Die Entwicklung der Rechtsprechung zum Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter in ihrer Bedeutung für den Ausgleich von Drittschäden im Zahlungsverkehr [1 ed.] 9783428472505, 9783428072507


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German Pages 201 [202] Year 1991

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Die Entwicklung der Rechtsprechung zum Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter in ihrer Bedeutung für den Ausgleich von Drittschäden im Zahlungsverkehr [1 ed.]
 9783428472505, 9783428072507

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RENÉ-ALEXANDER HIRTH

Die Entwicklung der Rechtsprechung zum Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter in ihrer Bedeutung für den Ausgleich von Drittschäden im Zahlungsverkehr

Schriften zum Bürgerlichen Recht Band 146

Die Entwicklung der Rechtsprechung zum Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter in ihrer Bedeutung für den Ausgleich von Drittschäden im Zahlungsverkehr

Von

René-Alexander Hirth

Duncker & Humblot - Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Hirth, René-Alexander: Die Entwicklung der Rechtsprechung zum Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter in ihrer Bedeutung für den Ausgleich von Drittschäden im Zahlungsverkehr / von RenéAlexander Hirth. - Berlin: Duncker und Humblot, 1991 (Schriften zum bürgerlichen Recht ; Bd. 146) Zugl.: Tübingen, Univ., Diss., 1991 ISBN 3-428-07250-2 NE: GT

D 21 Alle Rechte vorbehalten © 1 9 9 1 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Fotoprint: Werner Hildebrand, Berlin 65 Printed in Germany ISSN 0720-7387 ISBN 3-428-07250-2

Meinen Eltern

Inhalt

Α. Einleitung und Überblick

13

B. Die Entwicklung der Rechtsprechung

15

I. Die Entwicklung bis 1959

15

1. Karl Larenz als "Vater" des Vertrages mit Schutswirkung zugunsten Dritter

15

2. Unterschiede zwischen vertraglicher und deliktischer Haftung

15

3. Gerichtliche Praxis bis zum "Capuzolfall"

18

3.1. Entwicklungsbereiche

18

a) Fallgruppe Werkvertrag

18

aa) Beforderungsvertrag

18

bb) Werkvertrag allgemein b) Fallgruppe Dienstvertrag

21 22

aa) Arztbehandlungsvertrag

22

bb) Krankenhausvertrag

22

aaa) Krankenhausvertrag mit Privatpersonen

22

bbb) Krankenhausvertrag mit Krankenkassen

23

cc) Dienstvertrag allgemein

24

c) Fallgruppe Mietvertrag

25

d) Fallgruppe Kaufvertrag (Produzentenhaftung)

26

3.2. Der "Capuzolfall"

27

4. Ausgangspunkt und rechtliche Begründung des eingeschlagenen Weges . . 28 4.1. Ausgangslage: das praktische "Bedürfnis" nach der Ausweitung vertraglichen Drittschutzes 4.2. Die Absicherung der Ergebnisse anhand des BGB 5. Die zu ersetzenden Arten von Drittschäden II. Die Entwicklung von 1959 bis 1977 1. Eine erste Abgrenzung des geschützten Personenkreises

28 31 33 33 33

Inhalt

8

2. Neue Anwendungsbereiche für den Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter

36

2.1. Haftungsfreizeichnung und Verjährungseinrede

37

2.2. Dritthaftung nach einer Verletzung vertraglicher Leistungspflichten . . 40 a) Dritthaftung für Rat, Auskunft und Gutachten

41

b) Haftung des Arztes gegenüber Nichtpatienten wegen mangelhafter Behandlungsleistung

44

3. Der Fortgang im Bereich der Dritthaftung nach einer Verletzung vertraglicher Schutzpflichten

44

3.1. Fallgruppe Werkvertrag

44

3.2. Fallgruppe Dienst vert rag 3.3. Fallgruppe Mietvertrag

46 46

3.4. Fallgruppe Kaufvertrag

49

4. Die Rechtsgrundlage im BGB

51

5. Die zu ersetzenden Drittschäden 5.1. Sachschäden 5.2. Vermögensschäden

53 53 55

III. Die Entwicklung von 1977 bis heute

56

1. Das "Lastschrifturteil" des BGH

56

1.1. Der Sachverhalt

56

1.2. Die Entscheidung

56

1.3. Das Urteil als Aufgabe oder Ergänzung der vorangegangenen Rechtsprechung ? 58 a) Leistungsnähe 58 b) Schutz und Fürsorge 58 c) Erkennbarkeit und Schutzinteresse beim Dritten 59 d) Ergebnis 59 2. Die weitere bankspezifische Rechtsprechung zum Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter

59

- Die Einordnung der bankspezifischen Fälle in die Hauptbereiche der Drittschutzrechtsprechung 3. Die weitere Entwicklung in den bisherigen Fallgruppen 3.1. Haftungsfreizeichnung und Verjährungseinrede 3.2. Dritthaftung nach einer Verletzung vertraglicher Leistungspflichten a) Dritthaftung für Rat, Auskunft und Gutachten aa) Steuerberater, Wirtschaftsprüfer und sonstige sachverständige Gutachter bb) Rechtsanwälte

65 66 66 67 67 67 70

Inhalt

b) Haftung des Arztes gegenüber Nichtpatienten

71

c) Dritthaftung des G mbH-Geschäftsführers

72

d) Dritthaftung des Bauunternehmers wegen mangelhafter Bauleistung . 73 3.3. Dritthaftung nach einer Verletzung vertraglicher Schutzpflichten . . . . 74 a) Fallgruppe Werkvertrag

74

b) Fallgruppe Dienstvertrag

75

c) Fallgruppe Mietvertrag

77

d) Fallgruppe Kaufvertrag

80

4. Die Rechtsgrundlage im BGB

80

5. Die zu ersetzenden Drittschäden

81

6. Der heutige Stand der Rechtsprechung

82

C. Kritische Stellungnahme unter Einbeziehung der Rechtslehre I. Die dogmatische Grundlage des Rechtsinstitutes

85 85

1. § 328 Abs.l BGB

85

2. § 328 Abs.l BGB analog

86

3. Vertragsauslegung (§§ 133, 157 BGB)

90

4. Ergänzende Vertragsauslegung (§ 157 BGB) » Die Voraussetzungen « . . .

91

4.1. Das Vorliegen einer Vertragslücke

91

4.2. Die "Ausfüllungsbedürftigkeit" der Vertragslücke

95

4.3. Der Weg der Vertragslückenschließung

96

5. Drittschutz als allgemeines Rechtsprinzip

99

6. Gewohnheitsrecht

99

7. Treu und Glauben (§ 242 BGB)

100

8. Die Lehre vom einheitlichen gesetzlichen Schutzpflichtverhältnis

101

9. Richterliche Rechtsfortbildung

106

9.1. Gesetzesimmanente Rechtsfortbildung (praeter legem)

106

9.2. Gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung (extra legem)

107

10. Ergänzende Vertragsauslegung (§ 157 BGB) » Die Ergebniskontrolle « .114 11. Ergebnis: die dogmatische Grundlage des Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter

118

10

Inhalt

II. Der "Tatbestand" des Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter . . . . 119 1. Der Vertrag mit Schutzinteresse Dritter

121

1.1. Leistungsnähe 1.2. "Wohl und Wehe" / Massengeschäftsformel

121 126

1.3. Erkennbarkeit 1.4. Schutzbedürftigkeit

127 129

1.5. Der Tatbestand des "Vertrages mit Schutzinteresse Dritter"

133

2. Der Vertrag mit Leistungsinteresse Dritter

133

2.1. Leistungsnähe durch Drittbezogenheit

134

2.2. 2.3. 2.4. 2.5.

136 136 137 138

"Wohl und Wehe" Erkennbarkeit Schutzbedürftigkeit Der Tatbestand des "Vertrages mit Leistungsinteresse Dritter"

III. Die Abgrenzung zu den benachbarten Rechtsfiguren 1. Der Vertrag zugunsten Dritter

138 139

1.1. Der "echte" Vertrag zugunsten Dritter

139

1.2. Der "unechte" Vertrag zugunsten Dritter

140

2. Die Drittschadeneliquidation

140

3. Versuch einer grafischen Umsetzung der Ergebnisse

144

- Abbildungen 1 und 2

144

D. Anwendung - Der vertragliche Ausgleich von Drittschäden im Bereich des Giroverkehrs

148

I. Überweisung

148

1. Der "Netzvertrag"

149

2. Die beteiligten Banken als Erfüllungsgehilfen der Kundenbank

152

3. Vertrag zugunsten Dritter (§ 328 BGB) 3.1. Leistungsansprüche des Überweisungsabsenders

155 156

3.2. Leistungsansprüche des Überweisungsempfängers 4. Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter 4.1. Ansprüche des Überweisenden

157 159 162

a) Ansprüche gegen die Zwischenbank

162

b) Ansprüche gegen die Empfängerbank

165

c) Haftungsbeschränkungen im Überweisungsverkehr

167

4.2. Ansprüche des Überweisungsempfängers

169

4.3. Ansprüche der Überweisungsbank

171

Inhalt 5. Ergebnis: Drittschutz im Überweisungsverkehr II. Lastschrift 1. Ansprüche des Lastschriftgläubigers

11 171 172 174

1.1. Ansprüche gegen die Zwischenbank

175

1.2. Ansprüche gegen die Zahlstelle

176

1.3. Haftungsbeschränkungen im Lastschriftverkehr

177

2. Ansprüche der ersten Inkassostelle

177

2.1. Ansprüche gegen den Lastschriftschuldner

177

2.2. Ansprüche gegen die Zahlstelle

180

3. Ansprüche des Lastschriftschuldners

181

4. Ergebnis: Drittschutz im Lastschriftverkehr

182

III. Scheck 1. Ansprüche des Scheckeinreichers 1.1. Ansprüche gegen die Zwischenbank

182 184 184

1.2. Ansprüche gegen die bezogene Bank

184

1.3. Haftungsbeschränkungen im Scheckverkehr

185

2. Ansprüche der Inkassobank 2.1. Ansprüche gegen den Scheckaussteller 2.2. Ansprüche gegen die bezogene Bank

185 185 186

3. Ansprüche des Scheckausstellers

186

4. Ergebnis: Drittschutz beim Scheckinkasso

187

E. Gesamtergebnis

188

Literaturverzeichnis

190

Abkürzungen

Soweit die in dieser Arbeit verwendeten Abkürzungen nicht dem allgemeinen Sprachgebrauch entsprechen, orientieren sie sich an

Kirchner, Hildebert / Kastner, Fritz Kirchner - Abkürzungen der Rechtssprache 3.Auflage - Berlin, New York 1983

Α. Einleitung und Überblick Obwohl der Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter mittlerweile zum juristischen Allgemeingut zählt, deutet die unvermindert anhaltende Veröffentlichung von Urteilen und Literatur zu diesem Bereich unmißverständlich darauf hin, daß es dort noch einige Probleme zu lösen gibt. Das Überraschende dabei ist, daß diese Zweifelsfragen keineswegs nur spezieller Natur sind, sondern auch über die dogmatischen Grundlagen und die allgemeinen Voraussetzungen der Rechtsfigur unvermindert heftig diskutiert wird. Angesichts dieser allumfassenden Kontroverse und des verschiedentlich geäußerten Unmutes über die zunehmende Unübersichtlichkeit des Meinungsspektrums, insbesondere auch innerhalb der Judikatur, verwundert es, daß bis heute soweit ersichtlich - keine systematische Darstellung der gesamten Rechtsprechung zu diesem Bereich vorliegt. Dies gilt umso mehr unter dem Gesichtspunkt, daß dem Vorwurf der Unübersichtlichkeit oder gar Widersprüchlichkeit der richterlichen Spruchpraxis die Grundlage entzogen ist, wenn der Nachweis gelingt, daß die Kritiker Urteile der einen Fallgruppe und Entwicklungsphase zu einem Urteil einer anderen Fallgruppe und/oder Entwicklungsphase in unmittelbare Beziehung zu setzen versuchen. A n diesem Punkt möchte diese Arbeit ansetzen. Der erste Hauptteil befaßt sich deshalb ausschließlich mit der Rechtsprechung. Unter Berücksichtigung der von den Gerichten durch richtungsweisende Urteile selbst gesetzten Zäsuren wird ein innerhalb von Fallgruppen chronologisch geordneter Überblick der einschlägigen Entscheidungen entwickelt, der zumindest insoweit Anspruch auf Vollständigkeit erhebt, daß alle entwicklungsgeschichtlich bedeutsamen Urteile mit ihren zentralen Gedanken enthalten sind. Eine Diskussion der einzelnen Entscheidungen erfolgt nur in besonderen Einzelfällen, vergleichend mit der vorangegangenen Judikatur, um das angestrebte Ziel - den Tatbestand

14

Einleitung und Überblick

des Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter aus der Sicht der heutigen Rechtsprechung - nicht durch Lehrmeinungen zu beeinflussen. Umstritten ist nach wie vor, wie das Rechtsinstitut des Vertrages mit Schutzwirkung dogmatisch zu erklären ist. A m Anfang des zweiten Hauptteils steht deshalb die kritische Untersuchung des Standpunktes der Rechtsprechung im Vergleich zu den in der Literatur vertretenen Ansätzen. Daran anschließend wird geprüft, inwieweit dem heutigen Drittschutztatbestand der Rechtsprechung zu folgen ist und wie dieser gegebenenfalls modifiziert werden muß, um dem allgemeinen Bedürfnis nach einer allgemeingültigen und gleichzeitig griffigen Drittschutzdefinition gerecht zu werden. Im unmittelbaren Zusammenhang mit dieser Frage steht das Problem der Abgrenzung zu den benachbarten Rechtsfiguren. Dieser Punkt bildet den Abschluß des zweiten Hauptteils. Nach Klärung der allgemeinen Fragen kann im dritten Hauptteil die spezielle Drittschutzproblematik im Bereich des Giroverkehrs angegangen werden. Die Rechtsprechung zeigt hier eine zunehmende Bereitschaft zur einheitlichen Abwicklung der im Zahlungsverkehr entstandenen Drittschäden mit Hilfe der Rechtsfigur des Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter. Sie stößt dabei auf K r i t i k völlig unterschiedlicher Zielrichtung: diese reicht von der Ablehnung jeglicher unmittelbarer vertraglicher Beziehung unverbundener Glieder der Girokette unter gleichzeitiger Verweisung auf die Rechtsfigur der Drittschadensliquidation bis zur Annahme einer direkten Vertragsverbindung aller am Zahlungsverkehr Beteiligten. Da die jüngste Entwicklungsphase der Drittschutzrechtsprechung mit dem Lastschrifturteil gerade im Bankbereich eingeläutet wurde, sind die Drittschäden im Giroverkehr prädestiniert dafür, den im zweiten Hauptteil entwickelten Drittschutztatbestand auf seine Praxistauglichkeit zu überprüfen.

Β. Die Entwicklung der Rechtsprechung I. D i e E n t w i c k l u n g b i s

1959

1. Karl Larenz als "Vater" des Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter Der Begriff des "Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter" ist untrennbar verbunden mit dem Namen Karl Larenz. Er war es, der diese Bezeichnung 1953 in der Erstaufläge seines Lehrbuchs des Schuldrechts in den rechts wissenschaftlichen Sprachgebrauch einführte. 1 M i t dieser Neubenennung eröffnete Larenz die weitere Diskussion über die Berechtigung und dogmatische Einordnung jener "Fortbildung des Rechts durch die Rechtsprechung", 2 die bislang im Stile eines Etikettenschwindels als unmittelbare Anwendung des § 328 BGB dargestellt wurde. 3 2. Unterschiede zwischen vertraglicher und deliktischer Haftung Die Bemühungen der Rechtsprechung um die Ausdehnung vertraglichen Schutzes auf Dritte sind nur vor dem Hintergrund der

1 2

Larenz, SR I / A T 1953, 139 ff.; vgl. Schütz, 85.

So Larenz, SR I / A T 1953, 141. So der BGH letztmals am 27.1.1959 in NJW 59, 816; anders der BGH am 15.5.1959 im "Capuzolfall" (NJW 59, 1676): "Wie Larenz zutreffend hervorhebt, handelt es sich (...) nicht um einen eigentlichen "Vertrag zugunsten Dritter", denn der Schuldner ist nach dem Vertrage nicht verpflichtet, an den Dritten zu leisten, wie § 328 BGB es voraussetzt (...)." Am 21.9.1955 (VersR 55, 740) hatte der BGH sogar noch mittelbar die kritische Stellungnahme von Larenz als Stütze für die eigene Auffassung beansprucht (VersR 55, 742), obwohl Larenz in der vom BGH zitierten Stelle ausdrücklich von einem "typischen Fall des konstruktiven Mißbrauchs eines Rechtsinstituts" schrieb (Larenz, SR I / A T 1953, 140). 3

16

Die Entwicklung der Rechtsprechung

elementaren Unterschiede vertraglicher und deliktischer Haftung zu verstehen. Der wichtigste Unterschied beider Haftungssysteme ist die jeweilige Ausgestaltung der Haftung für Hilfspersonen. § 278 S.l BGB stellt den Geschädigten als Zurechnungsnorm für fremdes Verschulden ohne Möglichkeit eines Entlastungsbeweises und ohne Rücksicht auf das eigene Verhalten des Geschäftsherrn 4 ungleich besser als § 831 Abs.l S.l BGB, der diesen nur wegen vermuteten eigenen Verschuldens unter Ermöglichung der Exkulpation (§ 831 Abs.l S.2 BGB) zur Haftung heranzieht. 5 In einer Vielzahl von Urteilen zum vertraglichen Drittschutz kam es für den Erfolg der Klage entscheidend auf die Frage der Anwendbarkeit des § 278 S.l BGB an.6 Weiter ist die extrem ungleich bemessene Verjährungsfrist anzuführen: deliktische Ansprüche verjähren nach § 852 Abs.l BGB grundsätzlich mit Ablauf von drei Jahren, vertragliche Ansprüche gemäß § 195 BGB regelmäßig nach dreißig Jahren. 7 Wegen der zahlreichen Sonderregelungen zur vertraglichen Verjährung ist allerdings die Regelfrist des § 195 BGB "praktisch die Ausnahme" 8 und daher die im Grundsatz bestehende große Differenz zu § 852 Abs.l BGB in der Praxis erheblich zu relativieren. A u f den ersten Blick unscheinbar, jedoch von erheblicher Praxisrelevanz ist der Unterschied in der Beweislastregelung. Während im Bereich der deliktischen Haftung mit lediglich geringen

4 5

Palandt-Heinrichs, § 278 (Anm.l-a); Ρalandt-Thomas, § 831 (Anm.2-A). Palandt-Thomas, § 831 (Anm.l); Söllner, JuS 70, 163.

^ Von den Entscheidungen bis zum Jahr 1959 war dies beispielsweise ausschlaggebend in: OLG Hamburg, Recht 1907, Nr.3469; OLG Hamburg, ROLG 23, 46; OLG Colmar, Recht 1914, Nr.327 (jeweils Fallgruppe Beforderungsvertrag); RGZ 98, 210; RGZ 127, 218; KG, NJW 58, 185 (jeweils Fallgruppe Werkvertrag); RG, JW 15, 916 (Nr.4); RG, Recht 1930, Nr.14; BGHZ 1, 383 = BGH, NJW 51, 798 (jeweils Fallgruppe Behandlungsvertrag); RGZ 91, 21; KG, JW 39, 287 (Nr.15); BGHZ 2, 94 (jeweils Fallgruppe Mietvertrag). Zum Tragen kam dieser Unterschied unter den Entscheidungen bis 1959 insbesondere in: RGZ 152, 175; BGH, VersR 56, 500. 8 Palandt-Heinrichs, § 195 (Anm.l).

Entwicklung bis 19

17

Modifizierungen 9 der Gläubiger grundsätzlich den vollen Beweis für die Anspruchsvoraussetzungen erbringen m u ß , 1 0 wird in der Rechtsprechung zur Vertragshaftung mittlerweile über alle Vertragstypen hinweg die "Beweislastverteilung nach Gefahrenund Verantwortungsbereichen" unter gelegentlicher Bezugnahme auf § 282 BGB vertreten, 11 die vom Anspruchsteller nurmehr verlangt, dem Anspruchsgegner eine objektive Pflichtverletzung bzw. eine äquivalente Schadensursache aus dessen Verantwortungsbereich nachzuweisen. 12 Ist dies dem Gläubiger gelungen, muß der Schuldner beweisen, daß er die Vertragsverletzung nicht zu vertreten hat. 1 3 Herausragender Vorteil der deliktischen Haftung ist für den Verletzten die Möglichkeit der Klage auf Schmerzensgeld (§§ 847, 253 BGB), und das Recht bestimmter mittelbar Geschädigter, gegen den unerlaubt Handelnden vorzugehen (§§ 844, 845 BGB). Diese Vorzüge der Deliktshaftung gegenüber der Vertragshaftung bleiben dem Geschädigten aber grundsätzlich auch erhalten, wenn der Bereich des vertraglichen Drittschutzes weit gezogen wird, da Ansprüche aus Vertrag und unerlaubter Handlung nebeneinander bestehen können. 14

g

Erleichterungen gewährt die Rechtsprechung bei der Produzentenhaftung (BGHZ 51, 91 [104] = BGH, NJW 69, 269 [274]; BGH, NJW 75, 1827 [1828]; differenzierter Überblick mit weiteren Nachweisen: Palandt-Thomas, § 823 (Anm.l5-f)) und mit dem Grundsatz des Beweises des ersten Anscheins (u.a. BGHZ 2, 1 [5]; BGHZ 31, 351 [357]; BGH, NJW-RR 88, 789 [790]; Kurzdarstellung mit Vertiefungshinweisen in: Palandt-Heinrichs, Vorbem.v. § 249 (Anm.8-b-aa)). Palandt-Heinrichs, Vorbem.v. § 249 (Anm.8-a) [m.w.N.]. 1 1

Ausgangsentscheidungen: RGZ 78, 239; RGZ 112, 41 [42]; RGZ 148, 148 [150]; RGZ 171, 168 [171]; Weiterentwicklung des BGH mit Hinweis auf § 282 BGB: BGH, NJW 62, 31; BGHZ 64, 46 [51]; BGHZ 66, 51 [53] = BGH, NJW 76, 712 = JR 76, 456; BGH, NJW 78, 2197; BGH, NJW 80, 2186 u.a.; ohne Hinweis auf § 282 BGB: BGHZ 8, 239 [241]; BGHZ 48, 310 [312]; BGH, NJW 87, 1938 u.a.; zusammenfassend mit einer Aufgliederung weiterer Nachweise nach Vertragstypen: Palandt-Heinrichs, § 282 (Anm.2-a-bb und 2-b). Einen weiterführenden Überblick gibt: Palandt-Heinrichs, § 282 (Anm.2-b bis d). 1 3 BGHZ 8, 239 [241]; BGHZ 23, 288 [290]; BGHZ 27, 236 [238]; BGH, NJW 80, 2186; BGH, NJW 87, 1938 [1939] u.a.; vgl. ferner: Palandt-Heinrichs, § 282 (Anm.2-e). 1 4 BGHZ 32, 194 [203]; BGHZ 32, 297 [302] u.a.; übergreifend dargestellt in: Palandt-Thomas, Einf.v. § 823 (Anm.2-a).

2 Hirth

18

Die Entwicklung der Rechtsprechung

3. Gerichtliche Praxis bis zum "Capuzolfall" 3.1. Entwicklungsbereiche Bis zu der neue Wege eröffnenden Entscheidung des BGH im "Capuzolfall" 1 5 konzentrierten sich die Überlegungen der Rechtsprechung zur Anwendbarkeit des § 328 BGB auf die Ausgleichung von Drittschäden weitestgehend auf die Fallgruppen folgender Vertragstypen: 1 6 a) Werkvertrag, insbesondere Beförderungsvertrag; b) Dienstvertrag, insbesondere Arztbehandlungsvertrag, daran anknüpfend Krankenhaus vertrag; c) Mietvertrag; d) Kaufvertrag. a) Fallgruppe Werkvertrag 17

ma) Beförderung»vertrag

Im Bereich des Beförderungsvertrags 1 8 hatte sich die Rechtsprechung schon am Anfang dieses Jahrhunderts mit Klagen zu befassen, in denen Geschädigte, die den Vertrag nicht selbst abgeschlossen hatten, vom Werkverpflichteten Ersatz für ihre anläßlich der Beförderung erlittenen Schäden verlangten. Die Urteile zu dieser Fallgruppe nahmen ihren Anfang 1907 mit einem Richterspruch des OLG Hamburg, 1 9 das bei einem Vereinsausflug im Abschluß des Beförderungsvertrages durch ein

1 5

16

BGH, NJW 59, 1676 = VersR 59, 645.

Nicht eu diesen Fallgruppen gehören allerdings RG, JW 25, 2445 (Schulvertrag zwischen Privatschule und Vater zugunsten des Sohnes) und OLG München, VersR 51, 21 (Haftungsvertrag eines Renn Veranstalters mit der die Veranstaltung genehmigenden Gebietskörperschaft zugunsten der in Folge des Rennens Geschädigten) . Ausführlicher hierzu insbesondere Puhle, 8 ff.; Schütz, 25 ff.; Stuckart, 7 f. und Bögemann, 39 ff. Zur Zuordnung des Beförderungsvertrages zum Werkvertrag: Weimar, DAR 72, 64 f.; Palandt-Thomas, Einf.v. § 631 (Anm.5) [m.w.N.]. 1 9 OLG Hamburg, Recht 1907, Nr.3469.

Entwicklung bis 19

19

einzelnes Vereinsmitglied einen Vertrag zugunsten aller anderen teilnehmenden Vereinsmitglieder sah. Das Kammergericht erachtete bei einer Mehrzahl von Fahrgästen alle als aus dem Vertrag berechtigt, wenn die Vertragschließenden den Vertrag nicht speziell auf ihre Beziehung beschränkten. 20 In einer weiteren Entscheidung ließ das OLG Hamburg offen, ob der verhandlungsführende Fahrgast einen Beförderungsvertrag auch "im Namen" seiner Begleitperson oder "mindestens" als Vertrag zugunsten Dritter abschließt. 21 Bestellte ein Gastgeber seinen Gästen Fahrzeuge für die Heimfahrt, so hatten diese nach Ansicht des OLG Colmar 2 2 einen unmittelbaren Vertragsanspruch gegen den Fuhrunternehmer. Ebenso sah das RG in der Bestellung einer Droschke durch den Familienvater einen Vertrag zugunsten dessen Frau und Tochter im Sinne des § 328 BGB. 2 3 Ein Beförderungsvertrag wirke ferner zugunsten derer, die erst im Verlauf der Fahrt vom "Besteller mit Einverständnis des Wagenhalters oder seines Vertreters" in das Fahrzeug aufgenommen wurden. 2 4 Im "Klosterfall" 2 5 entschied das RG, daß mit der Bestellung eines Pferdeschlittens zur Abholung eines benötigten Arztes in Anbetracht des Interesses des Bestellers an einem Aufhebungsvorbehalt die Berechtigung des Arztes, die Beförderung selbständig und unmittelbar vom Fuhrwerksinhaber fordern zu können, zu verneinen sei. Damit war ein vertraglicher Schadensersatzanspruch des Arztes aus eigenem Recht abzulehnen. 26 Dies sei aber kein Grund, die vertragliche Haftung des Fuhrwerksinhabers für

2 0 2 1

2 2A A

KG, ROLG 23, 45. OLG Hamburg, ROLG 23, 46 = Recht 1910, Nr.1232.

OLG Colmar, Recht 1914, Nr.327. RGZ 87, 64 = RG, Recht 1915, Nr.1964; für den Bereich der Personenschiffahrt vgl. RG, Recht 1924, Nr.161. 2 4 RG, Recht 1930, Nr.1702 (ausdrücklich an RGZ 87, 64 anschließend). 2 5

RGZ 87, 289 = RG, Recht 1916, Nr.212 und 213. Falsch ist die Darstellung von Weimar (DAR 72, 66), der behauptet, das RG habe der Klage "unter dem Gesichtspunkt eines echten Vertrages zugunsten Dritter stattgegeben". 2 6

Die Entwicklung der Rechtsprechung

20

Schäden des Arztes, die dieser bei der Beförderung erlitt, insgesamt auszuschließen. Das RG befürwortete hier die Schadensabwicklung nach den Grundsätzen der Drittschadensliquidation, 27 was bei Personenschäden eine Besonderheit darstellte. 28 Das OLG Celle 2 9 zeigte sich bemüht darzulegen, daß bei der Benutzung einer Straßenbahn durch ein Ehepaar der Mann im Falle der Verletzung seiner Frau keinen vertraglichen Schadensersatzanspruch wegen "entgangener Dienste" über § 335 BGB geltend machen kann, auch wenn er den Fahrpreis für sie entrichtet hatte. Dies ergab sich für das Gericht aus der " Verkehrsauf f as sung", die im Falle der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel bei Fehlen entgegenstehender Anhaltspunkte jeden Fahrgast als selbständig kontrahierend ansehe.30 Als obiter dictum führte das OLG jedoch aus, daß auch bei einem Vertrag zugunsten der Ehefrau nach "Sinn und Zweck" der Beförderungsverträge im Bereich der öffentlichen Verkehrsmittel jeder Fahrgast nur Schadensersatz aus einer Verletzung der ihm gegenüber bestehenden Beförderungspflicht verlangen kann. Der BGH 3 1 konnte es 1953 noch ausdrücklich offen lassen, ob dem RG in seiner Rechtsprechung zu den Beförderungsverträgen zugunsten Dritter zu folgen sei, da die Frage nicht entscheidungserheblich war. Auch 1957 3 2 bekannte er sich noch nicht zu einer klaren Linie, sprach aber, wenn auch nur in einer hilfsweisen Überlegung, erstmals unter Verweisung auf § 328 BGB von der "Schutzwirkung des Beförderungsvertrages". 33

Das Kloster hatte dem Arzt die Ansprüche aus dem Beforderungsvertrag abgetreten (RGZ 87, 289 [290]). Strauch, JuS 82, 825 (dort Fußnote 42); siehe auch: Lorenz, JZ 66, 143 (dort Fußnote 5). 2 9 OLG Celle, LZ 1917, 77. 30 In ausdrücklicher Ablehnung der Ansicht des OLG Hamburg, die besagt, daß nur zwischen dem Ehemann und der Straßenbahn ein Vertrag geschlossen werde, "gerichtet auf Beförderung des Mannes, der Frau und des Kindes. Daß auch Frau und Kind unmittelbar Rechte aus einem solchen Vertrage gegen die Straßenbahn erhalten (§ 328) entspricht nicht der Verkehrsauffassung" (Recht 1910, Nr.1219). 3 1 BGHZ 9, 316. 99

BGHZ 24, 325. BGHZ 24, 325 [327].

Entwicklung bis 19

21

bb) Werkvertrag allgemein

Im Bereich der Werkverträge allgemein hat das Reichsgericht ein berühmt gewordenes Urteil gefällt. In dieser Entscheidung zum "Gasuhrfall' 3 4 ergab sich für das Gericht aus dem Umstand, daß die infolge der undichten Gasuhr verletzte Aufwartefrau im Verhältnis zur Werkbestellerin zu dem durch § 618 Abs.l BGB geschützten Personenkreis gehörte, ein vertraglicher Schadensersatzanspruch der Verletzten gegenüber dem Werkverpflichteten. 35 Im Bereich der Bauverträge 3 6 entschied der BGH 3 7 : "Die vertragliche Schutz- und Fürsorgepflicht des Bauunternehmers ist auf die Familie des Bestellers zu erstrecken, in deren Lebensraum das Bauwerk errichtet wird." Ohne eine deutliche Abgrenzung zur früheren direkten Anwendung des § 328 BGB vorzunehmen, ist in der Urteilsbegründung erstmals von "der entsprechenden A n wendung des § 328 BGB" die Rede. 38 Wegen der gleichgelagerten Interessen gewährte die Rechtsprechung den Gehilfen des Schuldners, die im räumlichen Herrschaftsbereich des Gläubigers durch dessen Verschulden zu Schaden gekommen waren, vertragliche Schadensersatzansprüche aus dem zugrunde liegenden Werkvertrag i.V.m. § 328 BGB. 3 9

34 RGZ 127, 218. Hervorzuheben ist an diesem Urteil insbesondere der Überblick, den das RG über die bisherigen Entscheidungen auf dem Gebiet des vertraglichen Drittschutzes gab (RGZ 127, 218 [222]). Diese Rechtsprechung wurde u.a. fortgeführt von: OLG Stuttgart, DJZ 1933, 1568. 36 Zum Anspruch des Grundstückseigentümers aus § 328 BGB gegen eine Abräumfirma, die von der Stadt beauftragt wurde: KG, NJW 58, 185. Entwicklungsgeschichtlich nicht bedeutsam: BGH, NJW 54, 874 = VersR 54, 223. 37 BGH, VersR 56, 500 (Leitsatz 2). Auch dieses Urteil bezieht sich ausdrücklich auf den "Gasuhrfall" (RGZ 127, 218; BGH, a.a.O., 501). 38 BGH, VersR 56, 500 [501 - rechte Spalte, unterstes Drittel]. 3 9 RArbG, JW 38, 2308 (Nr.49); BGHZ 26, 365.

Die Entwicklung der Rechtsprechung

22

b) Fallgruppe Dienstvertrag aa) Antbehandlungsvertrag

^

In der Untergruppe des Arztbehandlungsvertrages ranken sich die Urteile weitgehend um folgende Fallkonstellation: ein vom gesetzlichen Vertreter beim Arzt in Behandlung gegebenes minderjähriges K i n d erleidet einen Schaden durch einen Behandlungsfehler. Im diesbezüglich ältesten einschlägigen Urteil des Reichsgerichts 4 1 kam es noch nicht auf § 328 BGB an, da der Vater als Kläger auftrat und nur entscheidend war, ob er selbst oder das K i n d im Wege der Stellvertretung Vertragspartei geworden war. 1936 schließlich sah das RG den Behandlungsvertrag als "in aller Regel" zugunsten des Kindes abgeschlossen an 4 2 und relativierte diese Entscheidung seitdem nicht mehr. bb) Krankenhauevertrag

4 3

aaa) Krankenhausvertrag mit Privatpersonen

Auch wenn der Behandlungsvertrag von den Eltern nicht mit einem einzelnen Arzt sondern mit einem Krankenhaus geschlossen wurde, sah die Rechtsprechung in ihm ausnahmslos einen Vertrag zugunsten des Kindes. 4 4 Ebenso wurde beim Aufnahmevertrag des Ehemannes für seine Frau entschieden.45

40

Zur Zuordnung des Arztbehandlungsvertrages zum Dienstvertrag: Palandt-Putzo, Einf.v. § 611 (Anm.2-a-bb) [m.w.N.]. 4 1 RGZ 85, 183 vom 19.6.1914. 42 RGZ 152, 175; vorangegangen war RG, Recht 1918, Nr.1345 = WamRspr. 1918, Nr. 113, wo das Gericht in nicht zur Urteilsgrundlage gewordenen Erwägungen klarstellte, daß sich mißverständliche Formulierungen in RGZ 85, 183 nicht auf die Frage der Anwendbarkeit des § 328 BGB beziehen. Zur Zuordnung des Krankenhausvertrages zum Dienstvertrag: BGHZ 2, 94 [96] [m.w.N.] = BGH, NJW 51, 596; Palandt-Putzo, Einf.v. § 611 (Anm.2-a-cc) [m.w.N.]. 4 4 LG Stuttgart, Recht 1918, Nr.843; RG, JW 19, 38 (Nr.4) = WamRspr. 1919, Nr.14 = Recht 1919, Nr.560 [Säuglingsheim]; OLG Celle, VersR 55, 408 [Vertrag zugunsten eines Nasciturus]; BGH, VersR 55, 279. BGHZ 2, 94.

Entwicklung bis 19

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Der Krankenhausvertrag begründet aber nicht ohne weiteres vertragliche Schutzpflichten gegenüber den Angehörigen des aufgenommenen Patienten. 46 bbb) Krankenhausvertrag mit Krankenkassen

Das Reichsgericht sprach dem Krankenversicherten, der in einem Krankenhaus aufgrund vertraglicher Absprachen 4 7 seiner Krankenkasse mit dessen Träger behandelt wurde, gegen diesen ebenfalls vertragliche Ansprüche unter dem Gesichtspunkt des § 328 BGB zu. 4 8 Diese Rechtsprechung wurde vom RG 1940 auch nach Änderungen im Sozialversicherungsrecht ausdrücklich aufrecht erhalten und auf die Beziehungen des Krankenversicherten zum Kassenarzt übertragen 4 9 Der BGH schloß sich dem RG inhaltlich an, 5 0 hob aber den Unterschied zum Krankenhausarzt, der nicht gleichzeitig Kassenarzt ist, hervor. Zwischen diesem und dem Patienten kommen

4 6 RG, JW 37, 926 (Nr.4): diese Feststellung gilt auch für den Fall des Vertragschlusses durch die Krankenkasse (siehe sogleich Punkt bbb); BGHZ 2, 94: hier war der Kläger sogar Vertragspartei des Behandlungsvertrages zugunsten seiner Ehefrau. Offengelassen wurde im Urteil, ob beim "Rooming-In" anders zu entscheiden wäre. 47 Nach RG, Recht 1932, Nr.475 hat auch ein stillschweigend zwischen einer Krankenkasse und einer Krankenanstalt geschlossener Behandlungsvertrag Drittwirkung im Sinne des § 328 BGB. 4 8 RG, JW 15, 916 (Nr.4) [Ortskrankenkasse] = Recht 1915, Nr.1753; ebenso LG Stuttgart, Recht 1918,Nr.211 [Krankenkasse]; RG, Recht 1928, Nr.1546 [Knappschaft] und RG, Recht 1930, Nr.14 [Ortskrankenkasse]; offen gelassen in RG, JW 22, 1325 (Nr. 10) [Knappschaftsverein]. Hier nicht relevant sind RGZ 59, 197, wo die Krankenversicherung Trägerin des behandelnden Krankenhauses war und das Urteil des OLG Braunschweig (ROLG 14, 26), das vergleichbar zu RGZ 85, 183 § 328 BGB gar nicht in seine Überlegungen einbezogen hatte. Zu § 328 BGB bei einer Unfallversicherung des Arbeitgebers zugunsten seiner Arbeiter: OLG Zweibrücken, Recht 1904, Nr.2091.

4Q

RGZ 165, 91 [105] = RG, Recht 1940, Nr.4444; anderer Ansicht vorher: LG Greifswald, JW 27, 469 (Nr.3). 5 0 BGHZ 1, 383 = BGH, NJW 51, 798; BGHZ 8, 243 [245] ("Luesfall") verweist auf BGH I I ZR 139/51; BGH, VersR 54, 63; BGH, NJW 56, 1106; BGH, NJW 59, 816 stellte die ambulante Krankenhausbehandlung der stationären gleich; ferner: OLG Hamm, VersR 55, 235.

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Die Entwicklung der Rechtsprechung

keine vertraglichen Beziehungen zustande. 51 Ihn trifft damit gegenüber dem Patienten gegebenenfalls lediglich eine deliktische Haftung. cc) D ienetvert rag allgemein

1919 entschied das Reichsgericht: "Wird eine Arbeiterin unter der von ihr gestellten Bedingung zur Feldarbeit angenommen, daß sie ihre kleinen Kinder mit auf das Feld bringen darf, so übernimmt damit der Dienstherr der Mutter und unmittelbar den Kindern gegenüber die vertragliche Aufsichtspflicht." 5 2 Im Ergebnis bekam somit das eine, durch einen Grasmäher verletzte K i n d vertragliche Schadensersatzansprüche gegen den Arbeitgeber der Mutter aus § 328 i.V.m. deren Dienstvertrag. 53 Im "Gewehrgranatenfall" erklärte das RG erneut, daß die Kinder des Dienstverpflichteten, die dieser vom Arbeitgeber geduldet zur Arbeit mitbringt, ebenfalls grundsätzlich vertragliche Schadensersatzansprüche gegen den Dienstherrn geltend machen können, wenn sie in dessen Sphäre zu Schaden kommen. Im konkreten Einzelfall hatte das klagende K i n d aber keinen vertraglichen Anspruch, da es erst zuhause durch die aus den Diensträumen mitgenommene Gewehrgranate verletzt wurde.

Ist dem Dienstherrn bekannt, daß der ihm gegenüber unmittelbar Dienstverpflichtete zur Ausführung der Arbeit Hilfskräfte heranzieht, so wird durch die vertragliche Verpflichtung des Dienstherrn, geeignete und ausreichende Geräte zu stellen, "im Wege eines Vertrages zugunsten Dritter auch eine Verpflichtung zu Gunsten der Hilfskräfte begründet." 5 4 55 Im "Strafgefangenenfall" kam ein Werksangehöriger durch einen versehentlich ausgelösten Schuß eines Hilfsaufsehers der im Betrieb beschäftigten Strafgefangenen zu Tode. Der BGH

5 1

BGHZ 1, 383 = BGH, NJW 51, 798.

5 2

RG, JW 19, 820 (Nr.l) = Recht 1919, Nr.2095. RGZ 159, 283. RGZ 164, 397 [399]. BGH, VersR 55, 740 = BB 55, 1107.

5 3 5 4 5 5

Entwicklung bis 19

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gewährte den Hinterbliebenen vertragliche Schadensersatzansprüche, da der Dienstvertrag zwischen dem Staat und dem Betrieb die Verpflichtung enthalten habe, die Gefangenenbewachung sorgfältig durchzuführen und diese Pflicht dem Staat jedem einzelnen Werksangehörigen gegenüber oblag. c) Fallgruppe Mietvertrag Nach anfänglicher Ablehnung 5 6 räumte die Rechtsprechung auch den mit dem eigentlichen Mieter zusammenlebenden Familienangehörigen vertragliche Schadensersatzansprüche gegen den Vermieter aus dem Mietvertrag i.V.m. § 328 BGB e i n . 5 7 Solche Ansprüche wurden im Laufe der Zeit auch den Hausangestellten zugestanden, die in die Hausgemeinschaft aufgenommen worden waren. Nicht unter diese Gruppe fielen aber beispielsweise die Putzfrauen 5 8 und die Logiergäste des gewerbsmäßig weitervermietenden Mieters. 5 9 Später wurde die allgemeine Entscheidung gefällt, daß allen (also auch den privaten) vom Mieter nur vorübergehend in den Hausstand aufgenommenen Personen 6 0 keine unmittelbaren Rechte aus dem Mietvertrag zukommen. 61 Auch bei der Saalmiete, wo regelmäßig nur unmittelbare Vertragsbeziehungen zwischen Veranstaltungsbesucher und Veranstalter bzw. zwischen Veranstalter und Vermieter bestehen, hat die Rechtsprechung vertragliche Schadensersatzansprüche des Besuchers gegen den Vermieter bejaht, wenn jener infolge des nicht verkehrssicheren Saales geschädigt worden war. 6 2

Das OLG Dresden (ROLG 5, 374) und das OLG Colmar (Recht 1908, Nr.2144) lehnten vertragliche Ansprüche explizit ab. Das Reichsgericht (JW 14, 677 (Nr.5)) zog von vornherein allein § 823 BGB in Betracht. 5 7 RGZ 91, 21 [24] = RG, Recht 1918, Nr.43 (speziell für die Tochter); KG, JW 20, 698; RG, Recht 1921, Nr.2775; RGZ 102, 231 = RG, Recht 1921, Nr.2368 (speziell für die Ehefrau); BGHZ 5, 378 [384] (speziell für die Tochter). 5 8 KG Berlin, JW 37, 2592 (Nr.25); zusammenfassend BGHZ 2, 94 [96] und OLG Karlsruhe, ZMR 53, 175 (Nr.5); ferner OLG Celle, ZMR 57, 15. 5 9 OLG Karlsruhe, ZMR 53, 175 (Nr.5). 60 Hier ist die Familienzugehörigkeit ohne Bedeutung. 6 1 LG Stuttgart, VersR 54, 247. 6 2

OLG Hamburg, Seuff.Archiv Bd.75 (1920) Nr.70 = Recht 1920, Nr.373; dieser Linie entspricht RGZ 160, 153.

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Die Entwicklung der Rechtsprechung

Im Fall der Miete von gewerblich genutzten Räumen blieb das Reichsgericht von Anfang an zurückhaltend bei der Anwendung des § 328 BGB. Beim ersten Urteil des IV. Zivilsenats zu dieser Fallkonstellation 6 3 war allerdings gerade ein im Betrieb arbeitender Sohn des Mieters verletzt worden, weswegen das RG auf jeden Fall einen Sonderfall gegeben sah, der eine Stellungnahme zu der vom VI. Zivilsenat aufgestellten Regel der Nichtanwendbarkeit des § 328 BGB auf Büroangestellte 6 4 überflüssig mache. Das K G Berlin lehnte vertragliche Schadensersatzansprüche des Geschäftsgehilfen des Mieters gegen den Vermieter ab. 6 5 Den entgeltlichen Gebrauch einer Maschine betraf der "Kreissägenfall" 6 6 In dieser Entscheidung gewährte das RG dem Kläger einen Schadensersatzanspruch aus dem Benutzungsvertrag zwischen dessen Dienstherrn und dem Beklagten. Da nur er an der zur Verfügung gestellten Kreissäge arbeiten sollte und dies beiden Vertragsparteien bekannt gewesen sei, stelle die mangelhafte Sicherung der überlassenen Maschine die Verletzung einer dem Kläger gegenüber bestehenden Vertragspflicht dar. d) Fallgruppe Kaufvertrag (Produzentenhaftung) Im ersten höchstrichterlich entschiedenen Fall zur sogenannten "Produzentenhaftung" hatte eine Konsumentin eines in der Originalverpackung über Apotheken vertriebenen Salzes einen Gesundheitsschaden erlitten, da in der zum Verzehr bestimmten Ware feine Glassplitter enthalten waren. Das Reichsgericht kam zu dem Ergebnis, daß allein aus dem Vertrieb einer Ware in Originalverpackungen kein Wille des Fabrikanten zu sehen sei, gegenüber dem Endverbraucher eine vertragliche Haftung zu übernehmen. 67 Ein vertraglicher Drittschutz war damit ausgeschlossen.

6 3 6 4 6 5

RG, JW 35, 1768 (Nr.3). RG V I 272/33 (nicht veröffentlicht), Nachweis bei RG, JW 35, 1768.

KG, JW 39, 287 (Nr.15). RGZ 98, 210. Puhle und Schütz zitierten diesen Fall unter dem Oberbegriff des Werkvertrages (Puhle, 22; Schütz, 47 f.). 6 7 RGZ 87, 1 [2]. 6 6

27

Entwicklung bis 19

Unter Heranziehung der zum Mietrecht erarbeiteten Grundsätze sprach das RG Mietern vertragliche Schadensersatzansprüche aus dem Wasserlieferungsvertrag des Hauseigentümers gegen den Träger der Wasserwerke zu, da das Trinkwasser infolge Bleigehalts gesundheitsschädigende Auswirkungen gezeigt hatte. 68 Im "Methangasfair 6 9 wurde ein Fahrer eines Transportunternehmens durch eine Explosion im Betrieb des Verkäufers tödlich verletzt, als er für den Käufer in Metallflaschen abgefülltes Methangas abholen sollte. Das OLG Hamm bezog den Geschädigten nicht mit in das Vertragsverhältnis der Parteien ein, da er nicht beim Käufer, sondern bei einem von diesem unabhängigen 70

Transporteur angestellt gewesen war. Der BGH erkannte im "Dreschmaschinenfall" 7 1 grundsätzlich die Möglichkeit an, daß im Fall des Kaufes einer Maschine dem vom Käufer angestellten Bedienungspersonal des Gerätes Schadensersatzansprüche aus dem Kaufvertrag gegen den Verkäufer zukommen können. Im konkreten Urteil scheiterte der Anspruch des geschädigten Erntehelfers jedoch daran, daß er nicht beim Käufer der unsicheren Dreschmaschine beschäftigt war. 72 3.2. Der "Capuzolfall"

73

Der dieser Entscheidung zugrunde liegende Sachverhalt weist gegenüber den vorhergegangenen Urteilen der Fallgruppe "Kaufvertrag" keine signifikanten Besonderheiten auf. Die Beklagte produzierte u.a. Rostschutzmittel, die von dem Arbeitgeber der Klägerin - einem Hüttenwerk - bezogen wurden. Aus Gründen der Rohstoffknappheit mußte bei der Herstellung des gelieferten "Capuzol 22" ein brennbarer Grundstoff verarbeitet werden. Das so entstandene brennbare Rostschutzmittel wurde an das Hütten-

6 8

69 7 0 7 1

72

RG, JW 37, 737 (Nr.l). OLG Hamm, VersR 51, 179. Vgl. auch LG Hamburg, MDR 54, 104. BGH, NJW 56, 1193 = VersR 56, 419.

Auf den Schutz von am Kaufvertrag unbeteiligten Dritten geht auch BGH, BB1 060, 112 = VersR 60, 153 ein. BGH, NJW 59, 1676 = VersR 59, 645.

28

Die Entwicklung der Rechtsprechung

werk ohne den Hinweis ausgeliefert, daß es im Gegensatz zu den früher bezogenen Produkten leicht entzündlich war. Infolge dieser Unterlassung erlitt die Klägerin bei einer Explosion in der Löterei des Hüttenwerks erhebliche Verletzungen. Die Urteilsbegründung des BGH in diesem Fall stellte jedoch den eingangs erwähnten ersten Meilenstein in der Entwicklung der Rechtsprechung zum Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter dar. Der BGH folgte ausdrücklich Larenz 7 4 in der A u f fassung, daß Sachverhalte wie dieser nicht direkt nach § 328 BGB zu behandeln sind, da dem Geschädigten der Anspruch auf die vertragliche Hauptleistung selbst fehlt. Dennoch handele es "sich hier um einen der Fälle, in denen dritte Personen in den Schutz des Vertrages einzubeziehen sind, weil die vertragliche Sorgfalts- und Schutzpflicht nach Treu und Glauben und dem Zweck des Vertrages nicht nur dem Vertragsgegner, sondern auch bestimmten weiteren Personen gegenüber zu beachten ist." 7 5 Der BGH bezog somit explizit bestimmte Drittpersonen in den Schutz vertraglicher Nebenpflichten des Schuldners mit ein. 4. Ausgangspunkt und rechtliche Begründung des eingeschlagenen Weges 4.1. Ausgangslage: das praktische "Bedürfnis" nach der Ausweitung vertraglichen Drittschutzes Vertragliche Beziehungen tangieren in der Erfüllungsphase häufig rechtlich geschützte Interessen von Personen, ohne daß diese selbst Partei des Vertrages geworden sind. 7 6 Führt diese Berührung der Rechtssphäre zu einer handfesten Rechtsgutsverletzung, stellt sich die Frage nach dem Schadensersatzanspruch. Da im deutschen Schuldrecht der Grundsatz der "Relativität der Schuld-

Larenz, SR I / A T 1958, 156-160 und Larenz, NJW 56, 1193 (Anm. zu BGH, NJW 56, 1193). 7 5 BGH, NJW 59, 1676 = VersR 59, 645. 76 Kümmeth (49) spricht sehr treffend von "rechtlich vertragefremden, aber tatsächlich vertragsnahen Dritten"; vgl. ferner: Gernhuber, FS Nikisch, 268.

Entwicklung bis 19

29

Verhältnisse" g i l t , 7 7 sahen sich die Gerichte ein um das andere Mal mit Fällen konfrontiert, die bei konsequenter Anwendung dieses gesetzlich nur stellenweise aufgelockerten Grundsatzes 7 8 zu Ergebnissen geführt hätten, die sowohl in den Augen der Richter als auch der juristischen Laien schlichtweg "ungerecht" gewesen wären. 79 Die frühe Rechtsprechung des Reichsgerichts, die einem Dritten nur in dem Fall vertraglichen Schutz gewährte, in dem er auch einen unmittelbaren Leistungsanspruch gegen den Schuldner hatte, 8 0 wäre insoweit ohne einen weiterführenden juristischen "Kunstgriff gegebenenfalls im Widerspruch zum allgemeinen Gerechtigkeitsempfinden gestanden. So entwickelten die Gerichte eine Art Billigkeitsrechtsprechung, ohne sich zunächst um eine klare dogmatische Stütze der Urteile zu bemühen. 81 Manche Entscheidung argumentierte bemerkenswert offen vom Ergebnis her. So stützte das Reichsgericht ein Urteil auf die Erkenntnis, daß ein anläßlich einer Behandlung im Krankenhaus zu Schaden gekommenes Krankenkassenmitglied weder irgendwelche aussichtsreichen Deliktsansprüche habe, noch vertragliche Schadensersatzansprüche von der Krankenkasse gegen den Träger des Krankenhauses abgetreten bekommen könne. Da auch die Krankenkasse nicht für die Behandlung hafte, 8 2 sah das Gericht nur einen Weg: "Bei dieser Sach- und Rechtslage fordert der Zweck der Verträge zwischen den Krankenkassen und Krankenanstalten geradezu gebieterisch die Auslegung in dem Sinne,

77

Siehe nur: MK-Kramer, Einl. des 2.Bandes, Rn 14 ff., 24; detaillierter dazu unten, 78 Seite 87. Zu den echten und unechten Ausnahmen von diesem Grundsatz siehe: Medicus, JuS 74, 613; MK-Kramer, Einl. des 2.Bandes, Rn 24-26; PalandtHeinrichs, Einf.v. § 241 (Anm.l-b); Kümmeth, 159-162. 7 9 Vgl. Soergel-Hadding, Anh. δ 328, Rn 1. on RGZ 85, 183; RGZ 87, 64; RG, JW 19, 38 (Nr.4) = WarnRspr. 1919, Nr.14. Ebenso entschieden die Oberlandesgerichte: OLG Dresden, ROLG 5, 374; OLG Braunschweig, ROLG 14, 26; OLG Hamburg, Recht 1907, Nr.3469; OLG Colmar, Recht 1908, Nr.2144; OLG Hamburg, ROLG 23, 46 = Recht 1910, Nr.1232; OLG Hamburg, Recht 1910, Nr.1219; OLG Colmar, Recht 1914, Nr.327. Siehe ferner: Soergel-Hadding, Anh. δ 328, Fußnote 7; Strauch, JuS 82, 823. 81 Diesen Eindruck gewann auch Puhle, 32. So sie nicht selbst Trägerin des Krankenhauses ist.

Die Entwicklung der Rechtsprechung

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daß den unterzubringenden Versicherten ein Rechtsanspruch auf die nach den Erfahrungen der ärztlichen Wissenschaft gebotene Behandlung zustehen soll.H 8 3 Auch im mietvertraglichen Bereich diente dem Reichsgericht das unliebsame Alternativergebnis als Begründung für die vertragliche Haftung: "Denn ohne eine solche Ausdehnung der Vertragspflichten des Vermieters sind die Angehörigen in Schädigungsfällen auf außervertragliche Ansprüche beschränkt und genießen insbesondere nicht die Vorteile, welche dem Mieter die Vorschriften der §§ 278, 538 BGB dadurch bieten, daß der Vermieter für einen beim Vertragsabschluß vorhandenen Mangel auch ohne Verschulden haftet. Eine solche verschiedene Gestaltung der Rechtslage des Mieters und der seiner Angehörigen widerstrebt dem gesunden Rechtsgefühl 8 4 und entspricht deshalb nicht den Vertragsabsichten des Mieters, der seine Angehörigen, wie sich der Vermieter nicht verhehlen kann, in bezug auf Ersatzansprüche der bezeichneten Art nicht schlechter stellen will als sich selbst." 8 5 Das "Vorbild" des Reichsgerichts vor Augen sahen nun auch die unteren Instanzen den Weg geebnet für eine offenkundige Opportunitätsrechtsprechung. Im Bereich des Krankenhausvertrages argumentierte das OLG Stuttgart: 8 6 "... Andernfalls käme man zu dem für alle Teile unbefriedigenden Ergebnis, daß der Kläger den ihm durch unsachgemäße Krankenhausbehandlung entstandenen Schaden, soweit die Beklagte nicht aus unerlaubter Handlung haftet, nur gegen die Krankenkasse geltend machen könnte, 8 7 und daß die Krankenkasse sich hierwegen bei der Unternehmerin des Krankenhausbetriebs schadlos halten müßte." Das OLG Hamburg 8 8 kam nach der Feststellung, daß ein Veranstaltungs-

8 3

84

RG, JW 15,916 [917].

Diese und die folgenden Hervorhebungen wurden vom Verfasser hinzugefügt. 8 5 RGZ 91, 21 [24]. 86 OLG Stuttgart, Recht 1918, Nr.211; vgl. ferner OLG Stuttgart, Recht 1918, Nr.843. 87 Ein solcher Schadensersatzanspruch des Kassenmitglieds gegen die jeweilige Krankenkasse existiert aber nach RG, JW 15, 916 gerade nicht. 8 8 OLG Hamburg, Recht 1920, Nr.373 = Seuff.Archiv Bd.75 (1920) Nr.70.

Entwicklung bis 19

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besucher nur unter Schwierigkeiten Schadensersatzansprüche gegenüber einem umherreisenden Tanzabend Veranstalter verfolgen kann, zum Ergebnis, daß den Vermieter aus dem Saalmietvertrag eine vertragliche Haftung gegenüber den Besuchern treffe: "... Es genügt aber, wenn ein solcher Wille sich aus dem Sinne oder Zwecke des Vertrags ergibt unter besonderer Berücksichtigung der Verkehrsauffassung. Die letztere fordert nun in solchen Fällen dringend einen unmittelbaren Anspruch der Karteninhaber gegen den Saalvermieter." 4.2. Die Absicherung der Ergebnisse anhand des BGB Solche Blößen hatten sich die Gerichte in ihren Urteilsbegründungen aber nur vereinzelt gegeben. Im übrigen versuchte die Rechtsprechung, ihren Entscheidungen ein festes Standbein im Gesetz zu verschaffen, indem sie die Schutzansprüche des Dritten auf eine ergänzende Vertragsauslegung nach § 157 BGB stützte: "Als vom Vertragswillen umfaßt müssen alle Verabredungen gelten, welche die Vertragschliessenden getroffen haben würden, wenn sie sich die aus dem Zwecke zu entnehmenden Verpflichtungen vergegenwärtigt hätten." 8 9 Dabei wurde dem Vertragsgläubiger die dem Schuldner erkennbare Absicht unterstellt, bestimmten Dritten - deren Kreis ebenfalls aus dem Vertragszweck herzuleiten war - dieselben Rechte zu verschaffen, die ihm selbst zustehen sollten 9 0 Ob die Parteien diesen Vertragswillen wirklich gehabt hatten, war für die Gerichte unerheblich. 91 Im Ergebnis wurden diese Drittpersonen als forderungsberechtigt im Sinne des § 328 Abs.l BGB angesehen.92

8Q Formulierung aus RGZ 98, 210 [213]; RG, Recht 1932, Nr.475; RGZ 152, 175 9 0[177]; sinngemäß auch in RG, WamRspr. 1919, Nr.14; RGZ 127, 218. RGZ 91, 21 [24]; RG, JW 35, 1768 (Nr.3); RGZ 152, 175 [177]. 9 1 So ausdrücklich: RG, JW 15, 916 (Nr.4) [917 - linke Spalte oben]; RG, Recht 1932, Nr.475. Vgl. ferner: Strauch, JuS 82, 823. 9 2 RG, WamRspr. 1918, Nr.113; RG, JW 19, 820; RGZ 98, 210 [211]; RGZ 127, 218 [222] ("Gasuhr"); RG, JW 35, 1768; RGZ 152, 175; vgl. ferner: SoergelHadding, Anh. § 328, Fußnote 9; Strauch, JuS 82, 823.

Die Entwicklung der Rechtsprechung

32

Vereinzelt benutzten die Gerichte den § 328 Abs.2 BGB als Argumentationshilfe. 93 Sie verkannten dabei, daß diese Norm nicht dazu bestimmt ist, einen Vertrag zugunsten Dritter als solchen zu begründen, sondern lediglich eine Auslegungsregel aufstellt, ob ein bestehender Vertrag zugunsten Dritter als echter oder unechter einzustufen ist. 9 4 Der Weg über die ergänzende Vertragsauslegung wurde zunächst von der Rechtsprechung nach dem zweiten Weltkrieg unter konkreter Bezugnahme und Fortführung der vorangegangenen Reichsgerichtsentscheidungen weiter beschritten. 95 Die Entscheidung im "Capuzolfall" 9 6 brachte jedoch auch in dieser Hinsicht eine Änderung mit sich. Nach ersten Vorstößen in den Jahren 1955 9 7 und 1956 9 8 stellte der BGH 195 9 9 9 für die Begründung des vertraglichen Drittschutzes deutlich das Prinzip von Treu und Glauben (§ 242 BGB) in den Vordergrund. Die bisherige dogmatische Stütze der ergänzenden Vertragsauslegung (§ 157 BGB) wurde dabei aber nicht völlig verdrängt, da erstens der "Zweck des Vertrages" zu berücksichtigen blieb und zweitens an dem Merkmal der Erkennbarkeit bzw. Vorhersehbarkeit der möglichen Drittschädigung festgehalten wurde, so daß für die Schutzpflichtbestimmung

RG, Recht 1906, Nr.18; RG, JW 15, 916 (Nr.4); RG, Recht 1930, Nr.14; RG, Recht 1932, Nr.475; RGZ 152, 175 [177]; OLG Kassel zitiert in RGZ 127, 218 [219] - das RG bezog sich in dieser Revisionsentscheidung allerdings nicht ausdrücklich auf § 328 Abs.2 BGB. 94 Ausführlich nimmt dazu Kümmeth (77 ff.) Stellung. Vgl. ferner: M K Gottwald, § 328, Rn 26; Palandt-Heinrichs, § 328 (Anm.l-b-cc); Gemhuber, FS Nikisch, 265 [m.w.N.]; Puhle, 34. OLG München, VersR 51, 21; OLG Hamm, VersR 51, 179; BGHZ 1, 383 = BGH, NJW 51, 798; BGHZ 5, 378 [384]; OLG Bremen, VersR 54, 63; OLG Hamm, VersR 55, 235; BGH, NJW 54, 874 = VersR 54, 223; BGH, VersR 55, 740 [742]. 9 6 BGH, NJW 59, 1676 = VersR 59, 645.

Q7

BGH, VersR 55, 740 [742] = BB 55, 1107 [1108]: "... zumal es im Grunde nicht so sehr aus dem Willen der Vertragsparteien als vielmehr aus allgemeinen rechtlichen Gesichtspunkten abzuleiten ist." BGH, MDR 56, 534 [535]; mit positiver Stellungnahme von Larenz in dessen Anmerkung zum "Dreschmaschinenfair (NJW 56, 1193). 9 9 "Capuzolfall" - BGH, NJW 59, 1676; Anm. Larenz, NJW 60, 78.

Entwicklung von 1959 bis 1977

33

weiterhin eine Auslegung notwendig war. § 157 BGB fand aber insoweit keine ausdrückliche Erwähnung mehr. 1 0 0 5. Die zu ersetzenden Arten von Drittschäden Die bis hierhin dargestellte Rechtsprechung hatte einen vertraglichen Drittschutz im Zusammenhang mit § 328 BGB nur in Fällen gewährt, in denen Schadensersatzansprüche wegen Personenschäden geltend gemacht wurden. Sachschäden wurden über das Rechtsinstitut der Drittschadensliquidation abgewickelt. 1 0 1 Reine Vermögensschäden waren insoweit noch überhaupt nicht Gegenstand der Betrachtung gewesen. Durch diese Beschränkung der vertraglichen Drittwirkung auf den Ausgleich erlittener K ö r perschäden blieb die Rechtsprechung deshalb von vornherein im Rahmen dessen, was zum Schutze des Integritätsinteresses des Dritten als erforderlich angesehen werden konnte. In die Gefahr, unbemerkt auch das Interesse des Dritten an der Erbringung der für ihn fremden Hauptleistung in den Schutzbereich des Vertrages einzubeziehen, gerieten die Gerichte in diesem Zeitraum deshalb noch nicht. Π. D i e E n t w i c k l u n g v o n 1 9 5 9 b i s

1977

1. Eine erste Abgrenzung des geschützten Personenkreises Nach dem Eingeständnis der Rechtsprechung, daß die Rechtsfigur des Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter nicht aus einer unmittelbaren Anwendung des § 328 BGB folgt, trat die Frage in den Vordergrund, auf welche Drittpersonen der Schutz dieses Rechtsinstitutes zu beschränken ist. Die Gerichte bewegten sich insoweit - damals wie heute - in einem Spannungsfeld zwischen der Billigkeit einerseits und der Gesetzeskonformität andererseits.

1 0 0

824.

BGH, NJW 59, 1676 [1677] = VersR 59, 645 [647]; vgl. Strauch, JuS 82,

1 0 1 Vgl. nur RGZ 170, 246; Gemhuber, Schuldverhältnis, 514; weitere Nachweise bei: Bydlinski, JB1 60, 364.

3 Hirth

34

Die Entwicklung der Rechtsprechung

Daß die Wurzeln des Rechtsinstitutes allein im Billigkeitsgedanken zu sehen sind, zeigt sich deutlich an der frühesten Entwicklungsgeschichte dieser Rechtsprechung 1 0 2 und ist auch den Begründungen späterer Urteile immanent. 1 0 3 Die Richter waren sich dabei im klaren darüber, daß sie Gefahr liefen, die Wertungsvorgaben des BGB zu durchbrechen. Viele Urteile enthalten die Bemerkung, daß der vertragliche Drittschutz nur auf Mitglieder "eines bestimmten, eng begrenzten Personenkreises" erstreckt werden d ü r f e , 1 0 4 wenn "die Grenzen zwischen der schärferen Vertragshaftung und der Haftung aus unerlaubter Handlung (...) nicht in untragbarer Weise verwischt werden sollen." 1 0 5 Das Ziel, sowohl der Billigkeit als auch dem Gesetz gerecht zu werden, versuchte die Rechtsprechung zunächst durch die Entwicklung einer Formel zu erreichen, die alle schützenswerten Personen 1 0 6 erfassen, aber im Grundsatz dennoch die im BGB festgeschriebene Trennlinie zwischen Vertrags- und Deliktshaftung einhalten sollte. 1 0 7 Bei der Lösung dieses Problems konnten die Gerichte auf das Fallmaterial aus sechs Jahrzehnten zurückgreifen, bei dem kein Urteil dem Gedanken der Billigkeit widersprach. So galt es, die Gemeinsamkeiten jener Sachverhalte herauszuarbeiten und diese soweit zu abstrahieren, bis eine zur einheitlichen Rechtsprechung geeignete Formel entstand. War dies gelungen, mußte der so gewonnene "Tatbestand" des Drittschutzes im Gesetz verankert werden.

102

103 Siehe oben, Abschnitt Β I 4.1., Seite 28-31. Am deutlichsten trat dies bei unterinstanzlichen Entscheidungen zu Tage; vgl. beispielsweise LG Stuttgart, MDR 61, 936; OLG Düsseldorf, NJW 65, 539. 104 BGH, VersR 62, 86 [88]; vgl. weiter: BGH, NJW 64, 33 [34]; BGH, NJW 68, 1323 [1324] = FamRZ 68, 456 [457] = BB 68, 644; BGHZ 69, 41 = BGH, VersR 69, 42 = JR 69, 141; BGH, NJW 70, 38 [40] = W M 69, 1358 [1359]; BGHZ 66, 51 [57] = BGH, NJW 76, 712 [713] = JR 76, 456 [458] ("Gemüseblatt"); OLG Hamm, FamRZ 77, 318 [319] = VersR 77, 531 [532]; BGH, NJW 77, 2073 [2074]. 1 0 5 BGH, NJW 69, 41 = VersR 69, 42 = JR 69, 141; vgl. weiter: OLG Celle, VersR 75, 838 [839]; BGHZ 66, 51 [57] = BGH, NJW 76, 712 [713] = JR 76, 456 [458] ("Gemüseblatt"); BGH, NJW 77, 2073 [2074]. 1 0 6

107

- - > Billigkeit. — > Gesetzeskonformität.

Entwicklung von 1959 bis 1977

35

Im Urteil zum "Capuzolfall" 1 0 8 gab der BGH erstmals abstrakte Kriterien vor, bei deren Vorliegen ein Dritter in den Schutzbereich eines Vertrages einbezogen sein sollte. Inhaltlich folgte das Gericht dabei dem Ansatz von Larenz. 1 0 9 Voraussetzung der Drittwirkung eines Vertrages war demzufolge (1) daß der Dritte durch den Gläubiger mit der Leistung des anderen Vertragsteils in Berührung kommen muß und (2) dessen Wohlergehen den Gläubiger selbst berührt, weil er ihm gegenüber seinerseits zu Schutz und Fürsorge verpflichtet ist und (3) die Leistungsnähe des Dritten sowie das Schutzinteresse des Gläubigers für den Schuldner erkennbar war. 1 1 0 In den folgenden Jahren befaßte sich die Rechtsprechung vor allem mit der näheren Ausgestaltung des zweiten Punktes dieser Formel. Im "Capuzolfall" hatte der BGH durch Hinweise auf die Beziehungen zwischen Vater und Familienangehörigen bzw. Unternehmer und Arbeitnehmern angedeutet, 111 welche Intensität die Schutz- und Fürsorgepflichten im Innenverhältnis zwischen Vertragsgläubiger und Drittem erreichen müssen, um als Basis für eine mögliche Einbeziehung in den Schutzbereich eines Vertrages geeignet zu sein. Diese Hinweise konnten zunächst noch als reine Beispiele verstanden werden, 1 1 2 entwickelten sich aber in der folgenden Rechtsprechung zu zwei Fallgruppen, die der BGH als Leitlinie für die Eingrenzung der zu schützenden Drittpersonen verwendete: Drittschutz konnte einem Vertrag somit dann zukom-

1 0 8

1 1 flQ 1 1 0 1 1 1

112

BGH, NJW 59, 1676 = VersR 59, 645. Larenz, SR I / A T 1958, 159 f.; Larenz, NJW 56, 1193. BGH, NJW 59, 1676 [1677] = VersR 59, 645 [647]. BGH, NJW 59, 1676 1677 = VersR 59, 645 647 .

Das OLG Schleswig (VersR 61, 1148 [1149]) verallgemeinerte diese Gedanken zum Erfordernis einer rechtlichen oder moralischen (!) Schutz- und Fürsorgepflicht des Vertragsgläubigers gegenüber dem Dritten. Auch Larenz (NJW 56, 1194) ließ eine "moralische" Fürsorgepflicht genügen.

36

Die Entwicklung der Rechtsprechung

men, wenn der Vertragsgläubiger gegenüber dem Dritten eine Schutz- und Fürsorgepflicht aus (1) einer familienrechtlichen Beziehung

113

oder aus (2) § 618 BGB

114

zu beachten hatte. Vereinfachend wurde davon gesprochen, daß der Gläubiger für das "Wohl und Wehe" des Dritten verantwortlich sein müsse. 115 2. Neue Anwendungsbereiche für den Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter Die Rechtsprechung zum vertraglichen Drittschutz ließ sich in der ersten Entwicklungsphase bis 1959 nahezu ausnahmslos in vier Fallgruppen verschiedener Vertragstypen gliedern, ohne daß die Besonderheiten der jeweiligen Einzelfälle dieser Einordnung zum Opfer fallen mußten. 1 1 6 In der Zeit von 1959 bis 1977 standen jedoch Klagen zur Entscheidung an, die nicht in diese erste

1 1 3 BGH, VersR 62, 86 [88]; BGH, NJW 64, 33 [34]; BGH, NJW 65, 1955 [1957]; BGH, NJW 68, 1929 [1931] = BB 68, 928 [929]; OLG Hamm, NJW 72, 2037; OLG Hamm, FamRZ 77, 318 [319] = VersR 77, 531 [533]. 11 A

BGH, VersR 62, 86 [88]; BGH, NJW 64, 33 [34]; BGH, NJW 68, 1929 [1931] = BB 68, 928 [929]; BGH, VersR 70, 831; BGHZ 56, 269 [273] = BGH, NJW 71, 1931 [1932] = BB 71, 977 [978]; OLG Hamm, FamRZ 77, 318 [320] = VersR 77, 531 [533]. 1 1 5 BGH, NJW 64, 33 [35]; BGH, NJW 68, 1323 [1324]; BGH, NJW 68, 1929 [1931] = BB 68, 928 [929]; BGH, NJW 69, 269 [272] ("Hühnerpest"); BGH, NJW 70, 38 [40] = W M 69, 1358 [1359]; BGHZ 56, 269 [273] = BGH, NJW 71, 1931 = BB 71, 977 [978]; OLG Celle, VersR 75, 838 [839]; BGHZ 66, 51 [57] = BGH, NJW 76, 712 [713] = JR 76, 456 [458] ("Gemüseblatt"); OLG Hamm, VersR 77, 842 [843]; OLG Hamm, FamRZ 77, 318 [319] = VersR 77, 531 [532]. Das OLG Düsseldorf (NJW 65, 539) bejahte im "Nachbarfall" einen vertraglichen Drittschutz, ohne dementsprechende Anforderungen an das Innenverhältnis zwischen Gläubiger und Drittem zu stellen. 116

Siehe oben, Seite 18.

Entwicklung von 1959 bis 1977

37

Ordnung eingepaßt werden können, ohne ihre eigenständige Bedeutung für die Entwicklung des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter zu leugnen. 2.7. Haftung s frei Zeichnung und Verjährungseinrede So ergingen in den sechziger Jahren die ersten Urteile, die die vertragliche Drittschutzwirkung nicht darin sahen, daß eine NichtVertragspartei im eigenen Namen vom entsprechenden Vertragsgegner Schadensersatz auf der Grundlage des Vertragsrechts verlangen kann, sondern darin, daß sich der Dritte mit Einreden und Einwendungen aus dem - für ihn eigentlich fremden - Vertrag gegen eine (deliktsrechtliche) Inanspruchnahme verteidigen d a r f . 1 1 7 Den Anfang nahm diese Neuentwicklung auf dem Gebiet der Haftungsfreizeichnungen. Im 1961 entschiedenen "Wachmannfall" 1 1 8 erstreckte der BGH die Wirkung einer vertraglichen Haftungsbeschränkung erstmals auf Ansprüche der geschädigten Vertragspartei gegen einen Angestellten der anderen Vertragspartei, der in Ausführung des Vertrages einen Schaden verursacht hatte. Zur Begründung zog das Gericht einerseits die Erwägung heran, daß die Haftungsbeschränkung über die Anwendung der Grundsätze der "gefahrgeneigten" Arbeit ohne die Ausdehnung auf den Dritten w i r kungslos wäre, da der Arbeitgeber seinen Arbeitnehmer gegebenenfalls von den Folgen der Inanspruchnahme freistellen müßte. Andererseits machte sich der BGH auch das "klassische" Drittschutzargument zu eigen: im gegebenen Fall "gebot dem Wachdienst bereits die ihm obliegende Fürsorgepflicht, seine Arbeitnehmer in den von ihm für notwendig erachteten Schutz einzubeziehen. Es ist mangels entgegenstehender Anhaltspunkte anzunehmen, daß er diese Pflicht mit jener Freizeichnungsklausel erfüllen wollte." Dies sei dem Vertragsgegner auch hinreichend erkennbar gewesen. 119

117

Daß dies ein völlig neuer Aspekt vertraglichen Drittschutzes war, hatte die Rechtsprechung erkannt; vgl. BGH, NJW 68, 694 [695]. 1 1 8 BGH, NJW 62, 388 = JZ 62, 570. 1 IQ 1 y BGH, NJW 62, 388 [389] = JZ 62, 570 und 571.

38

Die Entwicklung der Rechtsprechung

1968 gestattete der BGH 1 2 0 dem beklagten Fahrer eines gemieteten bzw. geliehenen 1 2 1 Omnibusses, sich gegen die Schadensersatzanprüche des Vermieters/Verleihers mit der Verjährungseinrede aus dem Miet-/Leihvertrag zu wehren, obwohl er nicht direkt an diesem Vertrag beteiligt war. Unter ausdrücklicher Bezugnahme auf den "Wachmannfall" sah das Gericht den Beklagten insoweit in den Schutzbereich des Vertrages einbezogen. 1 2 2 Allerdings spielte im gegebenen Fall der Gedanke der möglichen Aushebelung der Verjährungseinrede im Verhältnis der Vertragsparteien die entscheidende Rolle. 1 2 3 Von einer Fürsorgepflicht im Innenverhältnis des Mieters/Entleihers zum Fahrer ging der BGH in Ermangelung einer festen Anstellung des Fahrers offenbar nicht aus. 1 2 4 Ergänzend zum letztgenannten Fall entschied der B G H : 1 2 5 "Läßt der Mieter den Mietgebrauch im Einklang mit dem Inhalt des Mietvertrages durch eine Hilfsperson ausüben, so kann diese, wenn sie hierbei die Mietsache schuldhaft beschädigt, sich auf die kurze Verjährung des § 558 BGB auch dann berufen, wenn sie von dem Mieter keine Freistellung von den Ansprüchen des Vermieters verlangen könnte." In der Urteilsbegründung sah der BGH - im Gegensatz zur Entscheidung von 1968 1 2 6 - einen drohenden Regreß nicht mehr als einen Gesichtspunkt, den es in den Bereich des Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter einzubeziehen g i l t . 1 2 7 Entscheidend war für das Gericht allein, "daß nach dem Inhalt des Vertrages der Mietgebrauch durch den Dritten ausgeübt wird und daß dies erkennbar für den Dritten ebenso wie für den Mieter

ι on

BGHZ 49, 278 = BGH, NJW 68, 694 (mit kritischer Anmerkung: Boeck, NJW 69, 1469). 121

Das Urteil ließ den Sachverhalt insoweit offen. BGHZ 49, 278 [280] = BGH, NJW 68, 694 [695]. Der Fahrer hätte seinerseits beim Mieter/Entleiher Regreß nehmen können. 1 24 BGHZ 49, 278 [281] = BGH, NJW 68, 695 und 696. IOC BGHZ 61, 227 = BGH, NJW 73, 2059; zitiert wird der 3. Leitsatz. 1 2 6 Siehe BGHZ 49, 278 [280 unten/281 oben]. 1 97 Siehe insbesondere BGHZ 61, 227 [233 - 1. Absatz] = BGH, NJW 73, 2059 [2061, letzter Absatz]. 1 2z2

Entwicklung von 1959 bis 1977

39

die Gefahr mit sich bringt, wegen Beschädigung der Mietsache auf Ersatz in Anspruch genommen zu werden. Diese Einbeziehung des Dritten in den Vertrag bildet die innere Rechtfertigung, ihm durch Gewährung der Verjährungseinrede des § 558 BGB dieselbe Vergünstigung wie dem Mieter zugute kommen zu lassen." Der Gedanke, daß der Mieter dem Dritten zur Fürsorge verpflichtet sein müsse, trete demgegenüber hier in den Hintergrund. 1 2 8 M i t dieser Argumentation war schließlich auch die K o n gruenz zum Ergebnis des Urteils von 1968 hergestellt, da der Vermieter/Verleiher des Omnibusses damals nach den Umständen zumindest damit gerechnet haben mußte, daß der Mieter bzw. Entleiher das Fahrzeug nicht selbst fahren wollte. 1 2 9 Anzumerken bleibt, daß der BGH in der Entscheidung aus dem Jahr 1973 erstmals die Formulierung des "bestimmungsgemäßen" Gebrauchs der Mietsache durch den Dritten verwendete. 130 1976 ergänzte der BGH die Rechtsprechung in diesem Bereich ein weiteres M a l . 1 3 1 Im Zuge von Abbrucharbeiten ereignete sich ein Unfall, bei dem u.a. ein angemieteter Kran beschädigt wurde. Mieter des Kranes war ein Unternehmen, das den Abbruch durch einen anderen, selbständigen Werkunternehmer durchführen ließ, der dabei den Kran benutzte. Vom Vermieter direkt in Anspruch genommen, konnte sich der Subunternehmer nach Ansicht des BGH aus den schon 1968 dargelegten Gründen erfolgreich auf die kurze Verjährung des § 558 BGB berufen. Neu an diesem Urteil war die verallgemeinernde Feststellung des Gerichts, daß es für diesen Typus vertraglichen Drittschutzes generell nicht auf die Art der Rechtsbeziehungen zwischen dem Mieter und dem Dritten ankomme. Wiederum 1 3 2 sah das Gericht einen entscheidenden Gesichtspunkt darin, daß "der Mietgebrauch durch den Dritten gewissermaßen bestimmungsgemäß ausgeübt" wurde. 1 3 3

Ι *>Q

BGHZ 61, 227 [234] = BGH, NJW 73, 2059 [2061]. Auch im Urteil wurde das1 2Wort "hier" optisch hervorgehoben. 9 Siehe BGHZ 49, 278 [281 oben].

1 1

u

1 3 1 1 3 2

BGHZ 61, 227 [233] = BGH, NJW 73, 2059 [2061]. BGH, DB 76, 1617. Vgl. eben, Seite 38-39. DB 76, 1617 [1618].

1 99 BGH, 1 0 0

40

Die Entwicklung der Rechtsprechung

Obwohl die Fallgruppe der Haftungsfreizeichnung und Verjährungseinrede im Vergleich mit der bisherigen Drittschutzrechtsprechung strukturelles Neuland w a r , 1 3 4 verbindet sie die Grundidee mit den ursprünglichen Bereichen der vertraglichen Drittwirkung: das Integritätsinteresse des Dritten soll vor schädigenden Konsequenzen des Kontaktes mit einem fremden Schuld Verhältnis geschützt werden. In den hier erfaßten Fällen liegt zwar keine direkte Einwirkung einer Vertragspartei auf Körper oder Sachen des Dritten vor, doch ist dessen Vermögen infolge der Durchführung des fremden Vertrages einer erhöhten Gefahr ausgesetzt, mit Schadensersatzansprüchen eines Vertragsbeteiligten belastet zu werden. Zweck der vertraglichen Drittwirkung ist damit wieder der Schutz der Rechtsgüter 1 3 5 des Vertragsfremden in ihrem konkreten Bestand. 2.2 Dritthaftung nach einer Verletzung vertraglicher Leistungspflichten In den 60er Jahren begann die Rechtsprechung jedoch auch, einen vertraglichen Drittschutz zu gewähren, der nicht nur das Integritätsinteresse des Vertragsfremden zum Gegenstand hatte. Ausgangspunkt dieser Neuentwicklung war, daß ein Dritter nicht nur durch die Verletzung von Schutz pflichten geschädigt werden kann, was zwangsläufig nur das Integritätsinteresse berühren würde, sondern ihm auch ein Schaden infolge der Schlecht- oder Nichterfüllung von Leistungspflichten aus dem fremden Schuldverhältnis erwachsen kann. Dieser letztgenannte Schaden realisiert sich nicht notwendig im konkreten Rechtgüterbestand des Dritten, sondern kann durchaus auch darin liegen, daß beim Dritten ein Vermögenszuwachs ausbleibt, der ihm bei ordnungsgemäßer Leistungserbringung im fremden Schuld Verhältnis zugeflossen wäre oder daß der Dritte die (mangelhafte) Vertragsleistung zur Grundlage eigener Dispositionen macht und ihm daraus ein Scha-

134

135 Siehe oben, Seite 37 f.

Hier des Rechtsgutes "Vermögen".

Entwicklung von 1959 bis 1977

41

den entsteht. 1 3 6 In den Fällen der Verletzung einer Leistungspflicht und der daraus folgenden Schädigung eines Dritten steht somit möglicherweise dessen Erfüllungsinteresse in Frage, was mit den ursprünglichen Fallgruppen nicht in Einklang zu bringen ist, die allein eine Beeinträchtigung des Integritätsinteresses des Dritten zum Gegenstand hatten. Aus diesem Grund ist die Rechtsprechung zum vertraglichen Drittschutz zweckmäßigerweise in zwei Hauptgruppen zu unterteilen: 1 3 7 erstens in die Dritthaftung nach einer Verletzung vertraglicher Schutzpflichten 1 3 8 und zweitens in die Dritthaftung nach einer Verletzung vertraglicher Leistungspflichten. 139 a) Dritthaftung für Rat, Auskunft und Gutachten Ihren Anfang nahm diese neue Rechtsprechung in einem Bereich, der bis zum Ende der 80er Jahre insbesondere in Verbindung mit dem Schlagwort der "Berufshaftung" zunehmend in das Blickfeld der rechts wissenschaftlichen Diskussion gerückt i s t . 1 4 0 Das erste Urteil dieser Fallgruppe erging 1961 durch das OLG Schleswig: 1 4 1 "Eine Bank, die einen Kredit im Vertrauen auf eine von dem Steuerberater des Kreditnehmers aufgestellte, im Ergebnis irreführende Bilanz gewährt und dabei einen Schaden erleidet,

1 3 6

Vgl. Canaris, BVR, Rn 741; v.Caemmerer, FS Wieacker, 320-324; Hohloch, FamRZ 77, 532 f., Lorenz, JZ 66, 144. 137 Die Fallgruppe der Haftungsfreizeichnung und Verjährungseinrede bleibt hiervon unberührt. Eine entsprechende Dreiteilung nimmt auch Gernhuber (SchuldVerhältnis, 513, 518, 534, 541 ff.) vor. Vgl. ferner: BGH, NJW 65, 1955 [1957] = JZ 66,138 141 [142] ("Testament") mit Anm. Lorenz, JZ 66, 143. Mit der Fortschreibung der ursprünglichen Fallgruppen, allein das Integritätsinteresse des Dritten betreffend. 139 Mit den Sachverhalten, die (auch) das Leistungsinteresse des Dritten zum Gegenstand haben. 140 1 υ Vgl. Littbarski, NJW 84, 1667; Ebke/Fechtrup, JZ 86, 1112; Hopt, NJW 87, 1745; ders., AcP 183 (1983), 608; Müssig, NJW 89, 1697; Oderski, NJW 89, 1; Hübner, NJW 89, 5 [9]; Lang, W M 88, 1001; Köndgen, RWS 1, 134; Fischer, RWS 1, 95; Grunewald, AcP 187 (1987), 285; Schindhelm/G rohe, DStR 89, 445; Schmitz, DB 89, 1909; Stahl, Zur Dritthaftung von Rechtsanwälten, Steuerberatern, Wirtschaftsprüfern ..., Dissertation Tübingen 1989; ferner: Musielak, Haftung für Rat, Auskunft, Gutachten (1974). 141 OLG Schleswig, VersR 61, 1148; zitiert wird der 1. Leitsatz.

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Die Entwicklung der Rechtsprechung

kann aus dem zwischen dem Kreditnehmer und seinem Steuerberater bestehenden Auftragsverhältnis jedenfalls dann keine Schadensersatzansprüche gegen den Steuerberater herleiten, wenn sie im Zeitpunkt der Auftragserteilung mit dem Kreditnehmer noch nicht in Beziehungen stand", denn diese sind eine notwendige Voraussetzung für die Annahme einer besonderen Fürsorgeund Schutzpflicht des (zukünftigen) Kreditnehmers gegenüber der Bank, die auch der Steuerberater zu beachten haben könnte. 1 4 2 Im Jahr darauf verneinte der BGH vertragliche Schadensersatzansprüche der einen Prozeßpartei gegen den Gutachter, welcher von der anderen Partei mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt wurde, das als Grundlage für Vergleichsverhandlungen dienen sollte. 1 4 3 Ein entsprechendes, dem Gutachter erkennbares Interesse des Werkbestellers am Schutz seines Prozeßgegners konnte das Gericht den Umständen nicht entnehmen. Im "Testamentsfall" bejahte der BGH erstmals im Zusammenhang mit einer Leistungspflichtverletzung eine drittschützende Wirkung des Anwaltsvertrages: 1 4 4 "Verpflichtet sich ein Rechtsanwalt gegenüber einem Erblasser zur Mitwirkung bei der testamentarischen Einsetzung seiner Tochter als Alleinerbin, so können der Tochter gegen den Anwalt aus schuldhafter Säumnis unmittelbare Ersatzansprüche erwachsen." Das Gericht hatte es als Besonderheit des Falles erkannt, daß es sich hier um einen Schadensersatz wegen der Verletzung einer Leistungspflicht handelte. "Dieser Unterschied verwehrt es (...) nicht schon grundsätzlich, einem am Vertrag nicht beteiligten Dritten - bei im übrigen gegebenen Voraussetzungen - den Schaden zuzubilligen, der ihm aus nicht (ordnungsgemäßer) Leistung entstanden ist". 1 4 5 Keine Schutzwirkung zugunsten des Lebensversicherers maß das L G Mannheim 1 4 6 dem Auftrag einer Witwe an den Arzt bei,

142 1 4 3

144

OLG Schleswig, VersR 61, 1148 [1149]. BGH, VersR 62, 803 [804] = BB 62, 856.

BGH, NJW 65, 1955 = JZ 66, 141; zitiert wird der Leitsatz. Der BGH orientierte sich hier weitgehend an den oben (Seite 35) dargestellten Kriterien. 145 1 4 6

BGH, NJW 65, 1955 [1957] = JZ 66, 141 [142]. LG Mannheim, VersR 71, 873.

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einen Bericht über den vorherigen Gesundheitszustand ihres verstorbenen Mannes zu verfassen, obwohl der Auftrag auf einem Formblatt des Versicherungsunternehmens auszuführen war. Es fehlte an der notwendigen Intensität des Innenverhältnisses zwischen der Witwe und dem Versicherungsunternehmen, sowie an dessen unmittelbarer Betroffenheit durch das Leistungsverhalten des Arztes. 147 Ebenso verneinte der BGH im "Wirtschaftsprüferfall" die Voraussetzungen einer vertraglichen Haftung des Wirtschaftsprüfers "für die Richtigkeit der von ihm erstellten und testierten Jahresabschlüsse eines Einzelkaufmannes gegenüber den Kreditgebern seines Auftraggebers". Auch hier entsprach das Innenverhältnis zwischen Vertragsgläubiger und Drittem nicht den besonderen Voraussetzungen des Drittschutzes. "Zudem verbietet sich die Annahme einer solchen Schutzwirkung auch mit Rücksicht auf die erkennbare Gegenläufigkeit der Interessen, die in bezug auf die Darstellung der Kreditwürdigkeit zwischen dem Auftraggeber (Kreditsuchenden) einerseits und der Bank andererseits besteht". 148

1976 lehnte der BGH eine Dritthaftung im Fall einer unrichtigen Bank-zu-Bank-Auskunft u.a. deswegen ab, weil eine Fürsorgepflicht der anfragenden Bank gegenüber ihrem Kunden, der die Auskunft erbeten hatte, nicht gegeben sei. 1 4 9 Weitgehende Parallelen zum o.g. "Testamentsfall" weist eine Entscheidung des BGH aus dem Jahr 1977 auf: 1 5 0 "Berät ein Rechtsanwalt Eheleute beim Abschluß einer Scheidungsvereinbarung, in der der eine Teil dem anderen verspricht, ihren Kindern bestimmte Vermögenswerte zuzuwenden, so können diesen gegen den Anwalt unmittelbar Ersatzansprüche erwachsen, wenn die Vereinbarung wegen seines Verschuldens nicht durchsetzbar ist." Allerdings wollte sich das Gericht hier nicht auf die Schadens-

147

BGH, NJW 73, 321. Dieses Urteil wurde vom OLG Köln (VersR 78, 333) auf1 4die Steuerberaterhaftung übertragen. 8 BGH, NJW 73, 321 [322].

14Q

1 Kf) BGH,' W M 76,' 498 1[499]. BGH, NJW 77, 2073; zitiert wird der Leitsatz.

Die Entwicklung der Rechtsprechung

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abwicklung über den Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter festlegen. 151 b) Haftung des Arztes gegenüber Nichtpatienten wegen mangelhafter Behandlungsleistung Das L G Freiburg 1 5 2 gewährte einem Ehemann unter Drittschutzgesichtspunkten einen Schadensersatzanspruch gegen den Arzt der Frau, der eine Sterilisation nicht erfolgreich durchgeführt hatte und infolgedessen ein weiteres, nicht erwünschtes K i n d auf die Welt kam. Im Hinblick auf die vertragliche Drittwirkung steht auch dieser Fall außerhalb der ursprünglichen Ordnung, da es sich um eine Verletzung der Leistungspflicht des betreuenden Arztes handelte. Der klassische Hintergrund des Drittschutzes trifft jedoch genauso auf diesen Sachverhalt zu: durch den Fehler des Arztes wurde das Vermögen des Ehemanns infolge der Unterhaltsansprüche des Kindes in seinem konkreten Bestand beeinträchtigt. 3. Der Fortgang im Bereich der Dritthaftung nach einer Verletzung vertraglicher Schutzpflichten 1 5 3 5.7. Fallgruppe Werkvertrag In dieser Fallgruppe führte der BGH seine Rechtsprechung nahtlos fort, als er die Möglichkeit anerkannte, daß im Haushalt des Mieters lebende Angehörige in den Schutzbereich eines vom

Worauf sogleich noch eingegangen wird: siehe Abschnitt 4. 1 5 2

LG Freiburg, NJW 77, 340. Berufung: OLG Karlsruhe, NJW 79, 599; Revision: BGHZ 76, 259 = BGH, NJW 80, 1452 (siehe unten, Seite 71 f.). 153 Es verbleibt eine Entscheidung des OLG Schleswig (VersR 78, 237), die nicht eindeutig zugeordnet werden kann. Sie betrifft die Schutzwirkung eines Rahmenvertrages für Erziehungshilfe zwischen Hilfswerk und Landesjugendamt zugunsten der im Heim lebenden Jugendlichen.

Entwicklung von 1959 bis 1977

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Vermieter mit einem Bauunternehmer abgeschlossenen Werkvertrags einbezogen sein können. 1 5 4 Beinahe abenteuerliche Dimensionen erreichte die Konstruktion, mit der ein Gemeindeeinwohner vertraglichen Schadenersatz von einem Bauunternehmer forderte: ausgehend von der Schutz- und Fürsorgepflicht der Gemeinde für ihre Einwohner wollte der Kläger eine ebensolche Pflicht im Vertrag zwischen dem ortsansässigen Energiewirtschaftsunternehmen und der Gemeinde erkennen. Diese Pflicht obliege dann ebenfalls dem Bauunternehmer, der von dem Energieversorger mit Rohrlegearbeiten beauftragt wurde. Der BGH 1 5 5 sprengte allerdings schon das erste Glied dieser Kette: das Interesse der Gemeinde am Schutz ihrer Einwohner könne besonders unter dem Gesichtspunkt der dringend notwendigen Begrenzung des geschützten Personenkreises nicht ausreichen, diese in den Schutzbereich der von der Gemeinde geschlossenen Verträge einzubeziehen. Als konsequente Fortführung der bisherigen Rechtsprechung zum Drittschutz der in die Sphäre des anderen Vertragspartners entsandten Gehilfen 1 5 6 stellte sich die Entscheidung des BGH im "Fahrleitungsmastfall" d a r . 1 5 7 Das OLG Düsseldorf ließ es im Urteil zum "Nachbarfall" 1 5 8 für die Einbeziehung des Dritten in den Vertragsschutz genügen, daß zwischen diesem und dem Vertragsgläubiger ein "nachbarliches Gemeinschaf ts Verhältnis" bestand. 159 Der BGH sah sich 1971 wegen einer Haftungsfrei-

BGH, VersR 59, 1009. Diese Entscheidung knüpft inhaltlich direkt an BGH, VersR 56, 500 an, wo es sich noch um unmittelbare Angehörige des Werkbestellers gehandelt hatte. Für die Frage des Schutzbereichs von Werkverträgen nicht von Bedeutung ist der für den Bereich der Mit Verschuldensproblematik äußerst wichtige "Spannbetonfair (BGHZ 33, 247 = BGH, NJW 61, 211). Die Einbeziehung der geschädigten Dritten in den Vertragsschutz lag dort vollkommen im Rahmen der vorangegangenen Rechtsprechung. 1 5 5 BGH, VersR 62, 86. 156 157 Siehe oben. Seite 21. BGH, VersR 63, 189 [190] verweist unmittelbar auf BGHZ 26, 365 als "ständige Rechtsprechung". In diesem Sinne später ebenfalls: BGH, VersR 70, 831. 1 5 8 OLG Düsseldorf, NJW 65, 539. 159 Weswegen Hodes (NJW 65, 539) die Entscheidung in seiner Anmerkung heftig kritisierte.

Die Entwicklung der Rechtsprechung

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Zeichnung im Verhältnis des Werkbestellers zum Unternehmer daran gehindert, einen Subunternehmer in den Schutzbereich des Werkvertrages einzubeziehen. 160 5.2. Fallgruppe Dienstvertrag Die vor 1959 noch sehr umfangreiche Fallgruppe Dienstvertrag 1 6 1 war im hier betrachteten Zeitraum von geringer Relevanz. Das OLG Düsseldorf 1 6 2 stellte 1975 allgemein fest, daß der Vertrag des Krankenversicherers mit dem Krankenhaus über die Behandlung des Versicherten keine Schutzwirkung zugunsten dessen Angehörigen entfaltet. Aus dem folgenden Jahr stammt ein Urteil des OLG Köln: 1 6 3 "Schließt ein Eigentümer eines vermieteten Bürohauses mit einer Heizungsfirma einen Wartungsvertrag über die Ölheizung und überläßt er ihr gleichzeitig einen Schlüssel zum Heizungskeller, damit jederzeitiger Zugang gesichert ist, so ist der Mieter des Bürohauses in den Schutzbereich des Wartungsvertrages einbezogen." 5.5. Fallgruppe Mietvertrag

164

Das L G Stuttgart 1 6 5 stellte den Billigkeitsgedanken bei der Gewährung vertraglichen Drittschutzes deutlich in den Vorder1 6 0

BGHZ 56, 269 = BGH, NJW 71, 1931 = BB 71, 977. Keiner besonderen Erwähnung bedürfen die vorangegangenen Urteile BGH, NJW 70,38 = W M 69, 1358 und OLG Köln, VersR 69, 810 mit der Revisionsentscheidung BGH, NJW 71, 752, die den Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter nur beiläufig ansprechen und im Ergebnis nicht zur Anwendung bringen. BGH, VersR 72, 553 gelangte zwar zum vertraglichen Drittschutz, brachte aber keine neuen Gesichtspunkte. Inhaltlich nicht von besonderer Bedeutung, aber wegen seiner beispielhaften Subsumtion hervorzuheben, ist ein Urteil des OLG Nürnberg aus dem Jahr 1973 (MDR 74, 401), das den gegebenen Sachverhalt in selten anzutreffender Kürze und Klarheit im Hinblick auf dessen Übereinstimmung mit dem oben (Seite 35) skizzierten "Tatbestand** vertraglichen Drittschutzes überprüfte. 1 6 1 1 6 2 1 6 3

164

Siehe oben, Seite 22-25. OLG Düsseldorf, NJW 75, 596. OLG Köln, VersR 76, 1182.

Keine neuen Gesichtspunkte für die Entwicklung des Drittschutzes brachten folgende Entscheidungen: BGH, VersR 65, 1098; OLG Hamm, NJW 72, 2037; BGH, 165 NJW 75, 867. LG Stuttgart, MDR 61, 936. Ob hier Miete oder Leihe vorlag, geht aus dem Urteil nicht hervor.

Entwicklung von 1959 bis 1977

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grund, als es in der Vereinbarung zwischen einem Bauherren und einem Bauhandwerker, das von diesem errichtete Gerüst zur Benutzung durch andere Bauhandwerker stehen zu lassen, keine Schutzwirkung zu deren Gunsten sah, da dem errichtenden Handwerker die laufende Überwachung des Gerüstes nicht zuzumuten gewesen sei. Im Bereich der Miete von Häusern, Wohnungen und Geschäftsräumen hielt der BGH die Beziehung des Vermieters zum Mieter im Regelfall für nicht so intensiv, daß dem Vermieter eine Verantwortung für das Wohlergehen seiner Mieter schlechthin zukäme. Damit war ein Mieter grundsätzlich nicht in den Schutzbereich von Verträgen des Vermieters einzubeziehen. Von Relevanz war diese Frage vor allem für die Schutzwirkung von Mietverträgen zugunsten anderer Mitmieter. 1 6 6 In einem Fall sah der BGH den Hauseigentümer allerdings den Mietern zu Schutz und Fürsorge verpflichtet. So wurden den Bewohnern eines Hauses, die ihre Wohnungen von einer gewerblichen, namens und in Vollmacht des Eigentümers auftretenden Hausverwaltungs- und Immobilienfirma gemietet hatten, vertragliche Schutzansprüche gegen diese Firma aus dem Hausverwaltungsvertrag mit dem Eigentümer zugesprochen. 167 Die Gerichte verfuhren somit in der Beurteilung der Frage des Schutzpflichtverhältnisses Vermieter Mieter völlig gegensätzlich, ohne dafür eine stichhaltige Begründung zu geben. Betrachtet man die Fälle, in denen die Drittwirkung der Mietverträge zugunsten anderer Mieter abgelehnt wurde, so ist festzustellen, daß sie in konsequenter Anwendung des

1 6 6

BGH, NJW 64, 33 [35]; BGH, NJW 69, 41 = VersR 69, 42 = JR 69, 141. Siehe auch: LG Köln, NJW 77, 810. Die Schutzwirkung eines Pachtvertrages verneinte mit vergleichbarer Begründung das OLG Hamburg in VersR 81, 1133. 1 6 7 BGH, NJW 68, 1323 [1324] = FamRZ 68, 456 [457] = BB 68, 644. An dieser Entscheidung wird sichtbar, daß die eben dargestellte Gruppe von Fällen streng genommen nicht pauschal der Fallgruppe Mietvertrag zugeschlagen werden dürfte, da es allgemein um die Drittwirkung von Verträgen des Vermieters zugunsten seiner Mieter geht, die nicht unbedingt Mietverträge sein müssen. Da letzteres jedoch meist der Fall war (siehe die vorstehende Fußnote 166) und der BGH im "Hausverwaltungsfair so deutlich auf die Fürsorgepflicht des Hauseigentümers zugunsten der Hausbewohner abstellte, erschien es zweckmäßig, dieses eigentlich dem Bereich der entgeltlichen Geschäftsbesorgung (§ 675 BGB; siehe: Palandt-Thomas, § 675 (Anm.3) und BGH, W M 65, 1181) zuzuordnende Urteil in den hiesigen Zusammenhang zu stellen.

Die Entwicklung der Rechtsprechung

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Drittschutztatbestandes der Rechtsprechung 1 6 8 zum gleichen Ergebnis zu führen gewesen wären, ohne die "Notbremse" des fehlenden Innenverhältnisses ziehen zu müssen, was in Anbetracht der sonst großzügigen Handhabung dieses Kriteriums ohnehin eher willkürlich als sachgerecht erscheint. 169 In einem herkömmlichen Mietvertrag ist die vom Mieter einzig zu erbringende Hauptleistung die Entrichtung des Mietzinses (§ 535 Satz 2 BGB). M i t dieser Vertragsleistung kommt ein anderer Mieter nicht in Berührung. Damit scheitert eine aus dem Mietvertrag folgende Drittschutzverpflichtung des Mieters gegenüber seinen Mitmietern schon am zuerst zu prüfenden Merkmal der Leistungsnähe. Die Frage nach dem Innenverhältnis Vermieter - Mieter ist gar nicht mehr zu stellen. Die oben genannten Urteile sind damit im Ergebnis richtig, aber in der Begründung falsch. 1 7 0 Als Zwischenergebnis ist festzuhalten, daß die Rechtsprechung bis zu diesem Zeitpunkt - letztlich zutreffend - Mietverträgen drittschützende Wirkung zugunsten solcher Personen beigemessen hat, die der Sphäre des Vermieters zuzuordnen waren. In den 60er und 70er Jahren sind jedoch auch einige Urteile ergangen, die eine Schutzwirkung zugunsten Dritter auf der Seite des Mieters anerkannten: so entfaltet nach Ansicht des BGH ein Mietvertrag eines nicht rechtsfähigen Vereines Schutzwirkungen zugunsten der einzelnen Vereinsmitglieder. 171 Mietet eine GmbH Geschäftsräume an, kann der Vertragsschutz auch die befugten Benutzer der Mieträume umfassen. Bejaht wurde dies für die hinter der GmbH stehenden Gesellschafter. 172 Im "Rauchrohr173 öffnungsfall" entschied der BGH: "Der Eigentümer von Gegenständen, die ein Mieter von Geschäftsräumen befugt für Zwecke seines Geschäftsbetriebes in den gemieteten Räumen unterbringt, hat wegen Schäden an seinen Sachen einen eigenen

168 169 Siehe oben. Seite 35. Vgl. Krause, JZ 82, 17; Haase, JR 78, 285. 1 7 0 Vgl. Krause, JZ 82, 18. 1 7 1 BGH, JZ 65, 572 = NJW 65, 1757. 1 7 2

17^

BGH, W M 68, 300 = JZ 68, 304 = DB 68, 349 = VersR 68, 375. BGHZ 49, 350 = BGH, NJW 68, 885; zitiert wird der 2.Leitsatz.

Entwicklung von 1959 bis 1977

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mietrechtlichen Schadensersatzanspruch gegen den Vermieter." Entsprechend lautete das Urteil zum "Lagerhalterfall"} 7* Für das OLG Celle 1 7 5 war es 1974 ausschlaggebend für die Anerkennung vertraglichen Drittschutzes, ob der anspruchstellende Dritte überhaupt als schutzbedürftig angesehen werden konnte. Da sich der klagende Untermieter wegen des erlittenen Schadens an seinen Vertragspartner, den Hauptmieter, halten konnte, sah das Gericht keine Veranlassung, "ihm aus sozialen Gründen zu helfen" und verneinte eine Drittwirkung des Vertrages des Hauptmieters mit dem Vermieter. 1 7 6 Im darauf folgenden Jahr stellte das OLG Stuttgart 1 7 7 klar, daß aus einem beendeten Mietverhältnis nach dem endgültigen Auszug keine Schutzwirkungen mehr resultieren können. 1976 entschied das OLG Hamm: 1 7 8 "Lebt ein Mann mit einer Mieterin in deren Wohnung in eheloser Gemeinschaft zusammen, so erstreckt sich auf ihn nicht der Schutzbereich des Mietvertrages." 3.4. Fallgruppe Kaufvertrag

179

1967 stellte der BGH 1 8 0 die These auf, daß im Bereich der Kaufverträge die Ausdehnung der vertraglichen Sorgfalts- und

1 7 4 BGH, MDR 70, 321 = BB 70, 105 = JZ 70, 375 = NJW 70, 419. Der 2.Leitsatz lautet: "Hat ein Lagerhalter Räume zur gewerbsmäßigen Lagerung und Aufbewahrung von Gütern gemietet, so sind die Einlagerer in den Schutzbereich des von dem Lagerhalter abgeschlossenen Mietvertrages einbezogen." Dieses Urteil wird auf Seite 78 einer Entscheidung des Jahres 1984 gegenübergestellt. 1 7 5 OLG Celle, VersR 75, 838. 1 7 6

177 178

OLG Celle, VersR 75, 838 [840]. OLG Stuttgart, MDR 75, 841.

OLG Hamm, FamRZ 77, 318 = VersR 77, 531; zitiert wird der 2.Leitsatz. Das Urteil stieß stellenweise auf heftige Kritik, da sich in den Gründen der Verdacht aufdrängt, das Gericht habe sich weitgehend von moralischen Gesichtspunkten leiten lassen. Zum Sachproblem siehe die vom OLG auf Seite 320 bzw. 533 selbst zitierten Gegenmeinungen, sowie weiterführend die Anmerkung von Evans-von Krbek (VersR 78,179 906). Einen Randbereich der Kaufverträge betraf OLG Hamm, VersR 77, 842: "Hat der Verkäufer mit der Lieferverpflichtung zugleich die Aufstellung des Kaufobjekts ... übernommen, so ist in den Schutzbereich des Lieferungsvertrages auch das Familienmitglied des Käufers einbezogen, für das die Kaufsache bestimmt war" (3.Leitsatz). 1 8 0 BGH, DB 68, 260. 4 Hirth

50

Die Entwicklung der Rechtsprechung

Schutzpflichten auf Dritte "schwerlich" zu begründen sei. Im folgenden Jahr wies er 1 8 1 eine Klage eines Käufers gegen den ausliefernden Produzenten einer Maschine ab, die wegen unzureichender Verpackung auf dem Transport beschädigt worden war. Ein sog. "Streckengeschäft" war nicht gegeben. Der Käufer wurde auf seinen direkten Vertragspartner, den (eigenständigen) Generalvertreter des Herstellers, verwiesen. Das Gericht sah sich in Ermangelung eines engen Verhältnisses zwischen Abnehmer und Zwischenhändler nicht in der Lage, dem ersten Kaufvertrag Drittwirkung zugunsten des Endabnehmers der Ware beizumessen. Auch im "Hühnerpestfall" 1 8 2 wurde dem durch die Verwendung des infektiösen Impfstoffes letztlich geschädigten Hühnerfarmer mit entsprechender Begründung nicht über eine Drittwirkung des Kaufvertrages zwischen Hersteller und Tierarzt geholfen. 1 8 3 Ebenso erfolglos blieb die Klage des Warenendabnehmers gegen den Produzenten im "Prüf zeichen fall"™* in dem die mit einem genormten Qualitätszeichen versehenen Rohre nicht den entsprechenden Normen genügten und wegen ihrer Minderwertigkeit zu einem Vermögensschaden beim Verwender führten. Im "Gemüseblattfall" 1 8 5 maß der BGH schließlich einem Kaufvertrag in Kombination mit den Grundsätzen der culpa in contrahendo drittschützende Wirkung bei: 1 8 6 "Begleitet ein K i n d seine Mutter zum Einkauf in einen Selbstbedienungsladen, so können ihm, wenn es dort zu Fall kommt, unter dem Gesichtspunkt eines Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter Schadensersatzansprüche aus Verschulden bei Vertragsschluß zustehen."

ι οι BGH, 1R9

NJW 68, 1929 = MDR 68, 831 = BB 68, 928. 183 BGHZ 51, 91 = BGH, NJW 69, 269. Analog lautet eine Entscheidung bezüglich der Humanmedikaments: KG Berlin, VersR 75, 427. ifll ' ' AO * BGH, NJW 74, 1503 = BB 74, 998.

IflC 1

BGHZ 66, 51 = BGH, NJW 76, 712 = JR 76, 456. Zitiert wird der Leitsatz der Entscheidung.

Fehlerhaftigkeit

eines

Entwicklung von 1959 bis 1977

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4. Die Rechtsgrundlage im BGB Anfang der sechziger Jahre erhob sich in der Rechtslehre stellenweise heftige K r i t i k an der bisherigen Übung der Rechtsprechung, den Drittschutz an den hypothetischen Parteiwillen anzuknüpfen. 1 8 7 Da der BGH zwischenzeitlich begonnen hatte, das Prinzip von Treu und Glauben (§ 242 BGB) für die Begründung vertraglicher Drittwirkungen heranzuziehen, 188 war es durchaus denkbar, daß er dieser K r i t i k im folgenden Rechnung tragen und das Rechtsinstitut des Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter vollkommen auf § 242 BGB stützen würde. In den anschließenden Entscheidungen zeigte sich jedoch, daß diese erstmalige Bezugnahme auf § 242 BGB nicht die Vorbereitung einer völligen Abkehr von der ergänzenden Vertragsauslegung gewesen war. Das Prinzip von Treu und Glauben sollte lediglich zu einer gewissen Verobjektivierung des Drittschutzes dienen. Galten unter der älteren Rechtsprechung alle Verabredungen als vereinbart, "welche die Vertragschließenden ausdrücklich getroffen haben würden, wenn sie sich die aus dem Vertragszweck zu entnehmenden Verpflichtungen vergegenwärtigt hätten", 1 8 9 so unterstellten die neueren Urteile den Vertragsparteien nicht, daß sie die Drittschutzvereinbarung konkret vereinbart hätten, sondern stellten allein fest, daß der jeweilige Vertragsschuldner diese Abrede nach dem "Sinn und Zweck des Vertrages unter Berücksichtigung der Grundsätze von Treu und

187 Lorenz, JZ 60, 108; Canaris, JZ 65, 475; Gernhuber, JZ 62, 553; vgl. auch: Schopp, ZMR 62, 257; vor 1960: Gernhuber, FS Nikisch, S.249 ff.; Böhmer (MDR 60, 807; MDR 62, 345; MDR 63, 96; MDR 63, 546) bekämpfte außer der Fiktion eines vertraglichen Bindungswillens die Konstruktion eines vertraglichen Drittschutzes überhaupt. 1 fio Aö ° Siehe oben, Seite 32 f.; BGH, MDR 56, 534; BGH, NJW 59, 1676 = VersR 59, 645. 1 8 9 BGH, NJW 54, 874 = VersR 54, 223 [224]; davor z.B. RGZ 152, 175 [177]; RGZ 127, 218 [219, 225]; RGZ 98, 210 [213]; RGZ 65, 164 [168].

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Die Entwicklung der Rechtsprechung

Glauben" 1 9 0 redlicherweise als vereinbart gelten lassen muß}91 Dogmatisch blieb die Anknüpfung an den Vertragswillen zunächst jedoch weiterhin bestehen. 192 In einer Entscheidung vom 15. Juni 1971 1 9 3 ließ der BGH erstmals ausdrücklich offen, ob der vertragliche Drittschutz kraft Gesetzes entsteht, oder ob er über die ergänzende Vertragsauslegung zu begründen i s t . 1 9 4 Auch im "Gemüseblattfall" legte sich das Gericht nicht mehr fest. 1 9 5 Einen Höhepunkt erreichte diese Technik der Alternativbegründung im Januar 1977, als der BGH nicht nur die dogmatische Grundlage des Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter offen ließ, sondern auch keine Entscheidung zwischen diesem Rechtsinstitut und der Drittschadensliquidation zu treffen vermochte: "Wie auch immer der dem Streitfall zugrundeliegende Sachverhalt rechtsdogmatisch einzuordnen sein mag, so muß nach Auffassung des Senats das Ergebnis jedenfalls sein, daß der Kläger dieses Rechtsstreits unmittelbar den Beklagten (...) auf Ersatz des ihm (...) entstandenen Schadens in Anspruch nehmen kann." 1 9 6 Anzumerken bleibt, daß die unteren Instanzen bei der Begründung des vertraglichen Drittschutzes in dieser Zeit zwar uneinheitlich verfuhren, sich jeweils

ion Formulierung 1 Q1 AyA

aus BGH, NJW 65, 1955 [1957] = JZ 65, 141 [142].

Siehe ferner: BGH, VersR 62, 86 [88]; BGH, NJW 64, 33 [34]; BGH, JZ 65, 572; BGH, W M 68, 300 [301] = DB 68, 349 = VersR 68, 375 [376] = JZ 68, 304; BGHZ 49, 350 [354] = BGH, NJW 68, 885 [887]; BGH, FamRZ 68, 456 [457] = BB 68, 644 = NJW 68, 1323 [1324]; BGH, NJW 68, 1929 [1931] = BB 68, 928 [929]; BGH, NJW 69, 269 [272]; BGH, NJW 70, 38 [40] = W M 69, 1358 [1359]; LG Mannheim, VersR 71, 873 [874]. 192

Besonders deutlich in: BGH, NJW 62, 388 [389]; OLG Düsseldorf, NJW 65, 539 [541]; BGH, NJW 69, 41 = VersR 69, 42 = JR 69, 141; BGH, NJW 71, 752 [753]. 1 Q4 BGHZ 56,' 269 = BGH,' NJW 71,' 1931 = BB 71,' 977. A " * B G H Z 56, 269 [273] = BGH, NJW 71, 1931 [1932] = BB 71, 977 [978]. BGHZ 61, 227 [233] = BGH, NJW 73, 2059 [2061] rekurriert ganz pauschal auf den Gerechtigkeitsgedanken. 1QC BGHZ 66, 51 [57] = BGH, NJW 76, 712 [713] = JR 76, 456 [457]. 1 9 6 BGH, NJW 77, 2073 [2074].

Entwicklung von 1959 bis 1977

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aber wenigstens für eine bestimmte dogmatische Grundlage entschieden. 197 S. Die zu ersetzenden Drittschäden In den sechziger Jahren hatte sich der BGH erstmals mit der Frage zu befassen, ob Sach- und Vermögensschäden ebenfalls im Wege des Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter zu ersetzen sein können. 5.7. Sachschäden 198 Im "Rauchrohröffnungsfall" stellte das Gericht unter ausdrücklicher Bestätigung einzelner vorangegangener Urteile 1 9 9 fest, daß es nicht einzusehen sei, beim Ausgleich von Körperschäden über den Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter vorgehen zu können und für Sachschäden bei derselben Person und in Folge desselben schadenstiftenden Ereignisses auf die Drittschadensliquidation verweisen zu müssen. Aus diesem nachvollziehbaren Gedanken Schloß der BGH: "Folgerichtig kann dann aber, wenn, wie hier, die Schutzwirkung zugunsten der Unversehrtheit einer Person überhaupt nicht in Frage steht, eine nur auf die Sachen eines Dritten beschränkte Schutzwirkung nicht verneint werden." 2 0 0 Der dem Urteil zugrundeliegende Sachverhalt war nach damaligem Verständnis ein klassischer Anwendungsfall der Drittschadensliquidation in der Fallgruppe der

197 Auslegung: LG Freiburg, NJW 77, 340; Treu und Glauben: OLG Hamm, VersR 77, 842 [843]; Sinn und Zweck/Treu und Glauben: OLG Nürnberg, MDR 74, 401; OLG Celle, VersR 75, 838 [839]; OLG Hamm, FamRZ 77, 318 [319] = VersR 77, 531 1 [532]; Rechtsfortbildung der Rechtsprechung: OLG Köln, VersR 76, 1182. BGHZ 49, 350 = BGH, NJW 68, 885.

1QQ

1

BGHZ 49, 350 [355 unten] = BGH, NJW 68, 885 [887 r.Sp.] - die Nachweise entsprechen folgenden Fundstellen: OLG Celle, ZMR 57, 15; BGH, NJW 65, 1955 (dieses Urteil befaßte sich allerdings entgegen der Angabe des BGH nicht mit einem Sach- sondern mit einem reinen Vermögensschaden); BGH, W M 68, 300 = DB 68. 349 = VersR 68, 375 = JZ 68, 304. BGHZ 49, 350 [355] = BGH, NJW 68, 885 [887].

Die Entwicklung der Rechtsprechung

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"Obhut für fremde Sachen". 201 Vordergründig entwickelte der BGH seine Entscheidung zwar aus den oben dargestellten Voraussetzungen des Drittschutzes, 202 der Sache nach hatte das Gericht jedoch begonnen, den sonst angewandten, griffigen Abgrenzungskriterien des familien- bzw. arbeitsrechtlichen Innenverhältnisses 2 0 3 das Grab zu schaufeln, da es mit keinem Wort auf die verwandtschaftliche Beziehung der Klägerin mit der Vertragspartnerin eingegangen w a r . 2 0 4 Insoweit war es nur noch 205 konsequent, wenn der BGH im "Lagerhalterfall" unter Hinweis auf das vorgenannte Urteil zum Ergebnis kam, daß die gewerbsmäßige Anmietung von Lagerräumen durch einen Lagerhalter Schutzwirkungen zugunsten der Einlagerer entfaltet. Ein personenrechtliches Innenverhältnis zwischen Lagerhalter und Einlagerern bestand hier schon nicht mehr. Grundsätzlich entsprach die Erkenntnis des BGH, daß der Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter keineswegs nur zum Ausgleich von Körperschäden herangezogen werden kann, der damals wie heute herrschenden Meinung in der Lehre. 2 0 6 Die anfängliche "Beschränkung" auf Personenschäden wird insoweit auch als "dogmengeschichtlicher Zufall" bewertet. 2 0 7

201

Siehe die Anmerkungen zu dieser Entscheidung: Berg, NJW 68, 1325 und Söllner, JuS 70, 164; ferner beispielsweise: v. Caemmerer, ZHR 127 (1965), 264; ders., FS Wieacker, 319; MK-Grunsky, vor § 249, Rn 121.

ο no

2 0 3

204

Siehe Seite 35; BGHZ 49, 350 [354] = BGH, NJW 68, 885 [887]. Siehe Seite 35 f.

one Die

" und die Mieterin waren Schwestern. Geschädigte BGH, NJW 70, 419 = MDR 70, 321 = BB 70, 105 = JZ 70, 375; weitere Urteile, die Sachschäden betreffen: BGH, NJW 68, 1929 = BB 68, 928; BGH, NJW 70, 38; OLG Nürnberg, MDR 74, 401. 9f)fi

Bydlinski, JB1 60, 364; Humborg, VersR 65, 940; Zirkel, NJW 56, 1675; Berg, NJW 68, 1326; Steinmeyer, DB 88, 1051; Soergel-Hadding, Anh § 328, Rn 18; Erman-Weetermann, § 328, Rn 13; Canaris, BVR, Rn 21; Jauernig-Vollkommer, § 328 (III Anm.3-a); MK-Gottwald, § 328, Rn 74; Palandt-Heinrichs, § 328 (Anm.3e-aa); Larenz, SR I / A T 1987, 229; Fikentscher, SchuldR, 187; Brox, ASR, Rn 379; v. Caemmerer, FS Wieacker, 314; Gernhuber, Schuldverhältnis, 514.

οπ7

Lorenz, JZ 66, 143; MK-Gottwald, § 328, Rn 74; Schwerdtner, JURA 80, 500; Albrecht, 65.

Entwicklung von 1959 bis 1977

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5.2. Vermögensschaden Im sogenannten "Testamentsfall" 2 0 8 glich der BGH erstmals einen Vermögensschaden über den Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter aus. Auch wenn dieses Urteil nicht ohne Widerspruch b l i e b , 2 0 9 bleibt doch festzustellen, daß nach der herrschenden Meinung in Rechtsprechung 2 1 0 und Lehre 2 1 1 reine Vermögensinteressen grundsätzlich ebenfalls in den Schutzbereich eines Vertrages einbezogen sein können. In Anbetracht der Vielgestaltigkeit der möglicherweise tangierten Vermögensinteressen tritt hier jedoch das Problem der sauberen Abgrenzung der Schutzwirkungen in den Vordergrund, da mit dem "Testamentsfall" 2 1 2 das Tor zur mehr oder minder unbemerkten Einbeziehung des Erfüllungsinteresses des Dritten in den Vertragsschutz auf gestoßen worden ist. So gab Lorenz in seiner Urteilsanmerkung nicht von ungefähr der Befürchtung Ausdruck, "daß mit der Einbeziehung von Vermögensschäden schlechthin die Fahrt ins Ungewisse beginnt". 2 1 3

2 0 8

209

BGH, NJW 65, 1955 = JZ 66, 141.

Direkt kritisiert wurde diese Entscheidung z.B. vom LG Mannheim in VersR 21Ω 71, 873. BGH, NJW 68, 1929 [1931] = BB 68, 928 [929]; BGH, NJW 70, 38 [40]; OLG Nürnberg, MDR 74, 401; OLG Celle, VersR 75, 838; OLG Schleswig, VersR 78, 237; BGHZ 66, 51 = BGH, NJW 76, 712 = JZ 76, 456 ("Gemüseblatt"); LG Freiburg, 211 NJW 77, 340; BGH, NJW 77, 2073 [2074]. Soergel-Hadding, Anh § 328, Rn 18; Albrecht, 65; Erman-Westermann, § 328, Rn 13; MK-Gottwald, § 328, Rn 74; Jauernig-Vollkommer, § 328 (III Anm.3a); Palandt-Heinrichs, § 328 (Anm.3-e-aa); AK-BGB-Dubischar, § 328, Rn 20; Larenz, SR I / A T 1987, 229; Fikentscher, SchuldR, 187; Durchlaub, DB 74, 906; Steinmeyer, DB 88, 1051; Gernhuber, Schuldverhältnis, 514. Ablehnend: Hohloch, FamRZ 77, 530. Steinmeyer weist darauf hin, daß in Österreich nach h.L. und Rspr. der Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter nicht zum Ersatz eines reinen Vermögenschadens heranzuziehen ist. Er selbst wendet sich gegen diese Ansicht. Zur Rechtslage in Österreich vgl. Avancini/Iro/Koziol-Koziol, Rn 2/31, 3/16, 6/38 und 7/99. 717

219

BGH, NJW 65, 1955 = JZ 66, 141; siehe oben, Seite 42. Lorenz, JZ 66, 144.

Die Entwicklung der Rechtsprechung

56

ΠΙ. D i e E n t w i c k l u n g v o n 1 9 7 7 b i s 1. Das "Lastschrifturteil

m

des BGH

heute

214

M i t dem sogenannten "Lastschrifturteil" trat die Rechtsprechung zum Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter in das jüngste Stadium der Entwicklung ein, das bis zum heutigen Tag 2 1 5 dauert, da seither keine neuen, entscheidenden Gesichtspunkte in die richterliche Spruchpraxis Eingang gefunden haben. 7.7. Der Sachverhalt Die beklagte Bank hatte mehrere, mit dem Einzugsermächtigungsvermerk versehene Lastschriften, die von der Bank des Klägers an sie weitergegeben worden waren, mangels Deckung auf dem Schuldnerkonto nicht eingelöst. Anstatt die Lastschriften jedoch alsbald wieder an die erste Inkassostelle zurückzugeben, ließ sie diese nahezu einen Monat unerledigt liegen, obwohl sie nach dem Lastschriftabkommen 2 1 6 der anderen Bank gegenüber verpflichtet gewesen wäre, spätestens am zweiten Arbeitstag nach dem Tag der Vorlage entsprechende Rückbelastungsmaßnahmen zu ergreifen. Da der Kläger mangels anderer Anhaltspunkte davon ausgegangen war, daß die Lastschriften eingelöst worden waren, belieferte er den Schuldner im Rahmen der bestehenden Geschäftsverbindung weiterhin mit Waren, ohne anderweitige, geschäftsübliche Sicherheitsmaßnahmen zu ergreifen. Gegenstand des Verfahrens war der Schaden, der durch den konkursbedingten Ausfall der Forderungen aus diesen weiteren Lieferungen verursacht worden war. 7.2. Die Entscheidung Der BGH sah in der Untätigkeit der Zahlstelle die Verletzung einer ihr dem Lastschriftgläubiger gegenüber obliegenden Pflicht 214

Entscheidung vom 28.02.1977 (II ZR 52/75) = BGHZ 69, 82 = BGH, NJW 77j 1916 = W M 77, 1042. In dieser Arbeit wurde die bis zum 31.12.1990 erreichbare Literatur und Rechtsprechung berücksichtigt. Das Lastschrift abkommen wird im folgenden mit LS A abgekürzt.

Entwicklung von 1977 bis heute

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zur zügigen Rückabwicklung nicht eingelöster Lastschriften. Betont wurde dabei, daß dieser Pflicht kein Leistungs- sondern ein Schutzanspruch des Dritten zugrunde liege, der nicht Konsequenz des LSA der Banken sei, sondern aus der girovertraglichen Verbindung der ersten Inkassostelle mit der Zahlstelle folge. Dadurch waren für die Entscheidung Klauseln des LSA ohne Bedeutung, welche die aus ihm folgenden Rechtswirkungen nur auf das Interbankenverhältnis beschränken sollten. Der BGH bezeichnete das Erfordernis eines personenrechtlich ausgestalteten Innenverhältnisses zwischen Vertragsgläubiger und zu schützendem Dritten als Voraussetzung für die Drittschutzwirkung eines Vertrages als "unnötig eng, wenn es sich - wie hier um Massengeschäfte eines bestimmten Typs mit einem einheitlich praktizierten Verfahren handelt, das dem Rechtsverkehr in großem Stile unter Inanspruchnahme des Vertrauens auf sach- und interessengemäße Abwicklung angeboten wird. Hier kann nach Treu und Glauben eine Einbeziehung Dritter in den Schutzbereich der anfallenden Schuld Verhältnisse möglich und geboten sein, wenn das Verfahren für den Dritten, der sich dessen bedient, bestimmte verfahrenstypische Risiken in sich birgt und den mit der Durchführung betrauten Verfahrensbeteiligten ohne weiteres zugemutet werden kann, diese Risiken klein zu halten. Um einen Fall dieser Art handelt es sich, soweit im Lastschriftverfahren die Schuldnerbank Lastschriften zurückzuleiten hat, weil diese mangels Deckung nicht eingelöst werden k ö n n e n . " 2 1 7 "Da jede Bank von Fall zu Fall an den massenhaft anfallenden Lastschriftverfahren in der Rolle von Gläubiger- und Schuldnerbank tätig wird," war das Interesse des Lastschriftgläubigers an der baldigen Rückgabe der nicht eingelösten Lastschriften auch für die beklagte Bank "erkennbar und selbstverständlich". 218

217 2 1 8

BGHZ 69, 82 [86] = BGH, NJW 77, 1916 = W M 77, 1042 [1043]. BGHZ 69, 82 [88] = BGH, NJW 77, 1916 [1917] = W M 77, 1042 [1043].

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1.3. Das Urteil als Aufgabe oder Ergänzung der vorangegangenen Rechtsprechung ? Betrachtet man die Entscheidung im Licht der bis dahin geforderten f,Tatbestandsvoraussetzungen H für eine vertragliche Drittschutzwirkung, 2 1 9 so wird deutlich, daß der BGH den bisher eingehaltenen Rahmen mit dem "Lastschrifturteil" nicht mit letzter Konsequenz verlassen wollte. a) Leistungsnähe Vom Gericht nicht explizit geprüft, aber evident gegeben, war die enge Beziehung des Lastschriftgläubigers zur Bearbeitung der Lastschrift im Rahmen des Giro Vertrages der beiden Banken. Die Zahlstelle sollte die Lastschrift letztendlich im Interesse des Einreichers einlösen, der mit dieser girovertraglichen Einzelleistung über den Vertragsgläubiger (erste Inkassostelle) "in Berührung kam". b) Schutz und Fürsorge M i t dem Erfordernis eines auf Gewährung von Schutz und Fürsorge ausgerichteten Innenverhältnisses zwischen Vertragsgläubiger und Drittem setzte sich der BGH nicht abschließend auseinander. Er stellte lediglich fest, daß "diese mehr an Individual Vereinbarungen entwickelten Grundsätze dessen, was insoweit nach Treu und Glauben zu gelten hat," hier angesichts der Massenhaftigkeit gleichartiger Vorgänge "unnötig eng" seien. 2 2 0 Er ließ damit offen, ob für individuelle Verträge weiterhin das "Wohl und Wehe"-Kriterium anzuwenden ist. Es war somit auch denkbar, daß die oben zitierte Vertrauenschutzformel 2 2 1 nur für eine neu geschaffene Fallgruppe vertraglichen Drittschutzes

219

Siehe oben, Seite 35. BGHZ 69, 82 [86] = BGH, NJW 77, 1916 = W M 77, 1042 [1043]. 1 Siehe Seite 57.

oon

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als Tatbestandsmerkmal an die Stelle des personenrechtlichen Innenverhältnisses treten sollte. c) Erkennbarkeit des Schutzinteresses beim Dritten Daß bei der Einziehung der Lastschrift eigene Interessen des Lastschrifteinreichers berührt wurden, war für die Zahlstelle "erkennbar und selbstverständlich". 222 d) Ergebnis Inwieweit das "Lastschrifturteil" die bisher gezogene Grenze für den Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter in Frage stellen sollte, ging nicht abschließend aus ihm hervor, da der BGH die Andersartigkeit des vorliegenden Falles besonders herausstellte und sich trotz der neuen Massengeschäftsformel auch in diesem Urteil durchaus noch an den alten Kriterien orientierte. Festzuhalten ist an dieser Stelle allerdings, daß der BGH den Boden für die Kongruenz dieses Urteils mit der bisherigen Rechtsprechung über einen doppelten Kunstgriff bereitete: 2 2 3 - erstens erklärte er die Verletzung einer Leistungspflicht (verspätete Rückgabe der Lastschrift) ohne nähere Begründung zu einer Schutzpflichtverletzung und - zweitens umging er die Begrenzungsklausel des LSA durch die Anknüpfung des Drittschutzes an den Girovertrag im Interbankenverhältnis. 2. Die weitere bankspezifische Rechtsprechung zum Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter Zeitlich kurz auf das "Lastschrifturteil" folgend, aber in offensichtlicher Unkenntnis desselben, erging ein Urteil des OLG Düs-

2 2 3

BGHZ 69, 82 [88] = BGH, NJW 77, 1916 [1917] = W M 77, 1042 [1043]. Vgl. Albrecht, 72.

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seldorf 2 2 4 zu einer vergleichbaren Fallkonstellation. Die beklagte Zahlstelle hatte im Einzugsermächtigungsverfahren eingereichte Lastschriften nach einem im Deckungsverhältnis zwar fristgerechten, jedoch im Valutaverhältnis materiell unberechtigten Widerspruch des Schuldners an die erste Inkassostelle zurückgegeben. Sie handelte dabei in Kenntnis eines daneben bestehenden Abbuchungsauftrags des Schuldners. Der Lastschriftgläubiger fiel mit den zugrundeliegenden Forderungen im anschließenden K o n kurs des Schuldners weitgehend aus und ging deshalb gegen die Zahlstelle vor. Nachdem das OLG festgestellt hatte, daß die Zahlstelle nicht verpflichtet gewesen wäre, beim Widerspruch gegen die im Einzugsermächtigungsverfahren eingereichten Lastschriften die Existenz eines Abbuchungsauftrags nachzuprüfen, kam es wegen der positiven Kenntnis der Bankangestellten von einem solchen A u f trag zum Ergebnis, daß die Bank die Rückbelastung nicht hätte veranlassen dürfen. Sie habe damit "Schutzpflichten verletzt, die sich zugunsten der Klägerin aus dem Vertrag der Beklagten mit der Bank der Zahlungsempfängerin auf der Grundlage des LSA ergaben". 225 Hatte das Gericht insoweit sprachlich noch zweiseitige Bankverträge und LSA getrennt und damit im Sinne des "Lastschrifturteils" der Begrenzungsklausel des LSA 2 2 6 Rechnung getragen, so verwischte es diese Abgrenzung im folgenden mit der mehrfach gebrauchten Formulierung des "Schutzbereichs des L S A " . 2 2 7 In der Revisionsentscheidung wies der BGH die geltend gemachten Schadensersatzansprüche als unbegründet zurück. 2 2 8 In den Schutzbereich der girovertraglichen Verbindung beider Banken seien nur solche Interessen des Lastschrifteinreichers einzubeziehen, die dem Inhalt des zugrundeliegenden Kundenauftrags entsprächen. Hier waren Lastschriften im Einzugsermächtigungs-

224

OLG Düsseldorf, Urteil vom 6.5.1977 (16 U 213/76), NJW 77, 1403; die Entscheidung wurde nicht rechtskräftig. ooc OLG Düsseldorf, NJW 77, 1403 [1404]. Abschnitt IV Nr.l des LSA in der damals gültigen Fassung vom 1.1.1964. 227

2 2 8

OLG Düsseldorf, NJW 77, 1403 [1404 - l.Sp.u. und r.Sp.o.]. BGH, NJW 79, 542 = W M 79, 194.

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verfahren eingereicht worden, das die dem Einreicher bekannte Möglichkeit des Schuldners zum Widerspruch beinhaltet. 229 Mithin könne "in diesen Einzugsermächtigungsauftrag nicht hineingedeutet werden, die Schuldnerbank müsse sich bei einem Widerspruch des Schuldners nach dem Abbuchungsauftragsverfahren verhalten, falls ihr ein Abbuchungsauftrag erteilt worden ist." Es sei "im vorliegenden Falle somit nur das aus dem Einzugsermächtigungsvermerk ersichtliche Interesse des Gläubigers weitergeleitet worden, nach dem Einzugsermächtigungsverfahren korrekt zu verfahren." Hiergegen habe die Beklagte nicht Verstössen. 230 Damit bestätigte der BGH das "Lastschrifturteil" in der Aussage, daß die bankinternen Giroverträge drittschützende Wirkung haben können, verneinte im konkreten Fall aber eine entsprechende Schutzpflicht der Zahlstelle. 2 3 1 A u f den Tag 19 Monate nach dem "Lastschrif tur teil" des BGH 2 3 2 behauptete das OLG Hamm 2 3 3 lapidar, daß dem Girovertrag zwischen den Überweisungsbanken keine Schutzwirkung zugunsten des Überweisenden zukommen könne, da die Bank nicht für das "Wohl und Wehe" ihres überweisenden Kunden verantwortlich sei. Eine Auseinandersetzung mit der neueren einschlägigen BGH-Rechtsprechung sucht der Leser vergebens. 1982 begann das "Lastschrifturteil" mit einer Entscheidung des 234 OLG Düsseldorf erstmals Früchte zu tragen: der Kläger hatte seiner Bank einen Überweisungsauftrag mit einem ausdrücklichen Hinweis darauf erteilt, daß die Gutschrift zur Vermeidung eines erheblichen Steuernachteils zu einem bestimmten Termin erfolgt

229 Abschnitt I I I des LS A in der damals gültigen Fassung vom 1.1.1964 und Ziffer 9 der Mustervereinbarung zwischen der ersten Inkassostelle und dem Zahlungsempfänger für den Einzug von Forderungen auf Grund von Lastschriften (Inkassovereinbarung). 2 3 0 BGH, NJW 79, 542 [544] = W M 79, 194 [196]. 231 An anderer Stelle lehnte der BGH eine Verpflichtung der ersten Inkassostelle gegenüber dem Lastschriftschuldner ab, bei der Einreichung von Lastschriften im Einzugsermächtigungsverfahren das Vorliegen einer Einzugsermächtigung im Valutaverhältnis nachzuprüfen (BGHZ 69, 186 = BGH, NJW 77, 2210 = BB 77, 1476). 232 Siehe oben, Seite 56, Fußnote 214. * ° OLG Hamm, W M 79, 342 (Urteil vom 28.09.1978 - 2 U 30/78). 2 3 4 OLG Düsseldorf, W M 82, 575.

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Die Entwicklung der Rechtsprechung

sein müsse. Die sofort als Blitzgiro an eine Zwischenbank (Girozentrale) weitergeleitete Überweisung wurde von dieser nur verstümmelt, d.h. ohne Angabe des Empfängers und dessen Kontonummer, an das kontoführende Institut übermittelt. Der angestrebte Gutschriftszeitpunkt konnte dadurch nicht gewahrt werden. Das OLG übertrug die vom BGH im "Lastschrifturteil" aufgestellten Grundsätze Punkt für Punkt auf den Überweisungsverkehr und kam zum Ergebnis, daß dem der Überweisung zugrundeliegenden Giroverhältnis zwischen Absenderbank und Girozentrale eine Schutzwirkung zugunsten des Überweisenden zumindest insoweit zukomme, daß "die Interessen des Kunden auf unverzügliche Weiterleitung zu wahren und dabei die Angaben zu übernehmen (sind), die von der erstbeauftragten Bank hinsichtlich des Überweisungsempfängers und dessen Konto gemacht worden sind." 2 3 5 Im Jahr darauf hatte das L G Dortmund 2 3 6 über einen dem "Lastschrifturteil" des BGH sehr ähnlichen Sachverhalt zu entscheiden: eine Vertreterin des Lastschriftschuldners war mit dem Direktor der Zahlstelle übereingekommen, alle künftig noch eingehenden Lastschriften ungeachtet ihrer materiellen Berechtigung innerhalb der zulässigen Fristen zurückzugeben. Die Lastschriften sollten zwar zunächst weiter belastet, später aber auf einen "pauschalen" Widerspruch hin insgesamt rückabgewickelt werden. Der Gläubiger räumte dem Schuldner wegen der scheinbar eingelösten ersten Lastschrift weitere vier Warenkredite ein, die wiederum über Lastschriften beglichen werden sollten. Nach der Erhebung des zwischen Zahlstelle und Lastschriftschuldner abgesprochenen Pauschal Widerspruchs wurden alle fünf Lastschriften zurückbelastet. Das L G sah in dieser Mitwirkung der Zahlstelle am M i ß brauch des Widerspruchsrechts im Einzugsermächtigungsverfahren eine Verletzung einer Schutzpflicht gegenüber dem Lastschriftgläubiger, die im Girovertrag zwischen Zahlstelle und erster Inkassostelle ihre Wurzeln habe. 2 3 7 Die Zahlstelle mußte dem Lieferanten den Schaden aus den im Vertrauen auf die Einlösung

Λ 2 3 6

2^7

OLG Düsseldorf, W M 82, 575 [577]. LG Dortmund, W M 85, 886. LG Dortmund, W M 85, 886 [887].

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der ersten Lastschrift gewährten vier Folgelieferungen ersetzen. Im Berufungsurteil des OLG Hamm 2 3 8 wurde das Rechtsmittel der verurteilten Bank zwar zurückgewiesen, von einer Schutzpflichtverletzung ging das OLG jedoch nicht mehr aus. Es stützte den Anspruch des Lastschriftgläubigers vielmehr voll auf die §§ 826, 830 BGB. Ein weiteres Jahr später knüpfte das OLG Frankfurt 2 3 9 an diese neue Rechtsprechung an. Der Entscheidung lag eine weisungswidrige Ausführung eines bankübergreifenden Überweisungsauftrages durch die Empfängerbank zugrunde. Unter Berufung auf zwei der zuvor genannten Urteile 2 4 0 sah das OLG im Girovertrag der beiden Banken eine Schutzwirkung zugunsten des Überweisenden. "Verbucht die Empfängerbank den überwiesenen Betrag nicht den Weisungen der überweisenden Bank und letztlich deren Kunden entsprechend, so besteht für die leistenden Kunden die Gefahr, daß ihr Anspruch auf Rückgewähr gegen den zu Unrecht begünstigten Empfänger (...) nicht mehr zu verwirklichen ist, beispielsweise, wenn dieser über das Geld verfügt hat und sodann in Konkurs fällt. Sie tragen das Risiko eines Vermögensverlustes des Empfängers, dem sie das Geld nicht zuwenden wollten. Diesen Vermögensinteressen der Kunden der überweisenden Bank hat die Empfängerbank Rechnung zu tragen." 2 4 1 1986 übertrug der BGH die Grundsätze des "Lastschrifturteils" auf das Scheckinkasso. 242 Das Auftragsverhältnis zwischen der Inkassobank und der beklagten Deutschen Bundesbank wirke zugunsten des Einreichers, "soweit es um die Verpflichtung der

2 3 8

OLG Hamm, W M 85, 888.

* " OLG Frankfurt, W M 84, 727 = DB 84, 1294. OLG Düsseldorf, W M 82, 575; BGHZ 69, 82 ("Lastschrift").

2 4 0

241

OLG Frankfurt, W M 84, 727 [728] = DB 84, 1294. 1986 Schloß sich das OLG München dieser Auffassung des OLG Frankfurt an (OLG München, W M 88, 373 = WuB I D 1.-3.88). BGHZ 96, 9 = BGH, NJW 86, 249.

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Beklagten geht, die Einzugspapiere so schnell wie möglich weiterzuleben". 243 Keine argumentativen Probleme hatte das OLG Düsseldorf in folgendem Urteil aus dem Jahr 1987: 2 4 4 "Verpflichtet sich eine Bank gegenüber einem Kunden, einen bestimmten auf einem Unterkonto eingehenden Teil eines Guthabens aus dem Weiterverkauf einer bestimmten Ware an den Lieferanten des Kunden zu überweisen, so wird der Lieferant nach den Grundsätzen der Rechtsprechung über Verträge mit Schutzwirkung zugunsten Dritter in den Schutzzweck des Vertrages zwischen der Bank und ihrem Kunden einbezogen." Dem Gericht bot sich die in diesem Bereich seltene Möglichkeit, seine Entscheidung vollständig auf eine ausdrückliche Individualvereinbarung der Bank mit deren Kunden aufzubauen. Neue Ufer betraten das L G Augsburg 2 4 5 und das OLG Frankf u r t , 2 4 6 als sie in der Zurückweisung einer Gutschrift, die aus von der Bank nicht zu vertretenden Gründen irrtümlich erfolgt war, eine Schutzwirkung zugunsten des von der beabsichtigten Rückabwicklung Begünstigten sahen. 247

249 BGHZ 96, 9 [17] = BGH, NJW 86, 249 [250]. Anzufügen bleibt ein anderes, weniger wichtiges Urteil: dem Kammergericht zufolge kann eine Bank bei der Annahme eines abhandengekommenen Verrechnungsschecks keine vertragliche Sorgfaltspflicht gegenüber dem Scheckaussteller verletzen, da sie den Scheck allein in der Eigenschaft als Teilnehmerin am Abrechnungsverkehr der Kreditinstitute entgegennimmt, und nicht weil sie aufgrund einer eventuell drittschützenden Vertragsbeziehung mit der Bank des Ausstellers dazu verpflichtet ist (KG Berlin, W M 80, 226). 2 4 4 OLG Düsseldorf, W M 1987, 1008 = WuB I D 1.-8.87 = NJW-RR 87, 1327; zitiert wird Leitsatz 1, Satz 1. O AC

LG Augsburg, W M 88, 1085 = WuB I D 1.-6.88. OLG Frankfurt, W M 88, 1439 = WuB I D 3.-6.88; siehe dazu Hadding/ Häuser, W M 89, 589. 247 Der Vollständigkeit halber sei hier auf drei Entscheidungen hingewiesen, die sich mit Klagen auf Rückerstattung von nach dem Tode des Rentenberechtigten weiterbezahlten Renten befassten (LG Hamburg, W M 81, 754; LG Frankfurt, W M 82, 1343; BGH, NJW 83, 1779 = W M 83, 410). Die Gerichte waren der einhelligen Ansicht, daß die Empfängerbanken gegenüber dem überweisenden Versicherer keinerlei Schutzpflicht traf, diesen vom Tode des Rentners zu informieren. Diese Frage beträfe das Valutaverhältnis, welches die Giroinstitute grundsätzlich nichts anginge.

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Die Einordnung der bankspezifischen Fälle in die Hauptbereiche der Drittschutzrechtsprechung Die genannten Urteile aus dem Bankbereich legten der Dritthaftung - ausgehend von der im "Lastsehr if tur teil" aufgestellten These des BGH 2 4 8 - eine Schutzpflichtverletzung der jeweils beklagten Bank zugrunde. Dies geht jedoch an den Tatsachen vorbei. Wird eine Lastschrift nicht eingelöst, obwohl alle rechtlichen Voraussetzungen dafür vorliegen, oder wird eine Überweisung weisungswidrig, verspätet oder gar nicht ausgeführt, so ist dies jeweils eine Schlecht- oder Nichterfüllung einer girovertraglich geschuldeten Leistung. Entsprechendes gilt für die verspätete Rückgabe nicht eingelöster Lastschriften und zurückgewiesener Überweisungsbeträge. Wird aus dieser Leistungspflichtverletzung über die Argumentationsbrücke der in jedem Vertrag enthaltenen Verpflichtung zur sorgfältigen Leistungserbringung eine Sorgfaltspflicht- und damit schließlich eine Schutzpflichtverletzung konstruiert, so ist dies in die Kategorie der juristischen "Kunstgriffe" einzuordnen, die die Grundlagen der Dritthaftung mehr verschleiern als erhellen. Da der BGH im "Testamentsfall" 2 4 9 schon dargestellt hatte, daß auch die Verletzung der vertraglichen Leistungspflichten zum unmittelbaren Schadensersatz gegenüber dem Dritten verpflichten kann, ist die Begründung des "Lastschrifturteils" nur damit zu erklären, daß sich das Gericht wegen der Begrenzungsklausel des LSA gezwungen gesehen hatte, eine von diesem Abkommen unabhängige Schutzpflicht zu "finden", um das erwünschte Ergebnis der Dritthaftung erzielen zu können. 2 5 0 Die weitere bankspezifische Rechtsprechung wurde aus dem "Lastschrifturteil" heraus entwickelt. Daher verwundert es nicht, daß die 1977 aus der Not geborene Argumentation bis

2 4 8

24Q

Siehe oben, Seite 56 f.

BGH, NJW 65, 1955 = JZ 66, 141; siehe oben, Seite 42. 2 5 0 Vgl. BGHZ 69, 82 [85] = BGH, NJW 77, 1916 = W M 77, 1042. Der Weg zur Drittschadensliquidation war wegen Abschnitt IV Nr.3 des LSA vom 1.1.1964 versperrt. 5 Hirth

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Die Entwicklung der Rechtsprechung

heute nicht berichtigt worden ist und auch der Wegfall des Ausschlusses der Drittschadensliquidation mit der Neufassung des LSA zum 1.1.1982 keine Beachtung f a n d . 2 5 1 Diese Haltung der Gerichte darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß der Ursprung der Drittschäden hier regelmäßig in der Verletzung einer Leistungspflicht der jeweiligen Bank (auch) im Verhältnis zu deren direktem Vertragspartner liegt und die Dritthaftung im Bankbereich somit grundsätzlich in die Fallgruppe der Verletzung vertraglicher Leistungspflichten einzuordnen ist. 2 5 2 3. Die weitere Entwicklung in den bisherigen Fallgruppen 5.7. Haftungsfreizeichnung

und Verjährungseinrede

Nach 1977 wurde lediglich noch ein Urteil zu dieser Fallgruppe veröffentlicht, in welchem dem Anspruchsgegner die Einbeziehung in den Schutz eines fremden Vertrages zugute k a m . 2 5 3 Da diese Entscheidung aus dem Jahr 1978 stammt und darüber hinaus eine in der Gesamtschau unbedeutende Randkorrektur b e t r i f f t , 2 5 4 liegt der Schluß nahe, daß die bis dahin in diesem Teilbereich von der Rechtsprechung verfolgte Linie in der Rechtspraxis und -lehre Anerkennung gefunden hatte und somit diesbezüglich kein Anlaß für neuerliche Vorstöße zu den oberen Gerichten gesehen wurde.

251 Die Streichung dieser Klausel wurde mit ihrer praktischen Wirkungslosigkeit begründet. Siehe: Hadding/Häuser, W M 1983 - Nr.l, 12 [m.w.N.]; Reiser, Bank 252 82, 381. Vgl. Gernhuber, Schuldverhältnis, 536; Canaris, BVR, Rn 741; Hüffer, ZHR 151 (1987), 112 f. * ° BGHZ 71, 175 = BGH, NJW 78, 1426. 254 Leitsatz 2 der Entscheidung lautet: "Auf die kurze Verjährung des § 558 BGB kann sich auch die vom Mieter gemäß dem Mietvertrag bestellte Aufsichtsperson berufen, die in den Schutzbereich des Vertrages einbezogen ist und vom Vermieter wegen Verletzung der Aufsichtspflicht (§ 832 Abs.2 BGB) in Anspruch genommen wird."

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3.2. Dritthaftung

nach einer Verletzung Leistung s ρfi ichten

vertraglicher

a) Dritthaftung für Rat, Auskunft und Gutachten Im Gegensatz zum eben Gesagten verlief die weitere Entwicklung in der Fallgruppe, die schlagwortartig "Berufshaftung" genannt werden könnte, 2 5 5 lebhaft. aa) Steuerberater, Wirtschaftsprüfer und sonstige

256

sachverständige Gutachter

Ausgangspunkt einer BGH-Entscheidung aus dem Jahr 1982 2 5 7 war das falsche Rechtsgutachten eines Steuerberaters. Dieser war von einer Kapitalgesellschaft eingeschaltet worden, "um die Gesellschafter vor den steuerlichen Folgen der Annahme einer verdeckten Gewinnausschüttung zu bewahren". Der BGH sah es als Aufgabe des Beauftragten an, "(auch) die steuerlichen Auswirkungen der vorgeschlagenen Maßnahmen auf die Gesellschafter zu prüfen. Bei einer solchen Fallgestaltung kann kein Zweifel darüber bestehen, daß die Gesellschafter in den Schutzbereich des Vertrages einbezogen sind". 2 5 8 Ein Jahr später erging ein Urteil des BGH, das wegen der darin enthaltenen Eigeninterpretation der bisherigen Rechtsprechung als bedeutendste Entscheidung der 80er Jahre zum Bereich der vertraglichen Drittwirkung bezeichnet werden kann: das Urteil zum 9 "Ertragswertgutachtenfall"™ Dort heißt es: "Der BGH hat (...)

255

256 Vgl. die oben auf Seite 41 in Fußnote 140 genannten Abhandlungen. Eine vertragliche Dritthaftung gerichtlicher Sachverständiger kommt nicht in Betracht, da dort nach ständiger Rechtsprechung kein privatrechtlich zu behandelnder Gutachtervertrag gegeben ist (vgl. stellvertretend aus neuester Zeit: OLG Düsseldorf, NJW 86, 2891, mit weiteren Nachweisen bis zurück in die 70er Jahre; kritisch hierzu: Wasner, NJW 86, 119). Ohne nennenswerte Bedeutung für die Rechtsprechungsentwicklung dieser Fallgruppe waren: BGH, NJW 86, 1050 = W M 85.2 1274; OLG Karlsruhe, NJW 86, 854; OLG Düsseldorf, NJW-RR 86, 522. 5 7 BGH, NJW 83, 1053. OKfi Zitate jeweils aus BGH, NJW 83, 1053 [1054]. 2 5 9 BGH, NJW 84, 355 = W M 84, 34 = JZ 84, 246.

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mehrfach bei der Entscheidung darüber, ob eine bestimmte Person in den Schutzbereich eines Vertrages einbezogen ist, darauf abgestellt, ob das Wohl und Wehe dieser Person dem Vertragspartner der schutzpflichtigen Partei anvertraut war (...). Diese Entscheidungen sind jedoch nicht dahin zu verstehen, daß der BGH ausschließlich unter diesen Voraussetzungen die rechtliche Zulässigkeit dieses Vertragstyps bejahen wollte. Sie betrafen vielmehr lediglich die Frage, unter welchen Voraussetzungen allein aufgrund der objektiven Interessenlage - d.h. also ohne einen konkreten Anhaltspunkt in ausdrücklichen Parteierklärungen oder im sonstigen Parteiverhalten - die stillschweigende Vereinbarung einer Schutzpflicht für Dritte anzunehmen ist". 2 6 0 "Die Vertragsparteien können (...) in beliebiger Weise bestimmen, welche Personen in den Schutzbereich des Vertrages einbezogen werden sollen; sie können den Schutzbereich auch auf solche Personen erstrecken, deren "Wohl und Wehe" keinem der Vertragspartner anvertraut i s t " . 2 6 1 In der Sache ging es um ein Sachverständigengutachten, das einen erheblich zu hohen Mietertrag eines Hauses auswies und als Grundlage für die Entscheidung über den Kauf dieses Hauses dienen sollte. Das Anwesen erwarb dann allerdings nicht der Auftraggeber des Gutachtens, sondern ein mit diesem nicht verbundener Dritter, dessen Kaufinteresse dem Sachverständigen bei der Begutachtung jedoch bekannt gewesen war. Als sich der Fehler herausstellte, wurde der Kauf rückgängig gemacht und der Dritte verlangte die entstandenen Kosten vom Gutachter. Über diesen Anspruch entschied der BGH nicht abschließend, sondern verwies den Fall nach dem eben zitierten Resümee der eigenen Rechtsprechung an das Berufungsgericht zurück. 2 6 2

2 6 0 2 6 1

262

BGH, NJW 84, 355 [356] = W M 84, 34 [35] = JZ 84, 246. BGH, NJW 84, 355 = W M 84, 34 [35].

Daß die Frage, ob ein auf Erstattung eines Wertgutachtens gerichteter Vertrag DrittWirkungen zeigt und wie weit diese ggf. gehen, sehr diffizile Züge annehmen kann, beweist ein weiterer Fall, der große Ähnlichkeit zum "Ertrags wert gutachtenfair besitzt und vom BGH sogar zweimal zur Neuverhandlung an das Berufungsgericht zurückverwiesen wurde: BGH, NJW 82, 2431 = W M 82, 762 sowie BGH, W M 85, 450 = JZ 85, 951 = NJW-RR 86, 484. Dabei sind die Ausführungen im zweiten Urteil bezüglich des möglichen Drittschutzes deckungsgleich mit denen im "Ertragswertgutachtenfair.

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1986 formulierte der BGH die allgemeine These, daß "die vertragsgemäß beabsichtigte Verwendung von Gutachten, Testaten und Auskünften als Kreditunterlage bei einem Dritten (...) geeignet (ist), Schutzwirkungen für den Dritten zu erzeugen". Dementsprechend maß das Gericht der vom Bankkunden bei einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft in Auftrag gegebenen Bonitätsauskunft Schutzwirkungen zugunsten der kreditgewährenden Bank bei. 2 6 3 A u f derselben Linie liegt die Entscheidung im "Zwischenbilanzfall'', 264 sowie ein neueres Urteil des OLG Frankfurt: 2 6 5 "Muß ein Sachverständiger damit rechnen, daß der Auftraggeber sein Verkehrswertgutachten zur Hypothekenkreditbeschaffung nutzen will, rechtfertigt sich in aller Regel die Auslegung des Gutachtervertrages dahin, daß von dem Gutachtenauftraggeber unter Vorlage des Sachverständigengutachtens um Hypothekendarlehen angegangene Kreditgeber in den Schutzbereich des Vertrags gewolltermaßen einbezogen sind (§ 328 BGB)." 2 6 6 Festzuhalten bleibt an dieser Stelle, daß der BGH nach 1987 in "gegen-

2 6 3

BGH, NJW-RR 86, 1307 = JZ 86, 1111 = W M 86, 711 = VersR 86, 814. BGH, NJW 87, 1758 mit Anm. Hopt, NJW 87, 1745; es handelte sich um die Haftung eines Steuerberaters für die inhaltlich unzutreffende Zwischenbilanz einer GmbH, die zur Kreditgrundlage geworden war. 265 OLG Frankfurt, W M 89, 810; zitiert wird der Leitsatz. Inhaltsgleich: OLG Karlsruhe, NJW-RR 90, 861. 266 2 6 4

Zur Frage, ob der Kreditgeber in den Schutzbereich des Vertrages des Kreditnehmers mit seinem Steuerberater einbezogen ist, nahm der BGH zuletzt Ende 1988 Stellung. In diesem speziellen Fall wurde die Drittwirkung abgelehnt, da der Fehler des Testates auf falschem Zahlenmaterial beruhte, für welches der Steuerberater im Gutachten keine Gewähr übernommen hatte (BGH, W M 89, 375 = NJWRR 89, 696 = VersR 89, 375). Ergänzend zu erwähnen bleibt OLG Köln, W M 85, 598, wo der geltend gemachte Vertragsanspruch daran scheiterte, daß eine Bank-zuBank-Auskunft nur dann drittschützende Wirkung entfalten kann, wenn dem Auskunftgeber deren Bestimmung zur Weiterreichung an Dritte erkennbar war (Anschluß an BGH, W M 76, 498 - siehe oben, Seite 43).

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läufigen Interessen" von Auftraggeber und Drittem kein drittschutzhinderndes Kriterium mehr sah. 2 6 7 Das OLG Schleswig verneinte 1987 eine Einbeziehung des Pferdekäufers in den Auftrag des Verkäufers an den Tierarzt, einen Befund über die Gesundheit des Tieres zu erstellen. 268 Wäre das Pferd zur Zeit der Untersuchung tatsächlich schon krank gewesen und das Gutachten damit unrichtig, so wäre das Tier bei der Übergabe mängelbehaftet gewesen und der Verkäufer hätte dafür gemäß §§ 492, 463 BGB einstehen müssen. Dann entfiele die Dritthaftung mangels Schutzbedürftigkeit des Käufers, weswegen der Arzt unabhängig vom Wahrheitsgehalt seines Testats nicht für den Schaden des Dritten einzustehen habe. bb) Rechtsanwälte

Im Bereich der Anwaltsverträge wurde ein vertraglicher Drittschutz gewährt, wenn gerade (auch) die Wahrung der Interessen des Dritten von der Beratung berührt wurden. So entschied das L G K ö l n , 2 6 9 daß den Kindern des Mandanten kein Schadensersatzanspruch gegen den Rechtsanwalt zusteht, wenn es dieser versäumt hat, seinen hochbetagten Vertragspartner auf die Möglichkeit der Erbausschlagung zugunsten seiner Nachkommen hinzuweisen und deshalb eine doppelte Erbschaftssteuerbelastung zu erwarten war. Das Drittinteresse habe "nicht in unmittelbarer

2 6 7 BGH, W M 89, 375 [376] = NJW-RR 89, 676 = VersR 89, 375 [376]; schon vor 1987 vertreten in: BGH, NJW 87, 1758 [1759] (in BGH, GmbHR 87, 463 noch als "Ausnahmefall" bezeichnet); BGH, NJW-RR 86, 1307 = W M 86, 711 = VersR 86, 814 [815]. Die letzte anders lautende Entscheidung war BGH, GmbHR 87, 463: "Der Vertrag zwischen Steuerberater und GmbH über die Erstellung des Jahresabschlusses hat keine Schutzwirkung zugunsten einzelner Konkursgläubiger. Der StB (...) steht auf der Seite seines Auftraggebers und hat (...) dessen Interessen wahrzunehmen. Ihn (...) den gegenläufigen Interessen der Gläubiger seines Auftraggebers zu verpflichten, liegt nicht im Sinne des Auftraggebers". Zum ursprünglichen Ansatz siehe oben, Seite 43. Am Rande erwähnt sei OLG Celle, NJW-RR 86, 1315, das in dem Auftrag des Mitglieds einer Grundstücksgemeinschaft an einen Steuerberater, eine die G rundstückseinkünfte betreffende Steuererklärung zu verfassen, Schutzwirkungen zugunsten der anderen Mitglieder der Grundstücksgemeinschaft sah. OLG Schleswig, VersR 87, 624 mit ablehnender Anmerkung von Kiel, VersR 87, 625. LG Köln, NJW 81, 351.

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Verbindung zum Auftrag" gestanden. 270 Auch BeratungsVerträge im Rahmen von Scheidungsfolgenvereinbarungen schützen nach Ansicht des OLG Düsseldorf nicht den jeweils anderen (geschiedenen) Ehegatten des Mandanten. 2 7 1 Das L G München 1 2 7 2 bezog jedoch die Tochter der Mandantin in den Schutz des Anwaltsvertrages ein, da dieser speziell darauf gerichtet war, ein von der Mutter vermietetes Haus zur weiteren Nutzung durch die Tochter räumen zu lassen. Dem OLG Hamm 2 7 3 zufolge entfaltet der auf eine Ehelichkeitsanf echtungsklage gerichtete Anwal tsvertrag Schutzwirkungen zugunsten der leiblichen Tochter des Mandanten, da nach "lebensnaher Betrachtung" durch die Klage auch deren erbrechtliche Position verbessert werden soll. Der BGH 2 7 4 verurteilte eine Anwaltssozietät zum Ersatz des Schadens einer GmbH, den diese bei ihrer Gründung wegen der Haftung für Altschulden aus § 25 Abs.l HGB erlitten hatte. Die GmbH war in den Schutzbereich des Anwaltsvertrages einbezogen, da gerade sie Gegenstand der Beratung der Gründungsgesellschafter war und das Ergebnis dieser Beratung unmittelbaren Einfluß auf Ihren Vermögensstand hatte. Ferner wurde der Ehefrau eines Mandanten ein Schadensersatzanspruch zugesprochen, da der Anwalt entgegen der Weisung des Ehemannes nicht dafür gesorgt hatte, daß bei der Aufhebung dessen Arbeitsverhältnisses die Ruhegehaltsansprüche - also auch die Witwenrente - ungekürzt erhalten blieben. 2 7 5 b) Haftung des Arztes gegenüber Nichtpatienten In der Berufung und Revision des oben schon dargestellten U r teiles des L G Freiburg 2 7 6 bestätigten das OLG Karlsruhe 2 7 7 und

07η 2 7 1

LG Köln, NJW 81, 351 [352]. OLG Düsseldorf, NJW-RR 86, 730.

L l L

LG München I, NJW 83, 1621. OLG Hamm, MDR 86, 1026.

2 7 4

BGH, W M 85, 1475. BGH, W M 87, 1520 = WuB IV A. § 328 BGB 1.88 = NJW 88, 200.

970 275 27fi

2 7 7 LG

Freiburg, NJW 77, 340 - siehe oben, Seite 44. OLG Karlsruhe, NJW 79, 599.

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der BGH 2 7 8 die Auffassung, daß ein Ehemann seinerseits durch den auf eine Sterilisation gerichteten Behandlungsvertrag der Ehefrau in seinen Vermögensinteressen geschützt w i r d . 2 7 9 Entsprechendes gilt für den Fall, daß eine vom Arzt schuldhaft nicht erkannte Rötelnerkrankung der Schwangeren zur Schädigung des Kindes führt und die Mutter sich bei Kenntnis der zu befürchtenden Mißbildung der Leibesfrucht einer (legalen) Abtreibung unterzogen hätte. Hier haftet der Arzt auch dem Ehemann (zumindest) für die durch die Behinderung bedingten Mehraufwendungen beim Unterhalt des Kindes. 2 8 0 Ende 1983 entschied der BGH ergänzend, daß sich der Drittschutz der Vermögensinteressen nicht in der Vermeidung der Mehraufwendungen infolge der Behinderung erschöpft, sondern die gesamte Unterhaltslast zu ersetzen ist, wenn diese bei korrekter Beratung durch den Arzt insgesamt nicht entstanden w ä r e 2 8 1 c) Dritthaftung des GmbH-Geschäftsführers Einen sehr speziellen Bereich des Drittschadensersatzes nach der Verletzung von Leistungspflichten eröffnete der BGH mit dem "Pubi ikums-KG-Fall" aus dem Jahr 1979: 2 8 2 "Liegt in einer Publikumsgesellschaft die wesentliche Aufgabe der Komplementär-GmbH in der Führung der Geschäfte der K G , so erstreckt sich der Schutzbereich des zwischen der GmbH und ihrem Geschäftsführer bestehenden Dienstverhältnisses hinsichtlich einer Haftung des letzteren aus § 43 Abs.2 GmbHG auch auf die K o m manditgesellschaft." 2 8 3 "Dem steht nicht entgegen, daß die Grundsätze über die Einbeziehung Dritter in den Schutzbereich

070 *2 7 9 BGHZ 76, 259 [262] = BGH, NJW 80, 1452 [1453]. Siehe ferner: OLG Celle, NJW 78, 1688. 280 Die Klage des Ehemannes beschränkte sich in diesem Fall auf den Mehraufwand (BGHZ 86, 240 [247] und [249]). 281 Hier hatte der Arzt eine prinzipiell angezeigte Fruchtwasseruntersuchung für entbehrlich erklärt, woraufhin der Mongolismus des Kindes unentdeckt blieb. Der BGH sah den Ehemann durch den Behandlungsvertrag der Ehefrau mitgeschützt (BGHZ 89, 95 [98], [104 f.]; Revision zu OLG München, VersR 81, 757). 2 8 2 BGHZ 75, 321 = BGH, NJW 80, 589. 1 .Leitsatz aus BGHZ 75, 321 = BGH, NJW 80, 589.

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eines Vertrages hauptsächlich im Zusammenhang mit der Verletzung von Fürsorge- und Obhutspflichten, also ausgesprochenen Nebenpflichten, entwickelt worden sind. Je nach Lage des Falles kann die Verpflichtung, um deren Verletzung willen der Schuldner einem Dritten haften soll, in einer weiteren oder engeren Beziehung zur vertraglichen Hauptleistung stehen oder sich sogar weitgehend mit dieser decken." 2 8 4 Schon im folgenden Jahr wurde diese Entscheidung ergänzt: "In einer GmbH & Co.KG, in der die wesentliche Aufgabe der Komplementär-GmbH in der Geschäftsführung für die K G besteht, ist die Schutzwirkung der Haftung eines Geschäftsführers aus seinem Dienstverhältnis zur GmbH auch dann auf die K G zu erstrecken, wenn es sich nicht um eine Publikumsgesellschaft handelt." 2 8 5 d) Dritthaftung des Bauunternehmers wegen mangelhafter Bauleistung In neuester Zeit beschäftigten sich die Gerichte auch mit der Frage, ob ein Bauunternehmer auf vertraglicher Basis für Schäden einzustehen hat, die dem Mieter seines Auftraggebers infolge mangelhafter Bauleistung entstehen. Das OLG Hamm kehrte dabei zu den Wurzeln des vertraglichen Drittschutzes zurück: "Die Lehre vom Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte ist von der Rechtsprechung entwickelt worden, um schutzwürdigen Personen einen vertraglichen Anspruch zu geben. Der Kläger ist hier aber nicht schutzwürdig." 2 8 6 In der Sache ging es um einen Mieter, der im Verhältnis zum Vermieter auf eventuelle Ansprüche wegen Mängeln der Mietsache weitgehend verzichtet hatte und nun zum Ersatz seines Schadens in den Schutzbereich des Bauvertrages des Vermieters mit einem der beteiligten Bauunternehmer einbezogen sein wollte. 2 8 7

Oft A

BGHZ 75, 321 [325 f.] = BGH, NJW 80, 589 [590 r.Sp.]. BGHZ 76, 326 = BGH, NJW 80, 1524; zitiert wird der 4.Leitsatz. Bestätigt wurde diese Rechtsprechung zuletzt 1987 in BGH, NJW 87, 2008. 2 8 6 OLG Hamm, NJW-RR 87, 725. 287 Vgl. ferner zur Frage der fehlenden Schutzbedürftigkeit: OLG Hamm, NJW-RR 87, 1109 [1110]. 2 8 5

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Auch der BGH 2 8 8 lehnte im Jahr 1990 Drittschadensersatzansprüche des Mieters ab: M Zum einen besteht für eine solche Einbeziehung kein Bedürfnis, weil die Mieter in dieser Hinsicht regelmäßig durch ihre vertraglichen Ansprüche gegen den Vermieter (§ 538 BGB) ausreichenden Schutz genießen. Zum zweiten würden bei anderer Betrachtung die vertraglichen Verpflichtungen des Bauunternehmers in einer für ihn unzumutbaren Weise ohne die Möglichkeit einer klaren, nach objektivierbaren Maßstäben vorzunehmenden Abgrenzung auf für ihn nicht erkennbare Risiken ausgedehnt." 2 8 9 Im Ergebnis konnte sich somit bisher kein Mieter mit Erfolg auf die Verletzung der Hauptleistungspflicht des Bauunternehmers aus dem Bauvertrag berufen. Einer neuen Fallgruppe vertraglicher Drittwirkung steht insoweit besonders das Kriterium der fehlenden Schutzbedürftigkeit des Dritten entgegen. 290 5.5. Dritthaftung nach einer Verletzung vertraglicher Schutzpflichten a) Fallgruppe Werkvertrag In einem den sogenannten "Stromkabelfällen" zugehörigen Urteil hatte der BGH 2 9 1 zu untersuchen, ob der Betriebsinhaber einen vertraglichen Schadensersatzanspruch aus dem Werkvertrag des bauenden Zweckverbandes gegen den ausführenden Bauunternehmer besitzt. Das Gericht lehnte einen solchen Anspruch unter

2 8 8 2 8 9

290

BGH, NJW-RR 90, 726. BGH, NJW-RR 90, 726 [727].

Gernhuber (Schuldverhältnis, 538) sieht in zwei neueren Entscheidungen des BGH zum Reisevertragsrecht (BGHZ 77, 117; BGH, NJW 83, 35) den Grundstein für eine weitere Fallgruppe des Drittschutzes bei Leistungspflichtverletzungen. Meines Erachtens ist diese Einschätzung zu voreilig, da es der BGH jeweils offen gelassen hatte, ob die eingeklagten Ansprüche nicht sogar unter dem Aspekt eines echten Vertrages zugunsten Dritter gerechtfertigt waren. Diese Zweispurigkeit der Entscheidungen schlug sich in vergleichsweise ungewöhnlichen Formulierungen nieder: den Klagen sei "zumindest unter dem Gesichtspunkt der Schutzwirkung des Vertrages für Dritte" (BGHZ 77, 116 [124]) bzw. "aus dem Gesichtspunkt der Schutzwirkung eines echten Vertrages zugunsten Dritter" (BGH, NJW 83, 35 [36]) stattzugeben. 5qi BGH, NJW 77, 2208.

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Hinweis auf das fehlende besondere Innenverhältnis zwischen Zweckverband und Betriebsinhaber ab. Läßt die Polizei verbotswidrig geparkte Autos abschleppen, so deutet das Verlangen der Ordnungsbehörde gegenüber dem Abschleppunternehmer, das Risiko von Abschleppschäden versicherungsmäßig abzudecken, entscheidend darauf hin, daß die Eigentümer der Kraftfahrzeuge in den Schutzbereich des jeweiligen Werkvertrages einbezogen werden sollen. 2 9 2 Das OLG Braunschweig entschied 1986: 2 9 3 "Sind Betriebsangehörige des Bestellers in den Schutzbereich des mit dem Hauptunternehmer geschlossenen Werkvertrags einbezogen, steht ihnen bei Einschaltung eines Subunternehmers gegen diesen ein vertraglicher Ersatzanspruch zu." b) Fallgruppe Dienstvertrag Einem Urteil des BAG zufolge sind die Bezugsberechtigten des Lebensversicherungsvertrages eines Arbeitnehmers in den Schutzbereich der Vereinbarung der Arbeitsvertragsparteien über die Abführung vermögenswirksamer Leistungen in der Form von Versicherungsbeiträgen einbezogen. 294 Einer eingehenderen Betrachtung bedarf eine Entscheidung des OLG München aus dem Jahr 1986, die zu einem verblüffenden Ergebnis gelangte: 2 9 5 "Der zwischen dem Veranstalter eines Kurzschulaufenthaltes und den Eltern für das minderjährige K i n d geschlossene Vertrag ist insgesamt als Dienstvertrag anzusehen, dem Schutzwirkung auch zugunsten der Eltern zukommt." Vertragspartner waren dort das K i n d (vertreten durch die Eltern) und der Reiseveranstalter. Die Eltern begehrten Ersatz der Beerdigungskosten des auf einer Bergtour verunglückten Sohnes und

2 9 2

BGH, NJW 78, 2502.

OLG Braunschweig, NJW-RR 86, 1314; zitiert wird der NJW-Leitsatz. Siehe ferner: BGH, W M 85, 1245 [1246] - Schutzwirkung eines Vertrags zwischen Firmenarbeitsgemeinschaft und Subunternehmer zugunsten eines vom Auftraggeber für dasselbe Projekt zusätzlich herangezogenen Unternehmers. 2Q4 * * BAG, NJW 82, 956. 2Q5 OLG München, NJW-RR 87, 370; zitiert wird der NJW-Leitsatz.

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bekamen diesen vom OLG auf vertraglicher Ebene zugesprochen. Deliktische Ansprüche waren vermutlich am Entlastungsbeweis gescheitert. 296 Da das Gericht entscheidend auf "das personenrechtliche Innenverhältnis" abstellte, ging es anscheinend (und damit sicherlich zutreffend) davon aus, daß weder ausdrückliche Abreden noch ein auf Drittschutz gerichtetes Parteiverhalten im Sinne der Grundsätze des "Ertragswertgutachtenfalls" gegeben waren. 2 9 7 Es versuchte deshalb, den oben 2 9 8 dargestellten Tatbestand vertraglichen Drittschutzes auszufüllen und von der damit nachgewiesenen "objektiven Interessenlage" 2 9 9 zur Drittwirkung zu gelangen. Daß die Eltern in ihren materiellen Interessen mit der Durchführung des Vertrages in Berührung kamen, zeigte sich daran, daß sie letztendlich durch das Fehlverhalten des Erfüllungsgehilfen des Reiseveranstalters einen Vermögensschaden erlitten (Beerdigungskosten). Ob diese Verknüpfung ihrer Vermögensinteressen mit dem Vertrag eng genug war, um dem Drittschutztatbestand Genüge zu tun, sei hier dahingestellt, denn richtigerweise hätte der Anspruch jedenfalls beim Punkt "Schutz und Fürsorge" verneint werden müssen. Die Rechtsprechung hatte dieses Kriterium immer im Sinne einer Schutzverpflichtung des Vertragsgläubigers gegenüber dem außenstehenden Dritten verstanden 3 0 0 und allein diese Beziehung als das "Innenverhältnis" bezeichnet. 301 Es hätte eigentlich außer Frage stehen müssen, daß der Sohn seinen Eltern gegenüber nicht im Sinne dieser Rechtsprechung fürsorgepflichtig gewesen war. Allerdings hatte sich das OLG offenbar nicht einmal vergegenwärtigt, auf welches Verhältnis des Beziehungsdreiecks es entscheidend ankommt,

296 Der abgedruckte Teil der Entscheidung steuerte zielstrebig Anwendung des § 278 BGB zu. 2 9 7 Vgl. BGH, NJW 84, 355 = W M 84, 34 [35]; siehe oben, Seite 67 f. 2 9 8 2 9 9 3 0 0

auf

die

Seite 35. Siehe BGH, NJW 84, 355 [356] = W M 84, 34 [35].

Vgl. nur den oben Seite 36, Fußnote 115 zitierten Teil der Rechtsprechung, sowie den "Ertrags wert gut achtenfair (BGH, JZ 84, 246 = NJW 84, 355 [356] = W M 84 34 [35]). ° U A Vgl. oben Seite 35 f.

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denn es stellte nacheinander für alle drei bestehenden Zweierbeziehungen einen "personenrechtlichen Einschlag" fest. 3 0 2 1987 fällte der BGH 3 0 3 ein Urteil, das erneut den Gesichtspunkt der Schutzbedürftigkeit in den Vordergrund stellte. Diesem Fall lag der Diebstahl eingelagerter Pelze zugrunde, die von einem Wachmann im Rahmen seines Arbeitsverhältnisses mit dem Lagerhalter zu bewachen gewesen waren. Der BGH verneinte eine Schutzwirkung dieses Arbeitsvertrages zugunsten der Eigentümer der eingelagerten Waren, da jene durch ihre vertraglichen Ansprüche gegen den Lagerbetrieb ausreichenden Schutz genossen. 3 0 4 Begibt sich eine schwangere Frau zur Entbindung in eine K l i nik, so verfolgt sie damit auch die Interessen des noch ungeborenen Kindes an Leben und Gesundheit, sodaß diesem ggf. vertragliche Schadensersatzansprüche zustehen, egal ob es vor oder nach Beendigung der Geburt geschädigt w i r d . 3 0 5 c) Fallgruppe Mietvertrag

306

Auch im mietvertraglichen Bereich begann der BGH, die Frage der Schutzbedürftigkeit des anspruchstellenden Dritten zu betonen. Er bestätigte 1978 3 0 7 die vom OLG Celle 1975 3 0 8 geäußerte Auffassung, daß der Untermieter nicht vertraglich gegen den

302 Kein reiner Dienstvertrag lag einem älteren Urteil des OLG München zugrunde (OLG München, VersR 79, 747). Dort wurde ein Kind von seiner gesetzlichen Vertreterin zu einem Jugendlageraufenthalt angemeldet, bei dessen Durchführung es durch mangelnde Aufsicht zu Schaden kam. Das Gericht sprach dem Unterbringungs- und Betreuungsvertrag Schutzwirkungen zugunsten des Kindes zu. Vgl. ferner: BGH, NJW 80, 1745 - Internatsvertrag mit Schutzwirkung zugunsten des Schülers. BGH, NJW 87, 2510 = W M 87, 1135 = JZ 87, 1087. 3 0 4 305

BGH, NJW 87, 2510ι [2511] = W M 87, 1135 f. = JZ 87, 1087. » » ι

OLG Düsseldorf, NJW 86, 2373. Zur Schutzwirkung des Vertrages zwischen oni Krankenkasse und Arzt siehe: BGH, NJW 86, 2364. Siehe ferner: AG Wermelskirchen, MDR 88, 407 - Saalleihe mit Schutzwirkung zugunsten der Saalbenutzer. 3