Beten denken: Studien zur religionsphilosophischen Gebetslehre Richard Schaefflers 9783495808290, 9783495487037


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Table of contents :
Inhalt
Vorwort
1 Einleitung
1.1 Zur Hinführung
1.2 Zur Forschungslage
1.3 Zu Struktur und Inhalt der Arbeit
Erster Teil: Methodischer Ansatz und Quellen der Gebetslehre Schaefflers
2 Die Methoden der Religionsphilosophie Schaefflers
2.1 Der transzendentalphilosophische Ansatz: Ausbau und Grenzen des kantischen Systems
2.1.1 Transzendentales Denken und die Gottesfrage – drei Etappen
2.1.2 Die dialogische Erfahrungslehre und das »Gottespostulat«
2.1.3 Transzendentale Vernunftpostulate und religiöse Erfahrung
2.2 Der phänomenologische Ansatz: Das Heilige denken
2.2.1 Die Unverfügbarkeit des Religiösen
2.2.2 Phänomenologie des Gebetes nach Max Scheler und Friedrich Heiler
2.2.3 Chancen und Grenzen der religionsphänomenologischen Methode
2.3 Der sprachphilosophische Ansatz: Religiöse Sprache nach dem »linguistic turn«
2.3.1 Der Sinnlosigkeitsverdacht gegenüber religiöser Sprache
2.3.2 Das religiöse Sprachspiel zwischen Anarchie, Autarkie und Autonomie
2.3.3 Noch ein »turn«: Die transzendentale Wende der Sprachphilosophie
2.4 Schaefflers religionsphilosophische Methodenkombination
2.4.1 Gründe für eine Methodenkombination
2.4.2 Kritik der Methodenkombination
3 Die Bedeutung der Religionsphilosophie Hermann Cohens für Schaefflers Gebetslehre
3.1 Die Religionsphilosophie Hermann Cohens
3.1.1 Cohens Philosophie auf dem Weg zur »Religion der Vernunft«
3.1.2 »Korrelation«: Der Zentralbegriff der Religionsphilosophie Cohens
3.1.3 Die Bedeutung des Gebetes in Cohens Religionsphilosophie
3.1.4 Abkehr vom Idealismus? Die Streitfrage der Cohen-Forschung
3.2 Schaefflers Cohenrezeption und ihre Bedeutung für seine Gebetslehre
3.2.1 Die »Resonanzbeziehung« zwischen Kant und dem Judentum – oder: Schaefflers Interesse an Cohen
3.2.2 »Dialektik der praktischen Vernunft« – oder: Das kantische Fundament in Schaefflers Religionsphilosophie
3.2.3 Gebot und Gebet als dialogische Sprachhandlung
3.2.4 Zusammenfassung: Hermann Cohen und Richard Schaeffler
Zweiter Teil: Philosophische Einübung in die Gebetslehre
4 Gebet als Eintritt des Menschen in die Korrelation mit Gott
4.1 Vorbemerkungen
4.1.1 Das Gebet zwischen Sprechen und Schweigen
4.1.2 Die Teildisziplinen der Semiotik und die Wahrheitsfrage
4.1.3 Das Untersuchungsfeld: Gruß, Namensanrufung und Erzählsequenz
4.1.4 Zur gewählten Form der Systematisierung
4.2. Die sprachphilosophische Analyse
4.2.1 Die pragmatische Betrachtung
Der Gruß in der Alltagssprache und als religiöse Sprachhandlung
Die Namensnennung im Alltag und die »acclamatio nominis Dei«
Der Übergang von Gruß und Namensnennung zum Erzählakt
Die öffentliche und gemeinschaftliche Namensnennung
4.2.2 Die grammatische Betrachtung
Der Gruß und die grammatische Form der Kausativ-Akklamation
Die Benennung und die grammatische Form des Partizipialnamens
Die Verknüpfung von Gruß und Benennung und die Partizipialform des Kausativs
Die öffentliche und gemeinschaftliche Namensnennung und der Gebrauch von Possessivpronomina
4.2.3 Die semantische Betrachtung
Die religiöse Interpretation der Kausalkategorie
Die religiöse Interpretation der Substanzkategorie
Die religiöse Interpretation der Einheit der Zeit und der Welt
Die religiöse Interpretation der Einheit des Ich
4.2.4 Zusammenfassung und Ausblick
4.3 Die transzendentale Analyse
4.3.1 Das Problem der Kohärenz der Welt
4.3.2 Die Konstitution des Subjekts und die Identität des Beters
4.3.3 Die transzendentale Funktion des Erzählens und das Geschichtsverständnis des Beters
4.4 Die verschiedenen Gebetsmodi aus dem Akt des Erzählens
4.4.1 Das Lobgebet und der Zusammenhang von Dank und Klage
4.4.2 Die Problematik des Bittgebetes
4.5 Der Gottesbegriff des Beters
4.6 Der Name Gottes
4.6.1 Namensanrufung als zirkulärer Akt
4.6.2 »Einung«, »Heiligung« und »Segnung« des göttlichen Namens
5 Doxologie als Antwort des Menschen auf die Herrlichkeit Gottes
5.1 Hinführung: Gebet als Homologie und Doxologie
5.2 Doxologie als Dialog mit der je größeren Herrlichkeit Gottes
5.2.1 Erfahrung in Sprache: Das Verbum Mentis
5.2.2 Gegenstandsfähigkeit, Wahrheitsfähigkeit und objektive Geltung religiöser Erfahrung
5.2.3 Die doxologische Antwort zwischen Selbstgespräch und Verstummen
5.2.4 Das allegorische Bedeutungsmoment der religiösen Erfahrung
5.3 Die gebetstheologische Entfaltung des Doxologiebegriffs
6 »Lasst uns gemeinsam seinen Namen rühmen« (Ps 34,4) – Die intersubjektive Dimension des Gebetes
6.1. Vorbemerkungen
6.2 Die Gebetsgemeinschaft aus sprachphilosophischer Perspektive
6.2.1 Namensanrufung und Intersubjektivität
6.2.2 Gebet und Institution
6.3 Die doxologische Erzähl- und Überlieferungsgemeinschaft
6.3.1 »Der Glaube kommt vom Hören« – oder: Die Exteriorität des Wortes
6.3.2 Die religiöse Gemeinschaft als Erzählgemeinschaft
6.3.3 Die doxologische Wechselrede und der Zusammenhang von Doxologie und Oikodomé
6.3.4 Die doxologische Überlieferungsgemeinschaft und die Notwendigkeit von Tradition und Institution
6.4 Beten lernen: Anleitung zur Sprachfähigkeit in der Gemeinde
6.4.1 Der »Dienst am Wort« in der kirchlichen Überlieferungsgemeinschaft
6.4.2 Die oikodometischen Dienste im Überblick
6.4.3 Der Sprachlehrer des Gebets
6.4.4 Der Vorbeter und der Fürbitter
6.4.5 Der Lesemeister heiliger Erzählungen
6.4.6 Überleitung: Der Philosoph – ein fremdsprachlicher Sprachlehrer?
7 »Sprechen zu Gott, von Gott oder über Gott?« – Das Gebet im Verhältnis zu Theologie und Philosophie
7.1 Problemexposition: Von der Dreisprachigkeit der Gottesrede
7.2 Das Wort »Gott« in der Primärsprache der Religion
7.2.1 »Gott« als Name – »Gott« als Prädikat
7.2.2 »Gott« im Selbstverständnis religiöser Rede
7.3 Religiöse Gottesrede und Theo-logie
7.3.1 Die Selbstgefährdung der religiösen und biblischen Rede von Gott
7.3.2 Die Entstehung der Theologie aus einem Bedürfnis der religiösen Rede
7.3.3 Die Aufgabe der Theologie
7.3.4 Die Sprache der Theologie
7.3.5 Theologische und religiöse Gottesrede – ein ungleiches Wechselverhältnis
7.4 Gebet und Philosophie: Der angerufene oder der begriffene Gott?
7.4.1 Hinführung und Schärfung des Problembewusstseins
7.4.2 Gründe für die philosophische Gottesrede
7.4.3 Religiöse Gründe für die Notwendigkeit philosophischer Gottesrede
7.4.4 Schaefflers Religionsphilosophie im Spannungsfeld zwischen religiöser und philosophischer Gottesrede
Dritter Teil: Theologische Erprobung der Gebetslehre Schaefflers
8 Zusammenschau und theologische Rückfragen
8.1 Kurze Zusammenschau der Gebetslehre Schaefflers
8.2 Rückfragen aus theologischer Perspektive
8.2.1 Das fehlende Bittgebet?
8.2.2 Zwei Gebetslehren? Zum Verhältnis von »acclamatio« und »Doxologie«
9 Im Gespräch: Der personale Gott
9.1 Mit Gott auf Du und Du? Kritik des personalen Gottes
9.2 Personalität Gottes in Schaefflers Spätwerk
9.3 Gott höchst persönlich
10 Epilog: »Beten denken« zwischen transzendentalem und dialogischem Paradigma
10.1 Die Alternative? Das Gebet im »neuen Denken«
10.2 Transzendentale Dialogik: Das Denken des Unausdenklichen
Abkürzungen
Literaturverzeichnis
1. Hilfsmittel
2. Literatur von Richard Schaeffler
Festschriften
Bibliographie
3. Weitere Literatur
Namenregister
Bibelstellenregister
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Beten denken: Studien zur religionsphilosophischen Gebetslehre Richard Schaefflers
 9783495808290, 9783495487037

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SCIENTIA

RELIGIO

Stefan Walser

Beten denken Studien zur religionsphilosophischen Gebetslehre Richard Schaefflers

VERLAG KARL ALBER

https://doi.org/10.5771/9783495808290

.

B

Stefan Walser Beten denken

VERLAG KARL ALBER

A

https://doi.org/10.5771/9783495808290 .

SCI EN T IA

REL I G IO

Band 13

Herausgegeben von Markus Enders und Bernhard Uhde Wissenschaftlicher Beirat Peter Antes, Reinhold Bernhardt, Hermann Deuser, Burkhard Gladigow, Klaus Otte, Hubert Seiwert und Reiner Wimmer

https://doi.org/10.5771/9783495808290 .

Stefan Walser

Beten denken Studien zur religionsphilosophischen Gebetslehre Richard Schaefflers

Verlag Karl Alber Freiburg / München

https://doi.org/10.5771/9783495808290 .

Originalausgabe © VERLAG KARL ALBER in der Verlag Herder GmbH, Freiburg / München 2015 Alle Rechte vorbehalten www.verlag-alber.de Satz und PDF-E-Book: SatzWeise GmbH, Trier ISBN (Buch) 978-3-495-48703-7 ISBN (PDF-E-Book) 978-3-495-80829-0

https://doi.org/10.5771/9783495808290 .

Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

11

1

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

13

1.1 Zur Hinführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

13

1.2 Zur Forschungslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

16

1.3 Zu Struktur und Inhalt der Arbeit . . . . . . . . . . . . .

23

Erster Teil Methodischer Ansatz und Quellen der Gebetslehre Schaefflers 2

Die Methoden der Religionsphilosophie Schaefflers . . . .

2.1 Der transzendentalphilosophische Ansatz: Ausbau und Grenzen des kantischen Systems . . . . . . . . . . . . 2.1.1 Transzendentales Denken und die Gottesfrage – drei Etappen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2 Die dialogische Erfahrungslehre und das »Gottespostulat« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.3 Transzendentale Vernunftpostulate und religiöse Erfahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

30

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30

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30

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36

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41

2.2 Der phänomenologische Ansatz: Das Heilige denken . . . 2.2.1 Die Unverfügbarkeit des Religiösen . . . . . . . . 2.2.2 Phänomeologie des Gebetes nach Max Scheler und Friedrich Heiler . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.3 Chancen und Grenzen der religionsphänomenologischen Methode . . . . . . . . . . . . . . . . .

45 45

2.3 Der sprachphilosophische Ansatz: Religiöse Sprache nach dem »linguistic turn« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1 Der Sinnlosigkeitsverdacht gegenüber religiöser Sprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Beten denken

48 53 61 62

A https://doi.org/10.5771/9783495808290 .

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Inhalt

2.3.2 Das religiöse Sprachspiel zwischen Anarchie, Autarkie und Autonomie . . . . . . . . . . . . . 2.3.3 Noch ein »turn«: Die transzendentale Wende der Sprachphilosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Schaefflers religionsphilosophische Methodenkombination . 2.4.1 Gründe für eine Methodenkombination . . . . . . 2.4.2 Kritik der Methodenkombination . . . . . . . . . 3

Die Bedeutung der Religionsphilosophie Hermann Cohens für Schaefflers Gebetslehre . . . . . . . . . . . . . . . .

3.1 Die Religionsphilosophie Hermann Cohens . . . . . . . . 3.1.1 Cohens Philosophie auf dem Weg zur »Religion der Vernunft« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2 »Korrelation«: Der Zentralbegriff der Religionsphilosophie Cohens . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.3 Die Bedeutung des Gebetes in Cohens Religionsphilosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.4 Abkehr vom Idealismus? Die Streitfrage der Cohen-Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Schaefflers Cohenrezeption und ihre Bedeutung für seine Gebetslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1 Die »Resonanzbeziehung« zwischen Kant und dem Judentum – oder: Schaefflers Interesse an Cohen . 3.2.2 »Dialektik der praktischen Vernunft« – oder: Das kantische Fundament in Schaefflers Religionsphilosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.3 Gebot und Gebet als dialogische Sprachhandlung . 3.2.4 Zusammenfassung: Hermann Cohen und Richard Schaeffler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

68 73 76 76 81

86 86 86 91 96 103 108 108

112 120 126

Zweiter Teil Philosophische Einübung in die Gebetslehre 4

6

Gebet als Eintritt des Menschen in die Korrelation mit Gott

132

4.1 Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.1 Das Gebet zwischen Sprechen und Schweigen . . . 4.1.2 Die Teildisziplinen der Semiotik und die Wahrheitsfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

132 132

SCIENTIA

RELIGIO

136

Stefan Walser https://doi.org/10.5771/9783495808290 .

Inhalt

4.1.3 Das Untersuchungsfeld: Gruß, Namensanrufung und Erzählsequenz . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.4 Zur gewählten Form der Systematisierung . . . . 4.2 Die sprachphilosophische Analyse . . . . . . . . . . . . . 4.2.1 Die pragmatische Betrachtung . . . . . . . . . . . Der Gruß in der Alltagssprache und als religiöse Sprachhandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Namensnennung im Alltag und die »acclamatio nominis Dei« . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Übergang von Gruß und Namensnennung zum Erzählakt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die öffentliche und gemeinschaftliche Namensnennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2 Die grammatische Betrachtung . . . . . . . . . . Der Gruß und die grammatische Form der Kausativ-Akklamation . . . . . . . . . . . . . . . . Die Benennung und die grammatische Form des Partizipialnamens . . . . . . . . . . . . . . . . Die Verknüpfung von Gruß und Benennung und die Partizipialform des Kausativs . . . . . . . . Die öffentliche und gemeinschaftliche Namensnennung und der Gebrauch von Possessivpronomina 4.2.3 Die semantische Betrachtung . . . . . . . . . . . Die religiöse Interpretation der Kausalkategorie . . Die religiöse Interpretation der Substanzkategorie . Die religiöse Interpretation der Einheit der Zeit und der Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die religiöse Interpretation der Einheit des Ich . . 4.2.4 Zusammenfassung und Ausblick . . . . . . . . . .

140 141 144 144 144 145 148 152 153 154 156 159 161 166 166 168 168 170 171

4.3 Die transzendentale Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.1 Das Problem der Kohärenz der Welt . . . . . . . . 4.3.2 Die Konstitution des Subjekts und die Identität des Beters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.3 Die transzendentale Funktion des Erzählens und das Geschichtsverständnis des Beters . . . . . . . . .

173 173

4.4 Die verschiedenen Gebetsmodi aus dem Akt des Erzählens 4.4.1 Das Lobgebet und der Zusammenhang von Dank und Klage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.2 Die Problematik des Bittgebetes . . . . . . . . . .

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Beten denken

181 196

211 218 A

https://doi.org/10.5771/9783495808290 .

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Inhalt

4.5 Der Gottesbegriff des Beters . . . . . . . . . . . . . . .

226

4.6 Der Name Gottes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.6.1 Namensanrufung als zirkulärer Akt . . . . . . . . 4.6.2 Einung, Heiligung und Segnung des göttlichen Namens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

234 234

5

Doxologie als Antwort des Menschen auf die Herrlichkeit Gottes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

245

5.1 Hinführung: Gebet als Homologie und Doxologie . . . . .

245

5.2 Doxologie als Dialog mit der je größeren Herrlichkeit Gottes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.1 Erfahrung in Sprache: Das Verbum Mentis . . . . 5.2.2 Gegenstandsfähigkeit, Wahrheitsfähigkeit und objektive Geltung religiöser Erfahrung . . . . . . 5.2.3 Die doxologische Antwort zwischen Selbstgespräch und Verstummen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.4 Das allegorische Bedeutungsmoment der religiösen Erfahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 Die gebetstheologische Entfaltung des Doxologiebegriffs

251 251 257 264 268

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276

»Lasst uns gemeinsam seinen Namen rühmen« – Die intersubjektive Dimension des Gebetes . . . . . . . . . .

283

6.1 Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

283

6.2 Die Gebetsgemeinschaft aus sprachphilosophischer Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.1 Namensanrufung und Intersubjektivität . . . . . . 6.2.2 Gebet und Institution . . . . . . . . . . . . . . .

285 285 288

6

6.3 Die doxologische Erzähl- und Überlieferungsgemeinschaft . 6.3.1 »Der Glaube kommt vom Hören« – oder: Die Exteriorität des Wortes . . . . . . . . . . . . 6.3.2 Die religiöse Gemeinschaft als Erzählgemeinschaft . 6.3.3 Die doxologische Wechselrede und der Zusammenhang von Doxologie und Oikodomé . . . . . . . . 6.3.4 Die doxologische Überlieferungsgemeinschaft und die Notwendigkeit von Tradition und Institution .

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SCIENTIA

RELIGIO

293 293 296 299 306

Stefan Walser https://doi.org/10.5771/9783495808290 .

Inhalt

6.4 Beten lernen: Anleitung zur Sprachfähigkeit in der Gemeinde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.1 Der »Dienst am Wort« in der kirchlichen Überlieferungsgemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.2 Die oikodometischen Dienste im Überblick . . . . 6.4.3 Der Sprachlehrer des Gebets . . . . . . . . . . . . 6.4.4 Der Vorbeter und der Fürbitter . . . . . . . . . . 6.4.5 Der Lesemeister heiliger Erzählungen . . . . . . . 6.4.6 Überleitung: Der Philosoph – ein fremdsprachlicher Sprachlehrer? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

312 312 316 318 321 325 329

»Sprechen zu Gott, von Gott oder über Gott?« – das Gebet im Verhältnis zu Theologie und Philosophie . . .

331

7.1 Problemexposition: Von der Dreisprachigkeit der Gottesrede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

331

7.2 Das Wort »Gott« in der Primärsprache der Religion . . . 7.2.1 »Gott« als Name – »Gott« als Prädikat . . . . . . . 7.2.2 »Gott« im Selbstverständnis religiöser Rede . . . .

339 339 342

7.3 Religiöse Gottesrede und Theo-logie . . . . . . . . . . . 7.3.1 Die Selbstgefährdung der religiösen und biblischen Rede von Gott . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3.2 Die Entstehung der Theologie aus einem Bedürfnis der religiösen Rede . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3.3 Die Aufgabe der Theologie . . . . . . . . . . . . . 7.3.4 Die Sprache der Theologie . . . . . . . . . . . . . 7.3.5 Theologische und religiöse Gottesrede – ein ungleiches Wechselverhältnis . . . . . . . . .

351

7.4 Gebet und Philosophie: Der angerufene oder der begriffene Gott? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.4.1 Hinführung und Schärfung des Problembewusstseins . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.4.2 Gründe für die philosophische Gottesrede . . . . . 7.4.3 Religiöse Gründe für die Notwendigkeit philosophische Gottesrede . . . . . . . . . . . . . . . . 7.4.4 Schaefflers Religionsphilosophie im Spannungsfeld zwischen religiöser und philosophischer Gottesrede

Beten denken

353 355 358 362 366 368 368 372 375 379

A https://doi.org/10.5771/9783495808290 .

9

Inhalt

Dritter Teil Theologische Erprobung der Gebetslehre Schaefflers 8

Zusammenschau und theologische Rückfragen . . . . . . .

388

8.1 Kurze Zusammenschau der Gebetslehre Schaefflers . . . .

388

8.2 Rückfragen aus theologischer Perspektive . . . . . . . . . 8.2.1 Das fehlende Bittgebet? . . . . . . . . . . . . . . 8.2.2 Zwei Gebetslehren? Zum Verhältnis von »acclamatio« und »Doxologie« . . . . . . . . . . .

393 394

9

Im Gespräch: Der personale Gott . . . . . . . . . . . . .

414

9.1 Mit Gott auf Du und Du? Kritik des personalen Gottes . .

414

9.2 Personalität Gottes in Schaefflers Spätwerk . . . . . . . .

421

9.3 Gott höchst persönlich . . . . . . . . . . . . . . . . . .

432

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Epilog: »Beten denken« zwischen transzendentalem und dialogischem Paradigma . . . . . . . . . . . . . . . . . .

10.1 Die Alternative? Das Gebet im »neuen Denken«

10

405

447

. . . . .

447

10.2 Transzendentale Dialogik: Das Denken des Unausdenklichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

452

Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

462

Literaturverzeichnis

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463

Namenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

493

Bibelstellenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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SCIENTIA

RELIGIO

Stefan Walser https://doi.org/10.5771/9783495808290 .

Vorwort

Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2013 von der Katholisch-Theologischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster als Dissertation angenommen und für die Veröffentlichung geringfügig gekürzt. Mein erster Dank gilt Prof. Dr. Jürgen Werbick. Schon früh in meinem Studium wurde ich durch ihn für die Fundamentaltheologie begeistert. Viele Semester lang durfte ich seine theologischen Denkwege mitgehen und von ihm lernen. Er wurde mir zu einem Doktorvater, der diesen Namen verdient. Die Mühe des Zweitgutachtens hat Prof. Dr. Andreas U. Müller dankenswerterweise auf sich genommen. Es war ein Glücksfall für meine Arbeit, zum »Forschungsobjekt« selbst in Kontakt treten zu können. Prof. Dr. Dr. h. c. Richard Schaeffler hat meine Fragen nicht nur hilfsbereit beantwortet, sondern meine Rezeptionsarbeit mit großem Interesse verfolgt, ohne deren Ergebnis je beeinflussen zu wollen. Ich bin überzeugt, dass hinter dieser vornehmen Haltung die Verinnerlichung seines dialogischhermeneutischen Verständnisses steht: die Möglichkeit, dass der Rezipient »mehr und anderes« herausliest, als der Autor hineingelegt hat, und dass Lernen auch noch im Widerspruch geschieht. Mein herzlicher Dank gilt den Mitarbeiterinnen der Provinzbibliothek der Kapuziner in Münster und den verlässlichen Korrektoren Kristina Walser, Dr. Clive-Steven Curran sowie Frau Prof. Dr. Edeltraud Bülow, deren sprachwissenschaftliche Fachkenntnis mir sehr nützlich war. Viele Mitbrüder aus dem Kapuzinerorden haben mich während der Promotionszeit sehr unterstützt. Namentlich danken möchte ich Prof. P. Dr. Ludger Ägidius Schulte OFMCap, dem das Zustandekommen und das Zuendebringen dieser Arbeit ein großes Anliegen war. Mein theologisch-philosophisches Nachdenken über das Beten wurde häufig vom Läuten zur Gebetszeit unterbrochen. Ich bin sicher, dies war nicht zum Nachteil. Für diese kreative Unterbrechung und für Beten denken

A https://doi.org/10.5771/9783495808290 .

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Vorwort

andere positive Ablenkungen danke ich meiner Brüder- und Gebetsgemeinschaft in Münster von Herzen. Prof. Dr. Dr. Markus Enders und Prof. Dr. Dr. Bernhard Uhde danke ich für die Aufnahme meiner Arbeit in die Reihe »Scientia & Religio« sowie Herrn Lukas Trabert und Herrn Florian Schoop vom Verlag Karl Alber für die sehr angenehme Zusammenarbeit. Widmen möchte ich dieses Buch meinen Eltern, die alle bisherigen Projekte meines Lebens mit Unterstützung und großem Vertrauen begleitet haben. München, am Fest der Erscheinung des Herrn 2015 Br. Stefan Walser OFMCap

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SCIENTIA

RELIGIO

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1 Einleitung

1.1 Zur Hinführung »Beten ist in der Religion, was Denken in der Philosophie ist«, so schreibt der romantische Dichter Novalis. 1 Beten und Denken – zwei menschliche Grundakte, doch zwei grundverschiedene Akte. Wer denken kann, wer sich seines Verstandes bedient und die Welt bis in ihre innersten Wirkungszusammenhänge zu ergründen vermag, dem scheint das Beten überflüssig. Wenn Menschen sich dennoch dem Gebet widmen, so tun sie dies vermutlich in der Erwartung, dass ihnen hier etwas erfahrbar und zugänglich wird, das mit dem Denken nicht mehr zu erreichen ist – etwas, das jenseits der menschlichen Vernunft anzusiedeln ist. Geht es nicht in den verschiedenen Schulen des Betens und der Meditation genau darum: das Denken abzuschütteln und mit ihm seine Fesseln, die Sprache? »Beten denken« – so lautet der Titel dieser Arbeit. Wer würde dies wollen: Beten denken? Was sorgt sich ein aufgeklärter Denker um die Glaubenspraxis der Betenden? Und welche Beterin 2, welcher Beter hat umgekehrt ein Interesse daran, in die logischen Strukturen des Denkens zu übersetzen, was darin ohnehin zerrinnen würde, weil man es nicht in Worte fassen, sondern nur erfahren kann? Indessen, wer würde dies wagen: Beten denken? Welches Denken wäre geeignet – ohne begriffliche Übergriffigkeit – das Ereignis des Betens in sich aufzunehmen? Es mag in der Tat nicht das erste Anliegen des Betenden sein, über die Möglichkeit und Unmöglichkeit seines Betens nachzudenNovalis, Fragmente und Studien 1799/1800, in: H.-J. Mähl – R. Samuel (Hg.), Werke, Tagebücher und Briefe Friedrich von Hardenbergs, Bd. 2, Darmstadt 1999, 751–848, hier 770. 2 Wenn im Folgenden vom »Beter« die Rede ist, ist die weibliche Form immer eingeschlossen. 1

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ken. In jedem Fall ist es das »Geschäft« der Theologie – solange sie ihren Grundauftrag erfüllt, denkend davon Rechenschaft abzulegen, was Menschen zu glauben bewegt und in der Hoffnung hält, sich in ihren Gebeten an Gott wenden zu dürfen. Wie sich aber Beten denken lässt und was ein schlichtes Gebetswort genau besehen alles impliziert, ist ein theologisch äußerst komplexes Forschungsfeld. Auch wenn diese Fragen in der Theologiegeschichte keineswegs ausgeblendet wurden, konnte sich dennoch nie ein schultheologischer Traktat – der etwa »Oratiologie« heißen müsste – etablieren. Dies mag vordergründig mit der Auffassung zusammenhängen, dass das Gebet ja offensichtlich ein praktisches Element des Glaubens sei, und darüber hinaus etwas sehr Persönliches. Mehr noch liegt es wohl daran, dass sich das Gebet dem theologischen Denken stets auf sonderbare Weise entzieht, da es als religiöse Urgebärde zugleich »das Andere« der Theologie ist: Gottesrede in der Anrede – also im Letzten kein Gegenstand, sondern vielmehr eine Quelle der Theologie (»locus theologicus«). Die vorliegende Arbeit wagt sich auf dieses Grenzgebiet theologischer Reflexion. Sie wagt sich in das Feld der religionsphilosophischen Kritik am Gebetsakt und stellt sich der Frage, warum und auf welche Weise über das Beten vernünftig nachgedacht werden kann und muss. Konzipiert als fundamentaltheologische Studie, geht es weder um eine empirische Erhebung dessen, was einzelne Beter über ihr Beten denken und was sie zum Gebet und im Gebet bewegt, 3 noch geht es um eine geistliche Ermutigung oder Praxisanleitung. Die zu behandelnde Frage ist weitaus grundsätzlicherer Art. Sie lautet – einmal sehr basal formuliert: Wie lässt sich mit Hilfe eines philosophisch-theologischen Denkens nachvollziehen, dass religiöse Menschen nicht nur von der Existenz eines Gottes ausgehen, sondern sogar davon überzeugt sind, mit diesem Gott in einen persönlichen und existenziellen Dialog eintreten zu können? Um diese Frage in Angriff zu nehmen, scheint es freilich zu kurz gegriffen, einfach der Bedeutung des Gebetes innerhalb einer bestimmten theologischen Denktradition nachzugehen oder eine systematische Theologie des Gebetes zu konzipieren. Gesucht ist vielmehr ein Zugang, der unmittelbar beim Akt des Gebetes ansetzt; eine Konfrontation zwischen dem religiösen Akt und der Vernunft selbst, die sich »ins Gebet neh3 Vgl. C. Zimmermann – E. Möde, Spiritualität des Betens. Empirische Gebetsforschung, Münster 2011.

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Zur Hinführung

men« lässt. 4 Dazu wäre ein Denken erforderlich, das weit genug ist, um das Phänomen des Betens in seiner Eigenart wahrzunehmen, und gleichzeitig präzise genug, um es begrifflich zu beschreiben; ein Denken, das einerseits genug Distanz wahrt, um über all seine »Denkschritte« Rechenschaft ablegen zu können, und andererseits genug unvoreingenommene »Nähe« aufnimmt, um sich von den Erfahrungen und Zeugnissen betender Menschen tatsächlich etwas sagen und zeigen zu lassen. Ein solches Denkkonzept – dies ist die Ursprungsintuition dieser Arbeit – hält der Münchener Philosoph Richard Schaeffler (* 1926) bereit. Von 1968 bis 1989 hatte er an der Katholisch-Theologischen Fakultät in Bochum den damals neu eingerichteten »Lehrstuhl für Philosophisch-Theologische Grenzfragen« inne. 5 Als Philosoph unter Theologen war es gewissermaßen seine wissenschaftliche Pflicht, das eben beschriebene Grenzgebiet begehbar zu machen. Eine wichtige Grenzfrage, die sein Werk spätestens seit den 1980er Jahren begleitet, lautet daher kurz: Was »tun« Menschen, wenn sie beten? Seine »Kleine Sprachlehre des Gebets« 6 (1988), die diese Frage über den rein akademischen Rezeptionskreis hinaus zu erschließen versucht, gehört zu seinen bekanntesten Veröffentlichungen und wurde vor nicht allzu langer Zeit noch ins Koreanische übersetzt. 7 Die weitaus gründlichere, sprachphilosophisch ausgerichtete Monographie »Das Gebet und das Argument« 8 (1989) lässt in ihrer ganzen Struktur erkennen, dass es Schaeffler nicht um ein reizvolles Randthema der religiösen Praxis geht, sondern um eine – anhand der Gebetsthematik entfaltete – philosophisch-theologische Grund- und Grenzfrage, nämlich um das Verhältnis von Glaubensakt und reflexiv verantwortbarer Gottesrede innerhalb eines sprachphilosophisch sensibilisierten Umfelds. Im Unterschied zum religionsphilosophischen Mainstream zeichnet sich Schaefflers Vorgehensweise dadurch aus, dass er den reVgl. zu dieser bewusst zweideutigen Formulierung den gleichnamigen Band, der diese fundamentalen Fragen auf inspirierende Weise behandelt: E. Salmann – J. Hake (Hg.), Die Vernunft ins Gebet nehmen, Stuttgart 2000. 5 Zur (wissenschaftlichen) Biographie Schaefflers vgl.: M. Zimny, Zur Einheit von Spiritualität und Intellektualität im Werk Richard Schaefflers, Frankfurt a. M. 1999, 14–16. 6 R. Schaeffler, Kleine Sprachlehre des Gebets, Einsiedeln – Trier 1988 [künftig: Kleine Sprachlehre]. 7 In: Catholic University of Korea Press, Seoul 2011. 8 Ders., Das Gebet und das Argument. Zwei Weisen des Sprechens von Gott. Eine Einführung in die Theorie der religiösen Sprache, Düsseldorf 1989 [künftig: GuA]. 4

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ligiösen Zeugnissen und überlieferten Gebetstexten der jüdischchristlichen Tradition eine größtmögliche Autorität zuspricht. Er lässt sich darauf ein, sich als Philosoph von den Betern buchstäblich etwas »zu denken geben« zu lassen. Die folgenden Studien werden sich nicht auf die beiden genannten Arbeiten beschränken, sondern wollen den Spuren von Schaefflers Überlegungen zur Gebetsthematik sowie zur religiösen Erfahrung und Sprache durch sein gesamtes religionsphilosophisches Werk hindurch nachgehen, um so den eingangs eröffneten Fragehorizont aufzugreifen und seine »Gebetslehre« fundamentaltheologisch fruchtbar zu machen. Bevor dieses Projekt näher skizziert wird, muss ein kurzer Blick auf den aktuellen Rezeptionsstand von Schaefflers Werk, insbesondere auf die theologische Aufnahme seiner Gebetslehre, geworfen werden.

1.2 Zur Forschungslage Auch wenn sich Schaefflers Philosophie nicht im engeren Sinne schulbildend auswirken konnte und daher noch nicht auszumachen ist, wer das Erbe seines philosophischen Werkes antreten wird, gilt er doch als ein außerordentlich vielbeachteter und -zitierter Denker in der gegenwärtigen religionsphilosophischen und systematischtheologischen Wissenschaft. Die mittlerweile sechs Festschriften 9 sowie die gleich zweimalige Verleihung der Ehrendoktorwürde im Jahre 2005 10 sind die augenfälligsten Zeichen für die hohe Würdigung und anhaltende Rezeption seines philosophischen Schaffens. Im Ganzen sind bislang fünf Dissertationen erschienen, die sich mit einzelnen Aspekten von Schaefflers Werk auseinandersetzen. Michael Zimnys 11 Arbeit über das Verhältnis von Spiritualität und Intellektualität mag auf den ersten Blick eine gewisse thematische Nähe zur vorliegenden Arbeit aufweisen. Tatsächlich gibt es kaum inhaltliche Überschneidungen. Zimny geht von einem interessanten,

Vgl. Literaturverzeichnis. Von der Theologischen Fakultät der Universität Freiburg i. Br. sowie von der Hochschule für Philosophie München, wo Schaeffler bis vor kurzem noch einen Lehrauftrag hatte. 11 M. Zimny, Zur Einheit von Spiritualität und Intellektualität im Werk Richard Schaefflers (1999). 9

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aber im Gesamtwerk Schaefflers eher peripheren Aufsatz aus 12 und bezieht sich auf Schaefflers Theorie der religiösen Sprache 13 und vor allem auf dessen Theorie des Kultes. Insgesamt bietet diese Arbeit einen Querschnitt durch Schaefflers religionsphilosophisches Denken mit einführendem Charakter. Bernhard Nitsche widmet sich in seiner breit angelegten dogmatischen Studie zu Rahner und Schaeffler 14 dem christologischen Grundproblem des »universale concretum« mit dem Versuch einer »transzendental-geschichtlichen Vergewisserung«. Ungeachtet dieser christologischen Projektierung stellt Nitsches Arbeit eine hervorragende kritische Erschließung der Transzendentalphilosophie Schaefflers dar. Bernd Irlenborns Dissertation »Veritas semper maior« 15 nimmt die philosophischen Hauptlinien Schaefflers auf und hebt sie auf den theologischen Prüfstand. Dies sind vor allem Schaefflers Wahrheitskonzept und sein dialogischer Erfahrungsbegriff sowie die Verhältnisbestimmung von Philosophie und Theologie. Sowohl Nitsche als auch Irlenborn werden in ihrer profilierten Beurteilung des transzendentalen Ansatzes Schaefflers immer wieder gesuchte Bezugspunkte für die vorliegende Arbeit sein. Die an der Hochschule für Philosophie München entstandene Dissertation von Jong-Jin Lee »Transzendenzbewusstsein und praktische Vernunft« 16 widmet sich der philosophischen Überprüfung der Hermeneutik der religiösen Erfahrung bei Schaeffler im Kontext seiR. Schaeffler, Spiritus sapientiae et intellectus, spiritus scientiae et pietatis. Religionsphilosophische Überlegungen zum Verhältnis von Weisheit, Wissenschaft und Frömmigkeit in ihrer Zuordnung zum Geiste, in: W. Baier – u. a. (Hg.), Weisheit Gottes – Weisheit der Welt, Bd. 1, St. Ottilien 1987, 15–35. 13 Vgl. M. Zimny, Zur Einheit von Spiritualität und Intellektualität im Werk Richard Schaefflers, 84–114. 14 B. Nitsche, Göttliche Universalität in konkreter Geschichte. Eine transzendentalgeschichtliche Vergewisserung der Christologie in Auseinandersetzung mit Richard Schaeffler und Karl Rahner, Münster 2001. Der Teil zu Schaeffler erstreckt sich dabei auf immerhin 160 Seiten, wobei die direkte Vergleichsstudie in eine spätere Publikation ausgegliedert wurde. Vgl. Ders., Endlichkeit und Freiheit. Studien zu einer transzendentalen Theologie im Kontext der Spätmoderne, Würzburg 2003, 350–394 (= Kap. X. »Die Kritik Schaefflers an Karl Rahner«). 15 B. Irlenborn, »Veritas semper maior«. Der philosophische Gottesbegriff Richard Schaefflers im Spannungsfeld von Philosophie und Theologie, Regensburg 2005. 16 J.-J. Lee, Transzendenzbewusstsein und Praktische Vernunft. Richard Schaefflers Hermeneutik der religiösen Erfahrung, Stuttgart 2004. Vgl. auch Ders., Religiöse Erfahrung oder religiöse Interpretation?, in: T. Tappe (Hg.), Wahrheit und Erfahrung, Würzburg 2004, 77–88. 12

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ner Postulatenlehre 17 und behandelt somit eine Hauptthese aus Schaefflers erkenntnistheoretischem Entwurf »Erfahrung als Dialog mit der Wirklichkeit« 18. Die Arbeit zeichnet sich aus durch eine konzise Analyse der Argumentation Schaefflers. Aus dem zentralen Moment der Dialogizität in Schaefflers Religionsphilosophie versucht Lee unter anderem Konsequenzen für den Dialog der Religionen abzuleiten. 19 Genau diese Linie greift die Dissertation von Gunther Ludwig auf, indem er Schaefflers Erfahrungsbegriff als einen möglichen »Wegweiser im Dialog der Religionen« 20 in Erwägung zieht. Schaeffler hat sich wiederholt zu dieser Thematik geäußert und ein Modell des »Lernens im Widerspruch« 21 vorgeschlagen. 22 Ludwigs Dissertation ist ein von Schaeffler inspirierter Beitrag zur Religionstheologie mit einem besonderen Blick auf die religiöse Situation Indiens. Die bisher erschienenen Monographien zu Schaeffler betreffen also in erster Linie die zentralen Grundgedanken seiner dialogischen Erkenntnislehre und die damit verbundene Thematik eines philosophischen Gottesbegriffs, sowie – im Fall von Zimny und Ludwig – Einzelaspekte seines religionsphilosophischen Werkes. Eine mono-

Zu diesem wichtigen hermeneutischen Wechselverhältnis vgl. Kap. 2.1.3. R. Schaeffler, Erfahrung als Dialog mit der Wirklichkeit. Eine Untersuchung zur Logik der Erfahrung, Freiburg i. Br. – München 1995 [künftig: EDW]. 19 Vgl. J.-J. Lee, Transzendenzbewusstsein und Praktische Vernunft, 155–208. 20 G. Ludwig, Der Wahrheit auf der Spur bleiben. Die transzendentale Erfahrungstheorie Richard Schaefflers als Wegweiser im Dialog der Religionen, Berlin 2007. 21 R. Schaeffler, Lernen auch noch im Widerspruch, in: A. T. Khoury – G. Vanoni (Hg.), »Geglaubt habe ich, deshalb habe ich geredet«, Altenberge 1998, 420–459; Ders., Universalien religiöser Erfahrung in der Vielfalt religiöser Überlieferung, in: T. Larbig, – S. Wiedenhofer (Hg.), Kulturelle und religiöse Traditionen, Münster 2005, 212–252; Ders., Philosophische Grundlagen des Gesprächs der Religionen, in: T. Müller – u. a. (Hg.), Religion im Dialog, Göttingen 2009, 19–48. 22 Wie sehr ihm an diesem wichtigen Anwendungsfall der Dialogizität des Denkens liegt, zeigt etwa auch ein leidenschaftlicher Disput mit Perry Schmidt-Leukel, der allerdings erst nach Erscheinen der Arbeit Ludwigs ausgetragen wurde. Vgl. zum Gang der Debatte: R. Schaeffler, Pluralistische Theologie – das Gebot der Stunde? Zur Frage nach Kriterien ihrer Beurteilung und nach möglichen Alternativen. Bemerkungen zu Perry Schmidt-Leukels Buch »Gott ohne Grenzen«, in: ThPh 83 (2008), 243–249; P. Schmidt–Leukel, Pluralistische Religionstheologie und interreligiöser Dialog. Eine Antwort auf Richard Schaefflers Bemerkungen zu »Gott ohne Grenzen«, in: MThZ 60 (2009), 338–345; R. Schaeffler, Pluralistische Religionstheologie und interreligiöser Dialog. Eine Antwort auf Schmidt-Leukels Replik, in: MThZ 60 (2009), 346–355. 17 18

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Zur Forschungslage

graphische Studie zur Gebetsthematik, die in seiner Religionsphilosophie eine herausragende Stellung einnimmt, steht noch aus. Wenn in der Vergangenheit auf Schaeffler im Kontext einer »Theologie des Gebetes« rekurriert wurde, kamen meist nur seine Überlegungen zur Namensanrufung Gottes zur Sprache. In einigen Beiträgen nimmt Schaefflers Gebetslehre einen erwähnenswerten Raum ein. Auch hierüber soll ein kurzer Überblick in chronologischer Reihenfolge gewährt werden: Eine Sonderstellung hat die Arbeit von Julie Kirchberg mit dem aussagekräftigen Titel »Theo-logie in der Anrede« 23. Als Mitarbeiterin am Bochumer Lehrstuhl Schaefflers liefert sie einen Beitrag zum Gebet aus der Perspektive des jüdisch-christlichen Dialogs auf der Grundlage einer eigenständigen Interpretation der Konzilserklärung »Nostra aetate«. Der Hauptteil der Arbeit besteht in einer liturgiewissenschaftlichen Textanalyse ausgewählter jüdischer Gebete. Kirchbergs Arbeit führt so ein Forschungsinteresse Schaefflers weiter, der seine philosophischen Reflexionen zum Gebet häufig anhand jüdischer Quellen expliziert. Auf Schaeffler selbst nimmt Kirchberg nur vereinzelt Bezug. 24 Armin Kistenbrügges Dissertation »Das Gebet in der Dogmatik« 25 beschäftigt sich hauptsächlich mit Gerhard Ebeling. Im dritten Hauptteil widmet sich Kistenbrügge der bei Ebeling aufkommenden Frage nach dem Verhältnis von Gebet und Theologie. Dabei geht er auch auf »drei andere Sichtweisen« 26 ein, nämlich – neben einem auf diese Frage zugeschnittenen Kapitel zu Schaeffler 27 – auf Dewi Z. Phillips und Geoffrey Wainwright. Beide Autoren werden in der vorliegenden Arbeit noch verschiedentlich Erwähnung finden. Einem wichtigen Teilaspekt der Gebetslehre Schaefflers, der Sprachhandlung der Namensanrufung, verdankt Thomas Benner, wie er selbst sagt, die »Basisintuition« für seine Studie zum Namen J. Kirchberg, Theo-logie in der Anrede als Weg zur Verständigung zwischen Juden und Christen, Innsbruck – Wien 1991. 24 Schaeffler war Zweitgutachter dieser Arbeit, die bei Prof. H. Pottmeyer eingereicht wurde; vgl. ebd., 5. Vgl. auch R. Schaeffler, Rez. Julie Kirchberg, Theo-logie in der Anrede als Weg zur Verständigung zwischen Juden und Christen, in: ThRv 89 (1993), Sp. 423 f. 25 A. Kistenbrügge, Das Gebet in der Dogmatik. Untersucht am Beispiel von Gerhard Ebelings Dogmatik des christlichen Glaubens, Frankfurt a. M. 2000. 26 Vgl. die gleichlautende Hauptüberschrift zum dritten Teil, ebd., 253. 27 Vgl. ebd., 280–297. 23

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Gottes. 28 Benner rekurriert in der Tat an verschiedenen Stellen auf Schaeffler, 29 vor allem im dritten Teil, in dem er seine These von der Subjektwerdung im Gebet entfaltet. 30 Dennoch ist diese Arbeit nicht als monographische Studie zu Schaefflers Gebetslehre zu verstehen. Schaeffler dient in dieser beachtenswerten Arbeit vielmehr als Inspirationsquelle für Benners systematische Untersuchung zur Namensoffenbarung und Namensanrufung Gottes. Zwei weitere Arbeiten sind zu erwähnen, die als Vergleichsstudien über verschiedene Gebetsentwürfe auch auf Schaeffler zu sprechen kommen. Zum einen ist dies Jürg Wüst-Lückls bibliographischer Forschungsbericht zur »Theologie des Gebetes«. 31 Neben einer Fülle von besprochener Literatur zur Thematik greift Wüst-Lückl vier Entwürfe heraus, die nach seinem Ermessen »modellhaft« für eine fundamentaltheologische Auseinandersetzung mit der Gebetsthematik sind – darunter den Schaefflers. 32 Freilich geht angesichts des quantitativen Umfangs dieses Projektes dieser Abschnitt nicht über eine deskriptive Zusammenfassung von Schaefflers Grundgedanken in »Das Gebet und das Argument« hinaus, die leider im systematischen Teil kaum weiter fruchtbar gemacht werden. Die bei Elmar Salmann entstandene Arbeit zum Verhältnis von Beten und Denken von Thomas Deutsch mit dem treffenden Titel »O-Ratio« 33 stellt sich ebenfalls der Herausforderung, gleich mehrere Autoren miteinander ins Gespräch zu bringen. Schaeffler 34 fungiert dabei interessanterweise in einer Vermittlungsrolle zwischen Rahner und von Balthasar. 35 Auch hier kann die Beschäftigung mit der GeT. Benner, Gottes Namen anrufen im Gebet. Studien zur Acclamatio Nominis Dei und zur Konstituierung religiöser Subjektivität, Paderborn 2001. Vgl. ebd., 18. 29 Vgl. ebd., 201–216; vgl. zudem ebd., 18–22, 96 f., 295 f., 321 f. 30 Vgl. ebd., 266 ff. 31 J. Wüst-Lückl, Theologie des Gebetes. Forschungsbericht und systematisch-theologischer Ausblick, Fribourg 2007; vgl. auch Ders., Impulse und Anregungen für eine Theologie des Gebetes. Über die Bedeutung sprachphilosophischer Betrachtungen, in: T. M. Schmidt – S. Wiedenhofer (Hg.), Religiöse Erfahrung, Freiburg i. Br. 2010, 242– 258. 32 Vgl. Ders., Theologie des Gebetes, 265–297. 33 T. Deutsch, O-Ratio. Versuch einer Verhältnisbestimmung von Beten und Denken nach Karl Rahner, Hans Urs von Balthasar, Richard Schaeffler und Gerhard Ebeling, Trier 2010. 34 Vgl. ebd., 133–176 [= Kap. 4]. 35 Deutsch beabsichtigt Schaeffler wie auch Ebeling, den er als vierten Autor behandelt, »als ergänzende, d. h. kritisierende, stimulierende und integrierende Stimmen zu den Ansätzen von Rahner und Balthasar zu lesen«. Ebd., 16; vgl. ebd., 18 f. 28

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Zur Forschungslage

betslehre Schaefflers aufgrund des umfangreichen Vorhabens nur in ausgewählter Weise stattfinden. Doch gelingt es Deutsch, seine Untersuchungen immer wieder auf das Zueinander von »ratio« und »oratio« hin zu bündeln. Beachtenswert ist vor allem die Tatsache, dass Deutsch als erster Rezipient erkennt, wie sehr Schaefflers sprachphilosophische Aussagen zum Gebet mit dessen dialogischer Erfahrungslehre verknüpft sind – eine Einsicht, die für die vorliegende Arbeit richtungsweisend werden soll. Die jüngste Arbeit schließlich von Markus Schrom aus dem Jahr 2010 hat einen liturgisch-ekklesiologischen Schwerpunkt. Unter dem Titel »Die Kirche als Gebetsgemeinschaft« 36 setzt sich Schrom mit der Bedeutung des liturgischen Betens auseinander und bezieht sich vor allem auf die Liturgietheologie Angelus Häußlings, sowie auf die Liturgiekonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils. Als philosophische Grundlegung dieses Projektes zieht Schrom Schaefflers Gebetslehre heran. 37 Abgesehen von der allgemeinen Einführung in die Theorie der Namensanrufung, die sich gegenüber den bereits genannten Rezipienten weder im Umfang noch in der Interpretation hervorhebt, geht Schrom entsprechend seiner Leitfrage vor allem auf die intersubjektive Dimension des Betens ein und weist damit auf einen bislang zu wenig wahrgenommenen Aspekt bei Schaeffler hin. 38 Nach der für seine Arbeit zweifellos wichtigen philosophischen Grundlegung kommt Schrom im weiteren Verlauf nur selten auf Schaeffler zurück. Hinsichtlich der Forschungslage bleibt festzuhalten: Es gibt bislang fünf Dissertationen, die sich intensiv der Werkanalyse Schaefflers widmen, darunter jedoch keine monographische Arbeit zum Gebet. Diese Thematik wurde bislang nur in einigen theologischen Arbeiten aufgegriffen. Dabei handelt es sich entweder um Arbeiten, die mehrere oder sogar eine Vielzahl von Entwürfen zusammentragen – wie bei Deutsch und Wüst–Lückl – oder aber einzelne Aspekte der Gebetslehre Schaefflers herausgreifen, um sie für eine spezifische Forschungsintention fruchtbar zu machen – so bei Kistenbrügge, Benner und Schrom. 39 Die vorliegende Arbeit greift 36 M. Schrom, Die Kirche als Gebetsgemeinschaft. Überlegungen zum Verhältnis von Kirche und Gebet in der Liturgie auf dem Hintergrund der Texte des Zweiten Vatikanischen Konzils, Sankt Ottilien 2010. 37 Vgl. ebd., 37–76. 38 Vgl. ebd., 53 f., 71 f. Vgl. dazu ausführlich Kap. 6 der vorliegenden Arbeit. 39 Auf die genannten Arbeiten wird an gegebener Stelle wieder verwiesen werden;

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dankbar auf die bereits geleistete Rezeptionsarbeit zurück. Insbesondere die sorgfältigen Studien von Irlenborn und Nitsche erlauben es, einige durchaus grundlegende Fragen nicht mehr in aller Ausführlichkeit erörtern zu müssen. Dadurch wird es möglich, sich noch mehr auf die zentrale Thematik dieser Arbeit zu konzentrieren: Den Akt des Gebetes im engeren Sinne, sowie die religiöse Erfahrung und die religiöse Sprache im weiteren Sinne. Es wird nachzuweisen sein, dass darin das Kernmotiv der Religionsphilosophie Schaefflers erfasst und erschlossen werden kann. Für dieses Projekt ist es notwendig, Schaefflers Gesamtwerk, das inzwischen auf annähernd 300 veröffentlichte Titel angewachsen ist, zu überblicken und alle für diese Thematik wesentlichen Publikationen einzubeziehen. Dabei wird schnell deutlich werden, wie oberflächlich der Versuch wäre, Schaefflers Beitrag zur Gebetsthematik auf seine Veröffentlichungen der achtziger Jahre oder gar allein auf die populär gewordene »Kleine Sprachlehre« zu reduzieren. In besonderer Weise soll in dieser Arbeit die 2004 veröffentlichte »Philosophische Einübung in die Theologie« rezipiert werden. Meinem Eindruck nach wird diese späte »Summa« Schaefflers selbst von Kennern seines Werkes bislang viel zu wenig wahrgenommen. Dahinter liegt möglicherweise die unausgesprochene Vermutung, dass angesichts eines so großen Œuvre nicht mehr viel Neues zu erwarten wäre. Trotz manches Rückgriffs auf lange »gegorene« und bereits früher publizierte Thesen würde man dem Wert dieses systematischen Werkes damit keinesfalls gerecht. 40 Abgesehen davon zeigen gerade Schaefflers Aufsätze aus neuerer Zeit – die jüngsten hier berücksichtigten sind erst im Erscheinen begriffen 41 –, dass sich seine Philosophie nach wie vor in einer beachtenswerten Entwicklung befindet. Dies heißt jedoch, dass es dem Anspruch dieser Arbeit entsprechend nicht nur ein quantitativ sehr umfangreiches Opus zu überblicken gilt, sondern auch Texte, die über einen Zeitraum von 40 Jahren hinweg entstanden sind. In Übereinstimmung mit den genannten Rezipienten 42 darf jedoch bei Schaeffler auch wenn es zu zeigen gilt, wodurch sich die vorliegende Arbeit in der systematischen Darstellungsweise von den bisherigen unterscheidet. Vgl. Kap. 4.1.4. 40 Besonders Kap. 5 und Kap. 6 beziehen ihre Leitgedanken ganz wesentlich aus diesem Werk. 41 Professor Schaeffler war freundlicherweise bereit, mir einige Manuskripte vorab zur Verfügung zu stellen. 42 Vgl. etwa ausdrücklich: B. Irlenborn, »Veritas semper maior«, 21–25; T. Deutsch, O-Ratio, 134.

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Zu Struktur und Inhalt der Arbeit

grundsätzlich von einem einheitlichen und organisch sich entwickelnden Schaffen ausgegangen werden, so dass sich eine ausdrücklich chronologische Werkanalyse nur in einzelnen Fällen nahe legt, etwa um auf thematische Schwerpunkte oder datierbare Entwicklungsschritte aufmerksam zu machen. 43

1.3 Zu Struktur und Inhalt der Arbeit Die Arbeit folgt einem dreigliedrigen Aufbau in zehn Kapiteln: Im Ersten Teil (Kap. 2–3) werden durch eine ausführliche Analyse der religionsphilosophischen Methodik Schaefflers sowie einer Studie zu einem für die Gebetsthematik wichtigen »Vordenker«, Hermann Cohen (1842–1918), die notwendigen Voraussetzungen für das Verständnis der Gebetslehre Schaefflers grundgelegt. Diese soll im Zweiten Teil (Kap. 4–7) unter der Überschrift »Philosophische Einübung in die Gebetslehre« systematisch dargestellt und erschlossen werden. Dieser Titel, der sich an Schaefflers dreibändiges Spätwerk anlehnt, soll deutlich machen: Es geht ihm in seiner »Gebetslehre« darum, die strukturelle und inhaltliche Tiefendimension des Gebetsaktes mit den Mitteln philosophischen Denkens soweit zu erhellen und anhand der Zeugnisse der jüdisch-christlichen Tradition freizulegen, dass die Theologie und der Beter selbst ein Interpretationsangebot erhalten, um die Bedeutung dieses Aktes besser zu erfassen und ein Bewusstsein dafür einzuüben, was Beten eigentlich ist. 44 Der Dritte Teil (Kap. 8–10) will dieses Angebot Schaefflers schließlich theologisch erproben, indem gezielte Rückfragen an sein Konzept gestellt und mit zentralen Positionen des christlichen Gebetsverständnisses konfrontiert werden. Diese Auseinandersetzung dient nicht zuletzt einer Präzisierung und Weiterführung der Gebetslehre Die separate Darstellungsweise der beiden »Ansätze« zum Gebet in Kap. 4 und Kap. 5 etwa lässt sich – unter anderem – auch chronologisch rechtfertigen. 44 Nachdem Schaeffler selbst »Philosophische Einübungen« in die Gotteslehre, Ekklesiologie und Christologie vorgelegt hat, soll dies hier auch für die Gebetslehre versucht werden. Vgl. zu Intention und Selbstverständnis seiner Philosophischen Einübungen: Ders., Philosophische Einübung in die Theologie, Bd. 1: Zur Methode und zur theologischen Erkenntnislehre, Freiburg i. Br. – München 2004, 5–7, 17–25; vgl. Ders., Philosophische Einübung in die Theologie, Bd. 2: Philosophische Einübung in die Gotteslehre, Freiburg i. Br. – München 2004; Ders., Philosophische Einübung in die Theologie, Bd. 3: Philosophische Einübung in die Ekklesiologie und Christologie, Freiburg i. Br. – München 2004 [künftig: PhE I-III]. 43

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1 · Einleitung

Schaefflers im Blick auf ihre Anschlussfähigkeit an den gegenwärtigen philosophisch-theologischen Diskurs über das Gebet. Kapitel 2 widmet sich dem methodischen Ansatz der Gebetslehre Schaefflers. Als Strukturprinzip dieser Einführung bietet sich eine Orientierung an den drei methodischen »Typen« in Schaefflers »Religionsphilosophie« an: Transzendentalphilosophie, Phänomenologie und Sprachanalytik. Besondere Aufmerksamkeit kommt dabei Schaefflers These von der gegenseitigen Ergänzungsbedürftigkeit der religionsphilosophischen Methoden und seinem innovativen Vorschlag einer Methodenkombination zu. Hierbei wird sich zeigen, dass die Thematik des Gebetes in Schaefflers Religionsphilosophie nicht irgendein Anwendungsbeispiel ist, sondern die thematische Schnittmenge der drei bevorzugten Methoden darstellt. Die methodische Einführung gibt fast beiläufig einen Überblick über die Positionierung Schaefflers innerhalb der verschiedenen Strömungen der Philosophiegeschichte und über die für sein Denken prägenden Gestalten. Eine dieser philosophischen Referenzgestalten soll in Kapitel 3 herausgegriffen werden: Der jüdische Philosoph und Neukantianer Hermann Cohen hatte für die sprachphilosophische Leitidee der Gebetslehre Schaefflers einen nachweislichen Einfluss. In diesem Kapitel soll erstmalig untersucht werden, worin die Affinität zu Cohen genau besteht und wie stark dieser Einfluss auf Schaeffler tatsächlich zu bemessen ist. Diese verhältnismäßig ausführliche Studie rechtfertigt sich durch die dabei gewonnene Einsicht, dass die religionsphilosophische »Verwandtschaft« zwischen Schaeffler und Cohen sogar noch enger ist, als dies aus Schaefflers Äußerungen explizit hervorgeht. Kapitel 4 behandelt Schaefflers sprachphilosophische Überlegungen zur Namensanrufung Gottes im Gebet, aus der sich der Akt des Erzählens und schließlich die Äußerungen des Lobens, Dankens, Bittens etc. entfalten. Da die Theorie der »acclamatio nominis« den wirkungsgeschichtlich bedeutendsten Bereich der Gebetslehre Schaefflers darstellt, scheint es angebracht, hier eine systematisch gut reflektierte und vollständige Darstellung anzustreben. Ein besonderes Augenmerk muss auf den transzendentalen Implikationen der analysierten Gebetssprache liegen, denn im Akt des Gebetes – so Schaefflers These – »konstituiert« sich die Kohärenz der Weltwahrnehmung sowie die Ich- und Geschichtserfahrung des Beters. Hier 24

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Zu Struktur und Inhalt der Arbeit

wird beispielhaft die Nahtstelle zu Schaefflers Erkenntnistheorie sichtbar und – methodisch betrachtet – die enge Verbindung von Sprach- und Transzendentalphilosophie. In diesen Zusammenhang gehören auch Schaefflers Reflexionen darüber, wie dieser Gott des Gebetes begrifflich zu beschreiben wäre (»Gottesbegriff des Beters«), sowie seine von der jüdischen Theologie beeinflussten Überlegungen zum Namen Gottes. Im Gegensatz zum vorangegangenen Kapitel wendet sich Kapitel 5 einem Aspekt zu, dessen Bedeutung für die Gebetslehre Schaefflers bisher weitgehend übersehen wurde: dem Begriff der »Doxologie«. Dieser tritt als ein Leitbegriff in Schaefflers Theorie der religiösen Erfahrung auf. Auch wenn damit zunächst ein epistemisches Phänomen beschrieben wird, zeigt Schaefflers Verständnis von Doxologie nicht allein eine begriffliche, sondern auch eine inhaltliche Nähe zur Gebetslehre. Schaefflers Überlegungen zum Doxologiebegriff binden den Gebetsakt nicht nur stärker in den Bereich der allgemeinen Erfahrungsfähigkeit ein, sondern akzentuieren vor allen Dingen den antwortenden Charakter des Gebetsaktes. Der sprachlichen Einfachheit halber werden die beiden genannten Zugänge zum Gebetsakt bisweilen kurz – wenn auch gewiss verkürzend – als »sprachphilosophischer« (Kap. 4) und »doxologischer« Ansatz (Kap. 5) bezeichnet. 45 Galten die Studien zum Gebetsakt bis dahin der individuellen Korrelation zwischen dem Beter und seinem Gott, rückt Kapitel 6 die Dimension der Gebetsgemeinschaft ins Licht. Dazu werden nacheinander die intersubjektive Perspektive der Namensanrufung und die Funktion der »Doxologie« beim Aufbau der Überlieferungsgemeinschaft behandelt. Schaefflers Verhältnisbestimmung von gesprochener Sprache und ekklesialer Institution kann hier dazu dienen, das Zueinander von Privatgebet und Gebetsgemeinschaft präziser zu erfassen. Die Anleitung zur religiösen Sprachfähigkeit, also die Weitergabe der Praxis des Betens, ist die wichtigste Funktion in Schaefflers Einübung in eine – wenn man so will – »sprachphilosophische Ekklesiologie«. Im Zuge dessen dringt Schaeffler bisweilen weit in den Bereich der Theologie vor, wenn er etwa über das Amt eines »Sprachlehrers des Gebetes« oder über die Stellung des Priesters als »Vorbeter« nachdenkt.

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Vgl. zur Frage der gegenseitigen Zuordnung beider Ansätze Kap. 8.2.2.

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1 · Einleitung

Kapitel 7 prüft die wissenschaftstheoretische Fundierung von Schaefflers »Grenzgängen« zwischen Religionsphilosophie, Theologie und religiösen Zeugnissen. Schaeffler betont stets den Vorrang des religiösen Vollzuges vor der philosophischen Reflexion. Das gesamte Projekt einer »Gebetslehre« baut allerdings auf die Einsicht, dass nicht nur zu Gott gebetet, sondern auch von Gott und vom Gebetsakt selbst gesprochen werden muss. Wieder hilft eine sprachphilosophische Perspektive zur Konkretisierung dieser komplexen Fragestellung. Auf sehr unterschiedliche Weisen gebrauchen die »Sprachspiele« der Philosophie, der Theologie und des Gebetes das Wort »Gott«. Sprechen sie aber vom selben Gott? Und wer hat dabei das Sagen? Sowohl das Verhältnis des Gebetsaktes zur theologischen Wissenschaft als auch zur philosophischen Gottesrede verlangt hier nach einer Klärung. Kapitel 8 beginnt mit einer Zusammenfassung der Ergebnisse als Ausgangspunkt für eine kritische Vertiefung. Dazu werden zunächst zwei Einzelfragen herausgegriffen, die sich bei der theologischen Rezeption der Gebetslehre Schaefflers aufdrängen: Zum einen fällt auf, dass das Bittgebet bei Schaeffler einen verhältnismäßig marginalen Platz einnimmt. Die begrüßenswerte Tatsache, dass die Gebetsthematik nicht von vorneherein auf diese Frage enggeführt wird, befreit nicht davor, Schaefflers Gebetslehre noch einmal mit der vieldiskutierten Problematik der Bitte zu konfrontieren. Zum anderen legt sich gemäß der Struktur dieser Arbeit die Rückfrage nahe, ob Schaeffler nicht genau genommen zwei Gebetslehren vorgelegt habe. Die erstmalige Hervorhebung der Doxologie muss nicht die Kohärenz des Gesamtentwurfes in Frage stellen, sondern kann in fruchtbarer Spannung zur »acclamatio nominis« zu einer tieferen Einsicht in die dialogische Struktur des Gebetsaktes führen. Kapitel 9 thematisiert die Rede von der »Personalität« Gottes. Wenn Gebet, wie bei Schaeffler, als Dialog mit Gott aufgefasst werden will, impliziert dies offenkundig die umstrittene Vorstellung eines personalen Gottes. Wie kann von Gott als »Person« gesprochen werden, der in Beziehung tritt – der ruft, hört, reagiert, sich bitten lässt etc. – ohne sich dabei in hilflos naive Bilder und Aporien zu verstricken? Die philosophische Gebetskritik entzündet sich wesentlich an diesem »Attribut« der jüdisch-christlichen Gotteslehre. In Auseinandersetzung mit den zentralen Gegenargumenten soll Schaefflers Religionsphilosophie auf Ansätze zur Denkmöglichkeit der Personalität Gottes untersucht werden. Im weiterführenden Gespräch 26

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Zu Struktur und Inhalt der Arbeit

mit theologischen (trinitarischen und christologischen) Erwägungen gilt es schließlich zu klären, inwieweit die Rede von der personalen Relation im Gebet gegenüber allen Einwänden aufrechterhalten werden kann. Nach Darstellung und Diskussion hält Kapitel 10 einen methodischen Rückblick: Wie überzeugend ist angesichts des existenziellen Gebetsaktes am Ende Schaefflers doch stark transzendental geprägtes Denken? Ein relativierender Seitenblick auf den dialogischen Personalismus als einen Alternativansatz, der das »Ereignis des Betens« 46 von vorneherein vom Anderen her zu ergründen versucht, soll die Stärken und Schwächen der Gebetslehre Schaefflers noch klarer konturieren. Diese methodische Meta-Reflexion lässt Schaefflers Verständnis von spezifisch geschichtlich-dialogischer Transzendentalität als eine Begründungsressource für eine Theologie des Gebetes und für die Fundamentaltheologie überhaupt noch einmal deutlich aufscheinen.

So der Titel einer Arbeit von Bernhard Casper, die exemplarisch für diese Alternative stehen kann. Vgl. Ders., Das Ereignis des Betens. Grundlinien einer Hermeneutik des religiösen Geschehens, Freiburg i. Br. – München 1998.

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Erster Teil Methodischer Ansatz und Quellen der Gebetslehre Schaefflers

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2.1 Der transzendentalphilosophische Ansatz: Ausbau und Grenzen des kantischen Systems 2.1.1 Transzendentales Denken und die Gottesfrage – drei Etappen Die Transformation der kantischen Transzendentalphilosophie in eine dialogische Theorie der Erfahrung kann als das Lebenswerk Richard Schaefflers schlechthin angesehen werden. In einem neueren Artikel zu dieser Thematik – die Fülle der Veröffentlichungen hierzu ist inzwischen kaum mehr zu überschauen – treten die Leitgedanken seiner transzendentalphilosophisch orientierten Religionsphilosophie exemplarisch hervor. Der Titel dieses Aufsatzes benennt mit einem Zitat aus Kants »Opus postumum« sogleich die Grundüberzeugung, welche Schaeffler während seiner inzwischen vierzigjährigen Arbeit an dieser Fragestellung angetrieben hat: »Die Transzendentale Theologie ist der höchste Punkt der Transzendentalphilosophie.« 1 Dieselbe Erkenntnis steht auch als Fazit am Ende von Schaefflers 1995 vorgelegtem Hauptwerk »Erfahrung als Dialog mit der Wirklichkeit«. Dort heißt es: »Die transzendentalphilosophische Frage, wovon es abhängt, ob Erfahrung gelingt, findet ihre angemessene Antwort nur in einer transzendentalphilosophischen Theologie.« 2 In: T. M. Schmidt – S. Wiedenhofer (Hg.), Religiöse Erfahrung, Freiburg i. Br. 2010, 11–24. Vgl. I. Kant, Opus postumum II, 7. Konvolut, 5. Bogen, 6. Seite, in: Ders., Akademieausgabe Bd. 22, Berlin – Leipzig 1938, 63; vgl. zur Religionsphilosophie im »Opus postumum« ausführlich: R. Wimmer, Kants kritische Religionsphilosophie, Berlin 1990, 221–270; Ders., Religionsphilosophische Studien in lebenspraktischer Absicht, Fribourg 2005, 195–228. 2 R. Schaeffler, EDW, 776. Vgl. auch die Eingangsthese in seinem vielbeachteten Artikel zum transzendentalphilosophischen Gottesbegriff: »Eine Philosophische Theologie ist unter den philosophiehistorischen Bedingungen von heute, wenn überhaupt, dann nur als transzendentale Theologie möglich.« Ders., Ein transzendentalphilosophischer Gottesbegriff und seine mögliche Bedeutung für die Theologie, in: 1

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Nun haben sich die Fragen, welche die Transzendentalphilosophie zu beantworten sucht und die laut Schaeffler letztlich in die Gottesfrage münden, geschichtlich in sehr unterschiedlicher Weise gestellt. Schaeffler markiert drei Etappen einer Entwicklung: Die Transzendentalphilosophie »der Alten«, die Transzendentalphilosophie Kants sowie die moderne Weiterentwicklung des kantischen Entwurfes, die sich Schaeffler selbst zur Aufgabe gemacht hat. 3 Die Orientierung an der Struktur dieser neuesten Veröffentlichung mag im Folgenden dazu behilflich sein, möglichst ohne Umwege auf die zentralen Aussagen von Schaefflers transzendentalem Neuentwurf zu sprechen zu kommen. Die antike und mittelalterliche Philosophie fragte nach allgemeingültigen, jedem Seienden notwendig zukommenden Aussagen und fand diese in den sogenannten Transzendentalien des »Einen«, »Wahren« und »Guten«. »Quodlibet ens est unum, verum, bonum«, lautete diesbezüglich der von Schaeffler herangezogene scholastische Grundsatz. 4 Gott als »höchster Punkt« dieser Art von Transzendentalphilosophie muss folglich als derjenige gedacht werden, dem diese Begriffe uneingeschränkt zukommen. Nur Gott ist vollkommen eins, wahr und gut. 5 Schaeffler bezeichnet diesen Typus von Religionsphilosophie als »Onto-Theologie«, da die philosophische Gotteslehre hier auf der Basis einer ontologisch konzipierten Metaphysik ruht. 6 Durch das Aufkommen eines neuen, naturwissenschaftlich geprägten Weltbildes musste diese »Transzendentalphilosophie der Alten« 7, wie Kant sie nannte, einem neuen Typus der Transzendentalphilosophie weichen. Die in der kopernikanischen Wende unwiderruflich sichtbar gewordene Perspektivität unserer SinneswahrnehM. Kessler – W. Pannenberg – H. J. Pottmeyer (Hg.), Fides quaerens intellectum, Tübingen 1992, 97–110, hier 97. 3 Diese Einteilung tritt schon in Schaefflers »Religionsphilosophie« (Erstauflage von 1983) hervor, wo er den Typus der »philosophischen Theologie« in drei historischen Etappen beschreibt: der »Onto-Theologie«, der Transzendentalphilosophie in der Moderne und der »Theorie der Hoffnung«, wozu er seinen eigenen Ansatz zählt. Vgl. Ders., Religionsphilosophie, Freiburg i. Br. – München 22002, 49–104 [künftig: RelPhil]. 4 Vgl. Ders., PhE I, 76. 5 Vgl. Ders., Die Transzendentale Theologie ist der höchste Punkt der Transzendentalphilosophie, 13 f.; Ders., PhE I, 76. 6 Vgl. Ders., RelPhil, 56–63. 7 I. Kant, Kritik der reinen Vernunft, Hamburg 1998, B 113 [künftig: KrV]. Beten denken

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mung brachte nicht nur eine neue Antwort auf die Frage nach dem Grund alles Seienden mit sich, sondern veränderte, so Schaeffler, die transzendentale Frage selbst: »Aus der Frage nach den allgemeinsten Prädikaten […] ist die Frage nach den obersten Regeln der Gegenstands-Konstitution geworden.« 8 Damit beschreibt er präzise das Projekt von Kants Vernunftkritik, die sich des epochalen Wandels bewusst war, dass »der stolze Name einer Ontologie […] dem bescheidenen, einer bloßen Analytik des reinen Verstandes, Platz machen« 9 musste. Nicht die unsere Erfahrungen übersteigende transzendente Wirklichkeit, sondern die uns in all unserem Denken und Anschauen zu Grunde liegenden transzendentalen Bedingungen rücken fortan in den Fokus der Erkenntnislehre. Gott wird im kantischen Konzept wiederum zum »höchsten Punkt« dieser Art von Transzendentalphilosophie, indem er annimmt, dass all unser Erkennen von »Zielvorstellungen« geleitet wird, die theoretisch nicht erwiesen werden können und dennoch in jeder Vernunftleistung als deren letzter Fluchtpunkt (»focus imaginarius« 10) immer mitgedacht werden müssen. Kant bezeichnet diese als »regulative Ideen« und zählt dazu die »Einheit des Aktes ›ich denke‹«, die »geordnete Ganzheit der Welt« und schließlich auch die »Idee Gottes« als Inbegriff der absoluten Einheit aller Gegenstände des Denkens und aller Prädikationen. 11 Der wichtigste Anknüpfungspunkt für eine transzendentale Theologie findet sich gemäß Schaefflers Lesart der kantischen Philosophie allerdings nicht bei den regulativen Ideen als solchen – auch nicht in der Idee eines höchsten intelligiblen Wesens – sondern in der Beobachtung Kants, dass ebendiese Ideen in sich dialektisch, das heißt selbstwidersprüchlich erscheinen. Nur wenn diese »Dialektik der Vernunft« in ihrem theoretischen wie praktischen Gebrauch aufgelöst werden kann, ist die Erkenntnis von Gegenständen in theoretischer, beziehungsweise die Verwirklichung von Zwecken in praktischer R. Schaeffler, Die Transzendentale Theologie ist der höchste Punkt der Transzendentalphilosophie, 15. 9 I. Kant, KrV, A 247. 10 Vgl. ebd., B 672. 11 Vgl. ausführlich dazu: R. Schaeffler, EDW, 113–134. Eine Übersicht über die drei »regulativen Ideen« findet sich am Ende der Transzendentalen Dialektik: »Das erste Objekt einer solchen Idee bin ich selbst, bloß als denkende Natur (Seele) betrachtet. […] Die zweite regulative Idee der bloßen spekulativen Vernunft ist der Weltbegriff überhaupt. […] Die dritte Idee der reinen Vernunft […] ist der Vernunftbegriff von Gott.« Vgl. I. Kant, KrV, B 710–713. 8

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Hinsicht denkmöglich. Schaeffler fällt auf: Während Kant sich angesichts der Widersprüchlichkeit der Idee der theoretischen Vernunft zum Abschied von jeglicher »Onto-Theologie« veranlasst sieht, die Dialektik als solche aber hinnimmt, beschreitet er beim Problem der praktischen Vernunftdialektik einen grundsätzlich anderen Weg. Zur Auflösung der Dialektik der praktischen Vernunft, die sich im Gegensatz zwischen dem kausalen Gesetz der Natur und dem freiheitlichen Gesetz der Sitten auftut, bedient sich Kant der Denkfigur eines sogenannten »Postulates«, das heißt einer aus der sittlichen Praxis heraus begründeten Hoffnung, dass wir hinter den scheinbar strukturverschiedenen Gesetzen der Natur und der Sitten ein und denselben göttlichen Gesetzgeber annehmen dürfen – kurz: dass wir »unsere Pflichten als göttliche Gebote« 12 verstanden wissen dürfen. 13 Pointiert gesagt besteht Schaefflers Weiterführung der kantischen Transzendentalphilosophie darin, dass er die Denkform der »Postulate«, die ihrer Logik nach von »Ideen« in ihrem regulativen Gebrauch streng zu unterscheiden sind, aus der praktischen Vernunft herauslöst und auf die theoretische Vernunft überträgt und so im Stande ist, die »Ideen« von Ich, Welt und Gott nunmehr als »Postulate« neu zu formulieren. Um diesen komplexen »Umbau« am kantischen System jedoch in seiner Tragweite zu verstehen, muss Schaefflers Erfahrungslehre noch näher in den Blick genommen werden. Eine dritte geschichtliche Epoche der Transzendentalphilosophie sieht Schaeffler deswegen heraufgekommen, weil Kant die Möglichkeit der Gegenstandskonstitution in mindestens drei wichtigen Punkten unbefriedigend gelöst hat: 14 (1) Objektive Erfahrungen entstehen im Sinne Kants, indem apriorische Kategorien auf subjektive Wahr12 Vgl. I. Kant, Kritik der praktischen Vernunft, Hamburg 2003, A 233 [künftig: KpV]; Ders., Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft, Hamburg 2003, B 229 [künftig: Rel]. 13 Eine überschaubare Darstellung dieses von Schaeffler ebenfalls intensiv bearbeiteten Aspektes der kantischen Philosophie findet sich in: R. Schaeffler, PhE I, 81–84. In Kap. 3.2.2 wird von der Dialektik der praktischen (!) Vernunft und ihrer Bedeutung für Schaefflers Religionsphilosophie noch ausführlicher die Rede sein. 14 Es ist evident, dass Schaeffler als Vertreter dieser neuen Epoche innerhalb einer bestimmten philosophisch-theologischen Denkrichtung steht. Dieses »Umfeld« Schaefflers sei hier nur anhand von drei Personen angedeutet, auf die Schaeffler selbst verschiedentlich eingeht: Joseph Maréchal, Johannes B. Lotz und Karl Rahner. Vgl. R. Schaeffler, EDW, 27 f.; Ders., PhE I, 77–81; Ders., Die transzendentale Reflexion und die »Geschichte Gottes mit dem Menschen«, in: G. Kruck (Hg.), Gottesglaube – Gotteserfahrung – Gotteserkenntnis, Mainz 2003, 85–107.

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nehmungen und Sinnenreize angewandt werden. Diesen Vorgang und seine Voraussetzungen zu analysieren und begrifflich zu fassen ist die Aufgabe der transzendentalen Logik. Niemals jedoch kann nach Kant eine Erfahrung strukturverändernde Auswirkungen auf den apriorischen Erfahrungsapparat selbst hervorrufen. Das Verhältnis zwischen dem unveränderlichen Vernunftapparat und immer neuen praktischen Anwendungsfällen ist also radikal einseitig bestimmt. Schaeffler spricht von einem »monologischen Vernunftverständnis« und hält diesem seine Theorie der »Erfahrung als Dialog mit der Wirklichkeit« entgegen, die mit der Möglichkeit einer auf die Erkenntnisstruktur rückwirkenden und verändernden Erfahrung – kurz: mit »transzendentaler Erfahrung« 15 rechnet. Eine solche dialogische Erfahrungstheorie ist in ihrer Kehrseite zugleich die Antwort auf ein Desiderat in Kants »Kritik der reinen Vernunft«, nämlich die Fähigkeit, Transzendentalität und Geschichtlichkeit der Vernunft zusammenzudenken. Kant stellt den vierten Teil der »Transzendentalen Methodenlehre«, also den letzten Abschnitt des gesamten Werkes, unter die Überschrift: »Geschichte der reinen Vernunft«. Jedoch muss er sogleich einräumen: »Dieser Titel steht nur hier, um eine Stelle zu bezeichnen, die im System offenbleibt und künftig ausgefüllt werden muß.« 16 Schaeffler hat diese »Lücke im kantischen System« – wie er es nennt – stets sehr ernst genommen, grundlegend in einem Artikel aus dem Jahre 1976 »Zum Verhältnis von transzendentaler und historischer Reflexion«, in dem Schaeffler dieses Problem zum ersten Mal benennt. 17 Zu dem von Kant aus betrachtet paradoxen Begriff einer »transzendentalen Erfahrung« und zu Schaefflers Positionierung gegenüber vergleichbaren Entwürfen von E. Husserl, H. Krings, K. Rahner und J. B. Lotz vgl. B. Irlenborn, Was ist eine »transzendentale Erfahrung«, in: ThPh 79 (2004), 491–410. Vgl. Ders., »Veritas semper maior«, 159–176. 16 I. Kant, KrV, B 880. 17 In: H. Kohlenberger – W. Lütterfelds (Hg.), Von der Notwendigkeit der Philosophie in der Gegenwart, Wien – München 1976, 42–76. Vgl. B. Irlenborn, »Veritas semper maior«, 179–185. Wie nachhaltig Schaeffler das Verhältnis von Transzendentalität und Historizität nach wie vor beschäftigt, zeigt der 2006 erschienene Artikel »Die Dialektik der Religion und die Geschichte der reinen Vernunft – oder: Kann die Lücke im kantischen System geschlossen werden?«, in: Ders., Philosophisch von Gott reden, Freiburg i. Br. – München 2006, 61–93. Die Fragestellung nach dem Verhältnis von »Wahrheit und Geschichte« hatte Schaeffler von seinem philosophischen Lehrer Gerhard Krüger mit auf den Weg bekommen (vgl. R. Schaeffler, Wahrheit und Geschichte, in: K. Oehler – Ders., (Hg.), Einsichten. FS Gerhard Krüger, Frankfurt 1962, 297–315). Auch seine Habilitationsschrift widmet Schaeffler dieser Thematik (Ders., 15

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(2) Das Problem strukturverschiedener Erfahrungshorizonte, das zur beschriebenen Dialektik der Vernunft führt, sieht Schaeffler bei Kant nur in einem Spezialfall berücksichtigt, nämlich dem Widerspruch zwischen der Welt kausaler Gesetze gegenüber der Welt moralischer Zwecke. Schaeffler führt darüber hinaus unter dem Einfluss von Cassirers Philosophie der »symbolischen Formen« 18 die »Welt« der ästhetischen sowie der religiösen Erfahrung ins Feld. Unter neuzeitlichen Bedingungen, so Schaeffler, hat sich die Pluralität voneinander unabhängiger Erfahrungswelten und Subjektivitätsweisen soweit verschärft, dass angesichts ihrer ungeklärten Interferenzen eine »Logik der Erfahrung« nicht mehr zu erkennen ist. 19 Dies ist laut Schaeffler nicht nur als ein empirisches, sondern auch als ein epistemologisches Problem zu betrachten. 20 (3) Ein weiterer Mangel der kantischen Erkenntnislehre besteht nach Schaeffler schließlich darin, dass Kant das »empirische Subjekt« und die »allgemeine Menschenvernunft« als einen unvermittelten Gegensatz stehen lässt und die Frage unterbelichtet bleibt, wie das einzelne Subjekt zu den allgemeinen Vernunftmaßstäben gelange, die allein zu objektiver Erkenntnis führen können. Hier zeigt sich neben der synchronen Betrachtungsweise wiederum ein Verweis auf die Geschichtlichkeit der Vernunft. Schaeffler versucht diesbezüglich die transzendentale Bedeutung der Intersubjektiviät in Form einer konkreten Kommunikations- und Interaktionsgemeinschaft stark zu maDie Struktur der Geschichtszeit, Frankfurt a. M. 1963). Einmal von Kant abgesehen lässt sich auch Schaefflers Interesse an der Spätphilosophie Heideggers von der Frage her verstehen, wie sich transzendentales und historisches Denken vermitteln lassen. Vgl. Ders., Frömmigkeit des Denkens?, Darmstadt 1978; sowie aus jüngerer Zeit: Ders., Heideggers »Beiträge« – oder: Führt ein geschichtliches Verständnis der Vernunft zum Abschied vom »christlichen Gott«?, in: Ders., Philosophisch von Gott reden, Freiburg i. Br. – München 2006, 95–122. 18 Vgl. E. Cassirer, Philosophie der symbolischen Formen. Erster Teil. Die Sprache, Darmstadt 101994. 19 Schaeffler beschreibt die zunehmende Problematik des Erfahrungsbegriffs im nachdialektischen Horizont, der sich durch unterschiedliche, nicht mehr vermittelbare »Sprachspiele« und »Kommunikationsgemeinschaften« kundtut, am Verständnis von Erfahrung bei Hegel, Kierkegaard, Camus, Cassirer, Bloch und Lyotard. Bei Lyotard wird schließlich deutlich, dass die Einheit der Erfahrung postmodern nicht nur als nicht begründbar, sondern nicht einmal mehr als erstrebenswert gilt. Vgl. R. Schaeffler, EDW, 52–80. 20 Das Problem der »Erfahrungsunfähigkeit« bildet den problemorientierten Ausgangspunkt von Schaefflers Erfahrungslehre. Vgl. ebd., 37–41; vgl. B. Irlenborn, »Veritas semper maior«, 190 ff. Beten denken

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chen: »Der Dialog mit der Wirklichkeit ist in den Dialog unter Menschen verwoben.« 21

2.1.2 Die dialogische Erfahrungslehre und das »Gottespostulat« Im Folgenden soll Schaefflers Projekt einer dialogischen Erfahrungslehre entlang dieser drei Problemfelder in groben Linien skizziert werden: 22 Zu (1): Anstatt von einer monologischen Erkenntnistheorie geht Schaeffler von einem »responsorischen« und »antizipatorischen« Vernunftverständnis aus. Dies betrifft bereits die basalen Akte der Anschauung und der Wahrnehmung: 23 »Alles Wahrnehmen ist Antwort in der Form responsorischen Gestaltens.« 24 Indem wir aber unserer antwortenden Weise der Aneignung gewahr werden, nehmen wir zugleich wahr, dass unsere Antwort gegenüber dem Anspruch der Wirklichkeit immer unvollständig und unzulänglich bleibt. Schaeffler wörtlich: »Wir nehmen wahr, daß das, was wir wahrnehmen, in der Weise, wie wir es wahrnehmen, nicht aufgeht, weil jede Wahrnehmung die Aufgabe ihrer künftigen Überbietung in sich ent21 R. Schaeffler, Die Transzendentale Theologie ist der höchste Punkt der Transzendentalphilosophie, 19. 22 Da dies hier nur in sehr knapper Weise geschehen kann, darf auf die ausführlichen und präzisen Analysen von Bernd Irlenborn verwiesen werden. Vgl. Ders., »Veritas semper maior«, bes. 139–309; Ders., Der nicht-epistemische Wahrheitsbegriff Richard Schaefflers, in: Tobias Tappe (Hg.), Wahrheit und Erfahrung, Würzburg 2004, 53–64; Ders., Religiöse Erfahrung und postulatorischer Vernunftglaube, in: T. M. Schmidt – S. Wiedenhofer (Hg.), Religiöse Erfahrung, Freiburg i. Br. 2010, 123–141. 23 Schaeffler geht mit Kant von verschiedenen Stufen im Aufbau der Gegenstandswelt aus: von den »Anschauungen« über die »Wahrnehmungen« schließlich zur »Erfahrung« und zu den »Begriffen«. Vgl. zu den »Grundsätzen des reinen Verstandes« bei Kant: Ders., KrV, B 197–274: »Axiom der Anschauung«; »Antizipation der Wahrnehmung«; »Analogie der Erfahrung«; »Postulate des empirischen Denkens«. Vgl. R. Schaeffler, EDW, 330–354; Ders., PhE I, 113–122; Ders., Fähigkeit zur Erfahrung, in: J. Audretsch – K. Nagorni (Hg.), Was ist Erfahrung?, Karlsruhe 2002, 35– 74, bes. 42–51 [künftig: Fähigkeit zur Erfahrung (2002)]. Das Ziel des prozessualen Fortschreitens des reinen Verstandes beschreibt das von Schaeffler (frei) zitierte Diktum Kants: »Es kommt darauf an, unsere Erlebnisse so zu buchstabieren, dass wir sie als Erfahrung lesen können.« Ebd., 44; vgl. Ders., EDW, 45. Bei Kant heißt es wörtlich: »Erscheinungen [sic!] zu buchstabieren, um sie als Erfahrungen lesen zu können.« I. Kant, Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, Hamburg 2001, A 101 [künftig: Prol]. 24 R. Schaeffler, EDW, 300.

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hält.« 25 Die Wahrheit ist immer größer als unsere Wahrheitsprätentionen. Dieses Grundmuster der »veritas semper maior« zieht sich wie ein roter Faden durch Schaefflers gesamte Erkenntnislehre. 26 Es beschreibt die Einsicht, dass jede Form responsorischer und antizipatorischer Erkenntnis gegenüber der je größeren Wahrheit zurücksteht. Jedem Erkenntnisvorgang wohnt laut Schaeffler also die Erfahrung der »Abundanz« inne, die als treibende Kraft die Vernunft zu immer neuer, immer adäquaterer Erkenntnis motiviert. Das Moment der »veritas semper maior« tritt aber nicht nur bei »Anschauungen« und »Wahrnehmungen« auf, sondern ebenso bei deren selbstkritischer Umwandlung in objektive Bedeutungsgehalte, die Kant als »Erfahrung« bezeichnet. 27 In Schaefflers Neuformulierung der vier kantischen »Grundsätze des reinen Verstandes« vollziehen sich die entscheidenden »Umbauarbeiten« von einer monologischen zu einer dialogischen Erfahrungslehre. An dieser Stelle sei allein auf den entscheidenden vierten Grundsatz der »Postulate des empirischen Denkens überhaupt« 28 verwiesen, den Schaeffler vollständig neu formuliert. Dabei kommt sehr deutlich zum Ausdruck, wie sein transzendental-dialogischer Erfahrungsbegriff eine geschichtliche Ausrichtung bekommt: »Keine Erfahrung ist von solcher Art, daß sie kommende Erfahrungen überflüssig macht; keine ist von solcher Art, daß sie durch kommende Erfahrungen bedeutungslos gemacht werden könnte. Vielmehr dürfen wir mit Bezug auf jede einzelne Erfahrung dessen gewiss sein, daß sie uns spezifische Möglichkeiten aufschließt, neue Erfahrungen zu machen oder alte neu zu verstehen. Auf dieser Gewißheit beruht unsere Fähigkeit, im Weiterschreiten von einer Erfahrung zur anderen dem je größeren Anspruch des Wirklichen auf der Spur zu bleiben.« 29

Ebd., 301. Es ist zum Verständnis von Schaefflers Epistemologie wichtig daran zu erinnern, dass der Grundsatz der »veritas semper maior« nicht nur auf philosophische Erfahrungsinhalte oder gar auf die Erkenntnis Gottes zutrifft, sondern auch auf alltägliche Erfahrungsinhalte. In einem persönlichen Gespräch verwies Schaeffler diesbezüglich auf das Diktum Thomas von Aquins, dass »kein Philosoph jemals die Natur auch nur einer einzigen Mücke vollkommen zu ergründen vermochte«. Vgl. Thomas v. Aquin, Ich glaube an Gott, Olten – Freiburg i. Br. 1958, 11. 27 Vgl. R. Schaeffler, EDW, 320. 28 I. Kant, KrV, B 265–274. 29 R. Schaeffler, PhE I, 121. Vgl. wörtlich in: Ders., EDW, 346 f.; Ders., Die Transzendentale Theologie ist der höchste Punkt der Transzendentalphilosophie, 20. 25 26

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In jedem Akt der Wahrnehmung und Erfahrung kommt uns also der Anspruch des Wirklichen entgegen, der uns durch unser eigenes Anschauen und Denken erst ins Bewusstsein tritt und dem wir durch unsere Eigentätigkeit antwortend und vorgreifend Gestalt verleihen. Dieser Anspruch ist gleichwohl jedes Mal größer als unsere Antwort auf ihn. 30 So wird aus dem einzelnen Akt der Responsion ein Prozess eines Dialoges mit der Wirklichkeit, für den auf die Zukunft hin gilt: »Was wir sein werden, ist noch nicht offenbar« (1 Joh 3,2). 31 Zu (2): Schaeffler muss konstatieren, dass wir bei einer so verstandenen Umwandlung von Wahrnehmungen in objektiv gültige Erfahrungen nicht zu einem einheitlichen Erfahrungskontext kommen, sondern vielmehr zu verschiedenen heterogenen Erfahrungswelten, Objektivitätsansprüchen und Subjektivitätsweisen. 32 Angesichts dieser neuzeitlich immer deutlicher hervortretenden Vielzahl der Orientierungssysteme drohen der theoretische Vernunftgebrauch und insbesondere die »regulativen Ideen« der Welt und der Einheit des Ich zu zerbrechen. Dies hätte zur Folge, dass gegenstandsbezogene und objektive Erfahrung schlicht unmöglich würde. Die Pluralität unzusammenhängender Erfahrungen führt paradoxerweise zur Erfahrungsunfähigkeit. Diese Möglichkeit aber, dass die Vernunft an der Erfüllung ihrer Aufgaben tatsächlich scheitern könnte, habe Kant im Letzten nicht bedacht. Angesichts dieser tatsächlich anzunehmenden Dialektik reichen die lediglich als Zielvorstellung (»focus imaginarius«) angenommenen Ideen nicht mehr aus. »Dem Verstand muß vielmehr in dieser Lage etwas gegeben werden, was er sich selbst nicht verschaffen kann.« 33 Schaeffler überträgt daher die zur Auflösung der praktischen Vernunftdialektik bestimmte Denkform der Postulate auf die offenkundige Dialektik der theoretischen Vernunft. Der damit verbundene epistemologische Status ist ein anderer: Er beansprucht – im Gegensatz zu den bloßen Ideen – eine »aus transzendentalphiloso-

Vgl. Ders., EDW, 328 f. Dieses Zitat aus dem Johannesbrief ist Schaefflers biblische Bezugsstelle zum antizipatorischen Moment der Erfahrung. Vgl. Ders., EDW, 323 u. a. 32 Schaeffler beschreibt als Kontrapunkt zur wissenschaftlichen Empirie mit ihrem Ideal der »Welt der Forschungsgegenstände« und des »universal vertretbaren Forschersubjekts« auch die »ästhetische Erfahrungswelt« (ebd., 359–376), die »Welt der sittlichen Erfahrung« (ebd., 376–414), sowie den »Aufbau einer Welt religiöser Erfahrung« (ebd., 414–475). 33 Ebd., 137. 30 31

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phischen Gründen notwendige Existenzannahme« 34. Die von Schaeffler formulierten Postulate der »Einheit der Welt« und der »Einheit des Ich« lauten wörtlich: »Die Vielfalt der Weisen, wie das Wirkliche uns in Anspruch nimmt und zum Aufbau je unterschiedlicher Erfahrungswelten herausfordert, darf als eine Vielfalt von Abbild- und Gegenwartsgestalten der einen Weise verstanden werden, wie wir ›in omnitudine realitatis‹, d. h. in allem, was ist, von einer göttlichen Wirklichkeit in Anspruch genommen und zur Antwort herausgefordert werden.« 35 »Die Vielfalt der Subjektivitätsweise, mit denen wir uns als Forschersubjekte, als Subjekte der ästhetischen, sittlichen oder religiösen Erfahrung verhalten und verstehen, darf als eine Vielfalt von Abbild- und Gegenwartsgestalten der einen Weise verstanden werden, wie Gott den Menschen weiß und ihn in allem, was ist, unter seine Anrede stellt.« 36

In der Übertragung der Postulatenlehre auf die Dialektik der theoretischen Vernunft besteht sicherlich die markanteste Weiterentwicklung in Schaefflers transzendentalphilosophischem Ansatz über Kant hinaus – und an dieser Stelle auch ausdrücklich entgegen der Intention Kants. 37 Zu (3): Mit der Intention, den Mangel an intersubjektiver Perspektive in der kantischen Erkenntnistheorie aufzuheben, fügt Schaeffler den beiden genannten Postulaten ein weiteres hinzu, das mittels einer diachronen Betrachtungsweise zugleich die vermisste geschichtliche Perspektive in die Transzendentaltheologie einfügt und so die »Lücke im System« zu schließen versucht. Dieses Postulat von der »Einheit der Geschichte« lautet: »Jede der geschichtlich entstandenen Bewußtseinsformen und jede der ihnen entsprechenden Weisen, wie das Wirkliche dem Bewußtsein mit dem Anspruch auf Maßgeblichkeit begegnet, darf als Antizipationsgestalt eines kommenden Orientierungssystems begriffen werden, das eine allumfassende Kommunikationsgemeinschaft möglich macht. Diese stellt das

Vgl. ebd., 134. Vgl. B. Irlenborn, »Veritas semper maior«, 220–223. R. Schaeffler, EDW, 139, 289 f., 685, 754; Ders., PhE II, 223, 292, 335, 370 f., 392 u. a. 36 Ders., EDW, 685, 673 f., Ders., PhE II, 223, 292, 335 u. a. 37 Vgl. B. Irlenborn, »Veritas semper maior«, 294–298; Ders., Religiöse Erfahrung und postulatorischer Vernunftglaube, 127 ff. Vgl. den grundlegenden Aufsatz: R. Schaeffler, Recht und Grenzen eines postulatorischen Gottesglaubens, in: E. Coreth (Hg.), Von Gott reden in säkularer Gesellschaft, Leipzig 1996, 145–161. 34 35

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gemeinsame Ziel aller ›Sondergeschichten‹ von Kulturen und Gruppen dar. In jeder Begegnung zwischen Mitgliedern unterschiedlicher Erzähl- und Überlieferungsgemeinschaften wird diese kommende universale Kommunikationsgemeinschaft antizipatorisch präsent.« 38

Es fällt auf, dass hinter den drei theoretischen Vernunftpostulaten jeweils ein philosophischer Gottesbegriff als Inbegriff der »je größeren Wahrheit« hervortritt. Die »veritas semper maior« verweist im Letzten auf die größere Wirklichkeit Gottes, die auf die analoge Formel »deus semper maior« gebracht werden kann. 39 Dem Anspruch nach ist damit nicht etwa ein neuer Gottesbeweis verbunden, sondern »eine aus Vernunftgründen notwendige und durch die religiöse Antizipation des Erhofften (in Form der religiösen Erfahrung; S. W.) legitimierte Annahme und Unterstellung dieser Existenz« 40. Gott wird als »höchster Punkt« der Transzendentalphilosophie Schaefflers zu einem durch die Vernunft begründeten und auf Hoffnung hin angelegten Postulat: »Gott ist […] der Ursprung desjenigen Anspruchs, den uns, auf vielfältige Weise, die Weltwirklichkeit vermittelt; er ist das Subjekt jenes einen, allumfassenden Blicks, jenes ›unus contuitus‹, der die Vielfalt der Weisen, wie wir uns als Subjekte des Anschauens und Denkens verhalten und begreifen, aber auch die Vielfalt der je besonderen Geschichten, in denen sich die Anschauungs- und Denkformen unterschiedlicher Individuen und Gruppen herausgebildet haben, in einem einzigen Akte umfaßt.« 41

An der Formulierung des »Gottespostulates« wird sehr deutlich, dass dieses nicht einfach – wie die Gottesidee bei Kant – auf eine Stufe mit den Vernunftpostulaten von »Ich«, »Welt« und »Geschichte« gestellt werden kann. Jedem der Vernunftpostulate ist bereits ein transzendentalphilosophischer Gottesbegriff inhärent – oder umgekehrt: das »Gottespostulat« umfasst und konkretisiert die anderen Vernunftpostulate. Die für Schaeffler alles entscheidende Frage, ob Erfahrung möglich sei, hängt also von der postulatorischen Hoffnung auf einen Gott ab, dem die Vielheit der Erfahrungswelten und Subjektivitätsweisen »auf einen Blick« (unus contuitus) gegenwärtig ist. Die partikuläre Geschichte eines Individuums oder einer Gruppe darf angesichts der drohenden Dialektik und scheinbar unüberbrückbaren 38 39 40 41

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Ders., EDW, 685; vgl. ebd., 678. Vgl. B. Irlenborn, »Veritas semper maior«, 293. Ebd., 294. Ders., Religiöse Erfahrung und postulatorischer Vernunftglaube, 128. R. Schaeffler, EDW, 754.

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Divergenz ihrer Erfahrungsweisen als »Abbildgestalten« der göttlichen Einheit verstanden werden. 42 Im Folgenden ist es notwendig, auf zwei weitere Aspekte der Erfahrungslehre Schaefflers einzugehen, die im Fortgang dieser Arbeit bedeutsam sein werden: die Bedeutung der »religiösen Erfahrung« sowie die intersubjektive Dimension der Erfahrung.

2.1.3 Transzendentale Vernunftpostulate und religiöse Erfahrung Schaefflers transzendentaler Ansatz zielt auf die Möglichkeit strukturverändernder, transzendentaler Erfahrung und damit zugleich auf die Geschichtlichkeit der Vernunft. Die postulatorische Hoffnung der Einheit von Ich, Welt und Geschichte ist nicht nachvollziehbar, wenn die Möglichkeit einer auf den Erkenntnisapparat ein- und rückwirkenden Erfahrung nicht tatsächlich gegeben ist. Dabei ist für Schaeffler die »religiöse Erfahrung« 43 von besonderem Interesse, denn nirgendwo tritt eine epistemologisch größere Differenz auf als gegenüber dem Anspruch des Unendlichen. Hier werden wir an die Grenze menschlicher Erfahrungsfähigkeit geführt, nicht um die Erfahrungen gänzlich verstummen zu lassen, sondern um dort – unter dem Anspruch des Heiligen – zu neuen Erkenntnisweisen und verstärkter Erkenntniskraft zu gelangen. 44 Wie bei jeder dialogisch verstandenen Erfahrung geschieht auch religiöse Erfahrung dadurch, dass wir die Wirklichkeit als »Verbum Mentis« in uns antwortend Da Schaefflers Konzept eines postulatorischen Gottesglaubens und seine Bedeutung für die Theologie hier nicht in allen Einzelheiten dargestellt werden kann, sei auf zwei einschlägige Aufsätze verwiesen: Ders., Die Selbstgefährdung der Vernunft und der Gottesglaube, in: J. Beutler – E. Kunz (Hg.), Heute von Gott reden, Würzburg 1998, 31–56; Ders., Recht und Grenzen eines postulatorischen Gottesglaubens. 43 Zum umstrittenen Begriff der »religiösen Erfahrung« vgl. v. a. Ders, PhE I, 176– 199; PhE II, 63–162. Vgl. zudem Ders, Die religiöse Erfahrung und das Zeugnis von ihr, in: B. J. Hilberath (Hg.), Erfahrung des Absoluten – absolute Erfahrung?, Düsseldorf 1990, 13–34. Ders., Religiöse Erfahrung – Ausdruck reiner Subjektivität oder Fundstelle objektiv gültiger Wahrheit?, in: PhJ 107 (2000), 61–73. Ders., Grenzerfahrung der Vernunft als Interpretamente religiöser Erfahrung, in: F. Uhl – A. Boelderl (Hg.), Zwischen Verzückung und Verzweiflung: Dimensionen religiöser Erfahrung, Düsseldorf 2001, 27–41. Die im Forschungsbericht genannte Dissertation von JongJin Lee konzentriert sich ebenfalls auf den Zusammenhang von allgemeiner Erfahrungsfähigkeit und religiöser Erfahrung bei Schaeffler. Vgl. Ders., Transzendenzbewusstsein und Praktische Vernunft. 44 Vgl. ausführlich dazu: R. Schaeffler, PhE I, 176 ff. 42

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aufnehmen und dabei antizipatorisch an der Wahrheit teilhaben, die uns begegnet und die gleichwohl je größer ist als unsere Aufnahmeund Antwortversuche. 45 Religiöse Erfahrung kann mit anderen Worten als das Aufleuchten der je größeren Herrlichkeit Gottes – seiner »Doxa« – beschrieben werden, die in der menschlich-vorläufigen Antwortgestalt der »Doxo-logie« ihren Ausdruck findet. Der transzendental-dialogische Erfahrungsbegriff Schaefflers lässt bereits hier eine erste Perspektive auf den religiösen Akt des Gebets erahnen. 46 Schaeffler verweist vielfach auf ein hermeneutisches Wechselverhältnis zwischen den Vernunftpostulaten einerseits und der religiösen Erfahrung andererseits. Erst die religiöse Erfahrung bewahrt die Vernunftpostulate davor, bloße »Forderungen« zu bleiben, denn in ihr manifestiert sich, »dass […] jede Weise, wie das Wirkliche uns in Anspruch nimmt, als die Erscheinungsgestalt eines göttlichen Anspruchs und einer göttlichen Zuwendung verstanden werden darf.« 47 Es bedarf also notwendigerweise der religiösen Erfahrung, die die Vernunftpostulate legitimiert. Die religiöse Subjektivitätsweise aber wird fortan nicht nur das Heilige, sondern alles Wirkliche »mit neuen Augen und neuen Ohren« sehen und so »umgestaltet werden zu einem neuen Denken« (vgl. Röm 12,2). Die Formulierung von Vernunftpostulaten andererseits macht deutlich, dass die spezielle Form der religiösen Erfahrung nicht nur für »religiös musikalische« Menschen zugänglich ist. Die religiöse Erfahrung folgt zwar ihren eigenen Strukturgesetzen und ist insofern eine Erfahrungsweise unter anderen. Insofern sie aber jene Postulate offenlegt, die sich zur Auflösung der Vernunftdialektik eignen und ohne die folglich jegliche Erfahrung unmöglich wäre, nimmt sie eine alle anderen Erfahrungsweisen tragende Funktion ein. 48 Denn die religiöse Erfahrung bringt die allen Erfahrungen gemeinsamen Möglichkeitsbedingungen explizit zum Vorschein. In Anlehnung an eine Formulierung Kants bringt Schaeffler dieses Wechselverhältnis so auf den Begriff: »Vernunftpostulate Vgl. ebd., 180, 197. Schaeffler hat den Aufbau der religiösen Erfahrung bereits in »EDW« ausführlich beschrieben (vgl. ebd., 414–475). Doch scheint mit der Einführung des Begriffspaares »Verbum Mentis« und »Verbum Oris« in jüngerer Zeit eine schlüssige Präzisierung stattgefunden zu haben. Vgl. Ders., PhE I, 149, wo Schaeffler eine notwendige oder zumindest »zweckmäßige« Fortschreibung seiner Erfahrungslehre andeutet. 46 Vgl. zu Schaefflers Begriff und Verständnis von »Doxologie« Kap. 5. 47 R. Schaeffler, PhE I, 191 f. 48 Vgl. ebd., 193. 45

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ohne religiöse Erfahrung sind leer, religiöse Erfahrung ohne Vernunftpostulate ist blind.« 49 Dass der Begriff der »religiösen Erfahrung« problematische Züge aufweist und Gefahr läuft, »blind« zu werden, wird auch ohne Bezugnahme auf die aktuell laufende Debatte zur »religiösen Erfahrung« 50 überaus einsichtig. Schaeffler ist neben dem Aufweis der Gegenstands- und Wahrheitsfähigkeit religiöser Erfahrung insbesondere an den Kriterien ihrer Objektivität interessiert. Gemäß seinem »viertem Grundsatz des reinen Verstandes« gilt, dass religiöse Erfahrung sich wie jede andere Art von Erfahrung dadurch bewährt, dass durch sie andere – frühere und spätere – Erfahrungen ausgelegt werden und in einem neuen Horizont erscheinen und umgekehrt selbst durch andere Erfahrungen, auch durch sogenannte »Welterfahrungen«, ausgelegt wird. 51 Vor allem äußert sich die Objektivität religiöser Erfahrungen aber darin, dass sie in den intersubjektiven Rahmen einer (religiösen) Gemeinschaft eingeordnet werden kann. »›Objektiv gültig‹«, so Schaeffler, »ist eine religiöse Erfahrung dann, wenn sie ihre Stelle in einem Erfahrungskontext findet, der durch den Austausch von Erfahrungszeugnissen in Kommunikations- und Überlieferungsgemeinschaften aufgebaut wird.« 52 So findet das »Verbum Mentis«, das in der Antwort auf die Anrede des Heiligen erwächst, seine Fortführung im »Verbum Oris«, das sich sprachlich an die Hörer der Überlieferungsgemeinschaft wendet und diese wiederum dazu befähigt, bezüglich dieser Erfahrung »Rede und Antwort« zu stehen. Die Ausbildung bestimmter Formen der Erfahrung aber 49 Ebd., 192 f.; Ders., EDW, 689 u. a. Vgl. I. Kant, KrV, B 75: »Gedanken ohne Inhalte sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind«. 50 Zu denken wäre an die analytische Religionsphilosophie William P. Alstons (vgl. Ders., Gott wahrnehmen. Die Erkenntnistheorie religiöser Erfahrung, Heusenstamm 2006) sowie an die pragmatischen Religionsphilosophie William James’ (vgl. Ders., Die Vielfalt religiöser Erfahrung, Frankfurt a. M. – Leipzig 1997). Vgl. zur in Deutschland inzwischen breit angelegten Rezeption: F. Ricken (Hg.), Religiöse Erfahrung. Ein interdisziplinärer Klärungsversuch, Stuttgart 2004; G. Haeffner (Hg.), Religiöse Erfahrung II. Interkulturelle Perspektive, Stuttgart 2007. Jing-Jin Lee versucht Schaefflers religiösen Erfahrungsbegriff mit anderen prominenten Ansätzen ins Gespräch zu bringen, darunter Alston, James und in dessen Folge M. Jung, sowie J. Hick und C. F. Davis. Vgl. Ders., Transzendenzbewusstsein und praktische Vernunft, bes. 116–146. 51 Vgl. R. Schaeffler, PhE I, 188; Ders., Religiöse Erfahrung – Ausdruck reiner Subjektivität oder Fundstelle objektiv gültiger Wahrheit, 66 f. 52 Ebd., 67.

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hängt mit bestimmten Formen ihrer Versprachlichung zusammen, »Verbum Mentis« und »Verbum Oris« stehen in einem Wechselverhältnis. 53 Auch diese Form intersubjektiver und sprachlich nach-vollzogener Erfahrungsweise kann und muss nach Schaeffler als transzendentale Erfahrung gedacht werden können. Die Weitergabe des »Verbum Mentis« klärt den Hörer nicht nur »informativ« über einen Sachverhalt auf, sondern übermittelt ihm – in bestimmten, eben den interessantesten Fällen – durch das »Verbum Oris« den Anspruch des Wirklichen selbst, der den Erfahrungshorizont des Adressaten verändern und über ihn hinausführen will. Schaeffler spricht hier von einer wirklichen »In-formation«, der transzendentalen Formung und Veränderung der Erkenntnisweise mittels der sprachlichen Botschaft. 54 Für den Fall religiöser Erfahrung beziehungsweise religiöser Sprache beschreibt Schaeffler dies als den Vorgang, wie »Gotteswort in der Gestalt des Menschenwortes« einen intersubjektiven Dialogprozess entfacht und so zum Aufbau einer Sprachgemeinschaft von Gläubigen beiträgt. 55 Da am Anfang und im Zentrum der intersubjektiven Erfahrung – nicht nur der subjektiven – immer die je größere göttliche »Doxa« steht, muss auch die konkrete Gemeinschaft in erster Linie als »doxologische Gemeinschaft« und ihre Sprachform als »doxologische Wechselrede« betrachtet werden. 56 Wiederum eröffnet sich der Blick auf den Akt des Gebetes – nunmehr in sprachlicher und intersubjektiver Perspektive. 57 Aus dieser Skizze von Schaefflers transzendentalphilosophischem Erfahrungskonzept gilt es festzuhalten: Schaeffler bleibt dem von ihm philosophiegeschichtlich offengelegten Grundsatz treu, wonach die transzendentale Theologie als »höchster Punkt« der Transzendentalphilosophie zu betrachten ist. Die unüberschaubare Pluralität von ErHier wird erstmals deutlich, wie die transzendentalphilosophische und sprachphilosophische Methodik bei Schaeffler ineinander greifen und nach gegenseitiger Ergänzung streben. Vgl. dazu näher Kap. 5.2. 54 Vgl. R. Schaeffler, PhE I, 229: »Das nach außen gesprochene Wort ist im wörtlichen Sinne ›In-formation‹, ›Formgebung‹, kraft derer der Hörer jene Form des Anschauens und Denkens erst entwickelt, durch die er zum Verstehen des Gehörten fähig wird.« 55 Vgl. ebd., 149 f. Der zweite Teil von »PhE I« über religiöse Kommunikations-, Überlieferungs- und Verstehensprozesse trägt die Überschrift »Gotteswort im Menschenwort«. Vgl. ebd., 212–396. 56 Vgl. ebd., 197–199. 57 Diese Überlegung deutet bereits den Ansatzpunkt in Kap. 6 dieser Arbeit an. 53

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fahrungsweisen veranlasst Schaeffler dazu, über Kant hinaus neue Vernunftpostulate zu formulieren, welche die Dialektik(en) der theoretischen Vernunft aufzulösen beanspruchen. Allen voran steht das Einheit stiftende und Erfahrung ermöglichende Postulat der Existenz Gottes. Für das Anliegen der methodischen Einführung in Schaefflers Religionsphilosophie sind die beiden zuletzt beschriebenen Beobachtungen von hoher Prägnanz: Die genauere Strukturanalyse der religiösen Erfahrung, der für Schaefflers Erfahrungslehre insgesamt eine hermeneutische Schlüsselrolle zukommt, hat zu Überlegungen über die »Erscheinungsweise der Doxa Gottes« geführt, die den Sprachgebrauch einer eher phänomenologisch orientierten Religionsphilosophie anklingen ließen. Die Suche nach Objektivitätskriterien für die problematische Rede von »religiöser Erfahrung« hat den Blick auf die bereits zuvor eingeforderte intersubjektive Betrachtungsweise geweitet und auf einen sprachphilosophischen Lösungsweg (»Verbum Mentis« – »Verbum Oris«) verwiesen. Die transzendentale Methode – so treu Schaeffler sich ihrer verpflichtet weiß – drängt also auf religionsphilosophischem Terrain nach einer Ergänzung. Beide methodischen Ausgriffe ließen erkennen, dass inhaltlich dabei die Gebetsthematik in den Fokus rückt.

2.2 Der phänomenologische Ansatz: Das Heilige denken 2.2.1 Die Unverfügbarkeit des Religiösen Der phänomenologische Typus in der Religionsphilosophie beschreibt eine Denkbewegung, welche der gängigen philosophischen Gotteslehre konträr entgegentritt und aus diesem Grunde auf den ersten Blick befremdlich wirken mag. 58 Am Anfang steht nicht ein philosophischer Begriff, sondern die Mannigfaltigkeit religiöser Zeugnisse und Erscheinungsformen (Phänomene), die betrachtet und verglichen werden, um schließlich – soweit angebracht – zu fragen, wie angesichts dieses Befundes angemessen von einem »Gott«

Vgl. einführend zu Schaefflers Einordnung einer phänomenologisch orientierten Religionsphilosophie: Ders., RelPhil, 105–142; Ders., Auf dem Weg zu einem philosophischen Begriff der Religion, in: HFTh I, Tübingen – Basel 22000, 33–46, bes. 38 f.; Ders., Zur phänomenologischen Methode in der Religionsphilosophie, in: Erbe und Auftrag 62 (1986), 102–111.

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zu sprechen sei. 59 Offenkundig liegt die Stärke dieses Zugangs darin, den Religionsbegriff nicht von vorneherein nach dem Maßstab eines philosophischen Gottesbegriffs einzuengen, 60 sondern der Vielfalt des religionshistorischen Befundes möglichst Rechnung zu tragen. Dies ist der Grund, weshalb Schaeffler in seinen phänomenologischen Überlegungen »das Heilige« nicht automatisch mit dem personalen »Gott« gleichsetzt und die scheinbar merkwürdige Frage stellt: »Wie kommt Gott in die Religion?« 61 Die Stärke dieses Modells offenbart zugleich dessen Schwäche: Es bedarf bestimmter Kriterien, um anzugeben, was in den Bereich »echter« religiöser Phänomene fällt, wo etwa Grundcharakteristika von Religion(en) auszumachen sind, und worin angesichts der Vielfältigkeit des empirischen Befundes ein Vergleichspunkt anzusetzen wäre. Schaeffler versteht Religionsphänomenologie insofern notwendigerweise als eine Begegnung von empirischer Religionswissenschaft und philosophischer Phänomenologie. Als Begründer dieser Art von Religionsphilosophie nennt Schaeffler Rudolf Otto, Max Scheler und Gerardus v. d. Leeuw, sowie – eine Generation später – Mircea Eliade. Als deren gemeinsamer Bezugspunkt gilt der Stammvater der Phänomenologie, Edmund Husserl. Phänomenologie untersucht nach Husserl die Struktur unserer intentionalen Akte und die Eigenart dessen, was wir durch diese Akte erfassen. In einer grundlegenden Unterscheidung hebt er die sogenannte »Noesis«, den sinnbildenden Bewusstseinsakt, der einen bestimmten Gehalt intendiert, ab vom »Noema«, dem Sinngehalt des Gegenstandes, auf den sich die Noesis richtet. Schaeffler bezeichnet dies als das »phänomenologische Grundgesetz« seit 59 Vgl. Ders., RelPhil, 105 f. Vgl. auch den Abschnitt zu Religionsphänomenologie mit Bezug auf Schaeffler in: K. Müller, Glauben – Fragen – Denken, Bd. III, Münster 2010, 502–509. 60 Vgl. R. Schaeffler, »Das Heilige« und »der Gott« – oder: Wie kommt Gott in die Religion?, in: M. Enders – H. Zaborowski (Hg.), Phänomenologie der Religion, Freiburg i. Br. – München 2004, 157–173, hier 159: »Legt man […] einen philosophischen Gottesbegriff zugrunde – etwa den Begriff eines transzendenten, alles bestimmenden Wesens, das als allwissend und allmächtig, schlechthin vollkommen und personal gedacht wird – dann sind die meisten Überlieferungen, von denen die Religionsgeschichte spricht, keine Religionen.« 61 Vgl. den Untertitel dieses Aufsatzes: »Wie kommt Gott in die Religion?«; vgl. Ders., PhE II, 169–174. Diese Formulierung Schaefflers ist angelehnt an die berühmte Fragestellung Heideggers »Wie kommt Gott in die Philosophie?«. Vgl. M. Heidegger, Die onto-theo-logische Verfassung der Metaphysik, in: Ders., Identität und Differenz, GA Bd. 11, Frankfurt a. M. 2006, 51–79, bes. 64, 77.

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Husserl: dass Noesis und Noema in einem strengen Entsprechungsverhältnis stehen. »Kein noetisches Moment ohne ein ihm spezifisch zugehöriges noematisches Moment.« 62 Eine weitere Grundlage der Phänomenologie Husserls ist der Begriff der »Originarität« oder des »originären Gegebenseins«. Dieser beschreibt die Art und Weise, wie das Noema in der Noesis auf eine unmittelbare und unabgeleitete Weise gegeben ist, wie es intuitiv wahrgenommen werden kann und gleichsam »leibhaftig gegenwärtig« ist. 63 Schaeffler fasst das Grundgesetz der husserlschen Phänomenologie so zusammen: »Zwischen der Struktur eines Aktes und derjenigen Wesenseigentümlichkeit, in der diesem Akt Gegenstände ›originär gegeben‹ sind, besteht ›strenge Korrelation‹.« 64 Das Prinzip der Originarität führte bei der Aufnahme des phänomenologischen Denkens in die Religionsphilosophie zu einer ebenso schlichten wie provokanten These: »Die ursprüngliche Gegebenheit der religiösen Gegenstände ist stets ihre Gegebenheit für den religiösen Akt.« 65 Besonders Max Scheler hat die »Evidenz« religiöser Erfahrung vor aller natürlichen Theologie, vor der Frage nach Gottesbeweisen und Gotteserkenntnis und vor der religionshistorischen Fragestellung nach der »wahren Religion« stets betont. 66 Mit Verweis auf die »originäre Gegebenheitsweise« der Religion bezeichnet er den »Satz von der Ursprünglichkeit und Unableitbarkeit der religiösen Erfahrung« als die »erste sichere Wahrheit aller Religionsphänomenologie« 67. Um diese Aussage Schelers zu veranschaulichen, E. Husserl, Ideen zu einer reinen Phänomenologie I, Hamburg 1992, 215; vgl. R. Schaeffler, RelPhil, 113. 63 Vgl. D. Espinet – F. Steffen, Art. »Originarität«, in: H.-H. Gander (Hg.), HusserlLexikon, Darmstadt 2010, 220–223. 64 R. Schaeffler, Orientierungsaufgaben der Religionsphilosophie, in: P. Koslowski (Hg.), Orientierung durch Philosophie, Tübingen 1991, 196–224, hier 210. Der Begriff »Korrelation« ist hier als ein Terminus Husserls zu verstehen, der das Verhältnis von Bewusstsein und Gegenstand, von Erscheinung und Erscheinendem bezeichnet. Nach Husserl ist Phänomenologie »Korrelationsforschung«, insofern sie untersucht, wie der Gegenstand ins Bewusstsein kommt. Vgl. T. Keiling, Art. »Korrelation«, in: H.-H. Gander (Hg.), Husserl-Lexikon, Darmstadt 2010, 174–176. Vgl. E. Husserl, Ideen zu einer reinen Phänomenologie I, 211, 282, 292, 317, 341 u. a. Der Begriff der »Korrelation« bei Husserl zeigt mit seiner religionsphilosophischen Verwendung bei Hermann Cohen keinen erkennbaren Zusammenhang (Kap. 3.1.2). Beide verwenden diesen Begriff allerdings etwa zeitgleich. 65 R. Schaeffler, RelPhil, 113 f. 66 Vgl. M. Scheler, Vom Ewigen im Menschen (1920/22), Bern 1954, bes. 157–240. 67 Ebd., 170. 62

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zieht Schaeffler einen Vergleich aus anderen noetischen Gegebenheitsweisen heran. Er sagt: Töne werden durch das Hören sinnlich wahrgenommen, Farben durch Sehen. Wenn man also Töne »sieht« – etwa im Notenbild – oder wenn man von Farben »hört«, weil sie jemand beschreibt, dann sind dies jeweils nur sekundäre Gegebenheitsweisen, die durch die originären Akte vermittelt bleiben. 68 Für den religiösen Akt und insbesondere für das Gebet bedeutet dies: Es kann auf keine Weise deutlich gemacht werden, was »beten« eigentlich sei, außer man macht das Gebet selbst zum Gegenstand phänomenologischer Beobachtung. 69 Schaeffler wörtlich: »Gott erfährt man in Akten des Verehrens und der Anbetung […]; nur in diesen Akten ist er originär gegeben.« 70 Wenn aber Gott nur im religiösen Akt »originär gegeben« ist, dann heißt das konsequenterweise, dass er dem philosophischen Gottesdenken allenfalls sekundär, also durch die Vermittlung ebendieser religiösen Akte, zugänglich ist. 71

2.2.2 Phänomenologie des Gebetes nach Max Scheler und Friedrich Heiler Wie steht Schaeffler zu den Versuchen, Husserls Phänomenologie religionsphilosophisch aufzugreifen und eine eigenständige religionsphänomenologische Methodik zu entwickeln? Seine Position mag am ehesten anhand seiner Rezeption Max Schelers und des für die Gebetsthematik relevanten Beitrages von Friedrich Heiler deutlich werden. Schaeffler zeigt insgesamt eine hohe Zustimmung zum religionsphänomenologischen Ansatz, den Max Scheler vorgelegt hat. Dieser geht nicht von einer allgemeinen philosophischen Phänomenologie auf die »regionale« Phänomenologie der Religion über, sondern nimmt den religiösen Akt direkt in den Blick, in dem Bemühen, dessen »Sinnlogik« zu erschließen. Diese Sinnlogik erweist sich dabei Vgl. R. Schaeffler, RelPhil, 114; Ders., Orientierungsaufgaben der Religionsphilosophie, 210 f.; M. Scheler, Vom Ewigen im Menschen, 257. 69 Vgl. R. Schaeffler, Kleine Sprachlehre, 10 f. 70 Ders., Orientierungsaufgaben der Religionsphilosophie, 211. 71 Schaeffler weist hier auf ein Problem hin, das ihn unter dem Stichwort des »Deus philosophorum« wiederholt beschäftigt und auch mit der Frage nach der »Autarkie« bzw. »Autonomie« religiöser Akte zusammenhängt. Es genügt an dieser Stelle, dieses Problem einmal klar zu benennen, das in Kap. 7 ausführlich bearbeitet wird. 68

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als scheinbar widersprüchlich: Im religiösen Akt wird etwas intendiert, das dem menschlichen Geist notwendig transzendent ist und gleichwohl nur innerhalb des menschlichen Geistes, also immanent intendiert werden kann. Im Originalton Schelers aus seinem Werk »Vom Ewigen im Menschen«: »Das Sein des Gegenstandes, der evident menschliches Bewußtsein transzendiert, fordert einem Geist voll immanent zu sein, der wesensunmöglich der menschliche ist.« 72 Schaeffler misst diesem Gedanken den epistemologischen Status eines Postulates bei. Dieses Postulat dürfe jedoch, so Schaeffler, bei Scheler nicht metaphysisch, sondern rein phänomenologisch verstanden werden, nämlich gemäß der Korrelation von Noesis und Noema in dem Sinne, dass der religiöse Akt sich seinem Gegenstand »verdankt« und im religiösen Akt »originär gegeben« ist. 73 Schaeffler hebt weiter hervor, dass Scheler diese Korrelation sowohl dialogisch als auch personal verstanden wissen will. 74 Von dieser Annahme aus ist es nur noch ein kleiner Schritt, den Gebetsakt ins Zentrum der religionsphänomenologischen Forschung zu stellen, als »das ausgezeichnete Beispiel, an dem die spezifischen Merkmale aller religiösen Akte anschaulich hervortreten« 75. Allerdings sucht man eine Phänomenologie des Gebetes bei Scheler vergeblich. Schaeffler führt dies auf die Tatsache zurück, dass beinahe zeitgleich mit dessen religionsphänomenologischem Hauptwerk eine ausgearbeitete Noetik

M. Scheler, Vom Ewigen im Menschen, 182; zitiert bei R. Schaeffler, RelPhil, 131. 73 Vgl. ebd., 132 f. 74 Scheler erkennt drei Wesensmerkmale der Sinnlogik des religiösen Aktes: »1. die Welttranszendenz seiner Intention, 2. die Erfüllbarkeit nur durch das ›Göttliche‹, 3. die Erfüllbarkeit des Aktes nur durch die Aufnahme eines sich selber erschließenden, dem Menschen sich hingebenden Seienden göttlichen Charakters.« Ebd., 244 f. Die ersten beiden Merkmale finden sich in dem beschriebenen Widerspruch und dessen postulatorischer Auflösung wieder. Das dritte Merkmal führt Schaeffler zu der Interpretation, dass Scheler die religiöse Noesis als personal-dialogische begreift. Schaeffler bezieht sich hierbei auf die Ausführungen Schelers zum dritten Merkmal, die dem religiösen Noema, also Gott, sowohl »antwortenden« als auch »personalen« Charakter zusprechen: »Der religiöse Akt fordert […] eine Antwort, einen Widerund Gegenakt seitens eben des Gegenstandes, auf den er seinem intentionalen Wesen nach abzielt. Und damit ist schon gesagt, daß von ›Religion‹ nur die Rede sein kann, wo ihr Gegenstand göttliche personale Gestalt trägt und wo Offenbarung […] dieses Persönlichen dem religiösen Akt und seiner Intention die Erfüllung gibt.« M. Scheler, Vom Ewigen im Menschen, 248. 75 R. Schaeffler, RelPhil, 133. 72

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des Gebetsaktes erschienen ist: Friedrich Heilers Monographie »Das Gebet« aus dem Jahr 1918. Ob diese monokausale Erklärung für Schelers Zurückhaltung hinsichtlich der phänomenologischen Analyse des Gebetsaktes befriedigend ist, soll dahingestellt bleiben. 76 Wichtiger ist es, Schaefflers Einschätzungen zum Werk Heilers näher zu betrachten, und so das Potential der religionsphänomenologischen Methode für die Gebetslehre weiter auszuloten. Der spätere Marburger Religionswissenschaftler Heiler dokumentiert und typologisiert in seiner Dissertation eine große, religionsübergreifende Vielfalt an Gebetstexten, Gebetsweisen und -haltungen und ist im Spannungsfeld zwischen einer religionswissenschaftlichen und religionsphilosophischen Arbeitsweise anzusiedeln. 77 Aufschlussreich ist vor allem die abschließende Synthese über das »Wesen des Gebets« 78. Heiler kommt es ganz in der Tradition der phänomenologischen Herangehensweise zuallererst auf den konkreten Vollzug des Gebetes an, bevor dieser im Nachhinein einer religionsphilosophischen Deutung unterzogen wird. Er fragt daher: »Was meint der schlichte, von keiner Reflexion angekränkelte Fromme, wenn er betet? Er glaubt mit dem unmittelbar gegenwärtigen, persönlichen Gott zu reden, mit ihm zu verkehren, mit ihm in lebendigem, inneren Austausch zu stehen. Es sind näherhin drei Momente, welche die innere Struktur des Gebetserlebnisses bilden: der Glaube an den lebendigen, persönlichen Gott, der Glaube an seine reale, unmittelbare Präsenz und der dramatische Verkehr, in den der Mensch mit dem als gegenwärtig erlebten Gott tritt.« 79

Und weiter: »Der Glaube an die Persönlichkeit Gottes und die Gewißheit seiner Gegenwart sind die beiden Voraussetzungen des Gebets. Das Gebet selbst ist aber kein bloßer Glaube […]. Das Gebet ist vielmehr eine lebendige Beziehung des Menschen zu Gott.« 80

Vgl. ebd., 134. F. Heiler, Das Gebet. Eine religionsgeschichtliche und religionspsychologische Untersuchung (1918), München 51923. Vgl. zur Einordnung: H. J. Luibl, Des Fremden Sprachgestalt, Tübingen 1993, 179–182. Vgl. auch den späteren Aufsatz Heilers zur Gebetsthematik: F. Heiler, Das Gebet in der Problematik des modernen Menschen, in: H. Kuhn – u. a. (Hg.), Interpretation der Welt, Würzburg 1965, 227–246. 78 F. Heiler, Das Gebet, 486–495. 79 Ebd., 489. 80 Ebd., 490. 76 77

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Ohne der gebetstheologischen Position Schaefflers allzu weit vorauszugreifen, kann man festhalten, dass er die drei Wesensmerkmale des Gebetes bei Heiler – persönlicher Gott, unmittelbare Gegenwart, »dramatischer Verkehr« – wohl deutlich unterstreichen würde. Heiler stößt bei der phänomenologischen Analyse des Gebetsaktes auf die Dialektik zwischen dem Offenbarwerden und der Unerkennbarkeit Gottes. Er ist sich dessen bewusst, dass er damit eine Grundstruktur der religiösen Noesis offenlegt, die dem religiösen Noema, also – wenn man so will – dem »Wesen« Gottes entspricht. Bereits im Ausgang des Mittelalters wurde diese Einsicht unter dem Stichwort des »deus absconditus et deus revelatus« 81 verhandelt. Dieser Dialektik entsprechend unterscheidet Heiler zwei Gebetstypen: Das »prophetische Gebet«, das er in den Offenbarungsreligionen wiederfindet, sowie das »schweigende Gebet«, das er in der fernöstlichen Mystik lokalisiert. Schaeffler stellt die Zuordnung dieser beiden Gebetstypen zu unterschiedlichen »Typen der hochentwickelten Religionen« 82 – sollte Heiler dies tatsächlich so gemeint haben – zu Recht in Frage. Denn abgesehen von der berechtigten Anfrage, ob diese strikte Unterscheidung zutrifft, widerspricht dies der Beobachtung Heilers vom Zusammenfallen dieser Gegensätze in Gott selbst. Insbesondere beklagt Schaeffler, dass Heiler durch das bloße Nebeneinanderstellen von Offenbarungsreligion und Mystik ein Weg verschlossen geblieben ist, den Mircea Eliade angesichts ähnlicher Beobachtungen beschritten hat, indem er der Religionsphänomenologie eine historische Ausrichtung gegeben hat. 83 Aus der Sicht Vgl. Ders., Erscheinungsformen und Wesen der Religion, Stuttgart 1961, 339. Soweit nachvollziehbar geht die berühmte Figur des »deus absconditus et revelatus« dem Sinn nach auf Nikolaus Cusanus zurück, wurde dann aber von Martin Luther ausgearbeitet und in »De servo arbitrio« (1525) gegen Erasmus von Rotterdam noch einmal verschärft vorgetragen. Das einschlägige Zitat bei Cusanus findet sich in: N. Cusanus, De visione Dei 12, h VI, Nr. 47: »Apparuisti mihi, domine, aliquando ut invisibilis ab omni creatura, quia es deus absconditus infinitus. […] Apparuisti deinde mihi ut ab omnibus visibilis, quia in tantum res est, in quantum tu eam vides, et ipsa non esset actu, nisi te videret. […] Sic, deus meus, es invisibilis pariter et visibilis.« (»Bisweilen hast Du, Herr, Dich mir als der für die gesamte Schöpfung Unsichtbare gezeigt; denn Du bist der unendliche verborgene Gott. […] Dann hast Du Dich mir als der von allen Sichtbare gezeigt. Etwas ist ja nur insoweit, als Du es siehst; und es wäre nicht wirklich, wenn es Dich nicht sähe. […] So bist Du, mein Gott, zugleich unsichtbar und sichtbar.«) 82 R. Schaeffler, RelPhil, 135. 83 Vgl. M. Eliade, Geschichte der religiösen Ideen, Freiburg i. Br. – Basel – Wien 1978–1991. 81

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Schaefflers wäre gerade die noetische Gegensatzeinheit von Wort und Schweigen, beziehungsweise noematisch gefasst von Gegenwart und Unzugänglichkeit Gottes das herausragende Beispiel, um zu zeigen, wie »die Geschichtlichkeit der Religion aus der Dialektik der Hierophanie hergeleitet werden soll« 84. Obwohl die »Gebetsphänomenologie« Heilers das Desiderat bei Scheler auszufüllen scheint und den Gebetsakt konsequent in den Mittelpunkt der phänomenologischen Analyse rückt, spielt sie bei Schaeffler, abgesehen von der hier aufgegriffenen Passage in seiner »Religionsphilosophie«, keine große Rolle. Zwei weitere Kritikpunkte Schaefflers vermögen dies zu erklären: Das fehlende Gespür Heilers für die »Herkunft des Beters«, also für den historischen Zusammenhang und die Entstehungsbedingungen von konkreten Gebetsformen, lassen Schaeffler zu dem Urteil kommen, Heiler neige zu einem »religiösen Individualismus« 85. In der Tat lässt sich nachweisen, dass das ritualisierte, liturgische und gemeinschaftliche Gebet für Heiler als ein »Erstarrungsphänomen« 86 gilt und es ihm einzig um die »Persönlichkeit« des Beters geht. 87 Demgegenüber wird Schaeffler in seiner Gebetslehre nicht nur die intersubjektive Dimension des Gebetes stärker betonen, sondern auch auf den notwendigen »institutionellen Rahmen« des Privatgebetes hinweisen, wie es seine auch sprachphilosophisch inspirierte Betrachtungsweise nahelegt. 88 Eben darin liegt der zweite Kritikpunkt Schaefflers: So differenziert und umfassend sich Heilers Gebetsphänomenologie präsentiert, vernachlässigt diese in Schaefflers Augen doch diejenige »Aktklasse« 89, von der der intentionale Akt des Betens vor allem geprägt ist – das Sprechen.

R. Schaeffler, RelPhil, 136. Ebd., 137. 86 Vgl. ebd., 138. Schaeffler zitiert hier: F. Heiler, Das Gebet, 488 f. 87 Vgl. auch H. J. Luibl, Des Fremden Sprachgestalt, 181. 88 In der einzigen Passage in »Das Gebet und das Argument«, in der sich Schaeffler noch auf Heiler bezieht, geht es bezeichnenderweise um die Abweisung jener Positionen, die in der Institutionalisierung von religiöser Sprache einen »beklagenswerten Verlust an Individualität und Ursprünglichkeit« sehen. Dieser Position, die der Grundoption einer sprachanalytischen Religionsphilosophie nach Austin und insbesondere Searle entgegensteht, rechnet Schaeffler neben Heiler auch Bernhard Welte zu. Vgl. R. Schaeffler, GuA, 198. 89 Vgl. Ders., RelPhil, 138. 84 85

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»Wenn aber der Gebetsakt, wie Scheler und Heiler überzeugend dargelegt haben, der ausgezeichnete Fall ist, an welchem die noetischen und noematischen Charakteristika des religiösen Aktes exemplarisch hervortreten, dann darf gefolgert werden: Die Analyse des dialektischen Verhältnisses von Gebetssprache, die den individuellen Akt des Betens ermöglicht, und individuellem Gebetsakt, der die Sprache des Gebets verändert, eröffnet den gesuchten Zugang, um die strukturelle Geschichtlichkeit nicht nur des Betens, sondern ganz allgemein der Religion freizulegen.« 90

Soviel wird bereits deutlich: Der Mangel an geschichtlicher, intersubjektiver und sprachanalytischer Perspektive hat einen inneren Zusammenhang – oder anders formuliert: Die sprachphilosophische Betrachtung des Gebetsaktes verspricht die Desiderate der religionsphänomenologischen Methode zu beheben.

2.2.3 Chancen und Grenzen der religionsphänomenologischen Methode In Schaefflers späteren Aufsätzen zur religionsphänomenologischen Methode wird die eingangs erwähnte Frage leitend, wie »Gott in die Religion kommt« 91. Mit anderen Worten: Schaeffler fragt, ob und wie die phänomenologische Methode etwas dazu beitragen kann, den religiösen Akt so zu verstehen, dass »das Heilige ihm auf personale Weise ›gegeben‹ wird« 92. Der methodische Vorteil dieser ungewohnten, aber für die Religionsphänomenologie charakteristischen Fragestellung wurde bereits angedeutet: Ausgangspunkt ist hier nicht ein apriorischer Gottesbegriff, um diesen (!) Gott sodann in den Zeugnissen der Religionsgeschichte zu identifizieren, sondern die religiöse Noesis und ihr Wechselverhältnis zum Gegenstand der religiösen Intentionalität, dem »Heiligen«. Das phänomenologische Grundgesetz ermöglicht damit eine kriterielle Analyse religiöser Erfahrung, die sich auch in der Lage sieht, Fehlformen und Fehlinterpretationen der religiösen Noesis offenzulegen. Schaeffler spricht in diesem Zusammenhang von »Pseudomorphosen« und »Kryptomorphosen« religiöser Akte. 93 So tritt Schaeffler von Anfang an dem verEbd., 139 f. Vgl. R. Schaeffler, »Das Heilige« und »der Gott« – oder: Wie kommt Gott in die Religion? 92 Ebd., 158. 93 »Pseudomorphosen« sind demnach Akte, die religiös erscheinen, aber in ihrer 90 91

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breiteten Vorwurf entgegen, die Religionsphänomenologie führe nur zu einer kriterienlosen Sammlung von religionswissenschaftlichen Zeugnissen. Schaefflers phänomenologisches Interesse gilt vor allem einem bestimmten religiösen Phänomen, nämlich der Möglichkeit, Gott personale Eigenschaften zu prädizieren. Seine Frage lautet daher: Wie kann die Verehrung »des Heiligen« näherhin als eine Wechselbeziehung zwischen einem »personalen Gott« und der immer schon menschlich-personalen Antwort des Menschen gedacht werden? 94 Der Argumentationsgang Schaefflers, der an anderer Stelle noch näher expliziert werden wird, zielt im Kern auf die Momente von Freiheit und Geschichtlichkeit in der religiösen Noesis. Vor allem in der Frage nach der »Personalität« Gottes, deren Beantwortung für die Gebetsthematik folgenschwer ist, tritt die Bedeutung und der systematische Ertrag der phänomenologischen Methode in Schaefflers Religionsphilosophie zu Tage. 95 Wenn man Schaefflers religionsphilosophisches Werk im Gesamten überblickt, kann man feststellen, dass er sich die phänomenologische Methode über Jahrzehnte hinweg zu Nutze macht und sich regelmäßig in der Diskussion um ihren religionsphilosophischen Wert zu Wort gemeldet hat. Verglichen mit der Transzendental- und Sprachphilosophie spielt die phänomenologische Methode jedoch eine vergleichsweise nachgeordnete Rolle. Einige grundsätzliche Bedenken, die sich im Zuge der Darstellung bereits gezeigt haben, erklären meines Erachtens diese Zurückhaltung. Schaeffler will sich als Religionsphilosoph mit einer rein deskriptiven und religionswissenschaftlichen Ausrichtung der Religionsphänomenologie, einer Art »Bilderbuchphänomenologie« 96, nicht zufrieden geben. ReligionsphiStruktur nach weder einen religiösen Sachbezug noch Bedeutungsgehalt aufweisen und somit »entlarvt« werden können. »Kryptomorphosen« sind umgekehrt solche Akte, die von ihrem äußeren Erscheinungsbild her keine religiöse noetisch-noematische Sinnlogik vermuten lassen, mit anderen Worten »anonym religiöse Akte« sind. Vgl. R. Schaeffler, Zur phänomenologischen Methode in der Religionsphilosophie, 110 f.; Ders., »Das Heilige« und »der Gott«, 161; Ders., RelPhil, 109. 94 Vgl. Ders., »Das Heilige« und »der Gott«, 162 f. Diese Frage wird in Kap. 9 eigens thematisiert werden. 95 Vgl. ausführlicher Kap. 7.2.2. u. 9.2. 96 Vgl. R. Schaeffler, »Der Gruß des Heiligen« und die »Frömmigkeit des Denkens«, in: G. Pöltner (Hg.), Auf der Spur des Heiligen, Wien – u. a. 1991, 62–90, hier 86. Die despektierliche Bezeichnung »Bilderbuchphänomenologie« wurde häufig, etwa von Plessner und Adorno, für die Phänomenologie der 1920er Jahre gebraucht, interes-

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losophie muss – so seine Forderung – auch Kriterien an die Hand geben, um religiöse Erscheinungs- und Fehlformen einzuordnen, und Argumente für Religionsbegründung und Religionskritik bereitstellen. 97 Damit verbunden ist Schaefflers Kritik an einer fehlenden historischen Betrachtungsweise (bei Scheler) beziehungsweise an einer historisch ausgerichteten Religionsphänomenologie (wie bei Eliade), welche die Geschichte der Religion nur nacherzählt als eine bloße »Abfolge von Variationen des Gleichen« 98, ohne die Dialektik der Hierophanien als vorantreibendes Moment und als Chance einer »qualitativen« Fortentwicklung zu werten. Diese Aporien versucht Schaeffler durch methodische Ergänzungen der Religionsphänomenologie mit Hilfe (1) transzendentalphilosophischer und (2) sprachphilosophischer Elemente aufzuheben: (1) Der Vorteil der phänomenologischen Religionsphilosophie liegt für Schaeffler in ihrer thematischen Weite. 99 Sie kommt aber nicht ohne ein transzendentalphilosophisches Fundament aus, das zumindest Zielvorstellungen formuliert, die phänomenologisch einzulösen wären. Schaeffler erinnert die religionsphänomenologische Disziplin diesbezüglich an eine Aussage ihres Stammvaters Husserl, der die Phänomenologie ursprünglich als eine transzendentale (!) Methode entwickelt hat: 100 »Denn ohne die Eigenheit transzendentaler Einstellungen erfaßt und den rein phänomenologischen Boden sich wirklich zugeeignet zu haben, mag man zwar das Wort Phänosanterweise haben aber bereits Scheler und Husserl davor gewarnt. Vgl. B. Waldenfels, Einführung in die Phänomenologie, München 1992, 20. 97 Vgl. R. Schaeffler, »Das Heilige« und »der Gott«, 160 f.; Ders., Religionsphänomenologie, Sprachanalyse und »die Wahrheitsfrage«, in: P. Koslowski – R. Schenk (Hg.), Jahrbuch für Philosophie des Forschungsinstituts für Philosophie Hannover Bd. 8 (1997), 184–202, hier 187. Schaeffler begegnet dort dem Vorwurf, die Religionsphänomenologie scheine »den Wahrheitsanspruch religiöser Aussagen und damit das Recht der Religion als solcher vorauszusetzen, während es doch zur Aufgabe der Religionsphilosophie gehört, den Geltungsanspruch der Religion und den Wahrheitsanspruch ihrer Aussagen kritisch zu überprüfen«. Dem hält Schaeffler entgegen: »Sie [die Religionsphänomenologie; S. W.] hat zu prüfen, ob und unter welchen Voraussetzungen eine philosophische Kritik wirklich die Religion als solche und nicht etwas anderes kritisiert, z. B. gewisse Sekundärfolgen der Religion […] oder gar gewisse Fehlformen des Religiösen […]. 98 Ders., »Der »Gruß des Heiligen« und die »Frömmigkeit des Denkens«, 87. 99 Vgl. Ders., »Das Heilige« und »der Gott«, 159. 100 Vgl. dazu Ders., Philosophie und katholische Theologie im 20. Jahrhundert, in: E. Coreth – u. a. (Hg.), Christliche Philosophie im katholischen Denken des 19. und 20. Jahrhunderts, Bd. 3, Graz – Wien – Köln 1990, 49–78; hier 56 f. Beten denken

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menologie gebrauchen, die Sache hat man nicht.« 101 Eine ähnliche These prägt im Übrigen auch Schaefflers Heidegger-Interpretation, dessen Rezeption Husserls für Schaeffler als der richtungsweisende Weg der phänomenologischen Methode überhaupt gilt. 102 An der Weise, wie Schaeffler die phänomenologische Methodik aufgreift, wird deutlich, wie sehr er sich dabei immer noch der Transzendentalphilosophie kantischer Ausprägung verpflichtet weiß. Greifbar wird dies etwa an dem geschärften Blick für auftretende »Gegensatz-Einheiten« des religiösen Aktes. Der »Dialektik der Hierophanien«, die sich ja auch auf unseren »Anblick« des Heiligen überträgt, entspricht auf transzendentalphilosophischer Seite Schaefflers Analyse der Vernunftdialektiken. In Schaefflers jüngster Äußerung zur Methodik der Religionsphänomenologie zeigt sich darüber hinaus der Einfluss seiner Erfahrungslehre auf seinen Blick auf religiöse Erfahrung, was zu einer Neuinterpretation der gängigen These der Korrelation von Noesis und Noema führt: Schaeffler will diese Korrelation nicht als ein starres Wechselverhältnis verstanden wissen, sondern versucht ihr ein antizipatorisches Moment einzuschreiben. Er begründet dies damit, dass das Phänomen sich nie in seinem ganzen Ausmaß und seiner ganzen Vielschichtigkeit präsentiert, wie bereits Husserl erkannt hat. 103 Jedes Phänomen enthält »jeweils einen 101 E. Husserl, Ideen zu einer reinen Phänomenologie I, 200; Vgl. R. Schaeffler, RelPhil, 111. 102 R. Schaeffler, Der »Gruß des Heiligen« und die »Frömmigkeit des Denkens«, 86–90. Schaeffler nennt hier drei Schwachpunkte der Religionsphänomenologie, die ich pointiert als a) »Bilderbuchphänomenologie«, b) »Geschichtsnivellierung« und c) »Kritikimmunität« bezeichnen möchte, und zeigt auf, wie sie mit Heidegger überwunden werden können. Von großer Bedeutung ist auch Schaefflers Interpretation von Heideggers Spätschrift »Beiträge zur Philosophie«. Schaeffler sieht darin das von ihm selbst verfolgte Projekt der »Geschichtlichkeit des Denkens« vorbereitet. Vgl. Ders., Heideggers »Beiträge«. 103 Husserl zieht als Beispiel die Betrachtung eines Würfels heran, dessen Rückseite wir dem Würfel gleichsam ansehen, obwohl wir sie nicht sehen. Schaeffler entwickelt dieses Bild weiter und bringt die geschichtlich-dialogische Dimension ins Spiel: »Dadurch werden wir dazu veranlaßt, unseren Standort zu wechseln und ihn unter veränderter Perspektive neu zu sehen.« Ders., Bezeugte religiöse Erfahrung, philosophische Theorie und ihre Vermittlung durch die Postulate der Vernunft, in: G. Fløistad (Hg.), Contemporary Philosophy, Vol. 10, Dordrecht – u. a. 2010, 89–106, hier 91. Dieses einfache Beispiel zeigt Schaeffler zudem, dass bestimmte originäre Gegebenheitsweisen auf andere verwiesen sind, wie etwa das Sehen auf das Betasten des Würfels von allen Seiten. Sie sind also eigengesetzlich (autonom) aber nicht selbstgenügsam (autark). Vgl. Ders., Orientierungsaufgaben der Religionsphilosophie, 212 f.

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Überschuß über die Weise, wie es durch den Akt des Subjekts ergriffen wird« 104. Hier wird eindeutig das erkenntnistheoretische Motiv der »veritas semper maior« greifbar, das – so Schaeffler – in der Noesis paradoxerweise gerade noch miterfasst wird und deren Struktur verändert. Als eine gleichsam phänomenologisch gewendete Theorie der Erfahrung als Dialog mit der Wirklichkeit versteht Schaeffler so das Phänomen als das, »was sich uns so präsentiert, daß damit ein Wechselverhältnis zwischen Hinblicken und Anblicken gestiftet wird, das sich dialogisch weiterentwickelt.« 105 In Bezug auf die religiöse Noesis thematisiert Schaeffler weiter die Möglichkeit der Unterscheidung von subjektivem »religiösen Erleben« und einer objektiveren Form von »religiöser Erfahrung«, die auch für Außenstehende – etwa für den philosophischen Betrachter – kommunizierbar gemacht werden kann. Auch diese Fragestellung ist eindeutig kantisch inspiriert. 106 Die Veränderung der noetischen Struktur im religiösen Erleben wird dabei für Schaeffler zum Maßstab: Im religiösen Erleben wird das »Ich« und dessen bisherige »Erfahrungswelt« an eine äußerste Grenze geführt, wo es zu zerbrechen droht, um dann in verwandelter Gestalt neu zu entstehen. 107 Dies entspräche dem religiösen Erleben, wie es von Rudolf Otto als »fascinosum et tremendum« beschrieben wurde, und wie es in vielfältigen religiösen Zeugnissen geschildert wird: als Blendung des Auges, als Verstummen und Sprachlosigkeit, als eine Form des »außer-sichSeins«. 108 Im Grunde beschreibt Schaeffler hier in phänomenologischer Vorgehensweise den Vorgang strukturverändernder Erfahrung, wie er urtypisch bei Paulus als »umgestaltet werden zum neuen Denken« (Röm 12,2) formuliert wurde. Damit das religiöse Erlebnis jedoch als Erfahrung »gelesen« werden kann, braucht es notwendigerweise »Begriffe, mit deren Hilfe die Inhalte gegenwärtigen Erlebens als jeweils neue Gegenwartsgestalten dessen beschrieben werden können, ›was im Anfang geschah‹« 109, und die mit dem gegenwärtig Ders., Bezeugte religiöse Erfahrung, 91. Ebd. 106 Sie kam im Kapitel über Schaefflers Transzendentalphilosophie auf in der Aufforderung Kants, »Erlebnisse so zu buchstabieren, um sie als Erfahrungen lesen zu können«. Vgl. I. Kant, Prol, A 101; vgl Kap. 2.1.2, Fn. 23. 107 Vgl. R. Schaeffler, Bezeugte religiöse Erfahrung, 94. 108 Vgl. ebd.; Ders., RelPhil, 118; Vgl. R. Otto, Das Heilige (1917), München 351963; vgl. zur Einordnung Ottos: R. Schaeffler, RelPhil, 115–123. 109 Ders., Bezeugte religiöse Erfahrung, 96. 104 105

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Erlebten in Beziehung gesetzt werden. Hier zeigt sich wiederum die historische Perspektive von Wahrheit, die – darauf kommt es an dieser Stelle an – ohne den Einfluss von Schaefflers transzendentalphilosophischem Ansatz auch auf dessen religionsphänomenologischen Ansatz nicht erklärt werden kann. 110 (2) Auf der anderen Seite stößt Schaeffler immer wieder auf Schwächen der religionsphänomenologischen Methode, denen er mit den Mitteln der Sprachphilosophie zu entkommen versucht. Die größte Schwierigkeit lautet für Schaeffler: Wie kann nachgewiesen werden, ob eine Phänomenologie der Religion überhaupt bei ihrem Thema ist, ob sie tatsächlich die religiösen Phänomene und nicht Pseudomorphosen derselben betrachtet. Und wie sind die Ergebnisse der Religionsphänomenologie schließlich objektiv formulierbar, damit sie von Außenstehenden verstanden und sogar überprüft werden können. Um die religionsphänomenologische Methode auf einen verlässlicheren Boden zu stellen, bietet sich für Schaeffler das Gebet als ihr herausragendes »Forschungsobjekt« an, und zwar in einer sprachphilosophischen Analyse der Gebetssprache. Die Wahl dieses Objektes begründet sich dadurch, dass im Gebetsakt und dessen sprachlicher Verfasstheit ein Gegenstand betrachtet wird, der für Schaeffler zweifelsfrei zum Zentrum des Religiösen gehört und dessen Wesensmerkmal erfasst. »Die Selbständigkeit und Unableitbarkeit des religiösen Aktes, die von allen Religionsphänomenologen hervorgehoben wird, tritt nirgendwo so deutlich hervor wie in der Selbständigkeit und Unableitbarkeit des Gebetsakts.« 111 An anderer Stelle heißt es: »Das Gebet ist nicht nur einer unter vielen Gegenständen der phänomenologischen Untersuchung, sondern eröffnet einen Zugang zur Phänomenologie der Religion im Ganzen. Denn am Gebet läßt sich die Eigenart des religiösen Aktes und sein Gegenstandsbezug exemplarisch ablesen.« 112 Vereinfacht gesprochen: Es gibt eine Vielzahl an Überlieferungen und Praktiken, die religiös erscheinen. Beim Gebet scheint ein breiter Konsens darüber zu bestehen, dass hier ein originär religiöses Phänomen vorliegt. Schaeffler gibt zu, dass mit dieser Beispielauswahl zugleich eine Vorentscheidung getroffen ist,

Vgl. hierzu insbesondere: Ders., RelPhil, 241–245. Ders., RelPhil, 133 f. 112 Ders., Der Beter, sein Gott und seine Welt. Ein Zugang zur Phänomenologie der Religion, in: IKaZ Communio 37 (2008), 572–586, hier 572 f. 110 111

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die vor dem Hintergrund eines dialogisch-personalen Verständnisses des religiösen Aktes entstanden ist. 113 Die Struktur und die Gegebenheitsweise des religiösen Aktes, Noema und Noesis, lassen sich, so Schaeffler, anhand der spezifischen Struktur religiöser Sprache, insbesondere des Gebetes aufzeigen. Schaeffler wendet das »Phänomenologische Grundgesetz« also auf die Untersuchung religiöser Sprache an: Die Struktur eines Aktes, den wir intendieren, kommt auch in der Struktur der Sprache zum Ausdruck, die dafür gebraucht wird. So wie das religiöse Noema nur in der religiösen Noesis originär und in keiner anderen regionalen Phänomenologie gegeben ist, so kommt es auch nur in der religiösen Sprache originär zum Ausdruck. Will man also die Struktur des religiösen Aktes genauer fassen – was die Grundaufgabe der Religionsphänomenologie ist – so verspricht die Strukturanalyse der religiösen Sprache einen aussichtsreichen Zugang zu schaffen. 114 Dabei müssen insbesondere jene Aspekte im Blick behalten werden, die in der Phä113 Vgl. Ders., RelPhil, 133: »Es ist deutlich, daß eine Phänomenologie der Religion, die das Verhältnis zwischen dem religiösen Akt und seinem Gegenstand als ein dialogisches und darum als ein personales Verhältnis begreift, unter allen religiösen Akten denen des Gebets eine zentrale Bedeutung zuerkennen muss. Darum ist das Gebet das ausgezeichnete Beispiel, an dem die spezifischen Merkmale aller religiösen Akte anschaulich hervortreten.« 114 Vgl. Ders., Orientierungsaufgaben der Religionsphilosophie, 216 f.; Ders., Religionsphänomenologie, Sprachanalyse und »die Wahrheitsfrage«, 185 f. Schaeffler macht jedoch eine wichtige Einschränkung: Religionsphänomenologie darf nicht einfach in religiöse Sprachanalyse übergehen, da sich nicht alle religiösen Phänomene sprachlich erfassen lassen. Schaeffler spielt damit auf den ganzen Bereich des Kultes und der religiösen Handlungen an. »Insofern bleiben die hier vorgetragenen Überlegungen zu Struktur, Funktion und Bedeutung der religiösen Sprache ein bloßer, wenn auch wichtiger Teil religionsphänomenologischer Analysen, der durch einen zweiten, eine Phänomenologie des kultischen Handelns, ergänzt werden muß.« Ebd., 186 f. Schaeffler hat sich in den 1970er Jahren in einigen Publikationen mit dem Thema »Kult« und »Kultfähigkeit« auseinandergesetzt. Dieser gesamte Bereich muss hier ausgeblendet werden. Vgl. Ders., Der Kultus als Weltauslegung, in: B. Fischer – u. a. (Hg.), Kult in der säkularisierten Welt, Regensburg 1975, 9–62; Ders., Kultisches Handeln, in: Ders., – P. Hünermann, Ankunft Gottes und Handeln des Menschen, Freiburg i. Br. 1977, 9–50; Ders., Kult im Zeitalter technischer Rationalität, in: HerKorr 30 (1976), 606–616; Ders., Fähigkeit zum Kultus, in: ThPQ 126 (1978), 105–121; Ders., Kultur und Kult, in: LJ 41 (1991), 73–87. Vgl. auch: A. Odenthal, Der Kultus als Weltauslegung. Elemente einer Theorie des Gottesdienstes im religionsphilosophischen Ansatz von Richard Schaeffler, in: ThPh 82 (2007), 351–367. In der Sekundärliteratur zur Gebetslehre Schaefflers ist dieses Segment seines Werkes nur bei Michael Zimny berücksichtigt. Vgl. Ders., Zur Einheit von Spiritualität und Intellektualität im Werk Richard Schaefflers, 115–132.

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nomenologie Schelers und Heilers unterbelichtet geblieben sind: die intersubjektive sowie die geschichtliche Dimension der Religionsphilosophie. Das erste Desiderat scheint durch einen sprachphilosophischen Ansatz leicht überwindbar, da der intentionale Akt des Sprechens und insbesondere des Betens immer schon in einer bestimmten Sprache und einer bestimmten Sprachgemeinschaft vollzogen wird. Anhand der (religiösen) Sprache ließe sich zeigen, wie auch »ihr individueller Vollzug zugleich die Bezogenheit des Subjekts zu einer konkreten, historischen Gruppe von Menschen einschließt« 115. Über die Perspektive der Sprachgemeinschaft kann sogleich auch das zweite Desiderat aufgegriffen werden, da es sich immer um eine geschichtlich gewachsene und konkrete Überlieferungsgemeinschaft handelt, die nicht nur die Struktur der Sprache weitervermittelt und weiterentwickelt, sondern darin zugleich die Struktur des religiösen Aktes selbst. Schaeffler formuliert dabei eine eindeutige Erwartung an eine sprachphilosophisch ausgeweitete Religionsphänomenologie: »Eine phänomenologische Betrachtung der religiösen Sprache eröffnet einen Zugang zu einer Phänomenologie der Religionsgeschichte.« 116 Genauer betrachtet ist es für Schaeffler das Wechselverhältnis zwischen »Sprache« und »Rede«, die das vorantreibende, geschichtliche Moment offenlegt: Gesprochen werden kann nur in einer schon vorgefundenen »Sprache« und in der Anwendung ihrer Grammatik. In der vollzogenen »Rede« wird deren semantische Reichweite ausgelotet, was wiederum verändernde Rückwirkungen auf die Sprache und ihre Grammatik hat. 117 Sofern für Schaeffler das Gebet die repräsentative Aktklasse des religiösen Sprechens schlechthin ist, sieht er auch Gebetssprache und Gebetsakt in einem solchen hermeneutischen Verhältnis, anhand dessen sich die geschichtliche Entfaltung des religiösen Aktes erklären und sprachlich nachvollziehen lässt: »Die Analyse des dialektischen Verhältnisses von Gebetssprache, die den individuellen Akt des Betens ermöglicht, und individuellem Gebetsakt, der die Sprache des Gebets verändert, eröffnet den gesuchten Zugang, um die strukturelle Geschichtlichkeit nicht nur des Betens, sondern ganz allgemein der Religion freizulegen.« 118 R. Schaeffler, RelPhil, 138. Ebd., 139. 117 Vgl. ebd. Zur Wechselbeziehung von Sprache und Rede und ihrer religionsphilosophischen Konsequenzen vgl. Ders., Orientierungsaufgaben der Religionsphilosophie, 219–224. 118 Ders., RelPhil, 139 f. 115 116

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Der sprachphilosophische Ansatz: Religiöse Sprache nach dem »linguistic turn«

Zusammenfassend lässt sich festhalten: Schaeffler sieht in einer phänomenologischen Philosophie einen zwar geeigneten, aber ergänzungsbedürftigen Ansatz der Religionsphilosophie. Vor dem Hintergrund seiner stark transzendental geprägten philosophischen Theologie erweist sich – zudem ganz im Sinne der Entstehungsbedingungen der Phänomenologie – eine »transzendental verstandene philosophische Phänomenologie als geeigneter Weg« 119. Die Religionsphänomenologie fragt nach der Struktur und den originären Gegebenheitsweisen der religiösen Akte. Diese kann vor allem anhand einer Analyse der religiösen Sprache freigelegt werden. Zum ersten Mal liegen somit die drei Elemente von Schaefflers religionsphilosophischer Methodensynthese offen. Bevor deren ergänzendes Zusammenspiel weiter beleuchtet werden kann, soll zuvor die dritte Methode Schaefflers beachtet werden: die sprachphilosophische Analyse der religiösen Sprache.

2.3 Der sprachphilosophische Ansatz: Religiöse Sprache nach dem »linguistic turn« Zu Beginn seiner »Einführung in die Theorie der religiösen Sprache« mit dem Haupttitel »Das Gebet und das Argument« (1989) macht Richard Schaeffler vier Beobachtungen, die sich auf die Situation und Legitimation der religiösen Sprache aus der Sicht der zeitgenössischen Philosophie beziehen. Sie bilden den Ausgangspunkt für den sprachphilosophischen Ansatz seiner Religionsphilosophie und seien daher als einleitende Thesen angeführt: 1)

2)

3) 4)

119

»In wachsenden Sachbereichen ist es heute möglich geworden, sachgerecht von der Welt und vom Menschen zu sprechen, ohne daß es dazu nötig wäre, zugleich von Gott zu sprechen.« »In wachsenden Sachbereichen ist es heute unmöglich geworden, sachgerecht von der Welt und vom Menschen zu sprechen, wenn dabei undifferenziert zugleich von Gott gesprochen wird.« »Die Sprache der Religion ist zu einer Sondersprache neben anderen Sprachen geworden, für Sondergruppen zu Sonder-Gelegenheiten.« »Die sprachanalytische Religionskritik bestreitet »nicht mehr die Wahrheit von Sätzen, die von Gott sprechen, sondern ihre Sinnhaftigkeit. Man bezweifelt, dass sie sich überhaupt auf etwas beziehen und Ders., Religionsphänomenologie, Sprachanalyse und »die Wahrheitsfrage«, 185.

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etwas besagen. […] Im Zentrum der Aufmerksamkeit steht bei dieser Diskussion nicht der ›semantische‹, sondern der ›pragmatische‹ Aspekt.« 120

In umgekehrter Reihenfolge der Thesen werden im Folgenden zunächst Schaefflers Reaktion auf den Sinnlosigkeitsverdacht gegenüber religiöser Sprache (4) und sein Konzept für die Verhältnisbestimmung des religiösen »Sprachspiels« zu anderen »Sprachspielen« (3) betrachtet, um schließlich seiner Forderung einer transzendentalen Fundierung der Sprachphilosophie nachzugehen, die es ermöglichen soll, auf verantwortbare Weise religiös von Gott, dem Menschen und der Welt zu sprechen (1) + (2).

2.3.1 Der Sinnlosigkeitsverdacht gegenüber religiöser Sprache Schaeffler gehört innerhalb der deutschsprachigen Philosophie zu jenen Religionsphilosophen, welche die Herausforderung sehr früh wahrgenommen haben, die durch den »linguistic turn«, die Hinwendung zur analytischen Sprachphilosophie im angelsächsischen Sprachraum, entstanden ist. 121 Schaeffler lässt sich – wie eine ganze Reihe von deutschsprachigen Philosophen – von einem Textband anregen, der die wichtigsten Beiträge britischer Sprachphilosophen zusammenstellt und die Frucht eines Forschungsaufenthaltes von Ingolf U. Dalferth in Cambridge war. 122 Darüber hinaus beschäftigt sich Schaeffler vor allem mit den Vertretern des logischen Empirismus wie Rudolf Carnap und Alfred J. Ayer. Von John L. Austin, John R. Searle und Ludwig Wittgenstein sowie von dem bisweilen etwas abschätzig als »Wittgensteinianischen Fideisten« 123 bezeichne-

R. Schaeffler, GuA, 8; 10; 12; 13 f. Vgl. die frühesten Äußerungen Schaefflers zur Sprachphilosophie: Ders., Sprache als Bedingung und Folge der Erfahrung, in: W. Beinert (Hg.), Sprache und Erfahrung als Problem der Theologie, Paderborn 1978, 11–36; Ders., Analytische Religionsphilosophie, in: ThRv 76 (1980), Sp. 441–448. 122 Vgl. I. U. Dalferth (Hg.), Sprachlogik des Glaubens. Texte analytischer Religionsphilosophie und Theologie zur religiösen Sprache, München 1974. 123 Vgl. O. J. Wiertz, Richard Schaefflers Religionsphilosophie nach der sprachanalytischen Wende, in: T. M. Schmidt – S. Wiedenhofer (Hg.), Religiöse Erfahrung, Freiburg i. Br. 2010, 85–107, hier 90 f., 97. Wiertz gibt diese Bezeichnung für Phillips Position nur wieder, ohne sie sich zu eigen zu machen. Vgl. ebd., 91, Anm. 19. 120 121

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ten Dewi Z. Phillips 124 erhält Schaeffler schließlich die entscheidenden Impulse für seine eigene sprachphilosophische Position. 125 Schaeffler bringt das Programm der »linguistischen Wende« mit der Feststellung auf den Punkt, dass »an die Stelle der Erörterung von Sachproblemen die Erörterung von Sprachproblemen getreten ist« 126. Diese in der Tat kopernikanische Wende in der Geschichte der Philosophie war mit der Hoffnung verbunden, viele jahrhundertelang ohne nennenswerten Fortschritt bearbeitete Fragen der Philosophie als Scheinprobleme zu entlarven, zu denen uns allein unsere Sprache verführt hat. Die Forderung des logischen Empirismus war es daher, den Gegenstandsbezug (engl. »reference«) und den Bedeutungsgehalt (engl. »meaning«) 127 jeder Aussage eindeutig zu identifizieren, um nicht länger den Verführungen des Denkens durch die Sprache zu verfallen. Eine frühe Äußerung Rudolf Carnaps, den Schaeffler verschiedentlich als Vertreter dieser sprachphilosophischen Richtung heranzieht, mag beispielhaft vor Augen führen, was ein positivistisches Denken für die religiöse Sprache bedeuten würde: »Alles […], was jenseits des Sachhaltigen liegt, muß unbedingt als sinnlos gesehen werden; eine (scheinbare) Aussage, die grundsätzlich nicht durch ein Erlebnis fundiert werden könnte und daher nicht sachhaltig wäre, würde gar keinen auch nur denkbaren Sachverhalt zum Ausdruck bringen, also Vgl. D. Z. Phillips, The concept of prayer, Oxford 21981. Phillips wagt hier eine sprachphilosophische Auseinandersetzung mit dem Gebet, die Schaeffler mit großem Interesse und Erkenntnisgewinn wahrgenommen hat. Vgl. auch Ders., Religiöse Glaubensansichten und Sprachspiele, in: I. U. Dalferth (Hg.), Sprachlogik des Glaubens, 258–282. 125 Vgl. R. Schaeffler, GuA, 16–27; 100–105. Oliver Wiertz kommt zu dem Ergebnis, dass Schaeffler sich nur mit zwei von vier Phasen der analytischen Religionsphilosophie beschäftigt hat und die spätere Entwicklung nicht mehr so genau verfolge. Für die Phasen 3 und 4 wären etwa B. Mitchell, R. Swinburnes, die sogenannte reformierte Epistemologie (A. Plantiga, N. Wolterstorff und W. P. Alston) und schließlich J. Hick zu nennen. Vgl. O. J. Wiertz, Richard Schaefflers Religionsphilosophie nach der sprachanalytischen Wende, 95–98. In einer »responsio« zu Wiertz erläutert Schaeffler seine Gründe, warum er den frühen Vertretern der linguistischen Wende, Austin und Searle, einen höheren Differenzierungsgrad zuschreibt als etwa dem »zu groben Vereinfachungen neigenden John Hick«. Vgl. R. Schaeffler, Danksagung und Versuche, das Gespräch fortzusetzten, in: T. M. Schmidt – S. Wiedenhofer (Hg.), Religiöse Erfahrung, Freiburg i. Br. 2010, 259–284, hier 262 ff. 126 R. Schaeffler, GuA, 16; vgl. Ders., RelPhil, 144. 127 Diese grundlegende Unterscheidung hat Gottlob Frege in den sprachphilosophischen Diskurs eingebracht hat. Gegenstandsbezug und Bedeutungsgehalt zusammen werden auch als die »Sinnbedingungen« einer sprachlichen Aussage bezeichnet. 124

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gar keine Aussage sein, sondern ein bloßes Konglomerat sinnloser Striche oder Geräusche.« 128

Müsste die religiöse Sprache diesen Kriterien der – aus der Sicht Carnaps – eindeutigen Identifikation gehorchen, so wäre sie nicht in der Lage, ihren Sachbezug und Bedeutungsgehalt empirisch und allgemein einsehbar auszuweisen. Kann sie dies aber nicht, kommt es zu einer bisher nicht bekannten Form der Kritik: Bestritten wird nun nicht mehr »nur« die Wahrheit religiöser Aussagen, sondern ihre prinzipielle Verifizierbarkeit. Religiöse Sätze, so die Konsequenz des logischen Empirismus, sagen nicht etwas Falsches, sondern sie sagen überhaupt nichts. Subjekt und Prädikat gehen hier ins Leere. Es handelt sich – kurz gesagt – um »Scheinaussagen über Scheingegenstände«. 129 Alfred J. Ayer, ein weiteren Vertreter des logischen Empirismus, stellt unmissverständlich klar, dass damit eine neue der Ära der Religionskritik angebrochen ist: »Wenn aber ›Gott‹ ein metaphysischer Begriff ist, dann kann es nicht einmal die Wahrscheinlichkeit der Existenz Gottes geben. Denn die Aussage ›Gott existiert‹ ist eine metaphysische Äußerung, die weder wahr noch falsch sein kann. Demselben Kriterium zufolge kann kein Satz, der vorgibt, das Wesen eines transzendenten Gottes zu beschreiben, irgendeine wissenschaftliche Bedeutung haben.« 130

Die These Ayers übertrifft die vertrauten Positionen des Atheismus oder Agnostizismus um ein Vielfaches. Ein Agnostiker nämlich rechnet zumindest mit der Möglichkeit der Existenz Gottes und ein Athe128 R. Carnap, Scheinprobleme in der Philosophie (1928), in: Ders., Scheinprobleme in der Philosophie und andere metaphysikkritische Schriften, Hamburg 2004, 3–48, hier 29 f. In einem als »gemeinverständlicher Vortrag« untertitelten Aufsatz bezieht Carnap den Vorwurf der »Scheinfragen« ausdrücklich auf die Metaphysik und Theologie. Dort heißt es: »Gibt es einen Gott oder nicht? Und wenn es ihn gibt, was ist sein Wesen? […] Die früheren antimetaphysischen Auffassungen pflegten solche Fragen verneinend zu beantworten. Die moderne Logik kommt zu einem radikaleren Ergebnis: die Fragen sind weder zu bejahen noch zu verneinen, denn sie haben überhaupt keinen Sinn. Es sind Scheinfragen. Alle Bemühungen gelehrter Köpfe seit Jahrhunderten bis in unsere Tage, die sich um die Beantwortung dieser Fragen geplagt haben, gehen ins Leere.« Ders., Von Gott und Seele (1929), in: Ders., Scheinprobleme in der Philosophie und andere metaphysikkritische Schriften, Hamburg 2004, 49–62, hier 50. 129 Vgl. dazu R. Schaeffler, GuA, 18; Ders., RelPhil, 145–150. 130 A. J. Ayer, Sprache, Wahrheit und Logik. Stuttgart 1979, 153 [engl. Original 1936 / 1946].

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ist ist »immerhin« von dessen Nichtexistenz überzeugt. Wenn aber Gottes Existenz keine sinnvolle Proposition sein sollte, dann kann diese nicht einmal sinnvoll widerlegt werden. 131 Angesichts dieses folgenschweren Sinnlosigkeitsvorwurfs gegenüber religiösen Sätzen wird deutlich, weshalb Schaeffler sich auf die Auseinandersetzung vor allem mit der frühen Phase der analytischen Religionsphilosophie einlässt. Er kann dabei auf die Hilfe seines Kollegen Friedo Ricken zurückgreifen, der bereits einige Zeit vor Schaeffler die sprachanalytischen Positionen unter der Fragestellung rezipierte: »Sind Sätze über Gott sinnlos?« 132 Auf eine logische Struktur gebracht lautet das Argument des sprachphilosophischen Empirismus: Nur »sinnvolle« Sätze – Sätze, deren Gegenstandsbezug und Bedeutungsgehalt eindeutig nachzuweisen sind – können wahr oder falsch sein. Religiöse Sätze erfüllen diese Bedingungen nicht. Daher sind religiöse Sätze sinnlos und ihre Aussagen unhaltbar. 133 Schaeffler sucht einen Ausweg aus dieser Aporie, indem er zunächst einem Argument folgt, das eine Gegenfrage aufwirft: Trifft man überhaupt das Charakteristikum religiöser Sprache, wenn man sie auf wahrheitsförmige Aussagesätze hin untersucht? Kurz: Beanspruchen religiöse Sätze einen »propositionalen Gehalt«? Als Hauptvertreter eines nicht ausschließlich kognitiv-empirischen Verständnisses von Sprache zieht Schaeffler John L. Austin heran, der den Verdacht der »Sprachverführtheit« auf die Kritiker selbst zurückwendet und über die Arbeitsweise der Empiristen etwas ironisch feststellt: »Ständig sind neue Arten von Unsinn entdeckt worden.« 134 Austin hält dem entgegen: »Viele Äußerungen, die wie Aussagen oder Feststellungen aussehen, [sollen; S. W.] eigentlich gar

131 Vgl. ebd. Nicht weniger herausfordernde Worte findet Antony Flew, auf den Schaeffler ebenfalls eingeht. Flew beschreibt im Anschluss an Ayers These, dass der religiöse Mensch jederzeit behaupten würde, er habe mit der religiösen Aussage nicht das gemeint, was der Kritiker bestreitet, und wähne sich so von der Kritik nicht betroffen. Durch fortschreitende Einschränkungen aber, die einem argumentativen Rückzug gleichen, stirbt die Hypothese Gottes, so Flew, »schrittweise den Tod durch tausend Modifikationen«. Vgl. A. Flew, Theologie und Falsifikation, in: I. U. Dalferth (Hg.), Sprachlogik des Glaubens, 84–87; vgl. auch R. Schaeffler, RelPhil, 149 f. 132 F. Ricken, Sind Sätze über Gott sinnlos?, in: StZ 193 (1975), 435–452; vgl. R. Schaeffler, GuA, 1. 133 Vgl. Ders., RelPhil, 148. 134 John L. Austin, Zur Theorie der Sprechakte, Stuttgart 21985, 26 [engl. Original 1962 / 1975].

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nicht oder nur zum Teil Informationen über Tatsachen berichten.« 135 Was sprachlich wie ein Aussagesatz erscheint, ist in Wirklichkeit häufig »eine Weise mit Worten zu handeln« 136 – so die berühmte Umschreibung dessen, was Austin als »Sprachhandlung« oder als »performativen Akt« bezeichnet. Religionsphilosophisch ist dabei interessant, dass Austin Beispiele aus sakramentalen Vollzügen heranzieht, um den Vorrang des performativen gegenüber dem propositionalen Gehalt in vielen alltäglichen Äußerungen zu verdeutlichen: »Ich taufe Dich …«, »Ich nehme an als Frau / Mann …«, oder »Ich spreche Dich los von deinen Sünden …«. 137 Austin betrachtet solche Sätze als in Aussagesätze »verkleidete« Sprachhandlungen. Von propositionalen Sätzen lassen sie sich nicht anhand ihrer grammatikalischen Form unterscheiden, sondern nur durch ihre sprachpragmatische Funktion. Obwohl Schaeffler Austins Theorie der Sprechakttheorie als Alternative zum logischen Empirismus grundsätzlich folgt, erkennt er zugleich die Gefahr, um der Abwendung des Sinnlosigkeitsverdachtes willen auf den Wahrheitsanspruch religiöser Äußerungen zu verzichten. Schaeffler zitiert dazu die einfache Einsicht Martin Luthers: »Tolle assertiones, et Christianismum tulisti.« 138 An den genannten Beispielen aus dem sakramentalen Bereich macht Schaeffler deutlich, dass ohne die zugrundeliegenden »Heilswahrheiten« auch die »Heilswirksamkeit« der Sprachhandlungen ins Leere geht. In diesem Sinne kann das Wort des Hl. Paulus: »Wenn Christus nicht auferweckt worden ist, dann ist euer Glaube nutzlos und ihr seid immer noch in euren Sünden« (1 Kor 15,17) im sprachphilosophischen Kontext betrachtet als Beispiel dafür dienen, wie die Gültigkeit der performativen Sprachhandlung vom propositionalen Gehalt der sprachlichen Ebd. Vgl. den engl. Originaltitel: »How to do things with words«. 137 Vgl. R. Schaeffler, RelPhil, 152. Diese und vergleichbare Beispiele aus dem sakramentalen Bereich kommen bei Austin in verschiedenen Abwandlungen vor. Vgl. J. Austin, Zur Theorie der Sprechakte, 45, 54, 62, 77 u. a. Das Beispiel der Sündenvergebung allerdings lässt sich bei Austin nicht nachweisen. 138 »Nimm die Aussagen weg, und du hast das ganze Christentum weggenommen.« M. Luther, De servo arbitrio (1525), WA 18, 306. Vgl. R. Schaeffler, GuA, 23; Ders., RelPhil, 157; Ders., Die Vielfalt der Weisen religiöser Wahrheit und ihres sprachlichen Ausdrucks, in: W. Kerber (Hg.), Die Wahrheit der Religion, München 1994, 73–109, hier 98 [künftig: Die Vielfalt der Weisen religiöser Wahrheit]. Schaeffler verdankt dieses Lutherzitat in diesem Zusammenhang: I. U. Dalferth, Religiöse Rede von Gott, München 1981, 525. 135 136

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Äußerung abhängt. 139 »Die Zustimmung zur Wahrheit gewisser Aussagen (statements) ist die Bedingung für die Fähigkeit zum Vollzug gewisser Sprachhandlungen (speech acts) im Rahmen einer Institution.« 140 Schaeffler hat den weitläufigen sprachphilosophischen Diskurs sogleich auf die entscheidende Problemstellung hin zugespitzt: auf die Frage nach dem propositionalen Gehalt nichtpropositionaler Sprachhandlungen. Und er glaubt mit dieser Problembeschreibung bereits eine Lösung für den Aufweis der Sinnbedingungen religiöser Sprache angedeutet zu haben. Diese lautet: »Sachbezug und Bedeutungsgehalt religiöser Propositionen […] sind vermittelt durch die propositionalen Gehalte von nicht-propositionalen Ausdrücken, vor allem von Sprachhandlungen […].« 141 Für die weitere Klärung der Sinnhaftigkeit und der Wahrheitsfähigkeit religiöser Aussagen hält Schaeffler Folgendes fest: 1. Auch wer die Wahrheit des propositionalen Gehaltes der religiösen Sprachhandlungen bestreitet, kann zumindest nicht mehr behaupten, dass sie von überhaupt nichts sprechen. Sie sprechen von dem, was zum wirksamen Vollzug der religiösen Sprachhandlung notwendig anzunehmen ist. 142 2. Um Gegenstandsbezug und Bedeutungsgehalt religiöser Aussagen zu sichern, muss die sprachanalytische Forschung künftig das Verhältnis der religiösen Sprachhandlungen zu den darin enthaltenen religiösen Propositionen genauer zu bestimmen versuchen. 3. Zu diesem Zweck können vor allem biblische Hymnen und andere Gebetstexte herangezogen werden, da hier Sprachhandlungen und Aussagesätze eng verwoben sind und überdies davon ausgegangen werden darf, dass es sich hierbei zweifelsfrei um religiöse Sätze handelt. 143 Vgl. R. Schaeffler, GuA, 24; Ders., RelPhil, 157. Vgl. dazu ausführlicher: R. Schaeffler, Wahrheit und Institution, in: W. Kern (Hg.), Die Theologie und das Lehramt, Freiburg i. Br. 1982, 152–200, bes. 164–168. Der Hinweis Schaefflers auf die Bedeutung einer »Institution«, in der die Sprachhandlung wirksam vollzogen wird, wird erst durch die Fortführung des Ansatzes von Austin durch John R. Searle verständlich. Hier eröffnet sich sprachphilosophisch eine Perspektive auf die ekklesiologische Dimension der religiösen Rede (vgl. Kap. 6). 140 R. Schaeffler, Wahrheit und Institution, 165. 141 Ders., GuA, 25. 142 Vgl. ebd., 26. Dies ist – im Fall der Sündenvergebung – nicht wenig: »Sie sagen z. B. von Jesus, daß er lebe, weil er nur so durch den Dienst des Apostels gegenwärtig wirksam werden kann; aber auch daß sein Tod zum Heil für die Sünder geworden sei, weil nur so das Wort der Sündenvergebung wirksam werden kann.« Ebd. 143 Vgl. R. Schaeffler, GuA, 27. 139

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An einer Stelle stellt Schaeffler eine interessante Analogie zu Luthers Diktum von der Notwendigkeit des propositionalen Gehaltes religiöser Rede her. Schaeffler schreibt: »Nimm den Aussagesätzen die Beziehung zur Doxologie und zu anderen religiösen Sprachhandlungen, und du hast ihnen Sachbezug und Bedeutungsgehalt genommen, so daß sie nicht mehr wahr oder falsch, sondern sinnlos sind.« 144 Damit leitet er über zum religionsphilosophischen Folgeproblem, wie nun der Status der religiösen Sprache in Relation zu anderen Redeweisen zu bewerten ist. Dies ist die Frage nach der Eigenständigkeit beziehungsweise nach der Übersetzbarkeit und Anschlussfähigkeit religiöser Sprache, wie sie in Schaefflers dritter Ausgangsbeobachtung angeklungen ist.

2.3.2 Das religiöse Sprachspiel zwischen Anarchie, Autarkie und Autonomie Die hier zu bearbeitende Problematik ist kaum von der Frage nach den Sinnbedingungen religiöser Sprache zu trennen. Sie erschließt sich, indem man – in Schaefflers Terminologie – »Anarchie«, »Autarkie« und »Autonomie« der religiösen Sprache erörtert und in ihrem Verhältnis zueinander ausdifferenziert. Stand für die Idee der religiösen Sprache als Sprachhandlung John Austin Pate, so nehmen die folgenden Überlegen bei Ludwig Wittgenstein ihren Anfang. Seine Theorie der Sprachspiele gründet in der Feststellung: »Die Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch in der Sprache.« 145 Demnach gibt es bestimmte intersubjektive Handlungszusammenhänge, innerhalb derer sprachliche Äußerungen erst ihren Sinn erhalten. Es liegt auf der Hand, dass Wittgenstein damit ein Argument vorbringt, mit dem der Sinnlosigkeitsverdacht religiöser Aussagen von Seiten »Außenstehender«, die an diesem Sprachspiel nicht partizipieren, gleichermaßen als sinnlos zurückgewiesen werden kann. 146 Auch gegenüber diesem prominenten Ansatz Wittgensteins Ebd., 98. L. Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, Frankfurt a. M. 1971, 35 (Nr. 43). In Nr. 23 führt er den Begriff »Sprachspiele« ein mit der Erklärung: »Das Wort ›Sprachspiel‹ soll hier hervorheben, daß das Sprechen der Sprache ein Teil ist einer Tätigkeit, oder einer Lebensform.« Ebd., 24. 146 Vgl. R. Schaeffler, RelPhil, 155. Nebenbei bemerkt meint Schaeffler, dass Wittgenstein hier unwissentlich auf das zurückgreift, was in der Exegese als der »Sitz im 144 145

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zeigt Schaeffler ein hohes Bewusstsein für die ihm inhärenten Gefahren und trägt so wiederum zur Präzisierung der Problematik bei: Die Theorie der »autonomen« Sprachspiele, also die Annahme von untereinander gleichberechtigten, jedoch voneinander unabhängigen Sprachspielen, wie sie auch Phillips in seiner frühen Phase vertreten hat, 147 scheint auf den ersten Blick alle Schwierigkeiten aufzulösen. Doch Schaeffler äußert gegenüber der Anwendung dieses Konzepts auf das religiöse »Sprachspiel« grundsätzliche Bedenken. Zum einen werde die Religion dadurch gegenüber jeder Kritik von außen immunisiert. 148 Zum anderen werde ihr auch die Möglichkeit genommen, sich vor denen verständlich zu machen, die das religiöse Sprachspiel (noch) nicht sprechen. Den letzten Einwand schätzt Schaeffler in zweierlei Hinsicht als höchst bedeutungsvoll ein: Kein Mitglied des religiösen Sprachspiels hat von vorneherein und jederzeit gleichermaßen Anteil an den internen Überzeugungen und Handlungen. Vielmehr muss ein lebenslanger Erziehungs- und Begründungsprozess denkbar bleiben, der nicht ohne einen allgemeinen Wahrheitsanspruch auskommt. Darüber hinaus müssen religiöse Sätze auch für »Außenstehende« vernehmbar und verstehbar gemacht werden können, zumal wenn man im speziell christlichen Kontext dem Evangelisierungsauftrag gerecht werden möchte. Die Verabsolutierung der These von der »Autonomie der religiösen Sprachspiele« droht also letztlich auf eine fideistische Position hinauszulaufen und erhärtet den Verdacht, eine bloße Schutzbehauptung zu sein. 149 Leben« einer Aussage innerhalb einer bestimmten Sprachgemeinschaft bezeichnet wird. 147 Vgl. ebd., 155. Zur Religionsphilosophie Phillips vgl.: H. von Sass, Sprachspiele des Glaubens, Tübingen 2010; I. U. Dalferth – H. von Sass, The Contemplative Spirit. D. Z. Phillips on Religion and the Limits of Philosophy, Tübingen 2010. 148 Wie wichtig für Schaeffler die prinzipielle Möglichkeit von Religionskritik ist, zeigt seine Monographie: Religion und kritisches Bewusstsein, Freiburg i. Br. – München 1973; vgl. Ders., Die Kritik der Religion, in: HFTh I, Tübingen – Basel 22000, 85– 99. 149 Vgl. R. Schaeffler, RelPhil, 155–159; Ders., GuA, 214. Am Konzept der »Theorie der autonomen Sprachspiele« zeigt sich also eine Reformulierung der alten Frage nach dem Verhältnis von Vernunft und Glaube. Humphrey Palmer bezieht dabei eine deutliche Position, der sich auch Schaeffler verpflichtet weiß: »Aus religiösen Gründen bedaure ich jeden Zug, der darauf hinzielt, Religion von anderen Lebensformen als unabhängig, selbstgenügsam, immun gegen Kritik und unfähig zu evangelisieren auszusondern. Ich möchte an keinem esoterischen Spiel teilnehmen, zu dem prinzipiell keine Zuschauer zugelassen sind. Es scheint mir für das ewige Heil sowohl der Gläubigen als auch der Ungläubigen wichtig, daß es eine echte Konfrontation zwiBeten denken

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Die größte Gefahr der These von der Autonomie der unterschiedlichen Sprachspiele liegt laut Schaeffler darin, dass sie im Extremfall auf eine »Anarchie« hinausläuft, bei der keine Möglichkeit der Interferenz unterschiedlicher Sprachspiele mehr gedacht werden kann. Es gäbe weder die Möglichkeit wissenschaftlicher Religionskritik noch religiöser Wissenschaftskritik. 150 Dies führt letztlich zur Dissoziierung und zum Identitätsverslust des Individuums, das naturgemäß an verschiedenen Sprachspielen teilnimmt. 151 Um dem zu entgehen, ist die Denkmöglichkeit einer Interferenz verschiedener autonomer Sprachspiele notwendig. Genau dies ließ innerhalb der sprachphilosophischen Diskussion die Forderung nach einer »normativen« oder »idealen Sprache« laut werden, wie sie etwa der frühe Wittgenstein vertreten hat. Schaeffler weist darauf hin, dass hier innerhalb der analytischen Sprachphilosophie – entgegen ihrer euphorischen Hoffnung, alte (Schein-)Fragen der Metaphysik überwunden zu haben – dieselbe Debatte wieder ersteht, die zwischen erkenntnistheoretischen Realisten und Idealisten seit Jahrhunderten scheinbar ergebnislos ausgetragen wurde. 152 Das leitende Anliegen in »Das Gebet und das Argument« ist für Schaeffler, am Beispiel der Gebetssprache den Status der religiösen Sprache und ihr Verhältnis zu anderen Sprachformen zu klären. 153 Die Argumentation, die hier nur in groben Strichen nachgezeichnet werden kann, bewegt sich zwischen den drei Grenzbegriffen: Anarchie, Autarkie und Autonomie. Im zweiten Teil der Arbeit versucht Schaeffler die religiöse Sprache als »autonomes« Sprachverhalten heschen den Behauptungen der Gläubigen und den Einwänden der Nichtgläubigen gibt.« H. Palmer, Zuerst Verstehen, in: I. U. Dalferth (Hg.), Sprachlogik des Glaubens, 237–247, hier 245. Zitiert in: R. Schaeffler, RelPhil, 159. 150 Vgl. Ders., GuA, 30. 151 Die Gefahr der »Zerstreuung« des Individuums in verschiedene »Sprachspiele« spiegelt im Übrigen exakt Schaefflers Dialektik der strukturverschiedenen Subjektivitätsweisen in der transzendentalen Betrachtungsweise wieder und muss insofern für ihn alarmierend wirken. 152 Vgl. Ders., GuA, 32 f. Schaeffler bestimmt hier die Zuordnung der Positionen präzise: »So erscheint, vom Standpunkt der Theorie der ›autonomen Sprachspiele‹ aus gesehen, das Programm der ›normativen Sprache‹ als Ausdruck eines vorkritischen Rationalismus. Vom Standpunkt der Theorie der ›normativen Sprache‹ aus erscheint entsprechend die Theorie der ›autonomen Sprachspiele‹ als Ausdruck eines ›subjektiven Idealismus‹ […].« Ebd., 33. 153 Deshalb wäre es – wie in der Einleitung angedeutet – viel zu kurz gegriffen, dieses Werk nur als »Gebetslehre« zu rezipieren und die große sprachphilosophische Argumentationslinie außer Acht zu lassen.

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rauszustellen und damit zu zeigen, dass sie entgegen dem empiristischen Einwand durchaus in der Lage ist, Sachbezug und Bedeutungsgehalt ihrer Rede eigengesetzlich zu definieren. 154 Dieser Teil enthält zugleich die ausführlichen sprachphilosophischen Erörterungen zum Gebet, die noch eingehend analysiert werden. Im zweiten Schritt ist es das Anliegen Schaefflers, den Nachweis für die Möglichkeit und Notwendigkeit der Interferenz strukturverschiedener Sprachen zu führen – also die Widerlegung der These, die religiöse Sprache sei autark, das heißt sich selbst genug. Dieser Nachweis wäre dann erbracht, wenn die religiöse Sprache selbst Rechenschaft darüber ablegen kann, »daß von den Inhalten religiösen Sprechens auch in anderen, anders strukturierten Sprachen gesprochen werden kann und muss« 155. Schaefflers Theorie der religiösen Sprache lautet also anhand der drei Grenzbegriffe formuliert: Die religiöse Sprache steht nicht anarchisch (zusammenhangslos) neben anderen Sprachspielen, sondern sie ist in sich autonom (selbstbestimmend), aber nicht autark (selbstgenügsam). 156 Die Formulierung »autonom aber nicht autark« wird für Schaeffler zur Leitfigur für die Beschreibung der Interferenz von Sprachspielen und wird als charakteristische Denkform auch auf andere philosophische Kontexte angewandt, etwa im Bereich strukturverschiedener Erfahrungen. 157 Schaeffler behält, angefangen in »Das Gebet und das Argument« bis in jüngste Veröffentlichungen hinein, vor allem die religionsphilosophisch höchst relevante Frage im Blick, wie sich diejenigen Sprachspiele zueinander verhalten, denen die Gottesrede genuin gemeinsam ist: Die religiöse Sprache (d. h. vor allem die Sprache der Liturgie und des Gebetes), die Theologie und schließlich die philosophische Gottesrede. 158 Religiöse Sprache vermag ihren eigenen Gegenstandsbezug und Bedeutungsgehalt aufzuweisen; sie ist gegenüber anderen SprachVgl. Ders., GuA, 100–211. Dies entspricht dem zweiten Hauptteil von GuA. Ebd., 272. 156 Vgl. ebd., 230, 243, 257 f., 272, 310–316, 319; vgl. auch Ders., Die Vielfalt der Weisen religiöser Wahrheit, 108. 157 Vgl. u. a. Ders., EDW, 772: »Diese [strukturverschiedenen; S. W.] Erfahrungswelten erweisen sich zwar als eigengesetzlich (autonom), aber im Verhältnis zueinander als nicht selbstgenügsam (als nicht-autark).« Vgl. auch Ders., PhE I, 193–197. 158 Vgl. Ders., Sprechen Glaube, Philosophie und Theologie vom selben Gott?, in: Ders., Philosophisch von Gott reden, Freiburg i. Br. – München 2006, 23–60. Um genau diese Fragestellung wird es in Kap. 7 gehen. 154 155

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spielen autonom, aber keinesfalls autark. Zu dieser sprachphilosophischen These gelangt Schaeffler – darauf sei abschließend hingewiesen – nur durch einen methodischen Ausgriff: durch die transzendentalphilosophische Ausweitung des sprachphilosophischen Denkhorizonts. Beide Problemstellungen, sowohl der Sinnlosigkeitsverdacht als auch der Autarkievorwurf, werden erst durch diesen nochmaligen »turn« einer Lösung zugeführt. Schaeffler resümiert dazu: »Die religiöse Sprache ist, gerade wegen der transzendentalen Bedeutung ihrer Ideen, Kategorien und Anschauungsformen, als ein intersubjektives Sprachverhalt von eigener Gesetzlichkeit deutlich geworden; sie ist, mit der üblichen [sic!] gewordenen Terminologie gesprochen, ein ›autonomes Sprachspiel‹.« 159

Anhand der Gebetssprache versucht Schaeffler zu zeigen, dass hier ein spezifischer und eigengesetzlicher Gebrauch von Kategorien vorliegt und dass sich im Gebetsakt die Konstitution von »Ich«, »Welt« und »Geschichtsbewusstsein« des Beters vollzieht. 160 Die religiöse Sprache – dieser Schluss sei hier vorweggenommen – besitzt entgegen dem Einwand des sprachanalytischen Positivismus »transzendentalen Charakter«, weil sie selbst »die Bedingungen für Sachbezug und Bedeutungsgehalt religiöser Rede auf eigengesetzliche Weise definiert« 161. Als Frucht dieser methodischen Kombination gelangt Schaeffler schließlich im dritten Teil von »Das Gebet und das Argument« zu dem Ergebnis, dass die Interferenz autonomer Sprachspiele nicht nur möglich und hinsichtlich des Zusammenspiels religiöser, theologischer und philosophischer Rede bestimmbar, sondern dass diese im Fall der religiösen Sprache auch notwendig sei. 162 Die Notwendigkeit dieser Interferenz führt Schaeffler beispielhaft am Verhältnis von Gebetssprache und wissenschaftlicher Theologie aus, indem er die jeweils immanenten Gründe benennt, die das Gebet um seiner selbst willen auf die Theologie verweist und umgekehrt. 163 Alle genannten Thesen Schaefflers werden im Hauptteil dieser Arbeit noch weiter diskutiert werden. Im Rahmen der methodischen Einführung geht

159 160 161 162 163

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Ders., GuA, 209. Vgl. dazu ausführlich Kap. 4.3. Ders., GuA, 210. Vgl. ebd., 231 f. Vgl. ebd., 223–277; vgl. Kap. 7.3.

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es allein darum, die philosophiehistorischen und systematischen Hintergründe für die Vorgehensweise Schaefflers offenzulegen.

2.3.3 Noch ein »turn«: Die transzendentale Wende der Sprachphilosophie Die Debatte über den propositionalen Gehalt nichtpropositionaler Aussagen und die wiederkehrende Kontroverse zwischen (sprachphilosophischen) Idealisten und Realisten führt innerhalb der analytischen Sprachphilosophie eine Situation herauf, die Schaeffler als den »Überdruß an fruchtlos gewordenen Kontroversen« 164 bezeichnet und die paradoxerweise eine neue Aufmerksamkeit für Kant zur Folge hat. Diese unerwartete Rückkehr zur Transzendentalphilosophie wird von Schaeffler wesentlich gefördert und vorangetrieben. Ein Indiz für eine aussichtsreiche Ergänzung der Sprachphilosophie durch den Rückgriff auf transzendentale Argumente sieht Schaeffler in der klassisch gewordenen Semiotik seit Charles W. Morris begründet, deren Einteilung in »Semantik«, »Grammatik« und »Pragmatik« 165 zunehmend als unzulänglich und die Zuordnung der Teildisziplinen als unreflektiert befunden wird. In der Tat greifen die Versuche, eine gewisse Dominanz der Grammatik gegenüber der semantischen und pragmatischen Disziplin aufzulösen und das Verhältnis der drei Disziplinen zueinander in einer Gesamttheorie in Einklang zu bringen, auf transzendentale Begriffe und Methoden zurück. Zu nennen wären hier neben Schaeffler 166 die Entwürfe einer R. Schaeffler, GuA, 100. Vgl. ebd., 34 f.; C. W. Morris, Grundlagen der Zeichentheorie, München 1979 [engl. Original 1938]. Es fällt auf, dass Morris die drei Dimensionen des Zeichenprozesses als »Semantik«, »Pragmatik« und – bei ihm das zuerst behandelte Teilgebiet – »Syntaktik« bezeichnet. Aus welchen Gründen Schaeffler hier abweichend von Morris von »Grammatik« spricht, ist nicht recht ersichtlich. Der Sache nach meint Schaeffler dasselbe wie Morris, nämlich »die syntaktische Beziehung der Zeichen zueinander unter Absehung von ihrer Beziehung zu Objekten und Interpreten« (Ebd., 32). In »PhE« kommt Schaeffler im Rahmen einer allgemeinen Hermeneutik religiöser Aussagen wiederum auf die Semiotik Morris’ zu sprechen (vgl. R. Schaeffler, PhE I, 164 f., 334–349). Er scheint sich seiner terminologischen Irregularität bewusst zu werden, wenn er hier schreibt, dass »die Analyse der Form« der sprachlichen Zeichen bei Morris »den Gegenstand der ›grammatischen‹ oder ›syntaktischen‹ Sprachbetrachtung ausmacht« (Ebd., 165). 166 Vgl. Kap. 4.1.2. 164 165

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»Transzendentalen Semantik« von Wolfram Hogrebe, sowie die »Transzendentalpragmatik« von Karl-Otto Apel. 167 Schaeffler nimmt in diesen Bemühungen eine zunehmende Rückkehr zur kantischen Philosophie wahr. Kritisch merkt Schaeffler an, dass die sprachanalytischen Annäherungen an die »Kritik der reinen Vernunft« vor allem auf Kants »Transzendentale Ästhetik« und seine »Urteilslehre« rekurrieren, während sie die für diese Fragen bedeutende »Transzendentale Dialektik« außer Acht lassen. 168 Schaeffler benennt hier ein Versäumnis, das er selbst aufzuarbeiten gedenkt. Schaeffler kommentiert diese mit Interesse verfolgte Entwicklung in der analytischen Philosophie mit einer philosophiehistorischen Beobachtung, die für ihn selbst zum Beweggrund wird, sich auf das Experiment einer methodischen Ergänzung einzulassen. Er schreibt: »Innerhalb derjenigen Tradition, die durch Kants Transzendentalphilosophie begründet worden war, ist schon vor Jahrzehnten eine ›linguistische Wendung‹ vollzogen worden, für die Namen wie Herder, Humboldt, Hermann Cohen und Ernst Cassirer stellvertretend stehen können. Die gegenwärtige Sprachphilosophie, die eine transzendentale Wendung zu vollziehen scheint, begegnet so einer älteren Transzendentalphilosophie, die ihrerseits eine linguistische Wendung vollzogen hat.« 169

In der deutschen Kantrezeption erkennt Schaeffler also eine Fortführung der Transzendentalphilosophie mit sprachphilosophischen Mitteln, die genau dem entgegenzukommen scheint, was sich im Bereich der analytischen und meist englischsprachigen Sprachphilosophie in umgekehrter Richtung vollzieht. »Die beiden Arten der Sprachbetrachtung, die auf dem Kontinent entwickelte transzendentale und die in England und Nordamerika entstandene analytische, haben lange Zeit beziehungslos nebeneinander bestanden. Doch braucht es da-

167 Vgl. W. Hogrebe, Kant und das Problem einer transzendentalen Semantik, Freiburg i. Br. – München, 1974; K.-O. Apel, Transformation der Philosophie, Bd. 1: Sprachanalytik, Semiotik, Hermeneutik, Frankfurt a. M. 1976. Vgl. dazu R. Schaeffler, Die religiöse Sprache zwischen Partikularität und Universalität. Ein transzendentalpragmatisches Modell, in: B. Schoppelreich – S. Wiedenhofer (Hg.), Zur Logik religiöser Traditionen, Frankfurt a. M. 1998, 119–186 [künftig: Die religiöse Sprache]; vgl. Ders., GuA, 34–36. 168 Vgl. ebd., 37. 169 Ebd., 38.

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bei nicht zu bleiben.« 170 Dank seiner genauen Kenntnis beider Traditionsstränge wagt es Schaeffler, diese zusammenzuführen, und beweist dabei eine große Offenheit für das, was die analytische Tradition an Präzisierungen ermöglicht. Es geht ihm also keineswegs darum, den »linguistic turn« rückgängig zu machen, sondern vielmehr darum, eine weitere notwendige Wende transzendentaler Art anzuschließen. Unter der Überschrift »Ein von der Linguistik vergessenes Stück der Philosophiegeschichte« rollt Schaeffler die nach- und neukantianischen Entwürfe unter dieser Fragestellung neu auf. 171 Der von Schaeffler am meisten gewürdigte Beitrag ist der Hermann Cohens. Da von ihm schließlich die entscheidenden Impulse für eine sprachphilosophisch orientierte Gebetslehre ausgehen, wird dem Marburger Philosophen und seinem Einfluss auf Schaeffler eine eigene Studie gewidmet. 172 Schließlich darf darauf hingewiesen werden, dass Schaeffler sich aus der transzendentalphilosophischen Wende der Sprachphilosophie nicht allein Lösungsansätze für den behandelten Fragekomplex der Religionsphilosophie erwartet. Vielmehr misst er dem anhand der religiösen Sprache aufgezeigten Weg eine »paradigmatische Bedeutung für die allgemeine Sprachphilosophie« 173 bei. Die Analyse religiöser Texte vermag exemplarisch »die pragmatische, grammatische und semantische Betrachtungsart durch Anwendung transzendentaler Methoden zu verknüpfen und auf diesem Wege den Zusammenhang von Sprachhandlungen und Aussagesätzen zu bestimmen« 174. Sofern letzteres die Frage war, an der sich die gesamte Diskussion entzündet hatte, könnte dies ein richtungweisendes Programm für eine »transzendentale Wende« der Sprachphilosophie auch in anderen Teilbereichen sein.

Ders., RelPhil, 160. Vgl. Ders., GuA, 38–48; vgl. auch Ders., RelPhil, 161–164. 172 Vgl. Kap. 3. Schaefflers Rezeption Ernst Cassirers und seiner Theorie der »Symbolischen Formen« ist vor allem hinsichtlich des Problems der Anarchie von Sprachspielen von Bedeutung. Darauf kann an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden. Vgl. R. Schaeffler, GuA, 66–96; Ders., RelPhil, 165–170. 173 Ders., GuA, 161. 174 Ebd. 170 171

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2.4 Schaefflers religionsphilosophische Methodenkombination 2.4.1 Gründe für eine Methodenkombination Die Einführung in die von Schaeffler bevorzugten »Typen« der Religionsphilosophie hat gezeigt, dass alle drei Methoden an Grenzen stoßen, die nach einer methodischen Überschreitung und Korrektur verlangen: Eine »philosophische Theologie« auf der Basis der Transzendentalphilosophie gelangt bei der Aufgabe, die »religiöse Erfahrung« und ihr Verhältnis sowohl zu anders strukturierten Erfahrungsweisen als auch zu den zugrundeliegenden Vernunftpostulaten zu beschreiben, zu ähnlichen Fragen, wie sie sich auch eine phänomenologische Betrachtung des Religiösen stellen muss. Schaefflers bislang nur angedeutete Überlegungen zur »Doxologie« markieren dabei eine Verbindungsstelle zwischen dialogischer Erfahrungslehre und Phänomenologie. Die Möglichkeit der Objektivität religiöser Erfahrung versucht Schaeffler mit Hilfe der intersubjektiven Perspektive aufzuweisen, die ihn wiederum auf die sprachliche Verfasstheit der religiösen Erfahrung im Wechselverhältnis von »Verbum Mentis« und »Verbum Oris« aufmerksam werden lässt. Die thematische Weite, mit welcher der Typus einer »Religionsphänomenologie« auf das Phänomen des Heiligen zugeht, ist seine Chance und Grenze zugleich. Ohne transzendentale Kriterien droht sie sich zu verlieren. Dies ist eine Erkenntnis, die bereits Husserl gemacht hatte und der sich Schaeffler mit seiner Forderung einer Betrachtung der Geschichtlichkeit des Religiösen anschließt. Um der religionsphilosophischen Phänomenologie überhaupt ihr Thema zu sichern und sie vor einer kriterienlosen und ausufernden Beschreibung zu bewahren, schlägt Schaeffler einen von Scheler abweichenden Weg ein: eine sprachphilosophische Analyse desjenigen Phänomens, das sich mit Heiler als der ausgezeichnete »Gegenstand« der religionsphänomenologischen Forschung abzeichnet – das Gebet. Der dritte Typus, die »Religionsphilosophie als Sprachanalyse« im Kontext der linguistischen Wende, hat sich laut Schaeffler nach anfänglich verheißungsvollen Beiträgen zur Thematik der religiösen Rede heillos in Aporien verstrickt. Schaeffler sieht das Zentrum der Auseinandersetzung in der Klärung des Verhältnisses zwischen Aussagesätzen und religiösen Sprachhandlungen. Auch hier erhofft sich Schaeffler einen Fortschritt dadurch, dass die zumeist englischspra76

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chige sprachanalytische Religionsphilosophie sich einer erneuten »Wende« durch ein transzendentalphilosophisches Denken unterzieht. Dies wäre die komplementäre Bewegung zu der von Schaeffler wieder in Erinnerung gerufenen Tatsache, dass es in Deutschland bereits vor dem »linguistic turn« eine sprachphilosophische Wende der Transzendentalphilosophie gegeben hat. Anhand dieser Zusammenfassung lässt sich zeigen, dass die von Schaeffler bevorzugten Typen der Religionsphilosophie durch ihre Problemüberhänge wechselseitig aufeinander verweisen. Es entsteht so das Bild einer komplementären Ergänzung der einzelnen methodischen Ansätze, das von Schaeffler verschiedentlich reflektiert wird. 175 Diese Situation führt ihn schließlich zum Vorschlag einer religionsphilosophischen Methodenkombination, den er erstmals in seiner »Religionsphilosophie« von 1983 unterbreitet hat. Darin kommt Schaeffler über die Darstellung und Gegenüberstellung der Ansätze hinaus zu einer qualitativen Auswertung der einzelnen Ansätze hinsichtlich ihres Beitrages zu (1) Thematik, (2) Methodik und (3) Kriteriologie der Religionsphilosophie. 176 (1) Die transzendentale philosophische Theologie fragt nach den Inhalten des religiösen Denkens, Sprechens und Handelns und versucht den Gegenstandsbezug dafür selbst herzustellen, kurz: sie spricht philosophisch von Gott. Dabei besteht die Gefahr, ungeachtet der religiösen Selbstzeugnisse und »in sachfremder und zugleich […] unkontrollierbarer Weise« 177 ein bestimmtes philosophisches Gottesund Religionsverständnis vorauszusetzen. Die sprachanalytische Religionsphilosophie hingegen fragt formal nach dem Aufbau der religiösen Sprache. Sie vermeidet dadurch ebendiese sachfremden Vorentscheidungen und wendet sich den religiösen Aussagen und ihrer Struktur selbst zu, droht dabei aber leicht den Sinn für den prinzipiellen Wahrheitsanspruch religiöser Aussagen zu verlieren. In dieser Situation »erscheint die Phänomenologie der Religion als die notwendige Synthese einer inhaltsbezogenen und einer formbezogenen Religionsbetrachtung« 178. Der tiefere Grund für Schaefflers Bevorzugung des phänomenologischen Typus in thematischer Hinsicht Vgl. u. a. R. Schaeffler, Orientierungsaufgaben der Religionsphilosophie; Ders., Religionsphänomenologie, Sprachanalyse und »die Wahrheitsfrage«. 176 Vgl. zum Folgenden: Ders., RelPhil, 197–218. 177 Ebd., 202 f. 178 Ebd., 203. 175

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liegt in dem oben beschriebenen Grundgesetz einer strengen Korrelation zwischen Noesis und Noema, welche die Einseitigkeiten einer rein inhaltlichen Betrachtungsweise einerseits und einer rein formalen andererseits vermeidet. (2) Hinsichtlich der Methodik räumt Schaeffler der Transzendentalphilosophie einen gewissen Vorrang ein. Dies mag kaum überraschen, denn die Schwächen der beiden anderen Ansätze wurden schon benannt: Eine phänomenologische Herangehensweise verläuft sich leicht in einer »bilderbuchhaften« Aneinanderreihung religiöser Phänomene, die sprachanalytische Religionsphilosophie droht entweder in einem »positivistischen Dogmatismus« oder aber in einer »relativistischen Theorie der ›autonomen Sprachspiele‹« 179 stecken zu bleiben. Dennoch bewahrt sich Schaeffler auch gegenüber der transzendentalen Methode einen kritischen Blick. Er hält sie als Korrektiv zur Phänomenologie und Sprachanalyse für unentbehrlich, nimmt aber auch ihre Gegenseite wahr: Das Proprium der Transzendentalphilosophie liegt – zumindest in ihrer kantischen Urgestalt – in der Annahme der Konstitution aller Gegenstände durch das Subjekt in den Akten des Anschauens und Denkens. Wollte man aber »Gott« in diesem transzendentalen Sinn erkennen oder sich auf ihn beziehen, könnte dies zu einem fatalen Missverständnis führen, nämlich zu einem »selbstgemachten Gott«, was wiederum dem religionskritischen Projektionsgedanken radikal Vorschub leisten würde. 180 Schaeffler betrachtet daher das transzendentale Denken angesichts der Desiderate der beiden anderen Methoden als unentbehrlich für die Religionsphilosophie. Zugleich aber fordert er eine erhöhte Aufmerksamkeit für seine Gefahren. 181 (3) Schließlich vergleicht Schaeffler die drei Ansätze hinsichtlich der Frage, inwieweit sie in der Lage sind, Kriterien dafür anzugeben, was überhaupt in den Forschungsbereich der Religionsphilosophie fällt. Dabei stellt er fest, dass der Religionsbegriff und die Kriterien für »das Religiöse« in der Regel entweder zu weit oder zu eng gefasst werden. Für die philosophische Theologie – auch in ihrem transzendentalen Typus – gilt vor allem das als religiös, was eine Beziehung zu Ebd., 205. Vgl. ebd., 206 f. 181 Schaeffler führt weiter aus, dass die transzendentale Methode »kritisch« und »hermeneutisch« bleiben müsse, um nicht einen selbstgemachten Gott zu entwerfen und Religion nicht auf Philosophie zu reduzieren. In einem »systematischen Ausblick« bringt Schaeffler dies zur Entfaltung. Vgl. ebd., 218–250. 179 180

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einem transzendenten Gott beschreibt. Die Religionsphänomenologie dagegen war nicht in der Lage, einen präzisen »Wesensbegriff« des Religiösen abzuleiten, da die Sinnlogik und der Charakter vieler (scheinbar) religiöser Akte nicht intuitiv verständlich ist. 182 An dieser Stelle rückt Schaeffler die sprachliche Struktur des Gebetsaktes ins Zentrum: »An der Gebetssprache sollte Aktstruktur und Wirklichkeitsbezug des religiösen Aktes exemplarisch studiert werden.« 183 Die neueren Entwicklungen in der Sprachphilosophie scheinen dafür die nötigen Mittel an die Hand zu geben. Schaefflers qualitatives Urteil über die behandelten Ansätze der Religionsphilosophie lautet noch einmal im Kern zusammengefasst: Die phänomenologische Methode erhält wegen der ausgewogenen Verknüpfung von Aktstruktur (Noesis) und Gegenstandsbezug (Noema) den Vorrang in der Themenwahl; die transzendentalphilosophische Gotteslehre erhält aufgrund der Unzulänglichkeit der anderen Methoden den Vorrang hinsichtlich der Methodenwahl; die religiöse Sprachanalyse erhält den Vorrang hinsichtlich der Kriterien zur Unterscheidung des Religiösen und findet im Gebet den geeigneten Gegenstand ihrer Untersuchung. 184 Von den jeweiligen Defiziten her betrachtet kann man umgekehrt festhalten: Die Phänomenologie könnte sich in der Vielfalt der religiösen Phänomene verlieren, die Transzendentalphilosophie in ihrer Apriorität eingeschlossen bleiben, die Sprachphilosophie sich in rein formalen Betrachtungen erschöpfen. 185 Die drei behandelten religionsphilosophischen Methoden bedürfen also der gegenseitigen Ergänzung und Korrektur. Diese Verknüpfung bringt Schaeffler in seiner »Religionsphilosophie« in die Form einer These. Sie lautet: »Transzendentale Methoden, wie sie – gerade wegen der besonders deutlichen Erfahrung ihrer Schwierigkeiten und Gefahren – von der transzendental konzipierten philosophischen Gotteslehre entwickelt worden sind, angewandt auf Beispiele, deren speziell religiöse Eigenart durch die Analyse 182 Als Beispiele führt Schaeffler einerseits das Phänomen des »Opfers« an, das sehr vielschichtig und dessen Sinnlogik nicht unmittelbar verstehbar ist. Andererseits macht er am Beispiel der »Werte« und der »Werterfassung« deutlich, dass diese zwar ihrer Sinnlogik nach eindeutig erscheinen, jedoch sowohl religiösen als auch säkularen Charakters sein können. Vgl. ebd., 213–215. 183 Ebd., 215. 184 Vgl. ebd., 216, 245 f. 185 Vgl. ebd., 245 f., 282; vgl. auch J. Schmidt, Rez. R. Schaeffler, Religionsphilosophie, in: ThPh 63 (1988), 445–447, hier 447.

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der religiösen Sprache (vor allem der Gebetssprache) herausgearbeitet werden kann, stellen erst die Voraussetzungen bereit, um diejenigen Themen, die eine Phänomenologie der Religion sich stellt, angemessen zu bearbeiten.« 186

Damit ist eine Formulierung gefunden, mit der Schaeffler zusammenfasst, was sich im Zuge der intensiven Auseinandersetzung mit seiner Methodik gleichsam an den Grenzen des jeweiligen Ansatzes mehr und mehr angedeutet hat. Auffällig ist dabei für das Anliegen der vorliegenden Arbeit insbesondere, dass sowohl bei jeder einzelnen Methode als auch beim letzten Schritt zur methodischen Synthese der Gebetsakt und die Gebetssprache von Schaeffler ausdrücklich thematisiert wurden. Ein zweites wird anhand der Methodensynthese deutlich: Zwar sind alle drei Methoden in ihrer gegenseitigen Ergänzung notwendig, um den Anforderungen der Religionsphilosophie gerecht zu werden. Dennoch kommt der transzendentalen Methode eindeutig ein Schwergewicht zu. 187 Sie bildet nach wie vor die Grundlage von Schaefflers Religionsphilosophie, deren Originalität darin besteht, dass sie das transzendentale Denken mittels sprachphilosophischer Analysen anwendet auf die zweifelsfrei religiöse »Noesis«, wie sie sich im Gebetsakt zeigt. 188

186 Ders., RelPhil, 217. In beinahe wörtlicher Wiederholung findet sich diese Formulierung in Folge noch weitere vier Mal. Vgl. ebd., 229, 242, 246, 249. 187 Damit schließe ich mich dem eher beiläufigen Urteil von J. Wüst-Lückl und M. Zimny ausdrücklich an. Vgl. J. Wüst-Lückl, Theologie des Gebetes, 266; M. Zimny, Zur Einheit von Spiritualität und Intellektualität im Werk Richard Schaefflers, 55. Allerdings scheint mir Zimnys Einschätzung der Differenziertheit von Schaefflers Methodenkombination nicht mehr gerecht zu werden, wenn er schreibt: »Sprachanalytische Methoden sowie die phänomenologische Methode haben für Schaeffler wesentlich [Hervorhebung S. W.] die Funktion, seinen transzendentalphilosophischen Ansatz weiterhin aufrecht halten zu können.« Ebd. 188 Dass Schaeffler seiner Methodenkombination bis heute treu geblieben ist, zeigt der einleitende Aufsatz zum neuesten Tagungsband zu seiner Religionsphilosophie. Vgl. R. Schaeffler, Religionsphilosophie und Philosophische Theologie von transzendentalem Ansatz, in: B. Irlenborn – C. Tapp (Hg.), Gott und Vernunft, Freiburg i. Br. – München 2013, 26–35. Diese Einführung liest sich wie eine Zusammenfassung der hier vorgestellten Methodenkombination.

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2.4.2 Kritik der Methodenkombination Es ist meines Erachtens nicht leicht erklärbar, warum das innovative Angebot einer religionsphilosophischen Methodenkombination verhältnismäßig wenig greifbare Resonanz und weiterführenden Diskussionsbedarf ausgelöst hat. Schaeffler sieht sich dadurch jedoch keineswegs davon suspendiert, seinen Vorschlag argumentativ weiter auszubauen und ihn am »veränderten Orientierungsbedarf« der religionsphilosophischen Aufgaben zu messen. Insofern richtet sich der Blick auf die Rezeptionsgeschichte der Methodenkombination vor allem auf Schaeffler selbst und seine Stellungnahmen, zu denen er sich in der zweiten Auflage seiner »Religionsphilosophie« (1997) veranlasst sieht: Einerseits fühlt sich Schaeffler von den in der Zwischenzeit erschienenen religionsphilosophischen Entwürfen in der grundsätzlichen Notwendigkeit und Möglichkeit der Kombination unterschiedlicher Methodenansätze bestärkt. 189 Andererseits weiß Schaeffler auch, welchen Einwänden sein Ansatz innerhalb der gegenwärtigen religionsphilosophischen Diskussion ausgesetzt ist. 190 Mit Sicherheit trifft jene Kritik am härtesten, die sich gegen die transzendentale Methode in der Religionsphilosophie generell, beziehungsweise gegen eine transzendental gewendete Phänomenologie und Sprachphilosophie richtet. Schaeffler stellt sich diesen Einwänden auf selbstkritische Weise, wenn er schreibt: »Die transzendentale Methode unterliegt dem Verdacht, den neuzeitlichen Anspruch auf Herrschaft des Subjekts über die Objekte, der Intentionalität über die intendierte Wirklichkeit und vor allem des Begriffs über den unbegreiflichen Gott zu spiegeln, diesen Anspruch zum Leitfaden der Erkenntnislehre zu machen und dadurch zu legitimieren.« 191

Diese Aussage ist kein rhetorischer Kniff, mit dem Schaeffler einfach einräumen will, dass ihm die Kritik gegenüber dem transzendentalen Denken prinzipiell vertraut ist. Er sucht vielmehr die direkte Aus-

Schaeffler kann dabei in seinem Grundanliegen auf prominente Kollegen verweisen: Paul Ricœur, Marco Olivetti, Jean-Louis Chrétien, Michel Henry und Jean Greisch. Vgl. die Literaturangaben dazu bei: R. Schaeffler, RelPhil, 283. 190 Jong-Jin Lee diskutiert Einwände gegen Schaefflers Religionsphilosophie, vor allem bezüglich des Problems der Wahrheitsfrage in der phänomenologischen und sprachanalytischen Methode. Vgl. Ders., Transzendenzbewusstsein und praktische Vernunft, 40–44. 191 R. Schaeffler, RelPhil, 316. 189

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einandersetzung mit drei konkreten Konzepten, die hinter dieser Äußerung stehen. Es sind dies: Max Müller (Vorwurf der Herrschaft des Subjekts), Emmanuel Lévinas (Vorwurf der Herrschaft der Intentionalität) und Jean-François Lyotard (Vorwurf der Herrschaft der Begriffe). 192 Die transzendentale Lehre von der Objektkonstitution, die selbst den »Nächsten« noch zum Objekt des eigenen Anschauens und Denkens erklärt und alle Phänomene zur Einheit systematisiert, führt – so die Zuspitzung der Einwände – im Bereich der Religionsphilosophie letztlich zur Unmöglichkeit, »Offenbarung« zu denken. Mit einem berühmten Wort Lévinas’ gesprochen: Der transzendentale Ansatz verschließt sich gegenüber der Möglichkeit, dass »Gott ins Denken einfällt« 193. In ähnlicher Weise versteht Schaeffler auch den berühmten Ausruf Lyotards als einen Befreiungsschlag vom transzendentalen Denken: »Krieg dem Ganzen, verstärken wir die Widerstreite, retten wir die Ehre des Namens!« 194 Schaeffler macht sich diese fundamentalen Einwände wiederum zunutze, um in den Schlusspassagen seiner Religionsphilosophie nicht weniger grundsätzlich sein Verständnis einer transzendentalphilosophischen Erkenntnislehre in Erinnerung zu rufen: Selbstverständlich tritt uns, so Schaeffler, in all unserem Anschauen, Denken und Sprechen »das Wirkliche« entgegen. Es gibt jedoch, wie er nicht müde wird zu betonen, »kein Hinnehmen, das nicht zugleich Gestalten wäre« 195. Insbesondere für die religiöse Erfahrung gilt, dass das responsorische Moment dem je größeren Anspruch des Heiligen entgegentritt. Im geschichtlich-dialogischen Prozess immer neuen und besseren Begreifens sieht Schaeffler kein herrschaftliches, sondern vielmehr ein selbstkritisches Moment, durch das die Unangemessenheit der religiösen Erfahrung und ihres Antwortversuches durchschaut wird. Im gleichen Zug gibt Schaeffler auch eine Begründung für die enge gegenseitige Verwiesenheit von transzendentaler und 192 Vgl. ebd., 284 f.; vgl. auch J. Lee, Transzendenzbewusstsein und praktische Vernunft, 44 f. 193 Vgl. E. Lévinas: Wenn Gott ins Denken einfällt, Freiburg i. Br. – München 31999 [franz. Original 1982]. 194 J.-F. Lyotard, Beantwortung der Frage: Was ist postmodern?, in: W. Welsch (Hg.), Wege aus der Moderne, Weinheim 1988, 193–203; hier 203. Vgl. R. Schaeffler, RelPhil, 285 f. 195 Ebd., 316. Vgl. dazu Ders., Erkennen als antwortendes Gestalten – Oder: Wie baut sich vor unseren Augen die Welt der Gegenstände auf?, Freiburg i. Br. – München 2014.

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sprachphilosophischer Betrachtungsweise. Denn insofern die Eigentätigkeit des menschlichen Erkennens im religiösen Bereich immer aneignende und gestaltende Antwort auf das göttliche Wort ist, »gibt es keine Religion ohne religiöse Sprache« 196. Dieses Sprechen aber spricht an der Grenze des Sagbaren und weiß sich dennoch gezwungen zu sprechen, um den dialogischen Prozess des Hörens und Antwortens kritisch voranzutreiben. 197 In diesem Sinne diene die methodisch erweiterte Transzendentalphilosophie im religionsphilosophischen Anwendungsgebiet »nicht der Unterwerfung des Heiligen und Göttlichen unter das menschliche Subjekt […] sondern gerade der Selbstkritik dieses Subjekts, das in der Unzulänglichkeit seiner Antwort dem Anspruch des Göttlichen (und des Wirklichen überhaupt) auf der Spur bleiben will« 198. Die Kritik an Schaefflers Methodenkombination führt also wieder zurück zum Ausgangspunkt des gesamten Durchgangs durch die religionsphilosophische Methodik Schaefflers: zur konstitutiven Bedeutung der religiösen Erfahrung für seine dialogische Erfahrungslehre. Für die vorliegende Studie zur Gebetslehre Schaefflers wird die vorgestellte Methodenkombination in verschiedener Hinsicht von bleibender Bedeutung sein. Ohne inhaltlich vorzugreifen hat sich bereits methodisch gezeigt, dass das Thema »Gebet« für Schaeffler ein bevorzugtes Forschungsobjekt ist und dass er von allen methodischen Ansätzen her auf das Gebet zu sprechen kommt: sei es transzendentalphilosophisch über den religiösen Erfahrungsbegriff, phänomenologisch über die Suche nach dem »originär« religiösen Akt oder sprachphilosophisch über die aufschlussreiche Analyse der Gebetssprache für die sprachanalytischen Grundsatzdebatten nach dem »linguistic turn«. Man darf also festhalten, dass der Gebetsthematik eine zentrale Bedeutung in der Grundlegung seiner Religionsphilosophie zukommt, die nicht nur deren Ausrichtung deutlich beeinflusst, sondern sogar zum erklärten »Anwendungsgebiet« seiner religionsphilosophischen Methodenkombination wird, die als die Quintessenz seines Ansatzes gelten kann. Im Hauptteil dieser Arbeit müssen daher alle drei methodischen 196 Vgl. Ders., RelPhil, 317: »Wir ›haben‹, christlich gesprochen, das Wort Gottes nur im Widerhall der Antwort, die Propheten und Apostel auf dieses Wort gegeben haben. Und wir hören auch deren antwortendes Wort nur, indem wir auch unsererseits darauf antworten.« 197 Vgl. ebd. 198 Ebd., 318.

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Ansätze in ihrem Einfluss auf Schaefflers Gebetslehre im Blick behalten werden. Die Methodenkombination dient dabei sozusagen als das »Koordinatensystem« zur Einordnung seiner weiteren Ausführungen zum Gebetsakt. So können seine in chronologischer und konzeptioneller Hinsicht recht unterschiedlichen Beiträge zur Gebetsthematik besser eingeordnet und ausgewertet werden. Umgekehrt dürfte die thematische Ausfaltung seiner Gebetslehre dazu beitragen, den methodischen Anspruch Schaefflers zu überprüfen. Man darf erwarten, dass sich am Beispiel des Gebetsaktes weiter mit Inhalt füllt, was – wie Schaeffler selbst sagt – in seiner »Religionsphilosophie« noch in einer »recht schematische[n] Formulierung« 199 vorliegt. In jedem Fall liegt in dem Versuch, Schaefflers Gebetslehre auf diesem Hintergrund zu lesen, ein Beitrag zur noch weithin ausstehenden Rezeption seiner Methodenkombination vor. Eine besondere Aufmerksamkeit verdient die vorgebrachte Kritik an der transzendentalen Methode. Die Rückfrage an Schaeffler ist dabei von sehr grundsätzlicher Art: Inwiefern eignet sich eine auf transzendentales Denken bauende Religionsphilosophie dazu, dem Akt des Gebetes nach christlichem Verständnis gerecht zu werden? Oder prägnanter gesagt: Wie ist Schaefflers Konzept der »Erfahrung als Dialog mit der Wirklichkeit« mit einem Verständnis von »Gebet als Dialog mit Gott« vereinbar? 200 Ohne Zweifel ist der Gedanke des Dialogs eine Herausforderung für jede Transzendentalphilosophie nach Kant. Daher wird sich der mit dem Hinweis auf Lévinas und Lyotard angedeutete Streit um das transzendentale Denken wohl nirgends so entzünden wie an der Frage nach dem Verhältnis von Gott und Mensch im Gebet. Auch dies scheint Schaeffler überaus bewusst zu sein, wenn er selbstkritisch den Verdacht hegt, es »entgehe einem solchen [transzendentalen; S. W.] Denken gerade dasjenige Wirkliche, das sich der Herrschaft unserer Begriffe entzieht und nur in der Anrufung des Namens angemessen bezeichnet werden kann« 201. Nun ist es gerade Schaefflers Philosophie, die dem dialogischen Moment in einem neuen Erfahrungskonzept über Kant hinaus eine große Bedeutung verleiht. Dies ist im Hinblick auf den fiktiven Einwand von Lévinas und Lyotard insofern signifikant, als Schaeffler für seine Gebetslehre richtungsweisende Impulse von einem anderen 199 200 201

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Ebd., 217. Vgl. dazu Kap. 10. Ebd., 285.

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Schaefflers religionsphilosophische Methodenkombination

jüdischen Philosophen erhält, der den Begriff des »Dialogs« und der »Korrelation« sehr stark gemacht hat. Diese für Schaefflers Gebetslehre höchst bedeutsame Verbindungslinie zu Hermann Cohen soll im folgenden Kapitel ausführlich nachgezeichnet werden.

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3 Die Bedeutung der Religionsphilosophie Hermann Cohens für Schaefflers Gebetslehre

3.1 Die Religionsphilosophie Hermann Cohens 3.1.1 Cohens Philosophie auf dem Weg zur »Religion der Vernunft« Hermann Cohens 1 philosophisches Denken beginnt bei Kant und findet in ihm seinen bleibenden Bezugsrahmen. Seine erste Arbeit über »Kants Theorie der Erfahrung« (1871) fertigt Cohen – wie Franz Rosenzweig treffend formuliert hat – als »Gesellenstück in Kants Werkstatt« 2 an. Der Auseinandersetzung mit Kants Logik schließen sich in seiner frühen Schaffensphase zwei weitere Kant-Arbeiten zur Ethik und Ästhetik an. In seiner Marburger Zeit 3 legt Cohen dann einen eigenständigen philosophischen Entwurf vor, sein sogenanntes »System der Philosophie« (1902–1912). 4 Die ersten drei Teilbände richten sich wiederum nach der Traktatfolge von Logik, Ethik und Ästhetik. 5 Die »Logik der reinen Erkenntnis« ist der Versuch, den kantischen Dualismus von Anschauen und Denken zugunsten eines reinen Ursprungsdenkens zu überwinden: 6 »Wir fangen mit dem Denken an. Das Denken darf keinen Ursprung haben außerhalb seiner selbst.« 7 Dieser Gedanke führt Cohen zur Annahme eines radikal idealisti-

Hermann Cohen gilt zusammen mit Paul Natrop als Begründer der Marburger Schule des Neukantianismus. Vgl. zu Biographie und Werk Cohens: H. Wiedebach, Art. »Hermann Jecheskel Cohen«, in: Metzler Lexikon jüdischer Philosophen, Stuttgart 2003, 262–266. 2 F. Rosenzweig, Vertauschte Fronten, GS III, Dordrecht 1984, 235–237, hier 236. 3 Cohen hatte dort von 1876 bis 1912 einen Lehrstuhl für Philosophie inne. 4 Vgl. zum Folgenden: H. Holzhey, Hermann Cohen, in: Ders. – W. Röd (Hg.), Geschichte der Philosophie Bd. XII, München 2004, 42–64. 5 »Logik der reinen Erkenntnis« (1902), »Ethik des reinen Willens« (1904), »Ästhetik des reinen Gefühls« (1912); vgl. H. Cohen, Werke Bd. 6–9, Hildesheim 2005–2008. 6 Vgl. H. Holzhey, Hermann Cohen, 49. 7 H. Cohen, Logik der reinen Erkenntnis, Werke Bd. 6, Hildesheim 2005, 13. 1

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schen Erzeugungsdenkens. 8 In konsequenter Ablehnung einer ontologischen oder naturalistischen Denkform entwickelt Cohen auch seine »Ethik des reinen Willens« und bettet die Begriffe sittlicher Willensbestimmung in die idealistische Erkenntnislehre ein. In der »Ästhetik des reinen Gefühls« fügt sich schließlich die Kunst als eigene Bewusstseinsart ins System ein. 9 Über die dreigliedrige kantische Konzeption hinaus stellt sich Cohen schließlich die Aufgabe, das sogenannte »Kulturbewusstsein« als eine weitere Disziplin in seinen Systementwurf zu integrieren. Dieses ist gedacht als eine Synthese der drei Erzeugungsweisen von Erkenntnis, Sittlichkeit und Kunst. Cohen kann dieses Vorhaben bis zu seinem Tod nicht mehr ausführen. Nach seiner Emeritierung wendet sich Cohen beinahe ausschließlich religionsphilosophischen Fragestellungen zu. Er siedelt 1912 nach Berlin über und nimmt dort eine Lehrtätigkeit an der »Lehranstalt für die Wissenschaft des Judentums« an. 10 Während dieser Jahre arbeitet Cohen an seinem ersten religionsphilosophischen Werk mit dem Titel »Der Begriff der Religion im System der Philosophie« 11. Cohen unternimmt darin den Versuch, die Religionsphilosophie in sein bisheriges Systemdenken zu integrieren und ihr einen eigenständigen Platz neben Erkenntnistheorie, Ethik und Ästhetik zu verschaffen. Cohen stirbt 1918 nach Abschluss seines religionsphilosophischen Hauptwerkes »Religion der Vernunft aus den Quellen

»Erzeugungsdenken« meint beim frühen Cohen, dass er die kantische Unterscheidung zwischen Anschauen und Denken auflöst und seine Erkenntnistheorie auf das Denken allein reduziert. Es gibt kein Gegenüber des Denkens mehr, sondern das Denken hat seinen Ursprung in sich, die Erkenntnis erzeugt sich im Denken selbst. Vgl. K. Wuchterl, Bausteine zu einer Geschichte der Philosophie des 20. Jahrhunderts, Bern – Stuttgart – Wien 1995. 114–116. 9 Vgl. H. Cohen, Ästhetik des reinen Gefühls (Teilband 1), Werke Bd. 8, Hildesheim 2005, 86. 10 Schon in Marburg fördert Cohen mit großem Engagement die wissenschaftlichen Interessen des Judentums und tritt zunächst für jüdische Lehrstühle an deutschen Universitäten ein. Bis zuletzt unterstützt Cohen die Pläne für eine »Akademie für die Wissenschaft des Judentums«, die kurz nach seinem Tod von Rosenzweig in Berlin eröffnet wird. Vgl. H. Cohen, Die Errichtung von Lehrstühlen für Ethik und Religionsphilosophie an den jüdisch-theologischen Lehranstalten, in: Jüdische Schriften, Bd. 2, Berlin 1924, 108–125; Ders., Zur Begründung einer Akademie für die Wissenschaft des Judentums, in: Werke Bd. 17, Hildesheim 2002, 625–635. 11 H. Cohen, Der Begriff der Religion im System der Philosophie (1915), Werke Bd. 10, Hildesheim 2002 [künftig: BR]. 8

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des Judentums« 12. Man könnte so zu der These neigen, der alte Cohen habe sich seiner jüdische Herkunft besonnen und sei »fromm« geworden. Diese Sichtweise verkennt, dass Cohen sich zu allen Zeiten seiner Karriere zu religiösen und ethischen Grundfragen des Judentums und zur jüdischen Zeitgeschichte geäußert hatte. 13 Die immerhin knapp 70 »Jüdischen Schriften« 14 verblassen möglicherweise neben Cohens gewaltigem Systementwurf der Philosophie. Sie sind dennoch ein beredtes Zeugnis seines fortdauernden religionsphilosophischen Interesses. Überdies hat Cohen sich seit etwa 1890 mit alttestamentlicher und rabbinischer Literatur, sowie mit der jüdischen Philosophie des Mittelalters und der Neuzeit beschäftigt. 15 Warum für ihn die gleichzeitige Beschäftigung mit dem Neukantianismus und mit jüdischer Religionsphilosophie inhaltlich keineswegs einen Widerspruch darstellt, wird sich noch zeigen. 16 »Der Begriff der Religion im System der Philosophie« schließt Cohens Bemühungen ab, dem »Kulturfaktum« der Religion einen angemessenen Platz innerhalb seines philosophischen Systems einzuräumen und die Eigenart des Religiösen im Verhältnis zu den geistigen »Richtungen« der Erkenntnis, des Denkens und des Gefühls zu klären. Der Begriff der Religion wird eingeführt als ein »Faktum der geistigen Kultur« 17, das ebenfalls als Produkt des Erzeugungsdenkens 12 Ders., Religion der Vernunft aus den Quellen des Judentums, Wiesbaden 1978 [künftig: RV]. Das Werk wurde 1919 posthum veröffentlicht. 13 Cohen spricht sich nachdrücklich für eine mögliche Verbindung von »Deutschtum und Judentum« (in: Ders., Werke Bd. 17, Hildesheim 2002, 111–132) aus und ahnt sehr früh die Gefahr des aufkeimenden Antisemitismus (Ders., Ein Bekenntnis zur Judenfrage, in: Jüdische Schriften Bd. 2, Berlin 1924, 73–94). 14 Vgl. Ders., Jüdische Schriften, Band 1–3, Berlin 1924. In der neuen Werkausgabe finden sich diese Beiträge nunmehr verteilt in den »Kleineren Schriften« der Bde. 12– 17. 15 Cohens Interesse galt vor allem Saadja Gaon (10. Jh.), Bachja ibn Pakuda (11. Jh.), Moses Maimonides (12. Jh.) und schließlich in kontroverser Auseinandersetzung Spinoza und Moses Mendelssohn. Vgl. u. a. Ders., Innere Beziehungen der Kantischen Philosophie zum Judentum, in: Werke Bd. 15, Hildesheim 2009, 311–345; vgl. dazu M. Zank, Hermann Cohen und die rabbinische Literatur, in: S. Moses – H. Wiedebach (Hg.), Hermann Cohen’s philosophy of religion, Hildesheim 1997, 263–291. Der Cohenexperte Dieter Adelmann bezeichnet die jüdische Religionsphilosophie des Mittelalters als den wichtigsten Kontext für Cohens Nachlasswerk. Vgl. Ders., Denken zwischen Philosophie und Religion, in: G. Hasselhoff – M. Meyer-Blanck (Hg.), Religion und Rationalität, Würzburg 2008, 315–335, hier 320. 16 Vgl. Kap. 3.2.1: Die »Resonanzbeziehung« zwischen Kant und dem Judentum. 17 H. Cohen., BR, 1.

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betrachtet werden muss. 18 Wie immer man dem Kulturfaktum »Religion« gegenübersteht, es muss einen Platz innerhalb der Einheit der Kultur finden, da es neben der wissenschaftlichen, moralischen und ästhetischen Richtung kein viertes Bewusstsein des Religiösen geben kann. Den Ursprung der Religion – »und zwar als Monotheismus« 19 – erkennt Cohen im Wort des Propheten Micha: »Er hat dir verkündet, o Mensch, was gut sei.« (Mi 6,8). 20 Die prophetische Aufforderung zu Recht, Gerechtigkeit und Demut fällt ganz in die Duktus der kantisch-cohenschen Ethik, die das Wohl der Menschheit als Ganzes in den Blick nimmt. Nichts anderes, so Cohen, will der Messianismus. Insofern sieht sich Cohen durch seinen »Vorgänger« 21 Micha ermutigt, an seiner These festzuhalten, dass Religion sich in Ethik auflösen müsse. »Der Religion wäre damit nur ein scheinbarer Schaden zugefügt, vielmehr ein Ruhmestitel zugesprochen, und für ihre innerste Entwicklung die Losung ausgesprochen.« 22 Was aber ist dann der originäre Inhalt und die Eigenart der Religion? Der Unterschied liegt darin, dass die Ethik die gesamte Menschheit in den Blick nimmt, die Religion aber die »Korrelation« zwischen Gott und dem Individuum. In einer idealistischen Ethik kann der Einzelmensch nur als ein »Exemplar« der Mehrheit betrachtet werden. Erst die Anerkennung des allgemeinen Sittengesetzes für die gesamte Menschheit befreit das Individuum von seinen egoistischen Tendenzen. 23 Dieses problematische Ungleichgewicht zugunsten der Allgemeinheit wird im Begriff der Religion zurechtgerückt. Hier wird der Einzelmensch ernstgenommen, der sich als Sünder ja gar nicht zum universalen ethischen Ideal »emporzuschwingen« vermag. Und selbst dann, so Cohen, dürfte seine Individualität nicht in der Allheit des sittlichen Menschheitsideals untergehen, sondern müsste ein – vom Egoismus geläutertes – Individuum bleiben. 24 Der Religionsbegriff steht so in kritisch-ergänzender Funktion zur Ethik:

18 19 20 21 22 23 24

Vgl. ebd., 8. Vgl. A. Poma, Einleitung, in: H. Cohen, BR, 11*–48*. H. Cohen, BR, 33. Nach der Übersetzung Cohens. Ebd., 42. Ebd. Vgl. ebd., 53. Vgl. ebd., 56.

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»Auch in der Einzigkeit vollzieht sich die Korrelation zwischen Mensch und Gott. Die Einzigkeit aber fällt ganz aus dem Rahmen der Ethik heraus. Hier muß der Überschritt zur Religion eintreten. Der einzige Gott vollzieht damit eine neue Bedeutung seiner Einzigkeit: er ist einzig für den Menschen, sofern dieser als ein einziger gedacht werden muß.« 25

Der hier erstmals anklingende Gedanke der Korrelation zwischen Mensch und Gott ist für die späte Religionsphilosophie Cohens und insbesondere für deren Rezeption durch Schaeffler von entscheidender Bedeutung. Er wird erst in Cohens Nachlasswerk in seiner Tiefenschärfe ausgearbeitet. »[Die] Religion der Vernunft aus den Quellen des Judentums« 26 (19191) bleibt dem Erbe der Aufklärung treu, das den Zugang zur Religion über die Ethik vollzieht. Doch verfolgt Cohen hier eine besondere Intention. Er erhebt nicht den Anspruch, die Vernunftmäßigkeit von Religion überhaupt zu prüfen, sondern es geht ihm um eine umfassende Interpretation der Glaubensinhalte und religiösen Vollzüge einer konkreten historischen Religion, nämlich des Judentums. Um sein Projekt klar zu umgrenzen, muss Cohen die drei Leitbegriffe des Werkes einander zuzuordnen. Die »Vernunft« ist die Grundlage aller Wissenschaft und die Quelle aller Begrifflichkeit. Sofern »Religion« als Wissenschaft betrachtet werden kann, muss sich ihr Begriff also aus der Vernunft herleiten lassen. 27 Ohne die »Religion der Vernunft« allein auf das Judentum einzuschränken, will Cohen den Begriff der Religion inhaltlich mit den historischen und literarischen »Quellen des Judentums« zu erschließen versuchen. 28 Sein Vorhaben ist es, der Spur der Vernunft in der jüdischen Religion nachzugehen. 29 Cohen fasst den Religionsbegriff streng anthropozentrisch: Alle Fragen des Menschen sind auch Fragen der Religion. Damit gerät die Religionsphilosophie sogleich wieder in eine Nähe zur Ethik, die ihre Ebd., 61. In der 1. Auflage fälschlicherweise mit bestimmtem Artikel. Dies würde gegen Cohens Intention suggerieren, es könne nur eine Religion der Vernunft, nämlich das Judentum, geben. Vgl. dazu das Nachwort zur 2. Auflage. 27 Vgl. H. Cohen, RV, 5 f. 28 Cohen anerkennt als Quellen des Judentums nicht nur die schriftlichen Quellen (oder gar nur die Tora), sondern auch die Tradition, die mündliche Lehre, sowie die liturgische Praxis. Vgl. ebd., 27–35, wo Cohen die Quellen chronologisch aufzählt und kommentiert. 29 Vgl. ebd., 5 ff., 39 f. 25 26

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Selbständigkeit fraglich werden lässt. Um diese Aporie zu vermeiden, beschreitet Cohen denselben Weg wie schon in »Der Begriff der Religion«: Es kann logisch und methodisch nicht zwei Arten von Vernunft geben, die sich auf die Lehre vom Menschen beziehen. Ethik und Religion unterscheiden sich in ihrem inhaltlichen Zugriff, da die Ethik eher die Menschheit als den einzelnen Menschen erkennt. 30 Auf der Suche nach dem, was den Menschen dagegen als Individuum und Persönlichkeit ausmacht, stößt Cohen auf eine neue Spur: Die Entdeckung des »Du« und des anderen Menschen als »Mitmenschen«, sowie das Phänomen des Leidens und Mitleidens, und nicht zuletzt der Begriff der »Sünde« 31. Wird vom Menschen als Individuum gesprochen, kann es nicht bei einer reinen Sittenlehre bleiben, obgleich Ethik und Religion auch im jüdischen Bewusstsein niemals zu trennen sind. 32 In der »Religion der Vernunft« richtet sich der Blick auf den einzigen Gott und sein Verhältnis zur Menschheit wie zum Individuum: »Die Vernunft in ihrem Prinzip des Guten verbindet Gott und Mensch, Religion und Sittlichkeit.« 33

3.1.2 »Korrelation«: Der Zentralbegriff der Religionsphilosophie Cohens Der Begriff »Korrelation«, der sich im Deutschen am besten mit »Wechselbeziehung« wiedergeben lässt, bekommt in der Religionsphilosophie erstmals bei Cohen den Rang eines eigenständigen philosophischen Terminus. 34 In seinen Frühschriften und im System der Philosophie taucht der Begriff eher unbestimmt und nur vereinzelt zur Beschreibung wechselseitiger Verhältnisse auf. 35 Erst in den beiVgl. ebd., 15. Vgl. ebd., 17 ff. 32 Vgl. zum Zusammenhang von Ethik, Religion und Gebet bei Cohen: M. Potthoff, Schuld als Geburtsstätte der Religion. Überlegungen zum Übergang von der Ethik zur Religion im Denken Hermann Cohens, in: J. Hubbert – u. a. (Hg.), Freiheit Gottes und Geschichte des Menschen, Annweiler – Essen 1993, 299–317. 33 H. Cohen, RV, 39. Cohen spielt mit dem Begriff des »Guten« wiederum auf das Prophetenzitat aus Mi 6,8 an. 34 Vgl. R. Piepmeier, Art. »Korrelation. I. Hermann Cohen«, in: HWPh, Bd. 4, Basel 1976, Sp. 1139 f. Vgl. zur Bedeutung dieses Begriffs bei Husserl: Kap. 2.2.1, Fn. 64. 35 Zur Entwicklung und Bestimmung des Korrelationsbegriffs in Cohens Werk vgl. Y. Xie, Korrelation. Der zentrale Begriff in Cohens Religionsphilosophie, Frankfurt a. M. 1996, 11–18. 30 31

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den religionsphilosophischen Spätwerken gewinnt der Begriff »Korrelation« an Bedeutung. 36 In einer Art Kurzdefinition resümiert Cohen: »Das Eigentümliche der Religion haben wir allgemein erkannt in der Korrelation von Mensch und Gott.« 37 Damit avanciert die Korrelation zum Grundbegriff der Religion der Vernunft schlechthin, denn Religion, so Cohen, thematisiere »nicht Gott allein und an sich, sondern immer nur in Korrelation zum Menschen, wie freilich daher auch gemäß der Korrelation: nicht der Mensch allein, sondern immer zugleich in der Korrelation mit Gott.« 38 Maßstab der Gotteslehre ist für Cohen in all seinen Schriften ein strikt gefasster Monotheismus, der allein die Würdigung des Individuums garantiert. In der Offenbarung Gottes am Dornbusch als »einziges Sein« 39 sieht Cohen eine Entsprechung zur griechischen Seinsidee. Da Gott aber nicht nur als »einziges Sein« betrachtet, sondern mit dem »Sein« überhaupt identifiziert werden muss, stellt sich die Frage nach dem ontologischen Status allen nichtgöttlichen Seins: Natur, Schöpfung und Mensch. Cohen entgeht dieser Problematik, indem er in seiner Religionsphilosophie dem Attribut der Einzigkeit Gottes den Vorrang gegenüber der Einheit Gottes einräumt: »Gott und Welt können nicht eine Einheit bilden; denn Gott ist einzig.« 40 An dieser für das Verhältnis von Gott und Mensch so folgenreichen Grundunterscheidung beschreitet der Pantheismus in den Augen Cohens einen Irrweg, der dem Polytheismus nur wenig nachsteht: »Das ist, von aller Beziehung auf die Ethik […] abgesehen, der logische Grundfehler im Pantheismus: daß er den Begriff des Seins zweideutig macht. Deus sive natura, sagt Spinoza. In diesem Einen [sic!] Worte liegt sein logischer Grundfehler. Und alle Philosophie muss falsch und verkehrt sein, wenn ihr Verhältnis zur Logik nicht einwandfrei ist.« 41

36 Erste Vorarbeiten dazu gibt es in dem Aufsatz: H. Cohen, Liebe und Gerechtigkeit in den Begriffen Gott und Mensch (1900), in: Jüdische Schriften Bd. 3, Berlin 1924, 43–97. 37 H. Cohen, BR, 60. 38 Ebd., 32. 39 Vgl. ebd., 20 ff. in Rückgriff auf Ex 3,14. Der Grundgedanke des Monotheismus lautet demnach: »Gott allein, daher der Einzige Gott, ist das Sein […]. Er allein ist das Sein.« Ebd., 27. 40 Ders., Einheit oder Einzigkeit Gottes I-III, in: Werke Bd. 17, Hildesheim 2002, 523–529, 605–611, 639–644; hier I, 529. Vgl. Ders., BR, 26 f.; Ders., RV, 46 f. 41 Ders., BR, 27 f.

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Der Korrelationsgedanke im Sinne eines Wechselverhältnisses bedeutet im Umkehrschluss, dass Gott und Mensch zwei irreduzible, nicht aufeinander zurückführbare »Größen« sind. Das Schreckensbild des Pantheismus, personifiziert in Spinoza, verfolgt Cohen durch alle seine Religionsschriften. Diesem »Identitätsdenken« setzt Cohen im Begriff der Korrelation eine methodische Alternative entgegen. 42 Um die Korrelation zwischen dem einzigen Gott und dem Individuum näher zu fassen, greift Cohen auf die Tradition der jüdischen Philosophie zurück und findet seinen Kerngedanken im populären Werk »Pflichten des Herzens« von Bachja ibn Pakuda (11. Jh.) grundgelegt: Die Einheit Gottes bedingt die Einheit des Herzens und die Einheit der Handlung des Menschen. 43 Die biblische Basis dieser Aussage ist für Cohen leicht abzuleiten. In Psalm 86 heißt es: »Mache einheitlich mein Herz, deinen Namen zu fürchten.« 44 Die zweifellos gewichtigste Verweisstelle für das Korrelationsverhältnis zwischen der Einzigkeit Gottes und der Einheit des Menschen erkennt Cohen im »Sch’ma Israel«. Dort heißt es: »Höre, Israel! Jahwe unser Gott, Jahwe ist einzig. Darum sollst du den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit ganzer Kraft« (Dtn 6,4). Weil Gott einzig ist, darf der Mensch ganz werden; auf diesen einfachen Gedanken führt Cohen seinen Korrelationsbegriff immer wieder zurück. 45 Existentiell wird die Bitte um die Korrelation mit Gott freilich dort, wo sie verloren scheint. Cohen entwirft eine »Theologie der Sündenvergebung«, die sich an der Liturgie des jüdischen Versöhnungstages orientiert. Deren Zentrum bildet das Sündenbekenntnis und die Bitte um Vergebung. 46 Der Pantheismus neige dazu, so Vgl. A.-K. Hake, Vernunftreligion und historische Glaubenslehre. Immanuel Kant und Hermann Cohen, Würzburg 2003, 108 f.; A. Poma, Die Korrelation in der Religionsphilosophie Cohens: eine Methode, mehr als eine Methode, in: E. W. Orth – H. Holzhey (Hg.), Neukantianismus, Bd. 1, Würzburg 1994, 343–365, hier 350. 43 H. Cohen, Innere Beziehungen der Kantischen Philosophie zum Judentum, in: Werke Bd. 15, Hildesheim 2009, 311–345; vgl. Ders., Die Einheit des Herzens bei Bachja, in: Ebd., 417–428. 44 Ps 86,11. In der Einheitsübersetzung: »Richte mein Herz darauf hin, allein deinen Namen zu fürchten.« Martin Buber übersetzt in der Interpretationslinie Bachjas: »Einige mein Herz, deinen Namen zu fürchten!« Vgl. Ders., Die Schriftwerke, Stuttgart 61992, 130. 45 Vgl. H. Cohen, BR, 81 f.; Ders., RV, 457. Vgl. die Rezeption Schaefflers in Kap. 3.2.3. 46 Vgl. Ders., RV, 257. 42

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Cohen, die potentielle Sündhaftigkeit des Menschen und damit letztlich den Unterschied zwischen Gut und Böse zu leugnen. 47 Im Monotheismus dagegen strebt der Mensch nicht nach Identität mit Gott, sondern nach Versöhnung mit ihm. Cohen wird geradezu überschwänglich, wenn er Rabbi Akibas (2. Jh.) Worte zum Versöhnungstag zitiert: »Heil euch, Israel, wer reinigt euch, und vor wem reinigt ihr selbst euch: es ist euer Vater im Himmel.« 48 Gott, so fährt Cohen fort, »ist der Einzige, weil vor ihm der Mensch allein sich selbst zu läutern vermag […]. Wahrlich, der Versöhnungstag ist der Tag des Monotheismus.« 49 Liturgisch vollzieht sich die Versöhnung mit Gott, indem der Mensch durch Sündenbekenntnis und Vergebungsbitte seine Schuld stehend vor Gott trägt: »Der Mensch steht vor Gott, so wird die Selbständigkeit des Menschen in der Korrelation mit Gott deklariert.« 50 Freilich ist in einer »Religion der Vernunft« die Schuld des Menschen nicht losgelöst von der allgemeinen Ethik. Hinsichtlich des »Einzelmenschen« besteht die tiefste Selbsterkenntnis aber darin, dass die Sünde des Menschen die Korrelation mit Gott beschädigt. In seiner Singularität sündigt der Mensch immer auch vor Gott, wenn er sich gegen einen anderen Menschen vergeht. 51 Ohne die »sittliche Menschenarbeit« der Buße vermag Gott den Menschen nicht zu erlösen, und die Größe des vor Gott stehenden Menschen besteht gerade darin, diese Versöhnung anzustreben. 52 Dennoch bleibt die Versöhnung ein souveräner Akt des einzigen Gottes: »Er ist der Einzige, weil nur er allein die Versöhnung bewirken kann.« 53 Was Gott in seinem innersten Wesen auszeichnet, ist seine Versöhnungsbereitschaft, die »Verbindung zwischen Gerechtigkeit und Liebe«. 54 Vgl. Ders., Der Tag der Versöhnung, in: Werke Bd. 17, Hildesheim 2002, 513–519, hier 513 f. Hier liegt also der ethische Grundfehler des Pantheismus (vgl. das Zitat bei Fn. 41). 48 Ders., RV, 260; Ders., Der Tag der Versöhnung, 519. 49 Ders., RV, 261. 50 Ders., RV, 256. Cohen zitiert dabei eine Gebetspassage des Versöhnungstages, in der es heißt: »Du hast abgesondert den Menschen von Anbeginn, und hast ihn anerkannt, zu stehen vor Dir.« 51 Vgl. M. de Launay, Die Versöhnung als Abwandlung des Ursprungsprinzips in der Korrelation zwischen Gott und Mensch, in: H. Holzhey – u. a. (Hg.), Religion der Vernunft aus den Quellen des Judentums, Hildesheim 2000, 77–87, hier 84. 52 Vgl. H. Cohen, Der Tag der Versöhnung, 517 f.; Ders., RV, 262 f. 53 Ders., Der Tag der Versöhnung, 517. 54 Vgl. Ders., RV, 258. 47

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Ausgehend von der Liturgie des Versöhnungstages bezieht sich für Cohen dieses Geschehen zunächst auf die Wiederherstellung der Beziehung zwischen Gott und Mensch. Das Versöhnungshandeln Gottes am Menschen hat aber auch Konsequenzen für das Verhältnis zum Mitmenschen, das Cohen ebenfalls als Korrelation beschreibt, 55 sowie für das menschliche Selbstverhältnis. Die Religion leitet im Gegensatz zu einer Ethik des reinen Willens »alle Versöhnung der Menschen untereinander und des Menschen mit sich selbst aus der Versöhnung des Menschen mit Gott ab« 56. Hier zeigt sich nochmals, wie Ethik und Religion in seinem Spätwerk aufeinander verweisen, ohne ineinander aufgelöst zu werden. Die Fokussierung der Korrelation auf das Phänomen von Sünde und Sündenvergebung führt bei Cohen so weit, dass von einer Wechselbeziehung bisweilen kaum noch gesprochen werden kann. »Die Sünde kann niemals bewirken, daß Gott den Menschen vor seinem Angesicht verwerfen, daß er ihn der Korrelation mit Gott berauben könnte. Diese Korrelation liegt im Begriffe Gottes.« 57 Die Sündenvergebung ist die »Leistung« Gottes für den Menschen. 58 In diesem Akt vollzieht sich nicht nur der wichtigste Inhalt der Korrelation zwischen Gott und Mensch, sondern darin offenbart Gott sein Wesen. Worin aber umgekehrt die »Leistung« oder die Haltung des Menschen in der Korrelation besteht, tritt kaum hervor. So kommt es bei Cohen zu einem unübersehbaren Ungleichgewicht im Korrelationsbegriff: »Die Korrelation ist nicht schlechthin Wechselverhältnis, sondern Gott wird ihr Schwerpunkt. In diesen Schwerpunkt wird das Sein verlegt. Und als dieser Schwerpunkt trägt Gott einzig das Sein, bedeutet und verbürgt er allein das Sein. Der Natur und dem Menschen gegenüber ist er daher der Einzige.« 59 Vgl. ausführlich Kap. VIII in RV, wo Cohen die in der Dialogphilosophie aufgegriffene Entwicklung vom »Nebenmenschen« zum »Mitmenschen« aufzeigt (ebd., 131– 166). Vgl. M. Brumlik, Der Mensch als Mitmensch. Intersubjektivität bei Hermann Cohen, in: H. Deuser – M. Moxter (Hg.), Rationalität der Religion und Kritik der Kultur, Würzburg 2002, 84–94. 56 H. Cohen, Die Versöhnungsidee (1890–92), in: Jüdische Schriften Bd. 1, Berlin 1924, 125–139, hier 135 f. 57 Ders., Der heilige Geist, in: Werke Bd. 16, Hildesheim, 1997, 439–464, hier 456 f. 58 Vgl. Ders., RV, 243: »Das Wesen Gottes ließe sich nicht in seiner Vollendung begrifflich erkennen, wenn nicht die Sündenvergebung seine eigentliche Leistung wäre.«; vgl. ebd., 249: »Es ist das Wesen Gottes, die Sünde des Menschen zu vergeben.« 59 Ders., BR, 137. 55

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Trotz der sich andeutenden Ambivalenzen des Korrelationsbegriffs lässt sich beobachten, dass Cohen sich in seinem religionsphilosophischen Spätwerk immer weiter vom idealistischen Systemdenken entfernt und das Verhältnis von Gott und Welt als eine Wechselbeziehung betrachtet, die mit personalen Metaphern beschrieben werden kann. Was werkimmanent betrachtet bisweilen als Inkonsequenz im Gottesbegriff wahrgenommen wird, 60 hat bei Cohens Schüler Franz Rosenzweig große Zustimmung gefunden. Bevor dieser auch zur Verortung Schaefflers wichtigen rezeptionsgeschichtlichen Debatte nachgegangen wird, soll zuvor ein Aspekt vertieft werden, der im Hinblick auf die Ausrichtung dieser Arbeit zentral ist: das Gebet.

3.1.3 Die Bedeutung des Gebetes in Cohens Religionsphilosophie Cohen thematisiert das Gebet unmittelbar im beschriebenen Kontext der Korrelation zwischen Gott und Mensch. Auch wenn er in den »Jüdischen Schriften« immer wieder auf das Gebet zu sprechen kommt, findet sich eine systematische Ausfaltung erst in seiner späten Schaffensphase. 61 Cohen verortet das Gebet zunächst in dem behandelten Zusammenhang von Schuldbekenntnis und Versöhnung, denn im Gebet geschieht tatsächlich die Aufnahme oder Wiederherstellung der Korrelation. Als eine zentrale Stelle aus den »Quellen des Judentums« bezieht Cohen sich auf Psalm 51. Was Schuldbekenntnis und Vergebungsbitte meinen, das kommt für ihn nirgendwo präziser

60 Vgl. M. Dreyer, Die Idee Gottes im Werk Hermann Cohens, Königstein 1985, 216 u. 235 f. 61 Der umfangreiche Artikel »Die Lyrik der Psalmen« (in: H. Cohen, Werke Bd. 16, Hildesheim 1997, 165–198) leistet wichtige Vorarbeit zu den Gebetspassagen in »BR«. In »RV« erhält die Gebetsthematik ein eigenes, für die Gesamtarchitektur des Werkes tragendes Kapitel (Kap. XII). Obwohl sich die jüngere Cohenforschung verstärkt dem religionsphilosophischen Spätwerk verschreibt, finden seine Aussagen zum Gebet relativ wenig Beachtung. Vgl. aber A. Poma, Lyric Poetry and Prayer, in: H. Holzhey – u. a. (Hg.), »Religion der Vernunft aus den Quellen des Judentums«, Hildesheim 2000,129–143; E. Goodmann-Thau, Das Gebet im jüdischen Gottesdienst zwischen Erkenntnis und Handlung, in: Ebd., 147–174; F. Albertini, Das Verständnis des Seins bei Hermann Cohen, Würzburg 2003, 194–200. Karl Löwith würdigt das Gebetskapitel in »RV« durch eine große Sammlung der einschlägigen Zitate. Vgl. Ders., Philosophie der Vernunft und Religion der Offenbarung in H. Cohens Religionsphilosophie, in: Sämtliche Schriften, Stuttgart 1985, 349–383, bes. 371–374.

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zur Sprache als in diesem Bußpsalm und in seiner Bitte: »Ein reines Herz erschaffe mir Gott, und einen festen Geist erneuere in meinem Innern. Verwirf mich nicht von deinem Angesichte, und deinen heiligen Geist nimm nicht von mir.« 62 Anhand dieser beiden Psalmverse entwickelt Cohen eine Art jüdische »Pneumatologie«, bei der das Gebet eine wichtige Funktion übernimmt. »Gott kann seinen heiligen Geist nicht von ihm [dem Menschen; S. W.] nehmen. Gott hat seinen heiligen Geist dem Menschen gegeben. Der menschliche Geist ist daher selbst zum heiligen [sic!] geworden. So kann die Erlösung von der Sünde nicht ausbleiben.« 63 Die Heiligkeit Gottes durchdringt als »Heiligung« die Korrelation. Der Geist ist im Gegensatz zur Materie das, was der Mensch je schon von Gott in sich trägt, und »je geistiger […] Gott wird, desto innerlicher wird die Verbindung zwischen Gott und Mensch« 64. Heiligkeit und Geist zusammen sind die »Mittel«, die im Akt der Sündenvergebung beide Korrelate vereinigen. 65 Weil der menschliche Geist Anteil gewinnt am Geist der Heiligkeit Gottes, kann sich die Korrelation gegen jede Form der Sünde als stabil erweisen. In den Ausführungen zum »heiligen Geist« findet eine erste inhaltliche Erweiterung seines Verständnisses von Gebet über den Aspekt der Vergebungsbitte hinaus statt: Wenn Heiligkeit die bestimmende Eigenschaft Gottes darstellt und geradezu mit seinem Sein identisch wird, dann ist es für den Menschen unabhängig von seinem jeweiligen sittlichen Status angemessen, Gott heilig (oder mit Jesaja 6,3 gleich »dreimal-heilig«) zu nennen. 66 Damit aber erwächst neben der Vergebungsbitte der Lobpreis als eigenständige »Gebetsweise« in der Korrelation mit Gott. Interessanterweise zitiert Cohen hier einen Psalmvers, der auch in Schaefflers Gebetslehre eine wichtige Funk-

Ps 51,12+13 in der Übersetzung H. Cohens. Vgl. H. Cohen, BR, 104. Ebd., 104. Dies ist nur eine von vielen Stellen, wo Cohen den Bußpsalm als »Musterbeispiel des Gebetes« vorstellt. Vgl. auch: Ders., Die Lyrik der Psalmen, 182; Ders., RV, 443. 64 Ders., Der heilige Geist, 442. 65 Vgl. ebd., 456. Cohen grenzt sich von zwei christlichen Theologumena ab: Zum einen widerspreche das individuelle Gottesverhältnis in Sünde und Heiligung dem Gedanken der Erbsünde. Zum anderen dürfe der »heilige Geist« nicht als personale Vermittlung gedacht werden, sondern lediglich Funktion, als »nichts anderes als ein Attribut, eine Kraft, gleichsam ein Organ in Gott und im Menschen«. Vgl. ebd., 456 f.; Ders., RV, 121 f. 66 Vgl. Ders., Der heilige Geist, 450 f. 62 63

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tion einnehmen wird: »Du bist heilig, du wohnst in den Lobgesängen Israels« (Ps 22,4). 67 Eine inhaltliche Ausweitung der Korrelation mit Gott legt für Cohen der Psalter als solcher nahe. Denn das jüdische Gebetbuch kennt eben nicht nur Bußpsalmen, sondern enthält ein breites Spektrum an Gebetshaltungen und -intentionen. Um diese Vielfalt adäquat zu erfassen, betrachtet Cohen das Psalmenbuch in Analogie zu lyrischen Texten. 68 Die poetische Urform der Lyrik findet ihren Ausdruck, so Cohen, im »innersten und innigsten Erlebnis« der Liebe. 69 In Analogie dazu sieht er auch im Psalmengebet die Liebe als die antreibende Grundkraft. Gebet ist daher schlicht der Ausdruck der Liebe zu Gott, oder formal gewendet: Was logisch betrachtet Korrelation genannt wird, bezeichnet »psychologisch« die Liebe. Eine zweite Analogie zwischen der poetischen Lyrik und dem Gebet erkennt Cohen in der »Sehnsucht«. Gebet ist Ausdruck der Sehnsucht, da es im Monotheismus immer im Prozess des Suchens bleibt, »denn das Finden kann ja nicht die Wirklichkeit, sondern nur ›die Nähe Gottes‹ […] zum Ziel haben« 70. In Analogie zur Lyrik schreibt Cohen: »Was die Sehnsucht für die Liebe ist, das ist die Andacht für das Gebet.« 71 Das unterscheidende Moment zwischen Lyrik und Gebet liegt für Cohen darin, dass die poetische Sehnsucht ins Leere zu laufen droht. Die Sehnsucht im Gebet als Sehnsucht nach Erlösung hingegen könne tatsächlich realisiert werden, da die Korrelation »sichergestellt« sei. 72 Gott bindet sich nicht mehr an eine Örtlichkeit, sondern an die Korrelation: »Der Heilige ist nicht zu denken in Zion […], sondern vielmehr nur in den Lobgesängen Israels.« Ebd., 451. Zu Schaeffler vgl. Kap. 5.3. 68 Vgl. H. Cohen, Die Lyrik der Psalmen, 165 ff. Er weist darauf hin, dass Buße nicht das alleinige Thema der Religion sein kann: »Wenn wir Buße und Versöhnung allein hätten, wäre der Monotheismus schwerlich zu seiner Eigenart ausgeprägt worden.« Ebd., 167. Daher tritt den sittlichen Ermahnungen der Propheten die Lyrik der Psalmen zur Seite. In »BR« behandelt Cohen das Gebet interessanterweise im Abschnitt »Über das Verhältnis der Religion zur Ästhetik«. 69 Vgl. H. Cohen, RV, 433. 70 Ebd., 435. 71 Ebd. 72 Vgl. A. Poma, Lyric Poetry and Prayer, 130: »In religion the effective anticipation of the future, trust in redemption, is realized, while in lyric poetry it remains a figure, an immediate life-feeling.« Die Weise, wie Cohen bisweilen von einer »Sicherstellung« der Korrelation durch das Gebet spricht, führt zu eigenartigen Formulierungen, die wieder sehr an ein idealistisches »Erzeugungsdenken« denken lassen. Vgl. etwa: »Die Sehnsucht hat Gott herbeigezogen [Hervorhebung S. W.] für den Menschen.« H. Cohen, RV, 436. 67

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Damit kommt ein weiterer Aspekt hinzu: Die »Gewißheit der Zuversicht« 73, dass die Korrelation mit Gott im Gebet tatsächlich möglich ist, oder kurz: das »Gottvertrauen«. Die vom Gottvertrauen getragene Sehnsucht treibt das Gebet voran. Die »psychische Grundkraft« des Gottvertrauens verhilft ihr dazu, den Horizont zwischenmenschlicher Liebe zu übersteigen und sich auf die unbegreifliche Korrelation zwischen Mensch und Gott zu beziehen. 74 Die Sehnsucht nach Gott, die den poetischen Stil der Psalmen ausmacht, vermag das Individuum – so Cohen – zu solcher Höhe zu erheben, dass es »Gott atmet«. 75 Neben der Verbindung von Liebe, Sehnsucht und Gottvertrauen gibt es noch einen weiteren wichtigen Begriff in Cohens religionsphilosophischen Gebetsbetrachtungen, der vor einer einseitigen Reduzierung des Gebetes auf die »psychologischen Kräfte« bewahren soll: der Begriff der Wahrheit. Das Gebet hat für den Beter nicht nur eine ethische Relevanz (Sündenvergebung) und ästhetische Bedeutung (Sehnsucht), sondern in der Korrelation mit Gott geht es auch um die Erkenntnis Gottes. Cohen unterstreicht so die Verbindung von Philosophie und Religion, um die er stets bedacht ist: »Wenn der Mensch um seine höchsten Güter bitten muß, so muß er um Wahrheit bitten.« 76 Die tatsächliche Erkenntnis der Wahrheit Gottes spiegelt sich für den Beter in seiner eigenen »Wahrhaftigkeit« wider und führt ihn schließlich von der Erkenntnis zum Bekenntnis dieser Wahrheit. Cohen schreibt prägnant: »Gott ist der Gott der Wahrheit, und der Mensch soll der Mensch der Wahrhaftigkeit werden. Darum betet der Mensch zu Gott.« 77 Es geht im Gebet nicht nur um das Bekenntnis der Sünden, sondern auch um das Bekenntnis der Wahrheit, oder genauer: Der von Sünden gereinigte Mensch ist aufgefordert, die in der Sündenvergebung erfahrene Wahrheit zu bekennen und daraufhin selbst in Wahrhaftigkeit zu leben. 78 Das Gebet, so könnte man Cohen zusammenfassen, gründet auf Gottvertrauen, wird an-

Ders., BR, 104. Vgl. Ders., Lyrik der Psalmen, 170. 75 Vgl. ebd. 76 Ders., RV, 441. 77 Ebd., 443. 78 Vgl. ebd. Geschickt verweist Cohen wiederum auf die enge Verbindung von Religion und Sittlichkeit und schafft einen logischen Anschluss zu dem sich an die Gebetsthematik anschließenden Kapitel über die Tugenden. Vgl. ebd., 464–496. 73 74

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getrieben durch die Kraft der Sehnsucht und findet sein Ziel in der Erkenntnis und dem Bekenntnis der Wahrheit Gottes. Im Folgenden sei auf einige Präzisierungen im Gebetsverständnis hingewiesen, die Cohen in »Religion der Vernunft« eher andeutet als ausarbeitet, die jedoch theologisch von großem Interesse sind. Zunächst die These von der »Subjektkonstitution« des betenden Ich im Gebet: Die Andacht, verstanden als Sammlung des Geistes zur Einheit und Ganzheit, ist die Folge des Gebetes als Korrelation mit dem einzigen Gott. Für den Neukantianer Cohen bedeutet dieser Gedanke weit mehr als eine Umschreibung des »Sch’ma Israel«. Gott als die Möglichkeitsbedingung der Einheit des Herzens, der Seele und der Kraft im Menschen muss bei Cohen unweigerlich eine grundsätzliche Fragestellung transzendentaler Philosophie wachrufen: Die Einheit des transzendentalen Subjekts, oder wie Kant sagt, die ursprünglich-synthetische Einheit der Apperzeption. Vor diesem Hintergrund formuliert Cohen inmitten seiner Gedanken zu Korrelation und Gebet den philosophisch weitreichenden Satz: »In der Andacht des Gebetes wird die Einheit des Bewußtseins gegründet.« 79 Nur wenige Passagen zuvor hatte Cohen betont, dass die Einheit des Bewusstseins das »höchste Problem der systematischen Philosophie« 80 sei. Erkennt Cohen ausgerechnet im Akt des Gebetes eine Lösung dieses philosophischen Spitzenproblems, mit dem er sich den größten Teil seines Lebens beschäftigt hat? Es ist für den Richtungsstreit in der Cohenrezeption, und nicht zuletzt für die Fragestellung der vorliegenden Arbeit, bedauernswert, dass Cohen diese Aussage nur beiläufig einfließen lässt und sie nicht weiter entfaltet. 81 Der zweite von Cohen angedeutete Gedanke betrifft die sprachphilosophische Perspektivierung des Gebetsaktes: 82 Das Gebet ist – um unmittelbar an den eben ausgeführten Gedanken anzuknüpfen – das »sprachliche Mittel, diese Einigung des Bewusstseins […], die immerfort bedroht ist, immerfort neu zu sichern und neu zu begründen« 83. Cohen bezeichnet das Gebet angesichts dieses EinheitsgedanEbd., 442. Ebd., 440. 81 Vgl. dazu Schaefflers These der Subjektkonstitution im Gebet, Kap. 4.3.2. 82 Vgl. zum Folgenden auch die vereinzelten Hinweise bei: E. Goodmann-Thau, Das Gebet im jüdischen Gottesdienst, 168 f.; F. Albertini, Das Verständnis des Seins bei Hermann Cohen, 198 f. 83 H. Cohen., RV, 440. 79 80

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kens als die »Urform des Monotheismus«. Später präzisiert Cohen diese Definition, indem er vom Gebet nicht allein als »Grundform«, sondern zugleich als »Grundtat« der Religion spricht. 84 Gebet ist also niemals eine bloße »Form«, sondern immer schon Vollzug, ein sprachlich verfasster Akt. »Der Monotheismus muß im Gebet eine Eigenart, seine Eigenart vollziehen, wenn anders das Gebet die Sprache der Religion ist und die Sprache der eigentliche Ausdruck der Vernunft.« 85 Aufgrund der sprachlichen Verfasstheit kann Cohen den Gebetsakt und die Religion überhaupt dem Bereich der Vernunft zuordnen. In der Schlusspassage des Kapitels über das Gebet in der »Religion der Vernunft« geht er noch einen wichtigen Schritt weiter. Korrelation mit Gott ist nicht nur ein philosophisch nachvollziehbarer Gedanke, sondern sie wird qua Sprache zur praktisch vollzogenen Wirklichkeit: »So ist das Gebet die eigentliche Sprache der Religion. Und alles Denken dieser Sprache, von Gott und vom Menschen, alles Denken dieser Korrelation bliebe Theorie, wenn nicht das Gebet die Sprachhandlung würde, in welcher der Wille lebendig wird, an allen Mitteln des Denkens. Die Andacht des Gebetes ist der Wille der Religion.« 86

Der Begriff der »Sprachhandlung« mag in diesem Zitat verblüffen. Ein halbes Jahrhundert später wird er bei John L. Austin und John R. Searle zur Grundlage der Sprechakttheorie avancieren. Es scheint, als habe Cohen hier eine Intuition, die er noch nicht weiter ausführen kann. Im gesamten Werk Cohens gibt es zweifellos keine Passage, die für Schaefflers Gebetslehre so richtungsweisend werden wird. 87 Nur weil alles Beten, auch das persönliche und stille Gebet, je schon sprachlich verfasst ist, kann es in den Quellen des Judentums in eine gemeinsame Sprache gegossen und überliefert werden. Für das Judentum aber ist das gemeinschaftliche und liturgische Beten der Gemeinde konstitutiv, und ohne die intersubjektive Perspektive kann kein Nachdenken über das Gebet vollständig sein. Im Sinne Cohens ist das gemeinsame Beten der sprachliche Akt, der die Gemeinde konstituiert – analog zur Subjektkonstitution des betenden Individuums. 88 Erst durch die Vereinigung der einzelnen Beter 84 85 86 87 88

Vgl. ebd., 431 u. 443. Ebd., 431. Ebd., 463. Vgl. dazu ausführlich Kap. 3.2.3. Vgl. Ders., RV, 446–451.

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scheint das Bekenntnis zur Einheit Gottes in seiner ganzen Klarheit auf. Weil das Gebet die Urform des Monotheismus ist, zielt es darauf hin, dass sich alle Beter im Gebet vereinen. Das gemeinsame Beten ist nicht nur ein »psychologischer« Ausdruck der Sehnsucht des Volkes, sondern »die Vernunftsprache der Gemeinde« 89. Letztlich gründet für Cohen darin die messianische Verheißung, dass am Ende der Tage sich alle Völker auf dem Zion zum Gebet versammeln (vgl. Jes 2,2). Das Gebet ist daher schon heute das »Sprachorgan des Messianismus«. 90 Abschließend muss vom Bittgebet gesprochen werden, das der Prüfstein jeder Gebetslehre ist. Im Grunde bleibt nur zu konstatieren, dass Cohen das Bittgebet als Gebetsform nicht ganz ernst nimmt. 91 Der Bezugsrahmen seiner religionsphilosophischen Reflexionen bleibt der Korrelationsgedanke. Darin kommt es weniger auf eine mögliche Reaktion Gottes auf eine konkrete Bitte an als vielmehr auf die wechselseitige Beziehung, in die der Betende eintritt. Ob diese »Kontaktaufnahme« gelingt, lässt sich nicht außerhalb des Betens selbst prüfen. Freilich kennt Cohen eine spezifische Form des Bittgebetes, nämlich die Bitte um Vergebung. Das Gebet um irdische Güter allerdings findet wenig Beachtung. 92 Cohen erblickt in Bitten, die anderes als die Aufrichtung des sittlichen Individuums intendieren, sogar die Gefahr des egoistischen Missbrauchs der Korrelation: »Ist aber einmal der Himmel mit der Erde verbunden, so schleicht sich in das Gebet immer unbefangener die Wünschelrute für das Persönliche ein. Das Individuum glaubt sich jetzt berechtigt, an sich selbst zu denken, insofern es der Sorge um seine leibliche, um seine ganz materielle Unterhaltung bedarf.« 93

Cohen bezieht Religion und Sittlichkeit so eng aufeinander, dass für weitere Gebetsinhalte kaum Platz bleibt. Ebd., 451. Vgl. ebd., 462, 448. 91 Vgl. ebd., 431: »Das erste Stammeln des Menschen in seiner direkten Anrede an Gott kann nichts anderes als ein Gebet sein. Aber wie die Sprache nicht ganz Stammeln bleibt, so ist die Bitte, die an die Gottheit gerichtet wird, noch nicht das Gebet, wie der Monotheismus allein es ausgestaltet.« 92 Vgl. J. Melber, Hermann Cohen’s Philosophy of Judaism, New York 1986, 16: »The monotheistic prayer concentrates mainly on things that connect man with God. Man prays for spiritual elevation and moral perfection, but not for physical pleasures and riches.« 93 H. Cohen, RV, 437 f. 89 90

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An der Problematik des Bittgebetes wird eine weitere Frage laut: Inwieweit denkt Cohen den Gott der Korrelation als ein freies und personales Gegenüber, an dessen »Güte« der Mensch sich halten darf – mit dem er in Dialog treten kann? Oder entspringt die Gottesidee bei Cohen doch einem nunmehr ethisch gewendeten Erzeugungsdenken? Auch in seinem Nachlasswerk lässt Cohen Formulierungen einfließen, die den Gedanken nahelegen, dass Gott erst durch die Aufnahme der Korrelation »erzeugt« werde. Wie aber soll das Wechselverhältnis zwischen Gott und Mensch aussehen, wenn dieser Gott im Gebet als das Gegenglied der Korrelation erst »hervortritt« 94 oder wenn gar die Sehnsucht »Gott herbeigezogen« 95 hat? Es wird bis zuletzt nicht eindeutig erkennbar, ob sich sein Gottesbegriff in personale Kategorien fassen lässt. Über die für Cohen zentrale Eigenschaft der Güte Gottes schreibt er: »Gott muß daher als Guter eine personartige Leistung der Güte zu vollziehen haben.« 96 Was für das Gebetsverständnis hier auf dem Spiel steht, könnte grundlegender nicht sein: Ist das Gebet ein Monolog des Beters mit sich selbst oder Dialog mit einem wie auch immer zu begreifenden »Gegenüber«? Cohen weicht dieser Frage aus, was zu offensichtlich widersprüchlichen Aussagen führt: Ohne ein »Zwiegespräch« mit Gott lasse sich der Akt der Sündenvergebung im Sinne des 51. Psalms nicht denken. »Und dieses Zwiegespräch«, so Cohen wörtlich, »bildet der Monolog des Gebetes.« 97 Sprachlich auf die Spitze getrieben spricht er vom Gebet als dem »dialogischen Monolog«. 98 Die anhaltende Debatte um Cohens späte Religionsphilosophie entzündet sich genau an diesem neuralgischen Punkt. Vor dem Hintergrund dieser Debatte muss auch Schaefflers Cohenrezeption gelesen werden.

3.1.4 Abkehr vom Idealismus? Die Streitfrage der Cohen-Forschung Ausgangspunkt und bleibender Bezugsrahmen der Debatte 99 ist Rosenzweigs »Einleitung in die Akademieausgabe der jüdischen Ebd., 443. Ebd., 436; vgl. oben Fn. 72. 96 Ebd., 243. Hervorhebung S. W. 97 Ebd., 433. 98 Vgl. ebd., 436. 99 Einen gute Übersicht in die Hauptlinien der Debatte gibt: H.-L. Ollig, Die Aktualität von Cohens später Religionsphilosophie, in: M. Laarmann – T. Tappe (Hg.), Er94 95

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Schriften Hermann Cohens«, die dem ersten Band der 1924 herausgegebenen »Jüdischen Schriften« Cohens vorangestellt wurde. 100 Rosenzweig beschreibt nachdrücklich und beinahe beschwörend, wie Cohen in seinem Spätwerk den »magischen Kreis des Idealismus […] zerstört« 101 habe. Cohen habe das idealistische Ursprungs- und Erzeugungsdenken mit Hilfe des Korrelationsgedankens zugunsten eines dialogischen Denkens aufgegeben. Auf diese Weise wurden, so Rosenzweig, »die Schranken des Idealismus von seinem letzten großen nachgeborenen Sohn überschritten« 102. Im neuartigen Gedanken der Korrelation erkennt Rosenzweig eine deutliche Abkehr vom Systemdenken, nicht nur einen »Ein- und Anbau« 103 der Religion ins bestehende System. Die späte, aber nach Rosenzweigs Einschätzung nicht zu späte Entdeckung der Beziehung von »Ich und Du« führt Cohen über das monistische Denken von »Es und Ich« hinaus. Fraglos geht Rosenzweig davon aus, dass diese Entwicklung allein Cohens Rückbesinnung auf seine jüdische Herkunft geschuldet ist. 104 Durch diese Interpretation stilisiert Rosenzweig seinen Berliner Lehrer ganz offensichtlich zum Stammvater des »neuen Denkens«. Er erkennt in Cohen bisweilen fast einen philosophischen Messias, wenn er in einer zeitgleich zur »Einleitung« erschienenen Rezension zur »Religion der Vernunft« schreibt, dass »erst dieser Mann kommen mußte, der als erster Jude einmal das fremde Denken wirklich selber durchdacht, selber gedacht hat. […] Weil Hermann Cohen als erster jüdischer Denker in freier und schöpferischer Erbschaft das Erbe der Griechen und Deutschen antrat, […] darum hatte er die Freiheit, nun sich auf sein Judentum so tief zu besinnen, daß ihn diese Besinnung auf die Lücke führte, die in all jenem fremden Denken selber offen geblieben war und offen bleiben mußte.« 105

fahrung – Geschichte – Identität, Freiburg i. Br. 1997, 111–127, bes. 111–118. Die Quellen zur unmittelbaren Rezeptions- und Wirkungsgeschichte Cohens sind zugänglich in: H. Holzhey, Hermann Cohen, Frankfurt a. M. 1994. Vgl. auch die wertvolle Einleitung von Holzhey, ebd. 9–25. 100 Im Folgenden wird jedoch nach der Rosenzweig Gesamtausgabe zitiert. Vgl. F. Rosenzweig, GS III, 177–223. 101 Ebd., 209. 102 Ebd., 210. 103 Ders., Vertauschte Fronten, GS III, 235–237, hier 236. 104 Vgl. Ders., Hermann Cohens Nachlasswerk, GS III, 229–233, hier 230. 105 Ebd., 231.

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Rosenzweig hebt den Bruch mit dem neukantianischen System, dem »fremden Denken«, stark hervor und nennt Cohen aus jüdischer Sicht und mit einer leisen Anspielung auf Cohens Lehre von der Sündenvergebung einen »Baal t’schuwoh«, einen »Mann der Umkehr«. 106 Rosenzweig hätte es lieber gesehen, wenn Cohen seine Hinwendung zum Judentum durch eine biblisch inspirierte Begriffswahl auch eindeutig zum Ausdruck gebracht hätte, doch – so Rosenzweig: »Er [Cohen; S. W.] sagt leider ›Correlation‹, wo er Bund meint.« 107 Es lässt sich kaum übersehen, dass diese Interpretation stark von Rosenzweigs eigenem Denken und den aktuellen philosophischen Entwicklungen hin zur Dialogphilosophie ausgeht, wenn er bei Cohen gar einen »Anlauf zum – um es denn heideggerisch auszudrücken – ›Einsprung in das Dasein‹« 108 zu erkennen glaubt. 109 Diese zweifellos einseitige Interpretation des cohenschen Erbes erfuhr erst durch Alexander Altmann eine deutliche Korrektur. Er schreibt – um sogleich den Kern der Gegenthese zu nennen: »Der Begriff der Korrelation bedeutet […] bei Cohen einen methodischen Begriff in dem prägnanten Sinn, den die Methode im idealistischen Denken besitzt. Er ist und bleibt ein Ursprungs- und Erzeugungsbegriff und ist daher keineswegs im Sinne des dialogischen Denkens deutbar. Gott als Glied der Korrelation ist nicht ein personales Du, sondern eine Idee.« 110

Man kann ohne weiteres behaupten, dass sich Altmanns Position in der weiteren Debatte durchgesetzt hat. 111 Dies mag an der sehr poinVgl. Ders., Einleitung in die Akademieausgabe, GS III, 183 f. Ders., Briefe und Tagebücher, GS I/2, Den Haag 1979, 514. 108 Ders., Vertauschte Fronten, GS III, 237. 109 Eine hervorragende Analyse des Verhältnisses von Cohen und Rosenzweig findet sich bei: B. Casper, Korrelation oder ereignetes Ereignis?, in: Ders., Religion der Erfahrung, Paderborn 2004, 39–54; vgl. auch Ders., Das dialogische Denken, Freiburg i. Br. – München 22002, bes. 176–178: »Exkurs II: Cohen und Rosenzweig«. 110 A. Altmann, Hermann Cohens Begriff der Korrelation (1962), in: H. Holzhey (Hg.), Hermann Cohen, Frankfurt a. M. 1994, 247–266, hier 265. 111 Zu nennen sind bereits erste kritische Stimmen zu Rosenzweig bei: W. Kinkel, Hermann Cohen. Eine Einführung in sein Werk, Stuttgart 1924, 245 ff.; dann in der Folge Altmanns: D. Adelmann, Einheit des Bewußtseins als Grundproblem der Philosophie Hermann Cohens, Heidelberg 1968, 276 ff.; F. Wagner, Was ist Religion?, Gütersloh 1986, 366; H. Holzhey, Der systematische Ort der »Religion der Vernunft« im Gesamtwerk Hermann Cohens, in: Ders. – u. a. (Hg.), »Religion der Vernunft aus den Quellen des Judentums«, Hildesheim 2000, 37–59, bes. 50–59; Ders., Vernunft in der Religion – Religion in der Kultur, in: H. Deuser – M. Moxter (Hg.), Rationalität der Religion und Kritik der Kultur: Hermann Cohen und Ernst Cassirer, 106 107

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tierten, beinahe überzogenen Weise liegen, mit der Rosenzweig Cohen für sich in Anspruch nimmt und gegen die sich relativ einfach Gegenbeweise aus Cohens Schriften anführen lassen. 112 Doch darf nicht verschwiegen werden, dass es immer auch Äußerungen gab, die mit Rosenzweigs Lesart sympathisierten, auch wenn sie den »Bruch« in Cohens Denken wesentlich vorsichtiger formulieren als dieser. 113 Andrea Poma, der in dieser Hinsicht am sorgfältigsten weiterdenkt, widmet sich ohne Umschweife der entscheidenden Frage: Ist Korrelation bei Cohen eine transzendentale Methode – oder meint sie mehr als das? 114 Die These Altmanns stützend zeigt Poma, wie Cohen seinen Religionsbegriff innerhalb der transzendentalen Methode entwickelt und dabei dem Korrelationsbegriff eine tragende methodische Funktion zukommen lässt. Korrelation werde bei Cohen so zum Grundbegriff eines »kritischen Idealismus«, der sich vom Einheitsdenken einer »Identitätsphilosophie« absetzt. 115 Er beobachtet weiter, dass Cohen in seinen späten Religionsschriften bis an die Grenzen dieser wissenschaftlichen Methode vordringt, bis zu dem Punkt, wo er die allenfalls noch regulativ zu fassende Einheit von Sein und Sollen aufzuzeigen versucht, also am Übergang von der Ethik zur Religion. Dies gelingt Cohen nur durch die Methode der religiösen Korrelation, die auf dem Einheitsgedanken der monotheistischen Gottesidee fußt. 116 Cohen muss einsehen, dass dieser letzte Würzburg 2002, 21–38; A.-K. Hake, Vernunftreligion und historische Glaubenslehre, 96–98. 112 Helmut Holzhey resümiert nach einer Tagung zu Cohens Nachlasswerk, dass die These Rosenzweigs nicht länger haltbar sei. Vgl. Ders – u. a. (Hg.), »Religion der Vernunft aus den Quellen des Judentums«, Hildesheim 2000, X (Vorwort). Ann-Kathrin Hake hält die Debatte mittlerweile für entschieden. Vgl. Dies., Vernunftreligion und historische Glaubenslehre, 97, dort Fn. 146. 113 In dieser Linie stehen: K. Löwith (Philosophie der Vernunft und Religion der Offenbarung in H. Cohens Religionsphilosophie); M. Zank (Hermann Cohen und die rabbinische Literatur); B. Casper (Korrelation oder ereignetes Ereignis?); K. Wuchterl (Bausteine zu einer Geschichte der Philosophie des 20. Jahrhunderts, 116). Interessant ist die Sichtweise M. Dreyers, die zwar den Bruch in Cohens Spätwerk erkennt, diesen aber negativ als »Untreue« gegenüber dem idealistischen Konzept und seiner apersonalen Gottesidee betrachtet (Dies, Die Idee Gottes im Werk Hermann Cohens, 206–236). 114 A. Poma, Die Korrelation in der Religionsphilosophie Cohens: eine Methode, mehr als eine Methode. 115 Vgl. ebd., 350. 116 Vgl. ebd., 356 f.

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Grund nicht mehr auf dem Boden strenger Wissenschaftlichkeit zu erreichen ist, weshalb er sich – und hier erkennt Poma durchaus einen Bruch – den Quellen des Judentums zuwendet. 117 Bei der Frage der Sündenvergebung sieht Poma die Überschreitung des kritischen Idealismus: Cohen kommt hier nicht umhin, von der Güte Gottes als einer aus dem Gottvertrauen erwachsenden »Gewissheit« auszugehen. 118 Im vielleicht wichtigsten Teil der »Religion der Vernunft«, dem Kapitel über die Versöhnung, schreibt er: »Es ist das Wesen Gottes, die Sünde des Menschen zu vergeben. Es ist dies der wichtigste Inhalt der Korrelation von Gott und Mensch.« 119 Insofern ist die religiöse Korrelation bei Cohen – so Pomas These, die sich als eine Vermittlung zwischen Rosenzweig und Altmann erweist – eine kritische Methode, die die Grenzen des idealistischen Konzeptes übersteigt, und so am Ende mehr als eine Methode. 120 Auch Bernhard Casper, der die Interpretationslinie Rosenzweigs durchaus nachvollziehen kann, sieht in Schuldbekenntnis und Sündenvergebung den Ansatzpunkt, um Cohens Korrelationsbegriff weiterzuentwickeln. Casper rückt das »Wunder der Vergebung« in die Nähe des »ereigneten Ereignisses« bei Rosenzweig und zieht die Verbindung weiter bis zu Heidegger. 121 Wenn das idealistische Systemdenken irgendwo auseinanderzubrechen droht, dann – so scheint es – bei dem Versuch, die gnädige Vergebung Gottes zu denken, die der Mensch nicht »erzeugen«, nicht herbeidenken oder herbeiführen kann, die er aufgrund der neukantianischen Ethik der sittlichen »Selbstheiligung« nicht einmal herbeisehnen sollte. Es ist bezeichnend, dass auch Schaeffler genau an diesem Punkt auf Cohen rekurriert. Er findet seine eigene Weise der Interpretation Cohens, indem er die Andeutung von der Korrelation als »Sprachhandlung« aufgreift und ihre Wirksamkeit von diesem Sprechakt abhängig macht. »Das religiöse Wort ist […] Sprachhandlung des Sündenbekenntnisses und der Sündenvergebung. Und der Begriff der ›Korrelation‹ zwischen Gott und Mensch, dieser Zentralbegriff Vgl. ebd., 356–360. Vgl. ebd., 363 f. 119 H. Cohen, RV, 249. 120 Vgl. A. Poma, Die Korrelation in der Religionsphilosophie Cohens: eine Methode, mehr als eine Methode, 362–364. 121 Vgl. B. Casper, Korrelation oder ereignetes Ereignis?, 48–54. Ohne diesem interessanten Beitrag Caspers genauer nachgehen zu können, zeigt er doch, wie viel Interpretationsspielraum Cohens Spätphilosophie immer noch zulässt. 117 118

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von Cohens Religionsphilosophie, füllt sich erst mit Inhalt, insofern er diese Sprachhandlung beschreibt.« 122 Seit den 1980er Jahren bezieht sich Schaeffler immer wieder auf die Spätphilosophie Cohens und gewinnt daraus wichtige Impulse für sein Denken. Im Folgenden soll gezeigt werden, wie sich dieser Einfluss auf Schaefflers Religionsphilosophie auswirkt und worin die innere Nähe dieser beiden Philosophen besteht.

3.2 Schaefflers Cohenrezeption und ihre Bedeutung für seine Gebetslehre 3.2.1 Die »Resonanzbeziehung« zwischen Kant und dem Judentum – oder: Schaefflers Interesse an Cohen In der Diskussion um die diachrone Entwicklung der cohenschen Philosophie gibt es einige Aspekte, die allgemein zu wenig berücksichtigt werden. Zunächst müsste man der Tatsache Rechnung tragen, dass Cohen bereits in seiner Marburger Zeit fortwährend zu Fragen der jüdischen Religions- und Zeitgeschichte Stellung genommen hatte. Noch bedeutsamer aber scheint in diesem Zusammenhang, dass für Cohen kantische Philosophie und jüdische Religion überhaupt keine Gegensätze bilden. Im Jahr 1910 verfasst Cohen einen beachtenswerten Aufsatz mit dem Titel »Innere Beziehungen der Kantischen Philosophie zum Judentum«. 123 Darin hält er fest: »Der philosophierende Jude fühlt sich wie heimatlich angehaucht auf dem Boden Kants.« 124 Anhand von drei wichtigen Motiven konstatiert Cohen eine hohe Affinität zwischen Kant und dem Judentum: im theologischen Vernunftgebrauch, im Primat der Ethik und in der messianischen Sicht der Zukunft. 125 Umso mehr bedauert Cohen, dass das Judentum in Kants Religionsschrift so schlecht wegkommt. 126 122 R. Schaeffler, Die Vernunft und das Wort. Zum Religionsverständnis bei Hermann Cohen und Franz Rosenzweig, in: ZThK 78 (1981), 57–89, hier 78. 123 In: H. Cohen, Werke Bd. 15, Hildesheim 2009, 311–345. Ann-Kathrin Hake misst diesem Artikel in ihrer Dissertation über das Verhältnis von Kant und Cohen zu recht eine große Bedeutung zu; vgl. Dies., Vernunftreligion und historische Glaubenslehre, 93–96. 124 H. Cohen, Innere Beziehungen der Kantischen Philosophie zum Judentum, 343. 125 Vgl. auch A.-K. Hake, Vernunftreligion und historische Glaubenslehre, 94. 126 Vgl. I. Kant, Rel, B 186: »Der jüdische Glaube ist […] ein Inbegriff bloß statuari-

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Die erste Übereinstimmung erkennt Cohen im gemeinsamen Gebrauch der »reinen Vernunft« als Grundlage aller Erkenntnis. Dank seiner guten Kenntnis der jüdischen Philosophie des Mittelalters zeigt Cohen auf, wie die Unterscheidung von Vernunft und Offenbarung bereits lange vor Maimonides Einzug in die jüdische Religionsphilosophie gehalten hat. 127 Ausführlich beschreibt er den Gleichklang zwischen der kantischen Ethik und der Praxis des Judentums. In der Ablehnung des Eudämonismus und der Zuwendung zu einer Ethik der Gesinnung sieht Cohen das gemeinsame Fundament. 128 Cohen bemüht sich zudem, die jüdischen Wurzeln der drei kantischen Postulate der praktischen Vernunft (»Unsterblichkeit«, »Freiheit« und »Dasein Gottes«) nachzuweisen. 129 Auch der kategorische Imperativ als das Zentrum der kantischen Ethik scheint dem Judentum im Lichte der Prophetie und der Sozialethik des Pentateuch geradezu selbstverständlich: »Dass kein Mensch ›bloss als Mittel‹ gebraucht werden dürfe, sondern ›jederzeit zugleich als Zweck‹, dieser tiefste und klarste Sinn des kategorischen Imperativs steckt dem Juden, das darf man wohl sagen, schlechterdings im Blute.« 130 Zuletzt lenkt Cohen die Aufmerksamkeit auf den jüdischen Messianismus und dessen kantisches Pendant im »Traktat zum ewigen Frieden« (1795). Er schließt kurzerhand: »Wer an den ewigen Frieden glaubt, der glaubt an den Messias.« 131 Zwischen der Philosophie Kants und der Religion des Judentums in ihrer prophetischen Ausrichtung besteht, so Cohens Fazit, eine »innerlichste Übereinstimmung« 132. Kant und das Judentum: »Die in ihrer Methode wahre Philosophie und die in ihrem Gotte wahre Religion.« 133 scher Gesetzte […]. [Er; S. W.] ist eigentlich gar keine Religion, sondern bloß Vereinigung einer Menge Menschen, die […] sich zu einem gemeinen Wesen unter bloß politischen Gesetzen, mithin nicht zu einer Kirche formten.« Cohen ahnt, woher diese negative Sichtweise Kants rührt: Spinoza, Mendelssohn und nicht zuletzt Paulus verstellen Kants Auffassung vom Judentum. Vgl. H. Cohen, Innere Beziehungen der Kantischen Philosophie zum Judentum, 315 f. 127 Vgl. ebd., 317–321. 128 Vgl. ausführlich: H. Cohen, Charakteristik der Ethik Maimunis, in: Werke Bd. 15, Hildesheim 2009, 163–269. 129 Vgl. Ders., Innere Beziehungen der kantischen Philosophie zum Judentum 327– 337; vgl. I. Kant, KpV, A 238. 130 H. Cohen, Innere Beziehungen der kantischen Philosophie zum Judentum, 338. 131 Ebd., 340 f. 132 Ebd., 343. 133 Ebd., 345. Beten denken

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Es mag nicht als Zufall betrachtet werden, dass auch Schaeffler einen Artikel verfasst hat, der das Verhältnis zwischen der Wissenschaft des Judentums und der kantischen und idealistischen Philosophie beleuchtet – und dabei im Kern zum selben Ergebnis kommt wie Cohen. 134 Schaefflers Ausgangsbeobachtung lautet: Das Judentum besitzt zwar schon seit der rabbinischen Zeit eine eigene Tradition wissenschaftlicher Selbstreflexion. Doch erst in der Auseinandersetzung mit Kant und dem Idealismus kann sich eine moderne »Wissenschaft des Judentums« herausbilden. Seine These daher: »Jüdische Kant-Rezeption gehört zu den notwendigen Bedingungen für die Entstehung einer Wissenschaft des Judentums.« 135 Bezeichnenderweise stellt Schaeffler hierbei Hermann Cohen in die vorderste Reihe derer, die mit Hilfe der kantischen Philosophie zu einer erneuerten jüdischen Religionsphilosophie fanden. Die Vergleichspunkte, die Schaeffler anführt, gleichen augenscheinlich denen Cohens: 1) Die »Erkenntnis aller Pflichten als göttliche Gebote« trifft auf den Boden eines weisheitlichen und praktisch ausgerichteten Selbstverständnisses des Judentums. 136 2) Der scheinbar unerfüllbare Anspruch dieser Gebote lässt sich nur durch die auch im jüdischen Denken nachvollziehbaren Postulate der Hoffnung aufrechterhalten. 137 3) Sofern für Kant sittliche Gebote grundsätzlich nicht auf die Sündhaftigkeit des Menschen, sondern auf seine Besserung zielen, kann er aus jüdischer Sicht sogar ein »Ba’al t’schuwah«, ein Lehrmeister der Umkehr, genannt werden. 138 Erst vor dem Hintergrund der kantischen Koordinaten von Glaube und Sittlichkeit, von Gehorsam und Autonomie, von göttlicher Hoffnung und menschlichem Anspruch konnte – so Schaeffler – eine jüdische Aufklärung entstehen, die den Offen-

Vgl. R. Schaeffler, Die Wissenschaft des Judentums in ihrer Beziehung zur allgemeinen Geistesgeschichte im Deutschland des 19. Jahrhunderts, in: J. Carlebach (Hg.), Wissenschaft des Judentums, Darmstadt 1992, 113–131; vgl. Ders., Die Vernunft und das Wort, 69 ff. 135 Ders., Die Wissenschaft des Judentums, 117. 136 Vgl. I. Kant, KpV, A 233; Ders., Rel, B 229. Vgl. auch H. Cohen, Innere Beziehungen der kantischen Philosophie zum Judentum, 324 f.: »Das sittliche Gesetz muss und darf das Gesetz Gottes sein, ohne dass es darum aufhörte, das Gesetz der Vernunft zu sein.« 137 Vgl. ausführlich Kap. 3.2.2. 138 Vgl. R. Schaeffler, Die Wissenschaft des Judentums, 118 f. Man beachte, dass Franz Rosenzweig denselben Titel Cohen zugesprochen hatte. Vgl. F. Rosenzweig, Einleitung in die Akademieausgabe, GS III, 183 f. (hier: Baal t’schuwoh). 134

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barungsgedanken nicht zugunsten der Vernunftautonomie opfern musste. 139 Sowohl Cohen als auch Schaeffler sehen also eine inhaltliche Verwandtschaft zwischen Kant und dem Judentum und führen dafür im Kern dieselben Argumente an. Schaeffler fasst diese »innere Beziehung« so ins Wort: »Kant und das Judentum stehen, so könnte man sagen, in einer ›ResonanzBeziehung‹ ; oder anders gesagt: Kant konnte mit jüdischen Ohren gelesen werden, und diese Ohren hörten aus seiner Philosophie gleichsam einen ›Klang‹ heraus, dem ein bestimmter ›Ton‹ des jüdischen Denkens antwortend entsprach.« 140

Der Ausdruck »Resonanzbeziehung« macht deutlich, dass Kant diese Anklänge an jüdische Themen weder beabsichtigt hat noch beabsichtigen konnte. Dennoch lässt vor allem die kantische Ethik den philosophisch gebildeten Juden aufhorchen und ermöglicht es ihm, seine eigene jüdische Tradition neu und besser zu verstehen. Sowohl Cohen als auch Schaeffler können diese »Resonanztöne« vernehmen – so die hier vertretene These –, weil sie sich ihrerseits in der Art ihrer Kantrezeption nahe stehen. So scheint der Begriff »Resonanzbeziehung« auch für das Verhältnis zwischen Cohen und Schaeffler untereinander überaus treffend. Schaeffler wiederholter Rekurs auf Cohens religionsphilosophisches Spätwerk 141 erfolgt nicht aus philosophiehistorischem Interesse, sondern weil er bei Cohen Denkwege vorgezeichnet findet, die auf seine eigenen religionsphilosophischen Fragen eingehen – oder kurz: weil zwischen beiden eine philosophische Verwandtschaft besteht. Dabei ist im Einzelfall nicht immer zu klären und letztlich auch nicht bedeutsam, ob Schaeffler einen Gedanken explizit auf Cohen zurückführt oder ob er innerhalb des gemeinsamen »Resonanzraumes« gleichsam in der Luft liegt. Den cohenschen Spuren in Schaefflers Philosophie weiter nachzugehen heißt daher, sich zunächst noch einmal der kantischen Ethik als dem gemeinsamen Nährboden beider zuzuwenden.

Vgl. R. Schaeffler, Die Wissenschaft des Judentums, 120. Ders., Die Vernunft und das Wort, 69. 141 Werkgeschichtlich fällt auf, dass sich Schaeffler v. a. in den 80er Jahren häufig auf Cohen beruft. In diese Zeit fallen auch viele seiner Arbeiten zur religiösen Sprache und zum Gebet. 139 140

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3.2.2 »Dialektik der praktischen Vernunft« – oder: Das kantische Fundament in Schaefflers Religionsphilosophie Menschliche Schulderfahrung ist für Cohen der philosophische Ort der Entdeckung des Individuums und gleichzeitig die Geburtsstätte der Religion. Schaeffler vertieft diese Grundintuition Cohens, indem er auf die kantische Dialektik der praktischen Vernunft zurückgeht. Er bemüht sich darum, diese Vernunftdialektik soweit herauszuarbeiten, dass der kantische Lösungsweg durch Postulate der Hoffnung als zwingend erscheint. 142 Angesichts der komplexen Gedankengänge scheint es sinnvoll, diese Dialektiken einmal ohne Seitenblick auf Cohen so knapp wie möglich zu explizieren. Schaeffler erkennt bei Kant drei »Dialektiken«, die er religionsphilosophisch fruchtbar machen will: (1) Die Dialektik zwischen theoretischem und praktischem Vernunftgebrauch, (2) die Dialektik der sittlichen Welt sowie (3) die Dialektik des sittlichen Subjekts. (1) Die theoretische Vernunft muss bei der Beobachtung von Welt und Natur von der lückenlosen Kausalität der Weltordnung ausgehen. 143 Andernfalls würde jede theoretische Erkenntnis unmöglich und die Vernunft könnte ihrer ureigenen Aufgabe nicht nachkommen. Die praktische Vernunft hingegen ist hinsichtlich der sittlichen Praxis darauf angewiesen, dass unser Handeln gerade nicht von einer natürlichen Kausalität dirigiert wird, sondern dass wir mit Hilfe unserer sittlichen Autonomie jederzeit in der Lage sind, einen »Neubeginn« zu setzen. Schon in der »Kritik der reinen Vernunft« erkennt 142 Die daraus entstandene, weit ausgreifende Debatte mit Giovanni B. Sala über den Status der kantischen Postulatenlehre kann hier nur angedeutet werden. Vgl. Ders., Kant und die Theologie der Hoffnung. Eine Auseinandersetzung mit R. Schaefflers Interpretation der kantischen Religionsphilosophie, in: ThPh 56 (1981), 92–110; vgl. dazu die Replik: R. Schaeffler, Kant als Philosoph der Hoffnung. Zu G. B. Salas Kritik an meiner Interpretation der kantischen Religionsphilosophie, in: ThPh 56 (1981), 244–258; vgl. kritisch zu Schaefflers Kantinterpretation auch: G. B. Sala, Kants Transzendentalphilosophie – eine Hinwendung zum Subjekt auf halbem Weg, in: M. Laarmann – T. Tappe (Hg.), Erfahrung – Geschichte – Identität, Freiburg i. Br. 1997, 221–237. Vgl. weiterführend: B. Milz, Dialektik der Vernunft in ihrem praktischen Gebrauch und Religionsphilosophie bei Kant, in: ThPh 63 (1988), 481–518; Ders., Der gesuchte Widerstreit, Berlin 2002, 49–55; E. C. Galbraith, Kant and Richard Schaeffler’s Catholic theology of hope, in: Philosophy and theology 9 (1996), 333–350. 143 Vgl. zum Folgenden: R. Schaeffler, Kritik und Neubegründung der Religion bei Kant, in: A. Franz – W. Jacobs (Hg.), Religion und Gott im Denken der Neuzeit, Paderborn 2000, 39–63, hier 45 f.

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Kant die offensichtliche Widersprüchlichkeit der Vernunftinteressen in ihrer theoretischen und praktischen Hinsicht. Die Möglichkeit der sittlichen Freiheit versucht er durch die Unterscheidung zwischen dem »sensiblen« und »intelligiblen Charakter« der Vernunft zu retten: Der praktische Vernunftgebrauch bezieht sich ja zunächst nicht auf die Naturgesetzgebung. Das handelnde Subjekt würde in dieser Hinsicht nicht unter der Bedingung der Zeit und dem Kausalgesetz stehen. 144 Mithilfe seines »intelligiblen Charakters« vermag das Subjekt dennoch empirische Wirkungen hervorzurufen und so eine Form freier Selbstbestimmung zu realisieren. Somit scheint die »Möglichkeit der Kausalität durch Freiheit« im praktischen Vernunftgebrauch denkbar, ohne dass der Mensch nur mechanisch auf kausale Einflüsse reagiert. Dieser Grundkonflikt zwischen theoretischer und praktischer Vernunft spiegelt sich innerhalb der praktischen Vernunft selbst wider, und zwar als »Dialektik der sittlichen Welt«. (2) Diese zweite Dialektik besteht in der Grundspannung zwischen der Reinheit der Gesinnung und der Wirksamkeit einer Handlung. 145 Die menschliche Erfahrung zeigt, dass allein durch moralische Gesinnung das »höchste Gut« nicht automatisch erreicht wird. Eigentlich müsste der sittlich Handelnde mit dem Erfolg seiner Handlung belohnt werden, es müssten – anders gesagt – Glückswürdigkeit und Glückseligkeit übereinstimmen. Kant beschreibt dieses Phänomen, das auch als »Antinomie der praktischen Vernunft« 146 bezeichnet wird, so: Es kann »keine notwendige und zum höchsten Gut zureichende Verknüpfung der Glückseligkeit mit der Tugend in der Welt durch die pünktlichste Beobachtung der moralischen Gesetze erwartet werden« 147. Kant muss erkennen, dass unser moralischer Wille von den Gesetzen der Freiheit abhängt; ob unser sittliches Handeln aber die gewünschten Ergebnisse erzielt, hängt von den Gesetzen der Natur ab. Die kantische Idee von der Einheit der Welt droht Vgl. I. Kant, KrV, A 538–541. Schaeffler hat seine Interpretation der Dialektiken der praktischen Vernunft in verschiedenen Kontexten vorgestellt. Im Folgenden werden jene Ausführungen herangezogen, die im Blick auf Cohen und Rosenzweig entstanden sind (Ders., Die Vernunft und das Wort; Ders., Der Zuspruch des Vergebungswortes), sowie die neueren Darstellung (Ders., EDW, 143–163; Ders., Kritik und Neubegründung der Religion bei Kant; Ders., Die Dialektik der Religion und die Geschichte der reinen Vernunft). 146 Vgl. B. Milz, Der gesuchte Widerstreit, 48–55. Milz untersucht nicht weniger als neun Typen, diese kantische Antinomie zu interpretieren. Er wirft dabei Schaeffler vor, die Antinomie bzw. Dialektik über Gebühr »aufzublähen«. 147 I. Kant, KpV, A 205. 144 145

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also zu zerfallen in ein Sittengesetz und ein Naturgesetz: Wir sind dem kategorischen Imperativ gemäß verpflichtet, das Gute nicht nur anzustreben, sondern möglichst auch zu verwirklichen. Da wir aber gezwungen sind, auch auf den Erfolg unseres Handelns zu achten, können wir uns nicht allein auf unsere sittliche Selbstbestimmung zurückziehen. Wir müssen auch die physischen Erfolgsbedingungen unseres Handelns berücksichtigen – mit der Gefahr, die sittlichen Maßstäbe wieder relativieren zu müssen und uns, bildlich gesprochen, die Hände schmutzig zu machen. Auch wer zu Kompromissen bereit ist, verstößt – so oder so – gegen seine sittliche Pflicht. 148 Schaeffler spitzt diese kantische Dialektik noch durch die Beobachtung zu, dass für den gewissenlos Handelnden in dieser Welt scheinbar eine »Erfolgsprämie« ausgesetzt sei, während der Gewissenhafte für seine moralische Intention bestraft wird. 149 Von der Auflösung dieser Dialektik der moralischen Weltordnung hängt der Objektivitätsanspruch jeglicher sittlichen Verpflichtung ab, also letztlich die gesamte kantische Ethik. 150 Kant versucht die Dialektik der sittlichen Weltordnung durch ein »Postulat der Hoffnung« aufzulösen: Es muss gewährleistet werden, dass die gute Tat allem Anschein zum Trotz zu einem guten Ergebnis führt. Diese Hoffnung ließe sich dann rechtfertigen, wenn es einen Gott gibt, der die Reinheit der Gesinnung mit der Wirksamkeit der Tat zu versöhnen vermag. Nur so behält das sittliche Handeln des Menschen seinen Sinn, ohne dass dieser sich der nie erfüllbaren Erwartung aussetzt, die moralische Weltordnung selbst herstellen zu müssen. Wenn aber ein Gott existiert, als »ein Wesen, das zugleich Gesetzgeber des Naturgesetzes und des Sittengesetzes ist« – so umschreibt Schaeffler Kants Einsicht – dann »kann ich hoffen, durch meine konkreten sittlichen Handlungen zugleich der Heraufführung einer moralischen Weltordnung zu dienen« 151. Die Dialektik der sittlichen Weltordnung lässt sich auflösen, wenn auf Gottes Allmacht (Naturgesetz) und Gottes Güte (Sittengesetz) zugleich gehofft werAls zeitgenössisches Beispiel par excellence gilt Kant die Schreckensherrschaft der Französischen Revolution. Vgl. Ders., Der Streit der Fakultäten, Hamburg 2005, A 142–147. Naheliegend ist auch der Verweis auf Röm 7,15: »Was ich in meinem Wirken zustandebringe, begreife ich nicht; denn ich bewirke nicht das Gute, was ich will, sondern das Böse, das ich hasse.« Vgl. R. Schaeffler, EDW, 148. 149 Vgl. ebd., 144. 150 Vgl. I. Kant, KpV, A 205; R. Schaeffler, EDW, 149. 151 R. Schaeffler, EDW, 149 f. 148

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den darf. 152 Erst vor diesem Hintergrund wird die tiefere Bedeutung des geläufigen Zitates einsichtig, dass Religion »die Erkenntnis aller unserer Pflichten als göttliche Gebote« 153 sei. Dieser kantische Religionsbegriff darf nicht missverstanden werden: Religion ist nicht gleichzusetzen mit der Gesamtheit unserer sittlichen Pflichten. Vielmehr ist sie die notwendige Bedingung dafür, dass der Begriff der sittlichen Pflicht vor seiner Selbstwidersprüchlichkeit bewahrt wird. In diesem Sinne verweist die Dialektik der sittlichen Welt auf den Übergang von der Moralphilosophie zur Religionsphilosophie. (3) Je länger sich Kant mit der Dialektik der sittlichen Welt beschäftigt, desto deutlicher wird ihm, dass bereits der Begriff eines »sittlichen Subjekts« dialektisch erscheint. Denn es besteht ein innerer Widerspruch zwischen der Erfahrung, einerseits selbst Gesetzgeber und andererseits dem Gesetz unterworfen zu sein. Das sittliche Gesetz entspringt aus uns selbst als Vernunftsubjekten, und zugleich machen wir die paradoxe Erfahrung, dem kategorischen Imperativ nicht freudig zu folgen, sondern nehmen ihn als äußerliches Gebot wahr, das unseren Gehorsam verlangt. Die Reinheit der moralischen Gesinnung selbst wird also bei genauerer Betrachtung fragwürdig und die Einheit des sittlichen Subjekts droht zu zerfallen. Wäre unsere Gesinnung wirklich rein, bräuchte es kein Gesetz. Ist unsere Gesinnung nicht rein, können wir dem Gesetz auch nicht Folge leisten – zumindest nicht so, wie es von uns gefordert wäre, nämlich um seiner selbst willen. Der Begriff eines »Sitten-Gesetzes« in Form eines Imperativs ist also »per definitionem unerfüllbar« 154. Das Sittengesetz, das uns zum Guten ermahnt, reicht gerade dazu aus, uns immer wieder unserer unreinen Gesinnung zu überführen und uns selbst zu verurteilen. Dies führt zu einer trostlosen Situation, die den guten Willen schließlich noch mehr lähmt. 155 Die einzig befriedigende Auflösung dieser Dialektik findet Kant wiederum in einem praktischen Vernunftpostulat, dem göttlichen »Urteilsspruch aus Gnaden«:

Vgl. ebd., 150. Vgl. I. Kant, KpV, A 233; Ders., Rel, B 229. 154 Vgl. R. Schaeffler, EDW, 153. Kant vergleicht die Dialektik des sittlichen Ich mit der metaphorischen Frage Jesu, wie ein böser Baum gute Früchte hervorbringen könne. Vgl. I. Kant, Rel, B 49; vgl. Mt 12,33–35. 155 Vgl. R. Schaeffler, Kritik und Neubegründung der Religion bei Kant, 59 f. 152 153

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»damit das, was bei uns im Erdenleben […] immer bloßes Werden ist (nämlich ein Gott wohlgefälliger Mensch zu sein), uns, gleich, als ob wir schon hier in vollem Besitz desselben wären, zugerechnet werde, dazu haben wir doch wohl keinen Rechtsanspruch […]. Es ist also immer nur ein Urteilsspruch aus Gnaden […].« 156

Gottes gnädiger Richterspruch befreit den Menschen, der sich in der Widersprüchlichkeit der eigenen moralischen Gesinnung verfängt. Die Aufgabe zur sittlichen Selbstbestimmung wird dem Menschen dabei nicht abgenommen, sondern ermöglicht – er ist dazu aufgerufen, nicht obwohl, sondern weil er Sünder ist. 157 Das Postulat des »Urteilsspruchs aus Gnaden« benennt also die notwendige Bedingung zur Änderung des Sinneswandels, christlich gesprochen: zur Umkehr. Es ist Kant bewusst, dass er hier ein Kernelement der christlichen Botschaft anspricht, und er bezeichnet seinen Weg aus der Dialektik ausdrücklich als die »Deduktion der Idee einer Rechtfertigung« 158. Fragt man weiter nach, auf welche Weise die göttliche Vergebung dem Menschen zuteilwerde, dann wiederholt sich jedoch die Problematik. Denn der Urteilsspruch kann als »äußeres Wort« (Verbum Externum) nur gehört werden, wenn es als innerlich wirksames Wort (Verbum Internum) angeeignet wird und das sittliche Subjekt darin qualitativ zu einer neuen Lebensgestaltung kommt. Schaeffler beschreibt diese innere Dialektik von Ankläger und Angeklagtem mit der reformatorischen Denkform »simul iustus et peccator«. 159 Es ist die originäre Leistung der Kantinterpretation Schaefflers, die Dialektiken der »sittlichen Welt« und des »sittlichen Ich« profiliert herauszuarbeiten und religionsphilosophisch fruchtbar zu machen. Den Kern der Beobachtungen zusammenfassend, schreibt Schaeffler in einem wichtigen Aufsatz zu Cohen: »Die ›Erkenntnis unserer Pflichten als göttliche Gebote‹ und die Hoffnung auf die Rechtfertigung des Sünders durch den ›Urteilsspruch aus Gnade‹ bilden die zwei Seiten des einen Postulates, das allein dazu geeignet ist, I. Kant, Rel, B 101. Vgl. R. Schaeffler, Die Dialektik der Religion und die Geschichte der reinen Vernunft, 71. 158 I. Kant, Rel, B 101. 159 Vgl. R. Schaeffler, EDW, 156 f. Das Verhältnis von Verbum Externum und Verbum Internum, bzw. Verbum Mentis und Verbum Oris reflektiert Schaeffler im ganzen Ausmaß erst in seiner »Philosophische[n] Einübung in die Theologie«. Vgl. dazu Kap. 5. 156 157

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den Widerstreit der praktischen Vernunft mit sich selber aufzulösen. Die Rehabilitierung des Individuums […] ist also nicht anders möglich als dadurch, daß die Existenz eines Gottes postuliert wird, als dessen Gebote wir unsere Pflichten verstehen und von dessen Urteilsspruch aus Gnade wir die Befähigung zur Einhaltung dieser Gebote erhoffen können.« 160

In dieser Zuspitzung der kantischen Ethik klingt erneut die Resonanzbeziehung zum Judentum an. Den Blick durch seine Studien zu Cohen geschärft, erkennt Schaeffler, dass einem gläubigen Juden die Zustimmung zu diesen beiden Einsichten wohl unschwer abzuringen wäre: Die moralischen Pflichten als göttliche Gebote zu betrachten, entspricht zutiefst dem jüdischen Religionsverständnis, das ausgehend vom Hören auf Gottes Gebote (Sch’ma Israel) wesentlich auf die gemeinsame Glaubens- und Lebenspraxis hin orientiert ist und nicht auf theoretische Glaubenssätze. Für die jüdische Gotteslehre rückt dann allerdings die Frage ins Zentrum, wie der Gehorsam gegenüber den göttlichen Geboten auch dann aufrechterhalten werden kann, wenn sich der Mensch als Sünder weit von Gottes Weisung entfernt hat. Dazu darf das Diktum Cohens aufgegriffen werden: »Das Wesen Gottes ließ sich nicht in seiner Vollendung begrifflich erkennen, wenn nicht die Sündenvergebung seine eigentliche Leistung wäre.« 161 Über die jüdischen »Resonanztöne« hinaus legt Schaeffler auch die Verbindungslinien zwischen Kant und der christlichen Theologie frei: Die Dialektik der sittlichen Weltordnung glaubte Kant mit Hilfe der postulierten Identifizierung von Theonomie (göttliche Gebote) und Autonomie (sittliche Pflicht) überwinden zu können. Damit unser sittlicher Gehorsam und die damit verbundene Zukunftshoffnung aber nicht ins Leere gehen, muss unser Handeln gleichwohl als Beitrag zu deren Verwirklichung verstanden werden können. Kant löst diese Folgedialektik mit einer Denkfigur, die er offenkundig der christlichen Sakramentenlehre entnommen hat: Unser Handeln ist nicht Mittel zum Endzweck der Welt, sondern vielmehr das »signum

160 R. Schaeffler, Der Zuspruch des Vergebungswortes und die Dialektik des praktischen Vernunftgebrauchs. Überlegungen zur Ethik und Religionsphilosophie im Anschluß an Immanuel Kant und Hermann Cohen, in: P. Hünermann – Ders., (Hg.), Theorie der Sprachhandlung und heutige Ekklesiologie, Freiburg i. Br. 1987, 104–129, hier 118 [künftig: Der Zuspruch des Vergebungswortes]. 161 H. Cohen, RV, 243.

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rememorativum, demonstrativum, prognosticon« 162 dieser Hoffnung. Das heißt: Unsere Taten können und müssen die vollkommen moralische Weltordnung nicht herbeiführen, sondern es sind denkwürdige (rememorativum), aufzeigende (demonstrativum) und vorausweisende (prognosticon) Zeichen für das göttliche Heilswirken. Sittliche Erfahrung spiegelt sich darin wider, gleichsam sakramentale Zeichen der Hoffnung zu setzen. 163 Der Auslöser der Dialektik des sittlichen Ich war der Gegensatz zwischen Ankläger und Angeklagtem, zwischen Gerechtem und Sünder in uns selbst. Kant begründet die Notwendigkeit des Urteilsspruchs aus Gnaden damit, dass durch den Zuspruch des »Verbum Externum« der alte Mensch in uns umgewandelt werden muss zu einer neuen Gesinnung. Dabei bedient sich Kant eines Erklärungsmusters, das eindeutig auf einer christologischen Argumentationsweise aufbaut: Der Mensch, der das Böse hinter sich lässt und die gute Gesinnung annimmt, macht eine Verwandlung durch, die qualitativ mit dem Weg des Gottessohnes vergleichbar ist: »Der Ausgang aus der verderbten Gesinnung in die gute ist (als ›das Absterben am alten Menschen, Kreuzigung des Fleisches‹) an sich schon Aufopferung und Antreten einer langen Reihe von Übeln des Lebens, die der neue Mensch in der Gesinnung des Sohnes Gottes […] übernimmt.« 164 Der neue Mensch, personifiziert in Christus, trägt »für alle, die an ihn (praktisch) glauben, als Stellvertreter die Sündenschuld, tut durch Leiden und Tod der höchsten Gerechtigkeit als Erlöser genug, und macht als Sachverwalter, daß sie hoffen können, vor ihrem Richter als gerechtfertigt zu erscheinen« 165. Diese Auflösung der zweiten praktischen Vernunftdialektik führte zu der Folgefrage, wie die Äußerlichkeit des Vergebungswortes und die innere Gesinnung der Gerechtigkeit in ein Verhältnis gebracht werden können. Schaeffler erkennt hier bei Kant einen »pneu-

I. Kant, Der Streit der Fakultäten, A 142. Vgl. dazu R. Schaeffler, Die Dialektik der Religion und die Geschichte der reinen Vernunft, 74 f.; Ders., EDW, 151; Ders., Die Dialektik des praktischen Vernunftgebrauchs und die Ansätze zu einer Philosophischen Pneumatologie bei Immanuel Kant, in: F. Ricken – F. Marty (Hg.), Kant über die Religion, Stuttgart 1992, 124–142, hier 126 f. [künftig: Die Dialektik des praktischen Vernunftgebrauchs]. 164 I. Kant, Rel, B 98. 165 Ebd., B 99. 162 163

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matologischen« Lösungsweg. 166 Denn die Gerechtigkeit des Gottessohnes muss nach Kant immer eine uns fremde Gerechtigkeit bleiben, und es ist schwer anzunehmen, wie sie zur »unsrigen« werden kann. 167 Dies kann nur gelingen, wenn die Verbindung mit dem äußeren Wort nicht als Idee gedacht wird, sondern als »uns innewohnender Geist«. Kant schreibt: »Die gute und lautere Gesinnung […], deren man sich bewußt ist, führt also auch das Zutrauen zu ihrer Beharrlichkeit und Festigkeit […], und ist der Tröster (Paraklet), wenn uns unsere Fehltritte wegen ihrer Beharrlichkeit besorgt machen.« 168 Schaeffler hält den bei Kant nur angedeuteten Lösungsansatz für einen vielversprechenden Weg und versucht ihn über Kant hinaus zu einer philosophischen Pneumatologie auszubauen. 169 Angesichts der Dialektiken des praktischen Vernunftgebrauchs hat Kant auf spezifisch sakramententheologische, christologische und pneumatologische Denkformen zurückgegriffen. Das machen Schaefflers sorgfältige Kantstudien deutlich. Er ist diesen aus christlicher Sicht nicht unproblematischen Adaptionen nachgegangen und hat damit die Grundlagen seiner eigenen Religionsphilosophie geschaffen. Schaefflers Kantrezeption wurde dabei von Cohen inspiriert, geht aber in wesentlichen Punkten über dessen jüdische Betrachtungsweise hinaus. Darauf sei noch einmal hingewiesen, bevor im Folgenden der unmittelbare Einfluss Cohens auf Schaefflers Gebetslehre untersucht werden soll.

166 Vgl. dazu ausführlich: R. Schaeffler, Die Dialektik des praktischen Vernunftgebrauchs. 167 Vgl. I. Kant, Rel, B 84. Schaeffler erinnert daran, dass hier ein Problem anklingt, das hauptsächlich in der reformatorischen Theologie behandelt wurde: Das Problem der »aliena iustitia« und ihrer »imputatio« im Menschen. Vgl. R. Schaeffler, Die Dialektik des praktischen Vernunftgebrauchs, 129. 168 I. Kant, Rel, B 91 ff. 169 Vgl. bes. das Kapitel »Ansätze zu einer philosophischen Christologie und Pneumatologie bei Kant« in: R. Schaeffler, EDW, 163–202; sowie den Artikel: Ders., Die Dialektik des praktischen Vernunftgebrauchs. Vgl. auch B. Nitsche, Göttliche Universalität in konkreter Geschichte, 189–253. Nitsche hebt positiv hervor, dass Schaeffler eine wichtige Präzisierung gelungen sei, indem er »das von Cohen übernommene Konzept des ›äußeren Vergebungswortes‹ […] gnoseologisch durch eine Pneumatologie umfängt«. Vgl. ebd., 245.

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3.2.3 Gebot und Gebet als dialogische Sprachhandlung Cohens Ansatz für einen Religionsbegriff aus der philosophischen Ethik begann beim Propheten Micha: »Es ist Dir verkündet, o Mensch, was gut ist« (Mi 6,8). Aus der eben dargestellten kantischen Perspektive stellt sich auch hier eine Dialektik ein: Wie lassen sich das göttliche Gebot, das den Juden durch die Tora zum Gehorsam auffordert, und die menschliche Autonomie – als freie Einsicht in das Gute – in Einklang bringen? Auch Cohen muss sich die Frage nach der subjektiv-inneren Vermittlung des »Verbum Externum« stellen. Dabei rekurriert er auf eine Quelle des Judentums, nämlich auf Dtn 30,11– 14. Dort heißt es: »Dieses Gebot, das ich dir heute gebiete, nicht wunderhaft ist es verborgen vor dir und nicht fern ist es. Nicht im Himmel ist es, daß Du sagen müßtest: wer steigt hinauf in den Himmel und holet es uns und läßt uns hören, daß wir es tun. Und nicht jenseits des Meeres ist es, daß du sprechen müßtest: wer geht uns hinüber nach jenseits des Meeres und holet es uns und läßt uns hören, daß wir es tun. Denn nahe ist dir das Wort sehr, in deinem Munde und deinem Herzen, es zu tun.« 170

Cohen umschreibt den letzten Vers so: »Im Herzen des Menschen und in der Sprachvernunft ist ›das Wort‹, wie hier das Gebot genannt wird, enthalten.« 171 Der Mensch erfährt die Offenbarung Gottes also in seinem Innern, besonders »in der eigensten Kraft des Menschen, welche die Sprache darstellt« 172. Die Offenbarung ist nicht vage, sondern ins Wort zu fassen und in eine »vernünftige« Antwort zu kleiden. Auf diese Weise findet sich das Gebot Gottes im Munde des Beters wieder. In diesen Andeutungen – und mehr als Andeutungen sind es in der Tat nicht – erkennt Schaeffler erste Ansätze einer sprachphilosophischen Wendung der transzendentalen Frage. Mehr noch als die »Sprachvernunft« wird Schaeffler jenen Begriff aufnehmen, der bei Cohen nur ein einziges Mal vorkommt, wenngleich dieses »hapax legomenon« an exponierter Stelle steht, nämlich im Schlusssatz des Gebetskapitels von »Religion der Vernunft«: Das Gebet als »Sprachhandlung«. 173 Gemäß der Übersetzung Cohens, Vgl. Ders., RV, 94. Ebd.; vgl. R. Schaeffler, Die Vernunft und das Wort, 70; vgl. auch A.-K. Hake, Vernunftreligion und historische Glaubenslehre, 106. 172 H. Cohen, RV, 94. 173 Vgl. ebd., 463. 170 171

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Um diese Fortschreibung durch Schaeffler nachvollziehen zu können, muss daran erinnert werden, dass Cohen den Fokus auf den Akt der Sündenvergebung und damit auf den Einzelnen und sein Gottesverhältnis lenkt. Dass die Sündenvergebung Gottes »eigentliche Leistung« sein soll, wird sich nicht erschließen, wenn die allgemeine Schuldhaftigkeit der Menschheit »vor dem Sittengesetz« betrachtet wird. Vielmehr muss, so Cohen, das vor Gott stehende »sittliche Individuum« ins Zentrum rücken. 174 Rosenzweig spricht infolgedessen von der religionsphilosophisch kaum zu überschätzenden Bedeutung des »ganz gemeinen Privatsubjekts« 175. Nicht die Schuld vor dem Gesetz ist dabei entscheidend, sondern das Stehen des Sünders vor Gott. 176 So bewirkt auch nicht das Sittengesetz die Umkehr, sondern die Begegnung (die »Korrelation«) zwischen dem einzigen Gott und dem Individuum. In der Vergebung der Sünden wird das individuelle Subjekt in seiner sittlichen Freiheit erst hergestellt und »zum Gesetz« befreit – und nicht etwa »vom Gesetz« dispensiert. 177 Insgesamt lässt sich bei Cohen eine noch stärkere Individualisierung und Personalisierung der schon bei Kant erkannten Dialektik des sittlichen Ich beobachten. Cohen denkt den Akt der Sündenvergebung als gott-menschliche Wechselbeziehung. Die sprachliche Form derselben zeigt sich näherhin als der Dialog von Gebot und Gebet. Rosenzweig wiederum war es, der die sprachliche Struktur dieses Dialoges freigelegt hat: Das Gebot Gottes wird dem Menschen im Dekalog eröffnet mit den Worten: »Ich bin der Herr, dein Gott« (Ex 20,2). Das umkehrbereite Individuum antwortet darauf mit dem reumütigen Gebet: »Vor Dir allein Vgl. ebd., 251; vgl. auch M. Potthoff, Schuld als Geburtsstätte der Religion; vgl. Kap. 3.1.2. 175 Folgende Passage Rosenzweigs aus seiner Schrift »›Urzelle‹ des Stern der Erlösung« ist hier besonders aufschlussreich und wird auch von Schaeffler immer wieder herangezogen. Rosenzweig setzt sich hier deutlich vom idealistischen Subjektbegriff ab: »Die philosophierende Vernunft steht auf ihren eigenen Füßen, sie ist sich selbst genug. Alle Dinge sind in ihr begriffen und am Ende begreift sie sich selber […]. Nachdem sie also alles in sich aufgenommen und ihre Alleinexistenz proklamiert hat, entdeckt plötzlich der Mensch, daß er, der doch längst philosophisch verdaute, noch da ist. […] Ich ganz gemeines Privatsubjekt, Ich Vor- und Zuname, Ich Staub und Asche, Ich bin noch da.« F. Rosenzweig, »Urzelle« des Stern der Erlösung, GS III, 125–138, hier 126 f. 176 Vgl. H. Cohen, RV, 269: »›Vor Gott‹ : Das ist die Losung für das ganze Werk der Buße, der Selbstheiligung und Erlösung.« 177 Vgl. R. Schaeffler, Die Vernunft und das Wort, 76. 174

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habe ich gesündigt« (Ps 51,6). Auf dieses Sündenbekenntnis hin spricht wiederum Gott: »Ich verzeihe Dir, wie du gesagt hast« (Num 14,20). 178 Schaeffler bezeichnet das Zusammenspiel von göttlichem Wort und menschlicher Antwort – prosaischer formuliert – als ein »Gefüge von Sprachhandlungen […], innerhalb dessen die Sprachhandlung des göttlichen Gebotes die Sprachhandlung des menschlichen Gebetes ermöglicht, welches seinerseits durch die Sprachhandlung der göttlichen Vergebungszusage beantwortet wird« 179. Grammatisch auffällig ist, dass diese drei biblischen Zitate jeweils durch das Zueinander der Pronomina »Ich« und »Du« strukturiert sind. 180 Schaeffler betont zudem die auffallende Verwendung des Dativs im Sündenbekenntnis: »Dir allein habe ich gesündigt« – »Tibi soli peccavi«. Rosenzweig zufolge tritt der Dativ als der »gebende« und »bindende« Fall dort auf, wo ein Sprecher nicht um sich kreist, sondern sich auf den Anderen hin öffnet. 181 Daraus schließt Schaeffler: »Nur wenn der Mensch ›allein vor Gott‹ (›tibi soli‹) sich schuldig weiß, kann er hoffen, zur Sittlichkeit befähigt und doch als Individuum nicht ausgelöscht zu werden.« 182 Auch in der »Urzelle des Stern« verweist Rosenzweig auf das Wechselspiel von Gebot und Gebet und zieht dazu ein nicht weniger einprägsames Beispiel heran: das Gespräch zwischen Gott und Adam in der Urgeschichte, das mit der markanten Frage Gottes initiiert wird: »Adam, wo bist Du?« (Gen 3,9). Rosenzweig fasst die Struktur dieses Dialoges zusammen: »Im Ich und Du und wieder Ich bewegt sich dieses Verhältnis […]. Im Ich der Offenbarung und im Du der Gewissensfrage oder des Gebotes und erwidernd in Adams Ich der Scham […] und rückwärts wieder im Ich der Reue und im Du des Gebets und im Ich der Erlösung.« 183 Ausgehend von dieser Passage, die Rosenzweig zu einem Ur178 Vgl. F. Rosenzweig, Einleitung in die Akademieausgabe, GS III, 206; vgl. ausführlicher: Ders., Der Stern der Erlösung, GS II, Den Haag 1976, 198–201; vgl. R. Schaeffler, RelPhil, 176 f. 179 R. Schaeffler, Der Zuspruch des Vergebungswortes, 119 f. 180 Anhand dieses Befunds geht Schaeffler im Übrigen davon aus, dass Rosenzweigs Philosophie des »Ich und Du« maßgeblich von Cohens Theorie der Sündenvergebung inspiriert wurde; vgl. Ders., RelPhil, 177. 181 Vgl. ebd., 179 f.; vgl. F. Rosenzweig, Der Stern der Erlösung, GS II, 143: »Der Dativ aber, die Form des Gehörens, Schenkens, Dankens, der Hingegebenheit wie des Hinstrebens […]; da treten Objekt und Subjekt zusammen.« Vgl. auch ebd., 260. 182 R. Schaeffler, RelPhil, 180. 183 F. Rosenzweig, »Urzelle« des Stern der Erlösung, GS III, 131.

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sprungstext der Dialogphilosophie erhebt, stellt sich systematisch die Frage, wie sich die Einheit des sittlichen Subjekts im Akt der Sündenvergebung näher denken lässt. Schon Kant ist in seiner Analyse der Vernunftdialektik zu der Überzeugung gekommen, die gerechtmachende Gnade Gottes könne weder vor noch nach dem »Sinneswandel« gedacht werden, sondern nur im Sinneswandel selbst. 184 Diesen Wandel beschreibt Kant paulinisch als das »Ablegen des alten, und Anziehen des neuen Menschen« 185. Nach Cohen ist der Mensch deshalb zur Umkehr fähig, weil er als Individuum zuallererst Sünder vor Gott ist und nicht vor einem abstrakten Gesetz. In seiner Umkehr ist der Sünder so unmittelbar auf die Gnade Gottes verwiesen, dass vom Gesetz gar nicht sinnvoll gesprochen werden kann, wenn nicht die Gnade Gottes schon mitgedacht wird. 186 Cohen erweist sich dem Titel eines »Baal t’schuwoh« würdig, wenn er die Geburt und Wiederherstellung des sittlichen Individuums im Akt der Sündenvergebung verortet. 187 Schaeffler folgt Cohen in diesen Überlegungen und betont darüber hinaus, dass nicht nur das sittliche Individuum, sondern die menschliche Subjektivität als solche aus der Korrelation mit Gott erwächst. Seine These von der »Subjektkonstitution« im Gebet 188 greift auf den von Cohen erläuterten Begründungszusammenhang zwischen der Einzigkeit Gottes und der Ganzheit des Menschen zurück. Die immer wieder bemühte Belegstelle dafür ist das »Höre Israel« in Deuteronomium 6,4: »Nur weil Gott ein einziger ist, kann der Mensch sich in der Liebe zu ihm sammeln zur Ganzheit seines Herzens, seiner Person und seiner Kräfte […]. Sammlung zur Ganzheit gelingt nur, weil Gott ein einziger ist und weil der, der ihn liebt, in allen Bereichen der Welt und des Lebens diesem einen und einzigen Gott begegnet.« 189 Es zeigt sich, wie Schaeffler in seiner Gebetslehre auf Überlegungen Cohens zurückgreift und diese zugleich aus dem Kontext der Sündenvergebung herauslöst und verallgemeinert. Vgl. I. Kant, Rel, B 96 f. Ebd., B 98. 186 Vgl. R. Schaeffler, Die Vernunft und das Wort, 76. 187 Vgl. H. Cohen, BR, 65. 188 Vgl. zum Folgenden ausführlich: Kap. 4.3.2. 189 R. Schaeffler, Das Gebet – Schule des Glaubens und Schule des Lebens im Judentum in: G. Kaufmann (Hg.), Lebenserfahrung und Glaube, Düsseldorf 1983, 73–90, hier 81; vgl. auch Ders., GuA, 56 f.; Ders., Gebet im Judentum. Eine Interpretation aus christlicher Sicht, in: Freiburger Rundbrief 17 (2010), 82–97, hier 91 f. 184 185

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Der individualisierte Korrelationsgedanke bei Cohen und die Betonung des »Privatsubjekts« bei Rosenzweig bergen die Gefahr, die Wechselbeziehung im Dialog von Gebot und Gebet als »Privatismus« misszuverstehen. Obwohl hier die sittliche Individualität in der Tat stark hervorgehoben wird, ist diese Befürchtung unbegründet. Denn Cohen entwickelt seinen Gedanken von Schuld und Vergebung in enger Anlehnung an die Liturgie des jüdischen Versöhnungstages. Die Versammlung der Gemeinde ist der »Sitz im Leben« der beschriebenen Sprachhandlungen. Nur in der Kommunikationsgemeinschaft der jüdischen Gemeinde wird die individuelle Korrelation zwischen Gott und Mensch ermöglicht. Diese Korrelation gipfelt im persönlichen Zuspruch des Vergebungswortes, aus der der Mensch als sittliches Subjekt neu hervorgeht. Doch bliebe diese Wiederherstellung der sittlichen Freiheit sinnlos, wenn sie sich in einer sittlichen Praxis innerhalb der Gemeinde bewährt. 190 In diesem Sinne hat Cohen bereits in »Begriff der Religion« deutlich gemacht, dass sich die einzigartige Gottesbeziehung, die im »Sch’ma Israel« ihre vollendete Sprachgestalt findet, sogleich auf die Gemeinschaft hin öffnet: »Ich kann Gott nicht lieben, ohne mein ganzes Herz, wie es für die Mitmenschen lebt, ohne meine ganze Seele, wie sie in alle Richtungen des Geistes der Mitwelt zugekehrt ist, ohne meine ganze Kraft […] für diesen Gott in seiner Korrelation zum Menschen einzusetzen.« 191 Die intersubjektive Sprachgemeinschaft ist der Rahmen, innerhalb dessen das Wort von der Vergebung kein subjektiver Wunsch bleibt, sondern liturgisch vermittelt zum wirksamen Wort werden kann. 192 Dieses Wort wiederum trägt zum Aufbau der Gemeinde bei und zielt letztlich auf die messianische Hoffnung einer universalen Sprachgemeinschaft zum Lob Gottes. 193 Aus den Quellen des Judentums gesprochen heißt dies für Cohen, dass das zunächst individuell gedeutete »Höre Israel« in den allgemeinen Aufruf zum endzeitlichen Gotteslob bei Sacharja mündet: »An jenem Tag wird der Herr der Einzige sein und sein Name der Einzige« (Sach 14,9). Cohen interpreVgl. Ders., Die Vernunft und das Wort, 80; Ders., GuA, 43. H. Cohen, BR, 81 f. 192 Vgl. Ders., RV, 252–275, bes. 254. Die Notwendigkeit eines intersubjektiven Rahmens für das Gelingen einer wirksamen Sprachhandlung hat Cohen lange vor Searle erkannt. Vgl. R. Schaeffler, GuA, 50, 198; J. R. Searle, Sprechakte, Frankfurt a. M. 1971, 54–68 [engl. Original 1969]. 193 Vgl. R. Schaeffler, Der Zuspruch des Vergebungswortes, 120–122; H. Cohen, RV, 549. 190 191

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tiert diese beiden Bibelstellen als gegenseitige Ergänzung: »So wachsen die beiden Losungen des einzigen Gottes und des einzigen Namen zusammen.« 194 Schaeffler widerspricht daher vehement der Kritik einer Überindividualisierung bei Cohen und Rosenzweig: »Antizipation einer universalen Menschheitsgemeinschaft, nicht Rückzug in eine gesellschaftsentfremdete Vereinzelung, dies ist die Absicht von Rosenzweigs Philosophie des ›Ich‹ und ›Du‹ nicht weniger, als es die Absicht von Cohens Philosophie der Umkehr gewesen war.« 195 Den Durchbruch in Cohens Religionsphilosophie sieht Schaeffler in der sprachphilosophischen Wendung des transzendentalen Programms: Gebot, Gebet und Vergebungszusage sind nicht Beschreibungen eines Sachverhaltes, sondern »Sprachhandlungen«, die die Korrelation zwischen Gott und Mensch zuallererst stiften. Darin liegt auch der wichtigste Schritt über Kant hinaus. Das Postulat der Existenz Gottes, mit dem Kant die Dialektik der praktischen Vernunft aufzulösen sucht, bleibt ein Postulat der »Hoffnung«, ein Bedürfnis der reinen praktischen Vernunft, um moralisches Handeln nicht selbstwidersprüchlich erscheinen zu lassen. So aber lässt sich der Verdacht nicht abwenden, dass hier der Wunsch der Vater des Gedankens ist, auch wenn dieser Wunsch hier ein moralisch ehrbarer und transzendental notwendiger ist. Ist nicht – so Schaeffler als »advocatus diaboli« – gerade die Faktizität der menschlichen Schuld ein Beweis dafür, dass allein der Wunsch nach der Einheit des Ich und geordneten Ganzheit der Erfahrungswelt nicht ausschließt, dass beides immer wieder zerbricht? 196 Insofern man aber mit Cohen das Gebet als wirksame Sprachhandlung und als tatsächlichen Eintritt in die Korrelation versteht, ohne die »alles Denken« – auch das der praktischen Vernunft – »Theorie bliebe«, zeigt sich eine veränderte Situation. 197 Gemäß Schaeffler geht es bei der von Cohen und Rosenzweig offengelegten Struktur der religiösen Sprache nicht um Aussagesätze (Propositionen), sondern um den propositionalen Gehalt von Sprachhandlungen. 198 Der Satz »Vor Dir allein habe ich gesündigt« ist keine H. Cohen, RV, 459. Vgl. Kap. 4.6.2. R. Schaeffler, Die Vernunft und das Wort, 80. 196 Vgl. Ders., GuA, 62. 197 Vgl. erneut H. Cohen, RV, 463: »So ist das Gebet die eigentliche Sprache der Religion. Und alles Denken dieser Sprache, von Gott und vom Menschen, alles Denken dieser Korrelation bliebe Theorie, wenn nicht das Gebet die Sprachhandlung würde, in welcher der Wille lebendig wird […].« Vgl. Kap. 3.1.3. 198 Vgl. Kap. 2.3.1. 194 195

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Information an Gott über einen geschehenen Sachverhalt, sondern im Sinne Austins eine in einen Aussagesatz verkleidete Sprachhandlung. 199 Mit der Wirksamkeit dieser Sprachhandlung ist zugleich ein Wahrheitsgehalt impliziert, ohne den diese Handlung wiederum nicht möglich wäre. In diesem Fall handelt es sich, so Schaeffler, sogar um einen propositionalen Gehalt transzendentaler Art. Denn nicht die Wahrheit objektiver Gegenstände steht hier auf dem Spiel, sondern die Wahrheitsfähigkeit des Sprechers selbst (die Einheit seines Ichs), sowie die Wahrheit über die Struktur seines Erfahrungszusammenhangs (geordneter Zusammenhang der Welt). 200 Schaeffler erkennt im Übergang von der ethischen zur transzendentalen und sprachpragmatischen Perspektivierung des Problems einen wirklichen Fortschritt in der Auflösung der Dialektik der praktischen Vernunft über Kant hinaus: 201 »Nicht daß die ›Einung‹ des Subjekts aus moralischen Gründen gelingen soll, auch nicht, daß sie aus transzendentalen Gründen gelingen muß, sondern daß sie in einer wirksamen Sprachhandlung tatsächlich gelingt, legitimiert den Wahrheitsanspruch desjenigen propositionalen Gehaltes, der in dieser Sprachhandlung impliziert ist.« 202

Die Aufhebung der Dialektik kann zwar durch Postulate der Hoffnung gedacht werden, und darin liegt der Verdienst des kantischen Denkweges; wirksam vollzogen wird sie in der Sprachhandlung des Gebetes.

3.2.4 Zusammenfassung: Hermann Cohen und Richard Schaeffler Die Untersuchung hat gezeigt, dass für Schaefflers Religionsphilosophie das Denken des jüdischen Neukantianers Cohen eine herausragende Inspirationsquelle darstellt. Dieser Rekurs, so die hier vertretene These, will nicht als Abhängigkeitsverhältnis, sondern vielmehr als eine Resonanzbeziehung verstanden werden. Dieses von Schaeffler selbst geprägte Wort deutet auf eine Art geistige Verwandtschaft der beiden Philosophen. Indem der cohensche Zug im Denken Schaefflers einmal deutlich freigelegt wurde, zeigen sich so199 200 201 202

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Vgl. R. Schaeffler, GuA, 56; J. L. Austin, Zur Theorie der Sprachakte, 27 f. Vgl. R. Schaeffler, GuA., 57 f. Vgl. Ders., Der Zuspruch des Vergebungswortes, 122. Ders., GuA, 62.

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gleich zentrale Elemente von Schaefflers Gebetslehre. Die einzelnen »Resonanztöne« seien – im Vorgriff auf noch näher zu erläuternde Thesen – zusammenfassend aufgeführt: (1) Wichtigster gemeinsamer Bezugspunkt zwischen Cohen und Schaeffler ist zweifellos Kant. Ihr ungebrochenes Interesse an dem Königsberger Philosophen kann mit einem geflügelten Wort als ein Denkversuch »mit Kant über Kant hinaus« bezeichnet werden. Schaeffler beweist gleichwohl in seiner Adaption der kantischen Postulatenlehre eine große Eigenständigkeit gegenüber Cohen und dem Marburger Neukantianismus. (2) Charakteristisch für Cohen wie für Schaeffler ist das »Philosophieren im Blick auf das Gebetbuch«. 203 Das Projekt einer Vernunftreligion aus den »Quellen des Judentums« dürfte Schaeffler als christlichen Philosophen mit jüdischen Wurzeln fasziniert haben. Vor allem aber kommt es seiner religionsphilosophischen Methodenwahl entgegen. (3) Für Schaeffler ist – wiederum von Kant her – ein Zugang zur Religionsphilosophie über den Weg der praktischen Vernunft grundsätzlich nachvollziehbar. Er greift Cohens Theologie des Versöhnungstages auf und arbeitet dessen Kern in Gebot, Schuldbekenntnis und der Vergebungszusage anhand von Kants Dialektik der praktischen Vernunft präzise heraus. (4) Auch die genuin cohensche Denkfigur der Korrelation als spezifisches Wechselverhältnis zwischen Gott und dem Individuum greift Schaeffler auf. 204 Dabei übernimmt er die diesem Konzept intrinsische Abgrenzung vom philosophischen Idealismus und lässt eine gewisse Nähe zu dialogphilosophischen Entwürfen erkennen. So hält mit Cohen auch die Philosophie Rosenzweigs Einzug in Schaefflers Denken. (5) Stärker ausgearbeitet ist bei Schaeffler die These von der Subjektkonstitution des Beters in der Korrelation mit Gott. Initiiert wird diese Annahme durch Cohens These von der »Geburt« des sittlichen Individuums im Augenblick der Vergebungszusage. Über Kants revolutionäre These der Objektkonstitution durch die regulative Idee der »Einheit des Ich« hinaus wird hier das Zerbrechen und Wiederhergestelltwerden des Subjekts zum Thema der Trans203 Vgl. Ders., Vernunft und das Wort, 64. Schaeffler sagt dies von Cohen, es trifft nicht weniger auf ihn selbst zu. 204 Vgl. v. a. Ders., GuA.

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zendentalphilosophie. Darin liegt ein wesentlicher Schritt über Kant hinaus. 205 (6) Vollzogen wird die Subjektkonstitution laut Schaeffler durch die Sprachhandlung des Gebetes. In dieser »einmaligen« Formulierung aus Cohens Nachlasswerk erkennt Schaeffler einen Meilenstein in der Analyse religiöser Sprache. Durch die Unterscheidung von Aussage und Sprachhandlung kommt dem gesprochenen Gebetswort ein religionsphilosophisch höchst bedeutsamer Status zu. In der sprachphilosophischen Wende der Transzendentalphilosophie liegt ein zweiter weitreichender Schritt (mit Cohen) über Kant hinaus. (7) Entgegen dem ersten Anschein hat die Gemeinde als intersubjektive Gebetsgemeinschaft sowohl bei Cohen als auch bei Schaeffler eine äußerst wichtige Bedeutung. 206 Die Auslegung der biblischen und liturgischen Texte macht deutlich, dass der einzelne Beter immer als Teil einer Gebetsgemeinschaft zu betrachten ist und umgekehrt durch sein Beten zum Aufbau der Gemeinde und ihrer Sprachfähigkeit beiträgt. (8) Zunächst einmal festzuhalten ist eine Auffälligkeit bei Cohen, die sich bei Schaeffler ähnlich zeigen wird: Das Bittgebet nimmt inhaltlich eine vergleichsweise nachgeordnete Rolle ein. Im Zentrum der Gebetslehre liegt bei Cohen und Schaeffler nicht die Frage nach der Gebetserhörung, sondern der Gedanke der Korrelation. Darin unterscheiden sie sich von vielen zeitgenössischen Zugängen zur Gebetsthematik. (9) Angestoßen durch Überlegungen zur Lyrik der Psalmen und zum »heiligen Geist« zeigt sich bei Cohen zumindest ansatzweise eine inhaltliche Ausweitung vom hamartiologischen Kontext zur Gebetsform des Lobpreises hin. Die Möglichkeit, das Phänomen des Gebetes von der Doxologie her zu verstehen, wird bei Schaeffler noch wesentlich stärker ausgeschöpft werden. Angesichts dieser Zusammenstellung könnte man meinen, es bleibe für Schaeffler nur noch die Weiterführung und theologische Ausgestaltung des cohenschen Ansatzes. 207 Der systematische Ertrag, den eine sprachphilosophische Analyse des Gebetsaktes verspricht, ist 205 Die weitreichenden Konsequenzen dieses Gedankens werden in Kap. 4.3.2. erläutert. 206 Vgl. Kap. 6. 207 Diese Einschätzung wäre auch deswegen unzutreffend, weil das, was sich hier als »Gebetslehre« Cohens herauskristallisiert, bereits das Produkt der Rezeptionsarbeit Schaefflers ist.

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bislang jedoch erst umrisshaft aufgeleuchtet, und Cohen gibt dazu im Grunde nicht mehr als Stichworte. Vor allem aber stellt Schaeffler eine grundsätzliche Rückfrage an Cohens Gebetsverständnis: Ist der hier beschriebene Fall der dialektischen Erfahrung von Sünde und wiederhergestellter Einheit durch die Vergebung tatsächlich der Zugang zum Gebetsakt schlechthin, oder gibt es noch andere Sprachhandlungen, die den Eintritt in die Korrelation mit Gott ermöglichen? 208 Schaeffler präferiert in seiner Gebetslehre einen Zugang, der den von Kant und Cohen angebotenen Weg über die Ethik relativiert und ein anderes sprachliches Phänomen in den Fokus rückt: die Anrufung Gottes mit seinem Namen.

208

Vgl. Ders., GuA, 63 f.

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Zweiter Teil Philosophische Einübung in die Gebetslehre

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4 Gebet als Eintritt des Menschen in die Korrelation mit Gott

4.1 Vorbemerkungen 4.1.1 Das Gebet zwischen Sprechen und Schweigen Vor der Einführung in Schaefflers Sprachanalyse des Gebetes muss eine grundsätzliche Frage gestellt werden: Ist das Gebet denn überhaupt und primär als ein sprachliches Phänomen zu fassen? Schränkt Schaeffler den Gebetsakt nicht von vorneherein erheblich ein, wenn er sein Interesse allein auf die Gebetssprache lenkt? Was ist mit dem »sprachlosen«, dem schweigenden Gebet? Diese Rückfragen sind so naheliegend und basal, dass es verwundert, dass Schaeffler dem nur wenig Beachtung schenkt. Der einzige Hinweis in diese Richtung findet sich in dem neueren Aufsatz »Der Beter, sein Gott und seine Welt« (2008). Dort schreibt Schaeffler: »Mit Recht hat Bernhard Welte hervorgehoben, daß das ›Gebet des Schweigens‹ den bleibenden Grund darstellt, auf dem alles ›Gebet als Sprache‹ sich erst erheben kann.« 1 Diese Aussage steht im Kontext eines Extremfalls religiöser Sprache, der Zungenrede, und Schaeffler legt in diesem Zusammenhang dar, dass Gebet stets ein »Sprechen an der Grenze der Sprache« 2 sei und des Schweigens bedürfe. Der Verweis auf Bernhard Welte ist hier sehr aufschlussreich, vertritt dieser doch einen zu Schaeffler in verschiedener Hinsicht konträren religionsphilosophischen Entwurf. 3 Welte hält das Gebet R. Schaeffler, Der Beter, sein Gott und seine Welt. Ein Zugang zur Phänomenologie der Religion, in: IKaZ Communio 37 (2008), 572–586, hier 582. Schaeffler hat diesen Artikel in einer veränderten Fassung und unter demselben Titel auch veröffentlicht in: Revista portuguesa de Filosofia 64, 591–603. Im Folgenden wird die Fassung aus »IKaZ« herangezogen und zitiert. 2 Ebd., 582. 3 Vgl. dazu Ders., Sinnforderung und Gottesglaube, Rez. Bernhard Welte, Religionsphilosophie, in: PhJ 86 (1979), 201–209; sowie die Replik Weltes: B. Welte, Über zwei 1

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Vorbemerkungen

des Schweigens für die angemessenste Gebetsform angesichts der göttlichen »Unsäglichkeit« und Geheimnishaftigkeit: 4 »Das verstummende Schweigen ist darum die erste Gestalt des Gebetes.« 5 Ausgehend vom schweigenden Gebet deduziert Welte die Notwendigkeit des sprechenden Gebetes und des gemeinschaftlichen Betens im Kult. Der Mensch, so Welte etwas trivial, könne »zwar schweigen, aber er kann nicht immer und nicht nur schweigen« 6. Dieser flüchtige Seitenblick auf Welte macht unmittelbar deutlich, dass Schaeffler den alternativen Ansatz wählt. Gebet ist für ihn immer und in erster Linie ein sprachlich vermitteltes und sprachlich zugängliches Phänomen. Er folgt darin dem Grunddogma der modernen Sprachphilosophie, das die Sprache als das »Haus des Seins« 7 betrachtet, oder mit Wittgenstein gesprochen: »Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt.« 8 Wann immer über das Gebet nachgedacht wird, geschieht dieses Denken mit Hilfe der »Sprachvernunft« 9. Auch der Gebetsakt selbst ist für Schaeffler in einem weiten Sinne sprachförmig, genauer »Ant-wort« auf die göttliche Herrlichkeit, und findet überdies immer vor dem Hintergrund einer bestimmten Sprachgemeinschaft statt. 10 Allerdings würde man Schaefflers Gebetslehre nicht gerecht, wenn man den Einwand erhöbe, er habe nur sprachlich »ausformulierte« Gebete im Blick. Vielmehr versucht er dem Phänomen des Gebetes in seiner ganzen Breite gerecht zu werden – jedoch unter der Prämisse eines sprachlichen, weil dialogischen Geschehens.

Weisen des philosophischen Denkens und deren Folge für die Religionsphilosophie, in: Ders., GS Bd. III/3, Freiburg i. Br. 2008, 99–117. Vgl. dazu auch Kap. 10.1. 4 Vgl. dazu: B. Welte, Religionsphilosophie, in: Ders., GS Bd. III/1, Freiburg i. Br. 2008, bes. § 13 [Das Gebet des Schweigens] + § 14 [Das Gebet als Sprache], 171–192. Vgl. auch die beiden Dissertationen, die über Weltes Gebetslehre erschienen sind, und deren Titel für den Gebetsansatz Weltes äußerst »sprechend« sind: J. Baßler-Schipperges, Gebet aus dem Schweigen, Frankfurt a. M. 1997; S. Dietrich, Das schweigende Gebet, Leipzig 2000. 5 B. Welte, Religionsphilosophie, 172. 6 Ebd., 176. 7 Vgl. M. Heidegger, Brief über den »Humanismus«, in: Ders., Wegmarken, Frankfurt a. M. 31996, 313–364, hier 313; vgl. dazu: R. Schaeffler, Frömmigkeit des Denkens? 8 L. Wittgenstein, Logisch-philosophische Abhandlung / Tractatus logico-philosophicus, Frankfurt a. M. 2003, 86 (Ziffer 5.6). 9 Diesen Begriff greift Schaeffler von Cohen auf. Vgl. R. Schaeffler, Die Vernunft und das Wort, 70. 10 Vgl. Kap. 5 und 6 dieser Arbeit. Beten denken

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Möglicherweise kommt man dem, was Schaeffler unter der Sprachlichkeit des Gebetes versteht, etwas näher, wenn hilfsweise auf die etwas stereotype Aufteilung des Gebetes bei Friedrich Heiler in »prophetisches« und »mystisches Gebet« rekurriert wird. 11 Dieser Kategorisierung zufolge ist das, was Schaeffler unter Gebet versteht, eindeutig der »prophetischen Frömmigkeit« zuzuordnen: »ein lebendiger Verkehr des Frommen mit dem persönlich gedachten und als gegenwärtig erlebten Gott, ein Verkehr, der die menschlichen Gesellschaftsbeziehungen widerspiegelt.« 12 Weil Schaeffler das Gebet als dialogisches Geschehen betrachtet, sind – wie in jeder menschlichen Beziehung – das Verhältnis und die Differenz zwischen »Ich« und »Du« konstitutiv. Genau diese Differenz, so Heiler, wird in der mystischen Form des Gebetes aufgelöst. Bei Welte etwa findet sich diese »mystische Dimension« (im Sinne Heilers) sehr viel deutlicher ausgeprägt, wie auch die Studie Stephanie Dietrichs belegt: »Das schweigende Gebet [bei Welte; S. W.] beinhaltet ein Absehen des Menschen von sich selbst und der Welt und eine Hinwendung zu Gott als dem abgründigen Geheimnis. Welte ist hier besonders durch die mystischen Traditionen und das Studium der Schriften von Meister Eckhart inspiriert.« 13 In diese Tradition kann Schaeffler sicher nicht gestellt werden, und aus dieser Perspektive ist es signifikant, wie häufig er vom Beter »und seiner Welt« spricht. Weil Schaeffler das Gebet grundsätzlich nicht (in diesem Sinne) »mystisch« auffasst, sucht er einen Zugang über die Sprache, über die »Anrede« Gottes im doppelten Sinn. Dies bedeutet keineswegs, dass das schweigende Gebet nicht seinen Ort innerhalb dieses dialogischen Geschehens findet. 14 So darf auch Vgl. F. Heiler, Das Gebet, 248–283. Vgl. Kap. 2.2.2. Ebd., 491. 13 S. Dietrich, Das schweigende Gebet, 236. 14 Auch bei Gerhard Ebeling findet sich derselbe Zusammenhang zwischen einem personalem Gebetsverständnis und der »Ansprechbarkeit« Gottes, weshalb auch er Gebet grundsätzlich als sprachliches Phänomen begreift: »Das Gebet setzt offenbar das Personsein Gottes voraus. Die Anrede in der zweiten Person ist nicht eine beliebig auswechselbare Stilform, sondern konstitutiv.« G. Ebeling, Das Gebet, in: Ders., Wort und Glaube, Bd. 3, Tübingen 1975, 405–427, hier 423. Der Religionsphilosoph Vincent Brümmer vertritt in Bezug auf die beiden Gebetstypen Heilers die These, dass das Gott-Mensch-Verhältnis in der »prophetischen Religion« in »Beziehungsbegriffen als Gemeinschaft der Liebe zwischen handelnden Personen« gefasst werde, während die Mystik eher Erlebnisbegriffe verwende. Vgl. V. Brümmer, Was tun wir, wenn wir beten?, Marburg 1985, 74. 11 12

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Vorbemerkungen

Schaefflers Fokussierung des Gebetes unter einer sprachlichen Perspektive nicht als Engführung verstanden werden. Sie erklärt sich daraus, dass er »Gebet« im Letzten als ein personales Beziehungsgeschehen versteht. 15 Es findet seinen charakteristischen Ausdruck in einem kommunikativen Akt zwischen dem Beter und Gott. Dieser ist sprachlich nachvollziehbar und – im Projekt einer religionsphilosophischen Gebetslehre – mit sprachphilosophischen Mitteln adäquat zu untersuchen. 16 Es heißt nicht, dass das schweigende Gebet innerhalb Schaefflers Gebetslehre nicht berücksichtigt würde oder gar ortlos bliebe. Allerdings wäre auch das Schweigen vor Gott noch als ein – womöglich besonders aussagekräftiger – kommunikativer Akt zu betrachten. Genau betrachtet greift der Gegensatz zwischen »sprachlichem« und »schweigendem« Gebet ohnehin zu kurz. Für Schaeffler ist Gebet im Grunde nicht mehr als die einfache – zweifellos auch lautlos vorstellbare – Hinwendung zu Gott in der Sprachhandlung der »acclamatio«. Die Kernfrage lautet aber, ob das Gebet als ein kommunikativ-dialogisches Geschehen gedacht werden kann; ob – in der Begrifflichkeit Schaefflers – der Mensch im Gebet in die Korrelation mit Gott eintritt, oder ob er gleichsam in Gott »aufgeht«. 17 Für welche Option Schaeffler hier steht, ist eindeutig; 18 wie konsistent aber sein sprachanalytisches Konzept ist, muss noch eingehend geprüft werden.

Vgl. zu dieser gebetstheologisch wichtigen Kategorie Kap. 9. Zum selben Schluss kommt Ute Lockmann: »Geht es im Gebet […] folglich um eine solche Gemeinschaft und persönliche Beziehung zwischen Gott und Mensch, dann kann sich diese nicht jenseits der sprachlichen Kommunikation ereignen, sondern muss notwendigerweise selbst ein sprachliches Geschehen darstellen.« U. Lockmann, Dialog zweier Freiheiten, Innsbruck – Wien 2004, 270. Im Weiteren zieht Lockmann bezeichnenderweise Schaeffler als charakteristischen Typus einer sprachlich-dialogischen Gebetslehre heran. 17 Vgl. folgenden aufschlussreichen Gedanken Lockmanns: »[…] das Schweigen [darf; S. W.] keinesfalls als Antonym zum ›Wort‹ begriffen werden; denn während auch das Schweigen im Kommunikationsfeld der Akteure seinen spezifischen Aussagecharakter besitzt, ist der Gegensatz des Dialoges die Kommunikationsverweigerung oder der Kommunikationsabbruch durch verbale (!) und nonverbale Disqualifikation und Ausgrenzung des Partners.« Ebd., 269 f. 18 Vgl. auch S. Walser, Der doxologische Aspekt der Gebetslehre Richard Schaefflers, in: B. Irlenborn – C. Tapp (Hg.), Gott und Vernunft, Freiburg i. Br. – München 2013, 301–320, hier 315–319. 15 16

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4.1.2 Die Teildisziplinen der Semiotik und die Wahrheitsfrage Schaefflers religionsphilosophische Methodenkombination findet ihr ausgezeichnetes Anwendungsgebiet in der Analyse der Sprache des Gebetes. Von Cohen gewinnt Schaeffler, wie gezeigt werden konnte, den entscheidenden Hinweis, das Gebet als transzendentale Sprachhandlung anzusehen: »Das Gebet ist […] eine Handlung, die in Worten geschieht: Das Eintreten des Menschen in die Korrelation mit Gott.« 19 In der konkreten Durchführung seiner sprachanalytischen Beobachtungen orientiert sich Schaeffler an der dreigliedrigen Einteilung der Semiotik nach Charles W. Morris in Semantik, Grammatik und Pragmatik. 20 Die Semantik beschreibt das Verhältnis zwischen Zeichen und Bezeichnetem, die Grammatik das Verhältnis der sprachlichen Zeichen untereinander und die Pragmatik das Verhältnis der Zeichen zu ihren Interpreten. 21 Von Anfang an interessiert sich Schaeffler vor allem für die Frage, wie diese drei Bereiche miteinander verknüpft sind, denn einen sprachlichen Ausdruck oder einen Text zu verstehen heiße nichts anderes als »die semantischen, grammatischen und pragmatischen Bezüge erfassen, in denen er steht« 22. Morris selbst betont in seiner Untersuchung die Einheit der Semiotik und die Wechselbeziehungen zwischen den Teildisziplinen, um der Tendenz einer allzu starken Spezialisierung der einzelnen Disziplinen entgegenzuwirken. Mit großem Interesse nimmt Schaeffler wahr, dass Versuche, die den Zusammenhang dieser semiotischen Disziplinen untereinander reflektieren, häufig mit dem Begriff »transzendental« operieren. 23 Dieser Terminus ist laut Schaeffler treffend, da es in der Tat darum geht, die Bedingungen der Möglichkeit zu beschreiben, damit sich ein sprachliches Zeichen auf etwas beziehen (transzendentalsemantisch) bzw. ein Verhältnis

R. Schaeffler, Kleine Sprachlehre, 50. Vgl. C. W. Morris, Grundlagen der Zeichentheorie, München 1979 [engl. Original 1938]. 21 Vgl. ebd., 32, 42, 52. Vgl. R. Schaeffler, GuA, 34, 104; Ders., Die religiöse Sprache, 119 f. Zur terminologischen Abweichung gegenüber Morris (Grammatik statt Syntaktik) vgl. Kap. 2.3.3, Fn. 165. 22 R. Schaeffler, PhE I, 335; vgl. Ders., GuA, 34 f. 23 Vgl. die genannten Entwürfe der »Transzendentalen Semantik« W. Hogrebes und der »Transzendentalpragmatik« K.-O. Apels. Vgl. Kap. 2.3.3. 19 20

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Vorbemerkungen

zwischen Sprecher und Hörer stiften kann (transzendentalpragmatisch). 24 In der theoretischen Verhältnisbestimmung der semiotischen Disziplinen untereinander erkennt Schaeffler eine gewisse Dominanz der Grammatik gegenüber der Semantik und Pragmatik. Dies hänge damit zusammen, dass die Sprache als »unmittelbares Untersuchungsobjekt« nun einmal zunächst als ein Zeichensystem vorliegt, das den Gegenstandsbezug bzw. das Verhältnis zum Sprecher und Hörer erst vermittelt. 25 Kurz: Nur wer die Regeln eines Zeichensystems beherrscht, kann etwas zum Ausdruck bringen und zu jemandem sprechen. Die Grammatik, so Schaefflers These, »regiert« die Semantik und definiert das kommunikative Rollenspiel. 26 Gleichwohl wählt Schaeffler in seiner Untersuchung der religiösen Sprache eine andere Reihenfolge und beginnt mit der sprachpragmatischen Betrachtung des Gebetes. Die analytische Philosophie hatte die semantische Potentialität der Gebetssprache in Frage gestellt und bezweifelt, ob solche Sätze überhaupt etwas aussagen. 27 Mit John L. Austin war die pragmatische Eigenart religiöser Sprache in den Fokus der Diskussionen gerückt, insbesondere die These, der Beter wolle ja gar nicht über einen Sachverhalt »informieren«, sondern sich im Gebetsakt »an Gott wenden«. Schaeffler wählt also den Weg »vom Unstrittigen zum Strittigen« 28. Ausgehend von der offenbar unstrittigen pragmatischen Betrachtung des Gebetes als »Sprachhandlung« richtet sich Schaefflers argumentatives Interesse darauf, den verborgenen propositionalen Aussagegehalt solcher nicht-propositionaler Äußerungen offenzulegen. Dies geschieht mittels der grammatischen Ana-

Vgl. R. Schaeffler, GuA, 36. Vgl. ebd., 104. 26 Vgl. ebd., 35. 27 Vgl. ausführlich Kap. 2.3.1. 28 Vgl. ebd., 106. Zur »Unstrittigkeit« der pragmatischen Eigenart religiöser Sprache schreibt Schaeffler ganz allgemein: »Während es unter den Vertretern der Analytischen Philosophie strittig ist, ob die Sprache der Religion sich durch grammatische Besonderheiten von anderen Sprachformen unterscheide, besteht Einigkeit darüber, daß religiöse Menschen, wenn sie Ausdrücke der religiösen Sprache benutzen, in ein spezifisch religiöses Verhältnis zu den Hörern dieser sprachlichen Äußerungen eintreten wollen, sei es, daß sie sich bei diesen sprachlichen Äußerungen betend an Gott wenden, sei es, daß sie in Bekenntnis und Verkündigung menschliche Hörer anreden und mit ihnen in eine spezifisch religiöse Kommunikationsgemeinschaft eintreten wollen.« Ebd., 105. 24 25

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lyse. 29 Der Grammatik misst Schaeffler eine transzendentale Bedeutung zu, denn sie bestimmt die Struktur, die das Sprechen erst möglich macht. Aus der grammatischen Form einer Aussage lassen sich sodann Konsequenzen für die Semantik gewinnen. Pragmatik und Grammatik gemeinsam, so Schaeffler, zeichnen »der Semantik der religiösen Sprache (also der Bestimmung des Verhältnisses zwischen religiösen Ausdrücken, und dem, was sie bedeuten) die Wege vor« 30. Es fällt auf, dass Schaeffler auch die Semantik der religiösen Sprache, also die Beziehung zwischen den Zeichen und dem Bezeichneten, unter transzendentalem Blickwinkel betrachtet und dass semantische und transzendentale Betrachtung bei ihm eng aufeinander bezogen sind. Die grammatische Form der Sprachhandlung des Gebetes eröffnet eine Bedeutung (Semantik), welche die Möglichkeitsbedingungen des Gebetes selbst offenlegt. Schaeffler stellt sich der Herausforderung der positivistischen Sprachphilosophie, die behauptet, in der Gebetssprache gehe es nur um »Scheinaussagen« über »Scheingegenstände«. Aus diesem Grund genügt es nicht, die Wirksamkeit sprachlichen Handelns, die grammatische Logik sprachlicher Ausdrücke oder die Bedeutung semantischer Inhalte zu betrachten, sondern er muss diese Analysen mit der Wahrheitsfrage konfrontieren. Weder Grammatik noch Semantik allein führen hier weiter. Denn auch eine Lüge, so Schaeffler, unterscheidet sich grammatisch und semantisch betrachtet nicht von einer wahren Aussage. 31 Die Sprachanalyse kann zwar sinnvolle von sinnlosen Äußerungen unterscheiden, aber nicht wahre von falschen. 32 Dieser Umstand scheint durch ein falsches Verständnis von »Pragmatik« verstärkt zu werden, die alle semiotische Teildisziplin unter das Vorzeichen von Nützlichkeit und Funktionalität stellt. 33

»Eine genauere Betrachtung der Pragmatik ist ganz allgemein (und deshalb auch hier) ohne Analyse der Grammatik unmöglich. […] An ihrer Grammatik also wird sich ablesen lassen, wie es um die Pragmatik der jeweiligen Sprachhandlung bestellt ist.« Ebd., 121 f. 30 Ebd., 152. 31 Vgl. Ders., Religionsphänomenologie, Sprachanalyse und die »Wahrheitsfrage«, 192. Hier stellt Schaeffler etwa die Frage der Unterscheidung von »Gott« und »Götzen«. Vgl. ebd., 202. 32 Vgl. ebd., 192. 33 Vgl. ebd., 192 f. 29

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Vorbemerkungen

Um dem Phänomen des Gebetes und dem Selbstverständnis der Beter gerecht zu werden, will Schaeffler die sprachliche Analyse einer transzendentalen Wende unterziehen. Doch lässt sich die Wahrheitsfrage religiöser Aussagen nicht außerhalb der religiösen Sprache selbst thematisieren. Alles hängt davon ab, die Bedeutung von religiösen Aussagesätzen und ihr Verhältnis zur religiösen Sprachhandlung genau zu bestimmen. 34 Der Wahrheitsgehalt religiöser Rede hat sich, wie Schaeffler immer wieder betont, daran zu messen, inwiefern diese Rede dem Heiligen »ent-spricht« (homologia), inwiefern es leeres (kenologia) oder gar frevelhaftes (pseudologia) Sprechen vermeidet. 35 Daher gilt der erkenntnistheoretische Grundsatz: »Die vom Heiligen und Göttlichen selbst eröffnete Korrelation ist die Sinnbedingung allen religiösen Handelns und Sprechens und damit auch die Bedingung der Wahrheitsdifferenz religiöser Rede.« 36 Davon wird noch zu reden sein. 37 Wichtig ist festzuhalten, dass Schaeffler angesichts der Wahrheitsfrage religiösen Sprechens die »Du-Anrede« Gottes in den Mittelpunkt rückt und in der angemessenen Gottesanrede einen Dienst an der Wahrheit erkennt, welcher letztlich ein »Dienst an der Ankunft des Heiligen« 38 ist. Das Gebet steht unter dem Anspruch, die religiöse Wahrheit so zu ordnen, dass diese in der Sprache aufscheint. Schaeffler verweist in diesem Zusammenhang auf das jüdische Gebetbuch, das den Titel »Siddur S’fat Emet« trägt – wörtlich übersetzt: »Anordnung der Sprache zur Wahrheit«. Das Gebet will, so Schaeffler, »Sprache so […] ordnen, daß das Wort wahrheitsfähig, die Vernunft wortfähig, die Entfremdung zwischen der Vernunft und dem Wort überwindbar wird« 39. Die semiotische Analyse der Gebetssprache soll dazu dienen, diese Wahrheit allgemein offenzulegen.

Vgl. Ders., GuA, 102–104; Ders., Religionsphänomenologie, Sprachanalyse und die »Wahrheitsfrage«, 193 f. 35 Vgl. ebd.,196 f.; Ders., Die religiöse Sprache, 123–127; Ders., Die Vielfalt der Weisen religiöser Wahrheit, 100–102; Ders., PhE I, 187. 36 Ders., Die Vielfalt der Weisen religiöser Wahrheit, 100. 37 Vgl. Kap. 5.1. 38 Ders., Die religiöse Sprache, 124. 39 Ders., Die Vernunft und das Wort, 89. 34

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4.1.3 Das Untersuchungsfeld: Gruß, Namensanrufung und Erzählsequenz Während Hermann Cohen das Gebet innerhalb seiner religionsphilosophischen Erörterung von Schuldbekenntnis und Erlösungsbitte verortet und dessen sprachlich-grammatische Struktur anhand der Verknüpfung von »Gebot« und »Gebet« herausarbeitet, setzt Schaeffler weitaus grundsätzlicher an: Im schlichten und zugleich in höchstem Maße außergewöhnlichen Vollzug der personalen Anrufung Gottes im Gebet. Schaeffler unterscheidet in der Anrufung oder »Akklamation« Gottes noch einmal die Sprachhandlung des Grußes und die des Benennens mit einem Namen: Der Gruß (1) ist – auch auf zwischenmenschlicher Sprachebene – eine erste Weise, »wie man mit Worten handelt« 40. Er stiftet einen Kommunikationszusammenhang zwischen Sprecher und Hörer, er markiert den Eintritt in eine »Beziehung« und schafft den Raum für die weitere Kommunikation. 41 Enthält der Gruß darüber hinaus die Nennung eines Namens (2), sei es in Form eines Personennamens oder eines Funktionsnamens, so wird ganz bewusst nicht nur eine aktuelle Beziehung zwischen Sprecher und Hörer, sondern durch die Namensakklamation ein Zusammenhang zwischen der gegenwärtigen Begegnung und einer gemeinsamen Vergangenheit hergestellt, an die bewusst (!) erinnert und angeknüpft werden soll. 42 Dieser diachrone Zusammenhang sowie die »Bedeutung« des Namens überhaupt kann nur eingelöst werden, indem die gemeinsame Geschichte der Gesprächspartner wiederhergestellt, also indem »erzählt« (3) wird. Als Entfaltung dieser sogenannten »Erzählsequenz« erwachsen in der Kommunikationssituation des Gebetes die verschiedenen Gebetsmodi wie etwa Dank, Klage und Bitte. Schließlich richtet Schaeffler ein besonderes Augenmerk auf die spezifische Redesituation der öffentlichen und gemeinschaftlichen Namensnennung (4). Dies bildet gleichsam das Forschungsprogramm, an dem Schaeffler die semiotische Analyse durchführt und so die impliziten 40 Ders., GuA, 107. Dies ist die Übersetzung der Formulierung Austins: »How to do things with words«. 41 Vgl. ebd., 107; Ders., Neue Aspekte des Sprechens von Gott, in: J. Möller (Hg.), Der Streit um den Gott der Philosophien, Düsseldorf 1985, 157–182, hier 173 [künftig: Neue Aspekte]. 42 Vgl. Ders., GuA, 109 ff.; Ders., Neue Aspekte, 173 f.

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Vorbemerkungen

Propositionen und die transzendentale Relevanz der Gebetssprache aufzudecken versucht. Unabhängig vom Ergebnis seiner Untersuchungen lassen sich Gründe aufweisen, die dieses Vorgehen und die Beispielauswahl zu legitimieren vermögen: Schaeffler geht in der Betrachtung der Anrufung in Gruß und Namensanrede auf die wohl elementarsten und irreduziblen Vollzüge sprachlicher Kommunikation überhaupt zurück. Dies gilt sowohl für das zwischenmenschliche Gespräch wie insbesondere für die Sprache des Gebetes, auf die Schaeffler anhand der biblischen Überlieferung und ausgewählter liturgischer Texte zurückgreift. So folgt die Vorgehensweise seiner Analyse dem »Material« und Aufbau der klassischen Orationen in der Liturgie. 43 Ein weiterer Grund legt Schaefflers Vorgehen nahe: Die »Du-Anrede« Gottes ist zwar keine unumstrittene, aber wohl die am weitesten akzeptierte Grunddefinition von Gebet überhaupt – und zwar sowohl im wissenschaftlichen Diskurs als auch im Selbstverständnis betender Menschen. Daher ist es erstaunlich, dass bislang keine systematische Gebetslehre vorliegt, die annähernd substanziell wie Schaeffler bei ebendiesem basalen Akt der Anrede in Gruß und Namensnennung ansetzt.

4.1.4 Zur gewählten Form der Systematisierung Gemäß den beiden letzten Teilkapiteln ergeben sich logisch genau zwei Möglichkeiten, Schaefflers sprachphilosophische Untersuchungen zum Gebet darzustellen: Zum einen ist eine thematische Herangehensweise möglich, die entlang der genannten sprachlichen Phänomene fortschreitet, also von der Akklamation zum Moment des Erzählens und weiter zu den sich daraus entwickelnden Gebetsmodi. Zum anderen wäre eine methodisch-systematische Darstellungsform möglich, die sich an den drei semiotischen Teildisziplinen orientiert und die genannten sprachlichen Phänomene in ihrem Zusammenhang zunächst pragmatisch, sodann grammatisch und semantisch in den Blick nimmt, um schließlich die transzendentalphilosophischen

Schaeffler weist darauf hin, dass die von ihm untersuchten Gebetsphänomene genau der klassischen Grundstruktur der Oration von »Akklamation«, »Anamnese« und »Deprektation« entsprechen, in: Ders., Der Priester als Vor-Beter (Orans Primarius) und Fürbitter der Gemeinde, in: Analecta Cracoviensia 25 (1993), 445–460, hier 450 f. [künftig: Der Priester als Vor-Beter und Fürbitter].

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Implikationen dieser strukturell offengelegten Gebetssprache zu untersuchen. Tatsächlich finden sich bei eingehender Sichtung der Veröffentlichungen Schaefflers bei ihm selbst beide Vorgehensweisen: Während er in seinen kleineren Beiträgen den thematischen Zugang wählt, 44 entscheidet er sich in »Das Gebet und das Argument« für einen weitaus komplexeren Argumentationsgang in Orientierung an den semiotischen Disziplinen. Die Vor- und Nachteile beider Möglichkeiten liegen auf der Hand: Die thematische Orientierung stellt einen unmittelbaren Zugang zu den Kernaussagen seiner Gebetslehre her, während die methodische Perspektive den Anspruch erhebt, die Argumentationsschritte im Einzelnen herauszuarbeiten und zur kritischen Diskussion zu stellen. Die bisherige Rezeption der Gebetslehre folgt der thematischen Darstellungsweise. Diese Beobachtung trifft sowohl für die relativ ausführlichen Darstellungen bei Thomas Deutsch und Jürg WüstLückl zu, 45 als auch für die entsprechenden Passagen bei Thomas Benner, der sich ohnehin auf die Namensanrufung beschränkt, sowie bei Markus Schrom und Armin Kistenbrügge. 46 Für die vorliegende Arbeit empfiehlt sich – in diesem Sinne erstmalig – eine methodische, die sprachphilosophisch-systematische Struktur nachzeichnende Herangehensweise. Dies verspricht nicht nur eine möglichst vollständige Analyse dessen, was als der »sprachphilosophische Gebetsentwurf« gelten kann. Eine Zusammenschau aller Beiträge Schaefflers zu dieser Thematik 47 vermag zugleich jene Elemente der Argumentation aufzudecken, die Schaeffler weniger hervorgehoben oder gar unberücksichtigt hat. Der Gesamtausrichtung dieser Arbeit

Als die einschlägigsten seien hier genannt: R. Schaeffler, Adiutorium nostrum in nomine Domini. Sprachphilosophische Überlegungen zur Anrufung Gottes im Gebet, in: Lebendiges Zeugnis 43 (1988), 26–40 [künftig: Adiutorium nostrum]; Ders., Die Konstituierung des religiösen Subjekts in der Sprachhandlung des Gebets, in: G. Larcher, Symbol – Mythos – Sprache, Annweiler 1988, 59–83; sowie Ders., Die Vielfalt der Weisen religiöser Wahrheit. 45 Vgl. T. Deutsch, O-Ratio, 154–170; J. Wüst-Lückl, Theologie des Gebetes, 278– 295. 46 Vgl. T. Benner, Gottes Namen anrufen im Gebet, 201–216; M. Schrom, Die Kirche als Gebetsgemeinschaft, 50–71; A. Kistenbrügge, Das Gebet in der Dogmatik, 280–290. Vgl. zur Einordnung dieser einschlägigen Sekundärliteratur zu Schaefflers Gebetslehre: Kap. 1.2. 47 Dieses Vorgehen ist aufgrund des relativ geschlossenen Entstehungszeitraums der entsprechenden Beiträge gerechtfertigt. 44

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Vorbemerkungen

wird die methodische Darstellungsweise insofern gerechter, als nur so Schaefflers methodische Verbindung von sprachanalytischer und transzendentalphilosophischer Arbeitsweise offenkundig wird. Darüber hinaus werden die inhaltlichen Elemente von Schaefflers Gebetslehre – Gruß, Namensanrufung, Erzählsequenz – in ihrer inneren Folge betrachtet, wodurch eine Fokussierung auf das Moment der »acclamatio nominis«, wie sie in der Schaeffler-Rezeption vorherrscht, vermieden wird. Das Ziel ist nicht nur eine synoptische Darstellung der Ergebnisse, sondern eine Einsicht in die Argumentationsgänge und Arbeitsweise Schaefflers. Da seine Thesen meist unmittelbar aus biblischen oder liturgischen Quellen entwickelt werden, soll auch seine Beispielauswahl weitgehend übernommen und gegebenenfalls erweitert werden. Für den Aufbau des folgenden Kapitels bedeutet dies: Das Hauptaugenmerk liegt zunächst auf der sprachanalytischen Betrachtung der Gebetssprache (4.2): Alle oben erläuterten sprachlichen Elemente werden zunächst auf ihre sprachpragmatische Funktion hin untersucht (4.2.1). Es folgt die Analyse in grammatischer (4.2.2) und semantischer (4.2.3) Hinsicht. 48 Die transzendentalphilosophische Interpretation (4.3) der Ergebnisse schließt inhaltlich unmittelbar an die semantischen Betrachtungen an. Aus dem Sprachakt des Erzählens werden sodann verschiedene »Gebetsmodi« entfaltet (4.4). Neben Lob und Dank (4.4.1) werden besonders die Ausführungen zum Bittgebet von Interesse sein (4.4.2). Schaefflers im wörtlichen Sinne »theo-logische« Reflexionen über den diesem Gebetsverständnis inhärenten Gottbegriff bieten gewissermaßen Kurzformeln der vorangehenden Überlegungen an (4.5). Die abschließende Frage nach dem Verhältnis von »acclamatio« und »revelatio« des göttlichen Namens führt zu grundsätzlichen Überlegungen zum »Namen Gottes« als solchem, sowie zu Möglichkeit und Sinn der »Anrufbarkeit« Gottes überhaupt (4.6).

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Vgl. das graphische Schema in Kap. 4.2.4.

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4.2 Die sprachphilosophische Analyse 4.2.1 Die pragmatische Betrachtung In »Das Gebet und das Argument« führt Schaeffler eine Distinktion bei der Sprachhandlung der Akklamation ein, die nur selten wahrgenommen wird und die er offensichtlich selbst nicht für so prinzipiell erachtet, dass er sie zu jeder Zeit berücksichtigt: 49 Die Akklamation lässt sich näherhin zergliedern in den »Gruß« einerseits und in die »Benennung« andererseits. Es gibt Grußformeln, die ohne einen Namen auskommen, etwa die Ausrufe »Hallo!« oder »Herzlich Willkommen!«. Eine Konkretion des Grußes mit pragmatischen, grammatischen und semantischen Eigenheiten ist die Namensnennung. Dabei unterscheidet Schaeffler noch einmal die Namensnennung mit Personennamen (»Hallo Paul!«) und mit Funktionsnamen (»Liebe Gäste!«). Für die Rezeption von Schaefflers Gebetslehre ist an dieser Stelle vor allem darauf hinzuweisen, dass die Anrede nicht automatisch die Namensnennung einschließt – dass also »acclamatio« nicht notwendig »acclamatio nominis« heißt. Die Namensnennung ist vielmehr als eine Spezialform des Grußes zu betrachten. Es lohnt sich im Folgenden beide Arten der Akklamation zunächst getrennt zu behandeln. Der Gruß in der Alltagssprache und als religiöse Sprachhandlung »Grüßen ist eine Weise, wie man mit Worten handelt.« 50 Ein Gruß ist keine informative Aussage über einen Sachverhalt. Er schafft, so Schaeffler, »eine Situation […] innerhalb derer andere sprachliche Äußerungen ihre Stelle finden können« 51. Der Gruß stiftet eine gegenwärtige und gegenseitige Beziehung. 52 Zugleich werden selbst bei einem einfachen Gruß nicht nur die Rollenverhältnisse für weitere verbale und nonverbale Äußerungen bestimmt, sondern auch propositionale Aussagen getroffen, deren Wahrheitsgehalt in Wort und Tat widersprochen werden kann. Es ist eine andere Art der Beziehung und des Rollenverhältnisses, ob ich eine Gruppe von Menschen mit 49 50 51 52

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Vgl. R. Schaeffler, GuA, 107–112. Ebd., 107. Ebd. Vgl. Ders., Adiutorium nostrum, 28 f.

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den Worten »Hallo, meine Lieben!« oder mit »Sehr verehrte Damen und Herren!« grüße, oder ob ich ein »Herzlich willkommen!« als Gruß formuliere. Am Beispiel des letztgenannten Grußes spielt Schaeffler einmal durch, welche Wahrheitsprätentionen – genau betrachtet – in diesem schlichten Willkommensgruß bereits impliziert sind: dass nämlich sowohl Gastgeber als auch Gast freiwillig aufeinandertreffen, dass die Gäste demnach ein- und nicht vorgeladen sind, sowie dass der Gastgeber über den Raum und die darin vorkommenden materiellen Güter verfügt. 53 Ebenso wie im alltäglichen Gebrauch stellt der »Gruß an die Gottheit« für Schaeffler eine Sprachhandlung dar, die ein Verhältnis zwischen dem Beter und Gott konstituiert und den Eintritt in die Korrelation markiert, gleichsam als Eingangstor für weitere sprachliche Äußerungen. Entscheidend ist, dass dies im Grüßen immer »aktuell« geschieht und daher eine »qualifizierte Art von Gegenwart« 54 gestiftet wird. Ausdrücklich hebt Schaeffler hervor, dass dieser Eintritt in die Korrelation durch den Gruß noch nicht notwendig personalen Charakter haben muss oder nur auf den jüdisch-christlichen Gott zutrifft. Auf der sprachpragmatischen Ebene geschieht zunächst dasselbe, wenn etwa ein Römer bei einer Mahlfeier einem Gott zuprostet 55 oder wenn ein Buddhist mit dem Mantra »Om mani padme hum« grüßend mit »dem Geheimnis, das er ausspricht, in eine sein Leben bestimmende Beziehung« 56 eintritt. Interessanterweise spricht Schaeffler hier von »Korrelation« und »Beziehung«, ohne dass er diesem sich durch den Gruß konstituierenden Verhältnis personale Qualitäten zuspricht. Die Namensnennung im Alltag und die »acclamatio nominis Dei« Ein besonderer Fall der Akklamation, dem Schaeffler größte Beachtung schenkt, ist die Benennung mit einem Namen. Auch die Namensnennung muss zunächst als Sprachhandlung und nicht als Aussage verstanden werden. Wenn wir jemanden beim Namen nennen, wollen wir in der Regel nicht damit ausdrücken: »Ich weiß, wie Du heißt«. Der Name dient wie beim einfachen Gruß dem Aufbau einer 53 54 55 56

Vgl. das Beispiel in: Ders., GuA, 108. Ders., Kleine Sprachlehre, 33. Vgl. Ders., GuA, 108. Ders., Die Vielfalt der Weisen religiöser Wahrheit, 77.

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Beziehung und der Herstellung eines Gesprächskontextes. Gleichwohl beansprucht die Namensnennung einen zusätzlichen propositionalen Gehalt: die eindeutige Identifizierung des Gegenübers. Die Sprachhandlung des Zurufs mit dem Namen als markanter Eintritt in eine Begegnung impliziert die eindeutige Bestimmung einer Person, deren Namen man bereits kennt – das heißt: mit der sich zumindest ein gemeinsames, vergangenes Ereignis verbindet, an das man sich nun bewusst und willentlich zu erinnern gedenkt. 57 Die Sprachhandlung der Namensnennung ist, so Schaeffler, »dazu bestimmt, gegenwärtige Erfahrung mit erinnerter Vergangenheit zusammenzuschließen« 58. Jeder Akt der Namensnennung verbindet also zwei verschiedene Kontexte: die Erinnerung an eine frühere und die aktuelle Begegnung. Entscheidend ist dabei: Das Gegenüber wird in einer neuen Situation, womöglich über einen langen Zeitraum hinweg, als die aus einer früheren Begegnung identische Person wiedererkannt. Diese scheinbare Selbstverständlichkeit beachtend kann Schaeffler sagen: »Der Name benennt das Beharrende im Wandel, das Identische in der Differenz von Begegnungssituationen.« 59 Schaeffler unterscheidet ferner den Gebrauch von Eigennamen und von Funktionsnamen. Während die Nennung eines Eigennamens, wie es scheint, besonders die eben beschriebene Identität im Wandel von sukzessiven Begegnungssituationen und das bewusste Anknüpfen an eine vergangene Begegnung evoziert, hat die Wahl des Funktionsnamens einen besonderen Einfluss auf die Art der Sprechsituation und der Rollenzuweisung: Eine Anrede mit den Funktionsnamen »Geschätzte Kolleginnen und Kollegen« definiert eine andere Art von Beziehung und lässt einen anderen Redeverlauf erwarten als die liturgische Formel »Liebe Schwestern und Brüder«; der Funktionsname »Sehr geehrter Herr Professor« stiftet ein anderes intersubjektives Verhältnis als die Anrede »Liebe Genossinnen Dass die Sprachhandlung der Namensnennung im Extremfall über Leben und Tod entscheidet, zeigt Schaeffler an einem eindrücklich konstruierten Beispiel auf: Man stelle sich die Situation vor, dass der unter einem Pseudonym in Argentinien lebende Kriegsverbrecher Adolf Eichmann plötzlich auf offener Straße mit seinem alten, aus Angst vor der Justiz verheimlichten Namen gerufen wird … Am Beispiel der Identitätsverleugnung wird schnell einsichtig, dass mit der Namensakklamation nicht nur die Stiftung einer neuen Kommunikationssituation geschieht, sondern auch die Erinnerung einer voraufgegangenen impliziert ist. Vgl. Ders., GuA, 110. 58 Ebd., 109. 59 Ebd., 110. 57

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und Genossen«. In der Tat kann man vielfach wahrnehmen, wie mit solchen Funktionsnamen im öffentlichen Bereich »gespielt« wird und so tatsächlich vor allen inhaltlichen Aussagen bereits mit Worten »gehandelt« wird. 60 Diese alltagsbezogene Reflexion über die Sprachhandlung der Akklamation überträgt Schaeffler auch auf die religiöse Sprache des Gebetes. Wer Gott betend beim Namen nennt und ihn bei einem seiner vielfältigen Funktionsnamen oder Titel anruft, will keine informative Aussage treffen – schon gar nicht gegenüber Gott – sondern er tritt durch einen performativen Akt in die Korrelation mit seinem Gegenüber ein. Auch im Gebet geschieht analog zur zwischenmenschlichen Namensnennung die Verknüpfung von gegenwärtiger und erinnerter Begegnung. Der Beter wendet sich an »einen Gott«, den er offensichtlich bereits kennt und rückblickend als »diesen Gott« identifiziert. Die »aktuelle« Korrelation ist eine »aktualisierte«. Der Beter erkennt aber nicht nur den bereits vertrauten Gott wieder; die erneute Begegnung mit ihm schafft zugleich eine Kontinuität in der wechselhaften Geschichte des Beters selbst. 61 Inhaltlich weiter ausgestaltet heißt dies: »Der Name, mit dem Gott sich anrufen läßt, macht es möglich, seiner zu gedenken, also in immer neuen, vielleicht überraschenden, vielleicht beglückenden, vielleicht auch erschreckenden oder sogar tief enttäuschenden Gestalten seiner aktuellen Begegnung den einen, alten Gott wiederzuerkennen.« 62

Vor diesem Hintergrund liest Schaeffler auch die alttestamentlich reich bezeugte Anrufung des Gottes »von Jugend auf« 63 (Ps 71,5) oder gar die Hinwendung zu dem die eigene Lebenszeit überdauernden »Gott meiner Väter«, zum »Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs«. 64 Diesen hier sprachpragmatisch eingeführten Gedanken wird Vgl. ebd., 111 f. Vgl. Ders., Adiutorium nostrum, 29. Vgl. zu dieser wichtigen These ausführlich Kap. 4.3.2. 62 Ders., Kleine Sprachlehre, 23. 63 Vgl. auch Ps 71,17 f.: »Gott, du hast mich gelehrt von Jugend auf, und noch heute verkünde ich dein wunderbares Walten. Auch wenn ich alt und grau bin, o Gott, verlaß mich nicht […].« 64 Vgl. R. Schaeffler, Die Vielfalt der Weisen religiöser Wahrheit, 78; Ders., Kleine Sprachlehre, 23 f. Schaeffler verweist hier auf die Gebetstradition der jüdischen Liturgie, wo »fast jede jüdische Oration« mit der Namensanrufung »Du unser Gott und Gott unserer Väter (Elohejnu we-Elohej-abothejnu)« eingeleitet wird. Ebd., 24. 60 61

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Schaeffler schließlich in Rückgriff auf Cohen transzendentalphilosophisch reflektieren und daraus seine These von der Subjektkonstitution des Beters durch die in allen Lebenslagen wiederkehrende Hinwendung zum beständigen – biblisch gesprochen: zum »treuen« – Gott entwickeln. Die Möglichkeit der Namensanrufung Gottes durch den Beter muss immer zugleich im Verhältnis zu der von Gott gewährten »Anrufbarkeit« seines Namens thematisiert werden. In vielen religiösen Überlieferungen wird daher dem Akt der Namensoffenbarung einer Gottheit oder auch der Namensgebung eines bedeutenden Menschen sehr viel Aufmerksamkeit geschenkt. Schaeffler erinnert insbesondere an die Offenbarung des Gottesnamens am brennenden Dornbusch. Gott spricht gemäß dem Buch Exodus nach der Kundgabe seines Namens: »Dies ist mein Name auf Weltzeit, mein Denkzeichen [Hervorhebung S. W.] von Geschlecht zu Geschlecht« (Ex 3,15) 65. Die Namensoffenbarung Gottes stellt im jüdisch-christlichen Kontext die notwendige Voraussetzung der Namensakklamation dar. »Der Mensch tritt in jene Wechselbeziehung zu Gott ein, die dieser ihm eröffnet hat, indem er ihm ›seinen Namen mitteilte‹, das heißt, sich von ihm anrufen ließ.« 66 Der Übergang von Gruß und Namensnennung zum Erzählakt In einer alltäglichen Begegnung folgt nach einem Gruß mit Namensnennung häufig eine Situation des gegenseitigen Erzählens. Schaeffler beobachtet, dass Namen heute als reine »Designatoren« verwendet werden und daher meist keine weitere Auskunft mehr über die Person geben. 67 Es gibt also keine andere Möglichkeit zu sagen, wer sich denn hinter dem Namen verbirgt, als die Geschichte dieser Person zu erzählen. Lag die sprachpragmatische Eigenart der Namensnennung darin, dass erinnerte Vergangenheit und gegenwärtige Begegnung verknüpft werden, so wird diese Verknüpfung nun expliziert, indem die Begegnenden sich voneinander erzählen und dadurch die zeitliche Distanz seit der letzten Begegnung gleichsam Übersetzung nach Schaeffler, der hier »‫ « ֵזֶכר‬markant mit »Denkzeichen« wiedergibt. Vgl. Ders., Die Vielfalt der Weisen religiöser Wahrheit, 78; Ders., Kleine Sprachlehre, 20. 66 Ders., Die Vielfalt der Weisen religiöser Wahrheit, 77 f. Vgl. dazu näher Kap. 4.6.1. 67 Vgl. Ders., GuA, 109; Ders., Kleine Sprachlehre, 51. 65

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»überbrücken«. »Jemanden wiedererkennen«, so Schaeffler, »heißt immer zugleich: ihn und sich selbst an vergangene Ereignisse erinnern, die erzählt werden müssen, wenn die Bedeutung dieser Begegnung benannt werden soll.« 68 So erklärt sich bei einem Wiedersehen nach langer Zeit die allgemeine Vorliebe für das Erzählen der gemeinsamen Geschichte – etwa mit den Worten: »weißt Du noch …« – aber auch der Versuch, den Anderen an der zwischendurch getrennt voneinander verbrachten Lebenszeit durch das Erzählen teilhaben zu lassen. Kurz: Die Namensnennung legt sich aus in Erzählsätzen. 69 Im Übrigen weist Schaeffler darauf hin, dass nicht nur Eigennamen, sondern auch der gezielte Gebrauch von Funktionsnamen Erwartungen und Anknüpfungspunkte für die beginnende Gesprächssituation bereitstellen und der folgenden »Erzählsequenz« so eine bestimmte Richtung geben. 70 Zur wissenschaftlichen Fundierung seiner These über die sprachpragmatische Bedeutung des »Erzählens« bezieht sich Schaeffler auf Studien des analytischen Geschichtsphilosophen Arthur C. Danto. 71 Dieser bringt die Funktion des Erzählens auf den Begriff der »narrativen Organisation«: 72 Wir organisieren, so Schaeffler in Folge Dantos, »Vergangenheit im Blick auf die Gegenwart«, aber auch die »Gegenwart im Blick auf die Vergangenheit« 73. Im Akt des Erzählens wird die Vergangenheit nicht einfach reproduziert, sondern nach der Maßgabe unserer heutigen Sichtweise und unseres aktuellen

Ebd.,52. Vgl. dazu insgesamt Ders., GuA, 112–117; Ders., Kleine Sprachlehre, 51–55. 70 Vgl. Ders., GuA, 115. Es spricht nach den Beispielen Schaefflers sogar vieles dafür, dass Funktionsnamen noch wesentlich differenziertere Möglichkeiten bergen, mit Worten zu handeln. Für die religiöse Akklamation einer Gottheit konstatiert Schaeffler daher, dass die Wahl des Namens besondere Sorgfalt verlangt: »Sich hier im Namen zu vergreifen, könnte eine Störung der religiösen Kommunikationssituation bedeuten, im Einzelfall sogar Frevel.« Ebd., 116. 71 Vgl. A. C. Danto, Analytische Geschichtsphilosophie, Frankfurt 1980, bes. 185– 231; 371–406 [engl. Original 1965]; vgl. R. Schaeffler, Die religiöse Sprache, 138; Ders., Kleine Sprachlehre, 51; vgl. insbesondere Ders., Einführung in die Geschichtsphilosophie, Darmstadt 41991, 252–255; Ders., Art. »Erinnerung / Anamnese«, in: F. König – H. Waldenfels (Hg.), Lexikon der Religionen, Freiburg i. Br. 1987, 149–152. 72 Vgl. A. C. Danto, Analytische Geschichtsphilosophie, 230: »Die vollständige Erzählung [setzt; S. W.] eine narrative Organisation voraus, und narrative Organisierung ist etwas, das wir tun.« 73 R. Schaeffler, Kleine Sprachlehre, 51. 68 69

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Blickwinkels organisiert. Darin liegt für Danto die Aufgabe des Historikers schlechthin. 74 Schaeffler wertet den Akt des Erzählens nicht als ein banales Alltagsphänomen, als »small talk«, und auch nicht als ein Zeugnis menschlicher Geselligkeit, sondern als ein »doppeltes Experiment« von existenzieller Bedeutung. Man stelle sich vor, so Schaeffler, was es für einen Erzählenden bedeuten würde, wenn der Gesprächspartner sich an die »gemeinsame« Vergangenheit nicht mehr zu erinnern vermöchte. Entstehende Divergenzen über die Erinnerung der Vergangenheit oder gar das völlige Auseinanderfallen einer gemeinsamen Erinnerung kann unter Umständen dazu führen, dass der Erzählende sich seiner eigenen Vergangenheit nicht mehr sicher ist und in Erwägung ziehen muss, dass er einer grundlegenden Täuschung verfallen ist oder sich etwas einbildet. Der Extremfall des Erzählexperimentes wäre, dass sich im Scheitern dieser Sprachhandlung herausstellt, dass das Gegenüber überhaupt nicht die angenommene Person ist, sondern dass ein Missverständnis in der Person vorliegt. Sprachpragmatisch hieße dies, dass auch die Sprachhandlung der Namensanrufung rückblickend als gescheitert gelten muss. Schaeffler spricht vom »doppelten Experiment« des Erzählens, weil beide erzählten Geschichten – er geht hier der Einfachheit halber nur von einem Zweiergespräch aus – sich gegenseitig auslegen. Es ist der Versuch, die eigene Vergangenheit in der Erzählung des Anderen wiederzuerkennen beziehungsweise die eigene Geschichte in der des Anderen »unterzubringen«, um so ein Kriterium für die Objektivität des eigenen Erlebens zu erhalten. Denn, so Schaeffler weiter: »Nur jene Welt, die ganz die meine ist […], und sich dennoch nicht darin erschöpft, die meine zu sein […], gestattet mir diese Unterscheidung von Wirklichkeit und Traum.« 75 Die Auslegung der Namensanrufung in Erzählsequenzen hat, wie hier bereits anklingt, eine transzendentale Bedeutung für die Ich-Identität und die Welt-Kohärenz 76 der Gesprächspartner. Diese Reflexionen zur Pragmatik des Erzählens überträgt Schaeffler auch auf die Korrelation zwischen Mensch und Gott. Das zuletzt genannte Moment ist dabei von besonderem Interesse: Gebet ist das »Experiment«, die Geschichte des Beters und die (Heils-)GeVgl. A. C. Danto, Analytische Geschichtsphilosophie, 183, 230; R. Schaeffler, Einführung in die Geschichtsphilosophie, 253. 75 Ders., Kleine Sprachlehre, 55. 76 Vgl. ebd. 74

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schichte Gottes miteinander zu verknüpfen. Die Gegenwart des Beters soll im Blick auf die Verheißungen Gottes in der Vergangenheit »organisiert« und geordnet, die vergangene Geschichte Gottes mit seinem Volk auf die Gegenwart des gegenwärtig Betenden hin aktualisiert werden. Wie die Psalmen vielfach bezeugen, kann der Beter auf seine persönliche Vergangenheit und auf die seines Volkes verweisen (vgl. etwa Ps 132,1: »O Herr, denk an David, denk an all seine Mühen«) und Gott darum bitten, sie als Teil seiner Vergangenheit anzuerkennen. Ebenso kann der Beter die vergangenen Taten Gottes erinnern (vgl. etwa Ps 77,23: »Ich denke an die Taten des Herrn, ich will denken an deine früheren Wunder«), um daraus Hoffnung für seine Gegenwart und Zukunft zu gewinnen. 77 Das Erzählen der Geschichte Gottes setzt aber voraus, dass sie zumindest ansatzweise persönlich erfahren und zu einem Teil der eigenen Lebensgeschichte geworden ist. Dass dieses Experiment der Zuordnung dieser beiden »Geschichten« im Gebet auch misslingen kann, zeigen etwa alttestamentliche Texte, die im Umfeld der Exilserfahrung entstanden sind. Schaeffler denkt hier etwa an Psalm 137, der von der Unmöglichkeit spricht, in der Fremde Zionslieder zu singen. Die ausdrückliche Weigerung Gottes Lieder zu singen, zeigt gerade, dass dem Psalmisten die unüberbrückbare Diskrepanz zwischen der freudigen Erinnerung an die Vergangenheit und der gegenwärtigen Lage im Exil schmerzlich bewusst wird und er deswegen eher in Kauf nimmt, dass ihm »die Zunge am Gaumen klebe« (Ps 137,6), als dass er auf frevelhafte Weise einen Erzählkontext herstellt, der faktisch nicht besteht. 78 In der Auslegung der göttlichen Namensanrufung durch Erzählsequenzen organisiert sich also die Vergangenheit im Blick auf die Gegenwart so, dass der Beter erzählend nicht nur die Kontinuität seiner Lebensgeschichte erfährt, sondern daraus die Hoffnung schöpft, dass Gott sich auch gegenwärtig als der zeige, den er aus seiner Vergangenheit kennt. Schaeffler dazu zusammenfassend: »Das Erzählen der eigenen Lebensgeschichte, weil Gott in ihr an entscheidender Stelle vorkommt, und das Erzählen der göttlichen Taten, weil in dieser Geschichte Gottes der Beter selbst an entscheidender Stelle vorkommt, wird so zur Erprobung des Vertrauens, das sich auf die göttliche Zusage richtet.« 79 77 78 79

Dies sind die Beispiele, die Schaeffler selbst anführt. Vgl. ebd., 56 f. Vgl. dazu Ders., Kleine Sprachlehre, 58 f.; Ders., GuA, 116. Ders., Kleine Sprachlehre, 62.

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Das in der lebensgeschichtlichen Erfahrung gründende Vertrauen auf die göttliche Zuwendung wird für Schaeffler zum Paradigma für die Interpretation der Gebetsweisen des Dank- oder Bittgebetes. 80 Die öffentliche und gemeinschaftliche Namensnennung Als eine besondere Form der Akklamation thematisiert Schaeffler die »öffentliche und gemeinschaftliche Namensnennung«. 81 Er weist darauf hin, dass die öffentliche Nennung eines Namens eine vermittelnde Funktion für alle Gesprächsteilnehmer übernehmen kann. Dies geschieht etwa dann, wenn ein Sprecher seine persönliche Bekanntschaft mit einem Fremden öffentlich bekundet, den anderen Anwesenden die noch unbekannte Person mit Hilfe eines Funktionsnamens vorstellt und ihnen so gleichsam einen »Zugang« zu dieser Person schafft. Nicht alle Beteiligten haben in dieser Gesprächssituation bereits eine »gemeinsame Geschichte« mit dem Namen des Angerufenen, sondern nur ein einzelner Sprecher ist in der Lage, die Sprachhandlung der Akklamation zu vollziehen. Dieser Sprecher stiftet in seiner öffentlichen Namensnennung eine neue Form von Intersubjektivität und nimmt eine Stellvertreterrolle für die gesamte Kommunikationsgemeinschaft ein. Er ermöglicht den an der Kommunikation bislang Unbeteiligten ein Verständnis der vor ihren Augen stattfindenden Anredesituation und schafft ihnen so die Voraussetzungen, später selbst die Rolle des Sprechers einzunehmen oder die Akklamation gemeinsam zu vollziehen. 82 »[Die; S. W.] [ö]ffentliche Anrede unter Verwendung eines bestimmten Namens hat eine spezifische Weise von Intersubjektivität zustande gebracht.« 83 Schaeffler äußert sich nur sehr knapp zur Sprachhandlung der öffentlichen Namensnennung. Was gerade in aller Kürze angedeutet wurde, ließ sich an dem von Schaeffler angeführten Beispiel der öf-

Vgl. Kap. 4.4. Vgl. Ders., GuA, 117 f. 82 Vgl. das einfache Beispiel: »Ich begrüße in unserer Mitte meinen verehrten Lehrer N.N.« Ebd., 117. Durch den Funktionsnamen »mein verehrter Lehrer« bekommen die Kommunikationsteilnehmer die Möglichkeit, die angesprochene Person und das Verhältnis zwischen Sprecher und Angesprochenem einzuordnen. Mit Hilfe des ebenfalls genannten Personennamens können die Teilnehmer diese Person in der Folge selbständig »anrufen«. 83 Ders., GuA, 118. 80 81

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fentlichen Begrüßung eines Redners rekonstruieren. 84 Mit einer einzigen Schlussbemerkung gibt Schaeffler zu bedenken, dass dasselbe »auch und in besonderem Maße für die feierliche Ausrufung von Gottesnamen in der religiösen Gemeinde gilt« 85. Auch die Anrufung Gottes in der liturgischen Feier stiftet laut Schaeffler eine bestimmte Weise der Intersubjektivität innerhalb der Gottesdienstgemeinschaft und gibt die Regeln vor, wie gottesdienstlich zu sprechen und das Gesprochene zu verstehen sei. Auf der pragmatischen Ebene belässt es Schaeffler bei dieser thesenartigen Erklärung. Anhand einiger bislang kaum wahrgenommener Beiträge Schaefflers über die »Organe der christlichen Überlieferung«, über die Funktion des »Priesters als Vorbeter« und des »religiösen Sprachlehrers« ließen sich noch weitere Hinweise auf die pragmatische Dimension der öffentlichen und gemeinschaftlichen Akklamation Gottes darlegen. Diese sollen jedoch aus werkchronologischen wie systematischen Gründen im Kapitel über die intersubjektive Dimension des Gebetes zur Sprache kommen. 86

4.2.2 Die grammatische Betrachtung Die sprachpragmatischen Beobachtungen über verschiedene Varianten der Akklamation haben ergeben, dass es sich hierbei nicht um konventionelle Floskeln und vernachlässigbare »Vorspiele« zu einem darauf folgenden, inhaltlichen Austausch handelt. Es sind bedeutsame Sprachhandlungen, die eine Gesprächssituation eröffnen, die Art der Beziehung und die Regeln für das beginnende Gespräch definieren und letztlich die Formen der Subjektivität, des Objektbezuges und der Intersubjektivität konstituieren. 87 An Schaefflers Vorgehensweise fiel auf, dass er alltägliche Kommunikationsformen betrachtet und seine Einsichten über die Funktion von Sprache auf die religiösen Rede und Anrede Gottes überträgt. Inwiefern aber lasVgl. ebd. Ebd. 86 Vgl. Ders., Freiräume. Kriterien einer verantwortlichen liturgischen Textgestaltung am Beispiel von sprachlichen Formen der Gottesdiensteröffnung, in: Gottesdienst 25 (1991), Heft 14–15, 105–109; Ders., Der Priester als Vor-Beter und Fürbitter; sowie Ders., PhE III, 40–55; 480–491. Vgl. Kap. 6.4. 87 Vgl. R. Schaeffler, GuA, 119–121. Was dies genau zu bedeuten hat, wird Schaeffler später unter transzendentalphilosophischen Vorzeichen herausarbeiten. 84 85

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sen sich zwischenmenschliche und profane Sprachhandlungen in pragmatischer Hinsicht mit dem Akt des Gebetes vergleichen? Gemäß der Verknüpfung der semiotischen Disziplinen lässt sich dieses Vorgehen nicht aus der pragmatischen Betrachtung selbst rechtfertigen. Es bedarf einer grammatischen Analyse, um den »spezifisch religiösen Handlungscharakter« der Du-Anrede Gottes und dessen propositionalen Gehalt feststellen zu können. 88 Der Gruß und die grammatische Form der Kausativ-Akklamation Schaeffler macht die Beobachtung, dass die religiöse Form des Grußes an die Gottheit sehr häufig mit Hilfe einer grammatischen Besonderheit ausgedrückt wird: Mit einer sogenannten Kausativ-Akklamation. Es handelt sich dabei vor allem um Tätigkeitsnomina, die aus Verben gebildet werden. Die grammatische Eigenheit des »Kausativs« liegt darin, dass hier nicht eine göttliche Eigenschaft oder Tätigkeit zum Inhalt des Grußes wird, sondern dass Gott gegrüßt wird als einer, »der macht, dass ein anderer etwas macht« 89. In der hebräischen Sprache gibt es für eine solche Beschreibung des ermächtigenden Wirkens einen eigenen Verbstamm, den »Kausativstamm« und die daraus gebildete Verbform, das sogenannte »Hif’il«, beziehungsweise in passiver Variante das »Hof’al«. 90 Im »Kausativ« wird Gott vom Beter grüßend angerufen als derjenige, der den Menschen dazu befähigt, selbst tätig zu werden. Seine Macht zeigt sich darin, dass er den Menschen »ermächtigt«. »Daß Gott etwas tut, heißt nicht, dass der Mensch nicht machen kann; daß der Mensch etwas bewirken kann, heißt nicht, dass Gott in seinem Wirken innehält, sondern Gottes Macht zeigt sich darin, daß er den Menschen ermächtigt, sein Tun wird darin deutlich, daß Menschen etwas tun können.« 91 Vgl. ebd., 122. Vgl. Kap. 4.1.2. Ebd., 123. Vgl. zum folgenden auch: Ders., Neue Aspekte, 175; Ders., Kleine Sprachlehre, 35 f.; Ders., Adiutorium nostrum, 36. 90 Vgl. E. Jenni, Lehrbuch der hebräischen Sprache des Alten Testaments, Basel – Frankfurt a. M. 21981, 140 ff. »Das Hi [’fíl; S. W.] hat gegenüber dem Grundstamm kausative Bedeutung, d. h. das Subjekt veranlaßt ein Objekt zu dem im Grundstamm ausgesagten Vorgang, bzw. zu der im Grundstamm ausgesagten Handlung.« Ebd., 142. Als Beispiele führt Jenni an: Die Wurzel »‫ «קרב‬bedeutet im Grundstamm »sich nähern«, im Hif’il aber »etwas sich nähern lassen«; Die Wurzel »‫ «שׁמע‬bedeutet »hören«, im Hif’il »jemanden etwas hören lassen«. 91 Ders., Adiutorium nostrum, 36. Schaeffler stellt nebenbei die kühne These auf, dass man sich womöglich einige theologische Probleme im Umfeld des Gnadenstreites 88 89

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Die Kausativform beschreibt grammatisch die besondere »Synergie« von Gott und Mensch, die sich in anders strukturierten Sprachen, wie etwa mit dem deutschen Hilfsverb »lassen«, nur schwer ausdrücken lässt. 92 Schaeffler entdeckt die Form der Kausativ-Akklamation nicht nur im alttestamentlichen Umfeld, sondern auch in anderen Religionen. So verweist er zum Beispiel auf die Akklamationen in einem Loblied auf Bacchus aus Sophokles’ »Antigone«. 93 Mit besonderem Interesse und einer nicht zu verbergenden Entdeckerfreude hat Schaeffler sich mit den »Sondergöttern« und »Augenblicksgöttern« der altrömischen Volksreligion auseinandergesetzt. Er rekurriert dazu auf die breit angelegte religionswissenschaftliche Studie von Hermann Usener über Götternamen. 94 Usener listet eine Vielzahl von römischen »Sondergöttern« auf, die im Alltag angerufen werden konnten, um die Tätigkeit des Menschen zu begleiten. Im Bereich der bäuerlichen Feldarbeit nennt Usener allein 12 Götter oder »Genien«, die vom ersten Durchackern des Bodens (dafür steht der »Vervactor«, der »Frühjahrs–Brachenbrecher«) bis hin zur Wiederherausgabe der eingefahrenen Frucht aus der Scheune (mit Hilfe des »Promitor«) angerufen wurden. 95 Usener meint, dass zumindest ein Teil dieser unüberschaubaren Menge von Göttern »für den italischen Landmann Persönlichkeit und Bedeutung besessen« 96 habe. Die kausative Verwendung dieser Akklamation drückt sich in der Praxis dadurch aus, dass das Anrufen des Gottes nicht etwa anstelle der bäuerlichen Tätigkeit, sondern als deren Begleitung geschieht. Schaeffler betont, dass der Bauer vom angerufenen Sondergott keine wunderhätte ersparen können, wenn man die biblisch begründete und für den Betenden einsichtige Denkform bewahrt hätte, die Fähigkeit menschlichen Wirkens zugleich als die Manifestation göttlichen Wirkens zu verstehen. Vgl. ebd.; Ders., Die Vielfalt der Weisen religiöser Wahrheit, 86. 92 Vgl. Ders., Sprache als Bedingung und Folge der Erfahrung, 28 f. Die deutsche Formulierung, »Gott lässt uns etwas tun«, birgt eine »hinderliche Mehrdeutigkeit«, die zwischen dem hier intendierten aktiven »Lassen« einer kausativen Befähigung und der sinnentstellenden Lesart im Sinne des »gewähren Lassens« oder »nicht Verhinderns« schwankt. 93 Vgl. Ders., Die Vielfalt der Weisen religiöser Wahrheit, 84, 86 f. 94 H. Usener, Götternamen. Versuch einer Lehre von der religiösen Begriffsbildung, Bonn 1896. Die konsequente Kleinschreibung in diesem Werk wurde der geltenden Orthographie entsprechend angeglichen. 95 Vgl. H. Usener, Götternamen, 76. 96 Ebd., 77. Beten denken

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same Ergänzung seiner unzureichenden Arbeitskraft erwartete. Die Anrufung eines Gottes und die Eigentätigkeit des Anrufenden gehen gleichzeitig miteinander einher. »Nicht abseits vom menschlichen Wirken oder in seinen Lücken wirkt die göttliche Macht, sondern darin, daß sie Menschen zu ihrem wirksamen Tun ermächtigt«. 97 Rein grammatisch betrachtet ließe sich die beschriebene Form des Kausativs ebenso gut als eine Selbstbezeichnung des handelnden Menschen verstehen. Unter sprachpragmatischem Gesichtspunkt jedoch handelt es sich, so Schaeffler, eindeutig um eine Akklamation. Der Anruf der Gottheit stellt eine religiöse Beziehung her und lässt den handelnden Menschen in seiner eigenen Tätigkeit das Wirken der angerufenen Macht erkennen. 98 Die Benennung und die grammatische Form des Partizipialnamens Das sprachpragmatische Spezifikum der Namensanrufung wurde in der Verknüpfung der aktuellen Begegnung mit einer erinnerten Vergangenheit erkannt. Genau besehen handelte es sich bei den römischen Sondergöttern bereits um Fälle eindeutiger Namensanrufungen, da sie im Gegensatz zu den »Augenblicksgöttern« 99 wiederholt, zumindest jährlich, angerufen werden konnten. Als typische grammatische Form der »acclamatio nominis Dei« erkennt Schaeffler die »Partizipialnamen«. Auch das Partizipium ist eine aus dem Verb abgeleitete Nominalform, die jedoch ihre verbale Herkunft noch klar erkennen lässt. So wird grammatisch deutlich, dass der Angerufene als ein Handelnder angerufen wird, der immer noch »am Werk« ist und an seiner Handlung wiedererkannt werden kann. Um das Kontinuum einer Handlung zwischen Erinnerung und gegenwärtiger Identifizierung adäquat auszudrücken, bedient sich die Gebetssprache der Form des Partizips: Gott ist der »Machende«, der »Schaffende«, »Tröstende«, »Befreiende« etc. Diese präsentischen Partizipien verselbständigen sich bisweilen so sehr zu Eigennamen, dass der verbale Ursprung in den Hintergrund tritt. Als Beispiel nennt Schaeffler die R. Schaeffler, GuA, 124. Vgl. ebd., 125. 99 Vgl. H. Usener, Götternamen, 279. Nach Usener deuten »Augenblicksgötter« auf eine noch ursprünglichere Stufe der archaischen Religion. »In voller Unmittelbarkeit wird die einzelne Erscheinung vergöttlicht, ohne dass ein auch noch so begrenzter Gattungsbegriff irgendwie hineinspielte: das eine Ding, das Du vor Dir siehst, das selbst und nichts weiter ist der Gott.« Ebd., 280. 97 98

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aus einem Osterlied entnommene Akklamation »Du Sieger auf Golgatha«. 100 Christus wird hier nicht nur als derjenige angerufen, an dessen siegreiches Handeln sich der Beter erinnert, sondern das »Siegen« ist ihm so sehr zur bleibenden Eigenschaft geworden, dass das abgeleitete »Nomen« zum Namen wird; bei diesem Eigennamen kann er gerufen werden, um auch heute siegreich zu wirken. 101 Ähnliches gilt für die Beobachtung, dass Gott in Hymnen selbstverständlich als der »Schöpfer« angerufen wird. Seine »Tätigkeit«, die Welt zu erschaffen, ist ihm so sehr zu eigen und vom Beter aktuell erfahrbar, dass er ihn bei diesem Namen gleichsam herbeirufen und betend hoffen kann, dass seine Hilfe weiterhin im Namen des »Himmel und Erde Erschaffenden« steht (vgl. Ps 124,8). 102 Schaeffler bezeichnet diese Verwendung des Partizips einmal als eine Art religiösen »Energieerhaltungssatz«. Gott wird als derjenige angerufen, der in verschiedenen Erscheinungsformen und zu unterschiedlichen Zeitpunkten der Handelnde ist. Er ist sozusagen stetig »am Werk« (»en ergo einai«). 103 Um seine Beobachtung zu untermauern, zieht Schaeffler partizipiale Wendungen aus dem Alten Testament heran. In der Übersetzung der lateinischen Vulgata wird die Partizipialform in vielen Fällen grammatisch noch unmittelbar greifbar. In Psalm 113,7 heißt es etwa, Gott handle »emporhebend den Schwachen von der Erde und aus dem Schmutz aufrichtend den Armen« 104; und ein Vers aus dem »Lied der Hanna« aus dem ersten Samuelbuch lautet: »Der Herr ist arm-machend und reich-machend, erniedrigend und erhöhend« (1 Sam 2,7). Im Hebräischen stehen hierfür jeweils Partizipien im kausativen Modus des Hif’il. In der Exegese spricht man in diesem Zusammenhang auch vom »hymnischen Partizipialstil«, den Schaeffler der Sache nach auch dort noch zu erkennen glaubt, wo die gram-

100 Vgl. GL 780 (Ausgabe Diözese Münster), Text von Chr. B. Verspoell, 1810; vgl. R. Schaeffler, Adiutorium nostrum, 37. 101 Grammatisch korrekt ist »Sieger« allerdings kein Partizipialname (dies wäre »der Siegende«), sondern ein »Nomen agentis«. Dies ändert freilich nichts an der Aussage, um die es Schaeffler hier geht. 102 Vgl. Ders., Der Beter, der Gott und seine Welt, 573; Ders., Kleine Sprachlehre, 37. 103 Vgl. Ders., GuA, 130 f. 104 »Suscitans a terra inopem et de stercore erigens pauperem.« Vgl. Vulgata Ps 112,7 (!) entsprechend der Übersetzung der Septuaginta; vgl. Ders., Die Vielfalt der Weisen religiöser Wahrheit, 85; Ders., GuA, 191 f.

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matische Form sich im Griechischen oder Lateinischen nicht mehr als Partizip zeigt. 105 In der lateinischen Sprache gottesdienstlicher Orationen wird der hymnische Partizipialstil, also die grammatische Form des Partizips, häufig in einen Relativsatz aufgelöst. Die übliche Einleitungsformulierung lautet »Deus, qui …« – worauf jeweils die vergangenen Tätigkeiten Gottes als gegenwärtig erfahrbare und bedeutungsvolle formuliert werden. 106 Schaeffler macht dies am Beispiel einer Oration der Osternacht deutlich, die ihrem Inhalt nach besonders geeignet erscheint, das semantische Potential dieser grammatischen Redeweise hervorzuheben. Dort heißt es: »Gott, dessen Großtaten im Urbeginn wir auch in unserem Zeitalter blitzartig aufleuchten sehen …« (»Deus, cuius antiqua miracula etiam nostris temporibus coruscare sentimus …«) 107. Der Partizipialstil, der laut Schaeffler den Relativkonstruktionen der römischen Orationen zugrunde liegt, vermag als Sprachhandlung des Gebetes vergangene Erinnerung, gegenwärtige Anrufung und auch künftige Hoffnung zur Einheit zu verbinden. Es handelt sich also nicht nur um ein Vergleichen der alten Taten mit ähnlichen Erfahrungen aus der Gegenwart des Beters, sondern vielmehr – wie die Oration formuliert – um ein »blitzartiges Aufleuchten« der Großtaten Gottes in der Gegenwart des Beters. Schaeffler interpretiert die Sprachgestalt dieser Oration so: »Wer so spricht, erkennt im Wechsel seiner ›Sensationes‹ die neue Gegenwart der ›antiqua miracula‹ wieder, knüpft so gegenwärtige Erfahrung an erinnerte Vergangenheit an, schreibt erinnerte Vergangenheit und gegen105 Der zitierte Vers aus dem ersten Samuelbuch erinnert auch an das »Magnifikat« (Lk 1,53 f.): »Er stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen. Die Hungernden beschenkt er mit seinen Gaben und lässt die Reichen leer ausgehen.« Schaeffler schreibt dazu: »So darf man auch dort, wo das Magnifikat Vergangenheitsformen des Verbums benutzt […] den hymnischen Partizipialstil der Vorlage noch hindurchklingen hören. […] Jeder Erzählinhalt wird ihr [der Beterin, Maria; S. W.] zum Anrufungsnamen, weil ihr Gott und sein Wirken an den frühesten Vätern noch an spätesten Generationen so wirksam wird, daß er ihnen anredend begegnet und dadurch die antwortende Namensanrufung möglich macht.« Ders., GuA, 192. 106 Vgl. dazu R. Schaeffler, »Der Herr ist meine Kraft und mein Lied«. Der Hymnengesang als Paradigma für die Verhältnisbestimmung von Religion und Kultur, in: L. Hauser – E. Nordhofen (Hg.), Im Netz der Begriffe, Altenberge 1994, 22–32. 107 Ders., GuA, 129; Ders., Kleine Sprachlehre, 28 f. Die offizielle Übersetzung dieser Oration nach der dritten Lesung (Ex 14,15–15,1) gibt diesen semantischen Aussagegehalt nur schwach wieder: »Gott, deine uralten Wunder leuchten noch in unseren Tage …« Vgl. Schott-Messbuch, Lesejahr A, Freiburg i. Br. 1983, 218.

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wärtige Erfahrung dem identischen Wirken des gleichen Gottes zu, der damals und heute der so Handelnde war und ist.« 108

Dieses bleibende Handeln Gottes im Wandel der Zeit drückt sich grammatisch durch das Partizip eines Tätigkeitsverbs aus. Die Verknüpfung von Gruß und Benennung und die Partizipialform des Kausativs Wenn es zutrifft, dass die Akklamationsformen des Grußes und der Namensnennung im Gebet meist in einer einzigen Sprachhandlung vollzogen werden, ist es angesichts der bereits angestellten grammatischen Beobachtungen naheliegend zu vermuten, in welcher grammatischen Form sich diese Kombination ausdrücken würde: in einer Partizipialform des Kausativs. In der hebräischen Sprache liegen die sprachlichen Mittel vor, um diese grammatische Form zu bilden – und in der Tat finden sich solche Anrufungen Gottes nach Schaefflers Urteil »auffallend häufig« 109. Der logischen Struktur nach wird Gott hier angerufen als »der Machende, daß ein anderer etwas macht«. Schaeffler führt zwei Beispiele für das »participium causativi« an: 110 Das Gedächtnis und die Vergegenwärtigung des Exodus-Geschehens gilt im jüdischen Kontext als das charakteristische Zeichen des Handelns Gottes schlechthin. Gott kann daher bleibend bezeichnet werden als: »Educens nos de terra Aegypti« 111 (Dtn 8,14). Dem hebräischen Text getreu übersetzt Schaeffler: Gott ist der »Machende, daß wir aus Ägypten gehen können«. Der Sinngehalt dessen, was das kausative Partizip grammatisch ausdrückt, entspricht genau dem, was im jüdischen Pessachfest jährlich betend gefeiert wird: Gott hat »die Seinen nicht nur in ferner Vergangenheit einmal aus Ägypten geführt, sondern jeweils wenn er da ist, erweist er sich als Befreier aus dem Sklavenhaus« 112. Als zweites führt Schaeffler ein nicht weniger Ders., GuA, 129. Ebd., 133. Bereits das oben genannte Beispiel aus 1 Sam 2,7 hatte diese grammatische Form, obwohl Schaeffler es nicht als Beispiel für ein »participium causativi« heranzog, vermutlich weil der kausative Modus dieses Verses nicht allzu deutlich hervorsticht. 110 Vgl. zum Folgenden ebd., 133 f.; Ders., Die Vielfalt der Weisen religiöser Wahrheit, 85 f. In aller Kürze: Ders., Neue Aspekte, 175. 111 Schaeffler gibt so die hebräische Partizipialkonstruktion »‫«ַהמּוִֹציֲאָך ֵמֶא ֶרץ מְצ ַר ִים‬ wieder. Vgl. Ders., Die Vielfalt der Weisen religiöser Wahrheit, 85 f. 112 Ebd. 108 109

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einprägsames Beispiel an, wiederum aus dem Lied der Hanna: Gott ist »der Machende, daß Menschen sterben und der Machende, daß Menschen leben«. 113 Das ganze Leben wird hier zum Zeugnis dafür, dass Gott derjenige ist, der hinter all unserem Machen der Ermächtigende ist. Das kausative Partizip in der hebräischen Sprache vermag dies auszudrücken. Als Anrufung Gottes bringt diese grammatische Form zum Ausdruck, dass der Beter hier mit dem Ermöglichungsgrund seines Lebens selbst in Beziehung tritt. Schaeffler zieht aus diesen grammatischen Beobachtungen eine Konsequenz, die für die Möglichkeitsbedingung der Namensanrufung allgemein bedeutsam wird. Die Verknüpfung von Kausativ und Partizipialform weist darauf hin, dass die wirksame Sprachhandlung des Gebetes selbst – dass nämlich der Beter Gott grüßend beim Namen nennen kann – ein Zeugnis dafür ist, wie Gott gegenwärtig und bleibend »macht«, dass der Beter ihn als ebendiesen »Gegenwärtigund-bleibend-Machenden« anrufen darf: »Der Gott wird nicht nur, partizipial, als der Bleibend-Wirkende im Wechsel der Erscheinungsformen seines Wirkens erkannt und überdies […] [kausativ; S. W.] als der Ermächtigende angerufen, der im menschlichen Wirken und in seiner Wirkung sich gleichermaßen manifestiert. Vielmehr ist die Namensanrufung selbst, als vom Menschen vollzogene Handlung, jetzt als ermächtigtes Wirken verstanden, und die Wiederkehr der göttlichen Urtaten in immer neuer Gestalt erscheint als vermittelt durch das wirksame Wort, zu dem der Gott den Menschen ermächtigt. Wo der Mensch so Gott beim Namen ruft, wird er selbst als Sprecher zum Werkzeug seiner wirksamen Parusie.« 114

An dieser Stelle greifen sprachanalytisches und transzendentales Denken erstmals so ineinander, dass die zirkuläre Struktur des Gebetsaktes aufscheint, die an späterer Stelle noch ausdrücklicher herausgearbeitet werden soll. 115

So Schaefflers Übersetzung von Hebr. 1 Sam 2,6 (»‫« ְיה ָוה ֵמִמית וְּמַח ֶיּה מוֹ ִריד ְשׁאוֹל ַו ָיַּעל‬ – jeweils partizipiale Hif’il-Verbformen). Vgl. Ders., GuA, 133. In der Einheitsübersetzung ist bedauerlicherweise weder die partizipiale noch die kausative Struktur dieses Verses erhalten: »Der Herr macht tot und lebendig, er führt zum Totenreich hinab und führt auch herauf.« Vgl. Ders., Die Vielfalt der Weisen religiöser Wahrheit, 86; Ders., Kleine Sprachlehre, 30 f. 114 Ders., GuA, 133 f. 115 Vgl. Kap. 4.6. 113

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Die öffentliche und gemeinschaftliche Namensnennung und der Gebrauch von Possessivpronomina Die öffentliche und gemeinschaftliche Akklamation Gottes im liturgischen Kontext konstituiert und regelt das intersubjektive Sprachverhalten aller am gemeinsamen Gebet oder Gottesdienst Beteiligten, so das Ergebnis der pragmatischen Analyse. Diese spezifische Sprachhandlung geht laut Schaeffler in grammatischer Hinsicht mit der häufigen Verwendung von Possessivausdrücken einher. Wie Schaeffler zu dieser These kommt, wird meines Erachtens nicht hinreichend deutlich. Greift Schaeffler doch zur Erläuterung allein auf das profane Beispiel der öffentlichen Begrüßung eines Redners zurück, etwa im Beispiel: »Ich begrüße in unserer Mitte meinen verehrten Lehrer, unseren hochgeschätzten Kollegen NN [Hervorhebung S. W.].« 116 In dieser exemplarischen Situation werden zwar die signifikante Verwendung von Possessivpronomina und die damit einhergehende Konstituierung einer Gesprächssituation überaus deutlich. Jedoch bleibt Schaeffler die Begründung schuldig, inwiefern diese im akademischen Kontext geläufige Redeweise samt ihrer grammatischen Implikationen auch in der liturgischen Anrufung Gottes zu beobachten ist. Dessen ungeachtet sind Schaefflers grammatische Überlegungen zum Gebrauch von Possessivpronomina in der Gebetssprache von höchstem Interesse, nicht zuletzt weil sie die Grundlage für seine spätere Hauptthese der »Subjektkonstitution« im Gebet bilden. 117 Zunächst führt Schaeffler eine feine grammatische Unterscheidung ein: Er spricht von »possessiven Fremdbezeichnungen« und von »possessiven Selbstbezeichnungen«. Der Terminus Fremdbezeichnung meint hier nicht etwa ein Possessivpronomen in der zweiten Person (dein/e), sondern schlicht den Fall, dass ein Possessivpronomen der ersten Person (mein; unser) sich auf eine andere Person oder Sache bezieht – die eben in einer Relation zum Sprecher steht. Die Akklamation »Mein Gott, mein Gott …« (Ps 22,2), aber auch die Formulierungen »mein Heil«, »mein Fels« sind demnach possessive Fremdbezeichnungen, während das Possessivpronomen etwa im Psalmvers »Meine Seele dürstet nach Dir« (Ps 63,2) oder in WendunDers., GuA, 137. Vgl. ebd., 136 f. Schaeffler nennt und analysiert zwar daraufhin herausragende Beispiele für die Verwendung von Possessivpronomina in der Gebetssprache. Es wird jedoch nicht recht ersichtlich, weshalb diese mit der »öffentlichen und gemeinschaftlichen Namensanrufung« zusammenhängen. 116 117

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gen wie »mein Leben«, »mein Denken, »mein Herz« etc. den Sprecher beziehungsweise Beter selbst bezeichnen. 118 Schaeffler weist anhand von biblischen und liturgischen Texten nach, dass possessive Selbst- und Fremdbezeichnungen in der religiösen Sprache häufig vorkommen und eine wichtige Funktion einnehmen. Diese Beobachtung erklärt sich meines Erachtens schon aufgrund einer einfachen Überlegung: Wenn der Gebetsakt, wie Schaeffler stets betont, tatsächlich als sprachlich fassbare Korrelation zwischen Mensch und Gott anzusehen ist, dann ist es naheliegend, dass sich diese wechselseitige Beziehung grammatisch durch Begriffe des Verhältnisses und der Zugehörigkeit ausdrückt – eben durch das, was »possessiv« empfangen und geschenkt wird. Schaeffler greift in diesem Kontext eine Theorie Ernst Cassirers auf, gemäß der Possessivpartikel einer sprachgeschichtlich älteren Entwicklungsstufe angehören als Personalpronomina. 119 Der Unterschied zwischen »Gegenständlichem« und »Geistigem«, so Cassirer, wird mit Hilfe der »Idee des Besitzens« überbrückt. Cassirer schreibt: »Auch dort, wo die Sprache den Gedanken [Hervorhebung S. W.] des Ich bereits bestimmt ausprägt, wird sie ihm daher zunächst noch eine gegenständliche Fassung und Formung geben müssen.« 120 Genau diese Funktion einer sprachlichen Zwischenform nehmen die possessiven Pronomina ein. »Was besessen wird, ist ein Ding oder Gegenstand: ein Etwas, das sich schon durch die Tatsache, daß es zum Besitzinhalt wird, als bloße Sache zu erkennen gibt. Aber indem nun eben diese Sache als Eigentum erklärt wird, erhält sie damit selbst eine neue Eigenheit, rückt sie aus der Sphäre des bloß natürlichen in die des persönlich-geistigen Daseins. Es ist also gleichsam eine erste Belebung, eine Verwandlung der Seinsform in die Ichform, die sich hier ankündigt. Auf der anderen Seite erfaßt sich das Selbst hier noch nicht in einem freien und ursprünglichen Akt der Selbsttätigkeit […], sondern schaut sich sozusagen im Bild des Gegenstandes, den es sich als den ›seinigen‹ zueignet. Diese Vermittlung des rein ›personalen‹ durch den ›possessiven‹ Ausdruck zeigt sich nach der psychologischen Seite hin in der Entwicklung der Kindersprache, in welcher die Bezeichnung des eigenen Ich 118 Warum es einen Unterschied macht, dass der Psalmist nicht einfach »ich« sagt, wird noch deutlich werden. 119 Schaeffler bezieht sich vermutlich auf eine Stelle bei Cassirer, wo dieser mit sprachphilosophischen Mitteln die Differenz von Objekt und Subjekt beschreibt. Vgl. E. Cassirer, Philosophie der symbolischen Formen I, 225–233. 120 Ebd., 225 f.

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weit früher durch possessive als durch personale Pronomina zu erfolgen scheint.« 121

Nicht allein der Prozess des kindlichen Spracherwerbs, sondern vor allem linguistische Untersuchungen der allgemeinen Sprachgeschichte scheinen Cassirers Theorie zu bekräftigen. 122 Schaeffler hält sich bei der Bewertung dieses Befundes weise zurück, vor allem was Cassirers Deutung betrifft, Possessivpronomina seien im Grunde sprachliche Archaismen. Die Formulierung »meine Seele« – anstatt einfach »ich« – ist in den Psalmen vielfach nachzuweisen. Schaeffler stellt fest, dass diese eigentümliche Redeweise, die gleichsam einen Dialog des »Ich« mit sich selbst ermöglicht, 123 besonders häufig in Texten aus der antiken ägyptischen Religion vorkommt, und bezeichnet sie daher als »Ägyptizismus«. Die wohl bekannteste Stelle aus dem Neuen Testament ist der Beginn des »Magnifikat«: »Meine Seele preist die Größe des Herrn« (Lk 1,46 f.). Hier, wie im Übrigen im gesamten Loblied Mariens, kommt das Pronomen »ich« nicht vor. Stattdessen heißt es: »Meine Seele«, »mein Geist«, »seine Magd« … 124 Schaeffler hält es sprach- und religionsgeschichtlich für denkbar, dass eine ägyptische Sprachgewohnheit in den Psalter und sogar bis in diesen neutestamentlichen Hymnus Einzug gehalten habe, und dass sich ganz allgemein ältere Sprachformen in Gebetstexten länger zu halten vermögen als in profaner Rede. Dennoch ist die Verwendung der possessiven Selbstzeichnung im Magnifikat – obwohl das Personalpronomen der ersten Person Singular zur Verfügung gestanden hätte – für Schaeffler mehr als »ein bloßer Nachklang archaischer und spe-

Ebd., 226. Cassirer zeigt an einem Beispiel des sogenannten »ural-altaischen Sprachkreises« ein Sprachstadium vor der »scharfen Ausbildung des Ichbegriffs«, bei dem Personalund Possessivpronomen noch austauschbar verwendet werden. Die Konjugation »ich baue, du baust, er baut« ist sprachlich genau gleich strukturiert wie »mein Haus, dein Haus, sein Haus«. Vgl. ebd., 226 f. Es liegt nahe, dass Schaeffler diese sprachgeschichtlich interessante Erkenntnis mit einem Seitenblick auf Cohen und auf die dialogische Sprachphilosophie Bubers und Rosenzweigs hervorhebt. Vgl. R. Schaeffler, GuA, 175. 123 Vgl. Ps 103,2: »Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiß nicht, was er Dir Gutes getan hat«; oder auch Ps 40,6: »Meine Seele, warum bist Du so betrübt und bist so unruhig in mir« [Hervorhebungen S. W.]. Vgl. Ders., GuA, 167. 124 Vgl. die Ausführungen zum ersten Vers in Schaefflers Magnifikat-Interpretation: Ebd., 165–176. 121 122

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ziell ägyptischer Sprachgewohnheiten« 125. Die Beterin, so interpretiert Schaeffler, bringt durch das Possessivpronomen »mein« zum Ausdruck, dass sie die Fähigkeit zu sprechen und zu beten – nämlich »das zu sagen, was sie sagt, das zu erfahren, was sie erfährt, das anzuschauen, zu begreifen und zu erkennen, was ihr begegnet – und in alledem ›Gott groß zu machen‹« 126 – nicht aus sich heraus besitzt, sondern als ein »empfangenes Eigentum«. 127 Ein weiteres Exempel possessiver Selbst- und Fremdbezeichnung zieht Schaeffler in diesem Zusammenhang häufig heran. Es ist der im Alten Testament dreifach belegte Vers »Meine Stärke und mein Lied ist der Herr, er ist für mich zum Retter geworden« 128. Schaeffler weist darauf hin, dass im hebräischen Wortlaut nicht, wie beispielsweise im Magnifikat, einfach vom »Retter« die Rede ist, sondern der Gott hier wörtlich »zur Rettung geworden« sei. Um die sprachliche Einheit wie diesen grammatischen Bruch zu erhalten, übersetzt Schaeffler wörtlich: »Der Herr ist meine Kraft und mein Lied und ist mir zur Rettung geworden.« 129 In diesem grammatischen und syntaktischen Detail vermutet Schaeffler eine semantische Aussageabsicht: »Die Kraft, mit der ich wirke, stammt vom Herrn; das Lied, das ich singe, hat ihn zum Thema« 130 – in allem aber, was der Mensch hier tut, erlebt er die Manifestation des Gottes, den er anruft. Die Kraft zu leben und die Fähigkeit, Gott im Lied anzurufen, ist ein und dieselbe Kraft, die laut possessiver Fremdbezeichnung »der Herr« ist. »Daß er [der Beter; S. W.] sein Lebenkönnen und sein Singenkönnen als Manifestation Gottes begreift und benennt, […] stiftet für ihn jene Gottesgemeinschaft, von der er sagen kann, sie ›ist ihm zur Rettung‹ geworden.« 131 Die grammatisch-semantische Analyse Ebd., 169. Ebd., 170. 127 Vgl. ebd. Im Weiteren baut Schaeffler diese These inhaltlich aus, indem er die etymologische Bedeutung von »Seele« (»‫ – « ֶנֶפשׁ‬als das dem Individuum aus dem Unumgrenzten zugeeignete Leben; entspricht der eingeatmeten Luft) und »Geist« (»‫ – «רוַּח‬als Träger des vom Individuum ins Unumgrenzte hinausgerufene Wort; entspricht der ausgeatmeten Luft) beschreibt und dieses Zueinander religionsphilosophisch deutet. Vgl. ebd., 172 f. 128 Hebräisch: »‫«צ ִזּי ְו ִזמ ָרת ָיהּ ַו ְיהי־לי לישׁוּעה‬. Vgl. Ex 15,2a // Jes 12,2b // Ps 118,14. ָ ִ ִ ִ ַ ָ ְ 129 Vgl. Ders., Kleine Sprachlehre, 31, 62; Ders., GuA, 139; Ders., Adiutorium nostrum, 36. Die zuvor zitierte Einheitsübersetzung teilt hingegen die syntaktische Einheit des Verses. 130 Ders., GuA, 140. 131 Ebd., 141. 125 126

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der religiösen Verwendung der Possessivpronomina in diesem Vers führt Schaeffler zu einer grundsätzlichen Aussage über die Akklamation Gottes und über das Beten allgemein: »Ihn anrufen können und gerettet werden, ist eins.« 132 Diese Aussage könnte man ebenso auf die Sprachhandlung des Erzählens ausweiten: Gottes Taten im Lied zu erzählen und gerettet werden, sind eins. Ungeklärt bleibt bei Schaefflers Interpretation des Possessivpronomens in der religiösen Sprache die eingangs aufgeworfene Frage, warum dieses grammatische Phänomen mit der Sprachhandlung der »öffentlichen und gemeinschaftlichen Namensnennung« korrespondiert. Tatsächlich ist es doch gerade die persönliche Korrelation zwischen »Ich« und »Du«, zwischen dem Beter und seinem Gott, die hier zur Sprache gebracht wird. Dennoch gilt für alle genannten Beispiele nicht weniger, dass sie ihren »Sitz im Leben« einer Glaubensgemeinschaft und im Kontext der Liturgie haben. Der persönliche Gottesbezug eines Sprechers und die überlieferten Gebetsworte eines Glaubenszeugen eröffnen die Korrelation stellvertretend auch für andere und für potentiell neue Mitglieder des »religiösen Sprachspiels« und ermöglicht ihnen, diese Sprachhandlungen ebenfalls zu vollziehen und in die wiederum je persönliche Korrelation einzutreten. Im Duktus des zuletzt behandelten Verses deutet Schaeffler diesen Vorgang so: »Indem der Sprecher diesen Gruß an Gott, dem er Kraft und Lied verdankt, öffentlich ausspricht, übernimmt er eine spezifische soziale Rolle: die Rolle dessen, der weitergibt, was ihm zugeeignet wurde, damit andere ebenso wie er zum Sprechen und Loben, zum Grüßen der Gegenwart Gottes und seiner ermächtigenden Macht befähigt werden.« 133

Ungeachtet der intersubjektiven Funktion der possessiven Wendungen in der Gebetssprache wurde in Schaefflers Interpretation dieses alttestamentlichen Verses vor allem eines deutlich: Dass Beten nicht einfach in der »Ich-Form« beginnt, sondern dass der Beter das »IchSagen« erst einmal lernen muss und sich selbst dabei als ein »Widerfahrnis der Zueignung« 134 erfährt. Dieser theologisch folgenreiche 132 Ders., Adiutorium nostrum, 36. Hier deutet sich wiederum die These der »Subjektkonstitution« an. Schaeffler schreibt: »durch die Kraft und das Lied und die Rettung, die ›sein‹ werden, wird er [der Beter; S. W.] erst der, der er nun ist.« Ders., GuA, 141. 133 Ebd., 142. 134 Ebd., 144.

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Gedanke geht zweifellos über eine grammatische Betrachtung hinaus und verweist auf die semantische und schließlich transzendentale Analyse der Gebetssprache.

4.2.3 Die semantische Betrachtung Schaefflers semantische Betrachtung der religiösen Sprache will nicht einfach die religiösen »Zeichen« im Zusammenhang mit dem damit »Bezeichneten« untersuchen und so gleichsam das Inventar der religiösen Sprache analysieren. 135 Es geht ihm von vorneherein um die transzendentale Semantik religiöser Sprachhandlungen, also darum, »ob die Art, wie religiöse Ausdrücke sich auf das durch sie Bezeichnete beziehen, charakteristische Merkmale aufweist« 136. Gegenstand der Untersuchung ist also nicht der vielfältige Inhalt religiöser Sprache selbst, sondern vielmehr die Qualität der Beziehung zwischen Zeichen und bezeichneter Wirklichkeit. Im Kontext der anderen semiotischen Disziplinen lautet die Frage daher: »In welcher Weise bestimmt die grammatische Form religiöser Sprachhandlungen die Qualität der Beziehung, durch welche religiöse Ausdrücke auf das, was in ihnen zur Sprache gebracht werden soll, verweisen?« 137 Mehr noch als bei der pragmatischen und grammatischen Betrachtung tritt hier die Verbindung von Sprachanalyse und transzendentalem Denken zu Tage. Die semantischen Beobachtungen Schaefflers können hier verhältnismäßig komprimiert wiedergegeben werden, da sie unmittelbar zum transzendentalphilosophischen Teil seiner Gebetslehre überleiten. Die religiöse Interpretation der Kausalkategorie Schaeffler erkennt in der Sprachhandlung des religiösen Grußes und in dessen grammatischer Erscheinungsform, der Kausativ-Akklamation, eine spezifisch religiöse Interpretation des Kausalnexus, also des Zusammenhangs von Ursache und Wirkung. Dabei spricht Schaeffler ein Grundproblem sowohl der Philosophie als auch der Physik an, das er bis zu G. W. Leibniz zurückverfolgt. Für den religiösen Kontext 135 136 137

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Vgl. ebd., 145. Ebd. Ebd., 146.

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interpretiert Schaeffler den kausalen Zusammenhang von Ursache und Wirkung folgendermaßen: Es ist letztlich immer dieselbe Macht am Werk, die sowohl den Menschen zum Handeln bewegt als auch seine Handlung bewirkt und nach außen sichtbar macht. 138 Dies wurde etwa an Useners Beispielen der Götter aus dem agrarischen Bereich deutlich. Die menschliche Tätigkeit des Pflügens und die erwünschte Wirkung, dass der Boden so sehr gelockert wird, dass er den Samen aufnimmt und Frucht bringen lässt, sind beides Manifestationen des römischen Gottes »Vervactor«. 139 In semantischer Hinsicht bezeichnet die Kausativ-Akklamation Gott als eine »ermächtigende Macht«. In diesem scheinbar paradoxen Ineinandergreifen von göttlichem Wirken und menschlicher Tätigkeit wird für Schaeffler eine spezifisch religiöse Interpretation der Kausalkategorie ersichtlich. Eine ausführlichere Erläuterung dieser These findet sich wiederum in Schaefflers Interpretation des »Magnifikat«. Schaeffler bezieht hier zwei Verse aufeinander: den Eingangsvers »Meine Seele preist die Größe des Herrn« (Lk 1,46b) und den dritten Vers dieses Hymnus »Denn der Mächtige hat Großes an mir getan« (Lk 1,49a). Letztere Aussage gilt dabei als die kausale Ursache der ersten. Die subjektive Erfahrbarkeit der Größe Gottes »bewirkt«, dass der Beter Gott groß machen kann. 140 »Gottes Wirken gelangt also gerade dadurch zur Wirksamkeit […] daß das, was Gott am Menschen tut, zu ihm zurückkehrt.« 141 Schaeffler gibt hier dem Korrelationsgedanken Cohens eine inhaltliche Bestimmung: »Alles göttliche Wirken ist ›Großtat‹ gerade dadurch, daß es Geschöpfe zu ihrer Eigentätigkeit fähig macht; und alles geschöpfliche Wirken bewirkt zuerst und zuletzt nur das Eine: Gottes Größe und Herrlichkeit […].« 142 Schaeffler erkennt im Gebetsakt grundsätzlich eine dialogische beziehungsweise responsorische Struktur, die sich hier als eine Art »Kausalzusammenhang« zwischen Gott und dem Beter beschreiben lässt.

Vgl. ebd., 126 f. Vgl. H. Usener, Götternamen, 76. 140 Vgl. dazu R. Schaeffler, GuA, 180 f. »Der Akzent der Aussage liegt also nicht auf der göttlichen Alleinursächlichkeit und Selbstgenügsamkeit, sondern darauf, daß der Mensch, an dem Gott Großes getan hat, dadurch auch seinerseits fähig wird, ›Gott groß zu machen‹.« Ebd., 181. 141 Ebd., 180. 142 Ebd., 183. 138 139

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Die religiöse Interpretation der Substanzkategorie Auch bei der Sprachhandlung der Namensnennung mit ihrer grammatischen Form, dem Partizipialnamen, verbindet Schaeffler seine pragmatischen und grammatischen Beobachtungen so, dass ihre Bedeutung für die semantische Interpretation der religiösen Erfahrung zu Tage tritt. Wie schon bei der Analyse der partizipialen Konstruktionen angedeutet wurde, bezeichnet die religiöse Namensanrufung dasjenige, »was im Wechsel der Erfahrungen als das Beharrende wiedererkannt wird« 143. Es handelt sich also anders formuliert um eine spezifisch religiöse Interpretation der Substanzkategorie. Gott im Gebet mit dem Namen anzurufen, heißt dasjenige zu benennen, was im Wandel aller Erscheinungen und der konkreten Lebensumstände des Beters als das Beständige und »Treue« gelten darf. Gott ist derjenige, der in Vergangenheit und Gegenwart, in seinem Erscheinen und Handeln als der Identische wiedererkannt wird. Die Namensanrufung Gottes ist daher eine Weise, mit Worten zu handeln, die zugleich eine propositionale Aussage beinhaltet: Gott bleibt, auch wenn »Himmel und Erde vergehen«. 144 Diese Erfahrung des Beters, die er in der Namensanrufung praktisch nachvollzieht, ist für Schaeffler eine religiöse Interpretation dessen, was kantisch die »Substanzkategorie« bezeichnet: das Bleibende im Wandel des Subjektiven und Kontingenten. 145 Die Substanzkategorie ihrerseits hat transzendentale Bedeutung für das, was Schaeffler in seiner Erfahrungslehre immer wieder als die epistemologische Grundaufgabe beschreibt: »Erscheinungen so zu buchstabieren, um sie als Erfahrungen lesen zu können.« 146 Die religiöse Interpretation der Einheit der Zeit und der Welt Die Verbindung von Gruß und Benennung im Gebet, die sich grammatisch im Phänomen des »Participium Causativi« gezeigt hat, verEbd., 130. Schaeffler verweist vielfach auf die Aussage von Ps 102,27 f.: »Himmel und Erde vergehen wie ein Gewand und werden gewechselt, du aber bleibst, und deine Jahre altern nicht.« Vgl. die freie Übersetzung in: Ders., Kleine Sprachlehre, 26; Ders., GuA, 135, 177, 208, 217; Ders., Adiutorium nostrum, 33. 145 Vgl. Kants erste Analogie der Erfahrung über den »Grundsatz der Beharrlichkeit der Substanz«: »Bei allem Wechsel der Erscheinungen beharret die Substanz […].« I. Kant, KrV, B 224–232, hier B 224. 146 Vgl. Ders., Prol, A 101; vgl. R. Schaeffler, GuA, 131. 143 144

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weist laut Schaeffler ebenfalls auf eine bestimmte Interpretation des religiösen Erfahrungszusammenhangs. Als logische Folge aus dem Vorangehenden zeigt sich in der semantischen Betrachtung nunmehr eine Verbindung von Kausal- und Substanzkategorie. In dieser Kombination erkennt Schaeffler die religiöse Interpretation der Anschauungsform der Zeit in der Erfahrung ihrer Einheit. Die »Einheit der Zeit« bedeutet religiös verstanden »daß in jeder radikalen Neugestaltung alles Erfahrbaren der eine und identische göttliche Ursprung wiederkehrt und beim Namen gerufen werden kann« 147. Angesichts der semantischen Betrachtung erklärt sich für Schaeffler nunmehr auf eine tiefere Weise, was er zuvor schon sprachpragmatisch beobachten konnte: Die grüßende Namensanrufung im Gebet legt sich häufig in nachfolgenden Erzählsätzen aus. 148 Die religiöse Erzählung von dem, was seit Urbeginn war, wird verknüpft mit den wechselhaften Erfahrungen, in denen jener »Urbeginn« aufleuchtet und dieselbe, bleibende Macht am Werk ist. 149 Religiöses Erzählen legt die Vergangenheit in Bezug auf die Gegenwart und Gegenwart in Bezug auf die Vergangenheit aus. »Fragt man in Bezug auf die konkreten Erfahrungsinhalte: ›Was ist das?‹ […], so muß man die ›protologische‹ Geschichte erzählen. Fragt man, was diese ›protologische‹ Geschichte bedeutet, so muß man die Gesamtfolge ihrer Abbildereignisse erzählen, in der sich der Bedeutungsgehalt des Urbild-Ereignisses entfaltet.« 150

Schaeffler bezeichnet an dieser Stelle das »in der unvorhersehbaren Mannigfaltigkeit von Erscheinungsformen identisch Wiederkehrende« 151 mit dem philosophischen Begriff des »Wesens der Dinge«. Im Akt des religiösen Erzählens, als Folge und Auslegung der Akklamation Gottes, wird für Schaeffler also über die pragmatische Funktion hinaus das »Wesen« Gottes selbst greifbar, insofern der semantischen Spur folgend gefragt werden kann, was die Rede von Gottes Geschichtshandeln bedeutet. 152 Ebd., 135. Vgl. Kap. 4.2.1. 149 Vgl. ebd., 147 f.; vgl. ausführlich Ders., Kleine Sprachlehre, 55–62. 150 Ders., Die religiöse Sprache, 140 f.; vgl. ausführlich in: Ders., Aussagen über das, was »Im Anfang« geschah, in: IKaZ Communio 20 (1991), 340–351. 151 Ders., GuA, 148. 152 Schaeffler wird ausgehend von Namensanrufung und religiöser Erzählung allgemeine Aussagen über den Gottesbegriff des Beters treffen und somit einen Ansatz einer aus dem Gebet entwickelten Gotteslehre vorlegen. Vgl. Kap. 4.5. 147 148

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Die Einheit der Zeit als semantische Implikation des Gebetsaktes verweist für Schaeffler auf die Einheit der Welterfahrung. Die Kategorie der kausalen Verursachung, die Kategorie der substanziellen Identität und die Einheit der Zeiterfahrung fügen die Vielfalt der Erfahrungen im Gebet zur Einheit zusammen und haben somit transzendentalen Charakter für den Aufbau einer einheitlichen und geordneten Erfahrungswelt. 153 Erneut kündigt sich Schaefflers Projekt einer transzendentalen Wende der Sprachphilosophie an, die wiederum auf Kants Erkenntnislehre fußt, für den die Einheit der Zeit in direktem Zusammenhang zur regulativen Idee der Einheit der Welt steht und die Möglichkeitsbedingung für Anschauungen und Erfahrungen überhaupt darstellt. 154 Selbst die mannigfaltigen und scheinbar unzusammenhängenden Ereignisse im Wandel der Geschichte lassen sich noch zur »Einheit der Zeit« und zu einer einheitlichen Erfahrungswelt zusammenfügen, wenn sie als die Geschichte des einen und immer selben Gottes interpretiert werden können, der sich – zu jeder Zeit – beim Namen rufen lässt. Die religiöse Interpretation der Einheit des Ich Die Gebetssprache zeigt nach Schaefflers Beobachtungen insbesondere im Fall der öffentlichen Anrufung des Namens eine häufige Verwendung des sprachhistorisch (scheinbar) veralteten Possessivpronomens der ersten Person Singular (»mein«) in der Fremd- und Selbstbezeichnung. Schaeffler interpretiert diese grammatische Auffälligkeit in der Weise, dass der Beter hier zur Sprache bringe, was er als zugeeignetes Eigentum aus der Korrelation mit Gott erfahre. Und dazu gehört zuletzt auch die Fähigkeit, Gott anzureden, selbst: »Der Beter spricht von sich selbst, indem er die Fähigkeit, so zu sprechen, als eine ihm zugeteilte Fähigkeit benennt.« 155 Der Beter vermeidet – so deutet Schaeffler den literarischen Befund – die »Ich-Form« deswegen, weil das Subjekt dieser Sprachhandlung aus dem Gebetsakt als ein »Zugesprochenes« erst hervorgeht. Das Subjekt des Beters ist nicht, wie man annehmen müsste, die Voraussetzung dafür, Gott beim Namen zu rufen und so in die Beziehung zu ihm einzutreten. So wie die grüßende Namensnennung transzendental-semantisch da153 154 155

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Vgl. ebd., 135. Vgl. Schaefflers Hinweis ebd.; vgl. I. Kant, KrV, B 46–49. R. Schaeffler, GuA, 141.

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rauf verweist, was auch der Inhalt des Gebetes werden kann, nämlich Gottes ermächtigende Macht (Kausalnexus) und dessen Treue (Substanzkategorie) zu besingen, ebenso versteht Schaeffler die Befähigung zu dieser Sprachhandlung selbst noch einmal als ein Geschenk der Macht und Treue Gottes. Mit dem oben angeführten Psalmvers gesprochen: Erst durch die Zueignung von »Kraft«, »Lied« und »Rettung« wird der Beter, was oder besser wer er ist; und er empfängt diese Gaben auf paradoxe Weise dadurch, dass er sie besingt. 156 Schaeffler vertritt also formaler gewendet die These, dass »in der Zueignung solcher Sprachfähigkeit, die in Possessivausdrücken bezeichnet wird, […] das erzählende Subjekt und seine spezifische Weise der Intersubjektivität« 157 konstituiert wird. Dies gilt auch in jenem Fall, den Schaeffler bei seiner grammatischen Untersuchung der Possessivpronomina besonders in den Blick nimmt – wenn der Beter innerhalb einer Glaubensgemeinschaft die Rolle des Vorbeters einnimmt. Unter semantischem Gesichtspunkt erklärt Schaeffler dazu: »Die ›Kraft‹ seiner Subjektivität und die Fähigkeit zur Intersubjektivität derer, an die das religiöse Ich sich wendet und zur Teilnahme am Lobgesang aufruft, wird ihm in der Begegnung mit dem göttlichen Du erst ›zugeeignet‹.« 158 Die semantische Interpretation der öffentlichen und gemeinschaftlichen Namensnennung führt Schaeffler also zu einer Reflexion transzendentaler Art, die den kantischen Denkhorizont bei weitem übersteigt: zum Gedanken der Subjektkonstitution im Gebet. 159

4.2.4 Zusammenfassung und Ausblick Schaefflers sprachphilosophische Analyse des Gebetsaktes hat gezeigt, wie die semiotischen Teildisziplinen wechselseitig ineinander greifen – wie eine religiöse Sprachhandlung mit einer besonderen grammatischen Form einhergeht und so eine bestimmte semantische Aussage über das Verhältnis des sprachlichen Zeichens zum Bezeichneten transportiert. Der Versuch einer systematischen Darstellung der einzelnen Beobachtungen Schaefflers konnte aufgrund der ge156 157 158 159

Vgl. ebd., 139–142. Ebd., 148. Ebd. Vgl. Kap. 4.3.2.

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genseitigen Verschränkung der semiotischen Disziplinen nicht ohne Rückbezüge und Vorgriffe bleiben. Um die einzelnen Gliederungsschritte dieses komplexen Kapitels noch einmal auf einen Blick verständlich zu machen, mag die folgende schematische Darstellung hilfreich sein. 4.2.1 Pragmatische Betrachtung

4.2.2 Grammatische Betrachtung

4.2.3 Semantische Betrachtung

1

Gruß

Kausativ-Appellation

Religiöse Interpretation der Kausalkategorie

2

Namensnennung

Partizipialnamen

Religiöse Interpretation der Substanzkategorie

3

Gruß + Namensnennung; Erzählakt

Partizipialform des Kausativs

Religiöse Interpretation der Einheit der Zeit und der Welt

4

Öffentliche und gemeinschaftliche Namensnennung

Possessive Fremd- und Selbstbezeichnung

Religiöse Interpretation der Einheit des Subjekts

Schaefflers sprachanalytische Betrachtung des Gebetsaktes zeigt an vielen Stellen, dass sie von vorneherein auf eine transzendentale Wende hin angelegt ist. Bisweilen wirkt sie sogar auf dieses Ziel hin konstruiert. Insbesondere bei der »semantischen Betrachtung« wurde deutlich, dass es ihm eben um eine transzendentale Semantik geht, und dass sich hier methodisch wie inhaltlich keine eindeutige und allzu strikte Trennung vornehmen lässt. Schaefflers Intention war es nachzuweisen, dass in der Sprache des Gebetes ein Zugang zu spezifisch religiösen Anschauungsformen, Kategorien und Ideen liegt. In einem Artikel mit dem Titel »Neue Aspekte des Sprechens von Gott« beschreibt Schaeffler das Ergebnis seiner sprachanalytisch-transzendentalen Analysen mit folgenden Worten: »Die religiöse Sprache ist von zirkulärer Struktur. Sprachhandlungen des Grüßens (mit Kausativ-Appellation), des Nennens (mit Partizipialnamen) und der öffentlichen Namensanrufung (mit possessiven Selbst- und Fremdbezeichnungen) definieren die Bedeutung der Ideen (von Ich und Welt), der Kategorien (von Kausalität und Substanz) und der Anschauungsformen (vor allem der Zeit). So erst entsteht derjenige Kontext, in welchem die

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Fülle der Wahrnehmungsinhalte als zusammenhängende Geschichte erzählt werden kann.« 160

Diese Zusammenfassung »in nuce« macht noch einmal deutlich, wie stark die transzendentale Begrifflichkeit und Denkweise Schaefflers sprachanalytische Überlegungen zum Gebet durchdringen. Dies soll im nun folgenden Teil genauer in den Blick genommen werden. Dabei wird eine Perspektive eingenommen werden, der in der Rezeption bislang übersehen wurde: Schaefflers Studien zum Gebet müssen meines Erachtens viel enger im Zusammenhang seiner allgemeinen Erfahrungslehre gelesen werden. Denn – so die überraschende Beobachtung – in seiner Gebetslehre kommen exakt dieselben Elemente transzendentalen Denkens zum Zug, die auch für Schaefflers Erfahrungslehre bestimmend sind und die dort als »Postulate der theoretischen Vernunft« formuliert werden – die Einheit der Welt, die Einheit des Ich und die Einheit der Geschichte. 161

4.3 Die transzendentale Analyse 4.3.1 Das Problem der Kohärenz der Welt Wie im ersten Teil dieser Arbeit dargestellt wurde, greift Schaefflers dialogisches Erfahrungskonzept im Ansatz auf Kants transzendentale Lehre von der Gegenstandskonstitution im Akt des Erkennens zurück. Maßgeblich war dabei Kants oberster Grundsatz aller synthetischen Urteile, nach dem »die Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung überhaupt […] zugleich die Bedingungen der Möglichkeit der Gegenstände der Erfahrung« 162 sind. Der nachkantischen Fortentwicklung dieses epistemologischen Grundsatzes bei Cohen und Cassirer verpflichtet, verschärft sich bei Schaeffler die Frage nach der Möglichkeitsbedingung objektiver Welterfahrung erheblich. 163 Denn bei dem Versuch, subjektive Erlebnisse in objektive Erfahrungen zu übertragen, sieht sich Schaeffler vor eine Herausforderung gestellt, die Kant so noch nicht beachtet hatte: die moderne und postmoderne Einsicht in die Heteronomie sowohl des Subjekts als auch des 160 161 162 163

R. Schaeffler, Neue Aspekte, 176 f. Vgl. Ders., EDW, 685 u. a.; vgl. Kap. 2.1.2. I. Kant, KrV, B 197. Vgl. R. Schaeffler, EDW, 101–112, 120–128.

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Objekts jeglicher Erkenntnis, also die »Erfahrung davon, daß die Begriffe ›Welt‹ und ›Ich‹ ihre Eindeutigkeit verloren und einer Pluralität von ›Welten‹ bzw. ›Subjektivitätsformen‹ Platz gemacht haben« 164. Bekanntlich besteht Schaefflers Lösungsweg dieser theoretischen Vernunftdialektik, welche die Gefahr der Erfahrungsunfähigkeit birgt, in ihrer Auflösung durch Vernunftpostulate »auf Hoffnung hin« 165, die in einem transzendentalphilosophischen Gottesbegriff gipfeln. Der umfassende, systematische Entwurf einer Erfahrungslehre über Kant hinaus findet sich bei Schaeffler erst in den 1990er Jahren. 166 Für unseren Kontext ist jedoch entscheidend, dass Schaeffler die Notwendigkeit eines kohärenten und einheitlichen Weltbegriffs als Bedingungsmöglichkeit menschlicher Erfahrung – d. h. das Problem selbst – bereits sehr viel länger beschäftigt hat. So schreibt Schaeffler in einer der Vorarbeiten zu seiner Erfahrungslehre, in der 1982 erschienenen Monographie »Fähigkeit zur Erfahrung«: »Die Objektivität der Erfahrung ginge verloren, wenn das jeweils Einzelne nicht seinen eindeutigen Platz in der Einheit des allumfassenden Erfahrungszusammenhangs zugewiesen erhalten [sic!] könnte.« 167 Schaeffler war bereits bewusst, dass der Verlust der »Welt-Kohärenz« genau betrachtet in einer Störung der Kausal- und Substanzkategorien begründet liegt. 168 Der geordnete Zusammenhang der Welt ist nicht mehr fraglos gegeben, aber wir müssen ihn gleichwohl – so Schaeffler schon damals – postulieren: »Weltkohärenz hat sich von einer ›Voraussetzung‹ in ein ›Postulat‹ verwandelt.« 169 164 Ders., Ein transzendentalphilosophischer Gottesbegriff, 98. Zum philosophiehistorischen Wandel der Frage nach der Möglichkeit von Erfahrung von Kant bis zum heutigen Stand der Diskussion vgl. ausführlich: Ders., EDW, 37–95. 165 Ders., Ein transzendentalphilosophischer Gottesbegriff, 98. 166 Eben zitierter Artikel aus dem Jahr 1992 enthält bereits die wesentlichen Argumentationsschritte seines später erschienenen Hauptwerkes »Erfahrung als Dialog mit der Wirklichkeit«, in dem die Postulate erstmals explizit formuliert werden. 167 Ders., Fähigkeit zur Erfahrung. Zur transzendentalen Hermeneutik des Sprechens von Gott, Freiburg i. Br. 1982, 61 f. [künftig: Fähigkeit zur Erfahrung (1982)]. Schaeffler verweist auf I. Kant, KrV, A 110 f. 168 Vgl. R. Schaeffler, Fähigkeit zur Erfahrung (1982), 62: »Es gibt Erfahrungsinhalte, die uns so begegnen, daß wir sagen ›Ich verstehe die Welt nicht mehr‹. […] Wir verstehen nun nicht mehr bloß das Einzelne nicht, das uns hier begegnet; der Zusammenhang von Bedingung und Folge, von Dingen und Eigenschaften ist durch das Einzelne so gestört, daß wir ihn nicht mehr als geordnetes Ganzes wiederfinden. Nicht nur dieses bestimmte Ereignis wird uns dann unverständlich; der gesamte Kontext unserer Erfahrung ist uns verlorengegangen.« 169 Ebd.

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Bei dem Versuch, die Möglichkeit von Erfahrung zu beschreiben, folgt Schaeffler einem stufenartigen Aufbau der Erfahrungswelt, wie ihn Kant mit Hilfe der Verstandesregeln in den »Grundsätzen des reinen Verstandes« beschreibt. Schaeffler reformuliert diese vier Grundsätze unter dem Vorzeichen einer Epistemologie, die dem Grundaxiom der Dialogizität von Erfahrung und dem Problem strukturverschiedener Erfahrungsweisen Rechnung zu tragen versucht. 170 Dabei nimmt der dritte Grundsatz des reinen Verstandes, die von Kant sogenannte »Analogie der Erfahrung«, eine besondere Stellung ein, denn hier geht es exakt um das beschriebene Problem, wie die Vernunft aus der Vielheit der Wahrnehmungen die Einheit der Erfahrung herzustellen vermag. Nach Kant geschieht diese Leistung des Verstandes durch die reinen Verstandesbegriffe der »Relation«, genauer durch das Verhältnis von »Inhärenz und Subsistenz« 171, »Kausalität und Dependenz« 172 und schließlich durch die Kategorie der »Wechselwirkung«, die Kant schlicht als »Gemeinschaft« bezeichnet. 173 Die erste Verstandesleistung ist das Wiedererkennen eines Gegenstandes, die sogenannte »Rekognition« des im Wandel Identischen (Substanzkategorie). 174 Als zweite Leistung versucht der Verstand die Gesetzmäßigkeit im Wechsel der Erscheinungsform zu erkennen (Zeitfolge nach dem Gesetz der Kausalität). Schließlich muss das »Identische im Wandel« in einen größeren Gesamtzusammenhang von »Wechselwirkungen« eingeordnet werden, damit eine geordnete »Gegenstandswelt« aufgebaut werden kann (Gemeinschaft). Aus den drei Kategorien der »Substanz«, der »Kausalität« und der »Wechselwirkung« werden die wiederkehrenden Verhältnisse oder »Analogien« gebildet, 175 ohne die kein Gegenstand einen Ort in einem objektiv gültigen Erfahrungskontext finden könnte. Bei Schaefflers Neufassung der kantischen Analogie der Erfahrung durch die Einführung des dialogischen Moments und der horizontverVgl. I. Kant, KrV, B 197–294; vgl. hierzu ausführlich R. Schaeffler, EDW, 330– 354. 171 Oder in der klassischen Terminologie ausgedrückt: Substanz und Akzidenz; Ding und Eigenschaft. Vgl. I. Kant, KrV, B 106; R. Schaeffler, EDW, 338. 172 Beziehungsweise »Ursache und Wirkung«; »Bedingung und Folge«. Vgl. ebd. 173 Die Gesamtheit der reinen Verstandesbegriffe, von denen hier allein der dritte Verstandesbegriff der »Relation« zum Tragen kommt, ist gemeinhin auch unter dem Stichwort »Kategorientafel« bekannt. Vgl. I. Kant, KrV, B 106. 174 Vgl. ebd., A 103–110. 175 Schaeffler nennt die Verhältnisse kurz »Ding und Eigenschaft«, »Bedingung und Folge«, »Teilmoment und System«. Vgl. R. Schaeffler, EDW, 338 f. 170

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ändernden, transzendentalen Dimension von Erfahrung 176 sind für unseren Kontext vor allem zwei Beobachtungen wichtig: Zum einen stellen die drei genannten relationalen Kategorien allesamt Verhältnisbestimmungen in der Zeit dar und lassen sich daher ebenso als ein Zeitverhältnis, nämlich als »Dauer«, »Abfolge« und »Gleichzeitigkeit« beschreiben. 177 Die Analogielehre Kants verweist auf die »Bedingungen a priori der durchgängigen und notwendigen Zeitbestimmung alles Daseins in der Erscheinung« 178, und die hier angewandten Kategorien der Relation beschreiben im Grunde nichts anderes, als dass alle Erscheinungen sich hinsichtlich dreier Modi als Erscheinungen in der Zeit zeigen: als eine »Größe« im Verhältnis zur Zeit (= Dauer; Substanz), als eine »Reihe« in der Zeit (= Kausalität) oder als der »Inbegriff allen Daseins« zu einer bestimmten Zeit (= Gleichzeitigkeit). 179 Zum anderen bemerkt Schaeffler hinsichtlich der Ordnung dieser drei Kategorien untereinander, dass »in logischer und ontologischer Hinsicht« 180 zwar von der Substantialität aus auf die Kausalität und schließlich auf das Gesamtgefüge der Wechselwirkungen geschlossen werden kann. In »transzendental-genetischer Hinsicht« dagegen, so Schaeffler, »werden wir uns erst eines Netzes von dynamischen Wechselbeziehungen bewußt, ehe wir innerhalb dieses Beziehungsnetzes so etwas wie ›Knotenpunkte‹ identifizieren, in denen eine Vielzahl von Beziehungen zusammenlaufen, und so zur Auffassung von ›Trägern‹ dieser Beziehungen kommen, die wir zugleich als ›Kraftquellen‹ deuten lernen, durch deren Einfluss andere Beziehungszentren bestimmt werden.« 181 176 Schaeffler gelangt zur Neuformulierung der »Analogie der Erfahrung«, indem er das Grundgesetz der Verknüpfungen unserer Wahrnehmungen zur Einheit der Erfahrung beschreibt als »die Wiederkehr des Verhältnisses zwischen dem ›je größeren Anspruch der Wirklichkeit‹ und unserer Antwort, die wir im Anschauen, Erinnern und Erwarten zu geben versuchen«. Ebd., 340, 353; Ders., Fähigkeit zur Erfahrung (2002), 68. 177 Dies kommt zum Ausdruck, wenn die Substanzkategorie mit dem Begriff des »Beharrens« umschrieben wird, und noch eher bei der zweiten Analogie, die Kant den »Grundsatz der Zeitfolge nach dem Gesetze der Kausalität« nennt, sowie bei der dritten Analogie »des Zugleichseins, nach dem Gesetze der Wechselwirkung, oder Gemeinschaft.« Vgl. I. Kant, KrV, B 224, 232, 256. 178 Ebd., B 264. 179 Vgl. ebd., B 262. 180 R. Schaeffler, EDW, 342. 181 Ebd. Dieses etwas ungewöhnliche Zitat, das die Sprachgewohnheit der Transzen-

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Transzendental betrachtet nimmt die Kategorie der Wechselwirkung – oder wie Schaeffler hier sagt: der »Beziehung« – den Primat gegenüber der Substanz- und Kausalkategorie ein. Einen entscheidenden Schritt über das kantische Problemniveau hinaus gelangt Schaeffler, indem er die Grundeinsicht Cassirers aufgreift und die generellen Strukturverschiedenheiten von Erfahrung berücksichtigt. Die Analogie der Erfahrung anhand der drei Relationen sowie die Grundsätze des Verstandes allgemein werden, so die Einsicht Schaefflers, auf ganz unterschiedliche Weise vollzogen und führen zu einem strukturell verschiedenen Aufbau von Erfahrungswelten – je nachdem ob die Erfahrung sich auf eine empirische oder ästhetische Wirklichkeit, auf eine sittliche oder religiöse Wirklichkeit bezieht. Am Beispiel der Substanzkategorie verdeutlicht hieße das: »Der Begriff des ›Bleibenden im Wandel‹ und des ›Zugrundeliegenden in der Vielfalt der Erscheinungen‹, also der Substanzbegriff, gewinnt [im; S. W.] religiösen Zusammenhang eine andere Bedeutung als im Zusammenhang der Astronomie.« 182 Die Neuformulierung der kantischen »Grundsätze des reinen Verstandes« kann an dieser Stelle nicht im Einzelnen nachgezeichnet werden. Erinnert sei allein an den Schlusspunkt der Argumentation, das theoretische Vernunftpostulat der »Einheit der Welt«. Aus der Notwendigkeit der Interferenz verschiedener Erfahrungsweisen und der daraus resultierenden Dialektik der Idee der Welt formuliert Schaeffler die hoffende Annahme – das Postulat, dass »die Vielfalt der Weisen, wie das Wirkliche uns in Anspruch nimmt und zum Aufbau je unterschiedlicher Erfahrungswelten herausfordert […] als eine Vielfalt von Abbild- und Gegenwartsgestalten der einen Weise verstanden werden, wie wir ›in omnitudine realitatis‹, d. h. in allem, was ist, von einer göttlichen Wirklichkeit in Anspruch genommen und zur Antwort herausgefordert werden.« 183

Wozu dieser Exkurs zum Aufbau der geordneten Ganzheit der Welt in Schaefflers transzendentaler Erfahrungslehre? Er sollte auf die augenfällige Parallelität zu dem hinweisen, was Schaeffler unter einer scheinbar völlig anderen Fragestellung in »Das Gebet und das Argument« erarbeitet hat, und was sich vor allem in der semantischen Bedentalphilosophie überschreitet, sei mit gutem Grund angeführt. Es soll gleichsam eine Brücke schlagen zurück zum Diskurs der Gebetsthematik. 182 Ders., Fähigkeit zur Erfahrung (2002), 63. 183 Ders., EDW, 139, 289 f., 685, 754. Vgl. Kap. 2.1.2. Beten denken

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trachtungsweise der Gebetssprache gezeigt hatte. Der skizzierte, von Kant beeinflusste Hintergrund eröffnet inhaltliche Bezüge zur Gebetslehre, die aus gutem Grund hergestellt werden dürfen, weil sich nachweisen lässt, dass Schaeffler sich lange vor dem Erscheinen seines »opus magnum« mit der transzendentalen Frage des kohärenten Aufbaus der Welterfahrung beschäftigt hat. 184 Zurück also zum Gebetsakt: In seinen sprachanalytischen Untersuchungen versuchte Schaeffler deutlich zu machen, wie das Gebet qua Akklamation des göttlichen Namens den Beter zu einer geordneten Welterfahrung führen kann, die Schaeffler ebenfalls als »Einheit« oder »Kohärenz« der Welt bezeichnet. Indem der Mensch dem Heiligen selbst gegenübertritt und es beim Namen ruft, vollzieht der Beter gewissermaßen einen Akt der »Rekognition« und nimmt dazu – wie sich semantisch zeigen ließ – eine spezifisch religiöse Form der Substanz- und Kausalitätskategorie in Anspruch. Was immer der Beter erlebt und betend vor Gott bringt, »gewinnt für ihn seine eindeutige Stelle im Gefüge von Ursachen und Wirkungen als Manifestation jener einen, grüßend benannten, ermächtigenden Macht, die sich im Wirken wie in der Wirkung, in der Tätigkeit des Agens wie im Produkt als die stets gleiche manifestiert« 185. Angesichts der Vielfalt und Wechselhaftigkeit seiner Erlebnisse gelingt dem Beter in der Namensanrufung des an seinen Taten »identifizierten«, wiedererkannten Gottes eine Anwendung der Substanzkategorie, ohne die keine zusammenhängende Erfahrung möglich ist. Indem der Beter diesen Gott als die eigentliche Macht erfährt, die durch alle Einzelerlebnisse hindurch am Werk ist, erschließen sich ihm die bisher undurchschaubaren kausalen Zusammenhänge aus einer neuen Perspektive und führen ihn – so der von Schaeffler beschriebene Idealfall – zur kohärenten Weltsicht und zu einer einheitlichen Zeiterfahrung. »Kausativ-Akklamation und partizipiale Benennung, diese spezifisch religiö184 Die grundlegende Differenz der beiden Diskurse und die damit einhergehende Problematik dieser Parallelisierung soll nicht verschwiegen werden. Sie liegt im methodisch unterschiedlichen Ausweg aus der auftretenden Inkohärenz der Welterfahrung. Während Schaeffler die Vielheit der Erfahrungsweisen und -welten epistemologisch durch ein Vernunftpostulat »auf Hoffnung hin« aufzulösen versucht, beansprucht er in seiner Gebetslehre, dass die »Einheit der Welt« in der Sprachhandlung der Namensnennung tatsächlich realisiert wird. Vgl. hierzu das nachfolgende Kapitel zur Subjektivität des Beters, in dem dieselbe Fragestellung noch virulenter werden wird. 185 Ders., GuA, 127.

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sen Varianten der Kausal- und Substanzkategorie, bauen aus der unüberschaubaren Vielfalt von Eindrücken die geordnete Erfahrungswelt auf, wie sie in der Sprache der Religion zur Darstellung kommt.« 186 Wie diese Erfahrung einer kohärenten Welt im Gebet näher zu verstehen sei, legt Schaeffler in der Folge weiter aus: »Einheit der Welt, das bedeutet nicht, daß der Lauf der Dinge frei von Sprüngen, daß der Zustand der Welt frei von Widersprüchen wäre und daß der geordnete Zusammenhang, in dem wir den einzelnen Dingen und Ereignissen ihre Stelle zuweisen, sich für unsere Erfahrung als unzerstörbar erwiese. Einheit der Welt, religiös verstanden, besagt vielmehr: Auch wenn Himmel und Erde, also der Gesamtkontext möglicher Erfahrung, ›alt werden wie ein Gewand und gewechselt werden wie ein Kleid‹ (Ps 102,27), wird es in jedem kommenden Weltalter möglich sein, den gleichen Gott beim gleichen Namen zu rufen. Dieser Gott erweist sich also noch in den radikalsten Veränderungen der menschlichen Erfahrungswelt als die ermächtigende Macht, die solche Namensanrufung möglich macht.« 187

Der Aufbau einer Einheit der Welt wird logisch betrachtet durch eine spezifisch religiöse Anwendung der Kausal- und Substanzkategorie (in Gruß und Namensnennung) geleistet. Diese Kategorien hängen, wie sich durch Kants Erläuterungen zu den »Analogien der Erfahrung« nachvollziehen lässt, wesentlich mit der Einheit der Zeitanschauung zusammen. Die Einheit der Welt als regulative Idee kann anders gewendet auch als Einheit der Zeit verstanden werden. 188 Denn die Erfahrung der »Welt-Kohärenz« im Gebet hängt entscheidend davon ab, dass allen Erfahrungen eine eindeutige Stelle in einem zeitlichen Kontext zugeordnet werden kann. Diesen »Zeitrahmen« bilden allerdings nicht allein die individuelle Biographie des Beters, sondern auch die Geschichte der Glaubensgemeinschaft und vor allem die »Heilsgeschichte« selbst. Schaeffler sagt: »Nur was in jener Geschichte seine Stelle findet, die der religiöse Mensch erzählt, wenn er die göttlichen Taten der Urzeit in immer neuen Erfahrungen blitzartig aufleuchten sieht, gilt als objektiv, verbindlich, intersubjektiv mittelbar.« 189 Dabei geht es nicht so sehr darum, eine lineare und

Ebd., 132. Ebd., 135. 188 Vgl. ebd., 147: »Die Einheit der Welt ist wesentlich zeitliche Einheit.« Vgl. ebd., 134 f. 189 Ebd., 132. Wiederum spielt Schaeffler auf die obengenannte Oration der Osternacht an. 186 187

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gleichsam lückenlose Genese aller Einzelereignisse herzustellen, sondern um die Gewissheit, dass in allen unvorhersehbaren Wechselfällen der Zeit und in aller Verunsicherung durch die »Neuheit« der Erfahrungen der eine göttliche Ursprung begegnet, der wiedererkannt und angerufen werden kann. Diese Form des religiösen Zeitverständnisses hat für Schaeffler »transzendentalen Charakter« 190. Hält man diesen Ausführungen im Sinne des hier angestellten Vergleiches einmal den kantischen Aufbau der Verstandesgrundsätze entgegen, so fällt eines auf: Die dritte Analogie der Erfahrung, also die Kategorie des »Wechselverhältnisses«, 191 der Schaeffler in seiner Erfahrungslehre wie angedeutet eine übergeordnete Bedeutung zumisst, hat sich in seinem sprachphilosophischen Gebetsentwurf im Gegensatz zum Substanz- und Relationsbegriff offenbar kaum niedergeschlagen. Sollte sich ausgerechnet in der Gebetssprache kein pragmatischer oder grammatischer Hinweis auf ein Wechselverhältnis zwischen Gott und Mensch finden lassen? Oder in der Perspektive der Zeiterfahrung ausgedrückt, in der das »Wechselverhältnis« als »Gleichzeitigkeit« erscheint: Wo wird neben der Erfahrung der dauerhaften Treue Gottes »von alters her« und seines »kausativen« Wirkens im Wandel der Zeit die Dimension der gegenwärtigen Begegnung oder »Gemeinschaft« (wie Kant die dritte Analogie nennt) deutlich? Auch wenn Schaeffler die dritte Analogie der Erfahrung nicht explizit aufgreift, ist die Dimension der Wechselwirkung beziehungsweise der Gleichzeitigkeit in seiner Gebetslehre als die primordiale Kategorie anzusehen. Durchaus im Sinne Schaefflers wäre hier die Möglichkeit einer transzendentalphilosophischen Grundlegung des cohenschen Korrelationsgedankens gegeben, zumal Kant in diesem Zusammenhang ausdrücklich den Begriff der »Wechselwirkung« gebraucht. Ebenso wie in Schaefflers Erfahrungslehre die »Kategorie der Wechselwirkung die erste unter den Kategorien der Relation« 192 ist, wäre hinsichtlich des Gebetes die »Kategorie« der Korrelation, also der aktualisierte Dialog zwischen Gott und Mensch, als die erste Kategorie noch vor dem Aufbau des geordneten Weltund Zeitzusammenhangs anzusehen. Diese letzte Überlegung lenkt die Aufmerksamkeit von der Welterfahrung des Beters weiter auf

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Ebd., 135. Vgl. I. Kant, KrV, B 256–265. R. Schaeffler, EDW, 341 f.

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diesen selbst, auf die Frage der Subjektivität des Beters im Akt der Namensanrufung Gottes.

4.3.2 Die Konstitution des Subjekts und die Identität des Beters Von Immanuel Kant her gilt der epistemologische Grundsatz der Einheit des Aktes »Ich denke«, der allem Erkennen vorausgeht: »Das: Ich denke, muß alle meine Vorstellungen begleiten können.« 193 Die in kantischer Terminologie sogenannte »ursprünglich-synthetische Einheit der Apperzeption« ist die Voraussetzung jeglichen Anschauens und Denkens. Der »Probierstein« 194 für die Einheit des Ich ist die Frage, ob dem Subjekt der Aufbau einer einheitlichen Erfahrungswelt gelingt. »Einheit des Ich« und »Ganzheit der Welt« stehen also in einem engen Wechselverhältnis. Die von Schaeffler konstatierte Vielzahl der Erfahrungswelten korrespondiert mit je unterschiedlichen Subjektivitätsweisen des erkennenden Ich. 195 Die Tatsache, dass wir neuzeitlich eine Pluralität strukturell verschiedener Ich-Identitäten feststellen müssen – etwa das universal vertretbare Subjekt des empirischen Forschers gegenüber dem unvertretbaren Ich einer sittlichen Entscheidung – ist einerseits durch Schaefflers dialogische Perspektivierung der Erfahrung selbst erklärbar; vertritt er doch die These, dass im Prozess jeder Erfahrung ein Überschuss wahrgenommen wird, in dem die je größere Wirklichkeit aufleuchtet und der den transzendentalen Erfahrungshorizont selbst verändert und einen Perspektivwechsel, eine »Umgestaltung zur Neuheit des Denkens« hervorruft. 196 Andererseits hält Schaeffler an der problembehafteten Erkenntnis fest: »Die Identität des Ich ist uns zur Frage geworden.« 197 Die Aufgabe der Vernunft,

I. Kant, KrV, B 131. Ebd., B 675; vgl. R. Schaeffler, Die religiöse Sprache, 138. 195 Vgl. Kap. 2.1.2. Vgl. zum Folgenden: B. Nitsche, Göttliche Universalität in konkreter Geschichte, 173 f. 196 Vgl. R. Schaeffler, EDW, 665 f.: »Der Überschuß des Anspruchs, den das Wirkliche an uns richtet […], führt dazu, daß wir nicht nur den einzelnen Gegenstand innerhalb eines Erfahrungsfeldes immer genauer beobachten und immer exakter begrifflich bestimmen, sondern von ihm zum Wechsel der Perspektive genötigt werden können. Das Entstehen neuer Weisen des Erfahrens kann als ein solcher Perspektivenwechsel von besonders einschneidender Art verstanden werden.« 197 Ders., Die religiöse Sprache, 128. 193 194

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einen Dialog mit der Wirklichkeit einzugehen, kann nur gelingen, wenn es Interferenzen zwischen den einzelnen Erfahrungsweisen gibt und wenn das Subjekt sich in den neuen und alten Weisen seines Anschauens und Denkens wiedererkennt. 198 Die Unterschiedlichkeit der Erfahrungsweisen wäre dann zu verstehen als der geschichtliche Niederschlag verschiedener Etappen des einen prozesshaften und zukunftsoffenen Dialoges mit der Wirklichkeit. Diese Geschichte aber, so Schaeffler, »muß das erfahrende Subjekt sich als die seine zurechnen können« 199. »Die Einheit des Aktes ›Ich denke‹ als der obersten Möglichkeitsbedingung der Erfahrung ist […] der Zusammenhang seiner Geschichte – einer Geschichte von transzendentaler Bedeutung, sofern die Anschauungs- und Denkformen des Subjekts und die ihr entsprechenden Weisen von Objektivität sich im Lauf eines Dialogs mit dem Wirklichen und seinem Anspruch erst herausgebildet haben.« 200

Schaeffler begreift die »Einheit des Ich« als die »Einheit seiner Geschichte«. Gemeint ist damit, wie aus dem Zitat deutlich wird, nicht eine Wandlung empirischer Wahrnehmungsfähigkeit oder psychologischer Einstellungen, 201 sondern die Geschichte der reinen Vernunft selbst. Mit diesem Gedanken macht Schaeffler einen Lösungsvorschlag für ein von ihm wiederholt benanntes Desiderat der kantischen Erkenntnistheorie: die fehlende Geschichtlichkeit der reinen Vernunft, die »Lücke im System« der kantischen Kritik. 202

198 Diese Forderung entspricht inhaltlich dem von Schaeffler neuformulierten vierten Verstandesgrundsatz, dass keine Erfahrung kommende Erfahrungen überflüssig macht, keine Erfahrung durch kommende Erfahrungen bedeutungslos gemacht wird. Vgl. Ders., EDW, 346. 199 Ebd., 666. Schaeffler nimmt Abstand von einem Einheitskonzept, das die »Einheit der Geschichte des Subjekts« als »ideologische Selbstrechtfertigung« (miss-)versteht. Er stimmt mit dem postmodernen Denken – offenbar hat Schaeffler hier Lyotards Ausruf vom »Ende der großen Erzählungen« im Ohr – darin überein, dass eine »Legitimationsgeschichte« des Ich Gefahr läuft, ein deterministisches Verständnis der eigenen Erfahrungsweisen aufzubauen, das andere Denk- und Anschauungsformen abwertet. Es geht ihm nicht um »Selbstrechtfertigung«, sondern vielmehr um eine Art »Selbstreflexion«, die Veränderungen der je eigenen Erfahrungsweisen zu verstehen und eine Offenheit für kommende Umgestaltungen zu gewinnen. Vgl. ebd., 668; Ders., RelPhil, 284–286. 200 Ders., EDW, 667. 201 Vgl. ebd., 666 f. 202 Vgl. I. Kant, KrV, B 880: »Geschichte der reinen Vernunft«. Vgl. Kap. 2.1.1.

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Nun hatte schon Kant die »Einheit des Ich« – das »ich selbst […] als denkende Natur (Seele)« 203 – als regulative Idee der reinen Vernunft formuliert. Schaeffler versteht dessen Forderung, die unterschiedlichen Weisen der Subjektivität als eine umfassende Geschichte zu begreifen, als transzendental notwendig. 204 Zugleich aber erweist sich diese Aufgabe, was Kant nicht ausreichend berücksichtigt habe, als unmöglich. Sofern Schaeffler nämlich die Dialogizität der Erfahrung ernst nimmt, kann nicht auf einen »Ur-Anfang« zurückverwiesen werden, an dem eine Erfahrungsweise des Subjekts einmal eine adäquate Antwort auf den Anspruch der Wirklichkeit gegeben hätte; sie ist je schon vorläufig und – aus menschlicher Sicht – der Pluralität unterworfen. 205 »Es gibt keinen ›rein vom Subjekt her‹ bestimmten Zustand der Subjektivität und keine ›vor aller Subjektivität des Betrachters freie‹ Gegebenheitsweise der Objekte.« 206 Immer schon ist das erkennende Subjekt in den Dialog mit dem Wirklichen verstrickt, wird vom »Wirklichen« zum Anschauen und Denken hervorgerufen, und weist in jedem dieser Akte über den je gegenwärtigen hinaus. Wenn es aber keinen Anfang gibt, so Schaeffler, »gibt es auch keine ursprüngliche Einheit, aus der die spätere Vielheit der Erfahrungsweisen und Erfahrungswelten sich entfaltet hätte« 207. Die Einheit des Aktes »ich denke«, so Schaefflers Ergebnis, lässt sich nicht als die eine und allumfassende Geschichte der reinen Vernunft erzählen. Schaeffler versucht nachzuweisen, 208 dass die Idee der kohärenten Geschichte des Ich nicht nur ein aus empirischen Gründen erEbd., B 710. Vgl. R. Schaeffler, EDW, 669 f. Ohne die Einheit des transzendentalen Subjekts, so Schaeffler, wäre das gesamte »Projekt« der Erfahrung gescheitert: »Die Fähigkeit zur Erfahrung reicht […] nur soweit wie die Fähigkeit, die eigene Subjektivität und die ihr erschlossene Erfahrungswelt […] aus ihrer Geschichte zu begreifen.« Ebd., 670. 205 Vgl. ebd. Insofern wären von Schaefflers strikt dialogischer Erfahrungslehre aus auch Vorbehalte gegenüber einer philosophischen Letztbegründung aus dem Subjektgedanken zu formulieren. 206 Ebd., 670. 207 Ebd., 671. Schaeffler nimmt an, dass es gerade in »Frühphasen« der individuellen und kollektiven Erfahrungsweise einen häufigen Wechsel zwischen pluralen Subjektivitätsformen und Erfahrungswelten (zwischen Traumwelten, mythischen Welten und »Welten des Wachbewusstseins«) geben könne. 208 Auf die einzelnen Argumentationsschritte kann hier nicht näher eingegangen werden. Vgl. ebd., 665–674. Vgl. hierzu auch die eingehende Analyse der »internen« und »externen« Rechtfertigung der theoretischen Vernunftpostulate in: B. Irlenborn, »Veritas semper maior«, 269–284. 203 204

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wachsener »Wunsch« sei, sondern dass sich hier vielmehr eine unvermeidliche Dialektik der theoretischen Vernunft zeige. Die Idee der »Einheit des Aktes ›ich denke‹« stellt eine transzendentale Aufgabe dar, die sowohl unvermeidlich, als auch unlösbar ist. 209 Damit ist für Schaeffler jene Situation eingetreten, die ein Postulat des theoretischen Vernunftglaubens erforderlich macht. Es lautet im Ergebnis zusammengefasst: Angesichts der Dialektik der »Einheit des Ich« muss vernünftigerweise »gehofft« werden, dass die vielfältigen Subjektivitätsweisen – das empirisch forschende, ästhetisch wahrnehmende, sittlich urteilende oder religiös erfahrende Ich – »als eine Vielfalt von Abbild- und Gegenwartsgestalten der einen Weise verstanden werden, wie Gott den Menschen weiß und ihn in allem, was ist, unter seine Anrede stellt«. 210 Es ist an dieser Stelle nicht die Aufgabe, Schaefflers Postulat der »Einheit des Ich« zu analysieren, 211 sondern wiederum auf inhaltliche Querverbindungen zu seinen gebetstheologischen Ausführungen hinzuweisen: Schaeffler setzt der unüberschaubaren Vielfalt menschlicher Erfahrungs- und Subjektivitätsweisen das eine göttliche Bewusstsein gegenüber, dessen »Anrede« (!) den Menschen zu dieser Verschiedenheit »ruft«, und gleichzeitig alle pluriformen Subjektivitätsweisen vereint. Die Identität des erkennenden Selbst – formal gesprochen: die transzendentale Idee der »Einheit des Ich« – wird durch die »Einzigkeit jenes göttlichen Wissens von uns legitimiert« 212. Damit beschreibt Schaeffler im Grunde genau das, was er im religionsphilosophischen Kontext als »identitas extra se« 213 bezeichnet hat. Der einfache und zugleich äußerst anspruchsvolle Gedanke lautet: In der Anrufung des göttlichen Namens konstituiert sich die Identität des anrufenden Subjekts. 214 Der Beter kann in unterschiedlichen SiVgl. R. Schaeffler, EDW, 673. Ebd., 674. 211 Vgl. dazu B. Irlenborn, »Veritas semper maior«, 266–293.; Ders., Religiöse Erfahrung und postulatorischer Vernunftglaube; B. Nitsche, Göttliche Universalität in konkreter Geschichte, 233–242, bes. 234 f. 212 R. Schaeffler, EDW, 674. 213 Ders., Die religiöse Sprache, 129. 214 Vgl. zu diesem Grundgedanken im Rekurs auf B. Casper und E. Salmann: S. Wahle, Identität durch Gebet?, in: A. Gerhards – H. H. Henrix (Hg.), Dialog oder Monolog? Freiburg i. Br. 2004, 128–148; vgl. auch A. Doeker, Das Gebet als geprägte Sprache, in: A. Gerhards – S. Wahle (Hg.), Kontinuität und Unterbrechung, Paderborn 2005, 15–61. Es müsste freilich genauer geprüft werden, welcher Begriff von »Identität« hier jeweils gemeint ist. 209 210

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tuationen seines Lebens den immer gleichen und einen Gott beim Namen nennen und gewinnt in diesem Akt des Gebetes die Einheit der eigenen Person. Im »Du-sagen« ersteht das geeinte Ich. Mit sehr einfachen Worten formuliert Schaeffler diese These in einem jüngeren Aufsatz: »Nur in der Beziehung zum einen Gott findet der Mensch in der Vielfalt seiner Lebenssituation zur Einheit seiner eignen Person.« 215 Das heißt also: »Nicht ein Bestand unveränderlicher Eigenschaften und Tätigkeitsweisen, sondern die Beziehung auf eine identische numinose Wirklichkeit schafft jene Kontinuität im Lebensverlauf, die die Bedingung für das Bewußtsein eigener Identität darstellt.« 216 Die Einheit des betenden Ich ist nicht ein Apriori, das der Namensanrufung Gottes vorausgeht. Vielmehr vermag der Beter Gott auch und gerade dann beim Namen zu rufen, wenn er seine Identität als diffus und bedroht, das Bewusstsein seiner selbst als kontingent erfährt. Der Beter findet die Identität seiner selbst nicht in sich selbst, sondern »extra se« – in Gott. Es fällt auf, dass Schaeffler hier »Subjektkonstitution« mit der Wiedergewinnung von »Identität« gleichsetzt und dies vor allem unter einer geschichtlichen Perspektive betrachtet. Wiedergewinnung der »Identität« heißt für ihn vor allem Wiederentdeckung der »Kontinuität« der eigenen Lebensgeschichte. 217 Schaeffler versteht die Dialektik des Ich in diesem Sinne als die Entfremdung von der eigenen Geschichte, wenn er etwa die Situation beschreibt, dass der Beter Gott seine Vergangenheit anvertraut, die ihm selbst »teils zur vergessenen, teils zur verdrängten, teils zur verfälschten, weitgehend einfach zur verlorenen Vergangenheit geworden ist« 218. Wie aus der pragmatischen Analyse hervorgegangen ist, vollzieht sich in der Sprachhandlung der Namensnennung schon im alltäglichen Gebrauch die Verknüpfung von erinnerter Vergangenheit und aktuellen Begegnungen. Auf ähnliche Weise geschieht in der Anrufung Gottes nicht eine »Rekognition im Begriff«, sondern reale »Wiederbegegnung« – die dialogische Begegnung mit dem »Gott meiner Jugend«, oder sogar

Ders., Gebet im Judentum, 91. R. Schaeffler, Die religiöse Sprache, 129. 217 Vgl. etwa Ders., Kleine Sprachlehre, 23: »… indem er [der Beter; S. W.] seine eigene fremdgewordene individuelle und gemeinschaftliche Vergangenheit diesem Gott als die seine, als Teil von Gottes eigener Geschichte, zueignen kann, findet auch der Beter die Kontinuität seines Lebens und die Identität seiner Subjektivität wieder.« 218 Ebd., 25. 215 216

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über die persönliche Lebenszeit hinaus mit dem »Gott der Väter«. 219 Dieser Gott allein vermag sicherzustellen, dass die Kontinuität unserer eigenen Lebensgeschichte bei ihm aufgehoben, ihr roter Faden gleichsam bei ihm hinterlegt ist. So liegt es letztlich an der Treue Gottes und an seinem Gedenken, dass die verlorene Einheit des betenden Subjekts wiederhergestellt wird. Mit dem Gebetsschatz der Psalmen gesprochen: Auch wenn Himmel und Erde vergehen, kann der Beter sich an den einen Gott wenden, von dem der Psalmist sagt: »Du aber bleibst, und deine Jahre altern nicht« (Ps 102,28). 220 Schaeffler gibt selbst den Hinweis, dass er den Gedanken der »Rückwirkungen des Du-Sagens auf den Zustand des Ich« 221 Hermann Cohen zu verdanken habe. Erinnert sei hier an Cohens enge Verknüpfung von Subjektkonstitution und Monotheismus und an seine geradezu talmudische Auslegungsweise des »Sch’ma Israel« (Dtn 6,4). 222 Cohen vertritt die These: Weil Gott ein Einziger ist, kann der Mensch in der Korrelation mit ihm eins werden. 223 Zwei hebräische Begriffe mit sehr ähnlicher semantischer Konnotation rücken dabei ins Blickfeld: »Jichud« – was »Sammlung«, »Einigung« bedeutet 224 – und »Kawwana« – ebenfalls mit der Bedeutung »Einigung«, aber auch »(Be-)Gründung« und schließlich »Andacht«. 225 In einem Vgl. etwa die Anspielung auf Ps 71,5 u.17 in: Ders., Kleine Sprachlehre, 23 f.; Ders., Die Vielfalt der Weisen religiöser Wahrheit, 78. 220 Vgl. Ders., Kleine Sprachlehre, 26; Ders., Adiutorium nostrum, 33, Ders., GuA, 177 u. a. 221 Ders., Kleine Sprachlehre, 39. 222 Vgl. Kap. 3.1.3 u. 3.2.3; vgl. R. Schaeffler, Die Vernunft und das Wort, 61–69. 223 Dieser Gedanke findet sich, wie Cohen betont, bereits im 11. Jahrhundert bei Bachja Ibn Pakuda. Vgl. H. Cohen, RV, 520; Ders., Die Einheit des Herzens bei Bachja; Ders., Innere Beziehungen der Kantischen Philosophie zum Judentum, 320– 323. 224 Vgl. R. Schaeffler, Kleine Sprachlehre, 39. Vgl. H. Cohen, RV, 48. Diese Deutung des »Höre Israel« lässt sich auch bei H. Chaijm Steinthal, dem berühmten Lehrer Cohens, nachweisen. In einem Artikel über »Der Juden tägliches Gebet« schreibt er bezüglich der hebräischen Begriffe »Echad/Echod« und »Jichud/Jached«: »[Echod; S. W.] bedeutet: Gott als den Einzigen anerkennen; jached aber bedeutet: danach streben, wie Gott echod ist, ebenso echod zu werden, ein ganzer Mann, d. h. Harmonie der Gesinnung und deren Betätigung, aller Gedanken, Gefühle, Willensregungen und Handlungen, in Gott.« H. C. Steinthal in: Über Juden und Judentum, Berlin 31925, 250–263, hier 257. 225 Vgl. R. Schaeffler, Kleine Sprachlehre, 39; H. Cohen, RV, 361, 408, 432, 442 f. Dem Wort »Kawwana« schenkt Cohen, wie im Übrigen auch Steinthal, besondere Beachtung. Vgl. dazu D. Adelmann, Kawwana (Andacht) und der kantorale Hintergrund in Hermann Cohens Begriff der Philosophie, in: Ders., »Reinige dein Denken«, 219

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Schlüsselzitat aus Cohens »Religion der Vernunft« heißt es: »In der Andacht [hebr. »kawwana«; S. W.] des Gebetes wird die Einheit des Bewusstseins gegründet.« 226 Cohen versteht die Korrelation zwischen Mensch und Gott in Bezug auf den Einheitsgedanken streng wechselseitig: Die Einheit oder besser Einzigkeit Gottes ist der Grund für die Einheit des menschlichen Herzens, aber auch für die Einheit seiner Handlungen, die wiederum in der Einheit seiner Gottesverehrung zum Ausdruck kommt, gemäß Ps 86,11: »Mache einheitlich unsere Herzen, zu lieben und zu verehren Deinen Namen.« 227 Einigung des Namens (Jichud ha-Schem) und Einigung des Herzens (Jichud haLev) vollziehen sich für Cohen im selben Sprechakt des Gebetes. 228 Er-kenntnis und Be-kenntnis der Einheit Gottes fallen hier in eins und verbinden sich in der eschatologischen Hoffnung, dass einst alle Völker gemeinsam diesen Namen »einen« werden. 229 Schaeffler übernimmt von Cohen jene Grundeinsicht der jüdischen Religionsphilosophie, die sich aus dem »Sch’ma Israel« als dem Herzstück jüdischer Frömmigkeit und Liturgie ergibt. Sie lässt sich mit Schaefflers eigenen Worten so zusammenfassen: »Die Einzigkeit Gottes ist die Bedingung für die wiederhergestellte Ganzheit des Menschen, der sich zu ihm bekennt.« 230 Diese »Ganzheit«, so schon Cohen, wird (wieder)hergestellt durch die im Gebet vollzogene Korrelation mit dem »Einzigen«. Schaeffler allerdings beschränkt die Konstituierung bzw. Rekonstituierung des Subjekts nicht auf das Würzburg 2010, 85–93.; H. Wiedebach, Hebräisch »Fühlen«. Hermann Cohens Deutung des Schma’ Jisra’el – »Höre Israel«, in: Kalonymos 6 (2003), Heft 2, 1–4, hier 3. 226 H. Cohen, RV, 442; vgl. Kap. 3.1.3. 227 Vgl. Ders., Kantische Philosophie, 323; Ders., RV, 440. 228 Vgl. H. Wiedebach, Hebräisch »Fühlen«, 4; vgl. H. Cohen, Die Einheit des Herzens bei Bachja, 424. Cohen zitiert hier Bachja, der von zwei »Einigungen« spricht: »Die eine ist, zu einigen das Herz in der Einigung des Schöpfers; und die zweite: zu weihen die Handlung seinem Namen, seinem Dienste, seiner Ehre allein.« Ebd. Cohen stellt daraufhin die Aussage Bachjas dar, nicht jedoch ohne den Hinweis, dass diese Einigung keinesfalls mystisch oder spinozistisch (miss-)verstanden werden dürfe: »Der Schluß des ganzen Werkes [»Pflichten der Herzen«; S. W.] gipfelt demgemäß in dieser Vereinigung der menschlichen nicht mit, aber an und in der göttlichen Einheit.« Ebd., 425. 229 Vgl. Sach 14,9: »An jenem Tage wird der Ewige einzig sein und sein Name einzig.« Nach der Übersetzung Cohens. Vgl. H. Cohen, RV, 335, 403, 459. Dieser für die jüdische Religionsphilosophie wichtige Gedanke der »Einigung« oder »Einung« des Namens als höchste Aufgabe des Menschen hielt auch Einzug in Schaefflers Gebetslehre. Vgl. Kap. 4.6.2. 230 R. Schaeffler, GuA, 56 f.; vgl. ebd., 157 f. Beten denken

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sittliche Individuum, also auf die Sprachhandlungen von Schuldbekenntnis und Vergebungsbitte, sondern weitet sie aus auf die Einheit des religiösen Subjekts als solches. 231 Die grammatische Analyse der Namensanrufung – der häufige Gebrauch von Possessivpronomina – bestärkt Schaeffler schließlich in der Annahme, dass die Subjektivität des Beters nicht vorausgesetzt werden darf, sondern vielmehr vor und von Gott empfangen wird. 232 Dieser Gedanke lässt sich am besten an Schaefflers Interpretation des ersten Verses aus dem Magnifikat mit der doppelten Selbstbezeichnung »meine Seele« und »mein Geist« explizieren: 233 Die Beterin beschreibt mit dem Ausdruck »meine Seele« (»néphesch«; wörtl. »Atem« oder auch »Rachen«) die Erfahrung, alle Lebenskraft und den Lebensatem empfangen zu haben, der im Ausatmen, also in der Hingabe des »Geistes« (»ruach«), in Wort und Tat an Gott zurückgegeben wird und sich darin als »mein Geist« seiner selbst bewusst wird. 234 In diesem Zusammenspiel von »Seele« und »Geist« aber, die gemeinsam die unvertretbare Eigenständigkeit und Eigenverantwortung des Individuums ausmachen, wird deutlich, dass der Beterin ihre Subjektivität nicht einfach »zuhanden« ist, sondern in der Korrelation – diesem buchstäblichen Wechselverhältnis von Ausund Einatmen – erst als Zueignung erfahren wird. Analog zu den biblisch und philosophisch vielseitig konnotierten Begriffen von »Seele« und »Geist« spricht Schaeffler auch vom »Blick, der ›mich‹ anschaut« 235 und vom »Namen, den ›ich‹ anrufe« 236, und schlägt so die Brücke zu seiner sonst geläufigen Metaphorik: »Aus der gegenseitigen Zueignung von Blick und Namen, die in den Possessivpronomina zum Ausdruck gebracht wird, entsteht erst die Fähigkeit, sich als ein Du zu erleben und Ich zu sagen.« 237 Gott, der den Menschen beim Namen nennt und sich von ihm beim Namen nennen lässt, hebt den Beter in den Stand seiner unvertretbaren Individualität. In der Namensnennung Gottes vollzieht der Beter umgekehrt den Eintritt in Vgl. ebd., 60–64. Vgl. ebd., 148; vgl. Kap. 4.2.2. 233 Vgl. dazu ebd., 165–176, bes. 175 f. 234 Dem »Geist« wohnt in diesem Sinne die Fähigkeit zur Intersubjektivität inne. Er ist das, was das Individuum mit dem Allgemeinen verbindet. Vgl. ebd., 171. 235 Mit Bezug auf den folgenden Vers, Lk 1,48: »Denn auf die Niedrigkeit seiner Magd hat er geschaut.« 236 Ebd., 176. 237 Ebd. 231 232

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die Korrelation mit dem, dem er nicht nur seine Fähigkeit, so zu sprechen, sondern sich selbst zu verdanken hat. Einleitend wurde in diesem Abschnitt Schaefflers Postulat der »Einheit des Ich« aufgegriffen, dessen Argumentation darauf hinausläuft, von einem Gott auszugehen, der »den Menschen weiß« und »unter seine Anrede stellt«. Der transzendentale Gottesbegriff, der alle drei Vernunftpostulate zusammenfasst, definiert diesen schließlich als »Subjekt jenes einen, allumfassenden Blicks, jenes ›unus contuitus‹« 238, der alle Weisen unseres Anschauens und Denkens in ihren geschichtlichen Variationen zur Einheit verknüpft. Es schien, als ließe sich diese Erweiterung der kantischen Idee des »Ich« durchaus in Beziehung setzen zu dem, was Schaeffler als die Identität des Beters und dessen Subjektkonstitution im Gebet bezeichnet: Auf der einen Seite Gottes Wissen um den Menschen, seine »Anrede« in allem, was dem Menschen begegnet und zur Antwort herausfordert, sowie sein allumfassender und einender Blick; auf der anderen Seite wiederum der göttliche Blick, hier biblisch-anthropomorph gefasst, und sein einziger, in jeder geschichtlichen Situation anrufbarer Name. In beiden Fällen aber dringt die Einsicht durch, dass der Mensch die Einheit seiner selbst nicht hervorbringen kann, sondern vielmehr als »identitas extra se« von Gott empfängt. Es handelt sich beim Gedanken der Subjektkonstitution im Gebet zweifellos um eine der exponiertesten Thesen der Gebetslehre Schaefflers. Daher muss an dieser Stelle genauer erörtert werden, was wirklich gemeint ist, wenn Schaeffler von »Einheit des Ich« spricht. Der Gesamthorizont dieser Frage ist umrissen: von Kants »ursprünglich-synthetischer Einheit der Apperzeption« über den regulativen Gebrauch der »Idee der Einheit des Ich«, bis hin zu Cohens religionsphilosophischen Gedanken der »Andacht« und »Einung«, und schließlich zu Schaefflers Subjektkonstitution im Sprechakt der Du-Anrede. Ist dieser weitgespannte Bogen tatsächlich gerechtfertigt? Ist hier nicht von ganz unterschiedlichen Konzepten und Zusammenhängen die Rede? Von welcher Art ist die jeweilige »Einheit des Ich«, und welches »Ich« wird eigentlich als »einig« gedacht beziehungsweise postuliert – das Ich empirischer Erkenntnis, das Subjekt sittlicher Entscheidung, das Individuum religiöser Erfahrung? Und

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wie wäre mit Schaeffler eine »Einheit des Ich« zu denken, das alle diese noch einmal »eint«? Ein Blick auf die philosophiegeschichtliche Konstellation lässt eine genauere Verortung dieser Fragen zu: Cohen hatte anhand der sprachlichen Struktur von Gebot und Gebet die Geburtsstunde des sittlichen Subjekts aufgespürt. Der Kontext dieser Fragestellung liegt, wie Schaeffler deutlich herausgearbeitet hat, im Bereich der praktischen Vernunft, näherhin in der Selbstwidersprüchlichkeit einer moralischen Weltordnung, die durch das Postulat eines göttlichen Gesetzgebers aufgelöst werden soll, sowie im Widerspruch sittlicher Selbstgesetzgebung, dem Schaeffler mit dem kantischen Gedanken des »Urteilsspruchs aus Gnaden« zu entrinnen versucht. 239 Schaeffler muss also feststellen, dass der Gedanke der Subjektkonstitution bei Cohen zwar vorkomme, allerdings nur als Konstitution sittlicher Subjektivität. Die Sprachhandlung der Vergebungsbitte hat hier transzendentalen Charakter, indem sie den Aufbau einer einheitlichen »Welt der Zwecke« leistet und so sittliche Erfahrung ermöglicht. 240 So sehr Schaeffler Cohens Beitrag würdigt, kann er sich nicht damit begnügen, nur in einem Fall zu beschreiben, wie die Einheit des zerfallenen Subjekts wiederhergestellt wird. Aus diesem Grund bezieht sich Schaeffler in dieser Fragestellung neben Cohen auf Ernst Cassirers »Philosophie der symbolischen Formen«. Denn anders als Cohen berücksichtigt dieser die Tatsache, dass man von strukturell unterschiedlichen Weisen selbstbewussten Sprechens und verschiedenen eigengesetzlichen »Welten« ausgehen muss, die er kurz »symbolische Formen« nennt. 241 Hinsichtlich Schaefflers Konzept der religiösen Sprachhandlung des Gebetes ist zunächst einmal festzustellen, dass in der »acclamatio nominis Dei« das Subjekt des Beters (!) konstituiert wird. 242 Dieses Ergebnis kann jedoch nicht zufrie-

Vgl. I. Kant, Rel, B 101; vgl. Kap. 3.2.2. Vgl. R. Schaeffler, GuA, 42 f., 55. 241 Vgl. einführend dazu: E. Cassirer, Philosophie der symbolischen Formen I, 3–27. Cassirer nennt etwa die »Formen« der Kunst, Geschichte, Naturwissenschaft etc. Vgl. R. Schaeffler, GuA, 44–49, 81–87. 242 Ebd.,158 f.: »Wenn nämlich die Sprachhandlungen, durch die das Subjekt sich konstituiert, in spezifisch religiösen Sprachformen vollzogen werden, dann konstituiert sich darin offensichtlich das Ich seinerseits als ein spezifisch religiös strukturiertes Subjekt.« 239 240

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denstellend sein, bleibt es doch sogar hinter dem zurück, was schon Cassirer gefordert hatte, nämlich eine »Systematik des Geistes«, einen »Standpunkt, der es ermöglicht, das Ganze mit einem Blick zu erfassen« 243. Erst mit dieser Zuspitzung ist das Problemniveau dessen erreicht, was in Schaefflers Erfahrungslehre mit dem Vernunftpostulat der »Einheit des Ich« auf dem Spiel steht: Geht es bei der Einigung des Subjekts in der Anrufung Gottes nur um die Einheit einer Subjektivitätsweise, die der religiösen Erfahrung, oder birgt Schaefflers These – gleichsam auf einer übergeordneten Ebene – ein Lösungspotential für das Problem der Vielheit der Subjektivitätsweisen und der daraus resultierenden theoretischen Vernunftdialektik? Es ist unübersehbar, dass die religiöse Erfahrung bei Schaeffler keine Erfahrungsweise neben anderen darstellt, sondern eine besondere Bedeutung im Gesamtsystem einnimmt. Die Vernunftpostulate brauchen, wie er am Ende seines »opus magnum« feststellt, die konkrete Erfahrung »antizipatorischer Präsenz«, die die postulatorische Hoffnung rechtfertigt – nicht als logisch notwendiger Legitimationsgrund, sondern vielmehr als deren hermeneutisches Korrektiv. Denn nur in der religiösen Erfahrung wird der postulierte Grund irgendwie »greifbar«; im Dialog mit dem Heiligen und seiner »je größeren Wirklichkeit« bewährt sich jene Fähigkeit zur Erfahrung, welche die Vernunftpostulate begründen. In der religiösen Erfahrung vergewissert sich die Vernunft darüber, dass der Grund ihrer Hoffnung nicht bloßes Postulat, sondern »gegenwärtig vollzogene Beziehung« ist. 244 Aus diesem Gedanken heraus entwickelt Schaeffler die bereits zitierte

243 E. Cassirer, Philosophie der symbolischen Formen I, 14. Vgl. ebd., 12: »Das philosophische Denken tritt all diesen Richtungen [oder: symbolischen Formen; S. W.] gegenüber – nicht lediglich in der Absicht, jede von ihnen gesondert zu verfolgen oder sie im ganzen [sic!] zu überblicken, sondern mit der Voraussetzung, daß es möglich sein müsse, sie auf einen einheitlichen Mittelpunkt, auf ein ideelles Zentrum zu beziehen.« Schaeffler hebt das Problembewusstsein Cassirers hervor und greift die präzise abgesteckte Aufgabe und deren Lösungswege auf, ohne mit den Ergebnissen Cassirers bereits zufrieden zu sein. Vgl. auch R. Schaeffler, GuA, 82 ff. 244 Vgl. dazu ausführlich Ders., EDW, 686–693. »Vernunftpostulate benennen den Grund derjenigen Hoffnung, die notwendig ist, wenn Erfahrung möglich sein soll. Die sittliche Erfahrung und die religiöse Erfahrung aber vermitteln jene antizipatorische Präsenz des Erhofften, die notwendig ist, wenn derartige Vernunftpostulate vor dem Verdacht bewahrt werden sollen, bloßer Ausdruck eines Wunschdenkens zu sein.« Ebd., 687 f. Vgl. auch B. Nitsche, Göttliche Universalität in konkreter Geschichte, 175 f., 178–182.

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Kurzformel: »Religiöse Erfahrung ohne Vernunftpostulate ist blind, Vernunftpostulate ohne religiöse Erfahrungen sind leer.« 245 In »Philosophische Einübung in die Theologie« hat Schaeffler die Funktion der religiösen Erfahrung gegenüber den Vernunftpostulaten noch stärker herausgearbeitet. Er schreibt: »Was […] die Vernunft nur fordern kann, daß nämlich jede Weise, wie das Wirkliche uns in Anspruch nimmt, als Erscheinungsgestalt eines göttlichen Anspruchs und einer göttlichen Zuwendung verstanden werden darf, das ist der religiösen Erfahrung unmittelbar gewiß. Daher begründet erst sie die Gewißheit, daß dasjenige wirklich ist, was die Vernunft, ihrem unabweislichen ›Bedürfnis‹ folgend, nur postuliert.« 246

Die Vernunft formuliert also ein »Bedürfnis« 247, da ohne diese Annahme Erfahrung schlechterdings nicht möglich wäre. Dennoch kann dieses Postulat selbst nicht den Beweis führen, dass das Gehoffte und Geforderte einer Wirklichkeit entspricht und nicht vielmehr Wunschdenken sei. Die religiöse Erfahrung dagegen »tritt in die Begegnung mit dem Heiligen ein, dessen Anspruch sie beantwortet« 248. Interessanterweise führt Schaeffler genau an dieser Stelle den Begriff der »Doxa« ein, als das Aufleuchten der je größeren, aber in der religiösen Erfahrung antizipierbaren Herrlichkeit Gottes. Davon zunächst abgesehen: Was bedeutet es für die Möglichkeitsbedingung von Erfahrung überhaupt, wenn in der religiösen Erfahrung davon ausgegangen wird, dass der Mensch in der Sprachhandlung der Namensanrufung mit dem unabweislich anzunehmenden Grund aller Erfahrungsmöglichkeit in eine sprachliche Korrelation eintritt? Anders ausgedrückt: In welchem Verhältnis steht ein philosophischer Gottesbegriff, der besagt, dass Gott den Menschen »in allem, was ist, unter seine Anrede stellt«, zu dem existenziellen Fall, dass der Mensch Gott im Gebet tatsächlich anruft? 245 R. Schaeffler, EDW, 689. Äußerst komprimiert stellt Schaeffler den Gedankengang im Teilergebnis des entsprechenden Abschnittes dar: Die religiöse (und ebenso die sittliche) Erfahrung hat eine »transzendentale und allgemeine Bedeutung« für jede Art der Erfahrung, da jenes »Moment des An-die-Grenze-geführt-Werdens und Sich-wiedergeschenkt-Werdens« hier ausdrücklich widerfährt, das verborgen jeder Erfahrung innewohnt. Offensichtlich geht es Schaeffler also insbesondere um das Postulat der Einheit des Ich. Vgl. Ebd., 749 f. 246 Ders., PhE I, 191 f. 247 Die Rede von einem »Bedürfnis«, statt »Postulat« der Vernunft geht auf Kant selbst zurück. Vgl. etwa I. Kant, KpV, A 255 f. 248 R. Schaeffler, PhE I, 191.

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An der Frage der Subjektkonstitution scheint besonders deutlich zu werden, worin der Unterschied zwischen einer »postulierten« Einheit (Gottes und des Menschen) und der betend »vollzogenen« Einheitsstiftung unter Anrufung des einen Gottes besteht. In »Das Gebet und das Argument« entfaltet Schaeffler dies weiter aus: »Nicht, daß der Mensch durch eine ›theoretische, wenn auch unerweisliche, aber in praktischer Hinsicht notwendige Annahme‹, also ein Postulat im kantischen Sinne, die Existenz und Einzigkeit Gottes voraussetzt, sondern daß er durch die Sprachhandlung des Gebetes auf wirksame Weise in eine ›Korrelation‹ mit ihm eintritt, gibt der ›Seele‹ ihre verlorene Einheit zurück.« 249

In dieser Differenz erkennt Schaeffler – hinsichtlich der sprachphilosophischen Grundsatzdebatte – die Lösung für die Frage nach dem propositionalen Gehalt nicht-propositionaler Rede. Die Sprachhandlung impliziert das Postulat und geht doch im Vollzug den entscheidenden Schritt über die Grenzen der theoretischen Vernunft hinaus. Diese Verknüpfung von Vernunftpostulat und Sprachhandlung freilich überschreitet nicht nur den Horizont der kantischen Postulatenlehre, sondern führt gleichzeitig auch zu religionsphilosophischen Konsequenzen, die Kants generelle Skepsis gegenüber dem Gebetsakt weit hinter sich lässt. 250 Vgl. Ders., GuA, 62. Sofern für Kant der »Geist des Gebets« nichts anderes ist als die moralische Idee »Gott in allem unserem Tun und Lassen wohlgefällig zu sein« (I. Kant, Rel, B 302), zielt dieser Geist allein auf die Wirkung ebendieser moralischen Idee ab – dass nämlich der Zustand der Erkenntnis »aller unserer Pflichten als göttliche Gebote« (Ebd., B 229) erreicht wird, der dann »subjektiv betrachtet« (!) als »Andacht« wahrgenommen wird (Vgl. ebd., B 302). Darüber hinaus gelten für Kant Worte und Formeln bestenfalls als kontingente Mittel zu diesem Zweck. Die Anrede Gottes aber ist für Kant im Privatgebet grundsätzlich irreführend und sogar hinderlich. Im öffentlichen Beten (dem »Kirchengehen«) gewinnt Kant der feierlichen Anrede eines Gottes etwas mehr »Vernunftgrund« ab, jedoch mit der alleinigen Begründung, »im gemeinschaftlichen Wunsche des Reiches Gottes […] jedes einzelnen moralische Triebfeder desto mehr in Bewegung zu setzen« (Ebd., B 307). Dies gelingt kaum besser – so Kant weiter – »als dadurch, daß man das Oberhaupt desselben [des Reiches Gottes, also »Gott«; S. W.], gleich als ob es an diesem Orte besonders gegenwärtig wäre, anredet« (Ebd.). Anhand dieser Zitate wird überaus deutlich, dass für Kant die sprachliche und personale Anrede Gottes im Sinne Cohen und Schaefflers als »Schleichweg«, »abergläubischer Wahn« oder »Fetischmachen« (Ebd., B 300, B 302) angesehen werden muss. Vgl. dazu: B. Nonnenmacher, Der Begriff sogenannter Gnadenmittel unter der Idee eines reinen Religionsglaubens, in: O. Höffe (Hg.), Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft, Berlin 2011, 211–229, hier 220–224; R. Wimmer, Kants kritische 249 250

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Ein letzter, wichtiger Beitrag Schaefflers sei zu dieser Fragestellung herangezogen. Er trägt den programmatischen Titel »Die Konstituierung des religiösen Subjekts in der Sprachhandlung des Gebets«. 251 Anhand dieses Aufsatzes lassen sich abschließend zwei Kernaussagen in Schaefflers Verständnis der Einheit bzw. Einigung des Subjekts im Gebet vertiefen, die sich unterdessen herauskristallisiert haben: (1) Die These von der Subjektkonstitution im Gebet meint nicht »nur« die Einheit der spezifischen Subjektivitätsweise des »religiösen Ich«. (2) Die These von der Identitätsstiftung in der Sprachhandlung des Gebetes hat einen anderen, in gewisser Weise weiter reichenden epistemischen Status als den eines Vernunftpostulates. Schaeffler behandelt in diesem Aufsatz die Dialektik der Vernunft unter einem besonderen Gesichtspunkt, nämlich als »Dialektik der Vernunft in ihrem mythischen Gebrauch«. Im Mythos stellt sich die Vernunft dem Versuch, im Wechsel der Erscheinungsformen das eine bleibende und strukturierende Prinzip zu benennen und es als das »Ur-Ereignis« auszuweisen, das vor allen unseren Erfahrungen stattgefunden hat und gleichwohl in allen Erfahrungen greifbar wird. 252 Die Aufgabe, dieses eine und sinnstiftende »Ur-Ereignis« in einer paradox erlebten Welt wiederzufinden, lässt sich allein durch den doppelten Akt des Erzählens lösen. Die Erzählungen der empirischen Ereignisse müssen sich dabei im Lichte der Erzählung der mythischen, apriorischen Begebenheit auslegen. Der unüberwindliche Graben zwischen diesen Ereignissen führt wiederum zu dem von Schaeffler auch in anderen Zusammenhängen beschriebenen Fall der Dialektik der (mythischen) Welt und des (mythischen) Ich. 253 Es zeigt sich, dass die beschriebene Dialektik des mythologischen Vernunftgebrauchs letztlich der Diskrepanz zwischen sakraler und profaner Selbst- und Weltwahrnehmung entspricht. Die Dialektik besteht darin, dass derselbe Mensch sich sowohl als »Eingeweihter« heiliger Handlung, als auch – in anderem Kontext – als Beobachter alltäglicher, empirischer Ereignisse erfährt. 254 Die Erfahrungen in und durch diese beiden Welten stellt die Vernunft vor die ebenso unabweisliche wie unerfüllbare Aufgabe, zwei disparate Erzählungen in einem einReligionsphilosophie, Berlin 1990, 197–214; H. J. Luibl, Des Fremden Sprachgestalt, 59–80. 251 in: G. Larcher, Symbol – Mythos – Sprache, Annweiler 1988, 59–83. 252 Vgl. ebd., 63 ff. 253 Vgl. ebd., 65–69. 254 Vgl. ebd., 67 f.

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heitlichen Akt des »Ich erzähle« zu fassen. Der weitere Argumentationsgang folgt einem für Schaeffler geradezu klassischen Schema in freier Rezeption Kants: Die Einheit des Aktes »Ich erzähle« ist eine Zielvorstellung, die in sich widersprüchlich, aber für die Möglichkeit des Erzählens so unabdingbar ist, dass sie berechtigterweise als ein »Postulat auf Hoffnung hin« formuliert werden darf. 255 Dieses Postulat jedoch ist, so Schaeffler, »die Frucht einer realen Beziehung, die nicht im bloß theoretischen Denken gestiftet wird, sondern in wirksamen Handlungen« 256. Die Sprachhandlung der Namensanrufung vermag jene Beziehung aufzubauen, welche die Hoffnung begründet, in der Korrelation mit dem einen und immer gleichen Gott die Kluft zwischen sakraler und profaner Erfahrungsweise zu überwinden. Die Namensanrufung im Gebet vermag die beiden als disparat erlebten Bereiche in einem einzigen Bewusstseinsakt zu erfassen, in einer einheitlichen Erzählung zu vereinen und so die allumfassende Einheit des Subjekts zu begründen. 257 Damit liegen die beiden Thesen offen da: (1) Die Rede von der Subjektkonstitution des Gebetes bezieht sich nicht nur auf die Einheit des spezifisch »religiös« strukturierten Subjekts. Vielmehr findet der Beter in der Anrufung Gottes zu jener allumfassenden Subjektivität, die alle Erfahrung zu einem einheitlichen Akt des »Ich denke« zusammenfügt. In der Korrelation mit Gott wird die geschichtliche Disparität »überbrückt« und die verlorengegangene Identität wiedergefunden. Der Beter hat im mythischen Erleben einen Namen vernommen, den er auch in profanen Zusammenhängen anrufen kann. Er kann alltägliche Erfahrungen künftig so erzählen, dass sie als »Abbildereignisse der mythisch berichteten Urbildereignisse begreiflich werden« 258 und sich zu einem einheitlichen und sich gegenseitig auslegenden Erzählkontext verbinden lassen. Die wiedergewonnene Einheit des Ich, von der hier die Rede ist, ist also die Einheit verschiedener, im Grunde aller Weisen strukturverschiedener Subjektivität. Fazit: Schaeffler bezieht sich in seinem transzendentalen Verständnis des Gebetsaktes auf eben jene Dialektik der verschiedenen Subjektivitätsweisen, die in seiner Erfahrungslehre durch das Postulat der »Einheit« aufgelöst wird. 255 256 257 258

Vgl. ebd., 69–72. Ebd., 70. Vgl. ebd., 71. Ebd., 78.

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(2) Zugleich wird deutlich, dass Schaeffler in diesen religionsphilosophischen Beiträgen weiter geht, als ihm dies in seiner Erfahrungslehre möglich ist: Die Dialektik des denkenden und erzählenden Ich wird letztlich nicht mit Hilfe eines Vernunftpostulates, sondern mittels einer transzendentalen Sprachhandlung aufgelöst. Der Status dieser Denkform ist freilich ein völlig anderer. Das, was die Vernunft fordert und angesichts ihrer Widersprüchlichkeit fordern muss, wird im Akt des Gebetes unmittelbar vollzogen. In der Sprachhandlung wird, um das Wort Cohens noch einmal aufzugreifen, »der Wille lebendig […] an allen Mitteln des Denkens« 259, ohne den die Korrelation zwischen Gott und Mensch nicht mehr als eine Theorie wäre. Was Kant als Ausgangspunkt seiner Vernunftkritik festsetzt – die »ursprünglich-synthetische Einheit der Apperzeption« – und was im Zuge der nachkantischen Erkenntnislehre fraglich geworden ist, dies glaubt Schaeffler hier sprachphilosophisch einholen zu können: »Das ›Ich denke‹, das alle religiösen Vorstellungen muß begleiten können, das ›Ich erzähle‹, das alle Geschichte als die eigenen dem Erzähler zugehörigen Geschichten erscheinen läßt, ist primär ein ›Ich rufe dich an‹ – oder präziser gesagt: Es ist ein ›Sei gegrüßt‹, und erst im Zusammenhang mit diesem Grüßen formt sich der in so unterschiedlichen Kontexten vollzogene Akt zur Einheit eines einzigen Vollzuges.« 260

Im Gruß und in der Namensanrufung Gottes konstituiert sich die Einheit des Ich, die Schaeffler vor allem als die geschichtliche Identität des Beters versteht. Wer in der Korrelation mit Gott seine eigene Geschichte zusammenhängend erzählen kann und ihr einen Ort in der Geschichte Gottes zuweisen lässt, der wird von Gott zur Einheit seiner selbst geführt.

4.3.3 Die transzendentale Funktion des Erzählens und das Geschichtsverständnis des Beters Die Ausfaltung der Namensanrufung im Akt des Erzählens und die eben behandelte Interpretation der »Einheit des Ich« als die Einheit seiner geschichtlichen Kontinuität hatten bereits aufscheinen lassen,

H. Cohen, RV, 463. R. Schaeffler, Die Konstituierung des religiösen Subjekts in der Sprachhandlung des Gebets, 79. 259 260

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welche Bedeutung der Dimension der Zeit in Schaefflers Gebetslehre zukommt. Die semantische Betrachtung der partizipialen Kausativformen hat ergeben, dass mit dieser speziellen grammatischen Form Aussagen über die Einheit der Welt und der Zeit impliziert sind. Im Folgenden soll die transzendentale Interpretation des Zeit- und Geschichtsverständnisses im Gebetsakt noch deutlicher ausgeführt und diese mit dem dritten Vernunftpostulat Schaefflers in Beziehung gebracht werden, dem Postulat der »Einheit der Geschichte«. Wann immer Menschen in die Korrelation mit Gott eintreten, vollziehen sie eine Verknüpfung von erinnerter Vergangenheit und gegenwärtiger Begegnung. Wer dieser angerufene Gott ist und was den Beter mit Ihm verbindet, lässt sich nicht anders ausführen als durch den Akt des Erzählens. Im Gebet »organisiert« sich, so Schaefflers Gedanke im Rückgriff auf A. Danto, Gegenwart hinsichtlich der Vergangenheit und Vergangenheit hinsichtlich der Gegenwart. Der Betende erzählt die Geschichte Gottes und er erzählt von seiner individuellen Lebensgeschichte; und es hängt für ihn alles daran, seine Geschichte in die »Heilsgeschichte« einfügen zu können, jenes Geschichtshandeln in seiner eigenen Lebenserfahrung wiederzuerkennen. 261 Auch wenn beim Hören einer Erzählung zunächst vor allem die kategorialen Aussagen wahrgenommen werden und eher die einzelnen Erzählsätze und weniger der Erzählakt als solcher hervortreten, so weist Schaeffler dezidiert auf die transzendentale Funktion des Erzählens hin. Im Gebet wie in der mitmenschlichen Erzählsituation geht es im Letzten darum, die Ich-Identität und Weltkohärenz des Sprechers herzustellen oder wiederzufinden. 262 Die Ordnung und Aneignung von Vergangenheit – der eigenen wie der fremden – ist dabei konstitutiv. Erzählend verorte ich mich in der »objektiven« Welt und finde darin meine je eigene Stelle, »indem ich versuche, meine eigene Geschichte einem anderen zu erzählen, und zwar so, daß er an einigen entscheidenden Punkten meiner Lebensgeschichte vorkommt, und indem ich versuche, die Geschichte eines anderen, weil ich in ihr an einigen Stellen vorkomme, als Teil meiner eigenen Geschichte zu erzählen« 263.

261 262 263

Vgl. Kap. 4.2.1. Vgl. Ders., Kleine Sprachlehre, 55. Ebd.

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Schaeffler verweist darauf, dass jederzeit offenzuhalten sei, ob dieses »Experiment des Erzählens« im Gebet tatsächlich gelingt. 264 Wenn es aber gelingt, so entsteht ein Verhältnis wechselseitigen Verstehens – des Heiligen im Lichte der eigenen Geschichte und umgekehrt. Genau darin besteht für Schaeffler die transzendentale Funktion des Erzählens, die über die Wiederherstellung der Ich-Identität hinausgeht. Denn in Erzählsätzen werden die Möglichkeitsbedingungen implizit benannt, die den Gegenstandsbezug dieser Aussagen garantieren: das »geordnete Gefüge von Raum, Zeit, Kausalität usw., vor allem aber die Identität des Ich, das sich auf diese Gegenstände bezieht, und die Ganzheit der Welt, in deren wohlgeordneter Struktur sie ihre Stelle finden« 265. Die geschilderte Verknüpfung beider Erzählreihen ist also die Bedingung für die Objektivität der Erfahrung des Beters: »Objektiv ist, was in jener gemeinsamen religiösen Welt [also dem Raum der Korrelation zwischen Gott und Mensch; S. W.] seine Stelle findet.« 266 Kommt die Erzählung der menschlichen Lebensgeschichte darin nicht vor, so bricht auch die Welt des Beters zusammen – oder anders gesagt: seine eigene Vergangenheit wird ihm fremd. Biblisch wird diese Situation der Entfremdung von der eigenen Geschichte mit dem Wort »vergessen« ausgedrückt. 267 Genau besehen muss sogar mit der Möglichkeit eines »doppelten Vergessens« gerechnet werden. Es ist möglich, dass der Sprecher seine eigene Geschichte nicht mehr zusammenhängend erzählen und deren Kontinuität nicht rekonstruieren kann. Ebenso ist es andererseits denkbar, dass das Gegenüber die für den Erzählenden wichtigen Anknüpfungspunkte nicht aufnehmen kann, die Erinnerung seinerseits nicht einmal im Ansatz teilt und die Erzählung so auch nicht bestätigen kann. 268 Für das Experiment des Erzählens und für das gelungene Vgl. Ders., Die religiöse Sprache, 134–136; Ders., Kleine Sprachlehre, 51 ff. Schaeffler hegt sogar Vorbehalte im Sinne des Anthropomorphismus-Verdachts, wenn die »Verschmelzung« der Geschichten im Gebet allzu harmonisch verläuft. Wenn »gar nicht mehr deutlich wird, daß es sich um zwei verschiedene Geschichten handelt […], dann entsteht der Verdacht, der Sprecher habe sich nicht an ein wirkliches, sondern an ein von ihm fingiertes Du gewendet«. Ebd., 60. 265 Ebd., 54. 266 Ebd., 60; vgl. ebd., 66–68. 267 Vgl. ebd., 60. 268 Schaeffler nennt alltägliche Formulierungen wie: »Nein, also daran kann ich mich beim besten Willen nicht mehr erinnern …« Auch im Erzählakt fordert Schaeffler einen »Identitätspunkt ›extra se‹«. Vgl. Ders., Die religiöse Sprache, 141. 264

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»Organisieren« der Erinnerung ist also nicht nur die Kontinuität des eigenen Weges, sondern auch »der Andere« notwendig, der die Erzählung zumindest in Teilen auch als seine Wirklichkeit akzeptiert und dem Erzählenden so die Möglichkeit gibt, sich in dessen (!) Erinnerung zu sammeln. 269 Letzteres zeigt aber, dass das Experiment des Erzählens nicht aus eigenen Kräften zu leisten ist, sondern auf das »unverfügbare Du« 270 angewiesen ist – im Gebet auf das »Du« Gottes, vor dem der Beter sagen kann: »Meine Wege habe ich Dir erzählt, und Du erhörtest mich« (Ps 119,26). 271 Der Versuch des Erzählens gleicht dem Suchen nach dem »Angesicht« Gottes, 272 in dem sich die Geschichte des Beters zu einem geraden Weg sammelt und er seine historische Identität (wieder)findet. Die primäre Zeiterfahrung des Beters im Akt des Erzählens ist der jeweilige Augenblick, das »Jetzt«. Er steht in der Erwartung, dass sich die Inhalte seiner Geschichte mit den Taten und Leiden der Geschichte Gottes aktuell verbinden. Als Ausdruck dafür nennt Schaeffler den biblischen Ausruf »Siehe!«, wie er – um bei seiner geschätzten Quelle zu bleiben – im Magnifikat vorkommt: »Siehe, von nun an preisen mich selig alle Geschlechter« (Lk 1,48b). In diesem Vers erkennt Schaeffler neben dem Augenblick als dem einzig möglichen Zeitpunkt der Korrelation eine zweite allgemeine Zeiterfahrung des Gebetes: Die Erneuerung der gegenwärtigen Erfahrung in der Zukunft – im kommenden »Äon«. 273 An jeder seiner Heilstaten, die der Beter erfahren hat, kann Gott »von nun an« wiedererkannt werden und jede einzelne dieser Taten kann »von nun an« zum Anlass der Anrufung Gottes und zum Inhalt des Erzählens werden. 274 Solche Vgl. Ders., Kleine Sprachlehre, 61. Ebd. 271 Vgl. ebd., 62. 272 Vgl. etwa Ps 27,8: »Mein Herz denkt an dein Wort: ›Sucht mein Angesicht!‹ Dein Angesicht, Herr, will ich suchen.« Vgl. Ders., Kleine Sprachlehre, 62. In der Grundbitte um das Antlitz Gottes sieht Schaeffler den Anknüpfungspunkt für verschiedene Gebetsmodalitäten wie Dank, Klage, Bitte. Vgl. Kap. 4.4.2. 273 Vgl. Ders., GuA,184 f. 274 Schaeffler bezieht sich hier sowohl auf den darauffolgenden Magnifikatvers (»Er erbarmt sich von Geschlecht zu Geschlecht«; Lk 1,50), als auch auf die in der christlichen Liturgie den Psalmen angefügte Doxologie »[…] nunc et semper et in saecula saeculorum«. Es scheint, dass Schaeffler die zeitliche Verknüpfung von der religiösen Erfahrung im »Jetzt« und ihrer Wiederkehr »von Äon zu Äon« in Anlehnung an diese Doxologie entwickelt. Vgl. ebd., 184. Insgesamt erinnert das hier entfaltete, doppelte Zeitverständnis im Gebet überdies an Schaefflers vierten Grundsatz des reinen Ver269 270

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Augenblicke, die in der biblischen Überlieferung mit dem Ausruf »Siehe!« in ihrer Denkwürdigkeit gekennzeichnet werden, sind für Schaeffler keinesfalls bloße Beispiele oder ableitbare Fälle der göttlichen Gnade, sondern historisch einmalige Augenblicke, deren Bedeutung die Generationen überdauert, wie etwa jener heilsgeschichtlich folgenreiche Augenblick, in dem Gott die »Niedrigkeit seiner Magd« angeschaut hat. Der Beter ist getragen von der Hoffnung, dass Gott sich im Erzählen dieser historischen Tat erneut rufen lässt, um seine Gnade gegenwärtig zu erneuern. 275 Die Notwendigkeit, dieses Ereignis in der Gemeinde und »coram Deo« zu erzählen, findet kein Ende. Die konstitutive Bedeutung des Erinnerns und Gedenkens der Taten Gottes illustriert Schaeffler an einem Element aus der Liturgie des jüdischen Pessachfestes. Hier wird an einer Stelle an die »Weisen aus Benej Beraq« erinnert, die einmal eine ganze Nacht bis zum nächsten Morgen damit zugebracht hatten, vom Auszug aus Ägypten und seiner Erneuerung in jeder jüdischen Generation zu erzählen – und noch immer kein Ende fanden. Von ihnen ist der Satz überliefert: »Und wären wir allesamt Weise und allesamt Kenner der Torah, so obläge es uns doch, zu erzählen.« 276 Die Pflicht zu erzählen besteht nicht nur deswegen, weil Gottes Taten niemals zu Ende erzählt sind, sondern weil auch der Erzählakt als eine dialogische Sprachhandlung anzusehen ist. Sein Gelingen hängt auch davon ab, ob sich der Andere an dieselbe Geschichte erinnern kann und will. Schaeffler fügt daher zu den beiden genannten Elementen der Zeiterfahrung im Gebet eine dritte hinzu: »das Band, das die Zeiten zusammenhält, jenes dritte Element der religiösen Zeitanschauung (›Siehe‹) und der nicht endenstandes, vom bleibenden, aber gleichwohl zukunftsoffenen »Wert« jeder Erfahrung. Vgl. Ders., EDW, 346. 275 Neben der im Magnifikat ausgedrückten Hoffnung, dass Gott sich angesichts der Geschichte Marias »von Geschlecht zu Geschlecht« immer neu als der Erbarmende zeigt, verweist Schaeffler in diesem Zusammenhang eher beiläufig auf das m. E. sehr eindrückliche Wort aus den Klageliedern: »Die Huld des Herrn ist nicht erschöpft, sein Erbarmen ist nicht zu Ende. Neu ist es an jedem Morgen, groß ist deine Treue.« (Klgl 3,23). Vgl. Ders., GuA, 184. 276 Ders., PhE II, 122; vgl. Ders., GuA, 185. Mit dieser Episode aus der Pessach-Haggada verbindet sich dort die halachische Frage, ob der Auftrag, »alle Tage deines Lebens deines (!) Auszugs aus Ägypten zu gedenken« (Vgl. Dtn 16,3), die Nächte miteinschließt. Vgl. dazu Schalom Ben-Chorin, Narrative Theologie des Judentums anhand der Pessach-Haggada, Tübingen 1985, 58 f.; Die entsprechende Passage aus der Haggada findet sich ebd., 135.

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den Kette seiner Erneuerungen (›von Geschlecht zu Geschlecht‹) ist nicht die Kraft menschlicher Erinnerung, sondern die Treue göttlichen Gedenkens.« 277 Die Fähigkeit, von und vor Gott zu erzählen, steht nicht in der Macht des Beters, da die »Treue des Gedenkens« bei Gott liegt. 278 So kommt es in der Sprache der Psalmen zu der paradoxen Situation, dass der Psalmist gegen das Vergessen Gottes appelliert 279 – grammatisch in der Form des Jussiv – und Gott sein eigenes Gedenken in Erinnerung ruft. 280 In der Liturgie des Neujahrstages, dem »Tag des Gedenkens«, wird die göttliche Treue des Gedenkens ausdrücklich thematisiert, wenn es heißt: »Für alle Vergessenen seit Weltzeit bist du der Gedenkende.« 281 Im Gebet begegnet der Mensch demjenigen, bei dem die persönliche und universelle Vergangenheit nicht verloren ist. »Weil Gott der Gedenkende ist, darum und nur darum kann auch der Mensch seinerseits, wenn er diesem Gott begegnet, die eigene Lebensgeschichte und die gemeinsame Volksgeschichte in Erinnerung rufen.« 282 Zusammenfassend kann man bei Schaeffler drei Elemente der Zeitanschauung im Gebet feststellen: 283 (1) Das »Jetzt«, der »Augenblick der Mitteilung göttlichen Lebens an den Menschen«. (2) Die »Erzählzeit« als die »Reihe der immer neuen Gegenwartsweise der göttlichen Tat im Wechsel der kosmischen Weltzeit und der menschlichen Generationen«. (3) Die »Kontinuität« dieser Zeit, die auf der »Treue eines göttlichen Gedenkens« gründet. Der Ort des Erinnerns R. Schaeffler, GuA, 185 f. Vgl. ebd.; vgl. Ders., Adiutorium nostrum, 33. 279 Schaeffler nennt explizit die lateinische Jussiv-Formulierung »ne obliviscaris«. Vgl. Ders., Die Vielfalt der Weisen religiöser Wahrheit, 89. Zu nennen wäre etwa Ps 10,12: »Herr, steh auf […], vergiß die Gebeugten nicht!« Vgl. auch Ps 74,19; 74,23. 280 In Ps 132 etwa legt der Psalmist Gott das »memento« an die Geschichte Davids nahe: »O Herr, denk an David, denk an all seine Mühen.« In Ps 25,6 heißt es ähnlich wie im Magnifikat: »Denk (lat. »reminiscere«) an dein Erbarmen Herr, und an die Taten deiner Huld; denn sie bestehen seit Ewigkeit.« 281 Ders., GuA, 186, 217; Ders., Kleine Sprachlehre, 27; Ders., Adiutorium nostrum, 33. In seinem Artikel »Das Gebet« (1983) zitiert Schaeffler diesen Vers aus dem jüdischen Gebetbuch weiter, wo es heißt: »… und kein Vergessen ist vor dem Thron deiner Herrlichkeit.« Ders., Das Gebet, 87. 282 Ders., Kleine Sprachlehre, 27; vgl. wörtlich in: Ders., Adiutorium nostrum, 33. 283 Vgl. zum Folgenden Ders., GuA, 186 f., wo diese drei Elemente explizit genannt werden. Zu (2) und (3): Die »Erzählzeit« ist also, wie Schaeffler betont, keine »Maßzeit«, sondern die unter chronologischer Perspektive unregelmäßigen Momente der Erneuerung und Neugestaltung der Taten Gottes. Was dieser heterogenen »Erzählzeit« den Zusammenhang verleiht, ist letztlich das »göttliche Gedenken« (3). 277 278

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und Gedenkens ist, wie sich gezeigt hat, die Feier der Liturgie. Das zuletzt genannte Beispiel des Neujahrstages macht deutlich, dass dieser »Eingedenktag« (Yom ha-Sikaron) 284 zugleich ein Tag der Prüfung, der Gnade und des Gerichtes ist. Nicht nur die erinnerte Vergangenheit, sondern auch die Zukunft finden in der Gegenwart dieser liturgischen Feier wie in einem Brennpunkt zusammen: »Dieses Gedenken Gottes versammelt Vergangenheit und Zukunft in die [sic!] Gegenwart vor dem ›Throne deiner Ehre‹. Darum ist dies der Tag, an dem das Vergangene ›geprüft‹ und das Künftige entschieden wird.« 285 Schaeffler hat seine Aussagen zum Zeit- und Geschichtsverständnis des Gebetes in Anlehnung an Beispiele aus der jüdischen Liturgie entwickelt. 286 Darüber hinaus zeigen sich auch hier vielfache Verknüpfungen mit einer transzendentalen Perspektive. Diese anspruchsvollen Reflexionen zum historischen Moment der religiösen Erfahrung und zur Zeiterfahrung im Gebet heben die biblischen und liturgischen Beobachtungen auf eine breitere philosophische Ebene. Die drei Zeitdimensionen von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft verdichten sich im persönlichen Gebet wie auch in der religiösen und kultischen Feier. 287 Schaeffler spricht auch von »Erinnerung«, »Begegnung« und »Erwartung«. Ausgangspunkt, Möglichkeitsbedingung und Inhalt der religiösen Feier ergeben sich aus der rühmenden Erinnerung, da Gottes Worte und Taten sachlich wie zeitlich der Antwort des Menschen vorausgehen. 288 Schaeffler versteht das religiöse Bewusstsein in diesem Sinne zugleich anamnetisch und prospektiv: »Die Erinnerung gibt dem Fest seinen Gehalt; die Feier des Festes gibt der Erinnerung ihre gegenwärtig neuschaffende Kraft. Und deshalb sind reli-

Ders., Das Gebet, 86. Ebd. Im Folgenden weist Schaeffler darauf hin, dass etwa auch Walter Benjamins und Ernst Blochs Geschichtsverständnis von der Liturgie des Eingedenktages her zu lesen und zu verstehen seien. Vgl. ebd., 87 ff. 286 Vgl. weiterführend: S. Wahle, Gottes-Gedenken. Untersuchung zum anamnetischen Gehalt christlich-jüdischer Liturgie, Innsbruck – Wien 2006, bes. den philosophischen Teil ebd., 157–192. 287 Die hier vorgetragenen Gedanken zum Geschichtsverständnis finden sich in analoger Weise auch bei Schaefflers relativ frühen Arbeiten zum religiösen Kult. Vgl. die ausführlichen Literaturangaben in Kap. 2.2.3, Fn. 114 288 Ders., »Darum sind wir eingedenk«, in: A. Häußling (Hg.), Vom Sinn der Liturgie, Düsseldorf 1991, 16–44, hier 16. 284 285

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giöse Feste nicht nur Ausdrucksformen einer rückwärtsgewandten Erinnerung, sondern zugleich Stunden radikaler Erneuerung der religiösen Überlieferungsgemeinschaft.« 289

Die drei Zeitebenen verschränken sich je nach Wahrnehmungsperspektive: »Was von Gott her entweder in unvordenklichen Anfängen oder in einem historischen Neuanfang mitten in der Zeit gewirkt worden ist und nun den Gegenstand religiöser Erinnerung ausmacht, das steht, von der Welt her gesehen, noch immer bevor, macht den Gegenstand der Hoffnung aus.« 290 Der Gottesdienst – und hier denkt Schaeffler explizit an die Eucharistie – ist daher immer »Erinnerung und Hoffnung zugleich« 291. Transzendentalphilosophisch betrachtet erkennt Schaeffler im Akt des Gedenkens eine dreifache Verstandesleistung: 292 (1) Die Aufgabe, »Gleichartiges wiederzuerkennen« – also das, was Kant »Rekognition« nennt. Grundlage dafür sind die Kategorien von Substanz und Kausalität und nicht zuletzt die regulative Idee einer kohärenten Welt. (2) Die Aufgabe, im Verlauf der Geschichte »uns selber wiederzufinden«. Dahinter steht die Idee der Einheit des Ich. Diese beiden Verstandesleistungen spiegeln also exakt wider, was in den vorigen Kapiteln zu Weltwahrnehmung und Subjektivität des Beters ausgeführt wurde. (3) Schließlich nennt Schaeffler die Aufgabe, »gewisse Inhalte als ›Denkwürdigkeiten‹ herauszuheben«. Dadurch gewinnt die geschichtliche Dimension der religiösen Erfahrung eine qualitative Struktur. Schaeffler verweist insbesondere auf Identifikationsereignisse und Krisenereignisse, also Erfahrungen, die dem Beter die Einheit von Welt und Ich beziehungsweise deren Verlust und die daraus resultierende Orientierungslosigkeit unmittelbar vor Augen führen. Dieser dreifachen Verstandesleistung im »Gedenken« setzt Schaeffler drei transzendentale Aufgaben der religiösen »Erwartung« entgegen und stellt damit eine Parallelität zwischen Vergangenheit und Zukunft heraus. Die drei Aufgaben des Verstandes lauten: 293 (1) Die »Prognose« der Erwartung aufgrund der richtigen Kombina289 Ders., PhE II, 126 f. Fast wortgleich findet sich dieser Grundsatz in: Ders., »Darum sind wir eingedenk«, 17. 290 Ebd. 291 Ebd. Schon der Titel dieses Vortrags greift die Worte aus den eucharistischen Hochgebeten auf: »Unde et memores« – »Darum sind wir eingedenk«. 292 Vgl. zum Folgenden ebd., 22 f. 293 Vgl. ebd., 26 f.

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tion dessen, was als konstant und was als variabel gelten kann. (2) Die aus der Einheit der eigenen Lebensgeschichte entspringende »doppelte Pflicht«, einerseits darauf zu hoffen, dass unsere Identität auch in Zukunft nicht verloren geht, und andererseits offen zu bleiben für Unbekanntes und Unvorhersehbares. 294 (3) Die »Zuversicht«, dass einmal als denkwürdig erkannte Ereignisse zwar durch künftige Erfahrungen anders gelesen und interpretiert werden müssen, dass sie aber ihre Orientierungskraft nicht verlieren, sondern vielmehr vertiefen. Die transzendentale Bedeutung von Welt und Ich im Gebet beziehungsweise in der Liturgie bindet Schaeffler mit diesen Überlegungen ein in den geschichtlichen Kontext von Erinnerung und Erwartung: »Nur diese Einheit von Gedenken und Hoffen konstituiert für das religiöse Bewußtsein die Ganzheit seiner Erfahrungswelt […] und die Einheit seines Selbstbewußsteins […].« 295 Wie bereits in den vorangehenden Ausführungen sichtbar wurde, überschreitet Schaeffler in seinen gebetstheologischen Schriften die Grenze einer bloßen erkenntnistheoretischen Analyse: Das, was die Einheit der Erinnerung und die Legitimation der Hoffnung hervorbringt, was Erinnerung zur Hoffnung werden lässt, geschieht in der Gegenwart der Begegnung: »Erinnerte Vergangenheit und erwartete Zukunft können im religiösen Bewußtsein nur deswegen verknüpft werden, weil dieses religiöse Bewußtsein seine Identität in einem Akt der Begegnung gewinnt.« 296 Unter »Begegnung« aber ist hier mehr zu verstehen als ein psychischer Vorgang oder eine Verstandesleistung – wie Schaeffler sagt: »nicht bloß ›Rekognition im Begriff‹, nicht bloß Verknüpfung von Bewußtseinsinhalten und Hervorhebung ihrer Ähnlichkeit, sondern ›Anrufung des Namens‹« 297. Im wechselseitigen, sprachlich gefassten Dialog mit Gott konstituiert sich neben der Einheit von Welt und Subjekt auch die Einheit der Geschichte, die der Beter als 294 Der Begriff der »doppelten Pflicht« erscheint etwas missverständlich und erregt beinahe den Eindruck eines naturalistischen Fehlschlusses. Es geht hier allerdings nicht um ethische Konsequenzen aus der Erfahrung der Ich-Identität, sondern allein um die Aufforderung zur Verknüpfung von Erinnerung und Hoffnung angesichts der eigenen Geschichtlichkeit. 295 Ders., »Darum sind wir eingedenk«, 43. 296 Ebd., 34. 297 Ebd., 32. Diese Begegnung sei »kein bloß psychischer Vorgang, nicht bloß die Reproduktion von Gedächtnisbildern und ihre Verknüpfung mit Vorstellungen von künftigen Ereignissen, sondern das Eintreten in eine Beziehung durch Anrufung des Namens«. Ebd., 42.

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seine Geschichte erzählen lernt. 298 In der Korrelation mit Gott werden die vergangenen Heilstaten Gottes gegenwärtig erfahrbar und seine künftigen Taten erhofft und in konkreten Zeichen bereits antizipiert. 299 In der »Gegenwart des Festes« geschieht die Vereinigung von Vergangenheit und Zukunft, welche die Dauer der einzelnen Lebensgeschichte übersteigt und allein in der Treue des Gedenkens Gottes gründet. In diesem Sinne ist Schaefflers Diktum der »identitas extra se« auch in diesem Fall angemessen: »In der Treue Gottes, der auch noch in der fernsten Zukunft sich bei seinem Namen wird rufen lassen, gewinnt die Zeit, d. h. der Zusammenhang aller Ereignisse im Leben des Menschen und der Welt, ihre Einheit, gewinnt das Leben der Glaubenden und der Gemeinde seine geschichtliche Kontinuität.« 300

Im Gebetsakt wird mit anderen Worten das eingelöst, was Schaeffler im Rahmen seiner Erfahrungslehre als drittes Vernunftpostulat formuliert hat – die »Einheit der Geschichte«. 301 An dieser Stelle sei schließlich auf neuere Überlegungen hingewiesen, die Schaeffler im zweiten Band der »Philosophischen Einübung in die Theologie« im Zuge der transzendentalphilosophischen Neuinterpretation der Lehre vom vierfachen Schriftsinn anstellt. Im Blick auf die geschichtliche Dimension der religiösen Erfahrung und die Funktion des Erzählens und Gedenkens im Gebet sind insbesondere die Ausführungen zum »anagogischen« (1) und zum »historischen« (2) Bedeutungsmoment der religiösen Erfahrung relevant, die als eine Vertiefung und Systematisierung der oben entwickelten Gedanken gelten können. 302

Vgl. ebd., 32. Vgl. ebd., 34. Vgl. wiederum die Oration der Osternacht, an die Schaeffler erinnert: Gott lässt seine »längst gewirkten Großtaten […] auch in unseren Tagen blitzartig aufleuchten«. Ebd. Vgl. Kap. 4.2.2. 300 Ebd., 35. 301 Vgl. Ders., EDW, 685. Vgl. dazu ausführlich und mit Zitaten belegt Kap. 2.1.2. 302 Vgl. Ders., PhE I, 363–372 und PhE II, 43 f. Diese neue Lesart der Lehre vom vierfachen Schriftsinn auf die allgemeine und spezielle Transzendentalphilosophie hin durchzieht den gesamten zweiten und dritten Band der »Philosophischen Einführung«. Dies macht es an dieser Stelle unmöglich, eine umfassende Einführung und Würdigung dieser beachtenswerten Weiterentwicklung des transzendentalen Ansatzes zu leisten. Dennoch wird an einigen Passagen dieser Arbeit auf Schaefflers episte298 299

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(1) Das »anagogische« Moment (gr. »ἀνάγειν« – »hinaufführen«) der Erfahrung ist nach Schaeffler für die Kontinuität der Erfahrung verantwortlich; dafür, dass sich der Dialog mit der Wirklichkeit zu einem geraden, aufsteigenden Weg zusammenfügt und so die Einheit des erfahrenen Wirklichen garantiert wird. 303 Der Schriftsinn der Anagogie erhält hinsichtlich der religiösen Erfahrung die Aufgabe, die Hoffnung zu begründen, dass bei aller Überraschung und Überwältigung, die der religiösen Erfahrung stets innewohnen, dasselbe (oder besser »derselbe«) Heilige in seiner geschichtlichen Kontinuität begegnet. »Der Mensch, der die religiöse Erfahrung macht, ist sich dessen gewiß, durch diese Erfahrung auf einen ›anagogischen‹, ›nach oben führenden‹ Weg gebracht worden zu sein, weil er jede einzelne derartige Erfahrung als Ausdruck einer freien Zuwendung des Heiligen begreift und deshalb als Zusage seiner freien Treue verstehen kann.« 304

Dass dieses Vertrauen in die Treue Gottes den Charakter einer Hoffnung hat, leuchtet gerade in solchen Situationen auf, in denen Gott scheinbar »sein Angesicht verbirgt« 305. Traditionsgemäß wird das anagogische Moment der Erfahrung daher auch als der »Sensus spei« bezeichnet. 306 In der begründeten Hoffnung, dass »das Heilige jeder Weise ›gedenken‹ [wird; S. W.], in der es dem Menschen begegnet ist« 307, erinnert auch das menschliche Gedenken an die früheren Erscheinungsweisen Gottes und lässt den Menschen daraus den »Mut zur Geschichte« gewinnen, der ihn im Vertrauen auf die anhaltende Treue Gottes zum »›Loslassen seiner selbst‹ fähig macht« 308. Genau mologische Interpretation der Schriftsinne, besonders des »Sensus allegoricus«, rekurriert werden. Vgl. v. a. Kap. 5.2.4. 303 Vgl. Ders., PhE II, 91; vgl. ebd., 49 ff. 304 Ebd., 92 f. 305 Ebd. Schaeffler entnimmt auch diese Formulierung der Sprache der Psalmen. Vgl. Ps 27,9; 69,18; 102,3; 143,7. 306 »Sensus spei« wurde der anagogische Schriftsinn auch deswegen genannt, weil er die Schrift auf ihre eschatologische Verheißung hin auslegt, analog zum »Sensus fidei« (Allegorie) und »Sensus caritatis« (Tropologie). Vgl. dazu Ders., PhE I, 363 ff. Dabei ist es wichtig, mit Schaeffler darauf hinzuweisen, dass diese Hoffnung kein bloßes Wunschdenken ist, sondern Gründe nennt – »sie ist ›docta spes‹, eine durch die Erfahrung selber ›belehrte‹ Hoffnung, weil in jeder einzelnen religiösen Erfahrung die Zuwendung des Heiligen als die Verheißung seiner Treue mit-erfahren worden ist.« Ders., PhE II, 98. 307 Ebd., 95 308 Ebd., 96.

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dies vollzieht sich, so Schaeffler, in der gottesdienstlichen Anamnese in ihrer Einheit von »Erinnerung, Ansage und Zusage«. 309 Deshalb ist der Gottesdienst ebenso der Ort der Erinnerung im Modus des Erzählens wie der radikalen Erneuerung in der Parusie der Ursprünge. Aus dem Gedächtnis erwächst das Vertrauen, entspringt die Hoffnung auf die Zukunft und der Mut zur Geschichte. Schaeffler kommt ausdrücklich auf den Akt des Gebetes und die Korrelation zwischen göttlicher Treue und geeinter Subjektivität des Beters zurück, wenn er festhält: »Nur im Vertrauen auf diese Treue des Heiligen kann der, der die religiöse Erfahrung gemacht hat, in allen Wendungen seines Geschicks nach dem ›Angesicht‹ suchen, das er wiedererkennt und mit der Anrufung des Namens begrüßt.« 310 In einem weiteren Schritt versucht Schaeffler aufzuzeigen, wie aus dem Gedanken der Treue des Heiligen eine philosophisch-theologische Konzeption der Einzigkeit Gottes zu entwickeln wäre. Das anagogische Bedeutungsmoment der religiösen Erfahrung nämlich führt laut Schaeffler konsequenterweise zum monotheistischen Bekenntnis. 311 Umgekehrt stellt für ihn der Polytheismus eine »Ausfallserscheinung des anagogischen Bedeutungsmoments« 312 dar – sozusagen als die Unfähigkeit, denselben Gott in einer Folge von verschiedenen Begegnungssituationen wiederzuerkennen. (2) Das »historische« Bedeutungsmoment der Erfahrung gründet in der konkreten zeitlichen Bedingtheit jeder einzelnen Erfahrung einerseits und ihrer bleibenden Denkwürdigkeit andererseits. Jede historische Erfahrung im Dialog mit der Wirklichkeit enthält einen Bedeutungsüberschuss (»veritas semper maior«) und treibt im Prozess der Erfahrung an zur »Umgestaltung des Denkens«. Die historische Einmaligkeit – und dabei auch »Kontingenz« – einer bestimmten religiösen Erfahrung muss, so Schaeffler weiter, »als Ausdruck der numinosen Freiheit des Heiligen begriffen« 313 werden. Jener Ort und jene Zeit einer herausragenden religiösen Erfahrung aber ist Vgl. ebd., 97. Ebd., 98 f. 311 Vgl. ebd., 99–103. Schaeffler verweist hier wieder auf Hermann Useners Studie über die sog. »Sondergötter« und zeigt anhand der Geschichte Israels, dass gerade die Bewährungsproben der Hoffnung durch die Erfahrungen in Ägypten bzw. Babylon die Entwicklung der Monolatrie und schließlich des Monotheismus gefördert haben. Vgl. ebd., 161. 312 Vgl. den gleichnamigen Abschnitt ebd., 103–108. 313 Ebd., 121. 309 310

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fortwährend als heilig zu erachten, und deshalb »obliegt« es dem religiösen Menschen, davon zu erzählen und daran zu erinnern. 314 Wiederum eröffnet sich Schaeffler der Sinn solchen Gedenkens erst sub contrario, also angesichts des Verlustes der Einheit der Geschichte. Damit spricht er eine wohl häufige Gebetserfahrung an: »Ort und Stunde dieser Transparentwerdung [des Heiligen; S. W.] sind kostbar, weil der religiöse Mensch nicht davor bewahrt bleibt, in weiteren Phasen seines Lebens die Inhalte seines Erlebens wieder als ›undurchsichtig‹, zweideutig und rätselhaft zu empfinden. […] Derjenige, der diese Erfahrung macht, findet deswegen nur im Gedenken an dieses Ereignis den Maßstab, um zu beurteilen, ob seine kommenden Wege ›Heilswege‹ sind oder Irrwege.« 315

Fehlt der »Sensus historicus« in der religiösen Erfahrung oder tritt er zu sehr in den Hintergrund, kommt es zu Ausfallserscheinungen: Entweder zur Fehlform einer geschichtslosen und überraschungsresistenten Weisheit, worin Schaeffler den Grundtypus und die Entstehungsbedingung der »Gnosis« wiedererkennt, oder zu der heute vielfach wahrnehmbaren Fehlform eines unersättlichen Hungers nach immer neuen religiösen Erlebnissen, ohne dass diese religiöse Neugier jemals zu Erfahrungen von bleibender Denkwürdigkeit führt. 316 Mit dem historischen Bedeutungsmoment der religiösen Erfahrung entscheidet sich laut Schaeffler die Frage nach der Personalität oder Apersonalität des »numinosen Wesens«. 317 Wer für den »Sensus historicus« aufmerksam ist, dem erscheint dieses Wesen als eine freie, personale Entscheidungsmacht, die den Menschen in den Uranfängen und in jeder geschichtlichen Begegnung vor die Alternative von Leben und Tod, Heil und Unheil stellt. 318 So kann dem Betenden deutlich werden, »daß das Heilige das Subjekt eines Dialogs mit dem Menschen ist und als solches ein personales Angesicht zeigt« 319. Vgl. ebd., 123 f. Ebd., 122. 316 Vgl. ebd., 138 f. Man beachte die bewusste begriffliche Unterscheidung von »Erlebnis« und »Erfahrung«. Vgl. auch Schaefflers Exkurs zur Gnosis unter der Überschrift: »Die religiöse Bedeutung der Weisheit und die ihr innewohnenden Gefahren.« Ebd., 140–151. 317 Ebd., 123. Auch die anderen drei Bedeutungsmomente verweisen laut Schaeffler auf die Personalität Gottes, jedoch der »Sensus historicus« auf besondere Weise. Vgl. ebd., 163–189; 248–250. Vgl. ausführlicher in Kap. 9.2. 318 Vgl. ebd., 123, 172 f. 319 Ebd., 173. 314 315

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Ausgehend von den sprachpragmatischen Analysen zum Erzählakt im Gebet konnte in diesem Abschnitt das Zeit- und Geschichtsverständnis des Beters genauer ergründet werden. Die Einordnung der Korrelation mit Gott in die religiöse »Chronologie« von Gedächtnis und Zuversicht entspricht nicht nur zutiefst dem jüdisch-christlichen Gebetsverständnis, wie es in den biblischen und liturgischen Quellen zum Vorschein kommt, sondern kann auf einer philosophischen Reflexionsebene auch als ein wichtiger Anhaltspunkt in Schaefflers Suche nach einer Vermittlung von Wahrheit und Geschichte betrachtet werden. Durch die Übertragung von Elementen der traditionellen Schriftauslegung auf die Struktur religiöser Erfahrung dringt Schaeffler in dem zuletzt aufgezeigten Schritt bis zu den religionsphilosophischen Grundlagen seines Gebetsverständnisses vor: der »Einheit« und »Personalität« Gottes. Diese Ergebnisse zeigen – ex post – die Fruchtbarkeit des Versuches, Schaefflers sprachphilosophischen Gebetsansatz mit Elementen seiner Erfahrungslehre in Verbindung zu bringen und die drei »Koordinaten« seiner Gebetslehre – Weltkohärenz, Subjektkonstitution und historische Kontinuität im Gedenken – mit den drei theoretischen Vernunftpostulaten ins Verhältnis zu setzen. Als Kristallisationspunkt dieses Versuches sei abschließend auf eine Schlusspassage in Schaefflers opus magnum verwiesen, wo er die Eigenart der theoretischen Vernunftpostulate und ihre Beziehung zueinander thematisiert. 320 Die Vernunftpostulate, so schreibt Schaeffler dort, haben nicht wie bei Kant die Form des »Ich will …«, sondern die Form des »Ich vertraue darauf, daß …«. 321 Dabei ist es von höchstem Interesse, dass Schaeffler die epistemische Eigenart der Vernunftpostulate mit Franz Rosenzweigs Wort vom »Zutrauen in die Erfahrung« 322 beschreibt, das bei dem jüdischen Religionsphilosophen wiederum aufs Engste mit dem Bekenntnis des einen Gottes zusammenhängt. Schaeffler folgt Rosenzweig in der Einsicht, dass »der Monotheismus, d. h. die liebende Hingabe an Gott als den Einen […] das Zutrauen [begründet; S. W.], daß alles, was zum Inhalt der Erfahrung werden kann, als jeweils neue Gestalt der Zuwendung des einen

Vgl. Ders., EDW, 679–684. Vgl. ebd., 682. 322 Vgl. F. Rosenzweig, Das neue Denken. Einige nachträgliche Bemerkungen zum »Stern der Erlösung« (1925), GS III, 139–161, hier 161. Rosenzweig spricht korrekterweise von »Zutrauen auf die Erfahrung«, während Schaeffler »… in die Erfahrung« zitiert. Vgl. R. Schaeffler, EDW, 682 f. 320 321

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Gottes verstanden werden darf« 323. Dieses Vertrauen aber »wird nicht im theoretischen Zugriff des Begriffs erfaßt, sondern als das Du einer Begegnung« 324, wie Schaeffler weiter im expliziten Verweis auf Cohen festhält. Erst in diesem abschließenden Hinweis leuchtet meines Erachtens die Bedeutung der Gebetslehre Schaefflers im Kontext seiner Theorie der Erfahrung ganz auf. Denn letztlich gelingt – bei aller »Anstrengung des Begriffs« – der Aufweis der Möglichkeit von Erfahrung nicht im bloßen Begriff, sondern im »Namen«. Schaeffler wörtlich: »Die Dialektik aller drei Vernunftideen kann nur gemeinsam aufgelöst werden; und das geschieht durch Postulate jenes Vertrauens, das in allem, was zum Inhalt der Erfahrung werden kann, die Einheit eines identischen Anspruchs und einer identischen Zusage zu entziffern vermag: eines Anspruchs und einer Zusage freilich, die nicht im Begriff ausgesprochen, sondern in wechselnden Formen der Begegnung vollzogen wird. Darum ist der angemessene Ausdruck dieses Vertrauens nicht der Begriff, sondern der Name, d. h. die in der Vielfalt der Begegnung wiedergefundene Einheit dessen, auf den die Zuversicht sich richtet. Insofern wird in einer Dialogischen Theorie der Erfahrung auch das Programm auf neue Weise eingelöst, das Lyotard […] auf die Formel gebracht hat: ›Retten wir die Ehre des Namens‹.« 325

Die Vernunftpostulate der Einheit von Ich, Welt und Geschichte werden erst dann den Verdacht los, inhaltsleeres Wunschdenken zu sein, wenn der Mensch den vernünftigerweise postulierten Grund seines Zutrauens auch beim Namen nennt, sich seiner geschichtlichen Taten erinnert und darin – wie in allen Dingen – »den Namen heiligt«. Wenn dieser in der Rezeption von Schaefflers Erfahrungslehre bislang vernachlässigte Abschlussgedanke hier ein wenig deutlicher markiert werden konnte, so hat die vorausgehende Aufarbeitung der Sprachanalysen zum Gebet ihren Sinn bereits erfüllt.

323 Ebd., 682. Schaefflers Notiz zu Rosenzweig in Verbindung mit der Begründung seiner theoretischen Vernunftpostulate ist an dieser Stelle mehr als nur ein analoger Verweis. Vgl. ebd., 683: »Die hier, im Zusammenhang einer Dialogischen Theorie der Erfahrung, entwickelten Vernunftpostulate können als ein Versuch gelesen werden, dieses Programm Franz Rosenzweigs [die Begründung des »Zutrauens in die Erfahrung«; S. W.] einzulösen.« 324 Ebd., 683. 325 Ebd., 683 f. Vgl. den Schlusssatz von F. Lyotards berühmtem Artikel: Ders., Beantwortung der Frage: Was ist postmodern?, 203.

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4.4 Die verschiedenen Gebetsmodi aus dem Akt des Erzählens 4.4.1 Das Lobgebet und der Zusammenhang von Dank und Klage Schaefflers Gebetslehre führt von der »acclamatio nominis« über den dialogischen Akt des Erzählens zur Analyse verschiedener Weisen der inhaltlichen Ausrichtung des Gebetes, die hier unter dem Begriff »Gebetsmodi« 326 behandelt werden sollen. Der Akt des Erzählens, in dem die Namensanrufung ihre Fortsetzung findet, bleibt für Schaeffler ein Experiment von doppelter Kontingenz. Es ist denkbar, dass die Geschichte des allgemeinen Heilswillens Gottes und die aktuelle Lebenserfahrung des Beters nicht ohne weiteres übereinkommen. Zwischenmenschlich jedenfalls muss allezeit damit gerechnet werden, dass das Experiment des Erzählens misslingen kann und von der beschriebenen Gefahr des »doppelten Vergessens« durchsetzt ist. 327 Und auch im Gebet begegnet Gott dem Beter stets als ein unverfügbares Gegenüber. Die Namensanrufung Gottes im Gebet entfaltet sich laut Schaeffler in eine doppelte Richtung und führt zu zwei unterschiedlichen Erzählsequenzen. Zum einen: »dem Heiligen von ihm selber erzählen (rühmende Anamnese)« und zum anderen: »dem Heiligen von sich selber erzählen (in Lob und Dank, in Klage und Bitte)« 328. Das rühmend-erinnernde Erzählen findet seinen Ausdruck in der liturgischen Gattung des »Hymnus«. Hier steht Gott selbst im Zentrum des Erzählens. Der Hymnus markiert insofern den einen möglichen Grenzfall des Erzählens, bei dem die Geschichte des Beters gegenüber den Taten Gottes beinahe vollständig in den Hintergrund rückt. 329 Nach Schaeffler dürfte diese Seite des Erzählaktes – das rüh326 Dieser Begriff stammt nicht von Schaeffler; er wird hier eingeführt, um deutlich zu machen, dass es sich nicht einfach um unterschiedliche Gebetsformen handelt, sondern – wie im Folgenden deutlich wird – um verschiedene Ausdrucksweisen (»Modi«) dessen, was in der einen, durch die Namensanrufung eröffneten Korrelation zum »Inhalt« werden kann. 327 Vgl. Kap. 4.2.1. u. Kap. 4.3.3. 328 R. Schaeffler, Die religiöse Sprache, 134. Hervorhebung S. W. 329 Vgl. Ders., GuA, 190–195; vgl. zum Thema »Hymnus« auch: Ders., »Der Herr ist meine Kraft und mein Lied«. Vgl. das Ergebnis der Studie von Henning Graf Reventlow: »Der Hymnus ist die Form des Gebets, die sich am reinsten auf das Gegenüber des Beters, auf Jahwe, konzentriert.« Er gilt Reventlow insofern als die reinste Form des Gebetes, »als ihm jede Gebrochenheit des Gottesverhältnisses fern ist«. H. Reventlow, Gebet im Alten Testament, Stuttgart 1986, 308.

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mende Erinnern an die Heilstaten Gottes – weniger problematisch sein als der komplementäre Versuch, von der eigenen, gegenwärtigen Lebenssituation coram Deo zu erzählen und so die bereits erfolgte Namensanrufung inhaltlich auszugestalten. Das Lob- und Dankgebet stellt für Schaeffler, wie sich beinahe durchgängig zeigt, den Zugang zur gesamten Gebetsthematik dar. Diese Basisintuition wird insbesondere im Kapitel über die »Doxologie« deutlich hervortreten. Darin unterscheidet sich Schaefflers Gebetslehre wesentlich von den meisten zeitgenössischen Konzeptionen, die bei der Problematik des Bittgebetes ansetzen. 330 Schaeffler sieht sich hier in der Tradition des Judentums. Der Jude, so betont Schaeffler, weiß sein Selbstverständnis und seine erste Aufgabe in der Danksagung gegenüber Gott begründet. Etymologisch wird im Buch Genesis der Name des »Juda« vom Dank an Gott hergeleitet. 331 Schaeffler folgert hieraus: »Die Aufgabe, ein ›Lobgesang‹ zu sein, ist ihm [dem Juden; S. W.] von der Geburt des Stammvaters her eingestiftet.« 332 Verschiedentlich verweist er in ähnlicher Intention auf ein Stammgebet der jüdischen Liturgie, das sogenannte »Alejnu«. In diesem Schlussgebet des synagogalen Gottesdienstes heißt es: »Es ist unsere Aufgabe, den Ewigen, der alles in seinen Händen hält, zu preisen und die Größe des Schöpfers aller Anfänge anzuerkennen […].« 333 Schaeffler zitiert meist eine ältere Übertragung des Tex-

330 Auch wenn biographische Bezüge nicht als sachliche Erklärungen herangezogen werden können, so scheinen in diesem Zusammenhang doch zwei Aspekte aus Schaefflers Leben interessant, die mir in einem persönlichen Gespräch mit Schaeffler zugänglich wurden: Schaefflers Mutter hatte auch nach ihrer Konversion zum Katholizismus das ihr vertraute jüdische Gebetsbuch nicht einfach weggelegt. So kam Schaeffler von frühester Kindheit an mit der alltäglichen jüdischen Gebetspraxis in Berührung, die in den zahlreichen »Berachot« (Lob- und Segensprüchen) sehr vom »Lobpreis« geprägt ist. Zum anderen war Schaeffler von 1936–1941 Schüler am Gymnasium der Benediktiner in Ettal, wo er in der benediktinischen Liturgie ebenfalls eine Gebetsweise mit betont doxologischem Charakter kennengelernt hat. 331 Bei dessen Geburt heißt es über seine Mutter Lea: »Abermals wurde sie schwanger und gebar einen Sohn. Da sagte sie: Diesmal will ich dem Herrn danken. Darum nannte sie ihn Juda (Dank)« (Gen 29,35). 332 R. Schaeffler, Das Gebet, 77. 333 J. Magonet (Hg.), ‫ – סדר התפלות‬Das jüdische Gebetbuch, Bd. I, Gütersloh 1997, 119, 499. Vgl. auch R. Schaeffler, Δοξολογία καὶ Οἰκοδομή. Der Lobpreis Gottes und der Aufbau der Glaubensgemeinschaft, in: D. Cunningham – R. del Colle – L. Lamadrid (Hg.), Ecumenical Theology in Worship, Doctrine, and Life, Oxford 1999, 55– 68, hier 56; Ders., Gebet im Judentum, 82; Ders., Das Gebet, 75 f.

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tes, in der die Aufgabe des jüdischen Volkes markant lautet: »Uns obliegt es, zu preisen den Herrn des Alls …« 334 Bevor auf die unterschiedlichen Gebetsmodi eingegangen wird, muss vorausgeschickt werden, dass Schaeffler wiederum im Rückgriff auf die alttestamentliche Überlieferung davon ausgeht, dass Lob, Dank und Bitte niemals isoliert voneinander betrachtet werden dürfen. Ein reines und eindeutiges Dankgebet oder ein ausschließliches Bittgebet lasse sich im Psalter nicht finden. Schaeffler bezieht sich dabei auf eine Studie eines Bochumer Kollegen, des evangelischen Alttestamentlers Henning Graf Reventlow 335 aus dem Jahr 1986. Reventlow beschreibt darin, wie beispielsweise das Klagegebet seinen Sinn erst aus der Erfahrung des Dankens erhält: »Der Notschrei ergeht an keinen unbekannten Gott: jedes Gebet eines alttestamentlichen Frommen setzt voraus, daß der Gott Israels Jahwe heißt, daß er ein bekannter Gott ist, dessen Hilfe erprobt und in zahllosen Nöten erwiesen ist. Beten heißt also Gott erinnern: an seine früheren Taten erinnern, und daraus die Zuversicht schöpfen, daß seine Nähe auch in der augenblicklichen Not nicht ausbleiben kann.« 336

Auf dem Hintergrund des exegetischen Befundes Reventlows unternimmt Schaeffler in seiner 1988 erschienenen »Kleine[n] Sprachlehre des Gebets« selbst den Versuch, den Ort des Dank-, Klage- und schließlich auch des Bittgebetes innerhalb seiner Theorie des Gebetes als Namensanrufung und Erzählakt zu bestimmen und die wechselseitige Bezogenheit dieser Gebetsmodi systematisch zu beschreiben: 337 Im zwischenmenschlichen Kontext zeigt das Experiment des Erzählens laut Schaeffler stets den Charakter der Divergenz. Die zu erzählenden Geschichten – die eigene Geschichte und die Geschichte des Anderen – können niemals so erzählt werden, dass das Gegenüber sie identisch bestätigt und annimmt. Selbst wenn im Erzählvorgang von einer »gemeinsamen« Begebenheit oder Erfahrung die Rede sein 334 Vgl. Ders., Δοξολογία καὶ Οἰκοδομή, 56; Ders., Gebet im Judentum, 82; Ders., Das Gebet, 76 f.; Ders., PhE I, 243 f. 335 Vgl. H. Reventlow, Gebet im Alten Testament, 306–309, 313; vgl. ausdrücklich dazu: R. Schaeffler, Kleine Sprachlehre, 82 u. 109. 336 H. Reventlow, Gebet im Alten Testament, 182. 337 Vgl. zum Folgenden: R. Schaeffler, Kleine Sprachlehre, 82–114. Zusammenfassende und eher unkritische Darstellungen dieser Passage finden sich bei J. WüstLückl, Theologie des Gebetes, 287–291; T. Deutsch, O-Ratio, 162 f.; A. Kistenbrügge, Das Gebet in der Dogmatik, 287–290.

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sollte und beide Gesprächspartner fähig und gewillt sind, sich daran zu erinnern, bleiben es gleichwohl zwei unverwechselbare Versionen, letztlich zwei Geschichten, die niemals vollständig übereinkommen. Aufgrund dieser unüberwindbaren »Divergenz« ist jeder Akt des Erzählens begleitet von den Haltungen des Hoffens und des Sorgens; »von einer Hoffnung, deren Erfüllung nicht erzwungen werden kann« 338, weil der Erzählende eben nicht mehr als hoffen kann, dass der Andere bereit ist, das Gehörte als Teil seiner Lebensgeschichte anzuerkennen und sich darin wiederzufinden. Aus denselben Gründen ist das Erzählexperiment zugleich durchzogen von der Sorge, dass der Hörende sich nicht mehr erinnern könnte, dass er das Erzählte anders verstanden wissen will oder – was nicht weniger dramatisch wäre – diesen »Geschichten« schlicht keine Bedeutung mehr abgewinnen kann. 339 Mit der Sorge um das Gelingen des Erzählens steht für den Erzählenden im Extremfall die eigene Identität auf dem Spiel. Hoffnung und Sorge sind gewissermaßen die beiden Schwebezustände im Moment des Erzählens, deren definitive Gestalt sich je nach Erfolg oder Scheitern des Erzählexperiments in den Äußerungen des Dankes beziehungsweise der Klage zeigt: »Wo […] eine Hoffnung, mit der ein hohes Maß an Interesse verknüpft ist, sich auf unerzwingbare Weise erfüllt, da drängt sie zum Dank. […] Das gelingende Erzählen drängt zum Dank, nicht nur deshalb, weil zu den Ereignissen, die den Inhalt der Erzählung ausmachen, auch Wohltaten gehören, die der Erzählende in früheren Zeiten von dem empfangen hat, an den er sich heute erzählend wendet; das Erzählen drängt auch und vor allem deshalb zum Dank, weil es gelungen ist, Gutes und Schlimmes, das zur eigenen Lebenserinnerung gehört, vor den Hörer zu tragen und ihm so seinen Ort im objektiven Zusammenhang der Ereignisse zu verleihen.« 340

Dementsprechend bezieht sich für Schaeffler auch die Klage als die traurige Bestätigung der Sorge nicht in erster Linie auf einzelne negative Erinnerungen, sondern auf das Scheitern des Erzählaktes als solchem: »Wenn eine derartige Sorge aber sich in schmerzlicher Erfahrung bestätigt, äußert sie sich in der Klage.« 341 Anlass zur Klage besteht für Schaeffler also zunächst nicht durch beklagenswerte EinR. Schaeffler, Kleine Sprachlehre, 83 f. Vgl. ebd., 84: »Weil es aber zur Eigenart der Hoffnung gehört, daß ihre Erfüllung sich nicht herbeizwingen läßt, darum entspricht ihr die Sorge.« 340 Ebd., 84. 341 Ebd., 85. 338 339

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zelereignisse, sondern durch die verlorene Möglichkeit der Kommunikation und der Selbstexpression überhaupt. Diese – wenn man so sagen darf – transzendentale Klage über die Unmöglichkeit, sich mitzuteilen, drückt sich für Schaeffler etwa aus, wenn der Psalmist im Klagepsalm betet: »Ich rufe bei Tag, doch du gibst keine Antwort, ich rufe bei Nacht und finde doch keine Ruhe (Ps 22,3).« 342 Hier fügt Schaeffler eine folgenreiche Überlegung an: Da das Gebet nicht ein Gespräch mit irgendeinem Gesprächspartner ist, sondern Korrelation mit Gott, muss der Beter davon ausgehen, »daß er [Gott; S. W.], soweit es an ihm liegt, die Zuordnung der beiden Geschichten immer möglich macht« 343. Denn gemäß den sprachphilosophischen Analysen zu Namensanrufung und Erzählakt im Gebet ist Gott als derjenige zu verstehen, der so angerufen und dem so erzählt werden kann, dass sich die »Taten und Leiden« des Menschen vor ihm zu einem »geraden Weg« zusammenfügen. 344 Wenn das Experiment des Erzählens also aus der Perspektive des Beters zu scheitern droht – so Schaefflers radikale Konsequenz – »dann ist dies eine Folge seiner eigenen Schuld und des göttlichen Zorns, der diese Schuld richtet« 345. Die Hoffnung des Beters im Erzählen vor Gott bekommt dadurch einen neuen Charakter: Es ist die Hoffnung auf die unverdiente Zuwendung Gottes, die biblisch auch »Gnade« genannt wird, dass Gott die persönliche Lebensgeschichte des Menschen als Teil seiner eigenen Geschichte annimmt. 346 Wenn sich also die Haltung des Hoffens im Modus des Dankens konkretisiert, so bezieht Schaeffler das Dankgebet folgerichtig zuallererst auf den Dank für die nicht erzwingbare Hoffnung auf die Gnade Gottes und auf die Gabe des göttlichen Wortes, die den Erzählakt gelingen lassen. 347 Von dieser umfassenden inhaltlichen Bestimmung des Dankgebetes her wären weiter alle weiteren Einzelmomente des Dankes zu verstehen als menschliche Vgl. ebd. in einer eigenen Übersetzung Schaefflers. Ebd., 86. 344 Ebd.; vgl. ebd., 69–71; vgl. zum Verhältnis von Gebetsakt und Gottesbegriff Kap. 4.5. 345 Ebd., 87. 346 Entsprechend läge die Hoffnung in der komplementären Erzählsequenz des »Hymnus« darin, dass der Beter die Taten Gottes so ins Wort zu bringen vermag, dass Gott sich darin wiedererkennt. Auch dies müsste, sofern es gelingt, allein der Zuwendung Gottes geschuldet sein, näherhin der »Gabe des göttlichen Wortes«, das dem Menschen gewährt, »in der Niedrigkeitsgestalt menschlicher Rede« die göttlichen Taten auszudrücken. 347 Vgl. ebd. 342 343

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Antwortversuche auf die konkreten Zeichen der göttlichen Zuwendung und Gnade. So gewinnen für den Beter durchaus auch die »partikulären, ganz alltäglichen Freuden seines Lebens jene Bedeutungstiefe, die sie zum Inhalt des Dankes an Gott werden läßt« 348. Wenn Schaeffler neben der Hoffnung auch die Haltung der Sorge in den Blick nimmt, die ihre definitive Gestalt in der Klage zeigt, erinnert er zunächst noch einmal an das Faktum der Divergenz, das im Erzählexperiment des Gebetes besonders stark ins Gewicht fällt. Denn die Unähnlichkeit zwischen der Weise, wie der Mensch seine Geschichte und die Geschichte Gottes erzählend miteinander verknüpfen kann, und der Weise, »wie sie in Gottes Heilsabsicht miteinander verbunden sind« 349, ist hier ins Unermessliche gesteigert. Entsprechend bedrängender zeigt sich auch die Sorge, dass dieser Erzählzusammenhang des Gebetes zum Scheitern verurteilt ist. Schaefflers Einschätzung, dass der Beter diese Sorge – und ihre Faktizität in der Klage – als »Folge und Ausdrucksgestalt seiner eigenen Schuld […], die den wohlverdienten Zorn der Gottheit erregt« 350 zu verstehen habe, bedarf sicherlich einer kritischen Klärung. Eine Erläuterung dieser These bietet Schaeffler mit dem Hinweis auf das Phänomen des »Frevels« an: Der Mensch steht in der Gefahr, die von Gott eröffnete Korrelation auf schuldhafte Weise zu missbrauchen. Bezeichnenderweise resultiert dieser »Frevel« aber nicht aus der unüberbrückbaren Distanz zwischen Mensch und Gott, sondern besteht vielmehr im Ignorieren der für das Gebetsverhältnis konstitutiven Divergenz und dem eigenmächtigen Überschreiten dieser Grenze in einer Funktionalisierung der (vermeintlichen) Nähe Gottes. Schaeffler benennt Beispiele hinsichtlich beider Erzählrichtungen: Der Beter könnte einerseits verleitet sein, seine eigene Lebensgeschichte auf eine solche Weise vor Gott zu erzählen, dass er sich dabei selbst rühmt – für das, was er für Gott vollbracht oder ungerechterweise für ihn erlitten habe. Andererseits gibt es die Versuchung, die rühmende Anamnese der göttlichen Taten geschickt mit der Legitimation der eigenen Geschichte und des eigenen Selbstbewusstseins zu verbinden. Allzu leichtfertig lassen sich aus dem Bekenntnis der Größe Gottes dann Gründe für die persönliche Erwähltheit und für Formen eines religiösen Triumphalismus ableiten. In 348 349 350

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beiden Erzählweisen wird die als konstitutiv erkannte, gnadenhafte Zuwendung Gottes missachtet und in Formen des Frevels, letztlich der Selbstanbetung, überführt. 351 So einleuchtend die genannten Beispiele erscheinen, muss die Rückfrage gestellt werden, ob das Gebet der Klage mit dem Verweis auf menschliche Schuld, göttlichen Zorn und den daraus folgenden Verlust der Gnade angemessen erfasst ist. Denn in der Tat bringt Schaeffler – analog zum Moment der freien Zuwendung im Fall des Dankgebetes – das Klagegebet ebenso universal mit der menschlichen Schuld in Verbindung. Er schreibt: »Wie Hoffnung und Dank ihre spezifisch religiöse Qualität dadurch erhalten, daß alles, worauf der Beter hofft und wofür er dankt, als Ausdruck einer ungeschuldeten Zuwendung Gottes verstanden wird, so erhalten auch Sorge und Klage ihre spezifisch religiöse Qualität dadurch, daß alles, worum der Beter sich sorgt und worüber er klagt, als Folge und Ausdrucksgestalt seiner eigenen Schuld begriffen wird, die den wohlverdienten Zorn der Gottheit erregt hat.« 352

Ähnlich wie beim Dankgebet verortet Schaeffler auch die alltäglichen, gleichsam kategorialen Gebete der Klage im Gesamtkontext des gescheiterten Erzählexperimentes. Die Klage, so Schaeffler wieder wörtlich, »betrifft primär die eigene Schuld und den dadurch verursachten Verlust der göttlichen Zuwendung, sekundär freilich auch alle anderen, ganz alltäglichen schmerzlichen Widerfahrnisse des menschlichen Lebens, weil diese nun als Zeichen der göttlichen Abkehr verstanden werden und so erst jenes Bedeutungsgewicht erhalten, das sie zu Inhalten der vor Gott getragenen Klage werden läßt.« 353

Zusammenfassend lässt sich festhalten: Schaeffler unternimmt hier den Versuch, die Gebetsmodi von Dank und Klage in seinen sprachphilosophischen Gebetsansatz von Namensanrufung und Erzählakt einzubinden. Die konstitutive Divergenz des Erzählvorganges in der Korrelation mit Gott zeigt sich prospektiv in der ambivalenten Haltung der Hoffnung und gleichzeitigen Sorge, die ihren definitiven Ausdruck im Gebet des Dankes einerseits und der Klage andererseits findet. Dabei fällt auf, dass Schaeffler den Dank über den identitäts351 352 353

Vgl. ebd., 88 f. Ebd., 88. Ebd., 89.

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stiftenden Dialog auf die göttliche Gnade zurückführt, während er das Scheitern dieser Begegnung einseitig mit der menschlichen Schuld in Verbindung bringt.

4.4.2 Die Problematik des Bittgebetes Das Bittgebet, das in den theologischen Auseinandersetzungen mit der Gebetsthematik häufig den Anfangs- und Angelpunkt bildet, kommt bei Schaeffler erstmals in dem eben geschilderten Zusammenhang zur Sprache. Es ist eine Variation innerhalb der Ausdrucksmöglichkeiten, in denen der Beter sich hoffend-sorgend an seinen Gott wendet – und zwar diesseits der beiden Extrempositionen eines eindeutigen Dank- bzw. Klagegebetes. Demzufolge ist es nicht verwunderlich, dass Schaeffler auch die Thematik des Bittgebetes nicht auf die Frage nach der Berechtigung und Erhörung konkreter Bitten engführt und sich damit allzu schnell in den dogmatischen Aporien des Bittgebetes verstrickt, sondern auf eine einzige Grundbitte fokussiert: auf die ganz vitale Bitte um das »Du« Gottes selbst und darum, dass er sich als tatsächlicher Gesprächspartner erweise: »Wo aber Hoffnung und Sorge, Dank und Klage primär auf das Gelingen oder Mißlingen des ›Experiments Erzählen‹ gerichtet sind, da wird auch die Bitte primär nicht diese oder jene Hilfeleistung zum Gegenstand haben, die der Sprecher von seinem Adressaten erwartet, sondern eben dies: daß er höre und antworte und so seine Geschichte mit der des Sprechers verbinde.« 354

Schon in mitmenschlichen Situationen des Erzählens und sich Mitteilens ist die Bereitschaft, zu hören und zu antworten, die grundlegende Voraussetzung für jede weitere Interaktion. In gleicher Weise erachtet Schaeffler nichts weniger als die Bitte um die personale Zuwendung Gottes selbst – biblisch: die Bitte um »sein Antlitz« – als den wichtigsten Inhalt des Bittgebetes. Die Psalmen jedenfalls richten diese Bitte in den unterschiedlichsten Lebenslagen an Gott; teils hoffend, teils auch sorgend mit den Worten: »Verbirg dein Antlitz nicht vor mir!« (Ps 102,3a). 355 Schaeffler macht deutlich, dass gerade die bittenEbd., 85; vgl. ebd., 89 f. Vgl. ebd., 85. Vgl. in anderer Metaphorik Ps 31,3 (»Wende dein Ohr mir zu!«) und viele andere Psalmverse, in denen die inständige Bitte des Beters sich allein darauf richtet, dass Gott sich zeigen und dem Beter Gehör schenken möge. Die Bitte um das 354 355

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de Suche nach dem »Antlitz« Gottes der Sprachhandlung der Namensanrufung den Charakter eines personalen Beziehungsgeschehens verleiht: »Die angerufene Gottheit wird nicht mehr als anonyme Schicksalsmacht erfahren, sondern ›zeigt ein Angesicht‹. Die Bitte ›Zeige Dich‹ oder ›Erscheine‹ kann dann in der Form ausgesprochen werden: ›Laß Dein Angesicht über uns leuchten‹. Und der Beter erfährt diese Zuwendung des göttlichen Angesichts als Ursprung von Heil und Rettung […].« 356 Bezogen auf Schaefflers Konzept von Dank- und Klagegebet zielt die Bitte um das Antlitz Gottes also primär darauf, dass die Hoffnung über die Sorge siegt, oder anders ausgedrückt: »dass die freie Zuwendung Gottes die Schuld des Menschen überwinde.« 357 Ihr erster Inhalt ist daher die Bitte, dass Gott den Beter »vor frevelhaftem Mißbrauch der göttlichen Nähe bewahre und ihn, trotz der Unreinheit seiner Lippen, mit dem Wort beschenke, das Gottes Heilsabsicht angemessen zum Ausdruck bringe« 358. Schaeffler zitiert in diesem Zusammenhang Psalm 51,17, mit dem das tägliche Stundengebet der Kirche eröffnet wird: »Herr öffne meine Lippen, damit mein Mund dein Lob verkünde.« 359 Diese sachlich und zeitlich primäre Bitte um die Gabe des rechten Wortes, das vom Beter und von Gott angemessen zu erzählen vermag, entscheidet darüber – in Schaefflers Logik weitergedacht –, ob der Dialog mit Gott schließlich in das Gebet des Dankes mündet oder aber in der Klage seinen Ausdruck findet. Wiederum gilt wie beim Gebet des Dankes und der Klage: Alle kategorialen Einzelbitten, in denen der Beter seine Lebenssituation erzählend vor Gott bringt, werden durch die eine Grundbitte, die

»Gehör« Gottes scheint alttestamentlich existenzieller zu sein als die »Er-hörung« einzelner Bitten. Vgl. Ps 69, Ps 143 u. a. 356 Ders., Der Beter, sein Gott und seine Welt, 575; vgl. Ders., PhE II, 243. Schaeffler verweist auf Ps 4,7 und 80. Psalm 80 macht gleich dreifach deutlich, womit dem Beter letztlich gedient ist: »Laß dein Angesicht leuchten, dann ist uns geholfen.« 357 Ders., Kleine Sprachlehre, 90. Wenn Schaeffler den Ausgangspunkt des Bittgebetes im Zusammenhang von göttlicher Gnade und menschlicher Schuld erkennt, so stimmt er im Übrigen überein mit jenem wichtigen Grundgedanken Cohens, aus dem dieser nicht nur seine »Gebetslehre«, sondern seine gesamte systematische Religionsphilosophie entwickelt hatte: »Die Erlösung von der Sünde ist der eigentliche Zweck und Inhalt des Gebetes.« H. Cohen, BR, 103. Vgl. Kap. 3.1.2 u. 3.1.3. 358 R. Schaeffler, Kleine Sprachlehre, 90. 359 Ps 51,17. Vgl. zu dieser besonders aufschlussreichen »Sprachhandlung« Kap. 4.6.2. Beten denken

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»Gott um Gott bittet« 360, nicht überflüssig, sondern gewinnen in diesem dialogischen Kontext erst ihre Berechtigung: »Die Bitten, die sich auf die Abwendung von Gefahren und die Überwindung ganz alltäglicher Nöte des menschlichen Lebens richten, und die Bitten um alles, was das menschliche Leben mit Freude erfüllt, sind von dem Bewußtsein des Beters durchstimmt und getragen, daß jede überwundene Not und jedes empfangene Freudengeschenk die Zuwendung des vergebenden Gottes anzeigt und so den Beter befähigt, jenes Lob auszusprechen, das dem Geber aller guten Gaben wohlgefällt.« 361

Dieses Zitat macht noch einmal deutlich, dass Schaeffler von einer inhaltlichen Verkettung zwischen erhörter Bitte und Vergebung der Schuld ausgeht, ohne diese näher zu erläutern. 362 Zugleich lässt es erkennen, dass er das Bittgebet gewissermaßen als ein Zwischenstadium versteht, das sich – sollte die berechtigte Hoffnung auf Gottes Zuwendung die Oberhand gewinnen – schließlich in das Lob Gottes verwandelt. Wie bereits erwähnt stellen für Schaeffler das Lob- und Dankgebet innerhalb der verschiedenen Gebetsmodi den Ausgangspunkt und, wie hier deutlich wird, auch den Zielpunkt dar. Schaeffler stellt sich in der »Kleine[n] Sprachlehre« etwas ausführlicher der sprachphilosophischen Kritik des Bittgebetes, ohne die Gebetsformen des Dankes und der Klage aus dem Blick zu verlieren; denn er ist der Überzeugung, dass die wesentlichen Aporien des Bittgebetes erst dadurch entstehen, dass man den geschilderten Gesamtzusammenhang dieser drei Gebetsmodi nicht ausreichend berücksichtigt. Schaeffler versteht das Bittgebet als »Bewährung des

360 Die berühmte Formulierung »Gott um Gott bitten« trifft letztlich auch den Ansatz Schaefflers zum Bittgebet. Sie geht m. W. auf Johann Baptist Metz zurück. Vgl. Ders., Gott um Gott bitten. Vom Eigensinn des Betens, in: J. Reikerstorfer – J. Kreiml (Hg.), Suchbewegungen nach Gott, Frankfurt a. M. 2007, 29–37. Der Sache nach greift dieser Gedanke eine Grundintuition von Meister Eckhart und Angelus Silesius auf. Vgl. dazu kritisch: J. Werbick, Gott um Gott bitten, in: V. Krause – Ders., Dein Angesicht suche ich. Du, Stuttgart 2005, 124–126. 361 R. Schaeffler, Kleine Sprachlehre, 90. 362 Schaeffler führt die Oration aus der Votivmesse »in jeglicher Not« an, die ebenfalls Gottes Zuwendung im Zusammenhang der Sündenvergebung thematisiert. Dort heißt es: »Dein unaussprechliches Erbarmen, o Herr, mache gütig an uns offenbar. Befreie uns von unserer Schuld und zugleich von der Strafe, die wir verdienen.« Vgl. R. Schaeffler, Kleine Sprachlehre, 90; vgl. Messbuch. Kleinausgabe, Freiburg i. Br. – u. a. 21988, 1077. Schaeffler zitiert offensichtlich eine ältere Fassung.

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Dankes« sowie als »Ernstfall des Glaubens«. 363 Der Dank an Gott vermag nur dann zu zeigen, dass er mehr als eine nachträgliche Interpretation für geglückte Ereignisse ist, wenn er das Vertrauen aufbringt, dass derselbe Gott auch in Zukunft mächtig handeln wird und dem Beter weiterhin Anlass zu frohem Dank geben wird. Das Dankgebet bewährt sich also in der Möglichkeit echten Bittens. Das Bittgebet selbst gilt für Schaeffler als »Ernstfall des Glaubens« 364 wegen der ihm konstitutiv eingeschriebenen Offenheit für das Eintreten dessen, worauf sich die konkrete Bitte richtet. Darin liegt zugleich die Aporie des Bittgebetes, weil – aus der Sicht der Kritiker – nicht mehr aufzuweisen sei, worin dann das Handeln Gottes bestehe, wenn alles, was auf die Bitte hin sich ereignet, »als Ausdruck der gleichen göttlichen Liebe gedeutet wird« 365. Schaeffler beschreibt hier die klassische Problematik der Gebetserhörung: Wie lässt sich ein eindeutiges Kriterium dafür finden, dass eine Bitte »erhört« worden sei? Die Kritik, gegenüber der Schaeffler die Sinnhaftigkeit dieses in der Glaubenspraxis alltäglichen Gebetsmodus zu verteidigen sucht, lautet: Das Bittgebet beruht auf selbstwidersprüchlichen, nicht überprüfbaren und somit inhaltslosen Voraussetzungen. Die Bitte wird im Vertrauen des Beters in so großer Offenheit vor Gott getragen, dass diese letztlich von der Haltung der Resignation nicht mehr zu unterscheiden sei. Es scheint – so formuliert Schaeffler zugespitzt –, als würde der Bittende zu Gott sagen: »Erfülle mir meinen Wunsch oder tue es nicht.« 366 Das Bittgebet, so die Kritiker, läuft Gefahr, in einem Akt frommer, aber falscher Demut, zu einer »bloßen Metapher für die Einsicht in die Unabwendbarkeit des Schicksals« 367 zu werden. Schaeffler versucht der Kritik am Bittgebet mit einigen sprachphilosophischen Präzisierungen. Dabei lässt sich geradezu exemplarisch beobachten, wie er in diesem konkreten Anwendungsfall auf seine bewährte Methodik zurückgreift und das Problem zunächst 363 Vgl. ebd., 94 f. Schaeffler Literaturverweis ist hier fehlerhaft. Das gemeinte Werk ist wohl: G. Greshake – G. Lohfink [sic!] (Hg.), Bittgebet – Testfall [sic!] des Glaubens, Mainz 1978. 364 Dieses in der Gebetstheologie häufig zitierte Diktum geht in Wirklichkeit auf Walter Kasper zurück, der es allerdings auf das Gebet allgemein bezieht. Es stammt aus einer veröffentlichten Vorlesung aus den Jahren 1970/71 mit dem Titel »Einführung in den Glauben«. Vgl. in: Ders., GS Bd. 5, Freiburg i. Br. 2009, 15–172, hier 83– 88: »Das Gebet als Ernstfall des Glaubens«. 365 R. Schaeffler, Kleine Sprachlehre, 95. 366 Ebd., 102. 367 Ebd., 95.

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pragmatisch, dann grammatisch und schließlich transzendentalphilosophisch angeht: Wie in allen vorangehenden Fällen findet Schaeffler einen pragmatischen Zugang, indem er alltägliche Situationen des Bittens auf ihre Gültigkeit hinsichtlich des Bittgebetes überprüft. Als zunächst negative Abgrenzung bestimmt Schaeffler jene sprachpragmatischen Verhältnisse, die dem Phänomen einer tatsächlichen Bitte nicht gerecht werden können: Eine Bitte, so Schaeffler, ist zu unterscheiden von einem privaten Antrag, den man beispielsweise an ein Amt stellt und der nach der jeweiligen Rechtslage und mit einem gewissen Ermessensspielraum bearbeitet wird. Bei einer Bitte handelt es sich ebenso wenig um eine öffentliche Forderung von politischen oder gesellschaftlichen Interessen, und schließlich auch nicht um einen als Bitte »verkleideten« Befehl, der aus Höflichkeitsgründen mit einem freundlichen »Bitte!« versehen ist. 368 Die sprachpragmatischen Bedingungen einer wirklichen Bitte sind laut Schaeffler am ehesten in der Situation eines Appells an die Freiheit eines freundschaftlich verbundenen Menschen beschrieben. Schaeffler identifiziert in diesem Modell der freundschaftlichen Bitte vier (im weitesten Sinne) grammatische Aspekte, die er auch für das Bittgebet als konstitutiv erachtet: 1) 2) 3) 4)

Die Bitte bezieht sich auf das Verhältnis zwischen Bittendem und Adressaten. Die Bitte beinhaltet Selbstaussagen über die Person und Bedürfnissituation des Bittenden. Die Bitte wendet sich an die Freiheit des Adressaten. Die Bitte appelliert an den Adressaten, auf eine gewünschte Weise tätig zu werden. 369

Bei einer oberflächlichen Betrachtung könnte man als eigentliche Bitte allein den letzten Aspekt ansehen. Genau diese Fehleinschätzung begeht nach Schaeffler eine landläufige Kritik des Bittgebetes und greift damit zu kurz. Entscheidend für die Sprachhandlung der Bitte ist, so Schaeffler, die hintergründige »Grammatik«, das Zusammenspiel der ersten drei Elemente. Je nach der Gewichtung dieser EleVgl. ebd., 96. Vgl. ebd., 96 f. Diese vier »grammatischen Elemente« der Bitte bei Schaeffler entsprechen exakt dem allgemeinen formulierten Kommunikationsmodell von Friedemann Schulz von Thun, der jeder Nachricht vier Aspekte zugrunde legt: Sachinhalt; Selbstoffenbarung; Beziehung; Appell. Vgl. Ders., Miteinander reden, Bd. 1: Störungen und Klärungen, Hamburg 372002, bes. 13 f., 25–30. 368 369

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mente erhält die Sprachhandlung eine sehr unterschiedliche Ausrichtung. 370 Im Fall der Bitte an einen Freund, der bezüglich seiner Analogiefähigkeit zum Bittgebet am meisten interessiert, betrachtet Schaeffler vor allem das in der Bitte aktualisierte Verhältnis zwischen dem Bittenden und dem Adressaten als ausschlaggebend für den Sprechakt der Bitte. 371 Aus der Qualität der Beziehung zwischen Freunden ergibt sich für den zweiten Aspekt, dass der Bittende gegenüber einem Freund möglicherweise einen sehr persönlichen Einblick in seine Nöte und Bedürfnisse gewährt. Andererseits mag gerade die Vertrautheit zwischen Freunden ohne viele Worte über die Situation des bittenden Freundes und den Inhalt der Bitte auskommen. Im freundschaftlichen Kontext tritt auch der dritte Aspekt, die Freiheit des Adressaten, stark hervor: Die Bitte an einen Freund wird offenlassen können, auf welche konkrete Weise dieser auf das Anliegen reagiert, sie wird ihn in seiner Freiheit ansprechen und von ihm vor allem eines erwarten: dass er sich durch seine Reaktion als Freund erweist und bewährt. Wichtiger als die Frage, ob der Freund auf die Bitte genau so reagiert, wie der Bittende dies erdacht hat, 372 ist nach Schaeffler, dass der Adressat an der persönlichen Situation des Bittenden Anteil nimmt: »Das schließt ein, dass er [der Adressat; S. W.] die Situation, in der der Bittende sich befindet, sich zu eigen macht, sie als einen Teil auch seines eigenen Lebensweges sich aneignet und versteht – mit dem möglichen Ergebnis, daß er sie […] anders deutet als der Bittsteller und sie deshalb, gemeinsam mit ihm, durch eine andere Praxis beantwortet als die, um die er gebeten worden war.« 373

Aus diesem Grund gehört es sogar zum Kennzeichen einer Bitte, dass die Möglichkeit gegeben ist, die Handlungsaufforderung nicht oder auf eine ganz andere Weise zu erfüllen. Schaeffler unterläuft damit den Vorwurf, die Praxis des Bittgebetes sei im Grunde nichts als 370 Schaeffler reflektiert zwei weitere Alltagssituationen, die dem Phänomen des Bittgebetes jedoch wegen der andersgearteten Beziehungsebene nicht gerecht werden: der Bettler, der um Geld bittet, und der Fremde, der nach dem Weg fragt. Vgl. R. Schaeffler, Kleine Sprachlehre, 97 f. 371 Vgl. zum Folgenden: Ebd., 98–102. 372 Sofern dies überhaupt Gegenstand der Bitte war, denn im Fall etwa einer Bitte um einen guten Rat ist gerade die Freiheit und Ehrlichkeit des Freundes der Hauptgegenstand der Bitte. 373 Ebd., 99.

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fromme Resignation. Er glaubt mit Hilfe dieser pragmatischen und grammatischen Klarstellungen zeigen zu können, dass die Sprachhandlung der Bitte – in ihrer alltäglichen Praxis wie im Gebet – keinesfalls unüberprüfbar und inhaltsleer sei. Das Kriterium für das Gelingen der Bitte liegt allerdings nicht vordergründig in der exakten Ausführung der Bitte, sondern vielmehr in der »Konsistenz« der gesamten Sprachhandlung, also dem widerspruchsfreien Zusammenspiel aller genannten Teilaspekte. Sprachphilosophisch formuliert: das Kriterium für eine gelungene Bitte ist das Vermeiden von »unreinen Sprachspielen«. 374 Da der vorherrschende Aspekt im Fall des Bittgebetes für Schaeffler in der Aktualisierung der Beziehung liegt, schließt das Bittgebet daher »die Paradoxie […] ihrer eigenen möglichen Nichterfüllung« 375 ein, ohne ihre Sinnhaftigkeit zu verlieren. Schaeffler stützt seine Apologie des Bittgebetes durch die Rückbindung an seine transzendentalphilosophische Analyse der Gebetssprache sowie durch die Einbindung in den Kontext der anderen Gebetsmodi: Das Bittgebet erhält seine Berechtigung daraus, dass hier – im Idealfall – eine konsistente Sprachhandlung vollzogen wird, und dies heißt für Schaeffler wiederum: dass der Vorgang der Namensanrufung und des Erzählens gelingt. Der Beter wendet sich in verschiedenen Lebenslagen an den einen Namen Gottes und gelangt in dieser Sprachhandlung zur Identität seiner selbst, zur Kohärenz seiner Welt und zur Einheit der Geschichte. Im Akt des Gebetes entsteht ein Erfahrungszusammenhang, »daß alles, was geschehen mag, a priori seine Bedeutung dadurch gewinnt, Ausdruck dafür zu sein, daß Gott seine Geschichte an die des Beters gebunden und aus beiden eine gemeinsame Geschichte gemacht hat« 376. Dieser Erfahrungszusammenhang ist, wie ausgeführt wurde, genauer ein Erzählzusammenhang. Dem Bittgebet kommt in diesem Gebetsansatz ein sinnvoller und inhaltlich legitimer Platz zu, da es die Bewährungsprobe dieses Erzählens und damit des Gottesverhältnisses überhaupt darstellt. Das Bittgebet weist darauf hin, dass diesem Experiment stets ein Moment der Überraschung eingeschrieben ist und es vermittelt dem Beter – auch in der vermeintlichen Nichterfüllung der Bitte – eine Ahnung davon, »in welcher stets unvorhergesehenen Gestalt,

374 375 376

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Vgl. ebd., 101. Ebd., 101. Ebd., 103.

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in welcher oft schmerzlich überraschenden, oft beglückenden Weise Gott dem Beter seine Zuwendung bezeugen wird« 377. Als »Bewährung des Dankes« knüpft die Bitte an jenes Beziehungsverhältnis an, das den Beter im Laufe seiner Geschichte immer wieder vertrauensvoll den Namen Gottes anrufen ließ. Als Bewährungsprobe des im Gebet aktualisierten Erfahrungszusammenhangs gewinnt sie einerseits eine existenzielle Dringlichkeit, weil nicht nur die konkrete Bitte, sondern die Identität des religiösen Ich, seine Welt und Geschichte auf dem Spiel stehen. Andererseits enthält sie ein Moment der Gelassenheit, da der Beter aus vorherigen Erfahrungen darauf vertrauen darf, sich der Zuwendung Gottes gewiss zu sein, »auch dann […], wenn die konkreten Inhalte seines gegenwärtigen Erlebens ihm nichts anderes als die Ferne dieses Gottes zu bezeugen scheinen« 378. Schaeffler scheint letzten Endes nicht anzunehmen, dass das Bittgebet – und ebenso wenig die Klage – eine solch existenzielle Dringlichkeit bekommen könnte, dass das Vertrauen in eine Zuwendung Gottes an der kontrafaktischen Erfahrung tatsächlich zerbricht. An dieser Bestimmung des Bittgebetes tritt noch einmal deutlich der Primat des Dankgebetes bei Schaeffler hervor. Der umgreifende Horizont des Gebetsaktes bleibt für ihn die Erfahrung der freien Zuwendung Gottes, nicht die einzelne Bitte, und auch nicht der Dank oder die Klage über ein Einzelereignis. Für Schaeffler ist es gleichwohl nicht die Bitte, sondern der Dank, der diesem Horizont am ehesten entspricht: »der Dank [ist; S. W.] das erste Wort, das diesem Gottesverhältnis angemessen ist, die Bitte aber ist […] erst dessen Folge.« 379 Der Grund für diese Dominanz des Dankgebetes liegt darin, dass der umfassende Dank sich auf die Möglichkeitsbedingung des Gebetes überhaupt, auch auf die des Bittgebetes bezieht. Die Tatsache, dass der Mensch überhaupt beten kann – und sei es eben in der situativ angemessenen Form des Bitt- und Klagegebetes – ist ebenso ein Merkmal der freien Zuwendung Gottes, der dem Menschen das Eintreten in die Korrelation ermöglicht, der sich, in welcher Lebenslage auch immer, ansprechen lässt und sich die bittende wie die klagende Erzählung des Beters als Teil seiner eigenen Geschichte zuschreibt. Schaeffler geht soweit, dass er den Vorrang des Dankgebetes

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Ebd. Ebd., 103. Ebd., 111.

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zu einem Kriterium erhebt, an dem sich Bitte und Klage zu bewähren haben. 380 Wenn man die vorangehenden Gedanken Schaefflers zum Bittund Dankgebet auf die komplexe Frage nach der Gebetserhörung hin untersucht, wird man zu folgendem Ergebnis kommen: Die entscheidende Antwort auf die Bitte ist für Schaeffler das Geschenk des Dialoges mit Gott. Gott »erhört«, indem er zunächst einmal »hört«. Die Ermöglichung der Korrelation selbst ist die Gebetserhörung schlechthin. 381 Schaefflers Gebetslehre ist nicht nur zuinnerst von einem dialogischen Gebetsverständnis durchdrungen, sondern dieser Dialog ist zugleich die wertvollste Gabe an den Menschen und der tiefste Ausdruck der göttlichen Freiheit. 382 Abschließend sei nochmals darauf hingewiesen, dass die dargestellten Aussagen Schaefflers zum Bittgebet – und weitreichendere lassen sich in der Tat nicht finden – streng aus dem sprachphilosophischen Zusammenhang von Namensanrufung und Erzählexperiment heraus entwickelt wurden. Im dritten Teil der Arbeit sollen diese Ergebnisse aus fundamentaltheologischer Sicht noch einmal kritisch überprüft werden, und überdies wird die Frage aufgeworfen werden, ob das Bittgebet in Schaefflers Gebetslehre nicht gegenüber dem Lobpreis insgesamt unterbelichtet bleibt (vgl. Kap. 8.2.1).

4.5 Der Gottesbegriff des Beters Will man sich theologisch dessen vergewissern, was das Gebet sei, ist es naheliegend zu fragen, wer oder was denn der Adressat dieses reli380 Schaeffler dazu wörtlich: »Und so wird die Dominanz des Dankes über alle anderen Inhalte des Gebetes zu einem […] Kriterium, an dem auch Klage und Bitte sich zu bewähren haben.« Ebd., 111. 381 Vgl. ebd. 114. Auch die Identitätsstiftung des Beters und die Konstitution seines Welt- und Geschichtszusammenhangs lassen sich mit Schaeffler als die »Erhörung« seiner Gebete verstehen. 382 Vgl. ebd., 113 f. Schaeffler zeigt in dieser Passage aber auch, dass er die Zweifel an der Dialogizität des Gebetes durchaus im Blick hat, wenn er schreibt: »Gott reagiert auf die sprachlichen Äußerungen des Menschen nicht wie ein menschlicher Dialogpartner, dem eindeutig bestimmbare Worte und Handlungen als seine Antworten auf die sprachlichen Äußerungen seines Dialogpartners zugeschrieben werden können. Dies kann vom religiösen Menschen so sehr als Mangel empfunden werden, daß das religiöse Subjekt […] am dialogischen Charakter des Gebetes zu zweifeln beginnt […]. Ebd.,113. Vgl. dazu ausführlich Kap. 9.

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giösen Aktes ist und welche Vorstellungen von Gott diesem Akt immanent sind. Die sprachanalytische Kritik an der Gebetspraxis fordert in diesem Sinne sogar eine »Definition« desjenigen Gottes, über den der Beter spricht und mit dem er gar zu sprechen vorgibt, um dadurch die Sinnhaftigkeit dieser Sprachhandlung sicherzustellen. Die Kritik aus dem Umfeld der analytischen Philosophie fordert den Beter heraus, Rechenschaft über seine Gottesrede zu geben. Sie fragt – mit den Worten Schaefflers, der sich hier in die Haltung der Kritiker hineinversetzt: »Du gebrauchst in deinen Gebeten immer wieder die Vokabel ›Gott‹. Sag uns erst, was du meinst, wenn du ›Gott‹ sagst, dann wollen wir dir sagen, ob dein Sprechen Sachbezug und Bedeutungsgehalt besitzt oder ein Gebrauch leerer Worthülsen ist.« 383 Wird die Frage nach dem Gottesbegriff auf diese Weise gestellt, so ist sie laut Schaeffler gänzlich verkehrt angegangen, und es ist nicht verwunderlich, dass ein betender Mensch angesichts dieser Forderung leicht in Verlegenheit geraten wird. Dadurch ist jedoch die Sinnlosigkeit oder Irrationalität des Gebetsaktes noch nicht bestätigt. Dies ist leicht einzusehen, wenn man der von Schaeffler propagierten Vorrangigkeit der Pragmatik vor der Semantik folgt. Denn wie sollte der Beter, so die Argumentation Schaefflers, Auskunft über den Bedeutungsgehalt des Wortes »Gott« geben, bevor er es gebraucht? Der Beter weiß zuerst nur »was er tut, wenn er betet« 384; erst in der nachträglichen Reflexion darüber kann er (möglicherweise) erläutern, in welcher Bedeutung er die Vokabel »Gott« verwendet hat. Anders gesagt: In der religiösen Sprache kommt die »Gottesanrufung« dem »Gottesbegriff« zuvor. 385 Das Gebet ist eine Sprachhandlung, die einen propositionalen Aussagegehalt impliziert, über den der Beter reflektieren und dann Auskunft geben kann. 386 Was Schaeffler hier auf recht triviale Weise feststellt, verweist auf eine äußerst komplexe Fragestellung. Zwischen der »Rede zu Gott« und der »Rede über Gott« besteht eine elementare Differenz, und ausgehend von dieser Grundunterscheidung ist das Verhältnis von Gebet und theologischer beziehungsweise philosophischer GotR. Schaeffler, Kleine Sprachlehre, 24. Ders., GuA, 216; Ders., Kleine Sprachlehre, 25. 385 Vgl. ebd. 386 Zu demselben Ergebnis wäre Schaeffler wohl auch mit Hilfe des ihm vertrauten phänomenologischen Grundgesetzes der Korrelation von Noema und Noesis gelangt. Wir haben – so das Argument – keinen Zugang zur Kenntnis vom Wesen Gottes vor oder abseits des Aktes, der sich auf ihn bezieht. Vgl. Kap. 2.2.1. 383 384

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tesrede wissenschaftstheoretisch zu beleuchten. Die Sensibilität für diese Problematik durchzieht Schaefflers gesamte Gebetslehre und rückt als Leitfrage in »Das Gebet und das Argument« sogar ins Zentrum der Erörterung. Wenn im Folgenden diejenigen Passagen zusammengetragen werden, in denen Schaeffler ausgehend von seinen sprachphilosophischen Analysen definitionsartige Kurzformeln eines »Gottesbegriff des Beters« aufstellt, geht es nicht darum, das angesprochene Verhältnis von Gebet und Gotteslehre zu reflektieren. 387 Diese Zusammenstellung dient schlicht dem Zweck einer Zwischenbilanz von Schaefflers sprachphilosophischer Gebetslehre. In der stereotypen Formulierung »Ein Gott ist der, der …« lassen sich drei Gruppen solcher theo-logischen Begriffsbestimmungen beobachten, die sich erwartungsgemäß den drei Elementen von »Namensanrufung« (1), »Erzählexperiment« (2) und der Ausdifferenzierung in verschiedene »Gebetsmodi« (3) zuordnen lassen. Inhaltlich betrachtet handelt es sich hier um eine Konzentration der bereits explizierten sprach- und transzendentalphilosophischen Thesen zum Gebet. Es ist daher angemessen, die Argumentationsgänge jeweils nur kurz in Erinnerung zu rufen und den Fokus auf den Wortlaut von Schaefflers »Gottesbegriffen« zu richten. Die Namensanrufung vollzieht nach Schaeffler den Eintritt in die Korrelation mit Gott. Implizites Merkmal ist das Wiederanknüpfen an eine »frühere« Begegnung. Im Gegensatz zur menschlichen Kommunikation unterliegt die Möglichkeit, Gott im Gebet anzurufen, keinen kontingenten Begrenzungen. Sie ist von Gott her prinzipiell eröffnet; selbst dann, wenn – wie Schaeffler mit einem Psalmwort sagt – »Himmel und Erde« vergehen. Die »Anrufbarkeit« Gottes im Gebet markiert für Schaeffler das »Bleibende im Wandel« schlechthin. Er erkennt hier eine spezifisch religiöse Interpretation der Substanzkategorie. Vom Akt der Namensanrufung her betrachtet, lautet eine erste Bestimmung des »Gottesbegriffs« daher: 1)

»Ein Gott ist, dessen Name angerufen werden kann, auch wenn Himmel und Erde vergehen.« 388

Vgl. dazu ausführlich Kap. 7. R. Schaeffler, Adiutorium nostrum, 32; Ders., Kleine Sprachlehre, 26; Ders., GuA, 217. 387 388

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Hinsichtlich fünf verschiedener Aspekte faltet Schaeffler aus, was die universale Möglichkeit der Namensanrufung über den Gottesbegriff des Beters zu erkennen gibt. Die Namensnennung lässt sich, wie Schaeffler sprachpragmatisch darlegen konnte, als eine Vergegenwärtigung und Anknüpfung an die Vergangenheit verstehen. So wird ein »Gottesbegriff« greifbar, der einerseits Gottes eigene Geschichte als Heilsgeschichte (a), andererseits die Geschichte des betenden Menschen (b) reflektiert. In Anlehnung an die genannte Oration aus der Osternacht formuliert Schaeffler: 1a) »Ein Gott ist, dessen uralte Taten immer dann blitzartig aufleuchten, wenn er begegnet, und der in solcher Begegnung als Täter seiner vergangenen Taten gegenwärtig und wirksam wird.« 389

Bei Gott, dem die unbegrenzte Fähigkeit des Erinnerns und Vergegenwärtigens zukommt, ist auch die Geschichte des einzelnen Menschen nicht verloren. Sie kann in der Anrufung seines Namens für den Beter selbst auf neue Weise zugänglich werden: 1b) »Ein Gott ist, der vom Beter als der angerufen werden kann, in dessen treuem Gedenken die eigene Vergangenheit nicht verloren ist.« 390

Es ist, mit anderen Worten, die Treue Gottes, die Erinnerung und Vergegenwärtigung ermöglicht und dem Beter daraus eine Zukunftsperspektive eröffnet, indem sie ihn mit der Hoffnung vertraut macht, dass sich auch hinter künftigen Erfahrungen nichts anderes verbergen wird als immer neue, noch unbekannte Erscheinungsweisen desselben Gottes, den er bereits aus vergangenen Erfahrungen »kennt« und im Gebet anrufen darf. Für Schaeffler liegt darin ein weiterer »Begriff« von Gott, den der Gebetsakt impliziert: 1c) »Ein Gott ist, dessen Treue allein sicherstellt, daß die Vergangenheit des Beters bei ihm – und sekundär für den Beter selbst – unverloren ist und daß der Beter auf dem Wege in seine Zukunft seine Identität nicht verlieren, sondern immer neu ihn – und sekundär sich selbst – finden wird.« 391

389 Ders., Kleine Sprachlehre, 28; vgl. auch Ders., Adiutorium nostrum, 34 (hier nur die erste Satzhälfte zitiert). 390 Ders., GuA, 218. 391 Ebd., 219. Vgl. wörtlich in: Ders., Kleine Sprachlehre, 30; Ders., Adiutorium nostrum, 34.

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Zwei weitere Elemente der transzendentalphilosophischen Reflexion über die Namensanrufung scheinen für Schaeffler so konstitutiv, dass er sie ebenfalls in eine Begriffsformel kleidet. Gott wird im Gebet angerufen als einer, der in der Begegnung mit ihm »tätig« wird, und zwar charakteristischerweise in der Form, dass er den Beter dazu befähigt, selbst-tätig zu werden. Schaeffler hat diese göttliche Eigenart des »Machens, dass einer macht« an der grammatischen Form des Kausativs zu verdeutlichen versucht. Den hervorragenden Machterweis Gottes aber erkennt Schaeffler darin, dass Gott den Menschen dazu befähigt, sein empfangenes Menschsein aktiv zu gestalten und die göttliche »Zusage« umzuwandeln in die »Anrede« Gottes, was sich auf elementare Weise im Bild des Ein- und Ausatmens veranschaulichen lässt. 392 Angesichts des kausativen Handelns kann Schaeffler über diesen Gott des Beters sagen: 1d) »Ein Gott ist der, dessen Atem Leben schafft, das die Kreatur als ihr eigenes Leben führen kann, und zugleich das Wort verschenkt, das die Kreatur als ihr eigenes Wort an die Gottheit zurückgeben kann.« 393

Eine Kernthese der Gebetslehre Schaefflers ist die »Subjektkonstitution« des Beters in der Vereinigung von Erinnerung, Gegenwart und Hoffnung in der Korrelation mit Gott. In der eben zitierten Formulierung »1c« ist diese bereits angeklungen. Als vielleicht das bedeutendste Ergebnis seiner transzendentalen Analyse der Namensanrufung Gottes hält Schaeffler als bleibende »Eigenschaft« und Begriffsbestimmung Gottes fest: 1e) »Ein Gott ist der, dessen Begegnung jenes identische Subjekt erst entstehen läßt, das in der Erfahrung göttlicher Gegenwart Erinnerung und gegenwärtige Begegnung als identisch begreift und daraus die Hoffnung auf Fortdauer des erinnerten und gegenwärtig erfahrenen Gnadenwirkens empfängt.« 394

In einer zweiten Gruppe von »Gottesbegriffen« fragt Schaeffler, wer dieser Gott sei, vor dem der Beter versucht, sein eigenes Leben zu erzählen und es mit der »großen Erzählung« der Heilsgeschichte zu 392 Der Zusammenhang dieser beiden Aspekte – Leben aktiv gestalten und Gott preisen – erschließt sich aus dem von Schaeffler vielfach zitierten Vers: »Meine Kraft und mein Lied ist der Herr und ist mir zur Rettung geworden«. Vgl. Kap. 4.2.2; vgl. Ders., Kleine Sprachlehre, 31, 62; Ders., GuA, 139–142. 393 Ders., Kleine Sprachlehre, 31. 394 Ebd., 32.

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verbinden. Kurz: Wie verwendet der Beter das Wort »Gott« im performativen Erzählakt? Die inhaltliche noch unbestimmte Kurzformel Schaefflers lautet allgemein: 2)

»Ein Gott ist, wem so erzählt werden kann.« 395

Diese Kurzformel beinhaltet nunmehr vier Aspekte. Der erste betont die Bedeutung des Erzählens der Heilsgeschichte Gottes als Interpretationshilfe für die persönliche Situation des Beters, der im Vorgang des Erzählens seiner Taten auch für sich selbst größere Klarheit findet. Dieser »Erzählrichtung« entspricht am ehesten die Gebetsform des Hymnus: 2a) »Ein Gott ist der, dessen vergangene Taten der Mensch so erzählen kann, daß er dadurch für seine eigene Lebensgeschichte Deutung und Maßstab empfängt.« 396

Wenn der Beter hingegen konkrete Situationen seiner eigenen Lebensgeschichte vor Gott trägt, vermag sich idealerweise das, was ihm in der bisherigen Betrachtung wie ein »verworrenes Geflecht von Ereignissen« 397 erschien, im Erzählen vor Gott zu größerer Stringenz, oder wie Schaeffler sagt, »zu einem geraden Weg« zu vereinen. Auch dieser wichtige Aspekt, der in der transzendentalen Analyse als »Einheit der Geschichte« bezeichnet wurde, veranlasst Schaeffler zu einer Bestimmung über den Gebrauch des Wortes »Gott« im Gebetsakt: 2b) »Ein Gott ist der, dem der Mensch seine eigenen Taten und Leiden so erzählen kann, daß sie sich dadurch zu einem ›geraden Weg‹ zusammenfügen.« 398

Die Pluralität divergierender Erfahrungen und Erinnerungen kann nur zur Einheit zusammenfinden, wenn der Mensch vor Gott »eins« wird und sich in ihm »sammelt«. Dies gelingt nicht aus eigener Kraft, sondern nur, wenn der Beter sich auf die Beziehung mit dem einen Gott einlässt und aus dessen »Einzigkeit« die Einheit seiner selbst 395 Ebd., 69; vgl. auch die Zusammenstellung aller vier »Gottesbegriffe« aus dem Erzählakt ebd., 86. 396 Ebd., 69. Dieser erste Aspekt ist die inhaltliche Weiterführung dessen, was unter 1a) über den Gottesbegriff bei der Namensanrufung gesagt wurde. Es geht hier wohlgemerkt – im Gegensatz zum folgenden Aspekt – um das Erzählen der Geschichte Gottes. 397 Ebd. 398 Ebd. Dieser Aspekt wiederum kann als Entfaltung des »Gottesbegriff« unter 1b) und 1c) verstanden werden.

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empfängt (vgl. Dtn 6,4). Als »Gottesbegriff« formuliert, den der Beter im Akt des Erzählens antizipiert, lautet dieser: 2c) »Ein Gott ist der, dessen Antlitz gerade dann gesucht werden muß und gefunden werden kann, wenn der Mensch erfährt, daß die ›Sammlung zur Einheit‹ ihm zwar aufgetragen ist, ihm aber nicht aus seinen eigenen Kräften gelingt.« 399

Die Begegnung mit dem einheitsstiftenden »Antlitz« kann vom Beter nicht erzwungen werden. Der Mensch kann nur beten: »verbirg dein Antlitz nicht vor mir« (vgl. Ps 27,9). Dennoch gibt es im Gebet die Erfahrung der Verborgenheit Gottes. Schaeffler weist angesichts dieser Realität auf die Freiheit und Souveränität Gottes hin. 400 Die jüdisch-christliche Praxis des Gebetes lehrt, dass der Mensch sich auch in dieser Situation glaubend – und gegebenenfalls klagend – an Gott wenden und darauf vertrauen darf, dass, wenn dieser Gott in seiner Freiheit sein Antlitz zeigt, die verlorene Identität wiedergefunden werden kann. Dieser Gedanke führt Schaeffler zum vierten »Gottesbegriff« im »Erzählexperiment« des Gebetes: 2d) »Ein Gott ist der, der auch dann, wenn er als ›sehr verborgen‹ erfahren wird und seine Geschichte mit den Menschen zu ›vergessen‹ scheint, als der ›Retter‹ des Menschen geglaubt werden kann.« 401

Ebenso wie beim Akt der Namensanrufung und des Erzählens legt Schaeffler auch für die Gebetsmodi von Danken, Klagen und Bitten den implizierten Gottesbegriff offen. Maßgeblich für diesen dritten Bereich ist – gemäß dem, was Schaeffler als das innere Moment aller drei Gebetsweisen entdeckt hatte – der Aspekt der bedingungslosen Zuwendung Gottes. Diese kommt für den Beter insbesondere in den Situationen des Dankens zum Ausdruck. Sie muss jedoch auch für die Sprachhandlung des Dankes und der Klage angenommen werden. In Anlehnung an eine Formulierung aus der Oration der »Messe zur 399 Ebd., 70. Der dritte Teilaspekt korrespondiert wiederum mit Schaefflers These der Identitätsfindung bzw. Subjektkonstitution, die bereits unter 1d) aus der Sicht der Namensanrufung vorkommt. 400 Vgl. ebd., 71. Schaeffler fügt hier sehr beiläufig einen Gedanken zur Erfahrung der »Verborgenheit« Gottes an: Hier zeige sich eben, dass Gott frei ist und nicht auf das Streben oder Wünschen des Menschen reagieren müsse. Schaeffler wähnt darin sogar ein Argument gegen die Projektionsthese, denn was »notwendigerweise gewünscht wird, [könnte; S. W.] niemals als ›fehlend‹ erfahren werden.« Beide Gedanken erscheinen an dieser Stelle etwas unvermittelt. 401 Ebd.

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Danksagung« 402 gewinnt Schaeffler schließlich die dritte Grundformel seines »Gottesbegriffs«: 3)

»Ein Gott ist der, dessen Erbarmen ohne Maß und dessen Güte ein Schatz ohne Grenzen ist.« 403

Unter der Prämisse der Güte Gottes muss nach Schaefflers These auch das Gebet der Bitte und der Klage stehen, wenn auch unter dem Vorbehalt des gegenwärtigen Unverständnisses. Das Vertrauen in Gottes Gnade – und ebenso in seine Macht – hängt letztlich nicht davon ab, ob die Bitte je aktuell erfüllt, der Anlass zur Klage beseitigt wird. Wie Schaeffler in seinen Überlegungen zum Bittgebet ausgeführt hat, vermag eine aufrichtige Bitte die Möglichkeit der eigenen Nichterfüllung einzuschließen. Insofern steht das Bittgebet unter dem Vorbehalt des Ölberg-Gebetes Jesu, der auch den in seiner Nachfolge Betenden im »Vaterunser« zugemutet wird: »Dein Wille geschehe«! 404 Die Tatsache, dass der Beter nicht aufhört Gott anzurufen und ihm sein erfahrenes Leid zu klagen, führt Schaeffler zu einer letzten, inhaltsreichen Bestimmung eines »Gottesbegriffs« im Modus der Bitte und der Klage: 3a) »Ein Gott ist der, dem der Beter auch die Erfahrung seiner unerfüllten Bitten, des fortdauernden Anlasses zur Klage, der entzogenen Inhalte seiner Danksagung und darin eingeschlossen die Erfahrung von eigener Schuld und göttlicher Ferne so erzählen kann, daß er auch diese Erfahrung noch von der vergebenden Zuwendung dieses Gottes umgriffen weiß und daraus das Vertrauen gewinnt, weiter hoffnungsvoll zu danken, zu klagen, zu bitten.« 405

Dieses anspruchsvolle Verständnis von Dank und Klage und der darin enthaltene »Gottesbegriff« wird nur nachvollziehbar, wenn man den Gebetsakt mit Schaeffler konsequent als ein »Experiment« des Erzählens betrachtet, das bisweilen auch scheitern kann – ohne dadurch aus dem Bezugsrahmen des Dialoggeschehens herauszufallen. Mit diesen Überlegungen zum Gottesbegriff kommt Schaefflers sprachphilosoVgl. ebd., 90. Die Oration lautet: »Deine Barmherzigkeit, o Gott, ist ohne Maß, und der Reichtum deiner Güte ist unerschöpflich. Wir danken deiner Majestät für die empfangenen Gaben und flehen ohne Unterlaß zu deiner Milde: Verlaß uns nicht, der du gewährst, um was wir dich bitten, sondern bereite uns für den ewigen Lohn. Darum bitten wir durch Jesus Christus …« Messbuch. Kleinausgabe, 1079. 403 Ebd., 91. 404 Vgl. ebd., 92. 405 Ebd., 93. 402

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phischer Gebetsansatz an einen vorläufigen Schlusspunkt. Gewiss sind die letztgenannten Bestimmungen gerade in ihrer begrifflichen Verdichtung aus der Perspektive einer theologischen Gotteslehre überaus geeignet, einige kritische Rückfragen zu stellen, wie es im dritten Teil dieser Arbeit geschehen soll.

4.6 Der Name Gottes 4.6.1 Namensanrufung als zirkulärer Akt Nach allem, was über die »Sprachhandlung« des Gebetes gesagt wurde, könnte ein Eindruck entstehen, der die gesamte Interpretation der Gebetslehre Schaefflers in die Irre führen würde – der Eindruck nämlich, dass die Initiative des Gebetsaktes vom Menschen ausgeht. Gebet darf aber nicht allein und nicht einmal in erster Linie als die »Handlung« oder Tätigkeit eines Beters verstanden werden. Es liegt in der Natur der Sache, dass die semiotische Analyse nur die menschliche Seite, die greifbare Sprachgestalt des Gebetes, beleuchten konnte. Die transzendentalphilosophische Auswertung dieser Sprechakte brachte jedoch zu Tage, dass der Beter seine Orientierung in Welt, Zeit und Geschichte – und letztlich sogar sich selbst und die Fähigkeit zu beten – im Akt der Anrufung Gottes empfängt. Erst wenn Schaefflers sprachphilosophischer Gebetsansatz auch noch dieses Ineinander von göttlicher Zusage und menschlicher Anrufung angemessen zu würdigen vermag, gelangt er zu einer Beschreibung des Phänomens Gebet, die dem Begriff der »Korrelation« gerecht wird. Es gehörte wohl zu den interessantesten Beobachtungen Schaefflers, dass die Befähigung zum Eintritt in die Korrelation mit Gott selbst Inhalt des Gebetes werden kann. Dies konnte anhand der auffälligen Verwendung von Possessivausdrücken expliziert werden. Der Beter spricht so von sich, dass er die Fähigkeit seines Sprechens als Gabe Gottes identifiziert. 406 Wenn man die beiden primär behandelten Sprachhandlungen der Namensanrufung und des Erzählens einmal in ihrer gegenseitigen Zuordnung genau betrachtet, zeigt sich eine zirkuläre Struktur dieser Akte:

406

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Vgl. R. Schaeffler, GuA, 141 f., 144.

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»Sprachhandlungen schaffen Kontexte, die ein Erzählen möglich machen; Erzählungen sprechen davon, wie der Sprecher zum Vollzug eben dieser Sprachhandlungen ermächtigt wurde […]. Religiöses Sprechen bezieht sich erzählend auf denjenigen Ermöglichungsgrund, der den Sprecher erst zum Vollzug seiner Sprachhandlungen und damit zur Herstellung seines Erzählkontextes befähigt.« 407

Unter den verschiedenen sprachlichen Äußerungen, an denen die Wechselseitigkeit von Initiative und Zuteilung, von Eigenmächtigkeit und Ermächtigung innerhalb der Gottesanrede transparent wird, 408 entdeckt Schaeffler einen Ausdruck, der auf metasprachlicher Ebene die religiöse Sprachfähigkeit als solche in den Blick nimmt. Es ist der Ausdruck: »Name Gottes«. Dieser bezeichnet, so Schaeffler, »Gott selbst, sofern er macht, daß Menschen ihn nennen können« 409. Die »Gabe des Namens« gilt Schaeffler als die erste Zuwendung Gottes an den Menschen, und zwar in einem doppelten Sinn: Es ist die Gabe seiner selbst durch seine Gegenwart, für die der »Name« steht, und es ist die Gabe, dass der Mensch diese Gegenwart empfangen und durch die Anrufung dieses Namens in eine Beziehung zu Gott eintreten kann. 410 Schaeffler entfaltet seine Reflexionen über den Gottesnamen anhand des jüdischen Stammgebetes »Jitgadal«, das unter anderem als Abschlussgebet nach jedem Torastudium, aber auch als »Schlussgebet« am Ende eines Menschenlebens bei der jüdischen Begräbnisfeier gesprochen wird. Der Beginn dieses Gebetes lautet wörtlich: »Es macht sich groß [hebr. »‫ ;« ִיְת ַגּ ַדּל‬S. W.] und macht sich heilig der erhabene Name.« 411 Das Gebet will ausdrücken, dass Gott (»der Name«) sich dann als groß erweist, wenn er sich von Menschen anrufen lässt. Das reflexive Verb »jitgadal« bezeichnet grammatisch eine »göttliche Selbstbetätigung« 412 – »sich groß machen«. Gott macht seinen eigenen Namen groß, indem er Menschen schafft und dazu Ebd., 149. Am ausführlichsten hat Schaeffler dies anhand des Verses »Meine Stärke und mein Lied ist der Herr« nachzuzeichnen versucht. Vgl. ebd., 139–142. 409 Ebd., 149. An anderer Stelle sagt Schaeffler: »Der Name ist die Weise, wie Gott sich dem Menschen so zuwendet, dass er für ihn anrufbar gegenwärtig wird.« Ders., Gebet im Judentum, 85. 410 Vgl. ebd.; Ders., Kleine Sprachlehre, 45. 411 Vgl. Ders., GuA, 150, 180 ff.; Ders., Neue Aspekte, 177; Ders., Der Beter, sein Gott und seine Welt, 577. Vgl. J. Magonet (Hg.), ‫ – סדר התפלות‬Das jüdische Gebetbuch, Bd. I, 584, 588. 412 Vgl. Schaeffler, GuA, 180 f. 407 408

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befähigt, diesen Namen anzurufen. Alles, was Gott am Menschen und an der Welt tut, bewirkt »zugleich und vor allem seine eigene Größe, Heiligkeit und Herrlichkeit« 413. Konsequent weitergedacht droht dieser Gedanke zur Annahme einer göttlichen »Alleinursächlichkeit« und »Selbstgenügsamkeit« zu führen. Schaeffler sieht die Gefahr und äußert im Sinne Cohens Zweifel, ob das Konzept eines auf sich selbst zurückbezogenen Wirkens Gottes dem im Gebet gründenden Wechselverhältnis zwischen Gott und Mensch gerecht werden könne. 414 Wo das Lob des Namens als Akt göttlicher Selbstbetätigung verstanden wird, wird die Bedeutung des Menschen marginalisiert, so dass von »Korrelation« keine Rede mehr sein kann. Das christliche »Stammgebet« des Magnifikat zeigt laut Schaeffler eine gegenüber dem Gebet »Jitgadal« komplementäre Struktur. Gleich in den Anfangsworten wird hier ausgesagt, dass die Mutter Jesu »den Herrn groß macht«. Auf der grammatischen Ebene betrachtet wird also die Sprecherin als ein Subjekt vorgestellt, das eine Handlung auf Gott hin richtet, wie es die transitive Verbform nahelegt. 415 Diese Vorstellung von Gebet wäre jedoch ebenso einseitig und aporetisch, wenn sie nicht – wie Schaeffler deutlich macht – im Zusammenhang mit dem zwei Verse später folgenden Bekenntnis gelesen würde: »Der Mächtige hat Großes an mir getan« (Lk 1,49a). Diese beiden Verse müssen, so Schaeffler, streng aufeinander bezogen werden: Maria hat von Gott Großes erfahren und wird daher ihrerseits fähig, Gott groß zu machen (»Magni-ficat« ßpfeillrß »fecit mihi magna«). Ausgangspunkt ist die Größe Gottes, die am Menschen (als Objekt) ihre Wirkung erweist, und zwar so, dass dieser selbst Subjekt einer Sprachhandlung werden kann, die auf den Herrn »zurückwirkt« und seinen Namen anruft. 416 In diesem im vollen Sinne korrelativen Prozess erweist sich – um den Kontext des Magnifikat wieder aufzunehmen – Gottes Name als »heilig« (Lk 1,49b).

Ebd., 180. Vgl. ebd., 181. Zu Cohens Korrelationsbegriff vgl. Kap. 3.1.2. Cohens befürchtet, dass die Korrelation aufgrund der Übermacht des Korrelationspartners letztlich in ein Identitätsdenken überführt werde, als dessen Galionsfigur Cohen Spinoza sieht. Vgl. auch R. Schaeffler, Die Vernunft und das Wort, 65–67. 415 Vgl. Lk 1,46b: »Μεγαλύνει ἡ ψυχή μου τὸν κύριον.« Vgl. Ders., GuA,181. 416 Vgl. ebd., 180. In diesem Abschnitt beschreibt Schaeffler anhand der genannten Beispiele den Übergang von der Deutungskategorie der »Selbstbetätigung Gottes« zum Begriff der »Korrelation«. Vgl. ebd., 179–183. 413 414

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Der Name Gottes

Schaeffler vertritt also die These, dass die zirkuläre Struktur des Gebetsaktes erst dann klar hervortritt, wenn die beiden Gebets-Richtungen des jüdischen »Jitgadal« und der Einleitungsworte des Magnifikats – die reflexive und die transitive Redeweise – sich verbinden und dabei gegenseitig korrigieren. 417 Er schreibt: »Göttliches Wirken ist zunächst Selbstbetätigung Gottes, Äußerung einer lebendigen Wechselwirkung zwischen der ›Größe‹, aus der heraus dieses Wirken geschieht, und der ›Größe‹, die Gott sich in diesem seinem Wirken erwirkt […]. Aber in einem zweiten Schritt ist göttliches Wirken freie Mitteilung seines Lebens nach außen, so daß Geschöpfe entstehen, die von ihm verschieden sind und die doch, aus göttlicher Freiheit geschaffen und zum freien Eigenstand und der freien Eigenbetätigung des Geschöpfs gerufen, Anteil gewinnen an diesem göttlichen Leben. So wird aus Gottes Selbstbetätigung die Korrelation: Er macht Menschen groß, so daß sie fähig werden, ihn groß zu machen.« 418

Es ist theologisch überaus einsichtig, dass Schaeffler für eine angemessene Bestimmung des Korrelationsverhältnisses zwischen Gott und Mensch – theologisch gesprochen zwischen Namensoffenbarung und Namensanrufung – das Freiheitsparadigma heranzieht: Das Selbstverständnis des betenden Menschen, kurz sein »Leben«, ist dies: »aus Gottes Freiheit ›groß gemacht‹ worden zu sein und so gerufen zu sein, Gott ›groß zu machen‹« 419. Es findet sich bei Schaeffler kaum eine Passage, die den Korrelationsbegriff Cohens so präzise aufgreift und ihn zugleich über seinen hamartiologischen Bezugsrahmen hinausführt. Cohen hatte dem Korrelationsbegriff ein natürliches Ungleichgewicht eingeschrieben und davon gesprochen, dass im Wechselverhältnis zwischen Mensch und Gott selbstverständlich Gott der »Schwerpunkt« zukomme. 420 In der Weiterführung Schaefflers zeigt sich nun, dass dieser »Schwerpunkt« genauer als »Ausgangspunkt« der Korrelation verstanden werden muss. Denn der 417 Schaeffler verweist auf die im ersten Magnifikatvers implizierte Zirkularität von Seele und Geist, »néphesch« und »ruach« zurück. Vgl. ebd., 181 f.; vgl. Kap. 4.3.2. 418 Ebd., 182. 419 Ebd., 183. Diese Formulierung wird m. E. der Bestimmung des Beters in einem korrelativen Verhältnis zu Gott wesentlich gerechter als ein Versuch, den Schaeffler zuvor unter Rückgriff auf das Gebet »Jitgadal« wagt: Der Beter verhalte sich zu Gott, »wie das von Gott selbst dazu ertüchtigte Organ jener göttlichen Selbsttätigkeit, durch die das bewirkt wird, was […] ›Aufleuchten göttlicher Herrlichkeit‹ genannt wird«. Ebd., 151. 420 Vgl. H. Cohen, BR, 137.

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tiefste Sinn der »acclamatio nominis« ist wohl dieser: dass Gottes Möglichkeiten, seinen Namen »selbsttätig« groß zu machen und sich Lob zu »erwirken«, nicht der höchste Beweis seiner Macht noch seiner Beziehungsfähigkeit wären; dass Gott Selbstgenügsamkeit nicht genügt, sondern er danach trachtet, von freien Geschöpfen angerufen zu werden. Gott will – wenn dieser Anklang an Duns Scotus nicht zu gewagt ist – »Mitlobende«.

4.6.2 Einung, Heiligung und Segnung des göttlichen Namens Die zirkuläre Struktur des Gebetsaktes lässt sich besonders deutlich an Sprachhandlungen aufzeigen, die den Namen Gottes explizit zum Thema machen. Schaeffler behandelt in seiner Gebetslehre drei ähnlich strukturierte Fälle: die »Einung des Namens«, die »Heiligung des Namens« sowie die »Segnung des Namens«. 421 Der Gedanke der »Einung des Namens« knüpft an das bereits mehrfach angesprochene »Sch’ma Israel« an, das entsprechend der Lesart Cohens und Schaefflers zum Ausdruck bringen will, dass erst in der Begegnung mit dem einzigen Gott der Mensch zur Ganzheit seiner Person – seines Herzens, seiner Seele, seiner Kräfte (Dtn 6,4 f.) – gelangt. 422 Die Einheit Gottes ist aber gemäß der zirkulären Struktur der Namensanrufung sowohl Voraussetzung als auch Aufgabe des Beters. Die Prophezeiung des Sacharja, dass am Ende der Tage »der Herr der Einzige und sein Name der Einzige« sein werde (Sach 14,9), ruft den Beter dazu auf, sich in der Anrufung Gottes zu »sammeln« und in den vielfältigen Erfahrungen des Lebens den einen Gott wiederzuerkennen. Die Identitätsfindung des Beters ist jedoch nur die eine Dimension dieses lebenslangen Prozesses. Dazu kommt die Aufgabe, den einen und immer gleichen Gott in der Vielheit seiner Erscheinungsweisen zu erkennen und zu bekennen, und so den einen Namen Gottes, der den Gebetsakt ermöglicht, zu »einen«. In diesem Sinne ist die Namensanrufung Gottes eine Sprachhandlung, die auf Gottes Namen gerichtet ist und auf ihn »zurückwirkt«: 421 Vgl. zum Folgenden: R. Schaeffler, GuA, 195–198; Ders., Kleine Sprachlehre, 46–49; Ders., Adiutorium nostrum, 38–40. 422 Vgl. Kap. 3.2.3. u. 4.3.2. Vgl. auch die komprimierte Zusammenfassung in: Ders., Das Gebet, 80–83.

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»Die Sammlung des Menschen zur Ganzheit in der Liebe des einzigen Gottes dient also nicht nur dem Heil des Menschen. Sie bereitet zugleich den Ort, an welchem der göttliche Name als der einzige über der Welt aufscheinen kann. Die Erfüllung des Liebesgebotes wird so zum Dienst am göttlichen Namen.« 423

Als Beispiel für die »Einung des Namens« zitiert Schaeffler ein Gebet aus dem jüdischen Gottesdienst: »Du hast uns deinen großen Namen nahegebracht in Treue, Dir zu danken und Dich zu einen in Liebe.« 424 Im christlichen Kontext vertrauter ist wohl der Gedanke der »Heiligung des Namens«, dem auch die erste Vaterunser-Bitte entspricht. Schaeffler betrachtet die Heiligung des Namens Gottes ebenso als Sprachhandlung und fragt, wie der Mensch den »Quell aller Heiligkeit« des Lebens und der Welt so beim Namen rufen kann, dass dieser Name »geheiligt« und vor Entweihungen bewahrt werde. 425 Auch die »Heiligung des Namens« zeigt eine zirkuläre Struktur: Selbstverständlich muss der Beter davon ausgehen, dass Gottes Name schon »heilig« ist und niemand als Gott selbst dafür sorgen wird, dass sein Name auch in der Welt geheiligt werde. 426 Die Bitte »Geheiligt wird dein Name« folgt also auf die Erfahrung oder zumindest Vorahnung, die im »Magnifikat« ausgesprochen wird: »Der da mächtig ist, dessen Name ist heilig« (Lk 1,49). 427 Indem der heilige Gott sich vom Mensch anrufen und den Menschen in dieser Korrelation selbst »aktiv« werden lässt, kommt die »Heiligkeit« Gottes beim Menschen an, lässt er den Menschen – wie Schaeffler sagt – »seine Lebensmitte darin finden, dem heiligen Gott in der Heiligung seines Namens einen Ort seiner Gegenwart in der Welt zu bereiten« 428. In der jüdischen Tradition, auf die Schaeffler hier stärker rekurriert als auf die christliche Vaterunser-Auslegung, geht die »Heiligung des Namens« in praktischer Konsequenz soweit, dass der Beter für diesen Namen mit seinem ganzen Leben einsteht. So wird die Formulierung »Heiligung des Namens« im Judentum ein Synonym für die Bereit-

Ders., Die Vernunft und das Wort, 66. Ders., Kleine Sprachlehre, 47. Hervorhebung S. W. Vgl. Ders., Adiutorium nostrum, 39. 425 Vgl. Ders., Adiutorium nostrum, 39. 426 Vgl. dazu: J. Werbick, Vater unser, Freiburg i. Br. 2011, 62–65. 427 Vgl. R. Schaeffler, GuA, 197. 428 Ders., Kleine Sprachlehre, 48. 423 424

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schaft zum Martyrium. 429 Festzuhalten bleibt wiederum die zirkuläre Struktur dieser Sprachhandlung: Der Beter kann den Namen Gottes nur heiligen, weil er heilig ist; und Gott erweist sich nicht zuletzt darin als heilig, dass er sich in seiner »unverfügbaren Freiheit« anrufen und »heiligen« lässt; er zeigt seine Heiligkeit auf Erden, indem er Menschen »von Geschlecht zu Geschlecht« dazu beruft, sich in der Heiligung seines Namens in Wort und Tat zu verbinden. 430 Die vielleicht befremdlichste dieser drei Sprachhandlungen ist die »Segnung des göttlichen Namens«. Doch kommt der Fall, dass Gott oder dem »Namen« Segen zugesprochen wird, viel häufiger vor, als man es der deutschen Liturgiesprache entnehmen kann. Dies liegt daran, dass in Bezug auf Gott meist nicht »gesegnet«, sondern »gepriesen« übersetzt wird – wohl aus einer gewissen Verlegenheit, die das semantische Paradox dieser Redeweise intuitiv richtig erkennt. 431 Die liturgische Formel »Der Name des Herrn sei gepriesen« (vgl. Ps 113,2a) etwa enthält diese Sprachhandlung, wie an der bisweilen noch geläufigen lateinischen Version deutlich wird: »Sit nomen Domini benedictum.« In der jüdischen Liturgie wird, wie Schaeffler aus seiner reichen Kenntnis dieser Tradition einbringt, die Sprachhandlung der Segnung des göttlichen Namens beinahe bis an die Grenze zum Paradox vollzogen, wenn beim Öffnen des Tora-Schreins gesungen wird: »Gesegnet sei, der voll des Segens ist (›Baruch ha-meborach‹).« 432 Der Mensch kann vielleicht »im Namen Gottes« segnen, aber wie kann er »den Namen Gottes« selbst segnen? Die sprachliche Hintergrundstruktur dieser Gebetsweise lautet wiederum: Der Ursprung allen Segens liegt bei Gott. Wenn der Beter den Namen Gottes »segnend« anruft, wirkt er, so Schaeffler, »wenn auch stets nur antwortend und empfangend, an jenem Segen mit, den die göttliche Gegenwart stiftet« 433. Der Beter beziehungsweise die Gemeinde geben Gott zurück, was sie von Ihm als Geber allen Segens empfangen. Aus der Beziehung zu diesem Gott kann als weiteres Zeichen des Vgl. Ders., Adiutorium nostrum, 39 f.; Ders., Kleine Sprachlehre, 48. Vgl. Ders., GuA, 197; vgl. auch Ders., Der Beter, sein Gott und seine Welt, 576. 431 Das berühmteste Beispiel ist wohl der Beginn des »Benedictus« (gr. »ΕὐλογητὸϚ«; vgl. Lk 1,68 ff.), das in der Einheitsübersetzung mit »Gepriesen (sei der Herr, der Gott Israels …)« wiedergegeben wird. 432 Ders., Gebet im Judentum, 84. Die kurzen Ausführungen in dieser Passage zu den geläufigen Gebetsworten »Gesegnet bist Du, Herr, unser Gott« sind für die Sprachhandlung der Segnung des Namens höchst aufschlussreich. 433 Ders., Kleine Sprachlehre, 48. 429 430

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göttlichen Segens das Vertrauen erwachsen, dass die gegenwärtig erfahrbare Zuwendung Gottes auch weiterhin Bestand hat, wie der zitierte Psalm beziehungsweise die liturgische Antwort deutlich macht: »ex hoc nunc et usque in saeculum« (vgl. Ps 113,2b). Einung, Heiligung und Segnung des Namens sind als Sprachhandlungen von besonderem Interesse, weil sie die Namensanrufung selbst thematisieren und damit eine tiefe Einsicht in das Phänomen des Gebetes gestatten. Der Ausdruck »Name Gottes« bezeichnet Gott selbst in seiner »Eigenschaft«, die Korrelation mit dem Beter zu eröffnen und ihn in der Beziehung zu ihm in seine größtmögliche Ganzheit zu führen. Cohen greift hier ein Wort aus der Mischna auf, das die genannten Dimensionen der Einung, Heiligung und Segnung des Namens zusammenführt. Es heißt dort: »Alle deine Handlungen seien auf den Namen Gottes gerichtet.« 434 Das Leben des Beters besteht darin, auf diesen beziehungsstiftenden Namen Gottes ausgerichtet zu sein. Cohen fügt erläuternd hinzu: »Der Name Gottes, das ist das einzige Ziel der menschlichen Handlung […]. Der Name Gottes ist gleichbedeutend mit dem Gottesreiche.« 435 Der Dienst an Gottes Namen hat über die Sprachhandlung hinaus praktische Konsequenzen für die Glaubensgemeinschaft und die Welt – im Extremfall, wie Schaeffler angedeutet hat, bis zum Martyrium. Im Dienst am göttlichen Namen geschieht, so wiederum Cohen, die Erfüllung des ganzen Gesetzes. Unter diesem Blickwinkel wird auch verständlich, warum im Dekalog vehement darauf insistiert wird, den Namen Gottes nicht »zum Falschen« auszusprechen. 436 Des Weiteren nennt Schaeffler zwei liturgische Wendungen, die den Erzählakt thematisieren und damit eine Reflexion dieses zweiten wichtigen Elementes ermöglichen. Die erste Sprachhandlung hat in der Liturgie eine herausragende Stellung: »Herr, öffne meinen Lippen, damit mein Mund dein Lob verkünde« (vgl. Ps 51,17). 437 Diese allmorgendliche Bitte im Stundengebet der Kirche scheint genau betrachtet paradox und offenbart die zirkuläre Struktur schon des ersten Gebetsaktes der Liturgie, da Gott hier sprechend um die Voraussetzungen zum Sprechen gebeten wird. Der Beter ahnt offenbar, dass H. Cohen, RV, 402 f.; vgl. R. Schaeffler, Die Vernunft und das Wort, 66; Ders., GuA, 196. 435 H. Cohen, RV, 403. 436 Vgl. ebd.; vgl. Ex 20,7 // Dtn 5,11. 437 Vgl. Ps 51,17; vgl. zum Folgenden: R. Schaeffler, Kleine Sprachlehre, 79–81. 434

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ihm kein einziges Wort über die Lippen käme und er mit dem Beten nicht einfachhin »anfangen« könnte, wenn er nicht zuvor von Gott her ein Wort empfängt, auf das er betend Antwort gibt. Die Bitte um die Öffnung der Lippen verweist so gewissermaßen auf einen »Skrupel«, allzu schnell und routiniert das Lob Gottes anzustimmen. Die von Gott initiierte »Öffnung der Lippen« als Befähigung zum religiösen Sprechen bezieht Schaeffler insbesondere auf die Fähigkeit zum Erzählen: Der Beter vermag aus eigenen Kräften den Erzählzusammenhang nicht herzustellen und die Divergenz zwischen den subjektiv erlebten Geschichten und der Geschichte Gottes niemals zu überbrücken. Er kann weder seine eigenen Erfahrungen der Geschichte Gottes »zueignen« noch Gottes Heilstaten als persönliche Geschichte »aneignen«. 438 Der Beter ist zur Sprachhandlung des Erzählens nur fähig, wenn er um die Öffnung seiner Lippen bittet. Dies setzt voraus, dass »die Sprachhandlung des Erzählens ihrerseits schon als Ausdruck dessen verstanden wird, wovon sie berichtet, als Ausdruck dafür, daß Gott ›sich der Menschen angenommen hat‹, sich ihre Geschichte als die seine zu eigen machte und seine Taten ›für uns‹ […] getan hat, sie also zum Teil unserer Lebensgeschichte hat werden lassen« 439. Die Befähigung zum Gebet entscheidet sich nicht nur auf den Lippen des Beters, sondern auch in seinem Herzen, wie Schaeffler mit einer zweiten Sprachhandlung zu verdeutlichen versucht: mit der Bitte um die »Reinigung des Herzens«. Noch bevor der Psalmist um die Öffnung der Lippen bittet, heißt es wenige Verse zuvor: »Erschaffe mir, Gott, ein reines Herz« (Ps 51,12). Schaeffler erkennt in dieser Bitte über die moralische Situation des Bußpsalms hinaus ein Grundcharakteristikum des Gebetes. Es beruht auf der unüberwindbaren Differenz zwischen göttlichem und menschlichem Wort, das – wie Schaeffler sagt – »die ›Niedrigkeitsgestalt‹ der göttlichen Anrede ist, die in der stets unangemessenen menschlichen Antwort vernehmbar wird« 440. Angesichts dieser Grundspannung müsste eigentlich jeder Beter mit Jesaja sprechen: »Weh mir, ich bin ein Mann unreiner Lippen« (Jes 6,5) und »ein Mann unreinen Herzens«. Die Reinigung von Lippen und Herz findet in der römischen Liturgie eine Feiergestalt: Bevor der Priester die frohmachende Geschichte Gottes 438 439 440

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Vgl. ebd., 80. Ebd. Ders., GuA, 233; vgl. Ders., Kleine Sprachlehre, 87.

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den Gläubigen verkündet und bevor er als Prediger versucht, die Geschichte der Hörer mit dieser Geschichte in Verbindung zu bringen, betet er: »Heiliger Gott, reinige mein Herz und meine Lippen, damit ich dein Evangelium würdig verkünde.« 441 Die Bitte um Reinigung wehrt der Versuchung, dass sich der (Vor-)Beter die Sprachkompetenz des Erzählens selbst zuschreibt. Bei allen behandelten Sprachhandlungen, die sich auf Namensanrufung und Erzählakt selbst beziehen und so die zirkuläre Struktur der Gebetssprache einsichtig machen, wurde eines deutlich: Die menschliche Gottesanrede findet nur dann ihre Sinnbedingungen und bleibt davor bewahrt, »frevelhafte« Rede zu sein, wenn sie als Antwort auf Gottes Zuwendung verstanden wird. Die ausführliche Reflexion zum Gebet als Sprachhandlung, die das gesamte zurückliegende Kapitel bestimmt hat, muss zuletzt im Sinne Cohens auch das »Schwergewicht« der Korrelation zwischen Gott und Mensch ausreichend berücksichtigen, muss bedenken, dass diese Beziehung »asymmetrisch und doch wechselseitig« 442 ist. Die sprachphilosophische Methodik hat zu der Einsicht geführt, dass das Subjekt des Beters dieser Sprachhandlung nicht etwa vorausgeht, sondern sich vielmehr aus der Wechselseitigkeit dieser Anrufung empfängt. Schaefflers Ansatz, die Namensanrufung ins Zentrum seiner Gebetslehre zu rücken, bedeutet daher nicht, dass der Ursprung des Gebetes beim Menschen und seiner Sprachfähigkeit liegt. 443 In seinen späteren Aufsätzen zur religiösen Sprache nimmt er dieses Zuordnungsverhältnis immer deutlicher in den Blick:

441 Messbuch. Kleinausgabe, 336; vgl. R. Schaeffler, Kleine Sprachlehre, 81. In seinem Aufsatz über den protologischen Mythos kommt Schaeffler ebenfalls auf Jesaja und die allgemeine Funktion von Reinigungsriten zu sprechen. In deutlichen Worten versucht er aufzuzeigen, was geschieht, wenn in Vergessenheit gerät, dass der Mensch im Dienst am göttlichen Wort steht: »Der Ausfall von Reinigungsriten ist ein Anzeichen dafür, daß der Diener am Wort […] sich der Tragweite seiner Entscheidung nicht mehr bewußt ist und in die Gefahr gerät, den Dienst an Gott und damit an der Welt in eine subtile Form der Selbst-Zelebration zu verwandeln.« Ders., Aussagen über das, was »Im Anfang« geschah, 350. 442 Ders., Die Vernunft und das Wort, 66; vgl. Ders., RelPhil, 290: »›Korrelation‹ […] bedeutet nicht notwendig Symmetrie; und im speziellen Falle des religiösen Akts ist das Verhältnis von Noesis und Noema im höchsten Maße asymmetrisch.« 443 Formallogisch gesprochen: »[Die; S. W.] menschliche Fähigkeit zu einem wirkenden Wort, das auf Gott gerichtet ist, ist niemals auf eine dem Menschen wesenseigene,

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»Daß der Mensch in die Beziehung zum Heiligen und Göttlichen eintreten kann und dadurch erst den ›Gegenstand‹ findet, von dem er spricht, und den Sachgehalt dessen entdeckt, was es in der der religiösen Rede zu sagen gilt, verdankt er der Zuwendung des Heiligen und Göttlichen selbst. Der Eintritt in diese Beziehung ist also ein responsorischer Akt.« 444

Prägnant formuliert: Die »acclamatio nominis« ist als Antwort auf die »revelatio nominis« zu betrachten. Die Anrufung des Namens Gottes ist möglich, weil Gott sich anrufen lässt. 445 Die Einung, Heiligung und Segnung des Namens sowie die Bitte um Öffnung der Lippen und Reinigung des Herzens, die ihren festen Ort im jüdischchristlichen Gebetsschatz haben, ließen die zirkuläre Struktur von Anrufung und Anrufbarkeit deutlich hervortreten. Diese zugespitzte Darlegung der »Zirkularität« des Gebetsaktes – am Rande dessen, was sprachphilosophisch überhaupt noch zu beobachten ist – wird von Schaeffler zunächst eher beiläufig thematisiert. In Bezug auf die Möglichkeit des Erzählens betont er an einer Stelle, dass die Öffnung der Lippen und Reinigung des Herzens deshalb notwendig sei, »weil er [der Beter; S. W.] noch immer nur bruchstückhaft und vorläufig dazu fähig ist, zu tun, wozu er berufen ist: in seinem Wort der Herrlichkeit Gottes Antwort zu geben« 446. In dieser und ähnlichen Formulierungen legt Schaeffler eine Spur, die meiner Einschätzung nach auf einen zweiten, komplementären Gebetsansatz innerhalb seines Werkes vorausweist. Dieser steht eigenständig, aber – wie die vorangehenden Beispiele zeigen – nicht zusammenhangslos neben den bislang berücksichtigten sprachphilosophischen Arbeiten zur Gebetsthematik. Die Kurzformel dieser erneuten Annäherung an das Phänomen des Betens ist gerade schon angeklungen: Gebet – oder hier »Doxologie« – ist Antwort des Menschen auf Gottes Herrlichkeit.

sondern stets nur auf eine ihm zugeeignete Subjektivität zurückzuführen.« Ders., GuA, 181. 444 Ders., Die Vielfalt der Weisen religiöser Wahrheit, 99. Der Aufsatz stammt aus dem Jahr 1994. 445 Vgl. ebd., 99 f. 446 Ders., Kleine Sprachlehre, 80.

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5 Doxologie als Antwort des Menschen auf die Herrlichkeit Gottes

5.1 Hinführung: Gebet als Homologie und Doxologie Schaefflers »Kleine Sprachlehre des Gebets« (1988) endet mit einem knappen Ausblick, der einen in der gesamten Monographie bis dahin nicht erwähnten Gedanken anklingen lässt. Dieser Epilog trägt die Überschrift: »Das Gebet als Homologie und Doxologie«. 1 Schaeffler hatte offensichtlich bereits im Blick, dass seine Reflexionen über das Gebet als Akt der Namensanrufung Gottes nur eine Seite des Phänomens beschreiben, während sich, je länger je mehr, eine zweite Perspektive aufdrängte: ein Ansatz, der das Gebet nicht als initiativen (Sprech-)Akt des Beters versteht, sondern – und noch zuvor – als Antwort auf einen göttlichen Anspruch. Eine erste systematische Annäherung an ein solches responsorisches Verständnis von Gebet versucht Schaeffler mit dem Begriff der »Homologia«: Gebet ist »Homologia«, wörtlich »Gleich-Rede«, insofern der Mensch im Gebet auf eine angemessene, ent-sprechende Weise ins Wort zu bringen versucht, was ihn in der Begegnung mit Gott an-spricht. Schaeffler schreibt: »So faßt der Beter nur das Gleiche (Homoion) ins Wort (in den Logos), was ihm zuvor von Gott als Begründung seines Ich und seiner Welt zugeeignet ist. Das Gebet ist Gleich-Wort, Homo-Logia, durch das der Beter seiner eigenen, in Gottes Zuwendung gründenden Existenz entspricht (homologei heauto) und damit zugleich der Wirklichkeit und Wirksamkeit Gottes angemessen antwortet (homologei Theo).« 2 Vgl. R. Schaeffler, Kleine Sprachlehre, 115–121. Ebd., 115. Es ist bemerkenswert, dass Schaeffler in den folgenden Ausführungen den Begriff »Homologia« jeweils nur in diesem sehr wörtlichen und etymologisch ursprünglichen Sinne »das Gleiche sagen« gebraucht, wie er klassisch etwa bei Platon oder Xenophon vorkommt. Bemerkenswert deswegen, weil das Verb »ὁμολογέω« in der semantischen Bedeutung von »zustimmen«, »bekennen« und schließlich auch »preisen« immerhin 26 Mal im NT vorkommt. Vgl. O. Michel: Art. »ὁμολογέω«,

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5 · Doxologie als Antwort des Menschen auf die Herrlichkeit Gottes

Nicht nur das Gebet im engeren Sinne, sondern die religiöse Rede überhaupt gilt für Schaeffler als Ant-Wort auf Gottes Wort. Ob und wie dem religiösen Sprechen eine dem göttlichen Wort angemessene Antwort gelingen kann, darin liegt die Brisanz der ganzen Thematik. Denn einerseits vermag der Mensch niemals eine adäquate Antwort auf die »je größere Wahrheit« zu geben, die ihm in der religiösen Erfahrung entgegenkommt. Die Homologie ist also grundsätzlich zum Scheitern verurteilt. Andererseits stellt sich die dringliche Frage, wie dennoch die Sinnbedingungen (Sachbezug und Bedeutungsgehalt) der religiösen Rede und damit ihre Gegenstandsfähigkeit aufzuweisen wären. Weiter wäre zu fragen, wie es um den Wahrheitsgehalt und den objektiven Geltungsanspruch einer solchen homologischen Rede bestellt ist. Dieses hier nur grob skizzierte Problemfeld wird Schaefflers Überlegungen zur Doxologie in all seinen Ausführungen begleiten. 3 Ein Verständnis des Gebetes als Antwort auf Gottes Wort steht in der angedeuteten Spannung zwischen der Inadäquatheit seiner Rede und dem Anspruch, dennoch auf verantwortete und »wahrheitsfähige« Weise zu sprechen. Eine vorläufige epistemologische Definition lautet hierzu: »Die Wahrheit religiöser Rede ist nicht primär ›Adäquationswahrheit‹, weil das Bewußtsein ihrer eigenen Inadäquatheit zu ihrer Eigenart gehört.« 4 Ausgehend von dieser negativen Bestimmung versucht Schaeffler mit Hilfe des Begriffs der »Homologia« den Wahrheitsgehalt religiöser Rede genauer zu fassen, wie die unmittelbare Fortsetzung des eben genannten Zitates verdeutlicht: »Religiöses Sprechen erhebt statt dessen den Anspruch auf ›Homologia‹, d. h. den Anspruch, das empfangene Wort des Heiligen antworin: ThWNT, Bd. V, Stuttgart 1954, 199–220; vgl. auch: »ὁμολογέω« u. »ὁμολογία« in: W. Bauer, Griechisch-deutsches Wörterbuch, Berlin – New York 61988, Sp. 1151– 1153; Art. »ὁμολογέω« – »Bekennen«, in: TBLNT, Bd. I, Wuppertal – Neukirchen 1997, 137–141. 3 Vgl. Kap. 5.2.2. 4 R. Schaeffler, Die religiöse Sprache, 125. Schaeffler verwendet die epistemologisch gängigen Termini der »Adäquation« und der »Korrespondenz« bezogen auf den Antwortcharakter religiösen Redens in einem der ursprünglichen Verwendung (adaequatio rei et intellectus) fremden Sinn: »Dieses Wort ›entspricht‹ (homologei) dem heiligen Ereignis nicht im Sinne der Adäquation – menschliches Reden bleibt dem Heiligen ebenso unangemessen wie menschliches Handeln –, sondern im Sinne einer Korrespondenz der Antwort, die der Situation des Menschen unter dem Anspruch und der Zusage des Heiligen gerecht wird.« Ders., Religionsphänomenologie, Sprachanalyse und »die Wahrheitsfrage«, 197.

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Hinführung: Gebet als Homologie und Doxologie

tend zurückzugeben und so die Korrelation zu stiften, in der sich die Parusie des Heiligen ereignen kann.« 5 Sinnbedingung und Wahrheitsdifferenz religiöser Rede bleiben für Schaeffler auf die von Gott ermöglichte Korrelation bezogen. 6 Religiöse Rede muss sich daran messen lassen, die »numinose Wirklichkeit« so zum Ausdruck zu bringen, dass diese in der stets unzulänglichen und vorläufigen Weise menschlicher Antwort »ankommt«. Zunächst wird wiederum negativ greifbar, was Schaeffler damit meint: Die »Pseudologia«, die religiöse »Falschrede«, verhindert die Ankunft des Heiligen. Eine vermeintlich religiöse Rede wird laut Schaeffler nicht dadurch zur »Pseudologia«, dass sie diese oder jene theologische Falschaussage trifft, sondern vielmehr dann, wenn sie die Grundbestimmung der Korrelation, die freie und ungeschuldete Zuwendung Gottes, nicht mehr zur Sprache bringt. »Falschrede (Pseudologia) ist so verstanden das Wort, das das Verhältnis zum Heiligen verdirbt und aus einem heilschaffenden Verhältnis in Gericht und Unheil umschlägt.« 7 Wahre religiöse Rede überwindet das »Frevelwort« – wie Schaeffler auch übersetzt – und bringt statt Gericht und Unheil die heilsame Zuwendung und Gegenwart Gottes ins Wort. Als weitere Fehlform der religiösen Rede nennt Schaeffler neben der »Pseudologia« ferner die »Kenologia« – wörtlich: die »Leer-Rede«. Mit diesem Terminus greift er die im »linguistic turn« vorgebrachte Forderung nach eindeutigem Sachbezug und Bedeutungsgehalt aller sprachlichen Äußerungen auf, samt dem Generalverdacht, in der religiösen Rede und insbesondere im Gebet handle es sich offensichtlich um Scheinaussagen. Vor dem Hintergrund dieser Debatte wendet Schaeffler den Vorwurf und lässt ihn mit einem Zitat aus dem Kolosserbrief geschickt auf die Philosophie selbst zurückfallen. Dort mahnt der Apostel: »Gebt acht, daß euch niemand mit seiner Philosophie und falschen Lehre (»κενῆϚ ἀπάτηϚ« – wörtl. »mit leerem Trug«; S. W.) verführt, die sich nur auf menschliche Überlieferung stützen« (Kol 2,8). 8 Als »Kenologia«, als inhaltsleere Rede Ders., Die religiöse Sprache, 125. Vgl. Ders., Die Vielfalt der Weisen religiöser Wahrheit, 100. 7 Ders., Religionsphänomenologie, Sprachanalyse und »die Wahrheitsfrage«, 196. 8 Vgl. Ders., PhE I, 19 f. In dieser einleitenden Passage in das dreibändige Werk wendet sich Schaeffler freilich nicht grundsätzlich gegen den Wert der Philosophie für die religiöse Rede. Vielmehr stellt er fest, dass die Vorbehalte aus glaubensimmanenter Perspektive gegenüber dem »Deus philosophorum« längst auch den »Deus theologo5 6

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5 · Doxologie als Antwort des Menschen auf die Herrlichkeit Gottes

über Gott, gilt für Schaeffler allgemein »ein Sprechen, das den Bezug zum Dienst am heiligen Ereignis verläßt« 9. »Kenologia« ist also eine Form religiöser Rede, welche die Sinnbedingungen einer Aussage über das Heilige verfehlt und deswegen – noch vor der Möglichkeit, überhaupt Wahres oder Falsches auszusagen – ins Leere geht. Die »Pseudologia« dagegen verfehlt den Wahrheitsgehalt dessen, wovon sie spricht, weil sie das Charakteristikum der religiösen Wirklichkeit, nämlich das Erscheinen-Wollen des Heiligen, nicht oder auf »frevelhaft« verkehrte Weise ins Wort bringt, etwa als Erscheinen zum Unheil und Gericht. 10 Im Horizont dieser beiden Fehlformen religiöser Rede tritt schließlich umso klarer hervor, wie Schaeffler die adäquate und wahrheitsfähige Weise der Gottesrede sieht, nämlich als »Doxologia« – als der menschliche Versuch, die Herrlichkeit Gottes antwortend zur Sprache zu bringen: »Menschliches Reden vom Heiligen und Göttlichen bleibt ›wahr‹ nur dann, wenn es sich als Erscheinungsgestalt, nicht selten sogar als Entäußerungsund Knechtsgestalt jener Δόξα versteht, durch die das Göttliche sich selbst darstellt und zu erkennen gibt und dadurch alles religiöse Sagen und Handeln des Menschen erst möglich macht.« 11

Die Homologie, also die angemessene Redeweise angesichts des Heiligen, strebt danach, die göttliche Wirklichkeit als seine Herrlichkeit (Doxa) ins Wort (Logos) zu fassen. So kann Schaeffler den allgemeinen Begriff der Homologie konkretisieren: »Homologie ist zugleich Doxologie, Wort von Gottes wirksam aufleuchtender Herrlichkeit.« 12 Die göttliche Herrlichkeit ist für Schaeffler kein objektives »Gegenüber«, auf das sich der betende Lobpreis richtet, sondern die Herrlichkeit im Hin-blick auf den Menschen, die aufleuchtet (so die leitende rum« betreffen und aus diesem Grund die Philosophie, die schon länger mit diesem Problem betraut ist, der Theologie zu Hilfe eilen könnte. Genau darin liegt Schaefflers Motivation, eine »Philosophische Einübung in die Theologie« zu verfassen. Vgl. dazu ausführlich Kap. 7. 9 Ders., Religionsphänomenologie, Sprachanalyse und »die Wahrheitsfrage«, 197. 10 Vgl. Ders., Die Vielfalt der Weisen religiöser Wahrheit, 100 f.; Ders., Die religiöse Sprache, 125; Ders., Religionsphänomenologie, Sprachanalyse und »die Wahrheitsfrage«,196 f. 11 Ders., Die Vielfalt der Weisen religiöser Wahrheit, 100 f. 12 Ders., Kleine Sprachlehre, 115. Schaeffler weist hier darauf hin, dass die gängige Übersetzung des Begriffs »Doxologie« mit dem Wort »Gotteslob« nur dann zulässig ist, wenn damit weder ein »positives Werturteil« über Gott noch ein Lobspruch, um Gott »günstig zu stimmen«, gemeint ist. Vgl. ebd., 115 f.

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Hinführung: Gebet als Homologie und Doxologie

Metapher) und in deren »Leuchten« Gott für den Menschen wirksam und erfahrbar wird. In der göttlichen Doxa zeigt sich die freie Zuwendung Gottes zum Menschen, die ja eine Basisintuition auch für Schaefflers Theorie der Namensanrufung und für die daraus folgenden Gebetsmodi war. Die göttliche Herrlichkeit verweist auf den UrGrund, der den Beter erst sprachfähig macht, und der ihm das Gebet – wie Schaeffler sich häufig ausdrückt – »auf die Lippen« legt. 13 Die Doxologie, so Schaeffler zusammenfassend, »erweist sich als die umfassende Form und der umgreifende Inhalt aller Formen und Inhalte des Gebets« 14. Schaefflers Ausarbeitungen zum Begriff der »Doxologie« überschreiten das bislang begangene Terrain einer direkten Bezugnahme auf den Gebetsakt und setzen religionsphilosophisch weitaus grundsätzlicher an: beim Zu- und Ineinander von Wort und Antwort, von göttlichem und menschlichem Wort: »Doxologische Rede ist stets ein von Gott dem Menschen anvertrautes Wort und als solches seiner Willkür entzogen. Die Homologie, die ›das Gleiche sagt‹, und die Doxologie, die das Aufleuchten der göttlichen Herrlichkeit ins Wort faßt, bleiben gebunden an das göttliche Wort, durch das sie hervorgerufen werden und auf das sie antworten.« 15

Diese Worte aus Schaefflers »Ausblick« am Ende seiner »Kleine[n] Sprachlehre« lesen sich Jahrzehnte später wie die Ankündigung einer noch ausstehenden Ergänzung zu seinem in sich abgeschlossenen Gebetsansatz der »acclamatio nominis«. Der Leitbegriff hierfür, »Doxologie«, sowie die noch näher zu bestimmenden Gegensatzpaare von göttlichem und menschlichem Wort, von menschlicher Sprachlosigkeit (»Unreinheit der Lippen«) und göttlicher Sprachermächtigung (»Öffnung der Lippen«) liegen bereits offen da. Schaeffler war sich offensichtlich deutlich bewusst, dass er einen landläufigen Begriff von »Gebet« überschreiten oder zumindest ausweiten muss und auf – sprachphilosophisch höchst interessante – Bezüge zu anderen religiösen Sprachformen zu achten hat. Jedenfalls äußert er die Vermutung, »daß die Doxologie die Brücke schlägt zu anderen Gebetsformen [Hervorhebung S. W.], von denen vor allem das Bekenntnis

Vgl. die Überlegungen zur zirkulären Struktur der Namensanrufung und zum Verhältnis von »acclamatio« und »revelatio« in Kap. 4.6. 14 Ders., Kleine Sprachlehre, 116. 15 Ebd., 118. 13

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und das Zeugnis Hervorhebung verdienen« 16. Was Schaeffler Ende der Achtziger Jahre grundgelegt hat, findet in späteren Werken eine detaillierte Ausarbeitung, der im Folgenden nachgegangen werden soll. Schaefflers Doxologiebegriff – diese Bemerkung mag für das Folgende hilfreich sein – unterscheidet sich von seiner Verwendung in der protestantischen Theologie bei Edmund Schlink und Wolfhart Pannenberg, deren Anliegen es war, die Doxologie als primärer »locus theologicus« wieder ins Gedächtnis zu rufen. 17 Auch Geoffrey Wainwrights systematisch-theologischer Gesamtentwurf aus der »Doxologie« – das heißt aus dem liturgischen Gebetsschatz der Kirche – ist von Schaefflers Doxologiebegriff trotz dessen verschiedentlicher Bezugnahme auf Wainwright zu unterscheiden. 18 Wenn man Schaefflers jüngste und zugleich ausführlichste Arbeiten zum Doxologiebegriff in der »Philosophische[n] Einübung in die Theologie« untersucht, wird sehr schnell deutlich, dass »Doxologie« hier weitaus mehr meint als den liturgischen Lobpreis Gottes. 19 Doxologie ist bei Schaeffler zuallererst ein epistemologischer Terminus und entspringt Ebd., 116. Der Begriff der »Doxologie« hat in der systematischen Theologie des vergangenen Jahrhunderts vor allem in der theologischen Erkenntnislehre eine Rolle gespielt. Anknüpfend an das dialektische Denken Hegels und an die »Dialektische Theologie« Barths ist hier vor allen Dingen Edmund Schlink zu nennen. Sein viel beachteter Aufsatz zum Status dogmatischer Aussagen kann als Ausgangspunkt dieser Debatte gelten. Sein Schüler Pannenberg hat den Versuch gewagt, dem katholisch geprägten Analogiebegriff die »Doxologie« als theologische Erkenntnisweise gegenüberzustellen. Vgl. E. Schlink, Die Struktur der dogmatischen Aussage als ökumenisches Problem, in: KuD 3 (1957), 251–306; Ders., Ökumenische Dogmatik, Göttingen 1983, 33–36, 64 f., 725–734; W. Pannenberg, Analogie und Doxologie, in: Ders., Grundfragen systematischer Theologie, Göttingen 31979, 181–201; Ders., Systematische Theologie 3, Göttingen 1993, 228–237; vgl. auch Pannenbergs nunmehr publizierte und erweiterte Habilitationsschrift: Ders., Analogie und Offenbarung, Göttingen 2007. Zu Barths Gebetsverständnis vgl. C. Svinth-Værge Põder, Doxologische Entzogenheit, Berlin – New York, 2009. Vgl. als Überblick zur Doxologie-Debatte in der evangelischen Theologie Joachim Drumm, Doxologie und Dogma, Paderborn 1991; Ders., Art. »Doxologie«. II Historisch-theologisch. III Systematisch-theologisch, in: LThK3, Bd. 3, Freiburg i. Br. 1995, Sp. 355 f. 18 Vgl. G. Wainwrigth, Doxology. The Praise of God in Worship, Doctrine, and Life. A Systematic Theology, London 1980. Schaeffler stand mit dem methodistischen Theologen Wainwright zeitweise im akademischem Austausch und widmete ihm den für die hier behandelte Thematik aufschlussreichen Aufsatz: R. Schaeffler, Δοξολογία καὶ Οἰκοδομή. Vgl. zu Wainwright ausführlich Kap. 7.1. 19 Vgl. einführend zum liturgiewissenschaftlichen Verständnis von »Doxologie«: 16 17

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dem Zentrum seiner über die Jahre weiterentwickelten Erfahrungslehre. Im Hinblick auf die religiöse Erfahrung führt der Begriff der »Doxologie« – wie gezeigt werden kann – zu wichtigen inhaltlichen Präzisierungen. Für die folgende Begriffsanalyse lässt es sich daher nicht vermeiden, die Definition von Gebet auszuweiten und sich noch einmal auf die epistemologischen Grundlagen von Schaefflers Ansatz einzulassen. Dies darf jedoch nicht als langwieriger An- oder gar Umweg verstanden werden, sondern ist dem Faktum geschuldet, dass Schaeffler den Begriff der Doxologie zuinnerst mit dem Grundvorgang menschlichen Erfahrens und Verstehens verknüpft. Von diesen epistemologischen Zusammenhängen her dürfen schließlich neue und überraschende Impulse für seine Gebetslehre im engeren Sinn erhofft werden.

5.2 Doxologie als Dialog mit der je größeren Herrlichkeit Gottes 5.2.1 Erfahrung in Sprache: Das Verbum Mentis Menschliches Anschauen, Wahrnehmen und Denken vollzieht sich gemäß Schaefflers Erfahrungslehre in der gestaltenden Antwort auf die Wirklichkeit. 20 Erfahrung – um auch den epistemologisch anspruchsvollsten Fall sogleich einzubeziehen – geschieht weder in einem rein passiven Hinnehmen des Gegebenen, noch in einem rein subjektiven »Erfinden«, sondern im »Dialog mit der Wirklichkeit«, wobei der Anspruch der Wirklichkeit niemals absolut, sondern allein in der jeweiligen Antwortgestalt greifbar wird. Das Moment der »Abundanz«, der je größere Anspruch auch der scheinbar trivialsten Wirklichkeitswahrnehmung, ist das Charakteristikum jedes Erkenntnisvorgangs. Es weist über den aktuellen »Stand« der Erkenntnis hinaus und macht die geschichtliche Dimension in Schaefflers Konzept offenkundig: Erfahrung ist nicht nur ein je aktueller »Dialog mit der Wirklichkeit«, sondern ein zukunftsoffener Prozess, innerhalb dessen R. Meßner, Was ist eine Doxologie?, in: B. Groen – B. Kranemann (Hg.), Liturgie und Trinität, Freiburg i. Br. 2008, 129–160. 20 Vgl. auch die einführende Darstellung in Kap. 2.1.2. Vgl. zum Folgenden zusammenfassend: S. Walser, Der doxologische Aspekt der Gebetslehre Richard Schaefflers, 302–307. Beten denken

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die Erfahrungsinhalte immer besser erkannt, aber darüber hinaus auch die menschliche Erfahrungsfähigkeit selbst und ihre Vernunftstruktur umgestaltet werden. Diese flüchtigen und gewiss sehr reduzierten Markierungen mögen genügen, um den Horizont von Schaefflers Erfahrungslehre wieder vor Augen zu führen und auf eine interessante Denkfigur hinzuweisen, die, wie es scheint, erst in der »Philosophische[n] Einübung in die Theologie« zur Entfaltung gekommen ist: 21 die Rezeption des scholastischen Begriffs »Verbum Mentis«. So bezeichnet Schaeffler in seinem Erfahrungskonzept jene Antwort, die wir in unserem Anschauen und Denken auf den Anspruch der Wirklichkeit geben. Jenseits von diesem als Antwort immer schon sprachlich strukturierten »inneren Wort« 22 ist keine Erkenntnis möglich. Schaeffler zitiert hier einen Grundsatz, den er allgemein den »mittelalterlichen Aristotelikern« zuschreibt: »Nihil cognoscimus nisi verbo mentis.« 23 Das Verbum Mentis geht dem nach »außen« gesprochenen und vernehmbaren Wort, dem »Verbum Oris«, ermöglichend voraus. Mit Hilfe des Verbum Mentis gelingt es Schaeffler, die responsorische Gestalt jeden Erkennens als eine tatsächliche »Ant-Wort« besser zu beschreiben. Die Möglichkeit zusammenhängender Erfahrung hängt davon ab, ob es dem erkennenden Subjekt gelingt, dem je größeren Anspruch der Wirklichkeit so zu entgegnen, dass es sich zu einem Wandel seines Anschauens und Denkens – kurz: zu einer Umgestaltung des Verbum Mentis – herausfordern lässt. »Indem das ›Verbum Mentis‹ die Notwendigkeit seiner eigenen Überbietung bezeugt, macht es kommende Erfahrungen nicht überflüssig, sondern allererst möglich.« 24 Alle wesentlichen Aspekte seiner Erfahrungslehre, darunter die Vgl. als Ankündigung R. Schaeffler, EDW, 299 f. Im weiteren Verlauf des Gedankengangs wird Schaeffler noch einmal genauer zwischen »Verbum Mentis« und »Verbum internum« differenzieren. Diese Unterscheidung ist für den hier beschriebenen Zusammenhang jedoch unerheblich. Vgl. Ders., PhE I, 159 f. 23 Ebd., 109; vgl. Ders., GuA, 239. Schaeffler weist dieses Zitat nicht genauer nach. So spart er sich den Verweis auf die wirkungsgeschichtliche Debatte um das augustinische »verbum cordis« zwischen Thomas von Aquin und Wilhelm von Ockham. Um die Begriffe »verbum cordis / mentis« entfaltete sich eine Art scholastische Sprachphilosophie. Vgl. S. Meier-Oeser, Art. »Verbum mentis«, in: HWPh, Bd. 11, Basel 2001, Sp. 592–595; M. Lenz, Mentale Sätze. Wilhelm von Ockhams Thesen zur Sprachlichkeit des Denkens, Stuttgart 2003, bes. 33–36, 125–131. 24 R. Schaeffler, PhE I, 200. 21 22

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Reformulierung der kantischen Grundsätze des reinen Verstandes, werden daraufhin von Schaeffler im Blick auf die Denkfigur des Verbum Mentis neu durchbuchstabiert: »Das Wort, das wir sprechen, sei es das innere oder äußere Wort, ist stets eine Phase im Dialog mit dem Wirklichen und seinem Anspruch [vgl. den zweiten Verstandesgrundsatz; S. W.]. Deshalb ist sowohl das Verbum Mentis als auch das Verbum Oris stets ein inmitten der Zeit gesprochenes Wort. Dennoch behält es im weiteren Fortgang des Dialogs mit der Wirklichkeit bleibende Bedeutung, weil es in diesem Dialog keine Phase gibt, die durch seine weiteren Phasen ihrem [sic!] Maßgeblichkeitsanspruch verlöre. Jede einmal erreichte Gestalt der Erfahrung ist in den hermeneutischen Wechselbezug zu allen früheren und späteren Erfahrungsweisen und Erfahrungsinhalten einbezogen und stellt deshalb eine Bewährungsprobe für jedes kommende Verbum Mentis et Oris dar [vgl. den vierten Verstandesgrundsatz; S. W.].« 25

Im weiteren Fortgang der erneuten »Umrißzeichnung« seiner Erfahrungslehre wendet Schaeffler die Figur des Verbum Mentis nicht nur auf die Möglichkeit der transzendentalen Erfahrung an, also auf den »Gestaltwandel« der Erfahrungsfähigkeit, sondern auch auf die Problematik der Vielfalt von strukturverschiedenen Erfahrungsweisen – hier als »simultane Pluralität von Gestalten des Verbum Mentis« 26 aufgefasst – sowie auf die daraus folgende Dialektik der Vernunft samt ihrer Auflösung durch Postulate der Hoffnung, die im Schlussgedanken auf Gott als den Grund dieser Hoffnung verweisen. 27 Die Vernunftpostulate nämlich lassen – so Schaeffler – »das Subjekt fähig [werden; S. W.], auch diejenigen Erfahrungen, in denen die Gestalt des Verbum Mentis zunächst zerbricht, aus denen sie dann aber verwandelt hervorgeht, einem spezifischen Kontext einzuordnen: dem Kontext einer Erzählung, die vom Betroffenen selbst immer nur bruchstückhaft erzählt werden kann, von der er aber dennoch gewiß ist, daß sie ›vor Gott‹ eine Einheit bildet.« 28 Ebd., 128. Ebd., 145. 27 Vgl. zum gesamten Argumentationsgang ebd., 129–147. 28 Ebd., 147. Im Übrigen zeigt sich hier eine weitere Akzentverschiebung gegenüber »EDW«. Während Schaeffler in seinem »opus magnum« die Vernunftpostulate anhand des »göttlichen Anspruchs« (Postulat der Einheit Welt), des »göttlichen Wissens« (Postulat der Einheit des Ich), bzw. des »umfassenden Orientierungssystems« (Postulat der Einheit der Geschichte) entfaltet, verbindet Schaeffler an dieser Stelle den postulierten Einheitsgedanken mit dem »einigenden« Akt des Erzählens vor Gott. 25 26

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Es lässt sich also insgesamt beobachten, wie Schaeffler den Begriff des Verbum Mentis (und Oris) nachträglich in seine Erfahrungslehre einarbeitet, ohne deren Argumentationsstruktur grundlegend zu verändern – jedoch mit einer wertvollen, aus der Philosophiegeschichte gewonnenen Präzisierung dessen, wie die »Antwort« des Menschen auf den »An-spruch« der Wirklichkeit näherhin gedacht werden kann. Für das Projekt einer »Philosophischen Einübung in die Theologie« und für die hier behandelte Fragestellung wird von besonderem Interesse sein, wie Schaeffler seine weiterentwickelte allgemeine Transzendentalphilosophie auf die speziell religiöse Erfahrung anwendet. Denn die Diskrepanz zwischen den menschlichen Wahrnehmungs- und Denkformen und der »veritas semper maior« wird in der religiösen Erfahrung auf unendliche Weise gesteigert – so weit, dass der Mensch an »die Grenze seiner Erfahrungsfähigkeit im Ganzen« 29 gelangt. Religiöse Zeugnisse vermögen diese Erfahrung am Rande des Zerbrechens aller Erfahrung nur noch in paradoxen Bildern auszudrücken: etwa im »blendenden Blitz«, der »sichtbaren Finsternis«, in einer »verhüllend-offenbarenden Wolke«, einem »betäubenden Donner« oder einer »hörbaren Stille« – vor allem aber in Bildern von Todesnähe und vom neuen Leben. 30 Die religiöse Erfahrung ist daher, wie Schaeffler immer wieder betont, die »Stunde der Entscheidung zwischen ›Heil und Unheil‹ des Menschen und der Welt« 31. Schaeffler hält daran fest, dass auch diese religiöse »Grenzerfahrung« nicht irgendwo abseits, sondern innerhalb des menschlich-antwortenden Anschauens, Wahrnehmens und Denkens, also innerhalb des responsorischen Gestaltens, zum Ausdruck kommt. Bei keinem anderen Erfahrungsinhalt aber wird deutlicher, dass die unendlich »größere« Wirklichkeit, die hier begegnet, eine »Metamórphosis« der Erfahrungsweise fordert und zugleich als ihr inneres, vorantreibendes Moment wirkt. 32 Dass die menschliche Erfahrungsfähigkeit an der unendlichen Differenz zur Wirklichkeit des »Heiligen« nicht Eine Beobachtung, die dem, was in Kap. 4.3.3 über die transzendentale Funktion des Erzählens im Gebet gesagt wurde, sehr entgegenkommt. 29 Ders., PhE I, 177. 30 Vgl. ebd. Schaeffler spricht von Bildern der »Todes-Antizipation« wie etwa dem »tötenden und zugleich lebenspendenden Wasser« oder dem »Hinübergeführtwerden in ein unbetretbares Land«. 31 Ders., PhE II, 64. Vgl. Ders., Aussagen über das, was »Im Anfang« geschah. 32 Vgl. Ders., PhE I, 176–178; vgl. auch Ders., PhE II, 63 ff.

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zerbricht, sondern neu und verwandelt ersteht, dies kann sich der Mensch nicht als seine eigene Leistung und »Erkenntniskraft« zuschreiben, sondern er erfährt es – und nirgendwo mehr als hier – als ein Geschenk. Schaeffler dazu wörtlich: »Das religiöse Verbum Mentis wird deshalb als Gabe des Heiligen an den menschlichen Sprecher verstanden. Es ist ein Wort, das dem, der die religiöse Erfahrung macht, vom Heiligen selbst ›ins Herz und auf die Lippen‹ gelegt worden ist.« 33 Das Verbum Mentis, der menschliche Antwortversuch auf das Wort der Wirklichkeit, das in Schaefflers allgemeiner Erfahrungslehre als »unsere Antwort auf den Anspruch des Wirklichen in der Form unseres Anschauens und Denkens […] aus der Eigengesetzlichkeit unserer Subjektivität« 34 galt, erfährt im religiösen Erfahrungskontext eine deutliche Verlagerung: es ist das Wort des »ZuSpruchs«, die »kontingente und ungeschuldete Gabe des Heiligen« 35. Diese Bestimmung des Verbum Mentis im Dialog mit der »je größeren« Wirklichkeit, über die eine größere nicht gedacht werden kann, lässt bei Schaeffler eine Akzentverschiebung in Erscheinung treten, die wohl nicht zufällig an ein bereits mehrfach beobachtetes Phänomen erinnert: Der Dialog bzw. die »Korrelation« mit dem Heiligen zeigt ein asymmetrisches Verhältnis, ohne dass die Dialogizität oder Wechselseitigkeit deswegen einseitig aufzulösen wäre. Darüber hinaus ist es bemerkenswert, dass Schaeffler an diesem Grenzgedanken des reflexiv über die religiöse Erfahrung gerade noch Sagbaren wiederum auf dieselben biblischen Metaphern zurückgreift, die auch am Endpunkt der Analyse der Namensanrufung standen: die Erfahrung der Reinigung des Herzens und der Öffnung der Lippen, 36 mit denen er nun die Zuwendung und den Zu-spruch des religiösen Verbum Mentis (in der Tradition auch »Verbum Cordis« 37 genannt) und Verbum Oris zu beschreiben versucht. Schaeffler hält die Sprachlosigkeit angesichts des Heiligen und ihre Überwindung durch die »Gabe des Wortes« für das allgemein verbindende Merkmal religiöser Erfahrung. Das Heilige wird mit anderen Worten als das »Numen« erfahren, das allein durch die Kraft eines »Winks« (lat. »nutus«) neue und veränderte Erfahrungsfähig-

33 34 35 36 37

Ders., PhE I, 178. Ebd., 110. Ebd., 180. Vgl. Kap. 4.6.2. Vgl. S. Meier-Oeser, Art. »Verbum mentis«.

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keit schenkt. Dieses wörtliche Verständnis von »Numen« – dies sei nur nebenbei bemerkt – ist für Schaeffler ein Hinweis auf die Willensmacht und Freiheit des Heiligen, weshalb er die Personalität des Heiligen, soweit die freie und willentliche Zuwendung als das Charakteristikum des Personseins gelten darf, als ursprünglich gegeben und nicht etwa als nachträglich »personifiziert« betrachtet. 38 Weil das religiöse Verbum Mentis als ein auf die Lippen gelegtes Wort des Heiligen selbst zu verstehen ist, beinhaltet es die Vorahnung eines unendlichen Bedeutungsüberschusses und weist so antizipatorisch über sich hinaus. Das Verbum Mentis enthält in der Gabe der gegenwärtigen Begegnung den Hinweis auf das »endgültige Offenbarwerden des Heiligen« 39. Es antwortet deshalb »angemessen« (im Sinne der »Homologia«) nicht dadurch, dass es das Heilige vollständig »ins Wort bringt«, sondern dass es um die Überbietbarkeit des Verbum Mentis und um die Notwendigkeit künftiger Erfahrungen weiß und sich jetzt schon auf diese hin öffnet. Auch der speziell religiösen Erfahrung wohnen nach Schaeffler also die Momente von Responsion und Antizipation, von bleibend bedeutsamer Gegenwart und zukunftsoffener Umgestaltung inne; und nur so bleibt sie »Dialog mit der (höchsten) Wirklichkeit«. Weniger formell gesprochen: Das menschliche Subjekt antwortet auf die freie Zuwendung des Heiligen, indem es sich ihm »verdankt« (responsorisch) und sich den künftigen Weisen seines Offenbarwerdens »anvertraut« (antizipatorisch). 40 Schaeffler findet so eine Sprachweise, die es ihm gestattet, die epistemologische Bestimmung des Verbum Mentis in der religiösen Erfahrung mit einem Begriff zu belegen, der in diesem Kontext zunächst unvertraut erscheint, der aber all das Gesagte in einem Wort 38 Vgl. dazu ausführlicher in Kap. 7.2.2. Vgl. R. Schaeffler, PhE I, 179. Schaeffler bezieht sich vor allem in »PhE II« häufig auf diese etymologische Bedeutung von »Numen« / »Nutum« als Grundphänomen der religiösen Erfahrung: »Sie [die religiöse Erfahrung; S. W.] antwortet der Zuwendung der ›numinosen‹ Wirklichkeit, d. h. derjenigen, von deren mühelosem, ebenso ungenötigtem wie ungeschuldetem ›Wink‹ oder ›Nicken‹ (Nutum) es abhängt, ob der Erfahrende in der Begegnung mit ihm in bloße Verwirrung gestürzt wird oder ob er, an diese Grenze seiner Erfahrungsfähigkeit stoßend, mit einer ›Umgestaltung zur Neuheit des Denkens‹ beschenkt wird.« Ders., PhE II, 68. Vgl. auch ebd., 170. Zur weiteren Ausgestaltung (»numinose Macht«; »numinose Freiheit« etc.) vgl. Ders., EDW, 450 ff.; Ders., »Das Heilige« und »der Gott«, 163 ff.; Ders., Δοξολογία καὶ Οἰκοδομή, 56. 39 Ders., PhE I, 180. Vgl. ebd., 181: »Die religiöse Erfahrung bleibt von der zukünftigen ›Visio beatifica‹ unterschieden und zugleich antizipatorisch auf sie bezogen.« 40 Vgl. ebd., 180.

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ausdrückt: Die angemessene Antwort auf die Erfahrung des Heiligen ist die »Doxologie«. »In solchem dankenden Sich-Anvertrauen bringt das spezifisch religiöse Verbum Mentis das als gegenwärtig erfahrene und zugleich als antizipatorisch verstandene ›Aufleuchten‹ des Heiligen, seine ›Doxa‹, antwortend zur Sprache. […] Dasjenige spezifisch religiöse Verbum Mentis, das der freien und ungeschuldeten Zuwendung des Heiligen entspricht, hat ›doxologischen‹ Charakter.« 41

Religiöse Erfahrung wird dann zur »Erfahrung«, und nicht nur zum punktuellen »Erlebnis«, wenn der Mensch – gemäß dem zweiten Grundsatz des reinen Verstandes 42 – in allen vergangenen und künftigen Erscheinungsgestalten des Heiligen dieselbe göttliche Herrlichkeit wiederentdeckt und diese Erfahrung in die letztlich dem Heiligen selbst verdankte Antwortgestalt der Doxologie bringt.

5.2.2 Gegenstandsfähigkeit, Wahrheitsfähigkeit und objektive Geltung religiöser Erfahrung Religiöse Erfahrungen und ihre menschliche Ausdrucksform der Doxologie geraten leicht in den Verdacht, nichts weiter als rein subjektive Empfindungen zu sein, die sich jeder Überprüfbarkeit und Mitteilbarkeit entziehen. Um diesem Verdacht der Irrationalität und Subjektivität zu entgehen, versucht Schaeffler auf drei einander logisch folgende Rückfragen an die religiöse Erfahrung zu antworten: (1) Inwieweit kann die religiöse Erfahrung aus sich heraus ihre Gegenstandsfähigkeit aufweisen und somit angeben, dass sie sich überhaupt auf etwas (gar auf »das Heilige«) bezieht? Daraus folgt bei positiver Klärung die Frage (2), auf welche Weise sich Aussagen über solche »Gegenstände« als wahr oder falsch unterscheiden lassen, also inwiefern die religiöse Erfahrung wahrheitsdifferent ist. Schließlich wäre zu klären (3), ob »wahre« Aussagen über religiöse Gegenstände auch objektivierbar sind, ob sie also »wahr« sind und bleiben, auch angesichts von anderen Erfahrungen und Erfahrungen anderer. Mit diesen drei Fragestellungen reagiert Schaeffler implizit auf die Kritik, mit der die analytische Sprachphilosophie positivistischer Pro-

41 42

Ebd. Vgl. ebd., 120.

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venienz der religiösen Sprache und ihrer Inhalte gegenübertritt, die von Schaeffler schon seit langem als ein kontroverser Gesprächspartner wahrgenommen wird. 43 Er begegnet dieser Herausforderung mit den Mitteln seiner transzendentalen Analyse der religiösen Erfahrung und der religiösen Sprache. Dabei kann er auf das zurückgreifen, was er über die »›Gegenstandsfähigkeit‹, ›Wahrheitsfähigkeit‹ und ›objektive Geltung‹« von Erfahrung allgemein im ersten Band seiner »Philosophische[n] Einübung« im Rahmen einer »Umrißzeichnung« seiner Erfahrungslehre bereits grundgelegt hat. 44 (1) Das Anzeichen dafür, dass die religiöse Erfahrung mehr ist als das Produkt menschlich-subjektiver Projektion – und somit »gegenstandsfähig« –, ist für Schaeffler dann gegeben, wenn dem religiös Erfahrenden jener niemals vollständig und umfänglich zu beantwortende Anspruch des Heiligen begegnet und als solcher bewusst wird. Die »veritas semper maior« des Heiligen, dessen »je-größerSein« immerhin noch miterfahren werden kann, macht dem Erfahrenden deutlich, dass er das »Heilige« niemals erfahren könnte, ohne dass er die »Kraft« dazu ebenfalls vom »Erfahrungsgegenstand« als freies Geschenk erhalten hätte. 45 Das vorantreibende Moment der religiösen Erfahrung, das die »Umgestaltung zur Neuheit des Denkens« (vgl. Röm 12,2) bewirkt, gilt Schaeffler als Merkmal dafür, dass es sich tatsächlich um die Erfahrung des Heiligen und nicht um ein bloß innerliches Empfinden handelt: »Die ›Gegenstandsfähigkeit‹ des religiösen Aktes beruht […] auf einer ›Metamorphose‹, durch welche der Erfahrende durch das, was er erfährt, zu einer neuen Weise des Erfahrens befähigt wird.« 46 Damit aber verlagert sich bei Schaeffler die Gegenstandsfähigkeit religiöser Erfahrung in den Erfahrungsgegenstand selbst, von dessen »Kraft« der Mensch seine religiöse Erfahrungsfähigkeit erhält und letztlich sich selbst verdankt. Gleichzeitig will Schaeffler auf keinen Fall hinter die kantische UnterscheiVgl. etwa R. Schaeffler, RelPhil, 145–161; Ders., GuA, 16–27, passim. Vgl. Ders., PhE I, 122–129. Bereits im Einleitungskapitel von »PhE I« wirft Schaeffler dieselben Fragen bezüglich des religiösen Aktes auf und sieht in ihrer Beantwortung einen der entscheidenden Beiträge der Philosophie für das theologische Erkennen: »a) Was macht den religiösen Akt ›gegenstandsfähig‹ und ›wahrheitsfähig‹ ? b) Was sichert ihm den objektiv gültigen Bedeutungsgehalt? c) Von welcher Art ist diejenige Objektivität, die er für diese seine Wahrheits-Prätention in Anspruch nimmt?« Ebd., 25 f. 45 Vgl. ebd., 183. 46 Ebd. 43 44

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dung von Erkenntnisakt und Erkenntnisgegenstand zurück, sondern hält an der »Selbsttätigkeit des Subjekts« und seiner Vernunftstruktur beim Aufbau des Erfahrungskontextes, also bei der Umwandlung von bloßen Erlebnissen in Erfahrungen fest. Ein Ausweg aus dieser sich abzeichnenden Aporie hinsichtlich der Gegenstandsfähigkeit religiöser Erfahrung zeigt sich erst, wenn man mit Schaeffler die Vermittlung von erkennendem Subjekt und dem anfanghaft erkannten, je größeren Heiligen stärker berücksichtigt. Dazu eignet sich, theologisch gesprochen, eine pneumatologische Sichtweise: Die Erfahrung des Heiligen ist – so Schaeffler – »eine ›Gabe des Geistes‹, der ›allein die Tiefen der Gottheit erforscht‹ und dem Menschen so gegeben wird, daß dieser im religiösen Kontext urteilsfähig wird« 47. Gott kann nur erkannt werden, weil er im wörtlichen Sinne zu denken »gibt« und weil er im »Geist« erkannt werden will. Dieser Gedanke führt Schaeffler zu einer Formulierung, die er über einen längeren Argumentationsweg hinweg entwickelt: »Deus non cognoscitur nisi per seipsum.« 48 Gott wird allein durch sich selbst erkannt – und vom Menschen nur dann, wenn dieser ihm Anteil gewährt an seinem Geist, das heißt an der Fähigkeit, ihn zu erkennen. Die doxologische Antwort des Menschen auf den göttlichen Anspruch kann ihre »Formgebung«, und damit auch ihre Gegenstandsfähigkeit, von nirgendwoher sonst erhalten als durch die »In-formation« des göttlichen Geistes selbst. (2) Liegt die Gegenstandsfähigkeit der religiösen Erfahrung tatsächlich in der religiösen Wirklichkeit selbst begründet (cognoscitur per seipsum), dann scheint die Wahrheitsfähigkeit dieser Erfahrung Ebd., 184. Schaeffler nimmt hier Bezug auf eine einschlägige Stelle bei Paulus in 1 Kor 2,10–15. 48 Ebd. Schon hinsichtlich der allgemeinen Erfahrungslehre vertritt Schaeffler die These, dass die »Sache« das Subjekt buchstäblich »in-formiert« und so zur Erkenntnis befähigt: »Nulla res cognoscitur nisi per seipsam.« Vgl. ebd., 125 f. Etwas später streicht Schaeffler denselben Gedanken als das Gemeinsame der religiösen Erfahrung ganz unterschiedlicher religiöser Überlieferungen heraus. Das Heilige kann nur erkannt werden, weil es selbst die Stummheit des Menschen überwindet und ihm die Gabe des Wortes in den Mund legt. Insofern meint er religionsvergleichend formulieren zu dürfen: »Sacrum non cognoscitur nisi per seipsum.« Ebd., 178. Vgl. wiederum 1 Kor 2,11. »So erkennt auch keiner Gott – nur der Geist Gottes.« Der Gedanke, dass Gott nur durch Gott erkannt werden könne, ist ein wichtiger Grundsatz in der protestantischen Dogmatik. Vgl. wörtlich: K. Barth, Die Kirchliche Dogmatik II, 2, Zollikon 41958, 200 [= § 27]; W. Pannenberg, Systematische Theologie 1, Göttingen 1988, 107. 47

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nicht nur immer schon ausgewiesen, sondern auch gegenüber jeder Infragestellung immun. Der religiöse Akt wäre dann so sehr von seinem Gegenstand abhängig, dass die Inhalte dieses Aktes notwendigerweise wahr sein müssten. Diese Einschätzung widerspricht aber nicht nur ganz offensichtlich der Selbstwahrnehmung religiöser Erfahrung, die sich als stets fragil und mehrdeutig zeigt, sondern bedeutete auf logischer Ebene eine bis zur Aussagelosigkeit gesteigerte Inflation von Wahrheitsprätentionen. Der Aufweis der Wahrheitsfähigkeit religiöser Erfahrung erfordert daher, so Schaeffler, eine Vermittlung des »Bewußtsein[s] der Geistbegabung mit dem Bewußtsein notwendiger Selbstkritik« 49. Schaeffler erinnert erneut daran, dass die menschliche Antwort auch als geistgewirkte niemals eine »adäquate« Antwort auf die in der religiösen Erfahrung begegnende Wirklichkeit sein kann, deren Abundanz auch dann konstitutiv bleibt, wenn die religiöse Erfahrung als »wahr« prädiziert werden kann. Wahrheitsfähigkeit religiöser Erfahrung bedeutet für Schaeffler daher – um auf einen bereits eingeführten Gedanken zurückzugreifen – Homologiefähigkeit. Damit setzt Schaeffler die religiöse Erfahrung wieder in eine unmittelbare Verbindung zur Doxologie: Die menschliche Antwort ist der Begegnung mit dem Heiligen »adäquat« und damit wahrheitsfähig, wenn sie in menschlicher Weise und im Bewusstsein der bleibenden Unangemessenheit angesichts ihres »Gegenstandes« die »aufstrahlende Herrlichkeit des Heiligen zur Sprache bringt« 50. Schaeffler gebraucht in seiner weiteren Erklärung Begriffe, welche die epistemologische Terminologie zunehmend hinter sich lassen, und spricht von der menschlichen »Hingabe« in der Antwort: »Die Wahrheit des Wortes in der Homologia bewährt sich in der Angemessenheit (und das bedeutet: in der Vorbehaltlosigkeit) solcher antwortenden Selbsthingabe. Und die Fähigkeit zu solcher Selbsthingabe ist es, durch die das religiöse Subjekt in seinem Sprechen wie in seiner Lebensführung ›wahrheitsfähig‹ wird.« 51

Die homologische oder präziser doxologische Antwort auf den Anspruch der je größeren Herrlichkeit Gottes erweist sich dann als wahrheitsfähig, wenn sie sich in menschlich (!) angemessener Weise zeigt – und dies ist für Schaeffler die »Selbsthingabe« des Menschen an das Heilige im Wort und in der Tat. Über den unmittelbaren Er49 50 51

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fahrungszusammenhang und den daraus folgenden Vollzug der »Selbsthingabe« an das Heilige hinaus hält Schaeffler es schließlich für möglich, auch einzelne »Aussage-Implikationen« auf eine theoretische Ebene zu heben und aus der »Hymnologie« und in beständiger Rückbindung an diesen primären »locus theologicus« eine rational verantwortete Weise der Gottesrede zu entwickeln. 52 (3) Schließlich gilt es die Frage zu erörtern, inwieweit die Erfahrung des Heiligen im »Wechselverhältnis von Geistbegabung und Selbsthingabe« 53, die ja zutiefst an konkrete und situationsbezogene Erlebnisse gebunden ist, den Kriterien der Objektivierbarkeit genügen kann, so dass diese als Erfahrung im streng kantischen Sinne des Begriffs zu jeder Zeit und von unterschiedlichen Subjekten nachvollziehbar wird. Objektiv gültig werden religiöse Erfahrungen laut Schaeffler nicht dadurch, dass sie den Bezug zu konkreten Erfahrungssituationen verlieren – weil sie dann gleichzeitig den »Gegenstand« und dessen Gegebenheitsweise verlieren würden – sondern dadurch, dass sie sich hermeneutisch bewähren. Wiederum beansprucht Schaeffler hier den von ihm neu gefassten »vierten Grundsatz des reinen Verstandes« und wendet seine These zur Objektivität von Erfahrung im Allgemeinen 54 auch auf den Teilbereich der religiösen Erfahrung und ihrer Versprachlichung an: Religiöse Erfahrung hat sich daran zu bewähren, andere, sowohl frühere als auch spätere Erfahrungen hermeneutisch auszulegen und von ihnen ausgelegt zu werden. 55 Schaeffler führt auch hier den Gedanken der »Doxo-logie« ins Feld und veranschaulicht diesen mit Hilfe der biblischen Überlieferung von der »Doxa« Gottes: »Daß […] ›alle Lande der göttlichen Herrlichkeit (gr.: Doxa, hebr.: Qabod) voll sind‹, ist Zusage und Auftrag zugleich: Die Erfahrung dieser ›HerrlichVgl. ebd., 187. Schaeffler folgert deshalb umgekehrt: »Auf diesen Rückbezug zur religiösen Erfahrung und zu ihrem ursprünglichen Ausdruck im homologischen Sprechen und der ihm entsprechenden ›Lebensantwort‹ der Selbsthingabe beruht also die spezifisch religiöse Wahrheitsfähigkeit auch der theologischen Aussagen.« Ebd. Vgl. dazu Kap. 7. 53 Ebd., 188. So lässt sich mit Schaeffler das Ergebnis der beiden ersten Erörterungen nach der Gegenstands- und Wahrheitsfähigkeit der religiösen Erfahrung prägnant zusammenfassen. 54 Vgl. ebd., 126–128. »Objektivität als ›Geltung für immer und für alle‹ ist der hermeneutische Anspruch der einmal gemachten Erfahrung, alle anderen auszulegen und durch sie ausgelegt zu werden. Darum wird der hermeneutische Wechselbezug zur Bewährungsprobe beanspruchter Objektivität.« Ebd., 128. 55 Vgl. ebd., 188. 52

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keit‹ […] bewährt sich durch ihre hermeneutische Kraft, alles, was überhaupt erfahren werden kann, auf neue Weise verständlich zu machen: religiös gesprochen als das ›Aufleuchten der göttlichen Herrlichkeit auf dem Antlitz der Kreatur‹. Aber sie bewährt sich auch dadurch, daß sie durch jede andere Erfahrung neu ausgelegt wird.« 56

Was einmal von einem Subjekt religiös erfahren wurde und was als Verbum Mentis oder Verbum Oris eine menschliche Antwortgestalt gefunden hat, ist für Schaeffler bleibend »wahr«, sofern ihm eine einmalige und objektive Geltung im geschichtlichen Dialogprozess mit der – je umfassenderen, je größeren – Wahrheit zukommt. Wahrheit meint jedoch nicht Veränderungsresistenz und Unüberbietbarkeit, sondern vielmehr einen bleibenden Maßstab und ein Bewährungskriterium für alle weiteren Erfahrungen aller Subjekte. 57 Die Objektivität religiöser Erfahrung bewährt sich also in der Fähigkeit, aus der Perspektive einer durchaus subjektiven Einzelerfahrung heraus andere Erfahrungen und die Erfahrungen anderer – auch scheinbar nicht religiöse Erfahrungen – in einem neuen Licht zu sehen und damit einen Beitrag zur dialogischen Umgestaltung der Anschauungsformen zu leisten. Dabei ist die Objektivität spezifisch religiöser Erfahrung – dies scheint zur Abwendung eines erkenntnistheoretischen Relativismus wesentlich – stets an die religiöse Wirklichkeit selbst zurückverwiesen, da gemäß Schaefflers Grundeinsicht die religiöse Erfahrung ihre angemessene Antwortgestalt im doxologischen Wort findet: »›Objektiv gültig‹, d. h. Maßstab für die Wahrheit oder Falschheit religiöser Meinungen, für das Gute und Böse religiöser Absichten und Handlungen ist, was dazu beiträgt, die ›Doxa‹ des Heiligen auf allem, was uns in der Erfahrung begegnet, aufleuchten zu lassen.« 58

Inhaltlich lassen sich Schaefflers Ergebnisse folgendermaßen verdichten: (1) Die religiöse Erfahrung (und die Rede von ihr) weiß sich ihrem »Gegenstand«, dem Heiligen, verpflichtet und wird dessen »fähig«, sofern sie sich der Fragmentarität ihrer eigenen Erkenntnis wie Ebd., 188 f. Schaeffler nimmt hier Bezug auf Jes 6,3, sowie 2 Kor 3,18; 4,6. Vgl. dazu auch Ders., Ein transzendentalphilosophischer Gottesbegriff, 109 f. 57 Vgl. Ders., PhE I, 127 f.; Ders., Die religiöse Erfahrung und das Zeugnis von ihr, in: B. J. Hilberath (Hg.), Erfahrung des Absoluten – absolute Erfahrung?, Düsseldorf 1990, 13–34. 58 Ders., Religiöse Erfahrung – Ausdruck reiner Subjektivität oder Fundstelle objektiv gültiger Wahrheit?, in: PhJ 107 (2000), 61–73, hier: 66 [= Dritte These]. 56

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der Abundanz des Erkannten bewusst wird – und selbst noch diese menschlich-ausschnitthafte Fähigkeit zur Erfahrung des Heiligen als geist-geschenkt erfährt (biblisch: als »auf das Herz und auf die Lippen gelegt«). (2) Als »wahrheitsfähig« erweist sich die Erfahrung dieses »Gegenstandes«, insofern der Erfahrende in Wort und Lebenshingabe dem ergangenen Anspruch des Heiligen zu entsprechen versucht (Homologia), insofern der Mensch das Aufscheinen der Herrlichkeit stammelnd ins Wort (Mentis et Oris) bringt und in seinem Leben bezeugt (Doxologia). (3) Dabei hat jede in diesem Sinne wahrheitsgemäße Antwort eines Subjektes auf die je größere Wirklichkeit des Heiligen eine bleibende und »objektive« Bedeutung im unabgeschlossenen Prozess der Wahrheitsfindung und bringt einen unverzichtbaren Beitrag in das hermeneutische Wechselverhältnis mit anderen – eigenen und fremden – Erfahrungen mit demselben Objektivitätsgehalt ein. An dieser Stelle sei eine methodische Zwischenreflexion gestattet: Rückblickend lässt sich feststellen, dass Schaeffler den Anfragen bezüglich des Gegenstands-, Wahrheits- und Objektivitätsgehaltes religiöser Erfahrung meist mit den Mitteln eines transzendentalphilosophischen Erfahrungskonzeptes entgegentritt. In den vorangehenden Überlegungen trat nun deutlich hervor, wie sehr Schaeffler sich – insbesondere beim Begriff der Doxologie – der phänomenologischen Denkweise verpflichtet weiß. Mit dem Hinweis auf die untrennbare Verknüpfung der religiösen Erfahrung mit ihrem »Gegenstand« – in phänomenologischer Terminologie als Korrelation von Noesis und Noema bezeichnet (E. Husserl) – versucht Schaeffler jene kritische Position abzuwehren, die die religiöse Erfahrung aus einer (vermeintlich) neutralen Distanz zum Heiligen zu beurteilen sucht. Besonders greifbar wird die phänomenologische Methodik Schaefflers in dem formulierten Grundsatz »Deus non cognoscitur nisi per seipsum«, den er in pneumatologischer Vermittlung weiterdenkt. Aus einer methodischen Perspektive ist diese Beobachtung insofern interessant, als sie die Vermutung nahelegt, dass in Schaefflers Doxologiebegriff ein beispielhafter Anwendungsfall seiner religionsphilosophischen Methodensynthese vorliegt, der auch die phänomenologische Komponente zur Geltung bringt, die in den bisherigen sprachphilosophischen Untersuchungen zum Gebet eher unterbelichtet blieb.59 Vgl. Kap. 2.2.3 u. 2.4.1. Diese Beobachtung sollte auch deshalb weiter im Blick behalten werden, weil Schaeffler in seiner »Religionsphilosophie« angekündigt hatte,

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5.2.3 Die doxologische Antwort zwischen Selbstgespräch und Verstummen Die Dialogizität ist für Schaeffler das bleibende Konstitutivum des Erfahrungsbegriffs auch hinsichtlich der religiösen Erfahrung. Ob es angesichts der Erfahrung des Höchsten gelingt, das dialogische Moment dieser Erfahrung – trotz der ins Unendliche gesteigerten Diskrepanz zwischen dem erfahrenden Subjekt und dem Heiligen – aufrecht zu erhalten, daran lässt sich demnach die religiöse Erfahrung von ihren »Fehlformen« unterscheiden. Im Grunde bezeichnet das dialogische Moment der religiösen Erfahrung, das sich im Wechselverhältnis von Doxa und Doxologie ausdrückt, nichts anderes als der Begriff der »Korrelation« in Schaefflers sprachphilosophischem Gebetsansatz. Aus einer gebetstheologisch motivierten Perspektive auf Schaefflers »Doxologiebegriff« erscheint es daher hilfreich, auch die beiden von Schaeffler benannten »Ausfallserscheinungen« der religiösen Erfahrung als die Demarkationslinien des Dialoggeschehens in den Blick zu nehmen. Sie kennzeichnen gleichsam die beiden Extrempositionen, an denen der Dialog mit der Wirklichkeit des Heiligen zum Stillstand kommt: einerseits der »religiöse Monolog«, andererseits das »Verstummen« vor der Unbegreiflichkeit des Heiligen. Wie im vorangehenden Teilkapitel angeklungen, lässt sich die Dialogizität der religiösen Erfahrung in der Zuordnung von Geistbegabung und Selbsthingabe beschreiben. Wenn auch der Erfahrende aus sich heraus und ohne die Gunst des Heiligen niemals zu einer religiösen Erfahrung gelangen könnte, ist es doch gleicherweise notwendig, dass die »numinose Wirklichkeit«, wie Schaeffler auch formuliert, sich in den menschlichen Formen des Anschauens, Wahrnehmens und Denkens einprägt. Schaefflers Rede vom religiösen Verbum Mentis und sekundär auch vom Verbum Oris sollte verdeutlichen, dass der Anspruch der numinosen Wirklichkeit nur vernehm-

dass er die Methodensynthese insbesondere am Phänomen des Gebetes (wozu auch die Doxologie gehört) anzuwenden gedenkt. Vgl. Ders., RelPhil, 217. In seiner Adaption der Phänomenologie bekennt sich Schaeffler gleichwohl zu einer transzendentalphilosophischen Basis für jede phänomenologische Methodik – entsprechend einem Diktum Husserls, auf das sich Schaeffler hier häufig bezieht: »[…] ohne die Eigenheit transzendentaler Einstellungen erfaßt und den rein phänomenologischen Boden sich wirklich zugeeignet zu haben, mag man zwar das Wort Phänomenologie gebrauchen, die Sache hat man nicht.« E. Husserl, Ideen zu einer reinen Phänomenologie I, 200.

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bar wird in ihrer menschlichen Antwortgestalt. 60 Der Dialogcharakter der religiösen Erfahrung ginge verloren, wenn das Verbum Mentis der Ausdruck eines rein menschlichen Wortes wäre. 61 Genau hier liegt eine Gefahr begründet: dass nämlich der Dialog zum Selbstgespräch verkürzt wird, der Bezug zum religiösen »Erkenntnisgegenstand« verloren geht und das (vermeintliche) religiöse Verbum Mentis zu einer »›Exteriorisation‹ unserer inneren Befindlichkeit« 62 verkümmert. Schaefflers These lautet daher: »Verliert das religiöse Verbum Mentis seinen dialogischen Charakter, dann wird es zum Ursprung von Gottes-Fiktionen.« 63 Wenn das dialogische Moment der religiösen Erfahrung verloren geht, dann kommt laut Schaeffler der religionskritische Projektionsvorwurf zu seiner vollen Berechtigung. Er selbst benennt die »Theoplasía« (Götterbilderei) und »Idolatría« (der Kult mit solchen Bildern) als die klassischen Folgen aus den Fehlformen eines monologisch-selbstbezüglichen Verbum Mentis et Oris. Ein Merkmal der aus dem monologischen Irrtum entspringenden religiösen (Pseudo-)Erfahrungen ist es, dass sie die bisherigen Erfahrungen des Subjektes in der Regel bestätigen; sie zeigen sich als überraschungsresistent gegenüber der »veritas semper maior« und beinhalten überdies meist ein »bequemes«, das Selbstbild des Subjektes affirmierendes Gottesbild. 64 Schaeffler resümiert: »Genuin religiöse Erfahrung ist, wie jede Erfahrung, dialogischer Natur. Sie schlägt in Fiktion um, wo ihr dieser dialogische Charakter verlorengeht, sodaß sie zum Monolog verkümmert.« 65 Es gibt eine zweite, komplementäre Gefahr, die ebenfalls die doxologische Antwortgestalt des religiösen Verbum Mentis in ihrer dialogischen Struktur unterläuft: das grundsätzliche Verstummen des Menschen vor dem Heiligen. Dieses Phänomen entstammt einer aus Schaefflers Sicht falschen Haltung gegenüber dem Anspruch der numinosen Wirklichkeit, der das Schweigen als die einzig angebrachte Vgl. R. Schaeffler, PhE II, 68 f. Mit der Möglichkeit des »Gotteswort im Menschenwort« beschäftigt sich Schaeffler ausführlich im zweiten Teil von PhE I und schafft somit die Grundlegung für seine philosophische Christologie und Ekklesiologie im dritten Band der Philosophischen Einübung (PhE III). Vgl. Kap. 6.3.1. 62 Ders., PhE II, 68. An anderer Stelle spricht Schaeffler von einer »Externalisation innerer Befindlichkeit«. Ebd., 159. 63 Ebd., 68 f. 64 Vgl. ebd., 69. 65 Ebd. 60 61

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Reaktion angesichts der Unangemessenheit jeder menschlichen Antwort erscheint. Schaeffler würdigt an dieser Einstellung positiv, dass das Schweigen dem Geheimnis Gottes gegenüber zumindest gerechter wird, als eine vorschnelle Antwort, die Gott gleichsam »ins Wort fällt«. 66 Gerade die Zeugnisse der Mystik deuten auf die Unsagbarkeit des Gegenstandes der religiösen Erfahrung, angesichts dessen alles Denken und Reden an seine Grenzen gelangt. Sie üben daher berechtigterweise Kritik an einer allzu selbstverständlichen Rede vom »Dialog« mit dem Heiligen. Nicht weniger deutlich nimmt Schaeffler jedoch auch die Gefahr einer »spezifischen Selbstverführung [wahr; S. W.], die gerade aus mystischen Erfahrungen entspringen kann« 67. Sie entsteht dann, wenn das Schweigen das letzte Wort behält und der Anspruch des Heiligen in all seiner Erschütterungskraft den menschlichen Geist nicht mehr zu neuen, gewandelten Formen des Denkens und Anschauens vorantreibt. 68 Das eigentliche Problem liegt für Schaeffler darin begründet, dass sich das gleichsam heilige Schweigen dann nicht mehr von dämonischer Überwältigung oder rauschhafter Selbstaufgabe unterscheiden lässt: »Wo […] das Verbum Mentis nicht nur für einen Augenblick schweigt, damit allein die Wirklichkeit des Absoluten sprechen kann, sondern grundsätzlich und endgültig verstummt, geht die Fähigkeit verloren, zwischen dem ›Leerwerden für das Absolute‹ und dem ›Besetztsein durch das Dämonische‹ zu unterscheiden.« 69

Die beschriebene Situation erfordert rationale Kriterien zur Überprüfung der religiösen Erfahrung – oder in der Terminologie der christlichen Spiritualität gesprochen: eine »Unterscheidung der Geister«. Diese lässt sich nach Schaefflers Einschätzung in diesem Problemfeld nur mit Hilfe der Paradigmen einer dialogischen Erfahrungslehre leisten: Der »dämonische Geist« bringt das Subjekt und dessen WilVgl. ebd., 70 f. Ebd., 71. Die Kritik, die Schaeffler an der mystischen Erfahrung laut werden lässt, richtet sich ausdrücklich nicht gegen authentische Formen des Buddhismus oder der christlichen Mystik, deren scharfsinnige Reflexionskraft er sogar hervorhebt. Hingegen findet er sehr deutliche Worte gegen die »Bewunderer und Nachahmer, die, innerhalb der europäischen Kultur, der wissenschaftlichen Rationalität überdrüssig geworden sind, deshalb jede Art von kritischer Reflexion verabscheuen und damit leicht zu Opfern einer ›Quasi-Mystik‹ und eines ›Popluär-Buddismus‹ zu werden drohen«. Ebd., 72. 68 Vgl. zu Schaefflers Position zum Schweigen Kap. 4.1.1. 69 Ebd., 73. 66 67

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len in seinen Besitz und lässt es in sich verstummen. Der »Geist Gottes« aber beschenkt den Menschen – durchaus verbunden mit der Erfahrung absoluter Überwältigung und Sprachlosigkeit – »mit der Gabe des Wortes, die ihn zum antwortenden Hören fähig macht« 70. Schaeffler wendet diesen Gedanken in verschiedener Hinsicht, etwa in die Metaphorik des Lichtes: Das Strahlen der göttlichen Herrlichkeit blendet den Menschen, lässt ihn danach aber nicht nur das Göttliche, sondern die gesamte Wirklichkeit mit neuen Augen sehen. 71 Mit Hilfe seines Doxologiebegriffs ausgedrückt hieße das: Die Herrlichkeit Gottes (doxa) lässt den Menschen verstummen, der göttliche Geist legt ihm aber zugleich ein neues Wort auf die Lippen, das »die Zungen reden macht« 72 und ihn zum Lobpreis – zur Doxologie – befähigt. Der Hinweis auf die beiden Ausfallserscheinungen der religiösen Erfahrung in Form des projektionsverdächtigen Monologes oder des dämonischen Verstummens lässt noch einmal deutlich aufscheinen, was für Schaefflers Konzept der religiösen Erfahrung als doxologische Antwort auf die Wirklichkeit des Heiligen und damit auch für sein Verständnis des Gebetsaktes im engeren Sinne als konstitutiv zu gelten hat: Einerseits legt Schaeffler großen Wert darauf, dass die unüberwindbare Ungleichheit zwischen Erkennendem und Erkanntem, zwischen Mensch und Gott, weder übersehen noch verschwiegen werden darf. Andererseits will Schaeffler gewahrt wissen, dass das religiös erkennende Subjekt in dieser Begegnung tatsächlich im Dialog mit der je größeren Wahrheit steht, und dass das Subjekt darauf hoffen darf, im offenen Prozess dieses Dialoges nicht unterzugehen, sondern vielmehr durch die Zuwendung des Heiligen zu neuen Formen des Denkens und sprachlichen Ausdrucks zu gelangen. Kurz: Wenn für Schaeffler Erfahrung ein »Dialog mit der je größeren Wirklichkeit« ist, so wäre das »doxologische Gebet« zu bestimmen als »Dialog mit der je größeren Herrlichkeit«; als ein Dialog, der auf die Zukunft hin offen ist, und in dem – sofern der Mensch sich nur ganz hingibt – seine bisherige Selbst- und Weltwahrnehmung zerbricht, aus dem er am Ende jedoch mit einer ge-

Ebd., 74. Vgl. ebd. 72 Ebd., 75. Die poetische Bezugnahme auf die dritte Strophe des lateinischen Pfingsthymnus (»sermone ditans guttura«) findet sich auch in: Ders., PhE I, 206, 431; Ders., RelPhil, 318. 70 71

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wandelten und tieferen Erkenntnis von sich selbst und »von allem, was ist« hervorgeht.

5.2.4 Das allegorische Bedeutungsmoment der religiösen Erfahrung Zu den wesentlichen Entwicklungen von Schaefflers Erfahrungslehre in seiner »Philosophische[n] Einübung in die Theologie« gehört vor allem das Projekt, die altkirchliche Tradition der vierfachen Schriftauslegung 73 auf das Feld der allgemeinen und religiösen Erfahrung anzuwenden. 74 Schaefflers Verknüpfung von Sprach- und Transzendentalphilosophie bekommt hier ihre endgültige Gestalt, indem er von dem einfachen, aber folgenreichen Gedanken ausgeht, dass die vier historisch bewährten »Sinne« des Verstehens von biblischen Texten nicht nur exegetisch-hermeneutische Interpretationsmuster, sondern Bedeutungsmomente von Erfahrung überhaupt sind. Sie sind also nicht nur Momente des »Verstehens« von (schriftlich festgehaltenen) religiösen Erfahrungen, sondern auch Momente ihres »Entstehens« selbst. 75 Schaefflers Grundintuition lautet dabei: Fehlt eines der vier Bedeutungsmomente der Erfahrung, so kommt es zu Fehlformen der Gegenstandskonstitution. Er untersucht die hintergründige Struktur dieser vier Momente im Folgenden sowohl hinsichtlich der allgemeinen Erfahrungslehre 76 als auch insbesondere hinsichtlich der religiösen Erfahrung. 77 Ausgehend von der Lehre Vgl. einführend: P. Walter, Art. »Schriftsinne«, in: LThK3, Bd. 9, Freiburg i. Br. 2000, Sp. 268 f. Die vier klassischen Schriftsinne sind der historische oder »Literalsinn«, der allegorische (oder typologische) Sinn, sowie der anagogische und der tropologische (oder moralische) Schriftsinn. 74 Vgl. R. Schaeffler, PhE I, 168–176; 363–372; Ders., PhE II, 44–62, 75–162, 172– 189. Vgl. auch zur Einführung den Aufsatz: Ders., Die Gegenwart des Zukünftigen – oder: Das anagogische Bedeutungsmoment der Erfahrung, in: M. Drewsen – M. Fischer (Hg.), Die Gegenwart des Gegenwärtigen, Freiburg i. Br. 2005, 73–87 bes. 73–76. Zum anagogischen und historischen Aspekt der religiösen Erfahrung vgl. Kap. 4.3.3. 75 Vgl. Ders., PhE II, 60: »Denn was die Vertreter dieses exegetischen Verfahrens als vier Charakteristika von Schriften (und allgemeiner: von Zeugnissen religiöser Erfahrung) deutlich machen konnten, läßt sich darauf zurückführen, daß die Erfahrung selbst diese vier Bedeutungsmomente aufweist.« Vgl. ebd., 76; Ders., PhE I, 170. Vgl. auch die Auseinandersetzung mit den Stärken und Schwächen dieser Methode in ihrer traditionellen Anwendung, ebd., 363–372. 76 Vgl. Ders., PhE II, 44 ff. 77 Vgl. ebd., 75–162. 73

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vom vierfachen Schriftsinn wagt Schaeffler schließlich den Versuch, Konsequenzen für eine philosophische Gotteslehre abzuleiten. 78 Auf all diese komplexen Überlegungen kann an dieser Stelle nicht ausführlich eingegangen werden. Vielmehr soll ein einzelner Baustein dieses Gesamtkonzeptes herausgegriffen werden, der im Licht des bislang Erarbeiteten zu einem vertieften Verständnis des Begriffs und der Verwendung der »Doxologie« bei Schaeffler führen kann. Es handelt sich hierbei um das »allegorische Bedeutungsmoment« der religiösen Erfahrung, das in der Interpretation Schaefflers drei inhaltliche Teilaspekte erkennen lässt: (1) Im Schriftsinn der sogenannten »Allegorie« erkennt Schaeffler ein jeder Erfahrung innewohnendes Merkmal wieder, das in seiner Erfahrungslehre keineswegs neu ist. Die Auslegungsart der Allegorese weist schlicht darauf hin, dass jedem Erfahrungsakt ein Bedeutungsüberschuss innewohnt, der sich womöglich erst in Zukunft näher erschließen wird: »[…] jede einmal gemachte Erfahrung [muss; S. W.] vom Subjekt, im weiteren Verlauf seines Dialogs mit der Wirklichkeit, ›neu gelesen‹ werden und bringt dadurch jeweils ›etwas Anderes zum Vorschein‹ (›alla agoreuei‹).« 79 Das allegorische Moment bewahrt also davor, dass eine einmal »gemachte« Erfahrung als allzu »selbst-verständlich« und vollständig erschlossen erachtet wird; es bewahrt mit anderen Worten vor dem »Verfall« in eine erfahrungspositivistische Haltung. 80 Das allegorische Bedeutungsmoment versucht begreiflich zu machen, weshalb vergangene Erfahrungen – seien es eigene oder fremde, erinnerte oder schriftliche – sich als bleibend »denkwürdig« erweisen können. In einer lange zurückliegenden Erfahrung liegt möglicherweise ein Überschuss an Bedeutung Vgl. ebd., 172–189. Hierbei berücksichtigt Schaeffler geschickt die traditionelle Zuschreibung des allegorischen Bedeutungsmomentes als »sensus fidei«, des anagogischen Momentes als »sensus spei« und des tropologischen Momentes als »sensus caritatis«, um so – beginnend mit dem historischen Bedeutungsmoment – nach einem komplexen Argumentationsgang zu den »Eigenschaften« von Gottes Personalität, Transzendenz, Einheit und Güte zu gelangen. Vgl. als Zusammenfassung das »Teilergebnis« in PhE II, 187–189. 79 Ebd., 60. 80 Fehlt das allegorische Bedeutungsmoment, so Schaeffler, dann »bricht der Dialog mit dem Wirklichen, kaum daß er begonnen hat, ab […]. Aus der ›Gegenwärtigwerdung‹ dieser je größeren Wahrheit in der Vorläufigkeitsgestalt ihres Erscheinens wird dann ihre vermeintlich abschließende Gegenwart. Der so gesehene Gegenstand wird dann zum ›factum brutum‹, das nur festgestellt werden kann, aber keine weiterführende Verstehensaufgabe mehr stellt.« Ebd., 44. 78

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und an Deutungsmustern, die »damals« weder erkennbar noch vorhersehbar waren. Im Lichte neuer Erfahrungen und neuer Kontexte aber können »alte Erfahrungen« das Potential einer neuen Aussagekraft entwickeln. Mit dieser Deutung des allegorischen Schriftsinns betont Schaeffler erneut die Dimension der Geschichtlichkeit von Erfahrung. Wird dem allegorischen Sinn unserer Erfahrungsfähigkeit ausreichende Beachtung geschenkt – darin liegt wohl der eigentliche Ertrag dieses Bedeutungsmomentes –, dann behalten alle im Laufe der Geschichte gesammelten Erfahrungen, und damit letztlich die Geschichte selbst, einerseits ihre Kontinuität und andererseits ihre Offenheit für die Zukunft. 81 In der religiösen Erfahrung ist der »Sensus allegoricus« besonders stark ausgeprägt, da der Bedeutungsüberschuss dieser spezifischen Art von Erfahrung ins Unendliche gesteigert ist, wie es die klassische Analogielehre immer schon artikuliert hat. Die religiöse Erfahrung ist die Erfahrung dessen, was unendlich mehr und unendlich anders ist als alles Erfahrbare. Was der Mensch hier erfahren kann, wird deshalb laut Schaeffler überhaupt nur in seiner »Erniedrigungsgestalt« – oder biblisch ausgedrückt in seiner »Knechtsgestalt« – erfahrbar, und zwar sowohl in dem innerlich-subjektiven Antwortversuch des Menschen (Verbum Mentis), wie im Versuch, diese Erfahrung objektivierend zur Sprache zu bringen (Verbum Oris). 82 Die religiöse Erfahrung impliziert für den Menschen also das »Bekenntnis zur Präsenz einer Wahrheit, die ihn in Anspruch nimmt und doch zugleich seine Fassungskraft übersteigt« 83, und sie enthält dabei einen eindrücklichen Beleg für das Charakteristikum jeglicher Erfahrung, das Schaeffler als »veritas semper maior« bezeichnet hat. Das Heilige wird niemals »neutral« erfahrbar, sondern stets als eine direkte Anrede an den Menschen, die nur durch die Doxologie 81 Vgl. dazu grundsätzlich: Ders., PhE I, 170–174; PhE II, 44–46. Dieses Verständnis von »Allegorie« im Sinne Schaefflers ließe sich auch auf einen Spezialfall anwenden, der mit der Gebetsthematik in Verbindung steht: Der Psalter kann von Christen gebetet und dabei christologisch gedeutet werden, ohne dass dies der ursprünglichen Erfahrung der Texte widerspricht oder sie zu überholen beansprucht. Christen tragen keinen neuen Sinn in die alten Texte ein, sondern sie entfalten deren Bedeutungsüberschuss im Licht neuer Erfahrungen (d. h. im Licht Christi). Diese wertvolle Anregung verdanke ich einem Briefwechsel mit Schaeffler. 82 Vgl. Ders., PhE II, 77. Der allegorische Sinn der religiösen Erfahrung korreliert insofern mit der Kenosis als der Weise, wie Gott sich dem Menschen zeigt. 83 Ebd., 78.

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beantwortet werden kann. Schaeffler geht soweit, dass er die Doxologie nicht nur als eine Antwortmöglichkeit des Menschen betrachtet, sondern als die einzig religiös erfahrungsfähige Form des Verbum Mentis: »Die Doxologie ist [Hervorhebung S. W.] jene Gestalt des Verbum Mentis (und folglich auch des Verbum Oris), durch die es gelingt, religiöse Erlebnisse in spezifisch religiöse Erfahrungen zu verwandeln. Denn die primäre Art, wie das Heilige dem Menschen in der religiösen Erfahrung gegenübertritt, besteht nicht darin, daß es ihm als ein Objekt gegeben wird, das er theoretisch hinsichtlich seiner Eigenschaften und seiner Wirkungen bestimmt, sondern darin, daß es ihm als Adressat des Lobgesangs begegnet.« 84

Die angemessene Antwort auf die religiöse Erfahrung, oder mit Max Scheler ausgedrückt: ihre »originäre Gegebenheitsweise«, ist der Lobgesang. Schaeffler rekurriert an dieser Stelle wiederum auf Franz Rosenzweig, demzufolge das Wort »Gott« sprachlich gesehen zuallererst der Adressat einer Anrede ist, ein Vokativ – ein »Wort im Urstand der Begegnung« – und kein sachlicher Nominativ. 85 Der doxologische Antwortversuch in Geist und Wort bringt die menschliche Erfahrungsfähigkeit an ihre Grenzen und droht dabei zu zerbrechen. Schaeffler illustriert diesen Gedanken mit einem Vers bei Jesaja, der als Lobgesang des »Sanctus« seinen unveränderlichen Ort in der christlichen Liturgie gefunden hat. Dort rufen sich die sechsflügeligen Seraphim gegenseitig zu: »Heilig, heilig, heilig ist der Herr der Heere. Von seiner Herrlichkeit ist die ganze Erde erfüllt« (Jes 6,3). Ein irdischer Beter vermag diesen Lobpreis aus eigener Kraft nicht hervorzubringen. Er versteht sich vielmehr als »Zeuge« des himmlischen Lobgesangs, der das »Echo hymnodiae coelestis« 86 vernimmt, und

Ebd. Vgl. ebd. Schaeffler bezieht sich hier möglicherweise auf: F. Rosenzweig, »Der Ewige«. Mendelssohn und der Gottesname, GS III, 801–815, hier 811: »Er [Der Gottesname in seiner Kurzform »Jàh«] wäre also eine jener Interjektionen, einer jener Urschreie, aus denen die Sprache entstanden sein muß: Wort im Urstand der Begegnung, noch vor der Vergegenständlichung, reiner Vokativ vor aller Möglichkeit andrer Kasusse [sic!].« Ders., Briefe und Tagebücher, GS I/2, 1162: »[Der; S. W.] Name [das »Tetragramm«; S. W.] ist nur im Genanntwerden lebendig, der Vokativ ist sein einziger casus rectus, schon der Nominativ casus obliquus.« Vgl. auch Ders., Sprachdenken im Übersetzten, GS IV/1, 100. Diese Hinweise entnehme ich B. Casper, Das dialogische Denken, 185. 86 R. Schaeffler, PhE II, 79. So lautete der – eigentlich treffende – Titel eines katholischen Gesangbuches aus dem 17. Jahrhundert. 84 85

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allenfalls zaghaft einzustimmen wagt in den stimmsicheren Chor der Engel. 87 In dieser dramatischen Bildsprache des liturgischen Geschehens drückt sich für Schaeffler beispielhaft aus, was der »Sensus allegoricus« der religiösen Erfahrung und die vorläufig-überbietbare Gestalt der doxologischen Antwort meint. (2) Ein zweiter Gedanke ist zum Verständnis von Schaefflers Doxologiebegriff wichtig: Der Bedeutungsüberschuss in jeder Erfahrung führt nicht zum Abbruch des Erkenntnisvorgangs, sondern gibt einen Impuls zu einem immer neuen und besseren Erfassen des »Gegenstandes«. Damit öffnet sich eine geschichtliche Perspektive, die jede historische Einzelerfahrung des Individuums wie der Gemeinschaft auf der diachronen Ebene in die Dialogizität eines Erfahrungsprozesses einbindet. Das Wort, das dem Menschen auf die Lippen gelegt wird (so lautete die frühere Umschreibung des religiösen Verbum Oris), hat selbst eine Geschichte, in deren Verlauf das Gemeinte (Verbum Mentis) immer deutlicher an Konturen gewinnt. Eine einzelne religiöse Erfahrung kann – genauso wie ein einzelnes biblisches Zeugnis – für einen Beter durch sein gesamtes Leben oder für die religiöse Gemeinschaft über eine lange Geschichte hinweg immer neu an Bedeutung hinzugewinnen und sich in der Spannung von erinnerter und gegenwärtiger Erfahrung in ihrer ganzen Bedeutungsfülle erst entfalten. 88 Auf diese Weise wird durch die »Treue des Gedenkens« 89 geschichtlich verifiziert, was der Grundgedanke des allegorischen Bedeutungsmomentes der religiösen Erfahrung war: dass die Erfahrung des Heiligen je »mehr und anderes« sagt, als (gegenwärtig) davon zu begreifen ist. Der semantische Überschuss der religiösen Erfahrung eröffnet den Blick auf die Zukunft und weist damit unausweichlich auf eine Zielvorstellung hin. Schaeffler variiert hier in der Beschreibung des allegorischen Momentes zwischen einer örtlichen und einer zeitlichen Metaphorik: Das Heilige kommt sozusagen von oben, »von einem ›überhimmlischen Ort‹ her« 90 auf den Menschen zu; ebenso lässt sich das allegorische Moment in der religiösen Erfahrung auch beschreiben als eine Begegnung »von einer Zukunft her, auf die hin er

Vgl. ebd. Vgl. ebd., 79 f. Genau dieses geschichtliche Spannungsverhältnis ist zentral für Schaefflers Gedanken der Einheit der Geschichte. Vgl. Kap. 4.3.3. 89 Vgl. ebd., 80. 90 Ebd., 81. 87 88

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[der Mensch; S. W.] vom Augenblick dieser Erfahrung an ein Leben lang unterwegs sein wird« 91. Den liturgischen Kontext des himmlisch-irdischen »Sanctus«, der zunächst die Ortsmetapher nahelegt, noch einmal aufgreifend schreibt Schaeffler: »Die ›himmlische Doxologie‹ […] und mit ihr das vollendete Offenbarwerden des Heiligen, dessen Anspruch und Zuwendung durch das doxologische Wort beantwortet wird, ist nicht nur das urbildhafte Wort, als dessen Echo der menschliche Lobgesang sich verstehen darf, sondern zugleich das zukünftige Wort, das im ›irdischen Lobgesang‹ seine Vorläufigkeitsgestalt gefunden hat.« 92

Festzuhalten bleibt, dass der – je nach Perspektive – himmlisch oder eschatologisch vollendete Lobgesang nicht abseits der irdisch gegenwärtigen Antwort sozusagen in »Reinform« greifbar wird, sondern für den Menschen nur in dieser Antwort aufscheint und zur Sprache gebracht werden kann. (3) Aus der letztgenannten These ergibt sich für Schaefflers epistemologischen Doxologiebegriff ein weiterer Folgegedanke: Die gegenwärtige religiöse Erfahrung steht in all ihrer Vorläufigkeit und Überbietbarkeit gleichwohl in der »Zeitgenossenschaft mit der eschatologischen Vollendung« – oder prosaischer formuliert: Ihr wohnt das Moment »antizipatorischer Präsenz« inne. 93 Was dem (religiös) Erfahrenden begegnet, ist nicht etwa der »Verweis« auf eine »je größere Wahrheit« – sondern diese selbst. Vorläufigkeit und Vollendung sind hier nicht als strikte Gegensätze zu denken, weil, so Schaeffler, das Heilige niemals »geteilt«, gleichsam »portionsweise« erscheint, sondern in seiner Anrede dem Menschen mit der »Fülle der Begegnung«

Ebd. Ebd. 93 In diesem Zusammenhang ist es auffällig, dass Wolfhart Pannenberg in seiner theologischen Erkenntnislehre – die, wie bereits angedeutet, ebenso mit dem Begriff der Doxologie (und Analogie) arbeitet – gleichfalls das Moment der »Antizipation« hervorhebt, das sich im Gegensatz zur Analogie der Zeitkategorie bedient und so die Möglichkeit bietet, die ontologische Differenz als eschatologische Differenz zu betrachten. Dabei formuliert Pannenberg mit etwas anderen Worten ebendas, was Schaeffler »antizipatorische Präsenz« nennt: »Die Antizipation ist ›noch‹ nicht in jeder Hinsicht identisch mit der antizipierten Sache […]. Aber unter der Voraussetzung des künftigen Inerscheinungtretens der Sache in ihrer Vollgestalt ist in der Antizipation die Sache schon anwesend.« W. Pannenberg, Metaphysik und Gottesgedanke, Göttingen 1988, 75. Den Hinweis auf diesen Zusammenhang bei Pannenberg verdanke ich: J. Drumm, Doxologie und Dogma, 252. 91 92

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entgegentritt. »Wo das Heilige begegnet, wird nicht nur ein Weg zum Heil beschritten, sondern je gegenwärtig über Heil und Unheil entschieden.« 94 In der religiösen Erfahrung begegnet insofern mehr als »nur« eine Verheißung oder Annäherung. Auch wenn der Mensch die je größere Wirklichkeit des Heiligen noch nicht – und zeitlebens niemals – doxologisch vollkommen zu fassen vermag, erfährt er sich dennoch schon als »Zeitgenosse« jener endzeitlichen Vollendung. 95 Der Unterschied zwischen gegenwärtiger Antizipation und ihrer Vollendungsgestalt ist für Schaeffler also ein gradueller, aber kein substanzieller. Die Präsenz des Heiligen in ihrer Knechtsgestalt ruft schon hier und heute zum Gotteslob auf. Zu dieser Antwort berufen weiß der Mensch, dass er das doxologische Wort weder aus sich selbst hervorbringen kann (es wird ihm vielmehr auf die »Lippen gelegt«), noch der Herrlichkeit Gottes mit einer auch nur annähernd angemessenen Doxo-logie gegenübertreten kann. Wenn Gott der Inbegriff der je größeren Wirklichkeit ist, so ist er auch »je größer«, als alles menschliche Beten und Singen ausdrücken kann. Mit einem Zitat aus der zweiten Strophe der von Thomas von Aquin verfassten Sequenz zum Fronleichnamsfest bringt Schaeffler die Adaption seines »semper maior«-Grundsatzes auf die Doxologie exakt auf den Punkt. Dort heißt es von Gott: »quia maior omne laude, nec laudare sufficis.« 96 Die drei Teilaspekte des allegorischen Momentes der religiösen Erfahrung sind laut Schaeffler also zusammengefasst: (1) Ihr Bedeutungsüberschuss gegenüber dem gegenwärtig erfahrenen Heiligen (»ἄλλα ἀγορεύει«), (2) die daraus folgende Verwiesenheit auf eine künftige, vollkommenere Erschließung ihres Bedeutungsgehaltes und – dessen ungeachtet – (3) die antizipatorische Präsenz des HeiliR. Schaeffler, PhE II, 83. Schaeffler vertritt die religionsgeschichtliche These, dass religiöse Erfahrung nicht selten mit einer Form von »Todes-Antizipation« zu tun habe, weshalb häufig Opferrituale den menschlichen Antwortversuch auf die Begegnung mit der göttlichen Macht über Leben und Tod darstellen. Vgl. ebd.; Ders., Aussagen über das, was »Im Anfang« geschah. 95 Vgl. dazu auch Ders., Δοξολογία καὶ Οἰκοδομή, 66: »Darum ist jede Stunde, in der das Wort der Doxologie gesprochen wird, die antizipatorische Gegenwartsgestalt jener Fülle der Zeiten, in der die ›irdische‹ Doxologie sich in die ›himmlische‹ vollenden wird.« 96 Vgl. ebd., 82. Wörtlich: »Denn [er ist] größer als aller Lobpreis, und nicht genügst Du [Beter] zu loben.« Für den liturgischen Gebrauch wurde diese Passage frei übersetzt mit den Worten: »[…] ihn zu rühmen, ihm zu singen, hat kein Mensch genug getan.« Vgl. Schott-Messbuch, Lesejahr A, 334. 94

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gen in jeder geschichtlich greifbaren Phase der religiösen Erfahrung, in der jeweils die ganze Wahrheit und volle Zuwendung des Heiligen verborgen liegt. 97 Diese drei strukturellen Elemente von religiöser Erfahrung – Verheißung, geschichtliche Entfaltung und eschatologische Antizipation – in ihrem Zusammenspiel machen gemäß Schaeffler das aus, was allgemein »Glaube« genannt wird. Mit dieser Zuschreibung begibt er sich wiederum ganz in die Tradition der klassischen Schriftauslegung, die den allegorischen Schriftsinn auch als den »Sensus fidei« bezeichnet hat: 98 »Eben dies aber, das menschliche Verbum Mentis et Oris als die Gegenwartsgestalt des verheißenden und zugleich schon antizipatorisch erfüllenden Gottesworts zu vernehmen und mit der gegenwärtigen Doxologie zu beantworten, die das eschatologische Gotteslob schon heute antizipiert, ist es, was ›Glaube‹ heißt.« 99

Aus der Erfahrung des Heiligen gewinnt der Mensch im ursprünglich hebräischen Sinn des Glaubensbegriffs (»Emunah«) neuen und festen Boden unter die Füße, um die nächsten Schritte zu tun – im Vertrauen darauf, dass sich das Heilige wiederum und immer neu und anders bis zur eschatologischen Vollendung hin zeigen wird. Die Dimension des Glaubens scheint im allegorischen Moment der religiösen Erfahrung und ihrer Antwortgestalt der »Doxo-logie« auch darin auf, dass in der gegenwärtigen Begegnung mit dem Heiligen ein vertrauenswürdiger Grund der Zuversicht gelegt wird, dass »dieses Angesicht in jeder künftigen Stunde innerhalb des zeitlichen Lebens gesucht, gefunden und mit der Anrufung des Namens begrüßt werden kann« 100. Wie unschwer zu erkennen ist, verbindet Schaeffler in diesem Gedanken interessanterweise seinen Doxologiebegriff mit dem Akt der Namensanrufung. 101 Die Untersuchung des Teilaspektes der Allegorie aus Schaefflers jüngster Gesamtdarstellung seiner Erfahrungslehre hat ergeben, dass die »Doxologie« im Kontext des allegorischen Bedeutungsmomentes Vgl. R. Schaeffler, PhE II, 175 f. Vgl. H. de Lubac, Exégèse médiévale. Les quatre sens de l’écriture. Première partie, Tome II, Paris 1959, 489–548; P. Walter, Art. »Schriftsinne«. Schaeffler bezieht sich explizit auf die allegorische Schriftauslegung als »Sensus fidei« in: Ders., PhE I, 169, 171, 363; Ders., PhE II, 83 f., 86 f., 176. 99 Ders., PhE II, 84. 100 Ebd., 177. 101 Vgl. Kap. 8.2.2. 97 98

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religiöser Erfahrung nicht nur an zentraler Stelle vorkommt, sondern dass sie vielmehr als die Antwortgestalt des religiösen Verbum Mentis schlechthin gelten kann. Mit anderen Worten: Die angemessene Weise, wie die Erfahrung des Heiligen annäherungsweise auf den »Begriff« zu bringen ist und so epistemologisch als »Erfahrung«, und nicht nur als diffuses »Erlebnis«, zugänglich wird, ist diejenige, dem Heiligen im hymnischen Lobgesang zu begegnen. Wie diese stark erkenntnistheoretisch orientierten Überlegungen sich gebetstheologisch näher ausgestalten lassen, soll im Folgenden anhand von einzelnen Aufsätzen Schaefflers zur »Doxologie« geprüft werden, die in zeitlicher Nähe zur Entstehung der »Philosophische[n] Einübung in die Theologie« liegen. 102

5.3 Die gebetstheologische Entfaltung des Doxologiebegriffs Anhand der Etymologien des Wortes »Herrlichkeit« in verschiedenen Sprachen führt Schaeffler in die Vielschichtigkeit des Phänomens der Doxologie ein: 103 Das deutsche Wort »herrlich« deutet sowohl auf die »Herrschaftlichkeit« wie – durch den alten Wortstamm »hehr« – auf die »Ehr-würdigkeit« Gottes. Das Lateinische kennt diesem doppelten Sinngehalt entsprechend zwei Vokabeln: »majestas« und »gloria«. Sie weisen noch deutlicher darauf hin, dass Gott sowohl »in sich« erhaben und majestätisch ist als auch aus Sicht der Geschöpfe der Verehrung (glorificatio) würdig. Das hebräische Wort »‫( «ָכּבוֹד‬kabod) enthält eine Anspielung auf das Bild der Sonne und hat so eine etwas andere semantische Bedeutung: Genau wie die Sonne wird Gott von den Menschen des alttestamentlichen Kulturkreises einerseits als leuchtend und strahlend erfahren, andererseits aber auch als »gewichtig« oder sogar – wie die Mittagssonne – als »lastend«. All den genannten Bedeutungsfeldern der Herrlichkeit Gottes entnimmt Schaeffler eine Gemeinsamkeit: Sie treffen jeweils Aussagen über Gott im Sinne eines Gottesbildes oder einer Eigenschaft, gleichzeitig aber thematisieren sie auch das rechte Verhältnis des Menschen zu Gottes Herrlichkeit. Am deutlichsten tritt dies in der griechischen Bezeichnung »Δόξα« zu Tage, die sich ursprünglich vom Verb »δέ102 Vgl. auch S. Walser, Der doxologische Aspekt der Gebetslehre Richard Schaefflers, 307–312. 103 Vgl. zum Folgenden: R. Schaeffler, Der Beter, sein Gott und seine Welt, 577 f.

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χεσθαι« – »empfangen« – herleiten lässt. »Doxa« bezeichnet, so Schaeffler, »die Weise, wie Gott sich vom Menschen ›empfangen‹ läßt, wie der Mensch ›erfassen‹ kann, wer ihm begegnet« 104. Alle die genannten Begriffe sprechen so von Gottes Herrlichkeit, wie diese dem Menschen »aufleuchtet« und wie dieser sich der Herrlichkeit Gottes im antwortenden Gebet wiederum zuwenden darf. Somit zielt der Begriff der Doxologie in all seinen Facetten auf eben jene asymmetrische Wechselseitigkeit des Gebetsaktes, die Schaeffler bei der Durchführung seines sprachanalytischen Gebetsansatzes bisweilen nicht deutlich genug artikuliert sah. In dem bereits zitierten Aufsatz »Der Beter, sein Gott und seine Welt« zieht er in aller Deutlichkeit eine Verbindungslinie zwischen seinem Verständnis von »Doxologie« und dem Akt der Namensanrufung, wenn er schreibt: »Die Herrlichkeit Gottes (kabod, doxa, gloria) ist immer wieder die Weise, wie Gott sich dem Menschen so zeigt, daß er in jene Beziehung zu ihm eintreten kann, die in der Anrufung des Namens wirksam vollzogen wird.« 105 Nicht die Herrlichkeit Gottes als solche, sondern ihr Aufleuchten unter den Menschen steht im Zentrum seiner weiteren Ausführungen. Schaeffler geht es – auch wenn dieser Begriff im Zusammenhang der Doxologie eher selten fällt – um die Beschreibung der »Korrelation« zwischen Gott und Mensch. Die göttliche »Doxa« ist nicht allein im Himmel zu verorten. Schaeffler nimmt die seraphische Vision Jesajas ernst, der die Engel rufen hört: »Alle Lande sind seiner Herrlichkeit voll« (Jes 6,3). 106 Wenn aber auch die Erde »voll seiner Herrlichkeit« ist, so gewinnt alles Irdische einen »spezifisch religiösen Eigenwert und maßgeblichen Eigenstand gegenüber dem religiösen Bewußtsein« 107. Die Herrlichkeit Gottes, so Schaeffler weiter, wird auf Erden zuerst und zutiefst auf dem Antlitz Christi erkennbar (vgl. 2 Kor 4,6); doch spiegeln darüber hinaus alle Menschen, wie Paulus ebenfalls betont, »mit enthülltem Angesicht die Herrlichkeit des Herrn wider« (2 Kor 3,18). Die Erkenntnis der göttlichen Doxa liegt »auf dem Antlitz jeder Kreatur« – so formuliert Schaeffler wohl in Bezug auf diese beiden Stellen

Ebd., 578. Ebd. 106 Oder wie es beim Propheten Habakuk heißt und im liturgischen Sanctus (»Himmel und Erde …«) ergänzt wurde: »Seine Hoheit überstrahlt die Himmel, sein Ruhm erfüllt die Erde« (Hab 3,3). 107 Ders., Der Beter, sein Gott und seine Welt, 584. 104 105

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aus dem zweiten Korintherbrief. 108 In der Erkenntnis, dass »alle Lande der Herrlichkeit voll sind«, liegt jedoch auch die größte religiöse Versuchung: dass nämlich diese Herrlichkeit zwar wahrgenommen, aber nicht als Herrlichkeit Gottes erkannt wird – mit der Folge, dass das Geschöpf, das die Herrlichkeit Gottes nur widerspiegelt, aber nicht ist, als Götze angebetet wird. 109 Demgegenüber betont Schaeffler, dass Gottes Herrlichkeit aus ihrer Verborgenheit herausgetreten sei, um alle Menschen zu »erleuchten«. Hier wird nun die Lichtmetaphorik des hebräischen Wortes »kabod« bedeutsam: Die göttliche Herrlichkeit soll die menschlichen Herzen erleuchten, damit sie zur Erkenntnis der wahren Herrlichkeit gelangen, der Herrlichkeit Gottes. Als neutestamentliche Bezugsstelle bietet sich hier wiederum die genannte Passage aus dem zweiten Korintherbrief an, wo es wörtlich heißt: »Denn Gott, der sprach: Aus Finsternis soll Licht aufleuchten!, er ist in unseren Herzen aufgeleuchtet, damit wir erleuchtet werden zur Erkenntnis des göttlichen Glanzes (gr. ›δόξα‹) auf dem Antlitz Christi« (2 Kor 4,6). 110 Die Doxologie ist für Schaeffler, wie bereits dargestellt, die allein angemessene Antwort auf das Aufleuchten der göttlichen Herrlichkeit, da sie sich antwortend dieser selbst zuwendet, statt dem Götzendienst zu verfallen. Die Notwendigkeit der unmittelbaren Responsion macht Schaeffler anhand einer einfachen etymologischen Überlegung deutlich: »Doxo-logie« ist der Versuch, das Aufleuchten der Herrlichkeit Gottes ins Wort zu fassen. Dieser Gedanke ist im Laufe dieses 108 Vgl. Ders., Δοξολογία καὶ Οἰκοδομή, 56; Ders., Der Beter, sein Gott und seine Welt, 579, 584. Auch bei Paulus wird deutlich, was Schaeffler erkenntnistheoretisch ausgeführt hat: dass die Antwort auf die Herrlichkeit nicht ohne Geistbegabung möglich ist: »Wir alle spiegeln […] die Herrlichkeit des Herrn wider und werden in sein eigenes Bild verwandelt, von Herrlichkeit zu Herrlichkeit, durch den Geist des Herrn.« 2 Kor 3,18. 109 Vgl. Ders., Δοξολογία καὶ Οἰκοδομή, 57: »Gerade die Tatsache, daß auf allem, was ist, Gottes Herrlichkeit ihren Abglanz gefunden hat, ist also den Menschen zur Verführung geworden, den Geschöpfen jene Ehre zu erweisen, die allein Gott gebührt.« In diesem Sinne erkennt Schaeffler den Rechtfertigungsgedanken im Römerbrief als Grundlage für die Fähigkeit, Gott allein zu verehren. Vgl. Röm 3,23: »Alle haben gesündigt und die Herrlichkeit (»doxa«) Gottes verloren.« Entsprechend interpretiert Schaeffler gemäß Röm 8,30 die »doxa« als Folge der Rechtfertigung: »Die er aber gerecht gemacht hat, die hat er auch verherrlicht [wörtl.: »mit der Doxa beschenkt].« Vgl. ebd. 110 Daher setzt auch die Erkenntnis der »Doxa« deren Aufleuchten für die menschliche Vernunft – als »Erleuchtung« – voraus. Vgl. ebd., 56; Ders., Der Beter, sein Gott und seine Welt, 584; Ders., PhE I, 243.

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Kapitels bereits mehrfach begegnet und schlägt sich werkgenetisch erstmals im Schlussteil der »Kleinen Gebetslehre« nieder. 111 In epistemologischer Hinsicht wurde sie als die religiöse Form des Verbum Mentis breiter entfaltet. Auch in den eher gebetstheologisch orientierten Aufsätzen ist dieser Grundgedanke von Schaefflers Doxologiebegriff allgegenwärtig. Ein Zitat aus dem 1994 erschienenen Aufsatz »Der Herr ist meine Kraft und mein Lied« sei hierfür beispielhaft angeführt: »Jede Hierophanie ist ein Moment jener ›Doxa‹ des Heiligen, in der dieses für den Menschen wahrnehmbar ›aufleuchtet‹ (›δόξα‹ von ›δέχεσθαι‹, ›empfangen‹); und eben dieser Herrlichkeit soll der Hymnus als ›Doxologia‹, als in den Logos gefaßte Antwort auf das Aufleuchten der Doxa, entsprechen.« 112

Der doxologische Lobpreis ist nach Schaeffler aber nicht allein Responsion, »Antwort«, sondern zugleich Dienst am Aufleuchten der »Doxa«. 113 Das doxologische Wort ist ein »Verbum efficax« 114 – wirksames Wort in Bezug auf die göttliche Herrlichkeit, und zwar in dreifacher Weise: Der Beter tritt erstens durch das doxologische Wort in eine Beziehung zu Gott ein, der sich ihm zuvor in »Gnade und Gericht« zugewendet hat. Diese erste wirksame Weise der Doxologie lehnt sich eng an Schaefflers sprachphilosophischen Gebetsansatz an und lässt durch den Hinweis auf die Situation von Gnade und Gericht auch den Einfluss Cohens erahnen. Der Unterschied zu früheren Äußerungen liegt wohl darin, dass Schaeffler hier den responsorischen Charakter der »korrelationsstiftenden« – oder hier genauer »korrelationsaufnehmenden« – Sprachhandlung deutlicher kenn-

Vgl. Kap. 5.1. Ders., »Der Herr ist meine Kraft und mein Lied«, 28. 113 Vgl. Ders., Δοξολογία καὶ Οἰκοδομή, 55. 114 Vgl. ebd., 56; Ders., PhE I, 244. Der von Schaeffler verwendete Terminus »Verbum efficax« lässt sich wohl bereits auf die mittelalterliche Scholastik zurückführen; er wird vor allem bei Luther greifbar, der diesen Begriff sowohl für das Schöpfungswort Gottes, als auch im übertragenen Sinn für das Predigtwort gebraucht. Auch das Gebetswort gilt Luther als »Verbum efficax«, als Anteil an der Kraft des göttlichen Wortes. Der Unterschied zwischen Gotteswort und Menschenwort liegt nach Luther darin, dass bei Gott Wort und Tat niemals divergieren, sondern das Wort allezeit bewirkt, was es verspricht. Vgl. A. Beutel, Im Anfang war das Wort. Studien zu Luthers Sprachverständnis, Tübingen 1991, 113–115, 331, 441, 466 f.; vgl. Ders., »Scriptura ita loquitur, cur non nos?« Sprache des Glaubens bei Luther, in: Ders., Protestantische Konkretionen, Tübingen 1998, 104–123. 111 112

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zeichnet. Der Beter wirkt zweitens als Mittler für diejenigen, die sein gesprochenes Wort des Lobpreises hören. Er lädt andere Menschen ein, ebenfalls in die Doxologie einzustimmen, und trägt so, wie im nächsten Kapitel näher ausgeführt wird, zum Aufbau der Gemeinde bei. Der Beter hilft drittens – und hier wird der »Dienst« an der göttlichen Herrlichkeit offenkundig – »durch sein Wort für diesen Gott einen Ort seiner Gegenwart in der Welt« 115 zu schaffen. Der Beter (und mehr noch eine Gebetsgemeinschaft) bereitet durch seinen Lobpreis einen »Ort«, wo Gott unter den Menschen »wohnen« kann. Schaeffler veranschaulicht dies mit einer sehr ursprünglich-bildhaften Interpretation von Psalm 22,4: »Du thronst auf Israels Lobgesängen.« 116 Er weist darauf hin, dass das Volk Israel nach der ersten und vor allem nach der zweiten Tempelzerstörung seine eigentliche Berufung in der Danksagung und im Gotteslob findet: »Nun, da es keinen Tempel mehr gibt, ist der Lobgesang Israels dieser Ort der Gegenwart Gottes in der Welt, sein ›Thron‹.« 117 Die Herrlichkeit Gottes ins Wort zu bringen, so lautet der Grundauftrag des Beters; er ist für Schaeffler gleichbedeutend mit dem Akt der »Verehrung« (gr. »δοξάζειν«; lat. »glorificare«). 118 Die Verehrung Gottes ist mit alltäglichen Formen gegenseitiger Ehrerweisung nicht zu vergleichen, denn im zwischenmenschlichen Beziehungsgefüge steigt der Wert der Ehrerbietung mit dem gesellschaftlichen Status der Person des Ehrenden und nicht des Geehrten, gemäß dem lateinischen Grundsatz: »Honos est in honorante, non in honorato.« 119 In Bezug auf Gott hingegen ist es genau umgekehrt. Verehrung und Lobpreis Gottes unterscheiden sich grundlegend vom alltäglichen »Loben« im Sinne eins positiven Qualitätsurteils: »In der Ehre, die der religiöse Sprecher Gott zuspricht, leuchtet jene Herrlichkeit (gloria; doxa) auf, mit der Gott sich selbst als herrlich erweist.« 120 Ähnlich wie am Beispiel der Heiligung oder Segnung des göttlichen Namens zeigt sich hier die Zirkularität des religiösen Aktes: 121 Der Beter kann Gottes Herrlichkeit nur loben und ihm »die R. Schaeffler, Δοξολογία καὶ Οἰκοδομή, 56. Vgl. ebd.; Ders., Der Beter, sein Gott und seine Welt, 581; vgl. auch Ders., PhE I, 197 f. 117 Ders., Gebet im Judentum, 83. 118 Vgl. Ders., Der Beter, sein Gott und seine Welt, 579. 119 Ders., GuA, 150 f. 120 Ebd., 151. 121 Vgl. Ders., Der Beter, sein Gott und seine Welt, 579 f. Vgl. Kap. 4.6.2. 115 116

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Die gebetstheologische Entfaltung des Doxologiebegriffs

Ehre bringen«, weil Gott immer schon – und von ihm her »Himmel und Erde« – voll der Herrlichkeit ist. Gemäß dieser zirkulären Struktur versteht Schaeffler Doxologie nicht allein als »Gotteslob«, sondern als echten »Gottesdienst« – als Dienst an der Herrlichkeit Gottes. Der Beter fasst die Herrlichkeit Gottes so ins Wort, dass sie auf Erden vernehmbar wird. Als Zeuge der göttlichen Herrlichkeit verweist er seine Mitmenschen auf die Spuren der Herrlichkeit Gottes in der Welt und in der Geschichte und trägt so zum Aufbau der Gemeinde bei. Wie dieser Vorgang der Zeugenschaft durch das doxologische Wort genauer zu denken ist, untersucht Schaeffler unter dem Stichwort der »doxologischen Wechselrede« und der »oikodometischen Funktion« der Doxologie. Diese Fragestellung soll im folgenden Hauptkapitel ausführlich zum Tragen kommen. Zuvor jedoch muss eine grundsätzlichere Rückfrage aufgeworfen werden: Wie kann die »Doxologie« etwas »zur größeren Ehre Gottes« beitragen, wenn, wie Schaeffler immer wieder betonte, daran festzuhalten ist, dass diese die Zuwendung des Heiligen nicht einmal annäherungsweise aussprechen kann? 122 Wie vermag das menschliche Verbum Mentis – mit einem Psalm gesprochen – »all seinen Ruhm noch mehren« (Ps 71,14), wenn es doch eine höchst unzureichende Ent-sprechung seiner Herrlichkeit darstellt? Der Gedanke, dass der Mensch in der Lage sei, etwas oder gar alles »ad maiorem Dei gloriam« zu vollbringen, ist Schaeffler aus der ignatianischen Spiritualität durchaus geläufig. 123 Hier tritt ein gewissermaßen paradoxes Phänomen in Schaefflers Doxologiebegriff zu Tage: Die unendlich größere Herrlichkeit Gottes erlaubt demjenigen, dem sie anfänglich und unter der »Umgestaltung seines Denkens« aufleuchtet, seine Worte und Handlungen daraufhin zu richten, »dem noch klareren Aufleuchten dieser Herrlichkeit zu dienen« 124. Gottes Herrlichkeit, von der »Himmel und Erde« erfüllt sind, ist hinsichtlich ihrer ir122 Schaeffler weiß offenbar um die Missverständlichkeit der Rede von der »Doxologie«, wenn er schreibt: »Wird das Wort ›Doxa‹ mit ›Ruhm‹ oder ›Ehre‹ übersetzt, dann legt es die Vorstellung nahe, gemeint sei das ›öffentliche Ansehen‹, und ›Doxologie‹ sei jene ›rühmende Rede‹, die das göttliche Ansehen vermehrt und verstärkt.« Ders., PhE I, 243. 123 Vgl. 1 Kor 10,31; vgl. Ders., Fähigkeit zur Erfahrung (2002), 57. 124 Ebd., 58. Diese Paradoxie schlägt sich im Übrigen auch in der religiösen Überlieferung nieder, wenn es etwa in der Fronleichnamssequenz heißt, dass »kein Lobspruch […] seinem Ruhm genügen kann (lat. ›nec laudare sufficis‹)«, während der Beter im eben angeführten Psalm singt: »Ich aber will jederzeit hoffen, all deinen Ruhm noch mehren!« Ps 71,14.

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dischen Erkennbarkeit auf die Mithilfe von betenden Menschen angewiesen, die sie vor Entstellungen bewahren und auf ihre Leuchtkraft »auf dem Antlitz jeder Kreatur« hinweisen. Schaefflers Begriff von Doxologie überschreitet schließlich den in diesem Kapitel beleuchteten epistemologischen und gebetstheologischen Kontext auf eine existenzielle Weise: Doxologie wird zu einer umfassenden Aufgabe – um nicht zu sagen »Berufung« – des Menschen: Nicht nur die inneren und äußeren Worte (Verbum Mentis et Oris), sondern auch die Taten des Menschen können zur doxologischen Antwort werden. Sofern sie um des Namens willen getan werden, sind sie im vollgültigen Sinne »Gottesdienst«. Dabei werden sie zu Erscheinungsgestalten der göttlichen Herrlichkeit auch für andere Menschen, damit diese – wie Schaeffler mit Mt 5,16 sagt – »eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen (gr. ›δοξάσωσιν‹)«. 125 Es wird sich – über die von Schaeffler angeführten Bibelzitate hinaus – wohl kaum eine Stelle finden, die den Auftrag des Menschen zur Doxologie treffender beschreibt als der Vers aus dem Epheserhymnus, wo es ebenso schlicht wie entschieden heißt: »Wir sind zum Lob seiner Herrlichkeit« (Eph 1,12). 126

Vgl. Ders., Der Beter, sein Gott und seine Welt, 580, 584; Ders., Fähigkeit zur Erfahrung (2002), 59. 126 Griechisch: »εἰϚ τὸ εἶναι ἡμᾶϚ εἰϚ ἔπαινον δόξηϚ αὐτοῦ.« 125

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6 »Lasst uns gemeinsam seinen Namen rühmen« Die intersubjektive Dimension des Gebetes

6.1 Vorbemerkungen Die bisherigen Ausführungen zum sprachphilosophischen wie zum doxologischen Gebetsansatz Schaefflers haben sich auf die Perspektive des einzelnen Beters, seine Beziehung zu Gott und sein Verhältnis zur Welt beschränkt. Eine individualistische Engführung des Gebetsaktes auf die gott-menschliche Korrelation würde Schaefflers Gebetslehre jedoch nicht angemessen wiedergeben. Die Fokussierung auf das Subjekt des einzelnen Beters war nicht zuletzt der systematischen Darstellungsweise geschuldet und kam nicht ohne zahlreiche Vorverweise auf die intersubjektive Dimension des Gebetes aus. Im folgenden Kapitel soll die gegenseitige Zuordnung von Beter und Gebetsgemeinschaft nunmehr ausdrücklich in den Blick genommen werden. 1 Die Rückbindung des Betenden in eine Gebetsgemeinschaft wurde – daran darf hier erinnert werden – bereits als eine der zahlreichen Gemeinsamkeiten zwischen Cohen und Schaeffler herausgestellt. 2 Dass die intersubjektive Vermittlung des Gebetsaktes bei Schaeffler immer schon implizit vorausgesetzt ist, kann in einer ersten Annäherung durch vier knappe, rückblickende Beobachtungen verdeutlicht werden: 1) Gebet wird von Schaeffler als ein Sprachgeschehen aufgefasst, als ein besonders prägnanter Fall religiöser Sprache, an dem die Charakteristika des religiösen Sprachspiels im weiteren Sinne exemplarisch studiert werden können. Ein »Sprachspiel« ist als solches immer eine sprachliche Interaktion zwischen verschiedenen Subjekten. Das religiöse Sprachspiel lässt sich, so das Ergebnis einer langen Unter-

Der in der Überschrift zitierte Psalmvers (Ps 34,4) soll die Assoziation beider »Gebetsansätze« Schaefflers – Namensanrufung und Doxologie – in ihrer gemeinschaftlichen Dimension hervorrufen. 2 Vgl. Kap. 3.2.4, Nr. 7 der zusammenfassenden Bezüge zwischen Cohen und Schaeffler. 1

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suchung Schaefflers, als »autonom«, aber hinsichtlich anderer Sprachspiele als »nicht-autark« prädizieren. 3 2) Der Beter bedient sich – etwa im Akt der Namensanrufung – einer ihm bereits vorliegenden Gebetssprache innerhalb einer bestimmten religiösen Überlieferung. Die gleichsam vorgefundene Sprache ist die Bedingung für den individuellen Vollzug des Gebetes. Umgekehrt besteht jede Gebetsgemeinschaft aus einzelnen Betern, welche die Sprachgewohnheiten dieser Gemeinschaft prägen und verändern. Wie sich das Zueinander von institutionell-überlieferter und individuell-spontaner Gebetssprache genauer beschreiben lässt, wird eine der Hauptfragen sein, die es im Folgenden zu diskutieren gilt. 4 3) Schaefflers beständige Sorge um die objektive Geltung und die Universalität dessen, was das Gebet ausdrückt, wird nur dann einsichtig, wenn das Gebet nicht als »Privatsache« verstanden wird, sondern allgemein, und das heißt intersubjektiv, verantwortet werden will. 4) Schaefflers Theorie der Namensanrufung zielt in seiner eschatologischen Perspektive darauf hin, dass sich am Ende der Zeit alle Völker im Lobpreis des einzigen Gottes vereinen. Die Sprachhandlung der »Einigung des Namens«, zielt also, etwas formaler gesprochen, auf die Antizipation einer universalen Gebetsgemeinschaft. 5 Um die vielfältigen Überlegungen Schaefflers zum Gebet in gemeinschaftlicher Hinsicht strukturiert analysieren zu können, werden im ersten Schritt diejenigen Elemente zur Sprache kommen, die seinem sprachphilosophischen Gebetsansatz entspringen, also das Verhältnis von Namensanrufung und Intersubjektivität (6.2). Danach sollen die weitreichenden ekklesiologischen Konsequenzen aus Schaefflers doxologischem Gebetsansatz entwickelt werden (6.3). Schließlich geht es – auf der Grundlage beider Aspekte – um konkrete 3 Vgl. R. Schaeffler, GuA, 92–96; 207–211; 216–330 passim. Auf dieses Ergebnis zielt letztlich die gesamte Argumentationsstruktur von »GuA«. 4 Dass diese Fragestellung nicht nur Schaeffler, sondern auch sein philosophischtheologisches Umfeld im deutschsprachigen Raum recht früh beschäftigt hat, vermag eine »Quaestio Disputata« aus dem Jahr 1987 zu belegen, bei der Schaeffler als Mitherausgeber beteiligt war: Vgl. P. Hünermann – R. Schaeffler (Hg.), Theorie der Sprachhandlung und heutige Ekklesiologie. Ein philosophisch-theologisches Gespräch, QD 109, Freiburg i. Br. 1987. 5 Vgl. Schaefflers Bezug auf Sach 14,9; vgl. Kap. 3.2.3 u. Kap. 4.6.2.

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Aufgaben und Ämter innerhalb einer Gebetsgemeinschaft, unter anderem um den Dienst des »Sprachlehrers« und des »Vorbeters«, sowie um eine gebetstheologische Annäherung an den priesterlichen Dienst im weiteren Sinne (6.4).

6.2 Die Gebetsgemeinschaft aus sprachphilosophischer Perspektive 6.2.1 Namensanrufung und Intersubjektivität Um die Nahtstelle zwischen dem Akt der individuellen Namensanrufung und dem gemeinschaftlichen Gebetsakt exakter zu benennen, ist es notwendig, noch einmal auf die differenzierte semiotische Struktur einzugehen, die Schaeffler in »Das Gebet und das Argument« herausarbeitet – genauer auf den vierten und letzten analysierten Fall der Namensanrufung: »Die öffentliche und gemeinschaftliche Namensnennung«. 6 Schaefflers These lautet: »Der öffentliche Gebrauch von Grußformeln und Namensnennungen definiert in besonderer Weise das Rollenspiel zwischen dem Grüßenden, dem Gegrüßten und den übrigen Mitgliedern der Kommunikationsgemeinschaft.« 7 Am alltäglichen Beispiel der öffentlichen Vorstellung eines Redners expliziert Schaeffler, wie im Akt der Namensanrufung, sofern weitere Subjekte anwesend sind, zugleich eine »spezifische Weise von Intersubjektivität« gestiftet wird. 8 Dies gilt, wie Schaeffler mehrfach wiederholt, auch und in besonderer Weise für die religiöse Anrufung des Gottesnamens. 9 Geschieht die Namensanrufung in gemeinschaftlicher Form, so hat diese nach Schaeffler eine zusätzliche transzendentale Bedeutung: Die »acclamatio nominis Dei« führt dann nicht nur zur Konstitution des religiösen Subjekts (wie in der individuellen »acclamatio«), sondern im gemeinschaftlichen Vollzug auch zur Konstitution religiöser Intersubjektivität. Die öffentliche und gemeinschaftliche Namensanrufung stiftet eine Redesituation, die nicht nur einen Vgl. Kap. 4.2.1, sowie die zusammenfassende Übersicht in Kap. 4.2.4. Ders., GuA, 119. 8 Vgl. ebd., 118: »[Die; S. W.] [ö]ffentliche Anrede unter Verwendung eines bestimmten Namens hat eine spezifische Weise von Intersubjektivität zustandegebracht.« 9 Vgl. ebd., 120, 136, 144, 148, 159 f.; Ders., Die Konstituierung des religiösen Subjekts in der Sprachhandlung des Gebets, 77. Vgl. auch M. Schrom, Die Kirche als Gebetsgemeinschaft, 53 f., 71–74. 6 7

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Raum zwischen dem Beter und Gott eröffnet, sondern die ebenso das sprachliche Verhalten der Betenden untereinander regelt. Der »Sitz im Leben« dieser Rede ist der Gottesdienst. Die im liturgischen Rahmen rituell und zumeist feierlich ausgestaltete Anrufung Gottes, so Schaeffler, »stiftet eine bestimmte Weise der Intersubjektivität, z. B. die der Gottesdienstgemeinde, und schreibt dem Sprachverhalten, das dieser Situation angemessen sein soll, Regeln vor, z. B. Regeln für die Weise, wie im Gottesdienst auf vorgetragene Textlesungen oder gesprochene Gebete geantwortet wird.« 10

Als die methodische Basis dieser These dient wiederum die Kombination von semiotischer und transzendentaler Reflexion, wobei sich in diesem Fall vor allem die pragmatische Dimension der gemeinschaftlichen Namensanrufung als transzendental relevant erweist. 11 Wird die spezifisch religiöse Weise der Intersubjektivität durch den Akt der öffentlichen und möglicherweise auch gemeinschaftlichen Namensnennung konstituiert, so hat dies transzendental betrachtet Folgen für die Möglichkeit, sich (gemeinsam) auf Gegenstände der Erfahrung zu beziehen. Die Sprachhandlung der gemeinschaftlichen Namensanrufung betrifft demnach sowohl die Möglichkeit, sich als ein »Wir« auf etwas zu beziehen, als auch die Objektivität dessen, was hier zum Gegenstand der Erfahrung wird. Was aber, so fragt Schaeffler weiter, ist das Proprium von spezifisch »religiöser« Intersubjektivität und von spezifisch »religiösem« Gegenstandsbezug? Die Objektivität des Erfahrungsgegenstandes wird in wissenschaftlichen Sprachgemeinschaften in der Regel durch das Ideal der »universalen Vertretbarkeit« der Subjekte begründet. Im Fall des gemeinschaftlichen Betens geschieht dies auf eine vergleichbare, aber nicht identische Weise: in der Möglichkeit, dass die Namensanrufung eines (Vor-)Beters von anderen Betern »nachgebetet« werden kann, dass »unbegrenzt Viele« diese Sprachhandlung (nach)vollziehen 12 und

R. Schaeffler, GuA, 136. Auf grammatischer Ebene verweist Schaeffler wiederum auf die häufige Verwendung von Possessivpronomina; in semantischer Hinsicht betont er, dass die Fähigkeit der Namensanrufung auch im Gemeinschaftsgebet als »zugeeignete Kraft« verstanden werden müsse, durch welche die Erfahrungsinhalte der Gemeinschaft zur Einheit finden. Vgl. ebd., 136 ff. u. 148. 12 Vgl. ebd., 145. 10 11

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durch diesen performativen Akt sowohl in die Korrelation mit Gott als auch in die Gebetsgemeinschaft eintreten können. Diese Ausweitung und Öffnung des Gebetes gründet sich jedoch nicht, wie in vielen Wissenschaften, auf das Ideal einer anonymen und »universalen Vertretbarkeit«, sondern vielmehr auf der durch die semantische Analyse gewonnenen Einsicht, dass der Beter die Voraussetzungen, Gott anzurufen, jederzeit als zugeeignete Kraft empfängt, dass ihm – mit den Worten Schaefflers – das Gebet »auf die Lippen« gelegt wird. 13 Die Eröffnung der Korrelation mit Gott kann als geschenkte nicht als »Besitz« festgehalten, sondern will als anvertrautes Gut an die Mitbetenden weitergegeben werden. Der Beter weiß, dass ihm die Befähigung zur Namensanrufung gegeben ist, um »stellvertretend für die Vielen zu sprechen« 14 und ihnen den Eintritt in den Gebetsakt ebenfalls zu ermöglichen. Der Beter stiftet durch die ihm gewährte Korrelation die Möglichkeit zur »Gebetsnachfolge«, wie Schaeffler in einer treffenden Wortschöpfung formuliert. 15 Die Weitergabe der Anrufung Gottes ist gleichwohl kein Automatismus, sondern ein immer neues und individuelles Korrelationsgeschehen zwischen dem einzelnen Beter und Gott. »Religiöse Intersubjektivität, Sprachgemeinschaft der Sprecher des göttlichen Wortes, macht darum die Individuen nicht gleichgültig, sondern weist ihnen die Rolle zu, anvertrautes Wort und anvertraute Kraft weiterzugeben […].« 16 Das Ausmaß der Weitergabe dieser je individuell anvertrauten Befähigung, Gott beim Namen zu nennen, kann nicht universal genug gedacht werden, wie Schaeffler mit dem Hinweis auf den letzten Vers des Psalters zu bedenken gibt, der auffordert: »Alles, was atmet, lobe den Herrn!« (Ps 150,6). 17

Vgl. Schaefflers Interpretation des alttestamentlichen Verses »Meine Stärke und mein Lied ist der Herr …« in Kap. 4.2.2. 14 Ders., GuA, 201. 15 Vgl. ebd. Die Überschrift des hier herangezogenen Abschnitts lautet: »Die Möglichkeit der Gebets-Nachfolge und das Verhältnis von Sprachhandlung und Institution.« Ebd., 198–204. 16 Ebd., 145. 17 Vgl. ebd.; Ders., RelPhil, 178. 13

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6.2.2 Gebet und Institution Den geschilderten Ausführungen Schaefflers zufolge scheint sich das gemeinschaftliche Gebet sekundär aus dem individuellen Akt der Namensanrufung zu entfalten. Diese Verhältnisbestimmung greift freilich zu kurz. Wie eng individuelles und gemeinschaftliches Gebet in Wirklichkeit ineinander verschränkt sind, tritt beispielhaft in Schaefflers Interpretation der ersten Verse des »Magnifikat« zu Tage (Lk 1,46 f.): 18 Die auffällige Verwendung der Selbstbezeichnung »meine Seele« und »mein Geist« – »néphesch« und »ruach« – lässt Schaeffler in einem vorphilosophischen Sinn dieser geprägten Begriffe einen Hinweis auf das Zusammenspiel von Individualität und Intersubjektivität des Gebetsaktes erkennen. Auf Schaefflers Assoziation von »Seele« und »Geist« mit dem Vorgang des Ein- und Ausatmens wurde bereits an früherer Stelle hingewiesen. 19 Analog zum physischen Vorgang des Einatmens erfährt sich die Seele aus dem »Unumgrenzten« heraus in ihren Eigenstand gesetzt und zur Einzigkeit erhoben. Wie der Atem jedoch nicht im Körper zurückbehalten werden kann, muss sich die empfangene Eigenständigkeit wiederum als »Geist« mitteilen – bildlich gesprochen »hinausblasen« (hebr. »ruach«). Für Schaeffler ist dieser »Geisthauch« nicht bloße Luft, sondern »Träger des Wortes und damit einer Kraft, die Intersubjektivität zwischen Sprechern und Hörern stiftet und diese bis zur Universalität erweitern kann« 20. Der Geist des Gebetes hat ausatmend die Kraft, ein universal wahrheitsfähiges Wort mitzuteilen, 21 weil es nicht einfachhin das »subjektive« Wort der Beterin ist, sondern ihr als »Seele« zugeeignetes und empfangenes Wort (»néphesch«). Auf diese Weise ist das individuelle Gebetswort fähig, den »Geist des Herrn« weiterzutragen, der »das All erfüllt« 22. Andersherum betrachtet: Der Geist des Herrn »verbindet […] das Individuum mit dem Universum, indem er das Wort dieses Individuums aufnimmt und ins Unendliche weiterträgt« 23. Anhand des Magnifi-

Vgl. zum Folgenden: Ders., GuA, 170–173, 255 f. Vgl. Kap. 4.3.2. 20 Ebd., 256. 21 Vgl. ebd., 173. 22 Schaeffler bezieht sich hier explizit auf Weisheit 1,7: »Der Geist des Herrn erfüllt den Erdkreis, und er, der alles zusammenhält, kennt jeden Laut.« Vgl. ebd., 171 f., 256. 23 Ebd., 172. 18 19

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kats zeigt Schaeffler auf, wie irreführend eine Trennung von individueller und intersubjektiver Betrachtungsweise des Gebetsaktes wäre, wie künstlich im Übrigen hier ebenso die Trennung von anthropologischer und pneumatologischer Betrachtung. Systematisch zugespitzt fragt Schaeffler weiter: Ist das gemeinsame Beten als Konsequenz des individuellen Gebetsaktes aufzufassen, oder ist das »Privatgebet« vielmehr ein aus dem liturgischen Gebet herausgelöster Einzelfall, der notwendig auf die Gemeinschaft der Gläubigen bezogen bleibt? Präziser formuliert: Wie bedingen sich religiöse Sprachhandlungen und religiöse Gemeinschaft? Schaeffler stößt bei der Analyse dieses Verhältnisses auf kontroverse Ansichten: Friedrich Heiler wie auch Bernhard Welte betrachten die Institutionalisierung des Gebetes und der Gebetssprache negativ als »Anzeichen eines beklagenswerten Verlustes an Individualität und Ursprünglichkeit« 24. John R. Searle hingegen hat in der Folge Austins darauf hingewiesen, dass Sprachhandlungen nur wirksam werden, wenn sie innerhalb eines institutionalisierten Kontextes stattfinden und darüber hinaus einen intersubjektiv zugänglichen Aussagegehalt beanspruchen. 25 Denn wie man etwa beim Schachspiel wissen muss, welche Züge in welchen Situationen möglich oder eben regelwidrig sind, so muss man beim »wirksamen« Sprechen wissen, was der entsprechende Satz (wie: »ich taufe Dich …«; »ich spreche Dich los …«) innerhalb einer bestimmten Sprachgemeinschaft bedeutet. Eine dritte Position der Verhältnisbestimmung von Sprachhandlung und Institution begegnet Schaeffler bei Hermann Cohen und Franz Rosenzweig. Diese wird für ihn richtungsweisend und soll daher etwas näher betrachtet werden: 26 Den innersten Kern der Korrelation mit Gott bildet für Cohen der sprachliche Dialog von »Ich« und »Du«, dessen Struktur er aus der Liturgie des Versöhnungstages

24 Ebd., 198. Vgl. Ders., Sinnforderung und Gottesglaube. Rez. Bernhard Welte, Religionsphilosophie, in: PhJ 86 (1979), 201–209, bes. 207 f. Dieses Urteil trifft wohl für Heiler noch mehr zu als für Welte, der zumindest in seiner Religionsphilosophie dem »Gemeindegebet« wie auch dem »kultischen Gebet« eine m. E. angemessene, keineswegs nur defizitäre Bedeutung zumisst. Vgl. B. Welte, Religionsphilosophie, 223– 192; vgl. J. Baßler-Schipperges, Gebet aus dem Schweigen, 84–87. 25 Vgl. J. R. Searle, Sprechakte, 54 ff. Searle spricht hier von »regulativen« sowie von »konstitutiven Regeln«, die innerhalb eines bestimmten »Situationskontextes« die Voraussetzungen für wirksame Sprachhandlungen bilden. Vgl. R. Schaeffler, GuA, 198; vgl. dazu ausführlich: Ders., Wahrheit und Institution, bes. 159–167. 26 Vgl. zum Folgenden auch Kap. 3.2.3.

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ableitet. Rosenzweig konnte diesen sprachlichen Dialog am Beispiel von Gebot, Gebet und Vergebungszusage genauer beleuchten und die Grammatik dieser Sprachhandlungen nachzeichnen. 27 Das individuelle Sündenbekenntnis (»vor Dir allein habe ich gesündigt«, Ps 51,6), das bei Cohen als »Geburtsstunde des sittlichen Individuums« 28 gilt, bleibt für die beiden jüdischen Philosophen nicht Sache des »Privatsubjekts«, sondern zielt auf eine intersubjektive Sprachgemeinschaft ab. Dafür gibt es einen sittlichen und einen religiösen Beweggrund: Einerseits folgt aus der ganz persönlichen Stunde der Umkehr, in der sich der Mensch allein vor Gott verantwortlich weiß, sogleich die Möglichkeit und die Herausforderung erneuerter sittlicher Praxis und führt gerade nicht zum »Rückzug in eine gesellschaftsentfremdete Vereinzelung« 29. Andererseits drängt die Korrelation zwischen Mensch und Gott, die sich in Sündenbekenntnis und Gebet vollzieht, auf eine universale Gebetsgemeinschaft hin, die sich im Lobpreis des einen Namens versammelt. So findet Rosenzweig den grammatischen Fall des »Dativs«, den er als den »bindenden« Kasus des individuellen Gebetes erkannt hat, auch in Formen des gemeinschaftlichen Gotteslobes wieder, etwa im einleitenden Psalm der liturgischen Sabbatfeier: »Auf, laßt uns jubeln dem Herrn, jauchzen dem Fels unseres Heiles« (Ps 95,1). 30 Gott selbst erscheint dabei als der Garant für die Harmonie zwischen bleibender Individualität und Gemeinschaft: »Die vor allem in Sündenbekenntnis und Lobgebet vollzogene Korrelation zwischen dem Menschen und dem Gott, der das Individuum liebt und zugleich die Gemeinschaft, ja zuletzt die Menschheit, im Lob seines Namens versammelt, versöhnt zugleich das Individuum mit der partiellen und universalen Gemeinschaft, statt es in die Menschheit aufzulösen oder der Gattung aufzuopfern.« 31

Für das Verhältnis zwischen Gebet und Institution entnimmt Schaeffler aus den Ausführungen Cohens und Rosenzweigs den weiterführenden Impuls, dass es sich genau betrachtet um ein »gegenVgl. Ders., Die Vernunft und das Wort, 79; Ders., RelPhil, 174–178; Ders., Der Zuspruch des Vergebungswortes, bes. 113–122. 28 Ders., Die Vernunft und das Wort, 81. 29 Ebd., 80. Vgl. Ders., GuA, 202. 30 Zitiert nach Ders., RelPhil, 179. Vgl. auch Ders., Die Vernunft und das Wort, 83; F. Rosenzweig, Der Stern der Erlösung, GS II, 143. Derselbe Ps 95 kehrt interessanterweise als Psalm zum Invitatorium, also am Beginn des täglichen Stundengebetes der Kirche, wieder. 31 R. Schaeffler, RelPhil, 181. 27

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seitiges Bedingungsverhältnis« 32 handelt. Die religiöse Gemeinde und die liturgische Feier bilden den Rahmen dafür, dass eine religiöse Sprachhandlung wirksam vollzogen werden kann. Darin stimmen sie grundsätzlich mit der These Searles überein. Cohen und insbesondere Rosenzweig vertreten aber zugleich die Auffassung, dass die intersubjektive Öffnung der religiösen Sprache und die Weitergabe von Gebetsworten die religiöse Institution erst erzeugen und in dieser Institution schließlich »Gebetsnachfolge« ermöglichen. 33 Der subjektive Akt der Sündenvergebung und das Gebet des Einzelnen zielen auf die Konstitution einer Gebetsgemeinschaft. Durch die korrelative Sprachhandlung von Gebot und Gebet wird das »Privatsubjekt« zum »Glied der Gemeinde« und weiter zum »Platzhalter einer kommenden universalen Sprachgemeinschaft aller Menschen« 34. Der aus der sittlichen Umkehr erwachsene Lobpreis prägt diese Gemeinschaft in formaler wie inhaltlicher Weise: Der Lobpreis Gottes ist sowohl der Entstehungsgrund der Gemeinde als auch ihre primäre Funktion. 35 Schaeffler orientiert sich an der dialogisch-hermeneutischen Verhältnisbestimmung von individuellem und institutionell-gemeinschaftlichem Gebet in der Tradition Cohens und Rosenzweigs. Doch es gelingt ihm ein wichtiger Schritt über deren Konzepte hinaus, indem er die Gebetsgemeinschaft näherhin als eine »Erzähl- und Überlieferungsgemeinschaft« versteht. Religiöse Intersubjektivität wird durch eine dynamische Weitergabe des empfangenen Wortes begründet, das kein menschliches Eigentum ist, sondern dessen Bestand allein durch die Treue Gottes gewährleistet wird. Jeder Beter ist immer schon in diese Erzähl- und Überlieferungsgemeinschaft integriert, trägt aber durch sein persönliches Gebet dazu bei, dass diese Gemeinschaft aufgebaut und auf Zukunft hin gefestigt wird. 36 Die Institution geht dem individuellen Gebet also voraus und sie geht aus ihm hervor: »sofern der Beter immer schon einer solchen Erzähl- und Überlieferungsgemeinschaft eingefügt ist, geht die Institution seinem individuellen Sprechen ermöglichend voraus. Andererseits stiftet der Beter, indem er seinen Lobpreis nicht nur innerlich Gott darbringt, sondern öffentlich und für alle

32 33 34 35 36

Ebd. Vgl. Ders., GuA, 199, 201. Ders., RelPhil, 178. Vgl. ebd., 179 f. Vgl. auch T. Deutsch, O-Ratio, 166 f. Vgl. R. Schaeffler, GuA, 202.

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vernehmbar ausspricht, neue Formen und Inhalte einer Gebetsüberlieferung. Und insofern geht die Institution aus seiner Sprachhandlung in verwandelter Form hervor.« 37

Dieses Bedingungsverhältnis von Gebet und Institution findet Schaeffler theoretisch fundiert durch den Schweizer Sprachwissenschaftler Ferdinand de Saussure und seiner für diese Disziplin wegweisenden Unterscheidung von »langue« und »parole«: 38 Alles Sprechen (»parole«, dt. auch »Rede«) geschieht in einer vorgeprägten Sprache (»langue«); jede Sprache (»langue«) entsteht, lebt und verändert sich im konkreten Sprechen (»parole«). Mit den Worten de Saussures ausgedrückt: »Die Sprache ist erforderlich, damit das Sprechen verständlich sei und seinen Zweck erfülle. Das Sprechen aber ist erforderlich, damit die Sprache sich bilde.« 39 Mit dieser präzisen Verhältnisbestimmung wird de Saussure für Schaeffler über Cohen und Rosenzweig hinaus zum Gewährsmann für die Zuordnung von religiöser Institution und Gebet als Sprachhandlung: »Wie Sprache und Rede sich wechselseitig bedingen, so auch Institution (als Regelgefüge) und konkret vollzogene Handlungen.« 40 Aus diesem sprachwissenschaftlich einschlägigen Hinweis folgert Schaeffler, dass der Beter unabdingbar mit und in überlieferten Sprachgewohnheiten betet, und gar nicht anders beten könnte – dass folglich auch das außerliturgische und scheinbar noch so private Gebet auf eine bestimmte Sprachund Glaubensgemeinschaft aufbaut. 41 Die Gebetssprache einer reli-

Ebd., 202 f. Vgl. F. de Saussure, Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft, Berlin 21967 [franz. Original 1916], bes. 13–24. Vgl. dazu ausführlich den frühen Aufsatz: R. Schaeffler, Sprache als Bedingung und Folge der Erfahrung (1978). Schaeffler hat sich diesen Kerngedanken der Sprachwissenschaft de Saussures’ in verschiedenen Zusammenhängen argumentativ zu Nutze gemacht. Vgl. etwa Ders., Der Beter, sein Gott und seine Welt, 581; Ders., PhE I, 153 f., 233. 39 F. de Saussure, Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft, 22. De Saussure unterscheidet bezüglich der »Sprache« noch einmal zwischen »langue« und »langage«, was im Deutschen nur schwer wiederzugeben ist. »Langue« wäre das theoretische Sprachsystem einer Einzelsprache, während »le langage« die menschliche Sprach- und Redefähigkeit allgemein bezeichnet. Vgl. ebd., 17. 40 R. Schaeffler, GuA, 203 f. 41 Vgl. Ders., Der Beter, sein Gott und seine Welt, 581. Dies lässt sich wiederum am Magnifikat verdeutlichen: Die Beterin bedient sich selbstverständlich der Gebetssprache des jüdischen Volkes, wie sich exegetisch leicht nachweisen lässt. Mit den geprägten Worten ihrer Überlieferungsgemeinschaft versucht Maria ihre neue und überwältigende Glaubenserfahrung zur Sprache zu bringen – nicht ahnend, dass 37 38

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giösen Erzähl- und Überlieferungsgemeinschaft, ihre geschichtliche Kontinuität und Wandlungsfähigkeit ist für Schaeffler höchst aufschlussreich für die religiösen Erfahrungen, die durch sie vermittelt werden. 42 Wie sich der Aufbau einer Gemeinschaft im Austausch von Gebetsworten genau vollzieht, vermag Schaeffler mit Hilfe seines doxologischen Gebetsansatzes noch reichhaltiger zu entfalten. Eine erste, durchaus ausgewogene Zuordnung von individuellem und gemeinschaftlichem Gebet ist Schaeffler, wie diese Darstellung zeigen konnte, bereits in »Das Gebet und das Argument« gelungen. Als Ausgangspunkt für seine weiteren Überlegungen wird auch das angedeutete Verständnis der religiösen Institution als »Erzähl- und Überlieferungsgemeinschaft« dienen.

6.3 Die doxologische Erzähl- und Überlieferungsgemeinschaft 6.3.1 »Der Glaube kommt vom Hören« – oder: Die Exteriorität des Wortes Der Anspruch der »je größeren Wirklichkeit« findet nach Schaefflers Erfahrungslehre im menschlichen Verbum Mentis seine vorläufige Antwortgestalt und kann in Form des Verbum Oris als vernehmbares Wort an andere Menschen weitergegeben werden. Die »je größere Herrlichkeit« Gottes scheint als religiöses Verbum Mentis in der menschlichen Antwort der »Doxologie« auf und erweist sich als »Gotteslob« und »Gottesdienst« nicht zuletzt darin, dass immer weitere Hörer zu eigenverantwortlichen Sprechern des doxologischen

Generationen von Betern sich diese Worte wiederum zu Eigen machen werden. Die Weitergabe dieser Gebetsworte ist, wie Schaeffler betont, im Gebet Mariens bereits intendiert – explizit wie auch kontextuell: explizit, weil Maria sich bewusst in die Tradition Abrahams stellt und daraus die Gültigkeit ihrer Erfahrung für dessen »Nachkommen auf ewig« beansprucht (Lk 1,54 f.); im Erzählkontext, weil Maria ihren Lobpreis (»exultavit spiritus meus«; Lk 1,47), noch bevor er überhaupt ausgesprochen ist, bereits an das ungeborene Kind im Leib Elisabeths weitergibt, das, wie es heißt, »vor Freude hüpft« (»exultavit infans in utero meo«; Lk 1,41 u. 44). Vgl. Ders., GuA, 205. Von dieser biblischen Auslegung wechselt Schaeffler unvermittelt in die transzendentale Denkform und fährt fort: »Ihr [Marias; S. W.] Lobgebet ist ›a apriori‹, d. h. von vorne herein, ein an die noch Ungeborenen weitergegebener Jubel.« Ebd. 42 Vgl. ebd., 204. Beten denken

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Wortes werden. 43 Die Weitergabe des doxologischen Wortes ist für Schaeffler der ekklesiologische Anknüpfungspunkt dieses Gebetsansatzes. Die Rezeption der mittelalterlichen »Verbum-Lehre« (Mentis et Oris) ruft von Anfang an eine Problemstellung hervor, die auch theologisch von großem Interesse ist: Wie kann stringent gedacht werden, dass jenes Wort, von dem im doxologischen Kontext die Rede ist, kein Menschenwort, sondern vielmehr »Gotteswort im Menschenwort« 44 ist? Ob als Verbum Mentis oder als vernehmbares Verbum Oris: Das doxologische Wort muss stets als die in der menschlichen Antwort widerhallende Anrede Gottes erkennbar bleiben. Das Verbum Mentis geht nicht im »Mentalen« auf, es ist mehr als ein inneres Selbstgespräch des Menschen, nämlich Antwort auf die je größere Wirklichkeit. 45 Folglich kann auch das Verbum Oris etwas »Trans-Mentales« übermitteln – mehr als das, was die Subjektivität des Sprechers hervorbringen könnte. 46 Das Wort ist dem Beter, wie Schaeffler immer wieder betont, »ins Herz und auf die Lippen« gelegt, es bleibt auch in der ganz persönlichen Aneignung ein von »außen« zugesagtes Wort, ein »Verbum Externum«. Aus der »Exteriorität des Wortes«, das der menschlichen Verfügungsgewalt enthoben ist, ergeben sich für Schaeffler eine ganze Reihe von theologischen Konsequenzen: »Die Unverfügbarkeit dieser Gabe [bezeugt; S. W.] die Freiheit und, darin eingeschlossen, die Personalität des Gebers, und ›das Heilige‹ erweist sich so als göttliche Person.« 47 Es geht Schaeffler also im Letzten um die prekäre Frage, ob das Wort des Gebetes, das in der Dies wäre in aller Kürze die Grundbestimmung des »doxologischen Gebetsansatzes« in Kap. 5. 44 Unter diesem Stichwort beschäftigt sich Schaeffler in der zweiten Hälfte von »PhE I« mit genau dieser Fragestellung (Vgl. ebd., 213–435). In diesem großflächigen Durchgang lassen sich auch die wichtigsten Thesen bezüglich der intersubjektiven Perspektive des doxologischen Verbum Mentis auffinden. Zusätzlich sollen im Folgenden weitere, eher punktuelle Äußerungen Schaefflers zu dieser Thematik herangezogen werden. Vgl. v. a.: Ders., Die Kirche als Erzähl- und Überlieferungsgemeinschaft, in: W. Geerlings – M. Seckler (Hg.), Kirche sein, Freiburg i. Br. 1994, 201–219, bes. 201–203; Ders., Durch das Wort geschaffen – Für das Wort geschaffen, in: A. Bsteh (Hg.), Christlicher Glaube in der Begegnung mit dem Islam, Mödlingen 1996, 389–400. 45 Vgl. Kap. 5.2.3: »Doxologische Antwort zwischen Selbstgespräch und Verstummen«. 46 Vgl. Ders., Δοξολογία καὶ Οἰκοδομή, 59. 47 Ders., PhE I, 220. 43

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Die doxologische Erzähl- und Überlieferungsgemeinschaft

Gemeinschaft der Glaubenden gesprochen und »gewechselt« wird, hindeutet auf ein kollektives »Selbstgespräch mit verteilten Rollen« 48, oder ob es als Zeugnis für den Dialog mit Gott gewertet werden darf. Mit dieser Frage verbunden ist von jeher eine soteriologische Komponente: Nur ein Wort, das ich mir nicht selbst sagen kann, hat die Macht, heilswirksam zu werden. 49 Die Problematik, die Exteriorität des Wortes als Gottes Wort zu wahren, spitzt sich freilich zu, wenn es als vernehmbares Wort von einem menschlichen Sprecher an einen Hörer weitergetragen wird. Schaeffler hebt diese Fragestellung auf das Niveau seiner transzendentalen Erfahrungslehre, indem er sie als die Alternative zwischen einem gemeinschaftlich geführten »Dialog mit der Wirklichkeit« und einer »bloßen Selbstvergewisserung einer bestimmten historisch konkreten Kommunikationsgemeinschaft« 50 formuliert. Nun gilt nicht nur hinsichtlich des doxologischen Wortes, sondern ganz allgemein für Schaefflers Erfahrungslehre der Grundsatz: »Der Sprecher teilt dem Hörer nicht nur seine subjektiven Ansichten mit, sondern gibt einen Anspruch der Wirklichkeit an ihn weiter.« 51 Der Sprecher verkündet nicht sein Wort, sondern er tritt als Vermittler und im Dienst der »veritas semper maior« auf. Ohne diese selbst vollständig erfasst zu haben, überliefert der Sprecher deren »In-formationsgehalt« im buchstäblichen Sinn einer transzendentalen Formgebung, 52 die den Hörer zur Umgestaltung seines Denkens in der Wechselbeziehung zu all seinen bisherigen Anschauungs- und Denkformen provoziert. In besonderem Maße trifft dieser Grundsatz für das religiöse Wort zu: Der religiöse Sprecher, den Schaeffler in diesem Zusammenhang als »Zeuge« qualifiziert, gibt nicht irgendwelche Informationen weiter, sondern vielmehr den externen Anspruch und die Zu-sage Gottes. Er ist Vermittler eines Wortes, dessen Wirkmächtigkeit je neu und unmittelbar aufleuchtet, und das unver-

Ebd., 221. Vgl. ebd., 221 f. Um die theologische Relevanz dieser Fragestellung wahrzunehmen, sei verwiesen auf O. H. Pesch, Katholische Dogmatik, Teilband I/1: Wort Gottes und Theologie – Christologie, Ostfildern 2008. Der voluminöse Eingangstraktat seiner Dogmatik lautet: »Was heißt ›Wort Gottes‹ ?« Vgl. ebd., 1–369. 50 R. Schaeffler, PhE I, 222. 51 Ebd., 229. 52 Vgl. ebd., 229 f. 48 49

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kennbar als die freie, ungeschuldete und gnädige Zuwendung des Heiligen 53 hervortritt. Der religiöse Sprecher handelt »als Zeuge, der seine eigene Befähigung, auf Anspruch und Zuwendung Gottes zu antworten, als die ihm widerfahrene Gabe einer Umgestaltung zur Neuheit seines Denkens bezeugt. Dieses Zeugnis ist wirksames Wort, indem es die Fähigkeit zum eigenverantwortlichen Zeugnis an den Hörer weitervermittelt.« 54

Der Hörer wiederum muss das Wort seinerseits »verantworten«, indem er es in ein hermeneutisches Beziehungsverhältnis zu all seinen bisherigen Denkformen setzt. Der Hörer kann sich das Wort der Zuwendung Gottes nicht selbst sagen. Auch kein Sprecher könnte es zusagen, sondern allenfalls weitersagen, damit der Hörer durch den Anspruch des Heiligen selbst »den ›Widerschein seiner Doxa‹ auf allem, was ist« 55 erkennt und in der religiösen Erfahrung zur Umgestaltung seines Denkens veranlasst wird.

6.3.2 Die religiöse Gemeinschaft als Erzählgemeinschaft Wie ist die Exteriorität des göttlichen Anspruchs mit der Möglichkeit seiner Weitergabe, Vermittlung und Aneignung zu vereinbaren? In dieser Frage erkennt Schaeffler die zentrale Problematik im Aufbau einer religiösen Sprachgemeinschaft. Und er glaubt, diese mit Hilfe seiner Theorie der Erfahrung lösen zu können, indem er noch einmal auf die Verhältnisbestimmung von »Wort« (beziehungsweise »Sprache«) und Kommunikationsgemeinschaft zurückkommt. Die Theorie de Saussures’ auf die vorliegende Problemkonstellation anwendend kann Schaeffler von einem wechselseitigen Verhältnis von wirkendem Wort und Kommunikationsgemeinschaft ausgehen: Das gesprochene Wort setzt die Kommunikationsgemeinschaft ebenso voraus, wie diese sich durch den Gebrauch der Sprache bildet und in ihrer Eigenheit entfaltet. 56 Der zweite Aspekt ist hier der entscheidende: Die Aufmerksamkeit für die Pluriformität und Strukturverschiedenheit unterschiedlicher Erfahrungsweisen, die Schaefflers Theorie durchgängig prägt, findet auch im Verhältnis von »Verbum Mentis 53 54 55 56

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Vgl. ebd., 230. Ebd., 231. Ebd., 232. Vgl. ebd.; vgl. ausführlicher ebd., 157–160; Ders., GuA, 198–205.

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et Oris« und der jeweiligen Kommunikationsgemeinschaft ihren Niederschlag. Die Sprache einer bestimmten Gemeinschaft ist hervorgegangen aus einem Ringen »an den Grenzen der vorgefundenen Sprache« 57 mit dem Anspruch der Wirklichkeit, die ihr begegnet. Jede partikulare Sprache gibt daher Auskunft über den Anspruch, auf den sie antwortet, und zeigt charakteristische Eigenheiten entsprechend ihrem »Gegenstand«. Die von Schaeffler beispielhaft angeführte »communitiy of investigators and interpreters« – etwa eine (natur-) wissenschaftliche Forschergruppe – lässt anhand ihrer sprachlichen Äußerungen und Dokumente erkennen, dass sie von der regulativen Idee der »universalen Vertretbarkeit« ihrer Mitglieder ausgeht. 58 Wenn man demgegenüber eine Gemeinschaft von Literaturwissenschaftlern betrachtet, die sich etwa um die Interpretation von Hölderlins Hymnen bemüht, dann wird sogleich deutlich, dass es nicht nur eine Art von Kommunikationsgemeinschaft und daher auch nicht nur eine Weise der Prüfung von Geltungsansprüchen geben kann. 59 Die religiöse Gemeinschaft – darauf zielt Schaefflers Argumentation – weist ebenfalls strukturelle Eigenarten auf, die sich an der spezifischen Sprache dieser Gemeinschaft ablesen lassen. Es leuchtet ein, dass die Subjektivitätsweise innerhalb einer religiösen Gemeinschaft sich nicht dem Ideal der »unterschiedslos für alle« 60 geltenden Vertretbarkeit verschreibt, sondern sich im Gegenteil in dem unvertretbaren, individuellen »in-Anspruch-genommen-sein« durch die numinose Wirklichkeit zeigt, von dem bereits die Rede war. In einer ersten Annäherung beschreibt Schaeffler die religiöse Gemeinschaft als »Erzählgemeinschaft«. 61 Im Akt des Erzählens kann ein einheitlicher Erfahrungskontext aufgebaut werden, indem Vergangenes im Blick auf die Gegenwart und Gegenwärtiges im Blick auf die Vergangenheit »organisiert« wird. 62 Der »Erzählakt« richtet sich über die subjektive, geschichtliche Verknüpfungsleistung des Ders., PhE I, 233. Vgl. ebd., 233; Ders., EDW, 356; vgl. auch Ders., Die religiöse Sprache, 121 f. Der Terminus der »indefinite community of investigators« geht auf Charles S. Peirce zurück und wurde abgesehen von Schaeffler auch von K.-O. Apel in dessen transzendentaler Sprachpragmatik aufgegriffen. 59 Vgl. Ders., PhE I, 233–236. 60 Ders., Die Kirche als Erzähl- und Überlieferungsgemeinschaft, 209. 61 Vgl. zum Folgenden: Ders., PhE I, 236–239; Ders., EDW, 471–473. 62 Schaeffler bezieht sich hier auf die Geschichtsphilosophie Arthur G. Dantos. Vgl. dazu Kap. 4.2.1. 57 58

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Einzelnen hinaus meist auch an einen externen Hörer. Der Erzähler beschreibt seine eigene Gegenwart und seine erinnerte Vergangenheit so, dass sie dem Hörer als Angebot erscheint, auch sein eigenes Leben im Licht dieser Erzählung neu zu sehen. Die Erzählung ist so immer schon auf Antwort und Aneignung angelegt und gewinnt darin zuletzt das Kriterium ihrer Objektivität: »Auch für den Erzähler bewährt sich die objektive Geltung des Erzählens dadurch, daß es von fremden Hörern und Lesern angeeignet und in ein hermeneutisches Wechselverhältnis zu ihren eigenen Erinnerungen und Erlebnissen gebracht werden kann.« 63 Das Verbum Oris des Erzählens wirkt auf das Verbum Mentis des Erzählers zurück und bringt einen Prozess des Verstehens und Interpretierens der eigenen »Lebens-Geschichte« im Lichte anderer Erzählungen in Gang. »Der Dialog mit dem Wirklichen, aus dem die Erfahrung hervorgeht, bewährt sich im Dialog zwischen Menschen, die unterschiedliche Erfahrungen zu bezeugen haben.« 64 Im gegenseitigen Erzählen und Aneignen von Erzählungen vollzieht sich der Aufbau einer Kommunikationsgemeinschaft, genauer: einer »Erzählgemeinschaft«. Diese Gemeinschaft hat schließlich für den Erkenntnisprozess der einzelnen Glieder transzendentale Bedeutung, denn sie ermöglicht dem Einzelnen, »subjektive Erlebnisse« mit Hilfe des hermeneutischen Prozesses in »objektive Erfahrungen« zu verwandeln. Als ein biblisches Musterbeispiel führt Schaeffler den nachösterlichen Erzählvorgang im gegenseitigen Austausch der Auferstehungszeugnisse an. Die beiden »Emmausjünger« kehren gemäß dem Schlusskapitel des Lukasevangeliums nach ihrer persönlichen Erfahrung mit dem Auferstanden nach Jerusalem zurück und werden dort von den »Elf« bereits mit folgenden Worten in Empfang genommen: »Der Herr ist wahrhaftig auferstanden«! (Lk 24,34). Daraufhin »erzählten« – im Griechischen steht hier »ἐξηγοῦντο« – auch die beiden Jünger von ihrer Erfahrung mit dem Auferstandenen auf dem Weg und beim Brotbrechen. Anhand dieser kurzen Erzählsequenz, die im liturgischen Wechselruf (»immo vero resurrexit«) 65 die Auferstehungsbotschaft bis heute immer neuen Generationen tradiert, wird für Schaeffler der Aufbau einer religiösen KommunikationsgemeinR. Schaeffler, PhE I, 237. Ders., Die Kirche als Erzähl- und Überlieferungsgemeinschaft, 217. Vgl. Ders., PhE I, 157–160, 238. 65 Vgl. Ders., PhE I, 246. 63 64

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schaft als Erzählgemeinschaft sowie die Objektivitätsweise religiöser Erfahrung transparent: »Unterschiedliche Subjekte haben unterschiedliche Erfahrungen gemacht und verhalten sich insofern keineswegs als ›vertretbare Repräsentanten aller Vernunftsubjekte‹, sondern haben jeweils etwas zu sagen [und zu erzählen; S. W.], was die jeweils anderen sich nicht selber sagen könnten.« 66 An diesem Beispiel wird überdies deutlich, dass es in religiösen Kommunikationsprozessen nicht darauf ankommt, dass am Ende »alle das Gleiche sagen« 67, sondern dass die Sprecher in der Unterschiedlichkeit ihrer Erzählungen einen identischen Anspruch wiedererkennen. Die Erzählgemeinschaft ist daher immer auf inhaltliche Ergänzung und intersubjektive Bewährung hin angelegt. Die Struktur dieser Art von Kommunikationsgemeinschaft, bei der es nicht zuerst um den Austausch von stichhaltigen Argumenten, sondern von unverwechselbaren Zeugnissen geht, hält Schaeffler für die angemessene Beschreibung von religiöser Intersubjektivität, so dass er zu dem Schluss kommt: »Darum ist primär die Erzählung die angemessene Sprachform religiöser Rede.« 68

6.3.3 Die doxologische Wechselrede und der Zusammenhang von Doxologie und Oikodomé Bleibt man Schaefflers Ausführungen zur religiösen Kommunikationsgemeinschaft weiter auf der Spur, so zeigt sich, dass es für ihn im Austausch und der Weitergabe des religiösen Wortes inhaltlich vor allen Dingen um den Lobpreis Gottes, die Doxologie, geht. Dies ist nicht verwunderlich, wenn man sich von Schaeffler daran erinnern lässt, dass »die objektive Geltung des Verbum Mentis in seiner spezifisch religiösen Gestalt darauf beruht, daß es dem Anspruch und der Zuwendung des Heiligen durch den Lobpreis entspricht« 69. Was sich von Schaeffler für das religiöse Verbum Mentis konstatieren ließ, gilt nicht weniger für das Verbum Oris und für den Aufbau einer religiösen Kommunikationsgemeinschaft: »Die Sprache, in der die religiöse Ders., Die Kirche als Erzähl- und Überlieferungsgemeinschaft, 209. Ebd., 210. 68 Ebd., 208. 69 Ders., PhE I, 239. Vgl. Ders., PhE II, 78: »Die Doxologie ist die Gestalt des Verbum Mentis (und folglich auch des Verbum Oris), durch die es gelingt, religiöse Erlebnisse in spezifisch religiöse Erfahrungen zu verwandeln.« Vgl. dazu Kap. 5.2.4. 66 67

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Kommunikationsgemeinschaft sich aufbaut, ist […] primär die Sprache des Gotteslobs.« 70 Schaeffler gelangt schrittweise zu einer Theorie des Aufbaus der religiösen Kommunikationsgemeinschaft, die – philosophisch begründet und biblisch verankert – seinen doxologischen Gebetsansatz erst vollständig zur Entfaltung bringt: Das religiöse Verbum Oris als die Weitergabe des Zuspruchs und Anspruchs der Freiheitsmacht Gottes findet seine originäre Ausdrucksform in der »Doxologie«. Und das Wort, welches das hermeneutische Wechselverhältnis unter religiösen Sprechern begründet und den Aufbau der religiösen Kommunikationsgemeinschaft vorantreibt, ist daher in erster Linie das »doxologische Wort«. In einem Satz zusammengefasst schreibt Schaeffler: »Das religiöse Wort hat primär doxologischen Charakter, und die religiöse Kommunikationsgemeinschaft konstituiert sich immer neu durch die Ermächtigung zu solcher Doxologie.« 71 Die Weitergabe des doxologischen Wortes darf, wie schon angedeutet, nicht als einseitiges Geschehen verstanden werden, sondern als gegenseitiges Sprechen und vor allem als ein gemeinsames Hören auf die je größere Herrlichkeit Gottes, die in dieser Wechselrede aufleuchtet. In der Dialogizität des doxologischen Wortes kehrt ein Merkmal der Erfahrungslehre Schaefflers wieder, das sich angesichts der Erfahrung des Heiligen noch verstärkt. Mehr als bei jedem anderen »Erkenntnisgegenstand« wird uns bewusst, dass unsere Auffassungskraft, unser Anschauen und Denken begrenzt ist. Gerade dies aber können wir noch erkennen: dass der entgegenkommende Anspruch größer ist als unsere Antwort in Gestalt des doxologischen Verbum Mentis; dass zudem – und hier wendet sich der Blick auf die religiöse Kommunikationsgemeinschaft – dieser Anspruch »mehr« ist, als er »für uns« ist: 72

70 Ders., PhE I, 239. Schaeffler führt zur Veranschaulichung dieser These wiederum eine biblische Gestalt an: Die »Prophetin« Mirjam, die laut Schaeffler »nicht deshalb ›Prophetin‹ genannt [wird; S. W.], weil sie in besonderen Auditionserlebnissen Gott sprechen gehört hätte, sondern weil sie den ›Töchtern Israels‹ vorauszog und sie das ›Schilfmeerlied‹ singen gelehrt hat.« Ebd.; vgl. Ex 15,20 f. 71 Ebd., 240. 72 Vgl. Ders., Δοξολογία καὶ Οἰκοδομή, 61 f. Hier zeigt Schaeffler deutlich auf, wie uns die Abundanz des Erkenntnisgegenstandes zu einem Perspektivwechsel nötigt, zur Einbeziehung einer »anderen Perspektive« – aber auch zur »Perspektive Anderer«.

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»Wir erfassen die Sache nur als die ›gemeinsame Sache‹, die zum Thema des Dialogs mit anderen Subjekten werden kann. […] Wir erkennen: Wir haben die Erfahrung, die wir gewonnen haben, nicht nur um unserer selbst willen gemacht, sondern zugleich dazu, ihren Anspruch an andere zu vermitteln und diese Anderen zu ihrer, für uns vielleicht überraschenden Antwort zu befähigen.« 73

Mehrere Motive kommen hier zusammen: Die Ausweitung des Dialoges ist der Begrenztheit der je eigenen Perspektive geschuldet und ergibt sich aus dem Streben nach größerer Objektivität. Sie liegt also in der Suche nach Möglichkeiten der »Selbstkritik« und der »Bewährungsprobe« der eigenen Erfahrung begründet. Die Erweiterung der dialogischen Perspektivität auf die Ebene der Kommunikationsgemeinschaft hin hat insofern einen epistemologischen Grund: »Der Aufbau der im Gotteslob versammelten Gemeinde ist jene besondere Art von Intersubjektivität, in der der spezifisch religiöse Objektivitätsanspruch sich bewährt.« 74 Dazu kommt ein zweites, qualitatives Motiv: Was in der religiösen Erfahrung erfahren wird – davon war bereits ausführlich die Rede – ist das »Aufleuchten der göttlichen Herrlichkeit«. Diese Erfahrung muss nach Schaeffler als ungeschuldete und freie Gabe verstanden werden, die dem religiös Erfahrenden zur Auf-gabe wird: »Der Mensch, dem sie zuteil wurde, weiß sich zum Zeugnis für Gottes Herrlichkeit berufen und verpflichtet.« 75 Die Berufung zum »Gotteslob« weitet sich aus zum »Gottesdienst« in Form der lebendigen Zeugenschaft für Gottes Herrlichkeit. 76 Derjenige, der die Erfahrung der aufleuchtenden Herrlichkeit gemacht hat, bezeugt das externe Wort der freien göttlichen Zusage, und zwar entsprechend der beiden Weisen, wie Gottes Herrlichkeit unter den Menschen aufleuchten kann: in der Schöpfung (als »Herrlichkeit Gottes auf dem Antlitz jeder Kreatur«) 77 und in der Geschichte (als bezeugte Heilstat Gottes). 78 Während im ersten Fall die Aufgabe des Ebd., 61. Weil Schaeffler in dieser Passage die Dialogizität der Erfahrung sehr grundsätzlich aufzuweisen versucht, spricht er – für den engeren Kontext der Doxologie etwas befremdlich – von einer »Sache«. 74 Ders., PhE I, 241. 75 Ebd., 243. Schaeffler weist erneut auf das jüdische Gebet »Alejnu« hin, das genau dies ausdrückt: »Uns obliegt es, zu preisen den Herrn des Alls …« 76 Vgl. Kap. 5.3. 77 Schaeffler bezieht sich hier auf Jes 6,3; 2 Kor 4,6; 3,13. 78 Vgl. zu den beiden Erscheinungsformen der Herrlichkeit Gottes: Ders., Δοξολογία καὶ Οἰκοδομή, 62 f.; vgl. auch Ders., PhE I, 243. 73

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Zeugen »allein« darin besteht, die Wahrnehmung des Hörers darauf zu richten, diese Herrlichkeit zu entdecken, ist für die Erkenntnis von Gottes geschichtlichen Taten eine hermeneutische Vermittlung notwendig. Diese geschieht in der doxologischen Wechselrede. 79 Die sprachlichen Voraussetzungen dafür, dass ein Austausch von Zeugnisworten gelingen kann, sind aber nicht einfach vorhanden, sondern bilden sich mit diesem hermeneutischen Prozess erst heraus. Entsprechend des ausgeführten Zusammenhangs von Sprache und Rede entsteht eine doxologische Sprache, in der das Aufleuchten der Herrlichkeit Gottes möglichst so ausgedrückt wird, dass sich andere Sprecher mit ihrer Erfahrung derselben Herrlichkeit darin wiederfinden. Kennzeichen einer tatsächlichen »Wechselrede« ist dabei, dass sich die ursprüngliche Rollenzuteilung von Sprecher und Hörer, Autor und Rezipient, zu einem ebenbürtigen Dialogverhältnis ausweitet, um so das diesem zwischenmenschlichen Verhältnis noch einmal äußerliche Wort (Verbum Externum) vernehmbar zu machen. Mit den Worten Schaefflers: »Die doxologische Wechselrede ist […] in Anrede und Antwort ebenso geist-erfülltes (›in-spiriertes‹) wie geist-vermittelndes (›in-spirierendes‹) Wort.« 80 Die doxologische Rede wird, sofern sie alle ihre Antwortmöglichkeiten ausschöpft, über den liturgischen Lobpreis hinausgehen und das Aufleuchten der Herrlichkeit Gottes auch in anderen Lebensbereichen bezeugen, etwa in der sittlichen Praxis. 81 Lobpreis Gottes im engeren Sinne von Gebet, Gottesdienst und Ritus, bei dem Gott als unmittelbarer Adressat des Lobes angerufen wird (»ad maiorem Dei gloriam«) weitet sich aus zum »Lobpreis des ganzen Lebens« – »ut in omnibus glorificetur Deus«. 82 Religiöse Kommunikationsgemeinschaft entsteht durch doxologische Wechselrede. Dieser Gedanke erscheint konsequent, insofern die Doxologie für Schaeffler die ursprüngliche und angemessene Antwort auf das »Heilige« ist, um das es schließlich in dieser spezifischen Sprachgemeinschaft geht. Als eine konkrete und lebendige Beschreibung der wechselseitigen Weitergabe des Zeugnisses zitiert Schaeffler aus den geistlichen Gemeindeunterweisungen des ersten Vgl. Ders., Δοξολογία καὶ Οἰκοδομή, 62 f. Ders., PhE I, 248 f. 81 Darauf wurde bereits am Ende von Kap. 5. hingewiesen. 82 Vgl. ebd., 249. Mit dem Rekurs auf diese beiden lateinischen Leitsätze verbindet sich, nebenbei bemerkt, Schaefflers biographische Nähe zur ignatianischen wie benediktinischen Spiritualität. 79 80

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Korintherbriefes (1 Kor 14,26): »Wenn ihr zusammenkommt, dann hat jeder einen Psalm, hat eine Belehrung, hat eine Offenbarung, hat ein Wort in Zungenrede, hat eine Auslegung. Alles aber geschehe zur Auferbauung [gr. »οἰκοδομὴν«; S. W.] der Gemeinde.« 83 Dem für Schaeffler zentralen Wort der »Auferbauung« der Gemeinde muss in diesem Zusammenhang noch weiter nachgegangen werden – nicht zuletzt, um besser zu verstehen, was die landläufige Rede von der »Erbaulichkeit« des Gebetes wirklich meint: Schaeffler gewinnt seinen Begriff der »Oikodomé« (Auferbauung) vor allem aus der paulinischen Gemeindetheologie. Am Anfang steht der jüdische Tempel, der in der Septuaginta schlicht als »οἶκόϚ« bezeichnet wird. 84 Dieses »Haus« wird zum Haus Gottes und zum Heiligtum, weil es der Ort ist, wo der Name Gottes »wohnt«, das heißt der Ort, wo sein Name angerufen werden kann. 85 Ausgehend vom doxologischen Gebetsansatz liegt für Schaeffler in diesem Zusammenhang der Verweis auf Ps 26,8 nahe, wo es heißt: »Herr, ich liebe den Ort, wo dein Tempel steht, die Stätte, wo deine Herrlichkeit wohnt.« So kann Schaeffler prägnant formulieren: »Der Tempel ist […] der ›Wohnort‹ von Name und Herrlichkeit Gottes.« 86 Auch in den Evangelien wird der Tempel »οἶκόϚ τοῦ θεοῦ« genannt, weil dort Gottes Name angerufen und seine Herrlichkeit gepriesen wird. 87 In der Urkirche ist diese Funktion des Tempels, erst recht nach der Zerstörung des Jerusalemer Tempels, auf die Gemeinde selbst übertragbar geworden. 88 Im ersten Petrusbrief heißt es schließlich in einer für Schaeffler zentral gewordenen Stelle: »Lasst euch als lebendige Steine aufbauen zu einem geistigen Haus« (1 Petr 2,5). Jedes einzelne

83 Zitiert nach Ders., PhE I, 241. Vgl. zur »Zungenrede« als Grenzphänomen religiöser Sprache: Ders., Der Beter, sein Gott und seine Welt, 582 f.; Ders., GuA, 256 f.; Ders., »Lieber fünf Worte mit Verstand als zehntausend im Zungenreden!«, in: H. Meinusch – R. Toellner (Hg.), Einheit der Wissenschaft, Opladen 1993, 160–186. 84 Vgl. Art. »οἶκόϚ«. 2. »›Haus‹ und ›Haus Gottes‹ im AT«, in: ThWNT, Bd. V, 123 f. 85 Schaeffler verweist auf Jes 18,7 und 2 Sam 6,2; vgl. R. Schaeffler, Der Beter, sein Gott und seine Welt, 581. 86 Ebd. Vgl. auch ebd. Schaefflers Verweis auf Ps 22,4: »Du thronst über dem Lobpreis Israels.« Vgl. Kap. 5.3. 87 Vgl. Mt 12,4 par.; vgl. auch »οἶκόϚ προσευχῆϚ« (»Haus des Gebetes«): Mt 21,13 par. 88 Die Gemeinde als Haus bzw. Tempel Gottes ist eines der ekklesiologischen Leitmotive der neutestamentlichen Briefliteratur. Vgl. Art. »οἶκόϚ«, in: EWNT, Bd. II, Sp. 1222–1229, bes. 1226.

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Wort dieses Verses scheint genau betrachtet für Schaefflers Gedanken der »oikodometischen Doxologie« bedeutsam: Die passive Verbform (»οἰκοδομεῖσθε« – »lasst euch aufbauen«) macht deutlich, dass dieser Bau nicht das Werk des Menschen ist, sondern auf das in der doxologischen Wechselrede wirkende Verbum Externum zurückgeht, und »daß solche ›Auferbauung‹ nur durch Gott selbst gewirkt werden kann« 89. Der Bau des Wohnortes Gottes ist daher niemals ein menschliches Kunstwerk, sondern ein »geistgewirkter« und »geistinspirierter« Bau (»οἶκόϚ πνευματικὸϚ«). 90 Die christliche Gemeinde, von der hier die Rede ist, entsteht aus vielen einzelnen Gliedern, aus »lebendigen Steinen«, die sich zu einem einzigen Gebilde zusammenfügen. Der Schlussstein dieses Hauses aber ist Christus, 91 der gemäß dem ersten Petrusbrief als der »lebendige« und »auserwählte« Stein schlechthin gilt – aber ebenso als ein »Stein des Anstoßes« 92 und als Stein, »den die Bauleute verworfen haben« 93. Systematisch gewendet: Die doxologische Wechselrede ist nach Schaeffler der Kommunikationsprozess der Weitergabe, Aneignung und erneuten Weitergabe des religiösen Verbum Mentis. Der je größere Anspruch, den das Verbum Externum an den Sprecher wie den Hörer stellt, fordert alle an diesem Prozess Beteiligten zur »Formatio Mentis« auf. Epistemologisch lässt sich dieser Vorgang weniger als Mitteilung im äußerlichen Sinne, sondern als innere Erleuchtung durch die göttliche Doxa beschreiben, durch die »alles, was ist« mit anderen, neuen Augen gesehen wird. Insofern führt die doxologische Wechselrede durch menschlich-mitmenschliche Vermittlung zu einer

R. Schaeffler, PhE I, 244. Die Unschärfe der Einheitsübersetzung (»geistiger Bau«) ist an dieser Stelle missverständlich. 91 Schaeffler liest die Stelle 1 Petr 2,5 offensichtlich in enger Verbindung mit Eph 2,20–22, so dass er – nicht ganz korrekt – den Ausdruck »Tempel aus lebendigen Steinen« als charakteristisch paulinisch betrachtet. Vgl. Ders., GuA, 288; Ders., PhE I, 432. Das Verb »οἰκοδομέω« bezieht sich in der neutestamentlichen Briefliteratur immer auf die »ἐκκλησία« und kann als ein typischer Gemeindebegriff gelten. Vgl. Art. »οἰκοδομέω«, in: EWNT, Bd. II, 1211–1218, bes. 1212 u. 1214–16 f.; vgl. auch Art. »οἰκοδομέω«, in: ThWNT, Bd. V, 139–147. Das Substantiv »οἰκοδομή« (»Aufbau«; »Erbauung«), das Schaeffler aufgreift, ist in der Tat ein typisch paulinischer Begriff. Von 18 Stellen im NT findet er sich 15 Mal bei Paulus und fast immer mit ekklesiologischer Konnotation. 92 1 Petr 2,8; vgl. Jes 8,14. 93 1 Petr 2,7; vgl. Ps 118,22. 89 90

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»transzendentalen Erfahrung«. Die horizonteröffnende und verwandelnde Erfahrung wiederum bewegt denjenigen, der diese Erfahrung gemacht hat, zum ausdrücklichen Zeugnis für die göttliche Doxa und zur Weitergabe des doxologischen Verbum Mentis. Dadurch geschieht der Aufbau einer Gemeinschaft von Zeugen, für die Schaeffler den biblischen Begriff »Oikodomé« einführt: eine lebendige und vielstimmige Gemeinschaft von Hörern und Sprechern des doxologischen Wortes, die – weil sie dem Lobpreis Gottes in und unter sich Raum geben – das »Haus Gottes« aufbauen, in dem sein »Name« wohnt und in dem er angerufen werden kann. Kirchliche Gemeinschaft entsteht und existiert für Schaeffler deswegen in erster Linie dadurch, dass sie sich in ihrer primären Aufgabe, dem Gebet, als »erbaulich« erweist. 94 Ihre Erbaulichkeit wiederum kann als Kriterium dafür gelten, ob dem Anspruch der göttlichen Doxa auf angemessene und »geist-inspirierte« Weise geantwortet wird. 95 Denn ebenso wie die doxologische Wechselrede nur gelingt, wenn das göttliche Wort durch die menschliche Rede nicht übertönt, sondern vielmehr transparent gemacht wird, so kann auch die Gemeinde nur aufgebaut werden, wenn die Wirksamkeit des Wortes (Verbum efficax) nicht der doxologischen Antwort, sondern der je größeren Herrlichkeit selbst geschuldet ist, die hier »verherrlicht« wird. Nur dann gilt: »Das auferbauende Wort des Menschen ist die vernehmbare Gestalt für jenes Wirken des Geistes, durch das Gott selbst seinen Tempel als ein ›geistgewirktes Haus‹ auferbaut.« 96 Die intersubjektive Dimension des Doxologiegedankens Schaefflers ist mit dem ekklesiologischen Bild des Hausbaus (Oikodomé) keineswegs erschöpft. Vielmehr weitet Schaeffler den Gedanken der doxologischen Wechselrede vom Dialog unter Zeitgenossen aus auf den Dialog zwischen verschiedenen Generationen – mit anderen Worten: Schaeffler lenkt den Blick von der synchronen Kommunikationsgemeinschaft zur diachronen Überlieferungsgemeinschaft.

Vgl. R. Schaeffler, GuA, 288: »Die Grundbedeutung des Wortes ›erbaulich‹ besagt exakt dies: dem Aufbau der Gemeinde dienend. Aber die Begriffsgeschichte hat dazu geführt, daß ›Erbaulichkeit‹ heute als Pflege einer rein individuellen Innerlichkeit mißverstanden wird.« 95 Vgl. Ders., PhE I, 250. 96 Ebd., 432. 94

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6.3.4 Die doxologische Überlieferungsgemeinschaft und die Notwendigkeit von Tradition und Institution In der religiösen Kommunikationsgemeinschaft bringt die religiöse »Rede« die religiöse »Sprache« einerseits hervor, andererseits aber greift sie selbstverständlich auf diese zurück. 97 Jede Sprache (»langue«) ist das Ergebnis der Geschichte einer bestimmten Sprachgemeinschaft und der darin geronnenen Erfahrungen. Jeder Sprecher muss in diese Sprache zunächst eingeführt werden, um ein Mitglied dieser Kommunikationsgemeinschaft und in der ihr spezifischen Weise erfahrungsfähig zu werden. Transzendental betrachtet heißt dies, dass die gegenwärtigen Sprecher an der »Formatio Mentis« früherer Generationen Anteil nehmen. Alte Sprachgewohnheiten zu überliefern ist jedoch nur dann sinnvoll, wenn die damit verbundenen Erfahrungen mit-überliefert werden, wenn also bestimmte Ereignisse aus der Geschichte der Sprachgemeinschaft erinnert und als »denkwürdig« herausgestellt werden. 98 Um in die Überlieferungsgemeinschaft einzutreten, müssen neben den Sprachgewohnheiten also auch die typischen Inhalte dieser Sprache erlernt werden. Zur Vergewisserung darüber, was die vorgefundene Sprache in Bezug auf den je aktuellen Anspruch der Wirklichkeit »besagen« kann, ist es daher ratsam, wenn nicht sogar notwendig, in den geschichtlichen Dialog mit der eigenen Überlieferungsgemeinschaft zu treten. Ein zweiter, ebenso einleuchtender Grund für den Rekurs auf die Sprache der Überlieferungsgemeinschaft ergibt sich daraus, dass die Prozesse der »Umgestaltung des Denkens« den Horizont der aktuellen Kommunikationsgemeinschaft und der eigenen Lebensspanne bei weitem übersteigen. Wer naiverweise glaubt, den Dialog mit der Wirklichkeit neu beginnen zu wollen, der wird im Laufe seines Lebens nicht weit voranschreiten. Daher ist der Rückbezug auf den sprachlich überlieferten »status quo« der Erfahrungen einer Gemeinschaft unerlässlich. Ein wichtiges Kriterium der Erfahrungsfähigkeit liegt für Schaeffler Vgl. Kap. 6.2.2. Zur Thematik der (religiösen) Überlieferungsgemeinschaft wird im Folgenden v. a. »PhE I« (bes. 251–290) berücksichtigt. Vgl. aber die wichtigen Vorarbeiten Schaefflers im dritten Teil von »GuA« (246–254; 260–277) sowie in »EDW« (471–473; 512–514). Als Sekundärliteratur zu Schaefflers Theorie der Erzähl- und Überlieferungsgemeinschaft findet sich m. W. nicht mehr als kurze Passagen bei: G. Ludwig, Der Wahrheit auf der Spur bleiben, 135 f., 144–149; sowie bei M. Schrom, Die Kirche als Gebetsgemeinschaft, 53 f., 71 f. 98 Vgl. R. Schaeffler, PhE I, 252. 97

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darin, sich jeweils neu zu fragen, ob die eigenen Antwortversuche »hinter jene Umgestaltung des Anschauens und Denkens zurückgefallen sind, die frühere Generationen unter dem Anspruch des Wirklichen schon durchlaufen haben« 99. Was de Saussure als die Rückwirkung der praktizierten Rede (»parole«) auf die Sprache zu bedenken gab, wäre unter der geschichtlichen Perspektive als der ganz natürliche Vorgang aufzufassen, dass die Geschichte der Überlieferungsgemeinschaft nicht stehen bleibt, sondern mit der Reaktion auf neuartige Erfahrungen stets auch die Sprache dieser Gemeinschaft fortschreibt. 100 Eine religiöse Gemeinschaft muss sich auf die eigene Überlieferung und ihre Sprachgewohnheiten beziehen, um ihrem Auftrag gerecht zu werden, d. h. um das Aufleuchten der Herrlichkeit in der doxologischen Wechselrede zur Sprache zu bringen. Gerade religiöse Gemeinschaften werden in ihrer Entstehung und Überlieferung geprägt von geschichtlichen Ereignissen von bleibender Denkwürdigkeit; 101 für die jüdische und christliche Tradition gehören dazu konstitutiv etwa die Befreiung aus der ägyptischen Sklaverei beziehungsweise die Auferweckung Jesu von den Toten. Die religiöse Kommunikationsgemeinschaft ist um ihres Gegenstandes selbst willen auf eine Ausweitung zur religiösen Überlieferungsgemeinschaft angewiesen. Wenn diese zentralen Erfahrungsinhalte nicht weitergegeben werden, dann werden auch die religiösen Sprachformen bald nicht mehr verstanden und die Sprache wird zur leeren Rede (Kenologia), unfähig, das Aufleuchten der göttlichen Doxa wiederzuerkennen, zu beantworten und weiter zu bezeugen. 102 Schaeffler nimmt in der Frage nach der Möglichkeit religiöser Überlieferung wiederum eine Perspektive der »Dialogizität« ein: Die Ebd., 261. Die gilt laut Schaeffler für alle »National- oder Sachgebietssprachen«. Vgl. ebd., 251 f.; Ders., Δοξολογία καὶ Οἰκοδομή, 64 f. 101 Diese Ereignisse werden meist schriftlich überliefert in Form von normativen oder »kanonischen« Texten. Der Interpretation solcher Texte kommt ein maßgebliches Gewicht zu. Vgl. Ders., PhE I, 290–320 (»Überlieferungsgemeinschaften und die Bedeutung normativer Texte«); vgl. ebd., 329–389 (»Auslegungsaufgaben und Auslegungskunst und ihre Bedeutung für Überlieferungsgemeinschaften«). 102 Vgl. ebd., 252 f.; Ders., Δοξολογία καὶ Οἰκοδομή, 65. Die Anspielung auf den von Schaeffler geprägten Begriff der »Kenologia« scheint hier naheliegend, da seine biblische Bezugsstelle genau darauf verweist: dass die Rede von Gott »leer« wird, wenn sich die Zeugnisse und Lehren nur auf »menschliche Überlieferungen stützen […] und sich nicht auf Christus berufen« (Kol 2,8). Vgl. Kap. 5.1. 99

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gegenwärtige religiöse Kommunikationsgemeinschaft, ihre Sprecher und Hörer, findet eine seit Jahrhunderten geprägte religiöse Sprache und – vermittelt durch diese – »denkwürdige« Inhalte vor. Die aktuelle Kommunikationsgemeinschaft innerhalb einer bestimmten religiösen Tradition sieht sich zunächst vor die Aufgabe gestellt, gemeinsam für eine aktive Aneignung der religiösen Sprachkompetenz zu sorgen und sich die überlieferten Erfahrungsinhalte anzueignen, das heißt »die überlieferte Botschaft vom Aufleuchten der Herrlichkeit Gottes in die je gegenwärtige Doxologie der Glaubensgemeinde zu übersetzen« 103. In der Umwandlung des Denkens durch die gegenwärtige doxologische Wechselrede wird sich schließlich auch die überlieferte religiöse Sprache verwandeln und ihre Ausdruckskraft – so wäre zumindest zu hoffen – präzisieren und ausweiten. Genau besehen handelt es sich bei Schaefflers Konzept also um ein doppeltes, ineinander verschränktes Wechselverhältnis: Die doxologische Rede findet auf der synchronen Ebene der religiösen Kommunikationsgemeinschaft wie auf der diachronen Ebene der religiösen Überlieferungsgemeinschaft statt. Beide Ebenen sind für Schaeffler notwendig aufeinander verwiesen: »Zwischen Überlieferung und aktueller religiöser Erfahrung besteht […] ein hermeneutisches Wechselverhältnis, ohne das weder die Überlieferung noch die religiöse Erfahrung verstanden werden kann.« 104 Insgesamt lässt sich die Geschichte des »Verbum Mentis et Oris« und speziell der doxologischen Rede sogar in dreifacher Perspektive betrachten: auf der Ebene des individuellen Bewusstseins im Laufe seiner Lebensgeschichte (vgl. Kap. 5.2), auf der Ebene der Dialoggemeinschaft (vgl. Kap. 6.3.3) und auf der Ebene der Überlieferungsgemeinschaft. 105 Der Überlieferungsgemeinschaft kommt die transzendentale Bedeutung zu, sich als eine »Schule der Erfahrung« und als Prüfstein der individuellen Erfahrung zu erweisen. Sie erzieht ihre Mitglieder dazu, sowohl »erfahrungsfähig« als auch »erfahrungskritisch« zu werden. 106 Eine »Schule der religiösen Erfahrung« wird sie dann, Ders., Δοξολογία καὶ Οἰκοδομή, 67. Ders., Die Kirche als Erzähl- und Überlieferungsgemeinschaft, 217. 105 Vgl. Ders., PhE I, 260 f. 106 Vgl. insbesondere Schaefflers Einzelstudie: Ders., Die religiöse Überlieferungsgemeinschaft als Schule der Erfahrung, in: L. Boeve – u. a. (Hg.), Religious experience and contemporary theological epistemology, Leuven 2005, 41–51. Erfahrung bedeutet für Schaeffler auch hier ganz im Duktus der kantischen Neuinterpretation, dass durch die Umwandlung der Anschauungsformen und Begriffe subjektive religiöse »Erleb103 104

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wenn immer neue Hörer in die »aktive Sprach- und Handlungskompetenz« 107 eingeführt werden und lernen, im Hören auf die Tradition eigenverantwortlich und vernunftautonom in die Doxologie und den »Gottesdienst des Lebens« einzustimmen. 108 Als ein hervorragender Ort, wo diese religiöse Erfahrungsfähigkeit erlernt und gleichsam »intersubjektiv verobjektiviert« wird, wäre demnach – in einer freilich recht technischen Umschreibung – Kirche zu verstehen: »Die Kirche […] bietet nicht nur die Voraussetzungen dafür, daß religiöse Erfahrungen […] auf ihre objektive Gültigkeit überprüft werden und […] ausgelegt werden können. Diese Erzähl- und Überlieferungsgemeinschaft ist vielmehr, als die für religiöses Sprechen spezifische Form der Intersubjektivität, zugleich die Voraussetzung dafür, daß das Anschauen und Denken ihrer Glieder sich so gestaltet, daß sie zur religiösen Erfahrung fähig werden.« 109

Schaeffler ist überzeugt, dass der Anspruch, den die göttliche Wirklichkeit an den Hörer stellt, nicht abseits der religiösen Überlieferungsgemeinschaft geschieht; selbst dann nicht, wenn der Hörer sich zu ganz neuen Weisen der Antwort ermutigt glaubt. Der Anspruch auf objektive Geltung der eigenen religiösen Erfahrung kann laut Schaeffler nicht glaubhaft erhoben werden, wenn der Bezug zur Geschichte der religiösen Überlieferung aufgegeben wird. 110 Traditionen, so Schaeffler allgemein, »haben eine unersetzliche Funktion bei der Befähigung des Individuums zu seinen eigenen Erfahrungen und heben insofern dessen Selbststimmung nicht auf, sondern machen es fähig, in selbstbestimmter Verarbeitung seiner Erlebnisse die Zufälligkeit individueller Eindrücke und Einfälle in die objektive Gültigkeit von Erfahrungen zu verwandeln.« 111

nisse« zu objektiven religiösen »Erfahrungen« umgewandelt werden. Die religiöse Überlieferungsgemeinschaft entwickelt solche Denkformen und Begriffe, die vom Einzelnen angeeignet werden können. Vgl. ebd., 49; vgl. auch Ders., Innovation und Selbstkritik der Religion als innere Momente ihrer Überlieferung, in: W. Kluxen (Hg.), Tradition und Innovation, Hamburg 1988, 471–487. 107 Ders., Die religiöse Überlieferungsgemeinschaft als Schule der Erfahrung, 51. 108 Vgl. den Abschnitt »Überlieferungsgemeinschaft und Vernunftautonomie«, in: Ders., PhE I, 262–264. 109 Ders., Die Kirche als Erzähl- und Überlieferungsgemeinschaft, 219. 110 Vgl. ebd., 265 f. Vgl. Schaefflers (selbst)kritische Anfrage an die Traditionsvergessenheit in: Ders., EDW, 513. 111 Ders., PhE I, 264. Vgl. auch G. Ludwig, Der Wahrheit auf der Spur bleiben, 135 f. Beten denken

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Im Hören auf die Tradition soll die Autonomie der Vernunft nicht delegiert werden, sondern vielmehr hermeneutisch – und das heißt: sowohl »traditionskritisch« als auch »traditionsbegründend« – zur Anwendung kommen. 112 Damit eine bestimmte Gemeinschaft zur generationenüberdauernden Überlieferungsgemeinschaft werden kann, bedarf es – so Schaeffler weiter – der Institutionalisierung. Es braucht sprachliche wie nichtsprachliche Regelungen, damit Handlungsweisen und Rollen innerhalb einer Gemeinschaft weitergegeben werden können, und damit, wie Schaeffler formuliert, »Funktionsnachfolge« 113 möglich ist. Institutionen sind für Schaeffler aus den oben genannten Gründen »transzendental unentbehrlich«. 114 Auf andere Weise wäre der Im Hintergrund dieser These steht wiederum der bereits mehrfach zitierte »vierte Grundsatz des reinen Verstandes« aus Schaefflers Erfahrungslehre, der kurzgefasst lautet: Keine Erfahrung macht kommende Erfahrungen überflüssig; keine Erfahrung wird durch kommende Erfahrungen bedeutungslos gemacht. Vgl. R. Schaeffler, EDW, 346; Ders., PhE I, 121 u. a. Im Rekurs auf den Erfahrungsbegriff Schaefflers hat sich Siegfried Wiedenhofer mit kirchlichen Überlieferungs- und Traditionsprozessen beschäftigt. Wollte man den skizzierten Traditionsbegriff Schaefflers weiterführen, wäre wohl das Gespräch mit ihm zu suchen. Vgl. u. a.: Ders., Traditionsbegriffe, in: T. Larbig – Ders. (Hg.), Kulturelle und religiöse Traditionen, Münster 2005, 253–279; Ders., Zum gegenwärtigen Stand von Traditionstheorie und Traditionstheologie, in: ThRv 93 (1997), Sp. 443–468; Ders., Die Tradition in den Traditionen, in: D. Wiederkehr (Hg.), Wie geschieht Tradition?, Freiburg i. Br. 1991, 127–172; vgl. unmittelbar zu Schaeffler: Ders., Kirche als Kommunikations- und Überlieferungsgemeinschaft, in: T. M. Schmidt – Ders. (Hg.), Religiöse Erfahrung, Freiburg i. Br. 2010, 218–241. 113 Vgl. R. Schaeffler, PhE I, 280, 285; Ders., PhE III, 41 u. a.; Ders., GuA, 198, 204. In seiner zweiten Bochumer Abschiedsvorlesung aus dem Jahr 2008 [sic!] kommt Schaeffler darauf zu sprechen, auf welche Weise durch Institutionen »Funktionsnachfolge« ermöglicht wird, und er formuliert dazu einen – im Zusammenhang einer Abschiedsvorlesung bezeichnenden – Imperativ: »Rede so, dass der Hörer zum künftigen Sprecher werden kann; handle so, dass diejenigen, an denen du handelst, deine Aufgabe übernehmen können, wenn du aus deinem Dienste ausscheidest!« Ders., Philosophisch – Theologische Grenzfragen. in: Ruhr-Universität Bochum (Hg.), Universitätsreden. Neue Serie Nr. 25, Bochum 2008, 17–31, hier 25. Der Begriff »Funktionsnachfolge« stammt m. W. aus dem Betriebs- und Unternehmensrecht. Als anschauliches Beispiel für institutionell geregelte Funktionsnachfolge nennt Schaeffler Ordensregeln. Sie sollen ermöglichen, dass eine religiöse Gemeinschaft über die Gründungsgeneration hinaus Bestand hat, und dass in ihr klar geregelte Funktionen oder Rollen weiter ausgeführt werden können. Vgl. Ders., PhE III, 511. 114 »Überlieferungsgemeinschaften sind […] notwendigerweise Institutionen.« Ders., PhE I, 280. »Der Maßgeblichkeitsanspruch derartiger Institutionen […] beruht daher nicht zuletzt auf ihrer transzendentalen Unentbehrlichkeit.« Vgl. ebd., 281. 112

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Fortbestand der Überlieferung nicht zu sichern, die eben nicht allein darin besteht, informatives Wissen zu vermitteln, sondern Erfahrungsfähigkeit. 115 Schaeffler pflichtet Searle bei, dass wirksame Sprachhandlungen der Regeln bedürfen, die nur durch ein institutionelles Fundament zu sichern sind. Dessen Ansicht, dass solche Regeln rein »konventionell« zu Stande kommen, teilt er hingegen nicht. 116 Zumindest was die religiöse Überlieferungsgemeinschaft und ihren Wesensvollzug der Doxologie betreffen, muss Schaeffler davon ausgehen, dass hier nicht allein menschliche Vereinbarungen am Werk sind. Zwar ist es angemessen, die doxologische Wechselrede als ein »Rollenspiel« aufzufassen. Die dafür notwendigen Regeln können aber, so Schaeffler, »nicht in jedem Einzelfall neu erfunden werden, sondern haben sich in der Geschichte einer Überlieferungsgemeinschaft herausgebildet« 117. Denn das Merkmal der Doxologie ist es, dass sie auf die göttliche Doxa antwortet und dem Aufleuchten dieser Doxa dient. Das doxologische Wort will nicht allein Gott »antworten«, sondern auch immer mehr Menschen weitergesagt werden und so den zentralen Beitrag zur »Oikodomé« leisten. Damit dies gelingt, muss der »Dienst am Wort« institutionell abgesichert sein. Dabei wird vor allem darauf zu achten sein, dass das Charakteristikum dieses Wortes deutlich genug hervortritt, nämlich nicht Menschenwort, sondern freie und ungeschuldete Zuwendung Gottes (Verbum Externum) zu sein. Wenn im Folgenden also unter dem Stichwort »Dienst am Wort« die ekklesiologischen Ämter näher betrachtet werden, die gemäß Schaeffler für die Überlieferung der Doxologie-Fähigkeit verantwortlich sind, müssen zwei Fragen im Blick behalten werden: Erfüllen die Diener am Wort ihre »erbauliche« Funktion, d. h. leiten sie die Glieder zur eigenverantwortlichen Erfahrungsfähigkeit an? Und können die dabei entstehenden Rollenverhältnisse so eindeutig wie möglich offengelegt werden? Denn dies hat Schaeffler von Searle ebenfalls gelernt: »Unreine Sprachspiele sind soziale Versteckspiele.« 118

115 Ein Beispiel wäre die Rechtsgemeinschaft, die in ihrer Überlieferung nicht nur »Sätze«, sondern auch ungeschriebene Gesetze, Gewohnheitsrechte etc. kennt. Überlieferung bedeutet also hermeneutische Aneignung und Aktualisierung, nicht bloße Reproduktion. Vgl. ebd., 281 f. 116 Vgl. ebd., 282–284. 117 Ebd., 284. 118 Ebd., 287; vgl. Ders., PhE III, 484.

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6.4 Beten lernen: Anleitung zur Sprachfähigkeit in der Gemeinde 6.4.1 Der »Dienst am Wort« in der kirchlichen Überlieferungsgemeinschaft Für die Konkretisierung der verschiedenen Rollen und Ämter innerhalb der religiösen Überlieferungsgemeinschaft sind aus den vorangehenden Überlegungen vor allem zwei Thesen von fundamentaler Bedeutung: (1) Die religiöse Überlieferungsgemeinschaft bedarf notwendigerweise der Traditionen und Institutionen, um ihr eigenes Überleben zu sichern und »Funktionsnachfolge« zu ermöglichen. Traditionen und Institutionen dürfen positiv verstanden werden als »Schulen der Erfahrung«. 119 (2) Die Weitergabe des religiösen Wortes an immer neue Hörer zum Aufbau der Gemeinde geschieht nicht durch eigenmächtiges Sprechen, sondern durch den »Dienst am (externen) Wort«. In Schaefflers etwas unkonventionellem Versuch einer »Philosophischen Einübung in die Ekklesiologie« 120 bilden diese beiden Thesen die Ausgangsbasis für die Entfaltung der religiöskirchlichen Institutionen und Ämter. Dieser Entwurf ist nur angemessen zu würdigen, wenn man sich auf die ungewohnte Perspektive einlässt, dass hier aus der Distanz einer philosophischen Argumentation spezifisch ekklesiologische und sakramententheologische Fragen losgelöst von ihrer dogmengeschichtlich ausgeprägten Begrifflichkeit angegangen werden. Die Aufgabe des »Dienstes am Wort« kommt laut Schaeffler in allen institutionalisierten Überlieferungsgemeinschaften vor, da eine Einführung in die aktive Sprachkompetenz und in den Umgang mit überlieferten Texten die Voraussetzung dafür ist, dass die »Forma Mentis« der Glieder dieser Gemeinschaft ausgebildet und weiterentwickelt werden kann. »Diener am Wort« ist für Schaeffler insofern ein Oberbegriff für vielfältige Ämter und Aufgaben innerhalb einer Kommunikations- und Überlieferungsgemeinschaft. Eine herausragende Position nimmt dabei jeweils der »Sprachlehrer« ein. In reliVgl. ausführlich: R. Schaeffler, PhE III, 20–39. Der dritte Band der »Philosophischen Einübung« versteht sich als Einübung in die Ekklesiologie und Christologie, wobei Schaeffler die Christologie innerhalb der Ekklesiologie thematisiert. Vgl. die Vorbemerkungen dazu ebd., 15–19. Zur (bislang sehr verhaltenen) Rezeption der »philosophischen Ekklesiologie« Schaefflers vgl. v. a.: S. Wiedenhofer, Kirche als Kommunikations- und Überlieferungsgemeinschaft. 119 120

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giösen Sprachgemeinschaften steht der »Dienst am Wort« unter der besonderen Herausforderung, »Gotteswort im Menschenwort« vernehmbar zu machen. Im Hinblick auf die kirchliche Überlieferungsgemeinschaft heißt dies noch konkreter: Diener am Wort zu sein bedeutet »Christi Wort im Menschenwort« und »Christi Heilshandeln in der Knechtsgestalt menschlicher Handlungen« 121 hörbar zu machen. Denn die christliche Botschaft bezeugt im Kern, dass die göttliche Doxa auf dem Antlitz Christi erkennbare Gestalt angenommen hat (vgl. 2 Kor 4,6), und zwar in seiner »Kreuzes-Niedrigkeit« wie in seiner »Auferweckungs-Herrlichkeit« 122. Vor dem Hintergrund von Schaefflers dialogisch-doxologischer Theorie der religiösen Erfahrung bekommt auch die Institutionalisierung der christlichen Gemeinschaft als »Kirche« eine eindeutige doxologische Ausrichtung: »Die christliche Überlieferung in allen Formen des Dienstes am Wort und des religiösen Handelns dient dem Ziel, die Heilstaten Gottes, die in Jesu Leben, Sterben und Auferstehung gewirkt worden sind, auf solche Weise zu neuer Gegenwart zu bringen, daß die Gemeinde und ihre Glieder zur doxologischen Antwort fähig werden.« 123

Christliches Leben besteht folglich darin, das eigene Verbum Mentis so umgestalten zu lassen, dass es dem »Verbum Incarnatum« antwortet und immer mehr entspricht. 124 Dies kann nur dann gelingen, wenn inmitten des hermeneutischen Überlieferungsprozesses der Geist Jesu selbst zu Wort und »zur Tat« kommt, wenn es gelingt, wie Schaeffler sagt, »als Geistbegabter zusammen mit Geistbegabten zu beurteilen, was des Geistes ist« 125 (vgl. 1 Kor 2,13). Der Geist Jesu selbst baut als der zusammenfügende und stabilisierende Schlussstein die Gemeinde als Tempel aus lebendigen Steinen auf (Oikodomé). 126 R. Schaeffler, PhE III, 401. Ders., PhE I, 220. Schaeffler spricht schon in früheren Texten vom menschlichen Wort als »Erniedrigungsgestalt« oder »Knechtsgestalt« des göttlichen Wortes und ruft damit die Assoziation des christologischen Kenosis-Gedankens hervor. Vgl. Ders., Kleine Sprachlehre, 87; Ders., Spiritus sapientiae et intellectus, spiritus scientiae et pietatis, 23. 123 Ders., PhE III, 437. 124 Diese enge begriffliche und inhaltliche Zuordnung von »Verbum Mentis« und »Verbum Incarnatum« findet sich bei Schaeffler so nicht. Sie legt sich m. E. bei der Adaption seiner Überlegungen zur »doxologischen Überlieferungsgemeinschaft« auf die christliche Kirche nahe. 125 Ebd., 389 f. 126 Vgl. ebd., 390. 121 122

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Das wirksame Wort der christlichen Überlieferung fordert jede Generation von Hörern neu auf, sich umgestalten zu lassen in die »Gestaltgemeinschaft mit dem erniedrigten und erhöhten Herrn« 127. Das Verkündigungswort muss freilich von jedem Hörer persönlich und mit seiner je eigenen Geschichte und Vor-Erfahrung verantwortet werden. Schaeffler begründet die Eigenverantwortlichkeit der Glaubensantwort im Sinne der Definition des Glaubensaktes aus dem Hebräerbrief: Glauben bedeutet ein »Feststehen (gr. »ὑπόστασιϚ«) in dem, was man erhofft, Überzeugtsein von Dingen, die man nicht sieht« (Hebr 11,1). Glauben ist also wörtlich genommen »Hypóstasis«. Dieser philosophiegeschichtlich aufgeladene Begriff lässt sich neben »Feststehen« und »Grundlage« auch mit »Eigenstand« übersetzen. Diese drei lexikalischen Bedeutungen verknüpfend versucht Schaeffler zu beschreiben, wie die Verkündigung des »Gotteswortes im Menschenwort« beim Hörer ankommen kann: »Die Glaubensverkündigung, die ihren Hörern die ›Grundlage‹ eines neuen Lebensvollzuges vermitteln soll, erreicht ihr Ziel nur, wenn sie die Hörer dazu befähigt, in eigener Aktivität ein ›Feststehen‹ auf dieser Grundlage zu gewinnen und so zugleich eine neue Weise des ›Eigenstands‹ zu erlangen. Im Hören des Wortes, das sie sich nicht selber sagen können, werden sie nicht ›un-selbständig‹, sondern gewinnen erst jenen sicheren ›Stand‹, der sie dazu befähigt, in ihrer eigenen Antwort dem überlieferten Wort ›Bestand zu geben‹ und so ›Bestand zu gewinnen‹.« 128

Ein Spezifikum christlich-kirchlicher Überlieferung und jedes amtlichen Auftretens im Dienst am Wort besteht zweifellos darin, dass nach der zentralen Glaubensaussage dieser Überlieferungsgemeinschaft das Verbum Externum auf unübertrefflich konkrete und geschichtliche Weise in die Welt menschlicher Erfahrungsweise eingetreten ist. Aus dieser Besonderheit ergeben sich für Schaeffler unausweichlich Rückfragen an die Möglichkeitsbedingungen und Legitimation einer Kirche und ihrer Ämter: Erstens steht die »eschatologische Zeitansage« Jesu selbst und die urchristliche Erwartung seiner baldigen Wiederkunft jeder Traditionsbildung und Institutionali127 Ebd., 392. Schaeffler spricht von der Berufung zur »Symmorphía« mit dem Herrn (vgl. Röm 8,29; Phil 3,10.21). Vgl. ebd., 403; im Kontext der »Gleichgestaltung« mit Christus findet sich eine erste Annäherung an ein Eucharistieverständnis. Vgl. ebd., 391 f. 128 Ders., PhE III, 392 f. [Hervorhebung S. W.]. Schaeffler spielt hier auf die wörtliche Bedeutung des hebräischen Glaubensbegriffs »Emunah« (»festen Boden gewinnen«) an. Vgl. dazu Ders., PhE II, 177; vgl. auch Kap. 5.2.4.

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sierung entgegen. 129 Zweitens müssen alle Ämter, die in anderen Überlieferungsgemeinschaften für gewöhnlich übertragen werden können, in der christlichen Kirche auf Jesus Christus bezogen bleiben, denn er allein ist nach dieser Tradition »König, Priester, Prophet, Schrift-Ausleger ›in Vollmacht‹ [und; S. W.] Rabbi« 130. Einen Ausweg aus dieser Aporie bietet die Denkfigur des Sprechens und Handelns »in persona Christi«. Der Gedanke kam schon sehr früh in der christlichen Sakramentenlehre auf: 131 dass Menschen dazu berufen sind, »in der Person Christi« zu sprechen und zu handeln, ohne dass Christus aufhört, Sprechender und Handelnder zu sein. Diese Lösung aber bezeichnet im Grunde nichts anderes als die christliche Zuspitzung der Idee vom »Gotteswort im Menschenwort«. Schaeffler fügt in Bezug auf das Sprechen und Handeln in der Person Christi ein wichtiges Kriterium hinzu: In »persona Christi« zu sprechen heißt konkret »in persona Crucifixi« zu sprechen und trägt daher stets »die Niedrigkeitsgestalten der göttlichen ›Selbst-Entleerung‹ an sich.« 132 Das bedeutet streng genommen: Es gibt keine »eigenen« christlichen Ämter, sondern nur »Re-präsentationen« Christi. Und diese Repräsentation ist – um die Parusieverkündigung Jesu und damit die Relativierung aller Institutionalisierung nicht wiederum zu unterlaufen – nicht Abbild seiner sichtbaren endzeitlichen Herrschaft, sondern seiner »sub contrario« verhüllten Herrlichkeit. 133 Welchen Anspruch diese Form der »repraesenatio Christi« für die Ausübung eines Amtes in der christlichen Überlieferungsgemeinschaft erhebt, lässt sich mit Schaeffler leicht erahnen: »Nicht Herrschaftswille, sondern Dienstbereitschaft, nicht persönlicher Ehrgeiz, sondern die Demut dessen, der sich um der Menschen willen ›leer gemacht‹ hat, nicht Durchsetzungskraft, sondern Leidensbereitschaft […].« 134 Wenn im Folgenden die »Organe« der christlichen 129 Vgl. Ders., PhE III, 400 f. Schaeffler bezieht sich hier auf das bekannte Argument Alfred Loisys, dass die Kirche die »Funktionsnachfolge« der Apostel – wenngleich rechtmäßig – nur aufgrund der nicht vorhersehbaren Parusieverzögerung antreten konnte. In Loisys These, »die Kirche hat das Evangelium ebenso nötig wie das Evangelium die Kirche«, erkennt Schaeffler beispielhaft das Wechselverhältnis zwischen Institution und Verbum Mentis et Oris wieder. Vgl. ebd., 153, Fn. 34. 130 Ebd., 400 f. 131 Vgl. zur Motivgeschichte: J. Werbick, Den Glauben verantworten, Freiburg i. Br. 42010, 759–763. 132 R. Schaeffler, PhE III, 403. 133 Vgl. ebd. 134 Ebd., 402.

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Überlieferung betrachtet werden, dürfen die eben genannten Kriterien des Sprechens und Handelns »in persona Christi« für alle Dienste am Wort, nicht nur für die im engeren Sinne priesterlichen Vollzüge, herangezogen werden. 135

6.4.2 Die oikodometischen Dienste im Überblick Bevor Schaeffler die »Diener des Wortes« im Einzelnen vorstellt, benennt er zwei Gruppen, die gleichsam als Archetypen der religiösen Überlieferung gelten dürfen: 1) »Mutter und Vater«: Die Eltern treten lebensgeschichtlich meist als die ersten »Überlieferer« in Erscheinung, die den »Umgestaltungsprozess« des kindlichen Anschauens und Denkens begleiten und fördern. Schaeffler weist darauf hin, dass die erste Sprache eines Menschen aus diesem Grund seine »Muttersprache« genannt wird, während man bei angeeigneten Handlungsmustern und nonverbalen Verhaltensweisen bisweilen von der »Vätersitte« spricht. 136 Auch in der religiösen Überlieferung sind häufig die Eltern die »primären Träger« 137. Sie sind es, die als die ersten »Sprachlehrer« des Betens und als Vorbilder religiöser Alltagspraxis die religiöse Erfahrungsfähigkeit der Kinder entscheidend fördern können. Darüber hinaus ist im Sinne der religiösen Formatio Mentis zu bedenken, dass Vater und Mutter – zumindest im wünschenswerten Idealfall – von ihren Kindern in einer umfassenden Weise als die Zuwendung und das Geschenk einer je größeren, guten Wirklichkeit »in persona« wahrgenommen werden. So können sie für ihre Kinder zu »Erscheinungsgestalten des Unvordenklichen« 138 werden. 2) Der »Rat der Ältesten« oder das »Ur-Königtum«: In der globalen Perspektive einer ganzen Überlieferungsgemeinschaft nimmt Schaeffler wahr, dass in vielen Religionen die »Ältesten« – bisweilen sogar als ein institutionalisiertes und installiertes Gremium – für die Wahrung der Tradition, für die Initiation neuer Mitglieder und die Nachfolge in den Ämtern und Funktionen zuständig sind. Durchaus

135 Zur kritischen Rückfrage an den Anspruch, »in persona Christi« zu sprechen, vgl. ebd., 512 f. 136 Vgl. ebd., 29. 137 Ebd., 41. 138 Ebd.

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in Anlehnung an die Funktion leiblicher Elternschaft ist dabei die Bedeutung von religiösen »Stammes-Vätern« und »Ur-Königen« zu sehen, wobei die je aktuellen Könige (oder Königinnen) häufig »als Repräsentanten dieses Ur-Königs bzw. dieser Ur-Königin« 139 betrachtet werden. Nicht selten nimmt der König sakrale Funktionen wahr und gilt als das Oberhaupt der Gemeinschaft auch in religiösen Belangen. Abgesehen von diesen Archetypen nennt Schaeffler weitere »Diener des Wortes«, die in ganz unterschiedlichen religiösen Gemeinschaften vorkommen. Die drei wichtigsten sind: Die »Sprachlehrer des Gebets«, die »Lesemeister heiliger Texte« sowie die »Interpreten und Hermeneuten« zur Auslegung dieser Texte. 140 Diese Grunddienste lassen sich im Blick auf die spezifisch christliche Gemeinschaft wiederum in acht verschiedene Ämter oder Organe ausdifferenzieren. Da ihre Zusammenstellung und insbesondere ihre Reihenfolge in Schaefflers »Einübung in die Ekklesiologie« von ausgesprochen originellem Charakter sind, seien sie hier in ihrer Gesamtheit aufgeführt: 141 1) 2) 3) 4) 5) 6) 7) 8)

Die Sprachlehrer des Gebets Die Vorbeter der Gemeinde Die »Lesemeister« als Lehrer des Umgangs mit normativen Texten Die vertrauten Diener Christi und Verwalter der Mysterien Gottes (vgl. 1 Kor 4,1) – oder kurz: die Priester Die Spezialisten der Auslegungskunst und der ihr entsprechenden Kunstlehre – oder kurz: die Theologen Die »Nachfolger der Apostel« und das kirchliche »Lehramt« Das kirchliche Recht Die »Charismatiker«

Aus dieser »Ämterliste« wird zuallererst die hervorgehobene Stellung des Gebetes innerhalb der religiösen Gemeinschaft sichtbar. Der elementare Dienst innerhalb der religiösen Überlieferungsgemeinschaft ist es, andere Menschen das Beten zu lehren und sie so zu »lebendigen Steinen« der Gemeinschaft werden zu lassen. Im Folgenden sollen allein die ersten drei Ämter näher beleuchtet werden, da sie in unmittelbarer Weise das Gebet beziehungsweise den damit verknüpften Akt des Erzählens betreffen.

139 140 141

Ebd. Vgl. ebd., 40 f., 42–49. Vgl. ausführlich ebd., 480–513; vgl. komprimiert im »Teilergebnis«, ebd., 517 f.

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6.4.3 Der Sprachlehrer des Gebets Die Zentrierung der Gebetslehre Schaefflers auf das Wort – im Akt der Namensanrufung wie auch in seinem doxologischen Ansatz – macht einsichtig, weshalb die Weitergabe und Unterweisung der Gebetssprache für die christliche Gemeinschaft die primordiale Aufgabe darstellt. Das »doxologische Wort« vermittelt sich durch Menschenworte, und für diese »Schule der Erfahrung« braucht es kompetente Lehrer, vor allem »Gebetslehrer«. Eine erste Lektion, die der Sprachlehrer des Gebets lehrt, besteht darin, ein Verständnis für den Wert von geprägten Sprachformen zu fördern. 142 Wie jede Sprache lässt sich auch die Gebetssprache zunächst im Hören auf bestehende Sprachgewohnheiten und überlieferte Texte erlernen. Weil es im Aufbau der doxologischen Gemeinschaft vor allem darum geht, die Anrede Gottes weiterzugeben, ist für Schaeffler ein gewisses Maß an ritueller Sprache unerlässlich. Sie mag verhindern, dass der »Diener des Wortes« und alle ihm Nachsprechenden ihre doxologische Antwort durch »persönliche Ansichten und Absichten« und durch »Rollen-Anmaßungen« 143 verstellen. Rituelle Gebetssprache und der »Ritus« überhaupt sind notwendig, damit das Wort wirksam und gültig (lat. »rite«) überliefert werden kann, in dem ja nicht eine Botschaft des Sprechers, sondern der Anspruch Gottes aufleuchten soll. 144 Dazu gehört auch die Einsicht in den originären Zusammenhang von formalen und inhaltlichen Aspekten der Gebetssprache, die Einsicht etwa, dass bestimmte Überlieferungsinhalte auch an bestimmte sprachliche Wendungen gebunden sind, die sich nicht ohne Bedeutungsverlust in umgangssprachliche Ausdrücke übersetzen lassen. 145 Ebenso wichtig wie die passive Sprachkompetenz ist die Aufgabe – gleichsam in einer zweiten Lektion –, in die aktive Gebetssprache einzuführen. Denn die Aneignung und situationsbezogene Anwendung feststehender Gebetsformulierungen allein führt noch nicht Vgl. ebd., 44 f., 481. Ebd., 44. 144 Vgl. ebd., 44 f. Das rituelle Wort steht für Schaeffler also für die »›Gültigkeit‹ und ›Wirksamkeit‹ religiöser Rede, d. h. des von menschlicher Willkür freien Dienstes am göttlichen Wirken.« Ebd., 45. Vgl. grundlegend zur Bedeutung geprägter Sprachformen: Ders., PhE I, 286–290. 145 Vgl. Ders., PhE III, 482. Hier wäre etwa an die Einsetzungsworte der Eucharistie zu denken. 142 143

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zur »Formatio Mentis« des Beters. Die aktive Gebetskompetenz besteht, genau wie bei jedem anderen Spracherwerb, schlicht darin, durch die Beherrschung der Grammatik und Pragmatik der erlernten Gebetssprache nunmehr »frei« zu beten; zu sagen, was so noch kein Beter gesagt hat, und damit »neue und andere« Aspekte der göttlichen Herrlichkeit ins Wort zu fassen. 146 Aktive und passive Sprachkompetenz sind für Schaeffler gleichermaßen wichtig und dürften nicht gegeneinander ausgespielt werden – schon gar nicht in der Liturgie. Gleichwohl gibt es im Gottesdienst Elemente, in denen rituelle Sprachformen vorgesehen, und andere, in denen dagegen eigenformulierte Gebete angebracht sind. 147 Ein guter Sprachlehrer des Gebets wird seine Schüler dazu ermutigen, weder die aktive noch die passive Sprachfähigkeit zu vernachlässigen, sondern vielmehr beide in ein hermeneutisches Wechselverhältnis zu bringen. Diese Forderung, die in Schaefflers Denkweise in ganz unterschiedlichen Zusammenhängen immer wiederkehrt, hieße im Fall der Gebetssprache konkret: die Beter anzuregen, »ihre Versuche, Gebete selber zu formulieren, an überlieferten Formen des Gebets kritisch [zu; S. W.] überprüfen, um zu verhindern, daß sie in ihrem persönlichen Gebet in Infantilismen oder Privatismen verfallen.« 148 Eine dritte Lektion des Sprachlehrers des Gebetes bestünde nach Schaeffler darin, nicht nur zum Beten anzuleiten, sondern auch die Reflexion darüber anzuregen, was der Beter da eigentlich »tut«, wenn er betet. Denn: »Wer nicht mehr weiß, was er tut, wenn er bestimmte Ausdrücke benutzt, der weiß auch nicht mehr, welchen Beitrag zum Aufbau der Sprachgemeinschaft er leistet.« 149 Obligatorischer Lern146 Vgl. ebd., 481. Dieser letzte Gedanke ist m. E. eine folgerichtige Anwendung des allegorischen Bedeutungsmomentes der religiösen Erfahrung. Zur Unterscheidung von aktiver und passiver Sprachkompetenz vgl. auch Ders., Kleine Sprachlehre, 12– 14. 147 Vgl. dazu die praktischen Anmerkungen Schaefflers in: Ders., Freiräume. Kriterien einer verantwortlichen liturgischen Textgestaltung am Beispiel von sprachlichen Formen der Gottesdiensteröffnung, in: Gottesdienst 25 (1991), Heft 14–15, 105–109; Ders., Fürbitten als Sprachhandlung. Jemanden zugunsten eines anderen um etwas bitten (Teil 1) / Viele Beteiligte (Teil 2), in: Gottesdienst 25 (1991), Heft 20, 153–155 / Heft 21, 161–163. 148 Ders., PhE III, 481. Dies entspricht der allgemeinen Forderung Schaefflers, jeweils zu prüfen, ob die eigenen Anschauungs- und Denkformen hinter dem zurückbleiben, was an geschichtlichen Antwortgestalten auf das Aufleuchten der Herrlichkeit bereits hervorgebracht wurde. Vgl. Kap. 6.3.4. 149 Ders., Der Beter, sein Gott und seine Welt, 582.

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inhalt der Gebetsschule ist für Schaeffler in jedem Fall die pragmatische Dimension der Namensanrufung. 150 Der Sprachlehrer soll die Beter dafür sensibilisieren, was es bedeutet, Gott beim Namen anzurufen und in die Korrelation mit dem Angerufenen zu treten; er soll ein Gespür dafür entstehen lassen, was es für einen Unterschied macht, mit welchem Namen dieser Gott angerufen wird, und was es weiter heißt, in der je aktuellen Begegnung denselben Gott der Überlieferungsgemeinschaft »wiederzuentdecken« und im Akt des Erzählens die Geschichte des eigenen Lebens und die der Gemeinschaft vor ihm auszubreiten. 151 Schaeffler betrachtet also – kurz gesagt – die Grundelemente seines sprachphilosophischen Gebetsansatzes auch als die festen Bestandteile des »Curriculums« einer Gebetsschule. Im Amt des Sprachlehrers des Gebets finden ferner die beiden Gebetsansätze Schaefflers wieder zusammen. Denn er soll gleichermaßen in die Sprachhandlung der Namensanrufung einführen wie in die doxologische Rede, sowie in ein angewandtes Wissen darum, dass die »acclamatio nominis« nur möglich ist, wenn dem Beter das Wort der Anrede »auf die Lippen gelegt« wird. 152 Inwiefern ist nun das in Schaefflers »Ämterlehre« herausragende Organ des Sprachlehrers als ein Sprechen und Handeln »in persona Christi« zu verstehen, von dem sich alle Autorität innerhalb der Kirche ableitet? Einen Hinweis dazu gibt Schaeffler, indem er einen Vers aus der Abschiedsrede Jesu im Johannesevangelium anführt, wo es heißt: »Ich habe ihnen deinen Namen kundgemacht und werde ihn weiter kundmachen« (Joh 17,26). 153 Der von Christus offenbarte Name meint im Sinne Schaefflers die »Ermächtigung«, Gott anzurufen und in ein Beziehungsgeschehen mit ihm einzutreten. Schaeffler legt diese Stelle weiter aus im Hinblick auf den Dienst des Sprachlehrers: »Weil solche ermächtigende Kundmachung des Namens nur in der Vollmacht Gottes selber ausgeübt werden kann, ist Christus der einzige Sprachlehrer der Gebetssprache, und jeder menschliche Sprachlehrer kann seine Aufgabe nur erfüllen, wenn in seiner Belehrung diese Vollmacht Christi, Vgl. Ders., PhE III, 482; ebd., 42 f. Die Grundintention in »Kleine Sprachlehre des Gebets« geht in eine ähnliche Richtung, wobei Schaeffler diese Schrift als den Beitrag eines philosophischen (!) Sprachlehrers versteht. Vgl. zu diesem Unterschied Kap. 6.4.6. 151 Vgl. ebd., 482 f. 152 Vgl. ebd., 43. 153 Ebd., 483; vgl. auch Joh 17,6 u. 11. 150

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die der Vater dem Sohn und ihm allein gegeben hat, durch seinen menschlichen Dienst an den Schülern der Gebetssprache wirksam wird.« 154

Das kirchliche Amt der Anleitung zur Namensanrufung und zum Gebet überhaupt ist demzufolge als Sprechen und Handeln »in persona« des einzigen Lehrers, Christus, zu betrachten und hat sich an dessen Vaterbeziehung und Sendung zu orientieren und Maß zu nehmen. 155

6.4.4 Der Vorbeter und der Fürbitter Auf den Sprachlehrer folgt in Schaefflers Ämterfolge der »Vorbeter der Gemeinde«. Nachdem eine erste Einführung in die Gebetssprache stattgefunden hat, ist dieser nun dafür verantwortlich, dass die doxologische Wechselrede lebendig gehalten wird. Dabei steht er in besonderer Weise im Dienst des religiösen Verbum Oris, das er im Gottesdienst vernehmbar ausspricht, und er lädt die versammelten Hörer ein, ihm nachzusprechen. Mit diesem Amt weiß Schaeffler eine große Verantwortung verbunden. Der Vorbeter der Gemeinde hat stets darauf zu achten, ob er »seine« Worte und Texte tatsächlich der Gemeinde zusprechen und zumuten kann. Allzu schnell kann aus dem Dienst des Vorbeters ein »Ermahner« der Gemeinde werden; allzu unbesehen weicht die hymnische Akklamation der Paränese. Der Gebetsakt aber würde in seiner pragmatischen und semantischen Dimension verkehrt, und sprachphilosophisch müssten hier »verkleidete« Sprachhandlungen konstatiert werden. Im Hinblick auf die Rolle des Vorbeters scheut sich Schaeffler nicht, gar von »Amtsmissbrauch« zu sprechen. 156 Es sind naheliegender Weise vor allem die frei formulierten Gebete und insbesondere die Fürbitten, bei denen Schaeffler die beschriebenen Gefahren wähnt, da sie eine besonders hohe Sprachkompetenz erfordern. Der Vorbetende, so Schaeffler, habe sich stets selbstkritisch zu fragen: »Betet er so, daß er es verantworten kann, die Gemeinde zu einer verantwortlichen Aneignung des vorgesprochenen Wortes einzuladen?« 157 – oder kurz: Kann er ver-

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Ebd., 483 f. Vgl. ebd., 483. Vgl. Ders., PhE III, 484. Ebd.

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langen, dass die Gemeinde zu diesem Gebet in innerer Zustimmung ihr »Amen« spricht? Anfang der 90er Jahre hat Schaeffler drei kleinere Beiträge verfasst, die die angesprochenen Herausforderungen des Vorbetens anhand von praktischen Beispielfällen thematisieren. 158 Möglicherweise liegt es an ihrer intellektuell allzu leichten Zugänglichkeit, dass sie in der bisherigen Rezeption zu Schaefflers Gebetslehre nicht einmal genannt werden. Dabei finden sich hier durchaus interessante Hinweise darauf, wie Schaeffler sich das Amt des Vorbeters vor dem Hintergrund seines sprachphilosophischen Gebetsansatzes vorstellt. Es lässt sich bei Schaeffler eine Tendenz feststellen, dieses Vorbeteramt stark mit dem Priester zu identifizieren. Diese Zuordnung darf jedoch nicht so interpretiert werden, dass nicht auch andere Personen eine Vorbeterrolle in der Gemeinde einnehmen könnten, sondern gewinnt gerade umgekehrter ihre Stoßrichtung: Wenn über das Priesteramt nachgedacht wird, so muss seine Rolle als »Orans Primarius« bedacht werden. Das liturgische Gebet, so Schaeffler, kann als »Schule des priesterlichen Dienstes« überhaupt gelten. 159 Am Beispiel der liturgischen Gottesdiensteröffnung erläutert Schaeffler, warum rituelle Sprachformeln notwendig sind und warum nicht dasselbe einfachhin auch »mit eigenen Worten« gesagt werden kann. Der Grund dafür liegt nicht an einem engstirnigen Rubrizismus, sondern an dem Faktum, dass der Priester die Zusage von »Gnade und Frieden« 160 nicht aus sich heraus, sondern allein als göttliches Verbum Externum vernehmbar machen kann. Wenn der Priester den Gruß »Der Herr sei mit Euch!« spricht, so bezieht er sich ausdrücklich auf die Verkündigungsszene im Lukasevangelium. Allerdings ist er nicht gleichstehend dem Engel, der in Lukas 1,28 mit diesen Worten die werdende Gottesmutter grüßt, sondern vielmehr der Vermittler einer Gnadenzusage, die ursprünglich an Maria erging, und die er nun in dieser Anredesituation an die Gemeinde weitergibt. Deshalb 158 Es handelt sich um den Artikel: Ders., Der Priester als Vor-Beter und Fürbitter; sowie um die beiden Kurzbeiträge in der Zeitschrift »Gottesdienst« (Jg. 25/1991): Ders., »Freiräume« sowie »Fürbitten als Sprachhandlung«. 159 Vgl. Ders., Der Priester als Vor-Beter und Fürbitter, 446. 160 Vgl. die dritte von Schaeffler behandelte Gottesdiensteröffnung, die als eine Verbindung des Grußes des Engels und des Auferstandenen angesehen werden kann: »Gnade und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus sei mit euch.« Es ist die typische Grußformel der Paulusbriefe. Vgl. Ders., Freiräume, 108 f.; Messbuch, Kleinausgabe, 324.

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ist der Priester – im Gegensatz zum Engel – auch auf die Antwort der Gemeinde angewiesen (»… und mit deinem Geiste«), die zu dieser Antwort wiederum nur unter der Anrede des Priesters fähig wird. Wird der Sinngehalt dieser sehr schlichten rituellen Sprachform einmal offengelegt, so lässt sich dieser liturgische Gruß als »Schule« betrachten, durch die etwas über die Bestimmung des priesterlichen Dienstes im Allgemeinen gelernt werden kann: »Ein Priester«, so Schaeffler in direkter Bezugnahme auf diese Grußformel, »ist einer, der den Menschen in Vollmacht zusagen kann, daß der Herr bei ihnen ist, und zwar jetzt, während dieses wirksame Wort gesprochen wird.« 161 Auf ähnliche Weise analysiert Schaeffler auch den bischöflichen Gruß »Der Friede sei mit Euch!«. Nicht der Bischof an und aus sich verkündet den Frieden, sondern er spricht »in persona« des Auferstandenen (vgl. Joh 20,19 f.), in dessen Mund dieser Gruß seinen ursprünglichen »Sitz im Leben« hat. 162 Auch hier ist die Antwort der Hörer dieses Friedensgrußes notwendigerweise abzuwarten. So wird deutlich, dass zu Beginn der Feier der Eucharistie – die ja Feier von Tod und Auferstehung Jesu ist – Bischof und Gemeinde »sich gegenseitig unter den Auftrag [stellen; S. W.], die Sendung zu empfangen und weiterzugeben, die Jesus vom Vater empfangen hat, die er seinen Jüngern weitergegeben hat und beständig weitergibt« 163. In der gegenseitigen Zusage und in der uneingeschränkten Weitergabe dieses Friedens über die liturgische Feier hinaus handeln Bischof und Gemeinde im Auftrag des Auferstandenen. An diesen beiden Beispielen der gottesdienstlichen Eröffnung lässt sich ein exemplarischer Einblick in jenen Prozess gewinnen, den Schaeffler »doxologische Wechselrede« genannt hat, und der im Austausch von Zeugnisworten (Verbum Oris) den Anspruch der je größeren Herrlichkeit Gottes zur Sprache bringt. Zudem ermöglicht Schaefflers Interpretation dieser liturgischen Grußformeln ein tieferes und vor allem konkreteres Verständnis des hermeneutischen Wechselverhältnisses von passiver und aktiver Sprachkompetenz im Gebet. Denn freie Gottesdiensteröffnungen oder Abwandlungen der bestehenden Formulierungen müssen sich kritisch daran messen lassen, ob sie den pragmatischen und semantischen Gehalt der rituellen 161 Ders., Der Priester als Vor-Beter und Fürbitter, 447. Zum priesterlichen Gruß vgl. ebd., 446–448; Ders., Freiräume, 107 f. 162 Vgl. ebd., 106 f. 163 Ebd.

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Sprachformen erreichen und so als Sprachhandlungen zur Eröffnung eines liturgischen Dialoggeschehens geeignet sind. 164 Das Fürbittgebet ist nach Schaefflers Einschätzung hinsichtlich der »Sauberkeit« der Sprachhandlung und Klarheit der Sprecherrolle besonders anfällig. Es müsse daher mit Bedacht geprüft werden, ob es im Einzelfall angemessen ist, für jemanden – zumal ohne sein Wissen darum – zu bitten, und ob tatsächlich für und nicht etwa gegen einen Personenkreis gebetet wird. Dabei darf auch die heikle Frage berührt werden, wie die alltägliche Praxis und Solidarität der Betenden mit dem vorgebrachten Gebetsanliegen in Verbindung steht. 165 Schaeffler legt dem »Fürbitter« vier Fragen zur kritischen Selbstreflexion vor: 1) Ist die inhaltliche und formale Gestalt der Fürbitte so, dass der Gemeinde zugemutet werden kann, ihr »Ja und Amen« dazu zu sprechen? 2) Ist die Gestalt so, dass sie inhaltlich und formal zum engeren Kontext des Gebetes passt, also zu Gebetseinladung und Schlussdoxologie? 3) Ist ihre Gestalt so, dass sie sich in den weiteren Rahmen der gottesdienstlichen Feier einfügt, dass die Fürbitte also »Ausdruck derjenigen Hoffnung [ist; S. W.], durch die wir die Heilstaten Gottes beantworten, die wir eucharistisch-danksagend begehen?« 166 Schließlich – und dies scheint theologisch die interessanteste Frage zu sein: 4) Wird die Bitte so vor Gott getragen, dass dafür ernstlich Christus als »Fürbitter beim Vater« angerufen werden kann (»per Christum Dominum nostrum«)? 167 Denn es wäre nach Schaeffler geradezu blasphemisch, »die Mittlerschaft Christi für die sehr subjektiven Absichten des Vorbeters in Anspruch zu nehmen und auch dafür das ›Ja und Amen‹ der Gemeinde einzufordern« 168. Mit dem letztgenannten Kriterium ist auch die noch ausstehende Frage verbunden, in welcher Weise der Vorbeter in der Gemeinde seinen Dienst »in persona Christi« wahrnimmt. Das Fürbittgebet im christlichen Sinn ist für Schaeffler als Sprachhandlung nur dann zu verstehen, wenn man ekklesiologisch von der Metapher der Kirche als Leib Christi ausgeht. Das Fürbittgebet kann sich dann auf die paulinische Aussage stützen: »Wenn ein Glied leidet, so leiden alle mit, Vgl. Ders., Freiräume, 107. Vgl. Ders., Fürbitten als Sprachhandlung (1), 155; Ders., Der Priester als VorBeter und Fürbitter, 456 f. 166 Ders., Fürbitten als Sprachhandlung (2), 162. 167 Vgl. ebd., 161 f.; Ders., Der Priester als Vor-Beter und Fürbitter, 457. 168 Ders., PhE III, 485. Vgl. Ders., Fürbitten als Sprachhandlung (2), 161. 164 165

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und wenn ein Glied wird herrlich gehalten, so freuen sich alle mit« (1 Kor 12,26). 169 Christus selbst ist – vor allen Heiligen – der »Intercessor«, der beim Vater für die Betenden eintritt, 170 und das Leiden und die Lebenshingabe Jesu sind der Ermöglichungsgrund des christlichen Fürbittgebetes. Die in Jesu Leben und Sterben praktizierte Solidarität mit den Leidenden ist zugleich ein Appell an den Beter, diejenigen Menschen, die er in seinen Fürbitten durch Christus vor Gott bringt, auch in seinem alltäglichen Handeln nicht zu vergessen. 171 Schaeffler schreibt dazu: »Nur der wird redlicherweise ›durch Christus‹ beten können, der bereit ist, ›mit Christus‹ denen, für die er betet, eine Solidarität zu erweisen, die an der Selbsthingabe Jesu ihr Maß nehmen muß.« 172 Das Fürbittgebet ist für Schaeffler wegen der Anrufung der »Intercessio Christi« eng mit dem priesterlichen Dienst verbunden, sowohl mit dem »Priestertum der Geweihten« als auch mit dem »gemeinschaftlichen Priestertum der Getauften«. 173 Die Rolle des Vorbeters der Gemeinde und des Fürbitters bleiben für Schaeffler inhaltlich aufeinander bezogen. »[…] Der Fürbitter der Gemeinde [wird; S. W.] immer wieder zu einem Vorbeter werden müssen. Aber er wird ihr Vorbeter nur sein können, indem er ständig ihr Fürbitter bleibt.« 174 Beide üben ihren Dienst am Wort »in persona Christi« aus. Ihr Beten ist nur möglich in dem Bewusstsein, dass Christus der einzige Vorbeter und Fürbitter ist, der sich die verschiedensten Gebetsinhalte – die Leiden und die Freuden der Gemeinde – zu eigen macht und für sie beim Vater eintritt. 175

6.4.5 Der Lesemeister heiliger Erzählungen Der Übergang von der individuellen Namensanrufung Gottes zum Akt des Erzählens markiert in Schaefflers sprachphilosophischem Ge169 Vgl. Ders., Der Priester als Vor-Beter und Fürbitter, 456. Übersetzung nach Schaeffler. 170 Vgl. ebd., 457; Ders., Fürbitten als Sprachhandlung (2), 161. Schaeffler verweist auf Röm 8,34; 1 Joh 2,1; Hebr 7,25. Vor allem Hebr 7–10 wäre m. E. beim Gedanken der Intercessio Jesu beim Vater näher zu betrachten. 171 Vgl. Ders., Fürbitten als Sprachhandlung (2), 161; Ders., Der Priester als VorBeter und Fürbitter, 457 f. 172 Ders., Fürbitten als Sprachhandlung (2), 161. 173 Vgl. Ders., Der Priester als Vor-Beter und Fürbitter, 457. 174 Ebd., 460. 175 Vgl. Ders., PhE III, 485; vgl. wiederum Röm 8,34.

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betsansatz einen Schritt, der den Blick des Beters sowohl auf die Geschichtlichkeit seiner selbst und seiner Welt 176 als auch auf die Geschichte der Überlieferungsgemeinschaft weitet. Um den für die christliche Gemeinde unerlässlichen Akt des Erzählens und Gedenkens lebendig zu halten, folgt in Schaefflers Ämterreihe auf den Sprachlehrer und Vorbeter ein eigener Dienst an der narrativen Überlieferung des Wortes: der »Lesemeister« der Gemeinde. 177 Der Lesemeister hat die religiöse Überlieferungsgemeinschaft – zunächst ganz allgemein gesprochen – dabei anzuleiten, die sogenannten »Archaiologien« oder »Protologien« zu verstehen und weiterzuerzählen. 178 Anhand der drastisch erzählten Entscheidungssituationen über Heil und Unheil, über Leben und Tod am oder vor dem »Anfang« (gr. »arché«) der Geschichte kann die religiöse Gemeinschaft lernen, was sie aus ihrer Gegenwart ebenfalls kennt: dass die Erfahrung des Numinosen an die Grenze der Erfahrungsfähigkeit führt. Der Lesemeister soll den Gliedern der Gemeinschaft helfen, ihr bisweilen ähnlich widersprüchliches Erleben als Abbildgestalten dieser Ursprungsgeschichte zu deuten und so einen geordneten Erfahrungszusammenhang aufzubauen. Ferner hat der Lesemeister die Gemeinde mit den vielfältigen Zeugnissen in der Geschichte der Überlieferungsgemeinschaft vertraut zu machen. An diesen Erzählungen lässt sich aufzeigen, wie frühere Generationen die Ursprungsgeschichten auf ihre historische Situation hin ausgelegt haben und wie sie darin eine situative Antwort auf den Anspruch des Heiligen gegeben haben. Im Grunde besteht der Dienst des Lesemeisters wiederum darin – nun mit Hilfe der überlieferten Erzählungen – den Prozess der individuellen und gemeinschaftlichen »Formatio Mentis« zu unterstützen. Schaeffler legt großen Wert darauf, dass es hier primär um eine Anleitung zur Praxis geht, also zum rechten Umgang und Gebrauch der überlieferten Erzählungen. Das erwünschte »Lernziel« des LeseDies wurde in Kap. 4.3.3. aus transzendentaler Perspektive ausführlich erörtert. Im Aufsatz »Die religiöse Sprache zwischen Partikulariät und Universalität« (1998) nennt Schaeffler ebenfalls »Sprachfunktionen«, die an der Weitergabe religiöser Erzählungen beteiligt sind: Die »Diener am überlieferten Wortlaut«, die »Alten«, die »Hermeneuten«, sowie allgemein die »Lehrer«. Diese Passage darf m. E. als eine Vorarbeit zur weitaus präziseren Ausarbeitung in »PhE III« verstanden werden. Vgl. ebd., 146 f. 178 Vgl. Ders., PhE III, 45 f.; vgl. auch Ders., Aussagen über das, was »Im Anfang« geschah. 176 177

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meisters ist, dass die Hörer und Leser sich im doppelten Experiment des Erzählens einüben, das heißt: »im Lichte des Erzählten ihr eigenes Leben zu verstehen und umgekehrt im Licht der eigenen Lebens-Erfahrung die Bedeutung der Erzähl-Inhalte neu zu erfassen.« 179 Ähnlich wie der Sprachlehrer des Gebets steht hier die sprachpragmatische Fragestellung im Vordergrund: Was tun wir, wenn wir diese alten Geschichten hören und weitererzählen? Der Lesemeister will die Leser nicht zu »Argumentations-Spezialisten« machen, sondern zu aktiven Gliedern der Überlieferungsgemeinschaft. Deswegen ist der Dienst am Wort für den Lesemeister nicht damit erfüllt, dass er seine historischen Kenntnisse weitergibt und schwierige Textpassagen wissenschaftlich erklären kann. 180 Der Lesemeister ist – um in heute gebräuchlichen Rollen zu sprechen – weniger als Fachtheologe oder Hermeneut gefragt 181 denn als »Prediger, Lehrer, Leiter von Bibelkreisen«, als Erwachsenenbildner und Katechet. 182 Der Lesemeister der christlichen Gemeinde hat sich vor allem um diejenigen Erzähltraditionen zu kümmern, die für die Überlieferungsgemeinschaft als »Norma normans« gelten, also um die biblischen Schriften. Die Glieder der christlichen Gemeinde sollen befähigt werden, die kanonischen Texte im Lichte ihrer eigenen Erfahrungen zu lesen und sie – wie Schaeffler hier schlicht einfügt – in ihrer originären Funktion zu betrachten, »um derentwillen sie verfaßt worden sind: […] ihre Leser zu einer ›Umgestaltung zur Neuheit des Denkens‹ aufzurufen« 183. Eine weitere Lektion des Lesemeisters besteht in der lebensnahen Vermittlung eines Gespürs für den Zusammenhang von Schrift und Tradition, von kanonischen Texten und ihrer Rezeptionsgeschichte, die den allegorischen Mehrwert des Textes über das bloße Nachsprechen hinaus offenbart. Dabei soll der Leser auch lernen, die eigene Tradition und die gegenwärtige Auslegung angesichts der »Norma normans« der biblischen Texte kritisch zu überprüfen. Der Dienst des Lesemeisters führt insofern zu einer Ders., PhE III, 46 f. Vgl. Kap. 4.4.1. Vgl. ebd., 46, 486. 181 Vgl. das eigenständige Amt des »Spezialisten der Auslegungskunst« (PhE III, 497– 500), das sich jedoch nicht immer trennscharf vom Lesemeister abgrenzen lässt, da dieser selbst freilich hermeneutisch geschult sein soll. 182 Vgl. ebd., 487. In der frühen Kirche wäre die Aufgabe des Lesemeisters wohl im Zusammenhang mit der Vorbereitung auf die Sakramente, insbesondere in den Taufkatechesen und Taufpredigten zu verorten. Vgl. ebd., 491. 183 Ebd., 487. 179 180

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»traditionsbegründenden« wie auch »traditionskritischen« 184 Rezeption sowohl der »Norma normans« (der Schrift) als auch der »Norma normata« (der »normativ« gewordenen Tradition). 185 Da gemäß Schaefflers dialogischer Erfahrungslehre die Traditionsbildung niemals abgeschlossen ist, weiß sich die gegenwärtige Überlieferungsgemeinschaft dazu aufgefordert, in einen hermeneutischen Prozess mit der »Traditio viva« 186 einzutreten. Schaeffler weist darauf hin, dass erst vor diesem Hintergrund der Begriff »Bibelkritik« seine eigentliche Bedeutung zeigt: Bibelkritik – so Schaeffler – »ist nicht Kritik am Wahrheitsanspruch des Textes unter Berufung auf die eigenen Einsichten des Lesers, sondern gerade Auslegung dieses Wahrheitsanspruchs, den nicht die Apostel und Propheten als Menschen, sondern das in der Entäußerungsgestalt menschlichen Wortes ergehende Gotteswort an seinen Hörer richtet.« 187 Eine lebendige Traditionsbildung in der Praxis des Gemeindelebens anzuregen, gehört also auch zu den Aufgaben des Lesemeisters. Ein wichtiger Aspekt im Selbstverständnis dieses Amtes darf schließlich nicht vergessen werden: Ob die lebendige Aneignung der biblischen Texte tatsächlich gelingt, hängt weder allein vom pädagogischen Geschick des Lesemeisters ab noch von der Aufnahmefähigkeit der Leser, sondern vor allem von der gnadenhaften Zuwendung Gottes. Darin kommt erneut die Dimension der Exteriorität des überlieferten Wortes zum Ausdruck, auch wenn Schaeffler hier die Formel »in persona Christi« vermeidet. Der Lesemeister steht im Dienst am überlieferten Wort. Dieses Wort ist nach Ansicht der jüdischen und christlichen Überlieferungsgemeinschaft im Kern das Wort der »Erwählung« durch Gott. 188 Ob dieses Wort an neuen Generationen wirksam wird, hängt allein von der Treue Gottes zu seiner Erwählung ab. Und nur weil Gott diese Treue einst versprochen und seinen Bund gestiftet hat, 189 ist diese Treue selbst nach wie vor »Überlieferungsgut«. Der Lesemeister vermag für die Wirksamkeit dieses Wortes 184 Vgl. ebd., 47, 487; vgl. Kap. 6.3.4. Schaeffler äußert sich umfänglich zur Frage nach der »Kanonizität« und der Funktion normativer Texte in: Ders., PhE I, 290–320, bes. 294–297. 185 Vgl. Ders., PhE III, 488 f. 186 Ebd., 488. 187 Ebd., 489. 188 Vgl. dazu ebd., 120–125, 130–138. 189 Vgl. ebd., 491. Vgl. Lk 1,54 f.: »… er denkt an sein Erbarmen, das er unsern Väter verheißen hat.«

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nicht einzustehen. Doch ist es seine Aufgabe, die Leser mit dieser »Berufung« vertraut zu machen und ihnen den Zuspruch der Erwählung in den Texten und Erzählungen der Überlieferung so zu erschließen, dass sie als Hörer und Leser kraft ihrer eigenen Glaubensantwort in diese Tradition eintreten und selbst zu »Erben der göttlichen Treue zu den Vätern« 190 werden können.

6.4.6 Überleitung: Der Philosoph – ein fremdsprachlicher Sprachlehrer? Angesichts der vorgestellten Ämter der christlichen Überlieferungsgemeinschaft, die in direkter Verbindung mit dem Gebet stehen und eine »oikodometische« Aufgabe für die Gemeinde übernehmen, stellt sich unweigerlich die Frage, welche Funktion und welchen Wert eine philosophische Gebetslehre hat. Oder direkter gefragt: In welcher Rolle sieht sich eigentlich Schaeffler selbst? Ganz offenkundig tritt er mit seinen philosophischen Beiträgen weder im Gottesdienst in Erscheinung, noch als Praxisanleiter oder Katechet. Als Philosoph kann er kein religiöser Sprachlehrer sein, noch als Vorbeter oder Lesemeister in Erscheinung treten – und doch, so wird man nach all dem Gesagten eingestehen, leistet seine Gebetslehre einen verdienstvollen Beitrag für die Gebetsgemeinschaft, den diese hoffentlich aufzunehmen und zu schätzen weiß. Dass der Philosoph dem Beter etwas zu sagen hat, wird schon in der »Kleine[n] Sprachlehre des Gebets« überaus deutlich. Bezüglich dieses Titels ist nun aufzudecken, dass hier ganz offenbar keine »Sprachlehre« im oben beschriebenen Sinne gemeint sein kann – so wie etwa Eltern ihre Kinder die Sprache des Gebetes lehren. Denn als Philosoph spricht er gewissermaßen eine andere »Muttersprache«. Ein Philosoph ist als solcher kein Betender, sondern eben ein (dem Beten) »Nach-Denkender«. Aus seiner aufmerksam kritischen Distanz heraus vermag er dem Beter gleichwohl eine Verständnishilfe darüber anzubieten, was ein Beter denn »tut«, wenn er betet. Wer aber kann letzten Endes beurteilen, ob die (sprach-)philosophischen Beobachtungen zutreffen, ob sie das nervöse Zentrum dessen bestimmen können, was das Gebet ausmacht? Der Philosoph, der mit Hilfe der sprachphilosophischen Mittel die Gebetssprache ana190

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lysiert und den dazu notwendigen Abstand wahrt – oder doch allein der Beter, der zu »seinem« Gott spricht und in persönlicher Korrelation mit ihm steht? Ist der philosophische Blick nicht zu distanziert? Ist der Beter – so die Gegenfrage – nicht viel zu sehr in dieses Geschehen involviert und darin »befangen«? Diese noch recht schlichten Überlegungen zur Aufgabe und Position des philosophischen Sprachlehrers öffnen ein weites wissenschaftstheoretisches Terrain. Schaeffler strukturiert die hier auftretende Problemstellung in folgender Stroßrichtung und fragt: Wie verhält sich das Gebet zu anderen Sprachformen, in denen das Wort »Gott« vorkommt? Sprechen Theologen und Philosophen vom selben Gott, zu dem der Beter spricht? Und wer hat schließlich die Entscheidungshoheit darüber, diese Frage zu beantworten? Welches ist die ursprüngliche und welches die angemessene Weise religiösen Sprechens? Diesen fundamentalen Fragen, die sich in Schaefflers Gebetslehre gleichsam an den Grenzen zur Theologie und zur philosophischen Gottesrede abzeichnen, soll im folgenden Kapitel nachgegangen werden.

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7 »Sprechen zu Gott, von Gott oder über Gott?« – Das Gebet im Verhältnis zu Theologie und Philosophie

7.1 Problemexposition: Von der Dreisprachigkeit der Gottesrede Der originäre Ort der Gottesrede ist für Schaeffler das Gebet. Im Akt der Namensanrufung werden nicht nur Subjektivität und Erfahrungswelt des Beters konstituiert, sondern anhand der Struktur dieser Sprachhandlung lassen sich auch Rückschlüsse auf den Gottesbegriff des Beters ziehen. 1 Wenn Schaeffler im Ausgang von der »acclamatio« und »revelatio nominis« zu Aussagen über Gottes Sein als solchem gelangt, so darf er sich in der bewährten Tradition Thomas von Aquins wissen, der in seiner theologischen »Summa« die Frage nach dem Wesen Gottes bezeichnenderweise in einer Quaestio »De nominibus Dei« erörtert – wobei Thomas theologiegeschichtlich wiederum an den berühmten Traktat des Pseudo-Dionysios »De divinis nominibus« anknüpft. 2 Ein vergleichbarer Zugang zur Gottesrede geht auch vom zweiten Brennpunkt der Gebetslehre Schaefflers aus, der Doxologie: Die Anrufung Gottes und das erzählende Rühmen seiner Taten findet im hymnischen Partizipialstil 3 und in litaneiVgl. Kap. 4.5. Vgl. Thomas v. Aquin, Summa theologica I q. 13. Thomas stellt die Frage nach dem theologischen Gehalt der Gottesnamen (v. a. der Namensoffenbarung in Ex 3,14) in der Quaestio über »Gottes Dasein und Wesen«; Pseudo-Dionysius Areopagita, Der Name Gottes, Stuttgart 1988. Vgl. R. Schaeffler, Religiöse Gottesnamen und philosophische Gottesbegriffe, in: G. Wieland (Hg.), Religion als Gegenstand der Philosophie, Paderborn 1997, 197–217, hier 201. Vgl. auch das Einleitungskapitel »Gottes Namen« in: J. Werbick, Gott verbindlich, Freiburg i. Br. 2007, 19–70, insbesondere den Rekurs auf Pseudo-Dionysios und Thomas v. Aquin ebd., 24 u. 29 f. Eine zeitgenössische theologische Gotteslehre ausgehend vom »Namen Gottes« legt Alex Stock vor. Vgl. Ders., Poetische Dogmatik, Gotteslehre, Bd. 2: Namen, Paderborn 2005. 3 Vgl. R. Schaeffler, GuA, 190–192, 221–223; Ders., PhE III, 45. Als Beispiel nennt Schaeffler das liturgische Gloria. Ein eindrucksvolles Beispiel einer litaneiartigen Anrufung von Gottesnamen und -prädikaten in Form der Du-Anrede stellt der so1 2

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artigen Aufzählungen von »Gottesnamen« ihre Fortsetzung. Im liturgischen Kontext, wo diese Gebetsweise ursprünglich beheimatet ist, kann der Übergang von der Doxologie zu lehr- und bekenntnishaften Aussagen über Gott oft gar nicht genau ausgemacht werden. Sofern Schaeffler die Entstehung der Theologie exakt an dieser Schnittstelle verortet, wäre es für ihn naheliegend, sich auf das altkirchliche Prinzip »lex orandi – lex credendi« zu berufen. 4 Doch er bezieht sich weniger auf diesen traditionellen Grundsatz, sondern auf eine zeitgenössische Bezugsperson, den methodistischen Theologen Geoffrey Wainwright, mit dem Schaeffler zeitweise in akademischem Austausch stand. Wainwrights Projekt, einen theologischen Gesamtentwurf allein aus der »Doxologie« heraus zu entwickeln, hat Schaefflers Nachdenken über den Zusammenhang von Gebet und Theologie nachhaltig beeinflusst. 5 Er fasst an einer Stelle die Zuordnung von Doxologie und Theologie auf folgende, besonders prägnante Weise zusammen: »[…] communion with God, symbolically focused in liturgy, is the primary locus of religious language for the Christian. Theological language belongs to the second order: it is the language of reflexion upon the primary experience. The language of worship mediates the substance on which theologians reflect; without that substance, theological talk would have no referent.« 6 genannte »Lobpreis Gottes« des Heiligen Franziskus dar. Vgl. D. Berg – L. Lehmann (Hg.), Franziskus-Quellen, Kevelaer 2009, 37 f. 4 Nach neueren Forschungen wird dieses Prinzip auf Prosper von Aquitanien († um 455) zurückgeführt. Vgl. dazu A. Kistenbrügge, Das Gebet in der Dogmatik, 312– 317, v. a. die ausführlichen Literaturangaben ebd., 312 f. 5 Ein Zeugnis für den Kontakt zwischen Schaeffler und Wainwright ist der bereits mehrfach zitierte Aufsatz Schaefflers »Δοξολογία καὶ Οἰκοδομή«, der in der Festschrift zu Wainwrights 60. Geburtstag erschienen ist. Vor diesem Hintergrund erscheint der von Schaeffler gewählte Aufsatztitel gleichermaßen als eine Reminiszenz an Wainwrights systematisches Hauptwerk »Doxology«, wie ein Versuch, den ekklesiologischen Aspekt des Gebetes noch stärker zu betonen. Vgl. zur gegenläufigen Rezeptionsebene: G. Wainwright, Recent Continental Theology: Historical and Systematic, in: Expository Times 101 (1990), 148–153, hier 150 (Rez. R. Schaeffler, Das Gebet und das Argument). 6 G. Wainwright, Doxology, 21. Wainwright beruft sich wiederum häufig auf Edmund Schlink (vgl. Kap. 5.1). Vgl. dazu insbesondere: Ders., Der Gottesdienst als »Locus Theologicus«, in: KuD 28 (1982), 248–258; vgl. allgemein die liturgietheologischen Beiträge: Ders., Art. »Gottesdienst. IX. Systematisch-theologisch«, in: TRE, Bd. 14, Berlin – New York 1985, 85–93; Ders., Systematisch-theologische Grundlegung, in: H.-C. Schmidt-Lauber – u. a. (Hg.), Handbuch der Liturgik, Göttingen

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Problemexposition: Von der Dreisprachigkeit der Gottesrede

Die Unterscheidung der Gottesrede in »first order« und »second order language«, in Sprechen zu und Sprechen von Gott, wird in der angelsächsischen Theologie ausführlich diskutiert. 7 Eine Signalwirkung übt auf Schaeffler in der eben zitierten Passage Wainwrights wohl der letzte Begriff aus: Theologische Rede hat ohne den Bezug zum gottesdienstlichen Sprechen »keine Referenz«. 8 Der Vorwurf der Sinnlosigkeit gegenüber theologischen Sätzen lässt sich, so Schaeffler, nur dann ausräumen, wenn der Sachbezug (engl. »reference«) und vermittels diesem auch der Bedeutungsgehalt theologischer Rede aufgewiesen werden kann, das heißt, wenn auch im theologischen Argumentieren die Verbindung zum ursprünglichen Ort dieser Rede nicht aufgegeben wird. 9 Unbeschadet des eigenständigen Lösungsweges, den Schaeffler hier mit der Formel »autonom, aber nicht autark« 10 sprachphilosophisch einschlägt, bezieht er sich an diesem neuralgischen Punkt immer wieder auf Wainwright. »Alle ›Theologie‹«, so Schaefflers These, »wurzelt in der ›Doxologie‹ und bewährt sich darin, Kriterien für die rechte Weise der Doxologie bereitzustellen.« 11 Oder mit deutlicherem Bezug auf die Akklamation des Namens: »[Der; S. W.] doxologisch angerufene und ausgerufene Name des Heiligen ist der Ursprung aller religiöser Begriffe.« 12 Wie leichtfertig darf die Gottesrede den Überschritt vom »Namen« zum »Begriff« wagen? Und wie unbesehen kann oder muss hier die Perspektive der zweiten Person – das »Du« – dem Sprechen über Gott in der dritten Person weichen? Schaeffler glaubt bei vielen Theologen nicht nur eine Anstrengung, sondern gar eine »Leiden32003, 72–94. Zu Wainwrights Verhältnisbestimmung von Gebet und Dogmatik vgl. die Darstellung in: A. Kistenbrügge, Das Gebet in der Dogmatik, 303–326. 7 Vgl. dazu I. U. Dalferth, Religiöse Rede von Gott, bes. 326–335. 8 Vgl. R. Schaeffler, RelPhil, 192. Dort zitiert Schaeffler ebendiese Aussage Wainwrights. Vgl. den gesamten Abschnitt über Wainwright, ebd., 191–196. 9 Vgl. Schaeffler in unmittelbarem Bezug auf Wainwright in der Einleitung von »Das Gebet und das Argument«: »Nur der Bezug zum gottesdienstlichen Lobpreis Gottes versichert die Theologie ihres Sachbezugs und Bedeutungsgehalts.« Ders., GuA, 4. 10 Vgl. ausführlich Kap. 7.3. 11 Ders., PhE III, 48. 12 Ebd., 247. Vgl. auch Ders., Die Vielfalt der Weisen religiöser Wahrheit, 93–95. Hier führt Schaeffler – neben dem nochmaligen Verweis auf Wainwright – auch die von ihm begleitete Dissertation von Julie Kirchberg an, die auf eindrucksvolle Weise die »Theologie« des jüdischen Gebetbuches herausarbeitet. Vgl. Dies., Theo-logie in der Anrede, bes. 106–115 (»Zur Wiederentdeckung der Doxologie als locus theologicus«).

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schaft des Begriffs« 13 zu beobachten, die den Lobpreis des Namens als ihren originären Kontext schnell hinter sich lässt. 14 Galt Wainwright für Schaeffler gewissermaßen als der Kronzeuge für den Ursprung der Theologie aus der Doxologie, so personifiziert sich in Jean-François Lyotard für ihn die Warnung vor einer allzu selbständigen und ausufernden Vernunft, die Gott »auf den Begriff« zu bringen versucht. Lyotards berühmtes Zitat – »Krieg dem Ganzen, […] aktivieren wir die Widerstreite, retten wir die Ehre des Namens« 15 – richtet sich ursprünglich gegen Hegel, den Denker der »Ganzheit«, auf den im Übrigen auch das Diktum von der »Anstrengung des Begriffs« 16 zurückgeht. An der Seite Lyotards und zur »Ehrenrettung« des geschichtlichen Offenbarungsverständnisses im Monotheismus wendet sich Schaeffler in diesem Zusammenhang ausdrücklich gegen das dialektische System Hegels: »Die ›Ehre des Namens‹«, so Schaeffler, »der eine Begegnung ausspricht, sich aber nicht auf den Begriff bringen läßt, verbietet die Konstruktion einer Geschichte, deren dialektischem Gesetz sich jede derartige Begegnung apriori einfügen müßte.« 17 Durch den Hinweis auf Wainwright und Lyotard eröffnet sich ein Problemhorizont, dem Schaeffler mit größter Aufmerksamkeit begegnet. Denn der berechtigte Einwand Lyotards schlägt leicht um in eine Dissoziation der Gottesrede im Sinne Pascals, der im berühmten »Mémorial« seiner nächtlichen Erfahrung den »Gott Abrahams, Isaaks und Jacobs« vom »Gott der Philosophen« deutlich unterschieden wissen möchte. 18 Diese Tendenz zunächst verschärfend 13 R. Schaeffler, Der Gott der Philosophen oder der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs?, in: M. Lutz-Bachmann – A. Hölscher (Hg.), Gottesnamen, Berlin 1992, 129– 150, hier 132 [künftig: Der Gott der Philosophen]. 14 Dass es freilich auch Theologinnen und Theologen gibt, die sich des Ursprungs der Theologie aus dem Gebet besinnen und ihre eigene »Zunft« (mitunter mahnend) daran erinnern, darf nicht verschwiegen werden. Vgl. etwa J. B. Metz in seinem berühmten Aufsatz zur »Gotteskrise«: »Die Rede von Gott stammt allemal aus der Rede zu Gott, die Theologie aus der Sprache der Gebete.« Ders., Gotteskrise, in: Ders. – u. a. (Hg.), Diagnosen zur Zeit, Düsseldorf 1994, 76–92, hier 79. 15 J.-F. Lyotard, Beantwortung der Frage: Was ist postmodern?, 203. 16 G. W. F. Hegel, Phänomenologie des Geistes, Frankfurt a. M. 1984, 56. 17 R. Schaeffler, PhE II, 206. Dass Schaeffler den Einspruch Lyotards gegenüber geschlossenen philosophischen Systemen sich auch selbstkritisch zu Herzen nimmt, lässt sich ebenfalls mehrfach zeigen. Vgl. die Auseinandersetzung mit Lyotard in: Ders., RelPhil, 285 f., Ders., EDW, 77–80. Vgl. Kap. 2.4.2. 18 Vgl. B. Pascal, Pensées, Heidelberg 91994, 248 f.

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Problemexposition: Von der Dreisprachigkeit der Gottesrede

konstatiert Schaeffler in einem Aufsatz, der jenes berühmte Schriftstück Pascals zum Ausgangspunkt nimmt, dass der Gott der Philosophen eben ein »begriffener« sei, der Gott der Bibel aber ein »gerufener«. 19 Wie aber ist dann der Übergang von der Doxologie zur theologischen Begriffsbildung zu rechtfertigen? Und wäre dieser als ein Fortschritt oder als ein Rückschritt zu werten? Weshalb, so wird man weiter fragen müssen, genügt es nicht einfach, in der »first order language« des Glaubens, der Sprache des Gebetes und des Bekenntnisses, zu verbleiben? Die hier grob umrissene Fragestellung wird theologisch und religionsphilosophisch unter ganz unterschiedlichen Vorzeichen diskutiert. Gemeinsam ist den meisten Beiträgen die Setzung von (scheinbaren) Alternativen: zwischen Name und Begriff, zwischen Beten und Denken, Vollzug und Lehre, fides qua und fides quae. Von hier aus findet man sich schnell inmitten der Grundsatzdebatte um das Verhältnis von Glaube und Vernunft, die gerne an den unterschiedlichen Denkwegen Pascals und René Descartes’ 20 personifiziert und simplifiziert wird. Eine systematische Gebets-Lehre wird früher oder später auf diese Fragen stoßen. Doch bedeutet das noch nicht, dass es sinnvoll ist, diese Unterscheidung so stark zu akzentuieren. Denn entgegen der Versuchung, Beten und theologisches Denken auseinander zu dividieren oder gar gegeneinander aufzurechnen, wäre der Einwand Jürgen Werbicks zu bedenken, ob nicht in Wahrheit »das Beten doch wesentlich reflexionshaltiger [sei; S. W.], als es auf Grund dieser Unterscheidung zu vermuten wäre – und die Theologie entscheidend mehr in die Hoffnungen und Aporien des Betens verstrickt, als man es sich herkömmlich eingestand« 21? Schaeffler hat sich diesen Metafragen des Betens gestellt. Dabei konnte er von Anfang an die Problembeschreibung deutlich präzisieren, indem er das Verhältnis von Gebet und Theologie einerseits und die Beziehung zwischen Gebet und philosophischem Gottesbegriff andererseits als zwei getrennte Fragen betrachtet. Das Zueinander von Beten und Denken stellt sich Schaeffler so als die wissenschaftstheoretische Verhältnisbestimmung der Trias von Gebet, Theologie und Philosophie dar. Im dritten Teil von »Das Gebet und das ArguVgl. R. Schaeffler, Der Gott der Philosophen, 133; Ders., GuA, 214 f. Vgl. Ders., Der Gott der Philosophen, 130 f. 21 J. Werbick, Gebetsglaube und Gotteszweifel, Münster 22005, 104. Vgl. allgemein dazu: T. Deutsch, O-Ratio. 19 20

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ment« nähert er sich dieser dreifachen Weise der Gottesrede unter dem Paradigma von je autonomen Sprachspielen, um diese auf mögliche – oder auch notwendige – Interferenzen hin zu untersuchen. Der leitende Terminus der »Interferenz« meint in diesem Zusammenhang: Ein selbstständiges (autonomes) Sprachspiel ist genötigt, in einem bestimmten Teilbereich, etwa der Rede von Gott, in den Bereich eines anderen, ebenfalls autonomen Sprachspiels »überzugreifen« und umgekehrt. 22 Dabei fällt auf, dass Schaeffler nicht von der Interferenz »zwischen« Sprachspielen spricht, sondern etwa von der Interferenz religiöser und philosophischer Rede. 23 In der Tat geht es ihm nicht um ein »zwischen«, um eine vermittelnde dritte (»ideale« oder »normative«) Sprache, 24 sondern um die partiell wechselseitige Durchdringung der Sprachspiele aus intern notwendigen Gründen. Zu Beginn des genannten Teils von »Das Gebet und das Argument« skizziert Schaeffler die Ausgangslage so: »[…] über Gott wird offensichtlich in mehreren strukturverschiedenen Sprachen gesprochen: nicht nur in der religiösen Sprache (vor allem im Gebet mit seinen Anrufungen und rühmenden Erzählungen), sondern auch in der Sprache der Theologie (mit ihren Lehrsätzen und dazugehörigen Begründungen […]), schließlich in der Sprache der Philosophie (mit ihren Versuchen, philosophische Gottesbegriffe zu entwickeln und philosophische Gottesbeweise zu führen).« 25

In der Linguistik wird der Begriff der »Interferenz« in der Regel eindimensional und eher negativ als der störende Einfluss einer fremden Sprache in die Muttersprache oder einer bestimmten Sachgebietssprache in eine fachfremde, andere Sprache definiert: »Interferenz ist die durch die Beeinflussung von Elementen einer anderen oder der gleichen Sprache verursachte Verletzung einer sprachlichen Norm bzw. der Prozeß dieser Beeinflussung.« J. Juhász, Art. »Interferenzlinguistik, in: H.-P. Althaus – u. a. (Hg.), Lexikon der Germanistischen Linguistik, Tübingen 1980, 646–652, hier 646. Zu Begriff und Verwendung von »Interferenz« bei Schaeffler vgl. Kap. 2.3.2. Vgl. außerdem B. Irlenborn, »Veritas semper maior«, 108: »Formal heißt das [Interferenz strukturverschiedener Sprachen; S. W.]: Es gibt zwischen den Sprachen des Gebets, der theologischen Reflexion und des philosophischen Begriffs eine solche Wechselbezüglichkeit, dass eine interne Notwendigkeit in jeder dieser Sprachformen in Bezug auf eine bestimmte Sachfrage vorhanden ist, die zur Folge hat, dass auch in den jeweils anderen Sprachen über genau diese Sachfrage gesprochen werden muss.« 23 Wo es sprachlich nicht allzu umständlich erscheint, soll der bei Schaeffler gebräuchliche Genitivanschluss im Folgenden beibehalten werden. 24 Denn dies würde die Autonomie der einzelnen Sprache ja wiederum gefährden. Vgl. Ders., GuA, 31, 95. 25 R. Schaeffler, GuA, 212 [Hervorhebungen S. W.]. 22

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Problemexposition: Von der Dreisprachigkeit der Gottesrede

In allen drei Sprachspielen wird von »Gott« gesprochen, und es lässt sich mit Recht die Frage stellen, ob diese Vokabel 26 in den jeweiligen »Sprachen« univok verwendet wird. Die schlicht formulierte, aber sehr komplexe Frage lautet daher: »Sprechen Glaube, Philosophie und Theologie vom selben Gott?« 27 Schaefflers Lösungsweg soll aufgrund der vielschichtigen Zusammenhänge in drei Einzelschritten erarbeitet werden: Zunächst muss als Ausgangsbasis noch einmal gefragt werden, wie denn der Glaube selbst von beziehungsweise zu Gott spricht (7.2). Im Zentrum der »gläubigen« oder »religiösen« Rede steht für Schaeffler das Gebet. Damit ergibt sich im Zuge der genannten Fragestellung zugleich die Möglichkeit einer nachträglichen Reflexion über den wissenschaftstheoretischen Anspruch seiner Gebetslehre. Daran anschließend soll untersucht werden, wie man von diesem für Schaeffler originären Gebrauch des Wortes »Gott« auf die Sprachebene der theologischen Gottesrede gelangt und worin für Schaeffler die Legitimation oder sogar die Notwendigkeit dieser Redeweise besteht (7.3). Zuletzt soll Schaefflers Verhältnisbestimmung zwischen dem »Gott des Beters« und dem philosophischen Gottesbegriff analysiert werden (7.4). Es geht im Folgenden also allein um das Verhältnis von Gebet und Theologie beziehungsweise (Religions-)Philosophie. Das Wechselverhältnis von Theologie und Philosophie untereinander wäre wiederum eine eigenständige Fragestellung. Als Inhaber des Lehrstuhls für »Philosophisch-Theologische Grenzfragen« hat sich Schaeffler verschiedentlich zum wissenschaftlichen Grenzverkehr von Theologie und Philosophie geäußert. An dieser Stelle kann nur auf die entsprechenden Publikationen verwiesen werden. 28 Schaeffler spricht bisweilen von der Vokabel »Gott« und ist sich des provokanten Charakters dieser Redeweise wohl bewusst. Dennoch schlage ich vor, im Folgenden eher vom Wort »Gott« zu sprechen, da die Bezeichnung Vokabel an den Kontext einer Fremdsprache denken lässt. Dem steht die Aussage Schaefflers entgegen, dass das Wort »Gott« in der Sprache der Religion und des Gebetes »heimisch« ist. Genau genommen müsste man hier eine Unterscheidung vornehmen, die schon weit über das hinausweist, was es im Folgenden erst zu untersuchen gilt: Für den Philosophen nämlich wäre »Gott« tatsächlich eine Vokabel, die er aus der Primärsprache des Gebetes »entleiht«. 27 So der Titel des Vortrags, den Schaeffler anlässlich seiner Ehrenpromotion in Freiburg i. Br. gehalten hat. In: Ders., Philosophisch von Gott reden, Freiburg i. Br. – München 2006, 23–60 [künftig: Sprechen vom selben Gott?]. 28 Die Vernachlässigung dieser Thematik ist entschuldbar, da Irlenborn in seiner Dissertation über Schaeffler einen Fokus auf das Verhältnis von Theologie und Philoso26

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Den folgenden Einzeluntersuchungen seien zwei einführende Beobachtungen vorausgeschickt: (1) In der ersten, von der Theologie strikt zu unterscheidenden Weise der Gottesrede fragt Schaeffler, wie von Gott »gläubig« oder »religiös« gesprochen wird. Eine genaue Eingrenzung dessen, was Schaeffler unter dieser »Primärsprache der Religion« 29 versteht, ist indes nicht leicht vorzunehmen. Er spricht vom »religiösen Gottesbegriff«, vom »Gott des Beters« oder vom »Gott des Glaubens«, über den in der »Sprache des Glaubens« oder der »Sprache der Religion« 30 gesprochen wird. Dieser weite Begriff einer religiösen Primärsprache ist offenbar dadurch gekennzeichnet, dass der Sprecher in der Teilnehmerperspektive spricht und selbst Glied der religiösen Überlieferungsgemeinschaft ist. Für unseren Zusammenhang ist vor allem bedeutsam, dass diese Primärsprache ihren innersten Kern in der Gebetssprache hat. Wenn im Folgenden also von der »religiösen Rede« von Gott – in Abgrenzung zur theologischen und philosophischen Gottesrede – gesprochen wird, dann führt die Untersuchung damit also nicht von der Gebetsthematik weg. Das Gebet macht für Schaeffler, wie auch aus dem eben angeführten Zitat eindeutig hervorgeht, den innersten Bestand der »religiösen Rede« aus, um den sich andere primärsprachliche Weisen der religiösen Rede (wie Bekenntnis, Verkündigung etc.) gruppieren. In jedem Fall ist die religiöse Primärsprache für Schaeffler die »interne« Sprache der Religion, die sich von der Theologie noch einmal unterscheiden lässt. 31 Eben dieser Unterschied wird im Folgenden Gegenstand der Untersuchung sein. phie legt. Vgl. B. Irlenborn, »Veritas semper maior«, 87–138, bes. 116–138. Als wichtige Beiträge Schaefflers sind zu nennen: Ders., Die Wechselbeziehungen zwischen Philosophie und katholischer Theologie, Darmstadt 1980; Ders., Glaubensreflexion und Wissenschaftslehre, Freiburg i. Br. 1980. Vgl. außerdem die Aufsätze: Ders., Zur Wissenschaftstheorie der Theologie, in: ThQ 157 (1977), 177–188; Ders., Wissenschaftstheorie und Theologie, in: CGG, Bd. 20, Freiburg i. Br. 1982, 6–82; Ders., Philosophie und katholische Theologie im 20. Jahrhundert; Ders., »Lieber fünf Worte mit Verstand als zehntausend im Zungenreden!«; Ders., Der strittige Begriff einer christlichen Philosophie, in: T. Trappe (Hg.), Wahrheit und Erfahrung, Würzburg 2004, 7–22; Beachtenswert ist schließlich auch Schaefflers Abschiedsvorlesung: Ders., Philosophisch – Theologische Grenzfragen. 29 Vgl. R. Schaeffler, Die Vielfalt der Weisen religiöser Wahrheit, 101. 30 Vgl. etwa Ders., PhE II, 18, 22. 31 Die Charakteristik von Schaefflers Unterscheidung in »religiöse Rede« und »Theologie« tritt noch markanter hervor, wenn man beispielsweise Ingolf Dalferths Konzept der »religiösen Rede von Gott« vergleichend hinzuzieht. Dieser subsumiert in seiner »Topographie christlicher Rede« unter dem Begriff der »religiösen Rede« so-

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Das Wort »Gott« in der Primärsprache der Religion

(2) Eine zweite vorweggenommene Lesehilfe in methodischer Hinsicht: Schaeffler bedient sich zur Rechtfertigung des autonomen Wahrheitsanspruchs der religiösen Rede von Gott vor allem der phänomenologischen Grundeinsicht der strengen Korrelation von Noema und Noesis (7.2). Das Zueinander von Gebet und Theologie untersucht Schaeffler vornehmlich in sprachphilosophischer Hinsicht als Interferenz zweier autonomer Sprachspiele (7.3). Das Verhältnis von Gebet und philosophischem Gottesbegriff wiederum nimmt er unter der leitenden Perspektive eines transzendentalen Gottesbegriffs als »Höhepunkt« seiner transzendentalen Erfahrungslehre in den Blick; dabei gilt es für ihn vor allem zu prüfen, ob dieser transzendentalphilosophische Gottesbegriff auch davon spricht, was der Beter »Gott« nennt (7.4). Aus dieser methodischen Beobachtung heraus lässt sich die These aufstellen, dass die konsistente Verhältnisbestimmung der dreifachen Gottesrede in Gebet, Theologie und Philosophie Schaeffler offenbar dazu veranlasst, das Methodenreservoir seines religionsphilosophischen Denkens voll auszuschöpfen. 32

7.2 Das Wort »Gott« in der Primärsprache der Religion 7.2.1 »Gott« als Name – »Gott« als Prädikat Das Wort »Gott« hat seinen ursprünglichen Sitz im Leben in den Zeugnissen der religiösen Erfahrung. 33 Es gibt für Schaeffler daher keinen anderen Zugang zu dem, was dieses Wort bezeichnet, als durch die Strukturanalyse des religiösen Aktes auf der Grundlage wohl die sogenannte »Glaubensrede« als auch die »theologische Rede«. Vgl. Ders., Religiöse Rede von Gott, 366–391. Ein interessanter Vergleich ließe sich auch mit der Habilitationsschrift von Julia Knop zum Verhältnis von Liturgie und Dogmatik anstellen (Dies., Ecclesia orans, Freiburg i. Br. 2012). Knop unterscheidet drei Ebenen christlicher Gott-Rede: 1. Die »theologia prima« in Kerygma, Gebet und Bekenntnis; 2. Die Zwischenebene der katechetischen und pastoralen »Gott-Rede« (z. B. Homilie, Katechese, Exerzitien usw.), die sowohl diskursive als auch reflexive Momente enthält; 3. die »theologia secunda« auf der Reflexionsebene der konfessionsbezogenen, wissenschaftlichen Theologie (vgl. ebd., 260–271). Im Gegensatz zu Schaeffler schlägt Knop also einen sehr weiten Theologiebegriff vor. Der Verweis auf diese neuere Studie ist insofern angebracht, als Knop bei der Interpretation des Gebetsaktes in erheblichem Maß auf Schaeffler rekurriert (vgl. ebd., 304–317). 32 Vgl. Kap. 2. 33 Vgl. R. Schaeffler, PhE II, 15, 18, 21. Beten denken

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einer transzendentalen Phänomenologie. Dieser Akt wiederum und die Gewissheit, dass er tatsächlich spezifisch »religiöser« Art ist, erschließt sich vor allem durch die sprachlich übermittelten Zeugnisse religiöser Erfahrung, 34 insbesondere durch die Gebetssprache. Denn am Gebet, so Schaeffler, »läßt sich die Eigenart des religiösen Aktes und seines Gegenstandsbezugs exemplarisch ablesen« 35. Wie im Kapitel über die religionsphilosophische Methodenkombination bereits festgestellt wurde, eignet sich für Schaeffler das »Gebet« als der zweifelsfrei »selbständige« und »unableitbare« religiöse Akt 36, an dem allein erfasst werden kann, was ein religiöser Mensch eigentlich meint, wenn er »Gott« sagt. In seiner Auseinandersetzung mit der Namensanrufung in »Das Gebet und das Argument« (vgl. Kap. 4.2) gelangt Schaeffler zu einer ersten Definition darüber, wie »religiös« von Gott gesprochen wird: »Sofern in Religionen von Gott die Rede ist, ist dieser primär nicht durch einen Begriff zu bestimmen, sondern durch einen Namen (oder durch eine Mehrzahl solcher Namen) zu identifizieren. Was aber der Name bedeutet, kann nur in Erzählungen expliziert werden. Solche Erzählungen sind die ursprüngliche Form der religiösen Aussage.« 37

Die Art und Weise der Verwendung des Namens in der Gebetssprache lässt Rückschlüsse auf den »Gottesbegriff des Beters« zu (vgl. Kap. 4.5). Darüber hinaus beobachtet Schaeffler vor allem in der Gebetssprache der Psalmen auch Sprachhandlungen, die den Namen Gottes nicht im eigentlichen Sinn anrufen, sondern sich explizit auf den »Namen« beziehen – so in der Einung, Heiligung und Segnung des Namens (vgl. Kap. 4.6). Neben diesen bereits behandelten religiösen Redeweisen, an die hier nur erinnert zu werden braucht, ist es für die Frage nach dem originären Ort der Gottesrede von Interesse, dass Schaeffler weitere Sprachformen zu erkennen glaubt, in denen von Gott zwar »religiös«, aber außerhalb der Sprachhandlung der Namensanrufung gesprochen wird. Er nennt hier die Verwendungen des Wortes »Gott« als (1) Unterscheidungsnamen, als (2) Eigennamen, sowie als (3) PrädiVgl. ebd., 17. Ders., Der Beter, sein Gott und seine Welt, 573.; vgl. Ders., RelPhil, 215; vgl. dazu ausführlich Kap. 2.2.3: »Chancen und Grenzen der religionsphänomenologischen Methode«. 36 Vgl. Ders., RelPhil, 133. 37 Ders., Sprechen vom selben Gott?, 28. 34 35

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kator in Aussagesätzen: 38 (1) Als ein »Gott« wird in unterschiedlichen Religionen dasjenige bezeichnet, was als »Adressat« der religiösen Verehrung in Frage kommt. Aus einer größeren Zahl von Mächten – die in religiöser Hinsicht möglicherweise nicht unbedeutend sind – ist »Gott« ein Unterscheidungsname, durch den die allein verehrungswürdigen Mächte ausgezeichnet werden. Auch andere »Gegenstände« oder Wesen können in religiösen Akten durchaus eine Rolle spielen – aber sie werden eben nicht »in Gebet und Hymnus angerufen oder im Kult und anderen Feiern verehrt« 39. Mit einem Wort: Ein »Gott« ist, wer angebetet wird; oder: Ein »Gott« ist das »Woraufhin« einer religiösen Beziehung. 40 (2) In der Religionsgeschichte Israels, aber nicht nur dort, lässt sich beobachten, wie mit der Entwicklung zur Monolatrie – also der religiösen Beziehung allein zu einem Gott – »Gott« zum Eigennamen wird und andere Eigennamen wie »der Herr« allmählich ersetzt. Schaeffler denkt hier etwa an die Aussage in Psalm 100,3: »Der Herr allein ist Gott«. Die sogenannten »anderen Götter« werden als nur fiktive Götter, als Scheingötter betrachtet, so dass der Ausdruck »Gott« allein für Jahwe gebraucht wird und sich mehr und mehr zu einem Eigennamen entwickelt. Die Unterscheidung also, »wer« als Gott angesehen wird (und »wer« nicht), wurde in bestimmten religionsgeschichtlichen Situationen zugunsten des einen Gottes entschieden, und zwar durch die Praxis der alleinigen religiösen Anrufung und kultischen Verehrung. (3) Dieselbe Entscheidung kann auch angezeigt werden, indem das Wort »Gott« nicht als Name, sondern als »Prädikator« verwendet wird. Anstelle der Zuschreibung von Tätigkeitseigenschaften kommt es vor, dass in hymnischen Akklamationen – auf den ersten Blick etwas eigentümlich – prädiziert wird: »Du bist (ein) Gott«. Schaeffler zitiert hier ein literarisches Beispiel bei Ovid, wo Äneas auf eine »numinose Gestalt« trifft und in dieser Begegnung zu der Überzeugung gelangt und diese auch kundtut: »Du bist eine Göttin«

Vgl. zum Folgenden Ders., GuA, 219–223; Ders., Neue Aspekte, 162–164. Ders., GuA, 220. In der christlichen Tradition wurde auf die Unterscheidung zwischen »latria« (Anbetung Gottes) und »dulia« bzw. »proskynesis« (Verehrung von Heiligen) seit dem Zweiten Konzil von Nicäa (787) zumindest auf theologisch-begrifflicher Ebene immer geachtet. Vgl. DH 601. 40 Vgl. R. Schaeffler, GuA, 220; Ders., Neue Aspekte, 162 f. Genau dies besagte auch Schaefflers »Gottesbegriff des Beters« (Kap. 4.5): »Ein Gott ist, dessen Name angerufen werden kann …«. 38 39

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(nämlich Minerva). 41 Den Ausdruck »Gott« in prädikativer Verwendung findet Schaeffler auch in den Psalmen wieder, etwa in dem eben zitierten Psalmvers oder noch prägnanter in Psalm 86,10: »Denn du bist groß und tust Wunder; du allein bist Gott.« Als eine solche Gottes-Prädikation lässt sich nach Schaeffler auch die hymnische Aufzählung im liturgischen »Gloria« ansehen, wo über Christus verschiedene Aussagen getroffen werden, die seine Göttlichkeit bekunden: »Du allein bist der Heilige, du allein der Herr, du der Höchste …« Merkwürdig erscheint, dass das Prädikat »ein Gott zu sein« als eines unter anderen zugeschrieben werden kann. Der semantische Inhalt zielt auch hier wiederum eindeutig auf die pragmatische Konsequenz, nämlich die Verehrungs- und Anbetungswürdigkeit des einzigen Gottes klarzustellen. Bei allen drei angeführten religiösen Verwendungen des Wortes »Gott« wird deutlich, dass diese sprachlich strenggenommen zwar keine Namensanrufung sind – aber gleichwohl genau dazu aufrufen. 42 Aus dieser Perspektive betrachtet gewinnt für Schaeffler ein Wort aus dem Römerbrief seinen evidenten Sinn. Dort mahnt Paulus: »Denn sie haben Gott erkannt, ihn aber nicht als Gott geehrt (gr. ›ἐδόξασαν‹) und ihm nicht gedankt (gr. ›ηὐχαρίστησαν‹)« (Röm 1,21). Paulus wundert sich, so Schaefflers Interpretation, über diejenigen Menschen, denen die Vokabel »Gott« geläufig und bekannt zu sein scheint, die aber den Schritt von der Gotteserkenntnis zur Doxologie nicht vollziehen. 43

7.2.2 »Gott« im Selbstverständnis religiöser Rede Schaefflers Aussagen über die religiöse Rede von Gott, soweit sie sich von der Anrufung des Namens her erschlossen haben, bauen letztlich alle auf eine enge Zusammenschau von religiösem Gegenstand (»Gott«) und religiösem Akt (»Anbetung«). Diese Einsicht pflegt Schaeffler methodisch mit Hilfe des phänomenologischen Grundgesetzes nach Husserl zu erläutern: 44 Um dem auf die Spur zu komVgl. Ders., GuA, 221. Die Fortsetzung des eben zitierten Psalmverses macht dies ebenfalls deutlich: Nachdem das »Gottsein« einhellig prädiziert wurde, lautet der folgende Vers: »Tretet mit Dank durch seine Tore ein! Kommt mit Lobgesang in die Vorhöfe seines Tempels! Dankt ihm, preist seinen Namen!« (Ps 100,4). 43 Vgl. Ders., GuA, 223. 44 Vgl. Kap. 2.2.1. 41 42

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men, was Menschen meinen, wenn sie »Gott« sagen, muss bei der religiösen Erfahrung selbst und den sprachlichen Zeugnissen dieser Erfahrung angesetzt werden. 45 Diese »Vokabel«, so Schaeffler, »ist dadurch bestimmt, daß sie nur im Kontext der religiösen Sprache in ihrer ursprünglichen Bedeutung verwendet werden kann; und die ›Wesens-Eigenart‹ aller ›Noemata‹, auf die der religiöse Akt sich bezieht, darunter auch die ›Wesens-Eigenart‹ Gottes […], ist dadurch bestimmt, daß er dem Menschen nur in der religiösen Erfahrung oder im Zusammenhang mit ihr ›originär gegeben‹ werden kann.« 46

Sprachphilosophisch gewendet heißt dies: »Nur in der Sprache der Religion kann unmittelbar oder ›objektsprachlich‹ vom Heiligen und Göttlichen gesprochen werden.« 47 Nur in dieser Sprache behalten diese Begriffe ihren »Sachbezug« und ihren »Bedeutungsgehalt«. 48 Schaeffler spricht deswegen häufig davon, dass das Wort »Gott« in der religiösen Sprache »heimisch« 49 sei, während es in anderen Sprachen – und dessen sollte sich ein Sprecher bewusst sein – nur als ein »Lehnwort« 50 gebraucht werden kann. Religiöse Erfahrung und religiöse Sprache, so Schaeffler, »zeichnen […] Kontext vor, innerhalb dessen allein es möglich wird, daß die Wirklichkeit Gottes originär gegeben und sprachlich auf originäre Weise bezeugt wird« 51. Im Rückgriff auf die phänomenologische Leitidee von der »originären Gegebenheitsweise« einer Sache und von der »strengen Korrelation« zwischen dem religiösen Akt und dem offenbar werdenden »Gegenstand« dieses Aktes, gelingt es Schaeffler, seine These von der Eigen-

45 Vgl. Ders., PhE II, 17. In dieser Einleitung betont Schaeffler den Unterschied zwischen seiner »philosophischen Einübung in die Gotteslehre« und der klassischen philosophischen Gotteslehre. Letztere stellt mit Hilfe der eigenen Begrifflichkeit die Fragen: »De Deo an sit?« bzw. »De Deo quid sit?« Schaeffler hingegen möchte sich die Thematik von der religiösen Erfahrung selbst vorgeben lassen und geht daher aus »von der Strukturanalyse des religiösen Aktes, wie er in Zeugnissen der religiösen Erfahrung der Erforschung zugänglich wird«. Ebd. 46 Ebd., 164 f. 47 Ebd., 22. Das Adjektiv »objektsprachlich« ist hier als Fachterminus aus der Sprachphilosophie und Logik zu verstehen, der seit Tarski und Carnap als Antonym zu »metasprachlich« verwendet wird. 48 Vgl. Ders., Religiöse Gottesnamen und philosophische Gottesbegriffe, 200. 49 Vgl. Ders., PhE II, 163. 50 Vgl. Ders., GuA, 290 ff.; Ders., PhE II, 15, 20, 163; Ders., Sprechen vom selben Gott?, 53; Ders., Neue Aspekte, 159; vgl. dazu unten Kap. 7.4.1, Fn. 154. 51 Ders., PhE II, 166.

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ständigkeit und Irreduzibilität der religiösen Erfahrung und Sprache zu untermauern. 52 Zum richtigen Verständnis dieser exponierten These ist es notwendig, die Einzelschritte und Abwägungen zu berücksichtigen, mit denen Schaeffler sich dem Selbstverständnis religiöser Zeugnisse zu nähern versucht. Andernfalls könnte der Verdacht entstehen, dass hier der charakteristisch weite Blick der (religions-)phänomenologischen Methode dazu eingesetzt wird, um nur eine bestimmte Gottesvorstellung, nämlich die jüdisch-christliche zu »sehen« und die Zeugnisse dieser Tradition als die alleinig und wahrhaft religiösen zu legitimieren. Demgegenüber erhebt Schaeffler den Anspruch, den religiösen Akt umfassend wahrzunehmen; er will sich nicht auf das »Proprium Biblicum« beschränkt wissen, sondern immer auch das »Generale Religiosum« 53 berücksichtigen. Dies schließt freilich nicht aus, dass Schaeffler ein wachsames Interesse dafür hegt, tragfähige Gründe ausfindig zu machen, warum in aller Vielfalt religiösen Sprechens in gewissen Traditionen von einem Gott und von einem Gott gesprochen wird – und zwar mit jenen Eigenschaften und Merkmalen der Personalität, wie sie die jüdisch-christliche Überlieferung bezeugt. Wenn also gefragt wird, wie innerhalb der »Sprache der Religion« gesprochen wird, und warum von »Gott« gesprochen wird, dann ist es notwendig, den gesamten Weg der phänomenologischen Beschreibung Schaefflers zu berücksichtigen, wie er von einem sehr allgemeinen, religionsphänomenologisch geleiteten Blick (1) zu den Spezifika der jüdischen (2) und schließlich christlichen (3) Gottesrede Schaeffler steht mit dieser These im gegenwärtigen (sprach-)philosophischen Diskurs keineswegs allein. Stellvertretend sei hier eine Passage bei Charles Talyor angeführt, in der sich erstaunliche Konvergenzen zu Schaeffler wiederfinden. Im Rahmen der Darlegung seines sprachphilosophisches Verständnisses von »Bedeutung« kommt Taylor neben der »Repräsentation« auch auf den »invokativen Gebrauch« von Wörtern zu sprechen, u. a. auf die Anrufung Gottes. Taylor schreibt hierzu: »Der letzte Kontext, in dem ein Ausdruck verankert ist, ist der invokative. Das heißt, sein grundlegender, korrekter Gebrauch ist durch den invokativen Kontext bestimmt […]. Diese Bedeutung ist primär, denn (1.) ist sie in allen anderen Verwendungsweisen vorausgesetzt, das heißt ein bloß repräsentativer Gebrauch, das, was wir außerhalb des invokativen Zusammenhangs korrekterweise über Gott sagen können, kann nur durch das validiert werden, was wir auf richtige Weise innerhalb desselben sagen; und (2.) ist es sogar unklar, was wir damit meinen, Gott richtig zu beschreiben, und muß durch unser Wissen darum, wie wir ihn anzurufen und mit ihm in Beziehung zu treten haben, bestimmt werden.« C. Taylor: Bedeutungstheorien, in: Ders., Negative Freiheit?, Frankfurt a. M. 1995, 52–117, hier 109. 53 Vgl. R. Schaeffler, PhE II, 19. 52

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gelangt. Schaeffler will die folgenden Überlegungen – dies wäre zu deren Einordnung vorauszuschicken – nicht als eine »philosophische Gotteslehre« im traditionellen Sinn verstanden wissen will, sondern als ein »Nach-denken« und Offenlegen dessen, was Menschen religiös erfahren und wie sie diese Erfahrungen in der Primärsprache der Religion ins Wort bringen. (1) Nur innerhalb des religiösen Kontextes kann erfasst werden, was das Wort »Gott« meint. Dies ist die Ausgangsthese Schaefflers. Das heißt jedoch nicht im Umkehrschluss, dass nur ein Sprechen, in dem »Gott« ausdrücklich vorkommt, auch ein religiöses Sprechen sei. Etwas prägnanter formuliert: »Gott« kann zwar nur religiös erfahren und zur Sprache gebracht werden. Aber es gibt durchaus religiöse Erfahrung, die nicht »Gotteserfahrung« ist. 54 Schaeffler meint: »Es ist möglich, religiös sinnvoll zu sprechen, aber nicht von Gott zu sprechen; aber es ist unmöglich, sinnvoll von Gott in der originären Bedeutung dieses Wortes zu sprechen, ohne religiös zu sprechen oder sich, auslegend und zugleich kritisch [wie die theologische Rede; S. W.], auf Zeugnisse der religiösen Sprache zu beziehen.« 55

Schaeffler folgert daraus, dass offenbar nicht ein bestimmtes »Korrelat« (Gott) eine Erfahrung zur religiösen Erfahrung macht, sondern vielmehr die Qualität, wie etwas erfahren wird, nämlich als ein »Transparent-Werden« von Gegenständen oder Ereignissen für das Heilige. 56 Dieser Gedanke entspricht exakt der Behauptung, die Schaeffler in seiner Erfahrungslehre hinsichtlich der Interferenzen verschiedener Erfahrungsweisen vertritt, und die angewandt auf die religiöse Erfahrung heißt: Alles, was überhaupt erfahren werden kann, kann auch religiös erfahren werden. 57 Die in der Religionsphänomenologie übliche und sehr allgemeine Rede von »dem Heiligen« hat allerdings laut Schaeffler den Nachteil, dass diese Bezeichnung zweideutig verstanden werden kann, nämlich im Sinne von »alles, was heilig ist« – oder aber als der eine und identische Grund jeder

Vgl. ebd., 164 f. Ebd., 165. 56 Vgl. ebd. Dies ist im Übrigen auch der Grund, weshalb religionsphänomenologisch eher vom »Heiligen« als von »Gott« gesprochen wird. 57 Vgl. etwa Ders., EDW, 415; Ders., PhE I, 140 f. Biblisch wird dies etwa so formuliert: »Alle Lande sind der göttlichen Herrlichkeit voll« (Jes 6,3). Vgl. Ders., PhE I, 188 f. 54 55

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religiösen Erfahrung, der die »Transfiguration« unterschiedlicher Gegenstände als religiös erfahrene Korrelate bewirkt. 58 Und selbst wenn im letzteren, streng singularischen Sinn von »dem Heiligen« gesprochen wird, ist noch nicht klar, ob dies als ein apersonaler oder als ein personaler Grund – also als »ein Gott« 59 – aufgefasst werden soll. Schaeffler fragt daher weiter, was die Gläubigen in bestimmten religiösen Traditionen (wie der biblischen) dazu bewegt, ausdrücklich von einem personalen »Gott« zu sprechen. Wodurch werden sie veranlasst, nicht hinter die Geheimnishaftigkeit der numinosen Erfahrung zurückzutreten, sondern stattdessen entschieden zu behaupten, dass dieses »Heilige« erfahren wird als ein »Gott«? Schaeffler fasst diese Fragestellung unter die vergleichsweise lakonische Formulierung: »Wie kommt Gott in die Religion?« 60 Der Gegenstand der religiösen Erfahrung wird von Seiten der Religionswissenschaft scheinbar neutral als »numinose Macht« bezeichnet. Schaeffler greift diesen Begriff auf und unterstreicht die Ursprungsbedeutung des Wortes »Numen« als »Wink« oder »kurzes Nicken«. Damit erhält der Ausdruck aber sogleich eine personale Konnotation. Denn die numinose Macht wird vom Menschen so erfahren, dass sie allein durch eine kleine Bewegung oder ein bloßes Kopfnicken eine Entscheidung über Heil und Unheil, Tod und Leben fällen kann. Nicht nur »im Anfang«, wovon viele religiöse »Archaiologien« berichten, sondern auch heute und immerzu erfährt der Mensch sein Leben als labil; und er darf seine gegenwärtige Situation als ein Abbild jener ursprünglichen Entscheidungssituation wiedererkennen, von der in vielen religiösen Überlieferungen als einem urzeitlichen Kampf zwischen den Chaosmächten und einer lebensdienlichen Ordnung berichtet wird. Das Numinose wird so vor allen Dingen als eine »Entscheidungsmacht« erfahren, die die Alternative zwischen Leben und Tod, Ordnung und Unordnung – und hierin liegt der für Schaeffler entscheidende Aspekt – jederzeit ungenötigt und

Vgl. Ders., PhE II, 166 f. Die Vorstellung und den Gedanken der »Transfiguration« alltäglicher Gegenstände in Gegenstände, die als »heilig« erfahren werden können, übernimmt Schaeffler hier von M. Eliade. 59 Schaeffler gebraucht hier den Begriff »Gott« tatsächlich allein für die personaltheistische Option. 60 Ebd., 169–171. Vgl. dazu den religionsphänomenologisch ausgerichteten Aufsatz: Ders., »Das Heilige« und »der Gott« – oder: Wie kommt Gott in die Religion? (2004). Vgl. Kap. 2.2.1. 58

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frei treffen kann. 61 Das Numen, oder »das Heilige« im weiteren Sinn, »wird als diejenige Macht verstanden, die in ungenötigter Freiheit diese Alternative ›im Anfang‹ entschieden hat, zugleich aber diese Entscheidung immer neu inmitten der Zeit abbildhaft wiederkehren läßt« 62. Das Heilige ist religionsphänomenologisch betrachtet nicht zwingend als ein personaler Gott zu verehren. Und doch macht eben diese originäre Gegebenheitsweise als »numinose Macht« die Entstehung eines personalen Gottglaubens plausibel. 63 Diese Plausibilität hängt damit zusammen, dass in Schaefflers Denken »Freiheit« (als ungenötigte Entscheidungsmacht), »Personsein« (als Wirken, das andere Freiheit weckt) und »Geschichtlichkeit« (als historisches Bedeutungsmoment der Erfahrung) eng miteinander verknüpft sind. 64 Die numinose Entscheidungsmacht lässt den Menschen überall da, wo sie »begegnet«, zum Zeitgenossen der Ursprünge werden. Sie wird nicht als eine ewige, abbildhafte Wiederkehr einer a priori getroffenen Entscheidung erfahren, sondern vielmehr als befreiende Freiheit, die inmitten der Geschichte und angesichts der Alternativen von Heil und Unheil einen neuen Anfang setzen lässt. 65 Der Mensch ist dabei aufgefordert, selbst eine Wahl über Leben und Tod zu treffen, und er bekommt sogleich eine Option nahegelegt durch die simple Erkenntnis der Faktizität seines Lebens und der Welt – denn, so Schaeffler, »die Tatsache […], daß diese Welt als ganze nicht ›schon längst‹ in Tod und Unheil versunken ist, läßt erkennen, daß jene numinose Macht, die dem Menschen in der religiösen Erfahrung begegnet, schon ›im Anfang‹ eine freie und ungenötigte Entscheidung für das Leben und Heil der Welt getroffen hat« 66. Andernorts bezeichnet Schaeffler diesen Gedanken als ein »Zutrauen in die Erfahrung« aufgrund der Treue Gottes. 67 In der religiösen Erfahrung erfährt sich der

61 Vgl. Ders., Aussagen über das, was »im Anfang« geschah; Ders., »Das Heilige« und »der Gott«,163–167. 62 Ders., PhE II, 171. 63 Formal gesprochen: Schaefflers Begründung des personalen Gottglaubens findet hier (!) auf der Ebene der Kontingenz, nicht der Notwendigkeit – der Plausibilität, nicht der strengen Beweisführung statt. Vgl. dazu weiterführend Kap. 9.2. 64 Vgl. dazu die sehr komprimierte Argumentation in: Ders., PhE II, 172–174, sowie in: Ders., »Das Heilige« und »der Gott«, 162–169. 65 Vgl. ebd., 165 f. 66 Ders., PhE II, 172. 67 Vgl. Ders., EDW, 683 f.

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Mensch in »Zeitgenossenschaft mit den Ursprüngen« 68. Sofern er sich dieses historischen Bedeutungsmomentes bewusst wird und das Numen als freiheitsschaffende Freiheit wahrnimmt, liegt es nahe, von »dem Heiligen« als einer Person zu sprechen. »Die Freiheit, mit der die numinose Macht ›im Anfang‹ zwischen Heil und Unheil entschieden hat, aber auch die je neue Gegenwärtigwerdung dieser Entscheidung in konkreten historischen Situationen, vor allem aber das dialogische Verhältnis, in welchem die Art, wie der Mensch auf den Anspruch des Heiligen antwortet, neue Situationen hervorbringt, in denen auch dieser Anspruch eine neue, historisch konkrete Gestalt gewinnt, machen deutlich, daß das Heilige das Subjekt eines Dialogs mit dem Menschen ist und als solches ein personales Angesicht zeigt.« 69

Letztlich führt Schaeffler in diesem Argumentationsgang den Personbegriff auf den Freiheitsbegriff zurück – oder wie er einmal sagt: »Personal wirkt, was Freiheit weckt.« 70 Das Heilige kann personal verstanden werden – oder kurz: »Gott kommt in die Religion«, wenn es als eine Freiheitsmacht erscheint, die den religiös Erfahrenden inmitten seiner geschichtlichen Situation »unter die Anrede des Ursprungs von allem« 71 stellt. (2) In Schaefflers Begründung der personalen Gottesrede als einer Möglichkeit (nicht Notwendigkeit) aus der Gegebenheitsweise religiöser Erfahrung lassen sich unschwer jene Elemente wiederfinden, von denen auch sein sprachphilosophischer Gebetsansatz wie sein Verständnis von Doxologie geprägt werden: Geschichte, Freiheit und Dialogizität. In diese Trias fügt sich schließlich auch ein, was Schaeffler »innerhalb der religiösen Weise, von Gott zu sprechen« 72 als das »Specificum« und »Proprium« der biblischen Gottesrede herausstellt. Seine definitionsartige Beschreibung der alttestamentlichen Gottesrede lautet: »Der Gott, von dem in der Bibel die Rede ist, stiftet durch die Mitteilung seines Namens einen Wechselbezug von der besonderen Art eines ›Bundes‹. Dieser ist ein Verhältnis zwischen göttlicher und menschlicher Freiheit, konkreter: zwischen göttlicher ›Erwählung‹ eines Volkes aus den Völkern und menschlicher Wahl des einen Gottes aus den Göttern. Dieses Verhält68 69 70 71 72

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Ders., »Das Heilige« und »der Gott«, 167. Ders., PhE II, 173. Ders., »Das Heilige« und »der Gott«, 167. Ebd., 166. Ders., Sprechen vom selben Gott?, 32.

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nis findet seine konkrete Gestalt in der Sprachhandlung von Gebot und Gebet und in der Praxis der ›Heiligung des Namens‹.« 73

Das Judentum beschreibt das personal-freiheitliche Verhältnis zwischen Gott und Mensch unter dem Leitbegriff der Erwählung und des Bundes (»‫» – «ֵבּ ִרית‬berit«). Dahinter steht ein dem Alten Testament tief eingeprägter und im Exodus-Geschehen sich manifestierender Begriff von Gott als »Freiheit, die frei macht«. 74 Es ist bemerkenswert, wie Schaeffler von diesen Zentralbegriffen des Alten Testaments hier geradewegs auf die dialogische Sprachhandlung von Gebot und Gebet zu sprechen kommt, wobei er sich im angeführten Zitat in einer Fußnote explizit auf Hermann Cohen bezieht: Die Erfahrung eines personalen Gottes findet in der göttlichen Namensoffenbarung und im antwortenden Gebet als Namensanrufung und Namensheiligung seinen deutlichsten Niederschlag. (3) In der spezifisch christlichen Gottesrede sieht Schaeffler vor allem das bereits erwähnte historische Bedeutungsmoment personaler Gottesrede auf unüberbietbare Weise gesteigert. In der Person Jesu Christi wird nicht nur Gottes Entscheidung für Heil und Leben »im Anfang« neu erfahrbar, sondern in ihm wird die »›Fülle der Zeiten‹ […] auf antizipatorische Weise zur Gegenwart« 75. Im Sinne Schaefflers könnte man auch davon sprechen, dass in der historischen Person Jesu Christi die Zeitgenossenschaft sowohl mit dem Ursprung als auch mit der Vollendung verkörpert ist. In Jesus Christus ist aber nach christlichem Verständnis nicht nur die »Fülle der Zeit« und die »Fülle des Gesetzes« 76, sondern die »Fülle der Gottheit« selbst erschienen. 77 Dass die in der Person Christi gekommene »Fülle« (PléroEbd. Vgl. dazu jüngst: Ders., »Freiheit, die frei macht«, in: B. Irlenborn – C. Tapp (Hg.), Gott und Vernunft, Freiburg i. Br. – München 2013, 68–93. 75 Ders., Sprechen vom selben Gott?, 37. Schaeffler zählt hier eine ganze Reihe von Schriftzitaten auf, die die »herbeigekommene Fülle« als Zentralbegriff für Christi Person und Verkündigung untermauern sollen. In seiner »Einübung in die Christologie« (vgl. PhE III, 213–328) wird dies noch breiter entfaltet. Der Gedanke der »Fülle der Zeit« und »Erfüllung des Gesetzes« fungiert hier als ein (keineswegs spannungsfreies) Bindeglied zwischen der »Ekklesia Israel« und dem »Christus-Kerygma«. Vgl. Ders., PhE III, bes. 264–270. 76 In der neutestamentlichen Aussage, in Jesus Christus habe sich »die Schrift erfüllt«, erkennt Schaeffler ein Charakteristikum apostolischer Predigt. Vgl. ebd., 265; Ders., Sprechen vom selben Gott?, 36 f. (dort mit zahlreichen Belegstellen). 77 Schaeffler verweist hier u. a. auf Kol 2,9: »Denn in ihm allein wohnt wirklich die ganze Fülle Gottes.« Vgl. Ders., PhE III, 268. 73 74

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ma) mit dessen vollständiger »Entleerung« (Kénosis) einhergehen musste, wird auch für diejenigen, die von Jesus Christus auf religiöse Weise sprechen und sich ihm in der Nachfolge gleichgestalten lassen wollen (Symmorphía), nicht ohne praktische Konsequenzen bleiben. Ohne an dieser Stelle auf Schaefflers Ansatz zu einer Christologie näher eingehen zu können, wird aus diesen wenigen Andeutungen eine Charakterisierung der spezifisch christlichen Gottesrede greifbar: »Der Gott, von dem der christliche Glaube spricht, bringt die Geschichte des ›Bundes‹ in Christi Tod und Auferweckung in ihre ›Fülle‹. Dieser Gott bewahrt die Glaubenden ›in seinem Namen‹ und ermöglicht ihnen jenes Eintreten in die Korrelation, das ›per Christum dominum nostrum‹ vollzogen wird. Gebot, Gebet und alle Praxis des gläubigen Lebens sind in diesem Kontext Ausdrucksformen der ›Gestaltgemeinschaft mit Christus‹, dies aber ›auf Hoffnung hin‹.« 78

Auch bei Schaefflers Überlegungen zur spezifisch christlichen Gottesrede fällt wiederum auf, dass die religiöse Rede vom Gott Jesu Christi unmittelbar mit dem Akt des Gebetes und einer entsprechenden Lebenspraxis einhergeht. Die biblische Gottesrede (AT und NT) – so lässt sich gegenüber der religiösen Rede vom »Numinosen« oder »Heiligen« im Allgemeinen festhalten – zeichnet sich dadurch aus, dass sie die beiden Aspekte der personalen Gottesrede, Gottes dialogische Freiheitsmacht (als Bund) und Geschichtsmacht (als Fülle der Zeit in Christus), weiterführt und mit einem Hinweis auf die menschliche Gebets- und Nachfolgepraxis als Antwort auf den Anspruch dieses personalen Gottes hin auslegt. Für die leitende Fragestellung nach dem Verhältnis von Gebet und anderen Weisen religiöser wie nichtreligiöser Rede von Gott bei Schaeffler lässt sich an dieser Stelle folgende Zwischenbilanz ziehen: Ausgehend von der Vielfalt religiöser Erfahrungsmöglichkeiten versucht Schaeffler zu ergründen, weshalb Menschen in bestimmten religiösen Traditionen von »Gott« als einem freiheitlich-personalen Wesen sprechen. Die Merkmale dieser spezifischen religiösen Redeweise findet Schaeffler insbesondere in den Gotteserfahrungen des Alten und Neuen Testamentes wieder. Bei deren Beschreibung kommt Schaeffler explizit auf das »Gebet« als Antwort des Menschen 78

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Religiöse Gottesrede und Theo-logie

auf Gottes Bund und als Ausdruck der Gestaltgemeinschaft mit Jesus Christus zu sprechen. In seiner Auseinandersetzung mit religiösen Erfahrungen und religiöser Rede – so lässt sich verallgemeinern – nimmt das Phänomen des Gebetes bei Schaeffler stets eine herausragende Rolle ein. Der Gebetsakt gilt ihm als das Zentrum der religiösen Rede, aber nicht als die einzige religiöse Redeweise. Dabei ist mit Schaeffler zu bezweifeln, dass der Unterschied zwischen Gebet und anderen Formen religiöser Rede einfach grammatisch an der zweiten beziehungsweise dritten Person festzumachen ist. Denn der Übergang von der Akklamation zur Prädikation zeigt sich biblisch und liturgisch als durchaus fließend. Schaeffler hat hierzu auf religiöse Sprachformen hingewiesen, die den Namen Gottes nennen, ohne ihn anzurufen (»Gott« als »Unterscheidungs- und Eigenname« sowie als »Prädikator«). Differenzierter als Wainwright entwickelt Schaeffler die These, dass sowohl die Rede zu Gott als auch die Rede von Gott – im Sinne der Prädikation, des Bekenntnisses etc. – als spezifisch »religiöse Redeweise« gelten kann. Bei der folgenden Verhältnisbestimmung zwischen religiöser und theologischer Gottesrede ist daher dieser weite Horizont im Selbstverständnis religiöser Rede zu berücksichtigen, ohne den Bezug zum Gebetsakt im engeren Sinn aus dem Blick zu verlieren.

7.3 Religiöse Gottesrede und Theo-logie Um dem Sinnlosigkeitsverdacht gegenüber der religiösen Sprache entgegenzutreten, ist Schaeffler darum bemüht, die Eigenständigkeit religiöser Sprache und der darin bezeugten Erfahrungen aufzuzeigen. »Autonom« ist laut Schaeffler ein Sprachspiel dann, »wenn es durch seine besondere Grammatik die regulativen Ideen des Ich und der Welt auf spezifische Weise bestimmt« 79. Genau diesem Zweck dient der zweite Hauptteil dieser Monographie Schaefflers. 80 Durch die transzendentalphilosophische Analyse der Gebetssprache sollte geR. Schaeffler, GuA, 93. Vgl. die systematische Durchführung (ebd., 97–162) und Erprobung (am Beispiel des Magnifikat; ebd., 163–207), sowie die abschließende Ergebnissicherung: »Die religiöse Sprache ist, gerade wegen der transzendentalen Bedeutung ihrer Ideen, Kategorien und Anschauungsformen, als ein intersubjektives Sprachverhalten von eigener Gesetzlichkeit deutlich geworden; sie ist […] ein ›autonomes Sprachspiel‹.« Ebd., 209.

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zeigt werden, dass das Gebet ein eigenständiges, intersubjektives Sprachverhalten ist, das durch ein anderes, etwa das der modernen Wissenschaftssprache, überhaupt nicht verstanden und folglich auch nicht beurteilt werden kann. Auf der anderen Seite ist sich Schaeffler darüber im Klaren, dass sich die religiöse Sprache bei aller Verteidigung ihrer »Autonomie« nicht selbstgenügsam (autark) vor der Kommunikation über das interne Sprachspiel hinaus verschließen darf. Aus Gründen, die noch näher zu zeigen sind, 81 muss es möglich sein, dass das, worüber religiös gesprochen wird, auch noch in einer anderen Sprache ausgedrückt werden kann. Religiöse Sprache muss »autonom«, aber sie darf nicht »autark« sein, so lautet die immer wieder ausgesprochene Forderung Schaefflers. Er ist deshalb auf der Suche nach Interferenzen, die sich aus internen, »sachnotwendigen Gründen« 82 ergeben. Für die religiöse Sprache heißt dies konkret: Sie muss zeigen können, dass sie ihrem Auftrag – der Rede von Gott – nicht gerecht wird, wenn darüber nicht auch in wenigstens einer anderen Sprache sachgemäß gesprochen werden kann. 83 In dieser sprachphilosophisch anspruchsvollen Konstellation kommt für Schaeffler die »Argumentationssprache« der Theologie ins Spiel. Wenn im Folgenden Schaefflers Aussagen zur theologischen Gottesrede betrachtet werden, so muss vor allem gewürdigt werden, 84 dass er seinem Anspruch nach nicht nach den historischen Entstehungsbedingungen oder der prinzipiellen Möglichkeit theologischen Denkens und Redens fragt, sondern nach der religionsimmanenten Notwendigkeit von Theologie. 85 Im Sinne einer stringenten Darstellung sollen zunächst die spezifischen Gefahren der religiösen Rede von Gott aufgezeigt werden (7.3.1), welche die Entstehung der theologischen Gottesrede notwendig machen (7.3.2). Danach gilt es die spezifischen Aufgaben (7.3.3) und schließlich die sprachlichen Merkmale (7.3.4) der Theologie herauszuarbeiten.

In Kap. 2.3.2 wurden bereits allgemeine Gründe genannt, die im Folgenden präzisiert werden können. 82 R. Schaeffler, GuA, 93. 83 Vgl. ebd., 94. 84 Dies ist auch andernorts geschehen: Vgl. B. Irlenborn, »Veritas semper maior«, 115. 85 Vgl. Schaefflers einleitende Erläuterung zu seiner Fragestellung in: Ders., GuA, 92–96; 223–227. 81

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7.3.1 Die Selbstgefährdung der religiösen und biblischen Rede von Gott »Theologie entsteht nur« – so formuliert Schaeffler einmal sehr pointiert und trifft dabei die eigentliche Schwierigkeit angesichts der Pluriformität der Gottesrede – »weil es neben dem ›Ungläubigen‹ und dem ›Rechtgläubigen‹ den ›Irrgläubigen‹ gibt.« 86 Die Erfahrungen unterschiedlicher Religionsgemeinschaften zeigen: Ein erhöhter Kommunikationsbedarf oder gar ein religiöser Konflikt entsteht nicht dann, wenn jemand das Wort »Gott« nicht gebraucht, sondern vielmehr, wenn jemand – in den Augen der Überlieferungsgemeinschaft – missverständlich oder falsch, und gleichwohl »religiös« von Gott redet. Bevor Schaefflers Theologieverständnis erörtert werden kann, ist es daher notwendig, die aus seiner Sicht gewichtigsten Missverständnisse und Fehlinterpretationen der religiösen Gottesrede zu betrachten. Auf die Gefahr religiöser Falschrede (Pseudologia) wurde bereits im Zusammenhang von Schaefflers Doxologiebegriff hingewiesen. Religiöse Rede kann ihr noumenales Korrelat nicht nur zur Sprache bringen, sondern sie kann die Ankunft des Heiligen auch verstellen oder sogar sinnlose Aussagen über Gott machen (Kenologia), wenn sie den Sachbezug und Bedeutungsgehalt dieser Rede verliert. 87 Dies geschieht nach Schaeffler etwa in der Magie. Die Korrelation mit Gott wird auf eigennützige Weise missbraucht, wenn der Mensch versucht, durch seine Worte (»Wort-Magie«) oder durch religiöse Handlungen (»Ritual-Magie«) auf Gott einzuwirken, statt ihm zu antworten. »An die Stelle des Wechselverhältnisses […] von NamensMitteilung und menschlicher Namens-Anrufung tritt dann die Einseitigkeit der versuchten Machtausübung über den Gott, den man herbeizwingen kann, weil man seinen Namen kennt.« 88 Insbesondere der Umgang mit dem heilig zu haltenden »Namen« Gottes, der den Eintritt in die Korrelation mit Gott eröffnet, scheint anfällig für religiöse Fehlgestalten zu sein. Als ein weiteres religiöses SelbstmissverDers., Neue Aspekte, 168. Vgl. Kap. 5.1. Sprachphilosophisch gesehen besteht ein Unterschied darin, dass die Kenologia die Sinnbedingungen (meaning / reference) religiöser Rede entbehrt und somit »sinnlos« wird, während die Pseudologia zwar »von Gott« redet (und damit religiös wahrheitsdifferent ist), aber eben in »falscher Weise«, weil sie die ungeschuldete, freie Zuwendung Gottes in der Korrelation nicht mehr zur Sprache bringt. 88 Ders., Sprechen vom selben Gott?, 41. 86 87

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ständnis kann der Streit um die religiöse Bilderverehrung gelten, dessen Ursache laut Schaeffler darin lag, dass die sich vermittelnden Erscheinungsgestalten Gottes teils vergöttlicht (Idolatrie), teils unter Berufung auf eine trügerische Unmittelbarkeit verworfen wurden (Ikonoklasmus). 89 Auch hier besteht die zugrundeliegende Schwierigkeit wohl in der angemessenen Bestimmung der gott-menschlichen Korrelation. Die spezielle Selbstgefährdung der alttestamentlichen Überlieferung erkennt Schaeffler in der Herausforderung einer doppelten Unterscheidung: im Wählen zwischen dem »wahren Gott« und den »falschen Göttern«; sowie in der Alternative, den einen und wahren Gott auf rechte Weise zu verehren, oder in abergläubische Torheiten zurückzufallen. Es geht also einerseits um die virulente Frage, wer Gott sei, und andererseits darum, was die ihm gegenüber richtige »religio« in Abgrenzung vom Aberglauben (»superstitio«) ist. 90 Die Erzählung vom »Goldenen Jungstier«, 91 die Schaeffler hierzu als Beispiel dient, dürfe nicht so sehr als Apostasie aufgefasst werden, als Abfall von der alleinigen Verehrung Jahwes, sondern müsse vielmehr »hermeneutisch« verstanden werden: als ein Rückfall in die »alte Torheit«, in der die Nachbarvölker ihre Götter verehren. 92 Töricht ist dieser Kult deshalb, weil das Volk den Bund zwischen göttlicher und menschlicher Freiheit und die erfahrene Freiheitsmacht Gottes im Exodus wieder auf die Ebene eines naturhaften Fruchtbarkeitsdenkens herabsinken lässt. 93 Die Gefahr der christlichen Gottesrede besteht gemäß dem oben angedeuteten christologischen Ansatz Schaefflers darin, dass der beschriebene historische und vor allem eschatologische Spannungsbogen nicht aufrechterhalten wird. Dann aber gelangt in Christus Vgl. ebd., 41 f. Vgl. Ders., Neue Aspekte, 166 f.; Ders., GuA, 314; Ders., Sprechen vom selben Gott?, 42. 91 Vgl. Ex 32 bzw. 1 Kön 12,29 f. 92 Vgl. Ders., Sprechen vom selben Gott?, 42; Ders., GuA, 242 f.; Ders., »Freiheit, die frei macht«, 83 f. 93 Ein Rückfall in den Aberglauben bestünde also auch darin, JHWH zwar zu verehren – aber so, als wäre er ein Gott, der auf einen bestimmten Volksstamm oder ein bestimmtes Naturereignis beschränkt ist. Beim sogenannten »Landtag von Sichem« (Jos 24,15) – so Schaefflers Beispiel – legt Josua dem Volk Israel die Wahl seines Gottes und die rechte Weise seiner Anbetung zur Entscheidung vor. Vgl. Ders., Gebet im Judentum, 94; Ders., Sprechen vom selben Gott?, 33; Ders., »Freiheit, die frei macht«, 82 f. 89 90

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die Zeit nicht »zur Fülle«, sondern sie wird vielmehr »aufgehoben«. Aus dem christlichen Hoffnungsglauben entwickelt sich dann »eine geschichts-entfremdete ›Weisheit‹ (Gnosis)« 94. Dies hat zur Folge, dass auch Christi »Entleerung« am Kreuz nicht mehr historisch, sondern allenfalls noch als »Symbol der ewigen Wahrheit« verstanden werden kann. 95 Was Schaeffler hier am Beispiel der spezifisch christlichen Gottesrede expliziert, versucht er an anderer Stelle weit grundsätzlicher für das historische Bedeutungsmoment der religiösen Erfahrung überhaupt aufzuzeigen: Der Verlust der Geschichtlichkeit und der bleibenden Denkwürdigkeit der religiösen Erfahrung, die sich auch darin zeigt, dass innerhalb einer religiösen Gemeinschaft nicht mehr »erzählt« wird, führt zur »Ausfallserscheinung« der Gnosis mit der Folge eines »a-personalen Verständnis[ses] der Gottheit, das sie [die Gnosis; S. W.] als ›über-personal‹ ausgibt« 96. Alle genannten Fehlformen der biblischen Gottesrede gehen letztlich darauf zurück, dass sie die elementaren Aspekte von Freiheit und Geschichte vernachlässigen. Die durch Namensoffenbarung und Namensnennung ermöglichte Korrelation zwischen Gott und Mensch ist »kontingent«. 97 Der Gläubige kann nicht über sie verfügen; er kann sie bisweilen selbst erfahren, vor allem aber muss er ihrer gedenken und von ihr erzählen.

7.3.2 Die Entstehung der Theologie aus einem Bedürfnis der religiösen Rede Die beschriebenen Gefahren oder Fehlformen sind zunächst keine Angelegenheit der Theologie. Schaeffler konstatiert, dass innerhalb der Religionsgemeinschaften natürlicherweise Krisen auftreten, etwa durch die Unterscheidung zwischen wahren und falschen Göttern, Ders., Sprechen vom selben Gott?, 43. Vgl. ebd. 96 Ders., PhE II, 162. Vgl. dazu ebd., 138 f. In diesem Zusammenhang ordnet Schaeffler auch den übrigen drei Bedeutungsmomenten religiöser Erfahrung ein für sie typisches »Ausfallsmoment« zu und versucht so eine konsistente Erklärung der (vermeintlich) religiösen Erscheinungsformen der Idolatrie und des Fetischismus, der »Vielgötterei«, der Magie und eben auch der Gnosis. Vgl. Kap. 4.3.3. 97 Vgl. Ders., Sprechen vom selben Gott?, 44. Durch dieses Verhältnis von Freiheit und Geschichte innerhalb der religiösen Korrelation eröffnet sich für Schaeffler auch die Möglichkeit, die biblischen Begriffe von »Erwählung«, »Beauftragung«, von »Verheißung« und »Erfüllung« zu fassen. Vgl. ebd. 94 95

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und dass diese Gemeinschaften in der Regel über genügend selbstkritisches Potential verfügen, um hier zu einer Entscheidung zu finden. Die Notwendigkeit und Möglichkeit theologischer Gottesrede und die Interferenz zwischen Glaube und Theologie setzen laut Schaeffler genau bei diesen »kritischen« Situationen innerhalb einer religiösen Gemeinschaft an – doch muss hierfür eine dreifache Bedingung gegeben sein: (1) Innerhalb des religiösen Selbstverständnisses treten offensichtliche Deutungsalternativen auf. (2) Diese Alternativen fordern notwendigerweise eine Entscheidung. (3) Diese Entscheidung wiederum ist nicht anders als durch Argumente herbeizuführen. 98 (1) Eine Vielfalt an Deutungsmöglichkeiten in religiösen Dingen sind keinesfalls als Mangel und als Anlass für (externe) Religionskritik zu werten, sondern vielmehr Kennzeichen des authentischen Dialoges mit der »veritas semper maior«. Immer wieder hat Schaeffler darauf hingewiesen, dass der göttliche Anspruch in der Gestalt des menschlichen »Verbum Mentis« vernommen wird und uns allein in seiner Knechtsgestalt entgegenkommt. 99 Ein Bewusstsein für die »Unreinheit der eigenen Lippen« (vgl. Jes 6,5) ist für Schaeffler daher ein Anzeichen dafür, dass eine selbstkritische Reflexion der religiösen Erfahrung bereits eingesetzt hat. Am Beispiel des Orakels von Delphi arbeitet Schaeffler auf eindrückliche Weise heraus, wie eine »hermeneutische Fragekunst« die immer schon angelegte selbstkritische Dimension der religiösen Rede von Gott fördert und einen »unendlichen hermeneutisch-kritischen Prozeß« 100 hervorruft, den voranzutreiben Sokrates sogar für einen »Akt der Frömmigkeit« hielt. Bereits hier kann die Hilfe der Theologie gefragt sein, um angesichts der Mehrdeutigkeit von Erfahrungen oder Überlieferungen die richtigen und weiterführenden Fragen zu stellen. Wie im konkreten Fall der Orakelbefragung geht es hier darum, »die Selbstkritik des religiösen Hörers, der unter der göttlichen Anrede steht, in hermeneutische Fragen an die Gottheit zu übersetzen« 101. Sich diese Situation – das Stehen unter Gottes Anrede – bewusst zu machen oder daran zu erSchaeffler setzt sich mit diesen drei Bedingungen differenziert auseinander. Vgl. Ders., GuA, 227–276; Ders., Neue Aspekte, 164 f.; vgl. auch B. Irlenborn, »Veritas semper maior«, 110–114. 99 Vgl. Kap. 5.2.4. Diese Diskrepanz oder besser »Abundanz« in jeder religiösen Erfahrung vermag zudem die Mehrdeutigkeit religiöser Erfahrung und die Vielfalt der biblischen Überlieferung zu erklären. Vgl. R. Schaeffler, GuA, 233 f. 100 Ebd., 237. 101 Ebd., 238. 98

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innern, kann ebenso ein erster »Ort« der Theologie sein. Doch liegt hier noch nicht ihr eigentlicher Entstehungsgrund. (2) Mehrdeutigkeiten im religiösen Sprechen allein führen nicht zwingend zur Notwendigkeit des »theologischen Sprachspiels«. In vielen Fällen werden unterschiedliche Redeweisen von Gott als kompossibel erlebt und können – bildlich gesprochen – »als Vielfalt der Brechungen des einen göttlichen Lichts« 102 gedeutet werden. Angesichts der unerschöpflichen Wege, auf denen die göttliche Zuwendung den Menschen erreichen kann, wäre es laut Schaeffler »nicht nur unklug, sondern geradezu unfromm« 103, bestimmte Antwortmöglichkeiten auf die je größere Wahrheit kategorisch auszuschließen. Eine Entscheidung zwischen unterschiedlichen religiösen Deutungsmöglichkeiten wird erst dann notwendig, wenn bestimmte Auslegungen den Blick auf die göttliche Wahrheit als Ganze verstellen, wenn es sich – mit anderen Worten – um religiöse »Verblendungen« handelt. 104 Dann wäre es, biblisch gesprochen, erforderlich, eine vermeintliche »Weisheit« als »verderbliche Torheit« zu entlarven. Die je größere Wahrheit Gottes wird durch menschliche Torheit vor allem dann verstellt, wenn der zukunftsoffene Prozess des je besser und anders Verstehens dieser Wahrheit unterbunden wird, den Schaeffler mit der Betonung des allegorischen Bedeutungsmomentes religiöser Erfahrung herauszustellen versuchte. Eine, wie Schaeffler sagt, »theorie-induzierte Überraschungs-Unfähigkeit«, die unter dem Deckmantel letztgültiger Wahrheit auftritt, kann nur durch eine Entscheidung abgewehrt werden, nämlich durch die Entscheidung, eine solche Deutungsalternative entschlossen zurückzuweisen. 105 Die praktische Konsequenz daraus lautet: Eine fundamentalistische Interpretation religiöser Erfahrung kann nicht als eine religiöse Auslegungsmöglichkeit (unter anderen) betrachtet werden, weil sie die anderen gerade auszuschließen sucht. Ders., Neue Aspekte, 164; vgl. auch Ders., GuA, 228. Ders., GuA, 241. 104 Vgl. ebd. 105 Vgl. ebd., 244 f. Es ist charakteristisch, dass Schaeffler hier gerade dieses Beispiel der Selbstabgeschlossenheit von Erfahrung anführt, das dem vierten Grundsatz des reinen Verstandes in seiner Erfahrungslehre widerspricht. Um dieser Gefahr entgegenzutreten, betont Schaeffler mit Blick auf den »Sitz im Leben« dieser Problematik innerhalb der biblischen Überlieferung nochmals die Bedeutung des »Erzählens« sowie – für die christliche Gemeinde – die Notwendigkeit der gegenseitigen Auslegung zwischen den beiden Überlieferungssträngen, also die Herausforderung der »Concordantia veteris et novi testamenti«. Vgl. ebd., 245. 102 103

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(3) Nur vergleichsweise selten kommen nach Schaefflers Einschätzung religiöse Gemeinschaften in die Situation, dass die religiöse Rede von Gott eine Entscheidung zwischen möglichen Alternativen notwendig macht – und selbst dann ist nicht gleich an eine Entscheidung durch theologisches Argumentieren zu denken. Naheliegender ist vielfach eine charismatische oder amtliche Entscheidungsfindung: »Orakelpriester«, »Erleuchtete«, »Seher und Propheten« oder auch das institutionalisierte »Hermeneuten- oder Lehramt« 106 sind dazu berufen und beauftragt, entsprechende Entscheidungen herbeizuführen. Im Fall des Orakels von Delphi zielt die hermeneutische Fragetechnik darauf hin, Gott selbst die Entscheidungsgewalt zu überlassen. All diese Lösungswege geschehen innerhalb der religiösen Sprache. Die Sprache des theologischen Arguments tritt erst dann in Erscheinung, wenn deutlich wird, dass eine Entscheidungsalternative nicht von Gott oder von einem beauftragten Organ der religiösen Gemeinschaft, sondern vor dem Forum der menschlichen Vernunft entschieden werden muss. »Theologie« entsteht also genau dann, »wenn die Mitglieder der religiösen Überlieferungsgemeinschaft diese Fragen an sich selber richten, sodaß sie genötigt sind, auch die Antworten selber zu finden und dabei durch Argumente zu entscheiden, ob sie die richtige Antwort gefunden haben« 107. Theologische Rede ist dann gefragt, wenn auftretende Deutungsalternativen innerhalb der religiösen Rede nach einer Entscheidung drängen, die durch Argumente begründet werden will.

7.3.3 Die Aufgabe der Theologie Was ist gemäß Schaeffler die Aufgabe des theologischen Sprechens? Theologie ist eine autonome Weise des Sprechens von Gott im Dienst der Glaubenden. Sie hat mögliche Irrtümer und Missverständnisse des Glaubens aufzuklären, vor allem dann, wenn das selbstkritische Potential und die vorhandenen Institutionen nicht ausreichen. 108

Vgl. ebd., 247; Ders., Neue Aspekte, 164 f. Ders., GuA, 247. Vgl. als These formuliert in: Ders., Neue Aspekte, 165: »Nur unter bestimmten religionshistorischen Bedingungen wird es für eine Religionsgemeinschaft nötig, zwischen Möglichkeiten religiösen Sprechens von Gott alternativ zu entscheiden und diese Entscheidung argumentativ zu begründen.« 108 Vgl. Ders., Sprechen vom selben Gott?, 46. 106 107

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Thesenartig beschreibt Schaeffler die Aufgabe der Theologie auf folgende Weise: »Der Glaube ist spezifischen Gefahren des Selbst-Mißverständnisses ausgesetzt. Um diese Gefahren zu erkennen und zu überwinden, bedarf der Glaube einer Anleitung zum kritisch-hermeneutischen Verstehen seiner eigenen Botschaft. Ihm diese Anleitung zu geben, ist Aufgabe der Theologie.« 109

Demzufolge hat die Theologie eine doppelte Ausrichtung: Sie arbeitet hermeneutisch und kritisch 110 zugleich. Beide Aufgaben hängen eng zusammen. Die Theologie hat das vorhandene selbstkritische Moment der religiösen Rede aufzugreifen und – wie in Delphi beispielhaft institutionalisiert – in eine hermeneutische »Fragekunst« umzuformen. 111 Weil aber auch eine hermeneutisch gewonnene »Weisheit« nicht davor bewahrt ist, wieder in verderbliche »Torheit« umzuschlagen, braucht es darüber hinaus Kriterien zum Schutz vor möglichen Verblendungen. 112 Denn auch die Gabe des Geistes ersetzt nicht die argumentative Prüfung der Alternativen, 113 sondern schafft erst die Voraussetzung zur »Unterscheidung der Geister«. So umschreibt Schaeffler in seiner »Philosophischen Einübung in die Ekklesiologie« die Aufgabe der sogenannten »Spezialisten der Auslegungskunst« – also der Theologen – wie folgt: »Das wissenschaftliche Argument dient, wenn es im theologischen Zusammenhang verwendet wird, der ›Unterscheidung der Geister‹, um die Gemeinde davor zu bewahren, einem irregeleiteten Verständnis des kanonischen Textes, beispielsweise dem Verständnis der ›Enthusiasten‹, anheimzufallen und auch dieses für ›geistgewirkt‹ zu halten, während es in Wahrheit dem Wirken des Geistes zuwiderläuft.« 114

Ebd., 40. Schaeffler variiert hier terminologisch nicht immer ganz nachvollziehbar zwischen »kritisch« (etwa in: Ders., GuA, 237, 298 f.; Ders., Sprechen vom selben Gott?, 40), »kriteriell« (in: Ders., Neue Aspekte, 169) und »kriteriologisch« (in: Ders., Neue Aspekte, 165, 169; Ders., GuA, 250, 275, 311–314, 325). 111 Vgl. Ders., GuA, 249. 112 Vgl. ebd., 250 f. Schaeffler zeigt an biblischen Beispielen, dass Frömmigkeit keine Garantie für eine gute Hermeneutik ist, und dass weder amtliche noch charismatische Weisheit davor gefeit ist, selbst mit »wahren Aussagen« auf törichte Weise umzugehen. Vgl. dazu auch Ders., »Lieber fünf Worte mit Verstand als zehntausend im Zungenreden!« 113 Vgl. Ders., GuA, 253. 114 Ders., PhE III, 498. 109 110

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Auf der Basis des selbstkritischen Bewusstseins der religiösen Gemeinschaft arbeiten hermeneutische »Spezialisten« die im religiösen Leben der Gemeinde häufig prekären Deutungsalternativen deutlicher heraus und legen zudem Kriterien ihrer Entscheidung vor. Die theologisch-hermeneutische und die kriteriologische Aufgabe, so wird deutlich, verweisen aufeinander und lassen sich nicht strikt voneinander trennen. Häufig spricht Schaeffler daher einfachhin von der kritisch-hermeneutischen Aufgabe der Theologie, denn – wie Schaeffler an anderer Stelle sagt: »Hermeneutik ist ja […] stets zugleich Kritik.« 115 In »Das Gebet und das Argument« schließt Schaeffler an diese Ausgangsthese einen ausführlichen Begründungsdiskurs darüber an, weshalb das theologische Argumentieren in bestimmten religiösen Entscheidungssituationen sowohl notwendig als auch – nach Prüfung aller Einwände – möglich wird. 116 Er kommt dabei auf den Auftrag theologisch-hermeneutischen Argumentierens zu sprechen: Die Theologie leistet als eine ihrer wichtigsten Aufgaben einen hermeneutischen Vermittlungsdienst zwischen der geschichtlichen Überlieferung und der aktuellen Glaubenserfahrung der Gläubigen: »Von einer Auslegung wird erwartet, daß sie den überlieferten Wortlaut einer religiösen Verkündigung im Lichte der Erfahrung des Hörers, die Erfahrung des Hörers aber im Licht des überlieferten Wortlauts verständlich macht.« 117 Diese Aufgabe ist besonders dann gefragt, wenn die historische Differenz zwischen der Überlieferung und der gegenwärtigen Erfahrung nur schwer zu »überbrücken« ist. 118 Die Verknüpfung zwischen heilsgeschichtlicher Verheißung und gegenwärtigen Erfahrungen drückt sich innerhalb der religiösen Sprache aber vor allem in der Namensanrufung Gottes und dem Akt des Er115 Ders., GuA, 298. Zum genaueren Verständnis von Schaefflers Begriff von »Hermeneutik« und »Kritik« empfiehlt sich ein Blick in zwei umfangreiche Frühwerke: Ders., Religion und kritisches Bewusstsein (1973), sowie: Ders., Wissenschaftstheorie und Theologie (1982), bes. 45–56. 116 Vgl. Ders., GuA, 246–277. Innerhalb der Möglichkeiten theologischen Argumentierens differenziert Schaeffler noch einmal zwischen den subjektiven Bedingungen, die in der Person des Theologen selbst liegen, und den objektiven Bedingungen, sich den religiösen Überlieferungsinhalten argumentativ zu nähern. 117 Ders., GuA, 262. Diese hermeneutische Aufgabe ist eine Konsequenz aus Schaefflers Erfahrungslehre als einem zukunftsoffenen Dialog, insbesondere aus dem »Vierten Grundsatz des reinen Verstandes« und dem »allegorischen Bedeutungsmoment« der Erfahrung. 118 Vgl. ebd., 265.

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zählens aus. 119 Es scheint also, dass Schaeffler der Theologie hier auf argumentativer Ebene eine Funktion zuspricht, die auf existenzielle Weise durch den Gebetsakt erfüllt wird. Bei der Beschreibung des immanenten Selbstverständnisses der religiösen Rede hatte Schaeffler die drei Bereiche der personalen Gottesrede allgemein (1), der spezifisch alttestamentlichen (2) und der christlichen (3) Gottesrede voneinander unterschieden. Dementsprechend ergeben sich nun drei Aufgaben für die Theologie: (1) Die Theologie hat die Achtsamkeit für die historische Dimension der religiösen Erfahrung, insbesondere aber für die Bedeutung »heiliger Namen« zu fördern und deren Unverfügbarkeit zu wahren. Sie soll dazu beitragen, ein Verständnis für den Kern der religiösen Rede, das Gebet, hermeneutisch zu erschließen. Der von der Theologie erhoffte Beitrag liegt genauer darin, »die Eigenart jener Korrelation zu bestimmen, in die der Mensch durch die Namens-Anrufung der Gottheit eintritt, und zugleich begreiflich zu machen, daß vom rechten Vollzug dieser Korrelation Heil und Unheil abhängen kann« 120. Denn im drohenden »Zweifelsfall« stehen nicht irgendwelche Lehrmeinungen auf dem Spiel, sondern Entscheidungen, die den Blick auf die göttliche Wirklichkeit als Ganze verstellen, wie etwa die eingangs beschriebenen Gefahren des Aberglaubens oder der Gnosis. (2) Die Theologie hat hinsichtlich der alttestamentlichen Gottesrede die Aufgabe, die gott-menschliche Korrelation entsprechend den biblischen Erzählungen als ein freiheitliches Beziehungsgeschehen zu bestimmen, »als ein Verhältnis von Freiheit zu Freiheit« 121, und innerhalb dieses Freiheitsverhältnisses auch einen Zugang zum Verständnis von »Geschichte« (als zweiseitig kontingenter Bund, der auf der freimachenden Freiheit Gottes fußt) und »Wahrheit« (als die in der Korrelation mit Gott sich offenbarende »Maßgeblichkeit«) zu verorten. 122 (3) Als Dienst der Theologie an der christlichen Überlieferung darf sodann die hermeneutisch-begriffliche Arbeit am Paradox von »Fül119 Als Ausdruck der unüberbrückbaren Differenz hat Schaeffler in seiner Gebetslehre das »Klagegebet« betrachtet. Vgl. Kap. 4.4.1. 120 Ders., Sprechen vom selben Gott?, 46. Die Theologie übernimmt also eine ähnliche Aufgabe wie der »philosophische Sprachlehrer des Gebets«. Vgl. v. a. Ders., Kleine Sprachlehre. 121 Ders., Sprechen vom selben Gott?, 47. 122 Vgl. ebd. Bereits hier deutet sich an, dass die Sprache der Theologie nicht ohne die Begriffe der Philosophie auskommen wird und insofern eine doppelte Notwendigkeit von Interferenzen aufweist.

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le« und »Entleerung« in der Person Jesu Christi erwartet werden, vor allem aber eine »Hermeneutik der Geschichte« durch eine »Verhältnisbestimmung von Zeit (Chronos) und Stunde (Kairos)«. 123 So könnten Missverständnisse hinsichtlich der eschatologischen Zeitansage in der Verkündigung Jesu ausgeräumt und »Kriterien« für einen spezifisch christlichen Umgang mit der Erfahrung von Heilsund Unheilsgeschichte gefunden werden.

7.3.4 Die Sprache der Theologie Von dieser Aufgabenbeschreibung aus ergeben sich Folgerungen für die Sprache der Theologie. Theologie ist nach Schaeffler die »Metasprache der religiösen Sprache«. 124 Ihre Inhalte teilt sie weithin mit der religiösen Sprache. Als eigenständige (autonome) Wissenschaftssprache muss sie gleichzeitig nachweisen können, dass sie kein selbstgenügsames (»autarkes«) Sprachspiel ist und – bildlich gesprochen – nur »selbstgeschürzte Knoten löst« 125, also Fragen bearbeitet, die sich nur stellen, weil man sich auf das theologische Sprachspiel eingelassen hat. Theologie muss weiter aufzeigen können, dass ihr Gottesbegriff auch denjenigen »Gott« meint, von dem religiös gesprochen wird. 126 Theologisches Sprechen bleibt für Schaeffler so auf die Sprache des Gebetes bezogen, obwohl sie selbst argumentiert – und eben nicht betet. Er vertritt die interessante These, dass der bei Pascal aufkommende Konflikt zwischen dem »Gott der Philosophen« und dem »Gott des Glaubens« dem theologischen Sprechen selbst seit jeher inhärent ist, und dass der Versuch theologischer Gottesrede diesen Streit entfacht hat und entfachen musste. 127 Denn die Theologie muss Vgl. ebd., 48. Vgl. Ders., GuA, 278 ff. 125 Ders., Neue Aspekte, 165. 126 Theologie muss also überdies nachweisen, dass sie »Metasprache« nicht irgendeiner Sprache ist, in der »Gott« vorkommt (etwa der Philosophie oder Religionswissenschaft), sondern Metasprache der religiösen Sprache und ihrer Verwendung des Wortes »Gott«. Vgl. Ders., GuA, 280; Ders., Neue Aspekte, 166. 127 Vgl. Ders., Neue Aspekte, 168: »Der ›Streit um den Gott der Philosophen‹ hat den Streit um den ›Gott der Theologen‹ zu seiner Voraussetzung, d. h. den Streit darüber, ob eine Theologie, die sich philosophischer Begriffe bedient, imstande ist, dem religiösen Sprechen von Gott bei der Klärung und Entscheidung seiner spezifisch religiösen Alternativen zu dienen.« Vgl. GuA, 280, 300 f., 310; Ders., Der Gott der Philosophen, 132, 136. 123 124

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Rechenschaft über eine mögliche Zweisprachigkeit der Gottesrede ablegen. 128 Sie bleibt nicht nur wegen ihrer Entstehung, sondern um ihres Gegenstandes willen auf die religiöse Sprache bezogen, obwohl sie die Sprache der wissenschaftlichen Argumentation pflegt. So erweist sie sich, sprachphilosophisch gesprochen, als »autonom, aber nicht autark«. Als Argumentationssprache und nicht »Akklamationssprache« 129 erfüllt die Theologie nicht nur eine kriteriologische Funktion im Dienst der religiösen Sprache, sondern ist ihrerseits Kriterien unterworfen. So kann und darf das theologische Argument nur eine Entscheidung zwischen »sinnvollen« 130 und zugleich »bedeutsamen« Alternativen anbieten. Letztere Bestimmung scheint beachtenswert: Theologie soll sich, so Schaeffler, derjenigen Probleme annehmen, bei denen es um aus Sicht des Glaubens »überlebenswichtige« Entscheidungen geht: um Heil oder Unheil, Gott oder Götzen. Nicht intellektuelle Probleme, sondern »Heilswahrheiten« sind das Kerngeschäft der Theologie. 131 Die Theologie argumentiert in der theologischen Sprache, aber sie argumentiert zunächst nicht über theologische »Themen«, sondern über Alternativen des religiösen Sprechens. Nur so wird sie den Aufgaben gerecht, die ihr gemäß ihren Entstehungsbedingungen zukommen. Was die theologische Methodenfrage angeht, verpflichtet Schaeffler die Theologie auf den Anspruch, der »je größeren Wahrheit« zu dienen und einen hermeneutischen Auslegungsprozess auf Zukunft hin offenzuhalten. Aus diesem Grund muss sich laut Schaeffler die theologische Rede von Gott – unbeschadet ihres Status als Wissenschaftssprache – »auslegungsoffen-metaphorisch« und »systemsprengend-paradox« zeigen. 132 Wegen ihres Vgl. Ders., Neue Aspekte, 165. Vgl. Ders., GuA, 278 f. 130 Das Prädikat »sinnvoll« ist hier sprachphilosophisch gemeint. Auch die zurückgewiesene Alternative in einer theologisch begründeten Entscheidung darf hinsichtlich Referenz und Bedeutungsgehalt nicht »leer«, also logisch widersinnig, sondern eben nur »falsch« sein. Vgl. ebd., 281. 131 Vgl. ebd., 282 f.; Ders., Neue Aspekte, 169. Schaeffler will damit nicht behaupten, dass alle theologischen Anstrengungen des Begriffs, deren Heilsrelevanz nicht sofort einsichtig werden, bloße akademische »Kapriolen« sind. Vielmehr obliegt es der Theologie, scheinbar nebensächliche religiöse Phänomene und Aussagen auf ihren Grundgehalt hin zu untersuchen. Doch erhebt Schaeffler den Anspruch an Theologie, die Relevanz ihrer Forschungen für den religiösen Vollzug des Glaubens deutlich genug zu kennzeichnen. 132 Vgl. Ders., GuA, 284 f. 128 129

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spezifischen Gegenstandes, der religiösen Rede, und der daraus entstehenden Eigenheiten wird der Wissenschaftscharakter der Theologie nicht selten in Frage gestellt. 133 Schaeffler weist explizit darauf hin, dass der Grundsatz vom logischen Widerspruchsverbot für die theologische Wissenschaft immer wieder eine Schwierigkeit darstellen wird – und zwar deshalb, weil die religiöse Sprache, über die sie spricht, solche logischen Widersprüche oder »Paradoxien« durchaus kennt. 134 Für die Theologie, so Schaeffler, »wird es also nötig nachzuweisen, daß sich über jene Wirklichkeit, die in der religiösen Sprache gleichnishaft und darum gelegentlich auch widersprüchlich beschrieben wird, auch in jener Argumentationssprache sprechen läßt, die Eindeutigkeit fordert und Widersprüchlichkeit ausschließt.« 135 Solche »Übersetzungsprobleme« zwischen religiöser und theologischer Sprache ließen sich meines Erachtens sogar als ein positiver Hinweis dafür werten, dass hier tatsächlich eine Interferenz autonomer, aber nicht autarker Sprachspiele vorliegt. Die Sprache der Theologie zeichnet sich schließlich dadurch aus, dass sie in pragmatischer Hinsicht einen »oikodometischen« 136 Dienst leistet. Aus einem Bedürfnis der religiösen Sprache geboren, wirkt sie »erbaulich« auf die Identität der religiösen Gemeinschaft zurück. Kraft ihrer konstitutiven »Zweisprachigkeit« tritt Theologie als Mittlerin zwischen Überlieferung und gegenwärtiger Glaubensgemeinschaft und als Hilfe zur »Unterscheidung der Geister« bei heilsrelevanten Mehrdeutigkeiten auf. 137 Dabei tritt die Zweisprachigkeit der theologischen Wissenschaft nicht erst bei einer nachträglich »popularisierenden« Übersetzung der argumentativ erreichten Forschungsergebnisse in Erscheinung. Vielmehr soll die theologische Sprache 133 Andererseits macht sich die Theologie das »Methoden-Geschick«, die »MethodenReflexion« und das wissenschaftstheoretische Selbstverständnis anderer Disziplinen, wie v. a. der Philologie und Geschichtswissenschaft, zu Nutze. Vgl. Ders., PhE III, 497. 134 Vgl. Ders., GuA, 282: »Denn in der religiösen Sprache ist der gezielte Umgang mit dem logischen Widerspruch ebenso heimisch wie in der Sprache der Dichtung.« 135 Ebd. Vgl. insbesondere: Ders., Logisches Widerspruchsverbot und theologisches Paradox, in: ThPh 62 (1987), 321–351. Zum Phänomen der Paradoxie in der religiösen Erfahrung vgl.: Ders., EDW, 556–646 (»Paradoxien und Aporien – und eine Neuinterpretation des Satzes vom Widerspruch«). 136 Zu Schaefflers ekklesiologischem Begriff von »Oikodomé« vgl. Kap. 6.3.3. Vgl. Ders., PhE III, 499: »Eine Theologie muß […] ›erbauend‹ sein – was nicht mit einer gefühlsmäßig mißverstandenen ›Erbaulichkeit‹ verwechselt werden darf –, oder sie weiß nicht, wovon sie handelt.« 137 Vgl. Ders., GuA, 286–289.

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im fortwährenden Dialog mit der religiösen Sprache der Gemeinde prüfen, ob sie dem »Sachbezug und Bedeutungsgehalt ihrer Aussagen«, der »Gegenstandsgemäßheit ihrer Methoden«, der »Beweiskraft ihrer Argumente«, und der »Sachgemäßheit ihrer Ergebnisse« 138 gerecht wird. Für die christliche Rede von Gott impliziert dies für Schaeffler eine starke kirchliche Rückbindung der Theologie. 139 Gleichzeitig ermutigt er die Theologie zu einem ausgeprägten eigenen Autoritätsanspruch – nicht nur gegenüber den Mitgliedern der Gemeinde, sondern auch gegenüber den kirchlichen Ämtern. 140 Dieses scheinbare Paradox lässt sich nur verstehen, wenn man hier wiederum die praktische Anwendung der Formel »autonom aber nicht autark« auf die theologische Sprache erkennt. Schaeffler spricht ausdrücklich vom Anspruch der »Rechtgläubigkeit«, den die religiöse Gemeinde an die Theologie stellen darf, wenn sie ihr die Aufgabe zumutet, Argumente für heilsrelevante Wahrheiten zu finden und zu prüfen. 141 Andererseits kann der theologisch-hermeneutische Umgang mit den überlieferten Quellen durchaus eine Kritik am »jeweils herrschenden Glaubensverständnis« 142 herbeiführen. Im Rückgriff auf Schaefflers Grundsätze einer Hermeneutik der religiösen Überlieferung im Allgemeinen 143 soll die theologische Argumentation sowohl das traditionsbegründende als auch das traditionskritische Potential der christlichen Überlieferung aufdecken. In beiden Fällen aber leistet sie einen Beitrag zur »Erbauung« der Gemeinschaft. 144

Ebd., 289. Vgl. ebd., 313. Deshalb lässt sich die Kirchlichkeit der Theologie nach Schaeffler wenn überhaupt nur sekundär durch eine »Rechtsaufsicht kirchlicher Autoritäten« begründen. Primär leitet diese sich schlicht davon ab, dass die Theologie »ihren Sachbezug und Bedeutungsgehalt nur durch ihren Bezug auf die religiöse Sprache der religiösen Überlieferungsgemeinschaft gewinnt und behält«. Ebd. 140 Vgl. Ders., PhE III, 498. 141 Vgl. Ders., GuA, 283. Vgl. auch Ders., Art. »Kritik« in: LThK3, Bd. 6, Freiburg i. Br. 1997, Sp. 487 f.: »Eine […] krit[ische] Theol[ogie] dient nicht etwa […] dazu, daß der Ausleger seine Meinung an die Stelle der v. ihm gedeuteten göttl. Wahrheit setzt, sondern im Gegenteil dazu, daß er ebenso wie seine Hörer sich der je größeren Wahrheit unterwirft.« 142 Ders., PhE III, 499. 143 Vgl. Kap. 6.3.4. 144 Vgl. Ders., PhE III, 499. 138 139

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7.3.5 Theologische und religiöse Gottesrede – ein ungleiches Wechselverhältnis Die religiöse Sprache ist autonom, aber sie ist nicht autark. Unter bestimmten religionsgeschichtlichen Konstellationen entsteht aus intrinsischen Gründen die Notwendigkeit einer »Interferenz« mit der Argumentationssprache der Theologie. Die religiöse Sprache kann die Aufgabe der Theologie nicht selbst leisten – aber sie kann einsehen, dass dieser Dienst zu leisten ist: »Was in dieser Argumentationssprache [der Theologie; S. W.] gesagt wird, ist nicht zu ersetzen durch die Äußerungen der religiösen Sprache, durch Gebet, Verkündigung oder Bekenntnis; aber in dieser religiösen Sprache kann gesagt werden, was es bedeutet, daß theologisch argumentiert werden kann und muß.« 145 Auch die theologische Sprache ist autonom, aber sie ist nicht autark. Sie ist eine eigenständige, von der religiösen Sprache strukturell verschiedene Metasprache des Religiösen. Ihre Autonomie wird nicht zuletzt an den Aufgaben ersichtlich, die nur sie zu leisten vermag. Um ihres Sachbezuges und Bedeutungsgehaltes willen aber ist die theologische Reflexion auf jene Sprache verwiesen, in der primärsprachlich von Gott gesprochen wird. So gilt analog zum eben angeführten Zitat: »In der Sprache der Theologie ist also davon die Rede, daß über diejenige Wirklichkeit, von der in dieser Sprache gesprochen wird, auch und sogar vorzüglich in einer anderen Sprache, z. B. in Gebet, Verkündigung, rühmendem Erzählen usw. gesprochen werden muß.« 146 »Nicht-Selbstgenügsamkeit trotz Eigenständigkeit« – dies ist der sprachphilosophische Status der religiösen wie der theologischen Sprache. Die Interferenz beider Sprachspiele scheint zwar wechselseitig, aber keineswegs symmetrisch zu verlaufen. Die religiöse Sprache bleibt für Schaeffler die »Primärsprache«. Dies lässt sich auch anhand der Modalitäten der Interferenz zeigen: Religiöse Sprache kann gegebenenfalls auf die Sprache der Theologie verwiesen sein. Theologie dagegen muss jederzeit nachweisen, dass sie von dem »Gott« spricht, den die Religion meint, oder ihre Rede wird leer. Darin liegt der qualitative Unterschied zwischen Primär- und Metasprache. »Theologische Begriffe«, so Schaeffler an anderer Stelle, »eignen sich als GotDers., GuA, 257; vgl. ebd., 230, 272. Ebd., 289; vgl. ebd., 286 f. Vgl. dazu auch: B. Irlenborn, »Veritas semper maior«, 114 f.

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tesprädikate nur dann und nur in dem Maße, wie sie als reflexive Explikationen dessen verstanden werden können, was im Vollzug der Namensanrufung Gottes […] implizit mitgesetzt ist.« 147 Hinzu kommt, dass die theologische Sprache Interferenzen in zwei Richtungen zu unterhalten pflegt: zur religiösen Sprache aufgrund ihres Gegenstandes und zur Philosophie, auf deren begriffliches und logisches Potential sie angewiesen ist. Um nämlich rational nachvollziehbare Argumente für aufkommende Deutungsalternativen der religiösen Sprache bereitzustellen, ist die Theologie auf diese Wissenschaftssprache angewiesen. In ihrer verantwortungsvollen Aufgabe, religiöse Selbstmissverständnisse oder gar versteckte »Selbstanbetung« 148 zu vermeiden und den schmalen Pfad zwischen Selbstkritik und Selbstauflösung der Religion argumentativ zu ebnen, 149 kann die Theologie – was Schaeffler sowohl historisch als auch inhaltlich zu zeigen versucht – auf philosophische Begriffe nicht verzichten. 150 Die doppelseitige Orientierung der theologischen Argumentationssprache, ihre Verortung – vereinfacht gesprochen – »zwischen« Gebet und philosophischer Gotteslehre, lässt diese jedoch keineswegs defizitär erscheinen, sondern im Gegenteil: als autonomes und zugleich nach zwei Seiten »vernetztes« Sprachspiel ist die Theologie ein ausgezeichneter Beispielfall für die moderne Sprachphilosophie und Wissenschaftstheorie. 151 Auch wenn die Entstehungsbedingungen und Verortung der Theologie innerhalb von Schaefflers Konzept stringent entwickelt werden, wäre kritisch zurückzufragen, ob der Anspruch der theologischen Gottesrede hier umfassend beschrieben und ob über die Aufgabe der Theologie schon alles gesagt ist. Lässt sich die Theologie

R. Schaeffler, Religiöse Gottesnamen und philosophische Gottesbegriffe, 206. Ders., Der Gott der Philosophen, 137. 149 Vgl. Ders., GuA, 310; Ders., Neue Aspekte, 167. Schaeffler weist auch eindrücklich auf die glaubensexistenzielle Dramatik hin, welche die selbstkritische Argumentation – einmal in Gang gesetzt – auslösen kann: »Ist aber diese kritische Selbstanfrage des religiösen Menschen einmal entstanden, so entsteht das Problem, ob er noch unbefangen und froh, mit ungeteiltem Einsatz und mit einem Vertrauen, das sein ganzes Leben trägt, beten und singen, sein religiöses Bekenntnis aussprechen und seinen Dienst als Mitglied der religiösen Gemeinde ausüben kann.« Ebd. 150 Vgl. Ders., GuA, 289, 300 ff.; Ders., Sprechen vom selben Gott?, 40 f., 45; Ders., Der Gott der Philosophen, 134 f., 137; Ders., Religiöse Gottesnamen und philosophische Gottesbegriffe, 215–217. 151 Vgl. ebd., 276 f., 290. 147 148

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allein als »Notfallkompetenz« in hermeneutischen Entscheidungssituationen verstehen? Oder muss das theologische Sprechen nicht vielmehr als eine fortwährende Möglichkeit der Selbstreflexion religiöser Akte und religiöser Sprache verstanden werden? Es ist überdies zu vermuten, dass religiöse Praxis und selbstkritisches Nachdenken näher beieinanderliegen, als dies Schaefflers Konzept suggeriert. Trotz dieser Anfragen schlägt Schaeffler eine Verhältnisbestimmung von Theologie und Gebet (bzw. religiöser Sprache) vor, welche die wechselseitigen Bezüge dieser Sprachspiele weitaus profunder herausarbeitet, als es das häufig undifferenziert herangezogene Prinzip »lex orandi – lex credendi« zu beschreiben vermag.

7.4 Gebet und Philosophie: Der angerufene oder der begriffene Gott? 7.4.1 Hinführung und Schärfung des Problembewusstseins Die Theologie hat eine Mittlerposition. Ihr thematischer Gegenstand verweist sie auf die Religion, ihr begriffliches Werkzeug erhält sie von der Philosophie. Als »kirchliche Wissenschaft« versucht sie zwei heterogene Sprachspiele in sich zu vereinen und ist dabei gezwungen, mit deren Unvereinbarkeit zu ringen. Der Gegensatz zwischen religiöser Rede und philosophischem Gottesbegriff tritt noch offensichtlicher zu Tage, wenn man von der Theologie einmal absieht und diese einander unmittelbar gegenüberstellt: Wie verhalten sich Religiöse Rede und Philosophische Gottesrede zueinander? Pascals existentielle Alternative »Gott der Philosophen oder Gott Abrahams« beziehungsweise Lyotards Distinktion von »Gottesnamen« und »Gottesbegriff« 152 sind die anschaulichen Verdichtungen einer Problematik, die in der theologischen Gotteslehre immer schon untergründig schwelte. Mit einer nicht weniger prominenten Aussage Martin Heideggers kann Schaeffler die Fragestellung noch einmal auf das Verhältnis zwischen Gebet und Philosophie hin zuspitzen. In der Erörterung der Frage, »wie Gott in die Philosophie komme«, thematisiert Heidegger den philosophischen Begriff von Gott als »Causa sui« und schreibt:

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Vgl. Ders., Der Gott der Philosophen, 129–134; vgl. Kap. 7.1.

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»[…] Causa sui. So lautet der sachgerechte Name für den Gott in der Philosophie. Zu diesem Gott kann der Mensch weder beten, noch kann er ihm opfern. Vor der Causa sui kann der Mensch weder aus Scheu ins [sic!] Knie fallen, noch kann er vor diesem Gott musizieren und tanzen. Demgemäß ist das gott-lose Denken, das den Gott der Philosophen, den Gott als Causa sui preisgeben muß, dem göttlichen Gott vielleicht näher.« 153

Im Zuge seiner unverkennbaren Metaphysikkritik macht Heidegger hier darauf aufmerksam, dass die Philosophie immer wieder Begriffe von einem höchsten Wesen entwickelt hat, die sie mit dem identisch wissen möchte, was Glaubende und Betende »Gott« nennen. Genau bei dieser Gegenüberstellung setzt Schaeffler an. Seine grundlegende These zum philosophischen Gottesbegriff lautet: In der Philosophie ist Gott ein »Lehnwort«. 154 Mit einer entliehenen »Vokabel« aus der Sprache der Religion also wird in der Philosophie bisweilen bezeichnet, was in der für die Philosophie »heimischen« Sprache als »Erstursache«, »sich selber denkendes Denken«, »das Sein« 155 – oder wie bei Heidegger als »Causa sui« bezeichnet wird. Am berühmten Beispiel der Gottesbeweise von Thomas von Aquin versucht Schaeffler deutlich zu machen, was bei der abschließenden »Realidentifikation« des logisch deduzierten Gottesbeweises mit dem »Gott des Glaubens« (»… et hoc est quod omnes dicunt Deum« 156) tatsächlich geschieht. Denn für den Beweisgang an sich ist es laut Schaeffler unerheblich, ob die Vokabel »Gott« auftaucht oder nicht:

153 M. Heidegger, Die onto-theo-logische Verfassung der Metaphysik, 77. Vgl. R. Schaeffler, Der Gott der Philosophen, 134; Ders., Sprechen vom selben Gott?, 25; vgl. auch Ders., Heidegger und die Theologie, in: A. Gethmann-Siefert – O. Pöggeler (Hg.), Heidegger und die praktische Philosophie, Frankfurt 1988, 286–309, hier 296. 154 Vgl. Ders., GuA, 290; weitere Belegstellen vgl. Kap. 7.2.2, Fn. 50. Schaeffler erläutert hier, was er sprachphilosophisch unter einem »Lehnwort« genau versteht: »eine Vokabel […], die innerhalb einer bestimmten Sprache nicht geprägt worden ist, sondern aus einer anderen Sprache stammt, die aber, einmal in die neue Sprache übernommen, dort nach den grammatischen und syntaktischen Regeln der ›entlehnenden Sprache‹ weiterentwickelt wird und in dieser neuen Gestalt spezifische Funktionen innerhalb dieser neuen Sprache erfüllt.« 155 Vgl. Ders., GuA, 291; Ders., Neue Aspekte, 160. 156 Vgl. Thomas v. Aquin, Summa theologica I q. 2, art. 3. Schaeffler zitiert hier – um genau zu sein – die Schlussformulierung des »dritten Weges«. Thomas selbst variiert sprachlich: »et hoc omnes intelligunt Deum« (prima via); »quam omnes Deum nominant« (secunda via), bzw. »et hoc dicimus Deum (quarta u. quinta via).

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»für die Schlüssigkeit oder Nicht-Schlüssigkeit philosophischer Argumente […] hängt gar nichts davon ab, ob dasjenige, was diese philosophischen Begriffe bezeichnen, überdies auch noch mit der Vokabel ›Gott‹ benannt wird. Erst am Ende des jeweiligen Arguments, innerhalb dessen die Vokabel ›Gott‹ keine Rolle spielt, wird die Behauptung hinzugefügt, das philosophisch Bewiesene sei mit dem, wovon in Religionen unter der Bezeichnung ›Gott‹ gesprochen wird, realidentisch.« 157

Die Identität des Bewiesenen mit »Gott« wird also nicht argumentativ herbeigeführt, sondern schlichtweg gesetzt. Dabei ist es irrelevant, ob diese Identitätsbehauptung wie bei Thomas am Ende geschieht, oder wie in Anselms Proslogion den Ausgangspunkt des Gedankengangs bildet. 158 Die Konsistenz der philosophischen Herleitung eines bestimmten Begriffs von einem »höchsten Wesen« hat schlechterdings nichts damit zu tun, ob damit das- oder derjenige gemeint ist, den gläubige Menschen beim Namen anrufen (»… Deum nominant«). Schaeffler fügt hinzu, dass auch im Fall des philosophischen »Beweises« der Nicht-Existenz Gottes noch einmal eigens nachgewiesen werden müsste, dass der nichtexistierende Gott auch der »Gott« ist, von und zu dem im Glauben gesprochen wird. 159 Dieses Argument Schaefflers stellt alles andere als eine apologetische Spitzfindigkeit dar, sondern trifft den Kern der hier zu behandelnden Fragestellung, nämlich die Möglichkeit der Interferenz religiöser und philosophischer Gottesrede. Jeder philosophische Gottesbegriff impliziert nach Schaeffler genau betrachtet eine zweifache Behauptung in Bezug auf die religiöse Gottesrede: Erstens die Realidentität der Referenz und zweitens die partielle Gleichheit des Bedeutungsgehaltes. 160 Realidentität oder Referenzgleichheit meint dabei, dass philosophisch von derselben Wirklichkeit gesprochen wird wie in der religiösen Sprache, obwohl diese doch in ganz unterschiedlichen Zusammenhängen und deswegen R. Schaeffler, 291. Vgl. auch Ders., Neue Aspekte, 160; Ders., Der Gott der Philosophen, 143; Ders., Religiöse Gottesnamen und philosophische Gottesbegriffe, 198; Ders., Sprechen vom selben Gott?, 54. 158 Vgl. Ders., GuA, 292. Als weitere, möglicherweise sogar interessantere Beispiele der Identitätsbehauptung des philosophischen Gottesbegriffs mit dem Gott der Glaubenden nennt Schaeffler Hegels Konzept des »Geistes« (vgl. ebd.), Kants Postulate der praktischen Vernunft sowie Edith Steins Wahrheitsbegriff. Vgl. Ders., Religiöse Gottesnamen und philosophische Gottesbegriffe, 198. 159 Vgl. Ders., GuA, 299; Ders., Neue Aspekte, 162. 160 Vgl. Ders., GuA, 292; Ders., Neue Aspekte, 181. 157

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»wesensverschieden« begegnet. Phänomenologisch betrachtet wird also die Wesensdifferenz verschiedener Noesen bei Realidentität einund desselben Noemas behauptet. 161 Partielle Bedeutungsgleichheit besagt, dass sich von dem in beiden Sprachen realidentischen Gott zumindest einige wechselseitig »übersetzbare« semantische Bestimmungen feststellen lassen müssen. Bernd Irlenborn hat sich in seiner Arbeit ebenso eingehend wie kritisch mit diesen beiden Thesen Schaefflers auseinandergesetzt. Seine philosophischen Rückfragen und sein Hinweis auf mögliche Missverständnisse und Gefahren dieses Verständnisses von philosophischer Gotteslehre erscheinen als durchweg triftig. 162 Freilich bestreitet Irlenborn nicht, dass die Reali161 Vgl. Ders., Der Gott der Philosophen, 139. Nähert man sich der Frage phänomenologisch, so spitzt sie sich noch einmal zu: Kann Gott als Gott gegeben sein außerhalb des religiösen Aktes? Oder muss er nicht aufhören, Gott zu sein, wenn er in einer anderen Sinnlogik intendiert wird? Oder sprachphilosophisch: Geht die Semantik des Wortes »Gott« nicht verloren, wenn sie in einem anderen grammatischen System verwendet wird? Vgl. Ders., GuA, 297. 162 Vgl. dazu B. Irlenborn, »Veritas semper maior«, 116–138. Da aus Irlenborns Sicht unklar bleibt, was Schaeffler mit »partieller Gleichheit« in semantischer Hinsicht überhaupt meint (128 f.), widmet er sich ganz der Diskussion der ersten These von der »Realidentiät« des Referenzobjektes. Aufschlussreich ist zunächst Irlenborns Nachweis, dass der Gedanke der noematischen »Realidentität« zwischen dem Gott der Philosophie und dem Gott der Religion bei gleichzeitiger »Wesensverschiedenheit« auf noetischer Ebene ausdrücklich auf Scheler zurückzuführen ist (Vgl. M. Scheler, Vom Ewigen im Menschen, 130–138). Inhaltlich läuft Irlenborns Kritik auf die Frage hinaus, ob die »Realidentität« mit dem Gott der Religion eine notwendige, jeder philosophischen Gotteslehre implizite Behauptung ist, oder doch nur eine mögliche. Hierzu führt er Stimmen an, die beiden Thesen faktisch entgegenstehen: Die v. a. aus dem protestantischen Bereich erhobene Kritik an der »Natürlichen Theologie« (in deren Nähe Irlenborn Schaeffler hier verortet), sowie die religionskritische oder zumindest den »christlichen Gott« ausdrücklich ablehnende Religionsphilosophie des 20. Jahrhunderts. Zwei weitere Kritikpunkte Irlenborns betreffen eine zusätzliche Schwierigkeit, die durch Schaefflers Fokussierung (oder gar Engführung?) auf den jüdisch-christlichen Gott in diese These eingetragen wird. Außerdem stellt er die epistemologische Rückfrage, ob nicht der Philosoph bereits ein religiös Glaubender sein müsse, um zu der Behauptung der Realidentität zu gelangen (vgl. B. Irlenborn, »Veritas semper maior«, 127–135). Meines Erachtens lässt sich der Haupteinwand Irlenborns zumindest insoweit entschärfen, als Schaeffler ja nicht davon ausgeht, dass Philosophen von Gott sprechen müssen. Wenn sie dies aber tun – und hier liegt wohl der Dissens zu Irlenborn – dann beziehen sie sich laut Schaeffler auf den Gott der religiösen Sprache. Allerdings scheint mir diese Aussage sinnvollerweise nur bei einem affirmativen Gottesbezug zutreffend, und nicht wenn explizit von einem »ganz anderen Gott« gesprochen wird. Vgl. zur Klärung insbesondere folgende Passage bei Schaeffler: »Die Behauptung ist bescheidener: Es wird lediglich beobachtet, daß es zu gewissen Zeiten ein philosophisches Sprechen von Gott gegeben hat und in gewissen

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dentität des philosophischen Gottesbegriffs mit dem Gott des Glaubens philosophiegeschichtlich immer wieder beansprucht wurde – und dass dies auch in Schaefflers transzendentaler Erfahrungslehre erneut geschieht. Die von Schaeffler beanspruchte Interferenz philosophischer und religiöser Gottesrede soll in drei Aspekten erläutert und diskutiert werden. Zunächst lässt sich fragen, was der Grund dafür ist, dass philosophisch immer wieder von Gott geredet und dabei die Realidentität mit dem Gott des Glaubens behauptet wird (7.4.2)? Was bedeutet es umgekehrt für die religiöse Sprache und insbesondere für das Gebet, dass von Seiten der Philosophie Aussagen über Gott getroffen werden (7.4.3)? Schließlich: Welche Philosophie eignet sich für die Interferenz mit der religiösen Sprache, oder direkter: Wie ist innerhalb dieser Tradition der philosophischen Theologie Schaefflers (transzendental-)philosophischer Gottesbegriff aus Vernunftpostulaten zu bewerten (7.4.4)?

7.4.2 Gründe für die philosophische Gottesrede Wenn die Verwendung des Wortes »Gott« im philosophischen Diskurs laut Schaeffler keinen eigenen Argumentationsschritt darstellt, so scheint damit eine andere Intention verbunden – nämlich eine hermeneutische: Philosophische Rede von Gott beansprucht im »Höchstfall« des Gottesbeweises einen prinzipiell religionsbegründenden, beziehungsweise – je nach Ergebnis – religionskritischen Beitrag zu leisten. 163 In den weitaus meisten Fällen aber ist die philosophische Rede von Gott darum bemüht, die religiöse Rede auszulegen, also einen hermeneutischen Beitrag zu leisten: »Philosophische Theologie impliziert unvermeidlich den Anspruch, zugleich Hermeneutik der religiösen (nicht nur der philosophischen) Rede von Gott zu sein.« 164 Richtungen der Philosophie heute noch gibt; und aus dieser Beobachtung einer historischen Tatsache wird geschlossen, daß es philosophische Problemkontexte gibt, innerhalb derer es widerspruchfrei möglich ist, zu behaupten, man habe bei der Verwendung bestimmter philosophischer Begriffe zugleich von Gott gesprochen.« R. Schaeffler, GuA, 294. 163 Vgl. Ders., Der Gott der Philosophen, 143. 164 Ders., GuA, 293. Der Begriff, »philosophische Theologie«, den Schaeffler hier und andernorts für die philosophische Gottesrede verwendet, soll in dieser Arbeit soweit möglich vermieden werden, um die »Dreisprachigkeit« (Glaube, Theologie, Philoso-

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Schaeffler erkennt darin keinen Herrschaftsanspruch der Philosophie, sondern, ganz im Gegenteil, ein Bedürfnis des philosophischen Sprachspiels selbst. Ein sozusagen externer Gottesbezug soll die Gewähr dafür übernehmen, dass die Philosophie kein autarkes, in sich abgeschlossenes Sprachspiel ist, sondern dass sie über etwas spricht, was auch außerhalb der philosophischen Begrifflichkeiten existiert. Diese Bezugnahme ist laut Schaeffler nötig, weil die Philosophie sonst Gefahr liefe, eine nur philosophieimmanente Angelegenheit zu sein. Wie zuvor von der Theologie ausgesagt, soll das Lehnwort »Gott« auch die Philosophie vor dem Vorwurf bewahren, nur unter viel Mühe »selbstgeschürzte Knoten« zu lösen. 165 Die religiöse Sprache eignet sich zu diesem Nachweis deswegen, weil auch sie Erfahrungen ins Wort bringt, die – wie die Philosophie – von einem »Seienden als einem solchen und im Ganzen« 166 sprechen. Die philosophische Gottesrede vermag einen hermeneutisch-kritischen Dienst an der Religion zu leisten, indem sie die Religion beispielsweise daran erinnert, dass ein »Gott« aus Vernunftgründen als »einzig, ewig, unkörperlich« 167 zu denken wäre. Doch liegt für die Philosophie in diesem hermeneutischen Anspruch zugleich und zuvor die Notwendigkeit begründet, die religiöse Sprache als Bewährungsprobe für die Unabgeschlossenheit (Nicht-Autarkie) des eigenen Sprachspiels zu beanspruchen. 168 phie), die diesem Kapitel zu Grunde liegt, nicht begrifflich zu verwässern. Bei Schaeffler geht eindeutig hervor, dass er mit diesem Begriff die philosophische Gottesrede, und keine im kirchlich-religiösen Selbstverständnis verankerte theologische Gottesrede meint. Vgl. dazu v. a. die konsistente Begriffsverwendung von »Philosophischer Theologie« in Schaefflers »Religionsphilosophie«. Der Begriff »Philosophische Theologie« wurde als eigengeprägter Begriff – ganz im Sinne Schaefflers – m. W. von W. Weischedel eingeführt (Ders., Der Gott der Philosophen, Darmstadt 31975). Vgl. auch J. Schmidt, Philosophische Theologie, Stuttgart 2003. In anderem Kontext hingegen, etwa bei Schleiermacher (Ders., Kurze Darstellung des theologischen Studiums) – und eben hier liegt das Problem – meint »philosophische Theologie« das, was heute als »systematische Theologie« bezeichnet würde. 165 Vgl. R. Schaeffler, Neue Aspekte, 161. 166 Ders., Sprechen vom selben Gott?, 55, 56; Ders., »Freiheit, die frei macht«, 88. 167 Ders., GuA, 298. Hier wird deutlich, was Schaeffler mit »partieller Bedeutungsgleichheit« meint, insofern die Philosophie hier zu Wesensaussagen über Gott gelangt, die sich aus der religiösen Sprache nicht schlechterdings ergeben. Andererseits fängt hier der Streit zwischen dem »Gott der Philosophen« und dem »Gott des Glaubens« erst an – nicht mit dem Existenzbeweis Gottes, sondern mit der Frage »De Deo quid sit?«. 168 Vgl. Ders., Sprechen vom selben Gott?, 56; Ders., Neue Aspekte, 181 f. Beten denken

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Schaefflers Auffassung der philosophischen Gottesrede muss an dieser Stelle einige Fragen nach sich ziehen. Wenn der »Gott der Philosophen« als hermeneutisch-kritisches Instrument für die religiöse Sprache da ist und dabei als eine Daseinsberechtigung der Philosophie überhaupt dient, worin besteht dann noch der Unterschied zur Theologie? Etwa darin, dass die Theologie diesen Dienst im Auftrag und aufgrund eines Bedürfnisses der Religion selbst antritt, während die Philosophie ihren hermeneutischen Beitrag gleichsam ungefragt anbietet? Schaefflers religionsphilosophisches Werk mag selbst als Beweis dafür gelten, dass die Philosophie den religiösen Zeugnissen bisweilen mit großem Respekt entgegentritt und sie auszulegen hilft. 169 Doch erwächst hier der Verdacht, die philosophische Gottesrede sei nur »ancilla« der Theologie, ebenso wie diese wiederum »ancilla« der religiösen Binnensprache ist. In der Tat scheint es nach einigen Aussagen Schaefflers, dass der hermeneutische Dienst der Philosophie allein durch die Vermittlung der Theologie der »religiösen Sprache« zu Gute zu kommen: »Die theologische Argumentationssprache kommt in gewissen Problemkontexten nicht ohne den Gebrauch philosophischer Begriffe aus. Eben damit wird die Theologie genötigt, der Philosophie zu bescheinigen, daß über diejenige Wirklichkeit, von der theologisch gesprochen werden muß [i. e. die religiöse Erfahrung und Sprache; S. W.], auch philosophisch gesprochen werden kann.« 170

Die vermittelnde Position der Theologie scheint an dieser Stelle weniger problematisch als der Eindruck, dass von einer wirklichen Interferenz zwischen der religiösen und philosophischen Sprache, zwischen dem Gott Abrahams und dem Gott der Philosophen gar nicht gesprochen werden kann – einmal davon abgesehen, dass diese Interferenz bisher nur eindimensional, nämlich von der Philosophie zur Religion bedacht wurde. Gibt es bei Schaeffler, so muss weiter gefragt werden, auch die gegenläufige Beziehung: ein genuin religiöses Interesse daran, dass von Gott nicht »nur« religiös (und bisweilen auch theologisch), sondern auch in der autonomen Wissenschaftssprache Vgl. dazu exemplarisch den Artikel: Ders., Auf welche Weise denkt der Glaube? Von der eigenen Rationalität des Glaubens und vom hermeneutisch-kritischen Dienst der Philosophie und Theologie, in: ThGl 99 (2009), 2–26. Anhand von drei biblischen Selbstaussagen versucht Schaeffler mit religionsphilosophischen Mitteln auszulegen, wie der Glaube von sich selbst und wie er von Gott denkt. 170 Ders., GuA, 300. 169

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der Philosophie gesprochen wird? Anders gefragt: Inwiefern profitiert auch der Glaube davon, dass die Philosophie einen Gottesbegriff formuliert – und zwar nicht etwa »der Religion zuliebe«, sondern aus intrinsischen, gewissermaßen »säkularen« Gründen? 171

7.4.3 Religiöse Gründe für die Notwendigkeit philosophischer Gottesrede Der Münchener Religionsphilosoph Friedo Ricken hat diese Frage in ähnlicher Weise gestellt. Er erinnert Schaeffler an dessen These vom selbstkritischen Potential der Religion und fragt – etwas verkürzt gesprochen –, weshalb es denn die Philosophie brauche, wenn es doch die Prophetie gebe. 172 Eine Philosophie, die von Gott spricht, sei – so Ricken – ja »nichts anderes als die der religiösen Weltsicht immanente Vernunft« 173. Mit dieser Einschätzung aber wird die Frage, ob die Philosophie von einem anderen Gott als dem religiösen Gott spricht, obsolet. Auf diese Zuspitzung der Problematik durch Ricken, die sich allerdings auf Schaefflers eigene Äußerungen stützt, 174 repliziert Schaeffler mit drei kurzen Klarstellungen, die den hier behandelten Problemkomplex erheblich voranbringen: 175 Die Philosophie kann und soll erstens die religiöse Erfahrung an ihre selbstkritische Aufgabe erinnern. Die Philosophie vermag zweitens der religiösen Erfahrung bei der Unterscheidung zu helfen, welche Art der Kritik anVgl. Ders., »Freiheit, die frei macht«, 87–89. Vgl. F. Ricken, Lesen im Buch der Welt? Zum Verhältnis von religiösem Glauben und Philosophie, in: T. M. Schmidt – S. Wiedenhofer (Hg.), Religiöse Erfahrung, Freiburg i. Br. 2010, 117–122, bes. 117–120. Der Titel dieses Beitrags greift eine Formulierung auf, die Schaeffler in Anlehnung an Hans Blumenberg in seinen jüngeren Beiträgen zur Hermeneutik und Ontologie häufig gebraucht. Vgl. R. Schaeffler, Lesen im Buche der Welt – ein Weg philosophischen Sprechens von Gott?, in: Ders.: Philosophisch von Gott reden, Freiburg i. Br. – München 2006, 143–182; Ders., Ontologie im nachmetaphysischen Zeitalter, Freiburg i. Br. – München 2008, 122–130, 179–182; Ders., PhE II, 333 ff. 173 F. Ricken, Lesen im Buch der Welt, 120. 174 Gleich zweimal erinnert Ricken hier an einen Satz Schaefflers (aus: Ders., Sprechen vom selben Gott?, 35): »Die Entstehung der Philosophie ist selbst ein Ereignis innerhalb der Religionsgeschichte […].« Vgl. F. Ricken, Lesen im Buch der Welt, 119 u. 120. 175 Vgl. R. Schaeffler, Danksagung und Versuche, das Gespräch fortzusetzen, in: T. M. Schmidt – S. Wiedenhofer (Hg.), Religiöse Erfahrung, Freiburg i. Br. 2010, 259–284, hier 266–268. 171 172

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gemessen und welche unangemessen ist, sie vermag also, wenn man so sagen kann, eine »Kriteriologie der Religionskritik« zu leisten. Die Philosophie kann der Religion drittens »profane Kontexte ihrer Bewährung« anbieten. Während die ersten beiden Aufgaben der Philosophie im Duktus des bereits beschriebenen kritisch-hermeneutischen Dienstes an der Religion bleiben, ist der dritte Gedanke in dieser Diskussion neu: Die religiöse Sprache würde ihrer eigenen Aufgabe nicht gerecht, wenn sie »nur« innerhalb des religiösen Sprachspiels verstanden und gesprochen wird. Oder thesenartig zugespitzt: »Eine Religion, die nichts als Religion wäre, also nichts zum profanen Weltverständnis beitrüge und von diesem nicht in ihrem eigenen Selbstverständnis betroffen würde, wäre auch als Religion defizient.« 176 Sprachphilosophisch betrachtet sagt Schaeffler damit, dass die »Nicht-Autarkie« der autonomen religiösen Sprache nicht allein durch die Theologie begründet werden kann, sondern auch durch die Interferenz mit dem »profanen Weltverständnis«, das die Religion – und darauf kommt es an – in ihrem eigenen Selbstverständnis betrifft. Schaeffler entwickelt diesen Gedanken ursprünglich in einem anderen Kontext, wie an dem Ausdruck »Weltverständnis« deutlich wird, nämlich in der Debatte um Religion und Säkularität. In einem grundlegenden Aufsatz zu dieser Frage, die mit der Problematik »Gott Abrahams – Gott der Philosophen« durchaus verwandt ist, schreibt er: »Eine Religion, die ihren spezifischen Inhalt, das Heilige und Göttliche, ›nur religiös‹ versteht, hat ihn auch religiös nicht angemessen verstanden. Das Heilige hat stets auch eine Bedeutung für das ›Weltliche‹, das zu uns Menschen und zu unserer Welt gehört. Und insofern kann die säkulare Vernunft, die als solche vom Heiligen nichts weiß, aber von weltlichen Dingen oft mehr versteht als die Religion, dieser auch zu einem besseren Verständnis derjenigen Wirklichkeit verhelfen, die nur dem religiösen Akt ›originär erschlossen‹ ist.« 177

In seinem Aufsatz »Der Gott der Philosophen oder der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs?« liegt der wohl elaborierteste Entwurf Schaefflers zu der hier aufgeworfenen Fragestellung vor. Im VerhältEbd., 267. Ders., Lernfähige Religion – verantwortete Säkularität, in: Jahrbuch für Religionsphilosophie 8 (2009), 7–25, hier 18. Vgl. dazu auch: Ders., Profanität, Säkularität, Verlust des Sakralen, in: K. Kienzler – u. a. (Hg.), Das Heilige im Denken, Münster 2005, 33–61. 176 177

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nis einer wechselseitigen Ergänzung der beiden im Titel vorgestellten Gottesbegriffe kommt der Religionsphilosophie hier eine Bedeutung zu, die – unbeschadet des Primates der religiösen Sprache – über die Funktion einer hermeneutisch-kritischen Magd weit hinausgeht. Der wichtigste Fortschritt liegt wohl darin, dass Schaeffler die Denkform der »veritas semper maior« auf die hier diskutierte Fragestellung anwendet: 178 Gott ist größer als das, was in der religiösen Sprache über ihn ausgesagt werden kann – und: Gott ist größer als der religiöse Glaube an ihn. Ebenso wie eine Religion, die nichts als Religion ist, letztlich mangelhaft bliebe, so ist gemäß Schaeffler auch ein Gott undenkbar, der »sich darin erschöpfte, nur der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs zu sein« 179. Es gehört vielmehr notwendigerweise zum Selbstverständnis des religiösen Sprachspiels, dass Gott nicht nur innerhalb dieses Bezugssystems geglaubt werden kann, sondern auch außerhalb des Glaubens »gegeben ist«. Das heißt aber: Es muss auch möglich sein, »ungläubig« und außerhalb der Sprache des Gebetes und Bekenntnisses von Gott zu sprechen. Der Glaubende braucht daher im »Gott der Philosophen« nicht gleich eine Konkurrenz zu wähnen, sondern kann darin möglicherweise sogar einen heilvollen Ausweg aus der eigenen Verschlossenheit und – was noch schwerer wiegt – aus der Abgeschlossenheit seiner Gottesvorstellung entdecken. Es ist letztlich aus Glaubensgründen selbst unabdingbar, dass von Gott auch anders, »ungläubig« gesprochen werden kann, und dass darin sogar Gottes je größere Wirklichkeit aufscheint. »Der ›Gott der Philosophen‹ kann vom Glaubenden als die Weise verstanden werden, wie Gott, sofern er in seinem Geglaubtwerden nicht aufgeht, auch für den Nicht-Glaubenden da ist.« 180 Komplementär dazu weist laut Schaeffler auch ein Gottesbegriff als bloßer Begriff über sich hinaus und negiert damit die Selbstgenügsamkeit philosophischer Gottesrede. Als vernünftig entwickelter Gottesgedanke darf er nicht darin aufgehen, allein Gedanke zu sein. »Es gehört zum Akt des philosophischen Begreifens, daß es das Wirkliche als dasjenige begreift, das

178 Auch wenn Schaeffler diese Formel nicht explizit zitiert, wird mit der Kenntnis seines Werkes schnell deutlich, vor welchem Hintergrund die folgenden Gedanken entfaltet werden. 179 Ders., Der Gott der Philosophen, 141. 180 Ebd., 142. Auch Irlenborn geht davon aus, dass dieser Gedanke von Schaefflers Grundsatz der »Veritas semper maior« herrührt. Vgl. B. Irlenborn, »Veritas semper maior«, 122 f.

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nicht nur für den Akt des Begreifens da ist«, 181 sondern, so darf ergänzt werden, über die Grenzen der Begreifbarkeit hinaus als das Unbegreifliche erfahren werden kann. Die konzise Bestimmung des Momentes der Abundanz innerhalb der philosophischen wie der religiösen Gottesrede lautet nach Schaeffler also prägnant zusammengefasst: »Der Glaube glaubt Gott als den ›nicht nur geglaubten‹« – »Der Begriff begreift das Wirkliche als ›nicht nur begriffenes‹.« 182 Religiöser Glaube und philosophische Gottesrede stellen zwei autonome und strukturverschiedene Sprachen dar, die sich auf eine »realidentische« Referenz beziehen, denen – phänomenologisch betrachtet – ein »realidentisches« Noema auf je originäre Weise gegeben ist. 183 Der »Gott der Philosophen« ist auf den »Gott der Religion« verwiesen und angewiesen. Dasselbe gilt aber, wie sich jetzt herausgestellt hat, in gewissem Maße auch umgekehrt. In ihrer wechselseitigen Verwiesenheit kommen beide Sprachspiele ihrer Aufgabe zur Kritik und Selbstkritik nach; so werden sie füreinander zur Konkretion eines inhärenten »Bekenntnisses zur je größeren Wahrheit« 184. Folgt man dieser Bestimmung von religiöser und philosophischer Gottesrede, so wird einsichtig, worin die Eigenart der Philosophie (insbesondere gegenüber der Theologie) besteht, die als das Andere der religiösen Gottesrede die je größere Wirklichkeit des geglaubten Gottes aufzeigt. Zugleich scheint die Relevanz der theologischen Gottesrede deutlich genug auf, die die Komplementarität beider Sprachspiele in sich zu vermitteln sucht. Die Leistung dieser Verhältnisbestimmung liegt wohl darin, dass Schaeffler den Verdacht der Selbstgenügsamkeit der religiösen Sprache tatsächlich abwehren kann durch die plausible Öffnung und zumindest anfängliche Übersetzbarkeit der religiösen Sprache auf andere Sprachen hin. In diesem Zusammenhang gilt es noch einen weiteren Aspekt zu beachten, der einmal als der »missionarische Auftrag« der religiösen Gottesrede bezeichnet werden darf: Je mehr die Immunität der religiösen Sprache 181 R. Schaeffler, Der Gott der Philosophen, 141. Vgl. zu dieser gegenläufigen Richtung der Interferenz ebd., 143–147; vgl. Kap. 7.4.2. 182 Ebd., 141. 183 Vgl. ebd., 148. Schaeffler wirft mit der These der Realidentität des Gottesbezuges freilich immer wieder die Thematik der »natürlichen Theologie« auf. Dem kann an dieser Stelle nicht weiter nachgegangen werden. Vgl. diesbezüglich die Auseinandersetzung B. Irlenborns in: Ders., »Veritas semper maior«, 316–332; Ders., Religiöse Erfahrung und postulatorischer Vernunftglaube, 137–139. 184 R. Schaeffler, der Gott der Philosophen, 147.

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betont und die kritische Reflexion als rein intrinsische Aufgabe wahrgenommen wird, desto weniger lässt sich letztlich begründen, warum jemand »religiös« sprechen soll – wenn er dies nicht schon tut. Und desto weniger kann die religiöse Sprache nach außen hin vermitteln, wovon überhaupt gesprochen wird, wenn »religiös« gesprochen wird. 185 Kritikimmunität nach innen und Kommunikationsunfähigkeit nach außen hängen offenbar zusammen. Zur christlichen Gottesrede jedoch gehört konstitutiv, dass Außenstehende mit dem Anspruch des Heiligen in Berührung gebracht werden sollen. Darin liegt sicher nicht die ursprüngliche Intention der philosophischen Gottesrede. Für das religiöse Sprachspiel aber ist es wesentlich, dass es über etwas spricht, das – wenn auch nicht semantisch deckungsgleich – noch in anderer Weise zur Sprache gebracht werden kann. Diese Forderung wird auf einer sehr grundsätzlichen Ebene durch die von Schaeffler beschriebene wechselseitige Interferenz zwischen dem »Gott Abrahams« und dem »Gott der Philosophen« eingelöst.

7.4.4 Schaefflers Religionsphilosophie im Spannungsfeld zwischen religiöser und philosophischer Gottesrede Nachdem die wissenschaftstheoretische Verhältnisbestimmung von Glauben und Philosophie bei Schaeffler beleuchtet wurde, soll weiter untersucht werden, wie die Interferenz zwischen religiöser Rede und philosophischem Gottesbegriff in seiner Erfahrungslehre (1) und Gebetslehre (2) konkret durchbuchstabiert wird. Da Schaefflers Konzepte bereits ausreichend entfaltet wurden, kann es genügen, die relevanten Aspekte mit wenigen Andeutungen in Erinnerung zu rufen. (1) Vom Anfang an strebt Schaeffler nach dem Erweis, dass eine weiterentwickelte Transzendentalphilosophie den Ansprüchen eines hermeneutisch-kritischen Dialoges der Philosophie mit der religiösen Erfahrung am meisten gerecht wird. Sein Verständnis von »Erfahrung als Dialog mit der Wirklichkeit« baut in der Nachfolge Kants auf Vernunftgründe. Schaefflers Erfahrungslehre nimmt ihren Ausgangspunkt nicht etwa in der phänomenologischen Beschreibung des Heiligen oder in der Analyse der religiösen Sprache, sondern in der Rückbesinnung auf die menschliche Erfahrungsfähigkeit. Die Vernunft findet sich dabei in dialektischen Verstrickungen wieder, die 185

Vgl. R. Schaeffler, GuA, 30, 214; Ders., RelPhil, 158 f. Vgl. auch Kap. 2.3.2.

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sie Postulate formulieren lässt, d. h. aus transzendentalphilosophischen Gründen notwendigerweise zu erhoffende Einheitsgedanken. Doch geht Schaeffler noch einen wichtigen Schritt weiter und erkennt in jedem der drei Vernunftpostulate einen Gottesbegriff, einen alles zusammenfassenden Anblick (»unus contuitus«), der die Vernunft vor ihrer Selbstaufhebung rettet. Damit sagt Schaeffler im Grunde: Dasjenige, was in den Vernunftpostulaten erhofft wird, ist das, »quod omnes dicunt Deum«. Und analog zu den Gottesbeweisen bei Anselm und Thomas muss er auch hinsichtlich seines eigenen »Gottesbegriffs« an diesem Punkt einräumen: »Die Stringenz der Argumentation gewinnt nichts und verliert nichts, wenn für das Subjekt dieses allumfassenden Blicks die Vokabel ›Gott‹ gebraucht wird; sie würde auch nichts hinzugewinnen oder verlieren, wenn auf den Gebrauch dieser Vokabel verzichtet würde.« 186 Über die behauptete Realidentität »seines« Gottesbegriffs mit dem Gott des Glaubens hinaus 187 findet sich bei Schaeffler ein weiterer und für sein Konzept wesentlicher Gedanke, der auf die Interferenz transzendentalphilosophischer und religiöser Gottesrede verweist. In der speziell religiösen Erfahrung wird schon antizipiert, was allgemein nur postuliert werden kann. Religiöse Erfahrung und Vernunftpostulate stützen sich gegenseitig – oder wie Schaeffler mit Kant sagt: Ohne die religiöse

186 Ders., EDW, 761. In einer jüngeren Diskussion – wiederum ist es B. Irlenborn, der wohlwollend und kritisch zugleich die entscheidenden Rückfragen stellt – bekräftigt Schaeffler, dass der postulatorische »Gottesbegriff« tatsächlich als »Bezug«, als »Gottesverhältnis« oder auch als »Gottesbeziehung« (im Sinne von »referent«) zum Gott des Glaubens zu denken sei, infolgedessen dann auch als »Gotteserkenntnis« und als ein semantisch gefülltes »Gottesverständnis«. Irlenborn wollte, um die Nähe zur natürlichen Theologie zu vermeiden, für den epistemologischen Status von Schaefflers Vernunftpostulaten folgende Formulierung vorschlagen: »Nicht Gott wird (durch die Vernunft) erkannt, sondern es wird erkannt, dass Gott (durch den Glauben) erkennbar ist.« Offensichtlich geht Schaeffler aber doch einen Schritt weiter und würde so sagen: Es wird philosophisch etwas erkannt, nämlich die begründbare Hoffnung gelingender menschlicher Erfahrungsfähigkeit, und es spricht viel dafür, diesen Grund als dasjenige aufzufassen, was in der religiösen Sprache »Gott« genannt wird, sofern sich nur dieser Hoffnungsgrund als Interpretament der religiösen Erfahrung hermeneutisch bewähren kann. Vgl. B. Irlenborn, Religiöse Erfahrung und postulatorischer Vernunftglaube, 137 f.; R. Schaeffler, Danksagung und Versuche, das Gespräch fortzusetzen, 268–272. 187 Dies nimmt Schaeffler für sein Konzept explizit in Anspruch: »Der Gott der Religion soll als realidentisch mit der Bedingung verstanden werden, die die Auflösung der Vernunftdialektik möglich macht.« Ders., EDW, 762.

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Erfahrung sind die Postulate »leer«, ohne die Postulate ist die religiöse Erfahrung »blind«. 188 Schaefflers Philosophie gehört also zu den selten gewordenen Entwürfen, 189 die sich auf den Streit um den Gott der Philosophen und den Gott des Glaubens überhaupt einlassen, und er ist davon überzeugt, dass der hermeneutisch-kritische Dienst an der religiösen Glaubensgemeinschaft »einer weitentwickelten Transzendentalphilosophie leichter und besser [gelingt; S. W.] als der klassischen Metaphysik« 190. Der Vorteil besteht nach Schaeffler vor allem in der eben beschriebenen Interferenz, auf Grund derer die inhaltliche »Leere« des philosophischen Postulates gefüllt werden kann. Auch wenn dieser Inhalt niemals im Besitz der Philosophie ist, sondern nur im Phänomen des Religiösen zugänglich wird, bekommt der Philosoph darin »etwas von sich selber« zu hören: »Er bekommt zu hören, daß jene Zuwendung Gottes, die er voraussetzen muß, um die Verpflichtungskraft der Erfahrung […] vor Selbstauflösung zu bewahren, in besonderen kontingenten Erfahrungen tatsächlich geschehen ist und als eine Wirkung von Gottes befreiender Freiheit verstanden werden darf.« 191 In der »speziellen Transzendentalphilosophie« der religiösen Erfahrung und der »Philosophischen Einübung in die Gotteslehre« löst Schaeffler seinen Anspruch ein, der Religion einen hermeneutisch-kritischen und wohl auch missionarisch-glaubensexplikativen Dienst zu erweisen. Je stärker sich das hermeneutische Potential dieses transzendentalphilosophischen Konzeptes ausbildet und je mehr es von den religiösen Sprechern als Anleitung zur Selbstkritik akzeptiert wird, desto mehr darf auch davon ausgegangen werden, dass die Bewährungsprobe bestanden und wirklich »vom selben Gott« gesprochen wird. Entgegen dem in der Diskussion immer wieder hervorgebrachten generellen Einwand gegenüber Gottesbegriffen will Schaeffler hier eine deutlichere Differenzierung zwischen klassischmetaphysischer und transzendental konzipierter Religionsphilosophie geltend machen. Denn eine dialogische Erfahrungstheorie hat, Vgl. die ausführliche Darstellung in Kap. 2.1.3. Schaeffler stellt fest, dass in der zeitgenössischen Philosophie verhältnismäßig wenig von Gott gesprochen wird, während sich kaum eine Epoche so intensiv mit der Möglichkeit philosophischer Gottesrede auseinandergesetzt hat wie die Zeit der großen religionskritischen Entwürfe von Descartes bis Hegel. Vgl. Ders., Der Gott der Philosophen, 131 f., Ders., GuA, 294. 190 Ders., Sprechen vom selben Gott?, 57; vgl. ebd., 45 f. 191 Ebd., 57. 188 189

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so Schaeffler, beispielsweise ein völlig anderes Verständnis von Kategorien wie Kontingenz und Kausalität. Sie hat es nicht mit Gründen zu tun, auf die – wie bei den klassischen Gottesbeweisen – empirisch und argumentativ zu »bauen« wäre, sondern mit dem Ermöglichungsgrund einer »befreienden Freiheit«, die sich religiös als »unerzwingbare Gnade« formulieren lässt. 192 Ein transzendentalphilosophischer Gottesbegriff – so lässt sich Schaefflers Position zusammenfassen – findet in der religiösen Erfahrung seine externe Bewährungsprobe und erweist sich mit Kant gesprochen als der »höchste Punkt der Transzendentalphilosophie«, während er zugleich zum hermeneutisch-kritischen Selbstverständnis der religiösen Erfahrung beiträgt. Mit der Formulierung »Freiheit, die frei macht« legt Schaeffler jüngst einen erneuten transzendentalen Gottesbegriff vor, den er aus dem angedeuteten Freiheitscharakter der Vernunftpostulate zu entfalten versucht. 193 »Freiheit, die frei macht« als ein Gottesbegriff benennt einerseits den höchsten Punkt einer weiterentwickelten Transzendentalphilosophie, insofern sich das Subjekt im Dialog mit der Wirklichkeit als freigesetzte Freiheit erfährt, die den erfahrenen »Gegenstand« ihrerseits in seinen »widerständigen Eigenstand« freisetzt. Der befreiende Anspruch der Wirklichkeit (»omnitudo realitatis«) wie auch die Fähigkeit des Subjekts, den »Gegenstand« im Akt des Erkennens freizusetzen, dürfen, so Schaeffler, als Erscheinungs- und Gegenwartsgestalten der befreienden Freiheit Gottes selbst postuliert werden. 194 »Freiheit, die frei macht« (vgl. Gal 5,1) gilt andererseits in der jüdisch-christlichen Tradition nicht nur als Gottesprädikat und Gottesname, 195 sondern darüber hinaus auch aus religiöser Sicht als legitimer »Gottesbegriff«, weil er das (scheinbar) Begriffene nicht endgültig zu definieren versucht, sondern – als »freisetzende Freiheit« – in seiner Unbegreiflichkeit mit-begreift. 196 Schaeffler scheint hier tatsächlich den Brückenschlag zwischen dem Gott der Philoso-

Vgl. Ders., EDW, 764–766; Ders., Ein transzendentalphilosophischer Gottesbegriff, 100–107. 193 Vgl. Ders., »Freiheit, die frei macht« (2013). 194 Vgl. den ausführlichen Gedankengang ebd., 76–81. Vgl. auch: Ders., Erkennen als antwortendes Gestalten, 169–176. 195 Vgl. etwa Ex 20,1: »Ich bin der Herr, dein Gott, der dich aus Ägypten geführt hat, aus dem Sklavenhaus …« 196 Vgl. Ders., »Freiheit, die frei macht«, 81–87. 192

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phen und dem Gott des Glaubens gefunden zu haben. Sollten Juden und Christen diesen philosophisch entwickelten Gottesbegriff tatsächlich akzeptieren können – die Affirmation des Gottesverhältnisses als ein Freiheitsgeschehen legt dies nahe – und darin den »Gott« wiedererkennen, der ihnen aus der religiösen Erfahrung und Korrelation im Gebet »vertraut« ist, so darf umgekehrt auch der Philosoph diesen postulierten Gott mit Recht als »das« bezeichnen, was zwar nicht alle Menschen, aber zumindest Juden und Christen »Gott« nennen (»quod omnes dicunt Deum«). (2) Wo findet in diesem Spannungsfeld von religiöser und philosophischer Gottesrede die Gebetslehre Schaefflers ihren Ort und ihre genuine Funktion? In der Kontroverse um Gottesbegriff und Gottesnamen nimmt der sprachphilosophische Gebetsansatz Schaefflers eine in seiner Vielschichtigkeit interessante Position ein. Schaeffler legt eine ausgereifte »Sprachlehre« des Gebetes vor – und doch arbeitet er und versteht sich als Philosoph. Genau so leistet er den hermeneutischen Dienst der Philosophie an der religiösen Erfahrung und Sprache, von dem zuvor die Rede war. Aus Gründen, die in seiner religionsphilosophischen Methodenreflexion offengelegt werden, stützt er sich dabei vor allem auf das Gebet als das »ausgezeichnete Beispiel, an dem die spezifischen Merkmale aller religiösen Akte anschaulich hervortreten« 197. Schaefflers sprachphilosophischer Gebetsansatz zeigt neben der hermeneutischen Aufgabe auch einen wissenschaftstheoretischen Impetus, indem er einerseits aus den Quellen der religiösen Tradition heraus die Autonomie der religiösen Sprache verteidigt, 198 sowie andererseits im Gebet eine notwendige Bewährungsprobe für Theologie und Philosophie erkennt, 199 die ebenfalls, wenn auch nicht primärsprachlich, von Gott sprechen. Darin bestand für Schaeffler das besondere Interesse, sich als Philosoph des Gebetes als Forschungsgegenstand anzunehmen. Zudem erwies sich das Gebet als ein überaus »lehrreicher Grenzfall« 200 für neuere sprachphilosophische Probleme, wie etwa die Entdeckung der sprachpragmatischen Dimension des Gebetsaktes und der Zusammenhang zwischen Sprachhandlungen und Propositionen. 201 Dies sind sprachliche Phä-

197 198 199 200 201

Ders., RelPhil, 133; vgl. Kap. 2.2.2 u. 2.4.1. GuA, Teil II. GuA, Teil III. Ders., Kleine Sprachlehre, 9; Ders., Adiutorium nostrum, 26. GuA, Teil I.

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nomene, mit denen in der Gebetssprache in einer jahrhundertealten Praxis wie selbstverständlich umgegangen wird. Der Ertrag von Schaefflers philosophischer Gebetslehre für den Betenden wie für den theologisch Argumentierenden hat sich als sehr reichhaltig erwiesen: Eine philosophische Gebetslehre begleitet den religiösen Akt des Gebetes in hermeneutischer und kritischer Weise. Das heißt konkreter: Sie erschließt dem Beter ein Bewusstsein dafür, was er eigentlich »tut«, wenn er betet. Zu erinnern ist hier noch einmal an Schaefflers präzise Bestimmung der transzendentalen Implikationen der »acclamatio nominis«. Die Dimension der Subjektkonstitution, die entstehende Einheit von Welterfahrung und Geschichtsverständnis und die konstitutive Einbindung in eine intersubjektive und diachrone Gebets- und Überlieferungsgemeinschaft werden dem Beter im Vollzug des Gebetsaktes wohl nicht immer bewusst sein. Und um in den jüdischen oder christlichen »Gebetsfluss« einzustimmen und den Namen Gottes anzurufen, müssen all diese Zusammenhänge selbstverständlich auch nicht »begriffen« werden. Schaefflers Gebetslehre macht gleichwohl die ganze Tragweite, mitunter auch die Komplexität dieses für den Glauben so natürlichen Aktes deutlich. So werden Schaefflers Überlegungen denjenigen, die über das Gebet nachdenken, insbesondere aber dem Beter selbst, begriffliche Reflexionsmöglichkeiten an die Hand gegeben, die dem primärsprachlichen Gebetsakt so nicht zur Verfügung stünden, sondern die der (religions-)philosophischen Analyse und ihrer Methodik geschuldet sind. In seiner Funktion als externer, philosophischer Sprachlehrer des Gebets sieht Schaeffler dennoch nicht davon ab, sehr konkrete und praktische Anleitungen zur Namensanrufung, zum religiösen Erzählen und zu den einzelnen Gebetsmodi anzubieten. 202 Zu würdigen wäre schließlich auch die durch die kritische Distanz ermöglichte und von Schaeffler stets wahrgenommene Aufgabe, Fehlformen oder »Ausfallserscheinungen« im Akt der Namensanrufung wie in der doxologischen Rede zu benennen. So trägt Schaeffler der von der Philosophie zu Recht erwarteten Hilfe zur Selbstkritik Rechnung. Die Unverfügbarkeit der Korrelation mit Gott sowie ein angemessenes Bewusstsein von der »Unreinheit der Lippen« waren Vgl. Ders., Kleine Sprachlehre. Gemäß der Konzeption dieser Monographie folgt auf die sprachphilosophische Analyse jeweils ein praktisch orientiertes Kapitel über die Anleitung zur Namensanrufung (Kap. B), zum religiösen Erzählen (Kap. D) und zum Dank-, Klage- und Bittgebet (Kap. F).

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die eindringlichsten Hinweise, die Schaeffler hier aus philosophischer Perspektive zu bedenken gab. Mit Hilfe seines dialogischen Konzeptes von religiöser Erfahrung und die Anwendung des allegorischen Schriftsinns konnte Schaeffler zudem plausible Entstehungsgründe für die im Gebetsakt stets virulente Gefahr von Kritikimmunität und Überraschungsresistenz sowie für die magische oder gnostische Versuchung finden. So scheint die am Ende des vorangehenden Hauptkapitels aufgeworfene Frage wesentlich klarer beantwortet werden zu können, wie angesichts der verschiedenen »Dienste am Wort« innerhalb der religiösen Überlieferungsgemeinschaft Schaefflers eigener Beitrag zum Gebet aufzufassen sei, und wie sich seine Gebetslehre insbesondere gegenüber dem dort behandelten Amt des »Sprachlehrers des Gebetes« verhält. Die in diesem Kapitel erarbeitete Differenzierung der »dreisprachigen« Gottesrede und ihrer gegenseitigen Bezüge lässt deutlicher erkennen, welche Position Schaeffler selbst bezieht: Seine Gebetslehre versteht sich nicht als ein originärer Beitrag innerhalb der kirchlichen »Oikodomé«. Sie ist vielmehr ein philosophischer Gesamtentwurf zur Gebetsthematik in vierfacher Perspektivierung: epistemologisch in der Hervorhebung der engen Verknüpfung von allgemeiner Erfahrungsfähigkeit und »Doxologie«; wissenschaftstheoretisch in der gegenseitigen Verhältnisbestimmung von religiöser Sprache, Theologie und philosophischer Gotteslehre, sowie in der Überprüfung von Möglichkeiten wissenschaftlichen »Grenzverkehrs«; kritisch und kriteriologisch als Hilfe zur Selbstkritik und als externe Warninstanz vor Fehlformen des Gebetes; und schließlich hermeneutisch als philosophische Anleitung zum Gebet und als ein ausgereiftes Angebot zur Selbstvergewisserung für betende und um das Gebet intellektuell ringende Menschen.

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Dritter Teil Theologische Erprobung der Gebetslehre Schaefflers

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8 Zusammenschau und theologische Rückfragen

8.1 Kurze Zusammenschau der Gebetslehre Schaefflers Unter dem Titel »religionsphilosophische Gebetslehre« wurden in dieser Arbeit alle jene Elemente zusammengetragen, systematisiert und zur kritischen Darstellung gebracht, die sich im gesamten philosophischen Werk Richard Schaefflers zur Gebetsthematik im engeren Sinn sowie zu den sich anschließenden Metafragen religiösen Sprechens finden. Der ungewöhnliche Ausdruck »religionsphilosophische Gebetslehre« meint, dass ein Gegenstand des religiösen Vollzuges, das Gebet, mit der Methodik der Religionsphilosophie untersucht wird. Damit kommt Schaeffler im Übrigen genau seinem akademischen Forschungsauftrag nach, sich mit »philosophisch-theologischen Grenzfragen« 1 auseinanderzusetzen. Die grenzüberschreitende Dimension dieses Projektes zeigt sich auch in der Auswahl der Quellen, die Schaefflers Gebetslehre zu Grunde liegen. Das »Material« seiner philosophischen Reflexion erhält er durch einen weiten Blick auf die gesamte Heilige Schrift. Der Psalter als das gemeinsame Gebetbuch von Juden und Christen nimmt hier verständlicherweise eine herausragende Stellung ein. Zudem analysiert Schaeffler ausgewählte liturgische Quellen, etwa aus dem jüdischen »Siddur S’fat Emet« und dem katholischen »Missale«. Seine Methodik bleibt philosophischer Art: Auf dem stets durchscheinenden Hintergrund der kantischen Transzendentalphilosophie verfolgt Schaeffler eine sprachphilosophische Fortschreibung dieser Denktradition, wobei für ihn die Inspirationskraft der fast vergessenen sprachphilosophischen Tradition vor dem »linguistic turn« (Herder, Humboldt, Cohen, Cassirer, de Saussure) derjenigen der modernen analytischen Sprachphilosophie (WittgenSo die Bezeichnung des damals neukonzipierten Bochumer Lehrstuhls, den Schaeffler von 1968–1989 innehatte.

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Kurze Zusammenschau der Gebetslehre Schaefflers

stein, Russell, Morris, Austin, Searle) in nichts nachsteht. Es ist Schaefflers Grundüberzeugung, dass das Proprium des Gebetes nur im Gebetsakt selbst und durch das sprachliche Zeugnis betender Menschen »originär« gegeben ist. Der Rekurs auf die Kronzeugen einer phänomenologisch orientierten Religionsphilosophie (Husserl, Scheler, Heiler) lässt ihn beharrlich am Primat des Gebetsaktes festhalten. Die genannten Traditionen vereinend formuliert Schaeffler eine dreifache religionsphilosophische Methodenkombination: Die Weite des phänomenologischen Blicks soll in einem ausgewogenen Verhältnis zur konkreten Analyse sprachlicher Gebetszeugnisse stehen und dabei einbezogen bleiben in einen transzendentalen Denkhorizont, der nach den Bedingungen solchen Betens und den zugrundeliegenden Anschauungsformen, Ideen, Kategorien fragen lässt. Diese von Schaeffler entwickelte religionsphilosophische Methodik darf angesichts ihrer Exemplifizierung an der Gebetsthematik als erprobt und überdies als außerordentlich fruchtbar beurteilt werden. Die unterschiedlichen Ansätze und Aspekte seiner Gebetslehre lassen dabei auch unterschiedliche Schwerpunkte in der Methodik erkennen. Zwei systematische Annäherungen an das Phänomen des Gebetes sind bei Schaeffler erkennbar, die sich unter die beiden Begriffe »Acclamation« und »Doxologie« subsumieren lassen: Seiner ursprünglichsten Form nach ist Gebet die grüßende Anrufung des Namens Gottes. Die sogenannte »acclamatio« stellt den Eintritt in eine Zwiesprache mit Gott dar, worauf meist eine längere Sequenz des Erzählens folgt. In der Tradition Cohens, der für Schaeffler in dieser Hinsicht ein wegweisender Bezugspartner ist, versteht er die Namensanrufung als »Sprachhandlung«, d. h. als einen sprachlichen Ausdruck, der vor aller propositionalen Aussageabsicht eine Handlung vollzieht, nämlich den Eintritt in eine lebendige Gesprächssituation. In diesem durch die Namensanrufung eröffneten Dialog entsteht der Raum für eine weitere Sprachhandlung: Im Sprechakt des Erzählens schafft der Beter eine Verbindung von gegenwärtiger Begegnung und erinnerter Vergangenheit – entweder durch die positive Anknüpfung an die Geschichte mit dem Gott, dessen Name dem Beter aus eigener oder überlieferter Erfahrung bereits vertraut ist, oder durch die »narrative Organisation« zweier möglicherweise divergierender Geschichten (der überlieferten Heilsgeschichte und der individuellen Lebensgeschichte des Menschen). Im Akt des Erzählens wird inhaltlich ausgelegt, was in der schlichten Beten denken

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Anrufung des Namens bereits impliziert ist. Die aufgenommene »Korrelation« mit Gott konkretisiert sich weiter in verschiedenen Gebetsmodi, je nachdem wie kongruent bzw. divergent der Beter den Akt der Namensanrufung in der aktuellen Gebetssituation erlebt (rühmende Anamnese, Dank und Klage, Bitte). In einer präzisen Analyse der grammatischen und semantischen Struktur dieser Sprachhandlungen zeigt Schaeffler weiter, dass der Beter immer schon bestimmte Ideen und Kategorien in Anspruch nimmt und auf religiöse Weise interpretiert. Auf der Spur dieser transzendentalen Implikationen gelangt Schaeffler schließlich zu einer zentralen und in der Herleitung überaus komplexen These: In der Anrufung des Namens konstituiert sich für den Beter die Einheit der Welterfahrung, die Einheit seiner Subjektivität sowie die Einheit der Geschichte. Eine zweite Perspektive auf die gott-menschliche Korrelation im Gebet kommt in Schaefflers Begriff von »Doxologie« zum Tragen, der tief in seiner Theorie von »Erfahrung als Dialog mit der Wirklichkeit« verwurzelt ist. Die spezielle Erfahrung des Heiligen spiegelt sich in der menschlichen Vernunft als »Doxo-logie« wider, das heißt wörtlich als Antwort (Logos) auf den Anspruch der aufscheinenden Herrlichkeit (Doxa). Der Mensch kann die Herrlichkeit Gottes weder begrifflich fassen (im Verbum Mentis) noch angemessen ins gesprochene Wort bringen (Verbum Oris). Er wird vielmehr vom Heiligen selbst herausgefordert und ermutigt zu – stets vorläufigen und überbietbaren – Antwortversuchen, die eine Dynamik der doxologischen Wechselrede in Gang bringen. Die »Doxo-logia« führt also weder in ein menschliches Selbstgespräch, noch lässt sie den Menschen aus Ehrfurcht vor dem unbegreiflich Heiligen verstummen. Gelungene religiöse Erfahrung ist Dialog mit der je größeren Herrlichkeit. Jede einmal gemachte Erfahrung des Heiligen und jedes daraufhin gesprochene menschliche Wort der »Doxo-logie« behält seine bleibende Bedeutung innerhalb eines dialogischen Erfahrungsprozesses, der den Betenden dazu anleitet, dem Heiligen immer wieder auf neue Weise zu begegnen und den Bedeutungsgehalt vergangener religiöser Erfahrungen besser zu verstehen. Schaeffler bezeichnet dies als das »allegorische Bedeutungsmoment« der religiösen Erfahrung, die immer »mehr und anderes« sagt (gr. »ἄλλα ἀγορεύει«), als der Mensch gegenwärtig erfahren kann – und so auf das Übermaß der göttlichen Herrlichkeit verweist, für die keine Doxologie abschließende Worte zu finden vermag. 390

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Kurze Zusammenschau der Gebetslehre Schaefflers

Beide Zugänge Schaefflers, Namensanrufung und Doxologie, lassen sich sowohl aus der individuellen Sicht des Beters als auch in der intersubjektiven Perspektive einer Gebetsgemeinschaft betrachten. Schaeffler propagiert also weder den Vorrang des persönlichen noch des gemeinschaftlichen Gebetes, sondern nimmt auch in dieser Frage eine dialogische Perspektivität ein: Jeder einzelne Gläubige betet immer schon als Glied einer Überlieferungsgemeinschaft und mit Hilfe der darin erlernten Gebetssprache. Zugleich trägt jeder individuelle Beter dazu bei, dass ebendiese Überlieferungsgemeinschaft und deren sprachliche Ausdrucksmöglichkeiten lebendig weiterentwickelt werden. Sprachphilosophisch konnte Schaeffler diese Einsicht mit Hilfe der Zuordnung von »langue« und »parole« bei De Saussure untermauern. Der einzelne Beter und die betende Gemeinschaft sind wechselseitig aufeinander bezogen. Durch sein grundsätzlich sprachlich-dialogisches Verständnis von Gebet werden auch Aufbau und Struktur einer Gebetsgemeinschaft leicht erklärbar: Das doxologische Wort trägt die Herrlichkeit Gottes als »Gotteswort im Menschenwort« weiter an immer neue Hörer und ruft sie dazu auf, sich unter denselben göttlichen Anspruch zu stellen und mitbetend zu einer eigenständigen doxologischen Antwort fähig zu werden. Insofern sich der Aufbau der Gemeinde (Oikodomé) also in erster Linie durch die doxologische Wechselrede vollzieht, bleibt die Souveränität des göttlichen Anspruchs in diesem Prozess stets gewahrt. Die einzelnen Ämter innerhalb der kirchlichen Gemeinschaft sind daher zuallererst Dienst am göttlichen Wort, das aus Hörern der Botschaft immer neue Sprecher generiert. Das Gebet gilt für Schaeffler als die »Primärsprache« der Religion. Anhand der grammatischen und semantischen Struktur der Gebetssprache konnte er zeigen, dass die Sprache des Gebetes autonom und nicht einfach in eine andere Sprache, etwa die der wissenschaftlichen Theologie, übersetzbar ist. Die Tatsache aber, dass das Wort »Gott« auch in den Sprachen der Theologie und der Philosophie vorkommt, wehrt dem Eindruck einer Abgeschlossenheit (Autarkie) der Gebetssprache. Die hermeneutisch-kritische Metasprache der Theologie ist um ihres primären Gegenstandes willen auf das Gebet angewiesen. Der Gebetsakt und seine sprachlichen Zeugnisse gelten für Schaeffler daher als der locus theologicus schlechthin. Zudem bedient sich auch die Philosophie des Lehnwortes »Gott«, um die Relevanz und den Realitätsgehalt ihrer Fragestellung auch außerhalb des philosophischen Sprach- und Gedankengebäudes zu begründen. ZwiBeten denken

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schen Gebet, Theologie und Philosophie bestehen also Interferenzen, die Schaeffler durch die Reflexion auf Referenz und Bedeutungsgehalt der Gottesrede innerhalb des jeweiligen Sprachspiels näher bestimmen kann. Schaefflers umfassende Auseinandersetzung mit dem Gebetsakt erklärt sich nicht einfach aus einer inhaltlich-thematischen Präferenz, sondern weil dem Gebet eine wichtige funktionelle Bestimmung für seinen philosophischen Gesamtentwurf zukommt. Zum einen zeigt sich dies in der Leitfrage, die »Das Gebet und das Argument« durchzieht. Diese lautet ja nicht etwa »Was ist Gebet?«, sondern wesentlich komplexer: Wie kann religiöses Sprechen angesichts der Kritik positivistischer Sprachtheorien ›wahrheitsfähig‹ bleiben? Und wie kann insbesondere die Rede von Gott, welche Theologie, Philosophie und Gebet verbindet, vor dem Verdacht der Sinnlosigkeit bewahrt werden? Schaefflers Interesse am Gebet ist also zutiefst motiviert von der Auseinandersetzung mit der analytischen Sprachphilosophie. Auf dem Spiel steht in dieser Debatte nicht allein die Legitimation des Betens, sondern des sinnvollen, objektiven und wahrheitsgemäßen Sprechens überhaupt. Zum anderen bildet die Gebetslehre einen wichtigen Baustein in Schaefflers philosophischem Lebenswerk, das transzendentale Denken Kants im Sinne eines dialogischen Erfahrungsverständnisses weiterzuentwickeln und dabei, methodisch betrachtet, die transzendentale Phänomenologie einer linguistischen Wende zu unterziehen. Stärker als Kant problematisiert er die nachmoderne Einsicht, dass wir erkenntnistheoretisch nicht länger von einer Welterfahrung und von einer Subjektivitätsweise ausgehen können. Es gibt phänomenologisch gesprochen unterschiedliche »regionale« Korrelationen von Noesis und Noema, die sich an strukturverschiedenen Sprachen ablesen lassen. Am Beispiel des Gebetes führt Schaeffler aus, wie ein »Gegenstand« und eine Weise der »IchIdentität« sowie der Gebrauch von Anschauungsformen und Kategorien auf originäre und nicht ableitbare Weise gegeben sind. Dies ist der wertvolle Beitrag, den Schaefflers Gebetslehre auf der Ebene der speziellen Transzendentalphilosophie der religiösen Erfahrung leistet. Dazu kommt eine zweite, noch wichtigere Funktion der Gebetslehre für die allgemeine Transzendentalphilosophie. Schaeffler vertritt die These, dass hinter der Vielfalt der Erfahrungsweisen und der daraus entstehenden Dialektik des theoretischen Vernunftgebrauchs ein Einheitsgrund postuliert werden kann und muss; er 392

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formuliert diesen in einem weiteren Schritt als einen transzendentalphilosophischen Gottesbegriff. Nun hat sich gezeigt, dass die drei theoretischen Vernunftpostulate (Einheit von Welt, Ich und Geschichte) aus Schaefflers Erfahrungslehre in analoger Weise auch im Akt des Gebetes in Anspruch genommen werden. Ein wesentlicher Gewinn gegenüber dem epistemologischen Status der Postulate liegt jedoch darin: Was Schaeffler in seiner Erfahrungslehre aus Vernunftgründen fordert, bleibt nicht theoretisch und damit letztlich inhaltsleer, sondern wird im Gebet in einem Akt des »Zutrauens in die Erfahrung« praktisch vollzogen. So kann gezeigt werden, dass sich im Gebetsakt exemplarisch realisiert, was transzendentalphilosophisch »nur« gedacht wird. Schaefflers Erfahrungslehre gründet im Letzten nicht auf einem Begriff, sondern auf einem Namen – auf dem »Du einer Begegnung«. 2

8.2 Rückfragen aus theologischer Perspektive Aus der Vielfalt möglicher Diskussionspunkte, die sich im Anschluss an Schaefflers Gebetslehre ergeben, sollen zunächst zwei unmittelbare Rückfragen herausgegriffen werden, die sich dem kritischen Leser bereits bei einer oberflächlichen Lektüre dieser Arbeit stellen werden. Zum Ersten drängt sich die Frage auf, wie es einzuordnen und zu bewerten ist, dass Schaeffler der drängenden Problematik des Bittgebetes in seiner Gebetslehre nur verhältnismäßig wenig Beachtung schenkt (8.2.1). Zum Zweiten erscheint es fragwürdig, ob überhaupt von der Gebetslehre Schaefflers gesprochen werden kann, da sich in der vorangegangenen Untersuchung deutlich zwei werkchronologisch und methodisch durchaus separate Ansätze herauskristallisiert haben. Lässt sich das Phänomen des Gebetes im Kern nun treffender als Namensanrufung (»acclamatio«) oder als »Doxologie« beschreiben – oder wie hängen diese beiden Ansätze möglicherweise zusammen (8.2.2)?

2 Vgl. R. Schaeffler, EDW, 683 f. Hier mit Verweisen auf Cohen, Rosenzweig und Lyotard.

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8.2.1 Das fehlende Bittgebet? Wenn Beten, wie Walter Kasper sagte, der »Ernstfall des Glaubens« ist, dann darf die an Gott gerichtete und auf Erhörung hoffende Bitte wohl als der »Ernstfall des Ernstfalls« bezeichnet werden. 3 Wie kommt es, dass Schaeffler in seiner Gebetslehre das Bittgebet offensichtlich nur sehr marginal behandelt? In der Darstellung verschiedener »Gebetsmodi« – die überhaupt erst an dritter Stelle, nach Namensanrufung und Erzählakt, thematisiert werden – bekennt sich Schaeffler eindeutig zu einer »Dominanz des Dankes«. 4 Denn schon das »Beten-können«, die Ermöglichung, in die Korrelation mit Gott einzutreten (und dann gegebenenfalls auch zu bitten und zu klagen), ist als das freie Geschenk Gottes zu betrachten. Insofern ist das Gebet, in welcher Form auch immer, »verdankt«. Schaeffler geht so weit, dass er das Dankgebet sogar zum Kriterium erhebt, »an dem auch Klage und Bitte sich zu bewähren haben« 5. Der Eindruck der Zurückhaltung gegenüber dem Bittgebet verschärft sich noch mehr, wenn man Schaefflers Arbeiten zur Doxologie hinzuzieht. Auch wenn der Doxologiebegriff zunächst epistemologisch und nicht theologisch gebraucht wird, lässt sich nicht leugnen, dass dadurch der Aspekt von Lobpreis und Dank eine noch stärkere Priorität in seiner Gebetslehre erhält. Schon in den ersten Fragmenten seines doxologischen Ansatzes wagt er eine kühne Voraussage über die Vorrangstellung des Lobpreises, wenn er schreibt: »Die Doxologie erweist sich als die umfassende Form und der umgreifende Inhalt aller Formen und Inhalte des Gebets.« 6 Aus theologischer Sicht muss hier zurückgefragt werden, ob diese Aussagen mit der biblischen Lehre und Praxis des Betens im Einklang stehen. Auf existentieller Ebene stellt sich die Frage, ob die »Dominanz des Dankes« auch der Selbsterfahrung glaubender und betender Menschen entspricht: Welche Bedeutung hat für Schaefflers doxologischen Gebetsansatz eigentlich die Tatsache, dass viele aufrichtige Beter – früher und heute – aus ihrer jeweiligen Lebenssituation heraus schlicht nicht zu erkennen vermögen, dass Himmel und 3 Zum Diktum »Ernstfall des Ernstfalls« vgl. G. Greshake – G. Lohfink (Hg.), Bittgebet – Testfall des Glaubens, Mainz 1978, 7. 4 R. Schaeffler, Kleine Sprachlehre, 111; vgl. dazu auch Ders., Gebet im Judentum. 5 Ders., Kleine Sprachlehre, 111. 6 Ebd., 116. Vgl. Kap. 5.1.

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Erde von Gottes Herrlichkeit erfüllt sind? Ist Gott auch die Zuflucht in der Not – oder etwa nur der Adressat des Lobgesangs? Es wird sich zeigen müssen, ob Schaefflers Theorie der Namensanrufung und sein Verständnis von Doxologie sich auch angesichts der biblischen Überlieferung und der glaubensexistenziellen Herausforderungen als tragfähig erweisen. Hinter all diesen Fragen aber lauert ein Verdacht, den Michael Zimny einmal etwas unvermittelt und in gewisser Schärfe als fehlende »Theodizee-Empfindlichkeit« bei Schaeffler geäußert hat. 7 Die folgenden Klarstellungen mögen dazu dienen, die in der Tat knappen Äußerungen Schaefflers zum Bittgebet noch einmal kritisch zu beleuchten, um so seine Position innerhalb der gegenwärtigen philosophisch-theologischen Debatte um das Bittgebet besser einordnen und weiterführen zu können. 8 Zunächst darf an jene Grundannahme erinnert werden, die Schaeffler dem Alttestamentler Henning Graf Reventlow folgend für das Verständnis der »Gebetsmodi« voraussetzt: 9 Die Vorstellung eines reinen Bittgebetes ohne jeden doxologischen Gestus oder einer ausschließlichen Klage, die den Gottesnamen nicht auch als Adressat des Dankes kennt, ist bereits das Ergebnis einer theologischen Reduktion. Im Gebetbuch des Psalters jedenfalls – und vermutlich auch in den meisten persönlichen Gebetserfahrungen – sind die unterschiedlichen Gebetshaltungen entsprechend der konkreten Situationen des Beters stets vermischt und auf ihre jeweiligen Übergänge hin angelegt. Die biblische Dynamik (!) des Gebetes lebt davon, dass der Klagende – woher auch immer – doch noch einen Funken Hoffnung aufbringen kann, um sich nicht endgültig von Gott abzuwenden, sonVgl. M. Zimny, Zur Einheit von Spiritualität und Intellektualität im Werk Richard Schaefflers, 162: »So muß die Feststellung getroffen werden, daß der Schaefflersche Gottesbegriff von keiner Theodizee-Empfindlichkeit berührt ist.« Diese Behauptung Zimnys entbehrt m. E. an dieser Stelle an argumentativer Stringenz und müsste von ihm – angesichts der Schwere des Vorwurfs – näher ausgeführt werden. 8 Die Grundlage für die folgenden Ausführungen bildet Kap. 4.4.2. Es versteht sich von selbst, dass die theologischen Debatten um das Bittgebet hier nicht umfassend aufgearbeitet werden können. Ein originärer Beitrag zur prekären Frage, was »Erhörung« und »Handeln Gottes« in diesem Zusammenhang bedeuten, darf von Schaeffler ebenso wenig erwartet werden wie eine Verortung des Bittgebetes im pneumatologischen und trinitarischen Kontext – was theologisch als ein aussichtsreicher Weg erscheint. Vgl. speziell dazu R. Götz, Aufgehen in die Communio des dreieinigen Gottes, St. Ottilien 1999, 223–344; H.-M. Barth, Wohin – woher mein Ruf? Zur Theologie des Bittgebets, München 1981, 112–206. 9 Vgl. H. Reventlow, Gebet im Alten Testament; vgl. Kap. 4.4.1. 7

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dern beharrlich weiter zu bitten; sie lebt davon, dass der Dankende seine Erfahrung generalisierend zum Lobpreis ausweitet und mit seinem Dank auch die Hoffnung auf die künftige Zuwendung Gottes bittend ins Wort bringt. Bisweilen wird daher das Dankgebet auch als »Lobpreis unter Tränen«, die Bitte als »Lob aus der Tiefe« bezeichnet. Selbst in den strengen Kompositionen der römischen Orationen erweist sich bekanntlich die Verknüpfung von rühmendem Lob (als Akklamation), Dank (in der Prädikation), Bitte (Supplikation) und doxologischer Schlussformel als das leitende Strukturprinzip. 10 Reventlows alttestamentlich gestützte These darf nach wie vor ihre exegetische Gültigkeit beanspruchen. In einer neueren Studie von Eva Harasta werden die flexiblen Übergänge von Lob, Bitte, Klage und Dank in der alttestamentlichen Gebetssprache anhand der Psalmengruppe 15–24 im Detail herausgearbeitet. 11 Anhand von Einzelstudien zu Johannes Calvin und Karl Barth vermag sie dieses mehrdimensionale Gebetsverständnis des Psalters auch theologiegeschichtlich durchzubuchstabieren. 12 Dieser exegetische und systematische Befund aber ändert die Stoßrichtung der hier zu behandelnden Frage. Diese lautet dann nicht, weshalb Schaeffler sich so selten zum Bittgebet äußert, 13 sondern vielmehr: Wie kann seine Gebetslehre, die ihren Schwerpunkt offenbar im Dank- und Lobgebet findet, an die gegenwärtige gebetstheologische Diskussion anschließen und einen Erkenntnisgewinn beitragen? Wenn man im Sinne der eben angedeuteten Kohärenz Lateinisch zeigt sich dies meist so: Deus … [+ lobende Attribute], qui … [+ anamnetischer Dank], quaesumus … [+ Bitte] per Dominum nostrum … Vgl. R. Schaeffler, Kleine Sprachlehre, 112; ausführlicher in: Ders., Der Priester als Vor-Beter und Fürbitter, 450–455. 11 Vgl. E. Harasta, Lob und Bitte. Eine systematisch-theologische Untersuchung über das Gebet, Neukirchen-Vluyn 2005, hier 37–75. Harasta kommt zu dem Ergebnis, dass innerhalb dieser vier keineswegs immer eindeutig identifizierbaren »Gebetselemente« eine deutliche Bipolarität zwischen dem Lobpreis und dem Bittgebet hervortritt. Klage und Dank aber nehmen eine eher vermittelnde Position ein. Vgl. ebd., 36, 75. Vgl. auch F.-L. Hossfeld, Von der Klage zum Lob, in: BiKi 56 (2001), 16–20; sowie die beiden grundlegenden exegetischen Studien: C. Westermann, Lob und Klage in den Psalmen, Göttingen 51977; P. D. Miller, They cried to the Lord. The form and theology of Biblical prayer, Minneapolis 1994. 12 Vgl. E. Harasta, Lob und Bitte, 112–142 u. 182–232, sowie zusammenfassend 235–241. 13 Überhaupt ist eine Argumentation ex silentio – über das »fehlende« Bittgebet bei Schaeffler – nicht sehr gewinnbringend, zumal ihm als Religionsphilosoph kein Vorwurf darüber zu machen ist, dass er eine theologisch virulente Frage vernachlässige. 10

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der Gebetsmodi die philosophisch-theologischen Entwürfe der letzten Jahrzehnte überblickt, so ließe sich wohl zu jeder Gebetsform auch ein bedeutender Ansatz einer Gebetslehre zuordnen: Es gibt gebetstheologische Konzepte, die wie Schaeffler den Lobpreis Gottes ins Zentrum stellen. 14 Andere erachten die Haltung des Dankes als das Grundcharakteristikum des Gebetes, 15 wieder andere betonen die Anbetung. 16 Neben der Vielzahl von Arbeiten, die sich gegenwärtig mit dem Bittgebet auseinandersetzen, 17 gibt es in jüngerer Zeit zudem wieder vermehrt Beiträge, die für eine Apologie des Klagegebetes eintreten und darin eine wichtige Aktualisierung einer Theologie des Gebetes (nach Auschwitz) erkennen. 18 Angesichts dieser Zuordnung einiger aktueller Gebetstheologien darf im Hinblick auf Schaeffler nüchtern konstatiert werden: Das Bittgebet ist zweifellos eine besonders wichtige und theologisch herausfordernde Gebetsform, nicht zuletzt auch aufgrund der Gebetspraxis Jesu selbst. Der Zugang zur Gebetsthematik ist sie für Schaeffler nicht. Dies bedeutet jedoch noch keine Abwertung des Bittgebetes oder der damit schnell (bisweilen zu schnell) einhergehenden Theodizeefrage. Schaefflers Hauptinteresse gilt überhaupt nicht einem bestimmten »Gebetsinhalt«, sondern der ganz elementaren und in keiner Weise selbstverständlichen Vorstellung einer kommunikativen Beziehung zwischen dem »Ich« des Beters und dem »Du« Gottes. Wie Armin Kistenbrügge richtig erkennt, sollen weder Bittgebet noch Klage, noch das offenbar dominierende Dankgebet das Vgl. G Wainwrigth, Doxology; E. Schlink, Ökumenische Dogmatik, 725–742. Vgl. F. Ulrich, Gebet als geschöpflicher Grundakt, Einsiedeln 1973; G. Sauter, Reden von Gott im Gebet, in: B. Casper (Hg.), Gott nennen, Freiburg i. Br. – München 1981, 219–242. Sauter bezieht sich hinsichtlich der Dominanz des Dankes im Übrigen auf eine evangelische Tradition bei Schleiermacher und Ritschl. 16 Vgl. T. Marschler, Kleine Theologie der Anbetung, in: Forum Katholische Theologie 28 (2012), 1–32. 17 Vgl. die Sammelbände: W. Eisele (Hg.), Gott bitten? Theologische Zugänge zum Bittgebet, Freiburg i. Br. 2013; M. Striet (Hg.), Hilft beten? Schwierigkeiten mit dem Bittgebet, Freiburg i. Br. 2010; vgl. als einschlägige Literatur auch: H. Schaller, Das Bittgebet, Einsiedeln 1979; H.-M. Barth, Wohin – woher mein Ruf?; K.-H. Menke, Handelt Gott, wenn ich ihn bitte?, Kevelaer 32008; W. Härle, Den Mantel weit ausbreiten, in: Ders., Spurensuche nach Gott, Berlin – New York 2008, 286–305. 18 Vgl. M. Limbeck, Die Klage – eine verschwundene Gebetsgattung, in: ThQ 157 (1977), 3–16; G. Steins (Hg.), Schweigen wäre gotteslästerlich. Die heilende Kraft der Klage, Würzburg 2000; O. Bayer, Zur Theologie der Klage, in: M. Ebner – u. a. (Hg.), Klage, JBTh 16 (2001), Neukirchen-Vluyn 2001, 289–301; J. Schmidt, Klage. Überlegungen zur Linderung reflexiven Leidens, Tübingen 2011, 154–162. 14 15

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Gesamtphänomen des Betens und die »das Gebet tragende Gottesbeziehung« beschreiben. Lob und Klage, Dank und Bitte werden, so Kistenbrügge, nicht gegenseitig und nicht inhaltlich, »sondern gegenüber der sie tragenden Gottesbeziehung relativiert« 19. Das Bittgebet wird nicht untergeordnet, sondern eingeordnet. Nachdem von einer theologisch widersinnigen Konkurrenzsituation zwischen den einzelnen Gebetsmodi also abgesehen werden darf, müssen Schaefflers Aussagen zum Bittgebet noch einmal betrachtet und insbesondere auf mögliche Übergänge zwischen den Gebetsformen hin geprüft werden. Hermann Cohen, der wichtige Ideengeber Schaefflers, hatte sich für eine nur sehr eingeschränkte Akzeptanz des Bittgebetes ausgesprochen. Allein die Bitte um Vergebung (Bußgebet) und das fürbittende Gebet für andere konnte er billigen, nicht aber die Bitte als »Wünschelrute für das Persönliche« 20. Schaefflers Motivation, sich mit der Möglichkeit des Bittgebetes über diesen engen Rahmen hinaus zu befassen, hat wiederum mit den prekären Vorwürfen der Sinnlosigkeit und Selbstwidersprüchlichkeit des Bittgebetes von Seiten der modernen Sprachanalytik zu tun. Wer im Glauben an die Wirksamkeit seiner Gebete bittet und unterdessen längst damit rechnet, dass die Bitte ebenso gut nicht erfüllt werden könne, der beweist – so die Kritiker – nicht Gottvertrauen, sondern viel eher Resignation. 21 Ist eine Bitte bei Einschluss ihrer Nicht-Erfüllung demnach sinnlos? Schaefflers einfache Antwort lautet: Nein, denn sonst wäre sie ja keine Bitte, sondern ein Befehl. Im Übrigen lässt sich Schaeffler nicht zu sehr auf die Logik solcher Argumentation ein, da er eine solch einseitige Zuspitzung der Frage für unangemessen hält. 22 Demgegenüber bringt er die Metapher der »Freundschaft« ins Spiel 23 als die das Bittgebet umfassende Beziehungskategorie und schließt so, bewusst oder unbewusst, an die Gebetsparänese Jesu an. 24 A. Kistenbrügge, Das Gebet in der Dogmatik, 294. H. Cohen, RV, 437. Vgl. Kap. 3.1.3. 21 Vgl. R. Schaeffler., Kleine Sprachlehre, 95 f., 102. 22 Die Mühe der direkten Auseinandersetzung mit der sprachanalytischen Gebetskritik nimmt Vincent Brümmer auf sich – samt den unweigerlichen Folgen für die Gotteslehre und Theodizeefrage. Vgl. die hervorragende Studie: V. Brümmer, Was tun wir, wenn wir beten?, bes. 1–15, 29–71. 23 Vgl. ausführlich in Kap. 4.4.2. 24 Vgl. Lk 11,5–8: »Wenn einer von Euch einen Freund hat und um Mitternacht zu ihm geht …« 19 20

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In seinen wenigen Notizen zum Bittgebet kommen zwei Aspekte zum Vorschein, die für Schaeffler in dieser Frage offensichtlich unabdingbar sind: Die Bitte muss erstens als eine tatsächliche, existenziell vor Gott getragene Bitte gewürdigt werden. Und sie muss zweitens, was die Frage nach ihrer Erhörung betrifft, eingeordnet werden in den größeren Zusammenhang des freiheitlichen Beziehungsgeschehens zwischen Gott und Mensch. Damit sind meines Erachtens in aller Schlichtheit die beiden Elemente ausgesprochen, um die es in dieser Debatte zu streiten lohnt – abseits der ausladenden Diskussion um den selbstexpressiven und therapeutischen Wert des Bittgebetes einerseits, um das Vorauswissen Gottes, um »scientia media« und ähnliche Fragen andererseits. Eine Interpretation, die das Bittgebet allein darauf reduziert, den Bittenden in den Willen Gottes (oder wie bei Kant in das »moralisch Gute«) einzustimmen und ihn darauf vorzubereiten, bereitwillig zu empfangen, was ihm gegeben wird, nimmt die existenzielle Dynamik der Bitte nicht ernst. 25 Die wirkliche Bitte traut Gott zu, dass er die Not wende. Aber sie bittet, sofern sie die Frucht eines gereiften Gottesglaubens ist, im umgreifenden Vertrauen darauf, dass Gott möglicherweise auf andere Weise »reagiert«, als der Bittende zu hoffen wagte – und sich gleichwohl als der Gott erweist, der seine Treue nicht vergisst und das menschliche Vertrauen nicht enttäuscht. Die Bitte baut nicht auf einen abstrakten Allmachtsgedanken, sondern sie baut auf Gottes Beziehungsmächtigkeit, die – in der Kraft des Geistes – wirkliche Veränderung schafft, die entschieden mehr ist als moralische oder psychologisch-immanente Selbstmotivation. 26 Dies hat auch Hans Schaller deutlich gemacht: »Wenn wir vor Gott unsere reale existentielle Not anzeigen, dann tun wir dies nicht zuerst, um uns zu Empfangenden zu formen, sondern mit der realen, insistierenden Hoffnung, daß Gott seine Hilfe real, und zwar auf diesen Schrei und diese Bitte hin, in Bewegung setzt.« H. Schaller, Das Bittgebet – Ein Testfall des Glaubens, in: G. Greshake – G. Lohfink (Hg.), Bittgebet – Testfall des Glaubens, Mainz 1978, 92–102, hier 95; Vgl. auch Schallers Kommentar zu Thomas von Aquin in: Ders., Das Bittgebet, 57–65. Vgl. allgemein zu der Frage, was theologisch bezüglich des (Bitt-)Gebetes angesichts verschiedener philosophischer und mystischer Positionen aufrechtzuerhalten wäre: J. Werbick, Zwiesprache mit Gott oder Erhebung zum Göttlichen?, in: Informationes Theologiae Europae. Internationales ökumenisches Jahrbuch für Theologie 11 (2002), 195–209. 26 Vgl. Ders., In Gottes Ohr?, in: M. Striet (Hg.), Hilft Beten?, Freiburg i. Br. 2010, 31– 57, hier 48 ff. Vgl. zur Abgrenzung von einem »moralisch-immanenten« (Kant) oder psychologisch-immanenten« (W. Bernet) Verständnis des Bittgebetes: H. Schaller, Das Bittgebet, 72–122. 25

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Schaefflers Haltung zum Bittgebet kann im Verhältnis zu zwei prägnanten Positionen näher bestimmt werden, die in der gegenwärtigen Diskussion immer wieder auftauchen: die Forderung nach einem »Beten ohne zu bitten« sowie die Bescheidung der Bitte darauf, »Gott um Gott zu bitten«. Das Bittgebet muss sich nicht allein gegen den theologischen Einwand behaupten, ein wandelbarer und auf menschliche Bitten reagierender Gott sei eine allzu anthropomorphe Vorstellung. Die vielleicht noch empfindlichere Kritik am Bittgebet ist nicht die Bezweiflung der Handlungsmöglichkeiten Gottes, sondern die Rückfrage nach der inneren Haltung des bittenden Menschen. Sie entspringt der bedrängenden Unterstellung, der Mensch kreise im Bitten letztlich um sich selbst. Wäre die höhere, geläuterte Gesinnung des Gebetes nicht diese: abzusehen von den eigenen Bedürfnissen und Wünschen, seine Seele zu Gott zu erheben und sich im Akt der Anbetung ganz in Gottes Willen zu ergeben? Nach dem Vorbild der Hingabe Jesu an den Abba-Vater am Ölberg (vgl. Mk 14,36) gab es in der mystischen Tradition des Christentums (etwa bei Meister Eckhart und Johannes Tauler) immer wieder Stimmen, welche die Bitte in persönlichen Anliegen als im Grunde unreif und defizitär erachteten. Besonders einprägsam ist das Wort des Barockdichters Angelus Silesius, der schreibt: »Wer Gott um Gaben bit’t, der ist gar übel dran, er betet das Geschöpf und nicht den Schöpfer an.« 27 Zu einer ganz ähnlichen Einschätzung des Bittens gelangt auch der jüdische Phänomenologe Emmanuel Lévinas, wenn er in seinem programmatischen Aufsatz »Vom Beten ohne zu bitten« mit den Worten des Woloszyner Rabbi Chajim bemerkt: »Das wirkliche Beten geschieht also niemals für sich, niemals ›für die eigenen Bedürfnisse‹ […].« 28 Der französische Philosoph Jean-Luc Nancy hat in einem bislang kaum wahrgenommenen, gebetstheologisch herausfordernden Beitrag den Ab27 Zitiert nach W. Weischedel, Vom Sinn des Gebets, in: Ders., Wirklichkeit und Wirklichkeiten, Berlin 1960, 152–157, hier 153. Der Beitrag Weischedels, der einer reichhaltigen Anthologie über das Bittgebet gleicht, beschreitet exakt den schmalen Grat zwischen einem völligen Verstummen der Bitte und der Bitte um Gott. 28 E. Lévinas, Vom Beten ohne zu bitten, in: W. Breuning – H. Heinz (Hg.), Damit die Erde menschlich bleibt, Freiburg i. Br. 1985, 62–70, hier 69. Dieser Aufsatz ist gattungstypisch den Talmud-Studien von Lévinas zuzuordnen. Die Bitte müsse sich, so Lévinas, Gott ausliefern und wie Weihrauch geläutert zu ihm emporsteigen. Einen Grundbegriff seiner Philosophie aufgreifend fordert er, das Gebet müsse »sich desinter-essieren, sich freimachen von der bedingungslosen Anhänglichkeit an das Sein«. Ebd., 68.

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schied vom Bittgebet aufs Äußerste zugespitzt und mit dem Anspruch eines kategorischen Imperativs gefordert, »alle Gebete [zu] leeren und sich leeren [zu; S. W.] lassen« 29. Nancy beschreibt in eindringlichen Worten, was er unter dem Aufruf zur »Entmythologisierung« des Gebetes versteht: »Das Gebet bittet nicht, um zu erlangen – und auf diese Weise ist ein ›entmythologisiertes Gebet‹ mit den Worten Adornos ›befreit von der Magie des Einwirkens‹ : Das Gebet verlangt nicht, erhört zu werden und bewirkt auch kein solches Ergebnis.« 30

Nicht die Bitte, sondern die Anbetung – als Transzendenzbewegung ohne transzendentes Ziel – ist für Nancy die allein geduldete Gebetsform. Nicht erhört (»exaucé«), sondern erhöht (»exhaussé«) werden will das Gebet, so Nancy. 31 Mit der »Leerung« aller Gebete, mit dem absichtlichen Verzicht darauf, erhört zu werden, wird aber die Anrede Gottes selbst entleert. Angesichts dieser radikalen Dekonstruktion des Gebetsaktes wird so umgekehrt deutlich, dass auch die einfache »acclamatio nominis« immer schon eine Bitte enthält: die Bitte, überhaupt ge-hört zu werden; die Bitte, in geläufiger Gebetsmetaphorik ausgedrückt, dass Gott »sein Ohr neige« und für den Beter ansprechbar werde. 32 Im Gegenlicht dieser skizzierten Generalkritik am Bittgebet scheint auf, wie weit Schaefflers Gebetslehre tatsächlich von dieser Argumentation entfernt ist. Die Bitte ist bei Schaeffler keine Leerstelle, sondern vielmehr ein authentischer Ausdruck des Beters vor Gott in der Situation persönlicher Sorge, d. h. in der erlebten Divergenz zwischen der individuellen Leidensgeschichte des Beters und der überlieferten Heilsgeschichte Gottes. Mit Antworten auf die vieldiskutierte Frage aber, wie Gott diese Bitten hört und er-hört, übt er Zurückhaltung. Wohlwollend interpretiert mag ihm dies als »docta ignorantia« angerechnet werden. Schaeffler spricht sich an keiner Stelle gegen das Bittgebet im Sinne eines »Betens ohne zu bitten« aus. Er stellt das Bittgebet allerdings in den größeren Rahmen der Gottesbeziehung und argumentiert für ein Verständnis der Bitte, die 29 J.-L. Nancy »Entmythologisiertes Gebet«, in: Ders., Dekonstruktion des Christentums, Zürich – Berlin 2008, 221–235, hier 235. 30 Ebd., 232. 31 Vgl. ebd., 231 f. 32 Vgl. ebd., 234: »Jede Anrede enthält vermutlich wenigstens im Stillen diese Worte, ›ich bitte Sie, mir zuzuhören‹.«

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man mit dem Leitwort »Gott um Gott bitten« 33 wiedergeben könnte. Die Analogie der Freundschaft hebt das Bittgebet auf die Ebene eines personalen Beziehungsgeschehens. Der Beter ist nicht in der Rolle des demütig anklopfenden Bittstellers gegenüber einer anonymen Schicksalsmacht, sondern er weiß sich von seiner Glaubenserfahrung her ermutigt, mit seinen Bitten freimütig vor Gott zu treten. Die Bitte ist nach Schaeffler die Bewährungsprobe des Dankes, und sie erhofft nichts mehr, als sich erneut in Dank wandeln zu können. 34 Pointiert ausgedrückt: »Die Bitte gibt Gott die Ehre aus der Perspektive des Vorausblicks […].« 35 Die Grundbitte, in die sich alle konkreten Bitten einfügen, besteht in der Bitte um das »Du« Gottes selbst. Es ist die Bitte, dass die Anrufung nicht ins Leere gehen möge, dass Gott sich dem Beter zuwende – biblisch gesprochen: dass er »sein Angesicht leuchten lasse« 36. Die Bitte, bei Gott Gehör zu finden, liegt jeder Hinwendung zu Gott – auch jedem doxologischen Wort – zu Grunde, wie auch Nancy festgestellt hat. In der Doxologie ist das »Bedürfen« Gottes immer schon enthalten, und ohne den Gestus der Bitte liefe auch der Lobpreis Gefahr zu vergessen, aus welcher Grundsituation heraus er zu Gott betet, nämlich aus der ungleichen Beziehung vom endlichen Geschöpf zu seinem Schöpfer. Der Beter bittet Gott um Gott. Und er bittet ihn darin um die höchste aller Gaben, weil er darauf hoffen darf, dass in seiner liebenden Zuwendung auch die konkreten Nöte des Alltags nicht unbeachtet bleiben. 37 Wenn der Beter um das »Du« Gottes bittet, dann tut er Die Formulierung entnehme ich dem gleichnamigen Artikel von Johann B. Metz. Vgl. Kap. 4.4.2, Fn. 360. 34 Vgl. R. Schaeffler, Kleine Sprachlehre, 96. 35 E. Harasta, Lob und Bitte, 141. 36 Vgl. Ps 80; vgl. R. Schaeffler, Der Beter, sein Gott und seine Welt, 575; Ders., PhE II, 243. 37 Gerhard Ebeling – zum Vergleich betrachtet – versteht »Gebetserhörung« radikal als »Gehörtwerden« und geht in diesem Sinne von der Gewissheit der Erhörung aus: »Konstitutiv für das Gebet ist nicht, daß es erhört, sondern daß es gehört wird […]. Mit der Anrede ist deshalb, genau genommen, alles entschieden.« Ob das Gebet gelingt, entscheidet sich nach Ebeling allein durch das Angenommensein vor Gott in der Anrede, also nur im Gebetsakt selbst. »Was dem Gebet folgt, kann nicht anzeigen, ob es gehört und erhört ist, sondern nur, da es gehört ist, wie es erhört ist.« Vgl. G. Ebeling, Das Gebet, 426 f. Schaeffler schlägt in der Frage nach der Gebetserhörung einen ähnlichen Weg wie Ebeling ein, formuliert aber insgesamt zurückhaltender und spricht nicht von einer »Gewissheit« des Gehörtwerdens. Durch die Einordnung der Bitte in den Gesamtkontext des Erzählens vor Gott (als Bewährung des Dankes) scheint sein Umgang mit dem Bittgebet die Situation des Beters sensibler wahrzuneh33

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dies in einer Zuversicht, die Paulus christologisch so formuliert hat: »Wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken?« (Röm 8,32). Das Bittgebet ist kein Ausdruck eines menschlichen Egoismus, sondern ein Zeichen der besonderen Würde des Beters vor Gott, der die Menschheit durch die Selbstoffenbarung im Sohn geadelt hat. Gott lässt sich bitten. Mehr noch: Gott will, dass wir Ihn bitten. 38 Die Bitte des Menschen ist berechtigt, ja notwendig. Wenn auch unser Bitten das Reich Gottes nicht herbeiführen kann, so will Gott sein Reich, wie zahlreiche Auslegungen des »Vater unser« betonen, doch nicht ohne uns anbrechen lassen. 39 Die Bitte darf deshalb im Sinne Schaefflers als eine Weise der doxologischen Responsion gelten: als authentischer Ausdruck der »Bejahung des Bejahtseins« 40 durch Gott und als praktischer Vollzug der kreatürlichen Freiheit. 41 Lob und Bitte, so ließ sich oben zeigen, bedingen sich gegenseitig und führen so über sich hinaus. Eva Harasta fasst diese Einsicht in der Schlusspassage ihrer Arbeit so zusammen: »Die Bitte ist vorausblickender Ausdruck der Vertrauensgemeinschaft mit Gott im Lob […]. Das Lob ist [menschlich-antwortender; S. W.] Ausdruck

men. Er nimmt, wie er sagt, die »Skrupel« des Bittenden und seine drohende Resignation ernst, und setzt sein Bitten – trotz der berechtigten Skrupel – ins Recht. So versucht er den Beter dazu anzuleiten, in den unterschiedlichen Lebens- und Gebetserfahrungen zu erkennen, wie sich Gottes Zuwendung in einer »oft schmerzlich überraschenden, oft beglückenden Weise« zeigt. Vgl. R. Schaeffler, Kleine Sprachlehre, 103 f. 38 Vgl. H. Schaller, Das Bittgebet, 21; J. Werbick, In Gottes Ohr?, 42, 44 f. 39 Vgl. G. Ebeling, Vom Gebet. Predigten über das Unser-Vater, Tübingen 1963, 49 f.; E. Harasta, Lob und Bitte, 149–159, 175, 179; J. Ratzinger / Benedikt XVI., Jesus von Nazareth, Bd. 1, Freiburg i. Br. 22007, 180 f.; J. Werbick, Vater unser, 81–85. 40 H. Schaller, Das Bittgebet, 193 f. 41 Vgl. ebd., 21: »Die Bitte ist Lobpreis dieses Schöpfungsplans, sofern sie Bejahung und konkreter Ausdruck dafür ist, daß Gott das von ihm selbst Verschiedene als Freiheit wollte; deshalb ist das betende Einbringen kreatürlich bestimmter Not, das freimütige Stehen zu dem, was an Bedürfnissen, Not und Abhängigkeiten im Menschen lebt, sowohl Ausdruck dieses Anders-sein-dürfens, wie aber auch die Bejahung dieses Gottes, der den Menschen als Anderen seiner selbst bejaht.« Vgl. auch den gesamten Abschnitt ebd., 17–23 (»Gottes Verherrlichung in der Bitte des Menschen«); vgl. zum Gedanken der Annahme kreatürlicher Freiheit als theologischer Ausgangspunkt insbesondere: T. Pröpper, Gott hat auf uns gehofft …, in: Ders., Evangelium und freie Vernunft, Freiburg i. Br. 2001, 300–321. Das Eingangs- und Schlusszitat dieses Aufsatzes, das von Charles Péguy stammt, lässt sich auch auf das Bittgebet hin lesen: »Er ist zuvorgekommen, er hat begonnen: Gott hat auf uns gehofft – soll es denn heißen, wir hofften jedoch nicht auf ihn?« Zitiert nach ebd., 321. Beten denken

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der Zusage Gottes zur Zuversicht der Bitte […].« 42 Die hier angedeuteten Verbindungslinien zwischen Doxologie und Bittgebet, die sich anhand der Psalmen vielfach belegen ließen, sind in Schaefflers Gebetslehre grundgelegt und dürfen in seinem Sinne theologisch weiter ausgezogen werden. Angesichts der offensichtlichen Fokussierung Schaefflers auf Dank und Lobpreis mögen diese Bemerkungen als ergänzende Kritik verstanden werden. Als Beitrag zu einer noch besseren Integration des Bittgebetes in seine Gebetslehre sei abschließend die exemplarische Fortschreibung eines Motivs bei Schaeffler vorgeschlagen: Als ein häufig zitiertes Beispiel aus dem Gebetsschatz des Judentums findet sich bei Schaeffler das sogenannte »Alejnu«. 43 Dieses Schlussgebet des täglichen Gottesdienstes beginnt mit den Worten: »Es ist unsere Aufgabe, den Ewigen, der alles in seinen Händen hält, zu preisen und die Größe des Schöpfers aller Anfänge anzuerkennen …« 44 Schaeffler wählt stets die ausdrucksstärkere, poetische Übersetzung: »Uns obliegt es zu preisen …« Dem so eingeleiteten Doxologieteil folgt in diesem jüdischen »Stammgebet« – was er jedoch nicht erwähnt – eine zweite, längere Passage mit konkreten Bitten um Gottes Wirken in der Welt. Dieser Teil beginnt mit den überleitenden Worten: »Darum hoffen wir darauf, Ewiger, unser Gott, dass deine Stärke bald für uns sichtbar wird …« 45 Der Lobpreis für den alleinigen Gott, der »alles in seinen Händen hält« und der »die Weite des Himmels geschaffen hat«, ist also aufs Engste verbunden mit der hoffnungsvollen Bitte um Gottes Herrschaft in der gegenwärtigen, oft notvoll erlebten Welt. Zentral kreist dieses Gebet um eine Grundbitte: »dass die Welt von deiner Herrschaft geprägt ist.« 46 Schalom Ben-Chorin hat dieses jüdische Stammgebet mit dem »Vater unser« verglichen, namentlich mit der Bitte um das Reich. 47 Ist es E. Harasta, Lob und Bitte, 241. Vgl. Kap. 4.4.1; vgl. R. Schaeffler, Δοξολογία καὶ Οἰκοδομή, 56; Ders., Gebet im Judentum, 82; Ders., Das Gebet – Schule des Glaubens und Schule des Lebens im Judentum, 76 f.; Ders., PhE I, 243 f. 44 J. Magonet (Hg.), ‫ – סדר התפלות‬Das jüdische Gebetbuch, Bd. I, 119 u. 499. 45 Ebd. 46 Ebd. 47 Vgl. S. Ben-Chorin, Betendes Judentum, Tübingen 1980, 100–117. Ben-Chorin legt hier eine kenntnisreiche Interpretation des Alejnu-Gebetes mit einem Seitenblick auf das »Vater unser« vor. Dabei zitiert er eine Version, die nach den Übersetzungskriterien von Buber und Rosenzweig angefertigt wurde. Die Einleitungspassagen des zweiteiligen »Alejnu-Gebetes« lauten nach dieser Übersetzung: »An uns ist es, den 42 43

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nicht naheliegend, dass der Lobpreis der Größe Gottes stets auch von der Bitte getragen ist, dass Gott seine Herrlichkeit – wie im Himmel – auch hier auf Erden sichtbar mache und seiner »Doxa« einen immer weiteren Wirkungskreis verleihe? Aus dem Gotteslob erwächst so die Bitte um die Gottesherrschaft. Die im eigenen Leben des Beters erfahrene Realisierung von Gottes gutem Willen mündet wiederum ein in den Dank für sein Wirken und in das Lob seiner Herrlichkeit. »Alejnu l’shabeach – uns obliegt es zu preisen!« Diese Formel vermag den Grundakt des Betens gewiss treffend zu beschreiben. Jenseits aller gebetstheologischen Aporien, über die der Betende gegenüber anderen und sich selbst immer wieder mühsame Rechenschaft ablegen muss, wird er wohl nicht anders können, als zusammen mit seinem Lobpreis auch die Bitte um Gottes Herrschaft und darin auch seine persönlichen Anliegen vertrauensvoll vor Gott »zu Gehör« zu bringen. Deshalb gilt wohl nicht weniger grundsätzlich: »Uns obliegt es zu bitten!«

8.2.2 Zwei Gebetslehren? Zum Verhältnis von »acclamatio« und »Doxologie« »Gebet als Sprachhandlung der Namensanrufung« und »Doxologie als Ent-Sprechung auf Gottes Herrlichkeit«. Mit diesen Kurzformeln lassen sich die beiden Zugänge Schaefflers zum Gebetsakt auf den Begriff bringen. In der vorliegenden Arbeit wurden sie bislang aus Gründen der systematischen Darstellung gesondert diskutiert und der Einfachheit halber schlicht als »sprachphilosophischer« (Kap. 4) und »doxologischer« Ansatz (Kap. 5) bezeichnet. Hat Schaeffler somit zwei Gebetslehren vorgelegt? Und muss seine Auseinandersetzung mit dem Begriff der Doxologie chronologisch betrachtet als eine Korrektur oder gar als Abkehr von einer früheren Position in »Das Gebet und das Argument« beurteilt werden? In der Tat hat sich Schaeffler in jüngerer Zeit kaum mehr zur Theorie der Namensanrufung geäußert, während der Aspekt der Doxologie in jüngeren Publi-

Herrn des Alls zu preisen, Größe zu geben dem Bildner im Anfang […].« Der zweite Abschnitt beginnt mit den ausdrucksstarken Worten: »Darum harren wir dein, DU unser Gott, die Pracht deines Sieges bald zu sehen, fortzuschaffen von der Erde die Götterklötze, daß die Gottnichtse gerottet, ausgerottet werden; die Welt zu ordnen für das Königtum des Gewaltigen, daß alles Fleisch deinen Namen rufe.« Ebd., 100 f. Beten denken

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kationen verhältnismäßig häufig anklingt. Inwiefern der Verdacht einer Revision zutreffend ist und wie die beiden Ansätze werkchronologisch, methodisch und inhaltlich aufeinander bezogen sind, dies wird nunmehr zur Diskussion stehen. Ausgehend von dieser Frage soll schließlich eine eigene These formuliert werden. Bei einer chronologischen Betrachtungsweise fällt sogleich auf, dass der »sprachphilosophische Ansatz« im Wesentlichen auf die beiden Monographien in den späten achtziger Jahren und einige in diesem Zusammenhang entstandene Aufsätze einzugrenzen ist. Die gesamte Rezeption seiner Gebetslehre bezog sich bislang beinahe ausschließlich auf diese Veröffentlichungen. Abgesehen von dem erwähnten Epilog in der »Kleine[n] Sprachlehre«, der den Gedanken der Doxologie ankündigt, 48 lässt sich Schaefflers Ausarbeitung des Doxologiebegriffs frühestens zehn Jahre später ansetzen. Sie dauert bis in die jüngste Zeit an. 49 Werkchronologisch betrachtet lassen sich die beiden Ansätze somit deutlich zwei unterschiedlichen Schaffensphasen zuordnen. Auf der Ebene des methodischen Vorgehens darf daran erinnert werden, dass Schaeffler in »Das Gebet und das Argument« und den in diesem Umfeld veröffentlichten Studien eine transzendentalphilosophische Wende der Sprachphilosophie vorschlägt. 50 An der Pragmatik, Grammatik und Semantik der Gebetssprache lassen sich die spezifischen Merkmale des Aufbaus und der Bedeutung religiöser Sprache ablesen. Der Doxologiebegriff ist von einer transzendentalphilosophisch grundierten Phänomenologie geprägt, die von einer strengen Korrelation von religiösem Akt (Noesis) und dem Sinngehalt des in diesem Akt gegebenen »Gegenstandes« (Noema) ausgeht. 51 Methodisch ließe sich also – etwas verallgemeinernd – festhalten, dass Schaeffler auf der gemeinsamen Basis des transzendentalen Denkens in seiner Theorie der Namensanrufung eher den Weg einer Vgl. Kap. 5.1. Im Jahr 1999 erschien der diesbezüglich programmatische Artikel »Δοξολογία καὶ Οἰκοδομή«, 2004 die umfassendere Ausarbeitung in »PhE I-III«, 2008 der Aufsatz »Der Beter, sein Gott und seine Welt«. Schaeffler spricht freilich schon in »GuA« von »Doxologie«, allerdings im allgemeinen Sinn von Lobpreis und nicht in der spezifisch epistemischen Bedeutung von »Doxo-logia«. 50 Vgl. zur theoretischen Grundlegung: R. Schaeffler, GuA, 16–96 [= Teil I]. 51 Die phänomenologische Methodik spiegelt sich besonders deutlich im Grundsatz »Deus non cognoscitur nisi per seipsum« (vgl. Ders., PhE I, 184) wider, der Schaeffler zu der Schlussfolgerung führt, dass die doxologische Antwort nur von »Geistbegabten« hervorgebracht werden kann. Vgl. Kap. 5.2.2, Fn. 48. 48 49

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sprachphilosophischen Weiterführung wählt, während in seinem doxologischen Ansatz die phänomenologische Methodik stärker durchdringt. Vor dem umfassenderen Hintergrund der dreifachen Methodenkombination (vgl. Kap. 2) lässt sich hieraus jedoch kein Widerspruch konstruieren. Die methodische Akzentverschiebung zwischen den beiden genannten Ansätzen kann vielmehr als die konsequente Durchführung von Schaefflers religionsphilosophischem Vorhaben betrachtet werden, den Gebetsakt mit allen zur Verfügung stehenden Methoden der Religionsphilosophie zu untersuchen. Gemeinsam ist beiden Ansätzen zunächst die Grundannahme einer sprachlichen Struktur des Gebetsaktes. Beten ist für Schaeffler stets eine Form von Sprechen. 52 Diese Option mag aus der Perspektive einer eher mystisch geprägten Gebetslehre problematisch erscheinen, sie bleibt in der semiotischen Analyse der Namensanrufung ebenso dominierend wie in seinen Überlegungen zur Doxologie, die auf einer neugefassten Verbum-Mentis-Lehre gründen. Mit der Interpretation des Begriffs der »Doxo-logie« als einem Wechselverhältnis von göttlichem Anspruch und menschlicher Antwort wird die sprachliche oder besser dialogisch-kommunikative Struktur der religiösen Erfahrung stärker denn je betont. Insofern will die Bezeichnung »sprachphilosophischer Gebetsansatz« für Schaefflers Theorie der Namensanrufung allein eine Aussage über das methodische Vorgehen treffen, nicht jedoch über die Einsicht, die für seine Gebetslehre im Gesamten gilt: Der Akt des Gebetes ist – auch noch im Grenzfall des Schweigens – sprachlich zu verstehen und anhand der sprachlichen Zeugnisse konkreter Gebetserfahrungen zu beschreiben. Beide Ansätze lassen nicht zuletzt aufgrund ihrer kommunikativen Strukturierung des Gebetsaktes – und dies wäre eine weitere Gemeinsamkeit – eine schlüssige Verknüpfung von subjektiver und intersubjektiver Perspektive des Gebetes erkennen. 53 Dabei gelangt Schaeffler zu einem ausgewogenen Gleichgewicht von persönlichem und liturgischem Gebet. Beides, das individuelle und das gemeinschaftliche Beten, bleiben wechselseitig aufeinander bezogen, ohne dass man auf der letztlich engführenden Frage beharren müsste, welche der beiden Gebetsweisen die »ursprünglichere« sei. In beiden Ansätzen betont Schaeffler nicht nur die Dimension der Gebets- und Erzählgemeinschaft, sondern auch die Bedeutung ekklesialer Institu52 53

Vgl. zu dieser Frage Kap. 4.1.1: »Das Gebet zwischen Sprechen und Schweigen.« Vgl. Kap. 6.2 bzw. 6.3.

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tionalisierung und traditionsbildender Prozesse. In dieser Hinsicht erwies sich vor allem die Denkform der »Doxologie« als sehr hilfreich, um die einzelnen kirchlichen Organe in der »Oikodomé« der Gebetsgemeinschaft zu lokalisieren und ihre spezifische Funktion herauszuarbeiten. 54 Was die inhaltliche Ausführung und die Ergebnisse der beiden Gebetsansätze angeht, so lässt sich meines Erachtens zwischen dem sprachphilosophischen und doxologischen Aspekt kein fundamentaler »Bruch« konstatieren, wohl aber die fortschreitende Hervorhebung eines sehr zentralen Aspektes: Wenn Gebet als Eintritt in die Korrelation mit Gott verstanden wird und wenn diese »Ko-relation« als ein wirkliches Wechselverhältnis aufgefasst wird, so muss es doch stets als ein ungleiches Verhältnis gedacht werden. Hermann Cohen hat deswegen in seinem Korrelationsbegriff die Gewichtsmetapher bemüht und behauptet, Gott sei der »Schwerpunkt« der Korrelation. 55 Schaeffler wiederum hat diese Intuition ausdrücklich bestätigt und davon gesprochen, dass die Korrelation »asymmetrisch und doch wechselseitig« 56 sei. Ohne in eine monistische Einseitigkeit zu verfallen und »Korrelation« letztlich als göttliche Selbstbetätigung zu betrachten – hiervor warnt bereits Cohen – muss dieses Ungleichgewicht im Verhältnis zwischen Beter und Gott stets gewahrt und ausgedrückt werden. Die Rede von einer »Sprachhandlung« des Gebetes hat sich daher gegen jede Vorstellung abzugrenzen, Gott werde hier mit Hilfe seines Namens gleichsam herbeizitiert und »herbeigezwungen«. Im Gegenteil: In einer »Wort-Magie« läge die größte Perversion des Betens. 57 Die Asymmetrie des Gebetsaktes lässt sich meines Erachtens nur dann gewährleisten, wenn der Gebetsakt als eine Re-aktion und die Anrufung des Namens als Antwort auf einen Ruf Gottes verstanden wird. Schaefflers doxologischer Gebetsansatz ist aus dieser responsorischen Grundbewegung heraus konzipiert. Darin liegt die angedeutete Stärkung dieses für die theologische Rezeption so bedeutsamen Aspektes gegenüber früheren Veröffentlichungen. Bevor diese These näher erläutert wird, soll jedoch unmissverständlich festgehalten werden, dass Schaeffler auch in seinem sprachphilosophischen Ansatz niemals einen Zweifel aufkommen 54 55 56 57

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Vgl. Kap. 6.4. Vgl. H. Cohen, BR, 137; vgl. Kap. 3.1.2. R. Schaeffler., Die Vernunft und das Wort, 66; vgl. Kap. 4.6.2. Vgl. Ders., Sprechen vom selben Gott?, 41; Ders., PhE II, 117 f.

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lässt, dass der Gebetsakt nicht vom Beter her zu verstehen oder gar zu »leisten« ist. Die wichtigsten Anhaltspunkte für diese Beobachtung – und für die daraus resultierende inhaltliche Übereinstimmung beider Gebetsansätze – seien noch einmal summarisch benannt: 58 In der Analyse der Sprachhandlung der Namensanrufung und des religiösen Erzählens hat Schaeffler wiederholt darauf hingewiesen, dass die Anrufung Gottes dessen »Anrufbarkeit« voraussetzt, und dass diese als das freie Geschenk seiner Zuwendung zum Menschen verstanden werden müsse. Die »acclamatio nominis« ist daher als Antwort auf die »revelatio nominis« zu betrachten. Diese Einsicht drückt sich bisweilen in der Sprache des Gebetes selbst aus, etwa in der Bitte um die Öffnung der Lippen (Ps 51,17) oder um die Reinigung des Herzens (Ps 51,12). 59 Schaeffler hat zudem einige auf den ersten Blick paradox erscheinende Sprachhandlungen ausgelegt, die auf den »Namen Gottes« selbst bezogen sind: die Bitte um »Heiligung« und »Einigung« des Namens oder gar die »Segnung« des göttlichen Namens durch den Menschen. 60 Der Sinn dieser Redeweise wurde folgendermaßen interpretiert: Der Beter oder die Gemeinde geben Gott zurück, was sie von Ihm – dem Quell aller Heiligkeit, Einheitsgrund und Ursprung allen Segens – empfangen haben. Das gewissermaßen »wechselseitige Ungleichgewicht« des gott-menschlichen Verhältnisses findet Schaeffler auch im Gebet des »Magnifikat« wieder. Die doppelte Selbstbezeichnung »Meine Seele – Mein Geist« lässt darauf schließen, dass Maria ihre Existenz (Seele) ganz verdankt und sich selbst (ihren Geist) ganz hingibt, ohne dass das »Gegenüber« zwischen der Beterin und Gott aufgelöst wird. 61 Die erörterte Korrespondenz zwischen den transitiven Formulierungen »Meine Seele preist die Größe des Herrn« und »Der Gewaltige hat Großes an mir getan« deuten auf grammatischer Ebene ebenfalls auf die bleibende Eigenständigkeit der beiden Korrelationspartner, ohne die kausale Priorität der Größe Gottes dabei im Unklaren zu lassen. 62 In der Beobachtung sowohl transitiver als auch reflexiver Verbformen in der Gebetssprache tritt die angesprochene Spannung zwiVgl. zum Folgenden v. a. Kap. 4.6. Vgl. Ders., Kleine Sprachlehre, 79 f.; vgl. auch Dtn 30,14; Jes 6,5 f. 60 Vgl. Ders., GuA, 195–198; Ders., Kleine Sprachlehre, 46–49. 61 Vgl. Kap. 4.3.2. 62 Die Beterin preist Gott »groß«, weil sie zuvor von ihm »Großes« erfahren hat und sich selbst »großgemacht« weiß. Vgl. zur religiösen Interpretation der Kausalkategorie Kap. 4.2.3. 58 59

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schen einem tatsächlich korrelativen Verhältnis von Gott und Mensch und dem »Schwergewicht« des göttlichen Anteils, der die Korrelation erst ermöglicht, offen zu Tage. 63 Bei all den genannten Beispielen aus der jüdisch-christlichen Gebetspraxis kommt etwas zum Vorschein, das Schaeffler die »zirkuläre Struktur« der Gebetssprache genannt hat. Diese Zirkularität 64 macht noch einmal deutlich, was »Korrelation« bei ihm meint: Der Beter spricht so zu Gott, dass er in seinem Beten die Erfahrung ausdrückt, dass sein Leben und seine Welt und darin eingeschlossen seine Fähigkeit zu beten ihm von diesem Gott geschenkt ist. Der Beter ruft nicht nur den Namen Gottes an, er macht den Namen – die unerhörte Tatsache, Ihn nennen zu können – gleichzeitig zum Inhalt seines Gebetes und, wie die Psalmen zeigen, zum Gegenstand seiner Verehrung. 65 Die Zirkularität des Gebetsaktes und die transzendental-responsorische Qualität des Sprechens zu Gott, 66 die aus Schaefflers sprachphilosophischem Ansatz also bereits eindeutig hervorgehen, können nun mit Hilfe des Doxologiebegriffs noch präziser herausgearbeitet und über die untersuchten Beispiele hinaus als ein allgemeines Charakteristikum des Gebetes aufgewiesen werden: Der Beter kann Gottes Herrlichkeit überhaupt nur stammelnd ins Wort bringen und ihn darin verehren (gr. »δοξάζειν«), weil Gott selbst immer schon – und von ihm her »Himmel und Erde« – voll der Herrlichkeit ist. Es lässt sich beobachten, dass Schaeffler in seinen Beiträgen das Moment des Antwortens mehr und mehr betont, bis hin zu der eindeutigen Aussage: »Der Eintritt in diese Beziehung ist also ein responsorischer Akt.« 67 Schaefflers sprachpragmatische Analyse der Gebetssprache scheint durch die Fokussierung auf Sprachhandlungen und Erzählakte auf den ersten Blick jenes sensible, ungleiche Gleichgewicht der Vgl. Schaefflers Notiz zum Magnifikat in Verbindung mit dem jüdischen Gebet »Jitgadal« in Kap. 4.6.1. 64 Schaeffler spricht hier tatsächlich von der »zirkulären Struktur der religiösen Sprache«. Dies meint freilich keinen »circulus vitiosus«, sondern die Tatsache, dass das Gebet davon spricht, wie es zu solchem Sprechen ermächtigt wird, es bezieht sich also auf den Ermöglichungsgrund des eigenen Sprechens. Vgl. Ders., GuA, 149 ff.; Ders., Adiutorium nostrum, 38; Ders., Neue Aspekte, 17. 65 Vgl. auch T. Benner, Gottes Namen anrufen im Gebet, 212–216. 66 Transzendental-responsorisch meint hier: Die Möglichkeitsbedingung des Sprechens zu Gott liegt in Gott selbst. Daher ist das Sprechen zu ihm immer schon Rekurs auf diese Bedingung. 67 R. Schaeffler, Vielfalt der Weise religiöser Wahrheit, 99. 63

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gott-menschlichen Korrelation zu vergessen und Beten als ein menschliches »Handeln« mit Worten zu betrachten. Dieser Verdacht ist – wie sich nach einer eingehenderen Lektüre der Texte gezeigt hat – weniger bei Schaeffler selbst begründet als vielmehr in einer unvollständigen Rezeption seines sprachphilosophischen Gebetsansatzes. So fehlen etwa in Jörg Wüst-Lückls Darstellung bezeichnenderweise die genannten Aspekte – die Namensoffenbarung als Möglichkeitsbedingung der Namensanrufung, die Bitte des Beters um Öffnung der Lippen und Reinigung des Herzens. 68 Armin Kistenbrügge erwähnt zumindest den Gedanken der »zirkulären Struktur« der religiösen Sprache und kann sagen: »Der Gott anrufende Mensch [versteht sich; S. W.] in seinem Gebet als Angeredeter.« 69 Thomas Deutsch lässt den responsorischen Aspekt des Gebetes durch seinen Rekurs auf Schaefflers Magnifikat-Interpretation anklingen. 70 Thomas Benner zeigt in seiner Studie zur Namensnennung Gottes diesbezüglich die größte Sensibilität und betont mit Bezug auf die genannten Elemente, dass die Korrelation als Gabe göttlicher Freiheit verstanden werden müsse. 71 Die wichtigen Hinweise auf die zirkuläre Struktur der Namensanrufung und auf Sprachhandlungen, die sich auf den Namen selbst rückbeziehen, wurden in der Rezeption Schaefflers bislang also allenfalls partiell wahrgenommen. Sie sind jedoch als konstitutive Elemente seines sprachphilosophischen Gebetsansatzes zu betrachten, denn ohne die – sachlich primäre – Eröffnung der Korrelation in der Gabe des Namens können auch die transzendentalen Implikationen der Anrufung Gottes und des Erzählaktes nicht verständlich gemacht werden. 72 Gegenüber einer latenten Gefahr, das Gebet zu sehr als »Akt« des Beters zu interpretieren, gilt es daher im Sinne Schaefflers klarzustellen: Auch wenn der hermeneutische Zugang für eine Beschreibung des Gebetsaktes selbstverständlich in der menschlichen Gebetshaltung und Gebetssprache zu suchen ist, darf bei aller semiotischen Reflexion nicht übersehen werden, dass die »Ursache« des Gebetes außerhalb des Menschen und seiner Sprachfähigkeit liegt. Rückt man angesichts dessen die hier erstmals ausgeführten Vgl. J. Wüst-Lückl, Theologie des Gebetes, 265–297. A. Kistenbrügge, Das Gebet in der Dogmatik, 280–302, hier 294. 70 Vgl. T. Deutsch, O-Ratio, 168–170. 71 Vgl. T. Benner, Gottes Namen anrufen im Gebet, 201–216, bes. 203, 212 f. 72 Mit gutem Grund also wurden diese Reflexionen an den Abschluss der Darstellung des sprachphilosophischen Gebetsansatzes gestellt. Vgl. Kap. 4.6. 68 69

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Überlegungen Schaefflers zur »Doxologie« mehr ins Licht, so lässt sich jenes bereits vorhandene responsorische Gebetsverständnis noch stärker konturieren. Zudem aber wird deutlich: Performative Namensanrufung und doxologische Antwort dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden, sondern müssen als die beiden Perspektiven auf ein- und dasselbe Geschehen betrachtet werden, das wir Gebet nennen und zu dessen Beschreibung Schaeffler immer wieder zu dialogischen Denkfiguren greift. »Acclamatio nominis« und »Doxologie« – so die These – heben jeweils einen Aspekt dieses korrelativen Aktes stärker hervor. Das Eintreten in die Korrelation mit Gott, die in der Namensanrufung vollzogen wird, darf dann als Voraussetzung dafür betrachtet werden, dass der Beter dem Aufleuchten der Doxa tatsächlich entspricht. 73 Umgekehrt können Schaefflers phänomenologische Überlegungen zur Herrlichkeit Gottes verdeutlichen, wie das religiöse Noema dem Menschen originär gegeben ist, nämlich als ein Gott, der sich beim Namen anrufen lässt. 74 An dieser Stelle darf nochmals eine Passage aus der »Philosophische[n] Einübung« in Erinnerung gerufen werden, wo Schaeffler schreibt: »die primäre Art, wie das Heilige dem Menschen in der religiösen Erfahrung gegenübertritt, besteht nicht darin, daß es ihm als ein Objekt gegeben wird, das er theoretisch hinsichtlich seiner Eigenschaften und seiner Wirkungen bestimmt, sondern darin, daß es ihm als Adressat des Lobgesangs begegnet.« 75

Aus diesem Zitat geht hervor, dass Schaeffler die Anrufung Gottes (als »Adressat«) als eine Form der doxologischen Antwort betrachtet und insofern doxologische Responsion und lobpreisende Akklamation nicht als zwei divergente, sondern als sich vielmehr ergänzende Perspektiven des Gebetsaktes erscheinen. Der aus einem umfassenden epistemologischen Horizont abgeleitete »doxologische Gebetsansatz« vermag das dialogische und vor allem das responsorische Moment des Gebetes auf überzeugende Weise zu erhellen. Dadurch Vgl. R. Schaeffler, PhE III, 284: »[Die; S. W.] Namensanrufung ist […] jene ›Sprachhandlung des Eintretens in eine Korrelation‹, die dem ›Aufleuchten des göttlichen Angesichts‹ antwortet.« 74 Vgl. dazu Ders., Kleine Sprachlehre, 116: »weil auch die Anrufung des Namens, das religiöse Erzählen, der Dank, die Klage und die Bitte zu allererst jene freie Zuwendung Gottes zum Thema haben […], darum bringen auch sie die göttliche Doxa ins Wort.« 75 Ders., PhE II, 78; vgl. Kap. 5.2.4, Fn. 84. 73

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kommt die freie und ungeschuldete Zuwendung Gottes als Voraussetzung des Gebetsaktes noch eindeutiger zum Vorschein, als dies in seinen früheren sprachphilosophischen Arbeiten der Fall war. Die These von der perspektivischen Ergänzung der beiden Gebetsansätze wird gestützt durch eine Aussage Schaefflers, die sich in seiner Magnifikatauslegung im Zusammenhang der Pragmatik von Sprachhandlungen findet. Er schreibt dort: »Die Sprachhandlung [des »Gott groß Machens« (»magni-ficare«); S. W.] selber ist eine Manifestation jener göttlichen Wirklichkeit, deren andere Manifestation das Aufleuchten der göttlichen Herrlichkeit ist.« 76 Die beiden Gebetsansätze gründen also in ein und derselben Wirkmächtigkeit Gottes, dessen Herrlichkeit den Menschen dazu ermächtigt, ihn beim Namen zu nennen und so der Erfahrung seiner Herrlichkeit zu entgegnen. Ausgehend von dieser These über die eine Gebetslehre Schaefflers aus zwei Brennpunkten kann eine allgemeine Schlussfolgerung gezogen werden: Das Phänomen des Gebetes lässt sich nur angemessen verstehen, wenn es als tatsächlich dialogisches Geschehen gleichsam von beiden »Partnern« des Dialoges her gedacht wird: als An-spruch Gottes an den Menschen und als antwortende An-rede des Menschen an Gott. An der konsistenten Beschreibung dieses notwendig asymmetrischen Wechselverhältnisses zwischen Gott und Mensch muss sich jede theologische Gebetslehre prüfen lassen. Inwieweit die Metapher des »Dialogs« oder »Gesprächs« mit Gott sich dabei als tragfähig erweist und mit welchem Recht die damit implizierte Eigenschaft der Personalität Gottes im Rahmen einer Gebetslehre beansprucht werden darf oder gar muss, soll im Folgenden – mit Schaeffler und über ihn hinaus – weiter entfaltet werden.

76 Ders., GuA, 179 [Hervorhebung S. W.]. Vgl. auch die Aussage in dem 2008 erschienenen Artikel, der eine Verbindung beider Gebetsansätze am ehesten erkennen lässt. Dort schreibt Schaeffler: »Die Herrlichkeit Gottes (kabod, doxa, gloria) ist immer wieder die Weise, wie Gott sich dem Menschen so zeigt, daß er in jene Beziehung zu ihm eintreten kann, die in der Anrufung des Namens wirksam vollzogen wird.« Ders., Der Beter, sein Gott und seine Welt, 578.

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9 Im Gespräch: Der personale Gott

9.1 Mit Gott auf Du und Du? Kritik des personalen Gottes Gebet ist kommunikative Beziehung mit dem personalen Gott. Diese Formulierung scheint das »fundamentum inconcussum« jeder Gebetslehre zu beschreiben. Die kritische Auseinandersetzung mit Schaefflers Gebetslehre hat zu vielfältigen Präzisierungen dieser Grundbestimmung beigetragen: zur genaueren Verhältnisbestimmung innerhalb dieser gott-menschlichen Korrelation, zur Zuordnung von Akklamation und Responsion, von Lobpreis und Bitte. All diese Überlegungen setzten jedoch fraglos voraus: Es gibt jenes göttliche »Du«, das sich dem Menschen als ein »Gesprächspartner« anbietet, das sich ansprechen lässt und dem Menschen zumutet, in eine kommunikative Beziehung mit ihm einzutreten. Das Gebet impliziert das Personsein Gottes. Daher ist es nicht irgendein theologischer »Testfall«, sondern konkret der Testfall des Theismus. Was die biblische Überlieferung nahelegt und was viele gebetstheologische Entwürfe einfach voraussetzen, ist aus religionsphilosophischer Perspektive keineswegs selbstverständlich – und ist es nie gewesen. Gerade am Gebetsakt entzünden sich ernsthafte Anfragen an die Vorstellung von Gott als einer »Person«. Diese kritischen Stimmen können nicht einfach überhört werden. Eine fundamentaltheologische Einübung in die Gebetslehre wird ihr Problembewusstsein schärfen und sich dieser Herausforderung stellen müssen; und sie wird vor allem zu klären haben, was die Rede von der »Personalität« Gottes eigentlich meint. Diese Aufgabe soll – bevor Schaefflers Gebetslehre mit dieser Frage konfrontiert wird – zunächst in einem (gewiss selektiven) Querschnitt der Kritik am personalen Gottesverständnis im Hinblick auf die Gebetsthematik aufgenommen werden. Gebet als Monolog? Dass diese Vorstellung nicht einfach als »contradictio in adjecto« zurückgewiesen werden kann, ist spätestens 414

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Mit Gott auf Du und Du? Kritik des personalen Gottes

mit dem Beitrag von Walter Bernet im Bewusstsein der Theologie angelangt. 1 In konsequent anthropozentrischer Perspektive und unter dem beträchtlichen Einfluss freudscher und jungscher Psychologie versteht Bernet Gebet als einen Akt menschlicher Selbstreflexion, der allenfalls – sofern dieses Bild hilfreich sein sollte – vor Gott (»coram Deo«) stattfindet. Nicht Dank, Lob und Bitte, sondern »Reflektieren«, »Erzählen« und »Situieren« lautet der Dreiklang dieser Gebetsschule. Die zentrale Position des Erzählens lässt auf den ersten Blick eine Nähe zu Schaeffler anklingen. Bernet allerdings erachtet es als unwesentlich für die Funktion des Erzählens, ob irgendein (zu-) hörendes »Gegenüber« existiert. Wichtiger als »ein Gott« ist, dass die persönliche Erfahrung des Beters zur Sprache kommen kann und reflektiert wird. Bernet wörtlich: »Im Horizont der Erfahrung […] ist es nicht ein persönliches Gegenüber, sondern das Geheimnis der Erfahrung selbst, das den Menschen um der dem Geheimnis innewohnenden Rationalität willen zur Reflexion, zu einer Besinnung nötigt, die ich beten nenne.« 2 Das dialogische Moment des Betens weicht der monologischen Selbstreflexion des Beters. Das Gebet greift nicht aus auf einen externen Adressaten, sondern es greift zurück auf den geheimnishaften Grund menschlich-immanenter Erfahrungen – mit der Konsequenz, dass auch die Vorstellung von einem transzendenten und erst recht personalen Gott immanentisiert und damit verabschiedet wird: »So vernimmt das Beten das Wort ›Gott‹ als jenes Wort, das in seiner ganzen Abstraktheit und Apersonalität den Geheimnischarakter der Wirklichkeit und zugleich die im schweigenden Staunen gründende Fragestruktur des Menschen in sich schließt.« 3 Um Bernets Gebetsverständnis mit einem bereits behandelten Konzept zu vergleichen, könnte man sagen: Nicht etwa »Beten ohne zu bitten«, sondern »Beten ohne Gott« lautet die Leitformel dieses psychologisch-anthropozentrischen Konzeptes. Im Umfeld der »Gott-isttot-Theologie« 4, in dem Bernet zu lokalisieren ist, wird Gebet redu-

W. Bernet, Gebet, Stuttgart 1970. Vgl. R. Götz, Aufgehen in die Communio des dreieinigen Gottes, 131–141. 2 W. Bernet, Gebet, 141. 3 Ebd., 152. Dies ist im Übrigen der Schlusssatz dieser Arbeit. Das letzte Wort gilt also dem apersonalen Gott. 4 Richard Götz erkennt vergleichbare Gebetskonzepte auch bei Dorothee Sölle, Gotthold Hasenhüttl und John A. T. Robinson. Vgl. R. Götz, Aufgehen in die Communio des dreieinigen Gottes, 131, 141–148. 1

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ziert auf eine intrapersonale, bestenfalls therapeutisch wirksame Reflexion. 5 Vorbehalte gegenüber dem personalen Gott sind keine Erscheinung der Moderne. Im Grund kommt bei Bernet eine seit der Zeit der Vorsokratiker nicht mehr verstummende Kritik zum Tragen, 6 die sich in der Aufklärung unter dem Stichwort Anthropomorphismus-Kritik formierte. 7 Die Vorstellung eines personalen Gottes ist demnach – trivial gesagt – menschlich nachvollziehbar, aber naiv. Menschen stellen sich Gott vor wie einen Menschen. Sie legen alle denkbar positiven Eigenschaften in ihre Gottesvorstellung hinein, samt der Fähigkeit zu kommunizieren (gleich wie ein mitmenschliches Du) und zu interagieren. Ludwig Feuerbach – um sogleich den bedeutendsten Vertreter zu nennen – hat diesen Verdacht explizit auf das Gebet hin durchbuchstabiert: »Das tiefste Wesen der Religion offenbart der einfachste Akt der Religion – das Gebet.« 8 Zugleich offenbart sich hier auch deren größte Problematik. »Im Gebet redet der Mensch Gott mit Du an« – dies heißt für Feuerbach nichts anderes als: »er erklärt also laut und vernehmlich Gott für sein anderes Ich.« 9 Gebet ist im Grunde »Selbstteilung« 10 und Selbstgespräch des Menschen. Der Beter apVgl. zu diesem Typus auch Vincent Brümmers Abschnitt über »Das Gebet als therapeutische Meditation« in: Ders., Was tun wir, wenn wir beten?, 17–28. 6 Eine in diesem Zusammenhang häufig zitierte Passage aus den Fragmenten des Xenophanes lautet: [14] »Aber die Sterblichen meinen, die Götter seien geboren und hätten solche Kleider wie sie selbst, eine Stimme und einen Körper.« [16] »Die Äthiopier sagen, ihre Götter seien stumpfnasig und schwarz, und die Thraker behaupten, die ihren hätten hellblaue Augen und rote Haare.« [15] »Aber wenn Rinder und Pferde und Löwen Hände hätten oder mit ihren Händen malen und Bildwerke vollenden könnten, wie das die Menschen tun, dann würden die Pferde die Göttergestalten den Pferden und die Rinder sie den Rindern ähnlich malen und sie würden die Statuen der Götter mit einem solchen Körper meißeln wie sie ihn jeweils auch selber haben.« Xenophanes von Kolophon, Fragment 14, 16, 15 [Reihenfolge im Original], in: G. Kirk – u. a. (Hg.), Die vorsokratischen Philosophen, Stuttgart – Weimar 1994, 183 f. Zur Geschichte des Arguments vgl.: J. Negel, Feuerbach weiterdenken, Berlin 2014, 16–33. 7 Vgl. bezogen auf die Thematik des Gebetes: J. Werbick, Hört Gott? Personaler Gott contra kosmische Energie [unveröffentlicht]; vgl. M. Moxter, Über den Grund unseres Glaubens an Personalität, in: W. Härle – R. Preul (Hg.), Personalität Gottes, Leipzig 2007, 77–98, hier 78 f. 8 L. Feuerbach, Das Wesen des Christentums, Stuttgart 1998, 198. Erstaunlicherweise wird Feuerbach in der gegenwärtigen theologischen Auseinandersetzung um das Gebet nur sehr selten wahrgenommen. 9 Ebd. 10 Ebd., 200. 5

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pelliert an die eigene, unbewusste »Allmacht des Herzens«, oder noch konfrontativer ausgedrückt: »Im Gebet betet der Mensch sein eigenes Herz an, schaut er das Wesen seines Gemüts als das höchste, das göttliche Wesen an.« 11 Die Argumentation Feuerbachs besteht letztlich in der Anwendung der religionskritischen Projektionsthese auf das Phänomen des Gebetes – mitsamt der diesem Argument stets zugrundeliegenden autoritären Logik des »nichts als …«: Gebet ist für Feuerbach »nichts als« auf Gott projiziertes Selbstgespräch. 12 Eine angesichts solcher Thesen vergleichsweise verhaltene und deswegen oft überhörte Kritik an der Vorstellung eines personalen Gottes wird in den Schriften Karl Jaspers’ vernehmbar. Im Gegensatz zu Bernet und Feuerbach insistiert der Existenzphilosoph auf der absoluten Geheimnishaftigkeit und Transzendenz Gottes, die sich in unserer Erfahrungswelt nur in der bergenden Sprache der »Chiffren« offenbart. Aus diesem Grund hegt Jaspers größte Bedenken gegenüber allen Neigungen, die Transzendenz auf irgendeine Weise »verdinglichen« zu wollen. Das ausdrückliche Gebet ist für Jaspers in diesem Sinne der deutliche Hinweis auf einen elementaren Kategorienfehler, da hier die »Chiffre« mit der »Transzendenz« selbst verwechselt werde. 13 In der Analogie des »persönlichen« 14 Gottes wird Ebd., 203. Vgl. J. Negel, Feuerbach weiterdenken, 82–85. Vgl. J. Werbick, Einführung in die theologische Wissenschaftslehre, Freiburg i. Br. 2010, 103, 279. Ein Hauptproblem des religionskritischen Projektionsgedankens liegt nach Werbick in der Behauptung, Religion sei nichts als Projektion, Gebet nichts als Selbstgespräch. Vgl. Ders., Den Glauben verantworten, 58–70 13 Vgl. K. Jaspers, Metaphysik, Philosophie Bd. 3, Berlin 1932, 164–167. Vgl. dazu W. Schüßler, Das Gebet. Versuch einer philosophisch-theologischen Grundlegung, in: Ders. – A. J. Reimer (Hg.), Das Gebet als Grundakt des Glaubens, Münster 2004, 11–28, hier 22–24; vgl. auch den beinahe identischen Artikel: Ders., Das Gebet im Horizont des Verhältnisses von Philosophie und Religion, in: TThZ 103 (1994), 92– 112, hier 106–108. 14 Eine zusätzliche Schwierigkeit wird in diese ohnehin sehr komplexe Debatte dadurch eingetragen, dass anstelle von »Personalität« häufig von der »Persönlichkeit« Gottes oder – was noch missverständlicher ist – von einem »persönlichen Gott« gesprochen wird. Diese Redeweise mag in der Entstehungszeit dieser Debatte, etwa bei Fichte und Feuerbach, gebräuchlich gewesen sein (vgl. dazu die Quellen und gründlichen Erläuterungen in: J. Werbick, Gott verbindlich, 592 f.). Nach heutigem Sprachgebrauch bezeichnet »Persönlichkeit« wohl eher das sich von anderen Abgrenzende und Behauptende, die Besonderheit eines Menschen, und gerade nicht den für die Gotteslehre wesentlichen Aspekt der Relationalität. Offenbar unterscheidet auch Jaspers nicht zwischen »personal« und »persönlich«, und selbst in der zeitgenössischen Theologie hat sich die Sensibilität für diese semantisch wichtigen Nuancen längst 11 12

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die Transzendenz ins Dasein neben anderem Dasein »gezogen« und – so Jaspers wörtlich – »als ein Du zu nahe gebracht und […] degradiert« 15. Das Gebet zu einem »persönlichen« Gott überschreitet diese metaphysische Demarkationslinie entschieden. Es gilt ihm als ein beispielhafter Fall für das falsche Lesen der Chiffrenschrift und für den unangemessenen »Umgang« mit der Transzendenz. Gebet erscheint Jaspers grundsätzlich, nicht etwa nur in Form des Bittgebetes, als unangemessene »Zudringlichkeit« 16 gegenüber Gott. Die vorsichtige, geradezu empfindliche Distanzierung gegenüber der Vorstellung der Personalität Gottes, die ihn vom Akt des Betens abhält, fasst Japsers im folgenden Abschnitt aus seiner »Metaphysik« eindrücklich ins Wort. Er schreibt: »Ich weiche im Impulse, der die Gottheit mir zum Du macht, alsbald zurück, weil ich fühle, daß ich die Transzendenz antaste. In der Vorstellung selbst schon verwickle ich mich in Täuschung. Persönlichkeit ist doch die Weise des Selbstseins, die ihrem Wesen nach nicht allein sein kann; sie ist ein Bezogenes, muß anderes außer sich haben: Personen und Natur. Die Gottheit bedürfte unser, des Menschen zur Kommunikation. In der Vorstellung der Persönlichkeit Gottes würde die Transzendenz verringert zu einem Dasein.« 17

Nicht das »Beten ohne Gott« (Bernet) fordert Jaspers hier, sondern – wenn man im Stil dieser Kurzformeln bleiben möchte – gerade umgekehrt: das »Nicht-Beten um der Göttlichkeit Gottes Willen«. Zwei Aspekte erscheinen in diesem Zitat bedenkenswert. Jaspers spricht vom Impuls, »der die Gottheit mir zum Du macht«. Diese Formulierung verweist auf eine weitere Problematik. Ist Gott »Person« nur für den Beter und nur solange dieser betet? Hängt die Vorstellung von der Personalität Gottes am Ende also daran, dass der Beter sich Gott auf personale Weise zuwendet, ihn mit einem personalisierenden »Du« anspricht? Oder kann von Gottes Personsein als seinem »Wesensmerkmal« auch außerhalb des betenden DuSagens gesprochen werden? 18 Setzt das Gebet den personalen Gott

nicht überall durchgesetzt. Soweit es der jeweilige Bezugsrahmen zulässt, soll im Folgenden die Rede von der »Persönlichkeit Gottes« und vom »persönlichen Gott« vermieden werden. 15 K. Jaspers, Metaphysik, 167. 16 Ebd., 126. 17 Ebd., 166. 18 Ein Antwortversuch auf diese diffizile Frage soll in Kap. 9.3. gewagt werden.

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voraus – oder setzt es diesen? 19 Diese in die letzte Aporetik jeglicher Gottesrede vordringenden Fragen greifen weitaus tiefer als die Generalkritik des Anthropomorphismus-Arguments. Nicht nur bei Jaspers finden sich solche bedenkenswerten Aussagen zur Personalität Gottes. In einer dem christlichen Gebetsverständnis auf den ersten Blick sehr nahestehenden Passage bei Viktor E. Frankl stößt man auf einige zugespitzte Formulierungen, die dem Gebetsakt auf einmal eine allzu gewichtige und dadurch ambivalente Bedeutung verleihen. Im Schlusskapitel seiner Schrift »Homo patiens« kommt Frankl auf die »Kraft« des Gebetes zu sprechen und stellt dabei die Frage: »Was rettet die Duhaftigkeit? Was ist allein imstande, Gott in seiner Duhaftigkeit – das göttliche Du als Du augenblicklich aufleuchten zu lassen? Das Gebet: es ist der einzige Akt menschlichen Geistes, der Gott als Du präsent zu machen vermag. Das Gebet präsentiert, konkretisiert, personifiziert Gott zu einem Du. Dies ist die Leistung des Gebetes […].« 20

Ist das »Du« Gottes die Leistung, das Produkt des Menschen? Ganz offensichtlich entbehren die angeführten Passagen von Jaspers und Frankl den harten Ton der Kritik Feuerbachs; der Gedanke selbst jedoch fordert umso mehr heraus. Ist der Projektionsgedanke – nicht mehr kritisch-aufklärerisch, sondern bedächtig-affirmativ vorgetragen – zum religionsphilosophischen »Common sense« geworden? Eine zweite Formulierung im oben genannten Zitat Jaspers’ führt zu einer letzten Variante der Kritik an der Personalität Gottes: dem religionsphilosophischen Monismus. Jaspers schreibt, er möchte davon absehen, Gott als Person zu betrachten, weil dieser qua Personalität auf andere Personen angewiesen wäre. Der Begriff »Person« ist nur in der Mehrzahl denkbar. Genau darauf hat die christliche Trinitätslehre stets hingewiesen und dem Personbegriff eine unverlierbar relationale Dimension eingeschrieben. 21 Da Japsers Spekulationen Vgl. dazu den Beitrag: R. Preul, Die Anrede Gottes im Gebet, in: W. Härle – Ders. (Hg.), Personalität Gottes, Leipzig 2007, 99–122. 20 V. E. Frankl, Der leidende Mensch, Bern 32005, 237. Den Hinweis auf dieses Zitat und auf den gebetstheologisch relevanten Schlussteil dieses Werkes verdanke ich: J. Werbick, Hört Gott?, 8 f. Vgl. zu Frankl: J. Negel, Weil die Welt nicht ganz dicht ist … Eine philosophisch-theologische Erörterung der Frage nach dem Wirken Gottes in der Welt, in: W. Eisele (Hg.), Gott bitten?, Freiburg i. Br. 2014, 102–185, hier 172– 174. 21 Als grundlegende Einführung zum Personbegriff in seiner christologischen und trinitarischen Verwendung vgl. J. Werbick, Art. »Person«, in: NHThG, Bd. 3, München 2005, 351–361. Vgl. dazu ausführlicher in Kap. 9.3. 19

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über innergöttliche Person-Relationen aber zurückweist, 22 hieße das: Gott wäre als Person auf menschliche Kommunikationspartner angewiesen und stünde damit in einem gewissen Abhängigkeitsverhältnis zum Menschen. Ein alternativer Lösungsweg – über den von Jaspers intendierten Problemhorizont hinaus – bietet sich im monistischen Gottesbegriff an. Dieser überwindet die scheinbar problematische Relationalität zwischen Gott und Mensch und muss im Zuge dessen auch von der Vorstellung der Personalität Gottes im theistischen Sinn Abstand nehmen. Da diese weitläufige Auseinandersetzung im Pantheismus- bzw. im Atheismusstreit den Horizont dieser Problemskizze sprengen würde, sei stellvertretend allein der Stammvater dieser Debatte, Baruch Spinoza, genannt. Spinoza erscheint ein Gott, der etwas anderes neben sich duldet oder dessen sogar bedarf, als endlich – und damit unendlich klein. Anstatt der Gegenüberstellung von Welt (Mensch) und Gott vertritt er die logische Gegenthese: »Alles was ist, ist in Gott, und nichts kann ohne Gott sein noch begriffen werden.« 23 Diese buchstäblich »pan-en-theistische« Option versieht Spinoza mit der erläuternden Bemerkung, »alle, die über die göttliche Natur nur einigermaßen nachgedacht haben, verneinen die Körperlichkeit Gottes« 24. In Gott gibt es keine Trennung von Körper und Geist. Er unterliegt keinen äußeren Naturnotwendigkeiten oder »passiones«, sondern ist die »allein freie Ursache«. In Folge dessen besitzt er weder Verstand noch Wille im menschlichen Sinn, das heißt: er besitzt keine personalen Eigenschaften. 25 Die Konsequenzen für den Gebetsakt liegen auf der Hand. Wer die a-personale Wesenheit Gottes erkannt hat und diese Erkenntnis ernst nimmt, der kann einen Akt personaler Kommunikation zwischen Mensch und Gott – ad maiorem Dei gloriam – weder denken noch wollen. Spinoza formuliert daher einen Lehrsatz, der die intuitive Skepsis Jaspers auf den Punkt bringt: »Wer Gott liebt, kann nicht danach streben, daß Gott ihn wiederliebt.« 26 Damit schreibt Spinoza dem religionsphilosophischen Vgl. K. Jaspers, Metaphysik, 166. B. Spinoza, Die Ethik, Stuttgart 2007, I, 15. 24 Ebd., I, 15, Anmerkungen. 25 Vgl. ebd., I, 17, Anmerkungen; vgl. M. Moxter, Über den Grund unseres Glaubens an Personalität, 78. 26 B. Spinoza, Die Ethik, V, 19. Spinoza kennt daher keine personale Beziehung zwischen Gott und Mensch, sondern allein die »Gottesliebe« als Einsicht in die göttliche Vernunftordnung (»amor Dei intellectualis«). Schaeffler nimmt unmittelbar Bezug auf diesen spinozistischen Lehrsatz. Vgl. R. Schaeffler, PhE III, 304. 22 23

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Monismus die Abkehr vom traditionell jüdisch-christlichen Gebetsverständnis ins Stammbuch. Gebet wäre nach Spinoza allenfalls denkbar als ein selbstbezügliches Sprechen des Menschen zu sich »als Modus Gottes«. 27 In vier sehr unterschiedlichen Spielarten hat sich die Kritik am personalen Gott mit ihren jeweiligen Konsequenzen für die Möglichkeit des Gebetes gezeigt: der klassische Anthropomorphismus- und Projektionsverdacht (Feuerbach) sowie die monistische Alternative (Spinoza), die diesem Verdacht bereits im Ansatz entgeht, indem sie die Gott-Welt-Differenz auflöst; ein rein psychologisch-immanentes Gebetsverständnis (Bernet) und im Gegensatz dazu die existenzphilosophisch motivierte Abstinenz von der Anrede Gottes angesichts der absoluten Transzendenz (Jaspers). Wie auch immer diese Konzepte zusammenhängen, sich widersprechen oder in der Ablehnung eines personalen Gebetsverständnisses sogar noch bestärken, wird eines deutlich: Die Gebetslehre Schaefflers muss sich angesichts dieser Kritik positionieren, da sie durch und durch von einem dialogischen Gebetsverständnis und einem personalen Gottesbegriff geprägt ist. Wie konsistent aber ist die personale Option in Schaefflers Religionsphilosophie und Gebetslehre verankert (9.2)? Da es sich hier um eine Debatte handelt, die für die Gebetsthematik grundlegender nicht sein könnte, muss schließlich über Schaeffler hinaus nach triftigen Gründen gesucht werden, die die Rede vom »personalen Gott« gegenüber allen Einwänden aufrecht zu halten vermögen (9.3).

9.2 Personalität Gottes in Schaefflers Spätwerk Über weite Teile seines Werkes wird man bei Schaeffler eine elaborierte Auseinandersetzung mit den aufgeworfenen Fragen zur Personalität Gottes vermissen. Weder in seinen Arbeiten zur Religionskritik 28 noch in seiner »Religionsphilosophie« 29 geht er auf die oben Vgl. S. Wendel, Der »beständige Wunsch, ein würdiges Glied im Reiche Gottes zu sein« (I. Kant). Das Bittgebet auf dem Prüfstand der Vernunft, in: M. Striet (Hg.), Hilft beten?, Freiburg i. Br. 2010, 11–30, hier 17–19; M. Moxter, Über den Grund unseres Glaubens an Personalität, 78 f.; vgl. auch J. Werbick, Gott verbindlich, 189– 194, 591 ff. 28 Vgl. R. Schaeffler, Religion und kritisches Bewußtsein; Ders., Die Religionskritik sucht ihren Partner, Freiburg i. Br. 1974. 29 Aus dem Jahr 1983 bzw. 21997. 27

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geschilderten Herausforderungen ein. Ein systematisch entfalteter Begriff von Gott als Person findet sich hier nicht. Auch seine beiden Monographien und sonstigen Beiträge zum Gebet kommen – und dies ist erstaunlich – ohne einen qualifizierten Begriff von Person (weder Gottes noch des Menschen) aus. Zwar analysiert Schaeffler die pragmatische Funktion der Anrufung Gottes mit einem »Personennamen« 30, die Frage jedoch, was eine Person überhaupt sei, bleibt unbearbeitet. Schaeffler spricht folgerichtig auch nicht von »Personwerdung«, sondern stets von der »Subjektkonstitution« im Gebet. Seine Gebetslehre kommt ohne eine explizite Begriffsbestimmung von »Person« aus. 31 Bei Hermann Cohen zeigte sich, dass sein Korrelationsbegriff nicht eindeutig in die Kategorie der personalen Beziehung übertragbar ist. Auch wenn diese Option in seinem Nachlasswerk immer wieder anklingt, bleibt die Vorstellung von Gott als Person bei Cohen ambivalent. 32 Dies führt unweigerlich auch zu einer zweideutigen Sicht auf das Gebet als kommunikativem Akt. Cohen kommt so zu der paradoxen Bestimmung des Gebetes als »dialogischem Monolog« 33. Seine bis zuletzt ungeklärte Position zur dialogischen und personalen Struktur der Korrelation hat die unmittelbare Rezeptionsgeschichte Cohens intensiv beschäftigt. 34 Diese Unklarheit überträgt sich in gewisser Weise auch auf Schaefflers Gebetslehre, so dass bei

Vgl. Ders., GuA, 109–111; vgl. Kap. 4.2.1. Schaefflers Theorie der »Namensanrufung« im Gebet und die weiteren namenstheoretischen Überlegungen (»Einung, Heiligung und Segnung des Namens«) lassen sich freilich ohne ein implizites Verständnis des göttlichen Personseins überhaupt nicht denken. Gerade in seinen Beiträgen, die stärker von jüdisch-christlichen Quellen beeinflusst sind, ist die Vorstellung eines personalen Gottes so selbstverständlich, dass Schaeffler sie gar nicht eigens problematisiert. Andererseits ließen sich Vermutungen anstellen, ob die Zurückhaltung gegenüber diesem Begriff auch mit seiner komplexen und leider auch missverständlichen Verwendung in der Philosophie- und Theologiegeschichte zu tun hat. 32 Vgl. Kap. 3.1.2 u. 3.1.3. Es sei nochmals an eine charakteristische Formulierung erinnert, welche Cohens zwiespältige Haltung zur personalen Kategorie deutlich vor Augen führt: »Gott muß […] als Guter eine personartige Leistung der Güte zu vollziehen haben.« H. Cohen, RV, 243. 33 Ebd., 436. 34 Vgl. v. a. die Kontroverse zwischen F. Rosenzweig und A. Altmann. Letzterer betont die Kontinuität mit dem neukantianischen System und betrachtet Gott – auch als menschliches »Korrelat« – nicht als Person, sondern weiterhin als Idee. Vgl. A. Altmann, Hermann Cohens Begriff der Korrelation, 265; vgl. Kap. 3.1.4. 30 31

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ihm der häufig verwendete Terminus der »Korrelation« bisweilen unterbestimmt erscheint. Dieses Desiderat eines reflektierten Personbegriffs hat Schaeffler durch seine »Philosophische Einübung in die Theologie« (2004) und durch einige Aufsätze aus dieser Zeit behoben. 35 Die Vorstellung der Personalität Gottes ergibt sich für Schaeffler aus der menschlichen Erfahrung der Freiheit sowie der geschichtlichen Wirkmächtigkeit des »numinosen Wesens«. Diese logische Verknüpfung von Freiheit, Geschichtlichkeit und Personalität gilt es nun weiter nachzuvollziehen. Dabei ist im Sinne der »Vielsprachigkeit« der Gottesrede zu unterscheiden, ob (1) der »personale Gott« im religiösen Sprachspiel vorkommt, oder ob (2) hier ein philosophischer Gottesbegriff beansprucht wird. Schließlich gilt es (3) eine weitere aussichtsreiche Fundstelle auszuwerten: Schaefflers Auseinandersetzung mit dem trinitarischen und vor allem christologischen Personbegriff im dritten Band seiner »Philosophische[n] Einübung in die Theologie«. (1) Die Entstehungsbedingungen des personalen Gottesbegriffes im religiös-internen Sprachspiel wurden bereits andernorts erläutert: 36 Das »numinose Wesen« wird dann als »ein Gott« mit personalem Antlitz wahrgenommen, wenn der Mensch diese numinose Macht »frei und ungenötigt« handelnd erfährt. Sie ist frei, die Welt zu schaffen, sich dem Menschen zu offenbaren und – im Chaos des Weltanfangs wie auch im Laufe der Geschichte – den Sieg des Lebens über die Todesmächte herbeizuführen. Die Erfahrung, dass menschliches Leben stets gefährdet und labil ist, die heilsame Zuwendung des Heiligen jedoch verlässlich – und dennoch zutiefst kontingent – führt zur Rede vom personalen Gott: »›Person‹ im religiösen Sinne ist dasjenige numinose Wesen, das nicht nur zu einer ungenötigten freien Entscheidung, zum ›Nutum‹ oder seiner Verweigerung, fähig ist, sondern in einen solchen Dialog mit dem Menschen eintreten kann. So ist es der ›Sensus historicus‹ der religiösen Erfahrung,

Die berücksichtigten Aufsätze stammen allesamt aus der Zeit nach 2000. Auf die Frage der Personalität Gottes stößt Schaeffler nachvollziehbarerweise auch in der Auseinandersetzung mit dem Buddhismus. Vgl. R. Schaeffler, Ist Gott »das Absolute«? Ist »das Absolute« Gott?, in: A. Bsteh (Hg.), Christlicher Glaube in der Begegnung mit dem Buddhismus, Mödling 2001, 241–257, bes. 241 f. 36 Vgl. dazu bereits Kap. 7.2.2; R. Schaeffler, PhE II, 169–174; Ders., »Das Heilige« und »der Gott«, 162–169; Ders., Bezeugte religiöse Erfahrung, 95–99. 35

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der die Alternative zwischen einem personalen und einem apersonalen Verständnis des Heiligen entscheidet.« 37

In der Geschichte des Volkes Israel konkretisiert sich diese Erfahrung der durch alle Wechselfälle der Geschichte hindurch beständigen Zuwendung Gottes in dem identitätsstiftenden Bewusstsein von »Befreiung« und »Erwählung«. 38 Ausgehend von der exklusiven Gotteserfahrung Israels wagt Schaeffler die allgemeine These, dass ein Begriff von Gott als »Freiheit, die frei macht« geeignet sei, »gerade die personale Korrelation zu Gott zu erfassen […]« 39. Bereits an früherer Stelle vertrat Schaeffler den Leitsatz: »Kennzeichen des Personalen ist die ›befreiende Freiheit‹. Personal wirkt, was Freiheit weckt.« 40 (2) Angesichts der eminenten philosophischen Kritik an personalen Gottesvorstellungen ist die Frage nicht unerheblich, ob sich Schaefflers Bestimmung von Personalität auch als ein philosophischer Gottesbegriff rechtfertigen lässt. In Analogie zur eben skizzierten Argumentation versucht er diesen ebenfalls aus den Elementen von Freiheit und Geschichte zu begründen. 41 Das Attribut der Personalität, das stets als ein relationaler Ausdruck verstanden wird, widerspricht dem klassisch-metaphysischen Gottesbegriff eines vollkommenen, unveränderlichen und sich selbst genügenden Wesens. Schaeffler legt indessen nahe, die Gottesfrage nicht so sehr »metaphysisch« anzugehen, sondern vielmehr »meta-noetisch« – d. h. letztlich transzendental: nicht als die Suche nach dem höchsten Wesen, sondern nach dem tiefsten Grund menschlicher Erkenntnisfähigkeit. Doch auch dann gelangt man wie bei Platon oder im Deutschen Idealismus leicht zu dem Resultat, dass dieser Gott »nicht seiend, sondern ›überseiend‹, nicht ein personales, sondern ein ›über-personales‹ Wesen« 42 sein muss. Schaefflers Apologie des personalen Gottes beginnt wiederum bei seiner Überlegung zu Kontingenz und Freiheit: Der tiefste Grund unserer Erkenntnis – bei Platon etwa die »noumenale Sonne«, in deren Licht erst alles andere sichtbar wird 43 –

37 38 39 40 41 42 43

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Ders., PhE II, 173 f. Vgl. Ders., PhE III, 75–129. Ders., »Freiheit, die frei macht«, 83; vgl. ebd., 86 f. Ders., »Das Heilige« und »der Gott«, 167. Vgl. Kap. 7.2.2. Vgl. zum folgenden ausführlicher in: Ders., PhE II, 226–229; 236–252. Ebd., 239. Vgl. ebd., 238 f.; Ders., Der philosophische Transzendenzbegriff – Hilfe oder Hin-

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ist nicht notwendig gegeben und kann auch nicht herbeigeführt werden. Die menschliche Fähigkeit zur Erfahrung ist prinzipiell – nicht nur situativ – kontingent. Um dies zu demonstrieren, kann Schaeffler wiederum auf die Dialektik der (theoretischen wie praktischen) Vernunft rekurrieren. Die Selbstwidersprüchlichkeit der Vernunft macht einmal mehr deutlich, dass gelingende menschliche Erkenntnis und Erfahrung im Letzten auf die Ursache eines frei wirkenden Wesens zurückgeführt werden muss. Der philosophische Gottesbegriff als Inbegriff aller theoretischen Vernunftpostulate hofft also auf einen nicht notwendigen, sondern freien Grund menschlicher Erkenntnis, das heißt »auf das Subjekt einer freien Tat und also auf eine Person« 44. Ein wichtiger und häufig zitierter Grundsatz Schaefflers lautet hier: »der adäquate Grund eines kontingenten Ereignisses […] ist eine freie Tat.« 45 Und er folgert weiter: »Ein Wesen aber, das zur freien Zuwendung fähig ist, dürfen wir als ›Person‹ bezeichnen. Nennen wir dieses Wesen ›Gott‹, dann führen solche metanoetischen Überlegungen […] zu einem personalen Gottesverständnis.« 46 Wiederum ist es also die Erfahrung der ungeschuldeten Zuwendung angesichts menschlicher (hier grundsätzlich epistemischer) Kontingenz, die zum Postulat eines freien – und das heißt personalen – Gottes führt. Eine Vorstellung, die diesen Gott als eine bloß metaphysische Idee begreift, ist daher in Schaefflers Augen als defizitär zu betrachten. 47 Gemäß dem Konzept von »Erfahrung als Dialog mit der Wirklichkeit« ist jeder gelingende Akt der Erfahrung aber nicht etwa nur

dernis des Glaubens?, in: A. Raffelt (Hg.), Wege und Weite, Freiburg i. Br. 2001, 421– 430, hier 422 f., 427. 44 Ders., PhE II, 247. 45 Ebd.; vgl. ebd., 239; Ders., Bezeugte religiöse Erfahrung, 97. Schaeffler führt dieses Argument ohne nähere Angabe auf Schelling zurück. 46 Ders., PhE II, 240. 47 Vgl. R. Schaeffler, Der philosophische Transzendenzbegriff, 429: »Die Kontingenz menschlicher Transzendentalität, die in der Dialektik der Vernunft offenbar wird, beweist die Unzulänglichkeit einer bloßen Gottes-Idee und macht es nötig, das Unbedingte, von aller bedingten Weltwirklichkeit Verschiedene und insofern Transzendente als den Gegenstand einer Hoffnung zu denken, die in transzendentaler Hinsicht […] notwendig ist. Die Erfüllung dieser Hoffnung aber kann nur vom freien Akt einer Person erwartet werden. […] Der volle Sinn des Begriffs ›Transzendenz‹ in seinem substantivischen Gebrauch tritt also nur hervor, wenn ›die Transzendenz‹ als Subjekt freier Akte und damit zugleich als in sich selbst stehendes Wesen, d. h. als Substanz, gedacht wird. Nur kraft ihrer Substantialität ist sie frei; nur durch diese Freiheit erweist sie sich als Person.« Beten denken

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die »bloße Wiederherstellung des ›Status quo ante‹« 48, sondern ein Fortschritt im historischen Umgestaltungsprozess zur Neuheit des Denkens. Insofern ist dieses freie Wesen nicht nur ein irgendwie personaler Grund unserer Erfahrungsfähigkeit, sondern wirkt inmitten der Geschichte konkreter menschlicher Erfahrungen. Auch in »metanoetischer« Hinsicht wird Personalität bei Schaeffler also begründet durch die beiden Elemente von Freiheit und Geschichtlichkeit. Allein die Verbindung mit dem historischen Bedeutungsmoment der Erfahrung (Sensus historicus) lässt ein personales Verständnis von Gott plausibel erscheinen. So lässt sich behaupten, dass das Grundanliegen von Schaefflers Erfahrungslehre und letztlich die Grundintuition seines philosophischen Ansatzes – die Verbindung von transzendentaler und historischer Reflexion – am Ende nicht nur auf die notwendige Annahme eines Gottes, sondern des Personseins Gottes hinausläuft. 49 Ein aus transzendentaler Reflexion gewonnener Gottesbegriff beansprucht den epistemischen Status eines »Postulates der Hoffnung«. 50 Dieser Gott kann zwar nicht bewiesen werden, doch wäre ohne ihn nicht allein religiöse Erfahrung, sondern Erfahrung überhaupt unmöglich. An dieser Stelle der Argumentation führt Schaeffler einen neuen Gedanken zum Status der Postulate ein, der nicht übersehen werden sollte. Er schreibt: »Eine solche Hoffnung aber ist […] stets ein personaler Akt, durch den der Mensch sich jenem Grunde anvertraut, der ihn, im Durchgang durch seine radikale Selbstbedrohung, zu seinen Akten des theoretischen und praktischen Vernunftgebrauches fähig macht.« 51 Die für Schaefflers Ansatz zentrale Dimension der Hoffnung 52 ist ihrem Charakter nach selbst ein »personaler« Akt. Gemäß dem phänomenologischen Grundgesetz korreliert das Personsein Gottes offenbar mit der Weise, wie sich der Mensch auf ihn beziehen kann, nämlich in personaler Hinwendung. Die Personalität Gottes steht in Beziehung zum Menschen als Person. Es fällt auf, dass Schaeffler in beiden Kontexten der Rede vom personalen Gott, also im religiös-internen wie im transzendentalphilosophischen Erfahrungskontext, eine strukturähnliche Argumentation verfolgt. Die Personalität Gottes erschließt sich aus der begrünDers., PhE II, 252. Vgl. ebd., 246 f. 50 Vgl. Kap. 2.1.2. 51 Ders., PhE II, 246. 52 Vgl. auch die Auseinandersetzung mit Ernst Bloch in: R. Schaeffler, Was dürfen wir hoffen?, Darmstadt 1979. 48 49

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deten und notwendigen Annahme geschichtsmächtiger, absoluter Freiheit. 53 Der Unterschied zwischen den beiden Kontexten besteht freilich darin, dass philosophisch »nur« postuliert und nicht »geschaut« werden kann, während die religiöse Erfahrung sich auf die ergangene Zusage der Treue Gottes verlässt. 54 Beide Weisen des Sprechens von Gott aber bewähren sich gegenseitig, sie stehen – dieser Abschlussgedanke ist für Schaeffler überaus typisch – in hermeneutischem Wechselverhältnis. 55 (3) Weitere aufschlussreiche Überlegungen zur Vorstellung der Personalität Gottes finden sich in der »Philosophische[n] Einübung in die Christologie«. Diese Einübung besteht für Schaeffler im Grunde in der Arbeit an zwei ursprünglich hellenistisch-metaphysischen Begriffen – »Natur« und »Person« – in ihrer spezifisch christologischen Verwendung. Der Personbegriff, um den es hier allein geht, ist laut Schaeffler der theologische Antwortversuch auf die im Evangelium wiederholt aufgeworfene Frage: »Wer ist dieser?« (Mk 4,41 par.) bzw. »Wer bist Du?« (Joh 1,19–23). 56 Um entscheiden zu können, ob der Begriff der »Person« für diese theologische Frage geeignet ist, untersucht Schaeffler drei unterschiedliche säkulare Kontexte dieses Begriffs. Alle drei – dies sei vorweggenommen – können nach Schaefflers Urteil nicht ohne weiteres auf Gott bzw. auf den Gottessohn angewandt werden. Der »kultische« Personbegriff liegt am nächsten bei der griechischen Ursprungsbedeutung des Wortes Person (gr. »πρόσωπον«, »Maske«). 57 In seiner Semantik als Repräsentation ist dieser Begriff Dies darf im Übrigen als weiteres Beispiel für die Interferenz religiöser und philosophischer Gottesrede gewertet werden. 54 Vgl. Ders., PhE II, 247. Vgl. Kap. 7.4.4. 55 Vgl. ebd., 250–252. Die Religiöse Erfahrung darf sich nicht nur auf außergewöhnliche und damit isolierte Einzelereignisse fokussieren, sondern muss sich auch als Fähigkeit zum Dialog mit der alltäglichen Wirklichkeit bewähren. Umgekehrt verpflichtet die religiöse Erfahrung die postulatorische Rede von Gott als »Person« auf ihre geschichtliche Dimension (»Sensus historicus«). Schaeffler führt dieses Wechselverhältnis zwischen religiöser und transzendentaler Erfahrung an verschiedenen Beispielen weiter aus. 56 Vgl. Ders., PhE III, 262. Zum Naturbegriff vgl. ebd., 271–282. 57 Dabei gibt Schaeffler einen interessanten Hinweis, der in diesem Zusammenhang meist vergessen wird: Der Begriff »prósopon« stammt zwar aus der Bühnensprache, doch war gerade das Theater in der griechischen Welt ein Ort des Kultes und das Drama ein Ort der Vergegenwärtigung (»repraesentatio«) von Göttern. Vgl. ebd., 283. 53

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aber nicht ohne Modifikationen auf Gott übertragbar, da im kultischen Gebrauch die »Person« weder der Repräsentierende noch der Repräsentierte, sondern nur die je aktuelle Vermittlungsgestalt (Maske) ist. Gott selbst wäre also gerade keine Person, sondern überpersönlich. Die neutestamentliche Überlieferung musste daher das kultische Personverständnis – auch für die Mittlerschaft Jesu Christi als »Ikone des unsichtbaren Gottes« (Kol 1,15) – ablehnen. 58 Als »juridischen« Personbegriff bezeichnet Schaeffler die Verwendung im römischen Recht im Sinne der Fähigkeit, »als Subjekt rechtswirksamer Handlungen tätig zu werden« 59. Dieser Begriff wäre zwar theologisch als Gottesbegriff applizierbar, jedoch um den Preis, dass alle irdischen Mittler seines Heilswirkens (etwa Propheten und Apostel) bloße Werkzeuge dieser einzigen Person wären, der »Sohn« aber bestenfalls eine »Erscheinungsgestalt« des Vaters im Sinne des Modalismus. 60 Schließlich bleibt der »moralische« Personbegriff. Damit ist die Fähigkeit subjektiver Wirksamkeit und Zurechnungsfähigkeit in Handlungen (oder Unterlassungen) gemeint, bei denen es um das Ganze der menschlichen Existenz geht, oder wie Schaeffler formuliert, um »Selbstfindung durch Selbsthingabe« 61. Ein moralischer Personbegriff scheint aber auf Gott erst recht nicht anwendbar, weil dieser sich niemals wie eine menschliche Existenz »verlieren« oder »gewinnen« kann, also weder Selbstfindung nötig, noch Selbstverlust zu fürchten hätte. Da aber die moralische Dimension des Personseins immer die Selbsthingabe im Blick auf den Anderen meint, ist ein solcher Personbegriff nicht nur für Gott in sich fragwürdig, sondern insbesondere für Gott als ein personales Gegenüber des Menschen: »Ein Gott, der, ›selig in sich selber‹, nichts zu verlieren hat, ist für den Menschen kein möglicher Partner einer interpersonalen Begegnung und kann darum von ihm nicht als ›Person‹ erfahren werden.« 62 Zum kultischen Personbegriff vgl. ebd., 283–285, 291–299. Ebd., 286. 60 Zum juridischen Personbegriff vgl. ebd., 285–288, 299–303. 61 Ebd., 289. Der Gedanke der »Selbstfindung durch Selbsthingabe« kommt auch in Schaefflers Erfahrungslehre als die regulative Idee der spezifisch sittlichen Erfahrung vor. Sittliche Erfahrung besteht demnach darin, dass alles Erlebte und Erlittene in den größeren Horizont der »Selbstfindung durch Selbsthingabe« eingeordnet werden kann. So darf jede »begegnende Wirklichkeit – Menschen, Aufgaben, Ereignisse – als ein Gefüge von immer neuen Gestalten der einen Aufgabe begriffen werden, in der Ganzheit der Hingabe die Einheit des Ich zu finden«. Vgl. Ders., EDW, 388–399, hier 390. 62 Ders., PhE III, 304. Zum moralischen Personbegriff vgl. ebd., 288–291, 303–307. 58 59

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Schaeffler gerät damit in die eingangs angedeutete Argumentationslinie Spinozas, der behauptete, dass der Mensch aus diesem Grund die personale Liebe Gottes nicht wollen könne. 63 Ohne auf dieses Argument näher einzugehen, konstatiert Schaeffler nüchtern, dass dieser Gott mit dem alttestamentlichen Gott des Bundes nichts gemein habe; mit dem Gott, der freiwillig bereit ist, »die Lasten des Volkes zu tragen« 64 – und ebenso wenig mit dem Gott, der sich in Jesus Christus der Gewalt der Menschen ausliefert. Trinitätstheologisch wäre in diesem Zusammenhang jedoch auch an die Wesenshingabe des Vaters an den Sohn und an die Hingabe des Sohnes an den Vater zu denken. Diese Dimension innertrinitarischer Interpersonalität ließe sich mit dem beschriebenen moralischen Personbegriff der »Selbstfindung durch Selbsthingabe« durchaus angemessen verstehen. Der moralische Personbegriff, so Schaefflers Fazit, ist theologisch daher ebenso unentbehrlich wie unzulänglich: Unentbehrlich hinsichtlich der innertrinitarischen Hervorgänge der göttlichen Personen und der Selbsthingabe Gottes an den Menschen; unzulänglich in der Vorstellung, Gott »verliere« sich selbst und behalte in allen Wechselfällen der Geschichte nicht die letzte Souveränität und Geschichtsmächtigkeit. 65 Die drei traditionellen Personbegriffe müssen, so Schaeffler, weiterentwickelt werden, wenn sie in der Debatte um die Personalität Gottes ihr Deutungspotential entfalten sollen. Diese Fortentwicklung erhofft sich Schaeffler erneut durch die Profilierung der Aspekte von Freiheit und Geschichtlichkeit. 66 Ohne Schaefflers systematische Überlegungen im Einzelnen ausführen zu können, gilt es doch eine These festzuhalten, die für die vorliegende Fragestellung einen wesentlichen Argumentationsgewinn verspricht: In Auseinandersetzung mit Hegels Konzept der Trinität und des sogenannten »Speculativen Charfreitags« gelangt Schaeffler zu der Überzeugung, dass die Begriffe von der »Natur«, »Freiheit« und »Personalität« Gottes semantisch darin übereinkommen, dass sie die göttliche Beziehungsfähigkeit beschreiben, sich an das »Andere seiner selbst« zu verschenken. 67 Durch die Unterscheidung von notwendigen und kontingenten Vgl. B. Spinoza, Die Ethik, V, 19: »Wer Gott liebt, kann nicht danach streben, daß Gott ihn wiederliebt.« Vgl. Kap. 9.1. 64 R. Schaeffler, PhE III, 305 f.; vgl. Jes 46,4. 65 Vgl. ebd., 306 f. 66 Vgl. ausführlich ebd., 329–388. 67 Vgl. ebd., 352–363, 385 f. 63

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Kausalitäten – von Prozess und Geschichte 68 – gelangt er zu einer wichtigen Distinktion: Es ist zu unterscheiden zwischen dem wesensnotwendigen Dialog Gottes nach innen, der traditionell mit dem Begriff der »Processiones« (»Hervorgänge«) bezeichnet wird, und dem kontingenten Dialog Gottes mit dem Menschen in der Geschichte. 69 »Nur weil Gottes ›Lebensvollzug‹ (actus primus) [d. h. seine »Natur«; S. W.] immer schon und mit Notwendigkeit dialogisch ist, kann der Bezug Gottes mit seinen Geschöpfen sich in der Weise eines ungenötigten Dialogs zur Geschichte Gottes mit der Welt und vor allem mit den Menschen entfalten.« 70

Erst in dieser doppelten trinitarischen Perspektivierung wird der moralische Personbegriff auf Gott anwendbar: Weil Gott tatsächlich »selig in sich selbst« in der gegenseitigen Hingabe seines Wesens gleichsam »nichts zu verlieren« hat, kann er sich – aus geschichtlichfreiem, nicht prozesshaft-notwendigem Beweggrund – an die Menschheit hingeben, sich ihrer Gott-Entfremdung aussetzen und sogar noch das Risiko der Ablehnung auf sich nehmen. 71 Damit ist eine differenzierte Vorstellung von der Relationalität Gottes gefunden, welche die Rede von seinem »Person-Sein« nicht länger aporetisch erscheinen lässt. Dies hat Konsequenzen auch für die menschliche Personalität und nicht zuletzt für den Gebetsakt. Der Mensch ist ein personales Wesen vor allem dadurch, dass er »durch Gottes freie Anrede ins Dasein« 72 und zur Antwort gerufen ist. So kann Schaeffler analog zur Bestimmung der Personalität Gottes auch über den Menschen aussagen: »Erst dieser dialogische Charakter seines Lebensvollzuges (actus primus) macht den Menschen zu den vielfältigen Weisen fähig, in ›sekundären Akten‹ auf eine freie, geschichtliche Weise in den Dialog mit der Weltwirklichkeit einzutreHierbei beruft sich Schaeffler wiederum auf einen Grundsatz aus Schellings »Philosophie der Offenbarung«, der besagt: »Im Prozeß ist bloße Notwendigkeit, nur in der Geschichte ist Freiheit.« Zitiert nach R. Schaeffler, Einführung in die Geschichtsphilosophie, 174; Ders., Geschichtsphilosophie, in: A. Pieper (Hg.), Philosophische Disziplinen, Leipzig 1998, 139–164, hier 152 f.; vgl. F. W. J. Schelling, Philosophie der Offenbarung, in: M. Schröter (Hg.), Schellings Werke. Bd. 6, München 31979, 395 [= Beginn der 24. Vorlesung]. 69 Vgl. R. Schaeffler, PhE III, 367. Schaeffler unterscheidet also klassisch zwischen immanenter und heilsökonomischer Ebene. 70 Ebd., 382. 71 Vgl. ebd. 72 Ebd., 369. 68

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ten.« 73 Das heißt aber: Nicht der Mensch »denkt« sich Gott als personales Seinesgleichen und nicht der Mensch »personifiziert« Gott, sondern umgekehrt: der Mensch wird durch Gottes personale Zuwendung in den Stand der Personalität gehoben. Insofern wäre es berechtigt, anstelle von der »Subjektkonstitution« auch von der »Person-werdung« des Menschen im Gebet zu sprechen. Eingeordnet in den größeren Zusammenhang von Schaefflers Erfahrungslehre gilt: Durch den Dialog mit dem personalen Gott wird der Mensch zum Dialog mit der Wirklichkeit fähig; zum Dialog mit einer Welt, in der er als »Person«, das heißt als beziehungsfähiges Wesen, in allem, was ist, den Anspruch dieses Gottes wiederentdecken kann. Es lässt sich zusammenfassen: Schaefflers Gebetslehre ist ohne einen personalen Gottesbegriff und ohne die ebenfalls als personale Beziehung verstandene Korrelation, die den Gebetsakt zuinnerst ausmacht, nicht verstehbar. Diese Behauptung gilt unbeschadet der Tatsache, dass Schaeffler lange Zeit keine systematische Ausarbeitung des Personbegriffs vorgelegt hat. In jüngerer Zeit konnte er dazu einige bedenkenswerte Ansätze bereitstellen. Sie zeigen, dass die Rede von Gott als Person religionsphilosophisch nicht zwangsläufig als anthropomorph und vernunftwidrig verworfen werden muss. Mit den Mitteln seines transzendentalen Ansatzes lässt sich die Personalität Gottes einerseits aus der spezifisch religiösen Erfahrung, andererseits aus einer allgemein meta-noetischen Reflexion begründen. 74 Für die weitere theologische Auseinandersetzung ermutigen Schaefflers Überlegungen dazu, die eigene christliche Begriffstradition der Trinitätslehre und der Christologie durchaus selbstbewusst zu beanspruchen. 75 Inhaltlich ist von Schaefflers Personbegriff vor allem dies zu lernen: Gottes Personsein ist trotz der religionsphilosophischen Bedenken als die Fähigkeit der Hingabe an den »Anderen seiner selbst« Ebd. Freilich wird diese transzendentalphilosophische Denkweise, die sich ganz auf den Gedanken der Dialektik der Vernunft und auf die Postulatenlehre stützt, keine kritiklose Anerkennung finden. Der Gedanke der Personalität Gottes steht und fällt daher in gewisser Weise mit dem Gesamtkonzept der Erfahrungslehre Schaefflers. 75 Nicht selten, so Schaeffler, habe die religiöse und theologische Interpretation von Begriffen ihre philosophische und säkulare Klärung vorangetrieben. Schaeffler hat dies an den Begriffen von Freiheit, Natur und Geschichte, und nicht zuletzt am Personbegriff zu zeigen versucht. Vgl. ebd., 345 f.; vgl. beispielhaft die »theologischen« Beiträge Hegels und Schellings, vgl. ebd., 349–358. 73 74

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zu verstehen und das »Wesen« Gottes infolgedessen in der Kategorie der Beziehung zu denken. Dabei darf Gottes Person-sein – gegenläufig zum Anthropomorphismus-Verdacht – analog zum Prozess menschlichen Person-werdens betrachtet werden. Wenn Gebet tatsächlich Korrelation von »Ich« und »Du«, von Person zu Person ist, so kann nicht verständlich gemacht werden, was Personalität Gottes meint, wenn nicht klar ist, was menschliches Personsein ausmacht und umgekehrt.

9.3 Gott höchst persönlich Das Paradigma der freisetzenden Freiheit ist ein Weg, um die Rede von Gottes Personalität gegenüber den philosophischen Einwänden aufrechtzuerhalten. Eine andere Option – wenn sie davon tatsächlich zu trennen ist – wurde bei Schaeffler ebenfalls sichtbar: Gottes Personsein aus dem Gedanken der Relationalität oder besser der göttlichen Beziehungsfähigkeit und -willigkeit. Mit dem Ziel, die Rede von der »Ko-relation« zwischen Gott und Mensch inhaltlich noch mehr zu füllen, soll diese Spur noch weiter verfolgt werden. »Selbstfindung durch Selbsthingabe.« Diese Kurzformel des moralischen Personseins schien als ein personaler Gottesbegriff schlechterdings nicht denkbar. Gott hat es nicht »nötig« sich selbst zu finden; er ist – klassisch gesprochen – »actus purus«, immer schon im Besitz der allerhöchsten Vollkommenheit. Der traditionellen Metaphysik verpflichtet müsste man deshalb mit Schaeffler konzedieren: »Der Fromme wünscht seinem Gott die Gefährdungen nicht, die in jeder interpersonalen Beziehung enthalten sind; er freut sich vielmehr darüber, daß Gott über alle derartigen Gefährdungen erhaben ist, und verzichtet deswegen darauf, Gott als ›Person‹ zu denken.« 76 Darf die Beziehung zwischen Personen allein unter dem Vorzeichen der Gefährdung betrachtet werden? Gewiss: Die vorbehaltlose Öffnung auf den Anderen und der innige Wunsch, sich dabei angenommen und gewürdigt zu wissen, ist ein zwischenmenschliches Wagnis, das als brüchig, bisweilen auch schmerzhaft erfahren wird. Ohne diese Tragik zu übergehen gilt jedoch nicht weniger, dass das Sich-Öffnen und Schenken von Person zu Person – und mit der Ganzheit seiner Person – die wohl nie erlöschende Sehnsucht des Menschen bleibt. 76

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Dieses unerreichbare Ideal interpersonaler Liebe ist es, das zum Leitmotiv einer wirkungsgeschichtlich leider oft unterbewerteten Tradition christlicher Trinitätsvorstellungen wurde. 77 Ihren Höhepunkt erlebte sie bei Richard von Sankt Viktor 78 und in der franziskanischen Theologie des Mittelalters. Gottes Wesen, so er denn die Liebe ist, kennzeichnet nicht nur den Wunsch, sondern – und darin unterscheidet er sich von uns Menschen – auch die Fähigkeit, vollkommen zu lieben. 79 Denn um die höchste Form der Liebe zu erlangen, so der Viktoriner in seinem Traktat über die Dreieinigkeit, »muß also die Liebe sich zum anderen hin wenden, um selbstlose, eigentliche Liebe zu sein« 80. Doch auch in der gegenseitigen Hingabe liegt noch die Gefahr einer lieblos sich verschließenden Selbstgenügsamkeit. Vollkommene Liebe bestünde vielmehr darin: »zu wollen, daß der andere so geliebt wird, wie man selbst geliebt wird; in der gegenseitigen Liebe, auch in der brennendsten, ist aber nichts seltener, doch auch nichts großartiger als der Wille, daß der, den du zuhöchst liebst und der dich zuhöchst liebt, einen anderen ebensosehr liebe.« 81

Dieser »Mitgenosse der Liebe«, der »Mitliebend-Mitgeliebte« (lat. »condilectus«) ist die Person des Heiligen Geistes. Weil alle drei göttlichen Personen dasselbe, unterschiedslose Wesen besitzen, liegt ihre Differenz allein in den nicht noch einmal miteinander teil- und mitteilbaren (lat. »incommunicabilis«) Relationen, also in den unterDie Tatsache, dass hier allein das »interpersonale Trinitätsdenken« zur Sprache kommen soll, hat mit dem nachfolgenden Argumentationsgang zu tun. Selbstverständlich war für die Entwicklung der christlichen Trinitätslehre das »intrapersonale« oder »psychologische« Modell (Augustinus, Thomas v. Aquin etc.) ebenso prägend. Letztlich wird wohl erst die gegenseitige Ergänzung beider trinitarischer Modelle den dogmengeschichtlich aufgetretenen Herausforderungen gewachsen sein. Dazu gilt es aber das Modell der interpersonalen Liebe zu stärken. Vgl. dazu ausführlich: J. Werbick, Trinitätslehre, in: T. Schneider (Hg.), Handbuch der Dogmatik, Bd. 2, Düsseldorf 42006, 481–576, bes. 500–511, 518–521, 549. 78 Vgl. Richard von Sankt-Victor, Die Dreieinigkeit, Einsiedeln 1980. Zum relationalen Personbegriff bzw. interpersonalen Trinitätsdenken vor Richard v. St. Viktor vgl. den Überblick in: G. Greshake, Der dreieinige Gott, Freiburg i. Br. 42001, 90–94. 79 Auch Schaeffler beschreibt die gegenseitige Liebe zwischen Vater und Sohn mit Bezug auf das Abschiedsgebet Jesu (Joh 17) als Inbegriff »moralischen« Personseins: »Alles, was der Sohn ist, ist Ausdruck seiner vorbehaltlosen Hingabe an den Vater und damit Antwort auf die ebenso vorbehaltlose Selbsthingabe des Vaters, der alles, was sein ist, dem Sohn gegeben hat.« R. Schaeffler, PhE III, 303. 80 Vgl. Richard von Sankt-Victor, Die Dreieinigkeit, 84 f. [III, 2]. 81 Ebd., 95 [III, 11]. 77

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schiedlichen Ursprungsverhältnissen ihrer gegenseitigen Hingabe. Richard definiert den Begriff der Person daher als die »incommunicabilis existentia« – die unverwechselbare Weise, wie die einzelne Person ihren Selbststand (»sistere«) vom anderen her empfängt (»ex-sistere«). 82 Für Bonaventura – um nur einen Vertreter der franziskanischen Tradition zu nennen 83 – ist ebenfalls zweifellos klar, dass Gottes Wesen als höchste Erhabenheit (»altissime«) und als höchste Liebesfähigkeit (»piissime«) gedacht werden muss. »Man dächte aber«, so Bonaventuras Argumentation, »nicht ganz erhaben von ihm, wenn man nicht glaubte, daß Gott sich in höchstem Maße mitteilen könnte. Und man dächte auch nicht ganz liebevoll von ihm, wenn man glaubte, er könnte es zwar, wollte es aber nicht.« 84 Gottes Mitteilungsbedürfnis ist seine Stärke, keine gefährliche Schwäche. Es will seinen Ausdruck »in höchstem Maße« darin finden, im Anderen gegenwärtig zu werden. Selbststand und Selbsthingabe sind für Gott also kein Widerspruch. In deutlicher Abkehr von der substanzmetaphysischen Persondefinition des Boethius 85 bekommt der Personbegriff in dieser trinitätstheologischen Schule eine durch und durch relationale, um nicht zu sagen »ko-relationale« Prägung. Viel später und unter anderen Denkvoraussetzungen hat Hegel dies in ähnlicher Weise aus-

Vgl. ebd., 125–132 [IV, 12–28]; vgl. dazu: G. Greshake, Der dreieine Gott, 104– 111; J. Werbick, Trinitätslehre, 508–511; Ders., Gott verbindlich, 617 f., 627. Dem modernen Sprachgebrauch angepasst formuliert Werbick den Gedanken der »incommunicabilis existentia« so: »Jede der drei wesensgleichen göttlichen Personen entspricht dem anderen auch noch in ihrem ›Anderssein‹ […] und die göttlichen Personen sind für sich nichts anderes als ebendiese Entsprechungen.« Ders., Trinitätslehre, 550. 83 Da es hier nur um den Leitgedanken und nicht um eine differenzierte Darstellung franziskanischer Trinitätskonzepte geht, kann auf den Personbegriff bei Alexander von Hales, Petrus J. Olivi oder J. Duns Scotus nicht näher eingegangen werden. Zur Entwicklung des (theologischen und moralischen) Personbegriffs in der mittelalterlichen Philosophie vgl.: T. Kobusch, Die Entdeckung der Person, Freiburg i. Br. 1993, 23–54. 84 Bonaventura di Bagnoregio, Breviloquium, Freiburg i. Br. 2002, 49 [I, 2]. Vgl. zu Bonaventuras Personverständnis: K. Obenauer, Summa Actualitas. Zum Verhältnis von Einheit und Verschiedenheit in der Dreieinigkeitslehre des heiligen Bonaventura, Frankfurt a. M. 1996, bes. 109–143. 85 Vgl. Boethius, Contra Eutychem et Nestorium III, 74: »personae est definitio: naturae rationalis individua substantia« (»Person ist: einer verständigen Natur unteilbare Substanz«). 82

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gedrückt. Auf ihn geht die trinitarische Sprachfigur des »im Anderen seiner selbst bei sich selbst Seins« zurück. 86 Hegel schreibt: »Wenn man sagt: ›Gott ist die Liebe‹, so ist es sehr groß, wahrhaft gesagt […]. Denn die Liebe ist ein Unterscheiden zweier, die doch füreinander schlechthin nicht unterschieden sind. Das Gefühl und Bewußtsein dieser Identität ist die Liebe, dieses, außer mir zu sein: ich habe mein Selbstbewußtsein nicht in mir, sondern im Anderen, aber dieses Andere […], indem es ebenso außer sich ist, hat sein Selbstbewußtsein nur in mir, und beide sind nur dieses Bewußtsein ihres Außersichseins und ihrer Identität.« 87

Trinitätskonzepte nach dem Modell gegenseitiger Liebe prägen nicht nur einen personalen, sondern einen »höchst-personalen« Gottesbegriff: In Gott selbst ist, wie Richard meint, die vollkommene Beziehung realisiert, und diese Vollkommenheit der Liebe gestaltet sich dreipersönlich und nur dreipersönlich. 88 Gottes vollkommene Beziehungsfähigkeit drückt sich darin aus, dass in Gott Selbst-Bezug und Anderer-Bezug, Selbst-Bejahung und Anderer-Bejahung, »Für-SichSein« und »Für-den-Anderen-Sein« untrennbar und gleichursprünglich sind. 89 Was aber hat dieser Höchstbegriff personaler Gegenseitigkeit noch mit dem gemein, was Menschen an mit- und zwischenmenschlichen Erfahrungen machen dürfen? Der Personbegriff scheint hier in seiner Analogie so sehr strapaziert zu werden, dass die Rede von Gottes Personsein in höchstem Maße äquivok wird. Menschen erfahren den liebenden »Selbst-Bezug« und »Andern-Bezug« – christlich gewendet: Selbst- und Nächstenliebe – nur in seltenen Glücksfällen vereint. 90 Für die Gebetsthematik stellt sich hier die ernstzunehmende Frage, wie von einer personalen Korrelation zwischen Gott und Vgl. J. Werbick, Trinitätslehre, 560; Ders., Einführung in die theologische Wissenschaftslehre, 347–353; Ders., Art. »Person«, 355 f. 87 G. W. F. Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Religion II, Frankfurt a. M. 1978, 221 f.; vgl. den gesamten Abschnitt Hegels über »Dreieinigkeit« ebd., 221–240, sowie: Ders., Phänomenologie des Geistes, 545–574. Einführend zu Hegels Trinitätsspekulationen und mit vielen Fundstellen vgl. E. Schmidt, Hegel und die kirchliche Trinitätslehre, in: NZSTh 24 (1982), 241–260; sowie G. Greshake, Der dreieine Gott, 136–141. 88 Vgl. zum »Ausschluß der Vierheit«: Richard von Sankt-Victor, Die Dreieinigkeit, 167 f. [V, 15]. 89 Vgl. J. Werbick, Einführung in die theologische Wissenschaftslehre, 346. 90 Vgl. ebd., 347–351. 86

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Mensch gesprochen werden kann, wenn Gottes Personsein so übermenschlich, eben göttlich, gedacht werden muss. Eine Antwort wird theologisch dort zu suchen sein, wo der Begriff der Person traditionell seine höchste Ausgestaltung erhalten hat: in der Christologie, das heißt im Diskurs darüber, wie im Gott-Menschen Jesus von Nazareth sich göttliche und menschliche Beziehungsfähigkeit zu einer Person (hypostatische Union) vereinen können. 91 Ungeachtet der christologischen Vermittlung gilt es für das personale Gottesverhältnis im Gebet gleichwohl an der Unähnlichkeit zwischen menschlicher und göttlicher Personalität festzuhalten, denn die »unendlich-absolute […] Einheit von Anderer- und Selbst-Bezug kann indes nicht in der Beziehung Gottes zu sich selbst und zum Menschen gegeben sein« 92. Mit einem Wort: Korrelation ist nicht Perichorese. 93 Gebet bleibt, solange es Gebet ist, ein Beziehungsgeschehen zwischen Geschöpf und Schöpfer. Es bleibt Wechselseitigkeit im Gegenüberstand. 94 Beschreibt man dieses geschöpfliche Grundverhältnis mit dem Begriff der Korrelation, so muss stets mitgesagt werden (was bei Cohen und Schaeffler geschieht), dass diese Korrelation asymmetrisch ist, von Gott her ermöglicht und »getragen«. Wie ist Gottes Personsein denkbar, wenn es sich auf so unendlich vollkommene Weise von menschlicher Personalität unterscheidet – und wie kann dann noch vom Gebet als einem personalem Geschehen die Rede sein? Einen Lösungsansatz bietet Schaefflers Bestimmung von göttlicher Personalität als »Grund menschlicher Freiheit«. Gottes Freiheit ist im Vergleich zum Menschen die andere, unendliche FreiVgl. Ders., Gott verbindlich, 583–595. Ders., Einführung in die theologische Wissenschaftslehre, 347 f. 93 Richard Götz, der über die trinitarische Verortung des christlichen Gebetes sehr wertvolle und weitaus umfassendere Ausführungen macht, als es hier möglich ist, spricht wiederholt von der »perichoretischen Communio« des Menschen mit Gott im Gebet. Auch wenn bei ihm außer Zweifel ein Problembewusstsein bezüglich der Analogizität des Personbegriffs besteht, erscheint mir der Terminus der »Perichorese« (auch attributiv gebraucht) außerhalb der Christologie und Trinitätslehre als irreführend und ich schlage daher vor, ihn zu vermeiden. Vgl. R. Götz, Aufgehen in die Communio des dreieinigen Gottes, 278 ff., bes. 279, Fn. 3. 94 Von daher ist es umgekehrt widersinnig, von Gott als Subjekt des Betens zu sprechen. Gott kann nicht »beten«. Diese Redeweise wäre auch und gerade innertrinitarisch unmöglich, weil – wie angesichts dieses Gedankens noch deutlicher hervortritt – Gebet stets ein Verhältnis der Ungleichheit bzw. Geschöpflichkeit voraussetzt. Als Subjekt des Betens kommen insofern alle »personale Wesen« in Frage – mit der Ausnahme Gottes selbst. Vgl. W. Härle, Den Mantel weit ausbreiten, 291 f.; vgl. auch F. Ulrich, Gebet als geschöpflicher Grundakt. 91 92

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heit. Sie »beinhaltet«, sofern sie menschlich-endliche Freiheit begründet, nicht weniger, sondern unendlich mehr als diese. Dasselbe gilt für die Personalität. Die Anwendung des Personbegriffs auf Gott erweist sich nicht deswegen als so schwierig, weil Gott unpersönlich ist, sondern weil er als die unvorstellbar beziehungsfähige Person gedacht werden müsste. Wie sonst sollte er den Menschen – nicht zuletzt im Ereignis des Gebetes – in seinem Personsein begründen und fördern. »Nur ein Gott, der selbst Person ist (oder zumindest: nicht weniger als eine Person) könnte als Letztgrund für menschliche Personalität aufkommen.« 95 Von Paul Tillich stammt das Wort: »Den Menschen kann nichts unbedingt angehen, was nicht personhaft ist.« 96 Diese Konkretisierung seines berühmten Religionsbegriffs (»… was den Menschen unbedingt angeht«) könnte für den anstehenden Klärungsbedarf hinsichtlich der Personalität Gottes hilfreich sein. Tillich nämlich hat die Bedeutung eines personalen Gottesbegriffs hervorgehoben und gleichzeitig eindringlich davor gewarnt, dieses Personsein als ein »Sein« neben anderem zu verstehen, das sich in einem Subjekt-Objekt-Verhältnis fassen ließe. Genau dazu mahnt seine den klassischen Theismus transzendierende Rede vom »Gott über Gott«. 97 Im Sprechakt der Anrede Gottes, der von der Personalität des Adressaten ausgehen muss, kommt – und hier könnte Schaeffler von Tillich lernen – ein zusätzliches Paradoxon hinzu. Beten heißt, so Tillich,

95 M. Moxter, Über den Grund unseres Glaubens an Personalität, 80. Dieselbe Argumentation führt Jürgen Werbick mit christologischer Begründung: »Gottes Dasein in der Welt hat personale Qualität: die Qualität des Mitmenschlichen. Gott widerfährt und offenbart sich den Menschen in einem mitmenschlichen, geschichtlichen Gegenüber, in Jesus von Nazaret. So kann Gott auch als er selbst – ›in sich selbst‹ – keine apersonale Wirklichkeit sein.« J. Werbick, Gott verbindlich, 591. 96 P. Tillich, Systematische Theologie 1, Stuttgart 31956, 283. Den Hinweis auf Tillich verdanke ich dem Aufsatz von Jürgen Werbick, Hört Gott?, 9. Seinen Vorschlag, in dieser Thematik das Gespräch mit Tillich zu suchen, möchte ich hier aufgreifen. 97 Vgl. P. Tillich, Der Mut zum Sein, Hamburg 1965, 180–188. Vgl. auch Ders., Das Paradox des Gebets, in: Ders., Das neue Sein, Stuttgart 21959, 128–131. Vgl. zu Tillichs Gebetslehre: W. Schüßler, Das Paradox des Gebetes. Zu Paul Tillichs theonomer Gebetslehre, in: ThPh 68 (1993), 242–246; Ders., Das Gebet – zwischen Konkretheit und Unbedingtheit Gottes, in: Johannes Brantl – u. a.: Das Gebet – »die Intimität der Transzendenz«, Würzburg 2014, 11–50, hier 30–39; vgl. auch den Sammelband zu Tillich: Ders. – A. J. Reimer (Hg.), Das Gebet als Grundakt des Glaubens, Münster 2004.

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»zu jemandem zu sprechen, mit dem man nicht sprechen kann, weil er nicht ›jemand‹ ist; jemanden fragen, von dem man nichts erfragen kann, weil er gibt oder nicht gibt, bevor man ihn fragt; ›Du‹ zu sagen zu jemandem, der dem Ich näher ist als das Ich sich selbst. Jedes dieser Paradoxe treibt das religiöse Bewußtsein zu einem Gott über dem Gott des Theismus.« 98

»Über den Theismus hinaus«. Dies darf allerdings nicht heißen: hinter den Theismus zurück, oder hinein in einen Pantheismus, der so von der »Überpersönlichkeit« Gottes spricht, dass dieser aller personaler Eigenschaften beraubt wird und eher unter-persönlich genannt zu werden verdiente. Nur im Beharren auf dem entscheidenden »Mehr« und nicht »Weniger« göttlichen Personseins kann Tillich schließlich sagen: »Das Sein Gottes ist ›überpersönlich‹. Aber ›überpersönlich‹ ist nicht ›unpersönlich‹ […].« 99 Der notwendige Nachsatz dient der Abgrenzung von einer mystischen und pantheistischen Fehlinterpretation seines allzu leicht missverstandenen Rufes nach dem »Gott über Gott«. 100 In Tillichs Versuch, den Theismus zu transzendieren, liegt ein wertvoller Hinweis. Gottes Personsein bezeichnet »mehr« als unser menschliches Personsein, da es dessen Ermöglichungsgrund ist. Die theistische Gottesrede wird im Kontext des Gebetes zu Recht kritisiert, wenn Gott zu einem schlicht anderen »Du« nach dem Vorbild menschlicher Du-Beziehungen gemacht wird. Das Insistieren auf dem »semper maior« göttlicher Personalität, das im Übrigen mit Schaefflers Wahrheits- und Gottesbegriff korrespondiert, darf als ein kaum zu überschätzender Verdienst für diesen Diskurs betrachtet werden. Tillichs Äußerungen werden gleichwohl an vielen Stellen wiederum prekär, wenn er die von ihm selbst geforderte Minimalbestimmung de facto aufgibt und die »Überpersönlichkeit« Gottes so sehr betont, dass er von seinem Personsein im eigentlichen Sinn absieht. 101 Letztlich ist es Tillichs berechtigte Befürchtung, Gott zum »Objekt« zu machen, die ihn schließlich davon abhält, uneingeschränkt von ihm als Person zu sprechen. Stattdessen schlägt er den

P. Tillich, Der Mut zum Sein, 185. Ders., Systematische Theologie 2, Stuttgart 31958, 18. 100 Vgl. ebd., 18 f. 101 Vgl. Ders., Systematische Theologie 1, 283: »›Persönlicher Gott‹ bedeutet nicht, daß Gott eine Person ist. Es bedeutet, daß Gott der Grund alles Personhaften ist und in sich die ontologische Macht des Personhaften trägt. Er ist nicht eine Person, aber ist auch nicht weniger als eine Person.« 98 99

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Weg des »absoluten Glaubens« ein, der die Vorstellung konkreter göttlich-menschlicher Beziehung »transzendieren« müsse. 102 Die am Ende also doch zweideutige Affirmation der Personalität Gottes bei Tillich lässt den Blick auf eine andere religionsphilosophische Strömung lenken, die im Bewusstsein der genannten Schwierigkeiten dennoch ausdrücklich an der Personalität Gottes festhält: Die Rede ist vom »Dialogischen Personalismus«. Nach Martin Buber 103 ist Gott sogar die »absolute Person« zu nennen, denn er allein ist jenes »Du«, »das seinem Wesen nach nicht Es werden kann«. 104 Gott wird nicht durch die Anrede zum »Du« gemacht, sondern er existiert immer schon als »Du«. Er wird auch dann nicht zum »Es« degradiert, wenn Menschen ihn »be-reden«, statt ihn anzurufen. 105 Das »Ich« des Vgl. Ders., Mut zum Sein, 176 f.: »Der absolute Glaube transzendiert auch die göttlich-menschliche Begegnung. In dieser Begegnung ist das Subjekt-ObjektSchema gültig: ein bestimmtes Subjekt (der Mensch) begegnet einem bestimmten Objekt (Gott). Man kann diese Feststellung umkehren und sagen, daß ein bestimmtes Subjekt (Gott) einem bestimmten Objekt (dem Menschen) begegnet. Aber in beiden Fällen unterhöhlt der Zweifel die Subjekt-Objekt-Struktur. Die Theologen, die so stark und selbstsicher von der göttlich-menschlichen Begegnung sprechen, sollten sich einer Situation bewußt sein, in der diese Begegnung durch den radikalen Zweifel verhindert wird, und in der nichts übrigbleibt als absoluter Glaube.« 103 Die Wahl fällt hier auf Buber, da sein Denken für die zu behandelnde Fragestellung leichter zugänglich ist als etwa das Werk Rosenzweigs oder Ebners. Es sei eingeräumt, dass u. U. die Auseinandersetzung mit Rosenzweigs »Neuen Denken« noch gewinnbringender wäre, insofern Rosenzweig stärker geschichtlich denkt und neben dem Dialog von »Ich und Du« auch die Momente von Welt und Geschichte (Schöpfung, Offenbarung, Erlösung) einbezieht. Dies mag auch der Grund dafür sein, weshalb sich Schaeffler mehr auf Rosenzweig als auf Buber bezieht. Die interessanten Vergleiche zwischen den genannten Dialogphilosophen können hier nicht weiter berücksichtigt werden. Vgl. dazu B. Casper, Das dialogische Denken; Ders., Franz Rosenzweigs Kritik an Bubers »Ich und Du«, in: Ders., Religion der Erfahrung, Paderborn 2004, 101– 116. 104 M. Buber, Ich und Du, in: Ders., Das dialogische Prinzip, Heidelberg 51984, 5–136, hier 76; vgl. ebd., 101, 113. Dabei ist zu bedenken, dass »Person« nach Buber das »Ich« einer »Ich-Du-Beziehung« ist, während er das »Ich« einer »Ich-Es-Beziehung« als »Eigenwesen« bezeichnet (vgl. ebd., 65–68). Vgl. zu Gott als »absoluter Person« bzw. zum »ewigen Du Gottes« v. a. den dritten Teil von »Ich und Du« (ebd., 76–121) sowie das Ende des Nachwortes (ebd., 133–136). Vgl. auch die einschlägigen Arbeiten: M. Theunissen, Der Andere, Berlin 1965, 330–346; sowie M. Leiner, Gottes Gegenwart, Gütersloh 2000, 193–214, bes. 193 f.; vgl. kritisch gegenüber Bubers Rede vom ewigen Du Gottes als Person: M. Siegfried, Abkehr vom Subjekt, Freiburg i. Br. 2010, 348–352. 105 Vgl. M. Theunissen, Der Andere, 339 f. Buber konstatiert, dass wir Menschen zwar genötigt sind, das ewige Du »in die Eswelt und Esrede zu ziehen« (vgl. M. Bu102

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Menschen kann umgekehrt dem »ewigen Du« als Person entgegentreten, ja an ihm Person erst werden, wenn er in den ursprünglichen Akt der Beziehung eintritt, der »das lebendige Gebet, das unmittelbare Dusagen« 106 ist. Bubers Rede von Gottes absoluter Personalität geschieht nicht leichtfertig. Er zeigt ein außerordentliches Problembewusstsein und hat im Grunde dieselben »Skrupel« wie Tillich. 107 Auch er will Gott nur in analoger, genauer »übergegensätzlicher« 108 Weise Person nennen. Im Folgenden soll von dieser Höchstbestimmung der Personalität Gottes als »absoluter Person« ausgegangen werden, ohne die genannten Bedenken und die semantischen Äquivozitäten zu übergehen. Im Gespräch mit verschiedenen theologischen Positionen und nicht zuletzt unter Rückgriff auf den Personbegriff Schaefflers sollen abschließend drei Thesen zur Rede von der Personalität Gottes im Kontext des Gebetsaktes entwickelt werden. (1) Eine offenbar weithin akzeptierte Definition versteht Personsein als »In-Beziehung-Sein«. Entgegen der Befürchtung Spinozas bedeutet für Buber Gottes »Relationalität« aber keine »Relativität«, also keine Einschränkung göttlicher Vollkommenheit. Personsein als Beziehungskategorie – mit Schaeffler gesprochen als »Selbstfindung durch Selbsthingabe« – erscheint in Bezug auf Gott also nicht notwendigerweise prekär. 109 »Absolute Personalität« meint gerade die paradoxe Überwindung jener Erfahrung, dass »Eigenständigkeit […] durch die Pluralität anderer Eigenständigkeiten relativiert werde« 110. Gott aber, so Buber, muss in der Beziehung zum Menschen »zugleich exklusiv und inklusiv« 111 gedacht werden. Allein Gott ist fähig, auf exklusive Weise in Beziehung zu einem Menschen zu treten, ohne ber, Ich und Du, 101, 114). Doch im Gegensatz zu allen anderen Du-Beziehungen, die immer in der Ambivalenz zwischen »Aktualität« und »Latenz« stehen, also immer wieder in der Objektivierung des »Es« verloren gehen, ist in der Beziehung zu Gott »die Latenz nur das Atemholen der Aktualität, darin das Du präsent bleibt«. Vgl. ebd., 101. 106 Ebd., 115. 107 Vgl. B. Casper, Das dialogische Denken, 298 f.; vgl. bes. M. Buber, Ich und Du, 133–135; Ders., Gottesfinsternis, in: Werke, Bd. 1, München 1962, 503–603, hier 575 ff. 108 Vgl. Ders., Ich und Du, 133: »Denn unsere Beziehung zu ihm [Gott; S. W.] ist so übergegensätzlich wie sie ist, weil er so übergegensätzlich ist wie er ist.« 109 Vgl. zu diesem Einwand: R. Schaeffler, PhE III, 304 f. 110 M. Buber, Ich und Du, 135. 111 Ebd., 133.

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sich darin in dem Sinne zu »verausgaben«, dass seine Zuwendung nicht allen anderen Menschen ebenso exklusiv gelten würde. Der Mensch – dies ist die ebenso wichtige Kehrseite –, der auf Gottes Zuwendung antwortet, »braucht sich daher von keiner andern Ich-DuBeziehung abzuwenden« 112. Buber schreibt weiter: »Man muß sich überhaupt davor hüten, das Gespräch mit Gott […] als etwas lediglich neben oder über dem Alltag sich Begebendes zu verstehen.« 113 Nichts anderes bewegt wohl auch Tillich zu seiner Auffassung von Gott als »das absolute Individuum« und als »der absolut Partizipierende« zugleich. 114 Die Beiträge Bubers und Tillichs sollten in dieser Diskussion unbedingt Beachtung findet, damit von Gottes Personsein nicht zu statisch und gegen-ständlich gedacht wird. Die christliche Trinitätslehre war immer darum bemüht, diese Spannung von Exklusivität und Inklusivität in der Gottesbeziehung aufrecht zu halten und sich vor falschen Einseitigkeiten zu hüten, 115 indem sie dieses Verhältnis – wie etwa Augustinus – in der Struktur des »In-Über« beschreibt: 116 als die menschlich zuinnerst innige (»interior intimus«) Präsenz des Höchsten in der Gott-Person des Heiligen Geistes. Er ist die »personalisierende Person-Wirklichkeit« Gottes. 117 Diese »innere Präsenz« Gottes darf als Person verstanden werden; als die – mit den Worten Jürgen Werbicks gesprochen – Ebd., 135. Ebd.; vgl. auch ebd., 101: »Jede wirkliche Beziehung in der Welt ist ausschließlich; das Andere bricht in sie ein und rächt seine Ausschließung. Einzig in der Beziehung zu Gott sind unbedingte Ausschließlichkeit und unbedingte Einschließlichkeit eins, darin das All begriffen ist.« Aus diesem Grund interpretiert Theunissen, dass es strenggenommen zu Gott überhaupt keine Beziehung geben dürfe – keine Beziehung neben anderen Beziehungen, sondern nur in ihnen. Vgl. M. Theunissen, Der Andere, 333 f. Buber ist sich dieses Einwandes bewusst, was ihn jedoch – ähnlich wie beim Personbegriff – nicht dazu veranlasst, die Beziehungskategorie zu vermeiden, sondern vielmehr zu überhöhen und von der Beziehung zu Gott als der »vollkommenen« oder der »reinen Beziehung« zu sprechen. Vgl. M. Buber, Ich und Du, 101 f., 115. 114 Vgl. P. Tillich, Systematische Theologie 1, 283; vgl. grundlegend dazu ebd., 206– 210. 115 Theologisch wird man in dieser Diskussion immer wieder auf die Trinitätslehre zurückkommen. Vgl. J. Werbick, Hört Gott?, 7: »Gott der dreieine: Das ist die christliche Antwort auf die Frage nach Gottes Personalität oder Überpersonalität.« 116 Vgl. Augustinus, Bekenntnisse, III, 6: »Tu autem eras interior intimo meo et superior summo meo« – »Du aber warst noch innerer als mein Innerstes und höher noch als mein Höchstes«. 117 Vgl. J. Werbick, Gott verbindlich, 596–603; vgl. hier v. a. die Begründung der »Personalität« des Hl. Geistes. 112 113

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»kommunikative Präsenz Gottes in mir«, als die durchaus personale Erfahrung des »mich zuinnerst Ergreifenden, Verwandelnden und in Freiheit Setzenden« 118. (2) Damit liegt ein weiterer Hinweis auf der Hand: Gott ist für den Menschen, zumal für den Betenden, nicht nur das unerreichbar »höchstpersönliche« Gegenüber, sondern (für Christen in der Person des Heiligen Geistes) auch der Grund des eigenen Personseins. Umgekehrt können Menschen nicht von Gottes Personalität sprechen, ohne den Bezug zur eigenen Person-Identität mitzubedenken. 119 Personalität Gottes darf daher nicht abstrakt und unabhängig von Gottes Beziehung zum Menschen und unabhängig von der menschlichen Person-werdung thematisiert werden. Wenn für Buber zwischenmenschlich gilt: »Der Mensch wird am Du zum Ich« 120, dann trifft dies erst recht für die Korrelation mit der »absoluten« Person zu. Gegen Spinoza, der nur die Gottesattribute der »Geisthaftigkeit« und der »Naturhaftigkeit« kennt, stellt Buber die »Personhaftigkeit« Gottes heraus und behauptet, dass »von diesem Attribut […] mein und aller Menschen Personsein« 121 stamme. Auch Romano Guardini spricht wie Buber von der »absoluten Personalität« Gottes und drückt die personale Beziehung Gottes zum Menschen schlicht so aus: »Mein Ich-Sein besteht […] wesenhaft darin, daß Gott mein Du ist.« 122 Dies wertet die Qualität mitmenschlicher Du-Beziehungen Ebd., 599. Wertvolle Hinweise bezüglich des dialogisch-personalen Verständnisses des christlichen Betens verdanke ich: U. Willers, Beten – Testfall des Glaubens, in: B. J. Hilberath (Hg.), Erfahrung des Absoluten – absolute Erfahrung? Düsseldorf 1990, 163–187, bes. 177–184; Ders., Beten als unzeitgemäße Zumutung?, in: Ders. (Hg.), Beten, Tübingen – Basel 2000, 45–74; P. Ebenbauer, Mehr als ein Gespräch. Zur Dialogik von Gebet und Offenbarung in jüdischer und christlicher Liturgie, Paderborn 2010, bes. 119–130. 120 M. Buber, Ich und Du, 32. 121 Ebd., 134. 122 R. Guardini, Welt und Person, Würzburg 1939, 163. Vgl. ebd., 164: »Gott ist das schlechthinnige Du des Menschen. Darin, daß es so ist, besteht die geschaffene Personalität.« Die Abschnitte »Der personale Bezug« (ebd., 150–162) und »Die Person und Gott« (ebd., 163–185) weisen erstaunliche Parallelen zu Buber und anderen Vertretern des dialogischen Personalismus auf. Guardini weitet allerdings die »Ich-DuKonstellation« zwischen Gott und Mensch in trinitarischer Hinsicht aus. So erkennt er Christus als das »entgegentretende Gottes-Du«, welches »das Ich des Menschen in sich zieht, bzw. selbst in dieses eingeht« (ebd., 180). Der Heilige Geist wiederum »ist es, der den Menschen in die Innigkeit der personalen Relation bringt. Er fügt ihn in Christus ein und ruft ihn so zu seinem eigentlichen Ich-Sein« (ebd., 184). 118 119

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keineswegs ab und macht sie nicht obsolet. Gott ist das »ewige Du« des Menschen. Das heißt auch: Er ist das »Du«, in dem und auf das hin alle zwischenmenschlichen Du-Beziehungen zur Vollendung kommen – wie Buber sagt: »Die verlängerten Linien der [zwischenmenschlichen; S. W.] Beziehungen schneiden sich im ewigen Du. Jedes geeinzelte Du ist ein Durchblick zu ihm.« 123 Auch Schaeffler hat diese doppelte Betrachtungsebene der Personalität geöffnet und im Rahmen seiner Freiheitsanalyse davon gesprochen, dass die »dialogische Natur« 124 des Menschen auf den dialogischen Charakter seiner Beziehung mit Gott (als Doxo-logia) zurückzuführen sei. Das (kontingente) Dialogangebot Gottes an den Menschen entspringt dabei Gottes »wesensnotwendigem Dialog ›nach innen‹« 125. Was Schaeffler hinsichtlich der Freiheit des Menschen beschreibt, darf auch auf dessen Personsein ausgedehnt werden. Wäre es dann nicht naheliegend oder zumindest erlaubt, die transzendentale Reflexion über die Subjektkonstitution im Gebet mit diesem Bedingungsverhältnis der Freiheit zu verbinden und zu sagen: In der Korrelation mit dem Gott, der sich in der Geschichte Israels und erst recht im Christusereignis immer wieder als ein Gott mit »personalem Antlitz« gezeigt hat, wird die personale Natur des Menschen »angesprochen«, ausgebildet und konstituiert? 126 Für diese Interpretation spricht jedenfalls auch die von Cohen übernommene Interpretation des »Sch’ma Israel« (Dtn 6,4 f.) in Schaefflers Gebetslehre. 127 In der ungeteilten Liebe zu Gott und in der Einheit des Herzens (»Jichud ha-Lev«) gelangt der Beter zur Ganzheit und Einheit seiner »Person«, wie Schaeffler hier »‫ « ֶנֶפשׁ‬bewusst übersetzt. 128

123 M. Buber, Ich und Du, 76; vgl. Ders., Zwiesprache, in: Ders., Das dialogische Prinzip, Heidelberg 51984, 137–196, hier 160: »Wer mit den Menschen reden will, ohne mit Gott zu reden, dessen Wort vollendet sich nicht; aber wer mit Gott reden will, ohne mit den Menschen zu reden, dessen Wort geht in die Irre.« 124 R. Schaeffler, PhE III, 369. In dieser Passage finden sich meines Erachtens die weitreichendsten anthropologischen Aussagen in Schaefflers Werk; vgl. oben Kap. 9.2. 125 Ebd., 367. 126 In der hauptsächlichen Abfassungszeit seiner sprachphilosophischen Beiträge zum Gebet spielte der »Personbegriff« bei Schaeffler, wie gesagt, keine explizite Rolle. In einem persönlichen Gespräch signalisierte Schaeffler mir gegenüber, dass er die Rede von der »Personwerdung« des Menschen im Gebet keineswegs für abwegig hält. 127 Vgl. H. Cohen, RV, 457; R. Schaeffler, Die Vernunft und das Wort, 66 f.; Ders., Gebet im Judentum, 91 f. Vgl. Kap. 3.1.2 u. 4.3.2. 128 Vgl. Ders., GuA, 56 f.; vgl. Ders., Gebet im Judentum, 91: »Nur in der Beziehung

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(3) Eine dritte These ergibt sich aus einigen kritischen Rückfragen: Von welchem Standpunkt aus können wir solche Aussagen über die Personalität Gottes treffen? Und weiter: Wo können wir diese »erfahren«? »Heißt das«, so treibt Buber die Frage schließlich zur Entscheidung, »daß Gott Person ›ist‹ ?« 129 Er antwortet: »Der Absolutheitscharakter seiner Person, die Paradoxie der Paradoxien, verbietet solch eine Aussage. Es heißt nur, daß er als Person liebt und als Person geliebt werden will. Und wäre es nicht anders, so ist er, als er den Menschen schuf, Person geworden um ihn zu lieben und von ihm geliebt zu werden, um mich zu lieben und von mir geliebt zu werden. Denn mag es so sein, daß auch Ideen geliebt werden: nur Personen lieben.« 130

Hier taucht in ganz neuem Licht eine schon bekannte Vermutung wieder auf. Ist Gott nur im Gebet Person und nur für den Menschen »personal« erfahrbar? 131 Wer sollte dies – so muss die nochmalige Gegenfrage lauten – von einem objektiven Standpunkt aus beantworten können? Wir können nur so viel sagen: Menschen erfahren Gott – nicht zuletzt im Gebet – auf kaum zu erhoffende Weise als die Erfüllung ihrer Sehnsucht nach einem liebenden Du. Weil dies so ist, müssen sie sich den Verdacht gefallen lassen, dass Gott hier »personalisiert« werde. Im Recht ist dieser Verdacht deshalb noch nicht. Auf der Ebene der Begriffe wird man weder abschließend beweisen noch widerlegen können, ob das theologisch sehr komplexe Attribut der »Personalität« auf Gott anzuwenden ist oder nicht. 132 Dies weiß auch Buber: »Innerhalb der religiösen Beziehung und in ihrer Sprache ist es legitim, von der Person Gottes zu sprechen; aber damit ist nicht eine Wesensaussage über das Absolute getan, die es auf die Personhaftigkeit reduzierte, sondern

zum einen Gott findet der Mensch in der Vielfalt seiner Lebenssituation zur Einheit seiner eigenen Person.« 129 M. Buber, Gottesfinsternis, 548. 130 Ebd. 131 Vgl. die Notizen zu Jaspers und Frankl in Kap. 9.1. 132 Buber meint, die Aussage des Personseins Gottes sei einerseits »unentbehrlich«, wenn Gott mehr als nur ein »Prinzip« ist, andererseits als Begriff »freilich völlig außerstande, das Wesen Gottes zu deklarieren«. Vgl. M. Buber, Ich und Du, 134. Man beachte die Übereinstimmung mit Schaeffler, der über den moralischen Personbegriff – wie oben dargelegt – sagt, dieser sei »ebenso unentbehrlich wie unzulänglich«. Vgl. R. Schaeffler, PhE III, 306.

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es ist gesagt, daß es in die Beziehung als die absolute Person eintrete, die wir Gott nennen […].« 133

Die beiden im Zitat genannten Kontexte – religiöse Beziehung und religiöse Sprache – sind nicht neu. Was Buber hier in einfachen Worten vorbringt, ist im Grunde nichts anderes als der von Schaeffler eingehend begründete Primat des religiösen Aktes und der religiösen Sprache hinsichtlich der Gottesrede. 134 Dies ist keine Flucht in den Fideismus und macht die in diesem Kapitel zusammengetragenen Vernunftargumente keineswegs überflüssig. Es besagt schlicht: Außerhalb des Gebetsaktes, außerhalb des Hörens und Erzählens seiner Heilstaten und außerhalb der Erfahrung seiner sakramentalen Gegenwartsweisen kann im Letzten und Tiefsten nicht erfasst werden, was die Rede von Personalität hier meint, weil Gottes Personsein sich allein im personalen Akt des Rufens, Bittens, Dankens eröffnet und hier – wie Schaeffler phänomenologisch formuliert – »originär gegeben« ist. 135 Das Gebet impliziert die Vorstellung eines personalen Gottes – aber was der personale Gott ist, das kann nur im Gebet erfahren werden. Zusammengefasst: (1) Personsein Gottes muss »mehr« und nicht »weniger« beinhalten als die Vorstellung von menschlicher Personalität. Es ist Zeichen seiner (dreifaltigen) Beziehungsmächtigkeit, nicht einer ontologischen Schwäche. (2) Gott als Person muss immer im Zusammenhang mit menschlichem Personsein betrachtet werden, als dessen Innengrund er wirkt. (3) Der Ort, wo Gottes Personalität für den Menschen zugänglich und erfahrbar wird, ist nicht die theoretische Reflexion, sondern die Ich-Du-Beziehung des Gebetes. Diese drei Thesen gilt es festzuhalten. Über sie hinaus gelangt die Vernunft allenfalls im Modus der Doxologie. Dies zu behaupten, bedeutet keine »reductio in mysterium«, sondern vielmehr eine Rückkehr »ad fontes« – die Rückkehr zu dem Ort, wo die theologischen Spekulationen über Gottes dreifaltiges Personsein ihren Anfang genommen haben: im Lobpreis Gottes in der Liturgie. 136 Die Reflexion kann nicht das M. Buber, Gottesfinsternis 576. Vgl. Kap. 7. 135 Auch Casper interpretiert Buber so: »Denn es ist mir – auch in der paradoxen Weise der Rede von der ›absoluten Person‹ – nur in der Begegnung und dank ihrer erlaubt, von Gott als Person zu sprechen. Das heißt aber: darüber, was Gott in sich außerhalb der Begegnung mit dem Menschen ›ist‹, ist jede Rede unmöglich.« B. Casper, Das dialogische Denken, 299. 136 Vgl. J. Werbick, Trinitätslehre, 491 f.; Ders., Gott verbindlich, 600. 133 134

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erste sein; der Gebetsakt und die darin implizierte Vorstellung der Personalität Gottes lassen sich nicht in eine reine Begrifflichkeit überführen, weil Gott, wie Buber übereinstimmend mit Schaeffler sagt, »rechtmäßig nur angesprochen, nicht ausgesagt werden kann« 137. Genau dies will auch Karl Rahner in seinem kurzen Abschnitt »Über das Personsein Gottes« im »Grundkurs des Glaubens« zum Ausdruck bringen. Rahner, der dem Verdacht intellektueller Unredlichkeit mit Sicherheit enthoben ist, mahnt, man dürfe all diese Überlegungen zum Begriff der Personalität Gottes »nicht noch einmal zum Götzen machen und sich von vornherein weigern, ihn füllen zu lassen durch die personale Erfahrung im Gebet, in der personalen individuellen Geschichte, in der uns Gott nahekommt, in der christlichen Offenbarungsgeschichte. Von daher ist eine gewisse religiöse Naivität, die die Personalität Gottes fast in einem kategorialen Sinn versteht, doch wiederum auch gerechtfertigt.« 138

Diejenigen Beter aber, die sich der Anstrengung einer begrifflichen Reflexion nicht entziehen wollen, und die Theologen, deren Auftrag genau darin besteht, werden alles dafür tun, gute Gründe zu finden für eine »verantwortete Naivität« hinsichtlich der Rede von der Personalität Gottes, die nicht zu fassen – aber auch nicht zu lassen ist.

M. Buber, Ich und Du, 82; vgl. M. Theunissen, Der Andere, 331. K. Rahner, Grundkurs des Glaubens, in: Ders., SW Bd. 26, Freiburg i. Br. 1999, 76. Interessanterweise kommt Rahner am Ende seines berühmten Gebetsaufsatzes »Zwiegespräch mit Gott« ebenfalls auf die Naivität zu sprechen: »Nach einem Durchgang durch solche Reflexionen und Ernüchterungen darf er [der Gläubige, S. W.] in einer Art neuer Naivität das Gebet als Zwiesprache mit Gott erleben, weil es in Wahrheit eine solche ist.« Ders., Gebet – Zwiegespräch mit Gott?, in: SW Bd. 23, Freiburg i. Br. 2006, 216–224, hier 224. 137 138

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10 Epilog: »Beten denken« zwischen transzendentalem und dialogischem Paradigma

10.1 Die Alternative? Das Gebet im »neuen Denken« Eignet sich das transzendentale Denken als philosophische Basis für die Reflexion über das christliche Gebetsverständnis? Diese methodologische Grundsatzfrage begleitete – meist implizit – die verschiedenen Teiluntersuchungen zu Schaefflers Gebetslehre. Etwas kritischer gefragt: Wie viel Vertrauen verdient der Denkansatz Schaefflers, der so unverkennbar auf dem Fundament der kantischen Philosophie steht, bei der Beschreibung spezifisch religiöser Akte? Es ist nicht der Ort, um auf Kants Gebetslehre zurückzukommen, in der Gebet – einmal zugespitzt formuliert – auf eine Form sittlicher Selbststimulation reduziert wird. 1 Die angedeuteten Bedenken zielen ohnehin nicht auf Kants Religionsschrift, sondern betreffen bereits seine theoretische Vernunftkritik, vor allem die Prädominanz des Vernunftsubjektes, das die Möglichkeit der göttlichen Offenbarung und erst recht eines »Dialoges mit Gott« prinzipiell auszuschließen scheint. Wie ist mit diesem kantischen Erbe in der modernen Religionsphilosophie und Theologie umzugehen? Schaeffler selbst konstatiert, dass »die neuzeitliche Transzendentalphilosophie wesentlich Subjektivitätstheorie gewesen« 2 sei. Als solche steht sie im Ruf, alles – auch die Gottesfrage – von der sicher geglaubten Bastion des transzendentalen »Ich« her zu beurteilen. Einige idealismuskritische Philosophen des 20. Jahrhunderts haben dagegen Einspruch erhoben: »Herrschaftswissen des Subjekts«, »Diktatur der Intentionalität«, »Zwang zur Vereinheitlichung«, »Verabsolutierung der Begriffe« – so lauten einige der Schlagworte, die dem transzen1 Vgl. I. Kant, Rel, B 302–308. In Kap. 4.3.2, Fn. 250 wurde auf die gebetstheologische Herausforderung dieser berühmten »Anmerkung« Kants eingegangen. Vgl. auch die dort angegebene Sekundärliteratur. 2 R. Schaeffler, »Freiheit, die frei macht«, 73.

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dentalen Denken entgegengehalten werden. 3 Daher umso lauter die Rückfrage an Schaeffler: Wie sehr begründet – oder behindert – ein transzendentaler Ansatz in der Religionsphilosophie ein dialogischpersonales Verständnis von Gebet? Und wäre es nicht naheliegender, sich auf der Suche nach einer religionsphilosophischen Gebetslehre jenem Gegenentwurf zuzuwenden, der seinen Ursprungsimpuls aus der eben vorgebrachten Kritik gewinnt: dem sogenannten »neuen Denken«, das schon in seiner geläufigen Bezeichnung als »Dialogischer Personalismus« genau das verspricht, worum in der christlichen Gebetslehre stets gerungen wird? 4 Diese Begründungsfrage (»transzendentales vs. dialogisches Denken«) entzündete sich in den vorangegangenen Studien an verschiedenen Stellen, exemplarisch an Schaefflers Rekurs auf Hermann Cohen und der rezeptionsgeschichtlich immer noch offenen Frage, inwieweit Cohen, der »Entdecker des Du« 5 und Wegbereiter des »neuen Denkens«, sich vom transzendentalen System- und Einheitsdenken tatsächlich abgewandt habe oder nicht. 6 Schon dort wurde deutlich, dass die von Cohen maßgeblich inspirierte Gebetslehre Schaefflers inmitten der Debatte um zwei (scheinbar unvereinbare) Denkrichtungen steht. Beispielhaft greifbar wird der Richtungsstreit zwischen »altem« und »neuem Denken« in einer kurzen, aber sehr aufschlussreichen Auseinandersetzung zwischen Schaeffler und dem Freiburger Religionsphilosophen Bernhard Welte im Jahr 1979/80. 7 Nachdem Schaeffler die gerade erschienene »Religionsphilosophie« Weltes anhand von fünf kritischen Rückfragen rezensiert hat, 8 erwidert Welte Vgl. Kap. 2.4.2. Schaeffler bringt vor allem Max Müller, Emmanuel Lévinas und Jean-François Lyotard ins Spiel. 4 Auch der fruchtbare Rekurs auf Martin Buber in der Diskssion um die Personalität Gottes sollte ein Anstoß sein, das »neue Denken« als Alternative (oder Erweiterung) zu Schaefflers Ansatz einmal näher in den Blick zu nehmen. Vgl. Kap. 9.3. 5 Vgl. J. Heinrichs, Art. »Dialogik«. I. Philosophisch, in: TRE, Bd. 8, Berlin – New York 1981, 697–703: »Die neue Sicht des Du [kommt; S. W.] erstmals mit H. Cohens Religion der Vernunft aus den Quellen des Judentums zum Durchbruch.« Ebd., 698. 6 Vgl. ausführlich in Kap. 3.1.4: »Abkehr vom Idealismus? Eine Streitfrage der Cohen-Forschung.« Vgl. R. Schaeffler, Die Vernunft und das Wort; H.-L. Ollig, Die Aktualität von Cohens später Religionsphilosophie. 7 Da Welte – 20 Jahre älter als Schaeffler – bereits 1983 verstarb, blieb dies leider die einzige öffentliche Auseinandersetzung zwischen diesen beiden großen Religionsphilosophen. 8 R. Schaeffler, Sinnforderung und Gottesglaube, Rez. Bernhard Welte, Religionsphilosophie, in: PhJ 86 (1979), 201–209. 3

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mit einer Replik, die den bezeichnenden Titel trägt: »Über zwei Weisen des philosophischen Denkens und deren Folge für die Religionsphilosophie.« 9 Erst ganz am Ende geht Welte direkt auf die Anmerkungen Schaefflers ein. Davor steht ein breit angelegter Gang durch die Philosophiegeschichte mit dem einzigen Ziel, die Neuheit des dialogischen Denkens 10 gegenüber dem »alten Denken« der Metaphysik und der Subjektzentrierung herauszuarbeiten. Die »grundsätzlich neue Weise des Denkens« 11, so Welte, kehrt jene wegweisende Grundentscheidung des abendländischen Denkens um, die Aristoteles getroffen hatte, als er die Substanzkategorie an den Beginn der Kategorientafel, die Relation jedoch an die letzte Stelle gesetzt hat. 12 Erst durch die Hinwendung zur Sprache wächst im »neuen Denken« die Einsicht, dass nicht die Substanz und nicht das »Ich denke«, sondern »die Beziehung die Grundlage für alles« 13 ist. 14 Welchen Gewinn verspricht das dialogische Denken für eine religionsphilosophische Gebetslehre? Für einen Vergleich zu Schaeffler legt sich ein Seitenblick auf Weltes Schüler Bernhard Casper 15 nahe. Dieser hat eine Monographie mit dem Titel »Das Ereignis des Betens« vorgelegt, die nach eigenen Angaben in großer Nähe zu Rosenzweig und Lévinas entwickelt wurde: 16 B. Welte, Über zwei Weisen des philosophischen Denkens und deren Folge für die Religionsphilosophie, in: Ders., GS Bd. III/3, 99–117 [ursp. erschienen in: PhJ 87 (1980), 1–15]. Vgl. zu dieser Debatte auch: H.-J. Görtz, Zur Sinnlogik und Denkwürdigkeit religiöser Vollzüge, in: M. Enders – H. Zaborowski (Hg.), Phänomenologie der Religion, Freiburg i. Br. – München 2004, 403–424, bes. 405 f. 10 Beginnend mit Husserl erkennt Welte die neue Denkbewegung einerseits bei Heidegger, andererseits bei Rosenzweig, Buber u. a. Vgl. B. Welte, Über zwei Weisen des philosophischen Denkens und deren Folge für die Religionsphilosophie, 109–112. 11 Ebd., 109. 12 Vgl. ebd., 99 f. 13 Ebd., 111. 14 Was die Replik an Schaeffler stilistisch kennzeichnet, zeigt sich in vielen Schriften des dialogischen Personalismus: eine starke Betonung der Neuheit dieses Ansatzes und die Tendenz der (mitunter auch polemischen) Abgrenzung gegenüber der als überholt dargestellten Transzendentalphilosophie. Vgl. insbesondere: F. Rosenzweig, Das neue Denken; vgl. auch B. Casper, Das dialogische Denken 328–334. 15 Casper zeigt eine viel größere Nähe zu Buber, Rosenzweig und Ebner als sein Lehrer Welte und kann insofern als eine Art Bindeglied zwischen dem phänomenologischen Denken Weltes und dem dialogischen Denken gelten. 16 Die Skizzierung des Gebetsverständnisses Caspers kann hier nur in einigen Schlagworten geschehen. Vgl. B. Casper: Das Ereignis des Betens, Freiburg i. Br. – München 1998. Vgl. mit noch stärkerem Rekurs auf Rosenzweig: Ders., Theo-logie als Geschehen des Gebetes. Eine Anleitung, Franz Rosenzweigs »Stern der Erlösung« zu lesen, 9

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Casper versteht Gebet nicht als menschliche Aktivität, sondern als sich »ereignendes Ereignis« 17. Die erforderliche Grundhaltung, die schließlich zum Beten führt, ist die der »Aufmerksamkeit« (»attention«) und des »Harrens« (»attente«). Die Aufmerksamkeit auf mich selbst (§ 2) und auf die eigenen »Grund- und Grenzsituationen« (§ 3), vor allem aber die Aufmerksamkeit auf den »Anderen« (§ 4), dessen »Leibbürge« (Lévinas) ich bin, lenkt den Blick auf die Spur Gottes, der mich – vermittelt durch den Anderen – in »unendlichem Anspruch« angeht. In diesem Anspruch aber begegnet »die Herrlichkeit des Unendlichen« selbst (§ 5): »Die durch das Dasein selbst geschehende Sprachwerdung dieses Verhältnisses mit der Herrlichkeit des Unendlichen aber können wir das Gebet nennen.« 18 Dem Anspruch der göttlichen Herrlichkeit »suchen wir im Beten zu entsprechen« und ihm »durch unser Dasein zu antworten«. 19 Im systematischen Zugang zum Phänomen des Betens unterscheidet sich Caspers Gebetslehre von Schaeffler insofern, als dieser von der allgemeinen anthropologischen und sozialen Konstitution des Daseins ausgeht, während jener die menschliche Erfahrungsfähigkeit einerseits und die unmittelbaren religiösen Vollzüge und die Analyse ihrer sprachlichen Zeugnisse andererseits zum Ausgangspunkt nimmt. 20 In den weiteren phänomenologischen Entfaltungen allerdings kommt Casper zu Aussagen, die mit Schaefflers in: A. Raffelt (Hg.), Wege und Weite, Freiburg i. Br. 2001, 343–351; sowie Ders., Über das Gebet. Betrachtungen zu Franz Rosenzweig in Hinblick auf Emmanuel Lévinas, in: J. Kirchberg – J. Müther (Hg.), Philosophisch-Theologische Grenzfragen, FS Schaeffler, Essen 1986, 35–43. 17 Die Rede vom Gebet als »Ereignis« lässt sowohl ein Grundwort Heideggers anklingen, als auch – worauf Casper unmittelbar Bezug nimmt – an Rosenzweig denken. »Ereignis« löst beim mittleren und späten Heidegger das Wort »Sein« ab. Vgl. etwa M. Heidegger, Vom Ereignis, GA Bd. 65, Frankfurt a. M. 2003; Ders., Das Ereignis, GA Bd. 71, Frankfurt a. M. 2009, bes. 181–201. Vgl. G. Seubold, Stichwort »Ereignis«, in: D. Thomä (Hg.), Heidegger-Handbuch, Stuttgart 2003, 302–306. Bei Rosenzweig steht »Ereignis« im engen Zusammenhang mit Offenbarung: »Sein« offenbart sich als »augenblicksentsprungenes Geschehen, als ereignetes Ereignis«. Vgl. F. Rosenzweig, Der Stern der Erlösung, GS II, 178. 18 B. Casper, Das Ereignis des Betens, 48. 19 Vgl. ebd. 20 Ich schließe mich hiermit einer Einschätzung von Heinz-Jürgen Görtz an, der im Vergleich zwischen Welte (!) und Schaeffler zu demselben Ergebnis gekommen ist. Vgl. Ders., Zur Sinnlogik und Denkwürdigkeit religiöser Vollzüge, 411 f. Bei dieser Gegenüberstellung von Görtz wird deutlich, dass die beiden Denkansätze nicht so disparat sind, wie von Seiten der Phänomenologie bisweilen dargestellt wird.

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Gebetslehre überraschenderweise stark übereinkommen: So bezeichnet Casper das »Fundierungsverhältnis« des Gebetes, welches er ebenfalls mit dem Terminus »Korrelation« beschreibt, als »durchaus asymmetrisch« 21. Casper versteht den ergehenden Anspruch des Unendlichen, dessen wir im »Uns-zeitigen« in der Aufmerksamkeit gewahr werden, als eine »Zu-mutung«, die uns zu einer Antwort ruft. Er erklärt weiter: »Derart erweist sich das Gebet in seinem Geschehen seinem innersten Wesen nach als responsorisch. Es ereignet sich als Antwort.« 22 Ähnlich wie Schaeffler lässt Caspers Gebetsschrift eine gewisse Dominanz der »Doxologie« erkennen. Dennoch kennt auch er die gesamte Bandbreite der Gebetsmodi – Bitte, Klage, Anbetung, Lob und Dank – als je nach Situation des Beters authentische Ausdrucksweisen. 23 In welcher Form auch immer – das Gebet ist stets auf die Aktualisierung des »Fundierungsverhältnisses« zu Gott angelegt: »[E]s kann von ihm, d. h. zu ihm immer nur derart preisend und zugleich bittend gesprochen werden; d. h. so, daß die Sprechenden damit sich selbst von der Herrlichkeit Gottes ergreifen lassen und sich selbst mit der Not ihres geschichtlichen Daseins in dieses Verhältnis wenden.« 24 Es ließen sich noch weitere Parallelen zwischen Casper und Schaeffler herausarbeiten hinsichtlich der Geschichtlichkeit und Sprachlichkeit des Betens, 25 hinsichtlich der Zuordnung von Privatgebet und Gemeinschaftsgebet 26 sowie des Verhältnisses von Gebet und Theologie 27. Wie kommt es, dass Schaeffler trotz der unterB. Casper, Das Ereignis des Betens, 68; vgl. ebd., 71. Ebd., 70; vgl. ebd., 99. 23 Vgl. ebd., 87–95. 24 Ders., Theo-logie als Geschehen des Gebetes, 350. 25 Ders., Das Ereignis des Betens, 73–87. Casper vertritt die These, dass nicht nur das Gebet stets eine sprachliche Struktur aufweist, sondern dass umgekehrt die Sprache selbst sich in ihrer Urform als Bitte zeigt. Vgl. auch ebd., 37: »Das ursprüngliche Geschehen von Sprache bedeutet […] immer ein Bitten; nämlich das Bitten darum, von dem Anderen als ihm selbst gehört zu werden. In diesem Sinne ist alles Sprechen immer schon durch ein Bitten konstituiert. In diesem Bitten erkenne ich an, daß ich des Anderen als Anderen bedarf, um überhaupt sprechen zu können.« Die Bitte, überhaupt gehört zu werden, fand sich im Übrigen auch bei Schaeffler als Kernmotiv des Bittgebetes; vgl. Kap. 8.2.1. 26 Ebd., 96–105 [= § 9: »Das Gebet des einzelnen und das gemeinsame Beten«]. 27 Vgl. dazu den Epilog »Das Geschehen des Betens und die Hermeneutik der Religion«, ebd., 153–156. Casper vertritt hier die Meinung: »Man kann in der Tat im Ernste über Religion nur nachdenken, wenn man sie auch vollzieht, und sei es in noch so angefochtener und zweifelnder Weise.« Ebd., 154. Vgl. Ders., Theo-logie als Geschehen des Gebetes, wo Casper die im Titel enthaltene These weiter entfaltet: »nur 21 22

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schiedlichen methodischen Ausgangslage offensichtlich zu denselben Fragestellungen und zu inhaltlich ähnlichen Grundbestimmungen über das Gebet gelangt wie Casper? Und wie ist vor allen Dingen zu erklären, dass Schaeffler auch da nicht hinter Casper zurückstehen muss, wo es um die sensible Frage geht, Gebet als Dialog mit dem »Du« Gottes zu denken? Die angedeuteten Konvergenzen zwischen Casper und Schaeffler sind gewiss nur sehr oberflächlich herausgearbeitet. Eine detaillierte Untersuchung ist hier nicht möglich, aber auch nicht nötig. Denn es geht nicht darum, den dialogischen Personalismus zu beurteilen und zu kritisieren. Es gilt vielmehr umgekehrt zu prüfen, ob die dem christlichen Gebetsverständnis auf den ersten Blick sehr nahestehende »neue Denkart« 28 in ihrer Kritik am transzendentalen Denken auch den Ansatz Schaefflers und damit die Basis seiner Gebetslehre trifft. Eine erste, noch zu entfaltende Beobachtung dazu lautet schlicht, dass die Unterschiede zwischen den beiden »Denkarten« im Ergebnis möglicherweise gar nicht so fundamental sind, wie bisweilen suggeriert wird. Worin aber die Berechtigung oder gar die Stärke des von Schaeffler favorisierten Begründungsansatzes für eine Gebetslehre liegen mag, dazu seien abschließend einige Argumente vorgebracht.

10.2 Transzendentale Dialogik: Das Denken des Unausdenklichen Neues sucht sich abzugrenzen vom Bestehenden, um sich gegenüber dem Alten ausreichend Geltung zu verschaffen. Diese Tendenz ist dem »neuen Denken« und dem in die Theologie neu eingebrachten phänomenologischen Denken gemeinsam. Wie in der Replik Weltes auf Schaeffler deutlich wurde, sind die Abgrenzungsbemühungen häufig sehr markant. 29 Auch Rosenzweigs Kritik an der Transzendenim Sicheinlassen mit dieser […] Geschichte zwischen Gott und dem Menschen kann schlußendlich im Ernste Theo-logie geschehen. Diese wird mit Notwendigkeit aus einem Sprechen zu Gott hervorgehen.« Ebd., 349. 28 Dazu gehört vor allem, dass dieses Denken die Kategorie der Beziehung ins Zentrum rückt und anstelle des denkenden Ich den Anderen bzw. das »Zwischen« betont. 29 Als weiteres Beispiel ließe sich Michael Theunissens Vergleichsstudie zwischen der transzendentalen Intersubjektivitätstheorie Husserls und der Dialogphilosophie (v. a. Buber) erwähnen. Vgl. Ders., Der Andere, bes. 483–507. Theunissen betrachtet

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talphilosophie und dem Subjektdenken zeigt mitunter sehr offensive und provokante Züge. 30 Auf der »anderen Seite«, bei zeitgenössischen Vertretern der Transzendentalphilosophie, werden dagegen eher Stimmen laut, die den Graben zwischen den beiden Weisen des Denkens nicht so tief bemessen wollen, sondern den Versuch, das »Andere seiner selbst« im Denken einzuholen, als eine notwendige und aussichtsreiche Fortschreibung der ursprünglichen Einsicht des Cartesianismus und der Vernunftkritik Kants sehen. Wie immer man diesbezüglich die Entwürfe des Deutschen Idealismus beurteilen mag, so ist schwerlich zu übersehen, dass die dialogische Überwindung der Ich-Dominanz ein ernstzunehmendes Bestreben Jacobis, Schleiermachers und vor allem der dialektischen Philosophie Hegels war. 31 Ohne einer konzilianten Harmonisierungsthese das Wort zu reden, die die fruchtbare Spannung der Begründungsdiskurse und die berechtigte Kritik des dialogischen Personalismus eliminieren würde, darf doch festgestellt werden, dass die Gegensätze der Denkarten nicht so unüberwindlich sind, wie dies von Seiten der »Dialogiker« gerne herausgestellt wird. Als ausgezeichnetes Beispiel dafür ließe sich das Projekt einer »transzendentalen Dialogik« von Johannes Heinrichs heranziehen, der im Ausgang von der Frage nach der intersubjektiven Vermittlung von »Sinn« eine vollständige Integration des dialogischen Denkens in den Bahnen der Transzendentalphilosophie für möglich hält. 32 die Dialogphilosophie als Gegenentwurf zur klassischen Transzendentalphilosophie und bezieht eindeutig Position für das dialogische Denken. Zugleich plädiert er für eine Annäherung an die Phänomenologie Husserls und Heideggers. 30 Vgl. v. a. F. Rosenzweig, Das neue Denken. Rosenzweig fühlt sich angesichts der mächtigen Tradition transzendentalen Denkens häufig unverstanden. Vgl. etwa ebd., 143: »Diese Zurückführung oder ›Begründung‹ der Welt- und Gotteserfahrungen auf das Ich, das diese Erfahrungen macht, ist dem wissenschaftlichen Denken noch heut [sic!] so selbstverständlich, daß jemand, der an dieses Dogma nicht glaubt, sondern seine Welterfahrung lieber auf […] Gott zurückführt, einfach nicht ernst genommen wird.« Bezüglich Rosenzweigs ambivalentem Verhältnis zu Kant vgl.: B. Casper, Das dialogische Denken, 76–80. 31 Vgl. J. Heinrichs, Art. »Dialogik« I. Philosophisch, in: TRE, Bd. 8, 697–703, hier 697; Ders., Art. »Dialog, dialogisch«, in: HWPh, Bd. 2, Basel 1972, Sp. 226–229. 32 Vgl. Ders., Transzendentales – dialogisches – politisches Denken. Thesen zu einer »transzendentalen Dialogik«, in: Internationale Dialog Zeitschrift 3 (1970), 373–379; Ders., Sinn und Intersubjektivität. Zur Vermittlung von transzendentalphilosophischem und dialogischem Denken in einer »transzendentalen Logik«, in: ThPh 45 (1970), 161–191. Heinrichs vertritt sogar die These: Dort, wo die Transzendentalphilosophen mit ihrer Methode »die Vollgestalt von Sinn als dialogischen MitteilungsBeten denken

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Eine konsequent entwickelte und allgemeingültige Position zu diesem religionsphilosophischen Begründungsdiskurs darf an dieser Stelle nicht erwartet werden. Was im Blick auf die vorangehenden Studien jedoch gesagt werden kann, ist Folgendes: Wenn es derzeit eine Variante transzendentalphilosophischen Denkens in der Religionsphilosophie gibt, die den Anforderungen einer christlichen Gebetslehre genügen kann, dann ist dies der Ansatz Schaefflers auf der Basis eines transzendental-dialogischen Erfahrungsbegriffs. 33 Dieser nämlich – und dies scheint zentral – rechnet mit der Möglichkeit horizontverändernder Erfahrung und stellt den dialogisch-kommunikativen Gebetsakt als deren ausgezeichneten Fall dar. Diese These gilt es weiter zu erläutern. Schaeffler vertritt eine dialogische Wende der Transzendentalphilosophie, die sich so weit von ihrem kantischen Ursprung emanzipiert hat, dass sie ihm in entscheidender Hinsicht widersprechen muss: Wenngleich das transzendentale Ich im Vorgang der Gegenstandserkenntnis durchaus »schöpferisch« tätig ist, so doch nicht in ausschließlich konstituierender Weise, sondern in der Weise, dass es auf die je größere Wirklichkeit »gestaltend« antwortet. 34 Dabei kann die in der Antwort enthaltene Gestalt der Wirklichkeit zugleich verändernd auf das Subjekt zurückwirken im Sinne einer transzendentalen Erfahrung. 35 Diese erkenntnistheoretische Position kann kurz als der »geschichtlich-dialogische Erfahrungsbegriff« Schaefflers besinn in den Blick bekommen […], gelingt die Auslegung der Interpersonalität und Gesellschaftlichkeit weit umfassender und tiefer als bei den Dialogikern selbst«. Ebd., 180. Genau diese Prognose gilt es für Schaeffler zu überprüfen. 33 Auf den wichtigen Umstand, dass Schaeffler keinen rein transzendentalen Ansatz vertritt, muss nicht noch einmal hingewiesen werden. Die Transzendentalphilosophie stellt eine, wenn auch die dominante Methode seiner Religionsphilosophie dar. Vgl. dazu die methodische Einführung in Kap. 2. 34 Dies hat Schaeffler jüngst noch einmal betont: R. Schaeffler, Erkennen als antwortendes Gestalten (2014). 35 Es ist allerdings Bernd Irlenborn zuzustimmen, dass der Unterschied zwischen »dialogischer Erfahrung« und »transzendentaler Erfahrung« bei Schaeffler nicht vollständig aufgeklärt wird. Jede Erfahrung ist »dialogischer« Natur – als Antwort auf den Anspruch der je größeren Wirklichkeit – aber nur »besondere Erfahrungen« wirken sich »horizontverändernd« auf die menschliche Vernunftstruktur aus. Vgl. B. Irlenborn, »Veritas semper maior«, 209. Eine ähnliche Problematik stellt sich im Bereich der religiösen Erfahrung: Obwohl Schaeffler betont, dass alles, was erfahren werden kann, auch religiös erfahren werden kann, scheint es nicht sinnvoll anzunehmen, dass jede doxologische Antwort das Zerbrechen und Wiederherstellen der Ich- und Weltkohärenz mit sich bringt, wie er es für den Gebetsakt (vgl. Kap. 4.3.) beschrieben hat.

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zeichnet werden. Erst in jüngster Zeit hat Schaeffler das dialogische Verhältnis zwischen dem Subjekt und dem erkannten »Gegenstand« mit Hilfe des Freiheitsbegriff neu und präziser zu fassen versucht: als vom Objekt hervorgerufene, also »freigesetzte Freiheit« des Subjekts, die wiederum als »freisetzende Freiheit« das Objekt in seine Eigenständigkeit entlässt. 36 Schaeffler darf so – ohne den transzendentalen Methodengrund zu verlassen – als »Philosoph des Dialogs« bezeichnet werden. Die Wende zur Dialogizität des Denkens erfolgte nicht ohne Einfluss jüdischen Denkens (Rosenzweig und Cohen). Vor allem aber entspringt sie Schaefflers Einsicht in die Ergänzungsbedürftigkeit der kantischen Erkenntnislehre. Dahinter stehen im Grunde dieselben Einwände, die auch von der Dialogphilosophie vorgebracht wurden – mit dem Unterschied, dass Schaeffler seine Kritik am transzendentalen Denken mit dessen Begründer selbst auszutragen gedenkt. Dieser Weg der Weiterführung innerhalb des kantischen Systems mag mühsamer und komplizierter sein als ein reiner Gegenentwurf. 37 Doch eine Rückkehr hinter den transzendentalen Denkhorizont ist für Schaeffler unmöglich. Die Problematik der objektiven Gültigkeit subjektiver Erkenntnis kann und darf, so Schaeffler, nicht wieder aufgegeben werden: »Ist die Frage einmal gestellt […] dann kann diese Frage nicht ohne Schaden für das Erkennen vergessen oder verdrängt werden.« 38 Die oben genannten Vorwürfe der »Diktatur der Intentionalität« und des »Übergriffs« des Subjekts auf die Wirklichkeit jedoch dürfen für diese dialogische Transzendentalität nicht einfach unbesehen repetiert werden. 39 Das jeder Erfahrung intrinsische Moment der »Responsion« (als Ant-Wort auf die Wirklichkeit) vermag die Befürchtung einer reinen Vernunftherrschaft von vorneherein zu entkräften. Das Subjekt Vgl. R. Schaeffler, Die Wiedergewinnung der Frage nach dem Seienden, in: Ders., Philosophisch von Gott reden, Freiburg i. Br. – München 2006, 123–141, bes. 134– 139; Ders., »Freiheit, die frei macht«, 75 f.; Ders., Religionsphilosophie aus transzendentalphilosophischer Perspektive. Kritischer Rückblick auf einen Denkweg, Abschnitt 1 [unveröffentlicht]. 37 Es steht jedenfalls fest, dass Schaefflers dialogische Erfahrungslehre keine antikopernikanische »Rolle rückwärts« darstellt, sondern sich dem Stil transzendentalen Denkens bis über dessen eigene Grenzen hinaus verpflichtet weiß. 38 Ders., Religionsphilosophie und Philosophische Theologie von transzendentalem Ansatz, in: B. Irlenborn – C. Tapp (Hg.), Gott und Vernunft, Freiburg i. Br. – München 2013, 26–35, hier 28.; vgl. Ders., »Freiheit, die frei macht«, 74. 39 Schaeffler hat sich in der zweiten Auflage seiner Religionsphilosophie selbstkritisch mit den Einwänden gegen das transzendentale Denken auseinandergesetzt. Vgl. Ders., RelPhil, 284–286, 315–318; vgl. Kap. 2.4.2. 36

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ordnet sich bei Schaeffler letztlich dem Erfahrungsgegenstand und der »veritas semper maior« unter. Im Gebetsakt aber – daran sei vor allem erinnert – nimmt Schaeffler nicht nur eine dialogische Verwandlung der transzendentalen Verstandeskategorien an, sondern die (Neu-) Konstitution der Subjektivität des Beters aus seiner Hinwendung zu Gott (»identitas extra se«). 40 Es fällt nun insbesondere der Fundamentaltheologie zu, zu prüfen, inwieweit Schaefflers transzendental-dialogisches Denken für eine heutige theologische Gottesrede hilfreich ist. Schaeffler hat den Boden dafür vielfach bereitet, indem er sich mit Adaptionsmöglichkeiten und Chancen für die Theologie und ebenso mit möglichen Vorbehalten auseinandergesetzt hat. 41 Seine »Philosophische Einübung in die Theologie« ist im Grunde ein einziger Versuch, seinen dialogischen Erfahrungsbegriff als Grundlegung für verschiedene theologische Traktate und Einzelfragen anzubieten. In der Unübersichtlichkeit der aktuellen theologischen Begründungsdiskurse wäre die Theologie gut beraten, Schaefflers methodische Integrationsfähigkeit zu nutzen, und ihn nicht zu schnell in die – in sich wiederum sehr disparate – Richtung der Transzendentaltheologie einzusortieren. 42 Bernhard Nitsche, der sich wohl am intensivsten mit der theologischen Rezeptionsmöglichkeit Schaefflers beschäftigt hat, kommt zu der Einsicht, dass Schaefflers Entwurf »weder der starken Version des transzendentalen Denkens in der Idealismusrezeption, noch dessen radikalen Dekonstruktion in der frankophonen Heidegger- und Husserlrezeption folgt«, und so »noch immer quer zum Mainstream der innerkatholischen Diskurse« 43 steht. 44 Vgl. Kap. 4.3.2. Vgl. etwa die wichtigen Aufsätze: Ders., Ein transzendentalphilosophischer Gottesbegriff und seine mögliche Bedeutung für die Theologie (1992); Ders., Theologie unter den Bedingungen der Moderne, in: M. Liebmann (Hg.), Metamorphosen des Eingedenkens, Graz 1995, 93–104; Ders., Ein philosophischer Transzendenzbegriff – Hilfe oder Hindernis des Glaubens? (2001); Ders., Die transzendentale Reflexion und die »Geschichte Gottes mit dem Menschen« (2003). 42 Vgl. im Gesamtzusammenhang der theologischen Theorieansätze: H. Peukert, Wissenschaftstheorie – Handlungstheorie – Fundamentale Theologie, Düsseldorf 1976, 47–54. 43 B. Nitsche, Jüdische Dimensionen im Denken Richard Schaefflers, in: T. M. Schmidt – S. Wiedenhofer (Hg.), Religiöse Erfahrung, Freiburg i. Br. 2010, 178–196, hier 193. Vgl. auch Ders., Eine kleine Einübung in Richard Schaefflers große »Philosophische Einübung in die Theologie«, in: NZSTh 49 (2007), 114–130, bes. 117. 44 Nitsche lokalisiert Schaefflers »hermeneutisch begleitende Konzeption transzen40 41

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Von Seiten der Theologie wird vor allem in Zweifel gezogen, ob das transzendentale Denken geeignet sei, nicht nur einen Gottesbegriff zu formulieren, sondern auch die Denkbarkeit einer Gottesbeziehung offenzuhalten. Gott als die Bedingung meiner Subjektivität und Welterfahrung anzunehmen, ist eines; ihn aber als denjenigen anzuerkennen, der mir in unbedingter Liebe und bedingungslosem Beziehungswillen begegnen will, dies scheint transzendentalphilosophisch unmöglich. Denn eine Bedingung, so Jürgen Werbick, »hat der Handelnde gleichsam im Rücken; zu ihr kann er kein in irgend einem Sinne personales – etwa im Gebet aktualisierbares – Verhältnis gewinnen« 45. Die vorliegenden Studien konnten diese generellen Bedenken zumindest für den religionsphilosophischen Ansatz Schaefflers ausräumen. Der Grund dafür liegt, wie gesagt, in der dialogischen Struktur seines Erfahrungsbegriffs, die in der modifizierten Lehre von den Vernunftpostulaten gipfelt. Als Postulate stehen diese in der Tat nicht »im Rücken« des Subjekts, sondern – im Bewusstsein, dass die Einheit des Subjekts selbst zu zerbrechen droht – »vor ihm« als eine transzendentale Hoffnungsperspektive. Es ist eine Hoffnung freilich, die ihre Vernunftgründe benennt, und die sich qua Hoffnung nicht nach irgendeiner anonymen Zukunft ausstreckt, sondern nach

dental-geschichtlichen Denkens« daher als eigenständige Position innerhalb der »postmetaphysischen Begründungsansätze« zwischen dem »streng ›transzendentallogischen‹ Reduktionsverfahren einerseits (Fichte, Krings) und konsequent ›phänomenologischen‹ Reduktionswegen andererseits (Derrida, Lévinas)«. Ebd., 117. Schaeffler bietet, so Nitsche, eine »dialogisch offene und verweisende Form von Begründung an. Diese könnte […] mit dem Begriff der ›postulatorischen‹ (eschatologischen) Reduktion charakterisiert werden«. Ders., Jüdische Dimensionen im Denken Richard Schaefflers, 194. Insofern beantwortet Schaeffler die große Frage der Letztbegründung mit einer »Philosophie der Hoffnung«. Zu Verbindendem und Trennendem zwischen Schaefflers Ansatz und den Erstphilosophien bzw. dem Letztbegründungsdenken vgl.: R. Hohmann, Transzendentales Denken Gottes als Erstphilosophie oder als dialogische Erfahrungstheorie?, in: B. Irlenborn – C. Tapp (Hg.), Gott und Vernunft, Freiburg i. Br. – München 2013, 94–118; vgl. auch K. Müller, Transzendentalität und Geschichtlichkeit, in: T. M. Schmidt – S. Wiedenhofer (Hg.), Religiöse Erfahrung, Freiburg i. Br. 2010, 142–160; vgl. zur Kontextualisierung auch die Passagen zu Schaeffler in: Peter Ebenbauer, Fundamentaltheologie nach Hansjürgen Verweyen, Innsbruck – Wien 1998, 191–202, 212–214; sowie die theologische Auseinandersetzung mit Schaeffler in: G. Kruck, Das absolute Geheimnis vor der Wahrheitsfrage, Regensburg 2002, 95–121. 45 J. Werbick, Den Glauben verantworten, 137. Vgl. dazu den gesamten Abschnitt »Gott: Eine transzendentale Bedingung?«, ebd., 137–141. Beten denken

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der personalen Begegnung mit dem Grund dieser Hoffnung. 46 Der Akt des Hoffens und Vertrauens auf Gott als letzten Einheitsgrund spiegelt sich in der paradoxen Struktur des Glaubensaktes wider. »Glauben« bedeutet ja, so die Definition des Hebräerbriefes, »ἐλπιζομένων ὑπόστασιϚ« – ein »Feststehen im Erhofften« (Hebr 11,1). Prägnant und zugleich wortgetreuer übersetzt: Glaube ist »hypostasierte Hoffnung.« 47 Das Gebet spielt in diesem Zusammenhang eine besondere Rolle, weil allein im Zeugnis der Erfahrung betender Menschen verbürgt ist, was transzendental erhofft wird und erhofft werden muss. Im Gebet lässt sich der Mensch existenziell auf diesen Hoffnungsgrund ein und begegnet im antwortenden Rufen dem personalen Antlitz Gottes, der als der »Gott der Väter« wiedererkannt wird. Zu einer solchen Würdigung des Gebetes konnte Kants Epistemologie nicht kommen und musste den Glaubens- und Gebetsakt in den Bereich der praktischen Vernunft verlagern. 48 Schaefflers transzendental-dialogisches Konzept hat sich diesbezüglich weit von seinen kantischen Wurzeln gelöst. Sein Begriff der »veritas semper maior« und sein am Doxologiebegriff verdichtetes Verständnis von religiöser Erfahrung halten das Denken offen für den je größeren Anderen, der als ein »Du« erfahrbar wird. Zur inhaltlichen Ausgestaltung der Gebetslehre Schaefflers und seiner Interpretation biblischer und liturgischer Gebetszeugnisse muss nichts wiederholt oder hinzugefügt werden. Wohl gilt es aber an dieser Stelle neben der Kritik auch die Vorteile des transzendentalen Denkens Schaefflers im Blick auf eine theologische Gebetslehre herauszustellen: Die größte Leistung Schaefflers liegt wohl darin, »Beten« und »Denken« als zwei eigenständige Akte des Menschen in ihrem spannungsvollen Wechselverhältnis zusammenzuhalten. Wenn auch die strukturelle Autonomie der religiösen Erfahrung und des Gebetsaktes unbedingt beachtet werden will, so muss das Denken dem Beten doch auf dem Fuß folgen. Auch darin mag man Vgl. zur These Schaefflers, dass Hoffnung stets ein personaler Akt sei: Kap. 9.2, Zitat bei Fn. 51. 47 Diese wörtliche Interpretation des biblischen Glaubensbegriffs in Verbindung mit seiner Postulatenlehre findet sich vermehrt in jüngeren Schriften Schaefflers: Vgl. Ders., Auf welche Weise denkt der Glaube?, 11–16; Ders., PhE I, 205; PhE II, 224, 247, 261, 294; PhE III, 392; vgl. Kap. 6.4.1. 48 Auch dies liegt, wenn man Schaefflers Kantinterpretation folgen mag, daran, dass Kant die Vermittlung von Transzendentalität und Geschichtlichkeit zu wenig berücksichtigt hat. 46

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den Einfluss Kants wiedererkennen, der unmissverständlich festgehalten hat, dass »Erfahrung […] eine Erkenntnisart ist, die Verstand erfordert« 49. Liegt nicht gerade hier die Versuchung einer weitverbreiteten Auffassung von Gebet begründet, der auch die Theologie zu wehren hat: die Gefahr einer falsch verstandenen Erfahrbarkeit und Unmittelbarkeit Gottes? Gebet darf nicht auf ein religiöses Gefühl reduziert werden, und es darf nicht einzig der subjektiven Empfindung und Interpretation des Beters überlassen werden. Schaefflers Gebetslehre leitet zu einer ausgewogenen Hermeneutik religiöser Erfahrung an, die einerseits das Korrektiv der intersubjektiven bzw. ekklesialen Gebetsgemeinschaft und der Normativität ihrer Sprachund Denkformen ins Bewusstsein hebt (synchron), und andererseits durch den umfassend zur Geltung gebrachten »vierten Grundsatz des reinen Verstandes« 50 einen starken, aber nicht starren Traditionsbegriff bereit hält (diachron). Darüber hinaus bewahrt Schaefflers Gebetslehre vor einer naiven Vorstellung von Gott als einem »Gegenstand« unserer Erfahrung. 51 Mit Schaeffler dürfen wir positiv davon ausgehen, dass der Beter es im Dialog des Gebetes tatsächlich mit dem lebendigen Gott »zu tun« hat – aber nicht im Sinne einer abgeschlossenen Gegenstandserfahrung. Diese Vorstellung ist, wie Schaeffler zeigen konnte, schon für die Begegnung mit Menschen irreführend und trifft nicht einmal für die Wahrnehmung von Sachgegenständen zu. Gott begegnet dem Beter als derjenige, ohne den überhaupt nichts erfahren werden kann, der selbst aber in allem, was ist, erkannt werden will und zur doxologischen Antwort in der Anrufung seines Namens einlädt. Schaeffler ordnet den Gebetsakt in den Gesamtkontext menschlicher Noesen ein, ohne ihn ins Allgemei-

I. Kant, KrV, B XVII. Dieser Satz steht gleichsam als »Prämisse« in der Vorrede zur zweiten Auflage der »Kritik der reinen Vernunft«, unmittelbar nach dem berühmten Vergleich mit der Wende des »Copernicus« bezüglich der Beobachtung der Himmelsbewegungen. Vgl. R. Schaeffler, EDW, 338. 50 »Keine Erfahrung ist von solcher Art, daß sie kommende Erfahrungen überflüssig macht; keine Erfahrung ist von solcher Art, daß sie durch kommende Erfahrungen bedeutungslos gemacht werden könnte.« Ebd., 346 u. a. 51 Vgl. dazu: H.-J. Görtz, Kommentar zu: Ist dem Verstand jeder Weg zu Gott verschlossen? Religionsphilosophie nach Kant, in: I. Kaplow (Hg.), Nach Kant – Erbe und Kritik, Münster 2005, 185–192, hier 191. Görtz hält positiv fest, dass Schaeffler an die Unterscheidung Kants erinnert, dass »›Gott‹ nicht mit einem ›Gegenstand‹ der Erfahrung oder des ›Gefühls‹ verwechselt« werden dürfe. Vgl. R. Schaeffler, Ist dem Verstand jeder Weg zu Gott verschlossen? Religionsphilosophie nach Kant, ebd.,162–184. 49

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ne zu verflüssigen. Das Gebet ist kein Akt jenseits aller sonstigen Erfahrungsstrukturen, sondern ein menschlicher Grundakt. So bleibt das Gebet rational verantwortet und zudem kritikfähig. Wenn Schaeffler im Zuge dessen auch mögliche Fehlgestalten und »Ausfallserscheinungen« des Gebetes zu benennen vermag, leistet er einen wertvollen Dienst an der »Unterscheidung der Geister« und erfüllt den Grundauftrag religionsphilosophischer und theologischer Argumentation. Der Gebetsakt darf bei alledem nicht rationalisiert werden. Als Begegnungs- und Beziehungsgeschehen mit dem »je größeren Gott« bleibt er ein Grenzfall des Denkens und Sprechens am Rande des Unausdenklichen und an der Grenze zum Verstummen. Dennoch muss er mit den Mitteln der Vernunft so weit als nur möglich nach-vollziehbar sein. Nur so bleibt für den Beter überprüfbar, ob er sein Beten und sein Denken tatsächlich offen hält für die »je größere« Herrlichkeit Gottes, anstatt sich in einen Monolog mit sich selbst und seinen religiösen Wunschvorstellungen einzuschließen. Gerade das transzendentale Denken kann der Bedingungen und Grenzen seiner selbst gewahr werden. In seiner dialogischen Gestalt im Sinne Schaefflers bleibt das Denken an dieser Grenze gleichsam stehen, um sich bereit zu halten für denjenigen, der nicht gedacht werden kann – es sei denn, dass er »ins Denken einfällt«. 52 Der letzte Gedanke kann deshalb nur »Andacht« sein, 53 das letzte Wort – und das erste nach dem Verstummen – »Antwort«. Beten so zu denken übergeht nicht die Unausdenklichkeit der Begegnung zwischen Gott und Mensch. Doch es nimmt den ganzen Menschen ernst: sein Vernunftstreben und Sprachdenken, sein Wille nach Eigenständigkeit und seine intersubjektive Verwiesenheit, und nicht zuletzt seine geschichtliche Gewordenheit. Gott will dem Menschen im Gebet als Ganzem begegnen. Der Mensch aber muss erkennen, dass er das Gefäß des Unendlichen nur als Fragmentarischer wer-

Es scheint in diesem Sinne erlaubt, diese gelungene Formulierung Emmanuel Lévinas’ (»De Dieu qui vient à l’idée«) mit Schaefflers Gebetslehre in Verbindung zu bringen. Vgl. E. Lévinas, Wenn Gott ins Denken einfällt, Freiburg i. Br. – München 31999. 53 Vgl. M. Heidegger, Was heißt denken?, in: Ders., GA Bd. 8, Frankfurt a. M. 2002, 167: »Fragen wir die Frage: ›Was heißt Denken?‹ […], dann verweist uns das Wort ›Denken‹ in den Wesensbereich von Gedächtnis, Andacht und Dank.« Zum Zusammenhang von »Denken – Andenken – Andacht« vgl. ebd., 142–171. 52

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den kann. 54 Das Gebet führt den Menschen deshalb »an die Grenze seiner Erfahrungsfähigkeit im Ganzen« 55. Es führt ihn bis zu jener Erfahrung, dass sein Denken zerrinnt – und ihm schließlich gewandelt und geweitet wiedergeschenkt wird. Aus dieser Umgestaltung des Denkens (Röm 12,2) erhebt sich schließlich ein neues Gebetswort, ein Wort, das dem Menschen »vom Heiligen selbst ›ins Herz und auf die Lippen‹ gelegt worden ist« 56.

Vgl. K. Jaspers, Metaphysik, 229: »Wenn das Endliche Gefäß des Eigentlichen sein soll, muß es fragmentarisch werden.« 55 R. Schaeffler, PhE I, 177. 56 Ebd., 178. 54

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Abkürzungen

Die in dieser Arbeit gebrauchten Abkürzungen für Zeitschriften, Serien und Lexika richten sich nach: Schwertner, Siegfried M. (Hg.): Internationales Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete, Berlin – Boston3 2014. Außerdem werden folgende Siglen verwendet: Immanuel Kant KpV Kritik der praktischen Vernunft KrV Kritik der reinen Vernunft Prol Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik Rel Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft Hermann Cohen BR Der Begriff der Religion im System der Philosophie RV Religion der Vernunft aus den Quellen des Judentums Richard Schaeffler EDW Erfahrung als Dialog mit der Wirklichkeit GuA Das Gebet und das Argument PhE I–III Philosophische Einübung in die Theologie, Bd. I–III RelPhil Religionsphilosophie

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Stefan Walser https://doi.org/10.5771/9783495808290 .

Namenregister

Adorno, Theodor W. 54, 401 Alston, William P. 63 Altmann, Alexander 105–107, 422 Anselm von Canterbury 370, 380 Apel, Karl-Otto 74, 136, 297 Aristoteles 449 Augustinus, Aurelius 433, 441 Austin, John L. 52, 62, 63, 65–68, 101, 126, 137, 140, 289, 389 Ayer, Alfred J. 62, 64, 65 Bachja Ibn Pakuda 88, 93, 186, 187 Balthasar, Hans Urs von 20 Barth, Karl 250, 259, 395–397 Ben-Chorin, Schalom 200, 404 Benner, Thomas 19–21, 142, 410, 411 Bernet, Walter 399, 415–418, 421 Bloch, Ernst 35, 202 Boethius, Anicius M. S. 434 Bonaventura di Bagnoregio 434 Brümmer, Vincent 134, 398, 416 Buber, Martin 93, 163, 404, 439– 446, 448, 449, 452 Calvin, Johannes 396 Carnap, Rudolf 62–64, 343 Casper, Bernhard 27, 105–107, 184, 271, 397, 439, 440, 445, 449–453 Cassirer, Ernst 35, 74, 75, 105, 162, 163, 173, 177, 190, 191, 388 Cusanus, Nikolaus 51 Dalferth, Ingolf U. 62, 63, 65, 66, 69, 70, 333, 338

Danto, Arthur C. 149, 150, 197, 297 De Saussure, Ferdinand 292, 296, 307, 388, 391 Descartes, René 335, 381 Deutsch, Thomas 20–22, 142, 213, 291, 335, 411 Dietrich, Stephanie 133 Ebeling, Gerhard 19, 20, 134, 402, 403 Eliade, Mircea 46, 51, 55, 346 Feuerbach, Ludwig 416, 417, 419, 421 Flew, Antony 65 Frankl, Viktor E. 419, 444 Franz von Assisi 332, 433, 434 Görtz, Heinz-Jürgen 449, 450, 459 Götz, Richard 395, 415, 436 Guardini, Romano 442 Hake, Ann-Kathrin 93, 106, 108, 120 Harasta, Eva 396, 402–404 Häußling, Angelus 21, 202 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 35, 250, 334, 370, 381, 429, 431, 434, 435, 453 Heidegger, Martin 35, 46, 56, 105, 107, 133, 368, 369, 449, 450, 453, 456, 460 Heiler, Friedrich 48, 50–53, 60, 76, 134, 289, 389

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Namenregister

Heinrichs, Johannes 448, 453 Herder, Johann Gottfried von 74, 388 Hogrebe, Wolfram 74, 136 Holzhey, Helmut 86, 93, 94, 96, 104–106 Humboldt, Wilhelm von 74, 388 Husserl, Edmund 34, 46–48, 55, 56, 76, 91, 263, 264, 389, 449, 452, 453, 456 Irlenborn, Bernd 17, 22, 34–36, 39, 40, 80, 135, 183, 184, 336–338, 349, 352, 356, 366, 371, 377, 378, 380, 454, 455, 457 Jacobi, Friedrich Heinrich 453 James, William 43 Jaspers, Karl 417–421, 444, 461 Kant, Immanuel 30–40, 42, 43, 45, 56, 57, 73–75, 78, 84, 86–89, 93, 100, 105, 107–121, 123, 125–129, 168, 170, 171, 173–183, 186, 187, 189, 190, 192, 193, 195, 196, 203, 209, 253, 258, 261, 308, 370, 379, 380, 382, 388, 392, 399, 421, 422, 447, 453–455, 458, 459 Kasper, Walter 221, 394 Kirchberg, Julie 19, 333, 450 Kistenbrügge, Armin 19, 21, 142, 213, 332, 333, 397, 398, 411 Knop, Julia 339 Lee, Jong-Jin 17, 18, 41, 43, 81, 82 v. d. Leeuw, Gerhardus 46 Leibniz, Gottfried Wilhelm 166 Lévinas, Emmanuel 82, 84, 400, 448–450, 457, 460 Lockmann, Ute 135 Loisy, Alfred 315 Ludwig, Gunther 18, 306, 309 Luther, Martin 51, 66, 68, 279 Lyotard, Jean-François 35, 82, 84, 182, 210, 334, 368, 393, 448

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Maimonides, Moses 88, 109 Meister Eckhart 134, 220, 400 Metz, Johann B. 220, 334, 402 Milz, Bernhard 112, 113 Morris, Charles W. 73, 136, 389 Müller, Max 82, 448 Nancy, Jean-Luc 400–402 Nitsche, Bernhard 17, 22, 119, 181, 184, 191, 456, 457 Novalis 13 Otto, Rudolf 46, 57 Palmer, Humphrey 69 Pannenberg, Wolfhart 31, 250, 259, 273 Pascal, Blaise 334, 335, 362, 368 Phillips, Dewi Z. 19, 62, 63, 69 Platon 245, 424 Poma, Andrea 89, 93, 96, 98, 106, 107 Pseudo-Dionysius Areopagita 331 Rabbi Akibas 94 Rahner, Karl 17, 20, 33, 34, 446 Reventlow, Henning Graf 211, 213, 395, 396 Richard von Sankt Viktor 433 Ricken, Friedo 43, 65, 118, 375 Rosenzweig, Franz 86, 87, 96, 103– 108, 110, 113, 121, 122, 124, 125, 127, 163, 209, 210, 271, 289–292, 393, 404, 422, 439, 449, 450, 452, 453, 455 Russell, Bertrand 389 Salmann, Elmar 15, 20, 184 Schaller, Hans 397, 399, 403 Scheler, Max 46–50, 52, 53, 55, 60, 76, 271, 371, 389 Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph 425, 430, 431 Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst 373, 397, 453

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Stefan Walser https://doi.org/10.5771/9783495808290 .

Namenregister

Schlink, Edmund 250, 332, 397 Schmidt-Leukel, Perry 18 Schrom, Markus 21, 142, 285, 306 Scotus, Johannes Duns 238, 434 Searle, John R. 52, 62, 63, 67, 101, 124, 289, 291, 311, 389 Silesius, Angelus 220, 400 Sophokles 155 Spinoza, Baruch 88, 92, 93, 109, 236, 420, 421, 429, 440, 442 Steinthal, H. Chajim 186 Tauler, Johannes 400 Taylor, Charles 344 Theunissen, Michael 439, 441, 446, 452 Thomas von Aquin 37, 252, 274, 331, 369, 370, 380, 399, 433 Tillich, Paul 437–441

Wainwright, Geoffrey 19, 250, 332–334, 351 Weischedel, Wilhelm 373, 400 Welte, Bernhard 52, 132–134, 289, 448–450, 452 Werbick, Jürgen 11, 220, 239, 315, 331, 335, 399, 403, 416, 417, 419, 421, 433–435, 437, 441, 445, 457 Wiedenhofer, Siegfried 18, 20, 30, 36, 62, 63, 74, 310, 312, 375, 456, 457 Wiertz, Oliver J. 62, 63 Wittgenstein, Ludwig 62, 68, 70, 133 Wüst-Lückl, Jürg 20, 21, 80, 142, 213, 411 Xenophanes von Kolophon 416 Zimny, Michael 15–18, 59, 80, 395

Usener, Hermann 155, 156, 167, 207

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Bibelstellenregister

Wörtliche Bibelzitate werden in kursiver Seitenzahl aufgeführt

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AT

NT

Gen 122, 212 Ex 92, 121, 148, 158, 164, 241, 300, 331, 354, 382 Num 122 Dtn 93, 120,123, 159, 186, 200, 232, 238, 241, 409, 443 Jos 354 1 Sam 157, 159f. 2 Sam 303 1 Kön 354 Ps mult. Weish 288 Jes 97, 102, 164, 242, 243, 262, 271, 277, 301, 303f., 345, 356, 409, 429 Klgl 200 Mi 89, 91, 120 Hab 277 Sach 124, 187, 238, 284

Mt 115, 282, 303 Mk 400, 427 Lk 158, 163, 167, 188, 199, 236, 239, 240, 288, 293, 298, 322, 328, 398 Joh 320, 323, 427, 433 Röm 42, 57, 114, 258, 278, 314, 325, 342, 403, 461 1 Kor 66, 259, 281, 303, 313, 317, 324 2 Kor 262, 277, 278, 301, 313 Gal 382 Eph 282, 304 Phil 314 Kol 247, 307, 349, 428 Hebr 314, 325, 458 1 Petr 303, 304 1 Joh 38, 325

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