundesverfassungsgericht jedoch, weil dies für die Klärung des Falles nicht notwendig sei. Für die Bewertung von Berufszugangsprüfungen würden Besonderheiten gelten. Namentlich ergebe sich aus dem Grundsatz der Chancengleichheit gem. Art. 3 Abs. 1 GG ein (auf prüfungsspezifische Bewertungen beschränkter) Bewertungsspielraum der Prüfer. BVerfGE 84, 59, 77 f. (Berufsbezogene Prüfungen – „Antwort-Wahl-Verfahren“) – Inhaltlich übereinstimmend entschied das Bundesverfassungsgericht mit einem am gleichen Tag ergehenden Beschluss über die Bewertung von „AntwortWahl-Verfahren“.86 Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG beinhalte einen Grundsatz der vollumfänglichen gerichtlichen Überprüfung, prüfungsspezifische Wertungen bildeten hiervon aber eine Ausnahme, weil ansonsten eine Verletzung des Grundsatzes der Chancengleichheit drohe. Dieser Spielraum sei jedoch eng begrenzt, weil ansonsten kein effektiver Rechtsschutz gewährleistet sei. BVerfGE 88, 40, 56 ff. (Private Grundschule) – Das Bundesverfassungsgericht hatte über die behördliche Anerkennung einer privaten Grundschule zu entscheiden, die gem. Art. 7 Abs. 5 GG nur zuzulassen ist, „wenn die Unterrichtsverwaltung ein besonderes pädagogisches Interesse anerkennt“. Hinsichtlich der verwaltungsgerichtlichen Überprüfung hielt es fest: „Diese kann jedoch nicht weiter 84 Schmidt-Aßmann in: FS Scholz, S. 539, 546 meint, dieser Hinweis des Bundesverfassungsgerichts lasse „ratlos“; bereits Sendler, DVBl. 1994, S. 1089, 1090 bezeichnet diesen Hinweis als „Rätsel“. 85 S. 50. 86 Auch „Multiple-Choice-Verfahren“ genannt.
C. Verfassungsma¨ßigkeit des Beurteilungsspielraums
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reichen als die materiell-rechtliche Bindung der Unterrichtsverwaltung. Der lückenlose Rechtsschutz, den Art. 19 Abs. 4 GG gewährt, schließt daher normativ eröffnete Gestaltungs-, Ermessens- und Beurteilungsspielräume der Verwaltung nicht von vorneherein aus. [ . . . ] An ihnen findet die gerichtliche Kontrolle behördlicher Entscheidungen ihre Grenze.“ Eine solche Grenze ergebe sich bei der streitgegenständlichen Frage aus der Verfassung selbst, nämlich aus Art. 7 Abs. 5 GG. Zwar sei die „Auslegung“ des unbestimmten Rechtsbegriffs des besonderen pädagogischen Interesses vollumfänglich überprüfbar, nicht jedoch „die Bewertung des pädagogischen Konzepts im konkreten Fall und die Abwägung mit dem Vorrang der öffentlichen Volksschule“, weil auf diese Entscheidung Elemente wertender Erkenntnis einwirkten, die Norm keine vollständige rechtliche Bindung vorgebe und keine hinreichend bestimmten Vorgaben im Sinne von Entscheidungsprogrammen enthalte.87 Die Entscheidung enthält auch einige allgemeine Erwägungen zur Herleitung eines Beurteilungsspielraums. Die persönliche Erfahrung der Verwaltung spiele hier im Gegensatz zum Prüfungswesen keine Rolle, weil das Gebot der Chancengleichheit nicht zu berücksichtigen sei. Auch verfüge die Unterrichtsverwaltung nicht über ein überlegenes Maß an fachlicher Kompetenz, das zu einem Beurteilungsspielraum führen könnte. Weder der Einfluss prognostischer Erwägungen noch die Komplexität von Sachverhalten dürften zu einer pauschalen Zurücknahme der gerichtlichen Kontrolldichte führen. Dabei betont das Bundesverfassungsgericht: „Schon die Feststellung ,allgemeingültiger Bewertungsmaßstäbe‘, deren Einhaltung die Verwaltungsgerichte auch bei Einräumung eines Beurteilungsspielraums stets überprüft haben, ist mangels eigener Sachkunde der Gerichte vielfach nur mit sachverständiger Hilfe möglich.“88 Auch der Einfluss prognostischer Erwägungen schließe dies nicht von vornherein aus. BVerfGE 103, 142, 156 ff. (Gefahr in Verzug –Wohnungsdurchsuchung) – Die Entscheidung hatte den Begriff der Gefahr im Verzug gem. Art. 13 Abs. 2 GG zum Gegenstand. Das Bundesverfassungsgericht hielt dabei fest, Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG gewährleiste einen „möglichst lückenlosen“ Rechtsschutz. Aus dem darin enthaltenen Anspruch auf eine wirksame gerichtliche Kontrolle folge grundsätzlich die Pflicht zur vollumfänglichen gerichtlichen Überprüfung. Diese Pflicht habe jedoch Grenzen, wie das Gericht unter einer Zusammenfassung der entsprechenden Urteile seit der – hier bereits dargestellten –„Sasbach / Whyl“-Entscheidung89 ausführt: „Die gerichtliche Überprüfung kann nicht weiter reichen als die materiell-rechtliche Bindung der Exekutive (BVerfGE 88, 40 [56]); die geschützten Rechtspositionen selbst ergeben sich nicht aus Art. 19 Abs. 4 GG, sondern werden darin vorausgesetzt (BVerfGE 84, 34 [49]). Gerichtliche Kontrolle endet also dort, wo das materielle Recht der Exekutive in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise Entscheidungen abverlangt, ohne dafür hinreichend bestimmte Entschei87 88 89
S. 56 und 61. S. 59. BVerfGE 61, 82.
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5. Teil: Beurteilungsspielraum zugunsten der Verwaltung
dungsprogramme vorzugeben (BVerfGE 88, 40 [61]). Normativ eröffneten Gestaltungs-, Ermessens- und Beurteilungsspielräumen der Behörden steht Art. 19 Abs. 4 GG daher nicht von vornherein entgegen (BVerfGE 61, 82 [111]; 88, 40 [56]).“ Für den streitgegenständlichen Fall des Art. 13 Abs. 2 GG wurde jedoch entschieden, dass kein Beurteilungsspielraum vorliege. BVerfG NJW 2004, S. 2725, 2726 (Bestellung des Insolvenzverwalters durch das Gericht) – In seiner – soweit ersichtlich – jüngsten Entscheidung mit Bezug zur Thematik geht das Bundesverfassungsgericht davon aus, in seiner Rechtsprechung sei hinreichend geklärt, welche Anforderungen sich aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG für die Erfordernisse eines effektiven Rechtsschutzes ergäben. Zu dessen Gewährleistung gehöre „vor allem“, dass dem Richter eine hinreichende Prüfungskompetenz hinsichtlich der tatsächlichen und rechtlichen Seite eines Streitfalls zukomme. Dieses Gebot schließe trotzdem nicht aus, dass je nach Art der zu prüfenden Maßnahme wegen der Einräumung von Gestaltungs-, Ermessens- und Beurteilungsspielräumen eine unterschiedliche Kontrolldichte anzunehmen sei.
4. Bewertung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung und ihrer Rezeption durch Literatur und Verwaltungsgerichtsbarkeit So vielfach sich das Bundesverfassungsgericht auch zum Beurteilungsspielraum zugunsten der Verwaltung geäußert hat, so wenig hat es zu einer begründeten Erklärung seiner verfassungsrechtlichen Zulässigkeit beigetragen. Nachdem jahrzehntelang stoisch betont wurde, Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG gebiete die vollumfängliche gerichtliche Überprüfung der Tatbestandsseite, wird die bis dahin nie erwähnte Möglichkeit von Ausnahmen plötzlich wie selbstverständlich als bestehend vorausgesetzt.90 Eine dogmatische Erklärung dafür sucht man in den Entscheidungsgründen vergebens. Häufig wird lediglich konstatiert, ein Beurteilungsspielraum könne bestehen, aber nicht im jeweils zu entscheidenden Fall,91 es bleibt bei denkbar vagen Andeutungen („mag .[ . . . ] beeinflussen“,92 „mag [ . . . ] zuzubilligen sein“93). Konkrete Kriterien, welche die – ohne Begründung vorausgesetzte – Ausnahmefähigkeit des Gebots der vollumfänglichen Überprüfung im Einzelfall aktualisieren, werden vereinzelt ohne erkennbares System genannt,94 andernorts aber ebenso wieder verworfen.95 Bald wird auf mögliche Sachzwänge abgestellt 90 BVerfGE 54, 173, 197: „Der wertungsabhängige Charakter [ . . . ] mag [ . . . ] die verwaltungsgerichtliche Kontrolldichte beeinflussen [ . . . ]“; BVerfGE 61, 82, 111: „Unbeschadet normativ eröffneter Gestaltungs-, Ermessens- und Beurteilungsspielräume . . .“. 91 Z. B. BVerfGE 54, 173, 197; BVerfGE 64, 261, 279. 92 BVerfGE 54, 173, 197; ähnlich BVerfGE 64, 261, 279. 93 BVerfGE 84, 34, 50. 94 Z. B. nennt BVerfGE 84, 34, 50 die Komplexität der Materie als mögliche Rechtfertigung für eine Ausnahme von der vollumfänglichen Überprüfung.
C. Verfassungsma¨ßigkeit des Beurteilungsspielraums
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(z. B. „Dynamik der geregelten Materie“96), bald auf mögliche normative Bindungen (und zwar durch das einfache materielle Recht97). In den jüngeren Entscheidungen suggeriert das Bundesverfassungsgericht durch die Zitierung älterer Entscheidungen das Bestehen einer etablierten Kasuistik,98 was allenfalls auf die These zutrifft, dass Beurteilungsspielräume verfassungsrechtlich zulässig sein können, nicht aber hinsichtlich der Frage, in welchen Fällen dies warum angenommen werden kann. Aus diesen „Scherbenhaufen verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung“99 werden in der Literatur unterschiedliche Konsequenzen gezogen. Einige Vertreter des Schrifttums kritisieren das Bundesverfassungsgericht nachdrücklich; bemerkenswert ist dabei, dass selbst diejenigen, die das praktische verwaltungsprozessuale Ergebnis mit diametral entgegengesetzter Stoßrichtung (zu kontrollintensiv vs. zu kontrollextensiv)100 angreifen, sich in der Bewertung der Art und Weise der Herleitung durch das Bundesverfassungsgericht einig sind: Auf der einen Seite bemängelt Ibler (der Beurteilungsspielräume generell weitestgehend beschränken will) das Bundesverfassungsgericht nenne die Argumente dafür und dagegen nebeneinander, ohne die Spannung wirklich zu lösen.101 Auf der anderen Seite kritisiert Redeker (der Beurteilungsspielräume generell größtmöglich ausweiten will), das Bundesverfassungsgericht argumentiere so unterschiedlich und dunkel, dass es nicht verwunderlich sei, dass daraus von Fachgerichten und Literatur völlig unterschiedliche Konsequenzen gezogen würden.102 Einigkeit herrscht also darüber, dass das Bundesverfassungsgericht keine Rechtseinheit geschaffen hat. Und in der Tat sind nicht nur die Entscheidungen in ihrer Gesamtheit, sondern mitunter auch die einzelnen Entscheidungen so ambivalent, dass Fachgerichte und Literatur aus ihnen nicht nur unterschiedliche, sondern sogar konträre Schlüsse zogen, wie sich anhand der „Mutzenbacher-Entscheidung“103 beispielhaft illustrieren lässt: Während das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen104 aus dieser schloss, die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften habe gar keinen Beurteilungsspielraum mehr, interpretierte das Bundesverwaltungsgericht105 die „Mutzenba95 Z. B. lehnt BVerfGE 88, 40, 59 die Komplexität des Sachverhalts als Rechtfertigung für eine Ausnahme von der vollumfänglichen Überprüfung ab. 96 BVerfGE 84, 34, 49 f. 97 Vgl. BVerfGE 88, 40, 56; BVerfGE 103, 142, 82. 98 BVerfGE 103, 142, 156 ff. 99 So Sendler, DVBl. 1994, S. 1089, 1100; dazu Schmidt-Aßmann in: FS Scholz, S. 539, 547. 100 Jestaedt in: Erichsen / Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht (13. Auflage), § 10, Rn. 47, Fn. 168. 101 Ibler, Rechtspflegender Rechtsschutz, S. 444. 102 Redeker / von Oertzen, VwGO, § 114, Rn. 35. 103 BVerfGE 83, 130, 148. 104 OVG Nordrhein-Westfalen, NVwZ 1992, S. 396, 397.
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5. Teil: Beurteilungsspielraum zugunsten der Verwaltung
cher-Entscheidung“ dahingehend, dass sich der Beurteilungsspielraum der Bundesprüfstelle zwar nur noch auf einen Teil der Entscheidung beziehe, aber an sich weiter bestehe.106 Während Geis107 in der Entscheidung eine Revidierung der vorherigen fachgerichtlichen Rechtsprechung erkennt, wird sie von Gusy108 nicht als Aufgabe, sondern als Fortführung interpretiert. Klarheit herrscht also darüber, dass das Bundesverfassungsgericht bislang keine Rechtsklarheit geschaffen hat, insbesondere hat es nicht geklärt, nach welchen positiven Kriterien ein Beurteilungsspielraum angenommen werden kann.109 Ein nicht unerheblicher Teil der Literatur beteiligt sich freilich nicht an dieser Diskussion, sondern beschränkt sich auf die Übernahme der verfassungsgerichtlichen Entscheidungen, ohne die bestehenden Widersprüche zu problematisieren;110 insofern kann mit Recht gesagt werden, dass das Bundesverfassungsgericht seinen Anteil an den verwirrenden Ausführungen auch in der Literatur hat.111 Und selbst die Vertreter des Schrifttums, die – wie soeben gezeigt – die offensichtlichen Unstimmigkeiten kritisieren, sehen sich dadurch nicht gehindert, einzelne, isolierte Passagen verfassungsgerichtlicher Entscheidungen zum (vermeintlichen) Beleg ihrer Auffassung heranzuziehen. Beispielsweise sieht Ibler trotz der typischerweise geringen terminologischen Präzision112 der einschlägigen Entscheidungen113 und trotz der von ihm selbst geübten Kritik114 seine – von der herrschenden Meinung abweichende – Auffassung dadurch bestätigt, dass das Bundesverfassungsgericht einmal von „Unrichtigkeit“,115 aber nicht von „Rechtswidrigkeit“ spricht.116 Auch 105 BVerwG, NJW 1993, S. 1491, 1491. – In BVerwGE 91, 211, 215 f. wurde deutlicher, wie die Differenzierung verstanden wurde; danach unterliege vollumfänglicher Kontrolle, was in die Waagschale bei der Herstellung praktischer Konkordanz zu werfen sei, die eigentliche Abwägung miteinander sei jedoch nur eingeschränkt überprüfbar. 106 Auf diese Differenzen hat bereits Schulze-Fielitz, JZ 1993, S. 772, 778 aufmerksam gemacht. Auch Sendler, DVBl. 1994, S. 1089, 1090, Fn. 5 beklagt, dass die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung so unklar ist, dass aus ihr gegensätzliche Konsequenzen in der Literatur gezogen werden. 107 Geis, NVwZ 1992, S. 25, 28. 108 Gusy, JZ 1991, S. 470, 470. 109 Zutreffend Schulze-Fielitz, JZ 1993, S. 772, 778. 110 Vgl. z. B. Jarass in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 19, Rn. 63. 111 So Jestaedt in: Erichsen / Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht (13. Auflage), § 10, Rn. 38, Fn. 136. 112 Wittig, Beurteilungsspielräume, S. 271 f. setzt dies ebenfalls voraus 113 Ein Beispiel dafür mag BVerfGE 61, 82, 111 bilden: Dort wird festgehalten, Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG schließe die Bindung der Rechtsprechung anderer Gewalten im Einzelfall nicht aus (Hervorhebung nicht im Original). Das ist unpräzise, denn gemeint ist wohl nur eine andere Gewalt, die Exekutive, weil die andere Gewalt, die Legislative, die Rechtsprechung nicht nur im Einzelfall, sondern immer bindet, vgl. Art. 20 Abs. 3, Halbsatz 2, Var. 2 GG. 114 Ibler, Rechtspflegender Rechtsschutz, S. 444. 115 So BVerfGE 88, 40, 59 f. 116 Ibler, Rechtspflegender Rechtsschutz, S. 444.
C. Verfassungsma¨ßigkeit des Beurteilungsspielraums
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Schmidt-Aßmann kritisiert in jüngerer Zeit verstärkt die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung,117 nichtsdestotrotz verwendet er sie fortgesetzt als zentrale Säule der von ihm vorgeschlagenen Dogmatik des Beurteilungsspielraums.118 Die Fachgerichtsbarkeit hatte sich in der Praxis naturgemäß zu bemühen, im Anschluss an die jeweiligen verfassungsgerichtlichen Vorgaben ihre eigenen Entscheidungen anzupassen. In persönlichen Stellungnahmen üben Vertreter des Bundesverwaltungsgerichts jedoch Kritik am Bundesverfassungsgericht, die an Deutlichkeit kaum zu übertreffen ist. Insbesondere Sendler, der frühere Präsident des Bundesverwaltungsgerichts, konstatiert „Ungereimtheiten über Ungereimtheiten“119 und beklagt, sämtliche zwischenzeitlich anerkannte Auslegungstopoi seien wieder verworfen wurden.120 In der Konsequenz wurden regelrechte Umgehungsstrategien erdacht. Beispielsweise schlug Niehues, damals Vorsitzender Richter am Bundesverwaltungsgericht, vor, den aufgrund der „Mutzenbacher-Entscheidung“ zu reduzierenden Beurteilungsspielraum künftig „Entscheidungsvorrang“ zu nennen,121 aber nur deshalb, weil die Verwendung des gebräuchlichen Begriffs (!) „Beurteilungsspielraum“ beim Bundesverfassungsgericht wie ein „rotes Tuch“ wirken und es dazu bringen könne, eine Verfassungswidrigkeit anzunehmen.122 Derartige, nahezu groteske Motive werden mit nicht weniger grotesken Begründungen gestützt: „Die Welt will halt betrogen werden, wahrscheinlich auch das Bundesverfassungsgericht, wenn nur der Form Genüge getan und der Buchstabe des Gesetzes erfüllt oder genauer die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung verbaliter befolgt wird“,123 so die Worte von Sendler, der jedoch zugleich einräumen muss, dass derartige „Schummelei [ . . . ] im Grunde immer unwürdig“ ist.124 – Zumindest letzterem kann sicher zugestimmt werden; jedenfalls aber ist diese überaus scharfe Kritik der Vertreter der Verwaltungsgerichtsbarkeit ein Grund mehr zu überprüfen, wie die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ihrerseits zu bewerten ist.
Schmidt-Aßmann in: FS Scholz, S. 539, 544 ff. Schmidt-Aßmann in: FS Scholz, S. 539, 544 ff.; grundlegend und noch weit umfassender bereits Schmidt-Aßmann in: Maunz / Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4, Rn. 180 ff. 119 Sendler, DVBl. 1994, S. 1089, 1093. 120 Sendler, DVBl. 1994, S. 1089, 1100. 121 Auch Sendler, DVBl. 1994, S. 1089, 1095 bestätigt: „Das Wort mag neu sein, die Sache aber kaum.“ 122 Niehues, NJW 1997, S. 557, 595, Fn. 23. – Würkner / Kerst-Würkner, NJW 1993, S. 1446, 1448 sprechen anschaulich davon, der Entscheidungsvorrang sei als „Phönix aus der Asche des alten Beurteilungsspielraums“ gestiegen; kritisch dazu Sendler, DVBl. 1994, S. 1089, 1095. 123 Sendler, DVBl. 1994, S. 1089, 1097, der am Beispiel einer Entscheidung im Prüfungswesen demonstriert, dass sich das Gericht bei Beachtung dessen auch in den Bereichen auf eine Plausibilitätsprüfung beschränken könne, in denen das Bundesverfassungsgericht einen Beurteilungsspielraum ausdrücklich untersagt hat. 124 Sendler, DVBl. 1994, S. 1089, 1100. 117 118
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5. Teil: Beurteilungsspielraum zugunsten der Verwaltung
III. Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts 1. Inhaltliche Entwicklung Schon in frühen Entscheidungen wurde das Problem zumindest in obiter dicta angesprochen.125 Dabei ging das Bundesverwaltungsgericht von Anfang an davon aus, dass auch auf Tatbestandsseite ein gewisser Spielraum der Verwaltung bestehe, es scheute sich aber erkennbar vor einer genaueren dogmatischen Festlegung.126 Als sich das Bundesverwaltungsgericht erstmals – wieder in einem obiter dictum – mit der verfassungsrechtlichen Dimension auseinandersetzte,127 ging es davon aus, Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG könne verletzt sein, wenn sich die Gerichte einer Überprüfung enthielten. Trotzdem sei unter „engen, streng begrenzten Voraussetzungen“ ein „gerichtsfreier Beurteilungsspielraum“ verfassungsrechtlich vertretbar. Ob ein solcher Beurteilungsspielraum im Einzelfall bestehe, hänge davon ab, ob sich das aus dem jeweils einschlägigen Gesetz ergebe. Obwohl sich das Bundesverwaltungsgericht in der genannten Entscheidung auch erstmals128 mit den Lehren von Bachof und Ule auseinandersetzte, schien es immer noch eine dogmatisch genaue Festlegung zu scheuen. Dies zeigte sich besonders deutlich in einer weiteren Entscheidung,129 in der statuiert wurde, Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG verlange nicht, dass „der Richter die vollziehende Gewalt in jedem Punkte prüfe“, sondern die Verfassung stattdessen ein „Miteinander der Gewalten“ gebiete. Für die Forderung nach einer klaren Unterscheidung des Beurteilungsspielraums auf Tatbestandsseite und dem Ermessen auf Rechtsfolgenseite, wie sie Bachof schon lange dringlich stellte,130 hat das höchste deutsche Verwaltungsgericht zu diesem Zeitpunkt nur eine eher abfällige Bemerkung übrig: „Hier handelt es sich jedoch um Hilfsbegriffe, die Rechtslehrer erdacht und geprägt haben.“ Erst später formulierte das Bundesverwaltungsgericht deutlicher, dass Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG die grundsätzlich vollumfängliche Überprüfung gebiete, und ebenso, dass weder eine notwendige Sachkunde noch ein komplexer Sachverhalt noch die Abhängigkeit von Wertungen noch ein gewisses Maß an Subjektivität eine Ausnahme hiervon rechtfertigten.131 Allenfalls die Einsetzung eines pluralistischen Gremiums könne für einen Beurteilungsspielraum sprechen, weil zu dessen Wesen die Unersetzbarkeit der Entscheidung gehöre. Ungeachtet dessen konstatierte das Bundesverwaltungsgericht weiterhin in einer nicht unerheblichen Anzahl So z. B. bei BVerwGE 1, 263, 266. Besonders deutlich bei BVerwGE 4, 89, 92. 127 BVerwGE 5, 153, 162 f. 128 So der Befund von Ibler, Rechtspflegender Rechtsschutz, S. 364. 129 BVerwGE 8, 272, 274 f. 130 Bachof, JZ 1955, S. 97, 98. 131 BVerwGE 94, 307, 309 ff. anhand der sensorischen Beurteilung von Wein. Diese Rechtsprechung zur sensorischen Bewertung von Wein wurde von BVerwG, NJW 2007, S. 2790, 2792 ausdrücklich aufgegeben. 125 126
C. Verfassungsma¨ßigkeit des Beurteilungsspielraums
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einzelner Bereiche das Bestehen eines Beurteilungsspielraums, beispielsweise bei beamtenrechtlichen Beurteilungen132 oder im Prüfungswesen.133 Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, welche die entsprechenden Argumente und Termini verwandte,134 ging auch das Bundesverwaltungsgericht davon aus, das durch Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG statuierte Gebot der grundsätzlich vollumfänglichen Überprüfbarkeit erfahre dann eine Ausnahme, wenn die Rechtsprechung an ihre „Funktionsgrenzen“ stoße.135 Dies sei dann der Fall, wenn der gesetzliche Tatbestand Bewertungen oder Prognosen voraussetze, die exakter tatsächlicher und rechtlicher Erkenntnis nicht zugänglich seien. Zu ähnlichen Einwirkungen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kam es im Bereich der weisungsfreien Gremien.136
2. Bewertung Somit war (auch) die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes zu keiner Zeit homogen oder konsistent,137 sondern im Gegenteil erheblichen Schwankungen unterworfen,138 die sich zwar auch, aber nicht nur durch den Einfluss verfassungsgerichtlicher Entscheidungen erklären lässt. Schon seit längerer Zeit wurde die Entwicklung daher als „Wellenbewegung“139 beschrieben, innerhalb derer sich Phasen umfassender Kontrolle mit solchen der partiellen Kontrollzurücknahme ablösen; dieses Auf und Ab wird mitunter als so prägnant empfunden, dass es sogar unter Zuhilfenahme von Begrifflichkeiten aus dem Börsenwesen beschrieben wurde.140 BVerwGE 97, 128, 129. BVerwGE 104, 203, 203 ff. 134 Vgl. insbesondere BVerfGE 84, 34, 49 f. 135 BVerwGE 106, 263, 266 ff. 136 Näher Pache, Tatbestandliche Abwägung, S. 140 f. 137 Ossenbühl in: FS Redeker, S. 55, 69. 138 So bereits der zustimmungswürdige Befund von Pache, Tatbestandliche Abwägung, S. 123 m. w. N. Nicht überzeugend ist dagegen die andere Ansicht von Brunner, Beurteilungsspielräume im neuen Jugendmedienschutzrecht, S. 57 f., der davon ausgeht, die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts habe zu einer stringenten Linie gefunden. 139 Bachof, VVDStRL, Band 34 (1976), S. 275, 276. Später ebenso Schmidt-Aßmann in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, VwGO, Band I, Einleitung, Rn. 181, Wilke in: Merten, Gewaltentrennung im Rechtsstaat, S. 135, 137 und Ossenbühl in: FS Redeker, S. 55, 69 (letzterer versäumt jedoch, auf die Urheberschaft Bachofs an dem Wort von der „Wellenbewegung“ hinzuweisen). Zweifelnd dagegen die andere Ansicht von Rupp, VVDStRL, Band 34 (1976), S. 286, 286. Differenzierend Ule, VVDStRL, Band 34 (1976), S. 310, 310 f. 140 So spricht Gerhardt in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, VwGO, vor § 113, Rn. 30 von einer „Baisse“ des Beurteilungsspielraums, die seiner Vorhersage nach aber nicht anhalten wird. – Eine klassischere, aber ebenfalls hohe Unbeständigkeit zum Ausdruck bringende Metapher verwendet Sendler, DVBl. 1994, S. 1089, 1089, der meint, der „Wind aus Karlsruhe“ wehe heute aus einer ganz anderen Richtung als kurze Zeit zuvor. 132 133
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5. Teil: Beurteilungsspielraum zugunsten der Verwaltung
So berechtigt daher die Kritik von Vertretern des Bundesverwaltungsgerichts – insbesondere in Form der zitierten Stellungnahmen von Sendler und Niehues – an der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung auch ist, so sehr müssen sie sich ganz ähnliche Vorwürfe hinsichtlich der von ihnen selbst zu verantwortenden Kasuistik gefallen lassen.141 Die entsprechenden Irritationen werden darüber hinaus verstärkt, weil (auch) das Bundesverwaltungsgericht vereinzelt in unzutreffender Weise seine früheren Entscheidungen zitiert, bei denen das Wort „Beurteilungsspielraum“ in ganz anderem Sinnzusammenhang erscheint. Beispielsweise berief es sich bei einer Entscheidung über das Vorliegen eines Beurteilungsspielraums hinsichtlich der Versetzung eines Beamten142 auf eine frühere Entscheidung hinsichtlich einer Prüfungskommission.143 Dabei ging es aber gar nicht um einen Beurteilungsspielraum, sondern um die Frage, ob von anderer Stelle nachträglich auf eine solche Kommission Einfluss genommen werden darf. – Erst in jüngster Zeit scheint das Bundesverwaltungsgericht dazu überzugehen, entsprechende Änderungen seiner Rechtsprechung hinreichend als solche deutlich zu machen, so wie im Falle der sensorischen Bewertung von Wein144 sowie der Eignung zum Führen von Luftfahrzeugen der Bundeswehr.145 Schließlich bleibt zu den Unterschieden zwischen Bundesverwaltungsgericht einerseits und Bundesverfassungsgericht andererseits festzuhalten, dass sie sich in ihren ursprünglichen Ausgangspunkten unterschieden haben, ferner, dass die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes wohl etwas weniger restriktiv als die des Bundesverfassungsgerichtes ist.146 Beide Gerichte anerkennen die Rechtsfigur des Beurteilungsspielraums jedoch grundsätzlich, und beide halten eine Vereinbarkeit mit Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG für prinzipiell möglich – daher erscheinen alle weiteren Meinungsverschiedenheiten als nicht von grundsätzlicher, sondern lediglich gradueller Natur.
141 Sendler, DVBl. 1994, S. 1089, 1089, Fn. 1 räumt allerdings auch seine eigene – so wörtlich – „Befangenheit“ ein. 142 BVerwGE 26, 65, 74. 143 BVerwGE 12, 359, 362. 144 Ausdrücklich gegen jeden Beurteilungsspielraum für derartige Sachverhalte noch BVerwGE 94, 307, 309 f. Ausdrückliche Aufgabe dieser Rechtsprechung durch BVerwG, NJW 2007, S. 2790, 2792. Vgl. dazu Koch, ZLR 2007, S. 622, passim. 145 BVerwG, Beschluss vom 18. 10. 2007, Az. 1 WB 46 / 06, juris-Rn. 26 verneint einen Beurteilungsspielraum bei der Feststellung „erheblicher charakterlicher oder geistiger Mängel“ unter ausdrücklicher Aufgabe der gegenteiligen früheren Rechtsprechung, vgl. z. B. noch BVerwGE 86, 33, 41. 146 Z. B. betont dies Schmieder, Risikoentscheidungen im Gentechnikrecht, S. 145 f. Ähnlich Peter M. Huber, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 130.
C. Verfassungsma¨ßigkeit des Beurteilungsspielraums
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IV. Schlussfolgerung In der rechtswissenschaftlichen Diskussion um die verfassungsrechtliche Bewertung des Beurteilungsspielraums wird häufig, nahezu durchgehend Bezug auf die Rechtsprechung genommen. Jedoch gibt es zu diesem Problemkreis „die“ Rechtsprechung überhaupt nicht. Nicht nur, weil sie in den letzten Jahren und Jahrzehnten ständigen Veränderungen unterworfen war. Sogar zu übereinstimmenden Zeitpunkten der Betrachtung konnte bereits die aktuell bestehende bloße Tendenz der Rechtsprechung divergierend eingeschätzt werden:147 Während beispielsweise im Jahre 1995 Ossenbühl meinte, eine gegenwärtige Neigung der Rechtsprechung zur Verdichtung der gerichtlichen Kontrolle feststellen zu können,148 ging Wilke im gleichen Jahr davon aus, eine gegenteilige Entwicklung sei eingetreten.149 Sicherlich könnten beide Seiten angesichts der widersprüchlichen Vielfalt der Kasuistik einzelne Entscheidungen oder wenigstens einzelne Passagen aus Entscheidungen vorweisen, die ihre These zu stützen vermögen. Wenn sich aber selbst diametral entgegengesetzte Thesen zur Stützung auf die gleiche Quelle berufen können – eben „die“ Rechtsprechung als Quelle – so belegt dies weder die eine noch die andere These, sondern belegt stattdessen, dass die Quelle ob ihrer Widersprüchlichkeit weder zum Beleg der einen noch der anderen These taugt. Im Rahmen einer wissenschaftlichen Untersuchung verfügt daher die Bezugnahme auf die Rechtsprechung oder einzelne Entscheidungen über keine Überzeugungskraft. Es ist somit Aufgabe der Rechtswissenschaft, eine eigenständige, verfassungsdogmatisch abgesicherte Erklärung zu generieren. In der Gesamtbetrachtung kann zugunsten der normativen Ermächtigungslehre festgehalten werden, dass auch die Rechtsprechung davon ausgeht, dass ein grundsätzliches verfassungsrechtliches Gebot der vollumfänglichen gerichtlichen Überprüfung unbestimmter Rechtsbegriffe besteht, dieses jedoch Ausnahmen zugänglich ist. Ebenso ist aber zu konstatieren, dass die Auswertung der Rechtsprechung die normative Ermächtigungslehre über diesen Befund hinaus nicht zu stützen vermag.
147 Dies hat bereits Pache, Tatbestandliche Abwägung, S. 5 anhand der hier verwendeten Quellen nachgewiesen. 148 Ossenbühl, JZ 1995, S. 512, 512. 149 Wilke in: GS Grabitz, S. 905, 905, der dies mit der Formulierung umschreibt, der Verwaltungsgerichtsbarkeit blase der Zeitgeist ins Gesicht.
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5. Teil: Beurteilungsspielraum zugunsten der Verwaltung
D. Die Kritik an der normativen Ermächtigungslehre und eigene Stellungnahme I. Vorbemerkung zu den Ursachen der Unübersichtlichkeit des Streitstands Die normative Ermächtigungslehre ist die herrschende Meinung, vielfach wird sie daher übernommen, ohne dass ihre wesentlichen Grundannahmen noch hinterfragt würden.150 Insofern ist die Vorbemerkung Wilkes zu übernehmen, häufig würden nur noch „Ad-hoc-Begründungen“ ohne inneren Zusammenhang und mit entsprechend geringfügiger Überzeugungskraft abgegeben.151 Die normative Ermächtigungslehre ist die herrschende Meinung, keinesfalls jedoch ist sie „unumstritten und unangreifbar“,152 wie die – sogleich im Einzelnen zu erläuternde – vielgestaltige Kritik zeigt, die teilweise das Ziel einer umfangreicheren, teilweise das Ziel einer reduzierten gerichtlichen Kontrolle verfolgt. Trotz der bereits vielfach vorhandenen Literatur zum Thema findet eine grundlegende Darstellung der Diskussion ihre Berechtigung in deren besonderer Komplexität. Denn die – zunächst nicht ungewöhnliche – Situation, in der eine gleichsam vermittelnde herrschende Meinung Angriffen von mehreren abweichenden Extrempunkten ausgesetzt ist, wird in ungewöhnlich hohem Maße unübersichtlich, weil von den jeweiligen Vertretern aus den jeweils identischen Einflussfaktoren, nicht nur unterschiedliche, sondern diametral entgegengesetzte Konsequenzen gezogen werden: Während einige Autoren153 aus der besonders starken Unbestimmtheit eines Rechtsbegriffes schließen, dass ein Beurteilungsspielraum besonders nahe liege, konstatieren andere Vertreter des Schrifttums,154 gerade in diesen Fällen sei eine gerichtliche Überprüfbarkeit besonders wichtig. Während die einen155 die besondere Komplexität einer Materie als ein Argument zugunsten der Annahme eines Beurteilungsspielraumes interpretieren, meinen andere,156 gerade 150 Vgl. z. B. Stern, Staatsrecht Band I, § 20 IV 5 f.) sowie Sieckmann, DVBl. 1997, S. 101, 101, der die beiden Grundannahmen der normativen Ermächtigungslehre am Anfang seines ausführlichen Beitrags ohne Begründung als gegeben annimmt. 151 Wilke in: Merten, Gewaltentrennung im Rechtsstaat, S. 135, 139. Auch Hain in: FS Starck, S. 35, 39 kritisiert (wenn auch mit anderer Stoßrichtung), dass die „Masse der Verwaltungsrechtler“ bestimmte Prämissen kaum mehr kritisch hinterfrage. 152 So aber Ossenbühl in: FS Redeker, S. 55, 63, der ergänzt, dieser vermeintliche Umstand habe seine Ursache darin, dass die normative Ermächtigungslehre eine „Banalität“ darstelle. 153 Stern, Staatsrecht Band II, § 41 III 3 c ; Beckmann, DÖV 1986, S. 505, 505. 154 Jüngst Helmes, CR 2006, S. 583, 584. Grundlegend bereits Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 7, Rn. 59. 155 Bullinger in: FS Maurer, S. 565, 573 f. 156 Ibler, Rechtspflegender Rechtsschutz, S. 388.
D. Die Kritik an der normativen Erma¨chtigungslehre
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in komplexen Sachlagen sei die Rechtspflege nur durch einen möglichst umfassenden Einfluss der Rechtsprechung zu gewährleisten. Wo manche157 aufgrund der Einschaltung pluralistisch besetzter Gremien davon ausgehen, deren Entscheidung solle bis zu einem gewissen Maße für die Gerichte bindend sein, schließen andere158 daraus, gerade die Entscheidungen von Gremien mit relativierter demokratischer Legitimation müssten einer gerichtlichen Kontrolle unterzogen werden.159 Während manche Stimme160 Grundrechte zur Begründung eines Beurteilungsspielraums heranzieht, nehmen andere Vertreter der Literatur161 an, ein Beurteilungsspielraum zugunsten der Verwaltung sei unzulässig, wenn ein grundrechtlicher Bezug vorliege. Noch unübersichtlicher wird der Meinungsstreit, wenn zwei voneinander zu trennende Fragen vermengt werden, nämlich einerseits, ob es dem einfachen Gesetzgeber von Verfassung wegen erlaubt ist, der Verwaltung einen Beurteilungsspielraum einzuräumen, und andererseits, unter welchen Voraussetzungen im Einzelfall angenommen werden kann, dass die (konkludente) Einräumung eines Beurteilungsspielraums durch den einfachen Gesetzgeber tatsächlich erfolgt ist. Insofern sind die in der Literatur häufig in den Vordergrund gerückten Auslegungskriterien (lediglich) Maximen rechtspolitischer Klugheit für den Gesetzgeber, während die Zulässigkeit von Beurteilungsspielräumen ausschließlich durch die Verfassung bestimmt wird.162 So grundlegend diese gedankliche Trennung auch ist, so oft wird sie übergangen. Besonders deutlich wird dies am Beispiel der (seltenen) Fälle ausdrücklich eingeräumter Beurteilungsspielräume. So wurden im Schrifttum teilweise lange Ausführungen dazu angestellt, ob der von § 10 Abs. 2 Satz 2 Telekommunikationsgesetz (TKG) explizit zugunsten der Behörde eingeräumte Beurteilungsspielraum163 einer überkommenen Fallgruppe wie jener der „wertenden Entscheidungen“ entspreche.164 Dabei ist dieser Ansatz grundlegend falsch, weil derartige Fallgruppen zuvörderst im Zusammenhang mit der Auslegung des einfachen Rechts stehen, die überflüssig165 ist, wenn das einfache Jarass in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 19, Rn. 48. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 7, Rn. 45; zustimmend Beaucamp, JA 2002, S. 314, 318. 159 Jestaedt in: Erichsen / Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht (13. Auflage), § 10, Rn. 49 macht nachdrücklich auf die beiden möglichen Sichtweisen aufmerksam, ohne sich für eine der beiden zu entscheiden. 160 Hufen, JuS 1992, S. 252, 254. 161 Geis, NVwZ 1992, S. 25, 28. 162 Schulze-Fielitz, JZ 1993, S. 772, 778; zustimmend Schuppert, Verwaltungswissenschaft, S. 531 f. 163 § 10 Abs. 2 Satz 2 TKG lautet: „Diese Märkte werden von der Bundesnetzagentur im Rahmen des ihr zustehenden Beurteilungsspielraums bestimmt.“ 164 Ellinghaus, MMR 2004, S. 293, 296, der im Ergebnis einen Beurteilungsspielraum annimmt. 165 Streng genommen ist sie nicht nur überflüssig, sondern sogar rechtswidrig, weil sie entgegen dem geschriebenen Recht weitere, kumulative Voraussetzungen aufstellt. 157 158
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5. Teil: Beurteilungsspielraum zugunsten der Verwaltung
Recht einen Beurteilungsspielraum expressis verbis einräumt.166 In diesen Fällen kann ausschließlich eine Prüfung am Maßstab des Verfassungsrechts erfolgen167 – und sollte diese Prüfung zum Ergebnis kommen, dass die Einräumung verfassungswidrig ist, so fehlt es nicht einfach an einem Beurteilungsspielraum,168 sondern dann ist die Norm nichtig. Das Problem einer derart unübersichtlichen Diskussion verstärkt sich schließlich noch weiter, indem immer wieder rechtspolitische Wünsche mit der Analyse der aktuellen Rechtslage vermengt werden, wie Ibler bereits pointiert formuliert hat:169 „Weil das Thema so umstritten und weitläufig ist, kann man rechtspolitische Wünsche als geltendes Recht darstellen, ohne sofort mit knappen rechtlichen Gründen widerlegt zu werden, und man kann sich des Zuspruchs einer Zahl Gleichdenkender sicher sein.“ Besonders illustrativ kann dies wieder anhand des explizit eingeräumten Beurteilungsspielraums gem. § 10 Abs. 2 Satz 2 TKG gezeigt werden; beispielsweise greift Wegmann170 in seinen (im Rahmen von Interessenvertretung getroffenen171) Ausführungen Stichworte aus der Rechtsprechung und Literatur auf, stellt sie in anderen Zusammenhang172 und erweckt so den Eindruck, als entspräche das von ihm forcierte Ergebnis – der Verstoß gegen Art. 19 Abs. 4 Satz 1 und 20 Abs. 3 GG durch die explizite Einräumung eines Beurteilungsspielraums zugunsten einer Regulierungsbehörde173 – sowohl der herrschenden Meinung als auch der in den von ihm herangezogenen Quellen vertretenen Auffassung – was mitnichten der Fall ist.174 Doch nicht nur in der jungen, mit schnelllebigen technischen Entwicklungen konfrontierten Literatur sind solche Vermengungen zu entdecken. Sogar schon bei Bachof, dem „Urvater“ des Beurtei166 Dies wird noch deutlicher, wenn man – in zugegebenermaßen überspitzten Weise – dieses Vorgehen auf eine zivilrechtliche Situation überträgt: Demnach wäre die explizite Erklärung „Ich will kaufen.“ nicht gültig, wenn dabei nicht zugleich in der Art einer Versteigerung die Hand gehoben würde. 167 Auch bei den Ausführungen von Storr, DÖV 2007, S. 133, 140 zum Beurteilungsspielraum gem. § 20 Abs. 3, 5 JMStV ist keine klare Trennung zu erkennen. 168 So aber wohl verstehen Ellinghaus, MMR 2004, S. 293, 296. 169 Ibler, Rechtspflegender Rechtsschutz, S. 192. 170 Wegmann, K&R Beilage 1 / 2004, S. 25, 26 f. 171 Ausweislich des Hinweises in K&R Beilage 1 / 2004, S. 25, 25 ist der Autor „Syndikusanwalt in der Konzernrechtsabteilung der Deutschen Telekom AG in Bonn“. 172 Die von Wegmann, K&R Beilage 1 / 2004, S. 25, 26 f. angeführten Nachweise (wie z. B. BVerfGE 84, 34 oder Schmidt-Aßmann in: Maunz / Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4) sind zumindest missverständlich, weil sich die dortigen Ausführungen nicht auf die ausdrückliche, sondern auf die konkludente Einräumung eines Beurteilungsspielraums durch den Gesetzgeber beziehen. 173 Wegmann, K&R Beilage 1 / 2004, S. 25, 31 a. E. 174 Z. B. geht Schmidt-Aßmann in: Maunz / Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4, Rn. 197a offensichtlich von der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit von Beurteilungsspielräumen im Telekommunikationsrecht aus und problematisiert lediglich die Auslegung des einfachen Rechts als konkludente (!) normative Ermächtigung, die sich für den hier fraglichen Bereich durch die zwischenzeitlich erfolgte explizite Normierung erübrigt hat.
D. Die Kritik an der normativen Erma¨chtigungslehre
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lungsspielraums, lässt sich Ähnliches nachweisen:175 Offensichtlich war er der rechtspolitischen Überzeugung, dass (unter anderem) Prüfungsentscheidungen nicht von Gerichten überprüft werden sollen; dabei argumentierte er zunächst, im Prüfungswesen sei eine Art vierte Gewalt zu erkennen, zumindest eine Institution, die nicht der klassischen Gewalt der Exekutive zuzuordnen sei, so dass sie überhaupt nicht von den Verwaltungsgerichten zu kontrollieren sei.176 Dieser Gedanke wurde von der Rechtsprechung verworfen,177 die dem entgegen annahm, das Prüfungswesen sei eindeutig Verwaltung.178 Erst daraufhin veröffentlichte Bachof seinen Aufsatz mit der berühmten Fundstelle „JZ 1955, S. 97“, mit dem er die Figur des Beurteilungsspielraums maßgeblich prägte. Die dogmatische Prämisse wurde also zur Erreichung des rechtspolitischen Ziels ausgetauscht, auch wenn sie sich von der zuvor vertretenen erheblich unterschied. Im Hintergrund vorhandene rechtspolitische Wünsche führen selbstverständlich nicht per se zur rechtswissenschaftlichen Fehlerhaftigkeit. In Wechselwirkung mit den zuvor beschriebenen Ursachen können sie jedoch mitunter zusätzliche Missverständnisse verursachen und so den Eindruck erwecken, der Beurteilungsspielraum sei ein nur „scheinbarer Rechtsbegriff“,179 über dessen Inhalt entgegen dem ersten Anschein keine Einigkeit bestehe. Umso dringlicher ist die – im Folgenden zu unternehmende – systematische Sortierung des Streitstands und die Klärung der Grundannahmen der normativen Ermächtigungslehre.
II. Kritik an der Annahme einer Ermächtigung und an den Fallgruppen 1. Inhalt der Kritik Von wenigen Ausnahmen abgesehen, legt der Gesetzgeber einen Beurteilungsspielraum nicht ausdrücklich fest. Daher wird die Bestimmung der Voraussetzungen, unter denen ein Gesetz als konkludente Einräumung eines Beurteilungsspielraums interpretiert werden kann, zum zentralen Problem der normativen ErmächtiDiesen Nachweis hat bereits Ibler, Rechtspflegender Rechtsschutz, S. 361 ff. geführt. Bachof, NJW 1953, S. 317, 318. – Vgl. zu den bezeichnenden Parallelen in der aktuellen Debatte um eine Reform des Regulierungsrechts Nell, Verhandlungen des 66. Deutschen Juristentags, Band 2 / 2, S. 223, 223. 177 So bereits LVG Rheinland-Pfalz, NJW 1953, S. 317, 317. Später auch BVerwG, NJW 1955, S. 1609, 1610 unter ausdrücklicher Ablehnung der Ansicht von Bachof, NJW 1953, S. 317. 178 Doch auch in späterer Zeit nahmen noch einzelne Richter am Bundesverwaltungsgericht an, ein Verwaltungsgericht müsse es sogar hinnehmen, wenn ein Prüfer postuliere, dass 2 + 2 = 5 sei, wie Sendler, DVBl. 1994, S. 1089, 1091 berichtet; dies wäre von einer der gerichtlichen Kontrolle entzogenen „vierten Gewalt“ freilich nicht mehr weit entfernt, entspricht aber auch nicht der tatsächlich ergangenen Rechtsprechung. 179 Ibler, Rechtspflegender Rechtsschutz, S. 440. 175 176
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5. Teil: Beurteilungsspielraum zugunsten der Verwaltung
gungslehre.180 Diese Schwierigkeit ist Anlass zur Kritik, interessanterweise von solchen Teilen der Literatur, die im Übrigen völlig gegensätzliche Standpunkte vertreten: So bemängelt Pache (der generell für eine stärkere Begrenzung der gerichtlichen Kontrolle auf Tatbestandsseite plädiert) aufgrund mangelnder klarer und handhabbarer Kriterien für die Gesetzesauslegung liege die Gefahr nahe, dass die Anerkennung einer normativen Ermächtigung weniger durch tatsächliche Auslegung, sondern aufgrund von Praktikabilitätserwägungen erfolge.181 Andererseits kritisiert Ibler (der im Übrigen für die weitestmögliche verwaltungsgerichtliche Kontrolle eintritt), eine im Wege der Auslegung gefundene Annahme eines Beurteilungsspielraums und ein entsprechender Schluss auf eine nicht ausdrückliche Anordnung durch den Gesetzgeber lasse „regelmäßig Raum für Zweifel“.182 Die Kritik geht teilweise so weit, dass die normative Ermächtigungslehre prinzipiell in Zweifel gezogen wird. Besonders pointiert hat Ossenbühl ausgeführt, mit der normativen Ermächtigungslehre sei „nur dann geholfen“, wenn die Gesetze eine Aussage über die Letztentscheidungskompetenz treffen würden, wovon aber nur in den seltenen Fällen der ausdrücklichen Normierung ausgegangen werden könne.183 Der Gesetzgeber mache sich im Übrigen keine Gedanken, sondern überlasse die Lösung Wissenschaft und Praxis, so dass die Letztgenannten nach einem Willen des Gesetzgebers forschten, der gar nicht existiere.184 Die angebliche Orientierung an dessen Willen sei eine Fiktion zum Zwecke der Überdeckung von „Vernunftsgründen“.185 Diese Perspektive verdichtet sich in der Kritik an der besonderen Bedeutung der Rechtsprechung. So beklagt Ossenbühl, wegen der bis dato fehlenden Klärung der Frage, wann ein Gesetz einen Beurteilungsspielraum konkludent eröffne, liege die entsprechende Feststellung praktisch in der Kompetenz-Kompetenz der erkennenden Gerichte.186 Die Zubilligung von Beurteilungsspielräumen durch die richterliche Interpretation der Gesetze gerinne dabei zum „Lotteriespiel“ und sei, so wörtlich, „vom Kaffeesatzlesen nicht weit entfernt“.187 Noch weiter geht die Äußerung von Wilke, dem früheren Präsidenten des Oberverwaltungsgerichts Berlin: „Mir scheint deshalb, dass die Qualifizierung unbeSchmidt-Aßmann in: Maunz / Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4, Rn. 187. Pache, Tatbestandliche Abwägung, S. 75 f. m. w. N. 182 Ibler, Rechtspflegender Rechtsschutz, S. 450. 183 Ossenbühl in: FS Redeker, S. 55, 63. 184 Ossenbühl in: FS Redeker, S. 55, 64; wohl zustimmend Schuppert, Verwaltungswissenschaft, S. 532. 185 Ossenbühl in: Erichsen / Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht (12. Auflage), § 10, Rn. 33. 186 Ossenbühl in: Erichsen / Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht (12. Auflage), § 10, Rn. 33. Sprichwörtlich in die gleiche Kerbe schlägt Berg in: FS Maurer, S. 529, 532, der meint, wenn es nach der normativen Ermächtigungslehre Sache des Gesetzgebers sei, einen Beurteilungsspielraum einzuräumen, so könne es nicht in der Hand der Gerichte liegen, einen numerus clausus dieser Fälle zu bestimmen. 187 Ossenbühl in: FS Redeker, S. 55, 64. 180 181
D. Die Kritik an der normativen Erma¨chtigungslehre
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stimmter Begriffe mit Beurteilungsspielraum nicht so sehr auf dogmatischen – der konkreten Normstruktur entnommenen – Gründen oder gar Zwängen beruht, sondern eher auf richterlicher Innovation, die es den Richtern geraten erscheinen lässt, nicht allzu tief in das Dickicht unbekannter Fachgebiete einzudringen. Die in der Judikatur anerkannten Fälle behördlicher Einschätzungsprärogative sind keine Konsequenzen abstrakter Prinzipien, sondern Produkte der real existierenden Verwaltungsgerichtsbarkeit, die es in einigen Bereichen zu vermeiden trachtet, in die Abgründe der Sachverhaltsermittlung und deren rechtliche Bewertung zu tauchen.“188 Die soeben dargestellte Kritik an der Annahme einer Ermächtigung durch den Gesetzgeber als solcher weist einen fließenden Übergang zur Problematik der Bildung von Fallgruppen auf. Insbesondere entzündet sich Kritik daran, dass die Entwicklung einer Typologie im Rahmen der normativen Ermächtigungslehre auf Basis der bereits früher etablierten Fallgruppen mit lediglich modifizierter Begründung erfolgt sei.189 Daneben wird teilweise (auch) die Rechtsprechung dahingehend interpretiert, sie suggeriere das Bestehen einer bestimmten Anzahl von anerkannten Fallgruppen in einem abschließenden Sinne.190
2. Eigene Überlegungen und Stellungnahme Die dargestellte Kritik führt einige neuralgische Punkte in der praktischen Umsetzung der normativen Ermächtigungslehre vor Augen, kann sie aber – wie nun zu zeigen ist – in ihrem Kern nicht erschüttern. Zunächst übersehen wohl diejenigen, die bemängeln, der Gesetzgeber habe in Wahrheit überhaupt keinen spezifischen Willen, dass sie mit diesem Hinweis eine tief in der Rechtswissenschaft verwurzelte Auslegungsmethode prinzipiell in Frage stellen. Daher kann zunächst mit einem klassischen Wort von Radbruch geantwortet werden: „Es ist möglich, als Wille des Gesetzgebers etwas festzustellen, was im bewussten Willen des Gesetzesverfassers niemals vorhanden war. Der Ausleger kann das Gesetz besser verstehen, als es seine Schöpfer verstanden haben, das Gesetz kann klüger sein als seine Verfasser – es muss sogar klüger sein als seine Verfasser.“191 Weder bei der Auslegung im Allgemeinen noch beim Beurteilungsspielraum im Besonderen kommt es (allein) auf den Willen des (historischen) Gesetzgebers an,192 wie das Bundesverfassungsgericht bereits in einer seiner ersten Entscheidungen betonte:193 Wilke in: Merten, Gewaltentrennung im Rechtsstaat, S. 135, 139. Pache, Tatbestandliche Abwägung, S. 76. 190 Gerhardt in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, VwGO, Band 2, § 114, Rn. 57, der dabei betont, dass es sich in Wahrheit um eine offene Typenreihe handle. 191 Nachgewiesen bei Wolf / Schneider, Gustav Radbruch – Rechtsphilosophie, S. 207. 192 So auch deutlich Schmidt-Aßmann in: Maunz / Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4, Rn. 187. 193 BVerfGE 1, 299, 312. 188 189
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5. Teil: Beurteilungsspielraum zugunsten der Verwaltung
„Maßgeblich für die Auslegung einer Gesetzesvorschrift ist der objektivierte Wille des Gesetzgebers, so wie er sich aus dem Wortlaut der Gesetzesbestimmung und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den diese hineingestellt ist. Nicht entscheidend ist dagegen die subjektive Vorstellung der am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Organe oder einzelner ihrer Mitglieder über die Bedeutung der Bestimmung. Der Entstehungsgeschichte einer Vorschrift kommt für deren Auslegung nur insofern Bedeutung zu, als sie die Richtigkeit einer nach den angegebenen Grundsätzen ermittelten Auslegung bestätigt oder Zweifel behebt, die auf dem angegebenen Weg allein nicht ausgeräumt werden können.“194 Doch auch über diese pauschale Erkenntnis hinaus erweisen sich die prinzipiellen Zweifel an einer konkludenten Ermächtigung nicht als durchschlagend. Unbestreitbar ist zwar, dass eine explizite Regelung durch den Gesetzgeber grundsätzlich wünschenswert ist, weil sie Rechtsklarheit schafft. Die ebenfalls unbestreitbar bestehenden Auslegungsschwierigkeiten bei der Feststellung, ob eine Ermächtigung konkludent eingeräumt wurde, taugen aber nicht dazu, die normative Notwendigkeit eines Ermächtigungsnachweises in Frage zu stellen.195 Der im Einzelfall verbleibende „Raum für Zweifel“196 ändert daran nichts, weil der Umstand, dass etwas tatsächlich mitunter schwierig ist, nicht per se widerlegt, dass es rechtlich geboten ist.197 Die Prognose, ob sich das erkennende Gericht bei der Auslegung eines Gesetzes im Einzelfall für oder gegen die Annahme eines konkludent eingeräumten Beurteilungsspielraums entscheidet, mag mitunter so schwierig sein, dass sich selbst ausgesprochene Fachleute wie Ossenbühl an „Kaffeesatzlesen“ erinnert fühlen. Eine nicht einfach zu prognostizierende Rechtsprechung ist aber angesichts eines zumeist sehr breiten Spektrums juristisch vertretbarer Meinungen der Normalfall und kann schon allein deshalb nicht als Begründung für die Ablehnung der Konstruktion einer normativen Ermächtigung führen. Hinsichtlich der Bildung von Fallgruppen ist zuzugestehen, dass es der Rechtsprechung nicht gestattet ist, aus eigener Kompetenz einen abschließenden Katalog von Fallgruppen festzulegen. Die kasuistisch entwickelten Fallgruppen können also nicht konstitutiver, sondern nur deskriptiver Natur sein. Der entsprechende Schlagwortkatalog erübrigt nicht die konkrete Einzelanalyse, sondern kann lediglich als Einstieg in ein mehrstufiges interpretatives Prüfverfahren dienen.198 Doch einen anderen Anspruch verfolgt die normative Ermächtigungslehre – wohl verstanden – auch gar nicht, wie in dieser Untersuchung bereits festgehalten wurde.199 194 Unter Aufnahme US-amerikanischer Impulse zum „original intent“ läuft die Debatte um den Willen des historischen Verfassungsgebers (dazu ausführlich Heun, AöR Band 116 (1991), S. 185, passim) gewissermaßen parallel zu der – hier in Frage stehenden – Auslegung einfacher Gesetze. 195 Jestaedt in: Erichsen / Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht (13. Auflage), § 10, Rn. 35. 196 Ibler, Rechtspflegender Rechtsschutz, S. 450. 197 Jestaedt in: Erichsen / Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht (13. Auflage), § 10, Rn. 35. 198 Jestaedt in: Erichsen / Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht (13. Auflage), § 10, Rn. 46.
D. Die Kritik an der normativen Erma¨chtigungslehre
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Unter dieser Prämisse ist der Rechtsprechung die Bildung von Fallgruppen aber nicht nur gestattet, sie ist sogar wünschenswert, weil sie einer Erhöhung der Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit für Verwaltung und Bürger (und auch für die Gerichte selbst) dient.200 Entsprechendes gilt für Systematisierungsversuche durch die Wissenschaft. Die soeben skizzierte Verortung der Fallgruppen mag von manchem Gericht missachtet worden sein, das sich stattdessen von sachfremden Motiven leiten ließ, wie Wilke gemutmaßt und dies in besonders scharfer Form kritisiert hat. Doch die gelegentliche fehlerhafte Ausführung im Einzelfall kann nicht Grund genug sein, eine ganze Fachgerichtsbarkeit prinzipiell in einer originär richterlichen Aufgabe – Gesetzesauslegung und Subsumtion – zu beschränken. Sonst würde sprichwörtlich das Kind mit dem Bade ausgeschüttet. Die zitierten Zweifel an der Rolle der Judikative gehen im Übrigen auch rechtspolitisch ins Leere, sofern die Interpretationskompetenzen, die den Gerichten zu entziehen wären, in die Hände der Behörden gelegt würden. Denn diesen gegenüber können prinzipiell identische Bedenken geäußert werden. Plakativ ausgedrückt: Ist die Zahl von Verwaltungsbeamten, deren Entscheidungen nicht auf rechtswissenschaftlicher Auslegung, sondern auf Praktikabilitätserwägungen beruhen201 geringer als die Zahl von Verwaltungsrichtern, denen derartiges unterstellt werden kann? Wohl kaum.202
III. Kritik an der Unterscheidung von Beurteilungsspielraum und Ermessen 1. Inhalt der Kritik Die normative Ermächtigungslehre setzt die Dichotomie von Rechtsfolgen- und Tatbestandsseite voraus, da sie – daran anknüpfend – die gerichtliche Überprüfung der Entscheidungen der Verwaltung hinsichtlich des Ermessens stets, hinsichtlich der unbestimmten Rechtsbegriffe dagegen grundsätzlich nicht beschränken möchte. Diese Prämisse der Dichotomie von Tatbestand und Beurteilungsspielraum einerseits sowie Rechtsfolge und Ermessen andererseits wurde von Teilen der Literatur immer wieder in Zweifel gezogen.203 Namentlich die so genannten „EinSiehe Seite 137 ff. So auch Pache, Tatbestandliche Abwägung, S. 121 m. w. N. 201 So die von Pache, Tatbestandliche Abwägung, S. 75 f. beschriebene Gefahr bei der Auslegung der Gesetze hinsichtlich eines Beurteilungsspielraums durch die Gerichte. 202 Vgl. insofern auch Jestaedt in: Erichsen / Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht (13. Auflage), § 10, Rn. 35: „Wie wenig fundiert die Kritik [i. e. an der normativen Ermächtigungslehre] ist, zeigt sich auch daran, dass die Alternativen, die genannt werden, weit grundsätzlicheren Einwänden ausgesetzt sind.“ 203 Theoretisch wäre eine Angleichung beider Seiten in die eine wie in die andere Richtung möglich; aktuell dreht sich die Diskussion aber nur um die mögliche Angleichung des 199 200
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heitstheorien“204 wenden sich gegen die unterschiedliche Handhabung, teilweise auch gegen die grundsätzliche Unterscheidung.205 In verfassungsdogmatischer Hinsicht wird dabei argumentiert, Ermessen und Beurteilungsspielraum unterstünden gleichermaßen dem Vorbehalt des Gesetzes sowie der Rechtsschutzgarantie, so dass sie einer gemeinsamen Behandlung zu unterziehen seien.206 Einige Vertreter der Einheitstheorien versuchen, die Unterscheidung nicht nur pauschal in Zweifel zu ziehen, sondern alternative übergreifende Ansätze zu entwickeln. Beispielsweise bildet Jestaedt ein einheitliches Modell des „administrativen Entscheidungsfreiraums“, in dem Beurteilungsspielraum, allgemeines Verwaltungsermessen und Planungsermessen integriert werden.207 Pache dagegen macht die Erforderlichkeit einer Abwägung als Grundlage für administrative Freiräume und Konkretisierungsbefugnisse zum zentralen Element seines umfassenden Ansatzes, welcher der Verwaltung im Ergebnis mehr Befugnisse zur Letztentscheidung überlässt.208 Ein weiteres Beispiel bildet der Vorschlag von Ramsauer, die Technik der Selbstentscheidung der Gerichte und die Technik der Fehlerkontrolle zu einer neuen Technik der „nachvollziehenden Kontrolle“ zu kombinieren.209 Im Zusammenhang mit den Vorschlägen, die Behandlung der Tatbestandsseite der Behandlung der Rechtsfolgenseite anzupassen, werden häufig verschiedenste Praktikabilitätserwägungen 210 angestellt, beispielsweise hinsichtlich volkswirtschaftlicher Aspekte.211 Sowohl unter diesem Blickwinkel der Praktikabilität als auch unter dem der zunehmenden Integration im europäischen Verwaltungsverbund212 wird in diesem Zusammenhang nachdrücklich auf die europäische PerBeurteilungsspielraums an das Ermessen, nicht umgekehrt. – Offenbar allein die Untersuchung von Ibler, Rechtspflegender Rechtsschutz, S. 178 f., auf die noch grundlegend einzugehen sein wird, deutet in die andere Richtung, siehe Seite 174 f. und Seite 190 ff. 204 Diesen plakativen Begriff verwendet beispielsweise Pache, Tatbestandliche Abwägung, S. 108. 205 Z. B. Starck in: FS Sendler, S. 167, 169 und passim; zustimmend Hain in: FS Starck, S. 35, 38. Ähnlich bereits Scholz, VVDStRL Band 34 (1975), S. 145, 167. – Ausführlich zu den Einheitstheorien Pache, Tatbestandliche Abwägung, S. 108 ff. m. w. N., der auch darstellt, dass deren Kritik an der herrschenden Meinung ihre Schwerpunkte teils hinsichtlich der Gemeinsamkeiten in der Entscheidungsstruktur, teils hinsichtlich normtheoretischer Gemeinsamkeiten, teils hinsichtlich kontrolltheoretischer Ansätze hat. 206 Jestaedt in: Erichsen / Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht (13. Auflage), § 10, Rn. 22. 207 Jestaedt in: Erichsen / Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht (13. Auflage), § 10, Rn. 27. 208 Pache, Tatbestandliche Abwägung, S. 457 – 506 (zusammenfassend S. 517 – 520). 209 Ramsauer in: Festgabe BVerwG, S. 699, 718 ff. 210 Vgl. Peter M. Huber, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 133. 211 Vgl. nur die ausführliche Darstellung von Pache, Tatbestandliche Abwägung, S. 149 – 191. 212 Vgl. Peter M. Huber in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band III (im Ersch.), § 45, Rn. 76 ff.
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spektive hingewiesen.213 Die dem deutschen Öffentlichen Recht bekannte Differenzierung zwischen Tatbestands- und Rechtsfolgenseite, namentlich die relativ hohe Kontrolldichte in der Verwaltungsgerichtsbarkeit, ist in Europa eine nahezu einzigartige Konstruktion.214 Sie findet auch im Recht der Europäischen Union keine Entsprechung.215 Erst recht ist das Konzept einer umfassenden verwaltungsgerichtlichen Überprüfungsdichte kein allgemeines europäisches Prinzip.216 Ebenfalls kritisch gegenüber der von der herrschenden Meinung zugrunde gelegten Unterscheidung zwischen Beurteilungsspielraum und Ermessen, aber dennoch deutlich zu scheiden von den vorgenannten Autoren sind einige Vertreter der Literatur, die meinen, es sei lediglich eine Frage der begrifflichen (!) Einordnung, ob die Trennung aufrechterhalten oder einem Oberbegriff untergeordnet werde.217
2. Eigene Überlegungen und Stellungnahme a) Zur Unterscheidung von terminologischer und inhaltlicher Fragestellung Zunächst ist dem zuletzt zitierten Gedanken zu widersprechen, nach dem es sich bei der vorliegenden Frage ausschließlich um eine begriffliche handle.218 Vielmehr ist die Auseinandersetzung um die Dichotomie von Beurteilungsspielraum und Ermessen keine Frage der Terminologie, sondern eine solche des dogmatischen Zugriffs.219 Bevor diesem inhaltlichen – nicht mit der terminologischen Frage zu vermengenden220 – Punkt sogleich weiter nachgegangen wird, soll die – tatsächlich rein terminologische – Frage, wie ein „Freiraum“ auf der Tatbestandsseite bezeich213 Bullinger in: FS Maurer, S. 565, 568 f.; Schmidt-Aßmann in: FS Scholz, S. 539, 549; Jestaedt in: Erichsen / Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht (13. Auflage), § 10, Rn. 28. 214 Ausführlich Pache, Tatbestandliche Abwägung, S. 192 – 236. Überblicksartig Ramsauer in: Festgabe BVerwG, S. 699, 709 f. 215 Peter M. Huber, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 133. Zum Einfluss des Gemeinschaftsrechts sowie der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs trotz fehlender unmittelbarerer Auswirkung auf das nationale Recht Gerhardt in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, VwGO, vor § 113, Rn. 34. 216 Brenner, Die Verwaltung 1998, S. 1, 24. 217 Redeker / von Oertzen, VwGO, § 114, Rn. 36 m. w. N. 218 So aber Redeker / von Oertzen, VwGO, § 114, Rn. 36 m. w. N. 219 Jestaedt in: Erichsen / Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht (13. Auflage), § 10, Rn. 13. 220 So scheint aber Brunner, Beurteilungsspielräume im neuen Jugendmedienschutzrecht, S. 50 – 53, diese unterschiedlichen Aspekte bei der Darstellung des Streitstandes um die so genannten Einheitstheorien zu verwischen. Auch vermengt Starck in: FS Sendler, S. 167, 173 die terminologische und die inhaltliche Dimension, ebenso Bullinger in: FS Maurer, S. 565, 565 und 568, wenn er im Zuge seines Vorschlags, die gerichtliche Kontrolle auf Tatbestandsseite zu reduzieren, von „Ermessen im weiten Sinne“ spricht.
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net werden soll, trotzdem beantwortet werden: Um (immer wieder auftretende221) Irritationen zu vermeiden, sollte der terminus technicus „Ermessen“ ausschließlich auf der Rechtsfolgenseite verwendet werden, und zwar auch dann, wenn man inhaltlich eine gleiche Behandlung im Sinne eines „einheitlichen Begriffs des Verwaltungsermessens“222 für wünschenswert hält.223 Diese Forderung ist im Übrigen nicht neu, vielmehr appellierte Bachof bereits vor über 50 Jahren an Wissenschaft und Rechtsprechung,224 unnötige Missverständnisse durch die ausschließliche Verwendung des Wortes „Ermessen“ auf der Rechtsfolgenseite zu vermeiden – bedauerlicherweise nicht mit vollständigem Erfolg. b) Zur Unterscheidung von Tatbestands- und Rechtsfolgenseite Die immer wieder unternommenen Versuche zur Vereinheitlichung sind nicht „grundsätzlich [ . . . ] mit positiver Resonanz aufgenommen“225 worden, vielmehr bekämpfen beachtliche Stimmen des rechtswissenschaftlichen Schrifttums die getroffenen Vorschläge mit besonderem Nachdruck. Bereits Stern hat festgehalten, die Gleichsetzung von Ermessen auf Rechtsfolgenseite und (möglichen) Beurteilungsspielräumen auf Tatbestandsseite verkenne deren jeweiliges Wesen.226 Auch Schoch betont, an dieser rechtsdogmatischen Unterscheidung des deutschen Verwaltungsrechts sei ungeachtet gewisser Gemeinsamkeiten festzuhalten, weil damit ein erheblicher Rationalitätsgewinn verbunden sei.227 Maurer wendet sich besonders energisch gegen jedwede Relativierung der Unterscheidung:228 Wenn auch Gemeinsamkeiten bestünden, insbesondere auf beiden Seiten bestimmte Wertungen erforderlich seien, handle es sich beim unbestimmtem Rechtsbegriff und bei der Ermessenseinräumung um verschiedene Erscheinungen der tatsächlichen und rechtlichen Wirklichkeit, die differenziert beurteilt werden könnten und müssten. Es sei inkonsequent, die Unterschiede zu erkennen, daraus aber keine rechtlichen Folgerungen zu ziehen. Dieser „Kritik an der Kritik“ ist zuzustimmen. Was zunächst zugrunde gelegt werden kann, ist die typische Aufteilung von Normen in Tatbestand und Rechts221 Auch der Gesetzgeber verwendet gelegentlich eine irreführende Terminologie, was bereits Bachof, JZ 1955, S. 97, 98 ausdrücklich kritisierte. – Daher kann Sendler, NJW 1986, S. 1084, 1085 Fn. 3 nicht darin gefolgt werden, wenn er diesen Umstand als Argument für eine Gleichbehandlung zu verwenden scheint. 222 So Scholz, VVDStRL Band 34 (1975), S. 145, 149. 223 Zustimmungswürdig daher Peter M. Huber, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 122: „Es lässt sich somit festhalten, dass Ermessen auf der Rechtsfolgenseite und nicht auf der Tatbestandsseite einer Norm angesiedelt ist.“ 224 Bachof, JZ 1955, S. 97, 98. 225 So aber Brunner, Beurteilungsspielräume im neuen Jugendmedienschutzrecht, S. 53. 226 Stern, Staatsrecht Band II, § 41 III 3 c a. E. 227 Schoch, Jura 2004, S. 612, 614 m. w. N. 228 Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 7, Rn. 55.
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folge. Zwar ist richtig, dass aus dieser Aufteilung noch nicht a priori Unterschiede für die verwaltungsgerichtliche Kontrolle folgen.229 Doch andererseits kann weder aus dem legistisch-pragmatischen Befund der rechtspolitischen Austauschbarkeit von unbestimmtem Rechtsbegriff und Ermessen noch aus der Möglichkeit der Kombination beider Elemente auf angebliche gleitende Übergänge geschlossen werden.230 Während sich auf der Tatbestandsseite entscheidet, ob die Verwaltung überhaupt handeln darf, geht es auf der Rechtsfolgenseite typischerweise231 (lediglich) darum, wie die Verwaltung gegenüber dem Bürger handelt. Der in Art. 20 Abs. 3 GG wurzelnde, rechtsstaatlich essentielle Vorbehalt des Gesetzes232 zielt aber zuvörderst auf das „Ob“ des staatlichen Handelns,233 weil der Gesetzgeber die Verwaltung nur für den Fall des Vorliegens des Tatbestands ermächtigt hat, überhaupt gegenüber dem Bürger zu handeln.234 Eine Freistellung des „Obs“ der Anwendung einer Norm muss am Vorrang des Gesetzes gem. Art. 20 Abs. 3 GG scheitern.235 Insofern ist die Aufrechterhaltung der Dichotomie von Beurteilungsspielraum und Ermessen auch verfassungsrechtlich hinterlegt. Zwar erscheint vertretbar, die Unterschiede zwischen Tatbestand und Rechtsfolge lediglich als hinreichenden, nicht jedoch als notwendigen Anknüpfungspunkt für Unterschiede (auch) bei der gerichtlichen Kontrolle heranzuziehen. Letztendlich kann aber m. E. für die Verortung des aktuellen deutschen Verwaltungsrechts nicht übergangen werden, dass die – wie im Einzelnen auch immer strukturierte – unterschiedliche Behandlung seit Jahrzehnten in der Rechtswirklichkeit eingebürgert ist.236 Nicht nur die Rechtsprechung, auch der Gesetzgeber setzt dieses „Axiom deutscher Verwaltungsrechtsdogmatik“237 offensichtlich als bestehend voraus.238 Würde man das geltende Recht ohne weiteres entsprechend der abweiSoweit übereinstimmend Hain in: FS Starck, S. 35, 37. Jestaedt in: Erichsen / Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht (13. Auflage), § 10, Rn. 16. 231 Das gilt selbst für den Fall, dass die Verwaltung im Rahmen eines Entschließungsermessens auf ein Tätigwerden verzichten kann, weil es immer noch einen Unterschied darstellt, ob sie untätig bleiben muss oder ob sie untätig bleiben will. 232 Vgl. Peter M. Huber, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 77 ff. 233 Andere Ansicht Jestaedt in: Erichsen / Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht (13. Auflage), § 10, Rn. 22. 234 Pache, Tatbestandliche Abwägung, S. 45 m. w. N., wenn auch mit Blick auf die Befugnis des Gerichts zur Sachverhaltsermittlung. 235 Peter M. Huber, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 122. 236 Das müssen selbst kritische Stimmen wie Sendler, NJW 1986, S. 1084, 1085, Fn. 3 und S. 1086 eingestehen, auch wenn Sendler diese Entwicklung als „wenig glücklich“ sowie als „Irrweg“ bezeichnet. – Hain in: FS Starck, S. 35, 38 ff. geht in seiner rechtstheoretischen Betrachtung auf diesen Aspekt leider nicht ein. 237 Peter M. Huber, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 1222. 238 Ähnlich Gerhardt in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, VwGO, vor § 113, Rn. 32. 229 230
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chenden Vorschläge auslegen, so verliehe man insbesondere den in den letzten Jahrzehnten verabschiedeten Gesetzen eine Wirkung, die weder Gesetzgeber noch Bürger in dieser Dimension hätten erahnen können. Der Gesetzgeber hätte nicht einmal für bestimmte einzelne Bereiche eine vollumfängliche gerichtliche Überprüfung anordnen können, was angesichts eines (dann ja vorauszusetzenden!) Grundsatzes einer beschränkten gerichtlichen Überprüfung nötig wäre. Somit kann den Einheitstheorien de lege lata nicht gefolgt werden.
c) Zu den Praktikabilitätserwägungen und der europäischen Perspektive Aus rechtspolitischer Sicht mögen eine Reihe praktischer Gründe für die Anerkennung von Spielräumen der Exekutive auf der Tatbestandsseite bestehen.239 Beispielsweise ist die Überlegung durchaus nachvollziehbar, nach der die Verwaltung vor allem in mehrseitigen Verwaltungsrechtsverhältnissen weniger Partei sei, sondern zunehmend in die Rolle eine Schiedsrichters gerate und auch in Hinblick auf ihre Sach- und Ortskenntnis für diese Rolle mindestens so gut geeignet sei wie die Gerichte.240 Auch ist nicht von der Hand zu weisen, dass es zunehmend schwer fallen wird,241 das besondere Rechtsverständnis in Deutschland gegenüber dem Einfluss der Europäischen Gemeinschaft und deren Mitgliedsstaaten aufrechtzuerhalten.242 Diese rechtspolitischen Überlegungen sind jedoch zu trennen von der Auslegung des aktuellen Rechts.243 Denn die Plausibilität oder „Vernünftigkeit“ als solche 239 So Peter M. Huber, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 133. – Zweifelnd dagegen mit Hinweis auf nicht ausreichende empirische Belege Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 7, Rn. 61. 240 Peter M. Huber, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 133. 241 Eine andere Ansicht zum Einfluss der Rechtsordnungen anderer Mitgliedsstaaten mit geringerer Kontrolldichte liegt der polemischen Einschätzung von Sendler, DVBl. 1994, S. 1089, 1100 f. zugrunde: „Aber kann das ein Grund sein, bei uns zurückzustecken und Laxheiten anderer zu übernehmen? Mögen doch die anderen ebenfalls Rechtsvergleichung betreiben, dabei unsere Errungenschaften kennen lernen und sich ihnen daraufhin anschließen. Darin ist doch der Sinn der Rechtsvergleichung zu sehen. So etwas Gutes wie unseren Rechtsstaat mit seinen richterrechtlichen Wucherungen und Wurmfortsätzen haben wir sonst kaum anzubieten, abgesehen vielleicht von der Deutschen Mark.“ 242 Bemerkenswert ist darüber hinaus, dass das Gemeinschaftsrecht den nationalen Gesetzgeber dazu zwingen kann, solche Voraussetzungen zu schaffen, die unter Umständen zu einem Beurteilungsspielraum führen; beispielsweise geht BVerwG, NJW 2007, S. 2790, 2792 ff. davon aus, dass der Landesgesetzgeber gemeinschaftsrechtlich zur Einrichtung von unabhängigen sachverständigen Gremien hinsichtlich der Bewertung von Wein gezwungen sei und dass die Existenz eben eines solchen Gremiums zur Annahme eines Beurteilungsspielraums führe. Insofern ist eine interessante weiterführende Frage darin zu erkennen, ob – unter Zugrundelegung bestimmter national-verwaltungsrechtlicher Annahmen – das Gemeinschaftsrecht die Einräumung von Beurteilungsspielräumen durch den nationalen Gesetzgeber erzwingt.
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ersetzen nicht den Nachweis, dass die Verteilung der Letztentscheidungsbefugnis der (verfassungs- oder gesetzes-)rechtlichen positivierten entspricht.244Auch der Umstand allein, dass die andersartige Behandlung der Tatbestandsseite im europäischen Vergleich einen deutschen „Sonderweg“ darstellt, ist allein kein Grund, ihn aufzugeben.245 Vielmehr ist festzuhalten, dass die deutsche Rechtsordnung de lege lata weiter ausgreift als die anderer Länder Europas.246 Zwar mag sein, dass die Rechtsdogmatik als Systematisierung der zu anerkannten Argumentationsfiguren sedimentierten Konstruktionen von Rechtswissenschaft und -praxis „auf Beweglichkeit angewiesen“ ist.247 Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass hier nicht eine beiläufige, sich ohnehin im Fluss befindliche Frage der systematischen Einordnung von Rechtsfiguren in Rede steht. Die Dichotomie von Beurteilungsspielraum und Ermessen gehört seit mehr als einem halben Jahrhundert zum essentiellen Grundbestand des deutschen allgemeinen Verwaltungsrechts; zudem ist dieses „Axiom deutscher Verwaltungsrechtsdogmatik“248 durch eine – trotz aller beschriebenen Uneindeutigkeit im Übrigen – in diesem Punkt unveränderte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gefestigt. Schließlich setzt sie auch der Gesetzgeber als bestehend voraus, wie die (wenn auch seltenen) Fälle einer expliziten Einräumung eines Beurteilungsspielraums zeigen. d) Schlussfolgerung Tatbestands- und Rechtsfolgenseite sind nicht nur verschieden, sie sind de lege lata auch hinsichtlich der gerichtlichen Kontrolle unterschiedlich zu behandeln. Dies gilt jedenfalls so lange, bis der Gesetzgeber einen abweichenden Willen zum Ausdruck gebracht hat. Ob darüber hinaus auch eine Änderung der Verfassung nötig ist, hängt namentlich von der Interpretation des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG ab, zu der im Anschluss Stellung zu nehmen ist. 243 Eine Differenzierung in der Argumentation de lege lata und de lege ferenda ist dagegen bei Gerhardt in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, VwGO, vor § 113, Rn. 24 leider nicht klar erkennbar. – Schmidt-Aßmann in: FS Scholz, S. 539, 549 hält zwar fest, dass die europäische Perspektive „den Bedarf nach einer Konzeptänderung erhöht“, übersieht dabei aber m. E., dass damit nicht zugleich gesagt ist, ob eine solche „Konzeptänderung“ durch Gesetzesauslegung oder Gesetzesänderung erfolgen kann bzw. muss. 244 Jestaedt in: Erichsen / Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht (13. Auflage), § 10, Rn. 35. 245 Hoffmann-Riem in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band I, § 10, Rn. 73. – Der Sonderweg kann sogar als bewusste Entscheidung interpretiert werden, so (wenngleich primär mit dem Blick auf den Willen des Verfassungsgebers) Schmidt-Aßmann in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, VwGO, Band I, Einleitung, Rn. 183. 246 Schmidt-Aßmann in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band I, § 5, Rn. 71. 247 So Hoffmann-Riem in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band I, § 10, Rn. 73. 248 Peter M. Huber, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 122.
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IV. Kritik an der Interpretation von Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG 1. Rekurs: Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG in der normativen Ermächtigungslehre Der Vorschrift des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG wird von der herrschenden normativen Ermächtigungslehre neben dem allgemeinen (und wohl auch allgemein anerkannten) Gebot effektiven Rechtsschutzes249 auch der besondere Grundsatz der Vollumfänglichkeit der gerichtlichen Überprüfung entnommen,250 so dass demnach ein Verstoß gegen diese Verfassungsnorm vorläge, wenn der Verwaltung stets ein Beurteilungsspielraum zugestanden würde.251 Andererseits soll Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG aber einschränkende Ausnahmen nicht völlig verbieten, obwohl er vorbehaltlos formuliert ist.252 Dies erfolge ähnlich der Einschränkung schrankenlos gewährleisteter Grundrechte,253 dementsprechend bedürfe es kollidierenden Verfassungsrechts als Rechtfertigungsgrund, zudem müsse die Verhältnismäßigkeit gewahrt bleiben.254 Von Vertretern der normativen Ermächtigungslehre werden verschiedene Rechtfertigungsgründe, in teils alternativer, teils kumulativer Weise vorgeschlagen. Häufig wird auf so genannte „Funktionsgrenzen“255 der Rechtsprechung angesichts von Sachverhalten mit großer „Komplexität“256 und unter Berücksichtigung einer größeren Sachkunde des „Fachpersonals“257 der Verwaltung hingewiesen.258 Ähnlich gelagert ist die Idee, Art. 20 Abs. 3 GG enthalte das Gebot einer „möglichst richtigen“ hoheitlichen Entscheidung und in bestimmten Bereichen sei eine richtige Entscheidung wahrscheinlicher, wenn sie durch die Verwaltung und nicht durch die Gerichte getroffen werde.259 Teilweise werden diese Vgl. z. B. Jarass in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 19, Rn. 50. Degenhart, Staatsrecht I, Rn. 422. 251 In diesem Sinne z. B. Schulze-Fielitz in: Dreier, GG, Art. 19 IV, Rn. 94 f., insbesondere hinsichtlich eines zwischenzeitlich diskutierten § 114a VwGO mit entsprechendem Inhalt (Hervorhebung nicht im Original). Vgl. zur Diskussion um die Idee eines § 114a VwGO bereits Bachof, JZ 1955, S. 97, 97. 252 BVerfGE 101, 106, 124. Zustimmend Oster, DÖV 2004, S. 916, 920. Ebenso Degenhart, Staatsrecht I, Rn. 422. 253 Peter M. Huber in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Band 1, Art. 19, Rn. 372. 254 BVerfGE 101, 106, 125; Peter M. Huber in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Band 1, Art. 19, Rn. 373 a. E. 255 Ramsauer in: Festgabe BVerwG, S. 699, 717. 256 So auch BVerfGE 84, 34, 50. 257 Brunner, Beurteilungsspielräume im neuen Jugendmedienschutzrecht, S. 57. 258 Auch Bullinger in: FS Maurer, S. 565, 573 f. nennt die Gründe „Funktionsgrenzen“, „Komplexität“, „besondere Sachkunde der vollziehenden Behörde“ u. a. in einem Zusammenhang. 249 250
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Gedanken auch mit dem Prinzip der Gewaltenteilung begründet.260 Davon zu unterscheiden ist der Vorschlag, die Funktionsfähigkeit der Verwaltung als Rechtfertigungsgrund heranzuziehen, die durch eine verringerte gerichtliche Revidierbarkeit verbessert sein könne.261 Schließlich vergleicht ein anderer Begründungsansatz die Einräumung eines Beurteilungsspielraums mit der Einräumung von Ermessen durch den einfachen Gesetzgeber; aus Sicht des Bürgers mache es keinen erkennbaren Unterschied, ob ein Freiraum zugunsten der Verwaltung auf Tatbestands- oder Rechtsfolgenseite bestehe, und wenn die Ermessenseinräumung nach allgemeiner Meinung mit Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG vereinbar sei, so sei es sinnwidrig, die Einräumung eines Beurteilungsspielraum als damit unvereinbar anzusehen.262
2. Bedeutung der Fragestellung und aktueller Forschungsstand Was Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG zulässt bzw. gebietet, ist die zentrale verfassungsrechtliche263 und damit die wohl wichtigste Frage für die normative Ermächtigungslehre überhaupt.264 Ihre beiden wesentlichen Grundannahmen, ob also erstens ein Grundsatz der vollumfänglichen Überprüfbarkeit besteht und zweitens, ob 259 Sieckmann, DVBl. 1997, S. 101, 107 stellt diese Frage, lässt sie aber zugleich offen; in Fn. 101 hält er lediglich fest, dass die größere Richtigkeitsgewähr „allein noch keine Beschränkung der gerichtlichen Kontrollkompetenzen begründen“ könne. 260 In diesem Sinne Schmidt-Eichstaedt, AöR Band 98 (1973), S. 173, 190 f. Ähnlich Koenig, VerwArch Band 83 (1992), S. 351, 364 und 372 am Beispiel des Prüfungsrechts. Schulze-Fielitz, JZ 1993, S. 772, 779 verweist auf die „Eigenverantwortung der Verwaltung im Rahmen der Gewaltenteilung“. 261 Vgl. Peter M. Huber in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Band 1, Art. 19, Rn. 377. 262 Sendler in: FS Ule, S. 337, 342. Ebenso Schenke, JZ 1988, S. 317, 323. 263 Soweit ersichtlich, wurde gegen einen Beurteilungsspielraum im Sinne der normativen Ermächtigungslehre außerdem nur noch eine weitere Verfassungsnorm ins Feld geführt: Schmieder, Risikoentscheidungen im Gentechnikrecht, S. 306 meint, in der Einräumung von Beurteilungsspielräumen einen Verstoß gegen Art. 97 Abs. 1 Halbsatz 2 GG erkennen zu können, weil Beurteilungsspielräume regelmäßig keine formellen Gesetze darstellten, sondern richterrechtlich begründet seien, so dass die Gerichte ihre Entscheidungsgewalt ebenso selbst beschränkten, als ob sie der Einzelanweisung einer Behörde folgten. Diese Kritik kann aber ohne weiteres zurückgewiesen werden, weil sie bereits den grundlegenden Ansatz der normativen Ermächtigungslehre verkennt, die gerade nicht auf einen souveränen Verzicht des Gerichts, sondern auf eine Ermächtigung der Exekutive durch den Gesetzgeber abstellt, an welche die Gerichte ebenso wie an jedes andere Gesetzesrecht gebunden sind; dass diese Ermächtigung zumeist konkludent erfolgt und daher im Wege der Auslegung durch das Gericht ermittelt werden muss, ändert daran nichts. 264 Kritisch Schmidt-Aßmann in: FS Scholz, S. 539, 540: „Jahrelang hatte man in diese Verfassungsvorschrift viel hinein- und noch mehr aus ihr herausgelesen. Das Aufspüren wirklicher oder vermeintlicher Rechtsschutzdefizite war eine gern geübte Beschäftigung in Fachzeitschriften.“
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5. Teil: Beurteilungsspielraum zugunsten der Verwaltung
dieser Grundsatz relativer oder absoluter Natur ist, stehen und fallen mit der Interpretation dieser Verfassungsvorschrift.265 Umso bedauerlicher ist es, dass die soeben skizzierten Begründungsansätze häufig nicht tiefgreifend genug zu erfolgen scheinen. Gerade hier trifft die bereits zitierte Kritik von Wilke an den „Ad-hoc-Begründungen“ ohne inneren Zusammenhang und mangelnde Überzeugungskraft zu.266 Beispielsweise führt Herzog zur Begründung seines Standpunkts ein denkbar vages Argument an: „[ . . . ] jeder, der einmal mit einer Rechtsnorm umgegangen ist, [weiß,] dass sie im Regelfall auch Ausnahmen zulässt und das braucht bei Art. 19 Abs. 4 GG nicht von vornherein anders zu sein.“267 Wiederum andere verzichten gänzlich auf eine Begründung, nicht nur die Autoren „kleinerer Lehrbücher“,268 sondern auch jene umfassender Werke – so stellt z. B. Stern lediglich die Behauptung auf, die Verfassungsvorschrift des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG gebiete den Grundsatz vollumfänglicher gerichtlicher Überprüfung, der Ausnahmen zugänglich sei, nennt hierfür aber nicht einen einzigen Grund.269 Derartige Lücken vergrößern naturgemäß die Angriffsfläche für die Kritik an der normativen Ermächtigungslehre, und zwar auch für Kritik mit diametral entgegengesetzten Stoßrichtungen:270 Während ein Teil der Literatur bestreitet, dass Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG überhaupt einen Grundsatz vollumfänglicher verwaltungsgerichtlicher Überprüfung enthält, kritisiert ein anderer Teil die Möglichkeit von Ausnahmen. Bei der sogleich folgenden Darstellung und Bewertung des Streitstands ist daher zu beachten, dass die verschiedenen Kritiker untereinander teil265 Wie BVerwG, NJW 2007, S. 2790, 2793 feststellt, geht das Gemeinschaftsrecht hinsichtlich des effektiven Rechtsschutzes jedenfalls nicht über den Inhalt von Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG hinaus, so dass hier eine gesonderte Überprüfung der gemeinschaftsrechtlichen Dimension entbehrlich erscheint. 266 Wilke in: Merten, Gewaltentrennung im Rechtsstaat, S. 135, 139. Auch Hain in: FS Starck, S. 35, 39 kritisiert (wenn auch mit anderer Stoßrichtung), dass die „Masse der Verwaltungsrechtler“ bestimmte Prämissen kaum mehr kritisch hinterfrage. 267 Herzog, NJW 1992, S. 2601, 2602; auf S. 2605 zieht Herzog aus der Problematik im Wesentlichen die Konsequenz, die Gerichte sollten von sich aus dann auf eine Korrektur der Verwaltungsentscheidung verzichten, wenn sie von sich selbst eine Entscheidung mit geringerer Sachqualität erwarteten, was er wie folgt rechtfertigt: „In angelsächsischen Ländern sind solche hausbackenen Begründungen in vielen Gerichtsentscheidungen zu lesen, nur in Deutschland versteckt man sie gern hinter einer Wolke hochgemuter theoretischer Ausführungen.“ 268 So aber die (überraschend scharfe) Kritik von Schmidt-Aßmann in: FS Scholz, S. 539, 548 mit Bezug auf Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 7, Rn. 31 ff.; dem dabei geäußerten Vorwurf, Gegenauffassungen würden nicht zur Kenntnis genommen, kann angesichts der 16 Seiten umfassenden und zahlreiche andere Auffassungen zitierenden Abhandlung allerdings nicht zugestimmt werden. 269 Stern, Staatsrecht Band I, § 20 IV 5 f.) . 270 Angesichts der (sogleich im Einzelnen darzustellenden) vielstimmigen Kritik erscheint es befremdlich, wenn Schulze-Fielitz in: Dreier, GG, Art. 19 IV, Rn. 95 eine „ausdrückliche präzise Grundsatzentscheidung des Art. 19 IV GG“ annimmt.
D. Die Kritik an der normativen Erma¨chtigungslehre
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weise höhere inhaltliche Diskrepanzen aufweisen als gegenüber der (eigentlich angegriffenen) normativen Ermächtigungslehre.
3. Inhalt einzelner Kritikpunkte a) Alternative Interpretation des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG als Gebot „optimalen“ Rechtsschutzes Vereinzelt wird die Auffassung vertreten, Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG sei ein Gebot „optimalen“ Rechtsschutzes zu entnehmen:271 Bei bestimmten Entscheidungen würde eine vollumfängliche Überprüfung dazu führen, dass die Verwaltungsgerichte Aufgaben übernehmen müssten, für die sie im Gegensatz zur Verwaltung nicht gerüstet seien. Daher führe eine vollumfängliche gerichtliche Prüfung zu einem „maximalen“, aber nicht zu einem „optimalen“ Rechtsschutz; optimal sei der Rechtsschutz nur dann, wenn das Interesse des Bürgers an diesem Rechtsschutz mit seinem Interesse an einer leistungsfähigen Verwaltung in Einklang gebracht werde. b) Verneinung der Ausnahmefähigkeit des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG aa) Vorbemerkung Wenn man – wie die herrschende Meinung – annimmt, Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG beinhalte den Grundsatz einer vollumfänglichen gerichtlichen Überprüfung, ist damit nicht automatisch (zumindest nicht in logisch zwingender Weise) die Frage beantwortet, ob dieser Grundsatz relativ oder absolut ist, ob also Ausnahmen272 möglich sind oder nicht273 (auch wenn dies in der Diskussion häufig übersehen oder ignoriert wird274). Die von der normativen Ermächtigungslehre angenommene Ausnahmefähigkeit von Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG ist Anlass zur Kritik derjenigen Vertreter der Literatur, die Beurteilungsspielräume weiter beschränken wollen; dabei lassen sich zwei grundlegend unterschiedliche Ansätze unterscheiden, die über jeweils einen herausgehobenen Protagonisten verfügen und im Folgenden getrennt darzustellen sind. 271 Redeker, DÖV 1971, S. 757, 758. – In eine ähnliche Richtung führt die erst jüngst wieder von Schmidt-Aßmann in: FS Scholz, S. 539, 541 f. bekräftigte Position, gerichtliche Kontrolle solle nicht „maximal“, sondern „ausgewogen“ bzw. „adäquat“ sein. 272 Der Begriff „Ausnahmen“ ist hier im logischen Sinne eines Regel-Ausnahme-Prinzips und nicht etwa in einem empirisch-statistischen Sinne zu verstehen, insofern missverständlich Schmidt-Aßmann in: FS Scholz, S. 539, 551. 273 Entgegen der anderen Ansicht von Herzog, NJW 1992, S. 2601, 2602 kann dies nicht als selbstverständlich vorausgesetzt werden. 274 Vgl. z. B. Redeker / von Oertzen, VwGO, § 114, Rn. 38, Jarass in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 19, Rn. 63 ff., Schenke, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 751 ff.
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5. Teil: Beurteilungsspielraum zugunsten der Verwaltung
bb) Die Lehre Maurers Maurer macht zum Ausgangspunkt seiner Überlegungen, dass Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG nicht unter Gesetzesvorbehalt steht.275 Darüber hinaus gelte die Vorschrift „angesichts des klaren Wortlauts und der eindeutigen ratio legis“276 auch „ausnahmslos“.277 Daher sei es „nicht haltbar“, die für die Einschränkung vorbehaltlos gewährter Grundrechte entwickelten Grundsätze auf Art. 19 Abs. 4 GG anzuwenden, insbesondere könne in der Effektivität der Verwaltung kein kollidierendes Verfassungsrecht gesehen werden.278 Daher gebe es nur zwei Möglichkeiten, gemäß derer eine gesetzgeberische Ermächtigung für einen Beurteilungsspielraum verfassungsgemäß sein könne: Entweder habe die Einschränkung der gerichtlichen Überprüfung ausdrücklich auf verfassungsrechtlicher Ebene nach dem Vorbild von Art. 44 Abs. 4 Satz 1 GG sowie Art. 41 GG zu erfolgen.279 Andernfalls seien Ausnahmen von der vollumfänglichen Kontrolle nur dann in verfassungsgemäßer Weise vom einfachen Gesetzgeber normierbar, wenn hinsichtlich einer besonderen Entscheidungssituation oder einer besonderen Sachmaterie die gerichtliche Überprüfung nicht oder nicht in vollem Umfange möglich sei, weil sie auf „sachlich und damit rechtlich unüberwindbare Grenzen“ stoße.280 Maurer drückt es deutlich aus: „Die gesetzliche Ermächtigung [ . . . ] ist nur dann verfassungsgemäß und damit beachtlich, wenn sie einen sachbedingten Ausnahmefall aufnimmt und regelt.“281 – Jedoch möchte sich Maurer damit nicht gegen die Rechtsprechung, namentlich nicht gegen Bundesverfassungsgericht und Bundesverwaltungsgericht stellen: Die von der Rechtsprechung entwickelten Ausnahmen seien unter den von ihm konstatierten Voraussetzungen „vertretbar“.282 cc) Die Lehre Iblers Auch Ibler kritisiert die Handhabung von Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG durch die herrschende Meinung, sein Ansatz283 ist jedoch deutlich von dem Maurers zu un275 Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 7 Rn. 62. – Schmieder, Risikoentscheidungen im Gentechnikrecht, S. 142 bezeichnet die Lehre Maurers als die „Lehre vom prozessualen Beurteilungsspielraum“, dieser Terminologie soll vorliegend aber nicht gefolgt werden. 276 Maurer, Staatsrecht I, § 8, Rn. 33. 277 Maurer, Staatsrecht I, § 8, Rn. 33 i. V. m. § 9 Rn. 63. 278 Maurer in: FS Bundesverfassungsgericht, Band 2, S. 467, 490. 279 Maurer in: FS Bundesverfassungsgericht, Band 2, S. 467, 491. – Erstaunlicherweise findet dabei Art. 10 Abs. 2 Satz GG i. V. m. Art. 19 Abs. 4 Satz 3 GG keine Erwähnung, obwohl dies m. E. nahe gelegen hätte. 280 Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 7 Rn. 62. 281 Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 7 Rn. 62. 282 Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 7 Rn. 62. 283 Schmieder, Risikoentscheidungen im Gentechnikrecht, S. 177 ff. folgt weitestgehend dem Standpunkt von Ibler, in ihren Ausführungen überschneiden sich jedoch in teils recht
D. Die Kritik an der normativen Erma¨chtigungslehre
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terscheiden. Ibler gesteht der normativen Ermächtigungslehre zu, dass Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG auch ohne ausdrücklichen Vorbehalt zum Schutz höher- oder gleichrangiger Verfassungsgüter eingeschränkt werden dürfe.284 Hierzu zähle grundsätzlich auch die Funktionsfähigkeit der Verwaltung.285 Im Gegensatz zur herrschenden Lehre sieht Ibler diesen theoretischen Fall jedoch als praktisch nie gegeben an. Beschränkungen seien „besonders“ begründungsbedürftig, stets sei ein „geringerer Eingriff“ wie eine Beweislastverteilung vorrangig, wenn damit das jeweilige Ziel ebenso erreicht werden könne.286 Insbesondere hinsichtlich der Funktionsfähigkeit der Verwaltung sei es aber „wenig wahrscheinlich“, dass die vollumfängliche gerichtliche Kontrolle diese Funktionsfähigkeit beeinträchtige, weder bei isolierter Betrachtung des Einzelfalls, noch bei Berücksichtigung einer hohen Gesamtzahl von Kontrollfällen.287 Demnach seien die von der herrschenden Meinung anerkannten Fallgruppen, insbesondere im „Hauptanwendungsfeld“ des Prüfungsrechts, nicht zustimmungswürdig.288 In historischer Hinsicht interpretiert Ibler die Lehre vom Beurteilungsspielraum als eine Art Zwischenstadium: Hätte die Verwaltung früher über sehr große Freiräume verfügt, die nicht gerichtlich kontrolliert worden seien, so sei es das Verdienst der Lehre vom Beurteilungsspielraum gewesen, diese Freiräume auf einige wenige Gebiete zu begrenzen; das nach seiner Auffassung von Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG umfasste Ziel sei damit aber noch nicht vollständig erreicht, vielmehr sei zukünftig stets eine vollumfängliche gerichtliche Kontrolle geboten, sofern nur subjektive Rechte von Bürgern betroffen seien.289 Wie umfassend Ibler die gerichtliche Kontrolle gestaltet wissen möchte, zeigt sich auch in seinen weiteren Ausführungen, in denen er aufgrund seiner Interpretation von Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG – ausdrücklich gegen die herrschende Meinung – auch bei Ermessensentscheidungen eine „umfassende Gerichtskontrolle“ fordert.290
unübersichtlicher Weise einerseits die abstrakte Kritik an der Rechtsfigur des Beurteilungsspielraums und andererseits die Subsumtion spezieller gentechnikrechtlicher Fragestellungen anhand der (von ihr gerade in Zweifel gezogenen) Annahmen der normativen Ermächtigungslehre. 284 Ibler, Rechtspflegender Rechtsschutz, S. 448. 285 Ibler, Rechtspflegender Rechtsschutz, S. 183; auf S. 448 wird auch die Funktionsfähigkeit der Gerichtsbarkeit angesprochen, was aber nicht umfassend ausgeführt wird. 286 Ibler, Rechtspflegender Rechtsschutz, S. 392. 287 Ibler, Rechtspflegender Rechtsschutz, S. 183. 288 Ibler, Rechtspflegender Rechtsschutz, S. 183. 289 Ibler, Rechtspflegender Rechtsschutz, S. 183. 290 Ibler, Rechtspflegender Rechtsschutz, S. 178 f.
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5. Teil: Beurteilungsspielraum zugunsten der Verwaltung
c) Verneinung der Vermutung zugunsten vollumfänglicher gerichtlicher Überprüfbarkeit Wiederum anders ist ein Teil der Kritik gelagert, der zwar sowohl den Grundsatz vollumfänglicher gerichtlicher Überprüfung als auch dessen Ausnahmefähigkeit akzeptiert, jedoch an der Konstruktion einer Vermutung zweifelt.291 Diese Meinung lehnt die Regel-Ausnahme-Konzeption als solche ab, denn sie sei „nicht geeignet, eine sachgerechte Abgrenzung zu ermöglichen“. Stattdessen solle auf den jeweiligen Verwaltungsbereich abgestellt werden.
4. Eigene Überlegungen und Stellungnahme a) Vorbemerkung zur Unterscheidung von Prozessformalitäten und Beurteilungsspielraum Im Zusammenhang mit der Diskussion um den Beurteilungsspielraum wird immer wieder bemerkt, einfachgesetzliche Beschränkungen bei der Ausgestaltung des Rechtswegs seien mit Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG grundsätzlich vereinbar.292 Diese Aussage ist für sich genommen durchaus zustimmungswürdig, jedoch potentiell irreführend, weil häufig nicht mit der notwendigen Deutlichkeit zwischen zwei Komplexen getrennt wird: Auf der einen Seite gibt es Prozessformalitäten wie beispielsweise Fristen, Formvorschriften, auch Präklusionsvorschriften zählen hierzu (das Bundesverfassungsgericht spricht insoweit von der „Ausgestaltung des Rechtswegs“293). Auf der anderen Seite steht der Beurteilungsspielraum (den das Bundesverfassungsgericht als eine Frage der „Intensität der gerichtlichen Konrolle“ umschreibt294). Eine Vermischung dieser beiden Dimensionen295 bei der Interpretation von Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG ist weder zweckmäßig noch dogmatisch überzeugend; gemeinsam ist ihnen lediglich, dass beide den Rechtsschutz suchenden Bürger einschränken können, im Übrigen bestehen entscheidende Unterschiede: Einerseits können Prozessformalitäten den Bürger unter Umständen im Ergebnis wesentlich stärker belasten als die Einräumung eines Beurteilungsspielraums. 291 Wolff / Bachof / Stober / Kluth, Verwaltungsrecht I, § 31, Rn. 20. Auch Bullinger in: FS Maurer, S. 565, 570 f. lehnt ausdrücklich eine Regel-Ausnahme-Konstruktion ab, der Schwerpunkt seiner Kritik ist aber wie gezeigt an anderer Stelle zu sehen. 292 So z. B. Maurer, Staatsrecht I, § 8, Rn. 33. – Kaum beachtet wird bislang die Problematik der Verbandskompetenz bei der Gesetzgebung, die sich ergäbe, wenn man den Beurteilungsspielraum als Teil der Prozessformalitäten einordnen würde, vgl. dazu die Ansätze bei Bamberger, VerwArch 2002, S. 217, 225 f. 293 BVerfGE 84, 34, 49 f. – Maurer, Staatsrecht I, § 8, Rn. 33 spricht auch von „prozesstypischen“ Beschränkungen. 294 BVerfGE 84, 34, 49 f. 295 Beispielsweise ist bei Bamberger, VerwArch 2002, S. 217, 236 keine deutliche Trennung erkennbar.
D. Die Kritik an der normativen Erma¨chtigungslehre
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Wenn beispielsweise der Kläger im Verwaltungsprozess hinsichtlich bestimmter Einwendungen präkludiert ist, so kann er diese gerichtlich gar nicht mehr, nicht einmal eingeschränkt, geltend machen. Noch deutlicher wird die Lage, wenn der Bürger eine Klagefrist versäumt, denn in diesen Fällen wird sein sachliches Anliegen insgesamt nicht mehr überprüft. Andererseits besteht ein wesentlicher qualitativer Unterschied, der den Beurteilungsspielraum zur stärkeren Belastung werden lassen kann: Die Einhaltung der Prozessformalitäten liegt stets in der Hand des Bürgers (bzw. in der Hand eines von ihm frei gewählten Prozessvertreters). Insofern kann er aus eigener Kraft für eine vollumfängliche gerichtliche Überprüfung sorgen. Anders hingegen bei Vorliegen eines Beurteilungsspielraums zugunsten der Verwaltung, denn hier ist dem Bürger eine vollumfängliche gerichtliche Prüfung von Anfang an und unabänderbar verwehrt. Wenn deshalb (zutreffend) einfachgesetzliche Beschränkungen durch Ausgestaltung des Rechtswegs als mit Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG grundsätzlich vereinbar angesehen werden, so ist damit noch nichts über die Vereinbarkeit hinsichtlich des Beurteilungsspielraums gesagt.296 Vielmehr muss diese Fragestellung gesondert und unabhängig gelöst werden. b) Das Gebot der vollumfänglichen Überprüfung als Element des Gebots effektiven Rechtsschutzes aa) Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG als Gebot gerichtlichen Rechtsschutzes Sofern mit der These, Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG fordere „optimalen“ 297 statt „maximalen“ Rechtsschutz eine Verlagerung des Rechtsschutzes weg von den Gerichten hin zur Verwaltung (bzw. zum Verwaltungsverfahren) gemeint sein soll, so kann dies abgelehnt werden, ohne dass die (ihrerseits nicht unproblematische) Prämisse, die Verwaltung könne im Einzelfall eher als die Gerichtsbarkeit „optimalen“ Rechtsschutz gewährleisten, überprüft werden müsste.298 Denn der von Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG gewährleistete „Rechtsweg“ meint eindeutig einen Gerichtsweg, das heißt den Weg zu den Gerichten.299
296 Nicht zustimmungswürdig daher z. B. Jarass in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 19, Rn. 64: „ . . . kann der Gesetzgeber kraft seiner Ausgestaltungsbefugnis ausnahmsweise eine reduzierte Kontrolldichte durch die Einräumung von [ . . . ] Beurteilungsspielräumen vorsehen.“ 297 So Redeker, DÖV 1971, S. 757, 758. 298 Darüber hinaus würde sich die Frage stellen, wer festlegen sollte, welche Institution im Einzelfall „optimalen“ Rechtsschutz bietet. Gerichtsbarkeit und Verwaltung wären für diese Frage wohl keine neutralen Instanzen, weil es ja um den Umfang ihrer jeweils eigenen Kompetenz ginge. So könnte diese Aufgabe nur dem Gesetzgeber zufallen. Das wäre aber wieder der Ausgangspunkt der normativen Ermächtigungslehre. Eine Interpretation von Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG, welche die Institutionen des Rechtsschutzes nach Optimierungsgesichtspunkten wechseln lassen will, ist daher nicht nur unvereinbar mit Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG, sondern als (vermeintliche) Alternative zur herrschenden Lehre auch überflüssig.
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5. Teil: Beurteilungsspielraum zugunsten der Verwaltung
bb) Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG als Gebot effektiven Rechtsschutzes Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG gewährleistet nach allgemeiner Auffassung nicht nur Zugang zu den Gerichten, sondern darüber hinaus effektiven Rechtsschutz, das heißt eine tatsächlich wirksame Kontrolle durch die Gerichte.300 Nicht nur der rechtliche Ausschluss der gerichtlichen Kontrolle, sondern auch ihre faktische Verhinderung widerspricht diesem Verfassungsgebot.301 Die Wirksamkeit des Rechtsschutzes erfordert aber Mindeststandards nicht nur in organisatorischer und verfahrensmäßiger, sondern auch in inhaltlicher Hinsicht.302 cc) Vollumfänglichkeit der Überprüfung als Beitrag zur Effektivität In einem gedanklich folgenden Schritt ist festzustellen, dass eine vollumfängliche gerichtliche Kontrolle einen Beitrag zu der – wie soeben gezeigt – von Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG geforderten Effektivität darstellt. Dies wird besonders deutlich bei der Betrachtung des theoretischen Extremfalls: Wenn das Gericht überhaupt keine Prüfungskompetenz gegenüber der Verwaltung hätte, so wäre der Gerichtsschutz offensichtlich überhaupt nicht effektiv. Erscheint diese Erkenntnis noch banal, so lässt sie sich weiter fortsetzen: Je größer nämlich der „Anteil“ der Verwaltungsentscheidung ist, der vom Gericht überprüft werden kann, desto mehr Chancen ergeben sich für den klagenden Bürger, dass ein Fehler erkannt wird, der zur Aufhebung des angefochtenen staatlichen Verhaltens führt. Dementsprechend bietet eine vollumfängliche gerichtliche Kontrolle die größte Chance für den Kläger, bezüglich eines rechtswidrigen Verhaltens des Staates zu obsiegen. Ob dieser Aspekt zu verabsolutieren ist, stellt sich erst als logisch nachfolgende und unabhängige Frage. An dieser Stelle kann jedenfalls festgehalten werden, dass das Gebot der Effektivität zumindest die Tendenz zu einer möglichst umfangreichen Überprüfung beinhaltet. dd) Relativität des Gebots der Vollumfänglichkeit Wenn das Gebot der Vollumfänglichkeit der Kontrolle der Vorschrift des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG entnommen wird, so basiert es auf einer Verfassungsnorm, die vorbehaltlos formuliert ist. Trotzdem ist das Gebot kein absolutes, kann also Einschränkungen erfahren. Dies ist prinzipiell möglich, denn auch andere Gebote der Verfassung sind vorbehaltlos formuliert und haben nach allgemeiner Meinung 299 Übereinstimmend Schmidt-Aßmann in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band I, § 5, Rn. 70 und Maurer, Staatsrecht I, § 8, Rn. 32 (Hervorhebungen jeweils nicht im Original). 300 Jarass in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 19, Rn. 50 m. w. N. Vgl. auch BVerfGE 104, 220, 231. 301 Schmidt-Aßmann / Groß, NVwZ 1993, S. 617, 618. 302 Krebs in: von Münch / Kunig, GG, Band I, Art. 19, Rn 62.
D. Die Kritik an der normativen Erma¨chtigungslehre
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trotzdem relativen Charakter.303 Namentlich Grundrechte, die vorbehaltlos formuliert sind, können eine Einschränkung aufgrund kollidierenden Verfassungsrechts erfahren.304 Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG gewährleistet, dass ein Gericht die mögliche Verletzung eigener Rechte des Bürgers überprüft. Wenn aber selbst seine vorbehaltlos gewährleisteten Grundrechte aufgrund kollidierenden Verfassungsrechts eingeschränkt werden dürfen, so ist kein Grund ersichtlich, an das Gebot einer gerichtlichen Überprüfung strengere Maßstäbe anzulegen. Daher ist die Einschränkung von Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG nicht von vornherein, nicht in absoluter Weise ausgeschlossen.
c) Zur Lehre Maurers – „Sachlich unüberwindbare Grenzen“ als alleinige Ausnahme? aa) Kein Schluss von der Vorbehaltlosigkeit auf die Ausnahmslosigkeit Nachdem soeben die Relativität des Gebots der Vollumfänglichkeit einer gerichtlichen Überprüfung konstatiert wurde, ist der Lehre Maurers, nach der Art. 19 Abs. 4 Satz 1 nicht nur vorbehaltlosen, sondern darüber hinaus auch ausnahmslosen Charakter hat,305 zu widersprechen. Insbesondere ist nicht überzeugend, dass Maurer dabei auf den vermeintlich „klaren Wortlaut“306 der Vorschrift abstellt. Maurer muss selbst an anderer Stelle zugeben, dass das Effektivitätsgebot in Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG nicht ausdrücklich genannt, sondern erst durch das Bundesverfassungsgericht daraus entwickelt wurde, so dass darin nur eine „Leitlinie“ zu sehen sei, „die noch der Entfaltung und Erprobung in der Praxis bedarf“, wobei sich immer wieder die Frage stelle, welche Forderungen aus diesem Gebot zu ziehen seien.307 bb) Kein Schluss vom sachlichen Unvermögen auf das rechtliche Dürfen und Müssen Obwohl Maurer so nachdrücklich die vermeintliche Ausnahmslosigkeit308 von Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG betont, erklärt er trotzdem bestimmte Ausnahmen309 303 Das scheint Geis, DÖV 1993, S. 22, 24 nicht zu berücksichtigen, wenn er die normative Ermächtigungslehre deshalb ablehnt, weil sie Art. 19 Abs. 4 GG „de facto unter einen Gesetzesvorbehalt“ stelle, was sich mit dessen Wortlaut nicht vereinbaren ließe. 304 Vgl. Jarass in: Jarass / Pieroth, GG, vor Art. 1, Rn. 46 sowie Pieroth / Schlink, Grundrechte, Rn. 325. Vgl. als Beispiel aus der Rechtsprechung BVerfGE 67, 213, 228. 305 Maurer, Staatsrecht I, § 8 Rn. 33 i. V. m. § 9 Rn. 63. 306 Maurer, Staatsrecht I, § 8, Rn. 33. 307 Maurer in: FS Bundesverfassungsgericht, Band 2, S. 467, 487 f. 308 Maurer, Staatsrecht I, § 8 Rn. 33 i. V. m. § 9 Rn. 63 (Hervorhebung nicht im Original).
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5. Teil: Beurteilungsspielraum zugunsten der Verwaltung
explizit für zulässig. Voraussetzung dafür sei, dass zusätzlich310 zu der normativen Ermächtigung durch den einfachen Gesetzgeber ein „sachbedingter Ausnahmefall“ vorliege, weil in diesen Fällen auf sachlich unüberwindbare Grenzen gestoßen werde, die dann auch rechtlich unüberwindbar seien.311 Dieser Schluss von der tatsächlichen (Un-)Möglichkeit auf das rechtliche Dürfen und Müssen überzeugt jedoch nicht. Aus faktischen Erkenntnisgrenzen folgt kein Beurteilungsspielraum.312 Dies wird besonders deutlich, wenn man sich die denkbare Konstellation vor Augen führt, in welcher der einfache Gesetzgeber keinen Beurteilungsspielraum einräumt, obwohl ein „sachlich bedingter Ausnahmefall“ vorliegt: Soweit innerhalb des jeweiligen Falls dem Gericht noch eine vollumfängliche Überprüfung rein tatsächlich möglich ist, soweit wäre es nach Maurer auch rechtlich verpflichtet, den Tatbestand vollumfänglich zu überprüfen, weil eine anders lautende einfachgesetzliche Regelung verfassungswidrig wäre.313 Sobald aber der Punkt erreicht ist, ab dem in tatsächlicher Hinsicht die vollumfängliche Überprüfung des Tatbestandes nicht möglich ist, so unterbleibt die Überprüfung auch dann, wenn keine einfach-gesetzliche Ermächtigung vorliegt! Denn das Gericht kann sich ja gar nicht anders verhalten, wenn eine sachlich „unüberwindbare“ (sic!) Grenze vorliegt. So wird deutlich: Da die schuldrechtliche Regel impossibilium nulla est obligatio insofern übertragen auch für ein Gericht gilt, ist es überflüssig, ein Unterlassen nur für die Fälle zu gestatten, in denen das entsprechende Tun bereits tatsächlich ausgeschlossen ist. cc) Fehlende Stringenz bei den Fallgruppen „sachbedingter Ausnahmefälle“ Selbst wenn man die Tatbestandsvoraussetzung des „sachbedingten Ausnahmefalls“ akzeptierte, so bliebe die Bildung der überkommenen Fallgruppen doch widersprüchlich. Maurer meint nämlich, die von der Rechtsprechung entwickelten Fallgruppen seien „vertretbar“ (er zählt hierzu Prüfungs- und prüfungsähnliche Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 7, Rn. 62. Bullinger in: FS Maurer, S. 565, 568 stellt die Lehre Maurers so dar, als folgere dieser einen Beurteilungsspielraum aus sachlichen Gründen anstelle einer normativen Ermächtigung; diese Interpretation ist angesichts der klaren Ausführungen von Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 7, Rn. 62 nicht nachvollziehbar: „Eine gesetzliche Ermächtigung ist nur dann [ . . . ] beachtlich, wenn sie einen sachbedingten Ausnahmefall aufnimmt und regelt.“ 311 Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 7, Rn. 62, der dabei nicht eigens auf die Frage eingeht, ob dies auch für ausdrücklich eingeräumte Beurteilungsspielräume wie § 70 Abs. 5 Satz 2 GWB gelten solle, ob diese ausdrücklichen gesetzlichen Regelungen seiner Auffassung nach also verfassungswidrig wären, wenn sie keinen „sachbedingten Ausnahmefall“ aufnähmen. 312 So auch das Ergebnis der ausführlichen Herleitung bei Ibler, Rechtspflegender Rechtsschutz, S. 388 am Beispiel des Prüfungsrechts. 313 So nachdrücklich Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 7, Rn. 62. 309 310
D. Die Kritik an der normativen Erma¨chtigungslehre
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Entscheidungen, beamtenrechtliche Beurteilungen, Entscheidungen wertender Art durch weisungsfreie Ausschüsse, Prognoseentscheidungen und Risikobewertungen sowie „Entscheidungen bezüglich einzelner, dem unbestimmten Rechtsbegriff vorgegebener Faktoren“).314 Maurer unterstellt also, dass in allen diesen Fällen sachlich „unüberwindbare“ Grenzen für eine vollumfängliche Überprüfung des Tatbestands bestünden. Das überzeugt nicht. Beispielsweise im Bereich der so genannten wertenden Entscheidungen gibt es in der Rechtsprechung mindestens so viele Fälle, in denen eine vollumfängliche Überprüfung für möglich gehalten und durchgeführt wurde.315 dd) Möglichkeit des einfachen Gesetzgebers zur originären Schaffung eines „sachbedingten Ausnahmefalls“ Weiter scheint Maurer zu übersehen, dass er zu den „sachbedingten Ausnahmefällen“ auch solche Konstellationen zählt, die der einfache Gesetzgeber selbst geschaffen hat. Beispielsweise ist ein weisungsfreier Ausschuss – für den Maurer ausdrücklich einen Beurteilungsspielraum akzeptiert316 – nur dann zur Entscheidung berufen, wenn der einfache Gesetzgeber dies bestimmt.317 Wie widersprüchlich diese Einschätzung ist, wird besonders deutlich, wenn man sich den Fall vor Augen führt, in dem ein Beurteilungsspielraum ausdrücklich eingeräumt würde. Wenn der einfache Gesetzgeber zum Beispiel318 ausdrücklich bestimmen würde, dass die Verwaltung einen Beurteilungsspielraum bei der Bewertung einer Getreidesorte hinsichtlich ihres landeskulturellen Werts haben soll, so wäre das nach Maurer verfassungswidrig, weil kein „sachbedingter Ausnahmefall“ zu erkennen ist. Wenn der einfache Gesetzgeber die Entscheidung über die Eintragung aber einem weisungsfreien „Sortenausschuss“ beim Bundessortenamt übertrüge, so wäre das Verdikt der Verfassungswidrigkeit durch den sodann vorhandenen „sachbedingten Ausnahmefall“ beseitigt. Das ist nicht stimmig.
Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 7, Rn. 37 – 42. Das zeigt beispielsweise Beaucamp, JA 2002, S. 314, 316 mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung. – Interessanterweise wird die Inkonsequenz bei den Fallgruppen der Rechtsprechung sowohl von denen kritisiert, die den Beurteilungsspielraum zurückdrängen wollen, als auch von jenen, die sich eine Ausweitung wünschen: Vgl. einerseits Beaucamp, JA 2002, S. 314, 316 anhand der Beispiele von § 3 Abs. 1 BImSchG und § 35 Abs. 3 Nr. 5 BauGB und andererseits Wilke in: Merten, Gewaltentrennung im Rechtsstaat, S. 135, 139 mit Bezug auf Prognoseentscheidungen. 316 Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 7, Rn. 40 i. V. m. Rn. 62. 317 Es mag auch Fälle geben, in denen der einfache Gesetzgeber von Verfassung wegen dazu gezwungen ist, ein solches Gremium einzurichten (z. B. im Bereich der Rundfunkaufsicht), dies ist aber sicher nicht immer der Fall, wie beispielsweise bei der Entscheidung über die Eintragung einer Getreidesorte in die Liste beim Bundessortenamt durch den Sortenausschuss (vgl. dazu BVerwGE 62, 331). 318 Dieses theoretische Beispiel knüpft an die Thematik von BVerwGE 62, 331 an. 314 315
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5. Teil: Beurteilungsspielraum zugunsten der Verwaltung
Der „sachbedingte Ausnahmefall“ als kumulative Tatbestandsvoraussetzung neben der normativen Ermächtigung könnte daher nur dann in widerspruchsfreier Weise eingefordert werden, wenn zugleich ein Verbot für den einfachen Gesetzgeber bestünde, solche Sachbedingungen zu schaffen. Dies vertritt (wenn auch wohl alleinig319) Adam, der ebenso wie Maurer aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG ein sehr weit gehendes Verbot von Beurteilungsspielräumen ableitet. Nach Adams Auffassung dürften aber gerichtlich nicht nachvollziehbare Situationen erst gar nicht geschaffen werden, beispielsweise dürften keine mündlichen Vorstellungsgespräche in den Bewerbungs- und Beförderungsprozessen des öffentlichen Dienstes vorgesehen werden.320 So sehr dieser Vorschlag praktisch unerwünscht erscheinen mag, so fraglich auch ist, ob dies mit Blick auf Art. 33 Abs. 2 GG zu besseren Ergebnissen führen würde und so sehr er im Widerspruch zur Rechtsprechung steht – sein Urheber bleibt zumindest konsequent. Maurer folgt diesem Schritt nicht; er bleibt dadurch auf einer Linie mit den Ergebnissen der Rechtsprechung – doch er bleibt nicht konsequent.
d) Die Vermutung zugunsten der vollumfänglichen gerichtlichen Überprüfbarkeit Die beiden Zwischenergebnisse, nach denen erstens Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG die Tendenz zu vollumfänglicher gerichtlicher Kontrolle gebietet und zweitens dieses Gebot keinen absoluten Charakter hat, führen noch zu keiner logisch zwingenden Antwort darauf, in welchem Verhältnis die Fälle vollumfänglicher und nicht vollumfänglicher gerichtlicher Kontrolle stehen. Insbesondere ergibt sich ein Regel-Ausnahme-Schema zugunsten der vollumfänglichen Überprüfbarkeit nicht von alleine, weil ebenso eine differenzierte Bewertung von Sachgebieten ohne pauschale Vermutung denkbar wäre, wie sie teilweise ja auch vorgeschlagen wird.321 (Theoretisch wäre sogar eine Vermutung zugunsten der eingeschränkten gerichtlichen Überprüfung denkbar!) Freilich ist nicht überzeugend, wenn die Protagonisten alternativer Vorschläge von einem (unterstellten) praktischen Bedürfnis für die Bestimmung der Kontrolldichte von Fall zu Fall auf die entsprechende Interpretation des Verfassungsrechts schließen.322 Ebenso wenig ist es aber hinreichend, – wie fast alle Vertreter der herrschenden Meinung – die Vermutung zugunsten der Vollumfänglichkeit als selbstverständlich vorauszusetzen.323 319 Allenfalls die Ausführungen von Ibler, Rechtspflegender Rechtsschutz, S. 448 f., auf die noch ausführlicher einzugehen sein wird, deuten in eine ähnliche Richtung. 320 Adam, RiA 2005, S. 225, 229 f. 321 Vgl. z. B. Wolff / Bachof / Stober / Kluth, Verwaltungsrecht I, § 31, Rn. 20. 322 So aber Ramsauer in: Festgabe BVerwG, S. 699, 717, der festhält, die Problematik lasse sich dadurch entscheiden, dass man die Frage nach der Letztentscheidungskompetenz nicht mehr generell, sondern von Fall zu Fall beantworte. 323 So z. B. Stern, Staatsrecht, Band I, § 20 IV 5 f.) .
D. Die Kritik an der normativen Erma¨chtigungslehre
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Im Ergebnis ist der herrschenden Meinung aber zuzustimmen: Unabhängig von möglichen praktischen Bedürfnissen kann festgehalten werden, dass es Fälle gibt, in denen Gründe gegen eine vollumfängliche Überprüfung sprechen (als Beispiel sei die Funktionsfähigkeit der Verwaltung genannt), aber eben auch solche, in denen das nicht der Fall ist. Sobald es dagegen zu einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren kommt, besteht aus Sicht des betroffenen Bürgers immer ein Interesse an einer vollumfänglichen Überprüfung. Erst aus diesem Vergleich ergibt sich ein klar erkennbarer Grund für eine Vermutung zugunsten der vollumfänglichen gerichtlichen Überprüfung: Diese Verfassungsnorm ist immer betroffen, andere Verfassungsnormen sind es nur manchmal. Dieses Ergebnis wird darüber hinaus gestützt von einem Vergleich mit der Systematik der Einschränkung von vorbehaltlos gewährleisteten Grundrechten aufgrund kollidierender Verfassungsprinzipien: Auch dort gilt eine Vermutung zugunsten der Wirksamkeit des vorbehaltlos gewährleisteten Grundrechts, so dass andere Verfassungsprinzipien nur im Ausnahmefall überwiegen können.324
e) Vorgeschlagene verfassungsrechtliche Rechtfertigungsgründe für eine Ausnahme aa) Alternative Möglichkeit der Ermessenseinräumung als Rechtfertigung? Zur Begründung eines Beurteilungsspielraums wird teilweise vorgebracht, es sei dem Gesetzgeber alternativ auch gestattet, der Verwaltung Ermessen einzuräumen.325 Aus Sicht des Bürgers mache es keinen Unterschied, ob ein Freiraum der Verwaltung auf Tatbestands- oder Rechtsfolgenseite bestehe.326 Mag dies aus dem Blickwinkel des Bürgers womöglich so erscheinen, so ist damit nicht zugleich eine dogmatisch befriedigende, verfassungsrechtliche Erklärung gefunden. Wie bereits bei der Diskussion um die Dichotomie von Beurteilungsspielraum und Ermessen konstatiert, zielt der in Art. 20 Abs. 3 GG wurzelnde, rechtsstaatlich essentielle Vorbehalt des Gesetzes zuvörderst auf das „Ob“ des staatlichen Handelns.327 Nur für den Fall des Vorliegens der tatbestandlichen Voraussetzungen hat der Gesetzgeber die Verwaltung ermächtigt, überhaupt gegenüber dem Bürger zu handeln,328 während beim Ermessen die Verwaltung „nur noch“ darüber entscheidet, welche von mehreren möglichen Rechtsfolgen sie auswählt. Pieroth / Schlink, Grundrechte, Rn. 334. Schenke, JZ 1988, S. 317, 323. 326 So Sendler in: FS Ule, S. 337, 342. 327 Ähnlich Peter M. Huber, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 122. Andere Ansicht Jestaedt in: Erichsen / Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht (13. Auflage), § 10, Rn. 22. 328 Pache, Tatbestandliche Abwägung, S. 45 f. m. w. N. (wenn auch mit Blick auf die Befugnis des Gerichts zur Sachverhaltsermittlung). 324 325
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5. Teil: Beurteilungsspielraum zugunsten der Verwaltung
Auch hier kann der „legistisch-pragmatische Befund der rechtspolitischen Austauschbarkeit von unbestimmtem Rechtsbegriff und Ermessen“329 kein verfassungsrechtlicher Maßstab sein. Auch Möglichkeit und Existenz so genannter Koppelungsvorschriften können dies nicht bewirken,330 erst recht nicht eine im Einzelfall gesetzgebungstechnisch zweifelhafte Sinnhaftigkeit.331 bb) Funktionsgrenzen der Rechtsprechung im Sinne erhöhter tatsächlicher Schwierigkeiten als Rechtfertigung? Bereits bei der Diskussion der Lehre Maurers wurde gezeigt, dass unüberwindbare sachliche Grenzen nicht als Begründung für eine rechtliche Beschränkung des gerichtlichen Prüfungsumfangs herangezogen werden können.332 Wenn mit „sachlichen Grenzen“ oder „Funktionsgrenzen“ – anders als bei Maurer – nicht unüberwindbare Grenzen gemeint sein sollen, sondern lediglich erhöhte tatsächliche Schwierigkeiten bei der gerichtlichen Kontrolle, so taugt auch dieser Ansatz nicht als Rechtfertigung eines Beurteilungsspielraums. In zahlreichen Konstellationen ist es für das erkennende Gericht kaum möglich, die Entscheidungssituation des handelnden Behördenvertreters genau nachzuzeichnen. Schon beim denkbar simplen Fall eines allein agierenden, eine polizeirechtliche Gefahr beseitigenden Vollzugspolizisten gibt es typischerweise nur zwei Erkenntnisquellen, nämlich die Zeugenaussagen des Klägers und desjenigen, dessen Handeln gerade überprüft werden soll. Es liegt auf der Hand, dass diese Quellen nur ein recht subjektives Bild zeichnen werden. Selbst wenn ein besonders unbestimmter Rechtsbegriff (wie beispielsweise derjenigen der „Gefahr“ im Polizeirecht) in Frage steht, ist weitgehend anerkannt,333 dass das Gericht vollumfänglich prüft. Dann ist aber unverständlich, warum in einer einfacher rekonstruierbaren Situation ein Beurteilungsspielraum wegen (dementsprechend weniger schwer wiegender) sachlicher Schwierigkeiten bei der gerichtlichen Ermittlung angenommen werden soll,334 wie dies ebenfalls weitgehend anerkannt335 ist (beispielsweise für die Situation einer mündlichen Prüfung, obwohl dort typischerweise mehr Zeugen und Aufzeichnun329 Jestaedt in: Erichsen / Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht (13. Auflage), § 10, Rn. 16. 330 Ausführlich Pache, Tatbestandliche Abwägung, S. 49 ff.; ähnlich Jestaedt in: Erichsen / Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht (13. Auflage), § 10, Rn. 16. 331 Mit ähnlicher Begründung und übereinstimmendem Ergebnis Brunner, Beurteilungsspielräume im neuen Jugendmedienschutzrecht, S. 54. 332 Siehe Seite 179 ff. 333 Z. B. Schoch in: Schmidt-Aßmann, Besonderes Verwaltungsrecht, Kapitel 2, Rn. 62. Ebenso Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, Rn. 51. 334 Dabei soll an dieser Stelle ausdrücklich offen bleiben, ob in solchen Situationen nicht aus anderen Gründen ein Beurteilungsspielraum angenommen werden kann. 335 Z. B. Schulze-Fielitz in: Dreier, GG, Band I, Art. 19 Abs. 4, Rn. 89. Ebenso Krebs in: von Münch / Kunig, GG, Band 1, Art. 19, Rn. 65.
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gen zur Verfügung stehen als im beschriebenen Fall einer polizeirechtlichen Gefahr336). Wenn eine konsequente Linie beibehalten werden soll, so gibt es nur zwei Möglichkeiten: Die erste bestünde darin, der Verwaltung stets einen Beurteilungsspielraum zuzugestehen, sobald die gerichtliche Rekonstruktion auf Schwierigkeiten stößt. Angesichts der überwältigen Vielzahl derartiger Situationen (es sei nochmals an die alltäglich vorkommende polizeirechtliche Gefahr erinnert!) würde dies aber die Vermutung zugunsten der vollumfänglichen Überprüfbarkeit faktisch in ihr Gegenteil verkehren. Daher ist die zweite Möglichkeit zu wählen: Es ist anzuerkennen, dass sachliche Schwierigkeiten bei der gerichtlichen Aufklärung337 einen Beurteilungsspielraum zugunsten der Verwaltung nicht rechtfertigen können. cc) Funktionsgrenzen der Rechtsprechung im Sinne funktionellrechtlicher Gewaltenteilung als Rechtfertigung? Von Teilen der Literatur338 (und auch einigen Entscheidungen der Rechtsprechung339) wird das Prinzip der Gewaltenteilung als Rechtfertigung eines Beurteilungsspielraums herangezogen, wobei insbesondere auf die eigene verfassungsmäßige Legitimation der Verwaltung abgestellt wird. In diesen Zusammenhang340 gehören auch viele der unter dem Schlagwort des funktionellrechtlichen Ansatzes341 diskutierten Vorschläge. 336 Auf diesen Vergleich hat insoweit zutreffend bereits Ibler, Rechtspflegender Rechtsschutz, S. 397 ff. aufmerksam gemacht. 337 Im Einzelfall unaufklärbare Umstände sind nach den allgemeinen Regeln der materiellen Beweislast zu lösen; für die vorgeschlagenen Fallgruppen des Beurteilungsspielraums haben dabei keine Besonderheiten zu gelten, vgl. Ibler, Rechtspflegender Rechtsschutz, S. 407. 338 Z. B. Ossenbühl in: FS Redeker, S. 55, 58; ähnlich Schuppert, Verwaltungswissenschaft, S. 534 ff. Deutlich auch Bamberger, VerwArch 2002, S. 217, 221: „Ihr [der Verwaltung] stehen in manchen Bereichen Beurteilungsermächtigungen deswegen zu, weil der Tatsache Rechnung getragen werden muss, dass ihr und nicht der Verwaltungsgerichtsbarkeit die Staatsfunktion ,Exekutive‘ zufällt“. 339 Vgl. insbesondere BVerfGE 88, 40, 61: „Die Verwaltung handelt insofern kraft eigener Kompetenz. [ . . . ] Die Gerichte haben insofern die vom Grundgesetz vorgesehene Kompetenzverteilung zu respektieren. [ . . . ] Den dadurch [durch die Elemente wertender Erkenntnis] begründeten Handlungsspielraum muss die Verwaltung kraft ihrer eigenen verfassungsrechtlichen Legitimation ausfüllen.“(Hervorhebung nicht im Original); dem folgend jüngst BVerwG, DVBl. 2008, S. 40, 47. 340 Freilich sind die Übergänge zwischen Funktionsgrenzen im Sinne tatsächlicher Schwierigkeiten und Funktionsgrenzen im Sinne einer normativ orientierten Perspektive der Gewaltenteilung fließend. So spricht z. B. Ossenbühl in: Erichsen / Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht (12. Auflage), § 10, Rn. 30 von einer „funktionell-rechtlichen“ Sicht, stellt in diesem Zusammenhang aber entscheidend darauf ab, welche Stelle (u. a.) nach ihrer „Problemlösungskapazität“ zur Entscheidung „geeignet“ sei. – Wittig, Beurteilungsspielräume, S. 25 bezeichnet dies daher auch als „eignungsorientierten Ansatz“. 341 Z. B. Ossenbühl in: Erichsen / Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht (12. Auflage), § 10, Rn. 30; Überblick bei Pache, Tatbestandliche Abwägung, S. 76 ff.
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Das Prinzip der Gewaltenteilung gem. Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG342 kann aber keine Ausnahme von der vollumfänglichen gerichtlichen Kontrolle rechtfertigen. Zwar ist richtig, dass eine Abgrenzung zwischen den Gewalten erfolgen muss. An welcher Stelle diese Abgrenzung aber erfolgt, wird durch das abstrakte Prinzip der Trennung der Gewalten nicht gelöst.343 Insofern kann der funktionellrechtliche Ansatz „seiner großen Beliebtheit zum Trotze den Platz der normativen Ermächtigungslehre nicht ausfüllen“.344 Welche Aufteilung zwischen den Gewalten wiederum zweckmäßig ist, mag Gegenstand rechtspolitischer Diskussionen sein, kann jedoch nicht als Rechtfertigung für die Einschränkung eines bestehenden verfassungsmäßigen Gebots wie dem des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG dienen. Denn Plausibilität oder „Vernünftigkeit“ als solche ersetzen nicht den Nachweis, dass die Verteilung der Letztentscheidungsbefugnis der verfassungsrechtlich positivierten entspricht.345 Insofern darf die (sogleich zu diskutierende) Funktionsfähigkeit von Verwaltung und Rechtsprechung nicht im Gewande der Gewaltenteilung versteckt und insofern unangemessen überhöht werden. Darüber hinaus darf der wesentliche Sinn des Prinzips nicht ignoriert werden: Trotz bestimmter Funktionsverschränkungen346 soll die Gewaltenteilung zuvörderst der Mäßigung staatlicher Macht dienen, sie zielt nicht auf eine Eigenständigkeit der Verwaltung gegenüber der Gerichtskontrolle, sondern verlangt umgekehrt die Kontrollierbarkeit der Verwaltung.347 dd) „Richtigkeit“ als Rechtfertigung? In der Nähe des Arguments von den Funktionsgrenzen der Rechtsprechung liegt die Idee, dem Rechtsstaatsgebot gem. Art. 20 Abs. 3 GG das Gebot einer möglichst richtigen Entscheidung zu entnehmen und damit gleichzeitig zu unterstellen, dass diese unter Umständen wahrscheinlicher von der Verwaltung als von den Gerichten zu erwarten sei.348 Dazu Sachs in: Sachs, GG, Art. 20, Rn. 79 ff. Auch Bamberger, VerwArch 2002, S. 217, 220 f., der zur Rechtfertigung von Beurteilungsspielräumen die Gewaltenteilung ins Feld führt, muss zugeben, dass mit der Zuordnung der Exekutivfunktion zur Verwaltung noch nichts darüber ausgesagt ist, wo die Grenze zu ziehen ist, welche die Gerichte zu beachten haben. 344 Jestaedt in: Erichsen / Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht (13. Auflage), § 10, Rn. 35. 345 Jestaedt in: Erichsen / Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht (13. Auflage), § 10, Rn. 35. 346 Vgl. Peter M. Huber, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 12 f. 347 Überzeugend Ibler, Rechtspflegender Rechtsschutz, S. 458. Plakativ macht Ibler, Rechtspflegender Rechtsschutz, S. 140 auch darauf aufmerksam, dass bei Verengung auf die Perspektive Verwaltung vs. Gericht die Gefahr besteht, dass der Bürger ausgeblendet wird. 348 Vgl. BVerwGE 61, 176, 186 („. . . Beurteilungsermächtigung [ . . . ] findet ihre Berechtigung [ . . . ] in der größeren Sachnähe der Verwaltung . . .“); zustimmend Schuppert, Verwaltungswissenschaft, S. 527 ff. Sieckmann, DVBl. 1997, S. 101, 107 lässt die Frage offen und 342 343
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Dies ist abzulehnen. Zunächst kann darauf hingewiesen werden, wie gefährlich die Idee einer „Legitimation durch Praxisnähe“ unter den Gesichtspunkten von Gewaltenteilung und Bürgerschutz ist.349 Vor allem aber handelt es sich bei der Ermittlung des „richtigen“ Inhalts unbestimmter Rechtsbegriffe schwerpunktmäßig um die Erkenntnis des gesetzgeberischen Willens, also um Rechtsbildung und Rechtsanwendung, deshalb entscheiden darüber konsequenterweise zuvörderst die Gerichte.350 Das ist mehr als eine verwaltungsrechtliche Quisquilie und letztlich ein aus Rechtsstaats- und Demokratieprinzip folgendes Gebot.351 Im Übrigen verfügt die Verwaltung über keinen „natürlichen Kompetenzvorsprung“ gegenüber der Rechtsprechung.352 Auch jenseits von verfassungsrechtlichen Überlegungen überzeugt die Anknüpfung an (vermeintliche) Sachnähe nicht: Denn so oft das Argument einer größeren Sachkunde der Verwaltung genannt wird,353 so oft wird dabei die typische Verwaltungsorganisation ignoriert. Die größte Sachkunde im Sinne einer Nähe zum einzelnen Vorgang wird regelmäßig der unmittelbare Sachbearbeiter haben. Dieser entscheidet aber gar nicht abschließend über einen Vorgang, sondern dessen Vorgesetzter, häufig aufgrund eines Widerspruchverfahrens die übergeordnete Behörde. Durch Weisungen kann die Entscheidung sogar in der obersten Behörde getroffen werden. Spätestens dort wird die Entscheidung regelmäßig nicht mehr durch Fachleute getroffen. Auch wenn man eine fachlich einwandfreie Besetzung bei den eigentlichen Entscheidungsträger beratenden Verwaltungsangehörigen voraussetzt, ist nicht erkennbar, warum diese anderen Sachverständigen pauschal überlegen sein sollen.354 Selbst wenn man zu ihren Gunsten unterstellt, dass sie aus ihrer Stellung heraus einen besonders guten Überblick über die gesamte Breite des Vollzugs haben, so schließt dies trotzdem nicht aus, dass andere – ggf. ebenfalls unter Heranziehung von Fachleuten – diesen Überblick nicht nachvollziehen und insofern ebenso berücksichtigen könnten. Schließlich ist der Vollständigkeit halber noch der vereinzelt zusätzlich vorgebrachte Einwand abzulehnen, nach dem der Umgang mit Sachverständigen ein hält in Fn. 101 lediglich fest, dass die größere Richtigkeitsgewähr „allein noch keine Beschränkung der gerichtlichen Kontrollkompetenzen begründen“ könne. 349 Das betont auch nachdrücklich Sendler, NJW 1986, S. 1084, 1087 m. w. N., der ansonsten als Befürworter einer Ausweitung von Beurteilungsspielräumen gelten kann. 350 Peter M. Huber, ThürVBl 1999, S. 97, 107. 351 Peter M. Huber, ThürVBl 1999, S. 97, 107. 352 Schoch, Jura 2004, S. 612, 615. 353 Jüngst z. B. wieder Brunner, Beurteilungsspielräume im neuen Jugendmedienschutzrecht, S. 57 („Vor allem ist zu berücksichtigen, dass die Verwaltung stets mit Fachpersonal besetzt sein wird.“). 354 Auch Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 7, Rn. 61 macht insofern völlig zustimmungswürdig darauf aufmerksam, dass sich Entscheidungsträger der Verwaltung in erheblichem Maße von Sachverständigen beraten lassen, beispielsweise ein Landrat, der eine umstrittene Gewerbegenehmigung verantwortet, sich aber zuvor von Fachleuten des Amtes beraten lässt oder gar externe Sachverständige heranzieht.
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gewisses Maß an Erfahrung in der Zusammenarbeit mit diesen voraussetze, das in der Verwaltung wahrscheinlicher als bei Gerichten sei.355 Nicht nur, weil dieser Gedanke in der Nähe eines Zirkelschlusses steht, vor allem ist die Arbeit von Richtern mit Sachverständigen deren alltägliche Aufgabe, so dass es fernliegend ist, sie hätten dafür keine hinreichende Erfahrung.356 ee) Staatsferne als Rechtfertigung? Das bestimmten Kontrollinstitutionen eigene, insbesondere im Bereich des Rundfunks praktizierte Prinzip der Staatsferne wurde von Vertretern der Literatur357 und vereinzelten Entscheidungen der Rechtsprechung358 als Rechtfertigung eines Beurteilungsspielraums beschrieben. Der vom Bundesverwaltungsgericht getroffene Verweis359 auf die „Mutzenbacher-Entscheidung“ des Bundesverfassungsgerichts ist aber unzutreffend, weil letzteres das Prinzip der Staatsferne als Rechtfertigung für die Einbindung von Vertretern gesellschaftlicher Gruppen mit Blick auf das Demokratieprinzip heranzog und nicht als Rechtfertigung für einen Beurteilungsspielraum mit Blick auf Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG.360 Ferner erwecken einige der vorgebrachten Argumente eher den Anschein von Zweckmäßigkeitsüberlegungen361 als den von verfassungsrechtlichen Erwägungen. Vor allem aber ist bei teleologischer Betrachtung nur schwer einsehbar, warum ein weisungsfreies, mit Berufs- und ehrenamtlichen Richtern besetztes Verwaltungsgericht eine weniger „staatsferne“ Einrichtung darstellen sollte als ein weisungsfreies, mit Sachverständigen und gesellschaftlichen Repräsentanten besetztes Gremium.362
355 So aber Ramsauer in: Festgabe BVerwG, S. 699, 717, der meint, die Rechtsprechung stoße insbesondere bei naturwissenschaftlichen, medizinischen, technischen und ökonomischen Fragestellungen in diesem Sinne auf Grenzen. 356 Dies zeigt sich auch durch einen Vergleich mit anderen richterlichen Aufgaben; denn folgte man der zitierten Idee, so müssten womöglich auch Strafrichter bei der Vernehmung von Zeugen beschränkt werden, weil Polizeibeamte damit mehr Erfahrung haben. 357 Bamberger, VerwArch 2002, S. 217, 238 f. und 249 f. für die Entscheidung über die Zulassung privater Rundfunkveranstalter. 358 BVerwGE 91, 211, 217. Eine ähnliche Andeutung findet sich bei VG München, Beschluss vom 21. 12. 2004, Az. M 17 S 04.4817, juris Rn. 66. 359 BVerwGE 91, 211, 217. 360 BVerfGE 83, 130, 150. – Brunner, Beurteilungsspielräume im neuen Jugendmedienschutzrecht, S. 163, Fn. 569 i. V. m. „Teil 2, H., VI.“ (= S. 82 f.) scheint zu übersehen, dass die Berufung des BVerwG auf das BVerfG unzutreffend ist. 361 Vgl. z. B. Bamberger, VerwArch 2002, S. 217, 239: „Das Institut der reduzierten gerichtlichen Kontrolldichte bei behördlichen Beurteilungsermächtigungen ist bei differenzierter Anwendung das geeignete Mittel, sachangemessene Kompetenzabgrenzungen zwischen Richter und staatsfrei agierender Verwaltung zu erzielen“ (Hervorhebung nicht im Original). 362 Ähnlich Brunner, Beurteilungsspielräume im neuen Jugendmedienschutzrecht, S. 163, der eine Anwendung des Prinzips der Staatsferne auf die Gerichte generell ablehnt.
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ff) Funktionsfähigkeit der Verwaltungsgerichtsbarkeit als Rechtfertigung? Zwar kann Funktionsfähigkeit der Verwaltungsgerichtsbarkeit gefährdet sein, wenn ihre quantitativen oder qualitativen Handlungsmöglichkeiten hinter ihren Aufgaben zurückbleiben. Doch sollte dieser Zustand tatsächlich (aufgrund eines zu hohen Prüfungsumfangs der Gerichte363) eintreten, besteht die gebotene Antwort nicht in einer Verringerung des Prüfungsumfangs, vielmehr besteht eine verfassungsrechtliche Pflicht des (Haushalts-)Gesetzgebers, die Gerichte hinreichend zur Erfüllung ihrer Aufgaben auszustatten.364 Welche Aufgaben die Gerichte haben, ist dementsprechend nach anderen Maßstäben zu bestimmen. gg) Funktionsfähigkeit der Verwaltung als Rechtfertigung? Zwar ist wohl denkbar, dass die Verwaltung in einzelnen Bereichen weniger reibungslos funktioniert, wenn die Gerichte ihre Entscheidungen in vollem statt nur in teilweisem Umfang kontrollieren. Doch allein ein geringfügiges Weniger kann nicht die Funktionsfähigkeit der Verwaltung als solche gefährden. Dass eine Gerichtskontrolle im Einzelfall die Funktionsfähigkeit insgesamt zerstört, ist wenig wahrscheinlich; auch die Vermutung, dass eine hohe Gesamtzahl von Gerichtsverfahren dazu führt, bleibt denkbar vage.365 Jedenfalls dürfte der Nachweis einer solchen Sachlage ausgesprochen schwierig sein. Vor allem, wenn man erneut den Vergleich mit Sachgebieten heranzieht, in denen kein Beurteilungsspielraum angenommen wird, die Belastung der Verwaltung in diesen Fällen aber nicht erkennbar höher ist.
f) Zwischenergebnis Damit lässt sich insgesamt festhalten, dass in abstrakter Hinsicht von dem grundsätzlichen Gebot der vollumfänglichen gerichtlichen Überprüfung Ausnahmen auf verfassungsrechtlicher Ebene zwar möglich sind – im konkreten Einzelfall ist es jedoch sehr schwierig, einen überzeugenden Rechtfertigungsgrund zu identifizieren. Aus dieser Erkenntnis können zwei unterschiedliche Konsequenzen gezogen werden. Entweder ist für einen weitgehenden, praktisch vollständigen Verzicht auf Beurteilungsspielräume zu plädieren – diesen Versuch hat insbesondere Ibler un363 Bereits diese Annahme ist zweifelhaft, nachdem es empirische Indizien dafür gibt, dass ein größerer Umfang der gerichtlichen Überprüfung die Anzahl der Verfahren sowie die Zuhilfenahme von Sachverständigen nicht erhöht, wie Wortmann, NWVBl 1993, S. 324, 326 anhand des Prüfungsrechts zeigt. 364 Peter M. Huber in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Band I, Art. 19 Abs. 4, Rn. 481. 365 Überzeugend Ibler, Rechtspflegender Rechtsschutz, S. 183.
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ternommen (dazu g)). Oder es muss ein grundlegend anderer Ansatz in der dogmatischen Verortung gewählt werden, wie er im Anschluss entwickelt wird (dazu h)). g) Zur Lehre Iblers – Theoretisch mögliche, aber praktisch ausgeschlossene Ausnahmen? Ibler hat in seiner grundlegenden Arbeit die verschiedentlich vorgeschlagenen Rechtfertigungsgründe für einen Beurteilungsspielraum untersucht und kommt im Wesentlichen zu dem Ergebnis, Beschränkungen von Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG seien theoretisch zum Schutz von mindestens gleichrangigen Gütern möglich, praktisch gebe es einen solchen Fall aber nicht.366 Ibler geht dabei in der Interpretation von Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG aber noch viel weiter. Aus einer Entscheidung des Verfassungsgebers für ein subjektives Rechtsschutzmodell folgert er die Pflicht des einfachen Gesetzgebers, „zahlreiche“ subjektive Rechte zu schaffen.367 Ebenso müsse der Gesetzgeber die Gestaltung des materiellen Rechts danach ausrichten, dass die Verwaltung auch unter einer vollumfänglichen gerichtlichen Kontrolle funktionsfähig bleibe.368 Schließlich fordere das Gebot effektiven Rechtsschutzes, dass die Gerichte nicht nur die Rechtmäßigkeit, sondern auch die Zweckmäßigkeit (!) von Ermessensentscheidungen der Verwaltung überprüfen dürften und müssten.369 Diese Auslegung von Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG führt nach Ansicht Iblers aber nicht zur Verfassungswidrigkeit bestehender gesetzlicher Regelungen, stattdessen forciert er eine verfassungskonforme Auslegung. So sei § 71 Abs. 5 Satz 2 GWB, der seinem Wortlaut nach die gerichtliche Nachprüfung der gesamtwirtschaftlichen Lage und Entwicklung völlig ausschließt, so auszulegen, dass sie nur dann ausgeschlossen sei, wenn kein Grundrecht des Klägers betroffen sein könne.370 Weiter sei auch § 114 Satz 1 VwGO, der seinem Wortlaut nach nur die Überprüfung der Rechtmäßigkeit vorsieht, dahingehend auszulegen, dass das Gericht auch die Zweckmäßigkeit überprüfe.371 Diese (vermeintlich) verfassungskonforme Auslegung überzeugt allerdings nicht. Deutlicher als bei § 71 Abs. 5 Satz 2 GWB kann sich der Gesetzgeber kaum ausdrücken, zudem sprechen historische und teleologische Auslegung des GWB gegen die Interpretation Iblers. Ebenso eindeutig ist § 114 Satz 1 VwGO formuliert, insbesondere, weil die VwGO sehr deutlich zwischen Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit unterscheidet (vgl. nur § 68 Abs. 1 Satz 1 VwGO!). Schlüssige Folge der Ibler’schen Auslegung von Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG könnte daher nur Ibler, Rechtspflegender Rechtsschutz, S. 183. Ibler, Rechtspflegender Rechtsschutz, S. 173. Explizit andere Ansicht Bullinger in: FS Maurer, S. 565, 572 368 Ibler, Rechtspflegender Rechtsschutz, S. 448. 369 Ibler, Rechtspflegender Rechtsschutz, S. 167. 370 Ibler, Rechtspflegender Rechtsschutz, S. 447 f. 371 Ibler, Rechtspflegender Rechtsschutz, S. 167. 366 367
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die Verfassungswidrigkeit der entsprechenden Vorschriften sein. Dass Ibler selbst diesen Schluss nicht ziehen will, zeigt deutlich, wie untragbar die Folgen wären. Dies ist aber kein Grund, das einfache Recht in angreifbarer Weise auszulegen, stattdessen ist von vornherein darauf zu verzichten, die Verfassungsnorm des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG so zu interpretieren. Nach überzeugender Auffassung fordert Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG – entgegen Ibler – gerade nicht die Schaffung möglichst vieler Rechte, weil die Garantie effektiven Rechtsschutzes nicht in einen Regulierungsauftrag umgedeutet werden darf.372 Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG enthält kein allgemeines Verrechtlichungsgebot,373 sein Gehalt besteht vielmehr darin, dass die Gerichte die vom Gesetzgeber festgelegten Entscheidungsvoraussetzungen überprüfen – diese Entscheidungsvoraussetzungen werden aber vom Gesetzgeber im Rahmen des Bestimmtheitsgebots und des Gesetzesvorbehalts festgelegt, so dass die subjektiven Rechte der Betroffenen auch nur so weit reichen.374 Somit lässt sich zusammenfassen, dass Ibler zu Recht die Fehlerhaftigkeit vieler Begründungsversuche für Beurteilungsspielräume aufgezeigt hat. Werden diese weitgehend überzeugenden Argumente aufgenommen, müssen sich die meisten Vertreter des Schrifttums und ebenso die Rechtsprechung auf eine grundlegend neue Basis stellen, wollen sie nicht auf eine dogmatisch und logisch haltbare Grundlage verzichten und insofern willkürlich verfahren. Gleichwohl ist abzulehnen, wenn Ibler „rechtspflegenden subjektiven Rechtsschutz als Leitfigur“ vorschlägt375 und diese – wie gezeigt – überbetont. Die Alternative zu diesem Vorschlag, die eine von vornherein andere Herangehensweise an die Auslegung von Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG beinhaltet, ist sogleich vorzustellen.
h) Mittelbare verfassungsrechtliche Rechtfertigung über den Weg des materiellen Rechts – Der Beurteilungsspielraum als vorgelagerte Frage Der Weg zu einer verfassungsrechtlichen Rechtfertigung muss nicht direkt an der eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle als Folge des Beurteilungsspielraums ansetzen. Ein Weg dorthin kann376 gleichsam mittelbar über die Betrachtung des einfachen, materiellen Rechts gehen. 372 Ähnlich Peter M. Huber in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Band I, Art. 19 Abs. 4, Rn. 473. 373 Papier in: Isensee / Kirchof, HdBStR, Band VI, § 154, Rn. 5; zustimmend Schmidt-Aßmann / Groß, NVwZ 1993, S. 617, 620. 374 In diesem Sinne Peter M. Huber, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 134. 375 Ibler, Rechtspflegender Rechtsschutz, S. 184. 376 Ob der hier beschriebene Weg der einzig mögliche ist oder kumulativ andere Rechtfertigungen Anwendung finden können, darf hier offen bleiben, da ersterer bereits eine hinreichende Rechtfertigung bildet. Von einer Exklusivität wird teilweise wohl ausgegangen, vgl. z. B. Sachs in: Sachs, GG, Art. 19, Rn. 146, der meint, ein Beurteilungsspielraum lasse „sich
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5. Teil: Beurteilungsspielraum zugunsten der Verwaltung
Die Rechtsschutzgarantie ist eine in hohem Maße normgeprägte Garantie.377 Es bedarf stets des Rückgriffs auf eine andere, zusätzliche Norm des öffentlichen Rechts;378 entscheidende Grundlage subjektiv-öffentlicher Rechte ist aber das einfache Gesetz.379 Erst das einfache Recht füllt also die Tatbestandsmerkmale des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG aus.380 Die Tatbestandsseite erweist sich daher als die „offene Flanke“ des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG, weil der Tatbestand voraussetzt, dass der Bürger ein Recht verfolgt, aber der einfache Gesetzgeber grundsätzlich allein bestimmt, welche Rechte der Bürger besitzt.381 Es besteht insofern ein Anwendungsvorrang des einfachen Rechts.382 Die Existenz eines „Rechts“ im Sinne des Wortlauts von Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG ist daher von dessen gerichtlicher Durchsetzung nicht nur zu unterscheiden – sie ist dieser auch vorgelagert.383 Die gerichtliche Nachprüfung von Entscheidungen der Verwaltung kann nicht weiter reichen als die materiell-rechtliche Bindung der Verwaltung, weil die Rechtsposition des Bürgers nicht durch Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG begründet, sondern vorausgesetzt wird.384 Nach alledem wird durch die Verortung der Beurteilungsermächtigung im materiellen Recht ein Konflikt mit Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG dogmatisch erklärbar vermieden.385 Freilich ist der Weg einer mittelbaren Rechtfertigung nicht völlig unbeschränkt, insbesondere darf die Rechtsschutzgarantie nicht durch extensive, übermäßige Interpretation des materiellen Rechts ausgehöhlt werden.386 Jedenfalls aber ist klarzustellen, dass der hier vorgeschlagene Weg einer mittelbaren Rechtfertigung wohl nur damit rechtfertigen, dass bereits die materiell-rechtliche Bindung der öffentlichen Gewalt objektiv und damit auch die Reichweite des betroffenen subjektiven Rechtes eine entsprechende Einschränkung erfährt“ (Hervorhebung nicht im Original). 377 Schmidt-Aßmann in: FS Scholz, S. 539, 551. 378 Peter M. Huber, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 77. 379 Peter M. Huber, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 115 (Hervorhebung nicht im Original). 380 Schmidt-Aßmann in: FS Scholz, S. 539, 551. 381 Herzog, NJW 1992, S. 2601, 2601 (Hervorhebung nicht im Original). Ähnlich Jestaedt in: Erichsen / Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht (13. Auflage), § 10, Rn. 38. 382 Peter M. Huber in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Band 1, Art. 19, Rn. 387 m. w. N. Vgl. auch Redeker / von Oertzen, VwGO, § 114, Rn. 38. 383 Peter M. Huber in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Band 1, Art. 19, Rn. 386 (Hervorhebung nicht im Original). Ähnlich Ramsauer in: Festgabe BVerwG, S. 699, 715. Ähnlich auch BVerfGE 84, 34, 49. 384 So auch BVerfGE 84, 34, 49 f. Jüngst auch wieder betont von BVerwG, DVBl. 2008, S. 40, 47. Zustimmend Jestaedt in: Erichsen / Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht (13. Auflage), § 10, Rn. 38. 385 Wittig, Beurteilungsspielräume, S. 27. 386 Wittig, Beurteilungsspielräume, S. 28 betont diesen Aspekt mit besonderem Nachdruck. Vgl. auch BVerfGE 83, 182, 198: „Ebenso wenig dürfen die Gerichte eine entsprechende Aushöhlung der Rechtsschutzgarantie im Wege der Auslegung des materiellen Rechts herbeiführen.“
D. Die Kritik an der normativen Erma¨chtigungslehre
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logisch unabhängig von der Frage ist, unter welchen Voraussetzungen eine konkludente Einräumung durch den einfachen Gesetzgeber angenommen werden kann (worauf noch gesondert einzugehen sein wird387). Um diese Unabhängigkeit beider Dimensionen zu verdeutlichen, ist es besonders hilfreich, sich die Lage am Beispiel eines ausdrücklich normierten Beurteilungsspielraums zu verdeutlichen, wie ihn der einfache Gesetzgeber durch § 70 Abs. 5 Satz 2 GWB geschaffen hat. Es wäre ihm in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise möglich gewesen, dem Bürger in dieser Frage ausdrücklich kein subjektiv-öffentliches Recht zu gewähren.388 Es kann aus verfassungsrechtlicher Perspektive keinen Unterschied machen, ob der einfache Gesetzgeber ein subjektives Recht versagt oder den gerichtlichen Kontrollumfang entsprechend beschränkt.
i) Schlussfolgerung Viele der Ansätze, mit deren Hilfe der Versuch unternommen wurde, die normative Ermächtigungslehre in Einklang mit Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG zu bringen, greifen ersichtlich zu kurz, sind inkonsequent oder verlieren ihre dogmatische Glaubwürdigkeit durch die Vermischung der verfassungsrechtlichen Interpretation mit rechtspolitischem Wunschdenken. Das bietet zwar naturgemäß eine breite Angriffsfläche für Kritik, diese Kritik erweist sich jedoch ihrerseits als nicht schlüssig. Letztendlich ist ein Beurteilungsspielraum zugunsten der Verwaltung auf anderem Wege dogmatisch zu erklären und aufgrund einer mittelbaren, im materiellen Recht fußenden Rechtfertigung mit Art. 19 Abs. 4 Sat 1 GG vereinbar.
V. Ergebnis Die normative Ermächtigungslehre wird als herrschende Meinung gelegentlich gar nicht, noch häufiger wird sie in überaus angreifbarer Weise begründet. In manch einer der vorgeschlagenen Ausformungen kann ihr nicht gefolgt werden, darüber hinaus stehen nicht selten die eher rechtspolitisch geprägten Motive vieler ihrer Vertreter der wissenschaftlich überzeugenden Auslegung des geltenden Rechts im Wege. In ihrem wesentlichen Kern ist die normative Ermächtigungslehre trotzdem zustimmungswürdig, weil sie sich auch im Rahmen des geltenden Verfassungsrechts schlüssig herleiten lässt. Insbesondere sind die beiden wesentlichen verfassungsrechtlichen Grundvoraussetzungen der herrschenden Meinung zu bejahen, obwohl ihre Begründung so häufig fehlt oder fehlgeht: Es besteht ein verfassungsrechtlicher Grundsatz der vollumfänglichen gerichtlichen ÜberprüSiehe S. 213 ff. Herzog, NJW 1992, S. 2601, 2602 unterstellt sogar: „Was der Gesetzgeber wirklich meint, ist, dass der Bürger kein subjektiv-öffentliches Recht auf eine bestimmte Wirtschaftspolitik hat [ . . . ].“ 387 388
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5. Teil: Beurteilungsspielraum zugunsten der Verwaltung
fung, dieser Grundsatz ist jedoch Ausnahmen auf einfachgesetzlicher Ebene zugänglich. Zur Herleitung dieses Ergebnisses bedarf es keines Rückgriffs auf die Grundrechte, wie sogleich zu zeigen ist (dazu E.), es genügt also allein die normative Ermächtigung als solche. Die allgemeinen Grundsätze der Gesetzesauslegung zugrunde gelegt, kann eine normative Ermächtigung nicht nur explizit, sondern auch konkludent erfolgen; an welchen Kriterien sich die Auslegung eines in Frage kommenden Gesetzes zu orientieren hat, wird im Anschluss gezeigt (dazu F.). Nachdem somit die Voraussetzungen des geltenden Rechts umfassend erarbeitet sein werden, kann eine rechtspolitische Bewertung erfolgen (dazu G.) und es sind abschließend die konkreten Konsequenzen bei Annahme eines Beurteilungsspielraums zugunsten der Verwaltung aufzuzeigen (dazu H.).
E. Zur Bedeutung der Grundrechte für die normative Ermächtigungslehre I. Hinführung Vor der sogleich erfolgenden detaillierten Darstellung der Rolle der Grundrechte ist zu betonen, dass die Grundrechte als Teil der Verfassung nur Relevanz besitzen für die Frage, ob der einfache Gesetzgeber einen Beurteilungsspielraum einräumen darf, nicht jedoch, ob er einen Beurteilungsspielraum (konkludent) tatsächlich eingeräumt hat.389 Dass bereits diese grundlegende Verortung immer wieder übersehen wird, dürfte nicht zuletzt daher rühren, dass der Streit um die normative Ermächtigungslehre – wie bereits eigens erläutert390 – nicht nur insgesamt unübersichtlich ist, sondern dass dies in noch weiter verstärktem Maße hinsichtlich der Bedeutung der Grundrechte gilt; Rechtsprechung und Literatur verweisen häufig auf sie, jedoch in völlig unterschiedlicher Weise: Mal werden Grundrechte als Argument für,391 mal gegen392 die verfassungsrechtliche Zulässigkeit von Beurteilungsspielräumen genannt. Bald wird die Wirkung als einseitige Tendenz beschrie389 So aber Brunner, Beurteilungsspielräume im Jugendmedienschutzrecht, S. 62 f., der davon ausgeht, die Einschlägigkeit von Grundrechten sei ein Indiz für die Einräumung eines Beurteilungsspielraums. Eine solche Indizwirkung ließe sich m. E. theoretisch allenfalls dadurch konstruieren, dass der Gesetzgeber gerade durch die Einräumung oder durch die Nicht-Einräumung eines Beurteilungsspielraums das Gesetz verfassungsgemäß gestalten wollte; die Suche nach einem derartigen Willen wäre aber – insbesondere, nachdem eine konkludente (!) Einräumung in Frage steht – m. E. keine sinnvolle Perspektive der Auslegung. 390 Siehe Seite 156 ff. 391 Hofmann, NVwZ 1995, S. 740, 743. 392 Schulze-Fielitz, JZ 1993, S. 772, 776.
E. Bedeutung der Grundrechte fu¨r die normative Erma¨chtigungslehre
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ben,393 bald wird das Gegenteil behauptet.394 Daher sind die verschiedenen Stoßrichtungen zunächst in klarer Trennung vorzustellen, bevor anschließend eine Bewertung sowohl der jeweils geäußerten Auffassungen als auch der prinzipiellen Relevanz der Grundrechte erfolgen kann.
II. Grundrechte als Argument gegen einen Beurteilungsspielraum An erster Stelle derjenigen, die in den Grundrechten ein Argument gegen einen Beurteilungsspielraum erkennen, steht das Bundesverfassungsgericht. So hat es entschieden, die Intensität einer gerichtlichen Überprüfung richte sich danach, wie intensiv ein Grundrecht betroffen sei.395 Dieser Gedanke wurde von einzelnen Vertretern der Literatur aufgenommen396 und teilweise dahingehend weitergeführt, dass immer dann, wenn zwei Grundrechte in praktischer Konkordanz abgewogen werden müssten, ein Beurteilungsspielraum von Verfassung wegen ausgeschlossen sei.397 Selbst einige Autoren, die die administrativen Entscheidungsspielräume auf der Tatbestandsseite tendenziell ausweiten wollen, sprechen den Grundrechten eine beschränkende Wirkung zu.398
III. Grundrechte als Argument für einen Beurteilungsspielraum Auch diejenigen, die meinen, die Grundrechte seien ein taugliches Argument zugunsten eines Beurteilungsspielraums,399 können sich auf das Bundesverfassungsgericht berufen. Denn es hat ebenfalls geäußert, das Gebot der Chancengleichheit als Unterfall des Gleichheitsgebots gem. Art. 3 Abs. 1 GG rechtfertige einen Beurteilungsspielraum im Prüfungsrecht.400 Wie vom Wortlaut der Entscheidung her durchaus möglich,401 wurde die Entscheidung sogar dahingehend inter-
In diesem Sinne Geis, NVwZ 1992, S. 25, 29. Schmidt-Aßmann in: Maunz / Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4, Rn. 180a unter ausdrücklicher Ablehnung von Geis, NVwZ 1992, S. 25, 29. 395 BVerfGE 83, 130, 145. 396 Vgl. Schulze-Fielitz, JZ 1993, S. 772, 776 sowie Geis in: Ziekow, Handlungsspielräume der Verwaltung, S. 97, 100. 397 Geis, JZ 1993, S. 792, 794. 398 Jestaedt in: Erichsen / Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht (13. Auflage), § 10, Rn. 39 und 53 („Gegen das Vorliegen eines Beurteilungsspielraums sprechen namentlich Grundrechtsberührungen“). 399 Hofmann, NVwZ 1995, S. 740, 743. 400 BVerfGE 84, 34, 52. 393 394
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5. Teil: Beurteilungsspielraum zugunsten der Verwaltung
pretiert, in diesen Fällen gebiete das Grundrecht zwingend (!) die Einräumung eines Beurteilungsspielraums zugunsten der Verwaltung.402 Während das Bundesverfassungsgericht nie ein anderes Grundrecht als das Gleichheitsgebot gem. Art. 3 Abs. 1 GG als verfassungsrechtliches Argument für einen Beurteilungsspielraum genannt hat,403 wurde dieser Ansatz von Teilen der Literatur auch für die Grundrechte im Allgemeinen formuliert.404
IV. Differenzierungen Angesichts dieser gegensätzlichen Tendenzen wurde der Versuch unternommen, beide Argumente zu verbinden (und so auch die unterschiedlichen Äußerungen des Bundesverfassungsgerichts in Einklang zu bringen). Dementsprechend wird von Teilen des Schrifttums vertreten, Grundrechte könnten sowohl für als auch gegen einen Beurteilungsspielraum sprechen.405 Es gebe Fälle (jedoch nur ausnahmsweise), in denen der Schutz eines Grundrechts nur mittels einer vollumfänglichen gerichtlichen Überprüfung effektiv sein könne, ebenso gebe es aber Fälle, bei denen die Grundrechte eine Beschränkung in Form eines Beurteilungsspielraums geböten.406 Eine genauere Systematisierung dieser Differenzierung ist in der Literatur bislang jedoch nicht ersichtlich.
V. Eigene Überlegungen und Stellungnahme 1. Angreifbare Heranziehung der Freiheitsgrundrechte gegen einen Beurteilungsspielraum Die Idee, nach der bereits die Betroffenheit von Grundrechten eine verfassungsrechtliche Pflicht zur vollumfänglichen gerichtlichen Überprüfung auslöste, mag über eine „landläufige Plausibilität“407 verfügen, ist bei genauerer Betrachtung 401 BVerfGE 84, 34, 52: „Sie [die gleichmäßige Beurteilung aller vergleichbaren Kandidaten] ist nur erreichbar, wenn den Prüfungsbehörden bei prüfungsspezifischen Wertungen ein Entscheidungsspielraum verbleibt und die gerichtliche Kontrolle insoweit eingeschränkt wird“ (Hervorhebung nicht im Original). 402 Ausdrücklich Hofmann, NVwZ 1995, S. 740, 743. 403 Alle anderen Bezugnahmen auf Grundrechte durch das Bundesverfassungsgericht erfolgten – wie im vorhergehenden Abschnitt dargestellt – als Argument gegen die Zulässigkeit eines Beurteilungsspielraums. 404 Schmidt-Aßmann in: Maunz / Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4, Rn. 180a. Inzwischen allerdings etwas distanzierter Schmidt-Aßmann in: FS Scholz, S. 539, 547. 405 So Schmidt-Aßmann in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, VwGO, Band I, Einleitung, Rn. 187. – Uneindeutig jedoch jüngst Schmidt-Aßmann in: FS Scholz, S. 539, 552. 406 Schmidt-Aßmann in: Maunz / Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4, Rn. 180a, der jedoch keinen weiteren Beispielsfall neben der Chancengleichheit im Prüfungswesen nennt. 407 Schmidt-Aßmann in: FS Scholz, S. 539, 552.
E. Bedeutung der Grundrechte fu¨r die normative Erma¨chtigungslehre
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aber nicht schlüssig. Eine Abstufung zwischen Grundrechtseingriffen und sonstigen Eingriffen besteht nämlich generell nicht, weil aufgrund einer – der herrschenden Meinung entsprechenden – breiten Grundrechtserstreckung praktisch kein Zugriff auf die Individualsphäre denkbar ist, der nicht auch ein Grundrechtseingriff ist.408 Insofern darf keine Differenzierungsmöglichkeit suggeriert werden, die gar nicht existiert.409 Schmidt-Aßmann / Groß sagen es gleichermaßen anschaulich wie überzeugend: „Auch die belangloseste Bauordnungsverfügung lässt sich als Eingriff in Art. 14 GG deuten; und selbst wenn sich jeder spezifische Bezug aufgelöst hat, bleibt immer noch Art. 2 Abs. 1 GG“.410 Da also keine Dichotomie zwischen grundrechtsrelevanten und nicht grundrechtsrelevanten Eingriffen existiert, ließe sich möglicherweise an eine graduelle Differenzierung denken;411 hierzu ist der vor allem von Geis forcierte Vorschlag zu zählen, die gerichtliche Überprüfung müsse intensiver sein, je intensiver Grundrechte betroffen seien,412 wie ihn ja auch das Bundesverfassungsgericht unternommen hat.413 Doch auch dieser Ansatz kann letztendlich nicht überzeugen,414 weil völlig offen bleibt, ab welchem Grad die Betroffenheit des Grundrechts so groß ist, dass es keinen Beurteilungsspielraum mehr geben können soll – es fehlt sogar an Vorschlägen, wie der Grad der Betroffenheit überhaupt gemessen werden könnte. Bislang ist kein einziger Vorschlag in der Literatur ersichtlich, der eine nachvollziehbare abstrakte Unterscheidung zwischen hinreichend grundrechtsintensiven (und daher vollumfänglich zu überprüfenden) und nicht hinreichend grundrechtsintensiven (und daher nur beschränkt überprüfbaren) Verwaltungsentscheidungen beinhaltet. Darüber hinaus ist zu betonen, dass gerade die Rechtsprechung – und ihr folgend ein Großteil des Schrifttums – die Idee einer Akzessorietät der Intensität der Überprüfung zur Intensität des Grundrechtseingriffs nicht erkennbar umgesetzt hat, weil sie sowohl Beurteilungsspielräume in Bereichen von tendenziell hoher (wie auch immer zu messender) Grundrechtintensität anerkannt hat, als auch Beurteilungsspielräume in solchen Bereichen für unzulässig erachtete, die grundrechtlich eher weniger bedeutsam erscheinen.415 Im Gegenteil: Viele der von der Rechtsprechung etablierten „Klassiker“ des Beurteilungsspielraums stammen aus Bereichen, bei denen kaum eine „geringe“ Grundrechtsintensivität angenommen 408
Sendler, DVBl. 1994, S. 1089, 1090; Schmidt-Aßmann / Groß, NVwZ 1993, S. 617,
618. Schmidt-Aßmann in: FS Scholz, S. 539, 552. Schmidt-Aßmann / Groß, NVwZ 1993, S. 617, 618. 411 Ähnlich gelagert wäre die theoretische Möglichkeit, nach verschiedenen Einzelgrundrechten qualitativ zu differenzieren; dieser Idee ist jedoch nicht zu folgen, weil die Grundrechte untereinander in keinem festen Rangverhältnis stehen, insofern zustimmungswürdig Schmidt-Aßmann / Groß, NVwZ 1993, S. 617, 618. 412 So besonders deutlich Geis, NVwZ 1992, S. 25, 19. 413 BVerfGE 83, 130, 145. 414 So im Ergebnis auch Schmidt-Aßmann, Maunz / Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4, Rn. 180a. 415 Nachdrücklich Schmidt-Aßmann in: Maunz / Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4, Rn. 180a. 409 410
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5. Teil: Beurteilungsspielraum zugunsten der Verwaltung
werden könnte: So bei berufsbezogenen Prüfungen (Art. 12 Abs. 1 GG!),416 beamtenrechtliche Beurteilungen (Art. 33 Abs. 2 GG!),417 jugendgefährdenden Medien (Art. 5 Abs. 1 GG!) oder dem Umweltrecht (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 GG!). 2. Angreifbare Heranziehung von Art. 3 Abs. 1 GG für einen Beurteilungsspielraum Soweit ersichtlich, wurde in der Rechtsprechung und ihr folgend in der Literatur praktisch nur ein Grundrecht genannt, das für einen Beurteilungsspielraum sprechen könnte, nämlich das Gleichheitsgebot gem. Art. 3 Abs. 1 GG.418 (Im Wesentlichen wurde dabei übrigens auch nur ein Sachgebiet genannt, nämlich das Prüfungswesen.419) Versuche der Verallgemeinerung sind in der Literatur bis jetzt nur angedeutet,420 aber wohl nie ausgeführt worden, erst recht nicht in der Judikatur; dementsprechend sollen sie außer Betracht bleiben. Das Gleichheitsgebot mit der gerichtlichen Kontrolle in Verbindung zu bringen, ist bereits deshalb wenig einleuchtend, weil gerichtliche Verfahren typischerweise Einzelfälle betreffen.421 Der Idee, es solle eine unzulässige Ungleichheit darstellen, dass ein klagender Bürger im Ergebnis anders stehen kann, als ein Bürger, der auf eine Klage verzichtet, muss also von vornherein mit Skepsis begegnet werden. Darüber hinaus hat die grundlegende Untersuchung von Ibler inzwischen überzeugend dargelegt, warum dieser Ansatz zu verwerfen ist, warum also Art. 3 Abs. 1 GG kein taugliches Argument für einen Beurteilungsspielraum ist, auch und gerade nicht im Prüfungswesen:422 Das Gleichheitsgebot ist formal, weil es im 416 Zur Bedeutung von Art. 12 Abs. 1 GG im öffentlichen Wirtschaftsrecht Badura / Peter M. Huber in: Schmidt-Aßmann, Besonderes Verwaltungsrecht, Kapitel 3, Rn. 43 ff., insbesondere zur Zulässigkeit subjektiver und objektiver Berufszulassungsschranken Rn. 47. 417 Art. 33 Abs. 2 GG ist ein grundrechtsgleiches Recht, vgl. z. B. Jachmann in: in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Band 2, Art. 33 Abs. 2, Rn. 12 m. w. N. 418 Der bereits erwähnte Versuch, einen Beurteilungsspielraum anhand des in Art. 5 Abs. 1 GG zu verortenden Gebots der Staatsferne zu rechtfertigen, ist davon zu unterscheiden, weil hierbei weniger die grundrechtliche Funktion von Art. 5 Abs. 1 GG angesprochen wird, sondern primär dessen institutionelle Dimension. 419 Davon zu unterscheiden ist die Bedeutung von Art. 12 Abs. 1 GG für das Prüfungswesen, der als Argument gegen einen Beurteilungsspielraum dient. 420 Namentlich Schmidt-Aßmann in: Maunz / Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4, Rn. 180a formuliert zwar in allgemeiner Form, nennt aber nicht ein einziges weiteres Beispiel. – Inzwischen scheint sich Schmidt-Aßmann in: FS Scholz, S. 539, 547 von diesem Ansatz auch selbst abgewendet zu haben. 421 Im Grundsatz ebenso Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 7, Rn. 43, jedoch differenzierend in Hinsicht auf das Prüfungswesen. 422 Ibler, Rechtspflegender Rechtsschutz, S. 375 – 381. Unklar und daher nicht zustimmungswürdig dagegen die Differenzierung von Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 7, Rn. 43: „So ganz überzeugend ist die ausschließliche Bezugnahme auf Art. 3 I GG nicht, zumal die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Regel singuläre Fälle betrifft, aber
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Grunde nur gebietet, dass das Maß der Unabhängigkeit der Prüfer gegenüber der gerichtlichen Kontrolle in allen Fällen gleich sein muss, nicht jedoch, wie weit diese Unabhängigkeit zu gehen hat.423 Weiter ist das Gleichheitsgebot ambivalent, weil es sowohl zugunsten als auch zulasten eines klagenden Prüflings wirken kann;424 dies zeigt sich nicht zuletzt daran, dass in der Literatur auch schon vertreten wurde, dass Art. 3 Abs. 1 GG gegen (!) einen Beurteilungsspielraum des Prüfers spreche, weil eine Gleichbehandlung aller Prüflinge sonst gerade nicht gewährleistet sei.425 Weiter ist der vorschnelle Einwand, ein Gerichtsverfahren bringe eine unzulässige „zusätzliche Prüfungschance“426 mit sich, irreführend, weil nicht nochmals der Prüfling, sondern das Prüfungsverfahren als solches einer Kontrolle unterzogen wird.427 Darüber hinaus verwundert das vielfache Beharren auf der (vermeintlichen) Gleichbehandlung im Prüfungswesen, insbesondere in mündlichen Prüfungen, weil eine vollständige Gleichbehandlung dort von vornherein nicht zu bewerkstelligen ist: Unterschiedliche Prüfungskampagnen stellen unterschiedlich schwere Anforderungen, unterschiedliche Prüfer stellen unterschiedlich schwere Fragen, selbst der gleiche Prüfer wird an verschiedenen Prüfungstagen nicht immer den gleichen Schwierigkeitsgrad generieren können, weil er nicht mehr die gleichen Fragen wie in den Tagen zuvor stellen kann (wenn doch, läge die noch größere Ungleichbehandlung zuungunsten der Kandidaten des ersten Tages vor!). Wollte man die größtmögliche Gleichheit unter den Prüflingen herstellen, wäre beispielsweise wesentlich mehr damit erreicht, pro Termin nur eine Prüfungskommission prüfen zu lassen. Dies wäre aber verwaltungsorganisatorisch schwierig und ist rechtspolitisch offensichtlich nicht erwünscht. Eben diese rechtspolitische Dimension sollte aber nicht unter dem Deckmantel des Gleichbehandlungsgebots versteckt, sondern transparent als Wille des einfachen Gesetzgebers verortet werden. Zum Eindruck eines „Versteckens“ rechtspolitischer Wünsche unter dem Deckmantel der Gleichbehandlung passt auch, dass weder im Prüfungsrecht noch anderswo, weder durch einen Vertreter des Schrifttums noch durch das Bundesverwaltungsgericht jemals zusammen mit den übrigen Besonderheiten des Prüfungswesens ist sie relevant und tragfähig.“ 423 Inhaltlich übereinstimmend Ibler, Rechtspflegender Rechtsschutz, S. 375: „Dementsprechend begründet der Chancengleichheitssatz weder den Bewertungsspielraum noch die Unabhängigkeit, sondern setzt beides voraus und knüpft daran an.“ 424 Ibler, Rechtspflegender Rechtsschutz, S. 375 und 377 ff. mit ausführlicher Würdigung aller denkbaren Situationen. 425 So Alberts / Füssel, JA 1975, S. 597, 603. 426 So aber Niehues, Schul- und Prüfungsrecht, Band II, 4. Auflage (2004), Rn. 777. (Die diesbezügliche Kritik von Ibler, Rechtspflegender Rechtsschutz, S. 381, bezieht sich noch auf Rn. 370 der inhaltlich soweit übereinstimmenden 3. Auflage aus dem Jahr 1994.) 427 Ibler, Rechtspflegender Rechtsschutz, S. 381. – Wenn an dieser Stelle den Ausführungen Iblers zugestimmt wird, so ist damit freilich nicht gesagt, dass sich ein Beurteilungsspielraum nicht auch ohne Bezug auf Art. 3 Abs. 1 GG – wie in der vorliegenden Arbeit vertreten – herleiten ließe, auch wenn Ibler dabei anderer Auffassung ist.
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das Gleichheitsgebot gem. Art. 3 Abs. 1 GG herangezogen wurde,428 bis dies zum ersten Mal im Jahr 1991 durch das Bundesverfassungsgericht429 geschah. Erst danach wurde Art. 3 Abs. 1 GG zu einem (wenn nicht sogar zu dem) Argument der Befürworter430 des Beurteilungsspielraums in der Literatur431 und des Bundesverwaltungsgerichts.432 – Inzwischen scheinen übrigens auch diejenigen, die zwischenzeitlich die Idee eines grundrechtlich gebotenen Beurteilungsspielraums begrüßten,433 von diesem Weg abzukommen und sich auf den Kern der normativen Ermächtigungslehre zurückzubesinnen, also auf die Ermittlung des Willens des einfachen Gesetzgebers.434 In der weiteren Konsequenz ist erst recht der Überlegung eine klare Absage zu erteilen, dem Gleichheitsgebot könne sogar ein Zwang (!) des einfachen Gesetzgebers zur Einräumung von Beurteilungsspielräumen entnommen werden.435 Ein Gesetz, das die vollumfängliche gerichtliche Überprüfung von Verwaltungshandeln vorsieht, ist nicht deshalb verfassungswidrig (und damit nichtig), weder im Prüfungswesen noch in irgendeinem anderen Sachgebiet. So lange jeder Einzelne in gleicher Weise vor Gericht gegen eine Entscheidung der Verwaltung klagen kann, so lange ist in der Einräumung der Möglichkeit einer gerichtlichen Überprüfung, auch einer vollumfänglichen, keine Ungleichheit zu erkennen. Denjenigen, die einen Zwang des Gesetzgebers zur Einräumung eines Beurteilungsspielraums zugunsten der Verwaltung konstruieren wollen, sei deutlich entgegengehalten: Einen verfassungsrechtlichen Vorbehalt der Verwaltung gegenüber dem Gesetzgeber gibt es nicht436 – es gibt ihn auch nicht durch die Hintertür des Gleichheitsgebots.
So bereits die unwiderlegte Analyse von Ibler, Rechtspflegender Rechtsschutz, S. 373. BVerfGE 84, 34, 52. 430 Davon unabhängig wurde Art. 3 Abs. 1 GG auch als Argument gegen einen Beurteilungsspielraum herangezogen, vgl. Alberts / Füssel, JA 1975, S. 597, 603. 431 Vgl. z. B. Hufen, JuS 1992, S. 252, 253; weitere Nachweise bei Ibler, Rechtspflegender Rechtsschutz, S. 374. 432 Vgl. z. B. BVerwG, NJW 1993, S. 3340, 3340 ff.; BVerwG, NVwZ 1997, S. 502, 502 f. 433 Namentlich Schmidt-Aßmann in: Maunz / Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4, Rn. 180a. 434 Schmidt-Aßmann in: FS Scholz, S. 539, 547 nun deutlich: „Die Legitimation einer Beurteilungsermächtigung folgt nicht aus dem Umweg über Art. 3 Abs. 1 GG, sondern aus der Entscheidung des Gesetzgebers [ . . . ].“ 435 So aber wohl Hofmann, NVwZ 1995, S. 740, 743. Auch Schmidt-Aßmann in: Maunz / Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4, Rn. 180a konnte noch so verstanden werden: „Umgekehrt ist es nicht ausgeschlossen, dass Grundrechte Dritter den Gesetzgeber verpflichten, vom Grundsatz der vollständigen gerichtlichen Kontrolle abzuweichen“ (Hervorhebung nicht im Original). Eine ähnliche Andeutung findet sich bei Schmidt-Aßmann / Groß, NVwZ 1993, S. 617, 623, die davon ausgehen, zwingende Verfassungsgründe verlangten die Erteilung einer normativen Ermächtigung zugunsten der Exekutive. 436 Grundlegend Maurer, VVDStRL Band 43 (1985), S. 135, 170 f. und passim. 428 429
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3. Angreifbare Differenzierungen Es hat sich gezeigt, dass eine Argumentation anhand der Grundrechte weder zugunsten noch zuungunsten eines Beurteilungsspielraums Überzeugungskraft besitzt. Dementsprechend sind auch die Differenzierungsversuche abzulehnen, die beide Ideen verbinden wollen, weil sich dabei nicht die Nachteile der beiden extremen Standpunkte ausgleichen, sondern im Gegenteil summieren. So ist es beispielsweise nicht überzeugend, wenn Brunner zunächst äußert, die Betroffenheit von Grundrechten könne ein Indiz sowohl für als auch gegen einen Beurteilungsspielraum bilden,437 um anschließend in ausnahmslos allen von ihm untersuchten Bereichen anzufügen, dass die Grundrechte zu keiner Abweichung von dem – auf anderem Wege gefundenen – Ergebnis führten.438
4. Schlussfolgerung Wenn Schmidt-Aßmann sagt: „Eine isoliert grundrechtliche Betrachtungsweise bringt hier keinen Erkenntnisgewinn“,439 so ist dem zu antworten: Sie bringt auch kombiniert keinen Erkenntnisgewinn. Wenn festgestellt wird, dass der Kontrollauftrag an die Gerichte eine Konsequenz „allein“ (sic!) von Art. 19. Abs. 4 Satz 1 GG ist, der „unabhängig“ (sic!) davon gilt, ob in Grundrechte eingegriffen wird oder Leistungen gewährt werden,440 so ist es die falsche Konsequenz, auf die Grundrechte „nicht allein“ zurückgreifen zu wollen,441 vielmehr muss gar nicht auf die grundrechtliche Dimension zurückgegriffen werden. Der gefundene Standpunkt lässt sich auch durch einen Vergleich mit dem allgemeinen Verhältnis der Grundrechte zur Ausgestaltung des gerichtlichen Rechtsschutzes untermauern. Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit des Beurteilungsspielraums bemisst sich wie gezeigt nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG. Die Frage der Abgrenzung des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG immanenten Bedeutungsgehaltes von jenem der materiellen Grundrechte stellt sich aber nicht nur hinsichtlich des Beurteilungsspielraums, sondern ganz allgemein. Dabei wird sie zwar nicht einheitlich beurteilt,442 jedoch ist nach zutreffender Auffassung festzuhalten, dass im Gewährleistungsbereich der Rechtsschutzgarantie für einen Rückgriff auf die materiellen Grundrechte weder Raum noch Bedarf herrscht.443 Aus den Grundrechten Brunner, Beurteilungsspielräume im Jugendmedienschutz, S. 62 f. Vgl. Brunner, Beurteilungsspielräume im Jugendmedienschutz, S. 105 und 133. 439 Schmidt-Aßmann in: Maunz / Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4, Rn. 180a (Hervorhebung nicht im Original). 440 Ausdrücklich Schmidt-Aßmann / Groß, NVwZ 1993, S. 617, 621. 441 So aber an gleicher Stelle Schmidt-Aßmann / Groß, NVwZ 1993, S. 617, 621. 442 Zum Meinungsstand Peter M. Huber in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Band 1, Art. 19 Abs. 4, Rn. 361 ff. m. w. N. 437 438
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können sich zwar besondere Effektivitätsanforderungen ergeben, jedoch nicht für das gerichtliche Verfahren.444 Wenn diese Eckpunkte für die allgemeine Abgrenzung von Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG zu den materiellen Grundrechten gelten, so gibt es m. E. keine Veranlassung, beim Beurteilungsspielraum davon abzuweichen: Für einen Rückgriff auf die Grundrechte herrscht weder Raum noch Bedarf.
F. Kriterien für die Annahme einer konkludenten normativen Ermächtigung I. Bisherige Ansätze in Rechtsprechung und Literatur 1. Hinführung Wie bereits zu Anfang dieses Teils der vorliegenden Arbeit grob skizziert,445 wurden verschiedene Systematisierungen und an Sachgebieten orientierte Fallgruppen für die Rechtsfigur des Beurteilungsspielraums vorgeschlagen, die als Indikator für die Annahme einer konkludenten Ermächtigung durch den einfachen Gesetzgeber dienen sollen. Die Ansätze sind zumeist aus der Kasuistik des Bundesverwaltungsgerichts abgeleitet, doch wie sogleich anhand einiger der am häufigsten vorgeschlagenen Kriterien zu zeigen ist, erscheint keine der Fallgruppen als hinreichend schlüssig. Nicht nur, weil es an einem über einzelne Referenzgebiete hinausgehenden Ansatz fehlt, sondern vor allem, weil sich selbst innerhalb der einzelnen Gruppen stets Gegenbeispiele finden, die ebenfalls aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts stammen.
2. Beispiele und deren Bewertung a) Prognoseabhängigkeit Häufig wurde die Notwendigkeit einer Prognose446 als konstitutive Voraussetzung für die Annahme der Einräumung eines Beurteilungsspielraums genannt. Doch dies überzeugt nicht, weil es unzählige Rechtsbegriffe gibt, die von der Rechtsprechung vollumfänglich überprüft werden, obwohl es bei deren Anwen443 Ausdrücklich Peter M. Huber in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Band 1, Art. 19 Abs. 4, Rn. 364 m. w. N. Ebenso Krebs in: von Münch / Kunig, GG, Band I, Art. 19, Rn. 48 m. w. N. 444 Peter M. Huber in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Band 1, Art. 19 Abs. 4, Rn. 364 m. w. N. 445 Siehe Seite 138. 446 Dazu Rennert in: Eyermann, VwGO, § 114, Rn. 63 ff.
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dung ebenfalls einer Prognose bedarf447 – das denkbar einfachste Beispiel dafür ist die polizeirechtliche Gefahr.448 Auch eine Abstufung nach dem – wie auch immer zu messenden – „Schwierigkeitsgrad“ der Prognose ist weder praktikabel noch entspräche sie der bestehenden Kasuistik.449
b) Komplexität Auch das vorgeschlagene Kriterium der Komplexität450 kann nicht konsequent angewendet werden. Nicht nur, weil unklar wäre, ab welchem Grad von Komplexität dies anzunehmen wäre,451 sondern vor allem, weil es wiederum zahlreiche Rechtsgebiete von erheblicher Komplexität gibt, die von der Rechtsprechung vollumfänglich überprüft werden.452
c) Wertungsabhängigkeit Nicht anders stellt sich die Lage bei gesetzlichen Begriffen dar, deren Ausfüllung eine Wertung voraussetzen.453 So betonte das Bundesverwaltungsgericht über Jahrzehnte hinweg nahezu gebetsmühlenartig, dass die Notwendigkeit von Wertungen zu keiner Beschränkung des Prüfungsumfangs führen könne454 – wodurch sich das Bundesverwaltungsgericht aber nicht daran gehindert sah, in einer kurze Zeit später erfolgenden Entscheidung eine einfachgesetzliche Regelung als Einräumung eines Beurteilungsspielraums auszulegen, weil deren Anwendung zahlreiche Wertungen voraussetze.455 Ebenso wenig kann ein (wie auch immer zu messender) Grad von Wertungsabhängigkeit eine Unterscheidung erklären, wie ein Blick auf den Begriff der „Verunstaltung des Ortsbildes“ gem. § 35 Abs. 3 Nr. 5 BauGB zeigt: dieser ist offensichtlich besonders wertungsabhängig – und er wird vollumfänglich überprüft.456 Ähnlich Schoch, Jura 2004, S. 612, 617. Beaucamp, JA 2002, S. 314, 317. Ähnlich Bamberger, VerwArch 2002, S. 217, 248. 449 Selbst der eine andere Ansicht vertretende Rennert in: Eyermann, VwGO, § 114, Rn. 64, der meint, zwischen einfacher Prognose und „überindividueller“ Prognose unterscheiden zu können, muss eingestehen, dass die Übergänge fließend sind. 450 Dazu Rennert in: Eyermann, VwGO, § 114, Rn. 71. 451 Andere Ansicht offenbar Rennert in: Eyermann, VwGO, § 114, Rn. 71, der meint, zwischen „komplexen“ und „hochkomplexen“ Entscheidungen unterscheiden zu können. 452 Beaucamp, JA 2002, S. 314, 316 m. w. N. und Verweis auf BVerfGE 88, 40, 58 f. Ähnlich Schmidt-Aßmann in: Maunz / Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4, Rn. 198. 453 Kritisch dazu Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 25, Rn. 54. 454 Vgl. z. B. BVerwGE 21, 184, 186 f.; 24, 60, 64; 94, 307, 309 ff. 455 BVerwGE 99, 355, 357 f. (Hervorhebung nicht im Original); inhaltlich ging es bei dieser Entscheidung um die Festlegung der Kaufkraft als Grundlage einer Ausgleichszahlung für Beamte. 447 448
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d) Besondere Gremien Die wohl schillerndste Fallgruppe ist die der besonderen Gremien.457 Zahlreichen weisungsfreien Kollegialorganen wurde von der Rechtsprechung ein Beurteilungsspielraum zuerkannt, ebenso vielen wurde er versagt,458 ohne dass ein abstrakter Unterschied zu erkennen wäre. Warum soll zum Beispiel der Sortenausschuss bei der Getreidesortenzulassung über einen Beurteilungsspielraum verfügen,459 der Körausschuss bei der Zuchttierkörung aber nicht?460 Während ein Teil der Literatur diese Kasuistik trotz der fehlenden Nachvollziehbarkeit ohne erkennbare Kritik übernimmt,461 haben andere Autoren versucht, die Lage durch abstrakte Differenzierungen zu erklären. Sie gelangen dabei jedoch nicht nur zu unterschiedlichen, sondern mitunter gar zu konträren Inhalten. Manche schlagen vor, dass nur solchen Gremien ein Beurteilungsspielraum zuerkannt werden könne, die mit Sachverständigen besetzt seien, nicht aber solchen, die auf der Repräsentanz von Gruppen beruhten.462 Andere vertreten das Gegenteil, dass also pluralistisch besetzte Gremien einen Beurteilungsspielraum hätten, nicht aber Gremien, die mit Sachverständigen besetzt seien.463 Weitere Vertreter beschreiben sachverständige und pluralistische Besetzung gar als kumulative Voraussetzungen,464 wieder andere wollen es bei der Alternativität beider Tatbestandsmerkmale belassen.465 e) Schlussfolgerung Diese Beispiele haben pars pro toto deutlich gemacht: Da die Rechtsprechung, insbesondere das Bundesverwaltungsgericht, bislang keine konsequenten abstrakten Kriterien erarbeitet hat (sondern aus vergleichbaren Umständen konträre Kon456 Beaucamp, JA 2002, S. 314, 316 m. w. N., der als weiteres Beispiel § 3 Abs. 1 BImSchG nennt. 457 Vgl. zu den entgegenstehenden Standpunkten aus Rechtsprechung und Literatur die zahlreichen Nachweise bei Pache, Tatbestandliche Abwägung, S. 137 ff. 458 Vgl. die Vielzahl von Beispielen für beide Gruppen bei Rennert in: Eyermann, VwGO, § 114, Rn. 74. – Diese Uneinheitlichkeit übergeht Retzke, Präventiver Jugendmedienschutz, S. 225 f. bei ihrer Bewertung der KJM, so dass ihre Ausführungen nicht überzeugen können. 459 BVerwGE 62, 330, 339 bejaht hier einen Beurteilungsspielraum. 460 BVerwG, NVwZ 1991, 568 verneint hier einen Beurteilungsspielraum. 461 So z. B. Rennert in: Eyermann, VwGO, § 114, Rn. 74. 462 Schmidt-Aßmann in: Maunz / Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4, Rn. 196, der vor allem auf die Befürchtung abstellt, in Gremien mit Gruppenparität seien unsachliche Erwägungen in besonderes hohem Maße zu erwarten. Ähnlich Schoch, Jura 2004, S. 612, 618. 463 Bamberger, VerwArch 2002, S. 217, 243 und 246, der vor allem darauf abstellt, das Gericht könne den nötigen Sachverstand durch die Einholung von Gutachten gewährleisten könne. 464 So zu verstehen Jarass in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 19, Rn. 48. 465 So zu verstehen Ossenbühl in: Erichsen / Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht (12. Auflage), § 10, Rn. 37.
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sequenzen zog),466 konnte dieser Mangel der Rechtsprechung bis dato nicht durch die Rechtswissenschaft hinreichend ausgeglichen werden.467 Vielmehr ist, wie Pache bereits zutreffend analysiert hat, eine weitgehende Übereinstimmung der Literatur mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts offenbar nur deshalb zu beobachten, weil sie zumeist auf der schlichten Übernahme ohne jede dogmatische Überprüfung beruht.468 Dem Anschein nach scheuen sich viele Vertreter der Wissenschaft, Urteile (insbesondere) des Bundesverwaltungsgerichts als Fehlentscheidungen zu qualifizieren469 – dies geschieht nicht einmal durch jene, welche die fehlende Systematik der Rechtsprechung ausdrücklich beklagen,470 ja, nicht einmal durch diejenigen, die die Einräumung von Beurteilungsspielräumen aus prinzipiellen Erwägungen weitgehend ablehnen.471 Die Entwicklung eines stringenten Ansatzes ist aber wohl kaum möglich, ohne sich gegen mehrere höchstrichterliche Entscheidungen zu stellen (egal, welchen Ansatz man im Ergebnis vertritt), eben weil die verschiedenen Gerichtsentscheidungen von konträrem Inhalt sind. Vor allem aber ist kritikwürdig, dass durch die konfuse Kasuistik der wesentliche Ausgangspunkt – die Auslegung als Suche nach einem konkludent zum Ausdruck kommenden Willen des Gesetzes – völlig aus den Augen geraten ist und stattdessen pragmatische oder politische Erwägungen als angebliche Auslegung ausgegeben werden. Somit wird der ausführlich dargestellten Kritik an der normativen Ermächtigungslehre freilich Tür und Tor geöffnet.472 Auch wenn diese Kritik – wie gezeigt – ihrerseits im Ergebnis nicht auf die prinzipielle Bejahung der normativen Ermächtigungslehre durchschlägt, sollte ist Kritik Anlass genug für den Versuch, den Kriterien für eine Auslegung des einfachen Rechts stringente Konturen zu verleihen.
II. Eigener Vorschlag 1. Vom Gesetzgeber gewollte Exklusivität der Entscheidungszuständigkeit als zentraler Anknüpfungspunkt der Auslegung Ausgangspunkt eines eigenen Vorschlags soll ein Aspekt sein, der – soweit ersichtlich – bislang allenfalls beiläufig erwähnt wurde, obwohl er bei entsprechenVgl. Schulze-Fielitz, JZ 1993, S. 772, 773. Ähnlich Wittig, Beurteilungsspielräume, S. 271. 468 Pache, Tatbestandliche Abwägung, S. 122 m. w. N. 469 Als eine der wenigen Ausnahmen sei Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 25, Rn. 54 f. genannt. 470 Vgl. Pache, Tatbestandliche Abwägung, S. 122 einerseits und S. 139 andererseits. 471 Vgl. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 7 Rn. 62 Satz 2 einerseits und Satz 3 andererseits. 472 Dazu siehe Seite 159 ff. 466 467
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der Weiterführung m. E. die Leistungskraft besitzt, der Auslegung des einfachen Rechts relativ klare Gestalt zu geben.473 Den ersten Anknüpfungspunkt soll eine Äußerung Maurers in eigentlich anders gelagertem Zusammenhang bilden, in der er zugunsten einer vollumfänglichen gerichtlichen Überprüfung argumentiert: „Bleiben [bei den Gerichten] Zweifel, dann können sie mit Hilfe von Sachverständigen geklärt werden. Das geschieht übrigens auch im Bereich der Verwaltung in nicht unerheblichem Maße. So wird sich z. B. ein Landrat, wenn er eine umstrittenen Gewerbegenehmigung abzeichnet und damit die Verantwortung übernimmt, bezüglich der technischen Einzelfragen in der Regel auf das Urteil der Fachleute seines Amtes oder sogar externer Sachverständiger stützen.“474 Das überzeugt zwar soweit; denn wenn diejenigen, die der zu bewertenden Materie besonders nahe sind, gar nicht selbst entscheiden, sondern stattdessen eine gewissermaßen „allgemeinzuständige“ Stelle, dann ist schwer erklärbar, warum der Gesetzgeber den Willen gehabt haben sollte, dem ebenso „allgemeinzuständigen“ Verwaltungsgericht die Entscheidung (im Rahmen der Spruchreife) zu entziehen. Was Maurer bei seiner Argumentation jedoch zu übersehen scheint, ist der folgende Umkehrschluss: Die Verantwortlichkeit der (jeweils) übergeordneten Stelle für eine Entscheidung ist die verwaltungsrechtliche Regel. Wenn der Gesetzgeber eine Entscheidung ausnahmsweise aus der hierarchischen Entscheidungsfindung herauslöst, so spricht dies dafür, dass der Gesetzgeber die Entscheidung gerade einer bestimmten einzelnen Stelle und nicht irgendeinem anderen Entscheidungsträger zuweisen wollte. Dieser Wille des Gesetzgebers würde gefährdet, wenn zwar nicht der Vorgesetzte (oder andere Teile der Verwaltung), wohl aber der Verwaltungsrichter die Entscheidung abändern könnte.475 Daher kann in diesen Fällen angenommen werden, dass der Gesetzgeber die gerichtliche Überprüfung in der Art des Beurteilungsspielraums beschränken wollte. Es wird somit mit Nachdruck betont, was Hufen nur beiläufig und mit Skepsis andeutet, indem er äußert, in der Unabhängigkeit von entscheidenden Stellen läge „eine gewisse Durchbrechung der Weisungskompetenz der Exekutive, die mit einer Begrenzung der gerichtlichen Kontrolle gekoppelt ist.“476 Genau das soll hier ver473 Freilich können in dieser Arbeit nicht die spezifischen Umstände sämtlicher Teilbereiche des besonderen Verwaltungsrechts, z. B. des Atomrechts, berücksichtigt werden. Der hier vorgestellte Ansatz hat zwar das Ziel einer möglichst umfassenden Anwendbarkeit, erhebt jedoch – eben gerade mit Blick auf die Sondergebieten anhaftenden tief greifenden Besonderheiten – keinen Anspruch auf Ausschließlichkeit. 474 Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 7, Rn. 61. 475 Andere Ansicht Ibler, Rechtspflegender Rechtsschutz, S. 389 f., der jedoch die Fragen des gesetzgeberischen „Dürfens“ und „Wollens“ zu vermengen scheint; daher kann ihm zwar darin zugestimmt werden, dass die unterschiedlichen Befugnisse innerhalb der Verwaltung kein Ausdruck der Gewaltenteilung sind; nicht gefolgt werden kann jedoch der Ansicht, das Verhältnis der zuständigen Stelle zu vorgesetzter Behörde dürfe nicht auf das Verhältnis zum Gericht übertragen werden, weil nach der hier vertretenen Auffassung der Gesetzgeber nicht nur die Exekutive, sondern auch die Judikative binden will – ob er dies darf, ist eine davon zu unterscheidende verfassungsrechtliche Frage, die bereits gesondert behandelt wurde. 476 Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 25, Rn. 52.
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treten werden: Die Begrenzung der gerichtlichen Kontrolle ist regelmäßig an eine Durchbrechung der Weisungskompetenz der Exekutive gekoppelt. Auch Jestaedt hat diesen Gedanken aufgenommen und konstatiert, die Fachweisungsfreiheit der entscheidenden Stelle fordere die Kontrollreduktion geradezu als ihr Komplement, weil eine nachträgliche Korrektur durch den Richter den Mehrwert ihrer Entscheidung zunichte machen würde.477 Für die Auslegung des konkludent geäußerten Willens des einfachen Gesetzgebers ist daher folgende Formel vorzuschlagen: Die konkludente Einräumung eines Beurteilungsspielraums zugunsten der Verwaltung gegenüber den Gerichten ist zu vermuten, wenn der einfache Gesetzgeber die Entscheidung einer bestimmten Stelle innerhalb der Verwaltung exklusiv zugewiesen hat. Diese Formel wird in den meisten Fällen nicht zu einer Abweichung von der aktuell (jeweils) herrschenden Meinung führen. Sie verfügt m. E. jedoch über das Potential, einen widerspruchsfreien und einheitlichen Ansatz zu bilden, der sich nicht in der bloßen Adaption einzelner Referenzgebiete erschöpft. Indessen sei klargestellt, dass es bei der Anwendung dieser Formel keine Rolle spielt, ob die exklusive Zuweisung zu einer Stelle als zweckmäßig erscheint,478 entscheidend ist allein der erkennbare Wille des Gesetzes. Und nochmals sei betont: Ob es dem einfachen Gesetzgeber erlaubt ist, durch die Schaffung einer exklusiven Entscheidungszuständigkeit nicht nur die Kontrolle innerhalb der Verwaltung, sondern auch die gerichtliche Kontrolle zu reduzieren, bleibt eine dezidiert zu trennende verfassungsrechtliche Frage (die bereits ausführlich erläutert und im Ergebnis mit der ganz herrschenden Meinung prinzipiell bejaht wurde). 2. Weisungsfreie Gremien als prototypischer Fall der gesetzgeberisch gewollten Exklusivität der Entscheidungszuständigkeit Ein denkbar prototypischer Fall für eine Stelle, der vom Gesetzgeber gezielt und exklusiv Entscheidungen zugewiesen werden, sind weisungsfreie Gremien (entscheidend für die Weisungsfreiheit in diesem Sinne ist selbstverständlich nicht, ob im Einzelfall eine Weisung tatsächlich erteilt wurde, sondern ob eine Weisung generell möglich ist479). Ganz unabhängig davon, ob solche Gremien mit Sachver477 Jestaedt in: Erichsen / Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht (13. Auflage), § 10, Rn. 49, der diese Überlegung jedoch nicht vorbehaltlos anstellt, namentlich die Fachweisungsfreiheit von unabhängigen Gremien als ambivalent einschätzt und die entsprechende Entscheidung (noch?) offen lässt. 478 Darauf scheint Ossenbühl in: Erichsen / Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht (12. Auflage), § 10, Rn. 37 abzustellen („Fähigkeit zur sachgerechteren Entscheidung“). – Davon zu unterscheiden ist der Ansatz, nach dem Zweck des Gesetzes zu fragen (so jüngst sehr deutlich BVerwG, Beschluss vom 18. 10. 2007, Az. 1 WB 46 / 06, juris-Rn. 27) und diese Frage als Mittel zu dem Zweck einzusetzen, den Willen des Gesetzgebers zu ermitteln. 479 Insofern zustimmungswürdig Bamberger, VerwArch 2002, S. 217, 247.
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ständigen,480 Vertretern gesellschaftlicher Gruppen481 oder sonst wie besetzt sind, es liegt klar auf der Hand, dass es der Wille des Gesetzes ist, dass diese Stelle und keine andere entscheidet. Die Umsetzung dieses gesetzgeberischen Willens kann offensichtlich beeinträchtigt werden, wenn die Entscheidung der Stelle durch ein Gericht abgeändert wird. Der Wille des Gesetzgebers zur Entscheidungszuweisung kann aus verfassungsrechtlichen Gründen freilich nicht dergestalt, in gleichsam absoluter Weise umgesetzt werden, als die gerichtliche Anfechtbarkeit völlig ausgeschlossen werden könnte. Es ist dem Gesetzgeber aber – dies wurde ausführlich gezeigt – verfassungsrechtlich gestattet, die gerichtliche Kontrolle im Sinne eines Beurteilungsspielraums zugunsten der Verwaltung zu modifizieren. Im Rahmen der Gesetzesauslegung ist davon auszugehen, dass er von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, um die Entscheidungszuweisung möglichst weitgehend aufrechtzuerhalten. Freilich können bestimmte Gremien in ihrer rechtlichen Einordnung immer noch problematisch sein.482 Einen – exemplarisch ausgewählten – untersuchungswürdigen Grenzfall bildet die Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich (KEK).483 Dies gilt nicht aufgrund der Art ihrer Besetzung (sachverständig, aber nicht pluralistisch), weil diese nach dem hier entwickelten Lösungsansatz nicht relevant ist.484 Jedoch ist fraglich, wie die Abweichungsmöglichkeit gem. § 37 Abs. 2 Satz 4 Var. 2 RStV zu behandeln ist, der gemäß die Konferenz der Direktoren der Landesmedienanstalten (KDLM) mit Dreiviertelmehrheit von dem Beschluss der KEK abweichen kann. Rein formal betrachtet besteht damit keine völlig ausschließliche Entscheidungsbefugnis. Jedoch ist im Rahmen einer wertenden Gesamtbetrachtung zu berücksichtigen, dass die Direktoren der Landesmedienanstalten ihrerseits Vertreter besonderer und weisungsfreier Gremien sind. Es ist nicht „irgendein“ Vorsitzender, sondern ebenfalls eine beson480 Insofern ist der anderen Ansicht von Bamberger, VerwArch 2002, S. 217, 246 zu widersprechen, der in nicht überzeugender Weise die normative Zuweisung an ein weisungsfreies Gremium von Sachverständigen mit der Möglichkeit des Gerichts zur Zuhilfenahme von Sachverständigen vermengt. 481 Insofern ist Schmidt-Aßmann in: Maunz / Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4, Rn. 196 zu widersprechen, der hinsichtlich pluralistisch besetzter Gremien rechtspolitische Skepsis und verfassungsrechtliche Bedenken einerseits mit der Ermittlung des Willens des einfachen Gesetzgebers andererseits vermengt. 482 Den wohl prominentesten Einzelfall bildet die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (früher: für Schriften). Insbesondere sorgte die in der bereits erläuterten „Mutzenbacher-Entscheidung“ BVerfGE 83, 130, 147 f. vorgenommene Differenzierung für Diskussionen. – Brunner, Beurteilungsspielräume im Jugendmedienschutzrecht, S. 132 meint, die Bundesprüfstelle habe keinen Beurteilungsspielraum, weil im Fall von § 18 Abs. 5 Jugendschutz-Gesetz nicht die Behörde, sondern ein Gericht bindend über die Indizierung eines Mediums entscheide, so dass generell kein Freiraum der Exekutive gewollt sein könne. 483 Zur Struktur der KEK siehe Seite 72. 484 Andere Ansicht Bamberger, VerwArch 2002, S. 217, 253, der generell nur pluralistisch, nicht aber sachverständig besetzte Gremien berücksichtigen will.
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dere Stelle, die wiederum exklusiv (und auch noch mit besonderer Dreiviertelmehrheit) zur Entscheidung über das Votum der KEK berufen ist. Die KEK wird also weder als bloße Gutachtenstelle tätig, noch steht sie in einem gewöhnlichen hierarchischen Verhältnis zur KDLM, vielmehr ist sie vom Gesetz prinzipiell – wenn auch mit einer besonderen Ausnahme – zur abschließenden inhaltlichen Entscheidung berufen.485 Daher führt die verständige Auslegung des gesetzgeberischen Willens zur Bejahung eines Beurteilungsspielraums der KEK gegenüber dem Verwaltungsgericht im Fall der Klage eines Dritten gegen die die Entscheidung der KEK umsetzende Maßnahme der Landesmedienanstalt. 486
3. Einbindung des Prüfungswesens Mehrköpfige Gremien gibt es auch im Prüfungswesen. Doch die angestrebte Exklusivität der Entscheidung über die Bewertung der Prüfungsleistung ist einem Einzelprüfer ebenso zugedacht wie einem Gremium von mehreren Prüfern. Typischerweise, insbesondere bei mündlichen Prüfungen ist anzunehmen, dass es der Wille des Gesetzes ist, dass es weder einem Dienstvorgesetzten noch einer übergeordneten Stelle ermöglicht sein soll, die Bewertung ohne weiteres verändern zu können. Daher ist auch sein Wille zu vermuten, dass es ebenso wenig dem Verwaltungsgericht gestattet sein soll, ohne weiteres Einfluss zu nehmen. An diesem geradezu klassischen Beispiel zeigt sich besonders deutlich, dass es keinen überzeugenden Weg darstellt, den Beurteilungsspielraum mit vermeintlich bestehenden Sachzwängen zu begründen. Im Gegenteil grenzt es – um es mit aller Deutlichkeit zu formulieren – wahlweise an Naivität oder an Heuchelei, im Prüfungswesen mit der angeblich außergewöhnlich hohen Bedeutung der besonderen Erfahrung des Amtswalters zu argumentieren487 (dies ist schon deshalb abzulehnen, weil unter dieser Prämisse ein unerfahrener Prüfer keinen Beurteilungsspielraum hätte!), ebenso auf eine angeblich atypische Rolle des Gleichbehandlungsgebots abzustellen (dies ist – wie gezeigt488 – nicht zutreffend) oder irgendeinen anderen vermeintlichen Sachzwang zum Anknüpfungspunkt zu machen, obwohl in unzähligen anderen Konstellationen des Verwaltungsrechts mindestens ebenso viele betroffene Bürger von mindestens ebenso erfahrenen Amtswaltern aufgrund mindestens ebenso schutzwürdiger Interessen gleichbehandelt werden wollen und dies von den Verwaltungsgerichten ohne weiteres vollumfänglich überprüft wird.489 Dagegen ist es dogmatisch besser begründbar, transparenter und inÄhnlich VG München, Urteil vom 08. 11. 2007, Az. M 17 K 06.2675. Auch Peter M. Huber, Die Verwaltung 2007, S. 1, 26 f. setzt dieses Ergebnis voraus; im Ergebnis ebenfalls übereinstimmend VG München, Urteil vom 08. 11. 2007, Az. M 17 K 06.2675. 487 So aber Jestaedt in: Erichsen / Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht (13. Auflage), § 10, Rn. 47. 488 Siehe Seite 198 ff. 485 486
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sofern auch ehrlicher, entscheidend auf den Willen des Normgebers (und nicht etwa jenen des Normanwenders) abzustellen. Dies ist letztendlich die richtige Konsequenz aus einer wohlverstandenen normativen Ermächtigungslehre.
4. Einbindung der Entscheidungen weisungsfreier Regulierungsbehörden Nachdem mit dem vorliegenden Ansatz auf die exklusive Entscheidungszuständigkeit einer Stelle innerhalb der Verwaltung abgestellt wird, liegt der bereichsspezifische Beurteilungsspielraum weisungsfreier Regulierungsbehörden geradezu auf der Hand. Dazu sind beispielsweise die Bundesnetzagentur oder die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) zu zählen. Ihnen ist im Rahmen ihrer exklusiven Entscheidungszuständigkeit ein konkludent eingeräumter Beurteilungsspielraum zuzusprechen. Dies ist insbesondere möglich, weil eine pluralistische Besetzung nach der hier vertretenen Auffassung lediglich einen möglichen, aber keinen notwendigen Anknüpfungspunkt für die Annahme eines Beurteilungsspielraums bildet. Die durch den Gesetzgeber (erst) in jüngerer Zeit vereinzelt ausdrücklich vorgenommene Einräumung von Beurteilungsspielräumen, namentlich durch § 10 Abs. 2 Satz 2 TKG zugunsten der Bundesnetzagentur,490 ist weiteres Indiz für die Richtigkeit dieser Interpretation des gesetzgeberischen Willens.491 Auch die Rechtsprechung scheint mit dieser Linie (zumindest) im Ergebnis übereinzustimmen, beispielsweise ging sie zugunsten der Landesregulierungsbehörden im Energiewirtschaftsrecht von einem konkludent eingeräumten Beurteilungsspiel489 Zu denken ist beispielsweise an die Situation, in der eine Vielzahl (Vergleichbarkeit!) von Grundstückseigentümern (Grundrechtsrelevanz!) Gebäude in gleichartiger Weise (Gleichbehandlungsgrundsatz!) errichten möchte, die in den Augen der Baubehörde (erfahrene Amtswalter!) das Ortsbild i. S. v. § 35 Abs. 3 Nr. 5 BauGB verunstalten (Wertungsabhängigkeit!) – dies wird verwaltungsgerichtlich vollumfänglich überprüft. 490 Freilich bleibt auch hier im Detail Raum für Meinungsverschiedenheiten, beispielsweise bei der Frage, auf welchen Teil der behördlichen Entscheidung sich der Beurteilungsspielraum gem. § 10 Abs. 2 Satz 2 TKG bezieht, vgl. einerseits Doll / Nigge, MMR 2004, S. 519, 520 und andererseits Schütz in: Geppert, TKG, § 10, Rn. 110 sowie die inzwischen vom VG Köln am 05. 09. 2007, Az. 21 K 4193 / 06 getroffene Entscheidung. – Verfehlt ist es aber jedenfalls, die Einräumung des Beurteilungsspielraums als solche zu verneinen, wie dies Ellinghaus MMR 2004, S. 293, 296 versucht. – Außerdem ist an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass der in diesem Zusammenhang gelegentlich vorgenommene Verweis auf BVerwG, Beschluss vom 02. 05. 2005, Az 6 B 6.05, juris Rn. 8, fehlgeht, weil das Gericht den Vortrag der Revisionsführerin zur Frage des Beurteilungsspielraums (juris Rn. 4) als für den Fall irrelevant erklärt und sich inhaltlich nicht einmal im Rahmen eines obiter dictum äußert. 491 Nicht überzeugend wäre ein argumentum e contrario, weil die nicht ausdrücklich, sondern lediglich konkludente Einräumung eines Beurteilungsspielraums (wenn auch bedauerlicherweise) empirisch gesehen den Regelfall darstellt, so dass es fern liegend erscheint, dass der Gesetzgeber gerade durch die ausdrückliche Einräumung eines Beurteilungsspielraums die Einräumung in allen anderen Fällen ausschließen wollte.
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raum für eine Reihe bestimmter Festlegungen aus492 und erst jüngst hat das Bundesverwaltungsgericht im Bereich des Emissionshandels einen Beurteilungsspielraum der zuständigen Behörde anerkannt.493
5. Einbindung von beamtenrechtlichen Beurteilungen Fraglich ist, ob mit dem vorgeschlagenen Ansatz auch ein Beurteilungsspielraum bei beamtenrechtlichen Beurteilungen begründet werden kann. Dem könnte entgegengehalten werden, der Vorgesetzte des Beamten könne nicht exklusiv über dessen Beurteilung entscheiden, weil typischerweise die übergeordnete Dienstbehörde die Beurteilung abändern könne;494 auch im (früher generell, heute teilweise495) obligatorischen496 Widerspruchsverfahren entscheidet die oberste Dienstbehörde. Dabei ist zunächst klärungsbedürftig, an welchen Entscheidungsträger genau für die Frage des Beurteilungsspielraums bei beamtenrechtlichen Beurteilungen anzuknüpfen ist. Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hierzu erscheint inkonsequent; einerseits entschied es, die Widerspruchsbehörde sei zur uneingeschränkten Kontrolle verpflichtet und berechtigt,497 an anderer Stelle wurde aber hinsichtlich des Beurteilungsspielraums die Wichtigkeit der Beobachtungen und des Eindrucks des beurteilenden Beamten betont.498 Aus dem letztgenannten Aspekt wird von Teilen der Literatur geschlossen, nicht der Dienstherr als solcher, sondern nur der unmittelbare Beurteiler verfüge über einen Beurteilungsspielraum.499 Der letztgenannte Ansatz hat zunächst durchaus etwas für sich, ist doch nicht ohne weiteres einsichtig, warum beispielsweise die Beurteilung eines Bediensteten im Landratsamt Berchtesgadener Land von einem Beamten der Regierung von Oberbayern oder des Staatsministeriums des Inneren vollumfänglich überprüft werden können soll, nicht aber von einem Richter des Verwaltungsgerichts; denn alle genannten Stellen haben nicht nur ihren Sitz im rund 150 Kilometer entfernten München, vor allem bewertet jede von ihnen die Leistung des Beamten nur aufgrund der Aktenlage und einer eventuellen Anhörung, nicht aber 492 OLG Naumburg, Beschluss vom 14. Mai 2007, Az. 1 W 39 / 06; OLG Naumburg, Beschluss vom 15. 06. 2007, Az. 1 W 32 / 06. 493 BVerwG, DVBl. 2008, S. 40, 47. 494 Vgl. z. B. für den Freistaat Bayern § 53 Abs. 2 Laufbahn-Verordnung. 495 Das Widerspruchsverfahren wurde (auch) im Beamtenrecht von einigen Bundesländern abgeschafft oder durch ein (nur noch) fakultatives Widerspruchsverfahren ersetzt, vgl. z. B. Art. 15 Abs. 1 Nr. 5 AGVwGO des Freistaats Bayern. 496 Vgl. § 126 Abs. 3 Nr. 1 und Nr. 2 Satz 1 Beamtenrechtsrahmengesetz. 497 BVerwGE 71, 251, 254. 498 BVerwGE 60, 245, 249 f. Ähnlich jüngst BVerwG, Beschluss vom 18. 10. 2007, Az. 1 WB 46 / 06, juris-Rn. 25, wonach ein – im konkreten Einzelfall entgegen früherer Rechtsprechung verneinter – Beurteilungsspielraum zugunsten des zuständigen Vorgesetzen und nicht der Behörde in Frage kommt. 499 Schnellenbach, RiA 1990, S. 120, 121 f.
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aufgrund eines persönlichen Eindrucks während des streitgegenständlichen Zeitraums. Letztendlich ist diesem Gedanken aber nicht zu folgen, weil bei der rechtswissenschaftlichen Auslegung des Gesetzes nicht auf eigene rechtspolitische Plausibilitätsüberlegungen abzustellen ist, sondern nach dem Willen des Gesetzes und den rechtspolitischen Vorstellungen des Gesetzgebers zu forschen ist. Und dabei erscheint es durchaus vertretbar, den entsprechenden beamtenrechtlichen Vorschriften den Willen des Normgebers zu entnehmen, dass insbesondere die oberste Dienstbehörde exklusiv über die Bewertung der Leistungen aller Beamten ihres Zuständigkeitsbereichs entscheiden soll,500 nicht zuletzt, weil dem Gesetzgeber bewusst gewesen sein dürfte, dass diese einen Überblick über alle zu beurteilenden Beamten hat und die Beobachtung des eigenen Personals von vornherein eine andere Qualität aufweist als die Beobachtung externer Geschehnisse.501 Ähnliche Überlegungen können des Weiteren bei Stellenbesetzungen herangezogen werden; wenn dem obersten Dienstherrn typischerweise eingeräumt ist, über das Anforderungsprofil einer Stelle weitgehend frei zu entscheiden und die Bewertung der nach Art. 33 Abs. 2 GG maßgeblichen persönlichen Merkmale der Bewerber nur mit Blick auf das in der Dienstpostenbeschreibung niedergelegte Anforderungsprofil erfolgen kann, so liegt es nahe, dass der Gesetzgeber der obersten Dienstbehörde auch die Entscheidung über die Stellenbesetzung exklusiv zuweisen wollte.502 6. Einbindung einzelner Risiko- und verwaltungspolitischer Entscheidungen sowie der Planung Auch auf der so genannten verwaltungspolitischen Ebene gibt es Gesetze, die den Willen des Gesetzgebers erkennen lassen, demgemäß eine bestimmte Stelle exklusiv für die Entscheidung zuständig sein soll. Wenn beispielsweise der Bundesminister der Verteidigung für die verteidigungspolitische Bewertung von Tieffluggebieten zuständig ist, so soll wohl keine andere Stelle hierüber entscheiden.503 Daher ist auch zu vermuten, dass der Gesetzgeber diese Entscheidung nicht vollumfänglich von den Gerichten überprüfen lassen will.504 Insofern kann die Beobachtung Schmidt-Aßmanns Zustimmung erfahren, dass Beurteilungsspielräume dieser Art sich desto eher finden lassen, je deutlicher eine Entscheidung auf die Regierungsebene verlagert ist.505 500 So Schnellenbach, RiA 1990, S. 120, 122, der aus dem „erkennbaren Sinn“ der gesetzlichen Regelungen zur Beurteilung eine eingeschränkte Kontrolldichte der Gesetze ableitet. 501 Vgl. Rothemund, ZBR 1990, S. 6, 14 (Hervorhebung nicht im Original). 502 Jestaedt in: Erichsen / Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht (13. Auflage), § 10, Rn. 48. 503 Die Möglichkeit eines Eingreifen des Bundeskanzlers über den Weg der Richtlinienkompetenz gem. Art. 65 Satz 1 GG sollte zu keiner abweichenden Bewertung hinsichtlich der gerichtlichen Kontrolle führen. 504 So im Ergebnis zustimmungswürdig BVerwGE 97, 203, 203.
F. Kriterien fu¨r die Annahme einer konkludenten normativen Erma¨chtigung
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Die Verlagerung der Entscheidung auf Regierungsebene ist aber weder hinreichende noch notwendige Bedingung für die Annahmen eines Beurteilungsspielraums. Zum einen, weil andere Entscheidungen auf Regierungsebene vollumfänglich überprüfbar bleiben. Zum anderen sind – wenn auch nur in sehr seltenen Fällen – auch verwaltungspolitische Entscheidungen auf niederrangiger Ebene der Verwaltung denkbar. Hier gilt es, im Einzelfall den Willen des Gesetzgebers mit den anerkannten Auslegungsmethoden besonders sorgfältig zu untersuchen.506 Ähnlich lässt sich ein Beurteilungsspielraum bei so genannten Risikoentscheidungen und Technikklauseln507 sowie in dem – ohnehin weitgehend anerkannten Besonderheiten508 unterliegenden – Recht der Planung509 konstruieren. Insofern hat bereits Jestaedt zustimmungswürdig konstatiert:510 „Sowenig Prognose-, Risikound Planungselemente gleichsam sachgesetzlich eine Anerkennung eines behördlichen Beurteilungsspielraums und damit eine Reduktion gerichtlicher Kontrolle nach sich ziehen, so sehr sind gerade im Zusammenhang mit derlei Elementen gehäuft gesetzlich eingeräumte administrative Letztentscheidungsermächtigungen anzutreffen. [ . . . ] Selbst die aus Rechts- oder Sachgründen gespeiste Komplexität von Prognose-, Risiko- und Planungsentscheidungen entbindet als solche keine 505 Schmidt-Aßmann in: Maunz / Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4, Rn. 197 unter Verwendung des Wortes „Einschätzungsprärogativen“. Zustimmend Schoch, Jura 2004, S. 612, 617. 506 Am Rande soll daher auch ein Beispiel für eine Übertragung dieser Konstruktion genannt werden, die nicht zustimmungswürdig ist: Ullrich, tv diskurs 2006, Heft 4, S. 98, 100, meint, es sei „nahe liegend“, die Begründung eines Beurteilungsspielraums bei Prognoseund Risikoentscheidungen im Umwelt- und Wirtschaftsrecht auf den Jugendschutz zu übertragen, weil es auch dort um die Einschätzung von Gefahrenpotentialen und Tatsachenermittlung ginge. Wie gezeigt, ist aber weder die Abhängigkeit einer Entscheidung von Prognosen noch das Bestehen eines spezifischen Risikos eine hinreichende Voraussetzung für einen Beurteilungsspielraum. Ließe sich der gesetzgeberische Wille zur Einräumung eines Beurteilungsspielraums nicht durch Auslegung im Einzelfall ermitteln (wie es im genannten Beispielsfall des Jugendschutzes aber sehr wohl als möglich erscheint), so ließe sich ein Beurteilungsspielraum auch nicht durch die weitgreifende Übertragung einer überkommenen Fallgruppe begründen. Ebenso wenig zustimmungswürdig ist der in diesem Zusammenhang von Ullrich a. a. O. getroffene Vorschlag, die „Ermittlung der [bei einer Einschätzung eines Gefahrenpotentials] zugrunde liegenden Tatsachen“ als Anknüpfungspunkt für einen Beurteilungsspielraum heranzuziehen; nicht nur, weil praktisch jede Verwaltungsentscheidung die Ermittlung von Tatsachen voraussetzt, sondern vor allem, weil selbst bei Annahme eines Beurteilungsspielraums die korrekte Ermittlung des zugrunde liegenden Sachverhalts – nach allgemeiner Meinung – durch das Gericht uneingeschränkt überprüft wird. 507 Dazu ausführlich Schmidt-Aßmann in: Maunz / Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4, Rn. 203 ff. 508 Vgl. Peter M. Huber, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 243 ff. Diese Besonderheiten werden sogar von Kritikern wie Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 7, Rn. 63 ausdrücklich anerkannt. – Jestaedt in: Erichsen / Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht (13. Auflage), § 10, Rn. 18 nimmt die Stellung des Planungsermessens als aliud zum Anlass für Kritik an der Dichotomie von Beurteilungsspielraum und Ermessen. 509 Instruktiv Schuppert, Verwaltungswissenschaft, S. 208 f.; ausführlich Schmidt-Aßmann in: Maunz / Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4, Rn. 199 ff. und 208 ff. 510 Jestaedt in: Erichsen / Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht (13. Auflage), § 10, Rn. 50.
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5. Teil: Beurteilungsspielraum zugunsten der Verwaltung
Letztentscheidungsbefugnis der Verwaltung. Stets muss Weiteres hinzutreten. Das lässt sich anhand des spezifischen rechtlichen Settings in jedem Einzelfall abschließend beurteilen.“
III. Zur Bedeutung explizit eingeräumter Beurteilungsspielräume für die Annahme konkludenter Einräumungen Nur selten gibt es ausdrückliche Einräumungen von Beurteilungsspielräumen der Verwaltung, lange Zeit galt § 71 Abs. 5 Satz 2 GWB als singuläres Beispiel.511 Inzwischen ist namentlich § 10 Abs. 2 Satz TKG n. F. hinzugetreten („Diese Märkte werden von der Bundesnetzagentur im Rahmen des ihr zustehenden Beurteilungsspielraums bestimmt“). Diese Fälle expliziter Normierungen – und seien sie noch so selten – führen zu einer beachtlichen Rückwirkung auf die grundsätzliche Idee konkludent eingeräumter Beurteilungsspielräume, denn sie beweisen, dass der Gesetzgeber das Rechtsinstitut als bestehend voraussetzt. Auch die junge Regelung des § 20 Abs. 3, 5 JMStV kann hier genannt werden; denn auch wenn hier kein Beurteilungsspielraum zugunsten der Verwaltung normiert wird (sondern ein solcher zugunsten Privater), so zeigt sich trotzdem deutlich, dass der Gesetzgeber512 nicht nur die Rechtsfigur als bestehend, sondern auch die wesentlichen Grundzüge der herrschenden Meinung als gültig voraussetzt, wie sich insbesondere aus der amtlichen Begründung des JMStV513 ergibt. Somit ist zwar auf verfassungsrechtlicher Ebene nach wie vor vertretbar, Beurteilungsspielräume zugunsten der Verwaltung verstießen gegen die Verfassung (wobei dann konsequenterweise die Verfassungswidrigkeit auch derjenigen Gesetze angenommen werden müsste, die ausdrücklich einen Beurteilungsspielraum zugunsten der Verwaltung einräumen). Auf einfach-rechtlicher Ebene erscheint es dagegen (zumindest bei Gesetzen jüngeren Datums) nicht mehr plausibel, die konkludente Einräumung von Beurteilungsspielräumen prinzipiell in Zweifel zu ziehen (dadurch freilich noch nicht geklärt ist die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine konkludente Einräumung anzunehmen ist, für die im vorhergehenden Abschnitt eine Antwort vorgeschlagen wurde).
So noch Beaucamp, JA 2002, S. 314, 315. Ob bei einem Staatsvertrag der Länder von „Gesetzgeber“ in diesem Sinne gesprochen werden kann, muss nicht weiter problematisiert werden, weil auch der Bundesgesetzgeber durch § 10 Abs. 2 Satz 2 TKG bewiesen hat, dass er die Rechtsfigur als bestehend voraussetzt. 513 Amtliche Begründung zu § 20 Abs. 3 JMStV, u. a. BayLT-Drucks. 14 / 10246 („Der Beurteilungsspielraum kann insbesondere bei falscher Auslegung eines Rechtsbegriffs oder unzutreffender Tatsachenermittlung überschritten sein“). 511 512
G. Rechtspolitische Bewertung
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G. Rechtspolitische Bewertung I. Aktueller Diskussionsstand Innerhalb der Diskussion um den Beurteilungsspielraum zugunsten der Verwaltung stehen derzeit wohl die Stimmen aus dem Schrifttum im Vordergrund, welche die Entscheidungsmöglichkeiten der Rechtsprechung weiter begrenzen wollen. Dabei wird argumentiert, die Verwaltungsgerichte hätten zu großen Einfluss auf die Exekutive, außerdem sei die relativ große Entscheidungsgewalt der Verwaltungsgerichte nicht funktional und passe nicht zur Rechtslage in anderen, insbesondere anderen europäischen Staaten.514 Andere Autoren halten diesen Stimmen jedoch entgegen, sie nähmen die einschlägigen und zudem nahe liegenden verfassungsrechtlichen Bedenken nicht in hinreichendem Maße zur Kenntnis.515 Außerdem lägen den entsprechenden Vorstößen empirisch unbewiesene Behauptungen zugrunde, insbesondere die These, die Einräumung eines Beurteilungsspielraums beschleunige das verwaltungsgerichtliche Verfahren.516 Damit ist festzuhalten, dass sich die Vertreter der Wissenschaft nicht nur uneinig über die Auslegung des geltenden Rechts sind, sondern ebenso uneinig darüber, welche Rechtslage wünschenswert wäre. Diese Uneinigkeit innerhalb der Gruppe der Juristen wird von einigen unter ihnen in rechtssoziologischer Weise interpretiert; danach räumten diejenigen, die einmal „die Verwaltung gleichsam an der Front“ erlebt hätten, der Verwaltung mehr unüberprüfbare Entscheidungsspielräume ein, während alle anderen Juristen der Verwaltung kritisch gegenüberstünden und dies habe seinen Grund vor allem darin, dass sie im Laufe ihrer Ausbildung immer nur mit solchen Fällen konfrontiert worden seien, in denen die Verwaltung Fehler begangen habe.517
II. Eigene Überlegungen und Stellungnahme Es kann offen bleiben, ob die zuletzt zitierte These einer biographisch bedingten Voreingenommenheit der jeweiligen Meinungsführer empirisch zutreffend ist. 514 Einen ausführlichen Überblick über die rechtspolitische Diskussion bietet Pache, Tatbestandliche Abwägung, S. 168 – 190. 515 Pache, Tatbestandliche Abwägung, S. 188 ff. 516 Überzeugend Pache, Tatbestandliche Abwägung, S. 188 ff. Auch Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 7 Rn. 61 betont, dass bislang empirisch nicht hinreichend belegt sei, dass die derzeitige verwaltungsgerichtliche Kontrolldichte die Verwaltung zu sehr beenge und die Verwaltungsgerichtsbarkeit überfordert sei. 517 Ossenbühl in: FS Redeker, S. 55, 58. Ähnlich Brohm in: Götz, Die öffentliche Verwaltung, S. 186, 188, Kohn in: Götz, Die öffentliche Verwaltung, S. 234, 235 f., Bachof in: Götz, Die öffentliche Verwaltung, S. 242, 243 sowie Lotz in: Götz, Die öffentliche Verwaltung, S. 244, 244.
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5. Teil: Beurteilungsspielraum zugunsten der Verwaltung
Denn sie kann jedenfalls keine Aussage darüber treffen, welcher der beiden rechtspolitischen Ansätze zu einem optimalen Ergebnis führt. Dass diejenigen, die einmal selbst in der Verwaltung gearbeitet haben, es subjektiv als besser empfinden, in geringerem Maße kontrolliert zu werden, beweist nicht, dass ein geringeres Maß an Kontrolle auch zu objektiv besseren Ergebnissen führt. Somit sind diese rechtssoziologischen Überlegungen interessant, aber letztlich nicht zielführend. Die hierzu vorzunehmende rechtspolitische Bewertung sollte sich daher nicht an der Summe subjektiver Einschätzungen von Verwaltungsjuristen orientieren, sondern vielmehr volkswirtschaftliche, verwaltungswissenschaftliche, politologische und soziologische Erkenntnisse heranziehen. Tatsächlich fehlt es aber bislang weitgehend an belastbaren empirischen Daten, welche die Vorschläge zur weiteren Begrenzung der gerichtlichen Kontrolle zu stützen vermögen.518 Selbst einige ihrer Befürworter gestehen ein, wie ambivalent die bislang vorhandenen, begrenzten empirischen Erkenntnisse ausfallen.519 Auch müssen diejenigen, welche die Anerkennung von Gestaltungsspielräumen der Exekutive auf der Tatbestandsseite grundsätzlich offen gegenüberstehen, zugeben, dass die Verwaltung im Laufe der jüngeren Entwicklung der Rechtswirklichkeit eher gestärkt als geschwächt wurde.520 Der Einfluss der Ministerialverwaltung auf die Gesetzgebung sowie die Exekutivlastigkeit der europäischen Rechtssetzung haben dazu geführt, dass bereits von einem „Verwaltungsstaat“521 die Rede ist. Viele der „großen Fragen“ werden in der Verwaltung entschieden.522 Und auch „im Kleinen“ hat die Verwaltung durch entsprechende Änderungen des Verwaltungsverfahrens- und Verwaltungsprozessrechts523 zahlreiche Möglichkeiten zur Heilung von Fehlern erhalten.524 Schließlich darf nicht die integrative und legitimationsfördernde Bedeutung des Rechtsschutzes angesichts der nicht allzu breit gestreuten partizipationsermöglichender Verfahren im deutschen System übersehen werden.525 Angesichts dieser Lage erscheint es rechtspolitisch zumindest nicht als dringlich, der Verwaltung zusätzliche Kompetenzen zu Lasten der Gerichtsbarkeit zu verschaffen. Trotzdem ist der Gegenauffassung zuzugestehen, dass die Gefahr besteht, dass der Weg des deutschen Verwaltungsrechts in eine zunehmende Isolierung führen Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 7 Rn. 61. Pache, Tatbestandliche Abwägung, S. 189 f. 520 Vgl. z. B. Peter M. Huber, Staatswissenschaften und Staatspraxis 1997, S. 423, 441. 521 Peter M. Huber, Staatswissenschaften und Staatspraxis 1997, S. 423, 446 m. w. N. 522 So ausdrücklich Sendler, NJW 1986, S. 1084, 1084 unter Hinweis auf entsprechende Überlegungen von Staatssekretär a.D. Fritz Rietdorf. 523 Insbesondere durch das 6. VwGO-ÄndG 1996 und sog. Beschleunigungsgesetze, vgl. Geis in: Ziekow, Handlungsspielräume der Verwaltung, S. 97, 102 ff. 524 Vgl. Geis in: Ziekow, Handlungsspielräume der Verwaltung, S. 97, 102 ff.; vgl. dazu auch Pache, Tatbestandliche Abwägung, S. 189 f. 525 Dazu Peter M. Huber in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Band 1, Art. 19, Rn. 351 m. w. N. 518 519
G. Rechtspolitische Bewertung
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wird. Die relativ hohe verwaltungsgerichtliche Kontrolldichte sowie die unterschiedliche Behandlung von Tatbestands- und Rechtsfolgenseite weicht von den Systemen fast aller anderen europäischen Länder ab,526 auch das Gemeinschaftsrecht weist in eine andere Richtung,527 so dass in einem zunehmend zusammenwachsenden europäischen Rechtssystem bzw. im europäischen Verwaltungsverbund528 immer weniger Verständnis dafür vorhanden sein wird. Eine dementsprechende, grundlegende Änderung des deutschen Rechts, die über die bloße Vermehrung einzelner Beurteilungsspielräume hinausgeht, kann m. E. aber nicht durch Wissenschaft und Rechtsprechung erfolgen. Insbesondere kann vom Bundesverfassungsgericht keine 180-Grad-Drehung bei der Auslegung von Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG erwartet werden. Auch angesichts der enormen Tragweite dieser Weichenstellung wäre es wünschenswert, wenn sie durch die Legislative entschieden würde. Auf verfassungsrechtlicher Ebene gilt daher: Sollte die grundsätzlich vollumfängliche gerichtliche Kontrolle der Tatbestandsseite „nicht (mehr) zeitgemäß sein, dann ist es Sache des demokratisch legitimierten verfassungsändernden Gesetzgebers, sie einzuschränken. Es geht nicht an, ihm durch einschränkende Interpretation vorzugreifen.“529 Doch auch bei unveränderten verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen gibt es auf einfach-rechtlicher Ebene rechtspolitischen Handlungsbedarf. Auch wenn in der vorliegenden Arbeit eine Formel vorgeschlagen wurde, mit deren Hilfe in vielen Fällen relativ eindeutig bestimmt werden kann, ob einem Gesetz ein Beurteilungsspielraum zu entnehmen ist, bleibt zu erwarten, dass im Einzelfall nach wie vor viel Streit darüber herrschen wird, ob vom Gesetz ein Beurteilungsspielraum konkludent eingeräumt wurde oder nicht. So lange es bei einer (nur) konkludenten Einräumung bleibt, so lange wird das „Kaffeesatzlesen“530 beim Beurteilungsspielraum nie ganz zu vermeiden sein. Daher ist an die Verfasser zukünftiger Gesetzesentwürfe die rechtspolitische Forderung zu richten, Beurteilungsspielräume explizit einzuräumen.531 Diese Forderung ist nicht neu, im Gegenteil, bereits vor mehr als Vgl. Pache, Tatbestandliche Abwägung, S. 192 ff. und 233 ff. Pache, Tatbestandliche Abwägung, S. 449 ff. 528 Vgl. Peter M. Huber in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band III (im Ersch.), § 45, Rn. 76 ff. 529 Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 7, Rn. 57, der auch auf die historische Dimension dieser Entscheidung hinweist: „Im Übrigen muss vor vorschnellen Beschränkungen des Art. 19 IV GG gewarnt werden. Der gerichtliche Rechtsschutz ist eine rechtsstaatliche Errungenschaft, die bereits im 18. Jahrhundert gefordert, im 19. Jahrhundert mühsam und stufenweise erkämpft und schließlich – nach dem schrecklichen Rückfall der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft – mit Art. 19 IV GG vollständig durchgesetzt wurde.“ – Andere Ansicht Sendler NJW 1998, S. 1084, 1085, der eine Änderung von Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG für „nicht erreichbar“ hält und darüber hinaus vermutet, eine Änderung brächte ebenso viele Unklarheiten mit sich. 530 So Ossenbühl in: FS Redeker, S. 55, 64. 531 Auch Wittig, Beurteilungsspielräume, S. 271 f. zieht dieses rechtspolitische Fazit. Mit spezifischem Bezug zum Regulierungsrecht bereits Nell, Verhandlungen des 66. Deutschen Juristentags, Band 2 / 2, S. 223, 224 f. 526 527
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5. Teil: Beurteilungsspielraum zugunsten der Verwaltung
einem halben Jahrhundert forderte Bachof532 den Gesetzgeber unmissverständlich dazu auf. Es stellt insbesondere der die Gesetze vorbereitenden Ministerialbürokratie ein schlechtes Zeugnis aus, dass sich seitdem trotzdem (fast) nichts geändert hat. Explizit normierte Beurteilungsspielräume wie in § 71 Abs. 5 Satz 2 GWB oder § 10 Abs. 2 Satz 2 TKG blieben bis jetzt rühmliche Ausnahmen. Die explizite Einräumung sollte aber zum Regelfall der Gesetzgebungstechnik werden. Dadurch würde in der Praxis ein erhebliches Maß an Rechtssicherheit gewonnen, außerdem wäre es wünschenswert, dass die Entscheidung des parlamentarischen Gesetzgebers über den Umfang gerichtlicher Überprüfung in transparenter Weise und auch bewusst getroffen wird.
H. Konsequenzen bei Annahme eines Beurteilungsspielraums I. Orientierung an der Ermessensfehlerlehre Während sich die Voraussetzungen des Vorliegens eines Beurteilungsspielraums – wie gezeigt – als sehr problematisch erweisen, besteht über die Konsequenzen, wenn das Vorliegen eines Beurteilungsspielraums bejaht wird, weitgehende Einigkeit. Nach allgemeiner Meinung vermittelt der durch einen Beurteilungsspielraum eingeräumte Entscheidungsspielraum keine völlige Freiheit, sondern nur eine rechtlich begrenzte Freiheit, ähnlich wie im Bereich des auf der Rechtsfolgenseite zu verortenden Ermessens533 (dessen verfassungsrechtliche Zulässigkeit allgemein anerkannt ist534). Für Ermessentscheidungen der Verwaltung gibt § 114 Satz 1 VwGO vor,535 dass das Gericht prüft, ob „die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist.“ Bei Ermessensentscheidungen wird also nicht jede gerichtliche Kontrolle ausgeschlossen, sie beschränkt sich aber auf die Überprüfung von so genannten Ermessensfehlern.536 Die Typologie wird zwar nicht überall einheitlich wiedergegeben,537 anerkannt ist jedoch eine „traditionelle Trias der Ermessensfehler“,538 die Ermessensunterschreitung, Ermessensfehlgebrauch und Ermessensüberschreitung umfasst. ErmesBachof, JZ 1955, S. 97, 100. Pache, Tatbestandliche Abwägung, S. 42. – Noch weitergehend Bamberger, VerwArch 2002, S. 217, 232, der § 114 Satz 1 VwGO schlichtweg analog anwenden will. 534 Statt vieler Schmidt-Aßmann in: Maunz / Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4, Rn. 189 m. w. N. 535 Näher Peter M. Huber, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 127 f. 536 Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 25, Rn. 29. 537 Peter M. Huber, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 124 m. w. N. 538 Jestaedt in: Erichsen / Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht (13. Auflage), § 10, Rn. 61. 532 533
H. Konsequenzen bei Annahme eines Beurteilungsspielraums
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sensunterschreitung liegt vor, wenn die Behörde das bestehende Ermessen nicht in vollem Umfang oder überhaupt nicht ausübt (letztgenannter Unterfall wird auch als Ermessensausfall539 bezeichnet); dieser Ermessensfehler tritt insbesondere auf, wenn sich die Behörde irrigerweise für rechtlich gebunden hält.540 Ermessensüberschreitung liegt vor, wenn die Behörde eine Handlungsalternative wählt, zu der sie durch die einschlägige Norm nicht ermächtigt war.541 Ermessensfehlgebrauch ist anzunehmen, wenn die Behörde relevante Aspekte für die Willensbildung nicht berücksichtigt hat oder von einem unvollständigen oder unzutreffenden Sachverhalt ausging;542 zu dieser Gruppe zählen auch die Fälle des Ermessensmissbrauchs, in denen sich die Behörde von sachfremden Erwägungen in ihrer Entscheidung leiten ließ.543
II. Gerichtliche Überprüfung von Beurteilungsspielräumen Die gerichtliche Kontrolle im Bereich eines Beurteilungsspielraums ist darauf beschränkt, ob tatsächlich ein Beurteilungsspielraum vorliegt und ob dieser von der Verwaltung im vorgeschriebenen Verfahren unter Beachtung der aus dem Gesetz ableitbaren materiellen Wertungen und Vorgaben willkürfrei und nachvollziehbar ausgefüllt worden ist.544 Dementsprechend überprüft das Gericht bei Entscheidungen mit Beurteilungsspielraum der Behörde:545 Verfahrensfehler, Zugrundelegung eines unzutreffenden Sachverhalts, Verkennung anzuwendenden Rechts, Einfluss von sachfremden Erwägungen und Verletzung der Anwendung allgemeingültiger Bewertungsmaßstäbe. Dies führt zu folgendem Ablauf für das Gericht:546 Im ersten Schritt ermittelt das Verwaltungsgericht, ob eine Ermächtigungsgrundlage im einfachen Recht vor539 Peter M. Huber, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 124 m. w. N.; Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 25, Rn. 30 spricht synonym von Ermessensnichtgebrauch. 540 Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 25, Rn. 30. 541 Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 25, Rn. 30. 542 Schenke Verwaltungsprozessrecht, Rn. 744. 543 Peter M. Huber, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 125; Schenke Verwaltungsprozessrecht, Rn. 746. 544 Pache, Tatbestandliche Abwägung, S. 49. 545 Sachs in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, § 40, Rn. 223. Ähnlich Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 25, Rn. 56 und Schoch, Jura 2004, S. 612, 618. Übereinstimmend (lediglich ohne Nennung der Verkennung des anzuwendenden Rechts als gesonderten Punkt) BVerwGE 117, 81, 82. Ähnlich auch Beaucamp, JA 2002, S. 314, 319, der jedoch anmerkt, dass diese Maßstäbe nur eine grobe Richtung, nicht aber eine sichere Voraussage zuließen; letzteres betont auch Jestaedt in: Erichsen / Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht (13. Auflage), § 10, Rn. 54. – Vgl. schließlich Bamberger, VerwArch 2002, S. 217, 228 der die genannten Schritte in einem medienrechtlichen Zusammenhang erläutert. 546 Aufgliederung nach Pache, Tatbestandliche Abwägung, S. 48 f.
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5. Teil: Beurteilungsspielraum zugunsten der Verwaltung
handen ist, bei deren Auslegung sich ein Beurteilungsspielraum zugunsten der Verwaltung ergibt und ob dieses einfache Gesetz verfassungsgemäß ist. Als zweites wird der Sachverhalt vollständig ermittelt, welcher der Verwaltungsentscheidung zugrunde liegt, und kontrolliert, ob die Behörde alle entscheidungsrelevanten Gesichtspunkte berücksichtigt hat. Im dritten Schritt überprüft das Gericht, ob alle einfach-rechtlichen Verfahrensregeln eingehalten wurden. Schließlich folgt im vierten und letzten Schritt die Überprüfung der materiell-rechtlichen Bewertung durch die Verwaltung durch das Gericht, die sich jedoch nur noch danach richtet, ob allgemeingültige Wertungsmaßstäbe eingehalten wurden, die Beurteilung in sich schlüssig und nachvollziehbar sowie frei von willkürlichen oder sachfremden Erwägungen erfolgte.
Sechster Teil
Die Übertragung der herkömmlichen Rechtsfigur des Beurteilungsspielraums in den neuen Kontext Nachdem die herkömmliche Rechtsfigur des Beurteilungsspielraums zugunsten der Verwaltung grundlegend geklärt wurde, ist unter Heranziehung der bisherigen Vorschläge aus dem Schrifttum die nicht weniger grundlegende Frage (dazu A.) zu klären, ob (dazu B.) und wie (dazu C.) eine Übertragung in den neuen Kontext realisiert werden kann. Die praktische Relevanz der Fragestellung kann abschließend anhand mehrerer Beispielsfälle demonstriert werden (dazu D.).
A. Vorbemerkung zur Bedeutung der Fragestellung Die Einbindung Privater in das Verwaltungshandeln ist nichts per se Neues, vielmehr gehört ihre abgestufte Instrumentalisierung zu den seit jeher bedeutsamen Modi der Aufgabenwahrnehmung durch die Verwaltung.1 Auch ist – wie bereits gezeigt2 – nicht jedwede Form regulierter Selbstregulierung etwas Neues. „Im Verwaltungsrecht bislang einzigartig“3 ist jedoch der Beurteilungsspielraum zugunsten der anerkannten EFS gem. § 20 Abs. 3, 5 JMStV. Ein derartiger, zugunsten Privater eingeräumter Beurteilungsspielraum ist in der deutschen Rechtswissenschaft4 bisher ohne Beispiel,5 genaue Verortung und konkrete Konsequenzen sind daher 1 Schulze-Fielitz in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band I, § 12, Rn. 104. 2 Siehe Seite 55. 3 Peter M. Huber in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band III (im Ersch.), § 45, Rn. 207. 4 Die von Wittig, Beurteilungsspielräume, passim beschriebenen Beurteilungsspielräume im Betriebsverfassungsrecht sind anders zu verorten, da – plakativ gesprochen – ein Beurteilungsspielraum zugunsten Privater im Verwaltungsrecht trotz möglicher Parallelen etwas grundlegend anderes ist als ein Beurteilungsspielraum zugunsten Privater im Privatrecht (zu dem das Arbeitsrecht selbstverständlich zu zählen ist). 5 Ladeur, ZUM 2002, 859, 862 ist zu widersprechen, sofern er den Eindruck erweckt, es habe bereits in einem früheren Fall einen Beurteilungsspielraum zugunsten Privater gegeben. Ladeur meint zwar, private Kabelbetreiber verfügten über einen Beurteilungsspielraum hin-
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6. Teil: Der Beurteilungsspielraum im neuen Kontext
weitgehend unerforscht. Umso erstaunlicher ist, dass diese neue Rechtsfigur einschließlich ihrer Bezüge zum „herkömmlichen“ Beurteilungsspielraum in der Literatur bislang mit wesentlich größerer Zurückhaltung aufgegriffen wurde als viele andere mit dem JMStV einhergehenden Neuerungen. Im bisherigen Forschungsstand ist eine deutliche Lücke erkennbar.6 Auch die ausführliche Evaluation des JMStV durch Schulz et al betont ausdrücklich, dass sie die Frage des Beurteilungsspielraums nicht abschließend beurteilen kann.7 Selbst Brunner bemerkt in seiner Monographie mit dem Titel „Beurteilungsspielräume im neuen Jugendmedienschutzrecht“ lediglich, die Figur des Beurteilungsspielraums sei nach jahrzehntelanger intensiver Diskussion immer noch nicht geklärt.8 Bei der erstmaligen Normierung des Beurteilungsspielraums zugunsten Privater durch den JMStV gingen die Staatsvertragsparteien offenbar davon aus,9 erstens auf eine in ihrem originären Zusammenhang hinreichend geklärte Rechtsfigur zurückzugreifen, die zweitens auf die neue Konstellation übertragbar sei. Die erste Vermutung ist – wie sich soeben bei der ausführlichen Klärung des Streitstands um den Beurteilungsspielraum zugunsten der Verwaltung gezeigt hat – nicht zutreffend, wenngleich sich die bestehenden Unklarheiten zuvörderst auf die Voraussetzungen für die Annahme eine Beurteilungsspielraums beziehen, während über die Konsequenzen bei Vorliegen eines Beurteilungsspielraums weitgehende Einigkeit herrscht. Ob die zweite Vermutung zutrifft, mit anderen Worten ob und wie sich diese Rechtsfigur auf die neue Konstellation übertragen lässt, gilt es nunmehr zu klären.
sichtlich der Kabelbelegung; diese Begriffswahl ist jedoch nicht zustimmungswürdig. In rein terminologischer Hinsicht ist vielmehr Hartstein / Ring / Kreile / Dörr / Stettner, Rundfunkstaatsvertrag Band 2, B 5, § 52, Rn. 85 zuzustimmen, die dementgegen von einem „Gestaltungsspielraum“ sprechen, über den die Privaten bei den so genannten „Can-Carry“-Programmen verfügen. In inhaltlicher Hinsicht ist zu betonen, dass es sich um einen Fall der allgemeinen Handlungsfreiheit von Privaten handelt, die bestimmten einfach-gesetzlichen Beschränkungen unterliegt, deren Einhaltung wiederum von der Behörde kontrolliert wird. Ein der Kontrolle der Behörde entzogener Beurteilungsspielraum des Privaten kann darin nicht erkannt werden. Für die Annahme eines Beurteilungsspielraums fehlt es an dem charakteristischen tripolaren Kontrollverhältnis, dazu siehe Seite 246 ff. 6 Auch Ullrich, tv diskurs 2006, Heft 4, S. 98, 100 macht auf die generellen Lücken im bisherigen Forschungsstand aufmerksam. 7 Schulz et al, Analyse des Jugendmedienschutzsystems, S. 55 und 184. 8 Brunner, Beurteilungsspielräume im neuen Jugendmedienschutzrecht, S. 23. – Dennoch hält es Brunner ausdrücklich nicht für notwendig, eine grundlegende Klärung zu unternehmen, um das Recht des Jugendmedienschutzes hinsichtlich des Beurteilungsspielraums zu untersuchen; an dieser Zurückhaltung übt Ullrich, tv diskurs 2006, Heft 4, S. 98, 98 f. deutliche Kritik. 9 Vgl. amtliche Begründung zu § 20 Abs. 3 JMStV, u. a. BayLT-Drucks. 14 / 10246.
¨ bertragung B. Zum „Ob“ der U
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B. Zum „Ob“ der Übertragung I. Problemstellung – Ist die Rechtsfigur auf die neue Situation überhaupt anwendbar? Da die Einräumung eines Beurteilungsspielraums zugunsten Privater in der Rechtswissenschaft bislang praktisch ungeklärt ist, sind – bevor die sich für Einzelfragen ergebenden Konsequenzen erarbeitet werden können – Fragen grundsätzlicher Art zu klären. Inwiefern war eine Übertragung der überkommenen Rechtsfigur vom Staatsvertrag gewollt und ist sie überhaupt möglich?
II. Bisheriger Meinungsstand in der Literatur 1. Befürwortung einer Übertragbarkeit Hartstein / Ring / Kreile / Dörr / Stettner gehen ohne weiteres davon aus, dass die „von der Rechtsprechung zur Frage der beschränkten Kontrolldichte bei Beurteilungsspielräumen herausgearbeiteten Grundsätze [ . . . ] auf die Einrichtungen der freiwilligen Selbstkontrolle als sachkundig zusammengesetztes, unabhängiges Entscheidungsgremium übertragbar“ sind.10 Dem schließt sich Brunner an, der meint, die Fehlerdogmatik des Beurteilungsspielraums lasse sich ebenso übertragen wie der Begriff selbst.11 Auch Sellmann will den Begriff des JMStV mit dem der überkommenen Lehre „gleichsetzen“. 12 Selbst Cole stuft die Übertragung als „unbedenklich“ ein.13 Schließlich ist der Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs zu erwähnen, in dem zumindest die Tendenz erkennbar wurde, unter dem Beurteilungsspielraum zugunsten der anerkannten EFS das Gleiche zu verstehen wie unter dem Beurteilungsspielraum zugunsten einer Behörde.14
10 Hartstein / Ring / Kreile / Dörr / Stettner, Rundfunkstaatsvertrag, Band III, C 3, § 20 JMStV, Rn. 14 a. E. 11 Brunner, Beurteilungsspielräume im Jugendmedienschutzrecht, S. 182. 12 Sellmann, MMR 2006, S. 723, 724, Fn. 5. 13 Cole, ZUM 2005, S. 462, 468. 14 BayVGH, Beschluss vom 22. 03. 2005, Az. 7 CS 05.79, juris Rn. 23: „. . . wenngleich manches dafür spricht, der Antragsgegnerin [d. h. der Landesmedienanstalt] und der KJM ebenso wie dem Beigeladenen [d. h. der FSF] (§ 20 Abs. 3 Satz 1 JMStV) einen Beurteilungsspielraum einzuräumen“ (Hervorhebung nicht im Original).
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6. Teil: Der Beurteilungsspielraum im neuen Kontext
2. Skepsis gegenüber einer Übertragbarkeit Rossen-Stadtfeld dagegen hält es für „unsicher“, ob eine Übertragung stattfinden könne.15 Und Ullrich16 meint, trotz der entsprechenden Bezeichnung habe keine Übertragung der Rechtsfigur des Beurteilungsspielraums stattgefunden, sondern es sei ein Rechtsinstitut sui generis geschaffen worden. Zugunsten der anerkannten EFS bestünde ein „originär geschaffener Entscheidungsfreiraum“, welchen „die Staatsvertragsparteien mit dem Begriff des Beurteilungsspielraumes umschrieben“ hätten.17 Dabei ergänzt er, dies habe zur Konsequenz, dass die KJM darauf beschränkt sei, die „Vertretbarkeit“ der Entscheidung zu überprüfen18 und ihrerseits keinen Beurteilungsspielraum habe.
3. Die Sondermeinung Bandehzadehs Anders wiederum ist die Auffassung von Bandehzadeh gelagert, die schlichtweg verneint, dass überhaupt ein Beurteilungsspielraum zugunsten der EFS bestehe.19 Trotz des Wortlauts von § 20 Abs. 3, 5 JMStV (und der amtlichen Begründung hierzu) sei kein Beurteilungsspielraum gegeben, weil das Verhältnis zwischen KJM und Anbieter, nicht aber das Verhältnis zwischen KJM und EFS geregelt worden sei.20 Auch die Vorschrift des § 19 Abs. 5 JMStV, nach der die KJM die Anerkennung einer EFS widerrufen kann, wenn sich deren Spruchpraxis nicht im Einklang mit dem Jugendschutzrecht befindet, stehe im klaren Widerspruch zu einem den anerkannten EFS „generell zukommenden“ Beurteilungsspielraum.21
4. Die Sondermeinung Boschs Eine Sonderstellung nehmen auch die Ausführungen von Bosch ein. Sie meint, da es keine Beurteilungsspielräume zugunsten Privater gebe, sondern nur solche zugunsten von Verwaltungsträgern, müsse es sich in der Konsequenz „bei dem im JMStV anerkannten Beurteilungsspielraum um die Privatisierung des BeurteilungsRossen-Stadtfeld, AfP 2004, S. 1, 8. Ullrich, ZUM 2005, S. 452, 457 f. 17 Ullrich, ZUM 2005, S. 452, 458. 18 Ullrich, ZUM 2005, S. 452, 458, der weiter ausführt, die Überprüfung der Vertretbarkeit beinhalte erstens, ob die EFS von einem zutreffenden Sachverhalt ausgegangen sei, und zweitens, ob sie anhand allgemein anerkannter juristischer Methoden zur Ermittlung des Inhalts einer Rechtsnorm die Bestimmungen des JMStV angewandt habe, wobei eine falsche Auslegung nur dann vorliegen könne, wenn diese „methodisch unhaltbar“ sei. 19 Bandehzadeh, Jugendschutz im Rundfunk und in den Telemedien, S. 78 ff. 20 Bandehzadeh, Jugendschutz im Rundfunk und in den Telemedien, S. 79. 21 Bandehzadeh, Jugendschutz im Rundfunk und in den Telemedien, S. 79 f. 15 16
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spielraums der KJM“ handeln.22 Diese „Privatisierung“ durch den einfachen Gesetzgeber sei aber nur zulässig, wenn wiederum ein Beurteilungsspielraum zugunsten der KJM für sich genommen zulässig sei.23 Bei der Überprüfung dessen anerkennt Bosch zwar dem Grunde nach die herrschende normative Ermächtigungslehre,24 lässt aber (unter ausdrücklicher Ablehnung aller anderen denkbaren Rechtfertigungen) ausschließlich einen einzigen Rechtfertigungsgrund gelten, nämlich die Herausbildung einer einzelfallübergreifenden Entscheidungspraxis durch ein dauerhaft tätiges, sachverständiges Gremium.25 Die KJM erfülle jedoch – so Bosch – die Anforderungen an ein unabhängiges und hinreichend qualifiziertes Sachverständigengremium nicht,26 so dass auch keine „Privatisierung“ zugunsten der anerkannten EFS erfolgen könne. Hilfsweise ergänzt Bosch, dass selbst wenn den anerkannten EFS ein „privatisierter“ Beurteilungsspielraum zustünde, seien die einfach-gesetzlichen Anforderungen an die Zusammensetzung der Prüforgane der anerkannten EFS zu gering sowie die einfach-gesetzlichen Verfahrensregeln hinsichtlich der Überprüfung durch die KJM zu wenig detailliert, so dass trotzdem kein Beurteilungsspielraum zugunsten der anerkannten EFS bestünde.27
III. Bewertung Der Auffassung von Bandehzadeh liegt offenbar ein unzutreffendes Verständnis der Rechtsfigur des Beurteilungsspielraums im Allgemeinen zugrunde.28 Ein Beurteilungsspielraum steht niemals einer Körperschaft „generell“ zu.29 Nimmt man beispielsweise einen Beurteilungsspielraum zugunsten der Verwaltung bei einer juristischen Staatsprüfung oder bei der Festlegung von Tieffluggebieten an, so wird ja auch nicht dem Bundesland oder der Bundesrepublik „generell“ ein Beurteilungsspielraum eingeräumt. Nicht einmal einer einzelnen Behörde (z. B. dem Prüfungsamt oder dem Verteidigungsministerium) oder einem einzelnen Bosch, Regulierte Selbstregulierung im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag, S. 344. Bosch, Regulierte Selbstregulierung im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag, S. 344. 24 Bosch, Regulierte Selbstregulierung im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag, S. 345. 25 Bosch, Regulierte Selbstregulierung im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag, S. 349. 26 Bosch, Regulierte Selbstregulierung im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag, S. 352 f. 27 Bosch, Regulierte Selbstregulierung im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag, S. 357. 28 Dazu kann angemerkt werden, dass die Stellungnahme zum Beurteilungsspielraum von Bandehzadeh, Jugendschutz im Rundfunk und in den Telemedien, S. 78 ff. nur am Rande ihrer umfangreichen Untersuchung erfolgt, die nach eigener Aussage nicht das Verfahren, sondern das materielle Recht zum Hauptgegenstand hat, vgl. Bandehzadeh, Jugendschutz im Rundfunk und in den Telemedien, S. 83, Fn. 282. – Vgl. auch Liesching, MMR 2007, S. XXI, XXI, der ausdrücklich kritisiert, dass Bandehzadeh das Verfahren der regulierten Selbstregulierung nur am Rande beleuchtet. 29 Vgl. Jestaedt in: Erichsen / Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht (13. Auflage), § 10, Rn. 46 mit ähnlichem und teilweise noch weitergehendem Ansatz hinsichtlich der Typologie von Beurteilungsspielräumen zugunsten der Verwaltung. 22 23
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6. Teil: Der Beurteilungsspielraum im neuen Kontext
Amtswalter (z. B. dem konkreten Prüfer oder dem amtierenden Verteidigungsminister) steht ein Beurteilungsspielraum für alle Entscheidungen zu, sondern immer nur hinsichtlich einer bestimmte Gruppe von Entscheidungen, die sich in konkreten Rechtsverhältnissen auswirken. So liegt auch der Fall bei den anerkannten EFS, denen für Entscheidungen über die Vereinbarkeit von Angeboten mit dem JMStV ein Beurteilungsspielraum gesetzlich ausdrücklich eingeräumt wurde. Daran ändert sich entgegen Bandehzadeh nichts dadurch, dass dieser Beurteilungsspielraum seine Wirkung nur mittelbar über das Verfahrenshindernis zugunsten des Anbieters realisiert. Und erst recht ändert sich nichts durch einen Hinweis auf einen möglichen Widerruf der Anerkennung gem. § 19 Abs. 5 JMStV. Inwiefern der Beurteilungsspielraum der EFS gem. § 20 Abs. 3, 5 JMStV Einfluss auf den Widerruf haben kann, ist eine problematische Frage, auf die später noch einzugehen sein wird30 – keinesfalls aber kann eine Interpretation von § 19 Abs. 5 JMStV den ganz eindeutig formulierten § 20 Abs. 3, 5 JMStV ins Gegenteil verkehren. Auch die Auffassung Boschs ist bereits in ihren Prämissen abzulehnen. Dass es in der Vergangenheit Beurteilungsspielräume nur zugunsten von Verwaltungsträgern gegeben hat, bedeutet nicht automatisch, dass es niemals einen solchen zugunsten Privater geben könnte. Der Katalog klassischer verwaltungsrechtlicher Figuren hat keinen höheren Rang als der Wille des demokratisch legitimierten Gesetzgebers.31 Die Erfindung einer Konstruktion, nach welcher der Gesetzgeber einen Beurteilungsspielraum bei der (ja ebenfalls von ihm geschaffenen!) KJM quasi vorfindet und sodann „privatisiert“, ist daher nicht nur unnötig umständlich, sondern falsch. Und vor allem widerspricht diese Konstruktion dem klaren Wortlaut von § 20 Abs. 3, 5 JMStV, der den anerkannten EFS einen originären und keinen von der KJM abgeleiteten Beurteilungsspielraum einräumt. Schon allein aufgrund dieser Aspekte geht die weitere Argumentation Boschs zum Bestehen eines Beurteilungsspielraums auf Seiten der KJM ins Leere. Insofern soll hier32 nur hilfsweise angemerkt werden, dass auch diese keine Zustimmung erfahren kann. Die Ausführungen zur Rechtfertigung der Einräumung eines Beurteilungsspielraums zugunsten der KJM sehen sich – ganz ähnlich wie bei der generellen Diskussion um die normative Ermächtigungslehre beschrieben – dem Vorwurf einer gewissen Inkonsequenz ausgesetzt. Darüber hinaus erscheinen die Anforderungen von Bosch an den Detaillierungsgrad einfach-gesetzlicher Regelungen überzogen; beispielsweise überzeugt es angesichts der weiten Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers und der notwendigen Abstraktheit von Gesetzen nicht, dass die Einräumung des Beurteilungsspielraums deshalb verfassungswidrig sein soll, da die Pflicht zur Begründung von Entscheidungen nicht durch das Gesetz selbst detailSiehe Seite 267 ff. Ähnlich Jestaedt in: Erichsen / Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht (13. Auflage), § 10, Rn. 46 hinsichtlich der Typologie von Beurteilungsspielräumen zugunsten der Verwaltung. 32 Zu der – eigenständig zu bewertenden – Frage, ob die KJM über einen Beurteilungsspielraum verfügt, siehe Seite 291 ff. 30 31
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liert konkretisiert wurde.33 Angesichts solcher Anforderungen drängt sich der Eindruck auf, dass durch sie rechtspolitische Wünsche (zum Beispiel hinsichtlich der Besetzung der KJM) durch die sprichwörtliche „Hintertür“ des verfassungsrechtlichen Effektivitätsgebots geschleust werden sollen. Das ist generell abzulehnen und erst recht, wenn zu diesem Zweck sowohl die herkömmliche Rechtsfigur des Beurteilungsspielraums zugunsten der Verwaltung als auch die neue Rechtsfigur des Beurteilungsspielraum zugunsten Privater unzutreffend interpretiert werden. Gegenüber der Auffassung Ullrichs wiederum ist ins Feld zu führen, dass sie den nachgewiesenen Willen des Normgebers ignoriert, der an die Rechtsfigur des Beurteilungsspielraums anknüpfte.34 Die Vorstellung, dass ein Rechtsinstitut sui generis ohne Bezugnahme auf ein bestehendes Rechtsinstitut geschaffen werden sollte, dessen Namen aber ausdrücklich verwendet wurde, kann nicht überzeugen.35 Letztendlich wird durch den Vorschlag einer Überprüfung auf „Vertretbarkeit“36 deutlich, dass Ullrich mit seinem Vorschlag die Eingriffsmöglichkeiten der KJM zu beschränken versucht. Einem solchen Ergebnis soll an dieser Stelle der Untersuchung weder zugestimmt noch widersprochen werden, es ist aber jedenfalls verfehlt, dieses Resultat auf die angeblich bezuglose Schaffung eines neuen Entscheidungsfreiraums zurückzuführen, vielmehr muss aufgrund des klar erkennbaren Willens des Normgebers die Übertragung des überkommenen Rechtsinstituts zugrunde gelegt und in einem logisch nachfolgenden Schritt durch bestimmte Besonderheiten der neuen Situation modifiziert werden. Mit anderen Worten: Nicht das „Ob“ der Übertragung steht in Frage, sondern ausschließlich das „Wie“. Mit dieser Feststellung erfährt aber zugleich der andere dargestellte Extrempunkt der Diskussion eine Ablehnung: Die Übertragung ist zwar anzunehmen, sie ist aber nicht unproblematisch,37 weil es wesentliche – sogleich näher in den Blick zu nehmende – Unterschiede gibt. Die überkommene Rechtsfigur kann somit lediglich als Ausgangspunkt dienen.
33 So aber Bosch, Regulierte Selbstregulierung im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag, S. 357. 34 Ähnlich Retzke, Präventiver Jugendmedienschutz, S. 221. 35 Ähnlich Sellmann, MMR 2006, S. 723, 724, Fn. 5 unter ausdrücklicher Ablehnung von Ullrich, ZUM 2005, S. 452, 456. Ähnlich auch Halves, Neuordnung des Jugendmedienschutzes, S. 140: „Durch das Abstellen auf den Beurteilungsspielraum wird für die Bezeichnung eines Entscheidungsspielraums einer privaten Einrichtung ausdrücklich ein verwaltungsrechtlicher Begriff verwendet.“ 36 Zu dem Vorschlag einer Kontrolle auf „Vertretbarkeit“ der Entscheidung einer anerkannten EFS wird ausführlich bei der Darstellung und Bewertung der Vorschläge von Erdemir und Scheuer eingegangen, siehe Seite 231 ff. 37 Soweit übereinstimmend Retzke, Präventiver Jugendmedienschutz, S. 225 (wenn auch unter der pauschalen Annahme einer Beleihung der anerkannten EFS, welcher in der vorliegenden Arbeit gerade nicht gefolgt wird).
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6. Teil: Der Beurteilungsspielraum im neuen Kontext
C. Zum „Wie“ der Übertragung I. Problemstellung – In welchen Fällen ist die Überschreitung des Beurteilungsspielraums durch die EFS anzunehmen? Die Frage des „Wie“ ist nicht nur die entscheidende, sondern auch die wesentlich schwieriger zu beantwortende. Dies resultiert einerseits – wie ausführlich dargestellt – daraus, dass die Rechtsfigur des Beurteilungsspielraums in ihrer herkömmlichen Funktion nicht hinreichend geklärt ist. Denn es stimmt gerade nicht, wenn Brunner meint, hinsichtlich des Beurteilungsspielraums hätten sich „Prüfungsmaßstäbe herausgebildet, die inzwischen allgemein anerkannt“ seien.38 Andererseits legt der JMStV selbst keine materiell-rechtlichen Kriterien zur näheren Bestimmung der Grenzen des Beurteilungsspielraums fest.39 Angesichts dieser Voraussetzungen kann es nicht verwundern, wenn umstritten ist,40 wann die KJM unter Hinweis auf eine Überschreitung des Beurteilungsspielraums durch die EFS gegenüber dem Anbieter eingreifen darf.
II. Entstehungsgeschichte von § 20 Abs. 3, 5 JMStV und amtliche Begründung Die amtliche Begründung nennt nicht abschließend („insbesondere“) zwei Fälle, bei denen eine Überschreitung des Beurteilungsspielraums anzunehmen sei, nämlich „falsche Auslegung eines Rechtsbegriffs“ sowie „unzutreffende Tatsachenermittlung“.41 Sie führt weiter aus, ein Einschreiten der KJM sei bei Überschreiten des Beurteilungsspielraums vorgesehen, damit „jeder Missbrauch“ sowie „grobe Fehleinschätzungen“ korrigiert werden könnten.42 Während der Entstehung des JMStV43 wurde das Wort „Beurteilungsspielraum“ erst zu einem relativ späten Zeitpunkt eingeführt, lange Zeit war ausschließlich von der „Vertretbarkeit“ der Entscheidung einer EFS die Rede. Der Begriff der „Vertretbarkeit“ verursachte jedoch zahlreiche (bewusste oder unbewusste) Fehl38 Brunner, Beurteilungsspielräume im neuen Jugendmedienschutzrecht, S. 69. – Dies zeigt sich nicht zuletzt daran, dass Brunner, Beurteilungsspielräume im neuen Jugendmedienschutzrecht, S. 70, Fn. 264 selbst eine abweichende Meinung zitiert, so dass die Bewertung als „allgemein anerkannt“ umso mehr irritiert. 39 Rossen-Stadtfeld, AfP 2004, S. 1, 7. 40 Auch Cole, RdJB 2006, S. 299, 305 macht explizit auf diesen Streit aufmerksam. 41 Amtliche Begründung zu § 20 Abs. 3 JMStV, u. a. BayLT-Drucks. 14 / 10246. 42 Amtliche Begründung zu § 20 Abs. 3 JMStV, u. a. BayLT-Drucks. 14 / 10246. 43 Ausführlich zur allen Details der Entstehungsgeschichte des JMStV Hartstein / Ring / Kreile / Dörr / Stettner, Rundfunkstaatsvertrag, Band III, C 2, passim.
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interpretationen, weswegen er zunächst ergänzend umschrieben, schließlich aber ganz ersetzt wurde.44 Insbesondere wurden Befürchtungen laut, dass eine Entscheidung einer EFS schon dann das Verfahrenshindernis für die KJM auslösen könne, wenn auch nur eine Person, beispielsweise in der juristischen Literatur, eine entsprechende Ansicht vertrete.45
III. Bisherige Vorschläge aus der Literatur 1. Zum Vorschlag von Hartstein / Ring / Kreile / Dörr / Stettner Mit als erste Vertreter der Literatur äußerten sich Hartstein / Ring / Kreile / Dörr / Stettner (im Folgenden: Hartstein et al) zu der Problematik.46 Nach Hartstein et al soll es vier Gruppen der Überschreitung des Beurteilungsspielraums durch die EFS geben:47 Erstens Verstöße gegen die Verfahrensordnung, die sich die EFS gem. § 19 Abs. 3 Nr. 4 JMStV gegeben hat, sofern der Verstoß kausal für die Entscheidung der EFS war. Zweitens die Zugrundelegung eines unrichtigen Sachverhalts einschließlich seiner nicht umfassenden Ermittlung sowie der Verwendung schlicht ungeeigneter Quellen. Drittens die Verkennung des anzuwendenden Rechts; diese solle vorliegen, wenn die EFS die „gesetzlichen Vorgaben für die ihr vom Gesetz übertragenen Beurteilungsentscheidungen, insbesondere die insoweit maßgeblichen unbestimmten Rechtsbegriffe und den Sinn und Zweck der Ermächtigung oder den gesetzlichen Rahmen“ nicht „zutreffend gesehen“ oder „verkannt“ habe. Viertens die Verletzung allgemein gültiger Wertungsmaßstäbe bei der Rechtsanwendung; diese liege vor, wenn die EFS „die zu berücksichtigenden Gesichtspunkte“ nicht „angemessen und vertretbar gewichtet oder mit dem Gewicht berücksichtigt“ habe, welches diesen „bei objektiver, am Zweck des Gesetzes und sonstiger Rechtsgrundsätze sowie den allgemeinen Wertungsmaßstäben orientierten Betrachtung“ zukomme.48 Der wesentliche Kern der Ausführungen von Hartstein et al liegt in der Bildung der genannten vier Fallgruppen. Dieser Ansatz ist zur Systematisierung an sich 44 Ausdrücklich Hartstein / Ring / Kreile / Dörr / Stettner, Rundfunkstaatsvertrag, Band III, C 2, Rn. 55. 45 Hartstein / Ring / Kreile / Dörr / Stettner, Rundfunkstaatsvertrag, Band III, C 2 Rn. 69. Dieses Problem wird bei Bosch, Regulierte Selbstregulierung im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag, S. 65, Fn. 158 unzutreffend in umgekehrter Form wiedergegeben, dass also eine Entscheidung der EFS schon für unvertretbar gehalten werden könne, wenn es nur eine Gegenmeinung dazu gebe. 46 Hartstein / Ring / Kreile / Dörr / Stettner, Rundfunkstaatsvertrag, Band III, C 3, § 20 JMStV, Rn. 15. 47 Hartstein / Ring / Kreile / Dörr / Stettner, Rundfunkstaatsvertrag, Band III, C 3, § 20 JMStV, Rn. 15. 48 Nahezu übereinstimmende, jedoch weitgehend ohne Erläuterung erfolgende Aufzählung bei Kreile / Diesbach, ZUM 2002, S. 849, 855.
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6. Teil: Der Beurteilungsspielraum im neuen Kontext
begrüßenswert, ebenso, dass die Aufzählung abschließend gestaltet wurde, weil nur so ein Mindestmaß an Überschaubarkeit gewährleistet ist. Doch während die beiden ersten Gruppen greifbar und sinnvoll erscheinen, gilt dies nur bedingt für die dritte und vierte Gruppe. Insbesondere bei letzterer zeigen sich nur schwer zu fassende Maßstäbe: Was ist zum Beispiel eine „objektive, an sonstigen Rechtsgrundsätzen orientierte Gewichtung eines Gesichtspunktes“? Dabei ist unklar, wie diese Idee mit den konkreten Akteuren des JMStV zusammenspielt. Ist zum Beispiel das „objektiv“, was die KJM festlegt? Dann wäre kaum noch ein Unterschied zur vollumfänglichen Überprüfbarkeit erkennbar. Außerdem ist an dieser Stelle einigen Missverständnissen vorzubeugen, die durch die Ausführungen von Hartstein et al entstehen könnten. Zuvörderst ist zu kritisieren, dass Hartstein et al zur Erläuterung ihres Vorschlags einen Vergleich mit dem Verhältnis von erster und zweiter Instanz im Gerichtsverfahren ziehen,49 denn gerade der Berufungsinstanz ist es nicht verwehrt, das Urteil des erstinstanzlichen Gerichts aufzuheben, weil dieses auf einer anderen, aber ebenso vertretbaren Rechtsauffassung beruht.50 Ferner ist eine missverständliche Begriffswahl aufzuklären: Hartstein et al sprechen von einer Gruppe von Entscheidungen, die überprüfbar seien.51 Dies ist ungenau, weil nicht nur der Inhalt einer Entscheidung kausal für die Überschreitung eines Beurteilungsspielraums sein kann, sondern auch (und wohl häufiger) eine Verhaltensweise die im Vorfeld der eigentlichen Entscheidung auftritt, beispielsweise die Missachtung einer Verfahrensvorschrift oder die unzureichende Aufklärung des Sachverhalts. Schließlich gilt es noch, eine im Rahmen des Vorschlags geäußerte Fehlinterpretation zu korrigieren: Hartstein et al kritisieren, dass Schulz / Held vorschlügen, den Beurteilungsspielraum so zu interpretieren, dass ein Verstoß für den Anbieter „offenkundig“ im Sinne von § 44 VwVfG sein müsse, weil dies mit dem abweichenden Wortlaut von § 20 Abs. 3 JMStV nicht vereinbar sei.52 Eine solche Auffassung haben Schulz / Held aber gar nicht vertreten, sondern einen Vorschlag zur Änderung (!) des Wortlauts des Entwurfs des JMStV vor (!) dessen Verabschiedung formuliert;53 es handelte sich also gerade nicht um einen Vorschlag zur Interpretation des tatsächlichen Normtextes.54 49 So aber Hartstein / Ring / Kreile / Dörr / Stettner, Rundfunkstaatsvertrag, Band III, C 2, Rn 69. Den identischen Fehler begeht Bosch, Regulierte Selbstregulierung im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag, S. 65. 50 So bereits Ullrich, ZUM 2005, S. 452, 459, Fn. 58. 51 Hartstein / Ring / Kreile / Dörr / Stettner, Rundfunkstaatsvertrag, Band III, C 3, § 20 JMStV, Rn. 15. 52 Hartstein / Ring / Kreile / Dörr / Stettner, Rundfunkstaatsvertrag, Band III, C 3, § 20 JMStV, Rn. 16. 53 Schulz / Held, epd medien 2002, Nr. 58, S. 27, 28. 54 Auch Bosch, Regulierte Selbstregulierung im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag, S. 354 differenziert bei der Wiedergabe der Ausführungen von Schulz / Held nicht klar zwischen der Auslegung des geltenden Rechts und Vorschlägen für anders lautende einfach-gesetzliche
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Nachdem die Systematisierung von Hartstein et al mit eine der ersten Stellungnahmen bildete, wurde sie trotz der genannten Probleme durch viele spätere Veröffentlichungen zum Ausgangspunkt genommen, die sich zwar teilweise überschneiden, aber dennoch erhebliche Unterschiede in der systematischen Herangehensweise zeigen.55 Diese sollen sogleich dargestellt und bewertet werden (dazu 2. bis 5.), um anschließend einen eigenen Vorschlag zu entwickeln (dazu IV.).
2. Zum Vorschlag von Cole Cole folgt ohne nähere Begründung der abschließenden Aufzählung von Hartstein et al,56 hat aber darüber hinaus geäußert, dass der KJM stets (!) eine „Letztentscheidungsbefugnis“ verbleibe.57 Dies ist zumindest missverständlich; zwar ist zutreffend, dass die KJM stets eine Entscheidung darüber treffen kann, ob die anerkannte EFS ihren Beurteilungsspielraum überschritten hat. Unzutreffend ist aber die Annahme, die KJM könne stets inhaltlich vollumfänglich entscheiden.58 Das kann sie nämlich nur, wenn der Beurteilungsspielraum überschritten ist.59 Ferner ist klarzustellen, dass die Entscheidung der KJM in jedem Fall gerichtlich überprüfbar bleibt, so dass die Formulierung der „Letztentscheidungsbefugnis der KJM“ mehr Verwirrung als Klarheit stiftet.
3. Zum Vorschlag von Erdemir Erdemir mischt die Formeln von Hartstein et al einerseits und der amtlichen Begründung andererseits, indem er zwar die Aufzählung der vier Hartstein’schen Fallgruppen übernimmt, diesen jedoch nicht abschließenden Charakter verleiht („insbesondere“).60 Diesen scheinbar sehr breiten Anwendungsbereich relativiert Erdemir andererseits wieder durch die Äußerung, die Kontrolle durch die KJM werde auf eine „bloße Missbrauchs- oder Vertretbarkeitsaufsicht reduziert“.61 In Regelungen. – Dagegen unterscheidet Gersdorf, Grundzüge des Rundfunkrechts, Rn. 203 deutlich und zutreffend. 55 Daher ist es nicht überzeugend, wenn Altenhain in: Hoeren / Sieber, Handbuch Multimedia-Recht, Teil 20, Rn. 190 ff. völlig verschiedene Ansätze verschiedener Autoren vermischt und als mehr oder weniger übereinstimmend darstellt. 56 Cole, RdJB 2006, S. 299, 305. 57 Cole, ZUM 2005, S. 462, 470. 58 So aber offensichtlich Cole, ZUM 2005, S. 462, 470. 59 Ausführlich zu der Frage nach einem möglichen Einschreiten der KJM im „Normalfall“ siehe Seite 250 ff. 60 Erdemir, RdJB 2006, S. 285, 290. 61 Erdemir, RdJB 2006, S. 285, 290. Ohne Begründung zustimmend Halves, Neuordnung des Jugendmedienschutzes, S. 140.
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der Gesamtbetrachtung geht er also davon aus, dass die Fallgruppen (wie viele es auch sein mögen) nur selten erfüllt seien, weil „angesichts der Rechtsprechung zur gerichtlichen Kontrolle von Beurteilungsspielräumen nur in evidenten Fällen“ eine Überschreitung anzunehmen sei.62 Zunächst überzeugt die Bezugnahme auf die Rechtsprechung nicht, und dies nicht nur angesichts deren – ausführlich erläuterter63 – Inkonsistenz. Selbst wenn man aus der Gesamtheit der Rechtsprechung eine Regel ziehen könnte, so bestünde sie sicher nicht in der Gleichsetzung der Kontrolle von Beurteilungsspielräumen mit einer bloßen Evidenz-Kontrolle.64 Ebenso wenig leuchtet die Modifikation der Hartstein’schen Fallgruppen ein, weil diese bereits für sich genommen recht umfangreich und differenziert sind. So erscheint es wenig hilfreich, diesen auch noch nicht abschließenden Charakter zu verleihen. So verständlich der Wunsch sein mag, sich angesichts der unübersichtlichen Verhältnisse gleichsam ein „Hintertürchen“ offenzuhalten, so wenig ist damit der Rechtssicherheit und -klarheit gedient. Kein aristotelischer Mittelweg, sondern eine sprichwörtliche „Verschlimmbesserung“ der abzulehnenden Ausweitung ist es, wenn diese auf der anderen Seite durch einen nicht akzeptablen Maßstab reduziert werden soll. Eine Reduzierung auf eine bloße Missbrauchskontrolle würde den vom Normgeber gewählten Weg zu Ungunsten der Verwaltung verschieben. Ebenso abzulehnen ist die Reduzierung auf eine bloße Vertretbarkeitskontrolle: Die Befürchtung, dass es bereits hinreichende Voraussetzung für das Verfahrenshindernis sein könnte, wenn eine noch so kleine Minderheit von Fachwissenschaftlern eine bestimmte Meinung vertritt, hat gerade dazu geführt, dass das Wort „Beurteilungsspielraum“ anstelle des Wortes „vertretbar“ verwendet wurde.65 4. Zum Vorschlag von Scheuer Auch Scheuer greift die Hartstein’schen Fallgruppen auf, betont aber, vor allem in der Fallgruppe der Verletzung allgemein gültiger Wertungsmaßstäbe spiele „die Musik“.66 Dabei sei für die hierfür erforderliche Gewichtung von Gesichtspunkten an den während der Entstehung des JMStV verwendeten Begriff der „Vertretbarkeit“ anzuknüpfen.67 Daher sei der Beurteilungsspielraum nur dann überschritten, Erdemir, RdJB 2006, S. 285, 290. Siehe Seite 153 ff. 64 Vgl. Jestaedt in: Erichsen / Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht (13. Auflage), § 10, Rn. 41 (mit Bezug auf administrative Entscheidungsspielräume): „Es wäre ungenau und irreführend, davon zu sprechen, den Verwaltungsgerichten stehe insofern nur eine Vertretbarkeits- oder eine Evidenzkontrolle zu.“ 65 Vgl. Hartstein / Ring / Kreile / Dörr / Stettner, Rundfunkstaatsvertrag, Band III, C 2 Rn. 69. – Es kann in diesem Zusammenhang nicht überzeugen, wenn Altenhain in: Hoeren / Sieber, Handbuch Multimedia-Recht, Teil 20, Rn. 192, Fn. 3 diese Entstehungsgeschichte als Argument für [!]eine Gleichsetzung heranziehen will. 66 Scheuer, RdJB 2006, S. 308, 314 f. 62 63
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wenn die Entscheidung der EFS „auf Basis einer nachvollzieh- und begründbaren sowie nicht völlig abseitigen Auffassung“ erfolgt.68 Dies begründet Scheuer auch mit systematischen Erwägungen. Bereits im Zuge der Anerkennung einer EFS gem. § 19 Abs. 4 Satz 1 JMStV könne die EFS dafür Sorge tragen, dass die Entscheidungen der EFS wahrscheinlich einen effektiven Jugendschutz gewährleisteten; umgekehrt setze § 19 Abs. 5 Satz 1 JMStV voraus, dass eine anerkannte EFS über die Möglichkeit zur Herausbildung einer Spruchpraxis verfügen müsse, so dass ihr ausreichend Gelegenheit hierfür eingeräumt werden müsse.69 Damit kommt Scheuer schließlich zu der Formel, eine angreifbare Fehlauslegung der EFS liege nur vor, wenn ihre Interpretation „fachlich praktisch nicht mehr zu begründen“ sei.70 Scheuer erkennt die relative Unschärfe der vierten Hartstein’schen Fallgruppe und versucht – was grundsätzlich begrüßenswert ist – dieser mehr Präzision zu verleihen. Die dabei verwendeten Maßstäbe, die offensichtlich sehr zugunsten der EFS wirken, verdienen jedoch keine Zustimmung. Der Hinweis auf die Anerkennung durch die KJM überzeugt nicht, wie ein Vergleich mit der „normalen“ Rechtsfigur eines Beurteilungsspielraums der Verwaltung gegenüber den Gerichten zeigt: Auch bei der Bildung von Verwaltungsbehörden wird regelmäßig dafür Sorge getragen, dass ihre Entscheidungen sachgemäß und vor allem rechtmäßig entstehen. Dies ist aber die selbstverständliche Ausgangslage und kein besonderes Argument für die extensive Interpretation eines Beurteilungsspielraums. Ebenso wenig greift der Hinweis auf die notwendige Herausbildung einer Spruchpraxis. Eine Spruchpraxis lässt sich auch herausbilden, ohne an die äußersten Grenzen der fachlichen Vertretbarkeit zu gelangen. Schließlich ist auch die Anknüpfung an die „Vertretbarkeit“ der Entscheidung aus den gleichen Gründen abzulehnen, die soeben bei der Erläuterung des Vorschlags von Erdemir genannt wurden.
5. Zu vorgeschlagenen Vereinfachungen und Kurzformeln Neben den bereits dargestellten Meinungen haben einige weitere Vertreter des Schrifttums eigene, mitunter sehr knappe Formulierungen entwickelt, ohne dass dabei in den meisten Fällen eine kritische Auseinandersetzung mit anderen Beschreibungen erkennbar wäre. Manche Autoren vereinfachen die Darstellung, 67 Ähnlich Altenhain in: Hoeren / Sieber, Handbuch Multimedia-Recht, Teil 20, Rn. 192. Ähnlich auch Bosch, Regulierte Selbstregulierung im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag, S. 354 f., deren Bewertung des Beurteilungsspielraums jedoch – wie zuvor gezeigt – grundsätzlich abzulehnen ist. 68 Scheuer, RdJB 2006, S. 308, 315. 69 Scheuer, RdJB 2006, S. 308, 315 f. 70 Scheuer, RdJB 2006, S. 308, 316 m. w. N. Ähnlich bereits Ukrow, Jugendschutzrecht, Rn. 642.
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6. Teil: Der Beurteilungsspielraum im neuen Kontext
indem sie die Fallgruppen reduzieren und zusammenfassen. So nennt Brunner drei Fallgruppen der Überschreitung, nämlich falsche Tatsachenermittlung, falsche Auslegung von Rechtsbegriffen und Verfahrensfehler.71 Ukrow reduziert sein System auf nur noch zwei Fallgruppen, bei denen von einer Überschreitung gesprochen werden könne, nämlich erstens bei falscher Auslegung eines Rechtsbegriffes, was dann der Fall sein soll, wenn die Auslegung fachlich praktisch nicht mehr zu begründen sei und zweitens bei unzutreffender Tatsachenermittlung, wenn bei Zugrundelegung des tatsächlichen Sachverhalts eine andere rechtliche Bewertung des Falls „nahe liege“.72 Noch knapper fallen die Interpretationen anderer Autoren aus: Hesse meint, von einer Überschreitung des Beurteilungsspielraums durch die anerkannte EFS dürfe nur „in offensichtlichen Fällen“ ausgegangen werden.73 Pooth sagt, die Behörden dürften in den Entscheidungsbereich der EFS nur eingreifen, wenn Missbrauch oder „krasse Wertungsfehler“ vorlägen.74 Von Gottberg sieht den Beurteilungsspielraum als nicht überschritten an, wenn das Prüfergebnis der EFS „plausibel und vertretbar“ sei.75 Schließlich sei auch noch die Auffassung einer anerkannten EFS selbst, nämlich der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) genannt. Sie nimmt die Einhaltung des Beurteilungsspielraums an, wenn die in Frage stehende Entscheidung „fachlich vertretbar“ sei, so dass eine Überschreitung nur vorläge, wenn „das Ergebnis von fachlich qualifizierten Personen als nicht mehr haltbar angesehen“ werde.76 So plakativ die dargestellten Kurzformeln sein mögen, so wenig hilfreich sind sie bei der Bewertung eines konkreten Einzelfalls. Die Anwendung der Rechtsfigur des Beurteilungsspielraums wird ja erst dann zur juristischen Herausforderung, wenn ein Grenzfall vorliegt. Genau in den Grenzfällen werden aber möglichst präzise und detaillierte Differenzierungskriterien benötigt. Die meisten Kurzformeln hingegen bieten nicht mehr Unterscheidungskraft als das Wort Beurteilungsspielraum selbst. Eine Ausnahme hiervon bilden allenfalls die Kurzformeln, welche eine Übertretung lediglich in „offensichtlichen“ Fällen annehmen wollen, was einer bloßen Missbrauchskontrolle nahe käme, oder die Vorschläge, die darauf abstellen, ob die Entscheidung fachlich (quasi „gerade noch“) vertretbar sei. Diese sehr zugunsten der EFS wirkenden Vorschläge einer bloßen Missbrauchs- und Vertretbarkeitskontrolle bergen zwar weniger Probleme hinsichtlich ihrer Unterscheidungskraft, sind jedoch aus praktisch denselben Gründen wie der sehr zugunsten der EFS wirkende Vorschlag von Scheuer abzulehnen.
Brunner, Beurteilungsspielräume im Jugendmedienschutzrecht, S. 182. Ukrow, Jugendschutzrecht, Rn. 642. 73 Hesse, Rundfunkrecht, 3. Kapitel, Rn. 30. 74 Pooth, Jugendschutz im Internet, S. 180. 75 Von Gottberg, KJuG Heft 2 / 2005, S. 49, 50 76 Jahresbericht 2005 der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen e.V. (FSF), S. 34, abrufbar unter http: //www.fsf.de/fsf2/ueber_uns/bild/download/FSF_Jahresbericht2005.pdf (Stand: 17. 10. 2006). 71 72
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IV. Eigener Vorschlag 1. Konsequenzen des „herkömmlichen“ Beurteilungsspielraums als gedanklicher Ausgangspunkt Auch wenn die bisher aufgezeigten Ansätze im Ergebnis häufig nicht voneinander abweichen werden, sollte ein Ansatz entwickelt werden, der bereits in seiner Herleitung möglichst systematisch und transparent ist, um in zukünftigen Konfliktfällen (zumindest) größtmögliche Vorhersehbarkeit und Rechtssicherheit zu garantieren. Dazu gehört es, sich im Sinne eines ersten gedanklichen Ausgangspunkts die Konsequenzen des „herkömmlichen“ Beurteilungsspielraums zugunsten der Verwaltung vor Augen zu führen. Wie bereits dargestellt,77 können dort die folgenden Fehler zu einer Aufhebung der Verwaltungsentscheidung durch das Verwaltungsgericht führen: Erstens Verfahrensfehler, zweitens die Zugrundelegung eines unzutreffenden Sachverhalts, drittens die Verkennung anzuwendenden Rechts, viertens der Einfluss sachfremder Erwägungen und fünftens die Verletzung der Anwendung allgemeingültiger Bewertungsmaßstäbe. Insofern ist der abschließenden Aufzählung von Hartstein et al zunächst zuzustimmen, jedoch sollten die beiden letzten Fallgruppen nicht in unübersichtlicher Weise vermengt werden.
2. Spezifizierung aufgrund besonderer Umstände des JMStV Dieses Zwischenergebnis ist jedoch hinsichtlich besonderer Umstände des JMStV zu modifizieren.78 Zunächst ist Mynarik in ihrer Überlegung zuzustimmen, dass Verfahrensfehler der EFS dann nicht zur Verletzung des Beurteilungsspielraums führen können, wenn sie dem Schutz des Anbieters zu dienen bestimmt sind, beispielsweise hinsichtlich der Anhörung des Anbieters.79 Es wäre widersinnig, den Anbieter, dessen Rechte verletzt wurden, durch die Aufhebung eines zu seinen Gunsten wirkenden Verfahrenshindernisses schlechter zu stellen.80 Ebenso wenig kann es zu einer Überschreitung des Beurteilungsspielraums kommen, wenn solche „allgemeinen Bewertungsmaßstäbe“ verletzt wurden, die zugunsten des Anbieters wirken, wenn beispielsweise die abwehrrechtliche Seite der Rundfunkfreiheit81 Siehe S. 219 f. Insofern mit ähnlicher Vorgehensweise, wenn auch unter Zugrundelegung anderer Prämissen und teilweise abweichenden Ergebnissen, Retzke, Präventiver Jugendmedienschutz, S. 228 f. 79 Mynarik, Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien, S. 135 f. Ein passendes Gegenbeispiel wäre wohl ein nicht fachkundig zusammengesetztes Entscheidungsgremium. 80 Dies übersehen Bosch, Regulierte Selbstregulierung im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag, S. 356 und selbst Retzke, Präventiver Jugendmedienschutz, S. 230, obwohl letztere die grundrechtssichernde Funktion von Verfahrensvorschriften betont. 81 Insofern ist hier Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG als grundrechtliches Abwehrrecht angesprochen und nicht das verfassungsrechtliche Gebot einer objektiven Rundfunkordnung unter 77 78
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6. Teil: Der Beurteilungsspielraum im neuen Kontext
nicht hinreichend gewichtet wurde.82 (Freilich muss zugegeben werden, dass dieser Fall in der Praxis nicht sehr wahrscheinlich ist, also der Fall, dass eine EFS einen Bewertungsmaßstab zugunsten des Anbieters nicht beachtet, das Angebot trotzdem zulässt und anschließend die KJM gegen das Angebot einschreiten will.) Darüber hinaus sind die letzten drei besonders schwer zu greifenden Fallgruppen unter Beachtung der Idee des Modells der regulierten Selbstregulierung weiter zugunsten der EFS einzuschränken. Wesentliches Ziel der Einbindung der EFS durch den JMStV ist es, diese zu stärken. Sie sollen den Anbietern Verlässlichkeit bieten können, um diese zur Mitarbeit zu motivieren, so dass der Staat eine gewisse Mithilfe im Bereich des Jugendmedienschutzes erfährt, die er auf anderem Wege nicht erzwingen könnte. Zur Erreichung dieses Ziels hat der Gesetzgeber bewusst darauf verzichtet, dass die Behörde in allen Einzelfällen die Anwendung des materiellen Rechts in der Hand hat. Das muss zur Konsequenz haben, dass die EFS selbstverständlich an das Recht, nicht jedoch an die Auslegung des Rechts durch die KJM gebunden ist. Das muss entsprechend für die Frage nach einer „Verkennung des anzuwendenden Rechts“, nach „sachfremden Erwägungen“ sowie einer Überschreitung „allgemein anerkannter Bewertungsmaßstäbe“ gelten. Was „Verkennung“, „sachfremd“ oder „allgemein anerkannt“ in diesem Sinne ist, richtet sich daher nicht nach der Rechtsauffassung der KJM, sondern ausschließlich nach den Maßstäben der Rechtsprechung.
3. Der Ablauf der Überprüfung durch die KJM Ebenso wie bei der gerichtlichen Überprüfung eines Beurteilungsspielraums haben die beschriebenen Fallgruppen mit ihren Modifikationen Auswirkungen auf den Ablauf der Überprüfung einer Entscheidung der EFS durch die KJM. Zur klaren Erkennbarkeit der Modifikationen sei hier nochmals der bereits oben skizzierte Ablauf einer Überprüfung eines Beurteilungsspielraums durch das Gericht dargestellt:83 „Im ersten Schritt ermittelt das Verwaltungsgericht, ob eine Ermächtigungsgrundlage im einfachen Recht vorhanden ist, bei deren Auslegung sich ein Beurteilungsspielraum zugunsten der Verwaltung ergibt und ob dieses einfache Gesetz verfassungsgemäß ist. Als zweites wird der Sachverhalt vollständig ermittelt, welcher der Verwaltungsentscheidung zugrunde liegt und kontrolliert, ob die Behörde alle entscheidungsrelevanten Gesichtspunkte berücksichtigt hat. Im dritten Schritt überprüft das Gericht, ob alle einfach-rechtlichen Verfahrensregeln eingehalten wurden. Schließlich folgt im vierten und letzten Schritt die gerichtliche Überprüfung der von der Verwaltung vorgenommenen materiell-rechtlichen BeBerücksichtigung von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG; näher zur verfassungsrechtlichen Bewertung siehe Seite 336 ff. 82 Mynarik, Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien, S. 137. 83 Siehe Seite 219.
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wertung, die sich jedoch nur noch danach richtet, ob allgemeingültige Wertungsmaßstäbe eingehalten wurden, die Beurteilung in sich schlüssig und nachvollziehbar sowie frei von willkürlichen oder sachfremden Erwägungen erfolgte.“ Die sogleich parallel darzustellende Überprüfung durch die KJM beginnt, wenn sie an einen Anbieter herantritt und dieser nachweisen kann, dass er das fragliche Angebot einer anerkannten EFS vorgelegt und deren Vorgaben beachtet hat (§ 20 Abs. 3 Satz 1 JMStV) bzw. dass sich die anerkannte EFS nachträglich mit einem Angebot befasst hat (§ 20 Abs. 3 Satz 2 oder Abs. 5 JMStV). Der erste der für das Verwaltungsgericht geltenden, oben genannten Schritte entfällt von vornherein, da die KJM Handlungsgrundlage und Beurteilungsspielraum einer anerkannten EFS nicht besonders ermitteln muss, nachdem diese sich schon ausdrücklich aus § 20 Abs. 3, 5 JMStV ergibt.84 Unter weiterer Berücksichtigung der erarbeiteten notwendigen Modifikationen hat die Überprüfung der Überschreitung eines Beurteilungsspielraums durch die KJM wie folgt zu verlaufen: Im ersten Schritt ermittelt die KJM vollständig den Sachverhalt, welcher der Entscheidung der anerkannten EFS zugrunde liegt und ob die EFS alle entscheidungsrelevanten Gesichtspunkte berücksichtigt hat.85 Als zweites überprüft die KJM, ob alle einfach-rechtlichen Verfahrensregeln eingehalten wurden. Im dritten Schritt überprüft die KJM die materiell-rechtliche Bewertung durch die anerkannte EFS nur noch danach, ob allgemeingültige86 Wertungsmaßstäbe eingehalten wurden, die Beurteilung in sich schlüssig und nachvollziehbar sowie frei von willkürlichen oder sachfremden Erwägungen erfolgte. Ein wesentlicher, unbedingt beachtenswerter Unterschied zwischen herkömmlichem und neuem Kontext ergibt sich nach einer festgestellten Überschreitung des Beurteilungsspielraums: Wenn der Verwaltung ein Beurteilungsfehler unterläuft, so ergeht durch das Verwaltungsgericht lediglich ein Bescheidungsurteil.87 Die KJM dagegen entscheidet sogleich in der Sache selbst, wenn sie davon ausgeht, dass die EFS ihren Beurteilungsspielraum überschritten hat.
84 Von ihrer Verfassungsmäßigkeit ist auszugehen; näher zur Verfassungsmäßigkeit des JMStV siehe Seite 315 ff. 85 Mit ähnlichem Ansatzpunkt sowie unter Bewertung von sog. Sammelgutachten als Beispiel Retzke, Präventiver Jugendmedienschutz, S. 229. 86 „Allgemeingültig“ bestimmt sich dabei nach den Maßstäben der Rechtsprechung, nicht nach der Rechtsauffassung der KJM, wie im vorhergehenden Abschnitt gezeigt wurde. 87 Wolff / Bachof / Stober / Kluth, Verwaltungsrecht I, § 31, Rn. 34.
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D. Instruktive Beispielsfälle I. „I want a famous face“ 1. Inhalt des Angebots und Verlauf des Verfahrens Im Jahre 2004 strahlte der Fernsehsender „MTV“ die Sendung „I want a famous face“ im Hauptabendprogramm aus.88 Die mit deutschen Untertiteln versehenen US-amerikanischen Folgen zeigten junge Menschen, die sich Schönheitsoperationen unterzogen, um bestimmten Prominenten ähnlich zu sehen. Die Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen e.V. (FSF) als anerkannte EFS hatte die Sendung für eine Ausstrahlung zu dieser Uhrzeit freigegeben. Die KJM hingegen verfügte (über die Bayerischen Landeszentrale für neue Medien als zuständige Landesmedienanstalt) gegenüber dem Anbieter, dass die Ausstrahlung nicht vor 23 Uhr erlaubt sei und begründete ihr Einschreiten damit, die EFS habe ihren Beurteilungsspielraum überschritten und verwies ergänzend auf ihren – im nächsten Abschnitt näher zu erläuternden – Grundsatzbeschluss zu „Schönheitsoperationen zu Unterhaltungszwecken“. Im gerichtlichen Eilverfahren wurde dem Antrag des Anbieters auf Aufhebung der erfolgten Anordnung des Sofortvollzugs vom Bayerischen Verwaltungsgericht München teilweise stattgegeben,89 der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hob diese Entscheidung jedoch auf und lehnte den Antrag vollumfänglich ab.90 Beide Gerichte vermieden dabei eine verbindliche Stellungnahme zu Fragen des Beurteilungsspielraums der EFS und merkten lediglich an, mit der Entscheidung seien schwierige Rechtsfragen verbunden, die im summarischen Verfahren nicht gelöst werden könnten.91 2. Bewertung Das Hauptverfahren ist noch am Bayerischen Verwaltungsgericht München anhängig,92 daher ist noch unklar, ob überhaupt93 und wenn ja, wie die offenen 88 Vgl. die Tatbestandsdarstellungen bei VG München, Beschluss vom 21. 12. 2004, Az. M 17 S 04.4817, juris Rn. 1 ff. und bei BayVGH, Beschluss vom 22. 03. 2005, Az. 7 CS 05.79, juris Rn. 1 ff., dort jeweils auch mit näherer Differenzierung hinsichtlich einzelner Folgen der Serie. 89 VG München, Beschluss vom 21. 12. 2004, Az. M 17 S 04.4817. 90 BayVGH, Beschluss vom 22. 03. 2005, Az. 7 CS 05.79. 91 VG München, Beschluss vom 21. 12. 2004, Az. M 17 S 04.4817, juris Rn. 60; BayVGH, Beschluss vom 22. 03. 2005, Az. 7 CS 05.79, juris Rn. 21. 92 VG München, Az. M 17 K 05.597. 93 Es ist denkbar, dass (auch) im Hauptverfahren die Fragen des Beurteilungsspielraums offenbleiben, was sich sowohl zugunsten als auch zulasten des Anbieters auswirken könnte.
D. Instruktive Beispielsfa¨lle
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Fragen zum Beurteilungsspielraum der anerkannten EFS gerichtlich beurteilt werden. Wenn aus dem Verfahren zu „I want a famous face“ also (bislang) keine Rückschlüsse auf den Umgang der Verwaltungsgerichte mit der neuen Rechtsfigur gezogen werden können, so wurde durch das Parteivorbringen im Eilverfahren deutlich, welche Kriterien die zuständigen Verwaltungsbehörden (KJM bzw. Landesmedienanstalt) heranziehen, um eine Überschreitung des Beurteilungsspielraums festzustellen. Diese sollen nun mit den in dieser Untersuchung erarbeiteten Kriterien, also insbesondere den Kategorien einer möglichen Überschreitung (Verfahrensfehler, Zugrundelegung eines unzutreffenden Sachverhalts, Verkennung anzuwendenden Rechts, Einfluss von sachfremden Erwägungen, Verletzung der Anwendung allgemeingültiger Bewertungsmaßstäbe) abgeglichen werden. Der besseren Übersichtlichkeit wegen werden die einzelnen Argumente der Beklagten94 hervorgehoben und sogleich bewertet: Aus dem Gutachten der EFS sei nicht erkennbar, welche Prüfer die Entscheidung mitgetragen hätten, ferner sei das Gutachten nicht unterzeichnet gewesen. – Tatsächlich läge ein Verfahrensfehler vor, wenn unzuständige Prüfer an dem Verfahren beteiligt gewesen wären. Ob dem tatsächlich so war, hätte die KJM im Verwaltungsverfahren ermitteln können,95 dergleichen wird aber gar nicht vorgetragen. Die fehlende Benennung und die fehlende Unterzeichung als solche stellen aber keinen Verfahrensfehler dar, weil weder der JMStV96 noch die Verfahrensordnung der betroffenen EFS97 dies vorsieht. (Übrigens fehlt – entsprechend dieser Verfahrensordnung – bis dato eine Namensnennung sowie eine Unterzeichnung in allen von dieser EFS erstellten Gutachten, so dass konsequenterweise ausnahmslos alle (!) Begutachtungen dieser EFS wirkungslos wären, davon geht aber auch die KJM nicht aus.) Schließlich ist in der fehlenden Namensnennung auch keine mangelhafte Sachverhaltsermittlung zu erkennen, denn mit Sachverhalt sind selbstverständlich die tatsächlichen Gegebenheiten des geprüften Angebots, nicht die der Prüfung als solcher gemeint. Beispielsweise könnte der Beschluss der KJM bereits allein aufgrund des Umlaufverfahrens für rechtswidrig erklärt werden, andererseits könnte aufgrund der Tatsache, dass die EFS die englische Original-Fassung begutachtet hat, aber eine untertitelte Version ausgestrahlt wurde, entschieden werden, dass das tatsächlich streitgegenständliche Angebot der EFS überhaupt nicht vorgelegt wurde. 94 Alle hier wiedergegebenen Argumente entstammen der Tatbestandsdarstellung bei VG München, Beschluss vom 21. 12. 2004, Az. M 17 S 04.4817, juris Rn. 13 und 39 ff. 95 Diese eigenständige Möglichkeit der KJM scheint Retzke, Präventiver Jugendmedienschutz, S. 230 zu übersehen, die unterstellt, die KJM könne „nur“ aus einer Nennung der Namen im Prüfgutachten erkennen, ob Fälle von Befangenheit oder Inkompatibilität vorlägen. 96 Unzutreffend ist die Äußerung von Sellmann, MMR 2006, S. 723, 724, der JMStV selbst stelle die Vorgabe auf, dass die Gutachten einer EFS erkennen lassen müssten, welche Prüfer an ihr mitgewirkt hätten. 97 Vgl. § 13 PrO-FSF, abrufbar unter http: //www.fsf.de/fsf2/ueber_uns/bild/download/ FSF_Pruefordnung.pdf (Stand: 03. 04. 2007).
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6. Teil: Der Beurteilungsspielraum im neuen Kontext
Die innerhalb des Gutachtens erfolgte Klassifizierung als „Reportage / Dokumentation“ treffe nicht zu. – Ob ein Angebot eine derartige Klassifizierung erfüllt, ist für die Frage, ob gegen das materielle Recht des JMStV verstoßen wird, irrelevant. Es ist auch keine zwingende Verfahrensvorschrift ersichtlich, die eine „zutreffende Klassifizierung“ geböte. Die Prüfung der EFS habe anhand der englischen Originalfassung stattgefunden, der Anbieter habe die Sendung aber mit deutschen Untertiteln gesendet. – Die Verfahrensordnung der EFS bestimmt, dass die Prüfung eines Angebots auch für „wesentlich inhaltsgleiche“ Angebote gilt.98 Man könnte sich wohl darüber streiten, ob die Untertitelung eine wesentliche inhaltliche Abweichung bedeutet; dies liegt aber – solange nicht gerade aus den Untertiteln eine Gefährdung resultiert – nicht unbedingt nahe.99 Eine Entscheidung kann an dieser Stelle aber ohnehin dahinstehen, weil damit entgegen dem ersten Anschein keine mögliche Verletzung verfahrensrechtlicher Vorschriften durch die EFS in Betracht kommt.100 Wenn angenommen würde, durch die Untertitelung sei das Angebot nicht mehr wesentlich inhaltsgleich, so wäre der Beurteilungsspielraum keinesfalls überschritten worden – vielmehr wäre das streitgegenständliche Angebot überhaupt nicht von der EFS geprüft worden!101 Die Kürze des Gutachtens sowie die Form eines Sammelgutachtens für mehrere Folgen lasse Zweifel an der Vollständigkeit und Richtigkeit der Sachverhaltsermittlung aufkommen. – Zweifel an der Zugrundelegung eines zutreffenden Sachverhalts genügen nicht für die Überschreitung des Beurteilungsspielraums, eine solche muss tatsächlich erfolgt sein. Ob dies der Fall war, hätte die KJM im Verwaltungsverfahren ermitteln können, derartiges wird aber (abgesehen von den bereits genannten Aspekten) nicht vorgetragen, insbesondere nichts (Weiteres) zu einem Auseinanderfallen von tatsächlichem Inhalt des geprüften Angebots einerseits und dem Inhalt, den die Prüfer ihrer Bewertung zugrunde legten, andererseits. Zu ergänzen ist an dieser Stelle, dass selbst Roll, ein Mitglied der KJM,102 betont, dass die formalen Anforderungen an eine Prüfung durch eine EFS nicht überspannt werden dürften, weil eine möglichst frühe Entscheidung der EFS wünschenswert sei, gerade wenn – wie im hier beschriebenen Fall – neuartige Formate zu begutachten seien.103 98 Vgl. § 26 PrO-FSF, abrufbar unter http: //www.fsf.de/fsf2/ueber_uns/bild/download/ FSF_Pruefordnung.pdf (Stand: 03. 04. 2007). 99 Trotzdem wird von Beobachtern des Verfahrens eine solche Entscheidung erwartet, vgl. den Jahresbericht 2006 der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen e.V. (FSF), abrufbar unter http: //www.fsf.de/fsf2/ueber_uns/bild/download/FSF_Jahresbericht_2006.pdf (Stand: 11. 11. 2007), S. 79. 100 Dies wird dem Anschein nach bis jetzt weitgehend übersehen, vgl. den Jahresbericht 2006 der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen e.V. (FSF), abrufbar unter http: //www.fsf. de/fsf2/ueber_uns/bild/download/FSF_Jahresbericht_2006.pdf (Stand: 11. 11. 2007), S. 79. 101 Dies übersieht Halves, Neuordnung des Jugendmedienschutzes, S. 143. 102 Vgl. die Selbstdarstellung der KJM, abrufbar unter http: //www.kjm-online.de/public/ kjm/index.php?show_1=70,67,54 (Stand: 24. 03. 2007).
D. Instruktive Beispielsfa¨lle
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Die Prüfung eines möglichen Menschenwürdeverstoßes fehle, was Zweifel an der umfassenden Wahrnehmung des maßgeblichen anzuwendenden Rechts wecke, wenn auch ein solcher Verstoß im Ergebnis nicht anzunehmen sei. – Dieser Einwand möchte sich möglicherweise an die Kategorie „Verkennung des anzuwendenden Rechts“ anlehnen. Eine solche Verkennung ist aber nicht gegeben. Wenn – wie ja ausdrücklich festgehalten wird – im Ergebnis kein Verstoß gegen die Menschenwürde anzunehmen ist, so kann auch kein anzuwendendes Recht verkannt worden sein, gerade weil es eben nicht anzuwenden war. Die Erfüllung einer Tatbestandsvoraussetzung (Überschreitung durch die EFS) für die Eröffnung der Befugnis zu einem eigenständigen Vorgehen der KJM gegenüber dem Anbieter kann nicht angenommen werden, wenn die KJM (sogar nach eigener Aussage!) in dieser Hinsicht (Menschenwürdeverstoß) zu dem gleichen Ergebnis käme. Allenfalls könnte die fehlende Prüfung dieses Aspekts ein geringfügiges Indiz für eine insgesamt unsorgfältige Prüfung sein; dies befreit aber nicht davon, das tatsächliche Vorhandensein von Bewertungsmängeln nachzuweisen. Es seien rein formal Kriterien abgearbeitet worden, die gar nicht oder nur am Rande für die betreffende Sendung einschlägig gewesen seien. – Zunächst scheint dieser Einwand dem zuvor genannten zu widersprechen – während der EFS zuvor vorgehalten wurde, sie hätte einen Verstoß gegen die Menschenwürde prüfen müssen, obwohl dieser im Ergebnis nicht vorliege, wird der EFS hier gerade zum Vorwurf gemacht, sie habe Kriterien geprüft, die im Ergebnis nicht einschlägig seien! Außerdem entstammen die genannten Kriterien den Verfahrensvorschriften der EFS,104 so dass es für die Prüfer schon alleine deshalb nahe lag, diese Kriterien „abzuarbeiten“, um sich nicht dem Vorwurf eines Verfahrensfehlers auszusetzen. Zuzugeben ist jedoch, dass es zumindest als möglich erscheint, dass die Prüfer bei der Abarbeitung vergleichsweise konventioneller Kriterien wesentliche jugendschützerische Dimensionen übersehen haben, die sich aus dem neuartigen Sendeformat ergeben haben.105 Insofern ist auch nicht auszuschließen, dass eine Verkennung des anzuwendenden Rechts stattgefunden und zu einer Überschreitung des Beurteilungsspielraums geführt hat, was letztendlich im Hauptsacheverfahren, womöglich unter Heranziehung von Sachverständigen, zu klären sein wird, wenn nicht – wie eingangs erwähnt – in der gerichtlichen Entscheidung Weichenstellungen getroffen werden, die es dem Gericht erlauben, diese Frage offen zu lassen. Im Übrigen muss aber nicht nur festgehalten werden, dass praktisch allen zitierten Argumenten nicht gefolgt werden kann.106 Vor allem – und das ist entscheiRoll, KJuG 2005, S. 65, 66. Vgl. insbesondere die Richtlinien zur Anwendung der PrO-FSF, abrufbar unter http: //www.fsf.de/fsf2/ueber_uns/bild/download/FSF_Richtlinien_gesamt.pdf (Stand: 03. 04. 2007). 105 Roll, KJuG 2005, S. 65, 65 meint, dies sei sogar nahe liegend. 106 So aber Halves, Neuordnung des Jugendmedienschutzes, S. 143, die die vorgebrachten Aspekte ohne Hinterfragung oder eigene Begründung übernimmt. 103 104
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dend für den Kern der vorliegend zu untersuchenden Fragestellung – weisen die von behördlicher Seite vorgebrachten Rügen keinen hinreichenden Bezug zur Frage nach der Überschreitung des Beurteilungsspielraums durch die EFS auf. Die Überschreitung des Beurteilungsspielraums durch die EFS kann nicht aufgrund irgendwelcher (vermeintlicher oder tatsächlicher) Mängel angenommen werden, sondern ausschließlich bei Vorliegen qualifizierter Fehler, die sich einer der spezifischen Fehlergruppen (Verfahrensfehler, Zugrundelegung eines unzutreffenden Sachverhalts, Verkennung anzuwendenden Rechts, Einfluss von sachfremden Erwägungen, Verletzung der Anwendung allgemeingültiger Bewertungsmaßstäbe) zuordnen lassen.
II. „Schönheitsoperationen zu Unterhaltungszwecken“ 1. Inhalt des Angebots und Verlauf des Verfahrens Im Jahr 2004 standen mehrere neue Fernsehformate rund um das Thema Schönheitsoperationen in der öffentlichen Diskussion. Sowohl anlässlich der soeben dargestellten konkreten Sendung „I want a famous face“ als auch aufgrund ähnlicher von anderen Anbietern angekündigter Formate fasste die KJM einen per Pressemitteilung107 veröffentlichten „Grundsatzbeschluss“.108 Er hatte zum Inhalt, Fernsehformate, in denen Schönheitsoperationen zu Unterhaltungszwecken angeregt, durchgeführt oder begleitet werden, dürften grundsätzlich nicht vor 23 Uhr gezeigt werden. In einer weiteren Pressemitteilung109 erklärte die KJM, dass bei der Prüfung von „I want a famous face“ Verstöße gegen den JMStV festgestellt worden seien, so dass die Sendung erst zu einer späteren Uhrzeit gesendet werden dürfe. Die Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) als anerkannte EFS wehrte sich gegen beide Pressemitteilungen durch eine Klage vor dem Verwaltungsgericht Berlin gegen die Medienanstalt Berlin-Brandenburg (also der Landesmedienanstalt, von der sie ihre Anerkennung erhalten hatte). In dieser Instanz hatte die Klage Erfolg,110 das Verfahren ist allerdings noch am Oberverwaltungsgericht BerlinBrandenburg anhängig.111
107 Pressemitteilung der KJM vom 21. 07. 2004, abrufbar unter http: //www.kjm-online.de/ public/kjm/index.php?news_id=21&show_1=147,63,59,53&z=5&actio n=show_datails (Stand: 25. 03. 2007). 108 Vgl. zum zeitlichen Ablauf im Detail Hopf / Braml, ZUM 2007, S. 23, 24 f. 109 Pressemitteilung der KJM vom 09. 08. 2004, abrufbar unter http: //www.kjm-online.de/ public/kjm/index.php?news_id=20&show_1=147,63,59,53&z=4&actio n=show_datails (Stand: 25. 03. 2007). 110 VG Berlin, Urteil vom 06. 07. 2006, Az. 27 A 236.04. 111 OVG Berlin-Brandenburg, Az. OVG 8 N 85.06.
D. Instruktive Beispielsfa¨lle
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2. Bewertung Mit ihren ursprünglich gestellten Anträgen begehrte die Klägerin u. a. Feststellungen bezüglich der Nicht-Überschreitung ihres Beurteilungsspielraums; doch das erstinstanzlich urteilende Verwaltungsgericht Berlin regte eine teilweise Rücknahme an, so dass sie im aufrecht erhaltenen Umfang Erfolg haben konnte.112 Im Wesentlichen wurde damit (nur noch) die inhaltliche Unrichtigkeit und die damit einhergehende Rechtsverletzung der betroffenen EFS festgestellt. Über die offenen Fragen des Beurteilungsspielraums wurde also in diesem Verfahren nicht mehr gerichtlich entschieden.113 Und aufgrund der teilweisen Klagerücknahme wird darüber auch in der nächsten Instanz – ganz gleich, zu welchem Urteil sie kommen wird – nicht mehr entschieden werden.114
III. „Popetown“ 1. Inhalt des Angebots und Verlauf des Verfahrens Der Fernsehsender „MTV“ strahlte erstmals im Mai 2006 die Zeichentrickserie „Popetown“ aus, in der es um die fiktiven Erlebnisse eines Paters im Vatikanstaat geht, der von einem ebenso fiktiven, infantil wirkenden Papst regiert wird. Die Serie wurde von einem Prüfausschuss der FSF (dem sogar ein Vertreter der katholischen Kirche angehörte) geprüft.115 Die Folgen wurden teilweise für das Tagesprogramm, teilweise für eine Ausstrahlung ab 20 Uhr mit der Begründung freigegeben, dass durch sie weder eine ablehnende oder gar feindselige Haltung gegenüber Angehörigen einer religiösen Gruppe geschürt noch die Menschenwürde verletzt würde. Die KJM argumentierte hingegen, Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren seien in ihrer religiösen Orientierung noch nicht so gefestigt, um sich von der verzerrten Darstellung des Katholizismus und seiner Institutionen distanzieren zu können.116 Jedoch habe die FSF ihren Beurteilungsspielraum nicht überVgl. VG Berlin, Urteil vom 06. 07. 2006, Az. 27 A 236.04, juris Rn. 13 ff. und 26 ff. Dies übersieht Halves, Neuordnung des Jugendmedienschutzes, S. 143, die in irritierender Weise dem VG Berlin hinsichtlich der angeblichen Feststellung der Nicht-Überschreitung des Beurteilungsspielraums widersprechen will – eine Feststellung, die das Gericht gerade nicht getroffen hat, vgl. VG Berlin, Urteil vom 06. 07. 2006, Az. 27 A 236.04, juris Rn. 45: „Zwar dient die Äußerung der Erläuterung des – nicht mehr streitgegenständlichen – Werturteils, die FSF habe die rechtlichen Grenzen ihres Beurteilungsspielraums überschritten, . . .“ (Hervorhebung nicht im Original). 114 Ähnliche Bewertung bei Sellmann, MMR 2006, S. 723, 724. 115 Vgl. den Bericht der FSF, abrufbar unter http: //www.fsf.de/fsf2/pruefung/beispiele/popetown.htm (Stand: 01. 02. 2007). 116 Pressemitteilung der KJM vom 05. 05. 2006, abrufbar unter http: //www.kjm-online.de/ public/kjm/index.php?news_id=67&show_1=59,53&z=9&action=sho w_datails (Stand: 19. 12. 2006). 112 113
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6. Teil: Der Beurteilungsspielraum im neuen Kontext
schritten, so dass keine weiteren Schritte möglich seien. Die KJM appellierte lediglich in einem offenen Brief an den Anbieter, auf die Ausstrahlung zu verzichten. 2. Bewertung Vor diesem Hintergrund kann „Popetown“ als wichtigster Leitfall aus der Praxis gelten, bei dem die Interpretation des materiellen Rechts zwischen KJM und anerkannter EFS zwar auseinanderfiel, jedoch nicht in einem so starken Maße, dass die KJM von einer „Verkennung des anzuwendenden Rechts“ oder einer „Verletzung allgemeingültiger Wertungsmaßstäbe“ ausgehen konnte. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang noch die breite öffentliche Diskussion, die mit der Ausstrahlung der Sendung einherging.117 Auffallend ist dabei, dass verschiedene Aspekte vermengt wurden. Zum einen wurde die Sendung häufig mit dem Werbeplakat gleichgesetzt, das unter der Überschrift „Lachen statt rumhängen“ im fotorealistischen Stil einen vom Kreuz herabgestiegenen Jesus zeigt, der lachend mit einer Fernbedienung vor dem Fernseher sitzt.118 (Dieser Werbung erteilte der Deutschen Werberat übrigens eine Rüge.119) Zum anderen gerieten die Forderungen nach einem generellen Verbot des Formats durcheinander mit spezifisch jugendschutzrechtlichen Fragen. Dies führt zu dem Eindruck, dass die Diskussion über den Schutz religiöser Gefühle vor medialen Beeinträchtigungen mehr anlässlich und weniger wegen der Sendung geführt wurde, zumal eine Vielzahl von Reaktionen Verbreitung erfuhr, ohne dass der Inhalt der Sendung überhaupt bekannt gewesen wäre.120 Dementsprechend liegt die Vermutung nahe, dass das Ziel vieler Akteure darin bestand, nach dem Streit über Karikaturen des islamischen Propheten Mohammed die Aufmerksamkeit nun auf ein entsprechendes christliches Thema zu lenken.121 Eine sachliche Diskussion um die (ernst zu nehmenden) sachlichen Spannungsverhältnisse Kommunikationsfreiheiten vs. Religionsfreiheit, staatliche vs. gesellschaftliche Verantwortung sowie Fremd- vs. Selbstregulierung122 haben die geschilderten Begleitumstände wohl kaum gefördert – und schon gar nicht den Jugendschutz. 117 Vgl. dazu die übersichtliche Darstellung der FSF, abrufbar unter http: //www.fsf.de/ fsf2/pruefung/beispiele/popetown.htm (Stand: 01. 02. 2007). 118 Darauf macht Mikat, tv diskurs 2006, Heft 3, S. 70, 70 zu Recht aufmerksam. 119 Pressemitteilung des Deutschen Werberates vom 11. April 2006, abrufbar unter http: // www.interverband.com/u-img/69392/DW-Meldung-3 – 06-MAIL.doc (Stand: 19. 12. 2006). 120 Das zeigt Mikat, tv diskurs 2006, Heft 3, S. 70, 70 ff. – Hasenberg, tv diskurs 2006, Heft 3, S. 74, 75 versucht dies dadurch zu rechtfertigen, dass die Protestierenden erwartet hätten, die Werbeanzeige sei eine „angemessene Ankündigung dessen, was kommt.“ 121 Ähnlich sogar die Stellungnahme eines Vertreters der katholischen Kirche, vgl. Hasenberg, tv diskurs 2006, Heft 3, S. 74, 76. 122 Heller / Goldbeck, ZUM 2007, S. 628, passim liefern trotz des provokativen Titels „Mohammed zu Gast in Popetown“ ein positives Beispiel für eine sachliche Auseinandersetzung mit den genannten Spannungsfeldern.
D. Instruktive Beispielsfa¨lle
245
IV. „Ein einsames Haus am See“ 1. Inhalt des Angebots und Verlauf des Verfahrens Der Fernsehfilm „Ein einsames Haus am See“, ein Thriller um eine Psychologin, die in der Einsamkeit in die Hände eines Psychopaten gerät,123 wurde von dem Anbieter „Sat.1“ ausgestrahlt. Die FSF erteilte eine Freigabe für eine Ausstrahlung ab 20 Uhr, die KJM hingegen kam nicht nur zu einer anderen Einschätzung, sondern befand auch, die FSF habe ihren Beurteilungsspielraum überschritten.124 Die Landeszentrale für Medien und Kommunikation Rheinland-Pfalz als zuständige Landesmedienanstalt teilte dies der Rechtsabteilung der Holding-Gesellschaft des Anbieters, der „ProSiebenSat.1 Media AG“ mit, verhängte aber ausdrücklich keine (!) Sanktionen.125 Der dagegen erhobene Widerspruch wurde von der Landesmedienanstalt mit der Begründung zurückgewiesen, die Mitteilung sei kein Verwaltungsakt. Die FSF kritisierte die Entscheidung der KJM,126 da ihre Entscheidung allein darauf beruhe, dass ihre Mitglieder mehrheitlich zu einem anderen Ergebnis gekommen seien, außerdem habe keines der von den obersten Landesjugendbehörden berufenen KJM-Mitglieder eine Überschreitung des Beurteilungsspielraums angenommen. Die Landesmedienanstalt wiederum bestritt dies.127
2. Bewertung Nach alledem erscheint es als möglich, dass „Ein einsames Haus am See“ zu einem bedeutenden Leitfall für die bislang offenen Fragen des Beurteilungsspielraums für die Verwaltungspraxis wird. Doch ebenso wie bei „I want a famous face“ werden voraussichtlich neben den Fragen des Beurteilungsspielraums auch andere verwaltungs- und medienrechtliche Probleme eine Rolle spielen, ein Umstand, der zwar gewöhnlich ist, aber die abstrakte Klärung der neuen Fragestellungen sicher erschweren und womöglich eine erstmalige gerichtliche Bewertung weiter verzögern wird. 123 Vgl. die kurze Darstellung des Inhalts unter http: //www.prisma.de/test/film.html ?mid=2004_ein_einsames_haus_am_see (Stand: 01. 02. 2007). 124 Vgl. http: //www.lmk-online.de/textversion/aktuelles_presse_detail.asp?id=358 (Stand: 01. 02. 2007). 125 Pressemitteilung der Landeszentrale für Medien und Kommunikation Rheinland Pfalz vom 25. 09. 2006, abrufbar unter http: //www.lmk-online.de/textversion/aktuelles_presse_ detail.asp?id=358 (Stand: 16. 10. 2006). 126 Jahresbericht 2005 der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen e.V. (FSF), S. 34, abrufbar unter http: //www.fsf.de/fsf2/ueber_uns/bild/download/FSF_Jahresbericht2005.pdf (Stand: 17. 10. 2006). 127 Pressemitteilung der Landeszentrale für Medien und Kommunikation Rheinland Pfalz vom 25. 09. 2006, abrufbar unter http: //www.lmk-online.de/textversion/aktuelles_presse_ detail.asp?id=358 (Stand: 16. 10. 2006).
Siebenter Teil
Der Inhalt der neuen Rechtsfigur des Beurteilungsspielraums zugunsten Privater – ein Zwischenergebnis Als wesentliches Zwischenergebnis der bisherigen Untersuchung lassen sich Wesen und Inhalt der Rechtsfigur des Beurteilungsspielraums zugunsten Privater konstatieren. Dabei darf man sich nicht von der typischen Wortwahl des „Einräumens“ eines Beurteilungsspielraums fehlleiten lassen. Das Handeln Privater ist a priori legitim, dessen Einschränkung stets rechtfertigungsbedürftig.1 Ein „Spielraum“ muss Privaten als Trägern von Grundfreiheiten nicht erst einfachgesetzlich eingeräumt werden, vielmehr beschränkt das einfache Recht ihre Freiheit aus Gründen des Gemeinwohls. Der Begriff des Beurteilungsspielraums erlangt seinen zutreffenden Sinngehalt erst in der Zusammenschau mit dem spezifischen tripolaren Kontrollverhältnis von einem Kontrollierten und zwei Kontrolleuren – und in diesem spezifischen Dreiecksverhältnis2 ist auch die entscheidende Parallele von herkömmlichem Beurteilungsspielraum zugunsten der Verwaltung und neuartigem Beurteilungsspielraum zugunsten Privater zu erkennen: In der herkömmlichen Situation besteht das tripolare Verhältnis zwischen erstens dem primär handelnden Privaten, zweitens der beurteilenden Verwaltung und drittens dem (ggf. in seinem Kontrollmaßstab beschränkten) Gericht. Beim Beurteilungsspielraum zugunsten Privater besteht das Dreiecksverhältnis zwischen erstens dem primär handelndem Privaten,3 zweitens dem beurteilenden Privaten4 und drittens der (ggf. in ihrem Kontrollmaßstab beschränkten) Verwaltung.5 Gemein ist beiden Arten des Beurteilungsspielraums, dass der primär handelnde Private stets dem gleichen materiellen Recht unterliegt – der Beurteilungsspielraum entscheidet allein darüber, welche Kontrollinstanz (Verwaltung vs. Gericht bzw. Privater vs. Verwaltung) über die Anwendung 1 Peter M. Huber in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band III (im Ersch.), § 45, Rn. 22. 2 Ähnlich bereits Schmidt-Aßmann, VVDStRL Band 34 (1975), S. 221, 237; mit spezifischem Bezug zum JMStV spricht auch Sellmann, K&R 2007, S. 196, 197 von einem „tripolarem Verhältnis“. 3 Im Referenzgebiet des JMStV ist das der Anbieter. 4 Im Referenzgebiet des JMStV ist das die anerkannte EFS. 5 Im Referenzgebiet des JMStV ist das die KJM.
7. Teil: Zwischenergebnis
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dieses materiellen Rechts befindet, oder, anders gewendet, darüber, ob der Kontrollmaßstab der sekundären Kontrollinstanz reduziert ist oder nicht. Zusammenfassend bewirkt der Beurteilungsspielraum zugunsten Privater also das folgende tripolare Kontrollverhältnis: Der primär handelnde Private unterliegt in jedem Fall identischen materiellen Vorschriften.6 Im Gegensatz zum üblichen Vollzug der Überwachung kontrolliert aber nicht nur die Verwaltung die Einhaltung dieser materiellen Beschränkungen, sondern zusätzlich auch andere Private,7 die von der Verwaltung zertifiziert und von den primär handelnden Privaten beauftragt wurden. Nur zugunsten dieser anderen, eben den beurteilenden Privaten besteht ggf. ein Beurteilungsspielraum – und zwar besteht dieser gegenüber der Verwaltung,8 nicht gegenüber dem Verwaltungsgericht,9 welches als vierter (potentieller) Akteur jenseits des tripolaren Kontrollverhältnisses steht, über das sich der Beurteilungsspielraum definiert. Vor diesem Hintergrund ist innerhalb der eingangs aufgeworfenen freiheitsrechtlichen Perspektive zu differenzieren. Eine die hoheitliche Überwachung substituierende private Eigenüberwachung bedeutet stets ein Stück Freiheitsgewinn.10 Dagegen entsteht durch die Einbindung privater Dritter in die Überwachung kein prinzipieller Freiheitsgewinn.11 In der freiheitsrechtlichen Perspektive ergibt sich die zutreffende Verortung des Beurteilungsspielraums zugunsten Privater allerdings aus einem elementaren Unterschied zum herkömmlichen Beurteilungsspielraum zugunsten der Verwaltung: Während die originär handelnden Privaten in der herkömmlichen Situation keinerlei Einfluss darauf haben, ob das Gericht vollumfänglich kontrolliert oder nicht, haben sie im Rahmen der neuen Rechtsfigur die freie Wahl, ob sie sich einer Beurteilung durch private Dritte stellen oder es bei der gewöhnlichen (und nicht etwa verschärften) Kontrolle durch die Verwaltung belassen. Deshalb gewinnen die originär handelnden Privaten im Grunde eine Handlungsmöglichkeit hinzu, jedenfalls aber erleiden sie keinen Freiheitsverlust. – Für die „anderen“, also die „beurteilenden“ Privaten entsteht gegenüber der gewöhnlichen Situation ebenfalls ein Zugewinn an Handlungsmöglichkeiten. Es steht ihnen in unverändertem Maße frei, als nicht zertifizierte private Organisationen zu agieren. Sie erhalten aber die zusätzliche Option, sich zertifizieren zu lassen und anschließend den primär handelnden Privaten eine Dienstleistung anzubieten, die letzteren eine Privilegierung gegenüber der überwachenden Verwaltung verschafIm Referenzgebiet des JMStV zuvörderst den §§ 4, 5 JMStV. Im Referenzgebiet des JMStV die anerkannten EFS. 8 Im Referenzgebiet des JMStV gegenüber der KJM bzw. der Landesmedienanstalt. 9 Dies wird im Zusammenhang mit den Konsequenzen der neuen Rechtsfigur für das Verwaltungsprozessrecht noch detailliert erläutert, siehe Seite 302. 10 Peter M. Huber in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band III (im Ersch.), § 45, Rn. 189 (Hervorhebung nicht im Original). 11 Vgl. Peter M. Huber in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band III (im Ersch.), § 45, Rn. 163 m. w. N. (Hervorhebung nicht im Original). 6 7
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7. Teil: Zwischenergebnis
fen kann – eine Möglichkeit, über die „beurteilende“ Private originär nicht verfügen und die sich auch nicht aus ihren Grundfreiheiten ableiten lässt. In Konsequenz der soeben erfolgten, differenzierten Verortung des Beurteilungsspielraums zugunsten Privater stellt sich die Frage, ob diese neue Rechtsfigur verwaltungsrechtlich hinreichend operationalisierbar ist. Die grundlegende Neuartigkeit, die Einbettung in das (von Teilen des Schrifttums als „Prinzipienwende“12 empfundene) Modell regulierter Selbstregulierung und nicht zuletzt die gleichzeitig bestehenden Gemeinsamkeiten und Unterschiede zum herkömmlichen Beurteilungsspielraum zugunsten der Verwaltung bieten hier womöglich Raum für Skepsis. Zuzugeben ist an dieser Stelle, dass sich die Einführung der neuen Rechtsfigur vom Normgeber nicht systematisch vorbereitet oder dogmatisch abgesichert vollzog, im Gegenteil wurde sie zu einem relativ späten Zeitpunkt eher überraschend in den angesichts aktueller Geschehnisse13 mit „heißer Nadel“ gestrickten Entwurf aufgenommen.14 Bildhaft gesprochen kamen die Privaten deshalb zu ihrem Beurteilungsspielraum wie die sprichwörtliche Jungfrau zum Kinde. Doch die Verwaltungsrechtswissenschaft wird durch diese „Überraschung“ zugleich mit einer neuartigen wie mit einer altbekannten Situation konfrontiert: Völlig neuartig ist, dass Private über einen Beurteilungsspielraum verfügen. Es wäre daher der falsche Weg, diese Innovation zu ignorieren, ein Referenzgebiet in unpassende alte Korsette zu zwängen oder gar die neuen Kompetenzen der Privaten contra legem „wegzuinterpretieren“, um unbekannten Folgefragen auszuweichen. Wohl aber altbekannt ist für die Verwaltungsrechtswissenschaft, dass ein Normgeber – womöglich unbewusst – eine bis dato unbekannte Konstruktion schafft und es den Normanwender überlassen bleibt, die rechtlich überzeugenden Konsequenzen daraus abzuleiten. Welche rechtlichen Konsequenzen konkret für das erste und bislang einzige Referenzgebiet der neuen Rechtsfigur des Beurteilungsspielraums zugunsten Privater zu ziehen sind, ist Gegenstand des sogleich folgenden Teils dieser Arbeit. Mit diesem Teil wird nicht nur eine umfassende Reihe offener Rechtsfragen des Verfahrens zur jugendschutzrechtlichen Überwachung privater elektronischer Medien beantwortet, sondern zugleich exemplarisch demonstriert, dass es die Methoden der Verwaltungsrechtswissenschaft – entgegen möglicher Skepsis – sehr wohl ermöglichen, den „neuen“ Beurteilungsspielraum zugunsten Privater verwaltungsrechtlich zu integrieren15 und ihn hinreichend zu operationalisieren. Für diese AufSo Schmidt-Preuß, VVDStRL Band 56 (1997), S. 160, 169. Siehe Seite 63. 14 Siehe Seite 228. 15 Insofern ist die Parallele zur generellen verwaltungsrechtlichen Integration des Konzepts regulierter Selbstregulierung zu ziehen (dazu siehe Seite 55). Ebenso wenig, wie das öffentliche Recht durch regulierte Selbstregulierung seine Einheit zu verlieren droht (so die Befürchtung von Di Fabio, VVDStRL Band 56 (1997), S. 235, 274 f.), ebenso wenig sprengt ein Beurteilungsspielraum zugunsten Privater die verwaltungsrechtliche Integrationsfähigkeit. 12 13
7. Teil: Zwischenergebnis
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gabe ist die Rechtswissenschaft nicht nur gut gerüstet, darin besteht sogar ihre eigentliche Aufgabe – wenngleich das gerade im moralisch und politisch aufgeladenen Spannungsfeld von Jugendschutz und Medienfreiheit viele, auch viele Rechtswissenschaftler, allzu oft in Vergessenheit geraten lassen.
Achter Teil
Einfach-rechtliche Konsequenzen des Beurteilungsspielraums zugunsten der anerkannten EFS Die erstmalige einfach-rechtliche Normierung des Beurteilungsspielraums zugunsten der anerkannten EFS als Privaten verursacht naturgemäß vielfältige Wechselwirkungen mit anderen einfach-rechtlichen Normen. Zu berücksichtigen sind zunächst die spezifischen Regelungen des JMStV; dabei sind sowohl die originären Kompetenzen der KJM (dazu A.) als auch jene Kompetenzen abzugrenzen, die den Behörden und den anerkannten EFS prinzipiell gleichermaßen zukommen (dazu B.). Doch auch allgemeine einfach-rechtliche Normen werden vom Beurteilungsspielraum zugunsten Privater beeinflusst, so das Verwaltungsverfahrensrecht (dazu C.), vor allem aber auch das Verwaltungsprozessrecht (dazu D.) – den anerkannten EFS sind hierbei eine ganze Reihe von prozessualen Ansprüchen zuzusprechen, die in der bisherigen Praxis nur teilweise berücksichtigt wurden, und zwar sowohl hinsichtlich der Klagen von Anbietern gegen die Verwaltung als auch hinsichtlich möglicher eigener Klagen der EFS. Abschließend ist klarzustellen, inwiefern das materielle Recht (dazu E.) sowie die Ahndung von Ordnungswidrigkeiten und Straftaten (dazu F.) durch den Beurteilungsspielraum der anerkannten EFS beeinflusst werden.
A. Konsequenzen für die originären Kompetenzen der KJM I. Eingreifen der KJM auch im „Normalfall“? a) Problemstellung Nach unbefangener Lesart des Wortlauts von § 20 Abs. 3, 5 JMStV kann die KJM gegen ein Angebot, das von einer anerkannten EFS begutachtet wurde, nur dann vorgehen, wenn diese ihren Beurteilungsspielraum überschritten hat;1 umge1 Zur besseren Lesbarkeit sollen hier und im Folgenden die weiteren Voraussetzungen von § 20 Abs. 3, 5 JMStV – insbesondere die Beachtung der Vorgaben der EFS durch den Anbieter – als erfüllt unterstellt werden, ohne dass dies jedes Mal besonders erwähnt wird.
A. Konsequenzen fu¨r die origina¨ren Kompetenzen der KJM
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kehrt bedeutet dies zugleich, dass sie in allen anderen Fällen keine Korrekturen vornehmen darf. Wie dargestellt, ist die Überschreitung des Beurteilungsspielraums nur in besonders qualifizierten Fällen gegeben. In allen anderen Fällen – die insofern als „Normalfälle“ bezeichnet werden können – dürfte die KJM demnach niemals einschreiten. Diese Konsequenz wird von einem Teil der Literatur als rechtspolitisch verfehlt kritisiert.2 Wiederum andere wollen – womöglich aus einer übereinstimmenden rechtspolitischen Überzeugung heraus – den JMStV anders auslegen. Danach soll die KJM „nicht nur im Extrem-, sondern auch im Normalfall“3 eingreifen können. Nicht nur,4 vor allem aber Cole vertritt diese Interpretation mit einer Reihe verschiedener Begründungsansätze, die sogleich im Einzelnen dargestellt und bewertet werden sollen. b) Inhalt und Bewertung vorgeschlagener Begründungsansätze aa) Abgestuftes Verhältnis zwischen KJM und EFS? Cole argumentiert, die KJM sei gem. § 16 Abs. 1 Satz 1 JMStV abschließend für die Beurteilung von Angeboten nach dem JMStV zuständig, daraus ergebe sich nach Auffassung von Cole ein „eindeutig abgestuftes Verhältnis“ zu den anerkannten EFS.5 Diese Argumentation lässt sich aber bereits denkbar einfach durch einen Blick auf Satz 2 des von Cole herangezogenen § 16 Abs. 1 JMStV widerlegen: Dort steht ausdrücklich, dass die Zuständigkeitsbestimmung zugunsten der KJM „unbeschadet“ der Befugnisse der anerkannten EFS erfolgt! Darüber hinaus geht aus der Systematik des JMStV klar hervor, dass sich die „abschließende“ Beurteilung auf das Verhältnis der KJM zu den Landesmedienanstalten 6 bezieht und nicht auf das Verhältnis der KJM zu den EFS, das in einem anderen Abschnitt des JMStV geregelt ist. bb) „Reservezuständigkeit“ der KJM bei „Anlegung deutlich falscher Maßstäbe“? Weiter schließt Cole aus den beiden Fallgruppen des Beurteilungsspielraums der „Verkennung des anzuwendenden Rechts“ sowie der „Verletzung allgemein gültiLangenfeld, MMR 2003, S. 303, 309. Cole, ZUM 2005, S. 462, 470. 4 Vgl. z. B. auch Rossen-Stadtfeld, AfP 2004, S. 1, 8. 5 Cole, RdJB 2006, S. 299, 304. Ähnlich bereits Cole, ZUM 2005, S. 462, 468, dort allerdings noch mit dem Hinweis auf § 16 Abs. 1 Satz 2 JMStV, jedoch ohne den Konflikt zwischen dem unterstellten „Stufenverhältnis“ einerseits und dem Passus „unbeschadet der Befugnisse von anerkannten Einrichtungen der Freiwilligen Selbstkontrolle“ andererseits argumentativ aufzulösen. 6 Dazu ausführlich siehe Seite 70 ff. 2 3
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8. Teil: Einfach-rechtliche Konsequenzen
ger Wertungsmaßstäbe bei der Rechtsanwendung“, die KJM verfüge bei Einzelentscheidungen über eine „Reservezuständigkeit“, sofern die EFS bei ihrer Wertung „deutlich falsche Maßstäbe angelegt“ habe.7 Auch dies überzeugt nicht. Sofern mit der „Reservezuständigkeit“ lediglich die Eingriffsmöglichkeit bei Überschreiten des Beurteilungsspielraums beschrieben werden soll, so liegt in diesem Synonym kein Erkenntnisgewinn. Soll damit aber gesagt werden – und so sind die Ausführungen von Cole wohl zu verstehen –, die KJM könne nicht nur in den Fällen einer Überschreitung des Beurteilungsspielraums eingreifen, sondern zusätzlich auch dann, wenn er noch nicht überschritten ist, sondern die EFS lediglich „deutlich falsche Maßstäbe“ angelegt hat, so ist dies unzutreffend. Der Wortlaut von § 20 Abs. 3 Satz 1 und 5 Satz 2 JMStV ist ganz eindeutig, er bestimmt, dass Maßnahmen der KJM „nur dann [sic!] zulässig“ sind, wenn der Beurteilungsspielraum überschritten wurde.8 cc) Eingreifen im Einzelfall als Minus zum Widerruf? Weiter argumentiert Cole damit, die Sanktionsmöglichkeiten der KJM gegenüber den EFS seien nur rudimentär geregelt.9 Wenn die KJM gem. § 19 Abs. 5 JMStV die Anerkennung einer EFS widerrufen dürfe, so folge aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, dass die KJM auch mit milderen Mitteln eingreifen könne, indem sie eine Einzelentscheidung der EFS „überstimme“.10 Dieser Überlegung ist aus mehreren Gründen zu widersprechen,11 insbesondere wird dabei das argumentum a majore ad minus in mehrfacher Hinsicht unpassend angewandt: Zunächst ist die Wahl des Begriffs der „Überstimmung“ verfehlt, weil er eine Art Vetorecht suggeriert und damit eine Konstruktion, die der JMStV gerade nicht gewählt hat. Der Beurteilungsspielraum ist entweder überschritten oder nicht. Wenn er überschritten ist, bedarf es keiner irgendwie gearteten Überstimmung der EFS, vielmehr geht die KJM gegenüber dem Anbieter so vor, als hätte gar keine Überprüfung durch die EFS stattgefunden.12 Wenn die EFS den Beurteilungsspielraum aber nicht überschritten hat, so kann sie von der KJM auch Cole, RdJB 2006, S. 299, 305. Wie bereits erwähnt, wird hier und im Folgenden zum Zwecke der besseren Lesbarkeit das Vorliegen der weiteren Voraussetzungen, insbesondere die Einhaltung möglicher Vorgaben der EFS durch den Anbieter, vorausgesetzt. 9 So Cole, ZUM 2005, S. 462, 468 m. w. N. 10 Cole, RdJB 2006, S. 299, 305. Ähnlich bereits Cole, ZUM 2005, S. 462, 469, dort allerdings auf S. 471 mit der insoweit widersprüchlichen Bemerkung, dass es „nicht um eine schlichte Überstimmung der Position“ der EFS gehe. 11 Sellmann, K&R 2007, S. 196, 197 kommt zum gleichen Ergebnis wie die hier vertretene Auffassung, stützt sich dabei aber nur auf das Fehlen ausdrücklicher Regelungen zu „milderen“ Maßnahmen. 12 Die Frage einer möglichen Hinzuziehung der EFS zum Verwaltungsverfahren i. S. v. § 13 Abs. 2 VwVfG sei insofern ausgeblendet. 7 8
A. Konsequenzen fu¨r die origina¨ren Kompetenzen der KJM
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nicht „überstimmt“ werden. Diese gesetzliche Regelung kann auch nicht umgangen werden, indem die KJM ihre abweichende Einschätzung der Jugendgefährdung durch eine „ausführlich begründete Kritik an der Entscheidungsgrundlage“ der EFS zum Ausdruck bringt.13 Im Hinblick auf die EFS übergeht Cole, dass der Widerruf der Anerkennung nicht aufgrund einer einzelnen (Fehl-)Entscheidung der EFS erfolgen darf, sondern erst dann, wenn deren gesamte Spruchpraxis14 im Widerspruch zum Jugendschutzrecht steht.15 Ein Eingreifen im Einzelfall ist deshalb kein Minus zur Ausübung des Widerrufs, sondern ein Plus16 zur Unterlassung des Widerrufs, zu der die KJM verpflichtet ist, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage (§ 19 Abs. 5 Satz 1 JMStV) nicht erfüllt sind. Im Hinblick auf die Anbieter wiederum ist eine Berufung auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verfehlt. Denn eine „Überstimmung“ durch die KJM belastet ja nicht (nur17) die EFS, sondern (auch) den Anbieter. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit besteht aber zum Schutz von Privaten vor hoheitlichen Eingriffen, so dass er nicht dazu dienen kann, entgegen dem Wortlaut von § 20 Abs. 3, 5 JMStV eine Eingriffsbefugnis zu Lasten der privaten Anbieter zu begründen. Schließlich steht auch die historische Interpretation der zitierten Argumentation entgegen. Die „rudimentäre“ Regelung von Sanktionsmöglichkeiten, insbesondere das Fehlen der Möglichkeit einer Korrektur im Einzelfall über die Fälle des überschrittenen Beurteilungsspielraums hinaus, ist keine planwidrige Lücke, sondern die Absicht des JMStV, denn im Rahmen des Gesetzgebungsprozesses wurde ausdrücklich vorgeschlagen, ein abgestuftes Sanktionssystem als Vorstufe zum Widerruf der Anerkennung in den JMStV aufzunehmen18 – dies erfolgte jedoch gerade nicht.
So aber offenbar Cole, RdJB 2006, S. 299, 306. Cole, ZUM 2005, S. 462, 469 gibt diese Voraussetzung nur in unklarer Form durch den Passus „Missachtung [ . . . ] in summierter Form“ wieder. 15 Nicht verwechselt werden darf dies mit der Möglichkeit der KJM, bei tatsächlichem Vorliegen einer mangelhaften Spruchpraxis ein weniger eingreifendes Mittel als den Widerruf einzusetzen. Nur in diesem Fall ist das argumentum a majore ad minus richtig angewandt, wie es z. B. bei Hartstein / Ring / Kreile / Dörr / Stettner, Rundfunkstaatsvertrag, Band III, C 3, § 19 JMStV, Rn. 21 sowie bei Scholz / Liesching, Jugendschutz, § 19 JMStV, Rn. 18 erfolgt; hierbei zustimmend Bandehzadeh, Jugendschutz im Rundfunk und in den Telemedien, S. 79 f., Fn. 272. – Etwas anders als Cole, jedoch ebenfalls nicht zustimmungswürdig wendet Halves, Neuordnung des Jugendmedienschutzes, S. 139 das argumentum a majore ad minus an, die meint, nach einer einmaligen Überschreitung des Beurteilungsspielraums durch die EFS dürfte kein Widerruf der Anerkennung, sondern nur eine mildere Sanktion ausgesprochen werden, weil ansonsten „das System der Regulierten Selbstregulierung quasi bei jedem Einzelverstoß durch die Selbstkontrolleinrichtung aufgehoben würde“; dabei übersieht auch sie jedoch, dass bereits nach dem Wortlaut des JMStV („Spruchpraxis“) eine einmalige Überschreitung des Beurteilungsspielraums nicht die Tatbestandsvoraussetzung des Widerrufs erfüllt. 16 Oder allenfalls ein aliud; auch dies stünde aber der Argumentation von Cole entgegen. 17 Zur Frage der Möglichkeit einer eigenen Rechtsverletzung der EFS siehe Seite 278 ff. 18 Ausdrücklich Schulz / Held, epd medien 2002, Nr. 58, S. 27, 29. – Verfehlt ist es, wenn Cole, ZUM 2005, S. 462, 469, Fn. 79, eben diese Quelle als Beleg („Sinngemäß Schulz / 13 14
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8. Teil: Einfach-rechtliche Konsequenzen
dd) Verfassungsrang des Jugendschutzes als Eingriffsgrundlage für die KJM? Cole argumentiert schließlich, der Jugendschutz sei ein hohes Gut von Verfassungsrang, das Gefahr laufe, ins Hintertreffen gegenüber ökonomischen Interessen der Medienunternehmen zu geraten, wenn die EFS eine eigenständige Entscheidungsbefugnis hätten; daher müsse die hoheitliche Kontrolle auch im „Normalfall“ eingreifen können.19 Diese Überlegung kann abgelehnt werden, ohne dass eine Auseinandersetzung damit stattfinden müsste, wie „hoch“ genau der Rang des Jugend(-medien)-schutzes einzustufen ist. Die Einräumung eines Beurteilungsspielraums entsprach dem klaren Willen des Gesetzgebers. Die Gesetzgebungsmaterialien sprechen zwar davon, dass durch die Eingriffsmöglichkeiten auf Seiten der KJM „jeder Missbrauch vermieden und [ . . . ] grobe Fehleinschätzungen korrigiert werden“ sollen.20 Das bedeutet jedoch im Umkehrschluss, dass lediglich „einfache“ Fehleinschätzungen, die nicht auf einer Stufe mit einem Missbrauch stehen, durch die KJM nicht korrigiert werden können.21 Noch deutlicher wird die amtliche Begründung, wenn sie davon spricht, dass die KJM „nur noch“ (sic!) prüfe, ob eine Überschreitung des Beurteilungsspielraums vorliegt und der Anbieter sich an eventuelle Vorgaben gehalten hat, wenn sich eine anerkannte EFS mit dem Angebot befasst hat.22 Das heißt mit anderen Worten, dass die KJM darauf beschränkt ist, zu prüfen, ob ausnahmsweise kein „Normalfall“ vorliegt. Wenn sie feststellt, dass ein Normalfall gegeben ist, so darf sie gerade nicht weiter einschreiten. Wer meint, der Jugendschutz sei von so hohem Rang, dass er nicht in diesem Maße in die Hände der anerkannten EFS gelegt werden dürfe, der muss die gesetzliche Regelung für verfassungswidrig erachten. Diesen Schritt will offenbar aber auch Cole nicht wagen.23 Eine solche Einschätzung wäre ohnehin verfehlt – insoweit seien die Held . . .“) für seine Auffassung heranzieht, die ultima ratio des Widerrufs müsse von milderen Sanktionsmöglichkeiten flankiert werden, denn Schulz / Held stellten in ihrem Beitrag Forderungen de lege ferenda auf (die später gerade nicht umgesetzt wurden!) und interpretierten nicht – wie Cole – den tatsächlich in Kraft getretenen Inhalt des JMStV. 19 Cole, ZUM 2005, S. 462, 470; sofern sich Cole dabei in Fn. 93 auf Groß, NVwZ 2004, S. 1393, 1398 sowie auf Langenfeld MMR 2003, S. 303, 309 beruft, so ist dies zumindest missverständlich, weil beide Autoren davon ausgehen, dass die KJM gerade nicht eingreifen kann, wenn die EFS innerhalb des Beurteilungsspielraums entscheidet. 20 Amtliche Begründung zu § 20 Abs. 3 JMStV, u. a. BayLT-Drucks. 14 / 10246. 21 Sogar die Ausführungen von Hopf / Braml, ZUM 2007, S. 23, 29 f., welche generell für eher weitgehende Befugnisse der KJM plädieren und die verfassungsrechtliche Hinterlegung des Jugendschutzes betonen, sprechen daher im Bereich von § 20 Abs. 3 Satz 1 JMStV von einem „Vorrang“ der Entscheidungen der EFS gegenüber den Beurteilungen der KJM. 22 Amtliche Begründung zu § 20 Abs. 3 JMStV, u. a. BayLT-Drucks. 14 / 10246 (Hervorhebung nicht im Original). 23 In diese Richtung deuten allenfalls die Ausführungen von Langenfeld, MMR 2003, S. 303, 309 sowie diejenigen von Bosch, Regulierte Selbstregulierung im Jugendmedien-
A. Konsequenzen fu¨r die origina¨ren Kompetenzen der KJM
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noch anzustellenden verfassungsrechtlichen Erwägungen24 vorweggenommen –, da dem Gesetzgeber eine weite Einschätzungsprärogative bei der Ausgestaltung des Jugendschutzes zukommt. c) Schlussfolgerung Es bleibt somit bei dem, was sich bereits aus dem Wortlaut des JMStV ergibt: Die KJM kann gegenüber einem von einer anerkannten EFS geprüften Angebot ausschließlich dann einschreiten, wenn die EFS ihren Beurteilungsspielraum überschritten hat. In allen anderen Fällen – und somit eben im „Normalfall“ – kann sie es nicht.25 Praktisch bis zur letzten Minute vor Einigung der Länder über den JMStV war es umstritten, ob den anerkannten EFS ein Beurteilungsspielraum eingeräumt werden soll oder nicht. Insbesondere die Landesmedienanstalten forderten bis zuletzt, dass die Entscheidungen der EFS nicht lediglich an den rechtlichen Grenzen des Beurteilungsspielraums von der KJM überprüft werden sollen.26 Allein – diese Auffassung konnte sich nicht durchsetzen.27 Sie kann und darf es auch nicht im Nachhinein durch eine Auslegung contra legem. Im Übrigen ist dieses Ergebnis auch rechtspolitisch konsequent, wenn man die Einbindung der Privaten an sich anstrebt.28 Bei der Ermöglichung einer Entscheidung mit Beurteilungsspielraum war es das ausdrückliche Ziel des Normgebers, „[ . . . ] die Bereitschaft zu belohnen, sich einer anerkannten Einrichtung der Freiwilligen Selbstkontrolle anzuschließen und sich deren Entscheidungen und gegebenenfalls Sanktionen uneingeschränkt zu unterwerfen.“29 Wenn die KJM auch im schutz-Staatsvertrag, S. 315 ff.; auch von diesen beiden Autorinnen geht aber keine auf die verwaltungsrechtlichen und verwaltungspraktischen Folgeprobleme ein, die sich dann zwangsläufig ergeben würden. 24 Siehe Seite 317 ff. 25 Übereinstimmend Retzke, Präventiver Jugendmedienschutz, S. 72. In der Wortwahl noch weitergehend Retzke, Präventiver Jugendmedienschutz, S. 231, die betont, die KJM habe sich „[ . . . ] im System der regulierten Selbstregulierung auf ihre Rolle als Notinstanz beim Versagen der Selbstkontrolle zu besinnen.“ – Selbst Bosch, Regulierte Selbstregulierung im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag, S. 199 formuliert anschaulich, dass die KJM an die Entscheidungen der anerkannten EFS „gebunden“ sei. 26 Vgl. die ausführliche Darstellung bei Bandehzadeh, Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien, S. 73 f. mit zahlreichen Nachweisen entsprechender Äußerungen. Auch Gersdorf, Grundzüge des Rundfunkrechts, Rn. 204 macht auf diese Entwicklung nachdrücklich aufmerksam. 27 Nach den Abschlussberatungen der Ministerpräsidenten am 08. 08. 2002 wurde von diesem Vorschlag endgültig Abstand genommen, so dass in der endgültigen Fassung des JMStV wie bereits in der ursprünglichen Fassung eine weitergehende Privilegierung vorgesehen ist, vgl. Gersdorf, Grundzüge des Rundfunkrechts, Rn. 204. 28 Darüber hinaus machen Hartstein / Ring / Kreile / Dörr / Stettner, Rundfunkstaatsvertrag, Band III, C 2 Rn. 69 darauf aufmerksam, die Beschränkung der KJM auf die Überprüfung der Überschreitung des Beurteilungsspielraums diene auch der Beschleunigung des Verfahrens.
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8. Teil: Einfach-rechtliche Konsequenzen
„Normalfall“ eingreifen könnte, wäre die Rechtssicherheit für die Anbieter weitgehend beseitigt. Es wäre für die Anbieter kaum mehr eine Motivation ersichtlich, durch die Bildung bzw. Beauftragung einer EFS den staatlichen Behörden unter hohem finanziellem Aufwand30 einen erheblichen Teil der Arbeit abzunehmen.31
II. Schlichtes Verwaltungshandeln Beim schlichten Verwaltungshandeln32 unterliegt die KJM allgemeinen verwaltungs- und verfassungsrechtlichen Grundsätzen.33 Besonderheiten aufgrund des regelmäßig betroffenen Schutzgutes, also aufgrund des Jugendschutzes, bestehen nicht, insbesondere können sich daraus keine weitergehenden, ungeschriebenen Eingriffsbefugnisse eröffnen. In diesem Rahmen ist es der KJM gestattet, zur Meinungsbildung Beschlüsse zu fassen.34 Solche Beschlüsse können im Einzelfall Probleme hinsichtlich ihrer rechtlichen Einordnung aufwerfen, insbesondere, wenn sie veröffentlicht werden.35 Namentlich darf ein Beschluss und dessen eventuelle Veröffentlichung nicht den Anschein einer – tatsächlich nicht gegebenen36 – rechtlichen Verbindlichkeit vermitteln.37 Wie anlässlich des so genannten „Grundsatzbeschlusses“ zu „Schönheitsoperationen zu Unterhaltungszwecken“38 und den damit verbundenen Pressemitteilungen deutlich wurde, kann es im Einzelfall schwierig sein, zu bestimmen, ob die KJM Verbindlichkeit suggerierte oder nicht.39 Dementsprechend wäre der Amtliche Begründung zu § 20 Abs. 5, u. a. BayLT-Drucks. 14 / 10246. Vgl. hierzu bereits Hartstein / Ring / Kreile / Dörr / Stettner, Rundfunkstaatsvertrag, Band III, C 2 Rn. 67. 31 Ähnlich Retzke, Präventiver Jugendmedienschutz, S. 232. 32 Vgl. Peter M. Huber, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 237 ff. 33 Vgl. auch Jörn Ipsen, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rn. 820 ff. 34 Beim schlichten Verwaltungshandeln ist eine Unterscheidung von Innen- und Außenwirkung grundsätzlich nicht relevant, vgl. Jörn Ipsen, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rn. 837. 35 Spoerr / Sellmann, K&R 2004, S. 367, 368 anhand von Stellungnahmen der KJM zu Altersverifikationssystemen gem. § 4 Abs. 2 Satz 2 JMStV. 36 Speziell für so genannte „Grundsatzbeschlüsse“ der KJM Erdemir, RdJB 2006, S. 285, 295. Ähnlich Storr, DÖV 2007, S. 133, 138 und Bosch, Regulierte Selbstregulierung im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag, S. 368 f. – Allgemeiner Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 15, Rn. 20. 37 VG Berlin, Urteil vom 06. 07. 2006, Az. 27 A 236.04, juris Rn. 44 ff. und 53 (nicht rechtskräftig, anhängig beim OVG Berlin-Brandenburg, Az. OVG 8 N 85.06). Wohl zustimmend Sellmann, K&R 2007, S. 196, 200. 38 Näher dazu siehe Seite 242 ff. 39 So wurden die Pressemitteilungen zu „Schönheitsoperationen zu Unterhaltungszwecken“ vom VG Berlin, Urteil vom 06. 07. 2006, Az. 27 A 236.04, juris Rn. 53 (nicht rechtskräftig, anhängig beim OLG Berlin Brandenburg, Az. OVG 8 N 85.06) so interpretiert, dass 29 30
A. Konsequenzen fu¨r die origina¨ren Kompetenzen der KJM
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KJM für die Zukunft zu raten, in ihren Beschlüssen und Veröffentlichungen möglichst deutlich zu machen, ob sie eine Verpflichtung beinhalten oder unverbindliche Meinungsäußerungen darstellen sollen.40 Sofern dies allerdings nicht geschieht, ist streng zu trennen zwischen dem Inhalt, den die KJM subjektiv ausdrücken wollte und dem Inhalt, der Äußerungen und Verhalten der KJM aus Empfängersicht gleichsam objektiv zu entnehmen war.41 Die Entscheidung darüber, ob das Verhalten der KJM erlaubt war, richtet sich ausschließlich nach der letztgenannten Perspektive.42 Auch, aber nicht nur derartige Pressemitteilungen führen zu der Frage, ob der KJM gestattet ist, Öffentlichkeitsarbeit zu betreiben. Dies ist im Ansatz wohl unstrittig.43 Wie weit die Öffentlichkeitsarbeit von Verwaltungsbehörden ohne spezifische Ermächtigungsgrundlage gehen darf, ist generell problematisch.44 Unabhängig von strittigen Einzelfragen ist es der KJM aber jedenfalls nicht gestattet, im Rahmen von Öffentlichkeitsarbeit die Rechte Privater zu verletzen, insbesondere nicht durch falsche Tatsachenbehauptungen – insofern gelten wieder die allgemeinen Regeln wie für jeden anderen Hoheitsträger.45 Auch dies ist im Grunde unbestritten,46 was freilich nicht verhindert, dass im Einzelfall Uneinigkeit über die Abgrenzung von Tatsachenbehauptung und Rechtsansicht bestehen kann.47
sie autoritativen Regelungswillen zum Ausdruck brächten; andere Ansicht dagegen Hopf / Braml, ZUM 2007, S. 23, 27 f. Überzeugender ist dabei die Auffassung des VG Berlin, was sich nicht zuletzt an dem Eindruck zeigt, der in der Öffentlichkeit zurückgeblieben ist, beispielsweise ist in der Süddeutschen Zeitung vom 17. 03. 2008 im Zusammenhang mit (neuerlichen) Schönheitsoperationen im Fernsehen davon die Rede, die KJM habe damals ein entsprechendes Verbot „festgesetzt“. 40 Ebenso Sellmann, K&R 2007, S. 196, 200. 41 Dabei kommt es selbstverständlich auf den Zeitpunkt des Verwaltungshandelns an; die Ausführungen von Hopf / Braml, ZUM 2007, S. 23, 25 gehen daher fehl, sofern sie den Eindruck erwecken, dass die rechtliche Würdigung des Verhaltens sich ändern könnte, wenn nach Klageerhebung des Betroffenen die Landesmedienanstalt im gerichtlichen Verfahren „klarstellen“ würde, wie die Äußerung gemeint war. 42 Dies scheint Cole, ZUM 2005, S. 462, 470 zu übersehen. Ausdrücklich gegen Cole, ZUM 2005, S. 462, 470 f. auch VG Berlin, Urteil vom 06. 07. 2006, Az. 27 A 236.04, juris Rn. 48 (nicht rechtskräftig, anhängig beim OVG Berlin-Brandenburg, Az. OVG 8 N 85.06). 43 Vgl. einerseits VG Berlin, Urteil vom 06. 07. 2006, Az. 27 A 236.04, juris Rn. 44 und 53 (nicht rechtskräftig, anhängig beim OLG Berlin Brandenburg, Az. OVG 8 N 85.06) und andererseits Hopf / Braml, ZUM 2007, S. 23, 30. 44 Vgl. BVerfGE 105, 252 und 279; kritisch dazu, v. a. hinsichtlich Begründung, nicht aber zum Ergebnis Peter M. Huber, JZ 2003, S. 290, 297. Vgl. auch Badura / Peter M. Huber in: Schmidt-Aßmann, Besonderes Verwaltungsrecht, Kapitel 3, Rn. 86. Mit medienrechtlichem Bezug Sellmann, K&R 2007, S. 196, 200 f. 45 Ebenso Ullrich, tv diskurs 2007, Heft 1, S. 102, 105, Fn. 11, der zu Recht betont, dass sich durch die pluralistische Besetzung der KJM daran nichts ändert. 46 Vgl. auch hierzu einerseits VG Berlin, Urteil vom 06. 07. 2006, Az. 27 A 236.04, juris Rn. 43 ff. (nicht rechtskräftig, anhängig beim OLG Berlin Brandenburg, Az. OVG 8 N 85.06) und andererseits Hopf / Braml, ZUM 2007, S. 23, 30.
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8. Teil: Einfach-rechtliche Konsequenzen
Gerade bei der Äußerung von Rechtsauffassungen ergibt sich die spezifische Frage, ob die KJM äußern darf, eine EFS habe im Einzelfall ihren Beurteilungsspielraum überschritten. Zwar können derartige Äußerungen die vom JMStV vorgesehene Tätigkeit einer EFS diskreditieren. Andererseits ist die Überschreitung des Beurteilungsspielraums die Voraussetzung dafür, dass die KJM gegenüber dem Anbieter einschreiten darf – sofern die KJM die Öffentlichkeit also über ihr eigenes Eingreifen informieren darf, so muss sie ggf. zwingend die Überschreitung des Beurteilungsspielraums durch die EFS thematisieren. Ähnlich verhält es sich mit den Fällen, in denen die KJM nicht eingreift, weil sie den Beurteilungsspielraum als nicht überschritten ansieht. Die Rechtmäßigkeit solcher Äußerungen wurde vereinzelt angezweifelt,48 jedoch kann es im Einzelfall durchaus gerechtfertigt sein, dass sich die KJM darüber erklärt, warum sie nicht eingreift, obwohl dies möglicherweise von Teilen der Öffentlichkeit erwartet würde. In der Gesamtbetrachtung des Problemkomplexes der Öffentlichkeitsarbeit der KJM ergeben sich letztendlich zwei Dimensionen: Einerseits ist Zweckmäßigkeit (und „Stil“) des Verwaltungshandelns zu hinterfragen, also auf welche Art und Weise die KJM mit ihrem rechtlichen Dürfen umgeht – darauf wird im Rahmen der rechtspolitischen Bewertung noch einzugehen sein.49 Andererseits drängen sich bestimmte verwaltungsverfahrens-50 und verwaltungsprozessrechtliche51 Konsequenzen auf, die einer EFS die Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Handelns der KJM im Einzelfall ermöglichen – die ebenfalls in den beiden entsprechenden Abschnitten dieser Untersuchung noch aufzugreifen sein werden.
B. Konsequenzen für die Kompetenzabgrenzung zwischen Behörden und anerkannten EFS I. Hinführung Der Beurteilungsspielraum zugunsten der anerkannten EFS ist ein Kriterium für die Abgrenzung der Kompetenzen der KJM einerseits und den anerkannten EFS andererseits. Dies gilt zuvörderst im Rahmen des einzelfallbezogenen Vollzugs gem. § 20 JMStV, bei dem eine anerkannte EFS, wie gezeigt, ein Verfahrenshinder47 Hier besteht beispielsweise explizite Uneinigkeit zwischen dem VG Berlin, Urteil vom 06. 07. 2006, Az. 27 A 236.04, juris Rn. 45 (nicht rechtskräftig, anhängig beim OLG Berlin Brandenburg, Az. OVG 8 N 85.06) sowie Ullrich, tv diskurs 2007, Heft 1, S. 102, 104 auf der einen Seite und Hopf / Braml, ZUM 2007, S. 23, 30 auf der anderen Seite. 48 So zu verstehen Scheuer, RdJB 2006, S. 308, 316. 49 Siehe Seite 359 ff. 50 Siehe Seite 270 ff. 51 Siehe Seite 276 ff.
B. Kompetenzabgrenzung zwischen Beho¨rden und anerkannten EFS
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nis für die KJM generieren kann, solange ihre Entscheidung nicht auf einem qualifizierten Fehler im Sinne der Überschreitung ihres Beurteilungsspielraums beruht. – Doch auch darüber hinaus hat der Beurteilungsspielraum zugunsten der EFS Konsequenzen für die Kompetenzabgrenzung im Verhältnis zu den Behörden. Besonders umstrittene Abgrenzungsprobleme zwischen den Kompetenzen der KJM und der anerkannten EFS ergeben sich hinsichtlich der §§ 8, 9 Abs. 1 JMStV.52 Diese Vorschriften bilden zusammen mit zwei weiteren Normen des JMStV ein widersprüchliches Spannungsfeld:53 Nach den §§ 8, 9 Abs. 1 JMStV können die anerkannten EFS ebenso wie die KJM Richtlinien und Einzelfallentscheidungen erlassen. Nach § 19 Abs. 2 Var. 2 und 3 JMStV haben die anerkannten EFS die Einhaltung von erlassenen Richtlinien zu überprüfen. Nach § 20 Abs. 3, 5 JMStV schließlich kann der Beurteilungsspielraum der anerkannten EFS – wie gezeigt54 – ein Verfahrenshindernis für die KJM bilden. Dieses Spannungsfeld wird noch komplexer, wenn man die Möglichkeit der KJM zum Widerruf der Anerkennung einer EFS aufgrund deren Spruchpraxis gem. § 19 Abs. 5 JMStV in die Betrachtung mit einbezieht; schließlich ist noch die Möglichkeit der Landesmedienanstalten zum Erlass weiterer Regelungen zu beachten. Um dieses unübersichtliche Spannungsfeld zu lösen, gilt es im Folgenden, die soeben genannten Einzelfaktoren getrennt voneinander abzuklären.
II. Erlass von Einzelfallentscheidungen gem. §§ 8, 9 Abs. 1 JMStV durch KJM und EFS 1. Rechtliche Einordnung der Einzelfallentscheidung Einzelfallentscheidungen gem. §§ 8, 9 Abs. 1 JMStV beinhalten Lockerungen oder Sendezeitbeschränkungen, die für den Anbieter rechtlich verbindlich sind. Sie sind daher als Verwaltungsakt gem. § 35 Satz 1 VwVfG einzuordnen.55 2. Rangverhältnis zwischen den von KJM und den von EFS erlassenen Einzelfallentscheidungen Die Entscheidungen für den Einzelfall können sowohl durch die KJM als auch durch die anerkannten EFS getroffen werden. Dabei stellt sich die Frage nach einem Rangverhältnis zwischen Entscheidungen der KJM und der EFS. Sie wird 52 Generell zum Verhältnis der KJM und den EFS als Beliehene Retzke, Präventiver Jugendmedienschutz, S. 226 ff. (dort allerdings unter der hier gerade nicht vertretenen pauschalen Einordnung der anerkannten EFS als Beliehene). 53 Vgl. Scheuer, RdJB 2006, S. 308, 312. 54 Siehe Seite 93 ff. 55 Ullrich, MMR 2005, S. 743, 745.
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8. Teil: Einfach-rechtliche Konsequenzen
beantwortet durch § 20 Abs. 3 Satz 3 JMStV, wonach die Regelung des § 20 Abs. 3 Satz 1 JMStV auf Entscheidungen gem. §§ 8 und 9 JMStV entsprechend anzuwenden sind. Die Konsequenz aus diesem Verweis ist eindeutig.56 Sofern die anerkannte EFS eine Entscheidung für den Einzelfall gem. §§ 8, 9 Abs. 1 JMStV getroffen hat, kann die KJM keine Entscheidung mehr in dieser Sache treffen, es sei denn, der Anbieter hat die Vorgaben der EFS nicht beachtet oder die EFS hat ihren Beurteilungsspielraum überschritten.57 (Auch) hier besteht also ggf. ein Verfahrenshindernis.
III. Erlass von Richtlinien gem. §§ 8 Abs. 1; 9 Abs. 1 JMStV durch KJM und EFS 1. Rechtliche Einordnung der Richtlinien Fraglich ist zunächst, wie eine „Richtlinie“ gem. §§ 8 Abs. 1; 9 Abs. 1 JMStV zu verorten ist, nachdem dieser Terminus kein etabliertes verwaltungsrechtliches Institut wiedergibt.58 Ullrich deutet die Möglichkeit an, eine solche Richtlinie als Allgemeinverfügung i. S. v. § 35 Satz 2 VwVfG zu interpretieren, sofern sie einen bestimmten Lebenssachverhalt sowie einen bestimmten oder bestimmbaren Personenkreis betreffe.59 Dies erscheint aber nicht als weiterführend. Der Personenkreis ist insofern immer bestimmbar, als sich die Richtlinien an Anbieter von Rundfunk und Telemedien richten. Eine genauere Spezifizierung jedoch, beispielsweise nur hinsichtlich von Anbietern, die einem bestimmten Konzern angehören, ist im Bereich des Jugendschutzes kaum vorstellbar. Vielmehr kann davon ausgegangen werden, dass – gerade in Abgrenzung zur Alternative der Einzelfallentscheidung – die Richtlinien regelmäßig abstrakt-generellen Inhalt haben. Daher sind die Richtlinien nach (soweit ersichtlich allgemeiner 60) Meinung als Verwaltungsvorschriften61 einzuordnen.62 56 Daher sind die umfangreichen systematischen und teleologischen Ausführungen bei Hartstein / Ring / Kreile / Dörr / Stettner, Rundfunkstaatsvertrag Band III, C3, § 20 JMStV, Rn. 27 m. E. gar nicht nötig. 57 Im Ergebnis übereinstimmend Hartstein / Ring / Kreile / Dörr / Stettner, Rundfunkstaatsvertrag Band III, C3, § 20 JMStV, Rn. 27. Ebenso Ullrich, MMR 2005, S. 743, 745. Ähnlich sind wohl Scholz / Liesching, Jugendschutz, § 9 JMStV, Rn. 9 zu verstehen: „Dies bedeutet, dass im Fall der Anerkennung einer Selbstkontrolleinrichtung diese alleinig die Aufgaben des Abs. 1 S. 1 wahrnimmt, ohne dass es darüber hinaus im konkreten Einzelfall einer Ausnahmenentscheidung der KJM bedarf.“ 58 Zutreffend Ullrich, MMR 2005, S. 743, 745. 59 Ullrich, MMR 2005, S. 743, 745. 60 Auch Ullrich, MMR 2005, S. 743, 745 teilt diese Einschätzung unter der Voraussetzung, dass die Richtlinien über einen abstrakt-generellen Inhalt verfügen. – Beachtenswert ist die kritische Würdigung der verbreiteten rechtlichen Systematisierung von Verwaltungsvorschriften durch Sellmann, K&R 2007, S. 196, 198, Fn. 26 am Beispiel der Richtlinien der
B. Kompetenzabgrenzung zwischen Beho¨rden und anerkannten EFS
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2. Rangverhältnis zwischen den von KJM und den von EFS erlassenen Richtlinien a) Problemstellung Auch bei den Richtlinien stellt sich die Frage, inwiefern ein Rangverhältnis zwischen den von der KJM und den von den anerkannten EFS erlassenen Richtlinien anzunehmen ist, nachdem die §§ 8 Abs. 1; 9 Abs. 1 JMStV hierzu beide Institutionen grundsätzlich ermächtigen, deren Wortlaut jedoch kein Rangverhältnis bestimmt.63 Im Gegensatz zur Einzelfallentscheidung besteht hinsichtlich der Richtlinien keine eindeutige Regelung gem. § 20 Abs. 3 Satz 3 JMStV. Infolgedessen ist umstritten, ob den Richtlinien der KJM oder denen der anerkannten EFS im Konfliktfall der Vorrang gebührt.64 Angesichts der gleichrangigen Aufzählung wäre es zwar theoretisch denkbar, den Vorrang vom Zeitpunkt des Erlasses abhängig zu machen, also stets die ältere oder stets die jüngere Richtlinie gelten zu lassen. Ein solches Kriterium entspräche aber nicht der allgemeinen Systematik des JMStV, darüber hinaus wäre bei Vorrang der älteren Richtlinie die Qualität der Entscheidung durch überhasteten Erlass gefährdet und bei Vorrang der jüngeren Richtlinie bestünde aufgrund ständig zu erwartender neuer Erlasse keine Rechtssicherheit. Dies wohl voraussetzend, wurden im Schrifttum bislang auch keine zeitlichen, sondern andersartige Anknüpfungspunkte diskutiert, die nun gegenübergestellt werden sollen. Landesmedienanstalten. – Nicht weiter eingegangen werden soll auf die Sondermeinung von Bosch, Regulierte Selbstregulierung im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag, S. 367, nach der § 8 Abs. 1 JMStV wegen eines Verstoßes gegen das Bestimmtheitsgebot generell verfassungswidrig sein soll; dies überzeugt nicht, weil – insbesondere im Bereich einer sehr dynamischen Regelungsmaterie – an den Detaillierungsgrad gesetzlicher Vorgaben keine überspannten Anforderungen gestellt werden dürfen. Außerdem ist Bosch, Regulierte Selbstregulierung im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag, S. 381 in der Auffassung zu widersprechen, die §§ 8 Abs. 2 und 9 Abs. 1 JMStV seien wegen Verstoßes gegen die Verpflichtung des Staates zum Jugendschutz verfassungswidrig. 61 Vgl. dazu Ehlers in: Erichsen / Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht (13. Auflage), § 9, Rn. 30 m. w. N. 62 Nichtsdestotrotz entstehen an diesem Punkt immer wieder Irritationen. So ordnet Mynarik, Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien, S. 142 die durch eine anerkannten EFS erlassenen Richtlinien ohne nähere Begründung als Verwaltungsvorschriften ein und beruft sich dabei auf Scholz / Liesching, Jugendschutz, § 15 JMStV, Rn. 3 sowie auf Ladeur, ZUM 2002, S. 859, 867. – Scholz / Liesching a. a. O. trifft diese Einordnung jedoch nur für die von den Landesmedienanstalten und nicht auf die von der KJM erlassenen Richtlinien und beruft sich dabei ebenfalls auf Ladeur a. a. O. Dieser wiederum trifft seine Einschätzung ebenfalls nur bezüglich der Richtlinien der Landesmedienanstalten, interpretiert diese jedoch (in unzutreffender Weise, wie noch zu zeigen sein wird, siehe Seite 265 f.) als „Ausfüllung“ eines pauschalen, durch die unbestimmten Rechtsbegriffe des JMStV entstandenen Beurteilungsspielraums. 63 So auch die Einschätzung von Scholz / Liesching, Jugendschutz, § 9 JMStV, Rn. 5. 64 Vgl. dazu auch Mynarik, Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien, S. 132 f.
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8. Teil: Einfach-rechtliche Konsequenzen
b) Bisheriger Meinungsstand in der Literatur Ein Teil der Literatur plädiert für einen Vorrang der Richtlinien der KJM.65 Dabei wird argumentiert, die KJM sei lediglich im Anwendungsbereich von § 20 Abs. 3, 5 JMStV in ihrem Handeln beschränkt, so dass es im Übrigen bei einem Vorrang ihrer Entscheidungen bleiben müsse,66 außerdem wird auf das Ziel eines einheitlichen Jugendschutzes verwiesen, der gefährdet sei, wenn verschiedene EFS verschiedene Richtlinien erließen.67 Andere Stimmen des Schrifttums plädieren für einen Vorrang der Richtlinien der EFS.68 Dafür spreche die Intention des JMStV, nach der die anerkannten EFS den Anbietern einen „Schutzschild“ bieten sollten.69 Auch wird auf die amtliche Begründung70 verwiesen, in der zu § 20 Abs. 3 Satz 3 JMStV ausgeführt wird, dass damit hinsichtlich aller Aufgaben der Selbstkontrolle das Stufenverhältnis zur KJM festgeschrieben werden solle.71 Ferner wird auf Bedenken hinsichtlich des Zensurverbots gem. Art. 5 Abs. 1 Satz 3 GG hingewiesen.72 Schließlich wird auch vorgebracht, die Zusammenschau mit dem Wortlaut von § 16 Satz 2 Nr. 4 JMStV („unbeschadet der Befugnisse der anerkannten Einrichtungen“) spreche für eine Subsidiarität der Richtlinien der KJM.73 c) Eigene Überlegungen und Stellungnahme Der Gesetzgeber hat die Scheidung der Kompetenzen von KJM und EFS im Bereich der Kontrolle gem. § 20 JMStV relativ detailliert geregelt, im Bereich der Richtlinien gem. §§ 8 Abs. 1; 9 Abs. 1 JMStV jedoch nicht. Somit stellt sich hier 65 So z. B. Cole, ZUM 2005, S. 462, 469, Bandehzadeh, Jugendschutz im Rundfunk und in den Telemedien, S. 81 f. sowie Hopf / Braml, ZUM 2007, S. 23, 28. – Eine Sondermeinung bilden die Ausführungen von Bosch, Regulierte Selbstregulierung im JugendmedienschutzStaatsvertrag, S. 370, nach denen die EFS grundsätzlich an die Richtlinien der KJM gebunden seien, nicht jedoch im Bereich von § 8 Abs. 1 JMStV, weil diese Norm wegen Verstoßes gegen das Bestimmtheitsgebot verfassungswidrig sei; diese Sondermeinung ist aber generell nicht zustimmungswürdig, siehe Seite 224 ff. 66 Scholz / Liesching, Jugendschutz, § 9 JMStV, Rn. 5. 67 Retzke, Präventiver Jugendmedienschutz, S. 163 und 213. 68 Vgl. die von Ullrich, MMR 2005, S. 743, 745 geäußerten Zweifel. Noch kritischer Ullrich, ZUM 2005, S. 452, 455 f. Erneut unter ausdrücklicher Ablehnung anderer Auffassungen in der Literatur Ullrich, tv diskurs 2007, Heft 1, S. 102, 104. 69 Scheuer, RdJB 2006, S. 308, 313. 70 Amtliche Begründung zu § 20 Abs. 3 JMStV, u. a. BayLT-Drucks. 14 / 10246. 71 Scheuer, RdJB 2006, S. 308, 313 (Hervorhebung bei Scheuer, nicht in der amtlichen Begründung). 72 Ullrich, tv diskurs 2007, Heft 1, S. 102, 104. 73 So auch Scholz / Liesching, Jugendschutz, § 9 JMStV, Rn. 5, der allerdings im Endergebnis aufgrund weiterer, seines Erachtens schwerer wiegender Überlegungen von einem Vorrang der Richtlinien der KJM ausgeht.
B. Kompetenzabgrenzung zwischen Beho¨rden und anerkannten EFS
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keine spezifisch medienrechtliche, sondern eine in allen Teilen der Rechtswissenschaft alltägliche Frage, ob nämlich die Normierung des einen Bereichs auf den ungeregelten Bereich analog anzuwenden ist oder im Gegenteil das argumentum e contrario überzeugender erscheint. Nimmt man die Voraussetzungen einer Analogie in den Blick,74 so ist zunächst festzustellen, dass eine Regelungslücke besteht.75 Denn auch unter Einbeziehung von § 20 Abs. 3 Satz 3 JMStV ergibt sich keine klare Regelung. Der dortige Verweis lautet „Für Entscheidungen nach den §§ 8 und 9 gilt Satz 1 entsprechend.“ Es erscheint vertretbar, dass mit „Entscheidungen“ nur Einzelfallentscheidungen geregelt werden sollen, ebenso vertretbar erscheint es aber, dass alle Entscheidungen, also auch der Erlass von Richtlinien gemeint sind. (Ein Rückschluss aus den Details der Formulierung auf den gesetzgeberischen Willen dürfte hier ohnehin verfehlt sein, weil der Normgeber an dieser Stelle des Gesetzes nur mit geringfügiger Sorgfalt gearbeitet hat: Der Verweis in § 20 Abs. 3 Satz 3 JMStV dürfte eigentlich nur für die §§ 8, 9 Abs. 1 JMStV gelten, nicht jedoch für § 9 Abs. 2 JMStV, weil weder die EFS noch die KJM Richtlinien gem. § 9 Abs. 2 JMStV erlassen, sondern nur die Landesmedienanstalten.) Für eine Analogie bedarf es neben der Regelungslücke auch einer vergleichbaren Interessenlage. Es ist nicht nur die Idee von § 20 JMStV, sondern die Idee des Verfahrens der regulierten Selbstregulierung im JMStV insgesamt,76 dass der Jugendmedienschutz so weit als möglich in die Hände der Privaten gelegt werden und die staatliche Überwachung nur soweit als nötig einschreiten soll. Es wäre nicht einsichtig, warum dies nur bei Einzelfallentscheidungen, nicht aber bei Richtlinien der Fall sein soll, zumal es sich bei den von Richtlinien betroffenen Fällen nicht um allumfassende materiell-rechtliche Maßstäbe für den JMStV insgesamt handelt, sondern lediglich ein überschaubarer Teilbereich betroffen ist. Wenn die „hierfür“77 anerkannten EFS Richtlinien erstellen und diese Richtlinien sich im Rahmen eines Beurteilungsspielraums halten, so ist ein entsprechendes Handeln durch die KJM nicht mehr nötig und sollte daher auch keine Geltung mehr erfahren. Die vermeintliche Gefahr, verschiedene für den Rundfunk zuständige EFS könnten verschiedene Richtlinien erlassen, ist nach aktuellem Stand der Dinge nur eine theoretische, weil es nur eine anerkannte EFS im Bereich des Rundfunks gibt, darüber hinaus ließe sich ihr wohl dadurch begegnen, dass EFS bei ihrer Anerkennung auf eine Kooperation mit anderen EFS beim Erlass von Richtlinien Vgl. Rüthers, Rechtstheorie, § 23, Rn. 935. Der Verweis von Hopf / Braml, ZUM 2007, S. 23, 28, Fn. 28 auf den Anerkennungsbescheid zugunsten der FSF geht fehl, weil dieser sich nur auf die Richtlinien der Landesmedienanstalten bezieht. 76 Andere Ansicht offenbar Hopf / Braml, ZUM 2007, S. 23, 28, die diesen Gedanken ausschließlich auf den repressiven Jugendschutz reduzieren; da hierfür aber kein Argument jenseits mehr oder weniger zirkulärer Überlegungen genannt wird, erscheint dies nicht überzeugend. 77 So der Wortlaut in den §§ 8 Abs. 1; 9 Abs. 1 JMStV. 74 75
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8. Teil: Einfach-rechtliche Konsequenzen
verpflichtet werden. Somit gilt für das Rangverhältnis der Richtlinien Entsprechendes wie für das Rangverhältnis der Einzelfallentscheidungen: Sofern die anerkannten EFS ihren Beurteilungsspielraum beim Erlass eigener Richtlinien nicht überschritten haben, gelten im Konfliktfall diese und nicht jene der KJM. Von der soeben beantworteten Frage des Rangverhältnisses ist die Frage zu unterscheiden, ob die KJM beim Erlass ihrer Richtlinien (auch) inhaltlich beschränkt ist. Insofern kommt eine gleichsam mittelbare Beschränkung durch den Beurteilungsspielraum der EFS in Betracht, da dieser entwertet würde, wenn Richtlinien der KJM höherrangig und so detailliert wären, dass die anerkannten EFS keine eigenständige Spruchpraxis mehr entwickeln könnten; dementsprechend wären derartig detaillierte Richtlinien der KJM – wohl nach allgemeiner Meinung78 – unzulässig.79 Nachdem vorliegend die Auffassung vertreten wird, dass Richtlinien der EFS vorrangig sind, verliert dieser, in der Literatur immer wieder aufgegriffene Punkt freilich an Bedeutung, weil die EFS (auch) einer detaillierten Richtlinie der KJM durch den Erlass einer eigenen Richtlinie ohne weiteres ihre Wirkung nehmen könnte.
3. Zusammenfassender Überblick zum Verhältnis von Richtlinien gem. §§ 8 Abs. 1; 9 Abs. 1 JMStV und Beurteilungsspielraum der EFS Nach dem soeben Gesagten stellt sich das Verhältnis der Richtlinien gem. §§ 8 Abs. 1; 9 Abs. 1 JMStV zu dem Beurteilungsspielraum bei der Bewertung einzelner Angebote gem. § 20 Abs. 3, 5 JMStV wie folgt dar: Wenn nur die KJM Richtlinien erlassen hat, so muss die EFS sie gem. § 19 Abs. 2 JMStV beachten.80 Daher gilt für die Nichtbeachtung der Richtlinien durch die EFS das Gleiche wie hinsichtlich der materiell-rechtlichen Vorschriften des JMStV selbst. Bei einer Nichtbeachtung durch die EFS kann die KJM gegen den Anbieter nur vorgehen, 78 So Hartstein / Ring / Kreile / Dörr / Stettner, Rundfunkstaatsvertrag, Band III, C 3, § 20 JMStV, Rn. 13 m.w.N, Scholz / Liesching, Jugendschutz, § 9 JMStV, Rn. 5, Kreile / Diesbach, ZUM 2002, S. 849, 855, Hopf / Braml, ZUM 2007, S. 23, 30, Halves, Neuordnung des Jugendmedienschutzes, S. 141 sowie Retzke, Präventiver Jugendmedienschutz, S. 213. – Missverständlich aber Scheuer, RdJB 2006, S. 308, 313, der diesen Aspekt mit seiner weitergehenden und nicht mehr auf allgemeine Zustimmung stoßenden Ansicht vermengt, nach der den anerkannten EFS stets der Vorrang vor der KJM einzuräumen sei. 79 Dazu ausführlich und mit differenzierten Beispielen Schulz et al, Analyse des Jugendmedienschutzsystems, S. 129 f. 80 Ullrich, MMR 2005, S. 743, 745 kritisiert in diesem Zusammenhang den Verweis auf § 19 Abs. 2 JMStV, weil es bei Entscheidungen gem. §§ 8, 9 Abs. 1 JMStV nicht darum gehe, ob ein Angebot dem JMStV entspreche, sondern ob dessen Grenzen verschärft oder gelockert werden sollten. Dieser Einwand geht m. E. jedoch fehl, weil § 19 Abs. 2 JMStV nicht nur die Bestimmungen des JMStV erfasst, sondern ausdrücklich auch die „hierzu erlassenen Satzungen und Richtlinien“.
B. Kompetenzabgrenzung zwischen Beho¨rden und anerkannten EFS
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sofern die EFS ihren Beurteilungsspielraum überschritten hat. Wenn nur die EFS Richtlinien erlassen hat, so muss sie diese ebenso beachten, ihre Anwendung steht im Einzelfall nicht zur Disposition der EFS, auch wenn sie von ihr selbst stammt. Bei Nichtbeachtung kann die KJM gegen den Anbieter aber ebenfalls nur dann vorgehen, wenn die EFS ihren Beurteilungsspielraum überschritten hat.81 Die gleiche Situation besteht, wenn sowohl KJM als auch EFS Richtlinien erlassen haben, weil nach der hier vertretenen Auffassung im Konfliktfall alleine die Richtlinie der EFS gilt.
IV. Erlass von Richtlinien durch die Landesmedienanstalten und Beurteilungsspielraum der EFS Nicht nur KJM und anerkannte EFS, sondern auch die Landesmedienanstalten dürfen weitere untergesetzliche Regelungen erlassen.82 Es bestehen einige ausdrückliche Kompetenztitel gem. §§ 9 Abs. 2 Satz 1; 14 Abs. 7 Satz 2, Abs. 9 Satz 6; 15 Abs. 2; 19 Abs. 2 JMStV, wobei hinsichtlich der Themenstellung der vorliegenden Arbeit nur § 9 Abs. 2 Satz 1 erwähnenswert ist, demgemäß die Landesmedienanstalten bestimmte Satzungen zum digitalen Rundfunk erlassen dürfen.83 Über diese speziellen Punkte hinaus besteht eine pauschale Ermächtigung der Landesmedienanstalten zum Erlass von Richtlinien und Satzungen gem. § 15 Abs. 2 Satz 1 JMStV,84 die soweit gilt, als der JMStV nicht ausdrücklich die KJM zum Erlass ermächtigt hat.85 Die von den Landesmedienanstalten erlassenen Richtlinien sind nach wohl allgemeiner Meinung als Verwaltungsvorschriften einzuordnen.86 Ebenso wie die von So auch Ukrow, Jugendschutzrecht, § 8 JMStV, Rn. 1 a. E. Ausführlich zu den Richtlinien der Landesmedienanstalten, auch unter Berücksichtigung einer möglichen Bindungswirkung gegenüber den Gerichten Sellmann, K&R 2007, S. 196, 198 f. – Hopf / Braml, ZUM 2007, S. 23, 28 vermengen dagegen die verschiedenen Komplexe in unübersichtlicher Weise. – Auch in der Stellungnahme des Verbandes Privater Rundfunk und Telemedien (VPRT) vom März 2007, wiedergegeben in epd medien 2007, Nr. 24, S. 3, 4 wird in irritierender Weise davon gesprochen, dass die KJM Richtlinien erlasse, die auf § 15 Abs. 2 JMStV basierten. 83 Kritisch zum Anwendungsbereich der Vorschrift Bandehzadeh, Jugendschutz im Rundfunk und in den Telemedien, S. 190 ff. 84 Dazu Hartstein / Ring / Kreile / Dörr / Stettner, Rundfunkstaatsvertrag, Band III, C 3, § 15 JMStV, Rn. 4. – Nicht näher eingegangen werden soll hier auf die Sondermeinung von Bosch, Regulierte Selbstregulierung im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag, S. 359, nach der § 15 Abs. 2 Satz 1 JMStV wegen eines Verstoßes gegen das Bestimmtheitsgebot insgesamt verfassungswidrig sein soll; dies überzeugt aber nicht, weil – insbesondere im Bereich einer sehr dynamischen Regelungsmaterie – an den Detaillierungsgrad gesetzlicher Vorgaben keine überspannten Anforderungen gestellt werden dürfen; im Übrigen relativiert Bosch, Regulierte Selbstregulierung im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag, S. 366 ihren Befund ohnehin wieder durch den Vorschlag einer verfassungskonformen Auslegung. 85 Scholz / Liesching, Jugendschutz, § 15 JMStV, Rn. 3. Ebenso Ukrow, Jugendschutzrecht, § 15 JMStV, Rn. 3. 81 82
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8. Teil: Einfach-rechtliche Konsequenzen
der KJM erlassenen Richtlinien sind diese von den anerkannten EFS gem. § 19 Abs. 2 JMStV zu beachten.87 Die KJM kann bei deren Verletzung trotzdem nur dann gegen den Anbieter vorgehen, wenn die EFS ihren Beurteilungsspielraum überschritten hat. Daher ist es zumindest missverständlich, wenn in der Literatur geäußert wird, dass die Richtlinien der Landesmedienanstalten den Beurteilungsspielraum der EFS und die damit verbundene Privilegierung der Anbieter „beschränken“.88 Zwar sind Anbieter wie EFS materiell auch an die Richtlinien gebunden. Die Privilegierung der Anbieter besteht jedoch auch bei einem Verstoß gegen das materielle Recht, solange die EFS nur keine qualifizierten Fehler im Sinne einer Überschreitung ihres Beurteilungsspielraums begangen hat. Dies gilt für materielle Regeln, die unmittelbar dem einfachen Gesetzesrecht zu entnehmen sind, also erst recht für die materiellen Regeln, die in den rangniedrigeren Richtlinien der Landesmedienanstalten enthalten sind. Insofern verfügen anerkannte EFS auch über einen Beurteilungsspielraum bei der Anwendung der Richtlinien der Landesmedienanstalten. Eine Ursache für solche missverständlichen oder gar unzutreffenden Formulierungen ist wohl in einer kritikwürdigen prinzipiellen systematischen Verortung der Rechtsfigur des Beurteilungsspielraums zu erkennen. Insbesondere hat Ladeur in einem der frühesten Beiträge zum JMStV89 – den eine Reihe späterer Autoren aufgriffen90 – geäußert, es gebe durch den unbestimmten Rechtsbegriff der Jugendgefährdung bzw. der Entwicklungsbeeinträchtigung von vornherein einen „Beurteilungsspielraum“, der zunächst durch allgemeine Richtlinien teilweise ausgefüllt werde, so dass die EFS anschließend bei der Anwendung im Einzelfall (nur noch) den quasi restlichen Beurteilungsspielraum ausschöpfe. Diese Konstruktion steht jedoch in Widerspruch zu den Erkenntnissen, die sich bereits bei der Untersuchung des „herkömmlichen“ Beurteilungsspielraums zugunsten der Verwaltung ergeben haben: Die Unbestimmtheit eines Rechtsbegriffes als solche führt nicht zu einem Beurteilungsspielraum im Sinne des terminus technicus, auch nicht die 86 Ladeur, ZUM 2002, S. 859, 867. Zustimmend Scholz / Liesching, Jugendschutz, § 15 JMStV, Rn. 3 sowie Halves, Neuordnung des Jugendmedienschutzes, S. 99. Auch Mynarik, Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien, S. 142, bezieht sich darauf, obwohl sie dort die von den anerkannten EFS erlassenen Richtlinien einordnen will. – Sellmann, K&R 2007, S. 196, 198 hinterfragt kritisch die rechtlichen Wirkungen der Richtlinien der Landesmedienanstalten, ordnet sie aber systematisch übereinstimmend ein. – Auch Bosch, Regulierte Selbstregulierung im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag, S. 365 sieht in den Richtlinien normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften, vermengt diesen Aspekt jedoch mit der Fragen der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit. 87 Im Ergebnis übereinstimmend auch die kritische Untersuchung von Sellmann, K&R 2007, S. 196, 198. 88 So Scholz / Liesching, Jugendschutz, § 15 JMStV, Rn. 3. 89 Ladeur, ZUM 2002, S. 859, 867. 90 So offenbar Scholz / Liesching, Jugendschutz, § 15 JMStV, Rn. 3 d; vgl. z. B. auch Mynarik, Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien, S. 142.
B. Kompetenzabgrenzung zwischen Beho¨rden und anerkannten EFS
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besonders stark ausgeprägte Unbestimmtheit,91 vielmehr bedarf es einer normativen Ermächtigung. Die Richtlinien füllen keinen normativ eröffneten Beurteilungsspielraum aus, stattdessen begrenzen sie in einem logisch vorhergehenden Schritt von vornherein das Spektrum denkbarer Auslegungen. Bei der Anwendung von formellem Gesetz und den Richtlinien der Landesmedienanstalten haben dann ausschließlich die anerkannten EFS einen Beurteilungsspielraum, der ihnen unmittelbar von § 20 Abs. 3, 5 JMStV eingeräumt wird. Die Beschreibung eines durch Unbestimmtheit entstandenen Beurteilungsspielraums, der stufenweise „verteilt“ wird, wie Ladeur dies offenbar vorschwebt, ist daher dogmatisch nicht zustimmungswürdig.92
V. Widerruf der Anerkennung gem. § 19 Abs. 5 Satz 1 Var. 2 JMStV 1. Problemstellung Die Anerkennung einer EFS ist nicht nur auf vier Jahre befristet (§ 19 Abs. 4 Satz 5 JMStV), sie kann auch schon vor Ablauf dieser Frist durch die KJM widerrufen werden (§ 19 Abs. 5 Satz 1 JMStV), wenn entweder die Voraussetzungen für die Anerkennung nachträglich entfallen sind oder – und das ist die im vorliegenden Zusammenhang bedeutende Variante – wenn sich die Spruchpraxis der EFS nicht im Einklang mit dem geltenden Jugendschutzrecht befindet. Aufgrund dieser Regelung ist davon auszugehen, dass nicht eine oder einige wenige Entscheidungen der EFS genügen, da eine „Spruchpraxis“ eine gewisse Menge von einzelnen Entscheidungen voraussetzt. Auch eine eklatante Fehlentscheidung genügt nicht, so lange sie ein Einzelfall bleibt93 (solche Einzelfälle können ja durch das Einschreiten der KJM wegen Überschreitung des Beurteilungsspielraums korrigiert werden). Aufgrund dieser Regelung ist außerdem davon auszugehen, dass es nicht nur einer gewissen absoluten Zahl von fehlerhaften Entscheidungen bedarf, sondern dass diese auch relativ zu der Gesamtzahl von Entscheidungen erheblich sein müssen, denn eine „Spruchpraxis“ als Gesamtheit wird nicht durch einzelne „Ausreißer“ bestimmt. Unklar ist jedoch, welche Maßstäbe die KJM bei der Entscheidung darüber, ob sich die Spruchpraxis einer EFS „im Einklang mit dem geltenden Jugendschutzrecht befindet“, anwenden darf. Insbesondere ist fraglich, wie sie in diesem Zusammenhang die Entscheidungen einer EFS bewerten darf, die von der Siehe Seite 137 ff. Auch das VG Berlin, Urteil vom 06. 07. 2006, Az. 27 A 236.04, juris Rn. 49 (nicht rechtskräftig, anhängig beim OVG Berlin-Brandenburg, Az. OVG 8 N 85.06) lehnt die Auffassung von Ladeur, ZUM 2002, S. 859, 867 (wenn auch in anderem Zusammenhang) ausdrücklich ab. 93 Andere Ansicht aber offenbar Hartstein / Ring / Kreile / Dörr / Stettner, Rundfunkstaatsvertrag, Band III, C 3, § 19 JMStV, Rn. 21. 91 92
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8. Teil: Einfach-rechtliche Konsequenzen
Rechtsauffassung der KJM abweichen, sich jedoch innerhalb der Grenzen des Beurteilungsspielraums bewegen.
2. Bisheriger Meinungsstand in der Literatur Teilweise wird vertreten, die KJM könne die Spruchpraxis einer EFS anlässlich der Prüfung eines möglichen Widerrufs der Anerkennung vollumfänglich und nach eigener Rechtsauffassung bewerten, ohne dass ein Beurteilungsspielraum der anerkannten EFS zu beachten wäre.94 Dabei wird argumentiert, der Beurteilungsspielraum diene allein der Belohnung der Kooperationsbereitschaft und dem Vertrauensschutz auf Seiten der Anbieter, der durch das Verfahrenshindernis gem. § 20 Abs. 3, 5 JMStV hinreichend gesichert sei.95 Eines Beurteilungsspielraums zugunsten der EFS, der im Grunde erst zukünftige Entscheidungen betreffe, bedürfe es daher nicht.96 Andere Vertreter der Literatur meinen, die KJM habe auch bei der Bewertung der Spruchpraxis einen Beurteilungsspielraum der zuvor anerkannten EFS zu beachten. Die Bestimmung zum Widerruf müsste insofern zusammen mit § 20 Abs. 3, 5 JMStV gelesen werden.97 Andernfalls sei zu befürchten, dass die KJM unliebsame Einzelentscheidungen der EFS durch einen Widerruf sanktioniere, so dass die KJM ihrer Beschränkung gem. § 20 Abs. 3, 5 JMStV durch die „Hintertür“ des § 19 Abs. 5 Satz 1 Var. 2 JMStV wieder ausweichen könnte.98
3. Eigene Überlegungen und Stellungnahme Die Argumente beider Seiten sind auf den ersten Blick bestechend. Einerseits ist es durchaus richtig, dass (auch) der Beurteilungsspielraum gem. § 20 Abs. 3, 5 JMStV ein unmittelbares Verfahrenshindernis nur zugunsten der Anbieter aufstellt, so dass er nicht zwingend zu unmittelbaren Gunsten der EFS wirken muss. Ebenso aber ist die beschriebene Gefahr nachvollziehbar, dass sich also die anerkannten EFS durch das ständig drohende „Damoklesschwert“ des Widerrufs in einem stärkeren Maße an der Rechtsauffassung der KJM orientieren müssen, als dies durch § 20 Abs. 3, 5 JMStV vorgesehen ist. Letztendlich ist das Problem durch Heranziehung der grundlegenden Idee der regulierten Selbstregulierung zu lösen. Die Anbieter werden durch den Widerruf der Anerkennung einer EFS zwar nicht unmittelbar betroffen, da die EFS eigen94 95 96 97 98
Bandehzadeh, Jugendschutz im Rundfunk und in den Telemedien, S. 79 f. Bandehzadeh, Jugendschutz im Rundfunk und in den Telemedien, S. 80. Bandehzadeh, Jugendschutz im Rundfunk und in den Telemedien, S. 81. So wohl Langenfeld, MMR 2003, S. 302, 309. Gersdorf, Grundzüge des Rundfunkrechts, Rn. 208.
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ständige Rechtspersönlichkeiten bilden. Die Anbieter werden aber mittelbar betroffen, weil sie mit den EFS – wie bereits dargestellt99 – vereins- und schuldrechtlich verbunden sind. Wenn nicht ein gewisses Maß an Stabilität und Verlässlichkeit auch für die Zukunft generiert wird, so ist das System der regulierten Selbstregulierung insgesamt gefährdet, da es auf eine größtmögliche Einbindung der Privaten angelegt ist. Für diese Auffassung spricht auch, dass nach der amtlichen Begründung des JMStV die EFS „die Möglichkeit haben [sollen], für die angeschlossenen Anbieter Standards zu entwickeln und so zu einer angebotsübergreifenden Spruchpraxis zu kommen.“100 Es dürfte den EFS merklich schwerer fallen, selbst Standards zu entwickeln, wenn sie sich letztendlich exakt an den Standards der KJM orientieren müssten, um nicht den Widerruf der Anerkennung zu riskieren. In die gleiche Richtung deuten darüber hinaus zwei weitere Aspekte der Entstehungsgeschichte. Erstens sollte in der Entwurfsphase des JMStV zunächst ganz auf die spezialgesetzliche Normierung von Widerrufsgründen verzichtet werden; sie wurden schließlich doch aus der Sorge heraus aufgenommen, eine EFS könnte auch innerhalb der kurzen Zeit ihrer befristeten Anerkennung besonders großen Schaden anrichten.101 Es ist aber kein großer, sondern allenfalls ein recht begrenzter Schaden möglich, sofern sich die EFS regelmäßig im Rahmen des Beurteilungsspielraums hält. Zweitens wurde die ebenfalls in der Entwurfsphase geäußerte Forderung, im JMStV ausdrücklich festzulegen, dass hinsichtlich des Widerrufs die Überprüfung der KJM nicht beschränkt sei,102 gerade nicht umgesetzt. Schließlich spricht auch nicht die Effektivität des Jugendschutzes gegen die sich aus dem soeben gesagten ergebende Lösung, denn die Einhaltung der materiellen Standards ist weitgehend abgesichert, einerseits durch die Eingriffsmöglichkeit bei Überschreiten des Beurteilungsspielraums, andererseits durch die Anerkennungsvoraussetzungen, bei deren nachträglichem Entfallen ohnehin ein Widerruf nach der ersten Alternative von § 19 Abs. 5 Satz 1 JMStV erfolgen kann. Daher ist als Ergebnis festzuhalten, dass die KJM einen Widerruf gem. § 19 Abs. 5 Satz 1 Var. 2 JMStV nicht darauf stützen kann, dass die betroffene EFS Entscheidungen gefällt hat, die von der Rechtsauffassung der KJM abwichen, sich aber noch im Rahmen des Beurteilungsspielraums hielten.103 Das TatbestandSiehe Seite 86 und Seite 93 ff. Amtliche Begründung zu § 20 Abs. 3 JMStV, u. a. BayLT-Drucks. 14 / 10246. 101 Vgl. Hartstein / Ring / Kreile / Dörr / Stettner, Rundfunkstaatsvertrag, Band III, C 2, Rn. 68. 102 Schulz / Held, epd medien, 2002, Nr. 58, S. 27, 29; teilweise wird leider nicht darauf aufmerksam gemacht, dass es sich bei deren Ausführungen nicht um eine Auslegung des tatsächlichen in Kraft getretenen Rechts handelt, sondern um (später gerade nicht umgesetzte!) rechtspolitische Forderungen nach einer Änderung des damaligen Entwurfs. 103 Für die Frage, ob die KJM in einem möglichen gerichtlichen Verfahren gegenüber dem Gericht über einen Beurteilungsspielraum verfügt, gelten die Ausführungen zur Frage des „zweiten“ Beurteilungsspielraums der KJM nach Befassung einer EFS mit einem Angebot entsprechend (siehe Seite 294 ff.), so dass die KJM auch hinsichtlich des Widerrufs im 99
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8. Teil: Einfach-rechtliche Konsequenzen
merkmal der sich nicht im Einklang mit dem geltenden Jugendschutzrecht befindlichen Spruchpraxis ist systematisch und teleologisch in diesem Sinne auszulegen.
C. Konsequenzen für das Verwaltungsverfahren I. Vorüberlegung zur Anwendbarkeit des VwVfG Wie bereits grundlegend festgestellt,104 handeln die anerkannten EFS nur in einem sehr begrenzten Ausnahmebereich als Beliehene, nämlich beim Erlass von Einzelfallentscheidungen und Richtlinien gem. §§ 8, 9 Abs. 1 JMStV. Bei Ausübung dieser Tätigkeiten ist die anerkannte EFS Behörde im Sinne des VwVfG,105 ihr Verfahren wird daher zum Verwaltungsverfahren, auf welches das VwVfG (ggf. subsidiär zu spezielleren Vorschriften) Anwendung findet.106 Nicht einfach zu beantworten ist jedoch die Frage, welches VwVfG für die EFS als Beliehene gilt. Die Literatur schweigt sich bereits weitgehend zu der Frage aus, welches VwVfG auf Beliehene im Allgemeinen anzuwenden ist.107 Man wird aber wohl annehmen müssen, dass es sich regelmäßig um das VwVfG handelt, welches auch für den Beleihenden gilt. Bei den EFS liegt der Beleihungsakt in der Anerkennung gem. § 19 Abs. 4 Satz 1, 2 JMStV. Diese erfolgt durch die KJM für die Landesmedienanstalt, in welcher die EFS ihren Sitz hat. Dementsprechend ist das VwVfG anzuwenden, das für die jeweils betroffene Landesmedienanstalt gilt. – Im Regelfall handeln die EFS jedoch wie erwähnt nicht als Beliehene, sind also keine Behörde, sondern private Organisationen. Dann ist das VwVfG von vornherein nicht auf ihr „Verfahren“ gegenüber den Anbietern anwendbar.108 Das Verfahren der KJM ist ein Verwaltungsverfahren, auf das – wie bereits in dieser Arbeit konstatiert109 – die Regelungen des VwVfG anwendbar sind. Die Ergebnis keinen Beurteilungsspielraum hat, obwohl sie exklusiv zur Entscheidung darüber berufen ist. 104 Siehe Seite 125. 105 Zum Zweck der besseren Lesbarkeit wird hier mit „VwVfG“ nicht das VwVfG des Bundes, sondern das im jeweiligen Zusammenhang einschlägige Verwaltungsverfahrensgesetz eines Landes bezeichnet. 106 Speziell zum JMStV Ullrich, MMR 2005, S. 743, 744. Grundlegend Burgi in: Erichsen / Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht (13. Auflage), § 9, Rn. 30. 107 So übergehen diese Frage z. B. Kopp / Ramsauer, VwVfG, § 1, Rn. 58, Hoffmann in: Obermayer, VwVfG, § 1, Rn. 81, Paul Stelkens / Schmitz in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, § 1, Rn. 231. 108 Vgl. auch Ullrich, ZUM 2005, S. 452, 456. 109 Siehe Seite 80. – Nach der vorliegend vertretenen Auffassung sind auf die verschiedenen Verfahren der KJM jeweils verschiedene Verwaltungsverfahrensgesetze anwendbar; zur
C. Konsequenzen fu¨r das Verwaltungsverfahren
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Entscheidungen der EFS sind dagegen – wie soeben festgestellt – regelmäßig keine öffentlich-rechtlichen, sondern privatrechtliche Vorgänge.110 Trotzdem können diese privatrechtlichen Entscheidungen Auswirkungen auf das Verwaltungsverfahren der KJM haben, weil sie gem. § 20 Abs. 3, 5 JMStV entscheidend dafür sind, ob für die KJM ein Verfahrenshindernis besteht oder nicht. Im Folgenden gilt es zu untersuchen, inwiefern die besondere Stellung der EFS das Verfahren der KJM beeinflusst. Dabei kann zugleich die bisherige Verwaltungspraxis bewertet werden, wie sie zuvörderst im Verfahren zu der Sendung „I want a famous face“ in Erscheinung trat.111
II. Umfang der Pflicht der KJM zur Sachverhaltsermittlung von Amts wegen Gem. § 20 Abs. 3, 5 JMStV muss ein Anbieter zur Erlangung der Privilegierung gegenüber der KJM nachweisen, dass er das fragliche Angebot erstens einer EFS vorgelegt und zweitens deren Vorgaben beachtet hat. Insofern besteht also eine gesetzlich spezifisch geregelte Nachweispflicht für den Anbieter. Wenn ihm dieser Nachweis gelingt, muss die KJM Ermittlungen von Amts wegen anstellen, um überprüfen zu können, ob die EFS ihren Beurteilungsspielraum überschritten hat. Dies ergibt sich aus dem allgemeinen Untersuchungsgrundsatz gem. § 24 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Halbsatz 2 VwVfG. In dem gerichtlichen Eilverfahren zu der Sendung „I want a famous face“ wurde von der zuständigen Landesmedienanstalt trotzdem eine andere Ansicht vertreten; sie trug vor, ein effektiver Jugendschutz verlange, dass jede Unklarheit über die Richtigkeit der Begutachtung sowie jede Schwierigkeit bei den Ermittlungen zu Lasten des Anbieters gehe.112 Diese Auffassung ist abzulehnen. Auch bei anderen wichtigen Schutzgütern besteht keine außergesetzliche Relativierung der Pflicht zur Ermittlung des Sachverhalts und es ist kein Grund ersichtlich, warum gerade in diesem Einzelfall von der allgemeinen Regel abgewichen werden sollte. Darüber hinaus hätte es der KJM offengestanden, im Rahmen des Anerkennungsverfahrens für hinreichende Recherchemöglichkeiten bei der jeweiligen EFS zu sorgen.
besseren Lesbarkeit wird im Folgenden aber stets nur von „dem“ VwVfG die Rede sein, ebenso wenig wird auf spezielle Landeseigenheiten eingegangen (wie z. B. die Ordnung nach Artikeln im VwVfG des Freistaats Bayern oder die besondere Gestaltung des Verwaltungsverfahrensrechts im Land Schleswig-Holstein). 110 Ullrich, ZUM 2005, S. 452, 456. 111 Dazu bereits siehe Seite 238 ff. 112 Vgl. die Tatbestandsdarstellung bei VG München, Beschluss vom 21. 12. 2004, Az. M 17 S 04.4817, juris Rn. 45. Vgl. auch den Schriftsatz des Bevollmächtigten der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien vom 21. 10. 2004 im erstinstanzlichen Eilverfahren vor dem VG München, Az. M 17 S 04.4817, S. 10 und 16 (nicht veröffentlicht).
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8. Teil: Einfach-rechtliche Konsequenzen
III. Gesonderter Beschluss der KJM über die Feststellung der Überschreitung? Umgekehrt wurde im Verfahren zu der Sendung „I want a famous face“ vom Anbieter die Auffassung geäußert, die KJM müsse die Überschreitung des Beurteilungsspielraums zunächst gesondert per Beschluss feststellen, bevor sie aufgrund eigener Prüfkompetenz einen Beschluss über das jeweilige Angebot treffen dürfe.113 Dies ist abzulehnen. Ein solches Erfordernis ergibt sich aus keiner Bestimmung und widerspräche der Konstruktion des Verfahrenshindernisses. Darüber hinaus wäre hierin ein überflüssiger Formalismus zu erkennen.
IV. Hinzuziehung der EFS zum Verwaltungsverfahren 1. Problemstellung und bisherige Praxis Die Beanstandung eines Angebots vollzieht sich im Verhältnis zwischen der KJM bzw. der Landesmedienanstalt auf der einen Seite und dem Anbieter auf der anderen Seite. Wenn eine anerkannte EFS zuvor mit dem womöglich zu beanstandenden Angebot befasst war, stellt sich die Frage, ob sie zum Verwaltungsverfahren hinzugezogen werden kann oder gar muss. Im Verfahren zur Sendung „I want a famous face“ lehnte die Landesmedienanstalt eine beantragte Hinzuziehung mit dem Argument ab, die EFS werde lediglich wie ein Gutachter tätig.114 Die betroffene EFS dagegen trug vor, § 19 Abs. 2 JMStV begründe einen eigenen Rechtsstatus zu ihren Gunsten, der grundrechtlich hinterlegt sei. Darüber hinaus äußerte die EFS, sie halte es für „angemessen“ (ohne dabei eine mögliche Rechtsgrundlage zu nennen), die Gelegenheit zu einer ergänzenden Stellungnahme zu erhalten, wenn die von ihr abgegebene Bewertung nach Auffassung der KJM die Grenzen des Beurteilungsspielraums überschritten hat.115
2. Einfache Hinzuziehung Für die Lösung dieser Frage bedarf es keines spezifisch medienrechtlichen Ansatzes, sondern der Anwendung der allgemeinen Vorschrift des § 13 Abs. 2 113 So der Antragsteller im Verfahren zur Sendung „I want a famous face“, vgl. die Tatbestandsdarstellung bei VG München, Beschluss vom 21. 12. 2004, Az. M 17 S 04.4817, juris Rn. 30. 114 Bescheid der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien an die Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen e.V. vom 12. 10. 2004 (nicht veröffentlicht). 115 Jahresbericht 2005 der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen e.V. (FSF), S. 34, abrufbar unter http: //www.fsf.de/fsf2/ueber_uns/bild/download/FSF_Jahresbericht2005.pdf (Stand: 17. 10. 2006).
C. Konsequenzen fu¨r das Verwaltungsverfahren
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VwVfG. Dabei ist zunächst eine einfache Hinzuziehung gem. § 13 Abs. 2 Satz 1 VwVfG in den Blick zu nehmen. Diese setzt eine Berührung von eigenen rechtlichen Interessen des Dritten durch den Ausgang des Verfahrens voraus.116 Unter rechtlichen Interessen in diesem Sinne sind solche materieller, immaterieller, wirtschaftlicher, sozialer oder sonstiger Art zu verstehen, sofern sie rechtlich geschützt sind, es sich also nicht nur um eine tatsächliche Betroffenheit handelt.117 Ein entsprechendes Recht kann auch dem Privatrecht entstammen.118 Sofern die KJM gegen einen Anbieter mit der Begründung vorgeht, die EFS habe ihren Beurteilungsspielraum überschritten, so ist damit immer die Behauptung verbunden, die EFS habe schwerwiegende Fehler begangen. Diese Feststellung wirkt sich auf das privatrechtliche Verhältnis der EFS zum Anbieter aus, beinhaltet sie doch, die EFS habe ihre Kernaufgabe nicht erfüllt. Noch deutlicher als im Falle einer Vereinsmitgliedschaft des Anbieters wird dies im Fall einer Begutachtung aufgrund eines Werkvertrages, bei dem typischerweise von einer (womöglich schadensersatzpflichtigen) Schlechterfüllung auszugehen sein dürfte. Vor allem aber ist eine Norm des öffentlichen Rechts heranzuziehen. Gem. § 19 Abs. 5 Satz 1 Var. 2 JMStV kann die EFS ihre Anerkennung verlieren, wenn ihre Spruchpraxis mangelhaft ist; eine durch die KJM inzident festgestellte Überschreitung des Beurteilungsspielraums hat für diese Frage wesentliche Bedeutung. Nach alledem ist die Hinzuziehung der jeweiligen EFS jedenfalls möglich.
3. Notwendige Hinzuziehung? In weiterer Konsequenz stellt sich die Frage, ob die Hinzuziehung auch notwendig gem. § 13 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 VwVfG ist. Das ist anzunehmen, sofern der Ausgang des Verfahrens rechtsgestaltende Wirkung für den fraglichen Dritten hat. Eine rechtsgestaltende Wirkung liegt vor, wenn die in Betracht kommende Entscheidung ein Recht des Dritten unmittelbar begründet, ändert oder aufhebt,119 was auch dann erfüllt ist, wenn sich private Rechte des Dritten in nachteiliger Weise ändern.120 Die oben aufgeführten möglichen Beeinträchtigungen der EFS mögen zwar von beachtlichem Gewicht sein – trotzdem sind sie keine unmittelbare Folge der Entscheidung gegenüber dem Anbieter. Weder treten die privatrechtlichen Folgen im gleichen Zug ein noch wird die Anerkennung unmittelbar entzogen. Die Hinzuziehung ist daher nicht notwendig i. S. v. § 13 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 VwVfG.
Bonk / Schmitz in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, § 13, Rn. 36. Clausen in: Knack, VwVfG, § 13, Rn. 14 (Hervorhebung nicht im Original). 118 Pünder in: Erichsen / Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht (12. Auflage), § 13, Rn. 12. 119 Bonk / Schmitz in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, § 13, Rn. 38 m. w. N. Übereinstimmend Clausen in: Knack, VwVfG, § 13, Rn. 18 m. w. N. 120 Riedl in: Obermayer, VwVfG, § 13, Rn. 46 (Hervorhebung nicht im Original). 116 117
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8. Teil: Einfach-rechtliche Konsequenzen
4. Wirkungen von Hinzuziehung und unterlassener Hinzuziehung Der Hinzugezogene hat alle Verfahrensrechte und -pflichten, beispielsweise kann er die Erhebung von Beweisen und Akteneinsicht beantragen.121 Nach ganz herrschender Meinung beinhaltet die einfache Hinzuziehung gegenüber dem Hinzugezogenen zwar keine Bindungswirkung durch die verfahrensabschließende Entscheidung, dieser kann aber in einem späteren gerichtlichen Verfahren nicht mehr die Fehlerhaftigkeit jener Entscheidung rügen, sofern ihm das entsprechende Vorbringen schon im Verwaltungsverfahren möglich gewesen wäre.122 Die Unterlassung einer möglichen einfachen Hinzuziehung bleibt dagegen nach ganz herrschender Meinung ohne Rechtsfolgen.123 5. Zusammenfassung und Bewertung Eine Hinzuziehung der EFS ist nicht notwendig, aber möglich. Zwar bliebe es rechtlich folgenlos, wenn die KJM von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch machte. Aus Gründen der Verfahrensökonomie ist eine Hinzuziehung der EFS jedoch dringend geboten, weil die EFS regelmäßig wesentlich bessere Kenntnis als der Anbieter über die Umstände hat, die zu einer Überschreitung des Beurteilungsspielraums führen können. Über den Einzelfall hinaus würde die regelmäßige Hinzuziehung wohl auch die generelle Kooperation zwischen KJM und EFS verbessern.
V. Zugänglichmachung von Entscheidungsbegründungen zugunsten der EFS Die KJM hat ihre Entscheidung gem. § 17 Abs. 1 Satz 3 JMStV zu begründen, damit ist jedoch nur die Begründung gegenüber der Landesmedienanstalt gemeint – die Begründung gegenüber dem Anbieter erfolgt nicht durch die KJM, sondern durch die Landesmedienanstalt, wie sich aus § 20 Abs. 1 JMStV i. V. m. § 39 Abs. 1 VwVfG ergibt. Fraglich ist nunmehr, ob einer anerkannten EFS, die zuvor mit einem beanstandeten Angebot befasst war, die Begründung der Landesmedienanstalt gegenüber dem Anbieter und / oder die Begründung der KJM gegenüber der Landesmedienanstalt auf Antrag zugänglich zu machen ist. Clausen in: Knack, VwVfG, § 13, Rn. 19 Übereinstimmend Kopp / Schenke, VwVfG, § 13, Rn. 49, Ziekow, VwVfG, § 13, Rn. 15 sowie Clausen in: Knack, VwVfG, § 13, Rn. 19. Andere Ansicht offenbar allein Riedl in: Obermayer, VwVfG, § 13, Rn. 66. 123 Übereinstimmend Kopp / Schenke VwVfG, § 13, Rn. 51, Ziekow, VwVfG, § 13, Rn. 16, Clausen in: Knack, VwVfG, § 13, Rn. 20 sowie Riedl in: Obermayer, VwVfG, § 13, Rn. 71. Andere Ansicht offenbar allein Ule / Laubinger, § 15, Rn. 22. 121 122
C. Konsequenzen fu¨r das Verwaltungsverfahren
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In der bisherigen Verwaltungspraxis erhalten die betroffenen EFS von der jeweils zuständigen Landesmedienanstalt keinen Zugang zu den Begründungen, die dem Anbieter gegenüber abgegeben wurden.124 Unabhängig von der zuvor behandelten Frage nach einer Hinzuziehung der EFS zum Verwaltungsverfahren erscheint dies als ermessensfehlerhaft. Zum einen ist kein legitimer Grund ersichtlich, der gegen eine Übermittlung spricht, insbesondere bestehen keine Geheimhaltungsinteressen des Anbieters, da dieser das betroffene Angebot zuvor freiwillig der EFS vorgelegt hat. Zum anderen sprechen gute Gründe für die Übermittlung an die EFS, weil die inzidente Behauptung einer Überschreitung des Beurteilungsspielraums erhebliche Bedeutung für sie hat und es hinsichtlich zukünftiger Fälle für die anerkannte EFS wichtig ist, die Maßstäbe der Behörden nachvollziehen zu können. Es ist nicht im Sinne des Konzepts der regulierten Selbstregulierung und vor allem nicht im Sinne eines effektiven Jugendschutzes, wenn die staatliche Seite die beteiligten privaten Einrichtungen im Unwissen über ihre Erwägungen lässt. – Zugegebenermaßen dürfte die davon abweichende Praxis keine nachhaltigen tatsächlichen Nachteile verursachen, weil die EFS typischerweise von dem jeweiligen Anbieter die Begründung weitergeleitet bekommen wird; doch dieses Verhalten der Behörden verdeutlicht jedenfalls die Attitüde der aktuellen Entscheidungsträger, auf die noch gesondert einzugehen sein wird.125 In der bisherigen Verwaltungspraxis macht die KJM die gegenüber der Landesmedienanstalt abgegebene Begründung ebenfalls nicht zugänglich, stattdessen verweist sie auf ihre Pressemitteilungen.126 Wie bereits Ukrow überzeugend belegt hat, ist diese Praxis rechtswidrig.127 Die Begründung durch die KJM hat unter anderem die Aufgabe, dem Entscheidungsbetroffenen die Möglichkeit zu verschaffen, die Erfolgsaussichten einer möglichen Klage beurteilen zu können;128 dies ist nur möglich, wenn er – ebenso wie später das Gericht – Kenntnis von den Gründen hat, die von der KJM vorgebracht wurden,129 erst recht vor dem Hintergrund, dass die Entscheidungen der KJM für die Landesmedienanstalt verbindlich sind.
124 So der Jahresbericht 2004 der FSF, S. 79 abrufbar unter http: //www.fsf.de/fsf2/ueber _uns/bild/download/FSF_Jahresbericht2004_druck.pdf (Stand: 12. 03. 2007). 125 Siehe Seite 359 ff. 126 Bescheid der KJM an die Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen e.V. vom 20. 08. 2005, S. 2 (nicht veröffentlicht): „Eine Übermittlung der Entscheidungsbegründungen der KJMBeschlüsse kann dagegen als Verwaltungsinternum nicht versandt werden. Die Entscheidungen der KJM können den Pressemitteilungen der KJM entnommen werden. Die KJM ist aber gerne bereit in einen Dialog mit der FSF zu treten, um bei einem persönlichen Gespräch die Gründe für die Annahme einer Entwicklungsbeeinträchtigung bei den bereits konkret geprüften Sendungen sowie für die Annahme einer Überschreitung des Beurteilungsspielraums durch die FSF darzulegen und zu erläutern.“ 127 Ukrow, Jugendschutzrecht, Rn. 628. 128 So auch Retzke, Präventiver Jugendmedienschutz, S. 205. 129 Darüber hinaus gehen die soeben zitierten Argumente der KJM fehl; es besteht keine generelle Regel, nach der die Zugänglichmachung von „Verwaltungsinterna“ an betroffene
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8. Teil: Einfach-rechtliche Konsequenzen
D. Konsequenzen für den Verwaltungsprozess I. Beiladung der EFS bei Klagen des Anbieters 1. Problemstellung und bisherige Praxis Es ist fraglich, ob eine anerkannte EFS zu einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren gem. § 65 VwGO beigeladen werden kann oder muss, in dem sich ein Anbieter gegen die Beanstandung eines Angebots wehrt, das die EFS zuvor begutachtet hatte. Dies kommt in Betracht, da das Vorgehen der KJM bzw. der Landesmedienanstalt gegen den Anbieter regelmäßig die inzidente Behauptung der Überschreitung des Beurteilungsspielraums durch die EFS beinhaltet. Insofern besteht eine Parallele zur schon behandelten130 Frage der Hinzuziehung der EFS zum entsprechenden Verwaltungsverfahren.131 Nicht parallel verlief aber die Handhabung von Verwaltung und Gericht, wie im Fall der Sendung „I want a famous face“ erkennbar wurde: Während im Verwaltungsverfahren die EFS nicht hinzugezogen wurde, erfolgte im anschließenden gerichtlichen Verfahren eine Beiladung durch das Verwaltungsgericht.132 Dem von der Landesmedienanstalt als Antragsgegner gestellten Antrag, die Beiladung wieder aufzuheben, weil keine Rechte der EFS berührt sein könnten,133 wurde nicht gefolgt. 2. Einfache Beiladung Eine einfache Beiladung gem. § 65 Abs. 1 VwGO setzt nach dem Gesetzeswortlaut die Berührung von rechtlichen Interessen des beizuladenden Dritten voraus. Für eine Berührung in diesem Sinne genügt bereits die Möglichkeit der Verbesserung oder Verschlechterung der Rechtslage des Beizuladenden durch die Entscheidung.134 Dies ist bei einer anerkannten EFS der Fall, denn sowohl ihre zivilDritte verboten wäre und selbst wenn eine solche existierte, dürften für schriftliche Auskünfte keine anderen Maßstäbe gelten als für „persönliche Gespräche“. 130 Siehe Seite 272 ff. 131 Die Institute der Hinzuziehung zum Verwaltungsverfahren und der Beiladung zum verwaltungsgerichtlichen Verfahren sind vergleichbar, aber nicht deckungsgleich, wie bei Bonk / Schmitz in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, § 13, Rn. 29 anschaulich formuliert wird. 132 Beschluss des VG München vom 21. 09. 2004, vgl. die Tatbestandsdarstellung bei VG München, Beschluss vom 21. 12. 2004, Az. M 17 S 04.4817, juris Rn. 19. 133 Vgl. die Tatbestandsdarstellung bei VG München, Beschluss vom 21. 12. 2004, Az. M 17 S 04.4817, juris Rn. 22. – Ähnlich wohl die Rechtsauffassung der KJM, wie dem Jahresbericht 2006 der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen e.V. (FSF), abrufbar unter http: //www.fsf.de/fsf2/ueber_uns/bild/download/FSF_Jahresbericht_2006.pdf (Stand: 11. 11. 2007), S. 78 zu entnehmen ist. 134 Czybulka in: Sodan / Ziekow, VwGO, § 65, Rn. 84 m. w. N.
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rechtliche Lage gegenüber dem Anbieter als auch die Wahrscheinlichkeit des Widerrufs der Anerkennung aufgrund mangelhafter Spruchpraxis sind von der Entscheidung gegenüber dem Anbieter betroffen.
3. Notwendige Beiladung? Eine Beiladung ist gem. § 65 Abs. 2 VwGO nicht nur möglich, sondern notwendig, wenn die vom Kläger begehrte Sachentscheidung nicht getroffen werden kann, ohne dass dadurch gleichzeitig, unmittelbar und zwangsläufig Rechte des in Frage kommenden Dritten bestätigt oder festgestellt, verändert oder aufgehoben werden.135 Aus den entsprechenden Gründen wie der Notwendigkeit der Hinzuziehung zum Verwaltungsverfahren136 ist die Notwendigkeit der Beiladung zu verneinen, da es am Merkmal der Unmittelbarkeit fehlt.
4. Wirkungen von Beiladung und unterlassener Beiladung Der Beigeladene kann gem. § 66 Satz 1 VwGO selbständig Angriffs- und Verteidigungsmittel innerhalb der Anträge der anderen Beteiligten geltend machen und ist durch die materielle Rechtskraft der ergehenden Entscheidung gem. §§ 121 Nr. 1; 63 Nr. 3 VwGO gebunden.137 Unterlässt das Gericht die einfache Beiladung, so bleibt dies rechtlich folgenlos.138
5. Zusammenfassung und Bewertung Die Beiladung der EFS ist zwar nicht notwendig, aber möglich. Offensichtlich dient es der Prozessökonomie – also dem wichtigsten Zweck des Rechtsinstituts der Beiladung139 –, wenn das Verwaltungsgericht von dieser Möglichkeit Gebrauch macht, wie es im gerichtlichen Leitverfahren zur Sendung „I want a famous face“ auch erfolgt ist. Ergänzend sei an dieser Stelle daran erinnert, dass in der vorliegenden Arbeit die Auffassung vertreten wird, dass die KJM bei einem Gerichtsverfahren zwischen Anbieter und Landesmedienanstalt notwendig beizuladen ist,140 auch wenn dies in der gerichtlichen Praxis (zumindest bislang) nicht erfolgt ist. In Schmidt in: Eyermann, VwGO, § 65, Rn. 16 m. w. N. Siehe Seite 273. 137 Vgl. Schenke Verwaltungsprozessrecht, Rn. 473 f. sowie Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 12, Rn. 13. 138 Vgl. Schenke Verwaltungsprozessrecht, Rn. 473 sowie Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 12, Rn. 14. 139 Vgl. Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 12, Rn. 4. 140 Siehe Seite 78 ff. 135 136
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der Zusammenschau dieser beiden Aspekte zeigt sich deutlich, wie sinnwidrig ein Prozess wäre, in dem beide Punkte nicht berücksichtigt würden: Auf Klägerseite stünde der Anbieter, der aus eigener Anschauung praktisch nichts zur Klärung der Frage beitragen kann, ob der Beurteilungsspielraum überschritten wurde (denn die Überprüfung lag allein in den Händen der EFS).141 Und auf Beklagtenseite stünde die Landesmedienanstalt, die nicht darüber entscheiden darf, ob das streitgegenständliche Angebot dem JMStV widerspricht (denn diese Entscheidung liegt alleine in den Händen der KJM). Eine solche kuriose Situation kann nicht im Sinne der Effektivität des gerichtlichen Verfahrens sein – und auch nicht im Sinne der Effektivität des Jugendschutzes. Daher sind die Verwaltungsgerichte m. E. nicht nur rechtlich zur Beiladung der KJM verpflichtet, sondern im Rahmen der Ermessensausübung gem. § 65 Abs. 1 VwGO auch gehalten, zukünftig zusätzlich die EFS beizuladen.
II. Vorbemerkung zur Möglichkeit eigener Klagen der EFS Nicht zuletzt, da entsprechend dem soeben erarbeiteten Zwischenergebnis die Beiladung nicht zwingend ist, stellt sich die Frage, ob die EFS selbstständig Klagen gegen die KJM bzw. die Landesmedienanstalt erheben kann, die entweder zusätzlich zur Klage des Anbieters oder auch ohne eine Klageerhebung des Anbieters erfolgen könnten (letzteres ist beispielsweise denkbar, wenn zwar eine Überschreitung des Beurteilungsspielraums durch die EFS behauptet wurde, die verhängte Sanktion aber nur geringfügig ausfiel, so dass der Anbieter kein Interesse an einer gerichtlichen Klärung hat, die betroffene EFS aber sehr wohl). Doch selbst bei erfolgter Beiladung könnte eine zusätzliche eigenständige Klage durch eine EFS anhängig gemacht werden, über die vom Gericht womöglich entschieden wird, bevor eine Entscheidung über die Klage des Anbieters erfolgt.142 In den folgenden Abschnitten soll deshalb (auch) geklärt werden, inwiefern ein eigenständiges gerichtliches Vorgehen der EFS möglich ist.143 Dabei ist bei allen prozessualen Fra141 Besonders deutlich wird dieser Missstand, wenn man sich die Situation eines kleinen Anbieters von Telemedien vor Augen führt, der gerade durch seinen Beitritt zu einer anerkannten EFS auf die Schaffung von unternehmensinternem Sachverstand verzichten konnte, weil er aufgrund dessen gem. § 7 Abs. 2 JMStV keinen Jugendschutzbeauftragten zu bestellen hatte. 142 So hat bei den Verfahren zu „Schönheitsoperationen zu Unterhaltungszwecken“ bzw. zu „I want a famous face“ das VG Berlin bereits mit Urteil vom 06. 07. 2006 (nicht rechtskräftig) entschieden, während die Entscheidung des VG München in der Hauptsache noch aussteht (Az. M 17 K.05.597); wobei auch hier anzumerken ist, dass das VG Berlin nach einer teilweisen Klagerücknahme nicht mehr darüber zu entscheiden hatte, ob im streitgegenständlichen Fall der Beurteilungsspielraum überschritten wurde. 143 Die diesbezüglichen, also den Rechtsschutz der EFS betreffenden Ausführungen von Retzke, Präventiver Jugendmedienschutz, S. 218 f. setzten eine generelle Beleihung der aner-
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gen grundsätzlich zu differenzieren, nämlich einerseits zwischen der bloß inzidenten Feststellung der Überschreitung des Beurteilungsspielraum als solcher und andererseits den Verhaltensweisen von KJM oder Landesmedienanstalt in Gestalt von schlichtem Verwaltungshandeln, die anlässlich dieser Feststellung hervortreten, zum Beispiel in Form von öffentlichen Äußerungen.
III. Organstreitverfahren zwischen KJM und EFS? Das Organstreitverfahren ist im öffentlichen Recht allgemein anerkannt. Wäre dieses verwaltungsprozessuale Institut auf die gerichtlichen Streitigkeiten zwischen KJM und EFS anwendbar, so wären die sich aus dem Verfahren des JMStV ergebenden verwaltungsprozessualen Fragen bereits grundsätzlich geklärt, zumindest gingen sie kaum über die für alle Organstreitverfahren bestehenden Besonderheiten144 hinaus. Beispielsweise müsste die EFS im Rahmen eines Organstreitverfahrens nach dessen allgemeinen Regeln nicht die Verletzung subjektiver Rechte geltend machen. Deshalb ist diese Frage vorab zu klären, noch bevor auf konkrete verwaltungsprozessuale Implikationen eingegangen werden kann. Eine direkte Anwendung der Regeln über den Organstreit scheidet aus. Im Organstreit stehen sich nämlich stets zwei Organe derselben Körperschaft gegenüber oder aber zwei Stellen innerhalb des desselben Organs.145 Die KJM ist – unter Geltung einiger Besonderheiten146 – Organ der jeweils zuständigen Landesmedienanstalt. Eine EFS ist jedoch auch nach ihrer Anerkennung gem. § 19 Abs. 4 Satz 1 JMStV kein Organ einer Landesmedienanstalt. Nicht nur, weil es sich häufig um eine andere Landesmedienanstalt handeln würde (die KJM handelt bei der Überwachung für die Anstalt, in welcher der Anbieter seinen Sitz hat, bei der Anerkennung handelt die KJM für die Anstalt, in welcher die EFS ihren Sitz hat, § 19 Abs. 4 Satz 2 JMStV), sondern vor allem, weil die EFS weiterhin eigenständig handelt. Erst recht ist eine anerkannte EFS kein Teil der KJM und insofern keine Stelle desselben Organs. Auch eine analoge Anwendung der Regeln über den Organstreit kommt nicht in Betracht. Zwar besteht insofern eine Regelungslücke, als die Frage des prozessualen Verhältnisses zwischen KJM und anerkannter EFS nicht ausdrücklich geregelt ist. Es fehlt jedoch an einer vergleichbaren Interessenlage, wie ein Blick auf die Herkunft des Organstreitverfahrens zeigt: Ein „Insichprozess“ zwischen verschiedenen Stellen derselben Körperschaft war dem Verwaltungsprozess, der sich von seiner Entstehung her als Rechtsstreit zwischen einem Privaten und dem Staat darkannten EFS voraus, was aber nicht der in dieser Arbeit vertretenen Auffassung entspricht, so dass sie hier keine weitere Berücksichtung finden können. 144 Vgl. z. B. Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 21, passim. 145 Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 21, Rn. 3. 146 Ausführlich dazu siehe Seite 70 ff.
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stellte, ursprünglich fremd.147 Nachdem das Gesetz aber bestimmten Stellen innerhalb von Körperschaften bzw. Organen bestimmte Kompetenzen zuwies, die sich vom gewöhnlichen hierarchischen Aufbau der Verwaltung unterscheiden,148 wäre diese Zuweisung gefährdet worden, wenn sie nicht gerichtlich durchgesetzt werden könnte.149 Aus dieser „Not“ heraus wurde das Organstreitverfahren erst geboren. Das aber ist eine Not, die im Verhältnis zwischen KJM und EFS gar nicht besteht! Eine EFS ist Privater.150 Somit stellt eine von ihr erhobene Klage den Normalfall des Verwaltungsprozesses dar, so dass auch die normalen Regeln des Verwaltungsprozesses Anwendung finden können, ohne dass es eines Rückgriffs auf die besonderen Regelungen des Organstreits bedürfte.
IV. Eröffnung des Verwaltungsrechtsweges 1. Klagen des Anbieters sowie Klagen einer EFS auf Anerkennung Bei Klagen gegen eine rechtliche Maßnahme der KJM bzw. einer Landesmedienanstalt gegenüber einem Anbieter ist der Verwaltungsrechtsweg gem. § 40 Satz 1 VwGO ohne weiteres eröffnet,151 weil die streitentscheidenden Normen dem JMStV als einem Teil des öffentlichen Rechts zu entnehmen sind.152 Entsprechendes gilt für die EFS, sofern ihre Anerkennung gem. § 19 Abs. 3 JMStV im Streit steht.153
2. Klagen der EFS gegen schlichtes Verwaltungshandeln Private können nicht nur durch Verwaltungsakte, sondern auch durch schlichtes Verwaltungshandeln in ihren Rechten verletzt werden. Deshalb ist der Verwaltungsrechtsweg gem. § 40 Satz 1 VwGO (der insofern das verfassungsrechtliche Gebot gem. Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG umsetzt) auch anlässlich hoheitlichen Handelns eröffnet, welches sich außerhalb eines förmlichen Verfahrens vollzieht.154 Es Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 21, Rn. 1. So die anschauliche Darstellung bei Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 21, Rn. 28. 149 Ähnlich Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 21, Rn. 2 f. 150 Auch im Ausnahmefall einer Tätigkeit als Beliehene bleibt die EFS formell privat. 151 Vgl. z. B. Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 11, Rn. 23. 152 Peter M. Huber in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band III (im Ersch.), § 45, Rn. 99 zeigt, dass es sich bei Streitigkeiten aus dem Überwachungsrechtsverhältnis idealtypisch um öffentlich-rechtliche Streitigkeiten nicht verfassungsrechtlicher Art gem. § 40 Satz 1 VwGO handelt. 153 Vgl. Kreile / Diesbach, ZUM 2002, 849, 854. 154 Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 11, Rn. 4 m. w. N. 147 148
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gibt keinen Grund, diese essentielle Regel des öffentlichen Rechts nicht auch auf die privaten EFS anzuwenden. Somit ist es insbesondere nicht zutreffend, wenn Cole meint, ein außerhalb des Vollzugs stattfindendes Handeln der KJM könne erst mit der Verhängung von Einzelmaßnahmen „potentieller Gegenstand eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens“ werden.155 Vielmehr ist auch schon zuvor der Verwaltungsgerichtsweg eröffnet.
3. Klagen der EFS gegen die inzidente Behauptung der Überschreitung des Beurteilungsspielraums Auch bei einem Vorgehen von KJM bzw. Landesmedienanstalt gegen einen Anbieter ist der Verwaltungsrechtsweg für die Klage einer anerkannten EFS, die das streitgegenständliche Angebot zuvor geprüft hat, eröffnet. Denn hier sind die streitentscheidenden Normen ebenfalls dem öffentlichen Recht zu entnehmen (typischerweise §§ 4, 5 und 20 JMStV).
V. Klagebefugnis 1. Klagen des Anbieters sowie Klagen einer EFS auf Anerkennung Die Klagebefugnis eines Anbieters gem. § 42 Abs. 2 VwGO liegt regelmäßig auf der Hand. Gleiches gilt für Klagen der EFS in Bezug auf ihre Anerkennung, weil eine EFS bei Erfüllung der Anerkennungsvoraussetzungen gem. § 19 Abs. 3 JMStV einen Rechtsanspruch auf Anerkennung hat.156
2. Klagen der EFS gegen schlichtes Verwaltungshandeln Unabhängig von der Klageart muss der Bürger regelmäßig seine Klagebefugnis geltend machen, nachdem § 42 Abs. 2 VwGO nach herrschender Meinung auch bei allen anderen in Betracht kommenden Klagearten (zumindest) analoge Anwendung findet.157 Eine EFS ist eine private Körperschaft und so grundsätzlich mit bürgerlichen Rechten ausgestattet, deshalb kann sie durch schlichtes Verwaltungshandeln in eigenen Rechten verletzt werden, dementsprechend ist sie zur Klage befugt, solange die Verletzung nicht im Einzelfall offensichtlich und eindeutig ausgeschlossen ist.158 Wie das Verwaltungsgericht Berlin ausführlich und zutreffend Cole, ZUM 2005, S. 462, 470. Ukrow, Jugendschutzrecht, Rn. 680 m. w. N.; Halves, Neuordnung des Jugendmedienschutzes, S. 152. 157 Vgl. Schenke, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 491 f. 155 156
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dargelegt hat, verfügt eine EFS als Subjekt des Privatrechts über eine verfassungsrechtlich geschützte allgemeine Betätigungsfreiheit, so dass nicht die Wehrfähigkeit dieser Betätigungsfreiheit der Rechtfertigung bedarf, sondern vielmehr ein hoheitlicher Eingriff in diese Betätigungsfreiheit.159 Daran ändert sich auch nichts durch die Anerkennung der EFS gem. § 19 Abs. 3 JMStV, denn die EFS (von dem Ausnahmefall der Beleihung abgesehen) tritt auch danach nicht auf die Seite des Staates.160 Unzutreffend ist daher die Behauptung, erst der JMStV statte die EFS mit einer materiell-rechtlichen Rechtsposition aus, so dass an der Klagebefugnis zu zweifeln sei.161 Dies wird besonders deutlich, wenn man sich als Vergleichsbeispiel eine nicht anerkannte EFS162 vor Augen führt: Eine solche nicht anerkannte EFS als private Einrichtung dürfte von einer behördlichen Stelle selbstverständlich nicht in ihren bürgerlichen Rechten beeinträchtigt werden, beispielsweise dürfte die KJM keine unwahren Tatsachenbehauptungen über sie verbreiten – daran darf sich durch die Anerkennung einer EFS nichts ändern. Ebenso unzutreffend ist die Überlegung, dass die Klage einer EFS deshalb ausgeschlossen sein könne, weil die KJM staatsfern organisiert sei und insofern keine im engsten Sinne staatliche Kontrolle ausübe.163 Selbstverständlich ändert die staatsferne Zusammensetzung der KJM nichts daran, dass sie eine hoheitlich handelnde Behörde ist, gegen deren Handeln dem Privaten der Weg zu den Gerichten offen steht – bei Zugrundelegung einer anderen Auffassung könnte konsequenterweise nicht einmal ein Anbieter (!) gegen das Handeln der KJM vor dem Verwaltungsgericht klagen. Nach alledem ist es also nicht zwingend nötig, dem JMStV ein subjektiv-öffentliches Recht zugunsten der anerkannten EFS zu entnehmen, um ihre Klagebefugnis zu begründen. Ob es aber möglich ist,164 (unter anderem) in einer Vorschrift des JMStV ein subjektivöffentliches Recht165 zugunsten der EFS zu identifizieren, soll sogleich geklärt werden.
158 Näher zu dieser Voraussetzung der so genannten „Möglichkeitstheorie“ als der herrschenden Meinung Schenke, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 494. 159 VG Berlin, Urteil vom 06. 07. 2006, Az. 27 A 236.04, juris Rn. 40 (nicht rechtskräftig, anhängig beim OVG Berlin-Brandenburg, Az. OVG 8 N 85.06). – Trotz übereinstimmenden Ergebnisses kritisiert Ullrich, tv diskurs 2007, Heft 1, S. 102, 105 die Begründung des VG Berlin, mit der nicht ohne weiteres zustimmungswürdigen Behauptung, die allgemeine Handlungsfreiheit gem. Art. 2 Abs. 1 GG vermöge keinen Schutz gegen die Äußerung von Rechtsauffassungen durch eine Behörde zu bieten, selbst dann nicht, wenn diese evident falsch oder mit autoritativem Charakter versehen seien. 160 Im Ergebnis ebenso VG Berlin, Urteil vom 06. 07. 2006, Az. 27 A 236.04, juris Rn. 40 (nicht rechtskräftig, anhängig beim OVG Berlin-Brandenburg, Az. OVG 8 N 85.06). 161 So aber Hopf / Braml, ZUM 2007, S. 23, 25. 162 Die Bildung von nicht anerkannten EFS ist unproblematisch möglich, siehe Seite 87 f. 163 So aber Hopf / Braml, ZUM 2007, S. 23, 25. 164 Diese Unterscheidung zwischen Notwendigkeit und Möglichkeit tritt m. E. bei Ullrich, tv diskurs 2007, Heft 1, S. 102, 105 f. nicht hinreichend deutlich hervor. 165 Vgl. Peter M. Huber, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 109 grundlegend zum subjektiv-öffentlichen Recht.
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3. Klagen der EFS gegen die inzidente Behauptung der Überschreitung des Beurteilungsspielraums Wenn die KJM bzw. die Landesmedienanstalt gegen einen Anbieter vorgeht, obwohl dieser das jeweilige Angebot einer anerkannten EFS vorgelegt und deren Vorgaben beachtet hat, so ergeht der Verwaltungsakt zunächst nur gegenüber dem Anbieter, nicht gegenüber der EFS. Im Vorgehen von KJM bzw. Landesmedienanstalt liegt in diesen Fällen aber auch immer die inzidente Feststellung, die EFS habe ihren Beurteilungsspielraum überschritten. Sofern der Vorgang von der KJM veröffentlicht wird, ist der Fall nach – bereits dargestellten – Regeln über das nichtförmliche Verwaltungshandeln zu lösen. Fraglich ist aber, ob auch die inzidente Feststellung der Überschreitung als solche (also auch eine ohne Veröffentlichung o.ä.) die Rechte einer EFS verletzen kann. Für dass Vorliegen der Klagebefugnis müsste ein subjektiv-öffentliches Recht vorliegen.166 Eine Rechtsvorschrift ist als subjektiv-öffentliches Recht einzuordnen, wenn sie unabdingbar ist und nicht nur dem öffentlichen, sondern (zumindest auch) dem Interesse einzelner Betroffener zu dienen bestimmt ist.167 Ob der JMStV (jenseits der bereits abgehandelten Anerkennung als solcher) eine Norm beinhaltet, die zumindest auch den Interessen der EFS zu dienen bestimmt ist – namentlich kommen dafür die §§ 19 Abs. 2; 20 Abs. 3, 5; 16 Satz 2 Halbsatz 1 JMStV in Betracht – ist umstritten.168 Die Herleitung einer Lösung dieser Streitfrage ähnelt dabei den Erörterungen zur Hinzuziehung zum Verwaltungsverfahren169 und zur Beiladung zum Verwaltungsprozess170 nach Klage eines Anbieters. Zuvörderst ist darauf abzustellen, dass die EFS gem. § 19 Abs. 5 Satz 1 Var. 2 JMStV ihre Anerkennung verlieren kann, wenn ihre Spruchpraxis mangelhaft ist, wofür eine inzident festgestellte Überschreitung des Beurteilungsspielraums wesentliche Bedeutung hat. Insofern ist eine Klagebefugnis bereits im Rahmen einer Vgl. Schenke, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 495. Vgl. Peter M. Huber in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Band 1, Art. 19, Rn. 389 ff. mit ausführlicher Darstellung der Rechtsfigur des subjektiv-öffentlichen Rechts. Umfassend Scherzberg in: Erichsen / Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 11, passim. Wie hier Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 8, Rn. 8. Mit Blick auf die Kontrolldichte problematisierend („Krise des subjektiv-öffentlichen Rechts“) Scholz, VVDStRL Band 34 (1975), S. 145, 198; prinzipielle Kritik bei Wieland in: Umbach, Verfassungsrecht, S. 249, 250 f. Zu Änderungsbestrebungen hinsichtlich des subjektiv-öffentlichen Rechts mit gegensätzlichen Zielrichtungen bereits Hoffmann-Riem, AöR Band 101 (1976), S. 89, 98. 168 Bejahend Ullrich, ZUM 2005, S. 452, 461 sowie Halves, Neuordnung des Jugendmedienschutzes, S. 153; ähnlich die Rechtsauffassung der klagenden EFS im Verfahren zu „Schönheitsoperationen zu Unterhaltungszwecken“, vgl. die Tatbestandsdarstellung bei VG Berlin, Urteil vom 06. 07. 2006, Az. 27 A 236.04, juris Rn. 21 sowie den Jahresbericht 2006 der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen e.V. (FSF), abrufbar unter http: //www.fsf. de/fsf2/ueber_uns/bild/download/FSF_Jahresbericht_2006.pdf (Stand: 11. 11. 2007), S. 84. – Zweifelnd dagegen Cole, ZUM 2005, S. 462, 470. 169 Dazu siehe Seite 272 ff. 170 Dazu siehe Seite 276 ff. 166 167
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Vorstufe zu jenen Klagen zu bejahen, welche unmittelbar die Anerkennung betreffen (zum Beispiel eine Anfechtungsklage gegen den Widerruf der Anerkennung). Außerdem wirkt sich die inzidente Feststellung der Überschreitung des Beurteilungsspielraums auch auf das Verhältnis der EFS zum Anbieter aus. Denn wenn die KJM bzw. die Landesmedienanstalt in dem Bescheid an den Anbieter inzident feststellt, die EFS habe ihren Beurteilungsspielraum überschritten, bedeutet dies typischerweise zugleich, dass die EFS die Bewertung, zu der sie durch einen zivilrechtlichen Vertrag verpflichtet war, im konkreten Fall mangelhaft durchgeführt hat. In der Attestierung unzulänglicher Arbeit liegt daher eine mögliche Rechtsverletzung.171 Die Klagebefugnis der anerkannten EFS ist zu bejahen.
VI. Statthafte Klagearten 1. Klagen des Anbieters sowie Klagen der EFS auf Anerkennung Die Klage eines Anbieters gegen die Maßnahme einer Landesmedienanstalt ist regelmäßig eine Anfechtungsklage gem. § 42 Abs. 1 Var. 1 VwGO.172 Feststellungsklagen der Anbieter steht prinzipiell die Subsidiaritätsklausel gem. § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO entgegen.173 Entsprechendes gilt bei Rechtsstreitigkeiten von EFS bezüglich ihrer Anerkennung durch die KJM, die mit Anfechtungs- bzw. Verpflichtungsklage gem. § 42 Abs. 1 Var. 1 VwGO angegriffen werden können.174 2. Klagen der EFS gegen schlichtes Verwaltungshandeln Bei Klagen der EFS gegen schlichtes Verwaltungshandeln ist die Bestimmung der richtigen Klageart problematischer. Die Anfechtungsklage scheidet in diesen Konstellationen aus, weil es an einem bekannt gegebenen Verwaltungsakt fehlt. Denkbar ist zunächst eine allgemeine Leistungsklage175 (zum Beispiel auf Wider171 So die anschauliche Zusammenfassung – wenn auch hinsichtlich der Veröffentlichung – von Liesching, ZUM 2006, S. 785, 785 mit Bezug auf die Erwägungen bei VG Berlin, Urteil vom 06. 07. 2006, Az. 27 A 236.04, juris Rn. 40 (nicht rechtskräftig, anhängig beim OVG Berlin-Brandenburg, Az. OVG 8 N 85.06). 172 Ebenso Halves, Neuordnung des Jugendmedienschutzes, S. 152. 173 Es ist allerdings auch denkbar, dass sich ein Anbieter gegen schlichthoheitliches Verwaltungshandeln zur Wehr setzen will (beispielsweise, wenn die KJM unzutreffende Tatsachenbehauptungen über ihn veröffentlichen würde). Für diese Fälle sei auf die jeweiligen Ausführungen zu den Klagen einer EFS gegen schlichthoheitliches Verwaltungshandeln verwiesen. 174 So auch Mynarik, Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien, S. 138 m. w. N. 175 Die allgemeine Leistungsklage wird in der VwGO nicht ausdrücklich geregelt, jedoch in § 43 Abs. 2 VwGO als bestehend vorausgesetzt, näher Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 17, Rn. 1 ff.
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ruf einer Äußerung), ebenso denkbar ist eine Leistungsklage in Form der Unterlassungsklage (zum Beispiel auf Unterlassung einer Äußerung).176 Ob eine Leistungsklage jedoch tatsächlich in Betracht kommt, hängt wesentlich von Fragen der Passivlegitimation ab, so dass auf die dazu sogleich folgenden Ausführungen verwiesen werden soll. Außerdem ist an die Feststellungsklage gem. § 43 Abs. 1 VwGO zu denken. Die grundsätzliche Subsidiarität der Feststellungsklage und die Ausnahmen von diesem Grundsatz sind im Verwaltungsprozessrecht generell umstritten177 und ergeben sich nicht speziell durch den JMStV, so dass dem hier nicht näher nachgegangen werden muss.178 Allenfalls ist noch erwähnenswert, dass die Feststellungsklage von höherer Effektivität und somit statthaft sein kann, wenn ein Rechtsverhältnis über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist,179 was angesichts vieler offener Grundsatzfragen im Bereich des JMStV häufig nahe liegen dürfte.
3. Klagen der EFS gegen die inzidente Behauptung der Überschreitung des Beurteilungsspielraums Sofern die inzidente Feststellung einer Überschreitung veröffentlicht wurde o. ä., kommt, wie bereits angedeutet, die Leistungsklage in Betracht. Sofern sich jedoch die Klage nur gegen die inzidente Feststellung als solche richtet, ist die Lage anders zu beurteilen.180 Die Leistungsklage kommt weder in Form der Vornahmenoch in jener der Unterlassungsklage in Betracht, weil in der inzidenten Feststellung als solcher kein tatsächliches Handeln zu erkennen ist. Erst recht scheidet die Anfechtungsklage gem. § 42 Abs. 1 Var. 1 VwGO aus, weil es gegenüber der EFS an einem bekannt gegebenen Verwaltungsakt fehlt. Daher ist die Feststellungsklage gem. § 43 Abs. 1 VwGO die statthafte Klageart.181 176 Im Verfahren „Schönheitsoperationen zu Unterhaltungszwecken“ erhob die EFS zunächst auch Klage auf Verfassung einer Gegendarstellung sowie auf Untersagung der Wiederholung einer Behauptung; nach einer teilweisen Klagerücknahme begehrte sie jedoch nur noch die Feststellung der Rechtswidrigkeit, vgl. VG Berlin, Urteil vom 06. 07. 2006, Az. 27 A 236.04, juris Rn. 13 ff. und 26 ff. (nicht rechtskräftig, anhängig beim OVG Berlin-Brandenburg, Az. OVG 8 N 85.06). 177 Vgl. dazu z. B. Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 18, Rn. 8 ff. 178 Im Verfahren „Schönheitsoperationen zu Unterhaltungszwecken“ wurde ein Entfallen der Subsidiarität der Feststellungsklage angenommen, vgl. VG Berlin, Urteil vom 06. 07. 2006, Az. 27 A 236.04, juris Rn. 38 (nicht rechtskräftig, anhängig beim OVG BerlinBrandenburg, Az. OVG 8 N 85.06). Kritisch dazu Hopf / Braml, ZUM 2007, S. 23, 26, die jedoch die Aussagen des VG Berlin nicht ganz zutreffend wiedergeben, weil das Gericht nicht auf den sachlichen Umfang des streitgegenständlichen „Grundsatzbeschlusses“, sondern primär auf dessen Anschein der Verbindlichkeit abstellt. 179 Happ in: Eyermann, VwGO, § 43, Rn. 41 m. w. N. 180 Diese Differenzierung fehlt bei Halves, Neuordnung des Jugendmedienschutzes, S. 153. 181 In dem Verfahren „Schönheitsoperationen zu Unterhaltungszwecken“ klagte die EFS zunächst auch auf die Feststellung, dass sie ihren Beurteilungsspielraum nicht überschritten
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8. Teil: Einfach-rechtliche Konsequenzen
VII. Passivlegitimation 1. Klagen des Anbieters sowie Klagen der EFS auf Anerkennung Für Klagen eines Anbieters gegen rechtliche Maßnahmen ist gem. § 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO nicht die KJM, sondern die Landesmedienanstalt passivlegitimiert, weil letztere den Bescheid gegenüber dem Anbieter erlässt.182 Entsprechendes gilt für Klagen einer EFS bezüglich ihrer Anerkennung, bei denen die gem. § 19 Abs. 4 Satz 2; 3 JMStV zuständige183 Landesmedienanstalt passivlegitimiert ist. 2. Klagen der EFS gegen schlichtes Verwaltungshandeln a) Problemstellung – Unmöglichkeit der eigenen Passivlegitimation der KJM Sofern eine Landesmedienanstalt selbst, also nicht durch ihr „Organ“ KJM, in nichtförmlicher Art und Weise handelt, ist sie ohne weiteres selbst passivlegitimiert. Weitaus problematischer ist die Passivlegitimation in den – im Bereich des JMStV regelmäßig gegebenen – Fall, in dem die KJM handelt.184 Diese Handlungen erfolgen in relativ großer Selbstständigkeit, weil die KJM mehr ist als ein bloßes Organ zur Willensbildung.185 Daher ist die Behauptung nicht richtig, die KJM handle stets als Organ einer Landesmedienanstalt und könne deshalb nicht passivlegitimiert sein.186 Auch ist unzutreffend, dass die KJM keine Einzelfallentscheidungen mit Außenwirkungen treffen könne187 (als Beispiel sei nochmals die Zulassung von Modellversuchen gem. § 11 Abs. 6 JMStV genannt). Vor allem aber kann eine Klage der EFS auch ohne Außenwirkung im Sinne eines Verwaltungsaktes erfolgen, eben bei nichtförmlichem Verwaltungshandeln.188 habe, nahm diesen Antrag jedoch später zurück; das Gericht verwies hinsichtlich der Frage nach einer Überschreitung des Beurteilungsspielraums ausdrücklich auf das anhängige Verfahren des Anbieters, vgl. VG Berlin, Urteil vom 06. 07. 2006, Az. 27 A 236.04, juris Rn. 13 ff., 26 ff. und 46 (nicht rechtskräftig, anhängig beim OVG Berlin-Brandenburg, Az. OVG 8 N 85.06). 182 Siehe Seite 71 f. 183 Näher zu dieser Zuständigkeitsregelung Mynarik, Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien, S. 139 m. w. N. 184 Auch Ullrich, tv diskurs 2007, Heft 1, S. 102, 103 betont nachdrücklich die Komplexität dieser Fragestellung. 185 Ausführlich dazu siehe Seite 70 ff. 186 So aber Hopf / Braml, ZUM 2007, S. 23, 26 (Hervorhebung nicht im Original). 187 So aber Hopf / Braml, ZUM 2007, S. 23, 26. 188 So auch Ullrich, tv diskurs 2007, Heft 1, S. 102, 103.
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Trotzdem ist die KJM im Ergebnis in keinem Fall passivlegitimiert. Die Voraussetzungen gem. § 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO sind enger als die der Beteiligtenfähigkeit, so dass es verfehlt wäre, von der (teilweise bestrittenen189) Beteiligtenfähigkeit auf die Passivlegitimation zu schließen.190 § 78 Abs. 1 VwGO ist klar zu entnehmen, dass nur bei ausdrücklicher gesetzlicher Regelung von dem Grundsatz abgewichen werden soll, dass eine juristische Person passivlegitimiert ist.191 Trotz der beschriebenen Eigenständigkeit verfügt die KJM über keine eigene Rechtspersönlichkeit.192 Der JMStV enthält keine abweichende Regelung, so dass eine eigene Passivlegitimation der KJM stets ausscheidet, auch dann, wenn sie ohne Bezug zu einer Landesmedienanstalt handelt. Selbstverständlich kann dies aber nicht dazu führen, dass eine Klage der EFS und mithin effektiver Rechtsschutz ausgeschlossen wäre.193 Dies wäre weder mit § 40 Satz 1 VwGO noch mit Art. 19 Abs. 4 Satz 1 VwGO vereinbar.194 Daher ist „ersatzweise“ eine Landesmedienanstalt passivlegitimiert, wenn eine EFS gegen schlichtes Verwaltungshandeln der KJM klagt – welche Landesmedienanstalt konkret, ist sogleich zu klären.
b) Bestimmung der konkret passivlegitimierten Landesmedienanstalt Sofern sich im Einzelfall das nichtförmliche Verwaltungshandeln der KJM einer speziellen Aufgabe zuordnen lässt, die für eine einzelne Landesmedienanstalt wahrgenommen wird, ist es sachgerecht, gerade diese Landesmedienanstalt als „vorrangig“195 passivlegitimiert anzusehen.196 Dabei ist nicht an die Zuständigkeit für die Anerkennung einer EFS anzuknüpfen, denn dies widerspräche der bereits gewonnenen Erkenntnis, dass die EFS primär als Subjekte des Privatrechts von nichtförmlichem Verwaltungshandeln betroffen sind. In der vorliegenden Arbeit wird die Beteiligtenfähigkeit der KJM bejaht, siehe Seite 78 f. Das VG Berlin, Urteil vom 06. 07. 2006, Az. 27 A 236.04, juris Rn. 42 (nicht rechtskräftig, anhängig beim OVG Berlin-Brandenburg, Az. OVG 8 N 85.06) scheint dies zu übersehen, zumal es entgegen der vorliegend vertretenen Ansicht die Beteiligtenfähigkeit der KJM verneint. 191 Vgl. Schenke, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 547 und 550. 192 Dies ist auch der Ausgangspunkt bei VG Berlin, Urteil vom 06. 07. 2006, Az. 27 A 236.04, juris Rn. 42 (nicht rechtskräftig, anhängig beim OVG Berlin-Brandenburg, Az. OVG 8 N 85.06). 193 Dies scheinen Hopf / Braml, ZUM 2007, S. 23, 26 zu übersehen. 194 Vgl. hierbei auch die Ausführungen von VG Berlin, Urteil vom 06. 07. 2006, Az. 27 A 236.04, juris Rn. 40 (nicht rechtskräftig, anhängig beim OVG Berlin-Brandenburg, Az. OVG 8 N 85.06); zustimmend Ullrich, tv diskurs 2007, Heft 1, S. 102, 103 f. 195 So die Wortwahl bei VG Berlin, Urteil vom 06. 07. 2006, Az. 27 A 236.04, juris Rn. 42 (nicht rechtskräftig, anhängig beim OVG Berlin-Brandenburg, Az. OVG 8 N 85.06). 196 Ähnlich Liesching, ZUM 2006, S. 785, 785. 189 190
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8. Teil: Einfach-rechtliche Konsequenzen
Es liegt auf der Hand, dass Fälle schlichten Verwaltungshandelns der KJM möglich sind, in denen jeder Bezug zu einer einzelnen Landesmedienanstalt fehlt (abermals sei an das Beispiel der Zulassung eines Modellversuchs gem. § 11 Abs. 6 JMStV erinnert). Außerdem ist denkbar, dass eine nicht anerkannte EFS von einem schlichten Handeln der KJM betroffen ist, so dass es ebenfalls an einem Anknüpfungspunkt fehlt. In diesen Fällen hat keine Landesmedienanstalt einen besonderen Bezug zu dem Verhalten der KJM. Auch das kann aber nicht zur Folge haben, dass gar keine Körperschaft passivlegitimiert ist, weil dies § 40 Satz 1 VwGO und Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG widerspräche. Daher ist in den Fällen, in denen ein Anknüpfungspunkt fehlt – so kurios dieses Ergebnis auch anmuten mag – vielmehr jede Landesmedienanstalt passivlegitimiert197 (in dieser Situation wird übrigens besonders deutlich, dass eine Beiladung der KJM nicht nur rechtlich geboten,198 sondern auch ausgesprochen zweckmäßig ist).
c) Rekurs: Statthafte Klageart bei einer Klage gegen die Landesmedienanstalt anlässlich des Handelns der KJM Will sich eine EFS gegen eine Handlung der KJM gerichtlich zur Wehr setzen, kommt auf den ersten Blick eine Leistungsklage199 in Betracht, die das Begehren des Klägers „unmittelbar“ beinhaltet, also beispielsweise eine Vornahmeklage auf Widerruf einer Äußerung oder eine Unterlassungsklage auf das zukünftige Unterlassen einer Äußerung. Dies wäre jedoch nicht sinnvoll, weil das streitgegenständliche tatsächliche Verhalten nicht durch die Landesmedienanstalt erfolgt, die allein passivlegitimiert ist. So kann sie – um die gewählten Beispiele fortzuführen – keine Äußerung widerrufen, weil sie keine getroffen hat und ebenso wenig entspricht es dem Klagebegehren, dass die Landesmedienanstalt eine Äußerung in der Zukunft unterlässt, weil die KJM die Äußerung (als eigenständige handelnde Stelle oder als Organ einer anderen Landesmedienanstalt) insofern wiederholen könnte. Vor diesem Hintergrund muss geprüft werden, ob die Landesmedienanstalt dazu verpflichtet ist, hinsichtlich des ggf. rechtswidrigen schlichten Verwaltungshandelns auf die KJM einzuwirken. Bei Anwendung dieser Konstruktion,200 die vor allem aus dem Kommunalrecht bekannt ist, läge ebenfalls eine Leistungsklage vor. Dieser Gedanke ist jedoch abzulehnen.201 Eine Klage auf Einwirkung passt näm197 Dies deutet auch VG Berlin, Urteil vom 06. 07. 2006, Az. 27 A 236.04, juris Rn. 42 (nicht rechtskräftig, anhängig beim OVG Berlin-Brandenburg, Az. OVG 8 N 85.06) an. 198 Dazu siehe Seite 80 f. 199 Bei der Leistungsklage ist passivlegitimiert, wer nach materiellem Recht zum Handeln oder Unterlassen verpflichtet ist, vgl. Happ in: Eyermann, VwGO, § 78, Rn. 12. 200 Die Anwendbarkeit einer solchen Konstruktion ist in der Rechtsprechung anerkannt, vgl. z. B. BVerwG, NJW 1990, S. 134, 135. 201 Auch in dem Verfahren zu der Sendung „I want a famous face“ hatte die EFS zunächst gegenüber der Landesmedienanstalt (unter anderem) die Einwirkung auf die KJM begehrt,
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lich nicht zu der Weisungsfreiheit der KJM gem. § 14 Abs. 6 JMStV.202 Die Landesmedienanstalten verfügen über gar kein Mittel, mit dem sie eine Einwirkung ausüben könnten, insofern würde ein Verhalten begehrt, dass der Beklagten nicht möglich ist. Daher ist die Feststellungsklage die richtige Klageart. Eine Feststellungsklage richtet sich gegen den sachlichen Streitgegner,203 womit typischerweise der Rechtsträger gemeint ist, demgegenüber die Feststellung eines Rechtsverhältnis gem. § 43 Abs. 1 VwGO erfolgen soll, der aber nicht notwendigerweise an diesem Rechtsverhältnis beteiligt ist.204 Die Landesmedienanstalt ist zwar kein Rechtsträger der KJM im klassischen Sinne, trotzdem wird eine vergleichbare Konstruktion der vorliegenden Problematik am ehesten gerecht. Insbesondere ist so das Problem der Weisungsfreiheit der KJM umgangen, weil diese auch ohne konkrete Weisung dazu verpflichtet ist, eine rechtskräftige gerichtliche Feststellung zu beachten, wie sich aus der allgemeinen Verpflichtung von Hoheitsträgern zu rechtmäßigem Handeln gem. Art. 20 Abs. 3 Var. 2 GG ergibt.205
3. Klagen der EFS gegen die inzidente Behauptung der Überschreitung des Beurteilungsspielraums a) Problemstellung – Unmöglichkeit der eigenen Passivlegitimation der KJM Wie bereits konstatiert, kommt für die Klage einer EFS gegen die inizidente Feststellung der Überschreitung des Beurteilungsspielraums nur die Feststellungsklage in Betracht. Aus den gleichen Erwägungen heraus, wie sie soeben für Klagen gegen schlichtes Verwaltungshandeln der KJM angestellt wurden, können auch Feststellungsklagen mit einem derartigen Begehren nicht gegen die KJM gerichtet werden. Dementsprechend bleibt nur noch zu klären, welche Landesmedienanstalt passivlegitimiert ist.
später jedoch ihre Klage insofern zurückgenommen, vgl. die Tatbestandsdarstellung bei VG Berlin, Urteil vom 06. 07. 2006, Az. 27 A 236.04, juris Rn. 15, 18, 19, 20 und 26. 202 Insofern zustimmungswürdig Hopf / Braml, ZUM 2007, S. 23, 26, die zusätzlich darauf abstellen, dass vielmehr umgekehrt die Landesmedienanstalten gem. § 17 Abs. 1 Satz 6 JMStV an die Beschlüsse der KJM gebunden sind, was jedoch für die Fälle des schlichten Verwaltungshandelns nur bedingte Aussagekraft besitzt. 203 Redeker / von Oertzen, VwGO, § 43, Rn. 28. 204 Happ in: Eyermann, VwGO, § 78, Rn. 10. 205 Diese Verpflichtung ist nicht zu verwechseln mit dem Meinungsstreit, ob diese unstrittige Verpflichtung des Hoheitsträgers die Subsidiarität der Feststellungsklage gem. § 43 Abs. 2 VwGO entfallen lässt (sog. „Ehrenmanntheorie“), vgl. dazu Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 18, Rn. 10 sowie Happ in: Eyermann, VwGO, § 43, Rn. 43 m. w. N.
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8. Teil: Einfach-rechtliche Konsequenzen
b) Bestimmung der konkret passivlegitimierten Landesmedienanstalt In der Rechtspraxis musste über die Auswahl einer konkreten Landesmedienanstalt bislang nicht entscheiden werden. Zwar begehrte in dem Verfahren zu der Sendung „I want a famous face“ die klagende EFS zunächst auch die Feststellung, dass sie ihren Beurteilungsspielraum nicht überschritten habe, sie nahm ihre Klage aber später in diesem Punkt zurück.206 Theoretisch sind zwei Lösungsvarianten denkbar. Entweder ist die Landesmedienanstalt passivlegitimiert, welche die klagende EFS anerkannt hat,207 oder diejenige, welche gegen den Anbieter des streitgegenständlichen Angebots vorgegangen ist. Für die erste Lösungsmöglichkeit spricht, dass die EFS so in allen Verfahren immer der gleichen Landesmedienanstalt gegenüberstünde. Außerdem könnte man argumentieren, dass auch im Anerkennungsverfahren für die Zuständigkeit der Landesmedienanstalt der Sitz der EFS und nicht der Ort ihrer überwiegenden Tätigkeit entscheidend ist.208 Andererseits geht es im Gegensatz zum Anerkennungsverfahren in der hier zu bewertenden Fallkonstellation nicht um generelle Eigenschaften einer EFS, sondern um einen konkreten Einzelfall. Dieser Einzelfall wird erst durch das Handeln der KJM möglicher Gegenstand einer Klage der EFS – dieses Handeln der KJM erfolgt aber für die Landesmedienanstalt, die gegenüber dem Anbieter des streitgegenständlichen Angebotes auftritt. Das spricht für die zweite der beiden Lösungsmöglichkeiten. Diese weist darüber hinaus den Vorteil einer Konzentration eines streitgegenständlichen Falles bei einem Verwaltungsgericht auf. Daher ist bei Klagen einer EFS gegen die inzidente Behauptung der Überschreitung des Beurteilungsspielraums diejenige Landesmedienanstalt passivlegitimiert, die gegen den Anbieter vorgeht. Insofern kann von einer Akzessorietät der Klage der EFS zur potentiellen209 Klage des Anbieters gesprochen werden.
VIII. Beweislastverteilung Gem. § 20 Abs. 3 JMStV wird ein Anbieter nur dann privilegiert, wenn er „nachweist“, dass er das Angebot einer EFS vorgelegt und deren Vorgaben beachtet hat. Diese Bestimmung lässt sich wie folgt in das Verwaltungsprozessrecht einordnen: 206 Vgl. die Tatbestandsdarstellung bei VG Berlin, Urteil vom 06. 07. 2006, Az. 27 A 236.04, juris Rn. 16 und 26 (nicht rechtskräftig, anhängig beim OVG Berlin-Brandenburg, Az. OVG 8 N 85.06). 207 Lediglich klarstellend soll angemerkt werden, dass die Fallkonstellation einer inzidenten Behauptung der Überschreitung des Beurteilungsspielraums nur bei solchen EFS auftreten kann, die im Sinne des JMStV anerkannt sind. 208 Dazu Mynarik, Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien, S. 139 m. w. N. 209 Eine tatsächliche Klageerhebung durch den Anbieter ist nicht zwingend, siehe Seite 278 f.
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Im Verwaltungsprozess besteht keine formelle Beweislast,210 vielmehr stellt das Gericht entsprechend dem Untersuchungsgrundsatz in § 86 Abs. 1 VwGO von sich aus die nötigen Ermittlungen an. Es besteht lediglich eine materielle Beweislast, also die Frage, zu wessen Lasten die Unaufklärbarkeit eines Sachverhaltes geht.211 Angewandt auf § 20 Abs. 3 JMStV bedeutet dies, dass das Verwaltungsgericht prüft, ob der Anbieter vor dem Einschreiten der KJM dieser nachweisen konnte, dass er das Angebot einer anerkannten EFS vorgelegt und deren Vorgaben beachtet hat. Gelingt ihm dies nicht, kann er den hoheitlichen Eingriff nur erfolgreich abwehren, wenn die KJM das materielle Recht falsch angewendet hat. Daher ist nicht richtig, wenn im gerichtlichen Eilverfahren zu der Sendung „I want a famous face“ vertreten wurde, jede Unklarheit über die Richtigkeit der Begutachtung durch die EFS ginge zu Lasten des Anbieters.212 Denn weder § 20 Abs. 3 JMStV noch eine andere Vorschrift beinhaltet eine formelle Beweislast zuungunsten des Anbieters. Nur falls der Ablauf der Begutachtung durch die EFS unaufklärbar bliebe, ginge dies zu Lasten des Anbieters, weil er insofern die materielle Beweislast trüge. Dies ist jedoch eine real nur schwer vorstellbare Situation.
IX. „Zweiter“ Beurteilungsspielraum zugunsten der KJM? 1. Hinführung und Differenzierung Das anerkennende Gericht hat im Rahmen der Begründetheit auch darüber zu befinden, ob es eine Entscheidung der KJM überhaupt vollumfänglich überprüft – das wäre dann nicht der Fall, wenn der KJM als Verwaltungsbehörde (ggf. neben dem Beurteilungsspielraum zugunsten der privaten EFS) ein „herkömmlicher“ Beurteilungsspielraum zustünde. Unter Zugrundelegung der – ausführlich dargestellten213 – normativen Ermächtigungslehre bedürfte es zur Annahme dessen einer gesetzlichen Regelung, der die Einräumung eines Beurteilungsspielraums zu entnehmen ist. Eine ausdrückliche Einräumung zugunsten der KJM liegt nicht vor, weil § 20 Abs. 3, 5 JMStV nur einen Beurteilungsspielraum zugunsten der EFS vorsieht und auch an keiner anderen Stelle eine explizite Regelung erfolgt.214 Ein BVerwGE 104, 55, 58. Geiger in: Eyermann, VwGO, § 86, Rn. 2a. 212 So aber der Schriftsatz des Bevollmächtigten der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien vom 21. 10. 2004, S. 16, im erstinstanzlichen Eilverfahren vor dem VG München, Az. M 17 S 04.4817 (nicht veröffentlicht). 213 Siehe Seite 139 ff. 214 So auch der Ausgangspunkt bei Schulz et al, Analyse des Jugendmedienschutzsystems, S. 183. – Andere Ansicht Retzke, Präventiver Jugendmedienschutz, S. 224, nach der § 20 Abs. 3, 5 JMStV „den Behörden“ einen Beurteilungsspielraum einräumen wollte, worunter Retzke sowohl die KJM als auch die anerkannten EFS fasst; dies ist nicht zustimmungswürdig, nicht nur, weil die EFS nach zutreffender Auffassung regelmäßig keine Beliehenen und damit keine Behörden sind, sondern vor allem, weil § 20 Abs. 3, 5 JMStV eindeutig einen 210 211
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Umkehrschluss, nach dem der JMStV in allen anderen Fällen keinen Beurteilungsspielraum einräumen wollte,215 ist angesichts des nahezu überall zu beobachtenden (wenn auch bedauerlichen) Versäumnisses des Gesetzgebers, Beurteilungsspielräume ausdrücklich zu normieren, nicht überzeugend. Deshalb muss der JMStV nach den – bereits grundlegend erarbeiteten216 – allgemeinen Regeln daraufhin untersucht werden, ob eine konkludente normative Ermächtigung zugunsten der KJM erfolgte. Dabei ist wie folgt zu differenzieren:217 Zunächst ist zu klären, ob der KJM aufgrund ihrer normativen Ausgestaltung ein Beurteilungsspielraum zusteht, wenn an dem jeweiligen Fall keine anerkannte EFS beteiligt ist, wenn also der Anbieter das streitgegenständliche Angebot keiner anerkannten EFS vorgelegt hat (dazu 2.). Wenn aber eine anerkannte EFS vor der KJM mit dem jeweiligen Angebot befasst war, so muss nochmals nach zwei verschiedenen Fragestellungen unterschieden werden: Auf der einen Seite ist zu klären, ob die KJM einen Beurteilungsspielraum bei der Beurteilung dessen hat, ob die anerkannte EFS ihren Beurteilungsspielraum überschritten hat (dazu 3.). Und (nur) wenn ja, auf der anderen Seite, ob die KJM einen Beurteilungsspielraum bei der anschließenden eigenständigen Beurteilung des Angebots hat (dazu 4.). 2. Beurteilungsspielraum der KJM bei fehlender Befassung einer EFS Die Kriterien, nach denen die konkludente Einräumung eines Beurteilungsspielraums zugunsten der Verwaltung durch den einfachen Gesetzgeber angenommen werden kann, sind generell umstritten, so dass es nicht überraschend ist, dass auch bezüglich der KJM keine Einigkeit herrscht. Teilweise wird ein Beurteilungsspielraum der KJM unter knapp gehaltenen Erwägungen,218 kurzem Hinweis auf die Weisungsfreiheit219 oder auch ohne jede nähere Begründung220 bejaht. Andere verBeurteilungsspielraum zuungunsten der KJM einräumt, der keinesfalls in einen Beurteilungsspielraum zu ihren Gunsten umgedeutet und somit geradezu ins Gegenteil verkehrt werden kann. 215 Dies deutet VG München, Beschluss vom 21. 12. 2004, Az. M 17 S 04.4817, juris Rn. 74 an. 216 Dazu siehe Seite 213 ff und insbesondere Seite 207 ff. 217 Dies scheinen VG München, Beschluss vom 21. 12. 2004, Az. M 17 S 04.4817, juris Rn. 74 sowie Schulz et al, Analyse des Jugendmedienschutzsystems, S. 184 zu versäumen. 218 Schulz et al, Analyse des Jugendmedienschutzsystems, S. 184 i. V. m. S. 55; Halves, Neuordnung des Jugendmedienschutzes, S. 98. 219 Dies deutet VG München, ZUM 2005, S. 252, 253 in einem obiter dictum anlässlich einer Entscheidung zu der Bewertung des Films „Der Soldat James Ryan“ nach alter Rechtslage an; kritisch dazu Liesching, ZUM 2005, S. 224, 224. 220 So Erdemir, CR 2005, S. 275, 280. Vergleichbar auch Altenhain in: Hoeren / Sieber, Handbuch Multimedia-Recht, Teil 20, Rn. 190, dessen kurze Hinweise auf die Rechtspre-
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neinen einen Beurteilungsspielraum der KJM, allerdings ebenso ohne nennenswerten Begründungsaufwand zu betreiben.221 Wohl einzig222 Brunner beschäftigt sich detaillierter mit dieser Frage:223 Als denkbare Rechtfertigung kommt nach seiner Auffassung allenfalls das Gebot der Staatsferne der Kontrolle des Rundfunks in Frage. Der Schluss von der Staatsferne auf den Beurteilungsspielraum sei im Ergebnis abzulehnen, weil dieses Gebot nicht die Gerichte betreffe224 und weil auch die Landesmedienanstalten einer staatlichen Rechtsaufsicht unterlägen.225 Doch selbst wenn die Staatsferne zur Annahme eines Beurteilungsspielraums führen würde, so sei dies nicht für den Bereich der Telemedien der Fall, für den das Gebot der Staatsferne nicht gelte; die Entscheidungsmaßstäbe der KJM müssten aber einheitlich gehandhabt werden, so dass ein Beurteilungsspielraum der KJM insgesamt abzulehnen sei.226 Nach der hier vertretenen Auffassung, wie sie im Teil zur herkömmlichen Rechtsfigur des Beurteilungsspielraums zugunsten der Verwaltung grundlegend erarbeitet wurde,227 spielen die von Brunner genannten Gesichtspunkte allesamt keine Rolle. Stattdessen ist grundsätzlich eine konkludente Ermächtigung anzunehmen, wenn das Gesetz einer Stelle eine Entscheidung exklusiv zugewiesen hat. Sofern keine anerkannte EFS mit einem Angebot befasst wurde, ist diese Voraussetzung bei der KJM nahezu mustergültig erfüllt, denn ihr obliegt gem. § 16 Satz 1 JMStV die „abschließende“ Beurteilung. Auch die Beteiligung der Landesmedienanstalten ändert nichts an dieser Exklusivität. Bezüglich der Fragen des JMStV hat sie keinerlei Einflussmöglichkeit, insbesondere keine Möglichkeit der Überstimmung. Dass die Landesmedienanstalt die Entscheidung dem Anbieter gegenüber vermittelt, ändert daran ebenfalls nichts,228 denn insoweit ist sie – wie bereits dargestellt – nur der bildhafte „Postbote“229 der KJM. Somit verfügt die KJM chung angesichts deren – in dieser Arbeit ausführlich beschriebenen – Inkonsistenz keine Überzeugungskraft entwickeln können. 221 Ullrich, ZUM 2005, S. 452, 455. Ähnlich die Antragstellerin in dem Verfahren zur Sendung „I want a famous face“, vgl. die Tatbestandsdarstellung bei VG München, Beschluss vom 21. 12. 2004, Az. M 17 S 04.4817, juris Rn. 31. 222 Keine Berücksichtigung soll hier die – in dieser Arbeit bereits generell abgelehnte – Sondermeinung von Bosch, Regulierte Selbstregulierung im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag, S. 351 f. finden, die den Beurteilungsspielraum der anerkannten EFS nur als einen „privatisierten“ Beurteilungsspielraum der KJM anerkennen will, der aber wiederum nicht gegeben sein könne, weil die KJM in ihrer einfach-gesetzlich geregelten Zusammensetzung nicht fachkundig genug und daher verfassungswidrig zusammengesetzt sei. 223 Brunner, Beurteilungsspielräume im Jugendmedienschutzrecht, S. 163 f. und 182 f. 224 Brunner, Beurteilungsspielräume im Jugendmedienschutzrecht, S. 163. 225 Brunner, Beurteilungsspielräume im Jugendmedienschutzrecht, S. 164. 226 Brunner, Beurteilungsspielräume im Jugendmedienschutzrecht, S. 164. 227 Siehe Seite 188 ff., Seite 191 ff. und Seite 205 ff. 228 Ohne Bedeutung erscheint in diesem Zusammenhang, dass die Landesmedienanstalt ihrerseits exklusiv über Wahl der überwachungsrechtlichen Mittel entscheidet, weil eine entsprechende Trennung ohne weiteres darstellbar ist.
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8. Teil: Einfach-rechtliche Konsequenzen
gegenüber dem Verwaltungsgericht über einen Beurteilungsspielraum hinsichtlich der Beurteilung von Angeboten nach dem JMStV, sofern keine anerkannte EFS damit befasst war.
3. Beurteilungsspielraum der KJM hinsichtlich der Überschreitung des Beurteilungsspielraums durch die EFS? a) Inhalt und Bewertung bisheriger Vorschläge Entsprechend der in der Hinführung vorgenommenen Differenzierung lautet die im nächsten Schritt zu lösende Problemstellung, ob die KJM (auch) einen Beurteilungsspielraum hinsichtlich der Frage hat, ob die anerkannte EFS ihren Beurteilungsspielraum überschritten hat. Diese Thematik wurde in der Literatur bisher selten behandelt.230 Die wenigen unterbreiteten Vorschläge kommen zum Ergebnis, dass kein „zweiter“ Beurteilungsspielraum der KJM bestehe, jedoch können diese Stellungnahmen in ihrer Begründung nicht überzeugen: Bereits aus den soeben getroffenen Vorüberlegungen ergibt sich, dass die vereinzelt vorgeschlagene Konstruktion abzulehnen ist, nach der ein Beurteilungsspielraum von der KJM bzw. den Landesmedienanstalten auf die anerkannten EFS „übergegangen“ sei, so dass bei den Erstgenannten nun keiner mehr vorhanden sein könne.231 Dies ist unzutreffend, weil der Beurteilungsspielraum zugunsten der EFS originär durch den JMStV geschaffen wurde und weil ein Beurteilungsspielraum der KJM in diesem Zusammenhang – wenn überhaupt – nur auf die Frage nach dem „Ob“’ der Überschreitung des Beurteilungsspielraums bezogen sein kann. Auch der Begründungsansatz, einen „zweiten“ Beurteilungsspielraum im oben genannten Sinne zu verneinen, da die Beurteilung des „Ob“ einer Überschreitung nicht inhaltlichwertender, sondern rechtlich-faktischer Natur sei,232 leuchtet nicht ein. Zwar ist ein Teil der Fälle der Überschreitung des Beurteilungsspielraums von eher faktischem Charakter, beispielsweise die Zugrundelegung eines unvollständigen Sachverhalts, jedoch sind andere Fälle der Überschreitung kaum weniger wertend als die eigentliche Entscheidung, wie zum Beispiel die „Verletzung allgemein anerkannter Wertungs-[sic!]-Maßstäbe“.
Dazu bereits siehe Seite 77 f. Die Untersuchung von Schulz et al, Analyse des Jugendmedienschutzsystems, S. 184 nennt zwar diese Konstellation, äußert sich aber nicht zu deren Behandlung; womöglich liegt hierin ein redaktionelles Versehen, denn die Nennung erfolgt im Rahmen einer Aufzählung unter dem letzten von drei Spiegelstrichen und anschließend wird nur auf die beiden ersten Konstellationen weiter eingegangen. 231 So aber zu verstehen Ladeur, ZUM 2002, S. 859, 866. 232 So Roll, KJuG 2005, S. 65, 66. 229 230
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b) Eigener Vorschlag Wenn auch mit anderer Herleitung, so ist im Ergebnis ein „zweiter“ Beurteilungsspielraum der KJM im hier fraglichen Sinne zu verneinen. Zwar ist die KJM exklusiv dafür zuständig, das „Ob“ der Überschreitung zu beurteilen, insbesondere kann sie auch hierbei nicht von den Landesmedienanstalten überstimmt werden, was auf den ersten Blick zu einer anderen Auffassung führen könnte. Auch könnte man mit einem vergleichenden Hinweis auf die Rechtsfigur des Beurteilungsspielraums zugunsten der Verwaltung argumentieren, bei dessen Vorliegen die Gerichte als Kontrollinstanz ebenfalls vollumfänglich darüber entscheiden, ob der Beurteilungsspielraum überschritten ist. Trotzdem führen die besseren Gründe in die entgegengesetzte Richtung, insbesondere der Telos des § 20 Abs. 3, 5 JMStV und des Konzepts der regulierten Selbstregulierung im JMStV insgesamt sprechen dagegen. Die private Seite soll so weit wie möglich zum Zuge kommen, die Kontrolle durch die Verwaltung nur so weit wie nötig. Ob ein (wie auch immer geartetes) Einschreiten wegen Überschreitungen im Einzelfall nötig ist, kann ein Verwaltungsgericht ebenso gut feststellen wie die KJM (zumal es ja gerade die Verwaltungsgerichte sind, die besondere Erfahrung mit der rechtlichen Frage nach dem „Ob“ einer Überschreitung eines Beurteilungsspielraums haben). Vor allem gilt es zu bedenken: Wenn die Institution, die durch einen Beurteilungsspielraum zugunsten einer anderen Institution beschränkt werden soll, selbst zur Bestimmung darüber berufen wäre, wann die Grenzen des Beurteilungsspielraums überschritten sind, so ist diese Beschränkung erkennbar weniger wert, ihre Funktionalität sogar gefährdet. So verhält es sich zwar auch bei den Verwaltungsgerichten in den Fällen eines „herkömmlichen“ Beurteilungsspielraums zugunsten der Verwaltung – dort mangelt es aber auch an Alternativen und dieser Zustand kann aufgrund der spezifischen Unabhängigkeit der Gerichte noch eher hingenommen werden. In der vorliegenden Konstellation kann die Entscheidung über das „Ob“ der Überschreitung aber einem neutralen Dritten überlassen werden (nämlich den Gerichten) und sie soll diesen auch überlassen bleiben (und nicht der KJM). Abschließend sei, um einem typischen, schon beinahe reflexhaften Gegenargument vorzubeugen, bemerkt: Die Effektivität des Jugendschutzes als verfassungsrechtlich gebotener Staatsaufgabe ist dadurch sicher nicht in Frage gestellt – denn bei der Kontrolle der EFS ist der Verwaltungsrichter nicht der schlechtere Hüter des Jugendschutzes als die KJM.
c) Rekurs: Beiladung der EFS An dieser Stelle wird nochmals besonders deutlich, wieso die EFS, die mit einem Angebot befasst war, nach der hier vertretenen Auffassung an dem Prozess des Anbieters durch eine Beiladung beteiligt sein sollte.233 Um darüber urteilen zu 233
Siehe Seite 277.
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können, ob die KJM gegen den Anbieter einschreiten durfte, ist (wie soeben gezeigt) vollumfänglich durch das Gericht zu klären, ob die EFS ihren Beurteilungsspielraum überschritten hat. Zu dieser Klärung kann die EFS im Verfahren aber viel mehr vorbringen und beitragen als der Anbieter (und womöglich auch mehr als die KJM).
4. Beurteilungsspielraum der KJM nach tatsächlicher Überschreitung des Beurteilungsspielraums durch die EFS? Wenn sich im gerichtlichen Verfahren geklärt haben sollte, dass die EFS ihren Beurteilungsspielraum tatsächlich überschritten hat, so kann die KJM in einem logisch nachfolgenden Schritt das Angebot nach eigener Beurteilung und Rechtsauslegung bewerten und entscheiden.234 Die Lage ist daher ebenso zu bewerten, als wenn die EFS niemals mit dem Angebot befasst gewesen wäre.235 Dementsprechend ist der KJM in diesen Fällen wiederum ein Beurteilungsspielraum gegenüber dem Gericht zuzugestehen.
X. Verwaltungsgerichtliches Eilverfahren Zu einem verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren kommt es typischerweise, wenn die KJM bzw. die Landesmedienanstalt eine Maßnahme gegen einen Anbieter verhängt und den sofortigen Vollzug gem. § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO anordnet.236 Im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes kann sich der Anbieter durch einen Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung gem. § 80 Abs. 5 Satz 1 Var. 2 VwGO vor dem Verwaltungsgericht dagegen zur Wehr setzen.237 Bei einem Antrag gem. § 80 Abs. 5 Satz 1 Var. 2 VwGO überprüft das Gericht summarisch, ob die Klage in der Hauptsache offensichtlich zulässig und begründet oder offensichtlich unzulässig oder offensichtlich unbegründet ist und entscheidet ggf. zu Gunsten der jeweiligen Partei.238 Falls keiner dieser Fälle gegeben ist (non liquet), kommt es zu einer Abwägungsentscheidung zwischen dem öffentlichen Vgl. amtliche Begründung zu § 20 Abs. 3 JMStV, u. a. BayLT-Drucks. 14 / 10246. Davon geht offensichtlich auch Brunner, Beurteilungsspielräume im neuen Jugendmedienschutzrecht, S. 183 f. aus, der jedoch einen Beurteilungsspielraum der KJM bei fehlender vorheriger Befassung der EFS verneint und ihn konsequenterweise auch ablehnt, wenn die EFS ihren Beurteilungsspielraum überschritten hat. 236 So war es auch der Fall bei der Sendung „I want a famous face“, vgl. die Tatbestandsdarstellung bei VG München, Beschluss vom 21. 12. 2004, Az. M 17 S 04.4817, juris Rn. 10. 237 So auch geschehen im Fall der Sendung „I want a famous face“, vgl. die Tatbestandsdarstellung bei VG München, Beschluss vom 21. 12. 2004, Az. M 17 S 04.4817, juris Rn. 18. 238 Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 32, Rn. 41. 234 235
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Interesse am Vollzug und dem Aufschiebungsinteresse des Antragstellers,239 wobei kein grundsätzlicher Vorrang der öffentlichen Interessen besteht.240 Die durch die neue Rechtsfigur des Beurteilungsspielraums zugunsten Privater verursachte Besonderheit besteht darin, dass das Gericht bei der Prognose des „offensichtlichen“ Erfolgs oder Misserfolgs in der Hauptsache nicht die Verletzung des materiellen Rechts zum Ausgangspunkt nehmen darf. Vielmehr hat es zu prüfen, ob der Beurteilungsspielraum offensichtlich überschritten oder offensichtlich nicht überschritten wurde. Denn die Überschreitung als solche bildet eines der Tatbestandsmerkmale, das erfüllt sein muss, damit die KJM rechtmäßig gegen den Anbieter vorgehen kann. Die „bloße“ Verletzung der materiellen Vorschriften des JMStV ist für die gerichtliche Entscheidung dagegen nicht von Belang. Bei der – bereits prinzipiell erläuterten241 – Überprüfung der Überschreitung des Beurteilungsspielraums, also nur auf gleichsam mittelbarem Wege, ist materielles Recht durch das Gericht zu prüfen, namentlich durch die Klärung einer möglichen „Verkennung des anzuwendenden Rechts“ bzw. der „Verletzung allgemeingültiger Wertungsmaßstäbe“. Um dem Antragsgegner zum Erfolg zu verhelfen, wäre aber ein besonders drastischer Verstoß erforderlich, müssten doch kumulativ (!) die Merkmale der Verkennung bzw. Verletzung im genannten Sinne einerseits und der „Offensichtlichkeit“ im verwaltungsprozessualen Sinne andererseits erfüllt sein. In einer „non liquet“-Siuation242 ist bei der Interessenabwägung ebenfalls nicht auf das materielle Recht des JMStV abzustellen,243 sondern auf den tatsächlich drohenden Schaden, insbesondere auf irreparable Schäden.244 Insofern ist auf der einen Seite abzuwägen, welche irreparablen Schäden in der Entwicklung von Minderjährigen drohen, wenn das Angebot vorübergehend verbreitet würde, und auf der anderen Seite, welche Schäden dem Anbieter drohen, wenn er das Angebot vorübergehend nicht verbreiten könnte. Beide Aspekte können von Einzelfall zu Einzelfall sehr unterschiedliches Gewicht aufweisen,245 beispielsweise sind 239 Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 32, Rn. 41 mit Erläuterung der bei der Abwägung vorzunehmenden „Doppelfiktion“. 240 Ausdrücklich BVerfG, Beschluss vom 19. 02. 1991, Az. 1 BvR 1548 / 90, juris Rn. 10 in einem medienrechtlichen Zusammenhang. 241 Siehe Seite 219. 242 Eine solche Situation wurde auch im Verfahren zu der Sendung „I want a famous face“ angenommen, vgl. BayVGH, Beschluss vom 22. 03. 2005, Az. 7 CS 05.79, juris Rn. 21. 243 So aber offenbar BayVGH, Beschluss vom 22. 03. 2005, Az. 7 CS 05.79, juris Rn. 22: „Im Rahmen der sonach anzustellenden Interessenabwägung nach § 80 Abs. 5 VwGO spricht manches dafür, dass die streitgegenständliche Sendung ein entwicklungsbeeinträchtigendes Angebot darstellt . . .“. 244 Vgl. Schenke, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 1003. 245 Im Verfahren zu der Sendung „I want a famous face“ haben die beiden im Eilverfahren beteiligten Instanzen die mögliche Beeinträchtigung des Anbieters durch Sendezeitbeschränkungen unterschiedlich bewertet, vgl. einerseits VG München, Beschluss vom 21. 12. 2004,
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schwerwiegende psychische Folgen bei Jugendlichen ebenso denkbar wie existenzgefährdende finanzielle Einbußen bei (insbesondere sehr kleinen) Anbietern, auch kann es Fälle geben, in denen auf einer der beiden Seiten offensichtlich nur marginale Beeinträchtigungen zu befürchten sind. Dementsprechend verbietet sich jede pauschale Beurteilung. Nach alledem kann festgehalten werden, dass die Frage nach der Überschreitung des Beurteilungsspielraums im Eilverfahren (ebenso wie in der Hauptsache) der Ausgangspunkt der gerichtlichen Entscheidungsfindung zu sein hat. Der Beurteilungsspielraum bewirkt im Eilverfahren aber auch keine besondere „Vermutung“ zugunsten des Anbieters (ebenso wenig wie eine pauschale Vermutung gegen ihn bestünde246).
XI. Klagen von Anbietern gegen eine anerkannte EFS 1. Klagen gegen eine EFS in ihrer privatrechtlichen Tätigkeit Vom – sogleich zu behandelnden – Sonderfall abgesehen, in dem eine EFS als Beliehene agiert, sind Streitigkeiten zwischen einer EFS und einem Anbieter privatrechtlicher Natur.247 Dies ist auch bei einem Streit über die Bewertung eines Angebots der Fall. Zwar bemisst sich die Frage nach der inhaltlichen Richtigkeit der Bewertung nach den Normen des JMStV als einem Teil des öffentlichen Rechts. Dieser Einfluss ist aber nur mittelbarer Natur, weil sich die möglichen Ansprüche des Anbieters unmittelbar nach privatem Vereins- oder Werkvertragsrecht bestimmen.248 Zum gleichen Ergebnis führt die Einordnung der Klage eines Anbieters, der die Aufnahme in eine anerkannte EFS begehrt. Hier besteht zwar eine gewisse – noch Az. M 17 S 04.4817, juris Rn. 76 und andererseits BayVGH, Beschluss vom 22. 03. 2005, Az. 7 CS 05.79, juris Rn. 23. 246 Insofern ist auch die Frage, ob der KJM ihrerseits ein Beurteilungsspielraum zusteht, an dieser Stelle ohne Bedeutung. Auch BayVGH, Beschluss vom 22. 03. 2005, Az. 7 CS 05.79, juris Rn. 23 deutet diese Frage zwar an, zieht daraus aber keine Konsequenzen für die Entscheidung im Eilverfahren. 247 So Ukrow, Jugendschutzrecht, Rn. 688. Auch BVerwG, NJW 1981, S. 2482, 2482 geht davon aus, ein Rechtsverhältnis zwischen Privatpersonen könne nur dann öffentlich-rechtlicher Natur sein, wenn einer von ihnen hoheitliche Kompetenzen wahrnehme. 248 Interessant sind die im Bereich des Betriebsverfassungsrechts angestellten Überlegungen von Wittig, Beurteilungsspielräume, S. 49 zur Bedeutung des verfassungsrechtlichen allgemeinen Justizgewährungsanspruch für Beurteilungsspielräume zwischen zwei Privaten, der Relevanz erlangen kann, nachdem die Rechtsschutzgarantie gem. Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG nur gegenüber hoheitlichen Prozessgegnern Geltung beansprucht; diese arbeitsrechtliche Situation erscheint aber nicht auf den Untersuchungsgegenstand der vorliegenden Arbeit übertragbar zu sein, insbesondere nicht für die Wahl des Rechtswegs, da ein „Beurteilungsspielraum zugunsten Privater im Verwaltungsrecht“ eine grundlegend andere Konstruktion ist als ein „Beurteilungsspielraum zugunsten Privater im Privatrecht“.
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gesondert zu skizzierende249 – verfassungsrechtliche Hinterlegung, trotzdem entstammt die eigentliche Anspruchsgrundlage dem Zivilrecht, nämlich regelmäßig einer entsprechenden Bestimmung in der Satzung der anerkannten EFS.250
2. Klagen gegen eine EFS in ihrer Tätigkeit als Beliehene a) Sachentscheidungsvoraussetzungen Sofern eine EFS als Beliehene handelt, ist der Verwaltungsrechtsweg gem. § 40 Satz 1 VwGO eröffnet. Daran ändert sich nichts dadurch, dass parallel zu dem öffentlich-rechtlichen Geltungsanspruch der Entscheidung der EFS als Beliehene privatrechtliche Ansprüche des Anbieters gegenüber der EFS bestehen können. Der erkennbare Schwerpunkt des Klagebegehrens eines Anbieters liegt regelmäßig in der Aufhebung der allgemeinverbindlichen (und bußgeldbewehrten251) Bindungswirkung. Diese hängt aber von den §§ 8, 9 Abs. 1 JMStV, also von Normen des öffentlichen Rechts ab. Die Zulässigkeitsvoraussetzungen beinhalten keine Besonderheiten im Vergleich zu Klagen gegen andere Beliehene;252 insofern soll hier nur die Frage der Passivlegitimation beim Handeln eines Beliehenen erwähnt werden, die generell umstritten ist. Während die ganz herrschende Meinung253 den Beliehenen selbst als passivlegitimiert ansieht, nimmt dies eine Mindermeinung254 für die beauftragende Behörde und eine weitere Mindermeinung255 für die im Einzelfall tätige Person an. Der herrschenden Meinung ist zu folgen, da sie dem Grundgedanken von § 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO entspricht. Der Beliehene ist kein Teil der beauftragenden Behörde, sondern ein eigenständiges Rechtssubjekt (typischerweise sogar eine juristische Person des Privatrechts). Weiter bezieht sich die Beleihung regelmäßig eben auf dieses Rechtssubjekt und nicht auf die im Einzelfall tätige Person, die ihrerseits nicht für sich, sondern für die beliehene Institution tätig wird. Daher ist in den Fällen der §§ 8, 9 Abs. 1 JMStV die anerkannte EFS als solche passivlegitimiert.
Siehe Seite 343. Ersatzweise kommt die Bestimmung über Treu und Glauben gem. § 242 BGB in Betracht. 251 § 24 Abs. 1 Nr. 9, 10 JMStV. 252 Dazu Burgi in: FS Maurer, S. 581, 594 m. w. N. 253 So unter anderem Burgi in: FS Maurer, S. 581, 594, Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 13, Rn. 50, Schenke Verwaltungsprozessrecht, Rn. 547 m. w. N. sowie Brenner in: Sodan / Ziekow, VwGO, § 78, Rn. 16 m. w. N.; vgl. zur Einordnung dieser Meinung als herrschend auch Schmidt am Busch, DÖV 2007, S. 533, 540. 254 Götz, DÖV 1975, S. 211, 212. Differenzierend Redeker / von Oertzen, VwGO, § 78, Rn. 1a. 255 Steiner NJW 1975, S. 1797, 1798, der allerdings voraussetzte, dass die im Fall tätige Körperschaft (TÜV) nicht beliehen sei. 249 250
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b) Beurteilungsspielraum der EFS als Beliehene gegenüber dem Gericht? aa) Vorüberlegung zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit eines Beurteilungsspielraums zugunsten Beliehener im Allgemeinen Die grundsätzliche verfassungsrechtliche Zulässigkeit von Beurteilungsspielräumen zugunsten der Verwaltung wurde in der vorliegenden Arbeit – hinsichtlich des Ergebnisses in Übereinstimmung mit der ganz herrschenden Meinung – bejaht. An dieser Stelle gilt es nun zu hinterfragen, ob auch einem Beliehenen – als einem institutionellen Unterfall von „Verwaltung“ – ein Beurteilungsspielraum generell zustehen kann. Diese Fragestellung wurde bislang in Literatur und Rechtsprechung überraschend selten aufgegriffen. Vereinzelt wurde dazu vertreten, ein beliehener Privater könne über keinen Beurteilungsspielraum verfügen, weil es ihm an der erforderlichen demokratischen Legitimation fehle;256 zwar dürfe ein Beliehener hoheitliche Aufgaben wahrnehmen, jedoch keine Entscheidungen fällen, die gerichtlich nicht vollumfänglich überprüfbar seien.257 Dieser Ansatz überzeugt jedoch nicht. Nicht nur, weil er eine klare Differenzierung zwischen der Ermittlung des Willens des einfachen Gesetzgebers einerseits und der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der Umsetzung dieses Willens andererseits vermissen lässt. Ebenso muss daran erinnert werden, dass nicht die Aufgabe, sondern die Befugnis entscheidender Anknüpfungspunkt der Beleihung ist.258 Vor allem aber ist eine Befugnisverleihung an Private kein Verstoß gegen das Demokratiegebot, weil die demokratische Legitimation durch den Akt der Beleihung gewährleistet ist.259 Dies entspricht der herkömmlichen Theorie demokratischer Legitimation, nach der die Ernennung (bzw. Beleihung) durch eine ihrerseits demokratisch legitimierte Stelle die Legitimationskette schließt, wie dies auch bei der Einbindung von Privaten in Gremien und bei der Ernennung von Privaten zum Träger eines Amtes der Fall ist.260 Eine Differenzierung in der Verleihung von solchen Befugnissen, die vollumfänglich überprüfbar sind, und solchen, die es nicht sind, ist der verwaltungsrechtlichen Dogmatik der Beleihung nicht bekannt. Daher ist die verfassungsrechtliche Zulässigkeit eines Beurteilungsspielraums zugunsten der Verwaltung anzuerkennen. SG Berlin, Urteil vom 24. 07. 2006, Az. S 77 AL 1354 / 03, juris Rn. 17. SG Berlin, Urteil vom 24. 07. 2006, Az. S 77 AL 1354 / 03, juris Rn. 17. 258 Ausführlich dazu siehe Seite 113 ff. 259 Die von SG Berlin, Urteil vom 24. 07. 2006, Az. S 77 AL 1354 / 03, juris Rn. 17 vorgenommenen Verweise auf BVerfGE 93, 37, 37 ff. sowie auf Böckenförde in: HdBStR, Band 2 (2004), § 24, Rn. 16 sind nicht weiterführend, weil in beiden Quellen lediglich das Prinzip der lückenlosen Legitimationskette statuiert wird, ohne dass auf die Frage der Beleihung eingegangen würde. 260 Vgl. dazu BVerfGE 83, 130, 149 f. sowie Geis, NVwZ 1992, S. 25, 29 f. 256 257
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bb) Beurteilungsspielraum zugunsten der EFS als Beliehene Wenn – wie soeben geklärt – Beliehenen im Allgemeinen verfassungsrechtlich ein Beurteilungsspielraum eingeräumt werden darf und ihnen somit ein solcher grundsätzlich zustehen kann, so besteht diese Möglichkeit prinzipiell auch für die EFS, soweit sie (in den Sonderfällen gem. §§ 8, 9 Abs. 1 JMStV) als Beliehene handeln. In einem logisch nachfolgenden Schritt ist nun zu klären, ob der JMStV eine entsprechende normative Ermächtigung auch tatsächlich enthält.261 Bezüglich der Einzelfallentscheidungen und Richtlinien gem. §§ 8, 9 Abs. 1 JMStV enthält der JMStV keine ausdrückliche Einräumung eines Beurteilungsspielraums zugunsten der anerkannten EFS. Denn die (einzige) ausdrückliche Erwähnung des Beurteilungsspielraums in § 20 Abs. 3, 5 JMStV bezieht sich auf ein Eingreifen der KJM.262 Daher ist zu fragen, ob dem JMStV im Wege der Auslegung die konkludente Einräumung eines Beurteilungsspielraums zugunsten der anerkannten EFS im Rahmen der §§ 8, 9 Abs. 1 JMStV entnommen werden kann. Wendet man die (in dieser Untersuchung erarbeitete 263) Auslegungsregel an, nach der die Einräumung durch den Gesetzgeber grundsätzlich anzunehmen ist, wenn er einer Stelle die Entscheidungszuständigkeit exklusiv zuweist, so spräche dies im Falle der §§ 8, 9 Abs. 1 JMStV für einen Beurteilungsspielraum zugunsten der EFS, sofern man (gemäß der hier vertretenen Ansicht264) voraussetzt, dass Einzelfallentscheidungen und Richtlinien der anerkannten EFS Vorrang vor denen der KJM besitzen.265 Ergänzend ist eine teleologische Auslegung vorzunehmen. Dabei spricht zunächst gegen einen Beurteilungsspielraum, dass der JMStV zum Ziel hat, den Anbietern einen gewissen Schutz vor hoheitlichen Maßnahmen zu gewähren, um diese zur Kooperation bei der jugendschutzrechtlichen Kontrolle zu bewegen. Die anerkannten EFS sind im Grunde nur Mittel zu diesem Zweck, so dass es auf den ersten Blick widersinnig erscheint, den EFS einen Beurteilungsspielraum einzuräu261 Auch Ullrich, tv diskurs 2006, Heft 4, S. 98, 100, findet es überlegenswert, ob den EFS in den Fällen ihrer Beleihung ein Beurteilungsspielraum gegenüber den Gerichten zustehen könnte, jedoch ohne dies näher zu erörtern. Brunner, Beurteilungsspielräume im Jugendmedienschutzrecht, S. 180, zitiert zwar den Verweis von § 20 Abs. 3 Satz 3 JMStV auf §§ 8, 9 JMStV, differenziert aber im Übrigen weder zwischen den Fällen der Beleihung einerseits und der übrigen Tätigkeit der anerkannten EFS andererseits noch zwischen Rechtsstreitigkeiten einer EFS mit der KJM einerseits und solchen mit einem Anbieter andererseits. 262 Ebenso wie bei der Ermittlung eines Beurteilungsspielraums der KJM ist kein Umkehrschluss möglich, dass der JMStV in allen Fällen außer § 20 Abs. 3, 5 JMStV keinen Beurteilungsspielraum einräumen wollte. 263 Siehe Seite 205 ff. 264 Siehe Seite 262 ff. 265 Außerdem wurde bereits die Erkenntnis hergeleitet, dass den anerkannten EFS hinsichtlich der §§ 8, 9 Abs. 1 JMStV ein Beurteilungsspielraum gegenüber der KJM angenommen werden kann; dies lässt jedoch keinen unmittelbaren Rückschluss darauf zu, ob dies auch gegenüber dem Gericht bei der Klage eines Anbieters zu gelten hat.
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men, der zuungunsten eines klagenden Anbieters wirkt. Letztendlich deutet die teleologische Auslegung trotzdem in die entgegengesetzte Richtung. Denn es war eine bewusste Entscheidung bei der Normierung des Systems der regulierten Selbstregulierung, nicht die Anbieter selbst, sondern die EFS als selbständige Einrichtungen in das Verfahren einzubinden. Die „Emanzipation“ der EFS von den Anbietern ist essentieller Bestandteil des JMStV. Zu dieser Emanzipation gehört es, dass sich eine EFS gegenüber dem Anbieter ebenso durchsetzen kann, wie es die KJM könnte, wenn sie anstelle der EFS handeln würde. Nachdem vorliegend die Auffassung vertreten wird, dass der KJM grundsätzlich ein Beurteilungsspielraum gegenüber dem Gericht bei Klage eines Anbieters zusteht, ist dies in gleicher Weise für die anerkannte EFS anzunehmen. Damit lässt sich im Ergebnis festhalten, dass bei Klagen des Anbieters gegen Richtlinien und Einzelfallentscheidungen im Rahmen von §§ 8, 9 Abs. 1 JMStV, innerhalb dessen eine Beleihung anzunehmen ist, die EFS gegenüber dem Verwaltungsgericht über einen Beurteilungsspielraum verfügt, wie er dem „herkömmlichen“ Spielraum zugunsten der Verwaltung entspricht.
XII. Übergreifende Schlussfolgerung zum Prozessrecht – Gibt es einen Beurteilungsspielraum zugunsten Privater gegenüber den Verwaltungsgerichten? Gerade die zuletzt gewonnene Erkenntnis führt zwangsläufig zu der prinzipiellen Frage, ob die EFS nicht nur gegenüber der Verwaltung, sondern auch gegenüber dem Verwaltungsgericht über einen Beurteilungsspielraum verfügt.266 Jedoch wäre bereits eine solche Formulierung der Frage irreführend.267 Denn ein Beurteilungsspielraum der EFS gegenüber dem Verwaltungsgericht kommt von vornherein nur in Betracht, wenn sie eine Entscheidung trifft, die vor dem Verwaltungsgericht anfechtbar ist. Insofern ist zwischen zwei Fallgruppen zu differenzieren: In den begrenzten Sonderfällen, in denen die EFS als Beliehene handeln, können ihre Entscheidungen von den betroffenen Anbietern auf dem Verwaltungsgerichtsweg angegriffen werden und dabei verfügen die EFS als Beliehene – nach der soeben hergeleiteten Auffassung – auch gegenüber dem Verwaltungsgericht über einen Beurteilungsspielraum. Trotzdem ist darin kein Beurteilungsspielraum zugunsten eines Privaten zu erkennen. Denn – um nochmals die anschaulichen Worte 266 Sellmann, MMR 2006, S. 723, 724 ist zumindest so zu verstehen, wenn er äußert, der Beurteilungsspielraum der EFS sei von den Gerichten ebenso wie von der Aufsicht zu akzeptieren. 267 Dies scheint die – bereits generell abgelehnte – Sondermeinung von Bandehzadeh, Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien, S. 78 ff. zu übersehen, nachdem dabei schon bestritten wird, dass den anerkannten EFS trotz des Wortlauts von § 20 Abs. 3, 5 JMStV überhaupt ein Beurteilungsspielraum eingeräumt worden sei.
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von Burgi aufzugreifen – der Beliehene ist „nicht lediglich „wie“ eine staatliche Behörde tätig, sondern er ist selbst Behörde.“268 Umgekehrt gewendet ist der Beliehene in seiner Tätigkeit nur formal, funktional aber gerade kein Privater. Soweit die Tätigkeit als Beliehene reicht, soweit liegt „nur“ ein „gewöhnlicher“ Beurteilungsspielraum zugunsten einer Verwaltungsbehörde vor. Um es mit einem plakativen Vergleich zu verdeutlichen: Auch der Prüfer und auch der Bundesminister der Verteidigung sind Privatpersonen, die bei der Abhaltung der mündlichen Prüfung bzw. bei der Festlegung von Tieffluggebieten funktional als Verwaltung handeln, so dass der Beurteilungsspielraum zugunsten der Verwaltung und nicht zugunsten der Privaten besteht – nichts anderes gilt für die EFS, soweit sie als Beliehene tätig werden. Im Regelfall jedoch handeln die EFS nicht als Beliehene, sondern in privatrechtlicher Form. In diesen Fällen ist gegenüber den Handlungen der EFS bereits der Verwaltungsgerichtsweg nicht eröffnet. Die Streitigkeiten sind vielmehr vor den Zivilgerichten auszutragen, die bei der möglichen Überprüfung der Verletzung vertraglicher Pflichten keinen Beurteilungsspielraum zu beachten haben269 (sondern allenfalls privatrechtlich vereinbarte Haftungsbeschränkungen).270 Gegenüber den Verwaltungsgerichten verfügen die EFS also schon deshalb über keinen Beurteilungsspielraum, weil die Verwaltungsgerichte zur unmittelbaren Überprüfung ihrer Entscheidungen nicht berufen sind. In den Fällen einer mittelbaren Befassung schließlich – also namentlich bei Klagen eines Anbieters gegen eine behördliche Entscheidung, bei Klagen einer EFS gegen nicht-förmliches Verwaltungshandeln oder gegen die inzidente Behauptung der Überschreitung ihres Beurteilungsspielraums, wie sie in den vorhergehenden Abschnitten ausführlich beschrieben wurden – in all’ diesen Fällen hat das Verwaltungsgericht ausschließlich die Frage zu prüfen, ob die EFS ihren Beurteilungsspielraum überschritten hat. Diese Frage nach dem „Ob“ des Überschreitens prüft das Gericht jedoch – nach allgemeinen Regeln – vollumfänglich. Daher lässt sich festhalten: Zwar gibt es die neue Rechtsfigur des Beurteilungsspielraums zugunsten Privater, der gegenüber der Verwaltung besteht. Einen Beurteilungsspielraum zugunsten Privater gegenüber den Verwaltungsgerichten gibt es dagegen nach wie vor nicht.
Burgi, NVwZ 2007, S. 383, 384 (Hervorhebung wie im Original). Vgl. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 7, Rn. 58. 270 Wittig, Beurteilungsspielräume, S. 48 f. untersucht die arbeitsrechtliche Besonderheit eines möglichen betriebsverfassungsrechtlichen Beurteilungsspielraums im Zivilprozess; eine Übertragbarkeit auf den Untersuchungsgegenstand der vorliegenden Arbeit erscheint jedoch fern liegend. 268 269
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E. Konsequenzen für das materielle Recht I. Problemstellung – Ausformung des materiellen Rechts durch Private Unbestimmte Rechtsbegriffe bedürfen typischerweise weiterer Ausformung. Grundsätzlich wird dieser Vorgang vollumfänglich von der Rechtsprechung kontrolliert, so dass eine einheitliche Ausformung gewährleistet ist.271 Die Verwaltung ist zumindest faktisch daran gebunden, riskiert sie doch bei einer Abweichung die Klage des betroffenen Bürgers und die entsprechende gerichtliche Korrektur. Die Fälle des Beurteilungsspielraums zugunsten der Verwaltung stellen die Ausnahme von diesem Regelfall dar, in denen die Rechtsprechung bis zu einem gewissen Grad keinen Zugriff auf die Ausformung der unbestimmten Rechtsbegriffe hat, die stattdessen durch die Verwaltung erfolgt.272 Insofern hat ein Beurteilungsspielraum nicht nur Auswirkungen auf das Verwaltungs- und das Gerichtsverfahren, sondern auch auf das materielle Recht. Wenn nunmehr Privaten ein Beurteilungsspielraum eingeräumt wurde, gibt es dann auch eine Ausformung von materiellem Recht durch diese Privaten, die bis zu einem gewissen Grad unabänderlich ist?
II. Beispiele für betroffene unbestimmte Rechtsbegriffe 1. „Programmankündigungen mit Bewegtbildern“ § 10 Abs. 1 JMStV bestimmt für den Rundfunk, dass bei Programmankündigungen mit Bewegtbildern (sog. „Trailer“) die Bestimmungen von § 5 Abs. 4 und 5 JMStV „entsprechend“ gelten.273 Hinsichtlich dieser sehr speziellen medienrechtlichen Vorschrift274 gibt es eine Reihe offener Fragen. Zunächst kann der Verweis so verstanden werden, die Ankündigung selbst dürfe nicht entwicklungsbeeinträchtigend sein und bei der Bestimmung dessen seien die Maßstäbe von § 5 JMStV anzulegen.275 Die Verweisung kann aber auch dahingehend interpretiert werden, 271 Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 7 Rn. 60 betont diese Aufgabe der Rechtsprechung besonders nachdrücklich. 272 Zu der Frage, was genau vom Beurteilungsspielraum der Verwaltung erfasst wird, siehe Seite 135 ff. 273 Allgemein zu dieser Vorschrift Ukrow, Jugendschutzrecht, Rn. 494 ff. 274 In Form einer Randbemerkung soll dabei kurz festgehalten werden, dass diese Regelung rechtspolitisch zweifelhaft erscheint. Es darf wohl hinterfragt werden, ob eine Ankündigung mit Standbildern oder mit Text die Jugendlichen so viel weniger zum Umgehen der zeitlichen Grenzen animiert, innerhalb derer sie üblicherweise Angebote wahrnehmen sollen. Kritisch auch die Stellungnahme der Jugendschutzbeauftragten der ARD vom März 2007, wiedergegeben in epd medien 2007, Nr. 24, S. 19, 24. 275 So die Rechtsauffassung der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen e.V. (FSF), vgl. deren Jahresbericht 2005, S. 38, abrufbar unter http: //www.fsf.de/fsf2/ueber_uns/bild
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jede frühere Ankündigung für ein Spätprogramm sei unzulässig, um den jugendlichen Sehern keinen „Appetit“ auf entwicklungsbeeinträchtigende Angebote zu machen, auch wenn die Ankündigung isoliert betrachtet keine entwicklungsbeeinträchtigenden Elemente enthält („Akzessorietätprinzip“). 276 Auch weitere Fragen zu den Programmankündigungen mit Bewegtbildern sind bislang offen: So ist umstritten, ob auch Programmankündigungen für andere (zumeist konzernverbundene) Anbieter von der Regelung erfasst sind.277 Noch problematischer erscheint, ob neben der Ankündigung von konkreten Ausstrahlungsterminen auch so genannte Imagewerbung betroffen ist, die typischerweise in Form von kurzen Filmbeiträgen erfolgt, die das Programm des Anbieters insgesamt bewerben und dabei auch Passagen aus einzelnen Angeboten verwenden, ohne jedoch bestimmte Sendetermine zu nennen; fraglich ist also, ob solche Beiträge den Voraussetzungen wie das am meisten beschränkte Angebot, dessen Teile dabei Verwendung finden, unterliegen278 oder die Imagewerbung gesondert zu bewerten ist, § 10 Abs. 1 JMStV also keine Anwendung findet.279 Ferner ist umstritten, ob unter die Regelung der Bewegtbilder auch eine Ankündigung mit Standbildern fallen kann, wenn diese sehr schnell und unter fortlaufendem Ton wechseln („Daumenkinoeffekt“).280 Die Liste ließe sich fortsetzen, auch mit Problemen, die in der Literatur zum materiellen Recht noch gar keine Beachtung gefunden zu haben scheinen, beispielsweise erscheint durchaus fragwürdig, ob ein Trailer vorlagefähig i. S. v. § 20 Abs. 3 Satz 1 JMStV ist; wenn das verneint werden sollte, da hierbei häufig kurzfristige Arbeiten am Schnitt üblich sind, wäre weiter zu klären, wie es sich bei einer wiederholten Ausstrahlung verhält, bei der in der Programmankündigung häufig nur Datum und Uhrzeit ausgetauscht werden (sog. „Re-Run“). Der unbestimmte Rechtsbegriff der „Programmankündigung mit Bewegtbildern“ kann also in vielfacher Hinsicht unterschiedlich ausgelegt werden – und in der aktuellen Rechtswirklichkeit wird er auch von KJM und einer anerkannten EFS unterschiedlich ausgelegt.281 So stellt sich konsequenterweise auch die Frage, /download/FSF_Jahresbericht2005.pdf (Stand: 17. 10. 2006). Vgl. auch die Stellungnahme des Verbandes Privater Rundfunk und Telemedien (VPRT) vom März 2007, wiedergegeben in epd medien 2007, Nr. 24, S. 3, 4, die fordert, dass diese Frage nicht durch Richtlinien geregelt werden solle. 276 So Erdemir, RdJB 2006, S. 285, 296, in seinem ausführlichen Beitrag zu den Programmankündigungen mit Bewegtbildern. Ähnlich bereits Erdemir, K&R 2005, S. 400, 403. Im Ergebnis übereinstimmend der Bericht des Jugendschutzbeauftragten des Bayerischen Rundfunks 2004 / 2005, S. 19, abrufbar unter http: //www.br-online.de/br-intern/organisation/pdf /jugendschutzbericht-2004 – 2005.pdf (Stand: 27. 11. 2006). 277 Bejahend Erdemir, K&R 2005, S. 400, 404. Dagegen wohl verneinend Bornemann, NJW 2003, S. 787, 790. 278 So Hopf, Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien, S. 180. 279 So Erdemir, K&R 2005, S. 400, 404, der darüber hinaus (Fn. 24) nochmals differenziert zwischen „Image-Trailern“ und Programmvorschauen zum Zwecke der Auswahlentscheidung durch das Publikum (sog. „Wunschfilme“). 280 Schulz et al, Analyse des Jugendmedienschutzsystems, S. 198.
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8. Teil: Einfach-rechtliche Konsequenzen
ob in dieser abweichenden Auslegung eine Überschreitung des Beurteilungsspielraums erkannt werden kann. Wie sehr sich diese rechtliche Unsicherheit in der Praxis auswirkt, zeigt sich an der zwischen KJM und FSF getroffenen Vereinbarung vom 18. 12. 2006, in der Folgendes vereinbart wurde:282 Programmankündigungen für Sendungen, deren Ausstrahlung nur ab 22 Uhr gestattet ist, dürfen demnach auch nur zu diesen Zeiten ausgestrahlt werden, dagegen dürfen Ankündigungen von Sendungen, deren Ausstrahlung schon ab 20 Uhr gestattet ist, während des ganzen Tages ausgestrahlt werden (wenn sie isoliert betrachtet nicht gegen § 5 JMStV verstoßen). Diese Rechtsanwendung ist rein juristisch gesehen offensichtlich unvertretbar – sie wurde von der KJM aber trotzdem als „Beispiel für eine gute Zusammenarbeit“ mit einer EFS gelobt.283 Das dokumentiert anschaulich die starke politisch-taktische Durchdringung der Materie, worauf im Rahmen der späteren rechtspolitischen Bewertung noch einzugehen sein wird. Zu dieser Durchdringung gehört auch, dass die Vereinbarung befristet wurde und ein bereits anhängiges Gerichtsverfahren vor dem Verwaltungsgericht Berlin für diese Zeit ruhen soll.
2. „Entwicklungsbeeinträchtigend“ § 5 Abs. 1 JMStV beschreibt den zentralen materiell-rechtlichen Begriff des entwicklungsbeeinträchtigenden Angebotes: „Angebote, die geeignet sind, die Entwicklung von Kindern oder Jugendlichen zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu beeinträchtigen.“ Diese Beschreibung lässt offensichtlich Raum für Interpretation, die in verschiedene Richtungen gehen kann. Beispielhaft hat sich das schon in den skizzierten Verfahren284 zu den Sendungen „I want a famous face“ und „Popetown“ gezeigt. In beiden Fällen ging die KJM von einer Entwicklungsbeeinträchtigung (für die jeweils einschlägige Altersgruppe) aus, nicht jedoch die damit befasste EFS. Im erstgenannten Fall lagen diese Einschätzungen so weit auseinander, dass die KJM von einer Überschreitung des Beurteilungsspielraums ausging, im letzteren nicht. Zwischen der Auslegung des Begriffs „entwicklungsbeeinträchtigend“ und dem zuvor genannten Beispiel wird ein wesentlicher Unterschied erkennbar: Die be281 Vgl. den Jahresbericht 2006 der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen e.V. (FSF), abrufbar unter http: //www.fsf.de/fsf2/ueber_uns/bild/download/FSF_Jahresbericht_2006.pdf (Stand: 11. 11. 2007), S. 81 f. 282 Nachgewiesen im Zweiten Bericht der KJM vom August 2007, S. 37, abrufbar unter http: //www.kjm-online.de/public/kjm/downloads/KJM_Bericht%20und%20Umschlag.pdf (Stand: 19. 09. 2007). 283 Zweiter Bericht der KJM vom August 2007, S. 44, abrufbar unter http: //www. kjm-online.de/public/kjm/downloads/KJM_Bericht%20und%20Umschlag.pdf (Stand: 19. 09. 2007). 284 Siehe S. 245 ff.
E. Konsequenzen fu¨r das materielle Recht
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schriebenen Probleme der Programmankündigung mit Bewegtbildern können von der Rechtsprechung entschieden werden,285 so dass nach einem einmaligen Verfahren zu einem der genannten offenen Punkte weitgehende Rechtssicherheit für die Zukunft herrschen dürfte. Anders ist es jedoch bei der Auslegung des Begriffs „entwicklungsbeeinträchtigend“. Zwar kann davon ausgegangen werden, dass im Laufe der Zeit auch hier von der Rechtsprechung einige nähere Maßstäbe etabliert werden. Die Angebote von Rundfunk und Telemedien sind jedoch so vielfältig, so dynamisch und bringen so häufig bis dahin unbekannte Formate hervor, dass die mögliche Uneinigkeit von EFS und KJM ständig wiederkehren wird – und damit auch die gespaltene Auslegung des zentralen materiell-rechtlichen Begriffs des JMStV. 3. „Pornografisch“ Eine weitere Auslegungsproblematik ist für den Rechtsbegriff „pornografisch“ denkbar, wie er in § 5 Abs. 2 Nr. 1 JMStV verwandt wird.286 Der Pornografiebegriff, wie er im Rundfunk gilt, ist auch für das Strafrecht maßgeblich.287 Insofern ist die Frage aufzuwerfen, ob die anerkannten EFS als private Institutionen nicht nur das materielle Recht des JMStV, sondern in manchen Fällen auch die Vorschriften anderer Rechtsgebiete (mit-)ausformen können.
III. Bewertung Eine „Aufspaltung“ der Ausformung des materiellen Rechts, eine ungleiche Behandlung von verschiedenen Anbietern – das klingt zunächst problematisch. Bei genauerer Betrachtung ist aber genau das, die unterschiedliche Ausformung und Behandlung, erstens ein gewöhnlicher und zweitens sogar ein gewollter Zustand. Die unterschiedliche Behandlung von unbestimmten Rechtsbegriffen durch unterschiedliche Normanwender ist nichts Ungewöhnliches. Es ist beispielsweise bekannt, dass die Behörden in verschiedenen Bundesländern die gleichen Begriffe in der Verwaltungspraxis unterschiedlich anwenden. Zwar wollte der JMStV durch 285 Dies ist bis jetzt (noch) nicht geschehen, vgl. den Zweiten Bericht der KJM vom August 2007, S. 37, abrufbar unter http: //www.kjm-online.de/public/kjm/downloads/KJM_Bericht%20und%20Umschlag.pdf (Stand: 19. 09. 2007). 286 Ausführlich zur Ausformung dieses Begriffes in der Praxis Erdemir, MMR 2003, S. 628, passim; ebenso Schroeder, Pornographie, Jugendschutz und Kunstfreiheit, passim. Ausführlich zur Verfassungsmäßigkeit des absoluten Ausstrahlungsverbots für so genannte „schlicht“ pornografische Angebote des Rundfunks Bandehzadeh, Jugendschutz im Rundfunk und in den Telemedien, S. 235 ff. 287 Vgl. BVerwGE 116, 5, 18 f. Näher Hopf, Jugendschutz im Fernsehen, S. 211. Besonders illustrativ Tröndle / Fischer, StGB, § 184, Rn. 7b: „Pornografie ist nicht sexuelles Verhalten, sondern Kommunikation darüber.“.
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8. Teil: Einfach-rechtliche Konsequenzen
die Einrichtung einer länderübergreifend zuständigen Kommission diese Unterschiede beseitigen, daraus lässt sich aber kein absolutes Prinzip ableiten. Zum einen, da durch die Ausklammerung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks aus dem Verfahren288 ohnehin weitere Einrichtungen eigenständig das Recht des JMStV auslegen. Vor allem aber, weil die relative Eigenständigkeit der anerkannten EFS gegenüber den Maßstäben der KJM in diesem Verfahren der regulierten Selbstregulierung angelegt ist. Die gegenüber einem Anbieter im Zweifel tendenziell wohlwollendere Handhabung des materiellen Rechts ist einer der wichtigsten Anreize für die private Seite, das System der regulierten Selbstregulierung mitzutragen.289 Die unterschiedliche Behandlung ist daher hinzunehmen, sowohl für Interpretationsfragen, die immer wieder gleichartig wiederkehren (wie bei der „Programmankündigung mit Bewegtbildern“) als auch hinsichtlich komplexerer Rechtsbegriffe, bei denen sich keine starren Regeln, sondern wohl nur höhere oder niedrigere Wahrscheinlichkeiten einer Beanstandung herausbilden können (wie bei dem Begriff „entwicklungsbeeinträchtigend“). Die Effektivität des Jugendschutzes sollte darunter nicht, zumindest nicht übermäßig leiden, weil die Anerkennungsvoraussetzungen für die EFS und vor allem die Grenzen des Beurteilungsspielraums der Ausformung des materiellen Rechts Schranken setzen. Andere Rechtsgebiete wie das Strafrecht sind dadurch entgegen der angedeuteten Befürchtung von vornherein nicht beeinträchtigt. Beispielsweise ist die Auslegung des Begriffs „pornografisch“ durch eine anerkannte EFS jenseits des JMStV nicht verbindlich – wie es übrigens auch nicht die Auslegung durch die KJM ist. Auch wenn man einen Beurteilungsspielraum der KJM annimmt, so sind dadurch nur die Verwaltungsgerichte bei einer Klage gegen die KJM bzw. die Landesmedienanstalt gebunden. Nicht aber die Zivil- und Strafgerichte, in deren Verfahren ein Beurteilungsspielraum nicht bekannt ist.290 Festzuhalten bleibt somit nur noch, dass die Möglichkeit eines dauerhaften Auseinanderfallens der Maßstäbe einer Ausformung als solcher kein Grund für die KJM sein darf, im Einzelfall eine Überschreitung des Beurteilungsspielraums durch eine anerkannte EFS anzunehmen. Die KJM kann also nicht damit argumentieren, dass die EFS bei der Anwendung des materiellen Rechts den Beurteilungsspielraum überschritten habe, weil die Art der Ausformung auf Dauer dazu führen würde, dass ein anderer Maßstab als derjenige der KJM parallel bestehen würde. Die Überschreitung kann vielmehr nur dann angenommen werden, wenn die von der EFS konkret zugrunde gelegte Auslegung den Beurteilungsspielraum überschreitet, also insbesondere, wenn sie allgemein anerkannte Bewertungsmaßstäbe verletzt.
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Dies wird de lege ferenda kritisiert, ausführlich dazu siehe Seite 394 ff. Ähnlich Storr, DÖV 2007, S. 133, 141. Vgl. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 7, Rn. 58.
F. Konsequenzen fu¨r die Ahndung von Ordnungswidrigkeiten
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F. Konsequenzen für die Ahndung von Ordnungswidrigkeiten und Straftaten I. Indirekte Auswirkung auf die Ahndung von Ordnungswidrigkeiten durch §§ 8, 9 Abs. 1 JMStV? § 24 Abs. 1 JMStV normiert eine Reihe von Ordnungswidrigkeiten hinsichtlich des vorsätzlichen oder fahrlässigen Fehlverhaltens von Anbietern. § 24 Abs. 1 Nr. 9 JMStV sanktioniert die Verbreitung von Sendeformaten entgegen entsprechender Sendezeitbeschränkungen gem. § 8 Abs. 2 JMStV, wie sie (unter anderem) von anerkannten EFS erlassen werden können. Gem. § 24 Abs. 1 Nr. 10 JMStV wiederum zieht die Verbreitung von Sendungen, deren entwicklungsbeeinträchtigende Wirkung gem. § 5 Abs. 2 JMStV vermutet wird, in den Fällen keine Ordnungswidrigkeit nach sich, in denen eine anerkannte EFS (oder die KJM) eine entsprechende Freigabe gem. § 9 Abs. 1 Satz 1 JMStV bewirkt hat. In diesen beiden Fällen kann die EFS also die Ahndung einer Ordnungswidrigkeit indirekt verhindern, weil von vornherein kein materiell-rechtlicher Verstoß vorliegt. Nach dem gleichen Prinzip können auch Richtlinien und Einzelfallentscheidungen gem. § 8 JMStV wirken. Nach der hier vertretenen Auffassung verfügen die anerkannten EFS bei allen Richtlinien und Einzelfallentscheidungen gem. §§ 8, 9 Abs. 1 JMStV über einen Beurteilungsspielraum291 – in diesem Sinne erfährt der Beurteilungsspielraum also eine indirekte Bedeutung für die Ahndung von Ordnungswidrigkeiten. Dies ist aber keine Besonderheit des Beurteilungsspielraums, sondern nur allgemeine und reflexartige Folge der Kompetenz zur (Mit-)Gestaltung des materiellen Rechts.
II. Direkte Auswirkung auf die Ahndung von Ordnungswidrigkeiten durch § 20 Abs. 3, 5 JMStV? Gem. § 24 Abs. 4 Satz 5 JMStV entscheidet die zuständige Landesmedienanstalt durch die KJM über die Verhängung einer Geldbuße. Für das Handeln der KJM gegenüber dem Anbieter wiederum gilt die Privilegierung gem. § 20 Abs. 3, 5 JMStV,292 so dass keine Geldbuße verhängt werden kann, wenn der Anbieter das jeweilige Angebot einer anerkannten EFS vorgelegt sowie deren Vorgaben beachtet hat und die EFS den Beurteilungsspielraum nicht überschritten hat. Dies entspricht Siehe Seite 258 ff. Hartstein / Ring / Kreile / Dörr / Stettner, Rundfunkstaatsvertrag, Band III, C 3, § 20 JMStV, Rn. 17. 291 292
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8. Teil: Einfach-rechtliche Konsequenzen
auch dem ausdrücklichen Willen der amtlichen Begründung293 sowie der Formulierung von § 16 Satz 2 JMStV, nach der die Ermächtigung der KJM die Befugnisse der anerkannten EFS unbeschadet lässt.294 Diese beschriebene Auswirkung erfolgt zwar durch § 20 Abs. 3, 5 JMStV. Genau genommen ist sie aber keine Auswirkung gerade des Beurteilungsspielraums. Anknüpfungspunkt ist nämlich die Vorlage durch den Anbieter als solche und nicht die anschließende Bewertung der EFS, wie in der sogleich folgenden Darstellung des Falls der Überschreitung des Beurteilungsspielraums besonders deutlich werden wird.
III. Direkte Auswirkung auch bei Überschreitung des Beurteilungsspielraums? Fraglich ist, ob ein Anbieter auch dann von einem Bußgeld verschont bleibt, wenn er das Angebot einer anerkannten EFS vorgelegt sowie deren Vorgaben beachtet hat, diese EFS bei der Bewertung aber ihren Beurteilungsspielraum überschritten hat. Dies ist nicht unproblematisch, weil der Anbieter im Grunde ja keinen Fehler (auch keinen fahrlässigen) begangen hat – nicht er, sondern die EFS hat ihren Beurteilungsspielraum überschritten. Im Extremfall kann der Grund der Überschreitung für ihn sogar weder erkennbar noch abänderbar gewesen sein, beispielsweise bei einem Verfahrensfehler der EFS. Zwar kann zunächst festgehalten werden, dass in diesen Fällen alle anderen Maßnahmen der KJM gestattet sind, weil der Wortlaut des JMStV eine Ausnahme gerade für die Verhängung von Bußgeldern nicht vorsieht. Zu der eigentlichen Problematik aber schweigen sowohl die amtliche Begründung des JMStV295 als offenbar auch die Literatur. Trotzdem drängt sich die Frage geradezu auf, denn wenigstens im oben angedeuteten Extremfall widerspricht es dem Gerechtigkeitsempfinden, dass der Anbieter ein Bußgeld entrichten soll, obwohl er keinen Fehler begangen hat, der aus seiner Sicht erkennbar gewesen wäre. In dieser Konstellation zeigt sich ein Problem, dass durch die Verwendung gerade der Rechtsfigur des Beurteilungsspielraums entsteht. Der Beurteilungsspielraum stellt nämlich auf die Perspektive der EFS ab und nicht auf die Perspektive des Anbieters (wie es z. B. bei Verwendung der Rechtsfigur des „offensichtlichen Fehlers“ analog § 44 Abs. 1 VwVfG dagegen der Fall gewesen wäre296). Die BußAmtliche Begründung zu § 20 Abs. 3, 5 JMStV, u. a. BayLT-Drucks. 14 / 10246. Scholz / Liesching, Jugendschutz, § 16 JMStV, Rn. 4. 295 Wenn überhaupt, spricht sie eher dagegen: „Die Anbieter werden in ihrem Vertrauen in die Entscheidungen der Selbstkontrolle geschützt, wenn diese den gesetzlichen Beurteilungsspielraum eingehalten hat“, vgl. amtliche Begründung zu § 20 Abs. 3 JMStV, u. a. BayLTDrucks. 14 / 10246 (Hervorhebung nicht im Original). 296 Dies hatte der während der Entwurfsphase des JMStV von Schulz / Held, epd medien 2002, Nr. 58, S. 27, 28 unterbreitete Vorschlag zum Inhalt, den Schulz et al, Analyse des Jugendmedienschutzsystems, S. 131 nochmals unterstreichen. 293 294
F. Konsequenzen fu¨r die Ahndung von Ordnungswidrigkeiten
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geldbewehrung trifft aber den Anbieter, so dass es insofern zu einem Auseinanderfallen von Handlung und Haftung kommt. Eine umfassende Privilegierung auch für diese Fälle würde den Wortlaut des JMStV überspannen. Im Rahmen einer teleologischen Betrachtung erscheint es auch gar nicht geboten, einen Anbieter zu privilegieren, der selbst von der Rechtswidrigkeit der Veröffentlichung ausging und das Angebot der EFS womöglich nur „auf gut Glück“ vorgelegt hat. Die angemessene Lösung scheint darin zu liegen, nur für die Fälle, in denen der Anbieter die Überschreitung des Beurteilungsspielraums nicht erkennen konnte, das Ermessen der KJM als derartig reduziert einzustufen, dass die Verhängung eines Bußgeldes nicht in Betracht kommt. Dabei ist aber festzuhalten: diese Reduzierung ist keine Auswirkung des Beurteilungsspielraums – im Gegenteil. Sie gilt nicht weil, sondern obwohl der Gesetzgeber als rechtstechnisches „Werkzeug“ die Rechtsfigur des Beurteilungsspielraums verwendet hat.
IV. Direkte Privilegierung bei der Ahndung von Straftaten? In der Literatur wurde bereits problematisiert, ob § 20 Abs. 3, 5 JMStV auch eine Privilegierung bei Straftatbeständen bewirken kann.297 Die amtliche Begründung hatte dabei besondere Irritationen durch widersprüchliche Aussagen, die im Ergebnis wohl als Redaktionsfehler einzuordnen sind, verursacht.298 Aufgrund kompetenzrechtlicher Bedenken wurde bezweifelt, dass ein Staatsvertrag der Länder überhaupt Privilegierungen für die einschlägigen Strafvorschriften des Strafgesetzbuchs299 schaffen könne.300 Im Ergebnis bestehen strafrechtliche Privilegierungen aber weder hinsichtlich der Strafvorschrift gem. § 23 JMStV noch hinsichtlich des Strafgesetzbuchs, da § 20 Abs. 3, 5 JMStV ausdrücklich nur für die KJM ein Verfahrenshindernis bildet, Straftaten jedoch von der Staatsanwaltschaft verfolgt werden.301 Eine unmittelbare strafrechtliche Privilegierung findet also keinesfalls statt. 297 Ausführlich Hartstein / Ring / Kreile / Dörr / Stettner, Rundfunkstaatsvertrag, Band III, C 3, § 20 JMStV, Rn. 17 ff. 298 Hartstein / Ring / Kreile / Dörr / Stettner, Rundfunkstaatsvertrag, Band III, C 3, § 20 JMStV, Rn. 18. 299 Das StGB beinhaltet im Wesentlichen drei Medienverbreitungsdelikte, bei denen Jugendschutzbelange als Schutzzweck anzunehmen sind, nämlich Volksverhetzung gem. § 130 StGB, Gewaltverherrlichung gem. § 131 StGB sowie Pornographie gem. §§ 184 – 184c StGB, die infolge des umfassenden Schriftenbegriffs gem. § 11 Abs. 3 StGB auch für die Verbreitung mittels Rundfunk und Telemedien gelten, vgl. Erdemir, RdJB 2006, S. 285, 287. 300 Hartstein / Ring / Kreile / Dörr / Stettner, Rundfunkstaatsvertrag, Band III, C 3, § 20 JMStV, Rn. 19. Ebenso Ukrow, Jugendschutzrecht, Rn. 640. Fn. 227; ihm zustimmend Cole ZUM 2005, S. 462, 468. Vgl. auch Altenhain in: Hoeren / Sieber, Handbuch MultimediaRecht, Teil 20, Rn. 200.
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8. Teil: Einfach-rechtliche Konsequenzen
V. Indirekte Privilegierung durch strafrechtlichen Irrtum? Unter der Prämisse fehlender direkter Privilegierung wurde im Schrifttum die Frage aufgeworfen,302 ob die Befassung einer anerkannten EFS mit einem Angebot auf Seiten des Anbieters zu einem strafrechtlich relevanten Irrtum führen könne.303 Leider erfolgte diese Diskussion – soweit ersichtlich – bislang ohne bestimmte notwendige Differenzierungen,304 die mitunter ihre Ursache in einer unzureichenden Berücksichtigung wesentlicher strafrechts-dogmatischer Grundsätze zu haben scheinen.305 Folgende Eckpunkte sind aber zu beachten: Bei nachträglicher Befassung einer EFS, wie sie gem. § 20 Abs. 3 Satz 2, Abs. 5 JMStV für nicht-vorlagefähige Rundfunkangebote sowie für Angebote der Telemedien vorgesehen ist, scheidet eine Privilegierung von vornherein aus. Eine nachträgliche Befassung kann das Wissen des Täters (also des Anbieters) über Tatsachen und rechtliche Wertungen nicht im Nachhinein ändern (vgl. übereinstimmend § 16 Abs. 1 Satz 1 und § 17 Satz 1 StGB: „bei Begehung der Tat“). Ansonsten bestünde eine quasi schwebend wirksame Strafbarkeit, die erst durch das spätere Eingreifen einer anerkannten EFS beendet würde – das erscheint strafrechtlich nicht haltbar. Nur in den übrigen Fällen, also bei vorheriger Befassung der anerkannten EFS, stellt sich die Frage nach der Art des Irrtums. Regelmäßig irrt der Anbieter nicht über tatsächliche Umstände, weil ihm der tatsächliche Inhalt seines Angebots vollumfänglich bekannt sein dürfte.306 Er kann sich allenfalls darüber irren, ob die 301 Hartstein / Ring / Kreile / Dörr / Stettner, Rundfunkstaatsvertrag, Band III, C 3, § 20 JMStV, Rn. 20. Zustimmend Retzke, Präventiver Jugendmedienschutz, S. 233. Ebenso Altenhain in: Hoeren / Sieber, Handbuch Multimedia-Recht, Teil 20, Rn. 200. 302 Vgl. beispielsweise Hartstein / Ring / Kreile / Dörr / Stettner, Rundfunkstaatsvertrag, Band III, C 3, § 20 JMStV, Rn. 21, Scholz / Liesching, Jugendschutz, § 20 JMStV, Rn. 9 sowie Hopf, Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien, S. 74, Fn. 348. 303 Soweit ersichtlich, wurde noch nicht der Versuch unternommen, § 20 Abs. 3, 5 JMStV als Rechtfertigungsgrund im Sinne eines so genannten „erlaubten Risikos“ zu interpretieren. Dies wäre m. E. ein viel versprechender Ansatz, dessen Entwicklung den Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit aber zu weit ausdehnen würde. Vgl. zur Frage des Rechtfertigungsgrundes des „erlaubten Risikos“ Wessels / Beulke, Strafrecht AT, Rn. 283 und insbesondere in Hinsicht auf den Einfluss anderer Gesetze sowie des Grundsatzes der Einheit der Rechtsordnung Rn. 283a. 304 Beispielsweise differenzieren Hartstein / Ring / Kreile / Dörr / Stettner, Rundfunkstaatsvertrag, Band III, C 3, § 20 JMStV, Rn. 21 und 38 nicht nach § 20 Abs. 3 Satz 1 JMStV einerseits und § 20 Abs. 3 Satz 2, Abs. 5 JMStV andererseits, dazu sogleich. 305 Beispielsweise meinen Hartstein / Ring / Kreile / Dörr / Stettner, Rundfunkstaatsvertrag, Band III, C 3, § 20 JMStV, Rn. 20, ein subjektiver Tatbestand könne nicht erfüllt sein, wenn ein Anbieter darauf vertraue, dass keine strafrechtlichen Bestimmungen verletzt seien; dies ist aber unzutreffend, weil ein solcher Irrtum hinsichtlich der rechtlichen Bewertung nicht den Vorsatz, sondern die Schuld betrifft, § 17 Satz 1 StGB. 306 Die Bestrafung wegen Fahrlässigkeit bliebe davon ohnehin unberührt, § 16 Abs. 1 Satz 2 StGB.
F. Konsequenzen fu¨r die Ahndung von Ordnungswidrigkeiten
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Verbreitung dieses Inhalts rechtlich verboten ist.307 Dementsprechend kommt beim Anbieter nur ein Verbotsirrtum gem. § 17 StGB in Betracht. Das gilt aber unabhängig davon, ob er mit einer anerkannten EFS zusammengearbeitet hat oder nicht. Denn über ein Verbot kann man sich natürlich auch irren, ohne zuvor einen anderen zur Sache befragt zu haben. Die Befassung der EFS also kann höchstens (wenn überhaupt) beeinflussen, ob ein gegebener Verbotsirrtum für den Anbieter gem. § 17 Satz 2 StGB vermeidbar war oder nicht. Die Beurteilung dessen, ob die Unvermeidbarkeit eines Irrtums des Anbieters anzunehmen ist, wenn er zuvor eine anerkannte EFS mit der Begutachtung betraut hat, ist sehr schwierig – schwieriger jedenfalls, als dies die medienrechtliche Literatur vorauszusetzen scheint.308 Die Befassung einer EFS stellt sich im Grunde als besondere Variante der im Strafrecht bekannten Fallgruppe der Befragung qualifizierter Auskunftspersonen dar.309 Die Rechtsprechung ist in dieser Hinsicht sehr restriktiv, kaum einmal wird die Unvermeidbarkeit eines Irrtums angenommen, wie erst wieder in jüngerer Zeit der Fall „Mannesmann“310 verdeutlicht hat. Eine Argumentation mit dem Telos von § 20 Abs. 3 Satz 1 JMStV (Schutz der Anbieter als Belohnung für ihre Kooperationsbereitschaft) wäre problematisch, würde sie hinsichtlich des StGB doch wieder die bereits erwähnte, strittige Frage aufwerfen, ob die Länder die Kompetenz zu einer derartigen Beeinflussung des StGB hätten. Im Ergebnis sollte entscheidend sein, dass die anerkannten EFS nicht irgendwelche beliebigen Auskunftspersonen sind. Sie sind nicht nur allgemein fachlich qualifiziert und dem geltenden Recht verpflichtet (wie es „schon“ bei Rechtsanwälten der Fall ist), sondern sie sind hoheitlich in einem besonderen Verfahren mit relativ detaillierten Vorgaben (§ 19 Abs. 3 JMStV) speziell für diese Aufgabe anerkannt worden, so dass bei deren Fehlauskunft die Unvermeidbarkeit für den Auskunftssuchenden (den Anbieter) deutlich näher liegt als in anderen Fällen. Allein – angesichts der bereits angedeuteten restriktiven Rechtsprechung sollte ein Anbieter darauf besser nicht vertrauen. 307 Bei Kenntnis einer Verbotsnorm könnte sich allenfalls noch das Problem der normativen Tatbestandsmerkmale stellen, das nach herrschender Meinung zu lösen ist, indem auf die Parallelwertung in der Laiensphäre abgestellt wird, vgl. Wessels / Beulke, Strafrecht AT, Rn. 243. 308 Im Grunde aber nur beiläufig etwa die Erwähnung bei Scholz / Liesching, Jugendschutz, § 20 JMStV, Rn. 9. Auch Halves, Neuordnung des Jugendmedienschutzes, S. 141, stellt in Fn. 604 ohne jede Begründung lediglich die Behauptung auf, es läge „wohl“ ein unvermeidbarer Verbotsirrtum vor. 309 Vgl. BGHSt, Band 40, S. 264, 264; danach muss eine Auskunftsperson so ausgewählt werden, dass eine objektive, sorgfältige, pflichtgemäße und verantwortungsbewusste Auskunftserteilung gewährleistet ist. Auf die Auskunft darf sich der Betroffene dann nicht verlassen, wenn sich die Unerlaubtheit des Handels entgegen der Auskunft aufdrängt oder schon bei ohne weiteres möglicher Anstrengung von Verstand und Gewissen leicht erkennen lässt, vgl. Tröndle / Fischer, StGB, § 17, Rn. 9a m. w. N. anhand der Beispiele von Rechtsanwälten und unzuständigen Behörden. 310 BGHSt Band 50, S. 331.
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8. Teil: Einfach-rechtliche Konsequenzen
Doch diese Verortung des Verbotsirrtums ist – entsprechend den Ausführungen hinsichtlich der Ordnungswidrigkeiten – keine Auswirkung des Beurteilungsspielraums. Führt man sich auch hier das Beispiel vor Augen, dass ein „bösgläubiger“ Anbieter auf „gut Glück“ ein rechtswidriges Angebot von einer EFS begutachten lässt, so muss über die Vermeidbarkeit von vornherein nicht diskutiert werden, weil es dann schon an einem Irrtum fehlt. Als weiteres Beispiel ist an den Fall zu denken, in dem ein für den Anbieter offensichtlich rechtswidriges Angebot von diesem – quasi zu seiner eigenen Überraschung – nicht von der EFS beanstandet wird. In diesem Fall wäre der Verbotsirrtum wohl trotz der Befassung der EFS als vermeidbar einzustufen. Das alles zeigt: Der Beurteilungsspielraum richtet sich nach der Perspektive der anerkannten EFS. Die strafrechtliche Privilegierung dagegen richtet sich nach der Perspektive des Täters, also des Anbieters. Strafrechtliche Bewertung und Beurteilungsspielraum sind daher unabhängig voneinander. Abschließend lässt sich somit festhalten, dass der Beurteilungsspielraum zugunsten Privater nicht zu einer „Teilprivatisierung von Strafgewalt“311 geführt hat.
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Diese Frage wirft Groß NVwZ 2004, S. 1393, 1395 auf.
Neunter Teil
Verfassungsrechtliche Bewertung Die verfassungsrechtliche Bewertung der Neuregelung ergibt, dass dem konstatierten Regelungsgehalt des einfachen Rechts höherrangiges Recht nicht entgegensteht. Bei der Herleitung dieses Gesamtergebnisses ist zwischen der verfassungsrechtlichen Verortung der neuen Rechtsfigur des Beurteilungsspielraums zugunsten Privater als solcher (dazu A.) und der Frage der Verfassungsmäßigkeit des Verfahrens des JMStV, in das diese Rechtsfigur als Instrument integriert ist, zu trennen. Hinsichtlich letzterer Fragestellung ist weiter zu differenzieren zwischen den institutionellen Vorgaben des höherrangigen Rechts für das Verfahren (dazu B.) und dem Einfluss der Abwehrgrundrechte von Anbietern und potentiellen Empfängern (dazu C.); abschließend ist die formelle Verfassungsmäßigkeit des JMStV kurz anzusprechen (dazu D.).
A. Der Beurteilungsspielraum zugunsten Privater als solcher Die verfassungsrechtliche Bewertung des neuen jugendschutzrechtlichen Verfahrens im JMStV ist deutlich zu trennen von der verfassungsrechtlichen Bewertung der Übertragung der „herkömmlichen“ Rechtsfigur des Beurteilungsspielraums in den neuen Kontext. Die Übertragung als solche und die damit einhergehende einfach-rechtliche Schaffung der neuen Rechtsfigur des Beurteilungsspielraums zugunsten Privater ist insofern abstrakt von der – im Anschluss erfolgenden – verfassungsrechtlichen Prüfung speziell der jugendmedienschutzrechtlichen Situation zu bewerten. Zur Rechtfertigung eines Beurteilungsspielraums zugunsten der Verwaltung wurde – wie gezeigt – in Rechtsprechung und Literatur immer wieder das Prinzip der Gewaltenteilung bzw. die eigene verfassungsmäßige Legitimation der Exekutive herangezogen.1 Folgte man dem, so entstünde für einen Beurteilungsspiel1 Z. B. Ossenbühl in: FS Redeker, S. 55, 58. Deutlich auch Bamberger, VerwArch 2002, S. 217, 221: „Ihr [der Verwaltung] stehen in manchen Bereichen Beurteilungsermächtigungen deswegen zu, weil der Tatsache Rechnung getragen werden muss, dass ihr und nicht der Verwaltungsgerichtsbarkeit die Staatsfunktion ,Exekutive‘ zufällt“. – Vgl. auch das anschauliche Beispiel aus der Rechtsprechung in BVerfGE 88, 40, 61: „Die Verwaltung handelt insofern
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9. Teil: Verfassungsrechtliche Bewertung
raum zugunsten Privater womöglich eine gewisse Erklärungsnot, da Private eben keine staatliche Gewalt sind. Nach der hier vertretenen Auffassung ist den Ansätzen, Beurteilungsspielräume derartig zu rechtfertigen, aber generell nicht zu folgen,2 so dass hier die angedeuteten Folgeprobleme nicht entstehen. Wichtigster verfassungsrechtlicher Maßstab für den Beurteilungsspielraum zugunsten der Verwaltung ist – wie gezeigt – Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG. Diese Norm steht aber einem Beurteilungsspielraum zugunsten Privater von vornherein nicht entgegen, weil Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG keine Geltung gegenüber privaten Handlungen beansprucht („durch die öffentliche Gewalt“); in Bezug auf sie ist lediglich der allgemeine Justizgewährungsanspruch zu beachten.3 Im Zivilprozess steht der Beurteilungsspielraum einer anerkannten EFS in Gestalt von § 20 Abs. 3, 5 JMStV der prozessualen Durchsetzung von gegenüber der EFS bestehenden Ansprüchen nicht unmittelbar4 im Wege, so dass insofern keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen. Nur im Ausnahmefall der Beleihung besteht ein Beurteilungsspielraum der EFS gegenüber dem Verwaltungsgericht; dieser ist jedoch – wie ausführlich dargelegt – nach den gleichen Maßstäben zu rechtfertigen wie der Beurteilungsspielraum zugunsten der Verwaltung im Allgemeinen.5 Bereits bei der Definition des Inhalts der neuen Rechtsfigur wurde hinsichtlich der abwehrrechtlichen Perspektive konstatiert, dass der Beurteilungsspielraum bei keinem der beteiligten Privaten zu einem „Weniger“, sondern allenfalls zu einem „Mehr“ an Handlungsmöglichkeiten führt.6 Für beide Seiten bedeutet daher die Einräumung des Beurteilungsspielraums isoliert gesehen keinesfalls eine Verletzung von verfassungsmäßigen Abwehrrechten (was freilich nicht die verfassungsrechtliche Überprüfung einer Verletzung der Abwehrrechte im Übrigen ersetzt, wie sie hier auch noch folgen wird). Sofern schließlich der Blickwinkel eines zu schützenden Rechtsguts eingenommen wird und zu prüfen ist, ob die eingeschränkte Kontrollierbarkeit der Entscheidung des beurteilenden Privaten zu einem nicht hinreichenden Schutzniveau führt, kraft eigener Kompetenz. [ . . . ] Die Gerichte haben insofern die vom Grundgesetz vorgesehene Kompetenzverteilung zu respektieren. [ . . . ] Den dadurch [durch die Elemente wertender Erkenntnis] begründeten Handlungsspielraum muss die Verwaltung kraft ihrer eigenen verfassungsrechtlichen Legitimation ausfüllen‘‘ (S. 61); dem folgend jüngst BVerwG, DVBl. 2008, S. 40, 47 (Hervorhebungen jeweils nicht im Original). 2 Siehe Seite 185 f. 3 Vgl. Peter M. Huber in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Band 1, Art. 19, Rn. 352 ff. m. w. N. 4 Sofern im Rahmen des privatrechtlichen Verhältnisses der Anbieter und die EFS inter partes einen geringeren Sorgfaltsmaßstab vereinbaren, so besteht ein vertraglich vereinbartes Anspruchshindernis und keine staatlich reduzierte Justizgewähr, auch dann, wenn sich die Vertragsparteien bei der vertragliche Festlegung des Sorgfaltsmaßstab an den Kriterien einer Überschreitung des Beurteilungsspielraums orientieren sollten. 5 Siehe Seite 301 ff. 6 Siehe Seite 246 ff.
B. Institutionelle Vorgaben fu¨r das Verfahren des JMStV
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so ist nicht unmittelbar an das Verhalten der beteiligten Privaten anzuknüpfen, weil diese Privaten prinzipiell Berechtigte und nicht Verpflichtete entsprechender Verfassungsnormen sind. Stattdessen ist danach zu fragen, ob der (verfassungsrechtlich gebundene) Gesetzgeber durch die Einräumung des Beurteilungsspielraums zugunsten Privater gegen eine staatliche Schutzpflicht verstoßen hat.7 Wie dies konkret im Referenzgebiet des JMStV zu bewerten ist, ist daher sogleich (aber eben unabhängig von der abstrakten Bewertung der Rechtsfigur als solcher) zu klären.
B. Institutionelle Vorgaben für das Verfahren des JMStV I. Pflicht des Staates zum Jugendschutz 1. Inhalt Jugendschutz8 ist ein Rechtsgut von Verfassungsrang9 und daher10 besteht eine entsprechende staatliche Schutzpflicht.11 Das ist im Ergebnis in Rechtsprechung12 und Literatur13 unbestritten und ergibt sich jedenfalls aus Art. 5 Abs. 2 Var. 2 GG, wo der Schutz der Jugend als eine Schranke für die Medienfreiheiten genannt ist.14 7 Soweit übereinstimmend Bosch, Regulierte Selbstregulierung im JugendmedienschutzStaatsvertrag, S. 73 m. w. N.: „Will man dem Konzept der regulierten Selbstregulierung rechtliche Grenzen setzen – was unzweifelhaft notwendig ist –, so müssen sie dem Gesetzgeber gesetzt werden und nicht den Privaten.“ 8 Auf die eigenständige Bedeutung des Schutzes der Menschenwürde als verfassungsrechtlich gebotene Staatsaufgabe soll hier nicht gesondert eingegangen werden; dazu instruktiv Dreier in: von Bogdandy / Cruz Villalón / Huber, Handbuch Ius Publicum Europaeum, Band I, § 1, Rn. 143 ff. m. w. N.; ausführlich mit Bezug auf den JMStV Ehrlichmann, Die Verfassungsmäßigkeit der KJM, S. 74 ff. 9 BVerfGE 77, 346, 356; Starck in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Band 1, Art. 5, Rn. 204 m. w. N.; vgl. auch Ehrlichmann, Die Verfassungsmäßigkeit der KJM, S. 83 ff.; zu den verschiedenen, im Ergebnis übereinstimmen, Begründungen Bosch, Regulierte Selbstregulierung im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag, S. 98 ff. 10 Vgl. Gröschner, Überwachungsrechtsverhältnis, S. 107 zur staatlichen Schutzpflicht als Folge des Freiheitsprinzips. 11 Vgl. Peter M. Huber, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 74 m. w. N. zur generellen Verortung staatlicher Schutzpflichten. 12 Grundlegend bereits BVerfGE 39, 1, 46; jüngst wieder BVerfG, NJW 2006, S. 751, 757. 13 Vgl. z. B. Dreier in: von Bogdandy / Cruz Villalón / Huber, Handbuch Ius Publicum Europaeum, Band I, § 1, Rn. 142 m. w. N. 14 Vgl. BVerfGE 83, 130, 139 ff.; Dörr / Cole, Jugendschutz in elektronischen Medien, S. 20, Fn. 34. Vgl. auch Bosch, Regulierte Selbstregulierung im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag, S. 86, Fn. 230 m. w. N.: „Art. 5 Abs. 2 GG ist die zentrale Vorschrift bei der Unter-
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9. Teil: Verfassungsrechtliche Bewertung
(Aufgrund der Unbestrittenheit dieses Ergebnisses bedarf es hier keiner Diskussion darüber, ob weitere, häufig vorgebrachte Herleitungen, so aus dem elterlichen Erziehungsrecht gem. Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG15 sowie dem Recht zur freien Entfaltung der Persönlichkeit gem. Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG,16 noch tragfähig sind, nachdem sie insbesondere von Groß mit sehr beachtlichen Argumenten angegriffen wurden.17) Aufgrund der staatlichen Schutzpflicht ist der Gesetzgeber dazu verpflichtet, effektive18 Regelungen zum Schutze der Jugend zu treffen, andernfalls verstößt er gegen das verfassungsrechtlichte Untermaßverbot.19 Gleichermaßen bleibt jedoch zu beachten, dass ihm bei der Wahrnehmung der Schutzpflichten ein weiter Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsbereich20 zukommt.21 Die Wahl der Mittel eines effektiven Jugendmedienschutzes steht dem Gesetzgeber frei,22 weil sich regelmäßig nur das „Ob“, nicht aber das „Wie“ einer Schutzpflicht aus den Grundrechten deduzieren lässt.23 suchung des Jugendschutzes“. Im Ergebnis ebenfalls übereinstimmend, aber anderer Ansicht im Rahmen der Begründung Halves, Neuordnung des Jugendmedienschutzes, S. 26, die meint, Art. 5 Abs. 2 GG setze eine verfassungsrechtliche Verankerung lediglich voraus. 15 Vgl. BVerfGE 83, 130, 139 f.; Dörr / Cole, Jugendschutz in elektronischen Medien, S. 19 f. Ähnlich jüngst Storr, DÖV 2007, S. 133, 136: „Deshalb ist gerade im Medienbereich Jugendschutz in erster Linie Elternschutz . . .“. Vgl. dagegen die andere Ansicht von Bosch, Regulierte Selbstregulierung im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag, S. 86 f.: „Der Jugendschutz ist aber nicht bloß als ein von den Eltern abgeleitetes, sondern als ein eigenständiges Recht der Kinder zu verstehen.“ 16 Vgl. BVerfGE 83, 130, 140; Dörr / Cole, Jugendschutz in elektronischen Medien, S. 19 f. Halves, Neuordnung des Jugendmedienschutzes, S. 28 stellt im Ergebnis allein hierauf ab. Differenzierter Bosch, Regulierte Selbstregulierung im JugendmedienschutzStaatsvertrag, S. 86 ff., die hinsichtlich des Jugendschutzes eine Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG und eine weitere Schutzpflicht aus Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG beschreibt. 17 Groß, NVwZ 2004, S. 1393, 1396 f. – Vgl. auch Gurlit / Oster, GewArch 2006, S. 361, 368, die das Verfassungsgut des Jugendschutzes ebenfalls ausschließlich durch Art. 5 Abs. 2 und Art. 11 Abs. 2 GG begründen, ohne auf Eltern- oder Persönlichkeitsrecht abzustellen. – Retzke, Präventiver Jugendmedienschutz, S. 60 f. will „insbesondere“ auf Art. 5 Abs. 2 GG abstellen. Andere Ansicht Bandehzadeh, Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien, S. 25 f., die die anderen Herleitungen derjenigen über Art. 5 Abs. 2 Var. 2 GG vorzieht. Zu den Hintergründen der unterschiedlichen Verortung bereits Geis, NVwZ 1992, S. 25, 26 f. 18 Ausführlich zum Prinzip der Effektivität Bosch, Regulierte Selbstregulierung im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag, S. 110 ff. 19 Instruktiv Dreier in: von Bogdandy / Cruz Villalón / Huber, Handbuch Ius Publicum Europaeum, Band I, § 1, Rn. 142. 20 BVerfGE 77, 170, 214. 21 Stettner, ZUM 2003, S. 425, 427 mit Hinweis auf BVerfGE, Band 88, 203, 254. – Ebenso auch Bosch, Regulierte Selbstregulierung im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag, S. 151, die jedoch in ihrer weiteren Untersuchung von Gesetzen trotzdem sehr detaillierte Vorgaben verlangt und das Gesetz andernfalls für verfassungswidrig erachtet. 22 So deutlich auch Retzke, Präventiver Jugendmedienschutz, S. 61 m. w. N. 23 Dreier in: von Bogdandy / Cruz Villalón / Huber, Handbuch Ius Publicum Europaeum, Band I, § 1, Rn. 142.
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2. Vereinbarkeit der Einbindung anerkannter EFS Den anerkannten EFS ist nach dem Konzept des JMStV ein Bereich der eigenständigen Aufgabenerfüllung zugewiesen. Die Behörde KJM kann nur eingreifen, wenn ein Beurteilungsspielraum überschritten wurde. Wie ausführlich belegt, bedeutet dies im Umkehrschluss, dass die EFS im „Normalfall“24 frei entscheidet. Demgegenüber wurden vereinzelt verfassungsrechtliche Befürchtungen geäußert;25 jugendschutzrechtliche Standards liefen Gefahr, verwässert zu werden, so dass ein effektiver Jugendmedienschutz nicht mehr gewährleistet sei.26 Eine durch paralleles Wirken von Behörden und Privaten umgesetzte Überwachung setzt voraus, dass sie in ihrer Effektivität der überkommenen Überwachung funktionell gleichwertig ist.27 Dies ist für die vom JMStV vorgesehene Einbindung der EFS der Fall. Die zitierten Befürchtungen werden bereits durch die Voraussetzung des Anerkennungsverfahrens deutlich abgeschwächt.28 Die Entscheidungsmöglichkeiten stehen nur solchen EFS zu, deren Effektivität durch das Anerkennungsverfahren gem. § 19 Abs. 3 JMStV generell abgesichert ist.29 Die Anerkennung wird gem. § 19 Abs. 4 Satz 5, Abs. 5 Satz 1 JMStV nur auf Zeit vergeben, bei mangelhafter Spruchpraxis wird sie widerrufen.30 Und selbst die Entscheidungen anerkannter EFS, die über diese generelle Zertifizierung verfügen, können im konkreten Einzelfall von der Behörde KJM übergangen werden, sofern sie im Sinne der Überschreitung des Beurteilungsspielraums aus dem zu erwartenden Rahmen fallen. Schließlich ist daran zu erinnern, dass hinsichtlich besonders gefährlicher und daher absolut unzulässiger Angebote von vornherein kein Beurteilungsspielraum der EFS besteht (§§ 20 Abs. 3 Satz 2, Abs. 5 Satz 1; 4 Abs. 1 JMStV).31 Durch die Einbindung anerkannter EFS entstehen daher im Ergebnis Siehe ausführlich Seite 250 ff. Vgl. Bosch, Regulierte Selbstregulierung im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag, S. 314 ff., die die Kontrolle des Verfahrens an sich (nicht der einzelnen EFS) für so unzureichend hält, dass sie verfassungswidrig sei; außerdem hält sie die Möglichkeiten der EFS zum Erlass von Richtlinien gem. §§ 8, 9 Abs. 1 JMStV für verfassungswidrig, weil sie keine hinreichende hoheitliche Kontrolle erführen. 26 Langenfeld, MMR 2003, S. 303, 309 m. w. N.; andere Ansicht wohl Scholz / Liesching, Jugendschutz, § 20 JMStV, Rn. 6. 27 Peter M. Huber in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band III (im Ersch.), § 45, Rn. 212 m. w. N. 28 Stettner, ZUM 2003, S. 425, 435 stellt darauf in überzeugender Weise ab. 29 Ähnlich Ladeur, ZUM 2002, S. 859, 867. 30 Halves, Neuordnung des Jugendmedienschutzes, S. 138 ff. stellt die Bedeutung der Überwachung der Spruchpraxis besonders heraus. 31 Hinsichtlich der relativ unzulässigen Angebote darf außerdem nicht übersehen werden, dass bereits das materielle Recht lediglich den Anspruch erhebt, dass Jugendliche damit üblicherweise nicht konfrontiert werden (§ 5 Abs. 1 JMStV). Wenn das materielle Recht insofern Abweichungen im Einzelfall bewusst zulässt, so kann ein Verfahrensrecht, das im Einzelfall (Erteilung und Widerruf der Anerkennung der EFS) Überschreitungen von geringem Ausmaß 24 25
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keine verfassungsrechtlichen Konflikte.32 Somit kann Mynarik in ihrer übergreifenden Aussage zum Überwachungsverfahren des JMStV zugestimmt werden: „Der Gesetzgeber hat [ . . . ] seinen verfassungsrechtlichen Jugendschutzauftrag erfüllt.“33 In diesem Zusammenhang ist es von entscheidender Wichtigkeit, deutlich zwischen verfassungsrechtlichen Erwägungen einerseits und Einschätzungen zur Effektivität einzelner Regelungstechniken (die sich an Zweckmäßigkeit und rechtspolitischer Überzeugung orientieren) andererseits zu unterscheiden.34 In verfassungsrechtlicher Hinsicht aber ist der bereits zuvor erfolgten prinzipiellen Feststellung zu folgen, nach der dem Gesetzgeber ein weiter Einschätzungs-, Wertungsund Gestaltungsbereich35 zukommt.36 Aus verfassungsrechtlich verankerten Schutzpflichten können ob ihrer Unbestimmtheit keine konkreten organisationsrechtlichen Vorgaben abgeleitet werden,37 umgekehrt auch keine konkreten organisationsrechtlichen Verbote und somit auch kein Verbot der weitgehenden Einbindung privater Kräfte. Es bleibt dabei: Die Wahl der Mittel eines effektiven Jugendmedienschutzes steht dem Gesetzgeber frei.38
II. Rundfunkfreiheit als objektives Prinzip und das Gebot der Staatsferne 1. Inhalt Das Grundrecht der Rundfunkfreiheit gem. Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Var. 2 GG enthält sowohl ein Abwehrrecht als auch ein objektives Prinzip.39 Letzterem liegt die zulässt (keine absolut unzulässigen Angebote, Eingreifen der KJM bei Überschreitung des Beurteilungsspielraums) m. E. nicht zu einer geringeren Effektivität des verfassungsrechtlich gebotenen Schutzes führen. Mit plakativen Worten: Wenn die Sendezeitbeschränkung gem. § 5 Abs. 1 JMStV als verfassungsgemäß erachtet wird, dann kann für den Beurteilungsspielraum der anerkannten EFS gem. § 20 Abs. 3, 5 JMStV nichts anderes gelten. 32 Ladeur, ZUM 2002, S. 859, 867. Im Ergebnis ebenso Bandehzadeh, Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien, S. 82. In der Herleitung ähnlich und im Ergebnis übereinstimmend Ehrlichmann, Die Verfassungsmäßigkeit der KJM, S. 205. 33 Mynarik, Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien, S. 264. 34 Nicht überzeugend ist daher die andere Ansicht von Bosch, Regulierte Selbstregulierung im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag, S. 339 ff., die m. E. vorschnell über die „Bande“ des Effektivitätsgebots die Frage der Verfassungsmäßigkeit mit der Frage der praktischen Eignung vermengt (z. B. ist es nicht überzeugend, dass die Verfassung den Gesetzgeber dazu zwingen soll, genauere Vorgaben zur Ausgestaltung des Widerrufs gem. § 19 Abs. 5 JMStV zu machen). 35 BVerfGE 77, 170, 214. 36 Darauf stellt in diesem Zusammenhang auch Gersdorf, Grundzüge des Rundfunkrechts, Rn. 200 entscheidend ab. Vgl. auch Bandehzadeh, Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien, S. 29 f. sowie Retzke, Präventiver Jugendmedienschutz, S. 61. 37 Seidel, Privater Sachverstand und staatliche Garantenstellung, S. 85. 38 Retzke, Präventiver Jugendmedienschutz, S. 61 m. w. N.
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Prämisse zugrunde, dass der Rundfunk überragende Bedeutung für die öffentliche Meinungsbildung in einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft hat („schlechthin konstituierend“40), so dass eine Rundfunk-Ordnung, die lediglich die Abwehr unzulässiger Eingriffe des Staates ermöglichte, für die hinreichende Erfüllung dieser Funktion nicht ausreichend wäre.41 Im Zentrum42 des objektiven Prinzips steht – nicht nur, aber für diese Untersuchung zuvörderst relevant – das Gebot der Staatsferne.43 Das Gebot der Staatsferne beinhaltet, dass der Staat keine unmittelbaren Eingriffsmöglichkeiten gegenüber den Anbietern haben soll, insbesondere, um eine möglichst freie Berichterstattung zu gewährleisten.44 Der Sinn der Rundfunkfreiheit besteht gerade darin, die freie Entstehung einer öffentlichen Meinung zu gewährleisten, daher wäre es undenkbar, der jeweiligen Regierung durch einen staatlich gestalteten Rundfunk gewissermaßen das Mittel zur Perpetuierung ihres eigenen demokratischen Mandats in die Hand zu geben.45 Die notwendige inhaltliche Kontrolle der Anbieter hat somit nicht durch gewöhnliche, in die Verwaltungshierarchie eingebundene Behörden, sondern durch gesondert organisierte, binnenplural ausgestaltete Gremien zu erfolgen.46 Der sachliche Schutzbereich gilt für Rundfunk im verfassungsrechtlichen Sinne, i. e. die Veranstaltung und Verbreitung von Darbietungen aller Art für einen unbestimmten Personenkreis mit Hilfe elektrischer Schwingungen.47 Dazu gehören neben den überkommenen Verbreitungswegen48 des Hörfunks und Fernsehens auch (relativ) neuartige Dienste49 (z. B. Videotext) – insofern ist der Rundfunkbegriff offen –, jedoch werden Übertragungen, die technisch von vornherein nur BVerfGE 74, 297, 323; Jarass in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 5, Rn. 35. BVerfGE 77, 65, 74. 41 Vgl. z. B. BVerfGE 90, 60, 87 ff. Zum Ganzen anschaulich Mynarik, Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien, S. 230 mit zahlreichen Nachweisen aus der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung. Näher Hartstein / Ring / Kreile / Dörr / Stettner, Rundfunkstaatsvertrag, Band II, B 5, Rn. 6, sowie Bosch, Regulierte Selbstregulierung im JugendmedienschutzStaatsvertrag, S. 124 ff. m. w. N. 42 Jarass in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 5, Rn. 35; vgl. auch BVerfGE 83, 238, 322. 43 BVerfGE 12, 205, 259 ff. Ausführlich zur Entwicklung in Rechtsprechung und Literatur Wilhelmi, Verfassungsrechtliche Probleme, S. 179 ff. 44 Näher zum rundfunkverfassungsrechtlichen Gebot der Staatsferne im Allgemeinen Hartstein / Ring / Kreile / Dörr / Stettner, Rundfunkstaatsvertrag, Band 1, § 25 RStV, Rn. 6 ff.; speziell zum JMStV Stettner, ZUM 2003, S. 425, 433 f. und Bosch, Regulierte Selbstregulierung im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag, S. 131 ff. Vgl. auch Ehrlichmann, Die Verfassungsmäßigkeit der KJM, S. 106 ff. 45 Vgl. Herzog in: Maunz / Dürig, GG, Art. 5 Abs. 1, 2, Rn. 213 m. w. N.; vgl. auch BVerfGE 12, 205, 260. 46 Vgl. Degenhart in: Dolzer / Vogel / Graßhof, Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 5 Abs. 1 und 2, Rn. 834. 47 Jarass in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 5, Rn. 36 m. w. N. 48 Vgl. BVerfGE 12, 205, 226. 49 Vgl. BVerfGE 74, 297, 350 ff. 39 40
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für einen festgelegten bestimmten Personenkreis bestimmt sind (z. B. „OnlineBanking“), nicht erfasst.50
2. Exkurs: Vereinbarkeit der KJM mit dem Gebot der Staatsferne a) Bisheriger Meinungsstand in der Literatur Die vorliegende Arbeit hat zwar primär die Einbindung Privater zum Gegenstand; im Rahmen eines Exkurses soll aber auch die verfassungsrechtliche Bewertung der KJM als der durch den JMStV geschaffenen besonderen Behörde Erwähnung finden, da dies die verfassungsrechtliche Verortung des Gesamtsystems erleichtert. Für die KJM gilt das Gebot der Staatsferne, da sie abschließend programminhaltliche Entscheidungen trifft.51 Ob die KJM die Anforderungen des Gebots auch erfüllt, ist hinsichtlich verschiedener Gesichtspunkte umstritten. Der wohl bedeutendste Streit entzündet sich an der Zusammensetzung der KJM. Die amtliche Begründung52 des JMStV geht von der Vereinbarkeit der Zusammensetzung der KJM mit dem Gebot der Staatsferne aus, da bei Stimmengleichheit 53 die Entscheidung durch den Vorsitzenden falle, der ein Vertreter der staatsfernen Landesmedienanstalten sei, ferner, weil die staatliche Seite der KJM sowohl aus Vertretern der Länder als auch solchen des Bundes bestehe und die staatliche Seite insofern „föderalistisch gebrochen“ sei. Dieser Argumentation hat sich auch ein Teil der Literatur angeschlossen.54 Andere Stimmen jedoch meinen, die Zusammensetzung der KJM widerspreche dem Gebot der Staatsferne, da es bereits ein Zuviel an Staatsnähe darstelle, wenn ein Gremium zur Hälfte mit Vertretern staatlicher Behörden besetzt sei.55 Erschwerend komme hinzu, dass die Gruppe der staatJarass in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 5, Rn. 36 m. w. N. Näher unter kritischer Würdigung der verfassungsrechtlichen Lage Hartstein / Ring / Kreile / Dörr / Stettner, Rundfunkstaatsvertrag, Band II, B 5, Rn. 13 ff.; ähnlich Mynarik, Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien, S. 233. Abstrakt zum Adressatenkreis des Prinzips der Staatsferne Ehrlichmann, Die Verfassungsmäßigkeit der KJM, S. 108 f. mit übereinstimmendem Ergebnis hinsichtlich der KJM auf S. 111 f. 52 Amtliche Begründung zu § 14 JMStV, u. a. BayLT-Drucks. 14 / 10246. 53 Eine Überstimmung der „staatsfernen Seite“ durch Abwesenheit eines ihrer Mitglieder ist dabei ausgeschlossen, weil die KJM gem. § 17 Abs. 1 Satz 2 JMStV mit der Mehrheit ihrer Mitglieder und nicht mit der Mehrheit der Anwesenden entscheidet, vgl. Ukrow, Jugendschutzrecht, Rn. 626. 54 Liesching, Jugendschutz, § 14 JMStV, Rn. 5; Langenfeld, MMR 2003, S. 303, 308; Bandehzadeh, Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien, S. 69, Fn. 226. 55 Ausführliche Problematisierung bereits bei Hartstein / Ring / Kreile / Dörr / Stettner, Rundfunkstaatsvertrag, Band III, C 3, § 14 JMStV, Rn. 13 ff. sowie jüngst noch umfangreicher bei Ehrlichmann, Die Verfassungsmäßigkeit der KJM, S. 112 ff. Vgl. auch Bosch, Regulierte Selbstregulierung im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag, S. 279 ff. 50 51
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lichen Vertreter im Gremium insofern in sich homogen sei,56 da sie alle von Jugendschutzbehörden entsandt werden.57 Außerdem wird darauf hingewiesen, dass im Zusammenhang mit der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) sogar schon eine Besetzung von weniger als 50% mit staatlichen Vertretern für verfassungswidrig erachtet wurde.58 Viele Vertreter des Schrifttums schlagen zur Vermeidung des verfassungsrechtlichen Konflikts eine verfassungskonforme Auslegung des § 14 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 und 3 JMStV vor, nach der die formal gebotene Weisungsfreiheit der Mitglieder zusätzlich abgesichert werden müsse, indem keine Bediensteten der staatlichen Behörden, sondern nur unabhängige Sachverständige entsendet werden dürfen.59 Die Frage nach der Vereinbarkeit mit dem Gebot der Staatsferne stellt sich auch hinsichtlich der Prüfausschüsse der KJM. Für diese besteht keine ausdrücklich normierte Weisungsfreiheit. Außerdem können sich innerhalb eines Prüfungsausschusses die Entsandten staatlicher Behörden in der Mehrheit befinden. Ob dieser Umstand durch das Erfordernis der Einstimmigkeit ausgeglichen werden kann, wird teilweise problematisiert.60 Weitere Zweifel an der Staatsferne werden geäußert, weil die KJM gem. § 17 Abs. 2 JMStV mit der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) – also mit einer Bundesoberbehörde61 – zusammenarbeiten soll.62 56 Darauf stellt BayVerfGHE 42, S. 11, 19 in einer Entscheidung zum Zweiten Deutschen Fernsehen ab. 57 Mynarik, Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien, S. 235. Anderer Ansicht dagegen Halves, Neuordnung des Jugendmedienschutzes, S. 49 f. 58 Hartstein / Ring / Kreile / Dörr / Stettner, Rundfunkstaatsvertrag, Band III, C 3, § 14 JMStV, Rn. 15. Vgl. auch BVerfGE 90, 60, passim. 59 Hartstein / Ring / Kreile / Dörr / Stettner, Rundfunkstaatsvertrag, Band III, C 3, § 14 JMStV, Rn. 16, zustimmend Mynarik, Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien, S. 236 und Retzke, Präventiver Jugendmedienschutz, S. 198, ebenso Ehrlichmann, Die Verfassungsmäßigkeit der KJM, S. 129. Andere Ansicht dagegen Halves, Neuordnung des Jugendmedienschutzes, S. 49, die eine verfassungskonforme Interpretation für überflüssig hält, weil bei Stimmengleichheit die Stimme eines nicht-staatlichen Mitglieds entscheidet. 60 Kritisch Hartstein / Ring / Kreile / Dörr / Stettner, Rundfunkstaatsvertrag, Band III, C 3, § 14 JMStV, Rn. 19 f. Ausführlich jüngst Ehrlichmann, Die Verfassungsmäßigkeit der KJM, S. 153 ff. Bosch, Regulierte Selbstregulierung im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag, S. 287 nimmt hinsichtlich der Prüfausschüsse die Verfassungswidrigkeit des JMStV an. Andere Ansicht Halves, Neuordnung des Jugendmedienschutzes, S. 54 ff., die die Zusammensetzung der Prüfausschüsse ausdrücklich als verfassungsgemäß erachtet und korrigierende Auslegungen des einfachen Rechts für nicht geboten hält. 61 Vgl. Scholz / Liesching, Jugendschutz, § 17 JuSchG, Rn. 1. 62 So Bethge, BLM Symposion Medienrecht, 2002, S. 61, 74 und Bosch, Regulierte Selbstregulierung im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag, S. 296 ff. Anderer Ansicht dagegen Langenfeld, MMR 2003, S. 303, 307, die meint, hierin läge kein unzulässiges Zusammenwirken, sondern ein Fall struktureller Zusammenarbeit im kooperativen Bundesstaat, weil es sich nicht um Zustimmungsvorbehalte handle, sondern die jeweilige Verwaltungsentscheidung autonom getroffen werde. Ebenfalls anderer Ansicht und somit für die Vereinbarkeit des ein-
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Dagegen haben sich die aus der Finanzierung der KJM resultierenden Bedenken inzwischen erledigt: Die Finanzierung der KJM erfolgte ursprünglich gem. § 14 Abs. 9 Satz 1 und 2 JMStV a. F. teilweise aus allgemeinen Haushaltsmitteln der Länder, was zu weitergehenden verfassungsrechtlichen Bedenken geführt hatte.63 Gemäß dem nunmehr geltenden § 14 Abs. 9 JMStV erfolgt die Finanzierung inzwischen ausschließlich durch Rundfunkgebühren, so dass hinsichtlich der Finanzierung keine Bedenken mehr in Bezug auf das Gebot der Staatsferne bestehen können.64
b) Eigene Überlegungen und Stellungnahme Wenn die vorgegebene Konstruktion der KJM nicht mit dem Gebot der Staatsferne vereinbar wäre, so wäre der JMStV (teil-)nichtig, da hierin ein Verstoß gegen Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Var. 2 GG läge. In der Konsequenz wären alle von der KJM getroffenen Entscheidungen rechtswidrig. Soweit ersichtlich, ist aber kaum eine der kritischen Stimmen dazu bereit, diese Konsequenz ausdrücklich zu ziehen.65 Ein plastisches Beispiel liefert Mynarik, die zwar „Konfliktherde“ beschreibt und alternative Regelungen verfassungsrechtlich für „begrüßenswert“ hielte, sich aber nicht zu einem klaren Verdikt der Verfassungswidrigkeit durchringen kann.66 Selbst die Prozessbevollmächtigten der Anbieter, die eine Beanstandung von der KJM erfuhren, haben sich nicht darauf eingelassen, zur Beseitigung der entsprechenden Verwaltungsakte auf die möglicherweise verfassungswidrige Zusammensetzung der erlassenden Behörde abzustellen, obwohl ein Rechtsanwalt in derartigen Verfahren erfahrungsgemäß nahezu jeden Aspekt einbringt, der auch nur im geringsten Maße Erfolg verspricht.67 Wenn niemand ernsthaft mit dem Ausspruch fach-gesetzlichen Kooperationsgebots mit dem verfassungsrechtlichen Gebot der Staatsferne Ukrow, Jugendschutzrecht, Rn. 631, der darauf abstellt, dass die Mitglieder der BPjM ihrerseits mehrheitlich aus gesellschaftlichen Gruppen stammen und dies im Abstimmungsverfahren gem. § 19 Abs. 5 JuSchG sowie durch die Weisungsfreiheit gem. § 19 Abs. 4 JuSchG abgesichert sei; ähnlich Retzke, Präventiver Jugendmedienschutz, S. 208. 63 Dazu noch Mynarik, Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien, S. 236, Ehrlichmann, Die Verfassungsmäßigkeit der KJM, S. 159 ff. sowie Bosch, Regulierte Selbstregulierung im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag, S. 293. Ohne Bedenken bereits vor der Gesetzesänderung dagegen Halves, Neuordnung des Jugendmedienschutzes, S. 50 f. 64 Bosch, Regulierte Selbstregulierung im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag, S. 296, Fn. 1129. 65 Die einzige Ausnahme bildet Bosch, Regulierte Selbstregulierung im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag, S. 385, die jedoch dem Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers ungleich engere Grenzen setzen will als alle anderen Vertreter der Literatur; dieser Ansatz, der insbesondere auf einer entsprechenden Interpretation des Bestimmtheitsgrundsatzes basiert, vermag jedoch generell nicht zu überzeugen. 66 Mynarik, Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien, S. 233 ff. 67 Dies gilt namentlich hinsichtlich der Verfahren anlässlich der Fernsehsendung „I want a famous face“: In der Tatbestandsschilderung bei VG Berlin, Urteil vom 06. 07. 2006, Az. 27
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der Nichtvereinbarkeit der KJM mit Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Var. 2 GG rechnet, so ist dies freilich kein rechtliches Argument, aber immerhin erstes Indiz für das zutreffende Ergebnis. Und dieses Ergebnis ist nicht nur praktisch wünschenswert, sondern lässt sich auch rechtlich begründen.68 Denn die zitierten verfassungsrechtlichen Zweifel einzelner Vertreter der Literatur lassen sich ausräumen, indem das Gebot der Staatsferne nicht formalistisch-rechnerisch, sondern von seinem Schutzzweck her ausgelegt wird. Auf diesem Wege lassen sich verschiedene Ausgestaltungen nach ihrem jeweiligen Umfeld rechtfertigen. Beispielsweise besteht im Zusammenhang mit der Höhe der Rundfunkgebühr ein reales Potential zur politischen Erpressung der öffentlich-rechtlichen Rundfunksender. Deshalb ist hier eine starke Absicherung gegen politische Einflussnahme geboten. Im Bereich des Jugendschutzes erscheint die Gefahr einer politischen Einflussnahme weitaus kleiner. Es ist m. E. nicht ernsthaft zu befürchten, dass die Vertreter der Jugendschutzbehörden unter Missachtung der (durch das Gesetz ausdrücklich (!) gebotenen69) Weisungsfreiheit von ihren Dienstherren dazu gebracht werden, zur Erreichung von politischen Zielen ein Angebot anders zu bewerten. Es wurde bislang kein plausibel erscheinendes Szenario vorgetragen, in der das von nicht-staatlicher Stelle berufene Mitglied eines Prüfausschusses einen Grund dazu haben sollte, sich von der „Übermacht“ der zwei weiteren, ihrerseits staatlich berufenen Mitglieder überwältigt zu fühlen und sich zur Einstimmigkeit nötigen zu lassen. Ebenso wenig ist real vorstellbar, die Berichterstattung der privaten Rundfunkanbieter könnte dadurch beeinflusst werden, dass die KJM mit der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien in Jugendschutzfragen zusammenarbeitet. Daher begegnet die Ausgestaltung der KJM durch den JMStV keinen durchgreifenden Bedenken.70 Einige Gesetzesänderungen könnten zwar zur klareren Abgrenzung rechtspolitisch wünschenswert sein,71 dies ändert jedoch nichts an der soeben getroffenen verfassungsrechtlichen Bewertung. Insofern dürfen Praktikabilitätserwägungen nicht mit der verfassungsrechtlichen Auslegung vermengt werden.
A 236.04, finden sich keine Hinweise darauf; auch im Zusammenhang mit dem anhängigen Verfahren des Anbieters (VG München, Az. M 17 K 05.597) sowie den entsprechenden abgeschlossenen Eilverfahren (BayVGH, Az. 7 CS 05.79, vorhergehend VG München, Az. M 17 S 04.4817) ist nichts Derartiges ersichtlich. 68 Auch Palzer, MMR 2003, S. 58, 61 bejaht im Ergebnis die Vereinbarkeit der KJM mit dem Gebot der Staatsferne. 69 § 14 Abs. 6 Satz 1 JMStV. 70 Im Ergebnis übereinstimmend die ausführliche Untersuchung von Ehrlichmann, Die Verfassungsmäßigkeit der KJM, S. 213 und passim. Gleichlautendes Ergebnis auch bei Halves, Neuordnung des Jugendmedienschutzes, S. 47 ff. Andere Ansicht Bosch, Regulierte Selbstregulierung im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag, S. 385. 71 Wie etwa die Anregungen von Mynarik, Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien, S. 236 f.
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9. Teil: Verfassungsrechtliche Bewertung
3. Vereinbarkeit der Einbindung anerkannter EFS mit dem Gebot der Staatsferne Nachdem soeben – entgegen der in einem Teil der Literatur geäußerten Kritik – die hinreichende Staatsferne der KJM konstatiert wurde, wäre es denkbar, die Staatsferne der EFS aus der Staatsferne der KJM gleichsam abzuleiten, nachdem sie eben von dieser staatsfernen KJM gem. § 19 Abs. 3 JMStV anerkannt werden.72 Auch könnte in diesem Zusammenhang auf die pluralistische Besetzung der Entscheidungsgremien der anerkannten EFS gem. § 19 Abs. 3 Nr. 1 JMStV hingewiesen werden. Indessen wären dies unnötig umständliche Wege. Denn wie bereits festgestellt, sind die EFS Subjekte des Privatrechts und damit per se nicht nur staatsferne, sondern sogar nicht-staatliche Einrichtungen. Die Einbindung anerkannter EFS in das Überwachungsverfahren im Bereich von Rundfunk und Telemedien ist daher mit dem Gebot der Staatsferne nicht nur vereinbar, sie übererfüllt es sogar und dient ihm somit in besonderer Weise.
III. Demokratiegebot 1. Inhalt Für die institutionelle Ausgestaltung des Jugendschutzes im Rundfunk (und in den Telemedien) sind nicht nur die verfassungsrechtliche Dimension von Jugendschutz und Rundfunk relevant, sondern auch gleichsam generelle Vorgaben für die Ausgestaltung staatlichen Handelns. Dazu gehört zuvörderst das Demokratiegebot gem. Art. 20 Abs. 1, 2 GG, das bekanntermaßen eine Legitimation von Entscheidungen der Staatsgewalt durch das Volk (in diesem Sinne durch das ganze Volk) verlangt73 und diese sich eben nicht nur von den jeweils Betroffenen her (hier also von den Rundfunkanbietern bzw. den Jugendlichen und deren Vertreter her) zu legitimieren haben.74. Für den vorliegenden Untersuchungsgegenstand ist innerhalb des breiten und von „notorischer Unschärfe“75 gekennzeichneten Bedeutungsspektrums des Demokratiebegriffs vor allem die Idee der demokratischen Legitimation bei der Ausübung von Staatsgewalt gem. Art. 20 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 GG relevant.76 Demnach muss das Volk einen effektiven Einfluss auf die Ausübung der Staatsgewalt durch die Staatsorgane haben, so dass sich deren Akte auf seinen Willen zurückführen lassen.77 Dabei ist der (nicht einzige, aber) wohl proSo wohl Palzer, MMR 2003, S. 58, 60. BVerfGE 93, 37, 66 f.; Jarass in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 20, Rn. 9 m. w. N. 74 BVerfGE 83, 37, 51. 75 Dreier in: von Bogdandy / Cruz Villalón / Huber, Handbuch Ius Publicum Europaeum, Band I, § 1, Rn. 104. 76 Im Ausgangspunkt übereinstimmend Storr, DÖV 2007, S. 133, 139. 77 Vgl. BVerfGE 83, 60, 72 sowie Dreier in: Dreier, GG, Band II, Art. 20 (Demokratie), Rn. 113 m. w. N. 72 73
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minenteste78 Aspekt die personell-organisatorische Legitimation, die im Grundsatz besagt, dass sich der einzelne Amtswalter auf eine ununterbrochene Legitimationskette berufen können muss.79 Sowohl das Bundesverfassungsgericht80 als auch die Literatur81 haben in jüngerer Zeit eine flexiblere Position eingenommen und Modifikationen des strikten Modus der ununterbrochenen Legitimationskette akzeptiert. Entscheidend ist letztendlich das Legitimationsniveau,82 welches dogmatisch den Ort der Saldierung der unterschiedlichen Legitimationsmodi und ihrer Instrumente bildet, um zu prüfen, ob der Zurechnungszusammenhang zwischen der Ausübung von Staatsgewalt und dem Volk hinreichend wirksam und effektiv ist.83 2. Exkurs: Vereinbarkeit der KJM mit dem Demokratiegebot a) Vereinbarkeit hinsichtlich des Rundfunks So sehr angesichts des Grundsatzes personell-organisatorischer Legitimation die verfassungsrechtliche Rechtfertigung von so genannten ministerialfreien Räumen84 bzw. unabhängigen Institutionen85 auch umstritten ist, so besteht doch Einigkeit darüber, dass solche Räume im Einzelfall zulässig sein können, wenn dies durch gewichtige sachliche Gründe gerechtfertigt ist.86 Unklar bleibt lediglich, wie bzw. nach welchen Kriterien konkret zu bestimmen ist, welche Gründe im Einzelnen eine hinreichende Rechtfertigung bilden.87 Für den Bereich der Kontrolle des Rundfunks hat diese Frage durch eine höchstrichterliche Entscheidung grundsätzliche Klärung erfahren; insbesondere im so genannten „3. Fernsehurteil“88 hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass der Gesetzgeber für den 78 Dreier in: von Bogdandy / Cruz Villalón / Huber, Handbuch Ius Publicum Europaeum, Band I, § 1, Rn. 114 ergänzt, dass es sich auch um den kritischsten und umstrittensten Aspekt handelt. 79 BVerfGE 83, 60, 72 f.; Jarass in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 20, Rn. 9a m. w. N. 80 BVerfGE 107, S. 59, 91. 81 Dreier in: von Bogdandy / Cruz Villalón / Huber, Handbuch Ius Publicum Europaeum, Band I, § 1, Rn. 114 m. w. N. 82 BVerfGE 83, 60, 72; Trute in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band I, § 6, Rn. 14 und 56. 83 Trute in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band I, § 6, Rn. 14. 84 Auch Retzke, Präventiver Jugendmedienschutz, S. 201 ordnet die vorliegende Fragestellung in den übergreifenden Problemkreis der ministerialfreien Räume ein. 85 Grundlegend die aktuelle und umfassende Untersuchung von Bredt, Die demokratische Legitimation unabhängiger Institutionen, S. 47 ff. und passim. 86 Vomhof, Einbindung von sachverständigen Gremien, S. 178 m. w. N. 87 Vgl. zu den verschiedenen Ansätzen die ausführliche Darstellung bei Vomhof, Einbindung von sachverständigen Gremien, S. 178 ff. 88 BVerfGE 57, 295.
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privaten Rundfunk nur eine begrenzte staatliche Kontrolle vorsehen dürfe.89 Die Beteiligung von Vertretern gesellschaftlicher Gruppen kann demnach unter dem Gesichtspunkt gerechtfertigt werden, dass damit die Staatsferne der Entscheidungen, welche die Freiheit der Medien sowie der Kunst betreffen, gewährleistet wird.90 Wenn man aber – entsprechend der allgemeinen Meinung – das Gebot der Staatsferne der Kontrolle des Rundfunks respektiert, so ist das Urteil über das „Ob“ einer Relativierung des Demokratiegebots schon gefällt.91 Denn nur die weisungsgebundene Ministerialverwaltung92 erfüllt uneingeschränkt die häufig zitierte ununterbrochene Legitimationskette – und ist damit zugleich das diametral entgegengesetzte Bild zu einem Modell der Staatsferne. „Wie“ das Demokratiegebot in der Rundfunküberwachung zu relativieren ist, verbleibt somit nur noch als nachgeordnete Frage, für deren Lösung der Gesetzgeber jedoch über einen weiten Entscheidungsspielraum verfügt.93 Angesichts dessen erscheint das Legitimationsniveau der KJM als hinreichend und ihre Einrichtung als mit dem Demokratiegebot vereinbar. b) Vereinbarkeit hinsichtlich der Telemedien Der JMStV gilt für „Rundfunk und Telemedien“ (§ 2 Abs. 1 JMStV). Unabhängig davon, in welchem Umfang genau der verfassungsrechtliche Rundfunkbegriff den einfach-rechtlichen Begriff der Telemedien mit abdeckt, ist jedenfalls festzustellen, dass ein Teil der Telemedien im einfach-rechtlichen Sinne keinen Rundfunk im verfassungsrechtlichen Sinne darstellt, weil dazu auch die an einen festgelegten bestimmten Personenkreis gerichteten Übertragungen (z. B. „Online-Banking“) gehören.94 Da das Gebot der Staatsferne gerade mit Blick auf die mögliche Breitenwirkung95 entwickelt wurde und theoretische denkbare ausweitende Tendenzen verfassungsgerichtlich bislang nicht etabliert wurden, ist nach derzeitigem Stand nicht gesichert, ob alle Telemedien von dem Gebot der Staatsferne erfasst sind.96 89 Dazu Hartstein / Ring / Kreile / Dörr / Stettner, Rundfunkstaatsvertrag, Band I, B 2, Rn. 20. 90 Vgl. BVerfGE 83, 130, 152. 91 Differenzierter argumentierend, aber mit gleichem Ergebnis Bosch, Regulierte Selbstregulierung im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag, S. 179 ff. In der Herleitung wohl abweichend, aber im Ergebnis ebenfalls übereinstimmend Ehrlichmann, Die Verfassungsmäßigkeit der KJM, S. 149. 92 Dazu Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 302 ff. 93 Hartstein / Ring / Kreile / Dörr / Stettner, Rundfunkstaatsvertrag, Band III, C 3, § 14 JMStV, Rn. 13 a. E. 94 Siehe Seite 64 ff. zur einfach-rechtlichen Begriffsabgrenzung und siehe Seite 320 f. Zum verfassungsrechtlichen Rundfunkbegriff. 95 Vgl. BVerfGE 90, 60, 87.
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Bezüglich der fraglichen Restgruppe könnte argumentiert werden, dass die Rundfunkfreiheit nicht als Gegengewicht zum Demokratiegebot in die Waagschale gelegt werden kann.97 Doch auch wenn man dem Rundfunk eine ganz besonders herausgehobene Stellung zuspricht, spielen auch andere, stärker individualisierte Übertragungswege eine wichtige (und immer wichtigere) Rolle im gesellschaftlichen Meinungsbildungsprozess.98 Eine staatsferne Ausgestaltung der Überwachung kann daher auch in diesem Bereich ihren Zweck erfüllen, so dass insofern die Relativierung des demokratischen Aufbaus gerechtfertigt ist.99 Auch in verfassungsrechtlicher Hinsicht darf die zunehmende Konvergenz der Medien, die einfach-rechtlich zu einer Vereinheitlichung der Überwachung geführt hat, nicht ignoriert werden. Es würde die Grundrechtsverwirklichung von Medienanbietern insgesamt erschweren, wenn durch die „Hintertür des Demokratiegebots“ die Überwachung wieder zersplittert würde. Eine für den Bürger derart unnachvollziehbare Verteilung und Vermengung der staatlichen Verantwortlichkeit, wie sie nach alter Rechtslage zu beklagen war, kann auch nicht im Sinne eines wohl verstandenen Demokratiegebots sein. Letztendlich ist zentraler Anknüpfungspunkt bei einer Bewertung anhand des Demokratiegebots das Parlamentsgesetz, insofern es Zweck, Verfahren und innere Organisation der in Frage stehenden Institution möglichst konkret bestimmt.100 Dies ist hinsichtlich der KJM durch den parlamentarisch legitimierten JMStV erfüllt, so dass ihre Einrichtung insgesamt mit dem Demokratiegebot vereinbar ist.101
3. Vereinbarkeit der Einbindung anerkannter EFS mit dem Demokratiegebot a) Vorbemerkung Zwar ist einerseits festzustellen, dass die wissenschaftliche Forschung Fragen der demokratischen Legitimierung von Systemen regulierter Selbstregulierung bislang nicht hinreichend geklärt hat, weil Wissenschaft und Praxis ihren Fokus zu96 So auch Bosch, Regulierte Selbstregulierung im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag, S. 184. Wohl übereinstimmend Ehrlichmann, Die Verfassungsmäßigkeit der KJM, S. 107. 97 So offenbar Bosch, Regulierte Selbstregulierung im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag, S. 184 ff. und 301 ff., die in Folge dessen eine Kompensation über die Theorie der kollektivpersonellen Legitimation fordert und dieses Erfordernis als teilweise nicht erfüllt erachtet. 98 Retzke, Präventiver Jugendmedienschutz, S. 201 meint sogar, Telemedien stünden dem Rundfunk inzwischen in punkto Meinungsrelevanz in nichts mehr nach. 99 Ähnlich und im Ergebnis übereinstimmend die Ausführungen von Ukrow, Jugendschutzrecht, Rn. 616, Retzke, Präventiver Jugendmedienschutz, S. 201 sowie von Halves, Neuordnung des Jugendmedienschutzes, S. 51 f. 100 Ähnlich Dreier in: Dreier, GG, Band II, Art. 20 (Demokratie), Rn. 142. 101 Kritisch, aber im Ergebnis übereinstimmend Ehrlichmann, Die Verfassungsmäßigkeit der KJM, S. 149.
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9. Teil: Verfassungsrechtliche Bewertung
meist auf die Effizienz der einzelnen Ausgestaltungen und weniger auf deren normative Bewertung gerichtet haben.102 Andererseits ist es kein völlig neues Phänomen, sondern seit längerem bekannt, dass das Handeln der Administration nicht nur in klassischen, regelnden Entscheidungen besteht, sondern daneben auch Vorgänge des mittelbaren Bewirkens durch die Anregung, Vermittlung oder Sicherung von Voraussetzungen privaten Handelns getreten sind.103 Dementsprechend kann trotzdem auf bestehende Erkenntnisse in Rechtsprechung und Rechtswissenschaft zurückgegriffen werden. Wichtig für die richtige Verortung der Frage der Vereinbarkeit anerkannter EFS mit dem Demokratiegebot ist die vorab zu treffende Klarstellung, dass dem Demokratiegebot kein Gebot der Verstaatlichung entnommen werden kann. Aus Art. 20 Abs. 2 GG darf nicht geschlossen werden, dass bestimmte Bereiche gerade durch den Staat zu regeln seien, denn die Norm behandelt die Rechtfertigung ausgeübter staatlicher Gewalt und nicht die Befugnis zur Überführung in staatliche Handlungsformen.104 Deshalb kann keinesfalls argumentiert werden, gerade aufgrund des Demokratiegebots müssten die Tätigkeiten der EFS durch staatliche Institutionen durchgeführt werden. Eine solche Pflicht ließe sich theoretisch nur aus dem verfassungsmäßigen Gebot effektiven Jugendschutzes herleiten. Dies ist – wie zuvor gezeigt – im Ergebnis nicht der Fall. Daran lässt sich auch nichts ändern durch die Heranziehung des Demokratiegebots. b) Die Tätigkeit anerkannter EFS als „Ausübung von Staatsgewalt“ gem. Art. 20 Abs. 2 GG? Bevor das Demokratieprinzip gegenüber den EFS „in Stellung gebracht“ werden kann, muss zunächst festgestellt werden, ob ihre Tätigkeit überhaupt eine „Ausübung von Staatsgewalt“ darstellt, denn nur hierfür erfordert Art. 20 Abs. 2 GG eine demokratische Legitimation.105 Dabei ist danach zu unterscheiden, ob die EFS im Einzelfall als Beliehene handeln oder nicht.106 Wie gezeigt, sind die anerkannten EFS in einer Sonderkonstellation – nämlich im Rahmen der gesetzlichen Grundlage in den §§ 8, 9 Abs. 1 JMStV – als Beliehene tätig. Soweit diese Tätigkeit reicht, übt die EFS Staatsgewalt gem. Art. 20 Abs. 2 GG aus. Jedoch beansprucht Art. 20 Abs. 2 GG nur Geltung für den Tätigkeitsbereich, aus dem sich die Beleihung ergibt und nicht für die beliehene Schulz in: Klumpp, Medien, Ordnung und Innovation, S. 169, 179 f. Vgl. Schmidt-Aßmann, AöR Band 116 (1991), S. 329, 338. Vgl. z. B. auch BVerfGE 83, 60, 74. 104 Schmidt-Aßmann, AöR Band 116 (1991), S. 329, 339. 105 Darauf macht Vomhof, Einbindung von sachverständigen Gremien, S. 159 f. mit Bezug auf sachverständige Gremien zu Recht aufmerksam. 106 Diese notwendige Differenzierung fehlt bei Bosch, Regulierte Selbstregulierung im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag, S. 192. 102 103
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Institution als solche.107 Deshalb üben die EFS nur im Rahmen ihrer Tätigkeit gem. §§ 8, 9 Abs. 1 JMStV Staatsgewalt aus, in allen anderen Fällen aber nicht. Die Vereinbarkeit der Beleihung mit dem Demokratieprinzip ist allgemein anerkannt,108 im Rahmen dieser Untersuchung besteht kein Anlass, dies prinzipiell in Frage zu stellen, zumal in der Literatur bislang kein Aspekt aufgezeigt worden wäre, der dies speziell im Fall des JMStV in Zweifel ziehen könnte. Als Zwischenergebnis lässt sich also festhalten: Im Sonderfall der Beleihung erfolgt die demokratische Legitimation der EFS nach allgemeinen Grundsätzen, im Regelfall bedarf es aber schon gar keiner demokratischen Legitimation, weil die EFS keine Staatsgewalt im Sinne von Art. 20 Abs. 2 GG ausübt.109 In diesem Sinne erfolgen die weiteren Überlegungen zur demokratischen Legitimation nur hilfsweise. c) Die demokratische Legitimation der Tätigkeit der EFS In Bereichen, in denen sich staatliche Regulierung und Selbstregulierung verschränken, muss das Konzept der demokratischen Legitimation flexibel und in einer der Sache angemessenen Weise zur Anwendung kommen.110 Dies vorausgesetzt, kann bildhaft davon gesprochen werden, dass die Legitimationskette vom Volk zur anerkannten EFS zwar lang und gewissermaßen dünn, aber letztlich nicht unterbrochen ist, denn die Anerkennung einer EFS gem. § 19 Abs. 4 Satz 1 JMStV erfolgt durch die KJM,111 die zwar eine (teilweise) staatsferne Gestaltung aufzeigt, jedoch trotzdem über eine hinreichende Legitimation verfügt.112 Die durch die Staatsferne bedingte Relativierung der personell-organisatorischen Legitimation, deren Vereinbarkeit mit dem Demokratiegebot hinsichtlich der KJM bereits konstatiert wurde, führt insofern auch zur Rechtfertigung hinsichtlich der anerkannten EFS. Was speziell den Bereich der Telemedien betrifft (einschließlich der Telemedien, die keinen Rundfunk im verfassungsrechtlichen Sinne darstellen), lassen sich die Argumente, die im Zusammenhang mit der KJM genannt wurden, ohne weiteres übertragen.113 Dieses Ergebnis ist auch insofern überzeugend, als dass es nicht stimmig wäre, danach zu differenzieren, ob Vertreter gesellschaftlicher Gruppen in ein öffentlichSchmidt-Aßmann, AöR Band 116 (1991), S. 329, 346. Vgl. Dreier in: Dreier, GG, Band II, Art. 20 (Demokratie), Rn. 125. Näher Freitag, Das Beleihungsrechtsverhältnis, S. 85 ff. 109 Dies scheint Bosch, Regulierte Selbstregulierung im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag, S. 191 zu übersehen. 110 Ausdrücklich Dreier in: Dreier, GG, Band II, Art. 20 (Demokratie), Rn. 142. 111 Die theoretisch denkbare Alternative, die EFS durch eine Behörde der Ministerialverwaltung anerkennen zu lassen, würde die Legitimationskette zwar etwas verkürzen, jedoch tendenziell dem Gebot der Staatsferne zuwiderlaufen. 112 Auch Scholz / Liesching, Jugendschutz, § 20 JMStV, Rn. 6 stellen in verfassungsrechtlicher Hinsicht entscheidend auf die Anerkennung gem. § 19 Abs. 3 JMStV ab. 113 Siehe Seite 328 ff. 107 108
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9. Teil: Verfassungsrechtliche Bewertung
rechtlich organisiertes Aufsichtsgremium berufen werden oder ob privatrechtliche Organisationen eine Anerkennung unter der Bedingung erhalten, dass sie gleichwertige Vorgaben bei der Besetzung ihrer Entscheidungsgremien einhalten114 (etwa bei der Berufung von Vertretern gesellschaftlicher Gruppen oder bei der Normierung bestimmter Verfahrensgrundsätze).
IV. Weitere institutionelle Vorgaben Zwar ist eine Reihe weiterer verfassungsrechtlicher institutioneller Vorgaben für den JMStV einschlägig. Da diese jedoch allesamt im Ergebnis unproblematisch und vor allem durch die frühen monographischen Werke zum JMStV hinreichend untersucht worden sind, erscheint an dieser Stelle eine schlagwortartige Aufzählung als ausreichend. So kann eine Verletzung des Beamtenvorbehalts gem. Art. 33 Abs. 4 GG praktisch ausgeschlossen werden,115 da die Gründe, die bereits bei der allgemeinen verfassungsrechtlichen Bewertung des Modells der regulierten Selbstregulierung genannt wurden,116 entsprechend gelten, so dass es diesbezüglich keines Rückgriffs auf ältere Entscheidungen der Rechtsprechung zu jugendschutzrechtlichen Gremien117 bedarf. Bezüglich der Bildung der KJM kann in verfassungsrechtlicher Hinsicht noch ergänzt werden, dass die Schaffung länderübergreifender Einrichtungen mit dem Bundesstaatsprinzip118 gem. Art. 20 Abs. 1 GG generell vereinbar ist119 und der JMStV auch die formalen Anforderungen an den Abschluss eines Länder-Staatsvertrages erfüllt.120 Das teilweise121 in Literatur122 und Rechtsprechung123 aus Art. 30 GG entnommene Verbot einer so genannten „Mischverwaltung“124 – das angesichts der jüngst ergangenen stattgebenden Entscheidung125 des Bundesverfassungsgerichts im Vgl. § 19 Abs. 3 Nr. 1 JMStV. Ähnlich Vomhof, Einbindung von sachverständigen Gremien, S. 188. 116 Siehe Seite 59 f. 117 BVerfGE 83, 130, 150 hat hinsichtlich der damaligen Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften entschieden, es liege kein Verstoß gegen Art. 33 Abs. 4 GG vor, weil die Stelle nicht ständige, sondern zeitlich begrenzte Aufgaben wahrnehme und darüber hinaus die Beteiligung von Außenstehenden durch besondere Umstände wie dem Gebot der Staatsferne gerechtfertigt werden könne. 118 Zu Inhalt und Geschichte des Bundesstaatsprinzips im medienrechtlichem Zusammenhang, Ehrlichmann, Die Verfassungsmäßigkeit der KJM, S. 90 ff. 119 Dies hat Ehrlichmann, Die Verfassungsmäßigkeit der KJM, S. 95 ff. ausführlich nachgewiesen. 120 Ehrlichmann, Die Verfassungsmäßigkeit der KJM, S. 93 ff. 121 Andere Ansicht z. B. Pernice in: Dreier, GG, Band II, Art. 30, Rn. 22. 122 Pieroth in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 30, Rn. 10. 123 BVerfGE 32, 145, 156. 124 Instruktiv Peter M. Huber, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 65. 114 115
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Bereich der so genannten „Hartz-IV-Gesetzgebung“ eine gewisse Renaissance erfahren hat – steht dem Modell des JMStV ebenfalls nicht entgegen, da der JMStV keine Mischverwaltung beinhaltet. 126 Zwar sind gem. § 14 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 JMStV in die zwölfköpfige KJM zwei Mitglieder oberster Bundesbehörden eingebunden, eine Mischverwaltung ist jedoch erst gegeben, wenn ein Mitentscheiden oder Zusammenwirken bundeseigener und landeseigener Verwaltung gegeben ist.127 Die Entscheidung der KJM aber wird im Außenverhältnis von der Landesmedienanstalt umgesetzt (in der keine Vertreter des Bundes agieren), außerdem sind die vom Bund entsandten Mitglieder ebenso weisungsfrei und schließlich stellt der Bund nur zwei von zwölf Mitgliedern, so dass jedenfalls kein wesentlicher Einfluss gegeben ist.128 Zu keiner anderen Bewertung führen die in den §§ 16 Satz 2 Nr. 7; 17 Abs. 2 JMStV verankerten Kooperationsgebote für die KJM, da Antragsberechtigung, Informationsaustausch und Gebot zur Zusammenarbeit ebenfalls noch keine Entscheidungszuständigkeit begründen.129 Auch die Bezugnahme von § 4 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und Abs. 3 JMStV auf die Aufnahme eines Trägermediums in die Liste jugendgefährdender Medien gem. § 18 JuSchG ist für die Verfassungsmäßigkeit des JMStV130 ohne Bedeutung, da diese Bezugnahme auf die Entscheidung einer Bundesbehörde durch den Länder-Staatsvertrag selbst vorgenommen wird und somit schon formal keine Vermischung von Verwaltungskompetenzen vorliegt.131
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Urteil vom 20. 12. 2007, Az. 2 BvR 2433 / 04. Dazu Meyer, NVwZ 2008, S. 275, pas-
sim. 126 Übereinstimmend Ehrlichmann, Die Verfassungsmäßigkeit der KJM, S. 152, Retzke, Präventiver Jugendmedienschutz, S. 200 sowie Halves, Neuordnung des Jugendmedienschutzes, S. 58 f. 127 In diesem Sinne BVerwGE 63, 1, 42. 128 Ausführlich und überzeugend Mynarik, Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien, S. 195 f. 129 Mynarik, Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien, S. 196. Übereinstimmendes Ergebnis auch bei Retzke, Präventiver Jugendmedienschutz, S. 200 sowie bei Halves, Neuordnung des Jugendmedienschutzes, S. 61. 130 Davon zu unterscheiden ist die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit des Jugendschutzgesetzes (JuSchG) des Bundes. Gem. § 18 Abs. 6 Jugendschutzgesetz sind durch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) die Telemedien in die Liste jugendgefährdender Medien aufzunehmen, für welche die KJM eine Aufnahme beantragt hat, es sei denn, der Antrag ist offensichtlich unbegründet oder in Hinsicht auf die Spruchpraxis der BPjM unvertretbar. Ob diese zwar nicht absolute, aber immerhin relative Bindungswirkung des Antrags der gemeinsamen Stelle der Länder für eine Bundesbehörde zu einem Verstoß gegen das Verbot der Mischverwaltung führt, ist umstritten (bejahend Mynarik, Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien, S. 199 f.; verneinend Palzer MMR 2003, S. 303, 307). In der vorliegenden Untersuchung kann dies jedoch offen bleiben, da sich dieser denkbare Verstoß durch das JuSchG nicht auf die Verfassungsmäßigkeit des JMStV auswirken kann. 131 Mynarik, Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien, S. 198 (Hervorhebung nicht im Original), die hilfsweise auch Überlegungen zur sachlichen Rechtfertigung anstellt und diese im Ergebnis bejaht.
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V. Gemeinschaftsrechtliche institutionelle Vorgaben für das Verfahren Der Jugendmedienschutz und sein Verfahren waren bislang größtenteils dem nationalen Recht vorbehalten.132 Auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene133 enthielt die bis vor kurzem geltende Richtlinie „Fernsehen ohne Grenzen“134 lediglich die Verpflichtung der Mitgliedsstaaten zur Gewährleistung einiger jugendschutzrechtlicher Anforderungen (vgl. Art. 2a Abs. 2a und 22 ff.).135 Bezüglich des Verfahrens bestanden nur unverbindliche Empfehlungen zur Einrichtung von Selbst- bzw. Co-Regulierungssystemen.136 Die jüngst in Kraft getretene („Nachfolger-“) Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste137 (vgl. insbesondere Art. 3) betont im Zuge der Umsetzung des Jugendschutzes nun das auszuschöpfende Potenzial von Selbst- und Co-Regulierung.138 Angesichts der in Deutschland bereits bestehenden Einrichtungen führt die neue Richtlinie aber zu keinem Veränderungsbedarf in Deutschland.139 Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, dass der JMStV keinen Konflikt mit gemeinschaftlichem Primärrecht aufweist140 (wie der Europäische Gerichtshof für vergleichbare Regelungen des Jugendschutzgesetzes des Bundes mit Blick auf Art. 28 EGV inzwischen ausdrücklich bestätigt hat141) und dass nach Art. 3 Abs. 2 der E-Commerce-Richtlinie 142 die Mitgliedsstaaten den freien Verkehr von Diensten der Informationsgesellschaft grundsätzlich nicht einschränken dürfen, in Art. 3 Abs. 4 jedoch der Jugendschutz als rechtfertigender Grund für Einschränkungen genannt ist.143 Vgl. Bosch, Regulierte Selbstregulierung im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag, S. 214 f. Vgl. zum Verhältnis von deutschen Regulierungsansätzen und europäischen Vorgaben auch Kleist in: Klumpp, Medien, Ordnung und Innovation, S. 143, 148 ff. 134 89 / 552 / EWG, geändert durch 97 / 36 / EG. 135 Vgl. Palzer, ZUM 2002, S. 875, 821. Näher zu den Vorgaben der damaligen Richtlinie Ukrow, RdJB 2006, S. 326, 331 ff., Bosch, Regulierte Selbstregulierung im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag, S. 215 ff., Retzke, Präventiver Jugendmedienschutz, S. 61 ff. und 86 ff. sowie Halves, Neuordnung des Jugendmedienschutzes, S. 173 ff. 136 Dazu Palzer, ZUM 2002, S. 875, 878. Vgl. auch Halves, Neuordnung des Jugendmedienschutzes, S. 181 ff. sowie Retzke, Präventiver Jugendmedienschutz, S. 66 ff. 137 2007 / 65 / EG. 138 Vgl. Rösler, EuZW 2007, S. 417, 4117; vgl. außerdem Scheuer, tv diskurs 2007, Heft 2, S. 4, passim. 139 Schulz et al, Analyse des Jugendmedienschutzsystems, S. 18. 140 Bosch, Regulierte Selbstregulierung im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag, S. 252 f. Vgl. zu den einschlägigen Vorschriften des Primärrechts auch Retzke, Präventiver Jugendmedienschutz, S. 80 ff. 141 EuGH, Urteil vom 14. 02. 2008, C-244 / 06. Vgl. dazu bereits Schulz et al, Analyse des Jugendmedienschutzsystems, S. 17 m. w. N. 142 Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr, 2000 / 31 / EG. 143 Vgl. dazu Bosch, Regulierte Selbstregulierung im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag, S. 229 f. sowie Halves, Neuordnung des Jugendmedienschutzes, S. 177 ff. 132 133
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C. Abwehrrechtliche Vorgaben für das Verfahren des JMStV I. Vorbemerkung zur Bedeutung der Abwehrrechte der Anbieter für das Verfahren Die einfach-gesetzliche Normierung des Jugendmedienschutzes muss nicht nur institutionelle verfassungsrechtliche Vorgaben, insbesondere die Pflicht zum Jugendschutz berücksichtigen, sondern auch die verfassungsrechtlichen Abwehrrechte der Medienanbieter. Wenn also plakativ gesagt wird, der Jugendschutz sei die „verdammte Pflicht“144 des Staates, so muss zugestimmt, aber zugleich ergänzt werden, dass die Gewährleistung der Freiheit der Anbieter eine ebenso „verdammte Pflicht“ des Staates ist. Sobald eine staatliche Einschränkung der Anbieter zum Schutz der Jugend nicht (oder nicht mehr) geboten ist, ist die Zurücknahme der Einschränkung keine freiwillige oder gar großzügige Handlung des Staates, sondern seine grundrechtlich zwingende Pflicht. Mit Blick auf den JMStV ist es offensichtlich, dass dessen materiell-rechtliche Regelungen des JMStV den Schutzbereich der Freiheitsrechte der Anbieter einschränken, ebenso offensichtlich ist aber auch, dass diese Einschränkungen dem Grunde nach durch Art. 5 Abs. 2 GG gerechtfertigt werden können. Dabei mag im Einzelnen manches strittig sein145 – insbesondere vor dem Hintergrund einer immer noch defizitären Wirkungsforschung im Bereich des Jugendmedienschutzes146 –, die aktuellen materiell-rechtlichen Einschränkungen dürften sich aber angesichts der Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers147 regelmäßig rechtfertigen lassen.148 Eine Verletzung der verfassungsrechtlichen Freiheitsrechte gerade durch die Verfahrensvorschriften des einfach-rechtlichen JMStV kann zwar im Ergebnis – soweit sei den folgenden Abschnitten vorweggegriffen – ausgeschlossen werden.149 144 Dieter Dörr am 16. 10. 2002 in München, nachgewiesen bei Gangloff / Lilienthal, epd medien 2002, Nr. 82, S. 13, 13. 145 Insofern sei vor allem auf die monographischen Untersuchungen des materiellen Rechts des JMStV verwiesen, die Verfassungsverstöße teils bejahen, teils verneinen, vgl. z. B. Hopf, Jugendschutz im Fernsehen, S. 93 ff., Faber, Jugendschutz im Internet, S. 92 ff. sowie Bandehzadeh, Jugendschutz im Rundfunk und in den Telemedien, S. 201 ff. 146 Hopf, Jugendschutz im Fernsehen, S. 16; dort auf S. 18 ff. ausführliche Darstellung zur Wirkung von Gewalt im Fernsehen und auf S. 23 ff. zur Wirkung von pornographischen Darstellungen im Fernsehen. – Theunert, RdJB 2006, S. 351, 355 macht zu Recht darauf aufmerksam, dass die Wirkungsforschung besonders dadurch erschwert wird, dass monokausale Erklärungsversuche keinen Erfolg versprechen. 147 Zu Grundlage, Ursprung und Wesen der Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers Messerschmidt, Gesetzgebungsermessen, S. 926 ff. – Vgl. auch BVerfGE 7, 377, 412. 148 Ukrow, Jugendschutzrecht, Rn. 86; ebenso Bandehzadeh, Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien, S. 29 f. m. w. N. 149 Im Ergebnis wohl übereinstimmend Mynarik, Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien, S. 270 f., ebenso offenbar Halves, Neuordnung des Jugendmedienschutzes, S. 167 ff.
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Doch auch wenn sich die Abwehrrechte der Anbieter zuvörderst auf die materiellrechtliche Seite auswirken, so müssen sie doch bei der Verortung des Verfahrensrechts „in Stellung gebracht werden“, um einseitige Interpretationen des einfachen Rechts zu vermeiden – nicht zuletzt, weil der auf Abwägungsentscheidungen basierende Jugendmedienschutz in besonderer Weise von den jeweiligen Entscheidungsträgern abhängt,150 deren Zuständigkeit sich nach dem Verfahrensrecht bestimmt. Dies scheint nicht selbstverständlich zu sein, denn vereinzelt wird die Freiheit der Anbieter relativiert. So sagt Cole ausdrücklich, im Jugendmedienschutz gelte „in dubio pro filii und gerade nicht pro libertate“.151 Doch dem ist deutlich entgegenzutreten. Es ist nicht nachvollziehbar, warum gerade der Jugendmedienschutz die grundsätzliche Freiheitsvermutung152 der deutschen Verfassung umkehren sollte. Das Handeln Privater ist a priori legitim (auch jenes privater Medienanbieter), Einschränkungen dieses Handelns sind stets rechtfertigungsbedürftig153 (auch jene im Namen des Jugendschutzes). Folgte man stattdessen der von Cole vorgeschlagenen Maxime, so läge die Gefahr auf der Hand, dass die Freiheit der Medien im Namen des Jugendschutzes über das notwendige Maß beschnitten werden könnte, um außerrechtliche Wert- oder Geschmacksvorstellungen durchzusetzen. Um es deutlich zu sagen: Es darf kein „Zuviel“ an Jugendschutz geben, denn dieses „Zuviel“ bedeutet immer ein rechtswidriges „Zuwenig“ an individueller Freiheit der privaten Anbieter.154 Die Staatsaufgabe des Jugendschutzes darf nicht zum „trojanischen Pferd“155 in der Rundfunk- und Medienfreiheit werden.
II. Abwehrrechte der Anbieter 1. Rundfunkfreiheit als Abwehrrecht a) Schutzbereich und Schranken Das Grundrecht der Rundfunkfreiheit gem. Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Var. 2 GG enthält sowohl ein objektives Prinzip als auch ein Abwehrrecht.156 Die RundfunkfreiÄhnlich Mynarik, Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien, S. 270. Cole, ZUM 2005, S. 462, 472. 152 BVerfGE 17, 306, 313 f. 153 Vgl. Peter M. Huber in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band III (im Ersch.), § 45, Rn. 22. 154 Ebenso deutlich Ehrlichmann, Die Verfassungsmäßigkeit der KJM, S. 63. Grundlegend Eifert, Die Verwaltung 2006, S. 309, 319: „Grundrechte der Überwachten als Grenze und Ausgestaltungsmaxime“. – Vgl. auch Stettner, ZUM 2003, S. 425, 426. 155 Diese Formulierung erfolgt in Anlehnung an Stettner, ZUM 2003, S. 425, 429, der mit Bezug auf das Gebot der Staatsferne festhält: „Der Jugendschutz darf nicht zum trojanischen Pferd des Staates im Rundfunk werden.“ 156 BVerfGE 74, 297, 323; Jarass in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 5, Rn. 35. 150 151
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heit als Abwehrrecht umfasst alle wesensmäßig mit der Veranstaltung von Rundfunk zusammenhängenden Tätigkeiten, von der Beschaffung der Informationen über die Produktion bis hin zu ihrer Verbreitung.157 In ihrem Kern ist Rundfunkfreiheit aber Programmfreiheit, 158 die Auswahl, Inhalt und Ausgestaltung der Programme gegen fremde Einflüsse schützt.159 Grundrechtsträger ist – in einem modernen Verständnis, das sich Hand in Hand mit einer weitgehenden Behebung der früheren Knappheit technischer Ressourcen herauskristallisieren konnte160 – jeder Anbieter, ohne Rücksicht auf Rechtsform oder Gewinnerzielungsabsicht.161 Privatpersonen sind jedoch auch nur als Anbieter Grundrechtsträger, also insbesondere nicht in ihrer Eigenschaft als potentielle Empfänger162 (für welche die noch anzusprechende Informationsfreiheit einschlägig ist). Angewendet auf die privaten Akteure im System des JMStV bedeutet dies, dass die Anbieter ohne weiteres Grundrechtsträger sind, nicht jedoch die EFS.163 Denn letztere verbreiten gerade keine Angebote, sondern kontrollieren Angebote als Außenstehende mit dem Ziel ihre Ausstrahlung im Falle materiell-rechtlicher Verstöße zu verhindern. Art. 5 Abs. 3 GG formuliert Schranken für die in Abs. 1 gewährten Freiheiten. Der Schutz der Jugend wird in Art. 5 Abs. 2 Var. 2 GG explizit genannt. Teile des JMStV haben aber auch den Schutz der Menschenwürde oder gar völlig anderer Schutzgüter im Blick, beispielsweise wird der öffentliche Frieden durch § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 JMStV geschützt.164 Daher kommen als Schranken auch das Recht der persönlichen Ehre gem. Art. 5 Abs. 2 Var. 3 GG sowie die allgemeinen Gesetze gem. Var. 1 in Betracht. b) Das Zensurverbot gem. Art. 5. Abs. 1 Satz 3 GG Art. 5 Abs. 1 Satz 3 GG formuliert ein besonderes Zensurverbot. Zensur in diesem Sinne kann nur von staatlichen Stellen ausgeübt werden.165 Darüber hinaus ist 157 Jarass in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 5, Rn. 39. Ausführlich zu Inhalt und Geschichte der Rundfunkfreiheit Ehrlichmann, Die Verfassungsmäßigkeit der KJM, S. 68 ff. 158 BVerfGE 95, 220, 234. 159 BVerfGE 59, 231, 260. 160 Vgl. Starck in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Band 1, Art. 5, Rn. 108 ff. m. w. N. zur Entwicklung des Meinungsstands. 161 BVerfGE 95, 220, 234. 162 Jarass in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 5, Rn. 41. 163 Im Ergebnis ebenso Bosch, Regulierte Selbstregulierung im JugendmedienschutzStaatsvertrag, S. 198 sowie Mynarik, Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien, S. 216 f., letztere mit dem zutreffenden Hinweis darauf, dass die teilweise für die Landesmedienanstalten angenommene Grundrechtsträgerschaft jedenfalls nicht auf die EFS übertragen werden kann. 164 Auf dieses gleichermaßen überraschende wie illustrative Beispiel macht Mynarik, Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien, S. 224 mit näheren Erläuterungen aufmerksam.
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mit Zensur nach ganz herrschender Meinung nur die Vorzensur gemeint, also ein präventives Verbot der Kommunikation vorbehaltlich einer Erlaubnis, deren Erteilung vom Inhalt abhängt.166 Wenn Zensur in der soeben beschriebenen Form vorliegt, darf sie aufgrund von Art. 5 Abs. 1 Satz 3 GG gar nicht, auch nicht aufgrund jugendschutzrechtlicher Vorschriften erfolgen.167 Vereinzelt wird vertreten, dass Kontrolle zum Zwecke des Jugendschutzes keine Zensur sei, weil sie nur zu einer Verbreitungsbeschränkung führe und Erwachsenen der Zugang nach wie vor ermöglicht sei.168 Daran kann durchaus gezweifelt werden,169 die Frage muss vorliegend aber nicht entschieden werden, da zumindest absolut unzulässige Angebote gem. § 4 Abs. 1 JMStV sowie im Bereich des Rundfunks relativ unzulässige Angebote gem. § 4 Abs. 2 Satz 1 JMStV nicht nur Verbreitungsbeschränkungen unterliegen, sondern generell verboten sind, so dass es im Bereich des JMStV einer Klärung bedarf.170 Die KJM übt in keinem Fall Vorzensur aus. Gleich, ob zuvor eine EFS tätig war oder nicht, tritt die KJM immer erst nach der Veröffentlichung eines Angebots an einen Anbieter heran.171 Auch die anerkannten EFS treten in vielen Fällen erst nach einer Veröffentlichung an die Anbieter heran, nämlich bei der Kontrolle nicht vorlagefähiger Angebote des Rundfunks gem. § 20 Abs. 3 Satz 2 JMStV sowie aller Angebote der Telemedien gem. § 20 Abs. 5 JMStV. Ein Einschreiten vor der Veröffentlichung ist also nur bei der Bewertung von vorlagefähigen Angeboten des Rundfunks durch die EFS möglich. Im Schrifttum gab es Versuche, die Anwendbarkeit des Zensurverbots auf die KJM durch einen Vergleich mit den Landesmedienanstalten zu klären.172 Dies ist jedoch nicht weiterführend, da die Anwendbarkeit des Zensurverbots auf die Landesmedienanstalten ihrerseits umstritten ist173 und die KJM durch ihre teilweise 165 Gucht, Zensurverbot, S. 31 m. w. N. – Vgl. zum generellen Adressatenkreis des Zensurverbots Ehrlichmann, Die Verfassungsmäßigkeit der KJM, S. 194 und hinsichtlich der KJM S. 194 f. 166 Jarass in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 5, Rn. 63 m. w. N. aus der Literatur sowie der höchstrichterlichen Rechtsprechung. 167 Jarass in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 5, Rn. 63 m. w. N. 168 In diese Richtung Jarass in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 5, Rn. 64 unter Hinweis auf BVerfGE 87, 209, 230 f. Vgl. auch Faber, Jugendschutz im Internet, S. 100 m. w. N. Ähnlich Ehrlichmann, Die Verfassungsmäßigkeit der KJM, S. 196. 169 Kritisch Erdemir, RdJB 2006, S. 285, 286 m. w. N. 170 Dies wird auch von Ehrlichmann, Die Verfassungsmäßigkeit der KJM, S. 195 vorausgesetzt. 171 Ähnlich Ehrlichmann, Die Verfassungsmäßigkeit der KJM, S. 195. 172 Stettner, ZUM 2003, S. 425, 435. 173 Für eine Anwendbarkeit des Zensurverbots auf die Landesmedienanstalten Schulz et al, Co-Regulierungsmaßnahmen im Medienbereich, S. 51 f., sowie mit besonders ausführlicher, teilweise alternativer Begründung Nessel, Das grundgesetzliche Zensurverbot, S. 210. Unklar erscheint die Position von Degenhart, in: Dolzer / Vogel / Graßhof Bonner Kommentar
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von staatlichen Behörden entsandten Mitglieder sogar über ein „Weniger“ an Staatsferne als die Landesmedienanstalten verfügt.174 Vor allem aber ist dieser Ansatz überflüssig, weil die Anwendbarkeit – wie soeben gezeigt – auf die KJM bereits an dem fehlenden Merkmal der Vorzensur scheitert. Somit muss nur noch das Handeln der anerkannten EFS dahingehend überprüft werden, ob es sich dabei um eine staatliche Zensur handeln kann. Der bloße Verweis auf die privatrechtliche Rechtsform der EFS genügt hierbei nicht, da auch hier der Grundsatz „Keine Flucht ins Privatrecht“ gilt, nach dem sich der Staat seiner Grundrechtsbindung nicht durch formelle Privatisierung entziehen kann.175 Vielmehr ist der Blick auf die rechtliche Natur der Vorlage vor der Veröffentlichung zu richten. Die anerkannten EFS handeln bei der Bewertung von Angeboten nicht hoheitlich. Wenn die Vorlageverpflichtung somit privatrechtlicher Natur ist und auch keine Pflicht für den Anbieter besteht, eine solche private Vereinbarung abzuschließen, so liegt keine staatliche Zensur vor.176 Entsprechend liegt der Fall bei den anerkannten EFS: Wenn sich ein Anbieter einer EFS anschließt, ist eine privatrechtliche Verpflichtung zur Vorab-Vorlage von Angeboten zwar möglich (und in der Praxis z. B. bei der FSF in § 1 PrO-FSF auch umgesetzt). Dies ist aber nicht zwingend durch die gesetzlichen Anerkennungsvoraussetzungen gem. § 19 Abs. 2 JMStV vorgegeben. Vor allem aber steht es jedem Anbieter frei, gar nicht mit einer EFS zusammenzuarbeiten. Somit ist festzuhalten, dass den anerkannten EFS eine Prüfung von Angeboten bereits vor Veröffentlichung nicht verfassungsrechtlich verboten ist. (Diese Möglichkeit ist für die Effektivität des Jugendschutzes offensichtlich von Vorteil. Somit zeigt dieser Punkt besonders deutlich, welche Vorteile mit einem System regulierter Selbstregulierung gegenüber konventionellen Verfahren erreicht werden können.)
2. Weitere Freiheitsrechte Angesichts der bereits konstatierten, zumeist lediglich mittelbaren Relevanz für den Gegenstand dieser Arbeit seien die weiteren Abwehrrechte von Medienanbietern nur schlagwortartig skizziert, zumal ihnen gemein ist, dass für sie durchzum Grundgesetz, Art. 5 Abs. 1 und 2, Rn. 927 f., der zwar davon ausgeht, dass eine Vorlagepflicht gegenüber den Landesmedienanstalten Zensur bedeuten könne, weil es sich dabei um mittelbare Staatsverwaltung handle, aber eine Vorlagepflicht wegen unzulässiger Programminhalte trotzdem für unbedenklich hält. 174 Vgl. auch die ausdrückliche inhaltliche Ablehnung von Stettner, ZUM 2003, S. 425, 435 durch Erdemir RdJB 2006, S. 285, 286 sowie durch Ullrich, tv diskurs 2007, Heft 1, S. 102, 105, Fn. 17. 175 Schulz in: Klumpp, Medien, Ordnung und Innovation, S. 169, 180. 176 Stath, Jugendmedienschutz, S. 260 am Beispiel der FSK. Ähnlich Mynarik, Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien, S. 222.
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gehend ähnliche Schranken wie für die Rundfunkfreiheit bestehen, sei es, weil Art. 5 Abs. 2 GG direkt anwendbar ist, sei es aufgrund der allgemein anerkannten Konstruktion verfassungsimmanenter Schranken.177 Die Kunstfreiheit gem. Art. 5 Abs. 3 Satz 1 Var. 1 GG kann – ungeachtet des an sich schwierig zu fassenden verfassungsrechtlichen Kunstbegriffs178 – bei zahlreichen Erscheinungsformen von Rundfunk und Telemedien einschlägig sein, sie bildet ggf. das speziellere Recht.179 Zwar ist die Kunstfreiheit der prototypische Fall eines schrankenlos formulierten Grundrechts, zu ihren verfassungsimmanenten Schranken gehört jedoch auch der Jugendschutz.180 Die Filmfreiheit gem. Art. 5 Abs. 1, Satz 2, Alt. 3 GG ist zwar nicht unmittelbar durch Regelungen der elektronischen Medien betroffen, jedoch ist nicht auszuschließen, dass Filmschaffende in vorauseilender Rücksicht auf die Zweitverwertung in Rundfunk und Telemedien von den Einschränkungen des JMStV betroffen sind;181 eine mittelbare Beeinträchtigung mag für das materielle Recht des JMStV dabei noch diskussionswürdig sein,182 hinsichtlich des Verfahrens ist es jedoch fern liegend. Auch hinsichtlich der Meinungsfreiheit gem. Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 GG183 und der Wissenschaftsfreiheit gem. Art. 5 Abs. 3 Satz 1 Var. 2 GG184 ergeben sich letztlich keine entscheidenden Besonderheiten. Hinsichtlich einer möglichen Rundfunkunternehmerfreiheit ist umstritten, ob Berufsfreiheit gem. Art. 12 Abs. 1 GG und Eigentumsfreiheit gem. Art. 14 Abs. 1 GG nach dem Prinzip der Spezialität zurücktreten185 oder nicht;186 doch auch wenn man letzterer Meinung folgt, erfolgt eine Rechtfertigung parallel zu der Einschränkung der Rundfunkfreiheit.187 Die Vereinigungsfreiheit gem. Art. 9 Abs. 1 GG, die das Recht zur Bildung von Vereinen und Gesellschaften beinhaltet,188 wird durch die mögliche Anerkennung einer EFS Vgl. dazu z. B. Jarass in: Jarass / Pieroth, GG, Vor Art. 1, Rn. 45 ff. Vgl. dazu beispielsweise Wendt in: von Münch / Kunig, GG, Art. 5, Rn. 89 ff. 179 BVerfGE 30, 173, 189. Zu Inhalt und Geschichte der Kunstfreiheit mit anschließendem Blick auf den JMStV Ehrlichmann, Die Verfassungsmäßigkeit der KJM, S. 72 ff. und 169. 180 BVerfGE 91, 223, 225 f.; Hopf, Jugendschutz im Fernsehen, S. 253 f. 181 Dazu Mynarik, Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien, S. 218 ff. Vgl. auch Ehrlichmann, Die Verfassungsmäßigkeit der KJM, S. 168. 182 Dies verneint Mynarik, Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien, S. 220. 183 Dazu Schraut, Jugendschutz und Medien, S. 30 f. und 37 f., Ehrlichmann, Die Verfassungsmäßigkeit der KJM, S. 65 ff. und 165 f. sowie Bosch, Regulierte Selbstregulierung im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag, S. 141 ff. Näher zum Inhalt der Meinungsfreiheit hinsichtlich der KJM Ehrlichmann, Die Verfassungsmäßigkeit der KJM, S. 65 ff. 184 Dazu Ehrlichmann, Die Verfassungsmäßigkeit der KJM, S. 169 f. 185 So Degenhart in: Dolzer / Vogel / Graßhof, Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 5, Rn. 940 f. 186 So Schulze-Fielitz in: Dreier, GG, Art. 5, Rn. 245. 187 Näher am Beispiel von Computer- und Videospielen Schulz et al, Computerspiele, S. 80. Vgl. außerdem Ehrlichmann, Die Verfassungsmäßigkeit der KJM, S. 170 ff. sowie Mynarik, Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien, S. 256 f. 188 Näher beispielsweise Löwer in: von Münch / Kunig, GG, Art. 9, Rn. 4 ff. 177 178
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gem. § 19 Abs. 3 JMStV nicht beeinträchtigt, weil die Bildung nicht anerkannter Einrichtungen zur Selbstkontrolle oder sonstiger sich an Anbieter wendender Vereinigungen unverändert möglich ist.189 Auch das Fernmeldegeheimnis gem. Art. 10 Abs. 1 Var. 2 GG ist durch den JMStV nicht berührt, weil dieses die Vertraulichkeit individueller Kommunikation schützt,190 während es beim Jugendmedienschutz darum geht, dass bestimmte Inhalte überhaupt in den Kommunikationsprozess gelangen. Im Übrigen erscheint die hinreichende Berücksichtigung von Verfahrensgrundrechten für die jeweils Beteiligten durch die Anwendbarkeit des VwVfG für die KJM sowie durch die Anerkennungsvoraussetzung gem. § 19 Abs. 3 Nr. 4 und 5 JMStV für die EFS gesichert.191
3. Gleichheitsgebot Die materiell-rechtlichen Bestimmungen des JMStV gelten gleichermaßen für alle elektronischen Medien, unabhängig davon, ob die Anbieter in privat- oder öffentlich-rechtlicher Form organisiert sind. Eine Ausnahme bilden die Bestimmungen zu Straf- und Ordnungswidrigkeitstatbeständen, die nicht für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk gelten.192 Teilweise wird hierin ein Verstoß gegen das Gleichheitsgebot gem. Art. 3 Abs. 1 GG gesehen, weil eine Gefahr für Jugendliche gleichermaßen bestehe, egal, welchen Rechtsstatus der Anbieter des fragwürdigen Angebots habe.193 Private Rundfunkanbieter haben inzwischen auch angekündigt, eine gerichtliche Klärung dieser Frage anzustreben.194 Diese materiell-rechtlichen Fragen sollen im Rahmen dieser Arbeit nicht vertieft werden, jedoch ist die Annahme einer Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG nicht überzeugend. Zur Rechtfertigung der Ungleichbehandlung ist nicht notwendig, dass im öffentlich-rechtlichen Rundfunk Verstöße gegen das materielle Recht ausgeschlossen sind,195 es genügt bereits, wenn aufgrund verminderter ökonomischer Anreize zur Grenzüberschreitung Verstöße wesentlich unwahrscheinlicher sind, so dass es nicht des „scharfen Schwertes“ des Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts bedarf, wovon der Normgeber offenbar ausging. Ebenso Mynarik, Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien, S. 257. Hermes in: Dreier, GG, Band I, Art. 10, Rn. 15. 191 Vgl. Roll, KJuG 2005, S. 65, 66. Die bei Schulz et al, Co-Regulierungsmaßnahmen im Medienbereich, S. 143 wiedergegebenen empirischen Erkenntnisse in Form von Expertenbefragungen sprechen dafür, dass zumindest keine faktischen Defizite zulasten der Anbieter bestehen. 192 Vgl. die Überschrift des VI. Abschnitts des JMStV: „Ahndung von Verstößen der Anbieter mit Ausnahme des öffentlich-rechtlichen Rundfunks“. 193 Hopf, Jugendschutz im Fernsehen, S. 281 ff. 194 So Annette Kümmel, Direktorin Medienpolitik der Pro Sieben Sat.1 Media AG, am 08. 11. 2007 auf den Medientagen München, nachgewiesen unter http: / / www.medientage.de / mediathek / textservice / files / pdf / text_205.pdf (Stand: 09. 11. 2007). 195 So aber offenbar Hopf, Jugendschutz im Fernsehen, S. 281. 189 190
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Die verfahrensrechtlichen Bestimmungen des JMStV sind für den öffentlichrechtlichen Rundfunk nicht nur punktuell, sondern generell unanwendbar.196 Wie bereits skizziert197 wird die Einhaltung der materiellen Vorschriften von den öffentlich-rechtlichen Anstalten selbst kontrolliert. In der Literatur wurde vereinzelt die Auffassung geäußert, die Existenz unterschiedlicher Verfahren verstoße gegen Art. 3 Abs. 1 GG,198 weil jugendschutzrechtliche Verstöße bei öffentlichrechtlichen Anstalten ebenso wie bei privaten Anbietern möglich und verhinderungswürdig seien, ferner liege aufgrund der staatsfernen Organisation und der Grundrechtsfähigkeit der öffentlich-rechtlichen Anstalten keine ungleiche Situation vor.199 Auch dies überzeugt jedoch nicht. Trotz einiger organisatorischer Spezifika bleiben die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten Teil der mittelbaren Staatsverwaltung.200 Die wesentlichen Unterschiede zwischen rechtsstaatlich gebundenen Körperschaften gegenüber an sich ungebundenen, lediglich in einer besonders regulierten Branche mit Gewinnerzielungsabsicht tätigen privaten Wirtschaftsunternehmen bilden einen hinreichenden Anknüpfungspunkt dafür, die Einhaltung identischer materieller Regeln in einem gesonderten Verfahren zu kontrollieren. Von der Frage des verfassungsrechtlichen Zulässigkeit ist freilich die Frage der rechtspolitischen Zweckmäßigkeit des uneinheitlichen Verfahrens zu unterscheiden, deren Beantwortung dem entsprechenden, noch folgenden Teil dieser Arbeit201 vorbehalten bleibt. Schließlich202 sind noch mögliche Zweifel hinsichtlich eines anderen Aspekts zu klären. Vereinzelt wird vertreten, die unterschiedliche materiell-rechtliche Behandlung von Rundfunk einerseits und Telemedien andererseits beinhalte einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG203 (insbesondere besteht nur für Telemedien die Möglichkeit einer Privilegierung durch Bildung geschlossener Benutzergruppen gem. § 4 Abs. 2 Satz 2 JMStV). Theoretisch wäre denkbar, diese Bedenken insofern auf die verfahrensrechtliche Situation zu übertragen, als auch hier Unterschiede zwischen Rundfunk einerseits und Telemedien andererseits bestehen (ins196 Vgl. die Überschrift des V. Abschnitts des JMStV: „Vollzug für Anbieter mit Ausnahme des öffentlich-rechtlichen Rundfunks‘‘. 197 Siehe Seite 103 f. 198 Hopf, Jugendschutz im Fernsehen, S. 283. 199 Hopf, Jugendschutz im Fernsehen, S. 280. 200 Vgl. Peter M. Huber in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band III (im Ersch.), § 45, Rn. 32. 201 Siehe Seite 394 ff. 202 Nicht näher eingegangen werden soll auf die von Bandehzadeh, Jugendschutz im Rundfunk und in den Telemedien, S. 197 ff. vorgebrachten Bedenken hinsichtlich einer Ungleichbehandlung von Fernsehfilmen und im Fernsehen ausgestrahlten Kinofilmen, weil nicht ersichtlich ist, wie diese materiell-rechtlichen Fragen auf die verfahrensrechtliche Seite durchschlagen könnten. 203 Insbesondere Bandehzadeh, Jugendschutz im Rundfunk und in den Telemedien, S. 133 ff. Andere Ansicht Retzke, Präventiver Jugendmedienschutz, S. 151 f.
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besondere besteht für Telemedien keine Möglichkeit der Vorab-Vorlage von Angeboten, argumentum e contrario § 20 Abs. 3 Satz 1 JMStV204). Im Ergebnis ist hierin jedoch kein Verstoß gegen das Gleichheitsgebot anzunehmen, weil trotz gewisser technischer Annäherungen immer noch wesentliche tatsächliche Unterschiede zwischen den verschiedenen Medienarten bestehen, die der Gesetzgeber im Rahmen seiner Einschätzungsprärogative unterschiedlichen Verfahren zuführen darf.205 4. Zur Ausstrahlung der Abwehrrechte der Anbieter auf die privatrechtlichen Beziehungen zu anerkannten EFS Die Grundrechte haben in ihrem Ausgangspunkt abwehrrechtlichen Charakter, jedoch bilden diese verfassungsrechtlichen Vorschriften darüber hinaus eine objektive Werteordnung,206 wie das Bundesverfassungsgericht schon früh, insbesondere durch das so genannte „Lüth“-Urteil deutlich gemacht hat.207 Die Grundrechte, auch Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Var. 2 GG,208 verfügen über eine Ausstrahlungswirkung auf an sich privatrechtliche Verhältnisse.209 Vor diesem Hintergrund kann das Rechtsverhältnis zwischen EFS und Anbieter, das (jenseits des Ausnahmefalls der Beleihung) rein privatrechtlicher Natur ist, durch die grundrechtlichen Abwehrrechte des Anbieters, insbesondere durch die Rundfunkfreiheit, beeinflusst werden. Konkrete Auswirkungen hat dies vor allem auf den Anschluss eines Anbieters an eine anerkannte EFS bzw. die werkvertraglich vereinbarte Überprüfung eines Angebots. Zwar ist ein Anbieter nicht nur frei in der Entscheidung, ob überhaupt eine Zusammenarbeit mit „irgendeiner“ EFS stattfinden soll, sondern ggf. auch in der Entscheidung, an welche EFS er sich wendet. Aus praktischen Gründen, insbesondere aufgrund erzielbarer Synergieeffekte, wird für ein Medium aber häufig nur eine anerkannte EFS zur Verfügung stehen. Aufgrund der verfassungsrechtlichen Hinterlegung210 der Privatrechtsnormen verfügt der Anbieter insbesondere Dazu, insbesondere zur Verneinung einer Analogie, siehe Seite 95 ff. Ähnlich Halves, Neuordnung des Jugendmedienschutzes, S. 188 f. Vgl. auch Schulz et al, Analyse des Jugendmedienschutzsystems, S. 120, wo die unterschiedliche tatsächliche Behandlung der verschiedenen Medien durch die Erziehungsberechtigten betont wird. 206 Peter M. Huber, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 73 f.; Jarass in: Jarass / Pieroth, GG, Vor Art. 1, Rn. 58 ff. 207 BVerfGE 7, 198, 205. 208 BVerfGE 59, 2311, 256 m. w. N.; Kannengießer in: Schmidt-Bleibtreu / Klein, GG, vor Art. 1, Rn. 13. 209 Dreier in: von Bogdandy / Cruz Villalón / Huber, Handbuch Ius Publicum Europaeum, Band I, § 1, Rn. 141 m. w. N.; Ingo von Münch in: von Münch / Kunig, GG, Vor Art. 1 – 19, Rn. 31 m. w. N. 210 Ob eine kartellrechtlich Konstruktion zu einem vergleichbaren Ergebnis führen könnte, kann angesichts des hier dargelegten öffentlich-rechtlich hinterlegten Anspruchs offenbleiben. 204 205
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in dieser Situation über einen Anspruch auf Vertragsabschluss bei Erfüllung der satzungsgemäßen Voraussetzungen der EFS.211 Denn nur eine anerkannte EFS kann einem Anbieter die Privilegierung gegenüber der hoheitlichen Kontrolle gem. § 20 Abs. 3, 5 JMStV verschaffen. Im Übrigen besteht auf Ebene des einfachen öffentlichen Rechts eine gewisse Parallele in der für EFS bestehenden Anerkennungsvoraussetzung gem. § 19 Abs. 3 Nr. 2 JMStV („Vielzahl von Anbietern“), die zeigt, dass der JMStV eine möglichst breite personelle Basis der EFS zum Ziel hat.212
III. Abwehrrechte der potentiellen Empfänger 1. Informationsfreiheit der Jugendlichen Nur die Anbieter von Medien, nicht die potentiellen Empfänger können sich auf die Rundfunkfreiheit berufen, für diese ist aber die Informationsfreiheit gem. Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 GG einschlägig.213 Zwar ist ein finaler Eingriff durch den JMStV ausgeschlossen, da sich die Vorschriften unmittelbar nur an die Anbieter richten; die Verfassung kann aber generell auch mittelbaren Grundrechtseingriffen entgegenstehen.214 In sachlicher Hinsicht gewährleistet die Informationsfreiheit das Recht, sich aus allgemein zugänglichen Quellen zu informieren, i. e. aus allen Trägern von Informationen, die allgemein zugänglich, geeignet und dafür bestimmt sind, der Allgemeinheit Informationen zu verschaffen; hierunter fallen Rundfunk und Telemedien 215 ohne weiteres.216 Der Schutzbereich erfasst aber nicht nur alle Arten von Quellen, sondern auch alle Arten von Inhalten, gleich, ob diese wertvoll, belanglos oder gar gefährlich (wie eben auch jugendgefährdende Medien) sind.217 In persönlicher Hinsicht sind Grundrechtsträger alle Menschen, insbesondere Menschen jeden Alters.218 Zwar ist der Schutz der Jugend in der Schranke des Art. 5 Abs. 2 Var. 2 GG ausdrücklich erwähnt; dies darf aber nicht dahingehend missverstanden werden, dass Jugendlichen das Grundrecht nicht zustünde, im Gegenteil zeigt die Konstruktion gerade, dass auch die Minderjähri211 Ukrow, Jugendschutzrecht, Rn. 689 m. w. N. Ebenso Halves, Neuordnung des Jugendmedienschutzes, S. 152. 212 So auch Halves, Neuordnung des Jugendmedienschutzes, S. 153 m. w. N. 213 Jarass in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 5, Rn. 41. 214 Vgl. BVerfGE 90, 112, 121 f.; Ingo von Münch in: von Münch / Kunig, GG, Band 1, Vor Art. 1 – 19, Rn. 51a; Pieroth / Schlink, Grundrechte, Rn. 240 m. w. N.; Peter M. Huber, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 72. 215 Der Teil der Gruppe der Telemedien, deren Inhalte nicht für die Allgemeinheit bestimmt sind (z. B. „Online-Banking“), bildet naturgemäß eine Ausnahme. 216 Vgl. Pieroth / Schlink, Grundrechte, Rn. 562 ff. 217 Hopf, Jugendschutz im Fernsehen, S. 235 (Hervorhebung nicht im Original). Vgl. auch Ehrlichmann, Die Verfassungsmäßigkeit der KJM, S. 172 f. 218 Starck in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Band 1, Art. 5, Rn. 178 f.
C. Abwehrrechtliche Vorgaben fu¨r das Verfahren des JMStV
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gen zur Ausübung dieses Grundrechts berechtigt und gegen nicht gerechtfertigte Eingriffe geschützt sind.219 Um es deutlich zu sagen: Jede Beschränkung zum Schutz der Jugend greift in die (Informations-)Freiheit der Jugend ein. So zeigt sich an dieser Stelle besonders deutlich, wie problematisch die bereits zitierte vorgebliche Maxime „In dubio pro filii“ anstelle von „In dubio pro libertate“ wäre – ihr ist daher erst recht nicht zuzustimmen. Letztendlich ist ein Eingriff in die Informationsfreiheit aber aus den gleichen Gründen wie ein Eingriff in die Rundfunkfreiheit zu rechtfertigen.220 Und freilich muss auch an dieser Stelle nochmals betont werden, dass die Frage, ob die tatsächlich bestehenden Einschränkungen gerechtfertigt sind, zuvörderst eine solche des materiellen 221 und nicht des Verfahrensrechts darstellt.
2. Informationsfreiheit der Erwachsenen Freilich sind nicht nur die minderjährigen, sondern auch die erwachsenen potentiellen Empfänger in ihrer Informationsfreiheit berührt, denn auch ihnen kann der Zugang erschwert oder gar unmöglich gemacht werden. Der verfassungsrechtlich verbürgte Anspruch von Erwachsenen auf Zugang zu jugendgefährdenden Angeboten ist allgemein anerkannt.222 Nur eine kleine Mindermeinung vertritt, die entsprechende Entscheidung eines Erwachsenen (z. B. die Entscheidung, sich unter Zuhilfenahme eines Mediums sexuell erregen zu lassen) sei rechtlich von vornherein nicht schützenswert, selbst dann, wenn keine Rechte Dritter verletzt werden.223 Die Rechtfertigung der Eingriffe in die Informationsfreiheit der erwachsenen potentiellen Empfänger erfolgt im Ergebnis parallel wie bei den Minderjährigen.
Pieroth / Schlink, Grundrechte, Rn. 126. BVerwGE 116, 5, 26. 221 Dazu ausführlich Hopf, Jugendschutz im Fernsehen, S. 234 ff. 222 Berger, MMR 2003, S. 773, 774. 223 So Ladeur, AfP 2001, S. 471, 476 f.: „In diesem Sinne muss auch bezweifelt werden, ob die Entscheidung, sich durch einen Film etc. sexuell erregen zu lassen, als Ausdruck freier Selbstentscheidung jeden Respekt durch das Recht verdient, solange nur keine Individualrechte Dritter verletzt werden. Jede differenzierte Gesellschaft ist auf ein gewisses Maß von Selbstdisziplinierung ihrer Bürger angewiesen. Auch für ein liberales Verständnis der Kommunikationsfreiheiten (Meinungs-, Medien-, Informationsfreiheit) liegt es keineswegs nahe, Voyeurismus von vornherein in den grundrechtlichen Schutz einzubeziehen. [ . . . ] Es ist erstaunlich, in welchem Maße gerade in einer Gesellschaft, die den Individuen weitgehend die Freiheit zur Übernahme persönlicher Risiken durch pauschale Zwangsversicherungenabnimmt, die Souveränität der Entscheidung über sexuelle Präferenzen anerkannt wird, die der klassische Liberalismus durch Bindung an die guten Sitten u. ä. beschränkt hat. [ . . . ] Es gibt weder ein Grundrecht darauf, Hemmungen anderer abzubauen, noch ein Grundrecht auf Hemmungslosigkeit!“. 219 220
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9. Teil: Verfassungsrechtliche Bewertung
3. Elternrecht Das Elternrecht gem. Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG beinhaltet einen Abwehranspruch gegen unzulässige Eingriffe in die elterliche Erziehung.224 Wenn der JMStV Angebote ganz oder in bestimmter Form verbietet, so wird auch verhindert, dass Eltern ihren Kindern im Rahmen ihrer Erziehung gestatten, diese Angebote wahrzunehmen, so dass der Schutzbereich eröffnet ist. Im Ergebnis dürften diese Einschränkungen regelmäßig durch die Staatsaufgabe des Jugendschutzes gerechtfertigt sein; gewisse Pauschalisierungen sind hierbei erlaubt.225 Eine mögliche Beeinträchtigung liegt jedoch ausschließlich im materiellen Recht,226 eine Beeinträchtigung gerade durch die verfahrensrechtlichen Normen des JMStV ist nicht denkbar.227
D. Zur formellen Verfassungsmäßigkeit des JMStV Für den Jugendschutz im Allgemeinen (i. e. ohne besondere Berücksichtigung der Medien) wird von der Rechtsprechung228 und der nahezu allgemeinen Auffassung in der Literatur229 eine konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes gem. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG („öffentliche Fürsorge“230) angenommen. Für den Rund224 BVerfGE 4, 52, 57. Vgl. zur grundsätzlichen Konstruktion Badura in: Maunz / Dürig, GG, Art. 6 Abs. 2, 3, Rn. 109. Vgl. in Hinblick auf den JMStV Ehrlichmann, Die Verfassungsmäßigkeit der KJM, S. 173. 225 Vgl. zum materiellen Recht Hopf, Jugendschutz im Fernsehen, S. 727 mit Hinweis auf BVerfGE 19, 94, 98. 226 Zu der – im Ergebnis zu verneinenden – Frage nach einem Verstoß gegen Art. 6 Abs. 2 GG durch die materiellen Vorschriften des JMStV Mynarik, Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien, S. 205 ff. Vgl. auch Bandehzadeh, Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien, S. 30 ff. 227 So auch Mynarik, Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien, S. 205. 228 Z. B. BVerfGE 22, 180, 222 für das Gesetz für die Jugendwohlfahrt. 229 Heintzen in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Band 2, Art. 73 Nr. 7, Rn. 70; Taubert, Bundeskompetenz für Jugendschutz, S. 136; Hopf, Jugendschutz im Fernsehen, S. 50 mit zahlreichen weiteren Nachweisen in Fn. 192. Vgl. auch Bandehzadeh, Jugendschutz im Rundfunk und in den Telemedien, S. 84 f., Fn. 285, welche die nur ganz vereinzelt vertretenen abweichenden Meinungen ausführlich widerlegt. In der aktuellen Literatur zum Jugendmedienschutz scheint allein Bosch, Regulierte Selbstregulierung im JugendmedienschutzStaatsvertrag, S. 28 Sympathie für eine Beschränkung des Bundes auch außerhalb des Medienbereichs zu zeigen; neben zwei Literaturnachweisen aus den Jahren 1958 und 1970 führt sie allerdings als alleiniges Argument an, dass die präventive Gefahrenabwehr in die Kompetenz der Länder falle, was nicht nur in der Nähe eines Zirkelschlusses steht, sondern auch der Systematik gem. Art. 70 Abs. 1 Halbsatz 2 GG widerspricht, und daher nicht überzeugen kann. 230 Dem liegt das von der ganz herrschenden Meinung vorausgesetzte weite Verständnis von „öffentlicher Fürsorge“ zugrunde, die nicht auf reaktive Maßnahmen, finanziell bedingte
D. Zur formellen Verfassungsma¨ßigkeit des JMStV
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funk im Allgemeinen (i. e. ohne besondere Berücksichtigung des Jugendschutzes) steht entsprechend der Vermutung von Art. 70 Abs. 1 GG die Gesetzgebungskompetenz den Ländern zu, wie vom Bundesverfassungsgericht im so genannten „1. Rundfunkurteil“ ausdrücklich festgestellt wurde231 und wie es auch in der Literatur im Grundsatz allgemein anerkannt ist.232 Die aus diesen beiden Eckpunkten resultierende Frage, wer über die Gesetzgebungskompetenz für den Jugendschutz im Rundfunk (und in den Telemedien233) verfügt, ist umstritten. Während die von einem Teil der Literatur234 vorgebrachten Argumente für eine Kompetenz der Länder (Kompetenz kraft Annex,235 Kompetenz kraft Sachzusammenhang,236 Verweis auf eine einzelne Passage237 aus einer verfassungsgerichtlichen Entscheidung238) einer kritischen Überprüfung durchweg nicht standhalten,239 sprechen die besseren Gründe für eine konkurrierende JugendNotlagen oder die klassische „Armenpflege“ beschränkt ist, sondern auch präventive Mittel bis hin zu Zwangsmaßnahmen gegenüber Dritten (z. B. Pflichtplatzquoten für Schwerbehinderte) umfasst; vgl. z. B. Heintzen in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Band 2, Art. 73 Nr. 7, Rn. 70 m. w. N. 231 BVerfGE 12, 205, 225 ff. 232 Vgl. Hopf, Jugendschutz im Fernsehen, S. 48 mit zahlreichen weiteren Nachweisen in Fn. 182. 233 Die Ausführungen gelten ebenso unmittelbar für Jugendschutz in den Telemedien, soweit es sich dabei um Rundfunk im verfassungsrechtlichen Sinne handelt und im Übrigen entsprechend. 234 In der Rechtsprechung hat dies allein VG Köln, NJW 1987, S. 274, 275 vertreten. – Die in der Literatur gelegentlich (z. B. von Mynarik, Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien, S. 191) zitierten weiteren Fundstellen zur Rechtsprechung sind unzutreffend; z. B. fällt bei BVerfGE 12, 205, 229, BVerfGE 57, 295, 324 f., BVerfGE 92, 203, 238 kein Wort zum Thema Jugendschutz. Besonders irreführend ist die (z. B. auch von Hesse, Rundfunkrecht, 3. Kapitel, Rn. 23, Fn. 28 getätigte) Berufung auf BVerwGE 85, 168, 173, denn genau diese Entscheidung änderte das o. g. Urteil des VG Köln teilweise ab und äußerte zur Frage der Gesetzgebungskompetenz wörtlich: „Unter diesen Umständen bedarf es keines Eingehens auf die vom Verwaltungsgericht erörterten verfassungsrechtlichen Fragen zur Gesetzgebungskompetenz für den Jugendschutz im Fernsehbereich [ . . . ].“ 235 Z. B. Mynarik, Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien, S. 191. 236 So z. B. Dörr / Cole, Jugendschutz in den elektronischen Medien, S. 22; Hesse, Rundfunkrecht, 3. Kapitel, Rn. 23; Schulz, MMR 1998, S. 182, 183, Langenfeld, MMR 2003, S. 303, 305 f.; Gersdorf, Grundzüge des Rundfunkrechts, Rn. 173 a. E. 237 BVerfGE 57, 295, 326: „Namentlich für den Jugendschutz wird in den Rundfunkgesetzen Sorge zu tragen sein.“ 238 Z. B. Reimann ZUM 2002, S. 124; Stettner in: Dreier, GG, Band II, Art. 74, Rn. 46; Hopf, Jugendschutz im Fernsehen, S. 54; Bandehzadeh, Jugendschutz im Rundfunk und in den Telemedien, S. 89, Fn. 299 m. w. N. 239 Eine Kompetenz kraft Annex geht bildhaft nicht in die Breite, sondern in die Tiefe, dient also der Vorbereitung und Durchführung (vgl. z. B. Degenhart in: Sachs, GG, Art. 70, Rn. 34 ff. m. w. N.). – Eine in die Breite gehende Kompetenz kraft Sachzusammenhang liegt nur vor, wenn eine Materie verständigerweise nicht geregelt werden kann, ohne dass zugleich eine nicht zugewiesene Materie mitgeregelt wird, ein Übergreifen also unerlässliche (!) Voraussetzung ist (vgl. z. B. Degenhart in: Sachs, GG, Art. 70, Rn. 38 ff. m. w. N.). – Die
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9. Teil: Verfassungsrechtliche Bewertung
schutz-Kompetenz des Bundes nicht nur im Bereich der Träger-,240 sondern auch aller elektronischer Medien:241 Wenn man mit der nahezu allgemeinen Meinung die generelle Jugendschutzkompetenz des Bundes in einem weiten Verständnis bejaht, ist konsequenterweise zu akzeptieren, dass damit stets in andere Regelungsbereiche übergegriffen wird, weil es gerade die Essenz jugendschutzrechtlicher Regelungen darstellt, Verhaltensweisen, die Bürgern im allgemeinen erlaubt sind, einer abgegrenzten Bevölkerungsgruppe – eben den Minderjährigen – zu verbieten.242 Mit dem „1. Rundfunkurteil“ hat das Bundesverfassungsgericht zwar klargestellt, dass der Bund eine inhaltliche Regelung des Rundfunks nicht auf seine Kompetenz für die Telekommunikation gem. Art. 73 Nr. 7 GG stützen kann.243 Die daraus vielfach geschlussfolgerte Faustregel „Technik durch Bundesgesetz, Inhalt durch Landesgesetz“244 ist in dieser Pauschalität aber nicht richtig, weil dem Bund andere Kompetenzen als jene für die Telekommunikation verbleiben,245 so eben auch jene für den Jugendschutz. Bei der Abgrenzung der JugendschutzKompetenz des Bundes gem. Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG und der Rundfunk-Komzitierte Aussage des Bundesverfassungsgerichts lässt sich in ihrem konkreten Zusammenhang keinesfalls als Entscheidung zugunsten einer Landeskompetenz auslegen, und selbst bei isolierter Betrachtung steht sie nicht weniger in Einklang mit der Annahme einer nicht wahrgenommenen konkurrierenden Kompetenz des Bundes (darauf hat u. a. bereits Liesching, Jugendmedienschutz in Deutschland und Europa, S. 254 aufmerksam gemacht). 240 Die Bundeskompetenz für Jugendschutz im Bereich der Trägermedien ist in der Rechtsprechung anerkannt; inzwischen führt sie dies durchweg auf den Kompetenztitel der öffentlichen Fürsorge gem. Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG zurück, vgl. BVerfGE 31, 113, 117, BVerwGE 19, 94, 96 f. (unter Aufgabe der früheren Rechtsprechung und ausführlicher Ablehnung einer engeren Auslegung der „öffentlichen Fürsorge“), während ältere Entscheidungen noch auf den Kompetenztitel für Wirtschaft gem. Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG (so noch BVerwG, NJW 1958, 1937) oder für Strafrecht gem. Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 Var. 2 GG abstellten (so noch BVerfGE 11, 234, 237; Liesching, Jugendmedienschutz in Deutschland und Europa, S. 250 ff. hält daran trotz der geänderten Rechtsprechung fest). 241 So im Ergebnis auch Bandehzadeh, Jugendschutz im Rundfunk und in den Telemedien, S. 89 m. w. N.; Degenhart in: Sachs, GG, Art. 74, Rn. 33 m. w. N.; Altenhain in: Klumpp, Medien, Ordnung und Innovation, S. 371, 372. 242 Z. B. der Aufenthalt in Gaststätten, der Konsum von Alkohol oder die Lektüre von sexuell stimulierenden Presseerzeugnissen; ähnlich Bandehzadeh, Jugendschutz im Rundfunk und in den Telemedien, S. 90 f. 243 BVerfGE 12, 205, 225 ff.; Degenhart in: Sachs, GG, Art. 73, Rn. 35 umschreibt treffend, dass Rundfunk begriffsnotwendig stets Telekommunikation beinhaltet, aber von der früheren Fernmelde-Kompetenz nur die technische und nicht die programminhaltliche Seite erfasst ist. 244 So ausdrücklich Engel-Felchsig in: Bartsch / Lutterbeck, Neues Recht für neue Medien, S. 61, 65 m. w. N. Zustimmend Bosch, Regulierte Selbstregulierung im JugendmedienschutzStaatsvertrag, S. 29, Fn. 20. 245 Beispielsweise für Urheberrecht gem. Art. 73 Nr. 9 GG oder für Strafrecht gem. Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 Var. 2 GG – aufgrund dieser Kompetenztitel darf der Bund z. B. eine mögliche Verletzung geistigen Eigentums auch dann regeln, wenn diese mittels einer Fernsehübertragung erfolgt oder er darf Beleidigungen auch dann pönalisieren, wenn diese im Hörfunk übertragen werden.
D. Zur formellen Verfassungsma¨ßigkeit des JMStV
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petenz der Länder gem. Art. 70 Abs. 1 GG ist letztendlich die überwiegende Spezialität entscheidend.246 Hierbei überzeugt es, auf den potentiell rezipierenden Jugendlichen abzustellen247 und nicht als auf das – weitgehend austauschbare248 – Medium,249 mittels dessen eine Gefährdung potentiell kommuniziert wird, denn Jugendmedienschutz dient dem Schutz der Jugend und nicht den Medien. Aktuell muss dieser Streit für eine Bewertung des JMStV freilich nicht entschieden werden: Der Bund hat entsprechend einer Absprache mit den Ländern250 tatsächlich keine Normen zum Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien (mehr251) erlassen.252 Eine derartige Vereinbarung kann selbstverständlich nicht die verfas246 Grundlegend Maunz in: Maunz / Dürig, GG, Art. 74, Rn. 10 ff. Vgl. zum JMStV z. B. Bandehzadeh, Jugendschutz im Rundfunk und in den Telemedien, S. 87 sowie Retzke, Präventiver Jugendmedienschutz, S. 99. 247 So z. B. auch Bandehzadeh, Jugendschutz im Rundfunk und in den Telemedien, S. 90 f. 248 In der Frühzeit des Rundfunks mag die Technik drahtloser Übertragung von Sprechfunk und Bewegtbildern für Juristen so überwältigend gewesen sein, dass sie die überwiegende Spezialität in dieser Materie verorten wollten, dies erscheint im 21. Jahrhundert aber nicht mehr vertretbar: Wenn z. B. ein Theaterstück über pornographische Inhalte verfügt, kann es einen Jugendlichen in seiner Entwicklung beeinträchtigen, ganz gleich, ob er die Aufführung vor Ort, eine Aufzeichnung im Fernsehen oder einen Mitschnitt im Internet sieht; wenn ein Text verrohende Gewalttätigkeiten beinhaltet, so ist dieser Jugendlichen vorzuenthalten, ganz gleich, ob der Inhalt in gedruckter Form, im Hörfunk, als Hörbuch-CD oder als „Podcast“-Datei per E-Mail verbreitet wird. Mit anderen Worten: Die zunehmende Konvergenz der Medien ist nicht konstitutiv für die verfassungsmäßige Kompetenzverteilung, sie verdeutlicht aber in immer größerem Maße den Regelungsschwerpunkt des Jugendmedienschutzes. 249 So aber z. B. Weides, NJW 1987, S. 224, 231. 250 Eckwertevereinbarung zwischen Bund und Ländern vom 08. 03. 2002 zur Neugestaltung des Jugendmedienschutzes, BT-Drucks. 14 / 9013, S. 27 ff.: „Die Ministerpräsidenten der Länder und die Bundesregierung stimmen darin überein, dass eine Reform der Medienordnung nur in enger Abstimmung zwischen Bund und Ländern möglich ist. Im Bereich des Jugendschutzes ist insbesondere zu vereinbaren, durch welchen Kompetenzträger eine Neuregelung erfolgen soll. [ . . . ] Da die Regulierung der Medieninhalte bei den elektronischen Medien überwiegend in die Kompetenz der Länder fällt, liegt es nahe, auch den Jugendschutz in diesem Bereich durch die Länder regeln zu lassen. Vor diesem Hintergrund haben sich die Regierungschefs der Länder und der Bundeskanzler darauf geeinigt, dass [ . . . ] der Bund die gesetzgeberischen Voraussetzungen für eine umfassende Länderregelung schafft [ . . . ]“; zur rechtspolitischen Bewertung der Eckwertevereinbarung siehe Seite 376 ff. 251 Namentlich im Rahmen von § 3 Abs. 1 Nr. 4 des Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften und Medieninhalte (GjSM) a. F. beanspruchte der Bund früher eine Kompetenz zur Regelung eines Teils der elektronischen Medien. 252 Die Frage der Erforderlichkeit gem. Art. 72 Abs. 2 GG muss daher im Bereich des JMStV aktuell nicht entschieden werden. Theoretisch ist sie außerordentlich umstritten. Eine Erforderlichkeit bejahen Liesching, Jugendmedienschutz in Deutschland und Europa, S. 259 ff., Retzke, Präventiver Jugendmedienschutz, Seite 109. Verneinend dagegen Hopf, Jugendschutz im Fernsehen, S. 54 f., die allerdings die Frage einer Kompetenz der Länder nach Art. 70 GG und die Frage der Erforderlichkeit gem. Art. 72 Abs. 2 GG bei Annahme einer konkurrierenden Zuständigkeit des Bundes nicht hinreichend deutlich trennt. Ausführlich zu
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9. Teil: Verfassungsrechtliche Bewertung
sungsmäßige Kompetenzverteilung modifizieren.253 Die Wahrnehmung durch die Länder ist aber formell jedenfalls verfassungsgemäß, ganz gleich, ob man eine alleinige Landes- oder eine nicht wahrgenommene Bundeskompetenz annimmt.
der Frage, ob ein medienübergreifendes Bundesgesetz zum Jugendschutz mit Art. 72 Abs. 2 GG vereinbar wäre, Faber, Jugendschutz im Internet, S. 111 ff. Ausführlich zur Erforderlichkeit einer bundesgesetzlichen Regelung gem. Art. 72 Abs. 2 GG für den Jugendschutz im Allgemeinen Taubert, Bundeskompetenz für Jugendschutz, S. 122 ff. Vgl. schließlich auch Bandehzadeh, Jugendschutz im Rundfunk und in den Telemedien, S. 98 ff., die sich intensiv der Frage widmet, ob die Erforderlichkeit gem. Art. 72 Abs. 2 GG durch eine Selbstkoordination der Länder entfallen kann. 253 Insoweit zumindest missverständlich Langenfeld, MMR 2003, S. 303, 306; Hopf, Jugendschutz im Fernsehen, S. 55 ff.
Zehnter Teil
Rechtspolitische Bewertung In bewusster Abgrenzung von der bisherigen, im Grunde rein rechtlichen Untersuchung wird diese durch eine rechtspolitische Perspektive abgerundet (dazu A.). Der Realbefund im Bereich des Jugendmedienschutzes zeugt zwar von vielfältigen Problemen, diese haben ihre Ursache jedoch nicht im Beurteilungsspielraum zugunsten der anerkannten EFS, sondern in Schwierigkeiten tatsächlicher Art sowie in vorgelagerten rechtlichen Eckpunkten; vielmehr leisten regulierte Selbstregulierung und der Beurteilungsspielraum zugunsten Privater einen Beitrag zur Linderung der real bestehenden Probleme (dazu B.). Daher ist eine Übertragung des Verfahrens auf weitere Referenzgebiete möglich und – unter Erfüllung einiger Voraussetzungen – empfehlenswert (dazu C.) entsprechendes gilt für Geeignetheit des Beurteilungsspielraums zugunsten Privater als ein Instrument regulierter Selbstregulierung (dazu D.).
A. Hinführung und Abgrenzung I. Referenzgebiet und Rechtsfigur in der Bewertung Eine gleichsam verallgemeinerungsfähige rechtspolitische Bewertung der neuen Rechtsfigur des Beurteilungsspielraums zugunsten Privater einerseits lässt sich nur schwer von der rechtspolitischen Bewertung seines bislang einzigen Referenzgebiets andererseits trennen – deshalb erfolgen die rechtspolitischen Ausführungen gemeinsam im letzten Teil dieser Arbeit. Kaum schwerer zu trennen sind die zahlreichen Faktoren, die auf das Verfahren zur jugendschutzrechtlichen Überwachung privater elektronischer Medien einwirken – trotzdem ist hier der Anspruch zu verfolgen, durch die Abschichtung der einzelnen Faktoren auch den Weg zu einer abstrahierten Bewertung der neuen Rechtsfigur zu ebnen. Bei neuen Entwicklungen des Verwaltungsrechts kommt der Arbeit mit Referenzgebieten und dem damit verbundenen dialektischen Prozess aus Deduktion und Induktion generell besondere Bedeutung zu1 – erst recht, wenn es sich um das erste und bislang einzige Referenzgebiet einer neuen Rechtsfigur handelt. 1 Voßkuhle in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band I, § 1, Rn. 43 f.
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10. Teil: Rechtspolitische Bewertung
II. Relevanz der rechtspolitischen Bewertung und die Evaluation des JMStV Nicht zuletzt aufgrund des Betretens juristischen Neulands sollte der JMStV einer mehrstufigen2 Evaluation unterzogen werden, wie es bereits in der Entwurfsphase des JMStV vereinbart wurde.3 Kern dessen ist die Gesamtevaluation von JMStV der Länder und Jugendschutzgesetz des Bundes, die ursprünglich fünf Jahre nach Inkrafttreten des JMStV, also für das Jahr 2008 vorgesehen war.4 Aufgrund zunehmenden politischen Drucks nach der Bildung einer neuen Bundesregierung5 wurde unter Federführung des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend die wissenschaftliche Evaluation, mit der das HansBredow-Institut unter der Leitung von Schulz beauftragt wurde,6 vorgezogen und bereits im Jahr 2007 veröffentlicht.7 Von dieser gutachterlich vorbereitenden wissenschaftlichen Evaluation ist jedoch die „eigentliche“, (rechts-)politische Evaluation des JMStV zu unterscheiden;8 sie obliegt den Ländern, federführend sind dabei regelmäßig die jeweiligen Staatskanzleien. Aufgrund der komplexen und aufwendigen Abstimmungsprozesse zwischen den Ländern ist mit konkreten Änderungen aufgrund der gutachterlichen wissenschaftlichen Evaluation erst wesentlich später zu rechnen.9 Im Zentrum der Bewertung des Jugendmedienschutzes steht zunächst der schwierige Ausgleich der Freiheitsrechte von Anbietern und Empfängern einerseits 2 Wie in § 20 Abs. 7 JMStV ausdrücklich normiert, sollten die Länder bereits drei Jahre nach Inkrafttreten des JMStV speziell die Bestimmungen gem. § 20 Abs. 3, 5 JMStV, also die Einbindung privater Einrichtungen sowie das Regelungsinstrument des Beurteilungsspielraums überprüfen. Damit war gem. § 26 Abs. 1 Satz 4 JMStV ein Sonderkündigungsrecht für die Staatsvertrags-Parteien verbunden, das ebenfalls nur für § 20 Abs. 3, 5 JMStV Geltung besaß. Dieses Sonderkündigungsrecht lief Ende 2006 aus, so dass nun keine Besonderheiten mehr bestehen. 3 Eckwertevereinbarung zwischen Bund und Ländern vom 08. 03. 2002 zur Neugestaltung des Jugendmedienschutzes, BT-Drucks. 14 / 9013, S. 27 ff. Näher hierzu Mynarik, Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien, S. 157. 4 Protokollerklärung der Länder, u. a. BayLT-Drucks. 14 / 10246, S. 12; wiedergegeben auch bei Hartstein / Ring / Kreile / Dörr / Stettner, Rundfunkstaatsvertrag, Band III, C 1.2.1. 5 Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD vom 11. 11. 2005, S. 51, abrufbar unter http: //www.cdu.de/doc/pdf/05_11_11_Koalitionsvertrag_Navigierbar.pdf (Stand: 25. 11. 2005). Daraufhin wurde die Evaluation von Bund und Ländern für den Zeitraum „2007 / 2008“ angesetzt, vgl. Beck, RdJB 2006, S. 280, 283. Auch die Jugendministerkonferenz wollte die Evaluation zur Grundlage weiterer Veränderungen machen, vgl. TOP 14b, Unterpunkt 1 des Beschluss der Jugendministerkonferenz am 18. / 19. 05. 2006 in Hamburg, abrufbar unter http: //www.agj.de/pdf/5 – 5/hh_jmk_top-14.pdf (Stand: 20. 11. 2006). 6 Dazu Lilienthal, epd medien 2007, Nr. 24, S. 2, 2. 7 Abrufbar unter http: //www.hans-bredow-institut.de/presse/070628Endbericht.pdf (Stand: 30. 04. 2008). 8 Vgl. Schulz et al, Analyse des Jugendmedienschutzsystems, S. 7. 9 So Klaus-Peter Potthast, Leiter der Mediengruppe in der Bayerischen Staatskanzlei, am 08. 11. 2007 in einem Wortbeitrag bei den Medientagen München.
A. Hinfu¨hrung und Abgrenzung
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mit dem Gemeinwohlziel des Schutzes der Jugend vor gefährlichen Inhalten andererseits. Dieser Ausgleich ist seiner Natur nach eine Aufgabe des materiellen Rechts. Ob es beispielsweise gerechtfertigt ist, Erwachsenen pornografische Angebote vorzuenthalten, um den Konsum durch Minderjährige unwahrscheinlicher werden zu lassen, hat das materielle Recht zu entscheiden. Und ob nach diesen Regeln ein Angebot im konkreten Einzelfall zulässig oder unzulässig ist, gilt prinzipiell unabhängig davon, welche Institution oder Person zur Subsumtion berufen ist. Weil das materielle Recht des Jugendmedienschutzes aber typischerweise denkbar unbestimmt formuliert ist,10 erhält die Frage, wer diese Regeln auf welche Weise anwendet, auf mittelbarem Wege doch besonderes Gewicht, und diese Frage beantwortet sich nach dem Verfahrensrecht. Insofern wird durch die Unbestimmtheit der normierten Tatbestände das Wissensproblem in der Operationalisierung an die situative Normkonkretisierung im Einzelfall „durchgereicht“. 11 Mit den Worten Hoffmann-Riems: „Je weniger Ergebnisse durch den Gesetzgeber inhaltlich vorgegeben werden und je mehr sie erst im Rechtsanwendungsprozess gefunden werden können, umso wichtiger ist der Weg, auf dem sie erarbeitet werden – also die „Herstellung“ der Entscheidung.“12 Doch trotz des daraus resultierenden Gewichts des Verfahrens ist dessen rechtspolitische Bewertung sorgsam zu trennen von den Entscheidungen, die der Gesetzgeber durch das materielle Recht getroffen hat und die den Verfahrensfragen vorgelagert sind. Und dazu gehört auch die Entscheidung, dass die materiellen Bestimmungen relativ unbestimmt und ausfüllungsbedürftig sind.
III. Relativierung der rechtswissenschaftlichen Perspektive Eine rechtspolitische Bewertung des Verfahrens bemisst sich im Ausgangspunkt danach, ob die zu untersuchende Normierung erfolgreich war und ob sie für die Zukunft Erfolg verspricht. Doch wie können „Erfolge“ im Jugendmedienschutz gemessen werden?13 Eine theoretisch denkbare Messgröße wäre beispielsweise die Zahl der als jugendgefährdend eingestuften Angebote geteilt durch die Anzahl der publizierten Angebote in der gleichen Zeitperiode; diese Messzahl müsste vor und nach der Gesetzesänderung ermittelt und verglichen werden.14 Jedoch könnte innerhalb der gewonnenen Zahlen der neuen Periode nicht hinsichtlich einer gleichzeiVgl. insbesondere § 5 Abs. 1 JMStV („entwicklungsbeeinträchtigend“). Eifert in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band I, § 19, Rn. 80. 12 Hoffmann-Riem, ZRP 2007, S. 101, 102. 13 Instruktiv Schulz et al, Computerspiele, S. 7. Weitere Ausführungen bei Schulz et al, Analyse des Jugendmedienschutzsystems, S. 10, wo aber auch betont wird, dass sich eine allgemein anerkannte Methodik der Normwirkung bislang noch nicht herausgebildet hat. 14 Schulz et al, Analyse des Jugendmedienschutzsystems, S. 201 stellen aber fest, dass vor der Reform des Jugendschutzrechts gerade keine „Null-Erhebung“ durchgeführt wurde. 10 11
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10. Teil: Rechtspolitische Bewertung
tig vorgenommenen Änderung des materiellen Rechts differenziert werden, ebenso wenig hinsichtlich eines veränderten Verhaltens der Anbieter je nach der näheren Ausgestaltung der ersten Eingriffe.15 Schon diese beispielhafte Überlegung zeigt, wie schwierig es ist, Erfolg und Erfolgsindikatoren zu bestimmen. Dies würde noch mehr gelten, wenn noch (lebensnähere und daher) komplexere Messgrößen wie „Zufriedenheit der Erziehungsberechtigten“ oder gar „sittliche Entwicklung der Jugend“ herangezogen würden. Vor allem aber muss eine rechtswissenschaftliche Untersuchung in dem Bewusstsein erfolgen, dass die Frage des Erfolgs vor allem von außerrechtlichen Bewertungen abhängt. Ob namentlich Entwicklungsbeeinträchtigungen tatsächlich vermieden werden, bestimmt sich primär nach pädagogischen, psychologischen und womöglich sozialwissenschaftlichen16 Maßstäben. Ob die Freiheitsinteressen von Anbietern und Konsumenten einerseits mit dem Anliegen des Jugendschutzes andererseits im angemessenen Verhältnis stehen, ist wiederum eine primär politische Entscheidung.17 Insofern muss auch eine rechtspolitische Bewertung im Bewusstsein erfolgen, dass mit den Methoden der Rechtswissenschaft nur eine begrenzte Aussagekraft erreicht werden kann; insofern kann auch dieser Teil der Arbeit sich nicht völlig den Einschränkungen entziehen, wie sie bereits hinsichtlich der verwaltungsrechtlichen Integration des Modells der regulierten Selbstregulierung getroffen wurden.18 Schließlich ist auch eine Relativierung in umgekehrter Richtung vorzunehmen. Es ist festzustellen, dass die rechtswissenschaftliche Bewertung eines Systems keine zwingenden Rückschlüsse auf seine Funktionalität im Übrigen zulässt, wie namentlich das Beispiel der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) demonstriert. Zwar lassen die Erfahrungen aus dem Bereich der Kinofilme im Einzelnen nur wenige Rückschlüsse auf elektronische Medien zu, weil im überschaubaren Bereich des Kinos die Einhaltung materieller Vorschriften viel einfacher zu kontrollieren ist.19 Konstatiert werden kann aber jedenfalls, dass das Modell der FSK in juristischer Hinsicht weitgehend ungeklärt ist.20 Im Konfliktfall 15 Das gewählte Beispiel ist eine Variation des von Schulz et al, Co-Regulierungsmaßnahmen im Medienbereich, S. 123 gebildeten Szenarios. 16 Instruktiv zum Jugendmedienschutz aus sozialwissenschaftlicher Perspektive Schulz et al, Analyse des Jugendmedienschutzsystems, S. 231 ff. 17 Vgl. auch Schulz et al, Computerspiele, S. 8: „Bei den bestehenden Unsicherheiten handelt es sich nicht (nur) um Forschungslücken. Für viele der nachvollziehbaren Fragen zur Wirkung gibt es keine generelle wissenschaftliche Antwort, so dass es an der Politik ist, im Rahmen der verfassungsrechtlichen Grenzen zu entscheiden.“ 18 Siehe Seite 55 ff. 19 Darüber hinaus muss darauf aufmerksam gemacht werden, dass Rundfunk und Telemedien im Gegensatz zum Kino einen grundsätzlich unbeobachteten Zugang zu „verbotenen“ Inhalten ermöglichen, so dass der Staat in größerem Maße gefordert sein kann. So sind beispielsweise aus nahe liegenden praktischen Gründen die Gefahren von unterschiedlicher Qualität, wie sie einerseits entstehen, wenn sich Minderjährige einen Film mit sexuell stimulierenden Inhalten in Abgeschiedenheit ansehen, oder andererseits, wenn dies in einem öffentlichen Lichtspielhaus geschieht.
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wäre es sehr problematisch, welches Handeln der verschiedenen Akteure rechtlich wie einzuordnen wäre und wer mit welchen Befugnissen handeln durfte. Allein: In der Rechtswirklichkeit gibt es einen solchen Konfliktfall nicht. In mehr als einem halben Jahrhundert ist es nicht zu einem einzigen gerichtlichen Verfahren gekommen. Es herrscht erstaunliche Einmütigkeit zwischen Staat, Anbietern, Verbänden und (im Wesentlichen) auch der Bevölkerung. Das System muss daher wohl – unabhängig von der, wie angedeutet, schwierigen Wahl von Messgrößen21 – als erfolgreich eingestuft werden. Dieser Fall zeigt deutlich: Juristen mögen den „Wildwuchs an dogmatisch nicht domestizierten und ohne erkennbaren Systemwillen errichteten“ Organisationen kritisieren, der nach ihrer Auffassung zur „Ausbildung apokrypher Rechtseinheiten“ führt.22 Doch der Grad juristischer Stringenz eines Systems hat offenbar keine zwingenden Auswirkungen auf dessen Funktionalität.
B. Rechtspolitische Bewertung des Verfahrens des JMStV I. Realbefund der Rahmenbedingungen unter besonderer Berücksichtigung des Internets Der Jugendmedienschutz steht unter Einwirkung unübersichtlich vieler tatsächlicher Umstände unterschiedlichster Art. Daher kann eine Darstellung dieser Rahmenbedingungen nur eine beispielhafte Auswahl wichtiger Perspektiven beinhalten. Die Schilderung der tatsächlichen Umstände soll dabei einheitlich für Rundfunk und Telemedien erfolgen. Vorab sollen aber wenigstens die wichtigsten Besonderheiten der Telemedien gegenüber dem historisch älteren Rundfunk Erwähnung finden. Angebote in den Telemedien sind von höherer Persistenz, höherer Internationalität sowie – da für den Anbieter keine Zulassung erforderlich ist – von schwierigerer Verantwortungsidentifizierung gekennzeichnet.23 In potenzierter Form deutlich werden die Probleme der technischen Wirklichkeit im Bereich des bedeutendsten Telemediums unserer Zeit, dem Internet. Das Internet entstand aus militärischen und wissenschaftlichen Kontexten heraus, dementsprechend spielte der Jugendschutz dabei keine Rolle, sondern ausDies gilt auch nach der Einführung von § 14 Abs. 6 JuSchG, näher siehe Seite 104 f. Schulz et al, Co-Regulierungsmaßnahmen im Medienbereich, S. 141 machen allerdings darauf aufmerksam, dass wohl nicht geklärt ist, wie groß die Anzahl an Zuschauern ist, die altersinadäquate Filme im Kino sehen. 22 So die pointierte Umschreibung von Dreier in: Dreier, GG, Band II, Art. 20 (Demokratie), Rn. 141. 23 Anschaulich Mynarik, Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien, S. 184 unter Aufzählung weiterer Unterschiede zwischen Rundfunk und Telemedien. 20 21
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schließlich die Funktionalität des Netzes.24 So konnte es dazu kommen, dass das Internet Eigenschaften aufweist, die es zu einem grundsätzlich regulierungsaversem Medium25 und zu einer schwer überwindbaren Hürde für die Anpassung des Rechts an die Technik macht, insbesondere schnelle Entwicklung, Anonymität und weltweiter Aktionsradius.26 Grundsätzlich wird jede neue Technik auch neues Recht hervorbringen.27 Die Fortbildung des Rechts hält jedoch nicht immer mit der technischen Entwicklung Schritt.28 Beispielsweise könnte das klassische Regelungsinstrument im Bereich des Rundfunks, die Sendezeitbeschränkung,29 nur bei besonderer technischer Berücksichtigung des Empfängerlandes ihre Wirkung auch im Internet entfalten, weil immer irgendwo auf der Welt Tag oder Nacht ist.30 Auffallend ist auch die massiv gestiegene Anzahl medialer Angebote. Zwar ist durch die Digitalisierung auch die Vielfalt vergleichsweise „klassischer“ Verbreitungswege kaum noch zu überschauen. Exponentiell stärker ist dies aber im Internet der Fall. Nach Schätzungen existierten schon im Jahre 2003 weltweit Websites im zehnstelligen Bereich, die sich darüber hinaus halbjährlich verdoppeln und in über 80% der Fälle (!) jugendschutzrelevante Inhalte aufweisen.31 Schließlich führt eine sich schnell entwickelnde Technik auch zu einer schnellen Veränderung damit verbundener Geschäftsmodelle, die in der Folge auf nicht (bzw. nicht mehr) passende rechtliche Rahmenbedingungen treffen können.32 Dabei sind insbesondere diejenigen betroffen, die für sich genommen rechtmäßige Angebote verbreiten, die aber von Dritten zu rechtswidrigem Verhalten genutzt werden. Zum einen sind dies Plattformen, die den Austausch von Dateien ermöglichen, wie zum Beispiel der besonders bekannte Dienst „YouTube“, der einen allseitigen Austausch von Film-Dateien ermöglicht. Gefahren können aber auch auf subtilerem Wege auftauchen, wie beispielsweise bei so genannte Chat-Foren deutlich wird:33 Fülling, JurPC Web-Dokument 45 / 2006, Abs. 35. Spoerr / Sellmann, K&R 2004, S. 367, 368. 26 Fülling, JurPC Web-Dokument 45 / 2006, Abs. 35. – Insbesondere zum Problem der Anonymität im Internet Pooth, Jugendschutz im Internet, S. 118 ff. Insbesondere zum Problem der internationalen Ausweichmöglichkeiten Pooth, Jugendschutz im Internet, S. 123 ff. 27 Fülling, JurPC Web-Dokument 45 / 2006, Abs. 35. 28 Fechner, JZ 2003, S. 224, 224. 29 Zur Wirksamkeit materiell-rechtlicher Regelungen zu Sendezeitbeschränkungen im Fernsehen Hopf, Jugendschutz im Fernsehen, S. 107 ff. 30 Stettner, ZUM 2003, S. 425, 431. 31 Stettner, ZUM 2003, S. 425, 426. 32 Lober, K&R 2005, S. 65, 69 liefert ein besonders anschauliches Beispiel aus dem Bereich der Trägermedien: Der Verleih von herkömmlichen Video-Kassetten war in Ladengeschäften, aber nicht im Wege des Postversandes üblich (offensichtlich wegen der zu hohen Versandgebühren). Der Versand von DVD’s ist hingegen deutlich günstiger, so dass es inzwischen Filmverleiher gibt, die DVD’s per Post an Kunden versenden und diese die gesehenen Filme auf gleichem Wege zurückschicken. Dieses Geschäftsmodell und die damit verbundenen jugendschutzrechtlichen Probleme hat der Gesetzgeber des JuSchG schlichtweg zu regeln übersehen. 24 25
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Dabei besuchen mehrere Personen gleichzeitig ein Angebot im Internet und tauschen sich aus, indem jeder von ihnen Textbeiträge einstellt, die für andere Benutzer sichtbar werden. Diese Angebote bergen Gefahren,34 insbesondere durch Erwachsene, die sich als Kinder ausgeben; diese können Minderjährige in intime Dialoge verwickeln oder sich mit ihnen sogar zu einem persönlichen Treffen verabreden, was die Gefahr von pädophilien Übergriffen verstärkt.
II. Zur bisherigen Praxis 1. Praxis der KJM a) Zum Problem der übermäßigen Verfahrensdauer Schon früh wurde prognostiziert, dass die realen Personen, die die vorgesehenen Positionen des JMStV ausfüllen, die Entwicklung dieses Rechtsgebietes entscheidend beeinflussen werden,35 daher ist die bisherige Praxis für die rechtspolitische Bewertung von besonderem Interesse. Hinsichtlich der KJM hat bereits Mynarik ausführlich die „eher trägen“ Entscheidungsprozesse der KJM kritisiert, die auf Effizienzmängel hindeuteten und sich beispielsweise im Verfahren der Anerkennung der FSM gezeigt haben.36 Auch wird beklagt, dass die KJM oft erst Monate, manchmal erst ein Jahr nach der Verbreitung eines Angebots das Verfahren aufnehme, das seinerseits meistens mehrere Monate dauere.37 Dieser Befund38 lässt sich durch zwei weitere Beispiele illustrieren. Im Oktober 2006 wurde der Fernsehsender „MTV2Pop“ von der zuständigen Landesmedienanstalt nach entsprechendem Beschluss der KJM für die Ausstrahlung einer jugendschutzrechtlich unzulässigen Werbung für Klingeltöne gerügt.39 Dies konnte jedoch nur noch bedingt Wirkung entfalten, weil der Sender als solcher bereits seit September 2005 (!) nicht mehr existierte, sondern durch den Kindersender (!) „Nick“ ersetzt wurde.40 Doch nicht Dazu Günter / Schindler, RdJB 2006, S. 341, 350. Nach Auffassung der KJM kann diesen Gefahren „nur“ (!) gemeinsam mit Selbstkontrolle und Anbietern begegnet werden, vgl. Zweiter Bericht der KJM vom August 2007, S. 55, abrufbar unter http: //www.kjm-online.de/public/kjm/downloads/KJM_Bericht%20und%20 Umschlag.pdf (Stand: 19. 09. 2007). 35 Rossen-Stadtfeld, AfP 2004, S. 1, 8. 36 Mynarik, Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien, S. 266. Übereinstimmend Halves, Neuordnung des Jugendmedienschutzes, S. 193. Ähnlich, vor allem auf die mangelnde Kommunikation abstellend, Schulz et al, Co-Regulierungsmaßnahmen im Medienbereich, S. 144. 37 So der Jahresbericht 2005 der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen e.V. (FSF), S. 33, abrufbar unter http: //www.fsf.de/fsf2/ueber_uns/bild/download/FSF_Jahresbericht2005.pdf (Stand: 17. 10. 2006). 38 Ähnlich Schulz et al, Analyse des Jugendmedienschutzsystems, S. 159. 39 Pressemitteilung der Hamburgischen Anstalt für neue Medien vom 10. 10. 2006, abrufbar unter http: / / www.ham-online.de / details.php?id=112 (Stand: 16. 11. 2006). 33 34
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nur bei Einzelfällen, auch in übergreifenden Fragen scheint die KJM gelegentlich der Realität sprichwörtlich „hinterherzuhinken“. So äußerte der Vorsitzende der KJM noch im Oktober 2006, er habe bis dahin nicht darüber nachgedacht, wie von Seiten der KJM mit Internet-Plattformen, die auf von Benutzern eingestellten Film-Dateien basierten, umgegangen werde.41 Wie bedeutend dieses Phänomen zu jenem Zeitpunkt aber bereits war, zeigt sich darin, dass das Unternehmen „Google“ kurz zuvor die wohl bedeutendste Plattform „YouTube“ zum Preis von 1,65 Milliarden US-Dollar (!) gekauft hatte.42 (In jüngerer Zeit scheint die KJM das Problem zwar aufgegriffen zu haben, jedoch ohne dass ein über Einzelfälle hinausgehendes Konzept zur weiteren Vorgehensweise erkennbar wäre.43) Abschließend muss die Bewertung der Arbeitsgeschwindigkeit der KJM trotzdem zu ihren Gunsten relativiert werden. Denn es ist denkbar schwierig zu unterscheiden, welche der erkannten Mängel aus unumstößlichen Sachgegebenheiten,44 welche aus zwingenden allgemeinen Grundsätzen des rechtsstaatlichen Verfahrens,45 welche unmittelbar aus den gesetzlichen Bestimmungen46 und welche aus der individuellen Schlechterfüllung der realen Akteure herrühren.
b) Zum Problem mangelnder Transparenz Die KJM sieht es als ihre Aufgabe an, Transparenz zu schaffen.47 Jedoch wurde zu Recht kritisiert, dass sie in Wahrheit Transparenz gerade vermissen lässt,48 ins40 Vgl. als Beispiel für die teils hämische Berichterstattung über diesen Vorfall http: // dwdl.de/article/news_8045,00.html (Stand: 16. 11. 2006). 41 Wolf-Dieter Ring, Vorsitzender der KJM, in einem Wortbeitrag bei den Münchner Medientagen am 18. 10. 2006. 42 Vgl. dazu z. B. den Bericht von Schmitz, epd medien 2006, Nr. 81, S. 19, passim. 43 Diesen Eindruck vermittelt zumindest der Zweite Bericht der KJM vom August 2007, S. 42 f., abrufbar unter http: //www.kjm-online.de/public/kjm/downloads/KJM_Bericht%20 und%20Umschlag.pdf (Stand: 19. 09. 2007). – Ausführlich Stellung nehmen dagegen Schulz et al, Analyse des Jugendmedienschutzsystems, S. 225 f. 44 Vgl. Schulz et al, Computerspiele, S. 167: „Rechtliche Maßnahmen des Jugendmedienschutzes werden immer langsamer sein als die Marketingaktivitäten der Industrie . . .“. 45 Neben der hohen Anzahl von Fällen stellt der Vorsitzende der KJM Wolf-Dieter Ring in einem Wortbeitrag an den Medientagen München am 08. 11. 2007 insbesondere darauf ab und nennt als Beispiel die Anhörung der Betroffenen. 46 Vgl. Zweiter Bericht der KJM vom August 2007, S. 7 f., abrufbar unter http: //www. kjm-online.de/public/kjm/downloads/KJM_Bericht%20und%20Umschlag.pdf (Stand: 19. 09. 2007). – Die von Schulz et al, Analyse des Jugendmedienschutzsystems, S. 159 ff. aufgeführten Schwierigkeiten geben einen guten Überblick über die vielfach vorhandenen entsprechenden Hürden. 47 Wolf-Dieter Ring, Vorsitzender der KJM, auf der 94. Tagung des Studienkreises für Presserecht und Pressefreiheit am 31.10. und 01. 11. 2003 in Fulda, nachgewiesen bei Wallraf, AfP 2004, S. 42, 43.
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besondere, weil sie während der ersten Jahre ihres Bestehens keine allgemeinen Berichte über ihre Tätigkeit veröffentlichte.49 Die rege Verbreitung von inhaltlich selektiven und durch Vorwertungen geprägten Pressemitteilungen50 kann hierfür keinen Ersatz darstellen.51 Auch die Verheimlichung der Begründungen von Entscheidungen und der dabei und bei anderen Anlässen anzufindende Hinweis auf die angebliche Geheimhaltungsbedürftigkeit von Verwaltungsinterna52 deutet in die gleiche Richtung. Wenigstens ist es begrüßenswert, dass die KJM inzwischen von ihrer früheren Politik abgewichen ist und (zumindest) ihren zweiten Bericht veröffentlicht hat.53 cc) Zum Problem des überspannten Selbstverständnisses Die soeben erwähnte, von der KJM zeitweise praktizierte „Politik der Pressemitteilungen“ ist nicht nur Ausdruck mangelnder Transparenz, sondern auch Ausdruck eines überspannten Selbstverständnisses. Ein frühes Beispiel bot bereits die Anerkennung der FSF als erste EFS im Sinne des JMStV. Die KJM verlautbarte diesen Verwaltungsakt bereits am 18. Juni 2003 mit einer Pressemitteilung – die Adressatin des Bescheids erhielt ihn aber erst über zwei Monate später am 28. August 2003.54 Wohl deutlichstes Beispiel aber waren die späteren Pressemitteilungen über den „Grundsatzbeschluss“ zu „Schönheitsoperationen zu Unterhaltungszwecken“.55 Der „Grundsatzbeschluss“ generierte sich offiziös und suggerierte eine Verbindlichkeit, die weder mit dem einfachen Recht noch mit verfassungsrechtlichen Grundsätzen vereinbar ist.56 Die in diesem Zusammenhang verbreitete Behauptung, die betroffene EFS habe die Prüfung einer Entwicklungsbeeinträchtigung versäumt, war „evident falsch“, wie das Verwaltungsgericht Berlin ausdrücklich betonte.57 Doch als einzige Reaktion auf die Verurteilung zum Widerruf der 48 Ähnlicher Befund bei Schulz et al, Analyse des Jugendmedienschutzsystems, S. 158 f. und besonders deutlich auf S. 183: „Ein übergreifendes Problem stellt es dar, dass die KJMVerfahren für viele Beteiligte am System als „black box“ erscheinen.“ 49 Sehr kritisch bereits Mynarik, Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien, S. 267, die darauf hinweist, dass damals lediglich die Landesmedienanstalten für ihren jeweiligen Zuständigkeitsbereich veröffentlichen. 50 Vgl. die Zusammenstellung von Pressemitteilungen der KJM, abrufbar unter http: // www.kjm-online.de/public/kjm/index.php?show_1=59,53 (Stand: 10. 01. 2007). 51 Ähnlich Mynarik, Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien, S. 267. 52 Siehe Seite 274 ff. 53 Abrufbar unter http: //www.kjm-online.de/public/kjm/downloads/KJM_Bericht%20und %20Umschlag.pdf (Stand: 31. 10. 2007). 54 Liesching, Jugend Medien Schutz-Report 2005, Heft 6, S. 2, 3. 55 Zum Ganzen bereits siehe Seite 242 ff. und Seite 281 ff. 56 So deutlich und überzeugend Liesching, ZUM 2006, S. 785, 785. 57 VG Berlin, Urteil vom 06. 07. 2006, Az. 27 A 236.04, juris Rn. 46 (nicht rechtskräftig, anhängig beim OVG Berlin-Brandenburg, Az. OVG 8 N 85.06).
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Äußerung58 veröffentlichte die KJM eine Pressemitteilung mit der Überschrift „KJM äußert sich weiterhin zu Grundsatzfragen des Jugendschutzes“.59 Natürlich war der KJM nicht verboten, so zu handeln, doch der Stil dieses Verhaltens verdeutlicht das Selbstverständnis der Akteure.60 Die KJM gab in diesem Zusammenhang an, aus der Sorge zu handeln, das Zusammenspiel zwischen den anerkannten EFS und ihr selbst könnte zugunsten der EFS verschoben werden61 – doch dabei hat sie übersehen, dass das Gesetz selbst die „Verschiebung“ zugunsten der EFS vorgenommen hat.62 Dementsprechend widersprechen die Versuche, diese Entwicklung zurückzudrängen (aus welcher Sorge heraus sie auch motiviert sein mögen) dem Gesetz und sind daher nicht weniger als rechtswidrig. Doch es besteht nicht nur ein überspanntes Selbstverständnis der KJM gegenüber den EFS, sondern auch gegenüber den Anbietern. Als Beispiel soll eine Veröffentlichung des Vorsitzenden der KJM dienen, in der er seine Auffassung äußerte, es wäre kein Verlust für die Gesellschaft, „wenn die Pornodarsteller und Pornoproduzenten und alles, was in diesem Bereich Dienstleistungen erbringt, aus Deutschland abwandern würden“.63 Es irritiert nicht nur in volkswirtschaftlicher Hinsicht, wenn sich der Leiter einer Überwachungsbehörde derart äußert (der Umsatz der Pornografie-Branche in Deutschland liegt schätzungsweise bei 800 Millionen Euro pro Jahr64). Daneben wäre dem Jugendschutz durch eine Abwanderung der Akteure wohl ein „Bärendienst“ erwiesen, weil die im Ausland produzierten Inhalte sicher auch in Deutschland erhältlich wären und im Zweifel schlechtere Möglichkeiten bestünden, nötigenfalls einzugreifen.65 Vor allem aber geht es hier um nicht weniger als um die verfassungsmäßig garantierten Freiheitsrechte der 58 Die Verurteilung ist nicht rechtskräftig, das Verfahren ist anhängig beim OLG Berlin Brandenburg, Az. OVG 8 N 85.06). 59 Pressemitteilung der KJM vom 07. 07. 2006, abrufbar unter http: //www.kjm-online.de/ public/kjm/index.php?news_id=74&show_1=59,53&z=13&action=sho w_datails (Stand: 25. 03. 2007). 60 Ein weiteres illustratives Beispiel zeigt sich im Zweiten Bericht der KJM vom August 2007, S. 47, abrufbar unter http: //www.kjm-online.de/public/kjm/downloads/KJM_Bericht %20und%20Umschlag.pdf (Stand: 19. 09. 2007: Dort schildert es die KJM als erwähnenswerten Erfolg, dass sie von der FSM in Verfahren gem. § 20 Abs. 5 JMStV nicht mehr als „Beschwerdeführer“, sondern als „Verfahrensführer“ bezeichnet wird. – In jüngerer Zeit scheint sich das Verhältnis von KJM und EFS allerdings etwas zu entspannen, vgl. den Jahresbericht 2006 der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen e.V. (FSF), S. 13 und 81. 61 Vgl. die Tatbestandsdarstellung bei VG Berlin, Urteil vom 06. 07. 2006, Az. 27 A 236.04, juris Rn. 33 (nicht rechtskräftig, anhängig beim OVG Berlin-Brandenburg, Az. OVG 8 N 85.06). 62 Zutreffend Liesching, ZUM 2006, S. 785, 785. 63 Ring, AfP 2004, S. 9, 12. 64 Vgl. Süddeutsche Zeitung vom 24. 10. 2006. 65 Ähnliches hat sich laut Mynarik, Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien, S. 178 durch die strenge Handhabung bei den Altersverifikationssystemen gezeigt, die zu einem Mitgliederschwund bei der FSM sowie zu einer Erhöhung der aus dem Ausland stammenden Angebote im Bereich der Pornographie geführt haben sollen.
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betroffenen Bürger – auch wenn deren Verhalten nicht jedermanns Moral- oder Geschmacksvorstellungen entspricht. Damit soll explizit nicht gefordert werden, die Schutz-Standards niedrig zu halten. Doch es ist unangemessen für einen der freiheitlichen Grundordnung verpflichteten Hoheitsträger, die genannten Aspekte von vornherein abfällig vom Tisch zu wischen. 2. Praxis der anerkannten EFS a) Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen e.V. (FSF) Die FSF wendet die materiellen Kriterien der KJM vergleichbar und mit inhaltlich weitgehend übereinstimmenden Ergebnissen an.66 Sie macht die Abläufe und Ergebnisse ihrer Tätigkeit der Allgemeinheit in detaillierter Form zugänglich67 und gewährleistet dementsprechend ein hohes Maß an Transparenz.68 Darüber hinaus wird den Prozessen der FSF besondere Schnelligkeit attestiert, außerdem, dass sie in den meisten Fällen zu angemessenen Entscheidungen führen.69 Trotz des „Kulturbruchs“,70 dem die FSF als eine ehemals rein freiwillige Selbstkontrolle ausgesetzt war, muss ihre Arbeit daher positiv bewertet werden. b) Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia e.V. (FSM) Seit der der Anerkennung der FSM ist erst kurze Zeit vergangen, so dass nur bedingt Erkenntnisse über ihre Effektivität gewonnen werden können; trotzdem ist anzunehmen, dass damit die aktuelle Lage zumindest besser ist als zuvor.71 Dabei erfährt die FSM in ersten externen Untersuchungen sogar eine überaus positive Beurteilung,72 insbesondere hinsichtlich der Transparenz ihrer Arbeit.73 Der FSM Schulz et al, Analyse des Jugendmedienschutzsystems, S. 211. Vgl. z. B. die Selbstdarstellung der FSF, insbesondere hinsichtlich ihrer Jahresberichte, abrufbar unter http: / / www.fsf.de / fsf2 / ueber_uns / download.htm (Stand: 09. 01. 2007). 68 Dies betonen auch Schulz et al, Analyse des Jugendmedienschutzsystems, S. 204 f. 69 Schulz et al, Co-Regulierungsmaßnahmen im Medienbereich, S. 140. Eine grundsätzlich positive Bewertung der Prüfungsarbeit der FSF enthält sogar der Zweite Bericht der KJM vom August 2007, S. 45, abrufbar unter http: //www.kjm-online.de/public/kjm/downloads /KJM_Bericht%20und%20Umschlag.pdf (Stand: 19. 09. 2007). 70 So die anschauliche Wortwahl von Schulz et al, Analyse des Jugendmedienschutzsystems, S. 202. 71 Übereinstimmend Cole, RdJB 2006, S. 299, 307 und Schulz et al, Co-Regulierungsmaßnahmen im Medienbereich, S. 143. Einige einzelne Kritikpunkte finden sich im Zweiten Bericht der KJM vom August 2007, S. 47, abrufbar unter http: //www.kjm-online. de/public/kjm/downloads/KJM_Bericht%20und%20Umschlag.pdf (Stand: 19. 09. 2007). 72 Namentlich Mynarik, Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien, S. 183 bewertet die Tätigkeit der FSM außerordentlich positiv, weil die verbandsinternen Normen zur Erfüllung der gestellten Anforderungen „bestens geeignet“ seien und das Engagement der FSM sogar 66 67
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wird dabei eine sowohl der KJM als auch der FSF vergleichbare Anwendung der Prüfkriterien mit inhaltlich weitgehend übereinstimmenden Ergebnissen bescheinigt.74 Festzuhalten ist freilich, dass der Anreiz zur Teilnahme am System des JMStV für Anbieter von Telemedien grundsätzlich wesentlich geringer ist als für Anbieter des Rundfunks, weil die KJM nur einen geringen Teil der Angebote der Telemedien beanstandet und aufgrund der tatsächlichen Besonderheiten dieser Medien nur in geringem Maße beanstanden kann.75 Hieran wird beispielhaft deutlich, dass subsidiäres staatliches Eingreifen auch tatsächlich und nicht nur rechtlich möglich sein muss, um ein System regulierter Selbstregulierung effizient werden zu lassen.76
III. Zu den auf das Verfahren Einfluss nehmenden Interessen 1. Bedeutung Bevor sogleich die bisher abgegebenen Stellungnahmen von Beteiligten und Außenstehenden des neuen Verfahrens vorgestellt werden, sollen vorab die Einfluss nehmenden Interessen beleuchtet werden, um die Stellungnahmen anschließend besser einordnen zu können.77 Dabei lässt sich manche Voreingenommenheit schnell erkennen,78 die von einigen wenigen offen zugegeben wird,79 bei anderen über die Erfordernisse des JMStV hinausginge. – Schulz et al, Analyse des Jugendmedienschutzsystems, S. 167 schätzen die Arbeit der FSM als „grundsätzlich effektiv“ ein, auch wenn einige Verbesserungen in Detailfragen vorgeschlagen werden. 73 Vgl. Schulz et al, Analyse des Jugendmedienschutzsystems, S. 204 f. 74 Schulz et al, Analyse des Jugendmedienschutzsystems, S. 211. 75 Ähnlich Schulz et al, Co-Regulierungsmaßnahmen im Medienbereich, S. 144. – Aufgrund der Vielzahl und Heterogenität der Anbieter ist auch für die Zukunft nicht davon auszugehen, dass alle Anbieter jugendschutzrelevanter Angebote Mitglied in einer anerkannten EFS werden, vgl. Zweiter Bericht der KJM vom August 2007, S. 46, abrufbar unter http: // www.kjm-online.de/public/kjm/downloads/KJM_Bericht%20und%20Umschlag.pdf (Stand: 19. 09. 2007). 76 Ähnlich auch Sabine Frank, Geschäftsführerin FSM, am 08. 11. 2007 in einem Wortbeitrag bei den Medientagen München, vgl. http: //www.medientage-muenchen.de/mediathek/ textservice/files/pdf/text_205.pdf (Stand: 20. 04. 2008), die gegenüber Nicht-Mitgliedern der FSM einen konsequenten und schnellen Vollzug durch die Behörden fordert. 77 Peter M. Huber, Die Verwaltung 2007, S. 1, 26 macht (am Beispiel der KEK) zu Recht darauf aufmerksam, dass viele medienrechtlichen Stimmen in der Literatur nicht frei von Befangenheit sind. 78 Als Beispiel sei der Beitrag von Spoerr / Sellmann, K&R 2004, S. 367, passim, genannt. 79 Schneider, epd medien 2004, Nr. 55, S. 6, 7: „Ja, ich sage das im Interesse der Landesmedienanstalten, befangen also.“
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aber schwieriger zu identifizieren ist. In jedem Fall wird dabei deutlich werden, dass auch persönliche Interessen eine wichtige Rolle spielen können, die neben (oder gar über) sachlichen Erwägungen stehen.80
2. Die jeweiligen Einzelinteressen der Beteiligten Die Anbieter haben ein natürliches Interesse an möglichst großer Handlungsfreiheit. Dies steht jedoch weniger im Vordergrund, als zunächst vermutet werden könnte. Vielmehr deuten die bisherigen Erfahrungen in der Praxis darauf hin, dass die Medien-Wirtschaft weniger daran interessiert ist, eine möglichst wirtschaftsfreundliche Entscheidungspraxis zu erreichen, sondern vor allem daran, eine schnelle und sichere Entscheidung zu erlangen.81 Darüber hinaus scheint auf Anbieterseite insbesondere der Rundfunk ein Interesse am grundsätzlichen Erhalt des bestehenden Systems zu haben, weil die damit verbundenen Einschränkungen als erträglich eingeschätzt werden und die Befürchtung besteht, eine alternative Ordnung wäre von größerem Nachteil, insbesondere in Form eines repressiv-imperativen Überwachungsmodells. Ein Indiz hierfür ist beispielsweise, dass die in der Wissenschaft vielfach vorgetragenen verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Zusammensetzung der KJM82 – soweit ersichtlich – noch von keinem Anbieter gerichtlich vorgebracht wurden, der von rechtlichen Maßnahmen betroffen war.83 Die EFS führen ihren Bestand auf die Anbieter zurück, so dass sie ein gewisses Interesse am Handeln in deren Sinne haben müssen. Trotzdem muss ihre Arbeit sichtbare Ergebnisse zugunsten des Jugendschutzes hervorbringen, weil die EFS ansonsten Gefahr liefen, ihre rechtspolitische Existenzberechtigung zu verlieren. Die KJM ist durch den JMStV erst geschaffen worden und die in ihr vertretenen Personen haben im Vergleich zur früheren Rechtslage eine erhebliche Aufwertung 80 Dies deutet auch Schneider, epd medien 2004, Nr. 55, S. 6, 7 an: „Warum als nicht den Versuch machen, das Mögliche zu tun, wenn es zu allem Überfluss auch noch vernünftig ist? Oder habe ich etwas Wesentliches übersehen – oder wen?“ (Hervorhebung nicht im Original). 81 So von Gottberg in: Büttner / von Gottberg, Staatliche Kontrolle und selbstregulative Steuerung, S. 31, 35 f. unter Hinweis auf die Erfahrungen mit der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK). – In die gleiche Richtung deutet das Problem des Fehlens eines Anerkennungsverfahrens für Altersverifikationssysteme, vgl. Zweiter Bericht der KJM vom August 2007, S. 38, abrufbar unter http: //www.kjm-online.de/public/kjm/downloads/KJM _Bericht%20und%20Umschlag.pdf (Stand: 19. 09. 2007). 82 Dazu siehe Seite 322 ff. 83 Namentlich war dies nicht bei den – bereits ausführlich skizzierten – Verfahren zu „I want a famous face“ sowie zu „Schönheitsoperationen zu Unterhaltungszwecken“ der Fall, vgl. die Tatbestandsschilderungen in VG München, Beschluss vom 21. 12. 2004, Az. M 17 S 04.4817, BayVGH, Beschluss vom 22. 03. 2005, Az. 7 CS 05.79 sowie VG Berlin, Urteil vom 06. 07. 2006, Az. 27 A 236.04.
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ihrer Kompetenzen erfahren. Angesichts ihres – bereits beschriebenen – Selbstverständnisses kann davon ausgegangen werden, dass die KJM ein Interesse am Erhalt und Ausbau dieser Kompetenzen hat,84 beispielsweise hinsichtlich des öffentlichrechtlichen Rundfunks85 oder des Verwaltungsvollzugs einschließlich der gerichtlichen Vertretung.86 Die Landesmedienanstalten bzw. deren Entscheidungsträger haben durch den JMStV Kompetenzen verloren (eine Ausnahme bilden nur die 6 der 15 Direktoren, die Mitglied in der KJM sind). Ein umso stärkeres Interesse haben sie an der Erhaltung des Restbestandes. Wenn beispielsweise von Erdemir, dem Justitiar einer Landesmedienanstalt,87 betont wird, dass es ein wichtiger Bestandteil des Systems des JMStV sei, dass die originäre Kontrollzuständigkeit bei den Landesmedienanstalten verblieben, da die Landesmedienanstalten „unverzichtbaren juristischen Support“ leisteten,88 so muss dies im Ergebnis nicht von vornherein falsch sein, ist aber jedenfalls ein Indiz für die beschriebene Interessenlage.
3. Das gemeinsame Interesse aller Beteiligten So gegenläufig die beschriebenen Ziele erscheinen, so bestehen doch gemeinsame Interessen aller Beteiligten. Denn alle müssen befürchten, dass die Politik beim Ausbleiben befriedigender Ergebnisse ein neues System ins Leben ruft, in dem sie schlechter gestellt wären als zuvor. Insbesondere die KJM und die EFS stehen sich in der Praxis gegenüber wie Akteure in spieltheoretischen Modellen, die unter dem Stichwort des „Gefangenendilemmas“ bekannt sind. Trotz grundsätzlich gegenläufiger Interessen profitieren beide Seiten von dem System, sie erfahren sogar nur durch dieses System ihre Existenzberechtigung. Ähnlich ist es im Verhältnis des Staates zu den privaten Anbietern.89 Der Staat hat ein Interesse an einem tendenziell hohen Jugendschutzniveau. Trotzdem ist sich der Staat bewusst, die Überwachung der elektronischen Medien personell und sachlich kaum noch alleine bewältigen zu können,90 so dass er auf Mithilfe der Privaten angewiesen ist;91 außerdem will er deren volkswirtschaftliche Beiträge Ähnlich Goerlich, tv diskurs 2007, Heft 1, S. 110, 110. Dies wird von Vertretern der KJM immer wieder gefordert, vgl. z. B. die Nachweise in epd medien 2008, Nr. 27, S. 19, 19. 86 Dies fordert Roll, KJuG 2005, S. 65, 66, der ein Mitglied der KJM ist, vgl. die Selbstdarstellung der KJM, abrufbar unter http: //www.kjm-online.de/public/kjm/index.php? show_1=70,67,54 (Stand 24. 03. 2007). 87 Vgl. die die Selbstdarstellung der Hessischen Landesanstalt für privaten Rundfunk, abrufbar unter http: / / www.lpr-hessen.de / default.asp?m=206 (Stand: 10. 11. 2006). 88 Erdemir, RdJB 2006, S. 285, 298. 89 Weiterführend zur ökonomischen Demokratietheorie Bredt, Die demokratische Legitimation unabhängiger Institutionen, S. 205 ff. 90 Vgl. Rossen-Stadtfeld, AfP 2004, S. 1, 7. 84 85
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nicht beeinträchtigen. Umgekehrt haben die privaten Anbieter ein Interesse an finanziellen Gewinnen, die sich mit jugendschutzrelevanten Angeboten erzielen lassen; den Unternehmen ist aber ebenso bewusst, dass eine imperative und repressive Überwachung direkt (insbesondere durch Verbreitungsbeschränkungen) und indirekt (insbesondere durch Imageverlust bei Publikum92 und Werbekunden93) hohe Kosten verursachen kann. Wie in solchen Situationen optimale Ergebnisse erzielt werden können, ist letztlich aus politikwissenschaftlicher, möglicherweise auch aus psychologischer, soziologischer und ökonomischer Sicht zu klären. Wenn diese Perspektiven aber zumindest ins Bewusstsein gerückt sind, so können sie auch bei der Bewertung der sogleich darzustellenden juristischen Stellungnahmen helfen. Insbesondere kann angesichts der gemeinsamen Interessen der Beteiligten nicht überraschen, dass sich praktisch alle Beteiligten – so viel sei an dieser Stelle vorweggenommen – im grundsätzlichen Urteil über den JMStV einig sind, nach dem das System prinzipiell begrüßenswert sei, jedoch an einzelnen Stellen Verbesserungsbedarf bestehe.94 Aus Sicht der dargestellten Interessen lässt sich das dadurch erklären, dass jeder Beteiligte das System an sich erhalten will, jedoch innerhalb des Systems den größtmöglichen Vorteil für sich erreichen möchte.95 4. Die Interessen von Außenstehenden Die gesetzlichen Regelungen des Jugendmedienschutzes stehen aber nicht nur unter dem Einfluss der (jeweils) Beteiligten, sondern auch unter dem von Außenstehenden. Am meisten wohl von solchen Medien, die (generell oder im jeweiligen Einzelfall) nicht an einem jugendschutzrechtlich relevanten Vorgang beteiligt sind, sondern darüber berichten. Das zeigte sich bereits an der medialen Berichterstattung über den Amok-Lauf von Erfurt, die wesentlichen Einfluss darauf hatte, dass der JMStV überhaupt zustande kam.96 Doch auch spätere Ereignisse, die Einfluss auf die Rechtspraxis und die Bewertung des JMStV hatten, erhielten ihre besondere Dynamik erst durch die medial verbreitete Diskussion, wie sich dies beispielsweise im Fall der – bereits beschriebenen – Sendung „Pope Town“97 zeigte. Diese So auch Bandehzadeh, Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien, S. 77. Dazu Pooth, Jugendschutz im Internet, S. 142. 93 Dazu Pooth, Jugendschutz im Internet, S. 142 f. 94 Vgl. die Nachweise der entsprechenden Äußerung der verschiedenen Akteuren bei Palzer, tv diskurs 2006, Heft 3, S. 108, 109. Übereinstimmend die Darstellung im Jahresbericht 2006 der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen e.V. (FSF), abrufbar unter http: //www. fsf.de/fsf2/ueber_uns/bild/download/FSF_Jahresbericht_2006.pdf (Stand: 11. 11. 2007), S. 7 und 12. 95 Freilich gibt es auch von neutralen Beobachtern positive Bewertungen, vgl. z. B. Neue Züricher Zeitung vom 03. 08. 2007. 96 Siehe Seite 63. 97 Zu diesem Fall siehe Seite 243 f. 91 92
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Rolle der Berichterstattung führt zu einer interessanten Dialektik, schließlich sind die berichtenden Medien wiederum Objekt der durch sie beeinflussten gesetzlichen Regelungen. Der hiermit angedeutete Effekt erfährt eine bemerkenswerte weitere Modifikation durch eine gelegentlich auftretende Doppelmoral in der Berichterstattung. Zu Recht wurde bereits die Befürchtung geäußert, dass der Jugendmedienschutz gefährdet werde, wenn er sich von einzelnen Anbietern vor einen „vermeintlich moralischen Karren spannen“ lasse, indem eben diese Anbieter bildhaft „zwei Seiten später oder zwei, drei Stunden später Sex verkaufen“.98 Ein besonders illustratives Beispiel lieferte die Berichterstattung des Internet-Angebots „Bild.de“ über den Internet-Anbieter „YouPorn“:99 „YouPorn“ bietet (nach dem Vorbild der allgemeinen Plattform „YouTube“) die Möglichkeit für jedermann an, selbst hergestellte pornographische Filme zu verbreiten und abzurufen. „Bild.de“ berichtete in auffallender Weise über diese Möglichkeit („Warum zeigen sich immer mehr Erwachsene beim Sex?“), nicht ohne ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass keinerlei Zugangsbeschränkungen für Jugendliche bestünden. Kurz nach der Veröffentlichung brach der Dienst „YouPorn“ für mehrere Tage weltweit zusammen, weil aus Deutschland mehr Zugriffe erfolgten, als der Server verarbeiten konnte. Schließlich soll aber nicht verschwiegen werden, dass auch außenstehende100 Wissenschaftler gewisse Interessen haben. Pädagogen, Medienwissenschaftler, vor allem aber Juristen finden wesentlich mehr Beschäftigung101 in einem komplexen Rechtssystem als beispielsweise unter Geltung eines simplen Bewertungsverfahrens nach Art des – sogleich noch näher zu beschreibenden – niederländischen Modells.102 Die zahlreichen Veröffentlichungen zum Thema – einschließlich der vorliegenden Arbeit – belegen dies.
98 So bereits Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung und Präsident des Deutschen Kinderhilfswerks, anlässlich einer Veranstaltung am 25. 05. 2004 in Berlin, nachgewiesen bei Gangloff, tv diskurs 2004, Heft 3, S. 100, 101. 99 Vgl. dazu beispielsweise http: //notes.computernotizen.de/2006/11/15/bildde-verursacht -pornowelle / (Stand: 10. 01. 2006). 100 Auch hier sind die Übergänge fließend, weil manche Wissenschaftler gleichzeitig oder mit zeitlicher Versetzung auch Interessenvertreter sind, wie Goerlich, tv diskurs 2007, Heft 1, S. 110, 111 anlässlich der Dissertation von Hopf ausdrücklich kritisiert, nachdem diese Schrift von der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien gefördert wurde und die Autorin beruflich für die Stabstelle der KJM tätig ist. 101 Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, mit welcher deutlichen Schärfe die Juristen Altenhain, Faber, Knupfer, Liesching, Lober, Mynarik, Nikles, Ott, und Schumann die Evaluation von Schulz et al angegriffen haben, weil die rechtswissenschaftliche Literatur – wohl nicht zuletzt die jeweils von ihnen selbst verfasste – nicht ausreichend berücksichtigt worden sei, vgl. die Stellungnahme, abrufbar unter http: //rsw.beck.de/rsw/shop/default. asp?sessionid=E7C8A16A9AF74C348 f.79A0E215216250& docid=249093&highlight=Jugend schutzsystem (Stand: 30. 04. 2008). 102 Dazu siehe Seite 386 ff.
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IV. Bisherige Stellungnahmen zum neuen System 1. Stellungnahmen der Anbieter Trotz anfänglicher Skepsis bewerten die Anbieter die Funktion des neuen Überwachungssystems positiv.103 Das Modell sei bisher auf einem positiven Weg, wenngleich Optimierungsbedarf bei Einzelfragen bestehe.104 2. Stellungnahmen der Behörden Die KJM geht davon aus, dass sich das System bewährt habe, obwohl es auf den ersten Blick kompliziert aussehe; es habe sogar Modellcharakter für Europa.105 Ihm werde im internationalen Vergleich „höchste“ Effizienz zugesprochen, so dass von einem Erfolgsmodell gesprochen werden könne.106 Auf Seiten der Landesmedienanstalten herrschte anfangs Skepsis, doch inzwischen wird geäußert, dass Vertrauen in das neue System bestehe, auch wenn es Verbesserungspotential im Einzelnen gebe.107 3. Stellungnahmen der Politik Die ersten Erfahrungen mit dem Modell der regulierten Selbstregulierung im Jugendmedienschutz stimmen die Verantwortlichen der Politik optimistisch:108 Die Erwartungen im Bereich des Rundfunks hätten sich grundsätzlich erfüllt, im Bereich der Telemedien sei die Beurteilung wegen der nur sehr kurzen Zeit der praktischen Erprobung schwieriger, jedenfalls sei dadurch wenigstens die Ablehnung jeglicher Regulierung in dieser Branche überwunden worden, so dass sie mit dem System auf dem richtigen Weg sei. Insgesamt sei das System des Jugendmedienschutzes in Deutschland eines der vorbildlichsten und wirkungsvollsten 103 So wohl stellvertretend der Präsident des Verbandes Privater Rundfunk und Telekommunikation (VPRT) am 11. 05. 2006 in Berlin, nachgewiesen bei Herkel, epd medien 2006, Nr. 37, S. 19, 19. 104 Stellungnahme des Verbandes Privater Rundfunk und Telemedien (VPRT) vom März 2007, wiedergegeben in epd medien 20007, Nr. 24, S. 3, 3. 105 Pressemitteilung der KJM, abrufbar unter http: //www.kjm-online.de/public/kjm/index. php?news_id=54&show_1=152,63,59,53&z=7&act ion=show_datails (Stand: 09. 01. 2007). 106 Zweiter Bericht der KJM vom August 2007, S. 3, abrufbar unter http: //www. kjm-online.de/public/kjm/downloads/KJM_Bericht%20und%20Umschlag.pdf (Stand: 19. 09. 2007). 107 So der Vorsitzende der Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten (DLM) auf einer Diskussionsveranstaltung am 11. 05. 2006 in Berlin, nachgewiesen bei Herkel, epd medien 2006, Nr. 37, S. 19, 19. 108 So ausdrücklich Beck, RdJB 2006, S. 280, 281 f. als Ministerpräsident und Vorsitzender der Rundfunkkommission der Länder.
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weltweit.109 Dementsprechend hat die Jugendministerkonferenz 2006 festgehalten, dass die neuen Regelungen des Jugendmedienschutzes sich grundsätzlich bewährt hätten, obwohl eine Zunahme der Verbreitung jugendgefährdender Inhalte festzustellen sei.110 Auch die Bundesregierung bewertet das Modell regulierter Selbstregulierung, wie es im JMStV angewendet wird, positiv.111
4. Stellungnahmen der Wissenschaft Von wissenschaftlicher Seite gibt es einige skeptische Stellungnahmen. So meint Pathe, nach anfänglicher Aufbruchstimmung anlässlich der Entstehung des JMStV sei inzwischen Ernüchterung eingetreten und eine Zermürbung aller Beteiligten und ihrer Ressourcen zu erwarten.112 Andere, beispielsweise Cole, zeichnen ein differenziertes Bild:113 Zwar sei das System der regulierten Selbstregulierung des JMStV ein grundsätzlich gelungenes Modell, das bereits wenige Jahre nach seiner Einführung als Erfolg zu bewerten sei und Vorbildcharakter entwickeln könne,114 trotzdem sei nicht sicher, ob es sich dabei um den „Stein der Weisen“ handle.115 Insgesamt überwiegen jedoch die umfassend positiven Bewertungen. Insbesondere116 die ersten monographischen Untersuchungen von Hopf und Mynarik deuten in diese Richtung (im Ergebnis ähnlich auch Halves und Retzke117): Das staatsorganisatorische System der regulierten Selbstregulierung sei zur Steuerung des Sachbereichs Jugendmedienschutz sehr gut geeignet;118 der Staat habe einerseits einen verfassungsrechtlichen Gewährleistungsauftrag, doch sei andererseits gehalten, nicht in größerem Maße als erforderlich direkt einzugreifen.119 Nicht nur theo109 So ausdrücklich Tauss, tv diskurs, Heft 2, 2007, S. 46, 46 als medienpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. 110 TOP 14b, Unterpunkt 1 des Beschluss der Jugendministerkonferenz am 18. / 19. 05. 2006 in Hamburg, abrufbar unter http: //www.agj.de/pdf/5 – 5/hh_jmk_top-14.pdf (Stand: 20. 11. 2006); dieser Beschluss setzt sich allerdings schwerpunktmäßig mit Computerspielen auf Trägermedien auseinander. 111 Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage, BT-Drucks. 16 / 2361, S. 2. 112 Pathe, RdJB 2006, S. 319, 319 und 325. 113 Differenziert auch die Bewertung von Bosch, Regulierte Selbstregulierung im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag, S. 383, bei der jedoch Praktikabilitätserwägungen und verfassungsrechtliche Bewertung vermengt werden. 114 Cole, RdJB 2006, S. 299, 307. 115 Cole, RdJB 2006, S. 299, 300. 116 Liesching, Jugend Medien Schutz-Report 2005, Heft 6, S. 2, 4 sei als eines von vielen Beispielen aus dem Bereich unselbständiger Beiträge genannt. 117 Vgl. Halves, Neuordnung des Jugendmedienschutzes, S. 193 sowie Retzke, Präventiver Jugendmedienschutz, S. 248. 118 Mynarik, Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien, S. 271 (dort unter Verwendung des Begriffs der Co-Regulierung). 119 Vgl. Hopf, Jugendschutz im Fernsehen, S. 68 f.
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retische Überlegungen, sondern auch empirische Arbeiten (vor allem in Form von Expertenbefragungen) liefern die frühen Untersuchungen von Schulz et al. Namentlich im Bereich des Rundfunks wurde der regulierten Selbstregulierung ein hohes Leistungsniveau attestiert.120 Generell kamen die Studien zu dem Ergebnis, der Jugendschutz in den Medien eigne sich besonders für Systeme regulierter Selbstregulierung.121 Allerdings müsse hinsichtlich der verschiedenen Medien differenziert werden. Im Vergleich zum Bereich der Kinofilme habe das System in elektronischen Medien geringeres Tempo, geringere Akzeptanz bei den Betroffenen und weniger Transparenz.122 Inwiefern dafür Mängel des Systems ursächlich sein können, lasse sich aber dadurch nicht beweisen, weil der Markt für Filme viel weniger komplex und weniger unübersichtlich sei als der für Rundfunk und erst recht als der für Telemedien.123 Schließlich sei wesentliches Indiz für die Geeignetheit des Systems, dass alle im Rahmen der Untersuchung befragten Experten das System jenseits einzelner Schwachstellen in der Konfiguration für effektiv halte und insbesondere für effektiver als das vorherige.124 Diese Ergebnisse wurden im Wesentlichen nun auch durch die jüngste und umfassendste Untersuchung von Schulz et al bestätigt, die attestiert, die erfolgte rechtliche Novellierung stelle insgesamt einen Fortschritt dar.125
120 Schulz et al, Co-Regulierungsmaßnahmen im Medienbereich, S. 131 f. Die Fragestellung lautete dabei, ob Verstöße gegen den Jugendschutz „nie“, „extrem selten“, „selten“, „von Zeit zu Zeit“ „oft“ oder „sehr oft“ zu beobachten seien. Im Bereich des Rundfunks gab die Hälfte der Experten „von Zeit zu Zeit“ an, die andere Hälfte schätzten Verstöße als noch seltener ein. Die Untersuchung ging davon aus, dass ein System als leistungsfähig eingeschätzt werden könne, wenn Verstöße nicht „oft“ oder gar „sehr oft“ vorkämen, so dass das deutsche System des Jugendschutzes im Rundfunk als sehr leistungsfähig eingestuft wurde. Freilich ist diese Wertung nicht unproblematisch. Zwar ist der Jugendschutz im Rundfunk insgesamt darauf ausgelegt, dass kein absoluter Schutz der Jugend vor (lediglich) entwicklungsbeeinträchtigenden Inhalten angestrebt wird, wie sich bereits durch das grobe Steuerungsinstrument der Sendezeitbeschränkung zeigt. Für die Messung der Effizienz des Systems könnte aber dennoch gefordert werden, dass Verstöße nur „selten“ oder weniger häufig vorkommen, weil sich beide Effekte ja addieren: Die Konfrontation von Jugendlichen mit entwicklungsbeeinträchtigenden Inhalten geschieht sowohl, wenn diese ausnahmsweise zu nicht vorgesehenen Zeiten Rundfunk wahrnehmen und zusätzlich dann, wenn Angebote zu einem unzulässig frühen Zeitpunkt erfolgen. In jedem Fall bleibt Raum für Verbesserung, wie ein Blick auf den Jugendschutz im Bereich des Films zeigt. In der gleichen Untersuchung gaben rund die Hälfte der Experten an, dass hier Verstöße „extrem selten“ vorkämen, weniger als ein Viertel gab „von Zeit zu Zeit“ an, keiner lag darüber. 121 Schulz et al, Co-Regulierungsmaßnahmen im Medienbereich, S. 192. 122 Schulz et al, Co-Regulierungsmaßnahmen im Medienbereich, S. 135. 123 Schulz et al, Co-Regulierungsmaßnahmen im Medienbereich, S. 135, die darüber hinaus auf die längere Tradition der Einbindung von Elementen der Selbstkontrolle im Bereich des Films abstellen. 124 Schulz et al, Co-Regulierungsmaßnahmen im Medienbereich, S. 139. Ähnlich die Bewertung von Scheuer, RdJB 2006, S. 308, 316. 125 Schulz et al, Analyse des Jugendmedienschutzsystems, S. 203.
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V. Übergreifende Überlegungen zu Realbefund und Rechtslage 1. Implikationen der besonderen tatsächlichen Rahmenbedingungen für die Normierung a) Hinführung Die besonderen tatsächlichen Rahmenbedingungen des Jugendmedienschutzes wurden bereits zu Anfang dieses Teils der Arbeit skizziert. Damit trifft dieses Rechtsgebiet auf Voraussetzungen, die sich von anderen Gebieten des Ordnungsrechts und ebenso von der Situation des Jugendmedienschutzes in der Vergangenheit unterscheiden.126 Insbesondere (aber nicht nur) mit Bezug auf das Internet werden diese faktischen Bedingungen immer wieder als Anknüpfungspunkt für juristische Stellungnahmen herangezogen, wie nun nachvollzogen und bewertet werden soll. b) Internationale Ausweichmöglichkeiten Ohne Zweifel bestehen vor allem im Internet früher nicht da gewesene Ausweichmöglichkeiten. Angebote können für Empfänger im Inland von jedem Land der Welt aus angeboten werden, so dass die Unterbindung der Verbreitung mit den klassischen ordnungsrechtlichen Mitteln nicht mehr möglich ist. Auf diese Situation wird unterschiedlich reagiert. Manche meinen, ein scharfes Vorgehen der Überwachungsbehörde schade dem Jugendschutz anstatt ihm zu nützen, weil Anbieter daraufhin ins Ausland auswichen.127 Andere glauben, in einem Zeitalter „grenzüberschreitender Verletzungsoptionen“ sei Jugendmedienschutz nur dann effektiv, wenn der Schutzgedanke ebenfalls international interpretiert würde.128 Dem wird wiederum entgegengehalten, eine Globalisierung der Kontrolle dürfe wegen der kulturellen und verfassungsmäßigen Unterschiede nicht mit einer Unitarisierung verbunden werden.129 Wieder andere Stimmen betonen, es gebe entgegen der landläufigen Meinung erste Ansätze für effektive technische Sperrungen von unzulässigen Inhalten auch im Internet,130 jedenfalls sei das Verbot deutscher, absolut unzulässiger Inhalte relativ einfach und selbst international seien in den Bereichen der Kinderpornographie sowie der rechtsextremen Propaganda gute Durchsetzungsmöglichkeiten vorhanden.131 126 Insofern betonen Schulz et al, Co-Regulierungsmaßnahmen im Medienbereich, S. 1 zu Recht, dass traditionelle Regulierungsformen, die in der Vergangenheit durchaus erfolgreich waren, unter neuen Gegebenheiten an Eignung verlieren können. 127 So Spoerr / Sellmann, K&R 2004, S. 367, 374. 128 Ukrow, RdJB 2006, S. 326, 326. 129 Ukrow, RdJB 2006, S. 326, 326. 130 Vgl. Günter / Schindler, RdJB 2006, S. 341, 343 f. m. w. N.
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c) Große Anzahl der Angebote Auch die praktisch nicht überschaubare Vielzahl von Angeboten führt dazu, dass klassische ordnungsrechtliche Mittel keinen Erfolg mehr versprechen.132 Vor diesem Hintergrund wirkt es beispielsweise grotesk, wenn es als „Teilerfolg“ verbucht wurde, dass aufgrund einer Initiative der – wie beschrieben an die KJM angeschlossenen Einrichtung – „Jugendschutz.net“ die am meisten verbreiteten Internet-Angebote zum Herunterladen von Gewaltvideos für Mobiltelefone für Kunden von „AOL“ und „Arcor“ nicht mehr aufgerufen werden können.133 Angesichts unzähliger anderer Anbieter von Inhalten und Zugängen erscheint dies nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein. Aus dieser Situation wollen viele die Konsequenz ziehen, sich auf die Verfolgung besonders schwerer Verstöße wie Kinderpornographie zu konzentrieren und in anderen Bereichen die Regulierungsdichte zurückzunehmen.134 d) Bewertung Angesichts vielstimmiger Kritik ist zunächst anzumerken, dass es eine Vielzahl von Instrumenten zur Bekämpfung von illegalen Angeboten gibt (auch im Internet), die aber nicht jeweils für sich alleine, sondern nur im Zusammenspiel eine relativ wirksame Kontrolle ermöglichen.135 Deshalb ist es verfehlt, einzelnen Instrumenten im Rahmen einer isolierten Betrachtung die Geeignetheit abzusprechen, um im Anschluss wahlweise Fatalismus zu verbreiten oder die angebliche Rechtswidrigkeit des einzelnen Instruments zu konstatieren.136 Vor dem Hintergrund der besonderen Dynamik der elektronischen Medien und insbesondere des Internets ist der Gesetzgeber sicher gehalten, einer Überregulierung zu widerstehen, jedoch ist ihm keine frühzeitige Kapitulation vor einer scheinbaren oder tatsächlichen Macht des Faktischen erlaubt.137 Inwiefern es reale AbwehrmögGünter / Schindler, RdJB 2006, S. 341, 342. So auch Bandehzadeh, Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien, S. 77 f. 133 So Beck, RdJB 2006, S. 280, 283. Die Firma Arcor wollte diesen Schritt zwischenzeitlich sogar zurücknehmen, vgl. http: //www.onlinekosten.de/news/artikel/26920/0/Arcor_ hebt_Pornosperre_wieder_auf (Stand: 20. 09. 2007); dies wurde jedoch durch einen einstweilige Verfügung des LG Frankfurt am Main vom 17. 10. 2007 untersagt (Az. 2 – 06 0 477 / 07). 134 Pathe, RdJB 2006, S. 319, 320 und 325. Ähnlich bereits Erdemir, MMR 2003, S. 628, 635. 135 Holznagel / Krone in: Klumpp, Medien, Ordnung und Innovation, S. 383, 395, die in ihrer umfassenden Untersuchung die einzelnen Instrumente näher vorstellen. 136 Außerdem ist die Möglichkeit zur Einflussnahme gelegentlich größer als gemeinhin angenommen; beispielsweise kann die an die KJM angeschlossene Einrichtung „Jugendschutz.net“ nach eigener Einschätzung auch ohne Eingriffsbefugnisse durch bloßes „auf die Finger klopfen“ im Internet erstaunlich viel erreichen, vgl. Neue Züricher Zeitung vom 03. 08. 2007. 137 Ähnlich Erdemir, CR 2005, S. 275, 275. 131 132
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lichkeiten gegen Verstöße gegen das materielle Recht gibt, ist in technischer Hinsicht eine von Technikern (immer wieder neu) zu beantwortende Frage. Spiegelbildlich ist es auf rechtlicher Seite eine (ebenfalls immer wieder neu) zu treffende Entscheidung des Gesetzgebers, dem gerade wegen der Dynamik der Materie eine besonders weite Einschätzungsprärogative138 zusteht. Bei der Diskussion um den Einfluss des Faktischen auf die Rechtslage wird außerdem häufig übersehen, dass auch kleine Erfolge ein Weniger an Unrecht bedeuten. So mag beispielsweise richtig sein, dass pornographische und gewalttätige Inhalte unter Kindern und Jugendlichen längst weite Verbreitung gefunden haben.139 Ebenso, dass das Entdeckungsrisiko für ein illegales Angebot im Internet außerhalb öffentlichkeitswirksamer Plattformen gering ist.140 Doch es ist schon ein Mehr gegenüber der Alternative des völligen staatlichen Handlungsverzichts. Zunächst einfach deshalb, weil so wenigstens einige Jugendschutzverstöße weniger geschehen. Darüber hinaus dient die exemplarische Verfolgung von Verstößen, Grenzen des Erlaubten zu markieren und die Gesprächsbereitschaft der Anbieter für eine freiwillige Einhaltung von Regeln zu erhöhen.141 Weiter können Jugendliche durch die Kontrolle großer Anbieter und wichtiger Suchmaschinen zumindest vor einer beiläufigen und versehentlichen Konfrontation mit gefährlichen Inhalten relativ sicher geschützt werden.142 Vor allem aber kann durch die staatliche Kontrolle eine gewisse Tabuisierung aufrechterhalten werden.143 Schon immer vermochten es Jugendliche, gelegentlich an Inhalte zu gelangen, die nicht für ihr Alter geeignet sind. Es kann jedoch davon ausgegangen werden, dass es in Hinsicht auf die potentielle Entwicklungsbeeinträchtigung einen Unterschied ausmacht, ob ein Verstoß (wenigstens mit einem gewissen Grad von Wahrscheinlichkeit) aufgedeckt werden kann oder ob der Staat seinen Regelungsanspruch von vornherein aufgibt. Auch dieser Effekt kann legitimer Anknüpfungspunkt von Normen des Jugendschutzes sein. Wer derartige Zugeständnisse an die unvermeidbare Grobheit rechtlicher Regelungen verweigert, läuft Gefahr, die Funktionsfähigkeit rechtlicher Regelungen insgesamt in Frage zu stellen. Ein überdeutliches Beispiel für diese Gefahr bietet Köhne, der die Altersgrenzen im Jugendmedienschutz als generell (!) ungeeignet 138 Vgl. zur Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers Meßerschmidt, Gesetzgebungsermessen, S. 926 ff. sowie speziell mit Blick auf den Jugendmedienschutz Bandehzadeh, Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien, S. 29 f. 139 Medienforscher gehen beispielsweise davon aus, dass jeder dritte Jugendliche bereits einmal ein Gewalt- oder Pornovideo auf einem Mobiltelefon gesehen hat, vgl. http: //www. tagesspiegel.de/medien-news/;art15532,2390370 (Stand: 10. 03. 2008). 140 So Pathe, RdJB 2006, S. 319, 321. 141 So ausdrücklich der Zweite Bericht der KJM vom August 2007, S. 9, abrufbar unter http: //www.kjm-online.de/public/kjm/downloads/KJM_Bericht%20und%20Umschlag.pdf (Stand: 19. 09. 2007). 142 Dies betonen Schulz et al, Analyse des Jugendmedienschutzsystems, S. 374. 143 Vgl. dazu auch die Berichterstattung in der Neuen Züricher Zeitung vom 03. 08. 2007.
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kritisiert, weil die nötige Reife der Menschen nicht immer zu diesem Zeitpunkt eintreffe.144 Selbstverständlich ist das öffentliche Recht – ebenso wie das Zivilund das Strafrecht – auf das Regelungsinstrument der Altersgrenzen trotz gewisser Unschärfen angewiesen. So wenig in einer Massengesellschaft der Eintritt der Geschäftsfähigkeit oder der Strafmündigkeit individuell festgelegt werden kann, so wenig kann der Jugendschutz die Möglichkeit einer Entwicklungsbeeinträchtigung durch mediale Angebote bei jedem einzelnen Jugendlichen gesondert feststellen. Wenn bei diesem Beispiel wohl (fast) jeder zustimmen dürfte, so ist aber auch darüber hinaus konsequent, den darin enthaltenen Gedanken weiter fortzuführen: Auch Verfahren, bei denen eine nicht unerhebliche Fehlerquote vorhersehbar ist, dürfen nicht von vornherein als generell ungeeignet eingestuft werden – eben weil die Gesamtlage komplex ist. 2. Regulierte Selbstregulierung als Konsequenz Den Staat trifft – wie dargestellt – die Pflicht zum effektiven Jugendschutz, doch ebenso muss – wie ebenfalls erläutert – die Freiheit von Anbietern und potentiellen Empfängern größtmögliche Beachtung finden. Angesichts der soeben geschilderten tatsächlichen Rahmenbedingungen, die dem herkömmlichen Ordnungsrecht fremd sind, drängt sich eine indirekte, mittelbare und aktivierende Steuerung im Jugendmedienschutz geradezu auf.145 So empfiehlt sich insbesondere angesichts der praktisch unüberschaubaren Vielzahl medialer Angebote die Einbindung von Elementen der Eigenüberwachung, weil sich dadurch der behördliche Überwachungsaufwand typischerweise minimiert.146 Auch der Umstand, dass rechtliche Maßnahmen des Staates naturgemäß immer langsamer sind als die Aktivitäten der Medien, kann praktisch nur durch ein Element der Selbstkontrolle gemildert werden.147 Außerdem wird das mit staatlicher Überwachung stets verbundene Konfliktpotential durch den Einsatz von Eigenüberwachung verringert.148 Jedoch ist ebenso zu beachten, dass gerade im Sinne des zu schützenden Rechtsguts eine effektive Eigenüberwachung nicht ohne ein Mindestmaß an Distanz denkbar ist.149 144 So aber Köhne, MMR 2004, Heft 04, S. XXI, XXII. – Zu unterscheiden sind davon sozialwissenschaftliche Überlegungen zur möglichst effizienten und für die Bevölkerung nachvollziehbaren rechtlichen Implementierung von Altersstufen, wie sie z. B. bei Schulz et al, Analyse des Jugendmedienschutzsystems, S. 357 erfolgt. 145 Ausdrücklich Rossen-Stadtfeld, AfP 2004, S. 1, 7. Ähnlich unter spezieller Beachtung des Internets Fülling, JurPC Web-Dokument 39 / 2006, Abs. 34. Vgl. auch Retzke, Präventiver Jugendmedienschutz, S. 60. 146 Peter M. Huber in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band III (im Ersch.), § 45, Rn. 189. 147 Ähnlich Schulz et al, Computerspiele, S. 167. 148 Peter M. Huber in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band III (im Ersch.), § 45, Rn. 189. 149 Peter M. Huber in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band III (im Ersch.), § 45, Rn. 190.
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Zwar erfüllen auch rechtliche Institutionen, die Teil der zu Überwachenden sind – wie der Jugendschutzbeauftragte gem. § 7 JMStV – ihren Zweck, trotz Weisungsfreiheit und Benachteiligungsverbot150 stehen sie aber nicht in Distanz zu den Überwachten, sondern sind ein Teil von ihnen. Ein System regulierter Selbstregulierung mit anerkannten EFS erfüllt die Ansprüche an Eigenüberwachung und Distanz; dieses ist daher die schlüssige Konsequenz und seine Einführung ist im Grundsatz begrüßenswert.151 Doch so wenig der Regelungstechnik der regulierten Selbstregulierung im Allgemeinen ein sprichwörtlicher „Persilschein“ ausgestellt werden kann,152 so wenig kann dies im Jugendmedienschutz erfolgen. Vielmehr ist jedes einzelne Instrument und jede einzelne Auswirkung gesondert zu bewerten. Ein beispielhafter Vergleich von einem tatsächlich und einem nur vermeintlich aktualisierten der potentiellen Vorteile lässt sich der Untersuchung von Mynarik entnehmen: Wenn sie einerseits äußert, ein Vorteil der Einbindung der EFS seien deren kurze Kommunikationswege zu den Anbietern,153 so ist dies sicher richtig und erfährt noch gesteigerte Bedeutung durch den Vergleich mit der kritikwürdig langsamen Geschwindigkeit in den Verfahren derKJM.154. An anderer Stelle möchte Mynarik die Effektivität der Einbindung der EFS jedoch dadurch begründen, die konkurrierenden Anbietern stünden im Rahmen der EFS gegenseitig unter besonders scharfer Beobachtung, weil jeder der angeschlossenen Anbieter „darauf erpicht“ sei, dass dem jeweils anderen kein Wettbewerbsvorteil durch die „laxere“ Handhabung der Bestimmungen entstehe.155 Das darf bezweifelt werden. Vor allem im Bereich des Rundfunks sind oligopolistische Verhaltensweisen denkbar, die zu einem ausdrücklichen oder unausgesprochenen „Nicht-Angriffs-Pakt“ und somit zu einer kontinuierlichen Verringerung des materiellen Schutzniveaus führen.156 Auch in der Prüfungspraxis sind keine Fälle im Rundfunk ersichtlich, in denen sich die Anbieter gegenseitig „angeschwärzt“ hätten. Im Bereich der Telemedien gibt es zwar solche konkurrenzartige Verhaltensweisen, insbesondere hinsichtlich der geschlossenen Benutzergruppen gem. § 4 Abs. 2 Satz 2 JMStV – diese Konflikte wurden aber nicht im Rahmen der EFS ausgetragen,157 sondern in wettbewerbsrechtlichen Verfahren vor den Zivilgerichten.158 § 7 Abs. 4 Satz 3 und 4 JMStV. Ähnlich Bosch, Regulierte Selbstregulierung im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag, S. 78: „Jugendmedienschutz [ist] geradezu prädestiniert für die Einführung von Selbstkontrollelementen“. 152 Siehe Seite 55 ff. 153 Mynarik, Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien, S. 268. 154 Siehe Seite 357 f 155 Mynarik, Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien, S. 167, die hierfür den Begriff der „Peer-to-peer-Kontrolle“ verwendet. 156 Der zum Anglizismus des „Peer-to-peer-Kontrolle“ passende Gegenbegriff wäre daher das aus der Volkswirtschaftslehre bekannte „Race to the bottom“. 150 151
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3. Zur Bedeutung gesellschaftlicher Rahmenbedingungen für die Normierung Mit der regulierten Selbstregulierung werden gesellschaftliche Kräfte eingebunden, die mit herkömmlichen Mitteln des Rechts nicht (oder zumindest nicht so) aktiviert werden könnten. Trotzdem kann von der regulierten Selbstregulierung nicht erwartet werden, alle subtilen gesellschaftlichen Wirkungsprozesse rechtlich fassbar zu machen, bei denen es zuvor daran fehlte. Insbesondere wird es immer wieder vorkommen, dass neuartige Formate im Fernsehen oder im Internet lediglich eine mediale Abbildung gesellschaftlich bereits vorhandener Realitäten schaffen.159 Das Recht der Zulässigkeit der Angebote kann dementsprechend nur die Abbildung des Phänomens, nicht das Phänomen selbst erfassen. Insofern sind Angebote, die bisher eingehaltene Grenzen überschreiten, mehr ein Testfall für die Gesellschaft als ein Testfall für das Überwachungssystem.160 Ebenso wenig dürfen dem Überwachungssystem Entscheidungen des materiellen Rechts zugerechnet werden, die hinsichtlich umstrittener gesellschaftlicher Fragen getroffen wurden. Wenn beispielsweise der Medienüberwachung vorgeworfen wird, sie kapituliere davor, dass Anbieter Standards überträten und sie damit gleichzeitig modifizierten,161 so wird übersehen, dass eine derartige Dynamik im 157 Schulz et al, Analyse des Jugendmedienschutzsystems, S. 128 argumentieren dabei sogar in die gegensätzliche Richtung wie Mynarik und behaupten, es schade einem System der regulierten Selbstregulierung, wenn einzelne Unternehmen die Selbstregulierung zur Behinderung von Konkurrenten nutzten. 158 Vgl. insbesondere OLG Düsseldorf, MMR 2005, S. 611. 159 Freilich gibt es auch umgekehrte Wirkungspfade, das heißt, mediale Abbildungen (auch jugendgefährdende) können andere gesellschaftliche Phänomene bewirken, wie sich am bereits geschilderten Beispiel des Internet-Dienstes „YouPorn“ illustrieren lässt: Schon nachdem gegen die Abrufbarkeit des Dienstes gerichtlich vorgegangen wurde, kam es in zentralen Lagen deutscher Großstädte zur Veranstaltung von „YouPorn-Partys“, vgl. Süddeutsche Zeitung vom 08. 11. 2007. 160 Erdemir, RdJB 2006, S. 285, 292 anhand des Beispiels der Fernsehsendung „Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!“, die unter der Bezeichnung „Ekel-Show“ diskutiert wurde. (Der Verweis von Erdemir auf die „Pressemitteilung der KJM vom 26. 06. 2004“ trägt jedoch ein falsches Datum; die Pressemitteilung zu diesem Thema stammt vom 26. 01. 2004, abrufbar unter http: //www.kjm-online.de/public/kjm/index.php?news_id=29&show_1=147,63,59, 53&z=11&action =show_datails (Stand: 10. 11. 2006). – Vgl. auch die beeindruckenden Ausführungen von Mynarik, Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien, S. 47, Fn. 108 zur Wechselwirkung von gesellschaftlichen Phänomenen und Wiedergabe in den Medien. 161 So Frenzel, AfP 2002, S. 191, 195. Ähnlich Ladeur, AfP 2001, S. 471, 471 f., der beklagt, dass ursprünglich illegale Erscheinungsformen, vor allem hinsichtlich der Befriedigung sexueller Bedürfnisse, sich in kleinen Schritten mehr und mehr in die Öffentlichkeit begeben hätten, sodann einen gesicherten Rechtsstatus anstrebten, den sie zirkulär damit begründeten, dass sich die Zeiten geändert hätten. – Am Rande erscheint es durchaus bemerkenswert, welche Parallelen es hinsichtlich dieser Überlegungen gibt; so greift Ladeur, AfP 2001, S. 471, 475 bei der Frage nach der rechtlichen Behandlung medial verbreiteter Pornographie auf einen Vergleich mit „Rotbezirken“ zurück, die er „randständig institutionalisierte
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10. Teil: Rechtspolitische Bewertung
materiellen Recht angelegt ist, wie ein Blick auf § 9 Abs. 1 Satz 2 JMStV162 zeigt: Nach dieser Regelung ist grundsätzlich zu vermuten (!), die jugendschutzrechtliche Bewertung eines Angebots sei nach 15 Jahren überholt, die Norm setzt also die kritisierte Wechselwirkung bereits voraus. Will man dem entgegentreten, so ist der Gesetzgeber des materiellen Rechts zu kritisieren, aber nicht die ausführende Überwachungsstelle und auch nicht das Überwachungssystem als solches. Schließlich ist umgekehrt zu bedenken, dass eine Überlagerung der rechtlichen Regelungen durch gesellschaftliche Prozesse nicht immer zum Nachteil des Jugendschutzes wirken muss. Beispielsweise verspricht die Beschränkung von kostenpflichtigen, absolut unzulässigen Inhalten relativ guten Erfolg, wenn Kreditkarten-Institute über die Anbieter informiert werden, weil diese dann häufig die Unterstützung des jeweiligen Anbieters aufgrund ihrer Unternehmensphilosophie einstellen.163 4. Zur Berechtigung einer Vielzahl von Entscheidungsträgern a) Vielzahl der Entscheidungsträger bei der Normgebung Der Jugendschutz in Deutschland ist insgesamt zersplittert.164 Im Teilbereich des Jugendmedienschutzes hat der JMStV zwar eine gewisse Vereinheitlichung bewirkt, trotzdem ist auffällig, wie viele verschiedene Entscheidungsträger in das System eingebunden sind;165 dies zeigt sich zuvörderst an der Aufteilung der Gesetzgebungskompetenzen für verschiedene Medien zwischen Bund und Ländern. Die einfach-rechtlich bestehende Aufteilung in Trägermedien und elektronische Medien zwischen Bund und Ländern kam zustande, nachdem der Bund quasi freiwillig166 auf die Wahrnehmung einer (vermeintlichen oder tatsächlichen) Freiräume“ nennt. Diese Bereiche unterliegen aber ebenso einer Veränderung, so gehen Gurlit / Oster, GewArch 2006, S. 361, 371 davon aus, dass nach der Einführung des Prostitutions-Gesetzes die Einrichtung von Sperrbezirken gem. Art. 297 EGStGB verfassungswidrig ist. Das Prostitutions-Gesetz wiederum war auch wieder eine Reaktion auf die gesellschaftlich reale Rolle der Prostitution, ein Prozess, den Ladeur wohl wiederum als zirkulär kritisieren würde. 162 Eine vergleichbare Regelung beinhaltet auch § 18 Abs. 7 JuSchG. 163 Günter / Schindler, RdJB 2006, S. 341, 342 f. 164 Lober, K&R 2005, S. 65, 65. 165 Liesching weist beispielhaft darauf hin, dass bis zu 17 Verfahrensstationen durchlaufen werden, wenn gegen ein rechtswidriges Angebot der Telemedien vorgegangen wird, nachgewiesen in der Neuen Züricher Zeitung vom 03. 08. 2007. Vgl. auch die Darstellung bei Schulz et al, Analyse des Jugendmedienschutzsystems, S. 156 f. sowie 168 f. 166 Die Frage nach Art. 72 Abs. 2 GG sei insofern ausgeblendet; vgl. dazu Liesching, Jugendmedienschutz in Deutschland und Europa, S. 259 ff.; Retzke, Präventiver Jugendmedienschutz, S. 109; Faber, Jugendschutz im Internet, S. 111 ff.; Taubert, Bundeskompetenz für Jugendschutz, S. 122 ff.; Bandehzadeh, Jugendschutz im Rundfunk und in den Telemedien, S. 98 ff.
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Kompetenz verzichtet hat.167 Darin wurde teilweise ein gutes Beispiel für einen kooperativen Föderalismus erkannt.168 Diese Einschätzung kann jedoch bezweifelt werden, denn der „Verzicht“ des Bundes beruhte nicht etwa (allein) auf sachlicher Einsicht, sondern auf der Zusage der Länder, dem Bund im Gegenzug umfassende Gesetzgebungskompetenzen für den Datenschutz im Bereich elektronischer Medien zuzugestehen169 und auf der Bedingung, dass auch Entsandte des Bundes in der KJM vertreten sein werden.170 Ein derartiger sprichwörtlicher „Kuhhandel“ lässt nicht nur Raum für Zweifel hinsichtlich der grundgesetzlichen Kompetenzverteilung.171 Vor allem führt er typischerweise zu keinen sachlich optimalen Ergebnissen. Dass beispielsweise für ein jugendgefährdendes Computerspiel eine andere staatliche Körperschaft zuständig ist, je nachdem, ob dieses von einer CD oder aus dem Internet auf den PC geladen wird, erscheint bei unbefangener Betrachtung als schlichtweg unsinnig (ganz gleich, welcher Körperschaft man eine allumfassende Zuständigkeit in der Konsequenz zusprechen wollte). Und diese Art von Uneinheitlichkeit ist omnipräsent: Es gelten unterschiedliche Gesetze, es handeln unterschiedliche Behörden sowie unterschiedliche private Organisationen und viele zentrale Fachtermini unterscheiden sich – das ist eigentlich keinem Bürger, keinem Anbieter, keinem Elternteil und auch keinem Jugendlichen vermittelbar. Erst recht nicht, wenn darüber hinaus niemand sicher zu sagen vermag, was in Grenzfällen gilt, beispielsweise, wenn das soeben zitierte Computerspiel per E-Mail versandt wurde.172 Die Aufteilung bringt nicht nur schwierige Abgrenzungsprobleme173 mit sich. Sie zwingt darüber hinaus zur ständigen, aufwendigen Koordination zwischen den 167 Vgl. die Eckwertevereinbarung zwischen Bund und Ländern vom 08. 03. 2002 zur Neugestaltung des Jugendmedienschutzes, BT-Drucks. 14 / 9013, S. 27 ff.; vgl. dazu z. B. auch BayLT-Drucks. 14 / 10246, Rn. 43. 168 Langenfeld, MMR 2003, S. 303, 305. 169 Hesse, Rundfunkrecht, Kapitel 3, Rn. 23. Ebenso Bosch, Regulierte Selbstregulierung im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag, S. 52 m. w. N. 170 Bosch, Regulierte Selbstregulierung im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag, S. 53. 171 Dazu Bosch, Regulierte Selbstregulierung im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag, S. 52 f., Fn. 120. 172 Vgl. Schulz et al, Analyse des Jugendmedienschutzsystems, S. 368. – Diese Unklarheiten existieren bereits nach aktuellem Stand der Technik, werden durch die immer weiter zunehmende Konvergenz aber noch verstärkt, vgl. Schulz et al, Analyse des Jugendmedienschutzsystems, S. 220 ff. 173 Vgl. dazu die Darstellung m. w. N. bei Bandehzadeh, Jugendschutz im Rundfunk und in den Telemedien, S. 112 f. Ein besonders deutlicher Missstand ergibt sich bei Fernsehserien, die auch auf DVD veröffentlicht werden, weil sich hier die Verfahren gem. JuSchG und JMStV überschneiden und widersprüchliche Doppelprüfungen möglich sind, vgl. dazu den Jahresbericht 2006 der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen e.V. (FSF), abrufbar unter http: //www.fsf.de/fsf2/ueber_uns/bild/download/FSF_Jahresbericht_2006.pdf (Stand: 11. 11 2007), S. 38 und 83 f. sowie Schulz et al, Analyse des Jugendmedienschutzsystems, S. 220. –
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10. Teil: Rechtspolitische Bewertung
verschiedenen Institutionen, um wenigstens die gröbsten Wertungswidersprüche zwischen verschiedenen Medien zu vermeiden,174 dadurch werden alle betroffenen Verfahren (noch) langsamer und ineffizienter. Somit mag es ein Fortschritt sein, dass seit Inkrafttreten des JMStV wenigstens die jugendschutzrechtliche Kontrolle aller elektronischen Medien in einer Hand liegt.175 Angesichts der angedeuteten, weiterhin bestehenden Reibungsverluste erscheint dies aber als viel zu kurz gegriffen. Zwar mögen die „Zuschnitte der Anwendungsbereiche [ . . . ] im Wesentlichen bestimmbar“176 sein – doch damit werden nur Symptome geringfügig besser als früher gelindert, aber nicht deren Ursache beseitigt, für die keine sachliche Berechtigung existiert.177 Ideal wäre es natürlich, wenn eine ebenso klare wie sachangemessene Kompetenzverteilung zwischen den Hoheitsträgern bereits unmittelbar durch das Grundgesetz erfolgte, so dass Absprachen zwischen Bund und Ländern von vornherein nicht nötig wären.178 Angesichts der überwältigenden Probleme bei der Suche nach einer klaren und sachangemessenen Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern im Allgemeinen (die auch nach der Föderalismusreform 2006179 nicht vollständig gelöst sind180) kann realistischerweise aber keine Besserung erwartet werden.181 Geht man mit der hier vertretenen Auffassung182 davon aus, dass der Bund im Rahmen der konkurrierenden Gesetzgebung eine einheitliche Regelung für alle Medien erlassen könnte,183 stellt sich die rechtspolitische Frage, ob der Bund Die vergleichsweise positive Beurteilung von Retzke, Präventiver Jugendmedienschutz, S. 208, nach der die „enge Verzahnung zwischen KJM und der BPjM [ . . . ] gut gelungen“ sei, geht weder auf diesen Punkt noch auf andere praktische Schwierigkeiten ein und vermag daher nicht zu überzeugen. 174 Das illustriert Bandehzadeh, Jugendschutz im Rundfunk und in den Telemedien, S. 111 f. ausführlich und anschaulich. 175 Ähnlich Bandehzadeh, Jugendschutz im Rundfunk und in den Telemedien, S. 113. 176 So Schulz et al, Analyse des Jugendmedienschutzsystems, S. 201, wo aber sogleich Ausnahmen genannt werden, bei denen die „Zuschnitte der Anwendungsbereiche“ gerade nicht bestimmbar sind. 177 Dies wird m. E. bei Schulz et al, Analyse des Jugendmedienschutzsystems, S. 201 nicht hinreichend deutlich gemacht; ebenso wenig wird deutlich, dass die von Schulz et al, Analyse des Jugendmedienschutzsystems, S. 220 selbst erläuterten Probleme von unterschiedlichen und unterschiedlich aufgebauten Institutionen erst durch die Aufteilung der Kompetenzen entstehen können. 178 Ähnlich Retzke, Präventiver Jugendmedienschutz, S. 108 ff. 179 Vgl. dazu z. B. Degenhart, NVwZ 2006, S. 1209, passim. 180 Peter M. Huber in: FS Scholz, S. 595, 614 stellt dies – trotz vieler erreichter Fortschritte – ausdrücklich fest. 181 So auch die Einschätzung von Retzke, Präventiver Jugendmedienschutz, S. 109 f., die meint, die Länder seien nicht dazu bereit, eine derartig nachhaltige Einbuße von Macht hinzunehmen. 182 Siehe Seite 346 f.
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davon Gebrauch machen sollte. Während die Vorteile eines so genannten Wettbewerbsföderalismus im Jugendmedienschutz kaum zum Tragen kommen dürften, ist das allgemeine Bedürfnis nach bundeseinheitlichen Regelungen in diesem Bereich offensichtlich.184 Sowohl in der Bevölkerung als auch bei den gewählten Entscheidungsträgern besteht augenscheinlich der politische Wunsch nach in ganz Deutschland identischen Jugendschutz-Standards. Angesichts dessen läge eine Wahrnehmung durch den Bund nahe.185 Eine jugendschutzrechtliche Normierung aller Medien durch den Bund ist aber nicht nur kompetenzrechtlich umstritten, sondern offensichtlich in der Staatspraxis nicht durchsetzbar (ebenso wenig wie eine umfassende Regelung des Jugendschutzes in ausnahmslos allen Medien durch die Länder). Auch hier scheinen die Interessen der realen Entscheidungsträger gewichtiger als sachliche Gründe zu sein. Auf geradezu groteske Weise wurde dies zwischenzeitlich daran erkennbar, dass sich einzelne Rechtswissenschaftler dazu bewogen sahen, die Aufnahme einer bislang nicht existierenden „echten Gemeinschaftskompetenz“ für Bund und Länder in das Grundgesetz vorzuschlagen, um eine neue Bund-Länder-Gemeinschafts-Anstalt zu gründen, die über dezentral verwaltete Überwachungsbehörden in den Ländern arbeiten würde – und zwar nur deshalb, weil sich die Körperschaften in den materiellen Fragen einig seien und „der Streit [ . . . ] im Bedürfnis nach Kompetenzwahrung begründet“ sei.186 Auch wenn nach letztgenannter Auffassung das „Bedürfnis nach Kompetenzwahrung“ schwerwiegender zu sein scheint als der bestehende verfassungsmäßige Katalog von Kompetenzarten (sowie gewichtiger als die in jüngerer Zeit vermehrt angestrebte möglichst klare Scheidung von Kompetenzen), kam es aufgrund der eingangs beschriebenen Vereinbarung zwischen Bund und Ländern zu einer anderen Lösung. Durch sie wurde der Weg dazu frei, den Wunsch nach einem bundesweit gleichlautenden Jugendschutz-Standard wenigstens für die elektronischen Medien zu verwirklichen, und zwar nicht durch ein Bundesgesetz und eine Bundesbehörde, sondern durch einen Länder-Staatsvertrag und eine länderübergreifend tätige Einrichtung der Länder.187 Auch wenn dieser Weg mit dem JMStV (nach jahrelangen Verhandlungen) tatsächlich eingeschlagen werden konnte, so wird sich 183 Von der Erfüllung der Voraussetzungen von Art. 72 Abs. 2 GG soll an dieser Stelle ausgegangen werden; vgl. dazu Liesching, Jugendmedienschutz in Deutschland und Europa, S. 259 ff.; Retzke, Präventiver Jugendmedienschutz, S. 109; Faber, Jugendschutz im Internet, S. 111 ff.; Taubert, Bundeskompetenz für Jugendschutz, S. 122 ff.; Bandehzadeh, Jugendschutz im Rundfunk und in den Telemedien, S. 98 ff. 184 Ähnlich Retzke, Präventiver Jugendmedienschutz, S. 109. 185 So z. B. auch der Vorschlag von Bandehzadeh, Jugendschutz im Rundfunk und in den Telemedien, S. 110 ff. 186 So Koenig / Röder, K&R 1998, S. 417, 420 f. In neuerer Zeit hat auch Retzke, Präventiver Jugendmedienschutz, S. 111 Sympathie für diesen Vorschlag gezeigt, die lediglich dessen praktische Realisierbarkeit anzweifelt. 187 Die Normsetzung durch Staatsverträge der Bundesländer wird durch Art. 30 GG nicht erfasst, verfügt aber trotzdem über erhebliche Bedeutung und ist im Grundsatz anerkannt, vgl. Pernice in: Dreier, GG, Art. 30, Rn. 23.
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doch bei jeder Änderung der Lage erneut das Problem stellen, wie sich 16 Normgeber einigen können.188 Gerade im Bereich einer schnelllebigen Materie ist das alles andere als effizient. Was könnte diesen Befund deutlicher illustrieren, als dass sogar der Ministerpräsident eines Bundeslandes (dazu eines weit überdurchschnittlich leistungsfähigen Bundeslandes!) zur Gestaltung des Medienrechts sagt: „Der Föderalismus, die Länder sind zu langsam. Wir werden der Entwicklung der Technik und der wirtschaftlichen Entwicklung oftmals mit Staatsverträgen und Gesetzen zu spät gerecht.“189 Allein: Sofern sich weder der politische Wille zu bundeseinheitlichen Maßstäben im Jugendmedienschutz noch der politische Unwille zur Wahrnehmung der entsprechenden Kompetenzen durch den Bund ändert, so lange ist ein Staatsvertrag und eine länderübergreifende Einrichtung die am wenigsten schlechte Lösung, welche die Rechtswissenschaft der Politik anzubieten vermag.
b) Vielzahl der Entscheidungsträger im Verfahren aa) Landesmedienanstalten und KJM sowie deren Untergliederungen Die KJM ist zwar einheitlich für das gesamte Bundesgebiet zuständig, trotzdem entsteht keine vollständige Konzentration des Verfahrens. Für die KJM handeln nicht nur die bereits vorgestellten diversen Untergruppierungen, vor allem verbleiben auch bei den Landesmedienanstalten wesentliche Verfahrensschritte.190 Die dementsprechend langen Kommunikations- und Entscheidungswege zwischen ermittelnder Stelle (Landesmedienanstalten oder KJM oder „Jugendschutz.net“), Entscheidungsorgan (KJM), deren vorbereitenden Untergliederungen (Prüfausschüsse und Prüfgruppen) und der ausführenden Stelle (Landesmedienanstalt) wurde daher als umständlicher Prozess kritisiert,191 zumal sich die Situation durch Aufteilung zwischen der Geschäftsstelle der KJM in Erfurt und ihrer Stabstelle in München noch verschärfen kann.192
188 In diesem Sinne auch Klaus-Peter Potthast, Leiter der Mediengruppe in der Bayerischen Staatskanzlei, am 08. 11. 2007 in einem Wortbeitrag bei den Medientagen München; außerdem sei zur Vermeidung inhaltlicher Widersprüche zusätzlich auch die Abstimmung mit allen Landesjugendministerien sowie dem Bund nötig. 189 Günter Oettinger, Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg, am 18. 10. 2006 in München, nachgewiesen in tendenz 04 / 2006, S. 23. Vgl. dazu auch Stöber, epd medien 2006, Nr. 83, S. 11, 11. 190 Zu den beteiligten Stellen, deren Kompetenzverteilung und Verfahren siehe Seite 89 ff. 191 Mynarik, Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien, S. 266. Ähnlich sogar Roll, KJuG 2005, S. 65, 66, der Mitglied der KJM ist, vgl. die Selbstdarstellung der KJM, abrufbar unter http: //www.kjm-online.de/public/kjm / index.php?show_1=70,67,54 (Stand: 24. 03. 2007). 192 Vgl. Mynarik, Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien, S. 266 mit näheren Ausführungen.
B. Rechtspolitische Bewertung des Verfahrens des JMStV
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bb) KJM und EFS Am offensichtlichsten ist die Generierung einer Mehrzahl von Entscheidungsträgern bei den Institutionen der KJM auf der einen und den anerkannten EFS auf der anderen Seite. Inhaltliche Fragen können von den beiden Einrichtungen unterschiedlich gehandhabt werden, solange nur der Beurteilungsspielraum nicht überschritten ist. Das so entstandene Risiko sich widersprechender Entscheidungen wurde bereits kritisiert,193 teilweise besteht die Befürchtung, statt einer klaren Verantwortungsteilung bestehe eine „Verantwortungsverflüchtigung“.194 cc) Verschiedene EFS Der JMStV ermöglicht die Anerkennung von mehreren EFS. Dies gilt nicht nur für verschiedene Medien, sondern auch innerhalb einer Mediengruppe. Jede anerkannte EFS verfügt über einen eigenen Beurteilungsspielraum, daher ist es möglich, dass innerhalb der Grenzen eines Beurteilungsspielraums verschiedene Rechtsauffassungen parallel praktiziert werden. Dieser Befund wird jedoch in zweifacher Hinsicht relativiert. Zum einen erfährt die Anzahl anerkannter EFS eine Beschränkung durch § 19 Abs. 3 Nr. 2 JMStV; danach sollen in einer anerkannten EFS eine „Vielzahl von Anbietern“ organisiert sein. Wenn nicht konkret begrenzt, so sollte die Anzahl anerkannter EFS dadurch wenigstens überschaubar bleiben. Zum anderen bestimmt § 19 Abs. 6 JMStV, dass sich alle anerkannten EFS über die Anwendung des JMStV abstimmen sollen. Somit besteht zwar keine sanktionierte Pflicht zur gegenseitigen Abstimmung, jedoch immerhin ein eindeutiger gesetzlicher Appell,195 der beispielsweise mit Blick auf die Evaluation des JMStV eine gewisse Wirkung erzielen sollte. dd) Bewertung Nach heutigem Stand der Dinge erscheint die mögliche Vielzahl von EFS ausschließlich als theoretisches Problem. Die beiden real existierenden EFS (FSF und FSM) sind durch den Bezug auf verschiedene Medien in ihrer Tätigkeit relativ klar getrennt. Konfliktpotential lässt sich auch nicht für die nähere Zukunft erkennen. Eine – rechtlich nicht unproblematische 196 – zwangsweise Vereinheitlichung erscheint daher nicht geboten.197 Ullrich, MMR 2005, S. 743, 745. So Lang, MedR 2005, S. 269, 279 für das bereits kurz angesprochene System im Bereich des Transplantationsrechts. 195 Hartstein / Ring / Kreile / Dörr / Stettner, Rundfunkstaatsvertrag, Band III, C 3, § 19 JMStV, Rn. 23. 196 Diese rechtliche Dimension wird von den von Schulz et al, Analyse des Jugendmedienschutzsystems, S. 228 ff. vorgebrachten Diskussionsanstößen offenbar ausgeblendet. 193 194
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10. Teil: Rechtspolitische Bewertung
Die möglichen Reibungsverluste zwischen KJM und EFS entstehen aus dem Zusammenwirken privater und staatlicher Akteure, das der regulierten Selbstregulierung immanent ist. Wenn man – wie gezeigt, aus guten Gründen – den Willen zur Schaffung eines Systems der regulierten Selbstregulierung voraussetzt, so sind diese Reibungsverluste dem Grunde nach hinzunehmen (was Optimierungen in Einzelfragen der Praxis freilich nicht überflüssig macht). Die Effizienzverluste durch die Mehrzahl von Beteiligten sollten insofern durch die Effizienzgewinne durch die Einbindung der Privaten allemal übertroffen werden. Die Reibungsverluste im Bereich von KJM und Landesmedienanstalten hingegen sind überflüssig. Auffälliges Symbol für Ineffizienz ist bereits, dass eine bundesweit zuständige Kommission ihre Tätigkeit wieder auf verschiedene Standorte aufteilt.198 (Darüber hinaus ist es ein weiteres Beispiel für die bereits gewonnene Erkenntnis, welchen hohen Stellenwert die Interessen der real entscheidenden Personen im Verhältnis zur objektiven Effizienz der entscheidenden Institutionen haben.) Vor allem aber erscheint es als inkonsequent, die bundeseinheitlich zuständige Kommission nicht umfassend handeln zu lassen.199 Der gesamte Vollzug sollte bei der KJM und nicht bei den Landesmedienanstalten liegen.200 Die KJM könnte mit Sicherheit genügend fachliche Kompetenz entwickeln, um eine umfassende sachliche Kompetenz auszufüllen. Insbesondere der „juristische Support“ (Erdemir) ist dort ebenso generierbar wie bei den Landesmedienanstalten. Mögliche Unterschiede im Landesrecht fallen dabei nicht wesentlich ins Gewicht (und sind womöglich ihrerseits beseitigenswert). In weiterer Konsequenz sollte die Rolle der KJM durch eine gesetzlich angeordnete Passivlegitimation im Verwaltungsprozess vervollständigt werden. Scholz / Liesching haben vorgeschlagen, dass die Landesmedienanstalten im Rahmen des geltenden Rechts in freiwilliger Weise der KJM den Status einer unmittelbar handelnden Behörde einräumen sollten.201 Dies ist bis dato nicht geschehen – aufgrund des Interesses der Landesmedienanstalten an der Wahrung ihrer Besitzstände ist das auch nicht zu erwarten, ganz gleich, ob es bei objektiver Betrachtung die Verfahrenseffizienz steigern würde. Zweck des 197 Zwischenzeitliche Pläne zur verbindlichen Bildung von Selbstkontrolleinrichtungen wurden im Laufe der Entstehungsgeschichte des JMStV wieder aufgegeben, vgl. Hartstein / Ring / Kreile / Dörr / Stettner, Rundfunkstaatsvertrag, Band III, C 2 Rn. 67. 198 Deutlich auch Schulz et al, Analyse des Jugendmedienschutzsystems, S. 160: „Die Aufteilung in Stabs- und Geschäftsstelle – noch dazu an verschiedenen Orten – hat sich in der Praxis nicht bewährt.“ 199 Ähnlich Liesching, Jugend Medien Schutz-Report 2005, Heft 6, S. 2, 4 sowie Schulz et al, Analyse des Jugendmedienschutzsystems, S. 161 und 202. 200 Aus den gleichen Gründen erscheint es begrüßenswert, nicht nur den Jugendschutz, sondern alle Aufgabenfelder in einer bundesweit zuständigen Medienanstalt der Länder zu vereinen, wie dies vereinzelt vorgeschlagen wird, vgl. Stöber, epd medien 2006, Nr. 85, S. 13, passim. 201 Scholz / Liesching, Jugendschutz, § 14 JMStV, Rn. 7, die dabei vorschlagen, dass die Landesmedienanstalten dies in praxi durch weitergehende Verwaltungsvorschriften bzw. -vereinbarungen, die zu einer Entscheidungsfiktion führen, umsetzen sollten.
B. Rechtspolitische Bewertung des Verfahrens des JMStV
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JMStV ist ein einheitlicher Jugendschutz durch einen bundesweit gültigen Staatsvertrag und eine bundesweit entscheidende Kommission (vgl. § 1 JMStV). Die Erreichung dieses Ziels wird erschwert, wenn ohne Not Ermittlung, Entscheidung, Begründung, Vollziehung und gerichtliche Durchsetzung auf verschiedene Institutionen verteilt werden. Denn Gründe dafür sind lediglich im Willen zur Besitzstandswahrung von real existierenden Institutionen und Personen zu erkennen. So bleiben die Rest-Zuständigkeiten der Landesmedienanstalten nur noch traurige, morbide anmutende Symbole eines selbstzweckartigen Pseudo-Föderalismus.
c) Vielzahl der Entscheidungsträger im gerichtlichen Verfahren aa) Verschiedene Gerichtsbarkeiten Die Entscheidungen der KJM bzw. die Bescheide der Landesmedienanstalten können vor den Verwaltungsgerichten angegriffen werden. Die Einhaltung der materiell-rechtlichen Anforderungen des JMStV können jedoch auch auf dem Zivilrechtsweg durchgesetzt werden, wenn ein Anbieter in einem wettbewerbsrechtlichen Verfahren gegen einen Konkurrenten vorgeht, welcher gegen den JMStV verstößt. Die lange Dauer der verwaltungsgerichtlichen Verfahren, die den JMStV zum Gegenstand haben, wurde in der Literatur bereits kritisiert.202 Jedoch lässt sich nicht ohne weiteres feststellen, inwiefern die Verantwortung hierfür bei den Verwaltungsgerichten selbst liegt; nicht nur, weil erfahrungsgemäß die Parteien von sich aus langsamer agieren, wenn sie nicht den Beibringungspflichten des Zivilprozessrechts unterliegen, sondern vor allem, weil regelmäßig das Verwaltungsverfahren, das seinerseits sehr zeitaufwendig sein kann, abgeschlossen sein muss, bevor sich das Verwaltungsgericht überhaupt mit dem Fall befassen kann. Angesichts dieser Umstände kann es nicht verwundern, dass die ersten Gerichtsentscheidungen zum materiellen Recht des JMStV – insbesondere zu Altersverifikationssystemen für geschlossene Benutzergruppen gem. § 4 Abs. 2 Satz 2 JMStV203 – von Zivilgerichten stammen. Sogar höchstrichterliche Entscheidungen liegen schon vor204 (während bei den Verwaltungsgerichten noch nicht eine einzige Hauptsacheentscheidung auf obergerichtlicher Ebene getroffen wurde). Dies führt zur rechtspolitischen Frage, ob es in einer so dynamischen Materie nicht zielführender wäre, wenn sich private Konkurrenten mit entsprechender Sachkunde gegenseitig beobachten und ohne weitere Zwischenschritte eine gerichtliche Klärung herbeiführen können. Die Frage nach dem rechtspolitisch richtigen Rechtsweg stellt sich nicht nur im Jugendmedienschutz und nicht nur in der Scheuer, RdJB 2006, S. 308, 314. Einen Überblick über die zu der Frage ergangene Rechtsprechung bieten Günter / Schindler, RdJB 2006, S. 341, 345 f., die bezeichnenderweise nur Entscheidungen der ordentlichen Gerichtsbarkeit nennen. 204 BGH, Urteil vom 18. 10. 2007, Az. I ZR 102 / 05. 202 203
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Regulierung der Medien, sondern im gesamten Recht der Regulierung, wie sich aktuell und beispielhaft in der Diskussion der öffentlich-rechtlichen Abteilung des 66. Deutschen Juristentages zeigte.205 Im Bereich des JMStV ist diese Frage nicht mit einem „Entweder-oder“, sondern mit einem „Sowohl-als-auch“ zu beantworten. Die wettbewerbsrechtlichen Möglichkeiten können nicht nur dem Schutz des Wettbewerbs, sondern auch dem Schutz der Jugend dienen, weil sie das Schutzniveau jedenfalls erhöhen können und die Konkurrenten im Einzelfall über aktuellere und speziellere Informationen verfügen. Sie sind aber kein Ersatz für eine hoheitliche Wahrnehmung, die durch den staatlichen Schutzauftrag geboten ist. Zwar wäre es zur Vereinheitlichung der Rechtsprechung auch denkbar, hoheitliche Entscheidungen den Zivilgerichten zuzuweisen, wie dies beispielsweise im Kartellrecht der Fall ist. Gerichtlicher Schutz der Anbieter vor unberechtigten hoheitlichen Eingriffen ist jedoch keine typische Aufgabe der Zivilgerichte. Im Gegensatz zu wettbewerbsrechtlichen Prozessen gilt der Schutz nämlich nicht einem Markt oder einem Marktteilnehmer, sondern der Jugend. Potentielle Inkonsistenzen zwischen den verschiedenen Gerichtsbarkeiten erscheinen daher als ein weniger schwer wiegend. bb) Verschiedene Gerichte innerhalb der Verwaltungsgerichtsbarkeit § 22 JMStV nutzt die Option gem. Art. 99 Halbsatz 2 GG und ermöglicht die Revision vor dem Bundesverwaltungsgericht.206 Dadurch wird eine letztlich einheitliche Rechtsprechung innerhalb der Verwaltungsgerichtsbarkeit ermöglicht. Jedoch sind – anders als beispielsweise bei der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) mit Sitz in Bonn und somit im Bezirk des Verwaltungsgerichts Köln – für die Entscheidungen der KJM immer verschiedene Verwaltungsgerichte zuständig, je nachdem, für welche Landesmedienanstalt sie tätig wurde.207 Würde die KJM – wie hier vorgeschlagen – umfassend mit der Überwachung betraut und wäre sie selbst passivlegitimiert, so würde dies auch einen Beitrag zur Vereinheitlichung der Rechtsprechung leisten. d) Schlussfolgerung Die Vielzahl von Entscheidungsträgern im Verfahren zur jugendschutzrechtlichen Überwachung mindert insgesamt dessen Effizienz. Zwar wurde auch durch die Schaffung der anerkannten EFS die Anzahl der Entscheidungsträger vergrößert. Trotzdem mindern die EFS nicht die Effizienz des Systems, weil deren Ein205 Dazu ausführlich Masing, Soll das Recht der Regulierungsverwaltung übergreifend geregelt werden?, S. 161 ff. 206 Näher dazu Scholz / Liesching, Jugendschutz, § 22 JMStV, passim. 207 Kritisch dazu Roll, KJuG 2005, S. 65, 66.
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bindung zugleich positive Effekte mit höherem „Betrag“ nach sich zieht. Die in der Praxis unübersehbaren Effizienzprobleme haben ihre Ursache daher in der Vielzahl von Entscheidungsträgern auf der hoheitlichen Seite des Systems, die im Rahmen einer rechtspolitischen Bewertung nicht den EFS zugerechnet werden dürfen.
5. Zur Berechtigung eines nicht auf Absolutheit orientierten Verfahrens Immer wieder wird betont, dass der Jugendmedienschutz zu den wichtigsten gesellschaftlichen Aufgaben in Deutschland gehöre.208 Diese These kann kaum als falsch bezeichnet werden, trotzdem kann sie mitunter irreführend wirken. Zunächst deshalb, weil auch zahlreiche andere, nicht-mediale Phänomene die Entwicklung von Jugendlichen beeinträchtigen können. Daher ist die reflexartige Kritik an den Medien bei jeder sichtbar werdenden Fehlentwicklung von Jugendlichen – insbesondere bei dem denkbar schlimmsten Höhepunkt in Form eines Amoklaufes209 – viel zu kurz gegriffen,210 häufig sogar populistische Augenwischerei.211 Doch auch bei isolierter Betrachtung des Jugendmedienschutzes kann die Betonung dessen besonderer Wichtigkeit irreführend wirken. In verfassungsrechtlicher Hinsicht wurde bereits gezeigt, dass der Jugendschutz im Vergleich zu anderen Schutzgütern nicht in überproportional größerem Maße zur Rechtfertigung einer Freiheitsbeschränkung dienen kann. Diese Erkenntnis ist zu ergänzen durch eine genaue Betrachtung des einfachen Rechts. Die materiell-rechtliche Anforderung an die Anbieter beschränkt sich nämlich typischerweise darauf, dass Jugendliche entwicklungsbeeinträchtigende Angebote üblicherweise nicht wahrnehmen.212 Ausnahmen, beispielsweise bei Jugendlichen, deren Eltern spätes Fernsehen gestatten, sind gerade außer Acht zu lassen.213 Auch können Jugendliche im einSo ausdrücklich hinsichtlich des Rundfunks Hopf, Jugendschutz im Fernsehen, S. 1. Auch nach der Einführung des JMStV haben derartige Amokläufe großen Einfluss auf öffentliche und rechtspolitische Diskussion, wie sich am Amoklauf von Emsdetten im November 2006 gezeigt hat, vgl. Zweiter Bericht der KJM vom August 2007, S. 29, abrufbar unter http: //www.kjm-online.de/public/kjm/downloads/KJM_Bericht%20und%20Umschlag. pdf (Stand: 19. 09. 2007). 210 Schulz et al, Computerspiele, S. 167 machen zu Recht darauf aufmerksam, dass auch „gut gemeinte alarmistische Kommunikation über Jugendmedienschutz“ kontraproduktiv sein kann. 211 Vgl. beispielsweise Süddeutsche Zeitung vom 22. 11. 2006. Vgl. außerdem zu den wesentlich bedeutenderen Hintergründen derartiger Amokläufe, für deren Beantwortung aber keine einfachen Lösungen zur Verfügung stehen, die beeindruckende Darstellung von Ijoma Mangold in der Süddeutschen Zeitung vom 22. 11. 2006, abrufbar unter http: //www.sued deutsche.de/,tt4l4/kultur/artikel/411/92319/(Stand: 27. 02. 2007). 212 § 5 Abs. 1 JMStV. 213 Mynarik, Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien, S. 80 m. w. N. 208 209
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verständlichen und nicht zwingend illegalen Zusammenwirken mit Erwachsenen jederzeit an entwicklungsbeeinträchtigende Angebote gelangen.214 Insofern ist Schulz et al zuzustimmen: „Insgesamt wird man in diesem Bereich absolute Sicherheit weder versprechen noch erwarten können [ . . . ]“.215 In der Konsequenz kann festgehalten werden: Wenn bereits das materielle Recht des JMStV die Konfrontation Jugendlicher mit entwicklungsbeeinträchtigenden Angeboten im Einzelfall bewusst zulässt, also den Jugendschutz insofern nicht verabsolutiert (und darüber hinaus die tatsächlichen Umstände eine derartige Verabsolutierung auch kaum zuließen), dann ist ein Verfahrensrecht, das im Einzelfall216 Überschreitungen von geringem Ausmaß217 in Kauf nimmt, nicht prinzipiell ungeeignet für die Umsetzung dieses materiellen Rechts.218 Mit plakativen Worten: Wenn die Sendezeitbeschränkung gem. § 5 Abs. 1 JMStV als rechtspolitisch adäquat eingeschätzt wird, dann kann für den Beurteilungsspielraum der anerkannten EFS gem. § 20 Abs. 3, 5 JMStV nichts anderes gelten. 6. Zur Berechtigung eines besonders komplexen Systems Wenn feststeht, dass das materielle Recht keine absolute Einhaltung anstrebt und dementsprechend auch das Verfahren keinem entsprechenden Anspruch unterliegen kann, drängt sich die Frage auf, ob ein so komplexes, vielfach verschränktes Verfahren, wie es der JMStV generiert hat, angemessen ist. Andere Medien in Deutschland kommen mit weniger komplexen Systemen aus, beispielsweise bleibt es im Bereich der Presse bei einer bloßen Selbstregulierung.219 Und auch die vorschnelle Behauptung, dass die Bewertung möglicher EntInsoweit zustimmungswürdig Spoerr / Sellmann, K&R 2004, S. 367, 372. Schulz et al, Analyse des Jugendmedienschutzsystems, S. 373 f. (Hervorhebung nicht im Original). 216 Zwingend vorgeschriebene Erteilung und möglicher Widerruf der Anerkennung gem. § 19 Abs. 3 und 5 Satz 1 JMStV gewährleisten die Einhaltung des materiellen Rechts im Regelfall. 217 Die KJM kann bei Überschreitung des Beurteilungsspielraums durch die EFS gegenüber dem Anbieter eingreifen (§ 20 Abs. 3, 5 JMStV); absolut unzulässige Angebote werden vom Beurteilungsspielraum anerkannter EFS bereits von vornherein nicht erfasst (§ 20 Abs. 3 Satz 2, Abs. 5 Satz 1 JMStV). 218 Mynarik, Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien, S. 264 argumentiert in ihrer Untersuchung zusätzlich damit, das gesetzgeberische Experiment sei durch Evaluierungsverfahren und Sonderkündigungsmöglichkeiten des Staatsvertrags gegen eine unkontrollierbare Verselbständigung der beteiligten Privaten abgesichert. Dies war m. E. durchaus zustimmungswürdig, ist aber inzwischen zeitlich überholt. 219 Diesen Vergleich zieht ausdrücklich Herbert Bethge auf der 94. Tagung des Studienkreises für Presserecht und Pressefreiheit am 31.10. / 01. 11. 2003 in Fulda, nachgewiesen bei Wallraf, AfP 2004, S. 42, 43. Schulz et al, Co-Regulierung im Medienbereich, S. 191 erklären die Unterschiede u. a. mit verschiedenen Traditionen verschiedener Arten von Medien („unterschiedliche Regulierungspfade“). 214 215
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wicklungsbeeinträchtigungen durch Bewegtbilder so komplex sei, dass sie zu einem komplexen Verfahren zwinge, lässt sich mit einem Blick ins benachbarte Ausland anzweifeln: In den Niederlanden beruhen die Altersempfehlungen für Kinofilme, Fernsehsendungen, DVD’s und Videos auf dem Klassifizierungssystem „Kijkwijzer“.220 Kommunikationswissenschaftler erarbeiteten dafür einen Katalog von rund 50 Fragen, die von den Anbietern selbst für jedes einzelne Angebot via Internet beantwortet werden können. Anschließend erteilt das Programm automatisch (!) die Altersklassifizierung. Dieses Verfahren wird für die verschiedensten Angebote verwandt, lediglich Live-, Nachrichten- und Sportsendungen bilden eine Ausnahme. Unabhängig von einer genaueren empirischen Bewertung kann davon ausgegangen werden, dass in den Niederlanden kein unvertretbar geringes Niveau im Jugendmedienschutz herrscht. Ist das deutsche Verfahren also unnötig kompliziert? Und polemisch gefragt: Dient das komplizierte System am Ende mehr der Heraushebung der Jugendschützer als dem Jugendschutz? Eine nur teilweise befriedigende Antwort ergibt sich aus den speziellen Vorteilen der Einbindung der Privaten, die anders nicht erzielbar wären. Anschaulichstes Beispiel im Bereich des JMStV ist die Möglichkeit einer Vorab-Kontrolle von Angeboten, die staatlichen Stellen nach deutschem Verfassungsrecht verwehrt ist.221 Wenn die Einbindung der Privaten nicht völlig unkontrolliert geschehen darf, so liegt es in der Natur der Sache, dass die Regelungen der Abgrenzung der Einflusssphären eine komplexe Gestalt annehmen können. Eine grundsätzlichere und einfache Antwort ergibt sich dagegen aus einer ebenso grundsätzlichen und einfachen Überlegung: Im Jugendmedienschutz gilt wie im gesamten Recht, dass das Verfahrensrecht der Umsetzung des materiellen Rechts dient. Der Gesetzgeber des materiellen Rechts des Jugendmedienschutzes hat sich für die Verwendung von relativ unbestimmten und wertungsabhängigen Rechtsbegriffen entschieden (beispielsweise für den zentralen Begriff der Entwicklungsbeeinträchtigung gem. § 5 JMStV). Will man diese wertungsabhängigen Begriffe ihrer Intention entsprechend anwenden, bedarf es einer Vielzahl komplexer Wertungen, die nur von Menschen, nicht von Maschinen vorgenommen werden können. Dadurch wird die Bestimmung, welche Personen von welcher Institution in welchem Verfahren diese Begriffe anwenden, zum entscheidenden Punkt des Jugendmedienschutzes. Und dadurch erfährt die hochgradig komplexe Regelung des Verfahrens ihre Berechtigung. So zeigt sich: Wäre ein insgesamt einfacheres Recht gewünscht, so müsste zunächst am materiellen Recht angesetzt werden. Angesichts des Beispiels aus den Niederlanden erscheint es freilich überlegenswert, ein viel stärker konkretisiertes Entscheidungsprogramm auf der mate220 Dazu Bekkers, tv diskurs 2006, Heft 3, S. 4, 5. Vgl. auch Schulz et al, Co-Regulierung im Medienbereich, S. 77 ff. 221 Siehe Seite 337.
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riell-rechtlichen Seite und – dem folgend – ein einfacheres Verfahren einzuführen. Das gilt besonders, wenn man den Blick auf die Relation von betriebenem Aufwand und tatsächlichem Schutzniveau richtet. Das tatsächliche Schutzniveau ist (rechts-) politisch jedoch nicht die einzige relevante Dimension, sondern auch das „gefühlte“ Schutzniveau. Unabhängig von der umstrittenen Wirkungsforschung, also unabhängig von der Frage, inwiefern mediale Inhalte einen einzelnen Jugendlichen tatsächlich beeinträchtigen können, ist in der Bevölkerung und bei deren demokratisch legitimierten Vertretern der Wunsch nach einem spürbaren Jugendmedienschutz erkennbar. Zu einem spürbaren Jugendmedienschutz gehört auch ein Verfahren, dass durch seine Ausgestaltung deutlich sichtbar macht, dass der Gefahr einer Beeinträchtigung der Jugend mit erheblichem Aufwand begegnet wird. Wenn also anlässlich des Amoklaufs eines Jugendlichen in Deutschland oder anderswo reflexartig der Jugendmedienschutz diskutiert wird, so zeigt sich in diesen Fällen lediglich brennglasartig ein Bedürfnis, das im Übrigen auch generell besteht. Die staatliche Erfüllung dieses Bedürfnisses ist nicht illegitim, jedenfalls dann nicht, wenn es nicht um die Verschärfung von materiellen Verbotstatbeständen geht, sondern „nur“ um die Verfeinerung des Verfahrens. Ebenso, wie es im allgemeinen Polizeirecht legitim ist, eine Erhöhung des subjektiven Sicherheitsgefühls der Bürger anzustreben (beispielsweise durch vermehrte sichtbare Polizeistreifen), ist es im Jugendmedienschutz zulässig, durch ein vielschichtiges Verfahren zu demonstrieren, dass dem Stellenwert des zu schützenden Rechtsguts Rechnung getragen werden soll. Die Einbeziehung vieler Entscheidungsträger in das Verfahren ist also auch dazu bestimmt, einem gewissen Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung zu dienen – sie ist dagegen nicht dazu bestimmt, den Bedürfnissen der vielen einbezogenen Entscheidungsträger zu dienen. Diese Selbstverständlichkeit muss konsequent auf das Verfahren angewandt werden. Am besten lässt sich die Notwendigkeit dessen anhand des bereits angesprochen Themas der Transparenz verdeutlichen: Das Verfahren des JMStV ist – in Form seiner derzeitigen Handhabung – zwar für die Beteiligten, nicht aber für die Öffentlichkeit transparent.222 Dadurch kann zwar ein mögliches Geltungsbedürfnis der Entscheidungsträger befriedigt werden, weil ihre Stellung gerade durch das „Insider-Wissen“ gestärkt wird. Dem Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung ist dagegen nicht gedient, im Gegenteil.223 Wenn also beispielsweise die KJM bis zum Jahr 2007 keine Jahresberichte veröffentlichte, um stattdessen Stellungnahmen in Form von Pressemitteilungen zu verbreiten, so wurde der Zweck des Verfahrens durch die zentrale Institution des Verfahrens verfehlt. Ebenso wie für die Anwendung des geltenden Rechts ist der Zweck eines ausdifferenzierten Verfahrens bei zukünftigen Modifikationen des Gesetzes zu beachten, insbesondere im Rahmen der durchzuführenden Evaluation durch den (oder ge222 223
Schulz et al, Co-Regulierungsmaßnahmen im Medienbereich, S. 139. Anschaulich Schulz et al, Analyse des Jugendmedienschutzsystems, S. 356 f.
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nauer gesagt: durch die verschiedenen) Gesetzgeber. Die Einzelheiten des Überwachungsverfahrens müssen sich nicht nur an den Subjekten und Objekten des Verfahrens orientieren, sondern auch am Empfinden der Bevölkerung. Auch bei einer – aufgrund der genannten Vorteile an sich begrüßenswerten – Einbindung mehrerer Akteure müssen sich klare Verantwortlichkeiten und Befugnisse abzeichnen. Ob diesem Ziel insbesondere durch die Verwendung der Rechtsfigur des Beurteilungsspielraums gedient ist, ist daher sogleich zu untersuchen.
7. Der Beurteilungsspielraum als Kriterium der Zuständigkeitsabgrenzung Wie im Einzelnen dargestellt, sind am Überwachungsverfahren des JMStV eine Vielzahl von Institutionen und Personen beteiligt. Die beiden wichtigsten Akteure sind dabei die KJM auf der einen und die jeweils einschlägige anerkannte EFS auf der anderen Seite. Die Abgrenzung ihrer Zuständigkeit ist durch die neue Rechtsfigur des Beurteilungsspielraums zugunsten Privater geregelt. Bei der Frage nach der Geeignetheit dieses Abgrenzungskriteriums ist zu berücksichtigen, dass nach der Idee des JMStV die Überwachung grundsätzlich bei den anerkannten EFS liegen soll, der Behörde KJM jedoch ein Einschreiten möglich bleiben soll, wenn die der Entscheidung zugrunde liegenden Maßstäbe im Einzelfall in schwerwiegender Weise verletzt wurden.224 Für eine derartige Situation ist das rechtliche Instrument des Beurteilungsspielraums grundsätzlich geeignet, weil bei dessen Anwendung die Entscheidung von der kontrollierenden Institution regelmäßig unberührt bleibt, es sei denn, es unterläuft im Einzelfall ein besonders qualifizierter Verstoß gegen die Entscheidungsmaßstäbe. Mit dieser Eigenschaft ist der Rechtsbegriff des Beurteilungsspielraums freilich nicht alleine. Rechtsbegriffe wie „Vertretbarkeit“225, „Einhaltung pflichtgemäßen Ermessens“226, „offensichtlich“227 usw. drücken Ähnliches aus. Auch sie wären aber nicht präziser gewesen, weil sie ebenso vieldeutig wie der Begriff des Beurteilungsspielraums sind.228 Ferner müssen bei der Bewertung der Operationalisier224 Dies soll auch möglich sein, wenn eine Vielzahl von Einzelfällen in ihrer Summe ein gewisses Maß überschreiten. In diesem Fall ist der Widerruf der Anerkennung der EFS aufgrund mangelhafter Spruchpraxis gem. § 19 Abs. 5 Satz 1 Var. 2 JMStV einschlägig. 225 Zu diesem Vorschlag aus der Entstehungsgeschichte siehe Seite 228 ff. 226 Zu den Konsequenzen des Ermessens für die gerichtliche Nachprüfung siehe Seite 218 f. 227 So der während der Entwurfsphase des JMStV geäußerte Vorschlag von Schulz / Held, epd medien 2002, Nr. 58, S. 27, 28, der später von Schulz et al, Analyse des Jugendmedienschutzsystems, S. 131 bekräftigt wurde. 228 Naturgemäß haben Schulz / Held, epd medien 2002, Nr. 58, S. 27, 28 zu dem von ihnen selbst vorgeschlagenen Begriff der „Offensichtlichkeit“ eine andere Ansicht. In die gegenteilige Richtung geht die Ansicht von Hartstein / Ring / Kreile / Dörr / Stettner, Rundfunkstaats-
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barkeit der Rechtsfigur des Beurteilungsspielraums zwei Ebenen klar unterschieden werden: Zwar sind die Voraussetzungen eines Beurteilungsspielraums sehr problematisch (insofern irrte sich der Gesetzgeber offenbar), die Folgen bei Annahme eines Beurteilungsspielraums sind jedoch vergleichsweise klar.229 Die Modifikationen auf die Situation des JMStV gegenüber dem herkömmlichen Anwendungsbereich des Beurteilungsspielraums, wie sie bereits erläutert wurden,230 wären in entsprechender Form auch bei der Übernahme anderer etablierter Begrifflichkeiten nötig gewesen. Zuzugeben ist daher lediglich, dass es für etwas mehr Rechtssicherheit gesorgt hätte, wenn das Gesetz in genauerem Maße beschrieben hätte, wann eine Verletzung des Beurteilungsspielraums vorliegt, zum Beispiel bei Missachtung welcher Verfahrensregeln durch die EFS ein Einschreiten der KJM möglich ist.231 Eine detaillierte Normierung hätte möglicherweise auch für andere Rechtsgebiete mehr Aufschluss darüber geben können, was sich der Gesetzgeber unter einem Beurteilungsspielraum vorstellt. Jedoch: Eine entscheidend größere Rechtssicherheit hätte auch so nicht geschaffen werden können, weil die gesetzlichen Regelungen ihrer Natur nach relativ grob bleiben. Die Maßstäbe, die allgemein genug für eine gesetzliche Normierung wären, sind typischerweise auch in der Rechtsprechung erkennbar, so dass für strittige Grenzfälle nur wenig gewonnen wäre. Deshalb ist auch hinsichtlich § 20 Abs. 3, 5 JMStV der allgemeingültigen Aussage von Gerhardt zuzustimmen: „Recht, das auf Unwissen reagiert, das Kooperation mit Privaten vorsieht oder Anreize zur Verhaltensänderung setzt, enthält notwendig Spielräume.“232 Die von Gerhardt im Anschluss an diese Aussage getroffene Frage „Kommt da die Rechtssicherheit nicht zu kurz?“ beantwortet Hoffmann-Riem ebenso zutreffend wie allgemeingültig: „Rechtsanwendung funktioniert fast nirgendwo wie ein Automat.“233 Die Verwendung des neuen Rechtsinstituts des Beurteilungsspielraums zugunsten Privater im JMStV erscheint nach alledem als grundsätzlich angemessen. Trotzdem bleiben Probleme bestehen. Nach derzeitigem Stand der Dinge scheint das Abgrenzungskriterium für die Bevölkerung nicht transparent genug zu sein. vertrag, Band III, C 3, § 20 JMStV, Rn. 3, die meinen, der Beurteilungsspielraum sei eine Rechtsfigur mit klar bestimmbaren Konturen, während der Maßstab der „Vertretbarkeit“ überaus unklar sei. 229 Zwar macht Beaucamp, JA 2002, S. 314, 319 darauf aufmerksam, dass die genannten Maßstäbe im Einzelfall nur eine grobe Richtung und keine sichere Voraussage bieten könnten. Dies trifft m. E. jedoch naturgemäß auf die meisten abstrakt-generellen Maßstäbe dieser Art zu. 230 Siehe Seite 235 ff. 231 Derartiges forderten bereits während der Entwurfsphase des JMStV Schulz / Held, epd medien 2002, Nr. 58, S. 27, 29. 232 Rudolf Gerhardt, nachgewiesen bei Hoffmann-Riem, ZRP 2007, S. 101, 102. 233 Hoffmann-Riem, ZRP 2007, S. 101, 102.
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Und auch für einen Teil der Anbieter scheint die nur relative Rechtssicherheit durch die Entscheidung einer anerkannten EFS (noch) zu gering zu sein.234 Deshalb sind nun die Verwaltungspraxis und vor allem die Rechtsprechung gefordert. Die KJM hätte es theoretisch in der Hand, dem Beurteilungsspielraum zugunsten Privater klarere Konturen zu geben. Die bisherige Praxis der KJM lässt jedoch leider nicht darauf hoffen, dass sie einen nachhaltigen Beitrag zu einer ausgewogenen und dezidiert rechtswissenschaftlichen Entwicklung des Begriffs leisten wird.235 Umso mehr hat daher die Rechtsprechung diese Aufgabe zu erfüllen. Im Leitverfahren „Schönheitsoperationen zu Unterhaltungszwecken“ musste das VG Berlin wegen der von ihm selbst angeratene236 teilweise Klagerücknahme bzw. „Umformulierung“237 nicht mehr entscheiden,238 es wird sich zeigen, wie das VG München im Hauptsache-Verfahren des Anbieter zu der Sendung „I want a famous face“ befindet239 (sofern Letzteres nicht ebenfalls Umstände des Einzelfalls zum Anlass nimmt, diesen Fragen auszuweichen240). Bevor aber nicht (wenigstens einmal) das Bundesverwaltungsgericht oder wenigstens ein verwaltungsgerichtliches Obergericht eine verallgemeinerungsfähige Antwort gefunden hat, kann hinreichende241 Rechtssicherheit nicht erwartet werden (hier zeigt sich der Nachteil der 234 So das Urteil einiger in der Studie von Schulz et al, Co-Regulierungsmaßnahmen im Medienbereich, S. 139, befragter Experten; Schulz et al selbst bezeichnen den Vorgang als das „Locken“ der Anbieter unter einen „Schutzschild“ gegenüber hoheitlichen Eingriffen. 235 Verwiesen sei insofern beispielhaft auf das angreifbare Vorbringen im Verfahren zu der Sendung „I want a famous face“, siehe Seite 244 ff. 236 Hopf / Braml, ZUM 2007, S. 23, 25 behaupten, dass sogar eine „eindringliche Empfehlung“ und „intensives Drängen“ des Gerichts nach „längerem Zögern“ der Klägerseite zu beobachten gewesen sei und hegen aufgrund dessen Zweifel an der richterlichen Neutralität und Unbefangenheit. 237 In der vom VG Berlin angeratenen „Umformulierung“ will das Gericht selbst keine Klageänderung im Sinne einer Klageerweiterung erkennen, wie sich aus den Entscheidungsgründen ergibt, vgl. VG Berlin, Urteil vom 06. 07. 2006, Az. 27 A 236.04, juris Rn. 37 (nicht rechtskräftig, anhängig beim OVG Berlin-Brandenburg, Az. OVG 8 N 85.06). Andere Ansicht Hopf / Braml, ZUM 2007, S. 23, 25. – Im Rahmen eines obiter dictum unterstellt VG Berlin, Urteil vom 06. 07. 2006, Az. 27 A 236.04, juris Rn. 37, dass selbst wenn eine Klageänderung anzunehmen wäre, diese als sachdienlich gem. § 91 VwGO eingestuft werden könnte. Andere Ansicht auch hier Hopf / Braml, ZUM 2007, S. 23, 25, die dabei jedoch nicht überzeugender Weise darauf abstellen, dass die beklagte Landesmedienanstalt im Prozess hätte klarstellen können, welchem Zweck die Pressemitteilung hätte dienen sollen. 238 VG Berlin, Urteil vom 06. 07. 2006, Az. 27 A 236.04, juris Rn. 13 ff. einerseits und 26 ff. andererseits (nicht rechtskräftig, anhängig beim OVG Berlin-Brandenburg, Az. OVG 8 N 85.06). 239 VG München, Az. M 17 K 05.597. 240 Ein solches „Umgehen“ wäre sowohl zugunsten als auch zulasten des Anbieters denkbar. Beispielsweise könnte der Beschluss der KJM bereits allein aufgrund des Umlaufverfahrens für rechtswidrig erklärt werden (dazu siehe Seite 82 ff.), andererseits könnte aufgrund der Tatsache, dass die EFS die englischsprachige Original-Fassung begutachtet hat, aber eine untertitelte Version ausgestrahlt wurde, entschieden werden, dementsprechend wäre das streitgegenständliche Angebot der EFS überhaupt nicht vorgelegt worden (dazu siehe Seite 238).
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bereits problematisierten wechselnden örtlichen Zuständigkeit der Gerichte242 in besonderem Maße). Bis es soweit ist, wird es vermutlich noch längere Zeit dauern. Das ist misslich für die Praxis des Jugendmedienschutzes, aber kein spezielles Problem des Jugendmedienschutzes. Probleme im Bereich von Föderalismus und Verwaltungsgerichtsbarkeit werden nicht durch den JMStV geschaffen, sondern sind übergreifender Natur. Daher lässt sich festhalten: Ja, der Beurteilungsspielraum zugunsten Privater ist an sich für die Situation des JMStV geeignet. Gerade durch dessen Verwendung seitens des Gesetzgebers ist langfristig eine befriedigende Konkretisierung durch Wissenschaft, Praxis und vor allem durch die Rechtsprechung zu erwarten. Kurz- bis mittelfristig wird jedoch ein noch spürbares Maß an Unsicherheit nicht zu vermeiden sein.243
VI. Abschließende Bewertung des Verfahrens des JMStV in Zusammenschau mit seinen Voraussetzungen Die vorstehenden Überlegungen haben bereits an einzelnen Stellen gezeigt, dass viele Probleme, die sich im Ergebnis stellen, ihre Ursache nicht (nur) im Verfahren des JMStV als solchem haben, sondern (auch) in den Voraussetzungen, auf die der JMStV bei seinem historischen Entstehen traf und auf die er bei seiner aktuellen Anwendung trifft. Jugendschutz dient dem Schutz der Jugend und nicht den Jugendschützern. – Dieser Aussage stimmt sicher jedermann zu. Doch das Verhalten vieler Entscheidungsträger zeugt von einer gegenteiligen Realität: Offensichtlich würde eine einheitliche Gesetzgebungszuständigkeit für Träger- und elektronische Medien die Effektivität des Jugendschutzes erhöhen – doch sowohl dem Bund als auch den Ländern ist das Beharren auf überkommenen kompetenzrechtlichen Besitzständen sowie die politisch-taktische Machterhaltung wichtiger. Offensichtlich würde auf der hoheitlichen Seite des Systems ein Verfahren „aus einer Hand“ die Effektivität des Jugendschutzes erhöhen – doch sowohl den Landesmedienanstalten als auch den hinter ihnen stehenden Ländern ist der Erhalt der Restzuständigkeiten wichtiger. Offensichtlich würde die Zusammenlegung von Geschäfts- und Stabstelle der KJM die Effektivität des Jugendschutzes erhöhen – doch den Entscheidungsträgern sowohl in der KJM als auch in den Landesmedienanstalten ist der Regionalproporz 241 Immerhin scheint für die Anbieter gegenwärtig bereits ein relativ hohes Maß an Rechtssicherheit zu bestehen, vgl. Schulz et al, Analyse des Jugendmedienschutzsystems, S. 131. 242 Siehe Seite 384. 243 Insofern lässt sich in zeitlicher Hinsicht das Urteil einiger in der Studie von Schulz et al, Co-Regulierungsmaßnahmen im Medienbereich, S. 139 befragter Experten relativieren, die aussagten, dass die Zuständigkeitsverteilung nicht klar genug sei, um die Anbieter im verstärkten Maße unter das an sich relativ starke „Schutzschild“ der anerkannten EFS zu „locken“.
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wichtiger. Diese Aufzählung von Beispielen – die sich fortsetzen ließe244 – zeigt: Sehr wohl gebrauchen (und insofern missbrauchen) die Jugendschützer die Institutionen des Jugendschutzes dazu, um ihre eigenen sachfremden Interessen zu verfolgen. Geradezu zynisch ist es daher, wenn ausgerechnet einige von diesen gebetsmühlenartig mit der „Effektivität des Jugendschutzes“ sowie dem „hohen Rang des Jugendschutzes“ argumentieren – sei es zur Überdeckung des eigennützigen Verhaltens oder sei es zur Kritik an der (vermeintlich ineffektiven) Beteiligung Privater am Verfahren und der (vermeintlich gefährlichen) Einräumung eines Beurteilungsspielraums zugunsten dieser Privaten. Das Verfahren der regulierten Selbstregulierung mit der zentralen Rechtsfigur des Beurteilungsspielraums zugunsten Privater, wie es mit dem JMStV entstanden ist, kann nicht besser sein als die Umstände, die dem Verfahren des JMStV vorgelagert sind. Abstrahiert man bei einer Bewertung des Verfahrens im nötigen Maße, zeigt sich schnell, wo die wesentlichen Ursachen der wesentlichen Probleme liegen. Denkt man an die extrem komplexen Strukturen auf der hoheitlichen Seite des Systems oder an die extrem langen Reaktionszeiten bei der Anpassung des materiellen Rechts an veränderte technische Phänomene – diese und andere große Hürden245 haben ihre Ursache sicher nicht darin, dass der JMStV Privaten einen Beurteilungsspielraum zugesteht. Diejenigen, die für sich in Anspruch nehmen, den Jugendschutz aufgrund seines hohen Ranges möglichst effektiv gestalten zu wollen, sollten sich daher in erster Linie mit den größeren Hürden beschäftigen, auch wenn diese schwieriger zu überwinden sind. Ansonsten – sei es aufgrund eines fehlenden Bewusstseins für tatsächliche Relevanz oder sei es aufgrund einer vorsätzlichen Augenwischerei –, müssen sie sich zum Vorwurf machen lassen, bildhaft lediglich die Tische im Speisesaal der sinkenden Titanic neu anordnen zu wollen.
244 Eine überdenkenswerte, im Rahmen dieser Untersuchung des Verfahrens aber nicht weiter zu vertiefende Frage besteht darin, ob ein weniger komplexes materielles Recht (das, wie bereits erwähnt, z. B. in den Niederlanden besteht) einen schnelleren, transparenteren sowie billigeren und daher effektiveren Jugendschutz gewährleisten würde. 245 Ein weiterführender (soziologischer Überprüfung bedürftiger) Ansatz bestünde darin, in diese Betrachtung Probleme des Elternverhaltens einzubeziehen – als Beispiel sei die große Zahl von Eltern genannt, die technische Schutzvorrichtungen zwar kennen und gutheißen, sie aber trotzdem nicht bei ihren Kindern einsetzen, vgl. die Darstellung bei Schulz et al, Analyse des Jugendmedienschutzsystems, S. 373.
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C. Zur Übertragung des Verfahrens auf neue Referenzgebiete I. Einbindung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks? 1. Hinführung Vor einer detaillierten rechtspolitischen Auseinandersetzung mit einer möglichen Verbindung der jugendschutzrechtlichen Verfahren ist der grundlegende dogmatische Unterschied zwischen den privaten und den öffentlich-rechtlichen Medien unter Rückgriff auf die bereits erläuterte Dichotomie von Aufsicht und Überwachung zu konstatieren. Auch wenn die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten einen begrenzten Grundrechtsschutz erfahren, so sind sie doch Träger mittelbarer Staatsgewalt und unterliegen konsequenterweise ausschließlich der Aufsicht und nicht der Überwachung, wie dies bei den privaten Medienanbietern der Fall ist.246 Dies gilt auch für die Kontrolle zum Schutze der Jugend. Trotzdem schließt diese Unterscheidung nicht die Bildung einer übergreifend zuständigen Kontrollstelle prinzipiell aus, wie der Vergleich mit Regulierungsbehörden in privatisierten Infrastrukturbereichen zeigt, die sowohl über eine aufsichts- wie über eine überwachungsrechtliche Dimension verfügen.247 Demnach verbleibt es als eine rein pragmatische Frage, ob eine Zusammenführung der Verfahren zweckmäßig erscheint oder nicht. Bereits während der Entstehung des JMStV wurde diskutiert, ob auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk in das neue Kontrollsystem einbezogen werden sollte. Die Länder Baden-Württemberg, Bayern und Sachsen haben sogar eine gemeinsame Protokollerklärung zum JMStV abgegeben, nach der sie die Einbeziehung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in ein einheitliches Kontrollsystem für den Jugendschutz als erforderlich erachten und eine entsprechende Überprüfung im Rahmen der anstehenden Evaluation anregen.248 Auch Vertreter der KJM fordern immer wieder eine entsprechende Ausweitung ihrer Tätigkeit.249 Umso überraschender ist es, dass bei der Durchführung der Evaluation diese Frage zunächst keine Rolle spielte.250 Einigkeit darüber besteht nach wie vor nicht. 246 Peter M. Huber in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band III (im Ersch.), § 45, Rn. 32 und 142 ff. 247 Peter M. Huber in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band III (im Ersch.), § 45, Rn. 36. 248 Protokollerklärung der Länder, u. a. BayLT-Drucks. 14 / 10246, S. 12; wiedergegeben auch bei Hartstein / Ring / Kreile / Dörr / Stettner, Rundfunkstaatsvertrag, Band III, C 1.2.1. Dazu Ukrow, Jugendschutzrecht, Rn. 605. 249 Vgl. jüngst die Berichterstattung anlässlich des fünfjährigen Bestehens der KJM in epd medien 2008, Nr. 27, S. 19, 19. 250 So Regina Käseberg, Referentin des Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Jugend und Kultur des Landes Rheinland-Pfalz, nachgewiesen bei Gangloff, tv diskurs 2007, Heft 3, S. 94, 97.
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2. Bisheriger Meinungsstand An erster Stelle der Argumentation der Befürworter einer Einbindung steht das Anliegen der Rechtsvereinheitlichung.251 Damit einher geht die Befürchtung, dass die erfolgte Harmonisierung des materiellen Rechts unvollkommen bleibe, wenn nicht auch das Verfahren vereinheitlicht werde; ohne ein einheitliches Gremium sei eine unterschiedliche Handhabung zu erwarten.252 In diesem Zusammenhang wird darauf aufmerksam gemacht, dass auch im öffentlich-rechtlichen Rundfunk jugendschutzrelevante Angebote eine Verbreitung erführen, wie sie die KJM regelmäßig nicht zulassen würde, beispielsweise bei der Ausstrahlung von Kriminalfilmen mit Gewaltdarstellungen im Hauptabendprogramm.253 Außerdem werden dem bestehenden Kontrollsystem des öffentlich-rechtlichen Rundfunks Mängel unterstellt. So weise das Verfahren schon allein durch die Vielzahl der eingebundenen Akteure eine Struktur auf, die auf Schwerfälligkeit angelegt sei.254 Darüber hinaus identifizierten sich die Mitglieder der internen Aufsichtsgremien zu sehr mit „ihrer“ Anstalt, als dass sie dieser aus jugendschutzrechtlichen Erwägungen heraus im Ansehen schaden würden.255 Nicht zuletzt aufgrund solcher Kritik wurde sogar vorgeschlagen, nicht nur im Jugendschutz, sondern auch in anderen Bereichen wie zum Beispiel der Werbung eine gemeinsame bundeseinheitliche Kontrolle über alle privaten und öffentlich-rechtlichen Anbieter einzuführen.256
251 So bereits Bornemann NJW 2003, S. 787, 791. Vgl. zu seither erfolgten weiteren Kritik die Nachweise bei Cole, ZUM 2005, S. 462, 465, Fn. 38. Für eine Einbindung auch Halves, Neuordnung des Jugendmedienschutzes, S. 193 und wohl auch Retzke, Präventiver Jugendmedienschutz, S. 247. Besonders plakativ die Stellungnahme des Verbandes Privater Rundfunk und Telemedien (VPRT) vom März 2007, wiedergegeben in epd medien 20007, Nr. 24, S. 3, 3: „Jugendschutz ist nicht teilbar“. 252 Vgl. Erdemir, RdJB 2006, S. 285, 289 sowie Stettner, ZUM 2003, S. 425, 429. Übereinstimmend Bandehzadeh, Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien, S. 71. Ausführliche Kritik, auch in verfassungsrechtlicher Hinsicht, bei Hopf, Jugendschutz im Fernsehen, S. 279 ff. 253 Vgl. die Nachweise bei Gangloff, tv diskurs 2006, Heft 3, S. 84, 84 f. Auch Vertreter des öffentlich-rechtlichen Rundfunks müssen eingestehen, dass dort jugendschutzrechtlich Bedenkenswertes vorgekommen ist, wie Urban in: Zweites Deutsches Fernsehen (Hrsg.), Jugendmedienschutz, S. 27, 27 mit einigen Beispielen aus dem Programm des ZDF zeigt, darunter sogar unerwartete Einzelfälle wie der Spielfilm „Das Leben des Brian“, der nach mehrmaliger Ausstrahlung später mit einem völligen Ausstrahlungsverbot versehen wurde, weil die Gefahr einer Missachtung religiöser Gefühle gesehen wurde. Dies ist eine interessante Gegenentwicklung, denn erst im Jahre 1999 hat die FSK für den Film die bis dahin geltende Freigabe „ab 16 Jahren“ durch die Freigabe „ab 12 Jahren“ ersetzt, vgl. Mikat, tv diskurs 2006, Heft 3, S. 70, 73. 254 Pathe, RdJB 2006, S. 319, 320. 255 Vgl. Gangloff, tv diskurs 2006, Heft 3, S. 84, 87. Andere Ansicht Hahn, epd medien 2004, Nr. 59, S. 3, 4. 256 So der Vorsitzende der Rundfunkkommission der Länder Ministerpräsident Kurt Beck am 16. 06. 2004 in Mainz, nachgewiesen bei Kammann, epd medien 2004, Nr. 47, S. 9, 9.
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10. Teil: Rechtspolitische Bewertung
Gegen die Einbindung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks wird vor allem vorgebracht, dessen Kontrollstrukturen seien über lange Zeit erprobt und könnten als weitgehend effektiv angesehen werden.257 Besonders nachdrücklich wenden sich Vertreter des öffentlichen Rundfunks selbst gegen eine Vereinheitlichung. Von Seiten der ARD wird vorgebracht, die unterschiedlichen Kontrollsysteme sollten getrennt bleiben, da beide historisch gewachsen seien.258 Die anstaltsinterne Kontrolle sei effektiver,259 weil die Jugendschutzbeauftragten der Anstalten die größere Nähe zu den Gestaltern der Inhalte aufwiesen260 und die Rundfunkräte über das schärfste Schwert der Kontrolle verfügten, nämlich die Abwahl des Intendanten.261 Eine Vereinheitlichung aus Gründen prinzipieller Art sei abzulehnen, weil es nicht die öffentlich-rechtlichen Anbieter gewesen seien, die den Anlass für die gesetzgeberischen Aktivitäten im materiell-rechtlichen Bereich gegeben hätten.262 Schließlich bestehe ein wesentlicher Unterschied darin, dass die Geschäftsführung eines privaten Anbieters gegenüber den Inhabern des Kapitals verantwortlich sei, während die Gestalter der öffentlich-rechtlichen Anbieter den Rundfunkräten gegenüber verantwortlich seien, deren Mitglieder keine Angestellten der Anstalten seien.263 Die Äußerungen der Vertreter des ZDF deuten in die gleiche Richtung: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk benötige keine zusätzliche externe Kontrollinstanz, da dieser – gerade angesichts der Erhebung von Rundfunkgebühren – schon streng beaufsichtigt werde.264 Weiter sei der Jugendmedienschutz von zu hoher Bedeutung, als dass man ihn strukturellen Experimenten aussetzen sollte; ferner sei von den Landesmedienanstalten keine Neutralität zu erwarten, da diese in besonderer Bindung zu den privaten Anbietern stünden.265 Eine einheitliche Kontrollstelle würde entweder dazu führen, dass man den privaten Anbietern Gemeinwohlbindungen auferlegen oder die materiellen Standards für das öffentlich-rechtliche Programm senken müsste.266 Außerdem biete der öffentlich-rechtliche Rundfunk ein „Qualitätsprogramm“, was für eine interne Kontrolle spreche.267 Ferner würde eine Auslagerung des repressiven Jugendschutzes zu einer Stettner, ZUM 2003, S. 425, 431, Fn. 34. So der Verwaltungsratsvorsitzende des Saarländischen Rundfunks Thomas Kleist anlässlich einer Diskussionsveranstaltung am 11. 05. 2006 in Berlin, nachgewiesen bei Herkel, epd medien 2006, Nr. 37, S. 19, 19. 259 In diesem Sinne Hesse, Rundfunkrecht, 3. Kapitel, vor Rn. 29, Fn. 35 (Hervorhebung nicht im Original). 260 Inge Mohr, ARD-Repräsentantin für Jugendschutz, nachgewiesen bei Gangloff, tv diskurs 2006, Heft 3, S. 84, 86. 261 Hahn, epd medien 2004, Nr. 59, S. 3, 4. 262 Hesse, Rundfunkrecht, 3. Kapitel, vor Rn. 29, Fn. 35. 263 Hahn, epd medien 2004, Nr. 59, S. 3, 3 f. 264 Hans Janke, nachgewiesen bei Zorn, K&R 2003, S. 465, 467. 265 Krone in: Zweites Deutsches Fernsehen (Hrsg.), Jugendmedienschutz, S. 39, 51. 266 Krone in: Zweites Deutsches Fernsehen (Hrsg.), Jugendmedienschutz, S. 39, 53. 267 Krone in: Zweites Deutsches Fernsehen (Hrsg.), Jugendmedienschutz, S. 39, 51. 257 258
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Abspaltung vom anstaltsinternen präventiven Jugendschutz führen, was den Jugendmedienschutz insgesamt ineffektiver mache.268 Unter Berufung auf die Ausprägung der Rundfunkfreiheit durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wird argumentiert, die gebotene Erfüllung des klassischen Auftrags des öffentlich-rechtlichen Rundfunks werde andernfalls (in womöglich verfassungswidriger Weise) ausgehöhlt, weil der Jugendmedienschutz eine wesentliche Teilkompetenz der Gremien sei.269 3. Eigene Überlegungen und Stellungnahme a) Interessenvertretung als Ausgangspunkt angreifbarer Begründungen Bevor die Erarbeitung eines eigenen Standpunktes erfolgt, lohnt sich erneut ein Blick auf die Interessenlage derjenigen, deren Argumente soeben vorgestellt wurden.270 Wie bereits gezeigt wurde, haben Angehörige von Landesmedienanstalten und KJM ein natürliches Interesse an der Erweiterung ihrer Kompetenzen, so dass es nicht überrascht, dass sie eine zusätzliche Zuständigkeit für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk begrüßen würden. Die inhaltlich gegenteilige, von der Motivation her aber entsprechende Position besteht bei den Vertretern des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Würde beispielsweise der Justitiar einer Rundfunkanstalt zugeben, dass der Jugendmedienschutz verbessert werden könnte, indem er von einer externen Stelle durchgeführt würde, so müsste er für die Vergangenheit suboptimale Arbeit eingestehen und für die Zukunft auf wesentliche Kompetenzen und Planstellen in seiner Abteilung verzichten. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, warum nicht wenige der zitierten Argumente vorgebracht werden, obwohl diese unter neutralem Blickwinkel kaum überzeugend sind. Beispielsweise würde eine gemeinsame Kontrollstelle natürlich nicht zu einer Gemeinwohlbindung privater Anbieter führen; auch ist unschlüssig, warum der präventive Jugendschutz durch die Jugendschutzbeauftragten und andere Stellen schlechter werden sollte, wenn die repressive Kontrolle extern durchgeführt würde,271 denn Jugendschutz ist Gefahrenabwehr und die Prävention von Gefahren verliert regelmäßig nicht an Effektivität durch eine externe repressive Kontrolle. Krone in: Zweites Deutsches Fernsehen (Hrsg.), Jugendmedienschutz, S. 39, 52 f. Krone in: Zweites Deutsches Fernsehen (Hrsg.), Jugendmedienschutz, S. 39, 52. 270 Einen sehr anschaulichen Einblick in die Interessen bietet Stock, Funk-Korrespondenz 2005 Nr. 7, S. 3, 3 f., dessen eigene Stellungnahme dazu (S. 4 – 6) jedoch nicht überzeugen kann, weil er gleichsam zirkulär argumentiert, beispielsweise lehnt er eine Verlagerung der Zuständigkeit auf die Landesmedienanstalten durch den Gesetzgeber ab, weil diese dafür nicht legitimiert seien. 271 Es besteht kein vergleichbarer Erfahrungssatz, z. B. ist auch nicht davon auszugehen, dass eine Verwaltungsbehörde sorgfältiger arbeitet, wenn sie das Widerspruchsverfahren selbst durchführt und dies nicht durch eine übergeordnete Behörde erfolgt. 268 269
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10. Teil: Rechtspolitische Bewertung
b) Strukturelle Relevanz des Jugendschutzes im öffentlich-rechtlichen Rundfunk Der vorschnelle Einwand, die Struktur des öffentlich-rechtlichen Fernsehens verhindere Gefahren, die aus einer kommerziellen Orientierung entstehen,272 geht fehl. Denn der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat zwar nicht nur, aber auch den Anspruch, hohe Einschaltquoten zu erzielen (was zumeist damit umschrieben wird, die Anstalten hätten ein Programm nicht nur für Minderheiten, sondern auch für Mehrheiten zu gestalten273). Sofern also den kommerziellen Medien (sicher zutreffend) unterstellt wird, deren Wunsch nach hohen Einschaltquoten könne jugendschutzrechtliche Konflikte auslösen, so gilt dies dem Grunde nach ebenso für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk – die bestehenden Unterschiede sind lediglich quantitativer Natur. Daran ändert auch ihr besonderer Programmauftrag nichts, wie noch anhand eines einzelnen Beispiels274 veranschaulicht werden soll.
c) Besonderheiten und Probleme der jugendschutzrechtlichen Kontrolle im öffentlich-rechtlichen Rundfunk Die Kontrollstrukturen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks weisen eine Vielzahl von Besonderheiten auf.275 Diese Besonderheiten verfügen über keinen spezifisch jugendschutzrechtlichen Bezug, haben aber Auswirkungen auf die Effizienz der jugendschutzrechtlichen Kontrolle, die teils positiver, teils negativer, teils ambivalenter Natur sind. Ein (potentieller) Vorteil der Kontrolle im öffentlichrechtlichen Rundfunk sind die kurzen Kommunikationswege sowie die potentiell erhöhte Transparenz des Aufsichtsprozesses. Nicht nur, weil die Sitzungen der Rundfunkräte öffentlich stattfinden, sondern vor allem, weil die Jugendschutzbeauftragten regelmäßig ausführliche Berichte veröffentlichen.276 (Nicht verschwiegen werden darf aber, dass diese potentiellen Vorteile bedauerlicherweise nicht von allen Anstalten ausgefüllt werden.277) Ein Nachteil ist die ausschließlich interne Ansiedelung des Jugendschutzes. Ohne externe Kontrolle besteht häufig die Gefahr von Parteilichkeit, sachlich unangemessener Interessenvermengung, Verharmlosung sowie der Ausübung von Druck auf vermeintliche „Nestbeschmutzer“ 272 Besonders plakativ Hahn, epd medien 2004, Nr. 59, S. 3, 4: Die öffentlichen-rechtlichen Anstalten seien „nicht den Gesellschaftern, sondern der Gesellschaft verpflichtet“. 273 So ausdrücklich Peter Voß, damaliger Intendant des Südwestrundfunks, in einem Vortrag am 26. 11. 2006 in Saarbrücken, nachgewiesen unter http: / / www.dieneueepoche.com / articles / 2006 / 11 / 26 / 68885.html (Stand: 8. 2. 2007). 274 Siehe Seite 399 f. 275 Vgl. dazu z. B. den Überblick bei Paschke, Medienrecht, Rn. 418 ff. 276 Vgl. z. B. den Jugendschutzbericht des Jugendschutzbeauftragten des Bayerischen Rundfunks 2004 / 2005, abrufbar unter http: //www.br-online.de/br-intern/organisation/pdf /jugendschutzbericht-2004 – 2005.pdf (Stand: 01. 12. 2006). 277 Dazu Schulz et al, Analyse des Jugendmedienschutzsystems, S. 200.
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(dies gilt ganz besonders, sofern der Jugendschutzbeauftragte der Anstalt ohne weiteres vom Intendanten ernannt wird;278 daher sollte zur Sicherstellung eines Mindestmaßes an Unabhängigkeit des Jugendschutzbeauftragten gefordert werden, dass dieser nur mit Zustimmung des Rundfunkrats berufen werden kann279). Eine ambivalente Auswirkung auf den Jugendmedienschutz zeigt sich beispielhaft und besonders deutlich bei der Kontrolleinrichtung der Rundfunkräte. Die Mitglieder der Rundfunkräte sind gesellschaftliche Repräsentanten und daher keine fachlichen Spezialisten. Einerseits ist das Thema des Jugendschutzes relativ allgemeinverständlich (beispielsweise im Vergleich zu technischen Fragen), so dass durchaus Möglichkeiten zur effizienten Aufgabenwahrnehmung bestehen. Andererseits besteht gerade bei derartigen Themen die Gefahr, dass sachfremde Erwägungen wie beispielsweise subjektive moralische Überzeugungen Einfluss nehmen.280 d) Das Beispiel des Fernsehfilms „Wut“ Anhand eines Beispiels aus der jüngeren Zeit lassen sich einige der angedeuteten Probleme der jugendschutzrechtlichen Kontrolle des öffentlich-rechtlichen Rundfunks illustrieren. Der Fernsehfilm „Wut“ wurde im September 2006 im Fernsehprogramm der ARD ausgestrahlt.281 Die Produktion des Westdeutschen Rundfunks, die von der Tyrannisierung eines deutschen Jungen durch einen türkisch-stämmigen Gleichaltrigen handelt, wurde ursprünglich auf 20.15 Uhr angesetzt, später jedoch auf 22.00 Uhr umprogrammiert, nachdem die Mehrheit der Jugendschutzbeauftragten der ARD-Anstalten dies empfohlen und daraufhin die Mehrheit der Intendanten dies beschlossen hatten. Während der Intendant der produzierenden Anstalt meinte, dieser Beschluss sei ein Zeichen fehlender Courage bei der Auseinandersetzung mit einem problematischen Thema, entgegnete ein Amtskollege, dass die Einhaltung des Jugendschutzes kein Zeichen mangelnder Courage sei. Eine besondere Schluss-Pointe erhielt dieser Vorfall im Frühjahr 2007, als die Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) die DVD mit dem Film „Wut“ für Zuschauer ab 12 Jahren freigab, wodurch gem. § 5 Abs. 4 Satz 3 JMStV eine Ansetzung schon vor 22 Uhr möglich ist. Die (zwischenzeitlich neu gewählte) Intendantin des Westdeutschen Rundfunks kündigte daraufhin sofort an, den Film so schnell wie möglich im Hauptabendprogramm wiederholen zu wollen.282 278 So lautet z. B. die Regelung von § 6 Abs. 3 des Gesetzes über den Westdeutschen Rundfunk Köln. 279 Dies sieht beispielsweise Art. 12 Abs. 4 Satz 2 des Gesetzes über den Bayerischen Rundfunk vor. 280 So zeigt Urban in: Zweites Deutsches Fernsehen (Hrsg.), Jugendmedienschutz, S. 27, 30 anhand des Beispiels des ZDF, dass in den Aufsichtsgremien des öffentlich-rechtlichen Rundfunks mitunter jugendschutzrechtliche Erwägungen mit Überlegungen ganz anderer, teilweise lediglich geschmacklicher Art vermengt werden. 281 Vgl. dazu z. B. Süddeutsche Zeitung vom 27. 09. 2006.
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10. Teil: Rechtspolitische Bewertung
Dieses Beispiel verdeutlicht mehrere Aspekte. Auf den ersten Blick die (vergleichsweise banale) Erkenntnis, wie unübersichtlich die Aufsichts- und Lenkungsstrukturen speziell der ARD sind. Ferner, dass im öffentlich-rechtlichen Rundfunk die reale Gefahr besteht, dass jugendschutzrechtliche Aspekte mit politischen Erwägungen und womöglich mit institutionellen Machtkämpfen vermengt werden (eine externe Kontrollinstanz könnte hier von vornherein jeden bösen Schein vermeiden!). Vor allem aber wird klar: Der Umstand, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk womöglich ein „Qualitätsprogramm“283 liefert, bei dem ein kultureller Programmauftrag umgesetzt wird, beseitigt nicht von vornherein die jugendschutzrechtliche Relevanz, denn die künstlerische und meinungsbildende Qualität von „Wut“ ist unumstritten (der Film erhielt zahlreiche Preise, unter anderem die „Goldene Kamera“ für den besten deutschen Fernsehfilm des Jahres 2007284), doch trotzdem kann er entwicklungsbeeinträchtigend wirken (egal, welche konkrete Einstufung man im Ergebnis befürwortet). Die Liste von Beispielen, welche die letztgenannte, besonders wichtige Erkenntnis untermauern, ließe sich fortsetzen,285 nur ein weiteres, besonders anschauliches, sei genannt. Der Film „Intimacy“, der im Mai 2003 vom öffentlich-rechtlichen Sender „arte“ ausgestrahlt wurde, beinhaltet deutliche Großeinstellungen von Genitalien während des Geschlechtsverkehrs286 – der künstlerische Wert dieses Films ist anerkannt,287 trotzdem wird niemand dessen jugendschutzrechtliche Relevanz verneinen können.
e) Verhältnismäßigkeit von Aufwand und Effektivitätssteigerung für den Fall einer Vereinheitlichung Als Zwischenergebnis der bisherigen Bewertung lässt sich festhalten: Die besondere Struktur des öffentlich-rechtlichen Rundfunks kann jugendschutzrechtliche Probleme nicht ausschließen. Die Behandlung dieser Probleme (auch) durch eine externe und sachverständige Kontrolle brächte einige Vorteile gegenüber der Selbstkontrolle durch Intendant und Rundfunkrat mit sich. Läge diese externe Kontrolle in der gleichen Hand wie die Kontrolle der privaten Anbieter, so käme der Vorteil der vergrößerten Einheitlichkeit der Handhabung des materiellen Rechts hinzu. Nachgewiesen in der Süddeutschen Zeitung vom 05. 04. 2007. Damit argumentiert insbesondere Krone in: Zweites Deutsches Fernsehen (Hrsg.), Jugendmedienschutz, S. 39, 51. 284 Vgl. die Aufzählung des Westdeutschen Rundfunks, abrufbar unter http: //www.wdr.de/ tv/fernsehfilm/0320_filmausgabe.phtml?id=1054 (Stand: 05. 04. 2007). 285 Weitere Beispiele im Zweiten Bericht der KJM vom August 2007, S. 57, abrufbar unter http: / / www.kjm-online.de / public / kjm / downloads / KJM_Bericht%20und%20Umschlag.pdf (Stand: 19. 09. 2007). 286 Erdemir, MMR 2003, S. 628, 628. 287 Vgl. nur Erdemir, MMR 2003, S. 628, 633. 282 283
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Dies wären die Vorteile einer Einbindung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in das Verfahren des JMStV. Der Beitrag zur Effektivitätssteigerung des Jugendschutzes kann dem Grunde nach nicht geleugnet werden – die Steigerung erscheint jedoch nicht als besonders groß. Es gibt qualitativ relevante Fälle im öffentlichrechtlichen Rundfunk, doch in quantitativer Hinsicht bleiben sie überschaubar. Außerdem ist die Vereinheitlichung der Handhabung des materiellen Rechts nicht von besonders hohem Nutzen, weil bereits das bestehende Verfahren des JMStV auf eine Mehrzahl von Rechtsanwendern ausgelegt ist (KJM und die anerkannten EFS). Schließlich darf nicht übersehen werden, dass der „hoheitliche Teil“ des Verfahrens des JMStV (und nur dieser, nicht etwa die Kontrolle durch die EFS, ist für die vorliegende Frage relevant) in der aktuellen Rechtspraxis mit bestimmten Schwierigkeiten zu kämpfen hat, beispielsweise hinsichtlich der bereits erwähnten langsamen Verfahrensgeschwindigkeit.288 Demgegenüber dürfte der Aufwand einer Vereinheitlichung des Verfahrens nicht unterschätzt werden.289 Setzt man den Erhalt der Aufsichtsstruktur des öffentlichrechtlichen Rundfunks im Übrigen voraus, so wären Schwierigkeiten in der Kompetenzabgrenzung zu erwarten.290 In der Rechtspraxis entstünde ein erhebliches Konfliktpotential zwischen dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk einerseits und den (bisher) nur für die Privaten zuständigen Landesmedienanstalten sowie der KJM andererseits, auf den die anfangs skizzierten Meinungsstreitigkeiten einen „Vorgeschmack“ geben würden.
f) Schlussfolgerung Die Einbindung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in das Verfahren des JMStV würde in erheblichem Maße die Kompetenz der KJM steigern, dies ist für sich genommen aber kein Wert. Relevanter Maßstab für die rechtspolitische Bewertung sind dagegen die Effizienz des Verwaltungshandelns und die Effektivität des Jugendschutzes. Beides wäre nur in geringem Maße zu erwarten. Für diesen geringfügigen Gewinn lohnt sich nicht der zu erwartende Effizienzverlust291 durch die Aufspaltung der Kontrollstrukturen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Damit soll nicht geleugnet werden, dass erhebliche tatsächliche und rechtliche Probleme im gesamten System des öffentlich-rechtlichen Rundfunks bestehen, wofür als Beispiele die so genannte „Schleichwerbung“292 oder die mögliche Ein-
Siehe Seite 357. Ähnlich Schulz et al, Analyse des Jugendmedienschutzsystems, S. 200. 290 Dies scheinen auch Schulz et al, Analyse des Jugendmedienschutzsystems, S. 200 vorauszusetzen. 291 Darauf stellen auch Schulz et al, Analyse des Jugendmedienschutzsystems, S. 200 entscheidend ab. 292 Dazu Pießkalla / Leitgeb, K&R 2005, S. 433, passim. 288 289
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10. Teil: Rechtspolitische Bewertung
ordnung der Rundfunkgebühren als Beihilfe im europarechtlichen Sinne293 genannt sein sollen. Der Jugendschutz im öffentlich-rechtlichen Rundfunk erscheint im Vergleich dazu als weniger virulent. Wollte man Elemente externer Kontrolle einbinden, so sollte dies zunächst in eher geeigneten Sachgebieten erprobt werden, beispielsweise bei der Einhaltung von Werberichtlinien. Daher ist die Einbindung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in das Verfahren des JMStV nach derzeitigem Stand der Dinge nicht zu befürworten.
g) Zur Art und Weise der Umsetzung für den Fall einer Einbindung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks In der vorliegenden Arbeit wurde sowohl Aufteilung der Kompetenzen zwischen KJM und Landesmedienanstalten kritisiert, als auch soeben vorgeschlagen, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht in das Verfahren des JMStV einzubinden. Wollte man beidem nicht folgen, so wäre es schlüssig, die inhaltliche Entscheidung bei der KJM anzusiedeln, die Entscheidung über die weiteren Maßnahmen jedoch der öffentlich-rechtlichen Anstalt zu überlassen, wie dies nach derzeitiger Rechtslage den Landesmedienanstalten gegenüber den privaten Anbietern als Aufgabe verbleibt.294 Der noch interessantere Vorschlag zur Art der Einbindung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in das Verfahren des JMStV besteht jedoch darin, dass diese eine besondere Institution bilden, die in ihrer Konstruktion den anerkannten EFS vergleichbar wäre, und diese die jugendschutzrechtliche Bewertung vornimmt.295 So wären die Vorteile einer externen Kontrolle gewährleistet, die Eigenständigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks trotzdem noch relativ weitgehend erhalten und die aktuell bestehenden Probleme hinsichtlich der KJM würden sich weniger stark auswirken. In regulierungsrechtlicher Hinsicht bestünde darin der interessante Versuch, Elemente der Selbstverwaltung mit solchen der regulierten Selbstregulierung zu kombinieren.296
II. Zur Übertragung des Verfahrens auf andere Bereiche des Medienrechts Der Jugendschutz war schon immer ein neuralgischer Punkt der Regulierung der Medien – wenn nicht sogar der neuralgische Punkt.297 Ein neuartiges KontrollsysDazu Schipanski, K&R 2006, S. 217, passim. So der Vorschlag von Erdemir, RdJB 2006, S. 285, 290. 295 So Joachim von Gottberg, Vorsitzender der FSF, nachgewiesen bei Gangloff, tv diskurs 2006, Heft 3, S. 84, 87. 296 Zu den Unterschieden von Selbstverwaltung einerseits und regulierter Selbstregulierung andererseits siehe Seite 42. 293 294
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tem, das sich in diesem Bereich etabliert, kann daher als Vorbild für die weitere Novellierung der Medienordnung in der Bundesrepublik dienen.298 Und der JMStV kann durchaus „ohne Übertreibung als Meilenstein zeitgemäßen Jugendmedienschutzes bezeichnet werden“.299 In einem Detail des materiellen Rechts hat der JMStV bereits eine Vorreiterrolle erfüllt,300 nachdem die erstmals im JMStV vorgenommene Verbindung der älteren Gruppen der „Teledienste“ sowie der „Mediendienste“ zum Oberbegriff der Telemedien inzwischen für das gesamte Gesetzesrecht übernommen wurde.301 Doch auch ein Verfahren regulierter Selbstregulierung nach dem Vorbild des JMStV eignet sich grundsätzlich für alle Medien.302 Insbesondere wäre das Verfahren – freilich erst nach Überwindung der kompetenzrechtlichen Probleme – gleichermaßen zur jugendschutzrechtlichen Regulierung von Trägermedien geeignet. Eine Ausnahme bildet wohl die Presse – nicht etwa, weil es dort keine jugendschutzrelevanten Vorkommnisse gäbe, jedoch sind in diesem Bereich traditionell starke Systeme reiner Selbstregulierung etabliert,303 deren Ersetzung nicht geboten erscheint. Auf der hoheitlichen Seite wurde die Verfahrenskonzentration durch die KJM zwar als unzureichend kritisiert, zumindest ist sie aber ein Schritt in die richtige Richtung. Es wäre de lege ferenda durchaus wünschenswert, dass für die privaten Medienanbieter in Deutschland zukünftig ein umfassend zuständiger Ansprechpartner auf Behördenseite zur Verfügung steht, zum Beispiel durch eine gemeinsame Medienanstalt der Länder.304
III. Zur Übertragung des Verfahrens auf andere Wirtschaftsbereiche Die vorliegende Untersuchung des Verfahrens des JMStV berührt mehrere Problemkreis, die auch in anderen Bereichen eine Rolle spielen: Die Kollision der Freiheit der Bürger mit den Schutzpflichten des Staates, der Umgang mit einem gesellschaftlichen Wertewandel und den technischen Realitäten, aber auch die Verflechtung der Zuständigkeiten von Bund und Ländern. Der Staat steht gleichermaßen vor der Gefahr der Handlungsunfähigkeit wie vor der des Machbarkeitswahns. Das 297 Schulz in: Büttner / von Gottberg, Staatliche Kontrolle und selbstregulative Steuerung, S. 55, 64 (Hervorhebung wie im Original). 298 Vgl. Bosch, Regulierte Selbstregulierung im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag, S. 24. 299 Erdemir, RdJB 2006, S. 285, 298. 300 Vgl. Roßnagel, NVwZ 2007, S. 743, 744; Holznagel / Ricke, MMR 2008, S. 18, 19. 301 Siehe Seite 64 ff. 302 Vgl. Schulz et al, Analyse des Jugendmedienschutzsystems, S. 125 mit ausführlichen weiteren Erläuterungen; wie hier bereits Schulz et al, Co-Regulierungsmaßnahmen im Medienbereich, S. 133 unter Zugrundelegung des etwas weiteren Begriffs der „Co-Regulierung“. 303 Schulz et al, Co-Regulierungsmaßnahmen im Medienbereich, S. 133. 304 Holznagel / Ricke, MMR 2008, S. 18, 18 ff. („one-stop-shopping“).
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10. Teil: Rechtspolitische Bewertung
daraus resultierende „Trilemma von Irrelevanz, Überregulierung und Steuerungsverzicht“305 ist nicht nur im Jugendmedienschutz virulent, sondern auch im Börsenwesen oder in der Biotechnologie, um nur zwei von zahlreichen denkbaren Beispielen zu nennen. Regulierte Selbstregulierung ist eines von mehreren möglichen Instrumenten, um dem „Trilemma“ zu begegnen. Die Variante regulierter Selbstregulierung, die durch den JMStV normiert wurde, gilt nicht umsonst als „Testfall“306 mit einer „Vorreiterrolle“307 für andere Wirtschaftsbereiche. Denn bei neuen Entwicklungen des Verwaltungsrechts kommt der Arbeit mit Referenzgebieten besondere Bedeutung zu;308 der damit verbundene dialektische Prozess aus Deduktion und Induktion ist naturgemäß noch bedeutsamer, wenn das Referenzgebiet das erste und (bislang) einzige für eine neue Rechtsfigur ist. Durch den JMStV wird ein Verfahren regulierter Selbstregulierung tatsächlich und auch bewusst (das ist der Unterschied zu vielen Fällen praktizierter, aber nicht als solcher identifizierter regulierter Selbstregulierung309) eingesetzt. Insbesondere angesichts technischer Rahmenbedingungen von immer größer werdender Komplexität kann das Verfahren des JMStV Vorbildcharakter dafür entwickeln, das Aushöhlen eines staatlichen Regulierungsanspruchs zu verhindern.310 In der jüngeren Vergangenheit gab es positive wie negative Zeichen für eine solche „Vorreiterrolle“ des JMStV. Einerseits wurde im Zusammenhang mit telekommunikationsrechtlichen Entgelt-Regelungen das Verfahren des Jugendmedienschutzes bereits als Referenz herangezogen.311 Andererseits ist auffallend, dass die Selbstkontrollmöglichkeit gem. § 38a Bundesdatenschutzgesetz von den betroffenen Unternehmen kaum angenommen wird, die stattdessen die Möglichkeit einer Auseinandersetzung mit dem (der KJM vergleichbaren) zentralen Überwachungsorgan bevorzugen.312 Letztendlich können Erfahrungen immer nur bedingt auf andere Branchen übertragen werden, weil im Einzelnen erfahrungsgemäß verschiedene Grundvoraussetzungen herrschen, beispielsweise die generelle Regulierungsaffinität einer Branche oder der Grad vorzufindender Komplexität. Ein „Einheitsmodell“ regulierter Selbstregulierung ist daher weder wünschenswert noch umsetzbar, ebenso wenig gibt es einen einheitlichen „Königsweg“ für alle Ziele.313 Rossen-Stadtfeld, AfP 2004, S. 1, 7. Schulz in: Büttner / von Gottberg, Staatliche Kontrolle und selbstregulative Steuerung, S. 55, 64. 307 Schulz et al, Co-Regulierungsmaßnahmen im Medienbereich, S. 1. 308 Voßkuhle in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band I, § 1, Rn. 43 f. 309 Dazu siehe Seite 55. 310 Cole, RdJB 2006, S. 299, 307. 311 Vgl. Schütz, MMR 2006, Heft 6, S. XVIII, XVIII f. 312 So Mynarik, Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien, S. 274. 313 Schulz et al, Co-Regulierungsmaßnahmen im Medienbereich, S. 191. 305 306
D. Abschließende Bewertung
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Dementsprechend ist auch das Verfahren des JMStV kein solcher „Königsweg“. Jedoch lassen sich die wesentlichen Voraussetzungen herausstellen, unter denen dieses Verfahren auch in anderen Bereichen Erfolg verspricht: Sowohl der Staat als auch die beteiligten Privaten müssen gewillt und in der Lage sein, ein relativ aufwendiges Verfahren zu tragen;314 darüber hinaus muss es hinsichtlich der betroffenen Schutzgüter verfassungsrechtlich zulässig, außerdem politisch gewollt und schließlich auch im öffentlichkeitswirksamen Konfliktfall den Bürgern vermittelbar sein, dass der Staat nicht mehr in allen Fällen eingreifen kann, sondern nur bei qualifizierter Schlechterfüllung durch die beteiligten Privaten.
D. Abschließende Bewertung des Beurteilungsspielraums zugunsten Privater als Instrument regulierter Selbstregulierung Die Geeignetheit des Beurteilungsspielraums als Kriterium für die Zuständigkeiten von KJM und anerkannten EFS im JMStV wurde beschrieben,315 ebenso die wichtigsten Voraussetzungen für eine Erfolg versprechende Übertragung des Verfahrens auf andere Referenzgebiete. 316 Werden diese beiden Aspekte zusammengeführt, so ergibt sich bereits im Wesentlichen die Antwort auf die Frage, ob ein Beurteilungsspielraum zugunsten Privater generell ein geeignetes Abgrenzungskriterium für die Zuständigkeitsbereiche von staatlicher und privater Seite innerhalb von Systemen regulierter Selbstregulierung bildet. Empirische Ansätze in der Literatur deuten darauf hin, dass dafür vor allem die Klarheit der Kompetenzabgrenzung entscheidend ist, weil ansonsten die Privaten von einer Teilnahme abgeschreckt sein könnten.317 Die klarste aller Abgrenzungen bilden Zuständigkeitsbereiche, die von vornherein verschieden sind. Deshalb erscheint es grundsätzlich vorzugswürdig, die Aufgaben der staatlichen und der privaten Seite gänzlich zu scheiden, so dass beispielsweise nur eine Seite für den Erlass untergesetzlicher Normen zuständig ist, nur eine Seite für den Vollzug zuständig ist, nur eine Seite Kontakt zu beteiligten Dritten hat usw. Wenn eine solche prinzipielle Scheidung im Einzelfall rechtspolitisch aber nicht gewollt ist, so stellt sich die Frage nach einem Abgrenzungskriterium innerhalb des gleichen Bereichs. Weil der Beurteilungsspielraum nur in den Voraussetzungen seiner AnZur Bewertung der relativ hohen Komplexität des Verfahrens des JMStV Seite 386 ff. Siehe Seite 389 ff. 316 Siehe Seite 403 ff. 317 Schulz et al, Co-Regulierungsmaßnahmen im Medienbereich, S. 128. – Darauf deuten auch die Probleme hinsichtlich des Fehlens eines Anerkennungsverfahrens für Altersverifikationssysteme hin, vgl. Zweiter Bericht der KJM vom August 2007, S. 38, abrufbar unter http: //www.kjm-online.de/public/kjm/downloads/KJM_Bericht%20und%20Umschlag.pdf (Stand: 19. 09. 2007). 314 315
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10. Teil: Rechtspolitische Bewertung
nahme Probleme bereitet, aber die Folgen im Falle seiner ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung relativ klar sind, ist er für eine solche Abgrenzung grundsätzlich geeignet – und keinesfalls weniger als andere abstrakte Abgrenzungskriterien. Ob und ggf. mit welchen Modifikationen die Rechtsprechung die Regeln des überkommenen Beurteilungsspielraums zugunsten der Verwaltung bei der Bewertung der neuen Figur des Beurteilungsspielraums zugunsten Privater übernimmt,318 ist heute noch nicht bekannt. Dementsprechend vermag die neue Rechtsfigur kurzbis mittelfristig keine besonders große Rechtssicherheit zu bieten.319 Durch die zu erwartenden gerichtlichen Entscheidungen und die zunehmende wissenschaftliche Aufbereitung – für die mit vorliegender Arbeit ein Beitrag zu leisten versucht wurde – hat der Beurteilungsspielraum zugunsten Privater jedoch durchaus das Potential, mittel- bis langfristig zu einem gut operationalisierbaren Abgrenzungskriterium für das Konzept der regulierten Selbstregulierung zu werden.320 Die Verwendung in weiteren Referenzgebieten würde den Klärungsprozess sogar noch in gleichsam dialektischer Weise beschleunigen.
318 Zum in dieser Arbeit für das Referenzgebiet des JMStV entwickelten Ansatz siehe 244 ff. 319 Nach den Erkenntnissen von Schulz et al, Analyse des Jugendmedienschutzsystems, S. 131 vermag die Regelung zum Beurteilungsspielraum zugunsten der anerkannten EFS den Anbietern sogar zum jetzigen Zeitpunkt schon ein „hohes Maß an Rechtssicherheit“ zu verschaffen. 320 Ähnlich Schulz et al, Analyse des Jugendmedienschutzsystems, S. 132 unter Hinweis auf entsprechende empirische Indizien.
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Sachwortverzeichnis Abstract 31 Abwehrrechte der Anbieter 336 Abwehrrechte der potentiellen Empfänger 344 Anbieter 66 Anerkennung von EFS 87 Angebote 66 Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG 170 Aufsicht 128 Bachof 135 Beamtenrechtliche Beurteilungen und Beurteilungsspielraum zugunsten der Verwaltung 211 Beiladung der EFS 276 Beiladung der KJM 73 Beleihung 109 Beurteilungsspielraum als Kriterium der Zuständigkeitsabgrenzung 389 Beurteilungsspielraum zugunsten der KJM 291 Beurteilungsspielraum zugunsten der Verwaltung 132 Beurteilungsspielraum zugunsten Privater 246 Beurteilungsspielraum zugunsten Privater gegenüber den Verwaltungsgerichten 302 Beweislastverteilung 290 Bewertung des Beurteilungsspielraums zugunsten Privater als Instrument regulierter Selbstregulierung 405 Bewertung des Verfahrens des JMStV in Zusammenschau mit seinen Voraussetzungen 392 BPjM 102 Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien 102 Co-Regulierung 41
Demokratiegebot 326 Deutscher Werberat 106 Dichotomie von Tatbestand und Beurteilungsspielraum 163 Dichotomie von Überwachung und Aufsicht 128 EFS 85 EFS als Beliehene 117 Eilverfahren 296 Ein einsames Haus am See 245 Einheitstheorien 164 Einrichtungen der Freiwilligen Selbstkontrolle 85 Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers 137 Elternrecht 346 Exklusivität der Entscheidungszuständigkeit und Beurteilungsspielraum zugunsten der Verwaltung 205 Faktische Beleihung 115 Formelle Verfassungsmäßigkeit des JMStV 346 Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft GmbH 104 Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen e.V. 89 Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia-Dienstanbieter e.V. 89 FSF 89 FSK 104 FSM 89 Funktionsfähigkeit der Verwaltung 189 Funktionsfähigkeit der Verwaltungsgerichtsbarkeit 189 Funktionsgrenzen der Rechtsprechung im Sinne erhöhter tatsächlicher Schwierigkeiten 184
Sachwortverzeichnis Funktionsgrenzen der Rechtsprechung im Sinne funktionellrechtlicher Gewaltenteilung 185 Gebot effektiven Rechtsschutzes 177 Gerichtliche Überprüfung von Beurteilungsspielräumen zugunsten der Verwaltung 219 Gesellschaftliche Rahmenbedingungen 375 Gesetzliche Indienstnahme Privater 116 Grundrechte, Bedeutung für die normative Ermächtigungslehre 194 Hinzuziehung der EFS zum Verwaltungsverfahren 272 I want a famous face 238 Ibler, Inhalt seiner Lehre 174 Ibler, Kritik an seiner Lehre 190 Indienstnahme Privater 116 Inhalt der neuen Rechtsfigur des Beurteilungsspielraums zugunsten Privater 246 Interessen 362 Internationale Ausweichmöglichkeiten 370 Jugendschutz als staatliche Schutzpflicht 317 Jugendschutz im öffentlich-rechtlichen Rundfunk 103 Jugendschutz.net 70 KEK 72 KJM 67 KJM im Verhältnis zu den Landesmedienanstalten 70 Klagebefugnis 281 Klagen von Anbietern gegen eine anerkannte EFS 298 Kommission für Jugendmedienschutz 67 Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich 72 Kompetenzabgrenzung zwischen Behörden und anerkannten EFS 258 Kondominialverwaltung 42 Kriterien für die Annahme einer konkludenten normativen Ermächtigung 202 Landesmedienanstalten und Beurteilungsspielraum der EFS 265
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Maurer, Inhalt seiner Lehre 174 Maurer, Kritik an seiner Lehre 179 Mischverwaltung 332 Mittelbare verfassungsrechtliche Rechtfertigung eines Beurteilungsspielraums zugunsten der Verwaltung 191 Mutzenbacher, Josephine 145 Normative Ermächtigungslehre, Inhalt 137 Normative Ermächtigungslehre, Kritik und eigene Stellungnahme 156 Öffentlich-rechtlicher Rundfunk, Einbindung in das Verfahren 394 Ordnungswidrigkeiten 309 Organstreitverfahren zwischen KJM und EFS 279 Passivlegitimation 286 Planung und Beurteilungsspielraum zugunsten der Verwaltung 212 Popetown 243 Pornografie 307 Praxis von KJM und EFS 357 Private Grundschule 146 Privatisierung 127 Privilegierung bei der Ahndung von Straftaten 311 Programmankündigungen mit Bewegtbildern 304 Prüfausschüsse 68 Prüfgruppen 69 Prüfungswesen und Beurteilungsspielraum zugunsten der Verwaltung 209 Rechtfertigung eines ausnahmsweise zuzulassenden Beurteilungsspielraums zugunsten der Verwaltung 183 Rechtsprechung zur Verfassungsmäßigkeit des Beurteilungsspielraums 140 Rechtsschutzgarantie 177 Regulierte Selbstregulierung 40 Regulierte Selbstregulierung, verwaltungsrechtliche Integration 55 Regulierung 35 Regulierungsbehörden und Beurteilungsspielraum zugunsten der Verwaltung 210
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Sachwortverzeichnis
Risikoentscheidungen und Beurteilungsspielraum zugunsten der Verwaltung 212 Rundfunk 64 Rundfunkfreiheit als Abwehrrecht 336 Rundfunkfreiheit als objektives Prinzip 320 Sasbach 145 Schlichtes Verwaltungshandeln der KJM 256 Schutzpflicht des Staates zum Jugendschutz 317 Selbstregulierung 39 Selbstverwaltung 42 Staatsferne 320 Strafrecht 311 Teilrechtsfähigkeit der KJM 78 Telemedien 64 Trailer 304 Übertragung der herkömmlichen Rechtsfigur des Beurteilungsspielraums in den neuen Kontext 221 Übertragung des Verfahrens auf andere Bereiche des Medienrechts 402 Übertragung des Verfahrens auf andere Wirtschaftsbereiche 403 Überwachung 128 Umlaufverfahren bei der KJM 82 Unterscheidung von Beurteilungsspielraum und Ermessen 163 Verbotsirrtum 313 Verfahren des JMStV 62
Verfahren ohne Einbeziehung der EFS 90 Verfahren unter Einbeziehung der EFS 91 Verwaltungshilfe 115 Verwaltungspolitische Entscheidungen und Beurteilungsspielraum zugunsten der Verwaltung 212 Verwaltungsprozess 276 Verwaltungsrechtliche Einordnung des Verfahrens des JMStV 98 Verwaltungsrechtsweg 280 Verwaltungsverfahren, Konsequenzen des Beurteilungsspielraums zugunsten der EFS 270 Verwaltungsverfahrensgesetz, Anwendbarkeit auf die KJM 80 Vielzahl von Angeboten 371 Vielzahl von Entscheidungsträgern 376 Vorlagefähige, aber nicht vorgelegte Angebote 93 Vorlagefähigkeit von Angeboten 91 Weisungsfreie Gremien und Beurteilungsspielraum zugunsten der Verwaltung 207 Werberat 106 Widerruf der Anerkennung von EFS 267 Wut 399 Wyhl 145 Zensurverbot 337 Zusammenfassung des Inhalts der Arbeit 31